Burchardi, Larsen, Marx, Muhl, Schölmerich
Die Intensivmedizin 11. Auflage
H. Burchardi R. Larsen G. Marx E. Muhl J. Schölmerich (Hrsg.)
Die Intensivmedizin 11. überarbeitete und erweiterte Auflage Mit 392 Abbildungen
Prof. Dr. Elke Muhl Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck
Prof. Dr. Hilmar Burchardi Kiefernweg 2 37120 Bovenden Prof. Dr. Reinhard Larsen Fasanenweg 26 66424 Homburg Prof. Dr. Gernot Marx Operative Intensivmedizin für Erwachsene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Prof. Dr. Jürgen Schölmerich Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main
ISBN-13 978-3-642-16928-1 11. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-72295-3 10. Auflage Springer Medizin-Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Der Springer Medizin Verlag ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. springer.de © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 1955, 1971, 1972, 1977, 1982, 1993, 1995, 2001, 2004, 2008, 2011 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Ulrike Hartmann, Heidelberg Projektmanagement: Gisela Schmitt, Heidelberg Copy-Editing: Michaela Mallwitz, Tairnbach Photo Einband: © K-H Krauskopf, Wuppertal Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: medionet Publishing Services Ltd. SPIN: 12632015 Gedruckt auf säurefreiem Papier
22/2122/ULH/gs – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 11. Auflage »
Die edle Einfalt in den Werken der Natur hat nur gar zu oft ihren Grund in der edlen Kurzsichtigkeit dessen, der sie beobachtet . (Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799)
«
Fürwahr! Die Natur ist so einfach nicht! Intensivmedizin braucht das breite Wissen der Experten vieler Fachdisziplinen, muss oft aus den verschiedensten Quellen schöpfen, wenn dem kritisch Kranken geholfen werden soll. Intensivmedizin ist grundsätzlich multidisziplinär. Von dieser Multidisziplinarität lebt dieses Buch nun schon in der 11. Auflage – also seit 1955. Kann ein so betagtes Buch heute noch sinnvoll sein? Nun, der Springer-Verlag ist zu loben, dass dieses Lehrbuch durch Neuauflagen in rascher Folge immer wieder aktualisiert wurde. Und dennoch muss man sich über das Grundkonzept Gedanken machen: Sind »dicke Bücher« noch zeitgemäß? Kann man sie in der täglichen Routine am Krankenbett noch sinnvoll einsetzen? Mit der jetzigen Auflage haben wir versucht, ein neues Konzept zu verwirklichen: Das Hauptwerk als umfassende Wissensbasis, jedoch begleitet von einer leichteren Taschenbuchversion, die ein aktueller Ratgeber für den Handelnden am Krankenbett sein soll. Beides zusammen bildet die Einheit des Lehrbuchs: Die Gesamtdarstellung und deren aktuelle Handlungsanweisungen. Wir hoffen, dass dieses Konzept den Intensivmedizinern ihre tägliche Arbeit vor Ort erleichtern wird –Ärzten wie Pflegenden, sowie allen anderen, die intensivmedizinische Patienten betreuen. Die moderne Intensivmedizin entwickelt sich rasant. Die aktuelle Anpassung an die neuesten Fortschritte ist daher unerlässlich. So wurde auch diese 11. Auflage wiederum grundlegend erneuert; neue Autoren wurden gewonnen, viele Kapitel wurden neu konzipiert, weitere Themen wurden mit eingebunden. Alles unter dem Konzept der Multidisziplinarität, bei der die Expertise aus unterschiedlicher Sicht zur Sprache kommt. Unser großer Dank gilt allen mitwirkenden Autoren, die sich heute noch trotz der harten Anforderungen ihrer täglichen Arbeit zum Abfassen der Beiträge haben durchringen können. Wir als Herausgeber wissen ihre Mitwirkung an dem Buch zu schätzen. Sie können ihrerseits sicher sein, dass der Leser ihre Weitergabe von Expertenwissen schätzen wird. Ein solches Werk lebt aber auch aus der Innovation durch die Herausgeber. Wir sind froh, die chirurgische Intensivmedizinerin Elke Muhl (Lübeck) und den anästhesiologischen Intensivmediziner Gernot Marx (Aachen) für die Herausgeberschaft gewonnen zu haben.
Sie haben sich mit großer Motivation für diese neue Aufgabe engagiert. Uns als Herausgeber hat diese Aufgabe mit großer Begeisterung erfüllt; doch nun soll eine aktive jüngere Generation diese Aufgabe übernehmen. Wir wünschen ihr dafür viel Glück. Unser Dank gilt nicht zuletzt auch den Mitarbeitern des Springer-Verlags, insbesondere Frau Ulrike Hartmann, die das Projekt seit vielen Jahren betreut, aber auch Frau Dr. Anna Krätz und der Lektorin, Frau Michaela Mallwitz. Wir als Herausgeber wünschen diesem Buch einen guten Erfolg – letztlich zum Nutzen der Intensivpatienten, die auf der Grundlage dieses Wissens gut betreut werden sollen. Hilmar Burchardi Reinhard Larsen Gernot Marx Elke Muhl Jürgen Schölmerich Bovenden, Homburg/Saar, Aachen, Lübeck, Frankfurt, im Januar 2011
VII
Inhaltsverzeichnis I
Organisation und Umfeld der Intensivmedizin
1
Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 R. Dembinski, R. Kuhlen, M. Quintel
2
Rechtliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 R.-W. Bock
3
Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . 17 V. Köllner, K. Bernardy, P. Bialas, T. Loew
4
Intensivpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 D. Stolecki
5
Hygiene in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 M. Dettenkofer, E. Meyer (unter Mitarbeit von A. Conrad)
6
Transport kritisch kranker Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 W. Wilhelm
7
Scores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 R. Lefering, E. Neugebauer
8
Risikomanagement und Fehlerkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 A. Frutiger, J. Graf
9
Ökonomie und Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 J. Martin, C. Waydhas, O. Mörer
10
Organisation und Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 H. Burchardi, W. Fleischer
11
Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A.R. Heller, M.P. Müller
12
Langzeitfolgen nach Intensivtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 J. Langgartner
13
Akut- und Frührehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 B. Gassner, S. Kircher, G. Schönherr
14
Palliativmedizin in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 F. Nauck
II
Diagnostik und Überwachung
15
Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter . . . . . . . . . . . . . . . 147 W. Wilhelm, R. Larsen, H. Pargger, S. Ziegeler, F. Mertzlufft
16
Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 K.L. Kiening, A.S. Sarrafzadeh
17
Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 E. Eisenhuber-Stadler, B. Partik, P. Pokieser, C. Schaefer-Prokop
18
Labordiagnostik in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 C.E. Wrede, S. Froh
VIII
Inhaltsverzeichnis
III
Prinzipien der Therapie
19
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen . . . . . . . 251 J. Langgartner
20
Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 K. Mayer
21
Hämorrhagischer Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 R. Larsen
22
Volumentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 T.-P. Simon, G. Marx
23
Inotropika und Vasopressoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 S. Rex
24
Hämostase und Hämotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 M. Reng
25
Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 S. Kleinschmidt
26
Endotracheale Intubation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 M. Quintel, F. Fiedler
27
Perkutane Tracheotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 H.-W. Bause, A. Prause
28
Thoraxdrainage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 B. Regli, L. Mende
29
Bronchoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 S. Krüger
30
Kardiopulmonale Reanimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 H. Herff, V. Wenzel
IV 31
Kardiovaskuläre Störungen Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade . . . . . . . . . . . . . . . . 391 R. Wachter, H.-P. Hermann, S. Vonhof, G. Hasenfuß
32
Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 J. Weil
33
Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 H.-J. Trappe
34
Infektiöse Endokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 M. Doering, D. Elsner
35
Der hypertensive Notfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 S. Seiler, D. Fliser
36
Lungenarterienembolie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 H.-D. Walmrath
V
Respiratorische Störungen
37
Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 R. Dembinski, R. Kuhlen
38
Akutes Lungenversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 R. Dembinski, R. Kuhlen
IX Inhaltsverzeichnis
39
Pneumonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 S. Ewig
40
COPD und Asthma bronchiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 B. Schönhofer, R. Bals
41
Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 R. Dembinski, R. Kuhlen
42
Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz . . . . . . . . . . 543 B. Schönhofer
VI
Gastrointestinale Störungen
43
Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 T. Brünnler, J. Schölmerich
44
Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 R.E. Stauber, P. Fickert, M. Trauner
45
Akute Pankreatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 J. Schölmerich, T. Brünnler
46
Akute gastrointestinale Blutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 H. Messmann, F. Klebl
47
Mesenteriale Durchblutungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 F. Rockmann, J. Schölmerich
VII
Störungen des ZNS und neuromuskuläre Erkrankungen
48
Neurodiagnostik in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 A. Dörfler, M. Forsting, W. Müllges, B. Partik, D. Prayer, B. Wildemann
49
Erhöhter intrakranieller Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 O.W. Sakowitz, A.W. Unterberg
50
Koma, metabolische Störungen und Hirntod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 A. Bitsch (Vorauflage unter Mitarbeit von F. Weber und H. Prange)
51
Zerebrovaskuläre Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 T. Steiner, S. Schwab, W. Hacke
52
Epileptische Anfälle und Status epilepticus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 F. Kerling, F. Reinhardt, H. Stefan
53
Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 T. Wetterling
54
Infektionen des ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 B. Salzberger
55
Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 M. Baumberger, P. Felleiter, F. Michel, H.G. Koch
56
Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 H.-P. Hartung, B.C. Kieseier, H.C. Lehmann
57
Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 J.D. Rollnik
X
Inhaltsverzeichnis
VIII
Stoffwechsel, Niere, Säure-Basen-, Wasser- und Elektrolythaushalt
58
Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 S. Klose, H. Lehnert
59
Endokrine Störungen beim Intensivpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 R. Büttner, R. Gärtner
60
Säure-Basen Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 K. Hofmann-Kiefer, P. Conzen, M. Rehm
61
Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 B.K. Krämer, B. Krüger
IX
Infektionen
62
Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 S.W. Lemmen
63
Diagnose und Therapie der Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 T. Schürholz, G. Marx
64
Nosokomiale Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 H. Häfner, S. Koch, S. Lemmen
65
Spezifische Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821 C. Dierkes, E. Bernasconi
66
Intensivtherapie bei HIV-Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 B. Salzberger
X 67
Trauma Polytrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845 M. Lehnert, I. Marzi
68
Schädel-Hirn-Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859 J. Piek
69
Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873 S. Reinert
70
Thoraxtrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 881 R. Stocker
71
Abdominalverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893 C. Hierholzer, A. Woltmann
72
Brandverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911 N. Pallua, E. Demir
73
Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931 C.-M. Muth
XI 74
Operative Intensivmedizin Abdominalchirurgische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 947 G. Peterschulte, W.T. Knoefel
75
Herzchirurgische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 E. Kilger, K. Nassau, F. Vogel, B. Zwißler
XI Inhaltsverzeichnis
76
Thoraxchirurgische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 J. Geiseler, J. Fresenius, O. Karg
77
Gefäßchirurgische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993 A. Greiner, J. Grommes, M. Jacobs
78
Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen – elektive Kraniotomie, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Rückenmarkverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 S. Pilge, G. Schneider
XII
Organtransplantation
79
Behandlung von Organspendern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025 T. Bein
80
Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035 C. Lichtenstern, M. Müller, J. Schmidt, K. Mayer, M.A. Weigand
XIII
Spezielle Notfälle
81
Die Schwangere in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 M.K. Bohlmann, K. Diedrich
82
Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067 M.C. Schneider, E. Beinder, J.-C. Fauchère, M. Siegemund
83
Anaphylaktischer Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1079 U. Müller-Werdan, K. Werdan
84
Rheumatologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1087 S. Pemmerl
85
Hämatologisch-onkologische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1095 S. Froh
86
Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1101 H. Desel
XIV
Pädiatrische Intensivmedizin
87
Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1115 P. Groneck, C.P. Speer, K. Bauer (†)
88
Kinderintensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1159 M. Sasse
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1181
XIII
Autorenverzeichnis PD Dr. med. Dr. rer. nat. Robert Bals Klinik f. Innere Med. - Pneumologie, Klinikum der PhilippsUniversität Marburg Baldingerstraße 1 35043 Marburg Prof. Dr. Karl Bauer (†) Dr. Michael Baumberger Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Strasse 1 CH-6207 Nottwil Prof. Dr. Hanswerner Bause Asklepios Klinik Altona Paul-Ehrlich-Str. 1 22763 Hamburg Prof. Dr. Thomas Bein Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Prof. Dr. Ernst Beinder Klinik für Geburtshilfe, UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstrasse 10 CH-8091 Zürich Dr. phil. Dipl.-Psych. Kathrin Bernardy Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätskliniken des Saarlandes 66424 Homburg Dr. Enos Bernasconi Ospedale Civico Lugano Via Tesserete 46 CH-6903 Lugano Dr. Patrick Bialas Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätskliniken des Saarlandes Gebäude 57 66421 Homburg
Prof. Dr. Andreas Bitsch Neurologische Klinik, Ruppiner Kliniken GmbH Fehrbelliner Str. 38 16816 Neuruppin Rolf-Werner Bock Schlüterstraße 37 10629 Berlin PD Dr. Michael Bohlmann Klinik für Frauenheilkunde u. Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Hostein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck Dr. Tanja Brünnler Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Prof. Dr. Hilmar Burchardi Kiefernweg 2 37120 Bovenden PD Dr. Roland Büttner Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Dr. Andreas Conrad Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Freiburg Breisacher Str. 115b 79106 Freiburg Prof. Dr. Peter Conzen Klinik für Anästhesiologie, LMU München Marchioninistraße 15 81377 München PD Dr. Rolf Dembinski Klinik für operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Dr. Erhan Demir Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- u. Verbrennungschirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Dr. Herbert Desel Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und SchleswigHolstein (GIZ-Nord) und Toxikologisches Labor, Universitätsmedizin Göttingen 37099 Göttingen Prof. Dr. Markus Dettenkofer Sektion Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Freiburg Leitender Oberarzt Institut für Umweltmedizin u. Krankenhaushygiene Breisacher Str. 115b 79106 Freiburg Prof. Dr. Klaus Diedrich Klinik für Frauenheilkunde u. Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Hostein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck Dr. Christine Dierkes Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Prof. Dr. Arnd Dörfler Abteilung Neuroradiologie, Universitätsklinikum Erlangen Schwabachanlage 6 91054 Erlangen Dr. Matthias Döring III. Medizinische Klinik, Klinikum Passau Innstraße 76 94032 Passau
XIV
Autorenverzeichnis
Dr. Edith Eisenhuber-Stadler Abt. für Radiologie u. Bildgebende Diagnostik, Krankenhaus Göttlicher Heiland Dornbacher Str. 20-28 A-1070 Wien
Univ.-Prof. Dr. Danilo Fliser Klinik für Innere Medizin IV, Nieren- u. Hochdruckkrankheiten Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Straße 66421 Homburg
Prof. Dr. Dietmar Elsner III. Medizinische Klinik, Klinikum Passau Innstraße 76 94032 Passau
Prof. Dr. Michael Forsting Institut für diagnostische u. interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstsr. 55 45122 Essen
Prof. Dr. Santiago Ewig Evangelisches Krankenhaus Herne u. Augusta-Kranken-Anstalt Bochum, Thoraxzentrum Ruhrgebiet Kliniken für Pneumologie u. Infektiologie Bergstraße 26 44791 Bochum PD Dr. Jean-Claude Fauchère Klinik für Neonatologie, UniversitätsSpital Zürich Frauenklinikstrasse 10 CH-8091 Zürich
Dr. Julia Fresenius Klinik für Intensivmedizin u. Langzeitbeatmung, Asklepios Fachkliniken München-Gauting Robert-Koch-Allee 2 82131 Gauting Dr. Stefanie Froh Dreilindenstr. 44 6006 Luzern, Schweiz
Dr. Peter Felleiter Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Strasse 1 CH-6207 Nottwil
PD Dr. Adrian Frutiger Interdisziplinäre Intensivstation Spitäler Chur AG Rätisches Kantons- und Regionalspital Loestrasse 170 CH-7000 Chur
Dr. Peter Fickert Medizinische Universitätsklinik Klinische Abt. für Gastroenterologie u. Hepatologie, Universität Graz Auenbruggerplatz 2/4 A-8036 Graz
Prof. Dr. Roland Gärtner Medizinische Klinik, Klinikum der Universität München Innenstadt Ziemssenstraße 1 80366 München
Prof. Fritz Fiedler Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin, St.-Elisabeth Krankenhaus Köln-Hohenlind GmbH Werthmannstraße 1 50935 Köln Werner Fleischer Beratung-Coaching-Moderation Schulstraße 5e 21220 Seevetal
Beatrix Gassner Universitätsklinik für Neurologie, Neurorehabilitation Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck Dr. Jens Geiseler Klinik für Intensivmedizin u. Langzeitbeatmung, Asklepios Fachkliniken München-Gauting Robert-Koch-Allee 2 82131 Gauting
PD Dr. Jürgen Graf Medizinischer Dienst FRA PM/C, Deutsche Lufthansa AG Lufthansa Basis, Tor 21 60546 Frankfurt PD Dr. Andreas Greiner Klinik für Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelstraße 30 52074 Aachen Dr. Jochen Grommes Klinik für Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Prof. Dr. Heinz-Peter Groneck Klinik für Kinder u. Jugendliche, Klinikum Leverkusen gGmbH Am Gesundheitspark 11 51375 Leverkusen Prof. Dr. Werner Hacke Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. Helga Häfner Zentralbereich für Krankenhaushygiene u. Infektiologie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen Prof. Dr. Hans-Peter Hartung Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Prof. Dr. Gerd Hasenfuß Herzzentrum Göttingen, Abt. für Kardiologie und Pneumologie, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37099 Göttingen Prof. Dr. Axel R. Heller Klinik u. Poliklinik für Anaesthesiologie u. Intensivmedizin, Uniklinikum Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden
XV Autorenverzeichnis
Dr. Holger Herff Klinik für Anaesthesie und Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck
PD Dr. Erich Kilger Klinik für Anaesthesiologie, Herzklinik am Augustinum, Klinikum der Universität München Wolkerweg 16 81375 München
Dr. Hans-Peter Hermann Medizinische Klinik u. Kardiologie, Evangelisches Krankenhaus Bergisch Gladbach gGmbH u. Augusta-Krankenanstalt Bochum Ferrenbergstraße 24 51465 Bergisch-Gladbach
Simone Kircher Neurorehabilitation, Universitätsklinik für Neurologie, Universität Innsbruck Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck
Prof. Dr. Christian Hierholzer Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Professor-Küntscher-Str. 8 82418 Murnau/Staffelsee Dr. Klaus Hofmann-Kiefer Klinik für Anästhesiologie, LMU München Marchioninistraße 15 81377 München Prof. Dr. Michael Jacobs Klinik für Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Dr. Ortrud Karg Klinik für Intensivmedizin u. Langzeitbeatmung, Asklepios Fachkliniken München-Gauting Robert-Koch-Allee 2 82131 Gauting Dr. Frank Kerling Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Ulm Oberer Eselsberg 45 89081 Ulm PD Dr. Karl L. Kiening Neurochirurgische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. Bernd C. Kieseier Neurologische Universitätsklinik, Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf
PD Dr. Frank Klebl Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Prof. Dr. Stefan Kleinschmidt Abt. für Anästhesie, Intensivmedizin u. Schmerztherapie, BG Unfallklinik Ludwigshafen Ludwig-Guttmann-Str. 13 67071 Ludwigshafen Dr. Silke Klose Klinik für Endokrinologie/ Stoffwechselkrankheiten, Zentrum für Innere Medizin, Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Str. 44 39120 Magdeburg Prof. Dr. Dr. Wolfram T. Knoefel Abt. für Allgemeine und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Dr. Susanne Koch Zentralbereich für Krankenhaushygiene u. Infektiologie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen Dr. Hans Georg Koch Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil CH-6207 Nottwil
Prof. Dr. Volker Köllner Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Bliestal Kliniken 66440 Blieskastel Prof. Dr. Bernhard K. Krämer V. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg Theodor-Kutzer-Ufer 1–3 68167 Mannheim Dr. Bernd Krüger Stiftung Katholisches Krankenhaus, Kliniken der Ruhr-Universität Bochum Marienhospital Herne Hölkeskampring 40 44625 Herne PD Dr. Stefan Krüger Medizinische Klinik I, Sektion Pneumologie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen Prof. Dr. Ralf Kuhlen Geschäftsführung Helios KlinikenGmbH Friedrichstr. 136 10117 Berlin Dr. Julia Langgartner Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Prof. Dr. Reinhard Larsen Fasanenweg 26 66424 Homburg Dr. rer. medic. Rolf Lefering IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Private Universität Witten/ Herdecke gGmbh Ostmerheimerstraße 200 51109 Köln Dr. Helmar C. Lehmann Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf
XVI
Autorenverzeichnis
Dr. Mark Lehnert Klinik für Unfall-, Handund Wiederherstellungschirurgie, Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main Prof. Dr. Sebastian Lemmen Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie Zentrum für Infektiologie (DGI) Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Dr. Christoph Lichtenstern Klinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen Rudolf-Buchheim Straße 7 35392 Gießen Prof. Dr. Thomas Loew Schwerpunkt Psychosomatik, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Dr. Jörg Martin Anästhesie-Abteilung, Kreiskrankenhaus Klinik am Eichert Eichertstraße 3 73035 Göppingen Prof. Dr. Dr. Gernot Marx Operative Intensivmedizin für Erwachsene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Prof. Dr. Ingo Marzi Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt
Prof. Dr. Konstantin Mayer Zentrum Innere Medizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen Klinikstraße 36 35392 Gießen Dr. Ludger Mende Dep. für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie, internistische Intensiv- u. Notfallmedizin, Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebig-Str. 20 04103 Leipzig Prof. Dr. Fritz Mertzlufft Klinik für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin, Gilead I Burgsteig 13 33617 Bielefeld Prof. Dr. Helmut Messmann III. Medizinische Klinik, Klinikum Augsburg Stenglinstraße 2 86156 Augsburg PD Dr. Elisabeth Meyer Institut für Hygiene u. Umweltmedizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin Hindenburgdamm 27 12203 Berlin Dr. Franz Michel Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil Guido A. Zäch Strasse 1 CH-6207 Nottwil Dr. Onnen Mörer Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- u. Intensivmedizin, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37070 Göttingen PD Dr. Michael P. Müller Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie u. Intensivmedizin, Uniklinikum Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden
PD Dr. Matthias Müller Klinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen Rudolf-Buchheim Straße 7 35392 Gießen Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan Klinikum Kröllwitz der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg, Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III Ernst-Grube-Straße 40 06097 Halle/Saale PD Dr. Wolfgang Müllges Neurologische Klinik, Klinikum der Universität Würzburg Josef-Schneider-Str. 11 97080 Würzburg Dr. Claus-Martin Muth Universitätsklinik für Anästhesiologie, Sektion Spezielle Anästhesie, Universitätsklinikum Ulm Prittwitzstraße 43 89075 Ulm Dr. Kirsten Nassau Klinik für Anästhesiologie, Herzklinik am Augustinum, Klinikum der Universität München Wolkenweg 16 81375 München Prof. Dr. Friedemann Nauck Abt. Palliativmedizin, Zentrum Anaesthesiologie, Rettungsund Intensivmedizin, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37070 Göttingen Prof. Dr. Prof. h.c. Edmund Neugebauer IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Fakultät für Medizin, Private Universität Witten/Herdecke gGmbh Ostmerheimer Str. 200 , Haus 38 51109 Köln
XVII Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Dr. Prof. h.c. mult. Norbert Pallua Direktor der Klinik für Plastische-, Hand- u. Verbrennungschirurgie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Dr. Hans Pargger Departement Anästhesie, Kantonsspital Basel Spitalstrasse 21 CH-4031 Basel Doz. Dr. Dr. Bernhard Partik Diagnosezentrum Brigittenau Pasettistraße 71-75 A-1200 Wien PD Dr. Sylvia Pemmerl Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg Dr. Dipl. phys. Guido Peterschulte Abt. für Allgemeine und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Prof. Dr. Jürgen Piek Abteilung für Neurochirurgie, Chirurgische Universitätsklinik Rostock Schillingallee 35 18057 Rostock Dr. Stefanie Pilge Zentrum für Anästhesie, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Helois Klinikum Wuppertal, Lehrstuhl Anästhesie I , Universität Witten/Herdecke Heusnerstraße 40 42283 Wuppertal Prof. Dr. Peter Pokieser Allgemeines Krankenhaus Altona, Universitätsklinik für Radiodiagnostik Währinger Gürtel 18-20 A-1090 Wien
Prof. Dr. Hillmar Prange Abteilung Neurologie, Universitätsklinikum Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen
PD Dr. Steffen Rex Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Dr. Axel Prause Abt. für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin, Allgemeines Krankenhaus Altona Paul-Ehrlich-Str. 1 22763 Hamburg
Dr. Felix Rockmann Notfallzentrum, Krankenhaus Barmherzige Brüder Prüfeningerstraße 86 93049 Regensburg
Prof. Dr. Daniela Prayer Klinik für Radiodiagnostik, Universität Wien Währinger Gürtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. Michael Quintel Anästhesiologie II Operative Intensivmedizin, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen Dr. Bruno Regli Universitätsklinik für Intensivmedizin, Inselspital Bern CH-3010 Bern Dr. Markus Rehm Klinik für Anästhesiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München Marchioninistraße 15 81377 München Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert Klinik u. Poliklinik für Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Tübingen Osianderstraße 2 72076 Tübingen PD Dr. Frank Reinhardt Klinik für Neurologie u. Neurolog. Rehabilitation, Klinikum am Europakanal Am Europakanal 71 91056 Erlangen Dr. Michael Reng Gastroenterologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Innere Medizin 2, Traubenweg 3 93309 Kelheim
Prof. Dr. Jens D. Rollnik Neurologische Klinik Hessisch Oldendorf Greitstraße 18-28 31840 Hessisch Oldendorf PD Dr. Oliver W. Sakowitz Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. Bernd Salzberger Klinik u. Poliklinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Regensburg 93042 Regensburg PD Dr. Asita Simone Sarrafzadeh-Khorassani Klinik für Neurochirurgie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Dr. Michael Sasse Kinderklinik Interdisziplinäre Intensivstation, Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Prof. Dr. Cornelia Schaefer-Prokop Radiologie, Academic Medical Center Meibergdreef 9 NL-1105 AZ Amsterdam
XVIII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Jan Schmidt Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Prof. Dr. Gerhard Schneider Lehrstuhl Anästhesie I der Universität Witten/Herdecke Helios Klinikum Wuppertal Heusnerstraße 40 42283 Wuppertal Prof. Dr. Markus C. Schneider Departement Anästhesie, Universitätsfrauenklinik Universitätsspital Basel Spitalstrasse 21 CH-4031 Basel Prof. Dr. Jürgen Schölmerich Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main Gudrun Sylvest Schönherr Universitätsklinik für Neurologie, Neuro-Rehabilitation, Universität Innsbruck Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck Prof. Dr. Bernd Schönhofer Abtg für Pneumologie u. Internist. Intensivmedizin, Klinikum Region Hannover Krankenhaus OststadtHeidehaus Podbielskistraße 380 30659 Hannover PD Dr. Tobias Schürholz Fachübergreifende Klinik Operative Intensivmedizin für Erwachsene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Prof. Dr. Stefan Schwab Neurologie, Universitätsklinik Erlangen Schwabachanlage 6 91054 Erlangen
Dr. Sarah Seiler Klinik für Innere Medizin IV, Nieren- u. Hochdruckkrankheiten, Univeritätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Straße 66421 Homburg/Saar Dr. Martin Siegemund Surgical ICU / Operative Intensivbehandlung, Universitätsspital Basel Spitalstrasse 21 CH-4031 Basel Dr. Tim-Philipp Simon Fachübergreifende Klinik Operative Intensivmedizin für Erwachsene, Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Prof. Dr. Christian P. Speer Universitäts-Kinderklinik Josef-Schneider-Str. 2 97080 Würzburg Prof. Dr. Rudolf E. Stauber Klin. Abt. für Gastroenterologie u. Hepatologie, Medizinische Universitätsklinik der Universität Graz Auenbruggerplatz 2/4 A-8036 Graz Prof. Dr. Hermann Stefan Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Erlangen Schwabachanlage 6 91054 Erlangen Prof. Dr. Thorsten Steiner Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. Reto Stocker Klinik Hirslanden, Institut für Anästhesiologie u. Intensivmedizin (IFAI) Witellikerstrasse 40 CH-8032 Zürich
Dietmar Stolecki Referat Fort- u. Weiterbildung, Kath. St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund gGmbH, Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege Johannesstraße 9-17 44137 Dortmund Prof. Dr. Hans-Joachim Trappe Medizinisch Univ.-Klinik II, Universitätsklinik Marienhospital Herne, Ruhr-Universität Bochum Hölkeskampring 40 44625 Herne Prof. Dr. Michael Trauner Klinische Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH Universitätscampus Wien Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien Prof. Dr. Andreas W. Unterberg Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. Frank Vogel Klinik für Anaesthesiologie, Herzklinik am Augustinum, Klinikum der Universität München Wolkerweg 16 81375 München PD Dr. Stefan Vonhof Herzzentrum Göttingen, Abt. Kardiologie u. Pneumologie, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37099 Göttingen Dr. Rolf Wachter Herzzentrum Göttingen, Abt. Kardiologie u. Pneumologie, Universität Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37099 Göttingen Prof. Dr. Hans-Dieter Walmrath Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen Klinikstraße 36 35392 Gießen
XIX Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Christian Waydhas Klinik u. Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 55 45147 Essen Prof. Dr. Frank Weber Ambulanz für entzündliche ZNS-Erkrankungen, Max-Planck-Institut für Psychiatrie Kraepelinstraße 2-10 80804 München Prof. Dr. Dr. Markus A. Weigand Klinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen Rudolf-Buchheim-Str. 7 35392 Gießen Prof. Dr. Joachim Weil Medizinische Klinik II, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck Prof. Dr. Volker Wenzel Klinik für Anaesthesie u. Allg. Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck Anichstraße 35 A-6020 Innsbruck Prof. Dr. Karl Werdan Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Klinikum Kröllwitz der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Straße 40 06097 Halle/Saale Prof. Dr. Tilmar Wetterling Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Hellersdorf Myslowitzer Str. 45 12621 Berlin Dr. Brigitte Wildemann Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Prof. Dr. Wolfram Wilhelm, DEAA Klinik für Anästhesiologie u. operative Intensivmedizin, Klinikum Lünen RTH Christoph 8 St.-Marien-Hospital Altstadtstraße 23 44534 Lünen Prof. Dr. Alexander Woltmann Traumachirurgie, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Professor-Küntscher-Str. 8 82418 Murnau/Staffelsee PD Dr. Christian Wrede Interdisziplinäres Notfallzentrum mit Rettungsstelle , Helios Klinikum Berlin Buch Schwanebecker Chaussee 50 13125 Berlin Dr. Stephan Ziegeler Klinik für Anästhesie – Operative Intensivmedizin – Schmerztherapie – Notfallmedizin, Klinikum Ibbenbüren GmbH, Mathias Stiftung Große Straße 41 49477 Ibbenbüren Prof. Dr. Bernhard Zwißler Klinik für Anästhesiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München Marchioninistraße 15 81377 München
1
Organisation und Umfeld der Intensivmedizin Kapitel 1
Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
Kapitel 2
Rechtliche Probleme
Kapitel 3
Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung des Intensivpatienten und seiner Angehörigen
Kapitel 4
Pflege des Intensivpatienten
Kapitel 5
Hygiene in der Intensivmedizin
Kapitel 6
Transport kritisch kranker Patienten
Kapitel 7
Scores
Kapitel 8
Risiko- und Fehlermanagement (neu formuliert)
Kapitel 9
Ökonomie und Qualitätsmanagement
Kapitel 10
Organisation & Management (u.a. Personalführung, Personalentwicklung, Intensivmediz. Kompetenz, Führungskompetenz, Konfliktstrategie ((incl. Die Intensivmedizin in der Versorgungskette (Nachsorge?), IMC, Notfallteam))
Kapitel 11
Weiterbildung und Kompetenzvermittlung
Kapitel 12
Langzeitfolgen nach Intensivbehandlung
Kapitel 13
Akut- und Frührehabilitation
Kapitel 14
Palliative Intensivmedizin
I
3
Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin R. Dembinski, R. Kuhlen, M. Quintel
1.1
Einleitung – 4
1.2
Das Spannungsfeld zwischen technisch Machbarem und medizinisch Sinnvollem – 4
1.2.1 1.2.2 1.2.3
Verlust der Arzt-Patient-Beziehung – 4 Abwägung von Risiko und Nutzen – 4 Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis? – 4
1.3
Grenzen der Behandlungspflicht – 5
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5
Aktive Sterbehilfe – 5 Passive Sterbehilfe – 5 Indirekte Sterbehilfe – 5 Bedeutung des höheren Lebensalters – 6 Der Wille des Patienten – 6
1.4
Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin – 7
1.4.1
Unnötige Verlängerung des Sterbeprozesses – 7 Kompetenzerwerb in der Patienten- und Angehörigenbetreuung – 8
1.4.2
Literatur – 8
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_1, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
1
1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
4
Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
1.1
Einleitung
Intensivmedizin hat ohne jeden Zweifel entscheidenden Anteil an wesentlichen Fortschritten in der modernen Medizin. Interventionen, die heute für uns zum selbstverständlichen Standard medizinischer Versorgung gehören, wären ohne die technischen Möglichkeiten einer modernen intensivmedizinischen Versorgung nicht möglich. Die Überwachung und Aufrechterhaltung von Organfunktionen mittels differenzierter medikamentöser und technischer Unterstützung bis hin zum vollständigen Organersatz stellen wesentliche Meilensteine in der Geschichte der Medizin dar. So konnte beispielsweise die Einführung der maschinellen Überdruckbeatmung in den 1950-er Jahren, während der Ausbreitung der Polioepidemie über Skandinavien und Norddeutschland, entscheidend zur drastischen Abnahme der hohen Sterblichkeit der Kinderlähmung beitragen. Beim Nierenversagen konnten durch die Einführung der Nierenersatztherapie, beim akuten Herzinfarkt und beim lebensbedrohlich traumatisierten Patienten durch eine immer differenziertere Versorgung entscheidende Therapieerfolge erzielt werden, die zu einer deutlichen Verbesserung des Outcome der betroffenen Patienten geführt haben. In der postchirurgischen Intensivmedizin sind enorme Fortschritte zu verzeichnen, die heute die Durchführung auch komplexester chirurgischer Eingriffe bis ins hohe Alter hinein ermöglichen.
1.2
Das Spannungsfeld zwischen technisch Machbarem und medizinisch Sinnvollem
Neben diesen unstrittigen und von Patienten, medizinischem Personal und Öffentlichkeit gleichermaßen erwünschten Erfolgen der intensivmedizinischen Entwicklung besteht und wächst – analog zu anderen medizinischen Technologien – die Gefahr, dass ihre Möglichkeiten auch dann eingesetzt werden, wenn eine Wiederherstellung der Vitalfunktionen und eine Genesung des Patienten unwahrscheinlich oder gar nicht mehr möglich ist. Es entsteht das Spannungsfeld zwischen technisch möglichem und medizinisch sinnvollem Handeln. In diesem Zusammenhang wächst in der Gesellschaft und bei Patienten und deren Angehörigen die Angst vor einer Intensivmedizin als »Apparatemedizin«, die ohne Rücksicht auf etwaige Überlebenschancen und resultierende Lebensqualität die rein technischen Aspekte der Therapie in den Mittelpunkt stellt und damit immanent das Risiko in sich trägt, einen unvermeidbaren Sterbeprozess hinauszuzögern und somit bestehendes Leiden zu verlängern. Beim Anblick eines beatmeten, künstlich ernährten Intensivpatienten, der durch Sedierung und Schmerztherapie nicht zur Kommunikation mit den Angehörigen in der Lage ist und dessen »Lebenszeichen« sich auf ein Monitorbild reduzieren, ist eine solche Angst besonders beim medizinischen Laien mehr als verständlich. Neben dem Aspekt des unkritischen Einsatzes der Möglichkeiten der Intensivmedizin nehmen in der öffentlichen Diskussion inzwischen aber auch zunehmend die möglichen Konsequenzen aus Ökonomisierungszwängen und damit die Angst vor der Rationierung der Ressource Intensivtherapie Raum ein, sodass eine Beschäftigung mit diesem Themenkomplex immer spürbarer den intensivmedizinischen Alltag begleitet. In der Tat müssen sich alle an der Intensivmedizin Beteiligten die Frage stellen, wo die Grenzen einer sinnvollen Therapie – unter Einsatz aller verfügbaren und teilweise hochtechnischen Möglichkeiten – liegen und wann schließlich die technischen Möglichkeiten zum Selbstzweck werden, ohne im Sinne einer Wiederherstellung helfen zu können, ja – im schlimmsten Fall – nur Leiden zu ver-
längern und damit dem obersten Prinzip ärztlichen Handelns zu widersprechen, niemals dem Kranken zu schaden.
1.2.1
Verlust der Arzt-Patient-Beziehung
Heinrich Schipperges formulierte bereits 1985 in seinem Buch Homo patiens [14]:
»
Die Medizin von heute und morgen ist mit ihren wachsenden technischen Möglichkeiten einer immer kritischer werdenden Öffentlichkeit ausgesetzt, ohne ihr so recht gewachsen zu sein. Sie hat ihre erstaunlichen Errungenschaften erkaufen müssen mit einer immer bedrohlicher erscheinenden Anonymität, dem Verlust der so sehr persönlichen Zweierbeziehung zwischen Arzt und Kranken, einer durch und durch personalen Interaktion, die immer mehr übergeht in die Hände der Verwaltung, der Institution, der Versicherungsagenturen oder der Juristen, der Verrechnung, mit der Verrechtlichung.
«
1.2.2
Abwägung von Risiko und Nutzen
Die Risiko-Nutzen-Abwägung einer medizinischen Intervention ist grundsätzlich schwierig; in vital bedrohlichen Situationen ist sie häufig schier unmöglich, da in den entsprechenden Grenzsituationen eben nicht zu beantworten ist, welcher gesundheitliche (End)zustand aus einer an sich indizierten medizinischen Intervention resultiert. So sind sich meist alle Beteiligten einig, wenn Formulierungen Gebrauch finden wie etwa: »wenn keine Hoffnung auf Besserung des Zustands besteht…« oder aber »wenn die Therapie keinerlei Aussicht auf Erfolg verspricht…« Was damit aber im individuellen Fall gemeint ist, bleibt meist offen und unterliegt mit Sicherheit einer Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen. Für eine aussichtslose Therapie besteht keine Indikation; sie darf damit nach den Regeln des ärztlichen Handelns und der aktuellen Rechtssprechung dem Patienten erst gar nicht angeboten werden. Diese eindeutigen Situationen sind allerdings ungleich seltener, ja die Ausnahme im Vergleich zu Situationen, in denen eine wertende Entscheidung getroffen werden muss und damit eine Entscheidung darüber, welcher Zustand um welchem Preis erreicht werden kann und ob das angestrebte Therapieziel tatsächlich dem Willen des Patienten entspricht. Letzteres sollte, ja muss das absolute Primat aller medizinischen Handlungen sein.
1.2.3
Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis?
In diesem Spannungsfeld wächst auch die Erkenntnis, dass Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis in vielen Fällen kein adäquates, dem Wunsch und Auftrag des Patienten entsprechendes Ziel der Behandlung darstellt. Während der Anfänge der Intensivmedizin war es üblich, dass nahezu jeder Intensivpatient – selbst im Sterbeprozess – wenigstens einen, die meisten sogar mehrere Wiederbelebungsversuche über sich ergehen lassen musste. Oft starben diese Patienten dann schließlich unter Fortführung aller technischen und invasiven Therapiemaßnahmen ohne ihre Angehörigen im anonymen Umfeld einer Intensivstation. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine mehr patienten- und familienbezogene Haltung durchgesetzt, die die physischen, emotionalen, spirituellen und existenziellen Bedürfnisse der direkt Betei-
5 1.3 · Grenzen der Behandlungspflicht
ligten und damit die Autonomie der individuellen Persönlichkeit zu berücksichtigen versucht [2–5]. Diese Entwicklung erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass medizinische Entscheidungen am Lebensende immer häufiger nicht im häuslichen Umfeld, sondern auf Intensivstationen getroffen werden, ja getroffen werden müssen. Je nach Quelle schwanken die Angaben über die Zahl der in Deutschland in Krankenhäusern und Pflegeheimen versterbenden Patienten zwischen 50 und 75 %. In Anbetracht der weitreichenden Bedeutung dieses Problemkreises für den intensivmedizinischen Alltag haben sich viele unterschiedliche Gremien der Ärzteschaft diesen Fragen mit dem Ziel gewidmet, für den vor Ort tätigen Arzt medizinethische Rahmenbedingungen für seine Entscheidung zu schaffen und ihm gleichzeitig die Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen zu reduzieren bzw. zu nehmen.
1.3
Grenzen der Behandlungspflicht
Vor dem geschilderten Hintergrund entstand die Stellungnahme der Bundesärztekammer (BÄK) und der beteiligten Fachgesellschaften zu den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht [6, 7]. In der Stellungnahme der BÄK [6] zur ärztlichen Sterbebegleitung wird in der Präambel davon ausgegangen, dass es Aufgabe des Arztes ist,
»
…unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können. Dann tritt palliativ-medizinische Versorgung in den Vordergrund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden.
«
Im Text werden dann 3 möglichen Patientengruppen beschrieben: 4 Sterbende, bei denen der Sterbeprozess eingetreten und unwiderruflich ist. → Hier ist eine Basisbetreuung mit vorwiegend palliativer, begleitender und sorgender Zielsetzung erwähnt, um ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. 4 Patienten mit infauster Prognose, die sich aber noch nicht im Sterbeprozess befinden, nach allem ärztlichen Wissen aber keine Chance auf Heilung mehr haben. → Hier kann das Behandlungsziel geändert werden, wenn lebensverlängernde Maßnahmen Leiden lediglich verlängern und ein entsprechender Wille des Patienten vorliegt. Auch hier wird das Behandlungsziel zugunsten eines palliativen Ansatzes geändert. 4 Eine dritte Kategorie in dieser Stellungnahme stellen Patienten mit schwerster zerebraler Schädigung und anhaltender Bewusstlosigkeit dar. → Hier wird ein prinzipielles Behandlungsgebot für lebenserhaltende Maßnahmen gesehen, wobei wiederum eine Entscheidung in Anhängigkeit vom mutmaßlichen oder gar geäußerten Patientenwillen zu treffen ist. Insbesondere wird erwähnt, dass die Dauer der Bewusstlosigkeit allein kein ausreichendes Kriterium für eine Therapieentscheidung sein darf.
1.3.1
Aktive Sterbehilfe
Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin [7] hat in Erweiterung dieser Stellungnahme eine »Leitlinie« für das konkrete medizinische Vorgehen in einer solchen Situation verfasst. Hier wurde in Übereinstimmung mit allen vorliegenden Verlautbarungen ärztlicher und medizinischer Organisationen in Deutschland jedwede Form der aktiven Sterbehilfe – definiert als »Tötung eines unheilbar Kranken aufgrund seines ernstlichen Willens durch eine aktive Handlung« – eine klare Absage erteilt. > In der deutschen Medizin besteht ein breiter und tragfähiger Konsens in einer dezidierten Ablehnung der aktiven Sterbehilfe.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in einigen europäischen Staaten, wie etwa in den Niederlanden, diesem aktiven Vorgehen keine komplette Absage erteilt wird. Hier wird die aktive Sterbehilfe in bestimmten, eng definierten Situationen als mögliche medizinische Handlung akzeptiert. In der Intensivmedizin hat sich in den Niederlanden der Begriff des »active shortening of the dying process« etabliert, was sich näherungsweise mit »aktive Verkürzung des Sterbeprozesses« übersetzen lässt. Eine Tötung auf Verlangen oder auf Wunsch des Patienten ist nach der niederländischen Rechtssprechung unter Beachtung der erforderlichen Formalitäten ebenfalls möglich. Im Gegensatz dazu weisen niederländische Kollegen darauf hin, dass die aktive, über den Entzug einer bereits etablierten Therapie hinausgehende Verkürzung des Sterbeprozesses in der Intensivmedizin, im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe, nicht notwendigerweise auf den explizit geäußerten authentischen Patientenwillen rekurriert, sondern durchaus den mutmaßlichen – oder von Betreuern geäußerten – Willen eines Patienten als Entscheidungsgrundlage akzeptiert. Dieser Exkurs in die internationale Sichtweise des Problemfeldes soll lediglich aufzeigen, welche enormen Unterschiede in der Frage nach der medizinischen Betreuung am Ende des Lebens bestehen können, die von den unterschiedlichen kulturellen, sozialen, religiösen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Sichtweisen um das Sterben und den Tod geprägt sind [4, 5].
1.3.2
Passive Sterbehilfe
Die in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin [7] erwähnte Möglichkeit der passiven Sterbehilfe entspricht wiederum einem breiten Konsens der deutschen Medizin und definiert sich als »Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, insbesondere auf die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung vitaler Funktionen durch intensivmedizinische Verfahren, bei progredienten Erkrankungen mit infauster Prognose«.
1.3.3
Indirekte Sterbehilfe
In einer dritten Kategorie wird die indirekte Sterbehilfe definiert als »palliative Behandlung eines Schwerstkranken, insbesondere potente Schmerztherapie, unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als unbeabsichtigte Nebenwirkung«. In der intensivmedizinischen Versorgungsrealität bildet sich dieser Konsens v. a. in der Entscheidung ab, typisch intensivmedizinische, dem Erhalt der Vitalfunktionen gewidmete Maßnahmen, wie etwa die maschinelle Beatmung, die hoch dosierte Gabe von Katecholaminen zur Unterstützung des Kreislaufs, die Nierener-
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Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
satztherapie oder andere Organersatzverfahren im gegebenen Fall nicht anzuwenden (»withholding«) oder aber, wenn sich ein derartiges Zustandsbild unter laufenden, maximalen therapeutischen Bemühungen entwickelt, nicht fortzuführen (»withdrawal«). Aus verschiedenen internationalen Untersuchungen wissen wir, dass auch in dieser an sich weitverbreitet geübten Praxis kulturell, religiös und weltanschaulich bedingte Unterschiede bestehen. Unabhängig von der konkreten Form der geübten Praxis stellen aber dennoch die subjektive ärztliche Einschätzung, das Alter und der mutmaßlichen Wille des Patienten die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen dar [2, 3].
1.3.4
Bedeutung des höheren Lebensalters
In diesem Kontext ist die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft einmal mehr von Bedeutung, da immer mehr ältere Menschen mit immer komplexeren Krankheitsprozessen intensivmedizinisch behandelt werden. So werden heute ca. 50 % aller Intensivbetten von Patienten über 65 Lebensjahren belegt, wobei die Tendenz zu noch höheren Altersstufen steigend ist. Wichtig in dieser Diskussion ist, dass nicht das Alter per se ein Problem für die Intensivmedizin darstellt, sondern die Tatsache, dass in höherem Alter einfach die Wahrscheinlichkeit zu erkranken steigt. In der Tat finden sich in klinischen Untersuchungen Schätzungen, dass Intensivpatienten jenseits des 65. Lebensjahrs in der Regel an mehr als 5 wesentlichen Begleiterkrankungen zusätzlich zu ihrem akuten Problem leiden. Diese Komorbidität zusammen mit der reduzierten Reserve und Regenerationsfähigkeit der verschiedenen Organfunktionen im Alter bedingt eine höhere Wahrscheinlichkeit, mit der Intensivmedizin nicht kurativ eingreifen zu können, wie es ihrer eigentlichen Intention entspricht.
1
> Somit sind die sich ergebenden Probleme der Technisierung der Intensivmedizin und ihres medizinisch und ethisch vertretbaren Einsatzes beim betagten Patienten nicht prinzipiell anders als bei jüngeren Patienten, sondern einfach nur häufiger [8].
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1.3.5
1
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Der Wille des Patienten
Aus dem bisher Gesagten wird klar, dass dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Patienten die alles entscheidende Bedeutung zukommt, ausgehend von einer Medizinethik, die dem freien Willen und dem Recht auf Selbstbestimmung die höchste und damit übergeordnete Priorität einräumt. In der Intensivmedizin findet allerdings gerade dieser Aspekt häufig seine ganz praktischen Grenzen darin, dass der aktuelle Wille weder geäußert noch eruiert werden kann. Der Patient ist auf dem Boden seiner kritischen Erkrankung häufig nicht äußerungs- oder einwilligungsfähig. Ebenso häufig liegt auch keine Äußerung eines mutmaßlichen Willens aus der Phase vor Beginn der Intensivtherapie vor, oder aber der Zeitpunkt der Äußerung liegt so weit zurück, dass berechtigte Zweifel an der Aktualität bestehen. Um die verschiedenen prinzipiellen Möglichkeiten zur Erfassung des mutmaßlichen Patientenwillens bei Einwilligungsunfähigkeit darzustellen, sollen auch hier einige Begriffe erläutert und definiert werden [9].
1
Patientenverfügung
1
Eine immer häufiger anzutreffende Art der Formulierung des Patientenwillens für medizinische Fragen stellt die Patientenverfügung dar (7 Kap. 2). Sie ist eine schriftliche oder mündliche Willensäu-
ßerung eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung im Fall der Äußerungsunfähigkeit. Sie enthält Aussagen zu Art und Umfang medizinischer Behandlung mit der Option der vollständigen Ablehnung, aber auch dem möglichen Wunsch nach Fortführung der Behandlung oder nach Maximaltherapie. Auch wenn die Patientenverfügung bindend ist (7 unten), liegt das wesentliche Problem im Detaillierungsgrad der Formulierungen über ein konkretes Therapieausmaß für eine spezifische, zum Zeitpunkt des Verfassens in der Zukunft eintretende und damit nicht oder nur schwer konkretisierbare Situation. Die Tatsache, dass eine Patientenverfügung Anlass zu Diskussionen geben kann, entwertet sie jedoch nicht im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit der verfassten Willensäußerung. Sie stellt schon deshalb eine gewisse Verbindlichkeit her, als sie belegt, dass sich die betroffene Person zu Zeiten von weitgehender Gesundheit und damit ohne Not mit der Thematik befasst und zumindest den Versuch unternommen hat, seine Vorstellungen und Wünsche für den Umgang mit seiner Person in einem kritischen Gesundheitszustand zu definieren. Unsere Medizinethik respektiert den Willen eines Patienten als oberstes Primat ärztlichen Handelns, auch dann, wenn der Inhalt nicht notwendigerweise unseren eigenen medizinischen oder ethischen Vorstellungen entspricht. Die einzige und eindeutige Limitierung besteht dann, wenn der Wille des Patienten direkt mit dem Tötungsverbot in Konflikt steht, wenn also ein Patient eine aktive Handlung zur Beschleunigung des Sterbeprozesses für sich fixiert hat und wünscht. In diesem Fall kommt dem Tötungsverbot die höherrangige und damit entscheidende Bedeutung zu. Bis vor Kurzem war der Status und die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen in vielen Aspekten unklar und umstritten. Mit dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurde der rechtliche Rahmen der Patientenverfügung erstmals gesetzlich geregelt, sodass nun viele der strittigen Fragen verbindlicher geregelt sind [9]. Die wesentlichen Aussagen des neuen Gesetzes sind in der 7 Übersicht zusammengefasst.
Rechtlicher Rahmen der Patientenverfügung (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrecht) 4 Die Patientenverfügung gilt unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung, bis sie vom Patienten widerrufen wird. Ein Widerruf ist jederzeit formlos möglich. 4 Liegt keine (eindeutige) Patientenverfügung vor, kommt es auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an. Dieser ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu eruieren. Hierzu zählen insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Patienten. 4 Ob eine ärztlich indizierte Maßnahme dem verfügten oder mutmaßlichen Willen des nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten entspricht, entscheidet dessen Betreuer bzw. Bevollmächtigter im Gespräch mit dem behandelnden Arzt. Bei diesem Gespräch soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauten des Patienten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Eine Genehmigung des Betreuungsgerichts ist nur im Konfliktfall erforderlich, wenn zwischen Betreuer/Bevollmächtigtem und Arzt kein Einvernehmen über den Willen des Patienten erzielt werden kann.
7 1.4 · Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin
Betreuungsverfügung Das nächste in diesem Zusammenhang wichtige Instrument ist die Betreuungsverfügung, mit der ein Patient den namentlichen Vorschlag zur Bestellung eines Betreuers im gegebenen Fall macht. Dieser Betreuer wird vom Vormundschaftsgericht bestätigt, sofern kein Anhalt besteht, dass sich der Betreuer dem Wohl und Willen des Patienten nicht entsprechend verhalten würde, oder aber der Betreuer nicht in der Lage ist, die Betreuung bestimmungsgemäß auszuüben. Inhaltlich ist auch dieser Betreuer an den mutmaßlichen, beispielsweise in einer Verfügung geäußerten Willen des Patienten gebunden.
Vorsorgevollmacht Das dritte Instrument, den mutmaßlichen Willen für eine eigene Einwilligungsunfähigkeit zu benennen, ist die Vorsorgevollmacht. Im Gegensatz zum Betreuer ist der Vorsorgebevollmächtigte eine vom Patienten selbst gewählte und eingesetzte Person. Die Vorsorgevollmacht ist der Betreuerbestellung vorrangig. Wenn also die zu regelnden Angelegenheiten ebenso gut durch den Bevollmächtigten geregelt werden können, so muss nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Betreuung kein eigener Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellt werden. Eine Ausnahme hiervon bildet lediglich die Bestellung eines Kontrollbetreuers für den Fall, dass dem Gericht die Kontrolle des Bevollmächtigten notwendig erscheint. Die Vorsorgevollmacht ist seit 1999 erstmals ausdrücklich auf den Bereich der Gesundheitsfürsorge ausgedehnt und der Bevollmächtigte im Hinblick auf seine Rechte und Pflichten dem Betreuer gleichgestellt. Sie muss schriftlich erteilt sein, bedarf jedoch keiner notariellen Beglaubigung. Mit einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson ermächtigt, Entscheidungen über ärztliche Eingriffe oder andere persönliche Angelegenheiten zu treffen. Erst wenn zwischen Betreuer/ Bevollmächtigtem und Arzt kein Einvernehmen über den Willen des Patienten erzielt werden kann, muss das Betreuungsgericht angerufen werden.
Entscheidung des Betreuungsgerichts Eine Genehmigung des Betreuungsgerichts ist nur im Konfliktfall erforderlich, wenn zwischen Betreuer/Bevollmächtigtem und Arzt kein Einvernehmen über den Willen des Patienten erzielt werden kann. Deshalb sollten im ärztlichen Gespräch alle Anstrengungen unternommen werden, den mutmaßlichen Willen mit Betreuern oder Bevollmächtigten, der Familie und/oder den nächsten Angehörigen eines einwilligungsunfähigen Patienten zu erfragen und zu erörtern. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen, ethische, religiöse Überzeugungen oder sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. Die konkrete intensivmedizinische Situation ist allerdings häufig gekennzeichnet durch die Unwägbarkeiten bei der Abschätzung des möglichen Erfolgs medizinischer Bemühungen sowie bei der Unvermitteltheit, mit der eine kritische Erkrankung auftreten kann, die ihrerseits wiederum rasches Handeln erfordert. Dieses Dilemma wird sich kaum gänzlich auflösen lassen, ist es doch für akute und auch zukünftige Patienten unmöglich, alle Kombinationen einer solchen Situation im Vorhinein durchzuspielen und eindeutig zu entscheiden. Insofern wird bereits die Beschäftigung mit dem Thema sowohl in der Medizin, aber auch der Gesellschaft, zu einer Haltung führen, die es uns mehr und mehr erlaubt, auch über die letzten Entscheidungen des Lebens im Vorfeld Gespräche zu führen, die die Basis für eine patientenorientierte Entscheidung liefern können.
In einer Untersuchung an der Göttinger Universität zeigte sich, dass hier ein bislang unausgeschöpftes Potenzial liegt, da ca. 80 % der befragten Patienten an den unterschiedlichen oben genannten Möglichkeiten der Äußerung des Patientenwillens für die gegebene Situation interessiert sind, bis zum Zeitpunkt der Befragung aber nur 11 % ein solches Instrument für sich genutzt hatten. Wiederum 80 % der befragten Patienten wäre aber interessiert, im Rahmen der ärztlichen Aufklärung über die bestehenden Möglichkeiten informiert zu werden [10]. Ob sich diese Situation vor dem Hintergrund der neuen Gesetzeslage ändert, bleibt abzuwarten.
1.4
Intensivmedizin als sorgende und menschliche Akutmedizin
Die Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der modernen Intensivmedizin werden letztlich immer von individuellen und sehr unterschiedlichen Einflüssen zu Fragen am Ende des Lebens gekennzeichnet sein. Intensivmedizin darf aber weder dem technologischen Primat zum Opfer fallen noch sich der Patientenorientiertheit durch rigiden Aktivismus verschließen. Immer mehr Menschen werden in immer höherem Alter mit immer mehr Diagnosen und einer immer weiter reichenden Komorbidität intensivmedizinisch behandelt. In den momentanen Strukturen der Gesundheitssysteme werden damit Intensivstationen auch immer mehr zu den Orten im Krankenhaus, an denen Patienten sowohl nach kurzen und dramatischen, aber eben auch langen und teilweise qualvollen Verläufen sterben. Die Antworten der Intensivmedizin werden bestimmt von den Grundprinzipien eines von der Humanität geprägten Handelns und nicht von einem ökonomischen oder technologischen Imperativ. In diesem Sinne bieten sich der Intensivmedizin große, wenn auch nicht einfache Möglichkeiten, sich vom Image der »Gerätemedizin« hin zu einer sorgenden und menschlichen »Akutmedizin« zu entwickeln. > Moderne Intensivmedizin muss akzeptieren und lernen, dass neben der akut medizinischen Diagnostik und Therapie zur Aufrechterhaltung und Unterstützung der vitalen Körperfunktionen mit allen Möglichkeiten der modernen Technologie auch die menschliche Begleitung am Ende des Lebens zu ihren wichtigen und wesentlichen Aufgaben zählt.
1.4.1
Unnötige Verlängerung des Sterbeprozesses
Wir wissen aus der Ethicus-Studie [4], die 1999 und 2000 auf 37 Intensivstationen in 17 europäischen Ländern durchgeführt wurde, dass 99 % der Patienten, bei denen eine Therapie aktiv beendet oder entzogen wurde, sterben; demgegenüber verließen 11 % der Patienten, denen eine Therapie vorenthalten wurde, lebend die Klinik. Der Rückschluss, dass das passivere Vorgehen des Vorenthaltens damit eine geringere Rate von Fehlentscheidungen in sich trüge, berücksichtigt einseitig das Überleben dieser Patienten als Vorteil, wohingegen ein möglicherweise unnötig verlängerter Sterbeprozess bei den übrigen 89 % der Patienten billigend in Kauf genommen wird. Gleichzeitig fehlt jede Angabe zur individuellen Lebensqualität nach Entlassung aus dem Krankenhaus und zur Überlebenszeit. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Teil dieser Patienten in einem Zustand überlebt, den er nicht mit seinem Lebensbild in Einklang bringen kann. Hier öffnet sich ein Feld, dem
1
8
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die Medizin im Allgemeinen, aber insbesondere die Intensivmedizin bislang wohl eher zu wenig Rechnung getragen hat. Der Terminus Outcome steht in der Intensivmedizin meist für Überlebenszeiten oder die Dauer der Wirksamkeit einer spezifischen therapeutischen Intervention. Das »gute« Outcome einer Intensivstation bemisst sich u. a. an ihrer Letalität. Überleben in einem ganzheitlichen Sinne erfasst aber neben dem physischen Aspekt die psychosoziale Dimension. Diesem Gedanken muss verantwortungsbewusste Intensivmedizin zukünftig verstärkt Rechnung tragen [11–14].
1 1.4.2
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Kapitel 1 · Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin
Kompetenzerwerb in der Patientenund Angehörigenbetreuung
Das Picker Institute, 1986 in Boston gegründet und seit 2000 in Europa, in England mit Zweigstellen, in Deutschland und der Schweiz etabliert, widmet sich weltweit den Entitäten Krankheit und Therapie aus der Sicht des Patienten und der Angehörigen:
Vertrauen schaffen und die mögliche Angst der uns anvertrauten Patienten vor der gefühlskalten Gerätemedizin abbauen.
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Die Einsicht in das Mögliche und Unmögliche ist es, was den Helden vom Abenteurer unterscheidet.
Literatur 1 2
3
4
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Picker works with patients, professionals and policy makers to promote understanding of the patient´s perspective at all levels of healthcare policy and practice. We undertake a unique combination of research, development and policy activities which together work to make patients´ views count.
5
«
Picker begleitete im Rahmen von Cobatrice [15], einer von der EU geförderten Initiative der europäischen Gesellschaft für Intensivmedizin zur Beschreibung und Erfassung europaweit akzeptierter intensivmedizinischer Kompetenzen das Programm im Hinblick auf zu fordernde Kompetenzen im Bereich der Patienten- und Angehörigenbetreuung und nicht zuletzt im Bereich der »end of life care«. Gleichzeitig erfasste die Organisation den derzeitigen Standard der Patienten- und Angehörigenbetreuung in 10 der an Cobatrice beteiligten Länder. Es kann sicher davon ausgegangen werden, dass das Anforderungsprofil eines zukünftigen europäischen Intensivmediziners neben dem medizinischen Wissen und den erforderlichen manuellen Fähigkeiten nachhaltige Kompetenz auf dem Gebiet der Patienten- und Angehörigenbetreuung und ganz besonders auf dem Gebiet der Betreuung am Lebensende beinhalten wird. Diese Kompetenz zu schaffen wird Aufgabe der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein, die nicht länger auf diesen Aspekt der ethisch-medizinischen Wissens- und Kompetenzvermittlung verzichten darf. Die eine Seite der Intensivtherapie besteht aus der schnellstmöglichen Diagnosestellung mittels aller verfügbaren Technik, der Wertung der wissenschaftlichen Evidenz einer Therapie und dem resultierenden Einsatz aller sinnvollen, auch hochtechnischen, therapeutischen Optionen. Die zweite Seite aber muss die sorgende Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen sein, die den Übergang von der kritischen zur terminalen Erkrankung markiert und sich damit von der bis hierhin möglichen Anonymität zur unausweichlichen Individualität einer endenden Lebensgeschichte wandelt. Dieser Übergang ist oft fließend und muss zumindest die Möglichkeit des Scheiterns intensivmedizinischer Therapie von Anfang an einbeziehen. Gerade das Einbeziehen dieser Möglichkeit gibt dem Betroffenen die Gewissheit, dass auch im Falle des Scheiterns eines Therapieversuchs im besten Sinne Fürsorge für ihn getragen wird und er sich in einem Umfeld befindet, das bereit ist – nachdem alle für diesen individuellen Menschen sinnvollen Maßnahmen ausgeschöpft sind –, das individuelle Lebensende als einen natürlichen Prozess zu akzeptieren. Hierdurch kann die Intensivmedizin
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14
15
Schipperges H (2010) Homo sapiens. Piper, München Cook D, Rocker G, Marshall J, Sjokvist P, Dodek P, Griffith L, Freitag A, Varon J, Bradley C, Levy M, Finfer S, Hamielec C, McMullin J, Weaver B, Walter S, Guyatt G (2003) Withdrawal of mechanical ventilation in anticipation of death in the intensive care unit. N Engl J Med 349: 1123–1132 Esteban A, Gordo F, Solsona JF, Alia I, Caballero J, Bouza C, cala-Zamora J, Cook DJ, Sanchez JM, Abizanda R, Miro G, Fernandez Del Cabo MJ, de ME, Santos JA, Balerdi B (2001) Withdrawing and withholding life support in the intensive care unit: a Spanish prospective multi-centre observational study. Intensive Care Medicine 27: 1744–1749 Sprung CL, Cohen SL, Sjokvist P, Baras M, Bulow HH, Hovilehto S, Ledoux D, Lippert A, Maia P, Phelan D, Schobersberger W, Wennberg E, Woodcock T (2003) End-of-life practices in European intensive care units: the Ethicus Study. JAMA 290: 790–797 Sprung CL, Carmel S, Sjokvist P, Baras M, Cohen SL, Maia P, Beishuizen A, Nalos D, Novak I, Svantesson M, Benbenishty J, Henderson B (2007) Attitudes of European physicians, nurses, patients, and families regarding end-of-life decisions: the ETHICATT study. Intensive Care Medicine 33: 104–110 Bundesärztekammer (2004) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Dtsch Ärztebl 101: 1298–1299 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (1999) Leitlinie zu Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht. Anästh Intensivmed 40: 94–96 Pronovost P, Angus DC (2001) Economics of end-of-life care in the intensive care unit. Crit Care Med 29: N46–N51 Simon A (2010) Patientenverfügung in der Intensiv- und Notfallmedizin. Intensivmedizin und Notfallmedizin 47: 43–48 Fangerau H, Burchardi H, Simon A (2010) Der Wille des Patienten: Das Dilemma der ungenutzten Möglichkeiten. Intensivmedizin und Notfallmedizin 40: 99–105 Herridge MS, Cheung AM, Tansey CM, Matte-Martyn A, az-Granados N, Al-Saidi F, Cooper AB, Guest CB, Mazer CD, Mehta S, Stewart TE, Barr A, Cook D, Slutsky AS (2003) One-year outcomes in survivors of the acute respiratory distress syndrome. N Engl J Med 348: 683–693 Hopkins RO, Brett S (2005) Chronic neurocognitive effects of critical illness. Curr Opin Crit Care 11: 369–375 Hopkins RO, Herridge MS (2006) Quality of life, emotional abnormalities, and cognitive dysfunction in survivors of acute lung injury/acute respiratory distress syndrome. Clin Chest Med 27: 679–689 Hopkins RO, Gale SD, Weaver LK (2006) Brain atrophy and cognitive impairment in survivors of Acute Respiratory Distress Syndrome. Brain Inj. 20: 263–271 Bion JF, Barrett H (2006) Development of core competencies for an international training programme in intensive care medicine. Intensive Care Medicine 32: 1371–1383
9
Rechtliche Probleme R.-W. Bock
2.1
Einleitung – 10
2.2
Forensisches Risiko – 10
2.2.1 2.2.2 2.2.3
Aktuelle Situation – 10 Verrechtlichung der Medizin – 10 Fortschritt der Medizin – 10
2.3
Rechtliche Problemstellungen – 11
2.3.1 2.3.2 2.3.3
Rechtsgrundlagen – 11 Fehlerquellen – 11 Behandlungsfehler und Verletzung der Sorgfaltspflicht – 11 Organisation der Behandlung – 13 Aufklärung des Patienten – 13 Dokumentation – 15 Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht – 15
2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7
Literatur – 16
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_2, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
2
2 2 2 2 2 2 2 2 2
10
Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
2.1
Einleitung
Ärztliche Berufsausübung ist schon im Allgemeinen durch Risikoaffinität in der Relation von Behandlungsausübung und Behandlungserfolg im Hinblick auf Komplikationen, Nebenfolgen oder gar einen Misserfolg aller Bemühungen charakterisiert. Dies gilt insbesondere auch für die Intensivmedizin, welche Ärzte und Pflegekräfte besonderen Herausforderungen unterwirft. Diese Behandlungsrisikoaffinität korreliert mit einem forensischen Risiko, welches sich gerade während der letzten Jahrzehnte manifestiert und zunehmend entwickelt hat. Daher gilt es auch, die forensischen Risiken zu minimieren, wozu v. a. ein adäquates Risk Management beitragen kann. Dazu gehört, die rechtlichen Anforderungen, welche an die Berufsausübung des Arztes gestellt sind, zu kennen und die Behandlungsführung demgemäß auszurichten. Unter juristischen Aspekten sind im Kern 3 Problembereiche betroffen: 4 die einzuhaltende Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten, 4 die Erlangung von Rechtfertigung für die Vornahme von Behandlungsmaßnahmen (Einwilligung des Patienten aufgrund adäquater Aufklärung/mutmaßliche Einwilligung), 4 die Schaffung organisatorischer Gegebenheiten im Sinne adäquater Struktur- und Prozessqualität, um im Ergebnis sorgfaltspflichtgerechte Behandlung vollziehen zu können [1].
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
2.2
Forensisches Risiko
2.2.1
Aktuelle Situation
Forensische Risiken im Zusammenhang mit der Berufsausübung können sich für die Ärzteschaft in verschiedenen Rechtsbereichen realisieren. Neben einer stetig wachsenden Zahl von Verfahren vor Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen darf v. a. nicht vernachlässigt werden, dass in Deutschland nach Schätzungen bei pro Jahr etwa 40.000 Behandlungsfehlervorwürfen jährlich ca. 10.000–12.000 neue Zivilverfahren anhängig gemacht und rund 3.000–3.500 neue staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden [2]. Schon seit Jahren sprechen Sachverständige von einem »lawinenartigen Anstieg« der Aufträge für sog. Kunstfehlergutachten [3]. Diese Situation mit »amerikanischen Verhältnissen« beschreiben zu wollen, wäre gewiss übertrieben. Zudem haben sich die Gegebenheiten in den USA zwischenzeitlich verändert (Begrenzung von Schmerzensgeldsummen, Etablierung konsequenten Risk Managements). Das gilt umso mehr, wenn das verfügbare bzw. nachvollziehbare statistische Material in Relation zur Vielzahl tagtäglicher Behandlungsabläufe und konkreter Behandlungsmaßnahmen gesetzt wird. Doch liegt es auf der Hand, dass die Sorge, aus Behandlungsmaßnahmen könnten forensische Auseinandersetzungen resultieren, real gerechtfertigt ist. Demgemäß muss konstatiert werden, dass in der Ärzteschaft im Zusammenhang mit medikolegalen Fragestellungen eine erhebliche Verunsicherung entstanden ist. So ist auch zu veranschlagen, welche Belastung es für einen Arzt darstellt, mit dem Vorwurf eines Kunstfehlers konfrontiert zu sein. Das gilt erst recht, wenn die forensische Auseinandersetzung zur Verurteilung des Betroffenen führt. Zivilrechtlich sind der Patientenseite zwischenzeitlich erhebliche Schadensersatzleistungen zuzusprechen und scheint die deutsche Rechtsprechung ihre frühere grundsätzlich restriktive Haltung bei der Zuerkennung »hoher Schmerzensgeldsummen« aufgegeben zu haben. Umso mehr ist es geboten, Haftpflichtversicherungsverträge routinemäßig auf auch prospektiv ausreichende Deckungssummen zu überprüfen bzw. fachkundig überprüfen zu lassen.
Die Abwicklung von Zivil- und Strafverfahren stellt sich vielfach mühsam und zeitaufwändig dar. Hinzu kommt, dass sog. Kunstfehlerprozesse oftmals erhebliche Medienwirksamkeit entfalten. Jenseits dessen dürfen evtl. berufsordnungsrechtliche, approbationsrechtliche und vertragsarztrechtliche Konsequenzen nicht vernachlässigt werden.
2.2.2
Verrechtlichung der Medizin
Es ist ein Phänomen zu konstatieren, das durch das Schlagwort von der »Verrechtlichung der Medizin« charakterisiert wird [4]. Juristische Vorgaben – Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und insbesondere auch Maßgaben der Rechtsprechung – führten zur unmittelbar wahrnehmbaren und wahrgenommenen Verquickung von Medizin und Jurisprudenz. In Reaktion darauf hat sich in vielen Zusammenhängen eine »defensive Medizin« etabliert, was Laufs bereits 1986 erkannte und vorausschauend beschrieben hat: »Die Verrechtlichung seiner Kunst lässt den Arzt neben den Risiken, die der Patient mitbringt und die diesem bei der Diagnose oder Therapie drohen, auch die eigenen forensischen Gefahren bedenken und als indizierende wie kontraindizierende Faktoren ins Kalkül ziehen. Aus der verrechtlichten droht eine defensive Medizin zu werden, die aus Scheu vor der Klage zu viel untersucht oder zu wenig an Eingriffen wagt [5] bzw. Eingriffe auch vorzeitig ausführt. Einerseits ist nachvollziehbar, dass so versucht wird, forensische Risiken zu umgehen bzw. zu minimieren. Doch muss ein solches Behandlungsverhalten kritisch hinterfragt werden, wobei letztlich auch Kostenaspekte nicht vernachlässigt werden sollten. Denn die Anwendung defensiver Medizin mit einem an sich unnötigen Mehr an Behandlungsmaßnahmen führt notwendigerweise zu vermeidbaren Kostensteigerungen. Unter Rechtsaspekten erfordert jede Behandlungssituation ein auf den Einzelfall abgestimmtes Behandlungsverhalten, wobei Maßgabe der einzuhaltende medizinische Standard ist.
2.2.3
Fortschritt der Medizin
Neben den operativen Fächern gehört die Anästhesie zu den haftungsträchtigen Fachgebieten. Das mag einerseits naheliegen, da vielfach schnellste Entschlüsse gefasst werden müssen, Erfolg und Misserfolg meist unmittelbar und für jedermann sichtbar in Erscheinung treten und ein menschliches Versagen, ein Irrtum, nur ein Zögern schwerwiegende, oft irreparable Konsequenzen haben können [6], und überrascht andererseits prima vista, wenn die heutigen anästhesiologischen Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Jedoch darf in diesem Zusammenhang zweierlei nicht vernachlässigt werden: Zum einen implizieren Fortschritte in der Medizin die Reduzierung oder gar Eliminierung »alter Risiken« und evozieren notwendigerweise »neue Risiken«. Das fordert die Behandlungskunst des Arztes in anderen oder neuen Zusammenhängen heraus, wobei sich andere oder neue diagnostische sowie therapeutische Grenzen zeigen. Zum anderen ruft der »Fortschritt der Medizin« immer neue und weitere Erwartungen bezüglich der Möglichkeiten der Medizin hervor, was vielfach sogar zu einem Anspruchsdenken auf Patientenseite führt und die Schicksalhaftigkeit von Krankheitsverläufen oftmals vergessen lässt. Mangelnder Erfolg von Behandlungsmaßnahmen erscheint vor diesem Hintergrund dann nicht als objektiv unvermeidbare Begrenzung medizinischer Möglichkeiten, sondern als »Versagen« der Ärzte. Damit ist ein circulus vitiosus in Gang gesetzt, der ne-
11 2.3 · Rechtliche Problemstellungen
ben zahlreichen anderen Faktoren die relativ hohe und nach wie vor steigende Zahl forensischer Auseinandersetzungen im Kern erklären mag.
2.3
Rechtliche Problemstellungen
2.3.1
Rechtsgrundlagen
Vor dem Hintergrund tradierter Rechtsprechung resultieren wesentliche rechtliche Anforderungen an den Arzt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung aus dem Strafgesetzbuch. Berührt sind die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) und der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB). Demnach unterliegt es strafrechtlicher Sanktion, wenn (kurz gesagt) ein fehlerhaftes Verhalten im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten kausal zu dessen Gesundheitsschädigung oder Tod führt. Gleiches vermag im Grundsatz zivilrechtliche Haftung aus (Behandlungs-) Vertrag und aus Delikt (§§ 823 ff. BGB) auszulösen. Stets dürfen – mit der eventuellen Folge berufsgerichtlicher Sanktion – die Regeln zur ärztlichen Berufsausübung im Berufsordnungsrecht nicht vernachlässigt werden [7]. Im Zusammenhang mit zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Anästhesisten sind grundlegend also 2 Rechtsmaterien zu unterscheiden: 4 Zivilrecht: In Zivilverfahren geht es um die Wiedergutmachung etwa entstandenen Schadens bzw. den Ausgleich für »erlittene Schmerzen« und beeinträchtigte Lebensqualität durch Geldzahlung. Insoweit greift in aller Regel der Haftpflichtversicherungsschutz ein. 4 Strafrecht: Im Gegensatz dazu trifft den Verurteilten bei Durchführung eines Strafverfahrens die Strafsanktion höchstpersönlich. Dagegen gibt es keinen Versicherungsschutz. Weiterhin sind nach strafrechtlicher Verurteilung oftmals auch berufsordnungs-, approbations- und arbeitsrechtliche Konsequenzen zu erwarten. Jedenfalls dürfen die regelmäßig immensen physischen und psychischen Belastungen, die mit der bloßen Anhängigkeit und Durchführung eines Strafverfahrens verbunden sind, nicht vernachlässigt werden.
2.3.2
Fehlerquellen
Die einleitend dargestellten forensischen Risiken können sich wesentlich in 3 Sachverhaltszusammenhängen realisieren, nämlich hinsichtlich Behandlungsfehlern und Organisationsmängeln, welche sich im Kern als Verstoß gegen die einzuhaltende Sorgfalt darstellen, sowie bezüglich Aufklärungspflichtverletzungen, die im Ergebnis – mangels darauf beruhend wirksamer Einwilligung des Patienten – als verbotene Eigenmacht bei der Behandlungsdurchführung zu charakterisieren sind. Vielfach resultieren konkrete Behandlungsfehler und auch Aufklärungspflichtverletzungen gerade aus zugrundeliegenden Organisationsmängeln. Solche können z. B. auch aus unzureichender Kooperation und Kommunikation verschiedener an der Behandlung des Patienten beteiligter Ärzte des gleichen oder eines anderen Fachgebietes resultieren. Schließlich dürfen Dokumentationsmängel nicht außer Acht bleiben. Sie bilden zwar keine eigene »Anspruchsgrundlage« für Schadensersatz- sowie Schmerzensgeldansprüche [8] und stellen erst recht keinen »Strafgrund« dar.
> Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann lückenhafte oder gar fehlende Dokumentation in Zivilprozessen jedoch zur Beweiserleichterung zugunsten des Patienten – bis hin zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes – führen [9].
Es darf nicht verkannt werden, dass hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit intensivmedizinischen Behandlungsmaßnahmen nichts anderes gilt als bezüglich sonstiger ärztlicher Berufsausübung, insbesondere anästhesiologischer Behandlungstätigkeit. Es gelten die allgemeinen arzthaftungs- und arztstrafrechtlichen Grundsätze, sodass auf diese im Folgenden näher eingegangen werden soll.
2.3.3
Behandlungsfehler und Verletzung der Sorgfaltspflicht
Grundlegend gilt, dass »gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus… ein Fehlschlag oder Zwischenfall (anlässlich Behandlungsmaßnahmen) nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren (kann)«, wie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt ist [10].
Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht Grundvoraussetzung sowohl zivilrechtlicher Haftung als auch strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Arztes ist daher eine Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht. Darunter versteht man konkret einen Verstoß gegen denjenigen Behandlungsstandard, den – aus Ex-ante-Sicht – ein besonnener und gewissenhafter Arzt dem Patienten in der konkret zu beurteilenden intensivmedizinischen Situation geboten hätte. Dieser »Standard« ist abstrakt und generell als der jeweilige Stand der medizinischen Wissenschaft, konkret als das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, allgemein anerkannte und für notwendig erachtete Verhalten umschrieben [11].
Facharztstandard > Hierbei ist im Ergebnis »Facharztstandard« bzw. eine Behandlung mit »Facharztqualität« zu gewährleisten [12], d. h. dass der Arzt die konkret anzuwendende Behandlung »theoretisch wie praktisch so beherrscht, wie das von einem Facharzt (des betroffenen Fachgebiets) erwartet werden muss [13]« (materielle Facharztqualität).
Die oben genannte Umschreibung impliziert, dass medizinischer Standard keine rein statische Größe darstellt, sondern eine dynamische Komponente enthält, welche von der Entwicklung und dem jeweiligen Fortschritt allgemein in der Medizin und insbesondere im Bereich der Anästhesie und Intensivmedizin abhängt, also neue Erkenntnisse und Erfahrungen in sich aufnimmt und dadurch den Standard ändert. In diesem Zusammenhang darf nicht vernachlässigt werden, dass es ausschließlich der »medizinischen Wissenschaft« und dabei insbesondere den betroffenen Fachgebieten obliegt, zu diskutieren und evtl. auch zu bestimmen, welche Behandlungsweisen als lege artis zu erachten sind und damit die gebotene Sorgfaltspflicht erfüllen. Denn das, was als »Regel der ärztlichen Kunst« bzw. »Standard« zu bezeichnen ist, bleibt »grundsätzlich der medizininternen Auseinandersetzung überlassen, die rechtliche Intervention (hingegen)
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Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
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der Bestimmung äußerster, ›eindeutiger‹ Grenzen ›(un-)vertretbarer‹ Methodenwahl vorbehalten« [14].
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Übernahmeverschulden
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Jenseits des zu beachtenden Standards im Hinblick auf konkrete Behandlungsmaßnahmen orientiert sich die objektiv einzuhaltende Sorgfalt auch an den infrastrukturellen, insbesondere diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, die dem Intensivmediziner zur Verfügung stehen, sowie an der konkreten Situation, in der die Behandlung des Patienten erfolgt. So unterliegt die Beherrschung einer Notfallsituation, etwa nach einem Unfallereignis, selbstverständlich anderen Regeln als die planbar zu gestaltende postoperative intensivmedizinische Nachsorge bei einem Patienten. > Andererseits vermag einen Arzt z. B. der Hinweis auf geringere fachliche Qualifikation bzw. nicht zur Verfügung stehende diagnostische Geräte nicht zu entlasten. In solchen Fällen muss der Patient rechtzeitig in eine kompetente Behandlung überwiesen bzw. in ein Krankenhaus mit der erforderlichen Ausstattung verlegt werden. Dies nicht zu erkennen wäre sorgfaltspflichtwidrig.
Anders als im Zivilrecht, wo ausschließlich der oben ausgeführte objektive Sorgfaltsmaßstab gilt, ist im Strafrecht zusätzlich eine subjektive Betrachtung anzustellen. Ein strafrechtlicher Vorwurf kann nur dann erhoben werden, wenn der Arzt nach seinen persönlichen Fähigkeiten und individuellen Kenntnissen auch imstande war, die von ihm objektiv verlangte Sorgfalt aufzubringen. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass bei nur unterdurchschnittlicher Qualifikation straflos bleibt, wer unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen verursacht. > Auch der Arzt, dem etwa mangels eigener persönlicher Fähigkeiten und Sachkunde ein Behandlungsfehler unterläuft, kann objektiv pflichtwidrig und subjektiv schuldhaft im Sinne einer Übernahmefahrlässigkeit handeln. Vor der Überschätzung der eigenen Fähigkeit und der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten kann daher nur gewarnt werden.
Grundsatz der Methodenfreiheit Gibt es im Rahmen des zu beachtenden Standards mehrere medizinisch anerkannte Vorgehensweisen oder haben sich noch keine Standardbehandlungsverfahren nach Inhalt und Umfang durchgesetzt, gilt der Grundsatz der Methodenfreiheit, wonach die »Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes« ist [15]. Dieser Grundsatz enthebt den Arzt einer strengen Bindung an bestimmte vorgegebene diagnostische wie therapeutische Methoden oder Verfahren, wobei Sorgfaltspflichten selbstverständlich zu beachten sind [16]. Dabei gehört es zur Sorgfaltspflicht des Arztes, unter mehreren medizinisch anerkannten Vorgehensweisen diejenige zu wählen, die das geringste Risiko für den Patienten mit sich bringt. Methodenfreiheit gilt nur hinsichtlich grundsätzlich gleich wirksamer Methoden, bei denen insgesamt von einem vergleichbaren Risikoniveau auszugehen ist. Sie ist abzulehnen bei deutlichem Risikogefälle. Hier gehört es zur Behandlungspflicht des Arztes, dem Patienten die risikoärmere Behandlung zu vermitteln [17]. Der Arzt verstößt somit gegen seine Sorgfaltspflichten, wenn er sich für die gefahrenträchtigere Behandlungsweise entscheidet, obwohl unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der konkreten
Erfolgsaussichten, der spezifischen Risiken sowie der besonderen Vor- und Nachteile der jeweiligen Maßnahmen ein weniger riskantes Vorgehen das Behandlungsziel in gleicher Weise, wenn nicht besser, erfüllt hätte.
Rechtliche Bedeutung von Leitlinien Hinsichtlich der richterlichen Beurteilung, ob der Arzt im konkreten Behandlungsfall die »berufsspezifischen Sorgfaltspflichten« eingehalten hat, stellt sich die Frage nach der Verbindlichkeit ärztlicher Leitlinien. Bei der gerichtlichen Ermittlung, welcher Standard im konkreten Behandlungsfall als sorgfaltspflichtgerecht einzuhalten war, was regelmäßig auf der Grundlage der Begutachtung durch einen Sachverständigen erfolgt, können Leitlinien zu berücksichtigen sein. Diese könnten mithin also im Zusammenhang mit der Prüfung von Haftung und Strafbarkeit eines Arztes ein »Einfallstor« zum Rückgriff auf medizinische Beurteilungskategorien darstellen. In diesem Sinne würden Leitlinien dann zumindest mittelbar rechtlich verbindliche Relevanz für den Arzt erlangen. Eine Haftung bzw. Strafbarkeit resultiert ggf. nach Maßgabe der Rechtsprechung jedoch nicht infolge »Nichteinhaltung der Leitlinie«, sondern aufgrund Nichteinhaltung des zu beachtenden Behandlungsstandards, welcher allerdings evtl. (u. a. auch) einer Leitlinie entnommen werden kann. Wie schon das OLG Naumburg in einer Entscheidung vom 19. Dezember 2001 formulierte, haben »ärztliche Leitlinien der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF)… unbeschadet ihrer wissenschaftlichen Fundierung derzeit lediglich Informationscharakter für die Ärzte selbst. Einer weitergehenden Bedeutung, etwa als verbindliche Handlungsanleitung für praktizierende Ärzte, steht zumindest derzeit die anhaltende Diskussion um ihre Legitimität als auch um ihre unterschiedliche Qualität und Aktualität entgegen. Forensisch betrachtet sind diese Leitlinien der AWMF wegen ihres abstrakten Regelungsgehalts grundsätzlich auch nicht geeignet, ein auf den individuellen Behandlungsfall gerichtetes Sachverständigengutachten zu ersetzen« [18]. Kurz gesagt gilt, dass Leitlinien keine »antizipierten Sachverständigengutachten« darstellen. Demgemäß hat der BGH in einer Entscheidung vom 28. März 2008 Folgendes formuliert [19]:
»
Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden können (im Gegensatz zu den Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen) nicht unbesehen mit dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers gebotenen medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Sie können kein Sachverständigengutachten ersetzen und nicht unbesehen als Maßstab für den Standard übernommen werden.
«
In diesem Sinne enthalten die von der AWMF im Internet publizierten Leitlinien auch regelmäßig den Hinweis, diese seien für Ärzte »rechtlich nicht bindend« und hätten »daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung«. > Für den Arzt ist entscheidend, sein medizinisches Agieren nach Maßgabe des individuellen Behandlungsfalles zu bestimmen. Erfordert dies ein Abweichen von Leitlinien, bedarf es der nachvollziehbaren Begründung.
13 2.3 · Rechtliche Problemstellungen
2.3.4
Organisation der Behandlung
Dem zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht ist inhärent die Kontrolle, »dass der Patient die von ihm zu beanspruchende medizinische Qualität auch erhalten hat« [20]. Ungeachtet der ratio legis gilt Entsprechendes zumindest im Effekt auch für die strafrechtliche Beurteilung konkreter ärztlicher Behandlungsmaßnahmen. Die Erreichung »zu beanspruchender medizinischer Qualität« muss selbstverständlich auch organisatorisch gewährleistet sein.
Organisationsverschulden
2.3.5
Aufklärung des Patienten
Rechtliches Erfordernis Es ist »nicht der Willkür des einzelnen Arztes überlassen, das zu tun, was er für richtig hält« [23]. Letztliche »Legitimation« zur Durchführung von Behandlungsmaßnahmen erhält jeder ärztliche Eingriff erst durch das »Einverständnis des aufgeklärten Kranken« [24]. Dem liegt wesentlich zugrunde, dass – beruhend auf einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1894 [25] – jeder ärztliche Eingriff, selbst bei gegebener Indikation und Durchführung lege artis, den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt und grundsätzlich auch als rechtswidrig zu erachten ist. Zur Vermeidung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs bedarf es eines Rechtfertigungsgrundes, der in diesem Fall durch die Einwilligung des Patienten in die Vornahme des Eingriffs gegeben ist. Dabei ist die Einwilligung des Patienten nur wirksam, wenn dieser die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt, mithin weiß, »in was« er einwilligt.
Resultiert aus organisatorischen Mängeln eine Schädigung des Patienten, so ist eine Haftung und Strafbarkeit aus einem Organisationsverschulden möglich. Organisationsmängel lassen sich im Wesentlichen auf 4 Fehlerquellen zurückführen: 4 Kommunikationsmängel, 4 Koordinationsmängel, 4 Qualifikationsmängel, 4 Kompetenzabgrenzungsmängel.
> Nur der hinreichend aufgeklärte Patient kann rechtswirksam in einen Eingriff einwilligen!
Hier ist die Organisationsverantwortung von Krankenhaus- und Abteilungsleitungen gefordert. Wie bereits ausgeführt, hat der Patient Anspruch auf (im Effekt) permanente Behandlung mit (materieller) Facharztqualität. Dies ist schon stellenplan- und dienstplanmäßig zu gewährleisten. So bedarf der Einsatz von (v. a. jüngeren) Ärzten in Weiterbildung insbesondere im Nacht- und Wochenenddienst einer kritischen Planung. Kommt in einer konkreten Behandlungssituation nicht hinreichend qualifiziertes Personal zum Einsatz und resultiert daraus eine Schädigung des Patienten, stehen zum einen ein Übernahmeverschulden der tätigen Ärzte und zum anderen ein Organisationsverschulden des für die Diensteinteilung zuständigen (leitenden) Arztes sowie des Krankenhauses in Rede.
Darüber hinaus ist das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes resultierende allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden, hier in der Ausgestaltung des »Selbstbestimmungsrechts des Patienten«, zu beachten, dessen Verwirklichung im Rahmen von Aufklärungsmaßnahmen zu gewährleisten ist. Dem Aufklärungsaspekt kommt rechtspraktisch außerordentlich große Relevanz zu. Dies beruht darauf, dass sowohl eine zivilrechtliche Klage (auf Schadensersatz und Schmerzensgeld) als auch eine Strafanzeige auf eine unterlassene oder nur lückenhafte Aufklärung gestützt werden können. Vielfach wird auf Patientenseite auf eine angeblich mangelhafte Aufklärung rekurriert, weil der Nachweis eines Behandlungsfehlers schwierig ist oder scheitert.
Organisation der Intensivtherapie
> Der Arzt trägt im Zivilprozess die Beweislast, dass der Patient adäquat aufgeklärt wurde.
Gerade Intensivtherapie ist durch »Teamarbeit« gekennzeichnet. Dies betrifft das Zusammenwirken aller Beteiligten unter Einschluss des Pflegepersonals in horizontaler (interdisziplinärer) und vertikaler (hierarchisch geprägter) Arbeitsteilung. Insofern gilt das Prinzip der Einzel- und Eigenverantwortlichkeit hinsichtlich aller zu eigenständiger Erledigung übertragenen bzw. übernommenen Aufgaben und Tätigkeiten. Umso mehr ist es geboten, im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung die generelle oder einzelfallbezogene Delegation von Aufgaben sorgfaltig vorzunehmen sowie im Weiteren zu überwachen und im Rahmen horizontaler Arbeitsteilung auf klare Kompetenzabsprachen zu achten. Kompetenzüberschneidungen und Zuständigkeitsleerräume (Schnittstellenproblematik) müssen strikt unterbunden bleiben. In diesem Zusammenhang haben auch die einschlägigen Vereinbarungen der Berufsverbände ihre besondere Bedeutung [21]. > Die Intensivtherapie erfordert mithin ein adäquates »Behandlungsmanagement«, welches auch organisatorisch abgestützt sein muss. Dazu gehört die Etablierung eines »Risk Managements«, im Sinne einer »juristischen Qualitätssicherung«, um nicht zuletzt forensische Risiken zu vermeiden [22].
Aufklärung als Arztaufgabe Die Aufklärung des Patienten ist ärztliche Aufgabe. Demgemäß verbietet sich eine Delegation von Aufklärungsmaßnahmen an nichtärztliches Personal. Grundsätzlich wird nicht beanstandet, dass gerade in der Anästhesie der aufklärende und der die Narkose durchführende Arzt vielfach nicht identisch sind. Allerdings muss dabei gewährleistet sein, dass der Arzt, dem die Aufklärung des Patienten obliegt, dafür nach seinem theoretischen und praktischen Wissens- und Erfahrungsstand und unter Berücksichtigung konkreter Gegebenheiten beim Patienten (z. B. anatomische Besonderheiten bzw. sonstige Risikofaktoren) geeignet ist. Der aufklärende Arzt muss befähigt sein, eine adäquate Aufklärung des Patienten vornehmen zu können. Der den Eingriff ausführende Arzt muss sich vergewissern, dass eine adäquate Aufklärung des Patienten erfolgt ist [26].
Risikoaufklärung Die sog. Risikoaufklärung, welche das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewährleisten und auch seine rechtswirksame Einwilligung in die Behandlungsmaßnahmen herbeiführen soll, bildet den Schwerpunkt forensischer Auseinandersetzungen (davon zu unterscheiden sind die sog. Diagnoseaufklärung sowie die sog. therapeutische Aufklärung). Umfang und Inhalt der Risikoaufklärung stellen die entscheidende und zugleich umstrittenste Frage dar. Dies wird unmittelbar nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsprechung einerseits keine Verpflichtung des Arztes kon-
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Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
statiert, »den Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die möglicherweise mit einer Operation entstehen können [27]«, im Grundsatz vielmehr fordert, der Patient müsse lediglich »im Großen und Ganzen« informiert werden. Andererseits wird dann in einer Fülle von Einzelfallentscheidungen doch festgestellt, über ein ganz bestimmtes Risiko habe in der konkreten Situation gewiss aufgeklärt werden müssen. Damit liegt das volle Risiko, nicht genügend aufgeklärt zu haben, mit allen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen beim Arzt. Allgemein stellen wesentliche Maßgaben zur Bestimmung von Inhalt und Umfang der Risikoaufklärung die mit dem Eingriff verbundene Gefahrenhäufigkeit, die Dringlichkeit des Eingriffs und auch die Persönlichkeit bzw. das Verhalten des Patienten dar. Dabei ist anzumerken, dass nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH zur ärztlichen Hinweispflicht bei dieser nicht entscheidend auf eine bestimmte statistische Komplikationsdichte und eine bestimmte Risikofrequenz abzustellen ist. > Maßgeblich ist vielmehr, »ob das infrage stehende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet [28]«. Das heißt zum einen, dass der Patient »über schwerwiegende Risiken grundsätzlich auch dann aufzuklären (ist), wenn sie sich nur selten verwirklichen« [29]. Zum anderen muss allerdings auch über ein noch so seltenes Risiko aufgeklärt werden, wenn es eingriffspezifisch, d. h. typischerweise mit der durchzuführenden ärztlichen Maßnahme verbunden ist (z. B. Infektionsrisiken in Zusammenhang mit einer Bluttransfusion).
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Aufklärungszeitpunkt > Die Aufklärung des Patienten muss zeitgerecht erfolgen. Dabei gilt, dass eine Aufklärung »zum richtigen Zeitpunkt« nur dann gegebenen ist, »wenn der Patient noch Gelegenheit hat, zwischen der Aufklärung und dem Eingriff das Für und Wider der Operation abzuwägen«. Es muss unbedingt vermieden werden, dass der Patient »wegen der in der Klinik bereits getroffenen Operationsvorbereitungen unter einen unzumutbaren psychischen Druck gerät«, wobei die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen bleiben [30].
Im Gegensatz zur operativen Risikoaufklärung genügt im Normalfall bei stationärer Behandlung eine anästhesiologische Aufklärung des Patienten am Vorabend des Eingriffs. Sind schon präoperativ postoperativ erforderliche intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen absehbar, so muss der Patient auch hierüber aufgeklärt werden. Möglicherweise hat dieser Aspekt Einfluss auf seine Einwilligung zur Durchführung des (operativen) Eingriffs. Ist eine ärztliche Behandlung vital indiziert und rasches Handeln zur Beseitigung einer lebensbedrohlichen Situation geboten, tendiert der Aufklärungsumfang gegen Null. In Notfällen, dies liegt auf der Hand, können Aufklärungsmaßnahmen u. U. völlig entfallen, da die Lebensrettung Vorrang hat. Möglicherweise ist der Patient auch überhaupt nicht mehr ansprechbar.
Aufklärungsgespräch > Aufklärung des Patienten muss sich als »Gespräch« darstellen. Sogenannte »Aufklärungsbögen« dienen der Vorabinformation des Patienten, bilden die informative Grundlage für ein ausführliches Gespräch und dokumentieren – individuell ergänzt – den wesentlichen Inhalt dieses Gesprächs. Der Patient ist über den ärztlichen Befund, Behandlungsmöglichkeiten und dabei insbesondere Behandlungsalternativen, Art und Weise der Durchführung von Eingriffen, damit verbundene Risiken, mögliche und sichere Folgen, etwaige Nebenwirkungen, mögliche Komplikationen, die Gefahr des Fehlschlags etc. aufzuklären.
Bestellung eines Betreuers Bei volljährigen Patienten, die z. B. aufgrund von Bewusstlosigkeit, geistiger Verwirrtheit etc. nicht in der Lage sind, die Notwendigkeit und Bedeutung der Behandlung einzusehen und ihren Willen demnach zu bestimmen, gilt Folgendes: Die mangelnde Einsichtsfähigkeit hebt die Einwilligungserfordernis nicht auf. Dabei geht die Einwilligungskompetenz nicht etwa auf nahe Angehörige, z. B. Ehepartner oder Kinder des Patienten, über. Diese sind nicht ipso iure gesetzliche Vertreter. Vielmehr ist erforderlich, bei nicht einsichtsfähigen erwachsenen Patienten gemäß § 1896 BGB die Bestellung eines Betreuers herbeizuführen. Dieser Betreuer ist dann aufzuklären, damit er auf dieser Grundlage die Einwilligung zum Heileingriff erteilen kann. Besteht die begründete Gefahr, dass der (betreute) Patient aufgrund der Behandlung stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, bedarf die Einwilligung des Betreuers in den Eingriff darüber hinaus der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Gleiches gilt, wenn der Betreuer – bei entsprechenden Gefährdungsvoraussetzungen – die Einwilligung in die Eingriffsdurchführung versagt oder widerruft (§ 1904 Abs. 1 u. 2 BGB). Gemäß § 1904 Abs. 4 BGB sind entsprechende Genehmigungen des Betreuungsgerichts nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht, wie er auf der Grundlage der Anordnungen von § 1901 a BGB tatsächlich festgestellt werden kann
Geschäftsführung ohne Auftrag/Mutmaßliche Einwilligung Verbleibt für eine Einschaltung des Betreuungsgerichts bzw. die Betreuerbestellung wegen vitaler Gefährdung des Patienten keine Zeit mehr, darf – und muss – der behandelnde Arzt als »Geschäftsführer ohne Auftrag« tätig werden und den gebotenen Eingriff vornehmen. Der Rechtfertigungsgrund (im Normalfall die »Einwilligung« des Patienten, 7 oben) ergibt sich in diesem Fall aus »mutmaßlicher Einwilligung« (7 § 1901 a Abs. 2 BGB; Näheres 7 unten) des Patienten und oder einem »Notstand« gemäß § 34 StGB.
Patientenverfügung Bis in die jüngere Vergangenheit war umstritten, ob und ggf. in welchem Umfang Patientenverfügungen (sog. »Patiententestamente«) Wirksamkeit entfalten können. Betroffen sind v. a. etwaige Behandlungsentscheidungen am Lebensende. Insofern wurde auch immer wieder problematisiert, »ob der in der noch willensfähigen Situation, etwa bei guter Gesundheit geäußerte Wille bis in die Situation schwerer Erkrankung und beginnenden Sterbens trägt« [31]. Am 1. September 2009 ist das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts in Kraft getreten, womit die »Patientenverfügung«
15 2.3 · Rechtliche Problemstellungen
institutionell Regelung im BGB gefunden hat (7 § 1901a Abs. 1 BGB; 7 Kap. 1).
in Kliniken bzw. für Abteilungen – auch im Sinne eines Risk Management – einheitliche Handlungsempfehlungen publiziert werden.
Patientenverfügung Per normativer Definition handelt es sich bei einer Patientenverfügung um die schriftliche Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (§ 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB).
Ist ein entsprechendes Schriftstück vorhanden, hat ein bestellter Betreuer (bzw. ein entsprechend Bevollmächtigter) zu prüfen, ob die Festlegungen laut Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Gegebenenfalls hat der Betreuer (bzw. Bevollmächtigte) dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 Satz 1 u. 2 BGB). Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden (§ 1901a Abs. 1 Satz 3 BGB). § 1901 a Abs. 2 BGB regelt den Fall, dass keine Patientenverfügung vorliegt oder die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Dann hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme der oben genannten Art einwilligt oder sie untersagt. Dabei ist der mutmaßliche Wille aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln (§ 1901a Abs. 2 Satz 2 BGB), wobei Gesichtspunkte, welche bei dieser Ermittlung insbesondere zu berücksichtigen sind, normativ angeordnet werden (§ 1901 Abs. 2 Satz BGB). Die genannten Gesichtspunkte gehen insbesondere auf das sog. »Kemptener Urteil« des BGH [32] zurück. Damit liegt eine explizite normative Regelung für Behandlungsentscheidungen auf der Grundlage des sog. »mutmaßlichen Patientenwillens« vor. Auch die dargestellte Gesetzesänderung wirft weitergehende Fragen auf. Beispielsweise ist nicht geregelt, wie sich die Rechtssituation konkret darstellen soll, wenn ein Betreuer nicht bestellt bzw. ein Bevollmächtigter nicht benannt ist. Gleichwohl wurde unter folgenden Aspekten Klarheit geschaffen [33]: 4 Mündliche Bekundungen des Patientenwillens werden von der Regelung auch dann nicht erfasst, wenn sie konkret und situationsbezogen formuliert sind. 4 Der Begriff der Patientenverfügung beinhaltet nicht Entscheidungen eines einwilligungsfähigen Betroffenen, welche sich auf anstehende ärztliche Maßnahmen beziehen. 4 Allgemeine Formulierungen und Maßgaben für eine künftige Behandlung finden keine Anerkennung als Patientenverfügung. Entsprechende Äußerungen bedürfen der Berücksichtigung im Rahmen von § 1901a Abs. 2 BGB (7 oben; mutmaßliche Einwilligung) und § 1901b Abs. 2 BGB (Ermöglichung der Gelegenheit zur Äußerung für nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Betreuten). 4 § 1901a Abs. 3 BGB normiert explizit, dass es auf Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten bei der Beachtung und Durchsetzung seines Willens nicht ankommt. Ärzten kann nur empfohlen werden, die aktuell geltenden Regeln nachzuvollziehen und rechtspraktische Entwicklungen insoweit zu verfolgen. Um bestehende und sich evtl. neuerlich entwickelnde Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung zu unterbinden, sollten
2.3.6
Dokumentation
> Dokumentationsmängel als solche begründen – im Gegensatz zum Behandlungs-, Aufklärungs- oder Organisationsfehler – keine Haftung bzw. Strafbarkeit. Die zivilprozessuale Konsequenz eines Dokumentationsversäumnisses ist nach Maßgabe höchstrichterlicher Judikatur jedoch eine Beweiserleichterung zugunsten des Patienten, welche sich bis hin zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes bzw. Krankenhauses auswirken kann [34].
Jenseits rechtlicher Erfordernisse darf allerdings auch nicht verkannt werden, dass eine ordnungsgemäße Dokumentation »nicht nur der Absicherung vor juristischen Nachteilen« dient, sondern auch »Kommunikation und Qualitätssicherung in der Medizin« bedeutet [35]. Eine umfassende, nachvollziehbare Dokumentation der intensivmedizinischen Behandlung dient mithin der Therapiesicherung, Beweissicherung und Rechenschaftslegung, weshalb alle wesentlichen Aspekte im Zusammenhang mit Anamnese, Diagnose und Therapie festzuhalten sind [36]. > Zivilprozessual obliegt der Behandlerseite a priori die Beweislast für eine adäquate Patientenaufklärung. Daher ist es zu Beweiszwecken juristisch essenziell, insbesondere auch den Inhalt von Aufklärungsgesprächen in ihren wesentlichen Bestandteilen sowie die Einwilligung des Patienten zu dokumentieren. Dazu sollten schon aus Gründen der Zweckmäßigkeit – medizinisch und juristisch fundierte – handelsübliche Aufklärungsformulare Verwendung finden.
2.3.7
Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht
Die Problemstellung der Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bildet in der Tat ein »weites Feld«; ihre Abhandlung müsste den hier gegebenen Rahmen sprengen. So soll es grundsätzlich bei einem Verweis auf die aktuell geltenden »Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung«, welche die ergangene Rechtsprechung insoweit berücksichtigen, verbleiben. Jurisprudenz beschäftigt sich wesentlich mit dem »Sollen« der Rechtssubjekte im Zusammenhang mit bestimmten Lebenssachverhalten. So verstandenes »Sollen« impliziert auch das »Dürfen« und »Können« aufgrund entsprechender Erlaubnis und Ermächtigung [37]. Aus Sicht des Juristen stellt sich hier im Kern die Frage, wie sich rechtlich das »Sollen« des Arztes gestaltet, wenn bei der medizinischen Behandlung von Patienten objektiv Grenzen der Therapie erreicht scheinen. Dies gilt v. a. bei nicht mehr kurativ zu behandelnden Kranken. Dabei würde es bei Weitem zu kurz greifen, den Blick lediglich auf rechtliche Gegebenheiten und Anforderungen richten zu wollen, um eine schlüssige Lösung der Problemstellung zu erhoffen. Dadurch bliebe ein weit gestecktes Spannungsfeld mit erheblichem Konfliktpotenzial für die Beteiligten und Betroffenen – Arzt, Pflege, Patient, Angehörige des Patienten – unter moralischen, allgemein ethischen – insbesondere berufsethischen – und »schlicht menschlichen« Aspekten der Betrachtung entzogen. Dabei verhält es sich auch so, dass Intensivmediziner mit Fragen nach therapeutischen
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Kapitel 2 · Rechtliche Probleme
Grenzen in der Praxis oftmals konfrontiert sind, in der strafrechtlichen Rechtsprechung dazu aber nur relativ wenige Fälle – diese allerdings z. T. spektakulär – entschieden wurden [38]. Die Frage nach den Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht impliziert die Frage nach »Inhalt und Umfang der Behandlung« von Patienten, womit sich rechtlich im Kern die Frage nach »Inhalt und Umfang der Behandlungspflicht« des Arztes stellt. Nicht notwendigerweise damit einhergehend und jedenfalls davon zu differenzieren ist die Problemstellung des – im eigentlichen Sinne – »Behandlungsabbruchs« bis hin zur »Sterbehilfe«. Im Ansatz ist auch im vorliegenden Zusammenhang stets die Frage zu stellen, welche Behandlungsindikation (noch) zu stellen ist [39], wobei diese Indikation selbstverständlich ohne Weiteres Palliativmaßnahmen implizieren muss. Hinsichtlich der Anwendung von Palliativmaßnahmen ist es jedenfalls auch unzutreffend, etwa von einer »Behandlungsreduktion« zu sprechen [40]. Jenseits fraglich gesicherter Erkenntnisse gibt es ohnehin keine fertigen Lösungen zur Bewältigung der Problematik. Insofern kann auch die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt notwendig und angemessen ist, dass wir für jeglichen Lebenssachverhalt Lösungen zur Hand haben, die zur – auch noch juristisch abgesicherten – »Gewissheit richtiger Entscheidung« führen sollen. Diese Gewissheit kann es letztlich nicht geben, und warum soll nicht im Einzelfall darum »gerungen« werden müssen, eine angenommen richtige Entscheidung im Kontext von Behandlungsstandard, Methodenfreiheit des Arztes und Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu treffen. Dies wird der Problemstellung unheilbaren menschlichen Lebens bzw. Lebens an der Grenze zum Tod vielleicht noch am ehesten gerecht. Resümee
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Intensivmedizin stellt für den Arzt eine besondere fachmedizinische Herausforderung hinsichtlich Diagnose- und Indikationsstellung sowie allgemeiner Behandlungsführung dar. Selbstverständlich muss jeder Arzt forensische Risiken berücksichtigen, doch kann dies nicht die leitende Maxime bei der Behandlungsführung sein. Im Ergebnis geht es darum, den rechtlichen und – dem zugrunde liegend – den medizinischen Anforderungen zu genügen. Allerdings ist es geboten, die einleitend beschriebenen forensischen Risiken zu minimieren. Dem dient gerade die genaueste Beachtung der rechtlichen Anforderungen hinsichtlich Aufklärung und Einwilligung sowie Behandlung des Patienten und (insgesamt) adäquater organisatorischer Gegebenheiten. Genau dort setzt ein adäquates Risk Management ein, wobei es darum gehen muss, aktiv nach Schadensursachen und Risikofeldern zu suchen, um Haftungsfälle eben präventiv zu vermeiden. Dergestalt werden Schutz und Sicherheit des Patienten weitergehend gewährleistet, und forensische Auseinandersetzungen lassen sich potenziell vermeiden.
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Vgl. dazu in Grundzügen Bock R-W (2009) Recht für Krankenhaus und Arztpraxis, MWV, Berlin, und Bock R-W (2002) Qualitätssicherung und Risikomanagement In: List W, Osswald PM et al. (Hrsg) Komplikationen und Gefahren in der Anästhesie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 3 Ulsenheimer K (2008) Arztstrafrecht in der Praxis. C.F. Müller, Heidelberg, 4. Auflage, RN 1ff. Eisenmenger W (1979) Unfallmedizinische Tagungen der Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Heft 38, S 61 Vgl. Uhlenbruck W (2002) In: Laufs A, Uhlenbruck W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, München, 3. Aufl, § 39, Rdn 7 Laufs A (1986) Arzt und Recht im Wandel der Zeit. MedR, S 163 (164)
39 40
Vgl. Wachsmuth FS (1979) für Bockelmann, S 473 Vgl. dazu grundlegend die MBO-Ä BGH, NJW 1988, S 2949 Vgl. grundlegend zum Ganzen: Biermann E (1997) Medico-legale Aspekte in Anästhesie und Intensivmedizin. ains 32: 175–193; 427–452, und Ulsenheimer K (2008) Arztstrafrecht in der Praxis. a. a. O.(FN 2) BGH, NJW 1977, S 1102 (1103) Vgl. dazu auch Künschner A (1993) Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl. Baden-Baden, S 211 Vgl. u. a. BGH, NJW 1987, S 1479; 1992, S 1560 Steffen E (1995) Der sog. Facharztstatus aus der Sicht der Rechtsprechung des BGH, MedR S 360 Damm R (1989) Medizintechnik und Arzthaftungsrecht. NJW S 737, (738f ) BGH, NJW 1982, S 2121 (2122) Laufs A (2002). In: Laufs A, Uhlenbruck W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, a. a. O. (FN 4), § 3, Rdn 13 OLG Düsseldorf, AHRS Nr. 2620, S 32 OLG Naumburg, MedR 2002, S 471; vgl. dazu auch OLG Stuttgart, MedR 2002, S. 650 BGH, Beschluss vom 28.03.08, Az.: VI ZR 57/07 Steffen E (1995) Einfluss verminderter Ressourcen und von Finanzierungsgrenzen aus dem Gesundheitsstrukturgesetz auf die Arzthaftung, MedR S 190 Vgl. dazu DGAI/BDA (Hrsg), (2006) Entschließungen – Empfehlungen – Vereinbarungen – Leitlinien, Aktiv, Melsungen, 4. Auflage Bock R-W (2002) Qualitätssicherung und Risikomanagement., a. a. O. (FN 1) und grundlegend: Berg D, Ulsenheimer K (Hrsg) Patientensicherheit, Arzthaftung, Praxis- und Krankenhausorganisation (2006) Springer Berlin Heidelberg Koch K (1996) Qualitätssicherung in der Onkologie. Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 1/2, C16 (C17) mit Verweis auf Herfarth Laufs A (1993) Arztrecht, München, Rdn 42 RGSt 25, S 375 BGH, MedR 2007, 169 RGZ 78, S 432 (433) BGH, NJW 1994, S 793 BGH, NJW 1994, S 793 BGH, NJW 1992, S 2351 Schreiber H-L (2002) zur Rechtsverbindlichkeit von Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen. In: Hampel K (Hrsg) Die Autonomie des Patienten. Münster, S 36 BGH, NJW 1995, 202; vgl. dazu auch eingehend Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis (FN 2), § 3 Höfling W, Das neue Patientenverfügungsgesetz, NJW 2009, 2849 ff. BGH, NJW 1983, S 332 Mehrhoff F (1990) Aktuelles zum Recht der Patientendokumentation, NJW, S 1524 (1525) Vgl. dazu Uhlenbruck W (2002) In: Laufs A, Uhlenbruck, W (Hrsg) Handbuch des Arztrechts, a. a. O. (FN 4), § 59, Rdn 5f. Kelsen H (1997) Die Rechtsordnung als hierarchisches System von Zwangsnormen. In: Hoerster N (Hrsg) Recht und Moral, Texte zur Rechtsphilosophie, München, S 21ff. Vgl. zum Ganzen und insbesondere die Falldarstellungen bei Ulsenheimer K (2008) Arztstrafrecht in der Praxis, a. a. O. (FN 2), § 3 Vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.03.2003, NJW 2003, 1588 (1593) Vgl. in diesem Zusammenhang auch Höfling W (2005) Integritätsschutz und Patientenautonomie am Lebensende. Dtsch Med Wochenschr S 898 ff.
17
Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin V. Köllner, K. Bernardy, P. Bialas, T. Loew
3.1
Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten – 18
3.1.1 3.1.2 3.1.3
Belastungsfaktoren – 18 Prävention psychischer Störungen – 19 Psychotherapie auf der Intensivstation – 21
3.2
Die Situation der Angehörigen – 22
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Problemsituationen – 22 Psychische Belastung und Störungsbilder bei Angehörigen von ITS-Patienten – 22 Präventive und therapeutische Ansätze – 23 Das Gespräch mit Angehörigen verstorbener Patienten – 23
3.3
Belastungsfaktoren bei Mitarbeitern der Intensivstation – 24
3.3.1 3.3.2
Belastungsfaktoren und Folgeprobleme – 24 Präventionsmöglichkeiten – 25
3.4
Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst – 25 Literatur –26
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_31, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
3
3
18
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
3.1
Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
3.1.1
Belastungsfaktoren
Patient auf einer Intensivstation zu sein, stellt für jeden Menschen eine Situation besonderer Belastung, Bedrohung und Herausforderung dar. Die Stressforschung hat Modelle entwickelt, um zu beschreiben, wie Menschen auf Belastungssituationen reagieren. Einen zentralen Stellenwert hat hier das Coping-Modell von Lazarus und Folkman. Diese definieren Coping (1984) als »…sich ständig verändernde kognitive und verhaltensmäßige Bemühungen, spezifische externale und/oder internale Anforderungen zu handhaben, die so eingeschätzt werden, dass sie die Ressourcen einer Person beanspruchen oder überschreiten« [18]. Die Bewältigung ist demnach ein wechselseitiger Prozess, der sowohl durch die Besonderheiten der betroffenen Personen, ihrer Geschichte, Vorerfahrungen und persönlichen Bewältigungsmuster als auch durch die Besonderheiten der Problemsituation beeinflusst wird. Die Problemsituation wird im intensivmedizinischen Kontext gekennzeichnet durch die Rahmenbedingungen einer Intensivstation und den Verlauf der jeweiligen Erkrankung.
Belastungsfaktoren durch die Situation auf der Intensivstation Die Intensivstation ist für das Personal vertraut, für die dort liegenden Patienten jedoch eine fremde Welt voller unbekannter, häufig wechselnder und unvorhersehbar auftauchender Menschen, unverständlicher Apparate und ungewohnter Geräusche. Diese unvertraute Situation stellt eine erhebliche Anforderung an die Bewältigungsressourcen der Betroffenen dar und löst häufig Gefühle von Angst und Bedrohung aus. Eine Ausnahme bilden Patienten, die bereits mehrfach intensivmedizinisch betreut wurden und die die Atmosphäre der Intensivstation als ein Signal von Sicherheit erleben konnten. Um sich besser in die Wahrnehmungssituation von Patienten hineinversetzen zu können, wird die Lektüre von Patientenberichten empfohlen (z. B. [2, 4 oder 7]). Aus dem absoluten Vorrang, den die Überwachung und Erhaltung der Vitalfunktionen auf einer Intensivstation haben, ergeben sich zahlreiche Belastungsfaktoren, die im Folgenden dargestellt werden [16]. Auch wenn sie in der Regel nicht zu vermeiden sind, ist ihre Kenntnis hilfreich, um die Reaktionen von Patienten besser einschätzen und unnötigen Belastungen vorbeugen zu können. Orientierungsmangel. Die fremdartige Umgebung, das gleichförmige Aussehen des Personals (z. B. grüne oder blaue Kittel) sowie die weitgehende Aufhebung der Unterschiede zwischen Tag und Nacht beeinträchtigen die Orientierung zum Ort und insbesondere zur Zeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Patienten als Folge ihrer Grundkrankheit oder durch medikamentöse Sedierung ihre Orientierung häufig verlieren und neu gewinnen müssen.
Mangel an Wahrnehmung und Kommunikation. Für den Pa-
tienten ist die Situation auf der Intensivstation paradoxerweise gleichzeitig von Reizmangel und Reizüberflutung gekennzeichnet. Reizüberflutung entsteht durch die Unzahl von Geräuschen und Gesprächsfetzen, die ständig auf ihn einströmen, deren Bedeutung er jedoch kaum beurteilen kann. Für den Patienten ist häufig nicht zu erkennen, ob sich das Schrillen eines Alarms oder der Kommentar eines Pflegers auf ihn selbst oder auf den Nachbarpatienten bezieht. Gleichzeitig sind diese Reize jedoch monoton und immer wiederkehrend. So entsteht eine Verarmung an Reizen, die in ihrer Bedeutung wahrgenommen und weiterverarbeitet werden können. Dies gilt in besonderer Weise für flach liegende Patienten, deren Blickfeld überwiegend durch die Zimmerdecke ausgefüllt wird. Durch restriktive Besuchszeiten und den ständigen Zeitdruck des Personals entsteht zusätzlich ein Mangel an Kommunikation. Unvorhersagbarkeit schmerzhafter Eingriffe. Patienten mit ein-
geschränkter Bewusstseinslage werden häufig durch harmlose (z. B. Lagerung) oder unangenehme (z. B. Absaugen) Eingriffe oder invasive Maßnahmen wie das Legen eines zentralen Venenkatheters und Manipulationen überrascht. Eine besondere Belastung für intubierte und sedierte Patienten mit ARDS stellt das Rotorestbett dar. Diese Unvorhersagbarkeit unangenehmer Ereignisse kann dazu führen, dass jede Annäherung als potenzielle Bedrohung erlebt wird. Abhängigkeit von Personal und Apparaten. Mit zunehmender
Aufklarung des Bewusstseins nimmt der Patient seine Abhängigkeit vom Pflegepersonal bei der Erfüllung alltäglicher Bedürfnisse sowie das Überschreiten der Intimsphäre deutlicher wahr, ebenso die vitale Bedrohung und die Abhängigkeit von Überwachungs- und Behandlungsapparaten (z. B. Dialyse). Die Folge hiervon kann das Auftreten erheblicher Angst bei der Verlegung von der Intensivstation sein, wenn der Patient nun befürchtet, auf der Normalstation könnten Gefahrensituationen übersehen oder nicht adäquat behandelt werden.
Belastungen durch die Grunderkrankung Angst und Ungewissheit. Mit der Notaufnahme bzw. Verlegung
auf eine Intensivstation wird für die Mehrzahl der Betroffenen deutlich, dass sie sich in einer u. U. lebensbedrohlichen Situation befinden, sei es als Folge einer akut aufgetretenen oder Verschlechterung einer bereits länger bestehenden Krankheit. Sobald der Patient bei Bewusstsein ist, beschäftigen ihn Fragen wie »Werde ich hier wieder lebend herauskommen?« und »Wie wird das Leben danach weitergehen?«. Häufig haben Angst und Ungewissheit einen realen Hintergrund, und eine Antwort auf diese Fragen kann noch nicht gegeben werden. Doch selbst wenn die reale Situation weniger bedrohlich ist, fällt es dem Patienten aufgrund seiner eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit (z. B. durch routinemäßige postoperative Beatmung) häufig schwer, die gewünschten Informationen einzuholen. Schmerzen. Das Erleiden von Schmerzen als Folge der Grund-
Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus. Rund um die Uhr brennendes
Licht, eine ständige Geräuschkulisse und die Notwendigkeit von Überwachungs- und Behandlungsmaßnahmen auch in der Nacht führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der normalen Schlafrhythmik. Eine solche Störung kann auch bei körperlich Gesunden zu depressiven Verstimmungen und psychiatrischen Symptomen bis hin zu Halluzinationen führen.
krankheit oder von Behandlungsmaßnahmen wirkt zusätzlich Depression auslösend und Angst steigernd. Eine ausreichende Analgesie sollte deshalb, wann immer möglich, angestrebt werden, zumal sie die psychische Führung des Patienten erheblich erleichtert. Hirnorganische Beeinträchtigungen. Organische Psychosyndrome (auch ICU-Syndrom oder Durchgangssysndrom) werden häufig verkannt oder als psychogen fehlgedeutet. Störungen des Leberund Nierenstoffwechsels, zerebrale Minderperfusion als Folge eines
19 3.1 · Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
kardialen Low-output-Syndroms, Medikamentennebenwirkungen, Infektionen des ZNS und viele andere Faktoren können zu kognitiven Beeinträchtigungen, Verlangsamung, depressiven Syndromen, Halluzinationen bis zum klassischen Durchgangssyndrom sowie zu vorübergehenden Bewusstseinstrübungen bis zum Bewusstseinsverlust führen. Insbesondere, wenn diese Störungen nur diskret ausgeprägt sind, werden sie häufig als psychogen verkannt. Sie stören den Patienten sehr empfindlich dabei, die Orientierung wiederzufinden, und können bei ihm ein Gefühl tiefer Verunsicherung hinterlassen. Die Störungen können jede Altersgruppe treffen, nicht nur ältere Patienten.
Belastungsfaktoren und Ressourcen, die der Patient mitbringt Psychiatrische Vorerkrankungen. Ob sich eine vorbestehende Angststörung oder Depression während des Aufenthalts auf der Intensivstation verschlimmert oder ob der Verlauf in dieser Hinsicht unauffällig sein wird, lässt sich im Voraus nicht abschätzen. In der Situation akuter Bedrohung können Patienten mit einer psychischen Vorerkrankung völlig adäquat reagieren, während vorher unauffällige Patienten dekompensieren können. Trotzdem ist es wichtig, die Anamnese des Patienten diesbezüglich zu kennen, um evtl. auftretende Symptome bewerten zu können. Bedeutsam ist insbesondere die Medikamentenanamnese. Zur Phasenprophylaxe verordnete Neuroleptika oder Antidepressiva sollten möglichst frühzeitig wieder zugeführt werden, sofern keine Kontraindikation besteht. Ebenso sollte ein vorbestehender Medikamenten- oder Alkoholabusus bekannt sein, um Entzugserscheinungen vorbeugen zu können. Vorerfahrungen. Wenn der Patient schon einmal eine schwere Erkrankung mit Hilfe intensivmedizinischer Behandlung erfolgreich überwunden hatte, ist dies eine Ressource, auf die man zurückgreifen kann. Im Gespräch sollten Patient und Angehörige hieran erinnert und dazu ermuntert werden, die damals eingesetzten Bewältigungsstrategien jetzt wieder zu aktivieren. Umgekehrt kann es eine Belastung darstellen, wenn die Intensivstation für den Patienten mit dem Verlust eines nahen Angehörigen verknüpft ist. Die Kenntnis dieser Vorgeschichte kann helfen, dem Patienten evtl. Unterschiede zwischen seiner eigenen Situation und dem ihm bekannten ungünstigen Verlauf aufzuzeigen. Soziale Unterstützung. Menschen, die über ein funktionierendes
soziales Netzwerk verfügen, haben damit eine wertvolle Ressource zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um Verwandte oder Freunde handelt. Soziale Unterstützung ist z. B. in der Lage, den negativen Einfluss einer Depression auf die Mortalität nach einem Myokardinfarkt vollständig abzupuffern. Patienten, die auf der Intensivstation regelmäßig Besuch von nahestehenden Personen erhalten, erholen sich in der Regel schneller und zeigen weniger psychische Auffälligkeiten. Daher sollte v. a. Patienten, die ohne soziale Unterstützung länger auf der ITS verweilen müssen, professionelle oder ehrenamtliche Betreuung angeboten werden.
3.1.2
Prävention psychischer Störungen
Gestaltung der Intensivstation Günstig ist es, auch Patienten auf einer Intensivstation ein Fenster mit Aussicht oder zumindest Tageslicht zu bieten. Die Wahrnehmung der Jahres- und Tageszeit erleichtert die Orientierung, wenn der Patient das Bewusstsein zurückerlangt. Ist dies nicht möglich,
sollte zumindest bei der Intensität der künstlichen Beleuchtung ein klarer Tag-Nacht-Rhythmus eingehalten werden. Zusätzlich sollte der Patient die Möglichkeit haben, auf eine Uhr und einen Kalender zu schauen. Die Uhr muss so angebracht sein, dass sie auch für flach liegende Patienten sichtbar ist, außerdem groß genug, um auch für sehbehinderte Patienten erkennbar zu sein. Günstig ist es, wenn Telefonanschluss und Fernsehen für bewusstseinsklare Patienten zur Verfügung stehen. Langeweile stellt einen häufig unterschätzten Auslösefaktor für Depressionen dar. Das Angebot sinnvoller Beschäftigung und Ablenkung ist jedoch nicht nur gegen depressive Störungen präventiv wirksam, sondern hilft auch Patienten nach einem Durchgangssyndrom, in die Realität zurückzufinden. Hierfür eignen sich: 4 Bilder in den Patientenzimmern (wobei für intubierte Patienten auch eine künstlerische Ausgestaltung insbesondere der Zimmerdecke sinnvoll sein kann), 4 Bilder von Angehörigen, die für den jeweiligen Patienten mitgebracht werden, 4 Fernsehen, 4 Zeitungen und Zeitschriften, 4 Radio über Kopfhörer, 4 CDs oder Kassetten mit Musik, die der Patient auswählen kann, 4 ggf. Unterstützung durch Ergotherapie. Da die Mehrzahl der Patienten nicht von sich aus nach diesen Möglichkeiten fragen wird, ist es sinnvoll, sie wiederholt anzubieten. Dies entspricht dem Vorgehen in der kognitiven Therapie der Depression, bei der Patienten dazu aufgefordert werden, positive Aktivitäten zunächst sozusagen als Training wieder aufzunehmen, auch wenn der eigene Antrieb hierfür noch gering ist. Wenn die Behandlungseinheiten auf der Station zu groß sind, nimmt die Störung durch Behandlungsmaßnahmen bei Mitpatienten proportional zu, deshalb sollte auf eine räumliche Unterteilung der Station geachtet werden.
Kommunikation und Patientenführung Die Bedeutung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung für die Prophylaxe psychischer Störungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Grundlage hierfür ist, dass auch der Patient auf der Intensivstation mit allen relevanten Informationen versorgt wird, sobald er von der Bewusstseinslage her zu deren Aufnahme fähig ist. Diese sollte an seinen Bildungsstand angepasst sein, medizinische Fachbegriffe sollten vermieden werden. Weiterhin sollte frühzeitig der Versuch unternommen werden, Behandlungsmaßnahmen mit dem Patienten abzusprechen und sein Einverständnis einzuholen. Behandlungsmaßnahmen, deren Notwendigkeit der Patient einsieht, weil er zuvor darüber informiert worden ist, werden in der Regel besser toleriert. In die Behandlungsplanung einbezogen zu werden, verringert für den Patienten das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein. Einschätzung der Bewusstseinslage. Gelegentlich wird die Bewusstseinslage des Patienten falsch eingeschätzt, sodass er als
Kommunikationspartner nicht in Betracht gezogen wird. Dies kann dazu führen, dass unangenehme oder gar schmerzhafte Behandlungsmaßnahmen nicht angekündigt werden, was den Patienten unnötig erschreckt. Ebenso unangebracht ist es, wenn in seiner Anwesenheit über ihn gesprochen wird und ängstigende Gesprächsinhalte in sein Bewusstsein dringen.
3
20
3 3
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
! Cave Im Zweifelsfall sollte immer davon ausgegangen werden, dass der Patient bei Bewusstsein ist.
3
Dies bedeutet auch, dass jeder erwachsene Patient mit seinem Nachnamen und mit »Sie« angesprochen wird. Ein höflicher und respektvoller Umgang auch mit bewusstlosen Patienten ist für die Psychohygiene des Stationsteams selbst von großer Bedeutung. Auch in der Umgebung des Patienten sollte nicht von »der Amputierte in Bett 3« gesprochen werden.
3
Kommunikation mit dem Patienten. Die Kommunikation zwi-
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schen Stationsteam und Patient wird durch den unterschiedlichen Erfahrungshorizont erschwert. Viele Handlungsabläufe, Geräusche etc. stellen für das Stationspersonal vertraute Routine dar, sodass es müßig erscheint, darauf jedes Mal hinzuweisen. Für den Patienten sind diese Phänomene jedoch unvertraut und teilweise bedrohlich, sodass eine Erklärung für ihn angstlösend wirkt. Da die Bewusstseinslage der Patienten nicht konstant ist, müssen häufig die gleichen Sachverhalte immer wieder erklärt werden, zumal man sich nicht darauf verlassen kann, dass der Patient bereits wieder über eine normale Merkfähigkeit verfügt. Erklärungen sollten vom subjektiven Erleben des Patienten ausgehen und mögliche unangenehme Wahrnehmungen vorwegnehmen. Nach Möglichkeit sollte auch der Sinn der Behandlungsmaßnahmen verdeutlicht werden.
»
Ich werde Sie gleich absaugen, um Sie von Schleim zu befreien, der sich in Ihren Luftwegen angesammelt hat. Hinterher bekommen Sie wieder besser Luft, und es schützt Sie vor einer Lungenentzündung. Ich werde Sie hierfür kurz vom Beatmungsgerät abnehmen, das ist jedoch nicht gefährlich. Durch die Spülflüssigkeit und die Sonde werden Sie einen starken Hustenreiz verspüren, das kann zwar unangenehm sein, hilft aber ebenfalls, Ihre Luftwege wieder zu reinigen. Das Ganze dauert höchstens eine halbe Minute; wenn Sie nicht mehr können, geben Sie mir aber ein Handzeichen.
« Kommunikation erfordert für den Patienten erkennbare Ansprechpartner. Deshalb sollten alle Mitarbeiter der Intensivstation Namensschilder tragen, die auch für sehbehinderte Patienten erkennbar sind. Die Visite kann für den Patienten frustrierend sein, wenn er erleben muss, wie die behandelnden Ärzte vorbeiziehen, ohne dass er Gelegenheit hatte, Fragen zu stellen. Häufig kommt es auch zu Fehlinterpretationen durch mitgehörte Gesprächsfetzen am eigenen oder am Nachbarbett. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, die Visite aufzuteilen. Eine große Visite am Morgen dient dann dazu, sich einen Überblick über die Situation der Patienten zu verschaffen und den weiteren Behandlungsplan für den kommenden Tag festzulegen. Hierbei sollte möglichst viel vor der Zimmertür geklärt werden, um die Patienten nicht durch lange Diskussionen am Bett zu verunsichern. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dann eine Visite durchgeführt, die der Kommunikation mit den Patienten dient. Hier braucht nicht das gesamte Stationspersonal beteiligt zu sein, was Zeit spart. Der behandelnde Arzt sollte sich hierbei an das Bett des Patienten setzen, ihn klar mit Namen ansprechen und Blickkontakt suchen. In der Visitensituation ist es sinnvoll, dem Patienten im Zweifelsfall nochmals eine kurze Orientierungshilfe zu geben, da die Bewusstseinslage schnell wechseln kann und eine kurzfristig wiedergewonnene Orientierung häufig wieder verloren geht.
»
Guten Tag Herr Müller, ich bin Dr. Meier und betreue Sie hier auf der Intensivstation der Uniklinik. Vielleicht erinnern Sie sich noch
von gestern an mich. Sie hatten vorgestern einen Herzinfarkt und sind vom Notarzt hierher gebracht worden. Es geht Ihnen schon wieder besser, und nachher kommt Ihre Frau, um Sie zu besuchen.
« Wichtig ist, hierbei Blickkontakt zu suchen oder über taktile Reize (z. B. Hand geben/halten) Aufmerksamkeit zu fokussieren. Gerade die nonverbale Reaktion des Patienten kann Aufschluss über seine Gemüts- und Bewusstseinslage geben. Desorientierte Patienten spüren häufig, »dass sie die Situation nicht voll erfassen«, und versuchen, mit freundlichem Nicken oder Höflichkeitsfloskeln darüber hinwegzutäuschen. Bei einer eilig vorüberziehenden Visite können hierdurch Orientierungsstörungen der Patienten unterschätzt werden oder unbemerkt bleiben. Kommunikation mit intubierten Patienten. Intubierte Patienten leiden, sobald sie das Bewusstsein wiedererlangen, darunter, dass sie nicht sprechen können. Wenn irgend möglich, sollten die Patienten (z. B. bei der präoperativen Aufklärung) darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeit besteht, in intubiertem Zustand aufzuwachen und deshalb sprechunfähig zu sein. Wenn der Patient sich hieran erinnert, ist er von der Angst befreit, »plötzlich die Sprache verloren zu haben«, z. B. durch einen Schlaganfall. Der aufwachende Patient sollte immer wieder auf den vorübergehenden Zustand der Intubation hingewiesen werden, um ihn zu beruhigen. Für die erste Zeit sollte er auf Kommunikationsmittel wie Nicken, Kopfschütteln und Handzeichen hingewiesen werden. Stabilisiert sich sein Zustand, so ist häufig die schriftliche Kommunikation möglich. Die hierfür nötigen Hilfsmittel sollten bereitgehalten werden: 4 Klemmbrett mit Filzstiften unterschiedlicher Schriftdicke, 4 Buchstabentafel, mit deren Hilfe der Patient durch Zeigen auf einzelne Buchstaben Wörter zusammensetzen kann, 4 ein Blatt mit vorformulierten Fragen oder Aussagen, auf die der Patient zeigen kann, 4 Brillenträger und Schwerhörige sollten ihre gewohnten Hilfsmittel möglichst bald zurückerhalten.
Manchmal gelingt es trotz aller Mühen von Seiten des Patienten und seiner Betreuer nicht, sich verständlich zu machen, insbesondere wenn die schriftliche Kommunikation noch nicht möglich ist (zittriges Schriftbild). Sollte der Patient sich über sein Unverstandensein sehr erregen, kann es sinnvoll sein, kurzfristig den Kontakt abzubrechen, um eine Eskalation mit ungünstiger Veränderung von Kreislauf- und Ventilationsparametern zu vermeiden. Dies kann mit dem Hinweis auf eine spätere neue Kommunikationsmöglichkeit geschehen.
»
Leider verstehe ich im Moment nicht, was Sie meinen. Wir können es aber nachher noch einmal versuchen, wenn Ihre Frau da ist; vielleicht fällt es ihr leichter, uns zu erklären, was Sie meinen.
«
Physiotherapie. Physiotherapie kann nicht nur möglichen Komplikationen wie Thrombosen, Pneumonien oder Kontrakturen vorbeugen, sondern sie hilft den Patienten auch, den Tagesablauf zu strukturieren und bietet die Möglichkeit zu einer als sinnvoll erlebten Aktivität. Sie ist eine der wenigen Möglichkeiten im Tagesablauf, in denen der Patient Selbstwirksamkeit und -kontrolle erleben kann und das Gefühl hat, selbst aktiv zur Verbesserung seines Zustandes beitragen zu können. Aktivierende Physiotherapie vermittelt dem Patienten zudem Erfolgserlebnisse, die einer durch Unterforderung und Verstärkerentzug bedingten Depression vorbeugen. Hier kann ergotherapeutische Betreuung bereits bei Intubierten helfen, Tagesstruktur und Alltagsfertigkeiten zurückzugewinnen und den Pati-
21 3.1 · Belastungsfaktoren, Prävention und psychologische Interventionen bei Intensivpatienten
enten psychisch und körperlich zu aktivieren. Hierdurch kann auch eine Reduktion der stationären Verweildauer erreicht werden [22]. Angehörige als Unterstützung. Bei Patienten, die längere Zeit auf der Intensivstation bleiben müssen und bei desorientierten Patienten können Angehörige eine wertvolle Unterstützung sein (s. nächster Abschnitt). Bei »Langliegern« bringt der regelmäßige Besuch von Angehörigen Abwechslung in den monotonen Tagesrhythmus. Da das Personal zu ausführlicher Kommunikation mit intubierten Patienten selten ausreichend Zeit hat, können die Angehörigen als Gesprächspartner des Patienten hilfreich sein. Angehörige haben häufig Angst, etwas zu beatmeten Patienten zu sagen oder aktuelle familiäre Dinge zu berichten. Sie sollten ermutigt werden zu erzählen, auch wenn sie vielleicht keine Antwort erhalten. Gleichzeitig ist der regelmäßige Besuch für den Patienten ein Signal, dass er noch nicht vergessen worden ist und dass es sich lohnt, weiter zu kämpfen. Bei desorientierten Patienten kann die regelmäßige und längerfristige Anwesenheit einer vertrauten Person helfen, die Orientierung wiederzugewinnen. Wenn die Anwesenheit eines Angehörigen vom Stationsteam als Belastung erlebt wird, besteht die Möglichkeit, ein Gespräch mit einer unbeteiligten Person (z. B. psychotherapeutischer Konsilarzt) anzubieten, die helfen kann, Missverständnisse aufzuklären und zu vermitteln. Auf diese Weise können auch »schwierige« Angehörige als Bündnispartner gewonnen werden.
in der Regel für ein Entspannungsverfahren zu motivieren. Sofern er bereits zuvor ein Entspannungsverfahren erlernt und praktiziert hat, sollte er ermuntert werden, dies in den oben genannten Belastungssituationen wieder einzusetzen. Bewährt hat sich auch der Einsatz von Entspannungsmusik. Progressive Relaxation nach Jacobson. Muss ein Entspannungs-
verfahren neu erlernt werden, so eignet sich hierzu v. a. die progressive Relaxation nach Jacobson. Dieses Verfahren ist auch in schwierigen Situationen einfach zu lernen und kann bereits nach 2 oder 3 Instruktionen vom Patienten eigenständig angewendet werden. Sollte sich der Patient hiermit schwer tun, so kann als Unterstützung eine Entspannungskassette über Kopfhörer angeboten werden. Imaginationsverfahren Auch dieses Verfahren ist für den Einsatz
auf der Intensivstation gut geeignet. Hierbei wird der Patient vom Therapeuten zunächst in einen entspannten Zustand gebracht, anschließend wird er dazu aufgefordert, sich »wie im Tagtraum« ein Bild oder eine Szene vorzustellen, die für ihn mit Entspannung verbunden ist (z. B. Liegen am Strand oder im Liegestuhl im heimischen Garten). Nach 2–3 Übungsdurchgängen unter Anleitung wird der Patient dazu ermuntert, selbstständig, auch ohne Anwesenheit des Therapeuten, zu üben. Einige Patienten, die lange auf einer Intensivstation bleiben müssen, nutzen diese Übung gerne, um die Station »wenigstens in Gedanken« verlassen zu können. Durchführung durch das Stationsteam. Entspannungsübungen
3.1.3
Psychotherapie auf der Intensivstation
Obwohl die Häufigkeit psychischer Probleme bei Intensivpatienten offensichtlich ist, stellt eine enge Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeuten und Intensivmedizinern derzeit eher die Ausnahme als die Regel dar. Hierbei spielen der unterschiedliche Arbeitskontext und häufig auch wechselseitige Vorurteile eine Rolle. Auf einer Intensivstation muss der Psychotherapeut auf seine gewohnten Arbeitsbedingungen weitgehend verzichten: Einen ruhigen, störungsfreien Raum, in dem er mit dem Patienten allein ist, ausreichend Zeit sowie ein Gegenüber hat, das in Kommunikationsfähigkeit und Bewusstsein nicht eingeschränkt ist. Inzwischen stehen jedoch Konzepte [16] zur Verfügung, die erfolgversprechend in der Intensivmedizin eingesetzt werden können. Dabei ist es erforderlich, Behandlungstechniken entsprechend der Problemsituation und der Kommunikationsfähigkeit des Patienten zu kombinieren. Ein Problem ist allerdings, dass nur wenige Krankenhäuser über einen psychosomatischen oder psychologischen Konsiliardienst verfügen. Wenn im Klinikum keine entsprechende Abteilung vorgehalten wird, können Patienten und Angehörige auch über eine Kooperation von niedergelassenen Psychotherapeuten betreut werden. In zunehmend mehr Bereichen der Medizin (Onkologie, Transplantationsmedizin) ist eine Sicherstellung der psychischen Betreuung Voraussetzung zur Zertifizierung als Spezialzentrum.
Entspannungsverfahren Entspannungsverfahren sind indiziert bei Patienten, die während
des Aufenthalts auf der Intensivstation unter ängstlicher Anspannung leiden oder die sich bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen so verkrampfen, dass sie diese als besonders belastend oder schmerzhaft erleben. Entspannungsverfahren haben gegenüber einer medikamentösen Sedierung den Vorteil, weder auf Kreislauf noch auf den Atemantrieb ungünstig zu wirken. Wenn man dem Patienten den Zusammenhang (Teufelskreis) zwischen Angst, Anspannung und vermehrten Schmerzen verdeutlicht, ist er
müssen nicht zwingend von einem Fachpsychotherapeuten ausgeführt werden. Nach entsprechender Ausbildung können diese auch durch ein Mitglied des Pflegepersonals oder von Physiotherapeuten durchgeführt werden, sofern eine entsprechende Fachsupervision gegeben ist. Auf diese Weise können Verfügbarkeit und Praktikabilität von Entspannungsverfahren auf der Intensivstation wesentlich erhöht werden. Psychotherapie. Sinnvoll ist die kontinuierliche Betreuung einer
Intensivstation durch einen konstanten psychotherapeutischen Kooperationspartner im Sinne eines Konsil- und Liaisondienstes (7 Kap. 3.4). Dies gibt den Psychotherapeuten Gelegenheit, sich auf die besonderen Anforderungen des Arbeitsfeldes Intensivstation einzustellen und störungsspezifisches Wissen über die jeweils dominierenden Krankheitsbilder zu erwerben. Therapeutische Gespräche werden in der Regel deutlich kürzer sein als sonst in der Psychotherapie üblich. Für die Mehrzahl der ITS-Patienten ist eine Gesprächsdauer zwischen 5 und 15 min günstig. Dafür nehmen Gespräche mit dem Stationsteam und ggf. auch mit Angehörigen einen breiteren Raum ein. Zu den Aufgaben des Psychotherapeuten auf der Intensivstation gehören: 4 stützende Gespräche mit Patienten und Angehörigen, 4 störungsspezifische (verhaltenstherapeutische) Interventionen, z. B. bei Panikanfällen oder Depression, 4 konfliktzentrierte (psychodynamische) Interventionen, z. B. wenn durch die Situation auf der Intensivstation ein bisher latenter Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt aktualisiert wird und zu Noncompliance führt, 4 unterstützende oder konfliktzentrierte Gespräche mit Patienten und/oder Angehörigen in schwierigen Entscheidungssituationen, bei Konflikten und Trauer, 4 Unterstützung von Angehörigen verstorbener Patienten, 4 Beratung des ITS-Teams, 4 ggf. Organisation einer psychotherapeutischen Nachbetreuung im Langzeitverlauf nach der Entlassung.
3
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Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
3
Psychotherapeutische Interventionen bei einzelnen Störungsbildern werden in 7 Kap. 52 beschrieben.
3
3.2
Die Situation der Angehörigen
3
3.2.1
Problemsituationen
3
Für die Angehörigen ist die Umgebung auf der Intensivstation in der Regel ebenso fremdartig und potenziell bedrohlich wie für den Patienten. Insbesondere wenn der Patient noch bewusstlos oder bewusstseinsgetrübt ist, lastet der größere Leidensdruck auf den Angehörigen, die die Situation und Bedrohung des Patienten bei vollem Bewusstsein wahrnehmen. Die unbekannten Apparate und die Geschäftigkeit des Pflegepersonals sowie die häufige Notwendigkeit, wegen Behandlungsmaßnahmen bei einem Zimmernachbarn den Raum verlassen zu müssen, verstärken das Gefühl, zu stören, unerwünscht zu sein. Gleichzeitig kann es Angst hervorrufen, den Patienten einer »unbekannten Maschinerie« überlassen zu müssen. Unausgesprochene Gefühle der Angehörigen können die Kommunikation und Kooperation mit Ärzten und Pflegepersonal sehr erschweren.
3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
Fragen. Die Angst um den Patienten kann sich darin äußern, dass
ein Angehöriger immer wieder die gleichen Fragen über Krankheitsverlauf, Behandlungsmaßnahmen und Prognose stellt, auch wenn diese Fragen schon oft beantwortet wurden oder derzeit nicht beantwortbar sind. Wenn die gleichen Fragen kurz hintereinander an verschiedene Mitglieder des Teams gestellt werden, entsteht bei diesen das Gefühl, kontrolliert und gegeneinander ausgespielt zu werden. Aggressivität. Die Wut darüber, dass ein geliebter Mensch so
schwer krank ist, leiden muss und möglicherweise sterben wird, kann in Wut und Ärger über das Behandlungsteam umgewendet werden. Im Extremfall kann dies zu aggressivem Verhalten und Beschimpfungen führen. Einflussnahme. Das Gefühl, der Erkrankung ohnmächtig gegenüberzustehen, kann dazu führen, dass ein Angehöriger Kontrolle dort ausüben will, wo dies noch möglich ist, und deshalb versucht, das Pflegepersonal und die Ärzte zu kontrollieren und herumzukommandieren. Vermeidung. Eine andere Reaktion auf die Erkrankung eines na-
hestehenden Menschen kann darin bestehen, sich der Situation zu entziehen, indem man den Patienten so selten wie möglich besucht und die Situation vermeidet. Umgang und Kooperation mit Angehörigen. Es ist wichtig, diese
Reaktionsformen zu kennen, um nicht persönlich gekränkt zu reagieren, sondern sie als problematisches Verhaltensmuster in einer Überforderungssituation zu erkennen. Eine solche akzeptierende Grundhaltung bedeutet nicht, dass das Stationspersonal verpflichtet wäre, unhöfliches oder grenzüberschreitendes Verhalten von Angehörigen klaglos hinzunehmen. Sie ermöglicht es vielmehr, bei Angehörigen die zugrunde liegenden Ängste und Befürchtungen anzusprechen, um somit die Situation klären zu können. Im Einzelfall kann es auch sinnvoll sein, einen psychotherapeutischen Konsiliarius als Unterstützung für die Angehörigen oder als neutralen Vermittler hinzuzuziehen. Eine weitere Ressource kann ein Klinikseelsorger sein. Hier kann es allerdings sinnvoll sein, die Angehö-
rigen explizit darauf hinzuweisen, dass dieser zur psychischen Unterstützung und nicht zur Sterbevorbereitung hinzugezogen wird. Eine gute Kooperation mit den Angehörigen ist eine wertvolle Ressource. Bei Patienten, die längere Zeit auf der Intensivstation verweilen müssen, können Angehörige, die hierzu bereit und in der Lage sind, in die Pflege einbezogen werden. Sie können dem Patienten mehr Gespräch und Abwechslung bieten als es dem Pflegepersonal aus zeitlichen Gründen möglich ist. Für einen Patienten, der nach einem schweren Durchgangssyndrom wieder in die Realität zurückfindet, kann die regelmäßige Anwesenheit einer vertrauten Person eine wesentliche Unterstützung darstellen. Sind schwierige Entscheidungen zu treffen, wie z. B. das Einstellen invasiver therapeutischer Maßnahmen, so ist es ebenfalls hilfreich, wenn bereits vorher ein Vertrauensverhältnis mit den Angehörigen aufgebaut wurde.
3.2.2
Psychische Belastung und Störungsbilder bei Angehörigen von ITS-Patienten
In den letzten Jahren rückte die psychische Situation der Angehörigen zunehmend in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Hierbei zeigte sich, dass Angehörige mitunter stärker belastet sind als die Patienten selbst [17]. Die Arbeitsgruppe von Pochard et al. [21] konnte in einer Multicenterstudie mit 78 teilnehmenden Intensivstationen nachweisen, dass 75,5 % aller Familienangehörigen und 82,7 % aller Partnerinnen und Partner Symptome von Angst oder Depressivität zeigten. Diese waren stärker ausgeprägt bei jüngeren Patienten und Patienten in kritischem Zustand oder Patienten, die auf der ITS verstarben. Die Unterbringung des Patienten in einem Mehrbettzimmer war mit höherer Depressivität bei den Angehörigen assoziiert. Eine erhöhte Belastung durch Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wurde bei bis zu 49 % aller Angehörigen von Patienten auf der ITS auch noch 6 Monate nach der Entlassung oder dem Tod des Patienten nachgewiesen. Hierbei waren Angehörige Überlebender ebenso stark belastet wie Angehörige von Patienten, die ihre Erkrankung nicht überlebt hatten [14]. Nicht selten ist der Anblick invasiver Maßnahmen für die Angehörigen belastender als für die Patienten. So konnten Bunzel et al. bei keinem der untersuchten Patienten nach Implantation eines Kunstherzens, wohl aber bei 27 % ihrer Partnerinnen eine PTBS nachweisen [5]. Höhere PTBS-Raten fanden sich bei Angehörigen, die sich schlecht über Behandlungsverlauf und Therapiemaßnahmen informiert fühlten, sowie bei denjenigen, die in kritische Entscheidungen einbezogen waren. Die mit 81,8 % höchste Rate belasteter Angehöriger fand sich bei denjenigen, die in Entscheidungen über den Behandlungsabbruch mit einbezogen worden waren [3]. Dieser Befund deutet darauf hin, dass Angehörige zwar eine umfassende Information über Krankheitsverlauf und Behandlung als hilfreich bei der Verarbeitung der damit verbundenen Belastungen erleben, dass aber das Entscheidenmüssen, z. B. über einen Behandlungsabbruch, zu einer Überforderung mit auf die Belastung bezogenem Grübeln und Schuldgefühlen führen kann, welche die Betroffenen noch lange Zeit in erheblichem Maße belasten. Weitere Forschung ist notwendig, um zu klären, ob sich dieser Befund auch auf Deutschland übertragen lässt und ob hieraus Konsequenzen für die Art des Einbeziehens von Angehörigen in kritische Entscheidungen gezogen werden müssen. Hilfreich kann es sein, den Angehörigen anzubieten, die letzte Entscheidung beim Ärzteteam zu lassen und immer wieder auf die ärztliche Verantwortung hinzuweisen.
23 3.2 · Die Situation der Angehörigen
3.2.3
Präventive und therapeutische Ansätze
Persönliche Beziehungen sowie ausreichende Informationen verringern in erheblichem Maß Angst und Misstrauen. Es ist daher sinnvoll, dass sich die Mitarbeiter des Stationsteams bei der Kontaktaufnahme namentlich vorstellen und Namensschilder tragen. Sofern es organisatorisch möglich ist, sollten den Angehörigen konstante Ansprechpartner benannt werden, um einer Verunsicherung durch unterschiedliche Aussagen vorzubeugen.
Informationsblatt Ein Informationsblatt kann in der Umkleide ausgehängt und den Angehörigen zusätzlich mit nach Hause gegeben werden. Dieses sollte folgende Informationen enthalten: 4 grundsätzliche Aussage darüber, dass Angehörige auf der Station als Unterstützung für die Patienten willkommen sind, auch wenn medizinische Erfordernisse manchmal dazu zwingen, die Besuchszeit vorzeitig zu beenden oder Notfälle einem ruhigen Gespräch im Wege stehen, 4 Besuchszeiten, 4 Ansprechpartner auf Seiten der Ärzte und des Pflegepersonals, 4 Telefonnummern und Sprechzeiten, 4 einige wenige Sätze zu Funktion und Aufbau (ggf. Spezialaufgaben) der Intensivstation, 4 wenn häufig »Langlieger« betreut werden, Hinweis auf preisgünstige Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeit in Kliniknähe, 4 Hinweis auf Unterstützungsmöglichkeit für die Angehörigen selbst (Seelsorge, Sozialdienst, psychotherapeutische Abteilung).
Gesprächsführung mit Angehörigen Angst und Trauer als Reaktion auf die schwere Erkrankung eines geliebten Menschen sind als gesund anzusehen und sollten daher nicht pathologisiert oder gar mit Beruhigungsmitteln gedämpft werden. Sinnvoll ist der Rat, offene Fragen soweit wie möglich mit dem Stationspersonal zu klären und sich darüber hinaus emotionale Unterstützung und Rückhalt im Kreis der weiteren Familie oder im Freundeskreis zu suchen. Ebenso können in einem kurzen Gespräch Bewältigungsressourcen aktiviert werden (»Waren Sie schon einmal in einer ähnlich schwierigen Situation? Was oder wer hat Ihnen damals geholfen?«). Auch der Hinweis darauf, dass Angst, Niedergeschlagenheit und Trauer angesichts einer solchen Belastung »normale« Reaktionen sind, kann auf die Angehörigen sehr entlastend wirken. Es stellt kein Zeichen von Schwäche da, in bestimmten Situationen mit den Angehörigen mitzutrauern, im Gegenteil, es kann Angehörigen zeigen, dass die »Welt der Maschinen« auch Leben und Emotionen beinhaltet.
3.2.4
Das Gespräch mit Angehörigen verstorbener Patienten
Gesunde und pathologische Trauer Die Begleitung Angehöriger von sterbenden oder verstorbenen Patienten stellt eine ebenso schwierige wie wichtige Aufgabe dar, die hier nur im Überblick behandelt werden kann (weitere Informationen z. B. bei [13]). Die Aufgabe des Stationspersonals ist es vor allem, Angehörigen den Eintritt in einen gesunden Trauerprozess zu erleichtern und somit Prävention gegen das Auftreten von pathologischer Trauer und Depression zu betreiben. Trauer ist ein physiologischer Prozess und hat 4 Hauptaufgaben [26]: 4 Realität eines Verlusts zu akzeptieren,
4 Schmerz des Verlusts zuzulassen, 4 Anpassung an eine Welt, in die der Vermisste nicht zurückkommt, 4 Gefühle und Energien gegenüber dem Vermissten zurückzuziehen und in neue Beziehungen zu investieren. Pathologische Trauer. Pathologische Trauer erkennt man hinge-
gen an folgenden Merkmalen: 4 selbstzerstörerisches Verhalten (Suizidversuche, Alkohol, Medikamente), 4 Suizidgedanken, 4 zunehmender sozialer Rückzug, 4 Übergang in klinisch manifeste Depression. Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass der Initialphase der Mitteilung des Todes und des unmittelbaren Abschieds bei der Weichenstellung zwischen gesunder und pathologischer Trauer eine große Bedeutung zukommt [20].
Hinweise zur Gesprächsführung Wenn irgendwie möglich, sollte den Familienmitgliedern die Gelegenheit gegeben werden, das Sterben ihres Angehörigen zu begleiten. Dies erfordert eine rechtzeitige Information und eine rechtzeitige Entscheidung darüber, wann therapeutische Maßnahmen einzuschränken sind, um der Familie Raum zum Abschied einzuräumen. Auf einer Intensivstation ist diese Möglichkeit jedoch häufig nicht gegeben, wenn der Tod plötzlich eintritt oder wenn die Angehörigen wegen fortgesetzter therapeutischer Maßnahmen oder wegen Reanimationsversuchen bis zuletzt nicht zum Patienten gelassen werden können. In diesem Fall ist es sinnvoll, die Angehörigen zu ermutigen, den Toten noch einmal zu sehen, um von ihm Abschied zu nehmen, es sein denn, der Patient ist sehr entstellt. Ein solches Ritual erleichtert den späteren Trauerprozess. Entsprechend dem Wunsch der Angehörigen sollte vorher und nachher Raum für ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt und die Beantwortung von Fragen sein. Für die Angehörigen ist es wichtig, Fragen stellen zu können (z. B. »Wie konnte das so plötzlich geschehen?«; »Hat er sehr gelitten oder ging alles ganz schnell?« usw.). Wenn diese Fragen unbeantwortet bleiben, kann dies zu jahrelangem Grübeln und zu Depressionen führen. Die Angehörigen wollen in einer solchen Situation in der Regel nicht »Material für Klagen« sammeln, sondern sie suchen Informationen, die ihnen helfen sollen, das Geschehene zu begreifen. Zurückhaltende oder ausweichende Informationen können daher die Grundlage für Misstrauen und Zweifel legen. In der 7 Übersicht sind die Empfehlungen für ein Gespräch, in dem man nahe Angehörige über den plötzlichen Tod eines Patienten informieren muss, zusammengefasst [13]:
Empfehlungen zur Überbringung der Todesnachricht 4 Persönliche und respektvolle Atmosphäre durch namentliches Vorstellen und Beachtung nonverbaler Kommunikation (Blickkontakt, Zuhören, Schweigen und Gefühlsausdruck). 4 Ungestörter Raum mit Sitzmöglichkeiten für alle Beteiligten. 4 Ermittlung der bisherigen Informationslage der Angehörigen durch die Eingangsfrage »Was wissen Sie bisher?«. 6
3
24
3
Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
4 Die Botschaft im richtigen Moment verständlich und mit hinreichender Deutlichkeit erklären, das Wort »Tod« deutlich aussprechen. 4 Von Seiten des Behandlers nicht zu viel und zu schnell mitteilen, den Angehörigen Zeit zum »Verdauen« der Informationen geben. 4 Gefühle und Ohnmacht zulassen. 4 Am Ende des Gesprächs sollte danach gefragt werden, ob und wo die Angehörigen Unterstützung finden können (z. B. weitere Familienangehörige, Freunde, Seelsorger), und ob weitere Hilfen benötigt werden (z. B. Taxi für den Heimweg).
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Da die Angehörigen durch die Nachricht in der Regel so überwältigt sind, dass sie viele Informationen nicht verarbeiten können und häufig weitere Fragen in den nächsten Tagen auftauchen, ist es sinnvoll, ein weiteres Gespräch anzubieten bzw. einen Psychotherapeuten oder Seelsorger hinzuzuziehen. Auch hier sind Beruhigungsmittel in aller Regel kontraindiziert, da sie den Beginn des normalen Trauerprozesses nur behindern und verzögern. Hilfreich ist es für die Betroffenen jedoch, wenn ihnen bestätigt wird, dass ihre emotionale Reaktion gesund und angemessen ist. Dies erspart den Betroffenen, zusätzlich zu ihrer Trauer auch noch Scham und Unsicherheit empfinden zu müssen. Aufklärungsgespräche und Gespräche mit Angehörigen werden auch deshalb als belastend empfunden, weil weder im Medizinstudium noch in der Facharztweiterbildung handlungsleitendes Wissen oder Fertigkeiten in ausreichendem Maß angeboten werden. > Regelmäßige, praxisbezogene Weiterbildungen zum Thema »Gesprächsführung« helfen deshalb nicht nur, die Außendarstellung der Intensivstation zu verbessern, sondern wirken ebenso präventiv gegen Überlastungsund Insuffizienzgefühle der Mitarbeiter.
3 3
3.3
Belastungsfaktoren bei Mitarbeitern der Intensivstation
3
3.3.1
Belastungsfaktoren und Folgeprobleme
3
In zahlreichen Studien (Übersicht bei [11]) konnten verschiedene Belastungsfaktoren für die Arbeitssituation auf einer Intensivstation nachgewiesen werden: 4 eine hohe Mortalitätsrate wird insbesondere dann zur Belastung, wenn die Heilung als einziges Erfolgskriterium akzeptiert und der Tod als Niederlage eingeschätzt wird, 4 eine Verlegung des Patienten gerade dann, wenn es ihm besser geht, so dass Dank und Anerkennung von Patient und Angehörigen häufig nicht der Intensivstation, sondern der nachbetreuenden Station zugute kommen, 4 eine invasive Behandlung trotz sicher aussichtsloser Situation (schweres Trauma, sehr alter Patient) 4 ein hoher Prozentsatz bewusstloser oder bewusstseinsgetrübter Patienten, 4 ständiges Wechseln von Routineaufgaben und Notfällen; dies führt zu Hektik und Zeitdruck und verhindert einen befriedigenden Beziehungsaufbau zum Patienten sowie ein Auseinandersetzen mit den eigenen Gefühlen, die dann häufig entweder verdrängt oder mit nach Hause genommen werden müssen,
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4 Konfrontation mit emotional belastenden Situationen, für die man in der Ausbildung nicht hinreichend trainiert wurde, 4 Konfrontation mit bisher unbekannten oder als bedrohlich eingeschätzten Krankheitsbildern [23], 4 in der Regel geringe finanzielle Belohnung der oft umfangreichen Weiterbildung und Qualifizierung des Personals, 4 Schichtdienst.
Burn-out-Syndrom Die Folge dieser belastenden Arbeitsbedingungen können eine erhöhte Personalfluktuation sowie eine abnehmende Berufszufriedenheit sein. Hieraus können auch klinische Symptome entstehen. Für diesen Prozess wurde der Begriff »Burn-out-Syndrom« geprägt. Burisch [6] beschreibt 7 Kategorien der Burnout-Symptomatik (7 Übersicht).
Burn-out-Symptomatik 4 Warnsymptome der Anfangsphase mit vermehrtem Engagement, freiwilliger unbezahlter Mehrarbeit, Beschränken sozialer Kontakte und Freizeitaktivitäten; die Folge sind chronische Müdigkeit und Erschöpfung 4 Reduziertes Engagement: sowohl desillusionierter Rückzug aus der Arbeit als auch verringertes privates Engagement 4 Emotionale Reaktion mit Depression, Aggression und Schuldzuweisungen 4 Abbau von kognitiver Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität 4 Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens auch in der Freizeit 4 Psychosomatische Beschwerdebilder wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Panikanfälle 4 Verzweiflung und Depression
Studien, die die Auswirkungen der Arbeitsbedingungen auf der Intensivstation auf die Gesundheit der Mitarbeiter exakt nachweisen, fehlen jedoch nach wie vor weitgehend [10]. Ebenso ist unklar, ob es sich hier um für die Intensivmedizin spezifische Belastungen handelt, da z. B. vergleichbare Belastungen mit Angst- und Stresssymptomen auch beim Pflegepersonal von Notfallambulanzen und Normalstationen nachgewiesen werden konnten [15].
Posttraumatische Belastungsstörung Eine posttraumatische Belastungsstörung kann nicht nur als Folge selbst erlittener Traumata, sondern auch sekundär bei Berufsgruppen entstehen, die häufig mit Extremsituationen, Leid und Tod konfrontiert werden. Entsprechende Befunde für Polizisten und Rettungssanitäter liegen schon länger vor. Bei einer Untersuchung an 144 examinierten Krankenschwestern und -pflegern, die auf verschiedenen Intensivstationen arbeiteten, litten 88 % unter »flash-backs«, die sich auf im Beruf erlebte belastende Situationen bezogen, und bei 75 % waren Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus nachweisbar. Insgesamt 41 % erfüllten die diagnostischen Kriterien für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, dies entspricht auch der PTBS-Inzidenz, die bei den anderen genannten Berufsgruppen gefunden wurde [24]. Neuere Studien finden zwar geringere PTBS-Prävalenzen, diese liegen aber immer noch deutlich über dem Erwartungswert bei Gesunden [12]. > Möglicherweise ist das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) besser geeignet, um
25 3.4 · Psychosomatischer Konsil- und Liaisondienst
hieraus präventive und therapeutische Maßnahmen ableiten zu können, als das aus der Arbeitspsychologie übernommene Konstrukt des Burn-out. Weitere Untersuchungen über Risikofaktoren, Verlauf und arbeitsmedizinische Relevanz der PTBS bei Personal von Intensivstationen sind dringend erforderlich.
3.3.2
Präventionsmöglichkeiten
Gestaltung und Organisation der Intensivstation Die Station sollte von der räumlichen Ausstattung und auch von der Organisation her so gestaltet sein, dass ungestörte Pausen und Erholungszeiten möglich sind. Die Stationsleitung sollte sich ihrer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern bewusst sein und auf ein Arbeitsklima achten, in dem es möglich ist, Gefühle von Überlastung rechtzeitig anzusprechen. Regelmäßige Stationsbesprechungen können helfen, Problemsituationen aufzudecken und zu entschärfen. Studien zur Arbeitszufriedenheit konnten zeigen, dass sich der Krankenstand verringert und die Arbeitszufriedenheit zunimmt, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, in wesentliche Entscheidungen einbezogen zu werden und nicht nur Befehlsempfänger zu sein. Die regelmäßige Stationsbesprechung kann deshalb ein wichtiges Forum sein, um den Stationsablauf und den Umgang mit immer wiederkehrenden kritischen Situationen gemeinsam zu besprechen und festzulegen (z. B. »Wann sollen Behandlungsmaßnahmen reduziert/eingestellt werden?«).
Weiterbildung Regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen fördern den Aufbau einer gemeinsamen positiven Identität des professionellen Teams einer Intensivstation. Das Gefühl, auf einer Ebene hoher fachlicher Kompetenz zu arbeiten und die täglichen Abläufe auf der Station immer wieder neuen Erkenntnissen der medizinischen und pflegerischen Forschung anzupassen, stärkt Selbstbewusstsein und Arbeitszufriedenheit. Erkrankungsspezifisches Wissen kann auch helfen, Ängste abzubauen und sich schneller auf bisher unbekannte Problemfelder einzulassen [23]. Über diese allgemeinen positiven Aspekte hinaus können Weiterbildungsveranstaltungen im psychosozialen Bereich die Fähigkeit in Gesprächsführung und im Umgang mit »schwierigen Patienten« trainieren und ein Gefühl der Kompetenz in bisher als defizitär erlebten Bereichen schaffen. Insbesondere die Arzt-(Schwester-/ Pfleger-)Patient-Kommunikation wird in der medizinischen Ausbildung im deutschsprachigen Raum vernachlässigt. Im angelsächsischen Raum haben entsprechende Konzepte ihren festen Stellenwert im Curriculum (Training in »Doctor-Patient Communication Skills« und »Bringing Bad News«). Entsprechend groß ist der Bedarf, solche Inhalte in der beruflichen Weiterbildung zu vermitteln. Für den ärztlichen Bereich empfehlen sich Kurse im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung, für den Bereich der Pflege wurden Weiterbildungskonzepte, z. B. von Dinger [6], vorgelegt. Weiterbildungen zur gezielten Vorbereitung auf potenziell traumatische Situation können zur Prävention einer PTBS wirkungsvoller sein als im Nachgang durchgeführte sog. »Debriefings« [12].
Supervision Die Balint-Gruppe stellt für Ärzte, die auf einer Intensivstation arbeiten, eine Möglichkeit dar, außerhalb des Stationsteams schwierige Arzt-Patient-Beziehungen zu reflektieren. Das Konzept der Supervision sieht hingegen vor, dass ein von außen kommender Supervisor (der nach Möglichkeit Erfahrungen mit dem Arbeitsfeld
der Intensivstation haben sollte) mit dem gesamten Team arbeitet. Es wird zwischen dem Konzept der Teamsupervision und der Fallsupervision unterschieden. Bei der Teamsupervision stehen Aspekte der Zusammenarbeit untereinander im Vordergrund, während bei der Fallsupervision jeweils einzelne Fallgeschichten besprochen werden. Die Arbeit an einem einzelnen, nach Möglichkeit aktuellen Fall bietet die Möglichkeit, konkrete Veränderungsschritte zu erarbeiten und deren Wirksamkeit zu erproben. So wird verhindert, dass die Supervision in Grundsatzdebatten abgleitet, die letztlich wenig handlungsrelevant und hilfreich sind. Während in der Vergangenheit der Schwerpunkt häufig zu sehr auf gruppendynamische Prozesse gelegt wurde, was die Zusammenarbeit im Team in Einzelfällen mehr verschlechterte als verbesserte, sind inzwischen pragmatischere Supervisionskonzepte entwickelt worden, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Teams besser zugeschnitten sind. Gefühle von Insuffizienz und Überforderung haben ihre Ursache häufig darin, dass Ärzte und Pflegepersonal auf die Bewältigung emotional belastender Situationen in ihrer Ausbildung zu wenig vorbereitet wurden. Das Gefühl von Insuffizienz und die Angst zu versagen, sind häufig Ursache dafür, dass Gespräche vermieden werden. Gesprächsführung und die Verarbeitung der dabei auch bei einem selbst auftretenden Gefühle lassen sich jedoch ebenso lernen und trainieren wie die Anwendung organmedizinischer Behandlungsmethoden. Es hat sich deshalb als sinnvoll erwiesen, eine kontinuierliche Fallsupervision mit Weiterbildungsangeboten zu Themen wie Gesprächsführung und Kommunikationstechniken zu verbinden. Der Erwerb von Wissen und Kompetenz ist hier ebenso wie in anderen Bereichen der Medizin ein wirkungsvoller Schutz vor Gefühlen von Insuffizienz und Überforderung.
3.4
Psychosomatischer Konsilund Liaisondienst
Nur in Ausnahmefällen wird eine Intensivstation über eigene Psychotherapeuten verfügen. In der Regel wird die Versorgung deshalb über einen Konsil- und Liaisondienst zu organisieren sein [1, 11]. Unter Konsildienst versteht man die direkte Betreuung der Patienten durch den hinzugezogenen Psychotherapeuten, unter Liaisondienst die Beratung und Weiterbildung des Ärzte- und Pflegeteams der Intensivstation bei der Betreuung problematischer Patienten, z. B. bei gemeinsamen Visiten und Fallbesprechungen. Sollte das eigene Krankenhaus nicht über eine psychosomatisch-psychotherapeutische Abteilung oder eine psychiatrische Fachabteilung mit psychotherapeutisch weitergebildeten Kollegen verfügen, so müssen externe Kooperationspartner gesucht werden. Hier bieten sich sowohl benachbarte psychosomatisch-psychotherapeutische Fachkliniken als auch niedergelassene Kollegen an. Die Intensivstation sollte möglichst über längere Zeit von dem gleichen psychotherapeutischen Konsiliarius betreut werden, der die Besonderheiten der Station und der auf ihr betreuten Patienten kennt und dem Stationspersonal als Ansprechpartner vertraut ist. Ein kombinierter Konsil- und Liaisondienst hat sich gegenüber einem reinen Konsildienst als effektiver erwiesen. Nicht jeder Patient braucht fachpsychotherapeutische Behandlung. Wenn im Rahmen des Liaisondienstes die Mitarbeiter der Intensivstation entsprechend geschult werden, können sie Aufgaben der »psychosomatischen Grundversorgung« selbst übernehmen. Der im Rahmen eines Liaisondienstes stattfindende regelmäßige Austausch führt weiterhin dazu, dass psychosoziale Probleme zunehmend Beachtung im Stationsalltag finden, was einen präventiven Effekt für das Auftreten psychischer Störungen bei Patienten
3
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Kapitel 3 · Psychosoziale Situation und psychologische Betreuung in der Intensivmedizin
haben kann. Eine verbesserte Kommunikation zwischen Stationspersonal und Patient macht dann häufig einen Konsilbesuch des Fachtherapeuten überflüssig. Sowohl im Kontakt mit Patienten als auch mit Angehörigen kann es hilfreich sein, dass der konsiliarisch hinzugezogene Psychotherapeut »von außen« kommt und nicht Teil des Stationsteams ist. Wenn dies bereits bei der Vorstellung deutlich ausgesprochen wird, fällt es dem Patienten und den Angehörigen leichter, auch negative Gefühle wie Angst und Ärger zu äußern, ohne befürchten zu müssen, das Stationsteam zu kränken oder zu verärgern. In Konfliktsituationen oder bei ausgeprägtem Misstrauen kann der von außen kommende Konsiliarius als neutrale Informationsquelle und als Vermittler wahrgenommen werden.
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Literatur 1 2 3
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27
Intensivpflege D. Stolecki
4.1
Einführung – 28
4.2
Entwicklung der Intensivpflege – 28
4.3
Pflegeverständnis in der Intensivpflege – 29
4.4
Kompetenzen in der Intensivpflege – 30
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
Fachkompetenz – 31 Methodenkompetenz – 31 Persönlichkeitskompetenz – 31 Psychosoziale Kompetenz – 32
4.5
Personalmanagement in der Intensivpflege – 32
4.5.1 4.5.2 4.5.3
Personaleinsatzplanung – 33 Personalentwicklung – 33 Gestaltung von Beziehungen – 33
4.6
Fehlervermeidung – 34 Literatur – 34
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_4, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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28
Kapitel 4 · Intensivpflege
4.1
Einführung
Die Intensivpflege hat sich zu einem hoch komplexen Bereich entwickelt und füllt als Thema inzwischen ganze Lehrbücher. Insofern geht es in diesem Kapitel nicht um die Beschreibung einzelner intensivpflegerischer Tätigkeiten, sondern um die Darstellung verschiedener Teilaspekte. Beginnend bei der Entwicklung der Intensivpflege werden v. a. das sich verändernde Pflegeverständnis, die erforderlichen Kompetenzen, das Personalmanagement sowie Aspekte der Fehlervermeidung dargestellt. Intensivpflege findet heute in zwei Bereichen statt. Politisch gewünscht ist derzeit, dass immer mehr ambulante Versorger am Markt aufgetreten, die spezifische Intensivpflegeleistungen in den eigenen vier Wänden des Erkrankten gewährleisten. Historisch gewachsen und verankert ist Intensivpflege als Institution aber im Krankenhaus, was einer engeren Definition von Intensivpflege entspricht und hier Gegenstand der Betrachtungen sein soll. Intensivpflege auf einer Intensivstation bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen hoher Technisierung und menschlicher Begegnung mit engem körperlichem Kontakt und persönlicher Nähe. Daneben bestehen aufwändige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, mit denen das Leben erhalten werden kann. Andererseits sorgen infauste Prognosen z. T. für längere pflegerische Interventionen mit Sterbebegleitung und Trauerarbeit. High-Tech und High-Touch in der Intensivpflege wird begleitet von Kommunikationsprozessen zwischen dem therapeutischen Team und dem Patienten sowie seinen Angehörigen. Die Güte der Kommunikation innerhalb des Teams bestimmt die Versorgungsprozesse rund um den Patienten. Sie ist die Basis für eine gezielte, lückenlose Information in der Behandlung des Patienten und bestimmt den nahtlosen Ablauf aller geplanten Interventionen. Auch die Gestaltung der Beziehung zwischen Team und Patient und auch seinen Angehörigen entscheidet mit über den Grad der Versorgungsqualität und die Vermeidung von Fehlern [15, 39]. So gut die Möglichkeiten der gesamttherapeutischen Versorgung heute auch sind, so sehr findet sich in diesem System eine Mischung verschiedener Probleme: 4 Die hohe Technisierung verlangt nicht nur nach fachlicher Kompetenz, sondern auch nach dem Bewusstsein, dass der Mensch im Mittelpunkt der Versorgung steht. Der Grat zwischen Patientenignorierung und -orientierung ist sehr schmal. 4 Die Förderung des Patienten bedarf einer engen Abstimmung aller am therapeutischen Prozess Beteiligten. Hier ist eine echt gemeinte Kooperation gefragt und die Verzahnung der beteiligten Berufsgruppen im Sinne eines gesamttherapeutischen Handelns erforderlich. Kommunikationsprozesse müssen stringent geregelt sein, um Informationsdefizite zu vermeiden bzw. bestmöglich zu minimieren. 4 Die zahlreichen Mitarbeiter mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen müssen mit geeigneten Methoden geführt und koordiniert werden. Diese Führung verlangt nach einer adäquaten Ausbildung. 4 Die Herausforderungen der modernen Intensivpflege und -medizin verlangen von allen Beteiligten eine hohe Kompetenz. Unzureichende Kompetenz kann, je größer das therapeutische Team ist, länger unentdeckt bleiben. 4 Dem Patienten auf der Intensivstation ist zu gewährleisten, dass er im Rahmen der kritischen Erkrankung bis zu seiner Verlegung und darüber hinaus bis zu seinem möglichen Tod eine bestmögliche Versorgung erhält. Seine Angehörigen sind in diesen gesamten Prozess einzubeziehen.
Damit sind hohe Anforderungen an alle Mitglieder des therapeutischen Teams gestellt. Entsprechend sind für Pflegende und Ärzte auf der Intensivstation neben einer profunden fachlich-technischen Kompetenz weitere berufliche Kompetenzen Grundvoraussetzung, um handlungsfähig zu sein.
4.2
Entwicklung der Intensivpflege
Wenn auch erste Ansätze zur Intensivpflege historisch betrachtet weit zurückreichen, ist ihr eigentlicher Ursprung in Deutschland mit der Errichtung von Intensivstationen gleichzusetzen. Hiernach existiert Intensivpflege seit mehr als 40 Jahren und ist gekennzeichnet durch eine fulminante Weiterentwicklung. Mit der Trennung von Chirurgie und Anästhesie sowie der Notwendigkeit zur Errichtung von Intensivstationen begann die Ära der Intensivpflege. Auf einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Wiederbelebung (ehemals DGAW, heute DGAI) in Verbindung mit dem Deutschen Krankenhausinstitut e. V. Düsseldorf sowie dem Institut für Krankenhausbau der Technischen Universität Berlin im November 1969 in Nürnberg wurde erstmals die Forderung nach qualifiziertem Personal mit entsprechender Ausbildung erhoben. Bereits 1964 wurde von Frey an der Mainzer Universitätsklinik erstmals eine 2-jährige Weiterbildung zur Fachkrankenschwester bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin eingeführt, aber erst 1969 gab die DGAW Empfehlungen für die Ausbildung von Anästhesiepflegepersonal heraus. Vorgesehen war hier eine 1-jährige Ausbildung mit 100 Unterrichtsstunden und einer abschließender Zertifizierung. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gab nur 2 Jahre später Empfehlungen für die Weiterbildung von Krankenpflegepersonal in den Bereichen Anästhesie und Intensivmedizin, Operationsdienst und Psychiatrie heraus. Sie umfasste eine Weiterbildungszeit von 1 Jahr mit insgesamt 320 Unterrichtsstunden. Hier wurden nun auch zum ersten Mal Anerkennungsverfahren für Weiterbildungslehrgänge ausgesprochen. 1972 gab die DGAW überarbeitete Richtlinien heraus, die als Grundlage für die Durchführung von Lehrgängen in der Anästhesie und Intensivmedizin empfohlen wurden [2]. Die Notwendigkeit der Integration von Weiterbildungslehrgängen für Pflegepersonal wurde aus unterschiedlichen Perspektiven begründet. So schrieb die DKG, dass die bisherige Entwicklung des anästhesiologischen Fachgebietes einen steigenden Bedarf an Fachanästhesisten habe, dieser jedoch nicht mit ärztlichem Personal zu decken sei [17]. Opderbecke u. Weißauer berichteten 1974 in einem Artikel, dass die Übertragung von Funktionen aus dem Aufgabenbereich des Arztes nur an weitergebildetes und damit besonders qualifiziertes Pflegepersonal den Bedürfnissen der modernen Medizin entspräche, da der zunehmende ärztliche Personalbedarf wohl kaum in nächster Zukunft zu decken sei [30]. Damit sprach man sich für die Empfehlungen der DGAW aus, um das anästhesiologische und intensivmedizinische Fachgebiet adäquat durch weitergebildetes Pflegepersonal zu unterstützen. Jung berichtete auf der Jahrestagung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten im November 1975 von einem weltweiten Mangel an Anästhesisten und war der Meinung, dass dem ausgebildeten Fachpflegepersonal Tätigkeiten übertragen werden sollten, die in der konventionellen Pflege bisher dem Arzt überlassen waren. Ahnefeld verdeutlichte, dass die ständige Ausweitung der Intensivmedizin eine Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Pflegepersonal erfordere und damit eine zwangsläufige Delegation bestimmter Aufgaben an das Pflegepersonal. Bedingt durch die quantitative und qualitative Mangelsituation befürwortete er die Weiterbildung des
29 4.3 · Pflegeverständnis in der Intensivpflege
Pflegepersonals mit den Worten: »Die Schwestern und Pfleger, die eine solche Weiterbildung absolviert haben, werden zu den Mitarbeitern, die wir heute in der Anästhesie und ganz besonders in der Intensivmedizin benötigen« [1, 34]. Aufgrund gemeinsamer Beratungen zwischen der DGAI, der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, der Gesellschaft für Sozialpädiatrie, der inzwischen gegründeten Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege (DGF) und in Absprache mit verschiedenen Krankenpflegeverbänden entstand schließlich erstmalig eine von allen Verbänden befürwortete und 1976 durch die DKG verabschiedete Weiterbildungsordnung, die in verschiedenen Bundesländern unverändert bis 1998 bindend war. Jedoch wurden bereits zwischen den 1980-er und 1990-er Jahren in verschiedenen Bundesländern landesrechtliche Regelungen zur Durchführung von Weiterbildungslehrgängen erlassen, die das curriculare Bild erheblich verändert haben. Die Begründungen für die inhaltliche Neugestaltung sind vielschichtig und umfassen neben politischem Willen auch die Forderungen nach qualitätssichernden pflegerischen Kriterien sowie ein inzwischen verändertes Pflegeverständnis. Inzwischen existieren in 12 von 16 Bundesländern landesrechtliche Regelungen zur Durchführung der Fachweiterbildung, z. T. mit fächerintegrativem Ansatz, zum Teil in modularer Form. Für Nordrhein-Westfalen wurde ein modularer Ansatz in Anlehnung an den Bologna-Prozess geschaffen, womit die internationale Durchlässigkeit aufgrund eines vergleichbaren internationalen Niveaus angestrebt wird [44]. 2009 ist ein erster Studiengang für »intensive care practioner« hinzugekommen, der mit einem Bachelor Degree abschließen wird. Hintergrund dieser Entwicklung sind Forderungen, den Beruf der Pflege auch an dieser Stelle zu akademisieren.
4.3
Pflegeverständnis in der Intensivpflege
Da die Intensivpflege zunächst nur als Teilgebiet der Intensivmedizin und damit als Assistenzberuf mit körperpflegerischer Orientierung betrachtet wurde, ist es nicht verwunderlich, dass die Struktur der Weiterbildung analog zur Auffassung von Medizin geprägt wurde. Die Perspektive der Medizin ist naturwissenschaftlich und rational; hieraus werden notwendige Interventionen abgeleitet und begründet. Im Mittelpunkt steht die Heilung gestörter Organfunktionen. Infolgedessen wird der Mensch nach seiner defizitären Gesundheit beurteilt und das betroffene Organsystem analysiert. Medizinische Interventionen werden begründet mit der Beseitigung dieser Defizite, wobei Pflegende eine wichtige Rolle im Sinne von ausführenden und assistierenden Tätigkeiten übernehmen [27, 42, 47]. Nach diesem Verständnis ist Intensivmedizin »die systematische Anwendung aller neuen therapeutischen Möglichkeiten zum temporären Ersatz gestörter oder ausgefallener Organfunktionen bei gleichzeitiger Behandlung des verursachenden Grundleidens« [25]. Genau nach diesem Verständnis wurde Intensivpflege nicht nur wahrgenommen, sondern auch in der Nomenklatur von Ätiologie, Pathophysiologie, Symptomatik, Diagnostik und Therapie gelehrt. Die ersten Lehrgänge waren analog konfiguriert und umfassten zu einem Großteil der 220 Stunden des theoretischen Unterrichts anatomische, physiologische sowie (intensiv-)medizinische und technische Kenntnisse. Infolgedessen wurden auch die Tätigkeitsfelder bzw. Aufgaben beschrieben, zu denen bis zu Beginn der 1990-er Jahre primär folgende gehörten: 4 Überwachung des Monitorings und der von Monitoren aufgezeichneten Daten, 4 Assistenz bei intensivmedizinischen Eingriffen,
4 Ausführung und Überwachung von Intensivbehandlungsmaßnahmen sowie deren Dokumentation, 4 Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation, 4 Entnahme von Laborproben, 4 Durchführung von Desinfektions- und Sterilisationsmaßnahmen, 4 Krankenüberwachung und Grundpflege [34]. Durch die Professionalisierung der Pflege änderte sich die Wahrnehmung ihres gesellschaftlichen Auftrags. Mit dem Bekanntwerden erster pflegetheoretischer Ansätze zur Begründung von Pflegeinterventionen tauchten in den 1960-er Jahren auch erste Pflegemodelle auf. Das von Henderson publizierte und in den USA praktizierte Bedürfnismodell wurde mehrfach modifiziert und durch Roper (England) in den 1970-er Jahren für die Krankenpflege auch im deutschen Sprachraum aktuell. Juchli sorgte schließlich zu Beginn der 1980-er Jahre dafür, dass ihr modifiziertes Bedürfnismodell mit den sog. »Aktivitäten des täglichen Lebens« bundesweit Anerkennung fand und fortan zum strukturierenden Moment in der Krankenpflegeausbildung wurde. Der Ansatz aller Bedürfnismodelle ist ein holistischer und wird geprägt durch die Erfassung des Menschen in seinen unterschiedlichen Lebensphasen mit seinen jeweiligen Bedürfnissen. Auch hier geht es zum einen um defizitäre Situationen, die der Mensch in seinen Lebensaktivitäten erfährt. Der Ansatz geht aber auch von der Annahme aus, dass eine Beeinträchtigung einer Lebensaktivität auch Auswirkungen auf andere Personen haben muss. Dabei sind nicht nur physische, sondern auch psychische wie seelische und spirituelle Probleme involviert und werden in den Rahmen der pflegerischen Interventionen einbezogen. Dieser Paradigmenwechsel war insofern wichtig, als der Anspruch des naturwissenschaftlichen Denkens und Handelns in der Medizin, eben Heilung herbeizuführen, weder die Chronifizierung von Krankheit noch Sterben und Tod als handlungsleitende Struktur berücksichtigte. Eine weitere perspektivische Veränderung ergab sich durch die von der WHO 1979 publizierte Definition des Krankenpflegeprozesses, wie er bereits 1985 in der BRD im Krankenpflegegesetz verankert wurde. Der Krankenpflegeprozess stellt einen Problemlösungs- wie auch Interaktionsprozess dar, der als zweites strukturierendes Moment pflegerische Interventionen beeinflussen sollte. Er umfasst die die Planung der pflegerischen Intervention, die Festlegung sowie Durchführung von Maßnahmen und die kontinuierliche Einschätzung erzielter Wirkungen [4, 12, 19, 24]. Inzwischen sind die Bestrebungen - auch unter den Stichworten von Professionalisierung und Leistungserfassung (DRG-relevante Nebendiagnosen) – vorangeschritten, Pflegediagnosen analog zu den NANDA-Klassifizierungen (North American Nursing Diagnosis Association) in den Pflegeprozess aufzunehmen. Hierbei wäre durch eine einheitliche Sprachkodierung auch eine Klassifizierung möglich. Gleichzeitig könnte bei der Dokumentation erheblich Zeit gespart werden und ein reeller Leistungsnachweis der pflegerisch notwendigen Interventionen erfolgen. Vor dem Hintergrund reduzierter ökonomischer Reserven würde das einen doppelten Gewinn darstellen. Beides, Krankenpflegemodell und -prozess, führte damit zu Veränderungen in der Pflegeausbildung wie auch in der Weiterbildung. Mitarbeiter von Weiterbildungsstätten erkannten darüber hinaus sehr früh die weitere Bedeutung beider Anteile im Sinne des Qualitätsmanagements und unterstrichen dessen Bedeutung in zahlreichen Publikationen. Das führte zu Entwicklungen von (Pflege-)Leitbildern, die bald zum Aushängeschild klinischer Einrichtungen sowie von Weiterbildungsstätten wurden.
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Kapitel 4 · Intensivpflege
So hieß es zu Beginn der 1990-er Jahre, dass »Intensivpflege […] die Unterstützung, Übernahme und Wiederherstellung der Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens (AEDL) bei kritisch Kranken mit manifesten Störungen vitaler Funktionen umfasst. Sie beinhaltet eine ganzheitliche, patientenorientierte Pflege, die sich nicht nur mit der Beseitigung von Fehlfunktionen, sondern gleichermaßen mit Problemen von bleibender Behinderung, chronischen Krankheiten und dem Bereich Sterben und Tod eines Menschen befasst. Der Patient wird als Persönlichkeit mit individuellen Bedürfnissen gesehen« [27]. Dieses neue Pflegeverständnis war maßgebend für die curriculare Neugestaltung landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Fachweiterbildungen und wurde von Berufsverbänden publiziert:
»
Geplante Intensivpflege […] beinhaltet neben einer gesundheitsunterstützenden Lebenshilfe unter Aktivierung der physischen, psychischen, spirituellen und sozialen Ressourcen sowie der lindernden Pflege und Sterbebegleitung auch eine präventive und begleitende Gesundheitsberatung. Auf der Basis von ermittelten, den Patienten betreffenden Informationen bezüglich physischer, psychischer, sozialer und medizinischer Voraussetzungen wird Pflege anhand akuter und potenzieller Probleme geplant, durchgeführt und kontinuierlich evaluiert.
«
Die neuen Vorstellungen über das »Tätigkeitsfeld Intensivpflege« gingen noch weiter und umfassten nun auch pädagogische und Managementaufgaben, die bis dahin eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatten. Damit gesellten sich die Aufgaben von Planung und Überwachung der Organisation des Krankenpflegedienstes sowie der Arbeitsabläufe ebenso hinzu wie die sach- und fachkundige Beratung und Anleitung von Pflegekräften in Intensivpflegeabteilungen [14]. Involviert blieb unverändert die Koordination spezifischer Diagnosen anderer Berufsgruppen im Pflegeprozess.
4 4.4
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Kompetenzen in der Intensivpflege
In ihrem ersten Buch zur Gestaltung einer Weiterbildung für Intensivmedizin und Anästhesie beschrieben Ahnefeld et al. [2] die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Erkenntnissen der pflegerischen Erstausbildung und den immer höheren Ansprüchen in einem speziellen Arbeitsbereich wie der Intensivpflege und postulierten parallel zur Etablierung von Weiterbildungslehrgängen einen hohen Bildungsstand. Damit hatte der Begriff »Bildung« auch für die Intensivpflege sehr früh eine besondere Bedeutung. Da Intensivpflege ein hochkomplexes pflegerisches Handeln darstellt und sich seit Jahren in einem schnellen Wandel befindet, ist ein kontinuierliches Lernen im Sinne des lebenslangen Lernens unverzichtbarer Bestandteil. Der moderne Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden Entwicklungsprozess des Menschen, in dem er seine kulturellen, geistigen und lebenspraktischen Fähigkeiten mitsamt seinen sozialen und personalen Kompetenzen erweitern kann. Unter pädagogischer Betrachtung zielt Bildung darauf ab, 3 spezifische Fähigkeiten zu vermitteln: 4 Selbstbestimmungsfähigkeit, 4 Mitbestimmungsfähigkeit und 4 Solidaritätsfähigkeit [31]. Diese Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten sind auch das Gerüst für die Fortsetzung von Bildung nach einer erworbenen Erstausbildung. Demnach soll Bildung u. a. zu einer handwerklichtechnischen Bildung führen, die Interaktionen zwischenmenschli-
cher Beziehungen und eine politische und ethische Handlungsfähigkeit entwickeln sowie weitere spezifische Fähigkeiten ermöglichen. Dazu gehören Schlüsselqualifikationen wie Kritik- und Teamfähigkeit, Empathie und Kooperationsfähigkeit, Kommunikations- und Argumentationsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Selbstständigkeit sowie logisches, systematisches und vernetztes Denken, um nur einige zu nennen. Die 3 Grundelemente von Bildung können im Rahmen einer fachspezifischen Bildungsmaßnahme wie der Intensivpflege nicht ausgeblendet werden, sondern sind die Basis für weiter zu entwickelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten. Damit stehen Schlüsselqualifikationen im Mittelpunkt der beruflichen Weiterbildung. Hinter diesem Begriff verbergen sich alle Qualifikationen, die den Berufstätigen befähigen, auch zukünftigen Berufsanforderungen generell gewachsen zu sein. Entwickelt wurde das Konzept mit der Begründung, dass durch schneller eintretende Veränderungszyklen berufliche Ausbildungsinhalte einer kurzen Halbwertszeit unterliegen und Mitarbeitern damit keine Handlungssicherheit mehr gegeben ist [18]. Die Schlüsselqualifikationen (. Abb. 4.1) werden durch verschiedene Kompetenzen beschrieben. So umfasst Methodenkompetenz u. a. Analyse- und Problemlösungsfähigkeiten, die Fähigkeit zu systematischem und vernetztem Denken sowie konzeptionelle Fähigkeiten. Die personale Kompetenz umfasst, neben anderen, Motivation, Verantwortungsbewusstsein, Flexibilität, Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit. Die soziale Kompetenz setzt sich ebenfalls aus verschiedenen Fähigkeiten zusammen, zu denen Empathie, Konflikt- und Teamfähigkeit, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie Vorbildfunktion und Überzeugungskraft gehören [28]. Diese Kompetenzen können nicht losgelöst von fachlichen Inhalten und Situationen vermittelt oder erworben werden. Anhand dieses Modells wurde das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz entworfen. Um eine konkrete Handlung auszuführen, benötigt ein Mitarbeiter immer mehrere Schlüsselqualifikationen bzw. Anteile von ihnen. Handlungskompetenz ergibt sich demnach aus der Summe verschiedener Kompetenzen. Folglich müssen im Rahmen der praktischen Ausbildung wie auch in der theoretischen Weiterbildung, neben notwendigen fachlichen Aspekten, auch Methoden- und Sozialkompetenz unterrichtet werden, damit Mitarbeiter zu einer eigenverantwortlichen Handlungskompetenz gelangen können (. Abb. 4.2).
. Abb. 4.1 Schlüsselqualifikation
. Abb. 4.2 Handlungskompetenz
31 4.4 · Kompetenzen in der Intensivpflege
. Abb. 4.3 Handlungskompetenz im Kontext individueller Einstellungen und Schlüsselqualifikationen
Handlungskompetenz in der beruflichen Praxis lässt sich unter Einbeziehung der betrieblichen Umwelt und des individuellen Mitarbeiters dann mit . Abb. 4.3 anschaulich darstellen [3]. Folglich bedeutet Handlungskompetenz, dass Mitarbeiter über verschiedene Kompetenzen verfügen und diese in der beruflichen Praxis situationsgemäß anwenden wollen und können. Maßgebend ist neben dem Wollen und Können aber auch das Dürfen, womit die institutionellen Rahmenbedingungen entscheidend sind, die die Handlungskompetenz bestimmen. Wenn das Bildungsverständnis so angelegt ist, dass über Bildungsmaßnahmen verschiedene Kompetenzen von Mitarbeitern entwickelt werden sollen, dann muss das Führungsverständnis des Unternehmens kongruent sein, damit diese erlangten Kompetenzen durch Handeln auch gelebt werden können. Damit müssen evtl. unterschiedliche Interessen in Einklang gebracht werden [3, 6], die in der jüngsten Vergangenheit für berufspolitischen Zündstoff gesorgt haben.
4.4.1
Fachkompetenz
Die fachlich-technische Kompetenz steht sicher unbestritten weit oben in der Skala erforderlicher Kompetenzen und ist mit ein Garant für die Umsetzung intensivpflegerisch-medizinischer Interventionen. Ausgehend von der Krankenbeobachtung sowie der klinischen und apparativen Überwachung umfasst das Grundgerüst intensivpflegerischer Maßnahmen folgende Komponenten: 4 die Kompensation bzw. Teilkompensation der Körperpflege, 4 alle Arten von Prophylaxen, 4 Lagerungsmaßnahmen, 4 die Förderung der Atmung und Organisation der Atemtherapie, 4 die Wundversorgung. Daran angeschlossen sind alle assistierenden sowie delegierbare medizinische Tätigkeiten, die im Rahmen der Intensivmedizin erforderlich sein können.
4.4.2
Methodenkompetenz
Fachliche Kompetenz allein reicht im komplexen Tätigkeitsfeld der Intensivpflege nicht (mehr) aus. Im Gegenteil: Um handlungsfähig zu sein, muss ein Mitarbeiter auch methodisch kompetent sein, damit er spezifische Probleme mit entsprechenden Konzepten lösen kann. Methodenkompetenz als spezielle Form der Kompetenz meint die Fähigkeit, Techniken, Strategien und Verfahren zur Problemlösung zielgerichtet anzuwenden. Zu den methodisch notwendigen Voraussetzungen in der Intensivpflege gehört unabdingbar die Anwendung von Problemlösungsprozessen. Hier ist der Pflegeprozess nicht nur strukturierendes Moment zur Planung und Durchführung intensivpflegerischer Maßnahmen, sondern auch Grundlage zur Evaluation von Versor-
gungsprozessen. Er ermöglicht sowohl eine prospektive Einschätzung der Situation des Patienten als auch eine intermittierende wie auch eine retrospektive Qualitätsbeurteilung, womit das Instrumentarium qualitätssichernder Maßnahmen zum Tragen kommt. Dienlich sind hier alle Arten von Scoresystemen, die medizinische und pflegerische Problemsituationen einzuschätzen helfen, von A wie Apgar-Score bis W wie Waterlow-Skala. Methodenkompetenz bedeutet auch, Arbeitstechniken und Konzepte situationsbezogen und zielgerichtet einsetzen zu können. Damit müssen Konzepte, die nicht primär aus der Pflege stammen, komplementär berücksichtigt werden. Dazu gehören u. a. das Konzept der Kinästhetik zur Förderung der Mobilisation, der basalen Stimulation, das Affolter- und das Bobath-Konzept zur Förderung der Wahrnehmung und der Frührehabilitation sowie die fazioorale Stimulation aus der Ernährungstherapie, die in das Gesamtkonzept der intensivpflegerischen Strategie einfließen. Darüber hinaus umfasst Methodenkompetenz auch die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung, die im Kontext der Patientenversorgung benötigt wird. Unter dem Stichwort der evidenzbasierten Intervention sind damit die Ergebnisse von pflegewissenschaftlichen und medizinischen Studien gemeint, die für den jeweiligen Fall in Betracht kommen. Rein empirisches Fachwissen wird also adäquat ergänzt und der Patient damit auf der Basis der aktuellen Evidenz versorgt. [32].
4.4.3
Persönlichkeitskompetenz
Durch die rasante Entwicklung operativer und intensivmedizinischer Verfahren hat das Leistungsspektrum bereits deutlich zugenommen. Durch vermehrte Leistungen bei kürzeren Verweilzeiten und gleichzeitiger Zunahme des Anteils multimorbider Patienten sind sowohl die Komplexität der Aufgaben wie auch die Dynamik der Versorgung erheblich gestiegen. Diese unter dem Begriff der Dynaxität zu erfassende Situation erfordert eine 3. Dimension von Kompetenz, um im Berufsalltag bestehen zu können [17]. Dazu gehören u. a. 4 Anwendung spezifischer Normen und Werte zur Beurteilung verschiedener Situationen, 4 Aufgeschlossenheit und Lernbereitschaft vor dem Hintergrund ständiger Neuerungen, 4 Kreativität angesichts neuer Herausforderungen und mangelnder Ressourcen, 4 Autonomie im Sinne von Selbstständigkeit und Selbstdisziplin, 4 ein hohes Maß an Motivation und Energie sowie Stabilität und Belastbarkeit, da Umfang und Qualität der intensivpflegerischen Arbeit ständig variieren und Physis wie Psyche beanspruchen [14], 4 Flexibilität, 4 Konflikt- und Kritikfähigkeit, um in der multidisziplinären Versorgung mit vielen Mitarbeitern zu bestehen, 4 Fähigkeit zur Stressbewältigung und zur Gewährleistung der eigenen Psychohygiene, 4 Authentizität und Loyalität. Bildungsprogramme sowie die abteilungsinterne Begleitung durch Kollegen und Vorgesetzte müssen diese Kriterien im Sinne der eigenen Personalentwicklung mitberücksichtigen, um in absehbarer Zeit über Experten zu verfügen [4].
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32
Kapitel 4 · Intensivpflege
4.4.4
Psychosoziale Kompetenz
Abgerundet werden die beruflichen Handlungskompetenzen durch psychosoziale Kompetenzen, die gerade in der Intensivpflege eine besondere Verankerung benötigen. In der Versorgung kritisch Kranker ist es notwendig, soziale Verantwortung zu tragen und Respekt auszudrücken. Insbesondere müssen Beziehungen gestaltet und sowohl problemlösende als auch beziehungsbildende Rollen übernommen werden. Hierbei ist die Fähigkeit vorauszusetzen, dass die Bedürfnisse und Wünsche anderer realitätsgerecht erfasst und auf dieser Grundlage in nicht bewertender, sondern deskriptiver Weise beantwortet werden. Empathie ist hierbei die Basis, um die Welt durch die Augen eines anderen zu sehen [21‒23]. Die Vielzahl der unterschiedlicher Berufsgruppen und Tätigkeiten verlangt Kooperations- und Delegationsfähigkeit. Die sich schnell verändernden Versorgungssituationen erfordern eine Ambiguitätstoleranz, d. h. die Fähigkeit, sich schnell und mit geringem Unbehagen an neue, instabile Situationen anzupassen [8]. > Nicht zuletzt ist eine ausgebildete kommunikative Kompetenz das alles verbindende Medium. Das betrifft die unterschiedlichen Formen der Kommunikation mit den Patienten, die Gespräche mit den Angehörigen sowie die fachlichen Diskussionen im Rahmen des therapeutischen Teams.
Wie wichtig die Kombination dieser Kompetenzen ist, verdeutlicht die Übersicht mit einem Auszug aus der Deklaration der Menschenrechte Sterbender, entstanden auf einem Workshop mit dem Thema »Der Todkranke und sein Helfer« in Lansig, Michigan (USA) [7].
Deklaration der Menschenrechte Sterbender 4 Ich habe das Recht, bis zu meinem Tode wie ein lebendiges menschliches Wesen behandelt zu werden und das Recht, stets noch hoffen zu dürfen – worauf auch immer sich diese Hoffnung richten mag. 4 Ich habe ein Recht darauf, von Menschen umsorgt zu werden, die sich eine hoffnungsvolle Einstellung zu bewahren vermögen – worauf auch immer sich diese Hoffnung richten mag. 4 Ich habe das Recht, Gefühle und Emotionen anlässlich meines nahenden Todes auf die mir eigene Art und Weise ausdrücken zu dürfen. 4 Ich habe das Recht, schmerzfrei zu sein, in Frieden und Würde und nicht allein zu sterben. 4 Ich habe das Recht, meine Fragen ehrlich beantwortet zu bekommen und nicht getäuscht zu werden. 4 Ich habe das Recht, von meiner Familie und für meine Familien Hilfen zu bekommen, damit ich meinen Tod annehmen kann. 4 Ich habe das Recht, meine Individualität zu bewahren und meiner Entscheidungen wegen auch dann nicht verurteilt zu werden, wenn diese in Widerspruch zu Einstellungen anderer stehen. 4 Ich habe das Recht, offen und ausführlich über meine religiösen und/oder spirituellen Erfahrungen zu sprechen, unabhängig davon, was dies für andere bedeutet. 4 Ich habe das Recht, zu erwarten, dass die Unverletzlichkeit des menschlichen Körpers nach dem Tode respektiert wird. 6
4 Ich habe das Recht, von fürsorglichen, empfindsamen und klugen Menschen umsorgt zu werden, die sich bemühen, meine Bedürfnisse zu verstehen, und die fähig sind, innere Befriedigung daraus zu gewinnen, dass sie mir helfen, meinem Tod entgegenzusehen.
Wahrheit und Wahrhaftigkeit am Krankenbett spielen damit nicht nur für Pflegende eine entscheidende Rolle, sondern für das gesamte therapeutische Team, womit das Postulat für Bildungsangebote zum Erwerb der psychosozialen Kompetenz, wie es im Rahmen der Fachweiterbildung geschieht, unterstrichen wird. Da die Krankenhäuser in Deutschland immer mehr im Spannungsfeld zwischen Erlös- und Qualitätsorientierung stehen, unterliegen sie dabei den Mechanismen eines freien Marktes, ohne allerdings (betriebswirtschaftlich gesehen) selbst frei agieren zu können [43]. Über Marketinginstrumente wird die Leistungsfähigkeit beschrieben, werden Behandlungszahlen und Komplikationsraten dargestellt und nicht zuletzt Zielversprechen in Form von Leitbildern gegeben. Patienten und ihre Angehörige messen daran die tatsächliche Versorgung in den Kliniken und prüfen gewissermaßen Qualitäten. Schaut man sich die Rückkopplungen durch die Patienten an, trifft man sehr häufig auf die Aussage, dass die Kommunikation in Aufklärungs- oder auch Beratungsgesprächen als nicht gut empfunden wurde. Mit Blick auf die bereits eingetretenen Leistungsveränderungen in bundesdeutschen Kliniken und denen, die vermutlich noch kommen werden, haben sicher auch Mitarbeiter aller Berufsgruppen auf Intensivstationen hier noch Verbesserungspotenzial.
4.5
Personalmanagement in der Intensivpflege
Eine wichtige Aufgabe in der Intensivpflege ist die Wahrnehmung von Führungsaufgaben. Auch dies will gelernt sein. Macht wird zwar oft per Amt verliehen, reicht aber in der Regel nicht aus, um eine Organisation fachgerecht zu lenken. Die Annahme, ausschließlich per Amtsautorität Führung wahrnehmen zu können, ist längst überholt. Führung ist keine einseitige Aktion, sondern stellt eine Interaktion dar und umfasst ein systematisches und zielorientiertes Einwirken auf eine Person oder Gruppe. Führung geschieht also nicht zufällig, sondern absichtsvoll und geplant unter Berücksichtigung mehrerer Aspekte. Zu den Hauptfragen gehören: Welche Ziele sollen mit welchen Mitarbeitern, mit welchen Mitteln, in welcher Zeit und unter welchen Bedingungen erreicht werden [35]? In diesem Zusammenhang werden auf der Intensivstation mehrere Tätigkeiten unterschieden: 4 Organisation der Personaleinsatzplanung 4 Personalentwicklung und Sicherung der Pflegequalität 4 Gestaltung der Beziehungen. Ärztliche und pflegerische Mitarbeiter nehmen auf der Intensivstation sehr ähnliche Aufgaben für unterschiedliche Berufsgruppen wahr. Der ärztliche Leiter trägt die Gesamtverantwortung für alle medizinischen Interventionen und ist zuständig für die Einsatzplanung und Aufsicht nachgeordneter Ärzte. Die pflegerische Leitung bestimmt die Zuordnung des Pflegepersonals und ist verantwortlich für alle Pflegeinterventionen sowie für Fragen der Personalentwicklung, der Fort- und Weiterbildung. Ärzte und Pflegende sind gemeinsam verantwortlich für die Koordination beider und anderer Berufsgruppen. Kooperation und eine professionelle Beziehungsge-
4
33 4.5 · Personalmanagement in der Intensivpflege
staltung im inneren System (Team und Patient) wie im äußeren System (Angehörige und andere Berufsgruppen) sind die Basis für ein funktionierendes Gesamtsystem [38].
4.5.1
Personaleinsatzplanung
Nach der periodischen Dienstplangestaltung muss im Dienst eine tägliche Zuordnung des Personals erfolgen. Zu berücksichtigen ist dabei die Zuordnung von Mitarbeitern mit entsprechender Qualifikation entsprechend dem erforderlichen Versorgungsgrad der Patienten. Je höher der qualitative und quantitative Versorgungsgrad, desto höher sollte die Kompetenz des betreuenden Mitarbeiters sein. Gleichzeitig sollte sich im Dienstplan ein Konzept zur Anleitung von Mitarbeitern wiederfinden, das die Personalentwicklung von Mitarbeitern mit (noch) geringerer Kompetenz durch Zuordnung von Mitarbeitern mit einer höheren Kompetenz gewährleistet. Im Zuge der Dienstplangestaltung sind Zeitpunkte für die abteilungsinterne Fortbildung zu verankern, sodass die Kompetenz nicht nur durch die fachpraktische Arbeit, sondern auch durch intermittierende und flankierende Themenangebote weiterentwickelt werden kann [26].
4.5.2
Wenig Status des Kompetenz Mitarbeiters Hohes Engagement Maßnahme Dirigieren
Personalentwicklung
Das bisher sehr wenig beachtete Instrument der Pflegevisite ist eine hervorragende Ergänzung der Personalentwicklung und auch des Qualitätsmanagements. Analog zu der ärztlichen Verantwortung analysieren und entwickeln Pflegeverantwortliche der Intensivstation durch den Besuch am Bett sowohl Struktur- als auch Prozesskriterien. Hinsichtlich der Struktur- und Prozessqualität wird deutlich, ob vereinbarte Kriterien zur Dokumentation, die Handhabung von Pflegeleitlinien und -standards und Konzepte zur Anleitung neuer Mitarbeiter eingehalten werden. Zeitgleich kann überprüft werden, ob Behandlungspfade und Pflegeinterventionen analog zum Pflegeprozess verstanden worden sind und umgesetzt werden. In gleicher Weise kann auch der Gesamtkenntnisstand der Mitarbeiter erfasst werden. Aus den Visiten gewonnene Erkenntnisse sollten zur Reflexion in Teambesprechungen (Fallbesprechungen) führen, um evtl. Entwicklungspotenziale zu diskutieren. »Nebenbei« erfährt der Patient auf der Intensivstation individuell eine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn er bei allen Betrachtungen in den Mittelpunkt gestellt wird. Das bedeutet, dass man mit ihm über seinen Versorgungsprozess spricht, ihm signalisiert, dass sich alles um ihn dreht. Keinesfalls darf die Pflegevisite zu einem Angst einflößenden Instrument der persönlichen Überprüfung entarten, sondern soll zur Optimierung der Versorgungsprozesse sowie der erwarteten Ergebnisse beitragen [20]. Parallel dazu sind pädagogisch konzipierte Anleitungsprozesse zur Personalentwicklung notwendig. Hier werden die Mitarbeiter mit ihren Kompetenzen analysiert und erforderliche Begleit- bzw. Lehr-/Lernprozesse bestimmt [50]. . Abb. 4.4 zeigt die 4 Entwicklungsgrade mit den erforderlichen Führungsmaßnahmen. Mitarbeiter mit noch geringer Kompetenz, aber mit hohem Engagement verlangen nach einer dirigierenden Begleitung. Für gewöhnlich verfügen diese Mitarbeiter nach einer gewissen Zeit über mehr Kompetenz, zeigen aber nicht selten ein geringes Engagement. Der Aspekt des Trainierens steht im Vordergrund der Entwicklungsmaßnahme, sodass das Engagement parallel zur Kompetenz gefördert wird. Bei weiterentwickelter Kompetenz zeigt sich häufig in der 3. Stufe ein schwankendes Engagement, wofür es zahlreiche
Einige Kompetenz Wenig Engagement
Hohe Kompetenz Schwankendes Engagement
Hohe Kompetenz Hohes Engagement
Trainieren
Sekundieren
Delegieren
entwicklungsfähig
entwickelt
. Abb. 4.4 Ausmaß an Führung und pädagogischer Begleitung im Anleitungsprozess. (Mod. nach dem situativen Führungsmodell von Hersey und Blanchard 1977)
unterschiedliche Gründe gibt, die in der Umgebung der Abteilung, aber auch in der Person des Mitarbeiters liegen können. Eine enge Begleitung sorgt für eine Stärkung des persönlichen Einsatzes. Abschließend erreicht der Mitarbeiter die zunächst höchste avisierte Stufe seines Könnens und seines Engagements, womit er für die Abteilung besonders wichtig wird. Jedoch liegt gerade darin die höchste Schwierigkeit im Umgang mit diesen Mitarbeitern, da sie nun gemäß ihrer Kompetenz nach adäquaten Aufgaben verlangen und selbstständig arbeiten wollen. Entsprechend müssen ihnen als sinnvoll erlebte Aufgaben gemäß ihrem Kompetenzgrad übertragen werden. Das sind z. B. Mitarbeiter, die eine Fachweiterbildung absolviert haben und nach einer Zeit der praktischen Routine im gleichen Fachgebiet nun ihr Potenzial einbringen wollen. Gelingt es der Pflegedienstleitung, diese Mitarbeiter adäquat einzusetzen, so profitiert die Abteilung von zufriedenen und zuverlässigen Mitarbeitern, die allesamt einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung leisten können. Bleiben diese Kriterien unberücksichtigt, entwickelt sich bei den Mitarbeitern eine Unzufriedenheit, die, wenn ignoriert und nicht gegengesteuert, in der Abteilung zur »Zeitbombe« wird. Frustration, Aggression und schließlich der Verlust wichtiger Mitarbeiter sind mögliche Folgen.
4.5.3
Gestaltung von Beziehungen
Die professionelle Gestaltung von Beziehungen ist ein elementarer Bestandteil des beruflichen Handelns und ein entscheidender Faktor dafür, ob die angestrebten Ziele erreicht werden können. Da gerade in der Intensivpflege komplexe Situationen auftreten, müssen Aufgaben, Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen klar geregelt werden. Dies gilt auch für Ablaufpläne, die Informationskultur und das notwendige Schnittstellenmanagement. Wesentliche gestaltende Elemente sind dabei Initiative, Offen- und Direktheit sowie Berechenbarkeit und eine kritische Loyalität. Aufkommende Konflikte im Pflegeteam müssen so früh wie möglich angesprochen und bearbeitet werden Die Personalführung folgt den Managementprinzipien von »DICOR« (»delegation, information, cooperation, objectives, results«). Autoritäre Führung nach dem KITA-Prinzip (»kick in the ass«) ist dagegen längst nicht mehr zeitgemäß, da hierdurch in aller Regel nur Frustration und Aggression entstehen, die Fluktuation der Mitarbeiter zunimmt oder Dienst nur noch »nach Vorschrift« erledigt wird. [5]. Für das Delegationsprinzip spricht, dass kompetente, aus sich heraus motivierte Mitarbeiter Möglichkeiten zur Entwicklung ihres fachlichen und persönlichen Potenzials erwarten und fordernde Tätigkeiten eigenverantwortlich durchführen wollen. Informationen sorgen für Transparenz und damit für die Nachvollziehbarkeit notwendiger Entscheidungen und Maßnahmen. Mündige Mitarbeiter wissen und verstehen, was in ihrem Umfeld passiert, und können sich damit identifizieren. Kooperation ist eine notwendige Grundvoraussetzung innerhalb des Pflegeteams, aber auch im gesamttherapeutischen Team. Das Ziel muss den Weg bestimmen!
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Kapitel 4 · Intensivpflege
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durch Personalmangel und ungenügende Qualifikation des Personals.
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> Fehler und Beinahefehler stellen Gefahren dar, die als ständige Begleiter zugenommen haben.
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. Abb. 4.5 Ganzheitliche Betroffenheit des Patienten. (Mod. nach Kreienbaum, Hundenborn 1994 [47])
Hierbei müssen sich die Entscheidungsträger, nach Abwägung aller Kriterien, auf den besten Prozess verständigen. > Zielvereinbarungen (»objectives«) vermitteln allen Beteiligten vor dem Hintergrund bestehender Probleme, was, wann und wie erreicht werden soll.
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4.6
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Literatur 1 2
Auch hier ist die Folge eine Identifikation mit dem Ziel, die wiederum bestimmt, in welchem Maße das Ziel erreicht wird. Bei dieser Form von Führung werden mitarbeiterorientierte und aufgabenbezogene Ziele (weitestgehend) in Einklang gebracht. Das bedeutet, dass neben der Leistung eben auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle spielt. Ergebnisse (»results«) sollen Anlass für positive Verstärkungen sein, um die Leistungsfähigkeit in quantitativer, v. a. aber in qualitativer Hinsicht zu optimieren [8, 9]. Fehlt ein solches Konzept zur professionellen Beziehungsgestaltung, können im Team u. U. schwelende Konflikte, Verbitterung, Aggressionen sowie Frustrationen und Demotivation entstehen. Im schlimmsten Fall zerfällt das Team durch Zunahme von Fluktuation bzw. durch das Auftreten von Burn-out [50, 49]. Im Rahmen der Beziehungsgestaltung (. Abb. 4.5) spielen natürlich auch der Patient und seine Angehörigen eine entscheidende Rolle. Patienten erleben die Intensivstation nicht nur als Belastung. In einer Untersuchung von Hannich et al. [45] empfanden Patienten die Monitorüberwachung, die individuelle Aufmerksamkeit und Pflege als Sicherheit. Infolgedessen wollen sie informiert werden, nachfragen und mitentscheiden können. Angehörige von Intensivpatienten haben ein starkes Bedürfnis nach Klarheit. Sie möchten Vertrauen haben, Sicherheit spüren und Zweifel ausblenden können. Daher wollen sie ehrliche Antworten auf ihre Fragen hören. Sie brauchen das Gefühl, dass es Hoffnung gibt, und möchten die Prognose des Erkrankten wissen [48]. Fühlen sich Patienten nicht verstanden oder werden kommunikativ übergangen, so verweigern sie die Zusammenarbeit, beklagen sich bei Außenstehenden und verbleiben in ihren krankmachenden Mustern. Sind Angehörige aufgebracht, ist die Kontaktaufnahme unumgänglich, um sich der eventuellen Kritik zu stellen, auch wenn sie objektiv nicht unbedingt gerechtfertigt ist.
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Diese Gefahren müssen bestmöglich erkannt und frühzeitig beseitigt werden, damit es weder Schäden bei Patienten gibt noch unnötige und erhöhte Kosten die Budgets weiter belasten. Unzufriedenheit bei Patienten sorgt darüber hinaus für einen schnellen Imageverlust und schließlich für Mindereinnahmen, die die Klinikbudgets noch mehr treffen – ein Circulus vitiosus der Moderne, der ausgeschlossen werden muss. Vor diesem Hintergrund sind Pflegende und Ärzte als Team gefordert, sich mit der Gefahr auseinanderzusetzen.
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Fehlervermeidung
Durch die Zunahme von Dynamik und Komplexität, der sog. Dynaxität, haben die therapeutischen Teams immer weniger Zeit, die pro Patient notwendigen Interventionen vorzunehmen. Da im Zuge von Kosteneinsparungen die Arbeitsbereiche der Intensivstationen sowohl für ärztliche als auch für pflegerische Mitarbeiter einerseits unattraktiver geworden sind, zeitgleich in den letzten Jahren Stellen abgebaut bzw. eingefroren wurden, erhöhen sich die Gefahren
19
20
21
Ahnefeld FW (1976) Das Problem der Schwesternbildung. Anästhesieinformation Nr. 17, 107–112 Ahnefeld FW, Dick W, Halmagyi M, Valerius T (1975) Fachschwester, Fachpfleger Anästhesie – Intensivmedizin. Weiterbildung 1. Richtlinien, Lehrplan, Organisation. Springer, Berlin Heidelberg New York Becker M (2002) Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. 3. Aufl. Schäffer/Poeschel, Stuttgart Benner P (1997) Stufen zur Pflegekompetenz – from novice to expert. Huber, Bern Birkenbihl VF (2005) Birkenbihl on management. Econ, Berlin Bühner R (2004) Mitarbeiterkompetenzen als Qualitätsfaktor. Strategieorientierte Personalentwicklung mit dem House of competence. Hanser, München Busche A, Student JC (1986) Zu Hause sterben. Hannover Correll W (1971) Pädagogische Verhaltenspsychologie. 4. Aufl. Ernst Reunhardt, München Correll W (2006) Motivation und Überzeugung in Führung und Verkauf. Redline Wirtschaftsverlag, Frankfurt DGAI (2000) Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) zur Versorgungssituation im Bereich der Intensivmedizin. www.svr-gesundheit.de/Gutachten Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege (2009) Strukturstandards für die lntensivpflege und die Pflege in der Anästhesie [www.dgf-online. de/pubstruktur.htm] Donabedian A (1966) Evaluating the quality of medical care. Milbank Memorial Fund Q44: 166 Eichhorn S (1969) Die Organisation der Intensivbehandlung. In: Opderbecke HW (Hrsg) Intensivbehandlungseinheiten im Krankenhaus. Springer, Berlin Heidelberg New York Friesacher H (1993) Psychosoziale Belastungen des Intensivpflegepersonals. Ursachen – Auswirkungen – Lösungsansätze. Intensiv 1: 34–40 Friesacher H (1995) Intensivpflege heute: Pflege zwischen High-Tech und High-Touch. Intensiv 2: 47–52 Friesacher H (2005) Pflegeverständnis. In: Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart Golombek G (1985) Notwendigkeit und Bedeutung der Weiterbildung. Die Schwester – der Pfleger 2: 114 Götz K (1997) Management und Weiterbildung. Führen und Lernen in Organisationen. Band 9. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung. Schneider Verlag, Hohengehren Grünewald M, Stolecki D, Ullrich L (2005) Methoden und Instrumente der Qualitätssicherung. In: Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart Grünewald M, Stolecki D, Ullrich L (2005) Arbeitsfeld Intensivstation und Anästhesie. In: Ullrich L, Stolecki D, Grünewald M (Hrsg) Thiemes Intensivpflege und Anästhesie. Thieme, Stuttgart Hannich HJ, Wedershoven C (1985) Die Situation von Angehörigen auf der Intensivstation. Anästhesie und Intensivtherapie, Notfallmedizin 20: 89–94
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4
37
Hygiene in der Intensivmedizin M. Dettenkofer, E. Meyer (unter Mitarbeit von A. Conrad)
5.1
Hauptursachen und Entstehung von Krankenhausinfektionen – 38
5.2
Übertragungswege und häufigste Erregerreservoirs – 38
5.3
Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen – 38
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4
Händehygiene – 39 Aufgaben des mikrobiologischen Labors – 39 Klimatisierung/raumlufttechnische Anlagen – 39 Umkleiden auf Intensivstationen – 39
5.4
Techniken zur Verhütung und Kontrolle der wichtigsten Krankenhausinfektionen – 40
5.5
Surveillance nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen – 40
5.6
Isolierung infizierter und kolonisierter Patienten – 40
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4
Bauliche Voraussetzungen – 40 Kohortenisolierung – 40 Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern – Beispiel Methicillin-resistente Staphylococcus aureus – 40 Weitere wichtige multiresistente Erreger (VRE, ESBL) – 42
5.7
Reinigung und Desinfektion – 42
5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4
Raumdesinfektion – 42 Reinigung und Desinfektion der Betten – 42 Wasserhygiene – 42 Aufbereitung von medizinischem Instrumentarium – 43
5.8
Unnötige Hygienemaßnahmen – 43
5.9
Umweltschutz auf Intensivstationen – 43 Literatur – 46
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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38
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
5.1
Hauptursachen und Entstehung von Krankenhausinfektionen
Die Hauptursachen von Krankenhausinfektionen (nosokomiale Infektionen; 7 Kap. 64) auf Intensivstationen sind nicht Hygienefehler, sondern die erhöhte Disposition: Die Patienten sind empfänglich durch verschiedene Grundkrankheiten, operative Eingriffe und invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen (z. B. Venenkatheter, Blasenkatheter, Intubation usw.). Durch diese in der Intensivmedizin unerlässlichen Interventionen werden die natürlichen Abwehrbarrieren durchbrochen und den Mikroorganismen der direkte Zutritt zum Körper ermöglicht. Therapeutische Maßnahmen können zusätzlich die körpereigene Abwehr vermindern (Zytostatika-, Kortisontherapie). Durch den Einsatz von Breitspektrumantibiotika (7 Kap. 62) wird die Selektion und Ausbreitung resistenter Krankheitserreger begünstigt. Krankenhausinfektionen entstehen: 4 endogen durch Keime der körpereigenen Flora (z. B. Harnwegsinfektion ausgehend von der Darmflora, Pneumonie aus der Flora des Nasen-Rachen-Raums oder Magens), 4 seltener exogen durch Transfer von Keimen aus der Umwelt des Patienten (direkter Kontakt v. a. mit den Händen oder indirekter Kontakt über Oberflächen, Geräte, Instrumente; noch seltener über respiratorische Tröpfchen oder die Luft). Endogene Krankenhausinfektionen sind schwieriger zu verhüten als exogene. Auch mit den besten Methoden der Krankenhaushygiene lassen sich weniger als die Hälfte aller Krankenhausinfektionen vermeiden [4].
ratorische Viren, die auf Gegenständen mehrere Stunden überleben können (z. B. RS-Viren), mit den Händen übertragen. Der Mensch berührt unwillkürlich dutzende Male am Tag seine Nase und seinen Mund, dabei gelangen Viren, aber auch Staphylococcus aureus aus dem Nasen-Rachen-Raum auf die Hände und mit ihnen durch direkten oder indirekten Kontakt (Flächen, Gegenstände) zum Patienten. ! Cave Am häufigsten werden Krankheitserreger auf Intensivstationen mit den Händen bzw. nicht sachgemäß verwendeten Handschuhen übertragen.
5.3
Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen
Die häufigsten Krankenhausinfektionen auf Intensivstationen sind: 4 Pneumonie, 4 Harnwegsinfektion, 4 Sepsis, 4 Wundinfektion, 4 Infektionen der Haut und Schleimhäute (meist Venenkatheterinfektionen an der Eintrittstelle). Die Hauptursachen sind invasive Maßnahmen, d. h. bei: 4 Pneumonie: Intubation, maschinelle Beatmung, 4 Harnwegsinfektionen: Blasenkatheter 4 Sepsis: intravasale Katheter, v. a. ZVK.
Die wichtigsten Hygienemaßnahmen auf der Intensivstation
5.2
Übertragungswege und häufigste Erregerreservoirs
Krankheitserreger werden weitaus am häufigsten mit den Händen des medizinischen Personals bzw. durch nicht rechtzeitig gewechselte Handschuhe übertragen. Dies gilt für grampositive wie -negative Keime und Viren. Einrichtungsgegenstände und Apparate, die immer wieder mit den Händen berührt werden müssen, z. B. Beatmungsgeräte, Tastenfelder von Monitoren, Armaturen usw., können relevante Erregerreservoirs sein, v. a. für Staphylokokken und Enterokokken, aber auch für Acinetobacter u. a. Sie müssen daher regelmäßig wischdesinfiziert werden. Darüber hinaus ist entscheidend, dass beim Verlassen der Patientenumgebung bzw. des Bettplatzes Handschuhe ausgezogen und die Hände desinfiziert werden. Gramnegative Keime vermehren sich v. a. in feuchter Umgebung wie kontaminiertes Anfeuchtungswasser, Ultraschallvernebler, O2Anfeuchtungsgeräte, Mundpflegelösung. Die wichtigsten Erregerreservoirs von Staphylococcus aureus als dem bedeutendsten grampositiven Infektionserreger sind der Nasen-Rachen-Raum und die Hautflora, das wichtigste Erregerreservoir gramnegativer Keime die Gastrointestinal- und auch die Rachenflora. Unwichtige Erregerreservoirs sind: Fußböden, Wände, Decken, patientenferne Möbel. Über große respiratorische Tröpfchen werden v. a. Viren und bakterielle Erreger von Atemwegsinfektionen, aber auch Meningokokken übertragen (»face-to-face« innerhalb von ca. 1,5 m um die Streuquelle). Nur selten werden Infektionen auf Intensivstationen im engeren Sinne aerogen über weitere Strecken übertragen, z. B. offene Lungentuberkulose, bestimmte Viruserkrankungen mit Beteiligung des Respirationstrakts (Varizellen- und Masernpneumonie, SARS) oder Aspergillussporen. Meist werden aber auch respi-
4 Händedesinfektion mit einem alkoholischen Händedesinfektionsmittel als wichtigste Standardhygienemaßnahme 4 Handschuhwechsel unmittelbar nach Beendigung der Tätigkeit am Patienten 4 Möglichst kurze Verweildauer von Fremdkörpern (Venenkatheter, Blasenkatheter, arterielle Katheter, Hirndruckmesssonden usw.); regelmäßige Prüfung der Indikation 4 Hygienisch einwandfreie interventionelle und pflegerische Techniken zur Verhütung von Blasenkatheterinfektionen, Venenkatheterinfektionen, Pneumonie bei Beatmung und postoperativen Wundinfektionen (7 Kap. 64) 4 Sorgfältige Indikation von Antibiotikatherapie und -prophylaxe; z. B. ist eine perioperative Antibiotikaprophylaxe über die Dauer des Eingriffs hinaus überflüssig, teuer und fördert die Resistenzentwicklung (7 Kap. 62)! 4 Schulung und Disziplin aller Personen, v. a. der Ärzte (wichtige Vorbildfunktion besonders der leitenden Ärzte) 4 Einsatz von speziell ausgebildetem Personal; Beratung durch Krankenhaushygieniker und Hygienefachpersonal 4 Sichere Aufbereitung von Medizinprodukten 4 Gezielte und sinnvolle Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen 4 Sichere und wirksame Isolierungstechniken 4 Surveillance device-assoziierter Infektionen (Qualitätssicherung) 4 Ausreichende Personal-Patienten-Relation: Zuwenig Personal bedeutet immer auch weniger Hygiene!
39 5.3 · Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen
5.3.1
Händehygiene
> Die hygienische Händedesinfektion mit einem alkoholischen Präparat – zur besseren Verträglichkeit farb- und duftstofffrei – ist die wirksamste, kostengünstigste und einfachste Maßnahme zur Verhütung von Infektionsübertragungen (Kreuzinfektionen). Ärzte desinfizieren die Hände seltener und kürzer als Pflegepersonal. Auch das Wechseln von Handschuhen unmittelbar nach Patientenkontakt wird häufig vergessen. Auf die Notwendigkeit der Händehygiene und das gründliche Einreiben des Mittels als wesentlichem Qualitätsparameter muss immer wieder hingewiesen werden.
In den aktuellen Empfehlungen der WHO werden 5 Indikationen zur Händehygiene genannt (7 Übersicht).
5 Indikationen zur Händehygiene der WHO 4 Vor Patientenkontakt 4 Vor Tätigkeiten mit Infektions- und Kontaminationsgefahr und vor invasiven Maßnahmen 4 Nach Patientenkontakt 4 Nach Kontakt mit potenziell infektiösen Materialien (z. B. Ausscheidungen oder Körperflüssigkeiten) 4 Nach Kontakt mit der Patientenumgebung bzw. vor Verlassen des Bettplatzes
Mit diesem Konzept kann Händehygiene in der Praxis situationsgerecht und schlüssig durchgeführt werden. Unnötige Händedesinfektionen werden vermieden. Für eine korrekte Technik wird genügend Händedesinfektionsmittel (ca. 3 ml) in die Hohlhand appliziert und eingerieben, sodass die gesamten Hände vollständig benetzt werden. Um Lücken zu vermeiden, muss besonders auf die sorgfältige Desinfektion häufig nicht benetzter Areale wie Fingerkuppen, Daumen, Fingerzwischenräume und Handrücken geachtet werden. Die Einwirkungszeit der alkoholischen Präparate beträgt meist 30 s. Aus dermatologischen Gründen soll eine routinemäßige Kombination von Waschen mit Seife und anschließender Händedesinfektion vermieden werden. Bei pflegerischen und ärztlichen Tätigkeiten ist die Händedesinfektion generell dem Händewaschen vorzuziehen. Wasser und Seife gewährleisten keine ausreichende Wirksamkeit, um Krankheitserreger sicher zu eliminieren. Nur bei sichtbaren Verschmutzungen der Hände sollen diese zuerst gewaschen, abgetrocknet und dann desinfiziert werden. Die Händedesinfektion mit einem alkoholischen Händedesinfektionsmittel ist zudem besser hautverträglich als häufiges Händewaschen. Für eine wirksame Händehygiene ist es außerdem wichtig, dass die Fingernägel kurz geschnitten sind und kein Fingerschmuck und keine künstlichen Fingernägel getragen werden. ! Cave Auch wenn Handschuhe getragen werden, müssen (zumindest nach Kontamination der Handschuhe) die Hände anschließend desinfiziert werden. Bis zu 20 % der Einweghandschuhe weisen nach Gebrauch optisch z. T. nicht wahrnehmbare Löcher auf.
Leider beobachtet man immer wieder, dass Pflegepersonal die Hygienemaßnahmen beachtet, Ärzte aber beispielsweise ohne Handschuhwechsel und Händedesinfektion Blut abnehmen oder am Venenkathetersystem manipulieren. Hier können gezielte Fortbil-
dungen die Compliance bei der Händehygiene verbessern [www. aktion-sauberehaende.de]. Dazu kommt, dass ohne fachlich geschultes Personal (Krankenhaushygieniker, Hygienefachkräfte) eine sinnvolle und gezielte Krankenhaushygiene nicht möglich ist [www.rki.de]. Die lokalen Präventionsempfehlungen müssen in Zusammenarbeit mit diesem Fachpersonal jeweils den aktuellen internationalen Standards angepasst werden.
5.3.2
Aufgaben des mikrobiologischen Labors
Das mikrobiologische Labor, mit dem die Intensivstation zusammenarbeitet, muss in mindestens jährlichen Abständen das Erregerspektrum und die Resistenzsituation analysieren. Die Resistenzraten können auch innerhalb eines Krankenhauses erheblich differieren. Ohne Kenntnis der lokalen Resistenzsituation ist eine adäquate empirische Antibiotikatherapie nicht möglich [8] (7 Kap. 62). Intensivstationen sollten mit mikrobiologischen Laboratorien zusammenarbeiten, deren Ärzte regelmäßig zusammen mit den Intensivstationsärzten eine Visite durchführen.
5.3.3
Klimatisierung und raumlufttechnische Anlagen
Bei der Klimatisierung von Intensivstationen muss zwischen arbeitsphysiologischen und hygienischen Anforderungen unterschieden werden. Aus arbeitsphysiologischen Gründen (angenehmes Raumklima für Patienten und Personal, Wärmeabführung von Geräten) dürfte es notwendig sein, viele Intensivstationen mit raumlufttechnischen Anlagen auszustatten, die jedoch nicht hohen hygienischen Ansprüchen der Luftreinheit genügen müssen (2-stufige Filterung in der Regel ausreichend; in der 2. Stufe Filterklasse F9). Aus rein krankenhaushygienischen Gründen, d. h. zur Verhütung einer aerogenen Keimübertragung, ist es nur notwendig, bestimmte Teilbereiche einer Intensivstation, und zwar abhängig vom jeweiligen Patientenkollektiv, das auf der betreffenden Station betreut wird, zu klimatisieren (s. unten).
5.3.4
Umkleiden auf Intensivstationen
Personalschleusen sind ebenso wenig hygienisch notwendig wie Material- oder Geräteschleusen. Personen, die keinen direkten pflegerischen oder ärztlichen Kontakt mit dem Patienten haben, müssen sich beim Betreten der Intensivstation auch nicht umkleiden. Durch das routinemäßige Umkleiden werden Infektionen nicht verhindert, sondern unnötig hohe Kosten verursacht. Dies gilt z. B. für ärztliche Konsiliardienste, Besucher, Handwerker, Sozialdienste und Hygienepersonal. Die Verwendung eines patientenbezogenen Schutzkittels oder das Anlegen einer Einmalschürze muss erst am Patientenbett dann erfolgen, wenn bei der entsprechenden pflegerischen oder ärztlichen Tätigkeit die Gefahr einer Kontamination besteht oder der Patient z. B. wegen eines MRSA-Nachweises isoliert wird. Da Besucher nur Sozialkontakt und keinen pflegerischen Kontakt mit dem Patienten haben, müssen sie in der Regel auch keinen Kittel anziehen. Auch das Überziehen eines Schutzkittels bei Verlassen der Station ist aus hygienischen Gründen nicht notwendig.
5
40
5 5
Die hygienische Händedesinfektion bei Betreten und Verlassen der Station ist jedoch sowohl für Klinikpersonal wie für Besucher wichtig. Spezielle Bereichsschuhe oder gar Plastiküberschuhe sind hygienisch nicht erforderlich, Letztere sogar kontraproduktiv, da beim Überziehen leicht die Hände verschmutzt werden.
5 5.4
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
Techniken zur Verhütung und Kontrolle der wichtigsten Krankenhausinfektionen
In Deutschland wurden in den letzten Jahren von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (RKI) evidenzbasierte, kategorisierte Empfehlungen erarbeitet, die über das Internet abrufbar sind (www.rki. de). Diese stimmen in weiten Teilen mit den HICPAC-Guidelines (Healthcare Infection Control Practices Advisory Committe) der CDC (Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, USA) überein (http://www.cdc.gov/ncidod/dhqp/guidelines.html). Die eigene Lektüre der RKI- und CDC-Guidelines ist anzuraten, zumal dort wertvolle Hintergrundinformationen gegeben werden. Übersichten zu den einzelnen Themen finden sich 7 Kap. 64 und auch im Standardwerk »Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz« [1] sowie in [7]. ! Cave Der weitaus häufigste Überträger von Infektionen ist der Mensch, d. h. auf der Intensivstation in erster Linie das medizinische Personal, das direkten Kontakt mit den Patienten hat. Dabei spielen kontaminierte Hände (und Handschuhe) bei der Infektionsübertragung die bei weitem wichtigste Rolle. Wände, Decken oder auch Fußböden bergen nur eine äußerst geringe Infektionsgefahr.
5 5.5
5 5 5 5
Surveillance nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen
Die gezielte Surveillance (Erfassung, Analyse, Feedback und Diskussion) von device-assoziierten Infektionen ist auf Intensivstationen eine wichtige Maßnahme im Rahmen des Qualitätsmanagements [3] (7 Kap. 62). Hier bietet sich im deutschsprachigen Raum die Teilname am Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) an (www.nrz-hygiene.de).
5
5.6
Isolierung infizierter und kolonisierter Patienten
5
5.6.1
Bauliche Voraussetzungen
5 5 5 5 5
Nach baulichen Gesichtspunkten können im Wesentlichen folgende Intensivstationen unterschieden werden: 4 Offene Stationen, bei denen die Betten nur durch einen bestimmten Abstand voneinander getrennt sind. In diesen Stationen ist eine vollständige räumliche Isolierung infizierter oder kolonisierter Patienten kaum möglich. 4 Stationen, bei denen zwischen den Patienten Trennwände stehen, sog. offene Boxen. In diesen Boxen können ggf. beatmete Patienten, deren Respirationstrakt mit multiresistenten Keimen besiedelt ist, isoliert werden (Bettplatzisolierung). 4 Stationen, bei denen einzelne Betten in geschlossenen Boxen oder Einzelzimmern stehen.
Eine Intensivstation sollte mindestens ein, besser mehrere Isolierzimmer mit groß genug bemessener Schleuse und raumlufttechnischer Anlage besitzen. In der Schleuse befindet sich ein Waschbecken, im Nasszellenbereich ggf. zusätzlich noch eine Steckbeckenspülanlage.
5.6.2
Kohortenisolierung
In bestimmten epidemiologischen Situationen, z. B. bei Staphylokokkenepidemien, bestimmten multiresistenten Keimen oder Durchfallerregern, ist es notwendig, auch kolonisierte Patienten, also solche, die (noch) nicht erkrankt sind, zu isolieren. Bei der sog. Kohortenisolierung werden mit dem gleichen Erreger infizierte oder kolonisierte Patienten in einem räumlich abgetrennten Bereich zusammengefasst, um eine Infektionsübertragung auf noch gesunde Patienten zu verhüten. Auch innerhalb der Kohorte gelten natürlich die Regeln der Standardhygiene.
5.6.3
Hygienemaßnahmen bei multiresistenten Erregern – Beispiel Methicillin-resistente Staphylococcus aureus
Häufigkeit. Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) wurden erstmals in den 1960-er Jahren isoliert und haben sich seitdem weltweit verbreitet. In Norwegen, Schweden, Dänemark und den Niederlanden liegt die MRSA-Rate (Anteil an allen S.-aureusIsolaten) im Bereich von 1 %, in vielen südeuropäischen Ländern, aber auch in England dagegen über 25 %. In Deutschland lag sie 2008 bei 19,5 % aller Staphylococcus-aureus-Isolate (EARSS) (. Tab. 5.1). MRSA sind häufig nicht nur gegen Methicillin resistent, sondern – bis auf Vancomycin/Teicoplanin und die neueren Antibiotika Linezolid, Quinupristin/Dalfopristin, Tigecyclin und Daptomycin – auch gegen viele weiter derzeit zugelassene Antibiotika. Für die Selektion von MRSA gelten v. a. Chinolone als Risikofaktor. > In aller Regel gilt, dass eine reine Kolonisation mit multiresistenten Erregern nicht mit Antibiotika behandelt werden sollte. Eine rationale Antibiotikatherapie und -prophylaxe in Kombination mit effektiven Hygienemaßnahmen ist der entscheidende Schlüssel für die Kontrolle der Resistenzausbreitung (7 Kap. 62).
. Tab. 5.1 Surveillance der Antibiotikaanwendung und der bakteriellen Resistenzen auf Intensivstationen in Deutschland. (Angaben von SARI 2009 [www.antibiotika-sari.de] [8]) Erreger
Resistenz
S. aureus, resistent gegen Methicillin
21,8 %
E. faecium, restistent gegen Vancomycin
7,1 %
K. pneumoniae, resistent gegen Cephalosporine der 3. Generation
12,7 %
E. coli, resistent gegen Ciprofloxacin
24,2 %
E. coli, resistent gegen Cephalosporine der 3. Generation
12,6 %
P. aeruginosa, resistent gegen Imipenem
29,6 %
P. aeruginosa, resistent gegen Ciprofloxacin
19,1 %
41 5.6 · Isolierung infizierter und kolonisierter Patienten
Der Nasenvorhof als natürliches Reservoir für S. aureus bildet meist den Ausgangspunkt für eine Besiedlung der übrigen Körperstellen. Daher ist zur Erfassung der Besiedlung mit MRSA der Nasenabstrich unerlässlich (angefeuchteter steriler Tupfer). Die erforderliche hohe Sensitivität beim Nachweis bzw. Ausschluss von MRSA erreicht man durch kombinierte Abstriche von Nase, Rachen, Perineum/Leiste und vorhandenen Wunden. Ein routinemäßiges Aufnahme-Screening auf Intensivstationen (Nase/Rachen) ist angezeigt und vereinfacht das Procedere. Der wichtigste Übertragungsweg von Patient zu Patient und von Patient zu Personal ist auch hier der direkte bzw. indirekte Kontakt (über die Hände und mit dem Nasen-Rachen-Raum). Beim trachealen Absaugen (MRSA im Trachealsekret), beim Verbandwechsel (MRSA in der Wunde) oder beispielsweise beim Bettenmachen (v. a. bei perinealen MRSA-Trägern) besteht das Risiko, dass über Sekrete bzw. Hautschuppen Staphylokokken über Tröpfchen, sehr selten über die Luft übertragen werden. > Der Verbreitungsgrad von MRSA und anderen multiresistenten Erregern in der eigenen Klinik muss bekannt sein und seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes auch systematisch erfasst werden. Bei Ausbrüchen, d. h. beim Auftreten zweier oder mehrerer Erkrankungen mit dem gleichen Erreger, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang anzunehmen oder bestätigt ist, müssen die speziellen Hygienemaßnahmen oft noch ausgeweitet werden.
Ausbrüche von MRSA sind nach § 6 IfSG dem Gesundheitsamt nichtnamentlich zu melden.
Wichtigste Hygienemaßnahmen bei MRSA-positiven Patienten in der Intensivmedizin 4 Standardhygienemaßnahmen nach den allgemeinen Regeln, d. h. insbesondere gründliche Händedesinfektion und Handschuhwechsel (s. unten) bei Patientenkontakt und vor Verlassen des Bettplatzes bzw. Patientenzimmers. Die Händedesinfektion ist ggf. auch für den Patienten selbst und für Besucher wichtig. 4 Unterbringung des MRSA-infizierten oder- besiedelten Patienten im Einzelzimmer oder abgetrennten Bereich (Bettplatzisolierung); ggf. gemeinsame Unterbringung mehrerer MRSA-Träger (Kohortenisolierung, s. oben). Die Isolierung in einem Einzelzimmer hat jedoch keinen Sinn, wenn die Standardhygienemaßnahmen nicht eingehalten werden und der Personalschlüssel unzureichend ist. 4 Patienten, die vor der Isolierung eines MRSA-positiven Patienten mit diesem in Kontakt gekommen sind (z. B. Nachbarpatienten), müssen gescreent werden (Nase/ Rachen, Perineum/Leiste, ggf. Wunden). Gleiches gilt bei Aufnahme von Patienten aus Einrichtungen/Abteilungen mit bekanntem MRSA-Problem und bei Wiederaufnahme bei früherem MRSA-Nachweis: Auch zunächst erfolgreich dekolonisierte Patienten haben ein hohes Risiko, wieder mit MRSA besiedelt zu werden. Bei Wiederaufnahme sollten daher Kontrollabstriche durchgeführt werden (ggf. Primärisolierung bis zum Erhalt des negativen Ergebnisses). 6
4 In Ausbruchsituationen kann auch ein Screening der gesamten Station – ggf. auch inklusive Personal – notwendig sein. 4 Bei nasaler Besiedlung sollte eine 5-tägige Behandlung mit Mupirocin-Nasensalbe (3-mal tgl.) durchgeführt werden. Nach 2 Tagen Pause können dann zur Kontrolle des Therapieerfolgs 3 Abstrichserien (immer Nase, Rachen, Leiste, ggf. weitere Lokalisationen) im Abstand von 24 h durchgeführt werden. Bei nicht erfolgreicher Dekolonisierung kann die Therapie bis zu 2-mal wiederholt werden (alternativ ggf. Polyhexanid- oder PVP-Jod-haltige Salbe). Unterstützend sollte bei Hautkolonisation eine tägliche Ganzkörperwaschung mit desinfizierenden Substanzen (v. a. Octenidin, Polyhexanid) erfolgen. 4 Die Akte eines MRSA-positiven Patienten sollte gekennzeichnet sein, und alle Kontaktbereiche sollten informiert werden (Physiotherapeuten, Reinigungspersonal, Röntgenpersonal etc.). Wenn möglich auch elektronischer Warnhinweis im EDV-Patientendatensystem. 4 Bei pflegerischem oder Körperkontakt mit infizierten oder kolonisierten MRSA-Trägern müssen patientenbezogen Handschuhe getragen werden (dies ist bei anderen Tätigkeiten, z. B. Essensversorgung, nicht erforderlich). Bei direktem Patientenkontakt, z. B. auch beim Bettenmachen, sollten zusätzlich Kittel und Mund-/Nasenschutz getragen werden; letzteres zur Verhinderung einer Übertragung durch unbewusste Hand-zu-Mund bzw. -Nasen-Bewegungen des Personals. Kopfhauben sind nicht erforderlich. 4 Nur die notwendigen Pflegeutensilien werden im Zimmer gelagert; Blutdruckmanschetten, Stethoskope und Fieberthermometer dürfen nur patientenbezogen eingesetzt bzw. müssen nach Gebrauch desinfiziert werden (dies sollte grundsätzlich so gehandhabt werden). 4 MRSA-positive Patienten werden vorzugsweise auf einer Liege transportiert (frisches Tuch). Bei Wunden vor dem Transport neuen Verband anlegen; bei nasaler Besiedlung Mund-/Nasenschutz. 4 Wäsche und Geschirraufbereitung bedürfen keiner besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Maßnahmen: Abfall wird im Patientenzimmer gesammelt und mit dem Hausmüll entsorgt. Die Wäsche wird im Zimmer gesammelt. 4 Die Besiedelung mit MRSA darf kein Grund sein, einen Patienten nicht aufzunehmen; weiterbehandelnde Institutionen müssen natürlich informiert werden. 4 Das Patienten- bzw. Behandlungszimmer nach Entlassung wischdesinfizieren (besonders wichtig: Flächen mit Hautund Händekontakt).
> Wichtig für Intensivstationen ist die leichte Erreichbarkeit von Händedesinfektionsmittel-Spendern (bettplatznah); ggf. zusätzlich sog. Kittelflaschen verwenden.
5
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42
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
5.6.4
Weitere wichtige multiresistente Erreger (VRE, ESBL)
5
Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) nehmen auch in Europa zu. Obwohl Enterokokken per se nicht sehr virulent sind, können Infektionen zu erheblichen Problemen führen, v. a. wegen der meist schweren Grunderkrankungen der Patienten [5]. Klinisch bedeutsam sind Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium. Bei den meisten VRE handelt es sich um E. faecium. Die Resistenz gegen Vancomycin ist häufig verbunden mit Mehrfachresistenz, die Ampicillin und andere Penicilline einschließt und über die Gene VanA und VanB vermittelt ist. Bei VanA-Resistenz besteht Hochresistenz gegenüber Vancomycin und eine Resistenz gegenüber Teicoplanin, bei VanB-Resistenz besteht nur eine Resistenz gegenüber Vancomycin. Durch die Mehrfachresistenz sind die therapeutischen Möglichkeiten eingeschränkt. Im Rahmen von Ausbrüchen v. a. bei hämatologisch/onkologischen Patienten spielen auch in Deutschland besonders virulente Stämme (»clonal complex 17«) eine zunehmende Rolle. Zur Kontrolle von VRE sind konsequente Hygienemaßnahmen wie bei MRSA erforderlich – allerdings entfällt die Notwendigkeit eines Mund-Nasen-Schutzes, da keine nasale Trägerschaft zu erwarten ist. Extended-spectrum-β-Laktamase (ESBL) produzierende gramnegative Bakterien sind nach MRSA mittlerweile in Deutschland die zweithäufigsten multiresistenten Erreger. Sie produzieren Enzyme, die die Fähigkeit haben, β-Laktamantibiotika (Cephalosporine, Penicilline) zu inaktivieren [6]. Sie werden v. a. bei E. coli und Klebsiellen gefunden. Problematisch ist, dass ihre Resistenz plasmidvermittelt übertragen wird, d. h. die Resistenz kann auch zwischen verschiedenen Spezies übertragen werden. Ebenso wie bei MRSA und VRE sind die Therapieoptionen eingeschränkt. Um die Ausbreitung von ESBL zu verhindern, gilt es, die Übertragung von Patient zu Patient zu verhindern (konsequente Standardhygiene und adäquate Isolierungsmaßnahmen) und Antibiotika rational und so kurz wie möglich einzusetzen. Auch VRE- und ESBL-bildende Erreger sowie weitere gramnegative Risikoerreger wie resistente Acinetobacter baumanii werden hauptsächlich über Hände/Handschuhe des Personals übertragen. Deshalb sind die wichtigsten Hygienemaßnahmen auch bei multiresistenten Erregern Händedesinfektion und Handschuhwechsel vor und nach Patientenkontakt [9].
5
5.7
5
Händedesinfektion 7 Abschn. 5.3.
5
5.7.1
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
5 5 5 5 5
Reinigung und Desinfektion
Raumdesinfektion
Es genügt eine Wischdesinfektion der (horizontalen) patientennahen Flächen. Eine routinemäßige Desinfektion von Waschbecken, Siphons oder Toiletten ist nicht nötig; eine Reinigung mit einem umweltfreundlichen Reinigungsmittel reicht aus. Die Desinfektion ist aber erforderlich nach Benutzung durch Patienten mit multiresistenten Erregern oder meldepflichtigen Erkrankungen. Die Reinigung sollte nur von geschultem Personal durchgeführt werden. Desinfizierend gereinigt werden: 4 patientennahe Flächen (z. B. Nachttisch, Versorgungsleiste, Monitor, Medikamentenwagen, Verbandswagen, Beistelltische): routinemäßig in der Regel 2-mal täglich,
4 Flächen, die häufig mit den Händen berührt werden (Bedienungsoberflächen des Beatmungsgeräts und der Monitore): in jeder Schicht. Für jeden Raum und für jede Box sollten frische Tücher verwendet werden. Bei Kontamination von Flächen mit z. B. Blut, Sputum, Eiter, Wundexsudat muss sofort gezielt desinfiziert werden, d. h. die Kontamination wird mit einem desinfektionsmittelgetränkten Tuch mit Handschuhen entfernt. Der Fußboden wird 2-mal täglich mit dem hausüblichen Reinigungssystem (ohne Zusatz eines Desinfektionsmittels) gereinigt [2]. Auch hier muss bei Kontamination mit potenziell infektiösem Material immer unverzüglich gezielt desinfiziert werden. Das Versprühen von Desinfektionsmitteln sollte generell vermieden werden. Denn dadurch gelangt das Mittel nicht nur auf den Gegenstand, sondern auch in die Atemwege von Patienten und Personal. Auch Kopfkissen, Matratzen und Federbetten beispielsweise können durch Besprühen nicht wirksam desinfiziert werden. Für eine sachgerechte Flächendesinfektion ist immer auch die mechanische Komponente des Wischens notwendig. Die Verwendung von Desinfektionsmitteln in Konzentrationen der Desinfektionsmittelliste des Robert Koch-Instituts ist auch bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten nicht notwendig, sondern nur im Seuchenfall und nur auf Anordnung des Amtsarztes. Eine Raumdesinfektion durch Verdampfen von Formaldehyd ist auch nach meldepflichtigen Erkrankungen, z. B. offener Lungentuberkulose, nicht notwendig.
5.7.2
Reinigung und Desinfektion der Betten
Matratzen erhalten einen waschbaren Schonbezug; Kopfkissen und Bettdecken müssen desinfizierend gewaschen werden können. Bettgestelle müssen zur Aufbereitung nicht in eine Zentrale gefahren werden, die Reinigung und Wischdesinfektion kann manuell auf der Station erfolgen.
5.7.3
Wasserhygiene
Die Strahlregler an den Wasserhähnen sollen einmal pro Woche in einer automatischen Reinigungs- und Desinfektionsmaschine bzw. Geschirrspülmaschine gereinigt und thermisch desinfiziert werden, da es durch die sich dort ansammelnden Verunreinigungen aus dem Leitungswasser und Biofilmbildung zu einer verstärkten Kontamination des Wassers kommen kann. Es sollten Lamellenstrahlregler eingesetzt werden (geringeres Kontaminationsrisiko). Im Leitungswasser sind häufig in wechselnder Keimzahl sog. Wasserkeime, z. B. auch Pseudomonaden, Acinetobacter oder Aspergillen, nachzuweisen. Deshalb kann es je nach Wasserqualität sinnvoll sein, dem Waschwasser für die Körperwaschungen vom Patienten PVP-Jodlösung zuzufügen (1 Teil 10 %ige PVP-Jodlösung auf 100 Teile Wasser). Wissenschaftliche Studien hierzu liegen jedoch nicht vor. In kritischen Bereichen muss steriles oder steril gefiltertes Wasser verwendet werden, z. B..zur Mundpflege bei beatmeten Patienten. In Übereinstimmung mit Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und den Centers for Disease Control and Prevention (USA) ist der Wert von routinemäßigen Wasseruntersuchungen auf Legionellen umstritten, die heute allerdings auf der Basis der Trinkwasserverordnung in der Regel 1- bis 2-mal jährlich erfolgen. Bei jeder nosokomialen Pneumonie muss konsequent die Legionellenä-
43 5.9 · Umweltschutz auf Intensivstationen
tiologie ausgeschlossen werden. Wenn eine Legionellenpneumonie auf einer Station auftritt, sind unverzüglich gezielte Wasseruntersuchungen auf Legionellen erforderlich (ggf. Typisierung bei positivem Nachweis). Präventionsmaßnahmen müssen mit Krankenhaushygiene- und Technikabteilung abgestimmt werden.
5.7.4
Aufbereitung von medizinischem Instrumentarium
Die sichere Aufbereitung von medizinischem Instrumentarium gehört zu den unerlässlichen Standardhygienemaßnahmen [1, 10]. Hierzu wird besonders auf die einschlägigen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts hingewiesen (www.rki.de). Diese sind mittlerweile in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung verankert. Das Muster eines Reinigungs- und Desinfektionplans für eine Intensivstation ist in . Tab. 5.2 aufgeführt.
5.8
Unnötige Hygienemaßnahmen
Routinemäßige Abklatschuntersuchungen von Flächen oder Gegenständen zur Überprüfung der Effektivität von Reinigung oder Desinfektion, routinemäßige Personaluntersuchungen oder routinemäßige Luftkeimzahlbestimmungen auf Intensivstationen sind nicht zielführend, beanspruchen aber die knappen Ressourcen. Die wichtigsten unnötigen Hygienemaßnahmen im Intensivbereich sind im Folgenden zusammengestellt: 4 routinemäßige Abklatschuntersuchungen, 4 routinemäßige Personaluntersuchungen (z. B. Rachenabstriche), 4 routinemäßige Luftkeimzahlbestimmungen,
4 4 4 4 4 4 4 4 4
routinemäßige ungezielte Wasseruntersuchungen, UV-Lampen, Plastiküberschuhe oder spezielles Schuhwerk, routinemäßige Desinfektion von Waschbecken, Siphons, Gullis, Fußboden, Klebematten, Desinfektionsmatten, Wechsel der Beatmungsschläuche alle 48 h, Personal-, Material- und Geräteschleusen, Umkleiden bei Betreten oder Verlassen der Intensivstation, routinemäßig Kittel für Besucher.
5.9
Umweltschutz auf Intensivstationen
Mit Ausnahme von Spritzen und Nadeln ist bisher nicht nachgewiesen worden, dass die Verwendung von Einwegmaterial zu einer Senkung der Infektionsrate führt. Viele Einwegmaterialien (z. B. Beatmungsschläuche, Einwegabsaugsysteme) können durch Mehrwegmaterialien ersetzt werden. Einweggeschirr ist aus hygienischen Gründen überflüssig. Einige Einwegsysteme können wiederaufbereitet werden, z. B. Atemtrainer oder Sauerstoffmasken. Die Wiederaufbereitung von Einwegmaterialien ist in Deutschland gesetzlich nicht verboten, muss dann aber hohen hygienischen Standards genügen (www.rki. de). Geschlossene Trachealabsaugsysteme können 48–72 h verwendet werden. Infusionsbestecke müssen nicht häufiger als alle 72 h gewechselt werden, dadurch wird die Menge des Kunststoffabfalls deutlich reduziert (vorzugsweise PVC-freie Bestecke verwenden).
. Tab. 5.2 Muster eines Reinigungs- und Desinfektionsplans für die Intensivmedizin Was?
Wann?
Womit?
Wie?
Hygienische Händedesinfektion
z. B. vor Verbandswechsel, Injektionen, Blutabnahmen, Anlage von Blasenund Venenkathetern, nach Kontamination* (bei grober Verschmutzung vorher Hände waschen), nach Ausziehen der Handschuhe
Alkoholisches Händedesinfektionsmittel (farbund duftstofffrei)
Ausreichende Menge entnehmen, damit die Hände vollständig benetzt sind, gründlich verreiben bis Hände trocken sind (30 s); kein Wasser zugeben!
Händereinigung
Bei Betreten bzw. Verlassen des Arbeitsbereiches, nach Verschmutzung
Flüssigseife aus Spender
Hände waschen, mit Einmalhandtuch abtrocknen
Chirurgische Händedesinfektion
Vor operativen Eingriffen
Alkoholisches Händedesinfektionsmittel: saubere Hände und Unterarme (ggf. zuvor waschen; dabei Nägel und Nagelfalze nur bei Verschmutzung bürsten), anschließend Händedesinfektionsmittel präparateabhängig während 1,5-3 min portionsweise auf den Händen und anfangs auch den Unterarmen verreiben
Hautdesinfektion
Vor Punktionen, bei Verbandswechsel usw.
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel oder PVP-Jod/Alkohol-Lösung
Sprühen – wischen – sprühen (– wischen) Dauer: 30 s (s. Herstellerangabe)
Vor Anlage von intravasalen Kathetern
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel (vorzugsweise mit remanentem Wirkstoffzusatz: Octenidin) oder PVP-Jod/Alkohol
Mit sterilen Tupfern mehrmals auftragen und einreiben (wichtig: nicht nur sprühen) Dauer: 1 min (s. Herstellerangabe)
5
44
5
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
. Tab. 5.2 Fortsetzung Was?
Wann?
Womit?
Hautdesinfektion (Forts.)
Vor invasiven Eingriffen mit besonderer Infektionsgefährdung (z. B. Gelenkpunktionen)
Alkoholisches Hautdesinfektionsmittel, ggf. mit remanentem Zusatz
Mit sterilen Tupfern mehrmals auftragen und einreiben (wichtig: nicht nur sprühen); Dauer: 3 min
5
Schleimhautdesinfektion
z. B. vor Anlage von Blasenkathetern
Octenidin-haltiges Schleimhautdesinfektionsmittel; oder PVP-Jodlösung ohne Alkohol
Unverdünnt auftragen; Dauer: 1 min
5
Instrumente
Nach Gebrauch
5 Reinigungs- und Desinfektionsautomat, verpacken, autoklavieren oder 5 in Instrumentenreiniger/-desinfektionsmittel (immer bei Verletzungsgefahr) einlegen und reinigen (ggf. Ultraschallbad), abspülen, trocknen, verpacken, autoklavieren
Standgefäß mit Kornzange
1-mal täglich
Reinigen, verpacken, autoklavieren (bei Verwendung kein Desinfektionsmittel in das Gefäß geben)
Trommeln
1-mal täglich nach Öffnen (Filter regelmäßig wechseln)
Reinigen, autoklavieren
Blutdruckmanschette Kunststoff
Nach Kontamination, nach Verschmutzung, nach jedem Patienten
5 Mit Flächendesinfektionsmittel bzw. Alkohol 70% abwischen, trocknen oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat 5 In Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, trocknen, autoklavieren oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Stethoskop
Nach jedem Patienten
Alkohol 70%
Mundpflegeset
1-mal täglich
Tablett/Becher, Klemme
Nach jedem Gebrauch 1-mal täglich
Becher mit Gebrauchslösung
Nach jedem Gebrauch
5 5 5 5 5
Führungsstab
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder reinigen, verpacken, autoklavieren
5 Sauerstoffanfeuchter 5 Gasverteiler
Bei Patientenwechsel oder alle 48 h (ohne Aqua dest.)
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder reinigen, trocknen, autoklavieren
5
5 Wasserbehälter 5 Verbindungsschlauch
Alle 7 Tage
Reinigungs- und Desinfektionsautomat (Flowmeter mit Alkohol 70% abwischen)
5
Haarschneidemaschine
Nach Gebrauch
Mit Alkohol 70% abwischen
Scherkopf
Nach Gebrauch
Reinigen, in Alkohol 70% für 10 min einlegen, trocknen oder reinigen, autoklavieren (Pflegeöl benutzen)
Geräte, insbesondere Bedienungsknöpfe
1-mal pro Schicht
Flächendesinfektionsmittel
Abwischen
Mobiliar
Nach Kontamination
Flächendesinfektionsmittel
Abwischen
Kuhn-System, Beatmungsbeutel
Alle 24 h bzw. bei Patientenwechsel
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
5
Laryngoskopgriff, Tubusklemme
Nach Gebrauch
Flächendesinfektionsmittel oder Alkohol 70%
5
Laryngoskop-spatel
Nach Gebrauch
Unter fließendem Wasser mit Bürste reinigen, trocknen, mit Alkohol 70% abwischen oder Reinigungs- und Desinfektionsautomat, zuvor Birne entfernen
5
Masken, Guedel-Tubus, Magill-Zange
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, trocknen, verpacken, autoklavieren
5
Temperatursonden
Nach Gebrauch
Alkohol 70%
Notfallbeatmungsgerät (Schläuche, Ventil, Beutel etc.)
Nach Gebrauch
Mit Flächendesinfektionsmittel abwischen; Reinigungs- und Desinfektionsautomat
5 5
5 5 5 5 5 5 5 5 5
5 5 5
5 5
Wie?
Abwischen
Reinigungs- und Desinfektionsautomat, trocknen oder mit Alkohol 70% abwischen Mit Alkohol 70% abwischen Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, trocknen, verpacken, autoklavieren Mit Alkohol 70% auswischen
Abwischen
Abwischen
45 5.9 · Umweltschutz auf Intensivstationen
. Tab. 5.2 Fortsetzung Was?
Wann?
Womit?
Wie?
Transducer und Kabel
Direkt vor und nach Gebrauch, bei jedem Systemwechsel
Flächendesinfektionsmittel oder Alkohol 70%
Kapnometrieschlauch und Adapter
Nach Gebrauch
Desinfektion oder autoklavieren
ICP-Kabel
Bei Systemwechsel
Mit Flächendesinfektionsmittel abwischen
ICP-Sonde
Nach Gebrauch
Mit Alkohol 70% abwischen, anschließend Niedrigtemperatursterilisation (z. B. Plasmasterilisation)
Pulsoxymetriekabel und Clip
Bei Patientenwechsel 1-mal täglich
Alkohol 70% oder Flächendesinfektionsmittel
Beatmungszubehör (z. B. Schläuche, Wasserfalle, Verneblertopf, Tubusadapter, Y-Stück)
Bei Patientenwechsel (bzw. vorher bei Verschmutzung)
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Absauggefäße inkl. Verschlussdeckel und Verbindungsschläuche
1-mal täglich oder bei Patientenwechsel
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Desinfektionsmittel einlegen, abspülen, trocknen
Waschbecken
1-mal täglich
Mit umweltfreundlichem Reiniger reinigen
Wasserstrahlregler
1-mal pro Woche
Reinigungs- und Desinfektionsautomat
Duschen
Nach Benutzung durch infizierte Patienten
Flächendesinfektionsmittel
Nach der Einwirkzeit mit Wasser nachspülen, trocknen
Fußboden
1-mal täglich
Umweltfreundlicher Reiniger
Hausübliches Reinigungssystem Wischen
Abwischen
Abwischen
Nach Kontamination*
Flächendesinfektionsmittel
Waschschüsseln
Nach Benutzung
Vorzugsweise maschinelle (thermische) Aufbereitung
Nagelbürsten
Nach Gebrauch
Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentenreiniger einlegen, abspülen, autoklavieren
Steckbecken, Urinflaschen
Nach Gebrauch
Steckbeckenspülautomat
Abfall, bei dem Verletzungsgefahr besteht, z. B. Skalpelle, Kanülen
Direkt nach Gebrauch (bei Kanülen kein Recapping)
Entsorgung in durchstichsichere und fest verschließbare Kunststoffbehälter
* Kontamination: Kontakt mit (potenziell) infektiösem Material. Anmerkungen: Nach Kontamination mit potenziell infektiösem Material (z. B. Blut, Exsudaten oder Exkreten) immer sofort gezielte Desinfektion der Fläche. 5 Beim Umgang mit Desinfektionsmitteln immer mit (Haushalts-)Handschuhen arbeiten (Allergisierungspotenzial). 5 Ansetzen der Desinfektionsmittellösungen nur in kaltem Wasser (Vermeidung schleimhautreizender Dämpfe). 5 Anwendungskonzentration beachten. 5 Einwirkzeiten von Instrumentendesinfektionsmitteln einhalten. 5 Standzeiten von Instrumentendesinfektionsmitteln nach Herstellerangaben (wenn Desinfektionsmittel mit Reiniger angesetzt wird: täglich wechseln). 5 Zur Flächendesinfektion nicht sprühen, sondern wischen. 5 Nach Wischdesinfektion: Benutzung der Flächen möglich, sobald diese wieder trocken sind. 5 Benutzte, d. h. mit Blut etc. belastete Flächendesinfektionsmittellösung mindestens täglich wechseln. 5 Haltbarkeit einer unbenutzten dosierten Flächendesinfektionsmittellösung (z. B. 0,5%) in einem verschlossenen Behälter (z. B. Spritzflasche) nach Herstellerangaben (meist 14–28 Tage). 5 Reinigungs- und Desinfektionsautomat: mindestens 80°C, 10 min Haltezeit (ohne Desinfektionsmittelzusatz; A0-Wert=600).
5
46
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Kapitel 5 · Hygiene in der Intensivmedizin
Literatur 1
Daschner F, Dettenkofer M, Frank U, Scherrer M (Hrsg) (2006) Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 2 Dettenkofer M, Wenzler S, Amthor S, Antes G, Motschall E, Daschner FD (2004) Does disinfection of environmental surfaces influence nosocomial infection rates? A systematic review. Am J Infect Control 32: 84–89 3 Gastmeier P, Sohr D, Schwab F, Behnke M, Zuschneid I, Brandt C, Dettenkofer M, Chaberny IF, Rüden H, Geffers C (2008). Ten years of KISS: the most important requirements for success. J Hosp Infect 70 Suppl 1:11–16 4 Grundmann H, Barwolff S, Tami A, Behnke M, Schwab F, Geffers C, Halle E, Gobel UB, Schiller R, Jonas D, Klare I, Weist K, Witte W, Beck-Beilecke K, Schumacher M, Ruden H, Gastmeier P (2005) How many infections are caused by patient-to-patient transmission in intensive care units? Crit Care Med 33: 946–951 5 Hübner J, Dettenkofer M, Kern WV (2005) Vancomycin-resistente Enterokokken. Dtsch Med Wochenschr 28: 130: 2463–2468 6 Livermore DM, Woodford N (2006) The beta-lactamase threat in Enterobacteriaceae, Pseudomonas and Acinetobacter. Trends Microbiol 14: 413–420 7 Mayhall CG (ed) (2004) Hospital epidemiology and infection control, 3rd edn. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia Baltimore New York 8 Meyer E, Schwab F, Gastmeier P, Rueden H, Daschner FD (2006) Surveillance of antimicrobial use and antimicrobial resistance in german intensive care units (SARI): A summary of the data from 2001 through 2004. Infection 34: 303–309 9 Dettenkofer M, Utzolino S, Luft D., Lemmen S. Patienten mit multiresistenten Erregern: Wirksamkeit und Risiko von Isolierungsmaßnahmen bei »MRSA&Co.«. Zentralbl Chir 2010; 135: 124–128 10 Schulz-Stübner S, Hauer T, Dettenkofer M (2003) Aufbereitung von Medizinprodukten in der Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anästhesiologie & Intensivmedizin 44: 442–446 11 WHO. Indikationen zur Händehygiene [www.who.int]
47
Transport kritisch kranker Patienten W. Wilhelm
6.1
Einleitung – 48
6.2
Transportrisiken – 48
6.2.1 6.2.2
Atmung/Beatmung – 48 Herz-Kreislauf-System – 48
6.3
Transportausrüstung – 48
6.3.1 6.3.2 6.3.3
Transportmonitor – 48 Transportbeatmungsgerät – 49 Notfalltasche – 49
6.4
Vorbereitung und Durchführung des Transports – 49
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5
Personelle Voraussetzungen – 49 Vorbereitung des Patienten – 49 Überwachung während des Transports – 50 Einstellung des Transportbeatmungsgeräts – 50 Vorgehen in Sonderfällen – 50
6.5
Besonderheiten des Interhospitaltransports – 52
6.5.1 6.5.2
Transportmittel – 52 Vorbereitung und Durchführung – 52
Literatur – 52
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_6, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
6
6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6
48
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
6.1
Einleitung
Kritisch kranke Patienten müssen häufig transportiert werden: vom Schockraum zum OP oder zur Intensivstation, von der Intensivstation zum CT, in den OP, zur Koronarintervention oder auch – innerklinisch oder zwischen Kliniken – zu einer anderen Intensiveinheit. Dabei stellt jeder Transport ein Risiko dar, sodass vorher – insbesondere bei »Diagnostikfahrten« – immer eine Nutzen-RisikoAbwägung erfolgen muss. Manche postoperative Röntgenkontrolle kann verschoben werden, bis der Patient sich stabilisiert hat oder zumindest nicht mehr beatmet wird; große, schwere und teuere Diagnostikgeräte sollte man – wenn auch ungern – zum Intensivpatienten hinfahren. Schließlich werden auch kleinere operative Eingriffe nach entsprechender Abwägung besser ohne Transport auf der Intensivstation durchgeführt, hierzu gehört beispielsweise die perkutane Dilatationstracheotomie. Grundsätzlich gilt: »Der sicherste Transport kritisch kranker Patienten ist derjenige, der überhaupt nicht stattfindet«. Trotzdem sind viele Transporte unumgänglich und müssen manchmal sogar schnellstmöglich unter Notfallbedingungen erfolgen. Es ist daher empfehlenswert, alle Intensivtransporte standardisiert durchzuführen und die erforderliche Ausrüstung rund um die Uhr einsatzbereit vorzuhalten [4, 18]. Inzwischen gibt es dazu auch Expertenforen, Empfehlungen oder Richtlinien verschiedener Fachgesellschaften [1-3, 7, 18], die z. T. aber nur einen Minimalstandard definiert haben.
6.2
6 6
6.2.1
6
6 6 6 6 6 6 6 6 6
4 Wechsel des Beatmungsgeräts, evtl. auch des Beatmungsverfahrens 4 Hypoxie, Hypo- oder Hyperkapnie 4 Akzidentelle Atemwegsverlegung, Tubusdislokation oder Extubation 4 Akzidentelle Unterbrechung der kontinuierlichen Medikamentenzufuhr; bei Katecholaminen oder Vasodilatatoren krisenhafte Blutdruckschwankungen 4 Funktionsstörung von passagerem Herzschrittmacher oder intraaortaler Ballongegenpulsation (IABP) 4 Vorübergehender Mehrbedarf an Analgetika/Sedativa 4 Lagerungsänderungen: Unterbrechung der axialen Rotation bei Patienten mit schwerer Oxygenierungsstörung, Flachlagerung im CT bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck 4 Akzidenteller Verlust von Kathetern und Drainagen, z. B. arterieller oder zentralvenöser Katheter, Hirndrucksonde, Thoraxdrainage etc. 4 Hypothermie 4 Transporttrauma durch Beschleunigung, Lärm, Vibration 4 Betriebsinterne Transportprobleme (Fahrstuhl, Wartezeiten) 4 Eingeschränkte Überwachungs- und Behandlungsbedingungen, insbesondere bei Umlagerungsmanövern
Atmung und Beatmung
Die Beatmung während des Transports erfolgt in der Regel nicht mit dem Intensivrespirator, sondern mit einem Transportbeatmungsgerät. Allein durch diesen Gerätewechsel und den anschließenden Transport kann es zu nachhaltigen Oxygenierungsstörungen kommen: So wurde in einer Untersuchung zum innerklinischen Transport beatmeter Intensivpatienten in nahezu der Hälfte der Fälle (43 %) eine signifikante Verschlechterung der Oxygenierung festgestellt, und bei immerhin 1/5 der Patienten wurden die Ausgangswerte erst wieder nach mehr als 24 h erreicht [19]. Zudem scheint der Transport beatmeter Patienten ein eigenständiger Risikofaktor für die Entwicklung einer »respiratorassoziierten« Pneumonie zu sein: In einer Untersuchung beatmeter Patienten verdreifachte der innerklinische Transport das Pneumonierisiko [5].
6.2.2
Risikofaktoren und Gefahren beim Transport von Intensivpatienten (mod. nach [11])
Transportrisiken
Die Hauptrisiken betreffen die Atmung bzw. Beatmung und das Herz-Kreislauf-System (gute Übersicht bei [15]). Hier können Störungen rasch und ohne Vorwarnung auftreten und dann sofort lebensbedrohlich werden. Hinzu kommt, dass es bei den meisten Transporten kurze Zeitabschnitte (z. B. beim Umlagern) gibt, in denen die Überwachung des Patienten trotz optimaler Geräteausstattung ausschließlich klinisch durchgeführt werden muss.
6
zunehmenden Veränderung physiologischer Parameter kam, u. a. bei 40 % zu einer Blutdruckveränderung von mindestens 20 mmHg; bei 21 % der Patienten änderte sich die Pulsfrequenz um mindestens 20 Schläge/min [13]. In einer Untersuchung einer chirurgischen Intensivstation kam es bei 12 von 203 (=6 %) Transporten zu schwerwiegenden Zwischenfällen, u. a. Herzstillstand (n=3), erheblichem Blutdruckabfall (n=2) und Hypoxämie (n=4); bei einem weiteren Patienten musste eine Thoraxdrainage eingelegt werden [17]. In einer aktuellen Untersuchung wurden bei 339 Intensivtransporten insgesamt 604 unerwartete Ereignisse registriert, von denen 30 als schwerwiegend klassifiziert wurden [16]. Folgende Zwischenfälle traten am häufigsten auf: 4 schwerwiegende Hypotonie, 4 Bewusstseinstrübung, die dann eine Intubation erforderte, 4 Anstieg des intrakraniellen Drucks.
Herz-Kreislauf-System
Auch Herz-Kreislauf-Störungen können jederzeit während eines Transports auftreten. Bei traumatologischen Intensivpatienten wurde berichtet, dass es bei über 2/3 (68 %) der transportierten Patienten zu einer ernst-
6.3
Transportausrüstung
Für den innerklinischen Intensivtransport ist folgende Basisausstattung erforderlich [7]: 4 Transportmonitor, 4 Transportbeatmungsgerät mit O2-Quelle, zur Sicherheit bei Ausfällen ein Handbeatmungsbeutel mit Reservoir, 4 eine Absaugeinheit, 4 Notfalltasche mit Medikamenten und Intubationsbesteck, 4 Defibrillator, sofern der Patient besonders gefährdet ist.
49 6.4 · Vorbereitung und Durchführung des Transports
6.3.1
Transportmonitor
Der Transportmonitor muss stabil gebaut, übersichtlich dimensioniert und bedienbar sein, einen beleuchteten, gut erkennbaren Bildschirm besitzen sowie über eine Akkulaufzeit von mindestens 2 h verfügen. Folgende Parameter müssen überwacht werden können: 4 EKG mit Herzfrequenz, 4 nichtinvasive Blutdruckmessung (mit verschiedenen Manschettengrößen), 4 invasive Druckmessung mit Darstellung der Druckkurve (für Blutdruck, ZVD, PAP, PCWP oder ICP), 4 Pulsoxymetrie (mit Pulsfrequenzangabe, optional mit Pulskurvendarstellung), 4 Kapnometrie (mit Darstellung der Kapnographiekurve) bei beatmeten Patienten.
6.3.2
Transportbeatmungsgerät
Ein Transportbeatmungsgerät sollte folgende Einstellmöglichkeiten bzw. Eigenschaften besitzen: 4 Atemfrequenz und Tidalvolumen bzw. Atemminutenvolumen, 4 Atemzeitverhältnis (I:E frei wählbar, zumindest aber 1:1 und 1:2), 4 FIO2 frei wählbar, 4 PEEP, 4 Beatmungsdruckanzeige, 4 akustischer und optischer Volumenmangel-, Stenose- und Diskonnektionsalarm. ! Cave Beim Einsatz der Transportbeatmungsgeräte müssen folgende Gefahren beachtet werden: 4 Alte Geräte besitzen keinen Diskonnektions- oder Volumenmangelalarm! 4 Die Beobachtung der Beatmungsdruckanzeige ist zwar hilfreich, beweist aber keine ausreichende Ventilation und kann bei einer Stenose im Bereich der Atemwege irreführend sein. 4 Alte Geräte sind O2-druckbetrieben. Ist kein O2-Druck mehr vorhanden (bei geschlossener oder vollständig entleerter O2-Flasche), stoppt die Beatmung bei einigen Geräten ohne Vorwarnung.
Daher ist gleichzeitig eine klinische Überwachung unbedingt erforderlich: Der Thorax hebt und senkt sich regelmäßig. Eine Überwachung mit Kapnometrie ist ideal, die Pulsoxymetrie reagiert erst verzögert bei beginnendem O2-Mangel. 6.3.3
Notfalltasche
Die Notfalltasche für innerklinische Transporte muss kein vollständig aufgerüsteter Notarztkoffer sein; es genügen vielmehr ein Basissatz Notfallmedikamente, einige Spritzen und Kanülen, ein Intubationsbesteck sowie ein Handbeatmungsbeutel mit Masken und Guedel-Tuben. Eine Vorschlagsliste zur Medikamentenausstattung findet sich in . Tab. 6.1.
. Tab. 6.1 Vorschlagsliste zur Medikamentenausstattung eines Notfallkoffers für innerklinische Transporte Notfallmedikamente
Sedativa/ Analgetika
Sonstiges
5 5 5 5 5 5
5 5 5 5
5 100 ml NaCl 0,9 % 5 100 ml NaHCO3 8,4 % 5 Nichtdepolarisierendes Muskelrelaxans (z. B. Rocuronium oder Cisatracurium)
6.4
Adrenalin Noradrenalin Atropin Akrinor Amiodaron Nitroglycerin
Midazolam Etomidat Propofol Ketamin
Vorbereitung und Durchführung des Transports
Geplante Intensivtransporte werden am besten während der Hauptarbeitszeit durchgeführt, wenn die Mitarbeiterzahl am höchsten ist. Dies gilt insbesondere für Transporte zu diagnostischen Zwecken, um Befunde sofort mit einem erfahrenen Untersucher »vor Ort« diskutieren und eventuelle Zusatzuntersuchungen anschließend ohne unnötigen Zweittransport durchführen zu können.
6.4.1
Personelle Voraussetzungen
Innerklinische Transporte beatmeter Intensivpatienten sollten immer von mindestens 2 Personen begleitet werden: einem Arzt und einer Pflegekraft (=Transportteam), beide mit intensivmedizinischer Qualifikation [7]. Der transportbegleitende Arzt sollte folgende Anforderungen erfüllen [20]: 4 Erfahrung in der Intensivmedizin, 4 Erfahrung in der Notfallmedizin, 4 Erfahrung in der Transportbegleitung, 4 Erfahrung im Atemwegsmanagement (Beutel-Masken-Beatmung, Intubation und alternative Verfahren). In der Regel wird das Transportteam den Patienten auch selbst auf der Intensivstation betreuen und ist über die individuellen Besonderheiten informiert. Ist der Patient dem Transportteam nicht bekannt, so wird eine kurze Übergabe durchgeführt. Hierbei muss auch eine Identitätssicherung des Patienten und der geplanten Maßnahme erfolgen. ! Cave Bei innerklinischen Transporten gilt: Persönlich unbekannte Patienten nie ohne vorhergehende Identitätssicherung transportieren! Dies gilt insbesondere bei Patienten, die zu einer Operation oder nach Hirntoddiagnostik zur Explantation begleitet werden sollen.
6.4.2
Vorbereitung des Patienten
Der ansprechbare Patient wird vor dem Transport entsprechend informiert, etwa 30‒45 min vor dem geplanten Untersuchungs- oder Operationstermin kann dann in Ruhe mit den Transportvorbereitungen begonnen werden.
Infusionen Prinzipiell sollten nur so viele Infusionen und Spritzenpumpen wie wirklich nötig am Patienten angeschlossen bleiben, um auch beim Umlagern möglichst übersichtlich arbeiten zu können. In der Re-
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50
6 6 6
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
gel reicht eine Infusionsflasche (meist eine Vollelektrolytlösung) an einem gut laufenden Venenzugang aus; hierüber können Medikamente rasch injiziert und eingespült werden. Infusionsflaschen mit parenteraler Ernährung oder Antibiotika werden nicht benötigt und sollten – um Inkompatibilitäten bei der Injektion anderer Medikamente zu vermeiden – gar nicht erst mitgeführt werden.
Beatmete Patienten Zusätzlich zu dem oben genannten Monitoring ist bei beatmeten Patienten eine weitergehende Überwachung erforderlich: 4 Beatmungsdruck mit Stenosealarm, 4 Volumenmangel- und Diskonnektionsalarm, 4 Kapnometrie (mit Kapnographiekurve).
Kreislaufwirksame Medikamente
6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6
Katecholamine, Vasodilatatoren und evtl. Antiarrhythmika müssen selbstverständlich auch während des Transports infundiert werden. Hierfür sind Motorspritzenpumpen (»Perfusoren«) am besten geeignet, wobei die Spritzenzuleitung direkt an einen (zentralen) Venenkatheter angeschlossen sein sollte. Werden diese Medikamente über einen Y-Anschluss mit einer laufenden Infusion zugeführt, so müssen Infusionspausen (z. B. durch Ablegen der Flasche beim Transport) unbedingt vermieden werden. Schließlich muss auf ausreichend gefüllte Medikamentenspritzen geachtet werden: Ein Spritzenwechsel sollte noch vor Transportbeginn erfolgen, Ersatzspritzen werden mitgeführt.
Weitere Medikamente, insbesondere in Spritzenpumpen, sollten wegen der Transportübersichtlichkeit nur dann am Patienten angeschlossen bleiben, wenn 4 eine Unterbrechung der Infusion für die Transportdauer kontraindiziert ist, 4 eine Unterbrechung aufgrund der individuell erwarteten kurzen Wirkdauer problematisch wäre, 4 das Medikament im Bedarfsfall nicht ausreichend sicher als Bolus appliziert werden kann. So wird man bei analgosedierten Patienten für die Dauer des Transports häufig auf Fentanyl-/Midazolam-Bolusgaben wechseln und auf die Heparinbasisinfusion ganz verzichten können, andererseits wird eine therapeutische Heparinisierung meist weitergeführt. ! Cave Besondere Vorsicht ist geboten bei insulin- oder kaliumhaltigen Infusionen: Diese sollten (von seltenen Ausnahmefällen abgesehen) wegen der Hypoglykämieund Hyperkaliämiegefahr nicht auf dem Transport mitgeführt werden.
6.4.3
Überwachung während des Transports
6 6
Nicht beatmete Patienten
6 6 6 6
Einstellung des Transportbeatmungsgeräts
Bei der Einstellung des Transportbeatmungsgeräts wird die Einstellung des Intensivrespirators direkt übernommen. Ist dies nicht vollständig möglich, so sollte bei den folgenden Beatmungsparametern eine ähnliche Einstellung erreicht werden: 4 Atemfrequenz, 4 Tidalvolumen, 4 Atem-Zeit-Verhältnis, 4 PEEP (wichtig: immer einstellen!), 4 Beatmungsspitzendruck.
Andere Medikamente
Anschließend wird das Transportmonitoring angeschlossen, wobei sich der Überwachungsumfang an den nachfolgenden Empfehlungen orientieren sollte.
6
6.4.4
Für den Transport nicht beatmeter Intensivpatienten wird zur Überwachung folgender Minimalstandard empfohlen: 4 EKG mit Herzfrequenz, 4 Pulsoxymetrie, 4 nichtinvasive Blutdruckmessung. Ist eine arterielle Kanüle vorhanden, so wird auch eine direkte invasive Druckmessung empfohlen. In manchen Situationen ist es sinnvoll, eine invasive Druckmessung allein für den Transport und die geplante Intervention neu anzulegen.
Die Patienten werden beim Gerätewechsel anfänglich mit 100 % O2 beatmet. Dies scheint bei Erwachsenen auch für eine übliche Transportdauer akzeptabel zu sein und ist zudem mit einem gewissen Sicherheitsgewinn verbunden. Dauert die Intervention vermutlich länger (z. B. mehrstündige Operation, angiographische Intervention etc.), so wird der Intensivrespirator zusätzlich mitgeführt und z. B. im OP oder Angiographieraum über Wandanschlüsse wieder in Betrieb genommen.
Berechnung von O2-Vorrat und maximaler Betriebsdauer Vor dem Transport können O2-Vorrat und mögliche Betriebsdauer berechnet werden. Hierbei muss man berücksichtigen, dass aus Sicherheitsgründen in O2-Flaschen ein Restdruck von ca. 30 bar verbleiben sollte. Der minütliche Gasverbrauch der oben genannten Transportrespiratoren entspricht bei 100 %-O2-Beatmung der Summe aus Atemminutenvolumen plus 1 l/min »Betriebsgas«.
Berechnung des O2-Vorrats Nutzbarer O2-Vorrat = Volumen der O2-Flasche × (Flaschendruck – 30 bar Restdruck)
Beispiel: 3 l × (180–30 bar) = 450 l O2 Bei einem Atemminutenvolumen von 9 l/min entspricht dies einer sicheren Beatmungsdauer von 450 l/(9+1 l/min)=45 min. Durch Beatmung mit einer FIO2 = 0,5 (»Air Mix«) ließe sich die Beatmungsdauer in etwa verdoppeln.
Patienten mit schweren Oxygenierungsstörungen Sollen Patienten mit schwersten Oxygenierungsstörungen transportiert werden (z. B. CT-Diagnostik bei Polytrauma mit ARDS), so ist die Indikation hier besonders streng zu stellen. Für die Transportbeatmung sollte dann am besten ein akkubetriebener Intensivrespirator verwendet werden, der z. B. in eine Spezialtrage integriert oder selbst fahrbar ist. Diese Transporte sind technisch besonders anspruchsvoll und verlangen von allen Beteiligten eine exakte Planung und Durchführung.
51 6.4 · Vorbereitung und Durchführung des Transports
6.4.5
Vorgehen in Sonderfällen
Der Intensivpatient kann vor dem Transport an weiteren Diagnostik- oder Therapiegeräten angeschlossen sein. Hier wird folgendermaßen verfahren:
Pulmonalarterienkatheter Ein unbeabsichtigtes Vorschieben des Katheters beim Transport oder Umlagern kann Herzrhythmusstörungen auslösen oder sogar zu einer Pulmonalarterienruptur führen. Um dies zu vermeiden, wird der Pulmonalarterienkatheter vor dem Transport unter Monitorkontrolle zurückgezogen, ausgehend von der Wedge-Position ca. 2–5 cm, sodass die Katheterspitze dann in einem größeren Pulmonalarteriengefäß liegt. Anschließend wird der Katheter am Schleuseneingang fixiert und die Zentimetermarke notiert. Eine kontinuierliche PAP-Messung während des Transports ist m. E. im Routinefall nicht erforderlich, allerdings muss die Lage der Katheterspitze (z. B. während einer CT-Untersuchung) diskontinuierlich mit PAP-Messung überprüft werden. Während länger dauernder Interventionen oder Operationen wird eine kontinuierliche Druckmessung empfohlen, die Bestimmung des Wedgedrucks erfolgt nach Bedarf.
Intrakranielle Druckmessung Abhängig vom verwendeten Druckmesssystem ist eine kontinuierliche Überwachung des intrakraniellen Drucks (ICP) während des Transports gar nicht möglich. Das in der Übersicht dargestellte Vorgehen hat sich bei Patienten mit erhöhtem ICP bewährt.
Praxisempfehlungen zum Transport von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck 4 Vor Transportbeginn Analgosedierung vertiefen, dabei auf ausreichenden zerebralen Perfusionsdruck (CPP) achten 4 Gegebenenfalls für diese Phase zusätzliche Muskelrelaxierung erwägen (z. B. mit Cisatracurium oder Rocuronium) 4 Bei der Beatmungseinstellung Hyperkapnie vermeiden, ggf. vorübergehend milde Hyperventilation (bei Bedarf Blutgasanalyse) 4 Osmodiuretika bereithalten; falls schon im Routineplan enthalten, dann Applikation einer Dosis unmittelbar vor Transportbeginn 4 Transport mit erhöhtem Oberkörper, Kopf stabil in der Mittellinie gelagert 4 Bei Ankunft, z. B. im CT oder OP, sofort ICP-Messung wieder anschließen, Flachlagerung des Patienten möglichst vermeiden oder unter ICP-Kontrolle durchführen 4 Bei länger dauernden Interventionen Kontrolle der Beatmungseinstellung mit Kapnometrie und intermittierender Blutgasanalyse 4 Vorsicht bei intraventrikulärer Druckmessung mit Liquorableitung: System am besten für den Transport verschließen, um ein unbeabsichtigtes Leerlaufen zu verhindern; Öffnung der Liquordrainage nach Bedarf und ICP-Wert
Thoraxdrainage Thoraxdrainagen werden im Schockraum bei beatmeten Patienten häufig mit einem Gummilippenventil (sog. Heimlich-Ventil) versorgt. Dabei muss auf die seitenrichtige Ventilkonnektion geachtet
werden (diese ist auf dem Ventil als Bild dargestellt), anderenfalls kann sich ein Spannungspneumothorax entwickeln. Wird an das Heimlich-Ventil ein Sekretbeutel angeschlossen, so droht die gleiche Gefahr, wenn der Beutel nicht durch einen Scherenschnitt eröffnet wurde. Beim Intensivtransport müssen die Thoraxdrainagen auch während des Transports mit einem ausreichenden Sog versehen werden. Solange bei dem Patienten keine Luftleckage vorliegt, kann für kurze Transporte ein geschlossenes Dreikammersystem mit integrierter Sogkontrolle verwendet werden, anderenfalls muss eine akkubetriebene Saugpumpe an das Drainagesystem angeschlossen werden. Weiterhin ist Folgendes zu beachten: 4 Thoraxdrainage und Verbindungsschlauch vor Transportbeginn auf freie Durchgängigkeit prüfen, 4 Schläuche sicher befestigen, um ein unbemerktes Abknicken oder eine Diskonnektion zu verhindern, 4 Drainagesystem nicht über Patientenniveau anheben, um einen Rücklauf von Flüssigkeit zu vermeiden. ! Cave Auch bei korrekter Lage und Funktion der Thoraxdrainage kann sich während des Transports ein neuer Spannungspneumothorax ausbilden, der eine sofortige Entlastung erfordert!
Hämodialyse/Hämofiltration Bei Patienten, die ein Nierenersatzverfahren benötigen, sind folgende Besonderheiten zu beachten: 4 Nach intermittierender Hämodialyse: Volumenmangel, Elektrolytdysäquilibrium; daher vor Transportbeginn aktuelle Blutgas- und Elektrolytkontrolle durchführen und Volumenstatus abschätzen. 4 Bei kontinuierlichem Verfahren (z. B. CVVHD): Schlauchleitungen mit heparinhaltiger Kochsalzlösung (»Heparinschloss«) freispülen, Maschine in Stand-by-Modus, abhängig von der geplanten Intervention Heparinrestwirkung beachten!
Intraaortale Ballonpumpe (IABP) und »Assist Devices« Für den Transport von Patienten mit IABP wird die Hilfe einer weiteren Person empfohlen, die mit den typischen Problemen einer IABP und deren Lösung gut vertraut sein sollte; meist ist dies ein Kardiotechniker. Dies gilt insbesondere bei Patienten mit einem linksventrikulären oder biventrikulären »assist device« (LVAD/ BVAD) [15]. Der Transport selbst kann nur sehr langsam erfolgen und benötigt eine entsprechende Vorlaufzeit. Vor Transportbeginn muss Folgendes beachtet werden: 4 IABP-Katheter ausreichend fixieren, um eine Dislokation beim Transport (und insbesondere beim Umlagern) zu verhindern, 4 bei EKG-Triggerung: EKG-Elektroden auf sicheren Halt überprüfen, evtl. erneuern, 4 bei Drucktriggerung: Druckmessvorrichtung überprüfen, 4 Steuereinheit der IABP kontrollieren: Augmentationsstärke, Frequenz? Bei manchen IABP-Geräten ist eine korrekte Drucktriggerung bei erheblicher Hypotonie nicht möglich. Daher sollte für den Transport ein alternatives Triggerverfahren sofort verfügbar sein, am einfachsten das EKG. Der IABP-Betrieb kann während des Transports anhand der typischen arteriellen Druckkurvenveränderungen überwacht werden.
6
6 6 6 6 6 6 6 6
52
Kapitel 6 · Transport kritisch kranker Patienten
6.5
Besonderheiten des Interhospitaltransports
Interhospitaltransporte zwischen Intensivstationen unterschiedlicher Versorgungsstufe finden in beiden Richtungen statt: Anfänglich werden die Patienten aufgrund der Schwere oder Besonderheit der Erkrankung von einer Intensiveinheit niedrigerer Versorgungsstufe in eine Spezialeinheit verlegt, nach abgeschlossener Behandlung wird dann möglicherweise auch ein Rücktransport durchgeführt. Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass die Risiken beim Interhospitaltransport und beim innerklinischen Transport ähnlich sind, valide Untersuchungen sind allerdings nur unzureichend vorhanden [12]. In einer prospektiven niederländischen Studie wurden 100 konsekutive Interhospitalintensivtransporte untersucht. Dabei wurden bei 1/3 der Transporte Komplikationen beobachtet, wovon – nach Ansicht der Autoren – etwa 70 % hätten vermieden werden können [14]. Dies zeigt deutlich, dass der Transport von Intensivpatienten eine sorgfältige Planung durch das abgebende Krankenhaus und eine ebenso sorgfältige Durchführung erfordert!
6 6.5.1
6
6 6
6.5.2
6 6 6 6 6
6 6 6 6 6 6 6
In dem Arzt-Arzt-Gespräch müssen außerdem weitere Informationen abgefragt werden, die am besten auf einem speziellen Protokoll dokumentiert werden.
Intensivtransportprotokoll der DIVI [6, 10] 4 Verlegendes Krankenhaus: Station, behandelnder Arzt mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. E-Mail-Adresse 4 Aufnehmendes Krankenhaus: Station, behandelnder Arzt mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. E-Mail-Adresse 4 Patientendaten: Name, Alter, Gewicht, Größe 4 Erkrankung: Diagnosen und Operationen, Verlauf, aktueller Zustand 4 Intensivmedizinische Besonderheiten: – Gasaustausch und Beatmung – Hämodynamik inkl. Monitoring, kreislaufunterstützende Therapie (Katecholamine, IABP etc.) – Neurologie (Hirndruckmessung?) – Weitere Organdysfunktionen bzw. Organersatzverfahren – Laborwerte 4 Besonderheiten: Infektionsstatus, Speziallagerung etc. 4 Kostenträger mit Telefon-, Fax-Nummer und evtl. E-Mail-Adresse; Zusage der Kostenübernahme
Transportmittel
Für den Interhospitaltransfer werden speziell ausgerüstete Fahrzeuge (ITW = Intensivtransportwagen), Hubschrauber (ITH =Intensivtransporthubschrauber) oder Flächenflugzeuge (Ambulanz-Jet) vorgehalten, deren Alarmierung und Einsatzkoordination über die lokale Rettungsleitstelle (ITW, z. T. ITH) oder die bekannten Hilfsorganisationen (z. T. ITH, Ambulanz-Jet) erfolgt. Alle Fahr- und Flugzeuge müssen über die für den innerklinischen Transport dargestellten Überwachungs- und Behandlungsmöglichkeiten verfügen, zusätzlich muss ein moderner Intensivrespirator an Bord vorhanden sein. Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat zu Konstruktion und Ausstattung eines ITW konkret Stellung genommen [8] und darüber hinaus Empfehlungen zur erforderlichen Qualifikation des begleitenden Arztes gemacht [9]. Der Einsatzradius wird etwa folgendermaßen angegeben: 4 ITW: bis 100 km oder 2 h Transportdauer, 4 ITH: 50–250 km, 4 Ambulanzjet: >250 km.
6
schnellstmöglich verfügbaren Rettungsmittel und mit Begleitung durch den verlegenden Arzt.
Die Übergabe des Patienten erfolgt auf der Intensivstation des verlegenden Krankenhauses, anschließend übernimmt das Transportteam die volle Verantwortung für den Patienten. Die Übergabe in der Zielklinik sollte ebenfalls an einen intensivmedizinisch erfahrenen Arzt erfolgen.
Literatur 1
2
3
Vorbereitung und Durchführung
Jeder Interhospitaltransport muss im Vorfeld exakt geplant werden; dazu ist unbedingt ein Arzt-Arzt-Gespräch erforderlich. Zuerst müssen zwei entscheidende Fragen beantwortet werden: 4 Warum soll der Patient verlegt werden? 4 Wie dringend ist der Transport? Hierbei sei betont, dass jede Transportindikation eine Einzelfallentscheidung darstellt, bei der Nutzen und Risiken für den Patienten individuell sorgfältig abgewogen werden müssen. Dementsprechend ist es nahezu unmöglich, von einem »nicht transportfähigen« Patienten zu sprechen, der erwartete Nutzen muss aber in jedem Fall das evtl. extrem hohe Risiko rechtfertigen! Weiterhin muss bei sehr dringlichen Einsätzen Folgendes beachtet werden: > Intensivtransporter sind keine Notfallverlegungsfahrzeuge. Muss ein Notfallpatient sofort in eine Spezialklinik gebracht werden, z. B. bei intrakranieller Blutung mit Einklemmungsgefahr, so erfolgt dies mit dem
4
5
6
7
8
Association of Anaesthetists of Great Britain and Ireland (2006) Recommendations for the Safe Transfer of Patients with Brain Injury [www.aagbi.org/publications/guidelines/docs/braininjury.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Association of Anaesthetists of Great Britain and Ireland (2009) AAGBI Safety Guideline Interhospital transfer. [www.aagbi.org/publications/ guidelines/docs/interhospital09.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Australasian College for Emergency Medicine, Australian and New Zealand College of Anaesthetists, Joint Faculty of Intensive Care Medicine (2003) Minimum standards for intrahospital transport of critically ill patients. [www.acem.org.au/media/policies_and_guidelines/min_stand_intrahosp_crit_ill.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Beckmann U, Gillies DM, Berenholtz SM, Wu AW, Pronovost P (2004) Incidents relating to the intra-hospital transfer of critically ill patients. An analysis of the reports submitted to the Australian Incident Monitoring Study in Intensive Care. Intens Care Med 30: 1579–1585 Bercault N, Wolf M, Runge I, Fleury JC, Boulain T (2005) Intrahospital transport of critically ill ventilated patients: a risk factor for ventilatorassociated pneumonia-a matched cohort study. Crit Care Med 33: 2471–2478 Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2000) Intensivtransportprotokoll. [www.divi-org.de/fileadmin/pdfs/ notfallmedizin/intensiv.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Empfehlung der DIVI zum innerklinischen Transport kritisch kranker, erwachsener Patienten. [www.divi-org.de/fileadmin/pdfs/Intensivmedizin/Empfehlung_DIVI.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Stellungnahme der BAND und DIVI zur Konstruktion und
53 Literatur
9
10 11 12
13 14
15 16 17
18
19
20
Ausstattung von Intensivtransportwagen (ITW) [www.divi-org.de/ fileadmin/pdfs/notfallmedizin/Stellungnahme_ITW_6_12.pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin DIVI (2004) Zur ärztlichen Qualifikation bei Intensivtransport. [www.diviorg.de/fileadmin/pdfs/Intensivmedizin/spez_intensivtransport_2004. pdf ] (Zugriff 30.04.2010) Ellinger K, Denz C, Genzwürker H, Krieter H (2005) Intensivtransport. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Engelhardt W (1997) Innerklinische Transporte von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck. Anästh Intensivmed 38: 385 Fan E, MacDonald RD, Adhikari NKJ, Scales DC, Wax RS, Stewart TE, Ferguson ND (2006) Outcomes of interfacility critical care adult patient transport: a systematic review. Crit Care 10: R6–R12 Indeck M, Peterson S, Smith J, Brotman S (1988) Risk, cost, and benefit of transporting ICU patients for special studies. J Trauma 28: 1020–1025 Ligtenberg JJM, Arnold LG, Stienstra Y, van der Werf TS, Meertens JHJM, Tulleken JE, Zijlstra JG (2005) Quality of interhospital transport of critically ill patients: a prospective audit. Crit Care 9: R446–R451 Löw M, Jaschinski U (2009) Innerklinischer Transport des kritisch kranken Patienten. Anaesthesist 58: 95–108 Papson JP, Russel KL, Taylor DM (2007) Unexpected events during the intrahospital transportof critically ill patients. Acad Emerg Med 14:574–577 Szem JW, Hydo LJ, Fischer E, Kapur S, Klemperer J, Barie PS (1995) Highrisk intrahospital transport of critically ill patients: safety and outcome of the necessary »road trip«. Crit Care Med 23: 1660–1666 Warren J, Fromm RE Jr, Orr RA, Rotello LC, Horst HM; American College of Critical Care Medicine (2004) Guidelines for the inter- and intrahospital transport of critically ill patients. Crit Care Med 32: 256-2 Waydhas C, Schneck G, Duswald KH (1995) Deterioration of respiratory function after intra-hospital transport of critically ill surgical patients. Intens Care Med 21: 784–789 Wiese CHR, Bartels U, Fraatz W, Bahr J, Zausig YA, Quintel M, Graf BM (2008) Innerklinische Transporte von kritisch kranken Patienten: Eine besondere Herausforderung in der klinischen Versorgung. Anästh Intensivmed 49:125–133
6
55
Scores R. Lefering, E. Neugebauer
7.1
Was ist ein Score? – 56
7.2
Scores in der Intensivmedizin – 56
7.2.1 7.2.2 7.2.3
Zusammensetzung – 56 Spezifische vs. allgemeine Scores – 59 Einmalerhebung versus Verlaufsbeobachtung – 59
7.3
Ziele der Anwendung von Scores – 61
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5
Schweregradklassifikation und Prognose – 61 Forschung – 61 Qualitätssicherung – 61 Ökonomie – 62 Ausbildung – 62
7.4
Entwicklung und Evaluation von Scores – 62
7.4.1 7.4.2 7.4.3
Experte plus Statistik – 62 Bewertung von Scores – 62 Sensitivität und Spezifität – 63
7.5
Grenzen und Gefahren – 64
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5
Interpretation – 64 Therapieentscheidungen – 64 Therapieabbruch – 64 Starre Komponenten – 64 Aktualität – 65
Literatur– 65
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_7, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
7
7 7
56
Kapitel 7 · Scores
7.1
Was ist ein Score?
Der Begriff Score stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Punktzahl. Score
7
Ein Score ist der Versuch, eine komplexe klinische Situation auf einen eindimensionalen Punktwert abzubilden. Eine solche Reduktion verfolgt das Ziel, übergreifende Aspekte wie Schweregrad oder Prognose als Kombination einzelner Fakten objektiv zu fassen, um sie dann in unterschiedlichen Kollektiven vergleichend darstellen zu können.
7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7
Jeder Versuch, die individuelle Situation eines Patienten zu dokumentieren, stellt bereits eine Reduktion dar, denn sie beschreibt nur das, was wir heute messen können oder meinen, messen zu müssen. Jeder Laborwert, jede Röntgenaufnahme, jede Blutgasanalyse, jedes EKG ist ein kleines Stück Information, ein Mosaikstein im Zustandsbild des Patienten. Die Gesamtheit dieser Befunde und ihre Veränderung über die Zeit ist ein Versuch, diese Komplexität – in reduzierter Form – abzubilden.
Score bedeutet Reduktion Ein Score geht hier noch einen Schritt weiter. Er reduziert die vorliegenden Daten eines Patienten auf einen einzigen Wert, der sich als Punktsumme einzelner Faktoren ergibt, die aus Sicht von Experten oder aufgrund statistischer Datenanalysen als wesentliche Determinanten des Zustands eines Patienten angesehen werden (. Abb. 7.1). Der große Vorteil dieser Reduktion wird deutlich, wenn man den ersten in der Medizin publizierten Score, den 10-Punkte-Apgar-Score zur Beurteilung von Neugeborenen, betrachtet. Es ist der Versuch, eine komplexe Situation durch die Konzentration auf das »Wesentliche« überschaubar zu machen und damit eine vergleichende Betrachtung unter vielen Patienten erst zu ermöglichen. > Scores sind der Versuch, durch Reduktion auf das Wesentliche vergleichende Betrachtungen zu ermöglichen.
7.2
Scores in der Intensivmedizin
Die Intensivmedizin befasst sich mit schwerkranken Patienten, und nicht jeder Patient überlebt diesen kritischen Zustand, trotz massivem Einsatz von Medikamenten, technischen Hilfsmitteln und permanenter Überwachung. Das Ziel der Intensivtherapie ist letztlich das Überleben der Situation, die zur Einweisung auf die Intensivstation geführt hat, d. h. den Zustand des Patienten soweit zu stabilisieren oder zu normalisieren, dass er der Intensivtherapie nicht mehr bedarf. Es stellt sich bei jedem Intensivpatienten immer die Frage, wie weit er von diesen beiden Extremen, nämlich die Intensivstation lebend und stabil verlassen zu können oder zu sterben, entfernt ist. Scores sind ein Versuch, ein Ansatz, eine Möglichkeit, diesen Zustand zu quantifizieren. In . Tab. 7.1 sind einige in der Intensivmedizin häufig verwendete Scoresysteme beispielhaft zusammengestellt.
. Abb. 7.1 Ein Scorewert ist die Zusammenfassung unterschiedlicher Aspekte eines Patienten in einem einzigen Zahlenwert (oben). Der gleiche Scorewert kann daher aus vielen unterschiedlichen Situationen resultieren (unten)
7.2.1
Zusammensetzung
Ein Score ist immer die Kombination mehrerer Aspekte eines Krankheitsgeschehens, von denen jeder für sich im klassischen Sinne messbar ist, z. B. Blutdruck, Herzfrequenz oder Laborwerte. Zusätzlich zum aktuellen Zustand können auch Aspekte berücksichtigt werden, die der Patient anamnestisch (Alter, Vorerkrankungen) oder akut (Operation, Diagnose) mitbringt. Auch therapeutische Maßnahmen (z. B. Beatmungstherapie, Dialyse) können als indirekte Indikatoren für die Schwere der Erkrankung einbezogen werden. Ein Score wählt gewisse Aspekte aus, gewichtet sie mit Punkten und fügt diese durch Summation zu einem Gesamtwert zusammen. Auswahl und Gewichtung der Aspekte hängen von der Art und Weise der Scoreentwicklung und von der beabsichtigten Anwendung ab. In der Regel unterstützen heute statistische Analysen die von Experten initiierten Ansätze zur Entwicklung und Validierung von Scores.
Physiologische Scores Die Physiologie eines Patienten beschreibt das »Funktionieren« des Organismus. Jedes Organ hat eine Aufgabe zu erfüllen, und es wird an ausgewählten klinischen und Laborparametern erfasst, inwieweit ihm diese Aufgabe gelingt. Ein Beispiel für einen solchen physiologischen Score ist der SAPS II (. Tab. 7.2), bei dem für Werte in einem definierten Normbereich 0 Punkte vergeben werden, was
57 7.2 · Scores in der Intensivmedizin
. Tab. 7.1 Auswahl von in der Intensivmedizin gebräuchlichen Scoresystemen Score
Referenz, Jahr
Patienten
Zeitpunkt
Zusammensetzung Punktwerte
Summenwert*
Bemerkung
Allgemeine Schweregradklassifikation APACHE II Acute Physiology and Chronic Health Evaluation
[7] 1984
Intensiv allgemein
nach 24 h
12 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankungen
0–68*
Prognoseberechnungen mit zusätzlichen Koeffizienten für 50 Diagnosegruppen
APACHE III
[8] 1996
Intensiv allgemein
nach 24 h
18 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankungen
0–319*
Formeln für Prognose nicht frei verfügbar
APACHE IV
[25] 2006
Intensiv allgemein
nach 24 h
142 Variablen
?
Formel nicht publiziert; 116 Diagnosegruppen
SAPS II Simplified Acute Physiology Score
[13] 1993
Intensiv allgemein
nach 24 h
14 physiologische Parameter, GCS, Alter, Vorerkrankung
0–163*
Multicenterdatenbank aus USA/Europa
SAPS III
[16,17] 2006
Intensiv allgemein
nach 1 h
20 Parameter: Patient (5), Aufnahme (5), Physiologie (10)
0-217*
multinationale Datenbasis; mit Prognoseformel
TISS – Therapeutic Intervention Scoring System
[5] 1974
Intensiv allgemein
täglich
76 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–4 Punkte
0–177*
Erste Version von 1974 [3] u. a. genutzt für ökonomische Analysen/Personalbedarf
TISS-28
[20] 1996
Intensiv allgemein
täglich
28 therapeutische und pflegerische Maßnahmen; je 1–8 Punkte
0–78*
Berechnet aus TISS; deutlich robuster und einfacher
NEMS Nine Equivalents of Nursing Manpower Use Scorer
[21] 1997
Intensiv allgemein
täglich
9 Maßnahmen-Bündel, je 3-12 Punkte
0–66*
Weitere Reduzierung des TISS-28
MOF – Multiple Organ Failure
[4] 1985
Intensiv allgemein
täglich
7 Organsysteme: Dysfunktion (1 Punkt), Versagen (2 Punkte)
0–14*
Basiert auf Expertenwissen; einfache Handhabung
MODS – Multiple Organ Dysfunction Score
[15] 1995
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 0–4 Punkte
0–24*
Basiert auf Literaturstudien und Daten; keine therapeut. Maßnahmen
SOFA – Sequential Organ Failure Assessment
[24] 1996
Intensiv allgemein
täglich
6 Organsysteme, je 5 Stufen (0–4 Punkte)
LOD – Logistic Organ Dysfunction System
[14] 1993
Intensiv allgemein
nach 24 h
6 Organsysteme, bis zu 3 Stufen (0–5 Punkte) des Organversagens
0–22*
n=10.547 logistische Regression
Therapie und Pflege
Organversagenscores
Konsensuskonferenz; ursprünglich »sepsis related organ failure assessment«
Spezifische Scores (Auswahl) GCS – Glasgow Coma Scale
[22] 1974
Schädel-HirnTrauma
initial Verlauf
Augen öffnen, verbale und motorische Reaktion
3*–15
weltweit angewendet
ABSI – Abbreviated Burn Severity Index
[23] 1982
Patienten mit Verbrennungen
initial
Alter, Geschlecht, verbrannte Körperoberfläche, Inhalationstrauma
0–18*
Verfeinerung der bekannten Baux-Regel
Mit * sind jeweils die schlechtest möglichen Werte gekennzeichnet, die teilweise real nicht erreichbar sind. GCS = Glasgow Coma Scale.
7
58
7
Kapitel 7 · Scores
. Tab. 7.2 SAPS-II-Score, entwickelt an über 13.000 Intensivpatienten aus Nordamerika und Europa [13]. Maßgeblich sind die schlechtesten Werte (d. h. die höchste Punktzahl) in einem 24-h-Zeitraum nach Aufnahme auf die Intensivstation. Für Werte im Normalbereich werden keine Punkte vergeben
7
Punkte bei niedrigen Werten
»Normal«
Punkte bei hohen Werten
<40
40–59 7
60–69 12 ≥160 7
7
Alter [Jahre]
7
Herzfrequenz [pro min]
<40 11
40–69 2
70–119
120–159 4
7
Blutdruck (systolisch) [mm Hg]
<70 13
70–99 5
100–199
≥200 2
7
Temperatur [°C]
<39,0
≥39,0 3
7
Nur bei Beatmung oder Pulmonaliskatheter: paO2 [mm Hg]/ FIO 2
7
Urinausscheidung [l/Tag]
7
Harnstoff [mg/dl] oder HarnstoffStickstoff [mg/dl]
7
Leukozyten [103/ mm3]
7
7
7 7
100–199 9
≥200 6
–
<0,5 11
0,5–0,99 4
≥1,0 <60 <28
60–179 28–83 6
<1,0 12
1,0–19,9
≥20 3
Kalium [mmol/l]
<3 3
3,0–4,9
≥5,0 3
Natrium [mmol/l]
<125 5
125–144
≥145 1
15–19 3
≥20
Serumbikarbonat [mEq/l]
7
Bilirubin [mg/dl]
7
Glasgow Coma Scale (vor Sedierung)
7
<100 11
<15 6
<4,0 <6 26
6–8 13
9–10 7
11–13 5
≥80 18
≥180 ≥84 10
4,0–5,9 4
≥6,0 9
Vorerkrankungen
–
Metastasierendes Karzinom 9
Maligne hämatologische Erkrankung 10
Zuweisung auf Intensivstation
Elektiv chirurgisch
Medizinisch (ohne Operation) 6
Ungeplant chirurgisch 8
7
75–79 16
14–15
7 7
70–74 15
Aids 17
7 7 7 7 7
einer normalen Funktion entspricht. Zunehmende Abweichungen von diesem Normalbereich werden mit steigenden Punktzahlen versehen. Hierbei werden therapeutische Maßnahmen zur Korrektur der Messwerte nicht berücksichtigt. . Abb. 7.2 zeigt beispielhaft die Verteilung von SAPS-II-Scorewerten bei Aufnahme auf die Intensivstation und wie mit zunehmend größeren Scorewerten die Sterblichkeit zunimmt.
Therapeutische Interventionen Neben der Betrachtung typischer Parameter der Organfunktion ist aber auch das Ausmaß der therapeutisch notwendigen Unterstützung eines Organs ein klinisch äußerst wichtiger Indikator für dessen Zustand. Ein Beispiel für einen ausschließlich auf therapeutischen, diagnostischen und pflegerischen Maßnahmen aufgebauten Score ist der TISS-28 (. Tab. 7.3 [20]), eine Weiterentwicklung des Therapeutic Intervention Scoring System von Cullen [3] und Keene [5] aus den 1970-er Jahren. Beim TISS-28 werden 28 Maßnahmen bzw. Maßnahmenkomplexe mit Punktwerten zwischen 1 und 8 ver-
59 7.2 · Scores in der Intensivmedizin
Spezifische Scores Scores, die sich nur auf ganz bestimmte Krankheitsbilder beziehen, betrachten nur eine für diese Situation spezifische Auswahl von Faktoren. Ein gutes Beispiel ist hier der Abbreviated Burn Severity Index von Tobiassen [23] (ABSI), der die Schwere eines Verbrennungstraumas beschreibt. Eine Übersicht über traumaspezifische Scoresysteme gibt z. B. [2].
Allgemeine Scores Allgemeine oder krankheitsübergreifende Scores versuchen, Aspekte zu kombinieren, die allgemeine Indikatoren von Gesundheit oder Krankheit sind. Fieber, Tachykardie, Hyper-/Hypotonie oder Leukozytose/-penie sind solche Indikatoren. Bezogen auf die Intensivtherapie lassen sich solche Scores in der Regel auf alle Intensivpatienten anwenden. Die bekanntesten Beispiele solcher krankheitsübergreifenden Scores sind die APACHE-Scores von Knaus et al. [6–8, 25] sowie die SAPS-Scores [13, 16, 17] (. Tab. 7.1 und . Tab. 7.2). . Abb. 7.2 Häufigkeitsverteilung der SAPS-II-Scorewerte (senkrechte Balken) bei Aufnahme auf die Intensivstation in einem gemischen Patientengut (n=11.289; Interdisziplinäre AG Qualitätssicherung der DIVI) sowie die beobachtete Letalität auf der Intensivstation in Abhängigkeit vom initialen SAPS-II-Scorewert (durchgezogene Linie)
sehen und, falls durchgeführt, zu einem täglichen Wert addiert. Unabhängige Untersuchungen konnten zeigen, dass TISS-Werte sehr gut mit den klassischen physiologischen Scores (APACHE, SAPS) korrelieren [10, 11]. Mittlerweile gibt es mit dem NEMS (. Tab. 7.1) eine noch weitere Reduktion des TISS-28 auf nur 9 Maßnahmen, allerdings mit neuer Punktgewichtung. Als Teil der Aufwandpunkte findet der Core-10-TISS Anwendung, eine weitere Kurzform des TISS-28. Dies sind gerade die 9 Items des TISS-28 (außer Standardmonitoring), die mindestens 4 Punkte ergeben, plus die Dialyse (. Tab. 7.3).
Organversagenscores Eine andere Gruppe von Scoresystemen beschreibt den Zustand eines Patienten über die Funktion seiner wichtigsten Organsysteme. Jedes Organ für sich genommen hat seine spezifischen Aufgaben im Organismus zu erfüllen, es lässt sich in der Regel räumlich gut abgrenzen, und sein Funktionszustand ist durch eine Anzahl direkter oder indirekter Messparameter zu erfassen. Die Nierenfunktion lässt sich beispielsweise gut über die Kreatininclearance beschreiben. Über die Vergabe von Punkten für jedes Organ, je nach Grad der Funktionseinschränkung, ergibt sich in der Summe wieder eine kumulative Gesamtzahl. Häufig werden auch therapeutisch notwendige Interventionen wie Beatmung oder Dialyse zur Beschreibung der Organfunktion mit herangezogen. Organversagenscores dienen in der Regel der Verlaufsbeobachtung, d. h. der wiederholten täglichen Anwendung und Dokumentation.
7.2.2
Spezifische vs. allgemeine Scores
Bei der Schweregradbeschreibung konkreter Krankheitsbilder finden sich mit zunehmender Komplexität der Erkrankung fließende Übergänge zwischen »Stadieneinteilung«, »Grading«, »Skalen« und »Scores«, wobei die beiden Letztgenannten über die Kombination von Punktwerten zu einer Graduierung gelangen. Skalen wie die Glasgow Coma Scale (7 Kap. 68) beschreiben eher einen Teilaspekt des Patientenzustands.
Vergleich Spezifische Scores haben den Vorteil, einzelne Aspekte einer Erkrankung deutlich stärker gewichten zu können als ein allgemeiner Score. Sie können auch spezielle Aspekte einbeziehen, die nur bei diesem Krankheitsbild von Bedeutung sind. Bei homogenen Patientengruppen kann dies von Vorteil sein. Beispiel: Der ABSI vermag die Prognose von Schwerverbrannten genauer vorherzusagen als der SAPS; das Gleiche gilt für traumaspezifische Scores bei Unfallopfern [9]. Betrachtet man allerdings ein gemischtes Patientengut, wie es bei klinikübergreifenden Ansätzen zur Qualitätssicherung geschieht, wird man ein krankheitsübergreifendes System wählen müssen.
7.2.3
Einmalerhebung versus Verlaufsbeobachtung
Scores sollten nur bei denjenigen Patienten und unter denjenigen Bedingungen angewendet werden, für die sie entwickelt und geprüft wurden. Diese Bedingungen, zu denen auch der Zeitpunkt bzw. der Zeitraum der Erhebung gehören, sind immer in der Originalpublikation angegeben und sollten beachtet werden. APACHE II und III sowie SAPS II betrachten die schlechtesten Werte innerhalb der ersten 24 h nach Aufnahme auf die Intensivstation, der SAPS III nur in der 1. Stunde nach Aufnahme. Dem Ziel, den Zustand des Patienten bei Aufnahme zu erfassen, kommt damit der SAPS III deutlich näher, denn Veränderungen im Zustand des Paienten in den ersten 24 h können auch auf Interventionen oder deren Fehlen zurückzuführen sein. Die meisten Organversagenscores erlauben eine täglich wiederholte Anwendung, ebenso die Scores, die therapeutische Maßnahmen betrachten (TISS). Damit eignen sich beide zur Verlaufsdokumentation und in ihrer kumulativen Form (Summe der Scorewerte über mehrere Tage) auch zur Klassifikation der gesamten Intensivtherapie – ähnlich den Liegetagen. Der Zeitraum, der einer Scoreerhebung zugrunde liegt, beträgt meistens 24 h, wobei die schlechtesten Werte aus diesem Zeitfenster zu wählen sind. Der Multiple Organ Dysfunction Score von Marshall [15] dagegen wird täglich zu einem definierten Zeitpunkt erhoben (z. B. immer morgens) und erfasst die aktuellen Werte. Abweichungen von den publizierten Vorgaben zur Scoreerhebung (z. B. das tägliche Erheben des SAPS II) sind nicht grundsätzlich unzulässig, bedürfen aber einer eingehenden Validierung und
7
60
7 7
Kapitel 7 · Scores
. Tab. 7.3 Der TISS-28-Score von Reis Miranda et al. [20] Punkte Basis
7
Standardmonitoring
Stündlich Vitalzeichenkontrolle; regelmäßige Bestimmung der Flüssigkeitsbilanz
5
7
Labor
Biochemische Bestimmungen; Mikrobiologie
1
Medikation
i.v.; i.m.; subkutan; oral oder Magenschlauch
1 Medikament: 2 2 oder mehr Medikamente: 3
Verbandswechsel
Dekubitusprophylaxe/-pflege; tägliche Verbandswechsel; häufig heißt mindestens einmal pro Schicht oder ausgedehnte Wundpflege
Routine: 1 häufig: 2
Drainagen
Pflege aller Drainagen (außer Magenschlauch)
3
Beatmung
Mechanische/assistierte Beatmung, auch Spontanatmung mit PEEP oder Atemunterstützung (Spontanatmung ohne PEEP, O 2-Nasenschlauch/-maske)
Mechanisch: 5* unterstützt: 2
Künstliche Luftwege
Pflege der künstliche Luftwege; Endotrachealtubus, Tracheostoma
1
Atemtherapie
Behandlung zur Verbesserung der Lungenfunktion: Physiotherapie, Inhalationen, Ergo-/Spirometrie
1
7 7 7 7 7 7
Lunge
Herz/Kreislauf
7
Vasoaktive Medikamente
Jedes Medikament, jede Dosis
1 Medikament: 3 2 oder mehr Medikamente: 4*
7
Flüssigkeitstherapie
Hoher Volumenersatz i.v. (mindestens 5 I pro Tag)
4*
Arterie
Peripherer arterieller Katheter
5*
Pulmonaliskatheter
Mit oder ohne Messung des Herzzeitvolumens
8*
ZVK
Zentralvenöser Katheter
2
Reanimation
kardiopulmonale Reanimation nach Herzstillstand (ohne 1-maligen präkordialen Faustschlag)
3
Dialyse
Hämofiltration, Dialyse (diverse Techniken)
3*
Ausfuhr
quantitative Urinmessungen (z. B. über Katheter)
2
Diurese
aktive medikamentöse Diurese (z. B. Furosemid)
3
Messung des intrakraniellen Drucks
4*
Azidose/Alkalose
Behandlung einer komplizierten metabolischen Azidose/Alkalose
4*
Ernährung
i.v. Hyperalimentation
3
Enterale Ernährung
Durch Magenschlauch oder über Jejunostomie
2
Besondere Interventionen auf der Intensivstation
Endotracheale Intubation, Einsetzen eines Schrittmachers, Kardioversion, Endoskopie, Notfalloperation, Magenspülung (keine Routineinterventionen)
1 Intervention: 3 2 oder mehr Medikamente: 5*
Interventionen außerhalb der Intensivstation
Besondere Interventionen außerhalb der Intensivstation, Diagnostik (z. B. CT) oder Operationen
5*
7 7 7 7 7 7 7 7 7
Niere
ZNS Hirndruck Metabolismus
Interventionen
7 7 7 7
Die mit * gekennzeichneten Maßnahmen gehören zum Core-10-TISS.
61 7.3 · Ziele der Anwendung von Scores
eines Hinweises bei der Publikation solcher abweichend erhobenen Daten.
7.3
Ziele der Anwendung von Scores
Ein Score ist die Reduktion einer komplexen Situation auf eine eindimensionale Skala, auf einen einzigen Wert. Dabei gehen Detailinformationen zugunsten einer Reduktion auf das Wesentliche verloren. Der Vorteil oder Gewinn liegt darin, ein objektives, reproduzierbares und patientenübergreifendes Maß zu besitzen, das eine über den Einzelfall hinausgehende Kommunikation über Krankheiten und deren Therapien wesentlich erleichtert. Dabei ist ein Score relativ unabhängig von der subjektiven, durch Emotionen und Erfahrung beeinflussten Einschätzung des Arztes. > Scores können eingesetzt werden, um die Erkrankungsschwere zu objektivieren.
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Scores nicht den Anspruch erheben, den Zustand eines Patienten besser beschreiben zu können als ein Arzt oder ihn ersetzen zu wollen. Die Gewichtung der einzelnen Informationen innerhalb eines Scores erfolgt immer statisch in gleicher Weise, was der Standardisierung förderlich ist, aber der einzelnen Situation nicht immer gerecht wird. In dieser ergänzenden Funktion werden Scores in den folgenden Bereichen angewendet: 4 Prognose, 4 Forschung, 4 Qualitätssicherung, 4 Ökonomie, 4 Ausbildung.
7.3.2
Forschung
Ziel klinischer Forschung in der Intensivmedizin ist das Erkennen und Beschreiben von Krankheitsbildern, deren Pathophysiologie sowie ihre therapeutische und supportive Beeinflussung zur Verbesserung des Outcome der Patienten. Hierzu ist es notwendig, über den Einzelfall hinausgehende verallgemeinernde Beschreibungen vorzunehmen, wozu sich Scores insbesondere eignen.
Einschlusskriterien Um ein Krankheitsbild in klinischen Studien nachvollziehbar zu charakterisieren, können Scores als Einschlusskriterien dienen. Mit Hilfe von Scores können sehr leicht oder sehr schwer erkrankte Patienten ausgeschlossen werden, sodass sich eine Homogenisierung des Studienkollektivs ergibt. Die Konsensusdefinitionen der Begriffe »Sepsis« und »SIRS« (»systemic inflammatory response syndrome«; [1]) haben dies deutlich gezeigt. Studien an Schädel-Hirn-Verletzten nutzen die Glasgow Coma Scale häufig zum Patienteneinschluss und zur Definition eines Komas (GCS≤8).
Vergleichbarkeit In kontrollierten Studien ist die Vergleichbarkeit der untersuchten Patientengruppen eine Grundvoraussetzung für die Interpretation der Ergebnisse. Eine korrekt durchgeführte Randomisierung bei hinreichend großer Fallzahl ist der beste Weg, um vergleichbare Patientengruppen zu erhalten. Doch trotz Randomisierung, und erst recht in nichtrandomisierten Vergleichsstudien, ist eine Prüfung der Strukturgleichheit der Patientengruppen unerlässlich. Scores als zusammenfassendes, objektives Maß zur Schweregradklassifikation leisten hier wichtige Dienste.
Outcomeevaluation 7.3.1
Schweregradklassifikation und Prognose
Das primäre Ziel der Intensivtherapie ist das Überleben eines Patienten, das Überwinden eines kritischen Gesundheitszustands und das Wiederherstellen normaler Organfunktionen. Scores versehen Werte außerhalb eines Normalbereichs mit Punkten, und dies umso mehr, je größer die Abweichung ist. Scores können somit den Grad der Abweichung von einem »gesunden« Normalzustand quantifizieren, bezogen auf die im Score verwendeten Parameter. Wenn ein Score die für ein spezielles Krankheitsbild relevanten Parameter berücksichtigt, kann mit dem Scorewert der Schweregrad dieser Erkrankung festgelegt werden. > Die Ziele von Scores in der Intensivmedizin sind Schweregradbeschreibung und daraus angeleitete Prognoseschätzungen.
Da mit zunehmendem Schweregrad einer Erkrankung auch das Risiko für eine ungünstige Prognose steigt, lassen sich Scorewerte auch für prognostische Aussagen nutzen. Basis solcher Aussagen sind immer Daten großer Patientengruppen mit bekanntem Outcome. Die Gegenüberstellung von Scorewert und Letalität beispielsweise zeigt beim SAPS II eine deutliche Korrelation (. Abb. 7.2). Anhand mathematischer Formeln lassen sich Scorewerte auch direkt in Überlebenswahrscheinlichkeiten transformieren (z. B. SAPS II [13]). Für den APACHE III und IV sind diese Formeln allerdings nicht publiziert worden. Prognostische Aussagen in Form von Wahrscheinlichkeiten lassen sich jedoch sinnvoll nur für Gruppen von Patienten interpretieren (7 Abschn. 7.5.1).
Scores spielen ferner eine immer wichtigere Rolle bei der Outcomeevaluation therapeutischer Maßnahmen. Neben Letalität und Morbidität (Komplikationsraten) findet man zunehmend über Scores definierte Endpunkte in klinischen Studien, wie das ARDS (»adult respiratory distress syndrome«), definiert über den LIS von Murray et al. [18], oder das Auftreten oder die Dauer eines Multiorganversagens, definiert über einen der verfügbaren Organversagenscores (. Tab. 7.1). Kumulative TISS-Punkte spiegeln den tatsächlichen Therapieaufwand deutlicher wider als Liegetage [11]. Scores können als integratives Maß sowohl Inzidenz als auch Schweregrad verschiedener Ereignisse erfassen.
7.3.3
Qualitätssicherung
Die Qualität der Intensivtherapie definiert sich über deren Aufgabenstellung, nämlich schwerkranken Patienten durch supportive Maßnahmen über den kritischen Zustand hinweg zu helfen. Primärer Indikator der Ergebnisqualität ist das Überleben der Patienten. Jedoch sind Letalitätsraten ohne Angaben zur Erkrankungsschwere kaum zu interpretieren. Soll die Qualität der Intensivtherapie gemessen werden, kann dies einerseits anhand vorgegebener, definierter »Standards« erfolgen, oder man vergleicht die Qualität verschiedener Stationen miteinander und erhält so einen relativen Qualitätsvergleich.
Standardisierte Mortalitätsrate (SMR) Scores können in diesem Zusammenhang als externer Standard dienen. Die aufgrund einer Scoreerhebung berechnete Prognose ist quasi der Sollwert, basierend auf den zur Scoreentwicklung benutzten Daten, dem die tatsächlich beobachtete Letalitätsrate (Istwert)
7
62
7 7 7 7 7 7 7 7 7 7
gegenübergestellt wird. Die so ermittelte standardisierte Mortalitätsrate (SMR, Istwert dividiert durch Sollwert) sollte um 1 oder darunter liegen. Valide SMR-Werte benötigen jedoch eine große Fallzahl (Konfidenzintervall beachten). Die Identifikation von Patientensubgruppen, in denen der Istwert deutlich größer ist als der Sollwert, d. h. mehr Patienten verstorben sind als gemäß Scoreprognose erwartet (SMR >1), führt über eine Detailanalyse möglicherweise zur Identifikation von Defiziten in der Patientenversorgung. Der Erfolg qualitätssichernder Maßnahmen lässt sich durch wiederholte Messungen ebenfalls mit dieser Methode quantifizieren. Eine unentbehrliche Rolle spielen Scores zur Schweregradklassifikation, wenn die Ergebnisse verschiedener Abteilungen im Sinne eines Benchmarking miteinander verglichen werden. Erst eine Schweregradadjustierung, beispielsweise mit dem SAPS-II-Score, erlaubt hier eine sinnvolle Analyse [12]. Es sei noch darauf hingewiesen, dass scorebasierte Vergleiche nur einen Aspekt im Rahmen des Qualitätsmanagements darstellen. Sie können auch verwendet werden, um Leitlinien zu erstellen. In den Bereich der Qualitätssicherung gehören auch alle Maßnahmen, die in den Routinebetrieb einer Intensivstation eingreifen, beginnend mit der Indikationsstellung für bestimmte therapeutische Maßnahmen (7 Abschn. 7.5.2 f.) bis hin zur Triage. Für Letztere sind allerdings die derzeit vorliegenden Scoringsysteme weder vorgesehen noch geeignet [19].
7 7.3.4
7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7
Kapitel 7 · Scores
Ökonomie
Die Intensivtherapie gehört zu den kostenintensivsten Maßnahmen im Gesundheitswesen; entsprechend hoch kann ihr Anteil am Krankenhausbudget sein. Daher ist nicht nur aus gesellschaftlicher Sicht eine Transparenz in der Verwendung dieser Mittel geboten. Ökonomische Analysen werden häufig vorschnell mit Mittelkürzungen und Sparmaßnahmen gleichgesetzt. Sie sollen jedoch die tatsächlichen Kosten einer Behandlung möglichst valide wiedergeben, damit z. B. eine kostendeckende Vergütung dieser Maßnahmen möglich ist. Die häufig angewandte Abrechnung über Tagessätze ist insbesondere für die Intensivtherapie zu ungenau. Eine detaillierte, bis ins Einzelne gehende Kostenanalyse ist wegen des enormen Aufwands aber nur selten durchführbar. Hier können Scoresysteme wie der TISS-28 [20] ein wesentlich genaueres Bild der tatsächlich verbrauchten Ressourcen liefern. Setzt man alle in einem bestimmten Zeitraum erbrachten Leistungen (gemessen mit TISS) in Relation zu den Gesamtkosten der Intensivtherapie in diesem Zeitraum, lässt sich ein Kostenwert pro TISS-Punkt berechnen, der bei ca. 35 Euro pro TISS-28-Punkt liegt. Damit lassen sich dann für Patienten oder Patientengruppen die Kosten abschätzen. Bei der Einführung von Aufwandspunkten zur Vergütung intensivmedizinischer Komplexbehandlung im DRG-System spielen Scoresysteme ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Aufwandspunkte als Basis der Vergütung kombinieren den täglichen therapeutischen Aufwand (Core-10-TISS) mit dem Zustand des Patienten, gemessen mit dem SAPS II.
> Scores sind eine Form der »gemeinsamen Sprache«, die sowohl die Kommunikation unter Intensivmedizinern als auch die Darstellung und den Transfer neuer Erkenntnisse fördern kann.
7.4
Entwicklung und Evaluation von Scores
7.4.1
Experte plus Statistik
Die Entwicklung eines Scores, d. h. die Auswahl der Parameter und die Festlegung der Punktwerte, beruht immer auf Vorerfahrungen, sei es die klinische Erfahrung von Experten oder die systematisch dokumentierte Verlaufsbeobachtung vieler Intensivpatienten (. Abb. 7.3). Mit statistischen Verfahren lassen sich aus solchen Datensammlungen diejenigen Parameter identifizieren, die mit einem guten bzw. schlechten Outcome verbunden sind, und entsprechend multivariat kombinieren (z. B. mit Hilfe einer logistischen Regression). Ein gutes Beispiel für die interdisziplinäre Entwicklung eines Scores ist der SAPS III [16, 17]. Anzumerken bleibt aber, dass erst unabhängige Validierungsstudien die Qualität eines Scores belegen können.
7.4.2
Bewertung von Scores
Bei der Frage, wie »gut« ein Score ist, müssen mehrere Aspekte geprüft werden. Diese Aspekte beziehen sich sowohl auf die Eigenschaften des Scores als Messinstrument wie auch auf die Anwendbarkeit in der klinischen Situation.
Kriterien zur Bewertung/Auswahl eines Scores 4 4 4 4
Reliabilität (Zuverlässigkeit) Validität (Gültigkeit) Anwendbarkeit Klinische Relevanz
Ausbildung
7
7.3.5
7
Als letztes, aber nicht unwichtigstes Ziel der Anwendung von Scores sei die Förderung der Ausbildung erwähnt. Durch den Anspruch, die »wesentlichen« Aspekte eines Krankheitsbilds oder des Gesamtzustands eines Patienten zu erfassen, erfolgt eine gewisse Fokussierung auf einige wenige Schlüsselparameter. Sofern nicht der falsche
7
Schluss gezogen wird, dass die übrigen Parameter unbedeutend seien, kann die Beschäftigung mit Scores dem Anfänger durchaus eine hilfreiche Orientierung bieten. Man kann auch lernen, dass diese Schlüsselparameter unterschiedliche Herkunft haben. Gerade der SAPS III-Score zeigt mit der Aufteilung der Prognosefaktoren in 3 Bereiche (Box I = vorbestehende Bedingungen; Box II = Aufnahmegrund; Box III = akute Physiologie), dass nur ein Teil der Faktoren intensivmedizinisch zu beeinflussen ist [17].
. Abb. 7.3 Vorgehen bei der Entwicklung eines Scoresystems
63 7.4 · Entwicklung und Evaluation von Scores
Reliabilität > Bei der Zuverlässigkeit eines Scores steht die Frage im Vordergrund, ob der Score das, was er misst, genau und verlässlich misst.
Die Reliabilität ist unabhängig davon, ob das, was der Score zu messen vorgibt, tatsächlich so ist. Ein reliables Messinstrument kann auch sehr exakt das Falsche messen! Kriterien guter Reliabilität sind verständlich definierte Komponenten, die eindeutige Wahl der Messwerte (z. B. höchster/niedrigster Wert der letzten 24 h), klare Punktwerte oder Vorgaben zum Verhalten bei fehlenden Werten. Die Verfügbarkeit der notwendigen Messparameter ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Werden viele, selten bestimmte Laborwerte benötigt, verschlechtert dies die Reliabilität. Dies ist ebenfalls der Fall, wenn komplizierte Formeln oder aufwändige Untersuchungen benötigt werden. Zur Prüfung der Reliabilität kann man Test-Retest-Untersuchungen durchführen oder den Score von mehreren Personen unabhängig voneinander erheben lassen und vergleichen (InterRater-Reliabilität). Bekannte Quellen von Beobachtervariationen sind beispielsweise die Bestimmung der Glasgow Coma Scale bei sedierten und beatmeten Patienten, unklare Definitionen von Vorerkrankungen oder lange Beobachtungszeiträume bei sich rasch ändernden Messwerten wie Blutdruck oder Herzfrequenz.
chen Situation entspricht. Kinder, Patienten mit Verbrennungen, Patienten mit kurzer Liegedauer oder solche nach kardiovaskulären Eingriffen sind weitere Gruppen, die oft bei der Scoreentwicklung ausgeklammert wurden.
Klinische Relevanz > Ein Score ist nur dann von Nutzen, wenn seine Ergebnisse klinisch gut interpretierbar sind.
Bei der Wahl eines Scores zur Beschreibung von Patienten oder als Zielgröße in klinischen Studien sollten die Ergebnisse klinisch gut interpretierbar und beobachtete Unterschiede klinisch relevant sein. Ein Scorewert an sich hat nur für denjenigen eine Bedeutung, der sich intensiv mit diesem Score befasst hat; daher ist die Verwendung allgemein bekannter Scores einer Neuentwicklung vorzuziehen. Scorewerte sollten sich leicht in klinische interpretierbare Größen übertragen lassen. Die Umrechnung eines Scorewerts in eine Prognose (Überlebenswahrscheinlichkeit) ist hierfür ein gutes Beispiel. Bei kumulativen TISS-28-Punkten (Summe der TISS-Punkte während des Intensivaufenthaltes) entsprechen 28 Punkte im Mittel einem Liegetag. Will man mit einem Score das Outcome einer Intervention messen, sollten sich die erwarteten Effekte im Score deutlich widerspiegeln (Änderungssensitivität).
Validität > Ein Score ist valide, wenn er tatsächlich das misst, was er zu messen vorgibt.
Ein Score zur Schweregradklassifikation sollte Patienten, die aus klinischer Sicht tatsächlich schwer krank sind, deutlich höhere Punktwerte zuweisen als weniger schwer kranken Patienten. Die Prüfung der Validität erfolgt einerseits durch die sog. »face validity«, d. h. man prüft, ob die im Score verwendeten Parameter »offensichtlich« mit dem Ziel des Scores (Prognose, Schweregrad, Therapieaufwand) übereinstimmen. Andererseits gibt es formale Methoden zur Prüfung der Validität. Hierzu zählt beispielsweise ein Anstieg der Letalität bei steigenden Scorepunkten, wie in . Abb. 7.2 für den SAPS II gezeigt. Es kann auch die Übereinstimmung (Korrelation) mit bekannten und akzeptierten Verfahren (z. B. anderen Scores) überprüft werden. Subgruppen von Patienten, die sich prognostisch unterscheiden, sollten auch im Scorewert Unterschiede zeigen. Zeigt ein Prognosescore beispielsweise bei Anwendung auf neuen Daten oder durch unterschiedliche Nutzer eine vergleichbar gute Vorhersagegenauigkeit, ist dies ebenfalls ein deutlicher Nachweis der Validität.
Anwendbarkeit > Vor seiner Anwendung muss geprüft werden, ob der Score für die betrachtete Patientenpopulation überhaupt geeignet ist.
Bei der Anwendbarkeit stellt sich die Frage, ob ein Score für die Gruppe von Patienten geeignet ist, d. h. ob das betreffende Krankheitsbild identisch ist mit demjenigen, das die Entwickler des Scores betrachtet hatten. Ist dies nicht der Fall, sind erst Validierungsstudien durchzuführen, die möglicherweise die Aussagekraft des Scores einschränken. Beispielsweise konnten mehrere Untersucher zeigen, dass der APACHE II die Prognose von Traumapatienten deutlich unterschätzt [9]. Mit den »Augen des Scores« sieht ein operativ versorgter, stabilisierter junger Traumapatient besser aus, als es seiner tatsächli-
7.4.3
Sensitivität und Spezifität
Für Scores, die aufgrund ihres Wertes oder einer daraus abgeleiteten Wahrscheinlichkeit ein zukünftiges Ereignis vorhersagen (bei prognostischen Scores das Überleben oder Sterben eines Patienten), gibt es spezielle Kenngrößen, die die Güte oder Genauigkeit der Vorhersage quantifizieren. Für solche prognostischen Aussagen muss der Scorewert in eine Ja/Nein-Aussage verwandelt werden. Dies geschieht anhand eines Cut-off-Punkts, eines Grenzwerts. Beispielsweise könnte man allen Patienten mit einem initialen SAPS-II-Wert von 60 Punkten oder darüber ein negatives Outcome prognostizieren. Kennt man nun das wahre Outcome, lässt sich die Richtigkeit der Prognose ermitteln. Qualitätsmerkmale eines Scores zur Prognose der Letalität 4 Sensitivität = Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle verstorbenen Patienten. 4 Spezifität = Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle überlebenden Patienten 4 Positiver Vorhersagewert = Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle vom Score als »versterbend« prognostizierten Patienten. 4 Negativer Vorhersagewert = Richtigkeit der Prognose, bezogen auf alle vom Score als »überlebend« prognostizierten Patienten.
Wiederholt man diese Berechnungen mit anderen Cut-off-Punkten, ergeben sich andere Kennwerte. Erhöht man beispielsweise beim SAPS II den Cut-off-Wert, verschlechtert sich die Sensitivität (immer weniger tatsächlich Verstorbene werden erfasst), und die Spezifität verbessert sich (immer mehr Überlebende liegen unterhalb des Wertes). Senkt man den Cut-off-Wert, ist dieser Trend gegenläufig. Trägt man nun für jeden Cut-off-Punkt Sensitivität und Spezifität in ein Diagramm ein und verbindet diese Punkte, erhält man eine sog. ROC-Kurve (»receiver operating characteristic«, . Abb. 7.4). Ein Score ist umso exakter, je weiter sich seine ROC-Kurve in
7
64
Kapitel 7 · Scores
men solche Fälle auf lange Sicht nicht häufiger als 1 in 20 Fällen vor (d. h. 5 %), dann entspricht dies genau dem Erwarteten. Ein Score kann aber nicht sagen, ob ein einzelner Patient zu den 5 % gehört, die diese Erkrankung nicht überleben werden, oder zu den übrigen 95 % (. Abb. 7.1).
7 7 7
7.5.2
7 7 7 7 7 7
. Abb. 7.4 Receiver-operating-characteristic-(ROC-)Kurve für den APACHE-II-Score, ermittelt an 1986 Patienten einer chirurgischen Intensivstation. Die AUC beträgt 0,798
Die Entscheidung für oder gegen gewisse Therapiemaßnahmen beruht auf vielen Aspekten. Da Scores viele Aspekte zu einem Gesamtwert kombinieren, könnte man meinen, solche Entscheidungen könnten sich am Scorewert allein orientieren. Dies würde aber einem Automatismus entsprechen, der auch falsche Entscheidungen induziert. Gerade wegen der vielfältigen Situationen, die zu einem bestimmten Scorewert führen (7 Abschn. 7.5.4), darf eine Therapieentscheidung nie allein auf Scorewerten beruhen. Scorewerte können aber durchaus das Spektrum der verfügbaren Informationen erweitern und damit Therapieentscheidungen beeinflussen; das individuelle Abwägen können sie allerdings nie ersetzen.
7.5.3
7 7 7 7 7
die linke obere Ecke der Grafik bewegt (hohe Sensitivität und zugleich hohe Spezifität). Ein Score ohne jegliche prognostische Information würde eine Diagonale ergeben. Receiver-operating-characteristic-(ROC-)Kurve für den APACHE-II-Score, ermittelt an 1986 Patienten einer chirurgischen Intensivstation. Die AUC beträgt 0,798 Als zusammenfassendes Maß für die Güte eines Scores wird häufig die Fläche unter der ROC-Kurve berechnet (AUC = »area under the curve«). Die Werte liegen hier zwischen 0,5 und 1, je höher der Wert, desto besser der Score. Flächen unter ROC-Kurven aus verschiedenen Publikationen sind aber nur bedingt vergleichbar, denn viele leicht zu prognostizierende Fälle erhöhen die AUC.
7 7 7 7 7 7 7
7.5
Grenzen und Gefahren
Die Anwendung von Scores birgt aber auch Gefahren. Ähnlich wie bei Medikamenten müssen die »Nebenwirkungen« bekannt sein. Die häufigsten Fehler ergeben sich aus dem fehlenden Wissen um die Intention von Scores und aus der Überbewertung der Ergebnisse. Dies gilt insbesondere für die Anwendung von Scores bei individuellen Patienten [19]. Typische Fehlerquellen und Gefahren bei der Anwendung von Scoresystemen liegen in den Bereichen: 4 Interpretation, 4 Therapieentscheidung, 4 Therapieabbruch, 4 starre Komponenten, 4 Aktualität.
7 7.5.1
7 7 7
Interpretation
Insbesondere die Angabe einer scorebasierten Prognose in Form einer Wahrscheinlichkeit führt häufig zu Fehlinterpretationen. Was ist, wenn bei Aufnahme eines Patienten auf der Intensivstation der Score nur ein Letalitätsrisiko von 5 % prognostiziert, der Patient am Ende aber nicht überlebt? Hat sich der Score geirrt? Dies ist ein Problem der richtigen Interpretation von Wahrscheinlichkeiten. Kom-
Therapieentscheidungen
Therapieabbruch
Scores können, wie gesagt, nur Prognosen in Form von Wahrscheinlichkeiten liefern, beinhalten also eine Unsicherheit. Bewegt sich eine Wahrscheinlichkeit aber gegen 0 % oder 100 %, werden daraus nahezu sichere Aussagen. Dies mag dazu verleiten, daraus auch für den Einzelpatienten Konsequenzen zu ziehen. Diese Sicherheit ist aber nur relativ. Eine aus einem Scorewert abgeleitete 100 %ig negative Prognose bedeutet lediglich, dass in dem Datensatz, der der Scoreentwicklung zugrunde lag, unter den wenigen Patienten mit gleich hoher Punktzahl keiner überlebt hatte. Es ist aber fraglich, ob unter diesen ein vergleichbarer Patient war. Zudem entwickelt sich die Medizin fort, und die Prognosen, beispielsweise des APACHE II, stammen aus dem Anfang der 1980-er Jahre. Ein Scorewert beim Einzelpatienten, auch ein »100 %iger«, darf nur gemeinsam mit der individuellen Situation (Alter, Vorgeschichte, akutes Problem, Wünsche des Patienten etc.) interpretiert werden.
7.5.4
Starre Komponenten
In der Regel besteht ein Score aus der Summe einzelner, fest definierter Komponenten. Ein bestimmter Scorewert kann auf unterschiedliche Weise zustande kommen und viele unterschiedliche klinische Situationen repräsentieren. Ein weiterer Punkt ist, dass die in einem Score berücksichtigten Parameter häufig synergistische Effekte zeigen, d. h., dass 2 Beeinträchtigungen »A« und »B« jede für sich nicht so schwerwiegende Folgen haben wie das gemeinsame Auftreten von »A« und »B«. Um dies in einem Score zu berücksichtigen, müsste eine Punktvergabe variabel und in Abhängigkeit von den übrigen Parametern erfolgen. Dies würde aber sehr schnell zu komplexen Abhängigkeiten führen, die ihrerseits wieder validiert werden müssten. Scores sind daher nur Näherungswerte für den tatsächlichen Schweregrad einer Erkrankung.
65 Literatur
7.5.5
Aktualität
Der Fortschritt der Medizin zeichnet sich nicht zuletzt auch in der Intensivmedizin ab. Daher ist ein regelmäßiges Hinterfragen der Scorekomponenten sowie deren Gewichtung unerlässlich. Auch liefern Validierungsstudien häufig Ergebnisse, die in eine Überarbeitung eingebracht werden sollten. Häufig verwendete Scoresysteme sollten regelmäßig aktualisiert werden, um dem Fortschritt der Medizin gerecht zu werden. Die Entwicklung des SAPS III wurde nicht zuletzt wegen der bereits über 10 Jahre alten Datenbasis des SAPS II initiiert. > Bei älteren Scores sollten die aus einem Score abgeleiteten Prognosen regelmäßig aktualisiert werden.
18 19
20
21 22 23
Literatur 1
2
3
4
5 6
7 8
9
10
11 12
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16
17
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7
67
Risikomanagement und Fehlerkultur A. Frutiger, J. Graf 8.1
Grundüberlegungen, Definitionen, Semantik – 68
8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5
Irren ist menschlich: Fehler als untrennbares Element jeglichen menschlichen Tuns – 68 Semantik: »Fehler« oder »Ereignis«, »Beinaheereignis« – 68 Klassifizerung von Schadensereignissen, Sicherheitstaxonomie – 68 Die Intensivstation als hochkomplexes verletzliches System – 70 Bedeutung des Fehlermonitorings in der Intensivmedizin – 70
8.2
Betriebskultur: mit Fehlern leben, aus Fehlern lernen – 70
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4
Traditioneller Umgang mit Fehlern – 70 Fehlerkultur, »No-blame-Kultur« – 70 Täter oder Opfer? – 71 Kommunikationskultur/Kritikkultur – 71
8.3
Fehlermonitoring: verschiedene Ansätze – 71
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.3.7
Fehlermonitoring: »Top down versus Bottom up« – 71 Wie eine Ereignissammlung aufzubauen ist – 71 Weshalb sollen Beinaheereignisse (»Near Miss«) erfasst werden? – 74 Wie sollen die Ergebnisse kommuniziert werden? – 74 Eingabe anonym oder offen? – 74 Andere Erfassungstechniken: »Medical Chart Review« – 74 Netzwerke: CIRS, APSF (Australien, Neuseeland) – 75
8.4
Risikomanagement und Fehlerkultur in anderen Bereichen – 75
8.4.1
Beispiel Luftfahrt – 75
8.5
»Risk Assessment«, Risikomanagement – 75
8.5.1
Analysen: Fehlermonitoring zum Aufdecken von Ursachen und Angehen von Verbesserungen nutzen – 75
8.6
Auswirkung und Nutzen von Ereignismonitoring – 76
8.6.1 8.6.2 8.6.3
Prävention – 76 Fehler und Kosten, Aufwand des Fehlermonitorings und Nutzen – 76 Fehlerbewirtschaftung als integraler Bestandteil der Betriebs- und Führungskultur – 76
8.7
Schwerste Ereignisse, Rechtswelt – 76
8.7.1 8.7.2
Grenzen des Ereignismonitorings bei schwersten Ereignissen – 76 Verschiedenartige Behandlung von Fehlern in der Rechtswelt und in der Qualitätswelt – 77 Vorgehen bei schweren Schäden (schwere Körperverletzung oder Tod) – 77
8.7.3
Literatur – 78 H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_8, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
8
8
68
Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
8.1
Grundüberlegungen, Definitionen, Semantik
8
Fehler sind in der Medizin häufig, und die damit verbundene Morbidität, Letalität und ökonomischen Auswirkungen sind beträchtlich [1, 2]. Die Intensivstation steht als multidisziplinäres, hochkomplexes und stark technisiertes System im Zentrum der stationären Krankenversorgung. Die Häufigkeit eines Fehlers, Zwischenfalls oder unerwünschten Ereignisses ist, neben anderen Faktoren, v. a. von der Intensität der geleisteten Therapie und Pflege, dem Schweregrad der Erkrankung der Patienten und der Komplexität der organisatorischen Abläufe abhängig [3–5].
8
> Somit zählt die Intensivmedizin zu einem der fehleranfälligsten Bereiche der stationären Krankenversorgung.
8
Viele Erkenntnisse über Fehler in der Medizin wurden deshalb auch im Bereich der Intensivmedizin gewonnen.
8
8.1.1
8 8 8
8
Irren ist menschlich: Fehler als untrennbares Element jeglichen menschlichen Tuns
8
»To err is human« lautet der Titel eines Aufsehen erregenden Berichts, der für den US-Kongress verfasst wurde [2]. Hierin wird von geschätzten 44.000–98.000 Todesfällen jährlich infolge vermeidbarer medizinischer und organisatorischer Fehler und Zwischenfälle allein in den USA berichtet. Anlass für die Erstellung des Berichtes war die zunehmende Verunsicherung der Öffentlichkeit über Fehler und unerwünschte Ereignisse im Gesundheitswesen, die regelmäßig zu schweren Patientenfolgen und hohen Kosten führten. Australische Untersuchungen stufen etwa 18.000 Todesfälle und mehr als 50.000 bleibende Behinderungen pro Jahr als fehlerassoziiert und somit letztlich vermeidbar ein [3]. Diese Fehler reichen von der unzutreffenden Diagnose über fehlerhafte Untersuchungen bis hin zum falschen Medikament, das dem falschen Patienten zur falschen Zeit verabreicht wird [3].
8
8.1.2
8 8 8 8 8
8 8 8 8 8 8 8 8 8
Semantik: »Fehler« oder »Ereignis«, »Beinaheereignis«
Die Semantik rund um die Beschreibung von Fehlern ist sehr variabel und bisweilen verwirrend. Die Bezeichnung »Fehler« oder »error« wird oft verwendet, trägt aber das wertende Element der Schuldhaftigkeit in sich. Auch der Begriff »kritisches Ereignis« bzw. »critical incident« wird häufig verwendet. Neutralere Terminologien bevorzugen die Begriffe »Ereignis« oder »adverse event«. Letztlich besteht unter den verschiedenen Autoren keine Einigkeit darüber, wie welche Ereignisse bezeichnet werden sollten. Es gibt Autoren, die nur bei einem tatsächlich eingetretenen Patientenschaden von einem Fehler sprechen. Andere wenden die Begriffe breiter an und schließen auch Vorgänge ein, die ohne direkten Patientenschaden verlaufen (z. B. Sturz einer Pflegeperson auf rutschigem Boden, Nadelstichverletzung). Die Formulierung »near miss« oder »Beinaheereignis« schließlich bezeichnet ein Ereignis, das hätte Schaden anrichten können, bei dem aber glücklicherweise nichts passiert ist. Auch das Verständnis, wann es sich in der Medizin um einen Fehler oder Zwischenfall handelt, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: 4 alle Handlungen, in denen eine geplante Abfolge von mentalen oder physischen Aktivitäten das erwünschte Ergebnis ver-
fehlen und diese Verfehlungen nicht einer Zufallseinwirkung zugeschrieben werden können [6], 4 ein Ereignis, welches, falls es nicht bemerkt und zeitnah korrigiert wird, zu einem unerwünschten Ergebnis führen könnte bzw. geführt hat [7]. Obwohl diese Definitionen praktisch alle denkbaren Fehler einschließen, sind sie in der (Intensiv-)medizin nicht ganz unproblematisch: Nicht selten werden Patienten mit schwersten Erkrankungen und einer sehr hohen erwarteten Letalität behandelt, wie z. B. Patienten im kardiogenen Schock, septischen Schock oder im Multiorganversagen. Sterben diese Patienten, ist der Tod mitunter die Folge eines unumkehrbaren Krankheitsprozesses und nicht prinzipiell als ein »Fehler« zu bewerten. Noch deutlicher wird die Problematik am Beispiel der Herz-Kreislauf-Wiederbelebung: Natürlich ist es das Ziel dieser Intervention, das Überleben der Patienten sicherzustellen. Auf der anderen Seite ist den behandelnden Ärzten schon während der Reanimationsmaßnahmen die extrem hohe Letalität der Patienten bewusst. Der Tod reanimierter Patienten ist somit nicht unbedingt Folge eines Fehlers, sondern mitunter ein Teil der Erkrankung. Daher führt eine so umfassende Definition des Fehlers zwangsläufig zu einer Überschneidung zwischen den unabwendbaren Geschehnissen des Krankheitsverlaufs auf der einen und tatsächlichen unerwünschten oder ungeplanten Ereignissen bzw. Fehlern auf der anderen Seite. Für die klinische Praxis und v. a. für die Intensivmedizin ist also eine Definition notwendig, die diese besonderen Umstände berücksichtigt (. Tab. 8.1 und . Tab. 8.2).
8.1.3
Klassifizerung von Schadensereignissen, Sicherheitstaxonomie
Im Ereignismonitoring fehlte bisher eine allgemein anerkannte Terminologie, was die Förderung und Akzeptanz solcher Systeme erheblich erschwert hat. Die JCAHO (Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations) hat kürzlich eine Taxonomie zur Einteilung, Beschreibung und Sammlung von Ereignissen mit Patientenschäden publiziert [11]. Sie will damit die Sprachverwirrung in der Diskussion um Patientensicherheit verringern. Das vereinfachte Schema mit 5 Hauptgruppen ist in . Tab. 8.3 dargestellt. Es wird noch in 21 Unterklassen und 200 kodierte Kategorien unterteilt, die den Rahmen dieses Textes sprengen. Zusätzlich erlaubt das System auch freie Erzählung, »free narrative«, um kontextrelevante Informationen zu ermöglichen. Das System soll namentlich mit im Bereich Intensivmedizin etablierten Systemen gut kompatibel sein. Der Bereich Ursachen sei hier noch etwas vertieft (. Tab. 8.4). Bei der Analyse von Zwischenfällen unterscheiden Fehlertheoretiker zwischen dem sog. »system approach« (Systemansatz) und dem »person approach« (Individualansatz). Der »system approach« bezeichnet eine Verkettung ungünstiger Umstände, die durch das Arbeitsumfeld und die dort herrschenden Organisations- und Prozessstrukturen begünstigt wird. Gleichwohl bildet regelhaft eine auslösende Aktion oder das Unterlassen einer notwendigen Intervention den unmittelbaren Anlass für einen Zwischenfall. Genauere Untersuchungen dieser Zwischenfälle offenbaren jedoch häufig eine Serie von Fehlern, Unzulänglichkeiten und Abweichungen von der sonst geübten Praxis, die letztlich in einem Zwischenfall münden. Beim »person approach« wird das Auftreten von Fehlern und Zwischenfällen als Konsequenz individueller und persönlicher
69 8.1 · Grundüberlegungen, Definitionen, Semantik
. Tab. 8.1 Definition der verschiedenen Begrifflichkeiten
. Tab. 8.2 Klassifizierung von Fehlern. (Nach [2])
Begriff/Literatur
Definition
Fehlerart
Definition
Fehler (»error«) [8]
Eine unbeabsichtigte Handlung, entweder durch Unterlassung oder Durchführung, die nicht zum gewünschten Ergebnis führte.
Diagnostische Fehler
Fehler (»error«) [2]
Eine geplante Handlung kann nicht wie beabsichtigt durchgeführt werden (im Sinne eines Durchführungsfehlers), oder zur Zielereichung wurde ein falscher Plan oder ein falsches Vorgehen verwendet (im Sinne eines Planungsfehlers).
5 Fehler oder Verzögerung in der Diagnosestellung 5 Fehler bei der Durchführung des geeigneten, indizierten Untersuchungsverfahrens 5 Anwendung eines veralteten Untersuchungsverfahrens oder einer veralteten Therapie 5 fehlende Konsequenz aus einem Untersuchungs- oder Testergebnis
Behandlungsfehler
5 Fehler bei der Durchführung einer Operation, einer Prozedur oder eines Tests 5 Fehler bei der Durchführung einer Behandlung 5 Fehler bei der Medikamentendosierung oder Medikamentenauswahl 5 vermeidbare Verzögerung in der Behandlung oder in der Reaktion auf ein pathologisches Untersuchungsergebnis 5 ungeeignete (nicht indizierte) Behandlung
Fehler bei der Prävention
5 Fehlende oder fehlerhafte vorbeugende Behandlung 5 unzureichende Nachbeobachtung einer Behandlung
Sonstige Fehler
5 Fehler bei der Kommunikation 5 medizintechnischer Fehler 5 andere systembedingte Fehler
Fehler (»error«) [9]
Eine unerwartete Verletzung oder Komplikation, die den Aufenthalt des Patienten im Krankenhaus verlängerte oder zu bleibender Behinderung oder Tod führte. Hervorgerufen wurde dieses Ereignis durch das medizinische Personal und nicht durch die Krankheit des Patienten.
Unerwünschtes Ereignis (»adverse event«) [2]
Infolge einer medizinischen Behandlung entstandene und nicht durch den Zustand des Patienten verursachte Verletzung.
Vermeidbares unerwünschtes Ereignis – Schaden (»preventable adverse event«) [2]
Ein auf einen Fehler zurückgehendes unerwünschtes Ereignis
Behandlungsfehler (»negligent adverse event«) [2]
Behandlungsfehler bilden eine Untergruppe der unerwünschten Ereignisse, die rechtliche Kriterien der Nachlässigkeit erfüllen
Zwischenfall (»critical incident«) [9]
Ein unbeabsichtigtes Ereignis oder Ergebnis, das die Sicherheit des Patienten gefährdet oder zumindest gefährden konnte. Möglicherweise war es vermeidbar oder unvermeidbar und beinhaltete vielleicht einen Fehler des medizinischen Personals.
Missgeschick, Beinaheereignis (»near miss«) [10]
Ein Ereignis, das sich zu einem unerwünschten Ereignis oder Schaden hätte entwickeln können und sich von solchen nur durch die ausbleibenden Folgen unterscheidet.
Versehen, Ausrutscher (»slip«, »laps«) [6]
Fehler bei der Durchführung einer Handlung, die auf bestimmten Fähigkeiten beruht. Der Unterschied zwischen einem »slip« und einem »laps« liegt in der Beobachtbarkeit der Handlung: Das Verabreichen der falschen Dosierung einer Arznei ist ein »slip«, wohingegen die fehlende Erinnerung, was die richtige Arznei gewesen wäre, ein »laps« ist.
Irrtum (»mistake«) [6]
Aufgrund einer falschen Planung führt eine ansonsten korrekt durchgeführte Handlung nicht zum gewünschten Ergebnis.
Patientensicherheit (»patient safety«) [2]
Freiheit von Verletzungen und Schäden durch Unfälle.
. Tab. 8.3 Die Hauptgruppen zur Klassifizierung von Ereignissen der Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations (JCAHO) Ereignis
JCAHO
Auswirkung
»Impact«
Typus
»Type«
Bereich
»Domain«
Ursache
»Cause«
Vermeidung und Entschärfung
»Prevention and mitigation«
. Tab. 8.4 Untereinteilung von Ereignisursachen Ursachen System
5 5 5 5 5
Faktor Mensch
5 Patient 5 Compliance
Organisation Management Kultur Richtlinien Wissenstransfer
5 Technik 5 Geräte 5 Installationen
5 Personal 5 Fachwissen (»knowledge-based”) 5 Fertigkeiten (»skillbased”, »slips”) 5 Regelbeachtung (»rule-based”, »mistakes”)
8
70
Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
8
Fehlleistungen aufgefasst. Letzteres stellt die dominierende Sichtund Verfahrensweise im Gesundheitswesen dar [12].
8
> Allgemein darf gelten, dass Fehler sowohl Systemkomponenten als auch individuell menschliche Komponenten haben.
turiertes Ereignismonitoring ein sehr wirksames Instrument zur Messung und Verbesserung der Prozessqualität der Intensivmedizin darstellen. Es stellt somit das Rückgrat eines Risikomanagementsystems dar und kann helfen, Fehlerquellen zu identifizieren und möglichen Schaden abzuwenden.
8 8.2
Die Intensivstation als hochkomplexes verletzliches System
8
8.1.4
8
Obwohl bislang nur wenige strukturierte Untersuchungen zu Fehlern und Zwischenfällen in der Medizin vorliegen, scheinen die Häufigkeit und die Auswirkungen dieser Fehler u. a. von der Komplexität der Versorgung, der Schwere der Erkrankung und dem Spektrum der therapeutischen Interventionen abhängig zu sein [13]. Besonders Bereiche mit hoher Arbeitsbelastung und schwerkranken Patienten – wie in der Intensivmedizin üblich – sind somit potenziell anfällig für Fehler. Gerade hier müssen täglich in kurzer Zeit eine Vielzahl von Parametern bewertet und wichtige Entscheidungen für mitunter lebensbedrohlich erkrankte Patienten getroffen werden [3]. Viele dieser Prozesse verlaufen im Arbeitsalltag parallel und werden zudem häufig mehrfach unterbrochen. Diese in der Intensiv- und Notfallmedizin vorherrschenden Rahmenbedingungen bezeichnen Psychologen als ein kognitiv komplexes Umfeld [14]. Andererseits ist bekannt, dass maximal 4–5 Objekte parallel im Gedächtnis bearbeitet werden können [15]. Bei zunehmendem Informationsgehalt sinkt zudem die Zahl der Objekte. Die Anzahl medizinischer Geräte und Überwachungssysteme hat im Gegensatz dazu in den letzten 30 Jahren um ein Vielfaches zugenommen [14]. Konkurrierten am Anfang der 1970-er Jahre beispielsweise in der Anästhesie noch 4 Geräte um die Aufmerksamkeit des Personals, waren es im Jahr 2000 bereits über 20 verschiedene Systeme [14].
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
8.1.5
Bedeutung des Fehlermonitorings in der Intensivmedizin
Unternehmen mit hohem Sicherheitsanspruch, wie die Atomkraftwerksbetreiber oder die öffentliche Luftfahrt, arbeiten mit dem Ansatz des »fehlerhaften Systems«. Darin ist der Mensch als eine Fehlerquelle bereits mit einbezogen. Im System enthaltene Kontrollinstanzen überprüfen die menschlichen Aktionen und können so Missgeschicke oder falsche Eingaben melden oder beheben, bevor ein Fehler daraus entsteht. Dazu gehören einerseits technische Überwachungssysteme und andererseits regelmäßige Supervisionen durch Kollegen, wie z. B. das 4-Augen-Prinzip. Es wird nicht nach dem Schuldigen gesucht, sondern der Fehlerprozess in seiner Gesamtheit analysiert und das System entsprechend angepasst. Dieser ständige, aktive Veränderungsprozess ist das Kernelement des Sicherheitssystems. Eine langfristige und intelligente Systemoptimierung beseitigt so die latenten Fehler und hilft, die Wiederholung eines Fehlers zu vermeiden [16]. Verschiedene Arbeiten zeigen, dass in unseren Intensivstationen täglich zahlreiche gefährliche Ereignisse ablaufen [17]. Eine Arbeit, die stellvertretend für viele steht, nennt 1,7 Fehler pro Patient und Tag bzw. 2 ernste Fehler pro Station und Tag [18]. Viele dieser Fehler haben menschliche Ursachen und liegen im Bereich von Kommunikation und Timing. Fehlererfassungssysteme ermöglichen Einblicke in die Störanfälligkeit und Verletzlichkeit der Abläufe einer Intensivstation. Wenn diese Instrumente richtig eingesetzt werden, kann ein struk-
Betriebskultur: mit Fehlern leben, aus Fehlern lernen
In jedem Qualitätssystem stellen Handlungsanweisungen für den Umgang mit unerwünschten Ereignissen, d. h. Fehlern und Zwischenfällen, Schlüsselelemente des Qualitätsmanagemnts dar. Andere Hochsicherheitsbereiche – die eine geringere als die zufällig auftretende Fehlerrate aufweisen, wie z. B. Atomkraftwerke und die kommerzielle Luftfahrt – sind in ständiger Bereitschaft, Fehler und unerwünschte Ereignisse zu erkennen und frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten [12]. Medizinisches Fachpersonal ist hingegen nur unzureichend für die Möglichkeit und Häufigkeit von Fehlern in ihrem eigenen Handeln sensibilisiert. Nach den Ergebnissen einer in amerikanischen Universitätskliniken durchgeführten Befragung verneinten 30 % der im intensivmedizinischen Bereich beschäftigten Pflegekräfte und Ärzte das Auftreten von Fehlern im Rahmen ihrer Tätigkeiten. Zusätzlich beklagte die Krankenhausverwaltung einen völlig unzureichenden Umgang mit aufgetretenen Fehlern und Zwischenfällen in ihren Einrichtungen [19].
8.2.1
Traditioneller Umgang mit Fehlern
Den Umgang mit Fehlern haben wohl die meisten von uns exemplarisch in der Schule gelernt. Fehler im Diktat oder Aufsatz wurden mit Rotstift markiert und führten zu Sanktionen, genannt »Verbesserungen«, mit dem Ziel, Fehler zu vermeiden. Unsere Motivation war aber nicht das Verbessern des Systems, sondern das Vermeiden von Sanktionen. Dass Fehler ein völlig normales Nebenprodukt menschlichen Handelns sind, lehrte man uns nicht. Über Fehler zu reden, insbesondere wenn es sich um die eigenen handelt, ist alles andere als selbstverständlich. Es ist bekannt, dass im Krankenhaus über Schadensereignisse nicht gern berichtet wird. Vincent et al. [20] identifizierten die Sorge v. a. der jüngeren Kollegen, unfair bezichtigt zu werden, als eine wesentliche Ursache, Fehler nicht offen anzusprechen. Man sorgt sich um allfällige Haftpflichtansprüche oder Disziplinarmaßnahmen, erwartet von seinen Kollegen nicht genug Unterstützung und möchte solche Fälle auch nicht vor größeren Gremien besprechen. Unsere Erfahrung eines traditionell bestrafenden Umgangs mit Fehlern stellt sicherlich ein wesentliches Hindernis bei der Einführung eines erfolgreichen Risikomanagementsystems dar.
8.2.2
Fehlerkultur, »No-blame-Kultur«
Entscheidender Ansatz einer Fehlerkultur ist, dass man aufhört, immer nach Schuldigen zu suchen. Auch wenn die Beteiligten nicht direkt beschuldigt werden, hat sich der Blick nicht auf sie, sondern auf das Problem zu richten. Unter dem momentanen Eindruck eines Ereignisses heißt aber die Frage noch allzu oft: »Wer war das?« Richtigerweise müssten die Fragen lauten: »Was hat dazu geführt, dass dieses Ereignis eintreten konnte? Welche Sicherungssysteme haben versagt (falls vorhanden)? Wer kann etwas zur Lösung dieses Problems bzw. zur Verhinderung zukünftiger Ereignisse beitra-
71 8.3 · Fehlermonitoring: verschiedene Ansätze
gen?« Es hat aber überhaupt keinen Zweck, in einem Betrieb eine Ereignisüberwachung aufzubauen, wenn nicht parallel dazu die entsprechende teambasierte Kritikkultur entwickelt wird. Ein Auftreten von Fehlern wird noch vielfach als menschliches Versagen und damit als Schwäche menschlicher Leistung angesehen. Dieses bis heute in der Medizin geltende Gedankenmodell wird von Reason als »Heile-Welt Hypothese« bezeichnet [6]. Diese Hypothese besagt, dass nur schlechten Menschen Fehler passieren und es nur wenige schlechte Charaktere in der Masse der Menschheit gibt. Diese schlechten Menschen sind Fehlerverursacher und tragen die alleinige Schuld. Durch öffentliche Bloßstellung und Sanktionen können sie zum richtigen Verhalten erzogen werden. Jede Wiederholung des Fehlers wird dem schlechten Charakter des Verursachers zugeschrieben.
durch Müdigkeit beeinträchtigt werde. Über 60 % der Befragten verneinten Einflüsse privater Probleme bei ihrer Arbeit [19].
8.3
Ein großer Irrtum wäre es, sich beim Fehlermonitoring lediglich auf die Art der Datensammlung zu konzentrieren. Ein erfolgreiches Fehlermanagementprogramm steht auf 3 Säulen: 4 offene Fehlerkultur, 4 Sammeln von berichteten Ereignissen, 4 Umsetzen des Gelernten in Führungsmaßnahmen.
8.3.1 8.2.3
Täter oder Opfer?
Fehler haben in der Regel komplexe Ursachen. Fast immer sind sie multifaktoriell und können nicht einem alleinigen Auslöser zugeordnet werden. Namentlich, wenn Systemfehler im Spiel sind, werden die Mitarbeiter, in deren Gegenwart das Ereignis stattfindet, ebenso zu Opfern. Entscheidend ist die Umsetzung dieser Erkenntnis in den täglichen kollegialen Umgang. An Zwischenfällen beteiligte Kollegen benötigen Hilfe, keine Bestrafung. Die Systemfehler sind der (tückische) Teil des Eisbergs unter Wasser. Reason erklärt das Zustandekommen eines Fehlers mit verschiedenen gelochten Schichten, die sich gegeneinander verschieben (. Abb. 8.1). Die verschiedenen Schichten bezeichnen Faktoren der Fehlerentstehung, namentlich System und Mensch. Im Hintergrund wartet die Gefahr auf eine Gelegenheit (»window of opportunity«), ein Ereignis auszulösen.
8.2.4
Kommunikationskultur/Kritikkultur
Kritik abgeben und annehmen, positive wie auch negative, will gelernt sein. Im Medizinstudium wird Kritikkultur kaum gelehrt. Der Umgang mit Fehlern und das Lernen daraus muss in einem Betrieb bewusst vorgelebt und gepflegt werden. Entscheidend ist das Vorbild der Chefs bzw. der leitenden Ärzte, die täglich zeigen müssen, dass gerade sie mit ihren eigenen Fehlern offen und lernend umzugehen verstehen. Sie haben ihren Mitarbeitern zu vermitteln, dass Fehler nicht lediglich seltene und bedauerliche Ausrutscher sind, sondern dass sie häufig und integraler Teil jedes Systems sind, in dem Menschen zusammen arbeiten. Die Einsicht eines Fehlers bzw. Zwischenfalls innerhalb der Verantwortungsträger ist oftmals begrenzt, und besonders Mediziner neigen zur Überschätzung ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit: 47–70 % der befragten Ärzte gaben z. B. an, dass ihre Leistung nicht
Fehlermonitoring: verschiedene Ansätze
Fehlermonitoring: »Top down versus Bottom up«
Ereignismonitoring kann nie erfolgreich von oben organisiert und durchgesetzt werden. Die uns vorgesetzten Behörden sollen zwar durchaus das Vermeiden von Fehlern und das Steigern der Patientensicherheit zu einem strategischen Betriebsziel erklären. Sie können diesen Willen zudem mit organisatorischen Erleichterungen und durch Zuteilung betrieblicher Mittel unterstützen. Stabsstellen (Qualitätsbeauftragte) können mit Know how beitragen. Die Verbesserung der Strukturen kann an Führungsebenen delegiert werden, die Einführung der Prozesse, d. h. der eigentliche Aufbau des Systems muss aber von der Betriebsbasis ausgehen, gestaltet und getragen werden.
8.3.2
Wie eine Ereignissammlung aufzubauen ist
Unter dem erneuten Vorbehalt, dass ein Meldewesen nicht schon per se ein Fehlermanagementsystem ist, hat man beim systematischen Sammeln von gemeldeten Ereignissen gewisse Regeln zu beachten. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob mit Papier und Bleistift dokumentiert wird, oder ob man sich eine elektronische Datensammlung anlegt. Die meisten Autoren bezeichnen relativ übereinstimmend die folgenden Elemente einer Ereignissammlung als wesentlich.
Freiwilligkeit Mitarbeiter können nicht zum Melden von kritischen Ereignissen gezwungen werden. Sie sollen dies freiwillig tun. Mit Weiterbildungen sollen sie zum Melden ermuntert werden. Technische und psychologische Hürden müssen tief gehalten werden. Die freiwillige Meldung muss leicht, ohne großen Aufwand erfolgen können.
Anonymität der Aufzeichnung Die Registrierung der gesammelten Ereignisse muss anonym sein, das bedeutet, dass die Ereignisse ohne Nennung von Namen von Geschädigten, aber insbesondere von Beteiligten aufgezeichnet werden. Die Ereignisdokumentation ist so zu gestalten, dass von vorneherein irrelevant ist, »wer es war«. Da keine Schuldigen gesucht werden, müssen auch keine Namen aufgezeichnet werden. Ob auch das Meldewesen anonym laufen soll, ist eine Frage, die im Folgenden noch diskutiert wird.
. Abb. 8.1 Das Schweizer-Käse-Modell nach James Reason
8
72
8
Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
Freies Erzählen des Ereignisses
8
Wenn Betroffene ein kritisches Ereignis frei berichten können, erfährt man die Abläufe hautnah aus erster Hand, ohne dass der Bericht bereits in das Schema eines Fragebogens gezwängt wäre. Erfassungsformulare sollten deshalb unbedingt Raum für freie Texteingabe enthalten. Besonders die australisch/neuseeländischen Autoren unterstreichen den Wert des freien Erzählens (»free narrative«) im Ereignismonitoring (www.apsf.net.au). Nicht zu unterschätzen ist auch der kathartische Effekt, wenn Betroffene sich ein kritisches Ereignis ‚von der Seele‘ reden können.
8
Systematik einbauen
8 8
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
Eine gewisse minimale Einteilung nach Art des Ereignisses, Ereignisort, involvierten Bereichen, entstandenem Schaden und festgestellten oder vermuteten Ursachen ist zweckmäßig, um Auswertungen zu ermöglichen. Wichtig ist, dass die Systematik die Erfassung multipler Ursachen möglich macht. Der typischerweise multifaktoriellen Ursache eines kritische Ereignisses muss Rechnung getragen werden.
Beinaheereignisse sammeln Der Wert von Beinaheereignissen – solchen, bei denen zum Glück nichts passiert ist – kann nicht überbetont werden. Leider sind viele Ereignissammlungen nur auf das Erfassen von Fehlern mit Patientenschaden ausgelegt. Das Ereignis, bei dem »zum Glück nichts passiert ist«, wird fälschlich als banal und nicht beachtenswert betrachtet. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Risikomanagement beruht gerade darauf, Konstellationen zu identifizieren, bei denen zwar bisher nichts geschehen ist, die aber ein Schadenspotenzial enthalten. Es sind Verbesserungen möglich, ohne dass zuerst etwas passieren musste. »Near miss-Ereignisse« bieten noch einen zusätzlichen Vorteil: Wir können aus ihnen lernen, welche Sicherheitsfaktoren dann doch den Fehler vermieden haben, welche Dämme nicht gebrochen, welche Zäune nicht niedergerissen, welche Warnsignale eben doch noch beachtet wurden. Neben dem Eliminieren von Schwächen im System lassen sich auch dessen Stärken identifizieren und proaktiv fördern.
Interpretation des Ereignisses durch die Beteiligten
8
Unsere Mitarbeiter verfügen über ein riesiges kollektives Wissen zu Abläufen, Fehlerquellen und Risiken. Sie drängen uns aber diese Kenntnisse nicht auf. Wenn wir freilich fähig sind zuzuhören, lernen wir Vieles und oft Unerwartetes über unseren Betrieb. Befragt man Personal über eine eben aufgetauchte Fehlerquelle an einem Gerät, wird man häufig hören, dies »sei bekannt« oder »mir auch schon passiert«. Der Chef darf sich dann fragen, wieso es ihm bisher nicht gelang, dieses Problemwissen zu realisieren; vermutlich, weil er nicht zugehört hat.
8
Nie von »Schuldigen« reden
8 8
8 8 8
Ereignismeldesysteme dürfen nicht strafend sein. Sie dürfen nicht mit dem Finger auf Beteiligte zeigen und sollen nicht Sanktionen androhen. Uns allen klingt noch in den Ohren: »Wer das war, meldet sich nachher bei mir im Büro«. Niemand wird über ein Schadensereignis berichten, wenn er riskiert, an den Pranger gestellt zu werden. Die Schulung hat zu vermitteln, dass die an einem Ereignis Beteiligten eher Opfer als Täter sind.
Transparenz
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Die Datensammlung, wie auch immer sie organisiert ist, muss für die Teammitglieder einsehbar und kontrollierbar sein. Der Mitar-
beiter hat das Recht, zu sehen, in welcher Weise das von ihm mitgeteilte Ereignis in der Dokumentation abgelegt wurde. Er soll überdies nicht nur seine Meldungen, sondern sämtliche Meldungen des Betriebs einsehen dürfen. Transparenz ist eine besonders Vertrauen schaffende Maßnahme. Jeder Mitarbeiter soll schließlich aus der Gesamtheit der Ereignisse lernen können.
Qualitätskreis schließen Der sog. Qualitätszirkel beschreibt den Grundvorgang jeder Qualitätssicherung (. Abb. 8.2). Leider bestehen viele Ereigniserfassungssysteme nur aus dem Sammeln von Daten, ohne dass die erhobenen Befunde in Maßnahmen umgewandelt werden. Datensammlungen sind nutzlos, wenn nicht aus ihnen gelernt und das Gelernte in Führungsmaßnahmen umgesetzt wird. Die Mitarbeiter werden sehr rasch mit dem Melden von Ereignissen aufhören, wenn sie keine verbessernden Maßnahmen feststellen.
Regelung der Datenhoheit Daten über Versäumnisse, Missgeschicke und Fehler sollen innerhalb des Betriebs in der oben beschriebenen Offenheit und Unvoreingenommenheit benutzt werden, bedürfen aber gegenüber Außenstehenden der Vertraulichkeit. Es muss deshalb schon vor Beginn einer Datensammlung klar sein, wem diese Daten gehören und wie es vermieden wird, dass Krankenhausverwaltung oder staatliche Behörden Zugang zu den Daten erhalten. Dies trifft v. a. auf Gesundheitsbehörden zu, aber auch Strafverfolgungsbehörden könnten versucht sein, Daten zu erhalten. Wenn Daten in ein bereichsübergreifendes nationales oder internationales Netzwerk (CIRS) eingespeist werden sollen, müssen die vernetzten Betriebe den gegenseitigen Umgang mit den vertraulichen Daten vertraglich klar regeln. Besonders bei Gesundheitsbehörden ist der politische Druck groß, mit derartigen Statistiken zu punkten. Von denselben Stellen kommt regelmäßig die leidige Forderung nach »benchmarking«; dies in der irrigen Meinung, Vergleiche (vielleicht gar öffentliche Vergleiche) zwischen verschiedenen Fehlerstatistiken seien ein geeignetes Instrument der Qualitätssicherung.
Kritikkultur dauernd entwickeln und fördern Eine Ereignisdatei perpetuiert sich nicht von selbst. Der dahinter stehende Gedanke eines offenen Umgangs mit Fehlern muss immer
. Abb. 8.2 Qualitätszirkel. Identifikation eines relevanten Problems, gefolgt von der Festlegung des Sollzustandes (Standard), Messen des Istzustandes durch Sammeln relevanter Daten, Vergleich von Ist und Soll und schließlich das Ergreifen von Maßnahmen, um den gegenwärtigen Zustand dem Standard (oder Sollzustand) anzugleichen
73 8.3 · Fehlermonitoring: verschiedene Ansätze
wieder vermittelt und geschult werden. Jedes neu eingeführte Ereignismonitoring führt zunächst zu einer großen Meldehäufigkeit. Meist werden die Meldungen bald zum dünnen Rinnsal und fließen erst wieder reichlicher, wenn der Leiter dauernd auf den Wert des Systems hinweist. Auch dann wird die Meldefreude sich in Wellen
bewegen. Die Häufigkeit der Meldungen hat übrigens nicht mit der Häufigkeit der Ereignisse selbst zu tun. . Abb. 8.3 zeigt das Beispiel eines Erfassungsbogens für Ereignisse.
. Abb. 8.3 Beispiel eines Erfassungsbogens für Ereignisse. Auf der Intensivstation des Kantonsspitals Chur wird eine einfache File-maker-Datei zur strukturierten Erfassung von Ereignissen benutzt
8
8
74
Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
8.3.3
Weshalb sollen Beinaheereignisse (»Near Miss«) erfasst werden?
8
Übereinstimmend wird der große Wert der Erfassung von Beinaheereignissen betont.
8
> Vor allem in Hochsicherheitsbereichen, die sich keinen Fehler leisten können, zählen Near-miss-Ereignisse zu den wichtigsten Informationsquellen bei der Identifikation von Systemschwächen.
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Near-miss-Ereignisse sind für das Risikomanagement und für die Qualitätsverbesserung von herausragender Bedeutung: 4 Beim Beinaheereignis liegt das Interesse automatisch beim Vorgang, nicht bei den Folgen. 4 Beinaheereignisse sind emotional nicht so befrachtet und lassen sich unverkrampft analysieren. 4 Beinaheereignisse zeigen uns jene Sicherheitselemente, die dafür sorgten, dass dann doch nichts passiert ist. 4 Beinaheereignisse machen den direkten Weg zur Prävention frei – ohne Schadensbehebung. Es wird deshalb empfohlen, beim Aufbau eines Ereigniserfassungssystems primär schon Near-miss-Fälle zu sammeln. Im Allgemeinen gilt: Je geringer der Schaden eines Vorfalls, desto größer sein Nutzen in einem Risikomanagementsystem. Gerade die allerschlimmsten Schäden (mit Todesfolge oder schwerer Körperverletzung) sind für die Qualitätssicherung relativ nutzlos, weil ihre Aufarbeitung schon durch die Rechtswelt beansprucht wird (7 Abschn. 8.7). Interessanterweise wird der Wert von Beinaheereignissen im medizinischen Bereich nicht uneingeschränkt positiv bewertet: Gerade die JCAHO beschränkt sich in ihrer wegweisenden Taxonomie auf Ereignisse mit Patientenschaden und schließt »any near miss« aus Ereignissammlungen aus. Explizit wird ausgeführt, dass beispielsweise das Wiedererlangen der durch ein Ereignis gestörten Körperfunktion innerhalb von 2 Wochen nicht als Patientenschaden erfasst werden solle. Ebenso seien Ereignisse auszuschließen, die nicht Individuen beträfen. Sogar Medikationsfehler (die häufigsten Fehler in der Medizin überhaupt) seien nur zu erfassen, wenn sie zum Tod oder zu wesentlichen und permanenten Funktionsstörungen führten [11] (www.jcaho.org/).
8.3.4
Wie sollen die Ergebnisse kommuniziert werden?
Innerhalb des Betriebs sollen die Datensammlungen transparent und jedermann zugänglich sein. Empfohlen werden aber zudem regelmäßige Sitzungen, bei denen die gesammelten Ereignisse gesichtet und zusammengestellt werden. Ereignismonitoring kann Teil einer umfassenden regelmäßigen Qualitätsbesprechung des Betriebs, aber auch eine selbstständige Aktivität sein. Wie häufig oder wie selten solche Veranstaltungen stattfinden, ist dem Stil der Abteilung zu überlassen. Wichtig ist, dass sie zuverlässig und regelmäßig durchgeführt werden und nachhaltig bleiben. Einfache Bulletins fassen dabei die wesentlichen Beobachtungen und Verbesserungen der Berichtsperiode zusammen. Die Mitarbeiter interessieren sich v. a. dafür, welche Meldungen zu Veränderungen und Maßnahmen geführt haben. Wichtig ist auch, die Auswertungen an die richtigen Adressaten zu verteilen. Wenn, was sehr häufig ist, ein bereichsübergreifendes Ereignis dokumentiert wird, müssen auch die Nachbarbetriebe mit diesem Wissen bedient werden. Darüber hinaus muss der Stationsleiter sicherstellen, dass die Informationen nicht nur abgegeben
wurden, sondern auch angekommen sind und betrieblich umgesetzt werden. Wenn aber der Kreis sich nicht schließt, wenn damit nicht aktives Risikomanagement betrieben wird, ist Ereignismonitoring nutzlos, und das Desinteresse der Mitarbeiter wird die logische Folge sein.
8.3.5
Eingabe anonym oder offen?
Wenn oben ausgeführt wurde, dass die gesammelten Ereignisse anonym, ohne die Namen der Beteiligten, dokumentiert werden sollen, ist damit noch nichts über die Art des Meldevorgangs gesagt. Auch Letzterer kann anonym oder offen sein. Anonyme Meldesysteme sind beispielsweise aus der Fliegerei bekannt, aber auch in vernetzten Ereignissammlungssystemen der Medizin (z. B. Critical Incident Reporting System; CIRS; www.anaesthesie.ch/cirs/) oder PaSOS (Patienten-Sicherheits-Optimierungssystem, www.pasosains.de/) erfolgen die Meldungen anonym, z. B. durch Briefkästen im Stationsbereich oder durch Web-basierte, Passwort-geschützte Eingabesysteme. Gerade für Einrichtungen ohne eine entsprechende Betriebskultur, d. h. Intensivstationen, die neu ein Ereignismonitoring einführen wollen, ist die Anonymität zunächst von besonderer Bedeutung. Sind aber Fehlerkultur und Meldesystem in einer Abteilung bereits entwickelt, verblasst das Thema Anonymität rasch. Mit gutem Grund: In einem positiven lernfähigen System müssen keine Sanktionen befürchtet werden, wenn unerwünschte Ereignisse kommuniziert werden. Eine Studie über die Meldepraxis in einer Intensivstation ergab, dass nur 6,5 % der Ereignismeldungen anonym eintrafen [13]. Anonyme Meldesysteme haben zudem den Nachteil, dass sie für Denunziationen und persönliche Abrechnungen missbraucht werden können.
8.3.6
Andere Erfassungstechniken: »Medical Chart Review«
Nun ist die Ereignissammlung mit spontanen Meldesystemen durchaus nicht die einzige etablierte Erfassungsmethode. Im Gegenteil, gerade die ersten bahnbrechenden Berichte über Fehler im Krankenhaus wurden mit der Technik des »medical chart review« erarbeitet. Aus der retrospektiven Durchsicht tausender Krankenakten ergaben sich Hinweise über Häufigkeit, Art der Fehler und Ursachenmuster [21]. Im Vordergrund standen bei diesen Untersuchungen Medikationsfehler. Diese Art der Fehler (falsches Medikament, falsche Dosis, falsche Applikation, falscher Zeitpunkt etc.) tauchen in allen Studien als die häufigsten unerwünschten Ereignisse auf. Zum einen, weil Medikamente häufig verabreicht werden und die Bereitstellung von Medikamenten viele fehleranfällige Schritte umfasst (Anordnung, Bereitstellung, Kontrolle, Verabreichung), und zum anderen, weil Fehler dieser Art in den Krankenakten wohl leichter zu erfassen sind als andere Fehler. Prozessfehler sind hingegen im Rahmen einer retrospektiven Durchsicht einer Krankenakte schwer zu identifizieren. In einem prospektiven Vergleich zwischen den Erfassungstechniken der freiwilligen Ereignismeldung und des »medical chart review« auf Intensivstationen wurden mit dem freiwilligen Meldesystem mehr und wesentlichere Ereignisse erfasst als beim Durchsuchen der Krankenakte. Die freiwillig gemeldeten Ereignisse enthielten zudem mehr Informationen über die Umstände und Ursachen und boten somit mehr Ansatzmöglichkeiten zur künftigen Prävention [9].
75 8.4 · »Risk Assessment«, Risikomanagement
8.3.7
Netzwerke: CIRS, APSF (Australien, Neuseeland)
Vielerorts werden landesweite oder gar internationale Netzwerke zum Ereignismonitoring empfohlen. Deren Ausgestaltung ist frei wählbar, wobei zunehmend Internet-basierte Systeme zur Datenerfassung genutzt werden. In der Schweiz haben Basler Anästhesisten vor vielen Jahren schon ein sog. CIRS (»critical incident reporting system”) eingerichtet (www.anaesthesie.ch/cirs/). Der Benutzer kann anonym Ereignisse in strukturierter Form melden und hat auch Zugang zu den gesammelten Ereignisberichten. Ein Vorteil gerade für den Fachbereich Anästhesie liegt darin, dass auch eher seltene Ereignisse einer breiteren Gruppe zur Kenntnis gebracht werden und beispielsweise durch die Fachgesellschaften in Form von Empfehlungen und Standards bekannt gegeben werden können. Nachteile eines CIRS sind die unkontrollierte Eingabe und die Entkopplung vom lokalen Risikomanagement der meldenden Einrichtung. Mit einem zentralen CIRS allein ist die Verbesserung lokaler Prozesse, und damit letztlich die Prävention gleicher oder ähnlicher Ereignisse, nicht möglich. Auch das Fehlen kontextrelevanter Informationen und der Verzicht auf »near miss« schränken den praktischen Nutzen solche Systeme für die Verbesserung der eigenen Einheit erheblich ein. Ein vorbildliches Netzwerk wird in Australien und Neuseeland betrieben, die Australian Patient Safety Foundation (APSF, www. apsf.net.au). Teil des Angebots ist das »advanced incident management system« (AIMS), das die langjährigen, dortigen Erfahrungen demjenigen zugänglich macht, der ein Ereignismonitoring aufbauen will.
8.4
Risikomanagement und Fehlerkultur in anderen Bereichen
8.4.1
Beispiel Luftfahrt
Der am häufigsten im Zusammenhang mit Sicherheit genannte nicht medizinische Bereich ist die zivile Luftfahrt. Im Gegensatz zur Medizin werden dort seit Jahrzehnten größte Anstrengungen für die Flugsicherheit unternommen. Viele Konzepte wie die kontinuierliche Suche nach Schwachstellen, das anonyme »incident reporting« und die Bedeutung des gut kommunizierenden Teams (»crew resource management«) wurden in der Luftfahrt entwickelt. Dort hat sich über Jahre auch eine sehr solide Sicherheitskultur etabliert, die sich in einer kritischen Selbsteinschätzung und in einem hoch entwickelten Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter widerspiegelt [19]. In einem provokanten Editorial gibt Berwick, basierend auf den realen Zahlen eines New Yorker Krankenhauses [21], die entsprechende Cockpitdurchsage eines Flugkapitäns an seine Passagiere wieder [22]:
»
Ladies and gentlemen, welcome aboard flight number 743, this is your captain speaking. You have a 97 % chance of reaching your destination without being significantly injured. Our chances of making a serious error during the flight is only 6.7 %.
«
Und es folgt die rhetorische Frage:
» Would you fly this airline again? «
Unter 30.195 nach Zufall ausgesuchten Krankengeschichten fanden die Autoren 1133 Patienten (3,7 %), welche aufgrund der Behandlung schwere Schädigungen erlitten hatten. In 58 % dieser Fälle wurden Behandlungsfehler festgestellt, die Hälfte davon war auf Nachlässigkeit zurückzuführen. Eine wesentliche Rolle spielten Medikationsfehler [21]. Natürlich haben Vergleiche zwischen Luftfahrt und Akutmedizin gewisse Grenzen. So sind beispielsweise die kritischen Prozesse eines Fluges recht stereotyp, und im Cockpit gilt bei jeglicher Tätigkeit das 4-Augen-Prinzip, während beim Umgang mit Schwerkranken eine größere Variabilität besteht und nur selten die Gelegenheit für redundantes Vorgehen gegeben ist. Dies entbindet uns aber keineswegs, die hervorragenden Entwicklungen in der Flugsicherheit für unser Fachgebiet weiterzuentwickeln und die daraus gewonnenen Erkenntnisse entsprechend anzuwenden. In diesem Sinne haben Eisen u. Savel jüngst die operationellen Abläufe einer spektakulären (und erfolgreichen) Notwasserung eines Flugzeugs vom Typ Airbus auf dem Hudson-River in New York zum Anlass genommen, Vorgehensweise und Kommunikation einer kardiopulmonalen Reanimation auf einer Intensivstation der Arbeit im Cockpit während eines Notfalls gegenüberzustellen [23]. Augenfällig sind die klare Übernahme des Führungsauftrags mit entsprechender Rollenverteilung, die verbindliche und redundante Kommunikation sowie die Akzeptanz des Feedbacks.
8.5
»Risk Assessment«, Risikomanagement
Klinisches Risikomanagement stellt eine Methode dar, kontinuierlich und in systematischer Form Fehler oder Risiken zu erkennen, zu analysieren, zu verhindern oder ihre Folgen zu begrenzen und die ergriffenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu bewerten. Für Risikoanalysen sind die Beinaheereignisse und jene mit geringem Schaden von besonderer Bedeutung. Es geht schließlich darum, Risiken zu eliminieren und Fehler mit Schaden zu vermeiden. Allgemein lässt sich sagen: Je geringer die Folgen des Ereignisses, desto geeigneter ist es für das Risikomanagement. Je schwerer die Folgen hingegen, desto weniger brauchbar ist ein Ereignis, weil die Notwendigkeit der Schadensbehebung den Präventionsgedanken in den Hintergrund rückt und Emotionen eine größere Rolle einnehmen.
8.5.1
Analysen: Fehlermonitoring zum Aufdecken von Ursachen und Angehen von Verbesserungen nutzen
Konsequentes Ereignismonitoring erlaubt einer Intensivstation, aus Fehlern und v. a. aus den Beinaheereignissen kontinuierlich zu lernen und die eigenen Schwächen, aber auch Stärken zu erkennen. Werden die Daten systematisch ausgewertet, erlaubt die Analyse von Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten die Weiterentwicklung der eigenen Prozesse. Dieser Möglichkeit kommt eine viel größere Bedeutung zu als der Zusammenstellung der Schäden an sich. Ereignismonitoring unterscheidet z. B. zwischen individuellen, menschlichen Fehlleistungen und Systemfehlern, wobei wir meist mit fehlerhaften Prozessen konfrontiert sind. Um diese zu verbessern, müssen Prozessanalysen durchgeführt werden. Dafür bieten sich 2 Methoden an: 4 Process control charts: Bei dieser Technik werden quantifizierbare Prozesse konsekutiv dargestellt (z. B. »door-to-balloon time« bei der perkutanen
8
76
Koronarintervention) und mit einem angestrebten Soll-Wert verglichen. Die Kurve zeigt, ob die Leistung im Durchschnitt erreicht wird und inwieweit die Leistung streut. Auch ob eine Leistung sich nach und nach verändert, lässt sich ablesen. Der Leiter der Station kann dann gezielte Verbesserungen anstreben.
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
4 Prozessanalyse mit Cause-effect-Diagramm (»fishbone diagram«): Hier werden unerwünschte Wirkung und erkannte Ursachen in Form von Fischgräten dargestellt, wobei das unerwünschte Problem als Kopf und die verschiedenen Ursachen als Gräten dargestellt werden. Die Hauptursachen (Hauptgräten) sind meist: Material, Menschen, Regeln, Technologie. »Nebengräten« helfen, die Analyse zu verfeinern. Diese Technik macht rasch sichtbar, wo die verschiedenen Ursachen des fehlerhaften Prozesses zu suchen sind.
8.6
Auswirkung und Nutzen von Ereignismonitoring
8
8.6.1
Prävention
8 8 8 8 8 8
Die idealen kritischen Ereignisse sind jene, die sich gar nicht ereignen. Wird Ereignismonitoring in Führungsmaßnahmen umgesetzt, verringert es die Schäden kritischer Ereignisse oder vermeidet diese ganz. Der wirkliche Nutzen des Risikomanagements lässt sich deshalb kaum quantifizieren. Nur bei sehr genauer Datensammlung kann die Zu- oder Abnahme bestimmter Ereignisse gemessen werden. In einer multizentrischen Untersuchung zu Fehlern im Zusammenhang mit Medikamenten traten auf Intensivstationen mit etabliertem Ereignismonitoring signifikant weniger Medikationsfehler auf [24]. Die Datensammlungen stellen allerdings nie die Gesamtheit der Ereignisse dar, sondern nur die Spitze des Eisbergs.
Fehler und Kosten, Aufwand des Fehlermonitorings und Nutzen
Oft scheut sich ein Stationsleiter, ein Ereignismonitoring einzuführen, weil ihn der Aufwand abschreckt und die Ressourcen zu fehlen scheinen. Qualitätssicherung wird generell als Luxus angesehen, den man sich ohne die nötigen Mittel nicht leisten kann. Die umgekehrte Optik ist richtig: Es ist ein sträflicher Luxus, sich nicht mit Patientensicherheit zu befassen. Der Aufwand, Schadensereignisse zu vermeiden, ist um vieles geringer als derjenige, der nötig ist, um schwere Schäden zu beheben. Korrekturkosten, materiell und emotional, sind immer viel höher als Kosten für die Vorbeugung.
8.6.3 Sind die Ursachen eines fehlerhaften Ereignisses identifiziert, müssen gezielte Führungsmaßnahmen zur Prävention erneuter Ereignisse eingeleitet werden. Dabei unterscheiden sich die Maßnahmen für menschliche Fehler und für Systemfehler. Bei den Mitarbeitern ist in der Regel eine Förderung des Fachwissens oder der Fertigkeiten notwendig, oder aber es muss an die Beachtung von Regeln, Standards und Leitlinien erinnert werden. Systemfehler können entweder recht leicht zu lösen oder aber sehr tückisch sein. Ist das Problem an der Oberfläche lokalisiert und betrifft es Prozesse, so lassen sich rasch Gegenmaßnahmen ergreifen. So kann beispielsweise eine fehlerhafte Serie von Infusionssystemen augenblicklich aus dem Verkehr genommen werden. Andere, tiefer im System verankerte Fehler, die die Strukturen der Einrichtung betreffen, sind mitunter nur sehr schwierig zu lösen. So stellen beispielsweise ungenügende Stellenpläne oder veraltete Betriebsstrukturen durchaus Sicherheitsrisiken dar, können aber aufgrund fehlender Mittelzuweisung nicht einfach verändert werden. Deshalb ist Flexibilität eine der Grundvoraussetzungen (und größten Herausforderungen) für ein erfolgreiches Riskomanagementsystem: Es muss ebenso für rasche Reaktion einsatzbereit sein (sofortige Elimination fehlerhafter Infusionssysteme) wie auch für langfristige Umgestaltungen (z. B. wenn ein unzureichender Stellenschlüssel kontinuierlich die Patientensicherheit gefährdet).
8
8
8.6.2
Fehlerbewirtschaftung als integraler Bestandteil der Betriebs- und Führungskultur
Fehlermonitoring, Prozessanalysen und Risikomanagement sind Kernaufgaben des Leiters einer Intensivstation. Viel zu oft lassen wir uns blenden von immer neueren und spannenderen Therapieformen. Wir vergessen dabei, dass wir im Krankenhaus viel mehr Leben retten und Schäden verhindern könnten, wenn wir schon nur die richtigen Dinge zur richtigen Zeit auch richtig tun würden. Bei fehlerloser Anwendung aller gesicherten Methoden von Diagnose, Therapie und Prävention könnten unsere Kliniken einen Qualitätssprung nach vorn machen, der die Suche nach immer neuen Therapien geradezu nebensächlich erscheinen lassen würde.
8.7
Schwerste Ereignisse, Rechtswelt
8.7.1
Grenzen des Ereignismonitorings bei schwersten Ereignissen
Gerade die schwersten Ereignisse (schwerer Schaden oder Tod eines Patienten) sind aus der Sicht des Qualitätsmanagements keine wirklich brauchbaren Situationen. Grund dafür ist einmal, dass ein übergeordnetes Regelsystem, die Rechtswelt nämlich, die Ereignisanalyse in einer anderen Form erzwingt, als sie aus der Sicht des Qualitätsmanagements erfolgen würde. Ein weiterer Grund ist zudem, dass Zwischenfälle, die mit schwerstem Schaden oder gar mit dem Tod enden, für die Beteiligten emotional derart belastend sind, dass eine Aufarbeitung mit Mitteln des Ereignismonitorings nicht möglich ist. Zudem müssen sie befürchten, dass Äußerungen, die sie zum Ereignis abgeben, im Rechtsverfahren gegen sie verwendet werden könnten. Schwerste Ereignisse sind aber in anderer Weise für die Qualitätssicherung nutzbar. Sie können im betreffenden Betrieb den nötigen Druck erzeugen, sich mit explizitem Fehler- und Risikomanagement zu befassen. Mitarbeiter sind nach solchen Situationen jeweils offen dafür, dass »jetzt etwas geschehen muss«, und dass »es so nicht weitergehen kann«. Häufig wird dann ein allseits belastendes Ereignis zum Ausgangspunkt eines formalen Ereignismonitorings.
77 8.7 · Schwerste Ereignisse, Rechtswelt
8.7.2
Verschiedenartige Behandlung von Fehlern in der Rechtswelt und in der Qualitätswelt
Die Rechtswelt ist jenes Fach, das sich seit Menschengedenken mit schweren Schäden befasst hat. Ziel war immer im weiteren Sinn, die Gemeinschaft vor Schäden an Leib und Leben zu schützen und dafür untersuchend und nötigenfalls strafend einzugreifen (. Tab. 8.5).
8.7.3
Vorgehen bei schweren Schäden (schwere Körperverletzung oder Tod)
Wie oben erwähnt, entziehen sich die schwersten Formen unerwünschter Ereignisse der Qualitätssicherung im engeren Sinn. Je schwerer ein Schaden ist, desto größer ist das Interesse der Öffentlichkeit, und zwar in zweifacher Hinsicht: Die Rechtspflege kennt Meldepflichten bei Verdacht auf Offizialdelikte, und die Informationsgesellschaft erwartet, dass schwere Ereignisse kommuniziert werden. Die beiden Anliegen können in Konflikt stehen (»keine Auskunft bei laufendem Verfahren« wird durch die Medien als Geheimnistuerei kommentiert). Vorgesetzte, in deren Bereich ein Schwerstereignis passiert, haben deshalb mit den Rechtsorganen und mit den Medien richtig umzugehen. Dies kann nicht improvisiert werden, sondern muss vorbereitet sein. Wichtig ist, das Ereignis nicht in einer defensiven, vertuschenden Art zu behandeln, sondern sich sofort als engagierter, offener und an der Sicherheit der Patienten interessierter Betrieb darzustellen. Es ist nicht schwer, aufzuzeigen, dass im Krankenhaus Menschen arbeiten, die den anvertrauten Kranken helfen und nicht schaden wollen. Dazu gehören folgende Punkte: 1. Schweres Ereignis überhaupt erkennen: 5 Viele schwere Ereignisse sind sofort als solche erkennbar. 5 Aber es gibt auch Ereignisse, die nicht offensichtlich sind. 5 Immer bereit sein, an einen Zwischenfall zu denken. 5 Die unerwartete Wende eines Falls muss Verdacht wecken. 5 Normalverlauf gut kennen. 5 Ereignis durch andere Mitarbeiter bestätigen lassen. 2. Krisenteam ad hoc formieren: 5 Alle unmittelbar Beteiligten gehören zum Krisenteam. 5 Leitung durch den momentan Ranghöchsten. 5 Der Ad-hoc-Teamleiter teilt dies den anderen klar mit (»Ich leite diese Krisensituation«). 5 Der Teamleiter hat volle Kompetenzen quer durch alle betrieblich-territorialen Grenzen. 5 Er hat zunächst das Informationsmonopol. 3. »Safety first«, Folgeereignisse vermeiden: 5 Sorge tragen, dass Patienten sicher sind. 5 Sicherheit des Personals gewährleisten. 5 Hilfe holen. 5 Geschädigte lückenlos begleiten. 5 Schadensquellen erkennen und eliminieren (Medikamente, Nahrungsmittel, Stromquelle etc.). 5 Weitere Opfer verhindern. 4. Ereignisort sichern, Sachverhalte sicherstellen: 5 Außer Personen, die in Sicherheit gebracht werden, und Schadensquellen, die zu entfernen sind, muss alles unverändert belassen werden. 5 Nicht beginnen, »das Durcheinander aufzuräumen«. 5 Asservieren und Markieren von Infusionen, Spritzen, Körperflüssigkeiten etc. 5 Keine Versuche unternehmen, das Ereignis zu kaschieren.
. Tab. 8.5 Fehler in der Rechtswelt und im Qualitätsmanagement Rechtswelt
Qualitätsmanagement
Frage nach Schaden
Frage nach Ursachen
Ereignis ohne Schaden interessiert rechtlich nicht
Beinaheereignis (»near miss«) interessiert sehr
Suche nach Schuldigen
Kein Interesse an Schuldigen
Verfügen von Sanktionen, Strafen
Suche nach Lösungen, nicht punitives System
Entschädigung der Opfer
Alle gelten als Opfer
Je schwerer der Schaden, desto wichtiger
Je schwerer der Schaden, desto hinderlicher
5 Unverzüglich professionelle Untersucher einschalten (Rechtsmediziner, Untersuchungsbehörden), vollständig kooperieren. 5 Alle Beteiligten möglichst rasch und allein ihre eigenen Beobachtungen und deren zeitlichen Ablauf niederschreiben lassen. 5 Betroffene Räume für weitere Verwendung sperren. 5. Kommunizieren, dokumentieren: 5 Den Patienten (falls er lebt und bei Bewusstsein ist) gründlich und wahrheitsgemäß darüber informieren, dass er Opfer eines Ereignisses wurde (Teamleiter). 5 Angehörige klar und umfänglich über das Ereignis informieren (Teamleiter und möglichst alle Beteiligten), Zeugen am Gespräch teilnehmen lassen. 5 Gespräche müssen formellen Charakter haben. 5 Offen erklären, dass Fehler passiert sind. 5 Zusichern, dass das Ereignis gründlich untersucht wird. 5 Keine Selbstbezichtigungen oder Schuldzuweisungen an andere. 5 Gespräche und ganzes Krisenmanagement protokollieren. 5 Unverzüglich Klinikleitung informieren. 5 Klarlegen, wer für die weitere Kommunikation zuständig ist. 5 Vorbereitetes Kommunikationskonzept umsetzen. 5 Schriftliche Mitteilung bereithalten, wenn Medien involviert werden. 5 Weitere Gesprächstermine mit Patienten bzw. Familie festlegen. 5 Unbürokratische Hilfe anbieten, psychologische Hilfe anbieten. 5 Immer für Angehörige verfügbar sein. 5 Beteiligte äußern sich nur noch auf Anfrage. 6. Debriefing, Unterstützung der nicht Geschädigten: 5 Alle beteiligten Mitarbeiter werden psychisch leiden und meist Schuldgefühle empfinden. 5 Aussprachen unter den Beteiligten genügen oft (Kollegenhilfe). 5 Einige Mitarbeiter werden professionelles Debriefing brauchen. 5 Schwelle tief halten, wenn Hilfe beansprucht werden soll. 5 Liste von Spezialisten führen, die das Debriefing posttraumatischer Stressstörungen beherrschen. 5 Den beteiligten Mitarbeitern Rechtshilfe zusichern. 7. Künftige Ereignisse ausschließen: 5 Versuchen, aus dem Ereignis später zu lernen. 5 Mit allen Beteiligten eine formale Prozessanalyse durchführen.
8
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Kapitel 8 · Risikomanagement und Fehlerkultur
8
5 Nach versteckten Systemursachen (»root causes«) suchen. 5 Nicht voreilig Abläufe und Verfahren ändern, da dies als Eingeständnis von Schuld missverstanden werden kann. 5 Den Kreis des Qualitätszirkels schließen: Ereignis für Verbesserungen nutzen. 5 Schafft das Ereignis eine Gelegenheit, im betroffenen Betriebsbereich eine Qualitätssicherung aufzubauen? 8. Zurück zur Normalität, Spätkontrollen: 5 Ereignis durch Bericht an die vorgesetzte Klinikbehörde formal abschließen. 5 Den Bericht mit den Beteiligten besprechen. 5 Beginn des erneuten Normalbetriebs explizit bekannt machen. 5 Allfällige neue Richtlinien und Weisungen publik machen. 5 Weiter Kontakt zum Patienten und dessen Familie aufrechterhalten, Abschlussgespräch anbieten. 5 Fachliche Entwicklungen im betreffenden Gebiet aufmerksam verfolgen. 5 Erfahrungen und Gelerntes für andere verfügbar machen (»lessons learned«).
8
Schlussbemerkung
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Erfolgreiches Risikomanagement und positiv gelebte Fehlerkultur bedingen sich gegenseitig. Die geschilderten Konzepte sind hochwirksam, wenn Patientenleben geschützt oder Patientenschäden verhindert werden sollen. Tatsächlich könnten in der klinischen Medizin viel mehr Leben gerettet werden, wenn schon nur die gut belegten Regeln sicher angewendet würden. Immer neuere und besser ausgefeilte Therapien hingegen bewegen sich oft im Bereich des Grenznutzens, wo der massiv gesteigerte Aufwand nur noch marginale Fortschritte bringt.
Literatur 1
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79
Ökonomie und Qualitätsmanagement 9.1
Qualitätsmanagement in der Intensivmedizin – 80
9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5
J. Martin Einleitung – 80 Dimensionen der Qualität – 80 Qualitätsmanagementprogramm auf der Intensivstation – 80 Teamarbeit – der Schlüssel zum Erfolg – 81 Überprüfen und weiteres Aufbauen eines Qualitätssicherungsprogrammes in der Intensivmedizin – 81
9.2
Externe Qualitätssicherung – das DIVI-Register – 82 C. Waydhas
9.2.1 9.2.2 9.2.3
Externe Qualitätssicherung – 82 Kriterien der Ergebnisqualität – 82 Vergleichbarkeit der Ergebnisse – 82
9.3
Ökonomie in der Intensivmedizin – 84 O. Mörer
9.3.1 9.3.2 9.3.3
Kosten- und Leistungserfassung – 84 Erstattung der Kosten – 85 Konzepte zur Kostenersparnis – 86
Literatur – 87
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_9, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
9
9
80
Kapitel 9 · Ökonomie und Qualitätsmanagement
9.1
Qualitätsmanagement in der Intensivmedizin J. Martin
9 9 9 9 9 9 9
9.1.1
Externe Qualitätssicherung, wie sie in Deutschland mit dem Kerndatensatz Intensivmedizin möglich ist, erlaubt ein Benchmarking der eigenen Station mit der Gesamtheit der Teilnehmer [1]. Die Umsetzung eines gefundenen Verbesserungspotenzials muss jedoch immer über ein internes Qualitätsmanagement durchgeführt werden. Ziel eines Qualitätsmanagements ist es, die Struktur und die Prozesse so zu organisieren, dass ein optimales Ergebnis entsteht. Qualität im Gesundheitswesen Qualität im Gesundheitswesen ist definiert als Versorgung bzw. Behandlung, die sicher, zeitnah, effektiv, effizient, angemessen und patientenzentriert ist [2].
9 9.1.2
9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9
Einleitung
Dimensionen der Qualität
Die führenden Qualitätsmanagementprogramme unterteilen die Qualität nach dem Modell von Donabedian in 3 Klassen: Struktur-, Prozess- und Ergebnis-(Outcome-) Qualität [3, 4]. Diese Komponenten sind jedoch nicht isoliert zu betrachten, sondern sie sind im modernen Qualitätsmanagement eng verzahnt.
Ergebnis- bzw. Outcomequalität Die dritte Dimension des Qualitätsmodells nach Donabedian stellt die Ergebnis- bzw. Outcome-Qualität dar. Hierzu gibt es in der Intensivmedizin die meisten Publikationen. Es wurden Modelle entwickelt, die die risikoadjustierte Mortalität sowie die standardisierte Mortalitätsratio aufzeigen. Dennoch hat auch die risikoadjustierte Messung der Mortalität wichtige Limitationen und kann nur bedingt die Qualität der einzelnen Intensivstationen darstellen [11]. Auch andere Outcome-Parameter, wie die Morbidität, beschreiben die Ergebnisqualität der Intensivmedizin. Dies ist der Grund, dass die Ergebnisqualität in der Intensivmedizin keine reine OutcomeQualität ist, sondern mehrere Dimensionen hat. Um eine Verbesserung der Ergebnisqualität zu erreichen, ist es immer notwendig, die Prozessqualität zu optimieren, und dies gelingt nur, wenn die Strukturqualität die entsprechenden Voraussetzungen bietet. Bei der Implementierung eines übergreifenden Qualitätsmanagementprogramms auf der Intensivstation müssen alle 3 Ausprägungen der Qualität berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen die externen Schnittstellen, insbesondere die Einbeziehung der Angehörigen in den Prozess, mit berücksichtigt werden.
9.1.3
Qualitätsmanagementprogramm auf der Intensivstation
Qualitätsmanagement ist eine Führungsaufgabe. Die Initiative zum Qualitätsmanagement muss immer von der Führung ausgehen und unterstützt werden. Dabei sind verschieden Aspekte zu berücksichtigen (. Tab. 9.1)
Strukturqualität Als Strukturqualität kann die Komponente der Qualität bezeichnet werden, die beschreibt, wie die Intensivmedizin organisiert ist. Hier gibt es in Deutschland große Unterschiede. Es gibt interdisziplinäre, fachübergreifende Intensivstationen, fachspezifische Intensivstationen und interdisziplinär operative oder medizinische Intensivstationen, je nach Organisationsstruktur der jeweiligen Klinik. Trotz dieser Unterschiede haben Publikationen gezeigt, dass Intensivstationen, die von Intensivmedizinern geleitet werden, die 24 h erreichbar sind, ein besseres Outcome haben [5]. Ebenso konnte dargestellt werden, dass die technologische Ausstattung entsprechend dem Krankengut angepasst sein muss, um ein optimales Outcome zu erreichen [6]. Trotz dieser grundlegenden Erkenntnisse bedarf es dringend weiterer Untersuchungen, um die Strukturvoraussetzungen für eine optimale Versorgung der Patienten weiter zu evaluieren [7].
. Tab. 9.1 Implementierung eines Qualitätsmanagementprogrammes durch die Führung. (Nach [14]) Stadium
Die einzelnen Schritte
Vorbereitung eines Qualitätsmanagementprogramms
5 Motivation der Mitarbeiter, Unterstützen des Teams 5 Aufbau einer Führungsstruktur 5 Eruieren potenzieller Projekte und Auswahl eines Startprojektes 5 Vorbereiten des Projektes durch Festlegung der Messinstrumente, Aufbau einer Unterstützung für das Projekt und Entwicklung eines Projektplanes 5 Durchführung einer Ist-Analyse der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, (eventuelle Hindernisse, Möglichkeiten und Gefahren evaluieren) 5 Ressourcen für das Projekt freigeben 5 Festlegen der Datensammlung (Qualitätsindikatoren) und Dokumentation 5 Regelmäßige Darstellung derZwischenergebnisse 5 Ein Veränderungsmanagement (ChangeManagement) implementieren.
Evaluation des Qualitätsmanagementprogramm
5 Überprüfen, ob die Ziele der Änderung erreicht sind 5 Weitere Änderungsstrategien einführen 5 Fokussieren auf das interdisziplinäre Team
Prozessqualität Die Prozessqualität ist die zweite Komponente des DonabedianModells. In der Prozessqualität wird dargestellt, wie die Patienten behandelt werden und wie mit den Angehörigen umgegangen wird. Gerade die Intensivmedizin hat eine sehr große Zahl an klinischen und nichtklinischen Schnittstellen, die optimal aufeinander abgestimmt sein müssen. Es gibt zwar Studien, die darlegen, dass spezielle Interventionen und Prozesse zu einer Verbesserung der Qualität führen [8], dennoch gibt es keine Arbeit, die aufzeigt, wie die Gesamtorganisation einer Intensivstation in diesem Bereich optimal zu gestalten ist. Allerdings haben nichtklinische Prozesse, wie das Organisationsmanagement, einen enormen Einfluss auf die Qualität der Behandlung [9]. Weitere wichtige Parameter der Prozessqualität sind das Aufnahme-, Entlass- und Verlegungsmanagement [10].
81 9.1 · Qualitätsmanagement in der Intensivmedizin
Voraussetzungen für das erfolgreiche Implementieren der Teamarbeit [14] 4 Verstehen Sie die Einführung von Teamarbeit als Prozess und nicht als einmaligen Akt. 4 Akzeptieren Sie Widerstände der Mitarbeiter als normales Phänomen. 4 Führen Sie eine regelmäßige Kommunikation in allen Phasen der Einführung durch. 4 Starten Sie die Schulungen frühzeitig. 4 Definieren Sie vor dem Start der Teamarbeit die Arbeitsabläufe entsprechend der neuen Struktur. 4 Legen Sie die Handlungsspielräume der Mitarbeiter fest. 4 Wer bislang hierarchisch geführt hat, braucht eine Qualifizierung für die neue Rolle. 4 Feiern Sie Erfolge.
9.1.4
Teamarbeit – der Schlüssel zum Erfolg
Die Bildung von Teams und die entsprechende Reorganisation der Arbeitsabläufe allein genügen nicht, um die Synergieeffekte freizusetzen, die das Einführen eines Qualitätsmanagements ermöglichen. Wenn Teamarbeit zum Erfolg aller Beteiligten führen soll, müssen Gewohnheiten aufgegeben und Arbeitsstile aufeinander abgestimmt werden. Eine Vielzahl von Einzelhandlungen ist zu einem wirksamen Gesamtprozess zu koordinieren. Teamarbeit als gemeinsame Vorgehensweise und Entscheidung bedeutet einen wichtigen Wechsel im Rollenverständnis aller Beteiligten.
9.1.5
Überprüfen und weiteres Aufbauen eines Qualitätssicherungsprogrammes in der Intensivmedizin
Nach der Implementierung des Qualitätsmanagements müssen die Maßnahmen durch entsprechende Indikatoren gemessen werden. Diese Qualitätsindikatoren müssen den Anforderungen der RUMBA-Regel entsprechen [12] (7 Übersicht).
RUMBA-Regel 4 »Relevant for selected problem« (relevant für das Problem) 4 »Understandable« (verständlich) 4 »Measurable with high reliability and validity« (messbar mit hoher Zuverlässigkeit und Gültigkeit) 4 »Behaviourable, i. e. changeable by behaviour« (veränderbar durch das Verhalten) 4 »Achievable and feasible« (erreichbar und durchführbar)
. Tab. 9.2 Muster eines Qualitätsindikators nach den Anforderungen der SEMICYUC [12] Ausprägung
Definition
Größenordnung
Wichtiger Aspekt der Behandlung?
Begründung
Darlegung der Gründe, warum dieser Indikator gemessen wird
Mathematische Formel
Formel zur Berechnung der Zielerreichung
Population
Für welche Patienten trifft der Indikator zu
Art des Indikators
Struktur, Prozess oder Ergebnis (Outcome)
Datenquelle
Darlegen, aus welcher Datenquelle die Erfassung des Indikators erfolgt (z. B. Krankenakte, Krankenhausinformationssystem o. A.)
Richtwert
Wert der Zielerreichung
Kommentare
Darlegung der Literaturstellen, die die Wirksamkeit des Indikators belegen
. Tab. 9.3 Schritte zur Entwicklung von Qualitätsindikatoren [13] Arbeitsschritte
Erklärung
Review in der aktuellen Literatur
Zusammenfassung der vorhandenen Evidenz in Struktur und Prozessen der Versorgung bei Verbesserung des Outcomes
Auswahl spezifischer Typen von Outcome
Auswahlkriterien: evaluiertes Outcome, eingeschlossen Mortalität, Morbidität, Kosten der Versorgung
Pilotindikatoren festlegen
Auswahlkriterien: Stärke der Evidenz, dass ein spezieller Prozess das Outcome verbessern könnte; Möglichkeit der Datenerhebung
Ein Manual zur Erfassung der Indikatoren erstellen
Für jede Messung definieren: Wer, was; wo, wann und wie die Daten erfasst werden müssen
Evaluation auf Validität und Reliabilität der Daten
Validität: Ist es glaubhaft, dass die gemessenen Daten einen wichtigen Aspekt der Qualität der Versorgung darstellen? Reliabilität: Reduktion der Unterschiede in der Datenerfassung durch ein exaktes Beschreiben, wie die Daten zu erfassen sind
Pilotmessung in der Praxis
Hierzu wurden von der »Spanish Society of Intensive Care Medicine and Coronary Care Units« (SEMICYUC) über 100 Indikatoren entwickelt und mit entsprechenden Qualitätszielen wiedergegeben [12]. Die Darlegung der Indikatoren ist nach einem einheitlichen Muster aufgebaut (. Tab. 9.2). Da die Entwicklung der Indikatoren sehr aufwendig und nur für wenige Abteilungen leistbar ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI) die Qualitätsindikatoren der spanischen Intensivgesellschaft mit deren freundlicher Genehmigung übersetzt und,
Überprüfen, ob die Daten nutzbar sind
wo möglich oder notwendig, durch die neueste evidenzbasierte medizinische Literatur aktualisiert (. Tab. 9.3). In einem 2-stufigen Delphi-Verfahren wurden die Indikatoren priorisiert und mit einem Expertenteam finalisiert. Dabei wurde die Liste der ersten 10 Indikatoren zur weiteren Überprüfung empfohlen (. Tab. 9.4). Im Rahmen einer Prävalenzstudie soll die Umsetzung der Parameter evaluiert werden.
9
82
Kapitel 9 · Ökonomie und Qualitätsmanagement
9
. Tab. 9.4 Qualitätsindikatoren in der Intensivmedizin. (Nach [www.DGAI.de])
9
Nummer
Hauptindikatoren 1–10
I
Oberkörperhochlagerung
II
Monitoring von Sedierung, Analgesie und Delir
III
Protektive Beatmung
IV
Weaning-Protokoll mit Spontanatmungsversuch
V
Frühzeitige und adäquate Antibiotikatherapie
9
VI
Therapeutische Hypothermie nach Herzstillstand
VII
Frühe enterale Ernährung
9
VIII
Dokumentation von Angehörigengesprächen
IX X
. Tab. 9.5 Mögliche Ausprägungen der Ergebnisqualität (Auswahl) Parameter
9 9 9
9 9 9 9 9 9
Sterblichkeit
5 5 5 5
Behandlungsdauer
5 Beatmungsdauer 5 Intensivstationsliegedauer 5 Krankenhausliegedauer
Morbidität
5 Infektionen (Inzidenz, Schwere) 5 Organfunktionsstörungen (Inzidenz, Schwere) 5 Reintubationsrate 5 Ungeplante Wiederaufnahmerate auf die Intensivstation
Händedesinfektionsmittelverbrauch
Zwischenfälle
Leitung durch einen Intensivmediziner mit Zusatzbezeichnung und Gewährleistung der Präsenz eines Arztes mit Facharztstandard über 24 h
5 Inzidenz 5 Schwere
Zufriedenheit und Lebensqualität
5 der Patienten 5 der Angehörigen von Intensivpatienten 5 des medizinischen Personals
Ökonomie und Kosteneffizienz aus der Sicht von
5 eigener Abteilung (Budgetverantwortung) 5 Krankenhausleitung 5 Kostenträger 5 Versicherten 5 Gesundheitspolitik
Fazit Für das erfolgreiche Implementieren eines Qualitätsmanagements auf der Intensivstation bedarf es eines interdisziplinären und interprofessionellen Teams, das motiviert ist, ein Qualitätsmanagement stufenweise und kontinuierlich einzuführen [7].
9.2
9
Externe Qualitätssicherung – das DIVI-Register C. Waydhas
9
9.2.1
9
Die externe Qualitätssicherung beruht auf dem Vergleich des eigenen Ergebnisses mit einem Komparator. Aus diesem Vergleich wird auf die Ergebnisqualität geschlossen. Sie bezieht sich dabei auf die Qualität der Erreichung eines vorgegebenen Ziels, gemessen an einem absoluten Zielwert oder im Vergleich mit der Zielerreichung Anderer. Sie ist der primäre Beurteilungsmaßstab für eine medizinische Leistung. Die zentrale Hypothese besagt dabei, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Qualität der eingesetzten Mittel (Strukturqualität) und der Qualität der Behandlungsdurchführung (Prozessqualität) mit dem erreichten Ergebnis besteht. Bei Abweichungen sollte dementsprechend nach möglichen ursächlichen Schwächen in der Struktur- oder Prozessqualität gesucht und diese ggf. beseitigt werden. Die Unterschiede in der Zielerreichung können aber auch durch nicht beeinflussbare Variablen wie beispielsweise die Patientenselektion bedingt sein.
9 9 9 9 9 9
Externe Qualitätssicherung
Kriterien der Ergebnisqualität
9
9.2.2
9
Das Ergebnis einer Behandlung ist das wichtigste Kriterium für die Qualität der Versorgung. Alle anderen Maßnahmen, insbesondere auch in den Bereichen der Struktur- und Prozessqualität, zielen ausschließlich auf die Erreichung eines möglichst guten Ergebnisses ab. Im (nicht messbaren) Gesamtergebnis ist allerdings ein weites
9
Intensivstationsletalität Krankenhausletalität 28- oder 90-Tages-Letalität 2- oder 5-Jahres-Letalität
Spektrum verschiedenster (messbarer) Ergebnisausprägungen enthalten . Tab. 9.5. Keine der genannten Ergebnisqualitäten ist besser oder schlechter als die anderen. Die Auswahl erfolgt ausschließlich in Abhängigkeit von selbst gewählten oder vorgegebenen Zielen und davon, wer die Qualitätssicherung vornimmt. Entsprechend der ausgewählten Ergebnisausprägungen ist eine darauf abgestimmte spezielle Leistungserfassung erforderlich. Diese kann – je nach Qualität der Datenerfassungsstruktur – routinemäßig und mit relativ geringem Aufwand möglich sein (z. B. Sterblichkeit, Liegedauer, Morbidität, einige Kostenaspekte). Aufwendiger – und deshalb selten außerhalb wissenschaftlicher Studien – werden das Langzeitüberleben und die Lebensqualitätsparameter sowie gesamtökonomische Ergebnisse erhoben und analysiert.
9.2.3
Vergleichbarkeit der Ergebnisse
»
If you have never felt the need for any type of severity scoring system, then you have probably never had to explain how it is that the survival rate of 85 % in your intensive care unit is actually better than the survival rate of 97 % in some other ICU where the patients are much less seriously ill. (Mod. nach S. Baker 1983)
«
Für die Bewertung jeglichen Ergebnisses ist grundsätzlich ein Vergleich notwendig. Ein Vorher-nachher-Vergleich zeigt den Fortschritt, den die eigenen qualitätsverbessernden Maßnahmen bewirkt haben, am besten. Er ist das Herz des Qualitätszyklus. Es fehlt allerdings die Kalibrierung an einem übergeordneten allgemein gültigen »Standard«, um das Ergebnis im Spektrum dessen, was generell erwartet bzw. geleistet wird, einordnen zu können. Hierfür ist ein externer Qualitätsvergleich erforderlich.
83 9.2 · Externe Qualitätssicherung – das DIVI-Register
> Kernproblem aller Vergleiche ist die Frage, ob verschiedene Patientenkollektive überhaupt miteinander vergleichbar sind.
So kann das Behandlungsergebnis vom Alter und Geschlecht des Patienten, seinen Vorerkrankungen, der Art und dem Stadium bzw. der Prognose der Grunderkrankung, der Dauer der akuten Erkrankung vor Aufnahme auf die Intensivstation, dem Zustand des Patienten zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Intensivstation u. v. a. abhängen. Nur wenn bezüglich dieser und anderer Risikofaktoren eine Vergleichbarkeit zwischen Patientenkollektiven besteht, kann auf den Einfluss von Qualitätskriterien zurückgeschlossen werden. > Ein externer Qualitätsvergleich ist ohne eine Form der risikoadjustierten Schweregradbeschreibung (z. B. mit Scores) nicht möglich.
Für die Intensivmedizin existieren eine Reihe von gut validierten Prognosescores, deren neuester der Simplified Acute Physiology Score 3 [7] (SAPS 3) ist (. Tab. 9.6). Dieser ist als »public domain« frei verfügbar. Alternativen sind der ältere SAPS 2 sowie der APACHE II und der APACHE III (kostenpflichtig). Für andere Ergebnisqualitäten können andere Schweregradadjustierungen erforderlich sein; nicht für alle Anwendungen sind diese vorhanden. Für den Ergebnisvergleich ist, neben dem eingangs erwähnten internen Längsschnittvergleich, der Vergleich mit den Ergebnissen anderer, vergleichbarer Intensivstationen von besonderem Interesse. Diese können, beispielsweise anhand publizierter Daten aus wissenschaftlichen Studien, als die möglicherweise »besten« erzielbaren Ergebnisse definiert werden. Dies hat den Nachteil, dass man sich mit Ergebnissen vergleicht, die zwar unter optimalen Bedingungen erreichbar sind (und zusätzlich einem Hawthorne-Effekt unterliegen können), aber unter artifiziellen Studienbedingungen und Patientenselektionierungen entstanden sind und damit auf typische Patientenkollektive nicht unbedingt sinnhaft zu übertragen sind. Auch ist eine Vergleichbarkeit in der Datenerfassung und Datenqualität meist nicht sichergestellt. Günstiger erscheint die Teilnahme an größeren Qualitätssicherungprojekten mit definierter Datenerfassung, einheitlichen Definitionen und vorgegebenen Qualitätsindikatoren. Hierzu gehören im deutschsprachigen Raum: 4 Nationales Register zur Qualitätssicherung in der Intensivmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) [1] [www.divi-org.de], 4 Verein Österreichisches Zentrum für Dokumentation und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin (ASDI) [6] [www. asdi.ac.at], 4 das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) [3]: Modul ITS-KISS [www.nrz-hygiene.de],
4 das Qualitätsmanagement ITS der Landesärztekammer Thüringen [www.laek-thueringen.de], 4 Leapfrog Group (USA) [4]; [www.leapfroggroup.org]. Innerhalb Deutschlands wurde ein Kerndatensatz Intensivmedizin – Mindestinhalte der Dokumentation im Bereich der Intensivmedizin gemeinsam von der DIVI und der DGAI verabschiedet [1, 5, 8, 9]. Der Kerndatensatz der DIVI und DGAI umfasst Angaben zu demographischen Daten (Alter, Geschlecht), zur Herkunft (Aufenthaltsort vor Aufnahme auf die Intensivstation), zum Aufnahmegrund (Diagnose, Krankheitskategorie, Art der vitalen Störung). Weiterhin wird der Zustand zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Intensivstation (SAPS 2 und 3) erfasst. Diese Daten erlauben eine Risikostratifizierung der Patienten und erleichtern den Vergleich über die verschiedenen Intensivstationen hinweg. Die Beschreibung des Verlaufs während des Aufenthalts auf der Intensivstation wird durch eine tägliche Erfassung des SAPS 2, TISS und SOFA-Scores realisiert. Zu den erfassten Ergebnisvariablen gehören das Überleben, der Zustand bei Verlassen der Intensivstation und der Zielort der Verlegung sowie (fakultativ) der Barthel-Index. Damit ist es möglich, die Häufigkeit und ggf. der Dauer von Interventionen und Komplikationen auch unter Berücksichtigung der Patientencharakteristika und Ausgangssituation bei Aufnahme auf die Intensivstation vergleichend darzustellen. Eine der wichtigsten Analysen ist der Vergleich der erwarteten Sterblichkeit mit der tatsächlich beobachteten Letalität. Dieser wird ausgedrückt als SMR (»standardized mortality ratio«). Die SMR ist der Quotient aus beobachteter zu vorhergesagter Sterblichkeit. Ein Quotient von <1 bedeutet, dass weniger Patienten verstorben sind als erwartet (das weist auf eine gute Qualität hin), ein Quotient von >1 ist entsprechend umgekehrt zu interpretieren. Zur Interpretation des Vergleichs ist die Definierung des angestrebten Ziels entscheidend. Allgemein gesprochen kann es ein Ziel sein, eine bestimmte Anforderung immer zu erfüllen, schlechte Ergebnisse zu vermeiden bzw. zu minimieren oder im Durchschnitt eine bestimmte Leistung zu erreichen (»benchmarking«). Die angestrebte Leistung kann der durchschnittlichen Leistung vergleichbarer Intensivstationen entsprechen oder sich an den Besten orientieren. Der Vergleich mit dem Durchschnitt kann dazu führen, dass zwar Problembereiche identifiziert werden können, nicht jedoch die Potenziale realisiert werden, die eine Spitzenleistung ermöglichen. Andererseits zeigt eine Leistung wie der Durchschnitt eine adäquate Qualität an. Ein unterdurchschnittliches Ergebnis oder ein Ergebnis, das nicht den eigenen Erwartungen oder Anforderungen entspricht, gibt Anlass, neben möglichen Strukturdefiziten auch die eigenen Prozesse zu untersuchen, um das Verbesserungspotenzial auszuschöpfen.
. Tab. 9.6 Parameter des Simplified Acute Physiology Score 3 (SAPS 3). (Mod. nach Moreno et al. [7]) Box 1
Box 2
Box 3
5 Alter 5 Komorbiditäten 5 Dauer des Krankenhausaufenthalts vor Aufnahme auf die Intensivstation 5 Krankenhausbereich, in dem sich der Patient vor Aufnahme auf die Intensivstation aufgehalten hat 5 Wesentliche Therapiemaßnahmen vor Aufnahme auf die Intensivstation
5 Geplante oder ungeplante Aufnahme auf die Intensivstation 5 Gründe für die Aufnahme (welche Organstörung?) 5 Chirurgischer Status 5 Anatomische Region des chirurgischen Eingriffs (falls zutreffend) 5 Akuter Infektionsstatus zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Intensivstation
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Glasgow-Coma-Scale Gesamtbilirubin Körpertemperatur Kreatinin im Serum Herzfrequenz Leukozytenzahl pH-Wert Thrombozytenzahl Systolischer Blutdruck Oxygenierung
9
9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9 9
84
Kapitel 9 · Ökonomie und Qualitätsmanagement
9.3
Ökonomie in der Intensivmedizin O. Mörer
Bis vor wenigen Jahren war der Behandlungsauftrag ausreichend. Heute werden auch Krankenhäuser nach wirtschaftlichen Grundprinzipien bewertet: »Der Ertrag muss den Aufwand rechtfertigen«. Die stetige Zunahme der Ausgaben im Gesundheitssystem gibt vor dem Hintergrund der sich verändernden demographischen Bevölkerungskonstellation aus volkswirtschaftlicher Sicht Anlass zur Sorge, ob wir uns eine Medizin nach heutigem Standard auch in Zukunft werden leisten können [1]. Bei dem Bestreben, die Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren, gerät auch die Intensivmedizin zunehmend in den Fokus [2]. In Deutschland werden pro Jahr ca. 63,2 Mrd. Euro für die Krankenhäuser ausgegeben [3]. Davon entfallen ca. 13 % für die intensivstationäre Behandlung [4]. In Krankenhäusern der Maximalversorgung werden für die Intensivstationen bis zu 20 % des Gesamtetats aufgewendet, obwohl nur ca. 5 % aller Krankenhauspatienten in diesem Bereich behandelt werden [5, 6]. Sie gehören, neben den Operationseinheiten, zu den kostenintensivsten Abteilungen einer Klinik. Diese Tatsache allein ist allerdings zunächst wertneutral, da eine Beurteilung der Kosten nur vor dem Hintergrund der Erlöse sinnvoll erscheint. Auch die Perspektive ist zu bedenken. Was sich aus gesamtgesellschaftlicher, volkswirtschaftlicher Perspektive als problematisch darstellt, kann gleichzeitig aus betriebswirtschaftlicher Sicht eines Krankenhauses hochrentabel sein. Es lässt sich allerdings konstatieren, dass in einem so kostenintensivem Teilbereich der Medizin eine kritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Aspekten dringend geboten ist, damit die zur Verfügung stehenden Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich auch in Zukunft eine Intensivtherapie auf hohem Niveau rechtfertigen lässt. Eine Zuordnung und Berechnung der Kosten im Bereich der Intensivmedizin ist nur exakt möglich, wenn die erbrachten Leistungen und verbrauchten Ressourcen patientenindividuell erfasst werden. Die Verantwortung für die Leistungserfassung sollte idealerweise am Ort der Leistungserbringung »online« erfolgen. Sie ist primär unabhängig von ihrer Verrechenbarkeit. Eine umfassende Leistungserfassung wird mit Implementierung von computerisierten Patientendatenmanagementsystemen in der Intensivmedizin zunehmend realisierbar.
9 9 9 9 9 9 9 9 9
9.3.1
Kosten- und Leistungserfassung
Unter dem betriebswirtschaftlichen Begriff »Kosten« wird der bewertete Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen in einer Periode zum Zwecke der Leistungserstellung verstanden [7]. Die Beurteilung von erbrachter Leistungen und der entstandenen Kosten ist extrem von der Perspektive des Betrachters abhängig. Dies kann im Bereich der Medizin z. B. die Gesellschaft, der Kostenträger, das Krankenhaus, die Intensivstation oder der einzelne Patient sein. > Die Beurteilung von Kosten ist nur unter Berücksichtigung der Perspektive des Untersuchers möglich.
Bei den Kosten muss genau berücksichtigt werden, worauf sich die Kostenbelastung bezieht. So sind Kosten für das Krankenhaus solche, für die das Krankenhaus belastet wird. Diese sind zu unterscheiden von Preisen (z. B. Preis eines Arzneimittels nach der Roten Liste), vom Budget (d. h, die finanzielle Haushaltsmittelzuteilung für eine Betriebseinheit), von Fallpauschalen bzw. Sonderentgelten (die von den Kassen als Entgelt für die Krankenhausleistung gezahlt
werden und von dem Krankenhaus als Einnahmen verbucht werden). Im Allgemeinen sind die realen Kosten einer Intensivbehandlung unbekannt. Dabei lässt sich eine Kostenberechnung anhand der Gesamtaufwendungen des Krankenhauses durch anteilige Berechnung von oben nach unten (,,top-down«) seitens der Krankenhausverwaltung durchführen. Eine derartige Kostenstellenrechnung gibt ausreichend Informationen darüber, welche Kosten im Bereich der Intensivmedizin entstanden sind. Stellt man diesen Berechnungen beispielsweise den anteiligen DRG-Erlös für Intensivmedizin gegenüber, lässt sich berechnen, ob die Intensivstation kostendeckend arbeitet. Eine Schätzung des indirekten Kostenanteils (Kosten, die der Intensivstation nicht direkt zuzuordnen sind) kann nur aus den laufenden Kosten des Gesamtbetriebs ermittelt werden. Der jeweilige Anteil für eine Betriebseinheit kann dann entweder gleichgewichtig proportional (etwa nach der Bettenzahl, der Raumnutzung oder der Pflegetage) oder aber ungleichgewichtig (etwa nach einem speziell ermittelten, aufwandsangepassten Proportionalitätsfaktor) verteilt werden. Eine auf die Abteilung oder Kostenstelle bezogene differenzierte Kostenartenrechnung (Aufgliederung nach Personalkosten, Material- oder Sachkosten, Fremdleistungskosten) muss bezüglich ihrer Inhalte genau definiert sein. Eine Zusammenfassung in verschiedene Kostenarten oder Kostenblöcke [8], wie etwa in Kosten für Personal, medizinische Verbrauchsgüter, klinische Hilfsdienste, nichtklinische Hilfsdienste, Einrichtungen und Immobilie, erleichtert hierbei die weitere Analyse. Je nach angestrebtem Ziel und Perspektive der Datenerhebung kann eine derartige Kostenerfassung durchaus sinnvoll sein, sie birgt aus intensivmedizinischer Sicht jedoch folgende Probleme: 4 ausschließlich retrospektiv, 4 Erfassung der Kosten einer größeren Betriebseinheit, 4 individuelle Zuordnung zu einzelnen Diagnosen, Prozeduren oder Patienten nahezu unmöglich, 4 keine sinnvolle Handhabe für Kostenersparnis. Die Kosten für die verschiedenen Behandlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit verschiedenen Diagnosen oder gar die Ausgaben für einen individuellen Patienten können jedoch in der Regel nicht ermittelt werden. Bislang waren selbst einfachste Voraussetzungen für eine Kostenerfassung in der Intensivmedizin nicht selbstverständlich: In einer Untersuchung in 88 Intensivstationen aus 12 europäischen Ländern (EURICUS) [9] stellte sich heraus, dass nur 14 Stationen über ein eigenes Kostenerfassungssystem verfügten und nur 38 Stationsleiter eine gewisse Vorstellung über die Kosten pro Behandlungstag für ihre Station hatten [10]. Eine heute durchgeführte Umfrage wird sehr wahrscheinlich ein verändertes Kostenbewusstsein zeigen. Die Frage etwa, warum im vergangenen Jahr das Budget der Betriebseinheit überschritten worden ist, kann mit dem Top-downVerfahren nicht beantwortet werden. Auch die Frage, ob die Behandlung einzelner DRGs kostendeckend möglich ist oder defizitär, bleibt unbeantwortet. Diese Frage kann nur z. B. aus etwaigen Änderungen von Behandlungsverfahren oder der geänderten Patientenanzahl bzw. -diagnosen geschätzt werden. So lassen sich nur selten die notwendigen Konsequenzen für eine Therapieoptimierung oder für einen rationelleren Einsatz beschränkter Ressourcen entwickeln [11]. Demgegenüber ist mittels detaillierter Kostenträgerrechnung durch Anwendung eines Bottom-up-Verfahrens eine direkte Erfassung der Aufwendungen am individuellen Patienten möglich [12], allerdings wesentlich aufwendiger. Sie ermöglicht eine detaillierte
85 9.3 · Ökonomie in der Intensivmedizin
patientenbezogene Analyse der Therapiekosten. In der Intensivmedizin lässt sich dieses Verfahren nur durch eine automatisierte Erfassung über ein integriertes Patientendatenerfassungssystem (»patient data management system« – PDMS) verwirklichen [13]. Der Vorteil liegt in der permanenten Verfügbarkeit und dem – auf lange Sicht – geringeren personellen Aufwand, eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung rationaler und ökonomischer Therapiekonzepte. Doch auch bei bettseitiger Erfassung der direkten Kosten lassen sich die indirekten, übergeordneten Kosten (Overhead) nur mit dem Top-down-Verfahren ermitteln, was aufgrund der Stabilität dieser Kosten über einen längeren Zeitraum hinweg jedoch vertretbar erscheint.
Erfassung des Personalaufwands Ein Großteil der Kosten der Intensivtherapie sind Personalkosten (7 unten). Da der personelle Aufwand für den einzelnen Patienten vom Krankheitsbild und dem aktuellen Krankheitsschweregrad abhängig ist, ist eine fallbezogene Erfassung der erbrachten Leistung sinnvoll. Sie ist die Voraussetzung für die Berechnung des Personalbedarfs einer Intensivstation. Bisher bilden die einzelnen in der Intensivmedizin tätigen Berufsgruppen ihre Leistungen in unterschiedlichem Maße ab. So hat sich die patientengenaue Darstellung der Pflegeleistung in den letzten Jahren zunehmend etabliert, da die Anwendung allgemeiner Pflegeschlüssel (7 Kap. 10) den Belastungen einer Intensivstation nicht gerecht wird. Die Arbeitsbelastung kann schon innerhalb eines Krankenhauses erheblich variieren, und es gibt deutliche diagnosebezogene Unterschiede im Pflegeaufwand. Bei polytraumatisierten Patienten liegt die Pflegezeit mit im Mittel 924 min deutlich höher als für einen internistischen Patienten mit Herzinfarkt (819 min) [14]. Trotzdem lässt die medizinische Diagnose keine zuverlässigen Rückschlüsse auf den Pflegeaufwand zu [14]. Es gibt verschiedene Erfassungssysteme, mit denen anhand von gemittelten Zeiten oder Aufwandspunkten der Aufwand berechnet werden kann, der sich dann wiederum in Personalkosten umrechnen lässt. Neben international etablierten Scoring-Systemen wie dem TISS-28 (Therapeutic Interventions Scoring System-28) [15] oder NEMS [16] stehen weitere Pflegezeiterfassungsmodelle für die Ermittlung und Festlegung des Pflegeaufwands zur Verfügung. Hierbei ist LEP (LEP = Leistungserfassung in der Pflege) [17] das am weitesten verbreitete und validierte Instrument. Während es also im Pflegebereich seit Jahren Bestrebungen gibt, die erbrachten Leistungen jedem Patienten individuell zugeordnet »bottom up« zu dokumentieren, werden ärztlich Leistungen in der Regel über den Personalschlüssel auf die Anzahl der im beobachteten Zeitraum behandelten Patienten bzw. Gesamtliegetage »top down« heruntergerechnet. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass eine patientennahe Leistungserfassung pflegerischer Maßnahmen aufgrund der begrenzten Anzahl betreuter Patienten pro Pflegekraft insgesamt einfacher ist als beim ärztlichen Personal, das einen nicht geringen Anteil der dem Patienten zuzuordnenden Tätigkeiten (Beurteilung von Röntgenbildern, Laborwerten und Untersuchungsbefunden) nicht direkt am Patientenbett erbringt. Trotz höherer Ungenauigkeiten ist aber auch eine patientengenaue ärztliche Leistungserfassung denkbar. Flexible Arbeitszeitmodelle, ein Pool von Pflegekräften und Ärzten, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Aufwand zugeordnet werden können, sowie die Anpassung der Personalschlüssel an den wahren Arbeitsaufwand sind Möglichkeiten, die sich aus der Beschreibung des Personalaufwandes ableiten lassen. Ohne derartige Konzepte bleiben Personalkosten »indirekte Kosten«, da das Personal unabhängig von der aktuellen Beschäftigungssituation ohnehin
vorhanden ist. So wird man die gesamten Personalkosten als tatsächliche Jahreskosten (inkl. Überstunden) erfassen und diese dann etwa als Aufwand pro Behandlungstag errechnen.
Kosten der Intensivbehandlung Die Intensivmedizin repräsentiert den kostenintensivsten Bereich eines Krankenhauses [5], in dem zwischen 5–20 % der Gesamtkosten entstehen [5, 6]. Mit zwischen 45 und 65 % fallen die Hauptausgaben auf die Personalkosten [18–21]. Eigene Daten aus einer Untersuchung in 51 deutschen Intensivstationen zeigten, dass die Personalkosten im Mittel ca. 56 % der Tageskosten ausmachen [20]. Je nach personeller Besetzung der Intensivstation können die Kosten damit erheblich variieren, was sich auch in den unterschiedlichen Kosten von Intensivstationen in Krankenhäusern der verschiedenen Versorgungsstufen niederschlägt, da sich gerade in kleinen Krankenhäusern eine 24-stündige ärztlichen Präsenz häufig kaum realisieren lässt, wohingegen sie z. B. in Krankenhäusern der Maximalversorgung die Regel sein dürfte. Neben den Personalkosten stellen medizinische Sachkosten (18 %) und Infrastrukturkosten (16 %) die größten Kostenfaktoren dar [19]. Unabhängig von den Personalkosten sind Intensivpatienten allerdings kein kostenhomogenes Patientengut. Es gibt enorme Unterschiede in den Gesamtkosten, und selbst bei jedem einzelnen Patienten schwanken die Tageskosten abhängig vom Krankheitsverlauf erheblich [11]. Neben den Personalkosten wird die Höhe der direkten Therapiekosten von der zugrunde liegenden Erkrankung (Aufnahmegrund, Diagnose, internistisch oder chirurgisch) [22], dem Krankheitsschweregrad [23], der Notwendigkeit invasiver Prozeduren (mechanische Beatmung, Hämofiltration), dem Auftreten von Infektionen und einigen weiteren Faktoren beeinflusst [20, 24, 25]. Die Tageskosten auf der Intensivstation wurden kürzlich mit 1.265 Euro berechnet [19]. Bei beatmungspflichtigen Patienten sind die Kosten deutlich höher, das Gleiche gilt für notfallchirurgische oder polytraumatisierte Patienten. Oye u. Belamy fanden, dass ein relativ kleiner Anteil (8 %) der kostenintensiven Patienten nahezu 50 % der gesamten Ressourcen verbraucht [26]. In der Gruppe der langliegenden (> 20 Tage) und damit teuersten Patienten haben um 80 % eine schwere Infektion bzw. eine Sepsis [25]. Eigene Untersuchung zeigten, dass ein kleine Gruppe von Patienten (3 %) mit langer Verweildauer (>20 Tage) ca. 23 % der Gesamtausgaben der Intensivstation verursacht [24]. Diese Ergebnisse unterstreichen den exponentiellen Anstieg der Kosten mit Auftreten schwerwiegender Komplikationen wie der schweren Sepsis. In einer Studie an 3 deutschen Universitätskliniken lagen die Gesamtkosten für die Intensivtherapie für schwere Sepsisfälle bei 23.297 Euro pro Patient [25].
9.3.2
Erstattung der Kosten
In Deutschland wird, wie in vielen anderen Ländern auch, der Krankenhausaufenthalt mittlerweile mittels Fallpauschalen oder DRG-(«Diagnose-related-group”) vergütet. DRGs sind diagnosebezogene Fallgruppen, die zur ökonomisch-medizinischen Klassifikation von Patienten verwendet werden [27]. Auf der Grundlage von Hauptdiagnosen, Nebendiagnosen und Prozeduren wird unter Berücksichtigung des klinischen Schweregrades jeder behandelte Fall definiert und vergütet. Das deutsche DRG-System wurde zunächst auf der Grundlage des Klassifikationssystems aus Australien (sog. AR-DRG, Version 4.1) entwickelt und seit der Einführung kontinuierlich modifiziert. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) sammelt die erforderlichen Daten zur Kalkulation der Fallpauschalenvergütung und wertet sie aus. Auf der Basis dieser Daten wird das DRG-System angepasst [28].
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Kapitel 9 · Ökonomie und Qualitätsmanagement
Ein Vergütungssystem nach DRG ist nicht darauf angelegt, den Aufwand für den Einzelfall sachgerecht abzubilden. Vielmehr soll der durchschnittliche Aufwand für den jeweiligen Patientenmix einer Abteilung bzw. eines Krankenhauses innerhalb eines Zeitraums möglichst sachgerecht vergütet werden. Es ist also ein krankenhausökonomisches und nicht ein medizinisch-wissenschaftliches Wertesystem. Daher muss eine DRG möglichst kostenhomogen definiert sein, damit es nicht zwischen verschiedenen Krankenhäusern durch Selektion von unterschiedlicher Patientenauswahl (Auswahl »günstigerer« Fälle) zu unfairen Vergütungsverteilungen kommen kann. Das Fallpauschalensystem soll ein lernendes System sein und bleiben. So wurden nach den ersten Erfahrungen mit der G-DRGVersion erhebliche Änderungen erforderlich, die in jeweils neuen Fassungen Eingang fanden. Eine detaillierte Würdigung der DRGSystematik für den Bereich Intensivmedizin würde den Rahmen dieses Buchkapitels sprengen, deshalb sei an dieser Stelle auf die einschlägige Literatur verwiesen [29–32]. Eine Aktualisierung der DRG-Systematik durch die Spitzenverbände der Selbstverwaltung mit überarbeitetem Fallpauschalenkatalog inklusive aller Anlagen, wie Abrechnungsbestimmungen, den Zusatzentgeltkatalog, den Katalog bisher nicht mit den DRG-Fallpauschalen vergüteter Leistungen, wird jeweils für das kommende Jahr auf den Seiten des InEK www.g-drg.de veröffentlicht [28] und sind dort nachzulesen. Grundsätzlich stellt die Intensivmedizin das DRG-System vor besondere Aufgaben [24, 33]. Obschon für jeden Behandlungsfall anteilig eine Intensivpauschale vorgesehen ist, die sich nach der Wahrscheinlichkeit für einen notwendigen intensivstationären Aufenthalt und dem erforderlichen Aufwand richtet, kann dieses pauschale Vergütungskonzept zu einer deutlichen Unterfinanzierung führen. Seit Einführung des DRG-Abrechnungssystems wurde verschiedentlich die resultierende Kostenerstattung für Intensivpatienten untersucht und festgestellt, dass einzelne Patientenkollektive nicht kostendeckend zu behandeln sind [33–36]. Die ungenügende Berücksichtigung intensivmedizinischer Leistungen hätte zu einer deutlichen Unterfinanzierung geführt, insbesondere bei Patienten mit langer Liegedauer, aber auch bei Patienten, die besonders ressourcenintensiv sind, wie z. B. polytraumatisierte oder septische Patienten. Diese Problematik wurde erkannt und daher für die Intensivmedizin eine Reihe von Änderungen durchgeführt, die darauf abzielten, eine leistungsgerechte Vergütung zu realisieren. Im Wesentlichen wird die bei intensivpflichtigen Patienten notwendige Therapie von Organsystemen, die häufig losgelöst ist von der eigentlichen Krankenhausaufnahmediagnose, stärker gewichtet. Die Fallschwere wurde in der Anfangsphase im Wesentlichen über die Beatmungsdauer definiert und im Verlauf weiter ausdifferenziert. Ihr hoher Stellenwert wurde teilweise zugunsten einer Schweregradabstufung mittels aufwands- und krankheitsschwerebasierten Scores (Aufwandspunkte nach TISS-10 und SAPS 2, ohne Glasgow Coma Scale) korrigiert, der intensivmedizinischen Komplexbehandlung. Allerdings kann diese Leistungsziffer nur bei erfüllter Strukturvoraussetzungen (z. B. 24-stündige ärztliche Präsenz) kodiert werden. Eine weitere Verbesserung der Abbildung der Intensivmedizin wurde mit der Funktion Komplizierende Konstellationen und Prozeduren sowie der Definition von Zusatzentgelten erreicht. Zusatzentgelte (ZE) dienen dazu, die Kosten einzelner etablierter hochpreisiger Medikamente und kostenintensiver Verfahren und Prozeduren zu erstatten. Darüber hinaus erfolgt die Vergütung neuer Untersuchungsund Behandlungsmethoden, die mit den Fallpauschalen und Zusatzentgelten noch nicht sachgerecht vergütet werden können, den sogenannten NUB-Leistungen. Die Berücksichtigung eines Medikamentes oder Verfahrens als NUB kann beantragt werden.
> Wesentlich für eine sachgerechte Vergütung ist: 5 eine gute medizinische Dokumentation, 5 eine hohe Kodierqualität. Sie bestimmen letztlich die gesamte Leistungsvergütung des Krankenhauses.
Zuordnung der Erlöse intensivmedizinischer Leistungen Durch Einführung der neuen Steuerungselemente (Zusatzengelte, NUB) und der Komplexbehandlung bildet das DRG-System intensivmedizinische Leistungen deutlich genauer ab, allerdings ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie die Leistungen krankenhausintern zugeordnet werden. Mit der Einführung der DRGs haben sich die Bemühungen, eine krankenhausinterne (innerbetriebliche) Leistungsverrechnung zu etablieren, verstärkt [37, 38]. Gerade die Intensivmedizin stellt eine multidisziplinäre Schnittstelle eines Krankenhauses dar. Neben der die Station führenden Abteilung sind an der Behandlung der Patienten in der Regel mehrere Abteilungen beteiligt. Grundsätzliche Verbesserungen des DRG-Systems führen nur dann zur leistungsgerechten Vergütung der Intensivmedizin, wenn die Erlöse auch richtig zugeordnet werden. Das intensivstationäre Budget kann durch Zuordnung des intensivmedizinischen DRG-Anteils jedes behandelten Falls generiert werden. In alternativen Modellen wird nur der auf der Intensivstation behandelte Fall herangezogen und z. B. mit einem zusätzlichen liegedauerabhängigen Abschlag aus dem Gesamterlös für die Intensivstation versehen. Letzteres Modell setzt möglicherweise positive Anreize für die behandelnde Fachabteilung und unterstützt das Konzept einer leistungsbezogenen Vergütung. Aufgrund der relativ starken Gewichtung von Zusatzentgelten (ZE) im Bereich der Intensivmedizin müssen die dort generierten ZE (und NUB) der Intensivmedizin zugeschlagen werden, damit keine Deckungslücke entsteht. Wird das ZE beispielsweise der entlassenden Abteilung zugebucht, kann dies erhebliche Probleme verursachen, da die Intensivmedizin zwar häufig die ZE generiert, Patienten aber nur selten direkt von der Intensivstation entlassen werden. Die Zuordnung der ZE entsprechend der erbrachten Menge und Therapiedauer spiegelt die tatsächlichen Kostenanteile am besten wider [38].
9.3.3
Konzepte zur Kostenersparnis
Der derzeitige Kostendruck zwingt uns, alle Möglichkeiten einer Kostenersparnis auszunutzen, die mit guter Behandlungsqualität vereinbar sind. Kosteneinsparungen sind auch in der Intensivmedizin möglich, ohne dass daraus eine Rationierung intensivtherapeutischer Leistungen resultieren muss. So konnte beispielsweise für einen Teil der in 7 Abschn. 9.1 (. Tab. 9.4) aufgeführten Qualitätsindikatoren nachgewiesen werden, dass ihre Einführung auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist. > In der Intensivmedizin sind eine Steigerung der Effizienz und Kostenreduktion möglich, ohne dass dabei auch nur ein Patient schlechter behandelt werden würde.
Oft ist der Prozess zur Rationalisierung jedoch beschwerlich und wird daher zu früh abgeschlossen. Eine konsequente und professionalisierte Intensivmedizin erscheint teurer. Daten aus den USA belegen jedoch, dass diese sich nicht nur für den einzelnen Patienten, sondern letztlich auch für das Krankenhaus lohnt. »Good care saves lifes, good care saves money«.
87 Literatur
Die Liegedauer hat aufgrund des relativ hohen Anteils fixer Kosten einen großen Einfluss auf die Gesamtkosten. Jeder eingesparte Behandlungstag senkt die Behandlungskosten. Seit 1998 hat sich die durchschnittliche Verweildauer an deutschen Krankenhäusern um 2 Tage von 10,1 auf 8,1 Tage verkürzt. Dieser Entwicklung folgend wurde im gleichen Zeitraum auch die Zahl der Krankenhäuser (von 2.263 auf 2.083) und entsprechend die Zahl der Krankenhausbetten reduziert. Dadurch gewinnt die Intensivmedizin weiter an Bedeutung. Ihre Effizienz muss daher auch stärker hinterfragt werden.
Kostenreduktion durch Verbesserung der Handlungsabläufe Die Komplexität der Intensivmedizin und die enge Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen in diesem kostenintensiven Bereich legen es nah, feste Arbeitsabläufe vorzuschreiben, um Möglichkeiten für Missverständnisse, Reibungsverluste und Unstimmigkeiten zu minimieren und eine möglichst effiziente Medizin zu gewährleisten (Näheres auch 7 Kap. 10). Ablaufregelungen (SOP). Durch Ablaufregelungen (SOPs) lassen
sich Maßnahmen rationalisieren (7 Kap. 10). SOPs bekommen dadurch erhebliche ökonomische Bedeutung und können mit erheblicher Kostenreduktion verbunden sein. Durch Anwendung des sog. Short-cycle-improvement-Verfahrens, bei dem eingeführte Protokolle ständig überprüft und angepasst werden, reduzierten sich Laboruntersuchungen um 65 % (Einsparung 21.593 US-$/Jahr), Thoraxröntgenaufnahmen um 56 % (jährliche Einsparung 3.941 US-$), die Beatmungsdauer um 35 % [39] sowie die mittlere Intensivliegedauer von 5,0 auf 3,5 Tage (jährliche Kosteneinsparung pro Patient im Mittel 4 %). Unverzügliche Behandlung. Eine frühe konsequente Therapie
(sog. »early goal directed therapy« [40]) bei schwerer Sepsis bietet eine verbesserte Ergebnisqualität und ist in der Regel auch kosteneffektiv [41]. Auch der Einsatz der sog «Sepsis-Bundles«, d. h. konsequente Therapie innerhalb der vorgeschlagenen Zeitfenster, reduziert die Kosten pro Patient (16.103 US-$ vs. 21.985 US-$) bei gleichzeitiger Verbesserung des Outcomes [42].
ziehen, oder unnötige Doppeluntersuchungen sollten unterbleiben.
Personaleinsparung Die Personalkosten verursachen den größten Anteil der Kosten der Intensivtherapie. Die Versuchung, das Budget durch Einsparmaßnahmen in diesem Bereich zu entlasten, ist daher außerordentlich groß. Das kann jedoch zu fatalen Missentwicklungen führen: Eine zu enge Personalausstattung erhöht die Komplikationsrate, verlängert die Beatmungsdauer und die Verweildauer auf der Intensivstation und erhöht damit auch die Kosten. So verdoppelt sich die schweregradgewichtete Letalität bei erhöhter Arbeitsbelastung (d. h. zu geringer Personalkapazität) im Vergleich zu Situationen mit niedrigerer Belastung [44]. Die ständige Präsenz kompetenter Ärzte ist eine Grundvoraussetzung für eine hochwertige Intensivtherapie. Nicht nur, weil in diesem Bereich womöglich innerhalb von Minuten oder gar Sekunden ärztliche Maßnahmen notwendig werden, sondern auch, weil eine vorausschauende Therapie nur bei kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der aktuellen klinischen Situation des Patienten möglich ist. Dadurch reduziert sich nicht nur die Krankenhausletalität [45]; diese Maßnahme dürfte höchstwahrscheinlich auch kosteneffektiv sein, da z. B. unnötig lange Liegedauern und teure Komplikationen verhindert werden können. > Die inadäquate Einsparung beim Personal ist kontraproduktiv.
Das bessere Konzept zur Rationalisierung besteht darin, den Einsatz der teuren Intensivbehandlung nur für diejenigen Patienten einzusetzen, für die eine solche Behandlung wirklich erforderlich ist, und weiters darin, jede überflüssige Nutzung zu vermeiden. Das bedeutet aber wiederum, dass andere Alternativen (postoperative Recovery, Intermediate-Care, Frührehabilitation etc.) verfügbar sein müssen.
Literatur
Vermeidung von Komplikationen. Komplikationen erhöhen häu-
Literatur zu 7 Abschn. 9.1
fig die Letalität, verlängern die Liegedauer und verursachen zusätzliche Kosten. Das zeigt sich am Problem nosokomialer Infektionen, insbesondere der Beatmungspneumonien »ventilator associated pneumonia«; VAP) die zu einer erheblichen Verlängerung der Behandlungsdauer und erhöhten Kosten führen. Der frühzeitige Wechsel auf eine nichtinvasive Beatmung trägt zumindest bei einem ausgewählten Patientengut (hyperkapnisches respiratorisches Versagen) zu einer Reduktion der Beatmungs- und Liegedauer bei und vermindert die Rate infektiologischer Komplikation. Der standardisierte Einsatz anerkannter Behandlungsmaßnahmen zur VAPPrävention (Lagerungsmaßnahmen, Vermeidung von unkritischem Antibiotikaeinsatz etc. [43]) und die gezielte Schulung des Personals führen zu einer deutlichen Senkung des Infektionsrisikos.
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Kostenbewusste Diagnostik und Therapie. Das Schärfen des Be-
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wusstseins kann zu einer deutlichen Kostenreduktion führen. Allein die tägliche Information über die Kosten beschlossener Diagnostik- und Therapiemaßnahmen während der Visite reduzierte die Ausgaben, ohne dass die Letalität beeinflusst wurde [39].
7
> Jede diagnostische Maßnahme sollte begründet sein. Untersuchungen, die keine Konsequenzen nach sich
8
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Kapitel 9 · Ökonomie und Qualitätsmanagement
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Organisation und Management H. Burchardi, W. Fleischer
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Organisation – 92
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Verkürzung der Liegedauer – 92 Rationelle Diagnostik und Therapie – 93 Beschaffung und Bevorratung – 93
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Intensivmedizin in der Versorgungskette – 93
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
Einsatz der Intensivbehandlung – 94 Integration der Fachdisziplinen – 94 Beendigung der Intensivbehandlung – 94 Kooperation und Netzwerk – 95
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Personal – 95
10.3.1 10.3.2 10.3.3
Anhaltszahlen – 95 Qualität – 96 Pflegequalität – 96
10.4
Leitung der Intensivstation – 97
10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4
Die Intensivstation – ein multidisziplinärer Arbeitsplatz – 97 Qualifikationen und Aufgaben des Leiters – 97 Fähigkeiten zur Leitung – 98 Persönliche Qualifikationen – 98
10.5
Kommunikation – 99
10.5.1 10.5.2
Zwischenmenschliche Kommunikation – 99 Kommunikationstechnik – 101
10.6
Konfliktmanagement – 101
10.6.1 10.6.2
Konfliktdiagnose – 101 Konfliktlösung – 102
Literatur – 103
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_10, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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Kapitel 10 · Organisation und Management
10.1
Organisation
Eine gute Organisation ist für die Intensivbehandlung aus verschiedenen Gründen unerlässlich: Die Intensivstation versieht ihre Aufgabe innerhalb des komplexen Netzwerkes der Krankenhausversorgung. Sie hat also selber optimal zu funktionieren, aber ist ebenso auf die abgestimmte und reibungslose Funktion der beteiligten Abteilungen und Dienstleister angewiesen. Jede Hemmung im Ablauf kostet Zeit und Geld – und verursacht ggf. sogar ein Gesundheitsrisiko. Die Intensivmedizin ist ohnehin eine der kostenträchtigsten Abteilungen des Krankenhauses. Der derzeitige Kostendruck zwingt uns, jede Möglichkeit einer Kostenersparnis auszunutzen, die mit guter Behandlungsqualität vereinbar ist. Darüber hinaus ist aufgrund der hohen psychischen Belastung aller Mitarbeiter ein Umgangsstil gefragt, der allen Halt gibt und für eine stabile Atmosphäre sorgt. Ohne Zweifel gibt es in jeder Intensivstation und in jedem Krankenhaus noch ein Potenzial zur Verbesserung der Organisation und zur Kosteneinsparung, das es zu nutzen gilt.
10.1.1
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Die Verweildauer auf der Intensivstation ist wegen des hohen Personalkostenanteils besonders bedeutsam für die Behandlungskosten. Jeder eingesparte Behandlungstag senkt die Kosten. Hierauf kann man mit einem ganzen Spektrum an Maßnahmen Einfluss nehmen: 4 Verbesserung der intensivmedizinischen Handlungsabläufe, 4 unverzügliche Behandlung/Vermeidung von Komplikationen, 4 Verbesserung der krankenhausinternen Abläufe, 4 Verbesserung des Informationsflusses zwischen allen Berufsgruppen.
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Erstellung einer SOP 1. 2.
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Analgosedierung, die routinemäßige postoperative Versorgung nach größeren Eingriffen, die Entwöhnung (Weaning) vom Respirator, die Durchführung von kontinuierlicher Hämofiltration und vieles andere mehr. Die Festlegung von Standardprozeduren ist ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung und zur Verbesserung der Handlungsabläufe. SOPs können die Abläufe vereinfachen, verbessern und beschleunigen. Sie rationalisieren die Maßnahmen und bekommen dadurch erhebliche ökonomische Bedeutung. SOPs müssen von dem Personenkreis erstellt werden, der mit ihnen arbeiten muss; sie sollten nicht »von oben herab« verordnet werden. Die Erstellung einer solchen SOP besteht aus mehreren Schritten (7 Übersicht):
Verkürzung der Liegedauer
In den letzten Jahren hat sich die durchschnittliche Verweildauer an deutschen Krankenhäusern bereits deutlich verkürzt; sie wird sich auch in Zukunft noch weiter verkürzen. Insbesondere wird man vielfach auf ambulante oder teilstationäre Behandlung übergehen. Für die Intensivmedizin hat das jedoch zur Folge, dass ihre Bedeutung im Rahmen der stationären Behandlung eher noch größer wird und der Druck auf die Bettenbelegung der Intensivstation weiter ansteigt.
Verbesserung der intensivmedizinischen Handlungsabläufe Intensivbehandlung und -pflege ist ein äußerst komplexes Geschehen. Verschiedene Personengruppen, wie Pflegekräfte und Ärzte, müssen funktionsgerecht zusammenarbeiten. Die einzelnen Personen müssen ihre Maßnahmen mit den übrigen Behandelnden abstimmen, etwa beim Schichtwechsel. Die verschiedenen Aufgaben müssen miteinander koordiniert werden, wie etwa die Analgosedierung bei einer Beatmung. So gibt es viele Interaktionen, die Möglichkeiten für Missverständnisse, Reibungsverluste, Unstimmigkeiten bieten und die in diesem Zusammenspiel verbessert werden können. Das bedeutet, dass Abläufe festgeschrieben und jedem Mitarbeiter bekannt sein müssen. Ablaufsregelungen, sog. SOPs (»standard operating procedures«), sind Regelungen, mit denen die tatsächlichen Bedingungen und Aufgaben vor Ort und innerhalb des betroffenen Personenkreises berücksichtigt werden. Sie sind daher von Richtlinien, Leitlinien oder Guidelines zu unterscheiden, die überregional mit verallgemeinerter Gültigkeit aufgestellt werden. Für die Regelung durch SOPs eignen sich Abläufe, die gut standardisierbar sind und häufig vorkommen; etwa die Strategie der
3. 4. 5. 6.
Fragestellung: relevant, gut abgrenzbar, generalisierbar, ausreichend häufig Vorheriges Literaturstudium (oft sind Lösungen bereits beschrieben) Erstellung eines ersten Entwurfs Erster Praxistest mit dem Ziel der Anpassung und Verbesserung Einführung in die Praxis mit ausführlicher Information aller Mitarbeiter Kontinuierliche Überprüfung und Anpassung
Besonders wichtig sind die lückenlose Protokollierung der Problemfälle und die Durchsprache der Critical Incidents (CIRS); dies bildet die Grundlage für die kontinuierliche Verbesserung der SOP. Der Vorgang der Erstellung einer SOP ist letztlich fast ebenso wichtig wie ihre Funktion. Die Erfahrung bei der Erstellung einer SOP kann für die Mitarbeiter »teambildend« sein; es motiviert das Team zur Übernahme von Eigeninitiative und bildet oft den Ausgangspunkt für weitere Verbesserungsmaßnahmen auf der Intensivstation. Die regelmäßige Durchsprache in Übergaben oder Mitarbeiterbesprechungen sichert die Anwendung der SOPs in der täglichen Arbeit.
Unverzügliche Behandlung und Vermeidung von Komplikationen In letzter Zeit gibt es zunehmend Belege für die Überlegenheit unverzüglicher Intensivbehandlung. Es bewahrheitet sich, was immer schon vermutet wurde: Je eher und je konsequenter behandelt wird, desto besser ist der Erfolg! Das ergibt sich deutlich z. B. aus der Rivers-Studie über »early goal-directed therapy«, bei der eine frühe konsequente Optimierung der Kreislauffunktion und des Sauerstofftransports bei septischen Patienten die Krankenhausletalität von 46,5 % auf 30,5 % reduzierte [32]. Der Vorteil rascher, entschiedener Behandlung zeigt sich auch in einer Pilotauswertung der Placebo-Gruppen (n=1.036) von 2 großen Sepsisstudien [26]. In einer retrospektiven Auswertung von 17.878 Hochrisikoeingriffen in den USA wurde festgestellt, dass an kleineren Krankenhäusern die Komplikationsraten doppelt so hoch waren wie in größeren Häusern; die Letalität lag bei kleineren Häusern um 3,6bis 6,8-mal höher [8]. So verursacht jede Komplikation dem Haus zusätzlich Aufwand und Kosten, dem Patienten schlimmstenfalls sogar den Tod.
93 10.2 · Intensivmedizin in der Versorgungskette
Verbesserung der krankenhausinternen Abläufe Die Intensivstation steht inmitten des gesamten Funktionsnetzwerkes des Krankenhauses. Funktionieren einzelne Abläufe schleppend, so verzögert sich u. U. die Intensivbehandlung: Die Verzögerung eines CT-Termins, eines Operationstermins, einer Konsiliarbesprechung, einer Verlegung auf die Normalstation kann die Aufenthaltsdauer auf der teuren Intensivstation verlängern. Jeder kennt diese Probleme aus dem täglichen Ablauf; daher müssen nicht nur die Prozesse innerhalb der Intensivstation, sondern auch die Abläufe zwischen den einzelnen Funktionsdiensten des Krankenhauses organisiert und auf geordnete und rasche Reaktion optimiert werden. Die Bedeutung dieser Zusammenhänge für den Gesamtablauf im Krankenhaus muss vom ärztlichen Leiter als auch von der Pflegeleitung der Intensivstation jedem Mitarbeiter bewusst gemacht werden: 4 unnötige Wartezeiten sind zu vermeiden, 4 Personalengpässe können sich fatal auswirken, 4 mangelnde Information schafft unnötige Reibungen, 4 für Überbedarfssituationen sind Pufferkapazitäten vorzuhalten usw. Jeder Mitarbeiter kann zur Verbesserung der Abläufe seinen Anteil beitragen. Wie sehr sich Krankenhausabläufe verbessern lassen, zeigt die Einführung eines »Patientenmanagers«: In einigen Krankenhäusern kümmern sich sog. Patientenmanager um den reibungslosen Behandlungsablauf bei Patienten, die nicht notfallmäßig ins Krankenhaus gekommen sind. Sie kümmern sich um die durchzuführenden Voruntersuchungen, die Operationstermine, ggf. um ein vorzuhaltendes Intensivbett und um eine evtl. notwendige rechtzeitige Anmeldung zur Rehabilitation. Ein solcher Patientenmanager (vielfach eine erfahrene Pflegekraft) entlastet das behandelnde Personal erheblich und ermöglicht ihm, sich auf seine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren; gleichzeitig wurde nachweislich die Verweildauer im Krankenhaus verkürzt.
10.1.2
Rationelle Diagnostik und Therapie
Durch eine rationellere Diagnostik und Therapie lassen sich Kosten einsparen. Jede diagnostische Maßnahme sollte begründet sein, d. h. das diagnostische Ergebnis muss Konsequenzen haben: in Behandlungsmaßnahmen resultieren oder zur Sicherung oder zum Ausschluss von Diagnosen. Unnötige Doppeluntersuchungen sind zu vermeiden, es sei denn, dass das erste Ergebnis in Zweifel gezogen werden muss. Damit verlassen wir den routinemäßigen Versorgungsablauf und bevorzugen die individuell angepasste Intensivmedizin. Natürlich kann dieses Konzept gelegentlich im Gegensatz zu den empfohlenen Standardabläufen (SOPs) stehen; doch sollte jede SOP Abweichungen zulassen, allerdings mit guter Begründung (und ein guter Grund ist die Nutzlosigkeit einer Maßnahme). Eine wichtige Information der eingesetzten Medikamente und Heilmittel bietet eine »Top-ten-« (Top-twenty-«/«Top-fifty«)-Liste, d. h. eine Aufstellung der monatlichen Kosten gestaffelt nach den kostenträchtigsten Gesamtverbräuchen. Hierdurch kann man eine konkrete Vorstellung bekommen, wodurch die Kosten entstehen und mit welchen Änderungen von Behandlungskonzepten man ggf. die Medikamentenkosten wirksam reduzieren kann. Es hat sich in der Intensivmedizin bewährt, Experten für besondere Fragen hinzuzuziehen. Mit solcher Expertise lassen sich auch Diagnostik und Behandlungsmaßnahmen rationeller einsetzen Das gilt nicht nur für die Behandelnden der Grunderkrankungen und
für die Konsiliarii, das gilt auch für Experten anderer Fachgebiete (7 Abschn. 10.2.2).
10.1.3
Beschaffung und Bevorratung
Die gesamte Marktwirtschaft demonstriert uns täglich, wie viel durch gezielte Beschaffung und optimierte Bevorratung gespart werden kann.
Einmalmaterial Unnötige Diversifikation der Beschaffung (z. B. zu viele verschiedene Kathetersorten) bindet Ressourcen, provoziert Handhabungsfehler bei der Nutzung und bindet zu große Lagerungskapazität. Die bestmögliche Standardisierung der Beschaffung von Material mit der besten Kosten-Nutzen-Relation ermöglicht große Bestellmengen mit Rabattvergünstigungen, standardisiert die Nutzung und erleichtert den Einsatz durch verschiedene Anwender. Die Auswahl von Einmalmaterial kann durch eine Kommission (»Beschaffungskommission«) aus kompetenten Vertretern der unterschiedlichen Nutzer sehr effizient standardisiert werden. Dadurch lässt sich die unübersehbare Vielfalt der Materialbeschaffung reduzieren und andererseits die Qualität des beschafften Materials verbessern. Gleichzeitig können aber auch unnötige Kosten eingespart werden. Die Diskussion über die Vorzüge und Nachteile der Materialien in der Kommission bringt darüber hinaus einen wichtigen Informationszuwachs und ein besseres Qualitätsbewusstsein für alle Nutzer.
Medikamente Auch auf dem Gebiet der Medikamentenbevorratung verursachen große dezentralisierte Vorräte auf den Stationen große Probleme: Sie benötigen Platz, provozieren Verwechselungen, führen zu Überziehung der Verfallsdauer und verursachen dadurch hohe unnötige Kosten. Die Reduktion der Lagerbestände auf den Stationen (und insbesondere auf einer Intensivstation) erfordert natürlich einen erheblichen logistischen Aufwand: Das Bestell- und Transportsystem zwischen den Stationen und der Zentralapotheke muss optimiert werden. Sonderanforderungen, die grundsätzlich unvermeidlich sind (z. B. bei Spezialbehandlungen, Fortführung von präklinischer Dauermedikation), müssen soweit wie möglich reduziert werden. Der Lagerbestand auf der Station muss kontinuierlich und sorgfältig kontrolliert und rechtzeitig ergänzt werden. Eine computergestützte Bevorratungskontrolle mit Barcode-Erfassung hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Die Vorteile eines zentralen Apothekeneinkaufs, ggf. durch Zusammenschluss mehrerer Krankenhausapotheken, liegen auf der Hand und sind allgemein bekannt.
10.2
Intensivmedizin in der Versorgungskette
Die Behandlung auf der Intensivstation ist im Ablauf der gesamten Krankenhausbehandlung eines Patienten lediglich ein Abschnitt, wenn auch ein äußerst entscheidender. Dieser Abschnitt muss sorgfältig eingepasst werden, damit der Behandlungserfolg insgesamt nicht gefährdet wird. Die Schnittstellen zwischen der Intensivbehandlung einerseits und der Normalbehandlung bzw. der anschließenden Rehabilitationsbehandlung andererseits sind kritisch und verdienen große Aufmerksamkeit.
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94
Kapitel 10 · Organisation und Management
10.2.1
Einsatz der Intensivbehandlung
Krankenhausintern
So werden Patienten mit Akutproblemen von kleineren Krankenhäusern oft zu spät zur Intensivbehandlung verlegt, wenn bereits die Situation vitalbedrohlich oder gar präfinal geworden ist. Dann ist es schwierig und extrem aufwendig, selbst mit maximaler Intensivbehandlung noch erfolgreich zu sein. Hier ist es wichtig, zwischen den peripheren und den zentralen Krankenhäusern ein gutes interkollegiales Einvernehmen zu schaffen. Fehlendes Vertrauen bei den kleinen Häusern und Überheblichkeit bei den großen Kliniken sind kontraproduktiv. Es ist eine wesentliche Aufgabe der zentralen Kliniken der Maximalversorgung, als »Mutterhäuser« den peripheren Krankenhäuser bei schwierigen Fällen zu helfen, die diese wegen ihrer Aufgabenstellung, ihrer reduzierten Kapazität und Ausstattung und ihrer fehlenden intensivmedizinischen Erfahrung weder leisten können noch sollen.
10
Bei akuten Vitalbedrohungen, wie etwa bei der sich anbahnenden Sepsis, ist der rasche und konsequente Einsatz der Intensivbehandlung oftmals entscheidend für den Behandlungserfolg [24]. Dann muss der Patient von der Normalstation unverzüglich auf die Intensivstation verlegt werden. Allerdings sind die Ärzte und Pflegekräfte auf den Normalstationen ohne intensivmedizinische Ausbildung und Erfahrung oft nicht geschult, die vitale Bedrohung zu erkennen und die Möglichkeiten und Chancen einer Intensivbehandlung zu beurteilen [28]. Nicht selten wird diese wichtige Initialentscheidung auch unnötig verzögert: unangebrachter Optimismus («das wird schon wieder besser«), mangelnde Entscheidungsfähigkeit und fehlende Kompetenz (»das muss der Chefarzt entscheiden«), fachliche Überheblichkeit (»das können wir besser«). So wird nicht selten kostbare Zeit vergeudet und die kritische Situation des Patienten verschärft. Eine verzögerte, zu späte Aufnahme intensivpflichtiger Patienten auf die Intensivstation verstärkt die akute Problematik kritisch und erhöht nachweislich die Letalität [36]. Diese Schwachstelle im Versorgungsnetzwerk eines Krankenhauses muss immer wieder von allen Beteiligten bewusst wahrgenommen werden. Interdisziplinäre Schulung des nichtintensivmedizinischen Personals auf den Normalstationen kann das Bewusstsein der Behandelnden für kritische Situationen schärfen. Andererseits muss jederzeit ein erfahrener Intensivmediziner für Anfragen von den Normalstationen verfügbar sein. An manchen Intensivstationen wurde mit Erfolg ein »Notfallteam« (MET »Medical Emergency Team«) etabliert, das den Normalstationen mit Beratung, Konzil und Noteinsatz zur Seite steht. Die Dienstleistung ist für die Intensivstation sehr aufwendig, wenn sie ernsthaft betrieben wird [18]. Mit der Einführung muss v. a. eine eingehende Schulung auf den Normalstationen verbunden sein [1]. Dann jedoch scheint dieser Service zumindest postoperative Risikosituationen auf der Normalstation zu reduzieren [19]. Für internistische Notfälle sind die Ergebnisse widersprüchlich [19, 20]. Der tatsächliche Nutzen eines solchen Notfalldienstes scheint nicht zuletzt auch in der Weiterbildung des Pflegepersonals auf den Normalstationen zu liegen.
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Übernahme von auswärtigen Krankenhäusern
Verlegung krankenhausintern
Die Übernahme von kritisch kranken Patienten von einem externen Krankenhaus ist noch wesentlich schwieriger. Angesichts der personellen und apparativen Einschränkungen sind heute die Möglichkeiten, kritisch Kranke adäquat zu versorgen, insbesondere in kleineren Häusern deutlich reduziert. Andererseits ist man dort versucht, Patienten möglichst lange im eigenen Hause zu halten; schließlich gibt man nicht gern seine Problempatienten aus der Hand. Seitens der größeren Krankenhäuser, die für eine Übernahme zur Intensivbehandlung in Frage kämen, besteht i. Allg. große Zurückhaltung, Problempatienten von anderen Häusern zu übernehmen. Die Gründe sind vielschichtig: Mangel an Intensivbetten (selbst wenn als Argument nur vorgeschoben), ggf. notwendige Änderung des vorgesehenen Operationsplans, Furcht vor höheren Kosten bei Folgebehandlung. Allerdings hat sich inzwischen die Vergütung der intensivmedizinischen Komplexleistungen im DRGSystem soweit verbessert, dass diese Intensivbehandlungen kostendeckend geleistet werden können, sofern die Station gut organisiert ist. Das bedeutet allerdings, dass die Strukturvoraussetzungen für die DRG-Komplexleistungen erfüllt sein müssen (d. h. kontinuierliche intensivärztliche Versorgung).
Nicht nur die rechtzeitige Übernahme eines Patienten auf die Intensivstation ist kritisch, auch die Rückverlegung auf die Normalstation muss sorgfältig abgewogen werden. Bleibt der Patient zu lange auf der Intensivstation, dann ist das kostenträchtig. Für den Patienten ist diese Situation belastend und bedeutet für ihn u. U. ein zusätzliches Risiko, etwa einer nosokomialen Infektion. Wird er jedoch zu früh verlegt, ist die Qualität der nachfolgenden Überwachung und Betreuung auf der Normalstation bei seinem instabilen Zustand nicht ausreichend. Dann muss er oft nach kurzer Zeit und im schlechten Zustand wieder auf der Intensivstation aufgenommen werden. Letztlich hat sich dann der Behandlungserfolg meist deutlich verschlechtert. Hier wirkt sich auch eine zu knapp bemessene Kapazität an Intensivbetten aus. Um Patienten in akuten Vitalbedrohungen jederzeit auf der Intensivstation aufnehmen zu können, muss die Bettenkapazität der Station ausreichend sein. Müssen Patienten bei zu knapper Bettenkapazität für neue Aufnahmen vorzeitig von der Intensivstation entlassen werden, dann sind diese Patienten gefährdet, wenn die Normalstation für eine solche Übernahme nicht adäquat qualifiziert ist [14].
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10.2.2
Integration der Fachdisziplinen
Auch mit Verlegung auf die Intensivstation werden die primär behandelnden Ärzte nicht aus ihrer Mitverantwortung entlassen. Die Intensivbehandlung muss unbedingt in enger Kooperation mit den primär behandelnden Ärzten erfolgen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung der verschiedenen Kompetenzen und Expertisen sind die Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterbehandlung auf der Intensivstation. Dabei profitieren alle Seiten von einer sachgerechten, interdisziplinären Diskussion; sie ist die Grundlage für eine vertrauensvolle Kooperation und ermöglicht allen eine Steigerung ihrer Expertise. Anderenfalls kann eine gemeinsam entwickelte Geschäftsordnung, die die Entscheidungsabläufe und Verantwortlichkeiten festlegt, Orientierung geben. Auch die regelmäßige Einbeziehung von weiteren Spezialisten, wie etwa klinische Pharmakologen, Röntgenologen, Mikrobiologen u. a., verbessert die Wirksamkeit der Intensivbehandlung. So hat sich gezeigt, dass die Fehlerrate der intensivmedizinischen Pharmakotherapie durch Mitwirkung eines klinischen Pharmakologen deutlich verringert werden kann [25].
10.2.3
Beendigung der Intensivbehandlung
95 10.3 · Personal
> An dieser kritischen Schnittstelle kann eine IntermediateCare-Station (IMC) eine wertvolle Pufferfunktion ausüben.
Auf IMC-Stationen werden Patienten betreut, die keine eigentliche Intensivbehandlung benötigen, jedoch noch kontinuierlich intensiv überwacht werden müssen. Solche Stationen sollten möglichst mit intensiverfahrenen Pflegekräften besetzt sein. Die ständige Anwesenheit eines Intensivmediziners ist nicht erforderlich, er muss jedoch kurzfristig verfügbar sein. Eine IMC-Station kann eine wichtige Pufferstellung zwischen der Intensivstation und der Normalstation erfüllen. Mit ihr kann die arbeits- und kostenaufwendige Intensivstation entlastet werden. Für die Intensivstation wird damit zusätzliche kostbare Bettenkapazität geschaffen; sie kann somit rationeller genutzt werden. Auch bei unvorhergesehenen Spitzenbelastungen bietet die IMC-Station vorübergehende Entlastung. In den Empfehlungen der DGAI [6] werde 4 unterschiedliche Organisationsmodelle vorgestellt (7 Übersicht):
fältig erkundet werden, welches Versorgungsniveau das Heimatkrankenhaus bieten kann. Unter Umständen muss der Patient im Zentralkrankenhaus auf der Normalstation noch vorübergehend weiterversorgt werden, bis die Verlegung vertretbar ist. Rehabilitationszentrum. Ein oft großes Problem ist es, nach ei-
ner erfolgreichen Intensivbehandlung eine anschließende spezielle Anschlussversorgung in einen Rehabilitationszentrum zu finden, etwa für Schädel-Hirn-Traumata. Jeder kennt die unfriedigende Suche nach einem Rehabilitationsplatz, bei der für den Patienten oft wertvolle Zeit vergeudet wird und für den Kostenträger hohe Ausgaben für eine bereits nicht mehr erforderliche Intensivbehandlung anfallen. Der derzeitige Mangel an guten Rehabilitationsplätzen ist äußerst unbefriedigend. Absprachen zwischen Krankenhäusern und Reha-Zentren in der jeweiligen Region können und sollten hier Erleichterung schaffen.
10.2.4 Intermediate-Care-Station (IMC) – Organisationsmodelle nach DGAI 4 Integrationsmodell Im Integrationsmodell werden IMC-Betten räumlich und organisatorisch in die Intensivstation integriert. Das ermöglicht volle Flexibilität bei wechselnden Anforderungen durch den Krankheitsverlauf des jeweiligen Patienten. Durch die Einbindung in die Gesamtorganisation der Intensivstation wird zusätzlicher Informations-, Organisations- und Arbeitsaufwand eingespart. Die Kompetenz des erfahrenen Pflegepersonals bleibt erhalten. Allerdings besteht die Gefahr, dass auch bei IMC-Patienten dennoch überwiegend das volle Repertoire der Intensivmedizin genutzt wird, die Rationalisierungsmöglichkeiten also nicht ausgeschöpft werden. 4 Parallelmodell Beim Parallelmodell liegt die IMC-Station räumlich unmittelbar neben der Intensivstation; damit lässt sich ihre Funktion organisatorisch leicht in die Intensivstation integrieren. 4 Aufwachraum Die Verwendung des Aufwachraumes als IMC-Station (24 h/Tag) lässt sich an manchen Krankenhäusern als Einstieg in die IMC nutzen. 4 Selbstständige und unabhängige IMC-Station Diese Form der IMC-Station ist sicherlich die teuerste und organisatorisch aufwendigste Lösung. Ein flexibler Wechsel zwischen IMC und Intensivtherapie je nach den Erfordernissen des wechselnden Krankheitsverlaufs ist dabei umständlich. Auch besteht die Gefahr, dass sich eine solche Station verselbstständigt, und der wünschenswerte und erforderliche Kompetenzaustausch mit der Intensivstation versiegt [39].
Externe Verlegung Externes Krankenhaus. Wurde ein Patient aus einem externen Krankenhaus auf die Intensivstation übernommen, so ist es oft sinnvoll, diesen nach abgeschlossener Intensivbehandlung wieder in das Heimatkrankenhaus zurückzuverlegen. Dort liegt die vollständige Information über die primäre Erkrankung vor, dort sind auch in der Regel die Angehörigen zu Hause. Allerdings muss sorg-
Kooperation und Netzwerk
Die Verlegung eines Patienten in ein anderes Krankenhaus bedeutet immer auch, dass die eigenen Therapiekonzepte und potenziellen Fehleinschätzungen anderen offenbart werden. Das Konkurrenzdenken zwischen den Häusern führt dabei nicht selten zu Verstimmungen. Solche Nachteile lassen sich vermeiden, wenn Kooperationen vereinbart werden, z. B. zwischen kleineren Häusern und Maximalkrankenhäusern, zwischen Häusern der Akutversorgung und Rehabilitationszentren oder mit Häusern der Spezialversorgung. Solche Kooperationen sind für beide Seiten ein Gewinn, können über längere Zeit ein Vertrauensverhältnis aufbauen und die Verlegungsverfahren vereinfachen. Insbesondere für die großen Intensivstationen kann ein solches Netzwerk vorteilhaft sein, etwa für eine rasch anschließende Rehabilitationsbehandlung. Allerdings müssen die Voraussetzungen einer für beide Seiten adäquaten Vergütung noch verbessert werden.
10.3
Personal
Die Personalbesetzung einer Intensivstation hat einen quantitativen und einen qualitativen Aspekt. Die Vernachlässigung eines der beiden Aspekte bedeutet eine deutliche Verschlechterung der intensivmedizinischen Versorgung und kann sogar zu einer Steigerung der Mortalitätsraten führen.
10.3.1
Anhaltszahlen
Die offiziellen Anhaltszahlen sind weniger geprägt von der tatsächlichen Arbeitsrealität der Intensivstation als vielmehr von den Zwängen der Kostenreduktion. So gelten immer noch die Kennzahlen von 1974 [5], obwohl sich zwischenzeitlich die strukturellen Bedingungen in der Intensivmedizin erheblich gewandelt haben. Sie wurden lediglich von der DIVI an die inzwischen veränderte Regelarbeitszeit angepasst [9]. Danach soll 4 1 Arzt für 3 Patienten bei überwiegender Intensivüberwachung 4 1 Arzt für 2 Patienten bei überwiegender Intensivtherapie vorgesehen sein. Für die Pflege gilt: 4 1 Pflegekraft für 1,68–0,88 Betten bei Intensivüberwachung 4 1 Pflegekraft für 0,62–0,44 Betten bei Intensivbehandlung.
10
96
Kapitel 10 · Organisation und Management
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Heute müssen zumindest die gültigen tarifrechtlichen Änderungen berücksichtigt werden, die zu einer weiteren Reduktion der Jahresarbeitszeit geführt haben. Im europäischen Vergleich sind diese deutschen Richtzahlen sehr knapp bemessen. Die Daten der EURICUS-I-Studie [29] ergaben in den erfassten europäischen Ländern einen Mittelwert von 3,6 Pflegekräften pro Bett, mit einer breiten Streuung von 2,4 in Belgien bis zu 6,4 in England. Für Deutschland ergab sich ein Mittelwert von 2,8 Pflegekräften/Bett (Berechnung mit 85 % Belegung und 25 % Ausfallquote).
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Arbeitsaufwand
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Für eine adäquate Besetzung einer Intensivstation muss der tatsächliche Arbeitsaufwand dieser Station berücksichtigt werden. Ein realistisches Berechnungskonzept, das auf dem tatsächlich geleisteten Zeitaufwand beruhte, ergab einen deutlich höheren Bedarf [7, 35]; dieser wurde jedoch nie als Berechnungsgrundlage anerkannt. Eine andere Möglichkeit zur Bemessung der pflegerischen und ärztlichen Leistung kann aus dem TISS-Score abgeleitet werden [23]. Auch dieser Berechnungsmodus wird nicht offiziell verwendet. Allerdings wurden mit der Einführung der intensivmedizinischen Komplexbehandlung im DRG-System bereits Scores wie SAPS und TISS eingesetzt, um den Behandlungsaufwand zu quantifizieren. Selbst solche Aufwandszahlen können die tatsächliche Leistung einer Intensiveinheit jedoch nur unvollständig erfassen. Der ärztliche Arbeitsaufwand wird zusätzlich mitbestimmt von der Häufigkeit von Neuaufnahmen, der diagnostischen Komplexität, von außerstationären Einsätzen (Transporte, Spezialdiagnostik, Konsile, Katheterpunktionen etc.). Hinzu kommt ein heute deutlich gesteigerter Dokumentationsaufwand. In allen größeren Intensivstationen muss die ärztliche Versorgung als Schichtdienst organisiert werden, damit jederzeit rasch und kompetent reagiert und behandelt werden kann. Aus gutem Grund hat die DIVI seinerzeit für Intensivstationen der Maximalversorgung die 24-stündliche ärztliche Präsenz gefordert [10]. Dieses Qualitätskriterium wurde dann für die Vergütung der Komplexbehandlung »Intensivmedizin« im Rahmen der DRG übernommen. Für die permanente Anwesenheit eines Arztes beträgt die Mindestbesetzung einer Intensiveinheit im geregelten 3-Schicht-Modell mit einer Wochenarbeitszeit von 40 h und 15 % Fehlzeiten 5,4 Ärzte (ohne Oberärzte). Daraus ergibt sich bereits, dass zu kleine Intensiveinheiten ökonomisch keine Überlebenschance haben. Studien haben gezeigt, dass zu drastische Sparmaßnahmen mit einer messbaren Verschlechterung des Outcomes und mit mehr als einer Verdopplung der adjustierten Mortalität verbunden sind [36]. Darüber hinaus reduziert der große wirtschaftliche Druck auf die Intensivstationen die Möglichkeiten zur klinischen Forschung. So ist es nicht verwunderlich, dass der Output an wissenschaftlichen Arbeiten und die Kongressbeiträge von deutscher Seite in den letzten Jahren zunehmend schwinden.
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Sonstiges Personal
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Damit das knapp bemessene ärztliche und pflegerische Personal der Intensivstation überhaupt seine vielfältigen Aufgaben sorgfältig erfüllen kann, sollte es von allen berufsfremden Aufgaben entlastet werden. Daher muss für die Intensivstation weiteres Personal zur Verfügung stehen, wie Reinigungskräfte, Wirtschaftsdienste, technisches Personal für Gerätewartung u. a. Für Schreib- und Organisationsaufgaben ist für Stationen über 12 Betten eine Sekretärin (für <12 Betten 1/2 Stelle) bereits in dem Personalschlüssel der DKG von 1974 enthalten. Die DIVI empfiehlt dafür eine Hilfskraft pro 4 Betten [9].
10.3.2
Qualität
Das noch größere Problem der Personalausstattung liegt allerdings auf der qualitativen Seite. In Deutschland werden viele Intensivstationen von Ärzten betreut, die oft nur für kurze Zeit im Rahmen ihrer Facharztweiterbildung auf die Intensivstation versetzt werden. Auch wenn diese redlich bemüht sind, so mangelt es ihnen doch häufig an der Erfahrung mit komplexen intensivmedizinischen Erkrankungen. Darüber hinaus ist auf der Intensivstation schon während der Tageszeit eine permanente oberärztliche Betreuung eher selten und ein Oberarzt mit einer speziellen intensivmedizinischen Weiterbildung noch lange keine Selbstverständlichkeit. Die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft »Qualitätssicherung« [37] hat 349 Intensivstationen untersucht (=25,4 % aller Intensivstationen in Deutschland) und kam zu folgenden Ergebnissen: Nur auf 74 % der Stationen war während der Dienstzeit ein Facharzt anwesend, nachts nur in 20 %. In der Intensivmedizin treten medizinische Notfallsituationen nachts genau so häufig auf wie tagsüber. Die nächtliche Anwesenheit eines Facharztes im gesamten Krankenhaus wurde lediglich in 46 % der Fälle festgestellt. Die erforderliche rasche Reaktion auf akute Probleme bei der Intensivbehandlung ist gefährdet, wenn der Arzt außerhalb der Intensivstation noch andere Aufgaben zu erledigen hat. Die nationale Kostenstudie [30] hat 51 Intensivstationen in Krankenhäusern aller Versorgungskategorien untersucht. Sie ergab: In Häusern der Maximalversorgung waren 91 % der Ärzte ausschließlich auf der Intensivstation beschäftigt (73 % ohne anderweitige Aufgaben). Der Anteil war in Häusern der Grundversorgung (30 %) und der Regelversorgung (55 %) deutlich geringer. In den Spät- und Nachtschichten sowie am Wochenende sind die Ärzte dort überwiegend woanders beschäftigt. Es ist bemerkenswert, dass die Ausstattung mit Pflegekräften pro Bett und Schicht über alle Krankenhauskategorien nicht wesentlich variiert. Um in Deutschland eine Intensivmedizin auf hohem Niveau zu erhalten, müssen Versorgungsmängel unbedingt beseitigt werden. Dafür muss der Anteil an langfristigen Mitarbeitern auf den Intensivstationen dringend erhöht werden. Für sie müssen Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die es ihnen ermöglichen, jahrelang oder sogar auf Lebenszeit in diesen Positionen zu verbleiben. Dazu gehört an den Universitätskliniken auch ein Freiraum zur klinischen Forschung, die erforderlich ist, um die Anforderungen einer akademischen Karriere zu erfüllen.
10.3.3
Pflegequalität
Die Qualität einer Intensivbehandlung hängt ganz erheblich von der Qualität der Pflege ab. Daher sollte das Pflegeteam überwiegend aus intensiverfahrenen Pflegekräften bestehen, die möglichst zu einen großen Teil über die Qualifikation der Fachpflege »Intensivmedizin« verfügen. Leider wird auch hier der Pflegekräftemangel empfindlich spürbar. Insbesondere fehlt es an Fachpflegekräften. Es ist von Vorteil, wenn dem Krankenhaus eine Pflegeschule mit Weiterbildung zur Fachkrankenpflege zugeordnet ist. Davon kann auch die Intensivstation profitieren. Die Durchführungsverordnungen zur Fachkrankenpflege sind leider in den verschiedenen Bundesländern recht unterschiedlich.
97 10.4 · Leitung der Intensivstation
10.4
Leitung der Intensivstation
10.4.1
Die Intensivstation – ein multidisziplinärer Arbeitsplatz
Die Intensivstation ist ein multidisziplinärer Arbeitsplatz; hier arbeiten Pflegekräfte, Ärzte, Physiotherapeuten und viele andere im Team zusammen. Laufend kommen Konsiliarii und Vertreter anderer Fachdisziplinen dazu und bringen ihre Expertise in die Patientenversorgung ein. Auch die besorgten Angehörigen müssen gebührend betreut und beraten werden. Diese verschiedenen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Erwartungen und Forderungen zu koordinieren und eine leistungsbereite Arbeitsatmosphäre zu schaffen, ist eine komplexe, gelegentlich sehr schwierige Aufgabe, die im Verantwortungsbereich des Leiters der Intensivstation liegt. Um diese Aufgabe dauerhaft zu bewältigen, muss als Grundvoraussetzung ein stabiles und leistungsfreudiges Team geschaffen und erhalten werden, dessen Personal nicht zu kurzfristig wechseln sollte. Andererseits hat ein solches Team ein dynamisches Eigenleben, das aufmerksam beobachtet und unterstützt werden muss. Sonst kann es sich unversehens in die falsche Richtung bewegen: Mit einem zu starken Gruppenbewusstsein kann das Team sich für »unfehlbar« halten und seine Kreativität verlieren. Dies ist oft ein Ergebnis eines falschen Teamverständnisses, in dem jegliche Kontroversen unterbunden worden sind [21]. Die Vielfalt der Ideen und Vorschläge muss in einem guten Team erhalten bleiben, ja ausdrücklich gefördert werden [33]. Die Schaffung einer Kultur der Toleranz und fairen Diskussion ist eine wichtige Aufgabe des Leiters der Station. Ein Team ist für die Führungskraft vergleichbar mit einem Wagenrad, das mit Antriebsenergie voranzutreiben ist. Für die Stabilität sorgen die einzelnen Teammitglieder. Zieltransparenz und Beziehungsqualität beeinflussen maßgeblich den Zustand des Teams. Davon hängt das Vorwärtskommen des Gesamtsystems entscheidend ab: Bricht eines der Räder, gerät der ganze Wagen/das Gesamtsystem ins Schlingern [2]. Im gleichen Zusammenhang steht eine gute »Fehlerkultur«. Die Tradition des »Wer war das?« ist überholt. Es ist entscheidend, Fehler sachlich aufzudecken und ohne persönliche Beschuldigungen zu analysieren; anderenfalls werden sie verdeckt, und die Chance, etwas zu verbessern, ist vertan. Regelmäßige M&M-Konferenzen, ein fairer und offener Teamgeist, die Bereitschaft zur Qualitätssicherung und -verbesserung, definierte Ablaufregelungen und SOPs sind Grundlagen einer guten »Fehlerkultur». Auch hier liefert der Leiter die entscheidenden Vorgaben (7 Kap. 8).
10.4.2
Qualifikationen und Aufgaben des Leiters
Qualifikationen Der Leiter einer Intensivstation muss in Deutschland die spezielle Weiterbildung »Intensivmedizin« vorweisen; für Österreich und die Schweiz gelten die entsprechenden nationalen Richtlinien. Weitere Qualifikationen erscheinen aber auch darüber hinaus sinnvoll: Für Intensivstationen größerer Häuser eine mindestens 4-jährige vollzeitliche Praxis in der Intensivbehandlung (davon mindestens 2 Jahre als Oberarzt) sowie eingehende Erfahrungen in der Krankenhaus- und Intensivstationsorganisation. Für Universitätskliniken ferner die aktive Teilnahme an internationalen Kongressen sowie Erfahrung in Management und Durch-
führung wissenschaftlicher Forschung und der Wissenschaftsfinanzierung. Für die Führungsaufgabe sind auch einige allgemeine Kenntnisse nützlich oder gar unerlässlich: 4 Weiterbildung im Krankenhausmanagement und medizinisches Qualitätsmanagement, 4 Kenntnisse der Strukturen des nationalen Gesundheitssystems. Praktische Erfahrung in der Arbeit in verschiedenen Gremien und Kommissionen sind sehr hilfreich, um die abteilungsübergreifende Bedeutung der Intensivmedizin deutlich zu machen und zu fördern innerhalb des Krankenhauses, ebenso wie im Bereich der eigenen Universität bzw. innerhalb der Fachgesellschaften oder Ärztekammern.
Aufgaben Der Leiter der Intensivstation ist ihr offizieller Vertreter. Er repräsentiert ihre Funktion und Aufgaben nach außen, etwa gegenüber der Verwaltung und gegenüber anderen Fachgebieten und Krankenhäusern, gleichzeitig hat er die Arbeit der Station zu verantworten. Ihm obliegt die Budgetverantwortung, d. h. er fordert die notwendigen finanziellen Mittel an und begründet deren ordnungsgemäße Verwendung. Vor allem aber ist er der Repräsentant des intensivmedizinischen Behandlungsteams. Als solcher vertritt er das Team bei allen Problemen und Konflikten mit anderen Fachdisziplinen und deren Fachvertretern. Voraussetzung ist, dass er von seinem Team als kompetenter und verlässlicher Leiter wahrgenommen wird. In der täglichen Praxis und der Routine des Managements entstehen daraus wichtige Aufgaben der Personalführung, die soziale Kompetenz erfordern und von folgenden Grundsätzen gekennzeichnet sind: 4 Festlegung klarer Verantwortlichkeiten, 4 Zuordnung der Mitarbeiter in eine eindeutige Führungshierarchie, 4 jährliche Zielvereinbarungs- und Mitarbeitergespräche, 4 eine förderliche Chef-Mitarbeiter-Beziehung mit wöchentlichen Jour-fix-Gesprächen, 4 konstruktive Fehler- und Feedback-Kultur, 4 Teambildung mit klarer und offener Kommunikation, 4 Aus- und Weiterbildungspläne, 4 Mentoring-Konzepte, 4 Information der Mitarbeiter über Vorhaben der Klinikleitung, 4 Beteiligung der Mitarbeiter an der Planung von Veränderungsprozessen. Gleichzeitig muss der Leiter der Intensivstation die Situationen akuter Arbeitsüberlastung und anderen außergewöhnlichen Belastungen für das Team einfühlsam erfassen. Dabei muss er die Notwendigkeiten einer optimalen Patientenbehandlung und seiner Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern mit Sensibilität abwägen. Häufig eine schwierige Gratwanderung, die jedoch aus einem aktiven Führungsprozess nicht ausgeklammert werden kann – trägt sie doch wesentlich zur Burnout-Prävention bei.
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Kapitel 10 · Organisation und Management
Der Leiter einer großen Intensivstation 4 ist Leiter des Teams der ITS: 5 letztlich verantwortlich für Controlling und Qualitätsmanagement, 5 letztlich zuständig für alle internen und externen Probleme, 5 vertritt die Intensivstation nach innen und außen, 5 verantwortet letztlich alle Entscheidungen der Intensivbehandlung, 4 ist verantwortlich für die Verwendung und Einhaltung der Budgets (Personal, Investitionen, Beschaffungen, Behandlungen, Wissenschaft und Forschung), 4 ist Verteiler aller intensivmedizinisch relevanten Informationen, 4 ist »Verbindungsmann« für das interne und externe Krankenhausnetzwerk. Insgesamt sind das zahlreiche Funktionen, die außerhalb der medizinischen Kompetenz liegen und auf deren Übernahme die wenigsten Mediziner ausreichend vorbereitet sind. Es reicht also nicht, dass der Leiter (nur) ein kompetenter Intensivmediziner ist. Das sollte bei der Besetzung einer solchen Position berücksichtigt werden.
10.4.3
Fähigkeiten zur Leitung
Wichtige Voraussetzung, um in einem aktiven Führungsprozess die Hoheit des Handelns zu halten und von den Mitarbeitern als berechenbare und verlässliche Leitungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden, ist das Bewusstmachen der eigenen Führungsrolle. Nur wer diese Rolle bewusst annimmt, ist in der Lage, sie dauerhaft auszufüllen. Offensichtlich gibt es nicht den einzigen, besten Weg, die Leitungsfunktion auszuüben. Jeder muss seinen eigenen besten Weg finden, der zu ihm passt und den Anforderungen am besten gerecht wird. Das heißt sogar, dass er gegenüber unterschiedlichen Mitarbeitern unterschiedliche Führungsstile einsetzen kann – immer angepasst an das jeweilige Verhaltensprofil und den individuellen Reifegrad hinsichtlich der Aufgabe. Einerseits kann er sich an den sachlichen Notwendigkeiten orientieren und Aufgaben, Funktionen, Ziele definieren und erklären (»task behaviour«); hier sind SOPs (»standard operating procedures«) hilfreich. Andererseits kann er die Mitarbeitermotivation und das Zwischenmenschliche in den Vordergrund stellen (»relationship behaviour«). Dann wird es ihm in erster Linie um ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen sich und seinen Mitarbeitern gehen. Er wird zuhören und sich um gute Kommunikation bemühen. Führung nach dem Gießkannenprinzip sollte vermieden werden. Denn Führungsverhalten, das an die unterschiedlichen Reifegrade der Mitarbeiter angepasst wird, setzt große Potenziale frei, auf die man ansonsten verzichten müsste. Idealerweise erhalten die Mitarbeiter von ihrem Leiter genau die Dosis an Führung, die sie brauchen. So benötigt ein sehr gewissenhafter Mitarbeiter von seinem Chef exakte Hintergrundinformationen, um sich vorbehaltlos seiner Aufgabe widmen zu können. Für einen motivierten Mitarbeiter hingegen, der seine Aufgabe sehr sicher beherrscht, reicht es aus, lediglich über Eckpunkte informiert zu werden. um die Aufgabe optimal verrichten können.
Führungskreislauf Mit dem Reifegrad der Mitarbeiter steigt für den Leiter die Möglichkeit der Delegation von Aufgaben. Jede Delegation motiviert und stärkt das Selbstvertrauen. Die einzelnen Mitarbeiter werden angeregt, selbst Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen –
Führungskreislauf Ziele und Zielvereinbarungen
Feedback - positiv/negativ - konstruktiv - Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch
Beobachten/ Kontrollieren
Unterstützung bei Problemlösung
. Abb. 10.1 Führungskreislauf
oft eine Grundvoraussetzung für eine Verbesserung der Qualität. Kompetente, engagierte Mitarbeiter sind i. Allg. äußerst daran interessiert, eigene Aufgaben und Verantwortungen zu übernehmen; werden sie dagegen durch kleinliche Kontrollen gegängelt, fühlen sie sich unterbewertet und frustriert. Die jeweiligen Aufgaben und Verantwortlichkeiten müssen klar definiert (schriftliche Regeln/SOPs) und an die Reifegrade der Mitarbeiter angepasst und – als wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements – dem gesamten Team kommuniziert werden. Gleichzeitig muss die Erfüllung der delegierten Aufgaben kontinuierlich überwacht werden, damit der Leiter stets auf dem Laufenden ist, denn er bleibt letztlich verantwortlich für alle Aktivitäten. Plötzliche Ereignisse können es auch erforderlich machen, dass er direkt in das Geschehen eingreift, d. h. das Handlungsregime selbst übernimmt. Es ist sinnvoll, die Kriterien für solche Situationen schriftlich festzulegen, damit alle Mitarbeiter wissen, wann der Leiter informiert und kontaktiert werden muss. Besonders wichtig ist es, dass bei »politisch« sensiblen Problemen (z. B. Meinungsverschiedenheiten mit anderen Fachdisziplinen) der Leiter sofort informiert wird und (sofern berechtigt) sein Team unterstützen kann. Regelmäßiges konstruktives Feedback zur Leistungs- und Ergebnisqualität rundet das aktive Führungshandeln des Leiters entsprechend dem Führungskreislauf ab (. Abb. 10.1).
10.4.4
Persönliche Qualifikationen
Der Leiter wahrt die Interessen seiner Station im Innen- sowie im Außenverhältnis. Während er im Innenverhältnis durch aktives Führungshandeln für ein gut funktionierendes Team sorgt, ist er im Außenverhältnis der Repräsentant seiner Station.
Externe Repräsentanz Intensivmedizin ist im besonderen Maße auf multidisziplinäre Kooperation angewiesen. Idealerweise sollte daher ihr Leiter Vertrauen und Respekt bei den Partnerdisziplinen genießen und bei den übrigen Klinikleitern und Chefärzten sowie von der Verwaltung und der Klinikumsleitung wohlangesehen sein. Die Intensivstation muss innerhalb des Krankenhauses in einem komplexen Netzwerk von Zuständigkeiten und Abhängigkeiten reibungslos funktionieren. Das bedeutet eine sensible, aber effektive Kooperation mit vielen weiteren Dienstleistungsstellen. Die Intensivmedizin hat also keine strikt abgegrenzte Aufgabe, vielmehr verdankt sie ihre besondere Stellung ihrer guten Kooperation und Interaktion nach allen Seiten. Es ist die Aufgabe des Leiters der
99 10.5 · Kommunikation
Intensivstation, dieses Bewusstsein bei allen ihren Mitarbeitern zu wecken. Für die »Politik« und für das beruflichen »Power Play« innerhalb des Krankenhauses ist es wichtig, dass der Leiter der Intensivstation bei allen Differenzen sich aktiv um eine Win-win-Situation bemüht [3]. Dennoch kann es mitunter unumgänglich sein, kurzfristig eine Einigung zu akzeptieren, die nicht optimal ist, um Stagnation zu verhindern. Andere Situationen können hingegen die gesamte Durchsetzungskraft des Leiters erfordern. Zentrales Leitmotiv seiner Bemühungen sollte immer das Wohl der Patienten und der Mitarbeiter sein. Eine Win-win-Kultur muss vertrauensvoll entwickelt werden, damit ein nachhaltiges Vertrauens- und Respektverhältnis zwischen den Verhandlungspartnern entsteht.
Interne Leitung Als »Kopf« der Intensivstation ist der Leiter verantwortlich für die Atmosphäre und den »seelischen Zustand« seines Teams. Das bedeutet, dass seine soziale Kompetenz (»emotionale Intelligenz«) in dieser Funktion besonders gefragt ist. Soziale Fähigkeiten, die benötigt werden, um gut mit Menschen zusammenzuarbeiten, sind für Leitungsaufgaben von höchster Bedeutung [15]. Es ist bemerkenswert, wie die »Psychologie« einer Gruppe von den Charaktereigenschaften ihres Leiters geprägt wird. Eine Reihe guter Ratschläge findet der Leser in dem bekannten und bemerkenswerten Buch von Steven R. Covey »Die sieben Wege zur Effektivität« [3]. Hierin empfiehlt er u. a.:
» Versuche erst zu verstehen, dann versuche verstanden zu werden. « Das betont die Bedeutung des aktiven Zuhörens: Um die Mitarbeiter richtig zu verstehen, muss die Kommunikation und die Interaktion mit ihnen stimmen. Häufig verlassen wir uns auf den »ersten Eindruck«, der sehr geprägt ist von unseren Vorurteilen. > Richtig verstehen heißt, gut zuzuhören! Sie erfahren viel mehr, wenn Sie zuhören!
Jemand, der nicht richtig zuhört, zeigt kein Interesse, sein Gegenüber zu verstehen. Der Leiter eines Teams sollte jedoch um Objektivität und Neutralität bemüht sein, im Sinne aller Mitarbeiter. Diese erreicht er nur, wenn er bereit ist, aktiv zuzuhören und zu verstehen. Daher gilt: 4 bereit zur Diskussion, aber entschlussfreudig, 4 bereit zur Entscheidung, aber abgewogen, 4 offen und kompetent, …mit anderen Worten: sozialkompetent!
Soziale Kompetenz Auf der Intensivstation arbeitet ein Team aus unterschiedlichen Funktionsgruppen miteinander. Um es wertschätzend zu führen, braucht es Vertrauen, nicht Macht! Ein Leiter, der aktiv und verlässlich führt, verfügt bei seinen Mitarbeitern über ein Vertrauenskonto, ein »emotional bank account», wie es Covey ausdrückt [3]. Ein solches Vertrauenskonto baut sich der Leiter mit seiner sozialen Kompetenz auf. Es ist die Basis dafür, dass ihm sein Team auch in schwierigen Situationen und bei hohen Anforderungen vertrauensvoll folgt. Ein Vertrauenskonto ist die wertvollste Grundlage einer guten Arbeitsatmosphäre – selbst wenn es einmal nicht richtig läuft und heftige Worte gewechselt werden.
Motivation Der Einzelne motiviert sich am ehesten über seine Bedürfnisse und Wünsche [27]. Das können die Arbeitsbedingungen sein, die Arbeitsplatzsicherheit, besondere Anforderungen, interessante Arbeitsgruppen, Achtung der Kollegen usw. Je weniger diese Bedürfnisse in seinem Job erfüllt werden, desto wichtiger werden sie ihm. Von Vorteil ist, dass die medizinische und pflegerische Tätigkeit als solche bereits eine hohe Motivation hervorruft; sie ist sinnvoll, wohltätig, verantwortungsvoll. Gleichzeitig ist die Belastung durch Zeitdruck, hohe Verantwortung und Schichtdienst sehr groß. Umso wichtiger ist es, die Arbeitsmotivation der Mitarbeiter langfristig zu erhalten und ständige Überlastung möglichst zu reduzieren. Sozialkompetenz bedeutet auch, nicht nur über Pflichten und Aufgaben zu reden, auch über Bedürfnisse und Wünsche. Eine der großen Herausforderungen für den Leiter ist es, die individuelle Verschiedenheit seiner Mitarbeiter zu akzeptieren [21]. Wir sind immer versucht, unsere eigene Sicht der Dinge als absolut zu betrachten. Unsere Wahrnehmung ist selektiv; wir neigen dazu, Informationen, die nicht in unser Konzept passen, zu verdrängen. Natürlich können individuelle Unterschiede und Widersprüche Konflikte hervorrufen. Sie fördern allerdings auch die Kreativität, verbessern die Entscheidungsfähigkeit und vergrößern das Engagement. Daher ist der Leiter gut beraten, dieses Potenzial der individuellen Vielschichtigkeit gut im Team zu nutzen, für Diskussionen, für differenzierte Lösungsvorschläge, für individuell abgestimmten Einsatz der Mitarbeiter bei unterschiedlichen Aufgaben [13, 17]. Die Mitarbeiter sind besser motiviert, wenn sie den Eindruck haben, dass sie in ihrer Individualität respektiert werden. Andererseits fördert die Toleranz gegenüber den individuellen Verschiedenheiten das gemeinsame Klima im Team; es ist das beste Mittel gegen Mobbing. Wichtig für den Erhalt der Arbeitsmotivation ist eine dialogorientierte Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Leitung, die sich mit Zielvereinbarungsgesprächen wirkungsvoll herstellen lässt. Auf diese Weise werden die Mitarbeiter stärker in das Klinikgeschehen eingebunden, und ihre Eigeninitiative und ihr Verantwortungsbewusstsein werden ausgebaut. Sie kennen die Ziele ihrer Klinik/ihrer Station und ihren konkreten Beitrag zum Erreichen des Gesamtziels. Transparenz, Identifikation und Motivation sind die Folge. Ein gut motiviertes Team hat eine »corporate identity«, es identifiziert sich mit seiner Aufgabe, mit seinen Mitarbeitern und mit dem gesamten Arbeitsumfeld. Das Team hat ein Selbstbewusstsein und ist stolz auf die eigenen Leistungen. Der Leiter tut gut daran, ein solches Selbstbewusstsein zu fördern, das jedoch nicht zur Überheblichkeit gegenüber anderen Leistungsträgern führen darf. Arbeitszufriedenheit und Motivation sind wichtige Faktoren, mit denen gute Leute gehalten werden, von denen sich neue Bewerber angezogen fühlen und die erheblich zur Burnout-Prävention beitragen.
10.5
Kommunikation
10.5.1
Zwischenmenschliche Kommunikation
Gute Kommunikation ist für eine effiziente, reibungslose Arbeit des Teams unerlässlich: klare Anweisungen zur Aufgabenverteilung, zu Arbeitsabläufen (SOPs), Visiten, gemeinsame Besprechungen, aber auch Weiterbildungskonferenzen und Zwischenfallbesprechungen (sog. M&M-Konferenzen) und Zielvereinbarungsgespräche. Viel-
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Kapitel 10 · Organisation und Management
fach entstehen Unstimmigkeiten und Streitigkeiten durch unklare, fehlende oder widersprüchliche Kommunikation. Schlechte Kommunikation, sowohl innerhalb der Gruppe als auch zwischen Gruppe und Leitung, ist eines der häufigsten und schwerwiegendsten Probleme. Sie verursacht Irrtümer und Behandlungsfehler, führt zu Konflikten und Frustration. Kommunikation dient nicht nur zur Information, sondern fördert auch zwischenmenschliche Beziehungen.
Ich-Botschaft: Was hat das alles mit mir zu tun? Wahrnehmung:
Beschreiben, was ich gesehen, gelesen, gehört, gefühlt habe, Zahlen, Daten, Fakten nennen → »Mir ist aufgefallen, dass …«
Wirkung:
Beschreiben, welche Gefühle diese Wahrnehmung bei mir ausgelöst hat → »Es hat mich geärgert, dass …«
Wunsch:
Kurzfristig Anweisung Langfristig darüber reden, was der andere braucht → »Ich wünsche mir von Ihnen, dass …«
> Konflikte lassen sich nur durch Kommunikation lösen!
Gute kommunikative Fähigkeiten zählen daher zu den wichtigsten Eigenschaften eines Leiters (. Abb. 10.2). In der hektischen, stressbelasteten Arbeitsatmosphäre der Intensivstation ist gute Kommunikation eine schwierige Aufgabe. Es lohnt sich, in ihre Verbesserung einige Mühe zu investieren: Die USamerikanische Gesellschaft für Intensivmedizin hat einige beachtenswerte Handlungsanweisungen und Regeln erstellt [4]: aktives Zuhören, betonte Stimmgebung, Wiederholung zur Sicherung des Verständnisses (Wer? Was? Wie?) sowie schriftliche Zusammenfassungen über abgeschlossene Diskussionen (z. B. »Tagesthemen«). Eine wichtige Methode der zwischenmenschlichen Kommunikation ist es, Feedback zu geben und zu nehmen (. Abb. 10.3). Auf diese Weise lässt sich anderen mitteilen, wie man sie sieht, oder aber etwas darüber erfahren, wie man selbst wahrgenommen wird. Eine gut funktionierende Feedback-Kultur ist ein wichtiges Führungsinstrument, mit dem sich die Zusammenarbeit wirkungsvoll verbessern lässt – vorausgesetzt, es werden einige Grundregeln der Kommunikation eingehalten, und die Rückmeldungen werden akzeptiert. Der Kern eines Feedback-Gespräches besteht immer
. Abb. 10.3 Feedback
aus Ich-Botschaften, die ganz eindeutig die Wahrnehmungen und Wünsche aus der eigenen Sicht beschreiben. Um sie zu formulieren und auch anzunehmen, bedarf es auf beiden Seiten Geber- und Nehmerqualitäten, deren wichtigstes Merkmal das aktive Zuhören ist. Feedback ist niemals gleichzusetzen mit einer verallgemeinernden Abrechnung. Im Vordergrund stehen dabei immer das Treffen von Absprachen und das Aufzeigen von Perspektiven. Feedback sollte nur unter vier Augen und persönlich gegeben werden. Wichtig ist, dass der Feedback-Empfänger sein Gesicht nicht verliert.
Tägliche Visite Die tägliche Visite bildet die Grundlage für die laufende Diagnostik und Behandlung jedes individuellen Patienten. Die Vermittlung so zahlreicher und komplexer Informationen, hinreichend vollständig und in so kurzer Zeit, erfordert ein hohes Maß an allseitiger Disziplin. Andererseits muss die Zeit ausreichen, um Fragen zu stellen und gezielte Diskussionen zu ermöglichen. Die fachliche Diskussion mit den Experten der beteiligten Fachgebiete ist die Grundlage des multidisziplinären Konzepts jeder guten Intensivmedizin. Die Visite ist Beratung, Erkenntnisaustausch – nicht nur einseitige Information oder Berichterstattung.
Partnerschaftliche Kommunikation
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Vision
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Strategie
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Gruppenbesprechungen
10 10 Chefarzt
Ärzte
ch e
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sp rä
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Der Kern des Feedbacks – gelungene Ich-Botschaften
Gespräche Leitung, Pflege . Abb. 10.2 Partnerschaftliche Kommunikation
Pflegekräfte
Ein wichtiges Mittel zur Kommunikation organisatorischer Fragen ist die Gruppenbesprechung. Direkte Reaktionen auf Informationen können angeregt werden, Missverständnisse werden durch Nachfragen vermieden. Dies verbessert die Akzeptanz bei den Mitarbeitern und fördert ihr Engagement. Gruppenbesprechungen sollten regelmäßig abgehalten werden, einen definierten Zeitrahmen sowie eine feste Tagesordnung haben. Es ist die Aufgabe des Leiters, die nötige Balance zwischen offener, aber konzentrierter Diskussion und zielgerichteter Entscheidung zu finden. Die Informationen müssen verstanden werden, Mutmaßungen sind zu vermeiden, die abschließende Botschaft sollte wiederholt und schriftlich fixiert werden, damit Missverständnisse ausgeräumt werden [4]. Gruppenbesprechungen fördern die Teambildung. Es entwickelt sich ein besseres Verständnis zwischen den Mitarbeitern, wenn sie Informationen austauschen und sich gegenseitig ihre Auffassungen darüber mitteilen.
101 10.6 · Konfliktmanagement
Konfliktmanagement
Regeln für erfolgreiche Leitung von Gruppenbesprechungen
10.6
4 4 4 4 4 4 4
Ein Konflikt ist ein Kräftemessen zwischen unterschiedlichen Interessen. Konflikte sind oft unausweichlich und werden meist als störend empfunden, sie sollten aber öfter als Ausdruck kreativer Auseinandersetzung gesehen werden. Dann haben sie eine wichtige Funktion der Verbesserung und der Erneuerung – kurz der Vitalität. In einer Abteilung ohne Konflikte gibt es: 4 keine Veränderungen, 4 keine Motivation der Mitarbeiter, 4 ungenutzte Ressourcen.
Definiere die Ziele … sei gut vorbereitet! Verstehe die Umstände … höre zu! Entdecke die Ursachen … frage! Identifiziere die Verursacher … frage! Lasse die Gruppe diskutieren … aber zielorientiert! Fasse zusammen … aber kurz! Konklusion: Wer tut was
Einführung von neuen Mitarbeitern Ein besonderes Problem der Kommunikation ist die Einführung von neuen Mitarbeitern in die Intensivmedizin. Die Grundregel ist denkbar einfach: Je besser die Mitarbeiter in ihre Aufgaben eingewiesen werden, desto früher können sie ihre Arbeit übernehmen. Dieser einfache Grundsatz wird häufig missachtet. Anfänger werden ohne ausreichende Vorbereitung in ihre Aufgabe hineingeworfen – und dann wundert man sich, wenn sie ihre Aufgabe nicht gut erledigen oder gar Angst vor der komplexen Intensivmedizin bekommen! Eine gute Einführung motiviert die Mitarbeiter. Unmotivierte Mitarbeiter leisten schlechte Arbeit und verursachen die häufigsten Probleme am Arbeitsplatz. Eine gut strukturierte Einführung beginnt mit einer Unterrichtsphase (möglichst am Arbeitsplatz), mit Informationen und Arbeitsanweisungen (SOPs). In dieser Phase sollte der Mitarbeiter möglichst von einem individuell benannten Tutor betreut werden. Danach beginnt die Eingewöhnungsphase, in der dann die direkte Betreuung durch individuelle Information und eine generellere Gruppenbetreuung abgelöst wird. Die regelmäßige Überprüfung (offen oder verdeckt) der jeweiligen Kenntnisse und Fähigkeiten des neuen Mitarbeiters zeigt, inwieweit er bereits in der täglichen Arbeit eingesetzt werden kann. Dieser relativ aufwendige Betreuungseinsatz lohnt sich jedoch: Als je besser vorbereitet der neue Mitarbeiter sich empfindet, desto motivierter widmet er sich seiner Aufgabe und wird bald ein wertvolles Teammitglied sein.
10.5.2
Kommunikationstechnik
Für eine gute Kommunikation müssen auch die technischen Voraussetzungen gegeben sein: Stationseigene Telefon- und Faxanschlüsse, PC-basierte Information (Internet, Literaturabfrage, wissenschaftliche Datensammlung, Rote Liste, DRG-Kataloge etc.). Ein computerbasiertes Patientendatenmanagementsystem (PDMS) verbessert nicht nur die Patienten- und Behandlungsdokumentation, sondern ermöglicht auch eine effiziente Leistungs- und Aufwandsdokumentation. Eine funktionsbezogene digitale Kommunikation etwa für Anforderungen und Befunde aus dem Zentrallabor, der Mikrobiologie und anderen Leistungsstellen verbessert die Übermittlungsschnelligkeit und -sicherheit und vermindert Aufwand und Zeitaufwand deutlich. Auch digitale Bild- und Befundvermittlung für Röntgenaufnahmen bringen große Vorteile. Ferner bietet die Telemetrie heute neue Möglichkeiten der Kommunikation: Das Spektrum reicht von der Übertragung von Patienten- und Befunddaten innerhalb der Hauses bis hin zur Fernübertragung von CT- und Röntgenbildern zwischen kleineren Krankenhäusern und Expertenzentren. Der bestechende Vorteil ist, dass eine Expertenberatung rasch zugänglich gemacht werden kann.
> Das Arbeitsklima ist langweilig, und alles ist vorhersehbar.
So können Konflikte nützlich und kreativ sein. Sie können sich aber auch destruktiv auswirken, sie können die Produktivität herabsetzen und Stress, Chaos und Desintegration auslösen. Daher müssen wir verstehen, wie Konflikte entstehen und wie sie nutzbringend verarbeitet werden können. > Probleme erwachsen meist nicht aus dem Konflikt, sondern aus den Fragen, ob überhaupt und wie man sich des Konfliktes annimmt.
10.6.1
Konfliktdiagnose
Um einen Konflikt zu beurteilen, muss zunächst eine richtige »Diagnose« gestellt werden.
Konflikttypen Es ist wichtig, zu verstehen, auf welchen der 4 typischen Ursachen der Konflikt letztlich beruht: 4 auf Differenzen auf dem Gebiet der strategischen Zielvorgaben, 4 auf Problemen der Aufgabenstellung und Organisation, 4 auf dem Gebiet von individuellen Zielvorstellungen und Interessen oder 4 auf sozialer und emotionaler Ebene. > Nur mit dieser Kenntnis kann man den Konflikt ursächlich angehen und lösen.
Bei Konflikten der strategischen Zielvorgaben (z. B. Aufgabenstellung der ITS) müssen Definitionen formuliert und Informationen verbessert werden. Bei Entscheidungen »entweder/oder« wird es allerdings unvermeidbar gelegentlich »Verlierer« geben. Bei organisatorischen Problemen können Funktionsabläufe verbessert, Arbeitsanweisungen formuliert und in organisatorische Hilfsmittel investiert werden. Bei individuellen Interessenskonflikten, die manchmal nicht klar formuliert sind, muss nachgefragt werden. Bei Konflikten auf sozialer und emotionaler Ebene müssen die Konfliktpersonen miteinander konfrontiert werden, müssen Besprechungen zwischen den Konfliktparteien stattfinden, ggf. müssen Individuen aus dem Team herausgelöst werden. In allen Fällen ist die Führungskompetenz des Leiters gefordert.
Konfliktbedingungen Im Konflikt zählen nicht nur die Argumente; auch die Bedingungen des Umfelds spielen eine große Rolle: So wird man es sich lange überlegen, ob man gegen einen sehr mächtigen Gegner einen Streit vom Zaun bricht. Die Umfeldbedingungen müssen also klar berücksichtigt werden: die hierarchische Struktur, die Gruppeninteressen (Ärzte/Pflegekräfte), die Interessenslager
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102
Kapitel 10 · Organisation und Management
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(»Verbündete«/«Gegner«), die möglichen Alternativen, die eigene Expertise, die eigene Glaubwürdigkeit und vieles mehr.
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Konfliktstadien
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Ein Konflikt ist nicht statisch, sondern hat seine eigene Dynamik. Dies zu verstehen hilft, um bei der Intervention Zeitpunkt und Maßnahmen richtig und angepasst auszuwählen. Der Konflikt beginnt meist als latenter Konflikt, der von den Beteiligten noch nicht wahrgenommen wird. Erst später wird er deutlich, und die einzelnen Parteien beziehen Stellung; diese Phase sollte zur Konfliktlösung genutzt werden. Wird der Konflikt nicht zufriedenstellend gelöst, dann beginnt die Eskalation: Die Standpunkte verhärten sich, Gespräche werden abgewiesen, es kommt zu Beschuldigungen und Verletzungen. Erst wenn alle einsehen, dass es so nicht weitergehen kann, tritt die Deeskalation ein: Jetzt wird miteinander geredet, verhandelt, um eine gute Lösung gerungen. Die allerletzte Phase jedoch wird oft vergessen: Schließlich muss wieder Frieden einkehren, alle müssen wieder miteinander ein vernünftiges Arbeits- und Vertrauensverhältnis aufbauen. Geschieht das nicht, dann wird sich dieser Konflikt wieder aufschaukeln, und das Ganze beginnt von Neuem. Auch hier ist also die soziale Kompetenz des Leiters gefragt. Konflikte sollten früh wahrgenommen werden. Eine Klärung bzw. Lösung sollte rasch versucht werden. Sonst droht die Eskalation.
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Eigene Position
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Bei der Diagnose des Konflikts ist es für den Leiter wichtig, die eigene Position zu analysieren: Steht er über den Konfliktparteien, dann kann er aus seiner Position objektiv und fair eine Entscheidung fällen und die Gruppen wieder zusammenführen. Steht der Leiter direkt zwischen den Parteien, sind seine tatsächliche Meinung und vielleicht auch seine Vermittlungsfähigkeit gefragt. Eine faire Vermittlung, die von beide Seiten akzeptiert wird, kann zu einer schwierigen Herausforderung werden. Ist der Leiter jedoch Teil des Konflikts und muss bei den Verhandlungen eine eigene Interessensgruppe vertreten, ist es besonders schwierig. In diesem Fall muss er sehr genau wissen, wozu er befugt ist und wozu nicht. Wichtig ist der enge Kontakt zur eigenen Interessengruppe sowie die Durchsprache der vorgesehenen Entscheidungen. Nichts ist frustrierender, als die Ablehnung einer mit Mühe erreichten Entscheidung durch die eigene Interessengruppe. Hat der Leiter im Konfliktfall die Krankenhausinteressen zu vertreten, ist die Verantwortlichkeit gegenüber dem eigenen Team höher zu bewerten. Hält er in solchen Situationen nicht zu seinen Mitarbeiten, kann sich das nachhaltig auf das Arbeitsklima auf der Station und auf die Leistung auswirken.
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10.6.2
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Konfliktlösung
Die ideale Lösung eines Konfliktes bedeutet ein gutes Ergebnis für beide Parteien und eine verbesserte zwischenmenschliche Beziehung; dies ist in jeder Hinsicht eine Win-win-Situation. Wer Konflikte grundsätzlich vermeidet und, wenn sie vorkommen, sich ihnen nicht stellt, wird weder gute Ergebnisse erzielen noch ein gutes Arbeitsklima erreichen; das wäre eine typische Lose-lose-Situation. Irgendwo dazwischen liegt das weite Feld der Kompromisse. Dabei sollten ausgesprochene Win-lose-Situationen vermieden werden, da sie oft zu neuen Konflikten Anlass geben und die Stimmung unnötig vergiften.
Verhandlungen Konflikte lassen sich am sichersten durch Verhandlungen lösen. Die Voraussetzung für eine gemeinsame Lösung ist, dass es neben den unterschiedlichen Standpunkten auch gemeinsame Interessen gibt, die es bei den Verhandlungen zu betonen gilt. Verhandlungen bedeuten in erster Linie, zuzuhören, zu versuchen die tatsächlichen Motive der Gegenpartei zu verstehen, Fragen zu stellen, um sicherzugehen, dass die Probleme und die Motive richtig verstanden wurden, und die Gegenpartei aufzufordern, ihrerseits Fragen nach Ihren Gründen und Hintergründen zu stellen. Gutes gegenseitiges Verständnis der Motive und Ziele erleichtert und beschleunigt die Verhandlung. Wird von anderer Seite ein Angebot gemacht, sollte die Berücksichtigung der eigenen Interessen geprüft werden (Win-Win-Situation). Sind diese nicht berücksichtigt, sollte das Angebot abgelehnt werden. Wichtig ist die Frage nach den Alternativen: Als BATNA (»best alternative to a negotiated agreement«) werden die minimalen Bedingungen bezeichnet, unter denen noch eine Einigung akzeptiert werden kann. Es ist empfehlenswert, sich vor Verhandlungsbeginn über die eigenen BATNA Klarheit zu verschaffen. Während der Verhandlungen wird die Gegenpartei oft versuchen, den Druck zu erhöhen, um eine Lösung zu erzwingen. Lösungen unter Entscheidungsdruck sind jedoch selten gut. Daher sollte der Leiter diese Strategie durchschauen, um sich von dem Druck zu lösen. Dazu sind geeignet: das Entscheidungstempo zu verlangsamen oder den Entscheidungsprozess zu unterbrechen, die direkte Konfrontation mit einem mächtigen Gegner durch Zeitbegrenzung zu verkürzen, oder schließlich sich einen anderen Verhandlungspartner zu suchen, um dem Druck auszuweichen.
Konzessionen Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden die Verhandlungsparteien zu Konzessionen genötigt werden, damit man schließlich zu einer Entscheidung kommt. Hierfür gibt es einige Regeln: 4 Konzessionen spät und in kleinen Schritten machen, 4 Konzession bevorzugen, die nichts kosten, 4 Leistungen auf Gegenseitigkeit kombinieren (etwa: »wenn ich…, dann müssen Sie…«). 4 Bedingungen deutlich vortragen (nicht: »Könnten Sie nicht vielleicht etwas mehr zahlen?«). 4 Konzessionen sind »Handelswaren«. Daher empfiehlt es sich, ein paar Konzessionen in der Hinterhand zu behalten, die genutzt werden können, wenn es im letzten Moment unbedingt erforderlich sein sollte. Bei den Verhandlungen sollte nach Möglichkeit eine gute Partnerschaft aufrechterhalten werden. Das Ziel der Verhandlung ist ein gutes Ergebnis, das sich in partnerschaftlicher Zusammenarbeit nachhaltig bewähren muss. Verhandlungen sind keine Kampfhandlungen. Gegner sind keine Feinde. Die Fähigkeit einer guten Konfliktbewältigung sind hervorragende Eigenschaften eines sozial kompetenten Leiters. Dabei muss er seine Strategie der Konfliktbewältigung sorgfältig an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Nicht jeder Konflikt ist mit den gleichen Mitteln zu lösen. Aber selbst, wenn er dies anfangs noch nicht beherrscht, lernen doch manche in ihrem Beruf noch dazu. Zusammenfassung Eine gut funktionierende Intensivstation zu leiten ist eine große Herausforderung. Sie anzunehmen bedeutet, neben hohen fachspezifischen
103 Literatur
Anforderungen regelmäßig in Führungszeit zu investieren – eine Investition, zu der es keine Alternative gibt. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen intensivmedizinischen Team ist regelmäßige Kommunikation mit allen Beteiligten. Kommunikation ist der Transmissionsriemen, der eine Kultur des Verstehens, der Wertschätzung sowie der Ziel- und Prozessorientierung antreibt und erhält. Es liegt im Aufgabenbereich des Leiters, diesen Transmissionsriemen in Bewegung zu halten und zu pflegen. Die Basis dafür bildet die Orientierung an folgenden Führungsgrundsätzen: Fürsorgeprinzip, Verteilungsgerechtigkeit, Vorbildfunktion, Informationsfluss und Feedback. Die Investition in Führungszeit zahlt sich in jedem Fall aus. Denn sie erhält die Motivation der Mitarbeiter und kommt somit gleichzeitig den Patienten und Angehörigen zugute.
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10
105
Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin A.R. Heller, M.P. Müller
11.1
Einführung – 106
11.2
Umfeld intensivmedizinischer Aus-, Weiter- und Fortbildung – 107
11.3
Ziele des intensivmedizinischen Abschnitts der Facharztweiterbildung – 107
11.4
Entwicklung und Implementierung eines Curriculums – 108
11.5
Vom Wissen zum Können – 112
11.6
Nutzung von Simulatoren und Algorithmen für unterschiedliche Aspekte der Wissensvermittlung – 113
11.6.1 11.6.2 11.6.3 11.6.4
Technische Fertigkeiten – 113 Nicht technische Fertigkeiten – 114 Prozeduren und Handlungsabläufe – 114 Systemkenntnis – 115
Literatur – 115
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_11, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
11
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106
Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
11.1
Einführung
Lehre und Weiterbildung sind allumfassende Prozesse, die letztlich in einer Verhaltensänderung des Lernenden resultieren sollen. Die formenden Faktoren dabei sind die Arbeitsumgebung, das Curriculum, eigene Erfahrungen sowie die Inhalte besuchter Weiterbildungsveranstaltungen und bettseitiger Weiterbildungsaktivitäten. Am nachhaltigsten aber wirkt Lernen an einem positiven Vorbild [18], das die vermittelten Inhalte – fachlicher wie nichtfachlicher Natur – selbst vorlebt. Ein grundsätzlicher Vorteil der Erwachsenenbildung ist dabei die vergleichsweise hohe Lernmotivation und Zielorientierung der Lernenden. Entsprechend sollten die Weiterbildungsbefugten diesen gerne übersehenen Lerneifer unter Berücksichtigung des jeweils mitgebrachten Weiterbildungsstandes als Transmissionsriemen für eine effektive intensivmedizinische Weiterbildung zu nutzen lernen. Der Lehrende sollte sich hier dem Anspruch stellen, für den Lernenden wie ein Sprungbrett in die nächste Wissensebene zu wirken. Das Bestreben des Lehrenden, sich besonders kenntnisreich und bedeutend darzustellen, hat in der Weiterbildung keinen Platz. Wissensvermittlung in der Intensivmedizin muss in diesem Sinne als Kontinuum von der studentischen Lehre [2] über die Intensivzeit während der Facharztweiterbildung [10] und Intensivspezialisierung bis hin in die tägliche Praxis verstanden und gelebt werden. Dabei werden bereits während der studentischen Ausbildung Lehrmethoden angewandt, die das lebenslange Lernen fördern und methodisch den Grundstein für die lernerzentrierte Weiterbildung legen. > Einflussfaktoren für die Kompetenzvermittlung sind die Arbeitsumgebung, das Curriculum, eigene Erfahrungen, Weiterbildungsaktivitäten und Lernen am Vorbild.
Um dies zu erreichen, muss der Lehrer in der Intensivmedizin einer Reihe von Qualitätsansprüchen genügen [5]. Neben der formal nachgewiesenen intensivmedizinischen Fachkompetenz im entsprechenden Fachbereich (Subspezialisierung) und kontinuierlichem eigenem Lernen (Literatur, Kongresse) muss die Weiterbildung ein echtes Anliegen des Weiterbildenden sein, was sich in der Schaffung von zeitlichen Freiräumen, Entwicklung der eigenen Lehrbefähigung, dem Engagement in intensivmedizinischen Netzwerken sowie einem eigenen Curriculum zeigt. Zudem sollte zur Qualitätssicherung in der Lehre regelmäßig Austausch mit anderen Lehrenden innerhalb und außerhalb der Institution bestehen [26]. Ein ergänzender Aspekt, der den Horizont sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden weitet, ist die Schaffung eines Umfelds, in dem intensivmedizinische Forschung (klinisch, experimentell, Versorgungsforschung) im weitesten Sinne gedeihen kann. Schließlich sollte der Lehrende mit Qualitätssicherungssystemen vertraut sein sowie mit ethischen, rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Themen, soweit sie die Intensivmedizin berühren. > Lehrer in der Intensivmedizin müssen neben reiner Fachkompetenz Mindeststandards erfüllen in eigener Weiterbildung, Lehrbefähigung, Curricularentwicklung, Netzwerk, Forschung und Qualitätsmanagement.
Die Relevanz einer zertifizierten ärztlichen Weiterbildung für das Überleben von Patienten nach Standardeingriffen konnten Silber et al. zweifelsfrei belegen [28]. Trotzdem wird medizinische Aus- , Weiter- und Fortbildung in Deutschland häufig stiefmütterlich nach dem Motto »see one – do one – teach one« [30] behandelt. Die qualitätssichernde Maßnahme »get one« existiert begreiflicherweise nur in Ausnahmefällen [20]. Ein strukturiertes Erlernen von Prozeduren und Maßnahmen unter Supervision [10] gehört nicht zur
Lehrkultur und hat in Deutschland im Vergleich zu den Vereinigten Staaten [5] traditionell kaum einen Stellenwert. Umfrageergebnisse bei deutschen Oberärzten zeigen, dass strukturierte Anleitung in 71 % der Einrichtungen erfolgt, »learning by doing« allerdings noch immer 50 % ausmacht (Mehrfachauswahl möglich [6]). Dies hat seine Ursache einerseits im Fehlen einer ärztlichen Lehrerausbildung und mangelnder Wertschätzung der Lehrtätigkeit für Karriereentscheidungen, andererseits auch in der Entgeltstruktur der Krankenhäuser, die bislang keine Vergütung für ihre Weiter- und Fortbildungstätigkeit erhielten und folglich weder eine diesbezügliche Personalstruktur noch Lehr- und Lernkultur vorhielten. Diese Situation hat sich unter dem betriebswirtschaftlichen Primat seit der DRG-Einführung verschärft, indem viele Kliniken vorrangig mit Facharztbesetzung arbeiten und keine Weiterbildung mehr mit der ihr innewohnenden Qualitäts- und Ressourcenproblematik (notwendige Supervision, nicht indizierter diagnostischer Aufwand, Fehlerbehebungskosten, verlängerte Verweildauer etc.) anbieten. > Da in Deutschland weder eine ausreichende medizinische Lehrerausbildung noch eine Wertschätzungskultur für ihre Ausbildertätigkeit besteht, ist »learning by doing« noch immer an der Tagesordnung.
Trotz dieses negativen Trends im Stellenwert von Aus-, Fort- und Weiterbildung sind in den letzten Jahren gleichfalls gegenläufige positive Entwicklungen zu beobachten. So sind die Evaluation der Lehrveranstaltungen an den Universitäten sowie die Veröffentlichung der Ergebnisse mittlerweile durch die Approbationsordnung vorgeschrieben, und die Qualität der Weiterbildung an den Krankenhäusern wird im Rahmen eines bundesweiten Benchmarking-Projekts der Bundesärztekammer evaluiert [16]. Diese in der Schweiz bereits lange bestehenden Vergleichsmöglichkeiten der Qualität in der Weiterbildung werden zukünftig auch in Deutschland wesentlich für die Arbeitgeberwahl durch den Arzt sein. Die Qualität der Wissensvermittlung muss daher für die Weiterbildenden gerade auch im Hinblick auf den demographischen Wandel mit Fachkräftemangel und zunehmender Patientenkomplexität ein zentrales Interesse sein. > Die Veröffentlichung der Weiterbildungsqualität nach Schweizer Vorbild wird im Rahmen des zunehmenden Fachkräftemangels Migrationsbewegungen hin zu den in der Lehre ausgewiesenen Standorten auslösen.
Zur Professionalisierung der Lehre und zur Etablierung von medizinischer Lehrkompetenz in Deutschland wurde ein Studiengang »Master of Medical Education« (MME-D) etabliert. MME-Absolventen beginnen nun mit dem Aufbau und der Strukturierung von Curricula an den Universitäten. Diese vornehmlich auf die studentische Lehre fokussierten Maßnahmen strahlen aber auch positiv auf die ärztliche Weiter- und Fortbildung aus, indem dieses neue Know-how ebenfalls in lokale Curricula für Weiter- und Fortbildung einfließt. > Neue Chancen entstehen durch medizinische Lehrerausbildung »Master of Medical Education«.
107 11.3 · Ziele des intensivmedizinischen Abschnitts der Facharztweiterbildung
11.2
Umfeld intensivmedizinischer Aus-, Weiter- und Fortbildung
Unabhängig von der Art der hochspezialisierten Tätigkeit in Risikobereichen (Luftfahrt, Reaktorbetrieb, Militär etc.) muss sich die Wissensvermittlung innerhalb einer Berufsgruppe aber auch im interdisziplinär/multiprofessionellen Team immer sowohl am Umfeld als auch den Zielen der Arbeitsprozesse orientieren. Dazu bedarf es der nüchternen Analyse des intensivmedizinischen Arbeitsumfelds, das jedem Teammitglied Schwächen [15] einräumt, diese allerdings durch organisatorische und ausbilderische Maßnahmen auffängt. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Aus- und Weiterbildungstätigkeit in der Intensivmedizin sind klare Führungsstrukturen und ein offener Dialog aller beteiligten Berufsgruppen mit dem eigenen Bedürfnis zu Qualitätsverbesserung. Dazu gehört ebenso eine gemeinsame Vision Aller für eine patientenzentrierte Intensivtherapie und das Ziel der bestmöglichen Patientenversorgung unter Einbeziehung evidenzbasierter Behandlungsalgorithmen in die tägliche Versorgung. Zum Aspekt der Qualitätssicherung gehört dabei in allen beteiligten Berufsgruppen eine offene Fehlerkultur (7 Kap. 8) und die fortlaufende Messung der Ergebnisqualität zur Bestimmung der Effektivität der getroffenen Maßnahmen sowie der Weiterbildung. Eine fest verankerte positive Kommunikationskultur mit den Patienten und Angehörigen gehört darüber hinaus zu den guten Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Weiterbildungstätigkeit [5]. > Organisatorische und Ausbildungsmaßnahmen müssen allgegenwärtige Schwächen im Team auffangen. Dazu gehören ein offener Dialog, Qualitätsmessung und -verbesserung, Patientenzentrierung, EBM und Handlungsalgorithmen.
Das in . Abb. 11.1 dargestellte Führungsmodell für medizinische Hochrisikoeinrichtungen [9], wie es Intensivstationen sind, bezieht die relevanten Umfeldfaktoren mit ein: Zunächst wird ein (Therapie-) Ziel definiert, das als Führungsaufgabe an die Teammitglieder kommuniziert wird. Bereits in diesem Stadium des Task Management können in der Intensivmedizin die Rahmenbedingungen Komplexität, Zeitdruck und Fehlerrisiko entscheidende Auswirkungen auf die Qualität der weiteren Schritte bis zur Zielerreichung haben (7 Kap. 8). Um die Auswirkungen dieser Störgrößen einzudämmen, können aber verhaltensorientierte Techniken wie evidenzbasierte Algorithmen (»standard operation procedures«; SOP) [3, 25], Simulatortraining sowie Crew Ressource Management (7 Abschn. 11.5.2) und Critical Incident Reporting (CIRS) [13] er-
Führung Z ie lde finition
Effektivität
K ommunika tion
Risiko Komplexität Zeitdruck
Mitarbeit
Ausführung
Ergebnis Effizienz
. Abb. 11.1 Lernziele der Intensivmedizin, abgeleitet aus den Rahmenbedingung für die (Therapie-) Zielerreichung (weiß Führungsaufgaben, grau Teamaufgaben, blau Störfaktoren). (Mod. nach [9])
gänzend zur rein kognitiven Wissensvorhaltung Outcome-relevant eingesetzt werden [8]. Unter Mitarbeit des Teams kommt es zur Ausführung der z. B. im Rahmen der Visite kommunizierten Aufgabe. Das Ergebnis hängt hierbei maßgeblich von der Effizienz (die Dinge richtig tun) des Gesamtteams ab. Die Frage, ob das Ergebnis dem ursprünglich definierten Ziel entspricht, wird vielfach nicht gestellt, ist aber der Kernpunkt eines jeden Qualitätsmanagements und damit Führungsaufgabe [4]. Nur im Abgleich von erreichtem Ergebnis mit dem einst definierten Ziel kann die Effektivität (die richtigen Dinge tun) eines Teams überhaupt erst bestimmt werden. Genau diese Einsichtfähigkeit, dass das Ergebnis einer Aufgabe und ihr ursprünglich definiertes Ziel vielfach diskrepant sind und eine Nachjustierung der Aufgabenstellung mit erneutem Durchlaufen eines Zyklus verlangt, macht gute Intensivmediziner aus. Hier wird deutlich, wie Verhaltensaspekte, wie rechtzeitige selbstkritische Rückmeldungen aus dem Team, zu einem wichtigen Steuerinstrument werden. Auf diese Weise lässt sich die Zielerreichung innerhalb eines Visiten-Visiten-Zyklus sowohl effektiv als auch effizient gestalten. > Effizienz misst sich am erreichten Ergebnis, Effektivität am ursprünglichen Ziel. Ein Metalernziel der Weiterbildung ist, dass regelhaft ein Unterschied zwischen Ziel und Ergebnis besteht und Nachjustierungen notwendig sind.
11.3
Ziele des intensivmedizinischen Abschnitts der Facharztweiterbildung
In seinem Buch »Das Unerwartete managen« beschreibt K. Weick Besonderheiten von Hochrisikoorganisationen (HRO), zu denen er auch die intensivmedizinische Versorgung zählt [31]. Diese Eigenschaften sind genau die Lernziele, die der Arzt während seiner intensivmedizinischen Weiterbildung verinnerlichen muss:
»
Menschen brauchen oft zu lange, um zu erkennen, dass die Ereignisse ihren Erwartungen zuwider laufen und dass eine problematische Situation eskaliert. Wenn sie dann verspätet erkennen, wie das Unerwartete seine Wirkung entfaltet, gehen ihre Bemühungen, das Unglück einzudämmen, außerdem häufig in die falsche Richtung.
«
Als wesentliche Kennzeichen des Erfolgs von HROs beschreibt Weick ein entschlossenes achtsames Handeln mit der Würdigung schwacher Anzeichen auf sich anbahnende Probleme, sowie der Konzentration darauf, negative Wirkungen mit flexiblen Mitteln symptomatisch einzudämmen, um das Gesamtsystem möglichst schnell wieder funktionstüchtig zu machen. Dazu gehören die ständig aktualisierte, nicht zu vereinfachende Deutung der komplexen Zusammenhänge und ggf. eine kontraintuitive starke Reaktion (Therapie) auf schwache Signale mit demjenigen Teil des Teams mit der größten Kompetenz für dieses Problem [27] und nicht durch das Mitglied mit der höchsten hierarchischen Stellung [11]. Zuletzt ist das Vorhandensein einer offenen Fehlerkultur Kennzeichen des Erfolgs und der Sicherheit von HROs. Gaba hat die Schlüsselelemente des Crew Ressource Managements zusammengefasst, die eine angemessene Reaktion auf das Unerwartete unter Zeitdruck erleichtern sollen und die auch als übergeordnete Lernziele für Teamarbeit in der Intensivmedizin gelten können (7 Übersicht).
11
108
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Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
Schlüsselelemente des Crew Ressource Management [12] 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Kenne Deine Arbeitsumgebung. Antizipiere und plane voraus. Lenke deine Aufmerksamkeit bewusst. Nutze alle verfügbaren Informationen. Reevaluiere immer wieder. Benutze Merkhilfen. Übernimm die Führungs- oder eine Helferrolle. Fordere frühzeitig Hilfe an. Kommuniziere effektiv. Verteile die Arbeitsbelastung. Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen. Verhindere Fixierungsfehler. Teamarbeit aktiv fördern. Setze die Prioritäten dynamisch.
> Der Erfolg von Hochrisikoorganisationen (HRO) liegt in flexiblem entschlossenem Reagieren auf sich anbahnende Probleme. Negative Wirkungen werden symptomatisch eingedämmt, um das Gesamtsystem schnell wieder funktionstüchtig zu machen.
Für eine nachhaltige Weiterbildung konnten dabei gerade im medizinischen Kontext einige Erfolgsfaktoren identifiziert werden [19]. Zuallererst muss der zeitliche Freiraum für die Weiterbildung auf der Intensivstation aktiv gegen den Widerstand der Vielzahl von Aufgaben geschaffen werden. Zudem ist ein Klima des Vertrauens und der Patientenzuwendung auf der Station eine wertvolle Vorbedingung für eine erfolgreiche Weiterbildung. Unabdingbar für den Lehrenden sind Fachkompetenz und die hieraus abgeleitete klinische Glaubwürdigkeit. Sind diese Vorbedingungen erfüllt, so haben sich Einführungs- und Abschlussgespräche für die Lernenden als sinnvoll erwiesen. Zunächst, um den individuellen Bedarf an Förderung und Forderung zu ermitteln und um später ein Feedback für die weitere Entwicklung zu geben, aber auch, um den Effekt der Weiterbildung überhaupt erst messen zu können. In diesem Zusammenhang muss auch die Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer berücksichtigt werden, die mindestens jährlich zu dokumentierende Weiterbildungsevaluationen fordert. Ein Fragebogen (. Abb. 11.2) kann hier das Procedere erleichtern, wobei gleichermaßen auch die Lehrperformance parallel dazu erhoben werden muss [10].
Erfolgsfaktoren für die Weiterbildung sind: 4 Schaffung zeitlichen Freiraums, 4 Klima des Vertrauens und der Patientenzuwendung, 4 klinische Glaubwürdigkeit des Lehrenden, 4 Einführungs- und Abschlussgespräche.
11 11 11 11 11
> Einführungs- und Abschlussgespräche ermöglichen erst die Messbarkeit eines Lerneffekts.
Die Visite bildet ein Schlüsselelement der intensivmedizinischen Kompetenzvermittlung. Einen wesentlichen Beitrag liefert in diesem Rahmen auch die Fallvorstellung durch den Lernenden unter achtsamem Zuhören durch den Lehrenden. Dabei soll der Lehrende eher mit sparsamen Rückfragen den Zusammenhang klären lassen als im Monolog sein eigenes Wissen in den Vordergrund stellen. Weiterhin gehören Falldiskussionen z. B. am Flip Chart, zur Schulung von differenzialdiagnostischen und Problemlösungsfä-
higkeiten zu den erfolgreichen Methoden der intensivmedizinischen Wissensvermittlung. Für häufig wiederkehrende klinische Situationen können in diesem Rahmen auch Algorithmen gemeinsam entwickelt werden. Die Präsentation von Themen im Rahmen von Vorträgen oder spontanen Referaten durch Lehrende oder Lernende ist ebenfalls methodisch wertvoll, wenn sie konkret ohne Weitschweifigkeit am aktuellen klinischen Problem bleibt. Das hierdurch bereits gezielt stattfindende Lernen durch Lehren ist eine sehr effektive Möglichkeit des Wissenstransfers. Letztlich kann durch die beschriebenen Personalentwicklungsmaßnahmen trotz Mitarbeiterrotation sichergestellt werden, dass Know-how im Team aufgebaut, erhalten und entwickelt wird [19, 27]. Abgerundet wird der Leistungsstandard in der intensivmedizinischen Weiterbildung, wenn psychosoziale Aspekte des Handelns sowohl am Patienten als auch im Team eine tragende Rolle spielen.
Elemente des Wissenstransfers sind: 4 Fallvorstellungen und -diskussionen innerhalb oder außerhalb der Visite sowie 4 Präsentationen durch Lehrende und Lernende.
> Trotz Mitarbeiterrotation müssen Aufbau, Erhalt und Fortentwicklung des Know-how im Team sichergestellt werden.
11.4
Entwicklung und Implementierung eines Curriculums
Die intensivmedizinischen Kompetenzziele sind Ausschnitte aus den allgemeinen ärztlichen Kompetenzzielen: Medizinischer Experte, Teamarbeiter, Kommunikator mit Patienten und Angehörigen, Organisator, lebenslanger Lerner, Gesundheitsfürsorger und professionell Handelnder [26]. Neben den in 7 Abschn. 11.2 angesprochenen Aspekten ist die Erreichung dieser allgemeinen Kompetenzziele Prüfstein für ein jedes Curriculum.
Kompetenzziele 4 4 4 4 4 4 4
Experte Teamarbeiter Kommunikator Organisator Lerner Gesundheitsfürsorger Professionalität
Um ein krankenhausindividuell passgenaues Intensivcurriculum zu erstellen, das einen Nutzen sowohl für die Weiterbildung als auch für die Krankenversorgung erwarten lässt, hat sich eine 6-stufige Vorgehensweise, die konsequent aufeinander aufbaut, als zweckmäßig erwiesen [14]: Dazu gehört zu allererst eine Umfeld- und Bedarfsanalyse für spezifische Wissensinhalte und Kompetenzen von Seiten der Station an die Mitarbeiter, die vom Profil der Station geprägt ist. Dabei wird es umso einfacher sein, ein passgenaues Curriculum zu entwickeln, je genauer die Problemlage definiert ist. Der Erfolg aller weiteren Schritte für eine verbesserte Patientenversorgung und Weiterbildung hängt davon ab, inwiefern ein genaues Verständnis des Bedarfs existiert. Inhalt dieser Analyse muss es sein, aus der Perspektive der Beteiligten (Arzt, Patient, Pflege etc.) die
11
109 11.4 · Entwicklung und Implementierung eines Curriculums
1.
Wie beurteilen Sie die persönliche Arbeitssituation
1. In welchem Bereich arbeiteten Sie in der letzten Rotation?
KCH
UWC
ORT
NCH
VTG
Wichtigkeit Dies ist für mich ... Bitte kreuzen Sie bei den folgenden Kriterien jeweils die aus Ihrer Sicht zutreffende Antwortmöglichkeit an.
völlig un- unteilweise wichtig wichtig wichtig wichtig
HNO
GYN
URO
ITS
Zufriedenheit Damit bin ich zurzeit ...
sehr wichtig
sehr ununteilweise sehr zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden
2. Motivation für die tägliche Arbeit durch meine Vorgesetzten 3. Verteilung der Arbeitsbelastung in meinem Bereich 4. Gewährung von Pausen 5. Anerkennung meiner Arbeit durch den Bereichsleiter 6. Möglichkeit, praktische Tätigkeiten entsprechend dem Lehrplan durchzuführen 7. Was haben Sie vermisst (bitte als Freitext)
Dies trifft für mich ...
8. In unserem Krankenhaus lohnt es sich, zur fachlichen oder persönlichen Entwicklung Eigeninitiative zu zeigen
überhaupt nicht zu
nicht zu
teilweise zu
zu
völlig zu
9. In meinem Arbeitsbereich gibt es noch viel Spielraum für Verbesserungen 2.
Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen und die Information und Kommunikation Wichtigkeit Dies ist für mich ...
Zufriedenheit Damit bin ich zurzeit ...
völlig un- unteilweise sehr wichtig wichtig wichtig wichtig wichtig
sehr ununteilweise sehr zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden
Bitte kreuzen Sie bei den folgenden Kriterien jeweils die aus Ihrer Sicht zutreffende Antwortmöglichkeit an.
10. Verständliche und eindeutige Informationen für meine tägliche Arbeit 11. Aufgabenabgrenzung/Kompetenzabgrenzung 12. Offene und konstruktive Lösung von Konflikten mit meinen Kolleginnen und Kollegen innerhalb des Bereiches 13. Offene und konstruktive Lösung von Problemen zwischen den Kliniken . Abb. 11.2a Ausschnitt aus Evaluationsbogen für Mitarbeiter durch den Bereichsleiter.
110
11 11
Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
1. Wie beurteilen Sie die allgemeine Entwicklung des Mitarbeiters Für welchen Bereich beurteilen Sie den Mitarbeiter
KCH
UWC
ORT
NCH
11
Name:
Weiterbildungsjahr:
11
Datum Abschlussgespräch:
Zufriedenheit Damit bin ich zurzeit ...
11 11 11 11 11 11
Bitte kreuzen Sie bei den folgenden Kriterien jeweils die aus Ihrer Sicht zutreffende Antwortmöglichkeit an.
sehr ununteilweise sehr zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden zufrieden
1. Wissenszuwachs des Mitarbeiters in dieser Rotation
2. Eigene Vorbereitung des Mitarbeiters durch selbstständiges Literaturstudium 3. Der Mitarbeiter ist kritikfähig und setzt die an ihm geübte Kritik konstruktiv um 4. Die Zusammenarbeit des Mitarbeiters mit den operativen Fachkollegen und dem Funktionspersonal (auch auf Station) war kooperativ und produktiv
11 11 11
5. Der Mitarbeiter kann vorhandenes Wissen neu kombinieren und auf neue Situationen übertragen 6. Der Mitarbeiter ist mit einer guten Beobachtungsgabe ausgestattet und erkennt Probleme rechtzeitig
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7. Der Mitarbeiter zögert nicht, in schwierigen Situationen Hilfe durch einen Vorgesetzten zu erbitten 8. Der Mitarbeiter ist in der Lage, einen Handlungsplan zu entwerfen, ihn durchzuführen und zu kontrollieren sowie notwendige Änderungen vorzunehmen (Differenzialdiagnosen/-therapie)
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9. Der Mitarbeiter ist entsprechend seiner Berufserfahrung in der Lage, Prioritäten richtig zu setzen
11
10. Der Mitarbeiter schätzt seine theoretischen und praktischen Fähigkeiten sowie Schwächen realistisch ein
11 11 11 11 11 11
MKG
11. Der Mitarbeiter hat gelernt, selbstständig zu arbeiten, ohne sich unangemessen zu verselbstständigen 12. Im Verhältnis zwischen Ausbildern und dem Mitarbeiter gab es meiner Meinung nach einen intensiven und bereitwilligen Meinungsaustausch 13. Die Entschlussfähigkeit und Belastbarkeit des Mitarbeiters (Verhalten in Stresssituationen) ist dem Weiterbildungsstand entsprechend . Abb. 11.2b Evaluationsbogen für Bereichsleiter durch die Mitarbeiter (Ausschnitt)
VTG
HNO
GYN
URO
Rotationsdauer: Freitexte Beispiele
ITS
111 11.4 · Entwicklung und Implementierung eines Curriculums
gegenwärtige Bewältigungsstrategie für ein Problem einer idealen Lösung gegenüberzustellen sowie disponierende und verstärkende Faktoren zu ermitteln. Hier können bereits existierende Curricula [5, 10] oder auch Leitliniendatenbanken sehr hilfreich sein. Dabei ist es auch wichtig, dass diese Analyse nicht vom grünen Tisch eines Einzelnen aus, sondern im Einvernehmen der maßgeblichen Lehrer einer Klinik im Team erfolgt.
> Bis zum Ende der Intensivrotation (wann) wird der Weiterbildungsassistent (wer) anhand von 5 Fällen (wie viel) das Standardvorgehen bei Patienten mit ICB (was) demonstrieren (tun).
Entwicklung eines Curriculums (6-stufig) 1. 2. 3. 4. 5. 6.
oder psychomotorische Entwicklung (z. B. Angehörigengespräch) der Lernenden beziehen, aber auch auf den Prozess (Teilnahme an Veranstaltungen) oder auch das bisher bewirkte Outcome der dem Lernenden zugewiesenen Patienten. Die Formulierung von Zielen ist indes eine vielfach unterschätzte Aufgabe. Ein wirkungsvoll formuliertes Ziel beinhaltet 5 Grundkomponenten: 4 Wer wird wie viel (wie gut) von was bis wann tun?
Bedarfsanalyse seitens der Patienten/der Station Bedarfsanalyse seitens der Lernenden Zieldefinition Festlegung der Lehrmethoden Implementierung Feedback
Eine entsprechende Lernzielsammlung [5] kann dann als Logbuch erarbeitet werden [10], anhand dessen die Erfüllung der Lehrgegenstände nachgewiesen werden kann.
Im 2. Schritt ist zu klären, welcher Bedarf auf Seiten der lernenden Zielgruppe besteht. Dabei sind sowohl kognitive Vorbedingungen wie die individuelle Fachrichtung, Weiterbildungsstand im Hinblick auf intensivmedizinische Inhalte, Zusatzweiterbildungen als auch affektive (Engagement, Werte, Rollenvorstellungen) und psychomotorische Fähigkeiten bestimmend. Ebenso sind selbst erkannte Defizite der Lernenden und verfügbare oder bevorzugte Lehrressourcen und Lehrformate (Art der Patienten, Medienzugang, Mentoren) bedarfsbestimmend. Hieraus wird klar, dass der 3. Schritt – Festsetzung der konkreten Aufgaben und Ziele des Curriculums – erst dann möglich ist, wenn die Bedarfslagen ermittelt sind. Ihre explizite Formulierung ist deswegen von Bedeutung, weil der Lehrinhalt nur auf diese Weise transparent gemacht und priorisiert werden kann. Gleichzeitig werden die Lernenden fokussiert, und es wird eine Evaluierbarkeit ermöglicht. Dabei können sich Ziele auf die kognitive (z. B. Kenntnis von Definitionen und Zusammenhängen), affektive (Wertungen)
> Ziele können erst dann definiert werden, wenn die Bedarfslagen geklärt sind. Sie beziehen sich auf kognitive, affektive oder psychomotorische Fähigkeiten, die am Lernprozess selbst oder am Outcome gemessen werden können.
Diese Ziele und Lerninhalte bestimmen unter Berücksichtigung der Schritte 1 und 2 die notwendigen Weiterbildungsstrategien und Lehrmethoden, die in . Tab. 11.1 zusammengefasst sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Lernerfolg zwar durch Variation geeigneter Lehrmethoden steigt, die Methodenauswahl aber immer auch vor dem Hintergrund der verfügbaren Lehrressourcen getroffen werden muss. Erst jetzt beginnt die Implementierungsphase des Curriculums. Hierbei steht zunächst die Ressourcenproblematik (Personal, Zeit, Räume, Kosten) im Vordergrund [6]. Entsprechend ist hier das frühzeitige Gewinnen von interner und externer Unterstützung (finanziell, administrativ) eine notwendige Vorbedingung, denn die notwendigen Verwaltungs- und Kommunikationsaufgaben (Ma-
. Tab. 11.1 Kongruenz von Lehrziel und Lehrmethode. (Nach [14]) Lehrmethode
Lernziel Kognitiv Wissen
Problemlösung
Affektiv
Psychomotorisch
Denkweise
Skills
Verhalten
Literaturstudium
+++
+
+
+
o
Vorlesung
+++
+
+
+
o
Diskussionen
++
++
+++
+
+
Übungen zu Problemlösung
++
+++
+
o
+
Programmiertes Lernen
+++
++
o
+
o
Lernprojekte
+++
+++
+
+
+
Rollenmodelle
o
+
++
+
++
Demonstration
+
+
+
++
++
Erfahrungen am Lebenden
+
++
++
+++
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Simulator1
+
++
++
+++
++
Video-Feedback
+
o
o
+++
+
Eingriffe Verhalten/Umgebung
o
o
+
+
+++
Erfahrungen am
o nicht empfehlenswert, + gelegentlich nützlich, ++ geeignet, +++ sehr geeignet. 1 Abhängig vom Komplexitätsgrad.
11
112
11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11
Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
terialien, Ausrüstung, Zeitpläne, Evaluationen) müssen z. B. aus existierenden Sekretariaten heraus übernommen werden. Gleichermaßen müssen Hürden (finanziell, Interessens- und Autoritätskonflikte) identifiziert und entgegnet werden. Schließlich hat sich die Einführung über eine Pilotphase vor dem vollständigen »roll out« bewährt, da erstens Probleme in der Pilotphase im Kleinen behoben werden können und zweitens ein erfolgreicher Pilot dem Gesamtprojekt Triebkraft und Nachfrage verleiht. > Ressourcenknappheit ist die wesentliche Hürde für die Implementierung eines Curriculums. Eine Pilotphase ermöglicht es, Umsetzungsprobleme schnell zuerkennen und zu beheben.
Um die Bedarfsgerechtigkeit des Curriculums an die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen und sein langfristiges Überleben zu sichern, ist eine regelmäßige beiderseitige Evaluation und Feedback, sowohl der Weiterbildenden als auch der Weiterzubildenden, von hoher Bedeutung (. Abb. 11.2). Die Ergebnisse der Evaluation müssen zwingend für Verbesserungen des Curriculums genutzt werden. Die Anpassung des Curriculums an den Bedarf sichert erst eine Compliance sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden mit der Lehrsystematik, da sie dann erst als sinnvoll erachtet und gelebt wird. Dabei muss auch dem Team der Lehrenden motivierende Wertschätzung von Seiten der Klinikadministration entgegengebracht werden (Faculty-development-Programme, Auslobung von Lehrpreisen, Anerkennung von aktiver Weiter- und Fortbildungstätigkeit im Rahmen von Habilitationsverfahren, Öffentlichkeitsarbeit etc.). > Die Anpassung eines Curriculums an die sich über die Zeit wandelnden Bedarfslagen sichert dessen langfristige Akzeptanz. Regelmäßige Evaluationen liefern die Datengrundlage hierfür.
Um ein nachhaltiges Curriculum zu entwickeln und zu erhalten ist ein nicht unerheblicher Aufwand notwendig. Sollten in der Zukunft Weiterbildungskosten vom DRG-System honoriert werden, könnten allerdings entsprechende Ressourcen eröffnet werden. Die Qualität der Weiterbildung wird zukünftig einer der Faktoren sein, die entscheiden, ob der Stellenschlüssel eines Krankenhauses gefüllt werden kann oder nicht. Daher ist ein entsprechendes Engagement in die Curricularentwicklung und -implementierung lohnend. In diesem Zusammenhang steht neben den existierenden Lernzielkatalogen für die Intensivmedizin [5, 10] die Entwicklung eines national konsentierten Katalogs bereits auf der Agenda des DGAI-Arbeitskreises Lehre. > Die Qualität der Weiterbildung wirkt sich nicht nur positiv auf die Performance der aktuellen Mitarbeiter aus, sie erleichtert zudem das Recruiting zukünftiger Mitarbeiter.
11 Vom Wissen zum Können
11
11.5
11
Lang ist der Weg durch Lehren, kurz und wirksam durch Beispiele. (Seneca, römischer Philosoph, ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr.)
11
Die Fähigkeiten, die von Lernenden der Intensivmedizin in den unterschiedlichen Abschnitten ihrer Aus-, Weiter- und Fortbildung erwartet werden, sind in . Abb. 11.3 dargestellt. Dabei wird von reinem Faktenwissen (Physiologie, Biochemie etc.) ausgegangen, das bereits im Studium erweitert wird durch immer realitätsnahere und fallbezogene Lehrkonzepte, die zunehmend Verhaltensaspekte und Problemlösefähigkeiten als Lehrinhalte berücksichtigen. Eine Viel-
11 11
»
«
zahl von Fähigkeiten und Fertigkeiten kann u. a. auch an Simulatoren unterschiedlichen Realitätsgrades erlernt oder trainiert werden. Im Gegensatz zur nichtlinearen und komplex vernetzten Realität vermittelt klassischer Frontalunterricht oder ein Literaturstudium lediglich theoretische und fachbezogene Einzelinhalte. Dieses Wissen allein reicht nicht aus, ohne Weiteres in die Praxis umgesetzt zu werden (. Abb. 11.3), da die unüberschaubare Kombinationsmöglichkeit des Wissens bei jeder weiteren Aufgabe neu zu einer tragfähigen Lösung zusammengesetzt werden muss. Diese Neukonfiguration der Inhalte ist aufwendig, weil die gegebene Situation nicht mit bekannten gespeicherten Handlungen kongruent ist. Es muss also eine bewusste zeitaufwendige Analyse der Informationen erfolgen sowie eine bewusste, das Problem lösende Planungsentscheidung und Ausführung. Diese Vorgehensweise ist unter Berücksichtigung der in . Abb. 11.1 dargestellten Rahmenbedingungen in der Intensivmedizin inakzeptabel. > Die Summe aller kognitiven Einzelinhalte kann nicht ohne Weiteres in die intensivmedizinische Praxis umgesetzt werden. Die Komplexität macht eine zeitaufwendige Rekombination der Inhalte erforderlich.
Zunächst können Praktika unter Zuhilfenahme kleiner Skills-Trainer durchgeführt werden, die z. B. die Fähigkeit, einen Venenzugang zu etablieren, schulen. Diese Stufe ist beim intensivmedizinischen Weiterbildungsassistenten in der Regel bereits erreicht. Erlernte Zuordnungen von Signalmustern zu Handlungsmustern können so direkt umgesetzt werden. Damit werden bereits Module für die Problemlösung bereitgehalten, die ein erster Schritt zur qualitätssichernden Standardisierung und somit sinnvoll im medizinischzeitkritischen Umfeld sind. Trotzdem ist beim Zusammenbau der »Module« noch ein hoher aktiver Regulationsgrad mit entsprechendem Zeitversatz notwendig. Die klinische Realität zeigt, dass bei weitem nicht alle wie im Beispiel dargestellten Möglichkeiten der Wissenskombination (. Abb. 11.3) eintreten. Die Menge der ausreichend häufig vorkommenden Notfälle beschränkt sich auf eine überschaubare Anzahl von Szenarien. Komplexere Problemlösungen liegen dann bereits als Engramme vor, die nur noch auf die geringfügig variablen Randbedingungen angepasst werden müssen. Entsprechend kann die Umsetzung sofort nach der »Blickdiagnose« (Feststellung des Kreislaufstillstandes) beginnen. Dieses Niveau sollten zumindest für die Basisreanimation alle approbierten Ärzte erreicht haben. Weiterhin ist zu fordern, dass diese Fähigkeiten über das gesamte Berufsleben eines Arztes »up to date« und jederzeit abrufbar gehalten wird. Dies erfordert jährliche Zertifizierungen, die in dieser Form leider noch nicht verpflichtend sind. > Algorithmen sind Engramme der Teammitglieder, die eine zeitnahe Lösung von Problemen ermöglichen, da nur noch Randbedingungen angepasst werden müssen.
Schließlich erfordert die Simulation komplexer Szenarien entsprechend auch High-fidelity-Simulatoren, die eine besondere Realitätsnähe und Informationskomplexität bieten. Komplexe Notfallsituationen in der Intensivmedizin zeichnen sich häufig durch eine Notwendigkeit zur Entscheidungsfindung unter Zeitdruck bei eigentlich unzureichenden Informationen aus. In der realistischen Arbeitsumgebung am High-Fidelity-Simulator können in Szenarien, die in Echtzeit laufen, Problemlösefähigkeiten trainiert werden. Spätestens in dieser Komplexitätsstufe wird auch Crew Ressource Management zum erfolgskritischen Faktor (7 Abschn. 11.5.2), da ein »kollektives Bewusstsein« (. Abb. 11.3) zur Fehlerrobustheit beiträgt [29] und in der Lage ist, auf scheinbar widersprüchliche
113 11.6 · Nutzung von Simulatoren und Algorithmen für unterschiedliche Aspekte der Wissensvermittlung
Speicherinhalte A-n
Weiß es
Transfer (τ,R²)
Studium
Literaturstudium/ Frontalunterricht
Praktikum, Skills Training z.B. Venenzugang
Facharztweiterbildung
Module A-n low fidelity Simulation z.B. Basic life support
Performance Outcome
Zeigt es
Engramm/ Algorithmus High fidelity Simulation z.B. Geräteausfall
Verhalten
Tut es
Wissen
Subspezialisierung
Weiß wie
Kann es mit lückenhaften/ irreführenden Informationen
x Störfaktoren Engramme
cross check
. Abb. 11.3 Evolution der Lehrkonzepte und Einordnung in die intensivmedizinische Ausbildung (R²=Unschärfe, τ=Zeitkonstante)
Informationen, neue Situationen oder fachliche Defizite einzelner Teammitglieder im Sinne der Problemlösung zu reagieren. > Mit steigender Komplexität der Anforderungen an ein Team werden Verhaltensaspekte zunehmend erfolgsentscheidend, die nur am Simulator trainiert werden können.
11.6
Nutzung von Simulatoren und Algorithmen für unterschiedliche Aspekte der Wissensvermittlung
Die Trainingsanforderungen und Einsatzbereiche verschiedener Lehrmethoden unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Weiterbildungsziel und dem existierenden Weiterbildungsstand (. Tab. 11.1, . Abb. 11.3). Dabei sind im Wesentlichen technische und nicht technische Fertigkeiten (Verhalten) sowie Prozeduren und Systemkenntnis zu unterscheiden. > Für die Lehrformate gilt: »One size does not fit all«.
11.6.1
Technische Fertigkeiten
In der Medizin sind in vielen Bereichen manuelle Fertigkeiten von großer Bedeutung. Ein Beispiel aus der Intensivmedizin ist die endotracheale Intubation, die Übung erfordert und eine Reihe von Komplikationsmöglichkeiten vom Zahnschaden bis hin zum
letalen Ausgang bietet. Das Erlernen der Intubation kann prinzipiell an einem einfachen Intubationstrainer geübt werden. Diese Skills-Trainer sind kostengünstig und eignen sich für Übungen von Einsteigern in die Intensivmedizin. Vergleichbare Übungsmodelle sind auch in anderen Hochrisikobereichen etabliert, so können beispielsweise Flugzeugbesatzungen das Öffnen der Notausgänge trainieren. Eine Besonderheit der medizinischen Skills-Trainer im Vergleich zu anderen Berufsfeldern ist jedoch die hohe Variabilität der realen Umstände. Ein Atemwegsmodell zum Üben der Intubation mag anatomisch gut nachgebildet sein, allerdings variiert die Anatomie der Atemwege von Patient zu Patient so stark, dass eine gute Intubationsleistung am Skills-Trainer keine wirkliche Sicherheit bei der Intubation am Patienten gibt. Selbst der erfahrene Intensivmediziner erlebt gelegentlich Situationen, in denen die Intubation schwierig oder gar unmöglich ist. Diese Fälle treten etwa mit einer Häufigkeit von knapp 10 % aller Patienten auf [17]. Nun muss eine alternative Oxygenierungsmöglichkeit bzw. Atemwegssicherung gewählt werden. In etwa 0,29 % aller Fälle tritt eine lebensbedrohliche Situation ein, wenn auch die Maskenbeatmung nicht funktioniert (»cannot intubate – cannot ventilate«) [17]. An einer größeren Klinik müssen somit 50–80 solcher vitalen Atemwegsnotfälle pro Jahr einkalkuliert und damit auch im kontinuierlichen Training (auch der Fachärzte) berücksichtigt werden. Am Skills-Trainer kann sowohl die Prozedur der Intubation trainiert als auch Systemkenntnis hinsichtlich der Anwendung verschiedener Atemwegshilfen erworben werden.
11
114
11 11
Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
> Skills-Trainer ermöglichen die modulare Entwicklung psychomotorischer Fähigkeiten, können die Variabilität der medizinischen Wirklichkeit allerdings nur bedingt abbilden.
11 11.6.2
11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11 11
Nicht technische Fertigkeiten
In der Medizin, ähnlich wie in der Luftfahrt, werden etwa 80 % aller kritischen Ereignisse durch menschliche Fehler verursacht [1]. Sogenannte Crew-Ressource-Management- (CRM-) Fortbildungen vermitteln Fertigkeiten zur Reduktion der menschlichen Fehler in kritischen Situationen unter Einbeziehung des gesamten Teams (. Abb. 11.3). Bereits in den frühen 1990-er Jahren wurden die verfügbaren Anästhesiesimulatoren in einer für Anästhesisten typischen Arbeitsumgebung betrieben. Komplette OP-Teams trainierten nach einem von der Arbeitsgruppe um David Gaba entwickelten Curriculum die Bewältigung kritischer Ereignisse in Echtzeit [12]. Hierbei wurde der Schwerpunkt des Trainings auf nicht-technische Fertigkeiten gelegt (. Tab. 11.2). Um die 4 Kernkompetenzen des CRM (7 Übersicht) zu vermitteln, hat sich die Kombination von Simulatortraining unter Mitwirkung von Psychologen in einem 6-stufigen Lehrkonzept bewährt [24]. Somit kann ein optimaler Transfer des psychologischen Problemlösungswissens in die medizinische Praxis erreicht werden.
Die 4 Kernkompetenzen des Crew Ressource Management (CRM)) 4 4 4 4
Situationsbewusstsein Teamarbeit Organisationsfähigkeit Entscheidungsfindung
> Crew Ressource Management (CRM) überträgt psychologisches Problemlösungswissen als Situationsbewusstsein, Teamarbeit, Organisationsfähigkeit und Entscheidungsfindungsfähigkeit in die Medizin. Stufe 1. Ein Notfallszenario wird mit vorbildhafter Verwendung
11
von nicht technischen Fähigkeiten zur Lernzieldemonstration durch die Instruktoren vorgeführt.
11
Stufe 2. Interaktive Vermittlung psychologischer Grundlagen des CRM sowie von Strategien der jeweiligen Kernkompetenz.
11
Stufe 3. Eine Festigung erfolgt dann in Stufe 3 anhand abstrakter
psychologischer Übungen.
11 11 11 11 11
Stufe 4. Erst in Stufe 4 wird dieses Wissen auf eine reale medizi-
nische Umgebung übertragen. Hierzu dient ein kurzes interaktives Simulatorszenario mit Instruktoren und Teilnehmern, wobei die jeweilige zu vermittelnde Kernkompetenz eine Schlüsselrolle bei der Problemlösung spielt. Stufe 5. Übungsszenario mit 2–3 Teilnehmern am High-Fidelity-
Simulator mit Fokus auf die thematisierte Kernkompetenz. Die restlichen Teilnehmer verfolgen das Geschehen per Videoübertragung und diskutieren die Abläufe im Hinblick auf die aktuellen Lernziele.
Stufe 6. Schließlich erfolgt in Stufe 6 eine videoassistierte Analyse für die Akteure von 4 Seiten: Selbsteinschätzung durch die Akteure, Einschätzung durch die Beobachter sowie durch die medizinischen und psychologischen Instruktoren. Nach Durchlaufen der 4 Kernkompetenzblöcke folgen weitere Simulatorszenarien mit Debriefing, die auf komplexere Art alle CRM-Kompetenzen fordern. Mit zunehmendem Professionalitätsgrad der Mitarbeiter (. Abb. 11.3) werden Verhaltensaspekte neben dem medizinischen Wissen und den technischen Fähigkeiten zunehmend wichtig und sind in kritischen Situationen erfolgsentscheidend. Daher gehört CRM zu den Lernzielen eines nachhaltigen Intensivcurriculums. > CRM schult das Problemlösungsverhalten der Mitarbeiter, das mit steigender Komplexität der Aufgaben Outcomerelevant wird.
11.6.3
Prozeduren und Handlungsabläufe
Der Nutzen von Algorithmen in der intensivmedizinischen Versorgung ist in der Literatur mittlerweile empirisch gut abgesichert [3, 25]. Während Algorithmen in der Patientenversorgung früher vielerorts als Hilfsmittel für Anfänger verpönt waren, zeigt sich heute klar, dass die stringente Einführung von Algorithmen in einer Notaufnahme einen größeren Effekt auf das Überleben der Patienten hat als die individuelle Erfahrung des behandelnden Arztes [8]. Für die Erstellung von SOPs eignen sich dabei besonders solche Situationen, in denen unter großem Zeitdruck wenig komplexe kritische Situationen bewältigt werden müssen [23]. Eine weitere Voraussetzung ist die vorhandene Evidenz für den Nutzen einer Standardbehandlung. > Algorithmen eignen sich für wenig komplexe Situationen, die unter Zeitdruck bewältigt werden müssen, wenn ein entsprechender Evidenzgrad vorliegt. Ein verbessertes Outcome durch Algorithmeneinsatz ist empirisch belegt.
Ein gutes Beispiel für etablierte Algorithmen stellt die Reanimation dar. Die regelmäßig überarbeiteten Leitlinien geben die Maßnahmen in der Reihenfolge vor, in der nach derzeitigem Kenntnisstand die Überlebenschance der Patienten am höchsten ist. Zur Gewährleistung einer bestmöglichen Patientenversorgung muss der Ablauf der Reanimation nach den aktuellen Leitlinien allerdings regelmäßig trainiert werden. Nach der kognitiven Aufnahme der Leitlinie (Lektüre/Poster) bieten Simulatoren (. Tab. 11.1) ein geeignetes Lehrformat für die psychomotorische Umsetzung des Algorithmus für dieses selten auftretende Szenario. Dabei gibt es allerdings eine große Vielfalt an Trainingsmodellen und Simulatoren, an denen die entsprechenden Abläufe geübt werden können. Während die Industrie mit jeder Generation an Übungsmodellen weitere Funktionen implementiert, muss der Nutzen solcher zusätzlichen Funktionen immer mit Rücksicht auf die Zielgruppe abgewogen werden. Für ein vollkommen hinreichendes Lowfidelity-Training des Reanimationsablaufs verleiten komplexere Möglichkeiten zur Eröffnung verwirrender Nebenschauplätze, die das eigentliche Lernziel aus dem Fokus rücken und eher der Selbstdarstellung des Ausbilders dienen. So sind beim Herzstillstand die Qualität der Basismaßnahmen (v. a. der Herzdruckmassage) sowie der Zeitpunkt der Defibrillation diejenigen Faktoren mit dem größten Einfluss auf die Überlebensrate und stellen demnach den Schwerpunkt bei der Schulung dar [7]. Folglich steht und fällt die zielgruppenorientierte Effektivität eines Simulatortrainings mit der Lehrqualifikation des Ausbilders [5]. Obwohl hierfür keine verbindlichen Standards bestehen, werden an der Institution der Autoren
115 Literatur
nur Ausbilder eingesetzt, die eine formale Qualifikation beim European Resuscitation Council (ERC) erworben haben.
. Tab. 11.2 7 Prinzipien zur Vermittlung von Prozeduren und technischen Fertigkeiten [21]
> Der Lehrinhalt und die Simulatorkomplexität müssen immer an den tatsächlichen Bedarf der Zielgruppe angepasst werden. Weniger ist meistens mehr.
In der Vermittlung von Prozeduren und technischen Fähigkeiten am Simulator genauso wie in der klinischen Lehrpraxis hat sie eine 7-stufige Vorgehensweise (. Tab. 11.2) als zweckmäßig herausgestellt [21]. Ein evidenzbasiert erarbeiteter Handlungsalgorithmus muss dabei den Mitarbeitern auf geeignetem Wege jederzeit abrufbar kommuniziert werden. Dazu eignen sich ein regelmäßig zu aktualisierendes Kitteltaschenbuch sowie die Form als Poster in entsprechenden Gefährdungsbereichen. Zusätzlich sollten die SOPs auch im Intranet verfügbar sein. Eine SOP für das Management des schwierigen Atemwegs kann z. B. als Poster an jedem Beatmungsplatz aufgehängt eine wichtige Entscheidungshilfe sein. Obligat ist weiterhin das jährliche Training (pflegerisches und ärztliches Personal) mit den im Algorithmus angegebenen Hilfsmitteln am Skills-Trainer.
Welches sind die Ziele der Prozedur?
2. Vorführen der Prozedur
Ausführliche Beschreibung Zwischenfragen sind erwünscht
3. Beobachtung des Lernenden während der Übung
Lernender soll eigene Tätigkeit kommentieren Ermutigen zur Selbsteinschätzung und -reflexion
4. Feedback geben
Spezifische und beschreibende Beurteilung Bezug nur zur gezeigten Leistung, keine Wertung
5. Ermutigen zur Selbsteinschätzung
Selbst wahrgenommene Leistungsstärke Selbst wahrgenommenes Verbesserungspotenzial
6. Übungsphase unter nicht optimalen Bedingungen
Variation des Komplexitätsgrads
7. Weiterentwicklung des Lehrablaufs
Unvorbereitete Lernende Unterschiedliche Lernumgebungen Dynamisches Lehren und Lernen
Literatur 1 2
> Bei der Nutzung von Medizintechnik ist stets mit Bedienfehlern zu rechnen.
3
Obwohl der Gesetzgeber für Geräteeinweisungen strenge Auflagen gibt [22], ist eine einmalige Schulung kein Garant für das Ausbleiben von Fehlbedienungen. Beim Training am Patientensimulator kann die nötige Systemkenntnis geschult werden, die die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Fehlbedienungen reduziert. Als besonders wertvoll sind Trainings einzuordnen, in denen der Umgang mit technischen Problemen bei den medizinischen Geräten geschult wird. Moderne Simulatorzentren in der Medizin stellen die komplette Arbeitsumgebung eines oder mehrerer Intensivplätze nach. Das Training kann im Team und in Echtzeit erfolgen, sodass die Zwischenfallsituationen unter ähnlichen Bedingungen wie in der Realität gemeistert werden müssen.
4 5
> Teamtrainings zu technischen Problemen verbessern die Systemkenntnis und reduzieren die Fehlbedienungsrate.
1. Planung
Sind die Lernenden vorbereitet? (Literatur/AV-Medien)
Systemkenntnis
Insbesondere in der Intensivmedizin fand in den letzten Jahrzehnten eine starke Technisierung statt. Dies führte u. a. durch Verbesserung der Überwachungsmöglichkeiten zu einer Erhöhung der Patientensicherheit. Die Abhängigkeit unserer Patienten von Überwachungsmonitoren, Respiratoren und anderen technischem Hilfsmitteln birgt jedoch auch zusätzliche Gefahren. Wie auch in anderen Hochrisikobereichen ist die Bedienung der Geräte durch Menschen oft fehlerbehaftet. Ein Intensivarbeitsplatz setzt sich üblicherweise aus Geräten unterschiedlicher Hersteller zusammen. Damit ist nur selten gewährleistet, dass die Geräte über entsprechende Schnittstellen – beispielsweise hinsichtlich einer Alarmhierarchie – miteinander kommunizieren. Auch sind die verschiedenen Geräte häufig nicht so angeordnet, dass der Anwender alle Funktionen und Messwerte gleichzeitig im Blick hat. Nicht zuletzt die große Anzahl an Geräten verschiedener Hersteller oder auch gleicher Hersteller, aber unterschiedlicher (Software-) Versionen erschwert die reaktionsschnelle und korrekte Bedienung durch den Anwender.
Anmerkungen
Welches sind die Bedürfnisse der Lernenden?
> Handlungsalgorithmen müssen für die Mitarbeiter stets zugänglich sein und regelmäßig trainiert werden.
11.6.4
Prinzip
6
7
8
Arnstein F (1997) Catalogue of human error. Br J Anaesth 79: 645–656 Beckers SK, Rex S, Kopp R, Bickenbach J, Sopka S, Rossaint R, Dembinski R (2009) Intensivmedizin als Bestandteil des Pflicht-Curriculums: Evaluation eines Pilot-Curriculums am Universitatsklinikum Aachen. Anaesthesist 58: 273–274 Bleyl JU, Heller AR (2008) Standard operating procedures und OP-Management zur Steigerung der Patientensicherheit und der Effizienz von Prozessabläufen. Wien Med Wochenschr 158: 595–602 Deming WE (1986) Out of the Crisis. McGraw-Hill, New York Dorman T, Angood PB, Angus DC, Clemmer TP, Cohen NH, Durbin CG, Jr., Falk JL, Helfaer MA, Haupt MT, Horst HM, Ivy ME, Ognibene FP, Sladen RN, Grenvik AN, Napolitano LM (2004) Guidelines for critical care medicine training and continuing medical education. Crit Care Med 32: 263–272 Goldmann K, Steinfeldt T, Wulf H (2006) Die Weiterbildung für Anästhesiologie an deutschen Universitätskliniken aus Sicht der Ausbilder – Ergebnise einer bundesweiten Umfrage. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 41: 204–209 Handley AJ, Koster R, Monsieurs K, Perkins GD, Davies S, Bossaert L (2005) European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 2. Adult basic life support and use of automated external defibrillators. Resuscitation 67 Suppl 1: S7–23 Haut ER, Chang DC, Hayanga AJ, Efron DT, Haider AH, Cornwell EE, IIIrd (2009) Surgeon- and system-based influences on trauma mortality. Arch Surg 144: 759–764
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Kapitel 11 · Weiterbildung und Kompetenzvermittlung in der Intensivmedizin
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117
Langzeitfolgen nach Intensivtherapie J. Langgartner
12.1
Einführung – 118
12.2
Langzeitüberleben, Outcome – 118
12.2.1 12.2.2
Bedeutung von Scoring-Systemen – 118 Definition von Einflussfaktoren auf das Überleben – 118
12.3
Lebensqualität – 119
12.3.1 12.3.2 12.3.3
Begriffsdefinition – 119 Erfassung der Lebensqualität – 119 Studien zur Lebensqualität von Patienten nach Intensivtherapie – 120
12.4
Funktioneller Status – 121
12.4.1 12.4.2
Physische Spätfolgen – 121 Psychische Spätfolgen – 121
Literatur – 122
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_12, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
12
12 12 12 12 12 12
118
Kapitel 12 · Langzeitfolgen nach Intensivtherapie
12.1
Einführung
Der Erfolg der Intensivtherapie wird häufig am akuten Erfolg, dem Überleben der Akutphase auf der Intensivstation oder dem Krankenhausüberleben, gemessen. Wie sich das Überleben dieser schwer kranken Patienten im weiteren Verlauf entwickelt, ist nur selten im Blickfeld von Studien. Doch gerade die langfristige Betrachtung von Patienten nach Intensivtherapie ist notwendig, um die Stellung der Intensivmedizin bei verschiedenen Erkrankungen und Patienten definieren zu können. Hier ist es wichtig, die gewonnenen Ergebnisse auch unter dem Aspekt, welche Langzeitfolgen allein durch die Intensivtherapie hervorgerufen wurden, kritisch zu hinterfragen. Außerdem müssen die aufgedeckten Probleme dazu dienen, die Therapie selbst zu verbessern.
12
12.2
12
Häufig wird auf der Intensivstation die Frage nach der Prognose des Patienten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen gestellt. Dabei kann zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Prognose unterschieden werden. 4 Als kurzfristige Prognose werden die Endpunkte Überleben oder Versterben auf der Intensivstation oder im Krankenhaus angesehen. Hier gehen in der Regel das funktionelle Ergebnis sowie die Lebensqualität nicht mit ein. 4 Die langfristige Prognose ist hingegen nicht nur durch das reine Überleben, sondern auch durch die Funktionalität sowie die Lebensqualität gekennzeichnet.
12 12 12 12 12 12 12 12 12
Langzeitüberleben, Outcome
Die Prognosebestimmung ist meist kein rein formalistischer Prozess, sondern setzt sich aus einer Vielzahl von Einflussfaktoren zusammen, die eine subjektive Einordnung und Gewichtung durch die auf der Intensivstation tätigen Ärzte und deren Erfahrungen erleben.
12.2.1
Bedeutung von Scoring-Systemen
Um den Intensivmediziner bei seiner Prognoseeinschätzung zu unterstützen, wurden eine Reihe unterschiedlicher Scoring-Systeme entwickelt. Scores
12 12 12 12
Ein Scoring-System ist ein Punktsummensystem, mit dessen Hilfe komplexe Zusammenhänge vereinfacht und vergleichbar dargestellt werden können. Es können deskriptive, prognostische und therapeutisch-interventionelle Systeme unterschieden werden. Prognostische Scores sind 4 APACHE (Acute Physiology And Chronic Health Evaluation) , APACHE II, APACHE III, 4 SAPS (Simplyfied Acute Physiology Score) , SAPS III, 4 MPM (Mortality Prediction Model) , MPM II.
12 12 12 12
Die Hauptlimitation dieser prognostischen Scores besteht darin, dass eine Aussage bezüglich des Letalitätsrisikos nur für eine ganze Patientengruppe, aber nicht für den einzelnen Patienten möglich ist [25]. Die hier ermittelte Risikoabschätzung liefert somit nur eine statistische Wahrscheinlichkeit und keine individuelle Prognose. Das Outcome und der Schweregrad der Erkrankung werden mit der Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus zu sterben, gleichgesetzt. Diese Reduktion auf nur einen Outcomeparameter wird aber dem
einzelnen Patienten nicht gerecht, da die Prognose-Scores keinerlei Aussage über die Lebensqualität nach dem Intensivaufenthalt ermöglichen. Somit können prognostische Scores für individuelle Überlebensprognosen oder Therapieentscheidungen nur Hilfsmittel, nicht aber ausschlaggebend sein. > Scoring-Systeme erlauben keine Aussage über das individuelle Letalitätsrisiko des einzelnen Patienten, sondern liefern nur eine statistische Wahrscheinlichkeit.
12.2.2
Definition von Einflussfaktoren auf das Überleben
Der Einfluss der akuten Erkrankung auf das weitere Überleben ist während und direkt nach dem Intensivaufenthalt sicherlich am größten. 2 Aspekte müssen bei der Beurteilung des Langzeitüberlebens berücksichtigt werden: 4 das gewählte Vergleichskollektiv und 4 die Länge des Beobachtungszeitraums. Patienten internistischer Intensivstationen zeigen klare demographische Unterschiede gegenüber Patienten anderer Disziplinen. Internistische Intensivpatienten sind jünger, kränker und weisen eine höhere Intensivmortalität auf. Das Langzeitüberleben zeigt sich hingegen besser als bei den nicht internistischen Patienten [19]. Diese Ergebnisse zeigen, dass das gewählte Vergleichskollektiv für die Beurteilung von großer Wichtigkeit ist. Das ideale Vergleichskollektiv wäre ein Kollektiv hospitalisierter, nicht intensivmedizinisch behandelter Patienten mit ähnlichen demographischen Daten, Diagnosen und Begleiterkrankungen [10]. In Abhängigkeit von Alter, Akuterkrankung und Komorbidität kommt es im Laufe der Zeit zu einem parallelen Verlauf zum gewählten Vergleichskollektiv. Allein unterschiedlich ist dabei die Dauer bis zur Paralellisierung. Dabei liefert der Zeitpunkt der Paralellisierung mit einem vergleichbaren, hospitalisierten Patientenkollektiv Informationen über den Einfluss der Intensivtherapie, und der Zeitpunkt der Paralellisierung mit einer gesunden Kontrollgruppe bzw. der Normalbevölkerung bietet Informationen zur Bedeutung der Erkrankung auf das Langzeitüberleben [10]. In den meisten Studien zu diesem Thema liegt die Nachbeobachtungszeit bei wenigen Monaten bis Jahren. Nur wenige Studien zeigen Nachbeobachtungszeiten von 5 und mehr Jahren. Das Risiko zu sterben ist nach einem Intensivaufenthalt in den folgenden 12 Monaten am höchsten. Während einige Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren auch in den ersten 2–4 Jahren ein schlechteres Überleben gegenüber der Normalbevölkerung mit anschließender Parallelisierung der Überlebenskurven zeigten [23, 40], fand eine große australische Studie mit einer Nachbeobachtung von 19.921 Patienten über 15 Jahre eine höhere Sterberate gegenüber der Normalbevölkerung über den gesamten Beobachtungszeitraum [38]. Nach 15 Jahren waren noch 54,7 % der Intensivpatienten am Leben. Insgesamt war die Sterbewahrscheinlichkeit der Intensivpatienten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung auf etwa das Doppelte erhöht. In dieser Studie konnten Williams et al. das Alter, die Komorbidität und die primäre Diagnose als die stärksten Einflussfaktoren auf das Langzeitüberleben definieren. Ebenso zeigten Krankheitsschwere und Organversagen Einfluss auf das Langzeitüberleben [28]. . Abb. 12.1 zeigt den Einfluss des jeweiligen Merkmals hinsichtlich der Sterblichkeit des Patienten >1 Jahr nach der Intensivtherapie in dieser Studie. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2005 über 19 Untersuchungen zum Thema Langzeitüberleben nach Intensivtherapie ergab eine
119 12.3 · Lebensqualität
12
Vergleichskollektiven erhöht. Wann es zu einer Parallelisierung der Überlebenskurven kommt, ist neben vielen anderen Faktoren von der primären Diagnose abhängig!
10,9
10 8 6,3
12.3
6
«
3,9
4
Lebensqualität
2,7
2,6 1,7
2
1,4
0 Intensivaufenthalt > 4 Tage
Herzstillstand
ED NPL
Charlson-Index > 3
> 3 Organversagen
Alter 65-74 Jahre
Alter > 75 Jahre
. Abb. 12.1 Hazard-Ratio der einzelnen Merkmale hinsichtlich Sterblichkeit >1 Jahr nach der Intensivtherapie (Charlson-Index=Charakterisierung der Komorbiditäten, ED NPL=Erstdiagnose neoplastische Erkrankung). (Nach [38])
Sterblichkeit von 16,3 % (8–33 %) auf der Intensivstation, von 31,2 % [11–64 %) im Krankenhaus und von 39,3 % (26–63) bzw. 50 % (40– 58) nach 1 bzw. 5 Jahren [37]. Wie unterschiedlich der Verlauf des Langzeitüberlebens bei verschieden Grunderkrankungen sein kann, verdeutlichen die Ergebnisse verschiedener Studien. So zeigt sich in einer Studie von Quartin, dass die Letalität septischer Patienten innerhalb der ersten 5 Jahre auch unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen deutlich erhöht war [26]. Die Überlebenskurven von Traumapatienten laufen hingegen schon relativ früh parallel zur Kontrollpopulation [7, 22]. Mehr als 20 % der Traumapatienten starben früh innerhalb der ersten 6 Monate, danach liefen die Überlebenskurven aber bereits parallel [7]. Korosec Jagodic` et al. verglichen direkt die Mortalität von septischen und unfallchirurgischen Patienten. Auch hier zeigten die unfallchirurgischen Patienten sowohl bei der Intensiv- und Krankenhausmortalität als auch bei der Langzeitmortalität bessere Ergebnisse als die Patienten mit Sepsis [18]. Die Studien zu diesem Thema zeigen insgesamt, dass das Langzeitüberleben von Patienten nach einer Intensivtherapie offensichtlich sehr variabel ist. Grund hierfür sind die vielen Faktoren, wie unterschiedliche Patientenkollektive mit ihren unterschiedlichen Komorbiditäten, Alter und Schweregrade der Erkrankung, oder auch verschiedene Behandlungs-, Aufnahme- und Entlassprozeduren der einzelnen Intensiveinheiten. Die Anzahl weiterer Einflussfaktoren ist groß, und die meisten dieser Einflussfaktoren sind kaum zu kontrollieren. Dies wiederum erschwert die Interpretation der Langzeitüberlebenskurven von Intensivpatienten. Zum anderen ist die Vergleichbarkeit der verschiedenen Studien durch die verschiedenen Vorgehensweisen innerhalb der Studien, wie z. B. Länge des Nachbeobachtungszeitraums, Wahl des Vergleichskollektivs oder aber auch Wahl der Patienten, die in die Nachbeobachtung eingeschlossen werden, stark erschwert. Daher wären auch hier groß angelegte, multizentrische Studien, z. B. in Form von Melderegistern, wünschenswert. > Die Mortalität kritisch kranker Patienten ist auch noch Jahre nach Beendigung der Intensivtherapie gegenüber
Wie bei dem Theater kommt es auch im Leben nicht darauf an, wie lange es dauert, sondern wie gut gespielt wird”. (Seneca, römischer Philosoph, ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr.)
«
Als primäres Therapieziel und Studienziel werden häufig das Überleben der Intensivtherapie und das Krankenhausüberleben definiert. Das Erreichen dieser Ziele ist objektiv und leicht nachvollziehbar. Allein diese Ziele werden dem Patienten als Menschen aber nicht gerecht. Für das weitere Leben spielt der Allgemeinzustand des Patienten eine überragende Rolle. Daher muss das Erzielen einer für den Einzelnen ausreichende Lebensqualität ebenenfalls ein erklärtes Ziel medizinischen Handelns sein.
12.3.1
Begriffsdefinition
Zur Frage, wie Lebensqualität definiert wird und welche Aspekte dabei eine Rolle spielen, gibt es verschiedene Ansichten. Lebensqualität wird z. B. von der WHO als »…die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen, in denen sie lebt, und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen« definiert [36]. So wird in Bezug auf die Gesundheit diese nicht allein als das Freisein von Krankheit definiert, sondern umfasst auch das geistige und soziale Wohlbefinden [36]. Im medizinischen Bereich wird häufig von der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als multimodales Konzept gesprochen. Diese beinhaltet körperliche, mentale, soziale und verhaltensbezogene Komponenten des Wohlbefindens und der Funktionsfähigkeit aus Sicht der Patienten und/oder der von Beobachtern. Die Lebensqualität ist somit ein subjektives Merkmal, das im Individuum verankert, von der jeweiligen Lebenssituation abhängig und einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist weniger ein medizinisch bestimmbarer Zustand oder Befund, sondern vielmehr ein subjektives Erleben und Empfinden. Nicht jeder, der vom medizinischen Standpunkt aus gesund ist, fühlt sich gut – und natürlich gilt das auch umgekehrt [35].
12.3.2
Erfassung der Lebensqualität
Die Lebensqualität sowohl vor, während als auch nach der Intensivtherapie ist sehr schwierig zu beurteilen [9]. Viele Aspekte der Lebensqualität können nicht direkt erfasst werden und müssen indirekt, z. B. mittels Fragen, bestimmt werden. Die Antworten werden in Punktwerte umgesetzt, deren Summe dann den Wert der jeweiligen Komponente ergibt. Die einzelnen Komponenten werden zu größeren Domänen zusammengefasst. Theoretisch sollte sich die so ermittelte Lebensqualität nicht von der tatsächlichen Lebensqualität unterscheiden [32]. Es existiert eine Vielzahl an Testinstrumenten zur Beurteilung der Lebensqualität (7 Übersicht). Es kann methodisch zwischen allgemeinen, krankheitsspezifischen und primär psychologischen Instrumenten unterschieden werden. Die methodischen Anforderun-
12
120
12 12
Kapitel 12 · Langzeitfolgen nach Intensivtherapie
gen an solche Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität sind hoch. Neben Zuverlässigkeit, Wiederholungsfähigkeit und Validität der verschiedenen Bereiche muss das Testinstrument die Fähigkeit besitzen, Veränderungen wiederzugeben [3].
12
Die bisher am häufigsten verwendeten Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität
12
4 4 4 4
12 12 12 12 12 12 12 12 12
Sickness Impact/Functional Limitation Profile Perceived Quality of Life Scale Nottingham Health Profile Medical Outcome Survey Short Form-36 (SF-36)
Der Medical Outcome Survey Short Form-36 wurde – im Gegensatz zu den anderen Tests – sowohl sprachlich als auch kulturell anderen Ländern angepasst (. Tab. 12.1). Sowohl Zuverlässigkeit als auch Validität für die Evaluation von Intensivpatienten wurden hoch bewertet [14].
. Tab. 12.1 Beschreibung der 8 Dimensionen des Medical Outcome Survey Short Form-36 (SF-36), die sich konzeptuell in die Bereiche »körperliche Gesundheit« und »psychische Gesundheit« einordnen lassen Dimension
Kennzeichen
Körperliche Funktionsfähigkeit
Ausmaß der Beeinträchtigung körperlicher Aktivitäten wie Selbstversorgung, Gehen, Treppensteigen, Bücken, Heben und mittelschwere oder anstrengende Tätigkeiten
Körperliche Rollenfunktion
Ausmaß der Beeinträchtigung der Arbeit oder anderer täglicher Aktivitäten, z. B. weniger schaffen als gewöhnlich, Einschränkungen in der Art der Aktivitäten oder Schwierigkeiten, bestimmte Aktivitäten auszuführen
Körperliche Schmerzen
Ausmaß an Schmerzen und Einfluss der Schmerzen auf die normale Arbeit, sowohl im Haus als auch außerhalb des Hauses
Allgemeine Gesundheitswahrnehmung
Persönliche Beurteilung der Gesundheit, einschließlich des aktuellen Gesundheitszustandes, der zukünftigen Erwartungen und der Widerstandsfähigkeit gegenüber Erkrankungen
Vitalität
Die Person fühlt sich energiegeladen und voller Schwung oder eher müde und erschöpft
Soziale Funktionsfähigkeit
Ausmaß, in dem die körperliche Gesundheit oder emotionale Probleme die normalen sozialen Aktivitäten beeinträchtigen
Emotionale Rollenfunktion
Ausmaß, in dem emotionale Probleme die Arbeit oder andere tägliche Aktivitäten beeinträchtigen; u. a. weniger Zeit für Aktivitäten aufbringen, weniger schaffen und nicht so sorgfältig wie üblich arbeiten
Psychisches Wohlbefinden
Allgemeine psychische Gesundheit, einschließlich Depression, Angst, emotionale und verhaltensbezogene Kontrolle und allgemeine positive Gestimmtheit
Veränderung der Gesundheit
Beurteilung des aktuellen Gesundheitszustandes im Vergleich zum vergangenen Jahr
12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12 12
! Cave Insgesamt sind aber die meisten Tests nicht primär für Intensivpatienten entwickelt worden und müssen daher noch intensiver hinsichtlich Validität, Zuverlässigkeit und Sensitivität untersucht werden.
12.3.3
Studien zur Lebensqualität von Patienten nach Intensivtherapie
Um den Einfluss der Intensivtherapie und der ursächlichen Erkrankung zu ermitteln, wäre ein »Ausgangswert« der Lebensqualität vor der Intensivtherapie wünschenswert. Es kann versucht werden, den Patienten bei Aufnahme auf die Intensivstation dahingehend zu interviewen, was aber in den meisten Fällen nicht möglich ist. Alternativ kann eine Befragung von Angehörigen vorgenommen werden oder der Patient retrospektiv dazu befragt werden, sobald er dazu in der Lage ist [10]. Wie oben bereits angesprochen, beeinflusst die primäre Erkrankung entscheidend den Verlauf nach dem Intensivaufenthalt. Entsprechend ist es einsichtig, dass der Zeitpunkt der Erhebung der Lebensqualität einen entscheidenden Einfluss auf dessen Bewertung hat [9]. Wehler et al. fanden, dass ältere Patienten im Vergleich zu jüngeren keine signifikante Verschlechterung der Lebensqualität nach der Intensivtherapie hatten [34]. Geschlecht, Länge des Intensivaufenthaltes und die Unterscheidung internistischer oder chirurgischer Diagnosen scheinen keinen Einfluss auf die Lebensqualität zu nehmen [6]. Vergleicht man die Lebensqualität von Intensivpatienten vor dem Intensivaufenthalt mit der der Normalbevölkerung, so war sie bereits vorher in allen Items des SF-36 signifikant und klinisch relevant schlechter [9, 27, 34], wobei die Erfassung der Lebensqualität vor dem Intensivaufenthalt retrospektiv erfolgte. Auch wurde nicht bei allen Patienten während des Beobachtungszeitraumes die Lebensqualität wie vor der Intensivtherapie erreicht [9, 27, 34]. Dowdly et al. zeigten in ihrer Literaturübersicht, dass in allen Untersuchungen die Lebensqualität im Laufe der Zeit bei den Patienten zunimmt, aber auch nach mehreren Jahren weiterhin Defizite vorhanden sind und sie in den verschiedenen Items nicht den Wert der Normalbevölkerung erreicht [6]. > Festzuhalten ist, dass die Lebensqualität von Patienten nach Intensivtherapie auch nach der Entlassung noch deutlich eingeschränkt ist, sich aber im Laufe der Zeit sehr wohl bessern und das Niveau wie vor dem Intensivaufenthalt erreichen kann.
In den letzten Jahren werden immer mehr Studien veröffentlicht, die sich mit der Beurteilung der Lebensqualität spezieller Intensivpatientengruppen beschäftigen, wie z. B. den Sepsispatienten. Heyland et al [14] konnten, ebenso wie bereits Perl et al. [24] zeigen, dass >1 Jahr nach Krankenhausentlassung sowohl die psychische als auch die körperliche Leistungsfähigkeit gegenüber der Normalpopulation reduziert war. Vergleiche mit anderen Intensivpatienten [11, 18] zeigten auch die allgemeine Gesundheitswahrnehmung und die Selbstständigkeit im Alltag bei Patienten mit Sepsis reduziert. Eine andere Studie [15] legt nahe, dass Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock ca. 6 Monate nach Entlassung aus dem Krankenhaus aber sehr wohl auch den funktionellen und psychischen Status, den sie vor dem Intensivaufenthalt hatten, erreichen können.
121 12.4 · Funktioneller Status
Körperliche, neuropsychologische und soziale Probleme nach Intensivtherapie 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust Muskelschäche, Müdigkeit Schmerzhafte, steife Gelenke Haut-, Nägel-, Haarveränderungen Juckreiz Amenorrhö Angst, Depression Panikattacken Schlaflosigkeit Posttraumatisches Stresssyndrom Schuldgefühle Erinnerungsverluste, schlechtes Konzentrationsvermögen Patnerschaftskonflikte, Einsamkeit Verlust der Selbstsicherheit
Die Lebensqualität nach Intensivtherapie ist meist deutlich eingeschränkt. Sie kann sich aber im Lauf der Zeit sehr wohl wieder der Lebensqualität vor dem Intensivaufenthalt angleichen. > Es muss klar sein, dass eine Verbesserung der Lebensqualität über den Status vor der Intensivtherapie hinaus nicht zu erwarten ist.
variiert deutlich in Abhängigkeit von den untersuchten Subgruppen von Intensivpatienten, den Risikofaktoren, denen die Patienten ausgesetzt waren, den angewandten Diagnosekriterien und dem Zeitpunkt der Diagnosestellung [30]. So entwickeln beispielsweise 70 % der Patienten mit Sepsis oder SIRS eine CIP [39]. Kommt es zu weiteren Komplikationen und Multiorganversagen, steigt die Inzidenz sogar bis auf 100 % [31]. In einer Untersuchung von Patienten, die bei ARDS intensivmedizinisch betreut wurden, konnte 1 Jahr danach noch bei allen Patienten eine funktionelle Einschränkung bei Muskelatrophie und Schwäche nachgewiesen werden [13]. Aber auch 5 Jahre nach einem Intensivaufenthalt fanden sich bei Patienten noch klinische und neurophysiologische Zeichen einer CIP und CIM. Eine Verminderung der Lebensqualität 1 Jahr nach dem Intensivaufenthalt aufgrund persistierender Symptome ist beschrieben [12]. Als führende Risikofaktoren wurden Sepsis, SIRS und das Multiorganversagen identifiziert. Daneben wurden noch weitere unabhängige Risikofaktoren wie z. B. die Gabe von Katecholaminen oder die Hyperglykämie identifiziert [12]. Präventiv kann nur versucht werden, die Riskofaktoren zu minimieren und bewusst die Frühförderung der Patienten in das Behandlungskonzept aufzunehmen. Weitere physische Spätfolgen nach Intensivtherapie sind wenig untersucht und sollten Gegenstand groß angelegter Studien sein, da durch deren Ermittlung und mögliche Therapie sicherlich Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten genommen werden kann.
12.4.2 12.4
Funktioneller Status
12.4.1
Physische Spätfolgen
Etwa 6 % aller intensivpflichtigen Patienten entwickeln ein akutes Nierenversagen [21, 33]. Während die Akutsterblichkeit bei diesen Patienten hoch ist, haben die Patienten nach einem intensivpflichtigen akuten Nierenversagen eine gute Langzeitprognose mit subjektiv guter Lebensqualität [16, 20].Doch behalten zwischen 2 und 15 % aller Patienten mit akutem Nierenversagen eine permanente Nierenfunktionsstörung zurück [1, 2, 17]. 57 % der Überlebenden bei Entlassung aus dem Krankenhaus weisen eine komplette und 43 % nur eine partielle Remission der Nierenfunktionsstörung auf [29]. Bei den meisten Patienten kam es im Verlauf zu einer weiteren Verbesserung der Nierenfunktion. Nach 5 Jahren hatten 91 % eine normale Nierenfunktion [29]. Daten zur Leberfunktion bei Patienten nach Intensivtherapie gibt es nur wenige, obwohl die Leber eine zentrale Rolle bei Patienten mit Sepsis und Multiorganversagen spielt. Eine in den letzten Jahren in den Blickwinkel gerückte Spätfolge bei kritisch kranken Patienten ist die sekundär sklerosierende Cholangitis. Dabei handelt es sich um eine chronische cholestatische Erkrankung, die das Gallengangsystem betrifft und zu einer fortschreitenden Fibrosierung der Leber mit Gallengangstrikturen und im Endstadium zum Vollbild einer Leberzirrhose führt. Betroffen sind Patienten ohne vorbekannte Gallen- oder Leberfunktionsstörungen. Als auslösender Mechanismus wird eine hypoxische Schädigung des Gallengangsystems im Rahmen der intensivpflichtigen Erkrankung angenommen. Die Möglichkeiten eines therapeutischen Eingreifens sind gering und beschränken sich meist auf supportive Maßnahmen, wie z. B. die antibiotische Therapie rezidivierender Cholangitiden. Häufig bleibt die Lebertransplantation als einzige Therapieoption [5, 8, 28]. Eine weitere wichtige Spätfolge nach Intensivtherapie ist die Beeinträchtigung des neuromuskulären Systems, wie die CriticalIllness-Polyneuropathie (CIP) und Myopathie (CIM). Die Inzidenz
Psychische Spätfolgen
Nicht nur die schwere Erkrankung selbst, sondern auch die damit verbundene Intensivtherapie stellt einen ausgeprägten Stressor für den Patienten dar. Die Unsicherheit bezüglich des eigenen Fortkommens, die Angst vor Schmerzen und das Ausgeliefertsein in unangenehmen Situationen lassen es nicht überraschend erscheinen, dass mit dem Auftreten depressiver Symptome nach einer Intensivtherapie zu rechnen ist. Davydow et al. haben eine systematische Übersicht der Literatur zu depressiven Symptomen nach Intensivtherapie erstellt [4]. Sie konnten zeigen, dass 1 ahr nach Entlassung in 33 % der Fälle depressive Symptome und in 28 % eine klinisch signifikante Depression vorlag. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Anzahl an Patienten mit Depressionen nach Intensivaufenthalt sogar noch höher liegt, da Studien mit Patienten, die bereits bei Aufnahme auf die Intensivstation eine Depression bzw. depressive Symptome aufwiesen, ausgeschlossen wurden. Versucht man, Risikofaktoren zu benennen, so hat sich über die verschiedenen Studien gezeigt, dass weder Geschlecht, Alter noch die Schwere der Erkrankung bei Aufnahme auf die Intensivstation mit dem Auftreten einer Depression vergesellschaftet sind. Hingegen war das Auftreten depressiver Symptome zu einem frühen Zeitpunkt nach der Intensivtherapie ein starker Indikator für die Entwicklung einer Depression [4]. Bei einer Untersuchung von 160 Patienten mit akuter Lungenschädigung wurde 6 Monate nach dem Intensivaufenthalt in 26 % der Fälle eine Depression diagnostiziert. Das Auftreten depressiver Symptome war in dieser Studie assoziiert mit dem Aufenthalt auf einer chirurgischen Intensivstation, einem SOFA-Score von >10 und einer mittleren täglichen Benzodiazepindosis von mindestens 75 mg Midazolamäquivalent [6]. Der Zusammenhang zwischen diesen identifizierten Risikofaktoren und deren Bedeutung ist bisher nicht klar und muss in weiteren Studien evaluiert werden. Die depressiven Symptome nehmen negativen Einfluss auf die entsprechenden Items der gesundheitsassoziierten Lebensqualität der Patienten. Entsprechend sollte frühzeitig nach depressiven Sym-
12
122
12 12 12 12 12
Kapitel 12 · Langzeitfolgen nach Intensivtherapie
ptomen gefahndet und mittels interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Psychiatern und Psychologen diese angegangen werden, um so die Morbidität und Lebensqualität nach Intensivtherapie positiv zu beeinflussen. Zusammenfassung Patienten nach Intensivtherapie weisen nicht nur physische Langzeitfolgen, wie z. B. Nierenfunktionseinschränkungen, Leberfunktionsstörungen oder CIP/CIM auf, sondern zeigen auch eine erhöhte Anzahl an depressiven Symptomen. Dies alles nimmt Einfluss auf die Lebensqualität dieser Patienten. Soweit wie möglich sollten daher bereits während des Krankenhausaufenthaltes prophylaktische Maßnahmen bzw. therapeutische Möglichkeiten wahrgenommen werden.
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Literatur 1
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123
Akut- und Frührehabilitation B. Gassner, S. Kircher, G. Schönherr 13.1
Rehabilitationsteam und Zielsetzung – 124
13.2
Lagerung – 124
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.2.6 13.2.7 13.2.8 13.2.9 13.2.10
Lagerung zur Verbesserung der Atemfunktion – 124 Lagerung zur Vermeidung bzw. Behandlung von Dekubitalulzera – 124 Lagerung zur Verbesserung der Herz-Kreislauf-Funktion – 125 Lagerung bei erhöhtem Hirndruck – 125 Lagerung zur Regulation des Muskeltonus – 125 Lagerung zur Förderung von Vigilanz, Aufmerksamkeit und Aktivierung des Patienten – 126 Lagerung zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit – 126 Lagerung zur Angstreduktion und Vermittlung von Sicherheit – 126 Spezielle Lagerungen bei Verletzungen des Bewegungsapparats – 127 Zusammenfassung – 127
13.3
Frühmobilisation – 127
13.4
Atem-, Schluck- und Esstherapie – 128
13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4 13.4.5 13.4.6 13.4.7 13.4.8 13.4.9 13.4.10 13.4.11
Weaning – 128 Sekretlösung und Sekrettransport – 128 Erhaltung und Verbesserung Thoraxdehnbarkeit – 129 Normalisierung Atemmusters – 129 Angstminderung, Entspannung – 129 Atmung, Stimme und Schlucken – 129 Schluck- und Esstherapie – 129 Abklärung – 129 Kausale Therapieverfahren – 129 Esstraining mit Kompensationsstrategien – 130 Kanülenmanagement – 130
13.5
Bewegungstherapie – 130
13.6
Stimulationsbehandlung – 131
13.6.1 13.6.2 13.6.3 13.6.4 13.6.5
Vestibuläre Stimulation – 131 Taktile Stimulation – 132 Akustische Stimulation – 132 Visuelle Stimulation – 132 Gustatorische und olfaktorische Stimulation – 132
13.7
Symptomorientierte Therapie – 132
13.7.1 13.7.2 13.7.3
Physiotherapie – 132 Ergotherapie – 133 Logopädie – 134
Literatur – 134 H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_13, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
13
13
124
Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
13.1
Rehabilitationsteam und Zielsetzung
13
Erste Rehabilitationsmaßnahmen beginnen bereits in der Akutphase (A-Phase) der Erkrankung und gehen direkt in die Frührehabilitationsphase (B- oder Rehaphase) über. Die Rehabilitation erfolgt – dies ist auf Intensivstationen von besonderer Bedeutung – interdisziplinär. Das Behandlungsteam, bestehend aus Ärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden sowie dem Pflegepersonal, legt zunächst therapeutische Ziele fest, die dann gemeinsam erreicht werden sollen. In der ersten Behandlungsphase arbeitet das Team zusammen am Patienten, berufsspezifische Grenzen verblassen. Erst mit zunehmender Vigilanz und Compliance des Patienten können Behandlungsziele der einzelnen Berufsgruppen individuell definiert werden.
13
Akutphase. In der Akutphase stehen die Stabilisierung der Vital-
13 13 13 13
13 13 13 13 13 13
funktionen sowie die Vermeidung und Bekämpfung sekundärer Komplikationen im Vordergrund. Frührehabilitation. Die Frührehabilitation ist durch folgende
Schwerpunkte charakterisiert: 4 spezifische Lagerungsmaßnahmen, 4 Atemtherapie, 4 Frühmobilisation, 4 Aufbau einer Kommunikationsbasis, 4 Wahrnehmungsförderung, aktivierende, stimulierende Maßnahmen, 4 Kanülenmanagement, 4 Weaning, 4 Förderung der Motorik und der Sensorik, 4 gezielte Schluck- und Esstherapie, Mundhygiene, 4 symptomorientierte therapeutische Intervention.
13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13
13.2
Lagerung
Die Lagerung intensivpflichtiger Patienten ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Vermeidung oder zur Behandlung von Sekundärkomplikationen wie Pneumonien, Thrombosen, Dekubitalulzera, Kontrakturen und Nervendruckläsionen. > Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie eine entsprechende Ausbildung aller auf einer Intensivstation tätigen Personen sind maßgeblich für die sinnvolle und erfolgversprechende Durchführung von Lagerungen. Therapieziele. Es gibt viele verschiedene Ziele, die die jeweilige La-
gerung eines Patienten erfüllen soll: 4 Verbesserung der Herz-Kreislauf-Funktion, 4 Verbesserung der Atmung, 4 Hirndrucksenkung, 4 Vermeidung bzw. Behandlung von Dekubitalulzera, 4 Regulation des Muskeltonus, 4 Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit, 4 Speziallagerungen bei Verletzung des Bewegungsapparats, 4 Förderung von Vigilanz, Aufmerksamkeit und Aktivierung des Patienten, 4 Angstreduktion, Vermittlung von Sicherheit. Da – je nach aktueller Hauptproblematik – nicht alle Ziele mit jeder Lagerung erfüllt werden können, wird für jeden Patienten eine individuell angepasste Lösung gesucht.
13.2.1
Lagerung zur Verbesserung der Atemfunktion
Atmungserleichternde Positionen müssen ebenfalls für jeden Patienten individuell gefunden werden. Sie sind abhängig von der Grunderkrankung, von Erkrankungen der Atemwege und der Lunge, der Beatmungssituation, dem Körperumfang, persönlichen Vorlieben usw. Bei nicht-kommunizierenden Patienten orientiert man sich an der Atemfrequenz, der O2-Sättigung, der Herzfrequenz, dem Blutdruck usw. Folgende Positionen werden meist gut toleriert: 4 Seitenlage, 4 Sitz, bei Bedarf mit abgestützten Armen, 4 Rückenlage (V-Lagerung: der Kopf und die Schultern des Patienten werden mit zwei überlappenden Polstern unterlagert, die zusammen die Form eines auf den Kopf gestellten V ergeben). Beim Sitzen ist zu beachten, dass der Patient nicht zusammensackt und der Thorax nicht komprimiert wird. Das Abdomen darf die freie Zwerchfellbeweglichkeit nicht beeinträchtigen. Die Erfahrung zeigt, dass der Sitz im Bett, der oftmals standardmäßig zur Erleichterung der Atmung eingesetzt wird, nicht immer die beste Position ist (zu Drainagelagerungen 7 Abschn. 13.4.2).
13.2.2
Lagerung zur Vermeidung bzw. Behandlung von Dekubitalulzera
Dekubitusrisiko Das Dekubitusrisiko ist in der Akutphase der Intensivbehandlung deutlich erhöht. Die Ursachen sind sehr vielfältig, z. B. Mikrozirkulationsstörungen durch Kreislaufinstabilität und Katecholaminbehandlung, Immobilisierung, Analgosedierung, Thermoregulationsstörungen, Katabolismus usw.
Dekubitusgefährdete Körperstellen Folgende Körperstellen sind dekubitusgefährdet und müssen daher druckentlastet bzw. druckfrei gelagert werden: In Rückenlage. Hinterkopf, Ellbogen, Kreuzbein und Sitzbein, Fer-
sen und Fußknöchel. In Bauchlage. Stirn, Nase, Kinn, Schulter, Rippenbogen, Knie und
Fußrücken, bei Männern auch Hoden und Penis. Daraus resultiert der begründete, anfänglich sehr häufige Einsatz von Spezialmatratzen bzw. Spezialbetten zur Auflagedruckminimierung, z. B. die Anwendung von Luftkissenbetten. Anzumerken ist, dass auch auf diesen Spezialmatratzen bzw. -betten regelmäßig in verschiedenen Positionen gelagert werden kann und muss. > Nachteil der Superweichlagerung ist, dass der Patient jegliches Körpergefühl verliert und, z. B. beim Abhusten, kein Widerlager zum Abstützen bzw. zum Einsatz der Atemhilfsmuskulatur findet.
Dekubitusprophylaxe durch Umlagern Wechselnde Körperpositionen dienen nicht nur der optimalen Dekubitusprophylaxe, sondern auch dem Vestibulumtraining und als Orientierungshilfe am eigenen Körper und im Raum. Daher sollte der Patient schnellstens von der Superweichlagerung, z. B. vom Luftkissenbett, entwöhnt und regelmäßig (ca. alle 2 h) umgelagert werden. In Seitenlage wird nicht direkt auf die Seite, sondern etwas vor bzw. hinter der 90 °-Position gelagert.
125 13.2 · Lagerung
13.2.3
Lagerung zur Verbesserung der Herz-Kreislauf-Funktion
Regelmäßiges Umlagern im Bett sowie die frühest mögliche, kontrollierte, langsam aufbauende Mobilisation des Patienten dienen der Verbesserung der Herz-Kreislauf-Funktion. Die Versorgung mit gut angepassten Antithrombosestrümpfen bzw. Bandagen ist unerlässlich. Passive, möglichst aber aktive rhythmische Bewegungen im Bett dienen als Vorbereitung zur Mobilisation. Im Einzelfall und nach Absprache mit dem Arzt können auch kreislaufstabilisierende Medikamente angewandt werden. Bei venösem Rückstau empfiehlt sich eine 20 °-Hochlagerung der Beine.
13.2.4
Lagerung bei erhöhtem Hirndruck
Bei der Lagerung von Patienten mit gesteigertem intrakraniellem Druck muss der Kopf in Mittelstellung gelagert werden; Überstreckung oder Abknickung sind zu vermeiden. Bei Kreislaufstabilität wird eine leichte Oberkörperhochlagerung empfohlen, um den venösen Blutabfluss aus dem Gehirn über die Jugularvenen zu fördern.
13.2.5
Lagerung zur Regulation des Muskeltonus
Je nach Tonussituation (Hypo-/Hypertonus) wird versucht, diese durch eine entsprechende Lagerung zu beeinflussen.
Hypotonus Durch häufiges Umlagern, Wechsel unterschiedlicher Gelenkpositionen und das Vertikalisieren in den Sitz oder den Stand wird versucht, den Muskeltonus zu normalisieren.
Hypertonus Muskulärer Hypertonus kann zahlreiche Ursachen haben (spinale, zerebrale Spastizität, Tonuserhöhung nach Mittelhirnsyndrom) und sich unterschiedlich manifestieren: Extensions-, Flexionssynergien, Seitenbetonung usw. Die Lagerungsbehandlung erfolgt entgegen derjenigen Gelenkstellungen, die durch die tonische Aktivitätssteigerung eingenommen wurden. Auch hierbei wird nicht streng nach einem Schema vorgegangen, sondern es wird versucht, je nach Reaktion des Patienten (vegetative Zeichen, motorische Unruhe etc.) eine für den Patienten angenehme Position zu finden. Folgende Prinzipien sollten immer beachtet werden:
durch Dehnung, im schlimmsten Fall durch Schmerz, zu einer noch stärkeren Tonuserhöhung kommt. Vor allem bei Tonuserhöhungen mit rigidem Anteil, wie nach einem Mittelhirnsyndrom, führt anhaltende Dehnung und endgradiges Bewegen zu einer Erhöhung der Muskelgrundspannung. Übermäßiger Eifer, z. B. beim Durchbewegen mit dem Ziel der Kontrakturprophylaxe, kann in diesem Fall zum gegenteiligen Effekt führen. Lagerungsmaterial. Optimales Lagerungsmaterial zeichnet sich
durch gute Formbarkeit und Anpassungsfähigkeit an die Situation aus (z. B. Federpolster). Starre Polster, Gips-, und Kunststoffschienen in der Frühphase führen zu vermehrter Muskelspannung und somit zu verstärkter Gefahr von Kontrakturen und sollten primär nicht für die Lagerung verwendet werden. Härteres Material wird aber sehr wohl ganz gezielt zum Zweck der Wahrnehmunsförderung, dem Erspüren der eigenen Körpergrenzen und der Umwelt eingesetzt. Gips und Schienen sollen ausschließlich zu therapeutischen Zwecken verwendet werden und müssen individuell genauest an die jeweilige Patientensituation angepasst und kontrolliert werden. Seitenlage. Sie ist bei allen Patienten mit muskulärer Hypertonie
die bevorzugte Position, da sie die tonische Muskelaktivierung im Sinne einer Tonusreduktion am günstigsten beeinflusst. Bei Patienten mit halbseitiger Symptomatik wird versucht, den zu erwartenden bzw. den schon vorhandenen tonischen Haltungs- und Bewegungsmustern entgegenzuwirken. Dabei eignet sich die Lagerung auf die betroffene Körperhälfte am besten zur Tonusregulation (. Abb. 13.1). > Die Seitenlage ist bei allen Patienten mit muskulärem Hypertonus die bevorzugte Position, da sie die tonische Muskelaktivierung am günstigsten vermindern kann.
Bei Patienten mit Tetraspastik wird individuell, d. h. je nach vorherrschender Tonusverteilung, gelagert, wobei darauf zu achten ist, dass sich die Wirbelsäule in Mittelposition und der Kopf in einer leichten Flexionshaltung befinden. Bei vorherrschendem Extensorentonus an den unteren Extremitäten werden diese v. a. in Flexion gelagert und umgekehrt. Die häufig verwendete Lagerung in 30 °-Drehung erweist sich bei Patienten mit Hypertonus als ungünstig, da sie sich zu nahe an der Rückenlage befindet, wodurch der Kopf und in weiterer Folge der ganze Körper in Extensionsstellung kommen. Tonusregulierender wirkt die Seitenlage knapp vor (günstigste Lage bei Tetraspastik) bzw. knapp hinter der 90 °-Lagerung mit Rumpf- und Bauchunterlagerung.
Stellung des Kopfes und der Halswirbelsäule. Die Stellung des
Kopfes und der Halswirbelsäule (HWS) bedingt, entsprechend der Lokalisation und des Ausmaßes der ZNS-Schädigung, mehr oder weniger stark ausgeprägte Enthemmungsphänomene tonischer Reflexaktivitäten [tonischer Labyrinthreflex (TLR); asymmetrisch und symmetrisch tonischer Nackenreflex (ATNR, STNR)]. So kann die Extension der Kopfgelenke den Extensionstonus im ganzen Körper verstärken, dasselbe gilt für die Flexion (TLR). Wird die HWS extendiert, erhöht sich der Extensionstonus der oberen sowie der Flexionstonus der unteren Extremitäten und umgekehrt (STNR). Keine Extrempositionen. Prinzipiell wird bestehenden tonischen Mustern entgegengelagert. In der pseudoschlaffen Phase lagert man entgegen die zu erwartende Form der Tonuserhöhung. Es sollten dabei jedoch keine Extrempositionen eingenommen werden, da es
. Abb. 13.1 Seitenlagerung
13
126
Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
ten vermittelt Sicherheit. Langsames Tempo und genügend Kontakt zur Unterlage senken den Tonus, wohingegen zu schnelles Arbeiten und unklare Berührungen den Tonus steigern.
13 13
13.2.6
13 13 13 13 13
. Abb. 13.2 Bauchlage: Unterlagerung von Kopf, Rumpf und Sprunggelenken
13
Bauchlage. Sie stellt ebenfalls eine günstige Möglichkeit zur Beein-
13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13
flussung tonischer Aktivitäten dar. Durch die leichte Flexionshaltung des Kopfes wird bei Patienten mit starker Strecktendenz häufig eine Tonusverminderung erreicht. Zur Freihaltung der Atemwege (v. a. bei Patienten mit Tubus und Trachealkanüle) und zur besseren Lagerungsmöglichkeit der Schultergelenke muss der Rumpf ausreichend unterpolstert werden. Auch beatmete Patienten können und sollen auf den Bauch gelagert werden. Die Umlagerung erfordert in diesem Fall mehrere Personen. Die Sprunggelenke werden ebenfalls unterpolstert, um einerseits die Überstreckung der unteren Extremitäten zu verhindern, andererseits einer Spitzfußstellung entgegenzuwirken (. Abb. 13.2). Rückenlage. Hier ist besonders auf die Stellung des Kopfes zu ach-
ten, da bei Extension des Kopfes, bedingt durch den tonischen Labyrinthreflex, die Extensorenaktivität verstärkt wird. Deshalb wird der Kopf, bei Bedarf auch der ganze Oberkörper, in leichter Flexion gelagert. Die Hüft- und Kniegelenke werden ebenfalls in leichter Beugehaltung positioniert, um dem Strecktonus entgegenzuwirken. > Insgesamt ist die Rückenlage bei Patienten mit muskulärem Hypertonus als ungünstigste Lagerung anzusehen.
Varianten der Rückenlagerung, z. B. die V-Lagerung (7 Abschn. 13.2.1) oder die Lagerung der Beine in Schrittstellung sind der reinen Rückenlagerung vorzuziehen. Sitz. Sobald der Patient vegetativ ausreichend stabil ist, sollte er im Sitzen gelagert werden. Das Sitzen fördert Vigilanz und Aufmerksamkeit und beeinflusst die Herz-Kreislauf-Funktion sowie den Muskeltonus positiv, es fördert die Gesamtkörperwährnehmung und die Abgrenzung des Körpers gegenüber der Umwelt. Man beginnt, den Patienten im Bett für einige Minuten aufzusetzen, wobei auf eine aufgerichtete, aber nicht überstreckte Haltung der Wirbelsäule zu achten ist. Bei guter Verträglichkeit kann der Patient am nächsten Tag in einen Stuhl gesetzt werden. Auch hier sei auf die leichte Flexionshaltung des Kopfes hingewiesen. Bei instabilem Rumpf wird dieser mit ausreichend formbarem Polstermaterial (ideal: Federpolster) unterstützt, ebenso die Arme, die zusätzlich auf einen Tisch gelagert werden. Die Beine werden in Flexion, möglichst in 90 °, gelagert, die Füße aufgestellt. Umlagern. Auch beim Umlagern des Patienten wird Einfluss auf
die Tonussituation genommen. Großflächiges Berühren des Patien-
Lagerung zur Förderung von Vigilanz, Aufmerksamkeit und Aktivierung des Patienten
Zur Steigerung der Vigilanz eignen sich hohe Positionen am besten (7 Abschn. 13.6.1 »Vestibuläre Stimulation«). Auch deshalb werden Patienten so früh wie möglich vertikalisiert (Querbett, Multifunktionsstuhl, Stand, Gehen). Bei jedem Umlagern kann eine Aktivierung des Patienten erfolgen, sofern diese Handlung kein passives Manipulieren darstellt, sondern auf das jeweilige Aktivitätsniveau des Patienten eingegangen wird. > Bei Patienten mit verlangsamter Reizverarbeitung (z. B. sedierte oder neurologische Patienten) ist es wichtig, das Tempo so anzupassen, dass die jeweilige Handlung nachvollzogen werden kann und dadurch eine aktive Beteiligung ermöglicht wird.
Auch ein Wechsel des Tempos kann zur Stimulation der Vigilanz angezeigt sein, jedoch immer unter genauer Beobachtung der Reaktion des Patienten, da Angst zu Rückzug und Abwehr führen kann. Ein einheitliches Vorgehen ermöglicht es dem Patienten, zunehmend Aktivität zu übernehmen, da die einzelnen Handlungsabläufe vertraut sind und nicht jede Person eine andere Methode anwendet. > Alle Lagerungsmaßnahmen müssen dem Patienten, auch wenn er nicht offensichtlich ansprechbar ist, immer angekündigt und erklärt werden. Ihm muss genügend Zeit bleiben, um darauf zu reagieren und nach seinen Möglichkeiten mitzuhelfen.
13.2.7
Lagerung zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit
Bei Patienten mit muskulärem Hypotonus sollte die Gelenkbeweglichkeit durch entsprechende Lagerung und Umlagerung, frühest mögliche Mobilisation und sanfte Bewegungstherapie erhalten werden können. Bei Patienten mit muskulärem Hypertonus bildet die Lagerung in tonussenkenden Positionen die wichtigste Vorraussetzung zur Erhaltung der Gelenkbeweglichkeit. Auch hier sei darauf hingewiesen, dass zu forciertes, über die Gegenspannung des Patienten hinausgehendes Lagern die Ausbildung von Kontrakturen eher fördert als verhindert. Die Verwendung von Lagerungshilfsmitteln (z. B. hohe Turnschuhen im Bett) muss in jedem Fall einzeln überprüft werden, da auch diese zu erhöhtem Muskeltonus und in der Folge zu Kontrakturen führen können. Weiterhin kann es bei zu starkem Gegendruck zur Dekubitusbildung kommen.
13.2.8
Lagerung zur Angstreduktion und Vermittlung von Sicherheit
Der Aufenthalt auf einer Intensivstation macht Angst, v. a. wache und aufwachende Patienten oder solche, die nur teilweise orientiert sind, fühlen sich verunsichert und wissen oft nicht, was mit ihnen geschieht. Deshalb ist es besonders wichtig, durch die Lagerung, sei
127 13.3 · Frühmobilisation
es im Bett oder in einem Stuhl, dem Patienten Sicherheit, besser Geborgenheit, zu vermitteln. Instabile Lagerungen und Hilfsmittel verunsichern, v. a. dann, wenn die Vigilanz und die Körperwahrnehmung beeinträchtigt sind. Es sollte ausreichend weiches Polstermaterial verwendet werden, um dem Patienten Sicherheit zu geben. Bei Seitenlage im Bett wird der Patient ganz nach hinten an die Bettkante gebracht und am Rücken durch ein Polster oder Pack abgestützt. So wird durch den freien Raum vor ihm Sicherheit vermittelt. Im Sitzen wird nach Möglichkeit ein Tisch vorgestellt, um dem Patienten die Angst vor dem Herausfallen zu nehmen.
13.2.9
Spezielle Lagerungen bei Verletzungen des Bewegungsapparats
Diese Lagerungen werden je nach Art und Ausmaß der Verletzung und in Absprache mit dem behandelnden Arzt vorgenommen. Bei Bedarf werden Spezialschienen und Lagerungshilfen verwendet.
13.2.10
Zusammenfassung
Die vielen Möglichkeiten der Lagerung gerade beim Intensivpatienten sollten nicht vernachlässigt werden, da sie die Atmung sowie die Herz-Kreislauf-Funktionen unterstützen, Schmerzen lindern, den Muskeltonus senken und dem Patienten neue Wahrnehmungen und Körpererfahrungen ermöglichen können. Dazu ist ein interdisziplinäres 24-h-Lagerungsmanangement notwendig. ! Cave Bedingt durch den vermehrten Einsatz von Antidekubitusbetten besteht auf Intensivstationen die Tendenz, Patienten sehr lange in der gleichen Position zu lagern. Hierdurch werden Störungen der Körperwahrnehmung, der Wahrnehmung der Umgebung und der Sensibilität gefördert.
Es kann häufig beobachtet werden, dass Patienten, die entsprechend gelagert werden, weniger Sedativa und Antispastika benötigen.
13.3
Frühmobilisation
Am Beispiel des Schlaganfalls wurde gezeigt, dass immobilitätsbedingte Sekundärkomplikationen, wie z. B. tiefe Beinvenenthrombosen oder Infekte der Atemwege, zu mehr als der Hälfte der Sterbefälle im 1. Monat führen [17]. Es existieren zunehmend Studien, die zeigen, dass durch eine frühzeitige Mobilisation diese Sekundärkomplikationen vermieden werden können [4]. Die frühe Mobilisation dient zudem der Erreichung weiterer Ziele (7 Übersicht).
4 Prophylaxe und Behandlung von Veränderungen am Bewegungsapparat: Gelenke, Muskeln und umgebende Weichteile 4 Verbesserung der Herz-Kreislauf-Situation 4 Verbesserung der Mobilität: Erlernen und Verbessern von Lagewechseln (Rückenlage – Seitlage –Sitz – Stand – Gang) 4 Vorbeugen von Fallängsten durch frühzeitige Mobilisation 4 Vorbeugen von depressiven Zuständen 4 Erlangen von Selbstständigkeit durch Einbeziehen in die Aktivität
Doch was ist frühzeitige Mobilisation, und in welchem Zeitraum nach dem Geschehen soll sie stattfinden? Frühmobilisation Unter Frühmobilisation ist die Mobilisation zumindest im Sitz (Querbett oder Rollstuhl) bzw. im Stehen, wenn möglich im Gehen, zu verstehen. Diese Mobilisation kann durch einen Therapeuten bzw. Pflegepersonal, allein oder zu zweit bzw. auch unter Zuhilfenahme von Patientenlifter oder Stehtisch oder Stehbett erfolgen. Je aktiver die Maßnahme, desto mehr kann damit gerechnet werden, dass der Patient auch motorisch lernt, je passiver, umso mehr steht die Prophylaxe von Sekundärkomplikationen im Vordergrund. Ein Hochstellen des Oberkörpers im Bett ist nicht als Mobilisation zu werten!
Der Zeitpunkt der Frühmobilisation ist jeweils individuell vom Arzt zu bestimmen und richtet sich nach verschiedenen Parametern. Zu erwähnen ist, dass derzeit eine große multizentrische Studie – AVERT-Studie (A Very Early Rehabilitation Trial) – stattfindet, deren erste Ergebnisse zeigen, dass die Mobilisation innerhalb von 24 h zu einer Reduktion von leichten und schweren Sekundärkomplikationen führt [4]. > Es ist somit - nach Ausschluss von Kontraindikationen durch den Arzt eine Mobilisation innerhalb der ersten 24 h anzustreben. Was ist bei der frühen Mobilisation von Patienten zu beachten? 4 Vigilanz: Ist der Patient ausreichend wach, um aktiv an
4
4
Ziele, die mit der Frühmobilisation angestrebt werden 4 Vermeidung von Sekundärkomplikationen: Atemwegserkrankungen, tiefe Beinvenenthrombosen, Dekubitalulzera 4 Verbesserung von Vigilanz, Aufmerksamkeit und räumlicher Orientierung 4 Verbesserung von propriozeptiver, exterozeptiver und vestibulärer Wahrnehmung 6
4
4 6
Mobilisationsmaßnahmen teilzunehmen, oder müssen passive Maßnahmen stattfinden (Lifter, Stehbett etc.)? Das Aufsetzen erfolgt von der Rückenlage über die Seitlage in den Sitz – niemals direkt aus der Rückenlage zum Sitz kommen! Kopfkontrolle: Kann der Patient seinen Kopf selbst stabilisieren, oder ist eine weitere Hilfsperson zur Supervision der Kopfstellung vonnöten? Ausreichend Hilfe: Wichtig ist es, dem Patienten genug Sicherheit zu geben, damit er sein motorisches Potenzial voll ausschöpfen kann (evtl. 2. Hilfsperson oder Stehhilfe). Ausgangsposition: Eventuell von erhöhter Sitzposition aufstehen, um weniger Aktivität aufbringen zu müssen.
13
128
13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13
Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
4 Fußposition: Die Füße des Patienten müssen hinter den Kniegelenken positioniert werden, da nur so ein biomechanisch ökonomisches Aufstehen möglich ist. 4 Schuhe: Ausreichend festes Schuhwerk verhindert das Weggleiten der Füße. 4 Schulter: Eine plegische Schulter muss immer gesichert werden (v. a. bei subluxierter bzw. schon schmerzhafter Schulter)! Der betroffene Arm darf nicht neben dem Körper herabhängen und niemals über die Schulter bzw. den Oberkörper der Hilfsperson hängen (Hebelwirkung). Der Patient soll, wenn möglich, den Arm selbst halten, bzw. der Arm wird von der Hilfsperson mit leichter Kompression in das Schultergelenk gesichert. Mehr dazu in 7 Abschn. 13.2. 4 Lagerung: Ausreichende Unterlagerung des betroffenen Arms im Sitzen. 4 Sitz im Bett: Eine Erhöhung des Oberkörpers im Bett ist nicht als Mobilisation anzusehen. Kann ein Patient nicht im Rollstuhl sitzen, kann er im Bett folgendermaßen »mobilisiert« werden: 4 Erhöhung des Fußteils (immer zuerst, da der Patient sonst nach unten abrutscht), 4 Erhöhung des Kopfteils, 4 Schrägstellen des gesamten Bettes. 4 Hilfsmittel wie z. B ein Tisch vor dem Patienten erleichtern den Augenkontakt und die räumliche Orientierung. 4 Ausreichende Stabilisierung von Sprung- und Kniegelenken beim Aufstehen: Entweder eine Hilfsperson befindet sich vor dem Patienten oder – bei Bedarf – stehen 2 Personen seitlich. 4 Monitoring: Die Frühmobilisation erfolgt immer mit Monitoring: EKG, Herzfrequenz, Blutdruck, Pulsoxymetrie.
13 13
13.4
13
Auch bei der Durchführung der Atemtherapie auf einer Intensivstation ist die enge Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegepersonal und Therapeuten notwendig. Die Atemtherapie kann nicht nur dazu beitragen, den Patienten vor invasiveren Maßnahmen (Beatmung) zu bewahren, bzw. bei konsequenter Anwendung, auch die Entwöhnung von der maschinellen Beatmung erleichtern und beschleunigen. Die jeweils anzuwendenden Methoden sind abhängig von Beatmungsform, Vigilanz und Kooperation des Patienten, wobei aktive Maßnahmen nach Möglichkeit immer vorzuziehen sind, da sie den passiven Maßnahmen an Wirksamkeit überlegen sind. Die einzelnen Ziele der Atemtherapie werden im Folgenden beschrieben.
13 13 13 13 13 13 13 13 13
13.4.1
Atem-, Schluck- und Esstherapie
Brustkorb des Patienten vom Therapeuten unterstützt, damit ein erhöhtes Atemvolumen erreicht wird. Ist ein Patient bereits wach und kooperativ, kann man ihn zum aktiven Mitatmen oder z. B. zum Atmen gegen Widerstand animieren. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Atemfrequenz in einem physiologischen Rahmen bleibt (Richtwert: 15 Atemzüge/min). Die speziellen Techniken sind in 7 Abschn. 13.4.4 ff. dargestellt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass während des »therapeutischen Weanings« eine engmaschige Kontrolle der Blutgasanalyse von Seiten der Pflege durchgeführt werden muss.
13.4.2
Sekretlösung und Sekrettransport
Die effektivste Möglichkeit zur Sekretmobilisation ist zum einen die forcierte Exspiration, zum anderen die reflektorische Atemtherapie (RAT). Für die forcierte Exspiration ist die aktive Mitarbeit des Patienten notwendig. In seiner Exspirationsphase wird der Patient vom Therapeuten am Thorax manuell fixiert. Ziel ist es. eine maximale Exspiration zu erreichen und somit das Sekret zu mobilisieren. Idealerweise wird die forcierte Exspiration von 2 Therapeuten durchgeführt (. Abb. 13.3). Bei beatmeten Patienten kommt die reflektorische Atemtherapie zur Anwendung. Durch Stimulierung konkreter Körperrezeptoren wirkt der Therapeut auf den Atemrhythmus mit ein. > Nach der Sekretmobilisation ist es entscheidend, das es zum Sekretabtransport kommt, durch Husten (im Sitzen mit abgestützten Händen, wenn möglich), abschlucken, ausspucken, orales oder tracheales Absaugen. Inhalation. Bei spontan atmenden Patienten können zu Beginn der Atemtherapiesitzung Inhalationen mit sekretlösenden Aerosolen durchgeführt werden. Bei wachen und kooperativen Patienten dient der Einsatz des Flutter VRP1 Desitin (»vario respiratory pressure«) dem Ablösen des Schleims von den Bronchialwänden, zur Mobilisation des Sekrets sowie zur Atemschulung. Drainagelagerung. Je nach Thoraxröntgenbefund (Ort und Aus-
maß von Infiltraten, Atelektasen, minderbelüfteten Lungenbezirken) werden – möglichst gleichzeitig mit sekretlösenden Maßnahmen – Drainagelagerungen durchgeführt. Diese sollten frühestens 1–2 h nach der letzten Nahrungsaufnahme erfolgen.
Weaning
Weaning bedarf einer sehr engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Pflegepersonal. Für die Begleitung des Weanings wird das Therapieteam zur Unterstützung der Atmung hinzugezogen, sobald der Patient nicht mehr voll kontrolliert beatmet ist. Der Patient soll grundsätzlich in eine optimale Ausgangsstellung (Seitlage, Sitz im Bett o. Ä.) gebracht werden. In Absprache mit dem Pflegepersonal werden beispielsweise SIMV-Frequenzen, Druckunterstützung und PEEP reduziert. Währenddessen wird der
. Abb. 13.3 Atemtherapie: Unterstützung der Exspiration durch 2 Therapeuten
129 13.4 · Atem-, Schluck- und Esstherapie
> Vor der Drainagelagerung wird abgesaugt, um die Verschleppung des Sekrets in andere Lungenbezirke zu verhindern.
Ziel der Drainagelagerung ist es, das Bronchialsekret mit Hilfe der Schwerkraft entsprechend der Anatomie des Bronchialsystems zu transportieren und zu entfernen. Ist ein aktives Abhusten nicht möglich, wird das Sekret vor dem erneuten Umlagern abgesaugt.
13.4.3
Erhaltung und Verbesserung Thoraxdehnbarkeit
der Weiter können Dreh-Dehn-Lagerungen durchgeführt werden, um die Mobilität der Rippen-Wirbel-Gelenke zu erhalten. Auch Techniken der manuellen Therapie sind möglich, wobei bei sedierten oder hypotonen Patienten auf den fehlenden Schutz durch die Muskulatur zu achten ist. Weitere Möglichkeiten sind die Diaphragma-Thorax-Mobilisierung und die passive Mobilisierung im Atemrhythmus. Das Ausstreichen der Zwischenrippenräume dient der Entspannung der Muskulatur und somit der Beweglichkeit des Thorax.
13.4.4
13.4.6
Die Atmung stellt eine Möglichkeit dar, mit dem Patienten in einen ersten Dialog zu treten. In der logopädischen Therapie nimmt sie einen großen Stellenwert ein. Die Atmung ist entscheidend für die Phonation, aber auch grundlegend für die Koordination von Atmung und Schlucken. Durch die Arbeit an der Atmung lässt sich bei Patienten mit oder ohne Kanüle häufig der erste Stimmeinsatz erreichen. In der Therapie wird die Atmung bewusst gemacht – etwa durch die handgestützte Atemtherapie – und willkürlich vertieft.
13.4.7
Schluck- und Esstherapie
Häufig treten bei Intensivpatienten Schluckstörungen (Dysphagien) auf, die meist durch neurologische Erkrankungen oder mechanische Behinderungen bedingt sind. Schon vor der Extubation können erste Stimulationen im Mund- und Gesichtsbereich erfolgen. Durch intraorale Stimulation sowie Manipulation am Tubus werden Erkenntnisse über Sensibilität, Schluckfrequenz, Speichelansammlung und Tonusverhältnisse gewonnen, die wichtig für eine Extubation sind. Weiters wird Sekundärproblemen wie z. B. sensorischer Deprivation, Tonuszunahme und Beißen entgegengewirkt.
Normalisierung Atemmusters 13.4.8
des Je nach Beatmungsform, Vigilanz und Kooperation des Patienten wird mit aktiven oder reaktiven Techniken versucht, das Atemmuster zu beeinflussen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Atmung häufig umso besser beeinflussen lässt, je weniger erklärt wird, da manche Patienten durch den Druck, »richtig« atmen zu müssen, häufig nicht wissen, wie sie den sonst unwillkürlich ablaufenden Vorgang der Atmung bewerkstelligen sollen.
Techniken zur Normalisierung des Atemmusters 4 Kontaktatmung mit unterschiedlichen Handpositionen 4 Abheben von Hautfalten am Bauch 4 Atemstimulierende Einreibung aus der basalen Stimulation 4 Hänge- und Packegriffe 4 Heiße Rolle 4 Lippenbremse 4 Forcierte Exspiration
13.4.5
Atmung, Stimme und Schlucken
Angstminderung, Entspannung
Der oft große Leidensdruck, die Unsicherheit und die Angst, die Patienten auf Intensivstationen erleben, können natürlich auch die Atmung beeinflussen. Hyperventilation und große Atemanstrengung können die Folge sein. Der Körperkontakt bei der Atemtherapie, das Wiederkehren einer Bezugsperson und deren ruhige Stimme, optimale Umfeldorganisation (z. B. eigene Musik) können deshalb zur Beruhigung und in der Folge zur Normalisierung der Atmung führen. So kann z. B. ein Therapeut bei der Extubation helfen, indem er die Exspiration unterstützt, wodurch reflektorisch die Inspiration verstärkt wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Hilfe, aber auch der Körperkontakt und die durchgehende Anwesenheit einer Person, in der oft angstbesetzten Situation zu einer schnelleren Normalisierung der Atmung führen.
Abklärung
In dieser frühen Phase der logopädischen Arbeit gibt es kein standardisiertes Diagnostikverfahren, sondern es gilt der Grundsatz: Diagnostik = Therapie. Der Patient wird in eine optimale Ausgangsstellung (Seitlage, aufrechter Sitz, Vertikalisation etc.) gebracht. Schon während des Mobilisierens des Patienten wird auf Warnhinweise einer Aspiration (z. B. Husten beim Umlagern) sowie auf Schluckbewegungen und -frequenz geachtet. Sofern möglich, wird auch auf die Qualität der Stimme (Phonation) – z. B. gurgelnd, »wet voice« etc. – geachtet und in weiterer Folge auf die Reinigung (Räuspern, Husten mit promptem Abschlucken). Abhängig von den oben angeführten Funktionen, ausreichenden Schutzmechanismen und bei ausreichender Vigilanz kann ein Schluckversuch mit Bolus durchgeführt werden. Der erste Schluckversuch soll nicht mit Joghurt erfolgen, da Joghurt schleimbildende und adhäsive (haftet an der gesamten intraoralen und pharyngealen Schleimhaut) Eigenschaften aufweist. In der Regel wird Fruchtmus in homogener, breiiger Konsistenz verwendet. Schluckt der Patient diesen Bolus regelrecht, wird das Kostspektrum durch Flüssigkeit und feste Kost erweitert. Zu der klinisch logopädischen Diagnostik empfiehlt sich eine weitergehende HNO-ärztliche oder phoniatrische Untersuchung mit einer videoendoskopischen Dysphagiediagnostik (»fiberendoscopic evaluation of swallowing«; FEES). So wird festgestellt, ob dem Patienten eine ausreichende orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme möglich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Indikation zur zusätzlichen Sondenernährung über die nasogastrale Sonde oder PEG gegeben.
13.4.9
Kausale Therapieverfahren
Ziel der logopädischen Therapie ist in Abhängigkeit von der vorliegenden Problematik die Wiederherstellung der physiologischen Abläufe und die Normalisierung von gestörten Muskelfunktionen und eingeschränkter Sensibilität (kausale Therapie) bzw. die Erleichterung des Schluckens sowie die Verhinderung von Aspiration (kom-
13
130
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Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
pensatorische Maßnahmen) oder die Anpassung der Umgebung an die tatsächlichen Fähigkeiten des Patienten (Hilfsmittelanpassung). In dieser frühen Phase wird hauptsächlich die Faziooraltrakttherapie (F.O.T.T.; . Abb. 13.4) angewendet. In der Akutphase der Erkrankung ist es zunächst wichtig, 4 pathologische Reflexe (z. B. Beißreflex) oder Saug-SchmatzBewegungen abzubauen, 4 den Muskeltonus zu normalisieren (er kann hypoton sein mit mangelndem Mundschluss oder hyperton, wenn der Mund des Patienten nicht zu öffnen ist), 4 physiologische Reflexe wie Würg- oder Schluckreflex zu fördern, 4 die Sensibilität (Hypo- oder Hypersensibilität) zu normalisieren. Bei den kausalen Therapiemethoden unterscheidet man zwischen passiven und aktiven Übungen. Passive Übungen. Es gibt zahlreiche Therapietechniken, die her-
angezogen werden können, z. B. Castillo Morales, Bobath, F.O.T.T., thermale Stimulation, PNF, basale Stimulation. Aktive Übungen. Aktive Übungen setzen die Mitarbeit des Patien-
13
ten voraus. Der Patient führt unter Anleitung (taktil, verbal, Imitation etc.) Bewegungen im orofazialen Bereich (intra- und extraoral) durch. Neben dieser Muskulatur können so u. a. auch die laryngeale Adduktion und Larynxelevation gefördert werden.
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13.4.10
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. Abb. 13.4 Orofaziale Stimulation
Esstraining mit Kompensationsstrategien
Erste Essversuche erfolgen im Anschluss an Stimulierungs- und Fazilitationsübungen. Das Essen wird dem Patienten u. a. durch gute Kopf- und Kieferkontrolle und eine taktile Stimulation des Schluckreflexes erleichtert. Außerdem werden folgende Kompensationsstrategien angewandt: Richtige Konsistenz der Nahrung. Anfangs wird die Nahrung nur im therapeutischen Setting verabreicht. Je nach Störungsbild wird die Kostform an den Patienten angepasst (passierte Kost, weiche Kost, Normalkost). Zu Beginn der Nahrungsaufnahme können Patienten meist nur homogene Konsistenzen bewältigen. Auf dem Weg zu gemischten Konsistenzen wird Kauen in Gaze angewandt. Bei Kost mit gemischter Konsistenz (Suppe mit Einlage, Brot mit z. B. Kaffee etc.) zeigen Patienten häufig Probleme. Sollte es einem Patienten nicht möglich sein, Flüssigkeiten zu trinken, kann die Konsistenz mit Hilfe eines Eindickungsmittels verdickt werden (Sirup-ähnlich, Creme-ähnlich oder Pudding-ähnlich). Haltung und Positionierung. Je nach Art der Störung kann eine bestimmte Haltung von Rumpf und Kopf das Schlucken verbessern. Die richtige Positionierung der Nahrung im Mund kann das Schlucken außerdem erleichtern. Verwendung von Hilfsmitteln. Dazu zählen spezielle Becher (Coombes-Becher), Ventilröhrchen, eigenes Besteck. Verwendung von speziellen Schlucktechniken. Bei einigen Störungsformen kommen zusätzliche Schlucktechniken, die der Patient für eine Verbesserung des Schluckaktes erlernt, zum Einsatz. Beispiele dafür sind das supraglottische Schlucken oder das Mendelsson-Manöver.
13.4.11
Kanülenmanagement
Das Dysphagiemanagement mit Kanülenpatienten bedarf eines gesonderten Vorgehens. In der Therapiesituation wird der Patient in eine optimale Ausgangsstellung gebracht. Nach intra- und extraoraler Stimulation wird die Kanüle entblockt. Pharyngeale und laryngeale Sensibilität kann nur durch die Atemluft, die in entblocktem Zustand den physiologischen Weg geht (Nase, Rachen, Trachea etc.) erhöht werden. Es hat sich gezeigt, dass die Schluckfrequenz in entblocktem Zustand deutlich höher ist. Des Weiteren wird am physiologischen Schlucken (Zungenmotilität, Kehlkopfmobilisation etc.), an den Schutzmechanismen und an der Phonation gearbeitet. Der erste Schluckversuch wird ausschließlich in entblocktem Zustand mit methylenblau gefärbtem breiigem Bolus und anschließendem Kontrollabsaugen durchgeführt. Die Entblockungszeiten werden in Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal ausgedehnt, bis der Patient im Idealfall dekanüliert (Richtlinie: 24 h entblockt) werden kann.
13.5
Bewegungstherapie
Die Bewegungstherapie geht mit der Lagerung Hand in Hand und dient der 4 Prophylaxe von Kontrakturen, 4 Behandlung von Traumen, 4 Vermittlung von sensiblen Reizen, Wahrnehmungsschulung, 4 Anbahnung von Motorik und Wiedererlangung motorischer Fähigkeiten. Hierbei werden nicht alle Gelenke hintereinander in alle Bewegungsrichtungen durchbewegt, sondern man versucht, die Bewegung in sinnvolle Handlungen einzugliedern, die Bewegung dazu zu benutzen, dem Patienten den eigenen Körper und in der Folge seine Umgebung wahrnehmbar zu machen (7 Abschn. 13.7.2). Das bedeutet nicht, auf das Durchbewegen zu verzichten, vielmehr geht es darum, die Bewegung in einen Zusammenhang zu stellen, ihr einen Sinn und ein Ziel zu geben. So kann z. B. der Arm bewegt werden, indem man dem Patienten einen Waschlappen in die Hand gibt und der Therapeut das Waschen des Gesichts führt usw. Bei solchen bekannten und dadurch leichter wieder abrufbaren Handlungen können oft erste motorische Aktivitäten hervorgerufen oder verstärkt werden.
131 13.6 · Stimulationsbehandlung
! Cave Bei Patienten mit muskulärem Hypotonus, d. h. auch bei analgosedierten Patienten, ist bei der Bewegungstherapie besondere Vorsicht geboten, da der Gelenkschutz durch die Muskulatur nicht gewährleistet ist.
Vor allem bei Schultergelenkbewegungen sollte immer die Skapula mitbewegt und der Humeruskopf in der Gelenkpfanne gehalten werden. Zudem sollten keine Extrempositionen eingenommen werden. Häufiges Umlagern und frühestmögliche Mobilisation sind weiter wichtig für die Kontrakturprophylaxe. Bei Patienten mit Hypertonus hat sich gezeigt, dass invasives, auch gegen Widerstand durchgeführtes Bewegen zu Traumatisierungen von Muskeln und Gelenken und in der Folge zu Kontrakturen führen kann. Weiterhin kann es zu schmerzbedingten Abwehrhaltungen und Tonussteigerungen kommen. Auch die Fixierung in starren Schienen und Gipsen in frühen Phasen der Remission führt in diesen Lagerungsmitteln und auch nach deren Abnahme zu verstärktem Tonusanstieg. Günstig ist es, eine für den jeweiligen Patienten tonussenkende Position (d. h. entgegen der vorherrschenden tonischen Muskelaktivierung) zu wählen und dann den Patienten langsam, immer den vorgegebenen Widerstand akzeptierend, zu bewegen. Zu diesen tonussenkenden Positionen gehören v. a.: 4 der Sitz, 4 der Stand, 4 die Seitenlage, 4 die Bauchlage. Je nach Akzeptanz des Patienten wird zuerst an seinem eigenen Körper entlang geführt, mit Gegenständen hantiert, oder es werden sinnvolle Handlungsabläufe wie z. B. Lagewechsel durchgeführt. Um dem Patienten mehr Sicherheit zu geben, ist es günstig, dies in den ersten Phasen zu zweit, manchmal sogar zu dritt zu tun. Im Verlauf der Remission zeigt sich ein spontaner Tonusrückgang, v. a. der rigiden Komponenten. Erst dann kann das Ausmaß der Kontrakturen und auch der Spastizität beurteilt werden. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, mit der gezielten Kontrakturbehandlung, wie z. B. der seriellen Gipsredression, zu diesem Zeitpunkt zu beginnen, da auch die aktive Mitarbeit des Patienten in dieser Phase besser möglich ist.
13.6
13.6.1
Vestibuläre Stimulation
Gerade in der Frühphase der Rehabilitation wird die vestibuläre Stimulation häufig verwendet. Durch die Stimulation des aufsteigenden retikulären aktivierenden Systems (ARAS) der Formatio reticularis wird die Vigilanz gesteigert und die Voraussetzung für Aufmerksamkeit und aktive Teilnahme des Patienten an allen rehabilitativen Maßnahmen geschaffen. Vertikalisieren. Durch das Aufsetzen bzw. Aufstellen erhält der Pa-
tient neue sensomotorische Afferenzen zur Förderung der Körperwahrnehmung und der Orientierung des Körpers im Raum. Bessere Augenkoordination sowie Kopf- und Rumpfkontrolle können angebahnt werden als Voraussetzung für weitere motorische Aktivitäten (. Abb. 13.5). Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Vertikalisierens ist die Tonusbeeinflussung. So haben vestibuläre Reize je nach Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung tonuserhöhende oder tonussenkende Wirkung. (z. B. Schaukeln nach vorn/hinten, seitlich, rotatorisch, Hängematte usw.). Schnelle und unregelmäßige Bewegungen können den Tonus erhöhen, langsame gleichmäßige dienen hingegen der Tonusreduktion. Auf den Einfluss der Kopfstellung auf die Tonusverteilung im Körper wurde bereits in 7 Abschn. 13.2.5 eingegangen. Auch zur Spitzfußprophylaxe und -behandlung ist das Vertikalisieren bzw. Stehen mit Hilfspersonen unerlässlich. Lange Immobilität birgt Gefahren wie Bed-Rest-Syndrom, Kontrakturen, Dekubitus, Pneumonie, Gelenkverkalkung, Athrophie usw. Durch das Vertikalisieren können viele dieser Symptome gemindert bzw. vermieden werden (7 Abschn. 13.3). Vestibuläre Stimuli haben z. T. starke vegetative Auswirkungen. So können sie beruhigend wirken, den Kreislauf stabilisieren, die
Stimulationsbehandlung
Ein weiterer Schwerpunkt der Frührehabilitation ist die gezielte Stimulation des Patienten. Es gibt zwar auf einer Intensivstation eine Fülle von unspezifischen Stimuli wie Geräusche, Licht, Bewegungen usw. Das Ziel der Stimulation in der Rehabilitation besteht jedoch darin, für den jeweiligen Patienten adäquate, auf ihn abgestimmte Stimuli zu finden, die er verarbeiten und auf die er reagieren kann. Die Erfahrung zeigt, dass je nach der Phase der Remission verschiedene Stimuli unterschiedlich wirksam sein können. Auch die jeweilige therapeutische Zielsetzung bestimmt die Art und den Einsatz der Stimuli, wie z. B. Förderung der Vigilanz, Beeinflussung des Muskeltonus, Schulung der Wahrnehmung, Anbahnung von Bewegungen usw. Es ist natürlich niemals möglich und auch nicht erwünscht, wirklich nur unimodal zu stimulieren, da immer mehrere Sinnesqualitäten angesprochen werden. Stattdessen gilt es, Schwerpunkte zu setzen, um die angebotenen Reize verarbeitbar zu machen. . Abb. 13.5 ADL-Training
13
132
13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13 13
Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
13.6.4
! Cave Deshalb sollten die ersten Vertikalisierungen immer mit Monitoring erfolgen, um die Vitalparameter zu kontrollieren.
Bei der visuellen Stimulation ist die Lichtquelle sehr wichtig. Es empfiehlt sich, Tageslicht oder Tageslichtlampen zu verwenden. Die Farben der Inneneinrichtung, der Wände und der Decken sollten, wenn möglich, für liegende Patienten konzipiert sein. Unterschiedliche, in verschiedenen Farben gestaltete Dienstkleidung ist gegenüber weißer Dienstkleidung zu bevorzugen. Bunte Bettwäsche ist vorteilhaft, farbige Muster sind jedoch zu vermeiden, da diese zu Zählphänomenen führen können. Dem Patienten werden zur visuellen Stimulation Bilder mit Hell-dunkelKontrasten und farbigen Objekten gezeigt, wobei auf seine persönlichen Interessen Rücksicht zu nehmen ist.
13.6.2
Taktile Stimulation
Der taktil-kinästhetische Sinneskanal, über den die direkte Beziehung zur Umwelt aufgenommen wird, ermöglicht oft den ersten Zugang zum Patienten. Man tritt mit dem Patienten über eine Initialberührung in Kontakt (»Begrüßung«). Auch die Verabschiedung vom Patienten sollte taktil unterstützt werden. Berührungsreize, die großflächig und mit gleichmäßigem Druck erfolgen, sind deutliche, klare Informationen an den Patienten und wirken beruhigend, wohingegen schnelle Berührungen aktivierend, aber auch angsteinflößend wirken können. Hilfsmittel und Vorgehen. Zur taktilen Stimulation eignen sich die Hände des Therapeuten (z. B. durch Drücken, Streicheln, Reiben, Pumpen der Muskulatur), die geführten Hände des Patienten und verschiedenartige Materialien (Tücher, Bürsten, Schwämme, Cremes usw.). Schmerzreize sind nicht Teil eines therapeutischen Konzepts. Sie führen nur zur Abwehr und Angst gegenüber dem Therapeuten und sollten nur zur Überprüfung des Verlaufs außerhalb der Therapiesituation zur Anwendung kommen. Taktile Reize werden am ganzen Körper des Patienten gesetzt, wobei bei neurologischen Patienten im Gesichtsbereich Vorsicht geboten ist, da es leicht zu oralen Automatismen kommen kann.
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Visuelle Stimulation
Atmung regulieren, jedoch auch Schwindel, Schweißausbrüche und Übelkeit auslösen.
13.6.5
Diese Stimulationsformen stehen in engem Zusammenhang mit der Schluck- und Esstherapie. Bei der gustatorischen Stimulation werden kleine Nahrungsmengen auf der Zunge des Patienten platziert. Die Auswahl der Geschmacksrichtung wird dabei von den Vorlieben des Patienten bestimmt. Über den Geschmack werden Erinnerungsspuren für das Schlucken geweckt und der Schluckakt stimuliert. Gleichzeitig wird eine Grundlage für die höheren Niveaustufen von Artikulation und Lautbildung geschaffen. Durch das Riechen an der angebotenen Nahrung wird auch das olfaktorische System angeregt. Noch gezielter kann der Geruchsinn durch den Einsatz von starken Gerüchen stimuliert werden. Der Geruchsinn intubierter oder tracheotomierter Patienten ist erheblich schwieriger zu stimulieren, da kein Luftfluss durch die Nase stattfindet.
13.7 13.6.3
Gustatorische und olfaktorische Stimulation
Symptomorientierte Therapie
Akustische Stimulation
Dem Gehör als dem Organ, das Sprache wahrnimmt, kommt in der Therapie große Bedeutung zu. Es versucht, aktiv aus der Klangwelt der Umgebung relevante Reize herauszufiltern. Schon in sehr frühen Remissionsphasen lassen sich bei Patienten Reaktionen auf akustische Reize beobachten. Jeder Sinnesreiz kann grundsätzlich erregend oder beruhigend sein, hochfrequente und laute akustische Reize wirken beispielsweise erregend. Einfache, sich langsam wiederholende Klangbilder werden zur Beruhigung eingesetzt. Es ist wichtig, vor dem Patienten, auch wenn er komatös ist, keine negativen Bemerkungen über ihn zu machen oder wenn möglich, in seiner Anwesenheit gar nicht über ihn zu sprechen. Der Therapeut versucht, durch wiederholtes ruhiges Ansprechen und den Einsatz von Gesang oder das Erzeugen von Geräuschen mit dem Patienten in Kontakt zu treten. Da oft noch Unklarheit über das Sprachverständnis herrscht, wird in einfachen und kurzen, aber altersentsprechenden Sätzen gesprochen. Gestik und Mimik oder Bildmaterial werden unterstützend eingesetzt. Einen sehr positiven Effekt kann auch das Vorspielen der Lieblingsmusik oder etwa der Stimmen der Angehörigen des Patienten haben. Durch Führen kann der Patient auch selbst Geräusche an Klanginstrumenten erzeugen.
In den frühen Phasen der Rehabilitation sind die Ziele und Maßnahmen der einzelnen Berufgruppen wie der Ärzte, Pflegepersonen, Physio- und Ergotherapeuten sowie der Logopäden oftmals identisch oder überschneiden sich, wie z. B. Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmung, Förderung der Vigilanz, prophylaktische Maßnahmen, Stimulation verschiedener Sinneswahrnehmungen, Wahrnehmungsschulung usw. Deshalb sollte in diesen Phasen der Patient gemeinsam und interdisziplinär behandelt werden. Sind nun Vigilanz, Aufmerksamkeit, Orientierung und z. T. Problembewusstsein zunehmend vorhanden und können motorische sowie neuropsychologische Probleme genauer definiert werden, beginnt die symptomorientierte Therapie, in der berufsspezifisch auf einzelne Störungen eingegangen wird.
13.7.1
Physiotherapie
Schädigungen des oberen Motoneurons Die häufigsten physiotherapeutisch zu behandelnden Störungen beruhen auf Schäden des oberen Motoneurons. Sie sind in der 7 Übersicht aufgeführt.
133 13.7 · Symptomorientierte Therapie
Häufigste Symptome bei Schädigung des oberen Motoneurons 4 4 4 4 4 4
Paresen bzw. Plegien Tonuserhöhungen (spastisch, rigidospastisch) Tendenz zu primitiven Bewegungsmustern Verlust der selektiven Muskelaktivität Pathologische Reflexaktivitäten (tonische Reflexe) Immobilitätsbedingte adaptive Veränderungen an Gelenken und umgebenden Weichteilen
Je nachdem, welche Art der Störung im Vordergrund steht, werden vom Physiotherapeuten verschiedene Behandlungskonzepte eingesetzt. Wichtigstes Symptom für die motorische Behinderung/Bewegungseinschränkung des Patienten ist v. a. eine Parese/Lähmung der betroffenen Körperabschnitte. Diese bedingt eine verminderte Rekrutierung motorischer Einheiten, wodurch es zu einem Kraftverlust, zur verlangsamten Kraftgenerierung und vermehrten Bewegungsanstrengung kommt. Bei der Behandlung der paretischen Körperabschnitte kommen zunehmend aufgabenorientierte repetitive Behandlungskonzepte zum Einsatz, da man weiß, dass durch das Lösen von konkreten Aufgaben motorisches Lernen angebahnt wird und eine ausreichende Wiederholungsanzahl der Übungen notwendig ist, um Fertigkeiten zu erlernen.
techniken zum Einsatz, die Physiotherapeuten zur Verfügung stehen.
Symptome bei Schädigungen des unteren Motoneurons 4 4 4 4 4
Verminderung des Muskeltonus Paresen bzw. Plegien Areflexie Sensibilitätsstörungen Atrophie
Therapeutisch wird mit Sensibilitätsschulung und Kräftigungstechniken vorgegangen, der Einsatz eines EMG-Biofeedbackgeräts kann in diesem Fall unterstützend wirken.
Ossifikationen Ein zu invasives Bewegen in frühen Phasen der Remission kann eine Ossifikation begünstigen. In der aktiven Phase der Ossifikation wird im betroffenen Gelenk nur minimal bewegt, der Patient jedoch häufig umgelagert. Die benachbarten Gelenke können jedoch in vollem Umfang bewegt werden. Nach Abschluss des entzündlichen Prozesses bzw. nach operativer Entfernung der Ossifikation wird mit manualtherapeutischen und anderen Mobilisationstechniken wieder im vollen Bewegungsumfang gearbeitet.
13.7.2
Ergotherapie
Wirksame Methoden der Behandlung der Spastizität 4 4 4 4 4 4 4
Langsame Muskeldehnungen Dehnungen unter Gewichtsbelastung (Stützen, Stehen) Lagerung in Schienen Zirkuläre Gipse Reziprokes Bewegen Thermische Reize (Eistauchbad/Wärmeapplikation) Elektrostimulation
! Cave Bei einem rigiden Anteil der Tonuserhöhung ist von Schienen- oder Gipsbehandlungen abzuraten, da diese den Tonus zusätzlich erhöhen können..
Adaptive Veränderungen Infolge der Immobilität kommt es zu sekundären Anpassungen des skelettomuskulären Systems: Dies führt relativ rasch (z. T. innerhalb von wenigen Tagen) zu Atrophien und Bewegungseinschränkungen.
Adaptive Veränderungen durch Immobilisation 4 4 4 4 4 4 4
Gesteigerte Muskelsteifheit Struktureller Umbau in Muskel- und Bindegewebszellen Veränderungen motorischer Muster Erlernter Nichtgebrauch Abbau der Muskelausdauer Beeinträchtigung des kardiovaskulären Systems Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit
Behandlung von Wahrnehmungsstörungen Neben den läsionsbedingten Wahrnehmungsdefiziten haben Patienten auf der Intensivstation meist wenig bis keine Möglichkeit, sich selbst zu bewegen, wodurch sich der adäquate sensorische Input drastisch reduziert. Folgende Wahrnehmungsstörungen können auftreten: reduzierte Körperwahrnehmung, nesteln, motorische Unruhe, in die Luft greifen, Desorientiertheit, Vernachlässigung einer Körper- und Raumhälfte, Schwierigkeiten bei Bewegungs- und Handlungsabläufen usw. Mit dem Patienten wird an folgenden Wahrnehmungsbereichen gearbeitet: 4 somatische Wahrnehmung, 4 vestibuläre Wahrnehmung, 4 vibratorische Wahrnehmung, 4 taktil-haptische Wahrnehmung, 4 visuelle, auditive, orale, olfaktorische Wahrnehmung – spielen für die Bildung/Erhaltung des Körperschemas eine geringere Rolle, sind aber trotzdem zu berücksichtigen. Durch Therapieangebote wie z. B. basale Stimulation, Affolter, sensorische Integration usw. wird es dem Patienten in dieser frühen Rehabilitationsphase ermöglicht, mit der Umwelt in Kontakt zu treten, um Körper- und Raumwahrnehmung wiederzuerlangen. Bereits in dieser Phase wird beginnend an der persönlichen Selbstständigkeit gearbeitet, indem der Patient bei einfachen Alltagsaktivitäten geführt wird (z. B. Gesicht waschen, Zähneputzen, Körper eincremen; . Abb. 13.5).
Förderung der persönlichen Selbstständigkeit Zur Behandlung adaptiver Veränderungen am Bewegungsapparat kommen alle manualtherapeutischen sowie Weichteilbehandlungs-
Therapeutische Hilfen werden an die Fähigkeiten des Patienten angepasst und schrittweise reduziert, um eine persönliche Selbstständigkeit (Waschen, Anziehen, Essen usw.) zu erreichen. Fallweise ist der Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. Griffverdickung, Non-slip-Unter-
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Kapitel 13 · Akut- und Frührehabilitation
lagen usw.) notwendig. Schon kleinste Teilerfolge in der persönlichen Selbstständigkeit wirken sich meist positiv und motivierend auf den Patienten aus.
13 13 13 13
1
Funktionelle Behandlung von Rumpf und oberer Extremität
2
Mit sinnvollen Handlungen und Bewegungszielen wird an Bewegungsanbahnung, Schulung von Oberflächen- und Tiefensensibilität und selektiver Bewegungen gearbeitet, um die Funktion im Alltag zu erhalten bzw. wiederzuerlangen. Die verwendeten Methoden sind Bobath, Affolter, Perfetti, PNF mit dem Ziel des motorischen Lernens.
3
4
Kontrakturprophylaxe und -behandlung In enger Zusammenarbeit mit Ärzten und Physiotherapeuten werden auch Schienen- und redressierende Gipsbehandlungen, evtl. in Kombination mit einer Botulinumtoxininjektion, durchgeführt.
5 6
Therapie neuropsychologischer Defizite Die Therapie neuropsychologischer Defizite in der Intensivstation ist sehr alltagsorientiert. Mit praktischen Aufgaben des täglichen Lebens wird an Aufmerksamkeit, Konzentration, räumlich-konstruktiver Wahrnehmung, Handlungsplanung, Handlungsflüssigkeit und in weiterer Folge an komplexeren kognitiven Fähigkeiten gearbeitet. Ergänzende Übungsprogramme (nach Schweizer, Caprez, Kerkhoff) und spezielle Computerprogramme können im Laufe der Rehabilitation zum Einsatz kommen.
7 8
9 10 11
13.7.3
Logopädie
In der frühen Phase der neurologischen Rehabilition beschäftigt sich die Logopädie schwerpunktmäßig mit Dysphagien und Kanülenmanagement 7 Abschn. 13.4 ff.). Weitere Inhalte der Logopädie sind die Therapien vonAphasien (rezeptive und produktive Störungen der Sprache), Dysarthrophonien (Störungen des Sprechens, der Artikulation, Sprechatmung, Stimme und Prosodie) sowie die Therapien von Störungen des orofazialen Bereichs (Fazialisparese).
Akutphase Die gestörten Sprachfunktionen bilden sich in den ersten 4 Wochen zu einem gewissen Teil, bei etwa 1/3 der Patienten vollständig zurück. Auf der Intensivstation wird der Logopäde meist mit Patienten in dieser Phase konfrontiert. Die erste Aufgabe besteht nun darin, die Sprachstörung des Patienten genau kennen zu lernen, ihn in dieser schwierigen Phase zu begleiten, die Veränderungen zu verfolgen und eine beobachtende Diagnose zu erstellen. In der Therapie gilt es, mögliche Aus- und Umwege zu suchen. Vor allem Verständigungstraining ist in der Akutphase sehr wichtig.
Übungsphase
13
Literatur
Verbessert sich der Allgemeinzustand des Patienten, kann eine umfangreichere Aphasiediagnostik erfolgen, um ein symptomspezifisches Üben zu ermöglichen. Die Aphasietherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide entwickelt, was dazu führte, dass heute unzählige Theorien und Methoden bestehen. Wichtige Therapieansätze sind 4 der Kommunikationsansatz, 4 der sprachstrukturelle Ansatz, 4 der Modellansatz, 4 der Modalitätenansatz und 4 der Strategieansatz.
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135
Palliativmedizin in der Intensivmedizin F. Nauck
14.1
Entwicklung der Intensiv- und Palliativmedizin – 136
14.2
Gemeinsamkeiten und Gegensätze von Intensivmedizin und Palliativmedizin – 136
14.3
Therapie- und Behandlungsangebote in der Palliativmedizin – 137
14.4
Symptomkontrolle – 137
14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4 14.4.5 14.4.5 14.4.7 14.4.8
Dyspnoe – 138 Schmerzen – 138 Rasseln in der Terminalphase (»Death Rattle”) – 139 Übelkeit und Erbrechen – 139 Opioidbedingte Übelkeit und Erbrechen – 139 Obstipation – 139 Juckreiz bzw. Pruritus – 140 Pflegerische und komplementäre Maßnahmen – 140
14.5
Ethische Entscheidungen in der Intensivmedizin – 140
14.5.1
Wege der Entscheidungsfindung in der Intensivmedizin – 141
Literatur – 142
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_14, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
14
136
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Kapitel 14 · Palliativmedizin in der Intensivmedizin
In der Intensivmedizin werden kritisch kranke Patienten aus sehr unterschiedlichen Fachbereichen und mit unterschiedlichen Grunderkrankungen behandelt. Mit dem Begriff Intensivmedizin assoziiert man eher Maximaltherapie, Lebensrettung oder Reanimation als eine Therapiezieländerung, Therapieabbruch oder Palliativmedizin. Traditionell besteht das Ziel darin, mit Mitteln der Intensivmedizin eine kritische Krankheitsphase zu überbrücken in der Hoffnung, dass der Patient überlebt und die Behandlung zu einer Restitutio ad integrum führt. Jedoch ist Heilung nicht immer erreichbar. Wird erkannt, dass ein kurativer Ansatz nicht mehr möglich ist, muss der Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen besonders kritisch hinterfragt werden, um Patienten nicht der Gefahr einer » Übertherapie am Lebensende« auszusetzen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind Aspekte der Palliativmedizin in die Intensivmedizin zu integrieren [8–10, 19]. Untersuchungen konnten nachweisen, dass palliativmedizinische Methoden und Vorgehensweisen auf einer Intensivstation zu einer verbesserten Betreuung am Lebensende für Patienten, ihre Angehörigen und Freunde führen können bzw. mit guter Versorgung am Lebensende assoziiert werden [6, 11, 15]. Hierbei sollte die Palliativmedizin als ergänzende, besondere Expertise in Schmerztherapie und Symptomkontrolle sowie einer respektvollen, fürsorglichen Begleitung des Patienten und seiner Familie in dessen letzter Lebensphase und während des Sterbeprozesses gesehen werden. Um dies in die Praxis umzusetzen, sollten die unterschiedlichen involvierten Berufsgruppen das gleiche Ziel in der Behandlung verfolgen und ihre Kompetenzen in der Lösung schwieriger Probleme bündeln.
14 14.1
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Entwicklung der Intensivund Palliativmedizin
Aufgrund neuer intensivmedizinischer Therapiemöglichkeiten überleben Patienten immer häufiger eine vorübergehende lebensbedrohliche Erkrankung oder einen erforderlichen operativen Eingriff. Gleichzeitig sterben zahlreiche Patienten auf Intensivstationen. Hier besteht die Gefahr, dass Ärzte ethisch gebotene Grenzen der Intensivmedizin nicht erkennen bzw. nicht in ihre therapeutischen Überlegungen mit einbeziehen. Die Entwicklung der modernen Medizin macht in der Intensivmedizin besonders deutlich, dass sich nicht nur die Arzt-Patienten-Beziehung verändert, sondern auch das Verständnis von Krankheit. Intensivmediziner müssen nicht ausschließlich Kompetenzen zur Anwendung der neuen Techniken erwerben, sondern zunehmend über Fähigkeiten verfügen, mit denen sie den Herausforderungen am Lebensende, der Auseinandersetzung mit ethischen Problemen in Grenzsituationen sowie den Themen Therapieabbruch, Therapieverzicht oder aktive Sterbehilfe begegnen. Hier können und müssen sich – auch wenn die Behandlungsprioritäten und therapeutischen Konzepte in Intensiv- und Palliativmedizin unterschiedlich sind – beide Bereiche ergänzen. Die Palliativmedizin hat sich aufgrund von Defiziten in unserem modernen Gesundheitssystem entwickelt. Diese lagen nicht nur in der Behandlung von Schmerzen oder anderen belastenden körperlichen Symptomen bei Patienten mit weit fortgeschrittenen inkurablen Erkrankungen am Lebensende, sondern auch in unzureichender psychosozialer und spiritueller Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen.
> Optimale Symptomkontrolle physischer Beschwerden und Unterstützung bei psychosozialen Problemen, Kommunikation, Auseinandersetzung mit der Erkrankung und Begleitung des Sterbenden und seiner Angehörigen sind wesentliche Merkmale der Palliativversorgung [13].
Palliativmedizin in der Intensivmedizin bedeutet somit eine Medizin, die sich dem ganzen Menschen und seiner komplexen psychosozialen Verfasstheit widmet und die von einer gesprächs- und behandlungsorientierten Medizin sinnvoll ergänzt wird. Palliativmedizinische und palliativpflegerische Inhalte werden zunehmend verpflichtend in die Aus-, Fort- und Weiterbildungskataloge aller Berufsgruppen im Gesundheitswesen, die in die Versorgung schwerkranker und sterbender Menschen eingebunden sind, aufgenommen. Hier gilt es gerade in der intensivmedizinischen Weiterbildung, sinnvolle zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln, um palliativmedizinische Inhalte noch nachhaltiger fächerübergreifend zu integrieren.
14.2
Gemeinsamkeiten und Gegensätze von Intensivmedizin und Palliativmedizin
Trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte zeigt sich, dass Intensivmedizin und Palliativmedizin nicht einander ausschließende Gegensätze sind, sondern zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen. Es geht somit nicht um den Widerspruch »Apparate-Medizin« vs. » sprechende, begleitende Medizin«. In beiden Bereichen werden Patienten in extremen Lebensphasen und problematischen Therapiesituationen behandelt, die oftmals von einer enormen Dynamik geprägt sind. Hohe Fachkompetenz, Arbeit im inter- und multidisziplinären Team, mit einem der Intensität der Betreuung angepassten Stellenplan sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit sowohl auf der Palliativstation als auch in der Intensivmedizin. Offene Kommunikation im Team, mit Patienten und Angehörigen, Aufklärung und Übermittlung schlechter Nachrichten sowie Entscheidungsfindung in schwierigen ethischen Fragestellungen gehören ebenso wie die Begleitung in der letzten Lebensphase zu weiteren wesentlichen Gemeinsamkeiten. Durch die modernen Möglichkeiten der Intensivmedizin und die damit verbundenen Grenzverschiebungen wurden Sterben und Tod zunehmend verdrängt, mit der Folge, sich vornehmlich auf das medizinisch-technisch Machbare zu konzentrieren und nicht genügend auf das medizinisch-ethisch Vertretbare zu achten. Angst vor einer inhumanen Apparatemedizin – aufgrund der zunehmenden diagnostischen Möglichkeiten wie Sonographie, Computertomographie, Kernspintomographie, aber auch die technischen Voraussetzungen für eine immer differenziertere Narkoseführung und Beatmung sowie die Möglichkeiten der Ersatzverfahren für Niere, Herz und Leber leiteten einen schleichenden Paradigmenwechsel ein. Furcht vor unnötiger Leidensverlängerung und unwürdigem Sterben war ein Motor für die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bei gleichzeitiger Absage an das bis dato eher paternalistische Fürsorgeprinzip des Arztes. Hier bieten die Erfahrungen aus der Palliativmedizin gerade in der Intensivmedizin gute Voraussetzungen, den Herausforderungen der Zukunft kompetent begegnen zu können. Jedoch bestehen auch Gegensätze, die die Integration der Palliativmedizin in die Intensivmedizin nicht immer leicht machen. Das Behandlungsziel in der Intensivmedizin ist in erster Linie die Lebensverlängerung und, wenn möglich, die Wiederherstellung der Gesundheit. In der Intensivmedizin müssen Entscheidungen schnell, manchmal reflektorisch bei nicht entscheidungsfähigen Patienten ge-
137 14.4 · Symptomkontrolle
fällt werden. Der Ausgang einer Intensivbehandlung ist häufig nicht vorhersehbar. Die Lebens- und Funktionserhaltung in der Intensivmedizin durch hohen technischen Aufwand leitet ihre Berechtigung aus der Überzeugung ab, dem Patienten durch Überwinden einer lebensbedrohlichen Situation eine neue Lebensperspektive zu geben. Ist dies nicht möglich, müssen Entscheidungen getroffen werden, die zum einen den Willen des Patienten, zum anderen das ethisch gebotene medizinische Handeln berücksichtigen [13]. Unterschiede werden somit deutlich in der Zielsetzung, die primär nahezu konträr verläuft. Palliativmedizin hat das Ziel bei nicht heilbar kranken Patienten, deren Erkrankung fortgeschritten und lebensbegrenzend ist, durch adäquate Symptomkontrolle und Linderung von Leiden eine bestmögliche Lebensqualität zu erreichen, wobei die Lebensverlängerung zunächst nicht im Vordergrund steht. > Palliativmedizin sieht das Sterben als einen natürlichen Prozess, ohne dabei Leben zu verkürzen oder Sterben zu verlängern.
In den palliativmedizinischen Versorgungsstrukturen Deutschlands werden weit überwiegend Patienten mit fortgeschrittenen, inkurablen Tumorerkrankungen (89,7 % in der Hospiz- und Palliativerhebung HOPE 2007) behandelt. Bisher noch relativ wenigen Patienten mit nicht malignen Grunderkrankungen und belastenden Symptomen wird ebenfalls eine palliativmedizinische Versorgung zuteil, wie z. B. Patienten mit neurologischen, kardialen, respiratorischen oder renalen Erkrankungen im Terminalstadium. Die Entwicklung der Palliativmedizin zeigt, dass die palliativmedizinische Behandlung und Begleitung zunehmend bereits in früheren Krankheitsstadien und nicht nur von Tumorpatienten nachgefragt wird, über einen deutlich längeren Zeitraum erfolgt und auch für nicht onkologisch erkrankte Patienten sinnvoll ist [11]. Dies entspricht auch ihrem Selbstverständnis, wie es sich z. B. in der Definition der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2002 ausdrückt [18]: Definition der WHO Palliativmedizin bzw. Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.
Ein weiterer Unterschied zur Intensivmedizin besteht darin, dass es in der Palliativmedizin in der Regel keinen Zeitdruck gibt, Entscheidungen zu treffen. Anders als in der Intensivmedizin sind die meisten Patienten bewusstseinsklar und entscheidungsfähig. In Gesprächen zwischen Patient, Angehörigen und dem therapeutischen Team kann das Ziel des »informed consent«, d. h. Entscheidung des Patienten nach ausführlicher Aufklärung, häufig erreicht werden.
14.3
Therapie- und Behandlungsangebote in der Palliativmedizin
> Die Kardinalsymptome menschlichen Leidens wie Schmerz, Angst, Atemnot, Unruhe und Durst prompt und dauerhaft zu lindern, wie es bereits Hufeland (1763–1836) formulierte, ist integraler Bestandteil ärztlichen Handelns
und Teil des Aufgabenspektrums jeder medizinischen Fachdisziplin.
Ein mitmenschlicher Umgang mit Leben, Sterben und Tod sowie der Erhalt von Autonomie und Respekt vor der Würde Schwerstkranker und Sterbender waren und sind zentrale Themen der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin. Die palliativmedizinische Versorgung basiert dabei auf der hohen Fachkompetenz sowie auf inter- und multidisziplinärer Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen, ergänzt durch ehrenamtliche Mitarbeiter. Palliativmedizin versteht sich in diesem Zusammenhang als Ergänzung und Erweiterung dieser grundlegenden Leistungen auch in oder für die Intensivmedizin durch: 4 spezielle Kompetenzen in der Schmerztherapie und Symptomkontrolle, 4 Sensibilisierung für die Bedürfnisse Sterbender, ihrer Angehörigen und Freunde, 4 psychosoziale Unterstützung und Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen, 4 kommunikative Kompetenzen auch bei ethischen Fragestellungen (Therapiezieländerung, palliative Sedierung, Flüssigkeitsgabe und Ernährung am Lebensende etc.), 4 Kompetenzen in der palliativen Pflege und Wundmanagement, 4 seelsorgerische Begleitung in Aspekten der Spiritualität und Religiosität, 4 rehabilitative/versorgungsdienstliche Maßnahmen, 4 Ehrenamtlichenarbeit, 4 Trauerarbeit. Palliativmedizinische Angebote kommen in der Intensivmedizin besonderes dann zum Tragen, wenn akute, physische und/oder psychosoziale Krisensituationen bzw. ethische Fragestellungen bei Patienten mit fortgeschrittener, inkurabler Erkrankung auftreten, seltener bei Fragen der Schmerztherapie, Symptomkontrolle oder palliativpflegerischen Maßnahmen. Für die palliativmedizinische Krisenintervention stehen Organisationsformen wie Palliativstation, palliativmedizinischer Konsiliardienst und ambulanter Palliativdienst zur Verfügung. Zudem bieten stationäre Hospize und ambulante Hospizdienste, teils mit Unterstützung ehrenamtlicher Helfer, in enger Zusammenarbeit mit den palliativmedizinischen und -pflegerischen Diensten ihre Kompetenzen bei der Begleitung schwer- und sterbenskranker Menschen an. Auf Intensivstationen bietet sich die Unterstützung durch einen palliativmedizinischen Konsiliardienst an. Gemeinsam können dann weitere Therapiemaßnahmen, eine Verlegung auf eine Palliativstation, in ein Hospiz oder gar in die häusliche Umgebung geplant werden.
14.4
Symptomkontrolle
Die Linderung von Leiden gehört seit jeher zu den zentralen ärztlichen und pflegerischen Aufgaben, somit ist die Palliativmedizin keine neue medizinische Disziplin. Neu belebt wurden jedoch Aspekte wie Kommunikation, Mitmenschlichkeit, Teamarbeit, Integration der Angehörigen in das Behandlungs- und Versorgungskonzept sowie die Berücksichtigung des Menschen in seiner ganzheitlichen Dimension durch ihren interdisziplinären und multiprofessionellen Ansatz. Neu ist auch die Integration evidenzbasierter Erkenntnisse in der Symptomkontrolle, insbesondere der Schmerztherapie und im Rahmen der Behandlung von Intensivpatienten die Dyspnoe und Obstipation, die als belastende und die subjektive Lebensqualität einschränkende Symptome häufig vorhanden sind.
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Für die palliativmedizinische Behandlung, Pflege und Begleitung sind die individuellen Bedürfnisse der Schwerstkranken und Sterbenden das wesentliche Kriterium. Voraussetzung für eine suffiziente Behandlung aller Symptome ist die Kenntnis der Pathophysiologie sowie eine sorgfältige Anamnese, in der neben den möglichen physischen auch die psychischen, sozialen und ggf. spirituellen Ursachen ermittelt werden. Die Erstellung eines individuellen an Vorerkrankungen adaptierten Therapieplans, die regelmäßige klinische Untersuchung vor und während der Behandlung sowie die offene und ehrliche Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen sind weitere wichtige Grundvoraussetzungen. Durch ein differenziertes Therapieregime lässt sich bei den meisten Patienten eine zufriedenstellende Symptomkontrolle erzielen. Im Folgenden wird die Behandlung und Symptomkontrolle in der letzten Lebensphase anhand von Dyspnoe, Schmerzbehandlung, Behandlung des terminalen Rasselns sowie die Behandlung von Übelkeit/Erbrechen und Obstipation kurz dargestellt, um aufzeigen, welche Möglichkeiten bei Intensivpatienten hilfreich sein können, wobei sich auch hier intensivmedizinische und palliativmedizinische Behandlungsstrategien sinnvoll ergänzen.
14 14.4.1
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Kapitel 14 · Palliativmedizin in der Intensivmedizin
Dyspnoe
Dyspnoe, ein häufiges Symptom bei Patienten auf einer Intensivstation, ist das unangenehme subjektive Symptom der Atemnot, dessen Ausmaß nur der Patient selbst bestimmen kann. Dyspnoe ist oftmals von Tachypnoe, Angst, Unruhe und Panik begleitet. Intensivmedizinische Therapiestrategien beinhalten neben der invasiven bzw. nichtinvasiven Beatmung die medikamentöse Therapie der zugrundeliegenden Ursache sowie eine Behandlung mit Opioiden. Dyspnoe bei Intensivpatienten kann durch Pleuraergüsse, Lungenödem, chronische oder akute Atemwegsobstruktionen, Infektionen, kardiale Ursachen, aber auch durch primäre oder sekundäre Lungentumoren, Aszites, Anämie, oder postoperativ nach thorakalen oder abdominellen Eingriffen bedingt sein.
Opioiden erhält und in der Lage ist, Medikamente oral zu sich zu nehmen, ist die Anfangsdosierung 5–10 mg Morphin oral alle 4 h, bei regelmäßiger Opioidvormedikation zusätzlich 1/6–1/3 der bisherigen Tagesdosis. Bei der parenteralen intravenösen Applikation können Opioide sehr gut in niedrigen Dosierungen titriert werden, bis eine deutliche Symptomlinderung erfolgt oder Nebenwirkungen wie Sedierung eine Dosisreduktion erforderlich machen, wenn diese Nebenwirkung – anders als etwa in der Finalphase – nicht gewünscht ist. Bei Panikattacken ist die Kombination mit Anxiolytika wie Diazepam oder Lorazepam indiziert. Hier ist das rasch und stark anxiolytisch wirkende Lorazepam bei Bedarf oder regelmäßig alle 8 h 1–2,5 mg sublingual indiziert. Nichtmedikamentöse Strategien wie Entspannungsverfahren, Physiotherapie, ein offenes Fenster, eine ruhige Umgebung, Oberkörperhochlagerung, nicht beengende Kleidung und der Einsatz eines Ventilators können zusätzlich Erleichterung verschaffen. Die nasale Gabe von Sauerstoff ist selten, d. h. nur bei ausgeprägter Hypoxämie und Zyanose, sinnvoll. Bei Palliativpatienten führt meistens das Versagen der Atemmechanik und nicht der Sauerstoffmangel zur Dyspnoe.
14.4.2
Schmerzen
Schmerz ist auch bei Patienten in der letzten Lebensphase auf der Intensivstation ein häufiges Problem. Ähnlich wie in der Behandlung von Schmerzen bei Tumorerkrankungen gilt, dass neben einer möglichst kausalen Therapie der Schmerzen eine Schmerztherapie nach den Richtlinien des seit Jahren anerkannten Stufenschemas der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Schmerzlinderung erreicht werden kann, wobei der Einsatz starker Opioide eine herausragende Rolle spielt. Die Behandlung verliert auch in der letzten Lebensphase der Erkrankung nicht ihre Wirksamkeit. Die Auswahl der Analgetika erfolgt nach der Schmerzursache und der Stärke des Schmerzes. Analgetika werden schrittweise gegen den Schmerz titriert, wobei die Dosis so weit gesteigert wird, bis der Patient ausreichend schmerzreduziert ist.
Therapie Palliativmedizinische Behandlungsstrategien können in der Weaningphase indiziert sein, um zu einer Linderung der Dyspnoe und zur Symptomkontrolle beizutragen, wenn eine Entscheidung zum Therapieverzicht (Beatmung) gefallen ist. Ist eine Behandlung der Dyspnoe mit Opioiden indiziert, so zielt diese auf eine Reduktion der Atemfrequenz bei Tachypnoe und die Ökonomisierung der Atemarbeit ab, darüber hinaus auf die Beeinflussung der Reaktion des Patienten auf die Atemnot. > Die wichtigsten Substanzen zur Symptomkontrolle von Dyspnoe sind starke Opioide. Opioide bewirken eine größere Toleranz des Atemzentrums ge-
genüber erhöhten CO2-Werten und führen durch Senkung der Atemfrequenz zur Abnahme der Atemarbeit. Bei gleichem Atemminutenvolumen und gleichzeitig geringerer Atemfrequenz steigt das Atemzugvolumen und damit die alveoläre Ventilation. Zudem dämpfen Opioide über ihre Wirkung am limbischen System die emotionale Reaktion des Patienten auf die Atemnot. Die medikamentöse Behandlung besteht in der regelmäßigen Gabe von Morphin oder einem anderen starken Opioid wie z. B. Hydromorphon, das bei älteren Menschen aufgrund der niedrigeren Plasmaeiweißbindung sowie der geringeren Kumulation aktiver Metabolite bei Patienten mit Niereninsuffizienz Vorteile in Bezug auf das Nebenwirkungsspektrum bietet. Wenn der Patient opioidnaiv ist oder keine regelmäßige Schmerztherapie mit starken
Therapie nach dem WHO-Stufenschema 4 In der WHO-Stufe 1 werden Nichtopioide wie Novaminsulfon oder Antiphlogistika wie Ibuprofen verabreicht. Hier müssen bei Intensivpatienten die möglichen Kontraindikationen (z. B. Niereninsuffizienz und Nebenwirkungen, z. B. gastrointestinale Blutungen) beachtet werden. 4 In der 2. Stufe wird die Therapie durch ein mittelstarkes Opioid wie z. B. Tramadol oder Tilidin ergänzt. 4 Bei unzureichender Analgesie – bzw. bei starken Schmerzen bereits initial – werden starke Opioide verabreicht.
Opioide können auf vielfältige Weise invasiv und nichtinvasiv appliziert werden. Ist in der Tumorschmerztherapie die orale Gabe der Analgetika der Standard, so werden bei Intensivpatienten die starken Opioide häufig intravenös über Spritzenpumpen kontinuierlich verabreicht. Für die Schmerztherapie stehen zahlreiche starke Opioide (u. a. Buprenorphin, Fentanyl, Hydromorphon, Morphin, Oxycodon, Sufentanil) zur Verfügung.
139 14.4 · Symptomkontrolle
> Für alle starken Opioide gilt, dass durch eine Prophylaxe Nebenwirkungen in der Regel vermieden werden können.
Grundsätzlich muss die Basisdosierung des starken Opioides gegen den Schmerz titriert werden. Zusätzlich benötigen viele Patienten insbesondere für pflegerische oder physiotherapeutische Maßnahmen eine Bedarfsmedikation, deren Dosierung individuell titriert werden muss. Als Grundregel gilt ca. 1/6 der Tagesdosis. Häufig ist eine Dosisanpassung bei Zunahme der Schmerzen erforderlich.
14.4.3
Rasseln in der Terminalphase (»Death Rattle”)
starkem Erbrechen kann initial eine parenterale Gabe der Antiemetika sinnvoll sein.
Therapie 4 Bei gastrointestinal bedingter Übelkeit stellt Metoclopramid 30–60 mg/Tag das Medikament der 1. Wahl (Basisantiemetikum) dar. 4 Bei Übelkeit und/oder Erbrechen ausgelöst durch Erregung der Chemorezeptortriggerzone (CTZ) wird Haloperidol 3-mal 0,5 mg/Tag verabreicht. 4 Bei Erregung des Brechzentrums: Antihistaminikum Dimenhydrinat 3-mal 50 mg oral bzw. bis zu 2-mal 150 mg rektal.
Wird durch oszillierendes Sekret im Pharynx-Trachea-Bereich erzeugt. z Ursachen und Folgezustände 4 In der Finalphase ist kein ausreichendes Abhusten möglich, es erfolgt eine Retention von Bronchialsekret auch bei Patienten, die in der letzen Lebensphase extubiert wurden. 4 Terminales Rasseln führt zu Erstickungsangst beim Patienten und entsprechenden Befürchtungen bei den Angehörigen.
Therapie 4 Medikamentöse Therapie: – Morphingabe bzw. Erhöhung der bisherigen Dosis. – Anticholenergikum (z. B. N-Butylscopolamin Buscopan, ggf. Scopoderm TTS) 10–20 mg s.c. 6- bis 8-stündlich. – Sekretionshemmung. – Relaxierung glatter Muskulatur, zusätzlich Sedierung. 4 Naso-/oropharyngeale Absaugung nur kurzfristig erfolgreich, manchmal jedoch unvermeidlich. 4 Lagerung halbsitzend, 30 ° Seitlagerung.
14.4.4
Übelkeit und Erbrechen
z Ursachen 4 Afferente Impulse aus dem oberen Gastrointestinaltrakt an das Brechzentrum in der Formatio reticularis der Medulla oblongata. 4 Erregung von Chemorezeptoren in der Area postrema, der Medulla oblongata (Chemorezeptortriggerzone). 4 Vestibularisreizung, Hirndrucksteigerung und/oder psychische (visuelle oder olfaktorische) Stimuli.
Therapieansätze Die Therapie von Übelkeit und Erbrechen umfasst nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen. Zunächst sollte, wenn möglich, die Ursache behandelt werden (z. B. Obstipation, Infektionen, Husten, Schmerzen, Hyperkalzämie, erhöhter Hirndruck). Bei der symptomatischen Therapie kommen als antiemetisch wirksame Medikamente prokinetische Substanzen, Neuroleptika, Antihistaminika, Anticholinergika, 5HT3-Antagonisten, Glukokortikoide und Benzodiazepine zur Anwendung. Die Auswahl der Antiemetika erfolgt nach der auslösenden Ursache sowie der spezifischen Rezeptorwirkung. Die Medikation sollte regelmäßig, in ausreichender Dosierung und antizipativ verabreicht werden. Bei
14.4.5
Opioidbedingte Übelkeit und Erbrechen
Zu Beginn einer Opioidtherapie klagen etwa 20–30 % aller Patienten über Übelkeit und Erbrechen. Auslöser ist eine direkte Wirkung der Opioide auf: 4 die Chemorezeptortriggerzone (CTZ), 4 den Gastrointestinaltrakt (Gastrostase), 4 das Vestibularorgan. Eine Toleranzentwicklung und somit ein Nachlassen der Symptome tritt in der Regel nach 8–10 Tagen ein. Aufgrund der Häufigkeit von opioidbedingter Übelkeit und Erbrechen sollte bei Beginn einer Therapie mit starken Opioiden eine Prophylaxe mit Antiemetika durchgeführt werden.
Prophylaxe 4 Haloperidol 3-mal 0,5 mg/Tag (CTZ) 4 Metoclopramid 30–60 mg/Tag (Gastrostase/CTZ).
14.4.6
Obstipation
Das Symptom Obstipation ist bei Intensivpatienten ebenso wie bei Palliativpatienten ein multifaktorielles Geschehen. z Ursachen 4 Behandlung mit Opioiden und anderen obstipierend wirkenden Medikamenten. 4 Postoperativ. 4 Organische (u. a. Tumoren), metabolische (z. B. Hyperkalzämie) oder neurogene Ursachen. 4 Funktionelle Ursachen (u. a. ballaststoffarme Kost, geringe Flüssigkeitsaufnahme, Immobilität, Arzneimittel). Aufgrund dieser Probleme ist bei Intensivpatienten häufig eine Indikation für eine medikamentöse, symptomatische Therapie mit Laxanzien gegeben, da eine Umstellung auf eine ballaststoffreiche Kost, die Erhöhung der Trinkmenge und Steigerung der körperlichen Aktivität oft nicht möglich sind. Mit Beginn einer Therapie mit starken Opioiden muss in jedem Fall eine Obstipationsprophylaxe mit Laxanzien durchgeführt und über den gesamten Therapieverlauf beibehalten werden (keine Toleranzentwicklung).
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Kapitel 14 · Palliativmedizin in der Intensivmedizin
Therapie
Therapie
4 Laxanzien werden aufgrund der Pathophysiologie und Wirkungsweise appliziert. 4 Steigerung der Propulsion: Natriumpicosulphat (Laxoberal; 10–20 Trpf. initial) oder Bisacodyl (Dulcolax)-Supp. 4 Stuhlaufweichung: Macrogol (Movicol; 1–2 Beutel/Tag). 4 Mikroklysma und/oder Einlauf. 4 Methylnaltrexon (Relistor) subkutan bei opioidinduzierter Obstipation. 4 In Extremfällen: Amidotrizoate (Gastrografin) 50–100 ml oral nach Absprache mit den Radiologen. 4 Wenn notwendig, frühzeitig manuelle Ausräumung (ggf. unter Sedierung).
4 Allgemeinmaßnahmen wie Regulieren der Raumtemperatur, Luftbefeuchtung, lockere Baumwollkleidung, Nagel- und Hautpflege: Öl, Schüttelmixturen, Lotionen, Emulsionen, Steroidcremes. 4 Waschungen mit Essigwasser. 4 Bäder mit rückfettenden und juckreizstillenden Zusätzen (z. B. Balneum Hermal, Ölbad Cordes, Linola-Fett-Ölbad). 4 Beseitigung von Noxen und Stoffwechselstörungen. 4 Überprüfung der verabreichten (evtl. induzierenden) Medikamente. 4 Photochemotherapie: UV-Bestrahlung, PUVA=Psoralen (Meladinine)+UVA (z. B. bei Mykosis fungoides, Psoriasis). 4 Kausale Behandlung tumoröser Infiltrationen mit Strahlentherapie/Chemotherapie. 4 Medikamentöse Therapie: – Antihistaminika, sedierende Präparate bevorzugen: z. B. Clemastin (Tavegil 3-mal 1 mg/Tag), Pheniramin (Avil 3-mal 0,05 mg/Tag). – Bei opioidbedingtem Pruritus Opioidwechsel erwägen. – Opioidantagonisten niedrig dosiert, z. B. Naloxon (Narcanti) 1,7–2 mg i.v./Tag, Nalbuphin (Nubain) 60 μg/ kg KG/h. – Gabe von Propofol in subsedierender Dosis (Disoprivan) 1 mg i.v./kg KG/h. – Trizyklische Antidepressiva: Doxepin (Aponal, Sinquan) oder Amitryptilin (Saroten). – Bei urämisch bedingtem Juckreiz: Ondansetron (Zofran), einmalig 8 mg i.v., dann 2-mal 4 mg oral/Tag.
> Bei Intensivpatienten, die operiert wurden, muss eine Absprache mit den mitbehandelnden Chirurgen erfolgen.
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Die Anwendung der Laxanzien richtet sich auch nach Vortherapie und Auskultations- und Tastbefund (klinische Diagnostik von Subileus und Ileus).
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14.4.7
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Juckreiz bzw. Pruritus
Unangenehme Empfindung der Haut (und der angrenzenden Schleimhäute), die zum Kratzen zwingt und von Unruhe, Schlaflosigkeit, Angstgefühlen sowie nachfolgenden Hautläsionen, Kratzeffekten, Superinfektionen begleitet wird. Die Reizaufnahme, Leitung und Modulation über Strukturen erfolgen wie beim nozizeptiven System. Pruritus kann eingeteilt werden in 4 »Pruritus cum materia« (mit umschriebenen Hautveränderungen assoziiert) und 4 »Pruritus sine materia« (ohne solche Hautveränderungen). z Ursachen 4 Tumoröse Hautinfiltration (z. B. Lymphangiosis, NonHodgkin-Lymphome, Leukämien, Mykosis fungoides), 4 Paraneoplastisch (z. B. M. Hodgkin), 4 Primäre Hautkrankheiten (z. B. Psoriasis, Mykosen, atopische Dermatitis, Scabies), 4 Metabolisch (Urämie, Cholestase), 4 Allergien, 4 Medikamentös induziert, z. B. durch Opioide (bei systemischer Applikation, häufiger bei epiduraler und subarachnoidaler Applikation), 4 Durch Nichtopioide (NSAID, Flupirtin, Antidepressiva, Kalzitonin), 4 Durch Zytostatika (Hautrötung, -schuppung), 4 Allergische Reaktionen auf Medikamente (allgemein).
14.4.8
Pflegerische und komplementäre Maßnahmen
In der Symptomkontrolle in der letzten Lebensphase sind pflegerische Maßnahmen, wie Mundpflege bei Mundtrockenheit oder Quarkwickel bei Lymphödem, Einreibungen oder Waschungen bei starkem Schwitzen oder Juckreiz, aber auch zahlreiche andere komplementäre Verfahren wie Auflagen, gelegentlich Akupressur oder Akupunktur, bei den unterschiedlichsten Symptomen eine sinnvolle Ergänzung der medikamentösen Behandlung. Die Kombination verschiedener Behandlungsverfahren erweitert nicht nur das Wirkungsspektrum, sondern hat oftmals auch Einfluss auf das Ausmaß der Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie.
14.5
Ethische Entscheidungen in der Intensivmedizin
Nicht nur in der Palliativmedizin, sondern auch in anderen Bereichen wie der Intensivmedizin zeigt sich eine zunehmende Auseinandersetzung mit der möglichen Inkurabilität einer Erkrankung. Nicht zuletzt angeregt durch die gesellschaftliche Diskussion über Tod und Sterben, die Debatte zur aktiven Sterbehilfe oder den ärztlich assistierten Suizid, verleihen Patienten ihrer autonomen Willensentscheidung durch Vorausverfügungen (Patientenverfügung bzw. Vorsorgevollmacht) Ausdruck. > Der aktuell erklärte Wille des Patienten ist für die Behandlung bindend.
141 14.5 · Ethische Entscheidungen in der Intensivmedizin
Die Auseinandersetzung mit den Wünschen und dem Willen des Patienten und Fragen nach einer etwaigen Therapiezieländerung oder -begrenzung erfordern ein hohes Maß an kommunikativer Kompetenz und klinischer Abwägung. In Ergänzung zu einer eher klinisch orientierten Kooperation unterschiedlicher Fachrichtungen, die in die Behandlung des Patienten involviert sind, wurden in Deutschland zur Unterstützung des klinischen Entscheidungsprozesses Strukturen der klinischen Ethikberatung (Konsil, Fallbesprechung, Komitee) etabliert. Darüber hinaus leisten palliativmedizinische Versorgungseinrichtungen mit ihrem interdisziplinären und multiprofessionellen Behandlungsansatz auch auf Intensivstationen [13] und in der Notfallmedizin [14] Unterstützung bei der vorausschauenden Planung, der moderierenden Strukturierung und der ethischen Bewertung klinischer Entscheidungssituationen. Die Entscheidungsfindung ist gerade bei der Behandlung von Patienten auf einer Intensivstation nicht immer leicht. Je jünger der behandelnde Arzt ist, umso mehr neigt er dazu, alle Potenziale auszuschöpfen, die der Intensivmedizin zur Verfügung stehen. Es bedarf gleichermaßen ärztlicher wie menschlicher Erfahrung, die Grenzen eines sinnvollen Einsatzes intensivmedizinischer Maßnahmen zu erkennen, die sich nicht nur an ökonomischen Kriterien orientieren, sondern an der Wiederherstellung eines für den betroffenen Menschen akzeptablen Gesundheitszustandes. Entscheidungen bedeuten immer auch Urteilsbildung, Respektierung individueller Werte, Begleitung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Entscheidungen möglichst im multidisziplinären Team nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen, kann aber auch bedeuten, zu akzeptieren, dass man im Einzelfall auch einmal eine falsche Entscheidung trifft. Die Dilemmata zwischen ärztlichem Ethos und der Autonomie des Patienten oder zwischen Lebenserhaltungsprinzip und subjektiver Lebensqualität manifestieren sich in Intensiv- und Palliativmedizin mit unterschiedlicher Gewichtung, dennoch ist es in beiden Arbeitsfeldern dringend geboten, sich mit ethischen Problemen in Grenzsituationen auseinanderzusetzen.
14.5.1
Wege der Entscheidungsfindung in der Intensivmedizin
Im Grenzbereich zwischen Leben und Sterben bedarf es insbesondere im Spannungsfeld von medizinischen Möglichkeiten, sozialen Interessen, gesellschaftlichen Prioritäten und individuellen Erwartungen einer Orientierungshilfe [3]. Jedoch ist die Beurteilung, ob der Sterbeprozess eines Menschen bereits begonnen hat und ob Maßnahmen eine Verlängerung des Sterbens oder des Lebens bedeuten würden, nicht nur in der Intensivmedizin häufig schwierig. Zudem wird nicht selten berichtet, dass Ärzte sich mit einem Behandlungsverzicht u.a. aus Angst vor juristischen Konsequenzen und Furcht vor Vorwürfen Angehöriger oder Vorgesetzter schwer tun und eher den » sicheren« Weg der Maximaltherapie wählen. Ärzte müssen sich vergegenwärtigen, dass Heileingriffe nach gültiger Rechtsprechung den (äußeren) Tatbestand der Körperverletzung erfüllen. Dies gilt selbst dann, wenn der Eingriff vital indiziert und dringend ist, lege artis durchgeführt wird und in jeder Hinsicht erfolgreich verläuft [20]. Das Selbstbestimmungsrecht des bewusstseinsklaren Patienten muss respektiert werden, auch wenn der Patient einen lebensrettenden oder lebensverlängernden Eingriff ablehnt [17]. In der Intensivbehandlung nimmt infolge demographischer Entwicklungen sowie aufgrund der Fortschritte der Medizin die Zahl nicht einwilligungsfähiger Patienten zu. Gleichzeitig müssen Ärzte sich nicht nur in der Intensivmedizin mit der Tatsache ausei-
nandersetzten, dass verbindlich gültige Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten oder Betreuungsverfügungen von Angehörigen oder Betreuern vorgelegt werden. Hierdurch kann der Patient auch für den Fall, dass er sich nicht (mehr) mündlich äußern kann, sein Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen und Einfluss auf eine medizinische Behandlung nehmen. > Ärztliches Handeln ist an die medizinische Indikation und die Zustimmung des Patienten gebunden – und damit auch an den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen.
Die seit 1. September 2009 gültige Gesetzgebung zur Patientenverfügung bekräftigt die Verbindlichkeit, wobei deutlich wird, dass, je konkreter eine Patientenverfügungen inhaltlich gestaltet ist, desto eher auch die Chance besteht, dass sie adäquat umgesetzt wird. Ein unreflektiertes Abarbeiten eines in einer Patientenerklärung vor Monaten oder Jahren festgehaltenen Willens könnte jedoch dazu führen, dass sich der Arzt bei Vorliegen einer Patientenverfügung nicht mehr aufgefordert sieht, den individuellen Patientenwillen in der jetzt gegebenen, konkreten Situation zu ermitteln [12]. Um dem vorzubeugen, hat der Gesetzgeber in § 1901b BGB auf die Bedeutung eines Gesprächs mit Betreuer, Vorsorgebevollmächtigtem, Verwandten oder nahestehenden Personen zur Ermittlung des Patientenwillens hingewiesen. Für die Erstellung einer Patientenverfügung empfiehlt es sich, diese nicht ohne ein ausführliches Informationsgespräch mit dem betreuenden Arzt zu verfassen [7]. Jedoch haben sich nicht alle Menschen über ihre Erwartungen bezüglich der menschlichen und medizinischen Betreuung und Versorgung am Lebensende und/oder bei lebensbedrohlichen Erkrankungen Gedanken gemacht. Forensischen Problemen bei Nichteinwilligungsfähigkeit kann durch eine rechtzeitige Bestimmung eines Vorsorgebevollmächtigten/Betreuers in der Behandlung von Intensivpatienten begegnet werden. Kann zwischen Ärzten und Vorsorgebevollmächtigtem/Betreuer keine Einigkeit über die weitere Behandlung erzielt werden, so können Einwilligungen in medizinische Eingriffe durch das Vormundschaftsgericht erteilt oder untersagt werden. Auch wenn nach der neuen Gesetzgebung die Bindungskraft an eine zuvor schriftlich festgelegte Patientenverfügung für eine Situation, die auf die aktuelle Behandlungssituation zutrifft, unumstritten ist, so bleibt doch fraglich, inwieweit bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten der zuvor schriftlich festgelegte Wille, lebenserhaltende Maßnahmen in bestimmten Situationen zu unterlassen, tatsächlich noch so vom Patienten gewünscht ist; dies besonders unter dem Aspekt, dass es für Menschen schwierig ist, Entscheidungen, die Gesundheit oder Krankheit betreffen, zu antizipieren. Umfragen bei chronisch Kranken weisen, wie etwa eine Studie von Eibach und Schaefer, einen Prozentsatz von fast 90 % der Befragten auf, die sich am Lebensende vertrauensvoll in die Fürsorge ihrer Ärzte und Angehörigen begeben möchten [4]. Im Unterschied zum Gesunden, der bei einer Befragung ein theoretisches, antizipiertes Szenario entwirft, vor dessen Hintergrund er seine Antwort formuliert, hat der Kranke im Laufe seiner Erkrankung eine Entwicklung durchgemacht, in der die meisten Menschen ihre Vorstellungen und Wünsche ihren realistischen Möglichkeiten anpassen (Gap-Theorie) und durchaus Lebensqualität empfinden [2]. Dieses Wissen darf bei der Beurteilung des »mutmaßlichen Willens« nicht außer Acht gelassen werden [13]. Hilfreich sind die Hinweise zum Umgang mit Therapieentscheidungen am Lebensende, die in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung aufgeführt werden. Dabei wird deutlich, dass Lebensverlängerung nicht in jedem Fall und
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Kapitel 14 · Palliativmedizin in der Intensivmedizin
nicht mit allen Mitteln das ausschließliche Ziel ärztlichen Handelns sein kann und darf [5]. Bei einer Änderung des Therapieziels bestehen unterschiedliche Entscheidungsoptionen, die nur nach sorgfältiger Prüfung der aktuellen Situation und bei nicht entscheidungsfähigen Patienten, wenn möglich, im Konsens der Behandelnden mit den Betreuenden und Angehörigen eines Patienten im multidisziplinären Team im Sinne eines »ethischen Fallgesprächs« getroffen werden sollten. Solche Entscheidungen erfordern weit mehr als medizinisches Wissen. > Die Einschätzung der aktuellen klinischen Situation und der Prognose unter Berücksichtigung des Willens des Patienten, des psychosozialen und familiären Umfeldes ist wesentliche Voraussetzung für eine nicht nur medizinisch adäquate, sondern auch für eine medizinisch-ethisch vertretbare Entscheidung.
Entscheidungsoptionen sind hierbei die Entscheidungen zu 4 Therapieverzicht (Nichtbeginnen einer möglichen intensivmedizinischen Therapie), 4 Einfrieren der begonnenen Therapie oder 4 Therapieerhalt bei kritischer Prognose und geringen Überlebenschancen (Nichterweitern einer intensivmedizinischen Behandlung, z. B. Dialyse, Reanimation), 4 Therapiereduktion, wenn keine Überlebenschance mehr besteht (Beendigung einer Therapie mit Katecholaminen, Beatmung mit 21 % O2 und optimale Basisversorgung) oder 4 Therapieabbruch am Lebensende (Beenden einer das Sterben verlängernden Therapie bei infauster Prognose). Voraussetzung für die Durchführung jeglicher medizinischer Behandlung ist jedoch, dass eine Indikation für die Therapie besteht oder weiterhin besteht. Das »ethische Fallgespräch« stellt für den behandelnden Arzt eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine medizinische Behandlung dar. Letztendlich steht jedoch der betreuende Arzt als Mensch und als juristisch verantwortliche Person vor einer Entscheidung, die ihm keine Gruppe und kein Angehöriger abnehmen kann, es sei denn, ein Vorsorgebevollmächtigter oder Betreuer ist schriftlich benannt, oder bei Dissens mit dem Bevollmächtigten/Betreuer hat das Vormundschaftsgericht entschieden. Eine Entscheidung hin zu einer Änderung des Therapieziels (Therapieverzicht, Einfrieren der Therapie oder Therapieabbruch) darf jedoch nicht das Ende aller therapeutischer Maßnahmen bedeuten, sondern erfordert auch in der Intensivmedizin die Begleitung und Betreuung des Sterbenden und Schwerkranken mit infauster Prognose im Sinne der Palliativmedizin.
gleichwertige Elemente unter Beachtung palliativmedizinischer Prinzipien; das bedeutet auch die Einbeziehung des Patienten und seiner Angehörigen im Sinne von »shared decision making« und »comfort care« unter Berücksichtigung physischer, psychischer, sozialer und spiritueller Gesichtspunkte im multidisziplinären Team. Wesentlich ist es, den Übergang von »cure to care« zu erkennen und zu vermitteln, wenn eine Lebensverlängerung und Widerherstellung lebensbedrohlich gestörter Organfunktionen nicht möglich ist, der Krankheitsverlauf nicht mehr abwendbar ist und der Tod nahe bevorsteht. Eine Entscheidung für die Fortführung einer Behandlung oder die Anordnung einer erneuten Diagnostik fällt, so zeigt sich im klinischen Alltag, nicht selten leichter als eine Entscheidung hin zu einer Therapiezieländerung, die auch den Abbruch einer Behandlung umfassen kann. In unklaren Situationen bei nicht entscheidungsfähigen Patienten und wenn im Behandlungsteam kein Konsens besteht, ist das » ethische Fallgespräch ein sinnvolles Instrument, um die bestmögliche und angemessene Behandlung für die Patienten zu ermitteln. Mit ihrem ganzheitlichen Behandlungsansatz hat die Palliativmedizin neue Wege in der umfassenden Betreuung schwerkranker und sterbender Menschen beschritten, die gerade in der Behandlung von Intensivpatienten eine sinnvolle Ergänzung darstellen können.
Literatur 1
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Zusammenfassung Palliativmedizin in der Intensivmedizin widerspricht sich nicht, auch wenn Aufgaben, Konzepte und Ziele ursprünglich unterschiedliche medizinische Bereiche betreffen. In beiden Bereichen haben Schmerztherapie und Symptomkontrolle, Leidenslinderung, offene Kommunikation im Team, Aufklärung und Übermittlung schlechter Nachrichten, intensive Patienten- und Angehörigenbegleitung und Auseinandersetzung in Grenzbereichen des Lebens und der Medizin sowie Entscheidungsfindung in schwierigen ethischen Fragestellungen eine hohe Priorität, höher als in anderen Bereichen der Medizin. Die Kunst liegt darin, zur richtigen Zeit die jeweils beste, ethisch und medizinisch gebotene Entscheidung mit dem (oder im Sinne des) Patienten für den Patienten zu gewährleisten. In Anlehnung an einen Beschluss der 5th International Conference in Critical Care in Brüssel 2003 gehört zu einer optimalen Betreuung des Intensivpatienten die Konzentration auf »cure, care and comfort« als
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145
Diagnostik und Überwachung Kapitel 15
Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
Kapitel 16
Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring
Kapitel 17
Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Kapitel 18
Labordiagnostik in der Intensivmedizin
II
147
Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter W. Wilhelm, R. Larsen, H. Pargger, S. Ziegeler, F. Mertzlufft 15.1
Einleitung – 148
15.2
Herz-Kreislauf-Funktion: Basismonitoring – 148
15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.2.4
Inspektion, Palpation und Auskultation – 148 Kontinuierliche EKG-Überwachung – 148 Indirekte Blutdruckmessung – 150 Arterielle Katheter und invasive Blutdruckmessung – 151
15.3
Venenkatheter und zentraler Venendruck – 153
15.3.1 15.3.2 15.3.3
Allgemeines – 153 Volumensubstitution und periphere Venenkanülierung – 153 Zentrale Venenkatheter – 154
15.4
Pulmonalarterienkatheter – 160
15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5
Allgemeines – 160 Indikationen – 161 Kathetertypen – 161 Punktionsorte und Einführungstechnik – 161 Erhebung und Interpretation hämodynamischer Messwerte – 164
15.5
HZV-Messung durch arterielle Pulskonturanalyse und andere Verfahren – 166
15.5.1 15.5.2 15.5.3
PiCCOplus-Monitor – 167 LiDCO-System – 169 FloTrac-Sensor und Vigileo-Monitor – 169
15.6
Atemfunktion – 171
15.6.1 15.6.2 15.6.3
Überwachung der respiratorischen Funktion – 171 Pulsoxymetrie – 171 Kapnometrie – 173
15.7
Analyse der arteriellen Blutgase – 174
15.7.1 15.7.2 15.7.3 15.7.4 15.7.5 15.7.6 15.7.7 15.7.8 15.7.9 15.7.10
Probenentnahme – 174 Aufbewahrung und Verarbeitung der Proben – 175 Sauerstoffpartialdruck – 175 Sauerstoffsättigung des Blutes – 175 Sauerstoffbindungskurve – 176 Physikalisch gelöster Sauerstoff – 176 Sauerstoffgehalt im Blut – 176 Sauerstoffangebot an die Organe – 176 Alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz – 177 Störungen des arteriellen Sauerstoffstatus – 177
Literatur – 177
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_15 ,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
15
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
148
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
15.1
Einleitung
Die Überwachung umfasst die Beobachtung, Messung und Registrierung veränderlicher Funktionen des Intensivpatienten. Ihr wesentliches Ziel ist die frühzeitige Erkennung von Störungen des physiologischen Gleichgewichts und die Erfolgskontrolle therapeutischer Maßnahmen. Die Überwachung muss zielgerichtet und systematisch erfolgen, nicht zufällig oder willkürlich, weil die Überwachungsgeräte zur Verfügung stehen. Die erhobenen Befunde und Messdaten müssen zuverlässig sein, da sie häufig die Grundlage für therapeutische Entscheidungen darstellen. Alle Überwachungsmaßnahmen müssen sinnvoll, unter Abwägung von Nutzen, Risiken und Kosten, auf den jeweiligen Bedarf abgestimmt werden. Das stereotype Ansammeln unzähliger Daten lenkt von der klinischen Beobachtung des Patienten ab, erschwert die integrative Beurteilung des Zustands und behindert im ungünstigen Fall den therapeutischen Entscheidungsprozess. z Was soll überwacht werden? Beim kritisch kranken Intensivpatienten sind häufig mehrere Organfunktionen gefährdet oder beeinträchtigt, sodass zumeist ein umfangreiches Überwachungsprogramm erforderlich ist. Im Mittelpunkt stehen hierbei naturgemäß die sog. Vitalorgane, d. h. die Funktion des Herz-Kreislauf-Systems und der Lunge, ergänzt durch Erfassung einer Vielzahl weiterer Variablen und Parameter.
Überwachung physiologischer Variablen beim Intensivpatienten (Auswahl) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Herzfrequenz und Rhythmus (EKG) Arterieller Blutdruck Zentraler Venendruck Pulmonalarteriendrücke, Wedgedruck Herzzeitvolumen und abgeleitete hämodynamische Größen Intrathorakale Volumina Atemfrequenz, Atemtyp Arterielle Blutgase und O2-Sättigung, O2-Gehalt und -transport Säuren-Basen-Parameter Hämoglobin, Hämatokrit Serumelektrolyte Nierenfunktionsparameter Blutgerinnung, Thrombozyten Leberenzyme Körpertemperatur Intrakranieller Druck EEG, prozessiertes EEG
15 15 15 15 15 15
15.2
Herz-Kreislauf-Funktion: Basismonitoring
Die Überwachung der Herz-Kreislauf-Funktion erfolgt klinisch und apparativ, wobei sich die Invasivität der Überwachungsmaßnahmen in erster Linie nach dem hämodynamischen Funktionszustand des Intensivpatienten richtet. Ist die Herz-Kreislauf-Funktion unbeeinträchtigt und sind kurzfristig keine wesentlichen Störungen zu erwarten, genügt die klinische Einschätzung, ergänzt durch nichtinvasive Standardverfahren wie EKG und indirekte Blutdruckmessung. Demgegenüber erfordern schwerwiegende hämodynami-
sche Störungen, Sepsis oder Schock den großzügigen Einsatz invasiver Verfahren bis hin zum Pulmonalarterienkatheter.
Überwachung der Herz-Kreislauf-Funktion beim Intensivpatienten 4 Basismonitoring – Herzfrequenz und -rhythmus: EKG-Monitor – Arterieller Blutdruck – Zentraler Venendruck 4 Erweitertes Monitoring – Pulmonalarteriendrücke, Wedgedruck – Druck im linken Vorhof – Herzzeitvolumen; intrathorakale Volumina – Pumpfunktion, Kontraktilität, Klappenfunktion (mit Echokardiographie)
15.2.1
Inspektion, Palpation und Auskultation
Diese einfachen Verfahren sind zwar weniger genau als invasive Methoden und erfordern eine größere Erfahrung des Untersuchers, gehören aber nach wie vor zu den unverzichtbaren Routinemaßnahmen, die täglich – auch wiederholt – angewandt werden müssen, um den Zustand des Patienten einzuschätzen. Inspektion. Die Inspektion ermöglicht meist nur eine grobe Orientierung über die Herz-Kreislauf-Funktion. Überprüft werden die Bewusstseinslage des Patienten, Hautfarbe der Extremitäten, Kapillardurchblutung (Nagelbett), Ödeme, gestaute Halsvenen, Hydratationszustand der Schleimhäute usw. Palpation. Schwache, schnelle oder fehlende periphere Pulse zu-
sammen mit kalten Extremitäten sind Zeichen der Hypovolämie oder des Schocks. Starke respiratorische Schwankungen der Pulsamplitude weisen auf Hypovolämie oder Herztamponade hin und bedürfen der apparativen diagnostischen Abklärung. Auskultation. Zur vollständigen klinischen Untersuchung des
Herzens gehört auch beim Intensivpatienten die Auskultation. Hiermit können Herzrhythmus und -frequenz festgestellt werden, weiterhin Störungen der Herzklappenfunktion sowie pathologische Herzgeräusche.
15.2.2
Kontinuierliche EKG-Überwachung
Störungen der Herzfrequenz, des Herzrhythmus und der Koronardurchblutung gehören zu den häufigen Komplikationen bei Intensivpatienten. Um diese Störungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können, wird beim Intensivpatienten routinemäßig eine kontinuierliche EKG-Überwachung durchgeführt. Auf der Intensivstation werden hierfür in der Regel Multifunktionsmonitore eingesetzt, mit denen mehrere physiologische Variablen überwacht werden können, z. B. Blutdruck (nichtinvasiv/invasiv), Herzfrequenz, O2-Sättigung (Pulsoxymetrie), endexspiratorischer pCO2 (Kapnometrie), Atemfrequenz, EEG, intrakranieller Druck, Temperatur.
149 15.2 · Herz-Kreislauf-Funktion: Basismonitoring
Mit dem EKG-Monitor feststellbare Störungen der Herzfunktion 4 4 4 4 4 4 4 4
Störungen der Herzfrequenz: Bradykardie/Tachykardie Störungen des Herzrhythmus: supraventrikulär/ventrikulär Myokardischämie, Myokardinfarkt Blockbilder Kardiale Nebenwirkungen von Pharmaka Kardiale Wirkungen von Elektrolytstörungen Störungen der Herzschrittmacherfunktion Herzstillstand: Kammerflimmern, Asystolie, elektromechanische Entkoppelung
Die EKG-Ableitung beim Intensivpatienten unterliegt zahlreichen Störfaktoren, die zu einer Beeinträchtigung der Signalqualität mit entsprechenden Fehldeutungen des erhaltenen Bildes führen können. Um verwertbare EKG-Signale zu erhalten, müssen die einzelnen Komponenten des Systems »optimiert« werden.
Vorbereitung des Patienten Das von der Haut abgeleitete EKG-Signal ist sehr klein; die Amplitude beträgt lediglich 0,5–2 mV. Wichtig ist daher eine sorgfältige Vorbereitung der Haut, damit die Elektroden gut haften und der Hautwiderstand vermindert wird. Haare über der Ableitungsstelle müssen zunächst entfernt werden, ebenso alle Rückstände und Verunreinigungen wie Fett, Blut usw. Hierbei empfiehlt sich die Reinigung mit Alkohol und die anschließende Trocknung der Haut.
Elektroden In der Intensivmedizin werden zumeist Hautelektroden verwendet; Nadelelektroden sind speziellen Indikationen vorbehalten, z. B. schweren Verbrennungen. Hautelektroden sind in der Regel Einmalklebeelektroden mit aufgetragenem Elektrodengel, das die Epidermis penetriert und den Hautwiderstand herabsetzt. Ein gutes Elektrodensystem ist erforderlich, damit der elektrische Impuls störungsfrei auf den Monitor übertragen wird. Die Grundlinie des EKG muss stabil und artefaktfrei sein, der QRS-Komplex ausreichend hoch (damit Frequenzfehler und Alarmsystem korrekt funktionieren) und die P-Wellen deutlich erkennbar. Eingetrocknetes Gel aufgrund unsachgemäßer Lagerung der Elektroden oder Einwirkung von Hitze erhöht den Hautwiderstand und führt zu instabiler Grundlinie und Interferenzen mit 50 HzSignalen anderer elektrischer Geräte. Die korrekte Platzierung von Elektroden ist besonders wichtig, um ein maximales EKG-Signal mit geringst möglichen Störungen zu erhalten. Knochenvorsprünge, Gelenke und Hautfalten sind für die Elektrodenplazierung nicht geeignet. Artefakte durch Muskelaktivität oder Muskelzittern sowie Haut- und Atembewegungen müssen vermieden werden. Weiterhin sollten an einem Patienten stets nur Elektroden des gleichen Herstellers verwendet werden.
Ableitungssystem Die American Heart Association empfiehlt die Analyse von mindestens 2, bevorzugt aber 3 Ableitungen für die kontinuierliche Überwachung des EKG. Wichtigste Ziele dieser Erweiterung der Ableitsysteme sind: 4 Erkennung von P-Wellen, 4 Beurteilbarkeit der Herzachse, 4 Unterscheidung zwischen ventrikulären und supraventrikulären Rhythmusstörungen oder Extrasystolen, 4 bessere Charakterisierung von ST-Segment-Veränderungen.
z Ableitung II Bei dieser Ableitung werden die Potentialdifferenzen zwischen rechtem Arm und linkem Bein gemessen. Die Achse der Ableitung verläuft parallel zur Achse zwischen Sinus- und AV-Knoten, entsprechend groß und leicht auffindbar ist daher die P-Welle. Die Ableitung II ermöglicht somit eine Identifizierung von P-Wellen und die Differenzierung zwischen supra- und ventrikulären Rhythmusstörungen. Myokardischämien im Hinterwandbereich sind erkennbar. z V1-Ableitung Hierbei befinden sich 4 Elektroden jeweils an den Extremitäten, die 5. Elektrode im 4. Interkostalraum rechts vom Sternum. Bei dieser Ableitung sind P-Welle und QRS-Komplex besonders deutlich zu erkennen. z MCL1-Ableitung Hierbei handelt es sich um eine modifizierte (bipolare) V1-Ableitung. Die positive Elektrode befindet sich in V1-Position rechts vom Sternum im 4. ICR, die linke Elektrode in Nähe der Schulter oder unter der linken Klavikula. Am EKG-Monitor wird der Schalter auf Ableitung II eingestellt. Mit dieser Ableitung können gut Herzrhythmusstörungen und Erregungsleitungsstörungen beurteilt werden. z Ableitung V5 Die Ableitung V5 dient der Erkennung von Myokardischämien, insbesondere im Vorderseitenwandbereich. Hierbei wird die V5-Elektrode im 5. ICR in der vorderen Axillarlinie platziert. Zusammen mit der Ableitung II können ischämische ST-Segmentveränderungen mit einer relativen Sensitivität von 80 % (bei Vergleich mit einem 12-Kanal-EKG) erkannt werden. Die Ableitung V5 gilt allen anderen Ableitungen gegenüber in der Erkennung von Myokardischämien als überlegen. z Modifizierte V5-Ableitung Verfügt der Monitor nur über 3 Ableitungen, so kann die Elektrode für den linken Arm in V5-Position gebracht und der Schalter des Monitors auf Ableitung I gestellt werden. Hierdurch ergibt sich eine modifizierte V5-Ableitung, die für die Erkennung von Myokardischämien gut geeignet ist. Durch einfaches Betätigen des Schalters kann beim Auftreten von Rhythmustörungen, ohne Neuplazierung der Elektroden, die Ableitung II eingestellt werden.
Monitor Die beim Intensivpatienten eingesetzten EKG-Monitore dürfen nur wenig störanfällig sein, besonders gegenüber elektromagnetischen Feldern anderer Geräte (z. B. Infusionspumpen, Spritzenpumpen) oder statischen Aufladungen. Geringe Störanfälligkeit geht allerdings häufig mit Beeinträchtigungen der Signalwiedergabe einher. Moderne EKG-Monitore enthalten Speicheroszilloskope, auf denen das EKG während des Durchlaufs gespeichert wird. Beim Erreichen des Bildrands wird die Kurve gelöscht oder für kurze Zeit gespeichert, sodass Arrhythmien kurz nach ihrem Auftreten erneut abgerufen werden können. Bei den meisten Monitoren kann das EKG-Bild auf dem Schirm »eingefroren« und dann genauer analysiert werden. Bei 2-Kanal-Speicheroszilloskopen ist das Bild auf dem zweiten Kanal sogar beliebig lange zu speichern. Einige Monitore verfügen zusätzlich über einen Schreiber, der sich zu vorgewählten Zeitpunkten oder durch Erreichen vorgegebener Alarmgrenzen einschaltet und das EKG registriert. Alle Monitore weisen einen Herzfrequenzzähler auf, der die Herzfrequenz aus den R-Zacken oder (fälschlich) den jeweils
15
150
15 15 15 15 15 15 15 15 15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
höchsten Ausschlägen der EKG-Kurve entnimmt und digital anzeigt, gewöhnlich in Verbindung mit einem akustischen Signal. Die Herzfrequenz kann außerdem über die arterielle Druckkurve oder über das Plethysmogramm des Pulsoxymeters bestimmt werden. z Computerunterstützte Analyse Zahlreiche Monitore ermöglichen eine automatisierte, kontinuierliche Analyse des Herzrhythmus und des ST-Segments und damit eine vom Überwacher unabhängige Erkennung von Rhythmusstörungen und Myokardischämien. Die derzeit eingesetzten Systeme sind allerdings nicht absolut verlässlich.
Bei der kontinuierlichen EKG-Überwachung können zahlreiche Artefakte auftreten, die auf Funktionsstörungen oder falschen Anschlüssen des Systems beruhen. Wichtigster Störfaktor sind elektromagnetische Interferenzen, durch die das normale EKG-Bild verloren geht. Respiratorische Schwankungen können ebenfalls das EKG beeinflussen, bedingt durch Verschiebungen des Mediastinums oder Veränderungen der Herzvolumina während des Beatmungszyklus. Betroffen ist v. a. die Höhe des QRS-Komplexes.
15 15
Typische EKG-Störungen und ihre wichtigsten Ursachen sind in der 7 folgende Übersicht zusammengefasst.
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Indirekte Blutdruckmessung
Die arterielle Blutdruckmessung ist essenzieller Bestandteil der Überwachung eines Intensivpatienten. Der arterielle Blutdruck gilt als Indikator des allgemeinen hämodynamischen Status, weist aber keine oder nur eine geringe diagnostische Spezifität auf, da eine komplexe Beziehung zwischen Blutdruck, Blutfluss und Blutvolumen besteht.
Mittlerer arterieller Blutdruck=Herzzeitvolumen × peripherer Gefäßwiderstand
Störungen der EKG-Überwachung
! Cave Erscheint kein EKG-Signal auf dem Monitor, sollte zuerst der Patient überprüft werden, danach das Gerät!
15
15.2.3
Störungen des EKG und deren wesentliche Ursachen 4 Grundlinie wandert, EKG-Bild fehlt: – Empfindlichkeit zu gering eingestellt – Falsche Ableitung eingestellt – Patienten- und/oder Elektrodenkabel defekt 4 Wandernde oder unregelmäßige Grundlinie: – Bewegungen des Patienten – Muskelzittern – Ungenügende Hautreinigung – Einfluss von Wechselstrom – Elektrodengel ausgetrocknet – Elektroden falsch platziert – Patienten- und Stromkabel berühren sich 4 EKG-Amplitude zu klein: – Größenkontrolle am Monitor zu klein eingestellt – Elektrodengel ausgetrocknet – Elektroden falsch platziert 4 EKG-Bild wird unterbrochen: – Elektrodendraht gerissen – Elektroden falsch platziert – Patientenkabel defekt 4 Herzfrequenzmonitor alarmiert ständig: – Frequenzalarm zu nahe an Herzfrequenz des Patienten eingestellt – Elektroden falsch platziert (zu niedrige R-Zacke) – Kabel defekt – Instabile Grundlinie
Häufige Ursachen eines niedrigen Blutdrucks beim Intensivpatienten sind Blut- und/oder Flüssigkeitsverluste, Herzinsuffizienz, Trauma oder Sepsis, während ein hoher Blutdruck häufig als Ausdruck einer »Stressreaktion« gewertet wird. Als normal gelten beim Jüngeren Blutdruckwerte von 120/80 mm Hg. Im Alter zeigt sich eine ansteigende Tendenz. Es gelten systolische Werte ab 140 mm Hg und/oder diastolische Werte ab 90 mm Hg als Hypertonie.
Art der Messung Der arterielle Blutdruck kann indirekt oder direkt gemessen werden. Die indirekten Verfahren sind einfach und nichtinvasiv, die direkten hingegen invasiv und apparativ aufwendig. Mit der indirekten Methode werden systolischer (psyst) und diastolischer (pdiast) Blutdruck gemessen, während der mittlere arterielle Druck (MAP) aus den so bestimmten Werten nach folgender Formel berechnet wird:
MAP =
psyst+2·pdiast 3
= pdiast +
1 3
(psyst–pdiast)
Für die nichtinvasive Blutdruckmessung werden verschiedene Verfahren eingesetzt; allen gemeinsam ist derzeit die Verwendung einer aufblasbaren Manschette, die naturgemäß lediglich eine Intervallmessung ermöglicht. > Die indirekte Blutdruckmessung kann bei allen hämodynamisch stabilen Patienten, bei denen nicht mit schweren Störungen der Herz-Kreislauf-Funktion gerechnet werden muss, eingesetzt werden. Hingegen sollte bei instabiler Herz-Kreislauf-Funktion die direkte Messung wegen ihrer größeren Genauigkeit und der kontinuierlichen Erfassung der Blutdruckwerte bevorzugt werden.
Oszillationsmethode Diese Technik in ihrer automatisierten Form wird derzeit am häufigsten eingesetzt. Zunächst wird die Manschette über den systolischen Druck hinaus aufgeblasen, danach langsam abgelassen. Der systolische Blutdruck entspricht hierbei dem erstmaligen Auftreten von Oszillationen der Manometernadel, der mittlere arterielle Druck den maximalen Ausschlägen und der diastolische Druck dem schlagartigen Kleinerwerden oder Verschwinden der Osziallationen. Bei Hypotension, Hypovolämie oder enger Pulsamplitude wird häufig nur der arterielle Mitteldruck angezeigt. Bei hohen Blutdruckwerten werden möglicherweise zu niedrige systolische und mittlere Drücke angezeigt, bei Hypotension zu hohe.
151 15.2 · Herz-Kreislauf-Funktion: Basismonitoring
Genauigkeit der indirekten Messung Die Genauigkeit der indirekten Blutdruckmessung kann durch zahlreiche Faktoren beeinträchtigt werden. Hierzu gehören v. a.: 4 falsche Größe und Platzierung der Manschette, 4 zu rasches Ablassen des Manschettendrucks, 4 Hypotension, periphere Vasokonstriktion, Schock, 4 Herzrhythmusstörungen.
ris verschlossen ist, könnte die Punktion der A. radialis theoretisch zu einer Mangeldurchblutung der Hand führen. Eine Möglichkeit, die Durchblutung an der Hand zu beurteilen, ist der modifizierte Allen-Test [1]. Die Durchführung des Allen-Tests ist in der Übersicht dargestellt.
Durchführung des Allen-Tests
15.2.4
Arterielle Katheter und invasive Blutdruckmessung
Arterielle Katheter und eine invasive Blutdrucküberwachung werden je nach Krankengut und Stationsphilosophie bei weit über 50 % der Patienten auf Intensivstationen eingesetzt. Der große Vorteil gegenüber der nichtinvasiven automatischen oszillometrischen Blutdruckmessung ist die Möglichkeit, den Druck tatsächlich von Schlag zu Schlag zu überwachen. Obwohl die arterielle Blutdruckmessung in den letzten Jahren infolge von Materialverbesserungen zunehmend häufiger eingesetzt wurde, sollte man ihre Komplikationen nicht negieren und keinesfalls aus Bequemlichkeit arterielle Katheter einführen oder belassen. Insbesondere die routinemäßige Überwachung der O2Sättigung mit der Pulsoxymetrie und der endexspiratorischen CO2Konzentration mit der Kapnometrie reduziert die Anzahl der erforderlichen Blutgasanalysen.
Indikationen Es gibt vermutlich einige absolute Indikationen für arterielle Katheter. Tatsächlich bewiesen wurde der Nutzen für die Patienten jedoch nicht. Aufgrund der Verbesserungen in der Technik der nichtinvasiven Blutdrucküberwachung und nach Einführung von Pulsoxymetrie und Kapnometrie sollte man jedoch die Indikationsstellung zur arteriellen Kanülierung immer hinterfragen. Demzufolge können die abgegebenen Empfehlungen von Zentrum zu Zentrum erhebliche Unterschiede aufweisen. Ein arterieller Katheter kann z. B. in folgenden Situationen indiziert sein: 4 instabile Herz-Kreislauf-Funktion, wahrscheinlich ohne Besserung in den nächsten 12 h, 4 Dauerinfusion vasoaktiver Substanzen, 4 Notwendigkeit einer engmaschigen Blutdrucküberwachung, z. B. bei drohender Aneurysmaruptur, 4 Notwendigkeit repetitiver arterieller Blutgasanalysen.
Katheter- und Punktionstechnik Wie bei den venösen Punktionen gilt auch hier, dass sich der Anfänger auf eine Methode beschränken sollte. Das gibt eine gewisse Garantie, innerhalb recht kurzer Zeit zu einer angemessenen Erfahrung mit dieser Methode zu gelangen. Häufig wird eine Über-die-Nadel-Punktionstechnik verwendet. Manchmal sind die arteriellen Gefäße jedoch sklerotisch so verändert, dass der Katheter nicht vorgeschoben werden kann. In diesen Fällen kann mit Seldinger-Technik versucht werden, einen weichen geraden Draht (ohne J-Spitze) durch eine Punktionsnadel in das Gefäß und dann den Katheter über den Draht zu schieben. Bei der A. radialis verwenden wir einen 20-G-, bei der A. femoralis einen 17- oder 18-G-Katheter. A. radialis Die Punktion der A. radialis wird am häufigsten durchgeführt, und zwar sowohl für die Einlage eines Katheters als auch für die einmalige Punktion mit einer Nadel. Über die anatomischen Grundlagen sollte sich der Leser im Detail an anderer Stelle informieren. Entscheidend ist, dass die A. radialis und A. ulnaris je in den arteriellen Bogen in der Handfläche münden. Falls die A. ulna-
4 Beide Arterien (radial und ulnar) werden am Handgelenk abgedrückt. 4 Der Patient öffnet und schließt die Faust so lange, bis die Handfläche abgeblasst ist. 4 Die Hand darf nicht hyperextendiert werden, weil das zu falsch-negativen Resultaten führt. 4 Eine Arterie wird freigegeben und die Zeit gemessen, bis sich die Hand gerötet hat. 4 Vollständige Rötung in weniger als 7 s deutet auf eine normale Funktion des arteriellen Bogens hin, über 14 s ist pathologisch.
Allerdings sind der Stellenwert des Allen-Tests und seine Korrelation zu Durchblutungskomplikationen umstritten; manche Autoren verzichten ganz auf seine Durchführung. Zur Punktion sollte das Handgelenk über eine Rolle hyperextendiert und gut auf der Unterlage befestigt werden. Die weitere Technik ist in . Abb. 15.1 dargestellt. z A. femoralis Die anatomischen Verhältnisse im Leistenbereich sind in . Abb. 15.8 verdeutlicht. Der Zugang über die A. femoralis wird in der Regel dann verwendet, wenn die Punktion der A. radialis technisch nicht möglich ist, ein Durchblutungsproblem besteht oder die Katheter bei Infektionsverdacht gewechselt werden müssen. Beim erweiterten hämodynamischen Monitoring mit dem PiCCO-System ist die A. femoralis der Standardzugang. Meist wird mit SeldingerTechnik punktiert und ein 15–20 cm langer 17- oder 18-G-Katheter eingeführt. Die Punktionstechnik entspricht der beim venösen Zugang. z Andere Lokalisationen Gelegentlich werden die A. brachialis, axillaris oder dorsalis pedis für eine invasive Blutdrucküberwachung verwendet. Die Punktionstechnik ist nicht wesentlich anders als an den beiden beschriebenen Stellen. Für die A. axillaris wird, wie in der Leiste, die SeldingerTechnik angewandt. Am Fußrücken ist oft eine 20-G-Kanüle schon zu groß. Die verwendete 22-G-Kanüle thrombosiert relativ häufig, oder der Katheter knickt ab. Diese alternativen Lokalisationen werden sehr selten verwendet, z. T. wird dann ganz auf die invasive Druckmessung verzichtet, wenn die radiale oder femorale Einlage nicht möglich oder kontraindiziert ist.
Komplikationen Die Häufigkeit von Komplikationen hängt vom Ort der Punktion, der Dicke des Katheters und der Liegedauer ab. Die angegebenen Zahlen schwanken mit 15–40 % erheblich, aber wirklich relevante Komplikationen sind viel seltener. z Thrombosen Thrombosen sind bei Kanülierungen der A. radialis oder A. dorsalis pedis häufiger als bei der A. femoralis. Kontinuierliche Spülsysteme und dünnere Katheter haben aber allgemein zu einer Reduktion
15
152
15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
Sehne des M. palmaris longus A. ulnaris
15
N. medianus Sehne des M. flexor carpi radialis A. radialis
15 15 15 15 15 15
a
b
d
e
c
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
. Abb. 15.1 a Anatomische Verhältnisse am Handgelenk. b Nach Lagerung und Lokalanästhesie wird die A. radialis in einem Winkel von ca. 30–45 ° zur Haut punktiert. c Freier Blutfluss oder freie Aspiration bestätigen die korrekte Lage. Die Nadel wird festgehalten und der Katheter mit drehenden Bewegungen über die Nadel in das Gefäß geschoben. d Anschließend wird die Nadel entfernt. e Beim Vorschieben des Katheters soll der Winkel zwischen Haut und Katheter auf 20–30 ° verringert werden.
dieser Komplikation geführt, wobei ein Heparinzusatz zur Spüllösung nicht nötig ist. Thrombosen scheinen häufig auch erst nach Entfernung der Katheter zu entstehen, klinisch relevante Befunde mit ischämischer Symptomatik der Hand sind jedoch extrem selten. z Luftembolien Zerebrale Luftembolien wurden experimentell beschrieben; es handelt sich dabei um retrograde Luftembolien. Demnach sind arterielle Leitungen an der oberen Extremität besonders gefährlich. Daneben sind die Menge der Luft und die Größe der betroffenen Person entscheidende Risikofaktoren. Bei kleinen Kindern muss deshalb ganz besonders aufgepasst werden. z Infektionen Die Infektion eines arteriellen Katheters ist heute selten. Wichtig ist ein sorgfältiges hygienisches Arbeiten bei Verwendung arterieller Leitungen für die Blutdrucküberwachung. Insbesondere dürfen die Spüllösungen keine Glukose enthalten und sollten alle 24 h ausgewechselt werden. Die arteriellen Blutentnahmen sollten möglichst
patientennah durchgeführt werden. Keinesfalls sollte das Blut durch das gesamte Schlauchsystem bis in den Bereich der Druckkammer aspiriert werden müssen, außer wenn das Schlauchsystem nach 24 h gewechselt wird. Ein regelmäßiges Umfädeln der arteriellen Kanüle über einen Draht zur Infektprophylaxe wird nicht mehr empfohlen, und das Wechseln des Punktionsortes, z. B. alle 7 Tage, ist umstritten. Hingegen wechseln wir die Punktionsstelle bei einer Sepsis mit positiven Blutkulturen; dies erfolgt auch bei einer Infektion der Einstichstelle, da eine bakterielle Arteriitis lebensgefährlich werden kann. Weitere Komplikationen arterieller Katheter sind Pseudoaneurysmata, Hämatome, Blutungen, Neuropathien, periphere Embolien und, sehr selten, auch kritische Durchblutungsstörungen.
Invasive arterielle Druckmessung
z Überwachungssystem Standardmäßig besteht ein System zur kontinuierlichen Blutdrucküberwachung heute aus folgenden Komponenten:
15
153 15.3 · Venenkatheter und zentraler Venendruck
4 geeigneter, arterieller Katheter, 4 flüssigkeitsgefülltes, starres Schlauchsystem mit patientennahem Dreiwegehahn für Blutentnahmen, 4 Druckaufnehmer mit Eichmöglichkeit gegen die Atmosphäre, 4 automatisches Spülsystem, 4 elektronische Druckwandlereinheit. Eine detaillierte technische Darstellung des Systems ist hier nicht möglich. Der interessierte Leser sei auf andere Quellen verwiesen [12]. z Häufige Fehlerquellen Hierzu zählen: 4 falscher Nullabgleich, 4 falscher Nullpunkt der Messkammer, 4 zu geringe Dämpfung durch das Schlauchsystem (Kurve »verschleudert«), 4 zu starke Dämpfung: Abknicken des Schlauchsystems oder der Kanüle, Thrombose, Druckabfall proximal der Katheterspitze bei arterieller Verschlusskrankheit oder disseziierendem Aneurysma, Luft im Schlauchsystem. Eine zu starke Dämpfung bewirkt eine sehr flache Kurve, hier ist – wenn überhaupt – nur der mittlere arterielle Druck verwertbar. Eine zu geringe Dämpfung produziert eine sehr hohe und spitze systolische Kurve, die nach dem Peak einen mehr oder weniger ausgeprägten, momentanen Abfall zeigt.
Kontinuierliche arterielle Blutgasüberwachung In den letzten Jahren wurden immer häufiger kontinuierliche arterielle Messeinheiten angeboten, die eine Bestimmung des pH-Werts sowie des O2-und CO2-Partialdrucks ermöglichen. Die Messung erfolgt mit einer fiberoptischen Technik, es gibt bis heute aber keine Daten, die auch nur annähernd gezeigt hätten, dass diese aufwendigen und teuren Systeme für die Behandlung von kritisch Kranken nützlich wären. Bis auf Weiteres wird der Einsatz dieser Systeme wenigen, seltenen Indikationen vorbehalten bleiben.
15.3
15.3.1
Venenkatheter und zentraler Venendruck Allgemeines
Intensivtherapie ohne intravasale Katheter oder ohne intravasales Monitoring ist heute undenkbar geworden. Jeder Patient benötigt mindestens einen peripheren venösen Zugang, hauptsächlich um Medikamente, Flüssigkeiten und Elektrolyte infundieren zu können. Patienten mit instabilem Kreislauf oder anderen schweren intensivmedizinischen Krankheitsbildern werden mit arteriellen, zentralen oder pulmonalarteriellen Kathetern versorgt. Schließlich werden vereinzelt Katheter im Bulbus der V. jugularis platziert, um Rückschlüsse auf die zerebrale Perfusion zu erhalten. Arterielle und Bulbus-jugularis-Katheter dienen praktisch ausschließlich der Überwachung, während zentrale Katheter regelmäßig auch zur Infusion von hochpotenten Kreislaufmedikamenten und zur parenteralen Ernährung verwendet werden.
15.3.2
Volumensubstitution und periphere Venenkanülierung
Auswahl der Kanüle Eine Volumenersatztherapie mit Kristalloiden, Kolloiden oder Blutersatzprodukten sollte generell über periphere Venenkanülen erfolgen. Zum einen sind periphere Venen schnell und einfach zu punktieren, und zum anderen können kurze und dicke Kanülen verwendet werden. Hierüber lassen sich in kurzer Zeit große Mengen an Flüssigkeiten infundieren, insbesondere, wenn kommerziell erhältliche Druckinfusions- oder Drucktransfusionssysteme verwendet werden. Diese pressen automatisch den Inhalt flüssigkeitsgefüllter Plastikbeutel (Blutprodukte, Kolloide, Kristalloide) über ein spezielles Schlauchsystem und die Kanüle in das Venensystem, wärmen gleichzeitig die Flüssigkeiten an und prüfen auf Luftblasen. Es sind auch sehr dicke Katheter (Außendurchmesser 7–8,5 F; . Tab. 15.1) erhältlich, die in Seldinger-Technik durch eine 1,2 mm dicke Kanüle eingeführt werden können. Immer ist zu bedenken, dass die Infusionsgeschwindigkeit vom kleinsten Lumen in der Strecke und der Gesamtschlauchlänge abhängt. Ein dünnlumiger Dreiwegehahn an einem dicken Katheter oder überlange Infusionsschläuche und Katheter machen eine schnelle Volumensubstitution unmöglich (. Tab. 15.2).
. Tab. 15.1 Maßeinheiten intravasaler Katheter (Außendurchmesser) French [F]
[mm]
Gauge [G]
[mm]
3
1
20
0,90
4
1,35
19
1,08
5
1,67
18
1,26
6
2
17
1,49
7
2,3
16
1,67
8
2,7
15
1,85
9
3,0
14
2,13
10
3,3
13
2,44
. Tab. 15.2 Durchflussraten durch gleich dicke Katheter (14 G; 2 mm Außendurchmesser) verschiedener Länge Länge [cm]
Durchfluss (ml/ min bei 1 m Höhe)
Zeitbedarf [min] für die Infusion von 1 I Flüssigkeit
4,5
300
3,3
5,2
260
3,8
10
80
12,5
15
68
14,7
20
65
15,4
30
50
20
Die angegebenen Zahlen sind verschiedenen Herstellerprospekten entnommen. Die Durchflussraten können je nach Innendurchmesser des Katheters bei gleicher Gauge-Zahl schwanken.
154
15 15 15 15 15
Als Punktionsorte kommen neben allen Venen an den Armen auch die V. saphena magna in der medialen Fußknöchelregion und die V. jugularis externa in Frage. Punktionen im Bereich von Gelenken haben den Nachteil, dass der Infusionsfluss durch eine Beugung im Gelenk behindert werden kann. Nach Punktion der V. jugularis externa muss der Kopf häufig zur Gegenseite gedreht werden, um ein Anliegen der Katheterspitze an der Venenwand zu verhindern. Wegen des gebogenen Verlaufes der V. jugularis externa sieht man gelegentlich eine sekundäre Perforation der Katheterspitze mit subkutaner Infusion, besonders wenn die Infusion unter Druck steht. Daher sollten Infusionen unter Druck über die V. jugularis externa nur unter direkter Sichtkontrolle erfolgen.
Komplikationen
15
Neben subkutaner Infusion nach sekundärer Perforation der Katheterspitze sind lokale Reizsymptome und Phlebitiden die häufigsten und wichtigsten Komplikationen peripherer Katheter. Ursachen für diese lokalen Reizsymptome können die Infusion von hypotonen oder hypertonen Lösungen, die Injektion von sauren oder basischen Medikamenten und – allerdings umstritten – die Liegedauer sein [4]. Daneben spielen die aseptische Punktionstechnik und eine sorgfältige Katheterpflege entscheidende Rollen (. Abb. 15.2 [23]). Schließlich konnte auch gezeigt werden, dass die Materialien, aus denen die Katheter gefertigt sind, einen Einfluss auf die Häufigkeit von lokalen Reizsymptomen haben. Silikon hat sich im Gegensatz zu Teflon als gewebeverträglicher erwiesen. Unter diesen Gesichtspunkten schwanken die angegebenen Häufigkeiten von Thrombophlebitiden zwischen <10 % bis >50 %. Lebensbedrohliche Komplikationen wie bakterielle Thrombophlebitiden mit Sepsis sind selten und können durch sorgfältige Pflege und Überwachung der Katheter vermieden werden [23].
15
15.3.3
15 15 15 15 15 15
15 15
Zentrale Venenkatheter
Der zentrale Venenkatheter ist ein integraler Bestandteil der heutigen Intensivtherapie. Fertigkeiten in Punktionstechniken und Kenntnisse der Komplikationen, Indikationen und Limitationen von zentralen Kathetern sind deshalb wichtige Lerninhalte in der Ausbildung von Intensivmedizinern.
15 15 15 15
Idealer Punktionsort Bis heute wird der ideale Punktionsort für eine zentrale Vene kontrovers diskutiert, und wie so oft führt diese Unsicherheit zu einer Vielzahl von Empfehlungen. Im Folgenden werden mögliche Zugangswege dargestellt, jedoch können andere Methoden völlig gleichwertig sein. Entscheidend ist letztlich das atraumatische, schnelle und effiziente Einführen des Katheters.
15 15 15 15 15
35
Punktionsort
p < 0,001
30
Abteilungspersonal Spezialteam
25 20 %
15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
15 10 5
p < 0,025
0 lokale Symptome
Phlebitis
Induration
schwere Phlebitis
. Abb. 15.2 Die Pflege von peripheren Kathetern durch ein spezialisiertes Team führt, verglichen mit dem normalen Abteilungspersonal, zu einer deutlichen und signifikanten Verringerung der Häufigkeit von Phlebitiden. Damit wurde gezeigt, dass durch sorgfältige Beobachtung und Betreuung der Einstichstellen die Komplikationsrate der peripheren Katheter gesenkt werden kann
und subjektive Gesichtspunkte, die in Relation zum individuellen Risiko des Patienten gesetzt werden müssen. Indikationen für zentralvenöse Venenkatheter können u. a. sein: 4 Infusion von vasoaktiven Substanzen, 4 Infusion von irritablen Substanzen (z. B. Kaliumchlorid oder parenterale Ernährungslösungen), 4 Überwachung des zentralvenösen Drucks, 4 parenterale Ernährung, 4 transvenöse Schrittmachertherapie, 4 notfallmäßige Hämodialyse oder Hämofiltration, 4 Unmöglichkeit, eine periphere Vene zu punktieren, 4 Operationen am Schädel in halbsitzender Position (Luftembolie). Die reine Flüssigkeitstherapie ist nur selten eine Indikation für zentrale Venenkatheter. In der Regel ist die Infusionsgeschwindigkeit über zentrale Katheter deutlich langsamer als über kurze periphere Kanülen. Im Notfall jedoch können über zentrale Hämodialysekatheter oder Schleusen sehr schnell größte Mengen an Flüssigkeiten infundiert werden. Punktionen mit diesen Kathetern sollten aber dem Geübten überlassen bleiben.
Kathetertypen Es gibt mehrere Möglichkeiten, Katheter einzuteilen und damit verschiedene Typen zu unterscheiden. Die wichtigsten Kriterien für eine Kathetereinteilung sind: 4 Punktionstechnik, 4 Anzahl der Lumina, 4 Material inklusive möglicher Spezialbeschichtungen.
Indikationen
Punktionstechniken
Die Popularität der zentralen Venenkatheter hat in den letzten Jahren nicht nur auf Intensivstationen erheblich zugenommen. Entsprechend werden die Indikationen immer weiter gefasst, und die prophylaktische Einlage eines zentralen Katheters für eine Therapie in näherer Zukunft ist nichts Ungewöhnliches mehr. Alle verantwortlichen Ärzte sollten sich jedoch bewusst sein, dass lebensbedrohliche Komplikationen dieser Katheter zwar sehr selten sind, dass aber nur eine harte Indikation ihr mögliches Auftreten bei einem Patienten rechtfertigen kann. Jede Indikation enthält objektive
Seldinger-Technik. Dies ist heute die Standardmethode für die Punktion von zentralen Venen, häufig von Arterien und bisweilen sogar von peripheren Venen mit dicken Kanülen. Das Prinzip der Methode besteht darin, eine Nadel in ein Blutgefäß zu platzieren, dann einen Draht durch die Nadel an den Zielort vorzuschieben, die Nadel zu entfernen und schließlich den Katheter über den Draht einzuführen (. Abb. 15.3).
155 15.3 · Venenkatheter und zentraler Venendruck
a
b
Nadel entfernen
c
d
Draht
Katheter
e
f
. Abb. 15.3a–e. a Zentrale Venenpunktion mit einer Nadel und aufgesetzter Spritze. Die Spitze der Nadel muss genügend weit in der Vene liegen (1 cm). Oft ist eine Aspiration von Blut erst beim langsamen Zurückziehen der Nadel möglich, weil das Venenlumen durch die Nadel verlegt wurde oder das Nadellumen an der Venenwand anliegt. Für alle heikleren Punktionen empfiehlt sich eine Lokalisationspunktion mit einer kurzen, dünnen, z. B. 23-G-Nadel. b, c Einführen des Drahtes in die Vene (Draht mit J-förmiger Spitze für Venen, gerade und weiche Spitze für Arterien). Der Draht muss ganz leicht in die Vene gleiten. Wenn nach 5–10 cm ein Widerstand auftritt, muss damit gerechnet werden, dass der Draht paravenös liegt. d Zurückziehen und Entfernen der Nadel. e Je nach Dicke des definitiven Katheters muss die Haut entlang des Drahtes mit einem Stichskalpell inzidiert und mit einem Dilatator aufgedehnt werden. f Einführen des Katheters über den Draht
Anzahl der Lumina Zentrale Venenkatheter mit mehreren Lumina (»Mehr- oder Multilumenkatheter«) sind in der Intensivtherapie Standard. Dies hat folgende Gründe: Medikamente können untereinander und in Kombination mit der parenteralen Ernährung inkompatibel sein, was v. a. zu einem Wirkverlust, aber auch zum Ausfällen der Lösungen führen kann. Weiterhin ermöglichen es mehrere Lumina, die Infusionsgeschwindigkeiten unabhängig voneinander zu variieren. Heute werden Katheter mit bis zu 7 Lumina angeboten.
Ob Mehrlumenkatheter öfter zu katheterassoziierten Infektionen führen als Einlumenkatheter, ist umstritten [15].
Material Katheter werden heute am häufigsten aus Teflon, Silikon oder Polyurethan hergestellt. Diese Stoffe sind chemisch relativ inert und nicht thrombogen. Teflon ist ein hartes Material, daher ist das Einführen in Gefäße etwas einfacher. Polyurethan und Silikon sind sehr weich und flexibel, sodass eine transdermale Platzierung ohne Seldinger-Technik fast unmöglich ist; dafür wird die sekundäre Per-
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156
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
kranial
foration der Katheterspitze durch die Venenwand unwahrscheinlicher. Viele Katheter enthalten zusätzlich einen bestimmten Anteil an Schwermetallen wie Barium oder Wismut, um die Darstellung im Röntgenbild zu erleichtern. z Beschichtete Katheter Die neuen Katheterentwicklungen zielen darauf ab, die Katheter mit geeigneten Stoffen so zu überziehen, dass einerseits ihre Thrombogenität und andererseits die Infekthäufigkeit herabgesetzt werden. So konnte gezeigt werden, dass Katheter, die mit Silbersulfadiazin und Chlorhexidin imprägniert sind, eine um 50 % geringere Infekthäufigkeit aufweisen können. Die Beschichtung der Katheter mit Antibiotika (z. B. Teicoplanin) scheint dagegen nur kurze Zeit wirksam zu sein, weil schon 36 h nach Einführen kein Antibiotikum mehr auf dem Katheter nachgewiesen werden konnte. Schließlich konnte gezeigt werden, dass eine Heparinbeschichtung die Bakterienadhärenz in vitro und die Häufigkeit von Bakteriämien oder Fungämien in vivo reduzieren kann. Aufgrund der Datenlage kann jedoch bis heute keine Empfehlung für den einen oder anderen beschichteten Spezialkatheter gegeben werden.
V. basilica V. cephalica
lateral
medial
Punktionsorte und Punktionstechnik In jedem der zahlreichen Lehrbücher, die sich mit der Punktion von zentralen Venen beschäftigen, findet man eine andere Gewichtung bezüglich des idealen Punktionsorts und der angemessenen Punktionstechnik bei einem bestimmten Patienten. Auf diese Weise wird es für den Anfänger schwierig zu entscheiden, welchen Punktionsort und welche Technik er wählen soll. Letztlich wird es so sein, dass verschiedene Varianten möglich sind, ohne dass sicher gesagt werden kann, welche die beste gewesen wäre. Die hier beschriebenen Techniken erheben deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern zeigen, welche Methoden sich in unseren Augen bewährt haben. Das zentrale Venensystem ist durch folgende Zugänge erreichbar: 4 V. basilica 4 V. jugularis externa, 4 V. jugularis interna, 4 V. subclavia, 4 V. femoralis. Jeder dieser Zugänge hat objektive und subjektive Vor- und Nachteile. Es kommt hinzu, dass jede dieser Venen mit verschiedenen Techniken punktiert werden kann. Generell ist zu fordern, dass für jeden Patienten der schonendste und ungefährlichste Zugang zu wählen ist. Dabei spielt auch die Erfahrung und Übung des Ausführenden eine entscheidende Rolle. Wie bei allen manuellen Tätigkeiten tragen auch vollständige und den Verhältnissen angepasste Vorbereitungen zum Gelingen des Unternehmens bei: 4 Kenntnisse über Anatomie, Ablauf der Punktion, Material, 4 Patientenvorbereitung: Aufklärung, Lagerung (Kopftieflage, damit die Halsvenen gefüllt sind!), Landmarken einzeichnen, 4 Punktion: steriles Arbeiten (Desinfektion, Abdecken, Mundschutz, Handschuhe), vollständiges Material, evtl. Lokalanästhesie. z V. basilica Die Punktion der Armvenen ist sicher und mit sehr wenigen schwerwiegenden Komplikationen behaftet. Die V. basilica wird in der medialen Armbeuge gefunden und punktiert (. Abb. 15.4). Die Punktion wird wesentlich erleichtert, wenn der Arm im Ellbogengelenk vollständig gestreckt oder sogar überstreckt gelagert wird.
kaudal
. Abb. 15.4 Punktion der V. basilica in der linken Ellenbeuge
Der Verlauf der lateral gelegenen V. cephalica ist eher ungünstig, weil diese in einem stumpfen Winkel in die V. axillaris einmündet und hier häufig nicht gut vorgeschoben werden kann. Auf keinen Fall darf beim Vorschieben Gewalt angewendet werden, weil sonst die Gefahr einer Perforation der Katheterspitze durch die Gefäßwand besteht. Eine intravasale Lage der Katheterspitze darf nur angenommen werden, wenn sich Blut leicht aspirieren lässt. Prinzipiell ist jeder Kathetertyp (inklusive Pulmonalarterienkatheter) über diesen Zugang verwendbar. Man sollte jedoch bedenken, dass Bewegungen des punktierten Arms die Katheterspitze um mehrere Zentimeter wandern lassen können, sodass Herzrhythmusstörungen oder sogar eine Perforation hervorgerufen werden können. Für die meisten Anwendungen genügt ein Vorschieben des Katheters bis in die V. subclavia. Der zentralvenöse Druck kann dort reproduzierbar und genau überwacht werden. Erfolgsrate. Die Punktion ist in der Regel einfach. Die A. brachi-
alis befindet sich allerdings in unmittelbarer Nähe zur V. basilica, und akzidentelle Punktionen der Arterie kommen immer wieder vor. Eine zentrale Plazierung des Katheters gelingt in etwa 70 % der Fälle. Komplikationen. Die häufigste Komplikation ist die Thrombophlebitis. Sie tritt bei bis zu 10 % der Patienten auf und kann sich auf die V. subclavia und jugularis interna ausbreiten. Perforationen des rechten Vorhofes mit Entwicklung einer Herztamponade wurden auf die Migration der Katheterspitze bei Armbewegungen zurückgeführt [31]; es sind jedoch auch subkutane Infusionen im Bereich des Oberarms und in der Klavikulagegend sowie Infusionen direkt in den Pleuraraum beschrieben worden. Falls eine akzidentelle Punktion der A. brachialis mit der oft dicken (14 G) Einführnadel
157 15.3 · Venenkatheter und zentraler Venendruck
stattgefunden hat, muss die Punktionsstelle mindestens 10 min direkt komprimiert und anschließend mit einem Druckverband versorgt werden. Empfehlungen. Dieser Zugang eignet sich für zentrale Katheter,
die eine nur kurze Liegedauer bei einem weitgehend immobilen Patienten haben sollen, z. B. intraoperativ und wenige Stunden postoperativ. Außerdem kann es von Vorteil sein, bei der Punktion keine Trendelenburg-Lagerung durchführen zu müssen. Schließlich können die anatomischen Verhältnisse am Hals des Patienten so ungünstig sein, dass eine einfache Punktion am Arm vorteilhaft erscheint, insbesondere wenn die Blutgerinnung gestört ist. Letztlich ist die V. basilica der beste Zugang zum zentralen Venensystem für den ungeübten Arzt, dem keine ausreichende Supervision zur Verfügung steht. z V. jugularis externa Die Punktion der V. jugularis externa erlaubt es auf einfache Weise, vom Kopf her in das zentrale Venensystem zu gelangen. In Kopftieflage wird durch ein Valsalva-Manöver oder durch Fingerdruck oberhalb der Klavikula der Verlauf der Vene quer über den M. sternocleidomastoideus sichtbar (. Abb. 15.5a). Der Kopf wird leicht zur Gegenseite gedreht und der Hals nach hinten überstreckt. Dann wird zuerst die Haut und anschließend vorsichtig die Vorderwand der Vene punktiert (. Abb. 15.5b). Die Aspiration erfolgt mit wenig Sog, um die Vene nicht kollabieren zu lassen. Über die Nadel kann entweder eine kurze Venenkanüle oder ein an der Spitze Jförmig vorgefertigter Seldinger-Draht eingeführt werden.
Sternocleidomastoideus Klavikula
Erfolgsrate. In etwa 80 % der Fälle ist die Katheteranlage erfolgreich. 10 % der Misserfolge beruhen auf missglückten Punktionen, in weiteren 10 % kann der Draht nicht zentralwärts vorgeschoben werden. Ohne J-Draht erreicht ein langer Katheter nur in 50–70 % die V. cava superior [2]. Komplikationen. Dank der oberflächlichen Lage dieser Vene sind
schwerwiegende Komplikationen selten. Vorsicht ist geboten beim Einführen von kurzen, harten und dicken Kathetern, über die zudem mit Druck viel Volumen infundiert werden soll. Die Vene kann auch nach erfolgreicher Platzierung des Katheters sekundär perforiert werden. Unbemerkt besteht die Gefahr, große Mengen von Flüssigkeit in die Halsgewebe zu infundieren. Die Punktionsstelle sollte deshalb genau überwacht werden. Natürlich kann auch der J-Draht die Vene perforieren. Blut muss deshalb jederzeit aus dem Katheter aspirierbar sein. Oft muss bei kurzen Venenkanülen am Hals der Kopf zur Gegenseite gedreht werden, weil sonst die Spitze im Bereich der Klavikula an der Venenwand anstößt. Empfehlungen. Erfolgreich durchgeführt ist die Punktion der
V. jugularis externa eine elegante Alternative zur V. jugularis interna oder V. subclavia. Ähnlich wie bei der V. basilica empfielt sich dieser Zugang für Anfänger oder bei Patienten, bei denen andere zentrale Zugänge relativ kontraindiziert sind, z. B. bei Gerinnungsstörungen. In Notsituationen lassen sich über kurze Katheter in dieser Vene schnell größte Mengen an Volumen infundieren. z V. jugularis interna Dieser Zugang wird auf Intensivstationen sehr häufig verwendet. Es gibt für die Orientierung auf der Haut einige Landmarken, die bei den meisten Patienten identifizierbar sind. Um diese Landmarken herum werden verschiedene Punktionsorte empfohlen. Es gibt kein Patentrezept, dem Lernenden sei aber empfohlen, sich bei jedem Patienten den Verlauf der Vene unter der Haut genau vorzustellen und sich auf einen oder höchstens 2 Punktionsorte zu beschränken.
V. jugularis externa
jugulärer Ansatz des M. sternocleidomastoideus V. jugularis interna a
klavikulärer Ansatz des M. sternocleidomastoideus Klavikula A. carotis
V. jugularis externa
b . Abb. 15.5a, b. Lokalisation (a) und Punktion (b) der rechten V. jugularis externa
. Abb. 15.6 Lokalisation und Punktion der rechten V. jugularis interna
15
158
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Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
Anatomie. Die Vene entspringt an der Schädelbasis zwischen Kie-
ferwinkel und Mastoid und verläuft dann unter dem M. sternocleidomastoideus in Richtung der medialen Klavikula (. Abb. 15.6). Die A. carotis liegt medial der V. jugularis interna, wobei sich allerdings diese Lageverhältnisse durch Drehung des Kopfes verändern. Die Drehung des Kopfes zur Gegenseite, wie sie oft bei der Punktion der V. jugularis interna praktiziert wird, bringt die Vene leicht vor die Arterie, sodass die Arterie akzidentell durch die Vene punktiert werden kann. Auf Höhe des Zungenbeins liegt die Vene gerade medial des M. sternocleidomastoideus, verschwindet dann darunter, um auf Höhe des Thyroids im Dreieck zu erscheinen, das vom sternalen und klavikulären Muskelbauch des M. sternocleidomastoideus und der Klavikula gebildet wird. Punktionstechnik. Der ideale Ort für die Punktion liegt im beschriebenen Dreieck. Der Patient befindet sich in Kopftieflage, der Kopf wird nach hinten überstreckt und etwa 15–30 ° zur Gegenseite gedreht. Man steht am Kopf des Patienten und sticht von der Spitze des Dreiecks oder wenig darunter mit 30–45 ° Neigung zur Haut kaudal in die Tiefe. Die Vene befindet sich in der Regel 1–3 cm unter der Haut. Die Vene kann prinzipiell auch auf ihrem restlichen Verlauf am Hals punktiert werden. Die Lage der A. carotis muss jedoch in jedem Fall genau eruiert werden. > Von Punktionen durch den M. sternocleidomastoideus ist abzuraten: Sie sind schmerzhaft und mit dicken Kathetern und Nadeln sehr schwierig. Je kaudaler im Verlauf der Vene die Punktion ausgeführt wird, desto höher wird die Gefahr einer Pleurapunktion.
zum Herzen am ehesten geradlinig verläuft und so die Gefahr einer Katheterfehllage oder intraluminalen Gefäßverletzung am geringsten ist. Der Katheter wird dann beim Erwachsenen üblicherweise 14–15 cm weit vorgeschoben. Obwohl schwerwiegende Komplikationen selten sind, sollte die Punktion von erfahrenen Ärzten oder unter entsprechender Supervision stattfinden. Ferner ist zu bedenken, dass der Katheter am Hals von wachen Patienten als unangenehm empfunden werden kann. z V. subclavia Der Zugang zur V. subclavia kann supra- oder infraklavikulär erfolgen. Der Patient wird in Kopftieflage gebracht, wobei eine Tuchrolle entlang der thorakalen Wirbelsäule die Punktion deutlich erleichtern kann. Infraklavikulärer Zugang. Meist wird der infraklavikuläre Zugangsweg gewählt. Die Nadel durchsticht die Haut etwa in der Medioklavikularlinie, 2–3 cm kaudal der Klavikula. Die Nadel wird zunächst auf die Klavikula und dann Millimeter um Millimeter nach dorsal bewegt, bis sie zwischen Klavikula und 1. Rippe eindringt. Von dieser koronaren Ebene sollte die Nadel nicht weiter nach dorsal abweichen, sondern exakt nach medial in Richtung des Jugulums vorgeschoben werden. Dabei darf der Kontakt der Nadel mit der Klavikula nicht verloren gehen (. Abb. 15.7). Meist ist ein leichtes »Plopp« beim Eindringen der Nadel in die Vene spürbar.
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
Erfolgsrate. Es kann in über 90 % der Fälle mit einer erfolgreichen
Punktion gerechnet werden. In besonders schwierigen Fällen kann die Lokalisation der Vene mittels Ultraschall hilfreich sein. Komplikationen. Die Häufigkeit von Komplikationen liegt bei
etwa 2 %, wobei diese Rate erheblich von der Erfahrung und der Geschicklichkeit des Ausführenden abhängt. Hierbei ist die Punktion der A. carotis interna mit etwa 80–90 % Anteil die mit Abstand häufigste Komplikation. Sie kann vom Hämatom bis zur Obstruktion der oberen Luftwege führen, besonders bei Blutgerinnungsstörungen oder wenn sehr großlumige Katheter in das Gefäß vorgeschoben werden. Glücklicherweise ist jedoch die arterielle Punktion in der Regel ohne Folgen für den Patienten.
V. jugularis externa M. sternocleido mastoideus
a
Vorgehen bei versehentlicher arterieller Punktion 4 A. carotis 3–5 min lang komprimieren (nicht abdrücken!). 4 Bei erheblicher Einblutung mit Gefahr der Atemwegobstruktion Intubation erwägen. 4 Bei Blutgerinnungsstörung Gerinnungssubstitution erwägen. 4 Evtl. Gefäßchirurgen hinzuziehen.
Stichrichtung supra klavikulärer Zugang
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Erste Rippe V. subclavia
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V. jugularis interna
Klavikula
Stichrichtung Jugulum
Ein Pneumothorax nach Punktion der V. jugularis interna ist zwar selten, kann aber bei kaudaler Punktion auftreten.
b
z Empfehlung Die Punktion der V. jugularis interna hat sich für das Einführen von zentralen Venenkathetern, Pulmonalarterienkathetern oder transvenösen Schrittmachersonden bewährt. Im Routinefall sollte die rechtsseitige Punktion bevorzugt werden, da hierbei der Weg
. Abb. 15.7a, b. Punktion der V. subclavia. a Anteriorer Blickwinkel. Mit der Nadel sucht und hält man Knochenkontakt zur Klavikula. b Anterolateraler Blickwinkel: Die Nadel wird Richtung Jugulum zwischen 1. Rippe und Klavikula durchgeführt. Der Pfeil zeigt die Stichrichtung für den supraklavikulären Zugang dorsal des klavikulären Ansatzes des M. sternocleidomastoideus
159 15.3 · Venenkatheter und zentraler Venendruck
Leistenband
V. femoralis A. femoralis V. femoralis
A. femoralis
a
b
. Abb. 15.8a, b. a Lokalisation von A. und V. femoralis in der Leiste (Merke: IVAN Innen, Vene, Arterie, Nerv). b Punktion der rechten V. femoralis in der Leiste. Die Vene verläuft unter dem Leistenband hindurch
Empfehlungen. Die rechtsseitige Punktion sollte bevorzugt wer-
den, da die Pleuraspitze hier etwas tiefer liegt und der Ductus thoracicus linksthorakal verläuft. Die Punktion der V. subclavia kann mit erheblichen Komplikationen verbunden sein. Aus diesem Grund muss das Erlernen der Punktion unter kompetenter Anleitung und Supervision stattfinden. Für den Patienten ist die Lage der Punktionsstelle angenehmer als andere Stellen, auch ist die Pflege des Gefäßzugangs beim Intensivpatienten einfacher und möglicherweise mit einer geringeren Katheterinfektionsrate verbunden. Die etwas höhere Komplikationsrate, die schlechtere Erfolgsrate und die häufigere Fehllage der Katheterspitze im Vergleich zur V. jugularis interna verlangen jedoch ein sorgfältiges Abwägen im Einzelfall. z V. femoralis Die V. femoralis ist einfach zu punktieren: 2–3 cm unterhalb des Leistenbandes findet man die V. femoralis 1–2 cm medial der A. femoralis (. Abb. 15.8). Die Vene verläuft in kraniokaudaler Richtung, und entsprechend muss die Nadel für die Punktion geführt werden. Erfolgsrate. Auch in den Händen von wenig Erfahrenen hat die
Supraklavikulärer Zugang. Die entscheidende Landmarke für den
supraklavikulären Zugang ist der klavikuläre Ansatz des M. sternocleidomastoideus. Die Nadel dringt oberhalb der Klavikula durch die Haut und passiert den erwähnten Muskelansatz dorsal mit Stichrichtung auf die kontralaterale Brustwarze. Die Vene liegt in etwa 3 cm Tiefe. Erfolgsrate. Es kann mit einer Erfolgsrate von 80–90 % gerechnet werden. Misserfolge beruhen einerseits auf dem Nichtfinden der Vene und andererseits auf dem Unvermögen, den Katheter oder den Führungsdraht vorzuschieben [9]. Eine Fehllage der Katheterspitze ist in etwa 10 % der erfolgreichen Punktionen zu erwarten. Sie scheint beim infraklavikulären Zugang häufiger zu sein. Komplikationen. Noch viel stärker als bei der Punktion der V. ju-
gularis interna ist die Häufigkeit und Schwere von Komplikationen von der Erfahrung des Ausführenden abhängig. Die Inzidenz schwerer Zwischenfälle bewegt sich zwischen 1 und 3 %, bei einer Gesamtinzidenz von etwa 5 % [9]. Der Pneumothorax macht bis zur Hälfte dieser Komplikationen aus, wobei die Inzidenz beim Unerfahrenen 3–5 % und beim Erfahrenen unter 0,5 % liegt. ! Cave Der Pneumothorax ist die wichtigste Komplikation einer V.-subclavia-Punktion, daher sollte anschließend immer ein Thoraxröntgenbild angefertigt werden. Etwa die Hälfte der Fälle kann konservativ behandelt werden, jedoch ist eine entsprechende Überwachung insbesondere der nichtdrainierten Patienten anzuraten.
Zu den seltenen Komplikationen gehören Spannungspneumothorax, Hämatothorax, Infusionsthorax oder die subkutane Emphysembildung. Wegen des Risikos eines beidseitigen Pneumothorax mit akuter Gefährdung des Patienten sollte eine V.-subclavia-Punktion der Gegenseite nach missglückter Punktion auf der anderen Seite nur im Ausnahmefall und dann nur von einem erfahrenen Arzt durchgeführt werden. Die Punktion der A. subclavia kommt mit einer Inzidenz von etwa 1 % vor. In der Regel kann sie durch Kompression ober- und unterhalb der Klavikula behandelt werden. Bei Patienten mit Gerinnungsstörungen ist die Gefahr einer massiven Blutung gegeben.
Punktion der V. femoralis eine Erfolgsrate von über 90 %. Ungeübte mögen zwar mehrere Versuche benötigen, dies scheint jedoch keinen Einfluss auf die abschließende Erfolgsrate zu haben. Komplikationen. Die einzig wirklich wichtige Komplikation ist die
akzidentelle Punktion der A. femoralis. Sie kommt in bis zu 10 % der Fälle vor [30]. Dank der anatomischen Gegebenheiten lassen sich die negativen Auswirkungen dieser Komplikation einfach durch einen 10-minütigen Druck auf die Arterie beherrschen. Schließlich ist die Punktion der A. femoralis Routine für viele interventionelle und diagnostische radiologische Untersuchungen, für arterielles Druckmonitoring oder für die intraaortale Ballongegenpulsation. Es gibt keine eindeutigen Hinweise auf gehäufte Infekte im Bereich von Femoralkathetern im Vergleich mit anderen Kathetern in großen Venen oder Arterien [30]. Die gefürchtetste Komplikation, die nach Untersuchungen aus den 1950-er Jahren zur Verbannung des Femoralvenenkatheters geführt hatte, ist die Entwicklung von Thrombosen und Embolien. Bei Verwendung der neuen Kathetermaterialien scheint sich heute aber abzuzeichnen, dass Femoralvenenkatheter nicht häufiger zu thomboembolischen Komplikationen führen als Venenkatheter an anderen Stellen. Empfehlung. Die V. femoralis lässt sich auch durch Unerfahrene
schnell und einfach punktieren. Unmittelbare, schwere Komplikationen in Verbindung mit der Punktion sind selten, und die Vermutung, Katheterinfektionen und Thrombosen seien bei dieser Lokalisation häufiger, lässt sich durch neuere Untersuchungen nicht bestätigen. Daraus folgt, dass der femoralvenöse Zugang für alle Notfallsituationen, bei Punktionen durch unerfahrene Ärzte oder bei Kontraindikationen für andere Punktionsstellen zu empfehlen ist. Einschränkend sei erwähnt, dass die Beweglichkeit der punktierten Beinseite eingeschränkt ist. Unruhige und unkooperative Patienten, die trotz liegendem Katheter dauernde Bewegungen im Hüftgelenk ausführen, sind für diesen venösen Zugang wenig geeignet.
Allgemeine Probleme und Komplikationen Die folgenden Abschnitte behandeln Probleme, die für alle venösen Punktionsstellen gleichermaßen gelten. Wo nötig, werden Einzelaspekte der verschiedenen Katheterlokalisationen speziell hervorgehoben.
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15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
. Tab. 15.3 Risikofaktoren für die Entstehung von Katheterinfekten. Relevante Beispiele sind in Klammern angegeben. (Nach [2])
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Risikofaktoren Patient
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Katheter
5 Lebensalter (Säuglinge, sehr alte Patienten) 5 Immunalteration (Trauma, Operation, Verbrennung, Sucht) 5 Immunsuppression (Kortikosteroide, Immunsuppressiva, Transplantation) 5 »Haus-« und Abteilungsflora, Resistenzlage (methicillinresistente Staphylokokken) 5 Material (PVC) 5 Kathetertyp (Pulmonalarterienkatheter) 5 Zugangsweg (V. jugularis interna und Tracheostoma) 5 Punktionstechnik (ungenügende Sterilität) 5 Katheterverband (Plastikfolien) 5 Verweildauer (>7 Tage)
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z Infektion Die katheterassoziierte Infektion ist die häufigste und wichtigste Komplikation zentraler Venenkatheter. Man muss damit rechnen, dass jeder 4. Katheter kolonisiert ist, und dass jeder 10. Katheter zu einer klinisch relevanten Infektion führt. Man konnte zeigen, dass in Europa über 20 % aller Intensivpatienten an einer nosokomialen, während des Intensivaufenthalts entstandenen Infektion leiden, davon 12 % mit positiven Blutkulturen [27]. Die intravasalen Katheter sind zudem ein besonders wichtiger Risikofaktor für Septikämien mit einer Mortalität von 12–80 % [18]. Mannigfaltige Ursachen und Einflüsse können katheterassoziierte Infekte fördern. Entsprechend ist eine Fülle von klinischen Untersuchungen vorhanden, die in ihrer Gesamtheit eher verwirren als klären. Ganz entscheidend für das Risiko einer Katheterinfektion auf der Intensivstation sind die Dauer des Aufenthaltes und die Liegedauer des Katheters. Der interessierte Leser sei hierzu auf ausgezeichnete Übersichtsartikel verwiesen. Neben ätiologischen und pathogenetischen Faktoren spielen Risikofaktoren eine große Rolle für die Entstehung derartiger Infektionen. Diese sind in . Tab. 15.3 zusammengefasst. ! Cave Katheterinfektionen bei Intensivpatienten sind häufig und haben eine hohe Letalität.
Deshalb sind die rechtzeitige Diagnose und Therapie wichtig. Leider sind die klinischen Zeichen unspezifisch und die Diagnose deshalb schwierig. Im Zweifelsfall muss der zentrale Katheter entfernt werden. Ganz verfehlt wäre es aber, deswegen den Katheterinfekt als quasi unvermeidbares Schicksal zu akzeptieren. Denn während die Einführung der beschichteten Katheter bei Risikopatienten zu einer Reduktion der katheterassoziierten Infekte führen kann, ist der Routinegebrauch auch aus Kostengründen weiter umstritten. Dagegen wurde in mehreren großen Studien gezeigt, dass die Einführung von Schulungsprogrammen über die aseptische Punktionstechnik und Schutzmaßnahmen sowie die korrekte Pflege von zentralen Kathetern zu einer Reduktion von Infekten führen. Diese Programme können in Empfehlungen oder Richtlinien für den Umgang mit zentralen Kathetern münden und sind für jede Klinik empfehlenswert [10].
z Luft- und Katheterembolien Diese Komplikationen sind selten. Luftembolien kommen z. B. bei Einlage des Katheters vor, wenn die Kopftieflage aufgehoben wird und der Katheter nicht verschlossen ist. Wird das Problem nicht schnell erkannt, kann dies tödlich enden [16]. Außerdem können Luftembolien auch jederzeit durch akzidentelle Öffnung eines zentralen Infusionssystems entstehen. z Gerinnungsstörungen Die Einlage von zentralen Kathetern bei Gerinnungsstörungen sollte dem Erfahrenen vorbehalten bleiben. In der Regel wird man die Indikation so restriktiv wie möglich stellen und, wenn immer möglich, auf einen peripheren Katheter ausweichen. Falls ein zentraler Katheter unabdingbar erforderlich ist, bieten sich die V. basilica und die V. jugularis externa an, weil ein Kompressionsverband an diesen Stellen leicht anzulegen ist und weil eine Blutung nicht unbemerkt abläuft. Weiter kann – auch abhängig von der Indikation und Schwere der Gerinnungsstörung – eine Punktion der V. femoralis oder der V. jugularis interna erwogen werden. Der Zugang über die V. subclavia sollte nur im äußersten Notfall verwendet werden. z Thrombosen Thrombotische Veränderungen sind mit 10–30 % aller Katheter häufig, aber selten von klinischer Relevanz. Bei bis zu 3 % der Patienten kommt es jedoch zu klinischen Symptomen. Das Kathetermaterial beeinflusst die Thrombogenität. Es scheint, dass sich hydromerbeschichtetes Polyurethan am günstigsten verhält. Auch Silikonkatheter sind sehr wenig thrombogen, jedoch so weich, dass sie chirurgisch platziert werden müssen. Bei Punktionen an der oberen Extremität oder am Hals ist das klinische Zeichen der Thrombose die obere Einflussstauung oder die Schwellung eines Arms. Um die Diagnose zu sichern, kann eine Ultraschall-Duplexuntersuchung der Venen durchgeführt werden. Wie oft diese Thrombosen zu Lungenembolien führen, ist unklar. Wir empfehlen jedoch, falls keine schwerwiegende Kontraindikation vorliegt, die therapeutische Heparinisierung dieser Patienten und die Entfernung des Katheters. Im ungünstigsten Fall kann sich die Thrombose bei liegendem Katheter infizieren und zur Ursache einer Sepsis mit langem Antibiotikabedarf und hoher Letalität entwickeln. z Perforationen Perforationen der großen Gefäße nach Kathetereinlage sind selten und können sowohl durch den Seldinger-Draht als auch durch den Katheter selbst hervorgerufen werden. Üblicherweise bemerkt man sie 1–7 Tage nach Einlage. Der Patient kann sich mit Dyspnoe präsentieren, und man findet neue Pleuraergüsse. Offenbar kommen diese Perforationen bei linksseitiger V.-jugularis-Punktion häufiger vor. Möglicherweise drückt die Katheterspitze bei diesem Zugang öfter gegen die laterale Wand der V. cava superior.
15.4
Pulmonalarterienkatheter
15.4.1
Allgemeines
Der Pulmonalarterienkatheter wird heute vielfach eingesetzt, um Herz- und Kreislauffunktionen insbesondere bei kritisch kranken Patienten zu überwachen und Therapiemaßnahmen anzupassen. Der Katheter wurde 1970 von Swan u. Ganz 27] erstmalig beschrieben und in die Klinik eingeführt. Bis 1996 war der Gebrauch des Pulmonalarterienkatheters relativ unumstritten und die Indikationen entsprechend breit gefächert.
161 15.4 · Pulmonalarterienkatheter
Dann aber wurde eine aufsehenerregende Studie an beinahe 6000 Patienten publiziert, die zeigte, dass der Pulmonalarterienkatheter bei diesen Patienten zu einer höheren Mortalität und zu einem größeren Geld- und Ressourcenverbrauch geführt hatte [6]. Daraufhin entstand eine lebhafte Diskussion, Task Forces wurden gegründet und Guidelines publiziert. Bislang ist aber aufgrund von Studienresultaten keine definitive Nutzen-Risiko-Analyse für die Anwendung von Pulmonalarterienkathetern möglich. Zudem müssen weniger invasive Methoden (z. B. transpulmonale Indikatormethoden in Verbindung mit Pulskonturanalysen, transösophageale Doppleruntersuchung, Pulskurvenanalyse) zur Bestimmung des Herzzeitvolumens und anderer Parameter erwogen werden [7, 31]. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der Pulmonalarterienkatheter auch heute für ausgebildete und auszubildende Intensivmediziner sehr wichtige Details liefert, die gerade beim kritisch kranken Patienten eine individuelle Abschätzung der pathophysiologischen Situation und damit eine differenzierte Herz-Kreislauf-Therapie erst ermöglichen. Dieser Abschnitt soll helfen, das für den sinnvollen Einsatz des Pulmonalarterienkatheters erforderliche Wissen [15] zu erwerben, und gleichzeitig dazu ermuntern, den Nutzen des Katheters beim einzelnen Patienten täglich zu hinterfragen.
15.4.2
Indikationen
Nach einer Erklärung der »European Society of Intensive Care Medicine« gibt es Patienten, Umstände und Erkrankungen, bei denen der Pulmonalarterienkatheter Informationen liefert, die mit dem üblichen hämodynamischen Monitoring nicht erhältlich sind [20]. Hierzu können folgende Situationen gehören: 4 septischer Schock und Behandlung mit hochdosierten Vasopressoren, 4 schwere respiratorische Insuffizienz, 4 schweres Herzversagen, 4 große chirurgische Eingriffe bei Patienten mit kürzlich abgelaufenem Myokardinfarkt oder eingeschränkter kardialer Reserve, 4 prärenales Nierenversagen, das auf eine übliche Therapie nicht reagiert. Die European Society of Intensive Care Medicine betont weiter, dass eine rigorose Schulung im Umgang mit dem Pulmonalarterienkatheter nötig sei und dass weitere klinische Studien die erwähnten Indikationen überprüfen müssten. Aus randomisierten Untersuchungen und einer Metaanalyse ergibt sich derzeit, dass der Swan-Ganz-Katheter für den Intensivpatienten im Wesentlichen ohne nachweisbaren Nutzen ist, die Gesamtletalität dieser Patienten nicht erhöht und die Krankenhausverweildauer nicht verlängert [16, 17]. Die akzeptierten Indikationen beruhen im Wesentlichen auf klinischer Erfahrung. > Grundsätzlich sollte der Pulmonaliskatheter nur angewandt werden, wenn eine spezifische hämodynamische Fragestellung mit nichtinvasiven Verfahren nicht geklärt werden kann und hierdurch die Behandlung des Patienten geändert wird.
15.4.3
Kathetertypen
Die Katheter sind gewöhnlich aus Polyvinylchlorid gefertigt und wegen dessen hoher Thrombogenität mit Heparin beschichtet. Die Standardlänge beträgt 110 cm, und der äußere Durchmesser reicht von 5–8 F. Ein aufblasbarer Ballon ist an der Spitze befestigt. Aufge-
blasen befördert er den Katheter entlang des natürlichen Blutstroms durch das rechte Herz in die Pulmonalarterie und schließlich in die Okklusionsstellung (Wedgeposition). In dieser Position kann am endständigen Lumen des Katheters der Druck jenseits der durch den Ballon verschlossenen kleinen Pulmonalarterie gemessen werden: der pulmonalkapilläre Verschlussdruck (Wedgedruck). Er entspricht dem Druck im Kapillargebiet der Lunge und wird, sofern sich keine Störung zwischen dem Kapillargebiet der Lunge und dem linken Vorhof befindet, als Maß für den Druck im linken Vorhof genommen. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe verschiedener Pulmonalarterienkatheter. Der Nutzen der einzelnen Spezialkatheter ist ebensowenig bewiesen wie der des Pulmonalarterienkatheters an sich. Der Preis für einen Katheter mit kontinuierlicher O2-Sättigungsund/oder Herzzeitvolumenmessung ist jedoch 4-mal so hoch wie der eines Thermodilutionskatheters. z Ballonokklusionskatheter Dieser Katheter hat 2 oder 3 Lumina: Ein endständiges Lumen, eines für den Ballon und evtl. noch ein Lumen, das 30 cm vor der Spitze mündet. Damit kann der pulmonalarterielle Druck kontinuierlich und, nach Aufblasen des Ballons, der pulmonalkapilläre Verschlussdruck gemessen werden. Mit dem 3. Lumen misst man kontinuierlich den Druck im rechten Vorhof. z Thermodilutionskatheter Dieser Kathetertyp wird am häufigsten eingesetzt. Zu den vorher beschriebenen 3 Lumina kommt noch die elektronische Verbindung eines Thermistors, der sich 4 cm hinter der Spitze findet. Dieses Kabel wird an einen Computer angeschlossen, der das Herzminutenvolumen aus dem Temperaturverlauf bestimmen kann. z Fiberoptischer Thermodilutionskatheter Mit Hilfe eines 5., fiberoptischen, Lumens kann dieser Spezialkatheter kontinuierlich die O2-Sättigung in der Pulmonalarterie (gemischtvenöse O2-Sättigung) messen und auf einem Spezialmonitor als Kurve und digital darstellen. z Kontinuierlicher Herzminutenvolumenkatheter Es handelt sich hierbei um einen 6-Lumen-Pulmonalarterienkatheter. Dieser Katheter enthält noch zusätzlich ein Thermoelement, das dann im rechten Ventrikel liegt. Mit Hilfe eines ThermoelementPositionisierungslumens lässt sich die korrekte Lage des Katheters kontrollieren. Das Herzminutenvolumen wird aus der Energie, die für das Aufheizen des Thermoelementes benötigt wird, und aus der Temperatur am Thermistor distal davon berechnet. z Schrittmacherkatheter Es gibt verschiedene Schrittmacher-Pulmonalarterienkatheter. Sie enthalten 1–2 zusätzliche Lumina (»paceports«), durch die eine Ventrikel- und/oder eine Vorhofschrittmacherelektrode eingeführt werden können. Durch die Ableitung von Druckkurven an den Schrittmacherlumina lässt sich der Katheter korrekt platzieren.
15.4.4
Punktionsorte und Einführungstechnik
Prinzipiell lassen sich Pulmonalarterienkatheter von jedem zentralen Venenzugang an der oberen Extremität oder am Hals einschwemmen. Der rechtsseitige Zugang über die V. jugularis interna gilt als am günstigsten, weil dies der direkte Weg zum rechten Vorhof ist. Die Katheterspitze verschiebt sich auch bei Armbewegungen nicht, der Katheter kann während Herzoperationen verwendet wer-
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Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
den, und möglicherweise führt er zu weniger thromboembolischen Komplikationen. Die Punktionstechnik wurde bereits oben im Detail beschrieben. Wichtig ist, dass der Katheter unter streng aseptischen Bedingungen eingelegt wird; hierzu gehören eine Kopfbedeckung und ein steriler Kittel. Ein Pulmonalarterienkatheter wird in der Regel über eine vorher eingelegte Schleuse eingeschwemmt. Diese Schleuse ist 0,5–1 F größer als der Katheter und mit einem Rückschlagventil und einem Seitenarm versehen. Das Rückschlagventil verhindert, dass Blut aus der Schleuse fließt, und der Seitenarm stellt einen zusätzlichen zentralen Infusionsschenkel dar.
Einschwemmen Die Einlage eines Pulmonalarterienkatheters sollte immer durch einen erfahrenen Arzt oder unter dessen Anleitung stattfinden. Die einzelnen Schritte sind in der 7 Übersicht dargestellt.
Einlage eines Pulmonalarterienkatheters 4 Punktion der rechten V. jugularis interna und Einführen der Katheterschleuse in Kopftieflage. Die Haut muss ausreichend inzidiert werden (. Abb. 15.9a), damit zuerst der Dilatator und dann die Schleuse ohne Gewalt in die Vene vorgeschoben werden können. 4 Vorbereiten des Pulmonalarterienkatheters (. Abb. 15.9b, c): Der Ballon wird aufgeblasen und überprüft, die Lumina werden mit isotoner Elektrolytlösung gefüllt und der sterile Plastiküberzug übergestreift. 4 Das Ende mit den Anschlüssen kann nun unsteril einem Assistenten übergeben werden, der das endständige Lumen des Katheters an einen Druckaufnehmer anschließt. 4 Der Katheter wird durch die Schleuse eingeführt und bis zur Marke »15 cm« vorgeschoben. 4 Manche Autoren empfehlen nun zur Arrhythmieprophylaxe die Injektion von 1 mg/kg KG Lidocain durch das endständige Katheterlumen. 4 Nun muss der Druck am endständigen Katheterlumen kontinuierlich gemessen und die Druckkurve am Bildschirm überwacht werden. 4 Zuerst wird der rechtsatriale Druck (RAP) gemessen und protokolliert (. Abb. 15.10a). 4 Jetzt wird der Ballon vom Assistenten mit der empfohlenen Menge Luft (meist 1,5 ml) aufgeblasen. 4 Der Katheter wird mit aufgeblasenem Ballon langsam vorgeschoben, sodass sich die Spitze mit dem Blutstrom weiterbewegen kann. 4 Bei etwa 25–35 cm wird die Katheterspitze in den rechten Ventrikel eingeschwemmt, der rechtsventrikuläre Druck (RVP) wird registriert (. Abb. 15.10b). 4 Oft kommt es beim Durchschwemmen der Katheterspitze durch das rechte Herz zu ventrikulären Rhythmusstörungen. Ab etwa 40 cm wird die Pulmonalarterie erreicht; auch hier werden die Druckwerte (PAP) registriert (. Abb. 15.10c). 4 Der Katheter erreicht nach etwa 50 cm die Okklusionsposition, nun wird der pulmonalarterielle Okklusionsdruck (Wedgedruck) registriert (PAOP=PCWP) und die Kurve beurteilt (. Abb. 15.10d).
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4 Entlastung des Ballons: Es muss wieder eine normale pulmonalarterielle Kurve sichtbar sein. Erneutes Aufblasen des Ballons mit 0,8 ml: Der Ballon sollte nach einigen Sekunden in die Okklusionsposition geschwemmt werden, dann erneute Entlastung des Ballons. 4 Schutz des Pulmonalarterienkatheters ab Austritt aus der Schleuse mit dem sterilen Überzug. Dieser ermöglicht auch später noch, unter sterilen Bedingungen, die Katheterlage zu verändern. 4 Anschließend können Messungen des Herzminutenvolumens oder der pulmonalarteriellen Sättigung durchgeführt werden.
Tipp Das Einschwemmen eines Pulmonalarterienkatheters kann manchmal mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Neben technischen oder Katheterdefekten muss auch an Störungen durch Hypovolämie oder Schock gedacht werden. Immer dann, wenn ein schlechter venöser Rückfluss besteht, muss der Katheter extrem langsam bewegt werden, damit er sich mit dem schlechten Blutfluss fortbewegen kann. Manchmal kann ein Volumenbolus helfen, oder man fordert den Patienten auf, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Es ist auch hilfreich, die natürliche Krümmung des Katheters so zu belassen, dass die Spitze zum rechten Herz hinzeigt. Auch kann versucht werden, die rechte Seite des Patienten etwas tiefer zu lagern. Falls der Katheter die Pulmonalklappe nicht passiert, sollte der Ballon mit weniger Volumen gefüllt werden, z. B. 0,8 ml. Oft überwindet der nun kleinere Ballon dann die Klappe.
Komplikationen Die Komplikationen, die für die zentralvenösen Zugänge angeführt wurden, gelten in gleicher Weise für die Einlage eines Pulmonalarterienkatheters. ! Cave Dabei ist zu bedenken, dass der fehlerhafte Versuch, eine 8-F-Schleuse in die A. carotis interna zu platzieren, zur Zerreißung des Gefäßes und zum Tod des Patienten führen kann.
Die folgenden spezifischen Komplikationen wurden für Pulmonalarterienkatheter beschrieben. z Ballonruptur Es scheint, dass diese Komplikation mit der hohen Qualität des Kathetermaterials sehr selten geworden ist. Bei sachgerechtem Umgang muss nicht damit gerechnet werden. z Knotenbildung im Verlauf des Katheters Knoten entstehen v. a. dann, wenn der Katheter mehrfach zurückgezogen und vorgeschoben oder eingeschwemmt wird. Die Knotenbildung verhindert man am besten, indem man den Katheter nicht weiterschiebt, wenn die erwartete Druckkurve bei der vorgesehenen Marke auf dem Monitor erscheint. Meist kann der Knoten entfernt werden, indem man ihn in die Schleuse hineinzwängt und dann Schleuse und Katheter zusammen entfernt. Wir haben es auch schon erlebt, dass der Herzchirurg beim Verschließen des rechten Vorhofes den Pulmonalarterienkatheter an-
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163 15.4 · Pulmonalarterienkatheter
Seitenarm der Schleuse
Einführloch für den Katheter Schleuse mit Rückschlagventil
V. jugularis interna
a
a Teil des Katheters, der zum Assistenten geht
b
EKG 30
a
b
c
d
mm Hg
25
Proximales Lumen Spritze zum Aufblasen des Ballons
20 15 10 5 0
Distales Lumen
b
Konnektion zum Thermistor
Schutzhülle
Katheterspitze c
c . Abb. 15.9a–c. a Eingelegte Katheterschleuse. b 4-lumiger Thermodilutionspulmonalarterienkatheter. c Sterile Katheterschutzhülle; das patientennahe Ende der Schutzhülle wird nach Einlage des Katheters mit der Schleuse verschraubt; dadurch ist auch später noch eine Lageveränderung des Katheters unter sterilen Bedingungen möglich
d
. Abb. 15.10a–d. Position und Druckkurvenverlauf während des Einschwemmens eines Pulmonalarterienkatheters: a rechter Vorhof (RAP), b rechter Ventrikel (RVP), c Pulmonalarterie (PAP), d Okklusionsstellung=Wed geposition (PAOP=PCWP)
genäht hat. Das kann geprüft werden, indem der Katheter auf freie Beweglichkeit kontrolliert wird, nachdem der Vorhof verschlossen wurde. Nicht in jedem Fall ist eine erneute Eröffnung des Herzens nötig, um den Katheter zu entfernen.
kann der Katheter auch ohne weitere Manipulation spontan in die Okklusionsstellung geraten. Daher gilt:
z Lungeninfarkt Die häufigste Ursache für Lungeninfarkte distal des Pulmonalarterienkatheters ist die unbemerkte Wanderung der Katheterspitze in die Okklusionsposition (»Dauer-Wedge«). Das ist entweder durch den permanent aufgeblasenen Ballon möglich oder, bei entlüftetem Ballon, durch die Okklusion einer kleinen Pulmonalarterie durch die Katheterspitze. Verändert sich die Körperlage des Patienten oder der Widerstand in den Pulmonalgefäßen (Letzteres z. B. durch Änderungen des Volumenstatus oder des Herzzeitvolumens), so
Ursprünglich war dieses Phänomen mit 7,2 % der Fälle relativ häufig, es ist aber inzwischen sehr viel seltener geworden.
> Der Druckkurvenverlauf an der Spitze des Pulmonalarterienkatheters muss kontinuierlich überwacht werden!
z Perforation einer Pulmonalarterie Es handelt sich hier um eine gefürchtete Komplikation, die zwar relativ selten (0,1–0,2 %) auftritt [26], dann aber tödlich enden kann. Mögliche Mechanismen sind ein Vorwärtswandern des Katheters in kleine Arterien und dann eine Ruptur der Arterie beim Ballonaufblasen. Während Herzoperationen am kardiopulmonalen Bypass
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Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
wird das Herz manipuliert und aus dem Thorax geklappt. Bei liegendem Pulmonalarterienkatheter führt das zu unkontrollierbaren Bewegungen der Spitze und damit zur Gefahr einer Pulmonalarterienruptur entweder sofort oder nach Entwöhnung von der HerzLungen-Maschine. Weil wir, wie auch andere [11], Lungenblutungen aus diesem Grund immer wieder gesehen haben, und diese Blutungen bei therapeutischer Heparinisierung tödliche Folgen haben können, wird bei uns der Pulmonalarterienkatheter am kardiopulmonalen Bypass mindestens 5 cm zurückgezogen. Folgende Therapiemaßnahmen können erforderlich werden: 4 Korrektur der Blutgerinnung, 4 Intubation mit einem Doppellumentubus, um die nicht betroffene Lunge zu schützen, 4 Bronchoskopie, 4 Inhalation von Vasokonstriktoren, 4 Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck, 4 evtl. sogar chirurgische Blutstillung bis hin zur Lobektomie. z Thromboembolische Komplikationen Thrombosen sind bekannte Komplikationen bei zentralen Venenkathetern. Ihre Inzidenz ist mit erheblichen Variationen in der Literatur angegeben [24]. Klinisch relevant werden Thrombosen erst, wenn sie sich infizieren. Eine Embolie aufgrund einer Thrombose, bei liegendem Pulmonalarterienkatheter, wurde bisher nicht beschrieben. Seit die Pulmonalarterienkatheter mit Heparin beschichtet sind, scheinen die Thrombosen weiter zurückgegangen zu sein. z Herzrhythmusstörungen Ventrikuläre Rhythmusstörungen beim Einschwemmen des Pulmonalarterienkatheters kommen in über 50 % der Einlagen vor. Meist sind sie selbstlimitierend und benötigen keine spezielle Therapie. Obwohl in der Literatur nur ungenau dokumentiert, injizieren wir allen Patienten vor Einlage des Pulmonalarterienkatheters prophylaktisch 1 mg/kg KG Lidocain i.v. [26]. z Direkte Schädigung von Herzstrukturen Diese Schädigungen bleiben oft unentdeckt, weil sie offensichtlich klinisch nicht auffallen. Es muss aber bedacht werden, dass in Autopsieuntersuchungen Läsionen bei bis zu 75 % der Fälle gefunden wurden. Die Relevanz dieser Schäden ist unklar, die Häufigkeit scheint aber mit der Liegezeit der Katheter zunehmen. Dies unterstreicht einmal mehr die Forderung, nicht mehr benötigte Pulmonalarterienkatheter zügig zu entfernen.
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z Infektionen Es gibt keine Hinweise, dass katheterassoziierte Infekte bei Pulmonalarterienkathetern häufiger auftreten als bei anderen zentralen Kathetern. Jedoch muss bedacht werden, dass diese Katheterläsionen am Endokard des rechten Herzens setzen und dass deshalb theoretisch die Gefahr einer Endokarditis höher ist. Diese Theorie wurde allerdings nie klinisch bewiesen.
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15.4.5
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Erhebung und Interpretation hämodynamischer Messwerte
Der Pulmonalarterienkatheter ermöglicht die Messung und Berechnung einer Vielzahl hämodynamischer Parameter. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bleibt es bis heute unklar, ob die Erhebung dieser Daten dem Patienten einen Vorteil bringt. Für das pathophysiologische Verständnis vieler schwerer Krankheitsbilder auf der Intensivstation oder perioperativ sind die Werte jedoch
A - Welle
v - Welle C - Welle
x - Abfall
y - Abfall
. Abb. 15.11 Druckverlauf in den Vorhöfen. Die Bezeichnung der Spitzen und ihre Bedeutung gilt für den linken und rechten Vorhof gleichermaßen
zweifellos nützlich. Der ausgebildete Intensivmediziner kann auf diese Weise seine Arbeitshypothese bestätigen oder verwerfen, und der Anfänger lernt dabei, bestimmte Zusammenhänge zu erkennen und die Effekte potenter vasoaktiver Substanzen zu bewerten. Um diese Ziele zu erreichen, sind Kenntnisse über diese Parameter und ihre Bedeutung unerlässlich und Wissenslücken inakzeptabel [14]. Die wichtigsten Parameter und ihre Normalwerte sind in . Tab. 15.4 zusammengefasst.
Zentralvenöser Druck (ZVD) und rechter Vorhofdruck (RAP) Der Kurvenverlauf für den rechten Vorhof ist in . Abb. 15.11 dargestellt. Die A-Welle kommt durch die Kontraktion des Vorhofs zustande. Sie folgt demnach unmittelbar auf die P-Welle des EKG. Die kleine C-Welle entsteht durch die Bewegung des atrioventrikulären Rings in den Vorhof zu Beginn der ventrikulären Systole. Danach kommt der x-Abfall, der die Relaxation des Vorhofs repräsentiert. Die V-Welle entsteht durch den Druckanstieg während der venösen Füllung des Vorhofes bei geschlossener Trikuspidalklappe. Das Maximum wird am Ende der Ventrikelsystole erreicht, gefolgt vom y-Abfall, der durch die Entleerung des Vorhofes über die geöffnete Trikuspidalklappe verursacht wird.
Rechter Ventrikeldruck (RVP) Bei gewöhnlichen Pulmonalarterienkathetern kann der Ventrikeldruck nur beim Einschwemmen bestimmt werden (. Tab. 15.4; . Abb. 15.10b). Katheter mit kontinuierlicher Herzminutenvolumenanzeige oder Katheter mit Schrittmacheröffnung erlauben dagegen die kontinuierliche Aufzeichung der Ventrikeldruckkurve.
Pulmonalarterieller Druck (PAP) Wie im systemisch-arteriellen System gibt es pulmonalarteriell einen systolischen Peak, gefolgt von einem diastolischen Abfall mit einer kleinen dikroten Welle, die durch den Schluss der Pulmonalklappe entsteht (. Tab. 15.4; . Abb. 15.10). Unter Normalbedingungen liegt der diastolische Druck in der Pulmonalarterie nur 2–3 mm Hg über dem mittleren Okklusionsdruck. Bei einer aktiven, manchmal reaktiven pulmonalarteriellen Hypertension durch Vasokonstriktion kann es jedoch zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen diesen beiden Druckwerten kommen.
Pulmonalarterieller Okklusionsdruck (PAOP, PCWP) Druckkurve. Prinzipiell entspricht der Verlauf der Druckkurve demjenigen im linken Vorhof (. Abb. 15.11). Durch die größere Distanz des Druckaufnehmers (Spitze des Pulmonalarterienkatheters) bis zum Ort der Kurvenentstehung (linker Vorhof) ist die Welle jedoch gedämpfter und verspätet. Die A-Welle folgt der PWelle des EKG nach ungefähr 240 ms. Außerdem ist die V-Welle prominenter. Einschränkungen. Falls sich im Weg von der Katheterspitze bis
zum linken Vorhof ein Hindernis befindet, wie z. B. bei der okklusiven Erkrankung der Pulmonalvenen, kann vom Okklusionsdruck
165 15.4 · Pulmonalarterienkatheter
. Tab. 15.4 Wichtige Herz-Kreislauf-Parameter und ihre Abkürzungen Parameter
Abkürzung/Formel
Mittelwert
Bereich
Einheit
Rechtsatrialer Druck
RAP
3
0–6
mm Hg
Rechtsventrikulärer Druck
RVP
25/5 (s/ed)
15–30/0–8
mm Hg
Pulmonalarterieller Druck
PAP
23/9/15 (s/d/m)
15–30/5–15/10–20
mm Hg
Pulmonalarterieller Okklusionsdruck
PAOP=PCWP
10
5–15
mm Hg
Herzzeitvolumen
HZV
3,0–7,0
l/min
Herzindex
Cl=HZV/KOF
2,5–4,5
l/min/m2
Schlagvolumen
SV=1000×HZV/HF
60–90
ml/Schlag
Schlagvolumenindex
SI=SV/KOF
40–60
ml/Schlag
Rechtsventrikulärer Schlagarbeitsindex
RVSWI=Cl×(PAP–RAP)×13,6/HR
8–12
g×m/m2
Linksventrikulärer Schlagarbeitsindex
LVSWI=Cl×(MAP-PCWP)×13,6/HR
50–60
g×m/m2
Systemischer Gefäßwiderstand
SVR=(MAP–RAP)/CO×80
900–1500
dyne×s×cm-5
Pulmonaler Gefäßwiderstand
PVR=(PAP-PCWP)/CO×80
120–250
dyne×s×cm-5
Pulmonalarterielle (gemischtvenöse) O2-Sättigung
SV· O2
70–80
%
Arterieller O2-Gehalt
CaO2=1,39×Hb×SaO2+0,0031×paO2
≈19
ml/dl
Gemischtvenöser O2-Gehalt
CV· O2=1,39×Hb×SV· O2+0,0031×pV· O2
≈14
ml/dl
· D O2=CaO2×Cl
>550
ml/min/m2
· V O2=(CaO2– CvO2 )×Cl
>170
ml/min/m2
GesamtkörperO2-Angebot GesamtkörperO2-Verbrauch
Abkürzungen (überwiegend nach den englischen Bezeichnungen): s=systolisch; d=diastolisch; ed=enddiastolisch; m mittel; KOF=Körperoberfläche; HR=»heart rate«; MAP=mittlerer arterieller Druck; SaO2=arterielle O2-Sättigung; paO2=arterieller O2-Partialdruck; pvO2=gemischtvenöser O2-Partialdruck; Hb=Hämoglobingehalt.
nicht mehr auf den Druck im linken Vorhof geschlossen werden. Falls sich die Pulmonalgefäße intermittierend schließen, wie es in bestimmten Lungenarealen physiologischerweise vorkommt, darf der Okklusionsdruck ebenfalls nicht mehr als Maß des Drucks im linken Vorhof genommen werden. Idealerweise liegt die Spitze des Katheters in der sog. Zone 3 der Lunge [26]. Wenn die Okklusionsdruckkurve starke atemabhängige Schwankungen und unerklärlich hohe Werte anzeigt oder stark gedämpft ist, besteht der Verdacht, dass der Katheter außerhalb dieser Lungenzone mit dauernd offener Gefäßverbindung zum linken Vorhof liegt. Wenn die Mitralklappe und die linksventrikuläre Funktion normal sind, kann vom Okklusionsdruck auf den linksventrikulären enddiastolischen Druck geschlossen werden. Messung bei Beatmung. Normalerweise wird der Okklusionsdruck am Ende der passiven Exspiration abgelesen. Unter Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck (PEEP) wird ein Teil dieses Drucks auf den Okklusionsdruck übertragen, und dies umso ausgeprägter, je besser die Compliance der Lunge ist: Bei
normalen Lungen wird etwa die Hälfe des PEEP auf den Okklusionsdruck übertragen und bei kranken Lungen (z. B. bei ARDS) nur noch 1/4 oder weniger. Trotz dieser Abhängigkeiten ist es nicht empfehlenswert, den PEEP für die Bestimmung des Okklusionsdrucks wegzunehmen oder die Beatmung zu diskonnektieren, weil sich die Patienten sofort pulmonal verschlechtern. Es wird empfohlen, sich im Verlauf einer Erkrankung auf die Veränderungen des Okklusionsdrucks und weniger auf die absoluten Werte zu konzentrieren.
Pulmonalarterielle O2-Sättigung
Die pulmonalarterielle O2-Sättigung entspricht der gemischtvenösen O2-Sättigung und wird für die Berechnung verschiedener hämodynamischer und respiratorischer Parameter benötigt (. Tab. 15.4). Außerdem besteht eine direkte Proportionalität zwischen der gemischtvenösen Sättigung und dem Herzminutenvolumen. Inzwischen gibt es Pulmonalarterienkatheter, die diese Sättigung kontinuierlich messen und anzeigen. Dass auf diese Weise die Behandlung besser wurde, konnte niemals nachgewiesen werden. Außerdem sollte man sich bewusst
15
166
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
sein, dass nicht von einem absoluten gemischtvenösen Sättigungswert auf einen absoluten Wert des Herzminutenvolumens geschlossen werden darf, da noch andere Faktoren die O2-Ausschöpfung beeinflussen.
Herzminutenvolumen Herzminutenvolumens ist die Thermodilution [11]. Ein Volumen von 10 ml einer kalten Lösung wird in den rechten Vorhof injiziert. Die Flüssigkeit wird auf dem Weg durch das rechte Herz mit dem Blut durchmischt. An der Spitze des Pulmonalarterienkatheters zeichnet der Thermistor eine Temperaturkurve auf, und ein Computer berechnet daraus das rechtsventrikuläre Herzminutenvolumen, das umgekehrt proportional zum Integral der TemperaturZeit-Kurve ist. Die Variation beträgt bei 3-maliger Bestimmung etwa 4 %. Um eine möglichst kleine Variation zu erhalten, sollte die Lösung immer im selben Teil des Atemzyklus und möglichst schnell gespritzt werden. Bei Verwendung von Flüssigkeit mit Zimmertemperatur ergibt sich eine höhere Variation. Es sollten jeweils 3 Messungen des Herzminutenvolumens durchgeführt werden, wobei die Einzelwerte nicht mehr als 10 % auseinanderliegen dürfen; diese Werte werden anschließend gemittelt. Bei einer sehr geringen Auswurfleistung, bei Trikuspidalinsuffizienz oder intrakardialem Shunt sind die Thermodilutionswerte ungenau. Fick’sches Prinzip. Steht keine Thermodilution zur Verfügung, kann die Pumpleistung auch mit der sog. Fick´schen Methode ermittelt werden. Das Prinzip besteht darin, dass die Gesamtaufnahme oder -abgabe einer Substanz durch ein Organ gleich dem Produkt aus dem Blutfluss durch das Organ und der arteriovenösen Konzentrationsdifferenz ist. Im Falle der Lungen ist also das Herzminutenvolumen gleich dem Blutfluss durch die Lungen, und das ist gleich der Gesamt-O2-Aufnahme dividiert durch die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz. Für eine korrekte Bestimmung muss die O2-Konzentration direkt in der Atemluft gemessen werden. Kontinuierliche Messverfahren. Die neueste Generation der Pul-
15 15
Berechnete Werte
15 15 15
15 15 15 15
15.5
Thermodilution. Die Standardmethode für die Bestimmung des
monalarterienkatheter kann das Herzminutenvolumen kontinuierlich bestimmen und anzeigen. Die Methode beruht auf derselben Theorie, die für die Thermodilution entwickelt und geprüft wurde. In diesen Katheter ist ein Heizelement integriert, das im rechten Ventrikel platziert wird. Die Messung beruht auf dem Verhältnis zwischen der abgegebenen Heizenergie und der resultierenden Temperatur an der Pulmonalarterienspitze. Die Katheter sind validiert, und es scheint, dass die Werte etwa ähnlich genau sind wie die der Thermodilution. Die korrekte Platzierung ist allerdings eine Grundvoraussetzung. Ob sich der Katheter in der Praxis bewähren wird, und ob es sinnvoll ist, den 3-fachen Preis eines Standardkatheters zu investieren, bleibt abzuwarten [18].
15
mit dem Bestreben, sie zu normalisieren oder sogar zu maximieren, für den Patienten günstig ist.
Aus den Messwerten des Pulmonalarterienkatheters lassen sich verschiedene weitere physiologische Daten berechnen. Die Widerstände im großen und kleinen Kreislauf werden häufig erhoben, verschiedene Daten des O2-Transportes seltener (. Tab. 15.4). Die letzteren Parameter kamen v. a. im Zusammenhang mit der Forderung nach »supramaximalem« oder »supranormalem« Sauerstoffangebot bei bestimmten Krankheitsbildern in Diskussion. > Zusammenfassend kann man sagen, dass alle berechneten Werte pathophysiologisch interessant sind, es aber unklar bleibt, ob die Korrektur dieser Werte
HZV-Messung durch arterielle Pulskonturanalyse und andere Verfahren
Dieses indirekte Verfahren der HZV-Messung beruht auf Erkenntnissen des deutschen Physiologen Otto Frank, denen zufolge eine direkte Beziehung zwischen dem zeitlichen Verlauf der arteriellen Blutdruckkurve und dem gleichzeitig erfolgenden arteriellen Blutfluss besteht. Bei der von Frank aufgestellten Windkesseltheorie werden Aorta und die proximalen Arterien als eine Kammer (Windkessel) angesehen, die während der Systole des Herzens mit dem Schlagvolumen angefüllt und während Systole und Diastole wieder entleert wird. Auf der Basis dieses Modells und in Anlehnung an das Ohm´sche Gesetz beschreiben die Pulskonturverfahren eine Beziehung zwischen dem arteriellen Druck und einem arteriellen Fluss, der vom Gesamtwiderstand bestimmt wird. Im ursprünglichen, für den Kreislauf des Menschen allerdings unzureichenden Modell wurde das Schlagvolumen aus dem Druck als treibender Kraft für den Blutfluss während der Austreibungsphase (Fläche unter dem systolischen Anteil der Druckkurve) und der Impedanz bzw. dem Widerstand der Aorta bestimmt:
SV SV Asys ZAo
= Asys/ZAo = Schlagvolumen = Fläche unter dem systolischen Anteil der Druckkurve = Impedanz der Aorta
Cz-Modell von Wesseling. In diesem erweiterten Modell wur-
den der mittlere arterielle Druck und das Alter berücksichtigt, um druckabhängige nicht-lineare Veränderungen des Aortendurchmessers zu korrigieren, außerdem die (altersabhängige) Herzfrequenz, um Reflektionen aus der Peripherie auszugleichen. Das Herzzeitvolumen ergibt sich dabei aus folgender Formel:
HZVPC = HF×Asys : ZAo ZAo = a : (b+(c×MAP) + (d×HF) 4 HZVPC = Pulskontur-HZV 4 HF = Herzfrequenz 4 MAP = mittlerer arterieller Druck 4 a, b, c und d = altersabhängige Faktoren
Aufgrund der verschiedenen Korrekturfaktoren kann anstelle des Aortendrucks auch der Druck in einer peripheren Arterie verwendet werden. Da sich Größe und Impedanz der Aorta und der peripheren Arterien individuell unterscheiden, musste das absolute Herzzeitvolumen initial für jeden einzelnen Patienten mit einer Referenzmethode ermittelt werden. Dies war in der Vergangenheit in der Regel die Thermodilutionsmethode über einen Pulmonaliskatheter. Dabei ergab sich für die individuelle Aortenimpedanz folgende Formel:
167 15.5 · HZV-Messung durch arterielle Pulskonturanalyse und andere Verfahren
. Tab. 15.5 Parameter der Pulskonturanalyse (PiCCO, Fa. Pulsion)
. Abb. 15.12 Prinzip der arteriellen Pulskonturanalyse. Das Pulskontur-HZV (HZVpC) wird aus der Fläche unter dem systolischen Anteil der arteriellen Druckkurve (schraffiert), der Herzfrequenz, dem Kalibrationsfaktor der transkardiopulmonalen Thermodilution (cal) und einer differenzierten Analyse der Form der Druckkurve berechnet. (Nach [23])
ZAo=HZVPC : HZVRef x ZAo.Ref 4 HZVRef=Referenz-HZV 4 ZAo.Ref=Referenzaortenimpedanz
Zwischen Pulskontur-HZV und Thermodilutions-HZV ergab sich bei den meisten Messungen und in verschiedenen klinischen Situationen eine sehr gute Übereinstimmung [4, 7, 13].
Parameter
Normalbereich
HZVPC
3,0–5,0 l/min
Systolischer arterieller Blutdruck [mm Hg]
(Keine Angaben des Herstellers)
Diastolischer arterieller Blutdruck [mm Hg]
(Keine Angaben des Herstellers)
Mittlerer arterieller Blutdruck, MAP
70–90 mm Hg
Herzfrequenz [1/min]
60–90/min
Schlagvolumenindex (SVI)
40–60 ml/m2
Schlagvolumenvariation
<10 %
Pulsdruckvariation [%]
<10 %
Systemischer Gefäßwiderstandindex (SVRI)
1700–2400 dyn×s×cm–5×m2
Linksventrikulärer Kontraktilitätsindex: maximale Druckanstiegsgeschwindigkeit, dp/ dtmax, mm Hg/s
1200–2000
naneurysmen, intrakardialen Shunts, Pneumektomien und während der extrakorporalen Zirkulation auftreten. HZVPC. Das Pulskontur-HZV wird als Mittelwert der letzten 12 Ss
angezeigt. 15.5.1
PiCCOplus-Monitor
Dieses System kombiniert die arterielle Pulskonturanalyse mit der transkardiopulmonalen Thermodilution. Das Schlagvolumen wird fortlaufend, unter Berücksichtigung der individuellen aortalen Compliance, über einen Algorithmus aus der Pulskontur berechnet. Das HZV kann kontinuierlich durch arterielle Pulskonturanalyse (. Abb. 15.12; . Tab. 15.5) oder diskontinuierlich durch transkardiopulmonale Thermodilution gemessen werden. Anstelle des Pulmonaliskatheters wird ein Katheter in eine große Arterie, bevorzugt die A. femoralis, alternativ und gleichwertig in die A. radialis [3], eingeführt. Der Katheter enthält ein Lumen für die arterielle Druckmessung, außerdem einen in der Spitze befindlichen Thermistor für die Thermodilutionsmessung. Für die Kalibrierung des Gerätes wird initial das HZV mit der transkardiopulmonalen Thermodilution gemessen. Hierfür wird kalte Kochsalzlösung als Bolus in einen zentralen Venenkatheter injiziert und die sich ergebende Temperaturverlaufskurve vom Thermistor des arteriellen Katheters regristriert. Aus dem Temperaturverlauf errechnet das Gerät nach der Stewart-Hamilton-Gleichung das Referenz-HZV. Die Messung erfolgt unabhängig vom Atemzyklus. Zusätzlich berechnet das Gerät aus der transpulmonalen Thermodilutionskurve das kardiale Preload, das intrathorakale Blutvolumen und das extravasale Lungenwasser. Für die kontinuierliche Berechnung des HZVPC wird ein Kalibrationsfaktor aus dem transpulmonal gemessenen HZV verwendet, außerdem die Herzfrequenz, die integrierte Fläche unter dem systolischen Anteil der arteriellen Druckkurve, die Compliance der Aorta und die Form der Druckkurve bzw. die Druckänderung im zeitlichen Verlauf (dp/ dt). Störungen der Thermodilutionsmessungen können bei Aorte-
Schlagvolumenvariation (SVV). Sie gibt an, um wie viel Prozent
das Schlagvolumen um den über einen Zeitraum von 30 s bestimmten Mittelwert variiert. Bei beatmeten Patienten hängt die Variabilität im Wesentlichen vom intravasalen Volumenstatus ab: Starke Schwankungen unter Beatmung weisen auf Hypovolämie hin; quantitative Aussagen sind jedoch nicht möglich. Pulsdruckvariation (PPV). Dieser Parameter gibt an, um wie
viel Prozent der systolische Pulsdruck um den über einen Zeitraum von 30 s bestimmten Mittelwert schwankt (PPV=maximaler Pulsdruck – minimaler Pulsdruck/mittlerer Pulsdruck). Stärkere Schwankungen bei beatmeten Patienten weisen ebenfalls auf intravasalen Volumenmangel hin. Intrathorakale Volumina. Mit dem PiCCOplus-System können –
ohne Pulmonalarterienkatheter und ohne Injektion von Farbstoffindikatoren – verschiedene intrathorakale Volumina gemessen oder berechnet werden, die für die kardiale Vorlast, die Funktion des Herzens und die Flüssigkeitstherapie von wesentlicher Bedeutung sind (. Tab. 15.6). Im Gegensatz zu den Doppelindikatortechniken ist hierfür lediglich die zentravenöse Injektion eines Kältebolus und dessen Messung in einer zentralen Arterie, d. h. die transkardiopulmonale Thermodilution erforderlich. Dieses Verfahren ist weniger aufwendig, risikoärmer und kostengünstiger als die Injektion von Farbstoffindikatoren über einen Pulmonaliskatheter. Die Fehlerbreite beträgt maximal 10 %. Eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse dieser minimal-invasiven hämodynamischen Verfahren wurde 2005 von Malbrain et al. vorgelegt [9].
15
168
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
15
. Tab. 15.6 Mit dem PiCCO-System erfasste intrathorakale Volumina (Angaben Fa. Pulsion)
15
Parameter
Normalwerte
GEDVI
680–800 ml/m2 KOF
ITBVI
850–1000 ml/m2 KOF
EVLW
3–7 ml/kg KG
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ITBVI = 1,25×GEDVI
Pulmonales thermales Blutvolumen (PTV). Das pulmonale Blut-
Abkürzungen: GEDVI=globaler enddiastolischer Volumenindex; ITBVI=intrathorakaler Blutvolumenindex; EVLW=extravaskuläres Lungenwasser.
Intrathorakales thermales Volumen (ITTV). ITTV ist der intrahorakale Verteilungsraum für den Kältebolus; er umfasst somit das intravasale und das extravasale thorakale Volumen:
ITTV = HZVtherm×MTTtherm 4 HZVtherm = Thermodilutions-HZV 4 MTTtherm = mittlere Transitzeit des Kältebolus vom Injektionsort zum Messort
volumen ergibt sich aus der Differenz zwischen intrathorakalem Blutvolumen und globalem enddiastolischem Volumen:
PTV = DSTtherm×HZVtherm oder PTV = ITBV–GEDV
Extravaskuläres Lungenwasser (EVLW). Das extravaskuläre Lungenwasser ist die Differenz zwischen intrathorakalem Thermovolumen und intrathorakalem Blutvolumen. Referenzmethode für die Bestimmung des EVLW ist die Gravimetrie; es kann jedoch auch, ebenfalls mit klinisch hinreichender Genauigkeit, durch reine Thermodiluton ermittelt werden [7, 8, 16]:
EVLWth = ITTV–ITBVth = ITTV–(1,25×GEDV)
15 15 15 15
Globales enddiastolisches Volumen (GEDV). Dieser Parameter
ergibt sich, angenähert, aus der Differenz zwischen ITTV und pulmonalem thermalem Volumen (PTV) und entspricht primär den Blutvolumina in den Herzkammern. Da diese Volumina am Ende der Diastole am größten sind, wird die Summe der enddiastolischen Volumina beider Vorhöfe und Ventrikel als globales enddiastolisches Volumen bezeichnet. Es entspricht dem Vorlastvolumen des gesamten Herzens.
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
GEDV = ITTV×PTV GEDV = HZV×(MTTtherm – DSTtherm) 4 DSttherm = exponentielle Abfallzeit der transpulmonalen Thermodilutionskurve
GEDV (und ITBV) können nützlich sein, um die Reaktion des Herzens auf Volumenzufuhr zu testen. Zuverlässig scheinen beide als Vorlastparameter aber nur bei normaler Herzfunktion oder bei globalen Ventrikelfunktionsstörungen zu sein. Bei beatmeten Patienten mit rechtventrikulären Funktionsstörungen wird die linksventrikuläre Funktion u. U. falsch eingeschätzt, weil GEDV nicht die Vorlast des rechten Herzens allein widerspiegelt [1]. Intrathorakales Blutvolumen (ITBV). Das intrathorakale Blutvolumen lässt sich mit hinreichender Genauigkeit aus dem Thermodilutions-HZV und der mittleren Transitzeit des Kältebolus berechnen:
ITBV = HZVtherm×MTTtherm
Die Einzelinjektionsthermodilutionstechnik geht von einer konstanten Beziehung zwischen dem gemessenen globalen enddiastolischen Volumenindex (GEDVI) und dem intrathorakalen Blutvolumenindex aus. Danach gilt vereinfacht:
Mit der transpulmonalen thermalen Indikatortechnik können bereits Anstiege des extravaskulären Lungenwassers von 10–20 % erfasst werden [5]. Obstruktionen der Lungengefäße, fokale Lungenschäden und Lungenresektionen führen allerdings mit dieser Methode zu falsch-niedrigen Werten. Andere Faktoren wie Höhe des EVWL, paO2/FIO2, Atemzugvolumen und Höhe des PEEP können bei chirurgischen Intensivpatienten ebenfalls die Messung signifikant beeinflussen, jedoch sollen die Veränderungen selbst bei schweren Lungenerkrankungen klinisch nicht relevant sein [13] Klinische Bedeutung des EVLW. Sind die normalen pulmonalen Barrieren gestört, kann das EVLW zunehmen. Pathogenetisch führen 2 unterschiedliche Mechanismen zur Akkumulation von Flüssigkeit im Interstitium des Lungengewebes (Lungenödem): 4 ein Anstieg des hydrostatischen Drucks (des Filtrationsdrucks) in den Lungenkapillaren und/oder 4 eine Zunahme der pulmonalen Kapillarpermeabilität.
Anstiege des hydrostatischen Drucks treten typischerweise bei Linksherzinsuffizienz und Überwässerung auf, Störungen der Gefäßpermeabilität bei Pneumonie, ALI/ARDS, Sepsis und bestimmten Intoxikationen. Während eine durch hydrostatischen Druckanstieg bedingte Zunahme des EVLW am Anstieg des Wedgedrucks erkennbar ist, verändert sich der PCWP bei einer permeabilitätsbedingten Zunahme des EVWL nach Untersuchungen von Sakka et al. nicht [16]. Mit der transpulmonalen Thermodilution kann das EVLW somit vermutlich genauer eingeschätzt werden als mit der Messung des PCWP. Möglicherweise kann hierdurch beim schwer kranken Intensivpatienten die Volumenzufuhr besser gesteuert und die Gefahr einer Überwässerung vermindert werden. EVLW als diagnostischer Faktor. Zwischen Routineröntgenaufnahmen des Thorax und EVLW besteht meist eine schlechte Korrelation, besonders bei beatmeten Patienten. Demgegenüber können mit der transpulmonalen Thermodilution oft bereits frühzeitig Anstiege des EVWL festgestellt werden. Häufig wird aufgrund experimenteller Befunde und klinischer Untersuchungen an Intensivpatienten von einem erhöhten EVLW bei ARDS ausgegangen;
169 15.5 · HZV-Messung durch arterielle Pulskonturanalyse und andere Verfahren
allerdings ist nach Befunden einiger Autoren [6, 10, 11] bei ¼ bis ⅓ der Patienten, die die Kriterien eines ALI/ARDS erfüllen, keine Zunahme des EVLW nachweisbar, sodass der diagnostische Wert dieses Parameters eingeschränkt wird. Allerdings können so Patienten identifiziert werden, die möglicherweise von einer restriktiven Flüssigkeitszufuhr oder negativen Flüssigkeitsbilanz profitieren. Auch konnten Toth et al. [22] bei Patienten mit ARDS durch pulmonales Recruitment-Manöver und Optimierung des PEEP den paO2 kurzfristig signifikant verbessern, ohne dass Veränderungen des EVLW hierunter nachweisbar waren. Steuerung der Flüssigkeitstherapie. Die Flüssigkeitszufuhr bei Patienten mit ARDS ist nach wie vor umstritten: restriktive Flüssigkeitszufuhr (»trockene Lungen«) kann einerseits den paO2 und die Lungenmechanik verbessern, außerdem die Entwöhnung von der Beatmung erleichtern, andererseits eine hämodynamische Instabilität auslösen oder wesentlich verschlechtern. In einer großen multizentrischen Studie [21] wurde festgestellt, dass eine »konservative« Strategie mit Flüssigkeitsrestriktion/Entwässerung bei Patienten mit ALI die Lungenfunktion verbessert und die Dauer der maschinellen Beatmung verkürzt, ohne die Häufigkeit nicht-pulmonaler Organfunktionsstörungen zu erhöhen. Ein signifikanter Einfluss auf die 60-Tage-Letalität konnte allerdings mit der »konservativen Flüssigkeitsstrategie« nicht erreicht werden. Compton et al. [2] konnten durch Flüssigkeitsentzug mit der Hämodiylase das EVWL signifikant vermindern, ohne dass sich das ITBV signifikant veränderte. Der Herzindex fiel ebenfalls signifikant ab, während der arterielle Blutdruck stabil blieb; die Oxygenierung verbesserte sich ebenfalls signifikant unter der Hämodialyse. EVLW als prognostischer Faktor. Bereits in frühen Untersuchun-
gen an Intensivpatienten wurde ein Zusammenhang zwischen EVLW und Letalität gefunden. In einer neueren, retrospektiven, Untersuchung von Sakka et al. [17] erwies sich ein erhöhtes EVLW als unabhängiger Prädiktor für eine schlechtere Prognose bei Intensivpatienten: Während Patienten mit einem EVWL von <10 ml/ kg KG eine Letalität von 33 % aufwiesen, war ein EVWL von >15 ml/ kg KG mit einer Letalität von 67 % assoziiert. Sato et al. [18] fanden in einer Untersuchung an 23 Patienten nach Ösophagektomie eine positive Korrelation zwischen einem Anstieg des EVLWth und einer Verschlechterung des respiratorischen Index bzw. pulmonalen Komplikationen. Insgesamt gilt aber:
trode gemessen (Übersicht in [15]). Das hiermit bestimmte initiale HZV dient der Kalibrierung für die arterielle Pulskonturanalyse. Beim LiDCO-System wird die gesamte arterielle Druckkurve in eine Volumenkurve transformiert und hieraus ein Schlagvolumen kalkuliert. Dieses Schlagvolumen wird mit Hilfe des initial ermittelten Lithiumdilutions-HZV in das absolute Schlagvolumen oder HZV umgewandelt. Hieraus ergibt sich ein theoretischer Vorteil gegenüber dem PiCCO-System, das lediglich die Fläche unter dem systolischen Teil der Druckkurve berücksichtigt und daher auf die Erkennung der dikroten Kerbe angewiesen ist. Kann diese nicht deutlich identifiziert werden, ergibt sich eine potenziell größere Messungenauigkeit im Vergleich mit dem LiDCO-System. Ein weiterer möglicher Vorteil des LiDCO-Systems gegenüber dem PiCCO-System besteht darin, dass der zur Kalibrierung des Systems erforderliche Lithiumbolus auch über eine periphere Vene injiziert werden kann und somit ein zentraler Venenkatheter nicht zwingend erforderlich ist. Die Pulskurve zur Messung des kontinuierlichen Herzminutenvolumens kann des Weiteren auch über einen einfachen Katheter in der A. radialis abgeleitet werden. Damit ist das LiDCO-System deutlich weniger invasiv als das PiCCO-System. Allerdings ist die Kalibrierung des Systems mit der Lithiumdilution im Vergleich zur Thermodilution deutlich störanfälliger. So interferieren z. B. nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien mit der Lithiummessung. Außerdem können mit dem LiDCO-System – mit Ausnahme der unzureichend evaluierten Parameter der Schlagvolumenvariation und der Pulsdruckvariation – keine weiteren volumetrischen Parameter bestimmt werden, sodass eine zielorientierte, differenzierte Volumen- und Katecholamintherapie eines schwerstkranken Patienten nicht ausreichend möglich ist. Dennoch wird das System in Großbritannien in breitem Umfang eingesetzt.
15.5.3
FloTrac-Sensor und Vigileo-Monitor
Auch dieses System der Fa. Edwards Lifesciences beruht im Wesentlichen auf der Analyse der arteriellen Pulskurve. Das Herzminutenvolumen wird hierbei, ohne initiale externe Kalibierung, kontinuierlich über einen peripheren arteriellen Katheter (A. radialis) gemessen; hierbei wird ein mathematischer Algorithmus zugrunde gelegt, der Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht des Patienten berücksichtigt. Das SV wird dabei nach folgender Formel berechnet:
Klinische Bewertung der EVLW-Messung
Schlagvolumen
Mit der thermalen transkardiopulmonalen Dilutionstechnik kann bei den meisten schwerkranken Intensivpatienten das EVLW auf einfache Weise und mit brauchbaren klinischen Ergebnissen bestimmt werden. Ob aber hiermit das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei Patienten mit Lungenödem oder ALI/ARDS entscheidend verbessert werden kann, bedarf eingehender prospektiv-randomisierter Untersuchungen.
SV = K×pulsatility« 4 K = Konstante, in die die arterielle Compliance und der Gefäßwiderstand eingehen, die wiederun von Patientencharakteristika (s. oben) und Kurvencharakteristika abgeleitet werden 4 »pulsatility« = Standardabweichung der Druckkurve, gemessen über ein 20-s-Intervall
15.5.2
LiDCO-System
Beim Lithium-Dilution-Cardiac-Output-Measurement-System wird anstelle eines Kältebolus isotone Lithiumchloridlösung in eine periphere oder zentrale Vene injiziert und anschließend in einer Arterie die Lithiumkonzentration mit einer lithiumionenselektiven Elek-
Somit berücksichtigt dieser Algorithmus 2 wesentliche Faktoren: Die Gefäßcompliance und periphere Widerstandseffekte. Außer der zuvor erwähnten Schlagvolumenvariation liefert auch das FloTrac-Vigileo-System keine weiteren volumetrischen Parameter, und es gelten für eine differenzierte Kreislauftherapie die gleichen Einschränkungen wie beim LiDCO-System.
15
170
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
. Abb. 15.13 CardioQ-Monitor. (Abb. von Fa. Deltex Medical, mit frdl. Genehmigung)
Die Daten zur Reliabilität und Validität des Verfahrens sind derzeit widersprüchlich, sodass der Nutzen des Systems nicht ausreichend beurteilt werden kann.
Transösophageale Ultraschallmessung Bei diesem minimal-invasiven Verfahren wird die relative Strömungsgeschwindigkeit des Blutes aufgrund der Frequenzverschiebung einer an den Erythrozyten reflektierten Ultraschallwelle berechnet. Um die Blutflussgeschwindigkeit und damit auch das Schlagvolumen zu erfassen, wird das Integral des Blutlusses während der Systole, das Geschwindigkeits-Zeit-Integral VTI oder auch Schlagdistanz, berechnet. Hierbei muss der Querschnitt der Aorta descendens bekannt sein. Im einzigen derzeit erhältlichen Monitorsystem (CardioQ, Fa. Deltex Medical; . Abb. 15.13) ist hierfür ein Nomogramm hinterlegt, das für die Bestimmung der Flussgeschwindigkeiten außerdem die altersabhängige Aortencompliance berücksichtigt. Will man eine Dopplermessung im Rahmen einer transösophagealen Echokardiographie durchführen, muss der Aortendurchmesser zunächst ausgemessen werden. Die weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt beschränken sich auf das CardioQSystem. Für die Berechnung des Schlagvolumens gilt:
Schlagvolumen, SV=VTI×Aortendurchmesser 4 VTI=Blutfluss-Zeit-Integral
15 15 15 15 15 15 15
gung. Die systolische Flusszeit (korrigiert auf eine Herzfrequenz von 60/min, FTc) erlaubt eine Abschätzung des globalen Volumenstatus des Patienten mit einem hohen prädiktiven Wert. Ist sie deutlich verkürzt (Normwert 330–350 ms), so spricht dies für einen Volumenmangel. Die FTc wird zusätzlich durch den systemischen Gefäßwiderstand (SVR) beeinflusst, der in entsprechenden klinischen Situationen in die Überlegungen einbezogen werden muss. Bei einem erniedrigten Gefäßwiderstand (Sepsis, Narkose usw.) wirft das Herz auch bei Hypovolämie über einen längeren Zeitraum ausreichend Volumen aus, sodass eine Hypovolämie durch einen niedrigen Widerstand maskiert sein kann. Weiterhin spricht eine verlängerte FTc nicht für eine Hypervolämie, sondern wird vielmehr bei Patienten mit einem ausgeglichen Volumenstatus und niedrigem SVR beobachtet. Volumentherapie führt zum Anstieg der FTc; der sensible Parameter für die Verlaufsbeobachtung ist jedoch das Schlagovlumen, wie es vom CardioQ mit wenigen Sekunden Verzögerung online dargestellt wird. Die kontraktile Leistung des linken Ventrikels wiederum korreliert mit der Spitzengeschwindigkeit des systolischen Flusssignals (»peak velocity«; PV). Auch die durchschnittliche Beschleunigungsgeschwindigkeit (»mean acceleration«; MA) spiegelt die Kontraktionskraft des Ventrikels wider. Eine sorgfältige Interpretation dieser Parameter ermöglicht somit eine differenzierte Volumen- und Katecholamintherapie.
Die 6 mm dicke Ultraschallsonde wird peroral, ca. 35–40 cm ab der Zahnreihe oder pernasal, ca. 40–45 cm ab der Nasenöffnung, auf Höhe des 5. oder 6. Brustwirbels platziert. Dort besteht eine enge räumliche Nähe zwischen Ösophagus und Aorta descendens (ca. 1 cm Abstand). Ein kräftiges Tonsignal und ein typisches, tannenbaumförmiges Dopplerflusssignal zeigen die korrekte Lage der Sonde an. Um optimale Messergebnisse zu erhalten, sind hin und wieder Lagekorrekturen erforderlich, wobei beim anästhesierten Patienten in der Regel leicht ein stabiles Signal eingestellt werden kann. Schwieriger ist dagegen die Messung beim nur leicht sedierten oder gar wachen Patienten. Hieraus wird die Anwendung des Systems beim Intensivpatienten etwas eingeschränkt. Abgesehen vom Schlagvolumen und dem daraus errechneten Herzminutenvolumen oder den entsprechenden Indizes stellt das CardioQ-System weitere, blutflussabhängige Parameter zur Verfü-
Klinische Bewertung der transösophagealen Ultraschallmessung Die transösophagelae Dopplermessung wird intraoperativ, algorithmusbasiert, für eine zielorientierte Volumentherapie genutzt. Hierfür konnte in verschiedenen Untersuchungen ein verbessertes Patienten-Outcome nachgewiesen werden (zusammengefasst in Bundgaard-Nielsen et al. [24]). Für die Intensivmedizin ist das System von eingeschränktem Nutzen, da heute viele Patienten entweder wach oder nur leicht sediert behandelt werden und damit eine stabile Sondenposition nur schwer zu erreichen ist.
15.5.5 Messung der thorakalen Bioimpedanz Dieses nichtinvasive Verfahren zur Messung des Herzzeitvolumens beruht auf elektrischen Widerstandsänderungen des Thorax bzw. den unterschiedlichen elektrischen Leitfähigkeiten der einzelnen Gewebe. Das Blut weist die beste elektrische Leitfähigkeit thorakaler Strukturen auf, Fett und die lufthaltigen Lungengewebe die schlechteste. Die elektrische Bioimpedanz erfasst den elektrischen Widerstand des gesamten Thorax oder dessen Leitfähigkeit für hochfrequenten Wechselstrom mit niedriger Amplitude. Der elektrische Widerstand ist dem Gesamtflüssigkeitsgehalt des Thorax proportional: Nimmt der Flüssigkeitsanteil im Thorax ab, nimmt auch die elektrische Leitfähigkeit ab und die thorakale elektrische Bioimpedanz zu. Beim Bioimpedanzverfahren wird davon ausgegangen, dass mit jeder Systole der Flüssigkeitsgehalt um den Wert des Schlagvolumens ab- und die throkale Impedanz entsprechend zunimmt. Die globale Thoraximpedanz hängt jedoch nicht nur vom aortalen Blutfluss und damit von der Pumpfunktion des Herzens ab, sondern auch von Veränderungen des extravaskulären Lungenwassers sowie von atemabhängigen Schwankungen des intrathorakalen Blutvolumens. Fehlbestimmungen ergeben sich daher bei Lungenödem, Pleuraergüssen, Herzklappenerkrankungen und Herzrhythmusstörungen. Begrenzt wird das Verfahren weiterhin durch Bewegungsartefakte und durch Störungen elektrischer Geräte.
171 15.6 · Atemfunktion
Shoemaker et al. [19] fanden bei Traumapatienten eine gute Korrelation mit den über einen Pulmonalarterienkatheter bestimmten Messwerten.
. Tab. 15.7 Beispiele zu den beiden Hauptstörungen des respiratorischen Versagens, die ein Monitoring der O2-Versorgung und CO2-Elimination erfordern
Technik. Bei den derzeit gebräuchlichen Verfahren werden auf je-
Störung der respiratorischen Funktion
Beispiele
Hyperkapnisches respiratorisches Versagen
Zunahme der CO2Produktion
der Körperseite im Halsbereich und am distalen Thorax in Höhe des Processus xiphoideus Elektrodenpaare angebracht. Über die äußeren Elektrodenpaare wird ein hochfrequenter Wechselstrom mit niedriger Amplitude kontinuerlich angewandt, über die beiden inneren Elektrodenpaare werden kontinuierlich die Veränderungen der Bioimpedanz gemessen. Die aufgezeichnete Impedanzkurve wird als IKG bezeichnet.
Zunahme des Totraumverhältnisses Abnahme des Minutenvolumens
Klinische Bewertung der Bioimpedanz Wichtigster Vorteil des Verfahrens ist seine Nichtinvasivität. In einigen Untersuchungen fand sich eine gute oder befriedigende Korrelation zwischen der HZV-Messung mit Bioimpedanz und der Thermodilutionsmessung über einen Pulmonaliskatheter. In anderen Studien ergaben sich dagegen bei einigen Patienten erhebliche Abweichungen vom Referenzverfahren. Insgesamt ist die Brauchbarkeit der thorakalen Bioimpedanz bei Intensivpatienten, v. a. bei solchen mit hämodynamischer Instabilität, nicht hinreichend gesichert.
15.6
Die nichtinvasive Überwachung der Ventilation erfolgt durch Inspektion, Auskultation, Apnoemonitore, Bestimmung von Atemfrequenz, Atemzugvolumen, Atemminutenvolumen, Pulsoxymetrie und Kapnometrie. Die Effektivität der Ventilation bzw. der pulmonale Gasaustausch werden durch eine arterielle Blutgasanalyse objektiviert.
Überwachung der respiratorischen Funktion
Die beiden Hauptstörungen der respiratorischen Funktion sind das hyperkapnische und das hypoxämische Versagen (. Tab. 15.7). Ziel des respiratorischen Monitorings ist es, die komplexen Formen beider Störungen zu identifizieren. Standard ist hier die Messung der arteriellen O2- und CO2-Partialdrücke (paO2, paCO2; mm Hg). Dies ist allerdings im Regelfall nur diskontinuierlich möglich und bezogen auf die p2O2-Messung in Hyperoxie mit Messfehlern behaftet [12]. Erfolgt die Überwachung kontinuierlich und nichtinvasiv, sind frühzeitiges Erkennen bedrohlicher Ereignisse, rechtzeitige Thera-
Zentral Alveolär
Ventilations-/Perfusionsstörungen Refraktäre Hypoxämie (Shunt)
Kapillär Anatomisch Venöse Beimischung
Erniedrigter gemischtvenöser O2-Gehalt
Atemfunktion
Störungen der Ventilation und des pulmonalen Gasaustausches treten beim Intensivpatienten häufig auf und sind nicht selten der primäre Anlass für die Aufnahme auf die Intensivstation. Die Überwachung der Atemfunktion gehört daher, neben der Herz-KreislaufFunktion, zu den essenziellen Maßnahmen. Folgende Verfahren dienen zur Überwachung der Atemfunktion des Intensivpatienten: 4 Inspektion, Perkussion, Auskultation, 4 Pulsoxymetrie, 4 Kapnometrie, 4 Blutgasanalyse, 4 Spirometrie, elektronische Flowmessung, 4 Beatmungsmanometrie.
15.6.1
Hypoxämisches respiratorisches Versagen Alveoläre Hypoventilation
Zentraler Atemantrieb Respiratorische Impedanz Atemmuskelkapazität
pie, Reduktion invasiver Maßnahmen und Datenakquisition ohne zeitliche Verzögerung möglich. Als Methoden hierfür haben sich Pulsoxymetrie und Kapnometrie bewährt: Die Pulsoxymetrie zum kontinuierlichen nichtinvasiven Monitoring der O2-Versorgung, die Kapnometrie zur nichtinvasiven Überwachung der CO2-Entsorgung von Atemzug zu Atemzug.
15.6.2
Pulsoxymetrie
Mit Pulsoxymetern erfolgt das Monitoring der O2-Versorgung über die Messung der O2-Sättigung. Diese integriert den O2-Partialdruck, die O2-Bindungskapazität und die O2-Affinität des Hämoglobins, während andere Ursachen einer O2-Versorgungsstörung, beispielsweise eine Anämie oder eine Abnahme der O2-Konzentration (Hypoxämie), nicht differenziert werden können. Pulsoxymeter beurteilen demnach die Lungenfunktion und zeigen an, ob der angebotene O2 die Diffusionsbarriere Lunge überwunden und im Blut zu einer physiologischen Konzentration oxygenierten Hämoglobins (O2Hb) geführt hat oder nicht.
Messprinzip Pulsoxymeter integrieren 2 Prinzipien, die Spektralphotometrie und die Photoplethysmographie. Im Gegensatz zur spektralphotometrischen Messung der O2-Sättigung mit MehrwellenlängenOxymetern analysieren Pulsoxymeter das Absorptionsverhalten des Hämoglobins und seiner Derivate oxygeniertes Hb (O2Hb), oxidiertes Hb (MetHb), desoxygeniertes Hb (Hb) und kohlenmonoxidbeladenes Hb (COHb) mit nur 2 Wellenlängen. Zwei lichtemittierende Elektroden (LED) schicken rotes und infrarotes Licht (je nach Hersteller und Gerätetyp 660 nm und 940 nm) durch das
15
15 15 15 15 15 15 15 15 15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
periphere Messorgan (meist die Fingerbeere), um zwischen oxygeniertem und desoxygeniertem Hämoglobin zu differenzieren. Im Rahmen der Photoplethysmographie wird dabei unterstellt, dass der Absorptionsanstieg während der Systole ausschließlich durch das Einströmen arteriellen Blutes verursacht wird. Bei jeder der beiden Wellenlängen wird die Differenz zwischen der sog. diastolischen Hintergrundabsorption (venöses Blut, Gewebe, Knochen, Pigment) und dem Spitzenwert während der Systole bestimmt. Hierfür wird das spektrale Verhalten von O2Hb und Hb benützt: O2Hb absorbiert weniger rotes Licht als Hb und umgekehrt. Die Beziehung zwischen beiden Absorptionsmessungen (das Rot-Infrarot-Verhältnis) soll nur durch die arterielle O2-Sättigung beeinflusst sein. Neben den beiden Wellenlängen variiert auch der jeweils zur Berechnung der O2-Sättigung verwendete Algorithmus.
15
pSa=O2 [%] =
cO2Hb cO2Hb+cHb+cCOHb+cMetHb cO2Hb cO2Hb+cHb
100
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cMetHb = 1-45 % I 80
II
I: y = 0,5472x + 43,86 (Patienten; n = 80) II: y = 0,33x + 56,8 (Hunde) III: y = 0,46x + 43,5 (Hunde)
70 70
80 90 Sp O 2 [%] in vitro
100
. Abb. 15.14 Partielle O2-Sättigung verschiedener Pulsoxymeter als Funktion der berechneten SpO2 (erhalten mittels CO-Oxymeter 2500, Bayer Diagnostics) bei unterschiedlichen MetHb-Konzentrationen (mod. nach [10]). Die Abbildung zeigt, dass die In-vivo-SpO2 der Pulsoxymeter mit zunehmender MetHb-Konzentration und zunehmender Hypoxie überschätzt, in Normoxie dagegen unterschätzt wird
100
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cMetHb = 0,4- 8 %
III
Aufgrund der Messung mit nur 2 Wellenlängen wird nicht die tatsächliche O2-Sättigung (SaO2;%) erhalten, sondern die partielle arterielle O2-Sättigung (pSaO2; [%]; [11, 13]). Partielle arterielle O2Sättigung wird der Messwert deshalb genannt, weil nur ein Teil des Hämoglobins betrachtet wird (O2Hb im Verhältnis zu O2Hb und Hb) und andere Derivate wie COHb und MetHb mehr oder weniger unberücksichtigt bleiben:
SaO2 [%] =
cMetHb = 1-45 %
90
Messwert
15 15
100
psO2 [%] in vivo
172
Die nicht selten verwendete Bezeichnung dieses Messwertes als »funktionelle« SO2 – zur Unterscheidung von einer »fraktionellen« SO2 [4] – hat unnötig Verwirrung gestiftet.
Methodenspezifische Besonderheiten Bedingt durch die spezielle Methodik – Messung der arteriellen O2-Sättigung mit 2 Wellenlängen am peripheren Messorgan – sind Probleme und Besonderheiten zu beachten. z Messwert pSaO2 Mit dem Messwert pSaO2 wird bei Vorliegen von z. B. 5 % MetHb und 5 % COHb ein Sättigungswert von etwa 98 % erhalten, obwohl die tatsächliche Sättigung (SaO2) nur ca. 88 % betragen würde. Die betreffenden Normalwerte sind daher unterschiedlich: 98 % im Falle der pSaO2 und 96 % bei Verwendung der SaO2. Die pSaO2 kann daher weder zur Berechnung der O2-Konzentration noch zur Bestimmung des O2-Angebotes verwendet werden. Der Messwert ist in seiner diagnostischen Aussagekraft nur dem pO2 vergleichbar, erlaubt aber keine direkte Aussage zum arteriellen pO2. Zwischen pSaO2-Werten von 80 und 99 % könnte der pO2 lediglich sehr grob geschätzt werden, je nach Begleitumständen. Bei einem pSaO2-Wert von 99 % unter Beatmung mit reinem O2 bleibt unklar, ob der paO2 bei 90 mm Hg oder über 600 mm Hg liegt (obwohl er bei reiner O2-Beatmung und intakter Lunge über 600 mm Hg liegen müsste). z Zusammensetzung des Blutes Messfehler der pSaO2 durch COHb bestehen mit heutigen Geräten nicht mehr [11, 13]. Im Falle erhöhter MetHb-Konzentration gilt dies allerdings nicht (. Abb. 15.14): Bei zunehmender Hypoxie
und gleichzeitiger Methämoglobinämie wird die pSaO2 zunehmend falsch zu hoch angegeben [11]. Auch durch Farbindikatoren (z. B. Methylenblau) oder bei lackierten Fingernägeln sind Messprobleme zu erwarten [11]. Ausgeschlossen werden können dagegen Fehler durch fetales Hämoglobin (HbF) und andere Farbstoffe [11]. Lipidemulsionen wiederum stellen ein neues Problem dar. So kann unter kontinuierlicher Gabe von z. B. Etomidat oder Propofol fälschlicherweise eine »dosisabhängige Hypoxie« (Abnahme des O2-Partialdrucks) gemessen werden [13]. Wie stark sich dieser Fehler auf die Messung heutiger Pulsoxymeter auswirkt, wird derzeit noch untersucht. z Peripheres Messorgan Trotz Messung am peripheren Messorgan soll nicht die periphere (kapilläre), sondern die systemische (arterielle) O2-Sättigung erhalten werden. Messfehler durch Reflexion, Lichtstreuung und natürliche Pigmente wurden inzwischen durch optimierte Signalverarbeitung und Algorithmen eliminiert, während dies für Fremdstrahlung (Licht, elektromagnetische Wellen) und Bewegungsartefakte nicht zutrifft [11, 13]. Gerade Relativbewegungen des Messorgans gegen den Sensor stellen bei Kindern und unruhigen Erwachsenen ein Problem dar. Resultat sind Fehlmessungen, die oft zu der Entscheidungsfalle führen, entweder den Patienten zu behandeln oder den Monitor zu ignorieren. Ein weiteres Problem ist der periphere Blutfluss. Besonders am peripheren Messort Fingerbeere besteht die Gefahr, dass nur ein lokaler peripherer (kapillärer) pSaO2-Wert erhalten wird, insbesondere in Situationen mit Hypotension und erniedrigtem Herzzeitvolumen. Weil zur Signalerfassung heute nur noch ein Blutfluss von etwa 4–8 % der Norm erforderlich ist, ist das Risiko eines irreführenden (peripheren) pSaO2-Werts noch gestiegen. Der pulsoxymetrische Messwert kann auch bei einem gestörten Ventilations-/ Perfusions-Verhältnis in der Lunge abfallen, beispielsweise in Sei-
173 15.6 · Atemfunktion
tenlage oder im Falle der Unterdrückung der pulmonalvaskulären Reflexe durch Anästhetika. Das von vielen Geräten dargestellte Plethysmogramm ist insofern wenig aussagefähig und mit Vorsicht zu interpretieren. Wegen der besseren Regulation der Mikrozirkulation wäre das Ohrläppchen der geeignetere Messort. Sicher besser geeignet als der Finger ist der Messort Ohrläppchen bei Vasokonstriktion, Hypothermie, Hypovolämie, erniedrigtem Herzzeitvolumen, erhöhtem systemischem Gefäßwiderstand und bei Kindern mit angeborenen Herzerkrankungen [11]. Zu den alternativen Messorten Wangenschleimhaut und Zunge liegen noch nicht genügend Erfahrungen vor [11]. Wird hingegen der Finger als Messorgan verwendet, sollte dies aufgrund der arteriellen Versorgung nach Möglichkeit der Zeigefinger sein [11]. Probleme durch Ödeme und Nekrosen (zu starker Druck des Klemmsensors oder unsachgemäße Befestigung mittels Pflasterstreifen) sowie durch die Fingerdicke müssen ebenfalls bedacht werden. z Kalibrierung und Messgenauigkeit Die Kalibrierung erfolgt heute meist korrekt, d. h. gegen den angestrebten Messwert pSaO2 und nicht gegen die SaO2. Weil die Geräte vom Hersteller kalibriert werden, ist eine genaue Justierung durch den Anwender nicht möglich. Unterhalb eines pSaO2-Wertes von 80 % ist die Unzuverlässigkeit des Messwerts daher unvorhersagbar für die betreffende Situation und das jeweilige Gerät. Eine Messgenauigkeit im Sättigungsbereich zwischen 80 und 100 % von ±3 % (95 %-Konfidenzintervall, [4]) ist insofern inakzeptabel. Gewährleistet sein muss eine Genauigkeit von ±2 % im Bereich 70–100 % pSaO2. Nur dann kann beispielsweise ein Abfall des paO2 auf 70 mm Hg durch eine gleichzeitige Abnahme der pSaO2 auf 94 % nachgewiesen werden [13]. Diese Messgenauigkeit ist besonders für die Anwendung an Frühgeborenen zu fordern, deren Beatmung häufig an pulsoxymetrischen Werten zwischen 92 und 94 % orientiert ist, um sowohl Hyper- als auch Hypoxie zu vermeiden. Bei vielen der heute verfügbaren Geräte ist diese Messgenauigkeit von ±2 % auch gewährleistet, einschließlich der Reproduzierbarkeit bei Mehrfachmessung [11, 13]. z Erhöhte FIO2 Als Frühwarnmonitor einer Oxygenierungsstörung sind Pulsoxymeter untauglich, wenn inspiratorisch mehr als 21 % O2 angeboten werden. Die Geräte eignen sich in diesem Falle lediglich als Negativkontrolle: Sie zeigen nach einer Phase trügerischer Konstanz und Stabilität (je nach O2-Reservoir, alveolärem pO2 und Lage der O2-Bindungskurve) durch plötzlich sehr schnell fallende Werte an (steiler Teil der O2-Bindungskurve), dass bereits eine gravierende Störung der O2-Versorgung eingetreten ist. z Alarmgebung Bei Pulsoxymetern können 75 % aller auditiven Alarme Fehlmeldungen sein, während nur in 3 % der Fälle eine Gefahr korrekt angezeigt wurde [6]. Bezogen auf eine Anwendungszeit von einer Stunde wurde eine Fehlalarmquote von 47 % gefunden, entsprechend 28 min pro Betriebsstunde [1]. Pulsoxymeter gelten allerdings dann als zuverlässig, wenn die Sensitivität 100 % beträgt (0 % falsch-negative Ergebnisse) und die Spezifität 95 % (5 % falsch-positive Ergebnisse). Dies bedeutet für die Praxis, dass die Möglichkeit eines richtig-positiven Alarms 95 % beträgt. Werden zwei Geräte dieser Spezifität benutzt, beträgt die Möglichkeit eines richtigen Alarms für beide Geräte allerdings nur noch 90 %. Sind 20 solcher Geräte in Betrieb, beträgt die Wahrscheinlichkeit eines korrekten Alarmes nur noch 36 %, während die für einen falsch-positiven Alarm bei 64 % liegt. Abgesehen von der Lärmbelästigung für Patient und Personal wächst hierdurch die Gefahr, dass eine tatsächliche O2-Ver-
sorgungsstörung möglicherweise nicht oder erst verspätet wahrgenommen wird.
15.6.3
Kapnometrie
Kapnometrie bezeichnet die fortlaufende Messung des CO2 in der Ausatemluft. Als Messwert angegeben wird entweder die CO2-Konzentration am Ende der Exspiration (cetCO2, Vol.-%; etCO2) oder, unter Berücksichtigung des aktuellen Luftdrucks, der entsprechende CO2-Partialdruck (petCO2, mm Hg). Ideal ist ein Gerät, wenn zusätzlich zum angezeigten endexspiratorischen (alveolären) Wert der zeitliche Verlauf des gesamten in- und exspiratorischen Atemzyklus als Kurve dargestellt wird (Kapnographie), weil diese Kurve einen unverwechselbaren Charakter hat und eine Reihe relevanter Akutveränderungen besser widerspiegelt als der numerische Wert allein. Gekennzeichnet ist die CO2-Kurve durch einen steilen Anstieg zu Beginn der Exspiration, ein nahezu horizontales Plateau während der Entleerung der alveolären Lungenanteile und einen steilen Abfall auf praktisch Null mit Beginn der Inspiration. Danach wäre ein ansteigendes oder unvollständiges Plateau ein direkter Hinweis auf eine mögliche Obstruktion, während Einbuchtungen im alveolären Plateau eine Eigenaktivität des Patienten bedeuten könnten. Eine umfassende Auswahl klinisch anschaulicher Beispiele kann von allen Herstellern schon mit den Geräteprospekten zur Verfügung gestellt werden.
Messprinzip Die Kapnometrie konzentriert sich darauf, ob nach Passage des Blutes durch die Lungenkapillaren ein physiologischer CO2-Partialdruck als Folge der CO2-Elimination erhalten wird. Beträgt der pCO2 annähernd 40 mm Hg, so muss die CO2-Elimination des durch die Lunge geflossenen Blutes intakt sein. Änderungen dieses CO2-Partialdruckes von 40 mm Hg bedeuten, dass die Beatmung entweder gestört ist und/oder sich Lungenperfusion, Herzzeitvolumen oder nutritive Perfusion geändert haben. Der herausragende Stellenwert der Methode liegt demnach darin, dass Ventilation, CO2-Produktion und CO2-Elimination integriert sind.
Messmethoden Methodisch wird zwischen Haupt- und Nebenstromkapnometern unterschieden, die in der Regel nach dem Prinzip der Infrarotabsorption funktionieren. Beispielsweise liegt der Spitzenwert der infraroten CO2-Absorption bei 4,26 mm, also sehr nahe zwischen den Werten für Wasser und Lachgas, sodass Kollisionen dieser Gase die Infrarotmessung beeinflussen können. Ein Vorteil der Hauptstromgeräte ist, dass zur Analyse kein Gasstrom vom Tidalvolumen abgezweigt werden muss. Hauptvorteile der Nebenstromgeräte sind die praktikable Sensorgröße und die Möglichkeit, auch Lachgas und am spontan atmenden Patienten messen zu können. In Einzelfällen wird die Infrarottechnik mit magneto- und photakustischen Analyseverfahren (z. B. Brüel & Kjær, Kopenhagen, oder Hewlett Packard, Sindelfingen) kombiniert, sodass auch andere Gase (O2, N2, Anästhesiegase) gemessen werden können. Andere, technisch aufwendigere und teurere klinische Möglichkeiten sind die Massenspektrometrie und das Prinzip der Raman-Brechung, mit denen ebenfalls CO2, O2, N2 und Anästhesiegase gemessen und graphisch dargestellt werden können.
Messwert petCO2
Normalerweise reflektiert der endexspiratorische pCO2-Wert (petCO2) den alveolären pCO2-Wert (pACO2) und dieser den arteriellen Wert (paCO2) – bis auf eine sehr kleine alveoloarterielle
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Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
CO2-Partialdruckdifferenz (AaDCO2) von etwa 0,8–1 mm Hg [14]. Die Genauigkeit der Geräte sollte daher im Bereich von ±1 mm Hg liegen, sowohl betreffend das Kapnometer als auch den Blutgasanalysator. Alveoloarterielle pCO2-Unterschiede von etwa 4–6 mm Hg können über anatomische Shunts (z. B. die Thebesischen Venen) und geringe Ventilations- bzw. Perfusionsstörungen erklärt werden. Deutlichere Differenzen werden gefunden, wenn das Atemminutenvolumen für einen individuellen Patienten nicht richtig eingestellt ist, pathologische Veränderungen des respiratorischen Systems vorliegen sowie während sportlicher Betätigung. Typische Ursachen einer vergrößerten AaDCO2 sind pulmonale Minderperfusion und Embolisation, Herzstillstand sowie Beatmung mit positiv endexspiratorischem Druck oder geringem Tidalvolumen kombiniert mit hoher Atemfrequenz. Bei der Interpretation der AaDCO2 muss jedoch sichergestellt sein, dass der arterielle pCO2 auf die aktuelle Temperatur des Patienten bezogen wurde.
Messprobleme Während der Barometerdruck (pB) bei heutigen Nebenstromkapnometern keinen Einfluss mehr auf die Messung hat, gilt dies nicht für Hauptstromkapnometer. Bei pB–Schwankungen von z. B. 20 mm Hg kann der Messfehler mit Hauptstromgeräten etwa 6 % betragen (ca. 1,1 mm Hg bei einem pCO2 von 40 mm Hg; [14]. Liegt eine Intensivstation beispielsweise auf einer Höhe von 600 m über N. N. (pB=708 mm Hg), so würde der pCO2 dadurch um etwa 3 mm Hg zu hoch bestimmt. Bei Nebenstromgeräten wiederum muss das Problem der Wasserdampfkorrektur und der Querempfindlichkeit gegenüber anderen Gasen (z. B. Sauerstoff) berücksichtigt werden [12, 14]. Nebenstromgeräte trocknen das feuchte Exspirationsgas (pH2O=47 mm Hg, 37 °C), wodurch bei einem Barometerdruck von 760 mm Hg der pCO2 um etwa 6 % zunimmt [14]. Damit würde ein petCO2 von 40 mm Hg (feucht) fälschlich mit 43 mm Hg (trocken) zu hoch bestimmt. Die erforderliche Korrektur (STPD/BTPS) wird jedoch nicht von allen Firmen vorgenommen bzw. erfolgt falsch [12, 14]. Die Querempfindlichkeit gegenüber anderen Gasen kann im Falle der Infrarotgeräte bei Anwesenheit von Lachgas zur Überschätzung, im Falle von O2 zur Unterschätzung des Messwerts führen, und zwar in einem Bereich von etwa 1,8–7 % [14]. Allerdings wurde belegt, dass mit einigen der heute in der Routine eingesetzten Geräte eine Messgenauigkeit von ±1 mm Hg gewährleistet ist [12, 14]. Im Falle transportabler Geräte zeigte sich aber auch, dass z. T. erhebliche Unterschiede und Messungenauigkeiten bestehen, v. a. bei extremem Wechsel der Umgebungstemperatur [12]. z Erniedrigter petCO2 Eine Erniedrigung des gemessenen CO2-Wertes kann prinzipiell bedingt sein durch: 4 eine erniedrigte CO2-Produktion und -Abgabe an die Lungen (z. B. Hypothermie, pulmonale Minderperfusion oder Embolisation, Verminderung des Herzzeitvolumens, Herzstillstand, Blutung, Hypotension), 4 eine gesteigerte alveoläre Ventilation (Hyperventilation), 4 durch Gerätefehlfunktionen (Diskonnektion, Leckagen im Bereich des Tubus, Messfehler, fehlgegangene oder inkorrekte Atemwegssicherung).
(der petCO2 fällt aber mit jedem weiteren Atemzug als Ausdruck der CO2-Auswaschung ab). Sind Segmente der Pulmonalarterie verschlossen und dadurch Teile der Lunge ventiliert, aber nicht perfundiert, so wird das Gas aus der nicht perfundierten Lunge ohne vorherige O2-Abgabe und CO2-Aufnahme exspiriert. Die petCO2Werte wären daher trotz normaler alveolärer O2-Konzentration erniedrigt – und die AaDCO2 hätte deutlich zugenommen. z Erhöhter petCO2 Eine Erhöhung des endexspiratorischen CO2-Messwertes kann hervorgerufen werden durch: 4 erhöhte CO2-Produktion und -Abgabe an die Lunge (Verbesserung der Kreislaufverhältnisse, Fieber, Sepsis, Gabe von Bikarbonat, Zunahme des Metabolismus, Krampfanfälle), 4 abnehmende Alveolarventilation (Hypoventilation, Depression des Atemzentrums, Muskellähmung, Obstruktion der Luftwege), 4 Geräteprobleme (Rückatmung, verbrauchter CO2-Absorber, Leckage im Kreissystem). Wird beispielsweise nur eine Lunge beatmet, hilft die Kapnometrie allerdings wenig: Der große intrapulmonale Shunt beeinflusst den paO2 weit mehr als den paCO2, weil die normale Differenz zwischen gemischtvenösem und arteriellem pO2 groß, die zwischen gemischtvenösem und arteriellem pCO2 hingegen klein ist. Die Vermischung gleicher Mengen venösen Blutes mit arteriellem Blut wirkt sich deshalb zwar stark auf den pO2 aus, hingegen praktisch kaum auf den pCO2. Ähnliches gilt bei anatomischen Shunts, sodass der geringe petCO2-Anstieg nur mit einem sehr genauen Kapnometer erfasst werden könnte. z Oxygraphie Wenn O2 zugeführt wird, muss gleichzeitig der in der Lunge vorhandene N2 anteilmäßig ausgewaschen werden. Dies kann mit einem modernen Kapnometer über die Differenz aus in- und exspiratorischem O2-Partialdruck (pIO2, petO2) oder über die Differenz aus FIO2 und FEO2 abgelesen werden (Oxygraphie), sofern das betreffende Gerät nicht die direkte N2-Messung erlaubt. Diese alveoläre O2-Differenz muss bei gesicherten Atemwegen je nach vorgegebener FIO2 von Atemzug zu Atemzug typische Werte aufweisen und sich zum Kapnogramm invers verhalten. In Synergie zum Kapnogramm eignet sich die Oxygraphie demnach ausgezeichnet zur Beurteilung der Atemwegsicherung und zur Evaluierung von Shunts.
15.7
Die arteriellen Blutgase sind eng mit dem Säure-Basen-Haushalt verknüpft, sodass die entsprechenden Parameter meist zusammen mit den Blutgasen bestimmt werden; durch zusätzliche Bestimmung der O2-Sättigung und der Hämoglobinkonzentrationen kann der O2-Gehalt des arteriellen Blutes berechnet werden. Venöse Blutgasanalysen sind zur Beurteilung des pulmonalen Gasaustausches nicht geeignet.
15.7.1 Auch die »Cola- oder Bierkomplikation» (die ösophageale Intubation bei gleichzeitig im Magen befindlicher kohlensäurehaltiger Flüssigkeit) kann anhand der von Atemzug zu Atemzug sich rasch abflachenden CO2-Kurve sicher erkannt werden. Bei erniedrigtem Herzzeitvolumen können die Kapnometerwerte initial normal bleiben, selbst dann, wenn es zum plötzlichen Herzstillstand kommt
Analyse der arteriellen Blutgase
Probenentnahme
Das arterielle Blut kann mit normalen Kunststoffspritzen oder vorgefertigten Spezialspritzen entnommen werden. Die Spezialspritzen sind leichtgängiger, der Spritzenstempel wird oft bereits durch den arteriellen Druck hochgedrückt; die Gefahr einer Beimischung von Luftbläschen mit Verfälschung der Messwerte ist geringer.
175 15.7 · Analyse der arteriellen Blutgase
Blutgasanalysen werden im Vollblut durchgeführt. Damit das Blut in der Spritze nicht gerinnt, wird Heparin als Antikoagulans zugesetzt. Andere gerinnungshemmende Substanzen dürfen nicht verwendet werden, weil hierdurch die gemessenen Werte verfälscht werden. Der pH-Wert von Heparin ist sauer (7,0). Damit keine falsch-niedrigen Werte gemessen werden, darf nicht zuviel Heparin in der Spritze belassen werden. Praktisch werden 0,5 ml Heparin in die Spritze bis zum Anschlag des Stempels aufgezogen und anschließend ingesamt wieder herausgespritzt. Das im Spritzentotraum verbleibende Heparin genügt zur Gerinnungshemmung.
4 Eine mit Heparin benetzte Kapillare (10 cm lang, 60–100 μl Fassungsvermögen) tief in den Blutstropfen einführen, damit das Blut leicht in der Kapillare aufsteigen kann 4 Probe luftdicht verschließen und, sofern nicht sofort eine Analyse erfolgt, bei 4 °C lagern
15.7.2
Arterielle Punktionen Die Entnahmen arteriellen Blutes können praktisch an folgenden Stellen durchgeführt werden: 4 A. radialis, 4 A. brachialis, 4 A. femoralis, 4 Ausweichmöglichkeiten: A. ulnaris, A. dorsalis pedis, A. tibialis posterior, A. temporalis. A. radialis Die A. radialis am Handgelenk ist die am leichtesten zugängliche und vermutlich sicherste Punktionsstelle. Das Gefäß liegt oberflächlich, größere benachbarte Venen fehlen; außerdem besteht fast immer ein ausreichender Kollateralkreislauf über die A. ulnaris. A. brachialis Die Punktionsstelle befindet sich proximal und medial der Bizepssehne in der Ellenbeuge. A. femoralis Die Punktionsstelle liegt unterhalb des Leistenbandes. Das Gefäß verläuft tief unter der Haut neben V. und N. femoralis (Verletzungsgefahr!). Der Kollateralkreislauf der A. femoralis ist begrenzt. Vorbereitung und Vorgehen bei der Punktion sind ähnlich wie bei der A. radialis. Allergings kann die Kanüle wegen des weiten Gefäßlumens auch senkrecht zum Gefäß eingestochen werden, sonst schräg von kaudal nach kranial. Komplikationen der arteriellen Punktion. Die wichtigsten Komplikationen bei arteriellen Punktionen sind: 4 Gefäßspasmus, 4 intravasale Gerinnselbildung, 4 Hämatom. Durch diese Komplikationen kann die Durchblutung beeinträchtigt oder sogar vollständig unterbrochen werden.
Aufbewahrung und Verarbeitung der Proben
Das entnommene Blut verbraucht weiterhin O2 und bildet CO2. Das Blut sollte daher möglichst sofort nach der Entnahme analysiert werden. Ist dies nicht möglich, so muss die Stoffwechselaktivität des Blutes durch Lagerung im Kühlschrank bei 4 °C gesenkt werden. Die Aufbewahrungszeit bei dieser Temperatur beträgt ca. 1–2 h. Darüber hinaus muss die Blutentnahme unter anaeroben Bedingungen erfolgen, d. h. während und nach der Entnahme darf keine Luft in die Spritzen eindringen, damit die Blutgaswerte nicht verfälscht werden.
Einfluss der Temperatur Die meisten Blutgasanalysegeräte messen die Blutgase bei 37 °C. Hypothermie steigert jedoch die Löslichkeit der Blutgase: paO2 und paCO2 fallen ab. Nach derzeitiger Auffassung sollen die Blutgase bei 37 °C gemessen und nicht auf Körpertemperatur korrigiert werden.
15.7.3
Sauerstoffpartialdruck
Der Bereich der Normalwerte im arteriellen und gemischtvenösen Blut ist in . Tab. 15.8 dargestellt. Der paO2 nimmt mit zunehmenden Alter progredient ab: . Tab. 15.8 Normalwerte der Blutgase und O2-Sättigungen Parameter
Arteriell
Gemischtvenös
pO2
70–105 mm Hg
35–40 mm Hg
pCO2
35–45 mm Hg
41–51 mm Hg
O2-Sättigung
96–98 %
70–75 %
Arterialisiertes Kapillarblut Bei Neugeborenen und Kleinkindern können die Blutgase hinreichend genau aus arterialisiertem Kapillarblut bestimmt werden, wenn die Durchblutung im Bereich der Punktionsstelle ausreichend ist, nicht hingegen bei Zentralisation des Kreislaufs. Das praktische Vorgehen ist in der folgenden Übersicht dargestellt:
Praktisches Vorgehen bei der Entnahme einer arterialisierten Kapillarblutprobe 4 Auswahl eines stark kapillarisierten Gefäßbetts: Ferse, Ohrläppchen, Fingerbeere, Großzehe 4 Erwärmen des Punktionsgebiets, z. B. durch 10-minütiges Anstrahlen mit einer Lampe 4 Tiefer Einstich in das erwärmte Gebiet mit einer Lanzette; hierbei muss das Blut frei austreten, ohne dass die Punktionsstelle ausgequetscht wird 6
paO2 (mm Hg)=102–1/3 Alter (in Jahren)
Als unterer Schwellenwert für therapeutische Maßnahmen gilt ein akuter Abfall des paO2 auf ca. 60 mm Hg. Bei chronischer Hypoxie werden auch niedrigere paO2-Werte toleriert. 15.7.4
Sauerstoffsättigung des Blutes
Der paO2 bestimmt über die O2-Bindungskurve die O2-Sättigung des arteriellen Blutes (SaO2), d. h. den prozentualen Anteil des mit O2 gesättigten Hämoglobins (O2Hb) am Gesamthämoglobin des Blutes. Der Normalwert der arteriellen O2-Sättigung beträgt 96 %. Das Hämoglobin ist praktisch nie zu 100 % mit O2 gesättigt, da im Blut 0,5–1 % des Hämoglobins als MetHb und 1–2 % als COHb vorliegen und außerdem eine geringe Menge des Blutes nicht am
15
176
15 15 15
Kapitel 15 · Hämodynamisches und respiratorisches Monitoring, intravasale Katheter
pulmonalen Gasaustausch teilnimmt, sondern als Shuntblut in den arteriellen Kreislauf einströmt. Die SaO2 wird mit CO- oder HämOxymetern bestimmt, und zwar diskontinuierlich in vitro, die SpO2 wird hingegen kontinuierlich in vivo mit Pulsoxymetern, in vitro mit Häm-Oxymetern gemessen oder aus der Blutgasanalyse berechnet. Als Schwellenwert für therapeutische Maßnahmen gilt ein akuter Abfall der SaO2 auf 90 %.
15.7.6
15 15
15.7.5
Sauerstoffbindungskurve
15
Die O2-Bindungskurve beschreibt die Beziehung zwischen dem paO2 und der O2-Sättigung des Hämoglobins. Zu jedem bestimmten paO2 gehört auch eine bestimmte O2-Sättigung des Hämoglobins: Ein niedriger paO2 führt zur Abnahme der O2-Sättigung und umgekehrt. Die Beziehung zwischen O2-Sättigung des Hämoglobins und paO2 ist jedoch nicht linear, vielmehr gilt Folgendes: 4 Im Bereich niedriger paO2-Werte verläuft die Kurve sehr steil, d. h. bereits geringe Anstiege des paO2 führen zu starker Zunahme der O2-Sättigung und umgekehrt, 4 im Bereich hoher paO2-Werte, also im Normalbereich und darüber, nimmt die O2-Sättigung nur geringfügig zu, wenn der paO2 ansteigt, 4 bei vollständiger O2-Sättigung des Hämoglobins ist keine weitere chemische O2-Bindung mehr möglich; lediglich die physikalisch gelöste O2-Menge kann (geringfügig) zunehmen.
15
Die O2-Bindungskurve kann durch zahlreiche Faktoren nach links oder rechts verschoben werden (. Abb. 15.15).
15
Rechtsverschiebung. Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve
15 15 15 15 15
15
Linksverschiebung. Linksverschiebung bedeutet: Bei gleichem paO2 kann das Hämoglobin mehr O2 binden, sodass die O2-Sättigung entsprechend höher als sonst ist. Die Bindung zwischen O2 und Hämoglobin ist verstärkt, darum wird O2 schlechter freigegeben. Linksverschiebung tritt auf bei Hypothermie, Alkalose, Hypokapnie und 2,3-DPG-Mangel.
bedeutet: Bei gleichem paO2 wird weniger O2 vom Hämoglobin gebunden. Allerdings wird O2 auch besser aus dem Hämoglobin freigesetzt. Rechtsverschiebung tritt auf bei Fieber, Azidose, Hyperkapnie.
15 Linksverschiebung der Kurve 1. [H+ ], pH 2, pCO2 3. Temperatur 4. 2, 3 - DPG
15 15
Rechtsverschiebung der Kurve 1. [H+], pH 2, pCO2 3. Temperatur 4. 2, 3 - DPG
Physikalisch gelöster Sauerstoff
Die physikalisch im Blut gelöste O2-Menge ist gering: Pro mm Hg werden 0,003 ml O2 physikalisch gelöst, das sind bei einem normalen paO2 von 100 mm Hg 0,3 ml O2/100 ml Vollblut. Selbst durch Erhöhung der inspiratorischen O2-Konzentration auf 100 % mit nachfolgendem Anstieg des paO2 auf 600 mm Hg würde die gelöste O2-Menge nur auf 1,8 ml/100 ml Blut ansteigen – eine, im Vergleich zum chemisch gebundenen Anteil von 21 ml/100 ml Blut, außerordenlich geringe Menge. Praktisch gilt daher: ! Cave Bei der Einstellung der inspiratorischen O2-Konzentration am Beatmungsgerät genügt eine Konzentration, die zu einem Anstieg des paO2 in den Normbereich von 70–105 mm Hg führt..
15.7.7
Sauerstoffgehalt im Blut
Die entscheidende Größe des arteriellen Blutes ist die O2-Konzentration bzw. der O2-Gehalt, CaO2. Er hängt von folgenden arteriellen Größen ab: 4 O2-Partialdruck, paO2 (mm Hg), 4 O2-Sättigung, SaO2 (%), 4 Hämoglobinkonzentration, cHb (g/dl). Der O2-Gehalt des Blutes kann nach folgender Formel berechnet werden:
CaO2 (ml/dl)=SaO2 (%)×cHb (g/dl)×1,39+(paO2×0,003)
Normalwert arteriell: Männer 20,4 ml/dl, Frauen 18,6 ml/dl.
100
15
15 15 15
80 Sauerstoffsättigung [%]
15
15.7.8
90
links
rechts
70 60
pO2
p50
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10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
40 30 20
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10
Sättigung Gelöster O2 des Hb [%] ml / 100 ml 13,5 0,03 35,0 0,06 57,0 0,09 75,0 0,12 83,5 0,15 89,0 0,18 92,7 0,21 94,5 0,24 96,5 0,27 97,4 0,30
Sauerstoffangebot an die Organe
Die O2-Versorgung aller Organe hängt vom O2-Angebot mit dem arteriellen Blutstrom ab. Für den Gesamtorganismus ergibt sich das O2-Angebot (A· O2) aus dem Produkt von Herzzeitvolumen (HZV) und arteriellem O2-Gehalt bzw. -Konzentration (CaO2): · A O2 (ml/min)=HZV (l/min)×CaO2 (ml/dl)
Das lokale O2-Angebot an die einzelnen Organe wiederum wird ∙ von der Organdurchblutung Q und der arteriellen O2-Konzentration bestimmt:
0 0
10
20
30
40
50 60 70 80 pO2 [mm Hg]
90
100 110 120
. Abb. 15.15 O2-Bindungskurve des Hämoglobins. 2,3-DPG 2,3-Diphosphoglyzerat
· · Organ-A O2 (ml/min)=Q (ml/min)× CaO2 (ml/dl)
177 Literatur
Da während der Narkose das Herzzeitvolumen nur selten und die Organdurchblutung allenfalls bei wissenschaftlichen Fragestellungen gemessen wird, kann der Anästhesist die O2-Versorgung bzw. das aktuelle O2-Angebot nur indirekt anhand der arteriellen O2Konzentration beurteilen. Hierzu müssen, wie bereits zuvor dargelegt, der O2-Partialdruck, die O2-Sättigung und die Hb-Konzentration bestimmt werden. Klinisch ist Folgendes zu beachten: > Ein normaler paO2 und/oder eine normale O2-Sättigung bedeuten nicht zwangsläufig auch ein normales arterielles O2-Angebot, insbesondere nicht auf Organebene.
Diese Parameter (paO2, SaO2, Hb-Konzentration und CaO2) kennzeichnen nach Zander den O2-Status des Blutes. 15.7.9
Folgen der Hypoxämie. Die verschiedenen Formen der Hypoxä-
mie führen bei gleicher Abnahme der arteriellen O2-Konzentration, CaO2, klinisch zu unterschiedlichen Folgen: Eine anämische Hypoxämie wird wesentlich besser toleriert als eine hypoxische Hypoxämie und diese wiederum besser als eine toxische Hypoxämie gleichen Ausmaßes. Der Grund für diese unterschiedliche Toleranz beruht auf dem unterschiedlichen Verlauf der O2-Gehaltskurve bei hypoxischer, toxischer und anämischer Hypoxämie. Da die O2-Versorgung der Gewebe, neben dem O2-Gehalt des arteriellen Blutes, auch vom O2-Partialdruck als treibender Kraft für die O2-Diffusion aus dem Kapillarblut ins Gewebe abhängt, führt eine Linksverschiebung der O2-Gehaltkurve (wie bei hypoxischer und toxischer Hypoxämie), selbst bei gleichem O2-Gehalt, zu einer O2-Minderversorgung. Demgegenüber ist der Verlauf der Kurve bei akuter Anämie nicht und bei chronischer Anämie nur gering verändert.
Alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz
Die alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz (AaDO2) ist ein semiquantitatives Maß für den physiologischen Rechts-links-Shunt, d. h. für die Blutmenge, die, ohne mit O2 gesättigt zu werden, direkt von der Lungenarterie in die Lungenvene einströmt. Die AaDO2 ist die Differenz zwischen dem alveolären (pAO2) und dem arteriellen (paO2) O2-Partialdruck. Nach Atmung von 100 % O2 für etwa 20 min beträgt die normale AaDO2 20–35 mm Hg. Das entspricht einem normalen Shuntanteil von 3–5 % des Herzzeitvolumens. Anders ausgedrückt: 3–5 % des Herzzeitvolumens werden kurzgeschlossen (über Lungenvenen und Vv. Thebesii) und nehmen nicht am pulmonalen Gasaustausch teil. Bei pathologisch erhöhtem Rechts-links-Shunt, z. B. durch Atelektasen, nimmt die AaDO2 zu.
Störungen des arteriellen Sauerstoffstatus
Für die Behandlung der verschiedenen Formen der Hypoxämie werden nach einer Zusammenstellung von [14] folgende Grenzwerte der arteriellen O2-Konzentration (CaO2) empfohlen: 4 Hypoxische Hypoxämie: Therapie zu erwägen oder zu beginnen: 18 ml/dl; Behandlung obligat: 15 ml/dl 4 Toxische Hypoxämie: Theapie zu erwägen oder zu beginnen: 17 ml/dl; Behandlung obligat: 14 ml/dl 4 Anämische Hypoxämie: Therapie zu erwägen: 13 ml/dl; Behandlung empfohlen: 10 ml/dl
Die Werte gelten für akute, innerhalb von Minuten auftretende Veränderungen. Bei chronischen, sich im Verlauf von Tagen entwickelnden Veränderungen können die Grenzwerte evtl. bis zu Hälfte tiefer angesetzt werden.
15.7.10
Für die Beurteilung von Störungen des arteriellen O2-Status des Blutes sind folgende Begriffe klinisch von Bedeutung: 4 Hypoxie: Abnahme des paO2. Sie führt zu Hypoxygenation und Hypoxämie. 4 Hypoxygenation: Verminderung der arteriellen O2-Sättigung (SaO2). Sie führt zur Abnahme des O2-Gehalts bzw. Hypoxämie. 4 Hypoxämie: Abnahme des arteriellen O2-Gehalts. Eine Anämie führt ebenfalls zur Abnahme des arteriellen O2-Gehalts, d. h. zur Hypoxämie.
Hypoxämie Folgende Formen der Hypoxämie, d. h. einer Abnahme des arteriellen O2-Gehalt bzw. der CaO2 können unterschieden werden: Hypoxische Hypoxämie. Abnahme von paO2, SaO2 und CaO2; Bei-
spiel: Störungen der Lungenfunktion, der äußeren Atmung oder Beatmung. Toxische Hypoxämie. Verminderte SaO2 und CaO2 bei zunächst
normalem paO2; Beispiel: CO-Intoxikation. Anämische Hypoxämie. Verminderte cHb und CaO2 bei normaler SaO2 und normalem paO2; Beispiel: Anämie.
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15
181
Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring K.L. Kiening, A.S. Sarrafzadeh
16.1
Einleitung – 182
16.2
Zerebrales Basismonitoring: intrakranieller Druck, zerebraler Perfusionsdruck – 182
16.3
Monitoring der zerebralen Oxygenierung – 182
16.3.1 16.3.2 16.3.3
Jugularvenöse Oxymetrie – 182 Nah-Infrarot-Spektroskopie – 183 Hirngewebe-pO2 – 184
16.4
Kontinuierliche, quantitative Messung des zerebralen Blutflusses – 185
16.5
Zerebrale Mikrodialyse – 185
16.5.1 16.5.2 16.5.3 16.5.4
Funktionsprinzip – 186 Mikrodialyseeinheit auf der Intensivstation – 186 Mikrodialyse – bei welchen Patienten? – 186 Vorteile und Nachteile der Methode – 187
Literatur – 187
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16 16 16 16 16 16 16
182
Kapitel 16 · Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring
16.1
Einleitung
Eine zerebrale Hypoxie bzw. Ischämie, z. B. durch arterielle Hypoxämie, Blutdruckabfall oder intrakranielle Drucksteigerung, erhöht bei zerebral geschädigten Patienten das Risiko sekundärer Hirnschäden und verschlechtert dadurch das klinische Ergebnis oder Outcome. In den letzten Jahren hat sich das Spektrum der Methoden zur Beurteilung der zerebralen Situation bei intensivpflichtigen neurologisch-neurochirurgischen Patienten erheblich erweitert. Neben dem Monitoring des intrakraniellen Drucks (ICP) und des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP) gibt es mittlerweile etablierte Verfahren zur kontinuierlichen Messung der zerebralen Oxygenierung, des zerebralen Metabolismus bzw. des zerebralen Blutflusses. > Oberstes Ziel des zerebralen Monitorings ist es, Phasen zerebraler Hypoxie oder Ischämie möglichst früh lückenlos zu erkennen und ihre Therapie zu überwachen.
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16.2
Zerebrales Basismonitoring: intrakranieller Druck, zerebraler Perfusionsdruck
In einer ersten Annäherung an das diagnostische Problem der zerebralen Minderdurchblutung wurde zunächst als Messparameter der intrakranielle Druck (ICP) und später der zerebrale Perfusionsdruck (CPP) ‒ die Differenz von mittlerem arteriellen Blutdruck und ICP ‒ verwendet [13, 16]. Der Einfluss von pathologischem ICP und CPP auf das klinische Outcome ist unstrittig. Die Einführung von interventionsbedürftigen Grenzwerten der beiden Druckgrößen (ICP >20 mm Hg; CPP <50 mm Hg) und ihre Behandlung führten zu einer Optimierung der Intensivtherapie, sodass beide Parameter heute die Grundlage des zerebralen Intensivmonitorings darstellen.
Allgemein gelten folgende interventionspflichtige Grenzwerte: 4 Intrakranieller Druck (ICP): >20 mm Hg 4 Zerebraler Perfusionsdruck (CPP): <50 mm Hg
Die Einhaltung der oben genannten Druckgrenzen garantiert aber per se nicht einen adäquaten zerebralen Blutfluss (CBF) bzw. eine ausreichende zerebrale Oxygenierung. Diese diagnostische Einschränkung wird besonders im Falle einer überschießenden zerebralen Vasokonstriktion, wie sie z. B. bei der Hyperventilationstherapie oder im Rahmen eines zerebralen Vasospasmus nach Subarachnoidalblutung auftreten kann, deutlich. Hierunter kommt es oftmals, trotz »normaler« ICP- und CPP-Werte, zur zerebralen Hypoxie/Ischämie, sodass eine On-line-Überwachung weiterer zerebraler Parameter wie z. B. der zerebralen Oxygenierung wünschenswert ist.
16.3
Monitoring der zerebralen Oxygenierung
Das Gehirn ist hinsichtlich einer drohenden O2-Minderversorgung besonders gefährdet, da es einerseits einen hohen O2-Verbrauch, andererseits keine nennenswerten O2-bzw. ATP-Speicher aufweist und auf einen vorwiegend aeroben Stoffwechsel zurückgreifen muss. Wie oben erwähnt, ist ein reines zerebrales »Druckmonitoring« (ICP, CPP) oftmals ungenügend und bedarf der Ergänzung. Für ein Monitoring der zerebralen Oxygenierung stehen grundsätzlich drei gänzlich unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, die im Folgenden näher erläutert werden.
16.3.1
Jugularvenöse Oxymetrie
Einen Meilenstein in der Entwicklung des Monitorings entsprechender Parameter stellt die kontinuierliche Messung der O2-Sättigung im Bulbus der V. jugularis interna (SjvO2) über fiberoptischer Katheter dar [2]. Die theoretischen Voraussetzungen für die Gültigkeit dieses Messverfahrens zur Beurteilung der zerebralen O2-Versorgung und des zerebralen O2-Umsatzes (CMRO2) liegen in den engen Beziehungen von CMRO2, arteriojugularvenöser O2-Differenz, O2-Konzentration im arteriellen und jugularvenösen Blut bzw. zerebralen Blutfluss (CBF) begründet, wie sie in der Fick´schen Gleichung und ihren Umformungen beschrieben werden. Durch Messung der SjvO2 können Aussagen über die globale zerebrale Oxygenierung, das Verhältnis von CBF zu CMRO2 sowie den CBF, unter Annahme einer konstanten CMRO2, getroffen werden.
Messprinzip Oxymetriekatheter – retrograd über die V. jugularis interna bis zur Schädelbasis vorgeschoben – benutzen Licht ausgewählter Wellenlängen aus dem Rot- und Nahe-Infrarotspektrum. Dabei wird die Lichtintensität des am Hämoglobin des Erythrozyten reflektierten Lichtanteils gemessen. Die O2-Sättigung wird dann aus der Lichtabsorption des Hämoglobinmoleküls vom Computer errechnet.
Indikationen Ein SjvO2-Monitoring sollte, als invasive Monitoringmethode, Patienten vorbehalten sein, die einem signifikanten Risiko einer zerebralen Hypoxie bzw. Ischämie unterliegen. Dies ist bei allen bewusstlosen Patienten v. a. unter den folgenden Bedingungen der Fall: 4 zerebraler »Vasospasmus«, 4 Hyperventilationstherapie, 4 eingeschränkte bzw. aufgehobene zerebrale Autoregulation, 4 pulmonale Gasaustauschstörung, 4 Hypermetabolismus (Fieber, zerebraler Krampfanfall), 4 Blutverlust.
Aussagefähigkeit im Rahmen des Intensivmonitorings Bei der SjvO2 können 3 Messbereiche definiert werden. Der Normalbereich erstreckt sich von 54‒75 %. Werte <50 % werden als Desaturation [21] und Werte >75 % als Hyperämie bezeichnet, die »relativ« (normaler CBF bei reduzierter CMRO2) oder »absolut« (erhöhter CBF bei normaler CMRO2) sein kann (. Tab. 16.1). Klinisch und wissenschaftlich besonders wertvoll geworden ist die SjvO2-Messung durch die Beschreibung sog. Desaturationsepisoden, die das klinische Outcome ungünstig beeinflussen [21]. Eine Desaturationsepisode ist definiert als eine über mindestens 15 min anhaltende Reduktion der SjvO2 auf <50 %. Derartige Episoden be-
183 16.3 · Monitoring der zerebralen Oxygenierung
. Tab. 16.1 Einteilung jugularvenöser Oxymetrieergebnisse Bereich
SjvO2
Normalbereich
54–75 %
Desaturation
<50 %
Hyperämie
>75 %
einflussen kumulativ die Mortalität und Morbidität nach schwerem Schädelhirntrauma und treten während der Akutphase in einem entsprechenden Kollektiv bei etwa 40 % aller Patienten mindestens einmal auf [21]. Das SjvO2-Monitoring eignet sich ferner zur Bestimmung des optimalen CPP und zur Überwachung hirndrucksenkender Maßnahmen, speziell bei kontrollierter Hyperventilation. Einschränkungen der Aussagekraft der SjvO2 bestehen v. a. hinsichtlich der Identifizierung regionaler hypoxischer Areale, da die Methode als globales Verfahren zur Erfassung der zerebralen Oxygenierung angesehen wird.
Kontraindikationen Kontraindikationen für die SjvO2-Messung sind hämorrhagische Diathese, vorbestehende Infektionen des Punktionsorts, instabile Verletzungen der Halswirbelsäule und jede Art der zerebrovenösen Abflussbehinderung (z. B. Sinusvenenthrombose). Die Katheterisierung bei einem gleichzeitigen Tracheostoma stellt wegen der erhöhten Infektionsgefahr eine relative Kontraindikation dar. Die Anwendung der Methode bei Kindern (<14. Lebensjahr) ist problematisch, da hierzu keine ausreichend gesicherten Daten vorliegen und im Übrigen nur unzureichende Kenntnisse hinsichtlich der Normalwerte von ICP, CPP, CBF und SjvO2 existieren.
Artefakte Bei Lichtintensitätsverlust liegt eine Katheterobstruktion vor, bei zu hoher Lichtintensität liegt der Katheter der Gefäßwand an. Der unter physiologischen Bedingungen kleine Anteil von Beimischungen extrakraniellen Blutes kann unter pathologischen Bedingungen erheblich zunehmen. Dies wurde wiederholt während Phasen der zerebralen »Einklemmung« gezeigt [6]. Hier findet sich, nach einem deutlichen Abfall der SjvO2, ein Anstieg der Messwerte, da nun vermehrt extrakranielles Blut retrograd in den Bulbus fließt. Kann der Katheter sich in der Vene »aufwickeln«, kommt es zu sog. spontanen Wellen der Messwerte [3]. Eine Röntgenkontrolle sichert die Diagnose und erfordert die Lagekorrektur bzw. die Entfernung des Katheters.
. Abb. 16.1 Algorithmus zur Überwachung der globalen zerebralen Oxygenierung unter Verwendung der SjvO2. (Nach [27])
Komplikationen Von Seiten der möglichen Komplikationen kann das SjvO2-Monitoring als sicher angesehen werden. Eine Jugularvenenthrombose gilt zwar als potenzielles Risiko, ist aber äußerst selten und ohne klinische Relevanz. Goetting et al. [4] sahen bei 123 Patienten mit SjvO2-Katheter keine Thrombose. Akzidentelle Punktionen des Subarachnoidalraums sind vereinzelt beschrieben worden. Eine versehentliche Punktion der A. carotis liegt in der Häufigkeit bei ca. 3 %.
16.3.2
Nah-Infrarot-Spektroskopie
Stellenwert im Rahmen des Intensivmonitorings Trotz des wissenschaftlich gesicherten Nutzens ist die SjvO2 in der praktischen Anwendung v. a. wegen der ihr anhaftenden vielfältigen Probleme (hoher zeitlicher und personeller Aufwand bei hoher Artefaktanfälligkeit) vom Monitoring des Hirngewebe-pO2 (ptiO2) weitgehend verdrängt worden. So beträgt die Datenqualität auch in Zentren mit großer Erfahrung allenfalls 55‒60 % zuverlässiger Messwerte [3, 12]. Ein weiterer, wesentlicher Nachteil der Methode liegt in ihrer relativen kurzen medianen Anwendungszeit von 2,5‒4 Tagen, wenn auf einen Katheterwechsel über die liegende Schleuse (Infektionsgefahr!) bzw. auf eine Neupunktion verzichtet wird [3, 12]. Stabile Messungen bis zu 10 Tagen, z. B. nach Trauma, wären aber bei komplizierten Krankheitsverläufen wünschenswert. . Abb. 16.1 zeigt einen Algorithmus zur Überwachung der globalen zerebralen Oxygenierung unter SjvO2-Monitoring (nach [27]).
Die Nahe-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) ist, im Gegensatz zur jugularvenösen Oxymetrie und zur Messung des Hirngewebe-pO2 (ptiO2), eine nichtinvasive Methode zur Überwachung der zerebralen O2-Versorgung und -Utilistation und wäre somit das Monitoring der Wahl bei neurochirurgischen Intensivpatienten. Die Entwicklung entsprechender Geräte begann 1977, als Jöbsis [9] die relativ gute Nahe-Infrarot-Lichtdurchlässigkeit von biologischen Geweben im Bereich einiger Zentimeter, speziell von Haut, Galea, Schädelknochen, Hirnhäuten und V. a. Hirnparenchym, zeigen konnte. Das Licht wird dabei gestreut, teils absorbiert, teils übertragen sowie partiell reflektiert. Im Nahe-Infrarot-Wellenlängenbereich (650‒1100 nm) besitzen die drei Chromophoren oxygeniertes Hämoglobin, desoxygeniertes Hämoglobin und oxydierte Zytochromoxydaseaa3, das letzte Enzym der mitochondrialen Atmungskette, O2-abhängige spezi-
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Kapitel 16 · Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring
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fische Absorptionsmaxima. Dadurch eröffnet sich, unter Anwendung des Lambert-Beer-Gesetzes, die theoretische Möglichkeit eines zerebralen O2-Monitorings bis hin zur mitochondrialen Ebene. Neben den eingangs erwähnten Parametern können abgeleitete Größen, wie das Gesamthämoglobin oder die regionale O2-Sättigung (SrO2), die das Verhältnis des oxygenierten Hämoglobins zum Gesamthämoglobin in Prozent anzeigt, dargestellt werden. Ferner kann die Veränderung der optischen Dichte von linker zu rechter Hemisphäre einen Hinweis auf sekundär entstehende intra- oder extrazerebrale Hämatome geben [5]. Von ca. 10 Firmen, die initial mit der Entwicklung von NIRSReflexionsgeräten begannen, sind wenige bis zur ersten klinischen Erprobung gelangt. Die meisten Gerätetypen wurden aufgrund gravierender Mängel hinsichtlich Spezifität, Sensitivität und Reliabilität bereits wieder vom Markt genommen.
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Artefaktverhalten und -erkennung
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16.3.3
Hirngewebe-pO2
Die kontinuierliche Messung des Hirngewebe-O2-Partialdrucks (ptiO2) beim Menschen ist ein invasives Verfahren zur Überwachung der zerebralen Oxygenierung. Über eine Bohrlochschraube wird ein pO2-Messkatheter in das Hirnparenchym (typischerweise in die weiße Substanz) eingeführt. Der Messwert wird an dem angeschlossenen Monitor in mm Hg angegeben. Haupteinsatzgebiet ist die Überwachung der zerebralen Oxygenierung bei Patienten nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma [12, 14, 26]. Auch Patienten nach Subarachnoidalblutung und/oder Hirninfarkten, bei denen die Indikation für eine intrakranielle Drucküberwachung gestellt wird, können von einer HirngewebepO2-Messung profitieren.
Messprinzip Ein generelles Problem bei der Validierung von NIRS-Systemen besteht darin, dass NIRS-Daten mit keiner anderen Untersuchungstechnik am lebenden Menschen überprüft werden können. Darüber hinaus enthält die NIRS-Technologie eine Reihe von Fehlerquellen, die einerseits methodisch, andererseits rein praktisch bedingt sind. Methodische Schwierigkeiten Folgende methodische Schwierigkeiten sind besonders zu erwähnen: 4 Eine fehlende Nullpunktkalibration bei der Reflexionsmethode verhindert quantitative Messungen. Kritische Abfälle, z. B. des zerebralen Oxyhämoglobins, können folglich nicht erfasst werden. 4 Das genaue mit NIRS erfasste Gewebevolumen ist unbekannt, ebenso wie die prozentuale Verteilung von venösem, arteriellem und kapillärem Blut im unbekannten Messvolumen. 4 Die für den »normalen« Erwachsenenschädel entwickelten Algorithmen zur Elimination der Signale extrakraniellen Blutes treffen nur auf die wenigsten Patienten zu und sind, z. B. bei einem Kopfschwartenhämatom (traumatisch bzw. postoperativ) durch die Größenzunahme des extrakraniellen Kompartiments sicher nicht mehr korrekt. Gleiches gilt, wenn zusätzliche Medien in den Strahlengang treten (z. B. Wasser bei Schweißbildung auf der Haut, subdurale/epidurale Hämatome etc.). 4 Das Problem der Messwertveränderung durch extrazerebrales Blut ist ungelöst.
Bei dem »derzeitigen Goldstand« (Licox, Fa. Integra Neuroscience) wird die sog. Clark-Elektrode verwendet, die polarographisch den pO2 erfasst. Neu am Markt ist ein System, das nach dem Prinzip des sog. »oxygen quenchings« arbeitet (Neurovent-PTO, Fa. Raumedics).
Lage des Hirn-ptiO2-Katheters
Für die Interpretation der Hirngewebe-pO2-Messwerte ist die Lage des pO2-Mikrosensors im Verhältnis zur Läsion und Anatomie (weiße Substanz, graue Substanz) entscheidend. Zur Überwachung der zerebralen Oxygenierung wird der Mikrosensor in der weißen Substanz positioniert. Will man den ptiO2 als Surrogat für die globale zerebrale Sauerstoffsituation verwenden, sollte der Katheter im vitalen Hirngewebe platziert werden. In. einer Kontusion oder in ihrer unmittelbaren Umgebung ist z. B. der ptiO2 erniedrigt und die O2-Reaktivität (pO2-Anstieg bei Erhöhung der F1O2) deutlich herabgesetzt ‒ ein Hinweis darauf, dass geschädigtes bzw. nekrotisches Gewebe vorliegt und die Messwerte dann nur repräsentativ für die lokale Pathologie sind [11]. Der überwiegende Anteil der Anwender bevorzugt für die Anlage des pO2-Katheters die typische rechts oder links frontale, präkoronare Insertionsstelle, wobei man versucht, in die Nähe des pathologischen Befundes zu gelangen, um einen besseren Überblick über die aktuellen Veränderungen im gefährdeten Gewebe zu bekommen. Die Dauer des Eingriffes, der auch bettseitig auf der Intensivstation durchgeführt werden kann, beträgt ca. 15 min.
Zerebrale Hypoxie Praktische Probleme bei Anwendung Zusätzlich gibt es praktische Probleme bei der NIRS-Anwendung, v. a. beim Langzeitmonitoring auf der Intensivstation, wie es zur Aufdeckung hypoxisch-ischämischer Episoden gefordert werden muss. Hierzu gehören: 4 Bewegungsartefakte, 4 Sensorlage mit Kontakt zum Sinus frontalis, 4 mangelnde Abschirmung von Umgebungslicht, 4 Lufteinschlüsse zwischen Sensor und Haut, 4 postoperatives Kopfschwartenhämatom.
Der theoretische Normalwert des mittleren ptiO2 in der weißen Substanz wird mit ca. 21 mm Hg angegeben; er steigt nach kortikal bis auf arterielle Werte an. Daher ist zur Interpretation der ptiO2-Werte die korrekte Lage des Katheters zu kontrollieren. Als kritischer ptiO2 wird ein Abfall auf <10‒15 mm Hg beschrieben, als »hypoxische Episode« ein ptiO2 von <10 mm Hg, analog den sog. »Desaturationsepisoden« (SjvO2 <50 %). Vergleichsmessungen mit der Bulbusoxymetrie zeigen im standardisierten Versuch ein paralleles Messverhalten der beiden Oxygenierungsparameter sowie eine gute Reagibilität des ptiO2-Katheters hinsichtlich eines kritischen CPP-Abfalls [10, 12].
Indikationen
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Aufgrund der genannten Probleme ergibt sich derzeit, außerhalb der rein klinisch-experimentellen Anwendung, keine Indikation für ein Monitoring beim jugendlichen oder erwachsenen neurochirurgischen Intensivpatienten. Für ein zuverlässiges Monitoring der zerebralen Oxygenierung sind Systeme für die zerebrovenöse Oxymetrie bzw. Hirngewebe-pO2-Messung (ptiO2) vorzuziehen.
Therapie eines erniedrigten ptiO2
Die zerebrale Gewebeoxygenierung wird hauptsächlich von der Hirndurchblutung (CBF) und dem arteriellen O2-Gehalt bestimmt [8]. Ist der CBF normal (oberhalb eines Ischämieschwellenwerts) und der paO2 >100 mm Hg, bei einem Hb-Wert von >10 g/dl, sollte die Gewebeoxygenierung ausreichend sein, d. h. der ptiO2 in der weißen Substanz 20‒30 mm Hg betragen.
185 16.5 · Zerebrale Mikrodialyse
Häufigste Ursache für einen Abfall des ptiO2 ist ein unzureichender CBF, verursacht durch intrakranielle Druckerhöhung, Blutdruckabfall oder durch Hypokapnie bei Hyperventilationstherapie (. Abb. 16.2; [20]). Ähnlich dem für die SjvO2 dargestellten Algorithmus (. Abb. 16.1) sollten die möglichen Ursachen des ptiO2-Abfalls untersucht werden.
Häufige Ursachen eines Hirngewebe-pO2-Abfalls
4 CPP- bzw. CBF-Abfall 4 Kritisch verminderter paCO2 (z. B. bei Hyperventilation) 4 Zerebraler Vasospasmus
Nach Ausschluss einer Katheterfehlmessung/-fehllage (CCT) oder Positionierung in einer Blutung (niedriger pO2) sollten als Ursachen eines pO2-Abfalls an erster Stelle ein erniedrigter CPP sowie eine zu starke Hyperventilation (paCO2 <30‒35 mm Hg) ausgeschlossen werden. Inwiefern eine Erhöhung des Hirngewebe-pO2 über eine Erhöhung der FIO2 sinnvoll ist, wird derzeit noch kontrovers diskutiert. Theoretisch ist bei ausreichendem arteriellem paO2 (>100 mm Hg) von einer weiteren FIO2-Erhöhung keine wesentliche Steigerung der transportierten Sauerstoffmenge zu erwarten, wohl aber eine verlängerte Sauerstoffdiffusionsstrecke von der Kapillare
weg, wodurch insbesondere in Bereichen mit kritisch niedrigem CBF die O2-Versorgung verbessert wird.
Komplikationen, Vor- und Nachteile Bisher sind im Zusammenhang mit der Platzierung von ptiO2Kathetern keine Komplikationen berichtet worden [12, 14, 23, 26]. Offensichtlich ist das Risiko einer Infektion bzw. Blutung deutlich niedriger als bei der Anlage einer externen Ventrikeldrainage (hier: Infektion 2‒10 %, Blutung 1‒2 %). Im Vergleich mit der SjvO2 erhält man wesentlich stabilere Messwerte über einen langen Zeitraum. Der Hirngewebe-pO2-Katheter kann nur invasiv über ein Bohrloch eingebracht werden; die Messung erfolgt lokal/regional. Der Katheter muss von einem erfahrenen Neurochirurgen platziert werden, der mögliche Komplikationen (z. B. subdurale/intraparenchymale Blutung) behandeln kann.
16.4
Seit Anfang 2000 ist die kontinuierliche und quantitative Bestimmung des zerebralen Blutflusses (CBF) technisch umgesetzt worden (Bowman Perfusion Monitor, Fa. Hemedex) [25]. Ähnlich wie beim ptiO2 handelt sich auch hier um einen Mikrokatheter, der lokal/regional den CBF durch Thermodiffusionsflussmessung (rCBFTD) online und quantitativ erfassen kann. Als kritischer Grenzwert eines ungenügenden rCBFTD wird 18 ml/100g/min angegeben [24]. Vergleichsmessungen von rCBFTD mit »stable xenon-enhanced« CT (sXe-rCBF) zeigten eine gute Korrelation beider Parameter im Bland-Altman–Diagramm (mittlere Differenz:1,1±5,2 ml/100 g/ min) [25]. Nach den Ergebnissen einer kleinen klinischen Kohortenstudie (n=14) scheint der rCBFTD in der Vasospasmusdiagnostik deutlich besser abzuschneiden als die transkranielle Doppler-Sonographie, sofern der Katheter im entsprechenden Gefäßterritorium platziert wird. Bei einem rCBFTD von <15 ml/100 g/min konnten 100 % aller Vasospasmen diagnostiziert werden (Sensitivität), bei einer akzeptablen Falsch-positiv-Rate von 30 % [24]. In der praktischen Anwendung kritisch zu bewerten ist allerdings der Umstand, dass nach der automatisch und stündlich erfolgenden Eichung des Systems offenbar erhebliche Drifts auftreten, die die Interpretation der Daten erschweren. Bei Vorliegen von Fieber ist das CBF-Monitoring oftmals nicht möglich, da dann die Heizeletrode aus Sicherheitsgründen abschaltet [8].
16.5
. Abb. 16.2 Auswirkung einer 10-minütigen Hyperventilationstherapie (0–10 min) bei 11 Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma auf intrakraniellen Druck (ICP), zerebralen Perfusionsdruck (CPP), Licox-HirngewebepO2 (ptiO2, Licox) endexspiratorisches bzw. arterielles CO2 (ETCO2, paCO2); Messwerte als Mittelwerte ± SEM
Kontinuierliche, quantitative Messung des zerebralen Blutflusses
Zerebrale Mikrodialyse
Die Mikrodialyse ermöglicht die Messung von Substanzen im Extrazellulärraum verschiedener Gewebe. Mit der Methode können bereits seit vielen Jahren im tierexperimentellen Bereich metabolische Vorgänge untersucht werden, wie sie z. B. typisch für die Entwicklung des sekundären Hirnschadens sind. Untersuchungen mit der zerebralen Mikrodialyse bei Patienten werden erst seit der Entwicklung geeigneter Mikrodialysekatheter (Beginn der 1990-er Jahre) durchgeführt [22, 28]. Mittlerweile steht ein Analysegerät zu Verfügung, das verschiedene Substanzen messen und in graphischer Form als Trendkurven darstellen kann (. Abb. 16.3). Dieses bettseitige Mikrodialysegerät steht üblicherweise auf der Intensivstation und ermöglicht eine nahezu kontinuierliche (z. B. stündliche) Messung von Substanzen des Gehirnstoffwechsels (Glukose, Pyruvat, Laktat), des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat sowie des Glyzerols als Marker der zerebralen Zellmem-
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186
Kapitel 16 · Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring
. Abb. 16.3 Verlauf der Mikrodialyseparameter: Die stündlich gemessenen Parameter des zerebralen aeroben/anaeroben Metabolismus (Glukose, Pyruvat, Laktat) sowie des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat einer Patientin nach aneurysmatischer Subarachnoidalblutung sind im Verlauf eines Tages dargestellt. Gegen 16 Uhr kommt es zu einer Verschiebung des Metabolismus von aerob zu vorwiegend anaerob sowie zu einem Anstieg des Glutamats. Klinisch entwickelte die Patientin einen zerebralen Vasospasmus mit Zunahme der transkraniell gemessenen Blutflussgeschwindigkeiten
16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16 16
. Tab. 16.2 Bettseitige Mikrodialyse. Wichtigste derzeit mit der bettseitigen Mikrodialyse erfassbare Parameter sowie ihre Interpretation Parameter
Interpretation
Glukose
Energiesubstrat für die Gehirnzellen
Pyruvat
Metabolit von Glukose
Laktat
Metabolit von Glukose; wird bei O2-Mangel vermehrt gebildet
Laktat/PyruvatQuotient
Indikator für aerobe/anaerobe Stoffwechsellage
Glutamat
Exzitatorischer Neurotransmitter, wird z. B. bei Ischämie freigesetzt, wirkt zytotoxisch; Marker des sekundären Hirnschadens
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Zerebral: bei Zellmembrandegradation über Phospholipasen freigesetzt – Marker für Zellschaden
branstabilität (. Tab. 16.2). Bei Bedarf ist die Messung weiterer Substanzen offline sowie der Metabolite von mehreren Patienten gleichzeitig möglich.
16.5.1
Funktionsprinzip
Grundlage der Methode ist das Dialyseprinzip: Eine semipermeable Membran wird kontinuierlich von 2 Flüssigkeiten umgeben. Auf der einen Seite, innerhalb des Mikrodialysekatheters, wird eine Lösung verwendet, die keine der oben genannten Zielsubstanzen enthält, auf der anderen Seite befindet sich die extrazelluläre Flüssigkeit des Hirngewebes. Der Konzentrationsgradient führt zu einer Diffusion der Substanzen. Über eine Pumpe wird der Mikrodialysekatheter kontinuierlich mit physiologischer Lösung gespült und so der Konzentrationsgradient aufrechterhalten. Je nach Fragestellung kann die Porengröße der Membran unterschiedlich gewählt werden (z. B. für den CMA-ZNS-Katheter Porengröße <20.000 oder <100.000 Molekulargewicht). In den distalen Teil des Katheters ist ein Goldfaden (3×0,13 mm) eingearbeitet, wodurch die Katheterspitze im CT sichtbar wird.
16.5.2
Mikrodialyseeinheit auf der Intensivstation
Die auf der Intensivstation einsetzbare Mikrodialyseeinheit besteht aus dem im Hirngewebe liegenden Mikrodialysekatheter, einer Pumpe, die den Katheter mit steriler Ringerlösung perfundiert, den Auffangbehältern für das Mikrodialysat (»microvials«) und dem Analysegerät (CMA Schweden bzw. einer HPLC-Einheit). Der Vorteil einer Analyseeinheit am Patientenbett ist, dass relative Veränderungen rasch erkannt werden, und so ggf. eine frühzeitige Ischämieerkennung möglich wird.
16.5.3
Mikrodialyse – bei welchen Patienten?
Ein neurochemisches Monitoring ist sinvoll bei allen Patienten, bei denen die Gefahr einer zerebralen Ischämie und Hypoxie besteht. Es ist allerdings ein regional messendes Verfahren, das nur invasiv, d. h. nach Eröffnung von Schädelkalotte und Dura, eingesetzt werden kann. Die Methode wird daher v. a. bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma angewandt, die den Mikrodialysekatheter zusammen mit der intrakraniellen Druckmessung in einem operativen Eingriff erhalten. Eine weitere Indikation besteht für Patienten mit einer höhergradigen aneurysmatischen Subarachnoidalblutung (SAB). Der Mikrodialysekatheter wird überwiegend intraoperativ, nach Clipping des Aneurysmas, in das Hirnparenchym eingelegt. Bei Patienten, die eine endovaskuläre Aneurysmaausschaltung erhalten, ist in der Regel nur eine Messung des Stromgebietes der A. cerebri anterior möglich. Hierbei kann der Mikrodialysekatheter ggf. über ein gemeinsames Bohrloch zusammen mit einer Ventrikeldrainage gelegt werden. Ziel ist die Früherkennung eines zerebralen Vasospasmus sowie die Überwachung der Effektivität einer Triple-H-Therapie. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Mikrodialyseparameter die Schwere der SAB anzeigen mit signifikanten pathologischen Veränderungen im Energiestoffwechsel (z. B. hoher Laktat/Pyruvat-Quotient) und einen Anstieg des extrazellulären Glutamats bei klinisch-neurologischer Verschlechterung des Patienten im Rahmen eines sog. »delayed ischemic neurological deficit (DIND)« [19]. PET-Untersuchungen bei dieser Patientengruppe haben gezeigt, dass die hohen Glutamat- und Glyzerolwerte mit einem kurzfristig
187 Literatur
erniedrigten regionalen CBF korrelieren, der Laktat/Pyruvat-Quotient hingegen erst nach längerer Ischämie (>6 h) ansteigt [18]. In einer Studie an 131 SAB-Patienten war der Laktat/Pyruvat-Quotient der aussagekräftigste prognostische metabolische Parameter für das 12-Monats-Outcome [17]. Weitere Untersuchungen liegen vor für Patienten mit Hirninfarkten [1] sowie bei Epilepsie, M. Parkinson und Hirntumoren [7].
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16.5.4
Vorteile und Nachteile der Methode
Vorteile Die bettseitige Mikrodialyse ermöglicht erstmals eine nahezu kontinuierliche zerebrale Messung neurochemischer Parameter, die Rückschlüsse auf die zerebrale Stoffwechsellage und mögliche Zellschäden zulassen. Die Handhabung ist technisch relativ einfach, und die Analyseergebnisse sind auf dem Monitor gut verständlich dargestellt. Komplikationen durch die Einführung des Katheters oder Infektionen bei liegendem Katheter sowie sonstige Komplikationen wurden bisher nicht beschrieben [15]. Der sinnvollste Einsatz dieser Methode besteht bei bewusstlosen Patienten, die ein hohes Risiko für eine klinisch schwer zu diagnostizierende Ischämie aufweisen, wie insbesondere komatöse Patienten nach einer höhergradigen Suabarachnoidalblutung.
Nachteile Der Mikrodialysekatheter muss invasiv, d. h. über ein Bohrloch oder im Rahmen eines neurochirurgischen Eingriffs (z. B. Aneurysma-Clipping, Anlage einer Ventrikeldrainage), eingeführt werden und ist daher mit gewissen Risiken verbunden (Blutung, Infektion). Der Mikrodialysekatheter erfasst nur regionale Stoffwechselveränderungen und kann daher nicht als Überwachungsmethode der globalen zerebralen Situation verwendet werden. Zur Lagekontrolle des Katheters ist immer eine Bildgebung (CT) erforderlich, um die Daten adäquat interpretieren zu können. Zudem ist ein gewisser personeller Aufwand mit dieser Methode verbunden (Wechseln der Mikrodialysatbehälter, Austausch der Reagenzien und Pumpenflüssigkeit etc.). Die Methode ist für die regionale Ischämieerkennung geeignet und wird zunehmend – allerdings derzeit nur in wenigen spezialisierten neurointensivmedizinischen Zentren, eingesetzt.
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16
189
Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin E. Eisenhuber-Stadler, B. Partik, P. Pokieser, C. Schaefer-Prokop
17.1
Thorakale Bildgebung – 191
17.2
Geräte – Technik – Zubehör – 191
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4
Grundausstattung für die Intensivstation – 191 Bildgebungsverfahren – 191 Anforderungen radiologischer Leistungen – 193 Befundung, Dokumentation und Konferenzen – 193
17.3
Technische Durchführung – 193
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4
Röntgenaufnahmen am Krankenbett – 193 Thoraxaufnahmen am Krankenbett – 194 Abdomenaufnahme am Krankenbett – 195 Strahlenschutz – 196
17.4
Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden – 196
17.4.1 17.4.2 17.4.3 17.4.4 17.4.5 17.4.6 17.4.7 17.4.8
Endotrachealtubus – 196 Trachealkanüle – 197 Zentralvenöser Katheter – 197 Pulmonalarterienkatheter – 201 Intraaortale Ballonpumpe – 201 Pleuradrainagen – 201 Ernährungssonden – 202 Herzschrittmacher – 202
17.5
Pathologische Luftansammlungen – 202
17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.5.4 17.5.5
Pneumothorax – 202 Spannungspneumothorax – 204 Atypische Lokalisationen des Pneumothorax – 204 Pneumomediastinum – 204 Interstitielles Emphysem – 205
17.6
Abnorme Flüssigkeitsansammlungen – 205
17.6.1 17.6.2
Pleuraerguss – 205 Sonderformen pleuraler Flüssigkeitsansammlungen – 205
17.7
Lungenödem und ARDS – 207
17.7.1 17.7.2 17.7.3
Hydrostatisches Lungenödem – 207 Permeabilitätsödem ohne diffusen Alveolarschaden – 209 Permeabilitätsödem mit Alveolarschaden – das Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS) – 209
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_17, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
17
17.8
Pulmonale Verdichtungen – 212
17.8.1 17.8.2 17.8.3 17.8.4
Atelektase – 213 Pneumonie – 214 Aspiration – 217 Diffuse pulmonale Verdichtungen – 217
17.9
Indikationen und Wertigkeit der thorakalen Computertomographie auf der Intensivstation – 217
17.9.1 17.9.2 17.9.3
Indikationen zur CT-Untersuchung des Thorax – 218 Diagnostische Leistungsfähigkeit – 218 Diagnose der akuten Lungenembolie mit Spiral-CT – 218
17.10
Abdominelle Bildgebung – 218
17.11
Konventionelle Abdomenaufnahme – 219
17.11.1 17.11.2 17.11.3 17.11.4
Gasverteilungsmuster – 219 Weichteilbeurteilung – 222 Intraabdominelle Verkalkungen – 222 Beurteilung der ossären Strukturen – 222
17.12
Ultraschall – 222
17.12.1 17.12.2 17.12.3 17.12.4 17.12.5 17.12.6 17.12.7 17.12.8
Gallenblase – 222 Leber – 223 Nieren – 225 Pankreas – 226 Milz – 226 Freie Flüssigkeit – 227 Gefäße – 227 Ultraschallgesteuerte Aspiration und Drainage – 228
17.13
Computertomographie – 228
17.13.1 17.13.2 17.13.3 17.13.4 17.13.5 17.13.6 17.13.7 17.13.8
Dünndarmobstruktion und paralytischer Ileus – 228 Kolitis – 229 Abszess – 229 Blutung – 230 Hypovolämischer Schock – 231 Cholezystitis – 231 Milz – 231 Akute Pankreatitis – 232
Literatur – 234
191 17.2 · Geräte – Technik – Zubehör
17.1
Thorakale Bildgebung E. Eisenhuber-Stadler, C. Schaefer-Prokop
In der Intensivmedizin findet die radiologische Diagnostik überwiegend am Krankenbett statt (»bedside radiology«). Etwa 90 % der radiologischen Untersuchungen in der Intensiv- und Notfallmedizin stellen projektionsradiographische Röntgenaufnahmen des Thorax, des Abdomens und des Skelettsystems dar. In zunehmendem Maße werden neben den klassischen Aufnahmen auch die Schnittbildverfahren eingesetzt. Hier kommt der Ultraschalldiagnostik eine führende Rolle zu, gefolgt von der Computertomographie (CT). Das Ultraschallgerät gehört heute zur Standardausrüstung einer Intensivstation. Die Magnetresonanztomographie (MRT) wird allenfalls für selektive neuroradiologische, die digitale Subtraktionsangiographie (DSA) für angiographische Fragestellungen eingesetzt. In der Regel werden CT, MRT bzw. DSA nur dann durchgeführt, wenn von ihrem Einsatz ein so hoher diagnostischer Zusatzgewinn erwartet wird, dass das erhöhte Transportrisiko im Interesse des Patienten eingegangen werden kann. Die radiologische bildgebende Diagnostik in der Intensivmedizin ist durch folgende Problematik gekennzeichnet: 4 der Patient ist meist nicht kooperationsfähig, 4 die Diagnostik wird durch eingeschränkte Aufnahmebedingungen (z. B. Thoraxorgane in liegender oder sitzender Position) erschwert, 4 zusätzliche diagnostische Verfahren wie Schichtaufnahmen, Durchleuchtung oder Projektionen können nur unter erschwerten Bedingungen angefertigt werden, 4 das Bild wird durch potenziell vorhandenes Fremdmaterial überlagert (Verbandmaterial, Metallimplantate, Katheter, Sonden und Elektroden), 4 die gerätetechnische Ausstattung ist begrenzt (fahrbares Röntgengerät), 4 die Aufnahmen müssen ohne Belichtungsautomatik angefertigt werden. Neben diesen technischen Schwierigkeiten ist die radiologische Diagnostik insbesondere im Thoraxbereich durch eine nur geringe Spezifität der Befunde gekennzeichnet. Alle diese Punkte unterstreichen, dass gerade in der Intensivmedizin die Fachkunde eines Radiologen in der Anfertigung und Interpretation der Bilder besonders gefordert ist, da aus seinen Erkenntnissen unmittelbare Konsequenzen für die weitere Therapie gezogen werden. Sie unterstreichen aber auch, dass die Interpretation der radiologischen Befunde nur in Kenntnis der wichtigen klinischen Parameter (Flüssigkeitsbilanz, Beatmungstherapie, Entzündungszeichen) möglich ist. Es ist in Studien mehrfach nachgewiesen worden, dass das Gespräch zwischen Radiologen und Intensivmedizinern die Ergebnisse radiologischer Diagnostik messbar verbessert. z Für den Radiologen relevante klinische Informationen Folgende klinische Informationen sind für die radiologische Diagnostik bedeutsam: 4 Anamnese und Zustand des Patienten (bewusstlos, beatmet, Schockzustand), 4 Art, Verlauf und zeitlicher Abstand vorausgegangener Operationen, Traumata, Blutungen, Aspirationen, Massentransfusionen, Schockzustände, abnorme Arzneimittelreaktionen, 4 Art, Verlauf und zeitlicher Abstand vorausgegangener Endoskopien, Punktionen, Sonden bzw. Kathetereinführungen in Hohlorgane, Körperhöhlen, Gefäße oder parenchymatöse Organe,
4 vorbestehende oder akut aufgetretene kardiale, renale oder zerebrale Funktionsstörungen, 4 aktuelle Werte von Blutgasanalyse, Blutdruck und Ventilation, 4 früher angefertigte Röntgenaufnahmen als Vergleich. Der erforderliche Informationsfluss zwischen Stationsarzt und Radiologen ist durch regelmäßige Filmbesprechungen am besten gewährleistet und wird dann auch beim akuten Problemfall funktionieren. Klinische Informationen haben deswegen einen hohen Stellenwert für die Röntgendiagnostik auf der Intensivstation, weil neben der Vielfalt pathologischer Prozesse bestimmte therapeutische und/ oder diagnostische Maßnahmen bei der Bildanalyse berücksichtigt werden müssen, die nicht so sehr die Erkennbarkeit, sondern die Interpretation von Befunden beeinflussen.
17.2
Geräte – Technik – Zubehör
17.2.1
Grundausstattung für die Intensivstation
Zur Grundausstattung einer bettseitigen bildgebenden Diagnostik auf Intensivstationen gehören: 4 ein Röntgenaufnahmegerät (mobil), 4 Filmkassetten, ggf. Rasterfilmkassetten mit großem Format (35×43 cm) oder einer Rasterlade für den Einschub üblicher Filmkassetten, 4 3 Strahlenschutzschürzen (Bleigleichwerte 0,5–2,5 mm), 4 2 Paar Strahlenschutzhandschuhe, 4 Bleigummistreifen zur Patientenabdeckung bzw. eine fahrbare Strahlenschutzwand, 4 sterile Textilüberzüge, 4 Lichtkästen für die Filmbetrachtung; sie sollten eine ausreichende Leuchtfläche für die vergleichende Betrachtung von 3 Großformatfilmen liefern; wahlweise ist der Einsatz von Monitoren möglich, 4 Ultraschallgerät mit Dokumentationseinrichtung. Die Zahl der Röntgenaufnahmegeräte bzw. das Vorhandensein weiteren Zubehörs ist abhängig von der Anzahl der Intensivbetten sowie von den hygienischen Erfordernissen. Für größere, miteinander verbundene Einheiten ist eine eigene Filmentwicklungsmaschine mit Laserkamera sinnvoll. Ein mobiles Durchleuchtungsgerät sollte in einem eigenen Untersuchungsraum mit geeignetem Lagerungstisch verfügbar sein.
17.2.2
Bildgebungsverfahren
Fahrbare Röntgenaufnahmegeräte Fahrbare Röntgenaufnahmegeräte sollten leicht genug sein, um von einer Person transportiert werden zu können, und klein genug, um in einen Aufzug zu passen; außerdem sollten sie an jede normale Steckdose im Krankenhaus angeschlossen werden können. Sie sollten so leistungsstark sein, dass Lungenaufnahmen mit sehr kurzen Belichtungszeiten möglich sind, aber auch Aufnahmen des Beckens, der Wirbelsäule und des Abdomens. Der Fokus-Film-Abstand sollte wenigstens 1,5 m betragen, daher muss die Röntgenröhre an einem schwenkbaren und höhenverstellbaren Ausleger angebracht sein. Derartige Bedingungen werden von der Röntgenkugel, den sog. Einkessel-Zweipuls-Generatoren und den leistungsstärkeren Zweipulsgeneratoren (ca. 20 kW) nur bedingt erfüllt.
17
192
17 17 17
Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
ladbar, liefern eine Spannung bis zu 125 kV, sie haben ein geringeres Gewicht durch den Wegfall des Batteriesatzes, eine Batterienachladung entfällt; Nachteil: im Aufnahmebetrieb Anschluss an ein Lichtnetz erforderlich.
fügung, der z. B. bei Verlust nicht ersetzbar und stets nur an einer Stelle verfügbar ist. Bei der digitalen Radiographie dagegen stehen pro Exposition unbegrenzt viele Filme zur Verfügung bzw. können die Daten per Netzwerk transferiert werden. Des Weiteren ist jede Filmfolienkombination durch einen begrenzten Dichteumfang charakterisiert. Dies bedeutet, dass große Dichtedifferenzen, z. B. zwischen Lunge und Mediastinum, schlecht simultan abbildbar sind. Weiterhin sind in der konventionellen Radiographie Dosis und Filmschwärzung miteinander gekoppelt, d. h. der Film liefert nur für einen relativ begrenzten Dosisbereich ein Bild mit geeigneter Filmschwärzung. Eine relativ zu hohe Dosis führt zu einem zu schwarzen Film, eine relativ zu niedrige Dosis zu einem relativ zu weißen Film. Da typischerweise auf der Intensivstation keine Belichtungsautomatik zur Verfügung steht, werden die Expositionsparameter – auf Erfahrungswerten bzw. den Expositionswerten der Voraufnahmen basierend – festgelegt, was in einem bestimmten Prozentsatz (ca. 6 %) zu Fehlaufnahmen führt.
Fahrbare Röntgenbildverstärkergeräte
Digitale Lumineszenzradiographie
Fahrbare Röntgenbildverstärkergeräte gehören zur wünschenswerten Standardausstattung einer Intensivstation. Sie dienen zur Durchleuchtungskontrolle beim Einführen von Venenkathetern und Schrittmachersonden. Mit diesen Geräten können auch Ausschnittaufnahmen angefertigt werden. Für großformatige Aufnahmen oder Röntgenaufnahmen am Körperstamm reicht jedoch die Leistung der Röntgenröhren nicht aus. Die starre Anordnung von Röntgenröhren und Mobilverstärker in Form eines C-Bogens ist darüber hinaus für Röntgenaufnahmen am Krankenbett hinderlich. Fahrbare Röntgenbildverstärkergeräte neuester Bauart werden mit elektronischem Bildspeicher angeboten (bis zu 25 Fernsehbilder). Derartige Bilder können auf Röntgenfilm oder Polaroidfilm dargestellt werden, wenn eine besondere Kamera mit eingebautem Fernsehmonitor zur Verfügung steht. Röntgenbildverstärkergeräte mit eingebauter Kamera werden zur Kontrolle und Dokumentation von Durchleuchtungsbildern in der Unfallchirurgie und Orthopädie im Allgemeinen akzeptiert; in der Intensivmedizin werden sie zur Katheter- und Sondenlagenkontrolle eingesetzt. Nachteil der Bilder ist ihr geringes räumliches Auflösungsvermögen und ein begrenzter Bildausschnitt von 17 bzw. 25 cm.
Mit der digitalen Lumineszenzradiographie steht ein digitales Bildaufnahme- und Dokumentationssystem zur Verfügung, das in seiner Handhabung mit einem Tageslichtsystem vergleichbar ist. Es ist ein auf Kassetten basierendes System, das eine besondere Ausleseeinheit benötigt. In einer Aluminiumkassette liegt der Detektor, der aus einer sog. Lumineszenzfolie oder Speicherfolie besteht. Nach Exposition wird die Kassette in ein speziell dafür vorgesehenes Auslesegerät eingegeben. Das Röntgenbild kann dann entweder auf Film ausgedruckt (»Hardcopy«) oder auf einem Monitor (»Softcopy«) betrachtet werden.
Die folgenden 2 Bautypen erfüllen die technischen Anforderungen: z Hochfrequenzgeneratoren (Gleichstromgeneratoren) Diese Geräte werden von aufladbaren Batterien gespeist, die auch dem motorischen Antrieb dienen.
17
Vorteil. Sie sind mit aufgeladenem Batteriesatz netzunabhängig; Nachteil: sie haben ein sehr hohes Gewicht (400 kg und mehr) und sind daher nur mit Motor fortzubewegen.
17
z
Kondensatorgesteuerte Hochfrequenzgeneratoren
Vorteil. Sie sind innerhalb von 5–10 s am normalen Lichtnetz auf-
17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17
Ultraschallgeräte
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Ultraschallgeräte für Untersuchungen am Krankenbett unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Geräten, die in den jeweiligen Sonographieuntersuchungsräumen eingesetzt werden. In der Regel sind dies heute sog. Realtime-Geräte mit Sektortechnik und einem 3- bis 3,5-MHz-Schallkopf als Minimalausstattung. Das Ultraschallgerät sollte eine Duplexfunktion besitzen, weil diese Technik zur nichtinvasiven Beurteilung der Perfusion von Organen, Herzhöhlen und Gefäßen heute zum Standard zählt. Hochfrequentere Schallköpfe (5–10 MHz) sind vorteilhaft in einer pädiatrischen Intensivstation sowie in der Erwachsenenintensivstation zur Beurteilung von oberflächennahen Prozessen (bis 5 cm Eindringtiefe). Zur Bilddokumentation genügt der Polaroidfilm (relativ teuer) bzw. ein Videoprinter. Eine evtl. sinnvolle Zusatzausstattung umfasst einen Punktionsschallkopf für interventionelle Maßnahmen wie Punktionen und Drainagen.
Digitale Radiographie Die digitale Radiographie hat sich wegen ihrer technischen Vorteile in zunehmendem Maße gerade auf der Intensivstation als Bildaufnahme- und Bilddokumentationssystem durchgesetzt. Vorteile beziehen sich v. a. auf organisatorische Aspekte: In der konventionellen Radiographie steht pro Exposition lediglich ein Film zur Ver-
Vorteile. Die Lumineszenzradiographie ist durch folgende Vorteile gegenüber der konventionellen Radiographie gekennzeichnet: 4 Der Detektor hat einen ca. 400-fach weiteren Dichteumfang. Unabhängig von der Expositionsdosis entsteht immer ein Bild optimierter Bildschwärzung. 4 Fehlbelichtungen mit zu schwarzen oder zu weißen Aufnahmen, wie sie in der konventionellen Radiographie auftreten, sind nahezu eliminiert [17]. 4 Die Bilddaten sind prozessierbar, d. h. sowohl der generelle Bildkonstrast als auch der lokale Strukturkontrast können verändert und optimiert werden, 4 Die Bilddaten werden gespeichert und sind jederzeit abrufbar; das bedeutet, dass bei Verlust einer Hardcopy ein neuer Film bzw. mehrere Filme ausgedruckt werden können. 4 Die Daten sind prinzipiell übertragbar, vorausgesetzt, ein entsprechendes Netzwerk ist vorhanden. Damit können Bilddaten sofort an geographisch entfernte Stellen transportiert und hier z. B. auf einem Monitor demonstriert werden. Sie stehen damit dem Intensivmediziner sofort zur Betrachtung zur Verfügung, auch wenn die Intensivstation von der radiologischen Abteilung geographisch getrennt ist. Nachteile. Diesen Vorteilen stehen gewisse Nachteile der digitalen Lumineszenzradiographie gegenüber: 4 In Abhängigkeit von der Größe der Bildpunkte (Pixel) haben die digitalen Bilder eine geringere Ortsauflösung als der konventionelle Film. 4 Die Speicherfolienbilder haben gegenüber dem konventionellen Filmfoliensystem ein höheres Bildrauschen. Dies führt dazu, dass die Lungenaufnahmen in der Regel nicht mit einer gegenüber der konventionellen Filmfolienradiographie reduzierten Dosis erfolgen können.
193 17.3 · Technische Durchführung
Computertomographie Moderner Standard der Computertomographietechnik ist heute eine sog. Spiral-CT-Technik. Diese Art der Datenakquisition ermöglicht die Untersuchung eines bestimmten Organvolumens, z. B. des gesamten Thorax oder des gesamten Abdomens, in einem Atemstillstand (ca. 30 s). Diese sehr schnelle Scantechnik hat neben der Tatsache, dass die Untersuchung an sich nur noch sehr kurz und damit nur wenig belastend für den Patienten ist, den Vorteil, dass ein Kontrastmittelbolus optimiert ausgenutzt werden kann. Hoher intravaskulärer Kontrast ermöglicht eine nichtinvasive Untersuchung von Gefäßstrukturen (z. B. die Untersuchung der Pulmonalarterien bei Verdacht auf Lungenembolie). So hat die Spiral-CT als nichtinvasive Untersuchungsmethode andere diagnostische Methoden bei der Untersuchung eines Aortenaneurysmas, einer Aortendissektion oder einer Pulmonalarterienembolie weitgehend verdrängt. Sie ist auch zur Untersuchung des Venensystems (z. B. Subklaviathrombose oder Jugularisthrombose) geeignet. Die Wahl der Scanparameter (Schichtdicke, Tischvorschub und Rekonstruktionsabstand) richtet sich nach der Fragestellung und der dafür notwendigen Ortsauflösung in allen 3 Raumebenen. So wird man für feine Strukturdetails in der Lunge eine dünnere Schichtdicke wählen als bei der Fragestellung nach einem entzündlichen Prozess im Mediastinum oder Abdomen. Während die Routine-CT einer standardisierten Technik folgt, ist bei einer Notfallsituation die Untersuchung der klinischen Fragestellung anzupassen. So kann im Einzelfall entschieden werden, ob eine Nativserie erforderlich ist (zumeist bei Frage nach Blutung) und ob eine zusätzliche Kontrastierung des Gastrointestinaltraktes oder Markierung von Rektum und Vagina erfolgen soll [11].
ten nach Möglichkeit sofort ausgeführt werden. Dies gelingt über eine Tag und Nacht konstante Funknummer der diensthabenden Assistenten und Ärzte. Die schriftliche Anforderung radiologischer Leistungen sollte die vollständigen Patientendaten, die gewünschte Untersuchung, die Röntgenanamnese und die klinische Fragestellung enthalten. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte – wenn möglich – angegeben werden, dass keine Schwangerschaft vorliegt. Die Anforderung ist nach der Röntgenverordnung von einem Arzt zu unterschreiben.
17.2.4
Befundung, Dokumentation und Konferenzen
Die Auswertung der erstellten Bilder bzw. die Mitteilung der erhobenen Befunde ist unterschiedlich für reguläre Anforderungen und Notfalluntersuchungen. Während sich für alle Regelanforderungen tägliche gemeinsame Konferenzen auf der Intensivstation am besten bewährt haben, erfordern Notfallanforderungen die direkte Befundmitteilung, da ggf. sofort therapeutische Konsequenzen gezogen werden müssen. Die täglichen gemeinsamen Konferenzen sind dazu geeignet, relevante anamnestische und klinische Daten in einem gemeinsamen Fachgespräch zu erörtern, den aktuellen Befund zu diskutieren sowie das mögliche weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen zu überlegen. Die radiologischen Befunde sollten nach der Konferenz schriftlich niedergelegt werden. Für ständig wiederkehrende Leistungen wie Lungenaufnahmen bei Beatmungspatienten haben sich sog. Verlaufsbögen im Durchschreibeverfahren bewährt.
Multislice-CT
Dokumentation
Mit Einführung der Multislice-CT 1998 wurde es erstmals möglich, gleichzeitig 4 Schichten zu erfassen (4-Zeilen-Scanner) und so entweder dünne Schichten zur Datenerfassung heranzuziehen oder den Untersuchungsbereich schneller zu erfassen. Besonders für Notfallpatienten ließen sich so erstmals Thorax und Abdomen mit hoher Auflösung gemeinsam untersuchen. Die Technik erlaubt es, nicht mehr allein axiale Schnitte, sondern auch qualitativ hochwertige Schnitte in beliebiger Richtung durch den Patienten zu berechnen. Mit 16-Detektor-Zeilen in der neuesten CT-Generation lassen sich bei höchster Auflösung Thorax oder Abdomen in weniger als 10 s Scanzeit untersuchen. Mit der Multislice-CT wird die CTAngiographie ein Routineverfahren für die minimal invasive Darstellung fast aller Gefäßregionen (Ausnahmen: A. spinalis anterior, mikroangiopathische Veränderungen). Für die meisten neuroradiologischen Fragestellungen sind konventionelle 1-Zeilen-Scanner ohne Spiraloption ausreichend. Die meisten anderen Indikationen bei Intensiv- oder Notfallpatienten profitieren dagegen vom Einsatz der Spiral-CT, idealerweise mit Hilfe moderner Multislice-Scanner. Der Gewinn gegenüber konventionellen Scannern ist umso größer, je subtiler die Veränderungen sind. So können beispielsweise subsegmentale Lungenembolien mit Einzeilenscannern selten, mit Multislice-Scannerndagegen in der Regel nachgewiesen werden.
Die Dokumentation konventioneller Aufnahmen erfolgt auf Film, der in der Regel im Verlauf mit Voraufnahmen auf einem Lichtkasten betrachtet und befundet wird. Digitale Aufnahmen können entweder ebenfalls auf Film (Hardcopy) dokumentiert werden oder sie werden auf dem Monitor (Softcopy) betrachtet. Die Einbindung des digitalen Aufnahme- und Betrachtungssystems in ein Netzwerk ermöglicht die Anwendung der Teleradiologie, d. h. der Versendung von Bild- und Befundungsmaterial per Datennetz »online«, ohne personelle Interaktion. Dies eröffnet gerade im Hinblick auf die oftmals räumlich getrennt gelegenen Intensivstationen eine erhebliche organisatorische Verbesserung. Bezüglich der Monitorqualität unterscheidet man Befundungsmonitore mit höherer Auflösung und Leuchtdichte von Demonstrationsmonitoren, die der Befundübermittlung dienen. Die Befundung von Soft- und Hardcopy wird als diagnostisch gleichwertig eingestuft. Der Monitor dürfte dem Film bezüglich der Lokalisation von Monitormaterialien aufgrund von Bildverarbeitungsmöglichkeiten (Fensterung) überlegen sein.
17.2.3
Anforderungen radiologischer Leistungen
Bei den Anforderungen radiologischer Leistungen müssen Regelanforderungen von sog. Notfallanforderungen unterschieden werden. Regelleistungen lassen sich harmonisch in den Zeitablauf der Intensivstation integrieren; hierzu genügt die einmalige Abstimmung der beteiligten Institutionen. Notfallanforderungen soll-
17.3
Technische Durchführung
17.3.1
Röntgenaufnahmen am Krankenbett
Jede Röntgenaufnahme am Krankenbett auf der Intensivstation stellt einen Kompromiss dar, der sich aus den eingeschränkten Projektionsmöglichkeiten ergibt. > Grundsätzlich sollte die Röntgenaufnahme des Thorax »so sitzend wie möglich« erstellt werden.
Hierdurch lassen sich einige der möglichen Fehlerquellen ausschalten, die die radiologische Diagnostik der Lunge in liegender Positi-
17
194
Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
17
on kennzeichnen. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass eine gute Liegendaufnahme immer noch diagnostisch verwertbarer ist als eine schlechte Sitzendaufnahme, d. h. der Patient sollte nur dann in eine sitzende Position gebracht werden, wenn es sein Allgemeinzustand erlaubt.
17
Film-Folien-Kombination
17
17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17 17
Es stehen verschiedene Film-Folien-Kombinationen zur Verfügung, die je nach ihrer Zusammensetzung einer unterschiedlichen Dosis bedürfen (Empfindlichkeit) und ein mit dem Dosisbedarf invers korreliertes Auflösungsvermögen haben. Die Folie bestimmt den Dosisbedarf, während der Filmtyp den Bildkontrast beeinflusst. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass ein Film mit einem breiten Dynamikumfang (sog. L-Film) gegenüber einem Hochkontrastfilm zu bevorzugen ist. Üblich sind heute Film-Folien-Kombinationen mit einem Dosisbedarf eines 250-er bis 400-er Systems.
Rasteraufnahmetechnik In der konventionellen Standardröntgendiagnostik der Thoraxorgane hat sich die sog. Hartstrahltechnik (>120 kV) mit Raster durchgesetzt, um zum einen Bewegungsunschärfen und die Absorption überlagernder Rippen zu reduzieren und zum anderen eine ausreichende Penetration des Mediastinums mit möglichst hoher Kontrastauflösung zu gewährleisten. Zur Reduktion der Streustrahlung stehen Röntgenkassetten mit integriertem Streustrahlenraster zur Verfügung, die allerdings relativ teuer und sehr schwer sind. Eine Alternative stellen sog. Tunnelraster- oder Rasterladekassetten dar, die über die normale Kassette geschoben werden können. Zu beachten ist, dass Thoraxaufnahmen in Rastertechnik eine relativ (ca. 2 Belichtungspunkte) höhere Dosis erfordern als Aufnahmen ohne Raster.
17.3.2
Thoraxaufnahmen am Krankenbett
Die »Bettlunge« sollte in folgender Technik aufgenommen werden: 4 tiefe Inspiration, 4 1,5 m Film-Fokus-Abstand, 4 Spannung 100–120 kV, 4 Rasterkassette.
. Abb. 17.1 Rastereffekt: Grauschleier (Unterbelichtung) des rechten Lungenfeldes durch Rastereffekt
4 Tangentialaufnahmen in schrägem ventrodorsalen Strahlengang (kleine Rasterkassette) zum Nachweis eines ventralen Pneumothorax, 4 Aufnahme in Rückenlage oder rechts/links angehoben in Knochentechnik (60–70 kV) zum Nachweis einer Rippenfraktur.
Häufige Aufnahmefehler Neben Unter- oder Überbelichtung sind die häufigsten Ursachen mangelhafter Aufnahmequalität Abweichungen des Zentralstrahls von der geforderten, zur Filmkassette senkrechten Einstellung. Rastereffekt. Der sog. Rastereffekt bewirkt die Unterbelichtung
17 17 17 17 17 17 17 17 17
Bewährt hat sich ein Aufbelichtungsstreifen (Scribor), mit dem die wichtigsten Angaben zur Position des Patienten, zur Aufnahmetechnik, zu wichtigen Beatmungsparametern (PEEP, F1O2) und zur Flüssigkeitsbilanz auf den Film belichtet werden. Ebenso sollte der Film Angaben über Tag und Uhrzeit der Aufnahme sowie Angaben über die Anzahl der Verlaufskontrollen enthalten. Belichtungsrichtwerte für Lunge und Herz liegen bei Hartstrahl- und Rastertechnik zwischen 5 und 20 ms; sie sind je nach Körperbau oder bei massiven pleuropulmonalen Verdichtungsprozessen zu modifizieren (z. B. bei Ödem oder Flüssigkeitseinlagerung in der Thoraxwand).
einer Seite mit Grauschleier bzw. Aufhellung einer Thoraxhälfte (. Abb. 17.1). Ursache ist die vermehrte Absorption von Röntgenprimärstrahlung durch die Metallamellen des Rasters bei seitlich schräger Einstellung des Zentralstrahls zur Kassettenebene. Derartige Aufnahmen führen zu einer seitenasymmetrischen Transparenzminderung einer gesamten Lungenhälfte, die einen nach kranial hin auslaufenden Pleuraerguss vortäuscht. Hinweis auf die technische Ursache der Transparenzminderung ist die Tatsache, dass auch die Weichteile auf der betroffenen Seite verschleiert und aufgehellt erscheinen.
Zusatzaufnahmen
Lordoseaufnahme. Die sog. Lordoseaufnahme mit atypisch hoher Zwerchfellprojektion und relativer Verkürzung der Lungenfelder entsteht durch eine Kranialabweichung des Zentralstrahls (. Abb. 17.2). Diese Fehleinstellung tritt zwangsläufig dann auf, wenn der Patient in Horizontallage verbleibt und das Röntgengerät am Fußende des Betts positioniert ist. Damit wird die Distanz für eine exakte Röhreneinstellung zu groß. Eine korrekte Zentralprojektion gelingt einfacher bei angehobenem Oberkörper des Patienten.
Für bestimmte Fragestellungen sind folgende Zusatzaufnahmen der Thoraxorgane sinnvoll: 4 Aufnahmen in laterolateralem Strahlengang zur Lokalisation pathologischer Befunde im retrokardialen und im hinteren Mediastinum: Patient in Rückenlage, Rasterkassette seitlich eingestellt, 1,2–1,5 m Film-Fokus-Abstand, 4 Aufnahmen in Links- oder Rechtsseitenlage im horizontalen Strahlengang zur Differenzierung eines Ergusses von einer pleuralen Schwiele bzw. einer intrapulmonalen Infiltration,
Verdrehte Aufnahme. Die medialen Klavikulaenden dienen als vordere, die Dornfortsätze der oberen BWS als hintere Leitstruk-
195 17.3 · Technische Durchführung
. Abb. 17.2 Projektionsbedingter Zwerchfellhochstand und Verschattung der Lungenspitzen bei »Lordoseaufnahme«
turen. Bei symmetrischem Körperbau sollte die Distanz jeweils seitengleich sein, bei einer verdrehten Aufnahme erscheint der nach hinten gerichtete Lungenflügel auf der Röntgenaufnahme kleiner und vermehrt strahlendicht (weißer), das Mediastinum wirkt verbreitert. Ungenügende Inspirationstiefe. Hierbei erscheinen die beiden
Lungenanteile verdichtet, das Herz ist quergelagert und scheinbar vergrößert, das Mediastinum scheinbar verbreitert. > Als Faustregel einer ausreichenden Inspiration gilt die Abgrenzbarkeit der Zwerchfellkuppe in der Medioklavikularlinie in Höhe der 5. ventralen Rippe.
Röntgendiagnostik der Thoraxorgane Für die Bildanalyse wird die systematische Inspektion jeweils zusammengehöriger anatomischer Strukturen empfohlen (. Abb. 17.3). Wann immer möglich, erfolgt die Betrachtung am Einzelbild seitenvergleichend, bei Röntgenbildserien eines Patienten stets im Vergleich mit früher angefertigten Aufnahmen. Diese Grundregeln röntgenologischer Analysetechnik bleiben auf der Intensivstation aus Zeitgründen oder Fehlen ausreichend großer Schaukästen häufig unbeachtet. Initialveränderungen und Prozesse geringer Ausdehnung können dadurch unerkannt bleiben.
17.3.3
Abdomenaufnahme am Krankenbett
. Abb. 17.3a, b Normalbefund der Thoraxorgane (weiblich, 28 Jahre). a Aufnahme im Sitzen, b schematische Darstellung, Projektion der Lungenlappen (OL, ML, UL). Projektion der großen Venen, des rechten Vorhofs (RA), der rechten Kammer (RV), des linken Vorhofs (LA), der linken Kammer (LV). 1 Weichteilfett, 2 Muskulatur, 3 Mammaschatten, A.p.d. A. pulmonalis dextra, A.p.s. A. pulmonalis sinistra, Vv.p. Vv. pulmonales
Zur Gewährleistung einer reproduzierbaren Aufnahmetechnik bei der konventionellen Übersichtsradiographie des Abdomens wird die Untersuchung in 2 Ebenen durchgeführt. Eine Ausnahme stellt lediglich die Untersuchung bei Kindern dar, die je nach Fragestellung in nur einer Ebene angefertigt werden kann.
zufriedenstellende Darstellung von Weichteil- und Organstrukturen zu erreichen. Die exakte Einstellung ist durch die Mitabbildung der Zwerchfellkuppe und der Symphyse gekennzeichnet. Bei Männern sollte die Aufnahme mit Gonadenschutz erfolgen, bei Frauen eine Schwangerschaft vorher ausgeschlossen werden.
Aufnahme in Rückenlage. Die Aufnahme erfolgt im a.-p.-Strah-
Aufnahme in Linksseitenlage. Diese Aufnahme erfolgt ebenfalls
lengang mit einer Rasterkassette der Größe 35×43 cm. Die Untersuchung wird in Weichstrahltechnik (70 kV) durchgeführt, um eine
im a.-p.-Strahlengang mit einer Rasterkassette der Größe 35×43 cm, allerdings in Hartstrahltechnik (125 kV). Die Aufnahme dient dem
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196
17
Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Nachweis von Spiegelbildungen, der Beurteilung der intraluminalen Gasverteilungen, freier Perforation und atypischer Gasansammlungen (Pneumatosis, Aerobilie etc.).
17 17 17 17 17 17 17 17 17 17
17.3.4
Strahlenschutz
Die Anwendung ionisierender Strahlen beim Menschen in Ausübung der Heilkunde ist durch die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen, die sog. Röntgenverordnung, geregelt. Diese wiederum orientiert sich an den Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP). Die Röntgenverordnung gilt in allen Teilen auch für die Durchführung entsprechender Untersuchungen in der Intensivmedizin. Hauptanliegen des Strahlenschutzes ist die Minimierung der Strahlenbelastung sowohl für den Patienten als auch das Personal. Folgende Richtlinien sollten beachtet werden: 4 Anordnung von Röntgenaufnahmen nur durch den Arzt, der die für den Strahlenschutz erforderliche Fachkunde besitzt (§ 24, Abs. 3), 4 Anwendung von Röntgenstrahlen nur, wenn die ärztliche Indikation geboten ist (§ 25, Abs. 1), 4 Einhaltung der Qualitätssicherungsmaßnahmen bei Röntgeneinrichtungen, 4 die Röntgenuntersuchung ist so vorzunehmen, dass das Nutzstrahlenbündel keine andere als die zu untersuchende Person treffen kann (§ 20, Abs. 2).
ser Punktion, unerlässlich für die Erkennung etwaiger Komplikationen. Eine Fehlpositionierung von neu eingebrachten Kathetern und Tuben ist in bis zu 27 % beschrieben, mit einer radiologisch erkennbaren Komplikationsrate von 6 % [2]. Fehllagen oder Komplikationen nach Implantation von Kathetern, Sonden und Tuben sind die häufigsten, für den Intensivmediziner überraschenden Veränderungen in der Thoraxaufnahme [2].
Aufnahmetechnik Das Thoraxübersichtsbild sollte in Hartstrahltechnik evtl. mit leicht erhöhter Dosis zur verbesserten Transparenz des Mediastinums angefertigt werden. Da zur Lagekontrolle in der Regel nur Aufnahmen im sagittalen Strahlengang vorliegen, ist die exakte topographische Zuordnung des Fremdmaterials gelegentlich schwierig. So ist die Angabe einer Katheterposition »in Projektion auf« eine bestimmte Gefäßstruktur in ihrer Aussage korrekt. Ist die korrekte Lage aufgrund einer einzelnen Aufnahme nicht eindeutig zu klären, müssen weitere radiologische Maßnahmen durchgeführt werden. Dazu gehören Röntgenaufnahmen in weiteren Untersuchungsebenen, das Anspritzen von Kathetern oder Drainagen mit Kontrastmittel und die Dokumentation der Kontrastmittelverteilung. Gegebenenfalls muss mit Hilfe von Schnittbildverfahren (Sonographie und Computertomographie) die Lage des zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken eingebrachten Materials beurteilt werden.
17.4.1
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In unmittelbarer Umgebung jeder Röntgenröhre entsteht für den Augenblick der Röntgenstrahlenerzeugung ein sog. »Kontrollbereich«. Dieser Kontrollbereich ist definiert als eine Zone, in der eine Person, die sich dort ein Jahr während jeder Röntgenaufnahme ohne Schutzkleidung aufhalten würde, eine Strahlenbelastung von mehr als 15 mSv erhalten kann.
Abstandquadratgesetz
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Für den praktisch anwendbaren Strahlenschutz ist das wichtigste Gesetz das Abstandquadratgesetz: Die Dosis, die von einer punktförmigen Quelle ausgeht, nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Das heißt, in 2 m Abstand kommt nur noch ein Viertel der Streustrahlendosis an, die in 1 m Abstand registriert wird. Dadurch wird in der Regel gewährleistet, dass der Patient in den Nachbarbetten keiner unnötigen Strahlung ausgesetzt wird. Ebenso ist die Strahlenbelastung für das Personal bei Einhaltung entsprechender Abstände sowie Tragen von Schutzkleidung nahezu vernachlässigbar. Bleischürzen mit 0,25 mm Bleigleichwert absorbieren 90 % der Strahlung im diagnostischen Bereich. In einer Studie zur Erfassung der effektiven Dosisbelastung durch Thoraxverlaufsserien (im Mittel 39±22 Bilder) und dem individuellen, durch die Strahlenbelastung erhöhten Krebsrisiko lag dieses zwischen 0,01 % und 0,07 % und wurde gegenüber dem Risiko der Grunderkrankung als vernachlässigbar eingestuft [12].
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17.4
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17 17 17
Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden
Die richtige Lage aller zur Therapie oder diagnostischen Überwachung eingeführten Sonden und Katheter ist Voraussetzung für eine optimale Funktion und die Prävention möglicher Schäden. Die Einführung und primäre Lagekontrolle erfolgt meist blind oder unter Durchleuchtungskontrolle bzw. fortlaufender Druckmessung. In jedem Fall bleibt das Thoraxübersichtsbild, auch nach erfolglo-
Endotrachealtubus
Bei 12–15 % der intubierten Patienten wird auf der Thoraxaufnahme eine Fehlpositionierung des Endotrachealtubus gefunden [7]. Der Großteil der meist endobronchial fehlpositionierten oro- bzw. nasotrachealen Tuben wird durch alleinige klinische Untersuchung (seitengleiches Atemgeräusch oder symmetrische Thoraxexkursion) nicht erkannt. Auch kann sich die Tubuslage bei Manipulationen (z. B. Neufixierung) oder durch Husten verändern. Aus diesem Grund muss folgendes beachtet werden: > Die Lage des Endotrachealtubus (und aller anderen Sonden und Katheter) muss auf jeder neuen Thoraxaufnahme auch erneut kontrolliert werden.
Normale Lage Das Auffinden der Tubusspitze auf der Thoraxaufnahme wird durch einen röntgendichten Streifen erleichtert. Die Lokalisation der Spitze des Tubus wird normalerweise in Bezug auf die Trachealkarina (95 % BWK 5±1) angegeben. Flexion und Extension von Kopf und Hals führen zu einer beträchtlichen Änderung der Lage der Tubusspitze. Da der Tubus entweder an der Nase oder dem Mund fixiert ist, kann nur das distale Ende der Bewegung des Kopfes und Halses folgen. Bei Flexion wird der Tubus bis zu 2 cm distalwärts, durch Extension bis zu 2 cm kranialwärts verlagert. Bei neutraler Kopfposition wird deshalb ein Abstand zwischen Karina und Tubusspitze von ca. 5 cm empfohlen, denn bei kürzerer Distanz könnte die alleinige Änderung der Kopfposition zu einer einseitigen endobronchialen Intubation führen. Bedeutung der Kopfposition. Die jeweilige Kopfposition ist normalerweise auf der Röntgenaufnahme ersichtlich: In neutraler Position projiziert sich die Mandibula auf die untere HWS. Bei Flexion projiziert sich die Mandibula auf die obere BWS, bei Extension ist die Mandibula oberhalb C4 abgebildet. Auch das Seitwenden des Kopfes kann die Tubusspitze um 1–2 cm verschieben.
197 17.4 · Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden
Komplikationen Eine schwere, jedoch sehr seltene Komplikation der endotrachealen Intubation stellt die Ruptur im Bereich des Larynx oder der Trachea (meist im Bereich der Pars membranacea) dar. In der Thoraxübersichtsaufnahme muss eine Trachealruptur vermutet werden bei Rechtsverlagerung des distalen Endes des Endotrachealtubus relativ zum Tracheallumen mit Überblähung des Cuffs. Durch Luftaustritt aus der rupturierten Trachea kann es zu Pneumomediastinum, Weichteilemphysem sowie Pneumothorax kommen. Die Durchführung eines CT bei bestehender Trachealperforation ist zu empfehlen zur genauen Lokalisation der Ruptur, zur Beurteilung einer möglichen Infektion im Bereich des Mediastinums bzw. der Halsregion sowie zur Planung eines eventuellen chirurgischen Eingriffes.
17.4.2
Trachealkanüle
Nach einer Tracheotomie sollte zur Lagekontrolle der Kanüle sowie zum Ausschluss von Komplikationen eine Thoraxübersichtsaufnahme angefertigt werden.
Normale Lage . Abb. 17.4 Tubusfehllage im rechten Hauptbronchus
Tubuslumen und -cuff. Das Lumen des Tubus sollte die Hälfte bis 2/3 der Trachea ausfüllen, um den Atemwegswiderstand möglichst gering zu halten. Der insufflierte Cuff sollte das tracheale Lumen ausfüllen, ohne die Trachealwand nach außen vorzuwölben, anderenfalls ist mit Schleimhautschädigungen zu rechnen.
Fehllagen In ungefähr 10–20 % der Fälle muss der Tubus nach radiologischer Lagekontrolle korrigiert werden [19]. Die häufigste Tubusfehllage ist die einseitige endobronchiale Intubation, zumeist des rechten Hauptbronchus (. Abb. 17.4). Die einseitige Intubation des rechten Hauptbronchus kann zu einer Atelektase der linken Lunge und/oder des rechten Oberlappens führen mit Überblähung der ventilierten Lungenabschnitte und der Gefahr eines Spannungspneumothorax durch ein Barotrauma. In 15 % der Fälle kann sich bei rechtsseitiger endobronchialer Intubation ein Spannungspneumothorax entwickeln. Liegt die Tubusspitze zu knapp oberhalb der Karina, kann dies einerseits zu einer unbemerkten einseitigen endobronchialen Intubation führen, andererseits kann es zu einer direkten mechanischen Irritation der Schleimhaut kommen. Zusätzlich kann der Absaugvorgang zu Schleimhautläsionen im Bereich der Karina führen. Eine zu hohe Position des endotrachealen Tubus birgt die Gefahr der spontanen Extubation oder der Aspiration um einen schlecht abdichtenden Cuff im Larynx oder Pharynx. Zusätzlich kann es zu Verletzungen im Bereich des Larynx (Stimmbänder) durch den überblähten Cuff kommen. Fehllage im Ösophagus. Eine Fehllage des Tubus im Ösophagus
wird in den meisten Fällen klinisch erkannt. In der Thoraxaufnahme muss eine ösophageale Tubusfehllage vermutet werden bei linkslateral der Trachealkontur lokalisiertem Tubus, Überblähung des Ösophagus und Magens und Verlagerung der Trachea durch den geblähten Cuff. Eine Thoraxkontrolle in 25 ° rechtslateralisierter Schrägstellung mit nach rechts gedrehtem Kopf könnte den Verlauf des dorsal der Trachealkontur verlaufenden Tubus eindeutig darstellen.
Die Trachealkanüle soll parallel zur Längsachse des trachealen Luftbandes nach kaudal verlaufen. Die Spitze soll einige Zentimeter oberhalb der Karina liegen. Die Trachealkanüle sollte die Hälfte bis zwei Drittel der Trachea ausfüllen.
Fehllage Das Anliegen bzw. die Verkantung der Trachealkanülenspitze an der Vorder- oder Hinterwand der Trachea kann zu Drucknekrosen und zur Perforation der Trachealwand führen (Nachweis mit Seitenaufnahmen). Sehr selten kann diese Fehllage entweder zu einer Druckarrosion der vor der Trachea verlaufenden linken A. brachiocephalica oder zu einer tracheobronchialen Fistel führen. Wird das äußere und innere Ende der Trachealkanüle in der Thoraxübersichtsaufnahme übereinander projiziert in einer Ebene abgebildet, verläuft die Kanüle nicht regulär nach kaudal und muss repositioniert werden. Auch in diesem Fall kann die zusätzliche Anfertigung einer Seitenaufnahme hilfreich sein.
Komplikationen In der Thoraxübersichtsaufnahme nach Tracheotomie ist häufig ein geringes zervikales Hautemphysem sowie ein Pneumomediastinum zu sehen. Ein massives subkutanes Emphysem kann als Zeichen einer Trachealperforation im Rahmen der Tracheotomie gewertet werden. Ein Pneumothorax kann bei Verletzung der Pleura im Rahmen der Tracheotomie sowie bei Trachealperforationen auftreten. Bei Verbreiterung des Mediastinums nach Tracheotomie muss an eine Blutung gedacht werden.
17.4.3
Zentralvenöser Katheter
Bei der röntgenologischen Lagekontrolle des Katheters ist darauf zu achten, dass der gesamte intrathorakale Verlauf des Katheters von der Punktionsstelle bis zur Katheterspitze abgebildet ist. Auch bei erfolgloser Punktion ist zum Ausschluss evtl. punktionsassoziierter Komplikationen eine Thoraxübersichtsaufnahme anzufertigen. Um extravasale Katheterfehllagen oder Fehllagen in kleinen Gefäßen eindeutig zu identifizieren, kann die Darstellung des Katheters mit einem nichtionischen Kontrastmittel (5–10 ml) erforderlich werden. Fehlpositionierungen nach Anlage eines zentralvenösen Katheters
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
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werden in bis zu einem Drittel der Thoraxübersichtsaufnahmen gefunden.
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Normale Lage
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Der meist über die V. subclavia oder die V. jugularis interna eingeführte Katheter sollte mit der Spitze im Bereich der V. cava superior liegen. Im a.-p.-Bild sollte sich die Spitze auf einen Bereich zwischen den sternalen Ansätzen der 1. – 3. Rippe projizieren, also nicht tiefer als die Trachealkarina liegen. Bei regulärer Lage überkreuzen sich über die V. subclavia und die V. jugularis interna eingeführte Katheter. Fehlt dieses Überkreuzen der Katheter, so muss an eine extravasale oder intraarterielle Lage gedacht werden.
zu erkennen. Eine seltene Katheterlokalisation ist die V. thoracica interna, die in der Seitenaufnahme an ihrem retrosternalen Verlauf identifiziert werden kann. Andere Fehllagen wie im Bereich der V. pericardiophrenica, der V. intercostalis superior links, und der V. thyroidea inferior stellen ausgesprochene Raritäten dar. Die häufigste venöse Gefäßvariante ist eine persistierende linke obere Hohlvene, die in 0,3 % der Normalpopulation und in 4,3 % der Patienten mit angeborenen Herzfehlern zu erwarten ist (. Abb. 17.8). Der Katheter verläuft typischerweise bei Punktion der linken V. jugularis interna oder V. subclavia links mediastinal nach kaudal. Eine intraarterielle Katheterfehllage ist an ihrem atypischen Verlauf zu erkennen (medial der zu erwartenden Position der V. cava superior).
Fehllage Eine Katheterfehllage im rechten Vorhof oder Ventrikel ist wegen der Gefahr von Klappen- oder Endokardläsionen zu korrigieren. Zusätzlich kann es zum Auftreten von Arrhythmien und zu Herzwandperforationen mit Hämatoperikard und Herzbeuteltamponade kommen. Intravasale Katheterfehllagen werden häufig klinisch nicht erkannt, sollten jedoch wegen möglicher Komplikationen wie Thrombose oder Gefäßarrosion korrigiert werden. Die radiologische Beurteilung der verschiedenen Möglichkeiten zentralvenöser Katheterfehllagen setzt die genaue Kenntnis der venösen thorakalen Anatomie voraus [26] (. Abb. 17.5; . Abb. 17.6; . Abb. 17.7). Die häufigste Katheterfehllage bei Anlage eines Katheters über die V. subclavia ist der Verlauf in die ipsilaterale V. jugularis interna (in ca. 15 % der Fälle; [23]). Eine andere häufige Katheterfehllage ist die Überschreitung der Mittellinie mit Verlauf des Katheters in die kontralaterale V. brachiocephalica. Eine weitere Fehllage nach Punktion der V. jugularis interna ist der Verlauf in die Venen der oberen Extremität. Diese Fehllagen sind sehr leicht anhand der Thoraxübersichtsaufnahme in einer Ebene zu erkennen. Seltenere Fehllagen. Schwieriger bzw. nur bei Aufnahmen in 2 Ebenen oder nach Kontrastmittelmarkierung erkennbare Katheterfehllagen sind im Bereich der V. azygos und der V. thoracica interna zu beobachten. Eine Katheterfehllage mit der Spitze in der V. azygos ist an einer Schleifenbildung in Projektion auf den Einmündungsbereich der V. azygos in die V. cava superior erkennbar [1]. Eindeutig ist eine Fehllage im Bereich der V. azygos auf einer Aufnahme im lateralen Strahlengang durch ihre dorsalwärts gerichtete Position
Komplikationen Pneumothorax. Die häufigste punktionsassoziierte Komplikation ist ein Pneumothorax (bei bis zu 6 % der Patienten nach Punktion der V. subclavia). Ein Pneumothorax ist wesentlich seltener nach Punktion der V. jugularis interna zu beobachten. Bei respiratorischer Verschlechterung des Patienten ist an die Möglichkeit des verspäteten Auftretens eines Pneumothorax zu denken; dies ist noch Stunden bis Tage nach der Punktion möglich [18]. Arterielle Punktion. Durch versehentliche arterielle Punktion können ausgedehnte Weichteilhämatome, Mediastinalhämatome oder ein Hämatothorax entstehen. Diese sind radiologisch an Weichteilverschattungen, Mediastinalverbreiterung sowie einem Pleuraerguss zu erkennen. Extravasale Fehllage. Eine extravasale Katheterfehllage im Bereich des Mediastinums oder in der Pleura führt bei Infusion größerer Flüssigkeitsmengen zu einem Infusionsmediastinum mit rasch zunehmender Mediastinalverbreiterung und Pleuraerguss. Diese Fehllage ist durch eine Extravasation nach Kontrastmittelmarkierung des Katheters nachzuweisen (. Abb. 17.9). ! Cave Hierbei ist zu beachten, dass bei mehrlumigen Kathetern auch nur ein Lumen extravasal gelegen sein kann. Wandständige Katheterspitze. Eine suboptimale, repositionsbe-
dürftige Katheterposition ist die im Bereich der V. cava superior
17 17 17 17 17 17 17 17
. Abb. 17.5a, b. Venöse Anatomie in frontaler und seitlicher Projektion: 1 V. jugularis interna; 2 V. thyroidea inferior; 3 V. subclavia; 4 V. thoracica interna; 5 V. pericardiophrenica, 6 V. azygos; 7 V. intercostalis superior; 8 V. cava superior
199 17.4 · Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden
. Abb. 17.6a–c. Katheterfehllagen: a von linker V. subclavia in rechte V. thoracica interna; b von linker V. jugularis interna in V. azygos; c von linker V. jugularis interna in linke V. pericardiophrenica
. Abb. 17.7a–c. Katheterfehllagen. a Rechter Subklaviakatheter. Fehllage in der V. jugularis interna; b Katheterspitze eines Jugularis-interna-Katheters in der rechten V. thoracica interna; c doppelter Katheterbruch eines Jugularis-interna-Katheters im subkutanen Verlaufsbereich
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
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. Abb. 17.8a–c. a Atypischer Verlauf eines linksseitigen Subklaviakatheters entlang des linken Mediastinalrandes (Pfeile); korrekte Lage in einer persistierenden V. cava superior sinistra; b, c Darstellung durch Phlebographie: b Kontrastmittelinjektion in beide Vv. cubitales; normale obere Hohlvene rechts; Einmündung der persistierenden linken oberen Hohlvene in den rechten Vorhof; c persistierende linke obere Hohlvene in Schrägposition; retrograde Füllung der V. hemiazygos; Füllungsdefekte durch parietale Thromben im Bereich des Katheterendstückes
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. Abb. 17.9 Ausgedehnter rechtsseitiger Hämatothorax nach Katheterfehllage in der A. sublavia und Perforation
. Abb. 17.10 Rechts wandständige Katheterspitze in der V. cava superior mit konsekutiver Perforation der Katheterspitze und Infusionspleuraerguss
rechts wandständige Katheterspitze bei meist über die linke V. subclavia eingeführtem Katheter (. Abb. 17.10). Diese Katheterlage birgt ein erhöhtes Risiko von Endothelschädigungen und Gefäßperforationen meist Stunden bis Tage nach der Anlage.
Thrombose. Längere Katheterliegezeiten, Schleifenbildungen, Intimaläsionen und Infektionen begünstigen die Bildung intravenöser Thrombosen. Nach 14 Tagen werden bei bis zu 73 % der Patienten mit zentralvenösen Kathetern Thrombosierungen um den Katheter gefunden. Primäres Verfahren zur Thrombosediagnostik auf der Intensivstation im Bereich der V. subclavia und V. jugularis interna
201 17.4 · Lagekontrolle von Kathetern, Tuben, Drainagen und Sonden
ist die dopplersonographische Untersuchung. Zur exakten Bestimmung der Ausdehnung der Thrombose in Richtung V. cava superior empfiehlt sich die Durchführung einer CT unter i.v.-Kontrastmittelapplikation über beide Arme.
17.4.4
Pulmonalarterienkatheter
Pulmonalarterienkatheter werden typischerweise über eine Schleuse in der V. subclavia oder der V. jugularis interna eingeschwemmt; die Spitze sollte in der rechten oder linken Pulmonalishauptarterie liegen. Nach Anlage eines Pulmonaliskatheters sollte in jedem Fall, auch bei eindeutigen Druckkurven, zur genauen Lokalisation und zum Ausschluss von Komplikationen eine Thoraxübersichtsaufnahme angefertigt werden.
Normale Lage Der Pulmonaliskatheter verläuft normalerweise über die V. cava superior, den rechten Vorhof und den rechten Ventrikel in die rechte oder linke Pulmonalarterie.
Fehllage Die häufigste Fehllage ist die zu weit nach peripher vorgeschobene Katheterspitze, also die Lage in einem Pulmonalarterienast mehr als 2 cm vom Hilus entfernt. Aus einer zu weit peripheren Katheterlokalisation kann ein Lungeninfarkt oder eine Perforation eines Pulmonalarterienasts mit konsekutiver Lungenblutung entstehen. Ein zu weit proximal im rechten Ventrikel lokalisierter Pulmonaliskatheter kann zu Arrhythmien, Endokardschäden und zu Perforationen führen.
Normale Lage Der Zugang erfolgt über die A. femoralis, entweder perkutan oder chirurgisch, durch Arteriotomie. Über die A. femoralis wird der Katheter, meist unter Durchleuchtungskontrolle, retrograd bis in die Aorta thoracalis vorgeschoben. > Idealerweise liegt die Spitze der IABP unmittelbar distal des Abgangs der linken A. subclavia und kann in der a.-p.-Thoraxaufnahme in Projektion auf den Arcus aortae dargestellt werden.
Fehllage Liegt die IABP zu weit proximal im Aortenbogen, besteht die Gefahr eines Verschlusses der linken A. subclavia oder der hirnversorgenden Arterien mit dem Risiko zerebraler Embolien. Eine zu weit distale Fehllage der IABP führt zu ungenügender Funktion und der Gefahr einer Obstruktion von Viszeralarterien.
Komplikationen Die häufigste Komplikation ist eine Ischämie der unteren Extremität, die sowohl ipsi- als auch kontralateral auftreten kann. Zur Abklärung eventueller thromboembolischer Gefäßverschlüsse stehen die Farbduplexsonographie sowie die intraarterielle digitale Subtraktionsangiographie zur Verfügung. Während der Einlage der IABP kann es zu einer Dissektion der Aortenwand oder zu einer Perforation der Aorta kommen. Bei Verdacht auf Aortendissektion oder Aortenruptur ist die CT-Angiographie zur weiteren Abklärung das Verfahren der Wahl. Eine weitere sehr seltene Komplikation stellt die Ballonruptur mit der Gefahr einer Gasembolie dar.
Komplikationen Die häufigste radiologisch erkennbare Komplikation ist der Lungeninfarkt, der durch einen zu weit peripher gelegenen Katheter oder durch eine zu lange Inflation des Ballons verursacht sein kann. Die Infarktregion wird typischerweise an einer fleckigen Konsolidierung in der Lungenregion peripher des Katheters erkannt. Nur selten sieht man ein typisches keilförmiges, subpleural gelegenes, homogenes Konsolidierungsareal (»Hampton‘s hump«). Schleifen- oder Schlingenbildungen des Katheters innerhalb des Vorhofs oder Ventrikels können atriale und ventrikuläre Arrhythmien verursachen. Eine seltene Komplikation ist die Ruptur einer Pulmonalarterie mit nachfolgender Lungenblutung. Andere sehr seltene Komplikationen sind die Ausbildung eines Pseudoaneurysmas der Arteria pulmonalis, intrakardiale Verknotung des Katheters sowie lokale Thrombosebildung.
17.4.5
Intraaortale Ballonpumpe
Die intraaortale Ballonpumpe (IABP) besteht aus einem Katheter, der an seiner Spitze einen 26–28 cm langen aufblasbaren Ballon besitzt. Der Ballon wird, z. B. EKG-getriggert, während der Diastole mit etwa 40 ml Gas (meist Helium) aufgeblasen und während der Systole wieder entleert. Im Thoraxbild erkennt man die IABP während der Diastole als längliche, gasgefüllte Struktur im Bereich der Aorta descendens. Während der Systole ist der Ballon leer und daher nicht sichtbar. An der Katheterspitze befindet sich ein kleiner, röntgendichter Marker.
17.4.6
Pleuradrainagen
Pleuradrainagen werden zur Evakuierung von pleuraler Luft oder Flüssigkeit eingeführt. Nach Punktion bzw. Drainage sollte zur Lagekontrolle, zum Ausschluss evtl. Komplikationen (z. B. Pneumothorax bei Pleuraergusspunktion) sowie zur Kontrolle des Therapieerfolges eine Thoraxübersichtsaufnahme durchgeführt werden.
Normale Lage Zur Therapie eines Pneumothorax sollte die Drainagespitze in der Nähe der Lungenspitze in anterosuperiorer Richtung liegen. Zur Drainage pleuraler Flüssigkeit sollte die Drainagespitze posteroinferior zur Darstellung kommen. Abgekapselte Flüssigkeits- oder Luftansammlungen können evtl. atypische Drainagepositionen erfordern. > Es ist besonders darauf zu achten, dass alle Seitenlöcher (erkennbar an einer Unterbrechung des Röntgenstreifens) intrathorakal liegen.
Fehllagen Eine Fehllage der Drainage muss vermutet werden, wenn in der Kontrollröntgenaufnahme keine Besserung eingetreten ist. Pleuradrainagen können im Bereich der Interlobien, im Lungenparenchym sowie extrapleural im Bereich der Thoraxweichteile liegen. Häufig ist zur genauen Lokalisation der Thoraxdrainage, wenn die Drainagefunktion ungenügend ist, die zusätzliche Anfertigung einer Seiten- oder Schrägaufnahme, ggf. sogar eine CT, notwendig.
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Komplikationen
Fehllage
Komplikationen umfassen Blutungen durch Verletzung einer Interkostalarterie oder von Leber oder Milz. Eine Drainagelage innerhalb des Lungenparenchyms führt zur Parenchymzerreißung, zu Hämatombildung und bronchopleuraler Fistelbildung. Im Einzelfall kann bei unklarer projektionsradiographischer Lage der Thoraxdrainage eine Thorax-CT erforderlich sein. Hier kann insbesondere zwischen einer Lage der Thoraxdrainage im Bereich der Interlobien oder innerhalb des Lungenparenchyms differenziert werden.
Eine Lage im Sinus coronarius ist nur im Seitenbild an einem nach dorsal gerichtetem Verlauf zu erkennen. Weitere, meist schon durch gestörte Erregungsübertragung erkennbare Fehllagen sind die in der V. cava superior oder inferior, im rechten Vorhof, Truncus pulmonalis oder den Pulmonalarterien.
17
17.4.7
17
Eine Fehlpositionierung von Magen-, Duodenal- oder Jejunalsonden ist nicht selten und wird häufig klinisch nicht erkannt. Daher sollte nach dem Einführen einer neuen Ernährungssonde in jedem Fall eine Thoraxübersichtsaufnahme angefertigt werden.
17 17
Ernährungssonden
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Fehllage
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Fehlpositionierungen von Ernährungssonden bei Intensivpatienten sind durchaus nicht selten. Die Ernährungssonde kann versehentlich in das Tracheobronchialsystem gelangen und zu Pneumonien, zur Perforation und zu einem Pneumothorax führen.
17 17
17.4.8
17 17 17 17 17 17 17
17.5
Pathologische Luftansammlungen
17.5.1
Pneumothorax
Beim Pneumothorax gelangt Luft zwischen Pleura parietalis und viszeralis, so dass der Unterdruck zwischen den Pleurablättern aufgehoben wird. Das Eindringen von freier Luft in den Pleuraraum führt durch die Eigenelastizität des Lungenparenchyms zum partiellen oder totalen Kollaps der Lunge. Das Auftreten eines Pneumothorax auf einer Intensivstation, insbesondere bei beatmeten Patienten, ist kein seltenes Ereignis: Die Häufigkeit unter positiver Druckbeatmung wird mit 5–15 % angegeben. Die Ursachen eines Pneumothorax bei Intensivpatienten (. Tab. 17.1) sind häufig iatrogen, durch ein Barotrauma oder durch Komplikationen im Rahmen der Anlage eines zentralvenösen Katheters bedingt. Seltene Ursachen sind ein penetrierendes oder stumpfes Thoraxtrauma oder ein Mediastinalemphysem mit sekundärer Entwicklung eines Pneumothorax. ! Cave Ein Pneumothorax kann auch erst Stunden bis Tage nach einer Punktion auftreten [18].
Komplikationen Eine Ösophagusperforation ist eine sehr seltene Komplikation im Rahmen des Einführens einer Ernährungssonde. Sie kann zu einer Mediastinalverbreiterung und zu einem Pneumomediastinum führen.
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Myokardperforationen können schwer zu erkennen sein, wenn sich die Spitze der Schrittmachersonde nicht eindeutig außerhalb des Myokards oder des epikardialen Fettstreifen projiziert. Myokardperforationen bleiben meist ohne Folgen. In seltenen Fällen kommt es zu einem Hämatoperikard mit Herzbeuteltamponade.
Normale Lage Das Auffinden der Ernährungssonde auf der Thoraxaufnahme wird durch einen röntgendichten Streifen erleichtert. Es muss jedoch beachtet werden, dass diese, bei unterexponierten Aufnahmen und bei nur wenig röntgendichten Ernährungssonden, in der Thoraxübersichtsaufnahme nicht oder nur sehr schlecht sichtbar sind; hier kann Kontrastmittel über die Sonde verabreicht werden. Üblicherweise besitzen die Ernährungs- und Ablaufsonden Seitenlöcher im Bereich der distalen 10 cm; die Spitze sollte also zumindest 10 cm distal des gastroösophagealen Übergangs liegen. Duodenal- und Jejunalsonden werden normalerweise unter endoskopischer bzw. Durchleuchtungskontrolle eingeführt.
17
Komplikationen
Radiologische Befunde Die direkten Röntgenzeichen eines Pneumothorax (. Abb. 17.11) sind der Nachweis der abgehobenen Pleura viszeralis als scharf abgrenzbare Linie zwischen Lunge und lufthaltigem Pleuraraum und die fehlende Darstellung von peripheren Lungengefäßen im Pneu-
Herzschrittmacher . Tab. 17.1 Ursachen eines Pneumothorax beim Intensivpatienten
Bei Intensivpatienten werden meist transvenös über die V. subclavia oder die V. jugularis interna eingeführte Schrittmachersonden verwendet. Die Schrittmachersonde wird in der Regel unter Durchleuchtungskontrolle in die rechte Ventrikelspitze platziert und in den Trabekeln verankert, so dass sie engen Kontakt zum Endokard besitzt. Nach Herzoperationen werden meist epikardiale Schrittmachersonden verwendet, die intraoperativ platziert werden. Zur exakten Lagekontrolle ist die Anfertigung von Aufnahmen in 2 Ebenen notwendig (a.-p. und seitlich).
Normale Lage Im a.-p.-Bild projiziert sich die Spitze der Sonde auf den Boden des rechten Ventrikels, etwas medial vom linken Herzrand. In der Seitenaufnahme soll die Schrittmachersonde nach ventral verlaufen.
Häufig: Iatrogen
5 5 5 5 5
Barotrauma Zentralvenöser Katheter Thoraxdrainage Pleurapunktion Herzmassage
Selten: Thoraxtrauma
5 Penetrierend oder stumpf
Mediastinalemphysem mit sekundärem Pneumothorax
5 Tracheobronchiale Verletzungen 5 Tracheotomie 5 Barotrauma 5 Tracheal- oder Ösophagusperforationen
203 17.5 · Pathologische Luftansammlungen
. Abb. 17.11a–d. Pneumothorax: a Linksseitiger mantelförmiger Pneumothorax mit leichter Verlagerung der Mediastinalstrukturen nach rechts im Sinne beginnender Spannungszeichen; kleiner Seropneumothoraxspiegel; b ausgedehnter Spannungspneumothorax rechts mit Totalkollaps der rechten Lunge und ausgeprägten Spannungszeichen; Verlagerungen der Mediastinalstrukturen nach links und Verlagerung der rechten Lunge nach kontralateral; c Totalkollaps der rechten Lunge mit geringen Spannungszeichen; d Seropneumothorax rechts ohne Spannungszeichen; irreguläre Verdickung der Pleura mit Kalkplaques auch linksapikal sowie einer Pleurawinkelergussbildung links; ausgedehntes Lungenemphysem
mothoraxspalt. Beim stehenden Patienten verteilt sich die pleurale Luft entsprechend der Schwerkraft mehr in die kranialen Pleuraabschnitte. Eine Aufnahme in Exspiration erhöht die Nachweisrate. Beim liegenden Patienten, wie es auf einer Intensivstation meist der Fall ist, findet man die klassischen Zeichen des Pneumothorax nur bei größerer intrapleuraler Luftansammlung und erhaltener Lungenelastizität. Für eine derartige Darstellung im Röntgenbild ist eine maximal aufgerichtete Patientenposition von besonderer Bedeutung. Häufiger verteilt sich in der liegenden Position die Luft vorwiegend in den ventralen und basalen Pleuraabschnitten.
! Cave Auf der a.-p.-Thoraxaufnahme können ventral gelegene Luftansammlungen dem direkten Nachweis entgehen.
Hier sind folgende indirekte Röntgenzeichen von großer Bedeutung: 4 scharfe Grenze von Zwerchfell und Mediastinalstrukturen, 4 Transparenzerhöhung des Leber- und Milzfeldes, 4 Transparenzerhöhung der gesamten betroffenen Lunge.
17
204
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Untersuchungstechnik
Anteromedialer Pneumothorax
Ist eine klare diagnostische Aussage an Hand der Thoraxaufnahme im sagittalen Strahlengang nicht möglich, empfiehlt sich die Anfertigung von seitlichen Thoraxaufnahmen in Hartstrahltechnik mit Rasterkassette oder in digitaler Technik. Alternativ kann eine Tangentialaufnahme angefertigt werden. Die aussagekräftigste Methode bei der klinischen Verdachtsdiagnose eines verborgenen Pneumothorax ist die Computertomographie [20].
Am liegenden Patienten sammelt sich ein Pneumothorax bevorzugt anterior entlang der ventralen Thoraxwand bzw. das anteriore Mediastinum umgebend an. Dies führt zu einer deutlichen Demarkierung thorakaler Grenzflächen in Abhängigkeit von der Lokalisation der freien pleuralen Luft (indirekte Pneumothoraxzeichen). Die radiologischen Zeichen eines anteromedialen, supra- oder infrahilären Pneumothorax sind in der Übersicht dargestellt.
Differenzialdiagnosen Vorsicht ist geboten, um die Fehlinterpretation von Hautfalten besonders bei älteren und kachektischen Patienten zu vermeiden: Diese laufen typischerweise über die Thoraxwand hinaus, sind oft bilateral oder multipel, verschwinden plötzlich und lassen durchziehende Gefäßstrukturen erkennen. Ebenso sprechen eine unscharfe Begrenzung, ein begleitender Weichteilschatten und die nicht parallele Ausrichtung zur Thoraxwand für das Vorliegen einer Hautfalte. Gegebenenfalls muss eine Wiederholungsaufnahme unter kontrollierten Aufnahmebedingungen oder ein CT angefertigt werden. Intra- und extrathorakale Luftansammlungen, verursacht durch zystische Lungenveränderungen (Zysten, Emphysembullae, Pneumatozelen), Luftansammlungen im Mediastinum, im Perikard oder in den Thoraxweichteilen, intrathorakale Hernien und externe Fremdkörper können ebenfalls zu einer Verwechslung mit einem Pneumothorax führen.
17.5.2
Spannungspneumothorax
Beim Spannungspneumothorax gibt es die folgenden radiologischen Leitsymptome: 4 Verlagerung der Mediastinalstrukturen zur Gegenseite mit Verlagerung der Trachea, 4 Herniation der kollabierten bzw. retrahierten Lunge in das Mediastinum, 4 Kaudalverlagerung des Zwerchfells, 4 Kaudalverlagerung und Verbreiterung des lateralen Recessus phrenicocostalis. Sicherstes und häufig einziges Spannungszeichen im Röntgenbild sind Kaudalverlagerung und Abflachung des Zwerchfells auf der betroffenen Seite. Bei höheren Druckwerten verläuft die Zwerchfellkontur in kaudalwärts gerichteter Konvexität mit stumpfwinkliger breiter Öffnung des lateralen Sinus (»deep sulcus sign«). ! Cave 4 Die Röntgenzeichen eines Spannungspneumothorax können bei Vorliegen bilateraler diffuser Lungenveränderungen (z. B. ARDS) nur sehr diskret ausgebildet sein. 4 Bei maschinell beatmeten Patienten führt fast jeder Pneumothorax zu einem Spannungspneumothorax, auch wenn er klein und durch pleurale Adhäsionen abgekapselt erscheint.
17 17.5.3
17 17 17
Atypische Lokalisationen des Pneumothorax
Aufgrund der meist liegenden Patientenposition auf der Intensivstation sammelt sich die freie pleurale Luft meist ventral und subpulmonal und führt somit häufig zu atypischen Lokalisationen des Pneumothorax.
Radiologische Zeichen eines anteromedialen, supraoder infrahilären Pneumothorax 4 Suprahilärer anteromedialer Pneumothorax; scharfe Demarkierung folgender Strukturen: – V. cava superior – V. azygos – A. subclavia links – Obere Pulmonalvene – Vordere pleurale Umschlagsfalte 4 Infrahilärer anteromedialer Pneumothorax; scharfe Demarkierung folgender Strukturen: – Herzrand – V. cava inferior – Kardiophrenischer Sulkus – Medialer Zwerchfellanteil unter der Herzsilhouette – Perikardialer Fettbürzel 4 Subpulmonaler Pneumothorax: Voraussetzung zur Erfassung eines subpulmonalen Pneumothorax ist, dass bei der Thoraxaufnahme die oberen Abschnitte des Abdomens mit darstellt sind. Radiologische Zeichen eines subpulmonalen Pneumothorax sind: – Hypertransparenz im oberen Abdomen, – tiefer kostophrenischer Sulkus – scharfe diaphragmale Begrenzung – Demarkierung der vorderen und hinteren Zwerchfellkontur (»doppeltes Zwerchfellzeichen«) – Demarkierung der V. cava inferior
17.5.4
Pneumomediastinum
Ursächlich steht auch hier das Barotrauma im Vordergrund; das Pneumomediastinum kann ein erster diagnostischer Hinweis sein. Neben den für die Pneumothoraxentstehung bereits angeführten Ursachen kommen für das Pneumomediastinum folgende Pathomechanismen ergänzend in Frage: 4 Ösophagusläsionen durch Sonden, Endoskopie, Ballondilatation bzw. Bougierungen, verschluckte Fremdkörper, 4 Ösophagotrachealfistel, Boerhaave- oder Mallory-WeissSyndrom, 4 selten: Tumoren und Entzündungen. Ein Mediastinalemphysem darf postoperativ bis zu 2 Wochen nach Thoraxeingriffen nachweisbar sein. Lufteinschlüsse im Perikard (Pneumoperikard) sind Folge einer penetrierenden Verletzung oder einer Operation mit Perikarderöffnung.
Radiologische Befunde Die mediastinal gelegene Luft verteilt sich entlang der Mediastinalfaszien, des Perikards, der Mediastinalgefäße, Trachea, Bronchien und des Zwerchfells (. Abb. 17.12). Dadurch werden normalerweise
205 17.6 · Abnorme Flüssigkeitsansammlungen
gensatz zum Luftbronchogramm keine Verzweigungen oder eine regelmäßige, peripherwärts gerichtete Kaliberabnahme aufweisen. Sie sind eher ungeordnet und in ihrer Erscheinung vergleichbar mit dem Negativbild von Kerley-Mustern. Ringförmige, perivaskuläre Aufhellungen, sog. »Halos«, sind selten, aber typisch und entstehen durch Luft im perivaskulären Interstitium. Im Verlauf können vorbestehende Konsolidierungen bei Ausbildung eines interstitiellen Emphysems transparenter erscheinen. Hier ist Vorsicht vor einer Fehlinterpretation einer scheinbaren Befundbesserung geboten.
. Abb. 17.12 Pneumomediastinum (Pfeile), Pneumothorax links (Pfeile mit Querstrich) und Weichteilemphysem am Hals nach Überdruckbeatmung; Beatmungstubus im rechten Hauptbronchus; homogen konfluiertes Ödem in beiden Lungen mit Luftbronchogrammen (weiblich, 21 Jahre, Suizidversuch mit Barbiturat, 4. Beatmungstag; Patientin überlebte)
unsichtbare Mediastinalstrukturen sichtbar gemacht. Dies führt im Thoraxbild zu streifenförmigen, in kraniokaudaler Richtung verlaufenden mediastinalen Luftaufhellungen. Differenzialdiagnostisch kann manchmal die Unterscheidung eines medialen Pneumothorax von einem Mediastinalemphysem schwierig sein. Ein Weichteilemphysem der Thoraxwand oder des Halses ist ein häufiger Begleitbefund des Mediastinalemphysems, eine Ausbreitung der mediastinalen Luft bis in das Retroperitoneum und Peritoneum ist möglich. In Zweifelsfällen ist der Luftgehalt im Mediastinum retrosternal durch ein CT oder eine seitliche Aufnahme in Rückenlage gut darstellbar.
17.5.5
Interstitielles Emphysem
Intrapulmonale, extraalveoläre Luftansammlungen stellen eine ernste Komplikation beim beatmungspflichtigen Intensivpatienten dar. Das interstitielle Emphysem des Erwachsenen hat seine Bedeutung während der letzten 15–20 Jahre mit zunehmender Verbreitung der Überdruckbeatmung erlangt [25]. Erhöhter intraalveolärer Druck führt zur Ruptur der Alveolarwand, Luft breitet sich im Interstitium entlang dem broncho vaskulären Bündel und der interlobulären Septen aus. Ein interstitielles Emphysem kann sich nach peripher bis zum Pneumothorax und nach zentral bis zum Pneumomediastinum ausweiten. Die Ruptur subpleuraler Alveolen führt direkt zum Pneumothorax ohne Nachweis eines interstitiellen Emphysems.
17.6
Abnorme Flüssigkeitsansammlungen
17.6.1
Pleuraerguss
Pleurale Flüssigkeitsansammlungen sind in der Intensivmedizin häufige Begleitbefunde. Nach abdominellen Operationen werden bei bis zu 50 % der Patienten meist kleine pleurale Begleitergüsse nachgewiesen, ohne dass eine spezielle Behandlung erforderlich wäre. Nach Thoraxeingriffen kommt es beinahe bei allen Patienten zur Ausbildung von Pleuraergüssen, evtl. mit hämorrhagischer Komponente. In der Regel werden diese Patienten bereits intraoperativ prophylaktisch mit Thoraxdrainagen versorgt. Beim liegenden Patienten kommt es bei nicht obliteriertem Pleuraspalt zu einer flächigen dorsalen Verteilung des Pleuraergusses, wobei das Anheben des Oberkörpers eine mehr kaudale Umverteilung bedingt.
Radiologische Befunde Bei einseitigem Pleuraerguss ist die betroffene Thoraxseite im Vergleich zur gesunden Seite transparenzgemindert, bei beidseitigem Erguss müssen zur Diagnosestellung weitere Röntgenzeichen wie die homogene, nach kranial abnehmende Transparenzminderung einer Lungenhälfte, die unscharfe oder fehlende Begrenzung des Zwerchfells, die Verbreiterung des Pleuraraums lateral und apikal sowie die Flüssigkeitsmarkierung der Interlobärspalten hinzutreten (. Abb. 17.13). Die Sonographie hat sich als äußerst wichtige, direkt am Patientenbett verfügbare Methode zum Nachweis eines Pleuraergusses erwiesen. Sie kann schnell und zuverlässig über Vorhandensein, Verteilung und ungefähre Menge des Pleuraergusses Auskunft geben. Zusätzlich kann für eine evtl. Pleurapunktion die optimale Punktionsstelle bestimmt werden. > Beim liegenden Patienten sind Ergussmengen von 200–500 ml notwendig, um eine sichtbare Verschattung zu verursachen.
Bei größeren Ergüssen steigt die charakteristische homogene Verschattung weiter nach kranial, überlagert und verdeckt die Konturen von Zwerchfell und Mediastinum bzw. Herzrand und kann zur Totalverschattung einer Thoraxhälfte mit Verdrängung des Mediastinums zur Gegenseite führen (sog. »expansiver Pleuraerguss«; . Abb. 17.14).
Radiologische Befunde Die radiologische Erkennung der extraalveolären Luftansammlungen in der Lungenaufnahme setzt eine gewisse Konsolidierung von Alveolen voraus. Wegweisend sind irregulär angeordnete Luftbläschen (bis zu 5 mm Durchmesser), seltener streifenförmige Luftansammlungen entlang der kleinen Gefäße und Bronchusstrukturen sowie subpleural gelegene Luftbläschen. Man erkennt lufthaltige, vom Hilus nach peripher ziehende Aufhellungsstreifen, die im Ge-
17.6.2
Sonderformen pleuraler Flüssigkeitsansammlungen
z Subpulmonaler Erguss Durch Hochdrängen der Lungenbasis wird ein Zwerchfellhochstand vorgetäuscht (. Abb. 17.15). Eine Abklärung erfolgt durch eine a.-p. Aufnahme in Seitenlage (der Erguss läuft aus) mit ho-
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206
Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
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. Abb. 17.13 Bilaterale Pleuraergussbildung, rechts mit Flüssigkeitsmarkierung des Interlobiums und konsekutiver Kompressionsdystelektase im rechten Unterlappen. Kardiale Dilatation mit pulmonaler Stauung (Grad 2). Rechts wurden nach dieser Aufnahme 800 ml Pleuraerguss drainiert
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. Abb. 17.15a, b. Konventionelle Thoraxaufnahme (a): Scheinbarer Zwerchfellhochstand rechts mit Lateralisation der Zwerchfellkuppe. Kompressionsatelektase des rechten Unterlappens. CT (b): Ausgeprägte Dilatation der zentralen Pulmonalarterien, wandständige, scharf begrenzte Konstrastmittelaussparung in der linken Pulmonalarterie bei chronischer Thrombembolie mit ausgeprägter pulmonaler Hypertension. Sichelförmige, dorsobasale Ergussbildung rechts
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. Abb. 17.14 Vollständige Verschattung der rechten Thoraxhälfte mit lateral wandständiger, sichelförmiger Abgrenzung des Pleuraergusses sowie leichter Verlagerung der Medianstinalstrukturen nach links bei ausgedehnter, expansiver Pleuraergussbildung rechts
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mogener Verschattung entlang der seitlichen Thoraxwand. Radiologisch wegweisend ist die in der a.-p. Aufnahme lateralwärts verlagerte Wölbung der vermeintlichen Zwerchfellkontur sowie die Umverteilung bei Lagewechsel. Linksseitig ist die subpulmonale Ergusslokalisation bei lufthaltigem Magen und Kolon durch eine vergrößerte Distanz zwischen Magen- bzw. Kolonluft und Diaphragmakontur erkennbar.
z Interlobärerguss Im a.-p.-Bild erkennt man elliptische oder runde, in der Seitenaufnahme spindelförmige Verschattungen im Verlauf der Interlobärspalten. z Abgekapselter Erguss Abgekapselte Pleuraergüsse entstehen bei Adhäsionen zwischen viszeraler und parietaler Pleura. In der Thoraxübersichtsaufnahme sieht man bei tangentialer Projektion eine halbkugelige, der Pleura parietalis breitbasig aufsitzende Verschattung. Der Nachweis, die Bestimmung der Ausdehnung sowie der optimalen Punktionsstelle bei abgekapselten Pleuraergüssen ist eine Domäne der Sonographie der Pleura.
207 17.7 · Lungenödem und ARDS
17.7
Lungenödem und ARDS
Definition und Einteilung Das pulmonale Lungenödem ist definiert als pathologische Ansammlung von extravaskulärem Wasser im Lungenparenchym. Ein Lungenödem entwickelt sich immer dann, wenn das Gleichgewicht zwischen Transsudation und Resorption gestört ist. > Traditionell wurden 2 Klassen von Lungenödemen unterschieden, das sog. kardiale oder hydrostatische Ödem und das nichtkardiale oder Permeabilitätsödem.
Berücksichtigt man zusätzlich die modernen Konzepte der Pathophysiologie über die beiden Barrieren des Alveolarepithels und des Kapillarendothels, so ergeben sich 4 Lungenödemformen: 4 das hydrostatische Ödem, 4 das Permeabilitätsödem ohne diffuse Alveolarschädigung, 4 das Permeabilitätsödem mit diffuser Alveolarschädigung, 4 eine Mischung zwischen hydrostatischem und Permeabilitätsödem. Bei Dysfunktion des Kapillarendothels kommt es zum Austritt von Flüssigkeit aus den Kapillaren ins Interstitium (hydrostatisches Ödem oder Permeabilitätsödem ohne Alveolarschädigung). Das Wasser bleibt im Interstitium solange das Alveolarepithel intakt ist. Erst wenn das Alveolarepithel ebenfalls Permeabilitätsstörungen zeigt, kommt es zum Übertritt in die Lufträume der Alveolen.
17.7.1
Hydrostatisches Lungenödem
Die Flüssigkeitsmenge, die in das Interstitium übertritt, ist abhängig vom hydrostatischen Gefäßdruck sowie vom onkotischen Druck zwischen den intravaskulären und extravaskulären Räumen. Ein erhöhter hydrostatischer Druck (pulmonalvenöser Hochdruck durch Linksherzinsuffizienz oder intravaskuläre Flüssigkeitsüberlastung) ist die treibende Kraft, die das Wasser über die erste Barriere des Kapillarendothels in den extravaskulären Raum des Interstitiums drängt. Der größte Teil des interstitiellen Ödems wird durch peribronchiale Lymphgefäße kanalisiert, die die Flüssigkeit zunächst hiluswärts transportieren und eine 3- bis 7-fache Kapazitätssteigerung zeigen können. Diese Reservekapazität ist verantwortlich dafür, dass Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz kein Lungenödem entwickeln, obwohl sie einen erhöhten pulmonalvenösen Druck aufweisen. Erst bei einem Pulmonalkapillardruck von über 40 mm Hg kommt es zu einer zusätzlichen Insuffizienz der Alveolarepithelien mit Übertritt des Ödems vom Interstitium in die Alveolen.
Radiographische Befunde Im Allgemeinen geht der Entwicklung eines hydrostatischen Lungenödems eine pulmonalvenöse Dilatation voraus. So lässt sich eine gesetzmäßige Abfolge folgender radiographischer Befunde erklären (. Abb. 17.16): 4 vaskuläre Dilatation (Stauung Grad I), 4 interstitielles Ödem (Stauung Grad II), 4 alveoläres Ödem (Stauung Grad III). z Gefäßdilatation (pulmonalvenöse Stauung Grad I) Eine Gefäßdilatation manifestiert sich als vaskuläre Umverteilung (auch bekannt als Kranialisierung oder Gefäßinversion): Die Oberlappengefäße (Arterien und Venen) werden zunächst gleich weit, später weiter als die Unterlappengefäße. Ein sog. Gefäßangleich wird als typisch für Patienten mit hydrostatischem Ödem infolge
. Abb. 17.16a, b. Stauung: 37-jähriger Patient mit akutem Herzinfarkt (a). Pulmonale Stauung Grad II (unscharfe Gefäßkonturen und Bronchialwandverdickungen). b 24 h später: Zunehmende perihiläre Gefäßunschärfe und beginnendes schmetterlingsförmiges Lungenöden (Stauung Grad III), bilaterale Pleuraergussbildung
von Hypervolämie oder Niereninsuffizienz beschrieben [16]. Dieses Zeichen ist allerdings bei einer »Bettlunge« nur bedingt verwertbar, da es allein durch die Rückenlage des Patienten zu einem Gefäßangleich kommen kann. Gefäßinversion dagegen ist ein sensitives, nicht von der Patientenlage beeinflusstes Zeichen und gilt auch bei der »Bettlunge« als Indikator für eine pulmonalvenöse Hypertension, z. B. infolge einer Mitralstenose oder Linksherzinsuffizienz meist chronischer Art. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine vaskuläre Dilatation einer Ödembildung immer vorausgeht. Pulmonalvenöser Hoch-
17
208
Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
17
. Tab. 17.2 Korrelation der radiographischen Stauungsbefunde mit dem linken Vorhofdruck. (Nach [10])
17
Stauung
Grad I
Grad II
Grad III
Akut
12–19 mm Hg
20–25 mm Hg
>25 mm Hg
Chronisch
15–25 mm Hg
25–30 mm Hg
>30 mm Hg
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druck verursacht erst dann eine Dilatation der Lungengefäße, wenn er chronisch ist. So entwickelt der Patient mit einer akuten Linksherzinsuffizienz (infolge einer Arrhythmie oder eines ersten Herzinfarkts) eher ein schmetterlingsförmiges Lungenödem und Pleuraergüsse aber keine dilatierten Lungengefäße und keine vergrößerte Herzsilhouette. Ist es allerdings erst einmal zu einer Dilatation von Herz und Gefäßen gekommen, so ist die Dehnbarkeit permanent oder dauerhaft angehoben und selbst nach Normalisierung des Befundes kommt es sehr schnell bei erneutem Auftreten einer kardialen Insuffizienz zu einer Gefäßdilatation. Um die Beurteilung der Gefäßkaliberschwankungen zu vereinheitlichen, empfiehlt es sich, den begleitenden Bronchus (z. B. des anterioren Oberlappensegmentes) als internen Standard zu verwenden. Die begleitende Arterie ist normalerweise genauso groß oder etwas größer (maximal 110 %). Die Weite des oberen Mediastinums (gemessen oberhalb des Aortenbogens) gilt als Indikator für die hämodynamische Situation (»vascular pedicle«; [16]). Eine Zunahme der Weite des oberen Mediastinalschattens ist verbunden mit einer Flüssigkeitsüberlastung, einer Niereninsuffizienz, einer chronischen Herzinsuffizienz oder einer venösen Thrombose. Allerdings muss beachtet werden, dass derartige Messungen der Weite des oberen Mediastinums sehr stark von Projektion, Rotation, Inspirationstiefe und Patientenposition abhängig sind. Die individuelle Mediastinalweite hängt außerdem von mediastinalem Fett, Orientierung und Kaliber der Aorta und der supraaortalen Äste ab. Die Beurteilung des »vascular pedicles« ist daher besser im Verlauf von mehreren Vergleichsaufnahmen ähnlicher Positionierung und Inspirationstiefe als auf der Einzelaufnahme möglich. Die radiographischen Befunde hinken den hämodynamischen um 12–24 h hinterher, d. h. es können noch Ödemfolgen radiographisch nachweisbar sein, obwohl der kapillarvenöse Druck reduziert oder normalisiert ist (. Tab. 17.2). z Interstitielles Ödem (pulmonalvenöse Stauung Grad II) Das Interstitium ist definiert durch den extravaskulären subpleuralen, peribronchialen, interlobularen und intersegmentalen Raum. Hier manifestiert sich ein interstitielles Ödem durch Unschärfe von Gefäßkonturen, subpleurale Verdickungen, verdickte Interlobarsepten, peribronchiales Cuffing und septale Linien (Kerley A und B). Die Unschärfe der Gefäßkonturen ist ein Frühzeichen eines interstitiellen Lungenödems, ihre Beurteilung unterliegt jedoch einer hohen Subjektivität. Das interstitielle Ödem ist typischerweise zunächst perihilär lokalisiert. > Eine Gefäßunschärfe kann auch durch Variationen von Expositionsparametern, digitale Bilddatenverarbeitung, Änderung der Inspirationslage und der Dicke der Thoraxwand sowie durch Patientenrotation bedingt sein. Grundsätzlich gilt, dass die Gefäße auf Bettlungenaufnahmen unschärfer konturiert sind als auf Standardaufnahmen aufgrund des größeren Fokus und des kürzeren Fokus-Film-Abstands.
Verdickte Interlobärsepten und ein verdicktes subpleurales Interstitium sind ebenfalls Zeichen eines milden interstitiellen Lungenödems. Diese Zeichen gehen in der Regel der Ausbildung von Kerley-B-Linien und dem peribronchialen Cuffing voraus. Differenzialdiagnostisch davon abzugrenzen ist eine pleurale Flüssigkeitsansammlung im Interlobium. Die ödembedingte Verdickung der Bronchialwand – auch als »peribronchiales Cuffing« bezeichnet – ist am besten am anterioren Oberlappensegment rechts zu beurteilen und kann bei einem Ödem, aber auch bei Bronchitis oder Asthma, nachweisbar sein. Kerley-B-Linien stellen kurze horizontale Linien senkrecht zur lateralen pleuralen Oberfläche dar. Sie repräsentieren verdickte Interlobularsepten und sind meist am deutlichsten entlang der Lungenbasis ausgebildet. Kerley-A-Linien sind länger, mehr zentral in der Lunge lokalisiert und diagonal-hiluswärts orientiert; sie repräsentieren verdickte Lymphgefäße zwischen Segmenten bzw. Subsegmenten. Kerley-C-Linien sind am seltensten. Sie repräsentieren verdickte Interlobularsepten, die jedoch nicht tangential, sondern en face getroffen sind. Sie haben ein retikuläres Muster mit ungefähr 1 cm großen Polygonen. > Bei chronisch erhöhtem pulmonalem Kapillardruck kann es zu Mikroeinblutungen kommen, die letztendlich zu einer Hämosiderose mit Lungenfibrose führen. Diese Lungenfibrose sieht im Röntgenbild wiederum sehr ähnlich aus wie ein interstitielles Lungenödem mit verdickten Septen, unscharf begrenzten Gefäßen und septalen Linien.
z Alveoläres Ödem (pulmonalvenöse Stauung Grad III) Während das alveoläre Ödem in der akuten Phase zunächst oft uniform in der gesamten Lunge verteilt ist, kommt es im weiteren Verlauf zu einer bevorzugt perihilären und basalen Verteilung. Bei chronischer Herzinsuffizienz ist eine perihiläre Konzentration des Ödems dagegen selten. Man findet flächige oder unscharf begrenzte fleckige Verdichtungen, die je nach Ausmaß der Flüssigkeitseinlagerung in den Alveolen von flauen Trübungen bis zu dichten Konsolidierungen reichen. Ein positives Luftbronchogramm kann erkennbar sein. Das alveoläre Ödem ist mobiler als das interstitielle Ödem; dies wird bei Verlaufskontrollen und nach Lagewechsel des Patienten offensichtlich. Die Mitralinsuffizienz führt bevorzugt zu Ödemen im rechten Oberlappen aufgrund des dominierenden Rückflusses in die rechte Pulmonalvene. Andere Faktoren, die die Verteilung des Lungenödems beeinflussen, sind pulmonale Narben, Emphysem, Lungenembolie und pulmonalvenöse Obstruktion. > Solange das hydrostatische Ödem in den interstitiellen Räumen bleibt, ist es mehr oder weniger regelmäßig im Lungenparenchym verteilt. Erst nach Übertritt von Ödemflüssigkeit in die Alveolen kommt es zu einer Konzentration in den abhängigen Lungenpartien.
CT-Befunde Auch im CT erkennt man bei einer Stauung Grad I die aufgrund des erhöhten pulmonalvenösen Druckes dilatierten und weiter in die Peripherie reichenden Gefäße. Mit Übergang in ein interstitielles Ödem finden sich glatt begrenzte septale Verdickungen, Bronchialwandverdickungen und Milchglastrübungen. Letztere können sowohl ein erhöhtes Blutvolumen, verdickte Alveolarwände als auch eine partielle Flüssigkeitsfüllung der Alveolen repräsentieren. Bei CT-Verlaufskontrollen beobachtet man, dass zunächst das zentrale peribronchovaskuläre Interstitium und dann erst das interlobulare
209 17.7 · Lungenödem und ARDS
septale Interstitium beteiligt ist. Mit weiter zunehmender alveolärer Flüssigkeitsfüllung kommt es zu einer Konsolidierung, die, ähnlich wie im Übersichtsbild, vorwiegend perihilär (schmetterlingsartig) angeordnet ist. Weder Milchglastrübungen noch Konsolidierung sind spezifisch für das Ödem. Sie kommen differenzialdiagnostisch auch bei Infektion, Sarkoidose, Alveolitis und Alveolarproteinose vor. Eine homogen erhöhte Lungengrunddichte (»dark bronchus sign«: gegenüber dem Lungenparenchym hypertransparente, dunklere Bronchien) ist eher ein Indikator für ein erhöhtes pulmonales Blutvolumen als für die Entwicklung eines Lungenödems [8]. Das CT-Bild des hydrostatischen Ödems ist deutlich variabler als die Übersichtsaufnahme mit einem Nebeneinander diffus homogener oder auch fleckig inhomogener Verteilung von Milchglastrübungen und Konsolidierungen, die von interstitiellen Linien und verdickten Interlobärsepten überlagert sind.
17.7.2
Permeabilitätsödem ohne diffusen Alveolarschaden
Das Permeabilitätsödem ohne begleitenden diffusen Alveolarschaden ist v. a. durch die Folgen des Kapillarendothelschadens charakterisiert und weniger durch die Folgen des Alveolarepithelschadens. Bei Patienten mit einem Permeabilitätsödem ohne diffusen Alveolarschaden kommt es zu einer langsamen Resorption des Wassers und dadurch zu einem relativ langsamen Anstieg der intraalveolären Proteinkonzentration und zu einem insgesamt milderen klinischen wie radiographischen Verlauf. Derartige Veränderungen werden heute mit dem Begriff »akutes Lungenversagen« (»acute lung injury«) beschrieben. Der akute Lungenschaden kann durch eine akute Reaktion auf Medikamente oder Transfusionen (Leukoagglutininreaktion), Immunotherapie (Interleukin 2) oder Infektionen (z. B. mit dem Hanta-Virus) bedingt sein und wird auch als allergisches pulmonales Ödem bezeichnet [15]. Es stellt eine abgeschwächte Reaktion auf dieselben Noxen dar, die auch ein ARDS verursachen können. Klinisch ähnelt es dem hydrostatischem Ödem und radiographisch dem interstitiellen Ödem (verdickte Fissuren, Bronchialwandverdickungen, septale Linien, Pleuraergüsse). Die Zeichen eines Alveolarepithelschadens sind nur minimal. Herzvergrößerung und vaskuläre Gefäßerweiterung gehören nicht primär zum Permeabilitätsödem. Folgende Sonderformen wurden beschrieben: 4 Mischbild aus hydrostatischem und Permeabilitätsödem: Im klinischen Alltag kommt es häufig zu einer Überlappung der verschiedenen Ödemformen, so z. B. durch Überwässerung des septischen oder urämischen Patienten oder durch Entstehung eines Permeabilitätsödems bei einem Patienten mit überlagernden kardialen Problemen. 4 Höhenödem: Die Ätiologie ist noch nicht endgültig geklärt; wahrscheinlich kommt es zu einer generellen, jedoch regional unterschiedlich starken Vasokonstriktion bei Hypoxie. Dies führt zu einer pulmonalarteriellen Hypertension mit erhöhtem pulmonalkapillären Gefäßdruck. Zusätzlich ist das Kapillarendothel durch regionale Hyperperfusion reversibel geschädigt. 2‒5 Tage nach Aufenthalt in großen Höhen kommt es zu einem Lungenödem mit rascher Besserung bei Sauerstoffzufuhr bzw. Aufenthalt in niedrigerer Höhe. 4 Neurogenes Lungenödem: Dieses entwickelt sich nach schwerem zentralem neurologischem Schaden und stellt eine Ausschlussdiagnose dar. Es kommt zu einer Vasokonstriktion durch neurale Mechanismen (nicht durch Hypoxie) mit loka-
lem Anstieg des hydrostatischen Drucks, zusätzlich zu einem reversiblen entweder druckinduzierten oder durch gestörte neurale Kontrollmechanismen induzierten Permeabilitätsschaden der Kapillaren. Das klassische Röntgenzeichen des neurologisch bedingten Lungenödems ist das bilaterale alveoläre Lungenödem, das in den oberen Lungenabschnitten konzentriert ist und sich rasch bessert. 4 Reexpansionsödem: Das Lungenödem nach plötzlicher Reexpansion einer Lunge entsteht durch die ansteigende Kapillarpermeabilität. Es tritt nach (zu schneller) Entlastung eines Pneumothorax oder eines Pleuraergusses auf. Die Lunge muss wenigstens 3 Tage kollabiert gewesen sein. Das typische radiographische Zeichen sind ipsilaterale Alveolarverdichtungen, die mehrere Tage bestehen können. Manchmal kann ein solches Reexpansionsödem aufgrund der Freisetzung von Mediatoren sogar beide Lungen beeinträchtigen. 4 Postobstruktives Lungenödem: Das postobstruktive Ödem entsteht durch erhöhten hydrostatischen Druck. Aufgund des erhöhten intrathorakalen Drucks, wenn der Patient versucht, gegen eine hochsitzende Obstruktion (Epiglottitis, Strangulation, Laryngospasmus) anzuatmen, entsteht ein zentral betontes, hydrostatisch bedingtes Ödem, das sich in der Regel innerhalb von 24 h rasch zurückbildet.
17.7.3
Permeabilitätsödem mit Alveolarschaden – das Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS)
Die pathophysiologische Ursache ist nicht ein erhöhter pulmonalvenöser Druck, sondern vielmehr ein Schaden des Kapillarendothels, der zu erhöhter Permeabilität mit konsekutivem Wasser- und Proteindurchtritt ins Interstitium führt. Es wird auch als Permeabilitäts- oder nicht-kardial bedingtes Ödem bezeichnet. Das ARDS (»acute respiratory distress syndrome«) repräsentiert die schwerste Form des Permeabilitätsödems, bei dem zusätzlich ein diffuser Alveolarepithelschaden vorliegt, der für den weiteren Verlauf entscheidend ist. Es kommt zu einer Füllung der Alveolen mit proteinreicher Flüssigkeit, zu einer Zellnekrose, einer hyperplastischen Entzündungsreaktion des Alveolarepithels mit Ausbildung von hyalinen Membranen und Atelektasen und schließlich zu einer Fibrose. Somit ist das ARDS lediglich initial tatsächlich durch ein Ödem charakterisiert.
Radiologische Befunde des ARDS Das radiologische Bild eines ARDS hat einen gesetzmäßigen Verlauf in mehreren Phasen, wenn dieser nicht durch intensivmedizinische Behandlung unterbrochen oder modifiziert wird. Man unterscheidet die sog. exsudative, proliferative und fibrotische Phase. z Exsudative oder Frühphase (24 h) In dieser Phase entsteht innerhalb weniger Stunden nach der pulmonalen Schädigung ein Ödem des Interstitiums und der Alveolarwand. Die Alveolen füllen sich mit einem proteinreichen Exsudat, das mit einem variablen Anteil von Erythrozyten durchsetzt ist. Zusätzlich besteht eine Stauung der Kapillaren mit Ausbildung von Fibrinthromben sowohl in den Kapillaren als auch in den Arteriolen und Venolen. Einziges initiales Röntgensymptom kann zunächst ein Zwerchfellhochstand mit Mikroatelektasen sein. Im Folgenden beobachtet man ein interstitielles Ödem mit Verbreiterung der Gefäßstrukturen und der Bronchialwände sowie unscharf begrenzte, verdichtete Lungenhili. Die weiteren 24 h sind charakterisiert durch den Über-
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
gang vom interstitiellen zum alveolären Ödem mit diffuser Trübung oder fleckig-konfluierenden Verdichtungen, verbreiterten Gefäßstrukturen und Bronchialwänden. Es entwickeln sich flächenhafte, schlecht abgrenzbare Verdichtungszonen in beiden Lungen, wobei im Gegensatz zum kardialen Ödem die peripheren Anteile meist betont sind und die Herzgröße im Normbereich liegt. z Intermediärphase (Tag 2–7) Im weiteren Verlauf wird das alveoläre Ödem kompakter, es enthält Leukozyten und Makrophagen und es bilden sich hyaline Membranen aus. Es kommt zu zunehmender Zellproliferation mit Resorption des alveolären und interstitiellen Ödems und Ausbildung von Atelektasen.
elofibroblasten in den Alveolen und im Interstitium. Gleichzeitig besteht eine erhöhte Infektionsgefahr. Das Endstadium bedeutet für die meisten Patienten eine chronische interstitielle Fibrose. Nur bei einem geringen Teil der Patienten mit benignem Verlauf beobachtet man eine weitgehende Auflösung der Proliferation ohne wesentliche Beeinträchtigung der Atemfunktion. Radiologisch erkennt man ein sehr inhomogenes Lungenmuster mit einem Nebeneinander von grob retikulären, streifenför-
Frühe Intermediärphase. In der frühen intermediären Phase (Tag
2–4) nehmen die Verdichtungen zu und dehnen sich auf alle Lungenbereiche aus: die Randkonturen der Herzsilhouette und der Zwerchfellkuppeln werden undeutlicher und sind schließlich nicht mehr abgrenzbar. Im Extremfall zeigt sich das Bild der weißen Lunge (. Abb. 17.17; . Abb. 17.18). Während ein positives Pneumobronchogramm in dieser Phase typisch ist, weisen Pleuraergüsse eher auf eine Komplikation in Form einer Pneumonie oder einer Lungenembolie hin. Späte Intermediärphase. In der späten intermediären Phase (Tag
4–7) bessern sich die Befunde im Röntgenbild, die Verdichtungsbezirke lockern auf und werden inhomogen. Gleichzeitig entsteht durch herdförmige Pneumonien und unter Beatmung auftretende regionale Transparenzerhöhungen ein an einen »Schweizer Käse« erinnerndes Muster. Das radiologische Bild zeigt fleckförmige und aufgelockerte flächenhafte Verdichtungen sowie eine retikulärstreifige Strukturvermehrung. z Proliferations- oder Spätphase (nach einer Woche) In der proliferativen Phase (Tag 7–28), auch als fibrotische Phase beschrieben, kommt es zur Proliferation von Fibroblasten und My-
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. Abb. 17.17 Konventionelle Thoraxaufnahme: Typische, diffuse, bilaterale flächig konfluierende Strukturverdichtungen mit angedeutetem positivem Luftbronchogramm bei ARDS
. Abb. 17.18a, b. a Flächige Konsolidierung links mit Luftbronchograrnm und diskreten retikulonodulären Verdichtungen rechts bei Legionellenpneumonie. b 3 Tage später »weiße Lunge« links bei postinfektiösem ARDS (intermediäre Phase)
211 17.7 · Lungenödem und ARDS
migen Verdichtungen, flächenhaften Verdichtungen und bullösen Überblähungen (. Abb. 17.19). Das Röntgenbild spiegelt das fleckige Nebeneinander von irreversibler Parenchymdestruktion und Geweberestitution wider.
CT-Befunde Im CT findet man typischerweise Milchglastrübung und Konsolidierung mit einer fleckigen, vorwiegend peripheren Verteilung und einer Konzentration in den dorsalen abhängigen Regionen [5]. Die Inhomogenität ist im CT sehr viel offensichtlicher als auf den konventionellen Aufnahmen und wird von einigen Autoren als Zeichen der inhomogenen, unterschiedlich starken Schädigung der Alveolen angesehen, v. a., wenn sie sich auf die abhängigen Lungenpartien erstreckt [5]. Ziel der Beatmung mit PEEP ist daher, die weniger und nicht irreversibel geschädigten, nur temporär atelektatischen Alveolen zu rekrutieren.
. Abb. 17.19a, b. a Diffuse retikulonoduläre Strukturverdichtung in beiden Lungen mit angedeutetem positiven Luftbronchogramm bei ARDS (Proliferationsphase). b Das CT zeigt ebenfalls diffuse retikulonoduläre Strukturverdichtungen, die ungewöhnlich homogen verteilt sind
Andere Studien ergaben dagegen eine homogene Schädigung der Alveolen und vielmehr eine zusätzliche regionale Schädigung durch Kompression und Atelektase der abhängigen Lungenpartien, die man durch Umlagerung des Patienten zu vermeiden versucht [3]. Es ist zu beachten, dass die hauptsächliche Komponente der radiographisch vermeintlichen Transparenzbesserung bei PEEPBeatmung durch die Hyperinflation von Alveolen bedingt ist, die ohnehin schon belüftet waren (Barotrauma) und nicht durch das Wiedereröffnen von kollabierten Alveolen. In der CT kann man manchmal ein überlagerndes retikuläres Muster erkennen, das am ehesten durch interstitielles Ödem und Zellularinfiltrate bedingt ist. Häufig ist auch in der CT ein Pleuraerguss nachweisbar, der auf den Röntgenaufnahmen nicht erkennbar war. Es kommt zur Ausbildung von Zysten oder Bullae, vor allem in den abhängigen Lungenpartien, die ätiologisch daher nicht nur durch ein Barotrauma, sondern wahrscheinlich auch durch Lungenischämie bedingt ist. Die Inzidenz einer Pneumonie als Komplikation eines ARDS liegt bei >70 %; die Mortalität steigt erheblich an (>70 % vs. 25 %); und die Diagnose aufgrund einer Bettlungenaufnahme ist bekanntermaßen schwierig. So lag die diagnostische Genauigkeit der Lungenaufnahme für das Vorliegen einer Pneumonie bei nur 52 %, für das Vorliegen eines ARDS bei 84 %. Besteht ein ARDS, so nimmt die Zahl der Fehlbeurteilungen bezüglich des Vorliegens einer Pneumonie sogar noch weiter zu. Klinische Informationen konnten die Genauigkeit der Beurteilung der Lungenaufnahme nicht verbessern. Auch die Genauigkeit der CT für die Diagnose einer Pneumonie bei ARDS ist mit moderaten 60 % richtig-positiven und 70 % richtig-negativen Befunden begrenzt. So zeigen zwar 91 % der Patienten mit ARDS und einer Pneumonie Konsolidierungen in den nicht-abhängigen Lungenpartien, diese wurden aber auch in 60 % der Patienten ohne Pneumonie gesehen. Bronchiektasen im Zusammenhang mit Milchglastrübungen werden als ein frühes Zeichen interstitieller Fibrose und damit irreversibler Parenchymdestruktion bei der fibrosierenden Alveolitis beschrieben. Während Bronchiektasen im Rahmen infektiöser Pneumonien reversibel sind, scheinen sie auch bei Patienten mit ARDS ein Kriterium des Übergangs in eine irrversible fibrosierende Parenchymdestruktion darzustellen (. Abb. 17.20). Die CT zeigt früher als die konventionelle Aufnahme Zeichen eines interstitiellen Emphysems, das bei prolongiertem ARDS aufgrund fortgeschrittener Alveolarwanddestruktion auftritt. Man erkennt bis zu 5 mm große Luftzysten subpleural oder perihilär im Interstitium, die bei kettenartiger peribronchovaskulärer Anordnung interstitielle
. Abb. 17.20 Flächige Konsolidierungen in den ventralen Lungenabschnitten (Mittellappen und Lingula) mit Traktionsbronchiektasen als Folgeerscheinungen nach ARDS
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Luftstraßen bilden und zum Pneumothorax prädisponieren. Sie gelten als Zeichen einer schlechten Prognose. Zusätzlich findet man in etwa einem Drittel der Patienten einen Pneumothorax (32 %) oder Bullae (31 %), etwas seltener auch ein Pneumomediastinum (13 %).
Differenzialdiagnose zwischen Permeabilitätsödem mit Alveolarschaden (ARDS) und hydrostatischem Ödem Die Differenzialdiagnose zwischen einem Permeabilitätsödem mit Alveolarschaden (ARDS) und einem hydrostatischen Ödem kann schwierig sein. Folgende Zeichen können helfen: 4 Eine peripher betonte Verteilung der pulmonalen Verdichtungen ist typisch für das ARDS, wird aber in weniger als 50 % gefunden, 4 beim klassischen ARDS findet man keine interstitiellen Verdichtungen wie septale Linien, peribronchiales Cuffing oder verdickte Fissuren und keinen Pleuraerguss. Die Herzgröße ist normal, der »vascular pedicle« nicht verbreitert, 4 ein hydrostatisches Ödem verändert sich schnell mit Besserung der hämodynamischen Situation, während sich die Exsudate beim ARDS nur sehr langsam zurückbilden, 4 beim ARDS ist der Patient wegen der ausgeprägten Hypoxie immer intubiert, beim hydrostatischen Ödem ist dies häufig nicht notwendig.
In den meisten Fällen sind die verschiedenen Ödemformen nicht aufgrund der radiologischen Befundung zu unterscheiden. Sehr häufig liegen Mischformen vor. 4 Diagnostische Hilfestellung leisten: 4 die Mobilität des Ödems (spricht gegen ARDS) 4 und 4 bei einem hydrostatischen Ödem die begleitende Gefäßdilatation, die Kardiomegalie und der Nachweis von Pleuraergüssen.
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Einfluss der maschinellen Beatmung Die Behandlung des ARDS erfordert eine maschinelle Beatmung, meist in Form einer kontrollierten Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck (PEEP). Effekte dieser Beatmungsform sind v. a. die Eröffnung von Mikroatelektasen und die Verdünnung des alveolärem Ödemfilms. Hieraus ergibt sich eine Verbesserung der Lungendehnbarkeit (Compliance), der funktionellen Residualkapazität und des Gasaustausches.
Das radiographische Bild der Lunge wird durch die PEEP-Beatmung deutlich beeinflusst und muss bei der Beurteilung berücksichtigt werden (. Abb. 17.21): 4 Es kommt zu einer Volumenerhöhung der Lunge (Hyperinflation) mit einer Transparenzzunahme und einem Tiefertreten des Zwerchfells. 4 Die Überblähung der intrapulmonalen Luftwege ist an der Ausbildung eines positiven Luftbronchogramms bis in die Lungenperipherie hin erkennbar. 4 Die Auflockerung von Infiltraten und die Umverteilung des Lungenödems in die Lungenperipherie können eine Befundbesserung (Transparenzverbesserung) vortäuschen. Komplikationen der maschinellen Beatmung sind das Barotrauma mit einem interstitiellen Emphysem, einem Pneumothorax, Pneumomediastinum und/oder Weichteilemphysem. Es kann durch Airtrapping zu zystischen Lungenveränderungen (Pneumatozele) kommen, die Ausgangspunkte von Superinfektionen sein können. Subpleurale Pneumatozelen prädisponieren zur Entstehung eines Spannungspneumothorax. Verantwortlich für eine Lungenschädigung unter Beatmung können Barotrauma und Volutrauma sein. Sensitives Röntgenzeichen für eine Hyperinflation im Sinne eines potenziellen Volutraumas ist ein Lungenlängsdurchmesser von >24 cm und die Lage des sechsten anterioren Rippenabschnittes über Lungengewebe.
17.8
Pulmonale Verdichtungen
Im Röntgenbild sichtbare Verdichtungen im Bereich der Thoraxhälften können durch pathologische Veränderungen von Lungenparenchym, Pleuraraum oder Thoraxwand entstehen. Während pleurale Veränderungen beispielsweise durch Ergussbildung oder Einblutung mit ergänzender Sonographie diagnostisch eingrenzbar sind, ist das radiologische Bild der Lungenparenchymverdichtungen sehr viel weniger eindeutig. So führen Pleuraerguss, Atelektase, pneumonisches Infiltrat oder Ödembildung zu umschriebenen oder diffusen Transparenzminderungen im Röntgenbild. Der Nachweis der einzelnen Erkrankung aber auch ihre Differenzialdiagnose werden zusätzlich dadurch erschwert, dass alle vier Verschattungsarten gemeinsam auftreten können, sich gegenseitig überlagern und dann kein typisches Bildmuster erkennen lassen. Die Möglichkeiten, fokale pulmonale Verdichtungen aufgrund ihrer Morphologie verschiedenen Ätiologien zuzuordnen, sind relativ begrenzt. Differenzialdiagnostisch ist von einem infektbedingten Infiltrat ein fokales pulmonales Ödem, eine Aspirationspneumonie, eine pulmonale Einblutung oder eine Atelektase abzugrenzen. . Abb. 17.21a. b. Suizidversuch mit Barbiturat, weiblich, 28 Jahre. a Klinisch progressive Verschlechterung, weitgehend konfluierte Ödemverschattungen, PEEP-Beginn. b Bild 4 h später: deutlicher PEEP-Effekt, Auflockerung der Ödemverschattungen; perlschnurartige Aufhellungen um die basalen Bronchien rechts (Pfeil mit Querstrich) – interstitielles, peribronchiales Emphysem; kirschgroße Pneumatozele links basal (Pfeil) und im linken Mittelfeld; Tiefertreten des Zwerchfells, jedoch keine wesentliche Besserung der Blutgaswerte
213 17.8 · Pulmonale Verdichtungen
17.8.1
Atelektase
Belüftungsstörungen der Lunge gehören zu den häufigen Befunden beim liegenden Intensivpatienten. Bedingt durch Schwerkraft und eingeschränkte Atembewegungen finden sich hypoventilierte Lungenbezirke v. a. in den dorsobasalen Lungenabschnitten. Sie werden in 20–30 % nach Oberbauchoperationen, in 5 % nach Unterbaucheingriffen und in >90 % nach thorakalen Eingriffen beobachtet. Die Entstehung von Atelektasen ist nicht auf die postoperative Periode beschränkt, sondern kann zu jedem Zeitpunkt, besonders bei einem protrahierten Krankheitsverlauf, auftreten.
Definition Als Atelektase wird der partielle oder vollständige Kollaps eines Lungenlappens oder Lappensegmentes bezeichnet. Funktionell bestehen eine reduzierte Atemfläche und ein Durchblutungsshunt mit
nachfolgender Hypoxie, deren Ausmaß von der Größe der Atelektase abhängt. Man unterscheidet aufgrund des Entstehungsmechanismus die poststenotische Obstruktions- oder Resorptionsatelektase und die Kompressionsatelektase.
Radiologische Befunde z Plattenatelektase, Dystelektase Als Plattenatelektase oder Dystelektase werden meist im Lungenmittel- oder Lungenunterfeld gelegene, minderbelüftete Abschnitte im Subsegmentbereich bezeichnet (. Abb. 17.22). Radiologisches Korrelat sind bandförmige oder dreieckförmige, relativ scharf begrenzte Lungenparenchymverdichtungen. Sie beschränken sich nicht auf die lobare Anatomie und überkreuzen lobäre Fissuren. Häufig sind sie in der Nachbarschaft von Septen oder Narben loka-
. Abb. 17.22a–c. Verlauf von 3 Thoraxaufnahmen in 14 Tagen: a Konsolidierung im rechten Oberlappen und kardial bedingte Lungenstauung Grad II–III; b 12 Tage später flächige Atelektase des rechten Oberlappens. c 2 Tage später scharf begrenzte plattenförmige Atelektasen
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
lisiert, da sie bevorzugt an Orten vorbestehender pleuraler Einziehungen entstehen. Auch Segmentatelektasen können plattenförmig sein. > Zunehmende Breite und unscharfe Randbegrenzung vergrößern die Wahrscheinlichkeit einer pneumonischen Infiltration. Jede sich innerhalb von Tagen nicht zurückbildende Atelektase ist einer infektbedingten Infiltration verdächtig [4].
z Lappenatelektase, Totalatelektase Diese größeren Atelektasen sind häufig durch Obstruktion des entsprechenden Bronchus bedingt (. Abb. 17.23). Ursächlich kommen Tubusfehllagen, partielle oder totale Obstruktion durch Sekretverlagerung, Blutkoagel oder aspiriertes Fremdmaterial in Frage. Große Pleuraergüsse können zu Kompressionsatelektasen ganzer Lungenlappen (am häufigsten der Unterlappen) führen. > Gerade der linke Unterlappen ist jedoch aufgrund seines kleineren Volumens und durch den ständigen Druck durch das Herz gehäuft atelektatisch, ohne dass eine zentrale Bronchusverlagerung vorliegt. Dies bedeutet, dass dem Patienten durch eine Bronchoskopie nicht geholfen werden kann; vielmehr profitiert er von einer physikalischen Atemtherapie oder einer Optimierung der mechanischen Beatmung.
Direkte Atelektasezeichen im Röntgenbild sind dreieckige- oder keilförmige Lungenverdichtungen mit Orientierung zum Lungenhilus mit und ohne Luftbronchogramm und Verlagerung von Interlobärsepten in Richtung des kollabierten Lungenabschnittes. Indirekte Atelektasezeichen sind Zwerchfellhochstand auf der betroffenen Thoraxseite, Mediastinalverlagerung zur betroffenen Thoraxhälfte, kompensatorische Überblähung der ipsi- oder kontralateralen Lungenabschnitte, die Hilusverlagerung in Richtung des
atelektatischen Lungenabschnitts und verschmälerte Interkostalräume der betroffenen Thoraxhälfte. > Besteht gleichzeitig ein größerer Pleuraerguss, können die klassischen Atelektasezeichen überlagert bzw. kompensiert werden. Differenzialdiagnostisch hilfreich sind Ultraschall oder eine Aufnahme in Seitenlage (Auslaufen des Ergusses nach kranial).
Es kann unmöglich sein, zwischen einer Lobäratelektase und einer lobären Pneumonie zu unterscheiden, wenn Zeichen der Volumenminderung (Atelektase) bzw. Volumenzunahme (Pneumonie) fehlen (. Abb. 17.24). Beide Formen – Atelektase und infektiöse Infiltration – können auch gemeinsam für die Konsolidierung eines Lappens verantwortlich sein. Ebenso schwierig kann die Unterscheidung einer fleckförmigen (Segment-)atelektase von einer alveolaren pneumonischen Konsolidierung sein.
17.8.2
Pneumonie
Die Pneumonie (. Abb. 17.25) ist eine relativ häufige Diagnose auf einer Intensivstation mit einer geschätzten Inzidenz von ca. 10 % bei allgemeinchirurgischen Patienten und ca. 60 % bei Patienten mit ARDS oder Verbrennungskrankheit [4]. Bei ARDS-Patienten ist die Diagnose einer Pneumonie besonders schwierig, da die ARDSassoziierten Lungenverdichtungen eine pneumonische Infiltration überlagern und vollständig maskieren können. Dem möglichst frühen radiologischen Nachweis eines Lungeninfiltrates kommt im Hinblick auf die Einleitung der Therapie daher besondere Bedeutung zu. Eine Erregerdiagnose kann anhand des Röntgenbildes in der überwiegenden Anzahl nicht abgeleitet werden.
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. Abb. 17.23 Scharf durch das Interlobium begrenzte Konsolidierung des rechten Lungenoberfeldes mit Verlagerung des Interlobiums als Zeichen der Volumenminderung bei Atelektase des rechten Lungenoberlappens. Flächig konfluierende Strukturverdichtungen auch links retrokardial bei partieller Unterlappenatelektase. Nachweis multipler Metallclips in den Weichteilen bei großflächiger Verbrennung
. Abb. 17.24 Inhomogene, teils fleckige, teils flächige Konsolidierung im Bereich des rechten Oberlappens mit Zeichen der Volumenminderung. Eine Differenzierung zwischen Atelektase und entzündlichem Prozess ist schwierig
215 17.8 · Pulmonale Verdichtungen
Radiologische Befunde Unter den Bedingungen der Intensivmedizin entwickeln sich pneumonische Infiltrate gehäuft in den minderventilierten dorsalen Abschnitten der Unterlappen. Lokale Komplikationen und vorbestehende Lungenerkrankungen können den Entstehungsort und das Ausbreitungsmuster modifizieren. Pleuraveränderungen weisen auf Komplikationen wie Pleuraerguss oder Pleuraempyem hin, können jedoch auch im Rahmen einer Herzinsuffizienz auftreten. Häufigster Befund bei nosokomialen Pneumonien sind alveoläre Konsolidierungen mit Luftbronchogramm. Für eine Abszedierung, die gerade bei nosokomialen Pneumonien nicht ungewöhnlich ist, spricht das Auftreten konfluierender und progredienter Fleckschatten, in denen später, nach Kontakt mit einem Ableitungsbronchus, ringförmige Einschmelzungshöhlen entstehen. > Bei der Entwicklung einer Aufhellung innerhalb eines Konsolidierungsareals muss daher differenzialdiagnostisch eine Einschmelzung von einem therapiebedingten Infiltratrückgang unterschieden werden. Eine frühzeitige Klärung mit Computertomographie sollte angestrebt werden.
z Bronchopneumonie Radiologisches Substrat einer Bronchopneumonie im Liegendthoraxbild sind unscharf begrenzte, mehr oder weniger konfluierende oder kleinflächige Verdichtungsbezirke auf Subsegment- oder Segmentniveau. Eine Beteiligung ganzer Lungenlappen oder einer Lungenhälfte wird nur selten beobachtet (häufig Staphylococcus aureus oder Hämophilus). z Pilzpneumonie Rasch progrediente, fleckige bis noduläre Verdichtungen sind eher typisch für Pilzinfektionen (bei Immunschwäche). Differenzialdiagnostisch ist ein septisch-embolisches Geschehen zu erwägen (häufig Staphylococcus aureus). z CMV- und Pneumozystispneumonie Die CMV- und die Pneumozystisinfektion zeigen diffuse, kontrastarme, kleine Fleckschatten oder diffuse Milchglastrübungen (. Abb. 17.26; . Abb. 17.27). Beide Erkrankungen weisen in der Regel keine pleurale Beteiligung und keine Einschmelzungen auf. Auch andere virusbedingte oder durch Mykoplasmen hervorgerufene Infiltrationen sind zunächst durch Milchglastrübungen, evtl. mit retikulonodulärer »interstitieller« Verschattung, charakterisiert. Diese gehen bald in flächig-alveoläre Verdichtungen über, die in der Regel weniger dicht als bakteriell bedingte Konsolidierungen sind. z Pseudomonas-aeruginosa-Pneumonie Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen sind gekennzeichnet durch zunächst kleinknotige, rasch zu flächigen Konsolidierungen konfluierende Herde, die bilateral und unterlappenbetont auftreten. Häufig entsteht ein Pleuraempyem oder ein Abszess. . Abb. 17.25a–c. Konventionelle Thoraxaufnahme (a) und CT (b und c) bei Pneumokokkenpneumonie: flächige Konsolidierung im rechten Oberlappen, Mittellappen (Silhouettenzeichen) sowie apikalen Unterlappen links mit positivem Luftbronchogramm. Im CT (c) positives Angiogrammzeichen
Rolle der Computertomographie Bei Überlagerung pulmonaler Verdichtungen unterschiedlicher Genese kann eine CT zur Differenzierung hilfreich sein. Eine Indikation zur CT besteht dann, wenn eine über das Röntgenbild hinausgehende Differenzierung pulmonaler Verschattungen eine therapeutische Konsequenz nach sich ziehen würde oder wenn eine Diskrepanz zwischen Röntgenbefund und klinischem Befund besteht (. Abb. 17.25).
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
17 17 17 17 17 17 17 17 17 . Abb. 17.27 Diffuse noduläre Strukturverdichtungen in beiden Lungen mit konfluierender Tendenz bei Varizelleninfektion. Differenzialdiagnostisch kann ein ähnliches Bild durch eine Alveolitis, ein alveoläres Ödem oder eine Einblutung hervorgerufen werden
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z Atelektase Eine Atelektase und eine pneumonische Konsolidierung lassen sich durch unterschiedliches Anfärben nach Kontrastmittelgabe differenzieren: Das atelektatische Lungenparenchym nimmt homogen und stark Kontrastmittel auf, während pneumonisches Lungengewebe inhomogen und deutlich weniger Kontrastmittel aufnimmt. Ein Luftbronchogramm kann in beiden Verdichtungen auftreten.
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Differenzialdiagnose
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. Abb. 17.26a, b. Konventionelles (a) und CT-Bild (b) eines HIV-infizierten Patienten mit diffusen, vorwiegend perihilär angeordneten retikulonodulären Strukturverdichtungen aufgrund einer Pneumocystis-carinii-Infektion. Im CT Milchglastrübungen in perihilärer Anordnung
z Pneumonie Verdichtungen in nicht abhängigen Lungenpartien oder in Regionen unauffälligen Lungenparenchyms sprechen für eine Infektion. Die Diagnose von Kavernen lässt sich mit der CT sicherer und früher als mit dem Röntgenbild stellen. Septisch-embolische Verdichtungen zeigen ein relativ charakteristisches CT-Bild mit multiplen Fleckschatten und unterschiedlichen Einschmelzungen. z Pleuraerguss, Empyem oder Lungenabszess Eine verdickte, kontrastmittelaufnehmende Pleura sowie nicht iatrogen bedingte pleurale Lufteinschlüsse sind diagnostische Zeichen eines Empyems. Bei Ausbildung einer bronchopleuralen Fistel entsteht ein Flüssigkeits-Luft-Spiegel. In der Regel gelingt es aufgrund der CT-Morphologie, eine subpleurale pulmonale Abszessbildung von einem pleuralen Empyem zu differenzieren.
Der positive Nachweis pulmonaler Verdichtungen ist differenzialdiagnostisch abzugrenzen von einem Ödem, einer Einblutung, Atelektase oder einem pulmonalen Infarkt (. Tab. 17.3). Studien haben eine Spezifität der Lungenaufnahme für den Nachweis einer Pneumonie von nur 30 % ergeben. Eher diagnoseweisend sind Verlaufskontrollen. Die fehlende Positionsänderung eines Infiltrates bei Lagewechsel, die schnelle Befunddynamik mit Entstehung und Rückbildung über Stunden bis Tage ist ein Indiz für das Vorliegen eines pulmonalen Ödems, einer umschriebenen Atelektase oder einer geringen Aspiration und nicht für eine pulmonale Infektion. Eine Einblutung (bei neutropenen Patienten, nach Knochenmarktransplantation, bei Vaskulitis) ist durch den bronchoskopischen Nachweis von Blut charakterisiert. Der Nachweis eines positiven Pneumobronchogramms hat für die Pneumoniediagnostik auf Intensivstationen nur sehr eingeschränkte Bedeutung, da dieses Röntgenzeichen, in Abhängigkeit von der zeitlichen Entwicklung, auch bei Atelektasen und jeder Art von Lungenödem beschrieben wird. Die auf Standardaufnahmen oft ableitbare Differenzierung des Ausbreitungsmusters einer alveolären oder interstitiellen Pneumonie ist auf die Liegendthoraxaufnahme nur bedingt übertragbar. Dies ist zum einen auf die reduzierte technische Qualität der Liegendaufnahme zurückzuführen, zum anderen wird das typische Bild eines mehr alveolären oder interstitiellen Infiltrates durch Begleitveränderungen wie Lungenstauung, Lungenödem, Atelektase und Pleuraerguss zu stark überlagert.
217 17.9 · Indikationen und Wertigkeit der thorakalen Computertomographie auf der Intensivstation
. Tab. 17.3 Differenzialdiagnose fokaler pulmonaler Verdichtungen Befund
Diffenzialdiagnostisches Kriterium
Regionale Flüssigkeitseinlagerung (Ödem)
Verschwindet bei Lagewechsel
Infektbedingte Infiltration
Klinik, Rückbildung nach Tagen (7–10) unter Antibiotikatherapie, unscharf begrenzt
Atelektase
Verschwindet in wenigen Tagen (<4), relativ scharf begrenzt
Einblutung
Hämoptoe
Neoplasie
Anamnese
17.8.3
Aspiration
Die Aspiration ist bei Intensivpatienten eine häufige Komplikation. Kleine Aspirationsmengen sind hier wahrscheinlich die Ursache für viele der nosokomialen Pneumonien. Die pathoanatomischen und damit klinischen Auswirkungen der Aspiration hängen wesentlich vom Säurewert und der Osmolalität des Aspirats, dem Volumen, sowie der Größe fester aspirierter Materialien und dem Vorliegen infizierten Materials (Mageninhalt, Sekret, Sputum) ab. Aspiration von Wasser oder Blut bewirkt keine Pneumonitis und verursacht – in Abhängigkeit von der Menge – keine Röntgensymptomatik. Aspiration von infiziertem Sekret der oberen Luftwege führt dagegen zu schweren Pneumonien.
Radiologische Befunde Das radiologische Bild reicht vom diffusen Lungenödem bis zu umschriebenen, unscharf begrenzten Fleckschatten oder umschriebenen Atelektasen (. Abb. 17.28). Eine ausgedehnte Aspiration führt innerhalb von 24 h zu einem fleckigen bilateralen pulmonalen Ödem mit Luftbronchogramm (Mendelson-Syndrom) oder bei Aspiration fester Nahrungspartikel zu Atelektasen. Selbst wenn der Mageninhalt steril ist, führt der niedrige pH-Wert zu einem pulmonalen Ödem. Der Grad des pulmonalen Ödems hängt von der Menge des Aspirats und dem Säuregehalt ab. Kommt es zusätzlich zur Aspiration von Nahrungsmitteln, wird eine Infektion wahrscheinlich. Das Reaktionsspektrum reicht von Rückbildung innerhalb von 1–2 Tagen bei komplikationslosem Verlauf bis zur Entwicklung einer Pneumonie oder im schlimmsten Falle bis zur Entwicklung eines ARDS. Das Neuauftreten uni- oder bilateraler Infiltrate, v. a. in den kaudalen Lungenlappen (rechts häufiger als links) des aufgerichteten Patienten oder in den Oberlappen des liegenden Patienten, spricht für eine Aspiration. Bei ausgeprägter Aspiration kann das Bild von einem diffusen Lungenödem nicht zu unterscheiden sein. Bei vorbestehendem ARDS, ausgedehnten Atelektasen und/oder einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz kann es unmöglich sein, neu aufgetretene, aspirationsbedingte Infiltrate zu erkennen.
17.8.4
Diffuse pulmonale Verdichtungen
Diffuse pulmonale Verdichtungen sind in der Regel vereinbar mit einem Lungenödem. Dieses kann kardial oder nichtkardial bedingt sein. Nichtkardiale Permeabilitätsödeme sind meist auf ein ARDS zurückzuführen. Gerade durch Überlagerung und therapiebedingte Modifikationen ist es schwierig, zwischen einem kardial bedingten
. Abb. 17.28 Konfluierende Strukturverdichtungen in beiden Lungenunterfeldern, rechts ausgeprägter als links, bei Aspirationspneumonie im Rahmen einer Bewusstlosigkeit (Blutalkoholspiegel 2,6‰)
Lungenödem und einem ARDS zu unterscheiden. Andere Ursachen diffuser pulmonaler Verdichtungen sind (vorbestehende) diffuse interstitielle oder neoplastische Lungenerkrankungen, eine diffuse pulmonale Einblutung (bei Leukämie oder bestimmten immunologischen Erkrankungen wie Lupus erythematodes, Wegener-Granulomatose, progressive Glomerulonephritis oder bei pulmonaler Hämosiderose), eine bakterielle Infektion oder bei immunsupprimierten Patienten eine Pneumocystis carinii- oder CMV-Infektion.
17.9
Indikationen und Wertigkeit der thorakalen Computertomographie auf der Intensivstation
Mit den zunehmenden diagnostischen wie therapeutischen Möglichkeiten wächst die Komplexität der Erkrankungen und steigen die Anforderungen an eine Intensivstation. Neue Formen der Beatmungstherapie, der immunsuppressiven und antibiotischen Therapie beeinflussen das Patienten- und Erkrankungsspektrum. Obwohl die Bettlungenaufnahme nach wie vor die Hauptrolle in der täglichen bildgebenden Diagnostik der Patienten auf einer Intensivstation darstellt, sind ihre Grenzen durch technische Einschränkungen, fehlende Belichtungsautomatik oder mangelnde Patientenkooperation hinlänglich bekannt. Die Folge ist eine nur sehr begrenzte diagnostische Genauigkeit für bestimmte Fragestellungen [24]. Die CT ist für ihre Überlegenheit in der Evaluierung von pulmonalen, mediastinalen und pleuralen Prozessen im Vergleich zur Lungenaufnahme bekannt. Diese ist auf die größere Kontrastauflösung und die überlagerungsfreie Darstellung der einzelnen Strukturen zurückzuführen. Trotz dieser theoretischen Vorteile hat das Thorax-CT für Intensivpatienten bisher nur eine zögerliche Anwendung gefunden, was in erster Linie durch das erhöhte Transportrisiko sowie die technischen Grenzen der CT-Geräte selbst bedingt gewesen sein dürfte. So ergaben zwei, allerdings schon vor
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
einigen Jahren durchgeführte Studien mit Nutzen-Risiko-Analysen für den Transport von Intensivpatienten eine sinnvolle Änderung des Therapiemanagements durch die CT-Untersuchung in nur 24 % bzw. 39 % der Fälle [9]. Eine erhöhte Letalität infolge des Transports wurde jedoch in keiner Studie beschrieben. Die in Zukunft wahrscheinlich in größerem Maße zur Verfügung stehenden mobilen CT-Einheiten in räumlicher Nähe zu Intensivstationen dürften den Aufwand und das Risiko des Patienten erheblich reduzieren. Miller [14] beschreibt, dass die Thorax-CT-Untersuchung die Behandlung in lediglich 22 % der Fälle veränderte, verglichen mit 51 % der Abdomenuntersuchungen und 57 % invasiver angiographischer Untersuchungen. Dies kann einerseits durch die hohe Effizienz der Bettlungenaufnahmen bedingt sein, andererseits auf die unspezifische Reaktionsweise des Lungenparenchyms zurückzuführen sein, die auch in der CT-Diagnostik erhebliche differenzialdiagnostische Schwierigkeiten aufwirft. Andererseits haben sich mit der Spiral-CT-Technik neue diagnostische Indikationen ergeben, deren klinische Wertigkeit bereits heute unumstritten ist, z. B. zur Diagnose einer Lungenembolie. Andere Indikationen wie die Rolle der CT zur Verlaufskontrolle bzw. Prognose bei Patienten mit ARDS ist noch Gegenstand der Evaluierung. Die CT hat v. a. bei der Suche nach einem entzündlichen Fokus bei Intensivpatienten mit Fieber oder erhöhten Entzündungsparametern unklarer Genese eine wichtige Bedeutung.
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17.9.1
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Pulmonale Erkrankungen
Indikationen zur CT-Untersuchung des Thorax
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In der Lunge eines Intensivpatienten überlagern sich typischerweise multiple Probleme wie Atelektase, Pneumonie, Aspiration, kardiales Lungenödem, ARDS oder Pleuraergüsse. Sämtliche dieser Prozesse führen im Röntgenthorax zu pulmonalen Verschattungen, die sich überlagern und potentiell gegenseitig maskieren. So hat die Lungenaufnahme für die Diagnose einer Pneumonie auf der Intensivstation lediglich eine diagnostische Genauigkeit von 50 % [24]. Die CT ist zur Differenzierung sich projektionsradiographisch überlagernder pleuraler und pulmonaler Prozesse in hohem Maße geeignet; so ermöglicht die CT beispielsweise die Differenzierung einer Pneumonie von einem Lungenabszess bzw. eines Lungenabszesses von einem pleuralen Empyem. Häufige Indikation für eine CT-Untersuchung ist nicht der Nachweis, sondern vielmehr der Ausschluss, z. B. eines Malignoms oder einer Infektquelle bei Fieber unklarer Genese.
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Mediastinalerweiterung
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Gerade für die Differenzierung von Mediastinalerweiterungen ist die CT der Lungenradiographie deutlich überlegen. Abzugrenzen sind Prozesse, die eine sofortige invasiv-therapeutische Konsequenz nach sich ziehen wie ein Halsabszess, Ösophagusperforation, ein mediastinales Hämatom oder eine Gefäßruptur, von konservativ zu behandelnden Ursachen wie der gefäßbedingten oder lymphombedingten Verbreiterung des oberen Mediastinums.
Fehllagen von Drainagen Für die Lagekontrolle nahezu aller intensivmedizinischen Monitormaterialien ist die Lungenaufnahme ausreichend und effektiv. Eine Ausnahme stellt die Thoraxdrainage dar, die in ihrem Verlauf in der CT deutlich besser als mit der Projektionsaufnahme kontrolliert werden kann.
Diagnose vaskulärer Pathologie Die CT-Angiographie in Spiral-CT-Technik erlaubt eine zuverlässige Diagnose aortaler (z. B. Dissektion, Blutung) oder pulmonaler Pathologie (z. B. akute oder chronische Lungenembolie).
17.9.2
Diagnostische Leistungsfähigkeit
Es liegen bisher nur wenige quantitative Analysen der diagnostischen Wertigkeit einer CT-Untersuchung für Intensivpatienten vor. So wurden in einer kontrollierten Studie mit 108 CT-Untersuchungen 52 % aller Befunde (232 von 482 Befunden) nur mit der CT gestellt, jedoch bei nur 30 % der Untersuchungen ergab die CT klinisch relevante Befunde. Diese bezogen sich im Thorax auf einen Abszess oder eine postoperative Flüssigkeitsansammlung mediastinal oder in der Thoraxwand, die Diagnose von Neoplasmen, nicht vermuteten Pneumonien oder Pleuraergüssen. In 22 % hatte die CT eine unmittelbare therapeutische Konsequenz. Unterschiedliche Diagnosen von CT und Lungenaufnahmen bezogen sich in den meisten Fällen auf die Anwesenheit bzw. den Ausschluss kardial bedingter pulmonaler Stauungszeichen. Diagnostische Korrekturen eines Lungenbefundes durch die überlegene Darstellung in der CT bezogen sich auf die Erfassung eines Pneumothorax, die Diagnose eines Emphysems und die Erfassung mediastinaler Tumoren.
17.9.3
Diagnose der akuten Lungenembolie mit Spiral-CT
Die Spiral-CT ermöglicht bei adäquater Kontrastmittelzufuhr (>100 ml Volumen, injiziert mit einer Flussrate von >3 ml/s) eine homogene Kontrastierung der Pulmonalarterien, die eine Lokalisation arterieller Thromben in Form von Kontrastmittelaussparungen erlaubt [6]. Die Spiral-CT kann sowohl akute Embolien wie organisierte Thromben bei chronischer Lungenembolie mit einer Sensitivität und Spezifität von im Mittel >90 % bis auf Segmentebene nachweisen (jeweils zwischen 75 und 100 % in multiplen Studien). Subsegmentale Emboli sind aufgrund der begrenzten Auflösung nicht so zuverlässig erkennbar. Voraussetzung ist eine starke und homogene vaskuläre Kontrastierung. Vorteil der Spiral-CT-Technik gegenüber anderen etablierten Verfahren ist der direkte Thrombusnachweis, die erheblich geringere Rate nicht eindeutiger Untersuchungen (<9 %), die bei weitem unter der Rate diagnostisch nicht aussagekräftiger Untersuchungen mit der Lungenszintigraphie liegt (28–87 %), und die Tatsache, dass sie in einem Untersuchungsgang auch andere nicht embolie-assoziierte thorakale Veränderungen diagnostizieren kann.
Läsionen der Thoraxwand
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Die CT ist der Projektionsradiographie zur Differenzierung pleuraler und intrapulmonaler Ursachen bei ausgedehnten Verschattungen in der Lungenaufnahme überlegen. Ebenso liefert die CT wertvolle Hinweise für die Diagnose abgekapselter Pleuraergüsse, eines Empyems oder zur Dignität eines Prozesses.
17.10
Abdominelle Bildgebung B. Partik, P. Pokieser
Das diagnostische Vorgehen bei einer unspezifischen abdominellen Symptomatik stellt auf einer Intensivstation aufgrund der speziellen Situation mit einem breiten Spektrum pathologischer Veränderun-
219 17.11 · Konventionelle Abdomenaufnahme
gen und oftmals eingeschränkt transportfähiger Hochrisikopatienten eine besondere klinische Herausforderung dar. Als bildgebende Verfahren stehen zur Abklärung, neben der konventionellen Abdomennativaufnahme, v. a. Ultraschall inklusive Duplex- und Doppleruntersuchung sowie die Computertomographie zur Verfügung. Für die Magnetresonanztomographie (MRT) besteht in der abdominellen Bildgebung bei Intensivpatienten vorerst nur in Spezialfällen eine relative Indikation (z. B. Gravidität). Die Angiographie beschränkt sich auf endoskopisch ungeklärte gastrointestinale Blutungen (arteriovenöse Missbildungen der proximalen Kolonhälfte) und auf akute Gefäßverschlüsse, wenn die Ultraschalldiagnostik unklare Befunde ergibt (Mesenterialgefäße, Transplantationschirurgie).
17.11
Konventionelle Abdomenaufnahme
Trotz der beträchtlichen technologischen Fortschritte bei den Schnittbildverfahren und der Sonographiegeräte hat die konventionelle Abdomennativaufnahme bei nicht transportfähigen Risikopatienten weiterhin ihren Stellenwert in der bildgebenden Diagnostik. Das in der Übersicht gezeigt Analyseschema kann bei der Auswertung als Leitlinie dienen. > Merke: »gas, mass, stones, bones«. Schema für die Auswertung einer konventionellen Abdomennativaufnahme 4 Beurteilung des Gasverteilungsmusters – freies intraabdominelles Gas (Perforation) – retroperitoneales Gas – atypische intraabdominelle Gasansammlungen sowie die Gasverteilung im Dünn- und Dickdarm (Hinweise auf Ischämie oder Obstruktion) 4 Beurteilung der Weichteilstrukturen (Organomegalie, Raumforderungen, Flüssigkeit) 4 Beurteilung intraabdomineller Verkalkungen (Konkremente) 4 Beurteilung ossärer Strukturen, Sonden- und Katheterlagen
. Abb. 17.29 Aufnahme in Rückenlage, lateraler Strahlengang (Skelettanteile markiert); freie Luft zwischen Vorderfläche der Leber und Xiphoid (Pfeil mit Querstrich); Spiegelbildungen im Darm (Pfeil); weiblich, 61 Jahre, Tuberculosis peritonei mit Aszites und Peritonitis durch mehrere Dünndarmperforationen
17.11.1
Gasverteilungsmuster
Freie intraperitoneale Luftansammlungen Bei einer Perforation ist die Erkennung von freier Luft auf der Röntgenaufnahme eine wesentliche Voraussetzung für das weitere Vorgehen. Ursache. Zu den häufigsten Ursachen freier Luftansammlungen
gehören: Perforation eines abdominellen Hohlorgans (Ulcus ventriculi oder duodeni, nekrotisierende Enterokolitis etc.), chirurgische Eingriffe (3–4 Tage nach Laparotomie oder Laparoskopie), Platzierung einer PEG-Sonde, peritoneale Dialyse, Aszitespunktion oder Eileiterdurchblasung. Selten ist Luftmigration über ein Pneumomediastinum in das Retroperitoneum Ursache der Gasansammlung. Lokalisation. In liegender Aufnahmeposition sammelt sich die
Luft in den zentralen abdominellen Abschnitten, wo sie als Aufhellung sichtbar werden kann. Evtl. ist auch eine Aufnahme im laterolateralen Strahlengang möglich (. Abb. 17.29). In halbsitzender Position sind die typischen subphrenischen Aufhellungsareale (»Luftsicheln«) nachweisbar (. Abb. 17.30a). Ein weiterer Hinweis ist das Sichtbarwerden beider Darmwandseiten durch intra- und extraluminale Luftansammlungen. Bei Kindern zeigt eine Demarkation des Lig. falciforme freie intraabdominelle Luft an [45]. Im Zweifelsfall kann eine Aufnahme in Linksseitenlage, falls es die Lagerung des Patienten ermöglicht, die Diagnose einer Perforation erhärten (. Abb. 17.30b). Sensitivste Methode bleibt in unklaren Fällen sicherlich die Computertomographie, die auch kleinste intraabdominelle Gasansammlungen nachweisen kann (. Abb. 17.31).
Pneumoretroperitoneum 2 Verteilungstypen kennzeichnen unterschiedliche Ursachen: Kleinblasige umschriebene Aufhellungen. Ursache sind Abszesse durch gasbildende Erreger, häufiges Begleitsymptom ist eine Weichteilverschattung.
. Abb. 17.30a, b. Freie Luft im Abdomen. a Luftansammlung subdiaphragmal (Pfeil), Sekretspiegel im Magenfundus (Pfeil mit Querstrich). b Aufnahme in Linksseitenlage; Luft zwischen Leber und lateraler Leibeswand bzw. Zwerchfell, weiteres Luftdepot im Zökalbereich (Pfeil); männlich, 43 Jahre, Perforation eines Ulcus duodeni; Beschwerden seit 3 h
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220
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Lokalisation: parazökal (Appendizitis), Pankreasbereich oder Bursa omentalis (Pankreatitis), peri- bzw. pararenal (peri- bzw. paranephritischer Abszess), Anastomosenabszesse. Diffuse, streifenförmige Aufhellungen. Lokalisation: entlang der
Zwerchfellschenkel, der Psoasränder und perirenal. Ursachen: retroperitoneale Darmruptur oder -perforation, fortgeleitete Darmgangrän oder Pneumomediastinum (. Abb. 17.32).
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Atypische intraabdominelle Gasansammlungen, Gasverteilung im Dünn- und Dickdarm Im Normalfall finden sich Luftmarkierungen des Magenfundus (kann bei liegender Entlastungssonde fehlen) und der Kolonflexuren. Variabel treten diskontinuierliche blasen- oder säulenförmige Gasaufhellungen im Bereich von Dünndarm und Kolonabschnitten auf. Normale Gasansammlungen sind nach außen scharfbogig begrenzt. Gallengänge. Es finden sich bandförmige Aufhellungen im Ver-
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lauf des Ductus choledochus, Ductus hepaticus und der intrahepatischen Gallengänge (DD: Gas in den Portalvenen bei Pneumatosis intestinalis). Ursache: Postoperativ nach Choledocho- oder Cholezystoduodenostomie bzw. -jejunostomie, 30–50 % der Fälle nach Papillotomie, Cholangitis durch gasbildende Erreger, Gallensteinperforation ins Duodenum oder Kolon, Cholezystitis emphysematosa.
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Geblähter Magen. Ursachen: nach Maskenbeatmung oder Fehlin-
tubation, Fehllage oder Verstopfung einer Magensonde, postoperativ nach Sondenentfernung, Stenose oder Verschluss einer Gastroenteroanastomose, Aerophagie, z. B. bei schweren Schmerz-
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. Abb. 17.31 Patient (57 Jahre) mit akutem Abdomen bei perforierter Sigmadivertikulitis. CT mit Kontrastmittel auf Höhe der unteren Nierenpole, freies intraabdominelles Gas (Pfeil)
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. Abb. 17.32 Aufnahme im Sitzen; Retropneumoperitoneum – kleinblasige und strichförmige Luftaufhellungen (perirenal); freie Luft im Abdomen – Aufhellungen unter beiden Zwerchfellkuppen (Pfeil); Exsudatspiegel (Pfeil mit Querstrich), Leber, Milz und Nieren gut abzugrenzen; weiblich, 60 Jahre, Duodenalläsion bei endoskopischer Papillotomie; nur geringe subjektive Beschwerden, bei Laparotomie nach 6 h ist keine Dehiszenz zu finden; komplikationsloser postoperativer Verlauf
. Abb. 17.33 Blähung der Duodenalschlinge mit Glättung der medialen Wand. Blähung einer Dünndarmschlinge mit Spiegel; Kolonblähung; häufige Situation bei Pankreatitis: 1 Duodenum, 2 Dünndarm, erweitert, wandverdickt, Spiegel, 3 Dünndarm normal, 4 Kolon, 5 Magen, 6 Gallenwege, luftgefüllt
221 17.11 · Konventionelle Abdomenaufnahme
zuständen, Steinkoliken, Trauma (kombiniert mit Dünn- und Dickdarmblähung) Duodenalblähung. Isoliert oder verbunden mit Magen-Dünndarm-, Kolonblähung, mit oder ohne Flüssigkeitsspiegel. Ursachen: akute Pankreatitis (. Abb. 17.33), posttraumatisch bei retroperitonealem Hämatom durch Wirbelkompression, direkte Duodenalläsion. Dünndarmblähung. Überwiegend einzelne oder viele Dünndarm-
schlingen betreffend, mit oder ohne Spiegelbildung. Die diagnostische Bewertung orientiert sich weitgehend am klinischen Befund: Ursachen: mechanischer Ileus (. Abb. 17.34) oder Durchblutungsstörungen mit Darmwandödem (mechanisch: Inkarzeration, Invagination; primär vaskulär: embolisch oder thrombotisch). Kolonblähung. Von besonderer Bedeutung ist die Kenntnis me-
tabolisch oder reflektorisch bedingter Kolonblähungen, mit oder ohne Spiegelbildungen, die als mechanischer Ileus fehlgedeutet werden könnten. Ursachen: retroperitoneale Prozesse (Ureterkolik, akute Pyelitis, Nierentrauma etc.), akute Cholezystitis, Endo- und Perimetritis, extraabdominelle Erkrankungen (Hypoxie, diabetische Azidose, Hypokaliämie, medikamentös), mechanischer Ileus, Gangrän. Diffuse (kombinierte) Dünn- und Dickdarmblähung. Mit oder
ohne Spiegelbildungen, das am schwierigsten zu bewertende Bild.
. Abb. 17.34a, b. a Aufnahme in Rückenlage; Blähung und hochgradiges Ödem mehrerer Dünndarmschlingen (Wandverdickung und Distanzierung der Schlingen); b Aufnahme im Sitzen: aufgestellte und wandverdickte Dünndarmschlingen mit basalen Spiegeln, größere Spiegelbildung in der Zökalregion; das Kolon ist gasfrei; Luftaufhellung links subdiaphragmal mit Spiegelbildung: Magenfundus; weiblich, 40 Jahre, Dünndarmileus durch Bride mit Dünndarmobturation 50 cm oral der Bauhin-Klappe; beginnende Peritonitis; Lösung der Bride, keine Darmresektion erforderlich; normaler postoperativer Verlauf
Die Vielzahl der möglichen entzündlichen, reflektorischen, metabolischen und nervalen Ursachen erfordert zur Bewertung zusätzliche klinisch-anamnestische Fakten. Kausale Hinweise aus dem Röntgenbild sind bei Vorhandensein freier oder retroperitonealer Luft, Darmwandverdickung bzw. Verlagerung von Darmschlingen gegeben. Diffuse Abwehrspannung, fehlende (abgeschwächte) Darmgeräusche. Als Ursache kommt eine Peritonitis diffusa jeder mögli-
chen Genese in Frage. Ist das Abdomen weich mit normalen oder abgeschwächten Darmgeräuschen, sind folgende Ursachen möglich: postoperative Atonie (. Abb. 17.35), Entzündungsprozesse abdomineller oder retroperitonealer Organe, Koma, Hypoxie, Hypokaliämie, Hyponatriämie, medikamentös. z Klinische Bewertung Der klinische Verdacht auf eine Darmobstruktion ist eine der häufigsten Indikationen für eine abdominelle Diagnostik auf der Intensivstation. Wesentliches radiologisches Zeichen ist der Nachweis einer Übergangszone (Übergangsbereich vom dilatierten zum normalkalibrigen Darmlumen). Ein geblähter Magen mit wenig Gas im Dünn- und Dickdarm ist ein Hinweis auf eine Magenausgangsstenose etc. Schwierig ist auch die Differenzierung eines paralytischen Ileus von einer distalen Obstruktion im Kolon, wobei der paralytische Ileus jedoch die höhere Inzidenz aufweist. Ischämien von Dünn- oder Dickdarm sind ein häufiges Problem älterer Patienten auf der Intensivstation. 50 % dieser Patienten werden klinisch mit dem Bild einer Dünndarmobstruktion (Pseudoobstruktion) auffällig. Bei einem Patienten, der akut abdominelle Schmerzen und eine Dilatation des Dünndarms entwickelt mit nur geringer Gasmarkierung und fehlender Dilatation des Kolons, ist eine Ischämie zu vermuten; differenzialdiagnostisch zu erwä-
. Abb. 17.35 Patient, 66 Jahre, 3. postoperativer Tag, postoperative Atonie. Aufnahme im Sitzen: postoperativ noch freie Luft subphrenisch (Pfeile), multiple Spiegelbildungen in Dünn- und Dickdarm
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222
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
gen sind Dünndarmobstruktion oder ein auf den Dünndarm beschränkter Ileus. Gas in der Darmwand (Pneumatosis intestinalis) und »thumbprinting« (verursacht durch intramurale Blutungen) sind weitere Indikatoren einer Ischämie.
17.12.1
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17.11.2
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Transparenzminderung im Abdomen ist ein unspezifisches Zeichen, das häufig nicht sicher einem Organ zugeordnet werden kann. Prinzipiell können alle Organe vergrößert sein, am häufigsten betroffen sind jedoch Leber, Milz und Harnblase. Hepatomegalie und Splenomegalie sind an der Verlagerung gasmarkierter Kolon- bzw. Dünndarmschlingen zu erkennen. Die vergrößerte Harnblase kann als pelvine, weichteildichte Raumforderung zur Darstellung kommen. Nativradiologisch ist freie abdominelle Flüssigkeit aufgrund der anatomischen Gegebenheit nachweisbar, dass Colon ascendens und descendens unmittelbar dem lateralen abdominellen Fettstreifen anliegen. Sollte das Kolon nach medial verlagert sein, ist das ein Hinweis auf freie intraabdominelle Flüssigkeit. Die Blase ist üblicherweise von perivesikalem Fettgewebe umgeben. Ist das Fettgewebe durch weichteildichte Strukturen maskiert, so kann dies beim männlichen Patienten ein Hinweis auf Aszites sein, bei einer Frau bleibt als differenzialdiagnostische Alternative neben dem Aszites auch ein vergrößerter Uterus. Allerdings gilt:
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> Bei der Fragestellung »freie Flüssigkeit im Abdomen« ist die Sonographie das Untersuchungsverfahren der Wahl.
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Weichteilbeurteilung
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17.11.3
Intraabdominelle Verkalkungen
Gallenblasenkonkremente sowie Nieren- und Blasensteine werden üblicherweise aufgrund ihrer typischen Lokalisation erkannt. Verkalkungen in der Pankreasloge sind Zeichen einer chronischen Pankreatitis. Selten können Verkalkungen in primären Tumoren (Nierenzellkarzinom), sekundärblastomatösen Läsionen (peritoneale Metastasen, Lebermetastasen) oder Tuberkulomen auftreten.
17 17.11.4
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Gallenblase
Die Sepsis unklaren Ursprungs ist ein bekanntes klinisches Problem bei Intensivpatienten. Die Symptome einer akuten Cholezystitis sind beim ambulanten Patienten zumeist eindeutig, Intensivpatienten präsentieren sich im Falle einer Cholezystitis häufig jedoch auch mit Fieber unbekannten Ursprungs und generalisierter peritonealer Symptomatik [48].
Cholezystolithiasis Mit einer Sensitivität von 95 % ist der Ultraschall eine sehr gute Methode zum Nachweis von Gallensteinen. Ultraschallkriterien für einen Konkrementnachweis sind: 4 Eintrittsecho mit hoher Amplitude, 4 dorsaler Schallschatten, 4 schwerkraftabhängige Lagerung (abgesehen von wandimpaktierten Konkrementen). Bei kleinen oder im Ductus cysticus lokalisierten Konkrementen ist die Erkennung des Schallschattens oft schwierig. Differenzialdiagnostisch ist bei nicht lagevariablen, wandadhärenten Echos hoher Amplitude ohne Schallschatten an kleine Cholesterolpolypen zu denken.
Akute Cholezystitis mit Konkrement (»kalkulös«)
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aufgeführten Organe sind einer sonographischen Untersuchung gut zugänglich.
Beurteilung der ossären Strukturen
Obwohl die Beurteilung der ossären Strukturen für den Intensivmediziner nur in seltenen Fällen von Relevanz ist, sollten auffällige Befunde (z. B. Knochendestruktionen, grobe Fehlstellungen) Beachtung finden. Weiterhin muss auch die Lage von intraabdominellen Kathetern und Sonden überwacht werden. Die sichere intraluminale Lage eines Katheters lässt sich mit konventioneller Radiologie nur durch Injektion von Kontrastmittel verifizieren.
17.12
Ultraschall
Bei Intensivpatienten ist in der Mehrzahl der Fälle die Sonographie des Abdomens das initiale bildgebende Verfahren. Die rasche Verfügbarkeit, das Fehlen ionisierender Strahlen und die nichtinvasive Evaluation der abdominellen Organe inklusive Duplexsonographie (Continuous-wave- oder Pulsed-wave-Doppler kombiniert mit BBild-Verfahren), farbkodierter Dopplersonographie sowie ultraschallgesteuerter Biopsien und Drainagen haben die Sonographie bei unklarer abdomineller Beschwerdesymptomatik zur bildgebenden Methode der ersten Wahl werden lassen. Die im folgenden
Obwohl die Sonographie eine sensitive Methode zur Erkennung biliärer Erkrankungen ist, verringert sich die Spezifität bei der Diagnose der akuten Cholezystitis. Nur ca. 33 % der Patienten mit Gallensteinen entwickelt eine Cholezystitis, mehr als die Hälfte der Patienten mit klinischen Symptomen einer akuten Cholezystitis hat im weiteren Verlauf keine akute Entzündung der Gallenblase [41]. z Ultraschallkriterien Gallensteine allein sind nicht spezifisch für die Diagnose einer akuten Cholezystitis. Daher wurde eine Vielzahl anderer diagnostischer Ultraschallkriterien entwickelt, um die Treffsicherheit der sonographischen Diagnostik zu erhöhen [30]. 4 Murphy-Zeichen: Druckdolenz über der Gallenblase, hier bei Untersuchung mit dem Schallkopf (falsch-negative Ergebnisse bei gangränöser Cholezystitis infolge nekrosebedingter Denervation). 4 Sekundäre Zeichen (auch bei einer Anzahl von nicht-inflammatorischen Krankheitsbildern) sind: 5 Wandverdickung, 5 pericholezystitische Flüssigkeitsansammlungen, 5 Sludge, 5 Gallenblasenerweiterung. Eine Wandverdickung auf über 3 mm tritt in 50–75 % der Fälle bei akuter Cholezystitis auf, ist jedoch auch in Fällen von Aszites, Hypalbuminämie, Hepatitis, kardialer Einflussstauung, Nierenerkrankungen und Aids nachweisbar. Eine 6-stündige Nahrungskarenz vor der Untersuchung ist zu empfehlen, da die kontrahierte Gallenblase eine Wandverdickung vortäuschen kann. Die Dreischichtung der Gallenblasenwand wurde als eine für die akute Cholezystitis typische sonographische Veränderung diskutiert, neuere Untersuchungen haben dies nicht nachweisen können. Unter dem klinischen Bild einer akuten Cholezystitis ist die Schichtung jedoch als gangränöse Veränderung zu interpretieren. Pericholezystitische Flüssigkeit gilt als Hin-
223 17.12 · Ultraschall
. Abb. 17.36 Sonographischer Subkostalschnitt; akalkulöse Cholezystitis; verdickte, dreigschichtete Gallenblasenwand (+), L Leber
weis auf Gallenblasenperforation oder Abszess, wird jedoch auch bei peptischem Ulkus und Pankreatitis beschrieben. Die Gallenblasenerweiterung (Hydrops) ist definiert als Zunahme des Transversaldurchmessers auf mehr als 5 cm und Zunahme der Länge auf über 10 cm. Eine Erweiterung der Gallenblase kann jedoch auch bei Diabetes mellitus, Vagotomie, Hyperalimentation und metabolischen Störungen wie Hypokaliämie auftreten.
Akute Cholezystitis ohne Konkrement (»akalkulös«) In 5–10 % aller Fälle von akuter Cholezystitis handelt es sich um eine akalkulöse Cholezystitis. Im Falle einer postoperativen Cholezystitis steigt die Inzidenz auf bis zu 47 %, wobei besonders Patienten nach Trauma und Verbrennung (»Schockgallenblase«), aber auch nach Tumorresektion, bei Diabetes mellitus oder bei Hyperalimentation betroffen sind [41]. Gangränöse Verläufe und Perforation sind häufiger als bei der kalkulösen Cholezystitis. z Sonographische Diagnose Gallenblasenwandverdickung >3 mm (. Abb. 17.36), Gallenblasendistension, pericholezystitische Flüssigkeitsansammlungen, subseröses Ödem und Sludge. > 33 % der Patienten zeigen keine Wandverdickung! Die Differenzierung zur Wandverdickung bei Aszites oder Hypalbuminämie ist sonographisch oft nicht möglich.
Gangränöse Cholezystitis Die gangränöse Cholezystitis repräsentiert eine massive Entzündung der Gallenblase mit Wandnekrose. Das Auftreten einer Perforation ist in bis zu 10 % der Fälle beschrieben worden. Patienten, die klinische Symptome einer akuten Cholezystitis entwickeln und bei denen das Sonogramm eine asymmetrische Wandverdickung oder Irregularität sowie eine sich abstreifende Gallenblasenmukosa mit zarten wandparallelen Echos zeigt, weisen in 50 % eine gangränöse Cholezystitis auf.
Biläre Obstruktion und Choledocholithiasis Nur etwa 70 % der Patienten mit Choledocholithiasis weisen akut eine extrahepatische duktale Dilatation auf (. Abb. 17.37).
. Abb. 17.37a, b. Patient, 66 Jahre, laborchemisch Cholestase. a Sonographie subkostal: auf 12 mm erweiterter Ductus hepatocholedochus (Pfeil) [V. portae (offener Pfeil)]. b Sonographie axial epigastrisch 8 mm große echoreiche Struktur mit dorsalem Schallschatten im Papillenbereich (präpapilläres Konkrement, Pfeil)
z Sonographische Diagnose Es zeigt sich ein dilatiertes Gallengangsystem, wobei die Angaben über die Sensitivität im Bereich von 68–99 % liegen. Allgemein anerkannt ist eine normale Weite des Ductus hepatocholedochus von bis zu 5 mm mit einer Schwankungsbreite von plus 1 mm pro Dekade Lebensalter über 50 Jahre. Die intrahepatische Gangdilatation ist sonographisch etwas schwieriger zu evaluieren. Ein intrahepatischer Gallengang gilt ab einer Größe von über 40 % der begleitenden Portalvene als dilatiert; dies entspricht im Regelfall einem Durchmesser von etwa 2 mm. Wenngleich die Sensitivität des Ultraschalls bei der Erkennung der Gallengangsdilatation sehr gut ist und das initiale Bildgebungsverfahren bei vermuteter Obstruktion bleibt, ist die Spezifität für die Ursache und das Niveau der Obstruktion schlechter. Eine Choledocholithiasis tritt in etwa 15 % der Patienten mit Cholelithiasis auf, andere Ursachen für eine extrahepatische Cholestase können sowohl in einer Pankreatitis als auch in Pankreasneoplasien liegen.
17.12.2
Leber
Trotz der beträchtlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Schnittbilddiagnostik und dem Einsatz neuer Kontrastmittel bleibt die Sonographie unter intensivmedizinischen Bedingungen Methode der Wahl zur initialen Abklärung hepatobiliärer Erkrankungen. Für eine aussagekräftige Diagnostik ist die Kenntnis der normalen sonogra-
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
phischen Anatomie erforderlich. Die Echogenität der Leber, die im Normalfall eine homogene Echotextur aufweist, ist vergleichbar mit dem Nierenkortex und zumeist hypoechogen in Bezug auf die Milz. Die Lebergröße ist sehr variabel, wobei anatomische Normvarianten, z. B. ein Riedel-Lappen, von einer Hepatomegalie abzugrenzen sind [49]. Mit einer Größe von über 15,5 cm in der Medioklavikularlinie werden 87 % der Patienten mit Hepatomegalie erfasst.
Leberabszess Leberabszesse stellen aufgrund der zunehmenden Anzahl älterer und immungeschwächter Patienten ein deutliches Problem dar. Sie können singulär oder multipel auftreten; aufgrund der prädominanten Blutversorgung ist der rechte Leberlappen häufiger betroffen. Die Sensitivität der primären Ultraschalluntersuchung zum Nachweis beträgt 80 %, wobei jedoch diffuse Parenchymerkrankungen, kleine Abszesse unter 2 cm und Lokalisation in den kranialen Segmenten die Sensitivität vermindern. z Sonographische Morphologie Leberabszesse stellen sich sehr variabel dar: rund oder oval, unscharf begrenzt, meist hypoechogen, in seltenen Fällen auch hyperechogen mit variabler Schallverstärkung (. Abb. 17.38). Das unterschiedliche interne Echoverhalten resultiert aus der Veränderung des putriden Inhalts im zeitlichen Ablauf. Auch Flüssigkeitsspiegel, interne Septierungen und Debris können sonographisch dargestellt werden. Aufgrund des unspezifischen Erscheinungsbildes sollten Amöbenabszesse, Echinokokkusinfektionen, komplizierte Zysten, Hämatome und nekrotische Neoplasmen in die Differenzialdiagnose einbezogen werden. Besonders beim immunsupprimierten Patienten ist auch an das Vorliegen einer hepatischen Candidiasis zu denken. Sonographisch zeigen sich multiple kleine hypoechogene Läsionen mit echoreichem Zentrum (Schießscheibenkonfiguration). Zusätzliche Läsionen gleicher Sonomorphologie im Milzparenchym erhärten diese Diagnose. Ähnliche Erscheinungsbilder wurden auch für Pneumocystis-carinii-Infektionen bei Aids-Patienten beschrieben.
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Leberhämatom Die Leber ist bei abdominellem Trauma nach Milz und Niere das am dritthäufigsten betroffene Organ. Es können intrahepatische Lazerationen mit intakter Kapsel bis zu großen Lazerationen mit intrahepatischem Hämatom, subkapsulärer Blutung und Kapselruptur auftreten. z Sonographische Morphologie Das Erscheinungsbild ist variabel, auch abhängig vom Alter der Blutung. Am häufigsten ist die Blutung in den ersten 24 h hyperechogen, im weiteren Verlauf wird sie innerhalb von 96 h nach Gerinnung zunehmend hypoechogen bis zystisch und kann sowohl Septierungen als auch Binnenechos entwickeln. Weiterhin muss die Frequenz des gewählten Schallkopfs berücksichtigt werden. Während nicht geronnenes Blut mit einem 7,5 MHz-Schallkopf echoreich ist, bleibt es mit einem 3,5 MHz-Schallkopf echoarm (. Abb. 17.39). Subkapsuläre Flüssigkeitsansammlungen zeigen eine linsenförmige Konfiguration und sind je nach Alter echoarm oder echofrei. Wenn die Kapsel nicht intakt ist, ist das Hämatom nicht lokalisiert und kann schwierig zu entdecken sein.
Hepatische Farbdoppleruntersuchung und Duplexsonographie Diffuse hepatische Parenchymerkrankungen können extrahepatische vaskuläre Veränderungen, wie z. B. portale Hypertension, verursachen. Echtzeit-Bildgebung erlaubt die Identifikation der abdominellen Gefäße. Der Dopplerultraschall hat die Fähigkeit, Blutfluss zu erkennen und zu quantifizieren [44]. Bei der Farbdopplersonographie wird die Geschwindigkeitsinformation in Abhängigkeit von der Erythrozytenbewegung relativ zum Schallkopf farbkodiert. Lebervenenthrombose. Beim Budd-Chiari-Syndrom kann in der
Duplexsonographie der sonst nachweisbare Blutfluss in der V. cava inferior und den hepatischen Venen fehlen, umgekehrt, turbulent oder kontinuierlich sein. Bei akuter Thrombose kann das Fehlen des normalen Blutflusses in den hepatischen Venen die einzige Abnormalität sein. Im Falle einer subakuten oder chronischen Thrombose können Kollateralen zwischen hepatischen Venen und der V. cava inferior auftreten. Portalvenenthrombose. Die Dopplerbeurteilung des normalen portalvenösen Blutflusses zeigt ein kontinuierliches Flussmuster in
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. Abb. 17.38 Sonographischer Subkostalschnitt; cholangitischer Leberabszess; echofreies Zentrum (Δ), echoarmes Umgebungsödem (Pfeil)
. Abb. 17.39 Traumatische Leberruptur, sonographischer Schrägschnitt; im Leberparenchym (L) harte Binnenechos (Blutungsherde); echoarmes Hämatom in der Morrison-Grube zwischen Leberunterfläche und Niere (N, Pfeile)
225 17.12 · Ultraschall
zur Evaluierung portokavaler, mesokavaler, mesoarterieller oder splenorenaler Shunts gut geeignet [34]. Lebertransplantate. Farbdoppler- und Duplexsonographie sind
unverzichtbare diagnostische Methoden für die Beurteilung von Lebertransplantaten. In der frühen postoperativen Phase dienen sie zur Beurteilung der Flussverhältnisse in der A. hepatica und V. portae. Während die Bestimmung der Durchblutung in der A. hepatica und V. portae mit Farbdoppler- und Duplexsonographie eine etablierte Methode ist (. Abb. 17.41), wird ein abnormes Dopplersignal für die Beurteilung der Transplantatabstoßung kontrovers beurteilt.
17.12.3 . Abb. 17.40 Sonographischer Längsschnitt durch das Lig. hepatodoudenale; echoreicher Thrombus (Pfeil) in der erweiterten V. portae (vp)
Nieren
hepatopetaler Richtung und eine atemabhängige Variation der Geschwindigkeit. Die portalvenöse Thrombose kann mitunter im B-Bild (. Abb. 17.40) und auch mit Farbdoppler- und Duplexsonographie beurteilt werden, wobei Farbdopplerimaging Vorteile bei der Erkennung eines Restblutflusses in partiellen Thrombosen und in kavernös transformierten Kollateralen aufweist [44]. Sensitivität und Spezifität für den Nachweis portalvenöser Thrombosen liegen im Bereich von 89 % bzw. 92 %, mit einer Genauigkeit von 92 %.
Die Nierengröße gilt zwischen 9 und 13 cm als normal und ist abhängig von Patientengröße, Alter, Habitus und Hydratation. Der Nierenkortex wird sonographisch mit dem Leberparenchym verglichen. Nieren mit einer im Vergleich zum Leberparenchym erhöhten Echogenität werden als abnormal beurteilt. Dies ist jedoch ein unspezifischer Befund und oftmals mit chronischer Nierenerkrankung assoziiert [35]. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beurteilung der Weite des Nierenbeckenkelchsystems (Harntransportstörung). Die Duplexsonographie der intrarenalen Gefäße ermöglicht über den arteriellen »resistive index« (RI, entspricht dem Verhältnis von systolischem zu diastolischem Flow) eine Aussage über die Durchblutung.
Portale Hypertension. Eine portale Hypertension ist allein auf-
Akutes Nierenversagen
grund der Bildgebung schwieriger zu diagnostizieren.
Im Fall eines akuten Nierenversagens muss eine postrenale Obstruktion als Ursache ausgeschlossen werden. Ein dilatiertes Nierenbeckenkelchsystem (NBKS) ist ein Hinweis auf ein postrenales Nierenversagens, wobei die Dilatation im Normalfall beidseitig auftritt. Verschiedene Faktoren tragen zur Erweiterung des NBKS bei, sodass diese nicht unbedingt mit dem Schweregrad der Obstruktion korreliert. Der Einsatz der Duplexsonographie bringt hier zusätzliche Information: erhöhte RI-Werte sind mit obstruktiver Dilatation des NBKS assoziiert. Obwohl eine Änderung der Nierengröße und Echogenität für verschiedene Formen des akuten Nierenversagens wie bei akuter Tubulusnekrose (ATN), interstitieller Nephritis, Glomerulonephri-
Sonomorphologie (B-Bild). Verschiedene Faktoren wie Aszites,
Hepatomegalie und eine prominente V. portae weisen auf eine portalvenöse Drucksteigerung hin, sind aber nicht spezifisch. Farbdoppler- und Duplexsonographie erlauben die rasche diagnostische Bestimmung der portalen Blutflussrichtung. Portale Hypertension ist ein komplexer pathophysiologischer Prozess, und eine erniedrigte Flussgeschwindigkeit ist für eine portale Hypertension nicht beweisend. Ein signifikanter Hinweis ergibt sich aus der Darstellung portosystemischer Kollateralen. Beide Verfahren sind auch
. Abb. 17.41a, b. 6 Tage nach Lebertransplantation. a Sonographischer Querschnitt am Abgang des Truncus coeliacus; Dopplermessvolumen in der A. hepatica; Binnenechos im Gefäßlumen, kein Blutfluss (Nulllinie); b selektive Zöliakographie: Verschluss der A. hepatica an der Anastomose (Pfeil)
17
226
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
tis und anderen Ursachen beschrieben wurde, sind diese Befunde für spezielle Krankheitsprozesse weder sensitiv noch spezifisch. In den meisten Fällen eines akuten Nierenversagens kann ein normaler oder unspezifischer Ultraschallbefund erwartet werden. Eine Duplexsonographie ist bezüglich der Diagnose eines akuten Nierenversagens sensitiver als der konventionelle Ultraschall: erhöhter RI bei 91 % der Patienten mit ATN, aber in nur 20 % mit akutem prärenalen Nierenversagen.
Abwesenheit von Verkalkungen sprechen für Luftansammlungen und lassen eine emphysematöse Pyelonephritis vermuten. Intrarenale oder perirenale Abszesse. Das Erscheinungsbild kann einer echofreien Raumforderung – ähnlich einer Zyste – entsprechen, zusätzlich finden sich jedoch meist Wandverdickungen, Septierungen und interner Debris. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Ultraschall nicht sensitiv für den renalen/perirenalen Abszessnachweis ist; hier ist das CT die Methode der Wahl.
Nierengefäße Arteriell. Fehlende Flusssignale in der Nierenarterie und ihren
Pyelonephritis. Diese muss vermutet werden, wenn innerhalb ei-
17
Aufzweigungen sind hochverdächtig auf einen arteriellen Verschluss. Die Identifizierung eines normalen Flussmusters im Nierenarteriensystem schließt eine komplette arterielle Thrombose oder Okklusion aus.
nes erweiterten Nierenbeckenkelchsystems, das sich normalerweise echofrei darstellt, Debris oder geringe Binnenechos identifiziert werden können.
17
Venös. Im Falle einer Nierenvenenthrombose können die Nieren
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Nierentrauma
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vergrößert und geringfügig hyperechogen sein. In der subakuten Phase nimmt die Echogenität des Parenchyms ab, manchmal kann auch die Nierengröße abnehmen. Der Thrombus ist zunächst hypoechogen, im weiteren Verlauf zunehmend hyperechogen. Ein akuter Thrombus kann nicht in jedem Fall dargestellt werden. Die Abwesenheit von venösem Fluss im farbkodierten Bild, assoziiert mit einem beträchtlich erhöhtem RI-Wert, ist hochverdächtig auf eine akute Nierenvenenthrombose.
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Transplantate. Im Rahmen der Transplantationschirurgie sind
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Duplexuntersuchungen zur laufenden Überprüfung der Organperfusion und der Versorgungsgefäße (AV-Fistel) unerlässlich. Als Hinweis auf eine Transplantatabstoßung gilt ein Anstieg des RI (. Abb. 17.42) im weiteren Verlauf. Perioperative Komplikationen wie Hämatome oder Urinome sind mit dem Ultraschall gut erfassbar.
Niereninfektion/Urosepsis Akute Pyelonephritis. Die Niere sieht sonographisch meist normal
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aus.
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Fortgeschrittene Stadien. Die Nieren sind vergrößert und hypoechogen. Das NBKS der infizierten Niere kann akzentuiert sein und in einem kleinen Prozentsatz der Fälle Debris enthalten. Die Pyelonephritis kann fokal erhöhte Echogenität in der Niere aufweisen und wie eine Raumforderung auffallen. Echos hoher Amplitude in
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Obwohl das CT in Traumazentren die Methode der Wahl zur primären Bildgebung darstellt, ist der Ultraschall hilfreich bei der Verlaufskontrolle traumatischer Läsionen oder in der Primärdiagnostik bei Patienten, die für den Transport zu instabil sind. Traumatische Lazerationen und Hämatome erscheinen als echogene oder gemischt echoreiche/echoarme Raumforderungen in der Niere oder im perirenalen Raum. Mit dem Ultraschall können Nierenbeckenrupturen und Läsionen des Gefäßstiels u. U. nicht diagnostiziert werden. Daher gilt: ! Cave Ein normales Sonogramm kann ein Nierentrauma nicht sicher ausschließen.
17.12.4
Pankreas
Das Pankreas kann durch starken Meteorismus oder postoperativ durch Nahtklammerreihen, Verbände etc. häufig nur erschwert oder gar nicht beurteilt werden. Die Leitstrukturen zur Auffindung sind die A. mesenterica superior und die V. lienalis.
Ödematöse Pankreatitis Hierbei sieht man eine umschriebene oder diffuse Organvergrößerung und Reduktion der normalen Echostruktur (. Abb. 17.50a).
Hämorrhagisch-nekrotisierende und abszedierende Formen Im vergrößerten Organ finden sich unregelmäßig angeordnete echofreie und hyperechogene Areale. Die weitere Abklärung der Ausdehnung und assoziierter Komplikationen ist eine Domäne der CT.
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17.12.5
17
Milz
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Die Milz bietet sonographisch ein sehr variables Erscheinungsbild; häufig finden sich kleine Nebenmilzen als anatomische Normvarianten.
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Splenomegalie
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. Abb. 17.42 Patient, 32 Jahre, Zustand nach Nierentransplantation. Sonographie B-Bild: NTX mit einer 15 mm großen kortikalen Zyste am kaudalen Pol (Pfeil). Doppler: arterielles Spektrum mit RI 0,57
Splenomegalie bedeutet per Definition ein Überschreiten der Normwerte in mindestens 2 Ausdehnungsrichtungen (normal: Länge × Tiefe × Breite =12×4×7 cm). Ursachen: portale Hypertension, Infektionskrankheiten und hämatologische Systemerkrankungen; selten: Pfortaderthrombose, Amyloidose, Speicherkrankheiten, Rechtsherzinsuffizienz.
227 17.12 · Ultraschall
Fokale und diffuse Läsionen Fokale Läsionen (Verkalkungen, Zysten, Infarkt, Abszess, Hämangiom, Metastasen) sind selten (unter 1 %) und aufgrund ihres variablen Erscheinungsbilds häufig nur im klinischen Zusammenhang diagnostizierbar. Etwa 40 % der fokalen bzw. diffusen Milzläsionen sind maligne, wobei in 80 % der Fälle mit maligner Infiltration ein Lymphom vorliegt [49].
Milzruptur Die Sonographie ist ein bewährtes Verfahren bei der Primärdiagnostik des abdominellen Traumas und erlaubt ein Abschätzen des weiteren diagnostischen Vorgehens. Sonographische Morphologie: intraperitoneale freie Flüssigkeit, subkapsuläres Hämatom, intralienales Hämatom, Parenchymlazeration. Im Fall einer negativen Sonographie kann ein Milztrauma nicht ausgeschlossen werden (zweizeitige Milzruptur), daher wird in einigen Zentren primär ein CT durchgeführt. Zusammen mit dem klinischen Bild und weiteren sonographischen Kontrollen mussten bei abdominell traumatisierten Patienten nach primär sonographischer Diagnostik im Schockraum lediglich in 9 % der Fälle weiterführende CT-Untersuchungen veranlasst werden, so dass die Sonographie jedenfalls eine gute Einschätzung erlaubt [46].
17.12.6
4 Echofrei: Aszites, Serome, Biliome, Urinome, Lymphozelen und ältere Abszesse. 4 Mittlere Echogenität: ältere Abszesse und frischere Hämatome. Letztere werden bei zunehmender Organisation echoreicher und können, speziell bei Infektion, echofreie verflüssigte Areale aufweisen. Blutungen oder Eiter können Septierungen und flottierende Echos höherer Amplitude (Debris) aufweisen. Maligner Aszites ist häufig mit verbackenen Darmschlingen assoziiert.
17.12.7
Gefäße
Bei guten Untersuchungsbedingungen sind Aortenaneurysmen, Dissektionen und Wandthrombosen sowie Gefäßprothesen sonographisch gut darstellbar (. Abb. 17.44; . Abb. 17.45). Gleiches gilt für die großen Organarterien und die V. cava inferior. Gelegentlich sind ergänzende angiographische Untersuchungen und CT erforderlich.
Freie Flüssigkeit
Freie Flüssigkeit jeder Art ist beim liegenden Patienten an typischen Prädilektionsstellen anzutreffen: 4 subhepatisch im Recessus hepatorenalis (Morison-Raum), 4 im Douglas-Raum (. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.), 4 parakolisch (rechts häufiger als links). Lediglich postoperative Abszessbildungen sind überwiegend subphrenisch und in der Bursa omentalis lokalisiert – besonders, wenn die ursprünglichen anatomischen Kompartimente des Oberbauches verändert wurden [40]. z Sonographische Morphologie Die Echogenität freier Flüssigkeiten differiert. Im Einzelfall geben Anamnese und Klinik ätiologische Hinweise. In Zweifelsfällen ist die ultraschallgesteuerte Punktion einzusetzen.
. Abb. 17.44 Sonographischer Querschnitt; teilthrombosiertes, infrarenales Aortenaneurysma; äußere Aortenbegrenzung (gefiederter Pfeil), freies Lumen (schwarzer Pfeil), T Thrombus
. Abb. 17.43 Sonographischer Querschnitt suprapubisch; Douglas-Abszess (Pfeil; B Blase, U Uterus)
. Abb. 17.45 Sonographischer Querschnitt, Mittelbauch: 2. Tag nach Implantation einer Aortenprothese (Pfeil); Hämatom (Δ)
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228
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
17.12.8
Ultraschallgesteuerte Aspiration und Drainage
Die Vorteile der ultraschallgesteuerten Drainage bestehen in der exakten Platzierung der Nadel unter Echtzeitbedingungen und zusätzlich in der Identifikation vaskulärer Strukturen durch farbkodierte Bildgebung. Die Sonographie ist häufig die Methode der Wahl zur Drainage pleuraler Flüssigkeitsansammlungen oder von Empyemen. Aszites und andere Flüssigkeitsansammlungen können lokalisiert, aspiriert und drainiert werden. Die meisten intraabdominellen Abszesse über 3 cm Größe sind sonographisch erkennbar und einer perkutanen Drainage zugänglich. Wenn auch vielfach der CT-gezielten Drainage im Abdomen der Vorzug gegeben wird, stellt die ultraschallgesteuerte perkutane Drainage beim Intensivpatienten, bei dem der Transport ein signifikantes Risiko bedeutet, eine Alternative dar [42].
Computertomographie
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17.13.1
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Inkarzeration Eine Inkarzeration (»Closed-loop-Obstruktion«) ist eine mechanische Obstruktion, bei der Darm und Mesenterium gemeinsam eingeklemmt sind. Adhäsionen und Hernien verursachen die Mehrzahl der Fälle. Da die Inkarzeration zu einer Ischämie führen kann, wird diese Konstellation als chirurgischer Notfall angesehen. Das CT-Erscheinungsbild variiert, abhängig von der Länge und dem Grad der Distention des betroffenen Dünndarmsegments. CT-Kriterien für eine Inkarzeration sind das Bild einer mechanischen Obstruktion mit flüssigkeitsgefüllten, dilatierten Dünndarmschlingen in radialer, c- oder u-förmiger Konfiguration und zusätzlich zum Punkt der Obstruktion konvergierend verlaufenden Mesenterialgefäßen [43].
Strangulationsobstruktion und Darmischämie 17.13
Die computertomographische Beurteilung der abdominellen Organe ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Bildgebung beim Intensivpatienten geworden. Die Bauchorgane können mit Geräten der neuesten Generation rasch und exakt beurteilt werden. Durch den Einsatz mobiler CT-Geräte könnten die Diagnostik bei Hochrisikopatienten sowie postoperative Follow-up-Untersuchungen leichter durchgeführt werden.
17
rung, Hernie oder andere Veränderung identifiziert werden. Eine Adhäsion kann dann vermutet werden, wenn keine anderen Ursachen vorliegen.
Dünndarmobstruktion und paralytischer Ileus
Das CT hat sich als sehr nützlich für die Diagnostik der Dünndarmdilatation obstruktiver Genese erwiesen und ermöglicht häufig die Differenzialdiagnose zum paralytischen Dünndarmileus. Die Sensitivität zur Beurteilung der Obstruktion hängt allerdings von deren Schweregrad ab: für hochgradige Obstruktionen beträgt sie 81 %, aber nur 48 % für geringgradige. Die Wertigkeit des CT liegt in der Beurteilung, ob eine Darmobstruktion oder Strangulation vorliegt, wo die Verschlussetage lokalisiert ist und welche Ursache zugrunde liegt. Ursachen: Adhäsionen (50 %), Hernien und Neoplasmen (je 15 %); selten kleine primäre Tumoren, peritoneale Absiedelungen, kurze ischämische oder entzündliche Strikturen. z CT-Morphologie der Obstruktion Proximal dilatierte Dünndarmschlingen, typischerweise über 3 cm im Durchmesser, mit einer Übergangszone zum normalkalibrigen Dünndarm. Das absolute Kaliber des Darms ist ein unzuverlässiges Kriterium, da eine Darmdilatation sowohl auf einer Paralyse als auch auf einer Obstruktion beruhen kann. Aus diesem Grund ist der Nachweis der Übergangszone der kritische Faktor für die Diagnose [43]. Die dilatierten Dünndarmschlingen orientieren sich entlang der Achse des Dünndarmmesenteriums (distale Dünndarmschlingen liegen weiter kranial als die proximalen Schlingen). Nasogastrische Sonden verursachen gelegentlich diagnostische Probleme, da durch Dekompression der proximalen Dünndarmschlingen das typische diagnostische Muster der Obstruktion verschleiert wird. Wenn einmal die Diagnose der Dünndarmobstruktion gestellt worden ist, gilt es, das Niveau der Obstruktion zu definieren. Hierdurch kann in 47–85 % der Fälle die Ursache geklärt werden. Durch eine zusätzliche Dünnschichtuntersuchung mit 5 mm Schichtdicke in der Übergangszone kann evtl. eine obstruierende Raumforde-
Die Strangulationsobstruktion ist als eine Inkarzeration mit Darmischämie definiert. Es handelt sich um einen chirurgischen Notfall mit Mortalitätsraten von 20–37 %. Im Vergleich dazu beträgt die Mortalitätsrate 5–8 % für die nicht-strangulierende Obstruktion. Die CT-Kriterien für Dünndarmstrangulation sind ähnlich denen, die für die Diagnose einer Dünndarmischämie verwendet werden. Die CT-Verdachtsdiagnose einer Strangulationsobstruktion darf gestellt werden, wenn 2 oder mehr der folgenden Zeichen der Darmischämie in Verbindung mit deutlichen Hinweisen für eine Inkarzeration vorliegen: 4 Darmwandverdickung (über 3 mm) mit oder ohne konzentrisches Ring-Enhancement (»Target- oder Halozeichen«), 4 Pneumatosis intestinalis, 4 erhöhte Dichte der Darmwand auf nativen Scans, üblicherweise >20 Houndsfield-Einheiten (HE), 4 portalvenöse oder mesenteriale Gasansammlungen, Unschärfe des Mesenteriums, Blutung oder Flüssigkeit, oftmals assoziiert mit Aszites, 4 verringertes oder heterogenes Darmwand-Enhancement nach Kontrastmittelapplikation [51]. Am spezifischsten für die Diagnose einer intestinalen Ischämie ist der Nachweis von portalvenösem Gas und einer Pneumatose (. Abb. 17.46). Eine Darmwandverdickung mit fakultativem ringförmigen Kontrastmittel-Enhancement kann auch bei entzündlichen Darmkrankungen, Appendizitis, Divertikulitis und chronischer Ischämie auftreten. Obwohl die Sensitivität für die Diagnose einer intestinalen Ischämie relativ hoch ist, sind die radiologischen Zeichen oft nicht spezifisch und führen zu falsch-positiven Diagnosen. Neben einer Strangulationsobstruktion sind Gefäßverschlüsse (arterieller oder venöser Genese) und Hypoperfusion infolge nicht-okklusiver Gefäßerkrankungen die häufigsten Ursachen einer Darmischämie. Die Computertomographie ist für die Diagnose einer primären mesenteriellen Ischämie nicht so sensitiv wie für die Diagnose einer Strangulationsobstruktion (Sensitivität, Spezifität und Genauigkeit: 64 %, 92 % und 75 %). Das Vorliegen von arteriellen oder venösen Thrombosen, intramurales und portalvenöses Gas, fokal erniedrigtes Darmwand-Enhancement, Leber- und Milzinfarkte zeigen eine Spezifität von über 95 % für die Diagnose einer akuten mesenteriellen Ischämie, die Sensitivität für jedes dieser Zeichen liegt jedoch unter 30 % [51].
229 17.13 · Computertomographie
Neutropenische Kolitis Synonyme sind Typhlitis oder nekrotisierende Enteropathie. Hierbei handelt es sich um eine infektiöse Kolitis, die bei neutropenischen Patienten (typischerweise mit akuter Leukämie und Chemotherapie) auftritt. Das Zökum ist am häufigsten betroffen, wobei jedoch auch der Rest des Kolons und das distale Ileum involviert sein können. Der Terminus »Typhlitis« sollte nur verwendet werden, wenn die Erkrankung auf das Zökum beschränkt ist. Sind auch andere Darmabschnitte betroffen, ist der Begriff einer nekrotisierenden Enteropathie oder nekrotisierenden Enterokolitis angebracht. Komplikationen sind die transmurale Nekrose und Perforation. z CT-Morphologie Diese ist oft unspezifisch – konzentrische Wandverdickung mit intramuralem Ödem, Nekrose, perikolische Flüssigkeitsansammlung, Faszienverdickung und Pneumatosis (schlechte Prognose; [32]). Differenzialdiagnostisch sollten entzündliche Prozesse im rechten unteren Quadranten, Ischämie, intramurale Blutung, rechtsseitige Divertikulitis, perforierende Fremdkörper und Appendizitis in Erwägung gezogen werden.
Pseudomembranöse Kolitis
. Abb. 17.46a, b. Patient, 64 Jahre, akutes Abdomen, Dünndarminfarzierung. a CT mit KM auf Höhe des Azetabulums: intramurale Gasansammlungen im Dünndarm (Pneumatosis intestinalis; Pfeile). b Oberbauch-CT mit KM: intrahepatische portalvenöse Gasansammlungen (Pfeil)
Paralytischer Ileus Hier zeigt sich häufig eine diffuse Dünndarmdilatation mit mäßiger Erweiterung des flüssigkeitsgefüllten rechten Kolons, typischerweise bis zum Niveau der Flexura hepatica reichend. Der Rest des Kolons zeigt normales Kaliber ohne den Nachweis einer obstruierenden Raumforderung. Hochgradige Dilatation des rechten Kolons ohne bekannte chronische Ursache erfordert eine Abklärung mit Endoskopie oder Kontrastmitteleinlauf zum Ausschluss einer Raumforderung.
17.13.2
Die häufigste Ursache liegt in antibiotischer Therapie. Durch Veränderung der Darmflora (Clostridium difficile) und Produktion eines Enterotoxins entwickeln sich Ödeme und Ulzerationen der Kolonschleimhaut, die mit Pseudomembranen belegt werden. Ohne Behandlung kann die pseudomembranöse Kolitis zu einem toxischen Megakolon mit intestinaler Perforation und Peritonitis führen. Obwohl die CT gut zur Erkennung dieser Erkrankung geeignet ist, schließt eine normale Untersuchung (bis zu 30 %) die Diagnose nicht aus, sodass Stuhlkultur und Kolonoskopie mit Biopsie zum Nachweis notwendig sein können [29]. z CT-Morphologie Erkennbar ist eine Pan- oder Segmentkolitis mit unterschiedlich starker Wandverdickung. Die zirkumferente oder exzentrische Darmwandverdickung wird durch ein submuköses Ödem verursacht, das ein glattes, irreguläres oder polypöses Erscheinungsbild hervorrufen kann. Die Schleimhautoberfläche kann ebenfalls eine unregelmäßige, unscharfe Kontur aufweisen, verursacht durch Mukosaplaques oder noduläres Ödem. Murales Enhancement ist typischerweise vorhanden; die relativ spärlichen perikolischen Entzündungszeichen in Verbindung mit der beträchtlichen Darmwandverdickung helfen, die pseudomembranöse Kolitis von anderen Kolitiden zu unterscheiden.
Kolitis 17.13.3
Da die CT intraluminale, intramurale und extraluminale perienterische Krankheitskomponenten nachweisen kann, ist sie hervorragend zur Beurteilung einer entzündlichen Darmerkrankung geeignet. z CT-Morphologie Erkennbar ist eine verdickte Darmwand (normalerweise 1–3 mm) mit ringförmiger Kontrastmittelanfärbung (»Schießscheibenzeichen«). Das ringförmige Enhancement kann als Resultat eines submukösen Ödems, einer Entzündung oder bei Vorhandensein von Fett (typisch bei Colitis ulcerosa und M. Crohn) auftreten und spricht gegen neoplastische Veränderungen [28].
Abszess
CT ist die Methode der Wahl zur Diagnose eines intraabdominellen Prozesses mit einer Genauigkeit von über 90 %. Zusätzlich kann mit perkutaner Drainage eine interventionelle Therapie durchgeführt werden (. Abb. 17.47; . Abb. 17.48). Schwierig ist die computertomographische Differenzierung von infizierten und sterilen Flüssigkeitsansammlungen, wodurch gelegentlich eine diagnostische Aspiration zur definitiven Diagnose notwendig wird. Flüssigkeitsgefüllte Darmschlingen können u. U. als Abszesse fehlinterpretiert werden. Abszessansammlungen erscheinen typischerweise als flüssigkeits- oder weichteildichte Formationen (0–40 HE), die einen raumfordernden Effekt auf benachbarte Strukturen ausüben [33]. Die Flüssigkeitsansammlung kann von einer dicken, irregulär konfigurierten Wand umgeben sein,
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
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. Abb. 17.47a, b. Patientin, 60 Jahre, septisches Zustandsbild 10 Tage nach rechter Hemihepatektomie. a CT-Schnitt mit KM-Infusion: breiter Pleuraerguss rechts (Doppelpfeil), subphrenische Flüssigkeitsretention an der Resektionsfläche (Stern), Splenomegalie (gefiederter Pfeil); Punktion (Pus) und perkutane Drainage von dorsolateral; bakteriologisch E. coli. b CT-Kontrolle nach Entfieberung (3. Tag), 2 Drains in situ; Retention entleert (keine operative Revision)
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. Abb. 17.48 Patientin, 49 Jahre; Status nach nekrotisierender Pankreatitis und mehrfachen operativen Revisionen, offenes Laparostoma, hohes Fieber (seit 17 Wochen auf der Intensivbehandlungsstation). a CT-Schnitt mit KM-Infusion in der oberen Beckenebene; beidseitig am M. iliacus Abszesse mit KMAnfärbung der Ränder (Sterne); perkutane Drainage (8-Charr-Trokartechnik). b CT-Kontrolle nach 36 h (fieberfrei, sinkende Leukozytenzahl); gute Drainage (Pfeil), Abszesse entleert (bakteriologisch St. aureus)
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die selten ein Kontrastmittel-Enhancement aufweist. Trotz dieser Tatsache ist die Durchführung einer kontrastmittelverstärkten CT indiziert, da evtl. vorhandene intrahepatische pyogene Abszesse besser identifiziert werden können. In der Läsion gelegene Gasansammlungen, die bei 30–50 % der Abszesse nachweisbar sind, machen die Diagnose sehr wahrscheinlich, obwohl sterile Nekrosen ein ähnliches Erscheinungsbild aufweisen können. Candida-Infektionen in Leber und Milz manifestieren sich mit multiplen, kleinen (2–20 mm im Durchmesser) Läsionen mit niedriger Dichte und diffusem Verteilungsmuster. Die Läsionen können schießscheibenartige Konfigurationen aufweisen. Differenzialdiagnostisch muss auch an Metastasen und septische Emboli (Milz) gedacht werden.
17.13.4
Blutung
Intraabdominelle Blutung z CT-Morphologie Das Erscheinungsbild freien intraperitonealen Bluts variiert abhängig von Alter und Größe der Blutung. Die meisten akuten Blutungen haben eine Dichte von über 30 HE, lediglich bei anämischen Patienten kann die Dichte unter 20 HE liegen. Geronnenes Blut hat eine höhere Dichte (60 HE) als fließendes Blut oder ein in Lyse befindlicher Thrombus. Die fokale Ansammlung von geronnenem Blut ist ein wichtiger Hinweis für die Verletzung eines parenchymatösen Organs. Arterielle Extravasationen erscheinen typischerweise als fokale Flüssigkeitsansammlungen mit hoher Dichte (80– 130 HE), die von einem Hämatom niedrigerer Dichte umgeben sind [37]. Aktive Extravasation zeigt die höchste Dichte (120–170 HE).
231 17.13 · Computertomographie
Retroperitoneale Blutung CT ist die Methode der Wahl zur Evaluierung einer retroperitonealen Blutung. Zusätzlich zur Detektion, Quantifizierung und Lokalisation zeigt die kontrastmittelverstärkte CT auch die Ursache der Blutung und ermöglicht eine Planung des weiteren klinischen Vorgehens. Ursachen: Trauma, Aneurysma, (. Abb. 17.49), vaskuläre Tumoren, Antikoagulation und Langzeitdialyse. z CT-Morphologie Retroperitoneale Hämatome erscheinen als Weichteilformationen mit einer Dichte von über 30 HE, die benachbarte retroperitoneale Strukturen komprimieren oder maskieren.
17.13.5
Hypovolämischer Schock
z CT-Morphologie Vasokonstriktion (schmale Aorta, mesenteriale Gefäße und V. cava inferior), Abnahme der Milzgröße und Dichte (Vasokonstriktion der A. lienalis), dichtes Nierenparenchym, (fast) keine renale Exkretion, wandverdickte, flüssigkeitsgefüllte Dünndarmschlingen mit beträchtlichem Wand-Enhancement.
17.13.6
Cholezystitis
Obwohl die Sonographie die Methode der Wahl zur Erkennung der Cholelithiasis und akuten Cholezystitis ist, verbleiben für die CT insbesondere bei eingeschränkten Untersuchungsbedingungen Indikationen zur Abklärung dieser Fragestellung.
Akute Cholezystitis mit Konkrement (»kalkulös«) Bei einer Obstruktion des Ductus cysticus durch einen Gallenstein kommt es zur Gallenstase mit Gallenblasenerweiterung, Wandischämie und Epithelschädigung. z CT-Morphologie Cholelithiasis, Verdickung, noduläres oder subseröses Ödem der Gallenblasenwand, schlechte Abgrenzbarkeit zwischen Gallenblase und der Leber, pericholezystische Flüssigkeitsansammlungen, Gal-
lenblasendilatation (über 5 cm), erhöhte Dichte der intraluminalen Galle (>20 HE), der Gallenblase benachbart verstärkte, entzündlich bedingte Leberparenchymanfärbung [31]. Obwohl die Verdichtung der Gallenblasenwand das am häufigsten gefundene Zeichen der CT-Untersuchung ist, ist sie leider nicht spezifisch und kann bei zahlreichen anderen Erkrankungen wie Hypoproteinämie, Hepatitis und Herzvitien gesehen werden. Falls vorhanden, treten die meisten pericholezystitischen Abszesse in der Nähe vom Gallenblasenfundus auf, weil dieser aufgrund seiner eingeschränkten Blutversorgung für die Perforation empfindlicher ist.
Akute Cholezystitis ohne Konkrement (»akalkulös«) Ischämie, Gallenstase und chemische Veränderungen werden als Entzündungsursache postuliert, die genaue Pathogenese ist jedoch unklar. Gallenblasennekrose ist eine häufige Komplikation; zum Zeitpunkt des chirurgischen Eingriffes bestehen bei 40–100 % der Patienten fortgeschrittene Erkrankungsstadien, die sich durch Gallenblasenperforation, Gangrän oder Empyem manifestieren. Deswegen sind die Mortalitätsraten der akuten akalkulösen Cholezystitis mit 10–50 % signifikant höher als für die akute kalkulöse Cholezystitis (1 % [47]). z CT-Morphologie Hauptkriterien: Wandverdickung über 4 mm, pericholezystitische Flüssigkeit, subseröses Ödem bei Abwesenheit von Aszites und intramurale Gasansammlungen. Nebenkriterien: Gallenblasenerweiterung und hyperdense Galle. Bei Vorliegen von 2 Haupt- oder einem Haupt- und 2 Nebenkriterien reichen die Literaturangaben über die Sensitivität von 50–100 %. Eine normale Gallenblasenwanddicke (<4 mm) schließt signifikante intramurale Entzündungen, Blutung oder Gangrän nicht aus. Pathologische Untersuchungen fanden eine normale Gallenblasenwand bei bis zu 33 % der Patienten mit akalkulöser Cholezystitis.
Gangränöse Cholezystitis Die gangränöse Cholezystitis ist eine ungewöhnliche und schwere Form der Cholezystitis, verursacht durch gasbildende Mikroorganismen. Die gangränöse Cholezystitis tritt, im Gegensatz zur kalkulösen, häufiger bei Männern auf, wobei Gallenblasensteine oft fehlen. 38 % der betroffenen Patienten sind Diabetiker. Als initiales schädigende Agens wird ein Verschluss der A. cystica diskutiert, der zu einer Ischämie, Nekrose und Infektion der Gallenblase führt. Eine rasche Diagnosestellung ist wichtig, da das Risiko einer Gallenblasenperforation hier ca. 5-mal höher als bei der akuten kalkulösen Cholezystitis ist. z CT-Morphologie Nachweis von Gas in der Gallenblasenwand, typischerweise erst 24–48 h nach Beginn der Cholezystitis. Gas kann auch im Lumen der Gallenblase identifiziert werden (Trauma, bilioenterische Anastomosen oder Sphinkterotomie müssen ausgeschlossen sein).
17.13.7
Milz
Die Formvariabilität erschwert eine Größenabschätzung der Milz in der CT. Allerdings gilt: . Abb. 17.49 Patient, 39 Jahre, Zustand nach Aneurysmablutung A. renalis links, Zustand nach Embolisation. Nativ-CT auf Höhe des kleinen Beckens: retroperitoneales Hämatom (Pfeil), Embolisationsmaterial (offener Pfeil)
! Cave Eine normal große Milz überragt gewöhnlich nicht die mittlere Axillarlinie.
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
Das Parenchym stellt sich im Nativscan homogen mit einer Dichte von 45 HE dar. Nach Kontrastmittelgabe zeigt die Milz eine typische scheckige Parenchymanfärbung (entsprechend der Trabekel- und Pulpastruktur), die nach 90–120 s homogen wird. Zystische Prozesse sind selten und in der Mehrzahl parasitären Ursprungs. Plasmozytom und maligne Lymphome können vom Milzparenchym ausgehen, sonst sind primäre Milztumoren (Hämangiom, Lymphangiom) selten. Akute und chronische Infekte führen zu einer stark ausgeprägten Splenomegalie, granulomatöse Entzündungen (z. B. Sarkoidose) zeigen nur eine mäßige Vergrößerung. Schwierig ist die Abgrenzung eines Abszesses gegen ältere Hämatome oder Pseudozysten, wenn die pathognomonischen Gasbläschen fehlen.
Milztrauma Am häufigsten treten Milzverletzungen nach stumpfem Bauchtrauma auf. Bei Splenomegalie (z. B. im Rahmen einer Mononukleose) kann auch ein geringes Trauma zur Ruptur führen. Obligat ist die Suche nach Begleitverletzungen von Leber, Niere, Pankreas und Skelett. z CT-Morphologie Im frischen Stadium kann das Hämatom im Vergleich zum Parenchym isodens erscheinen. Ältere Hämatome sind hypodens. Bei subkapsulärer Lage zeigt sich eine Verformung und Impression des Parenchyms durch das oft sichelförmig konfigurierte Hämatom. Intraparenchymale Einblutungen kommen als unregelmäßig begrenzte Areale zur Darstellung. Freie intraabdominelle Flüssigkeit zeigt eine Milzruptur an. Weiterhin gilt: > Besteht der Verdacht auf eine Milzverletzung, so sollte die CT-Untersuchung mit Kontrastmittelserie erfolgen, um isodense, ansonsten maskierte Parenchymeinrisse erkennen zu können.
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17.13.8
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Die akute Pankreatitis bietet ein breites Spektrum klinischer und radiologischer Zeichen, die stark vom Verlauf und Schweregrad der Erkrankung abhängen. Ursachen: 90 % der Fälle treten bei biliären Erkrankungen und Alkoholismus auf. Bei chirurgischen Intensivpatienten – speziell nach Herzoperationen – kann die Pankreatitis Resultat einer intraoder perioperativen Hypotension sein. Sensitivität und Genauigkeit der CT-Untersuchung variieren, abhängig vom Schweregrad der Erkrankung.
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z
Akute Pankreatitis
CT-Morphologie
Milde Verlaufsform. Bis zu 14 % der Patienten zeigen einen nor-
malen CT-Untersuchungsbefund. Pankreasvergrößerung ist die früheste Abnormität; obwohl diese typischerweise diffus auftritt (. Abb. 17.50), wird in 18 % der Fälle eine segmentale Vergrößerung (am häufigsten im Kopfbereich) beobachtet [28]. Zunehmender Schweregrad. Peripankreatische Weichteilentzün-
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dung, verdickte peripankreatische Faszien und heterogenes Enhancement des Pankreasparenchyms. Assoziierte Rupturen der pankreatischen Ductuli führen zur Bildung intra- und extrapankreatischer Flüssigkeitsansammlungen (Blut, pankreatische Enzyme und Debris). Diese akuten Flüssigkeitsansammlungen haben per Definition keine entzündliche Kapsel oder Wand. Obwohl extrapankreatische Flüssigkeitsansammlungen am häufigsten direkt dem Parenchym
. Abb. 17.50a, b. Patient, 43 Jahre, klinisch und laborchemisch akute Pankreatitis. a Sonographischer Querschnitt durch Pankreaskopf-KorpusRegion: inhomogene Echostruktur des vergrößerten Organs (dicker weißer Pfeil V. portae, Stern Aorta). b CT-Schnitt mit KM-Infusion: ödematös-seröse Pankreatitis; inhomogene Struktur, verminderte Anfärbung, hypodense Flüssigkeitsansammlung peripankreatisch (weiße Pfeile; gefiederter Pfeil V. lienalis; Stern Aorta mit Abgang der A. mesenterica superior)
benachbart sind, können sie auch im gesamten Peritoneum verteilt auftreten, in solide abdominelle Organe eindringen oder sich in entferntere anatomische Kompartimente ausbreiten (Thorax, Mediastinum, Pleura, Hals, Perikard). Akute Flüssigkeitsansammlungen, die bei 40–50 % der Patienten mit akuter Pankreatitis auftreten, bilden sich in 50 % der Fälle spontan zurück. Wenn sie persistieren, können sie sich zu pankreatischen Pseudozysten entwickeln. Per Definition ist die Pseudozyste eine Flüssigkeitsansammlung mit einer gut abgrenzbaren fibrösen Wand oder Kapsel, die sich bis zu 4 Wochen nach Beginn der Entzündung gebildet hat. 50 % der pankreatischen Pseudozysten unter 5 cm Durchmesser zeigen eine spontane Rückbildungstendenz. Der Rest bleibt unverändert, kann jedoch auch eine Größenprogredienz aufweisen und zu Komplikationen führen: Pseudoaneurysmen, venöse Okklusion, biliäre und gastrointestinale Obstruktion und Invasion solider Organe. Die Pseudozyste kann sich auch infizieren (pankreatischer Abszess) oder bluten.
233 17.13 · Computertomographie
zierten Nekrose, wird durch Aspiration getroffen. Während die infizierte Pankreasnekrose zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung auftreten kann, entsteht der pankreatische Abszess üblicherweise erst ab 4 Wochen nach Erkrankung. Die infizierte Pankreasnekrose ist definiert als Infektion nekrotischen intra- oder peripankreatischen Gewebes, das ebenfalls Gas enthalten kann. Die Differenzierung zwischen infizierter und steriler Nekrose ist von Bedeutung, da die Mortalität der infizierten Nekrose (39–67 %) signifikant höher als bei der sterilen Nekrose (13–14 %) ist.
CT-Severity-Index
a
Um die prognostische Wertigkeit der Kontrast-CT-Untersuchung bei akuter Pankreatitis zu erhöhen, wurde ein CT-Severity-Index (CTSI) entwickelt. Dieser Index kombiniert eine CT-Graduierung mit der Ausdehnung der peripankreatischen Nekrose (. Tab. 17.4).
CT-Untersuchungen: Wann und wie häufig? Die Notwendigkeit und Frequenz der CT-Untersuchung bei Patienten mit akuter Pankreatitis variiert mit dem Schweregrad der Erkrankung. Initiale CT-Untersuchung. Sie ist indiziert bei jedem Patienten mit
dem klinischen Bild einer schweren Pankreatitis; ebenso bei Patienten, die nach 72 h kein Ansprechen auf eine konservative Therapie zeigen, Patienten mit plötzlicher Verschlechterung der Klinik trotz initialem Ansprechen auf die Therapie und Patienten mit komplikationsverdächtiger Klinik. Verlaufskontrollen. Bei der Interpretation der Verlaufskontrollen
ist es wichtig zu wissen, dass der bildmäßige Rückgang der Entzündung im Vergleich mit dem klinisch deutlich gebesserten Zustandsbild verzögert auftritt. . Abb. 17.51a, b. Patient, 26 Jahre, alkoholinduzierte Pankreatitis, Schockzustand; präoperatives CT-Staging. a CT-Schnitt mit KM-Infusion in Höhe des unteren Nierenpols rechts; nekrotisierende Pankreatitis; b Schemaskizze zum CT-Schnitt [1 Aorta, 2 V. cava inferior, 3 unterer Nierenpol, 4 Unterrand rechter Leberlappen, 5 Darm, teils luftgefüllt mit Wandverdickung (Ödem), 6 »Nekrosestraße« im vorderen Pararenalraum beidseitig, 7 »Nekrosestraße« retrokolisch links]
Keine Indikation. Bei Patienten mit Pankreatitis Grad A‒C (CTSI-
Score 0–2), die auf eine Therapie angesprochen haben und bei denen keine Komplikation vermutet wird. Kontrollen nach 7–10 Tagen und je nach klinischer Notwendigkeit. bei Patienten mit Pankreatitis Grad D bis E (CTSI-Score
3–10). Diese Patienten sollten vor der Entlassung zum Ausschluss klinisch unauffälliger Krankheitskomplikationen und Nachweis Schwerer nekrotisierender Verlauf. Normalerweise zeigt das Par-
enchym nach intravenöser Kontrastmittelgabe ein homogenes Enhancement mit einer Dichte von 100–150 HE. Die Pankreasnekrose ist definiert als eine fokale oder diffuse Region verminderten oder fehlenden Enhancements (unter 50 HE; . Abb. 17.51). Die Treffsicherheit im Erkennen der Nekrose ist abhängig vom Grad der Pankreasbeteiligung mit Raten zwischen 80 und 90 %. Obwohl die CT-Spezifität zur Nekrosedetektion in Fällen, in denen mehr als 30 % des Parenchyms betroffen sind, 100 % beträgt, fällt sie auf 50 % in kleinen Arealen avitalen Parenchyms ab. Die Erkennung der Nekrose ist klinisch wichtig, da sie mit höherer Morbidität und Mortalität korreliert. Die Morbiditäts- und Mortalitätsraten betragen 6 % und 0 % in Fällen ohne pankreatische Nekrose und bis zu 94 % bzw. 29 % in Fällen von mehr als 30 % Organnekrose. Zusätzlich zur Erkennung steriler Pseudozysten und Pankreasnekrosen ist die CT hilfreich zur Differenzierung gegenüber infizierten Pseudozysten (pankreatischer Abszess) und der infizierten Pankreasnekrose. Ein Pankreasabszess ist definiert als eine umschriebene infizierte intra- oder extrapankreatische Flüssigkeitsansammlung. 30–40 % dieser Fälle enthalten Gas, dies ist jedoch nicht spezifisch, und die definitive Diagnose, sowohl des Pankreasabszesses als auch der infi-
. Tab. 17.4 CT-Severity-Index (CTSI) Grad
Kriterien
A
Normal
B
Fokale oder diffuse Pankreasvergrößerung
C
Abnormitäten, assoziiert mit peripankreatischer Entzündung
D
Einzelne kleine Flüssigkeitsansammlung
E
2 oder mehr Flüssigkeits- und/oder Gasansammlungen
Den CT-Graden A–E wird ein Nummernscore von 0–4 zugewiesen. Dazu werden 2, 4 oder 6 Punkte addiert, wenn assoziierte Nekroseareale mit einem Anteil von <30 %, 30–50 % oder von >50 % auftreten. Der CTSI-Score korreliert mit der Patientenmorbidität und Mortalität: CTSI-Score 0–1: keine Morbidität und Mortalität. CTSI-Score 7–10: Morbidität 92 %, Mortalität 17 %.
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partieller oder kompletter Auflösung der pankreatitischen Entzündung untersucht werden.
Literatur
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Kapitel 17 · Bildgebende Verfahren: Röntgen, Ultraschall, CT, Nuklearmedizin
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Labordiagnostik in der Intensivmedizin C.E. Wrede, S. Froh
18.1
Überwachung des Wasser- und Elektrolytstoffwechsels – 236
18.1.1 18.1.2 18.1.3 18.1.4 18.1.5 18.1.6 18.1.7
Natrium – 236 Osmolalität – 236 Kalium – 237 Kalzium – 237 Phosphat – 237 Chlorid – 237 Magnesium – 238
18.2
Überwachung des Säure-Basen-Haushaltes – 238
18.3
Überwachung von Organsystemen mittels Enzymdiagnostik und weiteren Messgrößen der Serumchemie – 238
18.3.1 18.3.2
Enzyme und weitere Stoffwechselmessgrößen – 239 Organsysteme – 240
18.4
Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung – 241
18.4.1 18.4.2
Überwachung des blutbildenden Systems – 241 Überwachung der Gerinnung – 241
18.5
Überwachung des Hormonhaushaltes – 244
18.5.1 18.5.2 18.5.3
Kortisol – 244 Schilddrüsenhormone – 244 Wachstumshormon und Gonadotropine – 244
18.6
Fehlermöglichkeiten von Laborbestimmungen – 245
18.7
Überwachung des Stoffwechsels – 245
18.7.1 18.7.2
Stoffwechseladaptation bei kritisch Kranken – 245 Grundzüge und Monitoring der Ernährung – 246
Literatur – 248
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_18, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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236
Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
18.1
Überwachung des Wasserund Elektrolytstoffwechsels
Etwa 50 % des Körpergewichts bei Männern und 60 % bei Frauen besteht aus Wasser, wovon 2/3 intrazellulär lokalisiert sind. Die Regulation der Flüssigkeitszufuhr erfolgt über den Durst, während die Ausfuhr neben Verlusten über Schwitzen und Oxidationswasser hauptsächlich über die Niere reguliert wird. Der Hydratationszustand des Körpers hängt hierbei von seiner Natriummenge ab, während die Osmolalität über das antidiuretische Hormon gesteuert wird (. Tab. 18.1). Bei Intensivpatienten findet einerseits häufig eine Sollwertverstellung der Regelkreise statt, andererseits können möglicherweise Kompensationsmechanismen bei intensivpflichtigen Patienten, z. B. durch Fehlen von Durst, eingeschränkte Nierenfunktion sowie durch die Menge und Art der zugeführten Infusionslösungen nicht greifen. Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes sind daher bei kritisch kranken Patienten häufig.
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18.1.1
Natrium
Das Serumnatrium wird entweder flammenphotometrisch oder mittels natriumselektiver Elektroden bestimmt. Eine Hyponatriämie ist die häufigste Elektrolytstörung, wobei zur weiteren Differenzierung die Serumosmolalität bestimmt werden sollte. Iso- und hyperosmolare Hyponatriämien kommen durch eine Ingestion von isotonen natriumarmen Flüssigkeiten oder durch die Anwesenheit osmotisch wirksamer Substanzen wie Mannit oder Glukose zustande. So führt eine Erhöhung des Blutzuckers um 100 mg/dl zu einer Erniedrigung des Serumnatriums um etwa 2 mmol/l. Die meisten Hyponatriämien sind hypoosmolar und werden anhand des Volumenstatus des Patienten in hyper-, iso- und hypovolämische Formen unterschieden. Ursache einer isovolämischen hypoosmolaren Hyponatriämie ist im Wesentlichen das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH), wobei die Sollwertverstellung des Regelkreislaufs zu einer ADH-Ausschüttung mit Wasserretention und erhöhter Urinosmolalität trotz erniedrigtem Serumnatrium und Osmolalität führt. Die hypovolämischen hypoosmolaren Hyponatriämien sind durch einen Natriumverlust gekennzeichnet, der stärker als der Wasserverlust ist und z. B. durch Thiaziddiuretika, Aldosteronmangel oder Diarrhöen ausgelöst werden kann. Dagegen haben Patien-
. Tab. 18.1 Osmo-/Wasser-Regulation und Volumen-/NatriumRegulation. (Nach [12]) Osmoregulation
Natriumregulation
Kontrolliert werden:
Plasmaosmolalität
Effektives extrazelluläres Volumen
Sensoren
Hypothalamische Osmorezeptoren
Carotissinus, afferente renale Arteriolen, Vorhöfe
Effektoren
ADH-Freisetzung, Durstempfinden
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, Sympathikus, ANP, auch ADH
Reguliert werden:
Urinosmolalität, Trinkverhalten (über Durstempfinden)
Urinnatriumausscheidung
ten mit hypervolämischen hypoosmolaren Hyponatriämien Ödeme, aber gleichzeitig einen intravasalen Volumenmangel. Dies führt einerseits zu einer Aktivierung des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems (RAAS) mit erhöhter Natriumresorption, andererseits zu einer verstärkten ADH-Sekretion mit Wasserresorption, wobei die Wasserresorption relativ überwiegt und eine Dilutionshyponatriämie resultiert (. Abb. 18.1). Dies ist beispielsweise bei Leberzirrhose, Herzinsuffizienz oder nephrotischem Syndrom der Fall [21]. Eine Hypernatriämie kann beispielsweise durch eine fehlende ADH-Wirkung (zentraler oder renaler Diabetes insipidus) mit resultierender Wasserdiurese verursacht werden. Eine mangelnde Flüssigkeitszufuhr oder die Infusion natriumhaltiger Infusionen, z. B. Natriumbikarbonat, führt nur bei Patienten mit fehlendem Durstempfinden, z. B. aufgrund von Sedierung oder zerebralen Prozessen, zu einer klinisch relevanten Hypernatriämie.
18.1.2
Osmolalität
Die Osmolalität in Serum und Urin gibt die Konzentration osmotisch aktiver Teilchen in 1 kg Flüssigkeit an und wird durch eine Gefrierpunkterniedrigung mittels Osmometer bestimmt. Die Plasmaosmolalität ist wesentlich zur Beurteilung des Hydratationszustandes (. Tab. 18.1), setzt sich normalerweise aus den Konzentrationen von Elektrolyten, Harnstoff und Glukose zusammen und kann nach der folgenden Formel errechnet werden:
18 18 18 18 18 18 18 18
. Abb. 18.1 Osmoregulation und Volumenregulation über ADH und das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS)
237 18.1 · Überwachung des Wasser- und Elektrolytstoffwechsels
mosmol/kg = 2 * Na [mmol/l] + Glukose [mmol/l] + Harnstoff [mmol/l]
Bei einer Abweichung der errechneten von der gemessenen Osmolalität liegt eine osmotische Lücke vor, die durch andere osmotisch aktive Teilchen, z. B. bei Stoffwechselentgleisungen mit Laktatproduktion oder bei Vergiftungen, hervorgerufen wird. Die Osmolalität von Serum und Urin muss in der Zusammenschau mit dem Serumnatrium (7 Abschn. 18.1.1) interpretiert werden.
18.1.3
meist in ihrer diagnostischen Aussage. Veränderungen des ionisierten Anteils können jedoch durch Verschiebungen des pH-Werts und der Höhe des Proteinanteils im Blut verursacht sein. So führt eine Alkalose, z. B. bei Hyperventilation, zu einer Erniedrigung des ionisierten Kalziums. Zur Beurteilung des ionisierten Anteils bei Veränderungen des Proteinanteils kann das Gesamtkalzium nach der Formel von Payne auf einen Albuminwert von 40 g/l standardisiert werden:
Korrigiertes Kalzium [mmol/l] = gemessenes Kalzium [mmol/l] – (0,025*Albumin [g/l]) + 1,0
Kalium
Das Serumkalium wird analog zur Natriumbestimmung flammenphotometrisch oder mit Hilfe einer kaliumsensitiven Elektrode gemessen. Falsch erhöhte Werte kommen aufgrund der hohen Kaliumkonzentration der Erythrozyten durch Hämolyse der Probe, aber auch durch zu langes Stauen der Venen bei der Blutabnahme durch eine muskuläre Kaliumfreisetzung zustande. 98 % des Kaliums befinden sich intrazellulär, der extrazelluläre Anteil wird renal reguliert. Veränderungen des Serumkaliums werden daher entweder durch eine Verschiebung zwischen intra- und extrazellulärem Raum oder aufgrund einer veränderten renalen Kaliumausscheidung verursacht, selten können auch gastrointestinale Kaliumverluste auftreten. Kalium wird nach intrazellulär über die Na+-K+-ATPase aufgenommen, bei extrazellulärer Azidose steht jedoch aufgrund des Austauschs von Na+ und H+ weniger extrazelluläres Na zur Verfügung, K+ verbleibt im Extrazellulärraum, und es entsteht eine Hyperkaliämie. Insulin und Katecholamine stimulieren die Na+K+-ATPase, was zu einer erhöhten Aufnahme von K+ in die Zelle führt und therapeutisch mit der Gabe von Insulin und Glukose bei Hyperkaliämie genutzt wird. Hyperkaliämien sind überwiegend durch Nierenfunktionseinschränkungen verursacht und gehen dann laborchemisch mit einem Anstieg von Kreatinin und Harnstoff einher. Insbesondere in der Intensivmedizin ist ursächlich auch an eine Nebenniereninsuffizienz mit verminderter Aldosteronwirkung, an einen Insulinmangel mit Hyperglykämie und eine akute Azidose zu denken. Hypokaliämien lassen sich anhand der Kaliumausscheidung im Urin klassifizieren, hierbei weist eine Ausscheidung unter 15 mmol/ Tag auf enterale Flüssigkeitsverluste oder eine Kaliumverschiebung nach intrazellulär, z. B. bei Alkalose, hin. Ausscheidungen über 25 mmol/Tag sprechen für einen renalen Kaliumverlust, wobei im Bereich der Intensivmedizin eine Diuretikatherapie, chronische Nephritiden und eine polyurische Phase nach akutem Nierenversagen häufige Ursachen darstellen. Differenzialdiagnostisch sollte jedoch auch eine Aldosteronüberproduktion, z. B. bei einem ConnSyndrom, in Erwägung gezogen werden.
Etwa 98 % des Gesamtkalziums liegen im Knochen als Kalziumphosphatsalze vor. Die Regulation von Kalzium und Phosphat erfolgt über Parathormon und Vitamin D. Zur Beurteilung einer Störung des Kalziumstoffwechsels muss daher zumindest auch die Bestimmung des Phosphats erfolgen. Verminderungen des Gesamtkalziums aufgrund pathologischer Albuminkonzentrationen sind häufig auf einer Intensivstation. Weitere häufigere Ursachen einer Hypokalzämie sind akute Pankreatitiden und Diuretika. Eine Hypokalzämie kann auch auf einen sekundären Hyperparathyreoidismus bei chronischer Niereninsuffizienz hinweisen. Hyperkalzämien finden sich beispielsweise bei Knochenmetastasen, paraneoplastisch über eine Ausschüttung parathormonähnlicher Peptide, bei Immobilisationsosteoporosen, bei einem primären Hyperparathyreoidismus, Vitamin-D-Intoxikation, Sarkoidose und unter Therapie mit Thiaziddiuretika.
18.1.5
Die Messung von anorganischem Phosphat erfolgt durch Überführung in einen Molybdänsäurekomplex und anschließender photometrischer Bestimmung. Etwa 1 g Phosphat wird täglich über das Duodenum und Jejunum aufgenommen und über die Nieren ausgeschieden. Phosphat ist hauptsächlich im Skelettsystem gespeichert und dient als Baustein für die energiereichen Phosphatverbindungen ATP und GTP. Parathormon senkt den Phosphatspiegel, während Vitamin D den Spiegel erhöht. Störungen der Phosphatserumspiegel sind bei Intensivpatienten häufig. Hyperphosphatämien treten hauptsächlich bei Nierenfunktionseinschränkungen auf, während Hypophosphatämien eher bei Sepsis, respiratorischer Alkalose, parenteraler Ernährung und kontinuierlicher Hämofiltration vorkommen und zu Kardiomyopathien, respiratorischer Insuffizienz und Funktionsstörungen des Nervensystems führen [7]. Das Monitoring des Phosphatspiegels mit entsprechender Substitution erscheint daher bei intensivpflichtigen Patienten sinnvoll.
18.1.6 18.1.4
Phosphat
Chlorid
Kalzium
Etwa 50 % des Serumkalziums liegt in ionisierter Form vor, welches den biologisch aktiven Anteil darstellt. 45 % des Kalziums ist an Proteine gebunden, wobei die Bindung überwiegend an Albumin erfolgt, und weitere 5 % liegt an Anionen gebunden vor. Das Gesamtkalzium kann flammenphotometrisch, photometrisch oder mittels Atomabsorptionsspektroskopie gemessen werden, während das ionisierte Kalzium durch kalziumsensitive Elektroden bestimmt wird. Das Gesamtkalzium und das ionisierte Kalzium entsprechen sich
Die Bestimmung von Chlorid kann photometrisch, coulometrisch oder über selektive Elektroden erfolgen. Chlorid stellt das Gegenion des Natriums dar (7 Abschn. 18.1.1) und folgt diesem passiv. Aus Gründen der Elektroneutralität muss darüber hinaus die Chloridkonzentration abnehmen, wenn andere negativ geladene Ionen vermehrt sind, z. B. bei einer metabolischen Alkalose mit Zunahme des Bikarbonats. Eine Zunahme anderer negativ geladener Ionen kann mit der sog. Anionenlücke berechnet werden:
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Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
Anionenlücke = Na+ [mmol/l] – Cl– [mmol/l] – HCO3– [mmol/l] (Referenzbereich 8–16 mmol/l)
Eine vergrößerte Anionenlücke kann durch ein erhöhtes Laktat, durch Ketonkörper und Vergiftungen auftreten. Eine routinemäßige Bestimmung von Chlorid ist bei gleichzeitigem Monitoring von Natrium, Blutgasen und Laktat nicht notwendig.
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18.1.7
Magnesium
Magnesium wird mittels Atomabsorptionsspektroskopie oder photometrisch gemessen. Nur etwa 1 % des Körperbestandes findet sich im Serum. Magnesium ist das zweithäufigste intrazelluläre Kation und liegt dort überwiegend an ATP gebunden vor. Durch Aktivierung der Na+-K+-ATPase senkt Magnesium den Kaliumspiegel und hemmt die intrazelluläre Kalziumbereitstellung. Hypomagnesiämien können beispielsweise bei parenteraler Ernährung, Polyurie und akuter Pankreatitis auftreten und mit Herzrhythmusstörungen und neuromuskulären Symptomen einhergehen [20]. Hypermagnesiämien finden sich überwiegend bei chronischer Niereninsuffizienz. Symptome wie Muskelschwäche oder Bradykardie treten erst bei hohen Serumspiegeln auf und sind selten. Pharmakologisch wird Magnesium auch bei normalen Serumspiegeln in der Intensivmedizin zur Therapie von Herzrhythmusstörungen und Muskelkrämpfen eingesetzt.
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18.2
Überwachung des Säure-Basen-Haushaltes
Im Körper fallen große Mengen an Säuren an, die mit Puffersystemen transportiert und über die Lunge und Niere ausgeschieden werden. Das Stoffwechselendprodukt CO2 ist eine flüchtige Säure, die zum Teil physikalisch im Blut gelöst und zum Teil an Hämoglobin gebunden ist. Ein weiterer Teil wird im Erythrozyten durch die Carboanhydrase in H2CO3 umgewandelt, welches vollständig in H+ und Bikarbonat dissoziiert. Die entstehenden H+-Ionen werden an Hämoglobin gebunden. In der Lunge entsteht aus den gebundenen H+-Ionen und Bikarbonat wieder CO2, das zusammen mit dem physikalisch gelösten und an Hämoglobin gebundenen CO2 abgeatmet wird [2]. Durch anaerobe Glykolyse entsteht im Stoffwechsel Milchsäure, die bei einem physiologischen pH-Wert vollständig zu H+-Ionen und Laktat dissoziiert. H+ wird an die Bikarbonatpuffersysteme im Blut gebunden, während Laktat zur Leber transportiert und dort unter H+-Verbrauch wieder zu Milchsäure umgebaut wird. Hierbei entsteht Bikarbonat, das in der Lunge zusammen mit H+ wieder als CO2 abgegeben werden kann. Bei Leberinsuffizienz erfolgt die Umwandlung in Bikarbonat nicht in ausreichendem Maß, und die H+Ionen akkumulieren. Die Ausscheidung muss dann über die Niere erfolgen, die im Vergleich zur Lunge eine deutlich geringere Eliminationskapazität aufweist. Die Blutgasanalyse ermittelt üblicherweise die Werte für den Kohlendioxidpartialdruck pCO2, den pH-Wert und den Sauerstoffpartialdruck pO2. Nach der Henderson-Hasselbalch-Gleichung:
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pH = 6,1 + log
[HCO3–] [0,03 * pCO2]
. Abb. 18.2 Nomogramm zur Beurteilung des Säure-Basen-Haushaltes. Der Schnittpunkt zwischen der Verbindungslinie »Nullpunkt – Aktuelle Bikarbonatkonzentration« und der horizontalen Linie auf Höhe des aktuellen pH-Werts ergibt die Diagnose. Die Straßen reflektieren den Streubereich primärer Saure-Basen-Veränderungen (N Normbereich). (Aus [2])
kann aus diesen Werten das Bikarbonat errechnet werden. Die Basenabweichung (»base excess«, BE) gibt an, wieviel mmol an Base oder Säure titriert werden muss, um einen pH-Wert von 7,4 und einen pCO2 von 40 mm Hg zu erreichen. Der BE errechnet sich aus: BE [mmol/l] = (HCO3– – 24,6) + 16,2 * (pH – 7,4)
Anhand des pH-Wertes, des Bikarbonats und des pCO2 kann ermittelt werden, ob eine primär respiratorische, eine primär metabolische oder eine gemischte Störung vorliegt (. Abb. 18.2). Metabolische Störungen werden respiratorisch kompensiert, was zu einer gleichsinnigen Veränderung von pH-Wert, Bikarbonat und kompensatorisch von pCO2 führt. Respiratorische Störungen führen zu einer metabolischen Kompensation, die jedoch langsamer als eine respiratorische Kompensation abläuft und mehrere Tage beanspruchen kann. Diese Mechanismen erfordern eine Funktionsfähigkeit des kompensierenden Organs, also der Lunge oder der Niere.
18.3
Überwachung von Organsystemen mittels Enzymdiagnostik und weiteren Messgrößen der Serumchemie
Die Bestimmung von Enzymen im Serum ermöglicht Rückschlüsse auf Schädigungen verschiedener Organsysteme, die sowohl primär im Rahmen der Grundkrankheit als auch sekundär im Rahmen der Intensivtherapie auftreten können. Die Höhe des Enzymanstiegs, der Zeitverlauf sowie das Verhältnis der Enzyme zueinander können einerseits den Ort der Schädigung lokalisieren und andererseits auch Hinweise auf die Ätiologie der Schädigung geben.
239 18.3 · Überwachung von Organsystemen mittels Enzymdiagnostik und weiteren Messgrößen der Serumchemie
18.3.1
Enzyme und weitere Stoffwechselmessgrößen
Transaminasen (ASAT, ALAT/GOT, GPT) Die Glutamat-Oxalazetat-Transaminase (GOT, auch AspartatAminotransferase = ASAT) katalysiert die Übertragung der 2-Aminogruppe von Aspartat auf 2-Oxoglutarat, während die GlutamatPyruvat-Transaminase (GPT, auch Alanin-Aminotransferase = ALAT) die 2-Aminogruppe von Alanin auf 2-Oxoglutarat überträgt. Die Bestimmung beider Enzyme erfolgt meist mittels eines kinetischen UV-Tests, bei der die Produkte Oxalazetat bzw. Pyruvat enzymatisch unter Verbrauch von NADH2 umgesetzt werden. Die Transaminierungsreaktionen sind an der Synthese und dem Umbau von Aminosäuren beteiligt und finden in Leber sowie Skelett- und Herzmuskulatur statt. Die GOT hat in allen diesen Organen eine hohe spezifische Aktivität, ist überwiegend mitochondrial lokalisiert und hat eine Halbwertszeit von 17 h, während die GPT, ein zytoplasmatisches Enzym, überwiegend in der Leber lokalisiert ist und eine Halbwertszeit von 47 h aufweist. Akute und chronische Schädigungen der Leber führen zu einem Anstieg von GOT und GPT, während Schädigungen der Herzund Skelettmuskulatur überwiegend einen Anstieg der GOT verursachen (7 Abschn. 18.3.2).
Alkalische Phosphatase (AP), γ-GlutamylTransferase (γ-GT) Die im Serum bestimmte alkalische Phosphatase (AP) besteht aus verschiedenen genetisch determinierten Isoenzymen, die in weitere postgenetische Formen unterteilt werden können. Bei Gesunden stammt die Serum-AP überwiegend aus Leber und Knochen, die Dünndarm- und Gallengangs-AP sind normalerweise klinisch zu vernachlässigen. Sehr hohe AP-Werte sprechen für eine KnochenAP. Die Differenzierung der Isoenzyme sollte jedoch speziellen Fragestellungen vorenthalten bleiben, weil die Bestimmung weiterer Enzyme (z. B. γ-GT) schneller und klinisch sinnvoller ist. Die γ-Glutamyl-Transferase (γ-GT) findet sich an den Zellmembranen von Hepatozyten, in geringerer Menge auch auf anderen sekretorisch aktiven Epithelien. Die Halbwertszeit liegt bei 9–20 h, die Ausscheidung erfolgt biliär. Die hepatische Synthese kann durch Cholestase, Alkoholgenuss und Medikamente, z. B. Phenytoin, induziert werden. Dieser Mechanismus wird auch für die Erhöhung der γ-GT durch Lebertumoren, bei Regeneration und bei tumorbedingter Kompression normalen Lebergewebes verantwortlich gemacht.
Bilirubin, Cholinesterase Der überwiegende Teil des Bilirubins entsteht durch den Abbau von Hämoglobin, ein geringerer Teil durch den Abbau anderer Hämhaltiger Proteine. Unkonjugiertes Bilirubin liegt im Serum an Albumin gebunden vor, welches in den Hepatozyten auf intrazelluläre Transportproteine übertragen, anschließend glukuronidiert und in einem energieabhängigen Prozess in die Galle ausgeschieden wird. Glukuronidiertes, direktes Bilirubin ist gut wasserlöslich und findet sich normalerweise nicht im Serum, das Auftreten weist auf eine Cholestase oder eine akute Schädigung des Leberparenchyms hin. Im Darm wird glukuronidiertes Bilirubin teilweise bakteriell in Urobilinogen umgewandelt, das im enterohepatischen Kreislauf reabsorbiert wird, ein Teil wird über die Niere ausgeschieden. Anhand des Verhältnisses zwischen konjugiertem und unkonjugiertem Bilirubin kann die Ursache einer Hyperbilirubinämie meist als prä-, intra- oder posthepatisch eingestuft werden.
Die im Serum gemessene Cholinesterase (CHE)-Aktivität entstammt fast ausschließlich der Pseudocholinesterase, die in der Leber synthetisiert wird und die freie Cholinkonzentration steuert. Die Halbwertszeit beträgt 5–12 Tage. Die CHE-Synthese ist an die Albuminsynthese gekoppelt, weshalb die Beurteilung pathologischer Werte in Zusammenhang mit dem Serumalbumin erfolgen muss. Eine gleichsinnige Erniedrigung weist auf eine Leberschädigung, eine (reaktive) Erhöhung der CHE bei erniedrigtem Albumin auf einen renalen oder enteralen Eiweißverlust hin. Eine Erniedrigung der CHE bei normalem Albumin kann auf eine atypische Form der Cholinesterase, die zu einer verlängerten Wirkung von Succinylcholin führen kann, oder auf eine Intoxikation, z. B. mit Alkylphosphaten, hinweisen.
Laktat-Dehydrogenase (LDH), HydroxybutyratDehydrogenase (HBDH) Die Laktat-Dehydrogenase (LDH) ist eine zytosolisch lokalisierte, ubiquitär verbreitete Enzymfamilie, welche die Reaktion von Laktat zu Pyruvat katalysiert. Es werden 5 Isoenzyme unterschieden, die unterschiedliche Gewebsverteilung und Halbwertszeiten haben.Die Hydroxybutyrat-Dehydrogenase (HBDH) entspricht der LDH1. Eine Erhöhung der LDH kann anhand der Isoenzyme in ein anodisches Muster (LDH1/LDH2; aus Myokard, Erythrozyten und Niere), ein kathodisches Muster (LDH4/LDH5; Leber, Skelettmuskel und maligne Gewebe) und ein intermediäres Muster (LDH3; lymphatische Gewebe, Thrombozyten, maligne Gewebe) unterschieden werden. Erhöhungen der LDH finden sich bei einem erhöhten Zelluntergang. Bei der Klärung der Herkunft helfen die Bestimmungen weiterer Enzyme und das klinische Bild. Eine Differenzierung der Isoenzyme ist nur in seltenen Fällen indiziert.
Kreatinkinase (CK) Die Kreatinkinase ist durch die mitochondriale Synthese von Kreatinphosphat wesentlich an der Energieversorgung der Gewebe beteiligt. Es lassen sich die Isoenzyme CK-MM (Skelettmuskulatur), CK-MB (Myokard) und CK-BB (Gehirn) abgegrenzen. Eine Makro-CK kann durch Bindung spezifischer Immunglobuline an die CK-MM entstehen (Makro-CK Typ 1), eine andere Möglichkeit ist die Bildung von Oligomeren der selteneren CK-MiMi (MakroCK Typ 2). Die Bestimmung der Gesamt-CK erfolgt enzymatisch, während die Bestimmung der CK-MB durch einen Immuninhibitionstest erfolgt. Hierbei werden die CK-M-Untereinheiten im Messansatz durch Antikörper gehemmt und die verbleibende Restaktivität gemessen. Diese entspricht normalerweise der CK-B und wird dann für die Angabe der CK-MB-Aktivität mit 2 multipliziert. Bei Vorliegen einer nicht hemmbaren Makro-CK ist die berechnete Aktivität der CK-MB falsch zu hoch und teilweise höher als die Gesamt-CK. Erhöhte CK-Werte finden sich bei Schädigungen der Skelettund der Herzmuskulatur, wobei ein Anteil der CK-MB von >6 % als beweisend für eine myokardiale Ursache gilt. Schwere Erkrankungen einschließlich maligner Tumoren, hämatologischer und zerebraler Erkrankungen können bei gleichzeitig vorliegender Störung der Blut-Hirn-Schranke ebenfalls zu einer CK-Erhöhung führen.
Lipase, Amylase Die Lipase wird in den pankreatischen Azinuszellen sezerniert und tritt bei einer Permeabilitätsstörung, ausgelöst durch eine Pankreatitis, in das Blut über. Nach einem Schmerzereignis dauert es etwa 6 h, bis eine Erhöhung der Lipase im Serum zu finden ist. Amylasen werden im Pankreas und Speichel und in geringerem Umfang auch im Ovar und Eileiter gebildet. Die Bestimmung im Serum ist daher weniger selektiv als die Bestimmung der Lipase,
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Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
Erhöhungen werden auch bei Parotitis, Salpingitis und Extrauteringravidität gefunden. Die Bestimmung der Lipase und Amylase ist bei wachen Patienten nur zur Abklärung abdomineller Schmerzen und nicht als Screening-Untersuchung geeignet. Bei sedierten Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Pankreatitis kann jedoch eine häufigere Bestimmung der Lipase oder Amylase sinnvoll sein.
Kreatinin und Harnstoff
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Kreatinin ist das Abbauprodukt des energiereichen Kreatinphosphats, das in der Muskulatur gespeichert wird. Die Kreatininmenge im Organismus ist daher von der Muskelmasse abhängig. Kreatinin wird fast vollständig glomerulär filtriert und kann daher zur Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) herangezogen werden. Aufgrund der hyperbolen Kurve zwischen Kreatinin und GFR bleibt der Kreatininwert jedoch bis zu einer 50 %igen Einschränkung der GFR im Normbereich. Zu einer genaueren Abschätzung der GFR können weitere Faktoren einberechnet werden, die auf die Kreatininkonzentration Einfluss haben. Hierzu gehört eine mittlerweile weit verbreitete Formel, die in der MDRD-Studie (Modification of Diet in Renal Disease) evaluiert wurde und neben dem Kreatininwert Alter, Geschlecht und Hautfarbe einbezieht. Der GFR-Wert nach MDRD ist jedoch bei kritisch kranken Patienten bislang nicht evaluiert. Zudem kann durch einen niedrigeren Kreatininwert bei längerem Intensivaufenthalt und Katabolismus mit reduzierter Muskelmasse die GFR deutlich überschätzt werden. Die errechnete Kreatininclearance ist bei Intensivpatienten genauer, sie ist in 7 Abschn. 18.3.2 dargestellt. Die Begriffe Harnstoff und Harnstoff-N (BUN, »blood urea nitrogen«) werden oft nebeneinander benutzt, wobei der Harnstoff aus dem Harnstoff-N berechnet werden kann (7 Abschn. 18.7.2). Harnstoff ist das Endprodukt des Protein- und Aminosäurenabbaus, das in der Leber gebildet und über die Nieren ausgeschieden wird. Während die Rückresorption im proximalen Tubulus unabhängig von der Flussrate des Primärharns ist, steigt die Resorption im distalen Tubulus unter Antidiurese. Dies erklärt den stärkeren Anstieg von Harnstoff im Vergleich zu Kreatinin bei reduzierter Urinmenge, und zwar sowohl bei chronischer Niereninsuffizienz als auch bei Exsikkose. Die Harnstoffkonzentration im Serum wird neben der renalen Ausscheidung von Harnstoff durch die Bildungsrate in der Leber bestimmt. Eine katabole Stoffwechsellage führt zu einem stärkeren Anfall von Stickstoff aus dem Abbau von Strukturproteinen und damit zu erhöhten Harnstoffwerten (7 Abschn. 18.7.2). Andererseits hat eine Einschränkung der Lebersyntheseleistung eine reduzierte Harnstoffproduktionsrate und damit niedrigere Serumspiegel zur Folge.
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18.3.2
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Herz und Kreislauf, Muskulatur
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Organsysteme
Als spezifische kardiale Laborparameter werden die CK-MB (7 Abschn. 18.3.1), die Troponine sowie das »brain natriuretic peptide« (BNP) angesehen. Bei einem Myokardinfarkt findet sich in der Reihenfolge des Auftretens eine Erhöhung des Troponins, gefolgt von einer CK-Erhöhung mit erhöhtem relativem CK-MB-Anteil (>6 %) und einer Erhöhung der Transaminasen mit führender GOT (De-Ritis-Quotient [GOT/GPT] >1; 7 Abschn. 18.3.1). Eine akute Rechts- oder Linksherzbelastung kann jedoch ebenfalls zu einem Anstieg des Troponins und über eine Leberstauung zu einem Transaminasenanstieg führen.
Zur Klärung der Ursache von Dyspnoe kann das BNP beitragen, da kardiale Ursachen bei Werten >500 μg/ml wahrscheinlich sind [15]. Lungenembolien gehen bei Rechtsherzbelastung mit einer Erhöhung von Troponin und BNP einher, laborchemisch ist hier v. a. die Erhöhung der D-Dimere relevant. Erkrankungen der Skelettmuskulatur sind häufig mit Erhöhungen der CK assoziiert, jedoch können insbesondere endokrine Myopathien ohne CK-Erhöhung bleiben. Für rheumatologische Ursachen einer Myopathie ist als Suchtest die Bestimmung der antinukleären Antikörper (ANA) geeignet.
Leber Akute Lebererkrankungen wie beispielsweise akute Hepatitiden gehen mit einer Erhöhung der Transaminasen einher, wobei die zytoplasmatische Schädigung bei akuten Virushepatitiden ausgeprägt und daher die GOT niedriger als die GPT ist (De-Ritis-Quotient <0,7). Stärkere, oft irreversible Schädigungen der Hepatozyten, z. B. bei chronischen Hepatitiden, führen zu einem De-Ritis-Quotienten >1. Ein toxischer Leberschaden, z. B. bei einer Paracetamol- oder Amantidin-Intoxikation, oder eine akute Hypoxie, z. B. bei Schock oder Leberinfarkt, führen aufgrund der massiven Zellschädigung neben einem hohen De-Ritis-Quotienten auch zu einem starken Anstieg der LDH und der GLDH. Erkrankungen der ableitenden Gallenwege, z. B. Verschlussikterus, sowie cholestatische Verläufe von Virushepatitiden sind mit einer stärkeren Erhöhung der AP, γ-GT und des Bilirubins assoziiert.
Gastrointestinaltrakt Gastrointestinale Störungen gehen oft mit Elektrolytveränderungen und Veränderungen des Säure-Basen-Haushalts einher. Zum Beispiel können Diarrhöen zu Hypokaliämien führen und Malabsorptionssyndrome einen Mangel an Vitaminen und Spurenelementen hervorrufen. Durchblutungsstörungen des Darms, z. B. bei Mesenterialinfarkt oder hohen Katecholamindosen, sind durch eine vermehrte Laktatbildung mit konsekutiver Laktatazidose gekennzeichnet.
Niere und Harnwege Eine Einschränkung der Nierenfunktion ist entweder auf ein akutes Nierenversagen oder eine vorbestehende chronische Niereninsuffizienz zurückzuführen, die sich im Rahmen der intensivpflichtigen Erkrankung verschlechtern kann. Ein akutes prärenales Nierenversagen ist oft mit anderen Schockorganen, z. B. einer Schockleber, assoziiert. Durch die hypoxische Tubulusschädigung ist häufig auch eine intrarenale Komponente beteiligt (7 Kap. 61). Die Beurteilung der Nierenfunktion ist für die Auswahl und Dosierung einer Vielzahl von Medikamenten, insbesondere Antibiotika und Chemotherapeutika, wichtig. Zur Abschätzung ist die Bestimmung von Kreatinin und Harnstoff (7 Abschn. 18.3.1) geeignet. Zur Abklärung der Genese einer Nierenfunktionseinschränkung sollte ein Urinsediment angefertigt werden. Eine Bakteriurie und Leukozyturie ist in der Regel auf einen Harnwegsinfekt zurückzuführen, Erythrozyten im Sediment können auf eine Pyelo- oder Glomerulonephritis, Blutungen und Tumoren im Urogenitaltrakt hinweisen. Der Nachweis von Zylindern im Sediment zeigt in der Regel eine renale Ursache der Störung an. Die Bestimmung der Urinosmolalität und des Urinnatriums kann zur Abklärung eines Diabetes insipidus bei Polyurie und zur Differenzialdiagnose der Oligurie beitragen. Bei Exsikkose oder hepatorenalem Syndrom liegt eine Konzentration des Urins mit hoher Urinosmolalität und niedrigem Urinnatrium vor, während bei akutem Nierenversagen, z. B. bei akuter
241 18.4 · Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung
Tubulusnekrose, aufgrund der eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit die Urinosmolalität niedrig und das Urinnatrium hoch ist. Die Bestimmung einer Proteinurie mit Ausscheidung von >150 mg Eiweiß/24 h oder einer Abweichung vom physiologischen Proteinuriemuster ist eine weitere nephrologische Standarddiagnostik auf der Intensivstation. Zur großmolekularen glomerulären Proteinurie wird die selektiv-glomeruläre Proteinurie (überwiegende Ausscheidung von Albumin und Transferrin) gezählt, die bei leichten glomerulären Schäden wie z. B. der »minimal-changenephritis« vorkommt, und die unselektiv-glomeruläre Proteinurie (Ausscheidung von IgG und Albumin), die bei schweren glomerulären Schäden auftritt. Kleinmolekulare tubuläre Proteine, wie das niedermolekulare β2-Mikroglobulin, finden sich bei tubulären Läsionen. Klein- und großmolekulare Proteine treten bei chronischen Glomerulonephritiden, Transplantatnieren und Nephrosklerose auf. Zur prärenalen Proteinurie zählen die Myoglobinurie nach Muskeltrauma, die Hämoglobinurie bei hämolytischer Krise und die Bence-Jones-Proteinurie bei monoklonaler Gammopathie, da hierbei die tubuläre Rückresorptionskapazität überschritten wird und es zum Überlaufen dieser Proteine in den Urin kommt. Die Mikroalbuminurie stellt ein typisches Frühsymptom einer diabetischen oder hypertensiven Nephropathie dar. Die glomeruläre Filtration kann durch Bestimmung der Kreatininclearance ermittelt werden, wodurch bereits schon leichte Funktionseinschränkungen der Nieren erkannt werden können und auch der Verlauf nach Nierenversagen beurteilt werden kann. Hierbei wird die Kreatininkonzentration im Serum und im Sammelurin (24 h) bestimmt:
C [ml/min] = U S UV t
U x UV Sxt
= Kreatininkonzentration im Urin = Kreatininkonzentration im Serum = Urinvolumen in 24 h = Sammelzeit [min] (24x60=1440)
Rheumatologische Erkrankungen Rheumatologische Erkrankungen mit hoher entzündlicher Aktivität weisen meist ein erhöhtes CRP auf. Markerantikörper für Kollagenosen und den systemischen Lupus erythematodes sind antinukleäre Antikörper (ANA). Für systemische Vaskulitiden einschließlich dem Goodpasture-Syndrom und dem M. Wegener lassen sich Antineutrophilenantikörper (ANCA), für die rheumatoide Arthritis Rheumafaktoren (RF) und Anticitrullinantikörper, (AntiCCP) sowie für das Antiphospholipidsyndrom Anticardiolipin und Lupusantikoagulans nachweisen. Der M. Still und hämophagozytische Syndrome sind durch sehr hohe Ferritinwerte gekennzeichnet.
18.4
Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung
> Die Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Labordiagnostik von Intensivpatienten.
18.4.1
Überwachung des blutbildenden Systems
Erythrozytenzahlen und Hb-Werte ober- oder unterhalb der 2-fachen Standardabweichung eines Normalkollektivs werden als Polyglobulien bzw. Anämien bezeichnet. Der Hb-Wert und der Hämatokrit verhalten sich in der Regel gleichsinnig mit der Erythrozytenzahl. Alle diese Parameter sind auf ein definiertes Blutvolumen bezogen und ändern sich daher bei einem gleichzeitigen Verlust der anderen Blutbestandteile, wie z. B. bei akuten Blutungen, zunächst nicht, obwohl die Erythrozytenmasse des Körpers abnimmt. Andererseits verursachen Änderungen des Plasmavolumens, z. B. bei Hämokonzentration oder -dilution, eine Änderung der Erythrozytenzahl trotz gleich bleibender Erythrozytenmasse des Körpers, was als relative Anämie oder Polyglobulie bezeichnet wird. Anämien können anhand ihrer Genese in hypo- und hyperregenerative Anämien eingeteilt werden. Hyperregenerative Anämien haben als Zeichen einer verstärkten reaktiven Blutbildung im Knochenmark eine erhöhte Ausschwemmung von Retikulozyten in das periphere Blut. Dies kann bei Blutungsanämien und Anämien mit intravasaler Hämolyse nachgewiesen werden. Bei Letzteren findet sich laborchemisch eine Erhöhung der LDH als Zeichen des Zellumsatzes, ein erhöhtes (indirektes) Bilirubin sowie ein erniedrigtes Haptoglobulin und ggf. Hämopexin durch die Bindung von Hämoglobin. Je nach Genese der Hämolyse können Erythrozytenantikörper mittels Coombs-Test nachgewiesen werden. Bei hyporegenerativen Anämien finden sich diese Laborveränderungen in der Regel nicht. Diese sind durch eine verminderte oder normale Retikulozytenzahl gekennzeichnet. Die Erythrozytenindizes zeigen das mittlere korpuskuläre Erythrozytenvolumen (MCV) und das mittlere korpuskuläre Erythrozytenhämoglobin (MCH) an und können auf die Ätiologie einer hyporegenerativen Anämie, z. B. einen Eisen- oder Folsäuremangel, hinweisen. Anämien sind bei intensivpflichtigen Patienten häufig. Eine europäische Studie [23] untersuchte den durchschnittlichen Blutverlust durch Blutabnahmen und die Häufigkeit einer Anämie bei 1136 Patienten auf 145 westeuropäischen Intensivstationen. Die Blutabnahmen hatten ein durchschnittliches Volumen von 40 ml/ Tag. Etwa 30 % der Patienten hatten bei Aufnahme einen Hb-Wert <10 g/dl, und 37 % der Patienten erhielten Transfusionen. Häufige Blutabnahmen, Anämien und Transfusionen waren mit einer höheren 28-Tage-Mortalität vergesellschaftet. Ursachen von Anämien sind Blutungen und tägliche Blutabnahmen, aber auch eine eingeschränkte Blutbildung, die möglicherweise auf einen zytokininduzierten Mangel an Erythropoietin zurückzuführen ist. Aufgrund der bisher vorliegenden Daten führt jedoch eine großzügige Transfusion von Erythrozytenkonzentraten nicht zu einer Verbesserung der Prognose intensivpflichtiger Patienten. Eine randomisierte Studie an 832 kritisch kranken Patienten zeigte, dass eine restriktive Transfusion von Erythrozytenkonzentraten mit Erlangung eines Hämoglobinwerts von 7–9 g/dl einer liberaleren Transfusion mit Hämoglobinwerten von 10–12 g/dl bezüglich des 30-Tages-Überlebens evtl. überlegen ist. Hiervon möglicherweise ausgenommen sind Patienten mit Myokardinfarkt und instabiler Angina pectoris [8]. Die Erreichung des Normbereichs für Hämoglobin ist daher nur in Ausnahmefällen anzustreben.
18.4.2
Überwachung der Gerinnung
Die Überwachung der Gerinnung hat zum Ziel, einerseits Blutungsneigungen rechtzeitig zu erkennen und Blutungen zu vermeiden und andererseits eine Hyperkoagulopathie mit Bildung von Thrombosen zu vermeiden (7 Kap. 24).
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Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
Das Gerinnungssystem lässt sich in eine zelluläre und plasmatische Komponente unterteilen (. Abb. 18.3). Die laborchemische Überwachung der zellulären Komponente beschränkt sich weitgehend auf die Thrombozytenzahl und seltener auf Funktionstests, die in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei ungeklärt niedrigen Thrombozytenzahlen sollte zunächst eine Pseudothrombozytopenie, die in vitro durch eine EDTA-vermittelte Aggregation der Thrombozyten auftreten kann, über die Bestimmung der Thrombozytenzahl im Zitratblut ausgeschlossen werden. Eine Thrombozytopenie kann aber auch aufgrund von Bildungsstörungen oder einem erhöhten Thrombozytenverbrauch auftreten. Differenzialdiagnostisch kommen bei den Bildungsstörungen Knochenmarkinfiltrationen durch maligne Erkrankungen, toxische Knochenmarkstörungen, z. B. durch vorangegangene Chemotherapie, Radiatio oder Alkoholismus, Vitamin-B12- oder Fol-
säuremangel, oder Virusinfekte mit Störung der Megakaryopoese in Frage. Laborchemisch kann die Bestimmung der retikulierten Thrombozyten weiterhelfen, die in solchen Fällen einer Thrombozytopenie normal bis erniedrigt sind. Ein erhöhter Thrombozytenverbrauch tritt bei Blutungen, nach Operationen, durch mechanische Schädigung der Thrombozyten, z. B. durch Hämodialysefilter, und immunologisch vermittelt auf. Zu den immunologisch vermittelten Ursachen können eine idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), eine Heparin-induzierte Thrombopenie (HIT), ein M. Moschkowitz und Reaktionen auf einer Vielzahl von Medikamenten (. Tab. 18.2) gerechnet werden. Die entsprechenden laborchemisch rasch notwendigen Untersuchungen sind die Bestimmung von Fragmentozyten im manuellen Differenzialblutbild zum Ausschluss eines M. Moschkowitz und die Bestimmung der PF4-Antikörper zum Ausschluss einer HIT.
. Abb. 18.3 Übersicht über die Blutgerinnung. Plasmatische Faktoren interagieren mit den zellulären Rezeptoren bei der Bildung eines Thrombus. Proteinkomplexe und Spaltprodukte von Plasmaproteinen können als Aktivierungsmarker verwendet werden. (Nach [18])
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. Tab. 18.2 Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie. (Mod. nach [24]) Medikamentenklasse
Substanzen
Mechanismus
Chemotherapeutika
Dosisabhängig, alle
Knochenmarkdepression
Heparine
Unfraktioniertes Heparin (ca. 1 %), niedermolekulare Heparine (ca. 0,1 %)
Immunologisch, Thrombozytenaggregation
Antibiotika, Antimykotika, Virustatika
Ampicillin, Ceftazidim, Ceftriaxon, Cefuroxim, Ciprofloxacin, Clarithromycin, Ethambutol, Gentamicin, Isoniazid, Penicillin, Piperacillin, Pyrazinamid, Rifampicin, Tobramycin, Vancomycin
Immunologisch
Amphotericin B, Fluconazol, Ganciclovir, Itraconazol, Trimethoprim/Sulfmethoxazol
Knochenmarkdepression, unbekannt
Amiodaron, Captopril, Digoxin, Diltiazem, Enalapril, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Lidocain, Methyldopa, Minoxidil, Nifedipin, Nitroglycerin, Nitroprussid, Ticlopidin
Immunologisch
Chlorothiazid
Knochenmarkdepression
Milrinon
Thrombozytenaggregation
Neuroleptika, Antidepressiva
Carbamazepin, Haloperidol, Phenobarbital, Phenytoin, Prochlorperazin, Valproinsäure
Immunologisch
Sedativa
Diazepam, Morphin
Immunologisch
Verschiedene
Abciximab, Azetazolamid, Allopurinol, Cocain, Cyclosporin, Diazoxid, Famotidin, Octreotid, Ondansetron, Prednison, Procainamid, Ranitidin, Pantoprazol
Immunologisch
Cimetidin, Interferon-α
Knochenmarkdepression
Protamin
Thrombozytenaggregation
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Herz-KreislaufMedikamente
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243 18.4 · Überwachung des blutbildenden Systems und der Gerinnung
gemessen und als Prozentwert im Verhältnis zu dem Wert eines Normalplasmapools angegeben.
Quick – Wert =
Gerinnungszeit Normalplasma Gerinnungszeit Patientenplasma
* 100
Aufgrund der unterschiedlichen Aktivität der Thromboplastinpräparationen wird für jede Thromboplastincharge die Abweichung gegenüber dem WHO-Standard bestimmt. Mit diesem sog. ISIWert (»international sensitivity index«) wird der INR-Wert (»international normalized ratio«) bestimmt.
INR – Wert =
. Abb. 18.4 Aktivierung der plasmatischen Gerinnung über den intrinsischen und extrinsischen Weg
Hauptbestandteil der plasmatischen Gerinnung ist die Bildung von Fibrin (Faktor I) aus löslichem Fibrinogen, wobei die Aktivierung von Thrombin (Faktor II) den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt darstellt. Der extrinsische Weg der Aktivierung wird durch die Freisetzung von Gewebefaktor (»tissue factor«, Thromboplastin, Faktor III) aus den Endothelzellen, Muskelzellen oder Monozyten initiiert. Es kommt in der Folge zur Bindung und Aktivierung von Faktor VII und Faktor X. Der intrinsische Weg beginnt bei der Kontaktaktivierung von Faktor XII, mit konsekutiver Aktivierung der Faktoren XI, IX, VIII und X. Die gemeinsame Endstrecke beider Wege besteht in der Bildung des Prothrombinasekomplexes aus Faktor Xa, Va, Phospholipiden und Kalzium. Die Synthese der Faktoren II, V, VII, IX und X ist Vitamin-K-abhängig. Den prokoagulatorischen Faktoren steht ein antikoagulatorisches System gegenüber. Antithrombin (AT III) bindet und inaktiviert die Faktoren Xa und Va. Über die Bindung an AT III wird auch der antikoagulatorische Effekt von Heparin vermittelt. Thrombomodulin wird von Endothelien exprimiert und bindet Thrombin. Dies führt zu einer veränderten Substratspezifität von Thrombin, welches statt Fibrinogen Protein C spaltet und aktiviert. Aktiviertes Protein C führt unter Beteiligung des Kofaktors Protein S zu einer Hemmung von Faktor Va und Faktor VIIIa (. Abb. 18.4; 7 Kap. 24). Unter physiologischen Bedingungen besteht ein Gleichgewicht zwischen dem plasmatischen Gerinnungssystem und dem fibrinolytischen System, welches für die Auflösung von intravasalen Fibrinablagerungen und Thromben verantwortlich ist. Das fibrinolytische System wird durch den Gewebeplasminogenaktivator (t-PA) und Urokinase aktiviert, welche die Bildung von Plasmin aus Plasminogen katalysieren. Plasmin spaltet und inaktiviert Fibrin, aber auch Fibrinogen, Faktor V und Faktor VIII. Die laborchemische Untersuchung der Gerinnung umfasst einerseits die Globaltests PTZ (Thromboplastinzeit, Quick-Wert) und PTT (partielle Thromboplastinzeit) und andererseits die Einzelfaktoranalysen. Der Quick-Wert überprüft das extrinsische Gerinnungssystem durch eine Aktivierung des Patientenplasmas mittels zugegebenem Thromboplastin. Die Zeit bis zur Fibrinbildung wird in Sekunden
Gerinnungszeit Normalplasma Gerinnungszeit Patientenplasma
* ISI – Wert
Die Quick- und INR-Werte überprüfen die Aktivität der VitaminK-abhängigen Faktoren II, V, VII und X und sind daher für die Kontrolle einer Marcumar-Therapie sowie für die Abschätzung der Lebersyntheseleistung geeignet. Die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) verwendet zur Aktivierung der Gerinnung ein Thromboplastin ohne Proteinanteil (partielle TT), das zusätzlich mit einem Oberflächenaktivator versetzt wird (aktivierte PTT). Hierdurch werden die Faktoren XII und XI aktiviert und das intrinsische Gerinnungssystem überprüft. Die aPTT ist als Screeningtest geeignet, um die AT III-vermittelte Wirkung von unfraktioniertem Heparin auf die Faktoren XII, XI, IX, X und II zu beurteilen. Eine verlängerte aPTT zusammen mit einem unauffälligen Quick-Wert weist auf eine Hämophilie A und B (Faktor-VIII- bzw. -IX-Mangel) oder auf eine Hemmkörperhämophilie hin. Zum Nachweis einer Hämophilie ist anschließend die Analyse der Faktor-XIII- oder Faktor-IX-Aktivität notwendig. In der Intensivmedizin kann es im Rahmen einer Sepsis oder nach größeren Operationen zu einer disseminierten Aktivierung der Gerinnung (»disseminated intravasal coagulation«; DIC) kommen, die zu einem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und gleichzeitiger Hyperfibrinolyse führt. Zum Monitoring und zur Abschätzung der Therapie bei DIC sollten regelmäßig neben den Globaltests der Gerinnung auch Fibrinogen, AT III sowie die D-Dimere als Fibrinspaltprodukte gemessen werden. Neben den erwähnten Einzelfaktorenanalysen von VIII und IX bei Hämophilie und Fibrinogen bei DIC spielt in der Intensivmedizin noch die Bestimmung von Faktor V zur Beurteilung der Lebersyntheseleistung eine Rolle (7 Kap. 24). Zusätzlich zu den oben angegebenen, im Labor durchgeführten Analyseverfahren werden zunehmend bettseitige Verfahren zur Beurteilung der Gerinnung eingesetzt. Diese Verfahren haben ihre Vorteile in einer raschen Durchführbarkeit und werden beispielsweise zur Steuerung einer Heparin-Therapie bei extrakorporaler Zirkulation angewandt. Einen Überblick über aktuell eingesetzte Verfahren gibt . Tab. 18.3.
244
18 18 18 18 18 18
Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
. Tab. 18.3 Verfahren zum bettseitigen Management der plasmatischen Gerinnung. (Mod. nach [5]) Verfahren
Methode
Einsatzgebiet
ACT (»activated clotting time«)
Mit Kontaktphasenaktivator versetzte Messzelle, Verwendung von Vollblut (überprüft das intrinsische System)
Heparin-Management
HMS (Heparin-ManagementSystem)
ACT in Kombination mit Protamin-Titration
Heparin-Management
aPTT und Thrombinzeit
Bettseitige Bestimmung
Marcumar-Kontrolle, Globaltests
ECT (»ecarin clotting time«)
Direkte Prothrombin-Aktivierung, nur geringe HeparinEmpfindlichkeit
Management direkter Thrombininhibitoren
Thrombelastographie, Rotationsthrombelastographie
Aktivierung von Zitratblut mit Aufzeichnung der Gerinnungszeit und Clotfestigkeit, verschiedene Aktivatoren
Globaltest der Gerinnung und Fibrinolyse
18 18.5
18 18 18 18 18 18 18
Überwachung des Hormonhaushaltes
Endokrinologische und metabolische Störungen gehören zu den wichtigen Begleitsymptomen kritisch kranker Patienten. Zu Beginn einer intensivpflichtigen Erkrankung kommt es in der Regel zu einer Aktivierung von hypophysenvorderlappenvermittelten Funktionen. Diese Veränderungen im hormonellen System können auch als neuroendokrines Stresssyndrom bezeichnet werden. In einer nachfolgenden, chronischen Phase kann es zu einer reduzierten hypothalamischen Aktivierung des Hypophysenvorderlappens kommen, die zusammen mit anderen Faktoren zu einer verminderten Produktion der peripheren Hormone führt. Ob diese Veränderungen einen protektiven Mechanismus oder eine Maladaptation darstellen, wird kontrovers diskutiert [3]. Über diese Veränderungen des Hormonhaushaltes bei kritisch kranken Patienten hinaus können natürlich auch primäre endokrine Erkrankungen bei intensivpflichtigen Patienten vorliegen.
18
18.5.1
18
Die Kortisolproduktion ist bei intensivpflichtigen Patienten zunächst aufgrund einer erhöhten Ausschüttung des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) gesteigert, wobei die Höhe der Kortisolspiegel die Schwere der Erkrankung reflektiert. In der darauf folgenden chronischen Phase sinken die ACTH-Spiegel ab, die Kortisolspiegel können jedoch weiterhin erhöht sein. Bei manchen kritisch kranken Patienten decken diese Hormonspiegel den Kortisolbedarf nicht, was als relative Nebennierenrindeninsuffizienz angesehen wird. Die pathogenetischen Mechanismen werden auf die Wirkungen von Entzündungsmediatoren zurückgeführt, welche u. a. im Rahmen einer Sepsis stark erhöht sind (7 Kap. 59). Frühere Arbeiten hatten eine verbesserte Prognose von Patienten mit septischem Schock und mittels ACTH-Test nachgewiesener relativer Nebenniereninsuffizienz gezeigt, wenn diese mit Steroiden behandelt wurden [1]. Die CORTICUS-Studie konnte jedoch keinen Unterschied in der 28-Tage-Mortalität zwischen Patienten mit oder ohne Steroidtherapie in Abhängigkeit von dem Ergebnis des ACTH-Tests feststellen [19]. In einer aktuellen Metaanalyse wird daher empfohlen, die Entscheidung über den Einsatz von Steroiden im septischen Schock nicht vom Ergebnis des ACTH-Tests abhängig zu machen [13]. Eine Nebenniereninsuffizienz, z. B. aufgrund einer langdauernden Steroidtherapie oder von Nebennierenprozessen, wird mittels eines etablierten ACTH-Tests mit Gabe von 250 μg synthetischem ACTH i.v. und Bestimmung des Basal- und stimulierten Wertes
18 18 18 18 18 18 18 18 18
Kortisol
nach 30 min oder 60 min festgestellt. Diagnostisch hilfreich können neben den klinischen Zeichen auch eine Hyponatriämie und Hyperkaliämie sowie eine Lymphozytose mit Eosinophilie im Blutbild sein.
18.5.2
Schilddrüsenhormone
Veränderungen der Schilddrüsenhormone bei kritisch kranken Patienten werden als Low-T3-Syndrom oder »nonthyroidal illness syndrome« (NTIS) bezeichnet. Das NTIS ist häufig und tritt rasch nach Operationen und schweren Erkrankungen, aber auch nach Fasten auf. Bei schwer erkrankten Patienten ist oft auch T4 im Serum erniedrigt, das TSH kann dabei normal, erniedrigt oder auch erhöht sein. Das NTIS ist mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet, wobei eine zusätzliche Erniedrigung von fT4 oder TSH mit einer weiteren Verschlechterung der Prognose einhergeht. Die Abgrenzung einer Hyper- oder Hypothyreose von einem NTIS kann bei Intensivpatienten schwierig sein und erfordert bei Vorliegen eines pathologischen TSH-Werts die Bestimmung der peripheren Schilddrüsenhormone (7 Kap. 59).
18.5.3
Wachstumshormon und Gonadotropine
Sepsis oder Traumata resultieren oft in einer Wachstumshormon (GH)-Resistenz mit hohen GH-Konzentrationen und reduzierten IGF-1-Spiegeln, es gibt jedoch auch Belege für eine Verminderung der GH-Level bei kritisch kranken Patienten. Die Therapie mit Wachstumshormon führte in kleineren Studien zwar zu einer positiven Stickstoffbilanz, größere klinische Studien mit intensivpflichtigen Patienten zeigten jedoch eine erhöhte Mortalität unter einer solchen Therapie. Die Gabe von GH ist daher außer bei Verbrennungspatienten und bei Aids-Patienten mit Wasting obsolet. Indikationen für eine Bestimmung von GH oder IGF-1 bestehen somit bei Intensivpatienten nicht. Gonadotropine und Androgene können bei kritisch kranken Patienten deutlich absinken, während Östrogene eher ansteigen. Therapeutische Konsequenzen aus diesen Veränderungen ergaben sich für den klinischen Alltag bislang jedoch nicht.
245 18.7 · Überwachung des Stoffwechsels
18.6
Fehlermöglichkeiten von Laborbestimmungen
Fehlermöglichkeiten und eine erschwerte Beurteilung von Laboruntersuchungen können durch die Auswahl der Parameter, Abläufe vor und nach der Probenabnahme, durch die Bestimmung selbst und durch die Interpretation der gemessenen Werte erfolgen. > Grundsätzlich sollten nur solche Laboruntersuchungen durchgeführt werden, deren Ergebnisse potenziell zu einer Änderung des medizinischen Vorgehens führen.
Eine andere Vorgehensweise kann neben den unnötig hohen Kosten auch zu Laborwerten außerhalb der Gauß’schen Normalverteilungskurve führen, ohne dass diese einen Krankheitswert besitzen. Eine Interpretation ist dann oft schwierig und zieht weitere diagnostische Schritte nach sich. Globaltests sollten Detailanalysen grundsätzlich im Sinne einer Stufendiagnostik vorgeschaltet sein, so z. B. die Globaltests der Gerinnung vor Einzelfaktoranalysen oder auch ein Immunfluoreszenztest für antinukleäre Antikörper vor der Einzelbestimmung der Antikörper. Bereits vor der Blutabnahme ergeben sich zahlreiche Fehlermöglichkeiten. Die falsche Beschriftung und Etikettierung der Probengefäße und auch die Verwechslung der Patienten sind häufig. Daher sollten routinemäßig Plausibilitätsprüfungen von ermittelten Laborwerten im Vergleich zu Vorwerten durchgeführt werden, hierdurch sind solche Fehler oft zu identifizieren. Der Zeitpunkt und die Umstände der Laborabnahme sind ebenfalls für viele Parameter wichtig. So sollten manche Parameter, z. B. Triglyzeride, beim nüchternen Patienten bestimmt werden. Bestimmte Parameter wie Kortisol unterliegen einer zirkadianen Rhythmik und sollten z. B. morgens abgenommen werden. Die Beachtung des Zeitpunktes der Blutabnahme ist ebenfalls für die Erstellung von Medikamentenkinetiken, z. B. für Antibiotika und Immunsuppressiva, notwendig. Bei der Blutabnahme ist auf gleichzeitig laufende Infusionslösungen, insbesondere direkt distal der Entnahmestelle, zu achten. Hierdurch können sowohl Verdünnungen als auch stark erhöhte Laborwerte, z. B. für Glukose, entstehen. Ein starker Sog während der Blutentnahme führt zur Hämolyse mit Freisetzung intraerythrozytärer Bestandteile, welche meist an einem erhöhten Kaliumwert sichtbar ist. Starkes Schütteln der Probe während des Transports, z. B. in einer Rohrpostanlage mit ungebremstem Auslauf, kann ebenfalls eine Hämolyse hervorrufen. Bezüglich der Fehlermöglichkeiten während der Bestimmung im Labor wird auf die Lehrbücher der Klinischen Chemie verwiesen. Den intensivmedizinisch tätigen Kollegen bleibt als Kontrolle die bereits oben angesprochene Plausibilitätsprüfung der Laborwerte.
18.7
4 eine sog. Akutphase oder »Ebb-Phase« in den ersten 24–72 h und 4 eine Übergangs- und Reparationsphase oder »Flow-Phase«.
18.7.1
Stoffwechseladaptation bei kritisch Kranken
Die Stoffwechseladaptationen in der Akutphase der intensivpflichtigen Erkrankung werden durch die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol und Glukagon, durch eine Erhöhung proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-1 und TNF-α und durch die Freisetzung bakterieller Endotoxine hervorgerufen. Diese Faktoren bewirken eine Mobilisierung von Energiedepots, wobei zunächst die Glykogenspeicher in Leber und Muskel aufgebraucht werden. Die Glykogenreserven sind jedoch begrenzt und können lediglich die ersten 24 h zur Produktion von Blutglukose beitragen. Weitere Möglichkeiten zur Mobilisierung von Energie stellen die Lipolyse und Proteolyse dar. Die Lipolyse stellt quantitativ den größten Anteil an der Bereitstellung der Energie. Triglyzeride aus den Fettdepots werden durch die hormonsensitive Lipase in Glyzerin und Fettsäuren gespalten und in die Blutzirkulation abgegeben. In der Leber wird Glyzerin in den Zitratzyklus zur Glukoneogenese eingeschleust und die Fettsäuren hauptsächlich der β-Oxidation zugeführt, in geringerem Ausmaß aber auch wieder verestert und als VLDL-Partikel in die Zirkulation abgegeben. Diese VLDL-Partikel können in der Peripherie aufgrund einer TNF-induzierten Reduktion der Lipoproteinlipaseaktivität nicht in vollem Ausmaß als Energieträger verwendet werden (. Abb. 18.5). Dieser Mechanismus ist einerseits für die Erhöhung der Serumtriglyzeride, andererseits auch zum Teil für den gesteigerten Energieumsatz kritisch kranker Patienten im Sinne eines »Triglyzerid-Fettsäure-Zyklus« mit Nettoenergieverbrauch verantwortlich. Die Proteolyse führt zu einem Abbau von Strukturproteinen, wobei der quantitativ größte Anteil auf den Abbau von Aktin und Myosin in der Muskulatur entfällt. Die freiwerdenden Aminosäuren werden teilweise in der Peripherie als Energiequelle und für den Proteinneuaufbau genutzt, zum größeren Teil jedoch als Alanin und Glutamin über das Blut zur Leber transportiert. Dort werden die Aminosäuren zum Teil zur Neusynthese von Akut-Phase-Proteinen verwendet, im Wesentlichen werden die glukogenen Aminosäuren jedoch zur Neusynthese von Glukose benötigt, wobei der freiwer-
Überwachung des Stoffwechsels
Bereits seit über 100 Jahren ist bekannt, dass die Anpassung des menschlichen Organismus an schwere systemische Infektionen, Traumata oder auch Operationen mit charakteristischen hämodynamischen, metabolischen und immunologischen Veränderungen des Stoffwechsels einhergeht. Diese Anpassungsmechanismen werden als Postaggressionsstoffwechsel bezeichnet und sind auf eine Aufrechterhaltung der Homöostase ausgelegt, wobei der Strukturerhalt des Körpers zunächst sekundär ist. Die Veränderungen lassen sich anhand des zeitlichen Verlaufs in charakteristische Phasen einteilen ([9]; 7 Kap. 20):
. Abb. 18.5 Veränderungen des Triglyzeridmetabolismus im Postagressionsstoffwechsel
18
246
Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
Kohlenhydratzufuhr und Monitoring des Blutzuckers
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. Abb. 18.6 Veränderungen des Glukosemetabolismus im Postagressionsstoffwechsel
18 18 18 18
dende Stickstoff durch die Harnstoffsynthese gebunden und über den Urin ausgeschieden wird. Die Glukoneogenese aus glukogenen Aminosäuren ist bei kritisch kranken Patienten durch Zytokine und eine hepatische Insulinresistenz fixiert und daher im Gegensatz zum Hungerzustand durch eine exogene Glukosezufuhr nicht supprimierbar. Dies trägt zusammen mit einer peripheren Insulinresistenz zur Erhöhung der Blutglukose bei diesen Patienten bei (. Abb. 18.6).
18 18 18 18 18 18 18 18
18.7.2
Grundzüge und Monitoring der Ernährung
Der Beginn und die Durchführung einer künstlichen Ernährung bei intensivpflichtigen Patienten sind von mehreren Faktoren abhängig. Grundsätzlich ist bei Patienten mit normalem Ernährungszustand keine künstliche Ernährung notwendig, wenn die zu erwartende Dauer der Nahrungskarenz unter 3 Tagen liegt. Wenn ein längerer Zeitraum ohne adäquate Nahrungsaufnahme abzusehen ist, sollte innerhalb der ersten 24 h eine künstliche Ernährung begonnen werden. Hierbei ist die enterale Ernährung aufgrund von niedrigeren Infektionsraten der parenteralen Ernährung vorzuziehen (7 Kap. 20).
Die adäquate Kalorienzufuhr ist von der Phase der kritischen Erkrankung abhängig und sollte initial 20–25 kcal/kg KG betragen, während in der anabolen Phase 25–30 kcal/kg KG empfohlen wird.
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Falls keine ausreichende enterale Ernährung möglich ist – aufgrund einer gastrointestinalen Intoleranz, z. B. durch Diarrhöen, oder eines ausgeprägten gastralen Refluxes –, sollte eine zusätzliche parenterale Ernährung erfolgen, um den Kalorienbedarf zu decken [10]. Wesentlicher Bestandteil des Monitorings der Ernährung und des Energiehaushaltes ist daher die klinische Beurteilung des Patienten mit Einschätzung eines gastrointestinalen Refluxes, Untersuchung der Darmperistaltik, der Stuhlmenge und -qualität, der Urinproduktion sowie der Abschätzung einer evtl. vorbestehenden Malnutrition.
Kohlenhydrate sind mit etwa 50 % der zugeführten Energie (unter Einbeziehung der Aminosäuren) die Hauptenergieträger bei enteraler oder parenteraler Ernährung. Bei enteraler Ernährung werden entweder Maltodextrin oder Stärke verwendet, alternativ können bei sog. niedermolekularen Formeldiäten auch Oligosaccharide zum Einsatz kommen. In der parenteralen Ernährung werden hauptsächlich Glukose, seltener auch der Zuckeraustauschstoff Xylit verwendet. Fruktose und Sorbit werden aufgrund des Risikos einer unbekannten Fruktoseintoleranz mit Kumulation von Fruktose1-Phosphat in der parenteralen Ernährung nur noch selten eingesetzt. Xylit wird insulinunabhängig über den Pentose-Phosphat-Zyklus verstoffwechselt und kann bei Dosierung über 3 g/kg KG/Tag dosisabhängige Schädigungen der Leber, des Pankreas, der Nieren und des Gehirns verursachen. Die maximale Dosierung von Glukose wird mit 6 g/kg KG/Tag (entsprechend 25 kcal/kg KG) angegeben. In hoher Dosierung kann die Glukose in der Leber zu Triglyzeriden verstoffwechselt werden, was zu einer Leberverfettung führt. Insbesondere die parenterale Ernährung kann in der Phase des Postaggressionsstoffwechsels mit gleichzeitig vorliegender Insulinresistenz zu einer Erhöhung der Blutglukose führen. In einer Studie von van den Berghe et al. [22] hatten beatmete chirurgische Patienten, deren Blutzucker bei 80–110 mg/dl gehalten wurde, eine deutlich reduzierte Rate an Infektionen und Organversagen sowie eine reduzierte Mortalität. Aufgrund dieser und weiterer Studien wurde 2007 in einer gemeinsamen Stellungnahme der European Society of Cardiology (ESC) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) für die strenge Blutzuckereinstellung intensivpflichtiger Patienten eine Level-A-Empfehlung abgegeben [17]. In mehreren großen 2008 und 2009 publizierten Multicenterstudien konnte der Überlebensvorteil jedoch nicht reproduziert werden, und die enge Blutzuckereinstellung war mit einer hohen Rate an schweren Hypoglykämien vergesellschaftet [4, 14, 16]. Ein Blutzuckerzielwert um 150 mg/dl erscheint daher sinnvoller. Welche maximalen Insulinkonzentrationen bei einer intensiven Insulintherapie gegeben werden sollten, ist unbekannt (7 Kap. 58). Hypoglykämien ohne Insulinzufuhr deuten, insbesondere in Kombination mit erhöhten Laktat- und erniedrigten Harnstoffwerten, auf eine höhergradig eingeschränkte Leberfunktion hin. Die Blutzuckerbestimmung erfolgt auf Intensivstationen entweder im Vollblut als sog. »point of care testing« (POCT) mittels Blutgasanalysegeräten in einer Durchflusszelle mit membrangebundener Glukoseoxidase und amperometrischer Messung des entstehenden Wasserstoffperoxids, alternativ auch mit Teststreifensystemen mit der Glukoseoxidasemethode unter Farbstoffbildung. Bei Verwendung von Serum oder Plasma liegen die Werte aufgrund eines größeren Verteilungsraums um 10–15 % höher als im Vollblut, ebenso sind die Werte im arteriellen und kapillären Blut um etwa 10 % höher als im venösen Blut.
Fettzufuhr und Monitoring Die Relation der Fette an der Energiezufuhr sollte etwa 30 % betragen. Die handelsübliche enterale Ernährung enthält meist Emulsionen aus langkettigen Triglyzeriden (LCT) mit überwiegend einfach ungesättigen Fettsäuren, in wechselndem Ausmaß sind aber auch gesättigte und mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten. Einige Präparationen enthalten einen größeren Anteil an mittelkettigen Triglyzeriden (MCT), die eine bessere Resorptions- und Oxidationsrate aufweisen (7 Kap. 20). Die parenterale Fettsubstitution wird mit Triglyzeridemulsionen in einer 10 %igen oder 20 %igen Lösung, entweder als LCT- oder MCT/LCT-Präparationen, durchgeführt. Bei bestimmten Indikationen können Präparationen mit einem ho-
18
247 18.7 · Überwachung des Stoffwechsels
hen Anteil an immunmodulierenden ω3-Fettsäuren indiziert sein (7 Kap. 20). Sowohl unter einer enteralen, insbesondere aber unter einer parenteralen Ernährung mit Fettlösungen können die Triglyzeride im Serum ansteigen und sollten daher regelmäßig während der Durchführung der Ernährungstherapie überprüft werden. Eindeutige Grenzwerte, über denen die Rate an Nebenwirkungen wie beispielsweise das Auftreten einer Pankreatitis zunimmt, gibt es nicht, meist wird jedoch eine Grenze von 250–400 mg/dl angegeben. Bei Überschreitung dieser Werte muss durch Reduktion oder Pausierung der Fettinfusion überprüft werden, ob eine eingeschränkte Fettverwertung oder eine vermehrte Triglyzeridsynthese aus Glukose vorliegt. Im letzteren Fall ist es sinnvoll, die Glukosegabe unter Fortführung einer moderaten Fettinfusion zu reduzieren. Die laborchemische Bestimmung erfolgt durch eine hydrolytische Spaltung der Triglyzeride mit anschließendem enzymatischem Nachweis von Glyzerin. Eine Therapie mit Heparin kann die Serumkonzentration von Glyzerin durch eine Aktivierung der endothelialen Lipoproteinlipase erhöhen, was zu falsch hohen Triglyzeridwerten in der Laborbestimmung führt, falls keine Leerwertbestimmung vor Hydrolyse durchgeführt wird.
Eiweißzufuhr und Monitoring des Stickstoffhaushaltes Enteral oder auch parenteral zugeführte Proteine und Aminosäuren werden nur eingeschränkt in den Energiestoffwechsel eingeschleust, Voraussetzung hierzu ist allerdings eine ausreichende Verfügbarkeit anderer Energiequellen wie Glukose oder Fettsäuren. Die enterale Zufuhr der Proteine erfolgt mittels Milch-, Soja- oder Eiereiweiß, seltener in Rahmen von niedermolekularen Formeldiäten als Diund Oligopeptide. Die parenterale Gabe erfolgt ausschließlich als Aminosäurengemische. Der Proteinbedarf kritisch kranker Patienten liegt bei etwa 1,0–1,5 g/kg KG, wobei sowohl die Phase der Erkrankung als auch mögliche nephrologische und hepatische Begleiterkrankungen Einfluss auf die Dosierung und Zusammensetzung der Aminosäuren haben. Die einfachste Möglichkeit, den Stickstoffhaushalt zu beurteilen, ist die Analyse des Harnstoffs. Zunächst kann in der klinischen Praxis eine im Verhältnis zum Serumkreatinin dysproportionale Erhöhung des Serumharnstoffs auf eine katabole Stoffwechsellage hinweisen. Eine genauere Beurteilung des Proteinstoffwechsels ist durch die Bestimmung der Stickstoffbilanz möglich. Hierbei wird die über den Urin ausgeschiedene Stickstoffmenge von der mit der Ernährung zugeführten Stickstoffmenge abgezogen. Auch diese Methode ist bei Intensivpatienten nur zur groben Abschätzung geeignet, da sowohl nichtrenale Stickstoffverluste, z. B. über den Gastrointestinaltrakt, bei Blutungen und bei Nierenersatzverfahren, als auch nichternährungsbedingte Stickstoffzufuhr, z. B. bei Blutttransfusionen, nicht mitbilanziert werden. Eine bessere Beurteilung des Stickstoffhaushaltes kann durch die Harnstoffproduktionsrate (HPR) erzielt werden, die anstatt der Stickstoffzufuhr die mittlere Plasmaharnstoffkonzentration verwendet: HPR [g/24h] = Harnstoff im Urin [g/24h] + (Serum – Harnstoff [mg/dl] * 0,0099 kgKG * Faktor) (Faktor=0,6 für Frauen und 0,55 für Männer; für den Serumharnstoff wird der Mittelwert aus Bestimmungen zu Beginn und am Ende der Urinsammelperiode genommen.)
Die Bestimmung der Harnstoffproduktionsrate sollte im Stoffwechselgleichgewicht erfolgen, ein Wert über 30 g/24 h zeigt eine Katabolie an, kann aber auch durch eine Überversorgung mit Aminosäuren oder eine Imbalance der zugeführten Aminosäuren zustande kommen. Eine Abnahme der HPR im Verlauf zeigt eine Zunahme der Anabolie an, differenzialdiagnostisch kommt auch eine Abnahme der Leberfunktionsleistung in Frage. Der Serumstickstoff wird entweder als Harnstoff oder als Harnstoff-Stickstoff (Harnstoff-N, BUN, »blood urea nitrogen«) angegeben. Da Harnstoff ein Stickstoffatom enthält, ist die Stoffmenge gleich (1 Mol Harnstoff =1 Mol Harnstoff-N), bei Konzentrationsangaben müssen die Werte entsprechend umgerechnet werden: Harnstoff – N [mg/dl] = 0,46 * Harnstoff [mg/dl] = 0,3561 * Harnstoff – N [mmol/l]
Metabolisches Monitoring Der menschliche Organismus lässt sich in energetischer Hinsicht mit einem Brennofen vergleichen, der Kohlenhydrate, Fette und Proteine in einem unterschiedlichen Mischungsverhältnis unter Sauerstoffverbrauch zu Wasser, Kohlendioxid und Wärme verbrennt. Die pro Gramm Substrat freiwerdende Energie wird Brennwert genannt, während die pro Liter verbrauchtem Sauerstoff freiwerdende Energie als Energieäquivalent bezeichnet wird (. Tab. 18.4). Die indirekte Kalorimetrie bestimmt die Sauerstoffaufnahme als Maß für den Energieverbrauch. Als Beispiel beträgt die freiwerdende Energie bei einem Sauerstoffverbrauch (VO2) von 300 ml/ min und reiner Kohlenhydratoxidation 1,5 kcal/min=2182 kcal/ Tag (0,3 l/min×5,05 kcal/l O2), während die freiwerdende Energie bei reiner Fettoxidation 1,4 kcal/min=2026 kcal/Tag (0,3 l/ min×4,69 kcal/l O2) betragen würde. Um das Mischungsverhältnis der verschiedenen Substrate zu bestimmen, kann der respiratorische Quotient (RQ) aus dem Verhältnis zwischen der Kohlendioxidproduktion (VCO2) und der Sauerstoffaufnahme (VO2) gemessen werden: RQ =
VCO2 VO2
Der RQ liegt in der Praxis zwischen 0,7 für eine reine Fettverbrennung und 1,0 für die Kohlenhydratverbrennung. Häufig wird der Anteil der Eiweißoxidation mit etwa 15 % als konstant angenommen und bei der Bewertung des RQ nicht berücksichtigt. Der gemessene RQ wird dann zur Ermittlung des Energieäquivalents benutzt, ein
. Tab. 18.4 Kenngrößen des Energiestoffwechsels verschiedener Substrate. (Nach [11]) Kohlenhydrate
Fette
Proteine
Brennwert in kcal/g (kJ/g)
4,18 (17,50)
9,44 (39,50)
4,70 (19,68)
Energieäquivalent in kcal/l O2 (kJ/l O2)
5,05 (21,12)
4,69 (19,60)
4,66 (19,48)
Respiratorischer Quotient (RQ)
1,000
0,710
0,835
248
18 18 18
Kapitel 18 · Labordiagnostik in der Intensivmedizin
Anstieg um 0,1 korrespondiert mit einem Anstieg des Energieäquivalents um 0,1 kcal/l O2. Insbesondere im Postagressionsstoffwechsel kann der Anteil der Proteinoxidation deutlich höher liegen. Die Oxidation der Proteine kann in diesen Fällen über die Harnstoffproduktionsrate (7 Abschn. 18.3.1) ermittelt werden. Der Energieverbrauch (»energy expenditure«; EE) kann nach folgender Formel berechnet werden (NU=Stickstoff im Urin) [6]:
9 10
11
18 EE [kcal/min] = (3,941 * VO2) + (1,106 * VO2) – (2,17 * NU [g/24h])
18 18 18 18 18 18 18 18 18
Die indirekte Kalorimetrie mit Atemgasanalyse kann bei korrekter Anwendung den Energieumsatz und das Verhältnis der oxidierten Substrate zueinander ermitteln und damit eine individuelle Planung und Überwachung einer Ernährungstherapie ermöglichen. Eine solche individuelle Analyse des Energiestoffwechsels ist jedoch außerhalb von Studien nur in Ausnahmefällen notwendig. Bei Anwendung der Methode sollten mögliche Fehlerquellen bedacht werden, insbesondere ist zur Erlangung aussagekräftiger Messwerte eine stabile metabolische Situation Voraussetzung. Weiterhin darf der anaerobe Stoffwechsel keine quantitativ bedeutende Rolle spielen, und bei hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen sind darüber hinaus technisch bedingte Einschränkungen der Messgenauigkeit zu erwarten. Eine weitere Methode zur Ermittlung des Energieumsatzes ist die Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs nach dem Fick’schen Prinzip bei liegendem Pulmonaliskatheter aus dem Herzzeitvolumen und der arteriovenösen Sauerstoffdifferenz (7 Kap. 15).
18
Das Monitoring von Ernährung und Energiebilanz gehört zum Standard in der Therapie kritisch kranker Patienten, um eine adäquate Versorgung mit Nährstoffen zu gewährleisten und Komplikationen zu minimieren. Das Ausmaß des benötigten Monitorings ist allerdings von der Schwere der Erkrankung, der Krankheitsphase und den Begleiterkrankungen des Patienten abhängig und muss individuell angepasst werden.
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Literatur
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249
Prinzipien der Therapie Kapitel 19
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Kapitel 20
Ernährung
Kapitel 21
Hämorrhagischer Schock
Kapitel 22
Volumentherapie
Kapitel 23
Inotropika und Vasopressoren
Kapitel 24
Hämostase und Hämotherapie
Kapitel 25
Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
Kapitel 26
Endotracheale Intubation
Kapitel 27
Perkutane Tracheotomie
Kapitel 28
Thoraxdrainage
Kapitel 29
Bronchoskopie
Kapitel 30
Kardiopulmonale Reanimation
III
251
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen J. Langgartner
19.1
Allgemeine Grundlagen – 252
19.1.1 19.1.2
Pharmakodynamik – 252 Pharmakokinetische Grundbegriffe – 253
19.2
Besondere klinische Situationen– 256
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5
Patienten mit Niereninsuffizienz und Nierenersatztherapie – 256 Patienten mit Leberinsuffizienz – 259 Patienten mit Adipositas – 259 Alte Patienten – 261 Säuglinge und Kinder – 261
19.3
Interaktionen – 261
19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4
Pharmakodynamische Interaktionen – 262 Pharmakokinetische Interaktionen – 262 Pharmazeutische Interaktionen – 263 Zusammenfassung – 263
Literatur – 263
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_19, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
19
19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19
252
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
19.1
Allgemeine Grundlagen
19.1.1
Pharmakodynamik
Die Pharmakodynamik beschreibt die Einflüsse eines Pharmakons auf den Organismus, befasst sich also mit der Art und Weise seiner biologischen Wirkungen. Sie beinhaltet Überlegungen zu Wirkungsmechanismen, Rezeptortheorien, Dosis-Wirkungs-Beziehungen und Nebenwirkungen.
Wirkungsmechanismen Pharmaka sind in der Lage, sowohl spezifische Wirkungen, die über Rezeptoren vermittelt werden, als auch unspezifische Wirkungen, die meist von den physikalischen Eigenschaften der Substanz abhängig und nicht rezeptorabhängig sind, zu vermitteln. Zur Auslösung spezifischer Wirkungen sind, anders als bei den unspezifischen Wirkungen, nur relativ niedrige Dosen bzw. Konzentrationen des Pharmakons notwendig, und es gibt einen genau definierbaren Angriffsort. Sowohl die spezifische als auch die unspezifische Bindung eines Wirkstoffes führt zu charakteristischen Veränderungen auf subzellulärer und molekularer Ebene, die zu wenigen grundlegenden Reaktionsmustern zusammengefasst werden können.
Neben der qualitativen Wirkung eines Pharmakons interessiert auch dessen quantitative Wirkung in Bezug auf Haupt- und Nebenwirkungen. Die Beschreibung der Wirksamkeit eines Pharmakons im Organismus erfolgt mit Hilfe der in der 7 Box erklärten Begriffe.
Begriffserklärungen 4 Wechselwirkung mit Rezeptoren (Stimulation, Blockade) 4 Beeinflussung von spannungsabhängigen Ionenkanälen (Öffnung, Blockade) 4 Interaktion mit membranständigen Transportsystemen 4 Beeinflussung der Enzymaktivität (Aktivierung, Hemmung) 4 Veränderung der Biosynthese (z. B. in Mikroorganismen)
Rezeptortheorie Rezeptoren bzw. Rezeptorproteine sind komplexe Moleküle mit der Möglichkeit der selektiven Anlagerung von Substanzen, den sog. Liganden. Auf diese Weise ist gemäß dem Schlüssel-Schloss-Prinzip eine Wechselwirkung zwischen Ligand und Rezeptor möglich. Die Bindung aktiver Liganden führt zu einer Konformationsänderung des Rezeptors, wodurch über die Änderung des Funktionszustandes des Rezeptors die Zellfunktion beeinflusst wird. Überwiegend findet man Rezeptoren in der äußeren Zellmembran, wenige befinden sich auch intrazellulär. Die wichtigsten mem-
Intrinsische Aktivität. Fähigkeit eines Pharmakons, einen biologischen Effekt zu induzieren. Sie ist ein Maß für die maximal mögliche Wirkung einer Substanz. Pharmaka mit der gleichen intrinsischen Aktivität weisen die gleichen auslösbaren Maximaleffekte auf, sind also äquieffektiv. Zwei Substanzen sind aber nur dann auch äquipotent, wenn zur Erreichung der gleichen Wirkungsstärke auch die gleiche Dosis benötigt wird. Affinität. Menge einer Substanz, die verabreicht werden muss, um eine definierte Wirkung zu erzielen. Sie ist ein Maß für die Dosis, die erforderlich ist, um eine Wirkung zu erreichen. Affinität und Spezifität eines Liganden sind umso höher, je genauer dieser auf eine Rezeptorbindungsstelle passt. 6
. Tab. 19.1 An Ionenkanälen angreifende Pharmaka Pharmakongruppe
Beispiel
Kanaltyp
Wirkung
Ca-Antagonisten
Verapamil Diltiazem Nifedipin
Ca2+-Kanal
Hemmung
Benzodiazepine
Diazepam Flunitrazepam
GABA-aktivierte Cl–-Kanäle
Stimulation
Antiarrhythmika
Lidocain Procainamid Chinidin
Na+-Kanäle
Blockade
Muskelrelaxanzien
Pancuronium Tubocurarin
Ach-aktivierte K+-Kanäle und inaktivierte Ca2+-Kanäle
Blockade
Diuretika
Amilorid Triamteren
Epitheliale Na+-Kanäle
Blockade
19 19
19
Dosis-Wirkungs-Beziehungen
Grundlegende Wirkmechanismen von Pharmaka
19
19
branständigen Rezeptorsysteme sind die Ionenkanalrezeptoren und die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Es existieren unterschiedliche Ionenkanäle mit weitgehender selektiver Permeabilität für Natrium-, Kalium-, Kalzium- und Chloridionen. Neben der rezeptorabhängigen Aktivierung ist die Beeinflussung über eine Veränderung des Membranpotenzials möglich. Hier setzen ebenfalls Arzneistoffe an. . Tab. 19.1 zeigt Beispiele für an Ionenkanälen angreifende Pharmaka. Guanylnukleotid-bindende Proteine (G-Proteine) befinden sich an der Innenseite der Plasmamembran und steuern die Aktivität enzymatisch wirkender Effektorproteine, wie z. B. der Adenylatcyclase oder Guanylatcyclase. Durch die Wirkung der Effektorproteine entsteht ein intrazellulärer Botenstoff (»second messenger«). Dieser beeinflusst benachbarte Ionenkanäle oder intrazelluläre Proteine.
253 19.1 · Allgemeine Grundlagen
Dosis-Wirkungs-Kurven. Darstellung der Abhängigkeit der Wirkung einer Substanz von seiner Dosis bzw. Konzentration. Die Beziehung zwischen der verabreichten Dosis und dem ausgelösten biologischen Effekt ist in der Regel nicht linear (. Abb. 19.1). So führt eine Verdoppelung der Dosis nicht zu einer Verdoppelung der Wirkung. Bei der Interpretation dieser Kurven können die folgenden Größen ermittelt werden: 4 Schwellendosis: Kleinste Dosis, bei der ein Effekt eintritt. Sie ist ein Maß für die Affinität. 4 Maximaleffekt: Maß für die intrinsische Aktivität. 4 Anstiegssteilheit der Kurve: Maß für den Dosisbereich zwischen Wirkungseintritt und Maximum. 4 effektive Dosis (ED50): Dosis, mit der bei 50 % der Probanden der spezifische Effekt einer Substanz erzielt werden kann. 4 ED95: Dosis, die erforderlich ist, um 95 % der möglichen Wirkung (= submaximaler Effekt) zu erreichen. Therapeutische Breite. Maß für die Sicherheit hinsichtlich toxischer Wirkungen bei einer regelrechten Anwendung eines Pharmakons. Sie ist definiert als LD50/ED50, wobei die LD50 der Dosis entspricht, die bei 50 % der Versuchstiere einen letalen Effekt hervorruft. Je höher die therapeutische Breite ist, desto sicherer ist das Medikament in der Anwendung.
Synergismus Bei gleichzeitiger Gabe zweier oder auch mehrerer Arzneimittel kann es zu einer Wirkungsverstärkung kommen. Dabei können sich die Medikamente in ihrer Wirkung addieren, sodass der Gesamteffekt gleich der Summe der Einzeleffekte ist. Von einer Potenzierung spricht man, wenn der Gesamteffekt größer ist als die Summe der Einzeleffekte. Zu einer wirklichen Potenzierung kann es nur dann kommen, wenn die Wirkstoffe verschiedene Angriffsorte aufweisen. Dieser Effekt wird z. B. ganz bewusst bei der Kombination von β-Laktamantibiotika (Angriffsort: Zellwand) mit einem Aminoglykosid (Angriffsort: Proteinsynthese) ausgenutzt.
Gewöhnung Bei wiederholter Zufuhr einer Substanz kann es dazu kommen, dass die Dosis gesteigert werden muss, um die gleiche Wirkung wie bei der ersten Gabe zu erzielen. Der Grund für die Gewöhnung kann in pharmakodynamischen, pharmakokinetischen oder physiologischen Mechanismen liegen. Typischerweise kommt es gerade bei
100
relative Wirkung (%)
Maximalwirkung 80 60
ED 50
40 20 0 1
10
10
2
relative Dosis . Abb. 19.1 Beispiel für eine Dosis-Wirkungs-Kurve
10
3
der Therapie mit indirekten Mimetika, die Agonisten aus präsynaptischen Speichern freisetzen, zur Tachyphylaxie. Sie bezeichnet eine Gewöhnung, die sehr rasch einsetzt. Grund für den Wirkungsverlust bei wiederholter Gabe ist die Entleerung der Speichervorräte. Ein Beispiel für einen pharmakokinetischen Effekt ist die Enzyminduktion, z. B. des Cytochrom-P450-Systems in der Leber. So kann es nach wiederholter Gabe oder bei kontinuierlicher Gabe von Substanzen, die eine Enzyminduktion bewirken, nach wenigen Tagen nicht nur zu einem vermehrten Abbau der Substanz selbst, sondern auch aller über das induzierte Enzymsystem metabolisierten Pharmaka kommen. Durch physiologische Gegenregulation kann ebenfalls eine Gewöhnung eintreten. Hierunter fallen die autonomen Reflexe und die humoralen Regulationssysteme. Pharmakodynamische und pharmakokinetische Parameter bleiben dabei unverändert. Beispiele hierfür sind die Kreislaufregulation oder das Renin-AngiotensinAldosteron-System.
19.1.2
Pharmakokinetische Grundbegriffe
Die Pharmakokinetik beschreibt den Weg des Pharmakons und dessen zeitliche Abfolge durch den Organismus. Die Vorgänge der Resorption, Verteilung und Elimination werden durch sie beschrieben. Der zeitliche Verlauf der Arzneimittelwirkung ist vom Aufnahmeort, der Geschwindigkeit der Zufuhr, von der Verteilung im Körper und von der Elimination abhängig. Eine Vielzahl an Faktoren, von denen längst nicht alle bekannt sind, beeinflusst diese Vorgänge.
Resorption In der Intensivmedizin werden Arzneimittel überwiegend intravenös verabreicht. Hier ist die Anflutungs- bzw. Verteilungsgeschwindigkeit des Pharmakons im Vergleich zu anderen systemischen Applikationsarten am höchsten. Die Bioverfügbarkeit parenteral zugeführter Substanzen ist grundsätzlich höher als bei oraler Applikation, da sie keinem First-pass-Effekt in der Leber unterliegen. Ein Vorteil der intravenösen Gabe gerade beim Intensivpatienten ist, dass hier die Bioverfügbarkeit unabhängig von der Durchblutung in den Resorptionsorganen ist. Die Resorption der meisten oral verabreichten Medikamente erfolgt im oberen Dünndarm (Ausnahme: Vitamin B12, Gallensäuren mit Resorption im Ileum). Die Resorptionsgeschwindigkeit und Resorptionsquote einer Substanz sind von der pharmazeutischen Zubereitung (Tablette, Dragée, Kapsel, Saft, Tropfen), dem MagenDarm-Inhalt, den physikochemischen Eigenschaften der Substanz, dem Funktionszustand des Resorptionsorgans und dem Ausmaß der intramukosalen Metabolisierung abhängig. Nach Resorption des Pharmakons gelangt es in den Pfortaderkreislauf und die Leber. Hier kann ein Teil der Substanz abgefangen, metabolisiert oder eliminiert werden (hepatischer Fist-pass-Effekt). Bei der nachfolgenden Passage der Lunge kann ebenfalls noch ein Teil des Pharmakons abgefangen werden (pulmonaler First-passEffekt). Somit steht erst der Teil, der den großen Kreislauf erreicht, für die Wirkung zur Verfügung. Das Ausmaß der Verfügbarkeit des Wirkstoffes am Wirkort bzw. Plasma bezogen auf die verabreichte Dosis wird durch den Begriff Bioverfügbarkeit beschrieben. Bei intravenöser Gabe wird die Bioverfügbarkeit definitionsgemäß gleich 100 % gesetzt. Die intravenöse Bioverfügbarkeit dient als Referenz für die Ermittlung der Bioverfügbarkeit anderer Darreichungsformen der Substanz. Die im Organismus bioverfügbare Substanzmenge kann durch die
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254
19 19 19
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve dargestellt werden. Sie wird »area under the curve« (AUC) genannt und kann über das Flächenintegral oder Näherungsverfahren berechnet werden. Neben diesen Applikationswegen stehen noch andere Wege (transrektale, transdermale, intramuskuläre, subkutane, sublinguale oder inhalative Applikation) zur Verfügung.
Verteilung und Verteilungsräume
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Für die Verteilung des Pharmakons ist das Blutplasma verantwortlich. Man bezeichnet es deshalb als zentrales Kompartiment, von dem aus die Substanzen in periphere Kompartimente (Interstitium und Intrazellulärraum) gelangen. Daneben gibt es noch spezielle periphere Kompartimente wie den Liquor, das Kammerwasser des Auges oder die Endolymphe des Innenohrs. Diese speziellen Verteilungsräume sind aber durch besondere Barrieren, wie die BlutHirn-Schranke, abgegrenzt und nur erschwert zu erreichen. Gegenüber den peripheren Verteilungsräumen ist das Plasma als zentrales Kompartiment sehr klein. Im einfachsten Fall steht die gemessene Plasmakonzentration des Wirkstoffes in direkter Beziehung zur verabreichten Wirkstoffmenge. Wenn die verabreichte Substanz aus dem Plasma nicht in andere Kompartimente umverteilt wird und ungebunden ist, entspricht das Plasmavolumen dem Verteilungsvolumen der Substanz (Vd). Die meisten Substanzen werden aber vom Plasma in periphere Räume umverteilt und binden sich an andere Gewebe. Nur wenige Pharmaka verteilen sich ausschließlich im Plasma. Hierbei handelt es sich um Makromoleküle (>70.000 D). Erst nach Spaltung in kleinere Moleküle können sie nach extravasal gelangen und somit ausgeschieden werden. Diese Eigenschaft wird bei der Gabe einiger kolloidaler Plasmaersatzstoffe, wie HES 130.000, 200.000 etc. in der Volumentherapie ausgenutzt. Auch die Verteilung ausschließlich im Extrazellulärraum ist selten. Hiervon sind nur rein hydrophile Verbindungen, wie osmotische Diuretika, betroffen. Die meisten Substanzen verteilen sich zwischen Plasma und Interstitium. Plasmaraum und Interstitium werden für niedermolekulare Stoffe unter kinetischen Aspekten häufig zu einem Kompartiment, dem Extrazellulärraum zusammengefasst. Zum Extrazellulärraum gehört auch die transzelluläre Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis, Kammerwasser, Endolymphe, Flüssigkeiten in Körperhöhlen und Hohlorganen). Ihr Volumen macht normalerweise nur 1–2 % des Körpergewichts aus, kann aber unter pathologischen Zuständen, wie z. B. bei Aszites aufgrund einer Leberzirrhose erhebliche Ausmaße annehmen (. Tab. 19.2). Große Bedeutung im Zusammenhang mit der Verteilung von Substanzen hat die Proteinbindung. Die wichtigsten bindenden Proteine sind: 4 Plasmaproteine (Albumin, saures α1-Glykoprotein, Lipoprotein), 4 Hämoglobin, 4 Muskel- und Nukleoproteine. Gebundener und freier Anteil eines Pharmakons stehen im Gleichgewicht, wobei nur der freie Anteil für die Verteilung im Gewebe . Tab. 19.2 Hauptverteilungsräume
19
Kompartiment
19
Zentral
19
Peripher
Flüssigkeitsanteil am Körpergewicht Blutplasma
Rund 4 %
Interstitium
Rund 15 %
Intrazellulärraum
Rund 40 %
verfügbar ist. Der freie Anteil wird auch als der pharmakologisch aktive Teil bezeichnet. Mit Zunahme der Wasserlöslichkeit eines Pharmakons nimmt dessen proteingebundener Anteil ab. Hydrophobe Hypnotika und Benzodiazepine haben dementsprechend hohe Proteinbindungsraten von >90 %. > Nur der freie, nicht proteingebundene Anteil eines Pharmakons kann biologische Membranen passieren und pharmakologische Wirkungen hervorrufen (»free drug hypothesis«)!
Das Ausmaß der Proteinbindung einer Substanz wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst.
Einflussfaktoren auf die Proteinbindung Affinität des Pharmakons zu den Proteinbindungsstellen in Abhängigkeit vom Grad der Hydrophobie Konzentration des Pharmakons im Plasma bzw. Gewebe Konzentration der bindenden Proteine Temperatur, pH-Wert Injektionsgeschwindigkeit
Die Proteinbindungsrate ist keine absolute Größe für eine Substanz, sondern ändert sich bei zunehmender Besetzung der Bindungsstellen mit der Substanzkonzentration. Bei einigen Substanzen kann die Proteinbindungsrate bei intravenöser Gabe durch die Injektionsgeschwindigkeit beeinflusst werden. So konnte gezeigt werden, dass die zur Narkoseeinleitung erforderliche Dosis von Thiopental bei sehr schneller Injektion um ca. 1/3 geringer als bei langsamer Injektion ist [3]. Durch die Bolusgabe kommt es zu einer Sättigung der Bindungsstellen am Albumin und damit zu einer kurzfristigen Erhöhung des freien Anteils. Neben der Proteinbindung haben auch die Organdurchblutung, der Verteilungskoeffizient, die unspezifische Bindung im Gewebe und die pH-Differenzen zwischen den Kompartimenten Einfluss auf die Arzneimittelkonzentration an den Wirkorten.
Elimination und Gesamtkörperclearance Die Ausscheidung von Pharmaka kann über die Niere, Gallenwege, Schleimhäute oder Haut und Hautanhangsgebilde erfolgen. Der renalen und biliären Ausscheidung kommt dabei die größte Bedeutung zu. Die Eliminationswege unterliegen verschiedenen, sowohl medikamenten- als auch patientenspezifischen Einflussfaktoren. Die Ursachen für veränderte Resorption und Elimination beim Intensivpatienten zeigt . Abb. 19.2. Hydrophile Substanzen (bis ca. 60.000 D) können über die Nieren ausgeschieden werden, größere hydrophile und lipophile Moleküle müssen, um ausgeschieden werden zu können, gespalten bzw. in wasserlösliche Moleküle umgewandelt werden. Eine zentrale Rolle spielt hier die Leber. Die Metabolisierung in der Leber kann in 2 Schritte unterteilt werden (. Tab. 19.3). In der Phase-I-Reaktion entstehende Metaboliten sind meist weniger aktiv als der Ausgangsstoff (Entgiftung). Der Metabolit kann aber auch den eigentlichen Wirkstoff darstellen (Prodrug-Aktivierung) oder sogar toxisch sein (Giftung). Phase-II-Reaktionen können sich an Phase-I-Reaktionen anschließen, oder sie erfolgen primär. Am Ende dieser 2-Schritt-Metabolisierung kommt es in der Mehrzahl der Fälle, aber nicht immer, zum Verlust der gewünschten pharmakologischen Wirkung.
255 19.1 · Allgemeine Grundlagen
Intensivpatient
Erhöhtes Verteilungsvolumen
Extravasales Volumen
Flüssigkeitsverluste
Sepsis Trauma Schwere Hypoalbuminämie Flüssigkeitstherapie Parenterale Ernährung vermindertes HZV ....
Veränderte Clearance
Flüssigkeitsansammulngen in Kompartimenten
Drainagen Verbrennungen (frühe Phase) ....
Pleuraergüsse Aszites Mediastinitis ....
Vermehrte Clearance
Verbrennungen (späte Phase) Hyperdyname Phase der Sepsis ....
Verminderte Clearance
Niereninsuffizienz Alter > 75 Jahre ....
. Abb. 19.2 Ursachen für veränderte Resorption und Elimination beim Intensivpatienten
. Tab. 19.3 Hepatische Biotransformation Metabolisierungsschritt
Vorgang
Phase-IReaktion
5 5 5 5
Phase-IIReaktion
5 Glukuronidierung 5 Sulfatierung 5 Acetylierung 5 Methylierung
schen der renalen Clearance (Clren), die leicht berechnet werden kann, und der extrarenalen Clearance (Clextraren) unterschieden.
Wirkung
Cltot = Clren + Clextraren [ml/min] Oxidation Reduktion Hydrolyse Dekarboxylierung
Entstehung biologisch aktiver oder inaktiver Metaboliten
Entstehung unwirksamer, wasserlöslicher Metaboliten
Beispiel Morphin wird zu Morphin-3- und Morphin-6-Glukuronid transformiert und sollte somit inaktiviert und für die Ausscheidung vorbereitet sein. Bei funktionell anephrischen Patienten kommt es aber zu einer Anreicherung von Morphin-6-Glukuronid, das ins Gehirn eindringt und dort identische pharmakologische Effekte wie Morphin auslöst. Niereninsuffiziente Patienten zeigten Zeichen einer Morphinüberdosierung ohne Nachweis von Morphin, aber von Morphin6-Glukuronid im Blut [23].
Die Cytochrom-P450-Enzyme sind die häufigsten Katalysatoren dieser Reaktionen. Hier finden auch die meisten pharmakokinetischen Arzneimittelinteraktionen statt. Als Gesamtkörperclearance (Cltot) wird das Volumen an Blut oder Plasma bezeichnet, das pro Zeiteinheit vollständig von dem Pharmakon befreit wird. Sie ist Ausdruck für die gesamte Leistung der Elimination und setzt sich aus den einzelnen organbezogenen Eliminationsprozessen zusammen. Im Allgemeinen wird nur zwi-
Die totale Clearance kann nicht nur aus den Einzel-Clearances der beteiligten Organe, sondern auch mathematisch aus der applizierten Dosis (D) und der Fläche unter dem Konzentrationsverlauf im Plasma (AUC) berechnet werden. Cltot = D/AUC [ml/min]
Kompartimentmodell Um die physiologischen Verhältnisse der Verteilung und Elimination von Pharmaka möglichst wirklichkeitsnah abzubilden, benötigt man komplexe theoretische Modelle. Zur Interpretation der ablaufenden pharmakokinetischen Vorgänge hat sich für die Praxis als am besten geeignet das Kompartimentenmodell erwiesen. Hier wird der Organismus in wenige Verteilungsräume untereilt, anhand derer die pharmakokinetische Analyse der Substanz erfolgt. Im einfachsten Fall lässt sich der Konzentrationsverlauf des Pharmakons unter der Annahme beschreiben, dass es sich in einem einheitlichen Volumen verteilt (Ein-Kompartiment-Modell). Dieses eignet sich aber nur für das grundsätzliche Verständnis der pharmakokinetischen Vorgänge. In Wirklichkeit ist von einer Verteilung in mindestens 2 Kompartimente unterschiedlicher Größe und Zugänglichkeit auszugehen (Zwei- oder Mehr-KompartimentModell). Aber auch dies stellt eine starke Vereinfachung der tatsächlichen Vorgänge dar. Die pharmakokinetischen Kompartimente haben meist keine physiologische Entsprechung und sind rein mathematische Größen. Beim Zwei-Kompartiment-Modell wird der Organismus in ein zentrales und ein peripheres Kompartiment unterteilt. Man kann davon ausgehen, dass das zentrale Kompartiment dem Blutvolumen
19
256
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
19
und den Organen mit sehr hohem (Gehirn, Herz, Lunge) und hohem Anteil (Nieren, Leber, Gastrointestinaltrakt, Endokrinum) des Herzzeitvolumens entspricht. Entsprechend umfasst das periphere Kompartiment Organe mit mittlerem (Skelettmuskulatur, Haut) und geringem Perfusionsanteil (Fettgewebe). Anders als im Zwei-Kompartiment-Modell wird im DreiKompartiment-Modell eine Einteilung in ein zentrales und in zwei parallele periphere Kompartimente vorgenommen. Es erfolgt die getrennte Betrachtung von Organen mit mittlerer und geringer Durchblutung. Dadurch lässt sich im Drei-Kompartiment-Modell die Kinetik lipophiler Substanzen genauer beschreiben. Das Drei-Kompartiment-System kommt dabei den tatsächlichen pharmakokinetischen Verhältnissen am nächsten. Für die Praxis meist ausreichend ist die Anwendung des Zwei-Kompartiment-Modells.
19
Kinetik 1. und 0. Ordnung
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Für die Wirkung eines Pharmakons ist dessen Konzentration am Wirkort entscheidend. Diese ist aber messtechnisch meist nicht direkt zugänglich. Um trotzdem die Konzentrationen an den Wirkorten abschätzen zu können, wurden pharmakokinetische Modelle entwickelt, die zugrundelegen, dass die Konzentration des Pharmakons am Wirkort Folge der Plasmakonzentrationen ist. Für solche Berechnungen müssen die Bioverfügbarkeit, das Verteilungsvolumen, die Clearance und die Plasmahalbwertszeit eines Pharmakons bekannt sein oder errechnet werden. Die Biotransformation der meisten Pharmaka folgt einer Kinetik 1. Ordnung. Das bedeutet, dass die Eliminationsgeschwindigkeit proportional der Plasmakonzentration ist. Mit Abnahme der Plasmakonzentration nimmt auch die Eliminationsgeschwindigkeit ab. Es kommt zu keiner Sättigung der biotransformierenden Enzymsysteme, und die Extraktionsrate bleibt immer gleich. Trägt man die Arzneimittelkonzentration halblogarithmisch über die Zeit auf, ergibt sich eine Gerade. Aus diesem Grund wird die Kinetik 1. Ordnung auch als lineare Kinetik bezeichnet. Während sich die Eliminationsgeschwindigkeit verändert, sind Clearance und Halbwertszeit bei der Kinetik 1. Ordnung konzentrationsunabhängige Größen. Bei einer Kinetik 0. Ordnung ist die Eliminationsgeschwindigkeit unabhängig von der aktuellen Plasmakonzentration und damit konstant. Anders als bei der Kinetik 1. Ordnung kommt es zu einer Sättigung des speziellen biotransformierenden Enzymsystems. Eine weitere Zufuhr an Substanz führt zu einer überproportionalen Akkumulation. Als Graphik dargestellt erhält man bei linearem Maßstab eine Gerade. Synonyme für Kinetik 0. Ordnung sind Sättigungs- oder Michaelis-Menten-Kinetik. Eine für die Intensivmedizin wichtige Ausnahme bildet Thiopental [29]: Bei einer Dosierung im Bereich von 50‒60 mg/ml, zur Hemmung des zerebralen Funktionsstoffwechsels, kann es zur Sättigung des Enzymsystems kommen. Somit kommt es zu einem Übergang der Kinetik 1. Ordnung in eine Kinetik 0. Ordnung mit der Gefahr der extremen Verweildauer von Thiopental in der pharmakologisch aktiven Form mit z. T. extrem verlängerten Aufwachzeiten.
Halbwertszeiten
19 19 19
Die Plasmahalbwertszeit (t1/2) ist ein Maß für die Eliminationsgeschwindigkeit. Sie kennzeichnet den Zeitraum, in dem sich die Konzentration eines Pharmakons im Plasma halbiert. Sie ist nicht mit der Wirkungsdauer eines Medikamentes gleichzusetzen! Bei einer Kinetik 1. Ordnung ist die Eliminationsgeschwindigkeit einer Substanz proportional ihrer Konzentration, woraus sich ein exponentieller Abfall der Konzentration ergibt. Der Abfall der
Plasmakonzentration folgt bei den meisten Pharmaka einer Kinetik 1. Ordnung, d. h. die Plasmaspiegel halbieren sich in immer gleichen Zeitabständen. In der 1. Phase nach Aufnahme einer Substanz in die Blutbahn wird deren Konzentrationsabfall v. a. durch Verteilungsvorgänge bestimmt. Die Halbwertszeit, die hierfür ermittelt werden kann, wird als Verteilungshalbwertszeit bezeichnet. Später wird die Plasmakonzentration durch die Eliminationsvorgänge bestimmt. Die hierfür berechnete Halbwertszeit wird als Eliminations- oder terminale Halbwertszeit bezeichnet. Sie ist ein Maß für die Verweildauer eines Pharmakons im Körper. Beide Halbwertszeiten erlauben keine quantitativen Aussagen zur Abnahme der Arzneimittelkonzentrationen am Wirkort [21]. > Die Eliminationshalbwertszeit ist nicht mit der Wirkungsdauer eines Pharmakons gleichzusetzen. Die Wirkdauer ist meist lediglich proportional der Eliminationshalbwertszeit.
Die Geschwindigkeit, mit der ein Arzneimittel zum Wirkkompartiment transportiert wird, ist entscheidend für den Wirkungseintritt der Substanz. Dies wird mathematisch mit der Äquilibrierungshalbwertszeit erfasst. Sie gibt Aufschluss über die Anschlagszeit der Wirkung. Seit Einführung der totalen intravenösen Anästhesie ist der Begriff der kontextsensitiven Halbwertszeit hinzugekommen. Man versteht darunter die Zeitspanne von der Beendigung einer Arzneimittelinfusion bis zum Erreichen einer 50 %igen Plasmakonzentration des Pharmakons. Als Grundlage wird angenommen, dass die Abnahme der Plasmakonzentration proportional zur Abnahme der Konzentration an den Wirkorten verläuft. Sie ist von der Applikationszeit abhängig und verlängert sich mit zunehmender Infusionsdauer [11]. Die verschiedenen Halbwertszeiten und ihre Bedeutung zeigt . Tab. 19.4.
19.2
Besondere klinische Situationen
19.2.1
Patienten mit Niereninsuffizienz und Nierenersatztherapie
Ungefähr die Hälfte aller Arzneimittel wird über die Niere ausgeschieden. Dabei gelangen durch glomeruläre Filtration hydro- und lipophile Substanzen gleichermaßen in den Primärharn. Bei dieser Ultrafiltration wird Plasmawasser mit den gelösten Stoffen (bis ca.
. Tab. 19.4 Verschiedene Halbwertszeiten Halbwertszeit
Bedeutung
Plasmahalbwertszeit
Zeitraum, innerhalb dessen sich die Konzentration einer Substanz im Plasma halbiert
Äquilibrierungshalbwertszeit
Maß für die Anschlagszeit der Wirkung
Verteilungshalbwertszeit
Kennzeichnet den Verteilungszeitraum
Eliminationshalbwertszeit
Kennzeichnet den Zeitraum der Elimination
Kontextsensitive Halbwertszeit
Zeitraum, innerhalb dessen sich die Konzentration eines kontinuierlich infundierten Pharmakons nach Infusionsende halbiert
257 19.2 · Besondere klinische Situationen
60.000 D) perfusionsdruckabhängig abgepresst. Größere Substanzen können den glomerulären Filter nicht mehr passieren. Löslichkeitseigenschaften der Substanzen spielen bei der glomerulären Filtration keine Rolle. So werden lipophile Substanzen zwar gut filtriert, aber trotzdem schlecht ausgeschieden, da nach der primären Filtration eine tubuläre Rückresorption im proximalen Tubulus erfolgt. Ist die Eiweißbindung einer Substanz hoch, so gelangt bereits primär nur ein kleiner Anteil in den Primärharn, da nur der nicht gebundene Anteil einer Substanz filtriert werden kann. Neben der Ultrafiltration können Pharmaka mittels tubulärer Sekretion in den Harn gelangen. Bei der tubulären Sekretion handelt es sich um einen aktiven Prozess, bei dem mit Hilfe von Carrier-Systemen dissoziierte organische Säuren und Basen (z. B. Penicilline, Sulfonamide, Sulfonylharnstoffe, Diuretika) gegen ein Konzentrationsgefälle ausgeschleust werden. Hierdurch kann die Effizienz der Ausscheidung hydrophiler Substanzen gesteigert werden. Die Prävalenz des akuten Nierenversagens (ANV) bei Intensivpatienten wird in der Literatur mit 5–20 % angegeben [2, 7, 28, 30]. Bei 85 % der Patienten ist das ANV Teil eines Multiorganversagens [27]. Aber gerade diese Patienten benötigen häufig eine Vielzahl an Medikamenten, und es stellt sich nun die Frage nach der Dosierung der über die Niere ausgeschiedenen Pharmaka. Dabei muss die Abwägung zwischen potenzieller Überdosierung mit Auftreten schwerer Nebenwirkungen und Unterdosierung mit der Gefahr der unzureichenden Wirkung erfolgen.
Schätzung der Kreatininclearance nach Cockroft u. Gault: 4 Männer: ClKrea= (140–Alter)×KG/72×SKrea 4 Frauen: ClKrea = (140–Alter)×KG×0,85/72×SKrea 4 ClKrea = Kreatininclearance, Alter = Lebensalter [Jahre]; KG = Körpergewicht [kg]; SKrea = Serumkreatinin [mg/dl]
Eine weitere Möglichkeit, die Kreatininclearance abzuschätzen ist die MDRD-Formel, die anhand der Daten von über 1600 Patienten mit Nierenerkrankungen entwickelt wurde. GFR (ml/min/1,73 m²)=186×(Kreatinin i. S./0,95)– 1,154×(Alter)–0,203 ×0,742 (bei Frauen) ×1,21 (bei Patienten mit schwarzer Hautfarbe)
Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Luzius Dettli hat in den 1960-er Jahren erstmals beschrieben [10], dass sich die Clearance eines Arzneimittels linear zur Kreatininclearance als Maß für die Nierenfunktion verhält. Diese Abhängigkeit wird in einer mathematischen Funktion durch die Steilheit A und den Achsenabschnitt Clanur charakterisiert, welcher die Clearance bei anurischen Patienten darstellt.
Abschätzung der Nierenfunktion Am Anfang der Überlegungen zur Dosisanpassung von Medikamenten steht die Abschätzung der Nierenfunktion des Patienten. Hierfür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Ein schnell zu bestimmender Parameter ist das Serumkreatinin. Es wird neben weiteren Parametern zur Diagnostik einer Nierenfunktionsstörung herangezogen. Das Serumkreatintin ist als Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels abhängig von der Muskelmasse des Patienten. Kreatinin wird vorwiegend glomerulär filtriert, ein geringer Teil wird auch tubulär sezerniert. Zu einem Anstieg kommt es erst dann, wenn mehr als 60 % der aktiven Nephrone bereits ausgefallen sind. Daher ist dieser Parameter v. a. zur Verlaufsbeobachtung der Nierenfunktion geeignet. Auch die Bestimmung des Serumharnstoffs ist zur Abschätzung der Filtrationsleistung nicht geeignet. Harnstoff wird zur Hälfte tubulär reabsorbiert und ist abhängig von der Ernährung und dem Proteinmetabolismus. Ein Anstieg erfolgt bei einer Nierenfunktionseinschränkung von 60‒70 %. Er kann aber Hinweis auf die Schwere der Urämie liefern. Besser geeignet ist die endogene Kreatininclearance im 24-hSammelurin. Von der Höhe der Kreatin-Clearance kann direkt auf die glomeruläre Filtrationsleistung rückgeschlossen werden. Die Berechnung der Kreatininclearance erfolgt aus dem im 24-h-Sammelurin gemessenen Kreatinin, dem aktuellen Serumkreatinin und der Urinmenge innerhalb von 24 h. ClKrea = UKrea×Vurin/PKrea [ml/min]
Nicht immer liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Dosierung eines Medikaments die endogene Kreatininclearance vor. Diese kann mit Hilfe der Näherungsformel nach Cockroft u. Gault berechnet werden. Dabei wird die Kreatininclearance anhand Serumkreatinin, Alter, Gewicht und Geschlecht abgeschätzt.
Cl = Clanur+A–GFR
Weil diese Abhängigkeit linear ist, können die Parameter zwischen beiden Extremen (normal und Anurie) interpoliert werden. Die Halbwertszeit ist dabei der Clearance umgekehrt proportional. Mit Hilfe der sich daraus ergebenden Proportionalitätsregel nach Dettli kann die Dosis des zu verabreichenden Medikamentes wie folgt berechnet werden: Proportionalitätsregel nach Dettli D/Tau = (D/Tau)norm×(Thalf )norm/Thalf D= Dosis; Tau = Dosierungsintervall; Thalf = Halbwertszeit
Bei Medikamenten mit gewünschtem Spitzenspiegel sollte für die Dosisanpassung besser die Halbierungsregel nach Kunin [18] angewendet werden. Grundlage hier ist die Kumulationskinetik. Um eine rasche Aufsättigung zu erreichen, muss eine hohe Anfangsdosis gewählt werden, die meist der normalen Dosis entspricht. Die Erhaltungsdosis entspricht der halben Startdosis. Als Dosierungsintervall wird die interpolierte Halbwertszeit gewählt. Halbierungsregel nach Kunin: D/Tau = 0,5×Dstart/Thalf D= Dosis; Tau = Dosierungsintervall; Thalf = Halbwertszeit
Der Unterschied zwischen beiden Regeln ist, dass bei der Dosisanpassung nach der Kunin-Regel (Halbierungsregel) die Spitzenspiegel des verabreichten Medikamentes gleich bleiben, es aber zu einer Erhöhung der Talspiegel kommt. Anders bei der Dosisanpassung nach Dettli (Proportionalitätsregel), hier bleibt die AUC gleich, aber die Talspiegel werden seltener erreicht.
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258
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Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Entsprechend der Pharmakokinetik des zu verabreichenden Medikamentes (z. B. hohe Spitzenspiegel erwünscht) kann zwischen beiden Formeln gewählt werden. Beispiel Gentamicin Das Aminoglykosid Gentamicin hat eine Halbwertszeit von 2 h, die Gabe erfolgt 3-mal täglich alle 8 h. Bei Niereninsuffizienz kommt es zu einer Verlängerung der HWZ auf 12 h (Faktor 6). 4 Dosisanpassung nach der Proportionalitätsregel: Entweder Gabe der normalen Dosis statt alle 8 h nur alle 48 h oder Dosis entsprechend reduzieren. 4 Dosisanpassung nach der Halbierungsregel: Beginn der Therapie mit normaler Startdosis und dann Weiterführung der Therapie mit der halben Startdosis nach jeder HWZ (12 h).
Basierend auf diesen pharmakokinetischen Überlegungen werden Empfehlungen für die Dosisanpassung bei verschiedenen Ausprägungen der Niereninsuffizienz meist in Form von Übersichtstabellen ausgegeben. Die Universität Heidelberg bietet unter der Internetadresse www.dosing.de die Möglichkeit der individuellen Dosisberechnung für eine Vielzahl an Medikamenten. > Bei der Anwendung dieser Formeln und Dosierungstabellen muss aber immer bedacht werden, dass es sich dabei um vereinfachte Schemata handelt, die der klinischen Patientensituation nur bedingt gerecht werden können, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren nicht berücksichtigt wird.
Dosisanpassung bei Patienten mit Nierenersatztherapie Ist die Nierenfunktionsstörung so weit fortgeschritten, dass eine Nierenersatztherapie nötig ist, gestaltet sich die Dosisanpassung von Medikamenten noch komplizierter, da durch das Nierenersatzverfahren selbst ein Teil des Medikamentes aus dem Körper eliminiert wird, der bei der Dosisanpassung berücksichtigt werden muss. So kann es bei alleiniger Berücksichtigung und Dosierung des Medikaments nach der Kreatininclearance des Patienten sogar zu einer Unterdosierung des Medikamentes mit u. U. fatalen Folgen kommen (z. B. fehlendes Ansprechen auf eine Antibiotikatherapie bei Sepsis). Neben den patientenspezifischen Faktoren, wie Restausscheidung, weiteres Organversagen, alternative Eliminationswege, müssen unter einer Nierenersatztherapie weitere Einflussfaktoren auf die Elimination von Medikamenten berücksichtigt werden: 4 Medikamentenabhängige Faktoren: Liegt die Molekülgröße des Medikamentes unterhalb der Porengröße der Filtermembran, wie es häufig der Fall ist, so kann das Antibiotikum theoretisch frei filtriert werden. Die Proteinbindung eines Medikamentes verhindert aber die schnelle Elimination aus dem Blutsystem, da es zu keiner Filtration von Eiweißen über die Dialysemembranen kommt. Je größer das Verteilungsvolumen des Medikamentes, desto größer ist die Halbwertszeit im Körper. 4 Verfahrensabhängige Faktoren: Neben dem gewählten Verfahren selbst (z. B. kontinuierlich oder intermittierende Therapie; Hämofiltration oder Hämodialyse) sind dies v. a. das Filtermaterial mit Porengröße und Oberfläche sowie die gewählten Einstellungen zu Ultrafiltrationsrate und natürlich auch die Einsatzdauer des Verfahrens. Die Abschätzung der Arzneimittelelimination bei kontinuierlicher Nierenersatztherapie (CRRT) basiert ebenfalls auf dem Konzept der
totalen Kreatininclearance sowie den pharmakokinetischen Überlegungen von Dettli und Kunin. Die Spezifität der CVVH-Clearance entspricht ungefähr der an der glomerulären Basalmembran. Tubuläre Sekretion und Resorption werden dabei aber nicht berücksichtigt. Konzept der totalen Kreatininclearance CLcreaTOT = CLcreaREN + CLcreaCRRT CLcreaTOT = totale Kreatininclearance; CLcreaREN = Restfunktion der Niere; CLcreaCRRT = Clearance mittels kontinuierlicher Nierenersatztherapie
Die Gesamtclearance wird, wie in 7 Abschn. 19.1.2. bereits erwähnt, in einen renalen und einen nicht renalen Anteil geteilt. Der nicht renale Anteil wird als Q0 bezeichnet, wobei Q0=0 »ausschließlich renale Clearance« und Q0=1 »ausschließlich nicht renale Clearance« bedeutet Die Q0-Werte sind für die meisten Medikamente verfügbar (z. B. www.dosing.de). Gesamtclearance eines Medikamentes: CLgesamt = CLREN + Q0
Bei der Berechnung der Medikamentendosierung muss als erstes die Summe aus renaler Clearance und CRRT-Clearance abgeschätzt werden. Dann erfolgt die Berechnung der prozentualen, reduzierten Dosis. In diese Formel geht implizit eine normale Kreatininclearance von 100 ml/min ein. Individuelle Ausscheidungskapazität: = Q0 + (1–Q0)×CLTOTren/100 ml/min
Fallbeispiel: Patient mit akutem Nierenversagen Es ist keine Restfunktion der Niere vorhanden, der Patient wird mit einer kontinuierlichen Hämofiltration therapiert. Die CVVH-Clearance beträgt 25 ml/min (es werden 1,5 l/h filtriert). Das verabreichte Antibiotikum hat einen Q0-Wert von 0,3. Es ergibt sich eine gesamte renale Clearance (CLTOT en): keine Restfunktion der Niere + CVVH-Clearance =25 ml/min. Damit sollte die Tagesdosis entsprechend der individuellen Ausscheidungskapazität (0,3+0,7×0,25=0,475) auf 47,5 % der Standarddosis reduziert werden. Auch hier muss dann noch die Entscheidung getroffen werden, ob das Dosisintervall verlängert oder die Einzeldosis reduziert wird, je nachdem, ob es auf die Spitzenkonzentrationen oder auf gleichmäßige Wirkspiegel ankommt.
Wie bereits bei der Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie erwähnt, ist durch diese Formel nur die Möglichkeit der Abschätzung geben. Streng genommen ist sie nur bei kontinuierlicher venovenöser Hämofiltration (CVVH) mit Postdilution anwendbar. Bei Prädilution ist die CRRT nicht einfach mit der Ultrafiltrationsrate gleichzusetzen, sondern es geht auch noch der Blutfluss mit ein. Außerdem werden auch hier die vorher genannten Einflussfaktoren nicht adäquat berücksichtigt. Leider ist die Zahl der zu diesem Thema vorhandenen Studien begrenzt. Vorteil dieser Studien ist, dass durch die direkte Messung der Medikamentenspiegel im Blut definitive Rückschlüsse und Empfehlungen für die klinische Praxis gegeben werden können, da hier fast alle Einflussfaktoren Einfluss nehmen. Wichtig ist bei der
259 19.2 · Besondere klinische Situationen
Patient mit Niereninsuffizienz und Medikamentengabe Schwere der Niereninsuffiziens? Kreatininclearance? ggf. Abschätzung mittels Formel CKrea<50 ml/min
Nierenersatztherapie Normale Startdosis
Renale Elimination? Q0 <0,5 Ind. Ausscheidungskapazität: Dind = (1 − Q0) x CIKreaInd/100 + Q0
Dosisanpassung - Spiegelbestimmung - Studiendaten
Dosisanpassung Spiegelbestimmungen, klin. Kontrolle von Nebenwirkungen, Nierenfunktionen
. Abb. 19.3 Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen
Übertragung dieser Empfehlungen, die entsprechenden Studien bezüglich der eingesetzten Verfahren, verwendeten Filter und Einstellungen genau zu lesen. Optimum ist noch immer die direkte Messung der Medikamentenkonzentrationen im Blut, was aber nur bei wenigen Medikamenten und meist nicht zeitnah möglich ist. Bei den Pharmaka, bei denen dies möglich ist, sollten unbedingt Wirkspiegel bestimmt werden. Weiterhin wichtig ist die klinische Kontrolle des Patienten, um Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Bei fehlendem Ansprechen der Pharmakotherapie sollte auch eine potenzielle Unterdosierung in Betracht gezogen werden. Das Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Nierenfunktion zeigt . Abb. 19.3.
19.2.2
Patienten mit Leberinsuffizienz
Die Inzidenz des akuten Leberversagens in Deutschland wird auf 4‒6 Patienten pro 6000 Klinikaufnahmen geschätzt [24]. Die Inzidenz der Leberzirrhose ist unsicher, da bei einer Vielzahl der Patienten eine Leberzirrhose unerkannt bleibt. Bei einer Leberinsuffizienz kommt es neben einer verringerten Enzymaktivität zu einem reduzierten Enzymgehalt mit verminderter intrinsischer Clearance. Es kommt zu einer Verminderung des hepatischen Blutflusses und der vermehrten Ausbildung intra- und extrahepatischer Shuntverbindungen. Diese pathophysiologischen Mechanismen führen zu einer Veränderung der Pharmakokinetik der verabreichten Medikamente. Bei Leberzirrhose kann aufgrund der Veränderungen des hepatischen Blutflusses und der Ausbildung von Kollateralen die Bioverfügbarkeit stark zunehmen. Ein Teil der oralen Dosis gelangt dabei direkt von der Portalvene in den systemischen Kreislauf. Bei diesen Substanzen muss entsprechend nach oraler Gabe die Einzeldosis reduziert werden. Phase-I-Reaktionen sind störanfälliger als Phase-II-Reaktionen, denn sie benötigen mehr Energie. Sauerstoffmangel beeinträchtigt frühzeitig Phase-I-Reaktionen und verlängert die Elimination zahlreicher Medikamente. Die Aktivität des Cytochrom-P450-Systems kann durch Krankheit oder Pharmaka gesteigert (z. B. Hepatitis, Barbiturate) oder vermindert (z. B. Leberzirrhose, Cimetidin) werden. Die Phase-II-Reaktion wird durch die meisten Lebererkrankungen nicht beeinträchtigt.
Abschätzung der Leberfunktion Anders als bei der Niereninsuffizienz mit der Bestimmung der Kreatininclearance existiert für die Leberfunktionsstörung kein idealer, die Organfunktion umfassend beschreibender Einzelparameter. Laborchemische Tests finden als Screening-Methode aufgrund ihrer einfachen Durchführbarkeit vielfache Verwendung in der Abschätzung der Leberfunktion. Sie können aber nur Hinweise auf die Syntheseleistung und exkretorische Funktion der Leber geben. Mit Hilfe von Scores wird versucht, die Leberfunktion zu quantifizieren und eine Prognoseeinschätzung zu erstellen. Der bekannteste Score ist der Child-Score, der nach wie vor als Goldstandard in der Leberfunktionsbeurteilung gilt. Des Weiteren stehen spezielle Funktionstest, wie z. B. der Methacetin-Atemtest, und die Messung der Indocyaningrün (ICG)Clearance zur Verfügung. Der ICG-Test misst die hepatische Extraktion des Farbstoffes Indocyaningrün. Die Eliminationsrate von ICG ist ein Maß für die Leberdurchblutung. Die Ausscheidung von ICG erfolgt unverändert über die Galle, ein extrahepatischer Kreislauf besteht nicht. Nach einer Bolusinjektion von 0,5 mg/kg KG ICG erfolgen in 3- bis 5-minütigen Abständen Blutentnahmen mit Plasmaspiegelbestimmungen über insgesamt 20 min. Vorteil des ICG-Funktionstests ist, dass heute auch eine nichtinvasive Messung mittels dichromatischer Densitometrie direkt am Patientenbett möglich ist. Aber auch durch diese speziellen Funktionstests kann nur ein kleiner Teil der Leberfunktion überprüft werden, und eine Übertragung auf die Gesamtfunktion der Leber ist dadurch nicht einfach möglich.
Vorgehen in der klinischen Praxis In der Regel ergeben sich erst bei schwereren Leberfunktionseinschränkungen relevante Probleme. In diesen Fällen sollte Medikamenten mit extrahepatischer Elimination der Vorzug gegeben werden. Gemieden werden sollten Medikamente mit hepatischer Toxizität, sodass es nicht noch zu einer zusätzlichen Leberschädigung kommt. Des Weiteren sollten Pharmaka, die in Form von Prodrugs vorliegen, möglichst nicht verwendet werden. Ansonsten spielt hier die klinische Kontrolle des Patienten eine große Rolle, um Hinweise auf eine mögliche Überdosierung frühzeitig zu erkennen. Zusätzlich verkompliziert der immer häufigere Einsatz von sog. Leberersatztherapien, wie z. B. MARS- oder Prometheus-System, die Gesamtsituation. Der Einfluss dieser Verfahren auf die Elimination von Medikamenten ist bisher weitgehend unklar, sodass für diese Patienten keine weiterführenden Empfehlungen vorliegen. Das Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Leberinsuffizienz zeigt . Abb. 19.4.
19.2.3
Patienten mit Adipositas
Pharmakokinetische Veränderungen Die physiologischen Veränderungen, die bei der Adipositas auftreten, können die Pharmakokinetik von Medikamenten nachhaltig beeinflussen. Der Einfluss der Adipositas auf die Absorption und Bioverfügbarkeit ist nicht ganz klar. Im Gegensatz zu der erwarteten Verminderung der Bioverfügbarkeit aufgrund der bei Adipositas erhöhten Splanchnikusperfusion [1] zeigten Studien zu Midazolam [16] und Propanolol [6], beide mit moderater bis hoher hepatischer Extraktion, keine signifikanten Unterschiede der Bioverfügbarkeit gegenüber Normalgewichtigen. Ebenso zeigte sich für Ciclosporin bei Patienten nach Nierentransplantation keine Änderung der Bioverfügbarkeit [13]. Insgesamt scheint also die Absorption oraler Medikamente nicht signifikant gestört zu sein, obwohl einige Au-
19
260
19
Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Patient mit Leberinsuffizienz und Medikamentengabe
Formel
Einheit
Body-Mass-Index (BMI)
Aktuelles Gewicht (TBW)/ Größe2
kg/m2
Körperoberfläche (KOF)
TBW 0,425×Größe 0,725×0,007184
m2
Idealgewicht (IBW)
45,4+0,89×(Größe–152,4) [+4,5 (für Männer)]
kg
Lean body weight (LBW)
1,1×TBW– 0,0128×BMI×TBW (für Männer) 1,07×TBW– 0,0148×BMI×TBW (für Frauen)
kg
. Abb. 19.4 Vorgehen zur Dosisanpassung von Medikamenten bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen
Angepasstes Gewicht (ABW)
IBW + KF×(TBW IBW) KF = Korrekturfaktor von 0,4
kg
toren über eine Verzögerung der Magenentleerung bei Adipositas berichten [20]. Das Verteilungsvolumen eines Medikamentes ist, wie bereits erörtert, von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Diese Faktoren können wiederum durch Erkrankungen beeinflusst werden. Bei Adipositas kommt es sowohl zur Zunahme von Fettgewebe als auch fettfreiem Gewebe im Vergleich zu Nichtadipösen. Die Zunahme des Fettgewebes liegt deutlich über der der fettfreien Masse, die 20‒40 % der Gesamtzunahme ausmacht. Somit resultiert eine relative Abnahme des prozentualen Anteils von fettfreier Masse und Wasser bei Adipösen gegenüber Nichtadipösen mit Veränderung des Verteilungsvolumnens der Medikamente. Generell kann festgestellt werden, dass das Verteilungsvolumen bei lipophilen Medikamenten stärker durch die Adipositas beeinflusst wird als bei weniger lipophilen Medikamenten. Hier kommt es nur zu geringer oder auch keiner Veränderung des Verteilungsvolumens. Es gibt aber auch Ausnahmen zu dieser Verallgemeinerung: Ciclosporin, stark lipophil, zeigte in mehreren Untersuchungen ein vergleichbares Verteilungsvolumen für adipöse und normalgewichtige Individuen [13, 31]. Der Einfluss der Adipositas auf die Plasmaproteinbindung ist noch immer unklar. Änderungen der Konzentration der Plasmaproteine oder Veränderungen der Affinität der Plasmaproteine für Substrate können eine Verschiebung von Medikamenten in das Gewebe bewirken. Bei der Bindung an Albumin (z. B. Thiopental, Phenytoin) bei Adipösen kommt es zu keiner signifikanten Änderung der Plasmaproteinbindung [8]. Außerdem liegt aufgrund von Studien die Vermutung nahe, dass sich bei Adipositas die Affinität der Plasmaproteinbindung ändern kann ohne nachweisbare Änderung der Plasmaproteinkonzentration [9]. Bei Adipösen können erhöhte Spiegel an Lipoproteinen, Triglyceriden, Cholesterol und freien Fettsäuren nachgewiesen werden. Diese binden sich an die Serumproteine und hemmen somit die Bindung von Medikamenten. Als Folge davon steigt der freie Anteil der Medikamente im Plasma an. Diese Veränderungen sind noch wenig untersucht und Gegenstand der Forschung. Trotz der häufig vorkommenden fettigen Degeneration der Leber bei Adipösen ist die Clearance der meisten hepatisch eliminierten Medikamente nicht vermindert. Bei einigen Medikamenten aber, wie Methylprednisolon oder Popranolol, ist die hepatische Clearance deutlich reduziert. Vor allem die Phase-II-Metabolisierung von Medikamenten (wie Lorazepam) ist erhöht, während die
Prozentualer Anteil des IBW (%IBW)
TBW/IBW×100 oder (TBW–IBW)/IBW×100
%
Vorhergesagtes Normalgewicht
1,57×TBW–0,0183×BMI × TBW–10,5 (für Männer) 1,75×TBW–0,0242×BMI × TBW–12,6 (für Frauen)
kg
19 19
Stark eingeschränkte Leberfunktion
Leberersatztherapie
Hepatische Elimination?
19 Hoher First-pass-Effekt
19
. Tab. 19.5 Körpermaße
Schwere der Leberinsuffizienz? Laborparameter? Child-Stadium? Leberfunktionstests?
Dosisreduktion
Phase-II-Reaktion
Normale Dosis
Phase-I-Reaktion
?
Studien? Alternativen?
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Klinische Kontrolle bezüglich Nebenwirkungen und Leberfunktion Cave: Medikamenteninteraktionen, Lebertoxizität
Phase-I-Reaktionen substratabhängig und normalerweise erhöht oder unverändert sind. Bei Adipösen ist eine höhere glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beobachtet worden, somit werden primär glomerulär filtrierte Medikamente vermehrt ausgeschieden. Grund hierfür ist der Anstieg des Nierengewichts mit vermehrter renaler Durchblutung. Bei Adipösen mit Nierenfunktionseinschränkungen sollte die Dosierung nach der gemessenen, nicht einer aus Formeln berechneten GFR erfolgen. Bei der Dosierung von Medikamenten stellt sich immer wieder die Frage, welches Gewicht als Grundlage für die Dosisberechnung zugrunde gelegt werden soll. Entsprechend wurde eine Vielzahl von Größen entwickelt, um der Beschreibung der Zusammensetzung des Körpers aus Fettmasse und fettfreier Masse gerecht zu werden (. Tab. 19.5). Der BMI, der am häufigsten zur Definition der Adipositas herangezogen wird, steigt mit dem Körpergewicht an, kann aber nicht zwischen Fett- oder Muskelgewebe unterscheiden. Er ist nicht geschlechtsspezifisch, und sein Vorhersagewert für Erkrankungen wurde nicht an Frauen evaluiert. Die Bestimmung der Körperoberfläche erscheint ein plausibles Körpermaß zu sein, da Größe und Gewicht eingehen, das Geschlecht aber nicht. Sie wird meist zur Dosierung von Chemotherapeutika eingesetzt, wobei ab einer KOF von 2 m2 die Dosis gekappt wird. Für die Dosierung von Antibiotika, speziell den Aminoglykosiden, wurde das angepasste Gewicht (ABW) entwickelt, in dessen Formel ein Korrekturfaktor, entsprechend der Lipophilie des Medikamentes (Aminoglykoside z. B. 0,3) eingeht. Keines dieser einzelnen Körpermaße ist besser geeignet als ein anderes, um die Pharmakokinetik von Medikamenten beim Adipösen zu beschreiben. Bei chronischer Gabe von Medikamenten, bei der v. a. die Clearance eine Rolle spielt, sollte die Dosis nicht auf das
261 19.3 · Interaktionen
aktuelle Gewicht, sondern eher auf das LBW bezogen werden. Für das Verteilungsvolumen stark lipophiler Substanzen sollte das TBW herangezogen werden, und bei chronischer Gabe sollte die Dosierung eher nach der LBW erfolgen [15].
Vorgehen in der klinischen Praxis Es liegen nur sehr wenige Studien zur Dosierung von Medikamenten bei Patienten mit Adipositas per magna vor, die herangezogen werden können. Spezielle Untersuchungen zur Medikamentengabe bei adipösen Intensivpatienten gibt es nicht. Es sollte aber bedacht werden, dass die Adipositas einen signifikanten Einfluss auf die Pharmakokinetik von Substanzen nehmen kann. Welches Gewicht als Grundlage für die Dosisberechnung herangezogen werden sollte, ist sowohl abhängig von dem Medikament selbst als auch von der Art und Dauer der Gabe. So weit wie möglich sollte bei diesen Patienten ein Drug-Monitoring durchgeführt werden und mit Hilfe der klinischen Beobachtung der Erfolg bzw. das Auftreten von Nebenwirkungen frühzeitig erfasst werden. Klinische Studien in diesem Bereich wären gerade bei der derzeitigen Entwicklung der Bevölkerungsstruktur dringend notwendig und wünschenswert.
19.2.4
Alte Patienten
Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Abnahme der Nierenmasse, welche die Nierenrinde stärker als das Nierenmark betrifft. In Analogie zur kortikalen Betonung der Abnahme der Gesamtnierenmasse beobachtet man auch eine altersabhängige, kortikale Reduktion des renalen Blutflusses auf der Basis einer Widerstandserhöhung sowohl in den afferenten als auch den efferenten Arteriolen [4]. Bereits ab dem 30. Lebensjahr kommt es zu einem kontinuierlichen Abfall der glomerulären Filtrationsrate [26]. Neben der Reduktion der renalen Clearance von bis zu 50 % kommt es auch zur Einschränkung tubulärer Funktionen. Die Folge ist eine verlangsamte Ausscheidung von Substanzen mit überwiegend renaler Elimination. Die metabolische Kapazität der Leber ändert sich mit zunehmendem Alter nur geringfügig. Verändert sind v. a. die Phase-IReaktionen, Phase-II-Reaktionen laufen relativ ungestört ab. So ist z. B. die Metabolisierung von Oxazepam mittels Glukuronidierung (Phase-II-Reaktion) nahezu unverändert, während die Hydroxylierung von Midazolam (Phase-I-Reaktion) deutlich verlangsamt ist. Neben diesen altersbedingten Veränderungen der für die Metabolisierung und Ausscheidung maßgeblichen Organe kann es mit zunehmendem Alter bei häufig bestehender Komorbidität auch zu Veränderungen des Verteilungsvolumens von Medikamenten kommen. > Wichtig ist, sich der allein durch das Alter bedingten Veränderungen der Pharmakokinetik von Medikamenten bewusst zu sein und diese bei der Auswahl und Dosierung von Pharmaka zu berücksichtigen.
teilung nur bedingt brauchbar. Für 80 % der Arzneimittel fehlt die Zulassung für Kinder, meist fehlen geeignete Zubereitungen, sodass es immer wieder zu Zwischenfällen bei der Anwendung gekommen ist. Ein besonderes Problem stellt hier v. a. die Pharmakotherapie in der Intensivtherapie von Früh- und Neugeborenen dar. Die Pharmakodynamik im Kindesalter ist noch weitgehend unerforscht. Die 7 Übersicht zeigt Beispiele für Unterschiede bezüglich der Pharmakokinetik zwischen Kindern und Erwachsenen [nach 29].
Unterschiede bezüglich der Pharmakokinetik zwischen Kindern und Erwachsenen 4 Die Säureproduktion ist bei Neugeborenen stark vermindert (Erwachsenenwerte ca. ≥3 Jahre) und in den ersten 6 Monaten ist die Magenentleerung verzögert. 4 Die Resorption durch die Haut ist bei Früh- und Neugeborenen gesteigert. 4 Das Verhältnis Extrazellulärraum und Gesamtkörpervolumen verändert sich altersabhängig; Neugeborenes: Die Extrazellulärflüssigkeit beträgt 45 % des Körpergewichts, beim Erwachsenen sind dies 20–25 %. 4 Die Fett- und Muskelmasse ist bei Kindern gering. 4 Relativ großes Verteilungsvolumen mit Verlängerung der Plasmahalbwertszeit. 4 Die hepatische Metabolisierung verfolgt einen komplexen Verlauf mit einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit bei Früh- und Neugeborenen und anschließend gegenüber Erwachsenen gesteigerter Biotransformation ab 1 Monat. 4 Bei der renalen Elimination ist eine ähnliche Entwicklung wie bei der hepatischen Metabolisierung zu beobachten.
Vor allem bei Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite sind die pharmakokinetischen Besonderheiten im Kindesalter zu berücksichtigen. Die Möglichkeit der direkten Bestimmung von Plasmakonzentrationen von Arzneimitteln hat Dosisempfehlungen basierend auf dem Körpergewicht und dem Alter des Kindes sowie dessen Reifungsgrad ermöglicht. Wo möglich, sollte aber der Individualdosierung durch individuelle Bestimmung von Plasmakonzentrationen der Vorzug zur Therapiesteuerung gegeben werden.
19.3
Interaktionen
Arzneimittelinteraktionen beschreiben die Wechselwirkungen zwischen mehreren gleichzeitig verabreichten Medikamenten, ohne Aussagen darüber zu machen, ob sich daraus vor- oder nachteilige Konsequenzen für den Organismus ergeben.
. Tab. 19.6 Alterseinteilung von Kindern und Jugendlichen
19.2.5
Säuglinge und Kinder
Kinder sind während ihrer Entwicklung großen körperlichen Veränderungen unterworfen. Entsprechend dieser Vorgänge ist auch die Pharmakokinetik verändert und nicht der eines Erwachsenen gleichzusetzen. Um in klinischen Studien diesem Umstand Rechnung zu tragen, erfolgt die Einteilung der Kinder in 5 altersabhängige Kategorien (. Tab. 19.6). Obwohl die Auswahl und Dosierung von Medikamenten häufig an diese einzelnen Altersgruppen angepasst wird, ist diese Ein-
Kategorie
Alter
Frühgeborenes
Geburt vor dem kalkulierten Termin
Neugeborenes
0–27 Tage
Kleinkind
28 Tage bis 23 Monate
Kind
2–11 Jahre
Jugendlicher
12–18 Jahre
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Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
Während eines Krankenhausaufenthaltes erhält ein Patient im Durchschnitt etwa 10 verschiedene Medikamente, wobei die Streubreite zwischen 1 und 47 Medikamenten liegt [17, 30]. Aufgrund der Vielzahl verwendeter Medikamente in der Intensivmedizin sind Interaktionen gerade hier häufiger anzutreffen. Nimmt der Patient weniger als 6 Arzneimittel zu sich, liegt die Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelinteraktionen bei ca. 5 %. Die Häufigkeit steigt auf über 40 % an, wenn der Patient mehr als 15 verschiedene Medikamente erhält [30]. > Die Häufigkeit schwerer unerwünschter Arzneimittelwirkungen wird mit 6,7 %, die tödlicher Komplikationen mit 0,32 % angegeben [19].
Die Häufigkeit von Arzneimittelinteraktionen in der Intensiv- und Notfallmedizin ist nicht bekannt, diese stellen aber ein alltägliches Phänomen dar. Arzneimittelinteraktionen sind nicht immer unerwünscht, sondern können auch gezielt ausgenutzt werden. > 5 Durch die Gabe von Clonidin kann eine Einsparung von Anästhetika und Analgetika erreicht werden. 5 Hypnotika werden durch die gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen in ihrer Wirkung verstärkt.
Die Arzneimittelinteraktionen können in pharmakodynamische, pharmakokinetische und pharmazeutische Interaktionen unterteilt werden.
19.3.1
Pharmakodynamische Interaktionen
Von pharmakodynamischen Interaktionen spricht man, wenn sich gleichzeitig applizierte Arzneimittel in ihrer biologischen Wirkung gegenseitig beeinflussen. Dabei kann es zu einer Wirkungsverstärkung oder auch zu einer Wirkungsabschwächung kommen. Beide sind bedingt durch Wirkungsmechanismen der einzelnen Substanzen und daher relativ gut vorhersehbar. Klinisch relevant sind v. a. die Wirkungsverstärkungen, da es hierdurch zu Symptomen einer Überdosierung (wie bei Intoxikationen) durch eine oder beide beteiligten Substanzen kommen kann (. Tab. 19.7).
19
. Tab. 19.7 Pharmakodynamische Interaktionen Arzneimittelkombination
Klinische Wirkung
Trizyklische Antidepressiva + Sympathomimetika
Blutdruckkrisen, Arrhythmien
Orale Antikoagulanzien + Acetylsalicylsäure
Blutungsrisiko
Aminoglykoside + Schleifendiuretika
Verstärkte Ototoxizität
ACE-Hemmer + kaliumsparende Diuretika
Hyperkaliämie
ACE-Hemmer + NSAID
Verminderter antihypertensiver Effekt
Insulin + nichtselektive β-Blocker
Fehlende Warnsymptome bei Hypoglykämie
19.3.2
Pharmakokinetische Interaktionen
Pharmakokinetische Interaktionen können zu jedem Zeitpunkt zwischen Applikation und Ausscheidung der Medikamente auftreten. Es können sowohl einzelne als auch mehrere Teilprozesse der Pharmakokinetik betroffen sein [22]. So können sich 2 (oder mehrere) gleichzeitig verabreichte Medikamente in ihrer Resorption, Verteilung (v. a. Proteinbindung), Metabolisierung oder Ausscheidung beeinflussen (. Tab. 19.8). Die Resorption eines Medikamentes wird durch Veränderungen des Magen-pH-Werts und der -motilität, durch Nahrungsaufnahme, durch Chelat- oder Komplexbildung vermindert oder beschleunigt. Durch Verdrängung eines Arzneistoffes von den Bindungsstellen an Plasmaproteinen oder im Gewebe werden dessen Verteilung und dadurch auch die freie Konzentration des Pharmakons verändert. Viele Anästhetika sind in der Lage, diverse Medikamente aus ihrer Plasmaproteinbindung zu verdrängen. Die klinische Relevanz dieser Interaktionen ist aber meist unbedeutend [14, 22, 30]. Die Gefahr einer Überdosierungserscheinung ergibt sich allerdings bei der Kombination mehrerer Medikamente mit folgenden Charakteristika:
19 . Tab. 19.8 Beispiele für pharmakokinetische Interaktionen. (Nach [32])
19
Interaktion
Arzneimittel
Verändernde Substanz
Wirkung
19
Veränderung des gastrointestinalen pH-Wertes
Ketoconazol
Antazida, H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer
Verminderung der Bioverfügbarkeit um bis zu 80 %
19
Beeinflussung der Resorption durch Komplexbildung
Tetrazykline, Chinolone
Antazida, Eisenionen
Verminderung der Resorption
19
Veränderung der Resorption durch Hemmung oder Induktion von P-Glykoprotein
Digoxin
Rifampicin
Verminderung der Resorption
19
Gehemmter Metabolismus
Lovastatin
Azol-Antimykotikum
Erhöhung des Plasmaspiegels
Beschleunigter Metabolismus
Clarithromycin
Rifampicin
Verminderung des Plasmaspiegels
Beeinflussung der renalen Elimination
Penicilline, Cephalosporine
Probenecid
Verminderte tubuläre Sekretion, Erhöhung der Plasmaspiegel
Veränderung der Eiweißbindung
Methotrexat
Sulfonamide
Erhöhte Toxizität
19 19
263 Literatur
. Tab. 19.9 Beispiele für pharmazeutische Interaktionen
4 4 4 4
Interaktion
Arzneimittel
Verändernde Substanz
Wirkung
Inkompatibilität
Zahlreiche Substanzen
Furosemid
Inaktivierung
Inkompatibilität
Sulfonamide, Aminoglycoside [5]
Penicillin
Gegenseitige Inaktivierung im Infusionsgemisch
Inkompatibilität
Katecholamine, Kalzium
Natriumbicarbonat
Wirkungsabschwächung
Adsorption an Behälter oder Infusionsleitungen
Insulin, Glyceroltrinitrat
–
Wirkungsabschwächung
Plasmaproteinbindung >90 %, kleines Verteilungsvolumen, geringe therapeutische Breite, Hemmung des Medikamentenabbaus durch die involvierten Substanzen.
Das wichtigste Organ im Arzneimittelstoffwechsel ist die Leber. Die häufigsten pharmakokinetischen Interaktionen sind auf Wechselwirkungen zurückzuführen, die während einer Phase-I- Reaktion das Enzymsystem der Cytochrom-P450-Isoenzyme betreffen, PhaseII-Reaktionen sind weniger betroffen [5, 25]. Durch die Induktion oder Inhibition des Cytochrom-P450-Systems oder durch die Kompetition mehrer Medikamente am selben Enzym wird deren Metabolisierung entweder verlangsamt oder beschleunigt. Im Vergleich zur biliären Exkretion sind bei der Elimination von Pharmaka über die Niere auf der Ebene der glomerulären Filtration, der tubulär passiven Rückresorption sowie der aktiven Sekretion zahlreiche Interaktionen bekannt. Viele dieser pharmakokinetischen Interaktionen beruhen auf der Konkurrenz der Substanzen um Bindungsstellen von Transportsystemen. Solche Interaktionen sind dosisabhängig und treten erst im Sättigungsbereich der Bindungsstellen in Erscheinung. Aufgrund der meist nur geringen Arzneimittelspezifität sind pharmakokinetische Interaktionen schlecht vorhersehbar.
19.3.3
Pharmazeutische Interaktionen
4 Bei den pharmakodynamischen Interaktionen sind v. a. die Wirkungsverstärkungen relevant. 4 Medikamente mit geringer therapeutischer Breite, wie z. B. Digitoxin, Digoxin, Theophyllin, Antikoagulanzien vom Cumarin-Typ oder Antiepileptika, und solche, die den Metabolismus besonders stark beeinflussen (z. B. Barbiturate, Phenytoin, Rifampicin, Carbamazepin, Makrolide, Azol-Antimykotika) bergen ein besonderes Risiko. 4 Wenn möglich sollten problematische Kombinationen vermieden werden. Hierfür sind Kenntnisse über die Grundlagen der Pharmakokinetik und die Metabolisierungswege der häufigsten in der Intensivmedizin verwendeten Medikamente wichtig.
Literatur 1
2
3
4 5 6
Pharmazeutische Interaktionen sind Folge physikochemischer Reaktionen zwischen gleichzeitig intravenös applizierten Substanzen, wie die Präzipitation bei Vermischung einer sauren mit einer alkalischen Lösung. Hierbei spielen Wechselwirkungen 4 zwischen den Wirkstoffen 4 zwischen den zugesetzten Hilfsstoffen 4 zwischen den Wirk- und den Hilfsstoffen eine Rolle. Auch ohne sichtbare Präzipitation kann es bei gleichzeitiger Applikation zweier Substanzen zur Interaktion mit Wirkungsverlust kommen [22]. Eine weitere Form der pharmazeutischen Interaktion ist die Absorption einer Substanz an das Material des Behälters (. Tab. 19.9).
7
8 9
10 11 12
19.3.4
Zusammenfassung
4 Das Risiko von Arzneimittelinteraktionen ist in der Intensivmedizin besonders groß, da hier zahlreiche Medikamente, häufig mit geringer therapeutischer Breite, eingesetzt werden. 4 Die Wahrscheinlichkeit einer Medikamenteninteraktion steigt exponentiell mit der Anzahl der verabreichten Arzneimittel.
13
14 15
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19
264
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Kapitel 19 · Pharmakodynamik und Pharmakokinetik beim Intensivpatienten, Interaktionen
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265
Ernährung K. Mayer
20.1
Einleitung – 266
20.2
Grundprinzipien der Ernährung – 266
20.3
Enterale Ernährung – 266
20.3.1
Gastrointestinale Toleranz – 267
20.4
Parenterale Ernährung – 267
20.5
Integration in ein gemeinsames Konzept – 268
20.5.1 20.5.2 20.5.3 20.5.4 20.5.5 20.5.6 20.5.7 20.5.8 20.5.9 20.5.10
Maßnahmen zur Optimierung der enteralen Ernährung – 268 Sonden – 269 Metabolische Kontrolle und Toleranz – 269 Laborkontrollen in der Ernährungstherapie – 270 Re-Feeding-Syndrom – 270 Ernährung septischer Patienten – 271 Ernährung von Patienten mit akutem Lungenversagen – 271 Ernährung von Patienten mit Nierenversagen – 271 Ernährung in Patienten mit Leberversagen. – 272 Ernährung nach großen Operationen – 272
Literatur – 273
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20
20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
266
Kapitel 20 · Ernährung
20.1
Einleitung
Die Ernährungstherapie stellt eine supportive Therapieform auf der Intensivstation dar. Sie soll primär die Zufuhr von Kalorien, Mikro- und Makronährstoffen sicherstellen, da Patienten durch Erkrankung oder Therapie oral keine ausreichende Ernährung aufnehmen können. Daneben wurde in den letzten Jahren auch klar, dass die Nutzung der Ernährungstherapie zu einer Verhinderung von Infektionen und sekundären Problemen führen kann. Patienten mit intensivpflichtigen schweren Erkrankungen können durch fehlende Zufuhr von Nahrung viel früher als Gesunde an Folgen der Mangelernährung leiden. Ein verspäteter Beginn der Ernährungszufuhr kann zu einem Kaloriendefizit führen, und gerade die ersten Tage des Intensivaufenthaltes sind hierbei entscheidend. Die Folgen eines verzögerten Beginns der Ernährung können mehr sekundäre septische Episoden, ein erhöhter Bedarf an Antibiotika, eine Verlängerung der Beatmungszeit und eine längere Liegezeit auf der Intensivstation sein. Dabei ist der Erhalt der Funktion des Magen- und Darmtraktes für die Barrierefunktion zur Verhinderung einer bakteriellen Translokation, der Funktion des lokalen Immunsystems und Zottenintegrität wichtig. Eine Ernährungstherapie steht als supportive Maßnahme in der Reihenfolge hinter anderen intensivmedizinischen Handlungen. Bevor mit der Ernährung begonnen werden kann, muss der Patient stabilisiert worden sein. Dazu zählen die Behandlung und Kompensation des Schocks, die Initiierung einer Beatmungstherapie und einer antibiotischen Therapie und andere lebenserhaltende Schritte. Bei enteraler Ernährung stellen intestinale Probleme (Ischämie, Obstruktion, Ileus) Kontraindikationen dar.
20
20.2
20
Die Ernährung von Intensivpatienten sollte früh beginnen.
20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
oder einer großen Operation, bei Verbrennungen oder Sepsis kann der Energiebedarf phasenweise ansteigen und um 30–90 % höher als der Grundumsatz liegen. Ein Abfall auf normale Werte kann sich über längere Zeit einstellen. Bei einer Zustandsverschlechterung oder einer infektiösen Komplikation kann der Energiebedarf sich rasch verändern und auf Werte nahe dem Grundumsatz abfallen. Die Energiezufuhr sollte dem Bedarf folgen und sich an die gastrointestinale und metabolische Toleranz anpassen.
20.3
Enterale Ernährung
Enterale Ernährung nutzt den physiologischen Weg für die Ernährungstherapie. Sie erhält die Struktur und Funktion der Darmzotten und führt zu einer Verbesserung der lokalen Immunität des Darmes im Gegensatz zu einer reinen parenteralen Ernährung [1]. Das Konzept der frühen enteralen Ernährung wurde bei postoperativen Patienten nach gastrointestinaler Chirurgie evaluiert. Bei diesen Patienten wurde eine Verminderung von sekundären Infektionen nachgewiesen [2]. Frühe enterale Ernährung reduziert die Anzahl der infektiösen Komplikationen auch bei allgemeinen Intensivpatienten [3]. Genutzt werden meist voll bilanzierte Ernährungslösungen, deren Einsatz die Zufuhr aller notwendigen Komponenten der Ernährung sicherstellt (. Tab. 20.1). Bei besonderen Indikationen können . Tab. 20.1 Ernährungslösungen zur enteralen Ernährung Standardlösungen
Grundprinzipien der Ernährung
> Patienten, die nicht innerhalb von 3 Tagen voll oral ernährt werden können, sollten eine supportive Ernährung erhalten. Dabei ist die enterale Ernährung der parenteralen vorzuziehen.
Ein Ziel des frühen Beginns der Ernährung ist die Vermeidung eines signifikanten Kaloriendefizits in der 1. Woche. Das Kaloriendefizit berechnet sich aus dem Kalorienbedarf des Patienten abzüglich der zugeführten Kalorienmenge. Der Energiebedarf des Patienten kann über die indirekte Kalorimetrie bestimmt werden. Allerdings besitzen nicht alle Intensivstationen eine solche Messeinheit. Eine Möglichkeit der Abschätzung besteht in der Berechnung des Grundumsatzes nach Harris und Benedikt
Abschätzung des Grundumsatzes nach Harris und Benedikt Für Männer: 4 GU=665+[13,8×Gewicht in kg]+[5,0×Körpergröße in cm]– [6,8×Alter in Jahren] Für Frauen: 4 GU=655+[9,6×Gewicht in kg]+[1,8×Körpergröße in cm]– [6,8×Alter in Jahren] 4 Als Faustformel gilt ein Bedarf von etwa 20–25 kcal/kg Kg/Tag.
Der Kalorienbedarf des Intensivpatienten ist keine fixe Größe, sondern folgt krankheitsbedingten Schwankungen. Nach einen Trauma
Eiweiß
Beispielsweise Sojaeiweiß, Milcheiweiß
Kohlenhydrate
Poly-/Oligosaccharide, meist laktosefrei
Lipide
Langkettige Triglyzeride aus Sojabohnen, mittelkettige Triglyzeride
Osmolarität
Isoosmolar (<350 mosmol/l), bestimmt durch den Hydrolysegrad der Eiweiße und Kohlenhydrate
Energiedichte
1,0 kcal/ml
Ballaststoffhaltig Vitamine und Spurenelemente
Bilanzierte Diäten enthalten den Tagesbedarf deckende Mengen an Vitaminen und Spurenelementen
Lösungen mit erhöhtem Energiegehalt
Energiedichte
1,5 oder 2,0 kcal/ml; Nutzung zur Reduktion des Einfuhrvolumens
Oligopeptidlösungen
Eiweiß
Peptide; Nutzung bei Störungen der Pankreasfunktion und Malabsorption, Diarrhö
Immunmodulierende Lösungen
Aminosäuren
Erhöhter Gehalt an Glutamin oder Arginin
Lipide
Erhöhter Gehalt an n3-Fettsäuren und/oder γ-Linolensäure
Vitamine und Spurenelemente
Erhöhter Gehalt an Vitaminen, Antioxidanzien, Nukleotiden
267 20.4 · Parenterale Ernährung
alternative Präparate eingesetzt werden. Bei einer akuten exokrinen Pankreasinsuffizienz, die bei Intensivpatienten nicht selten ist, oder bei Diarrhöen können Lösungen mit Oligopeptiden verabreicht werden. Bei erhöhtem Kalorienbedarf können hochkalorische Lösungen benutzt werden.
20.3.1
Gastrointestinale Toleranz
Der Beginn der Ernährungstherapie sollte mit nur geringen Mengen (10 ml/h) erfolgen. Der Aufbau der Ernährung wird anhand der gastrointestinalen Toleranz gesteuert. Dabei wird das gastrale Residualvolumen bestimmt und auf Reflux geachtet. Bei geringem Residualvolumen wird die enterale Ernährung stufenweise bis zum Erreichen der gewünschten Flussrate gesteigert.
20.4
Parenterale Ernährung
Parenterale Ernährung nutzt einen nicht primär physiologischen Weg für die Ernährung. Bei Patienten, bei denen prinzipiell enterale Ernährung möglich ist, hat parenterale Ernährung den Nachteil einer erhöhten Komplikationsrate wie Kathederkomplikationen und Infektionen im Vergleich zu enteraler Ernährung. > Intensivpatienten, die innerhalb von 3 Tagen bedarfsdeckend oral oder enteral ernährt werden können, sollten keine parenterale Ernährung erhalten.
Nicht bei allen Intensivpatienten kann aber beispielsweise aufgrund von Kontraindikationen oder wegen Intoleranz eine ausreichende enterale Ernährung durchgeführt werden. Parenterale Ernährung sollte in diesen Fall als eine additive Ernährungsmöglichkeit installiert werden. Falls bereits eine weitgehend ausreichende enterale Ernährung durchgeführt werden kann, sollte keine zusätzliche parenterale Ernährung installiert werden. Parenterale Ernährung muss im Gegensatz zu den voll bilanzierten enteralen Ernährungslösungen modular aufgebaut werden. Sie besteht aus den Komponenten 4 Glukose, 4 Lipide, 4 Aminosäuren, 4 Vitaminen und Spurenelemente (. Tab. 20.2). Es besteht die Möglichkeit, einzelne Komponenten zu kombinieren oder Zweikammerbeutel (enthalten Glukose und Aminosäuren) bzw. Dreikammerbeutel (enthalten zusätzlich Lipidemulsionen) zu nutzen. Bei Nutzung von Beuteln müssen weniger Manipulationen am Infusionssystem erfolgen, es besteht eine geringere Gefahr von Nutzerfehlern und ein geringeres Infektionsrisiko. Eine parenterale Ernährung sollte immer mit allen Komponenten (Kohlenhydrate, Aminosäuren, Lipide, Vitamine, Spurenelemente) durchgeführt werden. Aufgrund von pathophysiologischen Überlegungen, experimentellen Studien und Daten aus klinischen Studien bei chirurgischen Patienten raten die europäischen und deutschen Leitlinien, keine reinen auf Sojabohnenöl basierenden Lipidemulsionen mehr zu verwenden [4, 5]. Hintergrund ist der
. Tab. 20.2 Komponenten der parenteralen Ernährung Anteil an Gesamtenergie
[kcal/g]
Respiratorischer Quotient
Zufuhr
Kohlenhydrate
Glukose
Präparate mit unterschiedlichen Konzentrationen
40–60 %, etwa 60 % der Nichtproteinenergie
4
1,0
2–4 (–5) g/ kg Kg/Tag
Lipidemulsionen
1) Sojabohnenölbasierte Lipidemulsionen (LCT) 2) Mischungen aus LCT und mittelkettigen Triglyzeriden (MCT) 3) Mischungen aus Olivenöl (OO) und LCT 4) Fischölbasierte Lipidemulsionen (FO) 5) Mischungen aus LCT/MCT/FO ±OO
1) Enthalten erhöhten Anteil mehrfach ungesättigter n6-Fettsäuren (PUFA) 2) Reduzierter Gehalt an n6-PUFA, schnellere metabolische Verwertung der MCT 3) Reduktion der n-6-PUFA, erhöhter Gehalt an n9-einfach ungesättigten Fettsäuren 4) Erhöhter Gehalt an n3-PUFA; Nutzung zusätzlich zu 1), 2) oder3) 5) Reduktion von n-6-PUFA, geringer Anteil von n-3-PUFA
30–50 %, etwa 40 % der Nichtproteinenergie
9
0,7
0,8–1,5 g/kg Kg/ Tag
Aminosäuren
1) Standardpräparate ohne Glutamin 2) Glutaminhaltige Lösungen
2) Zusätzlich zu 1) während parenteraler Ernährung
1) 15–20 %
1) 4
1) 0,8
1) 1–2 g/kg Kg/ Tag
Vitamine
Fertige Kombinationspräparate
Einfacher Tagesbedarf
Spurenelemente
Fertige Kombinationspräparate
Einfacher Tagesbedarf
20
268
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Kapitel 20 · Ernährung
hohe Anteil von mehrfach ungesättigten n-6-Fettsäuren dieser Lipidemulsionen, die direkt oder indirekt über von der Arachidonsäure abgeleitete Lipidmediatoren wie Prostaglandine und Leukotriene negative Wirkungen auf das Immunsystem und die Vasoregulation entfalten können. Die zur Verfügung stehenden Aminosäurepräparate enthalten aufgrund von Stabilitätsproblemen kein Glutamin. Glutamin ist die am häufigsten vorkommende Aminosäure des Körpers und besitzt die höchste Konzentration von allen Aminosäuren im Plasma. In Gesunden ist sie nicht essenziell, da sie in ausreichender Menge vom Körper synthetisiert werden kann. Glutamin ist Kohlenstoffund Stickstofflieferant für die Nukleotidsynthese und wird für die intrazelluläre Glutathionsynthese benutzt. Im Entzündungs- und Stressstoffwechsel kann Glutamin allerdings zu einer essenziellen Aminosäure beispielsweise für Lymphozyten oder für Epithelzellen des Gastrointestinaltraktes werden. Lymphozyten und Makrophagen benötigen für eine optimale Abwehrfunktion die exogene Zufuhr von Glutamin. Die Aufrechterhaltung der intestinalen Struktur und Barrierefunktion ist an eine ausreichende Verfügbarkeit von Glutamin gekoppelt. Bei Intensivpatienten ist die Glutaminkonzentration in Plasma erniedrigt, und die zusätzliche Zufuhr Glutamin in der parenteralen Ernährung war in einer Metaanalyse mit einer deutlichen Senkung der Sterblichkeit verknüpft [6]. Dieser Vorteil war besonders deutlich bei Patienten, die langfristig rein parenteral ernährt werden mussten.
20
> Eine parenterale Ernährung sollte nach den neuen Leitlinien unter Einschluss von Glutamin durchgeführt werden [5].
20
20.5
20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20
Integration in ein gemeinsames Konzept
Enterale und parenterale Ernährung stellen keine sich gegenseitig ausschließenden Therapien dar. Eine Etablierung von Ernährungsprotokollen und damit Strukturierung der Ernährungstherapie steigert deutlich die Anzahl enteral ernährbarer Patienten. Untersuchungen vor und nach Etablierung von Protokollen zeigen klar den Vorteil hinsichtlich Verkürzung von Beatmungszeiten, Verminderung von sekundären Infektionen und verminderter Sterblichkeit. Auf der anderen Seite konnte eine Metaanalyse zeigen, dass bei unzureichender enteraler Ernährung auch eine frühzeitig begonnene parenterale Ernährung Vorteile in Bezug auf infektiöse Komplikationen und die Sterblichkeit aufweist [7]. Somit sollten enterale und parenterale Ernährung in ein gemeinsames Konzept integriert werden. Die enterale Ernährung ist dabei die primär auszuschöpfende Therapieform. Falls eine ausreichende Ernährung enteral nicht durchgeführt werden kann, sollte der fehlende Anteil durch parenterale Ernährung ergänzt werden.
20.5.1
Maßnahmen zur Optimierung der enteralen Ernährung
Ein häufiges Problem des Intensivpatienten stellen der mangelnde Transport und der Reflux dar. Sie können durch die intensivpflichtige Erkrankung per se ausgelöst werden, da das Versagen des Gastrointestinaltraktes eine Organdysfunktion im Rahmen des Multiorganversagens darstellen kann. Weiterhin können Störungen der Motorik durch Hypoperfusion und Hypoxämie, chirurgische Eingriffe im Abdomen, Sepsis und SIRS, Veränderungen im Elektrolyt- und Säuren-Basen-Haushalt und Flüssigkeitsstatus des Pati-
. Tab. 20.3 Laxanzien und Prokinetika Problemstellung/ Therapieziel
Maßnahme
Verhinderung einer Obstipation Abführen Morphininduzierte Obstipation
Bisacodyl
Supp., 10 mg Drg., 10 mg
Natriumpicosulfat
Trpf., 7,5 mg
Macrogol 3350
10–40 g/Tag
Ggf. Opoidantagonistena
p.o. als Lsg. (Naloxon), s.c. (Methylnaltrexon)
Erythromycin
3×100 mg i.v.
Metoclopramid
3×10 mg i.v.
Gastroparese
Gastroparese und Störung der intestinalen Motilität
Erythromycin
3×100 mg i.v.
Metoclopramid plus
10–30 mg +
Neostigmin
0,5–1,5 mg, i.v., in 1–2 h
a
»off-label use«, die Opioidantagonisten sind für diese Option im Intensivbereich nicht zugelassen. Methylnaltrexon wurde für die palliative Behandlung und in post-operativen Patienten nach Kolonsegmentresektion untersucht.
enten induziert werden. Auf der anderen Seite können Maßnahmen wie Analgosedierung mit Morphinderivaten und die Therapie mit Vasopressoren zu Störungen der Motilität führen (. Tab. 20.3). Bei Patienten kann eine frühe Nutzung von laxierenden Medikamenten helfen, eine Obstipation zu vermeiden. Als erste Option kann Bisacodyl in Betracht gezogen werden. Bei Störungen der gastralen Entleerung und Reflux können Erythromycin oder Metoclopramid zum Einsatz kommen. Hierbei wirkt Erythromycin prokinetisch durch Stimulation der Motilinrezeptoren. Metoclopramid wirkt wahrscheinlich über die Aktivierung des 5-HT4-Rezeptors auf die Peristaltik. ! Cave Die Nutzung von Erythromycin als Prokinetikum und nicht als Antibiotikum könnte in Zukunft zu einer Veränderung der Resistenzlage führen.
Erythromycin sollte nicht länger als 3 Tage angewendet werden, da der Effekt auf die Motilinrezeptoren zeitlich begrenzt ist und ein mangelnder Effekt möglicherweise ein Hinweis auf eine Störung der Signaltransduktion sein kann. Eine Metaanalyse zweier randomisierter Studien an Intensivpatienten zeigte eine deutlich erhöhte Frequenz von Diarrhöen und eine assoziierte Verlängerung der Liegezeit bei Nutzung einer Kombination von Erythromycin und Metoclopramid über 7 Tage [8]. Als Möglichkeiten zur Steigerung der intestinalen Motilität können Erythromycin oder eine Kombination von Metoclopramid und Neostigmin verwendet werden. Neostigmin hemmt als indirektes Parasympathomimetikum die Acetylcholinesterase. Als wichtige Nebenwirkungen können Bradykardie und Bronchokonstriktion auftreten.
269 20.5 · Integration in ein gemeinsames Konzept
20.5.2
Sonden
Ernährungssonden werden zur Zufuhr von bilanzierten Diäten und Medikamenten genutzt. Es können perkutane und transnasale (seltener durch den Mund) Zugangswege genutzt werden. Die geplante oder erwartete Lagedauer wird für den Zugangsweg berücksichtigt. Bei einer langfristigen (>4 Wochen) Ernährung sollte ein perkutaner Zugang genutzt werden. Das distale Ende der Sonde kann gastral oder postpylorisch (duodenal bzw. jejunal) platziert werden. Die Sonde sollte so »tief wie nötig und so hoch wie möglich« gelegt werden. Die Anlage einer gastralen Sonde erfolgt meistens »blind« und erfordert eine Kontrolle mittels Luftinsufflation und Auskultation oder durch Röntgen. Als mögliche Kontraindikationen gelten neben Frakturen im Nasen- und Gesichtsbereich und Obstruktionen im Ösophagus auch schwere Störungen der Blutgerinnung und Thrombopenien. Komplikationen der Sondenanlage sind Schleimhautläsionen, Intubation und ggf. Perforation der Lunge sowie Blutungen. Bei Veränderungen im Ösophagus wie Varizen oder Strikturen ist die Indikation streng abzuwägen und erfordert ggf. ein gemeinsames Vorgehen mit dem Gastroenterologen (Endoskopie). Die Gefahr von Aspirationen bei Beschicken der Sonde ist bei der gastralen Lage höher als bei postpylorischer Anlage. Der Goldstandard der Anlage einer postpylorischen Sonde ist die endoskopisch gestützte Prozedur. Alternativ kann die Sonde auch radiologisch gestützt eingebracht werden. Neben einfachen postpylorischen Sonden gibt es Mehrlumensonden, die neben einem distalen Lumen zur Ernährung ein proximales (gastrales) Lumen zur Entlastung bieten. Nasoenterische Sonden besitzen oft einen geringen Innendurchmesser und müssen dann mittels Ernährungspumpen beschickt werden. Als weitere Alternative sind Sonden verfügbar, die durch ihre Konstruktion mittels Motilität des Magens und Darms das distale Ende selbsttätig in den postpylorischen Dünndarm befördern. Diese Sonden besitzen beispielsweise ein spiralförmiges Ende, ein mit Gewichten beschwertes Ende oder weiche Widerborsten, die den postpylorischen Transport ermöglichen sollen. In einer kleinen Studie an Intensivpatienten, bei denen trotz pharmakologischer Motilitätssteigerung keine ausreichende enterale Ernährung möglich war, war die »blinde« Anlage einer Sonde mit Widerborsten der endoskopisch gestützten Anlage unterlegen [9].
Perkutane Sonden Eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) ermöglicht enteral eine langfristige Ernährung des Patienten. Sie wird endoskopisch gestützt angelegt. Zunächst wird mittels Diaphanoskopie ein möglicher Punktionsort ermittelt. Nach erfolgter transkutaner Punktion wird ein Faden nach oral gezogen und eine Sonde daran befestigt. Diese Sonde wird mittels des Fadens in den Magen und durch die Haut gezogen. Intraoperativ oder in ähnlicher Technik wie eine PEG kann auch eine Jejunostomie anlegt (PEJ) werden. Eine weitere Möglichkeit, eine postpylorische Ernährung zu ermöglichen, besteht in der Wandlung einer bestehenden PEG. Mittels einer Verlängerung (»jejunal extension tube«; JET) kann durch eine PEG endoskopisch oder radiologisch gestützt das distale Ende der Sonde in das Jejunum eingebracht werden (JET-PEG).
Nutzung von Sonden zur Applikation von Medikamenten Die Applikation von Medikamenten über Sonden beim Intensivpatienten ist ein Teil der täglichen Routine. Allerdings müssen Tabletten, bevor sie über die Sonde gegeben werden können, entweder
aufgelöst oder gemörsert werden. Nur wenige Medikamente besitzen eine explizite Zulassung für dieses Verfahren, trotzdem können viele Medikamente genutzt werden. In Betracht gezogen werden muss, dass beispielsweise retardierte Darreichungsformen eine veränderte Kinetik erlangen können. Erwogen werden muss ebenfalls, dass Medikamente durch Kontakt mit Magensäure oder Lichtexposition möglicherweise an Wirksamkeit einbüßen. Bei postpylorischer Lage des distalen Endes werden Medikamente nicht durch die Magensäure aktiviert oder können bei hoher Osmolarität zu Diarrhö führen. In jedem Fall sollte geprüft werden, ob eine andere Zubereitung des Medikamentes wie Tropfen, Saft oder transdermale Pflaster verfügbar ist. Bei Applikation sollte vor und nach dem Medikament die Sonde mit Wasser gespült werden, damit keine Interaktionen zwischen Ernährungslösung und Pharmaka die Stabilität und Wirksamkeit verändert und die Sonde nicht verstopft.
20.5.3
Metabolische Kontrolle und Toleranz
Blutzucker Hyperglykämien sind ein häufiges Phänomen bei Intensivpatienten. Dabei ist noch nicht endgültig geklärt, ob dies ein adaptives Phänomen oder eine Umstellung des Stoffwechsels aufgrund der schweren Erkrankung oder Infektion darstellt. Interessanterweise gibt es Hinweise, dass die Oxidation von Kohlenhydraten in der schweren Sepsis vermindert sein kann [10]. Zusätzlich kann es durch proinflammatorische Zytokine wie Tumor-Nekrose-Faktor α und Endotoxin direkt oder Phosphatidylinsitol(PI)-3-Kinase-Proteinkinase B vermittelt über das Insulinrezeptorsubstrat- (IRS-) 1 zu einer Verminderung der insulinabhängigen Glukoseaufnahme in die Zelle kommen. Der mögliche Nutzen einer »Umverteilung« der Glukoseaufnahme besteht in der Bevorzugung der insulinunabhängigen Aufnahme von Glukose in Gehirn und Herz. Als ein Hintergrund der Insulinresistenz kann in Betracht gezogen werden, dass Glukose bei einer schweren Erkrankung ohne Ernährungstherapie ein knappes Substrat darstellt. Eine Hyperglykämie aufgrund der Insulinresistenz wäre in diesem Fall eine adaptive Antwort des Körpers auf ein schweres Trauma oder eine Infektion. In einer bahnbrechenden Arbeit konnten van den Berghe et al. den Nutzen einer intensivierten Insulintherapie mit einem Zielblutzucker von 80–110 mg/dl bei Intensivpatienten zeigen [11]. In ihrer monozentrischen Studie an zumeist kardiochirurgischen Patienten belegten sie einen Vorteil hinsichtlich Überleben, konnten aber auch beispielsweise eine Verminderung sekundärer Infektionen, Nierenersatzverfahren und Critical-illness-Polyneuropathie zeigen. Nachfolgende Studien erbrachten widersprüchliche Ergebnisse, bis zuletzt die NICE-SUGAR-Studie multizentrisch in Australien, Neuseeland und Nordamerika an über 6000 allgemeinen Intensivpatienten durchgeführt wurde [12]. In der Studie wurde der Unterschied zwischen einer konventionellen Blutzuckerkontrolle mit einen Ziel von ≤180 mg/dl und einer intensivierten Insulintherapie mit einem Zielkorridor zwischen 81 und 108 mg/dl untersucht. Nach 90 Tagen waren in der Gruppe mit intensivierter Insulintherapie signifikant mehr Patienten gestorben. Zusätzlich traten in dieser Gruppe mehr schwere Hypoglykämien auf. Auch in der VISEP-Studie waren in septischen Patienten deutlich mehr Hypoglykämien in der Gruppe mit intensivierter Insulintherapie zu verzeichnen. Interessanterweise haben auch viele Patienten in der Kontrollgruppe der NICE-SUGAR Studie Insulin erhalten, die Zufuhr wurde allerdings bei Unterschreiten einer Schwelle von 144 mg/dl gestoppt.
20
270
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Kapitel 20 · Ernährung
Unklar ist auch die Interaktion mit der Ernährungstherapie. Während van den Berghe den Patienten Glukose intravenös infundierten, erhielten die Patienten der NICE-SUGAR-Studie zumeist eine enterale Glukosezufuhr. > Aufgrund der neuen Ergebnisse wird inzwischen ein allgemeiner Zielkorridor von 80–110 mg/dl bei Intensivpatienten nicht mehr empfohlen. Hypoglykämien sollten unbedingt vermieden werden. Die meisten Experten raten inzwischen zu einer Blutzuckerkontrolle mit einer oberen Zielgrenze von 180 mg/dl bei Intensivpatienten auch mit einer Insulintherapie, aber nicht mehr zu einer zwingenden Einstellung einer Normoglykämie. Falls trotz Insulintherapie die obere Grenze nicht einzuhalten ist, sollte die Zufuhr an Ernährung bzw. bei Einzelkomponenten der Glukose reduziert werden.
Triglyzeride Neben dem Blutzuckerspiegel können unter Ernährungstherapie auch die Triglyzeride ansteigen. Hier sollte ein durch die Ernährung induzierter Anstieg von einer vorbestehenden Fettstoffwechselstörung abgegrenzt werden. Möglichkeiten zur Verminderung der Triglyzeride sind neben einer Verminderung der Zufuhr von Lipiden eine Nutzung von Präparaten, die mittelkettige Triglyzeride (MCT) enthalten und schneller aufgenommen und metabolisiert werden. Falls eine parenterale Ernährung mit Lipidemulsionen durchgeführt wird, kann durch Verteilung der Lipidmenge über einen längeren Zeitraum eine Reduktion der Triglyzeride erreicht werden. Auch bei parenteraler Ernährung kann versucht werden, ob neben einer Reduktion der Zufuhr der Einsatz MCT-haltiger oder fischölhaltiger Präparate zu niedrigeren Triglyzeridkonzentrationen führt.
Laborkontrollen in der Ernährungstherapie
20
20.5.4
20
Neben dem Blutzucker und den Triglyzeriden sollten auch weitere Laborparameter regelmäßig bestimmt werden (. Tab. 20.4).
20 20 20
. Tab. 20.4 Laborparameter in der Ernährungstherapie Parameter
Bemerkungen
Metabolische Kontrolle
Blutzucker Triglyzeride
Elektrolyte+Laktat
Natrium Kalium Kalzium Magnesium Phosphat Laktat
Leber-, Galle- und Pankreas-Parameter
Transaminasen γ-GT Alkalische Phosphatase Bilirubin Lipase
Ernährung
Albumin Präalbumin Cholinesterase
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Vermeidung von Hypoglykämien, Glukose ≤180 mg/dl Triglyzeride ≤400 mg/dl
Parameter des Ernährungsstatus
Die Kontrolle der Leber-, Galle- und Pankreasparameter ist nicht spezifisch für die Ernährungstherapie, ermöglicht aber, Störungen in dem Verdauungssystem zu erfassen und darauf mit der Ernährungstherapie zu reagieren. Als Parameter für die Wirksamkeit der Ernährungstherapie ist international und in Studien v. a. Präalbumin etabliert. Benutzt werden allerdings auch Albumin und die Cholinesterase. Es muss beachtet werden, dass Albumin auch durch eine schwere Erkrankung vermindert sein kann (»negatives Akutphasenprotein«). Präalbumin ist aufwendiger zu messen und wird nicht in allen Routinelabors vorgehalten. Die Cholinesterase reagiert als Parameter der Synthesefunktion der Leber rasch auf eine mangelnde Zufuhr von Ernährung und kann ebenfalls als Surrogat benutzt werden.
20.5.5
Re-Feeding-Syndrom
Das Re-Feeding-Syndrom wird durch den Beginn einer enteralen oder parenteralen Ernährung bei chronisch unterernährten Patienten ausgelöst. Es umfasst 4 Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes, 4 metabolische Entgleisungen, 4 intestinale Störungen, 4 neurologische Störungen , 4 kardiorespiratorische Störungen. Das Syndrom kann bei mangelnder Ernährung beispielsweise bei Tumorpatienten, Patienten mit Alkoholabusus, bei Anorexia nervosa, aber auch nach Hungerstreiks und anderen nicht medizinischen Ursachen (Vermisste ohne Nahrung) auftreten. Das Re-Feeding-Syndrom kann sich klinisch durch eine Vielzahl von Symptomen manifestieren und praktisch jedes Organsystem beeinflussen. Neurologisch können Krämpfe, Enzephalopathie und Lähmungen auftreten. Eine respiratorische Insuffizienz kann sich entwickeln, kardial können Arrhythmien, EKG-Veränderungen und eine Kardiomyopathie auftreten. Auch Rhabdomyolysen und Muskellähmungen sind beschrieben worden. Störungen der Nierenfunktion und der Funktion der Leukozyten, Erythrozyten und Plättchen können auftreten. Durch die anabolen Veränderungen nach Zufuhr von Ernährung bei unterernährten Patienten kann ein Mangel an Elektrolyten entstehen. Laborparameter des Re-Feeding-Syndroms sind Verminderungen der Phosphat-, Kalium-, Magnesiumkonzentration und Hyperglykämien. Auch eine Flüssigkeitsretention kann sich einstellen. Ein wichtiger Parameter ist die Hypophosphatämie, da Phosphat als integraler Baustein des ATP essenziell für die Energieversorgung der Zellen ist. Ebenso ist Phosphat in zelluläre Signaltransduktionsvorgänge (cAMP, cGMP) eingebunden und Bestandteil von Phosphoproteinen, Phospholipiden, RNS und DNS. Ein Mangel an Phosphat zieht massive Störung zellulärer Funktionen und damit der Funktion der Organe nach sich. Die Hypokaliämie kann zu Muskelschwäche, Herzrhythmusstörungen und EKGVeränderungen führen. Bei Kaliumkonzentrationen <2,5 mmol/l kann eine Rhabdomyolyse einsetzen. Mangel an Magnesium löst neurologische Symptome (u. a. Hyperreflexie, Tetanie), Störungen der Muskelfunktion und kardiorespiratorische Insuffizienz aus. Bei Patienten mit Alkoholabusus kann noch ein Thiaminmangel bestehen, der sich in einer Wernicke-Enzephalopathie, einer Kardiomyopathie und Laktatazidose äußert. Um das Re-Feeding-Syndrom zu vermeiden, sollte bei prädisponierten Patienten mit einer Korrektur der Elektrolytstörungen vor dem Start der Ernährung begonnen werden. Gegebenenfalls sollten Vitamine (Thiamin) und Spurenelemente substituiert wer-
271 20.5 · Integration in ein gemeinsames Konzept
den. Die Ernährung sollte hypokalorisch begonnen und dann langsam gesteigert werden. In schweren Fällen oder bei Patienten mir hohem Risiko können trotz einer nur sehr geringen Kalorienmenge von 5 kcal/kg Kg/Tag schwere Elektrolytentgleisungen auftreten.
20.5.6
Ernährung septischer Patienten
Auch septische Patienten sollten primär enteral ernährt werden, retrospektive Daten aus einer Prävalenzstudie des SepNet stützen diese Empfehlung [13]. Die Kontrolle des Blutzuckerspiegels und die Abschätzung des Kalorienbedarfs sind bei septischen Patienten schwierig, da durch Schwankungen des Schweregrads der Erkrankung schnell Änderungen des Stoffwechsels ausgelöst werden können. Nachdem die VISEP-Studie des SepNet [14] wegen schwerer Hypoglykämien in der Studiengruppe mit dem Therapieziel des Blutzuckerwertes von 80–110 mg/dl abgebrochen werden musste, wird inzwischen ein Ziel von <180 mg/dl angestrebt. Die Insulinresistenz in der Sepsis beruht wahrscheinlich z. T. auf einer Störung in der Signaltransduktion der insulinabhängigen Glukoseaufnahme in die Zelle. Sie ist Teil einer Umstellung des Metabolismus von der Oxidation der Glukose zu der Nutzung von Lipiden. Die Nutzung von reinen LCT-basierten Lipidemulsionen für die parenterale Ernährung wird in septischen Patienten allerdings nicht empfohlen, da sie zu einer gesteigerten Bereitstellung von Präkursorfettsäuren für Lipidmediatoren führen können. Der Einfluss immunmodulierender enteraler Ernährung ist bei septischen Patienten untersucht worden. Bei Patienten mit niedrigem Schweregrad – gemessen mittels APACHE-Score – wurde eine Verbesserung des Überlebens durch Lösungen mit n-3-Fettsäuren und Arginin gefunden. Für Patienten mit schwerer Sepsis und septischen Schock konnte dieser Vorteil nicht bestätigt werden. In weiteren Studien mit einer n-3-Fettsäuren, γ-Linolensäure und Antioxidanzien enthaltenen Ernährung wurde in einer Metaanalyse ebenfalls ein Überlebensvorteil gefunden. Diese Daten werden derzeit in einer multizentrischen Studie überprüft. Während internationale Leitlinien die Nutzung von enteraler immunmodulierender Ernährung bei Patienten mit leichter Sepsis mit empfehlen [15], raten die Leitlinien des deutschen SepNet nicht zu einer Nutzung der argininhaltigen Ernährung, da a priori nicht der Schweregrad einer Sepsis vorhergesagt werden kann (Arbeitsversion, revidierte Leitlinie »Prävention, Diagnose und Therapie der Sepsis«, Deutsche Sepsis-Gesellschaft 2009).
20.5.7
Ernährung von Patienten mit akutem Lungenversagen
Das akute Lungenversagen ist pathophysiologisch durch eine pathologische Permeabiltät der endothelial-alveolären Schranke gekennzeichnet. Gleichzeitig kommt es zum Sequestrieren von aktivierten Leukozyten in der kapillären Strombahn mit konsekutiver Invasion in den Alveolarraum. Die physiologische Anpassung der Perfusion und Ventilation (»matching«) ist erheblich gestört. Die beschriebenen Vorgänge werden auch durch aus der Arachidonsäure abgeleitete Lipidmediatoren reguliert. Eine Beeinflussung der Störungen ist experimentell durch n-3-Fettsäuren, die zu weniger aktiven Lipidmediatoren führen, beschrieben. Eine enterale Immunonutrition mit n-3-Fettsäuren, γ-Linolensäure und Antioxidanzien konnte in mehreren multi- und monozentrischen Studien zu einer Verbesserung des pO2/FIO2-Verhältnisses, einer Verminderung von Organversagen und zu einer Verkürzung der Beatmungszeit führen. Eine Metaanalyse zeigte so-
gar eine hochsignifikante Verbesserung der Sterblichkeit [16]. Eine multizentrische Studie des amerikanischen ARDS-Netzwerkes, die die aktiven Bestandteile dieser Ernährung als Bolus verabreichte, wurde vor kurzem vorzeitig beendet, weil in einer Zwischenanalyse kein Vorteil gefunden werden konnte. Aufgrund der Unterschiede in dem Design der Studien (u. a. kontinuierliche vs. Bolusapplikation und unterschiedliche Kontrolllösungen) ist eine Integration der noch nicht publizierten Ergebnisse nicht einfach möglich. Für die parenterale Ernährung konnte gezeigt werden, dass bei der Zufuhr von Lipidemulsionen eine zu schnelle Infusion und damit Überlastung der Clearing-Funktion bei Patienten mit akutem Lungenversagen eine Störung der Anpassung von Ventilation und Perfusion der Lunge auslösen und das pO2/FIO2-Verhältnis verschlechtern kann [17]. Weiterhin konnten sogar nach zu schneller Infusion Lipidpartikel in dem Alveolarraum gefunden werden, die eine inflammatorische Reaktion auslösten [18]. > Die Lipidemulsion sollte deshalb langsam (mindestens über 12 h) infundiert werden.
Im Vergleich zu LCT-basierten Lipidemulsionen konnten in kleineren Studien an Patienten mit Sepsis oder Pankreatitis Vorteile hinsichtlich des pO2/FIO2-Verhältnisses für Lipidemulsionen mit reduziertem Anteil von n-6-Fettsäuren und Fischöl gefunden werden [19, 20]. > Auch für Patienten mit akutem Lungenversagen wird deshalb nicht mehr zur Nutzung von reinen LCT-basierten Lipidemulsionen für die parenterale Ernährung geraten.
20.5.8
Ernährung von Patienten mit Nierenversagen
Eine Einschränkung der Nierenfunktion führt zu einer Reduktion der Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen, Wasser und Elektrolyten sowie zu endokrinen Störungen. Eine metabolische Azidose, Anstieg von Kalium, Phosphat und Magnesium können nachgewiesen werden. Im chronischen Fall können noch eine verminderte Aktivierung von Vitamin D3 und konsekutiv ein sekundärer Hyperparathyreoidismus auftreten. Durch den Beginn der Nierenersatztherapie werden die harnpflichtigen Substanzen eliminiert und die Elektrolytstörungen korrigiert. Es kommt aber auch zu einem erhöhten Verlust von Aminosäuren, wasserlöslichen Vitaminen, Spurenelementen und L-Carnitin. Je nach Dialysemethode wird dem Patienten Zitrat, Laktat, Glukose oder Bikarbonat zugeführt (. Tab. 20.5). Generell sollten auch Patienten mit Nierenversagen möglichst enteral ernährt werden. Im akuten Nierenversagen vor dem Start einer Nierenersatztherapie sollte bei erhöhten Retentionsparametern und Anstieg der Elektrolyte eine elektrolytreduzierte, eiweißreduzierte, nierenadaptierte hochkalorische (1,5–2,0 kcal/ml) Ernährung benutzt werden. Nach Beginn der Nierenersatztherapie ist eine nierenadaptierte und elektrolytreduzierte, eiweißreiche und hochkalorische Ernährung besser geeignet.
20
272
20
Kapitel 20 · Ernährung
. Tab. 20.5 Zusammensetzung der Ernährung bei Nierenversagen ANV vor Nierenersatztherapie
20 20 20 20 20 20
ANV unter Nierenersatztherapie
Kohlenhydrate
3–5 g/kg Kg/Tag (bis 7 g/kg Kg/Tag)
Lipide
0,8–1,2 g/kg Kg/Tag (bis 1,5 g/kg Kg/Tag)
Protein
0,6–0,8 g/kg Kg/Tag (bis 1,0 g/kg Kg/Tag)
Energie
20–25 kcal/kg Kg/Tag (bis 30 kcal/kg Kg/Tag, bedarfsadaptiert)
Vitamine+Spurenelemente
Der Tagesbedarf wird bei enteraler Ernährung durch die volladaptierten Lösungen gedeckt.
Protein
1,0–1,2 g/kg Kg/Tag (bis 1,5 g/kg KG/Tag)
Vitamine+Spurenelemente
Erhöhter Bedarf (ca. 1,5–2,5-fach) an wasserlöslichen Vitaminen und Spurenelementen.
CNV vor Nierenersatztherapie
Wie ANV vor Nierenersatztherapie Energiebedarf
CNV unter Nierenersatztherapie
20
20–25 kcal/kg Kg/Tag (bis 35 kcal/kg Kg/Tag, bedarfsadaptiert) Wie ANV vor Nierenersatztherapie
Energiebedarf
20–25 kcal/kg Kg/Tag (bis 35 kcal/kg Kg/Tag, bedarfsadaptiert)
ANV=akutes Nierenversagen, CNV=chronisches Nierenversagen.
20 Ernährung in Patienten mit Leberversagen.
20
20.5.9
20
20
Durch das Leberversagen per se und Folgeerkrankungen wie portale Hypertension werden Störungen des Stoffwechsels und des Kreislaufs ausgelöst. Typische Folgen umfassen noch Ösophagusvarizen, Aszites mit spontan bakterieller Peritonitis, die hepatische Enzephalopathie, Hypoalbuminämie und Störungen des Triglyzerid-, Glukose- und Aminosäurenmetabolismus. Bei kompensierter Leberinsuffizienz sollte möglichst eine enterale Ernährung erfolgen. Die Anlage einer gastralen Sonde ist auch bei Ösophagusvarizen nicht absolut kontraindiziert, sollte allerdings nach Kenntnis des Schweregrades und Rücksprache mit einem Gastroenterologen erfolgen. Die Anlage einer PEG sollte wegen Aszites vermieden werden. Die empfohlene Energiezufuhr (30, ggf. bis 40 kcal/kg Kg/Tag) und Proteinzufuhr (1,2–1,5 g/kg Kg/Tag) muss an den Bedarf des Patienten angepasst werden. Wegen der Störung wichtiger metabolischer Wege in der Leber sollten engmaschige Kontrollen von Blutzucker, Laktat, Ammoniak und Triglyzeriden erfolgen. Bei hepatischer Enzephalopathie oder erhöhtem Ammoniak sollte die Ernährung auf Produkte mit höherem Anteil verzweigtkettiger Aminosäuren (Leuzin, Isoleuzin, Valin) und einem geringen Anteil von Methionin umgestellt werden. Als weitere Unterstützung kann Ornithinaspartat gegeben werden. Patienten mit fulminantem Leberversagen sollten ebenfalls möglichst enteral ernährt werden, auch mittels nasoduodenaler Sonde. Es besteht eine hohe Gefahr von Hypoglykämien, der mit einer ausreichenden Zufuhr von Kohlenhydraten, ggf. auch mittels Infusion von Glukose, begegnet werden sollte.
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20.5.10
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20 20 20
Ernährung nach großen Operationen
Die Ernährung in chirurgischen Patienten beginnt bei elektiven Patienten bereits vor Aufnahme auf der Intensivstation und muss in ein interdisziplinäres Konzept eingebettet werden. Der Patient sollte bereits präoperativ mittels standardisierter Tools auf Hinweise für Unterernährung untersucht werden. Gegebenenfalls sollte eine supplementierende enterale oder parenterale Ernährung installiert werden. Bei Patienten mit elektiver Tumorchirugie des Halses (La-
ryngektomie, Pharyngektomie) oder des Abdomens (Ösophagektomie, Gastrektomie, Pankreatoduodenektomie) sollte eine perioperative Ernährung mit einer immunmodulierenden Ernährung mit Arginin, n-3-Fettsäuren und Nukleotiden begonnen werden. Die Nutzung dieser immunmodulierenden Ernährung hat eine Reduktion infektiöser Komplikationen und eine Verkürzung der Liegezeit zur Folge. In die Planung der Operation, beispielsweise bei abdominellen Eingriffen, sollte die Möglichkeit einer intraoperativen Anlage einer Jejunostomie oder einer Sondenanlage, deren Ende distal der Anastomose liegt, einfließen. Durch Trauma oder einen chirurgischen Eingriff können typische Veränderungen des Stoffwechsels aufgelöst werden. In der primären Phase wird durch Katecholamine der Kreislauf stabilisiert. Kortison und Glukagon führen zu einer Glukoneogenese und Freisetzung von Glukose zur Versorgung glukoseabhängiger Organe. Eine Insulinresistenz verhindert die Aufnahme von Glukose in insulinabhängigen Geweben und führt zu einer präferenziellen Nutzung in insulinunabhängigen Organen wie dem Gehirn. Durch Lipolyse werden freie Fettsäuren als Energielieferanten zur Verfügung gestellt. Es folgt eine katabole Postaggressionsphase, in der zusätzlich zu der Lipolyse endogenes Eiweiß abgebaut wird, um nach Aufbrauchen der Glykogenspeicher Glukose zur Verfügung stellen zu können. Es schließt eine anabole Reparationsphase an, in der Gewebe und Strukturen wieder aufgebaut und repariert werden. Eine orale oder enterale Ernährung nach chirurgischen Eingriffen sollte früh begonnen werden. In die Entscheidung für den Beginn und die Steigerung der Ernährung sollten die individuelle Toleranz und die Art des operativen Eingriffs einfließen. Kontraindikationen für den Beginn einer oralen oder enteralen Ernährung sind Ileus, intestinale Obstruktionen oder Ischämien und Schock. Eine Ernährung über Sonde sollte bei Patienten begonnen werden, die nicht oral ernährt werden können. Betroffene Gruppen sind Patienten nach Eingriffen im Kopf-Hals-Bereich und nach gastrointestinaler Tumorchirugie. Ebenfalls sollten Patienten mit deutlicher Unterernährung und mit erwarteter inadäquater oraler Nahrungszufuhr über mehr als 10 Tage über Sonde ernährt werden. Der Beginn kann dabei innerhalb der ersten 24 h nach dem Eingriff mit kleinen Volumen (10 bis maximal 20 ml/h) erfolgen. Der Nah-
273 Literatur
rungsaufbau bis zum Ernährungsziel kann 5–7 Tage dauern, ohne dass dies als negativ angesehen wird.
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275
Hämorrhagischer Schock R. Larsen
21.1
Definition und Einteilung der Schocksyndrome – 276
21.2
Pathophysiologie – 276
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.2.6 21.2.7 21.2.8 21.2.9 21.2.10 21.2.11
Sympathoadrenerge Kompensationsreaktionen – 276 Allgemeine hämodynamische Störungen – 276 Makro- und Mikrozirkulation – 277 Atmung – 277 Nierenfunktion – 277 Darm – 277 Leberfunktion – 277 Blutgerinnung – 277 Säure-Basen-Haushalt – 277 Ischämie/Reperfusion – 277 Dekompensierter und irreversibler Schock – 278
21.3
Klinisches Bild und Einschätzung – 278
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
Allgemeine Schockzeichen – 278 Einschätzung des hämorrhagischen Schocks – 278 Differenzialdiagnose – 281 Laboruntersuchungen – 281
21.4
Behandlung des hämorrhagischen Schocks – 281
21.4.1 21.4.2 21.4.3 21.4.4
Volumenersatz – 281 Bluttransfusion – 282 Optimierung der Blutgerinnung – 283 Begleitmaßnahmen – 284
Literatur – 285
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_21, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
21
21 21 21 21 21 21
276
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
21.1
Definition und Einteilung der Schocksyndrome
Der Schock ist eine akute oder subakute kritische Abnahme der Organdurchblutung oder eine primär verminderte O2-Aufnahme der Zellen mit nachfolgender Zellhypoxie und Anhäufung toxischer Metaboliten sowie Störungen des Zellstoffwechsels. Unbehandelt führt der Schock zum Zusammenbruch des Zellstoffwechsels und der Mikrozirkulation und schließlich zum irreversiblen Herz-Kreislauf-Kollaps. Der Schock ist keine Krankheitseinheit, sondern umfasst eine Gruppe von Syndromen verschiedener Ätiologie und wechselnder Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Funktion. Vereinfacht können 5 Schockkategorien unterschieden werden [1] (7 Übersicht).
21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21
Zentralisation Schockkategorien 4 Hypovolämischer Schock durch Blutverluste oder Dehydratation. 4 Kardiogener Schock durch ein primäres Versagen der Pumpleistung des Herzens bei ausreichenden Füllungsdrücken. 4 Septischer Schock: distributiver Schock durch bakterielle Infektion mit Freisetzung bakterieller Polysaccharide oder Proteine. 4 Anaphylaktischer Schock: distributiver Schock durch IgE-abhängige anaphylaktische und IgE-unabhängige anaphylaktoide Überempfindlichkeitsreaktionen. 4 Neurogener Schock: distributiver Schock durch generalisierte Vasodilatation mit relativer Hypovolämie bei neurologischen oder neurochirurgischen Erkrankungen. Der hämorrhagische Schock ist eine spezielle Form des hypovolämischen Schocks. Unterschieden werden: – hämorrhagischer Schock durch akute Blutung ohne wesentliche Gewebeschädigung, – traumatisch-hämorrhagischer Schock durch akute Blutung und gleichzeitige ausgedehnte Gewebeschädigung mit Freisetzung von Mediatoren.
Der hämorhagische Schock ist die häufigste Form des hypovolämischen Schocks.
21
21.2
21
Die einzelnen Schocksyndrome verlaufen initial nicht einheitlich, führen aber im weiteren Verlauf zu gleichartigen Reaktionen und Störungen der Organfunktion durch Gewebehypoxie und Anhäufung toxischer Metaboliten. Allen Schocksyndromen ist das Versagen von Zellfunktionen der lebenswichtigen Organe gemeinsam.
21
21.2.1
21 21
Zusammen mit der Stimulation des Herzens kontrahieren sich die afferenten Ateriolen der weniger lebenswichtigen Gefäßgebiete: Peripherer Widerstand und arterieller Blutdruck steigen an. Diese neurohumorale Reaktion wird als Zentralisation bezeichnet. Sie führt zu einer Umverteilung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens zu den sog. Vitalorganen (Herz und Gehirn), sodass die Durchblutung dieser Organe zunächst aufrechterhalten werden kann.Außerdem kontrahieren sich kompensatorisch die venösen Gefäße: Der venöse Rückstrom nimmt vorübergehend zu. Daneben strömt interstitielle Flüssigkeit in das Gefäßsystem und vermehrt das intravasale Volumen. > Die sympathoadrenergen Kompensationsreaktionen können in der Regel Volumenverluste von 30–40 % des Blutvolumens ausgleichen, während ohne diese Reaktionen ein Blutverlust von 15–20 % über eine Dauer von 30 min nicht überlebt wird.
21.2.2
Allgemeine hämodynamische Störungen
Bei den meisten Schockformen fällt bereits frühzeitig das Herzzeitvolumen ab (Ausnahme: septischer Schock). Ursache ist ein Versagen der Pumpleistung des Myokards oder eine erhebliche Abnahme des venösen Rückstroms zum Herzen. Hierdurch fällt der arterielle Blutdruck ab. Der periphere Widerstand ist beim hypovolämischen und kardiogenen Schock erhöht, im septischen Schock hingegen vermindert (. Tab. 21.1).
Pathophysiologie
21 21
und Noradrenalin aus den peripheren Nervenendigungen freigesetzt werden. Die Gefäße kontrahieren sich, die Herzfrequenz und die Kontraktilität des Myokards nehmen zu, nachfolgend auch das Herzzeitvolumen. Die Atmung wird durch die sympathoadrenerge Reaktion ebenfalls gesteigert. Bei anhaltender Stimulation der Hochdruckrezeptoren im Aortenbogen und Karotissinus sowie der Niederdruckrezeptoren im Herzen und in den Lungengefäßen werden Stresshormone ausgeschüttet. Hierzu gehört auch das Arginin-Vasopressin (AVP), dessen Sekretion, ausgelöst durch Stimulation sinoaortaler Rezeptoren als Reaktion auf mäßige Blutdruckabfälle, in 2 Phasen verläuft: einem initialen »burst« und einem lange anhaltenden Plateau. AVP wirkt über den V1-Rezeptor direkt vasonkonstringierend, verstärkt aber aber auch die vasokonstriktorischen Wirkungen von Noradrenalin und Angiotensin II.
Sympathoadrenerge Kompensationsreaktionen
Anfangs reagiert der Organismus auf den akuten Blutverlust mit zahlreichen hormonellen und neurohumoralen Kompensationsmechanismen. Durch Stimulation der Barorezeptoren wird v. a. eine sympathoadrenerge Reflexreaktion ausgelöst, durch die innerhalb weniger Sekunden Adrenalin aus dem Nebennierenmark
. Tab. 21.1 Pathophysiologische Charakteristika der Schocksyndrome Parameter
Hypovolämischer Schock
Kardiogener Schock
Septischer Schock
Blutdruck
p
p
p
Herzzeitvolumen
p
p
n bzw. p
Afterload bzw. Gefäßwiderstand
n
n
p bzw. n
Preload bzw. Wedge-Druck
p
n
p
277 21.2 · Pathophysiologie
21.2.3
Makro- und Mikrozirkulation
Die Zentralisation des Kreislaufs ist zunächst eine sinnvolle Kompensationsreaktion des Organismus anzusehen, um die Durchblutung der Vitalorgane aufrechtzuerhalten. Bleibt jedoch die Zentralisation längere Zeit bestehen, so treten weitere Störungen hinzu, die den Schockzustand noch verstärken. Eine Zentralisation ist fixiert, wenn sie trotz ausreichender Therapie der Schockursachen nicht durchbrochen werden kann.
Störungen der Mikrozirkulation Bei allen Schocksyndromen stehen Störungen der Mikrozirkulation mit Abnahme des Blutflusses und inhomogener Verteilung der Perfusion im Mittelpunkt, wenngleich der Ablauf dieser Störungen bei den einzelnen Symptomen durchaus unterschiedlich sein kann. Für die Mikrozirkulation bilden Arteriolen, Kapillaren und Venolen eine funktionelle Einheit. Während die Arteriolen v. a. den peripheren Blutfluss regulieren, findet im Bereich der Kapillaren und Venolen der Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe statt. Im frühen Schockgeschehen kontrahieren sich die Widerstandsgefäße beiderseits des Kapillarbetts. Hierdurch wird der Einstrom extrazellulärer Flüssigkeit in das Gefäßsystem begünstigt. Im weiteren Schockverlauf ändert sich jedoch die Reaktivität der Gefäße: Die Arteriolen erweitern sich (verstärkt durch saure Metaboliten), trotz anhaltender Ausschüttung endogener Katecholamine, während die postkapilläre Vasokonstriktion erhalten bleibt und zu einem Anstieg des hydrostatischen Drucks mit Transsudation von Flüssigkeit aus dem Plasma in die Gewebe führt. Zirkulierende vasoaktive Substanzen wie Histamin und Plasmakinine erhöhen die Durchlässigkeit der Kapillaren und begünstigen die Flüssigkeitsverluste aus dem Gefäßsystem. Die Flüssigkeitsverluste führen zur Hämokonzentration; schließlich tritt eine generalisierte Aggregation von Erythrozyten und Thrombozyten im Bereich der Mikrozirkulation auf (SludgePhänomen; »sludge« = Schlamm). Sie führt zur mechanischen Obstruktion der Strombahn und aufgrund der erhöhten Viskosität zur Verlangsamung des Blutstroms. Charakteristisch ist die Tendenz der Erythrozyten, sich in langen, zusammenhängenden (»Geld«-) rollen (»rouleaux«) anzuordnen. Die Mikrozirkulationsstörung breitet sich zunehmend weiter aus und schränkt die Durchblutung der Organe ein, sodass eine Gewebehypoxie und schließlich eine irreversible Schädigung der Zellfunktion mit Tod des Organismus eintreten
21.2.4
21.2.5
Nierenfunktion
Im schweren Schock mit akutem Blutdruckabfall kontrahieren sich die durch sympathische Nervenfasern versorgten Nierengefäße, sodass die Nierendurchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate abnehmen. Entsprechend kommt es zu einer Oligurie oder Anurie, die zunächst dazu dient, das intravasale Volumen aufrechtzuerhalten. Unter normothermen Bedingungen tolerieren gesunde Nieren eine Ischämiezeit von 15–90 min (Niere im Schock); nach Ablauf der Ischämietoleranz treten zu den funktionellen Störungen morphologische Veränderungen hinzu (Schockniere).
21.2.6
Darm
Bereits kurze Ischämiephasen können die Integrität der Darmmukosa beeinträchtigen; eine erhebliche Verminderung der intestinalen Durchblutung führt im Tierexperiment in weniger als 2 h zu schweren morphologische Schädigungen. Wird eine kritische, beim Menschen nicht genau definierte Zeitspanne überschritten, rreten irreversible Schädigungen auf, besonders im Bereich der Villi. Ödem, Blutung und eingedrungene Bakterien führen zur Bildung einer Pseudomembran, durch die Endotoxine ungehindert in den Kreislauf gelangen können. Zusätzlich wird Histamin freigesetzt und nachfolgend Blut im Splanchnikusbett und in den portalen Gefäßen angesammelt.
21.2.7
Leberfunktion
Irreversible Schäden der Leber sind erst bei lang anhaltender, extremer Ischämie zu erwarten. Eine normale Funktion der Leber ist wegen ihrer Bedeutung als Toxinfilter und Metabolisierungsorgan im Schockzustand besonders wichtig, v. a. beim septischen Schock.
21.2.8
Blutgerinnung
Im schweren hämorrhagischen Schock entwickelt sich eine Koagulopathie, gekennzeichnet durch Abfall der Fibrinogenkonzentration und eine pathologische Abnahme weiterer Faktoren der Blutgerinnung; im späteren Verlauf auch einer Thrombopenie. Die Koagulopthie wird durch die Azidose und einen Abfall der Körpertemperatur sowie durch Anämie und Hyperfibrinolyse verstärkt.
Atmung 21.2.9
Mit Beginn des Schocksyndroms tritt eine Steigerung der Atmung auf: Das Atemminutenvolumen nimmt zu, der paCO2 ist erniedrigt (reflektorische Hyperventilation), während sich der paO2 zunächst meist nicht verändert. Fällt jedoch das Herzzeitvolumen ab, so wird auch die Durchblutung der Lunge vermindert und das Verhältnis von Belüftung zu Durchblutung in der Lunge und damit auch der pulmonale Gasaustausch erheblich gestört. Klinisch manifestiert sich die Störung des pulmonalen Gasaustausches in der Blutgasanalyse als Hypoxie, meist in Verbindung mit initialer Hypokapnie (kompensatorische Hyperventilation). Die wichtigsten Ursachen der Hypoxie sind Mikroatelektasen und arteriovenöse Shunts, die sich durch die Störungen der Mikrozirkulation entwickeln. Bereits in der Frühphase des Schocksyndroms treten funktionelle und morphologische Lungenveränderungen auf, die im weiteren Verlauf zu einem akuten Lungenversagen führen können.
Säure-Basen-Haushalt
Bei allen Schocksyndromen entwickelt sich eine metabolische Azidose. Sie beruht auf dem anaeroben Stoffwechsel der Gewebe mit Anhäufung von Laktat, hervorgerufen durch den O2-Mangel der Zellen.
21.2.10
Ischämie/Reperfusion
Der starke Abfall des Perfusionsdrucks und des Hämoglobinsgehalts durch den Blutverlust und die Mikrozirkulationsstörungen führen zur Ischämie zahlreicher Organe, zur Anhäufung von Xanthin und Hypoxanthin sowie zur proteolytischen Umwandlung des Enzyms Xanthindehydrogenase in die Xanthinoxidase. Hierdurch werden bei Wiederherstellung des Blutflusses mit oxygeniertem Blut freie Sauerstoffradikale in großer Menge synthetisiert, als deren
21
278
21 21 21 21
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
. Tab. 21.2 Klinisches Bild verschiedener Schockformen Parameter
Hypovolämischer Schock
Kardiogener Schock
Septischer Schock
Peripherer Kreislauf
Kalt, Vasokonstriktion
Kalt, Vasokonstriktion
Warm, Vasodilatation
Periphere Zyanose
Häufig
Häufig
Meist nicht
Puls
Schwach, fadenförmig
Schwach, fadenförmig
Gespannt
Zentraler Venendruck
Erniedrigt
Erhöht
Nicht erhöht
Auskultation des Herzens
Unauffällig
Galopp, Geräusche, Reiben
Unauffällig
21
21
Folge, unter Katalye von Eisen (Haber-Weiss- und Fenton-Reaktion) hochtoxische Hydroxylradikale entstehen können. Am Ende dieser Reaktion steht die strukturelle Schädigung der Blutgefäße und der Gewebe durch Lipidperoxidation von Membranen. Diese Schädigungen werden, da sie sich erst nach Wiederaufnahme der Durchblutung durch entsprechenden Ersatz der Blutverluste entwickeln, als Reperfusionsschaden bezeichnet. Hierbei gilt Folgendes:
4 4 4 4 4 4 4
21
> Das Ausmaß der Reperfusionsschäden hängt in erster Linie von der Dauer des hämorrhagischen Schocks ab.
21
Auslösung von Entzündungsreaktionen
Hierbei sollte beachtet werden, dass die Diagnose »Schock« klinisch häufig erst gestellt wird, wenn die hypotensive Phase eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt haben sich jedoch bereits zahlreiche pathophysiologische Reaktionen entwickelt. Das klinische Bild der verschiedenen Schocksyndrome ist nicht immer gleich (. Tab. 21.2). Vielmehr bestehen oft geradezu charakteristische Unterschiede, die diagnostisch verwertet werden können.
21 21
21 21 21 21
Der durch O2 induzierte Reperfusionsschaden kann vielfältige Entzündungsreaktionen auslösen. So führt die Interaktion der O2-Radikale mit dem Radikal Stickstoffmonoxid (NO) zur Vasokonstriktion durch Aufhebung der NO-induzierten Vasodilatation. Gleichzeitig bewirken die freien O2-Radikale die Expression endothelialer Adhäsionsrezeptoren, v. a. von L-Selektin und P-Selektin. Anschließend werden weitere Rezeptoren synthetisiert und exponiert, und es entwickelt sich eine feste Adhäsion bzw. Transmigration aktivierter Granulozyten in das Gewebe. Hierdurch werden die Membran- und Gewebeschäden verstärkt: Interstitielle Ödeme und Entzündungsreaktionen sind die Folge.
21 Dekompensierter und irreversibler Schock
21
21.2.11
21
Bleibt das Herzzeitvolumen erniedrigt und fällt dadurch das Sauerstoffangebot (DO2) unter eine kritische Schwelle, so nimmt auch der Sauerstoffverbrauch (VO2) ab. Der Schockzustand gilt aber noch als kompensiert, solange dabei durch die restliche aerobe und anaerobe Glykolyse noch ausreichend ATP für den Funktionsstoffwechsel bereitgestellt wird. Erst, wenn dies nicht mehr möglich ist, d. h. nicht mehr ausreichend ATP für die Zellfunktion und -struktur zur Verfügung steht, treten irreversible Schäden der Gewebe auf [20]. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Zeit: Je länger der Schockzustand dauert, desto ausgeprägter die zellulären Schädigungen und desto größer die Gefahr der Irreversibilität!
21 21 21 21
fadenförmiger Puls, kalte und blasse Haut, Schwitzen, periphere Zyanose, Tachypnoe, Bewusstseinsstörung, verminderte Urinausscheidung.
21.3.2
Einschätzung des hämorrhagischen Schocks
Der hämorrhagische Schock entsteht durch akute äußere und innere Blutungen. Äußere Blutungen als Ursache des Schocks sind gewöhnlich leicht zu erkennen, während bei stumpfen Traumen oder nicht traumatisch bedingten inneren Blutungen die Diagnose zunächst erschwert sein kann. > Cave. Bei stumpfen Traumata sollte immer an die Möglichkeit okkulter Blutungen in die Körperhöhlen gedacht werden. Das klinische Bild des akuten Schocks ohne offensichtliche Blutungsquelle kann als Alarmzeichen innerer Blutungen angesehen werden.
Offene Blutungen können unbehandelt zum Verbluten führen, während Blutverluste bei geschlossenen Extremitätenverletzungen oft durch eine lokale Tamponade begrenzt werden. In . Tab. 21.3 sind Anhaltswerte für Blutverluste bei Verletzungen zusammengestellt, in der Übersicht die wichtigsten nichttraumatischen Blutungsursachen.
. Tab. 21.3 Anhaltswerte für Blutverluste bei Frakturen
21
21.3
Klinisches Bild und Einschätzung
Frakturlokalisation
Blutverlust [ml]
21
21.3.1
Allgemeine Schockzeichen
Becken
5000
Oberschenkel
2000
Unterschenkel
1000
21 21
Als typische Allgemeinzeichen des ausgeprägten Schocksyndroms gelten: 4 Blutdruckabfall unter 90 mm Hg systolisch oder unter 30–40 % der Ausgangswerte, 4 Tachykardie,
Oberarm
800
Unterarm
400
279 21.3 · Klinisches Bild und Einschätzung
vorübergehend ab, der Blutdruck fällt ebenfalls leicht ab, während der zentrale Venendruck unverändert bleibt. In dieser Frühphase ist die Hypovolämie daher schwer zu erkennen. Bei weiteren Blutverlusten entwickelt sich eine Tachykardie, der arterielle Blutdruck und der zentrale Venendruck fallen dagegen drastisch ab. Beim hämorrhagischen Schock gilt: je größer der Blutverlust, desto höher die Herzfrequenz. Allerdings steigt die Herzfrequenz meist nicht über 150/min an. Liegt die Herzfrequenz höher, so muss an eine primäre Tachyarrhythmie gedacht werden. Wird ein kritischer Volumenverlust überschritten, fällt im dekompensierten hämorrhagischen Schock die Herzfrequenz innerhalb kurzer Zeit progredient ab; schließlich tritt eine Asystolie ein.
Wichtigste nichttraumatische Blutungsursachen 4 Gastrointenstinale Blutungen: – – – – –
Ulcus duodeni oder ventriculi Magen- oder Dickdarmtumoren Meckel-Divertikel Ösophagusvarizenblutung Hämorrhoidalblutungen
4 Ruptur von Gefäßen: – Aortenaneurysma – Aneurysma spurium – Angiodysplasien 4 Gynäkologie und Geburtshilfe: – Uterusruptur – Placenta praevia – Extrauteringravidität – postpartale Uterusatonie 4 Weitere Ursachen: – Gefäßarrosionen bei Tumoren oder chronischen Entzündungen – Nasenblutungen – Varizenblutungen usw.
Arterieller Blutdruck
In . Tab. 21.4 ist die Beziehung zwischen Volumenverlust und klinischem Bild des hämorrhagischen Schocks bei einem jungen, kräftigen und sonst gesunden Patienten zusammengestellt. Die auftretenden Zeichen sind allerdings individuell unterschiedlich stark ausgesprägt. Vor allem reagieren Kinder und alte Patienten empfindlicher auf geringere Volumenverluste als jüngere Patienten. Um den Schweregrad des Schockzustands einzuschätzen, können folgende Messungen durchgeführt werden: 4 Herzfrequenz, 4 arterieller Blutdruck, 4 zentraler Venendruck, 4 Lungenkapillarenverschlussdruck (PCWP), 4 Herzzeitvolumen, 4 Urinausscheidung.
Herzfrequenz Im Tierexperiment steigen Herzfrequenz und Blutdruck bei Verlusten von ca. 10 % des Blutvolumens zunächst an; bei weiteren Verlusten bis zu 15 % des Blutvolumens nimmt die Herzfrequenz hingegen
Ein systolischer Blutdruck von weniger als 80–90 mm Hg oder von 30–40 % unter dem Ausgangswert bzw. ein arterieller Mitteldruck von weniger als 50 mm Hg gilt i. Allg. als Indikator für einen Schockzustand. Anhaltende systolische Blutdruckwerte von weniger als 70 mm Hg beeinträchtigen die Koronardurchblutung und führen zu Myokardischämie und myokardialem Pumpversagen, das wiederum wesentlich zur Irreversibilität eines Schockzustands beiträgt. Allerdings sind die Blutdruckwerte, isoliert betrachtet, aus folgenden Gründen von begrenzter Aussagekraft: 4 Zwar ist ein gewisser minimaler Perfusionsdruck für eine ausreichende Organdurchblutung erforderlich, die Grenzen sind jedoch für die einzelnen Organe nicht genau definiert. Außerdem kann aus der Höhe des Blutdrucks nicht ohne weiteres auf die Größe des Blutflusses geschlossen werden. 4 Die systemische Hypotension ist bei Traumapatienten ein Spätzeichen des hämorrhagischen Schocks [14]: Erst bei bei Blutverlusten von >1500 ml fällt bei Erwachsenen der systolische Blutdruck messbar ab. Dann liegt aber bereits ein ausgeprägter Schockzustand vor (beurteilt am Base excess). 4 Der systolische Blutdruck korreliert beim Traumapatienten schlecht mit dem Base excess: Erst bei einer Abnahme auf mehr als –20 mmol/l fällt der mittlere und mediane systolische Blutdruck auf unter 90 mm Hg ab [14]. 4 Im Schockzustand ist wegen der Zentralisation der Blutdruck in einer zentralen Arterie wie der Aorta häufig deutlich höher als in einer kontrahierten peripheren Arterie. Für die Überwachung des Schockzustands und den Erfolg der Therapiemaß-
. Tab. 21.4 Klassifikation des hämorrhagischen Schocks am Beispiel eines jungen, kräftigen und ansonsten gesunden Patienten Parameter
Klasse I
Klasse II
Klasse III
Klasse IV
Blutverlust [ml]
<750 (<10 %)
<1500 (<15–30 %)
<2000 (<30–40 %)
>2000 (>40 %)
Systolischer Blutdruck
Normal
Normal
Erniedrigt
Erniedrigt
Diastolischer Blutdruck
Normal
Erhöht
Erniedrigt
Erniedrigt
Puls [1/min]
<100
100–120
120 (flach)
>120 (sehr schwach)
Pulsdruck
Normal oder erhöht
Erniedrigt
Erniedrigt
Erniedrigt
Kapillarfüllung
Normal
Verzögert (>2 s)
Verzögert (>2 s)
Nicht feststellbar
Atemfrequenz [1/min]
14–20
20–30
30–40
<35
Urinfluss [ml/h]
>30
20–30
10–20
0–10
Extremitäten
Normale Farbe
Blass
Blass
Blass und kalt
Mentaler Status
Wach
Ängstlich
Ängstlich und verwirrt
Verwirrt und lethargisch
21
280
21 21
Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
nahmen sollte der arterielle Druck daher kontinuierlich über eine arterielle Kanüle gemessen werden. > Cave. Die Schwere des hämorrhagischen Schocks darf nicht allein nach nach der Höhe des systolischen Blutdrucks eingeschätzt werden.
21 Schockindex
21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21 21
Der Schockindex kennzeichnet das Verhältnis von Herzfrequenz zu Blutdruck. Bei Werten unter und um 0,5 besteht kein Schock; um 1,0 liegt ein mäßiger Schock vor, über 1,5 ein schwerer Schock. Allerdings ermöglicht der Schockindex lediglich eine grobe Orientierung über den Schweregrad des hämorrhagischen Schockzustands.
Laktat und avDO2
Als indirekte Zeichen eines erniedrigten Blutflusses können die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz und die arterielle Laktatkonzentration angesehen werden. Im Schock nimmt die arteriovenöse O2-Gehaltsdifferenz (avDO2) aufgrund einer vermehrten O2-Ausschöpfung zu; die arterielle Laktatkonzentration steigt wegen der anaeroben Glykolyse an. In . Tab. 21.5 ist die Beziehung zwischen arteriovenöser O2-Differenz und zunehmender Hypovolämie zusammengestellt. Eine arteriovenöse O2-Differenz von mehr als 30 % weist auf eine hämodynamisch signifikante Hypovolämie hin, eine O2-Extraktion von mehr als 50 % auf einen hypovolämischen Schock. Hilfreich ist die zusätzliche Bestimmung des Blutlaktats: Werte von mehr als 4 mmol/l zeigen einen Schockzustand an. Differenzialdiagnostische Erwägungen. Eine erhöhte Sauerstoffextraktion findet sich auch beim Hypermetabolismus und bei Anämie.
Laktat Erhöhte Serumlaktatwerte sind Zeichen der globalen Hypoxie und des Schocks. Die anfänglichen Serumlaktatwerte des Schockpatienten korrelieren mit der Letalität. Wichtiger als der Initialwert scheint aber der weitere Verlauf der Serumlaktatwerte zu sein: Je länger die Laktatwerte erhöht sind (>2 mmol/l), desto höher ist auch die Letalität von Traumapatienten. Auch bei Patienten mit rupturierten abdominellen Artenaneurysmen erwiesen sich erhöhte Serumlaktatwerte als unabhängiger Vorhersageparameter der Letalität [18], witerhin ergab sich eine signifikante Korrelation der Laktatwerte mit den Base-excess-Werten.
Zentraler Venendruck
21
21
Der zentrale Venendruck hängt u. a. vom Füllungszustand des venösen (Kapazitäts)systems ab. Werte unter 5 cm H2O weisen auf Hypovolämie hin, Werte über 12 cm H2O auf Herzinsuffizienz bzw. Volumenüberladung. Die Korrelation zwischen zentralem Venendruck und Hypovolämie ist jedoch schlecht: häufig fällt der zentrale Venendruck erst ab, wenn bereits Verluste von mehr als 30 % des Blutuvolumens eingetreten sind. Im hämorrhagischen Schock ist der zentrale Venendruck dagegen erniedrigt, im kardiogenen Schock meist erhöht.
21
Lungenkapillarenverschlussdruck
21 21
21 21
Der Lungenkapillarenverschlussdruck oder Wedge-Druck (PCWP) wird über einen Pulmonalarterienkatheter gemessen. Erniedrigte Werte weisen auf eine massive Hypovolämie hin, erhöhte Werte auf Linksherzinsuffizienz, die Korrelation ist ähnlich schlecht wie beim zentralen Venendruck, jedoch soll die Messung des Wedge-Drucks
. Tab. 21.5 Beziehung zwischen arteriovenöser Sauerstoffdifferenz (saO2–svO2) und Hypovolämie saO2 (%)
svO2 (%)
saO2 – svO2 (%)
Isovolämie
>95
>65
20–20
Hypovolämie
>95
50–65
30–50
Hypovolämischer Schock
>95
<50
>50
saO2=arterielle O2-Sättigung, svO2=gemischtvenöse O2-Sättigung, saO2–svO2=arteriovenöse Sauerstoffdifferenz.
eine bessere Kontrolle des Schockverlaufs und des Therapieerfolgs ermöglichen als die des zentralen Venendrucks.
Zentralvenöse O2-Sättigung
Die Höhe der zentralvenösen O2-Sättigung steht in direkter Beziehung zum Herzzeitvolumen: Je geringer die O2-Sättigung, d. h. je stärker die O2-Extraktion, desto niedriger das Herzzeitvolumen.
Herzzeitvolumen Das Herzzeitvolumen, meist gemessen nach der Thermodilutionsmethode, ist der entscheidende Parameter im Schockzustand, weil er Aussagen über die Größe des Blutflusses ermöglicht. Im Frühstadium des Schocks liegt das Herzzeitvolumen, bedingt durch die ausgelösten Kompensationsreaktionen, oft im Normbereich oder ist aufgrund der sympathoadrenergen Reaktion erhöht, fällt jedoch im weiteren Verlauf, mit Ausnahme des hyperdynamen septischen Schocks, ab.
Endexspiratorischer pCO2
Fällt das Herzzeitvolumen ab, so wird auch weniger CO2 ausgeatmet und der endexspiratorische pCO2 fällt ab. Im schweren hypovolämischen Schock werden sehr niedrige Werte gemessen, z. B. 10 mm Hg. Wird Volumen zugeführt und steigt hierdurch das HZV wieder an, so wird auch wieder mehr CO2 ausgeatmet und der endexspiratorische pCO2 steigt entsprechend an. Daher kann mit der kontinuierlichen Kapnometrie der Erfolg therapeutischer Maßnahmen beim hypovolämischen Schock kontrolliert werden.
Hämatokrit Bei akuten Blutverlusten korreliert der Hämatokrit nur schlecht mit dem Ausmaß der Volumen- und Erythrozytenverluste, da sich die relativen Anteile von Plasma und Zellvolumen zunächst nicht wesentlich ändern. Der Hämatokrit nimmt erst im Verlauf von 8‒12 h ab, wenn die Niere beginnt, Natrium zu konservieren. Zudem muss der Effekt therapeutischer Maßnahmen bei der Interpretation beachtet werden, denn die Zufuhr erythrozytenfreier Volumenersatzmittel erniedrigt zwangsläufig den Hämatokritwert. ! Cave Der Abfall des Hämatokritwerts unter der Zufuhr erythrozytenfreier Infusionslösungen beruht auf einem Verdünnungseffekt und darf nicht als Zeichen anhaltender Blutverluste gewertet werden.
Urinausscheidung Mit dem Abfall des Herzzeitvolumens im Schock nehmen auch die Urinausscheidung und die Ausscheidung von Natrium ab, während die Urinosmolarität ansteigt. Im schweren Schock tritt eine Anurie auf. Eine Urinausscheidung von mehr als 0,5–1 ml/kg KG/h weist auf eine ausreichende Organdurchblutung und damit auch Herz-
281 21.4 · Behandlung des hämorrhagischen Schocks
leistung hin. Bei jedem Patienten im Schock muss die Urinausscheidung kontinuierlich überwacht werden.
21.3.3
Differenzialdiagnose
Hämorrhagischer Schock Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke (zentraler Venendruck, Pulmonalarteriendruck und Wedge-Druck) erniedrigt und bestehen gleichzeitig die Zeichen der Vasokonstriktion, so liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hämorrhagischer Schock vor. Differenzialdiagnose. Differenzialdiagnostisch muss die Spätpha-
se eines septischen Schocks erwogen werden.
Neurogener Schock Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke niedrig und bestehen gleichzeitig die Zeichen der Vasodilatation, so liegt wahrscheinlich eine funktionelle Vergrößerung des Gefäßbetts durch Abfall des peripheren Widerstands und Abnahme des Venentonus vor, wie sie für den neurogenen Schock charakteristisch ist. Differenzialdiagnose. Hyperdyname
Phase
des
septischen
21.4
Behandlung des hämorrhagischen Schocks
Für eine erfolgreiche Therapie muss das Schocksyndrom frühzeitig erkannt werden. Vorrangiges Ziel ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Herz-Kreislauf-Funktion und Organdurchblutung. Häufig sind therapeutische Maßnahmen nur dann wirksam, wenn auch rasch die Ursache des Schocks beseitigt wird. Dies gilt ganz besonders für schwere Traumen, bei denen die Blutungen so massiv sind, dass die Volumenzufuhr mit den Verlusten nicht Schritt halten kann: In dieser Situation muss umgehend operiert werden, auch wenn der Schockzustand noch nicht durch therapeutische Maßnahmen kompensiert werden konnte. > Wichtigste Maßnahmen beim traumatischhämorrhagischen Schock sind die (meist operative) Blutstillung und der ausreichende Ersatz von Volumen und O2-Trägern. Bei Blutungen nichttraumatischer Ursache sollte, nach ausreichender Reaktion der Herz-Kreislauf-Funktion auf Volumenersatz, die Blutungsquelle lokalisiert und operativ oder endoskopisch ausgeschaltet werden.
21.4.1
Volumenersatz
Schocks; anaphylaktischer Schock.
Venöse Zugänge Kardiogener Schock Sind bei einem Patienten im Schock die zentralen Füllungsdrücke hoch und besteht gleichzeitig eine Vasokonstriktion, so liegt wahrscheinlich ein kardiogener Schock vor. Meist bestehen zusätzlich noch die Zeichen der venösen Stauung.
21.3.4
Laboruntersuchungen
Bei Patienten im Schock sollten zunächst die in der folgenden Übersicht zusammengefassten Laborparameter bestimmt werden.
Laboruntersuchungen im Schock 4 4 4 4 4 4 4 4
Blutgruppe und Kreuzprobe Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten Arterielle Blutgasanalyse mit Säuren-Basen-Status Serumelektrolyte Kreatinin und Harnstoff GOT (ASAT), GPT (ALAT), γ-GT, Bilirubin und Amylase CK, CK-MB Gerinnungsstatus einschließlich Thrombozyten und Fibrinspaltprodukten 4 Arterielle Laktatkonzentration
Aus den insgesamt erhobenen Daten können Schlussfolgerungen über Schockform, Schweregrad und Ursache gezogen werden.
Je nach Ausmaß des Schocks sollten ein weitlumiger zentraler Venenkatheter, kurze Katheterschleusen oder ein Shaldon-Katheter sowie mehrere weitlumige periphere Venenverweilkanülen gelegt werden. Der Volumenersatz sollte über die kurzen peripheren Venenkanülen erfolgen: Sie ermöglichen eine wesentlich raschere Volumenzufuhr als die längeren Venenkatheter, über die der zentrale Venendruck und die zentralvenöse O2-Sättigung gemessen, kardiovaskuläre Medikamente zugeführt und Blut für Laboruntersuchungen entnommen werden können.
Volumenersatzmittel: Kristalloide oder Kolloide? Im Mittelpunkt der Behandlung des hämorrhagischen Schocks steht die umgehende Blutstillung (Kompression, operativ) und die rasche Wiederherstellung des zirkulierenden Blutvolumens durch kolloidale und kristalloide Lösungen (isovolämische Hämodilution), mit denen in der Regel Verluste von ca. 30 % des Blutvolumens ohne Zufuhr von Fremdblut kompensiert werden können. Darüber hinausgehende Blutverluste müssen zumeist durch Erythrozytenkonzentrate ausgeglichen werden. z Kristalloide Nur 25 % einer infundierten Kristolloidlösung verbleibt im Gefäßsystem, der Rest verteilt sich im Interstitium, weil durch die Verdünnung der kolloidosmotische Druck des Plasmas abfällt. Um mit einer Kristolloidlösung den gleichen intravasalen Volumeneffekt zu erreichen wie mit einer kolloidalen Lösung, muss daher die 4-fache Menge zugeführt werden, d. h. ein Blutverlust von 500 ml erfordert die Zufuhr von 2000 ml Kristalloidlösung, wenn die Isovolämie wiederhergestellt werden soll. Allerdings kann die interstitielle Flüssigkeitsansammlung durch Zufuhr großer Mengen von Kristalloidlösungen den pulmonalen Gasaustasch, die Darmperfusion und die Sauerstoffversorgung der Gewebe beeinträchtigen. Werden zudem bikarbonatfreie Lösungen in großer Menge zugeführt, tritt eine Dilutionsazidose auf. Laktathaltige Lösungen wie Ringer-Laktatlösungen sind beim Schock ebenfalls ungünstig, da nur eine funktionsfähige Leber Laktat umsetzen kann und hierdurch der Sauerstoffverbrauch gesteigert wird. Außerdem
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Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
wird durch die Laktatzufuhr die plasmatische Laktatkonzentration erhöht, sodass Laktat nicht mehr korrekt als Hypoxiemarker verwertet werden kann. Daher sollten isotone Vollelektrolytlösungen bevorzugt werden, die nicht mit der Laktatdiagnostik interferieren. Bei der Zufuhr von Kristalloiden wird empfohlen, pro 4 Einheiten 1 Einheit kolloidale Lösung zuzuführen, um den kolloidosmotischen Druck aufrechtzuerhalten. Kristalloide haben keinen spezifischen Effekt auf die Blutgerinnung, große Mengen verdünnen aber die Gerinnungsfaktoren. z Kolloide Verwendet werden 10 %ige Hydroxyethylstärke- (HES) 200/0,5 und Gelatinelösungen; Humanalbumin- und Plasmaproteinlösungen haben sich in Metaanalysen beim primären Volumenersatz für hypovolämische Patienten den Kristalloiden und künstlichen Kolloiden nicht als überlegen erwiesen und sollten daher angesichtssind der hohen Kosten nicht verwendet werden. Kolloide haben gegenüber Kristalloiden den Vorteil der längeren Verweildauer im Gefäßsystem, auch nimmt das HZV wegen der Abnahme der Blutviskosität stärker zu. Hydroxyethylstärkelösungen, in großer Menge zugeführt, können die Polymerisation von Fibringerinnseln stören und so die Blutgerinnung beeinträchtigen, außerdem die Niere schädigen. Die Dosisempfehlungen der Hersteller sind entsprechend zu beachten. Diese Effekte sind bei Gelatinelösungen nicht zu erwarten; sie können z. B. eingesetzt werden, wenn die Grenzwerte für Kolloide erreicht werden [2], weiterhin für den Ersatz mäßiger Blutverluste. Welche Art von Volumenersatzmitteln zugeführt werden soll, ist nach wie vor umstritten. Metaananalysen konnten eine Wirksamkeit beider Ansätze belegen; im Vergleich konnten dagegen zwischen Kristalloiden und Kolloiden keine wesentlichen Unterschiede festgestellt werden. Pragmatiker kombinieren häufig isotone Kristalloidlösungen mit HES- oder Gelatinelösungen.
Verzögerte Volumentherapie Bei perforierenden oder penetrierenden Traumen mit zunächst unstillbarer Blutung in den Bauchraum oder Thorax wird ein zurückhaltender Volumenersatz mit permissiver Hypotonie (systolische Blutdruckwerte von 70‒80 mm Hg oder ein mittlerer arterieller Druck von 50 mm Hg) empfohlen [2], um weitere Blutverluste durch den ansteigenden Blutdruck zu vermeiden. Die Empfehlungen beruhen auf einer Untersuchung von Bickell et al. [4] an hypotensiven Patienten mit penetrierenden Verletzungen in einer Körperhöhle, bei denen erst nach Eintreffen in der Notfallaufnahme mit der Volumenzufuhr begonnen wurde. Diese Patienten wiesen eine bessere Prognose auf als diejenigen, die bereits am Unfallort eine aggressive Volumentherapie erhielten. Bei diesem Konzept sind allerdings mögliche Begleiterkrankungen wie koronare Herzkrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen kritisch zu berücksichtigen.
Small Volume Resuscitation
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Bei diesem Konzept [12] erfolgt die initiale Therapie des schweren hämorrhagischen Schocks durch rasche Infusion geringer Volumina (4 ml/kg KG bzw. 250 ml beim Erwachsenen) einer hypertonen, hyperonkotischen NaCl (7,2–7,5 %)-Kolloidlösung (6 % HES 200/0,5). Durch den entstehenden hohen osmotischen Gradienten wird Flüssigkeit aus dem Interstitium mobilisiert, sofern hier genügend Flüssigkeit vorhanden ist; die Mikro- und Makrozirkulation werden initial verbessert; ein anhaltender Effekt ist aber nur zu erwarten, wenn die aus dem Interstitium mobilisierte Flüssigkeit rasch ersetzt werden kann. Die gleichzeitige Zufuhr von 100 %igem Sauerstoff verbessert im Tierexperiment die hämodynamischen Effekte der hyperonko-
tischen Lösung [6]. Nach wie vor ist jedoch nicht geklärt, ob die »small volume resuscitation« einen günstigeren Effekt auf die Überlebensrate von Schockpatienten aufweist als die initiale Therapie mit isotonen Kristalloidlösungen oder mit Kolloidlösungen [7].
21.4.2
Bluttransfusion
Volumenverlust bis auf 7 g/dl gilt beim kardial und zerebral nicht vorgeschädigten, isovoloämischen Patienten noch nicht als Indikation für die Transfusion von Blut, jedoch muss hierüber stets individuell entschieden werden. Bei Zeichen der Hypoxie (Tachykardie, ST-Senkung im EKG, Laktatanstieg, Zunahme des Basendefizits, Abfall der gemischtvenösen O2-Sättigung) und/oder anhaltenden Blutverlusten sollte auch bei Werten von >7 g/dl die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erwogen werden. Bei Hb-Werten von >10 g/dl ist eine Bluttransfusion zumeist nicht indiziert, bei Werten <6 g/dl hingegen fast immer [2]. > Beim normalgewichtigen Erwachsenen bewirkt die Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats einen Anstieg des Hämoglobinwerts um 1–1,5 g/dl und des Hämatokrits um ca. 3–4 %.
Bei Massivtransfusionen, d. h. der Zufuhr von >10 Erythrozytenkonzentraten innerhalb von 24 h, muss mit einer Verlust- und/oder Verdünnungskoagulopathie gerechnet werden (7 Abschn. 21.4.2). z Massivtransfusion bei Polytraumatisierten In einer multizentrischen Studie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie an 1062 Polytraumatisierten [11] benötigten 13 % Massivtransfusionen oder >10 Erythrozytenkonzentrate. Neben dem Lebensalter (>55 Jahre) und einer Glasgow Coma Scale von <8 gehörte die Massivtransfusion zu den 3 wichtigsten Vorhersageparametern der Letalität dieser Patienten. So betrug die Überlebensrate Polytraumatisierter mit Massivtransfusionen 56,9 %, ohne Massivtransfusionen dagegen 85,2 %. Erhielten die Patienten mehr als 30 Erythrozytenkonzentrate, überlebten nur noch 39,6 %. Weitere Risikofaktoren sind in der Übersicht zusammengefasst. Weiterhin nimmt mit zunehmender Anzahl transfundierter Erythrozytenkonzentrate auch das Risiko von Organversagen, Herz-Kreislauf-Insuffizienz, Gerinnungsstörungen und Sepsis zu.
Vorhersageparameter der Letalität polytraumatisierter Patienten in absteigender Reihenfolge ihrer Wertigkeit (nach [11]) 4 Alter >55 Jahre 4 Glasgow Coma Scale <8 4 Transfusion von >20 Erythrozytenkonzentraten* 4 Quick-Wert <50 %* 4 ISS >24 4 Basendefizit >7 mmol/l 4 Blutdruck am Unfallort <90 mm Hg systolisch* 4 Hämoglobin <8 g/dl* 4 Transfusion von >10–19 Erythrozytenkonzentraten* Die 6 mit * markierten Merkmale sind Zeichen der massiven Blutung oder des hämorrhagischen Schocks.
283 21.4 · Behandlung des hämorrhagischen Schocks
Zielkriterien der Volumenund Transfusionstherapie Umgehende Blutstillung und rascher Ersatz der Blutverluste sind die Grundpfeiler der Therapie des hämorrhagischen Schocks. Der Volumenersatz muss in ausreichender Menge unter kontinuierlicher Kontrolle der Herz-Kreislauf-Funktion und der metabolischen Parameter erfolgen, bis systolische Blutdrücke von >100 mm Hg bzw. arterielle Mitteldrücke um 80 mm Hg bei sonst normotensiven Patienten sowie ein normaler zentraler Venendruck erreicht werden. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma sollten höhere Perfusionsdrücke angestrebt werden. Volumenzufuhr ist auch bei anderen Schockformen, die mit Hypovolämie und Dehydratation einhergehen, erforderlich. Der Hämoglobinwert sollte beim sonst Gesunden ≥7 g/dl betragen.
21.4.3
Optimierung der Blutgerinnung
Im hämorrhagischen Schock, v. a. bei Polytraumatisierten mit schwerer Gewebeschädigung, entwickeln sich häufig komplexe, in der Regel multifaktoriell bedingte Störungen der Blutgerinnung [12, 17]. Durch die massive Gewebeschädigung beim Polytrauma wird bereits präklinisch die Blutgerinnung aktiviert; es kommt zur Gerinnselbildung, nachfolgend zur Aktivierung der Fibrinolyse und damit zum Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, unter Volumenersatz auch zur Verdünnung. Klinisch manifestiert sich die Gerinnungsstörung als diffuse Blutung, Petechien, Ekchymosen, Hämaturie sowie Blutungen aus Punktionsstellen und Wundnähten. Lagen vor der Transfusion keine Störungen der Blutgerinnung vor, so kommen als wichtigste Ursachen der vermehrten Blutungsneigung folgende Faktoren in Frage: 4 Verlust und Verdünnung von Gerinnungsfaktoren, 4 vermehrter Verbrauch von Gerinnungsfaktoren bei großen Wundflächen, 4 ungenügende Synthese und Mobilisation von Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren bei Schock, Leberschaden, toxischer Einschwemmung von Gerinnungsfaktoren, 4 Funktionsstörung von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten durch Hypothermie (Kerntemperatur <32‒35 °C), 4 disseminierte intravasale Gerinnung mit Verbrauchskoagulopathie, 4 hämolytische Transfusionsreaktion. Es gilt aber: > Häufigste Ursache für eine hämorrhagische Diathese unter Massivtransfusionen sind Verlust, Verbrauch und Verdünnung von Gerinnungsfaktoren.
Die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Patienten im hämorrhagischen Schock sollte so früh wie möglich begonnen werden. Für den differenzierten Einsatz von Thrombozytenkonzentraten bzw. Gerinnungspräparaten ist eine Laboranalyse der Gerinnungssituation erforderlich. Für eine rasche Orientierung kann die bettseitige Thrombelastographie (z. B. ROTEM) eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe kann innerhalb weniger Minuten festgestellt werden, ob ein Thrombozytenmangel, eine plasmatische Gerinnungsstörung oder eine Hyperfibrinolyse vorliegt. Bei Massivtransfusionen sollten jeweils nach Zufuhr von 5‒7 Erythrozytenkonzentraten der Gerinnungsstatus und die Thrombozytenzahl kontrolliert werden. Angestrebt werden die in . Tab. 21.6 genannten Gerinnungs- und Thrombozytenwerte.
. Tab. 21.6 Zielwerte der Blutgerinnung bei massiven Blutungen/ Massivtransfusionen. (Mod. nach [10]) Parameter
Angestrebter Wert
Thrombozyten
>50.000/μl; bei Polytrauma, Hirntrauma oder Thrombopathien >100.000/μl
PT/INR
<1,5-Faches des mittleren Normbereichs; Einzelfaktoren >30 % der normalen Aktivität
PTT
<1,5-Faches des mittleren Normbereichs; Einzelfaktoren >30 % der normalen Aktivität
Fibrinogen
>50 mg/dl; bei Thrombopathien und Hirntrauma >100 mg/dl
PT=Thromboplastinzeit (»Quick-Wert«), INR=»international normalized ratio«, PTT=partielle Thromboplastinzeit.
Thrombozytenkonzentrat Thrombopenien treten meist erst im späteren Verlauf anhaltender Blutungen auf, da zunächst Thrombozyten in großer Menge aus den Speicherorganen wie Leber, Milz und Knochenmark freigesetzt werden. Bei Massivtranfusionen oder DIC sind Thrombozytenkonzentrate indiziert, wenn die Thrombozytenzahl im Plasma auf <50.000/μl abgefallen sind. Für Polytraumatisierte werden Thrombozytenwerte von >100.000/μl empfohlen. Dosierung. 1 Thrombozytenkonzentrat steigert die Thrombozyten-
zahl um 20.000‒25.000/μl.
Frischplasma und Faktorenkonzentrate Um den Verlust und Verbrauch von Gerinnungsfaktoren auszugleichen, wird bei Massivtransfusionen in der Regel Frischplasma zugeführt. Bei komplexen Hämostasestörungen können auch Faktorenkonzentrate erforderlich sein, um einen schwerwiegenden Abfall von Einzelfaktoren auszugleichen.
Gefrorenes Frischplasma (FFP, SDP) Verwendet werden Frischplasma aus Einzelspenden (FFP) und inaktiviertes Poolplasma (SDP, gefroren oder lyophilisiert). Die Aktivität der Gerinnungsfaktoren in FFP sollte nach dem Auftauen mindestens 70 % der ursprünglichen Aktivität des Spenders betragen (Ausnahme: rascher Abfall von Faktor VIII); Poolplasma enthält dagegen 1 U/ml eines Gerinnungsfaktors. Trotz weltweit hohem Verbrauch fehlen nach einer Metaanalyse von Stanworth [19] klinisch aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit von FFP bei blutenden und bei blutungsgefährdeten Patienten. Die angegebenen Indikationen und Dosierungsempfehlungen beruhen daher weitestgehend auf theoretischen Erwägungen und Erfahrungsberichten. Die prophylaktische Gabe von FFP bei Patienten mit pathologischen Gerinnungstests gilt als nicht wirksam. Die Zufuhr von FFP bei Massivtranfusionen, DIC und diffusen Blutungen gehört zu den Standardmaßnahmen. Die Indikation sollte sich nach der klinischen Situation und den gemessenen Gerinnungsparametern (Verlängerung der PT/INR und der PTT auf mehr als das 1,5-Fache des Normbereichs) richten. Die Bundesärztekammer (www.bundesaerztekammer.de/downloads/Blutkomponentenpdf.pdf) empfiehlt bei Massivtranfusionen oder Blutungen durch Dilutionskoagulopathie eine initiale Dosis von 15‒20 ml/ kg KG, die ASA (www.asahq.org/publications) von 15‒20 ml/kg KG, möglicherweise sind aber diese Dosierungen bei schweren Blutungen zu niedrig. So empfehlen Gonzalez et al. [9] für Massivtransfu-
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Kapitel 21 · Hämorrhagischer Schock
sionen bei Traumapatienten die Zufuhr von jeweils 1 Frischplasma pro 1 Erythrozytenkonzentrat. Wenn ausschließlich FFP für die Gerinnungstherapie zugeführt wird, sollte initial ebenfalls höher dosiert und die Zufuhr bei Bedarf wiederholt werden, zumal die Halbwertszeiten der Gerinnungsfaktoren bei massiven Blutungen, DIC, schweren Leberzellschäden sowie bei ausgeprägter Katabolie um 80‒90 % verkürzt sein können. Thromboembolische Komplikationen durch FFP sind nicht zu erwarten, da die Gerinnungsfaktoren und fibrinolytische Faktoren im Präparat im ausgewogenen physiologischen Verhältnis enthalten sind. Die Volumenwirkung von FFP ist bei Massivtransfusionen ein erwünschter Effekt.
Fibrinogen, Kryopräzipitat Gelingt es bei Massivtransfusion nicht, die Fibrinogenkonzentation im Plasma mit FFP auf mehr als 100 mg/dl anzuheben, kann Kryopräzipitat (enthält Fibrinogen, Faktor VIII, v.-WillebrandFaktor und Fibronectin) oder Fibrinogen zugeführt werden. Die Fibrinogendosis in g ergibt sich aus dem erwünschten Anstieg der Plasmakonzentration: g/l×Plasmavolumen (etwa 40 ml/kg KG). Bei schwerem Fibrinogenmangel können 80‒100 mg/kg KG Fibrinogenkonzentrat erforderlich sein, um physiologische Fibrinogenkonzentrationen zu erreichen. Die Dosierung von Kryopräzipitat beträgt 1‒1,5 U pro 10 kg KG.
insuffizienz und die rasche Wiederherstellung der Blutgerinnung bei Marcumar-Therapie. Die Wirksamkeit bei Massivtransfusion ist bislang nicht ausreichend untersucht worden. Die Initialdosis beträgt 20, bei bedrohlichen Blutungen 40 IE/kg KG. Die Zufuhr sehr hoher Dosen kann in seltenen Fällen zu überschießender Thrombinbildung mit thromboembolischen Komplikationen führen. Bei DIC ist PPSB eher nicht indiziert.
Antifibrinolytika Aprotinin-Tranexamsäure und Epsilon-Aminocapronsäure. Eine Cochrane-Metaanalyse von Coats [8] mit lediglich 2 dafür geeigneten Untersuchungen konnte keine Wirkung der Antifibrinolytika auf den Transfusionsbedarf an insgesamt 92 Traumapatienten feststellen. Sichere Aussagen seien nach Angaben der Reviewer wegen der unzureichenden Datenlage nicht möglich, Antifibrinolytika seien aber ein erfolgversprechender Ansatz, der weitere Untersuchungen lohne. Derzeit läuft hierzu eine multizentrische Untersuchung an ca. 20.000 Traumapatienten mit signifikanter Blutung (CRASHStudie; Protokoll unter www.crash2.Ishtm.ac.uk/Images/SummaryGermanOther.pdf).
21.4.4
Begleitmaßnahmen
Sicherung des pulmonalen Gasaustauschs Rekombinanter aktivierter Faktor VIIa, rFVIIa Das Präparat (NovoSeven) ist für die Behandlung von Blutungen bei Hemmkörperhämophilie und bei kongenitalem Faktor-VIIMangel zugelassen. Umfassende klinische Studien zum Einsatz bei massiven Blutungen fehlen bislang. In 2 klinischen Studien von Boffard et al. [5] mit supraphysiologischen Dosen von rf VIIa ergab sich eine Reduktion von Massivtransfusionen bei Patienten mit stumpfem Trauma (14 % gegenüber 33 % mit Placebo) und ein ähnlicher Trend bei Patienten mit penetrierendem Trauma. Bei der Letalität bestanden dagegen keine Unterschiede, thromboembolische Komplikationen waren in der rf VIIa-Gruppe nicht signifikant häufiger als in der Placebo-Gruppe. Rizoli et al. [15] fanden in einer retrospektiven Kohortenstudie eine möglicherweise günstigere Frühletalität bei massiv blutenden Traumapatienten unter rf VIIa, räumen aber der chirurgischen Blutstillung höchste Priorität ein; auch scheine rf VIIa bei extremem Bluttransfusionsbedarf nicht wirksam zu sein. Angsichts der unzureichenden Datenlage und des ungeklärten Risikos thromboembolischer Komplikationen (Häufigkeit nach einer Übersicht von Barletta et al. [3] bei blutenden Traumapatienten 4 %) sollten supraphysiologische Dosen von rf VIIa bei massiv blutenden Patienten mit stumpfem Trauma nur dann eingesetzt werden, wenn die Standardmaßnahmen (operativ und hämostaseologisch) versagen. Weiterhin sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein [10]: 4 Fibrinogen ≥50‒100 mg/dl, 4 Thrombozyten ≥50.000‒100.000/μl, 4 pH-Wert ≥7,2, 4 möglichst Normothermie. Dosierungsempfehlung [17]. 200 μg/kg KG nach Transfusion von
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8 Erythrozytenkonzentraten; 1 h später 100 μg/ kg KG, 3 h später 100 μg/kg KG.
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PPSB-Konzentrat
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Das aus einem großen Plasmapool hergestellte Konzentrat enthält die Faktoren II, VII, IX und X sowie Protein C, S und Z. Als typische Indikationen gelten Gerinnungsstörungen bei schwerer Leber-
Um eine Hypoxämie zu verhindern, erhält jeder Patient im Schock O2 über eine Maske zugeführt. Reicht die Spontanatmung nicht aus, wird ohne Verzögerung intubiert und maschinell beatmet. Überdruckbeatmung hemmt aber durch den Anstieg des intrathorakalen Drucks den venösen Rückstrom und kann so den Schockzustand verschlimmern. Unterstützende Verfahren bei erhaltener Spontanatmung könnten daher vorteilhafter sein als die kontrollierte Beatmung. Alternative Beatmungstechniken, die den intrathorakalen Druck senken, wie z. B. ITV und Wechseldruckbeatmung, befinden sich noch im experimentellen Stadium.
Azidosetherapie Die durch den Schock entstehende metabolische Azidose wird v. a. durch Wiederherstellung eines ausreichenden Herzzeitvolumens behandelt. Eine anhaltende metabolische Azidose ist nahezu immer ein Zeichen für ungenügenden Volumenersatz. Bei andauernder peripherer Kreislaufinsuffizienz nimmt jedoch die Azidose weiter zu, sodass bei einem pH-Wert von <7,1 die Zufuhr von Puffersubstanzen wie Natrumbikarbonat indiziert ist. Die Puffertherapie sollte möglichst immer unter Kontrolle der Säuren-Basen-Parameter erfolgen.
Kardiovaskuläre Substanzen Für die Primärtherapie des hämorrhagischen Schocks sind vasopressorisch wirkende Katecholamine nicht indiziert, da bereits eine kompensatorische Vasokonstriktion vorliegt. Vasopressorische Katecholamine können überbrückend eingesetzt werden, wenn eine schwere Hypotonie durch Volumenzufuhr allein nicht beseitigt werden kann [2]. Bei schwerer Hypotension oder drohendem Herzstillstand sollten die Vasopressoren in möglichst niedriger Dosierung zugeführt werden, um bis zum Beginn einer ausreichenden Volumentherapie die Durchblutung von Herz und Gehirn durch Herstellung eines ausreichenden Perfusionsdrucks zu unterstützen. Mittel der Wahl ist in diesen Fällen Noradrenalin in einer initialen Dosierung von ca. 0,05 μg/kg KG/min. Im protrahierten oder irreversiblen Schock sind Vasopressoren häufig nicht mehr wirksam.
285 Literatur
Vasopressin. In der irreversiblen Phase des hämorrhagischen
Schocks spricht der Patient nicht mehr auf Volumenzufuhr und Vasopressorkatecholamine (Adrenalin, Noradrenalin) an: Der arterielle Blutdruck bleibt aufgrund einer Vasodilatation anhaltend erniedrigt. Tierexperimentelle Befunde weisen auf einen Vasopressinmangel als einen der beteiligten pathogenetischen Faktoren in dieser Phase hin [16]). Im Schockmodell [21, 22] und in Fallberichten [13] konnte durch Zufuhr von Vasopressin der arterielle Blutdruck in der therapierefraktären Phase des hämorrhagischen Schocks signifikant gesteigert werden. Nutzen und Risiken der Anwendung von Vasopressin im hämorrhagischen Schock müssen allerdings noch in konrollierten klinischen Studien untersucht werden.
Kortikosteroide Die Wirksamkeit von Steroiden im hämorrhagischen Schock ist nicht gesichert.
Literatur 1 2
3
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Volumentherapie T.-P. Simon, G. Marx
22.1
Einleitung – 288
22.2
Plasmaersatzlösungen – 289
22.2.1 22.2.2 22.2.3
Kristalloide Lösungen – 289 Balancierte Lösungen – 289 Kolloidale Lösungen – 289
Literatur – 292
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_22, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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Kapitel 22 · Volumentherapie
22.1
Einleitung
In der Therapie des Schocks (Hämorrhagie, 7 Kap. 21; Verbrennungstrauma, 7 Kap. 72; Sepsis, 7 Kap. 63 und Anaphylaxie, 7 Kap. 83) und bei der Therapie kritisch kranker Patienten ist der Wert einer schnellen und effektiven Volumentherapie unumstritten. Durch Erhalt und Wiederherstellung des notwendigen Plasmavolumens verbessert man die Organperfusion und erhält die notwendige Mikrozirkulation [1]. Im Schock besteht sowohl ein absoluter als auch ein relativer Flüssigkeitsmangel mit Abnahme der kardialen Vorlast, konsekutiver Verminderung des Herzzeitvolumens, Reduktion der Mikrozirkulation und somit einer Reduktion der Gewebeoxygenierung. Es muss ein ausreichend zirkulierendes Blutvolumen erreicht werden. Durch diese z. T. sehr umfassende Volumentherapie sollen eine bessere Pumpleistung des Herzens, verbesserte Gewebeoxygenierung und Gewebeperfusion und eine bessere Organfunktion insgesamt erreicht werden. Bei Patienten mit vermuteter Hypovolämie sollten 500–1000 ml Kristalloide oder 300–500 ml Kolloide über 30 min verabreicht werden. Eine Wiederholung der Volumengabe richtet sich nach Wirkung [Anstieg von Blutdruck, Diurese, zentralvenöser Sauerstoffsättigung (ScvO2) und der Laktatclearance >10 %] und Volumentoleranz des Patienten. Vor allem bei einer bekannten Herzinsuffizienz sollte man die klinischen Zeichen auf eine intravasale Hypervolämie beachten [2]. Die einfach zu bestimmenden und regelmäßig genutzten Parameter nichtinvasiver Blutdruck, Herzfrequenz und Urinproduktion sind zwar geeignet, das Ausmaß einer dekompensierten Hämodynamik orientierend zu bewerten. Zur Beurteilung eines noch kompensierten und zur näheren Einschätzung eines dekompensierten Schocks reichen sie jedoch nicht aus. Die meisten Patienten benötigen daher eine über diese Grobeinschätzung hinausführende Diagnostik. Validierte hämodynamische Grenzwerte für das Vorliegen eines hypovolämischen Schocks sind unbekannt; sie werden durch Alter (abweichende Normalwerte bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern), Begleiterkrankungen (z. B. diabetische Neuropathie)
und vorbestehende Medikation (z. B. mit β-Blockern) wesentlich beeinflusst. Wegen des hohen Preises, der begrenzten Verfügbarkeit und potenzieller Nebenwirkungen körpereigener Plasmapräparate werden sehr häufig körperfremde Volumenersatzmittel eingesetzt, an die spezielle Anforderungen zu stellen sind (7 Übersicht).
Anforderungen an einen idealen Plasmaersatz 4 Großer Volumeneffekt 4 Ausreichende Verweildauer im Gefäßsystem 4 Keine Kumulation im Plasma, vollständige Ausscheidung ohne Gewebespeicherung 4 Keine Verschlechterung der Gewebeoxygenierung 4 Keine Beeinträchtigung des Elektrolythaushaltes 4 Keine Beeinträchtigung des Säure-Basen Status 4 Keine Beeinträchtigung der Nierenfunktion 4 Keine Beeinträchtigung der Gerinnung 4 Keine Allergisierung 4 Kein Infektionsrisiko 4 Niedrige Kosten
Es wird eine Vielzahl von Präparaten angeboten, um in den verschiedensten klinischen Situationen das verlorene Plasmavolumen wieder auszugleichen. Trotz intensiver tierexperimenteller Forschung und zahlreicher klinischer Studien ist ungeklärt, welcher Typ von Plasmaersatzmittel, kristalloid oder kolloidal, vorzugsweise zu verabreichen ist [3]. Bei der Therapie eines Schocks wird in der Regel den kolloidalen Plasmaersatzmitteln der Vorzug gegeben, da sie den Vorteil eines effektiven und schnell verfügbaren Plasmaersatzes besitzen. Ihre Eigenschaften als Plasmaersatz verdanken sie v. a. einem im Vergleich zu den kristalloiden Lösungen höheren kolloidosmotischen Druck (KOD) und der längeren intravasalen Halbwertszeit. Die Hydroxyethylstärke ist einer der möglichen kolloidalen Plasmaersatzmittel, die uns heute zur Verfügung stehen. Ihre negativen Eigenschaften in Bezug auf Gerinnung und Nierenfunktion
22 22
. Tab. 22.1 Plasmaersatzlösungen Produktname
Na+
K+
Ca2+
Mg2+
Cl–
Acetat
Laktat
Malat
Theoretische Osmolarität [mosmol/l]
Blutplasma*
135–145
3,5–5
2,1–2,6
0,7–1,2
98–112
–
–
–
280–295
0,9 % NaCl
154
–
–
–
154
–
–
–
308
Ringer-Laktat
130,9
5,4
1,8
–
111,7
–
28,3
–
278
Sterofundin Iso (B. Braun)
140
4,0
2,5
1,0
127
24
–
5
303
4
2,5
1
118
24
–
5
296
22 22 22 22 22 22 22 22
Tetraspan (B. Braun) 6 % HES 130/0,42 140 Voluven (Fresenius) 6 % HES 130/0,4
154
–
–
–
154
–
–
–
308
Volulyte (Fresenius) 6 % HES 130/0,4
137
4
–
1,5
110
34
–
–
286,5
Gelafusal (SW Bernburg) 4 % modifizierte Gelatine
130
5,4
0,9
1
85
27
–
–
279
* (nach [22]).
289 22.2 · Plasmaersatzlösungen
sind Bestandteil vieler Diskussionen, aber ihre stetige Weiterentwicklung und verbesserten Eigenschaften halten die Diskussionen weiterhin aktuell. Zwar führen Kristalloide per se zu einer Reduktion des KOD, was ein erhöhtes Risiko für die Ausbildung von Ödemen sein könnte, doch gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass Kristalloide oder Kolloide den Ausgang des Krankheitsverlaufs unterschiedlich beeinflussen. Wichtig ist, dass die Volumentherapie durch normales Elektrolytmuster und Base-excess- (BE-) Depot den Elektrolytund Säure-Basen-Haushalt nicht beeinträchtigt. Die Auswahl des Plasmaersatzmittels wird in der Regel von der zugrundeliegenden Krankheit bestimmt. So ist beispielsweise bei einem hämorrhagischen Schock ein äußerst rascher und effektiver Plasmaersatz notwendig, weshalb in Europa vielfach Kolloiden der Vorzug vor Kristalloiden gegeben wird. Bei einer intrazerebralen Blutung ist ein Plasmaersatzmittel mit negativer Beeinflussung des Gerinnungssystems kritisch zu sehen. Bei Sepsis wird häufig eine Kombination von Kristalloiden und Kolloiden eingesetzt. Eine Übersicht über verschiedene Produkte gibt . Tab. 22.1.
22.2
Plasmaersatzlösungen
22.2.1
Kristalloide Lösungen
Im Vergleich zu Kolloiden wird für eine vergleichbare Kreislaufstabilisierung ein 2- bis 4-fach größeres Infusionsvolumen an Kristalloiden benötigt, was für eine rasche und suffiziente Volumentherapie unbedingt zu beachten ist. Darüber hinaus ist die intravasale Verweildauer der Kristalloide mit ca. 30 min deutlich kürzer als die künstlicher Kolloide. Die Infusion größerer Mengen bikarbonatfreier Lösungen führt zur Dilutionsazidose. Den Lösungen kann aus galenischen Gründen jedoch kein Bikarbonat (<
> zugesetzt werden; in vielen Ringer-Lösungen ist daher stattdessen Laktat enthalten (Ringer-Laktat). Da die Leber nur die ungeladene Milchsäure (Laktat+ H+) oxidativ zu CO2 und H2O metabolisieren oder zur Glukoneogenese benutzen kann, wird dem Organismus auf diese Weise pro 1 mol zugeführtem Laktat 1 mol H+ aus H2CO3 entzogen und 1 mol <> freigesetzt. Ringer-Laktatlösungen sind im Vergleich zur Serumosmolarität hypotone Lösungen, was speziell bei Patienten mit einem Hirnödem zu berücksichtigen ist. Zusätzlich bindet es Kalzium und erhöht den Sauerstoffverbrauch des Patienten. Folgen eines unphysiologisch hohen Chloridgehalts, z. B. in 0,9 % NaCl-Lösung (154 statt 103 mmol/l) sind eine renale Vasokonstriktion, ein verminderter renaler Blutfluss (RBF), eine verminderte glomeruläre Filtrationsrate (GFR), eine verminderte Diurese sowie eine Supprimierung des Renin-Aldosteron-Systems. Da kristalloide Lösungen keine onkotisch wirksamen Bestandteile besitzen, diffundieren sie rasch ins Interstitium. Die Folgen dieser interstitiellen Überwässerung sind ein verminderter pulmonaler und ein verminderter peripherer Gasaustausch sowie ein erhöhter intraabdomineller Druck. Die Vorteile der Kristalloide liegen bei den Kosten und dem Fehlen allergischer Reaktionen. Die Indikationen für kristalloide Lösungen sind im Ersatz perioperativer Flüssigkeitsdefizite, bei moderatem Volumenmangel und Ergänzung der Infusionstherapie mit kolloidalen Lösungen zu sehen. Als kristalloide Lösungen sind isotone Vollelektrolytlösungen zu bevorzugen oder als Alternative plasmaadaptierte Infusionslösungen mit anderen Ionen (z. B. Malat oder Acetat).
> Eine 0,9 % NaCl-Lösung ist eine hypoosmolare Lösung mit der Gefahr der Induktion einer hyperchlorämischen Azidose mit konsekutiver Verminderung der Nierenperfusion durch ihren relativ hohen Natriumanteil.
22.2.2
Balancierte Lösungen
Bisher waren die meisten Plasmaersatzmittel nur in einer nichtbalancierten (nichtphysiologischen) NaCl-Lösung zu erhalten. Natrium, Kalium, Chlorid und Kalzium können bei der Substitution größerer Mengen der einzelnen Lösungen den Säure-Basen-Haushalt nachhaltig stören. Insbesondere die Gefahr der Induktion einer hyperchlorämischen Azidose und Verminderung der Nierenperfusion besteht durch ihren relativ hohen Natriumanteil (7 oben). Neu entwickelte kolloidale und kristalloide Lösungen sind in acetathaltiger Lösung gelöst und enthalten weitgehend physiologische Elektrolytkonzentrationen. Im Idealfall sind die balancierten Lösungen 4 isoionisch (die Konzentration der Anionen entspricht der der Kationen) mit physiologischen Werten der wichtigsten Plasmaelektrolyte [Natrium (140±5 mmol/l), Kalium (4,5±0,5 mmol/l), Kalzium (2,5±0,5 mmol/l] sowie Chlorid (103±3 mmol/l), 4 isoonkotisch mit einer plasmaähnlichen In-vivo-Osmolalität, 4 isotonisch durch ihren plasmaadaptierten Elektrolytanteil und 4 isohydrisch (potenzieller BE von 0±10 mmol/l). Bei diesen Lösungen besteht eine geringere Gefahr, Störungen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes durch Substitution zu induzieren. Es gibt derzeit wenige Daten über den Einsatz von balancierten Lösungen, dennoch konnten Sümpelmann et al. kürzlich bei 396 Kindern zeigen, dass der perioperative Einsatz einer balancierten HES-Lösung im Vergleich zu einer unbalancierten zu weniger Störungen im Säure-Basen-Haushaltes geführt hat [4].
22.2.3
Kolloidale Lösungen
Kolloide sind hochmolekulare Substanzen. Klinisch werden körpereigene Kolloide (Humanalbumin, Plasmaproteinlösung, gefrorenes Frischplasma) und künstliche Kolloide [Hydroxyethylstärke (HES) und Gelatine] verwendet. Im Gegensatz zu Kristalloiden können Kolloide nicht frei durch Kapillarmembranen diffundieren, was ihre längere Verweildauer im Gefäßsystem erklärt. Kolloide üben einen onkotischen Druck aus und verfügen über eine entsprechende Bindungskapazität für Wasser. Künstliche Kolloide (HES und Gelatinepräparate) erhöhen den Plasma-KOD und verfügen über einen langanhaltenden Volumeneffekt.
Humanalbumin Als körpereigenes Kolloid wird Albumin aus menschlichem Plasma gewonnen, das zur Reduktion des Infektionsrisikos u. a. einer Virusinaktivierung unterzogen wird. Albumin ist das Protein mit der höchsten Konzentration im Plasma und hauptverantwortlich für die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks (KOD). Üblicherweise wird Humanalbumin als 5- oder 20- bis 25 %ige Lösung angeboten. Die 5 %ige Lösung ist isoonkotisch, und ein volumenexpandierender Effekt liegt nur bei einem erniedrigten PlasmaKOD vor. Die 20- bis 25 %ige Lösung ist hyperonkotisch und kann
22
290
22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22 22
Kapitel 22 · Volumentherapie
daher mit einem geringeren Infusionsvolumen das zirkulierende Volumen durch Flüssigkeitsverschiebungen in das Gefäßsystem effizient vergrößern, v. a. bei Patienten mit ausgeprägten Ödemen. Die Häufigkeit allergischer Zwischenfälle wird mit einer Rate von 14/100.000 Infusionen angegeben. Der Einsatz von Humanalbumin zur Volumentherapie bei kritisch kranken Patienten ist sicher, im Vergleich zu Kristalloiden und künstlichen Kolloiden jedoch mit höheren Kosten verbunden und wird daher nicht empfohlen [5]. Eine von Wilkes 2001 [6] durchgeführte Metaanalyse zeigte anhand von 55 Studien keinen Überlebensvorteil bei der Verwendung von Humanalbumin im Vergleich zu anderen Volumenersatzmitteln. In einer randomisierten doppelblinden Multicenterstudie wurde bei 7000 Intensivpatienten die Volumentherapie mit 4 % Humanalbumin und mit 0,9 % NaCl-Lösung verglichen. In dieser großen Studie (SAFE Study) konnte bezüglich Morbidität und Letalität im Vergleich von 4 % Humanalbumin zu 0,9 % NaCl-Lösung kein Unterschied gefunden werden. [7]. In einer Untergruppe dieser Untersuchung wurden 460 SHT-Patienten über 24 Monate nach Randomisierung verfolgt. Es zeigte sich unter Einsatz von 4 % Albuminlösung ein schlechteres Outcome im Vergleich zu der Behandlung mit 0,9 % NaCl-Lösung. Die 28-Tage-Letalität betrug bei Patienten, die mit Albumin behandelt wurden, 33,2 % und bei Patienten, bei denen NaCl-Lösung verwendet wurde, 20,4 %. Bei Patienten mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma war der Unterschied sogar noch größer (41,8 % vs. 22,2 %) [8]. Schortgen et al. zeigten in einer multizentrischen europäischen Beobachtungsstudie, dass die Applikation von 20 % Humanalbumin mit einer erhöhten Inzidenz von Nierenschädigungen und sogar einer gesteigerten 28-Tage-Letalität assoziiert ist [9]. Daher scheint die Gabe von 20 % Humanalbumin bei kritisch kranken Patienten nicht indiziert zu sein. > Eine Gabe von Humanalbumin 20 % scheint bei kritisch kranken Patienten und Humanalbumin 5 % bei Patienten mit einem schwerem Schädel-Hirn-Trauma nicht indiziert zu sein.
Gelatine Gelatine wird als Spaltprodukt aus dem höhermolekularen Kollagen hergestellt und weist ein Molekulargewicht von ca. 35 kD auf. Es sind verschiedene Präparate verfügbar, in der Regel 3,5–5,5 %ige Lösungen (. Tab. 22.1), mit einem KOD, der nur gering höher ist als der physiologische des Plasmas. Die Substanz wird metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden. Die intravasale Halbwertszeit von 2–3 h ist relativ kurz, sodass repetitive Infusionen notwendig sind. Gelatine muss in einer 1,5- bis 2-fachen Menge des Blutverlustes verabreicht werden, um eine Normovolämie aufrecht zu erhalten. Für Gelatinepräparate besteht keine obere Dosisbegrenzung. z Anaphylaktoide Reaktionen Anaphylaktoide Reaktionen stellen die wichtigste Gefährdung dar und treten je nach Präparat mit einer Inzidenz von 0,066–0,146 % auf [10]. Die Betrachtung von Gelatinelösungen und anaphylaktoiden Reaktionen muss differenziert erfolgen: Im Vergleich zur modifizierten flüssigen Gelatine und Oxypolygelatine wird der harnstoffvernetzten Gelatine bezüglich der allergischen Reaktionen eine höhere Rate allergischer Reaktionen (bis zu 10 %) zugeschrieben. Bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock konnte 6 % HES (200 kD/0,60–0,66) im Vergleich zu 3 %iger Gelatinelösung als unabhängiger Faktor für ein akutes Nierenversagen identifiziert werden [11].
Auch Gelatine ist heutzutage in balancierter Lösung erhältlich, es gibt jedoch nur wenige Daten zur Sicherheit beim Einsatz von Gelatine als Volumenersatz.
Hydroxyethylstärke (HES)
z Pharmakokinetik HES ist ein Polymerisat aus Äthylenoxid und einer hochpolymeren Glukoseverbindung (Hauptkette 1,4α-glykosidische Bindung), die aus der hochverzweigten Stärkekomponente Amylopektin besteht, welche aus natürlicher Mais- oder Kartoffelstärke gewonnen wird. HES wird im Organismus enzymatisch durch Hydrolyse gespalten und entweder metabolisiert, renal ausgeschieden oder durch das retikuloendotheliale System (RES) aus dem Gefäßsystem entfernt. Entscheidend im Hinblick auf die renale Ausscheidung ist die Größe der jeweiligen Spaltprodukte, als Nierenschwelle gilt ein Molekulargewicht von ca. 60–70 kD. Durch Einbau von Hydroxyethylgruppen in das Molekül wird die Substanz vor dem raschen Abbau durch die α-Amylase des Serums geschützt. Die verschiedenen HES-Lösungen sind durch unterschiedliche Konzentrationen (6 %=isoonkotisch und 10 %=hyperonkotisch), Substitutionsgrade und C2/C6-Verhältnis gekennzeichnet. Dies hat zu einer Vielzahl von verschiedenen HES-Lösungen geführt. Die Bedeutung der Unterschiede sei durch 2 kürzlich publizierten Untersuchungen verdeutlicht: In einer randomisierten, doppelblinden Studie bei Freiwilligen im Cross-over-Design zeigten Lehmann et al. [12], dass es durch wiederholte Gabe über 5 Tage von 50 g 6 % HES 200/0.5/5:1 zu einer Akkumulation von HES im Serum kam, während dieser Effekt nach der Applikation von 50 g 6 % HES 130/0.42/6:1 über die gleiche Zeit ausblieb. Dieser Effekt wurde als Verbesserung der Medikamentensicherheit interpretiert, insbesondere unter dem Aspekt, dass beide HES-Lösungen den gleichen Volumeneffekt aufwiesen. In einer 2. Untersuchung konnten Lehmann et al. unter Verwendung des gleichen Designs nachweisen, dass sogar geringste Unterschiede der Pharmakokoeffizienten bei HES-Lösungen zu unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften führen [13]. Die Autoren verglichen 6 % HES 130/0.42/6:1 und 6 % HES 130/0.4/9:1 und fanden gleiche Effekte der zwei HESPräparate auf den KOD und die Hämodilution, konnten aber eine schnellere Clearence aus dem Kreislauf von 6 % HES 130/0.42/6:1 im Vergleich zur 6 % HES 130/0.4/9:1 zeigen. z Perioperative Situation Die Aspekte des Volumenersatzes in der perioperativen Situation wurde in vielen Studien untersucht. Wiesen und Mitarbeiter analysierten retrospektiv Daten von 3124 kardiochirurgischen Patienten, die sich einer Bypass-Operation unterzogen [14]. Die Patienten erhielten für das Priming der Herz-Lungen-Maschine und die postoperative Volumentherapie HES 200/0,5 oder Gelatine oder eine Kombination der beiden Kolloide. Wiesen et al. konnte keine Unterschiede in der postoperativen Serumkreatininkonzentration oder der Inzidenz von renaler Schädigung zwischen den Gruppen identifizieren. In einer multizentrischen randomisiert kontrollierten Studie wurde der perioperative Einsatz von 6% HES 130/0.4 und 3% Gelatine bei 65 Patienten mit Bauchaortenaneurysma und präoperativer renaler Dysfunktion verglichen [15]. Oligurie trat in 3 Patienten in der HES-Gruppe und 4 Patienten in der Gelatinegruppe auf. Die Patienten erhielten kumulativ über 6 Tage 32.3±17.3 mL/kg 6% HES 130/0.4 und 29.4 ± 15.6 mL/kg 3% Gelatine. Die SerumkreatininKonzentration stieg um 26.3 ± 55.3 μmol L-1 in der HES Gruppe und um 36.5± 103.3 μmol L-1 in der Gelatinegruppe an. Die Autoren konnten damit eine non-inferiority der verwendeten 6% HES 130/0.4 zeigen. Blasco et al. verglichen in einer Studie an Organ-
291 22.2 · Plasmaersatzlösungen
spendern 6% HES 130/0.4 und 6% HES 200/0.6 zur organerhaltenen Therapie. Die Autoren konnten 12 Monate nach erfolgter Nierentransplantation zeigen, dass die Patienten in der 6% HES 130/0.4 Gruppe eine signifikant geringere Serumkreatininkonzentration aufwiesen [16]. z Sepsis In einer französischen Multicenterstudie bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock konnte 6 % HES (200 kD/0,60–0,66) im Vergleich zu 3 %iger Gelatinelösung als unabhängiger Faktor für ein akutes Nierenversagen identifiziert werden [17]. Die multizentrische VISEP-Studie des deutschen SepNet, in der eine modifizierte Ringer-Laktatlösung mit 10 % HES 200/0,5 zur Volumentherapie bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock verglichen wurde, fand sich ebenfalls nicht nur eine erhöhte Inzidenz eines akuten Nierenversagens, sondern auch eine Verdoppelung der Tage mit Nierenersatztherapie bei den Patienten, die 10 % HES 200/0,5 als primären Volumenersatz erhielten [18]. Bei Patienten mit Dosisüberschreitungen (>22 ml/kg KG/Tag 10 % HES 200/0,5) mit einer höheren kumulativen Dosis kam es auch zu einer signifikant höheren 90-Tage-Letalität. Dagegen wurde in einer europäischen Observationsstudie (Sepsis Occurrence in Acutely Ill Patients – SOAP) mit über 3000 Intensivpatienten gezeigt, dass zwar Sepsis, Herzversagen und hämatoonkologische Tumorerkrankungen mit einer signifikant erhöhten Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie assoziiert gewesen war, die Verwendung von HES als Volumenersatzmittel aber nicht [19]. Im Vergleich zu den VISEP-Ergebnissen zeigte sich als wichtigster Unterschied die Gesamtmenge an applizierter HES-Menge. Während die Patienten in der Observationsstudie zur hämodynamischen Stabilisierung hauptsächlich in den ersten 2 Tagen HES appliziert bekamen – die Patienten erhielten im Median 1000 ml (kumulative Dosierung <15 ml/kg KG) –, wurde den Patienten in der VISEP-Studie über maximal 21 Tage eine mediane kumulative Dosis von 70,4 ml/kg KG appliziert. Die Verwendung von Kolloiden in der Intensivmedizin dient der schnellen und sicheren Stabilisierung der Hämodynamik kritisch kranker Patienten, insbesondere bei Vorliegen eines Schocks. Rivers et al. haben eindrücklich demonstriert, dass die zielgerichtete hämodynamische Stabilisierung von Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock innerhalb der ersten 6 h Outcome-relevant ist [20]. Aufgrund des Studienprotokolls erlaubt die VISEP-Studie jedoch keinen Erkenntniszugewinn für diese entscheidende Phase der Therapie bei Patienten im septischen Schock [18]. Wurde die Diagnose der schweren Sepsis/des septischen Schocks auf der Normalstation gestellt, konnten entsprechende Patienten innerhalb von 24 h eingeschlossen werden, während für Intensivpatienten ein 12-stündiges Einschlussfenster festgelegt wurde. In diesem Zeitraum wurden den Patienten maximal 1000 ml an artifiziellen Kolloiden – darunter auch HES-Lösungen – verabreicht. Tatsächlich erhielten 160/275 Patienten der Ringer-Laktat-Gruppe neben kristalloidem Volumenersatz im 12-stündigen Zeitraum vor Studieneinschluss im Median 700 ml (IQR: 500–1000) sowie 155/262 der Patienten der HES-Gruppe 979 ml (IQR: 500–1000) Kolloide, inklusive HES und Gelatine. Dieser Umstand führte dazu, dass über 80 % der Patienten bereits hämodynamisch stabilisiert in die Studie aufgenommen wurden (MAD >65 mm Hg, ScvO2 >70 %, ZVD >8 mm Hg). Die nach Rivers entscheidenden 6 h für die hämodynamische Stabilisierung waren vor Studieneinschluss also bereits vergangen. Bei den verbleibenden 100 Patienten (ca. 50 in jeder Gruppe) konnte durch die Verwendung der 10 % HES 200/0,5-Lösung eine signifikant schnellere hämodynamische Stabilisierung erreicht werden.
Die Surviving Sepsis Campaign hat in der Revision ihrer Guidelines 2008 die Formulierung zur Volumentherapie nicht wesentlich geändert [21], da in der Zwischenzeit keine neuen Studien zur Volumentherapie für die frühe Phase der Stabilisierung von Patienten im septischen Schock publiziert wurden. Inwieweit 6 % HES130/0,4-Lösungen bei Patienten mit Sepsis sicher sind, ist derzeit unzureichend untersucht, da Studien mit ausreichend hoher Patientenzahl und ausreichend langer Beobachtungszeit (d. h. ca. 90 Tage) fehlen. Nach der gegenwärtigen Datenlage kann der Einsatz von 10 % HES 200/0.5 und 6 % HES 200/0.6– 0.66 bei Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock nicht empfohlen werden. Vergleichende Untersuchungen von Gelatinelösungen mit kristalloiden Lösungen oder mit Humanalbumin liegen für Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock nicht vor. Daten zur Sicherheit von 6 % HES 130/0,4 /0,42 HES-Lösungen und Gelatinelösungen fehlen für diese Patienten ebenfalls, sind aber v. a. in Hinsicht auf die kumulative Dosis dringend erforderlich und werden derzeit in mehreren großen Studien erhoben. Die Effekte von HES 130/0,4–0,42 vs. Kristalloid werden derzeit in mehreren großen klinischen Studien untersucht. Aufgrund der deutlichen pharmakologischen Unterschiede zwischen der veralteten Pentastärke (10 % HES 200/0,5) und der modernen Tetrastärke (6 % HES 130/0,4–0,42) und dem deutlichen Hinweis auf eine verbesserte renale Sicherheit der Drittgenerationsstärke bei systemischer Inflammation konnte die multizentrische CRYSTMAS-Studie auf guter pharmakologischer Grundlage initiiert werden. Diese multizentrische Studie wird mit dem Ziel durchgeführt, die Wirksamkeit und Sicherheit von 6 % HES 130/0,4 im Vergleich zu NaCl 0,9 % bei septischen Patienten, mit besonderem Augenmerk auf Organfunktion (SOFA-Score) und Nierenfunktionsparameter, zu evaluieren [22]. Im selben Indikationsgebiet untersucht die BaSESStudie gegenwärtig, ob eine Therapie mit HES und Ringer-Laktat im Vergleich zu 0,9 % NaCl Vorteile hinsichtlich der Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation, im Krankenhaus und hinsichtlich der Patientensterblichkeit bringt [23]. Die sog. 6S-Studie (Scandinavian Starch for Severe Sepsis/Septic Shock Trial) hat das Ziel, balanciertes 6 % HES 130/0,42 vs. Kristalloid (Ringer-Azetat) zu vergleichen, um bei septischen Patienten etwaige Unterschiede in der Sterblichkeit und der Rate an schweren Nierenfunktionsstörungen zu detektieren [24]. > Das erste Ziel der Volumentherapie ist das Erreichen einer Normovolämie durch Hämodilution. Zusammenfassung 4 Kristalloide 5 Hauptnachteil ist die interstitielle Überwässerung. 5 Hyperchloräme Azidose bei Einsatz von 0,9 % NaCl-Lösung. 4 6 % HES 130 ist v. a. präklinisch und perioperativ indiziert. 5 6 % HES 130 zum perioperativen Volumenersatz. 5 Cave bei bedrohter oder gestörter Nieren- oder Gerinnungsfunktion. 4 Gelatine: Gestörte Gerinnungsfunktion. 4 Isoonkotisches Humanalbumin ist bei SHT nicht zum Volumenersatz indiziert. 4 20 % Humanalbumin bei kritisch kranken Patienten ist nicht indiziert. 4 Kristalloide wie auch Kolloide sind in balancierten Lösungen zu bevorzugen.
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Literatur 1
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22
Kapitel 22 · Volumentherapie
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21 Schettler G, Greten H. Innere Medizin – Referenzbereich klinischer Laborwerte. Thieme, Stuttgart New York; 1998 22 NCT00464204 (CRYSTMAS) [http://clinicaltrials.gov, Zugriff 09.02.2010] 23 NCT00273728 (BaSES) [http://clinicaltrials.gov, Zugriff 09.02.2010] 24 NCT00962156 (6S) [http://clinicaltrials.gov, Zugriff 09.02.2010]
293
Inotropika und Vasopressoren S. Rex
23.1
Einleitung – 294
23.2
Physiologie und Pharmakologie – 294
23.2.1 23.2.2 23.2.3 23.2.4 23.2.5 23.2.6 23.2.7 23.2.8 23.2.9
Terminologie und Funktion der Katecholamine – 294 Synthese, Regulation, Inaktivierung – 294 Katecholaminrezeptoren – 296 Noradrenalin – 296 Adrenalin – 297 Dobutamin – 297 Isoproterenol – 297 Dopamin – 297 PDE-III-Inhibitoren – 297
23.3
Allgemeine Prinzipien der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika – 298
23.4
Typische Komplikationen der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika – 298 Literatur – 299
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_23, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
23
23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23
294
Kapitel 23 · Inotropika und Vasopressoren
23.1
Einleitung
Katecholamine und Vasopressoren gehören zu den in der Intensivmedizin am häufigsten eingesetzten Medikamenten. Sie werden bei hämodynamisch instabilen Patienten verwendet, um durch Erhöhung des Herzzeitvolumens und/oder Korrektur des Gefäßtonus akut lebensbedrohliche Situationen abzuwenden. Umso befremdlicher ist es daher, dass sich die Evidenz zu dieser Substanzgruppe im Wesentlichen auf Studien gründet, die lediglich hämodynamische Endpunkte untersucht haben. Untersuchungen zur Auswirkung der verschiedenen Substanzen auf harte Endpunkte wie Morbidität und Letalität fehlen nahezu vollständig. Die Indikationsstellung zur Katecholamintherapie und die Wahl einer bestimmten Substanz müssen sich daher am physiologischen Wirkspektrum, an der sog. »Expertenmeinung« und an der klinischen Routine des jeweiligen Anwenders orientieren.
das postganglionäre Neuron fungiert noch Acetylcholin als Transmitter. Vom postsynaptischen Neuron wird hingegen Noradrenalin als Transmitter freigesetzt, um die Endorgane wie Herz und Gefäße zu kontrollieren. Im Nebennierenmark (NNM) übernehmen die chromaffinen Zellen die Funktion des postganglionären Neurons und sezernieren nach sympathischer Stimulation Noradrenalin (15– 20% des Katecholamingehalts im NNM) und Adrenalin (80–85% des Katecholamingehalts). Die Katecholaminsekretion des NNM in Ruhe beträgt ca. 0,02 μg/kg KG/min Adrenalin und 0,02 μg/kg KG/ min Noradrenalin [9]. Die Herkunft des Dopamins in der peripheren Zirkulation ist unklar. Bis jetzt konnten keine Dopamin-haltigen Neurone im peripheren Nervensystem identifiziert werden. Man nimmt an, dass das in der Blutbahn zirkulierende Dopamin einem »spill-over« aus dem Gehirn entstammt.
23.2.2 23.2
Physiologie und Pharmakologie
23.2.1
Terminologie und Funktion der Katecholamine
Man unterscheidet endogene Katecholamine (Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin; . Abb. 23.1a) von synthetisch hergestellten Katecholaminen (Dobutamin, Isoproterenol; . Abb. 23.1b). Daneben werden noch Substanzen eingesetzt, die sich in ihrem Wirkmechanismus von den Katecholaminen deutlich unterscheiden und daher gesondert geschildert werden (Phosphodieseterase-Inhibitoren, Levosimendan, Vasopressin). Noradrenalin und Adrenalin sind die Neurotransmitter des sympathischen Nervensystems (SNS). Bei der im sympathischen Grenzstrang lokalisierten Umschaltung vom präganglionären auf a
Synthese, Regulation, Inaktivierung
Der Syntheseweg der endogenen Katecholamine ist in . Abb. 23.1 dargestellt. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist die Umwandlung von Tyrosin zu Dihydroxyphenylalanin (DOPA) durch die Tyrosinhydroxylase. Sowohl die Synthese als auch die Ausschüttung der Katecholamine unterliegt vielfältigen Regulationsmechanismen. Eine erhöhte SNS-Aktivität wie bei der chronischen Herzinsuffizienz stimuliert die Synthese der Tyrosinhydroxylase. Glukokortikoide fördern die Umwandlung von Noradrenalin zu Adrenalin im NNM. Noradrenalin selbst blockiert die Tyrosinhydroxylase und hemmt seine eigene Freisetzung über präsynaptische α2-Rezeptoren (negative Feedback-Hemmung). Die Inaktivierung der Katecholamine findet über 3 verschiedene Wege statt: 4 Wiederaufnahme in das postsynaptische Neuron. Dies ist ein aktiver, energieverbrauchender Prozess, der medikamentös b
N
HO
CH3
HO
HO
Dobutamin
23 OH
23
HO
23
HO
N
CH3 CH3
23 23 23 23 23 23 23
. Abb. 23.1a, b Syntheseweg der endogenen Katecholamine (a) und synthetisch hergestellte Katecholamine (b). (Abb. 23.1a aus: [6])
Isoproterenol
23
295 23.2 · Physiologie und Pharmakologie
. Tab. 23.1 Übersicht der klinisch gebräuchlichsten Inotropika und Vasopressoren. Nach [9] und [14] Substanzklasse
Katecholamine
Substanz
Indikation
Dosis
Rezeptorselektivität α1
α2
β1
β2
D
Noradrenalin
Septischer Schock Kardiogener Schock Rechtsherzversagen Postkardiotomieschock
0,01–2 μg/kg KG/min
+++++
+++++
+++
0
0
Adrenalin
Reanimation
Bolus: 1 mg alle 3–5 min
+++++
+++
+++
++
0
Kardiogener Schock Postoperatives LCOS Septischer Schock Bradykarde Herzrhythmusstörungen
0,01–2 μg/kg KG/min
Dobutamin
Erniedrigtes HZV: 5 Kardiogener Schock 5 Dekompensierte Herzinsuffizienz 5 Postoperatives LCOS 5 Septische Kardiomyopathie Bradykarde Herzrhythmusstörungen
2–10 μg/kg KG/min
+
?
++++
++
0
Isoproterenol
Bradyarrhythmien Bradykardien bei denerviertem Herz
0,02–0,5 μg/kg KG/ min
0
0
+++++
+++++
0
Dopamin
Schock
0,5–2 μg/kg KG/min
0
0
0
0
+++++
++++
++
3–10 μg/kg KG/min >10 μg/kg KG/min
+++++ Entfällt
PhosphodiesteraseInhibitoren
Milrinon
Erniedrigtes HZV: 5 Kardiogener Schock 5 Dekompensierte Herzinsuffizienz 5 Postoperatives LCOS
Bolus: 5 12,5–25–50 μg/ kg KG Infusion: 5 0,125–0,5 μg/ kg KG/min (Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz)
KalziumSensitizer
Levosimendan
Erniedrigtes HZV: 5 Kardiogener Schock 5 Dekompensierte Herzinsuffizienz 5 Postoperatives LCOS
Loading Dose: 12–24 mg/kg Infusion: 0,1–0,2 μg/kg KG/min
Reanimation
Bolus: 40 U
Septischer Schock Postkardiotomieschock
0,02–0,04 U/min
Vasopressin
?
LCOS = Low-cardiac-output-Syndrom, HZV = Herzzeitvolumen.
gehemmt werden kann, z. B. durch trizyklische Antidepressiva oder Kokain. Über die Aktivierung präsynaptischer β2-Rezeptoren kommt es hingegen zu einer verminderten Wiederaufnahme und einer vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin. Der größte Teil des wiederaufgenommenen Noradrenalins wird zum Wiedergebrauch gespeichert, ein kleiner Teil durch die Monoaminoxidase (MAO) abgebaut. 4 Extraneuronale Aufnahme und Abbau durch MAO und Katechol-O-Methyltransferase.
4 Diffusion in die Zirkulation und Abbau in Leber und Niere. Dieser 3. Weg nimmt die größte Zeit in Anspruch, ist von entscheidender Bedeutung für exogen zugeführte Katecholamine und erklärt, warum diese mit einer Plasmahalbwertszeit von ca. 3 min ca. 10-mal längere Effekte zeitigen als die im Rahmen einer nervalen Stimulation freigesetzten Transmitter.
23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23 23
296
Kapitel 23 · Inotropika und Vasopressoren
23.2.3
Katecholaminrezeptoren
Katecholamine vermitteln ihre Wirkungen über die Bindung an α-, β- und Dopamin (D)-Rezeptoren. In den Zielorganen bestimmen primär die Dichte und die Verteilung der einzelnen Rezeptortypen die Wirkungen der Katecholamine (. Tab. 23.1). In vivo werden die Effekte der Katecholamine aber auch durch Interaktionen mit autonomen Reflexbögen modifiziert (z. B. Herzfrequenzabfall bei vasopressorinduziertem Blutdruckanstieg). Weiterhin verändern sowohl Azidose [13] als auch Hypoxie [11] (wie sie im Schock auf Ebene der Mikrozirkulation nahezu obligat vorliegen) die Bindungseigenschaften der Katecholaminrezeptoren. Die Bindung der Katecholamine an die transmembranösen Rezeptoren bewirkt die Aktivierung verschiedener regulatorischer GProteine (. Abb. 23.2): 4 β1-, β2- und D1-Rezeptoren sind an ein stimulatorisches GProtein (Gs) gekoppelt, das die membranständige Adenylatcyclase aktiviert, sodass cAMP aus ATP gebildet wird. cAMP aktiviert die Proteinkinase A (PKA), die wiederum eine Reihe verschiedener Proteine phosphoryliert. Hierbei kommt es zur Öffnung langsamer Ca2+-Kanäle, sodass die zytosolische Ca2+-Konzentration ansteigt. Weiterhin setzt die PKA die Ca2+-Affinität von Troponin I herab. Daneben wird über Phospholamban die Ca2+-ATPase im sarkoplasmatischen Retikulum (SR) aktiviert und damit die Wiederaufnahme von Ca2+ beschleunigt. Im Myokard resultieren hieraus eine positive Ino-, Chrono-, Dromo- und Lusitropie. In der glatten Gefäßmuskulatur wird über die PKA der K+-Ausstrom aus der Zelle gesteigert und damit eine Hyperpolarisation erreicht. Die Aktivierung der sarkoplasmatischen Ca2+-ATPase vermindert den intrazellulären Ca2+-Gehalt. Es resultiert eine Vasodilatation. 4 α2- und D2-Rezeptoren sind an inhibitorische G-Proteine (Gi) gekoppelt, welche die membranständige Adenylatcyclase hemmen, sodass weniger cAMP zur Verfügung steht. Dane-
23 23 23 23
Zellmembran
β1-R β2-R D1-R
Gs +
PDE-III-Inhibitoren −
AC
Gi
23 23 23 23 23 23
23.2.4
Noradrenalin
Noradrenalin hat schwache β-agonistische Wirkungen und starke α-agonistische Wirkungen. Es ist daher ein potenter Vasopressor mit nur geringen positiv inotropen und chronotropen Eigenschaften. Durch die z. T. ausgeprägte Steigerung der kardialen Nachlast kann daher v. a. im Fall einer akuten Herzinsuffizienz eine Verschlechterung der Herzauswurfleistung resultieren, weshalb eine hochdosierte Monotherapie mit Noradrenalin nur mit einem erweiterten hämodynamischen Monitoring gesteuert werden sollte. Die Wirkungen von Noradrenalin auf den koronaren Blutfluss sind komplex und im Einzelfall nicht immer vorherzusagen. Auf der einen Seite vermittelt die Aktivierung von α1- und α2-Rezeptoren an der Gefäßmuskulatur eine Vasokonstriktion. Auf der anderen Seite ist Noradrenalin in den Koronarien auch ein potenter β2Rezeptoragonist [3] und hebt den diastolischen Blutdruck an. Bei längerer Einwirkung kann Noradrenalin in den Kardiomyozyten Apoptosemechanismen induzieren [2].
PIP2
α1-R Go
Gq
−
DAG
PLC
PKC IP3
PDE III AMP
ATP
+
+
K +-Ausstrom Ca2+ -Einstrom
cAMP
23
α2-R D2-R
ben wird durch Gi und G0 der transmembranöse Ca2+-Flux gehemmt, während der K+-Ausstrom stimuliert wird. Hieraus resultieren eine Hyperpolarisation der Zelle und eine verminderte zytosolische Ca2+-Konzentration. 4 α1-Rezeptoren sind an ein weiteres G-Protein (Gq) gekoppelt, das die Phospholipase C (PLC) aktiviert, die ihrerseits das membrangebundene Phospatidylinositol-Bisphosphat (PIP2) zum membranständigen Diacylglcerol (DAG) und zum ins Zytoplasma wandernden Inositol-Trisphosphat (IP3) hydrolysiert. IP3 bindet an einen eigenen IP3-Rezeptor an den Membranen intrazellulärer Ca2+-Speicher und setzt hierdurch Ca2+ frei. DAG aktiviert die Proteinkinase C (PKC), die ihrerseits über die Phosphorylierung verschiedener Proteine den intrazellulären Ca2+-Gehalt erhöht.
+
Ca2+
Hyperpolarisation
Ca2+
+
PKA
+
Myokard: Zytosolische Ca2+-Konzentration Affinität von Troponin I zu Ca2+ Ca2+-Wiederaufnahme ins SR
Phosphoryliertes Phospholamban
Ca2+ +
SR ATP
ADP + Pi
Ca2+ Positive Inotropie, Chronotropie, Dromotropie
Myokard: Positive Lusitropie Glatte Muskulatur: Vasodilatation
. Abb. 23.2 Molekulare Wirkungen der Katecholamine und der Phosphodiesterase-III-Inhibitoren. (Erläuterungen und Abkürzungen 7 Text)
297 23.2 · Physiologie und Pharmakologie
23.2.5
Adrenalin
Adrenalin ist das klassische Stress- und Fluchthormon. Es hat potente β1-, β2- und α1-agonistische Effekte, wobei in niedrigen Dosierungen die Wirkungen an den β-Rezeptoren vorherrschen, während in hohen Dosierungen die α1-agonistischen Effekte dominieren. Ähnlich wie beim Noradrenalin wird in den Koronarien die α1-Rezeptor-vermittelte Vasokonstriktion durch andere Mechanismen z. T. wieder aufgehoben, sodass netto eine Steigerung des myokardialen Blutflusses resultiert [14]. Die therapeutische Gabe von Adrenalin führt regelmäßig zu einer Hyperlaktatämie, wobei es umstritten ist, ob diese auf eine Reduktion der Mikrozirkulation und damit eine Gewebshypoxie oder auf die Aktivierung bestimmter Stoffwechselwege im Laktatmetabolismus zurückzuführen ist [10]. Auch Adrenalin wirkt bei längerer Gabe durch die Aktivierung von Apoptosemechanismen kardiotoxisch [16].
23.2.6
Dobutamin
Das synthetisch hergestellte Dobutamin ist ein Gemisch zweier Enantiomere: Das (+)-Enantiomer aktiviert β1- und β2-Rezeptoren (im Verhältnis 3:1), während das (–)-Enantiomer agonistische Wirkungen am α1-Rezeptor zeigt. Hieraus resultiert eine scheinbare β1– Selektivität, da sich β2- und α1-Adrenozeptor-vermittelte Wirkungen teilweise gegenseitig aufheben. Dobutamin bewirkt eine deutliche Steigerung der Kontraktilität der Herzmuskelzellen, während die positive Chronotropie in der Regel nur gering ausgeprägt ist. Im Gefäßsystem resultiert meist (v. a. in niedriger Dosierung) eine schwache Vasodilatation. Dobutamin steigert den Sauerstoffbedarf des Herzens erheblich und kann maligne tachykarde Herzrhythmusstörungen auslösen.
23.2.7
Isoproterenol
Isoproterenol ist ein nichtselektiver synthetischer β-Adrenorezeptoragonist mit starker positiv chronotroper und inotroper Wirkung, der aber auch eine systemische und eine pulmonale Vasodilatation hervorruft. Hierdurch kann es zu einer deutlichen Beeinträchtigung der myokardialen Sauerstoffbilanz kommen. ! Cave Isoproterenol kann schwere (Tachy-)Arrhythmien auslösen. Es sollte daher v. a. im infarktbedingten kardiogenen Schock nicht eingesetzt werden.
Isoproterenol ist hilfreich bei der Therapie höhergradiger symptomatischer Bradykardien und bei Patienten mit sympathisch denerviertem Herz nach Transplantation. In Deutschland ist es nur über die internationale Apotheke zu beziehen.
23.2.8
Dopamin
Dopamin ist im postganglionären sympathischen Neuron die endogene Vorläufersubstanz von Noradrenalin und Adrenalin. In therapeutischer Dosierung interagiert es dosisabhängig mit dopaminergen und adrenergen Rezeptoren und vermittelt daher eine Vielzahl von z. T. nur schlecht vorherzusehenden Wirkungen. In niedrigen Konzentrationen (0,5–2 μg/kg KG/min) werden primär DopaminRezeptoren stimuliert. Postsynaptische D1-Rezeptoren im koronaren, renalen, mesenterialen und zerebralen Gefäßbett vermitteln eine Vasodilatation, ebenso wie präsynaptische D2-Rezeptoren,
die die Noradrenalin-Ausschüttung hemmen. Daneben hat niedrig dosiertes Dopamin einen direkten natriuretischen Effekt. Die früher oftmals propagierte Gabe von niedrig dosiertem Dopamin zur Nephroprotektion bei Intensivpatienten hat sich allerdings als wirkungslos herausgestellt [1]. Im mittleren Dosisbereich (3–10 μg/kg KG/min) bindet Dopamin an β1-Rezeptoren und stimuliert hierdurch präsynaptisch die Ausschüttung von Noradrenalin. Daneben wird die Wiederaufnahme von Noradrenalin gehemmt, sodass eine Zunahme von Kontraktilität, Chronotropie und Nachlast resultieren. Im hohen Dosisbereich (10–20 μg/kg KG/min) überwiegt die α1-Rezeptorvermittelte Vasokonstriktion. Dopamin hat auch in niedriger Dosierung zahlreiche Nebenwirkungen: Es verschlechtert wahrscheinlich die Splanchnikusperfusion, hemmt die gastrointestinale Motilität, senkt den Atemantrieb und hat über die Hemmung der Prolaktin-Ausschüttung immunsuppressive Wirkungen. Darüber hinaus steigert Dopamin bei kritisch kranken Patienten den Proteinkatabolismus über die Hemmung der Ausschüttung von »growth hormone releasing hormone« und des thyreoideastimulierenden Hormons [3].
23.2.9
PDE-III-Inhibitoren
Die Phosphodiesterase Typ III (PDE-III) ist in kardialen Myozyten und glatten Gefäßmuskelzellen lokalisiert und baut cAMP zu AMP ab (. Abb. 23.2). PDE-III-Inhibitoren erhöhen daher die intrazelluläre cAMP-Konzentration und steigern somit die myokardiale Kontraktilität, verbessern die diastolische Funktion (positive Lusitropie) und vermitteln eine Vasodilatation [14]. Sie werden vom Wirkspektrum her als Inodilatatoren bezeichnet. Milrinon ist der am häufigsten eingesetzte PDE-III-Inhibitor und besitzt mit 2–4 h eine wesentlich längere Halbwertszeit als die Katecholamine. > PDE-III-Inhibitoren wirken auch dann noch, wenn die β-adrenergen Rezeptoren wie im Fall der chronischen Herzinsuffizienz down-reguliert oder durch β-Blocker besetzt sind.
Levosimendan Levosimendan ist ein »Kalzium-Sensitizer«, der die Sensitivität der Myokardfibrillen auf Kalzium erhöht und die Konformation des Ca2+-Troponin-C-Komplexes stabilisiert [5]. Im Vergleich zu anderen positiv inotropen Substanzen steigert Levosimendan die Myokardkontraktilität, ohne den myokardialen Sauerstoffverbrauch zu erhöhen [12]. Levosimendan verursacht über eine Öffnung der KATP-Kanäle in den Gefäßmuskelzellen eine Vasodilatation, v. a. in den koronaren und mesenterialen Arterien [15]. Experimentelle Daten belegen, dass Levosimendan auch in der pulmonalen Strombahn eine Vasodilatation hervorrufen kann, u. a. durch die Steigerung der NO-Produktion durch die induzierbare NO-Synthetase [4]. Levosimendan gehört daher zu den Inodilatatoren. Levosimendan hat einen biologisch aktiven azetylierten Metaboliten (OR-1896) mit einer Halbwertszeit von 80–96 h. Dieser Metabolit hat ebenfalls Ca2+-sensibilisierende und schwache PDEIII-hemmende Eigenschaften und besitzt ähnliche positiv inotrope Effekte wie Levosimendan [7]. Die hämodynamischen Effekte halten daher auch nach Beendigung der Levosimendan-Zufuhr für längere Zeit (bis zu 14 Tage) an.
23
298
23 23 23 23 23 23 23
Kapitel 23 · Inotropika und Vasopressoren
Vasopressin (Arginin-)Vasopressin (oder »antidiuretisches Hormon, ADH«) wird im Nucleus supraopticus und Nucleus paraventricularis des Hypothalamus synthetisiert und in der Neurohypophyse gespeichert. Die wesentliche Funktion besteht in einer sehr präzisen Regulation des Wasserhaushaltes. Schon minimale Änderungen der Plasmaosmolalität führen zu einer Ausschüttung von geringen Mengen an Vasopressin (1–7 pg/ml), das über V2-Rezeptoren am Sammelrohr der Niere die Wasserrückresorption steigert. In der Kreislaufregulation spielt Vasopressin normalerweise eine untergeordnete Rolle. Nur im Schock werden über die Aktivierung arterieller Barorezeptoren hohe Konzentrationen an Vasopressin (7–187 pg/ml) freigesetzt, die über V1-Rezeptoren der Gefäßmuskulatur eine Vasokonstriktion vermitteln [8]. Daneben hemmt Vasopressin andere an einer Vasodilatation beteiligte Mechanismen wie ATP-abhängige Kaliumkanäle, die NO-Produktion und die Down-Regulation von adrenergen Rezeptoren. Vasopressin kann seine vasokonstriktorischen Effekte auch bei Hypoxie und Azidose
aufrechterhalten [14]. Über indirekte Effekte (Anstieg der kardialen Nachlast und reflektorische Steigerung der Vagusaktivität) kann die Substanz das Herzzeitvolumen reduzieren.
23.3
Allgemeine Prinzipien der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika
Die allgemeinen Prinzipien der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika zeigt . Tab. 23.2.
23.4
Typische Komplikationen der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika
Die typischen Komplikationen der Vasopressor- und Inotropikatherapie sind in . Tab. 23.3 dargestellt.
23 23
. Tab. 23.2 Therapie mit Vasopressoren und Inotropika Diagnose
Eine arterielle Hypotonie kann resultieren aus 5 Hypovolämie (Volumenmangelschock) 5 myokardialem Pumpversagen (kardiogener Schock) 5 Vasomotorenversagen (distributiver Schock, z. B. septischer oder anaphylaktischer Schock). Vor dem Beginn einer zielgerichteten hämodynamischen Therapie muss daher die zugrundeliegende hämodynamische Störung identifiziert werden!
Hypovolämie
Vor dem Einsatz von Vasopressoren sollte – wenn es die Zeit und die Gesamtsituation erlauben – eine Hypovolämie ausgeglichen werden; evtl. Ausnahmen: ARDS, dekompensierte Herzinsuffizienz.
Re-Evaluation
Viele Inotropika/Vasopressoren wirken auf unterschiedliche Rezeptoren – hieraus ergeben sich z. T. unvorhersehbare Wirkungen. Außerdem können sich zu der ursprünglich behandelten hämodynamischen Störung weitere hämodynamische Probleme entwickeln. Eine sorgfältige Überwachung und kontinuierliche Re-Evaluation der Patienten ist daher obligat.
Titration
23
Die Dosis der eingesetzten Vasopressoren/Inotropika sollte vorsichtig titriert und so lange gesteigert werden, bis ein adäquater Blutdruck und eine ausreichende Endorganperfusion erreicht sind.
Applikationsweg
Vasopressoren/Inotropika sollten – wenn immer möglich – über einen zentralvenösen Zugang appliziert werden.
23
Tachyphylaxie
Häufig tritt eine Tachyphylaxie bei länger dauernder Anwendung von Inotropika/Vasopressoren ein. Daher muss ggf. die Dosis erhöht werden oder auf eine andere Wirkstoffklasse ausgewichen werden.
23
Kardiale Nachlast
Vasopressoren steigern die kardiale Nachlast. Vor allem bei Einschränkung der myokardialen Pumpfunktion kann es durch die unkritische Anwendung von Vasopressoren zu einer weiteren Verschlechterung der Herzauswurfleistung kommen. Ein Monitoring der myokardialen Pumpfunktion ist daher obligat bei Patienten, bei denen eine höher dosierte Vasopressortherapie zur Anwendung kommt.
Subkutane Medikamentenapplikation
Der Einsatz von Vasokonstriktoren löst eine kutane Vasokonstriktion aus und verschlechtert damit die Resorption subkutan applizierter Medikamente wie z. B. Heparin. Bei Patienten mit Vasopressortherapie sollten daher subkutan applizierte Medikamente umgesetzt werden auf venös zu verabreichende Präparate.
23 23 23 23 23
23 23 23
. Tab. 23.3 Typische Komplikationen der Therapie mit Vasopressoren und Inotropika
23
Arrhythmien
Über die Aktivierung von β1-Rezeptoren können von der Mehrzahl der Inotropika/Vasopressoren tachykarde Herzrhythmusstörungen jedweden Schweregrades induziert werden (Sinustachykardie, Vorhofflimmern, AV-Knoten-Tachykardien, ventrikuläre Tachykardien). Ein adäquater Volumenstatus kann die Inzidenz von Herzrhythmusstörungen reduzieren.
Myokardischämie
β1-adrenerge Substanzen erhöhen grundsätzlich den myokardialen Sauerstoffbedarf, was meist auch durch die gleichzeitige Steigerung des koronaren Perfusionsdrucks nicht kompensiert werden kann. Patienten mit eingeschränkter Koronarreserve sollten engmaschig hinsichtlich des Auftretens einer Myokardischämie überwacht werden.
Hypoperfusion
Vor allem in Gegenwart einer unkorrigierten Hypovolämie kann die unkritische Anwendung von Vasokonstriktoren zu einer Hypoperfusion prinzipiell aller Organe führen. Hautnekrosen, Darmischämien und Niereninsuffizienz können resultieren. Daher unbedingt auf ausreichenden Volumenstatus achten!
23 23 23 23
299 Literatur
Literatur 1
2
3 4
5
6
7
8 9
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301
Hämostase und Hämotherapie M. Reng
24.1
Physiologie der Hämostase – 302
24.1.1 24.1.2 24.1.3 24.1.4 24.1.5 24.1.6
Blutstillung – 302 Gefäßwand – 303 Thrombozyten – 303 Plasmatische Gerinnung – 303 Inhibitoren des plasmatischen Gerinnungssystems – 304 Fibrinolysesystem – 305
24.2
Gerinnungsanamnese – 305
24.3
Gerinnungslabor – 305
24.3.1 24.3.2 24.3.3
Thrombozytäre Gerinnung – 305 Plasmatische Gerinnung – 306 Thrombophiliediagnostik – 307
24.4
Optionen der Hämotherapie – 308
24.4.1 24.4.2
Blutprodukte mit zellulären Bestandteilen – 308 Blutprodukte ohne zelluläre Bestandteile – 309
24.5
Antikoagulanzien – 311
24.5.1 24.5.2 24.5.3 24.5.4 24.5.5
Thrombozytenaggregationshemmer – 311 Heparine – 311 Orale Antikoagulanzien – 312 Thrombolytika – 312 Weitere gerinnungsaktive Medikamente – 312
24.6
Antikoagulation – 314
24.6.1 24.6.2
Thromboseprophylaxe – 314 Antikoagulation bei kontinuierlichen Nierenersatzverfahren (CRRT) – 315
24.7
Ausgewählte Hämostasestörungen – 315
24.7.1 24.7.2
Hämophilien – 315 Thrombophilien – 316
24.8
Ausgewählte erworbene Hämostasestörungen – 316
24.8.1 24.8.2 24.8.3 24.8.4
Sepsis – 316 Verbrauchskoagulopathie (DIC=disseminierte intravasale Koagulation) – 316 ITP/TTP – 318 Tiefe Beinvenenthrombose – 318
24.9
Hämostaserelevante Therapiekomplikationen – 319
24.9.1 24.9.2
Heparin-induzierte Thrombopenie (HIT) – 319 Coumarin-Nekrose – 320
Literatur – 320 H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_24, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
24
24
302
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
24.1
Physiologie der Hämostase
Hämostase ist der Oberbegriff der Blutungsstillung. Diese kann bei
24 24 24 24 24 24 24 24
Blutungen durch körpereigene Mechanismen (u. a. plasmatische Gerinnung, Thrombozyten, Gefäßwand, Hämodynamik) wie auch durch Einfluss von außen herbeigeführt werden. Aber nicht nur für die Stillung von Blutungen ist eine intakte Hämostase von Bedeutung, sie beeinflusst auch den regulären, intravasalen Blutfluss. So kann es bei überschießender Reaktion des Hämostasesystems – z. B. durch pathologische Gerinnungsaktivierung – zu Thrombosen und Thromboembolien mit Funktionsverlust oder -einschränkung der konsekutiv minderperfundierten Organe kommen (. Abb. 24.1). Das Gerinnungssystem stellt aber nicht nur die Basis der Fähigkeit des Blutes zur Blutungsstillung dar. Immunmodulierende Eigenschaften des Gerinnungssystems sind erst in den letzten Jahren erkannt worden. So steht die Expression von »tissue factor« (auch Faktor III bzw. Gewebsthromboplastin) durch Monozyten am Beginn des extrinsischen Pathways der Gerinnung (. Abb. 24.2). Im Rahmen einer generellen, überschießenden Monozytenaktivierung kann daher auch die Gerinnung pathologisch stimuliert werden. Umgekehrt können aktivierte Gerinnungsfaktoren die Expression zellgebundener Rezeptoren beeinflussen, was z. B. zu einer vermehrten Freisetzung von »tissue factor« wie auch anderer proin-
24 24
24.1.1
24 24 24 24 24
flammatorischer Zytokine führen kann. Dementsprechend können Gerinnungsinhibitoren scheinbar entzündliche Reaktionen nachhaltig hemmen. So scheint das Gerinnungssystem an der Entwicklung des akuten Lungenversagens kausal beteiligt zu sein. Während die immunologische Bedeutung des Gerinnungssystems an anderer Stelle (7 Kap. 63) besprochen wird, soll in diesem Kapitel das Gerinnungssystem vorwiegend unter dem Blickpunkt der Blutung und Blutungsstillung betrachtet werden. Der Erhalt der Hämostase – d. h. der Blutungs- und Thromboseinhibition – spielt gerade in der Intensivmedizin eine große Rolle, zumal die Hämostase krankheitsbedingt, durch pharmakologische Intervention oder auch durch rein mechanische Probleme positiv wie negativ beeinflusst werden kann. Bei Erkrankungen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, findet sich dementsprechend ein weites Spektrum teilweise lebensgefährlicher Hämostasedefekte von der akuten Massenblutung über die Verbrauchskoagulopathie und das Gerinnungsversagen bis hin zur überschießenden Gerinnungsaktivierung mit Verschluss des Kapillarstromgebietes im betroffenen Organ. Auch Schlaganfall und Myokardinfarkt sind letztlich auf eine pathologische Veränderung der Hämostase zurückzuführen. Um das adäquate diagnostische und therapeutische Vorgehen zur Behandlung, besser noch zur Vermeidung von Hämostasestörungen planen zu können, ist die Kenntnis einiger grundlegender physiologischer Zusammenhänge unentbehrlich.
. Abb. 24.1 Zusammenwirken der an der Hämostase beteiligten Faktoren
Blutstillung
Der Vorgang der Blutstillung teilt sich in die primäre und sekundäre Hämostase. Unter der primären Hämostase versteht man die Vasokonstriktion, die zusammen mit der Bildung des primären Thrombozytengerinnsels sofort nach der Gefäßverletzung eintritt. Infolge einer Verletzung der Gefäßwand kommt es zur Adhäsion von Thrombozyten an die subendothelialen Strukturen mit Aufbau eines Thrombozytenaggregates innerhalb von 2‒5 min. An Thrombozytenaktivierung und Bildung des Thrombozytenpfropfes sind vorrangig das subendotheliale Kollagen, v.-Willebrand-Faktor, die Glykoproteinrezeptoren der Thrombozytenmembran, Thromboxan A2 und Thrombin beteiligt. Die Thrombozytenaktivierung
24 24 24 24 24 24 24 24 24
. Abb. 24.2 Extrinsischer und intrinsischer Pathway der Gerinnung mit gemeinsamer Endstrecke. Gerinnungsfaktoren, die als Einzelfaktorpräparate zur Substitution verfügbar sind, sind blau gekennzeichnet. Die Hauptwirkorte der Gerinnungsinhibitoren sind durch gestrichelte Pfeile gekennzeichnet
303 24.1 · Physiologie der Hämostase
führt zur erhöhten Expression von Glykoproteinrezeptor GP IIb/ IIIa, der dann sowohl v.-Willebrand-Faktor und Fibrin binden kann. Fibrin verbindet schließlich die Thrombozyten irreversibel untereinander. Die Thrombozytenaggregation kann durch das ebenfalls im Gefäßendothel gebildete Prostazyklin (PGI2) inhibiert werden. Die sekundäre Hämostase führt nach etwa 30 min zur endgültigen Blutungsstillung durch Bildung des Fibrinpfropfes. An der Bildung des Fibrinpfropfes sind die aus der Thrombozytenmembran freigesetzten Phospholipide (Plättchenfaktor 3) und die aktivierten Gerinnungsfaktoren beteiligt. Dabei ist die Anwesenheit von Kalzium unabdingbar. Ausgelöst wird die Bildung des Fibringerinnsels bei Gefäßverletzungen über das exogene, extrinsische System (»tissue factor«=Gewebsthromboplastin) oder endogen über das intrinsische System. Über die gemeinsame Endstrecke der plasmatischen Gerinnung wird dann der Fibrinpfropf gebildet.
24.1.2
Gefäßwand
Die Gefäßwand ist am Gerinnungsprozess beteiligt. Naturgemäß ist ihre es primäre Aufgabe, die intravasale Gerinnung zu verhindern. Daher hat das Endothel antikoagulante Eigenschaften: Es erschwert durch negative Ladung die lokale Gerinnselbildung, und Thrombin kann an der Endothelmembran inaktiviert werden, auch werden hier Prostazyklin und Gewebeplasminogenaktivator (t-PA) freigesetzt. Andererseits ist die Gefäßwand mit prokoagulanten Eigenschaften ausgestattet, die besonders bei deren Verletzung in Kraft treten. So befindet sich hier das körpereigene Reservoir des v.-Willebrand-Faktors (vWF), und die Endothelzelle kann den prokoagulanten Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) freisetzen. In der subendothelialen Gefäßwand findet sich schließlich das Gewebethromboplastin (»tissue factor»), das die plasmatische Gerinnung aktiviert, sobald es mit Blut in Berührung kommt. Vasokonstriktion und Hämodynamik sind weitere mechanische Faktoren, die an Blutung und Blutstillung beteiligt sind. Gerade der Einfluss der Hämodynamik auf die Hämostase darf in der Intensivmedizin nicht unterschätzt werden. So ist eine arterielle Hypertonie an der Entstehung von spontanen Blutungen ebenso wie am Unterhalt der Blutung aus großen Gefäßen beteiligt. Hypotonie im arteriellen oder venösen Stromgebiet kann dementsprechend die Blutungsstillung unterstützen. Da Hypotonie aber auch mit geringerer Flussgeschwindigkeit des Blutes einhergeht, ist in entsprechend minderperfundierten Bereichen – besonders bei zeitgleich bestehender pathologischer Gerinnungsaktivierung – auch mit Thrombosen im Kapillarstromgebiet zu rechnen.
. Abb. 24.3 Petechiale Blutungen mit Blutung am liegenden Katheter bei Thrombopenie (2/nl)
Intensivstation – spielen neben einem erhöhten Thrombozytenverbrauch (wie bei massiven Blutungen oder bei der Heparin-induzierten Thrombopenie) eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Thrombopenien. Eine Verminderung der Thrombozytenzahl ist auch bei Hypersplenismus infolge portaler Hypertension zu finden. Demgegenüber kann die Stimulation des Knochenmarks (insbesondere durch Stress und Entzündung) zu einer reaktiven Thrombozytose führen, die jedoch in der Regel nicht in einer erhöhten Koagulabilität des Blutes resultiert.
Medikamente, die die Thrombozytenfunktion beeinflussen können 4 Thrombozytenaggregationshemmer (Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Ticlopidin) 4 Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine, Amphotericin B) 4 Kolloide (Dextrane, hochmolekulare HES) 4 Trizyklische Antidepressiva, Valproinsäure
Als klinisches Zeichen für die verminderte thrombozytäre Gerinnung, sei es infolge verminderter Thormbozytenzahl oder Afunktionalität der vorhandenen Thrombozyten, gelten Petechien (nadelstichartige Einblutungen), die oft zuerst an abhängigen Körperpartien und am Gaumen gefunden werden können. Zudem fällt bei Patienten mit Thrombozytenfunktionsstörungen oftmals auf, dass es an Punktionsstellen zu verlängerten Blutungen kommt (typische Blutungen aus Einstichstellen, z. B. eines liegenden Katheters; . Abb. 24.3).
24.1.4 24.1.3
Plasmatische Gerinnung
Thrombozyten
Die Rolle der Thrombozytenaggregation bei der Ausbildung des primären Gerinnsels wurde in 7 Abschn. 24.1.1 dargestellt. Für den korrekten Ablauf der thrombozytären Gerinnung sind Funktionsfähigkeit und Anzahl der Thrombozyten von Bedeutung. Die Aggregationsfähigkeit der Thrombozyten kann sowohl durch toxische Einflüsse wie auch durch gezielte pharmakologische Intervention herabgesetzt werden. Da die Thrombozyten eine Lebensdauer von nur 8‒10 Tagen haben, sind Einflüsse auf die Thrombozytenproduktion im Knochenmark im Verlauf der Intensivtherapie von großer Bedeutung. Toxische Prozesse – auch ausgelöst durch die Medikation auf der
Die plasmatische Gerinnung läuft, einmal angestoßen, kaskadenartig bis zur Bildung des Fibrinpfropfes ab. Die Gerinnungsfaktoren werden dabei in der Regel durch Abspaltung eines Proteinteils aktiviert. Durch diese Aktivierung werden sie selbst zu dem Enzym, das die Aktivierung des in der Kaskade nachfolgenden Faktors katalysiert. Die Abläufe sind komplex, so sorgen zahlreiche Rückkoppelungsmechanismen innerhalb der Kaskade dafür, dass eine überschießende Gerinnungsaktivierung weitgehend verhindert wird. Ein grob-schematischer, vereinfachter Überblick findet sich in . Abb. 24.4. Wie hier erkennbar ist, kann die Aktivierung der plasmatischen Gerinnung über das intrinsische System, dessen pathophysiologi-
24
304
24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
sche Bedeutung nicht gesichert ist, wie auch über das extrinsische System, d. h. über den Mechanismus der Gefäßverletzung, erfolgen. In der »gemeinsamen Endstrecke« der beiden plasmatischen Gerinnungssysteme wird Prothrombin (Faktor II) zu Thrombin aktiviert (Faktor IIa). Prothrombin bewirkt die Bildung von Fibrin durch die Abspaltung der Fibrinogenspaltprodukte aus Fibrinogen (Faktor I). Abschließend wird Fibrin in Anwesenheit von Faktor XIII quervernetzt und stabilisiert. Besonderer Erwähnung bei den Gerinnungsfaktoren bedarf der Faktor VIII. Spricht man von der plasmatischen Gerinnung, wird unter dem Faktor VIII in der Regel nur der niedermolekulare Anteil (Faktor VIII:C) eines großen Molekülkomplexes subsumiert. In der Tat bildet der kleine, an der plasmatischen Gerinnung beteiligte F VIII:C einen Komplex mit dem großen, an der thrombozytären Gerinnung beteiligten v.-Willebrand-Faktor-Molekül (F VIII R:vWF). In vivo ist F VIII:C nur in Gegenwart von v.-WillebrandFaktor stabil, sodass ein vWF-Mangel immer auch einen F VIII:CMangel nach sich zieht. An dieser Stelle sind plasmatische und thrombozytäre Gerinnung eng miteinander verzahnt. Klinische Zeichen der Blutungsneigung infolge einer unzureichenden plasmatischen Gerinnung sind flächige Einblutungen in Haut und tieferes Gewebe (Sugillationen und Hämatome). Gelenkblutungen sind auch auf der Intensivstation seltene Ereignisse und müssen immer an eine Hämophilie denken lassen. Die überschießende plasmatische Gerinnung äußert sich in der Ausbildung von Thrombosen mit konsekutiven Embolien.
24.1.5
Inhibitoren des plasmatischen Gerinnungssystems
Die Inhibitoren des plasmatischen Gerinnungssystems hemmen die Gerinnung als Feedback-Systeme. Die im Bereich der Intensivmedizin bedeutsamsten Substanzen aus diesem Bereich sind Antithrombin III (AT III), Protein S und C. AT III hemmt vornehmlich die Aktivierung der Faktoren X und II. Durch Heparin kann diese Hemmwirkung beschleunigt und verstärkt werden. Im Rahmen des nephrotischen Syndroms kommt es zum Verlust von AT III über die Niere, woraus eine Thrombophilie resultieren kann. Auch bei Sepsis und Verbrauchskoagulopathie werden oftmals bereits frühzeitig durch Verbrauch erniedrigte AT III-Spiegel als frühe Zeichen einer pathologischen Gerinnungsaktivierung gemessen. Der Abfall des AT III wird dabei durch seinen Verbrauch bei der Inhibition der überschießenden Gerinnung verursacht. Durch Protein C mit seinem Kofaktor Protein S werden v. a. die Neubildung und Funktion von Thrombin inhibiert. Da die gerinnungsinhibierende Wirkung von aktiviertem Protein C (aPC) über Faktor V vermittelt wird, besteht bei einer Mutation des Faktor V (Faktor-V-Leiden) eine erhöhte Thrombosegefahr, man spricht auch von der APC-Resistenz.
24 24 24 24 24 24 24
a
b
c
d
24 24 24 24 24 24 24
. Abb. 24.4a–d Messumfang von aPTT (a), Quick-Wert bzw. INR (b), TZ (c) und D-Dimeren (d)
305 24.3 · Gerinnungslabor
24.1.6
Fibrinolysesystem
Intravasal entstandene Gerinnsel müssen aufgelöst werden, dazu dient das fibrinolytische System. Die Proteolyse wird durch den im Gewebe gebildeten Gewebsplasminogenaktivator (t-PA) oder durch Urokinase (u-PA) initiiert. Beide körpereigenen Enzyme sind in der Lage, Plasminogen zu Plasmin zu aktivieren, das wiederum in der Lage ist, die Spaltung von Fibrin zu vermitteln. Durch die hohe Affinität des t-PA zum Fibringerinnsel wird sichergestellt, dass die Thrombolyse nur direkt am Thrombus stattfindet. Hierbei entstehen Spaltprodukte, die im Körper nur infolge der Fibrinproteolyse zu finden sind: die D-Dimere.
24.2
4 Hatten Sie schon einmal eine Thrombose? – Waren Sie deshalb in stationärer Behandlung? (Thrombose; Differenzialdiagnose Thrombophlebitis?) – Welche Medikamente hatten Sie deshalb eingenommen (bzw. nehmen Sie noch ein)? – Hat man die Ursache der Thrombose damals näher untersucht? (Thrombophiliediagnostik?) 4 Gibt es in Ihrer Familie Blutsverwandte mit Erkrankungen der Blutgerinnung? – Gibt es »Bluter« in Ihrer Familie? – Gibt es Verwandte, die besonders s
Gerinnungsanamnese 24.3
Mindestens ebenso wesentlich wie Labortestungen ist es, die Gerinnungsanamnese sowohl beim Verdacht auf das Vorliegen akuter Hämostasestörungen als auch bei anderweitig schwer erkrankten Patienten zu erheben. Dabei sind Blutungs- und Thromboseneigung zu erfragen, denn alle diesbezüglichen Dispositionen führen im Bereich der Intensivmedizin zur potenziellen Gefährdung des ja regelhaft bettlägerigen Patienten. Die Medikamentenanamnese ist in diesem Zusammenhang natürlich nicht weniger bedeutsam. Berücksichtigt werden muss, dass die Selbstwahrnehmung der Patienten in Bezug auf Blutungs- oder Thromboseereignisse individuell sehr unterschiedlich ist. Im Rahmen der Anamnese muss daher versucht werden, die Angaben des Patienten so weit wie möglich durch Nachfragen zu quantifizieren bzw. einen Verdacht zu objektivieren.
Gerinnungsanamnese 4 Haben Sie vermehrt Blutungen bei sich beobachtet? – Nasenbluten? (Nur bei Schnupfen, nach Trauma oder auch spontan?) – Blaue Flecken? (Nur an exponierten Stellen, wie z. B. den Extremitäten, oder auch am Rumpf?) – Bei Frauen: verlängerte Monatsblutung? (Wie viele Tage? Wie viele Damenbinden/Tampons verwenden Sie pro Tag?) – Spontane Blutungen in Gelenke? (Falls ja: Cave: Hämophilie!) 4 Haben Sie Wundheilungsstörungen oder Nachblutungen nach Operationen bei sich beobachtet? – Komplikationen nach zahnärztlichen Eingriffen? (Mussten Sie stationär aufgenommen werden?) – Komplikationen nach anderen Operationen? (Transfusionspflichtige Blutungen? Stationäre Behandlung?) 4 Nehmen Sie Medikamente zur Blutverdünnung ein? – Haben Sie schon einmal einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten? (Welche Medikamente nehmen Sie deshalb ein?) – Nehmen Sie Marcumar ein? – Nehmen Sie öfter oder selten Schmerztabletten ein? (Welche?) – chwere Erkrankungen erlitten haben? 6
Gerinnungslabor
Das Gerinnungslabor bietet die Möglichkeit, durch quantitative Bestimmung der an der Gerinnung beteiligten Substrate mangelhafte Produktion, Verlust oder Verbrauch von einzelnen Gerinnungsfaktoren zu erfassen. Globale Tests erlauben es, das Zusammenspiel, d. h. die Gerinnungsfähigkeit einzelner Bereiche der Gerinnungskaskade, zu beurteilen. Im Folgenden werden nur die in der Intensivmedizin typischerweise verfügbaren und regelmäßig relevanten Gerinnungsparameter besprochen, soweit diese therapierelevante Ergebnisse liefern und damit für das Verständnis von Hämotherapie, Antikoagulation und typischen hämostaseologischen Krankheitsbildern erforderlich sind. Die ausführliche Darstellung der Gerinnungsanalytik findet sich in 7 Kap. 18. Weiterführende Gerinnungsuntersuchungen können in Einzelfällen nötig sein, bedürfen aber nicht nur in Bezug auf Indikation und Bewertung besonderer fachlicher Beratung. Sollen spezielle Gerinnungsuntersuchungen durchgeführt werden, ist es in jedem Fall sinnvoll, vorab mit dem mit der Analyse betrauten Labor Kontakt aufzunehmen. Einerseits werden viele Gerinnungstests durch intensivmedizinische Verfahren und Therapien (z. B. extrakorporale Kreisläufe) beeinflusst, andererseits sind oft spezielle Blutentnahmebedingungen einzuhalten. Nur durch eine enge Zusammenarbeit von Labor und Intensivteam kann vermieden werden, unbrauchbare, zu Missinterpretationen führende Werte zu erhalten.
24.3.1
Thrombozytäre Gerinnung
Eine Dysfunktion der primären Hämostase, d. h. der Ausbildung des Thrombozytengerinnsels, führt zur Verlängerung der Blutungszeit. Technische Verfahren zur Bestimmung der Thrombozytenfunktion (TEG, ROTEM) haben bisher nur in wenigen Intensivstationen Einzug gehalten und erfordern Erfahrung, bevor ihre Messergebnisse in klinische Relation gesetzt werden können. Demgegenüber ist die Blutungszeit eine zwar überall verfügbare Methode zur orientierenden Prüfung der Thrombozytenaggregationsfähigkeit, leider ist aber auch ihre Handhabung keineswegs einfach und bedarf einiger Übung, um reproduzierbare Ergebnisse zu erbringen. Beachtet werden sollte im intensivmedizinischen Zusammenhang besonders, dass bei Urämie oft mit einer verminderten Aggregationsfähigkeit der zahlenmäßig normalen Thrombozyten zu rechnen ist. Oftmals steht allerdings nur die im Rahmen der Blutbilduntersuchung einfach zu bestimmende Thrombozytenzahl als Messparameter für die thrombozytäre Gerinnung zur Verfügung. Thrombopenien müssen in jedem Fall ernst genommen und sollten immer so rasch wie möglich ätiologisch geklärt werden, dabei sind eine
24
306
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
24
. Tab. 24.1 Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf die Thrombozytenzahl
24
Thrombozytose
Thrombopenie
Sekundäre Thrombozytosen Posttraumatisch 5 Im Rahmen schwerer Entzündungen 5 Nach körperlicher Anstrengung 5 Begleitend zu malignen Erkrankungen Myeloproliferative Erkrankungen Zustand nach Splenektomie
Immunthrombopenie (ITP) Heparininduzierte Thrombopenie (HIT)* Verbrauch an Fremdoberflächen im externen Kreislauf (CVVH, ECMO etc.) Medikamentös toxisch (auf der Intensivstation häufig: Antibiotika, Protonenpumpeninhibitoren, Vancomycin) Hypersplenismus Verbrauchskoagulopathie Moschkowitz-Syndrom (TTP), HUS*
24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24
* Eine ausführliche Liste thrombopenieinduzierender Medikamente findet sich in . Tab. 18.2.
multifaktorielle Genese und insbesondere eine Sepsis nicht selten und stets zu bedenken. Bei der Beurteilung der Thrombozytenzahl muss neben krankheitsbedingten Veränderungen auch die EDTAassoziierte Pseudothrombopenie in Betracht gezogen werden. Werden bei der ersten Thrombozytenzählung eines Patienten aus dem Blutbild(=EDTA)-Röhrchen auffällig niedrige Werte bestimmt, so empfiehlt es sich, die Thrombozytenzählung aus einem Gerinnungsröhrchen (mit Zitrat als Antikoagulans) zu wiederholen, um so diese technisch bedingte Pseudothrombopenie auszuschließen (. Tab. 24.1). Während bei den selteneren primären Thrombozytosen sowohl hämorrhagische als auch thromboembolische Komplikationen beobachtet werden, erhöhen sekundäre Thrombozytosen – insbesondere im Rahmen einer Sepsis – das Risiko für zusätzliche Gerinnungskomplikationen nur gering.
Ätiologische Eingrenzung einer Thrombopenie bei Intensivpatienten 4 Bestand die Thrombopenie bereits vor dem Intensivaufenthalt? – Diagnose: Grunderkrankung bzw. zum Intensivaufenthalt führende Erkrankung – Therapie: Therapie der Grunderkrankung bzw. symptomatische Therapie. – penie oder eine Verbrauchskoagulopathie?
24
6
4 Ist die Thrombopenie erst während des Intensivaufenthaltes entstanden? – Diagnose: Akute Erkrankung oder Schaden durch Intensivtherapie. – Therapie: So weit wie möglich Absetzen oder Einschränken aller potenziellen Noxen (Medikamente, extrakorporale Verfahren…). 4 Handelt es sich um… – ein Thrombozytenproduktionsproblem? Was verursacht den Knochenmarkschaden? – einen Thrombozytenverbrauch? Ist es eine Immunthrombo
24.3.2
Plasmatische Gerinnung
Die Bestimmung der Laborparameter der plasmatischen Gerinnung erfolgt in der Regel aus Zitratplasma. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass das Mischverhältnis Zitrat zu Vollblut eingehalten wird. Die vollständige Füllung der Abnahmeröhrchen ist daher unabdingbar. Sind nur geringe Abnahmemengen möglich, stehen spezielle pädiatrische Abnahmegefäße mit geringerem Volumen und geringerer beigegebener Zitratmenge zur Verfügung. In jedem Fall ist aber unmittelbar nach der Entnahme auf die sofortige Durchmischung der Probe zu achten. Die Abnahme der Probe über einen zentralvenösen Katheter ist möglich, sofern das im Katheter stehende Volumen vorher komplett verworfen und während der Abnahme nicht zu kräftig (Hämolyse beeinflusst das Messergebnis) aspiriert wird. Aus hygienischen Gründen ist nach der Abnahme die Freispülung des Katheters von verbliebenem Blut ebenso sicherzustellen.
Globaltests Im Vordergrund des intensivmedizinischen Monitorings der plasmatischen Gerinnung auf der Intensivstation stehen die Gerinnungsglobaltests in Form der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) und der Prothrombinzeit (PTZ), Thromboplastinzeit, INR oder Quick-Test. Die aPTT erfasst die Faktoren des endogenen Systems, die INR die Faktoren des exogenen Systems (. Tab. 24.2). Die seltener verwendete Thrombinzeit (TZ) erfasst lediglich die Funktion der gemeinsamen Endstrecke der Gerinnung (. Abb. 24.4) und ist meist entbehrlich. Die Normbereiche für die Messergebnisse dieser Globaltests sind in Abhängigkeit vom verwendeten Reagens unterschiedlich. Um eine international einheitliche Normierung für die Einstellung der oralen Antikoagulation zu erreichen, die mit der PTZ (»Quick-
24 24 24
. Tab. 24.2 Intensivmedizinisch relevante Hämostasestörungen mit veränderten Gerinnungsglobaltests INR
aPTT
Erhöht (Gerinnungszeit verlängert)
5 Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten 5 Lebererkrankungen (Faktorensynthesemangel) 5 Parenterale Ernährung (Vitamin-KMangel) 5 Erworbene Gerinnungsinhibitoren oder hereditärer Faktorenmangel (F VII, X, II)
5 Therapie mit unfraktioniertem Heparin 5 Lupusantikoagulans 5 Erworbene Gerinnungsinhibitoren oder hereditärer Faktorenmangel (F XII, XI, IX, VIII, X, II) bzw. Hämophilie (A oder B) 5 von-Willebrand-Syndrom 5 Fortgeschrittene Verbrauchskoagulopathie 5 Penicillin- und Valproin-Therapie
Erniedrigt (Gerinnungszeit verkürzt)
5 Penicillin-Therapie
5 Erhöhte Gerinnungsaktivität (Hyperkoagulabilität)
24 24 24
307 24.3 · Gerinnungslabor
Test«) bestimmt wird, hat man die INR geschaffen. Die INR wird durch Umrechnung des PTZ-Messergebnisses auf einen testunabhängigen, an einem WHO-Referenztest orientierten Standard erreicht. Je höher die INR, desto länger ist die Zeit bis zum Einsetzen der Koagulation. Im Gegensatz dazu zeigt ein niedriger Quick-Wert einen hohen Grad der Antikoagulation, ein hoher Quick-Wert einen geringen Grad der Antikoagulation an. > Im Englischen wird von der »prothrombin time« gesprochen, sie ist die gemessene Zeit, die dem Quick-Wert bzw. der INR zugrunde liegt. Die »prothrombin time« ist also nicht die aPTT, auch wenn das Akronym zu passen scheint. Das Akronym aPTT steht für die »thromboplastin time«.
Monitoring der Antikoagulation aPTT und TZ werden von Heparin beeinflusst. Die INR (bzw. PTZ) wird durch die Wirkung der Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon, Warfarin; 7 Abschn. 24.5.3) verlängert. Eine Therapie mit Hirudin-Derivaten (direkte Thrombinantagonisten; 7 Abschn. 24.5.5) kann über die aPTT oder die TZ eingestellt werden.
Einzelfaktorenbestimmung Viel mehr als die Einzelfaktorenbestimmung bei hereditären und Hemmkörperhämophilien (VIII und IX) ist die Fibrinogen(FaktorI)-Bestimmung im Bereich der Intensivmedizin von Relevanz. Besonders bei schweren septischen Verbrauchskoagulopathien und Massenblutungen kann es zu einem Fibrinogenmangel kommen, der zu ausgeprägten Hämostasedefiziten führt, weil die gemeinsame Endstrecke der plasmatischen Gerinnung damit ausgeschaltet ist und daher kein Fibringerinnsel mehr entstehen kann. Die Analyse der anderen Einzelfaktoren der Gerinnung ist im intensivmedizinischen Bereich nur selten erforderlich, lediglich die Analyse von Faktor V wird gelegentlich zur Bestimmung der Leberfunktion herangezogen. Diese Aussagekraft der Bestimmung resultiert aus der sehr kurzen Halbwertszeit (12–15 h) von Faktor V, dem Umstand, dass er ausschließlich in der Leber produziert wird, und der Tatsache, dass er nicht zu den Akut-Phase-Proteinen gehört und damit nicht diesem auf der Intensivstation oft gegebenen, verfälschenden Einfluss unterliegt.
Weitere Gerinnungsparameter Zusätzliche Gerinnungstests – insbesondere die sog. Point-ofcare(POC)-Diagnostik – werden in 7 Kap. 18 (»Labordiagnositk in der Intensivmedizin«) beschrieben (. Tab. 24.3).
24.3.3
Thrombophiliediagnostik
Da es im Bereich der Intensivmedizin häufig zu thromboembolischen Ereignissen kommt bzw. deren Folgen behandelt werden müssen, stellt sich hier immer wieder die Frage nach der Notwendigkeit einer Thrombophiliediagnostik. Relativ häufige hereditäre Thrombophilien (Erhöhung des Thromboserisikos)
4 4 4 4
AT III-Mangel (ca. 10- bis 20-fach) Protein-C-Mangel (ca. 10-fach) Protein-S-Mangel (ca. 10-fach) APC-Resistenz bzw. Faktor-V-Leiden-Mutation (heterozygot ca. 3- bis 5-fach, homozygot ca. 50- bis 80-fach) 4 Antiphospholipidsyndrom (ca. 300-fach) 4 Prothrombinmutation (heterozygot ca. 3-fach) Eine Thrombophiliediagnostik muss selbstverständlich nur dann erfolgen, wenn daraus therapeutische Konsequenzen für den betroffenen Patienten oder seine blutsverwandten Angehörigen erwachsen. Wird aber der Entschluss zur Thrombophiliediagnostik gefasst, so ist eine »Teiluntersuchung« wenig sinnvoll. Da jedoch viele der erforderlichen Tests im Rahmen einer akuten Gerinnungsaktivierung und bedingt durch intensivmedizinische Maßnahmen nur unzuverlässige Ergebnisse liefern, liegt der ideale Zeitpunkt für die Thrombophiliediagnostik ist in der Regel erst 6‒12 Monate nach dem akuten Ereignis, d. h. in der Regel lang nach Abschluss der Intensivtherapie. Zu diesem Zeitpunkt muss auch oft entschieden werden, ob die nach thrombotischen Ereignissen durchgeführte orale Antikoagulation gefahrlos wieder abgesetzt werden kann. Um die Thrombophiliediagnostik zu diesem Zeitpunkt ohne Gefährdung des Patienten durchzuführen, kann ein Umsetzen von oraler Antikoagulation auf niedermolekulares Heparin erfolgen. Während sowohl die Produktion von Gerinnungsfaktoren als auch die Produktion von Vitamin-K-abhängigen Inhibitoren der Gerinnung (z. B. Protein C) unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten vermindert und damit nicht beurteilbar ist, können die erforderlichen Analysen unter Behandlung mit niedermolekularem Heparin zuverlässig durchgeführt werden.
. Tab. 24.3 Weitere Gerinnungsanalysen mit besonderer Bedeutung für die Intensivmedizin
a
Verfahren
Aussagekraft
AT III
5 Erniedrigt bei Sepsis, Verbrauchskoagulopathie, Präeklampsie, nephrotischem Syndrom, Heparintherapie, Östrogentherapie, großen Wundflächen und hereditärem Mangel 5 Erhöhung bei oraler Antikoagulation (selten)
Fibrinogen
5 Erniedrigt bei Verbrauchskoagulopathie und unter Asparaginase-Therapie (Hämatologie!) 5 Erhöht im Rahmen der Akut-Phase-Reaktion 5 Geeignet zum Monitoring der fibrinolytischen Therapie mit Streptokinase und Urokinase
D-Dimerea (Fibrinspaltprodukte)
5 Bei jeder Form intravasaler Fibrinolyse erhöht, z. B. bei Thrombosen, Thromboembolien, fibrinolytischer Therapie oder Verbrauchskoagulopathie
v.-Willebrand-FaktorAktivität
5 Bei spontan verlängerter aPTT zum Nachweis eines vWF-Mangels und zur Prüfung des potenziellen Nutzens einer Desmopressin-Therapie
. Abb. 24.4d.
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308
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Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
Erythrozytenkonzentrate Die Durchführung der Thrombophiliediagnostik ist während der Behandlung auf der Intensivstation in der Regel nicht aussagekräftig und sollte daher erst nach dem Ende der akuten Krankheitsphase erfolgen. Eine Ausnahme bilden schwere, wiederholte thromboembolische Ereignisse, die insbesondere an ein Antiphospholipidsyndrom (APLS) denken lassen. Da ein solch akutes APLS ggf. auch immunsuppressiv behandelt werden muss, kann hier die Bestimmung der zugehörigen Antikörper in der Akutsituation Sinn machen.
24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24
24.4
Optionen der Hämotherapie
Unter Hämotherapie versteht man eine Behandlung durch Verabreichung von Blutprodukten. Dabei ist immer die sog. Hämotherapie nach Maß anzustreben, das bedeutet, dass jeder Patient nur die Blutbestandteile erhalten soll, die er aufgrund seiner Erkrankung benötigt. So sollen sowohl potenzielle Gefahren der Hämotherapie (Beeinflussung der Immunantwort, Infektion, Anaphylaxie oder andere Unverträglichkeit) minimiert als auch eine unnötige Verschwendung der kostbaren Ressource vermieden werden. Gesetzliche Grundlage der Hämotherapie ist nicht nur das Arzneimittelgesetz, sondern auch das Transfusionsgesetz sowie zahlreiche weitere Verordnungen. Die Bundesärztekammer hat dazu Transfusionsrichtlinien und Hämotherapieleitlinien veröffentlicht, die Blutspendewesen und Anwendung der gewonnenen Präparate reglementieren: 4 Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (www.bundesaerztekammer.de/downloads/RiliHaemotherapieGesamtnovelle2007. pdf) und 4 Querschnitts-Leitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (www.bundesaerztekammer.de/downloads/ Querschnittsleitlinie_Blutkomponente_22092009.pdf).
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Jede Transfusion bedarf der Aufklärung und Einwilligung des Patienten, nur in lebensbedrohlichen Notfällen darf hierauf verzichtet werden. Während und nach jeder Transfusion ist die Überwachung des Patienten sicherzustellen. Die »Zeugen Jehovas« verweigern jede Zufuhr von Blutprodukten. In der Regel wird von diesem Personenkreis eine notariell bestätigte Erklärung vorgelegt, die ihre diesbezüglichen Wünsche exakt ausführt und die auch in Extremfällen respektiert werden muss. Eine Ausnahme bildet dabei aber die Behandlung von Kindern. Sollte die Möglichkeit bestehen, dass durch die Respektierung der religiösen Überzeugungen ein dauerhafter körperlicher Schaden beim betroffenen Kind verursacht wird, ist das zuständige Vormundschaftsgericht vom behandelnden Arzt in die Entscheidungen einzubeziehen.
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24.4.1
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Weit verbreitet und einfach verfügbar dürfen die Konzentrate jedoch immer nur dann eingesetzt werden, wenn ein kausaler Therapieansatz nicht oder nicht rasch genug zum Erfolg führt. Eine Erythrozytensubstitution ist meist entbehrlich, solange der Hämatokrit nicht unter 30% abgefallen ist. Entscheidend bei der Indikationsstellung zur Erythrozytentransfusion sind allerdings nicht Messwerte, sondern das klinische Bild. Ein Patient mit schwerer Anämie kann an die niedrige Sauerstofftransportkapazität adaptiert sein und auch deutlich unter 30% gelegene Hämatokritwerte problemlos tolerieren, ein anderer – nicht adaptierter – Patient wird schon bei noch darüber gelegenem Hämatokrit mit Atemnot und Tachykardie reagieren und dementsprechend auch eine frühere Substitution benötigen.
Blutprodukte mit zellulären Bestandteilen
Die Entdeckung der AB0-Blutgruppen durch Karl Landsteiner vor über 100 Jahren hat die Grundlage der Transfusionsmedizin gelegt. Hepatitis und HIV haben den restriktiven Umgang mit Blutprodukten nachhaltig forciert. Bereits im Bereich der Herstellung wird heute durch Spenderselektion, Blutentnahme, Blutkonservierung, umfangreiche Testung und Lagerung ein sehr hoher Qualitätsstandard der Transfusionsprodukte sichergestellt.
Hypovolämie aggraviert das klinische Bild der akuten Blutung und Anämie und kann zunächst auch ohne Gabe von Erythrozytenkonzentraten durch alleinige Volumensubstitution ausgeglichen werden. Bei akutem Blutverlust hat die Erhaltung der Normovolämie Vorrang vor der Erhaltung der Erythrozyten- bzw. Hämoglobinkonzentration. Bei intensivmedizinisch behandelten, schwerkranken Patienten werden hinsichtlich Morbidität und Mortalität Hämoglobinkonzentrationen zwischen 7 und 9 mg/dl als ideal angesehen.
Ein Hämatokritwert unter 15% muss aber in jedem Fall als lebensbedrohlich angesehen werden. Hier ist die Substitution von Erythrozyten in jedem Fall – auch weitgehend unabhängig vom klinischen Bild – gerechtfertigt, sofern eine grundsätzliche Therapieindikation besteht. Eine Besonderheit bilden akute und massive Blutungen. Hierbei können wegen der initial noch fehlenden Verdünnungsanämie zu Beginn der Symptomatik noch falsch-hohe Hämatokrit- und Hämoglobinkonzentrationen gemessen werden. Hier ist das klinische Bild (Tachykardie, Luftnot) jeder laborchemischen Untersuchung überlegen. Wegen des hohen Transfusionsbedarfs sollen in solchen Fällen zwar »bevorzugt frische Konzentrate« verwendet werden, um einen möglichst lang anhaltenden Transfusionseffekt zu erhalten, naturgemäß bestehen in kritischen Situationen aber kaum Auswahlmöglichkeiten. Falls bei Massentransfusionen Konserven mit empfängeridentischen Blutgruppen nicht in ausreichendem Maß verfügbar sind, können »kompatible« Blutgruppenkonserven transfundiert werden (. Tab. 24.4). Das Rhesus-Merkmal D ist dabei zu berücksichtigen. Kardiovaskulär vorgeschädigte Patienten bedürfen einer vorausschauenden und ausgewogenen Volumen- wie auch Erythrozytengabe, da hier auch nur kurzfristige Einbrüche von Blutdruck und Sauerstofftransport zu fatalen Folgen führen können. Eine
. Tab. 24.4 Kompatible Blutgruppen für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten Patient
Spender
A
A, ggf. 0
B
B, ggf. 0
AB
AB, ggf. A, B oder 0
0
0
309 24.4 · Optionen der Hämotherapie
überschießende Substitution ist aber auch hier strikt zu vermeiden, da sich die Flusseigenschaften des Blutes im hohen Hämatokritbereich verschlechtern können. Gelegentlich krisenhaft in Erscheinung tretende autoimmunhämolytische Anämien (AHA) stellen eine Sonderform der auf der Intensivstation behandelten transfusionspflichtigen Anämien dar. Ursächlich kommen neben den hereditären Formen auch medikamentös induzierte Formen (z. B. durch hochdosiertes Penicillin) in Frage. Naturgemäß steht der kausale Therapieansatz, z. B. eine immunsuppressive Therapie, in Form der Elimination der die Hämolyse bedingenden Antikörper im Vordergrund. Früher wurde die Gabe von Erythrozytenkonzentraten bei der AHA oft als kontraindiziert bezeichnet, heute ist aber klar, dass der vermutete negative Effekt eines »antigenen Stimulus« durch die Erythrozytengabe überschätzt wurde. Bei bedrohlichen Anämien ist daher auch bei AHA die Erythrozytengabe zulässig bzw. erforderlich, wenn Ischämie und Minderperfusion drohen. Bei Nachweis von Kälteagglutininen als Ursache der AHA ist naturgemäß besonderer Wert auf die Transfusion von körperwarmen Erythrozytenkonzentraten – idealerweise über ein vorgeschaltetes, geeignetes Wärmegerät – zu legen. Das Behältnis mit dem Restblut nach Transfusion ist für 24 h gekühlt (2–4°C) aufzubewahren. z Komplikationen Als Komplikation der Erythrozytentransfusion ist besonders die hämolytische Reaktion vom Soforttyp mit den Symptomen Fieber, Schweißausbruch, Hypotonie und akuter Hämolyse als Folge einer inkompatiblen Transfusion gefürchtet. Um diese Fehltransfusionen zu vermeiden, wird der Bedside-Test der Blutgruppe gefordert. Dabei ist der Test der ja bereits im Labor geprüften Konserve weniger wichtig als die Überprüfung der Blutgruppe des Empfängers. Die überwiegende Zahl der Verwechslungen geschieht am Empfängerbett. > Bei einer pathologischen Reaktion muss die Transfusion sofort unterbrochen, der Konservenrest asserviert, auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet (Schockbekämpfung, Prävention des Nierenversagens) und die Gerinnungssituation engmaschig beobachtet werden.
Häufiger und weniger gefährlich sind febrile, nichthämolytische Transfusionsreaktionen durch die Freisetzung leukozytärer Bestandteile in der Konserve. Hierbei treten etwa 30 min nach Transfusionsbeginn Schüttelfrost und Fieber auf. Eine hämolytische Reaktion vom Soforttyp ist allerdings unbedingt auszuschließen. Antipyretika, Steroide und H1-Blocker können therapeutisch eingesetzt werden. Allergische Transfusionsreaktionen mit Hautrötung, Urtikaria und Pruritus werden ebenfalls nach Ausschluss einer hämolytischen Reaktion vom Soforttyp mit Steroiden und H1-Blockern behandelt. Sehr selten sind Transfusionsreaktionen durch bakterielle Verunreinigungen, die wie eine Sepsis behandelt werden müssen, wie auch die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI), die in ein beatmungspflichtiges Lungenödem münden kann.
Thrombozytenkonzentrate Für den Einsatz von Thrombozytenkonzentraten gilt eine sehr strenge Indikationsstellung. Die häufigste Indikation stellen Thrombozytopenien auf dem Boden eines Produktionsdefizites (primäre oder sekundäre Knochenmarkinsuffizienz) dar. Nach der Leitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten stellen alle schweren Blutungen mit einer Thrombozytenzahl von <50/nl eine zwingende Indikation zur Gabe von Thrombozytenkonzent-
raten dar. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass die frühzeitige Klärung der Ätiologie der Thrombozytopenie von großer Wichtigkeit ist. Eine thrombopenische Blutung bei MoschkowitzSyndrom würde beispielsweise durch die Gabe von Thrombozytenkonzentraten kaum gestillt, vielmehr der fatale Verlauf der Erkrankung beschleunigt werden. Im Gegensatz zum Vorgehen bei thrombozytopenischen Blutungen ist eine prophylaktische Thrombozytengabe beim nicht blutenden Patienten erst bei Thrombozytenwerten <10/nl zu erwägen. Bei autoimmunvermittelten Thrombopenien ist die Indikation zur prophylaktischen Gabe von Thrombozytenkonzentraten besonders kritisch zu sehen. Blutungen unter Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (7 Abschn. 24.5.1) stellen – außer bei akut lebensbedrohlichen Zuständen – meist keine Indikation zur Thrombozytentransfusion dar. Da die Ätiologie der Thrombopenie von großer Wichtigkeit ist, sollte die Indikation zur Knochenmarkbiopsie bei geplanter oder notwendiger Thrombozytentransfusion großzügig gestellt werden. Alle geeigneten Punktionsorte sind gut komprimierbar, daher sollte auf eine Knochenmarkpunktion gerade im intensivmedizinischen Bereich keinesfalls unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Blutungskomplikation verzichtet werden. Um Mehrfachpunktionen zu vermeiden, ist es hierbei zweckmäßig, zeitgleich sowohl Knochenmark zur histologischen als auch zur zytologischen Bestimmung zu gewinnen. Für die Thrombozytentransfusion sind die AB0-Klassifikation von Spender und Empfänger und die auf der Thrombozytenmembran exprimierten HLA-Antigene relevant. Idealerweise sollte im Interesse einer möglichst geringen Immunstimulation analog zur Erythrozytentransfusion AB0- und D-kompatibel transfundiert werden. Nicht AB0-kompatible Präparate dürfen bei Erwachsenen jedoch auch gegeben werden. Bei wiederholt erforderlicher Thrombozytentransfusion (hämatologisch-onkologische Patienten) müssen jedoch oftmals HLA-identische Spender identifiziert werden, um den Transfusionserfolg sicherzustellen.
Leukozytenkonzentrate Granulozytenkonzentrate haben außer in der Neonatologie nur bei Patienten mit seltenen angeborenen Granulozytendefekten Bedeutung. Ihre Anwendung in der Sepsis hat in der Intensivmedizin keine nennenswerten Erfolge erzielt.
24.4.2
Blutprodukte ohne zelluläre Bestandteile
In . Abb. 24.2 sind neben der schematischen Darstellung der Gerinnungskaskade auch verfügbare Präparate zur Einzelfaktorsubstitution (blau) dargestellt und teilweise mit Handelsnamen ergänzt.
Einzelgerinnungsfaktorenkonzentrate Einzelfaktorenkonzentrate dienen primär der gezielten Substitution bei hereditärem Mangel des jeweiligen Gerinnungsfaktors bzw. bei erworbener Hemmkörperhämophilie. Als Hemmkörperhämophilien bezeichnet man Erkrankungen, bei denen Autoantikörper gegen den jeweiligen Gerinnungsfaktor gebildet werden und zu seinem Mangel führen. Es stehen rekombinante und/oder humane Faktorenkonzentrate für die Gerinnungsfaktoren VII, VIII und IX zur Verfügung. Die Substitution solcher Einzelfaktorenkonzentrate darf aber nur bei gesichertem Mangel erfolgen. Als Besonderheit beinhaltet ein Faktor-VIII-Präparat (Haemate) neben F VIII auch v.-Willebrand-Faktor (vWF), der eigentlich an der thrombozytären Gerinnung beteiligt ist. Da F VIII nur in
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310
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Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
Gegenwart von vWF stabil ist, macht die alleinige Substitution von F VIII beim erworbenen oder hereditären von-Willebrand-Syndrom wenig Sinn. Hier müssen beide Faktoren substituiert werden. Auch ein Fibrinogenpräparat steht zur gezielten Substitution zur Verfügung. Es kann bei der angeborenen Afibrinogenämie und bei medikamentös verursachten Hypofibrinogenämien (z. B. durch Asparaginase) eingesetzt werden. Für die Intensivmedizin besonders bedeutsam ist die progrediente Hypofibrinogenämie, die durch eine fortgeschrittene Verbrauchskoagulopathie verursacht werden kann. Hier kommt es bei schwerem Fibrinogenmangel zu diffusen Blutungen aus Wunden und Schleimhäuten, die durch gezielte Substitution beeinflusst werden können. Vom Einsatz von Faktor-XIII-Präparaten hat man sich bei mangelnder Wundheilung, verzögerter Wundblutung und chronisch entzündlichen Erkrankungen viel versprochen. Da es erst bei Faktor-XIII-Konzentrationen <7% zu spontanen Blutungen kommt, sind Einsatzgebiete dieser Präparation im Bereich der Intensivmedizin kaum begründbar und nur wenig verbreitet.
Rekombinanter, aktivierter Faktor VII
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In den rekombinanten Faktor VIIa (rFVIIa), der als Stimulans des extrinischen Pathways an einer Schlüsselstelle in die plasmatische Gerinnung eingreifen kann, wurden große Hoffnungen in Bezug auf die Stillung schwerer Blutungen gesetzt. So gibt es zahlreiche Literaturstellen, in denen über die Stillung schwerster Blutungen unter Einsatz des Präparates berichtet wird. Die Zulassung des Präparates beschränkt sich aktuell jedoch neben der Substitutionsbehandlung bei Faktor-VII-Mangel auf die Therapie von Blutungen bei sonst therapierefraktären Hemmkörperhämophilien und der seltenen, transfusionsrefraktären Blutung bei Thrombasthenie Glanzmann. Die Rolle des rFVIIa bei der Therapie von anderen schweren Blutungen im intensivmedizinischen Patientengut wird kontrovers diskutiert. Daten aus systematischen Analysen liegen nicht vor. Anhand der gerinnungsphsiologischen Eigenschaften sind denkbare Vorteile in Form einer besonders starken Gerinnungsaktivierung gegenüber den Nachteilen der ebenso denkbaren überschießenden Gerinnungsaktivierung abzuwägen. Zahlreiche Berichte über den Einsatz des rFVIIa als Ultima-ratio-Medikation bei unstillbaren, lebensbedrohlichen Blutungen wie z. B. nach Polytrauma sind bereits publiziert worden. Häufig wurde dabei auch über den Einsatz bei schweren intrazerebralen Blutungen und bei schweren geburtshilflichen Blutungskomplikationen berichtet. Selbst bei einer diffusen, intestinalen Blutung, die durch mechanische Blutstillungsverfahren nicht angegangen werden konnte, wurde FVIIa eingesetzt. Eine weitere interessante Anwendung des rFVIIa wurde bisher ebenfalls nur kasuistisch beschrieben: die topische intrapulmonale Anwendung bei diffuser alveolärer Hämorrhagie. Sollte die topische Anwendung erfolgreich zu sein, bekommt rFVIIa zukünftig möglicherweise bei den zwar seltenen, aber regelhaft gefährlichen und bisher nur schwer therapierbaren intrapulmonalen Blutungen Bedeutung.
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Prothrombinkomplexpräparationen (PPSB)
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Kontrollierte Studien zu allen genannten Einsatzgebieten existieren naturgemäß nicht. Dem freizügigen Einsatz der Substanz stehen zudem extrem hohe Tagestherapiekosten entgegen. PPSB ist eine aus den Faktoren des Prothrombinkomplexes (Faktoren II, VII, IX, X, Protein C und S) zusammengesetzte Präparation, deren exakte Zusammensetzung je nach Hersteller variiert. So ist in einzelnen Präparaten – um eine Faktorenaktivierung zu vermindern – auch Heparin enthalten, was bei Patienten mit heparinassoziierter Thrombopenie bedacht werden muss. Im Bereich der Intensivmedizin ist der PPSB-Einsatz besonders bei schweren Blutungen infolge einer Überdosierung von Vitamin-
K-Antagonisten verbreitet. Die Überdosierung von Vitamin-K-Antagonisten allein rechtfertigt jedoch den PPSB-Einsatz nicht, da in einem solchen Fall zunächst Vitamin K gegeben werden kann. PPSB sind nur dann vorzuziehen, wenn bei einer kritischen Situation die Zeit, die die Leber zur ausreichenden Neosynthese der Gerinnungsfaktoren (bei gesunder Leber etwa 1 Tag) benötigt, aus vitaler Indikation nicht abgewartet werden kann. Bei schwerer Leberinsuffizienz mit konsekutivem Mangel an Gerinnungsfaktoren dürfen PPSB selbst bei vitaler Indikation nur sehr zurückhaltend zum Einsatz kommen. Die Substitution der Faktoren des Prothrombinkomplexes kann eine Verbrauchskoagulopathie durch ein Ungleichgewicht zugunsten prokoagulatorisch wirkender Substanzen im Blut provozieren bzw. durch eine überschießende Gerinnungsaktivierung in Gang setzen. Das Vorliegen einer Verbrauchskoagulopathie in einem frühen Stadium gilt daher als relative Kontraindikation für den PPSB-Einsatz.
FFP (gefrorenes Frischplasma) Im gefrorenen Frischplasma finden sich die Faktoren der plasmatischen Gerinnung zusammen mit ihren Inhibitoren in normaler Konzentration. Daraus resultiert, dass eine Substitution von Gerinnungsfaktoren durch die Gabe von FFP nicht erfolgversprechend ist. Es müssen daher exzessive Flüssigkeitsmengen gegeben werden, um einen relevanten Faktorenanstieg im Empfängerplasma zu verzeichnen. Hier ist der gezielte Einsatz von Faktorenkonzentraten geeigneter, sofern diese verfügbar sind. Auch ist die Gabe von FFP weder als Volumenersatztherapie noch als Albuminersatz zur Anhebung des kolloidosmotischen Druckes geeignet.
Laut Transfusionsgesetz anerkannte Indikationen für den Einsatz von FFP 4 Verbrauchskoagulopathie 4 Verdünnungskoagulopathie nach Massivtransfusion 4 Notfallbehandlung bei Blutungen auf dem Boden einer höhergradigen Leberinsuffizienz 4 TTP (thrombotisch thrombozytopenische Purpura, M. Moschkowitz) – Plasmapherese gegen FFP 4 Guillain-Barré-Synrom – Plasmapherese gegen FFP 4 Austauschtransfusion 4 Substitution bei Faktor-V- oder Faktor-XI-Mangel (keine Faktorenkonzentrate verfügbar)
Aussagekräftige Studien über den Vorteil der Gabe von FFP oder Einzelfaktoren beim Gerinnungsversagen bzw. bei schwerer Beeinträchtigung der Blutgerinnung im Rahmen der Intensivmedizin liegen nicht vor (Ausnahme: Blutung im Rahmen von bekannten Hämophilien). Damit kann die Gabe von FFP physiologisch gesehen nur dann sinnvoll sein, wenn bei einer schwer beeinträchtigten Gerinnung zusätzlich größere Volumenmengen (also beispielsweise bei einer Massentransfusion) substituiert werden können bzw. müssen. Ist eine Volumenüberladung zu vermeiden, ist FFP kein geeignetes Präparat. Zur Korrektur einer erhöhten INR (z. B. bei oraler Antikoagulation) ohne zeitgleich bestehende aktive Blutung ist eine Frischplasmatherapie nicht nützlich.
Albumin Wie bei allen Blutprodukten darf auch der Einsatz von Albumin nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen. Es sind zwar keine albuminvermittelten Infektionen bekannt, dennoch handelt es sich um ein rares, teures und nur selten indiziertes Gut.
311 24.5 · Antikoagulanzien
Die Gabe von Albumin als Volumenersatz auf der Intensivstation wurde in mehreren Studien mit einem schlechteren Outcome der beobachteten Patienten verbunden. In diesen Studien wurde Albumin vorrangig als alleiniger Volumenersatz eingesetzt. Ob der Einsatz von Albumin wirklich schädlich ist, bleibt umstritten, jedoch können zumindest keine Nachteile für die alleinige Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Infusionen als Volumenersatzmittel im Schock gezeigt werden (7 Kap. 21). So ist die Gabe von Albumin als Volumenersatz in jedem Fall die teuerste Alternative. Indikationen für den Einsatz von Albumin im Bereich der Intensivmedizin beschränken sich daher primär auf die Substitution von Eiweiß nach Parazentese sowie zur Anhebung des kolloidosmotischen Druckes bei hepatischer Synthesestörung mit hepatorenalem Syndrom. Die alleinige Hypoalbuminämie – selbst bei hepatischer Synthesestörung – stellt keine Indikation zur Gabe von Humanalbumin dar, auch wenn dies pathophysiologisch sinnvoll erscheinen mag.
Sonstige Hämotherapeutika Wachstumsfaktoren zur Stimulation der Blutbildung wie Erythropoietin, Thrombopoietin und »granulozytenkoloniestimulierender Faktor« (GCSF) zur Blutstammzellmobilisierung sowie synthetische Blutersatzstoffe ergänzen das Spektrum der Hämotherapeutika, sollen hier aber wegen des geringen Einflusses auf die Hämostase nicht näher besprochen werden.
24.5
Antikoagulanzien
24.5.1
Thrombozytenaggregationshemmer
Thrombozytenaggregationshemmer werden besonders zur Prophylaxe von thromboembolischen Erkrankungen des arteriellen Stromgebietes (KHK, zerebraler Insult) eingesetzt. Während die Acetylsalicylsäure die Thromboxansynthese hemmt, antagonisieren das heute nur noch selten eingesetzte Ticlopidin und das häufig verwendete Clopidogrel die thrombozytären ADP-Rezeptoren. Da alle drei vorgenannten Thrombozytenaggregationshemmer die Aggregationsfähigkeit der Blutplättchen irreversibel blockieren, ist es sinnvoll, diese Präparate – unter Abwägung der Risiken – etwa 7 Tage vor größeren elektiven Eingriffen abzusetzen, wenn über die Neubildung der Thrombozyten deren physiologische Aggregationsfunktion komplett wiederhergestellt werden soll. Die häufigste Komplikation der Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern auf der Intensivstation sind obere gastrointestinale Blutungen. Während wegen der bekannten Nebenwirkung von Acetylsalicylsäure früher bei gefährdeten Patienten oftmals die Entscheidung zugunsten der ADP-Rezeptor-Antagonisten fiel, ist heute klar, dass die Kombination von Acetylsalicylsäure mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) in der Risikobewertung für GIBlutungen den ADP-Rezeptor-Antagonisten gleichzusetzen ist. Die Kombination von Acetylsalicylsäure mit Dipyridamol birgt kein für die Intensivstation erhöhtes Risikopotenzial. Nicht unterschätzt werden darf aber die nahezu vollständige Ausschaltung der Thrombozytenaggregation bei der Kombination von Acetylsalicylsäure mit einem ADP-Rezeptor-Antagonisten. Unter einer derartigen Therapie, die z. B. beim akuten Myokardinfarkt bzw. nach Einlage von »drug-eluting« Koronarstents durchgeführt wird und bei dieser Indikation oft längerfristig nicht unterbrochen werden kann, können große Blutungen durch Bagatelltraumata wie Punktionen oder endoskopische Interventionen ausgelöst werden. Ist eine Thrombozytenaggregationshemmung und gleichzeitig eine Therapie mit PPI erforderlich, so muss bedacht werden, dass
die Kombination ASS mit PPI der Kombination Clopidogrel mit PPI vorzuziehen ist, da PPI die Wirksamkeit von Clopidogrel zu vermindern scheinen. Evidenzbasierte Empfehlungen zur Vorgehensweise bei dringend indizierter PPI-Therapie und erforderlicher doppelter Thrombozytenaggregationshemmung gibt es nicht. Es kann einerseits der Ersatz der PPI durch H2-Blocker, andererseits bei vital bedrohlicher Gefährdung durch gastrointestinale Komplikationen auch der Einsatz von PPI trotz potenziell unerwünschter Clopidogrel-Interaktion erwogen werden. ! Cave Punktionen und andere gewebeverletzende Eingriffe auf der Intensivstation sind unter einer Kombinationstherapie von Acetylsalicylsäure mit einem ADP-RezeptorAntagonisten auf das zwingend erforderliche Minimum zu begrenzen, insbesondere sind Lumbalpunktionen, wenn irgend möglich, zu unterlassen. Leberpunktionen sollten in einem solchen Fall, wenn zwingend erforderlich, transjugulär erfolgen, wobei hier zwar das Risiko der freien intraabdominellen Blutung geringer scheint. Das Risiko einer bedrohlichen Hämobilie ist auch hier gegeben.
Eine weitere Substanzklasse der Thrombozytenaggregationshemmer, die GP IIb/IIIa-Blocker (z. B. Abciximab), ist nur für die intravenöse Gabe verfügbar und hat im Gegensatz zu den vorgenannten Substanzen auch nur einen reversiblen, d. h. auf die Zeit der Anwendung begrenzten Effekt. Auch die Hirudine, die ihre Hauptwirkung auf die Gerinnung als direkte Thrombininhibitoren entfalten, sind reversible Thrombozytenaggregationshemmer. Neben der bei allen Präparaten gegebenen Nebenwirkung einer erhöhten Blutungsgefahr sind bei ADP-Rezeptor-Antagonisten und GP IIb/IIIa-Blockern auch induzierte Thrombopenien nicht selten und daher besonders zu beachten. Der Thrombozytenaggregationshemmer Cilostazol (Pletal) findet bisher nur bei der arteriellen Verschlusskrankheit Anwendung. Im Bereich der Intensivmedizin gibt es keine weiteren Anwendungsgebiete.
24.5.2
Heparine
Bei den Heparinen ist primär zwischen den nichtfraktionierten und den fraktionierten (sog. niedermolekularen) Heparinen zu unterscheiden. Die unfraktionierten haben im Vergleich zu den fraktionierten Heparinen sowohl bei intravenöser wie auch bei subkutaner Gabe eine meist kürzere, aber durch viele Faktoren beeinflussbare Halbwertszeit (30 min bis 3 h). Die längere Halbwertszeit (2‒4 h) erlaubt gerade bei subkutaner Gabe der niedermolekularen Heparine (LMWH) ein größeres Dosierungsintervall als bei den unfraktionierten Heparinen. Die intravenöse Gabe der unfraktionierten Heparine, deren therapeutischer Effekt durch die Messung der aPTT überprüft werden kann, ist leicht steuerbar. Wichtig ist es dabei aber, den »therapeutischen Bereich« des aPTT-Reagens des Labors zu kennen, denn diese Bereiche der Mess-Kits ergeben herstellerabhängig unterschiedlich zu interpretierende Werte. Bei Bedarf kann die Wirkung des Heparins unmittelbar durch Protamin (7 Abschn. 24.5.5) antagonisiert werden. Der antikoagulatorische Effekt der LMWH ist nur durch Messung der Anti-Xa-Aktivität kontrollierbar, eine Messmethode, die für die Intensivstation oft nicht verfügbar ist. Meist kann man beim LMWH-Einsatz aber auf zuverlässige, in Einzelfällen gewichtsad-
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Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
aptierte Standarddosierungen zurückgreifen, da deren Pharmakokinetik durch eine im Vergleich zu den unfraktionierten Heparinen geringere Plasmaeiweißbindung besser vorhersagbar ist. Zu beachten ist aber auch gerade bei der intensivmedizinischen Therapie, dass niedermolekulare Heparine bei Niereninsuffizienz kumulieren, was in einem solchen Fall den Rückgriff auf Standarddosen sinnlos und die Messung der Anti-Xa-Aktivität wünschenswert macht. Gefährlichste Nebenwirkung des Heparin-Einsatzes auf der Intensivstation ist neben der akuten Blutung die Heparin-assoziierte Thrombopenie (7 Abschn. 24.9.1), die als HIT-2 eine lebensgefährliche thrombembolische Krise verursachen kann. Wichtig zu wissen ist, dass es sich bei den Heparinen nicht um chemisch inerte Substanzen handelt. Zulassung und Dosierung sind somit von Produkt zu Produkt, von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Die unkritische Verwendung von »Heparinen« zur Antikoagulation kann damit leicht zum unabsichtlichen »off label use« führen, wenn das genutzte Heparin über keine Zulassung für den geplanten, oft sehr eng definierten Einsatzbereich verfügt. Klinisch sind die Unterschiede zwischen den Heparinen jedoch keineswegs derart gravierend, dass sich mit Zulassungskriterien die oft eklatanten Preisunterschiede rechtfertigen ließen.
24.5.3
Orale Antikoagulanzien
Die verfügbaren oralen Antikoagulanzien Phenprocoumon (Marcumar) und das in USA verbreitetere Warfarin-Natrium (Coumadin) sind Vitamin-K-Antagonisten. Sie werden aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und sehr stark an Plasmaproteine gebunden, was eine lange Halbwertszeit und bei Stoffwechselgesunden nach einer längeren Einstellungsphase eine stabile Wirkung erlaubt. Die Einstellung der oralen Antikoagulation wird durch die INR kontrolliert (7 Abschn. 24.3.2). Entsprechend ihrem Gruppennamen hemmen die oralen Antikoagulanzien die Vitamin-K-abhängige Synthese von Gerinnungsfaktoren in der Leber. Die prokoagulatorischen Proteine VII, IX und X wie auch die antikoagulatorischen Proteine C und S sind davon betroffen, was gerade zu Beginn der Behandlung zu einem gefährlichen Ungleichgewicht zwischen pro- und antikoagulatorischen Substanzen führen kann (→ Marcumar-Nekrose). Auch ist zu bedenken, dass die stabile Eiweißbindung für zahlreiche Interaktionen mit anderen Medikamenten verantwortlich ist. Eine klinisch bedeutsame Wirkungsverstärkung wird u. a. bei gleichzeitiger Einnahme von Acetylsalicylsäure, COX-2-Hemmern, Allopurinol, Schilddrüsenhormonen, trizyklischen Antidepressiva, Makroliden und anderen Antibiotika beobachtet. Naturgemäß kann die gleichzeitige Gabe von Heparinen oder anderen Antikoagulanzien ebenfalls zu verstärkter Blutungsneigung führen. Zu einer Wirkungsabschwächung führt die gleichzeitige Gabe von Barbituraten, Rifampicin und Carbamazepin. Weitere, teilweise komplexe Interaktionen sind aus der Kombination mit Capezitabine, Alkohol, Sulfonylharnstoffen oder Kontrazeptiva bekannt. Dass eine ggf. wechselnde Aufnahme von Vitamin K mit der Nahrung die Wirkung der oralen Antikoagulanzien beeinflusst, erschwert die Einstellung der gewünschten Antikoagulation zusätzlich. Diese großteils unkalkulierbaren Interaktionen und die träge Steuerbarkeit haben dazu geführt, dass eine erforderliche Antikoagulation der Patienten auf der Intensivstation zumindest bei längerfristig kritisch Kranken in der Regel mit Heparinen durchgeführt wird. Der oral verfügbare direkte Thrombinhemmer Dabigatran (Rendix) ist zur Thromboseprophylaxe bei Hüftgelenkersatz zugelassen, hat in der Intensivmedizin aber keine Bedeutung, da die
enterale Resorption bei kritisch kranken Patienten unkalkulierbar ist. Aus dem gleichen Grund werden die direkten, oral verfügbaren F Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto) und Apixaban im Bereich der Intensivmedizin nicht eingesetzt. Für alle drei genannten Präparate existieren keine spezifischen Antidota.
24.5.4
Thrombolytika
Als Thrombolytika sind aktuell die nur noch selten zum Einsatz kommenden Substanzen Streptokinase (Streptase)und Urokinase sowie die häufig eingesetzten rekombinanten GewebsplaminogenAktivatoren (rtPA) Alteplase (Actilyse) und Tenecteplase (Metalyse) verfügbar. Die rtPA-Präparate zeigen gegenüber den älteren Substanzen ein geringeres Nebenwirkungsprofil sowie eine schnelleres und besseres Lyseergebnis. Mit Ausnahme der Streptokinase gilt für alle Substanzen, dass sie keine eigene antikoagulatorische Wirkung haben. Aus pharmakologischer Sicht ist daher die zeitgleiche Administration von Heparin in therapeutischer Dosierung sinnvoll. Eine Ausnahme bilden die Thrombolyse-Regimes bei intrakraniellen Gefäßverschlüssen. Hier wird auf die zeitgleiche Heparin-Gabe verzichtet, da in Studien gezeigt wurde, dass so das Risiko der sekundären Einblutung in das Infarktareal vermindert werden kann. Kommt es zu Blutungskomplikationen unter laufender Lysetherapie, muss natürlich sowohl die Thrombolysebehandlung wie auch die begleitende Heparin-Therapie unterbrochen werden (mehr dazu 7 Kap. 32 und 51). Bei lebensbedrohlichen Lyse-Blutungen mit begleitender Hypofibrinogenämie kann neben der klassischen Blutungsstillung auch die Gabe von Fibrinogen erwogen werden. Alle thrombolytischen Verfahren sind standardisiert und müssen auch in der beschriebenen Form durchgeführt werden. In Anbetracht ihrer hohen Wirksamkeit, aber auch des großen Nebenwirkungspotenzials sind individuelle Abweichungen in Dosierung und Ablauf der Lysetherapie soweit wie möglich zu vermeiden. Zu Indikation und Durchführung der thrombolytischen Therapie 7 Kap. 32 (Myokardinfarkt) und 7 Kap. 36 (Lungenembolie).
24.5.5
Weitere gerinnungsaktive Medikamente
Zahlreiche Medikamente haben eine gerinnungsbeeinflussende Wirkung. Hier können naturgemäß nur Medikamente aufgeführt werden, die in der Intensivtherapie häufiger zum Einsatz kommen oder im Bereich der Intensivmedizin als potenzielle Gefährdungsquelle Bedeutung haben.
Rekombinantes Hirudin und Hirudin-Analoga Die antithrombotische Wirksamkeit von rekombinantem Hirudin und seinen Analoga ist auf die direkte Wirkung als Thrombininhibitor zurückzuführen. In der Intensivmedizin werden die parenteral applizierbaren Substanzen vorrangig zur Gerinnungsinhibition bei Heparin-induzierter Thrombopenie eingesetzt. Lepirudin (Refludan) erschien zwar auch in anderen Einsatzgebieten den Heparinen überlegen, konnte sich aber wegen der schwierigeren therapeutischen Einstellbarkeit, der ebenso schwierigen Antagonisierbarkeit und der daraus resultierenden erhöhten Nebenwirkungsgefahr in Form von therapieinduzierten Blutungen nicht als Standardantikoagulans behaupten. Lepirudin wird ausschließlich renal eliminiert und kumuliert bei Niereninsuffizienz. Argatoban (Argatra) und Bivalirudin (Angiox) sind HirudinAnaloga, die ebenso wie Hirudin direkt hemmend auf die Thrombinbildung wirken. Sie benötigen also keinen Kofaktor (wie z. B.
313 24.5 · Antikoagulanzien
AT III bei den Heparinen), um wirksam zu werden. Analog zum rekombinanten Hirudin gibt es jedoch auch hier keine Möglichkeit, die Wirkung zu antagonisieren. Argatoban wird in der Leber metabolisiert und über die Fäzes ausgeschieden, während Bivalirudin wie Lepirudin in der Niere metabolisiert und über diese ausgeschieden wird. Das Monitoring der Hirudin-Derivate erfolgt über die aPTT, die typischerweise in einem Bereich vom 1,5- bis 3-Fachen des Ausgangswertes eingestellt wird. Auch Quick-Wert (bzw. INR) und Thrombinzeit werden von den Hirudin-Derivaten beeinflusst.
Danaparoid Danaparoid (Orgaran) ist ein Heparinoid, das ebenfalls als Antikoagulans bei manifester Heparin-induzierter Thrombopenie eingesetzt werden kann. Da bei einer Danaparoid-Therapie Blutungskomplikationen seltener als bei einer Hirudin-Therapie zu beobachten sind (8,1% vs. 17,6%) hat die Gabe des Heparinoids unverändert ihren Stellenwert, wenngleich als nachteilig angesehen werden muss, dass auch unter Danaparoid Heparin(oid)-induzierte Thrombopenien beschrieben sind.
Protamin Protaminhydrochlorid (Protamin Valeant) kann als Antidot bei unerwünschter Heparinämie eingesetzt werden. Bei einer schweren Heparin-induzierten Blutung muss die Heparin-Zufuhr sofort unterbrochen und Protamin ggf. intravenös verabreicht werden.
Antidotherapie mit Protamin 1000 IE Protamin antagonisieren ca. 1000 IE unfraktioniertes Heparin. Bei einer Überdosierung mit unfraktioniertem Heparin werden zunächst 1000 IE Protamin i.v. gegeben, dann wird nach Wirkung und aPTT vorsichtig titriert (. Tab. 24.5). Die Gabe von Protamin soll nur in schweren Fällen, d. h. bei gravierender oder symptomatischer Überdosierung erfolgen. Bei subkutan verabreichten Heparinen ist die protrahierte Freisetzung des Heparins aus dem Depot zu berücksichtigen. ! Cave Da sich Protamin mit Heparin zu einem nicht mehr antikoagulant wirksamen Salz verbindet, selbst aber antikoagulatorische Wirkung hat, ist die Dosierung von
. Tab. 24.5 Antagonisieren der Wirkung von niedermolekularem Heparin mit Protamin Wirkstoff (Handelsname)
Dosierung in Bezug auf Einheiten des jeweiligen Wirkstoffes
Nadroparin Calcium (Fraxiparin)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 160 anti-Xa-Einheiten
Dalteparin Natrium (Fragmin)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 100 IE
Enoxaparin Natrium (Clexane)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 100 IE
Reviparin Natrium (Clivarin)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 82 Anti-Xa-Einheiten
Tinzaparin Natrium (Innohep)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 100 Anti-Xa-Einheiten
Certoparin Natrium (Mono-Embolex)
100 IE Protamin antagonisieren ca. 200 IE
Protamin von der Heparin-Dosierung abhängig. Eine Überdosierung ist dementsprechend kontraproduktiv.
Aktiviertes Protein C Ziel des Einsatzes von aktiviertem Protein C (Drotrecogin alpha, Xigris) ist die Therapie der schweren Sepsis mit mehr als einem Organversagen. Diese wird in 7 Kap. 63 ausführlich besprochen. Hier soll nur auf die hämostaseologische Wirkung der Substanz eingegangen werden. Bei der Gabe von Drotrecogin alpha muss immer mit der Entwicklung spontaner Blutungen gerechnet werden. Sein Einsatz ist daher bei Patienten, die in der unmittelbaren Vorgeschichte therapeutisch antikoaguliert oder thrombolysiert wurden, kritisch abzuwägen. Patienten mit aktiven Blutungen, schweren Lebererkrankungen oder anderen hämorrhagischen Diathesen sollten nicht mit aktiviertem Protein C behandelt werden.
Desmopressin Das Vasopressin-Analogon Desmopressin (Minirin) ist in der Intensivmedizin als Ersatz für das antidiuretische Hormon (ADH) bekannt. Gleichzeitig hat es aber auch eine hämostaseologische Wirkkomponente. Durch die vasokonstriktorische Wirkung von Desmopressin wird – ohne dass der exakte Mechanismus bekannt wäre – durch v.-Willebrand-Faktor aus dem Endothel freigesetzt. So kann gerade die thrombozytäre Gerinnung kurzfristig verbessert werden. Der Effekt ist allerdings nicht beliebig wiederholbar, da die Speichergranula spätestens nach der 2. Gabe entleert sind und erst mehrere Tage vergehen müssen, bis ein erneuter hämostaseologisch relevanter Effekt verzeichnet werden kann. Anwendung findet Desmopressin bei Blutungen infolge von komplexen Gerinnungsstörungen mit Beteiligung des thrombozytären Sytems (z. B. Urämie, v.-Willebrand-Erkrankung etc.). Eine prophylaktische Gabe von Desmopressin ist nicht sinnvoll. Die typischen Nebeneffekte von Vasopressin (Flush, Hyperhydratation) haben bei der nur kurzfristigen Anwendung im Bereich der Hämostasetherapie kaum Bedeutung. > Die wiederholte Gabe von Desmopressin (Minirin) zur Therapie von Blutungen ist nicht sinnvoll. Eine prophylaktische Gabe sollte nur unmittelbar vor dem blutungsgefährdeten Eingriff erfolgen.
Vitamin K Vitamin K (Konakion) ist als fettlösliches Vitamin unentbehrliches Substrat für die Produktion der Gerinnungsfaktoren in der Leber. Besonderer Beachtung bedarf die Substitution von Vitamin K in der Intensivmedizin. Ein erniedrigter Quick-Wert (bzw. eine pathologisch verlängerte INR) deuten auf einen solchen Vitamin-K-Mangel hin, der z. B. auch durch längere parenterale Ernährung ohne Substitution fettlöslicher Vitamine verursacht werden kann. Die Substitution von Vitamin K kann in einem solchen Fall die ausreichende Therapie sein, aber in keinem Fall zur sofortigen Korrektur der pathologischen Gerinnungssituation führen. Je nach Schwere des Faktorendefizites bedarf es mindestens eines Tages, bis eine stoffwechselgesunde Leber eine ausreichende Menge an Gerinnungsfaktoren synthetisiert hat, um wieder ein hämostaseologisches Gleichgewicht zu erreichen. Die enterale Gabe von Vitamin K ist der parenteralen wegen geringerer Nebenwirkungen vorzuziehen. Bei ikterischen Patienten oder bei der gleichzeitigen Einnahme von Cholestyramin, d. h. bei durchbrochenem enterohepatischem Kreislauf, ist nur die
24
314
24 24
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
parenterale Vitamin-K-Gabe erfolgversprechend. Bei geschädigter Leberfunktion kann die Vitamin-K-Gabe allerdings auch bei parenteraler Gabe erfolglos bleiben.
Antifibrinolytika
24
Der Stellenwert der früher oft empfohlenen Therapie mit Antifibrinolytika in der Intensivmedizin ist umstritten. Aprotinin (Trasylol) ist aktuell vom Markt genommen. Weder für Tranexamsäure (Cyklokapron) noch ε-Aminokapronsäure existieren Studien, die deren Nutzen im Bereich der Intensivmedizin belegen.
24
Fondaparinux
24
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Fondaparinunx (Arixtra) ist ein Pentasaccharid, das aktuell erst zur Therapie von Lungenembolien und tiefen Beinvenenthrombosen zugelassen ist. Es inhibiert die Thrombingeneration wie die Heparine durch eine AT III-abhängige Anti-Xa-Inhibition, hat eine Halbwertszeit von 17 h und wird vornehmlich renal eliminiert. Ein spezifischer Antagonist ist nicht bekannt. Da bisher keine Heparininduzierten Thrombopenien (HIT) unter Fondaparinux beschrieben sind (und deren Induktion durch Fondaparinux aus pharmakologischer Sicht unwahrscheinlich ist), wird nach dem Vorliegen geeigneter Studien mit einem zunehmend breiten Einsatz im Bereich der Intensivmedizin gerechnet. Weitere Vorteile gegenüber den zahlreichen verfügbaren niedermolekularen Heparinen – die über den Umstand, dass Fondaparinux keine HIT auslöst, hinausgehen – sind noch nicht bekannt.
Dipyridamol Dipyridamol wird nur in Kombination mit Acetylsalicylsäure (Aggrenox) bei der Schlaganfallprophylaxe erfolgreich eingesetzt und soll hier der alleinigen Gabe von Acetylsalicylsäure überlegen sein. Wenngleich die Kombinationstherapie bereits Einzug in Leitlinienempfehlungen gefunden hat, muss die Studienlage diesbezüglich als nicht eindeutig bezeichnet werden.
24
24.6
Antikoagulation
24
24.6.1
Thromboseprophylaxe
24 24 24
Die Vielzahl intensivmedizinischer Erkrankungen, die zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems führen, und die regelhafte Immobilisation der Patienten auf der Intensivstation machen die Thromboseprophylaxe zum wesentlichen Bestandteil des internistisch-intensivmedizinischen Behandlungskonzepts. Allerdings unterscheiden sich die Anforderungen an die eingesetzten Therapieverfahren auf der Intensivstation deutlich von denen einer internistischen Normalstation oder auch eines ambulanten Behandlungsbereiches.
24 Risikofaktoren für das Ausbilden einer Thrombose
24 24 24 24 24
4 Thrombose in der eigenen Anamnese 4 Positive Familienanamnese 4 Hohes Alter, hohes Körpergewicht, Nikotinabusus, Varikosis 4 Immobilisation 4 Disponierende Erkrankungen (z. B. Sepsis, Tumorleiden, Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom) 6
4 Erbliche Disposition (z. B. AT III-Mangel, Protein-C- oder -S-Mangel, APC-Resistenz, Prothrombinmutation, Hyperhomozysteinämie) 4 Dehydratation (Cave: Diuretika) 4 Thrombogene Medikamente (z. B. Kontrazeptiva)
Im Bereich der Intensivmedizin sind oft akute Entscheidungen zu treffen, die den raschen Einsatz invasiver diagnostischer oder therapeutischer Verfahren nach sich ziehen. Das ideale prophylaktische Antikoagulationsverfahren sollte daher gerade bei »instabilen« Patienten einen bei Bedarf kurzfristig reversiblen Effekt auf die Gerinnung haben. Andererseits sollte die Wirkung der Thromboseprotektion ebenso rasch wieder erzielt werden können, um das therapiefreie Intervall so kurz wie möglich zu halten. Die orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten ist aufgrund der schwierigeren Steuerbarkeit im intensivmedizinischen Bereich ungünstig. Hinzu kommt, dass zahlreiche intensivmedizinisch behandelte Erkrankungen eine Leberstauung oder Minderperfusion des Splanchnikusgebietes – und damit der Leber – mit sich bringen, was den Vitamin-K-Metabolismus beeinträchtigt. Zudem ist die Vitamin-K-Aufnahme bei kritisch Kranken infolge eines in der Funktion eingeschränkten enterohepatischen Kreislaufes, wegen inkonsistenter Resorption und unphysiologischer Zufuhr unkalkulierbar. Man ist daher meistens gezwungen, eine bestehende Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten vorübergehend abzusetzen oder durch eine Antikoagulation mit anderen Substanzen zu ersetzen. Dabei kann vor dem Absetzen einer ggf. vor dem Intensivaufenthalt durchgeführten oralen Antikoagulation von großem Interesse für die Intensivmedizin sein, ob die D-Dimere bereits unter dieser laufenden Therapie erhöht waren. Patienten, die unter oraler Antikoagulation erhöhte D-Dimer-Werte haben, sind prädestiniert für thromboembolische Komplikationen im Rahmen des Absetzens der gerinnungshemmenden Medikation. In einem derartigen Fall sollte daher – soweit vertretbar – nur ein Umsetzen auf eine leichter steuerbare Antikoagulation erfolgen. Die meist subkutan applizierten, niedermolekularen Heparine (LMWH) haben in der Thromboseprophylaxe der Intensivmedizin Einzug gehalten. Da mit ihnen sogar ohne Laborkontrolle eine zuverlässige Antikoagulation erreicht werden kann, andererseits der antikoagulatorische Effekt einen Tag nach dem Absetzen abgeklungen ist, erscheinen diese Substanzen gut geeignet. Im Vergleich zum Einsatz beim konventionellen internistischen Patientengut muss aber immer die spezielle Problematik kritisch kranker Patienten berücksichtigt werden. z Komplikationen Komplikationen können durch die auf der Intensivstation häufig anzutreffende, höhergradige renale Funktionseinschränkung auftreten. Bei chronischer Niereninsuffizienz drohen die LMWH zu kumulieren. Einzelne Hersteller bieten zwar adaptierte Dosierungstabellen bei Nierenfunktionsstörungen an, es muss aber bedacht werden, dass die Nierenfunktion der Intensivpatienten therapiebedingt im Behandlungsverlauf auch wechselnd schwer ausgeprägt ist. Wird die Anti-Faktor-Xa-Aktivität als Maß der Antikoagulation im zuständigen Labor nicht tagesaktuell angeboten und kontrolliert, sollte der LMWH-Einsatz bei solchen Patienten vermieden werden. Die subkutane Gabe der LMW-Heparine bietet ein zusätzliches Problem bei schwerkranken Patienten, da hier die periphere Perfusion oft eingeschränkt ist und ein wechselndes kutanes Ödem besteht. Die Bioverfügbarkeit der subkutan zugefügten Substanzen ist
315 24.7 · Ausgewählte Hämostasestörungen
nachweislich schlechter als bei Patienten ohne Beeinträchtigung der Mikrozirkulation und ohne kutane Ödembildung einzustufen, daher ist auch bei derartigen Beeinträchtigungen ein Gerinnungsmonitoring der LMWH mittels Anti-Faktor-Xa-Aktivität anzustreben. Konventionelles, unfraktioniertes Heparin in kontinuierlicher, intravenöser Applikation bleibt somit bei intensivmedizinischen Patienten oft das am besten geeignete Medikament zur Thromboseprophylaxe. Hier kann und muss aber der antikoagulatorische Effekt durch die zeitnahe Messung der aPTT kontrolliert und ggf. korrigiert werden. Kritisch im Vergleich zu fraktionierten Heparinen ist zu bewerten, dass es in zahlreichen Fällen nicht gelingt, mit unfraktioniertem Heparin eine stabile Einstellung der Antikoagulation im gewünschten Bereich zu erzielen. > In keinem Fall sollte die Kompression der Beinvenen bei längerer Immobilisation durch geeignete (angepasste) Thrombosestrümpfe vergessen werden, da dieses Verfahren der Heparin-Gabe in prophylaktischer Dosierung an Effektivität kaum nachsteht bzw. die Effizienz der medikamentösen Thromboseprophylaxe deutlich erhöht.
24.6.2
Antikoagulation bei kontinuierlichen Nierenersatzverfahren (CRRT)
Leitlinien zur Antikoagulation beim Einsatz extrakorporaler Eliminationsverfahren – insbesondere beim kontinuierlichen Nierenersatz – auf der Intensivstation existieren nicht. Besteht kein erhöhtes Blutungsrisiko und keine Kontraindikation für den Einsatz von Heparinen, so sollte eine Therapie mit unfraktioniertem Heparin (Ziel: aPTT-Verlängerung auf das 1,4-Fache der Norm) oder niedermolekularen Heparinen (Ziel: anti-Xa-Aktivität 0,25–0,35 IE/ml) erfolgen. LMWH wie auch unfraktionierte Heparine werden durch die CRRT nur in vernachlässigbar geringen Mengen absorbiert. Bei Heparin-induzierter Thrombopenie ist auch die niedrig dosierte Gabe von Heparinen im Rahmen der Nierenersatztherapie kontraindiziert. In einem solchen Fall können nahezu alle für diesen Fall empfohlenen Antikoagulanzien (7 Abschn. 24.9.1) zum Einsatz kommen, lediglich der Einsatz der Hirudine wird in einem solchen Fall wegen des erhöhten Nebenwirkungspotenzials mehrheitlich nicht empfohlen. Problematisch beim Einsatz von Zitrat als CRRT-Antikoagulans auf der Intensivstation sind die Notwendigkeit eines engmaschigen metabolischen Monitorings und die höhere Komplexität der Applikation. Als Nebenwirkungen können besonders bei Leber- oder Niereninsuffizienz eine metabolische Alkalose, eine metabolische Azidose und eine schwere Hypokalzämie auftreten. Erfolgen die ordnungsgemäße Applikation und unbeeinträchtigte Metabolisierung des Zitrats, so wird durch diesen Wirkstoff allerdings kein systemischer antikoagulatorischer Effekt erzielt, was den Einsatz von Zitrat bei CRRT bei besonders hoher Blutungsgefahr als attraktive Alternative zur Gabe anderer Antikoagulanzien erscheinen lässt. Eine Thromboseprophylaxe ist dann aber – falls erforderlich – zusätzlich zu applizieren. Die kasuistisch berichtete Ausbildung von Kalziumthromben im abführenden Schenkel scheint technisch bedingt und ohne höheren Aufwand vermeidbar zu sein. Bei wiederholtem Filterverschluss unter CRRT kann der Zusatz von Prostaglandin (PG) E1 oder I2 in niedriger Dosierung (5 ng/ kg KG/min) zur Prädilution durch direkte inhibitorische Wirkung auf die Thrombozytenaggregation hilfreich sein.
. Tab. 24.6 Klinische Charakterisierung der Hämophilie A Verlaufsform
Schwer
Mittelschwer
Leicht
Spontane Faktorenkonzentration
<1%
1–4%
5–14%
Blutungscharakteristik
Spontane Blutungen
Blutungen bei leichter Verletzung
Blutungen bei schwerer Verletzung, intraoperativ
Geschätzte Blutungshäufigkeit
1–2 Blutungen/ Woche
1 Blutung/ Monat
Seltener
Gelenkblutungen
Häufig
Selten
Sehr selten
In besonderen Fällen, in der Regel bei vorbestehender Koagulopathie (Thrombopenie, Hämophilie etc.), ist ein CRRT-Versuch ohne Antikoagulation gerechtfertigt. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass die dann an der Membranoberfläche stattfindende Gerinnungsaktivierung zum noch weiteren Verbrauch von Thrombozyten und plasmatischen Gerinnungsfaktoren an der Filtermembran führen kann und der Verzicht auf Antikoagulation damit in Bezug auf die bestehende Koagulopathie kontraproduktiv sein kann.
24.7
Ausgewählte Hämostasestörungen
24.7.1
Hämophilien
Die verbreitetsten hereditären Hämophilien A und B, d. h. der hereditäre Mangel an Faktor VIII oder IX, sind von einem unterschiedlichen klinischen Verlauf geprägt. Wichtig dabei ist der Grad der Ausprägung des Faktorendefizits. Zudem spielt auch das Risiko der durch rezidivierende Faktorentransfusion erworbenen Hemmkörperhämophilien eine wichtige Rolle. Bei der häufigeren Hämophilie A werden klinisch eine leichte, mittelschwere und schwere Verlaufsformen unterschieden (. Tab. 24.6). In der Intensivmedizin steht die Behandlung akuter, lebensbedrohlicher Blutungskomplikationen dieser Patienten im Vordergrund. Hierbei ist die Substitutionsdosis so zu wählen, dass eine rechnerische Faktorenkonzentration von >50% erreicht werden kann. Es bedarf also einer sofortigen, großzügigen Substitution. Eine zögerliche, langsam steigende Gabe der Faktorenkonzentrate ist bei bedrohlichen Blutungen nicht zielführend und sogar kontraproduktiv. Stehen keine geeigneten Präparate zur Verfügung, muss geprüft werden, ob es im Einzelfall einfacher ist, den Patienten in ein geeignetes Zentrum zu verlegen oder die Präparate aus dem Zentrum anzufordern. Zu beachten ist, dass Hämophiliepatienten wegen der oft wiederholt erforderlichen Transfusionen als Risikopatienten für durch Blut übertragbare Infektionen gelten müssen. Die v.-Willebrand-Erkrankung ist zwar der häufigste erworbene Gerinnungsdefekt, tritt im Bereich der Intensivmedizin aber dennoch nur selten in Erscheinung. Hier stehen eine adäquate Diagnostik (aPTT sowie die Analyse von vWF-Aktivität bzw. -Antigen), eine bedarfsgerechte Substitution und ggf. die Gabe von Desmopressin (7 Abschn. 24.5.5) im Vordergrund.
24
316
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
24
Für die Intensivmedizin interessant ist die Tatsache, dass die zunehmende Höhe der vWF-Konzentration im Blut bei Patienten mit ARDS mit einem schlechten Outcome korreliert. Da vWF in der Gefäßwand produziert und gespeichert wird, scheint die Menge der Freisetzung ein Zeichen für die Schwere der Membranschädigung zu sein. So sind auch hier Sepsis, SIRS und Hämostase eng miteinander verbunden.
24
24.7.2
24 24
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Thrombophilien
Thrombosen und Thromboembolien gehen mit hoher Mortalität einher. Betroffene Patienten sind daher nicht selten auf Intensivstationen anzutreffen. Neben der jeweils erkrankungsspezifischen Behandlung (Lungenembolie; 7 Kap. 36) stellt sich dabei immer wieder die Frage der Ursache der Gerinnungsstörung. Hereditäre Thrombophilien (AT III-Mangel, APC-Resistenz, Hyperhomozysteinämie etc.) sind in der Tat keineswegs seltene Erkrankungen. Dennoch ist die diagnostisch-therapeutische Umgebung der Intensivstation für das Screening nach der Ursache einer thrombembolischen Erkrankung oftmals ungeeignet. Zum einen ist bei akut bedrohten Patienten allein durch ihre Grunderkrankung oftmals bereits eine pathologische Gerinnungssituation gegeben. Zum anderen ist eine akute Thrombose oder Embolie allein schon geeignet, die gerinnungsphysiologsichen Messwerte durch Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, Reaktion des Körpers auf diesen Verbrauch oder therapeutische Interventionen derart zu beeinflussen, dass eine fundierte Aussage kaum gemacht werden kann. So wird beispielsweise im Verlauf einer akuten Lungenembolie immer ein Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und besonders auch -inhibitoren zu verzeichnen sein, ohne dass dies hinweisend auf einen vorbestehenden Mangel wäre. Es sollte daher auf der Intensivstation bei der differenzialdiagnostischen Abklärung einer Thrombophilie besonders auf die anamnestischen und klinischen Details, weniger auf die hochdifferenzierte Messwertbeurteilung abseits der zur Therapiesteuerung verwendeten Parameter Wert gelegt werden. Zwar sind genetische Tests (Faktor-V-Leiden-Mutation) von funktionellen Veränderungen der Hämostase unabhängig, dennoch sollte – wenn nicht dringende Gründe dagegen sprechen – die laborchemische Beurteilung eines hereditären Thromboseriskos sinnvollerweise erst nach Normalisierung der Gerinnungsprozesse und dann vollständig und zusammenhängend erfolgen. Das intensivmedizinische »setting« selbst muss als thrombophile Umgebung gelten. Eingebrachtes Fremdmaterial, Immobilisation der Patienten, schwere Entzündungen, Traumen und Tumorerkrankungen sind nur einige der hier oft anzutreffenden thrombogenen Faktoren. Selbst einfache Thrombophlebitiden, die im intensivmedizinischen Bereich leider oft infolge peripherer venöser Zugänge beobachtet werden, können zur Entzündung tieferer Venenkompartimente führen und sind daher auch als thrombogene Risikofaktoren zu werten. Gerade auch im Rahmen von hämatologischen Grunderkrankungen sind Thrombosen eine häufige Komplikation. So sind z. B. im Rahmen der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) intraabdominelle und zentralvenöse Thrombosen eine gefürchtete Komplikation, die bei plötzlicher, unklarer, schwerer Erkrankung solcher Patienten stets zu bedenken sind. In Fallberichten wurde die erfolgreiche Thrombolysetherapie von Splanchnikusthromben beschrieben. Die akute Lebervenenthrombose, das Budd-ChiariSyndrom infolge einer Polycythaemia vera, ist ein weiteres Beispiel für eine hämatologische Erkrankung mit vergesellschafteter Thrombophilie.
> Im Rahmen der Intensivtherapie der Thrombophiliepatienten darf eine Thromboseprophylaxe keinesfalls vergessen werden.
24.8
Ausgewählte erworbene Hämostasestörungen
24.8.1
Sepsis
Insbesondere durch die pathologische Freisetzung von »tissue factor« kommt es bei der Sepsis zu einer unphysiologischen, pathologischen Aktivierung von Gerinnungsfaktoren. Man spricht von einer septischen Koagulopathie, die bei chirurgischen und internistischen Intensivpatienten mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet ist. Diese prokoagulatorische Aktivierung wird in der Frühphase der schweren Sepsis noch durch die körpereigenen Thromboseinhibitoren (insbesondere AT III und Protein C) kontrolliert. Im Verlauf der schweren Sepsis kann es dann zur unkontrollierten, überschießenden Gerinnungsaktivierung mit Teilthrombose oder Thrombose des Kapillarstromgebietes der betroffenen Organe und konsekutivem Funktionsverlust kommen (7 Abschn. 24.8.2). Ansätze zur Behandlung der septischen Koagulopathie zielen darauf ab, die überschießende Gerinnungsaktivierung einzudämmen. Aus pathophysiologischer Sicht sind hierzu AT III, Protein C und Aktivatoren der Gerinnungsinhibition (Heparin) geeignet. Frühe Therapiestudien zur supraphysiologischen Gabe von AT III in der Sepsis verliefen allerdings enttäuschend. Aktuelle Studienergebnisse zeigen in Subgruppen Überlebensvorteile, bleiben im Ergebnis aber widersprüchlich. Die Gabe von niedrig dosiertem Heparin zur Prophylaxe der überschießenden Gerinnungsaktivierung ist weit verbreitet. In Kombination mit der AT III-Gabe ergab sich jedoch ein negativer Effekt auf das Überleben der so behandelten Sepsispatienten. Aktuell wird die Behandlung der schweren Sepsis mit aktiviertem Protein C noch kontrovers diskutiert. Hier scheinen nur selektierte Patientengruppen zu profitieren. Aus pathophysiologischer Sicht ist die unübersichtliche Studienlage beim Einsatz der Gerinnungsinhibitoren bei der Sepsis erklärbar. Der Prozess der überschießenden Gerinnungsaktivierung ist durch allein antikoagulant wirksame Substanzen nur in seiner Frühphase behandelbar. In einer weiter fortgeschrittenen Krankheitsphase kann ein nicht unerheblicher, krankheitsbedingter Verbrauch von Gerinnungsfaktoren u. a. Blutungskomplikationen als Nebenwirkung der Therapie Vorschub leisten, wodurch die erzielbaren Effekte unkontrollierbar werden und sich ins Negative wenden können. Ein unkritischer Einsatz dieser hochwirksamen Substanzen muss daher in jedem Fall unterbleiben. Im Vordergrund der Behandlung der septischen Koagulopathie steht aber in jedem Fall die kausale Therapie, d. h. die Beseitigung des septischen Fokus.
24.8.2
Verbrauchskoagulopathie (DIC=disseminierte intravasale Koagulation)
Der hochaktive Gerinnungsprozess in der Sepsis (7 Abschn. 24.8.1) kann ungebremst in letzter Konsequenz zu einem so hohen Verbrauch an Gerinnungsfaktoren führen, dass an anderer Stelle zu wenig Gerinnungsaktivität zum Erhalt der Hämostase vorhanden ist. Die Gerinnungsfaktoren sind »verbraucht«, und es kommt zu
317 24.8 · Ausgewählte erworbene Hämostasestörungen
spontanen Blutungen infolge lokal zu geringer Gerinnungsaktivität, man spricht von einer Verbrauchskoagulopathie. Tatsächlich treffen bei der Sepsis aber wohl mehrere Faktoren zusammen, die den »Verbrauch« bedingen. Gerade bei der Sepsis kommt es auch zum Proteinverlust durch die verschlechterte Barrierefunktion des Endothels. So wird ein nicht geringer Teil des »Verbrauchs« in solchen Fällen durch Verlust in den Extravasalraum bedingt. Doch nicht nur die Sepsis kann zur Verbrauchskoagulopathie führen. Der Prozess der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIG oder DIC für »disseminated intravasal coagulation«) kann auch durch andere Erkrankungen und Umstände getriggert werden.
Erkrankungen und Faktoren, die eine Verbrauchskoagulopathie triggern können 4 Sepsis und schwere Entzündung (bakterielle Entzündungen und SIRS) 4 Schwere virale Entzündungen 4 Alle Schockformen 4 Schwere Vaskulitiden 4 Schwere nekrotisierende Prozesse (z. B. Pankreatitis) 4 Leberversagen, Lebertransplantation 4 Toxisch (Schlangenbiss, medikamentös induziert) 4 Transfusionsreaktion, Transplantatabstoßung 4 Schweres Trauma (Polytrauma, ggf. mit Fettembolie, Neurotrauma) 4 Maligne Erkrankungen (myelo- und lymphoproliferative Erkrankungen, solide Tumoren) 4 Gynäkologische Erkrankungen (Fruchtwasserembolie, vorzeitige Plazentalösung, septischer Abort) 4 HELLP-Syndrom
z Diagnose Die Diagnose einer DIC zu stellen ist schwierig, da es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Ein international anerkanntes Scoring-System erlaubt, die Diagnose zu präzisieren.
Modifizierter DIC-Algorithmus der International Society of Thrombosis and Hemostasis 1.
2. 3.
6
Hat der Patient eine Grunderkrankung, die zu einer DIC führen kann? Falls [Ja], bitte weiter zu Frage 2., falls [Nein], ist dieser Algorithmus ungeeignet. Ordnen Sie die folgenden Gerinnungstests an: – Thrombozytenzahl, Quick-Wert, Fibrinogen, D-Dimere. Bewerten Sie die Ergebnisse mit Punkten wie folgt: – Thrombozytenzahl:[>100/nl=0 Punkte], [<100/nl=1 Punkt], [<50/nl =2 Punkte] – D-Dimere: [normal=0 Punkte], [leicht erhöht=2 Punkte], [stark erhöht=3 Punkte]bzw. D-Dimere:[£2,0=0 Punkte], [2,1–8,0=2 Punkte], [>8,0=3 Punkte] – Prothrombinzeit*: [<3 s=0 Punkte], [³3 und <6 s=1 Punkt], [³6 s=2 Punkte] oder Quick-Wert:[>60%=0 Punkte], [³30 und £60%=1 Punkt], [<30%=2 Punkte] – Fibrinogenkonzentration: [>1g/l=0 Punkte], [<1g/l=1 Punkt]
4.
5.
Addieren Sie die Ergebnisse der Bewertung: – Score ³5 Punkte=DIC wahrscheinlich, – Score <5 Punkte=DIC eher unwahrscheinlich. Wiederholen Sie die Score-Bestimmung in täglichem Abstand.
* Lassen Sie sich hierzu das Ergebnis des Quick-Tests als Gerinnungszeit ausgeben.
z Therapie Noch schwieriger ist es, eine DIC adäquat zu therapieren. Eine evidenzbasierte Therapie existiert nicht. So stützen sich Expertenempfehlungen und kasuistische Berichte auf pathophysiologische Überlegungen. Dabei wird zum »Durchbrechen« der DIC eine vorsichtige Antikoagulation bzw. die Gabe von Inhibitoren der plasmatischen Gerinnung empfohlen. Andererseits ist der Ersatz von Gerinnungsfaktoren und Blut bei statthabender Blutung oft unvermeidlich. Schließlich wird auch von Plasmapheresebehandlungen mit FFP bei aussichtsloser Situation berichtet. Dieses Verfahren bietet neben der physiologischen Substitution von Gerinnungsfaktoren möglicherweise den pathophysiologischen Vorteil der gleichzeitigen Elimination der in großen Mengen anfallenden, selbst antikoagulant wirksamen Gerinnungsspaltprodukte.
Therapie der DIC 4 Nachgewiesene DIC ohne aktive Blutung – Heparin (LMWH oder unfraktioniertes Heparin) in prophylaktischer Dosierung, engmaschige Spiegelkontrollen – Bei AT III-Abfall unter 60%: AT III-Substitution (Ziel: >60%) (?) – Bei zugrundeliegender schwerer Sepsis mit Multiorganversagen: Drotrecogin alpha (Xigris) (?) 4 Nachgewiesene DIC mit Blutung – Fibrinogengabe bei Fibrinogenspiegeln <1 g/l – PPSB- bzw. FFP-Gabe an Blutverlust und Messwerte (INR, aPTT) adaptiert, Ziel 80% der normalen Gerinnungsfaktorenkonzentration, Überkorrekturen vermeiden – Thrombozytenkonzentrate nur bei Thrombozytenkonzentration <50/nl – Heparin nur bei Einsatz extrakorporaler Zirkulationsverfahren – Bei AT III-Abfall unter 60%: AT III-Substitution (Ziel: >60%) (?) – rFVIIa-Gabe nur bei unstillbarer Massenblutung oder schwerer diffuser Blutung
z Komplikationen Die schwerste Komplikation der DIC neben der akuten Massenblutung ist die Purpura fulminans, die z. B. im Rahmen eines Waterhouse-Friedrichsen-Syndroms (. Abb. 24.5) bei Meningokokkenmeningitis auftreten kann. Es handelt sich um ein Krankheitsbild mit Extravasion von zellulären Blutbestandteilen, nachdem betroffene Kapillarstromgebiete thrombosiert und nekrotisiert sind. Therapeutisch wird die Substitution von Protein C durch Konzentrate bzw. der frühe Einsatz von aktiviertem Protein C (Xigris) ‒ unter Berücksichtigung der Kontraindikationen und Warnhinweise –
24
318
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
24
Erkrankungen und Behandlungsformen, in deren Verlauf eine TTP auftreten kann 4 Schwangerschaft (HELLP-Syndrom, Präeklampsie, Eklampsie) 4 Autoimmunerkrankungen 4 Hämorrhagische Enterokolitis 4 Medikamentös-toxisch (Chinin) 4 Chemotherapie (z. B. Ciclosporin, Tacrolimus) 4 Stammzelltransplantation
24 24 24 24 24 24 24 24
. Abb. 24.5 Waterhouse-Friedrichsen-Syndrom mit bereits äußerlich erkennbarer, großflächiger Thrombose des Kapillarstromgebietes im Rahmen der DIC
mehrheitlich empfohlen. Evidenzbasierte Daten zu Diagnostik oder Therapie dieser seltenen Erkrankung existieren naturgemäß nicht.
24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24 24
24.8.3
ITP/TTP
Die idiopathische Thrombozytopenie (ITP) ist ein autoimmun vermitteltes Krankheitsbild, das auf der Intensivstation in der Regel nur wenige Probleme verursacht. Schwere Blutungen sind selten, unter Therapie mit Immunsuppressiva und Steroiden lässt sich die Mehrzahl der kritischen Situationen beherrschen, die Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist kaum je erforderlich. Davon zu unterscheiden ist die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP, Moschkowitz-Syndrom). Hierbei handelt es sich um eine lebensgefährliche Erkrankung, die mit dem Auftreten von Mikrothromben in zahlreichen Organen einhergeht. Die typischen Beschwerden der betroffenen Patienten sind unspezifisch und reichen von abdominellen Beschwerden mit Übelkeit und Erbrechen bis zu zunächst unklaren neurologischen Anormalitäten wie Verwirrung und Unkonzentriertheit. So werden die Fehldiagnosen Gastroenteritis, Sepsis, Hirninsult oder – geleitet vom Symptom der Thrombopenie – ITP gestellt. Das diagnostische Rätsel wird lösbar, sobald Anämie, Thrombopenie und zahlreiche Fragmentozyten (2 oder mehr pro Blickfeld) im Blutbild gefunden werden. Die Hämolysemarker im Blut sind pathologisch verändert (Haptoglobin niedrig, LDH hoch), der direkte Coombs-Test negativ. Im Bereich der Intensivmedizin gibt es zahlreiche Umstände, die auch zu Hämolyse und Thrombopenie führen können. An erster Stelle sind dabei extrakorporale Organersatzverfahren oder seltenere Infektionserkrankungen wie Malaria zu nennen, die laborchemisch eine TTP vortäuschen können. Wichtig ist daher immer die ätiologische Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer TTP. Sie kann als Komplikation zahlreicher anderer Erkrankungen auftreten.
z Therapie Die Therapie der Wahl der TTP besteht in einer rasch einzusetzenden Plasmapherese gegen FFP. Andere Plasmazubereitungen waren in kleinen Untersuchungsreihen erfolgversprechender. Nicht zuletzt die einfachere Verfügbarkeit von FFP macht den Einsatz anderer Substituate aber praktisch unmöglich. Daneben muss alles getan werden, um die Grunderkrankung so rasch wie möglich suffizient zu behandeln. Thrombozytentransfusionen verschlimmern den Erkrankungsverlauf regelhaft und sollten so weit wie möglich vermieden werden. Ob die zusätzliche Gabe von Steroiden nach abgeschlossener Plasmapherese erfolgversprechend ist und ein Rezidiv der Erkrankung zu vermeiden hilft, ist unklar. Der Pathomechanismus der TTP ist insofern von besonderer Bedeutung für die Intensivmedizin, da das im Jahr 2006 neu definierte thrombozytopenieassoziierte Multiorganversagen (TAMOF) ätiologisch auf eine sekundäre thrombotische Mikroangiopathie mit begleitender DIC zurückgeführt wird. Ob weitere Untersuchungen in diesem Bereich zu neuen therapeutischen Konzepten für TTP, DIC und TAMOF führen, bleibt abzuwarten.
24.8.4
Tiefe Beinvenenthrombose
Die tiefe Beinvenenthrombose ist wegen ihres potenziellen Risikos der akuten Lungenembolie eine gefürchtete, leider auch keineswegs seltene Erkrankung. Im intensivmedizinischen Kontext kommt ihr große Bedeutung zu, da sie einerseits bei akutem Verlauf wegen resultierender Komplikationen (Lungenembolie; 7 Kap. 36) zur intensivmedizinischen Aufnahme, andererseits aber besonders auch im Rahmen anderer schwerer Grunderkrankungen – die intensivmedizinisch behandelt werden – auftreten kann. z Diagnose Die Diagnose wird primär klinisch, dann durch Hinzunahme von D-Dimer-Test und Kompressions- bzw. Duplexsonographie gestellt. Ist der D-Dimer-Test positiv, so lässt dies zwar eine tiefe Beinvenenthrombose weder belegen noch ausschließen, ist er allerdings negativ, so ist eine akute Gerinnungsaktivierung weitgehend ausgeschlossen. Das Vorliegen einer Beinvenenthrombose ist bei negativem D-Dimer-Test also höchst unwahrscheinlich. Die Sonographie erlaubt schließlich Sicherung bzw. Ausschluss einer Oberschenkelvenenthrombose. Unterschenkelvenenthrombosen können mit der Sonographie zwar oftmals gut dargestellt und damit bewiesen werden. Der Ausschluss einer tiefen Unterschenkelvenethrombose ist sonographisch aber nur mit Einschränkungen möglich. Die Phlebographie soll zwar in der Lage sein, Unterschenkelvenethrombosen zuverlässiger als die Sonographie darzustellen, hat jedoch an diagnostischer Bedeutung mangels therapeutischer Konsequenzen (besteht der Verdacht auf eine Unterschenkelvenenthrombose, wird man immer versuchen zu antikoagulieren) zumindest im intensivmedizinischen Bereich keine Bedeutung mehr.
319 24.9 · Hämostaserelevante Therapiekomplikationen
z Therapie Die initiale Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose erfolgt – sofern keine Kontraindikation besteht – auch im intensivmedizinischen Bereich mit niedermolekularem Heparin in therapeutischer Dosierung. Die Thrombolysetherapie der tiefen Beinvenenthrombose ist früher im deutschsprachigen Raum stark favorisiert worden; sie wird – wenn überhaupt – wegen der nicht selten fatalen Nebenwirkungen (Blutung, Lungenembolie unter laufender Behandlung) nur noch bei der Phlegamasie (dem kompletten Verschluss aller Beinvenen mit massiver Stauung und drohendem Kompartmentsyndrom) durchgeführt. Mit dem Wegfall der Lysetherapie und der Erkenntnis, dass eine frühzeitige Mobilisierung die Entstehung von bedrohlichen Lungenembolien nicht fördert, ist die tiefe Beinvenenthrombose keine zwanghaft intensivmedizinisch zu behandelnde Erkrankung mehr. Allerdings wird sie durch die in der Intensivmedizin häufig vorhandenen prädisponierenden Faktoren (Immobilisation, Tumorleiden, pathologische Gerinnungsaktivierung) bei oftmals gleichzeitig bestehender Blutungsneigung zu einer komplex zu behandelnden Erkrankung. Bereits 2 Tage nach Diagnose und Therapie der Beinvenenthrombose mit niedermolekularem Heparin kann die Umstellung auf eine orale Antikoagulation erfolgen. Spätestens hierzu ist keine intensivmedizinische Überwachung mehr erforderlich. Prolongiert sich der Aufenthalt des Patienten auf der Intensivstation aber aus anderem Grund, so kann die Therapie alternativ vorerst auch mit niedermolekularem Heparin fortgesetzt werden, was besonders zweckmäßig erscheint, wenn aus anderem Grund noch potenziell »blutungsgefährdende« Interventionen erforderlich sind. Von der früher oftmals empfohlenen Einlage von V.-cavaFiltern bei »flottierendem Thrombus« ist man heute wegen einer hohen Komplikationsrate bei gleichzeitig nur geringem klinischem Erfolg weitgehend abgekommen. Die Einlage eines derartigen Filters ist heute nur noch in besonders begründbaren Ausnahmefällen sinnvoll.
24.9
Hämostaserelevante Therapiekomplikationen
24.9.1
Heparin-induzierte Thrombopenie (HIT)
Die Heparin-induzierte Thrombopenie Typ 1 wird bei mehr als 10% der Heparin-exponierten Patienten gefunden. In den ersten Tagen nach Heparin-Gabe fallen die Thrombozyten kurzfristig auf Werte bis zu 100/nl ab, um in der Folge ohne Modifikation der HeparinDosis wieder zu steigen. Die HIT Typ 1 zeigt keine Komplikationen und fordert damit keine Konsequenzen für die Intensivmedizin.
Typische Differenzialdiagnosen der HIT 4 4 4 4 4
Immunthrombopenie Hämatologische Systemerkrankungen Posttransfusionspurpura Durch andere Medikamente ausgelöste Thrombopenien Sepsis/Verbrauchskoagulopathie
Die Inzidenz für das Auftreten der klinisch relevanten, Heparininduzierten Thrombopenie Typ 2 (auch HAT=Heparin-assoziierte Thrombopenie) hängt von Art und Administration des zugeführten Heparins ab. Niedermolekulare Heparine im Vergleich zu unfraktionierten Heparinen lösen nur 1/10 so häufig eine HIT aus. Patienten,
. Tab. 24.7 Häufigkeit der HIT 2 und erforderliches Blutbild-Monitoring bei Heparin-Therapie Relative Häufigkeit
Thrombozyten-Monitoring
Unfraktioniertes Heparin
1–5%
Jeden 2. Tag bis Tag 14 nach Therapiebegin
Niedermolekulares Heparin
0,1–1%
Jeden 2.–3. Tag bis Tag 14 nach Therapiebegin
die in der unmittelbaren Vorgeschichte bereits Heparin erhalten haben, neigen vermehrt dazu, eine HIT auszubilden. Die HIT Typ 2 zeigt etwa 5‒10 Tage nach Beginn der Heparin-Medikation – selten später – einen raschen Abfall der Thrombozytenzahl, der erst nach Absetzen der Heparin-Medikation zum Stillstand kommen kann. In der Folge werden thromboembolische Komplikationen unter ggf. noch laufender Heparin-Therapie beobachtet. Ein früherer Thrombozytenabfall kann bei der HIT Typ 2 auftreten, wenn die Erkrankung in der Vorgeschichte bereits manifest war und es sich um eine Reexposition handelt. Früher als 3 Tage nach Therapiebeginn ist jedoch auch bei Reexposition nicht mit der Ausbildung einer HIT Typ 2 zu rechnen. So ist es möglich, Patienten, die z. B. im Rahmen einer kardiochirurgischen Operation unter Einsatz eines extrakorporalen Kreislaufs operiert werden müssen, vorübergehend das gut steuerbare und antagonisierbare Heparin intraoperativ zu geben, ohne mit Ausbildung einer HIT Typ 2 rechnen zu müssen, sofern das Heparin postoperativ durch eine andere Antikoagulation ersetzt wird. In sehr seltenen Fällen ist auch eine »delayed onset HIT« beschrieben, die wenige Tage nach Absetzen einer längerdauernden Heparin-Therapie auftritt. Die Häufigkeit der HIT 2 und das erforderliche Blutbild-Monitoring bei Heparin-Therapie zeigt . Tab. 24.7. z Therapie Die Diagnose einer HIT zu stellen, ist allerdings im intensivmedizinischen Umfeld oftmals schwierig, da es zahlreiche andere Faktoren (. Tab. 24.1) gibt, die eine Thrombopenie und thromboembolische Prozesse bei kritisch Kranken verursachen können. Zur laborchemischen Sicherung der HIT bieten sich unterschiedliche Tests an. Während Immunoassays zwar eine hohe Sensitivität haben, ist hier mit einer nur geringen Spezifität zu rechen. Umgekehrt können funktionelle Untersuchungsverfahren zwar sowohl hohe Sensitivität als auch Spezifität bieten, ein virtuoser Umgang mit diesen Verfahren erfordert aber ein besonders erfahrenes Labor. So bleibt die Diagnose der HIT auch mit laborchemischer Hilfe klinisch fokussiert und schwierig.
Laborchemische Diagnosesicherung der HIT Typ 2 4 Durchzuführende Tests – Immunologischer Test (z. B. ELISA) – Funktioneller Test (z. B. HIPAA) – Anstieg der Thrombozyten nach Absetzen des Heparins 4 Bewertung – 3 von 3 positiv: HIT Typ 2 sicher – 2 von 3 positiv: HIT Typ 2 wahrscheinlich – 1 positiv: HIT Typ 2 unwahrscheinlich – 0 positiv: HIT Typ 2 ausgeschlossen
24
320
Kapitel 24 · Hämostase und Hämotherapie
. Tab. 24.8 Optionen zur Antikoagulation bei HIT Typ 2
24 24 24 24
Wirkstoff
Administration
Halbwertszeit
Elimination
Monitoring
Fondaparinux (Arixtra)
s.c.
17 h
Renal
Anti-Xa
Danaparoid (Orgaran)
s.c. oder i.v.
24 h
Renal
Anti-Xa
Lepirudin (Refludan)
s.c. oder i.v.
>80 min
Renal
aPTT
Bivalirudin (Angiox)
i.v.
>20 min
Renal + hepatisch
aPTT
Agratroban (Argatra)
i.v.
>60 min
Hepatisch
aPTT
24 24 24 24 24
Im Verdachtsfall einer HIT Typ 2 ist die Heparin-Gabe sofort zu unterbrechen und auf eine alternative Antikoagulation umzustellen (. Tab. 24.8 und 7 Abschn. 24.5). Bei bereits stattgehabter Thrombose im Rahmen einer HIT ist die längerfristige Fortsetzung der Antikoagulation – ggf. mit oralen Antikoagulanzien – über den Intensivaufenthalt hinaus anzustreben.
5
> Die Diagnose einer gesicherten HIT ist in den Akten des Patienten mitzuführen. Er ist hierüber aufzuklären, da eine Heparin-Reexposition lebenslang unterbleiben muss.
8
6 7
9
24 24 24 24 24 24 24 24 24
24.9.2
Coumarin-Nekrose
Eine sehr seltene Komplikation der Warfarin- oder Phenprocoumon-Therapie ist die sog. Marcumar-Nekrose. Infolge eines Ungleichgewichts der pro- und antikoagulanten Blutgerinnungsfaktoren (initialer Abfall von Protein C), das durch die Einnahme von Marcumar hervorgerufen wird, kommt es zur Thrombosierung im Kapillarstromgebiet, bevorzugt an den Flanken und in abhängigen Körperregionen. Erschwert wird die Diagnose durch den oft vorherrschenden klinischen Eindruck, es handle sich bei den bläulich-lividen Hauterscheinungen um Einblutungen, die zur fatalen Fehleinschätzung, die Antikoagulation müsste abgesetzt werden, verleiten können. Seit die Strategie einer hochdosiert einsetzenden Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten zugunsten eines deutlich moderateren Dosiseinstieges verlassen wurde, wird von Marcumar-Nekrosen kaum mehr berichtet. Bedauerlicherweise tritt die Erkrankung in Zusammenhang mit der HIT Typ 2 etwa 100-mal häufiger auf als allein, sodass der Einsatz von Coumarin-Derivaten erst nach völligem Abklingen der Symptomatik einer HIT Typ 2 erwogen werden sollte.
10
11
12 13 14
15
16
24 24
Literatur 1
24
2
24
3
24 4
24 24
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321
Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome S. Kleinschmidt
25.1
Ziele und Anforderungen – 322
25.1.1 25.1.2
Therapieziele – 322 Anforderungen an Pharmaka – 322
25.2
Therapiephasen und Therapiekonzepte – 322
25.2.1 25.2.2
Therapiephasen – 322 Therapiekonzepte – 322
25.3
Auswahl und Zufuhr der Pharmaka – 323
25.3.1 25.3.2 25.3.3 25.3.4
Anforderung an Analgosedierungskonzepte – 323 Applikationstechniken – 323 Grundlagen des Pharmakometabolismus bei Intensivpatienten – 324 Überwachung und Objektivierung der Analgosedierung – 324
25.4
Pharmaka und Indikationen – 325
25.4.1 25.4.2 25.4.3 25.4.4 25.4.5 25.4.6 25.4.7 25.4.8 25.4.9 25.4.10 25.4.11 25.4.12 25.4.13
Benzodiazepine – 325 Barbiturate – 327 Propofol – 327 γ-Hydroxybuttersäure (GHB) – 328 Ketamin – 329 Neuroleptika – 329 Inhalationsanästhetika – 330 Opioide – 330 Nichtopioide – 332 Regionalanästhesieverfahren – 332 α2-Agonisten – 333 Muskelrelaxanzien – 334 Schemata zur Analgosedierung – 334
25.5
Delirante Syndrome – 335
25.5.1 25.5.2 25.5.3
Klinik, Ursachen und Therapie – 335 Alkoholentzugssyndrom (AES) – 336 Benzodiazepin- und Opioidentzugssyndrom – 339
Literatur – 339 Internetadressen – 339
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_25 , © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
25
25 25 25 25
322
Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
25.1
Ziele und Anforderungen
4 Langzeitanalgosedierung (>3 Tage).
25.1.1
Therapieziele
Als therapeutisch besonders schwierig erweist sich die Analgosedierung bei Langzeitintensivpatienten.
Bei der medikamentösen Analgosedierung ist ein klar definiertes und regelmäßig zu überprüfendesTherapieziel erforderlich, um die unerwünschten und mitunter auch gefährlichen Nebenwirkungen der Substanzen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Ebenso müssen die Folgen einer unzureichenden und auch einer übermäßigen Analgosedierung vermieden werden.
25 25 25 25 25 25 25 25 25 25
Therapiephasen
Entsprechend dem Verlauf der zu therapierenden Grunderkrankungen lassen sich bei der Mittel- und Langzeitanalgosedierung folgende Phasen unterscheiden]:
Die wichtigsten Ziele der Analgosedierung
Akutphase
4 Beseitigung von Schmerzen 4 Anxiolyse und Ausschaltung schwerer psychischer Belastungen 4 Gewährleistung narkotischer Stadien, z. B. zur Therapie eines kritisch erhöhten intrakraniellen Drucks 4 Vegetative Entlastung mit Senkung des globalen O2-Verbrauchs (»Organprotektion« im weitesten Sinne) 4 Steuerung der Entwöhnungsphase von der maschinellen Beatmung 4 Aktivierung, Wiedererlangung der Koordination nach erfolgreich therapierter Grunderkrankung (z. B. die Wiederherstellung eines normalen Schlaf-WachRhythmus) 4 In besonderen Fällen (z. B. Tetanus, extreme Lagerungen wie Beatmung in Bauchlage beim akuten Lungenversagen) Verminderung des Muskeltonus
Unmittelbar posttraumatisch oder postoperativ ist eine vegetative Stabilisierung und Entlastung des Patienten durch maximale Analgesie und Sedierung erforderlich, durch die zudem der O2-Verbrauch der einzelnen Organsysteme gesenkt wird.
Diese Ziele müssen im Verlauf der Intensivtherapie regelmäßig überprüft und die weitere Zufuhr sowie die Auswahl der Substanzen entsprechend variiert werden, um eine den Aufenthalt auf der Intensivstation verlängernde und kostenintensive »Leerlaufbehandlung« zu vermeiden.
25 25
25.2.1
25.1.2
Anforderungen an Pharmaka
Entwöhnungsphase In dieser Phase ist die Mitarbeit des Patienten erforderlich, da unter ausreichender psychovegetativer Abschirmung (Angst- und Schmerzfreiheit) ohne relevante Sedierung eine möglicherweise erschwerte und verlängerte Entwöhnung von der maschinellen Beatmung und die Toleranz weiterer diagnostischer und therapeutischer Interventionen (z. B. Gefäßpunktionen, Verbandswechsel) bewältigt werden müssen. Allerdings ist diese Therapiephase oft begleitet von einer Vielzahl von Verhaltensstörungen, die oft unscharf als »Durchgangssyndrom» und »postoperatives delirantes Syndrom» bezeichnet werden. Die Patienten sind oft unkooperativ und desorientiert, was die Therapieführung erheblich erschwert. Außerdem gefährden postoperative delirante Syndrome mit psychovegetativer Entgleisung erneut den Patienten und erhöhen signifikant die Mortalität, nachdem die eigentliche Grunderkrankung schon erfolgreich therapiert worden ist. In Kombination mit einem standardisierten Entwöhnungsprotokoll zur Beatmung sollte die Dosierung der Analgetika und Sedativa ständig angepasst und evaluiert werden. Die Kombination eines Entwöhnungs- und Aufwachprotokolls verkürzt die Beatmungszeit und senkt die Mortalität.
Koordinations- und Aktivierungsphase
25
Die zur Analgosedierung eingesetzten Pharmaka sollten möglichst folgende Voraussetzungen erfüllen [13, 22]: 4 hohe therapeutische Breite ohne Beeinträchtigung der vitalen Funktionen (Herz-Kreislauf-Funktion, Atmung, Nierenfunktion, Gastrointestinaltrakt), 4 günstige pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften auch bei kontinuierlicher Zufuhr über einen längeren Zeitraum (kurze »kontextsensitive Halbwertszeit«), somit eine berechenbare klinische Wirkdauer, 4 keine Entzugssymptome und Verwirrtheitszustände nach Absetzen der Substanz, 4 keine Beeinträchtigung des Immunsystems.
25
Diese Anforderungen werden von den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Pharmaka nicht in allen Punkten erfüllt.
Zu beachten ist, dass jede Therapiephase – unter Berücksichtigung der Grunderkrankungen – ein eigenes Analgosedierungskonzept erfordert. So muss bei komplizierten Behandlungsfällen auf Pharmaka gewechselt werden, die aufgrund ihres pharmakologischen Profils hierfür geeignet erscheinen. Eine Dosisänderung sowie ein starres Beibehalten bestimmter Pharmakakombinationen wird diesen Ansprüchen nicht gerecht [3].
25 25 25 25
25 25 25
25.2
Therapiephasen und Therapiekonzepte
Je nach Dauer der Analgosedierung wird eine Unterscheidung oft in folgender Weise getroffen: 4 Kurzzeitanalgosedierung (bis zu 24 h), 4 mittellange Analgosedierung (1–3 Tage),
Diese Therapiephase ist gekennzeichnet durch die zunehmende Mobilisierung des Patienten und die bevorstehende Verlegung auf eine Überwachungs- bzw. Normalstation. Hierfür müssen die Patienten jedoch kooperativ und etwaige delirante Syndrome erfolgreich therapiert worden sein. Auch sollten sie einen weitgehend normalen Schlaf-Wach-Rhythmus, der durch die Langzeitanwendung einer Vielzahl von Analgetika und Sedativa erheblich gestört sein kann, wiedererlangt haben.
25.2.2
Therapiekonzepte
323 25.3 · Auswahl und Zufuhr der Pharmaka
25.3
Auswahl und Zufuhr der Pharmaka
25.3.1
Anforderung an Analgosedierungskonzepte
Für die Analgosedierung steht eine Vielzahl von Medikamenten zur Verfügung, wobei durch die Fülle und Variabilität der Therapievorschläge und -konzepte die Übersicht erheblich erschwert ist [15]. Oft werden »Idealanforderungen« gestellt, die jedoch von den gebräuchlichen Substanzen allein nie in allen Punkten erfüllt werden können. Ein »universelles Konzept« kann es auch nicht geben, denn die Individualität des Intensivpatienten als »nicht reproduzierbarer Einzelfall«, die Variabilität der Grunderkrankungen, des Krankheitsverlaufs und insbesondere das während der Behandlung wechselnde Therapieziel (z. B. die Senkung eines kritisch erhöhten intrakraniellen Drucks, Kreislaufstabilisierung bei Sepsis/SIRS, Therapie des Alkoholentzugsyndroms) erfordern zwangsläufig unterschiedliche Therapieschemata. Auch Kostenaspekte (im Sinne einer Kosten-Effektivitäts-Analyse) sind unter den derzeit herrschenden finanziellen Restriktionen als eine relevante Einflussgröße auf die Auswahl der Pharmaka und Techniken anzusehen. Die DGAI hat im Jahr 2005 erstmals Leitlinien der Stufe S2e publiziert, um bei der Therapieentscheidung entsprechende Hilfestellungen zu geben. Diese Leitlinien wurden 2010 interdisziplinär als S3-Leitlinien weiterentwickelt
Anforderungen an ein »ideales Analgosedierungskonzept« und dessen Therapiekomponenten [13] 4 Voraussagbare Pharmakokinetik und Pharmakodynamik, d. h. eine gute Steuerbarkeit und individuelle Anpassung bei schnellem Wirkungseintritt und rascher Elimination nach Absetzen der Substanz auch bei Langzeitanwendung 4 Elimination möglichst nicht nur von einer Organfunktion (z. B. Niere, Leber) abhängig 4 Geringe oder keine Beeinträchtigung von Organfunktionen, insbesondere des Herz-KreislaufSystems, der Atmung, des Gastrointestinaltrakts und der Nieren 4 Keine Immunsuppression 4 Möglichst geringe Interaktionen mit anderen Pharmaka 4 Keine Kumulation pharmakologisch aktiver Metabolite oder Induktion hepatischer Enzymsysteme (z. B. Zytochrom-P450-Familie) 4 Keine anaphylaktoide Potenz 4 Kein Abhängigkeitspotenzial, auch bei Langzeitanwendung 4 Keine teratogene Wirkung, somit auch unbedenkliche Anwendbarkeit bei Schwangeren im 1. Trimenon
Grundsätzlich sollte versucht werden, die oben genannten »Idealanforderungen« durch Kombination möglichst weniger Komponenten zu erreichen. Entsprechend gelten für die Auswahl und Kombination von Pharmaka zur Analgosedierung folgende Grundprinzipien: ! Cave Voraussetzung für den Einsatz von Sedativa und Hypnotika ist eine ausreichende Analgesie, wenn die Grunderkrankung des Patienten dies erfordert. Unzureichende Analgesie muss primär durch Analgetika
und nicht durch Dosissteigerung von Sedativa und Hypnotika behandelt werden.
Das Konzept der Analgosedierung umfasst auch das Ausnutzen etwaiger synergistischer oder potenzierender Effekte verschiedener Pharmaka. Dies kann dazu beitragen, Toleranzphänomene weitgehend abzumildern und sinnlosen Dosissteigerungen der Einzelsubstanzen vorzubeugen. Eine deutliche Dosissteigerung von Pharmaka mit bekanntem Ceiling-Effekt, wie z. B. den Benzodiazepinen, ist pharmakologisch nicht sinnvoll. Die unterschiedlichen Therapiephasen erfordern ein jeweils eigenes Konzept mit eigenem Pharmakoprofil. Beim Vorliegen bestimmter Grunderkrankungen (z. B. Niereninsuffizienz, Sepsis) müssen sich Auswahl und Dosierung der Pharmaka an ihrem Nebenwirkungsprofil (z. B. negativ inotrope Wirkung) und einer evtl. veränderten Eliminationskinetik orientieren.
25.3.2
Applikationstechniken
Grundsätzlich können die zur Analgosedierung benötigten Pharmaka kontinuierlich oder als Bolus zugeführt werden. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die intravenöse Zufuhr (idealerweise über einen mehrlumigen zentralvenösen Zugang) wünschenswert ist. Neben der intravenösen Anwendung können die Substanzen auch per inhalationem (z. B. Isofluran, Sevofluran) oder peridural (Lokalanästhetika, Opioide, α2-Agonisten) zugeführt werden. Andere Zugangswege (z. B. intramuskulär, rektal, enteral etc.) sind in der Literatur beschrieben worden, sind aber nicht verbreitet und zudem mit erheblichen Unsicherheiten (u. a. Resorption) behaftet. Die kontinuierliche Zufuhr über Spritzenpumpen oder Infusomaten ist technisch aufwendiger, gewährleistet im Regelfall aber ein konstanteres Sedierungsniveau mit einer besseren Kreislaufstabilität. Allerdings entbindet diese Applikationstechnik den Therapeuten nicht von der Verpflichtung, in regelmäßigen Abständen das Therapieziel zu überprüfen und entsprechende Dosierungsanpassungen vorzunehmen! Bei belastenden Verfahren, wie z. B. Verbandswechseln, endotrachealem Absaugen oder Lageänderungen, besteht jederzeit die Möglichkeit einer adäquaten Vertiefung der Sedierung durch zusätzliche Bolusgaben. Durch die getrennte Zufuhr der einzelnen Therapiekomponenten ist eine wesentlich bessere Steuerbarkeit der Analgosedierung möglich. Eine Mischung verschiedener Therapiekomponenten ist zu vermeiden.
Empfehlungen für die Zufuhr von Pharmaka zur Analgosedierung 4 Intravenöse Verabreichung (idealerweise über einen mehrlumigen zentralvenösen Zugang) 4 Kontinuierliche Zufuhr (Infusomat, Spritzenpumpe) mit der Option für Bolusinjektionen unter laufender Überprüfung des Therapieziels 4 Getrennte Zufuhr der einzelnen Wirkkomponenten (keine »Mischperfusoren«)
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25 25 25 25 25 25 25
324
Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
25.3.3
Grundlagen des Pharmakometabolismus bei Intensivpatienten
Für die sichere Anwendung der Pharmaka zur Analgosedierung sind zumindest Grundkenntnisse über ihre Metabolisierung und Exkretion erforderlich. Die für die Intensivtherapie wesentlichen Aspekte und die hieraus resultierenden praktischen Konsequenzen sollen kurz dargestellt werden.
Metabolisierung Die Metabolisierung der Analgetika und Sedativa findet überwiegend in der Leber statt, wobei hier hauptsächlich das unspezifische Enzymsystem der Zytochrom-P450-Familie beteiligt ist; extrahepatische Metabolisierungsorgane sind u. a. Niere, Lunge und Gastrointestinaltrakt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. GHB, Remifentanil) erfolgt die Biotransformation der Analgetika und Sedativa in 2 verschiedenen Schritten:
25 Biotransformation von Analgetika und Sedativa
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4 Phase-I-Reaktion: 4 Oxidation (z. B. Hydroxylierung), Reduktion (z. B. Azo- und Nitrogruppen) oder Hydrolyse (z. B. Esterspaltung) 4 Phase-II-Reaktion: 4 Konjugationsvorgänge (z. B. mit Glukuronsäure), wodurch die Metaboliten in eine eliminationsfähige Form überführt werden
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Elimination Die Kenntnisse über die Pharmakokinetik der einzelnen Substanzen (z. B. Eliminationskinetik, Halbwertszeiten) wurden nahezu ausschließlich bei gesunden Probanden oder bei Patienten mit elektiven operativen Eingriffen gewonnen [11]. ! Cave Diese Daten können jedoch nicht auf Intensivpatienten übertragen werden! Sie dienen lediglich als Anhaltspunkte für die Auswahl der betreffenden Substanzen. Charakteristisch für Intensivpatienten ist, dass es zu Organinsuffizienzen wechselnden Ausmaßes kommt, die eine exakte Vorhersage über die Metabolisierung der einzelnen Pharmaka nahezu unmöglich machen.
Beispiele hierfür sind die deutlich verzögerte Metabolisierung von Pharmaka mit erhöhter hepatischer Extraktion wie Midazolam oder auch Fentanyl: Da die Verstoffwechselung sehr stark vom hepatischen Blutfluss abhängig ist, kann es, z. B. bei Schockzuständen (Sepsis/SIRS, Hypovolämie), zur deutlichen Kumulation kommen. Außerdem sind altersspezifische Aspekte zu berücksichtigen, die sich aus den bekannten physiologischen Veränderungen im Alter ergeben. Hierzu gehören u. a.: 4 Einschränkung der glomerulären Filtrations- und tubulären Sekretionsleistung, 4 Abfall des Herzzeitvolumens, 4 Änderungen der Flüssigkeitskompartimente und 4 Verringerung der »Trägerproteine« für Pharmaka (Albumin, α1-saures Glykoprotein) Auch eine engmaschige Kontrolle von Plasmakonzentrationen der einzelnen Substanzen, die nur mit einer speziellen Laborlogistik möglich ist, kann leider nur einen groben Aufschluss über die Phar-
makokinetik geben; über die Pharmakodynamik kann hiermit keine Aussage getroffen werden. Für die klinische Praxis ergeben sich somit folgende Konsequenzen: > Der Pharmakometabolismus des Intensivpatienten wird von einer kaum überschaubaren Zahl von Einflussgrößen modifiziert. Hier sind u. a. hormonelle Einflüsse (»Postaggressionsstoffwechsel«), Entzündungsmediatoren, Alter, Geschlecht, Ernährungszustand und Arzneimittelinteraktionen zu nennen. Auch pharmakogenetische Faktoren (Allelpolymorphismen; »slow« und »fast metabolizer«) spielen mitunter eine Rolle.
Das Auftreten von oft miteinander interagierenden Organinsuffizienzen (Herz-Kreislauf-System, Niere, Leber) hat zwangsläufig erhebliche Einflüsse auf die Metabolisierung und Elimination der Pharmaka. Bei starrem Beibehalten der Dosierungen droht v. a. eine Kumulation und Überdosierung der Substanzen. Ein exaktes »Monitoring« ist jedoch bestenfalls lückenhaft möglich oder mit erheblichem labortechnischem Aufwand verbunden. Es muss in jedem Fall der klinische Versuch einer Dosisanpassung unternommen werden, ohne dass für den Einzelfall verlässliche Anhaltswerte vorliegen.
25.3.4
Überwachung und Objektivierung der Analgosedierung
Die »Objektivierung« einer adäquaten Analgosedierung ist mit methodischen Problemen verbunden. Ein allgemein anerkanntes Monitoringsystem existiert nicht. Folgende Möglichkeiten der Überwachung und Verifizierung der Analgosedierung lassen sich unterscheiden: 4 klinische Scoringsysteme, die im Wesentlichen mit Analogskalen oder Rangskalen die verschiedenen Stadien der »Bewusstseinsmodifikation« und der Schmerzintensität beschreiben (Sedierungsskalen, Schmerzskalen). 4 physiologische Variablen wie Herzfrequenz, Blutdruck, Pupillenreaktion, Schwitzen, 4 endokrine Laborparameter (Hypophysen-NebennierenrindenSystem) oder Plasmakonzentrationen der verwendeten Pharmaka, 4 neurophysiologische Parameter wie bispektraler Index (BIS), oder evozierte Potenziale.
Sedierungsscore Klinisch weit verbreitet sind Scoresysteme, die verschiedene »Bewusstseinsstadien« definieren. Einige dieser Scores sind für die Anwendung beim Intensivpatienten validiert, z. B. die Richmond Agitation Sedation Scale; . Tab. 25.1). Idealerweise sollten die zur Analgosedierung verwendeten Scoresysteme nichtinvasiv und ausreichend sensitiv sein, einfach und reproduzierbar zu handhaben und unabhängig von den zur Analgosedierung verwendeten Substanzen einsetzbar sein. Die Anwednung von Scoresytemen als Steuerungsinstrument der Analgosedierung kann u. a. die Beatmungsdauer verkürzen und wird in den aktuellen Leitlinien explizit gefordert. Mindestens alle 8 h soll der Sedierungsscore (empfohlen wird aufgrund der vorhandenen Validierung der RASS) erhoben und auf der Verlaufskurve dokumentiert werden. Weiterhin muss ein »Soll-Ist-Vergleich« erfolgen, um das Therapieziel zu bewerten.
325 25.4 · Pharmaka und Indikationen
. Tab. 25.1 Sedierungsscore nach Ramsay und Richmond Agitation Sedation Scale (RASS) Ramsay-Score: Stadium/klinische Zustandsbeschreibung
Richmond Agitation Sedation Scale (RASS): Stadium/klinische Zustandsbeschreibung
1=Patient wach, ängstlich, unkooperativ
+4=Wehrhaft oder aggressiv, unmittelbare Gefahr für Personal
2=Patient wach, kooperativ, ruhig
+3=Patient zieht an Kathetern oder Tubus, Aggression gegen das Betreuungspersonal
3=Patient weckbar auf Anruf
+2=Häufige ungerichtete Bewegungen, Unruhe
4=Patient weckbar durch Schulterklopfen
+ 1=Ängstlich, leichte Unuhe, nicht aggressiv
5=Patient weckbar durch schmerzhaften Stimulus
0=Wach und ruhig
6=Patient komatös
–1=Schläfrig, Augenkontakt auf Ansprache > 10 Sekunden
BIS ist eine dimensionslose Zahl zwischen 0 (isoelektrisches EEG) und 100 (vollständige Wachheit). Ob der BIS zur Steuerung der Sedierung von Intensivpatienten geeignet ist, kann derzeit nicht beantwortet werden; er wird daher hierfür auch nicht empfohlen. Bisherige Untersuchungen weisen auf eine schlechte Korrelation zwischen BIS und klinisch tiefen Sedierungsstadien hin. Die »analgetische Therapiekomponente« wird durch den BIS nicht erfasst.
25.4
Pharmaka und Indikationen
Eine Vielzahl von Pharmaka und Therapieverfahren steht für die Analgosedierung von Intensivpatienten zur Verfügung, wobei sich wenige Kombinationen von Analgetika und Sedativa/Hypnotika im klinischen Alltag schwerpunktmäßig durchgesetzt haben. In der Übersicht sind die wichtigsten Pharmaka bzw. Therapieverfahren zusammengestellt.
Pharmaka und Therapieverfahren zur Analgosedierung
–2=Augenkontakt < 10 Sekunden auf Ansprache –3=Kein Augenkontakt, aber Bewegung auf Ansprache –4=Keine Bewegung auf Ansprache, aber auf physikalischen Kontakt (z. B. Schulterklopfen) –5=Patient komatös
Sedativa, Hypnotika und Neuroleptika 4 Benzodiazepine – Midazolam – Diazepam 4 Barbiturate – Methohexital 4 Neuroleptika – Dehydrobenzperidol – Haloperidol 4 Propofol 4 γ-Hydroxybuttersäure (GHB) 4 Ketamin [Razemat und (S)-Enantiomer] 4 Isofluran, Sevofluran
Schmerzscores Auch die Erfassung der Schmerzintensität des Patienten und ebenso die Verifizierung einer ausreichenden Analgesie erfolgt in der klinischen Praxis mit verschiedenen Kategorieskalen, die als verbale oder numerische Skalen ausgelegt sein können. Sehr beliebt ist auch die »visuelle Analogskala« (VAS): Die jeweilige Schmerzintensität wird durch die Länge der auf diesem Balken markierten Strecke ausgedrückt. Somit ist dieses Verfahren prinzipiell auch für intubierte kooperative Patienten geeignet. Die von Payen und Mitarbeitern entwickelte »Behavioural Pain Scale» für beatmete Patienten verwendet insgesamt 3 Kriterien (Adaptation an das Beatmungsgerät, Gesichtsausdruck und Bewegungen der oberen Extremität) mit jeweils 1–4 Punkten, sodass ein Punktwert zwischen 3 und 12 erhoben werden kann. Auch hier empfehlen die aktuellen Leitlinien, in Analogie zu den Sedierungsscores, eine regelmäßige (d. h. alle 8 h) Erhebung und Dokumentation eines Schmerzscores, um eine adäquate Analgesie des Patienten gewährleisten zu können.
Analgetika 4 Opiate/Opioide – Morphin – Sufentanil, Fentanyl – Remifentanil – Piritramid 4 Nichtopioide – Paracetamol – ASS – NSAID (COX-1- und COX-2-Inhibitoren) – Metamizol α2-Agonisten 4 Clonidin Regionalanästhesieverfahren 4 Katheterperiduralanästhesie 4 Leitungsanästhesie der oberen und unteren Extremität
Neuromonitoring Verschiedene Verfahren des Neuromonitorings sind in den vergangenen Jahren entwickelt und bei Intensivpatienten eingesetzt worden, um den zerebralen und neurovegetativen Funktionszustand der Patienten zu objektivieren. Nachteilig sind die erforderlichen methodischen Kenntnisse auf Seiten der Anwender und die hohe Anfälligkeit gegenüber Artefakten, die bei der täglichen Arbeit am Patienten leider unvermeidlich sind. Die Berechnung des BIS (»Bispektralindex») beruht auf einem statistischen Verfahren zur EEG-Bearbeitung, das u. a. Frequenz, »power« und bispektrale Analyse der Biokohärenz umfasst. Der
25.4.1
Benzodiazepine
Die Benzodiazepine sind als sedierende Grundkomponente der Analgosedierung weit verbreitet. In mancher Hinsicht kommen sie den bereits genannten »Idealanforderungen« recht nahe.
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
Pharmakologische Wirkung Die wesentlichen pharmakologischen Wirkungen sind: 4 Anxiolyse und retrograde Amnesie, 4 Sedierung und Hypnose, 4 antikonvulsive Aktivität, 4 zentrale Muskelrelaxierung. Alle Substanzen haben ein ähnliches Wirkprofil und werden aufgrund ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften (Eliminationshalbwertszeiten) folgenden Gruppen zugeteilt: 4 langwirksam: z. B. Diazepam, Lorazepam 4 kurz- bis mittellang wirksam: Midazolam. Beim Intensivpatienten wird nahezu ausschließlich Midazolam verwendet. Benzodiazepine wirken selektiv auf polysynaptische Verbindungen des zentralen Nervensystems, insbesondere im limbischen System und in der Formatio reticularis. Über spezifische Rezeptoren, die in verschiedene Subtypen unterteilt werden, verstärken sie die inhibitorische Wirkung der γ-Aminobuttersäure (GABA). Hierdurch wird die Chloridleitfähigkeit erhöht und so die postsynaptische Membran hyperpolarisiert. Somit benötigen die Benzodiazepine den inhibitorischen Transmitter GABA als »Vehikel«. Hemmende Synapsen werden dadurch maximal aktiviert. Dieser Wirkmechanismus erklärt auch den klinisch wichtigen Ceiling-Effekt, wonach der Sedierungsgrad nicht linear mit der zugeführten Dosis einhergeht und weitere Dosissteigerungen ab einer bestimmten (individuell verschiedenen) Dosis zu keinerlei therapeutischen Effekten mehr führen. Dies sollte bei der Analgosedierung unbedingt berücksichtigt werden. Bei kontinuierlicher Zufuhr kommt es auch bei Midazolam zu einer deutlichen Kumulation mit Verlängerung der »kontextsensitiven Halbwertszeit». Daher sollte Midazolam nur in Bolustechnik verabreicht werden.
Nebenwirkungen Die kardiovaskulären Nebenwirkungen sind beim Herzgesunden gering. Bei Patienten mit vorbestehenden Erkrankungen des HerzKreislauf-Systems oder im Schock (Hypovolämie, Sepsis) kann es jedoch zu deutlichen Blutdruckabfällen kommen (negativ inotrope Wirkung und periphere Vasodilatation!) → Rasche Bolusinjektionen sollten vermieden werden. Nachteile der Benzodiazepine sind die mögliche Toleranzentwicklung und Entzugssyndrome bei abruptem Absetzen. Bei älteren Patienten besteht sowohl eine erhöhte pharmakodynamische Empfindlichkeit als auch eine vermehrte Inzidenz »paradoxer Reaktionen«. Benzodiazepine werden zumindest nach dem 1. Trimenon der Schwangerschaft als weitgehend unbedenklich angesehen, wobei Midazolam wegen seiner geringeren Plazentapassage bevorzugt werden sollte [10].
Substanzen
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z Diazepam Abgesehen von einigen (relativen) Indikationen bei der Therapie des Tetanus wird Diazepam nur noch extrem selten verwendet. Die Substanz ist nicht wasserlöslich. Hauptnachteil ist die nicht kalkulierbare Steuerbarkeit, bedingt durch die Metabolisierung zu Substanzen mit sedierender Wirkung wie Oxazepam oder Desmethyldiazepam.
25 Dosierungsempfehlungen für Diazepam
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4 Bolusgabe: 5–10 mg (seltene Indikationen)
z Lorazepam Lorazepam (Tavor) ist ein Benzodiazepinderivat mit einer starken anxiolytischen Wirkkomponente. Die Substanz steht als Injektionspräparat (Ampulle 2 mg, kühl lagern!) und als Sublingualtablette (Tavor expidet) zur Verfügung. Letzteres ist von Vorteil, um z. B. bei einem Erregungszustand ohne einen vorhandenen intravenösen Zugang eine rasche Anxiolyse erzielen zu können. Hierbei setzt die erwünschte Wirkung innerhalb von 2–4 min ein. Lorazepam hat ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 12–16 h. Lorazepam wird nicht in einer Phase-I-Reaktion metabolisiert, sondern direkt in eine wasserlösliche Konjugationsform umgewandelt. Beim längeren Gebrauch (z. B. im Rahmen einer Langzeitanalgosedierung) empfiehlt sich eine stufenweise Dosireduktion (»Ausschleichen«). Ansonsten besteht die Gefahr eines Entzugssyndroms.
Dosierungsempfehlung für Lorazepam 4 Bolusgabe: 1–2 mg; maximal 2-mal/Tag
z Midazolam Midazolam ist derzeit das kurzwirksamste verfügbare Benzodiazepin; die Eliminationshalbwertszeit beträgt nach einer Bolusgabe 1–3 h beim Gesunden. Die vollständig wasserlösliche Substanz wird durch das Zytochrom P450 3A4 in der Leber zu den Hauptmetaboliten 1-Hydroxy- bzw. 4-Hydroxymidazolam verstoffwechselt, die nur noch über geringe sedierende Eigenschaften verfügen. Somit ist Midazolam auch für längere Sedierungsphasen geeignet. Die wichtigsten Therapieziele bei der Gabe von Midazolam sind Sedierung und retrograde Amnesie. Tiefe narkotische Stadien sind mit der Substanz ebenfalls nicht erreichbar. Midazolam wird im Wesentlichen in der Mittel- und Langzeitsedierung verwendet. ! Cave Zu beachten ist, dass bei verminderter Leberperfusion (z. B. im hypovolämischen Schock oder bei Sepsis) die Metabolisierung von Midazolam erheblich eingeschränkt ist und die Substanz sehr stark kumuliert.
Die Eliminationshalbwertszeit von Midazolam kann in diesen Fällen mehrere Tage betragen und die Aufwachphase deutlich verlängern. Um Entzugssyndrome zu vermeiden, sollte die Dosierung von Midazolam bei Therapieende schrittweise reduziert werden.
Dosierungsempfehlungen für Midazolam in Kombination mit einem Opioid 4 Kontinuierlich ca. 0,05–0,1 mg/kg KG/h (Ausnahme) 4 Bolusgabe 3–5 mg
z Benzodiazepinantagonisten Die rezeptorvermittelte Wirkung der Benzodiazepine kann durch den kompetitiven Antagonisten Flumazenil (Anexate) aufgehoben werden. Flumazenil besitzt eine hohe Affinität zu den Benzodiazepinrezeptoren ohne intrinsische Aktivität. Die Halbwertszeit dieser Substanz liegt bei etwa 50–60 min und ist somit wesentlich kürzer als die der entsprechenden Agonisten! Die Dosis sollte titrierend verabreicht werden, um ein abruptes Erwachen des Patienten zu vermeiden. Es ist zu beachten, dass die Indikation zur Gabe von Flumazenil streng gestellt werden muss und nicht dazu dienen soll, einen unkritischen Einsatz von Benzodiazepinen zu kupieren.
327 25.4 · Pharmaka und Indikationen
Experimentelle und klinische (kasuistische) Daten weisen darauf hin, dass Flumazenil durch intermittierende Gabe die durch Benzodiazepingabe hervorgerufenen Veränderungen der Rezeptorsensitivität rückgängig machen und somit den Ceiling-Effekt abschwächen kann. Allgemein anerkannte Empfehlungen liegen hierzu jedoch noch nicht vor.
Sinnvolle Indikationen für Flumazenil im Rahmen der Intensivtherapie 4 Intoxikation mit Benzodiazepinen 4 Differenzialdiagnose unklarer Komata
Klinische Bewertung der Benzodiazepine Der Einsatz der Benzodiazepine zur Analgosedierung in der Intensivmedizin kann zusammenfassend folgendermaßen bewertet werden: In Kombination mit Opioiden haben die Benzodiazepine (hauptsächlich Midazolam) aufgrund ihrer günstigen Eigenschaften in der Intensivmedizin eine weite Verbreitung gefunden. Wichtige Therapieziele sind die Gewährleistung einer adäquaten Sedierung und einer Amnesie. Tiefe »narkotische Stadien« sind nicht erreichbar; hierfür werden Hypnotika wie Propofol benötigt. Der klinisch wichtige Ceiling-Effekt begrenzt die Anwendbarkeit dieser Substanzen, insbesondere in der Langzeitsedierung. Es sollte frühzeitig damit begonnen werden, durch Kombination mit anderen Substanzen, unter Ausnutzung synergistischer Effekte, eine adäquate »Bewusstseinsmodifikation« zu erreichen und nicht pharmakologisch sinnlose Dosissteigerungen der Benzodiazepine vorzunehmen. Zur Vermeidung von Kumulationsphänomenen wird in den aktuellen Leitlinien eine Bolusgabe empfohlen; eine kontinuierliche Zufuhr sollte nur noch Ausnahmeindikationen vorbehalten bleiben.
25.4.2
Barbiturate
Bis in die jüngste Vergangenheit wurden Barbiturate meist nur bei besonderen Indikationen, z. B. zur Hirndrucksenkung beim schweren Schädel-Hirn-Trauma, eingesetzt. Offenbar begünstigt durch die therapeutischen Probleme bei Langzeitanwendung der Benzodiazepine (Ceiling-Effekt) wurde die Eignung der Barbiturate zur Analgosedierung, insbesondere von Methohexital, erneut untersucht. Eine weite klinische Verbreitung der Substanz wurde aber nicht erreicht.
Pharmakologische Wirkungen Barbiturate entfalten ihre hypnotische und antikonvulsive Wirkung durch eine holenzephale Hemmung aktivierender Neurone. Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen, die den inhibitorischen Transmitter GABA als »Vehikelsubstanz« benötigen, beeinflussen die Barbiturate den Chloridkanal auch unmittelbar. Außerdem bleibt der Chloridkanal länger geöffnet; somit kann der Ioneneinstrom dosisabhängig gesteigert werden. Eine Dosiserhöhung führt daher annähernd linear zu einer Vertiefung der Bewusstlosigkeit, wenn auch auf Kosten einer im Vergleich zu den Benzodiazepinen geringeren therapeutischen Breite. Im mittleren Dosierungsbereich tritt eine cholinerge zentralnervöse Wirkung auf, daher sollen die Barbiturate auch kein zentral-anticholinerges Syndrom auslösen. Weiterhin wirken die Barbiturate antagonistisch am Adenosin-1-Rezeptorkomplex.
Die überwiegend in der klinischen Anästhesiologie gewonnenen Erfahrungen und in der Literatur oft betonten Nachteile der Substanzgruppe (z. B. negativ inotrope Wirkung) relativieren sich bei Anwendung in der Intensivmedizin, insbesondere, weil hier kontinuierlich geringere Dosen pro Zeiteinheit appliziert werden. Im Gegensatz zu den Thiobarbituraten (z. B. Thiopental), bei denen in vitro in klinischen Dosierungen die Granulozytenfunktion gehemmt und eine erhöhte Inzidenz an infektiösen Komplikationen beobachtet wird, sind die Oxybarbiturate diesbezüglich als wenig bedenklich einzustufen. Die inhibitorische Wirkung auf die Granulozytenfunktion ist etwa 100-fach geringer als bei den Thiobarbituraten. Auch ist die Induktion mikrosomaler Leberenzyme (z. B. Zytochrom P450) nur gering ausgeprägt.
Substanzen
z Methohexital Das Oxybarbiturat Methohexital (Brevimytal) liegt zur intravenösen Anwendung als 1%ige Lösung vor. Die klinische Wirkdauer wird primär durch Umverteilungsphänomene zwischen den verschiedenen Körperkompartimenten bestimmt. Die Eliminationshalbwertszeit von Methohexital wird mit 1,0–3,5 h angegeben. Die Steuerbarkeit der Substanz ist auch bei längerfristiger Anwendung gut. Methohexital ist stark alkalisch (pH 11) und sollte daher kontinuierlich über ein eigenes Lumen eines zentralvenösen Katheters appliziert werden, um chemische Inkompatibilitäten mit anderen Substanzen (Inaktivierung von Katecholaminen!) auszuschließen. Der Natriumanteil in der zur Verfügung stehenden Präparation sollte in der Elektrolytbilanz berücksichtigt werden. Bereits in Dosierungen von etwa 1 mg/kg/h kann Methohexital in Kombination mit Opioiden eine effektive Sedierung gewährleisten.
Dosierungsempfehlungen für Methohexital in Kombination mit einem Opioid 4 Kontinuierlich: 1,0–2,5 mg/kg KG/h 4 Bolusgabe: 0,5–1,0 mg/kg KG
25.4.3
Propofol
Propofol (2,6-Diisopropylphenol) wird im Rahmen der Analgosedierung als sedierende oder hypnotische Komponente eingesetzt. Die Kombination von Propofol mit einem Opioid ist neben der Kombination Benzodiazepin/Opioid als Therapieschema zur Analgosedierung weit verbreitet, insbesondere in der Kurzzeitsedierung [5, 20].
Zubereitungsformen und pharmakologische Wirkungen Propofol liegt in einer Öl-in-Wasser-Emulsion vor. Die meisten 1%igen Lösungen enthalten als Lösungsvermittler 10% Sojabohnenöl, 2,5% Glyzerol und 1,2% Eiphosphatide. In der Intensivmedizin wird bevorzugt die 2-%ige Lösung mit einem identischen Anteil an Lösungsvermittlern verwendet. Propofol ist ein hochpotentes Hypnotikum und zeichnet sich durch eine sehr gute Steuerbarkeit aus, die sich auch bei Zufuhr über mehrere Tage kaum ändert. Durch die hohe Lipophilie der Substanz verläuft die Umverteilung bei einem geringen initialen Verteilungsvolumen (ca. 6 l/kg KG) innerhalb von 2–4 min rasch ab. Die Metabolisierung erfolgt bei einer hohen Clearance hauptsächlich hepatisch durch Glukuronidierung, wobei die
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
pharmakologisch inaktiven Metaboliten renal eliminiert werden (Eliminationshalbwertszeit 20–30 min). Diese chromophoren Phenolderivate können bei Langzeitanwendung zur Grünfärbung des Urins führen, ein klinisch bedeutungsloser Effekt. Das Aufwachen erfolgt auch nach längerer Anwendung relativ rasch, was insbesondere für die neurologische Beurteilung der Patienten von wesentlichem Vorteil sein kann.
Nebenwirkungen Propofol hat jedoch nicht unerhebliche kardiovaskuläre Nebenwirkungen, die vermutlich durch einen kalziumabhängigen Mechanismus bedingt sind und bei entsprechenden Vorerkrankungen oder beim Vorliegen einer Schocksymptomatik (Hypovolämie, Sepsis) berücksichtigt werden müssen: 4 Reduktion der Vorlast, 4 Reduktion der Nachlast, 4 negativ inotrope Wirkung. Propofol verfügt über ein ähnliches Wirkprofil wie die Barbiturate; bei entsprechender Applikationstechnik wird ein kritisch erhöhter intrakranieller Druck gesenkt. Nach den Empfehlungen der FDA in den USA ist Propofol auch im 1. Trimenon der Schwangerschaft als relativ sicher einzustufen [10].
Propofol-Infusionssyndrom Das Propofol-Infusionssyndrom wurde erstmals 1992 beschrieben, als bei beatmeten Kindern auf einer pädiatrischen Intensivstation mit Erkrankungen der Atemwege unter der Sedierung mit Propofol Todesfälle auftraten. Mittlerweile wurde dieser Symptomenkomplex auch bei Erwachsenen (Polytrauma, Schädel-Hirn-Trauma) beobachtet. Kennzeichen sind: 4 therapieresistente Bradykardien mit Kreislaufversagen, 4 schwere metabolische Azidose mit Laktatanstieg, 4 Rhabdomyolyse, 4 Nierenversagen. Pathophysiologisch vermutet man eine Hemmung der oxidativen Phosphorylierung im Mitochondrium und eine Hemmung des Transports freier Fettsäuren zu den Enzymen der β-Oxidation durch Propofol mit intrazellulärem Energiedefizit, insbesondere bei zusätzlichem Kohlenhydratmangel. Möglicherweise stellt Propofol eine Triggersubstanz dar, wenn bestimmte Primer vorhanden sind: 4 schwere Grunderkrankungen mit Katecholamintherapie, z. B. Sepsis, 4 Glukokortikoide in hoher Dosierung, 4 Propofol-Dosierungen über 4 mg/kg KG/h. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat in einem Warnhinweis empfohlen, die Dosierung von Propofol bei Patienten über 16 Jahren auf maximal 4 mg/kg KG/h zu beschränken. Die Indikation zur Anwendung von Propofol sollte bei Vorliegen der bereits beschriebenen Risikokonstellation streng gestellt werden.
Klinische Anwendung Aufgrund der pharmakokinetischen Eigenschaften, die offenbar gut mit den klinischen Wirkungen korrelieren, scheint Propofol auch bei mittleren und längeren Behandlungsphasen ein vorteilhaftes Sedativum und Hypnotikum zu sein. Obwohl die Substanz den bereits genannten »Idealanforderungen« recht nahe kommt und die klinische Akzeptanz der Substanz sehr hoch ist, müssen neben der Gefahr des Propofol-Infusionssyndroms weitere Einschränkungen bei der Verwendung berücksichtigt werden:
4 Die Belastung mit Triglyzeriden: Durch die Anwendung einer 2%igen Lösung wurde dieses Problem etwas entschärft, dennoch kann es zu Hyperlipidämien mit Pankreatitiden und Blutgerinnungsstörungen kommen. Pro ml Lösung wird dem Patienten 0,1 g Fett zugeführt. 4 Die Beeinflussung des Immunsystems durch Hemmung der neutrophilen Granulozyten und Lymphozyten. Möglicherweise wird die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine durch Propofol begünstigt. 4 Die durch die Hersteller angegebene Beschränkung der Zulassung auf maximal 7 Tage kontinuierlicher Anwendung mit einer Höchstdosis von 4 mg/kg KG/h.
Dosierungsempfehlungen für Propofol 4 Kontinuierlich 1,0–4,0 mg/kg KG/h (Höchstdosis) 4 Bolus 0,5–1 mg/kg KG
25.4.4
γ-Hydroxybuttersäure (GHB)
γ-Hydroxybuttersäure (GHB) wurde im Jahr 1960 in Frankreich als Hypnotikum in die klinische Anästhesie eingeführt. GHB als liquorgängiges Strukturanalogon des inhibitorischen Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA) wurde in neurophysiologischen Untersuchungen als ein natürlicher Bestandteil des Säugerhirngewebes identifiziert, der vermutlich als eigener Neurotransmitter eine entscheidende Rolle in der Steuerung und Induktion des natürlichen Schlafs spielt. Trotz des für die Patienten angenehmen Einschlafens und einer bemerkenswerten Kreislaufstabilität wurde die Substanz wegen stark variierender Aufwachzeiten weitgehend aus der klinischen Anästhesie verdrängt. In der Intensivmedizin lassen sich viele vorteilhafte Eigenschaften der GHB adäquat nutzen
Chemisch-physikalische Eigenschaften und Zubereitungsform GHB liegt in der derzeit verfügbaren Präparation (Somsanit) als Natriumsalz in schwach alkalischer Lösung (pH 8,0) vor. Eine Ampulle zu 10 ml enthält 2 g GHB; das Präparat ist mit wässrigen Lösungen im Bereich von pH 6 bis pH 10 kompatibel. Die Metabolisierung erfolgt überwiegend im Zitronensäurezyklus und durch die β-Oxidation vornehmlich nach einer Michaelis-Menten-Sättigungskinetik (0. Ordnung) zu Kohlendioxid und Wasser; maximal 1% der Substanz wird bei Langzeitanwendung unverändert renal eliminiert. Eine Kumulation in peripheren Geweben ist nicht bekannt; ebenso finden sich keine Hinweise auf eine klinisch relevante Beeinträchtigung von Organfunktionen wie Leber, Niere, Lunge oder Herz-Kreislauf-System.
Pharmakologische Wirkungen GHB übt ihre hypnotische Wirkung offenbar über spezifische GHB-Rezeptoren im ZNS aus, wobei diese Rezeptoren eine deutliche Anreicherung im Hippokampus und Striatum aufweisen. Der elektrophysiologische Mechanismus ähnelt offenbar dem der Benzodiazepine, d. h. durch Erhöhung der Chloridleitfähigkeit wird die Membran hyperpolarisiert. Außerdem beeinflusst GHB die Freisetzung anderer Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin und Acetylcholin. GHB verfügt über keine analgetische, muskelrelaxierende oder vegetativ hemmende Wirkungen. Im Gegensatz zu anderen Hypnotika tritt die Wirkung sehr verzögert ein, mitunter erst einige Minuten nach Injektionsende.
329 25.4 · Pharmaka und Indikationen
GHB entfaltet durch rasch reversible Reduktion des oxidativen Stoffwechsels (Abnahme des O2-Bedarfs und -Verbrauchs, Verminderung der zerebralen Glukoseutilisation) »gewebeprotektive Effekte« (z. B. im zerebralen und gastrointestinalen Stromgebiet). Dies ist möglicherweise bei Schockzuständen und beim Ischämie-/Reperfusionssyndrom von klinischer Bedeutung. GHB zeichnet sich durch eine große Kreislaufstabilität aus: Die ventrikuläre Vor-und Nachlast bleibt ebenso konstant wie das Herzzeitvolumen. Ein positiv-inotroper Mechanismus wird vermutet. Auch wird die Ansprechbarkeit des Atemzentrums auf CO2 nicht beeinflusst – ein Vorteil bei noch intubierten, jedoch weitgehend spontan atmenden Patienten. GHB reguliert als körpereigener Neurotransmitter offenbar den natürlichen Schlaf (insbesondere die Schlafstadien 3 und 4 des NREM-Schlafes) und die Abfolge der verschiedenen Schlafstadien. Daher bietet sich der Einsatz der Substanz in der Aktivierungs- und Koordinationsphase der Intensivbehandlung an. Außerdem wurde über gute Erfolge bei der Prophylaxe und Therapie des Alkoholentzugsyndroms berichtet.
Klinische Anwendung Für GHB bestehen im Rahmen der Analgosedierung folgende Indikationen: 4 bei kreislaufinstabilen Patienten (Hypovolämie, SIRS) in Kombination mit Ketamin, da die Substanz keine kardiodepressiven Eigenschaften aufweist, 4 zur Regulierung des natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus; hierdurch kann möglicherweise die Inzidenz deliranter Syndrome reduziert werden, 4 möglicherweise auch mit Vorteil zur Prophylaxe und Therapie von Ischämie-/Reperfusionssyndromen.
Dosisempfehlungen für GHB (in Kombination mit einem Opioid) 4 Initial 30–40 mg/kg KG über 15–20 min 4 Kontinuierlich: ca. 10 mg/kg KG/h 4 Schlafregulation: ca. 5–10 mg/KG/h (ohne vorherige Bolusgabe)
25.4.5
Ketamin
Das Phenzyklidinderivat Ketamin unterscheidet sich von den übrigen klinisch gebräuchlichen Sedativa und Hypnotika durch die Erzeugung eines kataleptischen Zustands, der oft als »dissoziative Anästhesie« bezeichnet wird. Außerdem verfügt Ketamin über ausgeprägte analgetische Eigenschaften bereits in subdissoziativen Dosen. Ketamin stand bislang als razemisches Gemisch der beiden Enantiomere (S)- und (R)-Ketamin (Ketanest) zur Verfügung. Seit einiger Zeit ist auch das isolierte Enantiomer (S)-Ketamin als Präparat erhältlich. (S)-Ketamin (Ketanest S) verfügt über eine etwa doppelt so starke anästhetische und analgetische Wirkung wie das bislang gebräuchliche Razemat.
Pharmakologische Wirkungen Das pharmakologische Profil von Ketaminrazemat und (S)-Ketamin ist durch folgende wesentliche Effekte charakterisiert: 4 dissoziative Anästhesie bei geringer hypnotischer Potenz durch nichtkompetitive Hemmung am NMDA-Rezeptorkomplex, 4 ausgeprägte Analgesie, u. a. durch Agonismus am κ-Rezeptor,
4 sympathomimetische Wirkung (Hemmung der peripheren Wiederaufnahme von Katecholaminen), 4 ausgeprägte Bronchospasmolyse, 4 Hypersalivation, 4 geringe Beeinträchtigung der Spontanatmung (durch geringere Affinität zum μ-Rezeptor), 4 geringe Beeinträchtigung der Darmmotilität. Grundsätzlich haben Razemat und (S)-Enantiomer die gleichen pharmakologischen Eigenschaften; es bestehen jedoch quantitative Unterschiede. So wird das Aufwachverhalten nach Anwendung von (S)-Ketamin im Vergleich zum Razemat als angenehmer beschrieben; auch sollen die oft negativen Traumerlebnisse weniger ausgeprägt sein. Inwieweit dies auch für die Intensivmedizin bedeutsam ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Der klinische Wirkeintritt erfolgt nach etwa 1 min; die anästhetische Wirkung ist durch Umverteilungsphänomene nach etwa 10 min beendet. Die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich hepatisch (Zytochrom P450); die Hauptmetabolite Norketamin und Dehydronorketamin werden bei einer Eliminationshalbwertszeit von etwa 2 h renal eliminiert. Als absolute Kontraindikationen von Ketamin werden die schlecht eingestellte oder unbehandelte arterielle Hypertonie, Präeklampsie sowie die manifeste Hyperthyreose angegeben. Relative Kontraindikationen sind die instabile Angina pectoris sowie ein gesteigerter intrakranieller Druck ohne adäquate Beatmung.
Klinische Anwendung Aufgrund des pharmakologischen Profils scheinen Ketaminrazemat und (S)-Ketamin beim Intensivpatienten für folgende Indikationen geeignet zu sein: 4 hämodynamisch instabile Patienten (z. B. bei Hypovolämie/ Sepsis), wobei hier ein deutlicher »katecholaminsparender Effekt« beobachtet werden kann. Hier bietet sich die Kombination mit Midazolam, GHB oder auch Propofol (in niedriger Dosierung!) an, 4 Patienten mit schwerer obstruktiver Ventilationsstörung (Extremfall: Status asthmaticus) zur Analgosedierung und gleichzeitig zur gezielten antiobstruktiven Therapie auch in der Entwöhnungsphase, 4 Patienten mit Darmmotilitätsstörungen, möglicherweise als Folge einer längeren Therapie mit Opioiden, 4 Patienten mit schweren Verbrennungen.
Dosierungsrichtlinien für Ketamin 4 Ketaminrazemat: 0,5–2,0 mg/kg KG/h, z. B. in Kombination mit Midazolam (0,03–0,1 mg/kg KG/h), Propofol (1,0–2,0 mg/kg KG/h) oder GHB (10–15 mg/kg KG/h) 4 (S)-Ketamin: 0,3–1,0 mg/kg KG/h in Kombination mit den bereits genannten Sedativa/Hypnotika
25.4.6
Neuroleptika
Neuroleptika bewirken einen psychomotorischen »Umstimmungsprozess«, der durch Dämpfung der emotionalen Erregbarkeit, Indifferenz gegenüber äußeren Reizen sowie Antriebsminderung bei erhaltener Kooperation gekennzeichnet ist und als »Neurolepsie« bezeichnet wird. Für die Analgosedierung wichtige Substanzen sind die Butyrophenone Dehydrobenzperidol (DHBP) und Haloperidol. Die Kombination eines Neuroleptikums mit einem Opioid entspricht der klassischen »Neuroleptanalgesie«. Ein weiteres Indikati-
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
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onsgebiet der Neuroleptika ist die Therapie agitierter und deliranter Syndrome, z. B. des Alkoholentzugsyndroms.
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Klinisches Wirkprofil
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Der Zustand der Neurolepsie wird wahrscheinlich durch eine Interaktion mit verschiedenen Neurotransmittersystemen (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Azetylcholin) hervorgerufen. Eine dominierende Rolle wird hierbei der dopaminergen Übertragung von postsynaptischen Rezeptoren im Bereich des nigrostriatalen, mesolimbischen und tubuloinfundibulären Systems zugeschrieben. Dehydrobenzperidol (DHBP) hat eine hohe therapeutische Breite. Aufgrund der Hemmung der chemorezeptiven Triggerzone in der Area postrema ist DHBP wie auch Haloperidol ein hochpotentes Antiemetikum. Die Substanz verfügt über antagonistische Eigenschaften an α-Rezeptoren, sodass eine Vasodilatation und Blutdruckabfälle als Nebenwirkungen (insbesondere bei relativer Hypovolämie) zu berücksichtigen sind. Außerdem werden DHBP antiarrhythmische Eigenschaften (Verlängerung der QT-Zeit) zugeschrieben. Haloperidol zeichnet sich durch eine hohe antipsychotische Potenz aus und wird hauptsächlich bei produktiver Symptomatik (Wahnideen, illusionäre Verkennungen) verwendet.
Nebenwirkungen Wesentliche Nebenwirkungen einer Neuroleptikatherapie sind in der 7 Übersicht zusammengefasst:
Wesentliche Nebenwirkungen bei Anwendung von Neuroleptika 4 Blutdruckabfälle aufgrund peripherer Vasodilatation 4 »Parkinsonoid« aufgrund der starken antidopaminergen Aktivität. In diesem Falle wäre die Anwendung von Biperiden (Akineton) angezeigt – die sog. atypischen Neuroleptika wie Olanzapin (Zyprexa) weisen diesbezüglich weniger Nebenwirkungen auf, sind aber als intravenöse Applikationsform nicht verfügbar 4 Auftreten eines »Locked-in-Syndroms«, bei dem sich die (wachen!) Patienten nur noch durch vertikale Augenbewegungen bemerkbar machen können 4 Arrhythmien mit Verlängerung der QT-Zeit bis zum Extremfall einer Torsade-de-pointes-Tachykardie 4 Erniedrigung der Krampfschwelle
Klinische Anwendung Aufgrund des beschriebenen Wirkprofils ergeben sich für Neuroleptika folgende wesentliche Indikationsbereiche: 4 Therapie agitierter und deliranter Syndrome (bevorzugt mit produktiver Symptomatik), 4 antiemetische Therapie.
Dosierungsempfehlungen für Neuroleptika 4 DHBP: Bolusgabe: 1,25 –2,5 mg 4 Haloperidol: Bolusgabe 10–20 mg
25.4.7
Inhalationsanästhetika
Von den zur Verfügung stehenden Inhalationsanästhetika wurden in den vergangenen Jahren bevorzugt Isofluran und Sevofluran zur Sedierung von Intensivpatienten eingesetzt. Aufgrund der günstigen physikochemischen Eigenschaften (niedriger Blut-GasVerteilungskoeffizient) und der geringen hepatischen Metabolisierungsrate erscheinen Isofluran und Sevofluran als akzeptable therapeutische Alternative zu den bereits vorgestellten Sedativa und Hypnotika. Die Substanzzufuhr erforderte bisher eine recht aufwändige Applikationstechnik mit Kreissystem und Narkosegasabsaugung. Durch die Entwicklung des AnaConDa-Systems (»anaesthetic conserving device«) können Isofluran und Sevofluran bei Intensivpatienten relativ kostengünstig zur inhalativen Sedierung angewendet werden [17]. Allerdings ist weiterhin ein funktionierendes Absaugsystem für die Inhalationsanästhetika erforderlich. Das Verfahren ist jedoch noch nicht weit verbreitet. Die bisherigen Studienergebnisse lassen jedoch Vorteile für die Anwendung von Inhalationsanästhetika, z. B. im Sinne einer besseren Steuerbarkeit und von rascherem Erwachen erkennen [17]. Die aktuellen Leitlinien sehen den Einsatz von Inhalationsanästhetika als »offene Empfehlung« im Vergleich zur Anwendung intravenöser Substanzen. Inhalationsanästhetika können angewendet werden, wenn kurze Aufwachzeiten und eine rasche Erholung kognitiver Funktionen angestrebt werden. Die bisherigen klinischen Erfahrungen zeigen, dass Isofluran in endtidalen Konzentrationen von 0,3–0,6 Vol.-% eine verlässliche Steuerung des gewünschten Sedierungsniveaus bei raschem Erwachen gewährleisten kann. Da Isofluran über bronchospasmolytische Eigenschaften verfügt, kann die Substanz bei der Beatmung und Entwöhnung von Patienten mit schwerer bronchialer Obstruktion bzw. beim Status asthmaticus eingesetzt werden. Die oft in der Literatur diskutierte potenzielle Nephrotoxizität von Fluorid (als Metabolit von Isofluran) ist nach neuesten Erkenntnissen offenbar nicht relevant.
Dosierungsempfehlungen für Inhalationsanästhetika (AnaConDa-System) 4 Isofluran: 0,3–0,7 Vol.-% endtidal 4 Sevofluran: 0,8–1,5 Vol.-% endtidal
25.4.8
Opioide
Eine ausreichende Analgesie ist als primäre Grundlage unerlässlich, um die bereits erwähnten therapeutischen Ziele im Rahmen der Intensivbehandlung zu erreichen. Die zur Verfügung stehenden Analgetika werden üblicherweise aufgrund ihres pharmakologischen Profils in Opioide und Nichtopioide unterteilt. Aufgrund ihrer Wirkpotenz sind die Opioide fester Bestandteil der verschiedenen Therapieschemata. Mitunter können Nichtopioide vorteilhaft mit Opioiden kombiniert werden.
Pharmakologische Wirkungen
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Morphin als Bezugsubstanz und seine synthetischen Derivate (u. a. Alfentanil, Fentanyl, Sufentanil, Remifentanil) binden mit unterschiedlicher Affinität und variabler intrinsischer Aktivität an Opiatrezeptoren, die in verschiedenen Arealen des ZNS (limbisches System, Hypothalamus, Mittelhirn, Substantia gelatinosa dorsalis des Rückenmarks) lokalisiert sind. Die Rezeptoren sind teilweise in Subtypen unterteilt, die für die verschiedenen klinischen Wirkun-
331 25.4 · Pharmaka und Indikationen
gen dieser Substanzklasse verantwortlich sind: so wird die analgetische Wirkung hauptsächlich über μ1- und κ-Rezeptoren vermittelt. Die einzelnen Opioide unterscheiden sich hinsichtlich ihrer pharmakologischen Eigenschaften wie Wirkpotenz, Fettlöslichkeit, Proteinbindung sowie pharmakokinetischen Daten. Eine insbesondere unter intensivmedizinischen Gesichtspunkten wichtige pharmakokinetische Größe ist die sog. »kontextsensitive Halbwertszeit«: Diese ist definiert als die Zeit, die notwendig ist, um einen 50%igen Abfall der Substanzkonzentration nach Beendigung einer kontinuierlichen Zufuhr zu erreichen. Der Begriff »Kontext« bezieht sich auf die Infusionsdauer. Hierbei bestehen zwischen den einzelnen Opioiden deutliche Unterschiede. Entsprechend ihrer Wirkung an den Rezeptoren werden die Opioide gewöhnlich in reine Agonisten, partielle Agonisten und Antagonisten eingeteilt, wobei in der Intensivmedizin die reinen Agonisten bevorzugt werden. Neben den analgetischen Wirkungen rufen die Opioide auch entsprechend den Rezeptorinteraktionen weitere Effekte hervor, die teilweise erwünscht sind und auch therapeutisch genutzt werden können: 4 Sedierung, 4 Euphorie, Stimmungsaufhellung, 4 antitussive Wirkung, 4 verbesserte Beatmungstoleranz durch Senkung der Atemfrequenz.
Nebenwirkungen Dennoch verfügen die Opioide über nicht unerhebliche Nebenwirkungen, die mitunter zu therapeutischen Problemen führen können: 4 emetische Wirkung (durch Stimulation der Area postrema), 4 Spasmen der Hohlorgane, der ableitenden Gallenwege und der Ureteren, 4 Obstipation, 4 Vasodilatation, 4 Histaminfreisetzung (Morphin). Die Wirkungen auf das kardiovaskuläre System (Blutdruck, Inotropie, myokardialer Sauerstoffverbrauch) sind bei Patienten ohne Vorerkrankungen gewöhnlich gering. Bei Patienten mit manifesten Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sollten jedoch Bolusinjektionen weitgehend vermieden werden. Bisher liegen keine Hinweise auf eine teratogene Potenz der Opioide vor, sodass die Anwendung bei Schwangeren als relativ unbedenklich eingestuft werden kann.
Substanzen
z Morphin Morphin als Referenzsubstanz der Opioide wird in Deutschland relativ selten eingesetzt, findet jedoch insbesondere im angloamerikanischen Raum breite Anwendung. Nebenwirkungen sind eine Histaminfreisetzung mit Vasodilatation, die jedoch bei Patienten mit Myokardinfarkt (Vorlastsenkung!) durchaus vorteilhaft sein kann. Die Steuerbarkeit der Substanz und die Wirkstärke sind schlechter als die der synthetischen Opioide. Vorteilhaft bei Morphin ist die peridurale Applikation, weil auf diese Weise, bei gleicher Wirkung, eine beträchtliche Dosisreduktion (etwa auf 1/10) gegenüber der intravenösen Anwendung möglich ist. Morphin wird in der Leber durch Konjugation mit Glukuronsäure verstoffwechselt, wobei eine Kumulation des stark analgetisch wirksamen Metaboliten Morphin-6-Glucuronid bei Niereninsuffizienz möglich ist.
Dosierungsempfehlungen für Morphin 4 2–4 mg/h i.v. in Kombination mit einem Sedativum oder Hypnotikum, entsprechend etwa 50–100 mg/Tag 4 Epidurale Anwendung: ca. 6–8 mg/Tag, in Kombination mit Lokalanästhetika
z Fentanyl Fentanyl ist etwa 100- bis 150-mal stärker analgetisch wirksam als Morphin und besitzt damit eine hohe analgetische Potenz. Das Wirkmaximum wird etwa 4–5 min nach intravenöser Gabe erreicht. Fentanyl weist die längste »kontextsensitive Halbwertszeit« aller Opioide auf und kumuliert stark im Fettgewebe; somit ist die Steuerbarkeit der Substanz schon nach kurzer kontinuierlicher Zufuhr relativ schlecht. Zudem kann es nach Ende der Zufuhr durch Rückverteilung von peripheren in zentrale Kompartimente zu »Rebound-Effekten« mit der Gefahr der Atemdepression kommen. Daher wird Fentanyl aufgrund der langen kontextsensitiven Halbwertszeit zur kontinuierlichen Gabe bei Intensivpatienten nach den aktuellen Leitlinien nicht mehr empfohlen.
Dosierung von Fentanyl 4 Bolusinjektion: 0,1–0,2 mg
z Sufentanil Sufentanil ist das stärkste Opioid mit einer um den Faktor 1000 höheren Wirkpotenz als die Referenzsubstanz Morphin. Die Steuerbarkeit ist vergleichbar mit der von Alfentanil. Sufentanil besitzt »hypnoanalgetische Eigenschaften«, was zu einem verminderten Bedarf an zusätzlichen Sedativa oder Hypnotika führen soll. Dieser pharmakologische Vorteil wird allerdings bezüglich seiner klinischen Relevanz kontrovers beurteilt. Die »kontextsensitive Halbwertszeit« von Sufentanil ist kürzer als die von Fentanyl. Die Substanz ist für die peridurale Anwendung zugelassen. Sufentanil besitzt seinen Stellenwert in der Mittel- und Langzeitsedierung.
Dosierungsempfehlungen für Sufentanil 4 Kontinuierlich: initial ca. 0,3–0,8 μg/kg KG/h 4 Bolusgabe: 10–20 μg
z Remifentanil Remifentanil (Ultiva) ist ein hochpotenter und subselektiver μ-Rezeptor-Agonist, dessen pharmakologisches und pharmakokinetisches Profil auch bei Intensivpatienten einen Fortschritt darstellt. Remifentanil ist in Deutschland seit 2002 für die Dauer von maximal 3 Tagen zur Analgesie bei Intensivpatienten zugelassen. Die Substanz hat eine im Vergleich zu Fentanyl, Alfentanil und Sufentanil geringe Fettlöslichkeit, eine geringere Proteinbindung (ca. 70%) und eine hohe Clearance, die bei längerer Infusionsdauer klinische Relevanz besitzt. Remifentanil zeichnet sich – im Gegensatz zu den bereits erwähnten Opioiden – durch eine von der Infusionsdauer unabhängige, konstant niedrige kontextsensitive Halbwertszeit aus, die ein Wirkungsende (und damit auch das Ende der analgetischen Wirkung) innerhalb weniger Minuten nach Beendigung der Zufuhr erlaubt. Die Metabolisierung erfolgt ausschließlich über unspezifische Plasma- und Gewebsesterasen und ist somit unabhängig von der
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
Leber- und Nierenfunktion. Eine Kumulation von Metaboliten (Remifentanilsäure) ist klinisch nicht relevant. Wesentliche kardiovaskuläre Nebenwirkungen von Remifentanil sind eine Bradykardie und ein Blutdruckabfall, die z. B. bei vorbestehender Hypovolämie therapiert werden müssen. Remifentanil stellt – trotz der relativ hohen Kosten – bei Patienten mit eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion eine therapeutische Alternative zu Sufentanil oder Fentanyl dar. Die Aufwachzeiten nach Remifentanil-gesteuerter Analgesie bleiben innerhalb eines schmalen Zeitfensters von 10–20 min berechenbar und erlauben eine deutlich verbesserte neurologische Beurteilbarkeit der Patienten [20, 24]. Remifentanil bietet sich besonders für die Kurzzeitanalgosedierung an (als Fortführung des Anästhesieverfahrens) und ist Bestandteil von »Fast-track-Konzepten« zur raschen Rehabilitation auch nach komplizierten Eingriffen. > Eine adäquate analgetische Therapie mit Regionalanästhesieverfahren oder Pritramid muss bei Beendigung der Zufuhr von Remifentanil in jedem Fall gewährleistet sein. Dosierungsempfehlungen für Remifentanil
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4 Kontinuierlich: ca. 0,1–0,2 μg/kg KG/min
z Piritramid Piritramid (Dipidolor) ist analgetisch schwächer wirksam als Morphin und hat eine klinische Wirkdauer von 6–8 h. Die Atemdepression soll durch die geringere Affinität zu den μ2-Rezeptoren deutlich schwächer sein als bei den übrigen Opioiden. Hauptindikationsgebiet für die Substanz ist die postoperative Schmerztherapie, auch in Form der »patient controlled analgesia« (PCA). Hier hat sich die Substanz seit vielen Jahren bewährt. Diese Form der Analgesie sollte bei wachen, kooperativen Patienten bevorzugt angewendet werden.Weiterhin kann Piritramid in der Entwöhnungs- und Aktivierungsphase anstelle von hochpotenten Opioiden bei allgemein reduziertem Analgetikabedarf appliziert werden. Auch kann man die euphorisierende Wirkkomponente der Substanz nutzen.
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auf die COX ebenfalls gute analgetische Eigenschaften entfalten. Darüber hinaus können Nichtopioide folgende Eigenschaften besitzen: 4 antiphlogistische Wirkung, 4 antipyretische Wirkung, 4 spasmolytische Wirkung.
Substanzgruppen Pharmakologisch werden im Wesentlichen 3 verschiedene Substanzgruppen unterschieden: 4 Anilinderivate (Paracetamol), Pyrazolonderivate (Metamizol), 4 Derivate schwacher Karbonsäuren (Acetylsalicylsäure) und nichtsteroidale Substanzen (NSAID) wie Piroxicam, Diclofenac, Indometacin oder Ibuprofen.
Klinische Anwendung Aufgrund der im Vergleich zu den Opioiden geringeren analgetischen Potenz, aber auch ihrer Nebenwirkungen, sind die Nichtopioide für die Langzeitanalgosedierung nicht geeignet. Insbesondere in der Entwöhnungs- und Restitutionsphase können sich aber folgende vorteilhafte Indikationen, auch bei Kombination z. B. mit Piritramid, ergeben: 4 als Antipyretikum (Paracetamol, Metamizol), 4 als Antiphlogistikum bei Weichteilschwellungen; auch Periostschmerzen sprechen oft gut auf NSAID an, 4 als Spasmolytikum (Metamizol, evtl. in Kombination mit Butylscopolamin). ! Cave Einige COX-2-Hemmer (»Coxibe«) wurden in den vergangenen Jahren u. a. aufgrund gravierender kardiovaskulärer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Die Anwendung dieser Substanzgruppe sollte nur unter strenger Beachtung der Kontraindikationen erfolgen. Zurzeit ist lediglich Parecoxib (Dynastat) als COX-2-Hemmer für die i.v.-Anwendung klinisch verfügbar (40 mg, Kurzinfusion).
25.4.10
Regionalanästhesieverfahren
Dosierungsrichtlinien für Piritramid
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4 Bolusgabe: 0,05 mg/kg KG (ca. 3 mg) 4 PCA-Modus: Bolus 3 mg, Sperrzeit 10 min, maximal 6 Boli/h
25.4.9
Nichtopioide
Die heterogene Substanzgruppe der Nichtopioide kann insbesondere in der Entwöhnungs- und Aktivierungsphase supplementierend und alternativ zu den Opioiden angewendet werden. Durch synergistische Effekte sind hier mitunter beträchtliche Dosisreduktionen der Einzelsubstanzen möglich.
Pharmakologisches Wirkungsspektrum
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Durch Hemmung der Zyklooxygenasen 1 und 2 (COX-1 und COX2) im Arachidonsäuremetabolismus wird die Synthese analgetischer Mediatoren (Prostaglandine, Kinine, Histamin) bzw. deren Potenz zur Erregung peripherer Nervenendigungen vermindert. Inzwischen liegen auch gesicherte Hinweise vor, dass Nichtopioide ebenfalls über »zentrale« analgetische Wirkungen verfügen. Dies erklärt, warum Anilinderivate (z. B. Paracetamol) bei schwacher Wirkung
Kontinuierliche Regionalanästhesieverfahren können bei vielen Intensivpatienten als analgetische Komponente eingesetzt werden, wodurch erhebliche Dosisreduktionen von intravenös applizierten Analgetika und mitunter eine schnellere Entwöhnung von der Beatmung möglich sind, so z. B. bei Patienten mit Zweihöhleneingriffen, Rippenserienfrakturen oder intrathorakalen Eingriffen. Möglicherweise lässt sich hierdurch die Inzidenz von Pneumonien senken. Außerdem lassen sich einige Effekte der Regionalanästhesieverfahren (insbesondere der thorakalen Periduralanästhesie) wie die Sympathikolyse vorteilhaft nutzen, so z. B. bei Obstipation oder Durchblutungsstörungen der unteren oder auch der oberen Extremität bzw. bei einer vorbestehenden koronaren Herzerkrankung. Ein für den geplanten operativen Eingriff gelegter Periduralkatheter sollte – nach den aktuellen Leitlinien ‒ postoperativ auf der Intensivstation zur Analgesie genutzt werden [29].
Verfahren Folgende Verfahren der Regionalanästhesie werden in der Intensivmedizin angewandt: 4 rückenmarknahe Leitungsanästhesien, bevorzugt als thorakale Katheterperiduralanästhesie,
333 25.4 · Pharmaka und Indikationen
4 Leitungsanästhesien der oberen oder auch der unteren Extremität (kontinuierliche Blockade des Plexus brachialis, N.femoralis-Katheter).
Klinische Anwendung Für die klinische Anwendung gilt: 4 Die Anlage eines Periduralkatheters sollte möglichst vor Einleitung der Narkose bzw. am wachen und kooperativen Patienten erfolgen! 4 Eine Anlage durch einen erfahrenen Facharzt beim analgosedierten Patienten auf der Intensivstation sollte nur unter strengster Abwägung von Nutzen und Risiken erfolgen! 4 Bei Punktionsproblemen ist das Verfahren sofort abzubrechen. 4 Hämostasestörungen des Patienten und die Gabe gerinnungshemmender Substanzen (z. B. Heparine) sind sorgfältig zu beachten. Hier gelten die aktuellen Leitlinien der DGAI. 4 Bei der Anlage sind die Hygienerichtlinien der Fachgesellschaften einzuhalten.
Folgende Substanzgruppen werden bei den rückenmarknahen Leitungsanästhesien eingesetzt: 4 langwirkende Lokalanästhetika vom Amidtyp (Bupivacain, Ropivacain), 4 Opiate bzw. Opioide (Morphin und Sufentanil), 4 α2-Agonisten (Clonidin, nicht zugelassen). Die Lokalanästhetika hemmen reversibel die Fortleitung des Aktionspotenzials der Nervenfasern. Opioide binden sich an die μ1Rezeptoren in der Substantia gelatinosa dorsalis des Rückenmarks und hemmen die Erregungsleitung in den aufsteigenden Schmerzbahnen im Vorderseitenstrang. α2-Agonisten wie Clonidin verstärken deszendierende Hemmsysteme (u. a. durch Freisetzung der Substanz P) und modulieren somit die Erregungsweiterleitung. Bei der periduralen Anwendung von Opioiden ist zu beachten, dass hydrophile Substanzen wie Morphin einen verzögerten Wirkungseintritt aufweisen. Allerdings sind bei periduraler Anwendung von Morphin erhebliche Dosisreduktionen auf etwa 10% im Vergleich zur intravenösen Gabe möglich, um äquianalgetische Effekte zu erreichen. Lipophile Substanzen wie Sufentanil werden relativ rasch systemisch resorbiert und verfügen somit über einen wesentlich schnelleren Wirkungseintritt, allerdings auch eine kürzere Wirkdauer. Bei der Katheterperiduralanästhesie werden Lokalanästhetika und Opioide oft kombiniert zugeführt. Die alleinige peridurale Gabe von Opioiden ohne Lokalanästhetika wird nach den Leitlinien nicht empfohlen. Die Effektivität der Applikation von α2-Agonisten wird kontrovers beurteilt; sie stellt kein Routineverfahren dar. Die kontinuierliche Gabe von Lokalanästhetika wie Bupivacain 0,25% oder Ropivacain 0,2% führt im Regelfall, bei weitgehend ausgeglichenem Volumenstatus, zu keiner relevanten Kreislaufdepression. Die Sympathikolyse ist in vielen Fällen (z. B. bei Obstipation, paralytischem Ileus oder nach gefäßrekonstruktiven Eingriffen) sogar erwünscht und kann therapeutisch genutzt werden. Zu beachten ist, dass die »kardioprotektiven« Effekte (z. B. Reduktion des myokardialen Sauerstoffverbrauchs) der Periduralanästheie nur für den thorakalen Zugang gelten. Folgende Krankheitsbilder bieten sich für eine kontinuierliche Periduralanalgesie an:
4 thorakaler Zugang: Thoraxtrauma (z. B. Rippenserienfrakturen), Thorakotomie, Zweihöhleneingriff (z. B. Ösophagusresektion), Oberbaucheingriff (Gastrektomien, Whipple-Operation); 4 lumbaler Zugang: Unterbaucheingriff (z. B. Rektumresektionen), gefäßrekonstruktiver Eingriff wie infrarenaler Aortenersatz, Osteosynthese im Bereich des Beckens oder der unteren Extremität.
Dosierungsempfehlungen für die Katheterperiduralanästhesie bei Intensivpatienten 4 Thorakaler Zugang: Bupivacain 0,125–0,25%% oder Ropivacain 0,2% ca. 4–6 ml/h kontinuierlich bzw. 3–4 ml als Bolusgabe, Morphin ca. 5–8 mg/Tag, Sufentanil ca. 50 μg/Tag 4 Lumbaler Zugang: Bupivacain 0,125–0,25% oder Ropivacain 0,2% ca. 5–10 ml/h kontinuierlich bzw. 4–8 ml als Bolusgabe, Morphin ca. 5–8 mg/Tag, Sufentanil ca. 50 μg/Tag
Bei der kontinuierlichen Plexus- bzw. Nervenanalgesie (axilläre Plexusanästhesie, N.-femoralis- und N.-ischiadicus-Blockaden, z. B. bei Replantationen oder Osteoysnthesen im Bereich der oberen und unteren Extremität) können folgende Dosisrichtlinien angegeben werden:
Dosierungsempfehlungen für die Katheterplexusanästhesie bei Intensivpatienten 4 Kontinuierlich: Bupivacain 0,25% oder Ropivacain 0,2%: 6–8 ml/h 4 Bolusgabe: Bupivacain 0,25% oder Ropivacain 0,2%: 15–20 ml
25.4.11
α2-Agonisten
z Clonidin Die Substanzgruppe der α2-Agonisten weist ein pharmakologisches Wirkprofil auf, das sich im Rahmen der Analgosedierung von Intensivpatienten vorteilhaft nutzen lässt [2].
Klinische Wirkungen der α2-Agonisten
Clonidin als Hauptvertreter dieser Substanzgruppe (als einzige Substanz in Deutschland verfügbar) ist ein Imidazolderivat, das als freie Base und auch protoniert vorliegen kann. Die Substanz ist ein lipophiler α-Rezeptoragonist mit überwiegender Affinität zu den α2-Rezeptoren (Affinitätsverhältnis α2 : α1 =200:1) und penetriert leicht die Blut-Hirn-Schranke. Die α2-Rezeptoren finden sich überwiegend präsynaptisch an den Endigungen der Noradrenalin freisetzenden postganglionären sympathischen Neurone; weiterhin auch im Hinterhorn des Rückenmarks und an extraneuronalen Zellen. Daher vermindern α2-Agonisten den Sympathikuseinfluss auf die Erfolgsorgane. Die Substanzgruppe verfügt jedoch über ein breites Wirkspektrum, das über die ursprüngliche Indikation als Antihypertensivum hinausgeht. Für die Anwendung der Substanz in der Intensivmedizin sind folgende Wirkungen von besonderer Bedeutung: 4 Sedierung und Anxiolyse, 4 Analgesie mit Verminderung des Opioidbedarfs,
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
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4 vegetative Entlastung bei Entzugssyndromen (z. B. beim Alkoholentzugssyndrom), 4 Unterdrückung von Kältezittern, 4 diuretische Wirkung durch Verminderung der ADH-Sekretion bzw. durch Blockade der renal-tubulären Wirkung von ADH.
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Nebenwirkungen
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Mögliche Gefahren und Nebenwirkungen Wesentliche Nebenwirkungen von Clonidin sind: 4 Hypotension (insbesondere bei Patienten mit Hypertonie), 4 Bradykardie mit Blutdruckabfall (insbesondere bei Patienten mit Volumendefizit), 4 Verlängerung der QT-Zeit im EKG mit dem Extremfall einer »Torsade-de-pointes«-Tachykardie (ähnlich wie bei Neuroleptika), 4 Mundtrockenheit und Obstipation.
Klinische Anwendung Clonidin wird meist als adjuvantes Pharmakon bei folgenden Indikationen eingesetzt: 4 Therapie von Entzugssyndromen (Alkohol, Opioide), wenn die vegetative Entgleisung (»Noradrenalinsturm«) im Vordergrund des klinischen Bildes steht. Hierdurch senkt Clonidin den O2-Verbrauch und wirkt somit »organprotektiv«. Häufig verwendete Kosubstanzen sind Benzodiazepine, GHB oder Neuroleptika (Cave: Clonidin hat keine antipsychotische Wirkung!). 4 Supplementierung einer therapeutisch unbefriedigenden Sedierung mit Benzodiazepinen, wodurch sich der Ceiling-Effekt abschwächen lässt, 4 Verlängerung der Analgesie durch peridurale Applikation (nicht zugelassen, daher handelt es sich um einen »off-label use«) in Kombination mit Opioiden oder Lokalanästhetika. Die Dosierungsrichtlinien variieren sehr stark. Kasuistisch sind intravenöse Dosierungen bis zu 5 mg/Tag beschrieben worden. Als klinisch praktikabel hat sich folgendes Schema bewährt:
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Dosierungsempfehlungen für Clonidin 4 Kontinuierliche i. v.-Zufuhr von 0,5–1 (–2) mg/kg KG/h 4 Im unteren Dosisbereich kommt es so im Regelfall nicht zu klinisch relevanten hämodynamischen Reaktionen
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Succinylcholin als depolarisierendes Muskelrelaxans ist in der Intensivmedizin lediglich bei der Notfallintubation indiziert; hierbei müssen die bekannten Kontraindikationen streng beachtet werden.
Muskelrelaxanzien
Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien hemmen durch einen kompetitiven Antagonismus am postsynaptischen Acetylcholinrezeptor der neuromuskulären Endplatte die Erregungsweiterleitung und bewirken somit eine reversible Erschlaffung der quergestreiften Skelettmuskulatur. Muskelrelaxanzien vom nichtdepolarisierenden Typ unterscheiden sich durch ihre chemische Grundstruktur (Benzylisochinoline wie Atracurium, Cisatracurim sowie Aminosteroide wie Pancuronium, Vecuronium oder Rocuronium) und durch pharmakokinetische Parameter wie Anschlagzeit, Wirkdauer oder Erholungsindex. Während die nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien in der klinischen Anästhesie weit verbreitet sind, sollte ihr Gebrauch bei Intensivpatienten nach den aktuellen Leitlinien auf wenige Ausnahmen beschränkt bleiben und nach strengster Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Auf eine adäquate Sedierung der Patienten ist zu achten, damit eine »wache Paralyse« verhindert wird!
Abgesehen von den Nebenwirkungen der Substanzen selbst (z. B. Histaminfreisetzung bei Atracurium, Tachykardie aufgrund der Vagolyse bei Pancuronium) bestehen beim unkritischen Gebrauch von Muskelrelaxanzien beim Intensivpatienten folgende Gefahren: 4 Akut: Ersticken mit hypoxischer Schädigung bei unbemerkter Diskonnektion von Tubus oder Trachealkanüle vom Beatmungsgerät oder bei akzidenteller Extubation. 4 Mittelfristig: Ödembildung, Dekubitus, tiefe Bein- Beckenvenenthrombose aufgrund der völligen Immobilisierung. 4 Langfristig: Muskelatrophie und persistierende Paralyse (bis hin zur Tetraplegie) mit histologisch nachweisbarer Myofibrillendegeneration. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass eine Vielzahl von Einflüssen wie Begleitmedikation (z. B. Steroide, Methylxanthine), Elektrolytstörungen (z. B. Veränderungen der Kalium- und Magnesiumkonzentration), Veränderungen des Säure-Basen-Haushalts oder Änderungen der Pharmakokinetik (z. B. bei Niereninsuffizienz mit Kumulation aktiver Metaboliten die klinische Wirkung von Muskelrelaxanzien erheblich und nahezu unkalkulierbar beeinflussen kann. Falls man sich für die längerfristige Anwendung von Muskelrelaxanzien entscheidet, muss ein adäquates neuromuskuläres Monitoring durchgeführt werden!
Indikationen für Muskelrelaxanzien bei Intensivpatienten Unter Abwägung von therapeutischem Nutzen und den bereits beschriebenen Risiken bestehen eng begrenzte Indikationen für die Anwendung von Muskelrelaxanzien bei Intensivpatienten. Dabei ist unabdingbar, dass auf eine adäquate Sedierung und Hypnose geachtet wird, um dem Patienten eine »wache Paralyse« zu ersparen! Mögliche Indikationen sind: 4 therapieresistenter Tetanus oder Status epilepticus, 4 kritisch erhöhter intrakranieller Druck, wenn bei den Patienten jegliche Abwehrbewegungen (z. B. Husten beim endotrachealen Absaugen, bei Umlagerung oder Verbandswechsel) vermieden werden müssen, 4 Erleichterung der maschinellen Beatmung bei extremen Variationen im Atemzeitverhältnis (z. B. IRV 2:1 oder 3:1) oder zur Beatmung in Bauchlage beim akuten Lungenversagen. Generelle Dosierungsempfehlungen für Muskelrelaxanzien können nicht angegeben werden. Bei Patienten mit Leber- und Niereninsuffizienz bieten sich aufgrund der besonderen Eliminationskinetik Atracurium oder Cisatracurium an.
25.4.13
Schemata zur Analgosedierung
Zusammenfassend sind in . Tab. 25.2 einige Schemata zur Analgosedierung aufgeführt. In Abhängigkeit von der Therapiedauer oder der Grunderkrankung empfiehlt sich ein modularer Aufbau, wie er in den Leitlinien der DGAI publiziert wurde. Die Dosierungsangaben sind lediglich als Richtwerte anzusehen, auch erheben die mitunter genannten pharmakologischen Kombinationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Midazolam sollte nur noch als Bolus verabreicht werden, jedoch ist in Ausnahmefällen auch eine kon-
335 25.5 · Delirante Syndrome
tinuierliche Gabe möglich. Hier sollte auf die pharmakologischen Einschränkungen (»Ceiling-Effekt«) geachtet werden. . Tab. 25.2 Auswahl von Therapieschemata zur Analgosedierung nach Indikationsgebieten Indikation
Therapieziel
Substanzen und Dosierungen
Sedierung, Anxiolyse, Amnesie
Minderung der psychischen Belastung, Toleranz diagnostischer Interventionen
Midazolam 0,05 mg/ kg KG + Sufentanil 0,25–0,5 μg/kg KG/h. Bei Steigerung der Midazolam-Dosierung um >50% gegenüber dem Ausgangswert zusätzlich Propofol 1–2 mg/kg KG/h (maximal 7 Tage)
Neurolepsie
Tiefe Hypnose, Narkose
Organprotektion
Aktivierende Entwöhnung, »Schlafregulation»
25.5
Minderung produktiver Symptomatik, Therapieführung in der »Entwöhnungsphase«
DHBP 2,5–5 mg Boli + Sufentanil 0,25–0,5 μg/ kg KG/h
Senkung von Hirndruck und O2Verbrauch (z. B. beim Polytrauma/isolierten SHT)
Propofol 2–4 mg/ kg KG/h (alternativ: Methohexital 1–3 mg/ kg KG/h) + Sufentanil 0,25–0,5 μg/kg KG/h. Kombinationssubstanzen: Midazolam 0,03–0,05 mg/kg KG Bolus, Clonidin 0,5–1 (–2) μg/kg KG/h
Kreislaufunterstützung bei SIRS bzw. septischem Schock, »Katecholaminreduktion«, Wahrung der nutritiven Organdurchblutung
Wiedererlangung des physiologischen Schlafes, Verbesserung der Schlafqualität, mögliche Minderung von Entzugssyndromen
Midazolam 0,03 – 0,05 mg/kgKG Bolus(alternativ: GHB 10–15 mg/kg KG/h, Propofol 1–2 mg/ kg KG/h) + KetaminRazemat 0,5–2 mg/ kg KG/h (alternativ S-Ketamin 0,3–1,0 mg/ kg KG/h) GHB 5–10 mg/kg KG/h zur Nacht, bei erhöhtem Sympathikotonus evtl. zusätzlich Clonidin 0,5–1 (–2) μg/kg KG/h
Delirante Syndrome
Klinische Bilder mit agitierter oder deliranter Symptomatik sind bei Intensivpatienten durchaus keine Seltenheit. Die Inzidenz variiert je nach Patientenklientel erheblich und kann mit 10–50% angenommen werden. Das Auftreten von Psychosyndromen ist nicht zwingend abhängig von der Dauer der Intensivbehandlung. Die Ursachen hierfür sind sehr vielfältig und bleiben in einem nicht unerheblichen Prozentsatz unklar. Dies hat offensichtlich dazu beigetragen, diese Psychosyndrome unscharf als »Durchgangssyndrome« oder »Intensivbehandlungssyndrom« (»ICU-Syndrom«) zu bezeichnen.
Der multifaktoriellen Kausalität stehen oft Erscheinungsbilder gegenüber, die durch Verhaltens-, Denk-, Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsstörungen charakterisiert sind. Oft treten diese Syndrome in der Entwöhnungs- bzw. Aktivierungsphase auf, nachdem die eigentliche vitale Funktionsstörung abgewendet worden ist. Die Problematik ist sehr vielgestaltig (hoher pflegerischer Aufwand, Verlängerung des Intensivbehandlungsaufenthalts), wird oft therapeutisch unterschätzt und manchmal als »Randproblem« bagatellisiert. Untersuchungen der vergangenen Jahre belegen eindeutig, dass das Auftreten eines Delirs ein bedeutender Mortalitätsund Morbiditätsfaktor ist, der außerdem die Behandlungsdauer mit entsprechenden Kosten deutlich verlängert! Für eine adäquate Therapie ist es jedoch essenziell, die Ursachen dieser Psychosyndrome zu ergründen und dann eine differenzierte Behandlung einzuleiten.
25.5.1
Klinik, Ursachen und Therapie
Klinik Akute Psychosyndrome bei Intensivpatienten können sich u. a. in folgenden klinischen Zustandsbildern manifestieren: 4 Angst- und Panikzustände, 4 depressive Verstimmungen bis zum Koma, 4 Pharmakaentzugssyndrome (z. B. Benzodiazepine und Opioide), 4 Alkoholentzugsyndrom (AES).
Delir Nach der ICD-10-Klassifikation müssen für die Diagnose eines Delirs Störungen aus folgenden 5 Symptomenkomplexen vorliegen: 4 Störungen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit, 4 Störungen der Kognition, 4 Psychomotorische Störungen, 4 Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, 4 Affektive Störungen wie Depression und Angst.
Ursachen Eine Fülle von Ursachen können einzeln oder in Kombination delirante Syndrome bei Intensivpatienten verursachen: Die Isolation von der gewohnten Umgebung mit Verlust von Bezugspersonen, insbesondere bei Kindern und älteren Menschen, Störungen des physiologischen Schlaf- Wach-Rhythmus, aber auch Angst und Schmerzen. Weitere Einflussfaktoren können O2-Mangel, Hyperkapnie, Veränderungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-BasenHaushalts sowie febrile Reaktionen (»septische Enzephalopathie«) oder endokrine Imbalancen sein. Prinzipiell können auch alle in der Intensivmedizin angewendeten Pharmaka zur Entwicklung eines Psychosyndroms beitragen, z. B. Antibiotika, H2-Rezeptorantagonisten, Benzodiazepine wie Lorazepam etc.; eine exakte Zuordnung ist daher äußerst schwierig
Folgen Das Auftreten eines Delirs hat für den Patienten weitreichende Folgen: Wie bereits erwähnt, ist das Delir mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität asssoziiert, insbesondere aufgrund kardialer und pulmonaler Komplikationen. Außerdem steigen die Behandlungskosten erheblich, wenn im Rahmen der Intensivbehandlung ein Delir auftritt [7, 8].
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
Diagnose und Formen
Therapie
Die Diagnose des Delirs gründet sich auf die Störungen in den oben genannten Bereichen. Mit der »Confusion Assessment Method« (CAM-ICU) steht ein praktikabler, valider Test für die Diagnostik des Delirs zur Verfügung. Der Vorteil der CAM-ICU gegenüber anderen Testverfahren besteht in der einfachen Anwendung und damit hohen Akzeptanz durch das Intensivpflegepersonal. Außerdem ist eine verbale Kommunuikation mit dem Patienten nicht notwendig, sodass der Test auch bei intubierten Patienten angewendet werden kann. Der Delirium Detection Score (DDS) bewertet insgesamt 8 Parameter (Agitation, Angst, Halluzinationen, Orientierung, Krämpfe, Tremor, paroxysmales Schwitzen, Schlaf-Wach-Rhythmus) jeweils mit verschiedenen Schweregraden und kann neben der Diagnose des Delirs auch Hinweise für die Differenzialtherapie geben, so z. B. die Gabe von Neuroleptika bei produktiver Symptomatik oder von Benzodiazepinen bei überwiegenden Angstzuständen. Voraussetzung für die Diagnose des Delirs nach dem CAMICU sind: 4 eine akute Änderung des mentalen Status und 4 eine Aufmerksamkeitsstörung und 4 unorganisiertes Denken oder 4 eine Bewusstseinsstörung.
Bleibt die Ursache unklar, muss eine symptomatisch orientierte Behandlung erfolgen. Hier sind die entsprechenden Pharmaka einzusetzen: Therapeutische Möglichkeiten sind u. a. bei Angstzuständen die persönliche beruhigende Zuwendung, evtl. auch die Gabe eines Benzodiazepins mit geringer schlafinduzierender Wirkung (z. B. Oxazepam, Bromazepam). Bei depressiven Verstimmungen sollte neben der persönlichen Zuwendung die medikamentöse antidepressive Therapie mit wenigen, bekannten Präparaten erfolgen, wobei die verschiedenen Wirkqualitäten (z. B. antriebssteigernd (Desipramintyp), anxiolytisch (Amitryptilintyp), stimmungsaufhellend (Imipramintyp) berücksichtigt werden sollten.
In Analogie zu den Schmerz- und Sedierungsscores sollte nach den aktuellen Leitlinien das Delir regelmäßig eingeschätzt werden. Klinisch reicht es aus, den Patienten auf das Vorhandensein eines Delirs (ja/nein) zu testen und dies einmal pro Schicht zu dokumentieren. Ein praktikabler Algorithmus zum Vorgehen nach der CAM-ICU ist in . Abb. 25.1 dargestellt. Das Delir tritt in 3 verschiedenen Formen auf: 4 hyperaktive Form (nur diese Form wird häufig mit dem Delir assoziiert), 4 hypoaktive Form (diese tritt am häufigsten auf, bleibt aber oft unerkannt!), 4 Mischformen.
Merkmal 1 Akute Veränderungen des mentalen Status oder fluktuierender Verlauf
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Ja: Zu Merkmal 2 Nein: Kein Delir! Merkmal 2: Aufmerksamkeitsstörung
25 Merkmal Ja:Ja: ZuZu Merkmal 23 Nein: Kein Delir! Nein: Kein Delir!
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Merkmal 3 Unorganisiertes Denken
Merkmal 4 Bewusstseinsstörung (ohne Analgosedierung)
Merkmale 3 und/oder 4 erfüllt: Delir Merkmale 3 und 4 nicht erfüllt: Kein Delir!
. Abb. 25.1 Diagnostischer Algorithmus des Delirs mit der Confusion Assessment Method (CAM-ICU). Es ist ausreichend, den Patienten auf das Vorhandensein eines Delirs zu testen (Delir ja/nein) und dies zu dokumentieren. Bei einem RASS von weniger als –3 unter Analgosedietrung ist der CAM-ICU nicht verlässlich durchführbar
25.5.2
Alkoholentzugssyndrom (AES)
Die Anzahl alkoholabhängiger Patienten in Deutschland wird, unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer, auf etwa 5% der Bevölkerung geschätzt und betrifft Menschen aller sozialen Schichten. Deutschland nimmt im internationalen Vergleich beim Pro-Kopf-Konsum von Alkohol (ca. 10–15 l/Jahr) eine Spitzenstellung ein. Insbesondere im traumatologischen und neurologischen Patientengut sind alkoholabhängige Patienten deutlich überrepräsentiert (15–20%). Auch Patienten mit Malignomen im Kopf-HalsBereich oder des Ösophagus haben sehr häufig eine Alkoholanamnese. Somit kann es z. B. als Folge eines Unfallereignisses schon in der Frühphase der plötzlichen Hospitalisation zu Entzugserscheinungen kommen, die oft im Rahmen des Postaggressionsstoffwechsels unerkannt bleiben und die eigentliche Vitalgefährdung erheblich verstärken können.
Diagnostik Der alkoholabhängige Patient ist während der Intensivbehandlungsphase durch verschiedenartige Komplikationen (Pneumonie, Kardiomyopathie) hochgradig gefährdet. Dies betrifft insbesondere die deutlich erhöhte Prädisposition zu Infektionen und die pathophysiologischen Folgen des AES. Die Diagnostik der Alkoholabhängigkeit stützt sich im Wesentlichen auf folgende Faktoren: 4 körperliche Untersuchungsbefunde, 4 anamnestische Angaben, 4 nominale Testverfahren (z. B. CAGE-Questionnaire, Münchener Alkoholismustest), 4 Laborparameter (Transaminasen, milde Anämie bei erhöhtem mittlerem korpuskulärem Volumen der Erythrozyten, Nachweis des »carbohydrate deficient transferrin« (CDT), erniedrigtes Serotonin in den Thrombozyten). Eindeutige, für den Alkoholismus pathognomonische Parameter existieren jedoch nicht, sodass die Diagnose insbesondere bei fehlenden anamnestischen Angaben erheblich erschwert sein kann.
Pathophysiologie Die chronische Zufuhr von Alkohol erzeugt depressorische Effekte auf das zentrale Nervensystem, wodurch sich in der neuronalen Übertragung ein neues Gleichgewicht einstellt. Der plötzliche Wegfall der depressorischen Droge Alkohol erzeugt eine neuronale Imbalance verschiedener Transmittersysteme, die offenbar für die klinische Symptomatik des AES verantwortlich ist und sich auch in den verschiedenen therapeutischen Ansätzen widerspiegelt (. Tab. 25.3). Weiterhin kommt es zu Veränderungen von Rezeptorsystemen, so z. B. einer Hochregulation der β-Rezeptoren, wodurch im Entzug die Reaktionen auf Katecholamine verstärkt sind. In allen Einzelheiten ist die Pathophysiologie des AES jedoch noch nicht
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. Tab. 25.3 Postulierte neuronale Imbalancen beim Alkoholentzugsyndrom und therapeutische Optionen Transmitter
Alkoholentzug
Symptome
Therapieoptionen
Glutaminsäure
Überschuss
Krämpfe
Benzodiazepine, Clomethiazol, GHB, Magnesium, Vitamine B1 und B6
Dopamin
Überschuss
Halluzinationen, Affektionsstörungen
Neuroleptika, GHB, Clomethiazol
Noradrenalin
Überschuss
Vegetative Entgleisung, Tachykardie, Schwitzen, Hypertonie
Clonidin, Magnesium, β-Rezeptorenblocker
GABA
Mangel
Krämpfe, Unruhe
GHB, Benzodiazepine, Clomethiazol
Acetylcholin
Mangel
Verminderte Vigilanz, Koma
Physostigmin, Clomethiazol, Carbamazepin
aufgeklärt. Die postulierten Transmitterimbalancen können jedoch wesentliche Elemente des AES erklären und eine rationale Therapie für die verschiedenen Symptomenkomplexe ermöglichen.
der Ausgleich einer häufig zu beobachtenden Hypomagnesiämie), der Gabe von Vitamin B1 und B6 und von Antipyretika werden verschiedene Pharmaka mit wechselndem Erfolg eingesetzt, wobei aber der Erfolg nicht garantiert ist.
Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose des AES umfasst u. a. folgende Syndrome: 4 Hypoxie, metabolische Entgleisung mit Störungen des Glukose-, Wasser-, Elektroyt- und Säure-Basen-Haushalts, 4 Störungen der Temperaturregulation (»febrile Enzephalopathie«), 4 medikamentös induzierte Entzugssyndrome und Intoxikationen, 4 neuropsychiatrische und neurologische Erkrankungen (z. B. zerebrovaskuläre Insuffizienz, Tumoren, schizophrene Psychosen).
Stadieneinteilung Der charakteristische zeitliche Verlauf des AES ist in . Tab. 25.4 dargestellt. Klinisch bedeutsam ist, dass beim Übergang zum Delirium tremens durch verschiedene therapeutische Maßnahmen bestenfalls eine Verkürzung der Delirdauer erreichbar ist. Trotz der therapeutischen Fortschritte in jüngster Vergangenheit beträgt die Letalität des Delirium tremens immer noch zwischen 2 und 5%. Wesentliche Faktoren sind infektiöse Komplikationen (z. B. Pneumonien) und kardiale Störungen (Arrhythmien, Linksherzversagen insbesondere bei vorbestehender Alkoholkardiomyopathie).
Therapie
z Allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen Primäres Therapieziel ist die Beseitigung der vegetativen Störungen und damit die Stabilisierung der bereits durch die Grunderkrankung gestörten Vitalfunktionen. Ein universell akzeptiertes Therapieschema existiert nicht. Neben allgemeinen intensivmedizinischen Maßnahmen wie der Korrektur von Elektrolytstörungen (u. a.
Die Anwendung von Alkohol ist sehr umstritten: hier sind u. a. die unkalkulierbare Interaktion mit anderen Pharmaka zu nennen (Antibiotika mit einem Tetrazolseitenring wie Metronidazol, Moxalactam und verschiedene Cephalosporine), welche die Azetaldehyddehydrogenase hemmen und zu einer sog. »Antabusreaktion« mit Übelkeit, Erbrechen, Hautrötung und Kopfschmerz führen können. Somit hat Alkohol lediglich in der Prophylaxe des AES eine Indikation, wobei die individuelle Dosierung sowie der Applikationsweg (intravenös oder enteral) schwierig zu kalkulieren sind. Jedoch kann auch die prophylaktische Gabe von Alkohol ein Entzugssyndrom nicht sicher verhindern. Ist das Delirium tremens bereits ausgebildet, so ist die Gabe von Alkohol kontraindiziert.
z Benzodiazepine Kurzwirksame und damit besser steuerbare Benzodiazepine wie Midazolam sind fester Bestandteil vieler Therapieschemata beim AES. Insbesondere die anxiolytische und die antikonvulsive Wirkkomponente der Benzodiazepine kann in der Phase II und III des AES therapeutisch genutzt werden. Oftmals wird Midazolam mit Clonidin kombiniert, wenn eine vegetative Entgleisung im Vordergrund des klinischen Bildes steht. Bei der Therapie mit Midazolam ist der Ceiling-Effekt zu beachten. Daher sollte die Dosis nicht in pharmakologisch sinnlose Bereiche gesteigert werden, sondern durch eine Begleitmedikation mit synergistisch wirkenden Pharmaka (z. B. Propofol) ergänzt werden.
Dosierungsempfehlung für Midazolam . Tab. 25.4 Stadienverlauf des Alkoholentzugssyndroms Stadium
Chrakteristika
I
Allgemeine Unruhe, Reizbarkeit, Tachykardie, feinschlägiger Tremor nach etwa 4–12 h Abstinenz
II
Zusätzliches Auftreten optischer Halluzinationen; Prädelir nach etwa 12–24 h Abstinenz
III
Auftreten von Wahnideen, Krämpfen, extremer Unruhe mit Übergang in komatöse Zustände: Vollbild des Delirs nach 2–4 Tagen Abstinenz mit einer variablen Dauer von 2–5 Tagen
4 3–8 mg/h als Boli 4 Bei höherem Bedarf Kombination mit Propofol erwägen
z Neuroleptika Neuroleptika vom Butyrophenon-Typ wie Haloperidol, und Dehydrobenzperidol antagonisieren die dopaminerge und auch die serotoninerge synaptische Neurotransmission und wirken daher stark antipsychotisch und nur sehr schwach anxiolytisch. Außerdem wirken sie stark antiemetisch. Die Gabe von Neuroleptika ist zu bevorzugen, wenn die halluzinatorische Komponente beim AES dominiert. Zu beachten ist die Erniedrigung der Krampfschwelle, sodass bei Krampfneigung die
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Kapitel 25 · Analgesie, Sedierung, und Therapie deliranter Syndrome
gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen (z. B. Midazolam) indiziert sein kann. Bei Auftreten extrapyramidalmotorischer Symptome (Rigor, Choreoathetosen) ist die Gabe von Biperiden (Akineton) als Antagonist angezeigt. »Atypische Neuroleptika« wie z. B. Olanzapin (Zyprexa) haben weniger exptrapyramidale Nebenwirkungen, liegen jedoch bisher nicht in einer intravenös applizierbaren Verabreichungsform vor und sind damit für die Akuttherapie weniger geeignet.
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Dosierungsempfehlungen für Neuroleptika 4 Haloperidol: 3- bis 4-mal täglich 5–10 mg 4 DHBP: 5–10 mg Boli
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z γ-Hydroxybuttersäure (GHB) GHB wird seit einigen Jahren (insbesondere in Italien und Frankreich) mit Erfolg zur Prophylaxe und Therapie des AES eingesetzt. Selbst in oralen, nichthypnotischen Dosierungen konnte GHB die Entzugssymptome bei alkoholkranken Patienten signifikant gegenüber einer Placebogruppe reduzieren. Die Wirkmechanismen von GHB beim AES sind möglicherweise multifaktoriell: Durch Erhöhung der GABA-Aktivität und Aufhebung der Transmitterimbalance zugunsten der Glutaminsäure wirkt die Substanz antikonvulsiv; außerdem können durch Beeinflussung des dopaminergen »Belohnungssystems« Verhaltensmuster zur Unterdrückung des Verlangens nach Alkohol verstärkt werden Auch eine »alkoholeliminierende Wirkung« wird vermutet [11]. In Kombination mit Benzodiazepinen und Clonidin können folgende Dosierungsempfehlungen gegeben werden:
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Dosierungsempfehlungen für GHB bei Kombination mit Benzodiazepinen und Clonidin 4 Rund 10 mg/kg KG/h nach einer initialen Kurzinfusion von 20–30 mg/kg KG über 15 min
z α2-Agonisten Clonidin hemmt durch Stimulation der α2-Rezeptoren die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus (»Noradrenalinsturm«) und verhindert so die sympathoadrenerge Entgleisung beim AES. Somit wirkt Clonidin durch Senkung des O2-Verbrauchs »organprotektiv«. Clonidin wird jedoch selten als Monosubstanz eingesetzt, sondern entsprechend der klinischen Symptomatik meist mit Benzodiazepinen oder Neuroleptika kombiniert. ! Cave Zu beachten ist, dass ein nicht unerheblicher Anteil von Patienten (etwa 25–30%) auf die Gabe von Clonidin nicht anspricht (»non-responder«).
Die möglichen Nebenwirkungen wurden bereits erläutert (7 Abschn. 25.4.11).
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> Clomethiazol steht als parenterale Lösung nicht mehr zur Verfügung. Dosierungsempfehlung für Clomethiazol zur oralen Gabe
z Carbamazepin Carbamazepin (z. B. Tegretal) hemmt wahrscheinlich die cholinerge Übertragung und kann schon im Prädelir die klinische Symptomatik der kognitiven Störungen lindern. Durch Verstärkung der GABA-Aktivität ist weiterhin ein antikonvulsiver Effekt zu erwarten.
Dosierung von Carbamazepin 4 4-mal 200 mg/Tag (therapeutische Plasmakonzentration: 6–10 μg/ml).
z Physostigmin Physostigminsalicylat (Anticholium), ein reversibler Cholinesterasehemmer mit Penetration der Blut-Hirn-Schranke, steigert präsynaptisch die Azetylcholinkonzentration und kann somit einer Hemmung der cholinergen Übertragung entgegenwirken. Indikationen für die Substanz sind die komatösen Verlaufsformen des AES. Die Indikation zur Delirprophylaxe ist hingegen sehr umstritten.
Dosierung von Physostigmin Dosierungsempfehlung für Clonidin
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Trotz des breiten pharmakologischen Profils von Clomethiazol sind einige Nebenwirkungen zu beachten, die seine Anwendung einschränken können. Der Einsatz von Clomethiazol wird kontrovers diskutiert, insbesondere, wenn es sich beim AES um die eigentliche intensivmedizinische Diagnose handelt oder das AES im Rahmen der Grunderkrankung (z. B. Malignome im Kopf-Hals-Bereich, Polytrauma) auftritt. Einigkeit besteht darin, dass Clomethiazol nur unter stationären Bedingungen verabreicht werden sollte. Zu den Nebenwirkungen gehören u. a.: 4 bronchiale Hypersekretion mit möglicher Erschwerung der Physiotherapie des Thorax bzw. der Entwöhnung vom Respirator, 4 Atemdepression, 4 Tachykardie, 4 Suchtpotenzial (»Umsteigen auf Distraneurin«).
4 300–400 mg als Einzeldosis
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rimbalance ist Clomethiazol ein zuverlässiges Medikament in der Therapie des AES mit sedativer, anxiolytischer, antikonvulsiver und vegetativ-stabilisierender Wirkung. Diese Wirkungen (. Tab. 25.3) betreffen folgende Transmittersysteme: 4 Reduktion des dopaminergen Umsatzes, 4 Verstärkung der GABA-Wirkung mit funktionellem Antagonismus der Glutaminsäure, 4 Reduktion der cholinergen Übertragung mit Verminderung der kognitiven Störungen.
4 Kontinuierliche Zufuhr von 0,5–1 (–2) μg/kg KG/h
z Clomethiazol Clomethiazol (Distraneurin), ein Derivat des Thiazolteils des Vitamin B1, ist als einzige Substanz zur Monotherapie des AES geeignet. Durch die vielfältige Beeinflussung der gestörten Transmitte-
4 2 mg (ca. 0,02–0,04 mg/kg KG) als Kurzinfusion über 10 min
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Benzodiazepin- und Opioidentzugssyndrom
Da im Rahmen der Langzeitanalgosedierung häufig Benzodiazepine und Opioide in Kombination eingesetzt werden, kann es bei abruptem Absetzen der Substanzen zu Entzugserscheinungen kommen. Klinisch ist oft sehr schwer zu unterscheiden, welche Entzugssymptomatik dominiert]. Falls anamnestische und klinische Hinweise darauf hindeuten, dass es sich um einen Benzodiazepin- oder opiatabhängigen Patienten handelt, kann sich die Therapie erheblich komplizieren.
Benzodiazepinentzug Der Benzodiazepinentzug kann sich in folgenden Symptomen äußern: 4 Tremor, Reizbarkeit, Fieber, 4 Angst und Schlafstörungen, 4 Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe. Grundsätzlich sollte mit absteigenden Dosierungen eines Benzodiazepins mit geringerer schlafinduzierender Wirkung (Bromazepam, Oxazepam) versucht werden, die Symptomatik zu beherrschen. Letztendlich wird die Diagnose »Benzodiazepinentzug« durch das Ansprechen auf die Therapie bestätigt. In Extremfällen einer vegetativen Entgleisung kann zusätzlich Clonidin eingesetzt werden.
Opioidentzug
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Symptome des Opioidentzugs können sein:
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Gähnen, Schwitzen, Schlaflosigkeit, Tränenfluss, Rhinorrhö, Glieder- und Muskelschmerzen, Erbrechen, Agitiertheit, Diarrhö, Koma.
Ähnlich wie beim Benzodiazepinentzug wird durch titrierende Gabe eines Opioids (z. B. Piritramid oder Pethidin) über mehrere Tage versucht, die mutmaßlichen Entzugssymptome zu beherrschen. Auch hier wird die Verdachtsdiagnose durch das Ansprechen auf die begonnene Therapie bestätigt oder widerlegt. Neben den Opioidgaben wird auch Clonidin in den bereits beschriebenen Dosierungen als Kosubstanz verwendet.
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Literatur 1 2
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Internetadressen Trainingsleitfaden und Erläuterung der «Confusion Assessment Method” (CAM-ICU): www.icudelirium/org/delirium/training-pages/German/pdf Leitlinien zur Analgosedierung in der Intensivmedizin: www.uni-duesseldorf. de/AWMF/ll/001-012l.htm Leitlinien-Register Nr. 001/012
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341
Endotracheale Intubation M. Quintel, F. Fiedler
26.1
Ziele und Definition – 342
26.2
Besonderheiten der Intubation bei kritisch Kranken – 342
26.3
Anatomie der oberen Atemwege – 342
26.4
Technische Hilfsmittel – 342
26.4.1 26.4.2 26.4.3 26.4.4 26.4.5 26.4.6 26.4.7 26.4.8
Masken – 342 Guedel- und Wendl-Tuben – 343 Endotracheale Tuben – 343 Laryngoskope und Spatel – 343 Videolaryngoskope – 343 Führungsstäbe – 344 Intubationszangen – 344 Weitere Hilfsmittel – 344
26.5
Diagnostik des schwierigen Atemwegs – 345
26.6
Durchführung der endotrachealen Intubation – 345
26.6.1 26.6.2 26.6.3 26.6.4 26.6.5 26.6.6
Lagerung – 345 Präoxygenierung – 346 Orotracheale Intubation – 346 Nasotracheale Intubation – 346 Ileuseinleitung – 347 Fiberoptische Intubation – 347
26.7
Management des schwierigen Atemwegs – 348
26.8
Intubationsschäden – 348 Literatur – 349
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_26, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
26
26 26 26 26 26
342
Kapitel 26 · Endotracheale Intubation
26.1
Ziele und Definition
Die endotracheale Intubation stellt den Goldstandard zur Sicherung der Atemwege dar, insbesondere bei kritisch kranken Patienten. Sie kann entweder auf oralem (orotracheale Intubation) oder nasalem Weg (nasotracheale Intubation) erfolgen. Mit der Intubation wird eine mechanische Verlegung der Atemwege zuverlässig verhindert oder beseitigt, gleichzeitig eröffnet sie die Möglichkeit, den Patienten an ein Beatmungsgerät anzuschließen und eine positive Druckbeatmung durchzuführen. Darüber hinaus erleichtert sie die Bronchialtoilette und erlaubt die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Bronchoskopien sowie die endotracheale Applikation von Medikamenten.
26 26
Besonderheiten der Intubation bei kritisch Kranken
26 26
26.3
26 26
26 26
26.4
Technische Hilfsmittel
Zur Vorbereitung und Durchführung einer Intubation sind eine Reihe von Hilfsmitteln erforderlich oder nützlich, die im Folgenden beschrieben werden. Materialien zur endotrachealen Intubation
26.2
Im Gegensatz zur endotrachealen Intubation bei elektiven Anästhesien ist die endotracheale Intubation bei kritisch kranken Patienten mit einem deutlich erhöhten Risiko verbunden. Mit schweren Zwischenfällen und Komplikationen ist bei bis zu 28% aller endotrachealen Intubationen zu rechnen. Signifikante myokardiale Ischämien werden bei mehr als 10% der kardial vorerkrankten Patienten beobachtet. In mehr als 2% treten Asystolien bei endotrachealen Intubationen von Intensivpatienten auf, und die intubationsassoziierte Letalität wird mit bis zu 3% angegeben [13, 21, 35].
26
wegen gefiltert, erwärmt und angefeuchtet. Im Bereich der oberen Atemwege gibt es 2 parallele Luftwege, die für die endotracheale Intubation von Bedeutung sind. Zum einen führt der Weg in die Trachea über die Nase, den Naso-, den Oropharynx und den Larynx und zum anderen über den Mund, den Oropharynx und den Larynx (. Abb. 26.1).
Anatomie der oberen Atemwege
Das Röhrensystem der oberen und unteren Luftwege gewährleistet bei Ein- und Ausatmung den Gasfluss von der Körperoberfläche bis in die terminalen Aufzweigungen des Tracheobronchialsystems. Der eigentliche Gasaustausch findet in den sich anschließenden Alveolen statt. Das Atemgas wird insbesondere in den oberen Luft-
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Sauerstoffversorgung (FiO2 1,0) Gesichtsmasken (verschiedene Größen) Beatmungsbeutel mit Sauerstoffreservoir und PEEP-Ventil Endexspiratorischer CO2-Monitor Absaugvorrichtung; Absaugkatheter inkl. starrer Katheter (z. B. Yankauer) Skalpell Magill-Zange Guedel- und Wendl-Tubus Larnygoskop mit verschiedenen Spateln (inkl. Ersatzhandgriff ) Endotrachealtuben (verschiedene Größen) Blockerspritzen Verschiedene Polster zur Lagerung des Kopfes Fixierungsmaterial Alternative Atemwege (Larynxmasken; Larynxtuben; Intubationslarynxmasken) Weitere Hilfsmittel (z. B. Videolaryngoskop; Bronchoskop)
26
26.4.1
26
Gesichtsmasken, die Mund und Nase umschließen, werden über ein Nichtrückatemventil entweder in Kombination mit einem selbstfüllenden Beatmungsbeutel mit Reservoir und Sauerstoffanschluss oder mit einem Beatmungsgerät zur Maskenbeatmung verwendet. . Abb. 26.2 zeigt einige Beispiele für verschiedene Ge-
26
Masken
26 26
Nasopharynx (Epipharynx)
26 26 26
Oropharynx (Mesopharynx)
Laryngopharynx (Hypopharynx)
26 26 26
. Abb. 26.1 Schematische Darstellung der oberen Luftwege. (Aus: Zilles u. Tillmann 2010 [10])
. Abb. 26.2 Gesichtsmasken unterschiedlicher Größe und Bauart
343 26.4 · Technische Hilfsmittel
sichtsmasken. Die Auswahl orientiert sich an den individuellen anatomischen Verhältnissen des Patienten.
26.4.2
Guedel- und Wendl-Tuben
Bei erschwerter Maskenbeatmung kann die Anwendung eines oropharyngealen Tubus (Guedel-Tubus) oder eines nasopharyngealen Tubus (Wendl-Tubus) hilfreich sein (. Abb. 26.3). Die passende Größe lässt sich annäherungsweise durch die Strecke vom Mundwinkel (Guedel-Tubus) bzw. Naseneingang (Wendl-Tubus) bis zum Ohrläppchen bestimmen [20]. ! Cave Die korrekte Größe der Tuben ist von Bedeutung, da bei zu kurzem Tubus die Atemwege nicht ausreichend freigehalten werden; ein zu großer oro- oder nasopharyngealer Tubus kann durch Luxation der Epiglottis den Larynx verschließen [8].
26.4.3
Endotracheale Tuben
. Abb. 26.4 Verschiedene endotracheale Tuben. Doppellumentuben zur seitengetrennten Beatmung im oberen Bildteil; unterschiedliche Endotrachealtuben (mit und ohne Cuff ) im unteren Bildteil
Endotracheale Tuben dienen der Freihaltung der Atemwege. Das Tubusmaterial – meist PVC, seltener Silikon und Polyurethan – ist durch internationale Standards festgelegt. Neben Standardtuben mit und ohne Cuff finden bei der oro- bzw. nasotrachealen Intubation Spezialtuben – wie Spiral-, Doppellumen- oder Lasertuben – Anwendung (. Abb. 26.4).
26.4.4
Laryngoskope und Spatel
Laryngoskope und die zugehörigen auswechselbaren Spatel mit verschiedener Form und Größe (. Abb. 26.5) sind ein unabdingbares Werkzeug zur direkten Darstellung des Kehlkopfeingangs und der Stimmritze. In einer experimentellen Untersuchung konnte kein Vorteil spezieller Spatel wie z. B. des McCoy-Spatels bei der schwierigen Intubation nachgewiesen werden [31].
26.4.5
Videolaryngoskope
. Abb. 26.5 Laryngoskop mit verschiedenen Spateln (Foregger-Spatel im oberen Bildteil; 2 Macintosh-Spatel im unteren Bildteil
In den letzten Jahren wurden Laryngoskope mit integrierter Videokamera (sog. Videolaryngoskope) in die klinische Praxis eingeführt (. Abb. 26.6). Während Videolaryngoskope bei der unkomplizier-
. Abb. 26.3 Guedel- (rechte Bildhälfte) und Wendl-Tuben (linke Bildhälfte) unterschiedlicher Größe und Bauart
. Abb. 26.6 Videolaryngoskop. (Abb. von Fa. Karl Storz, Tuttlingen, mit frdl. Genehmigung)
26
344
26
Kapitel 26 · Endotracheale Intubation
ten Intubation offenbar keinen Vorteil bieten [34], zeigen erste Untersuchungen Vorteile beim Management der schwierigen Intubation [16].
26 26 26 26 26
26.4.6
Führungsstäbe
Biegsame Führungsstäbe stabilisieren den Endotrachealtubus und erleichtern die Intubation. Sie finden insbesondere bei der Ileuseinleitung, der schwierigen Intubation und zur Stabilisierung von Spiraltuben Anwendung (. Abb. 26.7). Durch unsachgemäße Anwendung (z. B. Führungsstab reicht über die Tubusspitze hinaus) können erhebliche Verletzungen der oberen Luftwege verursacht werden.
26
26.4.7
26
Tubusfasszangen (z. B. Magill-Zange; . Abb. 26.7) werden i. Allg. bei der nasotrachealen Intubation verwendet, da sich der Tubus in dieser Situation häufig nur unzureichend manuell steuern lässt. Mit ihrer Hilfe kann das Tubusende direkt in den Kehlkopfeingang gelenkt werden.
26
Intubationszangen
. Abb. 26.8 Linker Bildteil: Intubationslarynxmaske mit liegendem Tubus (Fastrach). Rechter Bildteil: Larynxmaske
26 26 26 26 26 26 26
26.4.8
Weitere Hilfsmittel
Zur Bewältigung des schwierigen Atemweges wurde eine große Anzahl an Hilfsmitteln entwickelt. Neben der Standardlarynxmaske und der Intubationslarynxmaske (. Abb. 26.8), über die blind oder ggf. fiberoptisch ein Tubus endotracheal platziert werden kann, entstanden verschiedene Tubuseinführhilfen, wie der SchröderMandrin und das Chenowth-Stylet. Mit dem Larynxtubus (. Abb. 26.9) oder dem Kombitubus stehen alternative Tubusformen für das Management des schwierigen Atemwegs zur Verfügung. Technisch aufwändigere Intubationshilfen – wie das Trachlite, das Bullard-Laryngoskop, das McCoy-Laryngoskop (. Abb. 26.10), das retromolare Intubationsfiberskop nach Bonfils, die Laryngoskopmodifikation nach Bumm und das Intubationstracheoskop – vervollständigen die Palette an Werkzeugen (. Abb. 26.11) zur Bewältigung einer schwierigen Intubation [20].
. Abb. 26.9 Oberer Bildteil: Larynxmaske mit Drainagekanal (LMA ProSeal). Unterer Bildteil: Larynxtubus (VBM LT)
26 26 26 26 26 26 26 26 26
. Abb. 26.7 Verschiedene Hilfsmittel zur Durchführung der Intubation (linke Bildhälfte: Magill-Zange; Bildmitte: Führungsstab; rechte Bildhälfte; Führungsstab zur Stabilisierung eines Spiraltubus nach Woodbridge)
. Abb. 26.10 McCoy-Laryngoskop; links unten: mit abgewinkelter Spitze
345 26.6 · Durchführung der endotrachealen Intubation
. Abb. 26.12 Mallampati-Klassifikation
a
b . Abb. 26.11a, b. Intubationsfiberskope. a Intubationsfiberskop nach Bonfils. (Abb. von Fa. Karl Storz, Tuttlingen, mit frdl. Genehmigung). b Intubationsfiberskop LEVITAN. (Abb. von Fa. LMA, Bonn, mit frdl. Genehmigung)
26.5
Diagnostik des schwierigen Atemwegs
Der »schwierige Atemweg« ist gekennzeichnet durch die Unmöglichkeit einer suffizienten Maskenbeatmung und die fehlende Möglichkeit zur direkten Laryngoskopie und endotrachealen Intubation. Die Inzidenz dieser lebensbedrohlichen Situation wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben. Die publizierten Zahlenangaben bei elektiv operierten Patienten schwanken zwischen 0,05% (2230:1) und 4,5% [20]. Bei Intensivpatienten ist eine deutlich höhere Inzidenz des schwierigen Atemwegs zu erwarten [35]. > Bei bestimmten Vorerkrankungen – wie z. B. Adipositas, Arthrose der Halswirbelsäule, M. Bechterew, Diabetes mellitus, kraniofazialen Missbildungssyndromen (z. B. Pierre-Robin-Syndrom) und dem Schlafapnoesyndrom – treten Intubationsschwierigkeiten gehäuft auf. Auch bei Patienten, die sich hals-nasen-ohrenärztlichen oder kieferchirurgischen Eingriffen unterziehen müssen, bei Patientinnen in der Geburtshilfe und unter Notfallbedingungen treten vermehrt Intubationsschwierigkeiten auf.
Einzelne Untersuchungsverfahren, die eine zuverlässige Vorhersagbarkeit des schwierigen Atemwegs ermöglichen, sind nicht etabliert, sodass in der klinischen Praxis möglichst viele Parameter aus der
Anamneseerhebung und der klinischen Untersuchung bewertet und bei der Einschätzung möglicher Intubationsschwierigkeiten abgewogen werden müssen. Eine einfache, klinisch praktikable Untersuchungsmethode ist der Mallampati-Test (. Abb. 26.12), bei dem der Patient aufgefordert wird, im Sitzen bei neutraler Kopfstellung den Mund maximal zu öffnen und die Zunge ohne Phonation möglichst weit herauszustrecken. Die Sichtbarkeit oropharyngealer Strukturen wird dabei in die Klassen I–IV eingeteilt, wobei das Risiko für eine schwierige Intubation mit steigender Klasse zunimmt [22]. Daneben liefern die Messung des thyromentalen Abstands (Test nach Patil [27]) und der maximalen Mundöffnung, die Überprüfung der Unterkiefer- und Halswirbelsäulenbeweglichkeit sowie die spezielle Prüfung der Beweglichkeit im Atlantookzipitalgelenk wertvolle, klinisch einfach zu erhebende Hinweise zur Einschätzung möglicher Intubationsschwierigkeiten. Weiterführende Untersuchungen [20] – wie die Erhebung komplexer Risikoscores [25], z. B. des Multifaktor-Risiko-Index nach Arné et al. [4], oder der Einsatz bildgebender Verfahren zur Risikoeinschätzung – bleiben speziellen Fragestellungen vorbehalten. Bei Intensivpatienten sind viele dieser Untersuchungsverfahren nicht durchführbar. Zudem sind die in der anästhesiologischen Praxis etablierten Risikofaktoren des schwierigen Atemwegs an Intensivpatienten nicht untersucht [35], sodass eine präinterventionelle Einschätzung potenzieller Intubationsprobleme extrem schwierig ist.
26.6
Durchführung der endotrachealen Intubation
26.6.1
Lagerung
Es wird allgemein empfohlen, den Patienten so zu lagern, dass eine direkte Laryngoskopie durch die Position der Schulter-Hals-KopfAchse erleichtert wird [20]. Hierzu soll der Kopf, z. B. durch ein Kissen im Hinterkopfbereich, leicht angehoben und im Atlantookzipitalgelenk nach dorsal flektiert werden (»Schnüffelposition«). Kernspintomographische Untersuchungen an gesunden Probanden belegen, dass die Annäherung der anatomischen Achsen durch dieses Manöver jedoch nicht erreicht wird [2].
In einer großen klinischen Untersuchung konnten Adnet et al. [1] keinen Vorteil bei der Intubation durch die »Schnüffelposition« gegenüber der einfachen Überstreckung im Atlantookzipitalgelenk erreichen. Lediglich bei adipösen Patienten und bei Personen mit eingeschränkter Halswirbelsäulenbeweglichkeit erbrachte die Lagerung in »Schnüffelposition« messbar bessere Intubationsbedingungen.
26
26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26
346
Kapitel 26 · Endotracheale Intubation
26.6.2
Präoxygenierung
Eine Präoxygenierung mit einem FIO2 von 1,0 vor Einleitung der Narkose wird allgemein empfohlen. Die Denitrogenisierung des funktionellen Residualkapazitätsvolumens und dessen Anreicherung mit Sauerstoff können die Toleranz gegenüber einer verlängerten Apnoezeit verbessern. In einer aktuellen Untersuchung kritisch Kranker ließ sich die arterielle Sauerstoffspannung von 61±14 mm Hg durch 4-minütige Präoxygenierung mit 100% Sauerstoff auf 84±51 mm Hg anheben, während eine Verlängerung der Präoxygenierung auf 6 bzw. 8 min keine weitere Verbesserung der arteriellen Sauerstoffspannung ergab (88±49 mm Hg bzw. 93±55 mm Hg) [24]. ! Cave Kritisch Kranke haben eindeutlich erhöhtes Hypoxierisiko im Rahmen von Intubationen.
Edmark et al. [11] konnten zeigen, dass eine Präoxygenierung mit 100% Sauerstoff im Vergleich zu 80% und 60% eine signifikante Steigerung der Atelektasenbildung in den basalen Lungenabschnitten induzieren kann. Da die klinische Wertigkeit dieser Befunde, insbesondere für die postoperative Lungenfunktion, derzeit noch nicht abzuschätzen ist und in dieser Untersuchung die Apnoezeittoleranz nach 60% und 80% im Vergleich zu 100% Sauerstoff in klinisch relevantem Ausmaß reduziert war, empfehlen die Autoren weiterhin, v. a. bei Patienten mit möglichem schwierigen Atemweg, die Präoxygenierung mit einem FIO2 von 1,0 (. Abb. 26.13). ! Cave Die Applikation von reinem Sauerstoff ist nicht unproblematisch, da es – wohl auf dem Boden von Resorption – zur Ausbildung von Atelektasen kommen kann
Die Effektivität der Präoxygenierung hängt sowohl vom technischen Equipment als auch von der Art der Atmung ab. Bei pulmonal gesunden Patienten dauert es unter normaler Spontanatmung etwa 2,5 min, bis der endtidale Sauerstoffgehalt auf etwa 90% ansteigt [26]. Bei forcierter Inspiration wird eine vollständige Denitrogenisierung bereits nach 8 Atemzügen innerhalb von 1 min erreicht [7]. Auch die technischen Systeme, mit denen die Präoxygenierung durchgeführt wird, haben einen entscheidenden Einfluss auf die Effektivität. Während die Sauerstoffapplikation mittels Kreisteil oder spezieller Systeme zu einem Anstieg der endtidalen Sauerstoffkonzentration auf etwa 90% führt, war in der Untersuchung von Nimmagadda et al. [26] die Effektivität verschiedener Beatmungsbeutel unterschiedlich hoch. Lediglich Beatmungsbeutel, bei denen durch Ventile ein gerichteter Gasfluss erzeugt wurde, waren effektiv. Da
speziell in der Intensiv- und Notfallmedizin die Präoxygenierung mit Hilfe von Beatmungsbeuteln durchgeführt wird, sind diese Unterschiede durchaus von praktischer Bedeutung. Der pasagere Einsatz nichtinvasiver Beatmung zur Präoxygenierung scheint der konventionellen Präoxygenierung überlegen [35] und sollte bei Intensivpatienten vermehrt zur Anwendung kommen.
26.6.3
Orotracheale Intubation
Nach Öffnen des Mundes wird das Laryngoskop im rechten Mundwinkel eingeführt und unter Sicht auf die Epiglottis vorgeschoben. Die Zunge wird dabei nach links verdrängt. Bei Verwendung eines gebogenen Spatels ist dessen Spitze zwischen Zungengrund und Epiglottis in die Vallecula epiglottica zu platzieren. Durch Zug in Richtung Mundboden wird die Epiglottis aufgerichtet und damit die direkte Laryngoskopie ermöglicht. > Die Einstellung der Glottis kann durch Manipulation am Krikoid optimiert werden (z. B. »backwards upwards rightwards pressure«; BURP [19]).
Bei Verwendung eines geraden Intubationsspatels wird die Epiglottis direkt aufgeladen und angehoben. Abhängig von den anatomischen Verhältnissen wird die Glottis sichtbar (Einteilung nach Cormack [10]; . Abb. 26.14), und der orotracheale Tubus wird unter direkter Sicht durch die Stimmritze in die Trachea eingeführt. Die korrekte Lage des Tubus ist unmittelbar nach Platzierung mittels Auskultation im Epigastrium und über den Lungen zu überprüfen. Dabei ist zumindest bei Kindern eine mehretagige Auskultation in der Axillarlinie dringend zu empfehlen. Die Kapnometrie ergänzt die Auskulation und sollte zumindest bei unsicherem Befund in jedem Fall additiv zur Sicherung einer korrekten Tubuslage angewandt werden.
26.6.4
Nasotracheale Intubation
Nach Vorbehandlung der Nase mit abschwellenden Nasentropfen und Vorbereitung des Tubus mit einem Gleitmittel wird dieser in den unteren Nasengang eingeführt und vorsichtig bis in den Pharynx vorgeschoben. Ein vorsichtiges Sondieren mit dem handschuharmierten und mit Gleitmittel versehenen kleinen Finger erleichtert oft die Wahl der »günstigeren« Nasenöffnung. Anschließend wird der Tubus unter laryngoskopischer Sicht in die Glottis
26 26 26 26 26 26 a
26
b
. Abb. 26.13a, b. a Atelektasengröße nach Narkoseinduktion in Abhängigkeit von der zur Präoxygenierung verwendeten Sauerstoffkonzentration. b Zeitdauer der Apnoe bis zu einer O2-Sättigung von 90% in Abhängigkeit von der zur Präoxygenierung verwendeten O2-Konzentration. (Nach [11])
347 26.6 · Durchführung der endotrachealen Intubation
. Abb. 26.15 Verschiedene Materialien zur fiberoptischen Intubation . Abb. 26.14 Einteilung der Laryngoskopie nach Cormack
eingeführt. Häufig muss dazu die Tubusspitze mit einer MagillZange geführt werden.
26.6.5
Ileuseinleitung
Unter dem Begriff »Ileuseinleitung» (Crush-Einleitung, »rapid sequence induction») werden Vorgehensweisen verstanden, die bei der Intubation aspirationsgefährdeter Patienten angewandt werden. Im Allgemeinen wird der Patient dazu mit erhöhtem Oberkörper gelagert und ausreichend präoxygeniert. Im Anschluss werden ein Anästhetikum und ein Muskelrelaxans in rascher Folge injiziert. Sobald der Patient ausreichend relaxiert ist, wird ohne Zwischenbeatmung eine orotracheale Intubation durchgeführt. Die routinemäßige Anwendung des Krikoiddruckes nach Sellink wird kontrovers diskutiert [32]. Ist jedoch eine Zwischenbeatmung notwendig, so scheint der Krikoiddruck die Luftinsufflation in den Magen zu minimieren.
26.6.6
Fiberoptische Intubation
Die fiberoptische Intubation ist das Verfahren der Wahl bei Patienten mit bekanntem schwierigem Atemweg (. Abb. 26.15). Vor dem Einführen des Bronchoskops wird der Tubus auf das Gerät aufgefädelt und am Kontrollteil fixiert. In aller Regel wird die Intubation am wachen, spontanatmenden Patienten nach ausreichender topischer Anästhesie, z. B. mit Lidocain, auf nasotrachealem Weg durchgeführt. Nach der Passage der Stimmbänder mit dem Bronchoskop kann die Narkose eingeleitet werden; der Tubus wird danach über das liegende Bronchoskop als Leitschiene in die Trachea vorgeschoben und nach optischer Lagekontrolle fixiert. Hauptschwierigkeiten bei der fiberoptischen Intubation sind: 4 das Auffinden der Glottis und die Intubation der Trachea mit dem Bronchoskop und 4 das Vorschieben des Tubus über das liegende Bronchoskop in die Trachea [5].
. Abb. 26.16 Fiberoptische Intubation durch eine Intubationslarynxmaske (Fastrach)
Indikationen zur fiberoptischen Indikation (nach [18]) 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Schwierige Intubation Intubation beim wachen Patienten bei nicht möglicher Maskenbeatmung Aspirationsgefahr extremer Position Überstrecken der Halswirbelsäule kontraindiziert Kontraindikation für die Gabe von Anästhetika und Muskelrelaxanzien Endoskopische Untersuchung vor der Intubation Platzierung und Lagekontrolle des endotrachealen Tubus Verhütung von Intubationsschäden Ausbildung in der Technik
Verschiedene Hilfsmittel – wie z. B. der Mainzer Universaladapter, Endoskopiemasken oder spezielle Guedel-Tuben – können die fiberoptische Intubation von Patienten in Allgemeinanästhesie unterstützen. Im klinischen Alltag hat sich bei Patienten in Allgemeinanästhesie oder bei unerwartet schwierigem Atemweg die fiberoptische Intubation über eine liegende Larynxmaske bzw. Intubationslarynxmaske bewährt (. Abb. 26.16).
26
26 26 26 26 26
348
Kapitel 26 · Endotracheale Intubation
26.7
Management des schwierigen Atemwegs
Die »American Society of Anesthesiologists« (ASA) hat im Jahr 1993 und 2003 Richtlinien [3] zum Vorgehen bei schwierigem Atemweg veröffentlicht (. Abb. 26.17). Dieser Algorithmus besitzt jedoch keine Allgemeingültigkeit, vielmehr muss er den jeweiligen klinikinternen Gegebenheiten und Besonderheiten angepasst werden.
26.8
Intubationsschäden
Insbesondere bei Notfall- und kritisch kranken Patienten ist die Intubation mit besonderen Risiken verbunden [29]. Das Spektrum möglicher Nebenwirkungen und Verletzungen im Rahmen der endotrachealen Intubation reicht von unkomplizierten Verletzungen der Lippen bzw. der Mundschleimhaut bis zu perforierenden Traumen des Oro- und Nasopharynx, der Trachea und des Ösophagus mit hoher Letalität [13]. Zahnschäden stellen mit rund der Hälfte der dokumentierten Verletzungen die häufigsten Narkoseschäden dar. Angaben zur Inzidenz dieser Verletzungen schwanken erheb-
26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26 26
. Abb. 26.17 Algorithmus »schwieriger Atemweg« in Anlehnung an den Task-force-Algorithmus »difficult airway« der ASA (American Society of Anesthesiologists). (Nach [20])
349 Literatur
lich. Klinisch relevante Zahnschäden, die eine zahnärztliche Behandlung erfordern, treten mit einer Häufigkeit von 4500:1 auf [36], wobei vorbestehende Erkrankungen des Kauapparats das Risiko für Verletzungen deutlich erhöhen [12]. Kiefergelenkbeschwerden, Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und Halsschmerzen treten ebenfalls in einem hohen Prozentsatz auf [28]. Verletzungen des Larynx, wie Hämatome oder Stimmplippengranulome, werden auch nach unauffälliger endotrachealer Intubation und kurzer Intubationsdauer in bis zu 6% der Fälle gefunden [17]. > Nach computertomographischen Untersuchungen finden sich geringfügige Schädigungen des Larynx – wie Einrisse, Narben und kleinere Laryngozelen – bei 86% aller Patienten, die 6 Monate zuvor für <8 h elektiv endotracheal intubiert waren, und nach nahezu 100% der Notfallintubationen [6].
Mit einer Inzidenz von bis zu 16% stellt der Postextubationsstridor – ein relevantes Problem bei kritisch Kranken – dar. Mit einem einfachen Test des »Cufflecks« können gefährdete Patienten identifiziert werden [15]. Bei diesen Patienten sollte eine prophylaktische Gabe von Methylprednisolon (z. B. 40 mg i.v. 24 h vor Extubation) erwogen werden [9]. Persistierende Heiserkeit nach einer Intubationsnarkose kann auf einer Funktionsstörung im Krikoarytaenoidgelenk oder einer Schädigung des N. recurrens beruhen. Schädigungen der Trachea sind überwiegend auf druckbedingte Perfusionsstörungen und Ischämien der Trachealmukosa zurückzuführen, in deren Folge in einem hohen Prozentsatz Stenosierungen auftreten können, insbesondere nach Langzeitintubation [28]. Als wichtigste Ursache für diese Schädigungen wird ein inadäquat hoher Cuffdruck angeschuldigt [33]. > Perforierende Verletzungen der Trachea, des Hypopharynx oder des Ösophagus stellen die schwerwiegendsten Komplikationen dar.
Die spezifischen Komplikationen der nasotrachealen Intubation sind Nasenbluten, das traumatischen Abscheren von Nasenmuscheln, Polypen oder Adenoiden sowie die Perforation der Rachenhinterwand. Eine intrakranielle Fehllage des Tubus ist in Einzelfällen beschrieben worden [23]. Für die Langzeitbeatmung wird die nasotracheale Intubation derzeit nicht mehr empfohlen, da Abszessbildungen im Bereich des Nasenseptums und parapharyngeal, ebenso wie – mit der Dauer der nasotrachealen Intubation in zunehmender Häufigkeit auftretende – Sinusitiden eine relevante Sepsisquelle darstellen können [30]. Wenngleich derzeit nicht belegt, scheint ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Sinusitiden und nachfolgender nosokomialer Pneumonie mit gleichem Erregerspektrum zumindest möglich [14].
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Kapitel 26 · Endotracheale Intubation
32 Steinmann D, Priebe HJ (2009) Krikoiddruck. Anästhesist 58: 695–707 33 Ulrich-Pur H, Hraska F, Krafft P et al. (2006) Comparison of mucosal pressures induced by cuffs of 34 Walker L, Brampton W, Halai M et al. (2009) Randomized controlle trial of intubation with the McGrath Series 5 videolaryngoscope by inexperienced anaesthetists. Br J of Anaesthesia 103: 440–445 35 Walz JM, Zayaruzny M, Heard SO (2007) Airway Management in Critical Illness. Chest 131: 608-620 36 Warner ME, Benenfeld SM, Warner MA, Schroeder DR, Maxson PM (1999) Perianesthetic dental injuries: frequency, outcome, and risk factors. Anesthesiology 90: 1302–1305 37 Zilles K, Tillmann B (2010) Anatomie, Kap 10. Springer, Berlin Heidelberg New York
351
Perkutane Tracheotomie H.-W. Bause, A. Prause
27.1
Einleitung – 352
27.2
Indikation – 352
27.3
Kontraindikationen der perkutanen Dilatationstracheotomie – 352
27.4
Zeitpunkt der Tracheotomie – 353
27.5
Technik – 353
27.5.1 27.5.2 27.5.3 27.5.4 27.5.5 27.5.6 27.5.7 27.5.8 27.5.9
Identifikation der Trachea – 353 Punktionsort – 354 Beatmung – 355 Kanülenwechsel – 355 Perkutane Dilatationstracheotomie nach Ciaglia – 355 Technik nach Griggs – 355 Translaryngeale Tracheotomie nach Fantoni – 356 Perkutane Tracheotomie nach Frova – 358 Ballondilatation nach Zgoda – 358
27.6
Komplikationen – 358
27.6.1 27.6.2
Akzidentelle Verletzungen – 358 Trachealstenosen – 359
Literatur – 359
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_27, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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352
Kapitel 27 · Perkutane Tracheotomie
27.1
Einleitung
Innerhalb der Intensivtherapie sind nur wenige therapeutische Konzepte in den letzten 40 Jahren so kontrovers diskutiert worden wie die Tracheotomie. > Ziele jeder rechtzeitig innerhalb der Langzeitbeatmung durchgeführten Tracheotomie sind die Vermeidung von Kehlkopf- und Stimmbandschäden, die schnellere Entwöhnung vom Respirator sowie die bessere Pflege des Patienten.
Neben der klassischen plastischen Tracheostomie stehen seit 25 Jahren verschiedene Verfahren der perkutanen Tracheotomie zur Verfügung. Sie gehen auf Beschreibungen von Ciaglia, Griggs, Fantoni, Frova und Zgoda zurück. Die Attraktivität der Methode liegt in ihrer einfachen Technik und darin, sie bettseitig durchführen zu können. In Deutschland liegt die Anzahl der als Dilatation durchgeführten Tracheotomien bereits bei über 20.000 jährlich [26]. Die niedrige perioperative Komplikationsrate der perkutanen Dilatationstracheotomie (PDT) konnte in mehreren Untersuchungen belegt werden. > Bereits vor über 40 Jahren wurde von Sheldon und Mitarbeitern eine perkutane Tracheotomie beschrieben, die zur Identifikation der Trachea eine Spezialnadel erforderte und bei der die Trachealkanüle über einen schneidenden Trokar eingeführt wurde. Toye u. Weinstein beschrieben 1969 eine ähnliche Technik und benutzten zur Identifikation der Trachea eine spaltbare Nadel. Die eigentliche Trachealkanüle, in die ein Dilatator eingeführt war, wurde in einem Schritt in die Trachea eingesetzt.
Von besonderer Bedeutung sind die Arbeiten von Ciaglia [5], die den perkutanen Tracheotomietechniken zur Akzeptanz verhalfen. Die Unterschiede der einzelnen Verfahren liegen v. a. in der unterschiedlichen Dissektion des prätrachealen Gewebes und der Trachea. Hierbei werden verschiedene progressive
27 . Tab. 27.1 Methoden der Tracheotomie. (Mod. nach [19])
27 27 27
Methode
Jahr
Prinzip
Punktionstracheotomie (Ciaglia)
1985
Punktion der Trachea, Aufdehnung des Punktionskanals mit abgestuften Dilatatoren
Dilatationstracheotomie (Griggs)
1990
Punktion der Trachea, Aufspreizen des prätrachealen Gewebes mit einer modifizierten HowardKelly-Zange
Translaryngeale Tracheotomie (Fantoni)
1997
Punktion der Trachea, Aufdehnung der Trachea und des prätrachealen Gewebes durch retrograden Durchzug der Trachealkanüle
Punktionstracheotomie »Blue Rhino« (Ciaglia)
2000
Punktion der Trachea, Aufdehnung des Punktionskanals mit einem Dilatator
Punktionstracheotomie (Frova)
2001
Punktion der Trachea, Aufdehnung des Punktionskanals mit einer Dilatationsschraube
Ballondilatationstechnik »Blue Dolphin« (Zgoda)
2003
Punktion der Trachea, Aufdehnung des Punktionskanals mit einem Dilatationsballon
27 27 27 27 27 27 27
Dilatationstechniken (Ciaglia-Technik), die einmalige Dilatation mit der Zange (Griggs-Technik), das Aufdrehen mit einer »Schraube« oder einem schneidenden Trokar und das Aufdehnen mit einem Ballondilatator angewandt (. Tab. 27.1). z z Nomenklatur Im angelsächsischen Sprachraum werden die Verfahren als »percutaneous tracheostomy« bezeichnet, obwohl kein Stoma angelegt wird. Um sprachlich korrekt zu sein, sollte deshalb der Bezeichnung« perkutane Tracheotomie« der Vorzug gegeben werden.
27.2
Indikation
> In der Intensivtherapie ist die Tracheotomie ein elektiver Eingriff zur Erleichterung der Langzeitbeatmung bei Patienten, die einen gesicherten Atemweg haben. Daher ist die Indikation zur sekundären perkutanen Tracheotomie immer relativ.
Im Vergleich zum plastischen epithelialisierten Tracheostoma erfordert die PDT keinen sekundären Eingriff zum Verschluss des Tracheostomas. Die PDT ist immer dann indiziert, wenn für eine begrenzte Zeit ein Tracheostoma benötigt wird. Ist eine permanente Tracheotomie aus anderen als intensivmedizinischen Gründen indiziert, sollte ein epithelialisiertes Tracheostoma angelegt werden.
27.3
Kontraindikationen der perkutanen Dilatationstracheotomie
In der Notfallmedizin hat die Dilatationstracheotomie keinen Platz. Hier sind die endotracheale Intubation und in seltenen Fällen die Koniotomie die bewährten Maßnahmen zur Sicherung des Atemwegs.
Absolute Kontraindikationen der perkutanen Dilatationstracheotomie (PDT) 4 Notfälle 4 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (wegen der hohen Elastizität der Trachea, des geringen Abstands zwischen Trachealvorderwand und Pars membranacea und der noch geringen Erfahrung) 4 Nicht korrigierbare Gerinnungsstörung 4 Instabile Halswirbelfrakturen 4 Vorbestehende Trachealeinengung mit Tracheomalazie 4 Schwerste Gasaustauschstörung/ARDS (»adult respiratory distress syndrome«) 4 Frische Trachealnaht 4 Seitengetrennte Beatmung (Doppellumentubus ist nicht platzierbar)
Relative Kontraindikationen der perkutanen Dilatationstracheotomie (PDT) 4 Frische Bronchusnaht 4 Vorbestehende Tracheomalazie 4 Endgültiges Stoma
353 27.5 · Technik
Frische Sternotomien, Aids sowie Adipositas stellen keine Kontraindikationen dar [7, 10, 15]. Kluge et al. konnten zeigen, dass bei Patienten mit schwerer Thrombopenie eine PDT möglich ist, wenn die Thrombozytenzahl präoperativ durch Transfusion auf mindestens 50×109/l angehoben wurde [11].
27.4
Zeitpunkt der Tracheotomie
Die Diskussion über den optimalen Zeitpunkt für die Tracheotomie des beatmeten Intensivpatienten wird seit Jahrzehnten geführt. Die wenigen prospektiv randomisierten Studien ergaben widersprüchliche Ergebnisse. Rumbak et al. (2004) untersuchten bei internistischen Patienten den Effekt einer Tracheotomie innerhalb von 48 h gegen eine Tracheotomie nach 14–16 Tagen. Er beschrieb in der früh tracheotomierten Grupppe eine signifikant niedrigere Mortalität [22]. Im Gegensatz dazu konnten Barquist et al. (2006) bei Traumapatienten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Mortalität oder Beatmungsdauer feststellen. In dieser Studie wurde entweder vor dem 8. Tag oder nach dem 28. Tag tracheotomiert [1]. Momentan kann man nicht festlegen, wann der translaryngeal intubierte Patient tracheotomiert werden soll. Es gibt theoretische Argumente jeweils für eine frühe und eine späte Tracheotomie. Die leichte Durchführbarkeit und die exzellenten Resultate der PDT erlauben die Tracheotomie zu einem frühen Zeitpunkt, und die meisten Autoren empfehlen eine Tracheotomie innerhalb von 10 Tagen. Dennoch werden weitere prospektiv randomisierte Studien benötigt, um Klarheit über den besten Zeitpunkt der Tracheotomie zu finden.
In der 1989 veröffentlichten Stellungnahme (»Consensus Conference on Artificial Airways in Patients Receiving Mechanical Ventilation«) von Direktoren amerikanischer Intensivstationen wurde bei einer Beatmungsdauer von <10 Tagen die translaryngeale Intubation empfohlen [19]. 2006 wird in den »Evidence-Based Guidelines for Weaning and Discontinuing Ventilatory Support« des American College of Chest Physicians ausdrücklich keine Empfehlung für den Zeitpunkt der Tracheotomie gegeben [14].
Durch mehrere Arbeiten konnte gezeigt werden, dass sich durch eine frühzeitige Tracheotomie (innerhalb von 8 Tagen) die Intensivbehandlungszeit verkürzen lässt und dies sogar zu einer Reduktion der Inzidenz nosokomialer Pneumonie führen kann [13, 20]. Die frühzeitige Tracheotomie verbessert somit den Komfort des Patienten, sichert den Atemweg, verbessert die endotracheale Absaugung, erleichtert das Weaning vom Beatmungsgerät, verkürzt den Aufenthalt auf der Intensivstation und schont damit die Ressourcen.
27.5
Technik
Die verschiedenen perkutanen Verfahren unterscheiden sich in der Methode der Schaffung eines Zugangs zur Trachea. Hierzu müssen die Gewebeschichten zwischen der Haut und der ventralen Trachealwand durchtrennt werden. Dies betrifft insbesondere die Kutis und Subkutis mit Platysma und die mediane Faszie der geraden Halsmuskulatur. In der tieferen Schicht verlaufen subkutane Nerven und Venen. Größere Venen findet man in der Medianlinie sowie am vorderen und hinteren Rand des M. sternocleidomastoideus.
! Cave Von besonderer Bedeutung für Blutungskomplikationen ist der Verlauf des Truncus brachiocephalicus, der ventral und rechtslateral der Trachea verläuft. Bei Tracheomalazie kann es hier zu gravierenden Arrosionsblutungen kommen [25].
Das Prinzip der Seldinger-Technik wurde von Ciaglia für die perkutane Technik der Tracheotomie modifiziert [5]. Der Eingriff kann problemlos auf der Intensivstation unter totaler i.v.-Anästhesie und Beatmung mit einer FIO2 von 1,0 durchgeführt werden; ein Transport in den Operationssaal ist nicht erforderlich. Die Verfügbarkeit kommerzieller »Sets« führte dazu, dass 1997 in Deutschland bereits über 44% der anästhesiologischen Intensivstationen Erfahrungen mit der perkutanen Tracheotomie hatten [2]. 2008 war die perkutane Technik das Standardverfahren auf 86% der deutschen Intensivstationen [12]. ! Cave Voraussetzung: Um eine PDT sicher durchführen zu können, muss die Trachea eindeutig zu tasten und zu identifizieren sein. Nur dann darf eine PDT durchgeführt werden!
z Vorgehen Die horizontale Schnittführung ergibt in der Regel ausgezeichnete kosmetische Ergebnisse und vermeidet eine akzidentelle Verletzung des Krikoids. Dagegen ist bei der von manchen Autoren bevorzugten vertikalen Inzision die Verletzung von großen, paramedianen subkutanen Venen weniger wahrscheinlich. Der Patient wird mit überstrecktem Kopf gelagert (Cave: Schädel-Hirn-Trauma mit erhöhtem intrakraniellem Druck!). Der translaryngeale Tubus wird, ggf. unter direkter laryngoskopischer Kontrolle, bis in den Larynx zurückgezogen. Nach üblicher Hautdesinfektion wird steril abgedeckt.
27.5.1
Identifikation der Trachea
Marelli [16] empfahl bereits 1990 die bronchoskopische Steuerung der Trachealpunktion, der sich 1996 auch Marx et al. [17] anschlossen. Sie gilt heute als unverzichtbar, wobei die videoskopische Führung die Prozedur noch sicherer macht. Die Kombination von Bronchoskopie und stumpfer Präparation des Gewebes bis nahe an die Trachea mit der progressiven Dilatation des Tracheostomas ist ein besonders schonendes und sicheres Verfahren. Die Trachea kann eindeutig identifiziert werden; damit ist das Risiko einer paratrachealen Fehlpunktion gering. Die Punktionstiefe beträgt nur 1–2 cm, dadurch ist die Gefahr einer zu tiefen Punktion mit Verletzung der Pars membranacea minimal. Die Palpation der Trachea ermöglicht in der Regel eine Identifikation der Knorpelspangen. So kann sicher zwischen den Knorpeln punktiert werden, die dann bei der Dilatation auseinanderweichen, aber in sich unverletzt bleiben. Bei unkontrollierter Punktion kann es zur Verletzung einer Knorpelspange kommen, die unter dem Dilatationsvorgang wie bei konventioneller Tracheotomie im anterioren Bereich durchtrennt wird und damit ihre Stabilität verliert. Hierdurch sind allerdings keine besonderen Komplikationen zu erwarten.
27
354
Kapitel 27 · Perkutane Tracheotomie
27 27 27 27 27 27 a
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27 27 27 27 27 27 27 27 27 f
27
. Abb. 27.1a–f Perkutane Dilatationstracheotomie nach Ciaglia. Die Trachea wird unter bronchoskopischer Kontrolle unterhalb des 1. Trachealknorpels punktiert; die Identifikation der endotrachealen Kanülenlage erfolgt durch Luftaspiration in eine mit Kochsalzlösung gefüllte Spritze (a). Anschließend werden der Seldinger-Draht (b) und darüber ein dünner Kunststoffkatheter (c) eingeführt. Nun wird die Punktionsöffnung schrittweise dilatiert (d) und schließlich die Trachealkanüle über einen Dilatator eingelegt (e, f)
27 27 27
c
27 27
27.5.2
27
Ciaglia beschrieb zunächst die Punktion zwischen Krikoid und 1. Trachealknorpel, wodurch das Krikoid verletzt werden kann [5]. Andere Autoren punktieren zwischen dem 2. und 3. Trachealknorpel [2, 4, 24]. Es wird so in der Regel eine Punktion des translaryngealen Tubus oder seines Cuffs verhindert. Wird der Cuff dennoch zerstört, so muss durch Steigerung des Atemzugvolumens eine ausreichende Ventilation sichergestellt werden.
27 27 27
Punktionsort
> Die Punktion zwischen dem 2. und 3. Trachealknorpel vermeidet eine Verletzung des Ringknorpels bei der Dilatation.
Auch Drucknekrosen durch die liegende Trachealkanüle sind nicht beobachtet worden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da Verletzungen des Ringknorpels eine hohe Inzidenz an subglottischen Trachealstenosen bedingen. Die von Toursarkissian et al. [24] beschriebenen Trachealstenosen traten bei direkt subkricoidaler Punktion bzw. nach Fraktur des Ringknorpels auf.
355 27.5 · Technik
27.5.3
Beatmung
Ein besonderer Gefahrenpunkt liegt am Anfang der operativen Maßnahme der PDT, nämlich zum Zeitpunkt des Zurückziehens des Endotrachealtubus bis oberhalb der Punktionsstelle in der Trachea bei erhaltener Ventilation. Während Ciaglia [5] den entblockten Tubus bis in die Stimmritze zurückzieht, empfehlen andere Autoren die Benutzung der Larynxmaske. Die korrekte Lage der Trachealkanüle wird über das Fiberbronchoskop kontrolliert. > Erst nach fiberoptischer Kontrolle der korrekten Trachealkanülenlage wird der Endotrachealtubus entfernt.
27.5.4
Kanülenwechsel
Der erste postoperative Kanülenwechsel sollte frühestens nach einer Woche durchgeführt werden, da sonst der Tracheotomiekanal nicht stabil ist und das Wiederauffinden der Trachea unmöglich sein kann. Sollte innerhalb der ersten Woche die Kanüle akzidentell entfernt worden sein, muss sofort eine orale Notintubation erfolgen! Erst nach erfolgter Sicherung des Atemwegs wird unter fiberoptischer Kontrolle die Trachealkanüle wieder eingelegt.
27.5.5
Perkutane Dilatationstracheotomie nach Ciaglia
Ciaglia berichtete 1985 über eine elektive Dilatationstechnik, bei der zur Tracheotomie mit Ausnahme des Hautschnitts kein Messer benutzt wurde, und stimulierte damit das Interesse an dieser Technik [5]. Die progressive Dilatationstechnik nach Ciaglia fand letztlich dadurch eine besondere Verbreitung, dass konsequent über eine Dilatationstechnik mit verschiedenen Dilatatoren das prätracheale Gewebe und die Trachea selbst schonend aufbougiert werden. Ciaglia entwickelte die Technik 1999 weiter, indem er die multiplen Dilatatoren durch einen einzigen mit Hydrogel beschichteten Dilatator (»Blue Rhino«, Fa. Cook) ersetzte; diese Technik wird heute von den meisten Anwendern favorisiert.
Trachea gut zu tasten ist. Nach Identifikation der Trachea erfolgt die Punktion der Trachea mit einer 14-G-Teflonkanüle unter bronchoskopischer Sicht. Die korrekte Kanülenlage wird durch Aspiration von Luft in eine aufgesetzte, mit Kochsalzlösung gefüllte Spritze gesichert (. Abb. 27.1). Um Komplikationen bei der Punktion zu vermeiden, ist es heute obligatorisch, die Trachealpunktion unter bronchoskopischer Kontrolle durchzuführen. Nach Einführen eines Seldinger-J-Drahtes) wird dieser mit einem dünnen Kunststoffkatheter armiert). Dadurch wird verhindert, dass der Seldinger-Draht bei dem folgenden Dilatationsmanöver abknickt und die Pars membranacea der Trachea verletzt. Über den armierten Seldinger-Draht erfolgt nun schrittweise die Dilatation des Tracheostomas bis auf 36 Charr. Dabei werden Dilatatoren benutzt, die in ihrem vorderen Abschnitt leicht gebogen sind. Bei der Dilatation müssen die abgewinkelten vorderen Teile exakt in der Richtung des Punktionskanals gegen einen deutlichen, individuell unterschiedlichen Gewebewiderstand vorgeschoben werden, bis der schwarze Markierungsring das Hautniveau erreicht. Jeder Dilatator wird nur einmal angewandt. Der Wechsel der Dilatatoren sollte schnell erfolgen, damit die kontinuierlich fortgesetzte Beatmung nicht unnötig behindert wird. Die Trachealkanüle wird auf einen passenden Dilatator aufgezogen (ID 8,0 mm auf 24 Charr, ID 9,0 mm auf 28 Charr). Dabei muss durch großzügige Anwendung von Gleitmittel sichergestellt werden, dass der Dilatator leicht wieder aus der Kanüle entfernt werden kann. Dann wird die Kanüle mit dem Dilatator über den armierten Seldinger-Draht in die Trachea eingeführt (. Abb. 27.1e). Das Einbringen der Trachealkanüle erfordert einen gewissen Druck, da die Kanüle über die Kante des proximalen und distalen Trachealknorpels rutschen muss. Mit der zur Verfügung stehenden Spezialtrachealkanüle für die perkutane Tracheotomie (Fa. Mallinckrodt) ist das Einbringen der Kanüle deutlich leichter, da sich der Übergang vom Dilatator zur Trachealkanüle bündiger gestaltet. Nach dem Platzieren der Kanüle werden Draht, Armierung und Dilatator entfernt und der Cuff geblockt (. Abb. 27.1f). Dann kann der Patient über die Trachealkanüle beatmet werden. Die korrekte Positionierung der Trachealkanüle erfolgt unter tracheoskopischer Kontrolle.
27.5.6 Instrumentarium für die weiterentwickelte Dilatationstechnik nach Ciaglia 4 Tracheotomieset (Einmaldilatatoren bzw. »Blue Rhino«, Fa. Cook) 4 Trachealkanüle der gewünschten Größe 4 Präparierschere 4 Chirurgische Pinzette 4 Nadelhalter oder Kocher-Klemme 4 Pulsoxymeter 4 Operationsleuchte
Die etwa 2 cm lange Hautinzision erfolgt horizontal 1–2 cm distal des Krikoidknorpels (über dem 2.–4. Trachealknorpel). ! Cave Die primär von Ciaglia angegebene Punktionshöhe der Trachea zwischen Krikoid- und 1. Trachealknorpel sollte nicht gewählt werden, da in dieser Höhe mit einer höheren Rate an Trachealstenosen zu rechnen ist!
Das subkutane und prätracheale Gewebe kann mit der Präparierschere oder einer Kocher-Klemme stumpf gespreizt werden, bis die
Technik nach Griggs
Die Vorbereitung zur perkutanen Tracheotomie nach Griggs (Set: Fa. Portex) erfolgt wie oben beschrieben. In Abwandlung der Ciaglia-Technik wird bei der Methode nach Griggs die Trachea nicht mit Dilatatoren, sondern mit einer modifizierten Howard-Kelly-Zange aufgespreizt [8]. Identifikation und Punktion der Trachea erfolgen mit einer 14-G-Nadel mit angeschlossener flüssigkeitsgefüllter Spritze. Ein Seldinger-Draht mit J-Spitze wird in die Trachea eingeführt und die Plastikkanüle entfernt, wobei der Seldinger-Draht in seiner Position verbleiben muss (. Abb. 27.2a). Sodann wird die HowardKelly-Zange über den Draht in das weiche Halsgewebe eingeführt, bis ein Widerstand spürbar ist und anschließend gespreizt, um das prätracheale Gewebe aufzudehnen. Die Zange wird unter Führung des Seldinger-Drahtes geschlossen in die Trachea vorgeschoben (. Abb. 27.2b). Gewöhnlich fühlt man einen leichten Widerstandsverlust, wenn die vordere Trachealwand durchstoßen wird. In der Trachea wird die Howard-KellyZange vorgeschoben, bis die Zange entlang der Längsachse der Trachea liegt (. Abb. 27.2c). Zur Vorbereitung des Stomas wird die Zange auf die Breite der Hautinzision geöffnet und dann entfernt. Eine vorbereitete Trachealkanüle und der beigefügte Trokar wer-
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Kapitel 27 · Perkutane Tracheotomie
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27 27 27 27 27 27 27 27 27
. Abb. 27.2a–d Perkutane Tracheotomietechnik nach Griggs. Trachealpunktion und Einlage des Seldinger-Drahtes erfolgen wie bei der Methode nach Ciaglia (a). Nun wird die Howard-Kelly-Zange über den Draht geführt und dann gespreizt, wobei zuerst das prätracheale Gewebe und anschließend die Tracheavorderwand eröffnet und aufgedehnt werden (b, c). Schließlich wird die Trachealkanüle auf einem Trokar in die Luftröhre eingeführt (d)
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den über den Seldinger-Draht in die Trachea vorgeschoben (. Abb. 27.2d). Trokar und Führungsdraht werden entfernt und der Cuff der Trachealkanüle geblockt. Die weiteren Maßnahmen zur Sicherung der Lage der Trachealkanüle entsprechen der Ciaglia-Technik. z Besonderheiten Die Gefahrenpunkte der Griggs-Technik sind vergleichbar der Ciaglia-Technik – bis auf den Umstand, dass die Dilatation der Trachea in ihrer Ausdehnung nicht limitiert ist. Sie erfordert deshalb besondere Erfahrung. Die Risiken in Bezug auf einen Defekt der Pars membranacea erscheinen bei beiden Techniken derzeit vergleichbar.
27.5.7
Translaryngeale Tracheotomie nach Fantoni
Die Vorbereitungen zur translaryngealen Tracheotomie (TLT) entsprechen weitgehend denen der Ciaglia- und der Griggs-Technik. Neben dem Set (Fa. Mallinckrodt Medical), das eine konisch sich verjüngende Spezialtracheotomiekanüle, eine Punktionsnadel, einen Seldinger-Draht, einen Obturator, einen starren Bronchoskopietubus sowie einen dünnen Beatmungstubus enthält, wird zwingend ein flexibles Bronchoskop benötigt [23]. Für die erforderlichen Umintubationen sollten besondere Erfahrungen in der endotrachealen Intubation vorhanden sein. Zu Beginn des Verfahrens wird der Patient ggf. auf den beigefügten starren Bronchoskopietubus unter Narkose und Relaxation umintubiert [6]. Diese Maßnahme erscheint verzichtbar. Danach erfolgen die übliche Desinfektion des Operationsgebiets mit steriler Abdeckung sowie die Reinigung des Mund- und Rachenraums. Unter fiberoptischer Kontrolle durch den Bronchoskopietubus wird die Trachea mit der beigefügten Spezialnadel nach Hautinzision oberhalb des 2.–4. Trachealknorpels punktiert (. Abb. 27.3a).
357 27.5 · Technik
a
b
c
d
e
Nach korrekter Punktion unter fiberoptischer Kontrolle und Luftaspiration wird der Seldinger-Draht durch die Kanüle eingeführt und durch den starren Bronchoskopietubus oder den endotracheal liegenden Tubus nach außen geleitet. Nach Sicherung des Drahtes an beiden Enden wird der Bronchoskopie- bzw. Endotrachealtubus entfernt und durch den dünnen Beatmungstubus ausgetauscht, der mit seinem Cuff direkt vor der Bifurkation der Trachea positioniert wird. Nach Sicherstellung der Beatmung wird
. Abb. 27.3a–e Translaryngeale Tracheotomie nach Fantoni. Zu Beginn wird der Patient auf den beigefügten starren Bronchoskopietubus umintubiert. Die Trachealpunktion erfolgt wie bei der Methode nach Ciaglia (. Abb. 27.1), der Seldinger-Draht wird jedoch translaryngeal durch den Tubus nach außen geleitet (a). Anschließend wird der Bronchoskopietubus entfernt und durch einen dünnen Beatmungstubus ersetzt, dessen Cuff direkt vor der Trachealbifurkation platziert wird. Der Seldinger-Draht wird durch die Fantoni-Kanüle geführt und mit einem Knoten gesichert (b). Nun wird die Fantoni-Kanüle translaryngeal eingeführt und mit ihrer Spitze von endotracheal nach außen durchgezogen (c). Schließlich wird die Spitze abgeschnitten, die Kanüle mit Hilfe eines Obturators aufgerichtet, gewendet und in typischer Weise in der Trachea platziert (d, e). (System Fa. Mallinckrodt Medical GmbH)
der Draht nun durch die Spezialkanüle geführt und durch Fixation gesichert (. Abb. 27.3b). Es erfolgt dann der Durchzug der Spezialkanüle mit ihrem metallischen und spitzen Ende durch den Mund-Rachen-Raum in die Trachea. Durch kontinuierlichen Zug lässt sich die Spitze der Trachealkanüle langsam nach außen ziehen (. Abb. 27.3c).
27
358
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Kapitel 27 · Perkutane Tracheotomie
> Damit die Trachealkanüle nicht komplett durchgezogen wird, empfiehlt es sich, den Cuff gering anzublocken und das Durchzugmanöver über das in das kaudale Ende der Trachealkanüle eingeführte Bronchoskop zu kontrollieren.
Es erfolgen dann das Abschneiden des distalen Endes der Trachealkanüle und die Befreiung des Cuffschlauchs aus der Trachealkanüle. In das nun offene Ende der Trachealkanüle wird der Obturator eingeführt, die Kanüle aufgerichtet und unter Rotation nach kaudal in die Trachea vorgeschoben (. Abb. 27.3d, e). Anschließend erfolgt wiederum die bronchoskopische Kontrolle der Kanülenlage. Wenn die Kanüle korrekt positioniert ist, werden der Cuff des Beatmungstubus entblockt und der Tubus entfernt. Die hier dargestellte Fantoni-Technik hat in ihrer jungen Geschichte schon mehrere Modifikationen erfahren, da die primär empfohlene Anwendung eines starren Bronchoskops nur auf geringe Akzeptanz stieß. Insgesamt ähnelt die Technik in einigen Aspekten der retrograden Intubation. Der methodische Vorteil der Fantoni-Technik liegt in der geringen Kompression der Trachea im Vergleich zu Ciaglia- und zur Griggs-Technik. Die Erfahrungen belegen, dass diese Technik sicher angewandt werden kann [26]. z z Besonderheiten Problematisch erscheint das Wendemanöver der Trachealkanüle nach kaudal innerhalb der Trachea, da die Trachealkanüle leicht aus der Trachea herausgezogen werden kann. Die Trachealkanüle kann dann nicht mehr in der Trachea platziert werden, und die gesamte Prozedur ist mit einem weiteren Set zu wiederholen.
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27.5.8
Perkutane Tracheotomie nach Frova
Bei der von Frova in Italien weiterentwickelten perkutanen Tracheotomietechnik (PercuTwist, Fa. Rüsch) wurde der Dilatator PercuTwist als Schraube entworfen, wobei der Gewindebereich mit einer hydrophilen Schicht versehen ist, die den Dilatationsvorgang erleichtern soll. Statt zu bougieren, wird der PercuTwist unter endoskopischer Sicht über den Führungsdraht unter vorsichtigem Drehen im Uhrzeigersinn in die Trachea vorgebracht. Während des Drehens kann die vordere Trachealwand durch leichtes Ziehen an der PercuTwist-Schraube angehoben werden. Es kann dabei zu einer Entlastung der Vorderwand der Trachea kommen. Der in der Packung beigefügte CrystalClear-Tracheostomietubus ist ebenfalls hydrophil beschichtet, was die Einlage in die Trachea erleichtert.
27
27.5.9
27
Zgoda modifizierte 2003 die Ciaglia-Technik. Die Dehnung des Gewebes erfolgt mit einem Ballondilatator und soll dadurch besonders schonend erfolgen. Ein entsprechendes Set wird unter der Bezeichung »Blue Dolphin« vermarktet (Fa. Cook). Insgesamt erscheint die Technik etwas aufwändiger als das »Blue Rhino«-Verfahren. Erste, viel versprechende Ergebnisse wurden von Gromann mitgeteilt [9]
27 27 27 27 27
27.6
Ballondilatation nach Zgoda
Komplikationen
Im Folgenden wird eine Zusammenstellung aller denkbar möglichen Komplikationen der PDT gegeben. Komplikationen der PDT können sowohl während des Eingriffs als auch bei in situ positionierter Trachealkanüle und nach Dekanülierung auftreten (. Tab. 27.2).
. Tab. 27.2 Komplikationen der perkutanen Dilatationstracheotomie (PDT) Intraoperativ
Kanüle in situ
Nach Dekanülierung
5 Blutung 5 Paratracheale Punktion 5 Pars-membranacea-Defekt 5 Kanülenfehllage 5 Verlust des Atemwegs 5 Hypoxie 5 Pneumothorax 5 Cuffdefekt 5 Hautemphysem 5 Hypotension
5 Blutung 5 Infektion 5 Kanülendislokation 5 Kanülenobstruktion 5 Cuffleckage 5 Trachealerosion 5 Ösophagotracheale Fistel
5 Kosmetischer Defekt 5 Larynxstenose 5 Trachealgranulation 5 Tracheomalazie
Am stärksten werden während des Eingriffs die Blutung sowie der Verlust des Atemwegs gefürchtet. Intraoperative Blutungen lassen sich häufig durch das Einsetzen der Trachealkanüle komprimieren und dadurch beherrschen. Späte Blutungen (nach Wochen) sind meistens Folge einer Läsion des Truncus brachiocephalicus, die dramatisch und letal verlaufen können. Sie können selbstverständlich nach jeder Form der Tracheotomie auftreten. > Eine Kontrolle des Cuffdrucks während der Beatmung sowie eine Tracheotomie oberhalb des 4. Trachealknorpels gelten als wichtige Komplikationsprophylaxe.
Die Rate an Komplikationen insgesamt, insbesondere aber die Häufigkeit schwerwiegender Komplikationen (Tod, Trachealstenose) ist im Vergleich zur konventionellen Tracheotomietechnik niedrig. Insgesamt wird die Komplikationsrate für die konventionelle Tracheotomie in einem Bereich von 6 bis 66% angegeben, mit einer Mortalitätsrate von 0–5%.
27.6.1
Akzidentelle Verletzungen
Bei einwandfreier Punktions- und Dilatationstechnik liegt die Trachealkanüle sicher intratracheal. Bei falscher (zu tiefer) Punktion kann es zur Verletzung der Trachealhinterwand kommen. Es sind mehrere ösophagotracheale Fisteln bekannt geworden, die nicht zum Tod des Patienten führten. Wird eine solche Komplikation jedoch nicht erkannt, so kann sie letztlich den Tod des Patienten verursachen. ! Cave Wird die Fehllage der Punktionskanüle nicht bemerkt (keine Luftaspiration möglich!), sondern trotzdem der Seldinger-Draht eingeführt und die Dilatation durchgeführt, ergibt sich zwangsläufig eine Fehllage der Kanüle [16]. Diese Komplikation ist bei eindeutiger Identifikation der Trachea sicher vermeidbar.
Wird während des Bougierens beim Wechsel des Dilatators versehentlich der Draht mit aus der Trachea entfernt, so ist das Wiedereinführen außerordentlich schwierig. Es kann leicht zu einer Fehllage im prätrachealen Gewebe kommen. Bevor die Dilatation weitergeführt wird, muss unbedingt die korrekte Lage des Seldinger-Drahtes mit einer fiberoptischen Tracheoskopie über den liegenden Tubus gesichert werden.
359 Literatur
Eine Schleimhautverletzung der Trachea kann auftreten, wenn während der Prozedur der Seldinger-Draht an der Spitze des Dilatators geknickt wird – insbesondere, wenn nicht auf eine korrekte Positionierung des Dilatators auf dem Kunststoffkatheter (Knickschutz!) geachtet wird. Es kann dann zur Schleimhautläsion der Trachealhinterwand kommen. Deshalb darf ein abgeknickter Seldinger-Draht nicht weiterbenutzt werden! Cuffdefekte und Zerreißungen beim Einführen der Trachealkanüle mit der konsequenten bronchoskopischen Entfernung aus der Trachea sind beschrieben [17]. Schließlich sind mehrere Todesfälle im Zusammenhang mit der Dilatationstracheotomie bekannt geworden; ursächlich hierfür waren irreversible Kanülendislokationen.
27.6.2
Trachealstenosen
Bei den bisher aufgetretenen und schon früh beschriebenen Trachealstenosen wurden kraniale Tracheostomaanlagen gewählt, wie sie ja auch von Ciaglia in seinen ersten Arbeiten empfohlen wurden. Inzwischen sind auch die Spätfolgen, wie die Tracheal-stenose, gut untersucht und besitzen kaum noch klinische Relevanz [18, 21, 23]. Fazit Obwohl die perkutane Dilatationstracheotomie eine einfach durchzuführende Technik darstellt, ist die exakte Kenntnis der anatomischen Verhältnisse unabdingbar; manche Autoren empfehlen darüber hinaus, dass der Operateur über Erfahrung mit der konventionellen Tracheotomie verfügen soll. Nur in den Händen eines mit der Anatomie gut vertrauten Arztes ist die perkutane Tracheotomie ein sicheres und komplikationsarmes Verfahren. Derzeit scheint die PDT in Bezug auf die postoperativen Komplikationen der konventionellen Operationstechnik überlegen zu sein. Letztlich fehlen, trotz weiter Verbreitung der PDT, klare Festlegungen zum richtigen Zeitpunkt der Tracheotomie.
Literatur 1
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27
361
Thoraxdrainage B. Regli, L. Mende
28.1
Luft- oder Flüssigkeitsansammlungen in der Pleura: Ursachen und Diagnostik – 362
28.2
Indikationen zur Drainage – 363
28.3
Thorakozentese – 364
28.4
Technik der Drainageeinlage – 364
28.5
Drainagesysteme – 365
28.5.1 28.5.2
Mehrflaschensysteme – 365 All-in-one-Wegwerfsystem – 366
28.6
Drainage-Trouble-Shooting – 366
28.7
Entfernen der Drainagen – 366
28.8
Komplikationen im Zusammenhang mit Thoraxdrainagen – 367 Literatur – 367 Internetadressen – 368
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_28, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
28
362
28 28 28 28
Kapitel 28 · Thoraxdrainage
Die Einlage einer Thoraxdrainage gehört zu den häufigsten Eingriffen, die auf Notfall- und Intensivstationen durchgeführt werden. Bei unsachgemäßer Anwendung ist sie jedoch mit einer beträchtlichen Morbidität und Mortalität verbunden. In den letzten Jahren sind umfangreiche evidenzbasierte Richtlinien erschienen, wie z. B. von der British Thoracic Society oder vom American College of Chest Physicians [4, 8,16, 21]. Weiterhin steht umfangreiches Videomaterial zu Demonstrationszwecken zur Verfügung, wie z. B. die Videopublikationen des NEJM [35].
28
28.1
28
z
28 28 28 28 28 28 28 28 28 28 28 28
Luft- oder Flüssigkeitsansammlungen in der Pleura: Ursachen und Diagnostik
Luftansammlungen Ätiologie. Ein Pneumothorax kann »spontan« als Folge einer geplatzten Emphysemblase, nach einem perforierenden oder stumpfen Trauma (häufig mit Rippenfrakturen), iatrogen durch z. B. eine die Lunge verletzende Punktion oder im Zusammenhang mit einem beatmungsbedingten Baro- oder Volutrauma entstehen. Klinik und Diagnostik. Die Diagnose wird meist klinisch, röntgenologisch oder sonographisch gestellt und orientiert sich an den Symptomen [7, 24].
Symptome des Pneumothorax 4 Dyspnoe, Tachypnoe, Hypoxämie 4 Abgeschwächtes Atemgeräusch, hypersonorer Klopfschall (kann gelegentlich fehlen) 4 Betroffener Hemithorax in Inspirationsstellung 4 Steigende Spitzen- und Plateaudrücke bei volumenkontrollierter, abnehmende Atemzugvolumina bei druckkontrollierter Beatmung 4 Anstieg von Herzfrequenz und zentralvenösem Druck mit oder ohne Kreislaufdepression bei Luftansammung unter Druck (Spannungspneumothorax)
Eine in Exspiration durchgeführte Röntgenuntersuchung bestätigt die von der Thoraxwand abgehobene Lunge. Gelegentlich präsentiert sich ein ventral gelegener Pneumothorax nur durch eine Transparenzerhöhung (z. B. scharfe kardiale Kontur oder hypertransparenter und ausgezogener Sinus phrenicocostalis). Eine Tho-
raxcomputertomographie schafft Klarheit. Schwierigkeiten können differenzialdiagnostisch auch Bullae bieten. z Pleurale Flüssigkeitsansammlungen Sie sind beim Intensivpatienten häufig. Mannigfaltige Ursachen führen zu einem erhöhten Anfall an pleuraler Flüssigkeit und/oder zu einer gestörten Drainage. Die verantwortlichen Faktoren einer Störung können in 3 Hauptkategorien eingeteilt werden: 4 bedingt durch eine Veränderung des transpleuralen Druckes, 4 durch einen gestörten Lymphabfluss oder 4 durch eine erhöhte Permeabilität des mesothelialen oder kapillären Endothels [34]. Bei Ersterem spricht man von einem Transsudat, bei den zwei Letzteren von Exsudaten (ProteinquotientPleura/Serum >0,5). Beim Exsudat ist die Pleuramembran i. Allg. pathologisch verändert (ggf. nachweisbar mittels Kontrastmittel-Thorax-CT). Ätiologie. . Tab. 28.1 zeigt eine entsprechende Kategorisierung, häufigere Ursachen und dazugehörende typische Pleuraflüssigkeitsbefunde (mod. nach [8, 21]). Die Ätiologie des Ergusses spielt für die Indikationsstellung zur Drainage eine wichtige Rolle. > Hierbei gilt: Jeder unklare Erguss sollte untersucht werden. Klinik und Diagnostik. Die Verdachtsdiagnose eines Pleuraergusses wird klinisch gestellt. Es bestehen evtl. pleuritische Schmerzen oder Atemnot. Das Atemgeräusch ist in den abhängigen Lungenpartien abgeschwächt oder fehlt, im Randbereich besteht Kompressionsatmen, die Perkussion ergibt einen gedämpften Klopfschall. Die Unterscheidung zu einer Atelektase ist klinisch aber häufig schwierig. Konventionell radiologisch zeigen sich in der liegenden Aufnahme eine homogene Zunahme der Dichte, ein Verlust der Zwerchfellsilhouette, ein Verschwinden des kostophrenischen Winkels sowie eine schlechter sichtbare Gefäßzeichnung des Unterlappens. Ein apikales »capping« oder ein Zwerchfellhochstand können ebenfalls auf einen Erguss hinweisen. Atelektasen und Konsolidationen können die Zeichen von Ergüssen nachahmen. Falls der Erguss seitlich ausläuft, randständig sichtbar wird und z. B. der rechtsseitige Interlobärspalt abgrenzbar wird, besteht diagnostische Klarheit. Man kann davon ausgehen, dass mindestens 500–700 ml Flüssigkeit vorhanden sind. Eine Seitenaufnahme (betroffene Seite nach unten) kann evtl. weiteren Aufschluss bringen.
28
. Tab. 28.1 Kategorisierung, häufigere Ursachen und typische Pleuraflüssigkeitsbefunde. (Nach [8, 21])
28
Pleuraflüssigkeitsbefund
28
Transsudat
(ProteinPleura/Serum <0,5; LDHPleura/Serum <0,6)
Herzinsuffizienz; Leberzirrhose; nephrotisches Syndrom; Peritonealdialyse; Lungenembolie; Hypothyeose; Mitralstenose
Exsudat
(ProteinPleura/Serum>0,5; LDHPleura/Serum> 0,6; LDHPleura>2/3 obere Norm Serum)
5 Parapneumonisch a) unkompliziert (pHPleura>7,2; LDHPleura<1000; GlukosePleura>2,2 mmol/l) b) kompliziert (pHPleura<7,2; LDHPleura>1000; GlukosePleura<2,2 mmol/l; evtl. + gram/Kultur) c) Empyem (wie b) + Eiter 5 Gastrointestinale Erkrankungen wie Pankreatitis, Ösophagusperforation (Amylase), nach Abdominalchirurgie, nach Lebertransplantation, bei intraabdominellem Abszess 5 Lungeninfarkt; Neoplasie; Urämie; Kollagenose; rheumatoide Arthritis; medikamentös induziert; nach Bestrahlung
28 28 28 28
Katergorisierung, Kennzeichen
Andere
Hämatothorax; Chylothorax, Infusothorax
363 28.2 · Indikationen zur Drainage
Mittels Sonographie ist der Nachweis sensitiver und die Quantifizierung wesentlich besser möglich. Auch bei radiologischer Unsicherheit oder zur Bestätigung einer radiologischen Verdachtsdiagnose eignet sich die Sonographie. Aber selbst mit dieser Methode können an schlecht zugänglichen Stellen beträchtliche dorsal oder apikal liegende Ergüsse dem Nachweis entgehen. Eine Quantifizierung ist durch Anwendung einfacher Messmetoden möglich [25]. Die zuverlässigsten Informationen liefert die Computertomographie (Lokalisation, Ausdehnung, Kammerung, Verdickung und vermehrte Kontrastmittelaufnahme der Pleura parietalis, z. B. bei Empyem).
28.2
Indikationen zur Drainage
Gerinnung. Vor jeder Drainageeinlage muss die Ausgangslage be-
züglich Gerinnung bekannt sein und evtl. entsprechend korrigiert werden. Nutzen und Risiken einer Substitution mit Gerinnungsprodukten sind gegenüber dem Blutungsrisiko abzuwägen. . Tab. 28.2 (mod. nach [16]) zeigt einen Überblick hinsichtlich der Indikation zur Drainage. z Pneumothorax Ein Mantelpneumothorax von 1–2 cm Breite bzw. mit einem Lungenvolumenverlust von weniger als 20–25% bei einem beschwerdefreien, spontan atmenden Patienten kann primär belassen und beobachtet werden. Ausgedehntere Befunde sind zu entlasten. Ob eine alleinige Nadelaspiration bei einem Spontanpneumothorax im Vergleich zur Pleurasaugdrainage Vorteile bietet, ist noch Gegenstand der Diskussion. In einer Metaanalyse ließen sich für die Hospitalisationsrate, die Länge des stationären Aufenthaltes (bis 2,5 Tage) und den Analgetikabedarf Vorteile für die Nadelaspiration finden [33]. Eine Cochrane-Analyse fand 2007 jedoch nur für die Hospitalisationsrate Vorteile der Nadelaspiration [31]. Beim beatmeten Patienten empfiehlt sich bereits bei geringen interpleuralen Luftansammlungen eine Drainage. Zu rasch kann sich durch die positiven Beatmungsdrücke ein Pneumothorax weiter ausdehnen, den Kreislauf beeinträchtigen und evtl. in einen lebensbedrohlichen Spannungspneumothorax münden. Ein Spannungspneumothorax muss unverzüglich entlastet werden, dies kann ggf. notfallmäßig mittels Venflon im 2./3. ICR in der Medioklavikularlinie erfolgen, sofern sich unmittelbar daran die Einlage einer Pleuradrainage in die betroffene Pleurahöhle anschließt. Bei einem progredienten Weichteilemphysem kann eine Thoraxdraina-
. Tab. 28.2 Indikation zur Drainage. (Mod. nach [16]) Pneumothorax
5 Bei jedem beatmeten Patienten 5 Bei Spannungspneumothorax 5 Bei großem Pneumothorax 5 Bei persisitierendem oder rezidivierendem Pneumothorax
Transsudat und nicht infiziertes Exsudat in Abhängigkeit von
5 der Pleuraflüssigkeitsmenge und 5 der klinischen Situation
Kompliziertes parapneumonisches Exsudat oder Empyem Hämatothorax; Infusothorax; maligner Erguss
ge auch ohne sichtbaren Pneumothorax sinnvoll sein (Luftaustritt aus verletztem Lungengewebe passiert die ebenfalls verletzte Pleura parietalis). z Transsudat und nichtinfiziertes Exsudat Ein Pleuraerguss durch Transsudation oder nicht infiziertes Exsudat sollte eher zurückhaltend angegangen werden. Günstige Auswirkungen auf die Lungenfunktion sind häufig enttäuschend. Die Verbesserung der Vitalkapazität ist in Bezug auf die drainierte Flüssigkeitsmenge gering. Durchschnittlich kann von 20 ml je 100 ml drainierter Flüssigkeit ausgegangen werden [17]. Ein Gewinn ist v. a. bei schlechter Gesamtcompliance zu erwarten (ausgeprägte Zwerchfellhochstände bei raumfordernden retro- oder intraperitonealen Prozessen). Ist eine Beatmungsentwöhnung infolge ausgeprägter Pleuraegüsse (z. B. >500 ml) behindert, kann die Drainage dieser Ergüsse in einigen Fällen Erfolg bringen. Eine prospektive Studie zeigte eine signifikante Reduktion des Shunts, der Füllungsdrücke (ZVD und PCWP), der Atemfrequenz und eine Erhöhung des O2-Agebotes [1]. Der Effekt bezüglich des Oxygenationsindex ist widersprüchlich [1, 25]. Bei beatmeten Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz unter hohem PEEP sollen selbst geringe Drainagemengen die Compliance und den Oxygenierungsindex verbessern können [28]. z Infizierte Flüssigkeitsansammlungen/Empyem Auch kleine Mengen von komplizierten parapneumonischen bzw. infizierten Flüssigkeitsansammlungen sollten immer möglichst vollständig drainiert werden. Eine vorausgehende diagnostische Pleurapunktion gibt im Zweifelsfall die notwendigen Hinweise (ProteinPleura/Serum; LDHPleura/Serum; pH; Glukose; Gram; Kultur; evtl. Zytologie). Intrapleurale Fibrinolyse. Bei frühzeitiger Anwendung kann die retrograde Instillation von Strepto- oder Urokinase erfolgreich sein und ein thorakoskopisches Débridement (verlangt in der Regel Doppellumentubus mit Einlungenventilation) oder eine konventionellchirurgische Dekortikation überflüssig machen. Der Nutzen ist allerdings nach wie vor umstritten [20, 23].
z Hämatothorax Die Indikation zur Drainage eines Hämatothorax sollte großzügig und rasch gestellt werden [11]. Intrathorakale Blutungen können nach Reexpansion der Lunge eher zum Stehen kommen (Niederdruckgefäßsystem). Ein Hämatothorax bei penetrierenden Verletzungen ist wegen der Infektproblematik immer zu drainieren. Kommt es nach Einlage der Drainage nicht zum Sistieren der Blutung oder entleeren sich unerwartet grosse Mengen Blut (>1,5 l), so ist frühzeitig Kontakt zum Thoraxchirurgen aufzunehmen. Bei geschlossenen Verletzungen ist die Indikation ab mehreren 100 ml gegeben, v. a. bei instabilem Thorax mit begleitender Lungenkontusion. Blut wirkt als Entzündungsreiz und kann bei größeren Mengen nicht vollständig resorbiert werden. Es kommt zur Organisation und Ausbildung einer Schwarte mit konsekutiver pulmonaler Restriktion. Auch besteht längerfristig das Risiko einer sekundären Infektion (Empyem) [11]. Bei koagulierten Blutmassen ist evtl. ein thorakoskopisches bzw. offen chirurgisches Vorgehen indiziert.
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364
Kapitel 28 · Thoraxdrainage
28.3
Thorakozentese
Im intensivmedizinischen Bereich wird die wiederholte Punktion eines Pleuraergusses selten angewandt. Ihre diagnostische Bedeutung wurde kürzlich trotz 7% iatrogener Pneumothoraxinzidenz erneut propagiert [12]. Sie soll prinzipiell unter sterilen Kautelen und Lokalanästhesie geschehen. Nachteilig ist die mehrfache Punktion u. a. im Hinblick auf eine zunehmende Kammerung von Ergüssen – dies kann z. B. eine nachfolgend geplante Pleurodese verkomplizieren. z Praktisches Vorgehen Wenn der Patient nicht sitzen kann, muss der Oberkörper möglichst hoch gelagert werden. Die Punktion erfolgt 1–2 Querfinger unterhalb der perkutatorisch oder besser sonographisch festgestellten Ergussgrenze, mindestens eine Handbreit oberhalb des unteren Rippenbogens. Nach Lokalanästhesie der Haut mit einer 23-G-Nadel wechselt man auf eine 20-G-Spinalnadel zur Anästhesie der Subkutis (als Alternative zur Spinalnadel werden auf dem Markt sog. SicherheitsPleurapunktionssets angeboten). Man ertastet nun die Rippe, anästhesiert großzügig und wandert gegen und entlang des Oberrands derselben Rippe. Damit vermindert man das Risiko einer Verletzung des Gefäß-Nerven-Bündels. Ein intubierter Patient wird nach Präoxygenierung möglichst vom Respirator diskonnektiert, oder ein positiver endexspiratorischer Druck (PEEP) reduziert. Dann wird die Pleura unter Aspiration vorsichtig perforiert (Widerstandsverlust bei Durchtritt). Die freie Aspiration von Flüssigkeit bestätigt die korrekte Lage. Das atemsynchrone inspiratorische Sistieren von Aspirat zeigt das Entleeren des Ergusses an (Pleura visceralis berührt die Nadel). Die Nadel kann nun langsam zurückgezogen werden, um ein vollständiges Entleeren zu gewährleisten. Man sollte vorsichtig aspirieren, da bei Kontakt der Pleura visceralis mit der Punktionsnadel ein Ansaugen und somit eine Verletzung der Pleura visceralis mit konsekutiver Luftaspiration möglich ist. (Bei einer eventuellen Punktion der Lunge kann ggf. nur blutig-schaumige Flüssigkeit aspiriert werden). Entweder wird das Procedere nach Gewinnung von Flüssigkeit zu diagnostischen Zwecken abgebrochen, oder man wird im Falle eines iatrogenen Pneumothorax die Pleura parietalis vor Einlage einer Drainage großzügig anästhesieren. ! Cave Das Risiko eines iatrogenen Pneumothorax wächst mit dem Entleerungsgrad des Ergusses und einer eventuellen Beatmung.
Der große Vorteil der chirurgischen Technik liegt einerseits in der Möglichkeit, Drainagekatheter mit großem Durchmesser zu applizieren, andererseits kontrolliert in den Pleuraraum einzudringen und pleurale Adhäsionen, evtl. die Zwerchfellkuppe oder sogar das Herz ertasten zu können. Der Nachteil liegt im erhöhten Zeit- und Analgesiebedarf. z Praktisches Vorgehen Beim wachen Patienten ist eine Einwilligung erforderlich. Er liegt flach auf dem Rücken oder in leichter Seitenlage und wird adäquat analgosediert (die Einlage ist relativ schmerzhaft!). In der Regel geht der Drainageeinlage eine Probepunktion bzw. großzügige Lokalanästhesie z. B. mit 10–15 ml Mepivacain 1% voraus, wobei Luft oder Flüssigkeit aus dem Pleuraraum aspiriert werden können. Die Einlage der Thoraxdrainage erfolgt im sog. sicheren Dreieck zwischen vorderer und hinterer Axillarlinie auf der Höhe oder oberhalb des 5. Interkostalraums (hier können die Mamillen als Orientierungshilfe dienen; . Abb. 28.1). ! Cave Das Zwerchfell kann in Exspiration bis auf Höhe des 4. Interkostalraums gelangen.
Für die Drainage wird eine Hautinzision von 3–5 cm Länge 1–2 Interkostalräume kaudal der geplanten Drainagedurchtrittstelle unter sterilen Kautelen angelegt. Mit einer gebogenen Klemme (z. B. Rochester Pean 18,5 cm) wird nun durch wiederholtes Spreizen, stumpf subkutan, bis zum gewünschten Interkostalraum vorpräpariert. Man sollte nun die gewünschte Punktionsstelle nochmals lokal anästhesieren. Jetzt sollte der Respirator gestoppt, evtl. intermittiernd von Hand weiterbeatmet oder präoxygeniert vom Beatmungsgerät diskonnektiert werden [16]. Dies erlaubt eine Perforation der Thoraxwand in Exspiration mit geringerem Risiko einer iatrogenen Lungenverletzung. Bei einem weiterhin beatmeten Patienten kann eine evtl. »hepatisierte« Lunge schlecht ausweichen oder sogar mit viel Druck entgegenkommen und verletzt werden. In exspiratorischer Apnoe durchsticht man nun mit geschlossener Klemme, die stets in Kontakt mit dem oberen Rand der Rippe bleibt, das interkostale Gewebe senkrecht zur Thoraxwand. Wird nun die Klemme gespreizt, hört man entweder Luft austreten (z. B. bei Spannungspneumothorax), oder es entleert sich bereits Erguss. Die intrathorakalen Verhältnisse können nun mit einem Finger ertastet werden. Um Verletzungen des Gefäß-Nerven-Bündels am
28 28
28.4
Technik der Drainageeinlage
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Die sicherste Technik, v. a. beim intubierten Patienten auf der Intensivstation, ist die chirurgische stumpfe Dissektion bis in die Pleurahöhle im Sinne einer Minithorakotomie.
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> Die Trokarmethode soll wegen ihrer höheren Komplikationsrate nicht mehr angewandt werden.
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In ausgewählten Fällen (eher nicht intubiert) und obligatorisch unter sonographischer Kontrolle und/oder bei vorheriger sicherer Luft- oder Flüssigkeitsaspiration kann eine Drainage auch mit kleineren Kathetern nach dem »Durch-die-Nadel-« [22] oder Seldinger-Prinzip erfolgen (z. B. mittels Zentralvenenkatheter [26] oder Thal-Quick-Katheter [29]). Die Einlage eines Pigtail-Katheters geschieht üblicherweise unter sonographischer oder CT Kontrolle [6].
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. Abb. 28.1 »Triangle of safety«. Das Dreieck wird begrenzt: hinten durch den Vorderrand des M. latissimus dorsi, vorn durch den seitlichen Rand des M. pectoralis major und nach kaudal durch die Höhe der Mamille
365 28.5 · Drainagesysteme
a
b
c . Abb. 28.2a–c 1-Flaschen-System (a), 2-Flaschen-System (b), 3-Flaschen-System (+blau: 4-Flaschen-System) (c)
unteren Rippenrand zu vermeiden, sollte darauf geachtet werden, dass man die Klemme streng längs der Rippen spreizt. Dem Finger oder der geschlossenen Klemme entlang wird nun der bündig zur Spitze mit der Korn-Zange gefasste Drain eingeschoben. Beim weiteren Einführen (nach dorsal und leicht apikal bei Flüssigkeitsdrainage, nach ventral und apikal bei Pneumothoraxdrainage) bleibt man stets in Kontakt mit der Thoraxwand. Wenn die Korn-Zange bis fast zum Anschlag eingeführt ist, öffnet man sie so weit, dass der Drain noch unter Führung der Korn-Zange weiter geschoben werden kann. Die Hautinzision wird nun verschlossen (z. B. mittels vorgelegter Tabaksbeutelnaht – dies erleichtert das spätere Ziehen der Drainage und den Verschluss der Inzisionsstelle) und die Thoraxdrainage mit einer Distanzknopfnaht fixiert. Es wird nun eine Röntgenkontrolle durchgeführt. Eine sehr empfehlenswerte Videodokumentation findet man unter [35]. Bei abgekapselten Prozessen kann es notwendig sein, mehrere Drainagen einzulegen. Idealerweise erfolgt die Einlage dann unter CT-Kontrolle. Draingröße. Man verwendet 24–28 Charr bei Drainage von Luft oder Transsudat, 28–36 Charr bei Hämatothorax oder Empyem. Beatmete Patienten sollten auch für die Luftdrainage mindestens ein Drain der Größe 28 Charr erhalten. Sog. Der applizierte Sog beträgt in der Regel – 10 bis – 20 cm H2O. Ein inadäquat starker negativer Sog kann zu einseitigem Lungenödem, zu Lungen- und selbst Perikardverletzungen führen. Bei Luftverlusten, wie z. B. nach lungenchirurgischem Eingriff, führt der Verzicht auf Sog ebenso rasch zum Sistieren des Luftlecks [2].
28.5
Drainagesysteme
Die Minimallösung besteht im Anschluss eines Heimlich-Ventils [15], welches v. a. für Transporte geeignet ist. Es erlaubt den freien Austritt von Luft und Flüssigkeit, nicht jedoch deren Eintritt, und entspricht einem 1-Flaschen-System (. Abb. 28.2a). Es neigt jedoch zum Verkleben. Die essenziellen Komponenten der heute üblichen geschlossenen Systeme sind: ein Auffanggefäß, ein Wasserschloss, eine Einrichtung, die den Sog reguliert, sowie eine Sogquelle.
28.5.1
Mehrflaschensysteme
Bei den heute verwendeten Systemen handelt es sich mehrheitlich um Mehrflaschensysteme. Obschon heute anstatt konventioneller Flaschensysteme All-in-one-Wegwerfsysteme (7 Abschn. 28.6.2) verwendet werden, sind aus didaktischen Gründen Erstere hier auch erklärt. 3-Flaschen-System. Dabei wird die 1. Flasche als Auffang- bzw.
Messgefäß und die 2. Flasche als Wasserschloss verwendet (. Abb. 28.2c). Ein mit der Drainage verbundenes Rohr ist dabei 2 cm in eine desinfizierende Flüssigkeit (z. B. 0,02% Polyhexamid) eingetaucht und wirkt daher als Einwegventil. Die 3. Flasche dient zur Sogregulation. Der Sog entspricht der Eintauchtiefe eines gegenüber der Umgebung offenen Rohrs in z. B. Aqua dest. Durch das Ansaugen von Außenluft wird ein konstanter negativer Druck gewährleistet. Der Sog wird gewöhnlich auf 20 cm H2O eingestellt.
28
366
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Kapitel 28 · Thoraxdrainage
Stetig aufsteigende Luftblasen zeigen, dass einerseits der gewünschte Sog vorhanden ist, andererseits das System Luft suffizient drainieren kann. Bei massiven Luftverlusten kann der Flow limitierend werden. Im Sogkontrollgefäß steigen dann keine oder nur intermittierend Luftblasen auf. Die Sogkapazität muss dann erhöht werden; bei bronchopleuralen Fisteln kann der erforderliche Flow sogar 15–20 l/min betragen. Als Sogquelle dient meist ein zentraler Vakuumwandanschluss mit oder ohne Sogreduzierventil, gelegentlich auch eine elektrisch betriebene Pumpe oder ein Venturisystem.
terschiedliche maximal mögliche Flowkapazität (dies könnte bei großer bronchopleuraler Fistel problematisch sein) und der korrekte Sog am System berücksichtigt werden (evtl. Überlaufen der Flüssigkeit von der Sogregulationskammer in die Wasserschlosskammer) [19].
4-Flaschen-System. Wenn die Sogquelle aus irgendeinem Grund abgestellt wird, kann dies bei einem geschlossenen System und noch vorhandenem Luftverlust gefährlich sein und in kurzer Zeit einen Spannungspneumothorax zur Folge haben. Diesbezügliche Sicherheit gibt ein mit dem Auffanggefäß verbundenes Drucküberlaufgefäß mit Wasserschloss und Verbindung zur Atmosphäre (. Abb. 28.2c).
28.6
2-Flaschen-System. Das Drainagesystem kann vereinfacht werden, indem auf das vorgeschaltete Auffanggefäß verzichtet und dessen Funktion vom Wasserschlossgefäß übernommen wird (. Abb. 28.2b). Damit wird der Systemtotraum reduziert. Der erkaufte Nachteil liegt darin, dass mit dem Füllen der Flasche das eingetauchte Rohr hin und wieder nach oben bewegt werden muss, da sonst in Abhängigkeit vom Flüssigkeitsniveau Sog verloren geht. Dieser Verlust kann auch bis zu einem gewissen Grad mit dem Sogkontrollgefäß kompensiert werden (größere Eintauchtiefe des Rohrs).
28 28 28
28.5.2
All-in-one-Wegwerfsystem
Die im Handel erhältlichen Systeme funktionieren nach dem oben genannten Prinzip, sind kompakt, aber nicht unproblematisch zu entsorgen (. Abb. 28.3). Wichtig ist, dass bei ihrem Einsatz die un-
Transport. Auf einen aktiven Sog kann man in der Regel verzich-
ten. Für längerdauernde Transporte wechselt man mit Vorteil auf ein Heimlich-Ventil.
Die Schaumbildung im Wasserschloss bei großen Luftmengen kann durch Beigabe von 100–200 ml 94%-igem Alkohol deutlich vermindert werden. Es ist zu beachten, dass bei einem durchhängenden Drainageschlauch durch die Siphonbildung Sog verloren geht. Atemabhängige Oszillationen der Drainageflüssigkeit zeigen eine zur Pleura offene Drainage. Luftblasen im Wasserschloss müssen nicht unbedingt pleuralen Leckagen entsprechen. Persistierende Luftblasen nach Setzen einer Klemme auf den Drain patientennah weisen auf eine Undichtigkeit im Drainagesystem hin. Das Melken (»stripping«) der Drainagen von Hand oder mit Hilfsmitteln soll einem Verstopfen entgegenwirken. Der praktische Nutzen inklusive diverser anderer Methoden ist allerdings umstritten [14, 30]. Ein persistierender Pneumothorax anlässlich einer durchgeführten CT-Thoraxuntersuchung kann u. a. durch nichtanliegenden oder nichtsuffizienten Sog während des Transportes oder der CTDiagnostik verursacht sein – dies sollte vor einer etwaigen Neuanlage von zusätzlichen Drainagen bedacht werden.
28.7
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28
Entfernen der Drainagen
Wenn bei einem Pneumothorax über einen Zeitraum von 24 h im Drainagesystem keine Luftblasen mehr sichtbar sind, kann die Drainage entfernt werden. Flüssigkeitsfördernde Drainagen können entfernt werden, wenn die Flüssigkeit serös ist und die täglich geförderte Flüssigkeitsmenge weniger als 100‒200 ml beträgt. Hingegen sollten auch geringe, aber persistierende Blut- oder Eiterentleerungen weiter drainiert werden.
28
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Drainage-Trouble-Shooting
. Abb. 28.3 Prinzip eines All-in-one-3-Flaschen-Drainagesystems. Es beinhaltet einen Flüssigkeitsauffangteil, ein Wasserschloss (hier ist auch ein eventueller Luftverlust aus der Pleura sichtbar) und eine hydraulische Sogkontrolle. Alternative Systeme verfügen über eine mechanische Sogkontrolle
z Praktisches Vorgehen Der spontan atmende Patient wird bei der Entfernung der Drainage aufgefordert, ein Valsalva-Manöver durchzuführen und kräftig gegen geschlossenen Mund und Nase zu pressen. Ist der Patient noch intubiert, so kann ein Beatmungshub für mehrere Sekunden Dauer appliziert werden (»inspiration hold«). In dieser Zeit wird die Drainage unter Sog gezogen und damit der drohende Lufteintritt durch die Wundöffnung vermieden. Kontaminierte und infizierte Wundöffnungen sollten nicht zugenäht werden. Bei korrekter Tunnelierung anlässlich der Drainageeinlage sollte man keine Luft aspirieren können. Ansonsten kann evtl. ein luftdichter Wundverband mit antiseptischer Salbe oder mit Vaseline Abhilfe schaffen. Nach 12–24 h erfolgt eine Röntgenkontrollaufnahme.
367 Literatur
28.8
Komplikationen im Zusammenhang mit Thoraxdrainagen
5
6
z Fehllagen Die häufigste Komplikation ist die Fehllage, die konventionellradiologisch oftmals nicht erkannt werden kann [5]. Nach Einlage unter Notfallbedingungen fanden Baldt et al. [3] in einer retrospektiven Untersuchung mittels CT 26% extrathorakale, intraparenchymale und intrafissurale Fehllagen.
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z Verletzungen Vor allem die Trokarmethode birgt ein wesentliches Risiko der Lungenperforation und sollte nicht mehr angewandt werden [13]. Bei beatmeten Patienten, v. a. mit verminderter Lungen-Compliance oder pleuralen Verwachsungen, sind Komplikationen generell häufiger. > Nur entsprechend geschulte Ärzte sollten Drainagen bei beatmeten Patienten durchführen.
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13
z Reexpansionslungenödem Das einseitige Reexpansionslungenödem nach rascher Lungenentlastung ist eine seit langem bekannte Komplikation, die typischerweise innerhalb von Stunden manifest wird. Risikofaktoren sind die Größe des drainierten Volumens, die Dauer des Lungenkollapses und ein stark negativer intrapleuraler Sog [32]. Ein ischämischer Endothelschaden, ein plötzlich erhöhter transvaskulärer Kapillardruck nach Aufhebung der hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion, ein Reperfusionsschaden oder ein Surfactantmangel werden u. a. dafür verantwortlich gemacht. Eine kürzlich publizierte retrospektive Studie könnte für einen hydrostatischen Mechanismus als wichtige Komponente sprechen [27]. Das Reexpansionslungenödem tritt selten bei weniger als 3 Tage altem Lungenkollaps auf, wurde aber auch schon nach wenigen Stunden beobachtet [28]. Der Verlauf ist meistens gutartig, Todesfälle sind jedoch beschrieben.
14
z Infektion und Antibiotikaprophylaxe Drainagen beinhalten das Risiko eines nosokomialen Infekts. Aufgrund einer Metaanalyse von 6 zwischen 1977 und 1990 publizierten randomisierten Studien wird bei Traumapatienten, insbesondere bei penetrierenden Thoraxverletzungen, eine kurzzeitige Antibiotikaprophylaxe empfohlen [10].
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15 16 17
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Kapitel 28 · Thoraxdrainage
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Internetadressen http://content.nejm.org/cgi/content/short/357/15/e1
369
Bronchoskopie S. Krüger
29.1
Gerätekunde – 370
29.2
Untersuchungsgang – 370
29.3
Materialgewinnung – 371
29.3.1 29.3.2 29.3.3 29.3.4
Bronchialsekret – 371 Bronchoalveoläre Lavage – 371 Bürste und geschützte Bürste (PSB) – 371 Biopsie – 371
29.4
Starre Bronchoskopie – 372
29.5
Pathophysiologische Veränderungen während der Bronchoskopie – 372
29.6
Komplikationen und Risiken – 373
29.7
Indikationen – 373
29.7.1 29.7.2
Airway-Management – 373 Atelektase und Infiltrat im Röntgenbild – 374
29.8
Kontraindikationen – 374 Literatur – 375
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_29, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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370
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Kapitel 29 · Bronchoskopie
Die flexible Bronchoskopie (FB) ist in der Intensivmedizin zu einer unverzichtbaren Methode für die Diagnostik und das AtemwegsManagement geworden. In geübten Händen ist die FB eine sichere und wertvolle Technik und kann unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen auch bei instabilen und beatmeten Patienten angewendet werden. Die starre Bronchoskopie war die übliche Technik bis Mitte der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts, als sie für die Mehrzahl der Untersuchungen von der FB abgelöst wurde, insbesondere in der ICU. In diesem Artikel sollen für die Bronchoskopie die Indikationen (. Tab. 29.1), Kontraindikationen, pathophysiologischen Veränderungen während der Untersuchung und mögliche Komplikationen von erwachsenen Patienten auf der ICU dargestellt werden. Zusätzlich soll ein Überblick und Vorschlag für die sichere praktische Durchführung der FB auf der ICU gegeben werden.
29 29.1
29 29 29 29 29
Gerätekunde
Flexible Fiberbronchoskope sind in verschiedenen Ausführungen verfügbar. Moderne FB sind mit einem Videochip ausgerüstet, und das Bild wird auf einem Bildschirm betrachtet. Das typische FB für die ICU ist ein diagnostisches FB mit einem Außendurchmesser von 5,2 mm und einem Arbeitskanal von 1,8 mm. Hiermit kann man Beatmungstuben von 6,5 mm in der Regel noch passieren. Aufgrund von Reibungsproblemen kann es jedoch im ungünstigsten Fall passieren, dass das FB aus dem kleinen Tubus nicht mehr extrahierbar ist, sodass das FB mit dem Tubus in toto entfernt werden und der Patient umgehend neu intubiert werden muss. Ein weiteres Problem kleiner Tuben bei der FB ist, dass aufgrund des geringen
. Tab. 29.1 Indikationen für die Bronchoskopie in der ICU
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Indikationen Diagnostisch
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> Um auch für Notfallsituationen gerüstet zu sein, ist es ratsam, einen speziellen Bronchoskopiewagen vorzuhalten, auf dem alles erforderliche Material für diagnostische und therapeutische Prozeduren auf der ICU direkt vorhanden ist und der unmittelbar bei Komplikationen eingesetzt werden kann.
29.2
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Querschnitts des Tubus, der noch eine Ventilation am FB vorbei zulässt, das Atemzugvolumen während der FB kritisch reduziert wird mit der Folge einer schweren respiratorischen Insuffizienz. Spezielle therapeutische FB haben einen Außendurchmesser von mindestens 6 mm und einen Arbeitskanal von 2,8–3,2 mm. Diese FB werden bevorzugt eingesetzt bei der Absaugung von massivem, sehr zähem Sekret, dem Management von stärkeren Hämoptysen, zur Abtragung von Tumoren und Entfernung von endobronchialen massiven Blutkoageln oder Fremdkörpern. Ultradünne FB mit einem Außendurchmesser von 2 mm verfügen über keinen Arbeitskanal und sind auf der ICU nur in der Pädiatrie sinnvoll einsetzbar. FB mit einem Außendurchmesser von 2,8 mm und einem Arbeitskanal von 1,2 mm finden bei der Intubation mit einem Doppellumentubus Verwendung, aber auch in der Pädiatrie oder der bronchoskopischen Intubation bei Vorliegen hochgradiger Stenosen von Larynx oder Trachea. Moderne FB sind 55–70 cm lang. Damit können die Bronchien in der Regel beim intubierten Patienten bis in den Subsegmentbereich eingesehen werden. Ein FB kann nur in einer Ebene abgewinkelt werden, wobei nach ventral eine Abwinkelung von 180°–210° möglich ist, nach dorsal ist der Winkel mit 130° geringer.
Therapeutisch
5 Pneumonie (immunsupprimierte Patienten, nosokomiale Pneumonie, ventilatorassoziierte Pneumonie) 5 Unklare pulmonale Infiltrate 5 Unklare pulmonale Massen oder Rundherde 5 Verdacht auf Atemwegsverletzung (nach Intubation, stumpfem Thoraxtrauma, postoperativ) 5 Akutes Inhalationstrauma, Verbrennung 5 Einseitig lokalisiertes Giemen, Stridor 5 Verdacht auf tracheoösophageale Fistel 5 Schwieriges Airway-Management (schwierige Intubation, Intubation mit Doppellumentubus, Extubation) 5 Radiologisch Nachweis einer Atelektase 5 Exzessive Atemwegssekrete mit Behinderung der Atmung 5 Aspiration 5 Fremdkörper 5 Hämoptysen 5 Bronchopleurale Fistel 5 Beseitigung Atemwegsobstruktion durch endobronchialen Tumor (Laser, Argon-Plasma Koagulation, Kryotherapie, Elektroschlinge) 5 Bronchiale Strikturen (benigne) oder Stenosen (benigne oder maligne): Dilatation oder Stentimplantation
Untersuchungsgang
Bei der Untersuchung von kritisch kranken Patienten sollte die Untersuchungsdauer so kurz wie möglich gehalten werden. Deshalb ist eine ausreichende Erfahrung des Untersuchers erforderlich, um sich rasch im Bronchialsystem zu orientieren, eine Materialgewinnung durchzuführen und Komplikationen wie pulmonale Blutungen sicher zu beherrschen. Insbesondere bei schwerer respiratorischer Insuffizienz und bei nicht intubierten Patienten mit problematischer respiratorischer Situation ist dies besonders wichtig. Spontan atmende oder nichtinvasiv beatmete Patienten sollten während der FB zusätzlich Sauerstoff über Nasensonde oder Beatmungsmaske erhalten. Bei intubierten und beatmeten Patienten sollte über den Tubus eine Beatmung mit 100% Sauerstoff für die Dauer der FB erfolgen. > Als Hauptprinzip gilt auch bei der FB auf der ICU, dass zuerst die vermutlich gesunde Seite untersucht werden sollte, um bei Komplikationen auf der pathologischen Lungenseite den Befund der gesunden Seite zu kennen und ggf. die einseitige Ventilation der gesunden Seite sicherstellen zu können.
371 29.3 · Materialgewinnung
29.3.2 Empfehlungen zur Bronchoskopie bei mechanisch beatmeten Patienten 1. 2. 3. 4. 5.
6.
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
14. 15. 16. 17.
Der endotracheale Tubus sollte eine Größe von 8,0 haben, mindestens jedoch 7,5. Einführen eines Bissschutzes. Erhöhung des FIO2 auf 1,0 (5 min vor, während und bis zu 1 h nach der Bronchoskopie). Messung der arteriellen Blutgase vor und 10 min nach der Bronchoskopie. Liegt die SaO2 bei einer FIO2 von 1,0 unter 90%, muss auf die Bronchsokopie ggf. verzichtet werden, wenn keine vitale Indikation besteht wie z. B. schwere Hämoptyse. PEEP sollte während der Bronchoskopie wenn möglich reduziert werden, da während der Prozedur der Spitzendruck in den Atemwegen um bis zu 25 mm Hg steigen kann. Kann der PEEP nicht unterbrochen werden, sollte er zumindest um 50% gesenkt werden. Sedierung nach Bedarf, z. B. mit Midazolam oder Disoprivan. Einschmieren des Bronchoskopendes mit Lidocain-Gel. Einführen des Bronchoskopes über das Tubusende. Absaugzeiten wenn möglich <3 s. Kontinuierliches Monitoring von SaO2, Herzfrequenz, Blutdruck. Kontrolle des endtidalen Volumens. Bei relevanter Tachykardie, Blutdruckanstieg oder Abfall der SaO2 Pausieren der Untersuchung bis zur Erholung der Vitalparameter auf ein stabiles Niveau. Auf Bronchospasmus achten (Auskultation, Atemwegsdruck). Bronchoskopische Kontrolle der Position des Tubus am Ende der Untersuchung. Schriftliche ausführliche Dokumentation der Untersuchung. Gegebenenfalls Thoraxröntgenaufnahme nach der Untersuchung, insbesondere bei Verdacht auf Komplikationen.
29.3
Materialgewinnung
29.3.1
Bronchialsekret
Die einfachste und komplikationsärmste Form der Sekretgewinnung besteht darin, das Ende des FB in das betroffene Lungensegment vorzuführen. In die Absaugung des FB wird eine Sekretfalle zwischengeschaltet. Dann wird über den Arbeitskanal des FB 10 ml 0,9-%ige NaCl-Lösung instilliert und wieder abgesaugt, sodass Bronchialsekret in der Falle aufgefangen werden kann. Soll die Kontamination des Sekretes über Rückstände der Absaugung im Arbeitskanal vermieden werden, so kann auch ein dünner Plastikkatheter über den Arbeitskanal in das entsprechende Lungensegment vorgeführt werden. Über den Katheter wird ebenfalls NaCl-Lösung instilliert und wieder in eine Spritze aspiriert. In der klinischen Routine hat sich dieses Katheterverfahren auf der ICU jedoch nicht durchgesetzt, da es in der Regel zu keinen klinisch bedeutsamen Unterschieden in der Diagnostik führt.
Bronchoalveoläre Lavage
Bei einer bronchoalveolären Lavage (BAL) wird das FB in einem subsegmentalen Bronchus »eingeklemmt«. Dann werden über den Arbeitskanal mehrfach Portionen von 20 ml einer 0,9-%igen NaClLösung in den Bronchus instilliert und unmittelbar wieder abgesaugt. Diese BAL-Flüssigkeit kann dann für die mikrobiologische, zytologische, aber auch immunologische Diagnostik verwendet werden. Für die Mikrobiologie und Zytologie reichen geringere Mengen an BAL-Flüssigkeit von bis zu 20 ml in der Regel aus. Für eine aussagekräftige immunologische Diagnostik bei Verdacht auf diffuse Lungenparenchymerkrankungen wie z. B. bei Kollagenosen, Sarkoidose oder exogen-allergischer Alveolitis ist eine größere Lavagemenge nötig. Durch die Instillation von mehr als 100 ml 0,9-%ige NaCl-Lösung in ein Subsegment werden hierdurch auch die distalen Atemwege und Alveolen gespült und hieraus Proben gewonnen. > Der Prozentsatz der zurückgewonnenen Flüssigkeitsmenge sollte bei mindestens 40% der instillierten Menge liegen, was bei Patienten mit instabilen Atemwegen schwierig sein kann.
Auch für die Diagnose der Pneumocystis-jirovecii-Infektion ist eine BAL mit größerer Flüssigkeitsmenge ratsam. Eine maximal instillierte Menge von 200 ml 0,9-%iger NaCl-Lösung wird bei sonst Lungengesunden gut toleriert, bei eingeschränkter Lungenfunktion sollte die Menge der BAL möglichst geringer ausfallen.
29.3.3
Bürste und geschützte Bürste (PSB)
Die normale bronchiale Bürste wird für die Gewinnung einer Exfoliativzytologie genutzt, in der Regel bei Verdacht auf ein pulmonales Malignom. Dabei wird die Bürste durch den Arbeitskanal eingeführt und im Bereich der Zielläsion unter optischer Kontrolle eingesetzt. Für eine gezielte mikrobiologische Diagnostik ist die reine Bürste nicht geeignet, da sie im Arbeitskanal des FB kontaminiert werden kann. Für die gezielte mikrobiologische Diagnostik eines pulmonalen Infiltrates kann die geschützte Bürste eingesetzt werden, die ohne relevante Kontamination den Arbeitskanal passieren kann. Die Bürste wird erst im subsegmentalen Zielbronchus aus der umgebenden Schutzhülle durch den sterilen Wachsverschluss am Ende der Bürste in die Peripherie vorgeschoben. Hierbei sollte auch kein Lokalanästhetikum ins betroffene Lungensegment gegeben werden, da dies die diagnostische Ausbeute reduzieren kann. Die Bürste wird in dem Zielsegment hin- und hergefahren, dann wieder in die Schutzhülle zurückgezogen und über den Arbeitskanal entfernt. Die Bürste wird zur mikrobiologischen Diagnostik schließlich aseptisch abgeschnitten in ein steriles Röhrchen mit 1 ml steriler 0,9-%iger NaCl-Lösung.
29.3.4
Biopsie
Die endobronchiale Biopsie wird unter direkter visueller Kontrolle mittels einer flexiblen Zange durchgeführt, die über den Arbeitskanal eingeführt wird. Eine transbronchiale Biopsie (TBB) sollte immer unter Röntgendurchleuchtungskontrolle erfolgen. Nur so kann man auch die gewünschten Zielareale der Lungenperipherie mit höchster Wahrscheinlichkeit erreichen und das Risiko eines Pneumothorax so weit wie möglich reduzieren. Das Risiko eines Pneumothorax bei einer TBB bei Patienten mit mechanischer Beatmung
29
372
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Kapitel 29 · Bronchoskopie
liegt zwischen 7 und 15%. Für die Diagnose einer Pneumonie ist eine TBB in der Regel nicht sinnvoll. Die Indikation besteht v. a. 4 in der Abklärung unklarer Lungenparenchymveränderungen bei Verdacht 5 auf ein Malignom, 5 opportunistische Infektionen inklusive Pilzinfektionen bei Immunsupprimierten und 4 bei Verdacht auf eine Kollagenose mit Lungenbeteiligung.
29
Eine transbronchiale Nadelaspiration kann auch bei Patienten auf der ICU angewendet werden zur Abklärung unklarer mediastinaler Lymphome sowie parabronchialer oder paratrachealer Raumforderungen. Seit einigen Jahren besteht hierfür auch die Möglichkeit der gezielten endobronchialen ultraschallgesteuerten Nadelaspiration, die eine signifikant höhere Sensitivität besitzt als die »blinde« transbronchiale Nadelaspiration. Das Ultraschallbronchoskop ist jedoch so groß, dass es nicht durch einen normalen Tubus eingeführt werden kann. Hierfür sollte eine starre Bronchoskopie mit einem Rohr von minimal 11 mm Durchmesser durchgeführt werden. Es kann aber auch transoral beim spontan atmenden Patienten eingesetzt werden. Das Blutungsrisiko ist am höchsten bei der TBB gefolgt von der endobronchialen Biopsie und der Bürste. Die meisten Blutungen sistieren spontan oder nach Instillation von eiskalter NaCl-Lösung oder verdünnter Epinephrin-Lösung. Ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht bei Patienten mit Immunsuppression, Nieren- oder Lebererkrankung, Malabsorption, Thrombozytenfunktionsstörung oder Koagulopathien. Für eine FB sollte die Thrombozytenzahl >50.000/ mm3 liegen, für eine TBB >75.000/mm3. Die partielle Thromboplastinzeit sollte im Normbereich sein, auch die INR sollte für Biopsie oder Bürste <1,5 liegen.
29
29.4
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Starre Bronchoskopie
Die starre Bronchsokopie wird in Allgemeinnarkose durchgeführt. Hierfür ist eine spezielle Ausrüstung erforderlich. In der Regel sind für therapeutische Zwecke 7,5-mm- oder 8,5-mm-Rohre ausreichend. Für die Implantation von Trachealstents oder Bifurkationsstents bei zentralen Atemwegsstenosen sind jedoch 11-mm- oder 14-mm-Rohre empfehlenswert. Auch für diagnostische Eingriffe wie die endobronchiale transbronchiale Nadelaspiration von mediastinalen Lymphknoten oder Tumoren ist ein 11-mm-Rohr erforderlich. Die heute üblichen Einsatzgebiete der starren Bronchoskopie in der Intensivmedizin sind: 4 Management massiver Hämoptysen, 4 Entfernung von tracheobronchialen Fremdkörpern, 4 interventionell bronchologische Verfahren zur Abtragung endotrachealer oder endobronchialer Tumorobstruktionen inklusive des Einsatzes von trachealen und bronchialen Stents sowie 4 Dilatationen von tracheobronchialen narbigen Stenosen.
29.5
Pathophysiologische Veränderungen während der Bronchoskopie
Die Kenntnis der pathophysiologischen Veränderungen von Atemwegsdruck, Gasaustausch und Hämodynamik durch eine FB bei beatmeten Patienten ist wichtig, um die Komplikationsrate niedrig zu halten.
Das größte Problem bei der FB ist der Abfall der Sauerstoffsättigung durch eingeschränkte alveoläre Ventilation und VentilationsPerfusions-Mismatch. Bei Lungengesunden fällt der pO2 während der FB um bis zu 20 mm Hg, bei kritisch Kranken, insbesondere solchen mit Lungenbeteiligung, kann der Abfall des pO2 jedoch bis zu 30–60 mm Hg betragen. Die Erholung dieser Hypoxämie kann mehrere Stunden nach der FB dauern. Bei einem nicht intubierten Patienten verlegt das FB ca. 10% der Querschnittsfläche der Trachea. Als Folge ist der Druck endotracheal beim spontan atmenden Patienten durch FB nicht wesentlich verändert und beträgt ca. –5 cm H2O bei Inspiration und +4 cm H2O während Exspiration. Wird das FB jedoch durch einen endotrachealen Tubus oder eine Trachealkanüle vorgeführt, so kommt es durch den höheren Atemwegswiderstand zu Druckunterschieden in der Trachea von ca. –10 bis +10 cm H2O. Zudem behindert das FB durch teilweise Verlegung des Atemwegs die Ausatmung. Die unzureichende Zeit für eine komplette Exspiration kann zu einem PEEP-Effekt führen. Bei einem 8-mm-Tubus ist der resultierende PEEP in der Regel <20 cm H2O. Ist der Tubus jedoch kleiner, so steigt der PEEP durch die FB und kann bei einem 7-mm-Tubus bis zu 35 cm H2O betragen. Durch das Einführen des FB wird bei intubierten Patienten durch die Hyperinflation in der Exspiration die funktionelle Residualkapazität um bis zu 30% erhöht. Der erhöhte PEEP während der Bronchoskopie und zusätzliche Steigerungen des Atemwegsdrucks während Husten oder Pressen können sekundär auch zu einer Erhöhung des intrakraniellen Drucks führen. Deshalb sollten Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck während der FB besonders gut sediert sein. Durch die FB ändert sich auch der Gasaustausch. Es kommt zu einem geringen Abfall des pO2 und einem geringen Anstieg des pCO2. Durch Absaugung bei der FB kann der pO2 bis zu 40% reduziert und der pCO2 bis zu 30% erhöht werden. Zudem führt das Absaugen zu einer Abnahme des PEEP und des Tidalvolumens um bis zu 300 ml. Durch die Abnahme des Lungenvolumens und der funktionellen Residualkapazität kann es beim Absaugen zu einem Alveolenkollaps kommen. Dieser hat wiederum eine Verschlechterung des Gastaustausches zur Folge. Durch das Absaugen kann es auch zu reflektorischen Bronchospasmen durch vagale Stimulation kommen. > Um diesen negativen Effekten vorzubeugen, sollte ein Absaugvorgang wenn möglich nicht länger als 3 s dauern.
Durch eine BAL kommt es zu einer Abnahme der Gasaustauschfläche. Dies kann zu einem Abfall des pO2 führen. Die Rückbildung der Veränderungen durch die BAL kann bis zu mehrere Stunden dauern. Durch die FB kann der Gasaustausch aber auch verbessert werden. Ein Grund hierfür ist der PEEP durch die FB, der atelektatische Lungenareale rekrutieren kann. Ein anderer Grund besteht in der Entfernung tracheobronchialer Sekretverlegungen mit Verbesserungen des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses. Während der FB kann es zu einem Anstieg des Herzzeitvolumens um 50% kommen, das sich innerhalb von 15 min nach Untersuchungsende wieder normalisiert. Durch eine mechanische Irritation der Atemwege kommt es zu einem Anstieg der sympathischen Aktivität, die zu einem Anstieg des arteriellen Blutdrucks, der Herzfrequenz, des pulmonalarteriellen Drucks und des Herzzeitvolumens führt. Andere Faktoren wie Hypoxämie oder Anstieg des pCO2 können hierbei ebenfalls eine Rolle spielen.
373 29.7 · Indikationen
29.6
Komplikationen und Risiken
Um Komplikationen während der FB auf der ICU rasch zu erkennen, ist ein kontinuierliches Monitoring der Atem- und Kreislaufparameter erforderlich. Dies beinhaltet in jedem Fall eine kontinuierliche Oxymetrie und 1-Kanal-EKG-Anzeige inklusive Darstellung der Herzfrequenz. Ein invasives Blutdruckmonitoring ist vorteilhaft. Bei weniger schwer erkrankten Patienten ist eine engmaschige Blutdruckmessung über eine Manschette jedoch meist ausreichend. Bei Auftreten von signifikanten Herzrhythmusstörungen, relevantem Blutdruckabfall oder -anstieg sowie relevantem Abfall der Sauerstoffsättigung muss die FB unter- oder sogar abgebrochen werden. Eine Nichtbeachtung dieser Grundregeln kann zu vital bedrohlichen Situationen bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand mit der Notwendigkeit zur Reanimation führen. ! Cave Als Grundregel für die FB auf der ICU gilt: Je schwerer die respiratorische Einschränkung/Erkrankung des Patienten vor der FB ist, desto höher ist das Risiko der Untersuchung!
Die möglichen Komplikationen der FB (. Tab. 29.2) können durch die Prämedikation zur Sedierung bedingt sein, durch die bronchoskopische Prozedur selbst oder durch diagnostische bzw. therapeutische Maßnahmen im Rahmen der FB. Die Komplikationsrate hängt von der Erfahrung des Untersuchers ab. Deshalb sollten besonders kritische Patienten auf der ICU auch nur von besonders erfahrenen Untersuchern behandelt werden. Die Einschränkung der Ventilation während der FB ist umso größer, je geringer der verbleibende Querschnitt zur Ventilation nach dem Einführen des FB in den Tubus ist. Es ist also v. a. bei kleineren Tubusgrößen und größeren FB mit einer zunehmenden respiratorischen Kompromittierung während der Untersuchung zu rechnen. Durch die FB kann es auch zu einer transienten Bakteriämie, Translokation von Endotoxinen oder Freisetzung von Entzündungsmediatoren kommen. Die Folge ist ein selbstlimitierendes Fieber in bis zu 16% der Fälle. Die häufigsten Atemwegskomplikationen sind Laryngospamus und Bronchospasmus, v. a. bei Asthmatikern.
. Tab. 29.2 Komplikationen der Bronchokopie in der ICU Ursache
Mögliche Komplikation
Durch die Prämedikation bedingt
5 Kreislaufdepression 5 Atemdepression 5 Hypoxämie
Durch die Bronchoskopie bedingt
5 5 5 5 5 5 5 5
Durch die Prozedur der Bronchoskopie bedingt
Arterielle Hypotonie Arterielle Hypertonie Herzrhythmusstörungen Hypoxämie Bronchospasmus Laryngospasmus Fieber Pulmonale Infektion/Pneumonie 5 Vasovagale Reaktion 5 Bronchiale/pulmonale Blutung 5 Pneumothorax (bei transbronchialer Biopsie)
29.7
Indikationen
29.7.1
Airway-Management
Intubationsprobleme Rechnet man aufgrund der Anatomie oder der klinischen Gesamtsituation mit einer schwierigen Intubation, so sollte als Alternative an eine bronchoskopische Intubation gedacht werden. Zumindest sollte ein FB für den Fall eines nicht zu intubierenden Patienten umgehend zur Verfügung stehen. Typische Indikationen für eine bronchoskopische Intubation sind anatomische Veränderungen im Bereich der Stimmbänder, instabile obere Atemwege, eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes und des Nackens sowie schwere hämorrhagische Diathesen. Die Notwendigkeit einer bronchoskopischen Intubation ist absolut gesehen mit 1–3% der ICU-Patienten gering. Es sollte die bronchoskopische orale Intubation der nasalen Intubation vorgezogen werden, da auf diese Weise ein größerer Tubus verwendet werden kann. Bei der oralen Intubation ist immer auf die Verwendung eines oralen Bissschutzes zu achten, um Bissschäden am FB zu verhindern. Für die bronchoskopische Intubation sollte ein 8,0-mmTubus gewählt werden, bei kleineren Frauen evtl. aber auch nur ein 7,0-mm-Tubus. Der Tubus muss vor der Bronchoskopie auf dem FB aufgefädelt werden. Manchmal besteht die Notwendigkeit zum Wechsel des endotrachealen Tubus, z. B. aufgrund einer Cuff-Leckage. Wenn die Reintubation als schwierig eingeschätzt wird, so kann die Umintubation bronchoskopisch erfolgen. Nach Absaugen im MundRachen-Raum und Absaugen des Mageninhaltes über die Magensonde wird der Cuff des liegenden endotrachealen Tubus entlüftet und das FB mit dem hoch auf dem FB aufgefädelten neuen Tubus an dem alten Tubus vorbei in die Trachea vorgeführt. Dann kann der alte Tubus entfernt und der neue über das FB als Guide in die Trachea eingeführt werden. Bei Patienten mit vermuteter Instabilität der oberen Atemwege wie z. B. nach traumatischen oder multiplen Intubationsversuchen, aber auch nach prolongierter Intubation oder Tracheostomie kann eine bronchoskopische Extubation sinnvoll sein. Dazu wird das FB etwas über das distale Ende des Tubus vorgeführt. Dann zieht man den Tubus gemeinsam mit dem FB zurück. Zeigt sich während der Extubation eine relevante subglottische oder glottische Obstruktion, so kann das FB sofort wieder tiefer in die Trachea eingeführt und der Patient sicher reintubiert werden.
Akute Ventilationsprobleme Kommt es akut oder subakut zu einem Abfall der Ventilationsvolumina oder zum Anstieg der erforderlichen Beatmungsdrücke, so sollte die Ursache rasch bronchoskopisch abgeklärt werden. Hierdurch können bedrohliche Probleme wie eine Tubusobstruktion, Tubusfehllage oder Verlegung zentraler Atemwege durch Sekret, Fremdkörper oder Tumor rasch erkannt und behandelt werden. Auch eine Instabilität der Atemwege wie z. B. bei Patienten mit COPD oder Tracheomalazie kann bronchoskopisch erkannt und in die Strategie der Beatmung und des Weanings mit einbezogen werden.
Verletzungen der Atemwege Eine traumatische Verletzung der Atemwege ist immer eine Notfallindikation zur FB. Typische klinische Präsentationen einer Atemwegsverletzung sind Hämoptysen, Hautemphysem, Pneumomediastinum oder Pneumothorax. Ursachen von Atemwegsverletzungen sind stumpfe oder spitze Thoraxtraumata, Schuss- oder Stichverlet-
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374
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Kapitel 29 · Bronchoskopie
zungen. Iatrogene Atemwegsverletzungen entstehen durch Intubation, Tracheotomie oder bronchoskopische Eingriffe wie Laser, Dilatation oder Stentimplantation. Aber auch chirurgische Eingriffe an den Thoraxorganen können Verletzungen der Atemwege zur Folge haben, z. B. Bronchusstumpfinsuffizienz oder ösophagotracheale Fistel nach Lungenteilresektion. In diesen Fällen kann bronchoskopisch auch therapeutisch interveniert werden. So ist es z. B. möglich, Bronchusstumpffisteln mit Fibrinkleber zu versorgen oder ösophagotracheale Fisteln mit einem gecoverten Stent zu überbrücken und abzudecken. > Atemwegsverletzungen durch Intubation müssen so schnell wie möglich erkannt und behandelt werden. Nur so lassen sich bei größeren Trachealverletzungen durch eine chirurgische Intervention letale Spätkomplikationen wie eine Mediastinitis verhindern.
Fremdkörper Eine Verlegung der Atemwege durch Fremdkörper kann die Ursache einer respiratorischen Insuffizienz mit der Notwendigkeit zur Intubation sein. Manchmal werden Fremdkörper aber auch zufällig entdeckt, z. B. aspirierte Medikamentenreste oder prothetisches Zahnmaterial. Diese können sich klinisch als poststenotische Pneumonie oder Atelektase im Röntgenbild manifestieren. Im Rahmen eines Kreislaufstillstandes kann es zu einer Aspiration von Erbrochenem kommen, wobei auch größere Essensreste aspiriert werden können. Kleinere Fremdkörper kann man mit FB mittels Ansaugen, Fasszange, Drahtkörbchen oder Kryosonde gut entfernen. Größere oder scharfkantige Fremdkörper sollten in starrer Technik geborgen werden, um das Verletzungsrisiko der Atemwege zu reduzieren.
Hämoptysen Schwere Hämoptysen (>400 ml Blut in 24 h oder >200 ml einzeitig) sollten immer so rasch wie möglich bronchoskopisch abgeklärt und behandelt werden. Ziel ist die Lokalisation der pulmonalen Blutungsquelle in einem spezifischen Lungensegment zur Planung der richtigen Therapie. Nur bronchoskopisch kann in manchen Fällen das respiratorische Versagen durch Beseitigung der blutigen Verlegung der Atemwege verhindert werden. In schweren Fällen ist die starre Bronchoskopie indiziert, wenn es die Zeit zum Reagieren noch zulässt. Hierbei können zentrale Blutungsquellen wie Tumoren oder Verletzungen durch Tamponade oder Argon-PlasmaKoagulator gestillt werden. Periphere pulmonale Blutungen können durch die Einlage eines Bronchusblockers behandelt werden. Alternativ sollte auch schon früh an die interventionell-radiologische Bronchialarterienembolisation gedacht werden. Auch die Doppellumentubusintubation unter bronchoskopischer Kontrolle mit Sicherung der gesunden Lungenhälfte kann lebensrettend sein, um die Akutsituation zu überstehen.
29.7.2
Atelektase und Infiltrat im Röntgenbild
Die diagnostische Abklärung von im Thoraxröntgenbild neu aufgetretener Atelektase oder Infiltrat stellt eine der häufigsten Indikationen für eine FB auf der ICU dar. Atelektasen können durch eine Sekretverlegung der zentralen Bronchien bedingt sein. Bronchoskopisch kann die Sekretverlegung der Atemwege direkt beseitigt werden, was potenziell die respiratorische Situation des Patienten verbessert. Bei Bedarf kann auch eine mikrobiologische Untersuchung des Bronchialsekretes erfolgen bei Verdacht auf pulmonale Infektion.
Bei Infiltraten hilft die gezielte bronchoskopische Sekretentnahme aus dem betroffenen Segment, um bei einer infektiösen Genese den Erreger zu identifizieren.
Ventilatorassoziierte Pneumonie Die ventilatorassoziierte Pneumonie ist die häufigste klinisch relevante Infektion in der ICU. Bislang konnte jedoch noch nicht überzeugend gezeigt werden, dass die bronchoskopische Materialgewinnung von Bronchialsekret im Vergleich zur mikrobiologischen Diagnostik mit Katheteraspiration von Trachealsekret zu einer verbesserten Diagnostik der pulmonalen Infektion führt, die sich sekundär in einer geringeren Morbidität und Mortalität niederschlägt.
Pulmonale Infektionen bei immunsupprimierten Patienten Die bronchoskopische Diagnostik ist die Methode der Wahl bei Verdacht auf pulmonale Infektion bei immunsupprimierten Patienten (HIV-Infektion inkl. Aids, Organtransplantation, Knochenmarktransplantation, Chemotherapie). Die BAL zeigt bei der Pneumocystis-jirovecii-Infektion bei Aids-Patienten eine Sensitivität von >95%. Die diagnostische Ausbeute der BAL bei Immunsupprimierten und pulmonaler Infektion liegt bei >60%. Durch die Kombination von BAL und geschützter Bürste kann die Diagnostik noch verbessert werden. Die transbronchiale Biopsie (TBB) hat keine Vorteile in der Diagnostik gegenüber der BAL bei jedoch deutlich höherem Risiko. Ausnahmen sind die CMV-Pneumonie, Kokzidioidomykose, mykobakterielle Pneumonie, HIV-assoziierte lymphozytäre interstitielle Pneumonitis und unspezifische interstitielle Pneumonitis, wo durch die Kombination der BAL mit der TBB eine bessere diagnostische Ausbeute resultiert. Bei Lungentransplantierten ist die TBB unverzichtbar zur Differenzialdiagnose zwischen Abstoßungsreaktion und Infektion. Bei Knochenmarktransplantierten ist die Mortalität zu >30% auf pulmonale Komplikationen zurückzuführen. Diese umfassen die infektiöse und nichtinfektiöse Pneumonitis, »graft versus host disease«, Bronchiolitis obliterans, diffuse alveoläre Hämorrhagie, Lungenödem und pulmonalvaskuläre Veränderungen. Durch die Kombination von BAL und geschützter Bürste kann die diagnostische Ausbeute bei den Knochenmarktransplantierten verbessert werden. Es ist jedoch mit einer höheren Komplikationsrate zu rechnen, insbesondere bei einer geschützten Bürste bei der häufig vorliegenden höhergradigen Thrombopenie mit konsekutivem Blutungsrisiko. Bei neutropenen Patienten mit fokalen Infiltraten liegt häufiger eine bakterielle Pneumonie vor als eine opportunistische Infektion, die mittels BAL besser diagnostiziert werden kann.
29.8
Kontraindikationen
Hat eine Fibroptische Bronchoskopie keine diagnostische oder therapeutische Konsequenz, so muss die Indikation nochmals sehr kritisch überprüft werden, insbesondere bei schweren kardialen oder pulmonalen Erkrankungen. Ist durch die FB eine relevante Verschlechterung der respiratorischen Situation zu erwarten, so sollte v. a. beim noch spontan atmenden oder nichtinvasiv beatmeten Patienten überlegt werden, welchen Einfluss eine Intubation und maschinelle Beatmung auf den Krankheitsverlauf des Patienten haben könnte. Bei Vorliegen relevanter Gerinnungsstörungen sollte v. a. beim intubierten Patienten die Indikation zur bronchoskopischen Biopsie oder Punktion sehr streng gestellt bzw. darauf verzichtet werden. Zudem sollte eine Strategie zur Beherrschung eventueller Blutungskomplikationen schon vor Beginn der Untersuchung über-
375 Literatur
legt werden. Bei hohem Blutungsrisiko ist ggf. von einer FB abzusehen und direkt eine starre Bronchoskopie empfehlenswert. Letztendlich sind alle Kontraindikationen auf der ICU relativ zu sehen. Es ist immer das Risiko gegen den Nutzen der Untersuchung abzuwägen. So kann z. B. bei Vorliegen eines schweren ARDS und Gerinnungsstörungen bei einer Sekretverlegung zentraler Atemwege mit konsekutiver Verschlechterung der respiratorischen Situation trotz hohen Risikos die FB mit Wiedereröffnung der Atemwege lebensrettend sein.
Literatur 1 2 3
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7
8
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29
377
Kardiopulmonale Reanimation H. Herff, V. Wenzel
30.1
Einleitung – 378
30.2
Ursachen des Kreislaufstillstands – 378
30.3
Formen des Kreislaufstillstands – 378
30.4
Diagnose des Kreislaufstillstands – 378
30.5
Basismaßnahmen (»Basic Life Support«, BLS) – 379
30.5.1 30.5.2 30.5.3 30.5.4
Freimachen und Freihalten der Atemwege – 379 Thoraxkompression – 379 Beatmung – 379 Basismaßnahmen am erwachsenen Patienten – 380
30.6
Erweiterte Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS) – 380
30.6.1 30.6.2 30.6.3 30.6.4 30.6.5
Präkordialer Schlag – 380 Defibrillation – 381 Sicherung der Atemwege – 382 Pharmakotherapie – 382 Koordinierung der Maßnahmen – 384
30.7
Innerklinische Reanimation – 385
30.8
Postreanimationsphase – 385
30.9
Einstellen der Reanimationsmaßnahmen – 386
30.10
Zukunft – 386 Literatur – 386
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_30, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
30
30 30 30 30 30 30 30 30
378
Kapitel 30 · Kardiopulmonale Reanimation
30.1
Einleitung
z
Die Therapie des Kreislaufstillstands besteht aus kardiopulmonaler Reanimation (CPR) in verschiedenen Stufen. Zu den Basismaßnahmen (»basic life support«; BLS) gehören Mund-zu-Mund-/Mundzu-Nase-Beatmung oder Beutelbeatmung sowie Thoraxkompressionen. Die erweiterten Reanimationsmaßnahmen (»advanced cardiac life support«: ACLS) bestehen u. a. aus Intubation, Applikation von Vasopressoren und Antiarrhythmika, sowie der Defibrillation. Im November 2005 sind vom European Resuscitation Council und der American Heart Association Leitlinien zur CPR veröffentlicht worden, die als Grundlage dieses Kapitels dienen [2, 3]. Wichtige Änderungen der neuen nach Redaktionsschluss dieses Buchkapitels 2010 erschienen Leitlinien sind im Rahmen der Imprimatur noch berücksichtigt worden (weitere Infos: www.erc.edu). Die Leitlinien sind anhand eines »evidence-based« Konzepts entstanden. > Ziel ist es, nur klinisch bewiesene Interventionen zu empfehlen.
30
Die wichtigsten respiratorischen und kardiozirkulatorischen Ursachen eines Kreislaufstillstands sind in . Tab. 30.1 zusammenge-
30 30 30 30 30 30
Ursachen des Kreislaufstillstands
fasst. z Respiratorische Störungen Schwere respiratorische Störungen können u. U. rasch zu einer lebensbedrohlichen Hypoxämie führen, z. B. durch eine Atemwegsverlegung beim Bewusstlosen durch das Zurückfallen der Zunge. z Kardiale Störungen und plötzlicher Herztod Kardiale Störungen der Erregungsbildung und/oder -leitung können die Pumpfunktion des Herzens so stark beeinträchtigen, dass praktisch kein Auswurf mehr stattfindet. Erkrankungen, die zum myokardialen Pumpversagen führen können, sind: 4 koronare Herzkrankheit, 4 primäre und sekundäre Hypertrophien, 4 Herzklappenfehler, 4 restriktive und dilatative Kardiomyopathien, 4 Myokarditis, 4 Perikardtamponade, 4 infiltrative Prozesse.
30 . Tab. 30.1 Ursachen eines Atem- und Kreislaufstillstands
30
Respiratorische Ursachen
Kardiozirkulatorische Ursachen
Erniedrigter O2-Partialdruck der Umgebungsluft
Herzrhythmusstörungen
Störungen der Atemregulation
Myokardinsuffizienz
30
Verlegung der Atemwege
Füllungsstörungen des Herzens
Störungen der Atemmechanik
Pulmonale Embolie
30
Störungen des alveolären Gasaustauschs
Schock
30
Folge: Ateminsuffizienz, Atem-
Folge: Kreislaufinsuffizienz,
stillstand
Kreislaufstillstand
30 30
Auch eine Lungenembolie kann aufgrund der mechanischen Obstruktion der Lungenstrombahn einen Kreislaufstillstand hervorrufen.
30.3 z
Formen des Kreislaufstillstands
Kammerflimmern
Kammerflimmern ist die häufigste Ursache des plötzlichen Herzto-
des und im EKG durch einen oszillierenden Erregungsablauf ohne Kammerkomplexe charakterisiert. Kammerflattern
Kammerflattern ist durch eine rhythmische Erregung größerer
30.2
30
! Cave Bei entsprechend schwerer Ausprägung kann jede Schockform (hypovolämisch-hämorrhagischer, septischtoxischer, anaphylaktischer oder spinaler Schock) zum völligen Zusammenbruch der Spontanzirkulation führen.
z
30
30
Zirkulatorische Störungen
Myokardareale mit hoher Frequenz (>250/min) gekennzeichnet. Meist geht dieser Rhythmus innerhalb kurzer Zeit in ein Kammerflimmern über. Die pulslose elektrische Aktivität beschreibt eine organisierte elektrische Aktivität des Herzens ohne gleichzeitige mechanische Kontraktion. Bei dieser Form des Kreislaufstillstands kann das EKG einen Sinusrhythmus, alle Arten der Erregungsleitungsblockierung oder auch einen Kammerrhythmus aufweisen. Der pulslose idioventrikuläre Rhythmus, auch Hyposystolie oder »weak action« genannt, ist gekennzeichnet durch niederfrequente, breit deformierte Kammerkomplexe ohne mechanische Aktivität. ! Cave Bei der Ableitung des EKG ist darauf zu achten, dass die Amplitudenverstärkung für die Darstellung der EKG-Kurve auf dem Oszilloskop maximal eingestellt ist, da sonst fälschlich eine Nulllinie sichtbar wird, die als Asystolie fehlinterpretiert werden kann.
30.4
Diagnose des Kreislaufstillstands
Symptome des akuten Kreislaufstillstands sind ein fehlender Puls, Bewusstlosigkeit sowie Atemstillstand oder Schnappatmung. In mehreren Studien konnte eindrücklichbeleget werden, dass selbst professionelle Retter teilweise Schwierigkeiten haben, das Fehlen oder Vorhandensein eines Pulses mit hinreichender Sicherheit festzustellen. Dies bedeutet, dass viele Patienten mit einem beobachteten Kreislaufstillstand nicht von einer sofortigen CPR profitieren, weil der Kreislaufstillstand schlichtweg nicht diagnostiziert wird. Gerade die sofortige CPR bei beobachteten Kreislaufstillständen kann die Überlebenschance aber signifikant steigern [8]. > Daher sollte das Pflegepersonal oder die Laienhelfer auf Bettenstationen bei einem Patienten mit plötzlichem Kollaps nicht zeitraubend nach einem Puls suchen, sondern sofort mit der CPR beginnen, wenn ein Patient keine Lebenszeichen außer einen abnormalen Atmung aufweist.
379 30.5 · Basismaßnahmen (»Basic Life Support«, BLS)
30.5
Basismaßnahmen (»Basic Life Support«, BLS)
30.5.1
Freimachen und Freihalten der Atemwege
Zum Freimachen der Atemwege bei bewusstlosen Patienten werden der Kopf des Patienten mit beiden Händen nackenwärts vorsichtig überstreckt und der Unterkiefer bei geschlossenem Mund angehoben (Esmarch-Handgriff). In dieser Position sollte an der Nase Atemstrom wahrnehmbar sein. Ist dies nicht der Fall, z. B. bei Verlegung des Cavum nasi oder des Nasopharynx, muss der Mund einen Spalt weit geöffnet werden, um eine Luftpassage über die Mundhöhle zu ermöglichen. Führt auch dies nicht zum gewünschten Erfolg, so muss die Mundhöhle inspiziert, ausgeräumt (z. B. mit Magill-Zange und Mullbinde) und abgesaugt werden. ! Cave Bei Verdacht auf ein Trauma der Halswirbelsäule sollte der Kopf weder überstreckt noch anteflektiert werden (Gefahr der Rückenmarkschädigung)! In diesem Fall sollte nur der Unterkiefer nach vorn geschoben werden, um den Luftweg frei zu machen. Es muss aber bedacht werden, dass ein freier Luftweg und die Wiedererlangung der Atmung Priorität vor einer vermuteten Wirbelsäulenverletzung haben.
z Fremdkörperaspiration Ist der Patient bei Bewusstsein, kann versucht werden, den Fremdkörper durch Hustenlassen und Schläge zwischen die Schulterblätter zu entfernen. Ist der Patient bewusstlos, sollte versucht werden, den Fremdkörper mit einer Magill-Zange direkt zu fassen. Die Effektivität des oft beschriebenen Heimlich-Manövers (abdominale Kompressionen) ist dagegen nie bewiesen worden. Zudem kann durch Thoraxkompressionen ein höherer intrathorakaler Druck als mit dem Heimlich-Manöver aufgebaut werden, um einen Fremdkörper aus der Lunge herauszudrücken [1]. > In den neuen Leitlinien wird daher empfohlen, direkt mit Thoraxkompressionen zu beginnen, anstatt das HeimlichManöver auszuführen.
30.5.2
Thoraxkompression
Bei der CPR wird der auf einer festen Unterlage liegende Thorax des Patienten mit einer Frequenz von 100/min 4–5 cm in der Brustbeinmitte komprimiert. Durch die intrathorakalen Druckschwankungen und die Kompression des Herzens wird so ein vorwärtsgerichteter Blutfluss erzeugt. z Koronardurchblutung Die entscheidende hämodynamische Variable zur Wiederherstellung spontaner Herzaktionen ist der koronare Perfusionsdruck. Selbst bei optimaler Reanimationstechnik beträgt das Herzzeitvolumen maximal etwa 30% des normalen Herzzeitvolumens unter Spontanzirkulation und die Hirndurchblutung höchstens 20% der normalen Ruhedurchblutung. Während eines Kreislaufstillstands sind die Koronararterien maximal dilatiert, sodass die koronare Durchblutung direkt mit dem koronaren Perfusionsdruck (Differenz aus mittlerem diastolischem Aortendruck und rechtsatrialem Druck) korreliert. Da die Koronardurchblutung nur während der Diastole (= Relaxationsphase bei der CPR) erfolgen kann, müssen die eingesetzten
Maßnahmen darauf abzielen, einen möglichst hohen diastolischen Aortendruck aufzubauen. Tierexperimentelle Daten deuten darauf hin, dass während der CPR ein Optimum des koronaren Perfusionsdrucks bei etwa 30 mm Hg liegt; höhere, mit mehr Kraftaufwand erzeugte Drücke gehen häufig – v. a. aufgrund CPR-induzierter Verletzungen – mit einer niedrigeren Langzeitüberlebensrate einher. > Neben einer Modifikation der mechanischen Reanimationstechnik kommt der pharmakologischen Steigerung des diastolischen Aortendrucks durch Vasopressoren eine entscheidende Rolle zu.
30.5.3
Beatmung
Mund-zu-Mund-/Mund-zu-Nase-Beatmung Stehen keine Hilfsmittel zur Verfügung, ist die Mund-zu-Mund/Nase-Beatmung nach wie vor Methode der Wahl beim Kreislaufstillstand.
Die 2-malige Atemspende folgt den initialen 30 Thoraxkompressionen, die Inspirationsdauer (Insufflationsdauer) sollte 1 s betragen. Bei Feststellen des Kreislaufstillstands ist es notwendig, die Perfusion des Myokards vor einer anschließenden Defibrillation zu optimieren. Deshalb werden vor der 2-maligen Atemspende 30 Thoraxkompressionen durchgeführt. Anschließend wird die CPR mit 30 Kompressionen zu 2 Beatmungen angewandt.
Das Risiko der Mageninsufflation steigt mit zunehmenden Beatmungsvolumina und hohem inspiratorischem Gasfluss. Bei einem ungeschützten Atemweg führt ein Tidalvolumen von 1 l zu einer signifikant stärkeren Magenblähung als ein Tidalvolumen von 500 ml. Ein niedriges Atemminutenvolumen (Tidalvolumen und Atemfrequenz niedriger als normal) kann während der CPR eine effektive Oxygenierung und Ventilation aufrechterhalten. Bei der Reanimation von Erwachsenen gelten Tidalvolumina von 500– 600 ml (6–7 ml/kg KG) als ausreichend . > Bei ungeschützem Atemweg wird über 1 s beatmet . Zeichen einer effektiven Ventilation sind das Heben und Senken des Thorax und das fühlbare Entweichen von Luft aus Mund oder Nase bei der Exspiration. ! Cave Eine Hyperventilation (hohe Beatmungsfrequenz oder zu hohes Tidalvolumen) ist nicht nur unnötig, sondern schädlich, weil dadurch der intrathorakale Druck ansteigt und nachfolgend der venöse Rückstrom zum Herzen und die Auswurfleistung verringert werden. Entsprechend sinkt die Überlebensrate.
Beatmungsbeutel-Masken-System Wie bei der Atemspende ohne Hilfsmittel wird hierfür der Kopf überstreckt und die Beatmungsmaske mit dem sog. C-Griff (Daumen und Zeigefinger, beim Rechtshänder in der Regel der linken Hand) fest auf die Mund-Nasen-Partie aufgesetzt. Außerdem besteht die Möglichkeit, zusätzlich Sauerstoff direkt in den Beatmungsbeutel einzuleiten; hierbei lassen sich inspiratorische O2-Konzentrationen bis etwa 50% erzielen, bei Einleitung der O2-Zufuhr über einen Reservoirbeutel bis zu 80–90%. Da während eines Atem- und/oder
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Kapitel 30 · Kardiopulmonale Reanimation
Kreislaufstillstands die Zufuhr einer möglichst hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentration sinnvoll ist, sollte ein Reservoirbeutel verwendet werden.
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! Cave Der sog. Sellick-Handgriff (Krikoiddruck) während der Atemspende oder Intubation, bei dem durch Ausübung von Druck auf den Ringknorpel der Ösophagus komprimiert und dadurch eine Mageninsufflation verhindert werden soll, wird beim Kreislaufstillstand in den Leitlinien 2010 nicht mehr empfohlen. Die Effektivität des Sellick-Handgriffs ist nie bewiesen worden.
Fehler und Gefahren der Atemspende: Magenbeatmung Die Atemmechanik eines Patienten mit Atem- und/oder Kreislaufstillstand ist durch eine progressive Abnahme der pulmonalen Compliance und des Ösophagusverschlussdrucks charakterisiert. Hierdurch wird bei ungeschütztem Luftweg eine Magenbeatmung begünstigt. Mit jeder Insufflation in den Magen verringert sich durch den nachfolgenden Zwerchfellhochstand die Lungencompliance. Hierdurch nimmt das Tidalvolumen ab, und der Anteil des bei der nächsten Insufflation in den Magen applizierten Volumens zu. Es entsteht ein Circulus vitiosus aus sinkenden Tidal- und steigenden Magenvolumina [24]; zudem nimmt die Gefahr von Regurgitation und Aspiration zu. Um den Beatmungsspitzendruck und damit das Risiko einer Magenbeatmung zu senken, kann das Tidalvolumen laut den neuen CPR-Leitlinien bei der Maskenbeatmung mit Sauerstoff (FIO2 >0,4) von üblicherweise 10–15 ml/kg KG (etwa 1000 ml) auf 6–7 ml/kg KG (etwa 500–600 ml) gesenkt werden, da Untersuchungen gezeigt haben, dass bei Patienten mit normalem Herzzeitvolumen kleine Tidalvolumina für eine Oxygenierung und Kohlendioxideliminierung ausreichen.
30 30.5.4
30
Basismaßnahmen am erwachsenen Patienten
30
Bei der kardiopulmonalen Reanimation wird stufenweise vorgegangen: 4 bei Bewusstlosigkeit: Rückenlagerung, Inspektion der Atemwege und Kontrolle der Atemtätigkeit (sehen, fühlen, hören!); 4 falls keine normale Spontanatmung nachweisbar: Entfernen sichtbarer Atemhindernisse; 4 nur durch professionelle Retter: Fühlen des Karotispulses (10 s); 4 für Laienhelfer: fehlende Zeichen einer intakten Zirkulation (Atemstrom, Husten, Bewegung etc.); 4 Falls kein Puls tastbar oder Zeichen einer intakten Zirkulation fehlen: Beginn der CPR.
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Vorgehen
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Die einzelnen Schritte bei der Durchführung der externen Herzdruckmassage sind in der 7 Übersicht dargestellt.
Durchführung der externen Herzdruckmassage 4 Der Helfer kniet (bei am Boden liegendem Patienten) oder steht (bei auf der Trage oder im Bett liegendem Patienten) seitlich am Patienten. 6
4 Druckpunkt ist die kaudale Sternumhälfte in der Mitte des Brustbeins. Der Patient muss auf einer harten Unterlage liegen. 4 Der Druck wird mit gestreckten Ellbogengelenken, übereinandergelegten Handballen und angehobenen Fingerspitzen senkrecht von oben ausgeübt. 4 Die Kompressionstiefe sollte beim Erwachsenen 4–5 cm betragen. 4 Druck- und Entlastungsphase sind gleich lang. 4 Die Kompressionsfrequenz muss 100/min betragen. Sowohl bei der Ein-Helfer-Methode als auch bei der Zwei-Helfer-Methode wird am nicht intubierten Patienten im Rhythmus von 30:2 reanimiert, d. h. auf 30 Kompressionen folgen 2 Insufflationen.
Effektivitätskontrolle Die Effektivitätskontrolle einer erfolgreichen Reanimation ist äußerst schwierig. So kann sich eine wirksame CPR in einem Engerwerden der Pupillen sowie einer besseren Durchblutung der Haut und der Schleimhäute manifestieren. Da der koronare Perfusionsdruck in den meisten Fällen während der CPR nicht gemessen wird, kann bei intubierten Patienten die endexspiratorische CO2Konzentration als Indikator der Perfusion während der CPR herangezogen werden. Erfolgreich reanimierte Patienten weisen in der Regel während der CPR eine etwa 3-mal höhere endexspiratorische CO2-Konzentration auf als erfolglos reanimierte Patienten.
Komplikationen der externen Herzdruckmassage Bei etwa 30% aller Reanimationen kommt es zu Frakturen an Sternum und Rippen, während Organverletzungen von Leber, Milz, Herz oder Lunge und ein Pneumothorax bei richtiger Technik selten sind. Ursachen dieser Verletzungen sind in den meisten Fällen eine zu aggressive Thoraxkompression und ein falsch gewählter Kompressionspunkt.
30.6
Erweiterte Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
Einen Überblick über die erweiterten Maßnahmen am Erwachsenen gibt . Abb. 30.1.
30.6.1
Präkordialer Schlag
Der präkordiale Schlag wird als Erstmaßnahme nur dann angeandt, wenn der Eintritt des Kreislaufstillstands unmittelbar beobachtet wird und nicht sofort ein Defibrillator verfügbar ist. Ein kurzer, kräftiger Faustschlag aus etwa 20 cm Entfernung auf die untere Hälfte des Sternums vermag unter diesen Voraussetzungen eine elektrische Aktion hervorzurufen, die zu einer myokardialen Kontraktion führen kann. ! Cave Der präkordiale Schlag ist nicht ungefährlich, da er sowohl Bradykardien als auch Kammertachykardien in Kammerflimmern umwandeln kann. Der präkordiale Schlag darf die EKG-Diagnostik und eine eventuelle Defibrillation nicht verzögern. Er wird in den Leitlinien 2010 nur mehr zurückhaltend empfohlen.
381 30.6 · Erweiterte Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
. Abb. 30.1 ALS-Algorithmus beim Erwachsenen. Empfehlungen des European Resuscitation Council. (Nach [24])
30.6.2
Defibrillation
Die Defibrillation soll möglichst viele Myokardzellen (»kritische Myokardmasse«) gleichzeitig depolarisieren, d. h. eine kurz andauernde Asystolie erzeugen und es damit dem physiologischen Schrittmacherzentrum des Herzens ermöglichen, seine normale Aktivität wieder aufzunehmen. Voraussetzung ist, dass hierfür noch genügend Vorräte an energiereichen Phosphaten im Myokard zur Verfügung stehen. Unter technischen Gesichtspunkten wird bei der Defibrillation von einem Kondensator ein Stromimpuls abgegeben; die Stromabgabe erfolgt, unabhängig von der jeweiligen elektrischen Phase des Herzzyklus, wenn der Bediener den Entladungsknopf drückt. Bei modernen biphasischen Geräten wird während des Schocks die Stromflussrichtung umgekehrt.
Die meisten Erwachsenen mit plötzlichem Herz-KreislaufStillstand zeigen im EKG ein Kammerflimmern. Da die Überlebenschance bei diesen Patienten um etwa 7–10% pro Minute ohne Defibrillation sinkt, wird eine frühe Defibrillation dringend empfohlen. Es sollte – sofern einstellbar – ein biphasisches Entladungsmuster gewählt werden, da nach längerem Kammerflimmern bzw. Kammertachykardie die Wirksamkeit des ersten Schocks besser ist.
Schockabgabe Da mit einer Serie von drei Defibrillationsversuchen ein Spontankreislauf nicht häufiger wiederhergestellt werden konnte als mit nur einem Defibrillationsversuch, sollte immer nur einmal defibrilliert werden [2], um die Phasen ohne Thoraxkompression möglichst kurz zu halten. Laut der Leitlinien 2010 kann initial eine Dreier-Defibrillationsserie erwogen werden, wenn ein Kammerflimmern im Herzkatheterlabor, bei kardiochirurgischen Eingriffen postoperativ oder unter Monitoring auftritt. Energiemenge. Wegen der geringen Wirksamkeit bei monophasi-
schem Schock wird hierbei für den ersten Schock eine Energiemenge von 360 J empfohlen. Bei biphasischen Geräten, die in klinischen
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Kapitel 30 · Kardiopulmonale Reanimation
Studien mit höherer Wahrscheinlichkeit Kammerflimmern beendeten als monophasische Geräte, sollte der erste Schock idealerweise mit einer Ausgangsenergie von mindestens 150 J abgegeben werden (gilt für alle Entladungscharakteristika). Tipp Gerätehersteller sollten die wirksame Energiestufe auf der Vorderseite von biphasischen Geräten angeben. Ist die wirksame Energiestufe nicht bekannt, sollte der erste Schock mit 200 J abgegeben werden. Der Standard 200 J wurde deswegen gewählt, weil diese Energiestufe sowohl für den ersten als auch für die nachfolgenden Schocks innerhalb des Bereichs des sicher wirksamen Schocks liegt. Es handelt sich hierbei aber um eine Konsensentscheidung und nicht um die empfohlene Idealdosis.
Wenn bei der Verwendung eines monophasischen Defibrillators der initiale Schock von 360 J erfolglos war, sollte bei allen weiteren Schocks die Energiestufe von 360 J beibehalten werden. Für biphasische Geräte liegen hinsichtlich der Anwendung mit gleichbleibender oder steigender Energiestufe keine wissenschaftlichen Daten vor. Beide Strategien sind durchaus akzeptabel. Falls dem Helfer der richtige Energiebereich des Gerätes unbekannt ist und bei der ersten Schockabgabe die Standardenergie von 200 J verwendet wurde, sollte für alle weiteren Schocks entweder die gleiche oder, falls das Gerät dies ermöglicht, eine höhere Energiestufe gewählt werden. ! Cave 4 Bei rezidivierendem Kammerflimmern nach erfolgreicher Defibrillation (mit oder ohne Wiederherstellung des Spontankreislaufs) ist für weitere Schocks die zuletzt wirksame Energiestufe zu wählen. 4 Bei der Defibrillation ist jeder Körper- oder Metallkontakt mit dem Patienten zu vermeiden.
Kardioversion Die Kardioversion oder synchronisierte Defibrillation erfolgt, in Abhängigkeit vom elektrischen Herzzyklus, synchronisiert bzw. RZacken-getriggert. Dies bedeutet, dass der Defibrillator zunächst eine R-Zacke im EKG erkennen muss und dann den Stromimpuls einige Millisekunden nach dem höchsten Ausschlag der R-Zacke abgibt. Dadurch wird eine Schockabgabe während der vulnerablen Phase der kardialen Repolarisation (der T-Welle) und damit ein mögliches Kammerflimmern verhindert. > Voraussetzung für die Kardioversion ist demnach ein EKG-Rhythmus mit nachweisbaren R-Zacken. Indikationen für die Kardioversion sind Vorhofflimmern/-flattern, supraventrikuläre Tachykardien und ventrikuläre Tachykardien.
Der Energiebedarf für die Kardioversion bei Vorhofflimmern sollte, von initial 200 J (monophasisch) bzw. von initial 120–150 J (biphasisch) ausgehend, je nach Bedarf gesteigert werden. Eine ventrikuläre Tachykardie mit Pulsaktivität spricht gut auf eine Kardioversion an, wenn die initiale monophasische Energie 200 J beträgt. Als initiale biphasische Energie bei ventrikülärer Tachykardie sollten 120–150 J gewählt werden. Auch hier gilt es, die Energie stufenweise zu steigern, wenn durch den ersten Schock kein Sinusrhythmus erzielt werden kann. Die paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie benötigt hingegen initial geringere Energiemengen(100 J monophasisch bzw.
70–120 J biphasisch). Auch hier sollte man die Energie bei Bedarf stufenweise steigern. Bei ansprechbaren Patienten sollte eine Kardioversion aufgrund der Schmerzhaftigkeit nur in Analgosedierung durchgeführt werden.
30.6.3
Sicherung der Atemwege
> Ein Endotrachealtubus bietet einen sicheren Schutz vor Aspiration und ermöglicht neben einer suffizienten Beatmung auch das Absaugen von bereits in die Lunge eingedrungenem Aspirat und stellt somit immer noch den Goldstandard bei der Atemwegssicherung während der CPR dar.
Die endotracheale Intubation sollte jedoch nur von erfahrenen Helfern ausgeführt werden. Im Atemwegsmanagement ausgebildete Helfer sollten den Patienten ohne Unterbrechung der Thoraxkompressionen laryngoskopieren können. Zum Einführen des Tubus in die Trachea muss möglicherweise die CPR kurz unterbrochen werden. ! Cave Kein Intubationsversuch sollte länger als 30 s dauern. Gelingt innerhalb kürzester Zeit die endotracheale Intubation nicht, sollte die Maskenbeatmung fortgesetzt werden. Wegen der Gefahr einer versehentlichen Intubation des Ösophagus muss die endotracheale Tubuslage durch Auskultation und zusätzlich durch »sichere« Parameter wie Kapnometrie oder einen Ösophagusdetektor überprüft werden. Ein niedriges endtidales CO2 ist nicht zwangsläufig durch eine Fehlintubation bedingt, sondern kann auch Folge einer vollkommen unzureichenden Lungenperfusion mit entsprechend ausbleibendem Gasaustausch sein. Alternativen zur endotrachealen Intubation. Ist eine Intubation nicht möglich, kann von ausgebildeten Helfern ein Kombitubus, eine Larynxmaske oder ein Larynxtubus eingesetzt werden.
30.6.4
Pharmakotherapie
Zugangswege für die Medikamentenzufuhr Venöser Zugang Muss bei einem Patienten mit Kreislaufstillstand ein venöser Zugang geschaffen werden, so wird in der Regel eine Venenverweilkanüle am Handrücken, Unterarm oder in der Ellenbeuge angelegt; auch die V. jugularis externa ist häufig gut zugänglich. > Der beste Gefäßzugang ist die größte Vene, die ohne Unterbrechung der CPR-Maßnahmen punktiert werden kann.
Der periphervenösen Applikation von Medikamenten muss eine Bolusgabe von mindestens 20 ml Flüssigkeit und ein Anheben der betreffenden Extremität für etwa 10–20 s folgen, um das Einschwemmen des Medikamentes in die zentrale Zirkulation sicherzustellen. ! Cave Die Anlage eines zentralen Venenkatheters während der CPR wird im Regelfall nicht empfohlen, da hierdurch, auch
383 30.6 · Erweiterte Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support«, ACLS)
bei optimaler Beherrschung der Technik, wertvolle Zeit verloren geht und die Thoraxkompression während der Katheterisierung unterbrochen werden muss.
Ein bereits sicher liegender zentraler Venenkatheter sollte hingegen während der CPR in jedem Fall für die Medikamentenzufuhr benutzt werden. Intraossärer Zugang Die intraossäre Infusion ist eine einfache und schnelle Methode, um Notfallmedikamente, Flüssigkeiten und sogar Kontrastmittel zu applizieren. Außerdem ist der intraossäre Zugang komplikationsarm und kann selbst nach minimalem Trainingsaufwand in weniger als 30 s angelegt werden. Dabei wird eine spezielle intraossäre Nadel unterhalb der Tuberositas tibialis in die Markhöhle des Schienbeins eingedreht. Wegen der einfachen Handhabung hat sich die intraossäre Applikationsmethode v. a. beim Kindernotfall durchgesetzt und wird weltweit empfohlen. Die Methode der 1. Wahl sollte jedoch (auch bei Kindern) ein intravenöser Zugang bleiben, anschließend der intraossäre Zugang (7 Kap. 88). Die endobronchiale Applikation wird in den Leitlinien 2010 nicht mehr empfohlen.
Zugangswege bei kardiopulmonaler Reanimation 4 Zugangsweg der 1. Wahl ist der intravenöse Zugang. 4 Spätestens nach 90 s oder nach 3 fehlgeschlagenen Venenpunktionsversuchen sollte als Weg der 2. Wahl auf die intraossäre Methode zurückgegriffen werden.
Medikamente bei der kardiopulmonalen Reanimation Sauerstoff Eine frühestmögliche Beatmung mit hoher O2-Konzentration, ob über Maske oder Tubus, kann das Ausmaß der Hypoxie vermindern. Da das Herzzeitvolumen unter der externen Herzdruckmassage nur ca. 20–30% des Normalwerts beträgt, wird das gemischtvenöse Blut maximal desoxygeniert. Gleichzeitig bestehende Ventilations-Perfusions-Störungen, eine pulmonale Aspiration oder ein Lungenödem senken in dieser Situation den O2-Partialdruck in den kritischen Bereich. Adrenalin Adrenalin wird zwar seit über 100 Jahren bei der CPR verwendet, aber eine positive Korrelation mit der Überlebensrate konnte nie bewiesen werden. Zu den Nachteilen von Adrenalin gehören die Steigerung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch übermäßige β-Stimulation sowie ein Herzversagen in der Postreanimationsphase. Außerdem kann ein Kammerflimmern durch Adrenalin begünstigt oder sogar therapierefraktär stabilisiert werden [24]. Auch höhere Adrenalindosierungen konnten das Reanimationsergebnis nicht verbessern; vielmehr korrelierte eine kumulative Dosis von ≥4 mg anstelle von 1 mg Adrenalin mit einem schlechten neurologischen Ergebnis. [5] Allen Studien an außerklinischen CPRPatienten mit höheren Adrenalin-Dosen ist eines gemeinsam: Erfolglosigkeit. Weder über den optimalen Zeitpunkt der Applikation noch über die Dosierung von Adrenalin herrscht Einigkeit.
Nach den neuen CPR-Leitlinien ist Adrenalin das zuerst zu verwendende Medikament bei Kreislaufstillstand jeglicher Ätiologie. Während der CPR wird alle 3–5 min 1 mg Adrenalin injiziert. Weiterhin wird Adrenalin bei der Anaphylaxie empfohlen.
> Eine exzessive Adrenalinapplikation von >1 mg kann nach Wiederherstellung eines Spontankreislaufs eine myokardiale Ischämie, Kammertachykardie oder Kammerflimmern auslösen. Hat sich ein Spontankreislauf eingestellt und ist weiteres Adrenalin notwendig, muss titriert werden, um einen adäquaten Blutdruck zu erreichen. Dosen von 50–100 μg reichen für die meisten hypotensiven Patienten aus.
Arginin-Vasopressin Vasopressin steigerte in tierexperimentellen CPR-Untersuchungen den myokardialen und den zerebralen Blutfluss, das zerebrale Sauerstoffangebot sowie die neurologische Regenerationsrate nach erfolgreicher CPR. In Einzelfällen konnte bei Patienten, die im Rahmen der CPR-Standardtherapie ein refraktäres Kammerflimmern aufwiesen, mit einer Vasopressin-Injektion und anschließender Defibrillation ein Spontankreislauf wiederhergestellt werden. [14]. In einer kleinen Studie über Vasopressin und Adrenalin bei Patienten mit schockrefraktärem Kammerflimmern wurde mit 40 Einheiten Vasopressin ein signifikant besseres 24-h-Überleben als mit Adrenalin gefunden [13]. In drei großen Studien wurde Vasopressin vs. Adrenalin sowohl bei innerklinischem als auch bei außerklinischem Kreislaufstillstand verglichen [10, 20, 25]. In diesen Studien konnte mit Vasopressin oder mit Vasopressin in Kombination mit Adrenalin kein Überebensvorteil im Vergleich mit der Standard-Adrenalin-Therapie nachgewiesen werden. Benötigt ein CPR-Patient einen Vasopressor, so beträgt die Letalität mindestens 90%. Ab einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt wahrscheinlich die Ischämie den Ausgang einer kardialen Reanimation weitaus mehr als jegliche ärztliche Therapie. Pragmatisch kann daher bei einer CPR alternierend 1 mg Adrenalin und 40 IU Vasopressin alle 3–5 min injiziert werden, um die positiven Wirkungen beider Substanzen zu optimieren und mögliche Nebenwirkungen zu minimieren. > Falls mit Adrenalin kein Spontankreislauf herstellbar ist, kann alternativ die Gabe von 40 IU Vasopressin erwogen werden.
Amiodaron, Sotalol Auch hier ist die Datenlage für einen Nutzen beim Kreislaufstillstand sehr begrenzt. Kein während der CPR verwendetes Antiarrhythmikum wies eine verbesserte Klinikentlassungsrate auf, obwohl mit der Gabe von Amiodaron zumindest eine verbesserte Krankenhausaufnahmerate erzielt wurde. Trotz des Mangels an klinischen Langzeitüberlebensdaten sprechen die Daten eher für den Einsatz von Amiodaron. Daher wird Amiodaron nach 3 erfolglosen Defibrillationen empfohlen.
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Kapitel 30 · Kardiopulmonale Reanimation
Amiodaron Bei Erwachsenen wird folgendermaßen dosiert: 4 kardiale Reanimation: nach erfolglosem 3. Defibrillatiosversuch, wenn VF/VT weiter bestehen, 300 mg Amiodaron i.v. (erst nach Vasopressorgabe), 4 bei Persistieren oder Wiederauftreten von Kammerflimmern kann ein weiterer Bolus von 150 mg Amiodaron erwogen werden. (Früher wurde Lidocain als Vorgänger von Amiodaron in einer Dosis von 1–1,5 mg/kg KG i.v appliziert; heute ist jedoch Amiodaron eindeutig vorzuziehen.) Die Gabe von Amiodaron sollte andere Maßnahmen (z. B. Defibrillation) nicht verzögern.
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Magnesium Ein Nutzen von Magnesium bei therapierefraktärem Kammerflimmern ist bei durch Hypomagnesämie induzierten Herzrhythmusstörungen erwiesen. Bei Kammerflimmern und Verdacht auf Hypomagnesämie können 2 g Magnesiumlösung 50% über 1–2 min appliziert werden. Eine Wiederholung ist nach 10–15 min möglich. Eine generelle Empfehlung zur Magnesiumapplikation beim Kammerflimmern kann, trotz positiver Einzelfallberichte, nicht gegeben werden. Atropin, Theophyllin Bei einer Bradykardie mit Spontankreislauf kann durch die Injektion von Atropin über eine Reduktion des Parasympathikotonus häufig die Spontanzirkulation verbessert werden. Die generelle Empfehlung, Atropin bei jedem asystolen Kreislaufstillstand als Medikament der 1. Wahl zu injizieren, kann enstprechend der Leitlinien 2010 nicht gegeben werden. Obwohl die Wirkung einer Sympathikusstimulation auf die Herzfrequenz durch einen Vagusreiz abgeschwächt wird, ist der Einfluss des N. vagus auf die Myokardkontraktilität und den peripheren Gefäßwiderstand gering. Atropin kann unter Umständen bei Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (Frequenz <60/min) erwogen werden, da Einzelfallberichte über Erfolge vorliegen und außerdem der Patient hierdurch wahrscheinlich nicht gefährdet wird. Die Dosierung für Erwachsene bei Asystolie oder PEA beträgt 3 mg i.v. als Einzeldosis. Gleiches gilt für die Theophyllin-Applikation.
Theophyllin Obwohl keine klinische CPR-Studie einen Vorteil von Theophyllin beim Überleben gezeigt hat [3, 12], kann es bei Patienten mit resistentem, persistierendem, asystolem Kreislaufstillstand als Ultima ratio erwogen werden (5 mg/ kg KG), weil es wahrscheinlich keinen Schaden anrichtet.
Vorteil der Bikarbonat-Applikation zeigen konnte. Daher wird die routinemäßige Infusion von Natriumbikarbonat bei der CPR oder bei Wiedereinsetzen eines Spontankreislaufs nicht empfohlen. Wurde Bikarbonat zugeführt, sollte der therapeutische Effekt so bald wie möglich durch eine Blutgasanalyse kontrolliert werden.
Bikarbonat Hingegen kann Bikarbonat bei schwerer metabolischer Azidose, lebensbedrohlicher Hyperkaliämie, bei einem mit Hyperkaliämie oder schwerer metabolischer Azidose verbundenen Kreislaufstillstand oder Intoxikationen mit trizyklischen Antidepressiva oder Barbituraten nützlich sein. Bei oben genannten Indikationen kann Bikarbonat in einer Dosierung von 50–100 mmol (50–100 ml einer 8,4-%igen Lösung) intravenös infundiert werden.
Kalzium Neuere Untersuchungen bezweifeln den therapeutischen Nutzen von Kalzium bei der CPR.
Kalziumchlorid Eine unbestrittene Indikation besteht bei gleichzeitiger Hyperkaliämie, Hypokalzämie und bei Überdosierung von Kalziumantagonisten. Als Anfangsdosis werden 10 ml 10%iges Kalziumchlorid gegeben, die, wenn nötig, wiederholt werden kann. Die Wiederholungsdosis sollte jedoch frühestens nach 10 min appliziert werden. Eine zu hohe Dosis und wiederholte Injektionen in kurzen Abständen können zu einem Anstieg des ionisierten Kalziumspiegels während der CPR mit einer Suppression des Sinusknotens und einem Koronarspasmus bis hin zum Herzstillstand führen. Kalziumsalze dürfen nicht zusammen mit Natriumbikarbonat infundiert werden, da die Gefahr der Ausfällung von Kalzium besteht.
Fibrinolyse Eine große Studie zur Fibrinolyse bei der CPR konnte keinen Überlebensvorteil dieser Maßnahme zeigen, aber auch keine wesentlichen Komplikationen [7]. Bei Verdacht auf eine akute Lungenembolie oder ST-Streckenhebungsinfarkt kann diese Maßnahme erwogen werden. Insbesondere können die Thoraxkompressionen durch mechanischen Druck die Lysewirksamkeit verstärken und die Auflösung eines pulmonalen Embolus beschleunigen. Allerdings muss bei dieser Indikation die CPR nach Gabe des Fibrinolytikums lange genug fortgesetzt werden, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen.
30.6.5 Natriumbikarbonat Die Natriumbikarbonatinfusion soll die bestehende metabolische Azidose ausgleichen, die Wirkung von Adrenalin steigern und die Defibrillation erleichtern. Die Wirkung von Natriumbikarbonat setzt unmittelbar mit Infusionsbeginn ein. Die Azidose im Kapillarstromgebiet und auch im Gewebe hat aber nicht nur eine metabolische Komponente, sondern ist v. a. durch die Hyperkapnie bedingt. Diese kann durch Natriumbikarbonat u. U. noch verstärkt werden, was wiederum aufgrund der guten CO2-Permeabilität der Zellmembran den intrazellaren pH-Wert senken kann. Aus diesem Grund überrascht es nicht, dass bisher keine klinische Studie einen
Koordinierung der Maßnahmen
Auch bei den erweiterten CPR-Maßnahmen (. Abb. 30.1) ist die möglichst ununterbrochene und effiziente Durchführung der Basis-CPR unerlässlich. Beim Herzstillstand wird nach der Diagnose sofort mit der Basis-CPR im Verhältnis 30 Thoraxkompressionen zu 2 Beatmungen begonnen. Nach der schnellstmöglichen EKGAnalyse erfolgt, falls erforderlich, eine einmalige Defibrillation mit biphasisch 150–200 J (360 J monophasisch). Ohne Abwarten einer EKG-Änderung wird die Basis-CPR fortgesetzt und erst nach 2 min erneut das EKG analysiert. Falls erforderlich, wird dann erneut einmalig defibrilliert; erst nach weiteren 2 min erfolgt, sofern nötig, die
385 30.8 · Postreanimationsphase
Vasopressor-Injektion und eine 3. Defibrillation. Die EKG-Analysen und ggf. weitere Defibrillationen werden in 2-minütigem Abstand fortgesetzt sowie Adrenalin (1 mg) alle 3–5 min appliziert. Gegebenenfalls kann die Applikation weiterer Medikamente wie z. B. Amiodaron indiziert sein. Die Basis-CPR wird erst eingestellt, wenn ein ausreichender Spontankreislauf wieder hergestellt worden ist. Intubation und Anlage eines venösen Zugangs sind unverzüglich nach der ersten EKG-Analyse anzustreben, dürfen jedoch die effiziente Basis-CPR nur im geringst möglichen Umfang beeinträchtigen. Keinesfalls darf z. B. eine schwierige Intubation die Basis-CPR längere Zeit unterbrechen.
Eine Sedierung in den ersten 24 h nach einer CPR ist zwar nicht evidenzbasiert, durch die zunehmend durchgeführte Maßnahme der milden Hypothermie jedoch zwingend notwendig. Der Nutzen sog. hirnprotektiver Medikamente, wie Barbiturate, Kalziumantagonisten und Hydantoinderivate, ist im Rahmen der Erstversorgung nicht belegt. Kommt es in der Aufwachphase zu Krampfanfällen, sind diese aggressiv zu therapieren. Eine einmalige hochdosierte Kortikosteroid-Injektion nach Wiederherstellung der spontanen Herzaktion ist wegen der geringen Nebenwirkungen möglich, obwohl der therapeutische Nutzen (antiödematöse Wirkung) nicht bewiesen ist.
> Bei der Durchführung der CPR-Maßnahmen sollten auch immer potenziell therapierbare Ursachen eines Kreislaufstillstandes bedacht werden, die im Algorithmus (. Abb. 30.1) als vier Hs und HITS bezeichnet werden. Zur Diagnose reversibler Ursachen wie einer Herzbeuteltamponade oder hypovolämer PEA wird in den Leitlinien 2010 explizit die Echokardiografie empfohlen.
! Cave Die Indikation zur Blindpufferung nach erfolgreicher CPR sollte sehr zurückhaltend gestellt werden, da eine mäßige metabolische Azidose beim Kreislaufversagen durchaus erwünscht sein kann, denn die Azidose verbessert über eine Steigerung des Herzzeitvolumens und über eine Rechtsverschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve den Sauerstofftransport zu den Zellen. Da nach erfolgreicher Reanimation häufig stark erniedrigte Kaliumwerte im Plasma gemessen werden, kann eine überschießende Azidosekorrektur diese Hypokaliämie verstärken und erneut einen Kreislaufstillstand auslösen.
30.7
Innerklinische Reanimation
Ein Kreislaufstillstand kann zu jeder Tages- oder Nachtzeit und überall im Krankenhaus auftreten. Entsprechend muss das gesamte medizinische Personal ausgebildet und in der Lage sein, die innerklinische Rettungskette in Gang zu setzen und die Basismaßnahmen der Wiederbelebung unverzüglich zu beginnen und effektiv durchzuführen. An besonders exponierten, entsprechend gekennzeichneten und dem Personal bekannten Stellen im Krankenhaus muss die für die Reanimation erforderliche Ausrüstung (Beatmungsbeutel, Sauerstoff, Absaugeinrichtung, Defibrillator, Material zur Venenpunktion, Medikamente, Laryngoskop, Tuben, Blutdruckmanschette, Pulsoxymeter) in Form von Notfallwagen oder Notfallkoffern jederzeit verfügbar und stets (!) zugänglich gehalten werden. Hierfür muss ein den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten angepasstes Stationierungsschema ausgearbeitet und allen Krankenhausabteilungen schriftlich bekannt gegeben werden. Geeignete Standorte sind Operationseinheiten (Aufwachraum), Intensivstationen und spezielle Ambulanzen. Daneben muss vorab geklärt sein, wer für die Überprüfung der Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit der Reanimationseinheiten zuständig und verantwortlich ist. Es ist sinnvoll, diese organisatorischen Aufgaben einem Komitee oder einer medizinischen Abteilung zu übertragen. Das Organisationskomitee muss zudem gewährleisten, dass in regelmäßigen Abständen alle Mitarbeiter eine Auffrischung ihrer theoretischen und praktischen Kenntnisse in Form eines strukturierten Megacodetrainings erhalten. Art und Umfang der Aus- und Weiterbildung für die verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus müssen durch klare Leitlinien festgelegt sein.
30.8
Postreanimationsphase
In jedem Fall ist nach erfolgreicher Reanimation eine Intensivtherapie notwendig. Die Postreanimationsbehandlung hat einen wesentlichen Einfluss auf das neurologische Langzeitergebnis nach einem Kreislaufstillstand. Das oberste Ziel dieser Behandlung sollte die Entlassung des Patienten in ein selbstständiges Leben sein. In der ersten Phase sind Patienten durch Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, multiples Organversagen oder Sepis gefährdet.
Der Einsatz der induzierten Hypothermie zur Neuroprotektion hat in den letzten Jahren bei der CPR an erheblicher Bedeutung gewonnen [26]. So führt die Reduktion der Körpertemperatur über eine generelle Verlangsamung des Stoffwechsels der Hirnzellen nicht nur zu einer Herabsetzung des Glukose- und Sauerstoffverbrauchs, sondern auch zu einer verminderten Bildung freier Radikale. Außerdem hemmt eine milde Hypothermie direkt die Aktivität apoptoseinduzierender Proteasen (Caspasen) und stabilisiert die Mitochondrienfunktion. Seit 1996 zeigten 3 prospektive, randomisierte Studien einen Vorteil für die nach einer Reanimation mit milder Hypothermie therapierten Patienten. Der Einsatz von therapeutischer Hypothermie kann mit Komplikationen verbunden sein, deren Ausmaß vom Grad der Hypothermie und der klinischen Überwachung der Patienten abhängt. So kann es zu Elektrolytverschiebungen und zu damit verbundenen Herzrhythmusstörungen kommen. Eine Hemmung der ADH-Ausschüttung führt zu einer verstärkten Diurese und einer konsekutiven Hypovolämie, die evtl. durch eine bisher ungeklärte, nichtentzündliche Extravasation von Flüssigkeit verstärkt wird. Zudem wurden Störungen der Blutgerinnung, Veränderungen der Blutviskosität und eine höhere Infektionsrate beobachtet. Des Weiteren kann eine Hypothermie zu einer Insulinresistenz führen. Die Wiedererwärmung sollte mit 0,25–0,5°C/h behutsam durchgeführt werden; eine Hyperthermie ist unbedingt zu vermeiden. Ziel ist es, den Patienten innerhalb von 4 h nach erfolgreicher CPR auf 32–34°C Körperkerntemperatur zu kühlen. Dabei sollten die Patienten grundsätzlich sediert und unter Beatmung auch muskelrelaxiert werden, um ein körpereigenes Gegensteuern durch Kältezittern zu verhindern. Dies lässt sich ebenfalls durch niedrig dosierte Opioid-, insbesondere Pethidingabe unterstützen. Durch externe Kühlmethoden allein lässt sich auch bei Verwendung von Eispacks eine schnelle Kühlung nicht immer erreichen. Als ein effektives und einfach anzuwendendes Verfahren wird die Infusion von 30 ml/kg KG 4°C kalter Vollelektrolytlösung empfohlen. In 60 min kann so die Körpertemperatur um bis zu 3,5°C gesenkt werden. Zudem wirkt die Volumengabe einer Hypovolämie nach einer CPR entgegen; zu einem gehäuften Auftreten von Lungenödemen kam es dabei nicht. Im Gegenteil verbesserten sich
30
386
30 30
Kapitel 30 · Kardiopulmonale Reanimation
arterieller Mitteldruck, Nierenfunktion und Säure-Basen-Haushalt signifikant. Auf der Intensivstation bietet sich zudem die Kühlung über spezielle zentrale Venenkatheter an, die an ein Kühlgerät angeschlossen werden können und den gewünschten Temperaturverlauf automatisch steuern.
30 Induzierte Hypothermie
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4 Erwachsene Patienten mit initialem Kammerflimmern sollten nach Wiederherstellung eines Spontankreislaufs für die folgenden 12–24 h auf eine Körperkerntemperatur von 32–34°C abgekühlt werden (nur wenn sie das Bewusstsein nicht wiedererlangt haben). 4 Eine intensivmedizinische Überwachung mit strikter Kontrolle des Wasser- und Elektrolythaushaltes sowie des Blutzuckerspiegels sollte erfolgen.
30.9
Einstellen der Reanimationsmaßnahmen
> Die Diagnose des definitiven Hirntodes kann während der CPR nicht gestellt werden. Die Chancen, doch noch erfolgreich zu reanimieren, sind in der Regel dann gering, wenn auch nach 60 min dauernder CPR eine spontane elektrische Aktivität nicht zu erreichen ist, lediglich eine elektrische Aktivität mit verlangsamten Kammerkomplexen resultiert oder anhaltendes Kammerflimmern mit ständigen Amplitudenverlusten besteht. In diesen Fällen kann – mit bestimmten Einschränkungen – von einem definitiven Herztod ausgegangen werden.
Die Vorhersage nicht erfolgreicher CPR-Versuche ist sehr komplex und daher sehr fehleranfällig. Deshalb kann keine allgemein gültige Entscheidungslinie gegeben werden. Das Einstellen der CPR ist eine individuelle Entscheidung des behandelnden Arztes, die aufgrund des initialen EKG-Rhythmus, ggf. der Durchführung von Laien-CPR, Eintreffzeiten der Rettungskräfte, dem Reanimationsverlauf und auch der Berücksichtigung der bisherigen Lebensqualität des Patienten getroffen werden sollte. Ein Transport in die Zielklinik ist unter laufender CPR – außer bei unterkühlten Patienten – meist sinnlos. Der Abbruch einer CPR am Notfallort stellt sowohl für das Rettungspersonal als auch für die Familienangehörigen eine emotional extrem belastende Situation dar. Dies ist v. a. dann für alle Beteiligten bedrückend, wenn ein verstorbener Patient nicht würdevoll in seinem Bett zurückgelassen werden kann, sondern die CPR z. B. in einem Supermarkt oder Freibad erfolglos war. Oft werden Patienten dann auch ohne erreichten Spontankreislauf mit Sondersignalen in die Klinik gebracht, weil das Rettungspersonal die CPR am Notfallort nicht beenden oder ein Versagen der CPR-Bemühungen in der Öffentlichkeit nicht eingestehen will [10]. Sowohl Daten aus den USA als auch aus Europa belegen, dass die Überlebensrate von Patienten, die am Einsatzort durch erweiterte Reanimationsmaßnahmen keinen Spontankreislauf wiederlangen, nicht durch schnelle, potenziell gefährliche Eiltransporte mit Sondersignalen zum Krankenhaus zu verbessern ist. Abgesehen von seltenen, speziellen pathologischen Umständen (z. B. Hypothermie, Medikamentenintoxikation) gibt es auch im Krankenhaus keine speziellen Maßnahmen, mit denen ein vor Ort erfolglos reanimierter Patient in der Klinik erfolgreich wiederbelebt werden könnte.
30.10
Zukunft
Seit der Wiederentdeckung der CPR Anfang der 1950-er Jahre sind mit extrem hohem Aufwand, z. B. verschiedene Medikamente, Kompressionstechniken und andere Reanimationsstrategien untersucht worden. Man muss aber kritisch anmerken, dass die heutigen Leitlinien nicht sehr stark von den Vorschlägen zur Optimierung der CPR abweichen, die Peter Safar in den 1950-er Jahren erstellt hat [18]. Trotz der Hoffnung auf Therapiedurchbrüche darf nicht vergessen werden, dass jegliche CPR-Intervention nur wirken kann, wenn Thoraxkompressionen und Beatmung möglichst frühzeitig und effizient begonnen werden. Die Enttäuschungen über mangelnde Effizienz neuer CPR-Strategien konnten in fast allen klinischen Studien gezeigt werden, wenn man als Zielgröße die Krankenhausentlassungsrate zugrunde legt. Es gibt z. B. keine klinische Studie, die einen Vorteil eines der bei der CPR injizierten Medikamente auf die Krankenhausentlassungsrate gezeigt hat. Die diesem Phänomen zugrunde liegenden Mechanismen sind wahrscheinlich eine Kombination aus einer letztendlich sekundär nicht zu überlebenden Ischämiedauer und einer mangelhaften CPR-Qualität. In einer US-Studie hatten Überlebende eines Kreislaufstillstands eine vergleichbare Lebenserwartung wie nicht reanimierte, alters- und morbiditätsgematchte Patienten, was eine prinzipiell gute Prognose nach einer CPR bestätigt. Entscheidend waren aber hier die Details der CPR-Strategie: Nur ca. 1/4 der überlebenden CPR-Patienten benötigte eine Injektion von Adrenalin; alle anderen Patienten bekamen bereits bei der Durchführung der Basis-CPR-Maßnahmen wie Thoraxkompressionen und Beatmung einen Spontankreislauf. Dies deutet darauf hin, dass die »besten« CPR-Patienten sehr schnell einen Spontankreislauf wiedererlangen. Benötigt ein Patient einen Vasopressor, so ist die Prognose wahrscheinlich extrem schlecht. Eine weitere Erklärung für mangelnde medikamentöse Wirkungen bei der CPR ist eine schlechte Durchführung von Thoraxkompressionen. Da bei inner- und außerklinischen CPR-Versuchen nicht aggressiv genug reanimiert wurde, ist es möglich, dass Medikamente schlichtweg nicht an ihren Wirkort gelangten und deshalb nur eine suboptimale Wirkung erzeugen konnten. Tatsächlich ist ein detailliertes Monitoring der CPR vor Ort in den meisten klinischen Studien nicht oder kaum erfolgt, weil ein solcher Aufwand aufgrund der Vielzahl der beteiligten Rettungsmittel, ihrer geographischen Verteilung und der zeitlichen Unvorhersagbarkeit eines CPR-Versuchs kaum leistbar ist. Es ist also möglich, dass im Forschungslabor gut nachgewiesene Wirkungen von CPR-Techniken im Rettungsdienst nicht funktioniert haben, weil die CPR-Qualität zwischen Labor und Rettungsdienst fundamental verschieden war. Daraus kann man folgern, dass ab einem bestimmten, nicht näher bekannten Punkt die Ischämie den Ausgang einer kardialen Reanimation weitaus mehr bestimmt als jegliche ärztliche Therapie.
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30
389
Kardiovaskuläre Störungen Kapitel 31
Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Kapitel 32
Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Kapitel 33
Herzrhythmusstörungen
Kapitel 34
Infektiöse Endokarditis
Kapitel 35
Der hypertensive Notfall
Kapitel 36
Lungenarterienembolie
IV
391
Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade R. Wachter, H.-P. Hermann, S. Vonhof, G. Hasenfuß
31.1
Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock – 392
31.1.1 31.1.2 31.1.3 31.1.4 31.1.5 31.1.6
Grundlagen – 392 Klinik – 393 Diagnostik – 393 Therapie – 394 Überwachung – 401 Prognose und Folgetherapie – 401
31.2
Perikarderguss und Perikardtamponade – 401
31.2.1 31.2.2 31.2.3 31.2.4 31.2.5 31.2.6
Grundlagen – 401 Klinik – 403 Diagnostik – 404 Therapie – 405 Überwachung – 408 Prognose und Folgetherapie – 408
Literatur – 409
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_31, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
31
31 31 31 31 31 31 31
392
Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
31.1
Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock
31.1.1
Grundlagen
. Tab. 31.1 Ursachen der Herzinsuffizienz Pathophysiologie
1. Systolische Ventrikelfunktionsstörung Definition Herzinsuffizienz bezeichnet ein komplexes klinisches Syndrom, das gekennzeichnet ist durch Störungen der linksventrikulären Funktion und der neuroendokrinen Regulation sowie durch einen Anstieg der Füllungsdrücke (z. B. pulmonal-kapillärer Verschlussdruck, PCWP), Flüssigkeitsüberladung der Gewebe (Kongestion), ein reduziertes Herzminutenvolumen und die daraus resultierende Gewebshypoperfusion. Für die akute Herzinsuffizienz ist keine einheitlich anerkannte Definition verfügbar. Näherungsweise kann sie als rasches Auftreten von Symptomen und Zeichen einer gestörten Herzfunktion mit einem daraus resultierenden dringlichen Behandlungsbedarf charakterisiert werden.
A. Primäre Kontraktionsschwäche
31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31
Akuter Myokardinfarkt (AMI) Ischämische Kardiomyopathie (ICM) Akute Myokarditis Dilatative Kardiomyopathie (DCM)
B. Primär erhöhte Ventrikelwandspannung
Hypertensive Krise Hypertensive Kardiomyopathie Klappenvitien (akut und chronisch) Shuntvitien
2. Diastolische Ventrikelfunktionsstörung
31 31
Ätiologie
Akute Myokardischämie
Klinisch sind diverse Einteilungen der Herzinsuffizienz üblich: Nach der Dynamik der Symptomentwicklung wird zwischen akuter und chronischer Herzinsuffizienz unterschieden, nach den vorwiegend erkrankten Herzabschnitten zwischen Linksherz- und Rechtsherzinsuffizienz. Entsprechend der primär zugrunde liegenden Funktionsstörung wird eine systolische von einer diastolischen Herzinsuffizienz unterschieden. In Abhängigkeit von der klinisch führenden Symptomatik der Herzinsuffizienz unterscheidet man ein Rückwärtsversagen mit im Vordergrund stehender Stauungssymptomatik (pulmonal oder peripher), erhaltenem Blutdruck und erhaltener Organperfusion von einem Vorwärtsversagen mit führender Hypotonie und Organminderperfusion bis zur Schocksymptomatik; hier kann die Stauungssymptomatik im Hintergrund stehen.
Epidemiologie Die Prävalenz der Herzinsuffizienz beträgt in westlichen Industrienationen zwischen 0,4 und 2%, sie steigt altersabhängig auf 3–13% bei Patienten über 65 Jahren [2]. Die Prognose der akuten Herzinsuffizienz ist schlecht. Je nach untersuchtem Kollektiv liegt der kombinierte Endpunkt aus Mortalität und erneuter Hospitalisation innerhalb von 60 Tagen nach initialer Aufnahme zwischen 30 und 60%.
Ätiologie Wird die Herzinsuffizienz durch eine primäre myokardiale Kontraktionsstörung ausgelöst, so ist der Begriff der Myokardinsuffizienz zutreffend. Die häufigsten Ursachen der akuten Herzinsuffizienz sind der akute Myokardinfarkt mit Ausfall von kontraktilem Gewebe sowie die akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz, z. B. bei dilatativer Kardiomyopathie (DCM). Herzinsuffizienz kann aber auch bei primär normaler myokardialer Kontraktilität entstehen, wenn eine akute außergewöhnliche hämodynamische Belastung eintritt, wie bei einer akuten Herzklappeninsuffizienz nach Endokarditis/Myokardinfarkt oder bei einer hypertensiven Krise mit peripherer Widerstandserhöhung. Eine Zusammenstellung der häufigen Ursachen der Herzinsuffizienz liefert . Tab. 31.1
Pathophysiologie Um das benötigte Schlagvolumen nach einer initialen myokardialen Schädigung (z. B. Myokardinfarkt) aufrechtzuerhalten, findet kompensatorisch akut eine Sympathikusaktivierung und Herzfrequenzsteigerung statt (positive Kraft-Frequenz-Beziehung mit
Hypertensive Krise/hypertensive Kardiomyopathie Hypertrophe Kardiomyopathie (HNCM) Konstriktive Perikarditis Restriktive Kardiomyopathie (RCM) 3. Herzrhythmusstörungen Bradykarde Herzrhythmusstörungen Tachykarde Herzrhythmusstörungen
Zunahme der Kontraktionskraft bei Steigerung der Herzfrequenz). Gleichzeitig kommt es durch vermehrte Vordehnung zu einer Steigerung der Kontraktionskraft (Frank-Starling-Mechanismus), in der Summe resultiert eine Zunahme des Herzminutenvolumens. Mittel- und langfristig kommt es zu myokardialen Umbauprozessen (»remodelling«) mit Myozytenhypertrophie und Änderung des zellulären Phänotyps. Zur Kompensation der reduzierten Pumpleistung und als Folge der peripheren Minderperfusion entsteht systemisch, weitgehend unabhängig von der Ätiologie der Herzinsuffizienz, eine sog. neuroendokrine und Zytokinaktivierung mit konsekutiv im Vordergrund stehender peripherer Vasokonstriktion, Natrium- und Flüssigkeitsretention. Teleologisch dient die neuroendokrine Aktivierung (Sympathikus, Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, Vasopressin, Endothelin und andere vasoaktive Peptide) der Aufrechterhaltung eines adäquaten Perfusionsdrucks vitaler Organe und ist insbesondere bei akutem Blut- oder Volumenverlust für die Kreislaufregulation physiologisch sinnvoll. Bei der Herzinsuffizienz ist die neuroendokrine und Zytokinaktivierung aber sowohl mit dem Manifestationszeitpunkt als auch mit dem klinischen Erscheinungsbild und letztlich mit der Prognose eng verknüpft. So weisen neuere Untersuchungen darauf hin, dass die Bildung von Zytokinen und freien Sauerstoffradikalen insbesondere für die akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz bedeutungsvoll ist. Die Relevanz von akutem Zelluntergang durch Apoptose, d. h. durch programmierten Zelltod, ist unklar.
393 31.1 · Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock
31.1.2
Klinik
Leitsymptome der akuten oder akut dekompensierten chronischen Herzinsuffizienz sind Dyspnoe sowie Tachypnoe, in fortgeschrittenen Stadien Orthopnoe, Hypotonie und Tachykardie. Der Patient ist häufig kaltschweißig, agitiert und verwirrt.
Manifestationsformen/Profile der akuten Herzinsuffizienz Klinisch kann trotz vielfältiger fließender Übergänge eine Reihe von typischen klinischen Profilen der akuten Herzinsuffizienz identifiziert werden, die sowohl für eine einheitliche Klassifizierung von Bedeutung sind als auch eine unterschiedliche Behandlungsstrategie implizieren [14, 38]. Eine Verwendung und Festlegung des behandelnden Arztes auf diese Einteilung erscheint daher unbedingt ratsam.
Manifestationsformen der akuten Herzinsuffizienz 4 Akute dekompensierte Herzinsuffizienz (de novo Herzinsuffizienz oder akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz) 4 Hypertensive akute Herzinsuffizienz 4 Kardiogenes Lungenödem 4 Kardiogener Schock (RRsys <90 mm Hg, Abfall MAP >30 mm Hg, Diurese <0,5 ml/kg KG/h bei Herzfrequenz >60/min, CI <2,2 l/min/m², PCWP >15 mm Hg) 4 »High-output-Herzinsuffizienz« 4 Akute Rechtsherzinsuffizienz
Klinische Untersuchungsbefunde Bei der klinischen Untersuchung werden zunächst die Vitalparameter Bewusstsein, Atmung, Puls und Blutdruck erfasst. Die Beurteilung des Jugularvenenpulses und der Jugularvenenfüllung erlaubt eine Aussage über den Füllungsdruck des venösen Systems. Im Fall einer Volumenüberlastung, einer Kontraktionsinsuffizienz mit erhöhten rechtsventrikulären Füllungsdrücken oder einer mechanischen Füllungsbehinderung des Herzens ist eine Halsvenenstauung leicht zu erkennen. Am Herz auskultiert man neben der Tachykardie oft einen protodiastolischen Galopp, d. h. einen linksventrikulären oder rechtsventrikulären 3. Herzton als Ausdruck der gestörten frühdiastolischen Kammerfüllung bei erhöhten Füllungsdrücken. Zusätzlich sind häufig begleitende pathologische Herzgeräusche bei ursächlichen Vitien oder bei sekundärer Mitral- oder Trikuspidalklappeninsuffizienz vorhanden. Bei der Auskultation der Lunge finden sich über den basalen Lungenabschnitten häufig zunächst Bronchospastik (Asthma cardiale), später feuchte Rasselgeräusche. Bei Patienten mit Lungenödem sind Rasselgeräusche ausgedehnt über großen Lungenarealen hörbar, sie sind häufig grobblasig, exspiratorische pfeifende Geräusche sind oft assoziiert. Die Unterscheidung von einer primär pulmonalen Genese der Dyspnoe ist nicht immer trivial, hier sind anamnestische Angaben zu vorbestehenden kardialen oder pulmonalen Erkrankungen hilfreich. Ergänzend gewinnt hier die Bestimmung der Plasmakonzentrationen von natriuretischen Peptiden differenzialdiagnostische Bedeutung: Normale Konzentrationen von BNP oder NT-proBNP machen eine Herzinsuffizienz als Ursache einer Dyspnoe unwahrscheinlich und verweisen auf andere, z. B. pulmonale Ursachen [21].
Bei Herzinsuffizienz wird eine Ergussbildung im Pleuraraum häufig auf der rechten Seite durch Perkussion und Auskultation festgestellt, diese wird durch einen erhöhten pulmonalkapillären Druck und Flüssigkeitstranssudation ausgelöst. Aszites kann ebenfalls durch Transsudation bei erhöhtem zentralvenösem Druck entstehen. Ödeme sind in den physikalisch abhängigen Körperpartien lokalisiert, beim bettlägerigen Patienten auch in der Sakralregion. Die Urinproduktion ist bei manifester Herzinsuffizienz meist eingeschränkt. Das spezifische Uringewicht ist erhöht, es ist oft eine Proteinurie nachweisbar, und der Natriumgehalt im Urin ist erniedrigt.
31.1.3
Diagnostik
Für die kalkulierte Ersttherapie einer akuten Herzinsuffizienz zur Verbesserung der Hämodynamik und Stabilisierung des Patienten genügt zunächst die klinische Diagnose. Das Basisprogramm der apparativen Diagnostik umfasst Laboruntersuchungen, 12-KanalEKG und Echokardiographie sowie Thoraxröntgenaufnahme. Die erweiterte Diagnostik beinhaltet bei der akuten Herzinsuffizienz in Einzelfällen eine Rechtsherzkatheteruntersuchung (insbesondere bei fehlendem Ansprechen auf die kalkulierte Ersttherapie) sowie häufig eine Linksherzkatheteruntersuchung mit Koronarangiographie und evtl. mit Endomyokardbiopsie (. Tab. 31.2).
. Tab. 31.2 Diagnostik bei Herzinsuffizienz Diagnostisches Verfahren
Fragestellung
Klinische Untersuchung
5 Periphere Durchblutung, Temperatur? 5 Venendruck (Jugularvenenfüllung)? 5 Herzauskultation (Galopprhythmus?, pathologische Geräusche?) 5 Lungenauskultation (Rasselgeräusche?)
Serumelektrolyte
5 Serum-Na+ <125 mmol/l: 5 Verdünnungshyponatriämie? (Ödeme, Hkt p) 5 Verlusthyponatriämie? (Keine Ödeme, Hkt )
Arterielle Blutgasanalyse (ABGA)
5 Azidose (metabolisch/respiratorisch?)
Arteriovenöse O2Differenz (avDO2)
5 Low-output-/High-output-Failure?
Serumlaktat
5 Organhypoperfusion?
Kreatinin, Harnstoff
5 Prärenales Nierenversagen?
Urinnatrium/fraktionelle Na-Exkretion
5 Prärenales oder akutes renales Nierenversagen?
TSH basal
5 Hyperthyreose?
Ruhe-EKG (12-Kanal)
5 Infarktnarben? 5 Hypertrophie/Schädigungszeichen? 5 Rhythmusstörungen?
Rhythmusmonitoring/Langzeit-EKG
5 Komplexe Rhythmusstörungen?
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
. Tab. 31.2 Fortsetzung Diagnostisches Verfahren
Fragestellung
Echokardiographie (ggf. inkl. TEE)
5 Linksherz-/Rechtsherzversagen (Dilatation)? 5 LV-Hypertrophie? 5 Segmentale Kontraktionsstörungen? 5 Globale Kontraktionsstörung? 5 Klappenvitium, Shuntvitium? 5 Linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF)? 5 Pulmonale Hypertonie? 5 Akute Rechtsherzbelastung (Lungenembolie)? 5 Systolische oder diastolische Funktionsstörung? 5 Konstriktion/Restriktion? 5 Perikarderguss? 5 Gestaute V. cava inferior?
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Thoraxröntgenaufnahme
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Linksherzkatheter/ Koronarangiographie
5 KHK oder KMP? 5 Klappenvitium/Shuntvitium/Konstriktion? 5 Revaskularisationsmöglichkeit?
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Rechtsherzeinschwemmkatheter
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. Tab. 31.3 Behandlungsziele
Endomyokardbiopsie
Kardiomegalie? Stauungszeichen? (akut/chronisch?) Pleuraerguss? Pneumonie?
5 Differenzialdiagnose der akuten Kreislaufinsuffizienz 5 Ermittlung des intravasalen Volumens bzw. des LV- und RV-Füllungsdrucks (z. B. bei COPD/PAH und Herzinsuffizienz) 5 Bei Persistenz der Symptomatik trotz empirischer Therapieanpassung auf der Basis der klinischen Befunde 5 Kritische kardiale Dekompensation (z. B. vor HTX oder Assist device) 5 Akute Myokarditis? 5 Riesenzellmyokarditis?
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31.1.4
Therapie
Behandlungsziele. Bei der Behandlung der akuten Herzinsuffizienz werden perspektivisch kurz-, mittel- und langfristige Behandlungsziele unterschieden (. Tab. 31.3).
Kausale Therapie vor symptomatischen Ansätzen
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Bei der Behandlung der akuten Herzinsuffizienz hat die Identifizierung von potenziell reversiblen Ursachen absolute Priorität. Nur durch eine unverzügliche kausale Therapie kann die Prognose entscheidend verbessert werden: bei akutem Myokardinfarkt durch Reperfusionsstrategien, bei der Perikardtamponade durch unverzügliche Entlastung, bei einer akuten Herzklappeninsuffizienz (z. B. Papillarmuskelabriss) durch Herzklappenchirurgie (. Tab. 31.4). Eine konservative symptomatische Behandlung beruht auf charakteristischen Veränderungen des Arbeitsdiagramms des Herzens bei akuter Herzinsuffizienz, die in . Abb. 31.1 dargestellt sind. Aus pragmatischen Gründen wird die Therapie in Anlehnung an die klinische Einteilung gezeigt.
Zeithorizont
Ziel
Kurzfristig
5 Sicherung der Oxygenierung 5 Sicherung der Organperfusion 5 Korrektur der Flüssigkeitsbilanz
Mittelfristig
5 Minimierung des Endorganschadens 5 Verkürzung des Krankenhausaufenthalts 5 Einleitung einer Langzeittherapie
Langfristig
5 Senkung von Krankenhauswiederaufnahmen 5 Verbesserung der Prognose
. Tab. 31.4 Mögliche kausale Therapieansätze bei chronischer Herzinsuffizienz Ätiologie
Kausale Therapie
KHK mit chronischer Myokardischämie und Pumpfunktionsstörung (»hibernating myocardium«)
Revaskularisation: Bypassoperation vs. PTCA
Herzklappenfehler
Operation, Valvuloplastie
Konstriktive Perikarditis
Perikardektomie
Tachykarde HRST
Katheterablation, Antiarrhythmika, ICD
Bradykarde HRST
Schrittmacherimplantation
Identifizierung von auslösenden Komorbiditäten Bei neu aufgetretener oder akut verschlechterter Herzinsuffizienzsymptomatik kommt neben der Klärung der zugrunde liegenden Herzerkrankung, also der ätiologischen Klärung, dem Erkennen von begünstigenden Begleitumständen und auslösenden Komorbiditäten eine entscheidende Bedeutung zu. Dies beinhaltet insbesondere neu aufgetretene Herzrhythmusstörungen wie beispielsweise Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie, systemische Infektionen, Anämie, akute Blutdruckentgleisungen, Hyperthyreose, Lungenembolien sowie außergewöhnliche physische Belastungen, mangelnde Compliance des Patienten und Nahrungsexzesse mit erhöhter Natrium- und Flüssigkeitszufuhr oder Alkoholgenuss. Eine chronisch kompensierte Herzinsuffizienz kann durch die oben genannten Faktoren ohne intrinsische Verschlechterung der myokardialen Kontraktilität in eine akute Dekompensation mit dem klinischen Bild der akuten Herzinsuffizienz münden.
Akute Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz Milde Formen der Dekompensation können häufig durch zusätzliche intensivierte oder intravenöse diuretische Therapie sowie durch Optimierung oder Wiederaufnahme der Dauertherapie behandelt werden, dies kann auch auf einer ambulanten Basis erfolgen. Bei schweren Formen wird häufig eine positiv-inotrope Stimulation mit Katecholaminen unter stationären Bedingungen notwendig. Pharmakotherapie Stufe 1: Entlastung des Herzens und supportive Maßnahmen Zu Beginn der symptomatischen Therapie des dyspnoischen Patienten steht die supportive Sauerstoffinsufflation (2–10 l/min über Nasensonde/Nicht-Rückatem-Maske), um eine respiratorische Par-
395 31.1 · Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock
. Abb. 31.1 Arbeitsdiagramm des Herzens
. Abb. 31.2 Therapiealgorithmus bei akutem Lungenödem, Hypotonie oder kardiogenem Schock
tialinsuffizienz mit Hypoxie zu kompensieren, die Oxygenierung sicherzustellen und um einer hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Reflex) mit Nachlasterhöhung des rechten Herzens entgegenzuwirken (. Abb. 31.2). Als nächste Maßnahme sollte eine rasche Vorlastsenkung erfolgen. Dazu sind orale oder sublinguale Nitrate geeignet (Nitroglyzerin 0,4–0,8 mg alle 10 min), diese dürfen aber nur bei einem systolischen Blutdruck >90 mm Hg eingesetzt werden. Bei Patienten mit stabilem Blutdruck (RRsys >100 mm Hg) und fehlenden Schockzeichen kann auch eine intravenöse Nitrattherapie eingeleitet werden (0,5–3 mg/h, Dosistitration nach Blutdruck). Anschließend werden rasch wirksame Schleifendiuretika verabreicht (Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v., höhere Dosen bei erheblicher Stauung oder bei eingeschränkter Nierenfunktion). Diese bewirken neben einem Flüssigkeitsentzug durch Diurese eine akute Vorlastsenkung durch venöses »pooling«. Bei der Dosierung der Diuretika muss klinisch auf eine kritische Verminderung des intravasalen Flüssigkeitsstatus geachtet werden, insbesondere bei Patienten mit Diuretikavorbehandlung (relative Hypovolämie; Bestimmung des zentralen Venendrucks notwendig).
Weiterhin sollte eine Analgosedierung des agitierten Patienten erfolgen, hier ist vorzugsweise eine intravenöse Opioidgabe (z. B. Morphin fraktioniert 1–3 mg) sinnvoll. Patienten, die auf die Nitrattherapie nicht unmittelbar rasch ansprechen und deren Herzinsuffizienzsymptomatik überwiegend auf eine schwere Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz oder eine ausgeprägte arterielle Hypertonie mit peripherer Widerstandserhöhung zurückzuführen ist, sollten mit dem Vasodilatator NatriumNitroprussid behandelt werden (hypertensive akute Herzinsuffizienz 7 unten). Neben der akuten Senkung der Füllungsdrücke durch Nitroglyzerin oder Natrium-Nitroprussid kann auch Nesiritide, ein rekombinantes humanes natriuretisches Peptid mit vasodilatierenden und natriuretischen Eigenschaften, eingesetzt werden. Nesiritide weist ein ähnliches Wirkprofil wie eine Kombination von Nitroprussid und Nitroglyzerin bezüglich arterieller und venöser Vasodilatation auf, daneben werden Diurese und Natriurese gefördert. Eine Tachyphylaxie wurde bisher nicht beobachtet. Aufgrund von Berichten zu einer erhöhten Inzidenz renaler Nebenwirkungen sowie divergierender Mortalitätsdaten hat sich Nesiritide im klinischen Alltag bisher nicht durchgesetzt.
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Einen weiteren Therapieansatz stellt die Blockade der Vasopressinrezeptoren da. Durch den V1a-Rezeptor wird eine Vasokonstriktion vermittelt, durch den V2-Rezeptor eine Wasserreabsorption in der Niere. Der selektive V2-Rezeptorblocker Tolvaptan konnte in einer aktuellen Studie eine Reduktion des Gewichts in der Akutphase erreichen, die 1-Jahres-Mortalität war aber unverändert [13]. Weitere Studien zu dieser Substanz und anderen Wirkansätzen (z. B. Adenosinrezeptorblockade) bleiben abzuwarten. Pharmakotherapie Stufe 2: Positiv-inotrope Stimulation > Liegt eine akute Herzinsuffizienz/akute Dekompensation mit begleitender Hypotonie und Hypoperfusion vor, sollten vasodilatierende Substanzen nur mit Vorsicht unter invasivem Monitoring mit Rechtsherzkatheter eingesetzt werden, falls tatsächlich eine erhebliche Widerstandserhöhung vorliegt.
In der 2. Stufe der Pharmakotherapie ist aber in der Regel die Gabe von positiv-inotropen Substanzen indiziert: Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg besteht zunächst eine Indikation für das überwiegende β1-Sympathomimetikum Dobutamin (2–20 μg/kg KG/ min i.v.). Bei RRsys zwischen 85 und 100mm Hg und beginnender Schocksymptomatik wird in erster Linie Dopamin (5–20 μg/ kg KG/min i.v.) eingesetzt, das neben vorwiegend positiv-inotropen β-sympathomimetischen auch blutdruckstabilisierende α-mimetische und dopaminerge Wirkungen aufweist. Liegt der gemessene systolische Blutdruck unter 85 mm Hg und/oder liegen progressive Schocksymptome vor, so sollte zusätzlich zu Dobutamin oder Dopamin das stark vasopressorisch wirksame Katecholamin Noradrenalin verabreicht werden (0,05–1 μg/ kg KG/min i.v.). > Die genannten Pharmaka sollten so kurz wie möglich eingesetzt werden, da sie den Sauerstoffbedarf des Herzens steigern und somit ungünstige Effekte auf die Ökonomie der myokardialen Kontraktion ausüben. Die hämodynamischen Effekte sind oft durch rasche Tachyphylaxie limitiert, was häufig zu unerwünschten Dosissteigerungen führt.
Bei ungenügendem klinischem Ansprechen auf die Katecholamintherapie mit unzureichender Steigerung des Herzminutenvolumens und weiter bestehenden erhöhten Füllungsdrücken (invasives hämodynamisches Monitoring) ist eine Kombination der Katecholamine mit einem Phosphodiesteraseinhibitor (PDE-Inhibitor) sinnvoll. PDE-Inhibitoren hemmen den Abbau von zyklischem AMP, dem intrazellulären »second messenger« der Katecholamine, und weisen damit synergistische Effekte auf, die unabhängig vom zellulären β-Adrenozeptorstatus und damit einer Vorbehandlung des Patienten mit β-Rezeptorenblockern sind. Die Therapie kann z. B. mit Milrinon (0,25–0,75 μg/kg KG/min) eingeleitet werden, eine intravasale Hypovolämie mit Hypotonie darf bei der Therapieeinleitung mit PDE-Inhibitoren nicht vorliegen. Als sehr wirksame Alternative zu selektiven PDE-Inhibitoren in Kombination mit Katecholaminen wird der Einsatz von sog. kalziumsensitivierenden Substanzen betrachtet. Diese Substanzgruppe ist erst seit kurzem verfügbar, und wissenschaftliches Datenmaterial zum Vergleich dieser Substanzen mit Katecholaminen liegt bislang lediglich für Levosimendan vor. Levosimendan bewirkt im therapeutischen Dosisbereich eine Sensitivierung der kontraktilen Proteine für die aktivierenden Kalziumionen mit Steigerung des Herzminutenvolumens und Senkung der Füllungsdrücke, ohne den Energieverbrauch des Herzens signifikant zu steigern. Außerdem wurden keine proarrhythmischen Effekte beobachtet. In hohen Do-
sierungen kommen vasodilatierende Effekte und PDE-Hemmung hinzu. Im Vergleich zu Dobutamin bewirkt Levosimendan eine stärkere Senkung der Füllungsdrücke und Steigerung des Herzminutenvolumens, ein Wirkungsverlust der Dauerinfusion durch Tachyphylaxie wurde nicht beobachtet. Bei der Einleitung der Behandlung mit Levosimendan sollte eine relative oder absolute Hypovolämie unbedingt ausgeschlossen werden. Nach einer Bolusgabe von 12 μg/ kg KG wird eine Dauerinfusion mit 0,05–0,2 μg/kg KG/min über 12 bis maximal 24 h fortgeführt. Bei relativ niedrigem Ausgangs-RR sollte auf die Bolusgabe verzichtet und direkt mit der Dauerinfusion begonnen werden. Im Falle einer initialen Hypotonie kann parallel niedrig dosiert Noradrenalin verabreicht werden. Die günstigen hämodynamischen Effekte sind aufgrund der langen Halbwertszeit der aktiven Metaboliten nicht auf die Infusionsdauer begrenzt, sondern darüber hinaus nachweisbar. Nachdem in einer ersten Studie ein besseres Überleben bei Patienten mit Levosimendan im Vergleich zu Dobutamin gesehen wurde [5], konnte dieser Effekt in zwei größeren Nachfolgestudien nicht nachgewiesen werden [20]. Klar gezeigt werden konnte ein günstiger Akuteffekt in den ersten 5 Tagen. Die Substanz ist auf dem europäischen Markt verfügbar, in Deutschland aber noch nicht zugelassen. Mechanische Kreislaufunterstützung durch Kunstherz (»Assist Device«) Mechanische Unterstützungssysteme werden überwiegend als Überbrückungsmaßnahme (»bridging«) bei schwerster, konventionell therapierefraktärer Herzinsuffizienz bis zu einer möglichen Herztransplantation eingesetzt. Es sind extrakorporale rechts- oder linksventrikuläre Ersatzsysteme oder auch weitgehend vollständig implantierbare »assist devices« in spezialisierten Zentren verfügbar. Die Erfahrungen an begrenzten Patientenzahlen sind günstig, es wurden Patienten länger als 1 Jahr mit subjektiv guter Lebensqualität behandelt. In Einzelfällen eines kardialen Pumpversagens durch Myokarditis oder idiopathisch dilatative Kardiomyopathie konnte eine spontane Erholung des eigenen Herzens durch die Entlastung aufgrund des Kunstherzens beobachtet werden, sodass gelegentlich eine Explantation des Systems ohne Notwendigkeit einer HTX möglich war. Der permanente dauerhafte artifizielle Herzersatz befindet sich wegen ungelöster thromboembolischer Komplikationen und der Infektionsgefahr weiterhin nur im experimentellen Stadium. Herztransplantation (HTX) Patienten mit konservativ nicht beherrschbarer schwerer Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) und häufig wiederkehrenden Hospitalisierungen wegen Dekompensationen sind Kandidaten für eine Herztransplantation. Wesentliche Kontraindikationen sind: fixierte pulmonale Hypertonie, akute oder chronische systemische Infektionen, Tumorleiden <5 Jahre in Remission, psychiatrische Vorerkrankungen und Abhängigkeiten, Diabetes mellitus mit Spätsyndrom (biologisches Alter >60 Jahre). Bei schwerer fixierter pulmonaler Hypertonie muss eine kombinierte Herz-Lungen-Transplantation in Betracht gezogen werden. Als Entscheidungshilfe zur Dringlichkeit einer HTX dient die objektive Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit mittels Spiroergometrie (<14 ml/kg KG/min für die Aufnahme in die Warteliste gefordert). Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt derzeit nach HTX ca. 70–80%. Das Verfahren ist bekannterweise wegen mangelnder Verfügbarkeit von Spenderorganen erheblich limitiert.
397 31.1 · Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock
Diastolische Herzinsuffizienz Etwa 50% der Patienten, die mit typischer, auch akuter Herzinsuffizienzsymptomatik hospitalisiert werden, weisen eine normale systolische linksventrikuläre Funktion auf. Man geht davon aus (nach Ausschluss von Herzklappenerkrankungen), dass eine gestörte diastolische Funktion primäre Ursache für die Symptomatik ist. Im Gegensatz zur Behandlung der systolischen Funktionsstörung sind nur wenige Daten zur Behandlung der diastolischen Funktionsstörung verfügbar. Zwar wurden kontrollierte Studien mit Digitalis, ACE-Hemmern, ARB, Kalziumantagonisten und β-Blockern bei Patienten mit normaler linksventrikulärer Auswurffraktion durchgeführt, doch waren diese Studien entweder sehr klein, ergaben widersprüchliche Resultate oder zeigten keine Effekte. In Ermangelung von evidenzbegründeten Richtlinien basiert die Behandlung der diastolischen Funktionsstörung auf der Kontrolle der physiologischen Variablen Blutdruck, Herzfrequenz, zirkulierendes Blutvolumen und ggf. präexistente Myokardischämie: β-Blocker werden zur Frequenzsenkung und zu einer damit verbundenen Verlängerung der Diastolendauer eingesetzt. Diuretika sind bei peripherer oder pulmonaler Flüssigkeitsüberladung notwendig, sollten allerdings mit Zurückhaltung eingesetzt werden, um die Vorlast bzw. die Füllungsdrücke nicht exzessiv zu senken und damit zu einer weiteren Verminderung des myokardialen Schlagvolumens und des Herzminutenvolumens beizutragen.
Hypertensive akute Herzinsuffizienz Nicht selten tritt eine akute Herzinsuffizienz mit Stauungssymptomatik im Rahmen einer hypertensiven Entgleisung/hypertensiven Krise durch akute Nachlaststeigerung in Erscheinung. Zur Behandlung der isolierten hypertensiven Entgleisung wird auf 7 Kap. 35 verwiesen. Die Symptomatik kann der resultierenden pulmonalen Stauung bis hin zum Lungenödem zugeschrieben werden. Häufig ist eine erhaltene systolische Ventrikelfunktion festzustellen, es bestehen also oft Zeichen der diastolischen Herzinsuffizienz (7 oben). Therapieprinzipien beinhalten neben Sauerstoffgabe und ggf. nichtinvasiver Beatmung mit CPAP/NIPPV eine initial rasche Nachlast- und Vorlastsenkung und anschließend eine langsamere Blutdrucksenkung über mehrere Stunden zu Normalwerten. Hierzu können zunächst rasch wirksame Schleifendiuretika eingesetzt werden sowie Nitroglyzerin sublingual oder intravenös. Eine äußerst wirksame Nachlastsenkung kann durch Gabe von Natrium-Nitroprussid erreicht werden. Hierzu ist eine kontinuierliche arterielle Blutdruckmessung obligat, und die Bestimmung des peripheren Gefäßwiderstandes (SVR) mittels Rechtsherzeinschwemmkatheteruntersuchung wünschenswert, falls der Patient nicht rasch auf die Initialtherapie anspricht. Ist der periphere Gefäßwiderstand erhöht (>1200 dyn×s×cm–5), wird mit Nitroprussid in einer Dosis von 0,1 μg/kg KG/min i.v. begonnen, bei Bedarf wird die Dosis schrittweise nach klinischer und hämodynamischer Reaktion erhöht (üblicherweise zwischen 0,2 und 10 μg/kg KG/min Dauerinfusionsdosis). Die maximale Infusionsdauer sollte auf 24–48 h beschränkt werden, da eine längere oder hochdosierte Infusion die Gefahr einer Zyanid- oder Thiocyanat-Toxizität birgt (Metabolismus). Um diese zuverlässig zur vermeiden, wird deshalb parallel eine Infusion von Natriumthiosulfat als »scavenger« verabreicht.
Akutes kardiogenes Lungenödem Akuttherapie des kardiogenen Lungenödems 4 Sauerstoffinsufflation (2–10 l O2 über Nasensonde oder Nicht-Rückatmungs-Maske) 4 Nitroglyzerin 0,4–0,8 mg sublingual, ggf. alle 10 min je nach RR wiederholen, bei RRsys >100 mm Hg auch Nitroglyzerin i.v. 0,5–3 mg/h 4 Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v. als Bolus, ggf. nach 30 min wiederholen 4 Morphin 1–3 mg i.v. 4 Bei respiratorischer Insuffizienz vorzugsweise nichtinvasive Beatmung mittels CPAP oder NIPPV (»non-invasive positive pressure ventilation«) 4 Bei schwerer Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz, ausgeprägter arterieller Hypertonie oder erhöhtem peripherem Widerstand (>1200 dyn × s × cm–5, Pulmonaliskatheter) Natrium-Nitroprussid (initial 0,1 μg/kg KG/min i.v., arterielles Blutdruckmonitoring obligat, Steigerung nach Klinik und RRsys, maximal 10 μg/kg KG/min) 4 Bei Hypotonie mit RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg Dobutamin (2–20 μg/kg KG/min i.v.); bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg und beginnender Schocksymptomatik Dopamin (5–20 μg/kg KG/min i.v.) 4 Bei ausgeprägter Hypotonie mit RRsys < 85 mm Hg und/oder progressiven Schocksymptomen zusätzlich Noradrenalin (0,05–1 μg/kg KG/min i.v.) 4 Bei Myokardinfarkt (AMI) oder akutem Koronarsyndrom (ACS) notfallmäßige Koronarangiographie, ggf. PCI oder ACVB-Operation 4 Alternativ Fibrinolyseindikation prüfen 4 Bei therapierefraktärem Lungenödem intraaortale Ballongegenpulsation (IABP) 4 Bei begleitender bzw. präexistenter Niereninsuffizienz forcierter Flüssigkeitsentzug mittels Hämofiltration
Pharmakotherapie Stufe 1: Entlastung des Herzens und supportive Maßnahmen > An erster Stelle der symptomatischen Therapie steht die supportive Sauerstoffinsufflation (2–10 l/min über Nasensonde/Nicht-Rückatem-Maske), um eine respiratorische Partialinsuffizienz mit Hypoxie zu kompensieren, die Oxygenierung sicherzustellen und um einer hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Reflex) mit Nachlasterhöhung des rechten Herzens entgegenzuwirken.
Im Fall einer persistierenden Hypoxämie, einer respiratorischen Globalinsuffizienz und Erschöpfung des Patienten sowie bei respiratorischer Azidose ist die Indikation zur kontrollierten Beatmung bzw. Atmungsunterstützung mit positiv-endexspiratorischem Druck (PEEP) gegeben. Beim kooperativen Patienten und bei engmaschiger Überwachung soll einer nichtinvasiven Beatmung (NIPPV) mittels Atemmaske und positivem Atemwegsdruck [»continuous positive airway pressure« (CPAP) oder »biphasic positive airway pressure« (BIPAP)] der Vorzug gegeben werden. Oft kann damit eine endotracheale Intubation mit den resultierenden Konsequenzen (ventilatorassoziierte Pneumonie, tiefere Sedation etc.) vermieden werden. Als nächste Maßnahme sollte eine rasche Vorlastsenkung erfolgen. Dazu sind orale oder sublinguale Nitrate geeignet (Nitroglyze-
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
rin 0,4–0,8 mg alle 10 min), diese dürfen aber nur bei einem systolischen Blutdruck ≥90 mm Hg eingesetzt werden. In zweiter Linie sollte bei stabilem Blutdruck (RRsys >100 mm Hg) und fehlenden Schockzeichen eine intravenöse Nitrattherapie eingeleitet werden (0,5–3 mg/h, Dosistitration nach Blutdruck). Anschließend werden rasch wirksame Schleifendiuretika verabreicht (Furosemid 0,5–1 mg/kg KG i.v., höhere Dosen bei erheblicher Stauung oder bei eingeschränkter Nierenfunktion). Diese bewirken neben einem Flüssigkeitsentzug durch Diurese eine akute Vorlastsenkung durch venöses »pooling«. Bei unzureichendem Ansprechen auf Diuretika sowie bei präexistenter Niereninsuffizienz ist neben der hämodynamisch aktiven Therapie ein forcierter Flüssigkeitsentzug mittels Hämofiltration notwendig und indiziert. Neuere Daten weisen auf die Überlegenheit einer möglichst hoch dosierten Nitrattherapie in Kombination mit niedrigeren Diuretikadosierungen im Vergleich zum Konzept Hochdosisdiuretika plus niedrigdosierte Nitrate hin [3]. Weiterhin sollte eine Analgosedierung des agitierten Patienten erfolgen. Hier ist vorzugsweise eine intravenöse Opioidgabe (z. B. Morphin fraktioniert 1–3 mg) sinnvoll. Patienten, die auf die Nitrattherapie nicht unmittelbar rasch ansprechen und deren Lungenödem überwiegend auf eine schwere Mitral- oder Aortenklappeninsuffizienz oder eine ausgeprägte arterielle Hypertonie mit peripherer Widerstandserhöhung zurückzuführen ist, sollten mit Natrium-Nitroprussid behandelt werden. Hierzu ist eine kontinuierliche arterielle Blutdruckmessung obligat und die Bestimmung des peripheren Gefäßwiderstandes (SVR) mittels Rechtsherzeinschwemmkatheteruntersuchung wünschenswert, falls der Patient nicht rasch auf die Initialtherapie anspricht. Ist der periphere Gefäßwiderstand erhöht (>1200 dyn×s×cm–5) und der systolische Blutdruck >90 mm Hg, wird mit Nitroprussid in einer Dosis von 0,1 μg/kg KG/min i.v. begonnen. Bei Bedarf wird die Dosis schrittweise nach klinischer und hämodynamischer Reaktion erhöht (üblicherweise zwischen 0,2 und 10 μg/kg KG/min Dauerinfusionsdosis). Als untere Grenze für eine Dosissteigerung gilt gewöhnlich ein systolischer Blutdruck von 85–90 mm Hg, es sollten PCWP-Werte zwischen 15 und 18 mm Hg angestrebt werden. Die optimale Dosierung richtet sich nach dem Anstieg des Herzminutenvolumens und dem Verhalten der Füllungsdrücke. Häufig ist nach akuter Vor- und Nachlastsenkung eine Volumensubstitution notwendig, um optimale Füllungsdrücke (ZVD um 12 mm Hg, PCWP zwischen 15 und 18 mm Hg) zu erhalten. Die maximale Infusionsdauer sollte auf 24–48 h beschränkt werden, da eine längere oder hochdosierte Infusion die Gefahr einer Zyanid- oder Thiocyanat-Toxizität birgt (Metabolismus). Um diese zuverlässig zur vermeiden, wird deshalb parallel eine Infusion von Natriumthiosulfat als »scavenger« verabreicht. Neben der akuten Senkung der Füllungsdrücke durch Nitroglyzerin oder Natrium-Nitroprussid kann auch hier Nesiritide, ein rekombinantes humanes natriuretisches Peptid mit vasodilatierenden und natriuretischen Eigenschaften, eingesetzt werden (7 oben: »Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz«). Nesiritide weist ein ähnliches Wirkprofil wie eine Kombination von Nitroprussid und Nitroglyzerin bezüglich arterieller und venöser Vasodilatation auf, daneben werden Diurese und Natriurese gefördert; eine Tachyphylaxie wurde bisher nicht beobachtet. Vergleichende Studien mit Nitroglyzerin und Dobutamin liegen vor. Die Substanz ist gegenwärtig auf dem europäischen Markt nicht verfügbar (7 oben).
Pharmakotherapie Stufe 2: Positiv-inotrope Stimulation Liegt ein kardiogenes Lungenödem mit begleitender Hypotonie und Hypoperfusion vor, so ist die Gabe von positiv-inotropen Substanzen indiziert. Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg besteht zunächst eine Indikation für das überwiegende β1-Sympathomimetikum Dobutamin (2–20 μg/kg KG/min i.v.). Bei RRsys zwischen 85 und 100 mm Hg und beginnender Schocksymptomatik wird in erster Linie Dopamin (5–20 μg/kg KG/min i.v.) eingesetzt, das neben vorwiegend positiv-inotropen β-sympathomimetischen auch blutdruckstabilisierende α-mimetische und dopaminerge Wirkungen aufweist. Bei RRsys <85 mm Hg 7 unten (»Kardiogener Schock«). Kausaltherapie Ergibt die Basisdiagnostik Hinweise für einen akuten Myokardinfarkt (AMI) oder ein akutes Koronarsyndrom (ACS) als auslösende Ursache des Lungenödems, so ist nach initialer Kreislaufstabilisierung eine rasche kausale Therapie anzustreben. Bei verfügbarem Katheterlabor mit interventioneller Ausrichtung sollte unverzüglich eine Koronarangiographie durchgeführt werden mit der Option einer Revaskularisation durch perkutane Koronarintervention (PCI) oder aortokoronare Bypassoperation (ACVB). Alternativ muss die Indikation zur Fibrinolyse unverzüglich geprüft werden, die jedoch einer interventionellen Therapie prognostisch unterlegen ist. Patienten mit therapierefraktärem Lungenödem profitieren von der Implantation einer temporären intraaortalen Ballongegenpulsationspumpe (IABP). Diese ist insbesondere bei Patienten mit notfallmäßiger Herzkatheterdiagnostik und erfolgter oder geplanter Revaskularisation sinnvoll.
Kardiogener Schock Management Bei kardiogenem Schock (RRsys <90 mm Hg, Abfall MAP >30 mm Hg, Diurese <0,5 ml/kg KG/h bei Herzfrequenz >60/min, CI <2,2 l/min/m², PCWP >15 mm Hg; . Abb. 31.2), der nicht durch eine korrigierbare Ursache ausgelöst wird oder nicht adäquat und effektiv behandelt wird, beträgt die Mortalität ≥85%. Dies begründet ein besonders aggressives Management, um möglichst rasch behandelbare Ursachen zu identifizieren und entsprechend zu korrigieren. Patienten mit peripherer Minderperfusion, aber noch erhaltenem Blutdruck sollten als Präschockpatienten betrachtet und in analoger Weise behandelt werden, um eine Progression zum manifesten Schock zu verhindern. Zu diagnostischen Zwecken und zur Steuerung der Therapie kann bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Schockbehandlung ein Rechtsherzkatheter eingesetzt werden, falls der Patient nicht rasch auf einen kalkulierten Therapieversuch anspricht. Bei Patienten mit kardiogenem Schock muss zunächst eine relative oder absolute Verminderung des linksventrikulären Füllungsdrucks als Ursache der Hypotonie ausgeschlossen werden: vorbestehende diuretische Therapie, akute Volumenverschiebungen, rechtsventrikulärer Myokardinfarkt, Perikardtamponade u. a. Die Halsvenenfüllung ist kein verlässlicher Indikator des linksventrikulären Füllungsstatus, daher sollte ein erhöhter Jugularvenendruck nicht notwendigerweise einen Volumenversuch verhindern (z. B. bei chronischem Cor pulmonale, Perikardtamponade, RV-Infarkt). Falls klinisch keine Zeichen einer Linksherzinsuffizienz vorliegen (S3-Galopp, feuchte Rasselgeräusche, radiologische Stauungszeichen), sollte bei Hypotonie mit RRsys <85 mm Hg und Zeichen des Schocks zunächst eine probatorische rasche Volumengabe als Bolus erfolgen (500 ml einer physiologischen NaCl-Lösung, nachfolgend 500 ml/h). Falls keine rasche klinische Besserung eintritt, müssen Katecholamine eingesetzt werden.
399 31.1 · Akute Herzinsuffizienz, kardiogener Schock
> Ein Perikarderguss sollte echokardiographisch rasch ausgeschlossen werden. Hierbei können auch die linksventrikuläre Pumpfunktion beurteilt sowie eine Rechtsherzbelastung oder ein rechtsventrikulärer Infarkt erkannt werden.
Pharmakotherapie Stufe 2: Positiv-inotrope Stimulation Bei schwerer Hypotonie (RRsys <85 mm Hg) und/oder Schock in Gegenwart einer Volumenüberladung oder trotz adäquater Volumengabe wird in erster Linie Dopamin (5–20 μg/kg KG/min i.v.) eingesetzt, das neben vorwiegend positiv-inotropen β-sympathomimetischen auch blutdruckstabilisierende α-mimetische Wirkungen aufweist. Kann keine ausreichende Kreislaufstabilisierung erreicht werden (MAP>60 mm Hg), so sollte zusätzlich Noradrenalin verabreicht werden (0,05–1 μg/kg KG/min i.v.). Nach erreichter Blutdruckstabilisierung kann Dopamin durch eine Kombination von Dobutamin in niedriger bis mittlerer Dosierung (2–10 μg/kg KG/min) und Noradrenalin ersetzt werden. Bei ungenügendem klinischem Ansprechen auf die Katecholamintherapie mit unzureichender Steigerung des Herzminutenvolumens und weiter bestehenden erhöhten Füllungsdrücken ist eine Kombination der Katecholamine mit einem Phosphodiesteraseinhibitor (PDEI) sinnvoll. PDE-Inhibitoren hemmen den Abbau von zyklischem AMP, dem intrazellulären »second messenger« der Katecholamine, und weisen damit synergistische Effekte auf, die unabhängig vom zellulären β-Adrenozeptorstatus und somit einer Vorbehandlung mit β-Blockern sind. Die Therapie kann z. B. mit Milrinon (0,25–0,75 μg/kg KG/min) eingeleitet werden. Eine intravasale Hypovolämie mit Hypotonie darf bei der Therapieeinleitung mit PDE-Inhibitoren nicht vorliegen. PDE-Hemmer sollten wegen der möglichen Induktion tachykarder Herzrhythmusstörungen bei akutem Myokardinfarkt nur im Ausnahmefall eingesetzt werden. Als Alternative zu selektiven PDE-Inhibitoren in Kombination mit Katecholaminen wird der Einsatz von sog. kalziumsensitivierenden Substanzen betrachtet (7 oben: Pharmakotherapie Stufe 2 bei akuter Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz). Levosimendan bewirkt im therapeutischen Dosisbereich eine Sensitivierung der kontraktilen Proteine für die aktivierenden Kalziumionen mit Steigerung des Herzminutenvolumens und Senkung der Füllungsdrücke, ohne den Energieverbrauch des Herzens signifikant zu steigern. Außerdem wurden keine proarrhythmischen Effekte beobachtet. In hohen Dosierungen kommen Effekte der PDE-Hemmung hinzu. Im Vergleich zu Dobutamin bewirkt Levosimendan eine ausgeprägtere Senkung der Füllungsdrücke und eine Steigerung des Herzminutenvolumens, ein Wirkungsverlust der Dauerinfusion durch Tachyphylaxie wurde nicht beobachtet. Eine Kombination von Levosimendan und niedrigdosiertem Noradrenalin stellt daher eine mögliche Therapieoption beim refraktären kardiogenen Schock dar. Bei Versagen der Standardkatecholamine Dopamin, Dobutamin und Noradrenalin (auch in Kombination mit PDE-Hemmern oder Kalzium-Sensitizer) wird als Ultima ratio häufig Adrenalin i.v. (0,05–0,5 μg/kg KG/min) eingesetzt. Adrenalin stimuliert sowohl β- als auch α-Rezeptoren und weist daher positiv-inotrope wie auch vasokonstriktive Wirkungen auf. Als Nebenwirkung zeigt Adrenalin eine signifikante Arrhythmieinduktion, v. a. ventrikulärer Arrhythmien, sowie häufig bei hochdosierter Therapie Organischämien durch Mikrozirkulationsstörungen. Die Behandlungsdauer sollte daher unbedingt auf ein Minimum beschränkt werden, und es sollten früh supportive Maßnahmen zur mechanischen Kreislaufunterstützung (7 unten) eingesetzt werden.
Kausaltherapie Ergibt die Basisdiagnostik Hinweise für einen akuten Myokardinfarkt oder ein akutes Koronarsyndrom als auslösende Ursache des Lungenödems, so ist nach initialer Kreislaufstabilisierung eine rasche kausale Therapie anzustreben. Bei verfügbarem Katheterlabor mit interventioneller Ausrichtung sollte unverzüglich eine Koronarangiographie durchgeführt werden mit Option der Revaskularisation. Bei akutem Myokardinfarkt und fehlender Möglichkeit zur invasiven/interventionellen Therapie und Revaskularisation kann eine thrombolytische Behandlung erwogen werden. Die Thrombolyse ist bei Patienten mit begleitender Schocksymptomatik deutlich weniger wirksam als bei Myokardinfarkt ohne Schock, daher ist bei dieser Hochrisikogruppe unbedingt eine frühzeitige invasive Reperfusionsstrategie durch PCI/ACVB-Operation anzustreben, ggf. muss der Patient hierzu in ein geeignetes Zentrum verlegt werden. Entstehende Transportzeiten/-verzögerungen werden durch den Vorteil der zuverlässigen Reperfusionsmaßnahme kompensiert; die PCI ist bei Transportzeiten bis zu 2 h beim akuten Myokardinfarkt der Thrombolysetherapie prognostisch überlegen. Mechanische Kreislaufunterstützung Folgende Patienten sollten für den Einsatz von mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen evaluiert werden: 4 Patienten, die auf oben genannte Maßnahmen nicht adäquat ansprechen bzw. bei denen keine Stabilisierung durch konventionelle Maßnahmen erreicht werden kann, 4 Patienten, die potenzielle Kandidaten für eine Herztransplantation darstellen oder 4 Patienten, bei denen potenziell korrigierbare Ursachen mit Aussicht auf Erholung der Herzfunktion zugrunde liegen. Gegebenenfalls muss unverzüglich Kontakt mit einem entsprechenden Zentrum aufgenommen werden. Intraaortale Gegenpulsation (IABP). Die Implantation einer int-
raaortalen Gegenpulsationspumpe zählt zur Standardtherapie des kardiogenen Schocks und der schweren akuten Herzinsuffizienz, wenn der Patient nicht adäquat auf die konventionelle Behandlung mit Volumengabe, Vasodilatanzien und positiv-inotroper Stimulation anspricht. Der Einsatz der IABP ist daneben auch bei Patienten zur hämodynamischen Stabilisierung in Vorbereitung auf eine invasive kardiologische Diagnostik und Therapie indiziert, insbesondere bei akutem Koronarsyndrom (ACS) sowie bei Patienten mit Komplikationen des ACS wie akuter Mitralklappeninsuffizienz bei Papillarmuskelruptur oder infarktassoziierter Ventrikelseptumruptur. Duch EKG-synchronisierte diastolische Inflation und systolische Deflation eines Ballonkatheters in der Aorta thoracalis descendens wird einerseits die Koronar- und Zerebralperfusion verbessert und andererseits eine Nachlastsenkung für den linken Ventrikel erreicht. Ein erfolgreicher Einsatz der IABP setzt allerdings eine erhaltene residuale Ventrikelfunktion und einen minimalen Perfusionsdruck voraus und ist damit als supportives Unterstützungssystem aufzufassen. Mikroaxialturbine (Impellaturbine). Eine weitergehende Kreislau-
funterstützung kann durch die Implantation einer nichtpulsatilen Mikroaxialturbine erreicht werden. Diese wird retrograd perkutan über die A. femoralis via Aortenklappe in den linken Ventrikel eingebracht und gewährleistet eine Förderleistung zwischen 2,5 und 5 l Herzminutenvolumen in Abhängigkeit vom verwendeten System.
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
»Assist Device«. Für eine längerfristige Herz-Kreislauf-Unterstützung kommen diverse »assist devices« in Frage. Mechanische Unterstützungssysteme werden überwiegend als Überbrückungsmaßnahme (»bridging«) bei schwerster, konventionell therapierefraktärer Herzinsuffizienz bis zu einer möglichen Herztransplantation eingesetzt. Es sind extrakorporale rechts- oder linksventrikuläre Ersatzsysteme oder auch weitgehend vollständig implantierbare »assist devices« in spezialisierten Zentren verfügbar. Die Erfahrungen an begrenzten Patientenzahlen sind günstig, es wurden Patienten länger als 1 Jahr mit subjektiv guter Lebensqualität behandelt. In Einzelfällen eines kardialen Pumpversagens durch Myokarditis oder idiopathisch dilatative Kardiomyopathie konnte eine spontane Erholung des eigenen Herzens durch die Entlastung aufgrund des Kunstherzens beobachtet werden, sodass gelegentlich eine Explantation des Systems ohne Notwendigkeit einer HTX möglich war. Der permanente artifizielle Herzersatz befindet sich wegen ungelöster thromboembolischer Komplikationen und der Infektionsgefahr weiterhin nur im experimentellen Stadium.
High-output-Herzinsuffizienz Die sog. High-output-Herzinsuffizienz ist gekennzeichnet durch ein erhaltenes bis erhöhtes Herzminutenvolumen, in der Regel bedingt durch eine erhöhte Herzfrequenz. Als Ursachen können oft tachykarde Herzrhythmusstörungen wie Tachyarrhythmia absoluta
31
bei Vorhofflimmern, Thyreotoxikose, Anämie, M. Paget sowie iatrogene Faktoren (z. B. Überdosierung von β2-Sympathomimetika, L-Thyroxin) identifiziert werden. Allgemeine Therapieprinzipien beinhalten die Frequenzkontrolle/-senkung bei Sinustachykardie und Tachyarrhythmia absoluta durch kurzwirksame β-Blocker (z. B. Esmolol i.v.), bei manifester Stauungssymptomatik ggf. auch Elektrokardioversion von Vorhofflimmern oder die rasche Aufsättigung mit Amiodaron nach Ausschluss einer Hyperthyreose (7 Kap. 33: »Herzrhythmusstörungen«).
Akute Rechtsherzinsuffizienz Die akute Rechtsherzinsuffizienz ist gekennzeichnet durch ein erniedrigtes Herzminutenvolumen mit erhöhtem Jugularvenendruck, Lebervergrößerung und arterieller Hypotonie. Neben sekundärer Rechtsherzinsuffizienz bei primärer Linksherzerkrankung sind auch das dekompensierte chronische Cor pulmonale sowie die fulminante und submassive Lungenembolie als Ursache differenzialdiagnostisch abzugrenzen. Bei der akuten Rechtsherzinsuffizienz durch fulminante und submassive Lungenembolie sind in erster Linie rekanalisierende Verfahren wie Fibrinolyse oder pulmonale Thrombektomie indiziert, daneben werden positiv-inotrope Substanzen analog wie bei kardiogenem Schock eingesetzt (7 Kap. 36: »Lungenarterienembolie«). Bezüglich der Behandlung des chronischen Cor pulmonale
33.046 Hospitalisierungen wegen akuter Herzinsuffizienz
31
Harnstoff - N < 43 mg/dl
Harnstoff - N ≥ 43 mg/dl
31 2,68 % Mortalität
31 31 31
8,98 % Mortalität
24.933 Hospitalisierungen Syst. RR ≥ 115 mmHg
Syst. RR < 115 mmHg
7.150 Hospitalisierungen Syst. RR ≥ 115 mmHg
Syst. RR < 115 mmHg
31 31
2,14 % Mortalität
5,49 % Mortalität
6,41 % Mortalität
15,28 % Mortalität
Mittleres Risiko 1
Mittleres Risiko 2
31 Niedriges Risiko
2045 Hospitalisierungen
31 31 31
Kreatinin < 2,75 mg/dl
Kreatinin ≥ 2,75 mg/dl
12,42 % Mortalität
21,94 % Mortalität
Mittleres Risiko 3
Hohes Risiko
31 31 31
. Abb. 31.3 Risikostratifikation bei akuter Herzinsuffizienz nach Daten aus dem ADHERE-Register. Patienten mit niedrigem systolischem Blutdruck (RR <115 mm Hg) und hohen Nierenretentionswerten (Harnstoff-N und Kreatinin) hatten das höchste Mortalitätsrisiko (21,94 %). Patienten mit niedrigem Harnstoff-N und einem systolischen Blutdruck von ≥115 mm Hg hatten das geringste Risiko. (Mod. nach [6])
401 31.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
und der pulmonalen Hypertonie wird auf 7 Kap. 40(»Asthma bronchiale und COPD«) verwiesen. Die symptomatische Therapie der Rechtsherzinsuffizienz beinhaltet eine entlastende Pharmakotherapie mit Diuretika (auch in Kombination mit Aldosteronantagonisten), Nitraten und ggf. eine positiv-inotrope Stimulation mit niedrigdosierten Digitalispräparaten.
31.1.5
Überwachung
Der Umfang der Überwachung eines Patienten mit akuter Herzinsuffizienz orientiert sich am Schweregrad und der Dynamik der Erkrankung und ist zusätzlich abhängig von der Manifestationsform bzw. dem klinischen Profil. So können akute Dekompensationen einer chronisch stabilen Herzinsuffizienz bei oligosymptomatischem Verlauf durch Intensivierung der Dauermedikation und zusätzliche intravenöse Diuretikatherapie im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts auf einer Allgemeinstation unter Pulsoxymetriekontrolle behandelt werden. Mildere Formen können gelegentlich auch auf einer ambulanten Basis durch einen kardiologisch erfahrenen Arzt rekompensiert werden. Ein Patient mit kardiogenem Schock hingegen benötigt die Expertise eines erfahrenen intensivmedizinischen Teams mit Rhythmusmonitoring, arterieller Blutdruckmessung, zentralvenösem Zugang und bei fehlendem Ansprechen auf die Intialtherapie oder schwieriger Differenzialdiagnose auch einer Bestimmung der zentralen Hämodynamik mittels Rechtsherzeinschwemmkatheter. Bei Patienten mit Sinusrhythmus kann zur Verlaufsbeobachtung und Therapiekontrolle auch eine kontinuierliche arterielle Pulskonturanalyse und Bestimmung der transpulmonalen Thermodilution sinnvoll und hilfreich sein. Patienten, die kontrolliert beatmet werden müssen, benötigen selbstverständlich ein entsprechendes Monitoring der Respiratorfunktion und des Gasaustauschs.
31.1.6
Prognose und Folgetherapie
Die Prognose des Patienten mit akuter Herzinsuffizienz ist abhängig von der Grunderkrankung und dem klinischen Profil. Nach Daten aus dem ADHERE-Register bei über 60.000 Patienten mit akuter Herzinsuffizienz ist eine zügige Risikostratifikation anhand der Parameter Harnstoff, systolischer Blutdruck und Kreatininwert möglich (. Abb. 31.3). Weitere Prädiktoren für schlechtes Outcome waren höheres Alter und höhere Herzfrequenz. Beim kardiogenen Schock, der nicht einer Kausaltherapie zugeführt werden kann, ist mit einer sehr schlechen Prognose zu rechnen, die Mortalität beträgt ≥ 85%. Die Folgetherapie orientiert sich an der Grunderkrankung und beinhaltet meist eine typische Pharmakotherapie der chronischen Herzinsuffizienz mit dem entsprechenden Spektrum der auslösenden Ursachen.
31.2
Perikarderguss und Perikardtamponade
31.2.1
Grundlagen
Perikarderguss Physiologisch finden sich ca. 15–50 ml perikardiale Flüssigkeit im Perikardraum und unterstützen die reibungsfreie Bewegung des Herzens gegen die umliegenden Thoraxorgane. Die pathologisch vermehrte Ansammlung von Flüssigkeit zwischen dem viszeralen und parietalen Anteil des Perikards wird als Perikarderguss bezeichnet.
In Abhängigkeit von der Ätiologie kann sich der Erguss aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammensetzen.
Zusammensetzung von Perikardergüssen 4 Exsudate bei entzündlicher Perikarditis 4 Transsudate bei Flüssigkeitsretention und Rechtsherzinsuffizienz 4 Blut bei Neoplasmen oder Traumata (Hämoperikard) 4 Pus bei bakterieller Perikarditis (Perikardempyem) 4 Lymphe (Chyloperikard)
In seltenen Fällen ist eine Perikardtamponade durch eine Gasansammlung im Herzbeutel bedingt (Pneumoperikard). Nach Dauer des Perikardergusses werden akute Ergüsse von chronischen Ergüssen unterschieden. Während akute Perikardergüsse einer Punktionstherapie bei entsprechender Ausdehnung meistens zugänglich sind, kann bei chronischen Ergüssen aufgrund von Organisationsvorgängen mit Bildung von fibrinösen Septen und Kammerung des Ergusses sowie Verdickungen und Adhäsionen der Perikardblätter die Entlastung durch Perikardiozentese erfolglos bleiben. Der Begriff der Perikardtamponade ist durch die ergussbedingte Erhöhung der intrakardialen Drücke, eine zunehmende Behinderung der diastolischen, insbesondere rechtsatrialen und -ventrikulären Füllung und damit die Reduktion des Schlagvolumens und des Herzzeitvolumens charakterisiert. Der Übergang des Perikardergusses ohne hämodynamische Konsequenz zur Tamponade wird durch verschiedene Faktoren bestimmt.
Determinanten der Tamponadeentwicklung 4 Volumen des Perikardergusses 4 Rate der Ergussentwicklung 4 Dehnbarkeit des Perikards
Ätiologie Die Ätiologie des Perikardergusses und damit der Herzbeuteltamponade umfasst ein weites Spektrum von Erkrankungen [16, 17]. Die 7 Übersicht stellt eine Auswahl der wichtigsten Ursachen eines Perikardergusses dar.
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402
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Ätiologie des Perikardergusses 4 Perikarditis – Infektiös: Häufig viral, selten bakteriell, Rarität: Pilzinfektionen oder Parasiten – Systemische Autoimmunerkrankungen – Urämie – Postkardiotomiesyndrom – Myxödem – Pankreatitis 4 Trauma 4 Aortendissektion 4 Ventrikelruptur 4 Malignome, per continuitatem oder metastatisch 4 Herzinsuffizienz 4 Iatrogen – Koronarintervention – Schrittmacher- und Defibrillatorimplantation – Ablationstherapie – Radiatio und Chemotherapie – Antikoagulation
31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31 31
. Abb. 31.4 Schematische Darstellung der Entwicklung des intraperikardialen Druckes in Abhängigkeit des intraperikardialen Ergussvolumens bei akuter Ergussentwicklung mit niedrigem perikardialen Reservevolumen (Kurve a) und chronisch progredienter Ergussentwicklung mit erhöhtem perikardialen Reservevolumen (Kurve b). Nach Überschreitung des perikardialen Reservevolumens kommt es zu einem drastischen Anstieg des intraperikardialen Druckes bei vergleichsweise geringer Volumenzunahme des Ergusses und konsekutiv zur Ausbildung einer klinisch relevanten Perikardtamponade. (Mod. nach [8])
Pathophysiologie Der Pathomechanismus, der der Entstehung der Perikardtamponade zugrunde liegt, beruht in Abhängigkeit von der Ätiologie auf einer schnell oder langsam progredienten Kompression der kardialen Kammern durch den Perikardinhalt. Der Herzbeutel kann aufgrund seiner bindegewebigen Wandanteile und damit geringen Dehnbarkeit akut nur geringe Flüssigkeitsvolumina kompensieren. Bereits 150–200 ml Flüssigkeit können so zu einer akuten Tamponade führen. Entsteht der Erguss dagegen über einen längeren Zeitraum, so kommt es zu einer Dehnung der Perikardwände, sodass Volumina bis 1–2 l ohne drastische Erhöhung des intraperikardialen Druckes kompensiert werden können [25]. Die intraperikardiale Volumenexpansion erreicht somit in Abhängigkeit von der Entstehungskinetik früher oder später eine Grenze, definiert durch das perikardiale Reservevolumen [33], ab der sich ein zunehmender intraperikardialer Druck aufbaut. Der physiologische intraperikardiale Druck liegt gering unter dem rechtsatrialen, diastolischen Druck. Der intraperikardiale Druck steigt nach Erreichen des perikardialen Reservevolumens steil an (. Abb. 31.4). Bei chronisch progredientem Perikarderguss ist diese J-förmige Kurve nach rechts auf der Abszisse verschoben, ihre Anstiegssteilheit reduziert. Durch den Anstieg des intraperikardialen Druckes bedingt, sinkt der transmurale Druckgradient u. U. über das Niveau der diastolischen atrialen und ventrikulären Füllungsdrücke. Aufgrund der niederen Druckverhältnisse im rechten Atrium kommt es hier zuerst zu einer Behinderung des venösen Einstroms, gefolgt von der rechtsventrikulären Füllung. Diese hämodynamischen Veränderungen treten auf, wenn der intraperikardiale Druck 10– 12 mm Hg übersteigt [24]. Im Verlauf führt dies zu einer Reduktion des rechtsventrikulären Schlagvolumens und damit zu einer Erniedrigung des Herzzeitvolumens, welche zunächst durch Stimulation der Herzfrequenz und Steigerung des systemisch- und pulmonalarteriellen Druckes über einen gewissen Zeitraum kompensiert werden kann [29]. Versagen diese Kompensationsmechanismen, tritt eine Reduktion des Blutdruckes bis hin zum hämodynamischen Schock auf. In diesem Zustand liegt eine schwere Tamponade mit intraperikardialen Drücken von 25 mm Hg und darüber vor [32].
Aufgrund der Pathophysiologie der Tamponadeentstehung wird verständlich, dass die Entfernung von bereits relativ geringen Ergussmengen bei der akuten Tamponade zu einer drastischen Verringerung des intraperikardialen Druckes führen wird, während bei der mehr protrahierten bis chronischen Entwicklung der Tamponade dazu deutlich mehr Volumen drainiert werden muss. > Auf der Basis der unterschiedlichen Kinetik des intraperikardialen Druckanstiegs in Abhängigkeit von der zeitlichen Entwicklung des Perikardergusses wird verständlich, dass insbesondere bei akuten Perikardergüssen mit Tamponadeentwicklung die Entfernung von bereits relativ geringen Ergussvolumina (50–100 ml) zu einer deutlichen und schnell einsetzenden klinischen Verbesserung der Hämodynamik führt.
Die genannten Mechanismen beschreiben die Entwicklung einer klassischen Perikardtamponade mit dem zu erwartenden typischen Verlauf und den klinischen Zeichen wie Stauung der Jugularvenen und das Auftreten eines Pulsus paradoxus. Präexistierende Erkrankungen des Herzens, welche zu einer Erhöhung des links- oder rechtsventrikulären enddiastolischen Druckes führen,wie z. B. Aortenklappeninsuffizienz oder ein atrial septaler Defekt (ASD),können allerdings die Präsentation des Pulsus paradoxus verhindern bzw. hinauszögern [30]. Lokalisierte Perikardergüsse, insbesondere bei chronisch entzündlicher Entstehung oder postoperativ nach Herzoperation zeigen häufig abweichende Veränderungen in der Präsentation der Perikardtamponade trotz hoher intraperikardialer Drücke und können eine isolierte Kompression des linken Atriums oder des linken Ventrikels aufweisen [7]. Als weitere Sonderform der Tamponade ist die Niedrigdrucktamponade zu werten [27]. Aufgrund einer bestehenden Hypovolämie steigt der zentralvenöse Druck als Zeichen der rechtsatrialen Einflussstauung trotz des erhöhten intraperikardialen Druckes nur mäßig an. Die klinischen Zeichen der Tamponade sind teilweise maskiert. Diese Form der Tamponade tritt bei Patienten mit gleichzeitigem Volumenverlust durch Blutung, z. B. im Rahmen eines Traumas oder exzessiver Diuretikaterapie, oder Hämodialyse bei
403 31.2 · Perikarderguss und Perikardtamponade
elbildung oder selten als Beatmungstrauma auf [4]. Das das Atrium oder den Ventrikel komprimierende Medium stellt dabei, neben Flüssigkeit, vorwiegend eine Gasansammlung im Perikard dar. Diagnostisch wegweisend kann hier das Auftreten eines tympanitischen Klopfschalls präkordial sein. Des Weiteren besteht ein typischer Auskultationsbefund, ähnlich dem eines sich drehenden Mühlrades, der auf die Anwesenheit von Flüssigkeit und Gas im Herzbeutel hinweist.
31.2.2
. Abb. 31.5 Pneumoperikard: Das parietale Perikardblatt stellt sich radiologisch als dünne Linie (dicker Pfeil) dar. Des Weiteren ist nach erfolgter Perikardpunktion und Drainage des Ergusses der liegende Pigtail-Katheter zu erkennen (dünner Pfeil)
Vorliegen eines urämischen Perikardergusses ohne ausreichende Volumensubstitution auf. Die Volumeninfusion führt hier zu einer Reduktion der hämodynamischen Komplikationen der Tamponade. > Bei der Niedrigdrucktmponade stellt die Verabreichung von intravaskulärem Volumen die wichtigste Maßnahme dar. Eine Perikardpunktion kann sekundär die kompromittierte Hämodynamik verbessern.
Die langsam progrediente, chronisch exsudative Perikarditis, bei der ausgeprägte Perikardergüsse über lange Zeiten nachweisbar sind, ist aufgrund des erhöhten perikardialen Reservevolumens bedingt durch Perikarddehnung lediglich durch einen mäßigen Anstieg des intraperikardialen Druckes [10] charakterisiert. Patienten mit dieser Form der Perikarderkrankung sind nicht selten beschwerdefrei ohne entsprechende klinische Zeichen der Tamponade und können z. T. konservativ behandelt werden. Allerdings können vermehrt Symptome einer Belastungsinsuffizienz oder Zeichen einer klassischen akuten Tamponade bei Exazerbation der zugrunde liegenden Erkrankung auftreten, was die Entlastung des Perikardergusses, ggf. die chirurgische Therapie durch Perikardektomie, notwendig macht. Bei der exsudativ-konstriktiven Perikarditis, z. B. bei tuberkulösem Befall des Perikards oder nach mediastinaler Radiatio [25], kann der intraperikardiale Druckanstieg aufgrund der reduzierten Compliance des Herzbeutels durch Fibrosierung und Narbenbildung deutlich schneller erfolgen mit entsprechend akzellerierter hämodynamischer Instabilität des Patienten. Typischerweise normalisieren sich die pathologisch veränderten, intrakardialen Druckwerte nicht komplett nach Drainage des Perikardergusses [35]. Als weitere Sonderform der Perikardtamponade ist das Spannungspneumoperikard oder Pneumohydroperikard (. Abb. 31.5) zu nennen [12]. Diese Form der Perikarderkrankung verläuft klinisch identisch zur Tamponade durch einen reinen Perikarderguss. Sie tritt bei Patienten mit penetrierendem Thoraxtrauma, Magenoder Ösophagusruptur, Neoplasmen mit bronchoperikardialer Fist-
Klinik
Die klinischen Zeichen der Perikardtamponade sind häufig unspezifisch, sodass das eventuelle Vorliegen eines hämodynamisch relevanten Perikardergusses im Kontext mit anderen klinischen Gegebenheiten abzuwägen ist. So muss eine Perikardtamponade bei Patienten mit spitzen oder stumpfen Thoraxtraumen oder penetrierenden Verletzungen des Abdomens differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Insbesondere bei der Entwicklung einer Hypotension verbunden mit pleuritischen und perikarditischen Symptomen ist das Vorliegen einer Tamponade auszuschließen. Die von dem Thoraxchirurgen Claude S. Beck im Jahre 1935 beschriebene Trias: 4 arterielle Hypotension, 4 Erhöhung des zentralvenösen Druckes, 4 »ein leises Herz« beschreibt das klassische Erscheinungsbild bei hämorrhagischer Perikardtamponade [37]. Initial fallen Sinustachykardie und Dyspnoe mit zunehmender Schwere im Ruhezustand auf. Die Patienten bevorzugen eine aufrechte (Sitz-)haltung. Hinzu treten Zeichen des beginnenden Schocks, wie Agitation, Angst, Schweißausbruch, Stupor, niedrige Pulsamplitude und periphere Vasokonstriktion. Bei Kompression von Trachea oder Bronchien tritt Husten auf. Typischerweise weisen gestaute Halsvenen auf das Vorliegen einer rechtsventrikulären Einflussstauung hin. Dieses Zeichen kann bei Patienten mit Hypovolämie fehlen. Bei chronisch vorliegenden Perikardergüssen und langsam sich entwickelnder Tamponade können ausgeprägte periphere Ödeme beobachtet werden. Diese fehlen bei akuter Tamponade. Hypotension und Tachykardie sind Kardinalsymptome des sich entwicklenden Schockzustandes. Bei Beginn der Perikarditis und subakuter Entwicklung des Ergusses kann initial Perikardreiben auskultierbar sein, welches sich bei zunehmender Ergussentwicklung wieder verliert. Bei der Auskultation sind die Herztöne aufgrund des schallisolierenden Ergusses nur leise zu hören. Der Herzspitzenstoß ist nicht palpabel. Perkutorisch lässt sich eine vergrößerte Dämpfung über dem distendierten Perikard beobachten. > Als Schlüsselsymptom der Perikardtamponade gilt der Pulsus paradoxus [31].
Der Pulsus paradoxus ist durch eine Abnahme des systolischen Blutdrucks um >10 mm Hg während der Inspiration definiert. Wie auch beim gesunden Menschen führt die Inspiration zu einer vermehrten Füllung thorakaler Venen (Kapazitätsgefäße) und damit einer Erhöhung der rechtsventrikulären Füllung. Die Zunahme des rechtsventrikulären Volumens bewirkt bei Vorliegen einer Perikardtamponade eine Verschiebung des atrialen und ventrikulären Septums nach links. Dadurch wird die linksventrikuläre Füllung zusätzlich zur Reduktion des rechtsventrikulären Herzzeitvolumens behindert, und es resultiert ein inspirationssynchroner Abfall des systolischen Druckes. Dies kann durch Palpation der peripheren Pulse quantifiziert werden. Bei Vorliegen einer schweren Tampona-
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
de kann die palpierte Pulsaktion während der Inspiration komplett verschwinden. Ebenfalls kann der Pulsus paradoxus mit Hilfe der Sphygmomanometrie bestimmt werden. Bei der Blutdruckmessung mittels Sphygmomanometrie wird die Armmanschette mit einem Druck von ca. 20 mm Hg oberhalb des systolischen Druckes aufgepumpt. Anschließend wird der Druck in der Manschette reduziert, bis die Korotkow-Geräusche nur in der Exspirationsphase hörbar sind. Daraufhin wird der Manschettendruck weiter reduziert, bis die Korotkow-Geräusche bei jeder Herzaktion hörbar sind. Die Differenz beider Druckniveaus ergibt die Höhe des Pulsus paradoxus. Insbesondere bei Hypotonie und ausgeprägter Tachykardie ist dieses Phänomen mittels der genannten Methoden schwierig zu quantifizieren. Hier kann die direkte blutige Messung des systemischen Druckes notwendig sein, um den Pulsus paradoxus zu dokumentieren. Durch Erhöhung des linksventrikulären enddiastolischen Druckes, z. B. bei Aortenklappenvitien oder Herzinsuffizienz, kann die Ausprägung des Pulsus paradoxus vermindert sein.
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31.2.3
Diagnostik
EKG Im EKG kann im Sinne einer zentralen und peripheren Niedervoltage eine Verminderung der QRS-Amplitude vorliegen. Ein elektrischer Alternans zeigt die pendelartige Schwingung des Herzens in einem Perikarderguss an (»swinging heart«). Der Alternans kann in einem 2 : 1- oder 3 : 1-Muster auftreten und betrifft neben dem QRSKomplex selten auch P- oder T-Wellen [34]. Des Weiteren können typische EKG-Zeichen einer perikarditischen Erkrankung, nämlich spezifische ST-Strecken-Elevationen vorliegen.
Transthorakale Echokardiogaphie Die 2-D-echokardiographische Untersuchung stellt den Goldstandard zur Diagnose eines Perikardergusses und der Tamponade dar und sollte vor jeder therapeutischen Intervention durchgeführt werden. Nur bei fehlender Verfügbarkeit eines Echokardiographiegerätes oder aus klinischer Notwendigkeit bei drohendem Tod des Patienten kann eine Perikardiozentese auf der Basis des klinischen Erscheinungsbildes allein und der daraus resultierenden Verdachtsdiagnose durchgeführt werden. Typischerweise zeigt das echokardiographische Bild den Flüssigkeitssaum um das Herz (. Abb. 31.6). In Abhängigkeit von der Breite des Ergusssaumes kann semiquantitativ die Ergussmenge geschätzt werden. Üblicherweise erfolgt die Bestimmung des Perikardergusses über das apikale Fenster (4-Kammer-Blick) oder parasternale Kurzachsenfenster. Hierbei lassen sich zirkuläre Ergüsse oder lokalisierte Ergüsse vor dem rechten oder linken Ventrikel in der Regel gut darstellen. Die subkostale Anschallung erweist sich darüber hinaus zur Quantifizierung eines Ergusses vor dem rechten Atrium als hilfreich. Des Weiteren kann die Echogenität des Ergusses Hinweise auf die Genese bieten. So werden bei fibrinreichen oder hämorrhagischen Ergüssen echodichte Strukturen erkennbar, deren Unterscheidung zu perikardialem Fettgewebe gelegentlich schwierig sein kann. Darüber hinaus erlaubt die echokardiographische Diagnostik, andere Ursachen einer rechtsventrikulären oder globalen Herzinsuffizenz als Ursache einer venösen Einflussstauung zu differenzieren. Im Extremfall der Perikardtamponade lässt die zweidimensionale Echokardiographie den Kollaps des rechten Atriums und des rechten Ventrikels während der Diastole erkennen (. Abb. 31.7). Die Invagination der freien rechtsventrikulären Wand ist dabei
. Abb. 31.6 Echokardiographische Darstellung eines großen Perikardergusses (PE), der vorwiegend vor dem rechten Ventrikel (RV) lokalisiert ist (apikaler 4-Kammer-Blick). Eine beginnende Tamponade ist an der frühdiastolischen Füllungsbehinderung des RV zu erkennen (Pfeil). Linker Ventrikel (LV), rechtes Atrium (RA), linkes Atrium (LA)
insbesondere in der frühdiastolischen Phase, die der rechtsatrialen freien Wand im Gegenzug während der spätdiastolischen Phase evident. In etwa 25% der Fälle ist ein Kollaps der linksatrialen Wand sichtbar, was als hochspezifisches Zeichen für das Vorliegen einer Tamponade zu werten ist. Ein Kollaps der linksventrikulären Wand ist selten und lässt sich vorwiegend bei über dem linken Ventrikel lokalisierten Ergüssen, insbesondere nach operativen Eingriffen, feststellen. Darüber hinaus zeigt sich die V. cava inferior prall gestaut ohne inspiratorischen Kollaps. Ein evtl. klinisch vorliegender Pulsus paradoxus findet sein echokardiographisches Korrelat in einer inspiratorischen Linksverschiebung des Septum interventriculare und interatriale mit Anstieg des rechtsventrikulären Diameters, welcher mit einer Abnahme der linksventrikulären Größe assoziiert ist. Durch die Analyse des Dopplersignals über der Trikuspidalund Pulmonalklappe kann das Vorliegen eines Pulsus paradoxus ebenfalls bestätigt werden. Dabei ist als typisches Zeichen der Tamponade die Zunahme des frühdiastolischen Einstroms über die Trikuspidalklappe um mindestens 40% sowie die gleichzeitige Abnahme des frühdiastolischen Einstroms über die Mitralklappe in den linken Ventrikel um mindestens 25% während der Inspiration zu werten. Diese Phänomene werden in der Exspirationsphase umgekehrt. Ebenfalls diagnostisch wegweisend ist eine inspiratorische Abnahme der Flussgeschwindigkeit über der Aortenklappe parallel zu einer Zunahme der Flussgeschwindigkeit über der Pulmonalklappe [1]. Die durch die Tamponade veränderte rechtskardiale Hämodynamik lässt sich auch in den weiter peripher gelegenen großen Venen nachweisen. Bei Exspiration kommt es demnach in den Lebervenen zu einer Verlangsamung des venösen Flusses in Richtung auf das rechte Atrium, während ein evtl. bestehender, stauungsbeding-
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a
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. Abb. 31.7a, b Echokardiographische Darstellung einer beginnenden Tamponade durch frühdiastolische Kompression der basalen Abschnitte des rechten Ventrikels (RV) durch den Perikarderguss (PE) in epigastraler Einstellung des Herzens (a) und M-Mode-Verfahren (b)
ter Rückfluss verstärkt ist [9]. Die Bestimmung der dopplerechokardiographischen Parameter erlaubt die Diagnosestellung einer Tamponade bereits vor Auftreten eines druckmanometrisch evidenten Pulsus paradoxus oder einer Reduktion des arteriellen Blutdruckes.
Transösophageale Echokardiographie Die transösophageale Echokardiographie spielt bei der Erfassung von Perikardergüssen und Diagnostik der Perikardtamponade eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur transthorakalen Echokardiographie. Sie kann bei technisch schwieriger Durchführung der transthorakalen Diagnostik, z. B. bei ausgeprägter Adipositas oder Verletzungen der Thoraxwand, zum Einsatz kommen. Ihre diagnostischen Stärken liegen insbesondere in der Evaluation atypisch lokalisierter Ergüsse.
Röntgendiagnostik Das Vorliegen eines Perikardergusses kann radiologisch in der posterior-anterioren Thoraxaufnahme anhand einer Verstreichung der Herztaille sowie einer Verbreiterung des Herzschattens vermutet werden (. Abb. 31.8). Allerdings ist die Röntgenübersichtsaufnahme des Herzens ungeeignet, um einen Erguss von einer Kardiomegalie letztlich sicher zu unterscheiden. Darüber hinaus kann trotz radiologisch normaler Herzschattenform ein hämodynamisch relevanter Erguss vorliegen. Die Computertomographie kann das radiologische diagnostische Spektrum erweitern (. Abb. 31.9). Durch diese Methode kann die Lokalisation insbesondere von atypisch gelegenen Ergüssen erleichtert werden. Darüber hinaus kann zwischen einem hämorrhagischen und einem serösen Erguss unterschieden werden, was Rückschlüsse auf die Pathogenese des Ergusses erlaubt. Chronische Perikarditiden werden anhand von Perikardverdickungen und -verkalkungen erkannt. Allerdings ist die Wertigkeit dieses Verfahrens wie auch der Magnetresonanztomographie in der instabilen Situation des Patienten mit Perikardtamponade der Echokardiographie untergeordnet.
Rechtsherzkatheterisierung Bei Patienten mit hämodynamisch relevantem Perikarderguss sollte möglichst ein invasives Monitoring, zumindest des zentralvenösen Druckes durchgeführt werden. Der rechtsatriale Druck ist deutlich erhöht, mit Ausnahme bei Patienten mit Hypovolämie. Die rechtsatriale Druckkurve weist einen erhaltenen systolischen x-Abfall bei gleichzeitig fehlendem oder vermindertem y-Abfall auf [15]. Der mitt- bis enddiastolische rechtsventrikuläre Druck ist ebenfalls auf rechtsatriale Werte erhöht und gleicht sich dem enddiastolischen linksventrikulären sowie pulmonalarteriellen Druck an, im Unterschied zur Pericarditis constrictiva ohne Nachweis eines »Dip-undPlateau-Phänomens«. Die pulmonalarteriellen Drücke und der pulmonalkapilläre Verschlussdruck sind erhöht. Bei simultaner Messung des intraperikardialen Druckes zeigt sich eine Angleichung an rechtsatriale, enddiastolische rechtsventrikuläre und pulmonalkapilläre Verschlussdrücke. Das Herzzeitvolumen ist bei Perikardtamponade reduziert. Nach Perikardiozentese kommt es zu einer raschen Normalisierung der Druckkurven und des Herzzeitvolumens.
31.2.4
Therapie
Interventionelle Therapie Die geeignete Form der Therapie hängt von der klinischen Präsentation des Patienten ab. Patienten mit Perikardtamponade und akuter Verschlechterung der Hämodynamik bedürfen einer sofortigen Entlastung des Perikardraums mittels Perikardiozentese. Für diese Indikationsstellung weisen die Leitlinien der European Society of Cardiology der Perikardpunktion eine Klasse-I-Indikation zu [18]. Als absolute Kontraindikation für die Perikardiozentese ist die Aortendissektion (Stanford-Typ A) zu nennen, relative Kontraindikationen umfassen Koagulopathien, Antikoagulanzientherapie, Thrombozytopenie <50.000/mm3 sowie kleine, posterior gelegene oder septierte Ergüsse. Auch bei chronischen Perikardergüssen >20 mm im echokardiographischen Nachweis auch ohne Nachweis einer Tamponade ist die Perikardpunktion, zumal zu diagnostischen Zwecken, indiziert (Klasse-IIa-Empfehlung).
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
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. Abb. 31.8a, b Radiologische Darstellung eines ausgedehnten Perikardergusses mit Tamponadezeichen vor (a) und nach (b) der Perikardiozentese. Auffällig sind die Verbreiterung der Herzsilhouette sowie die Verstreichung der Herztaille vor der Punktion (a)
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. Abb. 31.9 Darstellung eines zirkulären Perikardergusses im Thorax-CT (Pfeil)
. Abb. 31.10 a–i. Perikardpunktionsset der Fa. Braun (Melsungen, Angiodyn Drainage Set). Perikardpunktionskanüle (a), Skalpell zur Hautinzision (b), Führungsdraht nach Seldinger (c), Kanüle und Spritze für Lokalinjektion oder Aspiration bei Punktion (d), Auffangbeutel zur Ergussdrainage (e), Konnektor mit 3-Wege-Hahn (f), 50-ml-Spritze zur Ergussaspiration (g), Perikardschleuse (Peelaway) auf Dilatator (h), Pigtail-Katheter mit röntgendichten Mandrin (i)
Mittlerweile bietet die Industrie vorgefertigte Materialsets für die Durchführung einer Perikardpunktion an (z. B. Angiodyn Drainage Set der Fa. Braun; . Abb. 31.10). In der Regel wird zur Perikardpunktion der substernale, subxiphoidale Zugangsweg gewählt (. Abb. 31.11). Die Punktion erfolgt unter echokardiographischer und/oder fluoroskopischer Kontrolle. Der Patient wird in halbsitzender Stellung gelagert. Nach Lokalanästhesie erfolgt die Punktion im linken kostoxiphoidalen Winkel, ca. 1–2 cm unterhalb und links des Processus xiphoideus. Die
Punktionskanüle wird mit Stichrichtung auf das linke Schultergelenk unter den Rippenbogen geführt. Die Vorwärtsbewegung der Kanüle sollte unter Aspiration erfolgen. Das Perikard leistet einen dezenten Widerstand, nach dessen Überwindung Perikarderguss zu aspirieren ist. Über die Punktionskanüle kann nun ein Führungsdraht eingebracht werden. Nach Entfernung der Kanüle erfolgt die Erweiterung des Stichkanals mittels eines 6- bis 8-F-Dilatators. Je nach Zusammensetzung des Perikardpunktionssets ist es möglich, eine Schleuse auf den Dilatator zu montieren, welche nach Entfer-
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Insbesondere bei Aspiration von hämorrhagischer Perikardflüssigkeit muss eine genaue Lokalisierung der Kanülenspitze oder des Pigtail-Katheters erfolgen. Dazu können mehrere Methoden verwendet werden.
Differenzialdiagnostische Techniken zur Unterscheidung von aspiriertem Blut vs. hämorrhagischen Erguss 4 Bestimmung der Sauerstoffsättigung des Aspirates 4 Bestimmung des Hämatokrits oder der Hämoglobinkonzentration des Aspirates 4 Injektion von Röntgenkontrastmittel über die Kanüle, Schleuse oder den Pigtail-Katheter unter Durchleuchtung 4 Injektion von Echokontrastmittel und echokardiographische Kontrolle
. Abb. 31.11 Schematische Darstellung der Perikardpunktionstechnik. Unter echokardiographischer oder fluoroskopischer Kontrolle erfolgt die Punktion links des Processus xiphoideus mit ca. 30° Neigung unter dem Rippenbogen hindurch in Richtung auf die linke Schulter und unter Aspiration
nung des Dilatators den Zugang zum Perikardraum erleichtert und über deren Seitenschluss der intraperikardiale Druck gemessen werden kann. Über die liegende Schleuse und den Führungsdraht wird dann ein Pigtail-Katheter in den Perikardraum eingebracht und nach Entfernung der Schleuse an der Haut fixiert. Über den so platzierten Pigtail-Katheter kann, wie auch bereits über die Stichkanüle, Perikardflüssigkeit entfernt werden. Bereits die Entfernung von 50–100 ml Volumen bewirkt eine deutliche Stabilisierung der hämodynamischen Parameter. Wiewohl die Verletzung des Myokards oder von Koronararterien, insbesondere von aortokoronaren Bypassgefäßen, eine bekannte Komplikation darstellt, tritt diese bei einem derartigen Vorgehen und bei Vorliegen großer Ergüsse selten auf. Bei Vorliegen von aortokoronaren Bypassgefäßen sollte auf die Einlage eines PigtailKatheters verzichtet werden. Gelegentlich kommt es zu einer Verletzung der A. thoracica interna und Aspiration von arteriellem Blut. Als weitere Komplikationen sind Pneumothorax, Verletzungen von Lunge und Magen beschrieben, wenngleich selten. Gelegentlich, insbesondere bei Drainage der Ergussflüssigkeit über einen Pigtail-Katheter, können Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern auftreten. Um einer Verletzung des Myokards oder einer Punktion des rechten Ventrikels bei kleinen Ergüssen vorzubeugen, kann die flüssigkeitsgefüllte Stichkanüle über eine Alligatorklemme mit einem EKG-Gerät (geerdete Brustwandelektrode) verbunden werden. Eine Punktion des rechtsventrikulären Myokards wird im EKG dann in Form einer ST-Strecken-Elevation sowie durch die Auslösung von Extrasystolen angezeigt.
Als einfacher Test kann der Kompressenversuch während der Punktion durchgeführt werden. Dazu werden einige Tropfen des Aspirates auf eine Kompresse gegeben. Bei Blut bildet sich ein roter, gleichfarbener Fleck, bei hämorrhagischer Flüssigkeit erfolgt eine Entfärbung des Flecks mit Ausbildung eines hellen Hofs um einen zentralen roten Fleck. Sollte der rechte Ventrikel oder ein großes Gefäß bei der Punktion verletzt worden sein, muss eine weitere chirurgische Versorgung erfolgen. Als Alternative bei Versagen des substernalen Zugangswegs kann der apikale Zugangsweg benutzt werden. Hier erfolgt der Einstich im 5. Interkostalraum außerhalb des Herzspitzenstoßes, parasternal links. Neben der Entlastung der Perikardtamponade durch Entfernung von Flüssigkeitsvolumen dient die Perikardiozentese auch der Diagnostik der Pathogenese des Ergusses. Das Punktat muss laborchemisch hinsichtlich auffälliger Parameter untersucht werden.
Empfohlene Laboruntersuchungen zur Ergussdiagnostik 4 Proteingehalt (Exsudat vs. Transsudat), LDH, Amylase, Lipase, Adenosindeaminase (bei Verdacht auf Tuberkulose) 4 Glukose- und Cholesterinkonzentration 4 Zytologie 4 Blutbild, Hämoglobinkonzentration 4 Mikrobiologische Testung, kulturelle Anzüchtung
Der Pigtail-Katheter sollte nach 48 h Verweildauer zur Vermeidung von Sekundärinfektionen entfernt werden. Insbesondere bei chronisch symptomatisch rezidivierenden Ergüssen, fibrinreichen und hämorrhagischen Ergüssen mit Teilthrombosierung sollten eine chirurgische Entfernung des Ergusses und eine Fensterung des Perikards angestrebt werden. Bei einem Perikardempyem müssen eine Drainage und Spülung der Perikardhöhle durchgeführt werden. Die chirurgische Therapie ist in Fällen von Perikardergüssen nach Ventrikelruptur und Aortendissektion notfallmäßig anzustreben, da anderenfalls eine exorbitant hohe Letalität besteht. Die chirurgische Therapie bietet neben dem Aspekt der Entlastung auch den Vorteil der Biopsatgewinnung zur weiteren histologischen Aufarbeitung. Sollte aus verschiedenen Ursachen eine chirurgische Perikardfensterung nicht möglich sein, kann die Durchführung einer perkutanen Perikardiotomie mittels Ballonkatheter im Rahmen einer perkutanen Perikardiozentese erwogen werden [23].
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Kapitel 31 · Akute Herzinsuffizienz und kardiogener Schock, Herzbeuteltamponade
Medikamentöse Therapie Im Falle der akuten Perikardtamponade stellt die Perikardiozentese die definitive Therapie dar, eine medikamentöse Therapie hat daher in der Notfallsituation nur supportiven Charakter. Ihr Wert ist umstritten. Die Volumenersatztherapie wird unter der Vorstellung der Erhöhung der rechtsventrikulären Füllung durch Anhebung der Vorlast verabreicht. Diese Therapie ist essenziell in der Subgruppe von Patienten mit Hypovolämie und Niederdrucktamponade. Die generelle Gabe von Volumen bei der Tamponade muss kritisch gesehen werden, insgesamt profitieren v. a. Patienten mit Perikardtamponade und Hypotonie von einer Volumengabe, wie eine aktuelle Studie bei 49 Patienten zeigen konnte [28]: Durch die Therapie zeigten 47% der Patienten einen Anstieg dea »cardiac index«, 22% keine Veränderung und 31% einen Abfall des »cardiac index«. Ein niedriger Blutdruck von <100 mm Hg war der einfachste klinische Prädiktor eines Ansprechens auf die Therapie. Die Gabe von Katecholaminen zur Steigerung des mittleren arteriellen Druckes resultiert u. U. in einer weiteren Erniedrigung des linksventrikulären Auswurfvolumens, da das Herzzeitvolumen aufgrund der begrenzten Vorlast des linken Ventrikels, der Füllungsbehinderung aufgrund der Septumdeviation und der bereits ausgeschöpften Kompensationsmechanismen nicht weiter verbessert werden kann. Während die medikamentöse Therapie bei der akuten Tamponade lediglich von passagerem Wert ist und keinesfalls die Einleitung der Perikardiozentese verzögern sollte, ist sie bei der Behandlung von chronischen Perikardergüssen von größerer Bedeutung. Gleichzeitig nimmt dabei die Bedeutung der Perikardiozentese ab. Der medikamentöse Behandlungsansatz variiert dabei wesentlich in Abhängigkeit vom Beschwerdebild des Patienten. Bei fehlender klinischer Symptomatik kann zunächst lediglich die Beobachtung des Verlaufs indiziert sein. Bei zunehmender Symptomschwere muss dann der Einsatz von Medikamenten, ggf. mit Perikardiozentese, erwogen werden. Bei der medikamentösen Therapie spielt die kausale Behandlung der Grunderkrankung, z. B. die antibiotische Behandlung einer Infektion, Dialysetherapie bei Urämie oder Einsatz von Diuretika, insbesondere bei Perikardergüssen auf der Basis einer globalen oder rechtsventrikulär betonten Herzinsuffizienz, eine vorrangige Rolle. Bei Perikardergüssen mit autoimmunologischer Genese, z. B. im Rahmen eines Postmyokardinfarktsyndroms (Dressler) oder eines Postkardiotomiesyndroms, kommen nichsteroidale Antiphlogistika, allein oder in Kombination mit Glukokortikoiden, z. B. Prednisolon in einer Initialdosis von 100 mg/Tag mit schneller Dosisreduktion zum Einsatz. Für das Postmyokardinfarktsyndrom wird die bevorzugte Gabe von Ibuprofen wegen eines günstigen Effektes auf die Koronardurchblutung empfohlen [36]. Insbesondere rezidivierende Schübe beim Dressler-Syndrom sprechen auf die Gabe von Glukokortikoiden an, wobei lang anhaltende Therapiephasen mit hohen Glukokortikoiddosen im subakuten Infarktstadium aufgrund eines hemmenden Einflusses auf die Infarktnarbenbildung vermieden werden sollten. Dies gilt ebenfalls für die nichtsteroidalen Antiphlogistika Ibuprofen und Indomethacin. Bei chronisch rezidivierenden autoimmunologischen Perikardergüssen ohne Hinweis auf das Vorliegen eines Myokardinfarkts kann durch die intraperikardiale Gabe von Glukokortikoiden eine lokale antiinflammatorische Wirkung erreicht werden unter Vermeidung der systemischen Nebenwirkungen der oralen Therapie [17]. Bei Patienten mit dieser Form von rezidivierenden und z. T. symptomatischen Perikardergüssen kann eine Langzeittherapie mit Colchizin in einer Dosierung von 2 mg/Tag (Initialdosis) und 0,5–1 mg/Tag (Erhaltungsdosis) erfolgen. Diese Therapie bewirkt
bei einer Anwendungsdauer von 12 Monaten eine geringere Rezidivrate verglichen mit anderen medikamentösen Ansätzen und ist bei Patienten mit zwei oder mehreren Rezidiven von autoreaktiven Perikardergüssen indiziert [26]. Darüber hinaus können rezidivierende Perikardergüsse mittels Perikardiodese behandelt werden. Diese hat das Verkleben beider Perikardblätter und damit eine Reduktion des Ergussvolumens zum Ziel. Dazu werden nach Drainage des Ergusses 500 mg Tetrazyklin intraperikardial über den liegenden Pigtail-Katheter verabreicht. Diese Therapie kann mehrfach wiederholt werden. Insbesondere bei malignen Perikardergüssen kommen neben Tetrazyklinen auch Zytostatika zur intraperikardialen Instillation bei palliativem Therapiekonzept zum Einsatz [11]. Hierzu zählen u. a. Bleomycin (2-mal 5–30 mg), Mitoxantron (bis 3-mal 10 mg), oder Thiotepa (3-mal 15 mg) [19, 22].
31.2.5
Überwachung
Aufgrund der durch die Perikardtamponade kompromittierten Hämodynamik und der dadurch bedingten vitalen Gefährdung des Patienten ist eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter erforderlich. Durch Kompression von Anteilen des Reizleitungssystems oder aufgrund einer myokardialen Ischämie bei reduziertem Herzzeitvolumen und gleichzeitig erhöhtem myokardialem Sauerstoffbedarf können akute Herzrhythmusstörungen auftreten, welche einer sofortigen Therapie bedürfen. Dies gilt auch für Rhythmusstörungen aufgrund von mechanischen Reizen bei der Druchführung der Perikardiozentese. Die Anlage eines zentralvenösen Zugangs ist wünschenswert hinsichtlich der Steuerung der Volumengabe und Überprüfung des Therapieerfolges nach Perikardpunktion, sollte Letztere aber nicht verzögern.
31.2.6
Prognose und Folgetherapie
Bei rechtzeitiger Entlastung der Tamponade ist das Krankheitsbild mit seinen hämodynamischen Komplikationen prognostisch gut zu bewerten. Die subakute und chronische Prognose der Perikardtamponade ist dagegen überwiegend durch die Grunderkrankung bedingt. Während die akut einsetzende Tamponade nach Herzoperationen aufgrund einer Sekundärblutung oder im Rahmen von autoimmunologischen Vorgängen bei adäquater Therapie eine gute Prognose aufweist, ist die Tamponade z. B. bei Aortendissektion aufgrund der hohen Letalität der Grunderkrankung ebenfalls mit einer schlechten Prognose behaftet. Letzteres gilt auch für maligne Perikardergüsse hinsichtlich des Langzeitverlaufs. Hier kann die Perikardiodese als palliatives Verfahren zum Einsatz kommen. Problematisch ist, dass bei etwa 25% der Patienten mit nichtmalignen Perikardergüssen ein Rezidiv auftritt [26], welches in Abhängigkeit von der Ausprägung eine neuerliche Perikardiozentese notwendig machen kann. Deshalb sollten Patienten nach Perikardiozentese zunächst engmaschig echokardiographisch kontrolliert werden. Bei rezidivierenden symptomatischen Ergüssen kann dann eine chirurgische Perikardfensterung notwendig werden. Die seltenen, bakteriell bedingten Perikarderkrankungen, z. B. im Rahmen einer Tuberkulose, bedürfen einer antibiotischen Therapie über einen mehrwöchigen bis -monatigen Zeitraum, bei Vorliegen eines Pyoperikards in Verbindung mit einer chirurgischen Ergussdrainage.
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Einleitung – 412
32.2
Definition – 412
32.3
Pathophysiologie – 412
32.4
Epidemiologie – 413
32.5
Diagnostik – 413
32.5.1 32.5.2 32.5.3
Anamnese – 414 Körperliche Untersuchung – 414 Apparative Diagnostik – 414
32.6
Risikostratifizierung – 416
32.7
Differenzialdiagnosen – 416
32.8
Initiale Therapie – 416
32.8.1 32.8.2 32.8.3 32.8.4
Allgemeine Maßnahmen – 416 Prähospitalphase – 417 Hospitalphase – 418 Intensivüberwachung – 423
32.9
Therapie in der Postinfarktphase – 424
32.9.1 32.9.2
Allgemeine Maßnahmen – 424 Sekundärprophylaxe – 425
32.10
Infarktbedingte Komplikationen und deren Therapie – 427
32.10.1 32.10.2
Periinfarktkomplikationen – 427 Postinfarktkomplikationen – 428
Literatur – 430
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_32, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
32
32 32 32 32 32 32 32 32 32
412
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
32.1
Einleitung
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die führenden Todesursachen in den westlichen Industrienationen. Unter den kardiovaskulären Erkrankungen ist die koronare Herzerkrankung die häufigste Manifestation. Das Spektrum der koronaren Herzkrankheit reicht von der stillen Ischämie über die stabile Angina pectoris bis hin zum akuten Koronarsyndrom und dem plötzlichen Herztod. Trotz der Einführung der Intensivmedizin und moderner therapeutischer Behandlungskonzepte bleibt die Morbidität und Mortalität des akuten Koronarsyndroms hoch.
32.2
Das akute Koronarsyndrom unterteilt sich in verschiedene Kategorien, wobei zur Unterscheidung insbesondere das Elektrokardiogramm und Serummarker (Troponin T oder I) herangezogen werden (. Abb. 32.1). Man unterscheidet zum einen 4 Patienten mit akuten Thoraxschmerzen und persistierenden ST-Streckenhebungen im EKG (>20 min) (. Abb. 32.2), 4 zum anderen Patienten, die keine ST-Streckenhebungen aufweisen. Akutes Koronarsyndrom
32 EKG
10 min
32 Keine ST - Hebungen/ST - Senkung
ST - Hebungen/neuer LSB
32
32
Troponin negativ
positiv
Instabile Angina pectoris
Normales EKG
Erstickungs-T
Stunden
Frischer Infarkt (monophasische ST-Hebungen)
Übergangsstadium (T-Negativierung, Q-Zackenausbildung)
Jahre
Alter Myokardinfarkt (persistierende Q-Zacke)
Tage - Wochen
32 32 32
I
Neu aufgetretene Angina pectoris
<2 Monate, >3 Episoden pro Tag
+
II
Subakute Ruheangina
2 Tage bis 1 Monat
++
III
Akute Ruheangina
<2 Tage
+++
Im ersteren Fall liegt i. Allg. der akute Verschluss eines epikardialen Gefäßes vor, man spricht auch vom akuten ST-Hebungsinfarkt (»ST elevation myocardial infarction«; STEMI). Im zweiten Fall wird anhand des im Serum bestimmten Troponins die Einteilung in einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Troponin-positiv) oder in eine instabile Angina pectoris (Troponin-negativ) vorgenommen. Obgleich die Pathophysiologie des akuten Koronarsyndroms prinzipiell ähnlich ist, unterscheidet sich das diagnostische und therapeutische Procedere innerhalb der verschiedenen Kategorien. Das Syndrom der instabilen Angina pectoris beschreibt ein weites Spektrum von Patienten mit sehr unterschiedlicher Koronarmorphologie, das sich von Minimalläsionen ohne kritische Koronarobstruktion über die Ein- und Zweigefäßerkrankung bis hin zur schweren koronaren Dreigefäßerkrankung [1] erstreckt. Darüber hinaus ist ein bereits durchgemachter Myokardinfarkt in der Anamnese von besonderer Bedeutung für die Risikostratifizierung bei Patienten mit instabiler Angina pectoris.
4 Erstmaliges Auftreten einer Angina pectoris (De-novoAngina) 4 Angina pectoris in Ruhe (Ruheangina) 4 Zunahme der Anfallsdauer, Anfallshäufigkeit und Schmerzintensität bei unzureichender Medikamentenwirkung (Crescendo-Angina) 4 Angina während der Nacht im Liegen (Angina decubitus)
32
32
Risiko
Formen der instabilen Angina pectoris
32
32
Zeitintervall der Beschwerden
NSTEMI
32
32
Klinik
z Einteilung der instabilen Angina pectoris 7 Übersicht und . Tab. 32.1.
STEMI
. Abb. 32.1 Einteilung des akuten Koronarsyndroms
32
Schweregrad
Definition
32
32
. Tab. 32.1 Klassifikation der instabilen Angina pectoris nach E. Braunwald [3]
. Abb. 32.2 Verschiedene EKG Stadien beim akuten ST-Streckenhebungsinfarkt. Der Balken rechts gibt Auskunft über den etwaigen Zeitverlauf der EKG-Veränderungen
32.3
Pathophysiologie
Die Atherosklerose ist eine chronische, inflammatorische und fibroproliferative Erkrankung der mittleren und großen Arterien, die durch Einlagerungen von Lipiden in die Gefäßwand (Plaquebildung) charakterisiert ist. Man unterscheidet dabei 2 Verlaufsformen: 4 die langsam progrediente und häufig irreversible Stenosierung des Gefäßlumens sowie 4 der plötzliche partielle oder komplette (häufig reversible) Verschluss des Gefäßes, als Folge einer Plaqueruptur mit lokaler Thrombusbildung [18]. Klinisch manifestieren sich diese Verlaufsformen entweder als stabile Angina pectoris oder als akutes Koronarsyndrom [22]. Die
32
413 32.5 · Diagnostik
z Koronarthrombose Die zentrale Bedeutung der Koronarthrombose ist anhand zahlreicher Autopsiebefunde gut dokumentiert [12]. Der Lipidkern der atherosklerotischen Gefäßablagerungen ist stark thrombogen und enthält eine hohe Konzentration von Gewebsfaktoren [24], was die Ausbildung einer lokalen Thrombose nach Plaqueruptur erklärt (»culprit lesion«). Bei einem kompletten Gefäßverschluss kommt es nach 15–30 min zur Ausbildung einer Myokardnekrose, welche subendokardial (»letzte Wiese«) beginnt und nach subepikardial fortschreitet. Entscheidend für die Therapie und die Prognose des Patienten ist daher die schnelle Wiederherstellung der Koronarperfusion (»time is muscle«; . Abb. 32.3).
32.4
Epidemiologie
Anders als bei anderen Erkrankungen sind die Inzidenz und Prävalenz des akuten Koronarsyndroms, insbesondere des Nicht-ST-Hebungsinfarktes, aufgrund verschiedener Umstände (asymptomatische Verlaufsformen, plötzlicher Tod außerhalb des Krankenhauses, wiederholte Änderung der Definition des akuten Koronarsyndroms bzw. des Myokardinfarktes) nur schwierig zu bestimmen. Es wird derzeit davon ausgegangen, dass die jährliche Inzidenz des NSTEMI mit 3/1000 Einwohner höher ist als die des STEMI. Allerdings gibt es hier z. T. erhebliche Variationen zwischen verschieden Ländern (z. B. West- und Osteuropa). In Deutschland starben im Jahr 2006 61.056 Personen (28.083 Frauen und 32.973 Männer) an einem akuten Herzinfarkt. Das waren 6,4% aller gestorbenen Frauen und 8,5% der verstorbenen Männer (Quelle: Statisches Bundesamt). Die Letalität des Myokardinfarktes liegt, außerhalb des Krankenhauses, zwischen 30 und 50%. Die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb der ersten 2 h nach Symptombeginn [41]. Die Letalität
Anteil überlebendes Myokard [%]
z Vulnerable Plaque Das Risiko einer Plaqueruptur ist einerseits von der Plaquekomposition und der Vulnerabilität, andererseits vom Stenosegrad abhängig [15]. Etwa 3/4 aller Plaquerupturen treten bei geringen oder moderaten Koronarstenosen auf [11]. Häufig besteht eine Latenz zwischen Plaqueruptur und dem ersten Auftreten von klinischen Symptomen [32]. Die zirkadiane Rhythmik des akuten Myokardinfarktes mit einer erhöhten Inzidenz in den frühen Morgenstunden wird erklärt durch die in dieser Zeit verstärkte Aktivität des Sympathikus und die Hyperreaktivität der Thrombozyten. Andererseits können auch physikalischer oder emotioneller Stress eine Plaqueruptur begünstigen [35]. Es gibt experimentelle und klinische Evidenzen, die dafür sprechen, dass in vielen Fällen gleichzeitig mehrere Plaques innerhalb des Kranzgefäßsystems instabil sind. Tatsächlich spricht man auch vom vulnerablen Patienten [23, 33]. Dieses Konzept hat insofern besondere therapeutische Bedeutung, als dass neben den fokalen Revaskularisationsmaßnahmen eine systemische Therapie zur Stabilisierung der atherosklerotischen Gefäßveränderungen notwendig wird.
100
75
„time is muscle“
50
25
0 0
2
4
6
12
18
24
30
Zeit [h] . Abb. 32.3 Zusammenhang zwischen Dauer der Ischämie und Ausmaß der Myokardnekrose
20
HI bei Aufnahme ohne HI
In-Hospital-Mortalität [%]
Plaqueruptur ist ein komplexer Prozess, wobei heute davon ausgegangen wird, dass inflammatorische Vorgänge hier eine wichtige Rolle spielen. In seltenen Fällen kann ein akutes Koronarsyndrom durch andere Ursachen hervorgerufen werden (z. B. Trauma, thromboembolische Komplikation, Vasospasmus nach Kokain). Beim Menschen erreicht der Infarkt nach 4–6 h Ischämie seine endgültige Größe, wobei das Ausmaß des betroffenen Areals vom Versorgungsgebiet des Gefäßes und einer evtl. vorhandenen Kollateralisierung abhängig ist.
10
0 Alle
STEMI
NSTEMI
IAP
. Abb. 32.4 Mortalität des akuten Koronarsyndroms anhand aktueller Registerdaten (GRACE Registry). Mortalität bei Patienten ohne und mit klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz (IAP=instabile Angina pectoris, HI=Herzinsuffizienz). (Nach [34]).
und Prognose des akuten Koronarsyndroms ist stark abhängig von der linksventrikulären Funktion (. Abb. 32.4). Während diese Zahlen in den vergangenen Jahren relativ konstant waren, ist durch interventionelle Therapiemöglichkeiten, moderne Arzneimittel und die Einführung spezieller Überwachungseinheiten (»coronary care units«) die In-Hospital (30-Tages)-Mortalität von 25–30% in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf derzeit ungefähr 4–6% gesunken. > Letalität des akuten Myokardinfarktes außerhalb des Krankenhauses 30–50%, innerhalb des Krankenhauses 4–6% (30-Tages-Letalität).
32.5
Diagnostik
Das akute Koronarsyndrom subsumiert einen fließenden Übergang von der instabilen Angina pectoris, dem Myokardinfarkt ohne STStreckenhebungen bis hin zum Infarkt mit ST-Streckenhebungen.
414
32 32 32 32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Differenzialdiagnostisch entscheidend für das akute Koronarsyndrom sind 3 Kriterien: 4 aktuelle Anamnese 4 Elektrokardiogramm 4 kardiale Markerproteine im Serum (Kreatininkinase, Troponin). Es müssen 2 der 3 genannten Kriterien vorliegen, um die Diagnose eines akuten Myokardinfarktes zu sichern.
32 32.5.1
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
Anamnese
Die Anamnese ist von besonderer Bedeutung für die rasche Diagnosefindung bei akutem Koronarsyndrom. In der Regel berichten betroffene Patienten über anhaltende Brustschmerzen (>20 min), von brennendem oder drückendem Charakter, die in den linken Arm, aber auch in Kiefer, Hals, Epigastrium (Hinweis für Hinterwandinfarkt) oder die (linke) Schulter ausstrahlen können (7 Übersicht). Im Allgemeinen korreliert der Schmerz mit dem Ausmaß des Infarktareals. Häufig finden sich vegetative Begleitsymptome (Übelkeit, Erbrechen, Kaltschweißigkeit) und das Gefühl von Angst, das sich bis zur Todesangst steigern kann. Etwa 1/3 der Patienten mit STEMI zeigt in den Tagen und Wochen vor dem akuten Ereignis Prodromalsymptome.
Schmerzcharakteristik bei Angina pectoris nach E. Braunwald [3] 4 Typische Angina – retrosternales Druckgefühl – Rezidivierende Beschwerden/lang andauernd – Auslösbar durch Belastung, Kälte – Ausstrahlung in linken Arm, Kiefer, Abdomen – Vegetative Begleitsymptome – Besserungstendenz auf Nitrate 4 Atypische Angina – Mechanisch auslösbar (Palpitation/Thoraxrotation) – Lageabhängig – Lokalisiert in einem begrenzten Bereich (<3 cm²) – Wenige Sekunden bis Minuten andauernd
Stumme Infarkte sind nicht selten anzutreffen und stellen, ebenso wie atypische Verläufe (extreme Schwäche, Synkope, Nervosität), eine diagnostische Herausforderung dar. Atypische Verläufe zeigen sich oft bei jüngeren (25–40 Jahre) und älteren (>75 Jahre) Patienten sowie bei Frauen, Patienten mit Diabetes mellitus, chronischer Niereninsuffizienz oder demenziellen Erkrankungen [7]. Die alleinige Einschätzung anhand der klinischen Symptomatik ist jedoch unzuverlässig [29]. Bei ausgedehnten Infarkten kann es zum kardiogenen Schock kommen, der eine hohe Mortalität aufweist [19].
32 32.5.2
32 32 32
Körperliche Untersuchung
Jeder Patient muss vollständig untersucht werden. Die vitalen Zeichen (Blutdruck, Puls, Atmung, Temperatur) lassen eine Unterscheidung zwischen Patienten im Schock (RR >100 mm Hg) und hämodynamisch stabilen Patienten zu. Nicht selten ist die körperliche Untersuchung unauffällig. Bei größeren Infarkten präsentieren sich die Patienten jedoch typischerweise ängstlich, blass, unruhig
und kaltschweißig. Viele Patienten haben das Gefühl zu ersticken und versuchen daher, eine sitzende Position einzunehmen. Fallen bei der Inspektion gestaute Jugularvenen auf, so kann dies ein Zeichen auf einen rechtsventrikulären Infarkt oder eine akute Herzinsuffizienz sein. Auskultatorisch werden häufig feuchte Rasselgeräusche als Ausdruck eines Lungenödems, gefunden. Der Nachweis eines niederfrequenten S3-Galopps kann als Hinweis auf eine akute Einschränkung der linksventrikulären Funktion gewertet werden. Bei Nachweis eines Systolikums ist, gerade bei subakuten Verläufen, immer an eine akute Mitralklappeninsuffizienz als Folge einer Papillarmuskeldysfunktion zu denken. Differenzialdiagnostisch kommt jedoch auch eine Aortenklappenstenose in Betracht, da diese sich in Form einer Angina pectoris äußern kann. Primäres Ziel der klinischen Untersuchung ist die differenzialdiagnostische Abklärung anderer Ursachen für einen akuten Brustschmerz. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung sollte immer ein genauer Pulsstatus erhoben werden, da dies bei der Planung der invasiven Diagnostik (Zugangswege: femoral, brachial, radial) von großer Bedeutung ist.
32.5.3
Apparative Diagnostik
Die weiterführende apparative Diagnostik ist entscheidend für die Diskriminierung zwischen instabiler Angina pectoris und NSTEMI bzw. STEMI.
EKG Ein 12-Kanal-EKG stellt die Basisdiagnostik aller Patienten mit akutem Koronarsyndrom dar und muss innerhalb von 10 min nach Eintreffen des Patienten im Krankenhaus vorliegen [42]. Bestehen vor Ort entsprechende moderne Versorgungskonzepte, kann das EKG bereits aus dem Notarztwagen an die behandelnde Klinik gesendet werden. Dadurch können wertvolle Minuten gewonnen werden. > Bei akutem Koronarsyndrom muss ein 12-Kanal-EKG innerhalb von 10 min nach Betreten des Krankenhauses angefertigt werden.
z Instabile Angina pectoris und NSTEMI Bei instabiler Angina pectoris und NSTEMI findet man häufig 4 Abflachung oder Inversion der T-Welle, 4 deszendierende ST-Strecken, 4 präterminale T-Negativierungen. Die Anzahl der betroffenen Ableitung mit ST-Streckensenkungen gibt Aufschluss über das Ausmaß der Ischämie und korreliert mit der Prognose. ST-Streckensenkungen von > 0,1 mV (1 mm) sind mit einer 11%igen Ereignisrate für Tod und Reinfarkt innerhalb eines Jahres assoziiert [6]. Ähnliches gilt für Patienten, die im EKG passagere ST-Hebungen aufweisen [28]. Tiefe, symmetrische T-Negativierungen über die Brustwandableitungen können als Hinweis auf eine proximale Stenose des R. interventricularis anterior (RIVA) oder des Hauptstammes gewertet werden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass ein normales EKG ein akutes Koronarsyndrom nicht ausschließt, dies gilt insbesondere für Veränderungen im Versorgungsgebiet des Ramus circumflexus (RCX). Daher sollte jedes EKG nach 4–6 h wiederholt (bei Änderung der Klinik ggf. früher) und der Patient während seines Aufenthaltes monitorüberwacht (kontinuierliche ST-Streckenanalyse) werden.
415 32.5 · Diagnostik
z STEMI Die charakteristischen EKG-Veränderungen im akuten transmuralen Myokardinfarkt sind die monophasischen ST-Streckenhebungen, die je nach den betroffenen Ableitung eine Zuordnung zum betroffen Herzkranzgefäß zulassen (. Tab. 32.2). Selbst im ganz frühen Stadium ist das EKG selten normal. Man unterscheidet verschiedene Phasen, die schematisch in . Abb. 32.2 dargestellt sind. Bei Verdacht auf einen akuten Hinterwandinfarkt ist es wichtig, auch die rechtsventrikulären Ableitungen zu untersuchen. Eine STHebung in Ableitung Vr4 kann dabei als Hinweis auf eine rechtsventrikuläre Beteiligung gewertet werden. Letzterer ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert und erfordert besondere intensivmedizinische Maßnahmen. Ein Rechtsschenkelblock maskiert das Infarkt-EKG in der Regel nicht. Demgegenüber lässt ein kompletter Linksschenkelblock (LSB) keine eindeutige Infarktlokalisation zu. Ist der LSB neu oder bestehen eindeutige klinische Symptome, sollte der Patient entsprechend den Empfehlungen der Fachgesellschaften eine Infarkttherapie erhalten. Auch Rhythmusstörungen können Ausdruck einer akuten Myokardischämie sein. Hierzu zählen das primäre Kammerflimmern und anhaltende oder nicht anhaltende ventrikuläre Tachykardien. Bradykardien werden etwa bei 1/3 der Patienten beobachten. Bei Verschluss der AV-Knotenarterie, die in der Regel aus der rechten Kranzarterie (Hinterwandinfarkt) entspringt, kann es zu einem totalen AV-Block kommen. Differenzialdiagnostisch führen verschiedene andere Erkrankungen zur Imitation des Myokardinfarktes im EKG (Pseudoinfarkt; 7 Übersicht).
. Tab. 32.2 Infarktlokalisation im EKG Lokalisation
EKG
Infarktgefäß
Isolierter VWI
V 3, V 4
R. diagonalis des RIVA
Septaler Infarkt
V 1, V 2
R. septalis des RIVA
Anteroseptaler Infarkt
V1–V4
RIVA
Ausgedehnter VWI
V1–V6, I, aVL
Proximaler RIVA
Anterolateraler Infarkt
I, aVL, V3-V6
Mittleres Segment des RIVA
Lateraler Infarkt
I, aVL, V6
R. marginalis der RCX
Inferiorer Infarkt
II, III, aVF
RCA oder RCX
Posteroseptaler Infarkt
II, III, aVF, V1-V2
RCA oder RCX
Posterolateraler Infarkt
I, II, III, aVF, aVL, V5–V6
RCA oder RCX
Posteriorer Infarkt
ST-Streckensenkungen V1–V3
RCX
Rechtventrikulärer Infarkt
Vr3–Vr6
Proximale RCA
Vorderwandinfarkt
Hinterwandinfarkt
RIVA= R. interventricularis anterior, RCX=R. circumflexus; RCA=rechte Kranzarterie.
ST-Hebungen im EKG bei anderen Erkrankungen 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Perikarditis Überleitungsstörungen, Präexzitation Lungenembolie Kardiale Amyloidose Kardiale Sarkoidose Herztumoren Thoraxtrauma Intrakranielle Blutungen Hyperkaliämie
Belastungstests Patienten mit anhaltenden, typischen Angina-pectoris-Beschwerden sollten keinem Ischämietest unterzogen werden. Da ein Stresstest (Belastungs-EKG, Stressechokardiographie etc.) einen hohen negativ prädiktiven Wert besitzt, sollten alle beschwerdefreien Patienten mit nichtdiagnostischem EKG, fehlendem Hinweis auf eine Herzinsuffizienz und normalen Biomarkern vor Entlassung entsprechend untersucht werden. Die klinischen Abläufe können durch Etablierung einer »Brustschmerzeinheit« (»chest pain unit«=CPU) erheblich vereinfacht und beschleunigt werden [5].
Laboruntersuchungen Die Labordiagnostik ist von entscheidender Bedeutung bei der Diskriminierung zwischen instabiler Angina pectoris und einem akuten Myokardinfarkt. Darüber können weitere Werte zur Risikostratifizierung (z. B. Kreatinin) und möglichen Differenzialdiagnose (z. B. D-Dimere bei Lungenembolie) erhoben werden. Durch die Ischämie kommt es zu einer Schädigung der Zellmembran der kardialen Myozyten und damit zur Freisetzung von intrazellulären Proteinen in die Blutbahn. Diese sog. »Herzmarker« haben eine hohe Spezifität und Sensitivität. Herzmarker unterscheiden sich in ihrer Freisetzungskinetik (. Tab. 32.3). Aufgrund ihres ausschließlichen Vorkommens in Herzmuskelzellen sind kardiale Troponine hochspezifisch für eine myokardiale Zellschädigung. Der standardisierte Test auf Troponin T (cTnT) beruht auf zwei herzspezifischen monoklonalen Antikörpern, wobei einer zum Abfangen des Troponins in der Blutprobe dient und der andere für das entsprechende Signal verantwortlich ist [38]. Die Messung wird weder durch physische Aktivität, die Tageszeit noch die Ernährung beeinflusst. Zu beachten ist allerdings, dass die Werte erst 4–6 h nach einer Ischämie erhöht sind. Daher gilt eine einzelne negative Messung bei Aufnahme ins Krankenhaus noch nicht als Ausschlusskriterium für einen Myokardinfarkt. Die Leitlinien empfehlen eine weitere Messung nach 6–12 h. Ein Ergebnis liefert der Test nach rund 20 min. Sind 6 h nach Schmerzbeginn die kardialen Markerproteine weiterhin negativ, so ist eine myokardiale Ischämie eher unwahrscheinlich. Eine erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH) spricht für das Vorliegen eines subakuten Infarktes, da dieses Enzym in der Regel erst 10 h nach Schmerzbeginn im Serum nachweisbar ist. ! Cave Erhöhte Werte für Troponin finden sich frühestens 4–6 h nach Schmerzbeginn. Dies bedeutet, dass ein einzelner negativer Messwert bei Aufnahme des Patienten in der Regel zur Beurteilung nicht ausreicht.
32
416
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
. Tab. 32.3 Labordiagnostik bei akuter Myokardischämie Marker
Nachweisbarkeit nach Symptombeginn [h]
Maximal Wert [h]
Normalisierung [Tage]
Referenzwert
Kreatininkinase (CK)
4–6
12
2–3
0–170 U/l
Herzmuskelspezifische Kreatininkinase (CK-MB)
4–6
12
2–3
0–25 U/l
Troponin T
4–6
12–48
5–14
0,1 μg/l
Laktatdehydrogenase (LDH)
10
24–48
10–14
120–240 U/l
Echokardiographie Die Echokardiographie des Herzens ist ein aussagekräftiges, nichtinvasives und für den Patienten schonendes Verfahren, welches schnell und bettseitig durchführbar ist. Die Echokardiographie liefert v. a. in der Akutphase und in der Folgezeit wichtige Informationen über die Größe und Funktion der vom Infarkt betroffenen Herzkammer. Beim akuten Herzinfarkt treten Wandbewegungsstörungen noch vor dem Anstieg der herzmuskelspezifischen Enzyme auf. Darüber hinaus liefert die Echokardiographie wichtige Informationen zu den verschiedenen Differenzialdiagnosen des akuten Thoraxschmerzes (z. B. Rechtsherzbelastung bei Lungenembolie, indirekte und direkte Zeichen einer Aortendissektion). In der Postinfarktphase liefert die Echokardiographie wichtige Zusatzinformationen zu möglichen Komplikationen.
Thoraxröntgen Eine Röntgenaufnahme des Thorax gehört nicht zur Standarddiagnostik. Dennoch kann die Untersuchung hilfreich bei der Abgrenzung von wichtigen Differenzialdiagnosen sein. Eine Kardiomegalie und Zeichen des Lungenödems sind prognostisch ungünstige Zeichen.
32
32.6
32
Anhand von Klinik, EKG und Serummarkern kann sowohl für die Angina pectoris (Braunwald-Klassifikation [3], . Tab. 32.4) als auch für den STEMI/NSTEMI (GRACE Score, TIMI-Klassifikation [www.mdcalc.com]) und den kardiogenen Schock (Killip-Klassifikation; . Tab. 32.5) eine erste prognostische Abschätzung des Risikos erfolgen (. Tab. 32.6).
32 32
Risikostratifizierung
32
32.7
32
Der akute Thoraxschmerz repräsentiert ein sehr häufiges klinisches Beschwerdebild und ist gleichzeitig ein großes diagnostisches Dilemma, da sich sowohl lebensbedrohliche akute Ereignisse (Herzinfarkt, Aortendissektion) als auch mehr oder weniger harmlose Schmerzzustände und Erkrankungen (vertebrogene Schmerzen) unter dem Leitsymptom »akuter Thoraxschmerz« als Ursache finden. Aufgrund dieser diagnostischen Unsicherheit werden etwa 2–5% der akuten Koronarsyndrome unkontrolliert aus den Notaufnahmen entlassen [31]. Prinzipiell kann zwischen Diagnosen mit hoher, mittlerer und niedriger Priorität unterschieden werden, wobei Diagnosen mit einer hohen Priorität mit einer hohen Letalität einhergehen. . Tab. 32.7 fasst die wichtigsten Differenzialdiagnosen des akuten Thoraxschmerz nach Prioritäten zusammen.
32 32 32 32 32
. Tab. 32.4 Begleitumstände der instabilen Angina pectoris nach E. Braunwald [3] Klasse
Kennzeichen
A
Sekundär instabile Angina pectoris
B
Primär stabile Angina pectoris
C
Postinfarkt Angina (2 Wochen)
. Tab. 32.5 Killip-Klassifikation [21] Klasse
Diagnose
Symptomatik
Letalität
I
Keine Herzinsuffizienz
5 Keine pulmonalen Rasselgeräusche 5 Kein diastolischer Galopp
6%
II
Leichte Herzinsuffizienz
5 Pulmonale Rasselgeräusche 5 3. Herzton 5 Gestaute Halsvenen
17%
III
Schwere Herzinsuffizienz
5 Atemnot 5 Rasselgeräusche über der gesamten Lunge 5 3. Herzton 5 Lungenödem
28%
IV
Kardiogener Schock
5 Hypotension (RR <90 mm Hg) 5 Periphere Vasokonstriktion 5 Kalte Haut 5 Oligurie 5 Zyanose 5 Bewusstseinsstörungen
81%
Differenzialdiagnosen
32.8
Initiale Therapie
32.8.1
Allgemeine Maßnahmen
Der anhaltende, akute Thoraxschmerz stellt i. Allg. ein lebensbedrohliches Ereignis dar, welches sofortiger medizinischer Behandlung bedarf (Notarzt). Die unverzügliche Alarmierung des Rettungsdienstes (durch den Laien) steht daher an erster Stelle. Die Therapie wird bereits am Einsatzort aufgrund der Anamnese und der klinischen Zeichen unter Berücksichtigung möglicher Differenzialdiagnosen (7 Tab. 32.7) eingeleitet.
417 32.8 · Initiale Therapie
. Tab. 32.6 Risikomerkmale bei akutem Koronarsyndrom Merkmal
Hohes Risiko
Mittleres Risiko
Geringes Risiko
Anamnese
Alter >75 Jahre, hohes Risikoprofil (Diabetes mellitus!)
Alter >70 Jahre, früherer Myokardinfarkt, Schlaganfall, Bypassoperation, pAVK
unauffällig hinsichtlich kardialer Risikofaktoren oder Vorerkrankungen
Thoraxschmerz
Angina in den letzten 48 h, Angina >20 min, Ruheangina
Anginadauer >20 min (aktuell nicht vorhanden)
De-novo-Angina (in den letzten 2 Wochen)
Klinik
Herzinsuffizienzzeichen, Hypotonie, Tachykardie
EKG
Dynamische ST-Senkung/Hebungen, Schenkelblock, Kammertachykardie
T-Welleninversion, Q-Zacke
Normal
Troponin
Erhöht
Grenzwertig
Normal
pAVK=periphere arterielle Verschlusskrankheit.
. Tab. 32.7 Wichtige Differenzialdiagnosen des akuten Thoraxschmerzes Priorität
Krankheitsbild
Diagnostischer Hinweis
»Hoch«
Akute Lungenembolie
D-Dimere, SIQIII-Typ, Tachykardie im EKG, Echokardiographie (Rechtsherzbelastung)
Akute Aortendissektion
Pulsdifferenz, Echokardiographie (Perikarderguss und Aortenklappeninsuffizienz)
Spontanpneumothorax
Abgeschwächtes Atemgeräusch, hypersonorer Klopfschall über betroffenem Lungenflügel
Ösophagusruptur (Boerhave-Syndrom)
Vorangegangenes heftiges Erbrechen
Akute Pankreatitis
Lipase, Amylase, Sonographie
Tako-tsubo-Kardiomyopathie
Typisches »apical ballooning«, Stresssituation in der Anamnese
Prinzmetal-Angina
Belastungsunabhängiger Schmerz, frühe Morgenstunden, reversible ST-Hebungen
Perikarditis und Myokarditis
Perikardreiben, viraler Infekt, Lageabhängigkeit, Echokardiographie / Perikarderguss)
Cholezystitis, Cholangitis
Sonographischer Befund, Entzündungszeichen
Pleuritis
Typische Auskultation, Atemabhängigkeit
Ösophagusspasmus , Ösophagitis
Nahrungsabhängigkeit
Ulcus ventriculi
Nahrungsabhängigkeit
Wirbelsäulenbeschwerden der BWS
Bewegungsabhängigkeit der Schmerzen
Rippenbeschwerden (Tietze-Syndrom)
Auslösbarkeit der Schmerzen
»Mittel«
»Niedrig«
> Eine Unterscheidung zwischen Myokardinfarkt und instabiler Angina pectoris ist für die Sofortmaßnahmen in der Prähospitalphase nicht notwendig, da jede instabile Angina (Formen 7 Abschn. 32.2) prinzipiell als Infarktvorläufer betrachtet werden muss.
32.8.2
Prähospitalphase
Der Patient wird zunächst beruhigt. Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom wird eine Lagerung mit 30° angehobenem Oberkörper, die schnellstmögliche Anfertigung eines 12-Kanal-EKG und ein ununterbrochenes Monitoring des Herzrhythmus empfohlen. Alle Patienten erhalten Sauerstoff (2–4 l) über eine Nasensonde,
bei vermehrter Atmung durch den Mund auch mittels Maske. Ein großlumiger Venenverweilkatheter sollte so schnell wie möglich angelegt werden, um im Notfall Medikamente parenteral verabreichen zu können (7 Übersicht). Intramuskuläre Injektionen sind bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom kontraindiziert (erhöhtes Blutungsrisiko bei Lyse oder antithrombozytärer Therapie; Anstieg der Kreatininkinase nach muskulärer Injektion).
32
418
32 32 32 32 32 32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
Sofortmaßnahmen bei der Erstversorgung des akuten Koronarsyndroms 4 Lagerung mit erhöhtem Oberkörper 4 Sauerstoff 2–4 l über Nasensonde 4 Heparin 5000 IE i.v. oder Enoxaparin (30 mg Bolus, 1 mg/ kg KG alle 12 h s.c.) 4 Acetylsalicylsäure 250–500 mg i.v. 4 Clopidogrel 600 mg p.o. oder Prasugrel 60 mg p.o. bei akutem Koronarsyndrom 4 Glyceroltrinitrat 2–3 Hub zu je 0,4 mg s.l. 4 β-Blocker (z. B. Metoprolol 1–5 mg fraktioniert i.v.) 4 Morphin 1–5 mg fraktioniert i.v. Entsprechende Kontraindikationen und Anwendungsbeschränkungen sind zu beachten.
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
Die Prognose des akuten Koronarsyndroms wird entscheidend durch die rasche Applikation (oral oder besser intravenös) von Acetylsalicylsäure (250–500 mg) verbessert [2]. Wegen der Gefahr thrombotischer Komplikationen sollten alle Patienten, bei denen keine Kontraindikation besteht, mittels unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin (Enoxaparin) antikoaguliert werden. Enoxaparin ist ein in praktisch allen Indikationen des akuten Koronarsyndroms untersuchtes indirektes Antithrombin. Es hat sich v. a. gegenüber dem Standard-Heparin (unfraktioniertes Heparin, UFH) in der Behandlung der verschiedenen Entitäten des akuten Koronarsyndroms und des ST-Hebungsinfarktes als effizient und sicher erwiesen und ist aufgrund der Studienlage den anderen niedermolekularen Heparinen vorzuziehen (. Tab. 32.11). Nitrate vermindern den myokardialen Sauerstoffverbrauch und mindern die klinische Symptomatik. Bei Hypotension oder Verdacht auf einen rechtsventrikulären Infarkt sollten Nitrate nicht angewendet werden. β-Rezeptorenblocker führen aufgrund ihrer negativ chronotropen und inotropen Wirkung ebenfalls zu einer Reduktion des Sauerstoffverbrauchs. Die Gabe erfolgt in fraktionierter Dosierung, bis zum Erreichen einer Zielherzfrequenz von 60–70/min in Abhängigkeit vom Blutdruck. Kontraindikationen bestehen bei höhergradigen Leitungsblockierungen (z. B. AV-Block II. Grades Typ Mobitz), Asthma bronchiale, Hypotonie oder Zeichen der Herzinsuffizienz. Die Gefahr des plötzlichen Herztodes durch Kammerflimmern ist in der ersten Stunde am größten. Daher ist eine kontinuierliche Monitorüberwachung des Herzens imperativ. Nur durch eine rasch einsetzende Reanimation durch Ersthelfer und Rettungsdienst können in diesem Fall der Tod oder schwere, irreversible Schäden durch die Hypoxie des Gehirns verhindert werden. Die Defibrillation durch den Notarzt oder mittels eines öffentlich zugänglichen automatisierten externen Defibrillators, der durch Laien bedient werden kann, kann das Kammerflimmern beenden, sodass sich wieder ein stabiler Eigenrhythmus einstellt. Glykoprotein- (GP-)IIb/IIIa-Antagonisten blockieren die Bindung an die thrombozytären Rezeptoren und damit die Ausbildung von Fibrinogenbrücken zwischen Thrombozyten. Die prähospitale Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten (Abciximab, Tirofiban, Eptifibatide) vor primärer PCI kann die Rate offener Infarktgefäße erhöhen, die Thrombuslast vor der Koronarintervention reduzieren und möglicherweise den mikrovaskulären Fluss nach Koronarintervention verbessern. Eine Reduktion der Letalität konnte bislang bei prähospitaler Gabe von GP-IIb/IIIA-Rezep-
torantagonisten nicht nachgewiesen werden. Deshalb ist die Gabe bisher nicht für die Routine zu empfehlen. ! Cave Keine Nitrate bei Verdacht auf Rechtsherzbeteiligung, stattdessen Volumensubstitution.
32.8.3
Hospitalphase
ST-Hebungsinfarkt (STEMI) Innerhalb der ersten Stunde bestehen gute Aussichten, den akuten Gefäßverschluss durch eine Reperfusionsbehandlung [perkutane Koronarintervention (PCI) oder Lysetherapie] fast vollständig rückgängig zu machen. Bei Patienten mit STEMI ist vorrangig eine Akutintervention im Sinne einer Primär-PCI anzustreben, wenn der Transport (inkl. Hubschrauber) in das zuständige kardiologische Zentrum innerhalb von 60 min möglich ist und <12 h seit Schmerzbeginn vergangen sind. Im Regelfall kann die Transferzeit eingehalten werden. Unter Akutintervention ist eine invasive und ggf. interventionelle Behandlung innerhalb von ca. 90 min ab Erstkontakt zwischen Arzt und Patienten zu verstehen. Sollte der Transport innerhalb von 60 min nicht möglich sein, erfolgt nach Rücksprache mit einem kardiologischen Zentrum eine alternative (konservative) Therapie, z. B. Thrombolyse bei Patienten mit STEMI. Alle Patienten mit kardiogenem Schock oder einer Kontraindikation gegen eine Lysetherapie sollten zwingend einer raschen perkutanen Revaskularisation zugeführt werden. > Invasive Diagnostik und Therapie (PCI) 60–90 min nach erstem Arztkontakt.
z Perkutane Koronarintervention (PCI) Im Jahr 2008 wurden in Deutschland insgesamt 765 Linksherzkathetermessplätze für Erwachsene betrieben. Allerdings bestehen in der Versorgungsdichte mit Linksherzkathetermessplätzen deutliche regionale Unterschiede. Aus diesem Grund muss sich die optimale Behandlungsstrategie nach der lokalen Verfügbarkeit richten. Bei der Reperfusion des frischen Myokardinfarkts konkurriert die medikamentöse Thrombolyse mit der Sofort-PTCA. In einer Reihe von Studien, in die überwiegend jüngere Infarktpatienten aufgenommen wurden, erwies sich die Sofortintervention der medikamentösen Thrombolyse als überlegen – vorausgesetzt, der Eingriff wird innerhalb von 90 min nach ärztlichem Erstkontakt durchgeführt. Für die Sofort-PTCA sprechen die fehlenden Kontraindikationen, das geringere zerebrale Blutungsrisiko (v. a. bei älteren, hypertensiven Patienten) und die höhere Effektivität. Nachgewiesenermaßen kann selbst mit modernen Thrombolytika nur in ca. 50−60% der Fälle eine Wiedereröffnung des verschlossenen Koronargefäßes erreicht werden. Die Metaanalyse aus randomisierten Studien zeigt eine Reduktion der Infarktsterblichkeit durch die PCI im Vergleich zu Fibrinolyse um 25% [20]. Erstes Ziel der invasiven Diagnostik ist die Sicherung der Diagnose. Ist das Infarktgefäß identifiziert, wird versucht, die thrombotisch verschlossene Stelle mittels eines Führungsdrahtes zu passieren, um anschließend eine Ballondilatation/Stentimplantation durchzuführen (Erfolgsrate >90%; . Abb. 32.5). Durch Anwendung von speziellen Aspirationskathetern können die initiale Thrombuslast und damit die Gefahr des Auftretens einer Embolisation in die Peripherie der Koronararterien vermindert und die Langzeitergebnisse verbessert werden [37]. . Tab. 32.8 fasst schematisch die wichtigsten Punkte bei der invasiven Diagnostik und Therapie zusammen. Das Ausmaß des Blutflusses wird nach der Graduierung der
419 32.8 · Initiale Therapie
. Tab. 32.8 Checkliste invasive Diagnostik und Therapie (PCI) der Medizinischen Klinik II, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Entscheidung Heparin vs. Bivalirudin Bivalirudin bei Blutungsscore >2
5 5 5 5 5
Alter >75 Jahre Bekannte CNI II° Zustand nach Blutung Anämie Zustand nach Apoplex <3 Monate)
Abnahme einer ACT (falls zuvor UFH-Gabe), ggf. UFH-Gabe Ziel ACT
>200 s bei Gabe von GP-IIb/ IIIa-Inhibitoren >300 s ohne GP-IIb/IIIaInhibitoren
Darstellung des (vermutlichen) Nichtinfarktgefäßes (EKG)
. Abb. 32.5 Akuter Hinterwandmyokardinfarkt bei einem 48-jährigen Mann. Schmerzbeginn vor 60 min. Im EKG monophasische ST-Hebungen in II, III und aVF. a Angiographischer Nachweis einer proximal verschlossenen rechten Kranzarterie. b Vorbringen eines Führungsdrahtes und Dilatation des proximalen Gefäßabschnitts. c Implantation eines Stents. d Abschlussergebnis
Darstellung des Infarktgefäßes, ggf. mit Führungskatheter Prüfung Gabe GP IIb/ IIIa Rezeptorantagonist
Eptifibatide
Prüfung transvenöser Schrittmacher bei proximalem RCAVerschluss (ggf. Volumengabe bei Rechtsherzbeteiligung)
Thrombolysis in Myocardial Infarction (TIMI) Studien in 4 Stufen (TIMI 0–3) eingeteilt [40]; (. Tab. 32.9).
Fokussierung auf Zielläsion
z
Prüfung Indikation Aspirationskatheter (Thrombuslast?, proximales Segment), Versuch direktes Stenting
Spezielle Begleittherapie bei der primär perkutaner Koronarintervention . Tab. 32.10 fasst alle wichtigen Substanzen, die als Begleittherapie des Myokardinfarktes eine Rolle spielen, zusammen. Die Bedeutung von Clopidogrel bei primärer perkutaner Koronarintervention ist in zahlreichen Studien belegt [8]. Alle Patienten sollten daher neben Acetylsalicylsäure frühzeitig Clopidogrel erhalten. Aufgrund der speziellen Pharmakokinetik ist initial eine hochdosierte Gabe (»loading dose«) notwendig. Alternativ kann in bestimmten Situationen Prasugrel verwendet werden. In vivo wird Prasugrel durch hepatische und intestinale Cytochrom-P450-Oxidasen in die eigentliche Wirkform R-138727 überführt und bindet irreversibel an den Plättchen-ADP-Rezeptor P2Y12. R-138727 kann bereits 15 min nach Administration im Plasma nachgewiesen werden und erreicht einen Maximalspiegel nach 30 min. Prasugrel ist zugelassen zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (IAP, NSTEMI oder STEMI) bei invasiver Vorgehensweise in Kombination mit Acetylsalicylsäure. Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten können die Rate offener Infarktgefäße mit initial normalem Koronarfluss (TIMI 3) erhöhen, die Thrombuslast vor der Koronarintervention reduzieren und möglicherweise den mikrovaskulären Fluss nach Koronarintervention verbessern. Ein Vielzahl von randomisierten Studien hat den Nutzen des GP-IIb/IIIa-Antagonisten Abciximab in Gegenwart von Aspirin und Heparin belegt (relative 30-Tages-Mortalität –32%), ohne dass es zu einer erhöhten Inzidenz von schwerwiegenden Blutungen kam [25]. Es ist bislang nicht klar, ob dieser vorteilhafte Effekt auch bei optimaler Vortherapie mit Clopidogrel vorhanden bleibt. So konnte in einer anderen Studie mit Tirofiban und gleich-
Abciximab (Stent-Thrombose)
Im kardiogenen Schock Versuch der kompletten Revaskularisierung sowie Anlage IABP LV-Angiographie RAO 30° bei hämodynamischer Stabilität ACT=»activate clotting time«; CNI=chronische Niereninsuffizienz; UFH=unfraktioniertes Heparin; GP IIb/IIIa=Glykoprotein IIb/IIIa; RCA=rechte Koronararterie; IABP=intraaortale Ballonpumpe; RAO=»right anterior oblique«. . Tab. 32.9 Bedeutung des postinterventionellen Blutflusses (TIMIFluss) für die 30-Tages-Mortalität nach akutem ST-Hebungsinfarkt TIMI-Grad
Beschreibung
Mortalität [%]
3
Ungehinderter Fluss
3,7
2
Zögerlicher Fluss
7,0
0/1
Deutlich reduzierter/fehlender Fluss
8,8
zeitiger Gabe von Clopidogrel keine klinische Verbesserung beobachtet werden [43]. Eine neue therapeutische Möglichkeit eröffnet sich mit dem direkten Thrombininhibitor Bivalirudin. In der HORIZONS-AMIStudie (Harmonizing Outcomes With Revascularisation and Stents
32
420
32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
. Tab. 32.10 Wichtige Begleittherapien bei der Behandlung des akuten Myokardinfarktes Substanz
Dosierung
Bemerkungen
ASS
32
250–500 mg p.o. oder i.v.; Erhaltungdosis 100 mg/Tag, lebenslang
5 Reduktion der 35-Tages-Mortalität um 25% (vs. Placebo), ISIS-2 Studie
Clopidogrel
Initial 600 mg p.o.; Erhaltungsdosis 150 mg/Tag für 1 Woche, dann 75 mg/Tag für mindestens 12 Monate
5 Relativ wenige Studien bei STEMI 5 150 mg Dosis bislang nicht in den Leitlinien
32
Prasugrel
Initial 60 mg p.o.; Erhaltungsdosis 10 mg für 12 Monate
5 Absolute KI: Zustand nach Apoplex oder TIA 5 Relative KI: Alter >75 Jahre (Erhaltungsdosis 5 mg) 5 Körpergewicht <60 kg (Erhaltungsdosis 5 mg)
Abciximab
0,25 mg/kg i.v.-Bolus, dann Infusion mit 0,125 mg/kg KG/min (Maximum 10 mg/min für 12 h)
5 Umfangreiche klinische Studien
Heparin
100 U/kg KG i.v. Bolus (60 U/kg bei GP-IIb/IIIa-Antagonist), dann nachfolgend Infusion mit 800–1000 U/h für 24–48 h, Ziel PTT 50–70 s
5 ACT 250–350 s während PCI 5 200–300 s bei gleichzeitiger Gabe von Abciximab
Enoxaparin
<75 Jahre, Kreatinin <2,5 mg/ml (221 μmol/l) für Männer oder <2 mg/ml (<177 μmol/l) für Frauen: i.v. Bolus 30 mg, 15 min später von s.c.-Injektion (1 mg/kg KG alle 12 h) bis Entlassung (maximal 8 Tage); >75 Jahre kein Bolus, s.c. 0,75 mg/kg KG. Bei Kreatininclearence <30 ml/min s.c.-Injektion alle 24 h
5 Komplexes Dosierungsschema in Abhängigkeit von Alter und Nierenfunktion
Fondaparinoux
2,5 mg i.v.-Bolus, s.c.-Injektion 2,5 mg/Tag bis Entlassung (maximal 8 Tage), wenn Kreatinin <3 mg/ml (265 μmol/l)
5 Nichtsignifikante Erhöhung der Mortalität bei Patienten mit primärer PCI (elektive Intervention)
Bivalirudin
i.v.-Bolus 0,75 mg/kg KG, dann Infusion mit 1,75 mg/kg KG/h (ohne ACT-Messung). Beendigung nach Ende der Prozedur (PCI)
5 Blutungskomplikationen deutlich geringer 5 Gesamtsterblichkeit unverändert
32
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
. Tab. 32.11 Ergebnisse verschiedener Studien mit niedermolekularem Heparin und Bivalirudin bei instabiler Angina und NSTEMI Studie
n
Vergleich
Primärer Endpunkt
Ergebnis
ESSENCE
3171
Enoxaparin vs. UFH
Tod, AMI, rez. AP
19,8% vs. 23,3% (30 Tage, p=0,02)
TIMI 11b
3910
Enoxaparin vs. UFH
Tod, AMI, Revaskularisation
17,3% vs. 19,6% (43 Tage, p=0,049)
FRIC
1506
Dalteparin vs. UFH
Tod, AMI, rez. AP
12,3% vs. 13,3% (43 Tage, p=ns)
FRISC
1506
Dalteparin vs. Placebo
Tod, AMI
8,0% vs. 10,7% (40 Tage, p=ns)
FRAXIS
3468
Nadoparin vs. UFH
Tod, AMI, Revaskularisation, rez. AP
22,3% vs. 22,2% (90 Tage, p=ns)
ACUITY
13800
Bivalirudin vs. UFH+GP IIb/ IIIa vs. Bivalirudin+GP IIb/IIIa
Ischämische Ereignisse und schwere Blutungskomplikationen
Blutungskomplikationen 3,0% vs. 5,7% vs. 5,3% bei gleicher Anzahl ischämischer Ereignisse (30 Tage, p<0,001)
OASIS-5
20078
Fondaparinoux vs. Enoxaparin
Tod, AMI, rez. AP
5,7% vs. 5,8% (9 Tage, p=ns), Blutungsrisiko 2,2% vs. 4,1%
32 32 32 32 32 32 32 32 32
UFH=unfraktioniertes Heparin; AMI=akuter Myokardinfarkt; rez. AP=rezidivierende Angina pectoris; GP IIb/IIIa=Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonist.
in Patients with Acute Myocardial Infarction) wurden über 3600 Patienten entweder mit Bivalirudin (+GP-IIb/IIIa-Antagonisten) oder Heparin (oder Enoxaparin) in Kombination mit einem GPIIb/IIIa-Antagonisten therapiert. Dabei wurde eine deutliche Reduktion von schwerwiegenden Blutungen (–40%), bei geringer Reduktion der Gesamtsterblichkeit (–1%) beobachtet [36]. Bivalirudin kann daher als sinnvolle Alternative bei hohem Blutungsrisiko angesehen werden.
z
Lysetherapie
! Keine intramuskulären Injektionen vor Lysetherapie (o unkalkulierbares Blutungsrisiko).
Innerhalb der ersten 12 h nach Schmerzbeginn stellt die medikamentöse Thrombolyse eine Alternative zur Akutintervention bei Myokardinfarkt (STEMI) dar. Dies gilt auch für Patienten mit Linksschenkelblock (der eine ST-Segmentanalyse verhindert) und einer typischen Infarktsymptomatik mit entsprechender Anamnese. Thrombolytika wirken durch eine direkte oder indirekte Aktivierung von Plasminogen. Diese Aktivierung führt zu einer Konversion von Plasminogen in Plasmin, ein fibrinolytisches Enzym
421 32.8 · Initiale Therapie
. Tab. 32.12 In Deutschland verfügbare Fibrinolytika und deren Dosierung beim akuten Myokardinfarkt (STEMI) Fibrinolytikum
Dosierung
Heparin-Begleittherapie
Bemerkungen
Streptokinase (SK) – Anistreplase
5 1,5 Mio. IU über 30–60 min
5 Keine Initialgabe, Heparin nach 12–24 h
5 Preisgünstig 5 Keine Gabe bei vorausgegangener Streptokinasebehandlung (Antikörper)
Alteplase (tPA) – z. B. Actilyse
5 15 mg i.v. Bolus 5 0,75 mg/kg KG über 30 min, dann 0,5 mg/kg KG über 60 min i.v. 5 Gesamtdosis ≤100 mg
5 i.v.-Bolus: 60 U/kg KG, maximal 4000 U 5 i.v.-Infusion: 12 U/ kg KG/h über 48 h, maximal 1000 U/h 5 Ziel-PTT 50–70 s
5 Im Vergleich zu Streptokinase geringere Letalität nach 30 Tagen (GUSTOStudie)
Reteplase (r-PA) – z. B. Rapilysin
5 10 U+10 U i.v. Bolus im Abstand von 30 min
5 7 Alteplase
5 Effektivität wie Alteplase (GUSTO-III) 5 Einfaches Dosisschema 5 Teuer
Tenecteplase (TNK-tPA) – z. B. Metalyse
5 5 5 5 5 5
5 7 Alteplase
5 Effektivität wie Alteplase und Reteplase 5 Einfaches Dosisschema 5 Teuer
i.v.-Bolus 30 mg <60 kg 35 mg 60 bis <70 kg 40 mg 70 bis <80 kg 45 mg 80 bis <90 kg 50 mg ≥ 90 kg
mit breitem Spektrum. Während ältere Fibrinolytika (z. B. Streptokinase, Urokinase) im Serum frei zirkulierendes Plasminogen aktivieren, sind neuere Substanzen (t-PA, Prourokinase) in der Lage, relativ spezifisch thrombusassoziiertes Plasminogen zu aktivieren. Hauptrisiko der Fibrinolyse sind Blutungen, insbesondere intrakranielle Blutungen. Bei Patienten >75 Jahre ist das NutzenRisiko-Verhältnis für eine thrombolytische Therapie aufgrund der Datenlage umstritten. Zur Lysetherapie stehen in Deutschland die Fibrinolytika Streptokinase, Alteplase, Reteplase und Tenecteplase zur Verfügung (. Tab. 32.12). Die absoluten und relativen Kontraindikationen zur fibrinolytischen Therapie finden sich in der 7 Übersicht. Bei relativen Kontraindikationen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für jeden Patienten individuell abzuwägen.
Absolute und relative Kontraindikationen einer Lysetherapie 4 Absolute Kontraindikation – Schlaganfall in den letzten 6 Monaten (hämorrhagisch zeitunabhängig) – Trauma, Operation, Kopfverletzung (<3 Wochen) – Neoplasma oder ZNS-Erkrankung – Magen-Darm-Blutung (<1 Monat) – Bekannte Blutungsdiathese – Dissezierendes Aortenaneurysma 4 Relative Kontraindikation – TIA (<6 Monate) – Orale Antikoagulanzientherapie – Schwangerschaft – Nicht komprimierbare Gefäßpunktionen – Therapierefraktäre Hypertonie (>180 mm Hg) – Aktives Ulcus ventriculi oder duodeni – Floride Endokarditis – Fortgeschrittene Lebererkrankung – Traumatische Reanimationsmaßnahmen
> Lysetherapie nur dann, wenn nicht die Möglichkeit zu einer raschen invasiven Diagnostik und Therapie (PCI) besteht.
z Operative Therapie Da die Prognose von Patienten mit einem STEMI nach erfolgreicher perkutaner Koronarintervention oder Fibrinolyse günstig ist, besitzt die akute chirurgische Revaskularisation als routinemäßige Alternative zur frühen Reperfusionstherapie beim STEMI keinen Stellenwert. Dennoch gibt es Situationen, in denen eine notfallmäßige Bypassversorgung in Erwägung gezogen werden sollte. Dazu gehören eine erfolglose PCI mit persistierendem Verschluss eines Koronargefäßes und hämodynamischer Instabilität, Komplikationen nach Ballondilatation (z. B. Perforation der Koronararterie) und schwere Infarktkomplikationen (z. B. Papillarmuskelabriss mit schwerer Mitralklappeninsuffizienz), die eine rasche chirurgische Versorgung notwendig machen. Bei jedem Eingriff sollte im Vorfeld erwogen werden, ob die erwartete Letalität des chirurgischen Eingriffes geringer ist als die einer rein medikamentösen Weiterbehandlung.
Instabile Angina pectoris und Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) Die Therapie des Non-ST-Hebungsinfarktes im Krankenhaus hat zum einen das Ziel, die Beschwerden des Patienten zu lindern und Komplikationen im weiteren klinischen Verlauf (Myokardinfarkt und Tod) zu verhindern. Voraussetzung für die spezifische Therapie ist die richtige Diagnose bzw. Risikostratifizierung. Nur Patienten mit erhöhtem Risiko (7 Abschn. 32.6) profitieren von den pharmakotherapeutischen und invasiven Maßnahmen. z Antianginöse Therapie Bei der Mehrzahl der Patienten mit instabiler Angina oder NSTEMI kann durch eine gezielte Pharmakotherapie eine deutliche Reduktion der klinischen Symptomatik erreicht werden. Zur Verfügung stehen Substanzen aus 3 Wirkstoffgruppen: 4 Nitrate, 4 β-Blocker und 4 ggf. Kalziumantagonisten.
32
422
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
. Tab. 32.13 Dosierung üblicher β-Blocker
32
. Tab. 32.14 Faktoren, die das Blutungsrisiko (»major bleeding«) bei Patienten mit NSTEMI beeinflussen
Substanz
Initialtherapie
Erhaltungstherapie
32
Metoprolol
Bolus 1–5 mg i.v.
2×50–100 mg/Tag p.o.
32
Esmolol
Bolus 0,5 mg/kg KG i.v.
50–200 μg/kg KG/ min i.v.
Bolus 5–10 mg i.v.
100 mg/Tag p.o.
32 32 32 32 32 32 32 32
Atenolol
Diese Substanzen reduzieren aufgrund ihres pharmakologischen Wirkmechanismus den myokardialen Sauerstoffverbrauch. Obgleich Nitrate und Kalziumantagonisten zu einer Reduktion der Angina-pectoris-Symptomatik führen, liegen bislang keine Daten aus großen randomisierten Studien vor, die einen günstigen Effekt auf die Mortalität bei instabiler Angina oder NSTEMI gezeigt hätten. Demgegenüber führt die sofortige Gabe eines β-Blockers bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Hebungen zu einer signifikanten Senkung der Mortalität (HINR-Studie, BHAT Trial). Sofern keine Kontraindikationen (Asthma bronchiale, höhergradige AV-Blockierung, dekompensierte Herzinsuffizienz, Hypotonie, Schock) vorliegen bzw. bekannt sind, sollte beim akuten Koronarsyndrom die β-Blockertherapie z. B. mit Metoprolol intravenös eingeleitet werden. Therapeutisches Ziel ist es, eine Herzfrequenz von 60–70/min zu erreichen (. Tab. 32.13). z
Antithrombozytäre und gerinnungshemmende Therapie
32
> Eine fibrinolytische Behandlung ist ohne ST-Hebung im EKG nicht indiziert.
32
Zur antithrombozytären Basistherapie gehört die sofortige Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS). Alle Studien zeigen, relativ unabhängig von der verwendeten Dosierung (ASS 75–1300 mg/Tag), eine signifikante Reduktion der Folgekomplikationen (Myokardinfarkt und Tod). Bei schwerwiegenden Kontraindikationen kann ggf. Clopidogrel oder Prasugrel ersatzweise appliziert werden. Hospitalisierte Patienten, bei denen eine frühe invasive oder eine medikamentöse konservative Therapie geplant ist, sollten zusätzlich Clopidogrel für mindestens 12 Monate erhalten (abhängig von einem möglichen Blutungsrisiko). Die kombinierte Gabe von ASS und Clopidogrel führt bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (CURE-Studie), unabhängig von einer invasiven Revaskularisation, zu einer Reduktion kardiovaskulär bedingter Folgeereignisse und Todesfälle. Eine Aufsättigungsdosis von 600 mg sollte so rasch als möglich appliziert werden, idealerweise 6 h vor geplanter perkutaner Revaskularisation (PCI-CURE-Studie). Die Erhaltungsdosis von Clopidogrel beträgt 75 mg/Tag. Allerdings sprechen aktuelle Daten dafür (CURRENT-Studie), dass innerhalb der 1. Woche nach Symptombeginn und früher perkutaner Revaskularisation die optimale Tagesdosis bei 150 mg liegt. Dadurch kann die Wahrscheinlichkeit einer frühen Stentthrombose reduziert werden, ohne dass das Blutungsrisiko signifikant zunimmt. Zusätzlich zur antithrombozytären Therapie sollten alle Patienten mit instabiler Angina oder NSTEMI in der Akutphase eine gerinnungshemmende Therapie erhalten. Die Auswahl der Substanz (. Tab. 32.10) erfolgt anhand des Risikos für ischämische Ereignisse einerseits und des Blutungsrisikos andererseits (. Tab. 32.14). Die Wirksamkeit verschiedener niedermolekularer Heparine in der Therapie der instabilen Angina wurde in mehreren großen Studien überprüft. Nur für Enoxaparin gibt es 2 Studien, die bezüglich des Endpunktes Tod/Myokardinfarkt eine Überlegenheit des niedermolekularen Heparins gegenüber unfraktioniertem Heparin
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
Variable
Adjustierte Odds-Ratio (95%-CI)
p-Wert
Alter
1,22 (1,10–1,35)
0,0002
Weibliches Geschlecht
1,36 (1,07–1,73)
0,0116
Niereninsuffizienz
1,53 (1,13–2,08)
0,0062
Vorausgegangene Blutung
2,18 (1,14–4,08)
0,014
Mittlerer arterieller Blutdruck
1,14 (1,02–1,27)
0,019
Diuretika
1,91 (1,46–2,9)
<0,0001
GP IIb/IIIa Antagonisten
1,86 (1,43–2,43)
<0,0001
i.v. Inotropika
1,88 (1,35–2,62)
0,0002
Rechtsherzkatheter
2,01 (1,38–2,91)
0,0003
zeigten (. Tab. 32.11). Bei geplanter, frühzeitiger Koronarintervention sind Enoxaparin und unfraktioniertes Heparin jedoch als gleichwertig anzusehen. Der wesentliche Vorteil des niedermolekularen Heparins liegt in der zuverlässigeren Wirksamkeit (Adjustierung auf PTT nicht notwendig) sowie der einfacheren Handhabung (s.c.-Gabe statt i.v.-Dauerinfusion). Allerdings ist bei schwerer Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung aufgrund der Akkumulation der niedermolekularen Heparine notwendig. Falls eine primär konservative Strategie bevorzugt wird, kann Fondaparinux verwendet werden, da das Blutungsrisiko und die Gesamtmortalität im Vergleich zu Enoxaparin niedriger sind. Bei primärer invasiver Therapie kann die Antikoagulation in der Regel nach 24 h beendet werden (danach Thromboseprophylaxe). Bei konservativer Therapie kann die Antikoagulation bis zur Entlassung fortgeführt werden. Die Metaanalyse der Studien CAPTURE (Abciximab), PRISM-PLUS (Tirofiban) und PURSUIT (Eptifibatide) ergibt, dass die Zugabe eines GP-IIb/IIIa-Antagonisten zu einer bestehenden antithrombotischen Therapie mit ASS und Heparin das Risiko von Tod und Myokardinfarkt in der konservativen Behandlungsphase der instabilen Angina senkt. Bei Patienten mit intermediären oder hohem Risiko (Troponin-positiv, ST-Senkungen, Diabetes mellitus) sind daher Eptifibatide oder Tirofiban in Addition zur antithrombozytären Therapie sinnvoll. GP-IIb/IIIa-Antagonisten müssen immer mit einem Antikoagulans (z. B. Heparin und niedermolekulare Heparine) kombiniert werden. Die alleinige Gabe von Bivalirudin ist eine mögliche therapeutische Alternative, insbesondere bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (. Tab. 32.14). Bei geplanter perkutaner Koronarintervention wird Abciximab bevorzugt, da hierfür die meisten Daten vorliegen. Ein therapeutisches Dilemma besteht bei Patienten, die aufgrund einer Begleiterkrankung (z. B. Vorhofflimmern, künstliche Herzklappe) auf eine dauerhafte Antikoagulation mit VitaminK-Antagonisten (z. B. Phenprocoumon, Warfarin) angewiesen sind. Einerseits erhöht die zusätzliche Gabe von Clopidogrel und Acetylsalicylsäure das Blutungsrisiko, andererseits bedingt die Beendigung der antikoagulatorischen Therapie eine Zunahme des thromboembolischen Risikos. Wird dagegen keine antithrombozytäre Therapie eingeleitet, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein atherothrombotisches Ereignis signifikant an, dies gilt insbesondere nach Stentimplantation (akute Stentthrombose mit hoher Letalität).
423 32.8 · Initiale Therapie
Es gibt derzeit keine randomisierten Studien, die die optimale Therapiestrategie bei diesen Patienten untersucht hat. Es bedarf daher einer sorgfältigen, individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos und des thrombembolischen Risikos. Der INR sollte im Falle einer Tripel-Therapie engmaschig kontrolliert werden und im jeweiligen Zielbereich liegen. z Invasive Therapie Entsprechend der derzeitigen Empfehlungen der Fachgesellschaft wird bei Patienten mit instabiler Angina oder NSTEMI unabhängig vom Primärerfolg der Pharmakotherapie eine frühe Koronarangiographie mit dem Ziel der Revaskularisation (perkutan oder chirurgisch) angestrebt [44]. Die Ergebnisse der FRISC II-, der TACTICSTIMI 18- und der RITA-3-Studie haben übereinstimmend gezeigt, dass durch die invasive Behandlungsstrategie das Risiko für Tod und Myokardinfarkt signifikant gesenkt werden kann. Subgruppenanalysen dieser Studien weisen darauf hin, dass insbesondere Patienten mit Risikomerkmalen (anhaltende ST-Senkungen, positiver Troponintest, Diabetes mellitus) von einer invasiven Strategie im Vergleich zur konservativen Strategie profitieren. Eine präinterventionell begonnenen GP-IIb/IIIa-Rezeptorblockade sollte periinterventionell fortgeführt werden, da sie zu einer weiteren deutlichen Senkung des Risikos von Tod und Myokardinfarkt führt (. Tab. 32.15). Patienten, die trotz optimaler konservativer Therapie nicht beschwerdefrei sind, sollten rasch einer invasiven Diagnostik zugeführt werden, da nicht selten ein Gefäßverschluss vorliegt, der sich nicht im EKG in Form von ST-Hebungen demaskiert (z. B. bei Verschluss des R. circumflexus oder dessen Seitästen). Gleiches gilt für Patienten, die hämodynamisch instabil sind oder anhaltende, schwerwiegende Herzrhythmusstörungen aufweisen. Der optimale Zeitpunkt der Katheterintervention bei beschwerdefreien Patienten mit Risikomerkmalen ist nicht endgültig geklärt. Nach retrospektiven Analysen von TACTICS steigt das Risiko sprunghaft an, wenn die Katheterintervention bei instabiler Angina über 48 h hinausgezögert wird. In der ISAR-COOL-Studie erwies sich die sofortige Intervention (<6 h) der Strategie mit Intervention nach Vorbehandlung (2–3 Tage) als überlegen [27]. Wie bei stabiler Angina senkt die Implantation eines Koronarstents auch bei instabiler Angina oder NSTEMI das Risiko einer lokalen Dissektion oder langfristiger der Restenose im Vergleich zur alleinigen PTCA. Im Unterschied zur stabilen Angina ist bei NSTEMI oder IAP jedoch eine intensivere antithrombotische Begleittherapie notwendig. Es können je nach klinischer Situation Metallstents (»bare metal stents«; BMS) oder Medikamente freisetzende Stents (»drug eluting stents«; DES) verwendet werden. Bisherige Daten sprechen nicht dafür, dass Letztere bei Patienten mit NSTEMI oder IAP (im Vergleich zu Patienten mit stabiler Angina) ein erhöhtes Stentthromboserisiko aufweisen. Aufgrund der zwingenden Notwendigkeit einer langfristigen antithrombozytären »Doppeltherapie« (in der . Tab. 32.15 Dosierung von Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten Substanz
Bolus (i.v.)
Erhaltungsdosis (i.v.)
Abciximab
0,25 mg/kg KG
0,125 μg/kg KG/min (Maximum 10 μg/ min) für 12–24 h
Eptifibatide
180 μg/kg KG + 2. Bolus nach 10 min bei PCI
2,0 μg/kg KG/min für 18–24 h
Tirofiban
0,4 μg/kg KG/min für 30 min
0,1 μg/kg KG/min für 12–24 h
Regel über 12 Monate) sollte jedoch vor jeder DES-Implantation geklärt werden, ob absehbare Ereignisse (z. B. geplante, lebenswichtige Operation) oder Verhältnisse (erhöhtes Blutungsrisiko) vorliegen, die eine Unterbrechung der antithrombozytären Kombinationstherapie innerhalb des nächsten Jahres notwendig machen. Diese Überlegungen gelten auch für Patienten, die auf eine langfristige Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten angewiesen sind.
32.8.4
Intensivüberwachung
Um die Entscheidungsprozesse und diagnostischen Maßnahmen zu beschleunigen, sollten alle Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt auf der Intensivstation versorgt und überwacht werden. Darüber hinaus gewährleistet die Intensivstation eine engmaschige Therapieüberwachung (z. B. bei Gabe von gerinnungshemmenden Substanzen) und erlaubt rasches Handeln im Fall von infarktassoziierten Komplikationen. In der Regel dauert der Intensivaufenthalt etwa 1–2 Tage, bei komplizierten Verläufen oder kardiogenem Schock kann diese Zeit deutlich überschritten werden. Die Einführung der Intensivstationen Mitte der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat wesentlich zu der Senkung der Krankenhausmortalität von Patienten mit Myokardinfarkt beigetragen. Eine besondere Situation liegt vor, wenn der Patient während seines Aufenthaltes auf einer Intensivstation (z. B. postoperativ) einen Myokardinfarkt erleidet. In diesem Fall ist eine sorgfältige Abwägung des potenziellen Nutzens weiterführender diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen (z. B. PCI, Lyse) und der damit verbundenen langfristigen Konsequenzen (z. B. antithrombozytäre Therapie nach Stentimplantation) und der möglichen Risiken (lebensbedrohliche Blutungen) unter Berücksichtigung der Begleitumstände (Alter des Patienten, Prognose der Grunderkrankung) durchzuführen.
Klinische Überwachung Alle Patienten müssen klinisch (problemorientierte körperliche Untersuchung, kontinuierliche Kontrolle der Vitalparameter) überwacht werden. Insbesondere infarktassoziierte Komplikationen können hierdurch frühzeitig erkannt werden.
EKG-Monitoring Nach Eintreffen des Patienten auf der Intensivstation muss innerhalb von 10 min ein 12-Kanal-EKG, ggf. mit rechtspräkordialen Ableitungen, angefertigt werden. Dies gilt sowohl für Patienten vor als auch nach erfolgreicher Koronarintervention). Für die anschließende kontinuierliche Monitorüberwachung sind in der Regel 3 Ableitungen ausreichend, wobei sich die P-Wellen und der QRSKomplex gut abgrenzen lassen müssen. Eine fortlaufende ST-Streckenanalyse kann wertvolle Hinweise auf rezidivierende Ischämien geben. Die automatische Arrhythmieerkennung erlaubt die Dokumentation von Rhythmusstörungen und durch Einstellung von geeigneten Alarmen das sofortige Handeln im Fall von gefährlichen Arrhythmien.
Laborparameter Serielle Laborparameter im Verlauf des Intensivaufenthaltes haben die Funktion, wichtige Organsysteme (z. B. Nierenfunktion, Gerinnungsstatus, Elektrolyte) zu überwachen und mögliche unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln (z. B. Heparin-induzierte Thrombozytopenie) zu erkennen.
32
424
32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
. Tab. 32.16 Hämodynamische Zustände bei Myokardinfarkt Zustand
Klinisches Bild
Therapie
32
Normal
5 Normaler Blutdruck, Herzfrequenz und Atemfrequenz 5 Ungestörte periphere Durchblutung
5 Überwachung
32
Hyperdynamer Zustand
5 Tachykardie 5 Laute Herztöne 5 Normale periphere Durchblutung
5 β-Blocker
Bradykardie/Hypotonie
5 Normaler zentraler Venendruck 5 Reduzierte periphere Durchblutung 5 Häufig bei Hinterwandinfarkt
5 Atropin 5 Passagerer Schrittmacher 5 Ggf. Flüssigkeit
Hypovolämie/Hypotonie
5 Niedriger zentraler Venendruck 5 Reduzierte periphere Durchblutung
5 Flüssigkeit
Rechtsventrikulärer Infarkt
5 5 5 5 5
Erhöhter zentraler Venendruck Schlechte periphere Durchblutung Schock Bradykardie Hypotonie
5 Flüssigkeit 5 Ggf. passagerer Schrittmacher
Linksherzinsuffizienz
5 5 5 5 5
Tachykardie Tachypnoe Hypoxämie Schlechte periphere Durchblutung Lungenödem
5 Positiv inotrope Medikamente 5 Nichtinvasive Beatmung
Kardiogener Schock
5 5 5 5 5
Hypotonie Oligurie Tachykardie, Schlechte periphere Durchblutung Lungenödem
5 5 5 5
32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32 32
Positiv inotrope Medikamente Nichtinvasive oder invasive Beatmung Rasche, komplette Revaskularisation IABP
IABP=intraaortale Ballonpumpe.
Hämodynamische Überwachung Bei Patienten mit kleinem oder unkompliziertem Myokardinfarkt ist eine kontinuierliche hämodynamische Überwachung i. Allg. nicht notwendig. Der arterielle Druck kann hier über Druckmanschette ausreichend genau kontrolliert werden. Bei großen oder komplizierten Infarkten sollte eine kontinuierliche invasive Überwachung des arteriellen Blutdrucks erfolgen. Besteht zusätzlich eine hämodynamische Instabilität (. Tab. 32.16) oder liegt eine schwere Herzinsuffizienz vor, kann zur Verbesserung der Überwachung ein Pulmonaliskatheter eingesetzt werden, wobei der pulmonalkapilläre Druck zwischen 15 und 20 mm Hg und der Herzindex über 2,0 l/min/m2 liegen sollte. Ist der Patient über 24 h hämodynamisch stabil und bedarf keiner Katecholamintherapie, kann der Pulmonaliskatheter entfernt werden.
32.9
Therapie in der Postinfarktphase
32.9.1
Allgemeine Maßnahmen
Ernährung Am ersten Tag bleibt der Patient in der Regel nüchtern. In Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf und der Schwere des Infarktes dürfen in den folgenden Tagen einige Schluck Wasser oder Tee, ggf. auch Zwieback oder Weißbrot gegeben werden. Danach wird die Ernährung langsam aufgebaut (leichte, cholesterin- und kochsalzarme Kost). Bereits während dieser Phase sollte der Patient über eine ausgewogene Ernährung (»Mittelmeerkost«) informiert werden. Eine spätere Diätberatung kann sinnvoll sein. Während der Postinfarktphase sollte eine Obstipation durch den rechtzeitigen Einsatz von Laxanzien vermieden werden.
Blutgasanalyse Die venösen und arteriellen Blutgaswerte sind immer dann von Nutzen, wenn ein kardiogener Schock vorliegt oder aber der Patient beatmet werden muss. Der im akuten Infarktgeschehen erniedrigte O2-Partialdruck normalisiert sich in der Regel innerhalb der ersten Tage. Eine schwere Störung des Säure-Basen-Haushaltes wird insbesondere beim kardiogenen Schock beobachtet.
Mobilisation Die physiotherapeutische Behandlung kann schon sehr früh in der Akutphase (in der Regel auf Intensivstation) durchgeführt werden. Die Therapieziele der rekonditionierenden und reaktivierenden Physiotherapie sind: 4 Pneumonieprophylaxe 4 Wiedererlangen der physiologischen Atmung mittels Atemtherapie 4 Thromboseprophylaxe durch spezifische Bewegungstherapie. Weitere Ziele sind 4 Bestimmung und Erhöhung der Belastbarkeitsgrenze 4 Reduktion der Herzarbeit durch Abnahme des belastungsabhängigen Herzfrequenzanstieges 4 Verbesserung der psychischen Situation.
32
425 32.9 · Therapie in der Postinfarktphase
ASS 100
ß - Blocker ACE -I Statine
75 Häufigkeit [%]
. Tab. 32.17 Tägliche Behandlungskosten, Risikoreduktion und »number needed to treat« verschiedener Medikamente, die bei der Sekundärprävention Anwendung finden
50
25
Substanz
Tägliche Behandlungskosten [Euro]
RRR [%]
NNT/Jahr
β-Blocker
0,25–0,80
12–23
43–80
Statine
1,20–1,75
22–30
67
ACE-Inhibitoren
0,20–0,80
6–27
13–200
Eplerenon
2,85
15
50
Acetylsalicylsäure
0,03–0,08
23
67
Clopidogrel (+ASS)
3,0
9 (–31)
33–48
0 <55
55-64
65-74 75-84 Alter [Jahre]
>84
. Abb. 32.6 Pharmakologische Sekundärprophylaxe nach Myokardinfarkt (Euro Heart Survey). Häufigkeit rezeptierter Medikmentengruppen
RRR=relative Risikoreduktion der Mortalität; NNT=«number needed to treat”.
Die Mobilisation von Patienten mit Herzinfarkt erfolgt in Stufen. Hierzu gibt es unterschiedliche Protokolle. Zur Kontrolle dienen Blutdruck und Puls, die vor, während und unmittelbar nach der Belastung gemessen werden. Ein Blutdruckabfall oder Herzrhythmusstörungen während der Belastung machen einen sofortigen Abbruch des Trainings erforderlich. Ist die während der Belastung angestiegene Herzfrequenz bis 3 min nach Belastungsende nicht deutlich zurückgegangen, so weist dies auf eine zu hohe Belastung und eine geringe Leistungsfähigkeit des kardiopulmonalen Systems hin.
Rehabilitation Eine Rehabilitation ist nicht bei allen Patienten erforderlich. Die Indikation zu einer ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahme ist individuell nach Wunsch und Alter des Patienten, Infarktgröße, Folgeschäden durch Reanimationsmaßnahmen und Risikokonstellation zu stellen.
Influenza-Impfung Alle Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom sollten jährlich gegen Influenzaviren geimpft werden [9].
32.9.2
Sekundärprophylaxe
Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom haben ein hohes Risiko für rekurrente ischämische Ereignisse (8–10% pro Jahr). Daher stellt die konsequente Sekundärprophylaxe ein essenzielles Element der medikamentösen Langzeittherapie dar. Eine Vielzahl von unterschiedlichen klinischen Studien hat den therapeutischen Nutzen der Sekundärprävention eindrucksvoll belegt (. Tab. 32.17). In der Realität hat es sich jedoch gezeigt, dass die konsequente Umsetzung der Sekundärprävention nur unzureichend erfolgt (. Abb. 32.6). Die Sekundärprophylaxe verfolgt mehrere therapeutische Ziele und sollte frühzeitig, d. h. bereits im Rahmen der intensivmedizinischen Betreuung, begonnen werden (. Abb. 32.7). Nachfolgend sind die wichtigsten Maßnahmen zur Sekundärprophylaxe zusammengefasst. Bezüglich der antithrombozytären Therapie sei auf die vorherigen Abschnitte verwiesen. > Die Sekundärprophylaxe ist mit entscheidend für den weiteren klinischen Verlauf der Erkrankung und sollte konsequent durchgeführt werden.
Sekundärprophylaxe nach Myokardinfrakt
Pathophysiologische Therapieziele • Plaquemembran • Vasomotorik • LV - Remodelling • Flimmerschwelle • Thrombozytenaggregation
Klinische Therapieziele • Re-Infarktrate • Symptome • Herzinsuffizienz • Plötzlicher Herztod • Re - Infarktrate
Medikamentöse Therapie • CSE-I • CSE-I, ACE-I, AT1-A • ACE-I, AT1-A • ß-Blocker • ASS, Clopidogrel, Prasugrel
. Abb. 32.7 Therapeutische Ziele der Sekundärprophylaxe. CSE-I = Statine, ACE-I = ACE,-Inhibitoren, AT1-A = AT1-Antagonisten
Lebenstiländerung Eine der wichtigsten Maßnahmen ist der Verzicht auf Nikotin. Tatsächlich ist das Risiko eines Reinfarktes bei Exrauchern bereits nach 2–4-jähriger Nikotinkarenz auf dem Niveau eines Nichtrauchers. Langfristig sollte die Ernährung umgestellt, das Körpergewicht reduziert (Ziel: BMI <30 kg/m², Taillenumfang <102 cm Männer/<88 cm Frauen) und ein erhöhter Blutdruck normalisiert werden (Ziel <130/80 mm Hg). Eine optimale Blutzuckereinstellung (Ziel: HbA1c<6,5%) bei Diabetikern ist unbedingt notwendig. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom häufig an einem bislang nicht entdeckten Diabetes mellitus erkrankt sind. Daher sollte immer nach einer Störung des Glukosestoffwechsels gefahndet werden.
Lipidsenkende Therapie Die Langzeittherapie mit CSE-Hemmern (Statine) führt nachweislich zu einer Verbesserung der Prognose bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (. Abb. 32.8; . Tab. 32.18). Dieser Effekt konnte in allen wichtigen Subgruppen (Männer und Frauen, ältere Patienten, Diabetiker, Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen) nachgewiesen werden. Die Rationale für einen sofortigen Beginn (innerhalb von 24 h) der lipidsenkenden Therapie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom liegt in der Beobachtung, das Statine möglicherweise aufgrund ihrer pleiotropen Wirkungen zu einer »Stabilisierung« des Plaques und der Wiederherstellung der natür-
426
32 32 32 32 32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
lichen Endothelfunktion beitragen. Die frühzeitige Gabe von Statinen ist daher bei allen Patienten mit akutem Koronarsyndrom unter Berücksichtigung möglicher Kontraindikationen indiziert. Ziel ist ein LDL-Cholesterin von <100 mg/dl. Neuere Studien (PROVE-IT) sprechen dafür, dass eine aggressivere LDL-Senkung auf Werte von <70 mg/dl die Prognose nochmals verbessert. Der therapeutische Nutzen anderer lipidsenkender Substanzen (Fibrate, Nikotinsäure, Ezetimibe) bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ist bislang nicht hinreichend untersucht. > Ziel-LDL nach Myokardinfarkt <100 mg/dl, bei sehr hohem Risiko (z. B. Diabetiker) optional <70 mg/dl.
32 30
32
Statin
32 32 32 32 32
Kardiovaskuläre Ereignisse [%]
25
LIPID CARE
15 HPS 10
β-Blocker
5 0 70
32
32 32
110
90
130
150
170
190
. Abb. 32.8 Effekt von Statinen auf kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom
. Tab. 32.18 LDL-senkende Wirkung verschiedener CSE-Hemmer Dosis [mg]
LDL-Senkung [%]
Atorvastatin
10
39
Fluvastatin
40–80
25–35
32
Lovastatin
40
31
Pravastatin
40
34
32
Rosuvastatin
10
46
Simvastatin
20–40
35–41
32 32
210
LDL Cholesterin [mg/dl]
Substanz
32
Eine Reihe von randomisierten, klinischen Studien hat den therapeutischen Nutzen von ACE-Inhibitoren und AT1-Rezeptorantagonisten bei Patienten nach Myokardinfarkt mit reduzierter linksventrikulärer Funktion (Ejektionsfraktion <40%) belegt (. Tab. 32.19). Die systematische Aufarbeitung dieser Studien hat gezeigt, dass die ACE-Inhibitoren nach Myokardinfarkt sicher und gut verträglich sind und die Verabreichung dieser Substanzen mit einer signifikanten Reduktion der Gesamtsterblichkeit einhergeht. ACE-Inhibitoren sollten daher innerhalb der ersten 24 h nach Infarkt begonnen werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Bislang ist nicht eindeutig geklärt, ob auch Patienten mit normaler LV-Funktion von einer Therapie mit einem ACE-Inhibitor profitieren, obgleich einige Daten dafür sprechen, dass ACE-Inhibitoren zu einer Mortalitätssenkung bei Patienten mit bekannter stabiler Atherosklerose und normaler LV-Funktion führen [10]. Bei ACE-Inhibitor-Unverträglichkeit können alternativ AT1-Rezeptorantagonisten verwendet werden. > ACE-Inhibitoren oder alternativ AT1-Rezeptorantagonisten sind feste Bestandteile der Postinfarkttherapie, ein lebensverlängender Effekt ist bei reduzierter LV-Funktion (EF <40%) nachgewiesen.
20
50
32
4S
Placebo
ACE-Inhibitoren und AT1-Rezeptorantagonisten
β-Blocker reduzieren die Mortalität und Reinfarktrate bei Patienten mit überlebtem Myokardinfarkt in einer Größenordnung von 20% [14]. Die Mehrzahl dieser Untersuchungen wurde allerdings zu einer Zeit durchgeführt, in der die Lysetherapie und die katheterbasierte Reperfusion noch nicht zur Standardbehandlung gehörten (. Tab. 32.20). Ob eine ganz frühe, intravenöse Gabe von β-Blockern ebenfalls die Mortalität reduziert, wird derzeit kontrovers diskutiert. Neuere Untersuchungen sprechen dafür, dass die frühzeitige intravenöse Gabe zwar den arrhythmogenen Tod und die Reinfarktrate senkt, das Risiko für einen kardiogenen Schock jedoch erhöht. Daher sollten Patienten mit hämodynamischer Instabilität oder klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz (Killip-Klasse III–IV) keine frühzeitige β-Blocker-Therapie erhalten. Andere Kontraindikationen (z. B. bekanntes Asthma bronchiale, höhergradige AV-Blockierungen) sind zu beachten. > Herzfrequenzziel unter β-Blockern: 50–60 Schläge/min.
z Aldosteronantagonisten Es ist bekannt, das Aldosteron das linksventrikuläre Remodelling und die Kollagenablagerung bei Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion, insbesondere nach Myokardinfarkt, verstärkt. Da ACE-Inhibitoren nur zu einer unvollständigen Blockade der Aldosteronsynthese führen, erscheint eine zusätzliche Therapie mit einem Aldosteronantagonisten (Spironolakton, Eplerenon) pathophysio-
. Tab. 32.19 ACE-Inhibitoren und AT1-Rezeptorantagonisten nach Myokardinfarkt – randomisierte, klinische Studien (Vergleich zu Placebo)
32
Studie
EF [%]
Wirkstoff
Dosierung
Nachbeobachtung
Reduktion des relativen Risikos [%]
32
AIRE
<40
Ramipril
2×5 mg
15 Monate
27% (11–40)
TRACE
<35
Trandolapril
1×4 mg
2, Jahre
22% (9–33)
SAVE
31
Captopril
3×50 mg
42 Monate
19% (3–32)
VALIANT
35
Valsartan
2×80 mg
24,7 Monate
2,5%a
32 32
a Risikoreduktion
im Vergleich zu Captopril.
427 32.10 · Infarktbedingte Komplikationen und deren Therapie
. Tab. 32.20 β-Blocker nach Myokardinfarkt – randomisierte, klinische Studien (Vergleich zu Placebo) Studie
n
Wirkstoff
Nachbeobachtung
Endpunkt
Reduktion des relativen Risikos [%]
ISIS-1
16027
Atenolol
7 Tage
Letalität
–15,2
MIAMI
5778
Metoprolol
15 Tage
Letalität
–12,2
BHAT
3837
Propranolol
25 Monate
Letalität
–26,5
TIMI-2B
1434
Metoprolol
6 Wochen
Reinfarkt
–38,3
CAPRICON
1959
Carvedilol
15 Monate
Letalität
–23,0
. Tab. 32.21 Prospektiv-randomisierte Studien zur prophylaktischen ICD-Implantation Studie
Patientenpopulation
Anzahl [n]
Design
Ergebnis
MADIT I
MI ≥3 Wochen, LVEF ≤35%, asymptomatische nsVT von 3–30 Aktionen und HF >120/ min, VT/VF bei EPU, nicht supprimierbar durch Procainamid
196
ICD vs. konventionelle Therapie
54%ige Reduktion der Gesamtmortalität
MADIT II
MI ≥4 Wochen, LVEF ≤30%
1232
ICD vs. konventionelle Therapie
31%ige Reduktion der Gesamtmortalität; 50%ige Mortalitätsreduktion bei QRS-Dauer >150 ms
MI = Myokardinfarkt; nsVT = nichtanhaltende ventrikuläre Tachykardie, VT = ventrikuläre Tachykardie, VF Kanmmerflimmern, LVEF = linksventrikulare Ejektionsfraktion
logisch sinnvoll. Die Evidenz zum Einsatz von Aldosteronantagonisten nach Myokardinfarkt kommt aus der EPHESUS-Studie [30]. Hier wurden Patienten nach Myokardinfarkt und reduzierter linksventrikulärer Funktion (Ejektionsfraktion <40%) mit Eplerenon (Beginn 3–14 Tage nach Infarkt) behandelt. Alle Patienten erhielten in dieser Studie eine entsprechende Sekundärprophylaxe mit ACEInhibitoren, β-Blockern und Acetylsalicylsäure. Etwa 50% der Studienpopulation erhielt zusätzlich ein Statin. Die Mortalität (mittlere Beobachtungszeit 16 Monate) in der mit Eplerenon behandelten Gruppe lag bei 14,4% und bei 16,7% in der Plazebogruppe (relatives Risiko: 0,85). Aufgrund des selektiveren Wirkmechanismus treten unter Eplerenon keine unerwünschten Wirkungen wie z. B. Gynäkomastie, Menstruationsstörungen und Impotenz auf. Eplerenon sollte nicht bei Patienten mit Kaliumwerten >5,0 mmol/l oder bei deutlich reduzierter Nierenfunktion (Kreatininwerten >221 μmol/l) verschrieben werden. Gleiches gilt für Patienten mit schweren Leberschäden. ! Erhöhte Rate an symptomatischer Hyperkaliämie bei gleichzeitiger Gabe von Aldosteronantagonisten und ACE-Inhibitoren.
Prophylaktische Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD) Bei einer Herzinsuffizienz nach Myokardinfarkt ist der prognostische Nutzen der prophylaktischen ICD-Therapie als gesichert zu betrachten (. Tab. 32.21). Aus den Einschlusskriterien des Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial (MADIT) sowie von MADIT II [26] werden die derzeit gültigen ICD-Indikationen für die Primärprophylaxe des plötzlichen Herztodes abgeleitet. Als eine Hochrisikogruppe mit besonders hoher Effizienz der ICD-The-
rapie konnten Patienten mit einer LVEF ≤30% und verbreitertem QRS-Komplex identifiziert werden. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit scheint es wichtig zu sein, vor Entscheidung über eine Primärprophylaxe mittels ICD reversible Auswirkungen der Ischämie auf die linksventrikuläre Funktion zu berücksichtigen. Auch die unmittelbare Postinfarktphase scheint kein geeigneter Zeitpunkt zur Risikostratifizierung Bezüglich einer ICD-Implantation zu sein: Die DINAMIT-Studie (Defibrillator in Acute Myocardial Infarction Trial) konnte bei Patienten, denen bei schwer eingeschränkter linksventrikulärer Funktion in der frühen Postinfarktphase ein ICD implantiert wurde, zwar eine Reduktion des plötzlichen Herztodes, aber keine Senkung der Gesamtmortalität nachweisen. Daher sollten vor der Indikationsstellung zum ICD eine (Teil- ) Reversibilität der linksventrikulären Funktionseinschränkung abgewartet werden und entsprechend den Kriterien der MADITStudien frühestens nach einem Intervall von 3 Wochen nach Myokardinfarkt eine Reevaluation der Patienten erfolgen.
32.10
Infarktbedingte Komplikationen und deren Therapie
32.10.1
Periinfarktkomplikationen
Kardiogener Schock Ein akutes Pumpversagen wird bei etwa 5% der Infarkte beobachtet (insbesondere bei ausgedehnten Vorderwandinfarkten). Zur Beurteilung der hämodynamischen Situation können Echokardiographie und eine invasive Blutdruckmessung herangezogen werden. Die Therapie besteht in 4 rascher und vollständiger Revaskularisation, 4 frühzeitiger Implantation einer Ballonpumpe (IABP) und
32
428
32 32 32
Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
4 einer differenziellen Pharmakotherapie mit positiv inotropen Substanzen, unter Berücksichtigung der invasiv erhobenen hämodynamischen Messwerte (Einschwemmkatheter).
mern [13]. Durch die frühzeitige Gabe von β-Blockern und durch engmaschige Kontrollen des Serumkaliums mit Einstellung auf hochnormale Werte (4,5 mmol/l) kann die Inzidenz von Kammerflimmern nachweislich reduziert werden.
Trotz dieser Maßnahmen bleibt der kardiogene Schock eine schwerwiegende Komplikation mit hoher Letalität. 32.10.2
Postinfarktkomplikationen
Reischämie
32 32 32 32 32
Die Inzidenz der Postinfarkt-Angina nach thrombolytischer Therapie liegt bei 20–30%, die Rate der Reinfarkte bei etwa 5%. Durch die invasiven Verfahren, insbesondere durch den konsequenten Einsatz von Koronarstents, sind diese Ereignisse nach perkutaner Revaskularisation deutlich niedriger. Wegweisend in der Diagnostik sind Klinik, EKG und Enzymverlauf, mit einem erneuten Anstieg der kardialen Marker. Differenzialdiagnostisch muss unter diesen Umständen an folgende Erkrankungen gedacht werden: 4 Perikarditis, 4 akute Lungenembolie, 4 andere, nicht kardiale Ursachen (z. B. Ulcus ventriculi).
32
Bei ST-Hebungen ist eine erneute invasive Diagnostik oder eine rasche Lysetherapie notwendig, im Fall von rezidivierenden Beschwerden kann zunächst ein konservativer Therapieversuch unternommen werden, im Zweifel ist jedoch eine rasche invasive Diagnostik anzuraten.
32
Rhythmusstörungen
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z Bradykarde Rhythmusstörungen In der Frühphase (<6 h) des Infarktes wird in 20–40% eine Sinusbradykardie infolge eines erhöhten Vagotonus beobachtet. Diese spricht i. Allg. sehr gut auf die i.v. Gabe von Atropin (1–2 mg) an. Tritt eine hämodynamisch relevante Sinusbradykardie später auf (>6 h), ist dies häufig Folge einer Ischämie des Sinusknotens, sodass direkte Parasympathikolytika ineffizient sind. Gelegentlich kann eine passagere Schrittmacherimplantation notwendig werden. Höhergradige AV-Blockierungen (AV Block II. oder III. Grades) sind eher selten, machen jedoch häufig eine passagere Schrittmacherimplantation notwendig. Während der AV Block II. Grades meist bei Vorderwandinfarkten beobachtet wird, ist ein AV-Block III. Grades sowohl bei Vorderwand- als auch bei Hinterwandinfarkten zu sehen (Doppelversorgung des AV-Knotens durch rechte und linke Kranzarterie). Ein passagerer Schrittmacher im Rahmen eines Myokardinfarktes ist in der Regel keine Indikation für eine permanente Implantation. z Tachykarde Rhythmusstörungen Ventrikuläre Extrasystolen und ein akzelerierter ideoventrikulärer Rhythmus kommen in der Postinfarktphase häufig vor, haben aber keine prognostische Bedeutung. Demgegenüber sind anhaltende (>30 s) ventrikuläre Tachykardien prognostisch ungünstig. Die Therapie besteht im Ausgleich der Serumelektrolyte (Kalium, Magnesium) auf hochnormale Werte, die akute Gabe von Amiodaron (150–300 mg i.v.) bei hämodynamisch stabilen und die Kardioversion bei hämodynamisch instabilen Patienten. Tritt ein Kammerflimmern innerhalb der ersten 12 h nach Infarktbeginn auf und wird überlebt, so ist die Prognose nicht wesentlich unterschiedlich im Vergleich zu Patienten, die diese Rhythmusstörung nicht haben (GUSTO-1-Studie). Bei Patienten mit ausgedehntem Infarkt kann es jedoch auch in der Folgezeit (>48 h nach Infarktbeginn) zu Kammerflimmern kommen. Durch die Implantation eines ICD ist die Langzeitprognose dieser Patienten deutlich verbessert worden. Die akute Therapie erfolgt entsprechend den derzeit gültigen Empfehlungen zur Reanimation von Kammerflim-
Kardiale Rupturen Eine der schwerwiegendsten und in der Regel tödlich verlaufenden Komplikation ist die Ruptur des infarzierten Myokards. Am häufigsten liegt eine Ruptur der freien, linksventrikulären Wand (in ca. 2/3 der Fälle; . Abb. 32.9), gefolgt von einem Papillarmuskelabriss (1/3 der Fälle; . Abb. 32.10) und der Ruptur des Ventrikelseptums (<2%; . Abb. 32.11) vor.
. Abb. 32.9 Angiographische Darstellung einer gedeckten Ventrikelruptur nach Hinterwandmyokardinfarkt. Man beachte die Ausbildung eines Pseudoaneurysmas (Pfeile) im Bereich der Hinterwand (Ao=Aorta)
. Abb. 32.10 Echokardiographischer Nachweis eines Teilabrisses des Papillarmuskels mit Durchschlagen des hinteren Mitralsegels (A, Pfeilspitze) in den linken Vorhof sowie einer konsekutiven hochgradigen exzentrischen Mitralklappeninsuffizienz (B, Pfeile; LV=linker Ventrikel, RV=rechter Ventrikel, LA=linker Vorhof ). (Abb. von Dr. A. Guth, Cardiopraxis Mainz, mit frdl. Genehmigung)
429 32.10 · Infarktbedingte Komplikationen und deren Therapie
. Abb. 32.12 Echokardiographischer Nachweis eines kleinen, zirkulären Perikardergusses (Pfeilspitzen) bei einer Pericarditis epistenocardia nach abgelaufenem Vorderwandmyokardinfarkt
Postinfarktperikarditis . Abb. 32.11 Angiographische Darstellung eines infarktassoziierten Ventrikelseptumdefektes im Bereich der Herzspitze bei einer 68-jährigen Patientin nach ausgedehntem Vorderwandinfarkt. Das Kontrastmittel gelangt über den VSD (Pfeilspitzen) in den rechten Ventrikel (RV) und die A. pulmonalis (PA; LV=linker Ventrikel, Se=Septum)
Die Ruptur tritt typischerweise nach zunächst unkompliziertem Verlauf am 3.–6. Tag nach Infarktbeginn auf. Risikofaktoren sind Alter, Hypertonus, Vorderwandinfarkt und weibliches Geschlecht. Klinisch manifestiert sich eine Ruptur in einer akuten (Ruptur der freien Wand) oder subakuten (Papillarmuskelabriss, VSD) Herzinsuffizienz. Neben typischer Klinik ist die Echokardiographie die entscheidende diagnostische Maßnahme. Die tägliche körperliche Untersuchung des Patienten (Auskultation des Herzens) ist daher in der Postinfarktphase sehr bedeutsam. Präoperativ ist der Einsatz der intraaortalen Ballonpumpe (IABP) oder anderer Herzunterstützungssysteme zur Kreislaufstabilisierung zu empfehlen. Die Therapie der Wahl besteht in einer thoraxchirurgischen Versorgung, kleinere Ventrikelseptumdefekte können auch interventionell verschlossen werden.
Intraventrikuläre Thromben und systemische Embolisation Etwa 20–30% der Patienten, besonders nach ausgedehnten Vorderwandinfarkten, weisen wandständige Thromben im linken Ventrikel auf. Ursache ist die thrombogene Oberfläche des infarzierten Gewebes. Die allergrößte Mehrzahl der Thromben wird innerhalb der ersten 2 Wochen nach Infarkt beobachtet. Das Embolierisiko ist größer, wenn mobile Anteile vorliegen. Es ist davon auszugehen, dass etwa 5% der Thromben zerebral embolisieren. Die Echokardiographie (ggf. mit Kontrastmittel) besitzt eine hohe Sensitivität und Spezifität zur Erfassung intraventrikulärer Thromben. Die Gabe von Fibrinolytika kann Embolien auslösen. Deshalb ist therapeutisch eine überlappende Antikoagulation mit Heparin und nachfolgender oraler Antikoagulation über 3–6 Monate vorzuziehen. Hierbei ist das erhöhte Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern zu berücksichtigen.
Eine Perikarditis tritt typischerweise innerhalb der 1. Woche nach Infarkt auf und ist vom sog. Dressler-Syndrom abzugrenzen, welches in der Regel ab der 2. bis zur 8. Woche auftritt. Differenzialdiagnostisch sind ein Reinfarkt oder andere nichtkardiale Ursachen auszuschließen. Für eine Perikarditis sprechen der retrosternale, lage- und atemabhängige Schmerz sowie der typische Auskultationsbefund (Perikardreiben). Im EKG finden sich häufig STStreckenhebungen konkavförmig aus dem aufsteigenden Schenkel der S-Zacke in allen Ableitungen. Die Therapie besteht zunächst darin, die Dosis für Acetylsalicylsäure zu erhöhen (bis maximal 4-mal 500 mg/Tag). Bei fehlendem therapeutischem Erfolg können nichtsteroidale Antiphlogistika zum Einsatz kommen. Steroide können im Akutstadium mit der myokardialen Narbenbildung interferieren und sollten daher zurückhaltend eingesetzt werden. Ein großer Perikarderguss (. Abb. 32.12) ist selten (echokardiographische Verlaufskontrollen). Eine Perikardpunktion ist nur bei hämodynamischer Relevanz vorzunehmen.
Linksventrikuläres Aneurysma Die Ausbildung einer verdünnten Aneurysmawand stellt eine häufige Komplikation (10%) nach Infarkt dar. Patienten mit anteroapikalem Infarkt sind stärker gefährdet als Patienten mit inferoposteriorem Infarkt. Die Prognose ist von der Größe des Aneurysmas einerseits und der Funktion des verbleibenden Myokards andererseits abhängig. Erste Hinweise kann das EKG liefern: häufig persistieren die ST-Hebungen in den betroffenen Ableitungen. Die Diagnose wird mittels Echokardiographie oder Lävokardiographie gesichert. Neben dem Auftreten einer klinisch manifesten Herzinsuffizienz sind die Patienten durch maligne ventrikuläre Rhythmusstörungen gefährdet. Die Therapie kann konservativ oder, bei ausgedehnten Befunden und entsprechender klinischer Symptomatik, chirurgisch (Aneurysmektomie, häufig in Verbindung mit einer Bypassoperation) erfolgen. Die Bedeutung einer Antikoagulation mit Vitamin-KAntagonisten bei ausgedehntem Aneurysma ohne Nachweis von wandständigen Thromben ist Gegenstand aktueller Diskussionen. > Tägliche klinische Kontrollen (körperliche Untersuchung) und deren Dokumentation während des Krankenhausaufenthaltes sind oligat.
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Kapitel 32 · Akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
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32
433
Herzrhythmusstörungen H.-J. Trappe
33.1
Einleitung – 434
33.2
Pathophysiologische Grundlagen – 434
33.2.1 33.2.2
Bradykarde Herzrhythmusstörungen – 434 Tachykarde Herzrhythmusstörungen – 434
33.3
Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen – 434
33.3.1 33.3.2 33.3.3
Klinische Parameter – 434 Allgemeine Diagnostik – 435 Differenzialdiagnostik bradykarder und tachykarder Rhythmusstörungen im Oberflächen-EKG – 435
33.4
Klinik und Therapie bradykarder Herzrhythmusstörungen – 436
33.4.1 33.4.2 33.4.3
Sinusbradykardien – 436 Sinuatriale Blockierungen – 437 Atrioventrikuläre Blockierungen – 437
33.5
Klinik und Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen – 437
33.6
Supraventrikuläre Tachyarrhythmien – 438
33.6.1 33.6.2 33.6.3 33.6.4 33.6.5 33.6.6
Vorhofflimmern – 438 Vorhofflattern – 438 Sinustachykardien – 439 AV-Knoten-Reentry-Tachykardien – 439 Ektop atriale Tachykardien – 440 Akzessorische Leitungsbahnen – 441
33.7
Ventrikuläre Tachyarrhythmien – 443
33.7.1 33.7.2 33.7.3 33.7.4 33.7.5
Inzidenz und Pathogenese ventrikulärer Tachykardien – 443 Monomorphe ventrikuläre Tachykardien – 443 Polymorphe ventrikuläre Tachykardien – 444 Torsade-de-pointes-Tachykardien – 445 Kammerflattern und Kammerflimmern – 445
Literatur – 446
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33
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
434
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
33.1
Einleitung
Die Behandlung von Patienten mit Herzrhythmusstörungen ist vielfach schwierig und stellt den Arzt häufig vor große Probleme. Neben der Frage, ob eine Arrhythmie überhaupt behandelt werden soll, muss entschieden werden, welches der zur Verfügung stehenden therapeutischen Verfahren für den Patienten am günstigsten ist. Weiterhin müssen Nutzen bzw. Risiken einer Therapie sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Es ist gesichert, dass Herzrhythmusstörungen zu allermeist nicht als eigenständige Erkrankungen aufzufassen sind, sondern bei zahlreichen kardialen und extrakardialen Erkrankungen sowie bei Elektrolytstörungen auftreten können [8]. Supraventrikuläre Arrhythmien sind in der Regel prognostisch günstig, während ventrikuläre Rhythmusstörungen besonders bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion lebensbedrohlich sein können. Vor allem dem Schweregrad der Herzinsuffizienz und dem Ausmaß der linksventrikulären Funktionsstörung kommen als prognostische Parameter entscheidende Bedeutung zu [19]. Der plötzliche Tod durch einen Herz-Kreislauf-Stillstand ist als schwerwiegendste Form einer Herzrhythmusstörung nicht durch einzelne Parameter bedingt, sondern vielmehr als multifaktorielles Geschehen aufzufassen [22]. In der Bundesrepublik Deutschland erliegen etwa 100.000 Patienten pro Jahr einem Herz-KreislaufStillstand, der in 65–80% der Fälle durch eine tachykarde Rhythmusstörung hervorgerufen wird. Bradykardien spielen als ursächlicher Faktor eines Herz-Kreislauf-Stillstands bei Erwachsenen eher eine untergeordnete Rolle und werden in 5–20% der Patienten beobachtet [16].
33
33.2
Pathophysiologische Grundlagen
33
33.2.1
Bradykarde Herzrhythmusstörungen
33 33 33 33
Eine Unterdrückung der dominanten Schrittmacheraktivität im Sinusknoten oder eine Beeinflussung der Weiterleitung der im Sinusknoten gebildeten Impulse führt zu Erregungsbildungs- oder Erregungsleitungsstörungen und damit zu bradykarden Arrhythmien. Die Leitung der gebildeten Impulse kann vollständig unterbrochen sein, sodass die Ventrikel von einem Schrittmacher im His-Purkinje-System aktiviert werden, oder sie ist nur partiell beeinträchtigt, sodass die Schrittmacheraktivität des Sinusknotens weiter, wenn auch in veränderter Form, führend ist.
33
33.2.2
33
Als Mechanismen tachykarder Rhythmusstörungen sind die folgenden 3 elektrophysiologischen Phänomene bekannt [4]: 4 gesteigerte und abnorme Automatie, 4 getriggerte Aktivität, 4 kreisförmige Erregungen (»Reentry«) entlang anatomischer Bahnen oder funktioneller Hindernisse.
33 33
Tachykarde Herzrhythmusstörungen
Gesteigerte und abnorme Automatie
33 33 33
Bei der gesteigerten und abnormen Automatie handelt es sich um eine Erregungsbildungsstörung, die durch Verlust eines stabilen Ruhememembranpotenzials mit Veränderung transmembranärer Ionenströme entsteht. Es kommt zu einer Abnahme des Ruhemembranpotenzials auf Werte um –50 mV und einer konsekutiven Inaktivierung des schnellen Natriumeinwärtsstromes. Die Depolarisation wird stattdessen durch den »slow calcium channel« getragen.
Abnorme Automatiezentren können in jedem beliebigen Myokardareal entstehen [27].
Getriggerte Aktivität Im Gegensatz zur abnormen Automatie besteht bei der getriggerten Aktivität keine Möglichkeit der spontanen Arrhythmieentwicklung, sondern die getriggerte Aktivität ist immer von der vorausgehenden Erregung abhängig [9]. Als eigentliche Auslöser der Erregungen wirken depolarisierende Nachpotenziale, die im Anschluss an ein Aktionspotenzial entstehen (»afterdepolarizations«). Diese können bereits in der Repolarisationsphase eines Aktionspotenzials auftreten (»early afterdepolarizations«) oder einem Aktionspotenzial folgen (»late afterdepolarizations«). Frühe Nachdepolarisationen entstehen v. a. aufgrund einer abnormen Verlängerung der Aktionspotenzialdauer, z. B. durch Medikamente oder durch Hypokaliämie. Fassbare Zeichen einer Verlängerung der Aktionspotenzialdauer ist eine Verlängerung der QT-Zeit. Späte Nachdepolarisationen schließen sich an ein Aktionspotenzial an und können, bedingt durch Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration, zu ektoper Aktivität führen, etwa bei Überdosierung von Herzglykosiden [4].
Kreisende Erregung (»Reentry«) Die kreisende Erregung (»Reentry«) ist sicher der häufigste Mechanismus tachykarder Rhythmusstörungen. Voraussetzung für einen Reentry-Mechanismus ist eine Leitungsverzögerung mit unidirektionaler Leitung und Wiedereintritt eines Impulses in das Gewebe. Für das Zustandekommen einer Tachykardie müssen beide Voraussetzungen, Verkürzung der Erregungswelle und inhomogene Erregbarkeit erfüllt sein [27]. Klassische Beispiele für Reentry-Mechanismen sind Tachykardien aufgrund akzessorischer Leitungsbahnen (Wolff-Parkinson-White Syndrom) oder AV-Knoten-Reentry-Tachykardien. Nach heutiger Vorstellung liegen auch dem Vorhofflattern und Vorhofflimmern kreisförmige Erregungen zugrunde [9].
33.3
Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen
33.3.1
Klinische Parameter
Die Symptome von Patienten mit Herzrhythmusstörungen reichen vom asymptomatischen Patienten bis hin zum Patienten mit HerzKreislauf-Stillstand als schwerwiegendster Form einer malignen Herzrhythmusstörung [17]. Bradykarde Rhythmusstörungen sind häufig asymptomatisch, können aber auch mit Phasen von Schwindel, Präsynkopen oder Synkopen einhergehen. Tachykardien werden demgegenüber in der Regel vom Patienten sofort registriert und meistens als bedrohlich empfunden. Sie können paroxysmal auftreten, wenige Sekunden bis zu Stunden anhalten oder als Dauertachykardie (»unaufhörliche«, »incessant« Tachykardie) mit mehr als 50% Tachykardiezyklen pro Tag imponieren. Sie können plötzlich beginnen und plötzlich enden oder einen langsamen Anfang und ein langsames Ende haben. Wichtige klinische Hinweise auf den vorliegenden Arrhythmietyp finden sich v. a. bei supraventrikulären und ventrikulären Tachykardien, während »klassische«, klinisch wegweisende Befunde bei bradykarden Rhythmusstörungen fehlen (. Tab. 33.1). Bei Patienten mit tachykarden Rhythmusstörungen sind Tachykardiefrequenz, Vorliegen eines regelmäßigen oder unregelmäßigen Pulses und charakteristische Befunde im Bereich der Halsvenen wichtig und erlauben in vielen Fällen bereits eine klinische Diagnose der vorliegenden Arrhythmieform.
435 33.3 · Wegweisende Befunde und diagnostische Maßnahmen
. Tab. 33.1 Klinische Zeichen zur Differenzialdiagnose supraventrikulärer und ventrikulärer Tachyarrhythmien. (Mod. nach [23]) Tachykardie
Puls
Halsvenen
Blutdruck
1. HT
Sinustachykardie
Regelmäßig
Unauffällig
Konstant
Konstant
Atriale Tachykardie
Regelmäßig
Unauffällig
Konstant
Konstant
VH-Flattern (2: 1-ÜL)
Regelmäßig
Flatterwellen
Konstant
Konstant
VH-Flattern (unregelmäßige ÜL)
Unregelmäßig
Unregelmäßig
Wechselnd
Wechselnd
Vorhofflimmern
Unregelmäßig
Unregelmäßig
Wechselnd
Wechselnd
AVNRT
Regelmäßig
Froschzeichen
Konstant
Wechselnd
CMT bei ALB
Regelmäßig
Froschzeichen
Konstant
Wechselnd
Ventrikuläre Tachykardie
Regelmäßig
Unregelmäßig
Wechselnd
Wechselnd
ALB akzessorische Leitungsbahn, AVNRT AV-Knoten-Reentry-Tachykardie, CMT »Circus movement tachycardia«, HT Herzton, VH Vorhof, ÜL Überleitung.
Klinische Phänomene wie z. B. das »Froschzeichen«, das als »Propfung« im Bereich der Halsvenen durch simultane Kontraktionen von Vorhof und Kammern beobachtet wird, sind wegweisend für die Diagnose einer AV-Knoten-Reentry- bzw. »Circus-movement-Tachykardie« bei Vorliegen einer akzessorischen Leitungsbahn. Bei ventrikulären Tachykardien sind Zeichen einer AV-Dissoziation mit irregulären Vorhofwellen im Bereich der Halsvenen, unterschiedlichen Intensitäten des 1. Herztons und unterschiedlichen systolischen Blutdruckamplituden bei ca. 50% der Patienten nachzuweisen [23]. > Die klinische Symptomatik wird neben der Herzfrequenz v. a. von der Grunderkrankung und der Pumpfunktion des Herzens bestimmt.
Während supraventrikuläre Tachykardien überwiegend beim Herzgesunden vorkommen, in der Regel gut toleriert werden und meistens nicht mit schweren hämodynamischen Beeinträchtigungen einhergehen, sind ventrikuläre Tachykardien häufiger bei Patienten mit kardialer Grunderkrankung zu beobachten, werden oft schlecht toleriert und gehen mit Zeichen eines verminderten Herzzeitvolumens (Angst, Unruhe, Schweißausbruch, Hypotonie) einher.
33.3.2
Allgemeine Diagnostik
Von entscheidender Bedeutung in der Diagnostik bradykarder und tachykarder Rhythmusstörungen ist neben einer genauen Erhebung der Anamnese sowie des körperlichen Untersuchungsbefundes (Herz-Lungen-Auskultation, Pulsqualitäten, Blutdruck, Herzinsuffizienzzeichen, Pulsdefizit) v. a. das 12-Kanal-Oberflächen-Elektrokardiogramm, das bei systematischer Analyse und Interpretation in >90% zur richtigen Diagnose führt. Die tägliche Praxis zeigt jedoch, dass die Differenzialdiagnose von Herzrhythmusstörungen oft schwierig ist und relativ häufig Fehldiagnosen beobachtet werden [16]. Eine falsche Diagnose und eine daraufhin eingeleitete inadäquate Therapie können zu einer ernsten Gefährdung des Patienten bis hin zur Kreislaufdekompensation und Reanimationspflichtigkeit führen. Es ist daher unumgänglich, bei Patienten mit Rhythmusstörungen aus anamnestischen, klinischen und nichtinvasiven Untersuchungsbefunden ein detailliertes »Risikoprofil« zu erstellen und bei speziellen Fragestellungen zusätzliche Maßnahmen wie linksventrikuläre Angiographie, Koronarangiographie und eine elektrophysiologische Untersuchung heranzuziehen (7 Übersicht).
Diagnostikschema bei Patienten mit bradykarden und tachykarden Herzrhythmusstörungen 4 Erhebung der Vorgeschichte – Symptomatik vor und/oder während der Rhythmusstörung – Häufigkeit der Arrhythmieepisoden – Beginn der ersten Symptome (erstes Auftreten) 4 Körperliche Untersuchung 4 Laboruntersuchungen 4 Nichtinvasive Untersuchungen – 12-Kanal-Oberflächen-EKG – 24-h-Langzeit-EKG – Belastungs-EKG – Signalmittelungs-EKG – Herzfrequenzvariabilität – Echokardiographie (transthorakal und transösophageal) 4 Invasive Untersuchungen – Herzkatheteruntersuchung – Angiographie – Koronarangiographie – Elektrophysiologische Untersuchung – programmierte Stimulation – Kathetermapping
33.3.3
Differenzialdiagnostik bradykarder und tachykarder Rhythmusstörungen im Oberflächen-EKG
Es hat sich bewährt, Herzrhythmusstörungen im Oberflächen-EKG systematisch zu analysieren und jede einzelne Herzaktion (P-Wellen, PQ-Zeit, QRS-Komplex, ST-Strecke, QT-Zeit) zu befunden und zu beurteilen [14]. Während bei bradykarden Rhythmusstörungen v. a. die exakte Beurteilung von Leitungszeiten und Korrelationen von P-Welle und QRS-Komplex wichtig ist, hat es sich bei Tachykardien als günstig erwiesen, solche mit schmalem QRS-Komplex (QRS-Dauer <0,12 s) Tachykardien mit breitem QRS-Komplex (Dauer ≥0,12 s) gegenüberzustellen. Bei Tachykardien mit schmalem QRS-Komplex ist anhand der Beziehung von Morphologie und Relation der P-Welle zum QRSKomplex vielfach schon die sichere Diagnose der vorliegenden Rhythmusstörung möglich (. Tab. 33.2).
33
436
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
VH-Frequenz >250/min o VHFla
Das 12-Kanal-Oberflächen-EKG erlaubt auch bei breiten QRSKomplex-Tachykardien (QRS-Breite >0,12 s; . Tab. 33.3) eine sichere Abgrenzung von supraventrikulären und ventrikulären Tachykardien und ermöglicht eine richtige Diagnose, die zu der für den Patienten adäquaten notfallmäßigen Behandlung führen sollte.
VH-Frequenz <250/min o EAT
33.4
33
. Tab. 33.2 Differenzialdiagnose von Tachykardien mit schmalem QRS-Komplex (QRS-Breite <0,12 s)
33
1. AV-Block II. Grades
Ja
33 33
2. Alteration des QRS-Komplexes
Ja
o CMT bei ALB
33
3. Relation P-Welle : QRS-Komplex
P in R
o AVNRT
PR > RP
o CMT bei ALB (schnelle ALB)
PR < RP
o CMT bei ALB (langsame ALB)
33 33 33
4. Morphologie der P-Welle während Tachykardie
33
negativ in I, aVL
Ursprungsort
o linker Vorhof
positiv in I, aVL
Ursprungsort
o rechter Vorhof
positiv in II, III
Ursprungsort
o superior
negativ in II, III
Ursprungsort
o inferior
33 33 33
Klinik und Therapie bradykarder Herzrhythmusstörungen
Bradykarde Rhythmusstörungen werden durch Veränderungen im Bereich des Sinusknotens, der sinuatrialen Überleitung und im AV-Knoten verursacht, werden aber auch bei Überdosierungen von Medikamenten (Digitalis, £-Blocker, Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp, spezifische Antiarrhythmika) beobachtet. Notfallmäßig spielen bradykarde Arrhythmien, bedingt durch Erregungsbildungs- oder Erregungsleitungsstörungen besonders in der Akutphase eines Myokardinfarktes eine wichtige Rolle und sollten nicht nur unverzüglich erkannt, sondern auch folgerichtig behandelt werden [11].
33.4.1
Sinusbradykardien
Die Sinusbradykardie ist durch einen regulären Sinusrhythmus mit Frequenzen von <50/min und einer regulären atrioventrikulären Überleitung charakterisiert. Sie wird in der Regel bei Athleten, während des Schlafes oder bei Patienten mit Digitalistherapie, β-Blockern, Hypothyreose oder Hypothermie beobachtet. Bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt, besonders in den ersten Stunden eines frischen inferioren Infarktes, wird eine Sinusbradykardie in
ALB=akzessorische Leitungsbahn, AVNRT=AV-Knoten-Reentry-Tachykardie, CM=circus movement Tachykardie, EAT=ektop atriale Tachykardie, VH=Vorhof, VHFlat=Vorhofflattern.
33 33
. Tab. 33.3 Differenzialdiagnose von Tachykardien mit breitem QRS-Komplex (QRS-Breite ≥0,12 s)
33
1. AV-Dissoziation
Ja
o VT
2. Breite des QRS-Komplexes
>0,14 s
o VT
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
Beachte:
a) SVT bei vorbestehendem SBB b) SVT mit anterograder Leitung über ALB
3. Linkstypische Achse des QRS-Komplexes
Beachte:
a) SVT bei vorbestehendem SBB
o VT
b) SVT mit anterograder Leitung über ALB 4. Morphologie des QRS-Komplexes RSBB
LSBB
V1: mono-/biphasisch
VT
V6: R/S <1
o VT
V1: R (Tachy)
o SVT
R (Tachy) >R (Sinus)
o VT
V1/2: »Kerbe« (S-Zacke)
o VT
V6: qR-Konfiguration
o VT o VT o SVT o VT o VT o VT
ALB=akzessorische Leitungsbahn, AV=atrioventrikulär, LSBB=Linksschenkelblockbild, RSBB=Rechtsschenkelblockbild, SBB=Schenkelblockbild, SVT=supraventrikuläre Tachykardie, Tachy=Tachykardie, VT =entrikuläre Tachykardie.
437 33.5 · Klinik und Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen
bis zu 40% der Fälle beobachtet und ist meistens Ausdruck eines gesteigerten Vagotonus. In den meisten Fällen sind Patienten mit Sinusbradykardien symptomfrei, und eine spezifische Therapie ist nicht notwendig. Liegt allerdings eine symptomatische Sinusbradykardie vor, besonders in der Akutphase eines Myokardinfarktes, ist häufig eine Behandlung mit Atropin (0,5–1,0 mg i.v., nach Bedarf wiederholen, Maximaldosis 0,04 mg/kg KG) notwendig [21]. Bei schwerer Symptomatik kann die Sinusfrequenz auch mit Adrenalin (1 mg fraktioniert, Wiederholung nach 2–3 min) angehoben werden. Die Implantation eines permanenten Schrittmachersystems ist nur in seltenen Fällen gerechtfertigt, während die temporäre Stimulation bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt häufiger angewendet wird, wenn eine Behandlung mit Atropin nicht sinnvoll oder erfolgreich ist [11,13].
33.4.2
Sinuatriale Blockierungen
Sinuatriale Leitungsstörungen oder ein Sinusarrest sind bedingt durch Störungen der Erregungsleitung und/oder der Erregungsbildung. Elektrokardiographisch ist das Fehlen von P-Wellen bei charakteristischen PP-Intervallen für die Diagnose eines sinuatrialen Blocks (SA-Block) typisch [14]. Beim SA-Block III. Grades ist die Überleitung der Erregung vom Sinusknoten auf das umliegende atriale Gewebe komplett unterbrochen, und P-Wellen sind nicht sichtbar. Ein Sinusarrest ist durch fehlende Impulsbildung im Sinusknoten gekennzeichnet und geht im Oberflächen-EKG mit junktionalen Ersatzrhythmen einher. Sinuatriale Blockierungen und/oder ein Sinusarrest werden relativ selten beobachtet und kommen in einer Häufigkeit von etwa 2–5% bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt vor, besonders bei inferiorer Infarktlokalisation. Sinuatriale Leitungsstörungen sind meist nur passager, sprechen gut auf Atropin (0,5–1,0 mg i.v., nach Bedarf wiederholen, Maximaldosis 0,04 mg/kg KG) oder Adrenalin (1 mg fraktioniert, Wiederholung nach 2–3 min) an und haben eine gute Prognose [21]. Kommt es allerdings zu einem anhaltenden Sinusarrest oder zu höhergradigen sinuatrialen Blockierungen ohne ausreichende Ersatzrhythmen, kann eine passagere Schrittmacherstimulation erforderlich sein, deren Indikation neben dem elektrokardiographischen Befund v. a. vom klinischen Bild gestellt wird.
33.4.3
Therapie > Während beim AV-Block I. Grades in der Regel keine Therapie notwendig ist, sieht man einmal vom Absetzen oder einer Dosisreduktion dromotrop wirkender Medikamente ab, sind Patienten mit höhergradigen AV-Blockierungen Kandidaten für eine temporäre oder permanente Schrittmacherstimulation.
Während beim AV-Block II. Grades vom Typ Wenckebach häufig die engmaschige Beobachtung des Patienten ausreicht, sind Patienten mit AV-Blockierungen II. Grades vom Typ Mobitz bei klinischer Symptomatik (Schwindel, Synkopen) Kandidaten zur Schrittmacherimplantation, zumal bei diesen Patienten oft eine Progression des AV-Blocks II. Grades in einen kompletten Block zu beobachten ist [11]. Bei AV-Blockierungen II. oder III. Grades, die im Rahmen inferiorer Infarkte auftreten, ist die Blockierung oft nur passager, sodass häufig eine temporäre Schrittmachstimulation ausreicht. Daher sollte die Implantation eines permanenten Schrittmachersystems bei permanenten höhergradigen AV-Blockierungen (II. Grades und III. Grades) und klinischer Symptomatik frühestens nach 10 Tagen diskutiert werden, während die Indikation zur Schrittmacherimplantation beim AV-Block II. Grades oder III. Grades bei Vorderwandinfarkt eher zu stellen ist [11, 13].
33.5
Klinik und Therapie tachykarder Herzrhythmusstörungen
Das Auftreten von tachykarden Herzrhythmusstörungen ist in der Intensivmedizin meist ein schwerwiegender Befund, der rasch gezielte diagnostische und therapeutische Maßnahmen erfordert [26]. Tachykarde Rhythmusstörungen sind nicht als eigenständige Erkrankungen aufzufassen, sondern können bei zahlreichen kardialen und extrakardialen Krankheiten sowie bei Elektrolytstörungen auftreten. Tachykarden Rhythmusstörungen können verschiedene supraventrikuläre und ventrikuläre Formen und Mechanismen zugrunde liegen (. Abb. 33.1).
Atrioventrikuläre Blockierungen
Blockierungen im Bereich des AV-Knotens werden traditionsgemäß eingeteilt in AV-Blockierungen I., II. und III. Grades. Die Diagnose eines AV-Blocks ist aus dem Oberflächen-EKG relativ einfach zu stellen [14]. Während die Überleitungsstörungen beim AV-Block II. Grades vom Wenckebach-Typ in der Regel im AV-Knoten selbst lokalisiert sind, findet man beim AV-Block II. Grades vom Typ Mobitz die Lokalisation der Blockierung subnodal oder im Bereich des His-Bündels. Ein AV-Block III. Grades ist durch eine komplette Unterbrechung der Erregungsleitung zwischen Vorhöfen und Kammern charakterisiert. AV-Blockierungen können besonders bei akuten Myokardinfarkten (meistens bei inferiorer Lokalisation), bei Patienten unter Digitalistherapie, nach Herzoperationen oder bei Erkrankungen, die zu einer Fibrosierung im Bereich des AV-Knotens führen, beobachtet werden. Die klinische Symptomatik variiert bei AV-Blockierungen sehr und ist neben der Art der Blockierung v. a. von der Frequenz der Kammeraktion und/oder des Ersatzzentrums abhängig.
. Abb. 33.1 Formen supraventrikulärer und ventrikulärer Tachyarrhythmien, die zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen führen können. Abkürzungen: ALB akzessorische Leitungsbahn, AVN AV-Knoten, His His-Bündel, LA linker Vorhof, LV linker Ventrikel, RA rechter Vorhof, RV rechter Ventrikel, SK Sinusknoten. Ziffern: 1 Sinustachykardien, 2 Vorhofflimmern, 3 Vorhofflattern, 4 AV-Knoten-Reentry-Tachykardien, 5 ektop atriale Tachykardien, 6 »Circus-movement-Tachykardien« bei ALB, 7 ventrikuläre Tachykardien, 8 Kammerflattern/Kammerflimmern
33
438
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
z z Rhythmisierung Bei neu aufgetretem Vorhofflimmern und hämodynamisch stabiler Situation ist eine elektrische Kardioversion innerhalb von 48 h anzustreben, die ohne vorherige Antikoagulation erfolgen kann. Besteht das Vorhofflimmern jedoch länger als 48 h, sollte eine medikamentöse oder elektrische Kardioversion mittels DC-Schock erst nach einer 4-wöchigen effektiven Antikoagulation, z. B. mit Warfarin, erfolgen [2]. Nach erfolgreicher Kardioversion müssen die Patienten dann für weitere 6 Wochen antikoaguliert werden, bis sich die mechanische Aktivität der Vorhöfe wieder normalisiert hat [12]. Ob die Patienten dauerhaft antikoaguliert werden müssen oder nicht, richtet sich besonders nach dem Alter und der kardialen Grunderkrankung. Es besteht jedoch heute Übereinstimmung, dass aufgrund des Risikos thromboembolischer Komplikationen in der Regel alle Patienten mit Vorhofflimmern antikoaguliert werden sollten, abgesehen von Patienten mit Vorhofflimmern ohne kardiale Grundkrankeit (»lone atrial fibrillation«) [2].
33 33 33 33 33 33 33 33 33
. Abb. 33.2 Langzeit-EKG-Registrierung mit Nachweis deformierter Kammerkomplexe infolge schnell übergeleiteter aberranter atrioventrikulärer Überleitung bei bestehendem Vorhofflimmern (Kammerfrequenz 219/min)
33 33 33 33 33 33
Lebensbedrohliche Situationen werden v. a. durch tachykarde ventrikuläre Rhythmusstörungen hervorgerufen, wenngleich unter bestimmten Bedingungen (Vorhofflimmern bei akzessorischer Leitungsbahn) auch supraventrikuläre Tachyarrhythmien das Leben eines Patienten bedrohen können [1, 2].
33.6.2 33.6
Supraventrikuläre Tachyarrhythmien
33.6.1
Vorhofflimmern
33
Vorhofflimmern ist die häufigste Rhythmusstörung im Erwachsenenalter, hat eine Inzidenz von etwa 0,4%, und ist in der Regel eine relativ harmlose Rhythmusstörung. Vorhofflimmern kann aber zu einer hämodynamischen Beeinträchtigung und sogar zum HerzKreislauf-Stillstand führen, wenn es zu einer schnellen Kammerüberleitung mit deutlichem Abfall des Herzzeitvolumens und reduzierter diastolischer Ventrikelfüllung kommt (. Abb. 33.2). Die Symptomatik ist primär von der Tachykardiefrequenz abhängig, die durch die Leitungseigenschaften im AV-Knoten bestimmt wird; Art und Ausmaß der kardialen Grunderkrankung und der linksventrikulären Funktion sind weitere Determinanten der Symptomatik und sogar lebensbedrohliche Zustände, verbunden mit schwerer Herzinsuffizienz, Lungenödem und Synkopen sind bei tachykardem Vorhofflimmern beschrieben worden [12]. Neben den pathophysiologischen Mechanismen eines reduzierten Herzzeitvolumens ist zu bedenken, dass bei Vorhofflimmern mit schneller atrioventrikulärer Überleitung ein Missverhältnis von O2-Angebot und O2-Verbrauch vorliegt, das mit einem verminderten diastolischen Koronarfluss und allen sich daraus ergebenden Folgen einhergeht.
33
Therapie
33 33 33 33 33 33
33 33
z z Frequenzkontrolle Neben der Konversion zum Sinusrhythmus ist die pharmakologische Frequenzkontrolle ein therapeutisches Ziel bei chronischem Vorhofflimmern mit tachykarder Überleitung: Hier haben sich Digitalis (0,5 mg Digoxin i.v., weitere 0,25 mg nach 30 min i.v.), Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp (5–10 mg i.v.) bzw. Diltiazem (20 mg i.v.) oder β-Blocker [Propranolol (1–5 mg i. v., Dauertherapie 10–120 mg pro Tag p.o.), Esmolol (0,5 mg/kg KG über 1 min i. v., Dauerinfusion 0,05–0,2 mg/kg KG/min i. v.)] allein oder in Kombination bewährt [2].
Die therapeutischen Ziele der Behandlung des tachykarden Vorhofflimmerns liegen entweder in der Beendigung der Arrhythmie und in der Wiederherstellung eines Sinusrhythmus oder in der Frequenzkontrolle bei chronischem Vorhofflimmern [2, 5, 10].
Vorhofflattern
Vorhofflattern ist eine Rhythmusstörung, der Reentry-Mechanismen zugrunde liegen und die wesentlich seltener vorkommt als Vorhofflimmern [27]. Vorhofflattern wird als »gewöhnliche« Form (»common type«) definiert, wenn Vorhoffrequenzen von ≥250/min (Typ I, Frequenz der Flatterwellen 250–340/min) und elektrokardiographisch negative Flatterwellen in den inferioren EKG-Ableitungen II, III und aVF vorliegen, während die »ungewöhnliche« Form (»uncommon type«) durch positive Flatterwellen in den entsprechenden EKG-Ableitungen (Typ II) charakterisiert wird [14]. Trotz hoher Vorhofflatter-Frequenzen von ≥240/min liegt die typische Kammerfrequenz bei 130–150/ min, da es im AV-Knoten zu einer Leitungsverzögerung mit 2:1-Überleitung (oder höherer Überleitungsverzögerung mit 3:1-, 4:1-Überleitung) kommt. ! Cave 4 Lebensbedrohliche Rhythmusstörungen können jedoch auch beim Vorhofflattern beobachtet werden, wenn es bei Kindern, Patienten mit Präexzitationssyndromen, Hyperthyreose oder schnell leitendem AV-Knoten zu einer 1:1-Überleitung kommt. 4 Gefährliche Situationen können beim Vorliegen von Vorhofflattern auch durch die Gabe von Chinidin oder Disopyramid ausgelöst werden, da diese Medikamente zu einer Verkürzung der Refraktärzeiten im AV-Knoten führen und so eine 1:1-Überleitung bei Vorhofflattern ermöglichen [7].
Therapie Für die Akutbehandlung des Vorhofflatterns sind 3 Optionen möglich: 4 medikamentöse Therapie,
439 33.6 · Supraventrikuläre Tachyarrhythmien
. Abb. 33.3 Beendigung einer Tachykardie mit schmalem QRS-Komplex (QRS-Breite <0,12 s, Frequenz 190/min) durch intravenöse Gabe von Adenosin (12 mg Bolus): Etwa 4 s nach Injektion von Adenosin kommt es zu einer Blockierung im AV-Knoten und zu einer Terminierung der Tachykardie. Darstellung der EKG-Ableitungen I, II, III, V1 und V6 und bipolarer Ableitung vom oberen rechten Vorhof (HRA), His-Bündel (HBE), Koronarsinus (CS1–10) und rechtem Ventrikel (RVA) während einer elektrophysiologischen Untersuchung. Klassische AV-Knoten-Reentry-Tachykardie
4 elektrische Kardioversion, 4 atriale hochfrequente Überstimulation. Wenn immer möglich, sollte die atriale Überstimulation als eleganteste Behandlungsmethode gewählt werden, wobei diese nur beim Typ-I-Vorhofflattern erfolgversprechend ist, während sich Vorhofflattern vom Typ II in der Regel nicht durch Überstimulation terminieren lässt. Als Alternative ist die elektrische Kardioversion anzusehen, die immer dann durchgeführt werden sollte, wenn eine Überstimulation nicht möglich oder nicht erfolgreich ist. Der Stellenwert medikamentöser Behandlungskonzepte liegt in der Frequenzverlangsamung bei persistierendem Vorhofflattern; hier sind Digitalis (0,5 mg Digoxin i. v., weitere 0,25 mg nach 30 min i.v.) und/oder Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp (5–10 mg i. v.) zu empfehlen. Spezifische Antiarrhythmika spielen für die Konversion von Vorhofflattern in einen Sinusrhythmus keine Rolle, wenngleich in Einzelfällen Vorhofflattern durch Antiarrhythmika terminiert werden kann [21].
33.6.3
Sinustachykardien
Eine Sinustachykardie ist durch eine Herzfrequenz von >100/min mit elektrokardiographisch normalen Befunden von P-Welle, QRSKomplex, ST-Strecke und T-Welle definiert [14]. Die Ätiologie von Sinustachykardien ist außerordentlich vielfältig und prinzipiell können physiologische, pharmakologische, reflektorische und pathologische Sinustachykardien unterschieden werden. Sinustachykardien
sind bei körperlicher oder psychischer Belastung physiologisch und können durch Medikamente wie Atropin, Isoproterenol, Chinidin und Adrenalin hervorgerufen werden. Sinustachykardien können sich bei Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Endokarditis oder Myokarditis finden, darüber hinaus bei zahlreichen extrakardialen Störungen (Anämie, Fieber, Kollaps, Hyperthyreose, Hypovolämie). Therapeutisch steht bei Sinustachykardien die Therapie der Grunderkrankung ganz im Vordergrund. Nur in Ausnahmefällen kommt eine symptomatische medikamentöse Behandlung oder eine Therapie mit β-Blockern in Betracht.
33.6.4
AV-Knoten-Reentry-Tachykardien
Im Erwachsenenalter sind die meisten supraventrikulären Tachykardien durch AV-Knoten-Reentrytachykardien bedingt, während ektop atriale Tachykardien v. a. im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter beobachtet werden [1]. AV-Knoten-Reentrytachykardien setzen in der Regel plötzlich und unvermittelt ein und sind vielfach von Allgemeinsymptomen wie Angst, Unruhe, Schweißausbruch, Schwäche und Stuhldrang begleitet. Während und nach Beendigung der Tachykardie kann es zu einer Polyurie kommen. > Die Frequenz der (regelmäßigen) AV-Knoten-ReentryTachykardie liegt meistens zwischen 160 und 220/min; im Einzelfall werden jedoch auch niedrigere oder höhere Frequenzen beobachtet.
33
440
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
. Abb. 33.4 Beendigung einer Tachykardie mit breitem QRS-Komplex (QRS-Breite >0,12 s, Frequenz 200/min) durch intravenöse Injektion von 40 mg Ajmalin während einer elektrophysiologischen Untersuchung. Terminierung der Tachykardie 4 min nach Beginn der Ajmalin-Applikation. Darstellung der EKG-Ableitungen I, II, III, und V6 sowie bipolarer Ableitungen vom oberen rechten Vorhof (HRA), His-Bündel (HBE), Koronarsinus (CS1–10) und rechtem Ventrikel (RVA). Befund eines Patienten mit akzessorischer Leitungsbahn
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
Therapie Therapeutische Maßnahmen der 1. Wahl sind vagale Manöver, die leicht durchzuführen sind und durch parasympathische Stimulation zu einer Blockierung oder Leitungsverzögerung im AV-Knoten und so zur Terminierung solcher Tachykardien führen, deren Impulsausbreitung den AV-Knoten miteinbezieht [1]. Vagusmanöver. Klassische vagale Manöver sind die Karotissinusmassage, die nur nach vorheriger beidseitiger Palpation und Auskultation der A. carotis und nicht länger als 5 s erfolgen sollte. Weitere Vagusmanöver sind die Trendelenburg-Lagerung, der »Dive-Reflex« (Gesicht in kaltes Wasser tauchen), Pressen gegen die geschlossene Glottis oder gegen verschlossenen Mund und Nase (Valsalva-Manöver), rasches Trinken eiskalter Flüssigkeit und die Reizung parasympathischer Fasern mit einem Finger im Rachenraum. Medikamente. Beim Versagen vagaler Manöver steht eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung, die intravenös gegeben werden können und eine hohe Effektivität haben. Die Einführung von Adenosin hat das Spektrum der bisher verfügbaren Medikamente nicht nur erweitert, sondern macht Adenosin aufgrund seiner extrem kurzen Halbwertzeit von wenigen Sekunden zu einem Medikament der ersten Wahl bei Tachykardien mit schmalem QRS-Komplex [1, 15, 21]. Der Mechanismus besteht in einem vorübergehenden AVBlock, sodass Adenosin bei Tachykardien, deren Impulsausbreitung den AV-Knoten miteinbezieht, ein geeignetes Medikament zur Terminierung solcher Rhythmusstörungen ist (. Abb. 33.3). Adenosin wird als schneller Bolus intravenös verabreicht und sollte initial in einer Dosierung von 6 mg injiziert werden, bei mangelndem Erfolg wird die Dosis auf 9–18 mg erhöht (Erfolgsrate etwa 90%). Adeno-
sin kann auch während der Schwangerschaft mit gutem Erfolg gegeben werden [20, 21]. Eine andere Alternative, besonders bei AV-Knoten-Reentrytachykardien, ist Verapamil [5–10 mg i.v. über 3 min, Reduktion der Dosis auf 5 mg bei vorbestender β-Blockerbehandlung oder arterieller Hypotonie (systolischer Blutdruck <100 mm Hg)]. Hingegen ist die Intervention mit Ajmalin (50–100 mg i.v. über 5 min) v. a. bei Patienten mit »Circus movement-Tachykardien« (orthodrome oder antidrome Tachykardien) erfolgreich und als Mittel der Wahl bei diesen Tachykardien anzusehen (. Abb. 33.4). > Bei der Notfalltherapie von Tachykardien muss die i.v.-Gabe von Antiarrhythmika unter Monitorkontrolle erfolgen; eine passagere Stimulation oder Reanimation bei Auftreten eines kompletten AV-Blocks (. Abb. 33.5) oder Kammerflimmerns muss sofort möglich sein.
Führt auch die medikamentöse Therapie nicht zur Beendigung der Tachykardie, sollte in Kliniken mit der Möglichkeit einer elektrophysiologischen Intervention eine Überstimulation mittels Elektrodenkatheters durchgeführt werden; ist eine solche Maßnahme nicht möglich, so muss eine R-Zacken-getriggerte elektrische Kardioversion in Kurznarkose erfolgen [1].
33.6.5
Ektop atriale Tachykardien
Atriale Tachykardien kommen in der Regel als paroxysmale Form vor, mit einem plötzlichen Beginn und einem abrupten Ende der Arrhythmie. Die Frequenzen liegen zwischen 100–250/min. Langsame Tachykardien werden vom Patienten mitunter kaum wahrge-
441 33.6 · Supraventrikuläre Tachyarrhythmien
. Abb. 33.5 Nachweis eines AV-Blocks III. Grades nach Injektion von 12 mg Adenosin zur Terminierung einer permanenten junktionalen Reentrytachykardie (»PJRT«) während einer elektrophysiologischen Untersuchung. Darstellung der EKG-Ableitungen I, II, III, und V6 sowie bipolarer Ableitungen vom oberen rechten Vorhof (HRA), His-Bündel (HBE), Koronarsinus (CS1–10) und rechtem Ventrikel (RVA)
nommen, schnelle Tachykardien (Frequenz >200/min) können zu Palpitationen und Schwindel führen. Eine relativ seltene Form atrialer Tachykardien ist die »unaufhörliche« Form (»incessant tachycardia«), bei der die Tachykardie bei mehr als 50% der Herzaktionen eines Tages vorliegt (. Abb. 33.6). Diese Tachykardie kommt in 2 Formen vor: 4 konstant »unaufhörlich«, bei der sich ausschließlich Tachykardiekomplexe finden, 4 repetitiv »unaufhörlich«, bei der Phasen von »incessant tachycardias« wiederholt vorkommen, aber auch Phasen von Sinusrhythmus beobachtet werden. Die exakte Diagnose und richtige Behandlung dieser Tachykardien sind besonders wichtig, da Herzinsuffizienz und Kardiomyopathien als Folge der Arrhythmien beschrieben sind.
Klinik Klinische Zeichen zur Unterscheidung der einzelnen supraventrikulären Tachykardieformen sind relativ einfach zu erheben und ergeben sich aus der Analyse von Pulsfrequenz, Beurteilung der Halsvenenpulsationen, des Blutdrucks und der Lautstärke des ersten Herztones (. Tab. 33.1). Im Vergleich zu anderen Tachykardieformen fehlen jedoch bei atrialen Tachykardien spezifische klinische Zeichen. Die Karotissinusmassage (CSM) ist zur Differenzierung supraventrikulärer Tachykardien jedoch wichtig: Während bei paroxysmalen Tachykardien vom Typ der AV-Knoten-Reentrytachykardien eine CSM häufig zur Tachykardieterminierung führt, wird bei atrialen Tachykardien meistens nur eine Frequenzverlangsamung durch zunehmende AV-Blockierung beobachtet, die jedoch oft zur Demarkierung pathologisch konfigurierter P-Wellen führt [23].
Therapie Für die Akuttherapie atrialer Tachykardien sollten zunächst vagale Manöver versucht werden [1]. Bei Erfolglosigkeit sollten medikamentöse Interventionen mit Adenosin (6–18 mg i.v.) oder Ajmalin (50 mg i.v. über 5 min) erfolgen. Beim Therapieversagen auch der medikamentösen Intervention (relativ häufig!) kommen elektrophysiologische Techniken wie programmierte Stimulation, Überstimulation oder DC-Kardioversion in Frage. Bei Ineffektivität einer solchen Behandlung sollte keine medikamentöse Polypragmasie erfolgen, sondern bei klinischer Indikation eine Katheterablation durchgeführt werden [18].
33.6.6
Akzessorische Leitungsbahnen
Bei den supraventrikulären Tachyarrhythmien sind besonders Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen gefährdet, an einem plötzlichen Herztod zu versterben [22]. Während bei Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen v. a. atrioventrikuläre »Circus-movement-Tachykardien« beobachtet werden, kommt es bei ungefähr 10–35% der Patienten zu Vorhofflimmern, das über die akzessorische Leitungsbahn bei schnell leitenden Fasern zum Kammerflimmern führen kann. Die Höhe der Kammerfrequenz ist dabei ausschließlich von den elektrophysiologischen Charakteristika (Refraktärzeiten) der Bypassbahn abhängig und nicht etwa von den Leitungseigenschaften des AV-Knotens. ! Cave Bei kurzen Refraktärzeiten der Bypassbahn (<250 ms) und Vorhofflimmern liegt eine lebensgefährliche Situation vor, bei der Kammerfrequenzen von >280/min erreicht werden können [24, 25].
Bei solchen Patienten finden sich im Oberflächen-EKG unregelmäßige RR-Intervalle mit maximaler Präexzitation (QRS-Komplex-
33
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Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
. Abb. 33.6 12-Kanal-Oberflächen-EKG eines Patienten mit links ektop atrialer permanenter Tachykardie. Nachweis einer Tachykardie (Frequenz 140/ min) mit schmalen QRS-Komplexen (QRS-Breite <0,12 s) und einer P-Welle, die jedem QRS-Komplex vorausgeht. Charakteristische elektrokardiographische Zeichen für eine links ektop atriale Tachykardie sind negative P-Wellen in den Ableitungen I und aVL
33
. Abb. 33.7a, b 12-Kanal-Oberflächen-EKG eines Patienten mit Wolff-Parkinson-White-Syndrom und Vorhofflimmern (»FBI-EKG«). Nachweis maximaler Präexzitation mit kurzen RR-Abständen (<250 ms) als Zeichen einer schnellen anterograden Refraktärzeit der akzessorischen Leitungsbahn (a). Klassische Zeichen eines Präexzitationssyndroms mit manifester δ-Welle während Sinusrhythmus (b)
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a
b
33 33 33 33
Breite ≥0,12 s) und RR-Intervalle <250 ms (. Abb. 33.7). Die charakteristischen Befunde eines Patienten mit WPW-Syndrom, Vorhofflimmern und anterograder Überleitung auf die Kammern über die akzessorische Leitungsbahn sind als »FBI-EKG« bekannt (»fast, broad, irregular«) [14]. Die RR-Intervalle sind bei akzessorischer Leitungsbahn und Vorhofflimmern nur als grobe Risikomarker anzusehen, da Refraktärzeiten von AV-Knoten und akzessorischer Bahn durch Katecholamine oder sympathische Stimulation beein-
flusst werden können und im Einzelfall keine sichere Beurteilung des individuellen Risikos zulassen [9]. Demgegenüber ist die Gefahr bei Patienten mit Wolff-Parkinson-White-Syndrom, Vorhofflimmern und schmalen QRS-Komplexen (QRS-Breite <0,12 s) deutlich niedriger, da bei diesen Patienten die anterograde Leitung hauptsächlich über den AV-Knoten läuft und eine längere Refraktärzeit der akzessorischen Bahn anzunehmen ist.
443 33.7 · Ventrikuläre Tachyarrhythmien
Andere Zeichen einer langen Refraktärzeit der akzessorischen Bahn sind das Vorliegen einer intermittierenden Präexzitation (. Abb. 33.8) oder das Verschwinden der δ-Welle im OberflächenEKG (Blockade der anterograden Leitung über die akzessorische Bahn) nach Injektion von Ajmalin (50 mg über 5 min i. v.) oder Procainamid (10 mg/kg KG über 5 min i.v.) [21].
Therapie Patienten mit Tachykardien aufgrund akzessorischer Leitungsbahnen sollten sofort behandelt werden: Bei hämodynamisch instabiler Situation und schneller Kammerüberleitung sollte eine sofortige DC-Kardioversion (»direct current cardioversion«) durchgeführt werden, während bei stabilen Kreislaufverhältnissen Antiarrhythmika, die zu einer Verlängerung der anterograden Refraktärzeit der akzessorischen Leitungsbahn führen und antifibrillatorische Eigenschaften besitzen, angewendet werden können [23, 24]. Bevorzugte Medikamente sind Ajmalin (1 mg/kg KG über 5 min i. v.) oder Procainamid (10 mg/kg KG über 5 min i.v.) [21]. Kommt es unter einer solchen Behandlung zu einer hämodynamischen Verschlechterung, muss eine sofortige elektrische Kardioversion erfolgen [1]. ! Cave Die Blockierung des AV-Knotens durch Verapamil und/ oder Digitalis ist bei Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen kontraindiziert und kann, beim Auftreten von Vorhofflimmern und anterograder Leitung über die akzessorische Bahn, zur Reanimationssituation und zum Tod führen [21, 23–25].
33.7
Ventrikuläre Tachyarrhythmien
Ventrikuläre Rhythmusstörungen sind in der Intensivmedizin als monomorphe oder polymorphe ventrikuläre Tachykardien, Torsade-de-pointes-Tachykardien, Kammerflattern oder Kammerflimmern gefürchtet. Der plötzliche Tod ist als schwerwiegendste Form einer ventrikulären tachykarden Herzrhythmusstörung weiterhin als ungelöstes Problem der klinischen Kardiologie anzusehen, der nicht durch einzelne Parameter bedingt ist, sondern als multifaktorielles Geschehen aufzufassen ist (. Abb. 33.9).
33.7.1
Inzidenz und Pathogenese ventrikulärer Tachykardien
Kammertachykardien sind durch Frequenzen von 100–280/min charakterisisiert, können hämodynamisch gut toleriert werden, aber auch zu einer instabilen Situation oder zum kardiogenen Schock führen [17]. Pathogenetisch ist die koronare Herzkrankheit die häufigste Ursache ventrikulärer Tachykardien (60–70%); diese Rhythmusstörungen werden aber auch bei Patienten mit dilatativer oder hypertropher Kardiomyopathie (10–15%) und bei arrhythmogener rechtsventrikulärer Erkrankung (»Dysplasie«) beobachtet. Bei 2–5% der Patienten lassen sich keine strukturellen Veränderungen am Herzen nachweisen (»idiopathische« ventrikuläre Tachykardien). Ventrikuläre Tachykardien werden nach der Dauer in nicht anhaltende (Dauer <30 s) oder anhaltende (Dauer >30 s) Formen eingeteilt und nach der Morphologie in monomorphe oder polymorphe Formen. Eine besondere Form ventrikulärer Tachykardien ist die Torsade-de-pointes-Tachykardie, die später noch detailliert dargestellt wird [23].
33.7.2
Monomorphe ventrikuläre Tachykardien
Monomorphe ventrikuläre Tachykardien sind die häufigsten Tachykardieformen im Postinfarktstadium, bei arrhythmogenen rechtsventrikulären Erkrankungen, bei Schenkelblock-Tachykardien (»bundle-branch-block tachycardia«), Ausflussbahntachykardien und idiopathischen Kammertachykardien. Pathophysiologisch liegen monomorphen ventrikulären Tachykardien typischerweise Reentry-Mechanismen zugrunde. Sie sind charakterisiert durch breite QRS-Komplexe (Breite ≥0,12 s), regelmäßige RR-Intervalle,
. Abb. 33.8 12-Kanal-Oberflächen-EKG eines Patienten mit Wolff-Parkinson-White-Syndrom und intermittierender Präexzitation als Zeichen einer langen anterograden Refraktärzeit der akzessorischen Leitungsbahn
. Abb. 33.9 Darstellung verschiedener Faktoren zur Genese eines plötzlichen Herztodes und Charakterisierung verschiedener nichtinvasiver und invasiver diagnostischer Verfahren
33
444
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
33
verbunden mit einer identischen Morphologie der QRS-Komplexe (»monomorph«).
33
Therapie
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Therapeutisch ist bei monomorphen ventrikulären Tachykardien nach den Empfehlungen des Resuscitation Council und der American Heart Association das Klasse-III-Antiarrhythmikum Amiodaron (150–300 mg i.v. als Bolus, gefolgt von einer Dauerinfusion von 1050 mg Amiodaron pro 24 h i.v) als Medikament der 1. Wahl anzusehen [21]. Alternative Antiarrhythmika mit hoher Effektivität sind Ajmalin (50–100 mg i. v. über 5 min) oder Procainamid (10 mg/ kg KG i. v.). Bei Kammertachykardien, die im chronischen Infarktstadium auftreten, ist Ajmalin wesentlich effektiver als Lidocain, das lange als geeignetes Antiarrhythmikum galt. Die intravenöse Gabe von Lidocain (100–150 mg i. v.) ist nach den vorliegenden amerikanischen und europäischen Leitlinien sowie den Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zur Terminierung von Kammertachykardien nicht mehr indiziert, da Lidocain häufiger als Amiodaron oder Ajmalin zu einer Degeneration der Kammertachykardien in Kammerflimmern führen kann [21]. Andere spezifische Antiarrhythmika wie Sotalol (20 mg über 5 min i. v.), Propafenon (1–2 mg/kg KG i. v.) und Flecainid (1–2 mg/ kg KG i. v.) spielen als Medikamente zur Akutterminierung ventrikulärer Tachykardien eine untergeordnete Rolle, wenngleich diese Medikamente im Einzelfall sehr erfolgreich sein können. Führt die medikamentöse Therapie nicht zur Terminierung einer ventrikulären Tachykardie, sollte in Kliniken mit der Möglichkeit einer elektrophysiologischen Intervention eine Überstimulation mittels Elektrodenkatheter vom rechten Ventrikel aus durchgeführt werden. Falls eine solche Maßnahme nicht möglich oder nicht erfolgreich ist, muss die elektrische Kardioversion in Kurznarkose erfolgen (RZacken getriggert mono- oder biphasisch, 150–360 J).
Sonderfall. Unaufhörliche Tachykardie. In wenigen Fällen liegen monomorphe ventrikuläre Tachykardien vor, die durch Antiarrhythmika, Überstimulation und/oder elektrische Kardioversion nicht beeinflusst werden können, oft schon lange (Stunden bis Wochen!) bestehen und deshalb als »unaufhörlich« (»incessant«) bezeichnet werden. Bei diesen Patienten sollte keine medikamentöse Polypragmasie erfolgen, sondern unmittelbar die Indikation zur notfallmäßigen Katheterablation gestellt werden.
33.7.3
Polymorphe ventrikuläre Tachykardien
Eine besondere Situation liegt bei Patienten mit polymorphen ventrikulären Tachykardien vor, deren Mechanismen nicht in allen Einzelheiten geklärt sind und die mitunter schwierig zu behandeln sind. Polymorphe ventrikuläre Tachykardien, die durch angeborene QT-Zeit-Verlängerungen bedingt sind (Romano-Ward-Syndrom, Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom), haben in der Regel das charakteristische Bild von Torsade-de-pointes-Tachykardien, deren Behandlung gesondert dargestellt wird. Polymorphe ventrikuläre Tachykardien werden häufiger bei erworbenen QT-Zeit-Verlängerungen beobachtet, und treten typischerweise 3–4 Tage nach Beginn einer antiarrhythmisch medikamentösen Therapie auf. Zu solchen lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen führen v. a. Chinidin (Häufigkeit 1–8%), aber auch alle anderen Antiarrhythmika der Klassen I und III (Häufigkeit 2–5%).
Therapie Die Therapie solcher Arrhythmien liegt zunächst im sofortigen Absetzen des auslösenden Agens und im Ausgleich von Elektrolytentgleisungen. Bei hämodynamisch stabiler Situation sollte Isoproterenol (1–4 μg/min i.v.) zur Herzfrequenzsteigerung, QT-Zeit-Verkürzung und Unterdrückung von Nachpotenzialen infundiert werden,
33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33 33
. Abb. 33.10 Langzeit-EKG-Registrierung mit Nachweis einer Torsade-de-pointes-Tachykardie bei einer 30-jährigen Patientin mit idiopathischem QTSyndrom
445 33.7 · Ventrikuläre Tachyarrhythmien
alternativ führen Atropin (0,5–1,0 mg i. v., maximal 0,04 mg/kg KG i. v.) oder eine temporäre Schrittmacherstimulation zu ähnlichen Effekten mit guten Therapieerfolgen [21]. Eine Schrittmacherstimulation hat gegenüber einer Isoprenalininfusion den Vorteil, dass Risiken wie die Auslösung von Angina pectoris-Anfällen oder einer arteriellen Hypertonie vermieden werden. Polymorphe ventrikuläre Tachykardien ohne QT-Zeit-Verlängerungen werden v. a. bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit beobachtet, vielfach im Rahmen einer akuten myokardialen Ischämie [23]. Die therapeutischen Interventionen liegen bei solchen Patienten in der Akutrevaskularisation durch perkutane Koronarintervention (PCI) oder Bypassoperation, alternativ wird die intravenöse Zufuhr von Amiodaron empfohlen [21]. Demgegenüber sind Klasse-IAntiarrhythmika unter solchen Voraussetzungen nicht geeignet, da sie vielfach zur Aggravation der Rhythmusstörungen führen.
33.7.4
Torsade-de-pointes-Tachykardien
Die Torsade-de-pointes-Tachykardie zeigt als polymorphe Kammertachykardie ein charakteristisches elektrokardiographisches Bild (. Abb. 33.10). Sie ist gekennzeichnet durch QRS-KomplexVektoren, die wechselartige Undulationen um die isoelektrische Linie führen und breite QRS-Komplexe haben [6]. Die Torsade-de-pointes-Tachykardie (»Spitzenumkehrtachykardie«) zählt zu den lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, kann in Kammerflimmern übergehen und wird pathophysiologisch durch frühe Nachdepolarisationen bei einer abnormen Verlängerung der Aktionspotenzialdauer (mit Verlängerung der QT-Zeit im Oberflächen-EKG) hervorgerufen. Ursächlich können Torsade-depointes-Tachykardien durch Pharmaka bedingt sein, die zu einer pathologischen Verlängerung der QT-Zeit führen [4]. Torsade-de-pointes-Tachykardien werden typischerweise beim Romano-Ward-Syndrom und beim Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom beobachtet, bei denen eine angeborene Verlängerung der QTZeit vorliegt, die nach neuesten Ergebnissen durch einen Gendefekt hervorgerufen wird. Die klinische Symptomatik von Patienten mit Torsade-de-pointes-Tachykardien reicht von Palpitationen und Schwindel bis hin zum Bewusstseinsverlust mit der Notwendigkeit einer sofortigen Reanimation.
Therapie Therapeutisch wird bei typischen »Spitzenumkehr-Tachykardien« eine parenterale hochdosierte Therapie mit Magnesium (initial Magnesiumsulfat 2 g als Bolus i.v. über 5 min, bei Erfolglosigkeit weitere 2 g MgSO4 über 15 min mit möglicher Infusion von 500 mg/h i.v.) empfohlen [3]. Zur Vermeidung häufiger Rezidive polymorpher ventrikulärer Tachykardien können eine Behandlung mit Isoproterenol (1–4 μg/min i.v.) oder eine temporäre Schrittmacherstimulation notwendig werden [11].
33.7.5
Kammerflattern und Kammerflimmern
Definition Beim Kammerflattern liegt eine hochfrequente ventrikuläre Tachykardie vor, deren Frequenz >250/min beträgt und die mit einer schenkelblockartigen Deformierung des QRS-Komplexes (QRS-Breite ≥0,12 s) einhergeht. Kammerflattern ist eine lebensbedrohliche Rhythmusstörung, die häufig in Kammerflimmern degeneriert (. Abb. 33.11).
Definition Kammerflattern und Kammerflimmern finden sich meistens bei Patienten mit organischer Herzerkrankung und deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion.
> Kammerflattern und Kammerflimmern erfordern die sofortige Defibrillation und den Beginn von Reanimationsmaßnahmen.
Wenn Kammerflimmern nach 3 Schocks fortbesteht: Gabe von Amiadoron 150–300 mg als Bolus. Eine weitere Dosis von 150– 300 mg kann bei wiederauftretendem oder schockrefraktärem Kammerflimmern gegeben werden, danach eine Infusion von 1050 mg über 24 h [3, 21]. Die beste therapeutische Maßnahme bei Kammerflimmern ist die sofortige Defibrillation. Aus diesen Überlegungen heraus ist die Verfügbarkeit halbautomatisierter externer Defibrillatoren (AED) an Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten, unbedingt anzustreben [1, 16]. Ist ein AED oder ein anderer
. Abb. 33.11 Langzeit-EKG-Registrierung mit Nachweis eines Kammerflatterns, das in Kammerflimmern degeneriert
33
446
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Defibrillator bei einem Patienten mit Kammerflimmern nicht sofort verfügbar, sind unverzüglich kardiopulmonale Reanimationsmaßnahmen (Herzdruckmassage) einzuleiten [1, 16]. Fazit Herzrhythmusstörungen sind in der Intensivmedizin nicht selten und erfordern in der Regel rasche diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Von entscheidender Bedeutung für die Wahl des besten Behandlungskonzepts sind neben der klinischen Symptomatik v. a. Arrhythmietyp und hämodynamische Situation des Patienten. Während bei tachykarden Rhythmusstörungen und Schocksymptomatik, unabhängig von Arrhythmieform und -mechanismus, unverzüglich eine elektrische DC-Kardioversion bzw. Defibrillation durchgeführt werden sollte, kommen bei stabilen Kreislaufverhältnissen neben vagalen Manövern eine Reihe von medikamentösen und/oder elektrophysiologischen Techniken in Frage, die nach individuellen Kriterien (Art der Rhythmusstörung) auszuwählen sind. Nach Terminierung der akuten Rhythmusstörung ist für jeden Patienten eine individuelle Risikoanalyse notwendig, um die richtige Entscheidung für die Langzeitbehandlung zu treffen. Während bei Patienten mit supraventrikulären Arrhythmien v. a. die symptomatische Therapie (Verhinderung von Rezidivarrhythmien, signifikante Frequenzssenkung bei tachykardem Vorhofflimmern) und kurative Therapie mit interventionellen Verfahren (Katheterablation) im Vordergrund stehen, spielen bei Patienten mit ventrikulären Tachyarrhythmien darüber hinaus prognostische Überlegungen eine wichtige Rolle. Die Implantation eines automatischen Defibrillators ist für diese Patienten als therapeutische Methode der Wahl anzusehen. Antiarrhythmika können die Langzeitprognose nicht verbessern. Die richtige Einschätzung der pathophysiologischen Vorgänge und der hämodynamischen Situation von bradykarden oder tachykarden Rhythmusstörungen ist bei der Überlegung geeigneter therapeutischer Konzepte ein mindestens ebenso wichtiger Bestandteil der therapieorientierten Stufendiagnostik wie die Behandlung der Rhythmusstörung selbst.
Literatur 1 2 3
33 4
33 33
5
6
33 33
7
33
8
33 33
Kapitel 33 · Herzrhythmusstörungen
9
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447
Infektiöse Endokarditis M. Doering, D. Elsner
34.1
Definition und Epidemiologie – 448
34.2
Erregerspektrum – 448
34.3
Klinik und Diagnose – 448
34.3.1 34.3.2 34.3.3 34.3.4 34.3.5 34.3.6
Symptome und klinische Zeichen – 448 Laborbefunde – 448 Blutkultur – 448 Echokardiographie – 449 Radiologische Bildgebung – 449 Duke-Kriterien – 449
34.4
Indikationen zur intensivmedizinischen Überwachung und Therapie – 450
34.5
Therapie – 450
34.5.1 34.5.2 34.5.3
Antimikrobielle Therapie – 450 Management von Komplikationen – 451 Indikationen zur chirurgischen Therapie – 451
34.6
Monitoring – 451 Literatur – 452
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_34, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
34
34
448
Kapitel 34 · Infektiöse Endokarditis
34.1
Definition und Epidemiologie
34
Die infektiöse Endokarditis betrifft am häufigsten die Herzklappen, seltener das murale Endokard, Septumdefekte oder AV-Shunts. Die Inzidenz beträgt ca. 2–7 auf 100.000 Einwohner [1]. Prädisponierende Faktoren sind angeborene oder erworbene Herzklappenfehler, kongenitale Vitien, Zustand nach Klappenoperation oder -ersatz, Mitralklappenprolaps mit Insuffizienz, Zustand nach abgelaufener Endokarditis, i.v.-Drogenabusus, intrakardiales Fremdmaterial sowie Grunderkrankungen mit Resistenzminderung. In den letzten Jahrzehnten haben besonders die Staphylokokkenendokarditiden, akut foudroyante Verlaufsformen, Kunstklappenendokarditiden sowie nosokomiale Infektionen stetig zugenommen [2, 16]. Ein besorgniserregender Trend ist ferner in der steigenden Zahl von Endokarditiden nach Body-Piercing zu beobachten [14]. Während früher die Mortalität unbehandelt 100% betrug, liegt sie heute immer noch bei etwa 20%, für die Prothesenendokarditis sogar bei 40%.
34
34.2
34 34 34 34 34
34 34 34
In etwa 80% der Fälle wird die Endokarditis durch Staphylokokken, Streptokokken oder Enterokokken verursacht [3] (. Tab. 34.1). Streptococcus bovis ist insbesondere bei älteren Patienten mit Kolonpolypen oder Kolontumoren assoziiert. Die Endokarditis bei i.v.Drogenabhängigen wird in der Regel durch Staphylococcus aureus hervorgerufen. Häufigste Erreger der nosokomialen Endokarditis sind Staphylokokken gefolgt von Enterokokken.
34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34
34.3
Nativklappe – Erwachsene 15–60 Jahre
Klappenprothese – Frühform (<2 Monate nach Operation)
Streptokokken
45–65
1
Staphylococcus aureus
30–40
22
Koagulasenegative Staphylokokken
3–5
33
Enterokokken
5–8
8
Gramnegative Bakterien
4–8
13
HACEK–Organismen, Pilze, andere Erreger, kulturnegativ
3–10
22
34.3.2
Laborbefunde
Als Zeichen der Entzündungsreaktion sind das CRP und die BSG erhöht, es finden sich häufig eine Leukozytose mit Linksverschiebung, eine normochrome Anämie, Erhöhung der Gammaglobuline sowie zirkulierende Immunkomplexe. Der Rheumafaktor kann erhöht sein. Der Stellenwert neuer Parameter wie des Procalcitonins ist noch nicht gesichert. Bei renaler Beteiligung zeigt sich eine Proteinurie und Hämaturie, ggf. eine Erhöhung der Retentionswerte.
Klinik und Diagnose
Die Diagnose einer Endokarditis erfordert die Integration von klinischen, laborchemischen, mikrobiologischen sowie echokardiographischen Befunden. Klinisch im Vordergrund stehen eine konstante Bakteriämie mit systemischer Entzündungsreaktion, metastatische Absiedlungen in verschiedenen Organen, Zerstörung der betroffenen Herzklappen mit progredienter Herzinsuffizienz, embolische Gefäßverschlüsse sowie immunologisch bedingte Prozesse.
34.3.1
Organismus
Erregerspektrum
34 34
. Tab. 34.1 Erregerspektrum (relative Häufigkeit in %). (Nach [3])
Symptome und klinische Zeichen
Klassische Zeichen sind ungeklärtes Fieber und neu aufgetretenes oder aggraviertes Herzgeräusch. Gelegentlich bestehen nur unspezifische Symptome wie subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Myalgien und Arthralgien. In etwa der Hälfte der Fälle sind typische Hautmanifestationen zu finden (z. B. Osler-Knoten, Janeway-Läsionen). Häufig manifestiert sich die Endokarditis erst über gravierende Komplikationen: Herzinsuffizienz, neurologische Symptomatik, periphere Embolien. Zu den technischen Basisuntersuchungen bei Endokarditisverdacht gehören neben den unten genannten Verfahren das EKG (AV-Überleitungsstörungen), eine Oberbauchsonographie (Milzgröße, Abszesse) sowie die Augenhintergrunduntersuchung (RothFlecken, septische Embolien).
34.3.3
Blutkultur
> Wichtigster Eckpfeiler der Diagnostik ist der Keimnachweis aus mehreren zu verschiedenen Zeitpunkten abgenommenen Blutkulturen.
Ohne antibiotische Vortherapie gelingt der Erregernachweis in ca. 95% der abgenommenen Blutkulturen aufgrund der in der Regel kontinuierlichen Bakteriämie [3]. > Die Blutkulturen sollten grundsätzlich vor (!) Einleitung einer antibiotischen Therapie abgenommen werden, und zwar 3 Sets von Blutkulturen innerhalb 24 h für eine anaerobe sowie aerobe Bebrütung aus 3 verschiedenen Venenentnahmestellen unabhängig vom Fieberverlauf [4]. Ein zeitlicher Abstand von mindestens 1 h zwischen der Abnahme der ersten und letzten Kultur sollte eingehalten werden [5].
Negative Blutkulturen können als Folge einer antibiotischen Vorbehandlung oder bei stoffwechselinaktiven Keimen (z. B. Coxiellen) vorkommen. Sind diese beiden Faktoren auszuschließen, ist differenzialdiagnostisch an eine abakterielle Endokarditis bei maligner Grunderkrankung oder Kollagenose zu denken. Im Echokardiogramm lassen sich dabei die sterilen Vegetationen typischerweise an den Schließungsrändern ansonsten unauffälliger Herzklappen nachweisen [12]S.
449 34.3 · Klinik und Diagnose
34.3.4
Echokardiographie
> Die Echokardiographie ist das entscheidende bildgebende Verfahren zum Nachweis von Vegetationen, zur Evaluation der Klappen- und Ventrikelfunktion sowie zur Beurteilung kardialer Komplikationen.
Im Vergleich zur transthorakalen Untersuchung zeigt dabei das transösophageale Echokardiogramm (TEE) eine deutlich höhere Sensitivität beim Nachweis von Vegetationen (über 90%; . Abb. 34.1), Klappenperforationen, intrakardialen Fisteln sowie Klappenringabszedierungen. In <10% der Fälle ist mit falsch-negativen Befunden zu rechnen [3]. Allerdings ist bei Klappenprothesen die Sensitivität auch des TEE niedriger. Bei dringendem klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Endokarditis wird bei initial negativen Befunden empfohlen, einige Tage nach der Erstuntersuchung ein zweites TEE durchzuführen, um zwischenzeitlich entstandene Vegetationen oder Abszedierungen nicht zu übersehen [5].
34.3.5
Radiologische Bildgebung
Bei routinemäßiger Anwendung der Computertomographie lassen sich bei 1/5 der Patienten asymptomatische Embolien nachweisen [6]. Neben einer Thoraxröntgenaufnahme führen wir daher bei jedem Patienten mit Endokarditis eine CT-Untersuchung des Schädels, des Abdomens und Beckens durch, um embolische Komplikationen frühzeitig erfassen zu können. Insbesondere vor einem geplanten herzchirurgischen Eingriff ist der Ausschluss von intrakraniellen Läsionen mit hämorrhagischer Komponente unabdingbar.
34.3.6
Duke-Kriterien Hauptkriterien 4 Positive Blutkultur: – Endokarditistypischer Erreger in ≥2 Blutkulturen – Persistierend positive Blutkultur – Positive Q-Fieber-Serologie 4 Nachweis einer endokardialen Beteiligung: – echokardiographischer Nachweis einer mobilen intrakardialen Fremdmasse an einer Herzklappe, im Verlauf einer Regurgitation oder auf endoprothetischem Material – Abszessbildung – Neu aufgetretene Dehiszenz einer Klappenprothese – Neu aufgetretene Klappeninsuffizienz
Nebenkriterien 4 Prädisponierende Herzerkrankung oder i.v.-Drogenabusus 4 Fieber >38°C 4 Vaskuläre Phänomene: – Arterielle Embolie – Septischer Lungeninfarkt – Mykotisches Aneurysma – Intrakranielle Blutung – Konjunktivale Einblutungen 4 Immunologische Befunde: – Glomerulonephritis – Osler-Knötchen – Roth-Flecken am Augenhintergrund – Rheumafaktor 4 Positive Blutkultur, die jedoch nicht die Hauptkriterien erfüllt
Duke-Kriterien
Die modifizierten Duke-Kriterien sollten als systematischer Ansatz zur Objektivierung und Sicherung der Diagnose verwendet werden [7].
Einteilung der Diagnose Endokarditis aufgrund der DukeKriterien in Kategorien 4 Gesichert – 2 Hauptkriterien – 1 Haupt- und 3 Nebenkriterien – 5 Nebenkriterien 4 Möglich – 1 Haupt- und 1 Nebenkriterium – 3 Nebenkriterien 4 Ausschluss – Eine andere Diagnose ist gesichert – Das Syndrom einer infektiösen Endokarditis verschwindet nach einer Dauer der Antibiotikatherapie von <4 Tagen – Fehlender Nachweis einer infektiösen Endokarditis anlässlich einer chirurgischen Intervention oder in der Biopsie nach einer Antibiotikatherapie von <4 Tagen – Die Kriterien einer möglichen Endokarditis werden nicht erfüllt
. Abb. 34.1 TEE-Befund bei Staphylokokken-Endokarditis mit Vegetationen an Aorten- (AoK Veg) und Mitralklappe (MK Veg) sowie einem Abszess in der Aortenwand
34
34 34 34 34 34
450
Kapitel 34 · Infektiöse Endokarditis
34.4
Indikationen zur intensivmedizinischen Überwachung und Therapie
34.5
Therapie
Die Behandlung der infektiösen Endokarditis besteht in der Elimination der auslösenden Keime durch eine adäquate antimikrobielle Therapie, dem Management von Komplikationen sowie, bei entsprechender Indikation, in der rechtzeitigen chirurgischen Intervention.
Die infektiöse Endokarditis ist bei entsprechenden Komplikationen eine lebensgefährliche Erkrankung mit oft unberechenbarem, foudroyantem Verlauf. Die häufigsten Gründe für intensivmedizinische Therapie und Überwachung [8] sind dabei hämodynamische Instabilität bei kardialem oder septischem Schock, schwere akute Aorten- oder Mitralklappeninsuffizienz, paravalvuläre Infektionsausbreitung mit Abszedierung, schwere Prothesendysfunktion oder -dehiszenz, AV-Überleitungsstörungen, respiratorische Insuffizienz, akutes Nierenversagen sowie neurologisches Defizit mit Bewusstseinseintrübung oder größerem Insult.
34.5.1
Antimikrobielle Therapie
Prinzipiell müssen bakterizide Antibiotika parenteral über einen längeren Zeitraum appliziert werden. Hohe Serumkonzentrationen müssen gewährleistet sein, damit auch die im Inneren der Vegetation befindlichen Erreger per diffusionem mit ausreichend hoher Konzentration erreicht werden. Die Antibiotikatherapie sollte immer antibiogrammgerecht nach Identifizierung des Erregers und Prüfung der Antibiotikaresistenz erfolgen. . Tab. 34.2 listet die Antibiotikatherapie der häufigsten Erreger der infektiösen Endokarditis auf. Eine ausführlichere Darstellung der antimikrobiellen Thera-
34 34 34 34
. Tab. 34.2 Therapieempfehlungen bei infektiöser Endokarditis mit Erregernachweis. (Nach [5, 9])
34 34
Erreger
Sonstige Bedingung
Antibiotikum/ Antimykotikum
Dosierung
Therapiedauer
Penicillinempfindliche Streptokokken
Penicillinverträglichkeit
Penicillin G
20 Mio. IE/Tag i.v. 4–6 ED
4 Wochen
3 mg/kg KG /Tag i.v. 3 ED
2 Wochen
2 g/Tag i.v 2 ED
4 Wochen
12–24 g/Tag i.v. 4–6 ED
4–6 Wochen
3 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
4–6 Wochen
2 g/Tag i.v. 2 ED
4–6 Wochen
34 34
Enterokokken und mäßig penicillinempfindliche Streptokokken
34
+ Gentamycin Penicillinunverträglichkeit
Vancomycin
Penicillinverträglichkeit
Ampicillin
1
+ Gentamycin Penicillinunverträglichkeit
Vancomycin
Staphylococcus aureus
34 34 34
1
1 1
3 mg/kg KG /Tag i.v. 3 ED
4–6 Wochen
Methicillinsensibel Nativklappe
Flucloxacillin
8–12 g /Tag i.v. 3–4 ED
4–6 Wochen
+ Gentamycin 1
3 mg/kg KG /Tag i.v. 3 ED
3–5 Tage
Methicillinresistent Nativklappe
Vancomycin 1
2 g/Tag i.v. 2 ED
4–6 Wochen
+ Gentamycin 1
3 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
3–5 Tage
Methicillinsensibel Klappenprothese
Flucloxacillin
8–12 g/Tag i.v. 3–4 ED
>6 Wochen
3 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
2 Wochen
900 mg/Tag 3 ED
>6 Wochen
2 g/Tag i.v. 2 ED
>6 Wochen
3 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
2 Wochen
+ Rifampicin
900 mg/Tag 3 ED
>6 Wochen
Ceftriaxon
2 g/Tag i.v. 1 ED
4 Wochen
Ceftriaxon oder
2 g/Tag i v. 1 ED
>4 Wochen
Cefotaxim
6–8 g/Tag i.v. 3–4 ED
>4 Wochen
+ Gentamycin
3–5 mg/kg KG/Tag i.v. 3 ED
>4 Wochen
Amphotericin B 3
0,8–1,0 mg/kg KG/Tag i.v. 1 ED
>6 Wochen
+ Flucytosin
150 mg/kg KG i.v. 3 ED
>6 Wochen
+ Gentamycin
34
1
+ Gentamycin
1
+ Rifampicin
34
Methicillinresistent Klappenprothese
34 HACEK
34
E. coli, Klebsiellen, Serratia, Proteus
34 34 34
Candida
Vancomycin + + Gentamycin
1
ED=Einzeldosis. Entsprechende Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz. 2 H. influenzae, H. parainfluenzae, H. aprophilus, Actinobacillus, Cardiobacterium, Eikenella, Kingella. 3 Unter hoher Volumen- und Kochsalzzufuhr ist die Nephrotoxizität verringert, maximale Gesamtdosis 2–5 g. 1
34
2
1
451 34.6 · Monitoring
pie der infektiösen Endokarditis findet sich in den entsprechenden Leitlinien [5, 9]. Bei Patienten mit akutem Verlauf kann nach Abnahme von Blutkulturen sofort mit einer empirischen Therapie begonnnen (. Tab. 34.3) und das Regime nach Erhalt des Antibiogramms angepasst werden.
rer Mitralklappeninsuffizienz rasch eine operative Korrektur angestrebt werden. Bei passagerem AV-Block III. Grades infolge einer Klappenringabszedierung besteht die Indikation zur Versorgung mit einem passagerem Schrittmacher. Außerdem ist in der Regel eine operative Sanierung indiziert [9]. Septische Embolie. Die effektivste Maßnahme zur Reduktion der
Eine Anmerkung zu den Leitlinien Die penicillinasefesten Penicilline wie Flucloxacillin weisen eher ungünstige pharmokokinetische Eigenschaften infolge einer bis zu 95%igen Plasmaeiweißbindung auf [10]. Eine relativ schlechte Gewebepenetration und somit ungenügende klinische Wirksamkeit ist daher häufig zu erwarten. In Abweichung zu den oben vorgestellten Empfehlungen therapieren wir daher in unserer Klinik die Staphylokokkenendokarditis, da sie in der Regel einen sehr aggressiven Verlauf zeigt, entsprechend den Empfehlungen von Stille et al. [10] generell mit einer Kombination aus Vancomycin, Rifampicin sowie zusätzlich in den ersten 2 Wochen Gentamycin. Bei unbekanntem Keim verwenden wir bis zur Erregerisolierung initial eine Therapiekombination aus Vancomycin, Gentamycin und einem Cephalosporin der Gruppe 3a (z. B. Ceftriaxon) sowie bei Klappenprothesen Rifampicin.
Der Stellenwert des bakteriostatischen Antibiotikums Linezolid in der Therapie der grampositiven Endokarditis bleibt derzeit noch unklar aufgrund der nur in begrenztem Umfang vorliegenden Datenmenge [13]. Daptomycin zeigte in einer Studie bei allerdings geringer Fallzahl vergleichbare Ergebnisse wie die Standardtherapie bei der Behandlung der Staphylokokkenendokarditis [10].
34.5.2
Management von Komplikationen
Häufigkeit septischer Embolien ist die rasche Einleitung einer adäquaten antibiotischen Therapie [3]. Eine Behandlung mit ASS oder Heparin reduziert die Häufigkeit embolischer Ereignisse nicht, sondern erhöht das Risiko intrazerebraler Blutungen [3]. Daher sollten nur diejenigen Patienten weiter antikoaguliert werden, bei denen eine eindeutige von der Endokarditis unabhängige Indikation zur Antikoagulation besteht (z. B. Klappenprothese). Milzabszess. Bei etwa 5% der betroffenen Patienten ist mit Milzab-
szessen zu rechnen mit erhöhtem Risiko einer Milzruptur [5]. Neben einer perkutanen Drainage bei einzelnen Abszessen ist bei multiplen Einschmelzungen die Indikation zur Splenektomie gegeben [9]. Diese sollte dabei wenn möglich vor einem evtl. erforderlichen Klappenersatz durchgeführt werden. Schlaganfall. Der embolisch bedingte Schlaganfall, evtl. mit hä-
morrhagischer Komponente, ist eine der schwerwiegendsten Komplikationen der Endokarditis. Im Falle eines erforderlichen Klappenersatzes droht unter dem Einsatz der Herz-Lungen-Maschine eine intrazerebrale Einblutung. Innerhalb eines Zeitraumes von etwa 72 h nach einer zerebralen Embolie ist allerdings noch nicht mit einer Störung der Blut-Hirn-Schranke zu rechnen, sodass ein rein ischämischer Insult in diesem engen Zeitfenster keine Kontraindikation für einen operativen Eingriff ist [5]. Außerhalb dieses Zeitfensters muss, falls eine hämorrhagische Komponente ausgeschlossen ist, trotz erhöhter Einblutungsgefahr operiert werden bei nicht beherrschbarer Herzinsuffizienz oder therapierefraktärem septischem Geschehen aufgrund der desolaten Prognose unter rein medikamentöser Therapie [5].
Herzinsuffizienz, Sepsis. Die medikamentöse Therapie der akuten
Herzinsuffizienz und Sepsis erfolgt entsprechend den jeweiligen Leitlinien (7 Kap. 31 und 63). Die akute Aortenklappeninsuffizienz mit Lungenödem trotz medikamentöser Therapie stellt eine Indikation zur Notfalloperation dar [5, 9]. Ebenso sollte bei akuter schwe-
. Tab. 34.3 KalkulierteTherapie bei unbekanntem Erreger
Akutes Nierenversagen. Ein akutes Nierenversagen tritt bei etwa
1/3 der Patienten mit Endokarditis auf und führt zu einer Erhöhung des Mortalitätsrisikos um das 5-Fache [11]. In der Regel kommt es nach Beherrschung des infektiösen Geschehens durch eine adäquate antibiotische Therapie zu einer Verbesserung der Nierenfunktion. Bei den schweren Verlaufsformen mit septischem Schock oder Verbrauchskoagulopathie ist häufig zumindest vorübergehend ein Nierenersatzverfahren erforderlich.
Bedingung
Antibiotikum/Dosis
Dauer
Nativklappe
Ampicillin 12–24 g/ Tag i.v. 4–6 ED
4–6 Wochen
34.5.3
+ Gentamycin 3 mg/ kg KG/Tag i.v. in 3 ED
4–6 Wochen
+ Cefotaxim 6 g/ Tag i.v. 3 ED oder Ceftriaxon 2 g/Tag i.v. 1 ED
4–6 Wochen
Vancomycin 2 g /Tag i.v. 2 ED
>6 Wochen
In etwa 25–30% der Fälle ist im Rahmen der akuten Phase einer Endokarditis ein operatives Vorgehen notwendig, wobei immer eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen muss (. Tab. 34.4). Prinzipiell sollte bei jedem Patienten mit kompliziert verlaufender Endokarditis frühzeitig die Kontaktaufnahme mit der Herzchirurgie erfolgen bzw. sollte ein solcher Patient an ein Zentrum mit Herzchirurgie verlegt werden.
+ Gentamycin 3 mg/ kg KG/Tag i.v. 3 ED
2 Wochen
+ Rifampicin 900 mg /Tag i.v. in 3 ED
>6 Wochen
Klappenprothese
34.6
Indikationen zur chirurgischen Therapie
Monitoring
Zum optimalen Management von Patienten mit infektiöser Endokarditis ist ein engmaschiges Monitoring von klinischen, laborchemischen sowie echokardiographischen Befunden unabdingbar.
34
452
Kapitel 34 · Infektiöse Endokarditis
34
. Tab. 34.4 Empfehlung zur chirurgischen Therapie der aktiven Endokarditis. (Nach [5, 9])
34
Indikation
Evidenz
34
Akute AI oder MI mit kardialem Pumpversagen/ Lungenödem
IB
Perivalvulärer Abszess, Fistelbildung
IB
nahme der Vegetationen, Ausbildung von Abszessen oder andere lokale Komplikationen sicher erfasst werden können. Eine erneute TEE-Untersuchung sollte ferner umgehend bei progredienter Herzinsuffizienz, bei Änderung des Auskultationsbefundes sowie neu aufgetretenen AV-Überleitungsstörungen angestrebt werden. Nach Komplettierung der antibiotischen Behandlung ist außerdem eine abschließende echokardiographische Befunddokumentation sinnvoll.
Endokarditis durch schwer therapierbare Erreger (z. B. MRSA, Pilze)
IC
Fallbeispiel
34
Schwere Sepsis und septischer Schock >48 h
IIaC
34
Persistierendes Fieber trotz adäquater antibiotischer Therapie über 5–10 Tage
IIaC
Persistierende Bakteriämie/Fungämie trotz adäquater antibiotischer Therapie
IC
Rezidivierende Embolien nach antibiotischer Therapie
IC
Frische mobile Vegetation an der Mitralklappe >10 mm
IIaC
Größenzunahme der Vegetation/Ausbreitung auf weitere native Klappen/lokal destruierender Verlauf
IIaC
34
34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34 34
Prothesenendokarditis1
IC
1
Prothesenendokarditis durch penicillinsensible Streptokokken rechtfertigt zunächst eine konservative Therapiestrategie.
Basis ist dabei die tägliche klinische Untersuchung mit Temperatur- und Blutdruckkontrolle, kardiopulmonaler Auskultation sowie neurologischem Status. Ferner ist gezielt nach neuen embolischen Phänomenen an Haut oder inneren Organe wie Lunge, Milz oder dem ZNS zu fahnden. Insbesondere bei Staphylokokken- oder Pilzendokarditis ist eine Kontrolluntersuchung des Augenhintergrundes sinnvoll [5]. Unter den unspezifischen Entzündungsparametern stellt das CRP den geeignetsten Parameter zur Überprüfung des Ansprechens der antiinfektiösen Therapie dar. Eine CRP-Bestimmung sollte mindestens 2- bis 3-mal pro Woche vorgenommen werden [5]. Bei erfolgreicher antibiotischer Therapie fällt das CRP innerhalb der 1. oder 2. Woche deutlich ab. Eine persistierende CRP-Erhöhung spricht für das Vorliegen einer nicht beherrschten Infektion. Neben dem CRP sollten ferner regelmäßig eine Bestimmung des Blutbildes sowie der Nierenfunktionsparameter erfolgen. Insbesondere unter hoch dosierter Therapie mit β-Laktamantibiotika kann eine Inhibierung der Granulopoese mit Neutropenie entstehen. Anhand der MDRD-Formel kann über die Bestimmung des Serumkreatinins regelmäßig die glomeruläre Filtrationsleistung der Nieren überprüft werden. Eine Kontrolle des Gentamycin-Spiegels sollte 2- bis 3-mal pro Woche vorgenommen werden. Der Talspiegel sollte dabei <1,0 mg/l liegen. Bei Vancomycin sollte der Serumtalspiegel 5–10 mg/l betragen. Eine Serumspiegelbestimmung von Vancomycin ist bei normaler Nierenfunktion mindestens 1-mal wöchentlich durchzuführen. Bei Kombination mit einem Aminoglykosid sollten die Vancomycin-Spiegel 2- bis 3-mal pro Woche bestimmt werden [5]. Tägliche EKG-Kontrollen geben Hinweise auf neu aufgetretene AV-Überleitungsstörungen. Echokardiographische Verlaufsuntersuchungen sind mindestens 1-mal wöchentlich vorzunehmen, um rechtzeitig eine Befundprogression erfassen zu können [9]. Wir führen zumindest in der Anfangsphase ebenfalls 1-mal pro Woche eine TEE-Untersuchung durch, da nur so eine Größenzu-
Bei einer 55-jährigen Diabetikerin war 2007 eine Portimplantation bei einem chronischen Schmerzsyndrom in einem auswärtigen Krankenhaus vorgenommen worden. Anfang 2008 trat eine Infektion des Portsystems mit Nachweis von Pseudomonas aeruginosa in der Blutkultur auf. Nach Explantation des Portsystems sowie entsprechender antibiotischer Behandlung vorübergehende Stabilisierung der Patientin. 3 Monate später kam es erneut zu rezidivierenden Fieberschüben. Im Thorax-CT ließen sich disseminierte pulmonale Infiltrate nachweisen. Entfieberung unter Pipril, Combactam sowie Gentamycin. Im weiteren Verlauf entwickelte die Patientin einen Monat später erneut Fieberschübe bis 40°C sowie eine Entzündung im Bereich des linken Kniegelenks. In der Blutkultur erneuter Nachweis von Pseudomonaden. Schließlich fiel im Weiteren ein epiduraler Abszess in Höhe L3/L4 mit Spondylodiszitis auf, der mehrfach drainiert werden musste. Im Abszess erneuter Nachweis von Pseudomonaden. Ein TEE zeigt schließlich ausgedehnte Vegetationen an der Trikuspidalklappe mit hochgradiger Trikuspidalklappeninsuffizienz. Eine antibiotische Therapie mit Tobramycin sowie Ceftazidim wurde eingeleitet. Da Pseudomonaden oft ungenügend auf die Antibiotikatherapie ansprechen, wurde bei persistierender Bakteriämie ein Trikuspidalklappenersatz durchgeführt. Nach 6-wöchiger Fortführung des Antibiotikaregimes postoperativ konnte die Patientin in gutem Allgemeinzustand entlassen werden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist es zu keinem Rezidiv der Erkrankung gekommen.
Literatur 1 2 3
4
5
6
7 8
9
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34
455
Der hypertensive Notfall S. Seiler, D. Fliser
35.1
Definition – 456
35.2
Epidemiologie – 456
35.3
Ätiologie – 456
35.4
Pathophysiologie – 457
35.5
Diagnostik – 457
35.6
Allgemeine Therapieleitlinien – 458
35.7
Spezielle Therapieindikationen – 458
35.7.1 35.7.2 35.7.3 35.7.4 35.7.5 35.7.6
Hypertensive Enzephalopathie – 458 Zerebraler Insult – 458 Präeklampsie und Eklampsie – 459 Akute Aortendissektion – 460 Phäochromozytomkrise und sonstige Katecholaminexzesse – 460 Akutes Nierenversagen – 460
35.8
Antihypertensiva – 460
35.8.1 35.8.2 35.8.3 35.8.4 35.8.5 35.8.6 35.8.7 35.8.8 35.8.9
β-Blocker – 460 Diuretika – 460 ACE-Hemmer – 460 Kalziumantagonisten – 461 Nitrate – 461 Uradipil – 461 Phentolamin – 461 Clonidin – 462 Direkte Vasodilatatoren – 462
Literatur – 462
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_35 , © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
35
35 35 35 35
456
Kapitel 35 · Der hypertensive Notfall
35.1
Definition
Hypertensiver Notfall, hypertensive Dringlichkeit Bei einem »hypertensiven Notfall« liegen definitionsgemäß eine akute Erhöhung des systolischen und diastolischen Blutdrucks und gleichzeitig bluthochdruckbedingte Endorganschäden vor [1, 2]. Eine akute Blutdruckerhöhung ohne Zeichen von Endorganschäden wird hingegen als »hypertensive Dringlichkeit« bezeichnet [3].
35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35
Im klinischen Alltag werden die Begriffe »hypertensive Krise«, »hypertensive Entgleisung« und »hypertensiver Notfall« häufig äquivalent verwendet, jedoch empfiehlt das Joint National Commitee (JNC) on Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure die strikte Unterscheidung des »hypertensiven Notfalls« und der »hypertensiven Dringlichkeit« [1]. Dies hat wichtige therapeutische Konsequenzen, da im Falle der »hypertensiven Dringlichkeit« eine Blutdrucksenkung durch körperliche Ruhe und orale Gabe von Antihypertensiva ausreicht [2]. Im Gegensatz hierzu liegt beim »hypertensiven Notfall« eine lebensbedrohliche Situation vor, die eine sofortige (jedoch nicht abrupte!) Blutdrucksenkung verlangt, um den Fortgang hochdruckinduzierter Organschäden zu verhindern. In der Regel erfordert dies eine intensive Überwachung des Patienten, ggf. auch auf der Intensivstation, und eine intravenöse antihypertensive Therapie. Patienten mit langjähriger arterieller Hypertonie tolerieren einen Blutdruckanstieg auf systolische Blutdruckwerte über 200 mm Hg systolisch und/oder über 150 mm Hg diastolisch ohne Auftreten von schwerwiegenden klinischen Beschwerden oder Endorganschäden, nicht jedoch zuvor normotensive Patienten. So können bei Schwangeren mit Präeklampsie schwere Endorganschäden bei bereits deutlich niedrigen Blutdruckwerten auftreten wie z. B. eine hypertensive Enzephalopathie [4]. Folgende klinische Krankheitsbilder werden in Koinzidenz mit einer akuten Blutdruckerhöhung zu hypertensiven Notfällen gezählt: 4 akute Aortendissektion, 4 instabile Angina pectoris/akuter Myokardinfarkt, 4 akute Linksherzdekompensation mit Lungenödem, 4 hypertensive Enzephalopathie, 4 ischämischer Hirninfarkt/intrazerebrale Blutung, 4 Präeklampsie/Eklampsie, 4 Phäochromozytomkrise/sonstige Katecholaminexzesse, 4 akutes Nierenversagen. Eine spezielle Entität stellt die sog. »maligne Hypertonie« dar [4]. Sie ist besonders bedrohlich wegen des Risikos einer dauerhaften Erblindung (hypertensive Retinopathie mit Papillenödem, retinalen Hämorrhagien und Exsudaten), einer lebensbedrohlichen Linksherzdekompensation und/oder schweren Nierenschädigung (maligne Nephrosklerose) bis hin zum akuten Nierenversagen, sowie neurologischen Ausfällen aufgrund von ischämischen Hirninfarkten, intrazerebralen Blutungen oder einer hypertensiven Enzephalopathie im Rahmen eines Hirnödems. Als pathomorphologisches Korrelat lassen sich fibrinoide Nekrosen in den Arteriolen der betroffenen Organe nachweisen [5]. Um die Nomenklatur zu vereinfachen, wurde vorgeschlagen, den Begriff der »malignen Hypertonie« zu verlassen und die entsprechende Organmanifestationen den einzelnen hypertensiven Notfällen zuzuordnen [1, 3, 6, 7].
35.2
Epidemiologie
Die arterielle Hypertonie gewinnt insgesamt an immer größerer sozialmedizinischer Bedeutung. Mit steigendem Lebensalter nimmt ihre Prävalenz zu: mehr als die Hälfte der Älteren zwischen 60 und 69 Jahren leiden an einer arteriellen Hypertonie, bei über 70-Jährigen sind es sogar bis zu 75% [8]. Zum Vorkommen von hypertensiven Notfällen existieren jedoch nur wenige Daten. Sie zeigen, dass etwa 1% aller Hypertoniker im Laufe ihres Lebens eine hypertensive Krise erleiden [9]. Eine große Zahl von Patienten jeder beliebigen Notaufnahme suchen diese aufgrund einer akuten Blutdruckentgleisung auf, wobei bei etwa 75% der Patienten eine arterielle Hypertonie vorbekannt ist [9]. In Studien von Zampaglione et al. [10] und Martin et al. [11] wies allerdings die Mehrheit der Patienten eine hypertensive Dringlichkeit (60–76%) vs. einen hypertensiven Notfall (24–39%) auf. In beiden Studien fanden sich höhere diastolische Blutdrücke bei Patienten mit hypertensiven Notfällen. Weiterhin sind Frauen häufiger von einer hypertensiven Dringlichkeit betroffen, bei Männern dagegen liegen häufiger Zeichen von Endorganschäden und somit hypertensive Notfälle vor [10, 11]. Ebenfalls treten hypertensive Krisen bei Männern in einem früheren Lebensalter auf als bei Frauen (insgesamt treten hypertensive Notfälle jedoch bei beiden Geschlechtern erst im höheren Lebensalter auf als hypertensive Dringlichkeiten). Die häufigsten Endorganschäden im Rahmen von hypertensiven Notfällen waren eine akute Linksherzdekompensation mit Lungenödem sowie der ischämische Hirninfarkt [10, 11].
35.3
Ätiologie
> Die häufigste Ursache für die akute Blutdruckentgleisung ist eine vorbestehende arterielle Hypertonie.
Bei vielen Patienten besteht bereits vor der akuten Blutdruckentgleisung eine unzureichende Blutdrucksenkung, oft wegen fehlender Einnahmetreue der antihypertensiven Medikation. Nicht selten ist eine vorbestehende arterielle Hypertonie renaler Genese, entweder aufgrund einer chronischen Nierenerkrankung oder einer Nierenarterienstenose [12], zu finden. Seltenere Ursachen eines sekundären Hypertonus sind endokrinologische Erkrankungen wie ein primärer Hyperaldosteronismus [4, 13] oder ein Phäochromozytom [14]. Andere Ursachen für einen Katecholaminexzess sind neurologische Störungen mit Beeinträchtigung der Regulation des autonomen Nervensystems (z. B. Guillain-Barré-Syndrom), das abrupte Beenden einer zentral wirksamen antihypertensiven Medikation (Clonidin-Entzugssyndrom), die Einnahme von Amphetaminen oder eine Therapie mit nichtspezifischen Monoaminooxidase-Inhibitoren und gleichzeitiger Verzehr von Tyramin-reichen Lebensmitteln wie z. B. fermentierter Käse, Schokolade und Bier [15]. Auch während operativer Eingriffe treten akute Blutdruckentgleisungen bis hin zum hypertensiven Notfall auf. In der Literatur wird eine Inzidenz von 4–35% im zeitnahen postoperativen Verlauf angegeben [16–18]. Ursächlich ist auch hier meistens eine vorbestehende arterielle Hypertonie mit unzureichender Blutdruckeinstellung oder aber das präoperative Pausieren von langwirksamen Antihypertensiva. Ebenfalls bedeutsam sind perioperative Volumenüberlastung, schmerzinduzierte Sympathikusaktivierung, Narkoseeinleitung, Hypoxämie, Hyperkapnie, Hypothermie und auch die Art des operativen Eingriffs: koronare Bypass-Operationen, Operationen, die ein Abklemmen der Aorta erfordern sowie Operationen im Bereich der Karotiden sind vermehrt mit postoperativen Blutdruckentgleisungen assoziiert [19, 20].
457 4.5 · Diagnostik
35.4
Pathophysiologie
In der Blutdruckregulation spielt neben renalen Mechanismen das Gefäßendothel eine wichtige Rolle. Durch das Wirken von Scherkräften oder Endothelagonisten (z. B. Acetylcholin) kommt es zur Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) und Prostazyklin mit anschließender Vasodilatation. Im Falle eines abrupten und starken Anstieges des Gefäßwiderstandes durch verminderte Synthese vasodilatierender Substanzen, einen Katecholaminexzess oder eine vermehrte Bildung von gefäßverengenden Substanzen wie Thromboxan oder Angiotensin II kann es zur schweren Beeinträchtigung der Endothelfunktion mit Hypoperfusion der Endorgane, fibrinoiden Nekrosen in den Arteriolen und erhöhter Endothelpermeabilität mit perivaskulärem Ödem kommen. Weiterhin kann der Verlust der fibrinolytischen Endothelaktivität durch vermehrte Koagulation und Thrombozytenaggregation zur disseminierten intravasalen Gerinnung führen [21]. Der genaue Mechanismus, der zum Zusammenbruch der Gefäßautoregulation führt, ist noch ungenügend erforscht. Wesentlich scheint eine vermehrte Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) mit direkten toxischen Effekten von Angiotensin II auf das Gefäßendothel zu sein [22, 23]. Ein Teil dieser Effekte wird vermutlich auch durch die Angiotensin-II-vermittelte Freisetzung von proinflammtorischen Zytokinen hervorgerufen. Komplementär zeigen Untersuchungen im Tiermodell der malignen Hypertonie, dass eine medikamentöse Hemmung des RAAS initimale Fibrosen und fibrinoide Nekrosen der Gefäßwand vermindert [24].
35.5
a
Diagnostik
Oberste Priorität haben eine ausführliche Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung des Patienten. Insbesondere das Vorbestehen einer arteriellen Hypertonie sollte erfragt werden sowie deren bisheriger Schweregrad, Güte der Blutdruckeinstellung und antihypertensive Medikation. Bedeutsam ist auch die Einnahme von Sympathomimetika, Drogenkonsum (Kokain, Amphetamine) oder die Einnahme von MonoaminoxidaseInhibitoren bei gleichzeitigem Verzehr von Tyramin-haltigen Nahrungsmitteln. Symptome, die auf einen Endorganschaden hinweisen könnten, müssen erfragt werden: Brustschmerzen (Myokardischämie, Dissektion der thorakalen Aorta), Rückenschmerzen (Dissektion der abdominellen Aorta), Atemnot (linkskardiale Dekompensation), Schwindel, Kopfschmerzen oder Schläfrigkeit (hypertensive Enzephalopathie, zerebrale Ischämie oder Hämorrhagie). Bei der körperlichen Untersuchung sollte auf das Vorliegen von Herzgeräuschen (perikardiales Reibegeräusch), Zeichen der kardialen Dekompensation (auskultatorisch pulmonale Rasselgeräusche, Unterschenkelödeme, vermehrte Füllung der Jugularvenen) und periumbilikale Strömungsgeräusche (Aortendissektion) geachtet werden. Weiterhin sollte ein neurologischer Status erhoben werden (Testung der konsensuellen Lichtreaktion der Pupillen, Motorik, Kraft, Sensibilität, Hirnnerven, Glasgow-Coma-Scale, Zeichen eines Meningismus). Die Untersuchung des Augenhintergrundes ist bei Vorliegen eines Papillenödems und retinaler Hämorrhagien wichtig für die Unterscheidung eines hypertensiven Notfalls von einer hypertensiven Dringlichkeit [21]. Engmaschige Blutdruckkontrollen sollten in Rückenlage und wenn möglich auch im Stehen erfolgen. Zumindest bei der Erstuntersuchung sollte auch eine seitengetrennte Blutdruckmessung erfolgen, da dies einen Hinweis auf das Vorliegen einer thorakalen Aortendissektion liefern kann.
b . Abb. 35.1a, b Ischämischer Insult im A.-cerebri-anterior- und A.-cerebrimedia-Stromgebiet links. a Diffusionsgewichtete MR-Sequenz (»DWI«). b CCT, ca. 2 Tage nach Eintritt des Infarktes. (Abb. von Prof. Dr. W. Reith, Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie, Universitätsklinik des Saarlandes, Homburg/Saar, mit frdl. Genehmigung)
Bei dringendem Verdacht auf das Vorliegen eines hypertensiven Notfalls ist die Durchführung umfassender laborchemischer Untersuchungen angezeigt (Elektrolyte, Retentionswerte, Leberwerte, myokardiale Nekrosemarker, Gerinnungsstatus, Blutgasanalyse, Urinstatus) sowie auch die Durchführung eines Elektrokardiogramms und ggf. einer Thoraxröntgenaufnahme. Sollte sich der Verdacht auf einen Endorganschaden erhärten, ist eine weiterführende Diagnostik in die Wege zu leiten; z. B. eine kraniale Computertomographie (C-CT) und ggf. eine kraniale Magnetresonanztomographie (CMRT) bei bewusstseinsgetrübten Patienten (. Abb. 35.1), transthorakale Echokardiographie und/oder CT bzw. MRT bei Verdacht auf eine thorakale Aortendissektion (. Abb. 35.2).
35
458
Kapitel 35 · Der hypertensive Notfall
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. Abb. 35.2 Typ-A-Aortendissektion (Abb. von Prof. Dr. A. Bücker, Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinik des Saarlandes, Homburg/Saar, mit frdl. Genehmigung)
35
35.6
35
Bei Vorliegen eines hypertensiven Notfalls empfiehlt die Deutsche Hochdruckliga (DHL) eine sofortige, aber nicht überschießende Blutdrucksenkung [25]. Im Einklang mit dieser Empfehlung ist auch die Vorgabe des Amerikanischen Joint National Committee (JNC) on Detection, Evaluation and Treatment on High Blood Pressure, die eine maximale Blutdrucksenkung von 25% innerhalb der ersten Stunden empfiehlt.
35 35 35 35 35 35 35 35
Allgemeine Therapieleitlinien
> Insgesamt sollte eine Blutdrucksenkung auf 160/100 mmHg als Zielwert angestrebt werden und erst innerhalb von 24–48 h die Normalisierung des Blutdrucks [1].
Eine schnellere, radikalere Senkung des Blutdrucks kann u. U. zur renalen, koronaren oder zerebralen Minderdurchblutung und zur vitalen Bedrohung führen, weswegen die Blutdrucksenkung vorzugsweise auf einer Überwachungseinheit mittels intravenöser und somit gut steuerbarer Gabe von Antihypertensiva durchzuführen ist [1]. Trotz der vorhandenen Empfehlungen sollte im Hinblick auf die Art des hypertensiven Notfalls bzw. die Organschädigung und die Besonderheiten des einzelnen Patienten das therapeutische Vorgehen individuell angepasst werden. Besonderheiten und Vorgehensweise bei speziellen hypertensiven Notfällen werden nachfolgend besprochen.
35 35 35 35 35
35.7
Spezielle Therapieindikationen
35.7.1
Hypertensive Enzephalopathie
Die hypertensive Enzephalopathie ist klinisch nicht immer von einem ischämischen oder hämorrhagischen zerebralen Insult zu unterscheiden. Die Patienten beklagen starke Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Es können Krampfanfälle, Somnolenz bis hin zum Koma oder auch fokalneurologische Störungen auftreten. Im Gegensatz zum zerebralen Insult entwickeln sich die Symptome
in der Regel langsam über einen Zeitraum bis zu 48 h und bilden sich nach Blutdrucksenkung rasch vollständig zurück. Mit letzter Sicherheit wird ein zerebraler Insult jedoch nur durch bildgebende Verfahren (CT oder MRT) ausgeschlossen. Im MRT zeigt sich bei der hypertensiven Enzephalopathie eine Ödembildung bevorzugt in der weißen Substanz der parietookzipitalen Region, bezeichnet als reversible posteriore Leukenzephalopathie [26].
35.7.2
Zerebraler Insult
Insbesondere bei Patienten mit ischämischen zerebralen Insulten wird die Blutdruckeinstellung kontrovers diskutiert. Anhand der Studienlage zeigten sich z. T. widersprüchliche Ergebnisse: Einige Arbeitsgruppen fanden eine geringere neurologische Beeinträchtigung als auch Mortalität der Patienten nach deutlicher Blutdrucksenkung [27], andere hingegen fanden ein besseres Ergebnis bei Patienten mit höheren Blutdruckwerten [28]. Wahrscheinlich ist von einem »U-förmigen« Zusammenhang zwischen Blutdruckhöhe und Überleben auszugehen mit einer Verschlechterung der Prognose bei zu starker oder zu geringer Blutdrucksenkung [29]. Die Deutsche Hochdruckliga empfiehlt aufgrund der aktuell noch unklaren Datenlage zu den Auswirkungen einer antihypertensiven Therapie eine sehr vorsichtige Blutdrucksenkung in den ersten Stunden nach einer zerebralen Ischämie; falls vertretbar, sollte eine definitive Blutdrucksenkung erst nach Stabilisierung der Situation erfolgen [25]. Hiervon ist jedoch bei anderen gleichzeitig auftretenden bluthochdruckbedingten Endorganschäden Abstand zu nehmen (z. B. Lungenödem, akute Aortendissektion). Die Leitlinien des Stroke Council der American Heart Association (AHA) empfehlen ein ähnlich zurückhaltendes Vorgehen mit einer Blutdrucksenkung von maximal 25% in den ersten 24 h. Eine intravenöse antihypertensive Therapie sollte bei Blutdruckwerten >185 mm Hg systolisch und >110 mm Hg diastolisch bei geplanter Thrombolyse erfolgen. Bei Patienten, die nicht für eine Thrombolyse in Frage kommen, sollte erst eine medikamentöse Blutdrucksen-
459 35.7 · Spezielle Therapieindikationen
. Tab. 35.1 Übersicht verfügbarer Antihypertensiva bei speziellen hypertensiven Notfällen Substanzklasse
Medikament
Wirkung
Indiziert/günstige Wirkung bei
Kontraindiziert/ungünstige Wirkung bei
β-Blocker
Esmolol Metoprolol
β1-Blockade
Hypertensiver Notfall Akute Aortensdissektion Akutes Koronarsyndrom Supraventrikuläre Tachykardie
Bradykardie Höhergradige AV-Blockierungen Exazerbiertes Asthma bronchiale Kardiale Dekompensation
Labetalol
α1-Blockade Nichtselektiver β-Blocker
Hypertensiver Notfall Hypertonie in der Schwangerschaft Ischämischer Schlaganfall Katecholaminexzess
Diuretika
Furosemid
Hemmung des Na+2Cl–-K+-Kotransporters in der Henle-Schleife
Hypertensiver Notfall mit kardialer Dekompensation und Lungenödem
Exsikkose Hyponaträmie
ACE-Hemmer
Enalapril
Hemmung des Angiotensin-Converting-Enyzms
Hypertensive Dringlichkeit Herzinsuffizienz
Bilaterale Nierenarterienstenose Akuter Myokardinfarkt Schwangerschaft
Calciumantagonisten (Dihydropyridine)
Nifedipin Nitrendipin
Hemmung von Ca2+Kanälen (L-Typ)
Hypertensive Dringlichkeit
Akuter Myokardinfarkt Instabile Angina pectoris
Nitrate
Glyceroltrinitrat
(Venöse) Vasodilatation
Akutes Koronarsyndrom Lungenödem
Hypertensive Enzephalopathie Exsikkose Schwangerschaft
Peripherer α1-Blocker
Uradipil
α1-Blockade 5-HT1A-Stimulation
Hypertensiver Notfall mit akuter Aortendissektion Hypertensive Enzephalopathie Cerebraler Insult
Peripherer α1- und α2-Blocker
Phentolamin
Periphere α1- und α2Blockade
Katecholaminexzesse (z. B. Phäochromozytomkrise, ClonidinEntzugssyndrom)
Koronare Herzerkrankung Akute Myokardischämie
Zentral wirksame Antihypertensiva
Clonidin
Stimulation von α2Rezeptoren Stimulation von Imidazolrezeptoren
Hypertensiver Notfall Entzugsdelir
Bradykardie Höhergradige AV-Blockierung Bewusstseinseintrübung
Direkte Vasodilatatoren
Dihydralazin
Arterielle Vasodilatation
Hypertonie in der Schwangerschaft
Hypertensive Enzephalopthie Myokardischämie Aortendissektion
NitroprussidNatrium
Venöse und arterielle Vasodilatation
Hypertensiver Notfall
Höhergradige Leber- und Nierenfunktionsstörung Zerebrale Ischämie und Hämorrhagie Hypertensive Enzephalopathie
kung bei Blutdruckwerten >220 mm Hg systolisch und >120 mm Hg diastolisch erfolgen. Im Fall eines hämorrhagischen Insultes sollte nur eine kontinuierliche antihypertensive intravenöse Medikation im Fall von systolischen Blutdruckwerten >200 mm Hg systolisch initiiert und ein Zielwert um die 160/90 mm Hg angestrebt werden. Tritt begleitend ein erhöhter intrakranieller Druck auf, ist unbedingt auf die Aufrechterhaltung eines ausreichend hohen zerebralen Perfusionsdruckes zu achten [9, 30, 31].
35.7.3
Präeklampsie und Eklampsie
Definitionsgemäß liegt in der Schwangerschaft eine arterielle Hypertonie bei Blutdruckwerten >140 mm Hg systolisch und >90 mm Hg diastolisch vor [15, 25]. Das Erscheinungsbild der Präeklampsie wird durch das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie, Proteinurie und häufig auch Ödembildung definiert. Die arterielle Hypertonie kann bereits vor Beginn der Schwangerschaft bestehen, aber auch erst nach der 20. Schwangerschaftswoche auftreten. Prädisponierend sind ein hohes oder sehr junges Alter der Mutter, familiäre Belastung, Erstschwangerschaft, Zwillingsschwangerschaft, vorbestehende arterielle Hypertonie und/oder Diabetes mellitus und molare Schwangerschaft. Gefürchtet ist der Übergang der Präeklampsie in die Eklampsie mit Sehstörungen, Krampfanfällen, akutem Nierenversagen, Herz-
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Kapitel 35 · Der hypertensive Notfall
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versagen oder zerebralen Insulten, oder in ein HELLP-Syndrom (»haemolysis, elevated liver enzymes, low platelets«). Ursächlich scheint hier eine Fehlimplantation des Trophoblasten mit einer Störung der lokalen Immunität und der Induktion einer endothelialen Dysfunktion zu sein [32]. Bei der antihypertensiven Behandlung sollte die Aufrechterhaltung der plazentaren Durchblutung beachtet werden, jedoch muss spätestens bei Blutdruckwerten zwischen 150 und 160 mm Hg systolisch und 100–110 mm Hg diastolisch eine medikamentöse Behandlung initiiert werden, bei Hinweisen auf bluthochdruckassoziierte Organschäden auch früher [1]. Je nach weiterem Verlauf kann auch eine vorzeitige Entbindung des Kindes erforderlich werden.
35
35.7.4
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Akute Aortendissektion
Begründete Ausnahmen, die eine rasche Senkung des Blutdrucks erforderlich machen, stellen die Krankheitsbilder der linkskardialen Dekompensation, der akuten myokardialen Ischämie und die Aortendissektion dar. Im Fall der akuten Aortendissektion ist eine Blutdrucksenkung innerhalb kürzester Zeit auf systolische Werte zwischen 100 und 120 mm Hg systolisch notwendig. Der Blutdruck, die myokardiale Kontraktilität und somit die Kraft des pulsatilen Blutflusses sollten soweit gesenkt werden, wie es für den Patienten tolerabel ist, um eine weitere Dissektion der Intima zu vermeiden [8]. Während Typ-A-Dissektionen einer chirurgischen Intervention bedürfen, können Typ-B-Dissektionen häufig konservativ behandelt werden [15,33].
35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35 35
35.7.5
Phäochromozytomkrise und sonstige Katecholaminexzesse
Häufig bewirkt das Phäochromozytom krisenhafte, paroxysmale Blutdruckentgleisungen mit pulsatilen Kopfschmerzen, Schwindel, Palpitationen und Schwitzen in Begleitung mit blassem Hautkolorit. Ausgelöst werden die Phäochromozytomkrisen durch abdominelle Palpation, bestimmte Lageänderungen oder Bewegungen, Tyramin-haltige Nahrungsmittel und emotionale Erregung. Gelegentlich präsentieren sich Patienten mit einem Phäochromozytom auch mit einer schweren persistierenden arteriellen Hypertonie. Der Katecholaminexzess, der durch ein Phäochromozytom oder z. B. durch Konsum von Kokain oder Amphetaminen verursacht wird, geht speziell mit einem erhöhten Risiko für kardiale Arrhythmien und einen adrenergen Schock einher [15].
35.7.6
Akutes Nierenversagen
Ein akutes Nierenversagen kann Folge oder Ursache einer anhaltenden Blutdruckentgleisung sein. Vor allem im Rahmen einer malignen Hypertonie mit exorbitant hohen Blutdruckwerten über längere Zeiträume können schwere vaskuläre Läsionen in Zielorganen bis hin zum akuten Myokardinfarkt, zerebralen Insult und zum akuten Nierenversagen führen [34]. Eine maligne Hypertonie mit akutem Nierenversagen ist heute eher eine Seltenheit. Bei entsprechender klinischer Konstellation (schwere arterielle Hypertonie mit Anstieg des Serumkreatinins) sollte aber daran gedacht werden, da bei verzögerter Diagnosestellung und Einleitung der Therapie eine irreversible Nierenschädigung eintreten kann (maligne Nephrosklerose). Aufgrund der ausgeprägten RAAS-Aktivierung mit starker Vasokonstriktion und Hypervolämie sind Inhibitoren des RAAS bei
Vorliegen einer malignen Hypertonie besonders wirkungsvoll. Zum (meist reversiblen) akuten Nierenversagen kommt es häufiger im Rahmen von akuten Blutdruckentgleisungen, wenn gleichzeitig eine Exsikkose vorliegt. Umgekehrt kann es im Rahmen eines akuten Nierenversagens aufgrund vermehrter RAAS-Aktivierung zur Hypervolämie und zum Anstieg des Blutdrucks kommen.
35.8
Antihypertensiva
In . Tab. 35.1 sind spezielle hypertensive Notfälle und bzw. Indikationen zum Einsatz der verfügbaren Antihypertensiva zusammengefasst. Antihypertensiva zur intravenösen Therapie (Wirkungsprofil und Dosierung) sind in . Tab. 35.2 aufgelistet.
35.8.1
β-Blocker
In der Behandlung eines hypertensiven Notfalls gehören die β-Blocker zu den Standardmedikamenten. Heute werden bevorzugt β1-wirksame Substanzen wie Metoprolol und Esmolol eingesetzt, da diese die Herzfrequenz und Myokardkontraktilität senken ohne vasodilatierende Wirkung. Esmolol hat eine Halbwertszeit von etwa 10 min und ist somit sehr gut steuerbar. Die Halbwertszeit von Metoprolol beträgt 3–5 h. Weiterhin kann der nichtselektive β-Blocker Labetalol eingesetzt werden, der zusätzlich auch eine α-blockierende Wirkung aufweist und somit bevorzugt bei Phäochromozytomkrisen verwendet werden sollte. Bei intravenöser Verabreichung beträgt das Verhältnis der α- zur β-Aktivität 1:7. Labetalol wird auch zur Behandlung der Schwangerschaftshypertonie und zur Blutdrucksenkung im Fall von ischämischen und zerebralen Insulten empfohlen, da Labetalol keinen Anstieg des intrakraniellen Druckes bewirkt [9, 30, 31, 35]. Kontraindikationen für den Einsatz von β-Blockern stellen eine dekompensierte Herzinsuffizienz, eine Bradykardie oder höhergradige AV-Blockierungen sowie eine akut exazerbierte COPD oder ein exazerbiertes Asthma bronchiale dar. Insbesondere ist Labetalol aufgrund seiner nichtselektiv β-blockierenden Wirkung bei Patienten mit Atemwegserkrankungen kontraindiziert.
35.8.2
Diuretika
Diuretika sollten nur im Fall einer hydropischen Dekompensation verabreicht werden, wie z. B. beim kardialen Lungenödem. Der Gebrauch zusammen mit weiteren Antihypertensiva sollte vorsichtig erfolgen, da es schnell zu einer Hypotonie und bei vorbestehender chronischer Nierenerkrankung zu einer weiteren Einschränkung der Nierenfunktion kommen kann.
35.8.3
ACE-Hemmer
Enalapril kann intravenös verabreicht werden. Die vasodilatierende Wirkung wird über eine Hemmung des Angiotensin-convertingEnyzms (ACE) vermittelt, sodass die Entstehung von Angiotensin II gehemmt wird. Enalapril vermindert den peripheren Gefäßwiderstand, ohne sonstige Parameter des Kreislaufs zu verändern, wie z. B. Pumpleistung oder Herzfrequenz. Enalapril ist daher günstig im Einsatz bei Patienten mit Herzinsuffizienz und zeigt eine gute, aber auch evtl. überschießende Wirkung bei Patienten mit stark aktiviertem RAAS [10, 36].
461 35.8 · Antihypertensiva
. Tab. 35.2 Antihypertensiva mit Wirkungsprofil und Dosierung bei intravenöser Applikation Wirkstoffgruppe
Wirkstoff
Wirkungseintritt
Wirkungsdauer
Dosierung
β-Blocker
Metoprolol
2–5 min
8–15 h
5–15 mg als Bolus i.v.
Esmolol
1 min
10–20 min
0,5–1 mg/kg über 1 min i.v., dann 50 μg/kg/min
Labetalol
2–5 min
Bei wiederholtem Bolus 2–4 h
20–80 mg als Bolus i.v., als Infusion 1–2 mg/min
Diuretika
Furosemid
15 min
4–5 h
20–250 mg i.v., als Perfusor 50–100 mg/h, maximale Dosis 2000 mg/Tag
ACE-Hemmer
Enalapril
15–30 min
12–24 h
1,25 mg über 5 min alle 6 h i.v.
Nitrate
Glyceroltrinitrat
2–5 min
5–10 min
5 μg/min i.v., dann maximal 200 μg/min nach langsamer Steigerung
Peripherer α1-Blocker
Uradipil
2–5 min
4–6 h
50 mg langsam fraktioniert i.v., 2 mg/h als Perfusor, Erhaltungsdosis 1 mg/h; maximale Dosis 15 mg/h
Peripherer α1- und α2Blocker
Phentolamin
1–2 min
10–30 min
5–15 mg als Bolus i.v.
Zentral wirksame Antihypertensiva
Clonidin
5–8 min
8–10 h
150 μg i.v., als Perfusor 0,04–0,16 mg/h
Direkte Vasodilatatoren
Dihydralazin
10–20 min
3–4 h
25 mg fraktioniert und verdünnt i.v., als Perfusor 1,5–7,5 mg/h
Natrium-Nitroprussid
30–60 s
Dauer der Infusion
Initial 0,3–0,5 μg/kg/min i.v., dann Steigerung in Schritten von 0,5 μg/kg/min; 125–250 mg/24 h
Von einem Einsatz von Enalpril sollte abgesehen werden bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt, bilateraler Nierenarterienstenose und bei Schwangeren. Aufgrund seiner schlechten Steuerbarkeit ist Enalapril kein Mittel der 1. Wahl bei hypertensiven Notfällen und sollte allenfalls bei der hypertensiven Dringlichkeit zum Einsatz kommen [9, 19].
35.8.4
Kalziumantagonisten
Nifedipin und Nitrendipin sind Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ. Innerhalb von Minuten nach oraler und sublingualer Einnahme kommt es zu einer Vasodilatation und Blutdrucksenkung. Von Nachteil ist eine erhöhte Rate an Hypotonien und konsekutiven Endorganischämien sowie einer Reflextachykardie. Der Einsatz im Rahmen einer instabilen Angina pectoris oder eines akuten Myokardinfarktes ist kontraindiziert. Weiterhin sollten Kalziumantagonisten nicht bei hypertensiven Notfällen aufgrund der schlechten Steuerbarkeit eingesetzt werden und allenfalls im Rahmen einer hypertensiven Dringlichkeit eingesetzt werden.
35.8.5
Bezüglich der Behandlung des hypertensiven Notfalls, ohne eine der beiden zuvor genannten Entitäten, stellt Nitroglyzerin nicht die Medikation der 1. Wahl dar, da es zur schweren Reflextachykardie und Hypotonie kommen kann, insbesondere bei volumendepletierten Patienten. Weiterhin sollte Nitroglyzerin nicht bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck zum Einsatz kommen. Limitierend im Gebrauch sind die bekannte Toleranzentwicklung gegenüber der Wirkung von Nitroglyzerin und die selten auftretende Methämoglobinämie.
35.8.6
Uradipil
Uradipil bewirkt eine Blockade peripherer postsynaptischer α1Rezeptoren und eine Stimulation von zentralen Serotoninrezeptoren. Uradipil bewirkt im Gegensatz zu anderen Vasodilatatoren keine Reflextachykardie [2, 19], weswegen Uradipil z. B. auch bei einer akuten Aortendissektion eingesetzt werden kann. Ebenfalls günstig ist, dass Uradipil im Vergleich zu anderen Vasodilatatoren keinen Anstieg des intrakraniellen Druckes bewirkt und bei zerebralen Insulten oder im Fall einer hypertensiven Enzephalopathie verwendbar ist.
Nitrate
Nitroglyzerin (Glyzeroltrinitrat) ist in erster Linie ein venöser Dilatator, in ausreichend hoher Dosierung tritt zusätzlich eine arterielle Vasodilatation auf. Nitroglyzerin wird in NO umgewandelt und aktiviert die Guanylatzyklase, sodass vermehrt zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP) entsteht. Der vermehrte Anfall von cGMP bewirkt dann eine Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur. Nitroglyzerin findet Anwendung in der supportiven Therapie des akuten Koronarsyndroms und des akuten Lungenödems aufgrund seiner vorlastreduzierenden Wirkung [9].
35.8.7
Phentolamin
Phentolamin ist das Mittel der Wahl bei katecholaminexzessbedingten Blutdruckentgleisungen, wie sie z. B. im Rahmen einer Phäochromozytokrise auftreten. Es sollte nur mit Vorsicht bei Patienten mit bekannter koronarer Herzerkrankung eingesetzt werden, da eine Angina pectoris oder sogar ein Myokardinfarkt ausgelöst werden können. Im Rahmen der Verabreichung von Phentolamin kann es zu Tachykardien, Flush und starken Kopfschmerzen kom-
35
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Kapitel 35 · Der hypertensive Notfall
35
men [37]. Zur Therapie der kompensatorischen Tachykardie sollten β-Blocker verabreicht werden [38].
35
35.8.8
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2
Clonidin
Clonidin wirkt über Stimulation von zentralen und peripheren α2Rezeptoren sowie von Imidazolrezeptoren [2]. Clonidin wirkt sedierend und sollte deshalb nicht als primäre Therapie bei Patienten mit einer hypertensiven Enzephalopathie eingesetzt werden. Günstig ist der Einsatz von Clonidin bei agitierten, deliranten Patienten. Eine weitere ernste Nebenwirkung ist die Bradykardie, weswegen Clonidin nicht bei AV-Blockierungen oder höhergradigen Erregungsleitungsstörungen gegeben werden sollte. Nach dem abrupten Absetzen einer Therapie kann es im Sinne eines »Rebound-Phänomens« zu einer akuten Blutdruckentgleisung kommen [19].
35.8.9
Direkte Vasodilatatoren
Dihydralazin ist ein direkt auf das arterielle Gefäßsystem einwirkende Vasodilatator und findet Einsatz bei der Präeklampsie und Eklampsie. Aufgrund einer ausgeprägten Reflextachykardie und seiner schlechten Steuerbarkeit ist Dihydralazin kein Mittel der 1. Wahl bei sonstigen hypertensiven Notfällen. Natrium-Nitroprussid ist der potenteste Vasodilatator mit gleichzeitiger Dilatation des venösen und arteriellen Systems. Es ist extrem gut steuerbar aufgrund einer kurzen Anflutungszeit und kurzer Wirkdauer (im Minutenbereich). Aufgrund seiner starken Wirksamkeit ist eine engmaschige Überwachung des Kreislaufs erforderlich. Die Anwendung von Natrium-Nitroprussid wird kontrovers diskutiert bei Patienten mit zerebralen Läsionen, da in klinischen Studien ein Zusammenhang zwischen erhöhtem intrakraniellem Druck und dem Einsatz von Natrium-Nitroprussid gefunden wurde [39]. Aufgrund der vasodilatierenden Wirkung kommt es zu einer Abnahme des zerebralen Perfusionsdruckes. Weiterhin kann es bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung durch einen verminderten koronaren Füllungsdruck zu einem sogenannten »koronaren Steal-Phänomen« kommen [40]. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Wirkung von anfallenden toxischen Metaboliten, die zur Blockade der Atmungskette mit irreversiblen neurologischen Schädigungen und zum Herzstillstand führen können, weswegen man auch bei einer höhergradigen Funktionseinschränkung von Leber und/oder Nieren von dem Gebrauch von NatriumNitroprussid absehen sollte.
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Tipp
21
Wenn eine Verabreichung von ≥4–10 μg/kg/min oder eine Therapiedauer von 30 min überschritten wird, sollte zeitgleich die Gabe von Thiosulfat in einem Verhältnis von NatriumNitroprussid zu Thiosulfat von 10:1 erfolgen, um der toxischen Wirkung von Natrium-Nitroprussid-Metaboliten entgegenzuwirken [41].
22
35
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4
9
35
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3
23
24
Literatur 1
Chobanian AV, Bakris GL, Black HR, Cushman WC, Green LA, Izzo JL Jr, Jones DW, Materson BJ, Oparil S, Wright JT Jr, Roccella EJ; Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure. National Heart, Lung, and Blood Institute; National High Blood Pressure Education Program Coordinating Committee (2003)
25
26
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35
465
Lungenarterienembolie H.-D. Walmrath
36.1
Epidemiologie, Prognose, Risikofaktoren – 466
36.2
Symptome und Klinik – 466
36.3
Diagnostik – 466
36.3.1 36.3.2 36.3.3 36.3.4
Basisdiagnostik – 466 Klinische Wahrscheinlichkeit einer Lungenarterienembolie – 466 Spezifische Diagnostik einer Lungenarterienembolie – 466 Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch stabilen Patienten – 467 Diagnostik bei Schwangeren – 468 Risikostratifizierung mit Echokardiographie und kardialen Biomarkern – 468 Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten – 469
36.3.5 36.3.6 36.3.7
36.4
Therapie der akuten Lungenarterienembolie – 469
36.4.1
Therapie in Abhängigkeit von den Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität – 469 Passagerer V.-cava-Filter – 469 Malignomsuche nach Thrombose bzw. Lungenarterienembolie – 470 Entwicklung einer pulmonalarteriellen Hypertonie – 470
36.4.2 36.4.3 36.4.4
Literatur – 470
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_36, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
36
466
36 36 36 36 36 36 36 36 36 36 36
Kapitel 36 · Lungenarterienembolie
36.2
Die Lungenarterienembolie ist die mechanische Verlegung des pulmonalen Gefäßquerschnittes mit Thromben, die dem venösen Gefäßsystem oder dem rechten Herzen entstammen. Hieraus resultiert eine akute Beeinträchtigung der pulmonalen Zirkulation mit konsekutiver Rechtsherzbelastung und Störung des Gasaustausches, die sekundär mit peripherem Blutdruckabfall verbunden sein kann. Der Schweregrad einer Lungenarterienembolie kann zwischen gering und symptomlos und fulminant mit schwerster arterieller Hypoxie, Rechtsherzversagen (akutes Cor pulmonale) und Schock variieren.
Die Symptomatik einer Lungenembolie wird in erster Linie durch das Ausmaß (Schweregrad) des embolischen Geschehens und durch die kardiale und pulmonale Reserve (vorhandene Vorerkrankungen) des Patienten bestimmt. Das klinische Spektrum der Lungenembolie reicht von völliger Beschwerdefreiheit über sehr häufig geäußerte Symptome wie Dyspnoe, Pleuraschmerz, Husten, Beinschwellung, Beinschmerzen, Palpitationen, Hämoptysen, Angina pectoris (Stein et al. 1991) bis hin zur Synkope und akutem Rechtsherzversagen. Keines dieser Symptome besitzt jedoch pathognomonischen Stellenwert, sondern allenfalls richtungsweisenden Charakter für die Diagnose einer Lungenembolie. Ähnlich verhält es sich bei der klinischen Befunderhebung. Am häufigsten imponieren: Tachypnoe, Dyspnoe, Rasselgeräusche, Tachykardie, ein betonter oder gespaltener 2. Herzton, Thrombosezeichen, Fieber und Giemen (Stein et al. 1991).
36.1
Epidemiologie, Prognose, Risikofaktoren
Die Inzidenz tödlicher Lungenembolien wird in Deutschland auf zirka 20.000 pro Jahr geschätzt. Es werden aber nur lediglich 30% der autoptisch gesicherten pulmonalen Embolien auch klinisch diagnostiziert. > Entscheidend ist es also, an das Vorliegen einer Lungenarterienembolie zu denken.
Dies ist umso wichtiger, da 90% der tödlichen Ausgänge innerhalb der ersten beiden Stunden nach Symptombeginn auftreten. Darüber hinaus kann die Sterblichkeit nach Diagnosestellung von 30% auf 8% gesenkt werden.
36
> Eine schnelle Diagnostik und eine konsequente Therapieeinleitung sind also für die Prognose entscheidend.
36
95% aller Lungenembolien sind Folge einer Thrombose im Bereich der tiefen Beinvenen, selten sind Thromben aus den oberen Extremitäten oder dem rechten Herzen verantwortlich. Somit ist die Lungenembolie fast ausnahmslos mit einer Phlebothrombose vergesellschaftet, und zu deren disponierenden Faktoren zählen: 4 Gerinnungsveränderungen: Mangel an AT III, Protein C, Protein S, Resistenz gegen aktiviertes Protein C, Lupus anticoagulans, Erhöhung des Fibrinogens bei Entzündungen oder Malignomen, Thrombozytose, Erhöhung der Blutviskosität bei diuretischer Therapie. 4 Reduzierter venöser Blutfluss: Immobilisation, kardiale Insuffizienz, Operationen und Verbände, langes Sitzen (Bus, Flugzeug), Schwangerschaft, Varikosis. 4 Allgemeine Faktoren: zunehmendes Lebensalter, weibliches Geschlecht, Adipositas, die Einnahme von Ovulationshemmern, v. a. in Verbindung mit Nikotinkonsum, Malignome, besonders des Gastrointestinaltraktes.
36 36 36 36 36 36 36
Symptome und Klinik
Definition
36.3
Diagnostik
36.3.1
Basisdiagnostik
Die Basisdiagnostik setzt sich zusammen aus der Erhebung der Anamnese, körperlicher Untersuchung, Bestimmung der Viatalparameter (Blutdruck, Puls, pulsoxymetrische Sättigung), Thoraxöntgenaufnahme und EKG. Jeder Parameter dieser Basisdiagnostik ist für sich nicht beweisend für eine Lungenembolie, doch sind sie hilfreich, um sich ein Gesamtbild zu verschaffen und erste Differenzialdiagnosen abzuarbeiten (Myokardinfarkt, Pneumonie, Pneumothorax).
36.3.2
Klinische Wahrscheinlichkeit einer Lungenarterienembolie
Das Wichtigste an der Diagnostik der Lungenembolie ist deren Einbeziehung in die differenzialdiagnostischen Überlegungen bei unklarer Dyspnoe. Aus diesem Grund wird heute die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie an den Beginn des diagnostischen Prozesses gesetzt und sollte auch dokumentiert werden. Etabliert haben sich Scores, in die Elemente der Basisdiagnostik eingehen (. Tab. 36.1, . Tab. 36.2). Nach Erhebung dieser Scores wird die weitere Diagnostik von der klinischen Wahrscheinlichkeit bestimmt.
36.3.3
Spezifische Diagnostik einer Lungenarterienembolie
D-Dimer-Test
36 36 36 36 36
Die enge Assoziation von Venenthrombose und Lungenembolie impliziert, dass die Inzidenz der Lungenarterienembolie durch die Identifizierung der Patienten mit einem hohen Thromboserisiko, ihre Prophylaxe bzw. ihre rechtzeitige Erkennung und Therapie am effektivsten gesenkt werden kann.
Der Nachweis der bei der Proteolyse von Fibrin entstehenden DDimere hat eine hohe Sensitivität, jedoch nur eine geringe Spezifät, da auch bei anderen Erkrankungen als einer Thrombose oder Lungenembolie D-Dimere gebildet werden (z. B. Entzündungen, Malignome, Schwangerschaft). Ein negativer D-Dimer-Test besitzt aber einen hohen negativen prädiktiven Wert für das Vorliegen einer Lungenembolie.
36
467 36.3 · Diagnostik
. Tab. 36.1 Klinische Wahrscheinlichkeit einer tiefen Venenthrombose (TVT). (Nach Wells et al. 2003)
. Tab. 36.2 Klinische Wahrscheinlichkeit für eine Lungenarterienembolie (LE). (Nach Wells et al. 2003)
Klinik
Score
Klinik
Score
Malignomerkrankung
1
Klinische Zeichen einer TVT
3,0
Parese oder Immobilisation der Beine
1
LE wahrscheinlicher als andere Diagnose
3,0
Bettruhe (über Tage), operative Eingriffe (<12 Wochen)
1
Puls >100/min
1,5
Schmerz oder Verhärtung entlang der tiefen Beinvenen
1 1
Immobilisation oder Operation innerhalb der letzten 4 Wochen
1,5
Schwellung eines ganzen Beins Unterschenkelschwellung >3 cm im Vergleich zur Gegenseite
1
Frühere TVT oder LE
1,5
Hämoptyse
1,0
Eindrückbares Ödem des symptomatischen Beins
1
Malignom aktiv oder innerhalb der letzten 6 Monate
1,0
Vorhandene Kollateralvenen
1
Geringe Wahrscheinlichkeit für LE
<2,0
Anamnestisch TVT
1
Mittlere Wahrscheinlichkeit für LE
2,0–6,0
Alternative Diagnose ebenso wahrscheinlich wie TVT
–2
Hohe Wahrscheinlichkeit für LE
>6,0
Hohe Wahrscheinlichkeit für TVT
≥2
Niedrige Wahrscheinlichkeit für TVT
<2
Perfusions-Ventilations-Szintigraphie Die Szintigraphie zeichnet sich durch eine geringe Invasivität und niedrige Strahlenbelastung aus. Ein Normalbefund schließt eine Lungenembolie mit hoher Sicherheit aus, und ein positiver Befund rechtfertigt die Therapie. In einem nicht geringen Umfang (40– 50%) muss aber mit unklaren Befunden gerechnet werden, die eine weiterführende Diagnostik erforderlich machen.
Spiral-Computertomographie Mit der Entwicklung von Mehrzeilen-Computertomographen hat sich die Sensitivität für periphere Embolien, die mit den Geräten der 1. Generation (Einzeiler) nicht erkannt werden konnten, deutlich verbessert. Der Vorteil der Computertomographie bei der Diagnostik der Lungenembolie liegt in der Schnelligkeit des Untersuchungsverfahrens v. a. bei kritisch kranken Patienten. Darüber hinaus kann durch die Ausweitung des Untersuchungsfeldes bis zu den Kniekehlen noch emboliefähiges Material sicher detektiert werden.
Magnetresonanztomographie Der Stellenwert der Kernspintomographie zum Nachweis einer Lungenembolie ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Ein Vorteil läge v. a. in der fehlenden Strahlenbelastung, was insbesondere bei Schwangeren wünschenswert wäre.
Pulmonalisangiographie Die Pulmonalisangiographie stellt den historischen Goldstandard zur Diagnose der Lungenembolie dar. Ihr klinischer Stellenwert hat jedoch mit Einführung der CT-Technologie deutlich abgenommen, zumal sie mit einer hohen Strahlenbelastung und Invasivität verbunden ist.
Beinvenen-Duplexsonographie Die Sonographie der Beinvenen ist auch bei klinisch unauffälligem Beinbefund ein sinnvoller Schritt in der Abklärung des Verdachts auf Lungenembolie. Bei Patienten mit mittlerer oder hoher klinischer Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie darf die Diagnose bei Nachweis einer Beinvenenthrombose als gesichert gelten. Andererseits schließt ein unauffälliger Venenstatus des Bein-Becken-
Systems eine Lungenembolie nicht aus, da das gesamte Material sich gelöst haben kann. Bei nicht eindeutigem Sonographiebefund kann auch eine Phlebographie in Erwägung gezogen werden.
Echokardiographie Sie erweist sich äußerst wertvoll zur Diagnose einer hämodynamisch signifikanten Embolie, sie kann eine Dilatation des rechten Ventrikels und Vorhofs und seltener auch des Pulmonalisstammes nachweisen. Echokardiographisch kann auch eine akute von einer chronischen Rechtsherzbelastung mit hypertrophierten Wänden differenziert werden. Die Dopplertechnik ermöglicht zudem bei vorliegender Trikuspidalinsuffizienz eine Abschätzung des systolischen pulmonalarteriellen Druckes. Die Echokardiographie gehört bei hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten zu den ersten Untersuchungen und gewinnt bei mittlerer und hoher klinischer Wahrscheinlichkeit und typischer echokardiographischer Befundkonstellation zunehmend Bedeutung für die Einleitung der spezifischen Therapie. Auf der anderen Seite entzieht sich eine Signalembolie, die ohne Beeinflussung der Hämodynamik abläuft, der echokardiographischen Diagnostik.
36.3.4
Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch stabilen Patienten
Das diagnostische Vorgehen beim Verdacht auf eine Lungenembolie hängt zum einen vom Zustand des Patienten ab und zum anderen von den gegebenen technischen Voraussetzungen vor Ort. Die Stabilität des Patienten hängt von Blutdruck, Puls und Sättigung ab. Bei stabilen Verhältnissen werden die in der 7 Übersicht und in . Abb. 36.1 genannten diagnostischen Schritte empfohlen.
468
Kapitel 36 · Lungenarterienembolie
Diagnosestrategie: stabiler Patient
36 36
Klinische Wahrscheinlichkeit
Niedrig
36
Mittel / hoch kein D-DIMER!
D-Dimer
positiv
36 36 36
Bildgebendes Verfahren Kompressionssonographie Beinvenen
Spiral-CT negativ
negativ
negativ
V/Q-Szintigraphie V/Q negativ
nicht eindeutig positiv positiv Keine Behandlung
positiv
negativ
Behandlung
36 36
. Abb. 36.1 Diagnosestrategie bei hämodynamisch stabilen Verhältnissen
36 Diagnostischer Algorithmus bei stabilen Verhältnissen
36
1. 2.
36 36
3.
36 36
4.
36
5.
36
6.
36
7.
36
D-Dimer-Test und Erhebung des Scores zur klinischen Wahrscheinlichkeit nach Basisdiagnostik. Bei geringer klinischer Wahrscheinlichkeit und negativem D-Dimer-Test keine weitere Diagnostik, die Lungenembolie gilt als ausgeschlossen. Bei Patienten mit geringer klinischer Wahrscheinlichkeit und positivem D-Dimer-Test sowie bei Patienten mit mittlerer und hoher klinischer Wahrscheinlichkeit (unabhängig vom Ergebnis des D-Dimer-Testes) Sonographie der Beinvenen. Bei Nachweis einer Thrombose in der Sonographie keine weitere Diagnostik, die Lungenembolie gilt als nachgewiesen. Bei negativer Sonographie oder unklarem Befund wird eine Spiral-Computertomographie oder VentilationsPerfusions-Szintigraphie empfohlen. Bei unklarem Befund der Ventilations-PerfusionsSzintigraphie muss eine Spiral-Computertomographie angeschlossen werden. In sehr seltenen Fällen bei nicht eindeutigem Befund der Mehrzeilen-Spiral-Computertomographie muss eine Pulmonalisangiographie zur endgültigen Klärung herangezogen werden.
36 36 36 36 36 36 36
36.3.5
Diagnostik bei Schwangeren
Wie bereits erwähnt, wäre für schwangere Patientinnen die Magnetresonanztomographie das diagnostische Vorgehen der Wahl, doch liegen bislang keine Untersuchungen vor, die den Stellenwert dieser Untersuchungstechnik für den Nachweis einer Lungenembolie belegen. Ein Algorithmus zur Diagnostik einer Lungenembolie bei Schwangeren ist bislang noch nicht etabliert worden, obwohl das Thrombose- und Embolierisiko deutlich erhöht und der D-DimerTest nur eingeschränkt verwertbar ist. Neben der Beinvenensonographie wird zum sicheren Ausschluss oder Nachweis einer Lungenembolie derzeit die SpiralComputertomographie unter Abwägung des klinischen Zustandes
der Mutter und möglicher Schäden für das Kind mit entsprechenden Strahlenschutzmaßnahmen im Bereich des Abdomens empfohlen.
36.3.6
Risikostratifizierung mit Echokardiographie und kardialen Biomarkern
Auch beim hämodynamisch stabilen Patienten sollte mit dem Nachweis einer Lungenembolie eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt werden, falls dies nicht schon differenzialdiagnostisch im Vorfeld zum Ausschluss kardialer Erkrankungen (eingeschränkte Pumpfunktion, Klappenvitien, Perikarderguss) erfolgt ist. Diese Echokardiographie dient der Risikoeinschätzung und somit der Überwachungsintensität und ist hilfreich bei der Dokumentation des Befundverlaufs und für weitere Therapieentscheidungen. Die rechtsventrikuläre Dysfunktion ist echokardiographisch definiert als eine eingeschränkte Wandbewegung des rechten Ventrikels, eine rechtsventrikuläre Dilatation, eine paradoxe Bewegung des interventrikulären Septums, ein Nachweis einer Trikuspidalklappeninsuffizienz und die darüber abgeschätzte Erhöhung des systolischen pulmonalarteriellen Drucks sowie eine Erweiterung der V. cava inferior. Eine prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs ist mit diesen Parametern möglich (Kasper et al. 1997). Die kardialen Biomarker Troponin (I und T) und die natriuretischen Peptide »brain natriuretic peptide« (BNP) und pro-BNP besitzen einen hohen negativen prädiktiven Vorhersagewert für den komplizierten klinischen Verlauf einer Lungenembolie (Konstantinides et al. 2002; Kucher et al. 2003). > Somit stehen mit der Echokardiographie und den kardialen Biomarkern prognostische Verlaufsparameter zur Verfügung, die eine individuelle Risikoabschätzung zulassen.
Hämodynamisch stabile Patienten mit Lungenembolie, bei denen sich eine rechtsventrikuläre Dysfunktion echokardiographisch nachweisen lässt, sollten unbedingt intensivmedizinisch betreut werden.
469 37.4 · Therapie der akuten Lungenarterienembolie
36.3.7
Diagnostischer Algorithmus bei hämodynamisch und respiratorisch instabilen Patienten
Alle hämodynamisch oder respiratorisch instabilen Patienten mit dem Verdacht auf eine Lungenembolie müssen sofort intensivmedizinisch betreut werden und möglichst ohne grossen diagnostischen Zeitverlust der kausalen Therapie zugeführt werden. Bei instabilen Verhältnissen werden folgende diagnostische Schritte empfohlen:
Diagnostischer Algorithmus bei instabilen Verhältnissen 1.
2.
36.4
Die transthorakale Echokardiographie stellt den entscheidenden diagnostischen Schritt bei instabilen Patienten zum Nachweis einer rechtskardialen Dysfunktion als Auslöser der bestehenden Symptomatik bei Verdacht auf Lungenembolie dar. Lediglich Patienten, bei denen kein adäquater Echokardiographiebefund erhoben werden kann, sollten nach Zustand des Patienten und technischen Gegebenheiten (keine langen Transporte) einer weiteren Diagnostik unterzogen werden (transösophageales Echokardiogramm, Spiral-Computertomographie).
Therapie der akuten Lungenarterienembolie
Für die Therapie der akuten Lungenembolie stehen die alleinige Antikoagulation einerseits und die systemische thrombolytische Therapie andererseits zur Verfügung. In seltenen Fällen kann auch die mechanische Thrombusentfernung mittels Operation am offenen Herzen mit Herz-Lungen-Maschine oder eine Katheterfragmentation, evtl. kombiniert mit einer lokalen Lyse, in Frage kommen. Die mechanischen Verfahren müssen immer dann in Erwägung gezogen werden, wenn eine nicht beherrschbare Blutungsneigung besteht. Ähnlich wie bei der Diagnostik richtet sich auch die Therapie der Lungenembolie nach der hämodynamischen Stabilität des Patienten. Neuerdings werden 4 Risikogruppen unterschieden (. Tab. 36.3).
36.4.1
Therapie in Abhängigkeit von den Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität
Für Patienten der Risikogruppe 1 (hämodynamisch stabil und ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion) ist die alleinige Antikoagulation ausreichend. Für die Antikoagulation kann unfraktioniertes Heparin verwandt werden, das schon bei begründetem Verdacht nach Abwägen des Nutzens und des Risikos für den Patienten eingesetzt werden sollte. Bei der therapeutischen Antiokoagulation sollte eine partielle Thromboplastinzeit (pTT) von 60–90 s angestrebt werden. Auch die niedermolekularen Heparine (in Deutschland sind Tinzaparin und Enoxaparin zugelassen) erwiesen sich in großen randomisierten Studien als vergleichbar effizient bei der stabilen Lungenembolie wie unfraktioniertes Heparin (Simmoneau et al. 1997; Quinlan et al. 2004). Lediglich bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kann die gewichtsbezogene Dosierung auch zu Blutungen führen, sodass eine Dosisanpassung vorgenommen werden muss oder eine Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin. Für Patienten der Risikogruppe 2 (hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion) ist die optimale Therapieführung noch nicht geklärt. Eine frühzeitige Lysetherapie kann den klinischen Verlauf positiv beeinflussen (Konstantinides et al. 2002), doch die Sterblichkeit konnte bisher durch dieses Vorgehen nicht gesenkt werden. Die derzeitige Empfehlung sieht eine Antikoagulation der Patienten vor sowie ein engmaschiges intensivmedizinisches Monitoring (RR, Puls, Laktat, Echokardiographie, Troponinund BNP- oder Pro-BNP-Bestimmungen). Patienten der Risikogruppe 3 (beginnender oder manifester kardiogener Schock) haben eine hohe Sterblichkeit (>30%), sodass in diesem Fall eine schnelle rechtsventrikuläre Druckentlastung erfolgen muss. Dies ist nur durch eine umgehende systemische Lysetherapie möglich. Zugelassen für die Lysetherapie sind Streptokinase, Urokinase und der rekombinante Gewebe-PlasminogenAktivator (r-tPA), Letzterer wird heute meist eingesetzt in einer Dosierung von 100 mg über 2 h. Begleitend zur Lysetherapie wird eine Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin durchgeführt. Bei hohem Blutungsrisiko entscheidet die Dynamik des klinischen Verlaufs, ob trotzdem eine Lysetherapie oder alternative Therapieansätze (Herz-Lungen-Maschine oder Katheterfragmentation, falls vorhanden) in Erwägung gezogen müssen. Reanimationspflichtige Patienten der Risikogruppe 4 können nur mit einer sofortigen Rekanalisierung der Lungenstrombahn mittels systemischer Lysetherapie überleben. Die Sterblichkeit liegt sonst bei >90%. Vor diesem Hintergrund können auch keine Kontraindikationen geltend gemacht werden. Stehen mechanische Rekanalisationsverfahren (Operation oder Katheterlabor) nicht unmittelbar zur Verfügung, kann auch ein Transport unter Reanimationsbedingungen erwogen werden. Nach Einleitung der Lysetherapie unter Reanimationsbedingungen sollte die Reanimationsdauer ausreichend lang bemessen werden.
. Tab. 36.3 Die 4 Risikogruppen der hämodynamischen Stabilität Risikogruppe
Kennzeichen
1
Hämodynamisch stabil ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion
2
Hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion
3
Schock (RR <90 mm Hg, Puls >100/min)
4
Reanimationspflichtigkeit
36.4.2
Passagerer V.-cava-Filter
Liegen Kontraindikationen für eine antikoagulatorische oder fibrinolytische Therapie vor und findet sich darüber hinaus nicht wandadhärentes Thrombusmaterial in den tiefen Beinvenen, den Beckenvenen oder der V. cava inferior, sollte zusätzlich die transvenöse, passagere Implantation (bis 10 Tage) eines V.-cava-Schirms unterhalb der Nierenvenen erwogen werden. Dieses Vorgehen ist aber bislang durch kontrollierte Studien nicht belegt. Eine perma-
36
470
36
Kapitel 36 · Lungenarterienembolie
nente Filteranlage kann die Gefahr einer Embolie zwar reduzieren, ist aber gleichzeitig mit einer signifikant erhöhten Rethromboserate behaftet.
36 36 36 36 36 36
36.4.3
Malignomsuche nach Thrombose bzw. Lungenarterienembolie
Die ungeklärte Thrombose und Lungenarterienembolie ist häufig mit einem Malignomnachweis oder der Malignomentstehung assoziiert. Eine Metaanalyse (Carrier et al. 2008) konnte die Überlegenheit eines extensiven Tumor-Screenings im Vergleich zur körperlichen Untersuchung, Anamnese und Routinelaborkontrollen eindeutig belegen. Vor einer oralen Antikoagulation sollte an eine umfassende Tumorsuche (CT, Ultraschall Abdomen, Tumormarker) unbedingt gedacht werden.
Entwicklung einer pulmonalarteriellen Hypertonie
36
36.4.4
36
Die Inzidenz einer thrombembolischen pulmonalen Hypertonie liegt in den ersten 6 Monaten nach Lungenarterienembolie bei 1%, nach 1 Jahr bei 3,1% und nach 2 Jahren bei 3,8% (Pengo et al. 2004). Vor diesem Hintergrund sollte den Patienten mit abgelaufener Lungenarterienembolie bei anhaltender Dyspnoesymptomatik eine Kontrollechokardiographie zum Ausschluss einer chronischen pulmonalarteriellen Hypertonie empfohlen werden.
36 36 36 36
Literatur 1
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471
Respiratorische Störungen Kapitel 37
Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
Kapitel 38
Akutes Lungenversagen
Kapitel 39
Pneumonien
Kapitel 40
COPD und Asthma bronchiale
Kapitel 41
Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Kapitel 42
Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
V
473
Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik R. Dembinski, R. Kuhlen
37.1
Nomenklatur und Definition – 474
37.2
Hypoxische respiratorische Insuffizienz – 474
37.2.1 37.2.2
Grundlagen – 474 Mechanismen der Hypoxämie – 474
37.3
Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz – 476
37.3.1 37.3.2 37.3.3
Grundlagen – 476 Pulmonale Ursachen – 477 Extrapulmonale Ursachen – 477
Literatur – 477
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_37, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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474
Kapitel 37 · Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
37.1
Nomenklatur und Definition
Die respiratorische Insuffizienz ist definiert als schwerwiegende Störung des pulmonalen Gasaustausches. Ist v. a. die Sauerstoffaufnahme (O2) betroffen, spricht man von einer hypoxischen Form des respiratorischen Versagens, während bei der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz v. a. die Elimination von Kohlendioxid (CO2) alteriert ist. Eine partielle respiratorische Insuffizienz besteht, wenn nur die O2-Aufnahme beeinträchtigt ist; liegt gleichzeitig eine CO2-Eliminationsstörung vor, spricht man von einer globalen respiratorischen Insuffizienz. Hypoxämie entsteht meist durch pathologische Veränderungen des Lungenparenchyms selbst, während Hyperkapnie in der Regel durch Störungen der Atempumpe zustande kommt. Deren Funktion ergibt sich aus dem zentralen Atemantrieb, der neuromuskulären Überleitung und der Mechanik des respiratorischen Systems. Eine hyperkapnische respiratorische Insuffizienz kann also auch entstehen, wenn die Lunge als Organ noch funktioniert. Allerdings entwickelt sich im Verlauf der respiratorischen Insuffizienz meist eine kombinierte Gasaustauschstörung mit Hypoxämie und Hyperkapnie. In Übereinstimmung mit der internationalen Literatur wird im Weiteren von der hypoxischen und der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz gesprochen [1].
37.2
Hypoxische respiratorische Insuffizienz
37.2.1
Grundlagen
> Bei der hypoxischen respiratorischen Insuffizienz ist der pulmonale O2 -Austausch soweit reduziert, dass eine Hypoxämie in der arteriellen Blutgasanalyse resultiert.
Zur Definition der Hypoxämie ist eine alleinige Angabe des arteriellen O2-Partialdrucks (paO2) aus vielen Gründen ungenügend. Der paO2 ist wesentlich vom pO2 des inspirierten Gasgemisches abhängig, der wiederum durch die inspirierte O2-Konzentration (FIO2) und den Umgebungsdruck (PB) definiert ist:
korrigiert, erfordert allerdings die Eingabe der aktuell gemessenen Temperatur des Patienten. Auch mit einem korrekt bestimmten paO2 ist die Oxygenierung nur ungenügend beschrieben, da die eigentliche Zielgröße der arterielle O2-Gehalt (CaO2) ist. Dieser ergibt sich aus dem Hauptanteil des chemisch an Hämoglobin gebundenen O2 und dem nur kleinen Anteil an physikalisch gelöstem O2, das entsprechend der Löslichkeit direkt vom paO2 abhängt: CaO2=Hb×1,34×HbaO2+paO2×0,0031
Die Hypoxämie als Symptom einer respiratorischen Insuffizienz ist als Abnahme des Sauerstoffgehalts im arteriellen Blut definiert. Sie kann klinisch als Zyanose sichtbar werden, sofern mehr als 5 g/dl deoxygeniertes Hämoglobin vorliegen. Um die eigentliche Leistungsfähigkeit der pulmonalen Austauschfunktion für O2 zu beschreiben, ist der alveoloarterielle O2Gradient (A-a-Gradient) geeignet, der sich als Differenz des alveolaren O2-Partialdrucks (pAO2) und dem paO2 ergibt, wobei sich der pAO2 entsprechend der alveolaren Gasgleichung berechnet: pAO2=FIO2×(pB–pH2O)–paCO2/R 4 pH2O=pulmonaler Wasserdampfdruck (47 mm Hg) 4 paCO2=arterieller CO2-Partialdruck (Normwert: 40 mm Hg) 4 R=respiratorischer Quotient (Normwert: 0,8)
Bei Einsetzen der angegebenen Normwerte ergibt sich bei Raumluft ein pAO2 von: pAO2=0,21×(760–47)–40/0,8=100 mm Hg
Physiologisch ist der A-a-Gradient also vernachlässigbar klein. Eine wiederum bestehende Altersabhängigkeit kann wie folgt abgeschätzt werden: p(A-a)=2,5+0,21×Alter
piO2=FIO2×PB
Zur Interpretation ist mindestens der Oxygenierungsindex (paO2/ FIO2-Quotient) und bei wesentlichen Abweichungen vom normalen Umgebungsdruck – etwa in großer Höhe – auch die Angabe des Umgebungsdrucks erforderlich. Darüber hinaus ist der paO2 altersabhängig. Der individuelle Normwert kann anhand der Formel
37.2.2
Mechanismen der Hypoxämie
Pathophysiologisch sind für die Störungen der pulmonalen Oxygenierungsleistung 5 Mechanismen verantwortlich:
Eigentliche Hypoxie
37 37 37 37 37
paO2 (mm Hg)=103,5–(0,41×Alter)
bei einer FIO2 von 0,21 ungefähr abgeschätzt werden. Die Temperaturabhängigkeit des paO2 wird in modernen Blutgasanalysatoren anhand der Formel log(paO2 aktuell/paO2 gemessen) = 0,024 (eingegebene Temperatur –37°C)
4 4 4 4 4
Erniedrigung des inspiratorischen O2-Partialdrucks (piO2), globale alveolare Hypoventilation, Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt, Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörungen, Diffusionsstörungen.
Darüber hinaus ist eine ausgeprägte Erniedrigung des O2-Gehaltes im venösen Blut, so wie sie bei extremer körperlicher Anstrengung aufgrund des massiven O2-Verbrauchs oder aber bei extremer Abnahme des Herzzeitvolumens auftreten kann, als Ursache einer unvollständigen pulmonalen Oxygenierung vorstellbar. Auch ein
475 37.2 · Hypoxische respiratorische Insuffizienz
exzessiv gesteigerter intrapulmonaler Sauerstoffverbrauch, etwa bei der foudroyant verlaufenden Pneumonie, kann eine Hypoxämie mitbedingen.
pulmonalen Rechts-links-Shunt bezeichnet. Unter Zuhilfenahme der Daten eines Pulmonaliskatheters oder aber näherungsweise der zentralvenösen Sättigung ist die venöse Beimischung abzuschätzen als:
Hypoxie Die eigentliche Hypoxie ist definiert als Atmung eines Gasgemisches mit reduziertem pIO2, der lediglich bei Abnahme der FIO2 unter 21% oder bei Aufenthalt in großen Höhen auftritt. In der Medizin ist die so definierte Hypoxie eine Rarität, sollte aber in alpiner Umgebung und bei luftgebundenen Transporten, besonders von kritisch kranken Patienten, berücksichtigt werden. Die Therapie der Hypoxie besteht in der Erhöhung der FIO2 (O2-Maske bei alpinem Bergsteigen, FIO2-Erhöhung bei luftgebundenen Transporten) oder aber in der Adaptation des Umgebungsdrucks (Fliegen »at sea level«).
Hypoventilation Bei der globalen Hypoventilation erreicht zu wenig O2 die Alveole, während die alveolare CO2-Konzentration ansteigt, sodass aufgrund der alveolaren Gasgleichung der pAO2 absinkt. Die globale Hypoventilation resultiert aus einer Minderfunktion der Atempumpe und führt zu einer kombinierten hypoxischen, hyperkapnischen Insuffizienz. Therapie der Wahl ist die Beseitigung der Ursachen der Hypoventilation, wenn immer möglich. Zur Therapie der Oxygenierungsstörung ist die Erhöhung der FIO2 effektiv, da hierdurch eine direkte Erhöhung des pAO2 der minderventilierten Alveole zu erreichen ist. Allerdings stellt die Erhöhung der FIO2 keine kausale Therapie dar, sondern kann im Gegenteil eine Zunahme einer begleitenden Hyperkapnie nach sich ziehen, wenn nämlich durch die Aufhebung der Hypoxämie der hypoxische Atemantrieb genommen wird. Sowohl die Hypoxie als auch die globale Hypoventilation sind im engeren Sinne nicht als Oxygenierungsstörung der Lunge per se zu werten, da es zu keiner wesentlichen Ausweitung des A-a-Gradienten kommt. Die Alveole wird nur nicht entsprechend mit O2 versorgt, um eine ausreichende arterielle Oxygenierung bei an sich guter Gasaustauschfunktion zu leisten. Demgegenüber sind die folgenden Störungen Ausdruck der Minderfunktion des Gasaustauschs mit entsprechender Erhöhung des A-a-Gradienten.
QVA/QT=(CcO2-CaO2)/(CcO2-CvO2) 4 CcO2=kapillärer O2-Gehalt 4 CaO2=arterieller O2-Gehalt 4 CvO2=gemischtvenöser O2-Gehalt
Zur weiteren Diskriminierung der venösen Beimischung in »low VA/Q« und echten Shunt kann die aufwändige Technik der gaschromatographischen Analyse des Eliminationsverhaltens mehrerer inerter Gase benutzt werden, die vorher intravenös appliziert wurden (»multiple inert gas elimination technique«; MIGET). Wegen der Aufwändigkeit des Verfahrens bleibt diese Technik allerdings eher der wissenschaftlichen Untersuchung als der klinischen Routine vorbehalten. Klinisch können Oxygenierungsstörungen, die durch low VA/Q-Areale verursacht werden, von echtem Shunts dadurch unterschieden werden, dass in low VA/Q-Arealen die Applikation von O2 zu einer Verbesserung der Oxygenierung führt, während O2-Gabe bei reinem Shunt weitgehend ohne Effekt bleibt [2, 3].
Hypoxisch pulmonale Vasokonstriktion (HPV) Physiologischerweise kommt es bei Abnahme der Belüftung eines Lungenareals zur reflektorischen Vasokonstriktion und so zu einer reduzierten Perfusion dieses Areals. Der Mechanismus der HPV ist für akute Lungenveränderungen wichtig, da die Folgen einer Hypoxie für den Gasaustausch hierdurch minimiert werden. Bleibt die lokale Ventilationsstörung mit der reflektorischen Vasokonstriktion allerdings länger bestehen, kann u. a. hierdurch eine pulmonale Hypertension auftreten. Dies scheint bei der Entwicklung der pulmonalen Hypertonie mit Cor pulmonale bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung eine Rolle zu spielen [4]. In der Pathogenese der pulmonalen Hypertension beim akuten Lungenversagen sind allerdings noch weitere Mechanismen wie etwa das Auftreten thrombotischer, kapillärer Gefäßverschlüsse und verschiedene humorale Vasokonstriktoren wie etwa Endothelin o. a. beteiligt [5].
Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt Fließt venöses Blut vom rechten Herzen durch die Lungenstrombahn, ohne hier mit belüfteten, gasaustauschenden Alveolen in Kontakt zu kommen – wie etwa bei einer Atelektase –, wird dieser Anteil des Blutes nicht oxygeniert und dekarboxyliert. Das Blut dieser Bereiche wird mit gut oxygeniertem Blut aus nicht betroffenen Alveolen vermischt, was zu einer schweren Hypoxämie führen kann. Der intrapulmonale Rechts-links-Shunt (QS/QT) wird als prozentualer Anteil des Herzzeitvolumens angegeben, der nicht in der Lunge oxygeniert wird.
Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörungen Im Gegensatz zu den globalen Änderungen des Verhältnisses aus Ventilation und Perfusion (z. B. globale Hypoventilation) sind hier Störungen der intrapulmonalen Verteilung von Ventilation und Perfusion gemeint. Ist die Ventilation eines Lungenareals mehr als die Perfusion dieses Areals eingeschränkt, nimmt der lokale pAO2 ab. Als »venöse Beimischung (QVA/QT)« wird der Anteil des schlecht oxygenierten Bluts aus Bezirken mit niedrigen Ventilations-Perfusions-Verhältnissen zusammen mit dem echten intra-
Diffusionsstörungen Da der pulmonale Gasaustausch auf dem Wirkprinzip der Diffusion beruht, erscheint es naheliegend, dass etwaige Diffusionsstörungen eine wesentliche Rolle für den Gasaustausch spielen.
Störungen der Diffusionskapazität können auftreten bei: 4 Verdickung der alveolokapillären Membran (Ödem, Fibrose), 4 Reduktion des pulmonalkapillären Blutvolumens (schwere Verteilungsstörung), 4 Reduktion der pulmonalkapillären Transitzeit (massive HZV-Erhöhung).
Darüber hinaus wäre es denkbar, dass kein Diffusionsäquilibrium am Ende der alveolokapillären Membran erreicht würde, wenn der venöse O2 soweit erniedrigt wäre, dass die gegebene Diffusionskapazität zu einer vollständigen Oxygenierung nicht ausreicht. Dies
37
476
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Kapitel 37 · Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
könnte etwa bei der schweren Anämie und hohem Herzzeitvolumen auftreten. Tatsächlich aber konnte die Diffusionsstörung nie als wesentlicher kausaler Faktor der akuten respiratorischen Insuffizienz nachgewiesen werden. Offensichtlich ist die pulmonale Diffusionskapazität so hoch, dass etwaige Störungen in der intensivmedizinischen Praxis kaum eine Rolle spielen.
wobei durch Einsetzen der Definitionen für Resistance und Compliance resultiert:
> Störungen der Ventilation, Perfusion oder der intrapulmonalen Ventilations-Perfusions-Verteilung sind in Anästhesie und Intensivmedizin die weitaus häufigste Ursache der arteriellen Hypoxämie beim hypoxischen respiratorischen Versagen.
> Die Höhe der Ventilation hängt vom muskulär generierten Pleuradruck, der Resistance und der Compliance des respiratorischen Systems ab.
37.3
Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
37
Die hyperkapnische respiratorische Insuffizienz ist durch eine Verminderung der alveolaren Ventilation mit konsekutivem Anstieg des paCO2 bei Versagen der Atempumpe gekennzeichnet.
37
37.3.1
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Grundlagen
Die Ventilation muss für den jeweiligen metabolischen Bedarf einen ausreichenden Gasaustausch gewährleisten. Hierfür ist ein funktionstüchtiger Atemapparat die Voraussetzung. Zum Atemapparat gehören das zentrale Atemzentrum, vom dem der Atemimpuls über eine intakte neuromuskuläre Signalübertragung an das Zwerchfell weitergeleitet wird. Die Kontraktion des Zwerchfells bewirkt einen Abfall des Druckes im Pleuraspalt, wodurch ein Druckgradient zur äußeren Öffnung der Atemwege entsteht. Entlang dieses Druckgradienten strömt Gas in die Lungen, wobei die Höhe der Gasströmung vom Widerstand der Atemwege und das Volumen von der Dehnbarkeit des respiratorischen Systems abhängen. Der Atemwegswiderstand wird als Resistance (R) bezeichnet und ist definiert als
R='p / f 4 (Normal ca. 2 mbar×l–1×s–1) 4 p=treibender Druck 4 f=Gasfluss
37 37 37 37 37 37 37
Die Dehnbarkeit des respiratorischen Systems wird als Compliance (C) bezeichnet und ist definiert als
C='V/'p 4 (Normwert ca. 100 ml/mbar) 4 V=Volumen
pTP=pres+pel
pTP=R×f+'V/C
Entsprechend der Komplexität des Atemapparates können Störungen an den verschiedensten Stellen auftreten und zu einer Abnahme der alveolaren Ventilation führen.
Mögliche Ursachen eines Versagens des Atemapparates 4 Störungen des zentralen Atemantriebs – Medikamente – Vergiftungen – Trauma – Meningitis, Enzephalitis 4 Störungen der nervalen Überleitung – Rückenmarkläsionen – Polyneuropathie des kritisch Kranken – Poliomyelitis – Guillain-Barré-Syndrom – Phrenikusparese 4 Störungen der neuromuskulären Überleitung – Myasthenia gravis – Muskeldystrophie – Schwere Elektrolytstörungen – Schwere Fehl- oder Mangelernährung – Medikamente (Relaxansüberhang) 4 Störungen des mechanischen Atemapparates – Verletzungen der Thoraxwand – Pneumothorax, Hämatothorax, Pleuraerguss – Verletzungen des Zwerchfells – Thoraxdeformitäten (Skoliose) 4 Obstruktive Atembehinderung – Verengungen der oberen Luftwege – Trachealstenosen, Tracheomalazie – Asthma bronchiale, Status asthmaticus – Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) – Tumoren (z. B. zentrale Bronchialkarzinome) 4 Behinderung der Atemexkursion – Schmerz – Erhöhung des abdominellen Drucks – Adipositas – Restriktive Ventilationsstörungen (Silikose, Asbestose, Mukoviszidose etc.)
Generell unterscheidet man extrapulmonale von pulmonalen Ursachen einer hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz. Der zur Ventilation notwendige Druckgradient (pTP) muss ausreichend hoch sein, um die resistiven und elastischen Rückstellkräfte des respiratorischen Systems zu überwinden.
477 Literatur
37.3.2
Pulmonale Ursachen
Die hyperkapnische Form der respiratorischen Insuffizienz ist zum überwiegenden Teil durch die verschiedenen Formen der obstruktiven Lungenerkrankungen verursacht, die im Rahmen dieses Buchs in ▶ Kap. 40 behandelt werden.
37.3.3
Extrapulmonale Ursachen
Hierzu zählen die Störungen des Atemapparates, die aus einer Fehlfunktion des Atemantriebs, der neuromuskulären Transmission oder schweren Störungen des Atemapparates (z. B. Kyphoskoliosen) resultieren. Im Rahmen dieses Kapitels ist es unmöglich, auf jede einzelne Störung detailliert einzugehen, sodass hier nur die Grundsätze beschrieben werden sollen.
Zentrale Atemdepression Die zentrale Atemdepression ist durch eine Funktionsstörung des Atemantriebs in Form einer zunehmenden Bradypnoe bis hin zur Apnoe gekennzeichnet. Sie kann sowohl Folge einer direkten Schädigung des Atemzentrums (Trauma, Blutung etc.), oder aber medikamentös bedingt sein (Anästhetika, Opioide etc.). Da die verschiedenen Anästhetika und Analgetika atemdepressiv wirken, ist die medikamentös bedingte Atemdepression einer der wesentlichen Gründe der postoperativen Ventilationsstörung. Bei der zentralen Atemdepression besteht unabhängig von der Ursache die Therapie der Wahl in der sofortigen Unterstützung der Ventilation. Da bei den Patienten häufig eine Bewusstseinsstörung mit Einschränkung der Schutzreflexe besteht, ist in aller Regel die Indikation zur Intubation gegeben. Die weitere Therapie muss sich nach der jeweiligen Ursache richten.
Störungen der neuromuskulären Signalübertragung Bei der peripheren Atemdepression können entweder die neuronale oder die neuromuskuläre Transmission des Atemimpulses beeinträchtigt sein. Die Nervenleitung kann bei hohen Rückenmarkläsionen geschädigt sein. Läsionen ab C3–C4 sind in aller Regel sowohl durch einen Ausfall der Zwerchfellatmung als auch der Interkostalmuskulatur gekennzeichnet, sodass die Ventilation entweder unmöglich oder nur insuffizient unter Zuhilfenahme der Atemhilfsmuskulatur möglich ist. Läsionen im hohen Thoraxbereich sind durch den Ausfall der Interkostalmuskulatur mit Einschränkung der inspiratorischen Kapazität und der aktiven Exspiration charakterisiert, während bei Läsionen im unteren Thoraxbereich lediglich der aktive Hustenstoß beeinträchtigt ist. Die Therapie der durch hohe Rückenmarkläsionen bedingten Atemdepression besteht in der Beatmung, die je nach Art und Lokalisation der Läsionen lange oder gar für immer aufrecht erhalten werden muss. Auch hier ergibt sich die kausale Therapie nach Art und Lokalisation der Verletzung. Die neuromuskuläre Übertragung kann bei den verschiedensten primär neurologischen oder muskulären Krankheitsbildern auftreten. Erwähnenswert ist die sog. »critical illness polyneuropathy (CIP)«. Sie tritt bei einem hohen Prozentsatz der Intensivpatienten v. a. nach Sepsis und Multiorganversagen auf. Elektrophysiologisch zeigt sich eine axonale Degeneration sensorischer und motorischer Nerven mit konsekutiver Ausbildung einer muskulären Denervierungsatrophie. Häufig imponiert die CIP durch die Unmöglichkeit, von der maschinellen Beatmung entwöhnt zu werden. Es existiert
zwar keine spezifische Therapieform, doch zeigt die »critical illness neuropathy« eine hohe spontane Rückbildungsrate, auch wenn hierfür Wochen oder Monate notwendig sein können. Nur selten bleiben längerfristige neurologische Schäden zurück. Die Atemmuskulatur kann auch durch Elektrolytstörungen, Unterernährung, schwere Fehlernährung oder Vorliegen einer Azidose gestört sein. Bei der respiratorischen Insuffizienz müssen Störungen der Homöostase aktiv gesucht und im gegebenen Fall korrigiert werden!
Störungen des mechanischen Atemapparates Die Transmission des neuromuskulären Atemimpulses in Ventilation ist nur mit einem anatomisch intakten Atemapparat möglich. Fehlbildungen oder Verletzungen des Zwerchfells, der Thoraxwand oder der Lunge führen zu einer Aufhebung der mechanischen Einheit des Atemapparates. Hierdurch kann die Ventilation so schwerwiegend beeinträchtigt sein, dass keine Aufrechterhaltung der Atmung möglich ist, weswegen unverzüglich mit der apparativen Beatmung therapiert werden muss. Die definitive und kausale Therapie orientiert sich an Art und Lokalisation der Verletzung. Ein Pneumothorax beispielsweise, v. a. wenn er unter Spannung steht, kann die Ventilation schwer beeinträchtigen und muss bei allen Traumata ausgeschlossen werden. Beim Pneumothorax besteht die Therapie der Wahl in der sofortigen Anlage einer Thoraxdrainage. Ein hoher Prozentsatz von Pneumothoraces steht bei Applikation von positivem Atemwegsdruck unter Spannung, weswegen die hämodynamischen Konsequenzen eines Pneumothorax unter Beatmung aggraviert werden können. Neben einer CIP liegt bei Intensivpatienten häufig eine »critical illness polymyopathy (CIM)« vor, die klinisch nur schwer von der CIP zu unterscheiden ist und sich in Hinblick auf Risikofaktoren, Therapieoptionen und Prognose nach heutigem Kenntnisstand kaum von der CIP unterscheidet [6]. Die resultierende Muskelschwäche umfasst sowohl das Zwerchfell selbst als auch die Atemhilfsmukulatur und kann deshalb eine wesentliche Ursache eines Versagens der Atempumpe mit konsekutiver respiratorischer Insuffzienz darstellen. Auch maschinelle Beatmung selbst kann zu einer strukturellen Schädigung des Zwerchfells mit funktioneller Beeinträchtigung beitragen [7]. Neben anderen Faktoren wie vermehrtem oxidativem Stress und Proteasenaktivität scheint eine wichtige Ursache für die Entwicklung einer solchen Ventilator-induzierten diaphragmatischen Dysfunktion (VIDD) eine Zwerchfellatrophie zu sein, wie sie vor allem im Rahmen kontrollierter maschineller Beatmung entsteht [8]. Eine erhaltene Spontanaktivität gilt deshalb heute als wesentliche Maßnahme zur Prophylaxe einer VIDD. Allerdings muss gleichzeitig eine Überlastung der Atemmuskulatur vermieden werden, da diese ebenfalls zu einer strukturellen Schädigung des Zwerchfells mit entsprechender Auswirkung auf die Atemmechanik führen kann.
Literatur 1
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Kapitel 37 · Respiratorische Insuffizienz – Pathophysiologie und Diagnostik
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479
Akutes Lungenversagen R. Dembinski, R. Kuhlen
38.1
Einleitung und Definition – 480
38.2
Pathophysiologie – 480
38.3
Klinik – 481
38.4
Therapie – 481
38.4.1 38.4.2 38.4.3
Einstellung der Beatmung – 482 Zeitpunkt der Therapie – 482 Adjuvante Therapiemaßnahmen – 482
Literatur – 484
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_38, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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480
Kapitel 38 · Akutes Lungenversagen
38.1
Einleitung und Definition
Das akute Lungenversagen ist ein akut auftretendes, rasch progredient verlaufendes Krankheitsbild, das auf dem Boden der verschiedensten auslösenden Ursachen zu einer schweren Einschränkung des pulmonalen Gasaustauschs führt. Man unterscheidet das pulmonal bedingte Lungenversagen (z. B. Pneumonie) vom extrapulmonal bedingten Lungenversagen (z. B. bei Sepsis) [1]. In der modernen Intensivmedizin stellt das akute Lungenversagen die häufigste Indikation zur Beatmung dar [2] und tritt in Deutschland mit einer Inzidenz von ca. 90 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr auf [3].
4 Pulmonale Ursachen – Pneumonie – Aspiration – Lungenkontusion – Beinahe-Ertrinken – Inhalation toxischer Gase 4 Extrapulmonale Ursachen – Sepsis – SIRS (»systemic inflammatory response syndrome”) – Multiples Trauma – Massentransfusion – Schock, prolongierte Hypotension – etc.
38 38 38
Definitionsgemäß werden entsprechend der Ausprägung der Oxygenierungsstörung zwei Schweregrade des akuten Lungenversagens unterschieden (. Tab. 38.1; [4]). Auch wenn diese Einteilung in der Literatur durchgehende Berücksichtgung findet, sind die wesentlichen Charakteristika sowie das klinische Outcome eines ALI und eines ARDS vergleichbar. Ebenso ist die initiale Schwere der Hypoxämie nicht prognostisch relevant. Auch heute noch muss mit einer Sterblichkeit bei diesem Krankheitsbild zwischen 30 und 60% gerechnet werden [5].
38
38.2
38
Zunächst kommt es beim akuten Lungenversagen zu einer pulmonalen Entzündungsreaktion mit ausgeprägter Störung der alveolokapillären Permeabilität. Der hierdurch bedingte Einstrom proteinreicher Flüssigkeit in die Alveole imponiert im Röntgenbild als diffuse, inhomogen verteilte Verschattung der Lunge. Das alveoläre und interstitielle Lungenödem sowie eine Störung der SurfactantProduktion und -Funktion schränken die alveoläre Ventilation v. a. der abhängigen Lungenpartien mechanisch ein (. Abb. 38.1; [1]).
38 38
Pathophysiologie
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Indirekte Lungenschädigung
Diffuse Entzündgsreaktion in der Lunge
Aleolokapilläres Leck
Interstitielles / intraalveoläres Ödem
Verminderte Surfactant-Produktion
Surfactant-Inaktivierung
Mangel an wirksamem Surfactant
Atelektasenbildung
Ursachen eines akuten Lungenversagens
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Direkte Lungenschädigung
Hypoxämie . Abb. 38.1 Schematische Darstellung der Pathophysiologie des akuten Lungenversagens
> Durch die inflammatorische Reaktion der Lunge mit dem sich ergebenden Ödem wird die Lunge schwer. Hierdurch besteht eine ausgeprägte Neigung zum alveolären Kollaps, der sich entsprechend der Gravitation v. a. in den abhängigen Lungenarealen ausbildet [6].
Computertomographische Untersuchungen bestätigen dieses inhomogene Verteilungsmuster und zeigen, dass auch bei einem schweren ARDS Lungenareale mit relativ normaler Struktur erhalten bleiben, auch wenn diese Anteile insgesamt gering sein können [7, 8]. Dieser Morphologie entsprechend wurde das verbleibende gesunde Lungenareal beim ARDS als »baby lung« bezeichnet (. Abb. 38.2). > Die Lunge ist beim akuten Lungenversagen eher klein als steif.
Die Berücksichtigung der inhomogenen Verteilung ist für die Therapie des akuten Lungenversagens bedeutend. Die atelektatischen Lungenareale sollen so weit als möglich eröffnet und offen gehalten werden, ohne dass es hierbei zu einer Überdehnung der noch nicht beeinträchtigten Bezirke kommt. > Die Überdehnung der Lungen durch zu hohes Volumen oder zu hohen Beatmungsdruck ist ebenso wie der rezidivierende Kollaps der Lunge am Ende der Exspiration als wesentlicher Mechanismus für die Progression eines bestehenden Lungenschadens identifiziert worden [9].
Im weiteren Verlauf des Lungenversagens führt die Einwanderung von Fibroblasten zu einem strukturellen Umbau mit Fibrosierung der Lunge. Die Fibrosierung der Lunge kann reversibel sein, nachdem Nachuntersuchungen von überlebenden Patienten mit schweren Formen des akuten Lungenversagens zeigen, dass einige Zeit
38 . Tab. 38.1 Definitionen der verschiedenen Schweregrade des akuten Lungenversagens
38
Schweregrad/Bezeichnung
Charakteristik
38
ALI
»acute lung injury«
Akuter Beginn, bilaterale Infiltrationen im Thoraxröntgenbild, Linksherzversagen entweder klinisch oder durch PCWP <18 mm Hg ausgeschlossen
paO2/FIO2<300 mm Hg
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ARDS
»acute respiratory distress syndrome«
Akuter Beginn, bilaterale Infiltrationen im Thoraxröntgenbild, Linksherzversagen entweder klinisch oder durch PCWP <18 mm Hg ausgeschlossen
paO2/FIO2<200 mm Hg
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481 38.4 · Therapie
ventral überbläht ›gesund‹ (»baby lung«)
Ventilation VA /Q > 1
atelektatisch
dorsal
PAP
. Abb. 38.2 Schematische Darstellung eines typischen CT-Bildes des Thorax beim akuten Lungenversagen
paO2
Perfusion VA /Q = 0
nach dem Ereignis wieder eine annähernd normale Lungenstruktur hergestellt sein kann [10, 11]. Bei vielen Patienten bleibt die Lungenfunktion jedoch auch Jahre nach der Genesung deutlich eingeschränkt [12]. Für die häufig eingeschränkte Lebensqualität dieser Patienten scheinen allerdings nicht nur eine reduzierte Lungenfunktion, sondern insbesondere neurologische und psychologische Störungen von entscheidender Bedeutung zu sein [13, 14]. Durch die Fibrosierung nimmt die Dehnbarkeit der Lunge weiter ab. Während aber die 1.Phase der Ödembildung noch auf die Anwendung hoher Beatmungsdrücke mit einer Zurückdrängung des Ödems und folglicher Wiedereröffnung bisher verschlossener Lungenareale führt (»recruitment«), ist die Phase der Fibrosierung dadurch gekennzeichnet, dass sich die Lunge immer schlechter rekrutieren lässt [15]. In der Lungenstrombahn kommt es zu disseminierten Verlegungen der pulmonalen Kapillaren, die zusammen mit der Abnahme des Lungenvolumens für die pulmonale Hypertonie verantwortlich ist. Bei schweren Verlaufsformen kann die pulmonale Hypertonie zu einer ausgeprägten Nachlasterhöhung des rechten Herzens führen und ein akutes Rechtsherzversagen auslösen. Die pulmonale Hypertonie führt als treibende Kraft zu einer Zunahme der pulmonalen Ödembildung, sodass eine therapeutische Senkung des pulmonalen Drucks beim Lungenversagen sinnvoll sein kann [16]. Der wesentliche Mechanismus der Oxygenierungsstörung beim akuten Lungenversagen ist die Herabsetzung der gasaustauschenden Fläche mit Erhöhung der venösen Beimischung aufgrund des intrapulmonalen Rechts-links-Shunts. Durch diese Pathophysiologie erklärt sich auch, warum die Erhöhung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration nur von geringem Erfolg ist, da der Sauerstoff nicht mit den Kapillaren in Kontakt treten kann. Interessanterweise wurde diese Pathophysiologie schon bei der klinischern Erstbeschreibung des ARDS gewürdigt, als man von einer sauerstoffrefraktären Zyanose der Patienten sprach [17]. Neben der Shunt-Perfusion ist eine Überblähung von ventral gelegenen Lungenaralen typisch, die als Bereiche mit niedrigem Ventilations-Perfusions-Verhältnis gekennzeichnet werden können (. Abb. 38.3).
38.3
Shunt . Abb. 38.3 Schematische Darstellung der intrapulmonalen Shuntperfusion (Ventilations-Perfusions-Verhältnis VA/Q=0) bei atelektatischen Lungenarealen und überblähten Lungenarealen (Ventilations-PerfusionsVerhältnis VA/Q>1)
Da das akute Lungenversagen in der absoluten Mehrzahl der Fälle als Komplikation verschiedener Grunderkrankungen auftritt, ist die umgebende klinische Situation meist von der Grunderkrankung geprägt. > Zur Abgrenzung des akuten Lungenversagen vom kardiogenen Lungenödem muss das Linksherzversagen entweder klinisch, echokardiographisch oder mittels Pulmonaliskatheterisierung ausgeschlossen sein (PCWP<18 mm Hg).
In der arteriellen Blutgasanalyse zeigt sich eine Hypoxämie, die durch die Abnahme des paO2/FIO2-Verhältnisses angegeben wird. Je nach Erkrankungsstadium wird der paCO2 erniedrigt, unverändert, oder erhöht sein. Im a.-p.-Röntgenbild des Thorax finden sich bilaterale Infiltrate. Da mit a.-p.-Aufnahmen lediglich ein Summenbild des horizontalen Thoraxdurchmessers abgebildet wird, ist die Korrelation zwischen röntgenologischem Befund und klinischer Situation aber nur mangelhaft. Bei schweren Formen des Lungenversagens ist die Durchführung eines Computertomogramms des Thorax indiziert. Im CT des Thorax ist die Verteilung der Transparenzminderung typischerweise infolge der Pathophysiologie als dorsale Belüftungsstörung imponierend (. Abb. 38.2). Auch möglicherweise gleichzeitig bestehende Pleuraergüsse sind von der manchmal flüssigkeitsdichten Atelektase im CT besser abgrenzbar. Begrenzte, abgekapselte, aber auch paramediastinal gelegene Pneumothoraces werden ebenfalls im CT sichtbar, während die a.-p.-Röntgenaufnahme unzuverlässig ist.
Klinik 38.4
Das wesentliche Symptom des akuten Lungenversagens ist die Dyspnoe mit schwerer Einschränkung der arteriellen Oxygenierung, die sich auch bei O2-Gabe kaum therapieren lässt. Aus der Hypoxämie resultiert eine Tachypnoe, die am Beginn des Lungenversagens zur Hyperventilation mit Erniedrigung des paCO2 führen kann. Ohne frühzeitige Therapie wird die permanente Erhöhung der Atemarbeit aber zu einem sekundären Versagen der Atempumpe mit konsekutiver Abnahme der alveolären Ventilation und Erhöhung des paCO2 führen.
Therapie
> Da sich das akute Lungenversagen meist sekundär einstellt, richtet sich die kausale Therapie vornehmlich auf die Behandlung der Grunderkrankung.
Bis heute ist außer der konsequenten und zeitnahen Behandlung der Grunderkrankung keine kausale Therapie des Lungenversagens bekannt. Insofern richtet sich der Fokus der Intensivmaßnahmen auf die symptomatische Therapie.
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Kapitel 38 · Akutes Lungenversagen
Die Grundzüge der symptomatischen Therapie des akuten Lungenversagens sind: 4 maschinelle Beatmung mit positiv-endexspiratorischem Druck (PEEP), 4 Reduktion der Atemwegsdrücke und des Atemzugvolumens, ggf. Entwicklung einer permissiven Hyperkapnie, 4 Vermeidung interstitieller Hyperhydratation, 4 Lagerungstherapie.
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rechtsventrikulären Widerstands ein Rechtsherzvesagen entwickeln kann. In solchen Fällen kann die Hyperkapnie nur bei gleichzeitiger Senkung des Pulmonalisdrucks realisiert werden. Während früher zur Überwachung dieser Zusammenhänge ein Pulmonaliskatheter beim ARDS häufig empfohlen wurde, hat sich in kontrollierten klinischen Studien gezeigt, dass der Pulmonaliskatheter nicht zu einer Verbesserung der klinischen Behandlung führt, ggf. aber Komplikationen mit sich bringt, sodass er heute nicht mehr für jeden Patienten empfohlen wird [20].
38.4.2 38.4.1
Einstellung der Beatmung
Entsprechend der teilweise ausgeprägten Verminderung der Gasaustauschfläche durch pulmonale Infiltrate und Atelektasenbildung soll durch Beatmung möglichst viel Lungengewebe für den Gasaustausch eröffnet und exspiratorisch offen gehalten werden [14]. Auf der anderen Seite darf die Beatmung aber nicht dazu führen, dass die meist kleinen Anteile normalen Lungengewebes überdehnt und dadurch geschädigt werden. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil aus CT-Untersuchungen klar wird, dass im Schnitt nur ca. 10% der Lunge rekrutierbar sind, während bis zu 25% der Lunge kollaptisch verschlossen und durch Beatmung auch nicht zu eröffnen sind [18]. Neuere Untersuchungsergebnisse zeigen zudem, dass rekrutiertes Lungengewebe immer noch eine geringere Compliance aufweist als das der »baby lung« [19]. Trotz Rekrutierung bleibt also eine ungleichmäßige Verteilung der Ventilation mit entsprechender Lungenschädigung bestehen. > Bei akutem Lungenversagen hat sich die Beatmung mit hohen PEEP-Werten bei kleinem Atemzugvolumen durchgesetzt; je nach Schwere des Lungenversagens wird ein PEEP von 10–20 mbar und ein Tidalvolumen von 6 ml/ kg KG gewählt.
Die Wichtigkeit der lungenprotektiven Beatmung konnte eindrücklich in der größten, kontrollierten, randomisierten Untersuchung über das Lungenversagen belegt werden. Das amerikanische ARDSNetzwerk ARDSnet berichtete an 861 Patienten eine Abnahme der Letalität von 40% auf 30% bei Anwendung reduzierter Atemzugvolumina (6 ml/kg KG vs. 12 ml/kg KG), sodass die Studie wegen der Eindeutigkeit des Effekts vorzeitig abgebrochen wurde. Weitere Details zur Einstellung der Beatmung finden sich in 7 Kap. 40 xxx>>41. Mit der lungenprotektiven Beatmung kann nicht immer ein normaler Gasaustausch aufrechterhalten werden, da es bei reduziertem Atemzugvolumen häufig zur Entwicklung einer Hyperkapnie kommt. > Die Toleranz erhöhter CO2-Werte im Rahmen einer protektiven Beatmung zur Vermeidung beatmungsassoziierter Lungenschäden wird als permissive Hyperkapnie bezeichnet.
Die Hyperkapnie soll sich nur langsam entwickeln, damit es nicht zu einer akuten respiratorischen Azidose kommt. Sollte im Einzelfall keine Kompensation des pH-Werts zu erreichen sein, so wurde in der ARDSnet-Studie eine Pufferung ab einem pH-Wert <7,25 durchgeführt. Allerdings gibt es hierfür auf dem Boden der komplexen Interaktionen der Pufferung mit Hinblick auf den intrazellulären pH-Wert und die CO2-Produktion keine allgemeine Empfehlung. Hyperkapnie kann zu einer Zunahme des pulmonalen Drucks führen, sodass sich hieraus bei schon vorbestehender Erhöhung des
Zeitpunkt der Therapie
Sowohl im Zusammenhang mit der Einstellung der Beatmung als auch der Flüssigkeitstherapie ist insbesondere die Beobachtung interessant, dass schon in der initialen Therapiephase ein zu hohes Atemzugvolumen oder eine positive Flüssigkeitsbilanz als Risikofaktor eines schlechten klinischen Behandlungsergebnisses identifiziert werden konnten [21]. Aus dieser Beobachtung kann für die Klinik abgeleitet werden, dass schon bei der initialen Beatmungspflichtigkeit eines ALI-/ARDS-Patienten die oben angegebenen Algorithmen berücksichtigt werden sollen, auch – oder gerade wenn – die Schwere der Störung noch nicht so ausgeprägt ist.
38.4.3
Adjuvante Therapiemaßnahmen
Nach aktueller Studienlage ist die lungenprotektive Beatmung mit niedrigen Atemzugvolumina und Atemwegsdrücken neben der adäquaten Behandlung der Grunderkrankung die entscheidende Maßnahme zur Verbesserung des Outcomes beim ARDS [22]. Adjuvante Behandlungsverfahren hingegen können im Einzelfall sinnvoll eingesetzt werden, positive Effekte auf die Überlebensrate von ARDS-Patienten konnten jedoch nie eindeutig nachgewiesen werden.
Kreislaufmanagement Das Kreislaufmanagement beim ARDS sollte sich nicht grundsätzlich von dem anderer Intensivpatienten unterscheiden. Allerdings ist eine zumindest ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz bei kardiopulmonal stabilen Patienten besonders wichtig, um eine Zunahme des beim ARDS typischen interstitiellen Lungenödems zu vermeiden. So kann häufig durch Negativbilanzierung mittels medikamentöser Dehydratation oder kontinuierlicher Hämofiltration eine Besserung der Oxygenierungsstörung erreicht werden. Wichtiger Bestandteil dieses Therapiekonzeptes ist jedoch gleichzeitig die Verhinderung des intravasalen Volumenmangels, um Hypoperfusionsschäden anderer Organsysteme vorzubeugen. Besteht zudem gleichzeitig eine schwere Sepsis mit Hypotonie, kann dieses Therapieziel kaum eingehalten werden, da entsprechend den international anerkannten Richtlinien zur Behandlung der Sepsis eine frühzeitige, hochdosierte Flüssigkeitszufuhr zur Kreislaufstabilisierung empfohlen wird [23]. Dieser Problematik widmete sich eine weitere klinische Studie des ARDS Network, in der 1000 ARDS Patienten randomisiert mit einem liberalen oder restriktiven Flüssigkeitsregime behandelt wurden [23, 24]. Wenngleich die Letalität in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich war, zeigte sich in der Gruppe mit restriktivem Regime und einer kumulativen Bilanz von –136±491 ml innerhalb der 1. Woche eine kürzere Beatmungs- und Intensivaufenthaltsdauer als bei liberaler Strategie mit einer Wochenbilanz von +6992±502 ml. Eine gleichzeitige Zunahme von Organversagen wie etwa von akutem Nierenversagen zeigte sich nicht. Diese Daten be-
483 38.4 · Therapie
legen die möglichen Vorteile einer flüssigkeitsrestriktiven Therapie beim ARDS. Nach Studienprotokoll war jedoch nur das Management bei stabilen Kreislaufverhältnissen unterschiedlich, während bei instabiler Hämodynamik in beiden Gruppen eine adäquate Flüssigkeitszufuhr vorgesehen war. Die Empfehlung einer initial adäquaten Flüssigkeitstherapie bei ARDS Patienten mit instabilen Kreislaufverhältnissen bleibt von diesen Studienergebnissen also unbeeinflusst. Allerdings lässt sich ableiten, dass bei diesen Patienten nach initialer Stabilisierung der Hämodynamik im weiteren Verlauf eine negative Flüssigkeitsbilanz angestrebt werden sollte. Die Frage, wie der Flüssigkeitsstatus beim ARDS am besten überwacht und beurteilt werden soll, bleibt weiter ungeklärt. Nach aktueller Studienlage muss jedoch angenommen werden, dass zumindest der Einsatz des Rechtsherzkatheters mit der Möglichkeit der HZV-Messung durch transpulmonale Thermodilution hierbei nicht von Vorteil ist [20, 23, 25]. Für die kontinuierliche Therapiesteuerung bei schwerer pulmonalarterieller Hypertonie bieten sich allerdings bis heute keine Alternativen. Andere, weniger invasive Verfahren zur Überwachung der Kreislauftherapie wie die transthorakale Thermodilutionstechnik sind bislang nicht in großen klinischen Studien untersucht worden.
Verfahren zur Verbesserung des Gasaustausches > Lagerungstherapie, inhalative Vasodilatatoren und extrakorporale Gasaustauschverfahren sind Verfahren, mit denen bei ARDS der pulmonale Gasaustausch zumindest kurzfrisitg häufig verbessert werden kann.
Das ARDS ist durch einen hohen intrapulmonalen Rechts-linksShunt gekennzeichnet, der zu einer schweren Hypoxie führt [26]. Dementsprechend wurden in der Vergangenheit verschiedene Verfahren zur Optimierung des Sauerstoffangebotes beim ARDS untersucht. Einige dieser Verfahren sind in dieser Hinsicht sehr effektiv: So kann durch die Inhalation von kurzwirksamen Vasodilatatoren wie dem Stickstoffmonoxid (NO) eine selektive Vasodilatation in ventilierten Lungenarealen erzielt werden, da der Wirkstoff im Blut so schnell inaktiviert wird, dass der Gefäßtonus in anderen Lungenbezirken oder extrapulmonalen Organen kaum beeinflusst wird [16]. Durch eine Blutflussumverteilung von atelektatischen, nicht ventilierten Arealen hin zu ventilierten Lungenbereichen kommt es bei etwa 70% der ARDS-Patienten zu einer Verbesserung der Oxygenierung [27–31]. Weiterhin kann hiermit der typischerweise erhöhte pulmonalarterielle Druck gesenkt und so einem Rechtsherzversagen entgegengewirkt werden [32]. Neben der routinemäßig durchzuführenden intermittierenden Seitenlagerung aller beatmeten und sedierten Patienten zur Druckulkusprophylaxe und Sekretmobilisation führt die Bauchlagerung von ARDS-Patienten zusätzlich in ebenfalls etwa 70% der Fälle zu einer Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches [33–36]. Mögliche Ursachen hierfür sind eine Homogenisierung des transpulmonalen Druckgradienten mit günstigerer Ventilationsverteilung sowie eine Rekrutierung atelektatischer Lungenareale [37]. Schließlich kann das Sauerstoffangebot beim ARDS auch mit extrakorporalen Gasaustauschverfahren wie der extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) verbessert werden. Trotz des hohen Aufwandes ist diese Technik nicht zuletzt dank der technischen Optimierung innerhalb der letzten Jahrzehnte in spezialisierten Zentren bei moderatem Komplikationsrisiko durchführbar [38]. Bei diesem Verfahren wir das Blut über einen venovenösen, präpulmonalen, extrakorporalen Kreislauf mittels eines Membranoxygenators oxygeniert. Hierzu werden über eine perkutane Punktion der V. femorales Drainagekanülen in die untere V. cava einge-
legt. Das venöse Blut fließt entlang des Gravitationsgefälles bis hin zur Antriebspumpe, die es weiter durch die Oxygenatoren pumpt. Das oxygenierte Blut wird dann über eine ebenfalls perkutan in die V. jugularis eingebrachte Kanüle in die obere V. cava zurückgegeben. Alle Bestandteile des Systems sind mit kovalent gebundenem Heparin beschichtet. Durch den Einsatz dieser heparinbeschichteten Systeme kann auf eine systemische Antikoagulation – über das Maß einer Thromboseprophylaxe hinaus – verzichtet werden, was die schweren Blutungskomplikationen früherer, nicht beschichteter Systeme erheblich reduziert hat. Typischerweise werden mit dem Verfahren 25–50% des Herzzeitvolumens oxygeniert und dekarboxyliert. Die Grundidee der ECMO besteht darin, über einen extrakorporalen Gastransfer eine lungenprotektive Beatmung zu ermöglichen, um hiermit einen beatmungsassoziierten Progress des Lungenschadens zu vermeiden und der Lunge die nötige Zeitspanne für die Heilung zu ermöglichen. Darum profitieren nur Patienten mit einer prinzipiell reversiblen Erkrankung von dem Verfahren, während ECMO bei allen nicht reversiblen Formen des Lungenversagens kontraindiziert ist, sei es, weil die Lunge an sich irreversibel geschädigt ist oder die zum ARDS führende Grunderkrankung irreversibel ist. Mit diesem Ziel wird in jüngster Zeit auch ein vereinfachtes extrakorporales Gasaustauschverfahren eingesetzt. Bei diesem »interventional lung assist« (iLA) handelt es sich um ein arteriovenöses und daher pumpenloses System, das nach Kanülierung einer Femoralarterie und einer Femoralvene angeschlossen wird [39]. Der Blutfluss ist somit ausschließlich vom arteriellen Blutdruck des Patienten abhängig, während der Gasfluss durch das Gasaustauschmodul frei einstellbar ist. Ziel dieses Systems ist v. a. die CO2-Elimination, die eine Reduktion der maschinellen Beatmung ermöglicht und damit eine beatmungsassoziierte Lungenschädigung möglichst frühzeitig verhindern soll. Grundsätzlich kann also mit jedem dieser Verfahren die Oxygenierung bei vielen ARDS-Patienten zumindest kurzfristig verbessert werden. Keines dieser Verfahren führte jedoch in randomisierten, kontrollierten Studien zu einer Reduktion von Letalität, Beatmungs- oder Intensivaufenthaltsdauer oder Verbesserung anderer Outcome-Parameter. Dies gilt insbesondere für die NO-Inhalation mit 5 [27–31] und die Bauchlage mit 4 [33–36] in dieser Hinsicht negativen randomisierten kontrollierten Studien. > Deshalb gelten die Bauchlage und die NO-Inhalation bis heute als Rescue-Therapie bei schwerster Hypoxämie [40].
Auch die beiden ersten ECMO-Studien zeigten keine positiven Effekte auf die Letalität [41, 42]. Vor kurzem wurden die Ergebnisse einer weiteren randomisierten kontrollierten Studie, des sog. CESARTrials (Conventional Ventilation or ECMO for Severe Adult Respiratory Failure) veröffentlicht [43]. Hier zeigen sich auf den ersten Blick im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne ECMO-Therapie Outcome-Vorteile für ARDS-Patienten, die für eine ECMO-Behandlung randomisiert wurden. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass alle Patienten in der ECMO-Gruppe in einem spezialisierten Zentrum behandelt wurden, während die Patienten in der Kontrollgruppe in verschiedenen in der ARDS-Therapie weniger erfahrenen Kliniken behandelt wurden. Weiterhin gab es für die Patienten der Kontrollgruppe keine vorgeschriebenen Algorhithmen zur Einstellung der maschinellen Beatmung. Schließlich wurden nicht alle Patienten in der ECMO-Gruppe auch wirklich mit ECMO therapiert. Insgesamt scheint diese Studie also eher einen Vorteil für die Therapie in einem spezialisierten ARDS-Zentrum zu belegen, das die Möglichkeit einer ECMO-Therapie vorhalten kann. Auch die ECMO-Therapie bleibt deshalb bis heute eine Rescue-Therapie
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Kapitel 38 · Akutes Lungenversagen
ohne sicheren Beleg einer Verbesserung der Überlebensrate aller ARDS-Patienten. > Diese Ergebnisse machen deutlich, dass adjuvante Maßnahmen zur Optimierung des Sauerstoffangebotes nicht notwendigerweise zu einer Verbesserung des Outcomes beitragen. In dieser Hinsicht scheint die Vermeidung zusätzlicher Lungen- und Organschäden weitaus wichtiger zu sein.
Ob extrakorporale Gasaustauschverfahren, allein eingesetzt mit dem Ziel der Reduktion der ventilatorassoziierten Lungenschädigung, erfolgreich sein können, ist bislang noch nicht untersucht. Hierbei könnte vereinfachten extrakorporalen Gasaustauschverfahren, z. B. dem »interventional lung assist« (iLA; 7 oben) mit pumpenloser arteriovenöser CO2-Elimination, eine besondere Bedeutung zukommen [39]. Bis dahin bleiben alle diese Maßnahmen Optionen der Rescue-Therapie bei schwerster, lebensbedrohlicher Hypoxie (paO2/FiO2<50 mmHg, SaO2<85%).
randomisierte, kontrollierte Studie an ARDS-Patienten berichtete eine Verbesserung der Oxygenierung, Abnahme der zusätzlichen Organversagen, Abnahme der Anzahl der Beatmungstage und damit Verkürzung der Liegedauer auf der Intensivstation durch eine Z3-Fettsäure-reiche Diät [50, 51]. Tipp Die Ernährung des ARDS-Patienten kann mit ω3-Fettsäure -reichen Diäten durchgeführt werden. Für eine höhergradige Empfehlung in Sinne evidenzbasierter Medizin liegen allerdings noch nicht genügend Daten vor [52, 53].
Weitere Therapiekonzepte Für andere medikamentöse Therapiekonzepte wie etwa die hochdosierte Gabe von Ambroxol oder Acetylcystein, aktiviertes Protein C, ACE-Hemmern, Theophyllin, Bronchodilatatoren oder Pentoxifyllin liegen bis heute keine überzeugenden klinischen Daten vor.
Kortikoide Im Rahmen der Empfehlungen für die Behandlung des septischen Schocks mit niedrig dosiertem Hydrokortison zur Substitution einer möglichen Nebenniereninsuffizienz [44] geriet die Kortisongabe auch beim ARDS wieder in die Diskussion: So fand sich in einer Post-hoc-Analyse einer klinischen Studie bei Patienten mit septischem Schock ein Vorteil von niedrig dosierten Kortikoiden nur bei gleichzeitig bestehendem ARDS in der Frühphase. Patienten ohne ARDS profitierten in dieser Untersuchung nicht von einer 7-tägigen Therapie, selbst wenn eine relative Nebenniereninsuffizienz mittels Kortikotropintest nachgewiesen worden war [45]. Die Ergebnisse einer kleineren randomisierten, kontrollierten Studie zeigen, dass Kortison in der Frühphase des ARDS einen positiven Effekt auf die Lungenfunktion haben kann [46]. Diese Ergebnisse lassen sich mit positiven Effekten von niedrig dosiertem Hydrokortison bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie in Deckung bringen [47]. Eine Reduktion der Letalität durch niedrig dosierte Kortisontherapie beim ARDS konnte jedoch bis heute nicht demonstriert werden. Eine in der Spätphase, frühestens 7 Tage nach Auftreten des ARDS begonnene niedrig dosierte Kortisontherapie zeigte in einer Studie des ARDS-Netzwerkes bei 180 Patienten ebenfalls positive Effekte auf den Gasaustausch und eine Verkürzung der Beatmungsdauer, eine Reduktion der Letalität war jedoch auch nicht zu verzeichnen. In einer Subgruppe, bei der die Therapie erst 14 Tage nach Auftreten des ARDS begonnen wurde, waren die Inzidenz der Critical-illness-Polyneuropathie(CIP) und die Letalität sogar deutlich erhöht [48]. In einer aktuellen Metaanalyse zeichnen sich zwar grundsätzlich mögliche Vorteile einer niedrig dosierten Kortisontherapie beim ARDS ab, diese Analyse umfasst jedoch die Therapie in der Früh- als auch der Spätphase sowie kontrollierte und observationelle Studien, weshalb auch diese Analyse weder eine Empfehlung für die Früh- noch die Spätphase des ARDS zulässt [49]. Tipp Nach aktueller Studienlage kann keine Empfehlung zur Kortisontherapie beim ARDS gegeben werden.
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Ernährung
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Experimentelle Untersuchungen bei Sepsis zeigen eine günstige Wirkung von Z3-Fettsäure-reichen Diäten durch ihren immunmodulierenden Eingriff in den Arachidonsäuremetabolismus. Eine
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38
486
38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38 38
Kapitel 38 · Akutes Lungenversagen
46 Meduri GU, Golden E, Freire AX, Taylor E, Zaman M, Carson SJ, Gibson M, Umberger R (2007) Methylprednisolone infusion in early severe ARDS: results of a randomized controlled trial. Chest 131: 954–963 47 Confalonieri M, Urbino R, Potena A, Piattella M, Parigi P, Puccio G, Della PR, Giorgio C, Blasi F, Umberger R, Meduri GU (2005) Hydrocortisone infusion for severe community-acquired pneumonia: a preliminary randomized study. Am J Respirat Crit Care Med 171: 242–248 48 Steinberg KP, Hudson LD, Goodman RB, Hough CL, Lanken PN, Hyzy R, Thompson BT, Ancukiewicz M (2006) Efficacy and safety of corticosteroids for persistent acute respiratory distress syndrome. N Engl J Med 354: 1671–1684 49 Tang BM, Craig JC, Eslick GD, Seppelt I, McLean AS (2009) Use of corticosteroids in acute lung injury and acute respiratory distress syndrome: a systematic review and meta-analysis. Crit Care Med 37: 1594–1603 50 Gadek JE, DeMichele SJ, Karlstad MD, Pacht ER, Donahoe M, Albertson TE, Van HC, Wennberg AK, Nelson JL, Noursalehi M (1999) Effect of enteral feeding with eicosapentaenoic acid, gamma-linolenic acid, and antioxidants in patients with acute respiratory distress syndrome. Enteral Nutrition in ARDS Study Group. Crit Care Med 27: 1409–1420 51 Pacht ER, DeMichele SJ, Nelson JL, Hart J, Wennberg AK, Gadek JE (2003) Enteral nutrition with eicosapentaenoic acid, gamma-linolenic acid, and antioxidants reduces alveolar inflammatory mediators and protein influx in patients with acute respiratory distress syndrome. Crit Care Med 31: 491–500 52 Marik PE, Zaloga GP (2008) Immunonutrition in critically ill patients: a systematic review and analysis of the literature. Intensive Care Medicine 34: 1980–1990 53 Singer P, Shapiro H (2009) Enteral omega-3 in acute respiratory distress syndrome. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 12: 123–128
487
Pneumonien S. Ewig
39.1
Begriffsbestimmung – 488
39.2
Pathophysiologie – 488
39.3
Schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie – 488
39.3.1 39.3.2 39.3.3 39.3.4 39.3.5 39.3.6 39.3.7 39.3.8
Definition – 488 Epidemiologie – 489 Diagnosestellung einer ambulant erworbenen Pneumonie – 490 Indikationen für eine Therapie auf Intensivstation bzw. für eine intensivierte Therapie – 490 Mikrobiologische Diagnostik – 490 Prognose – 491 Therapie – 491 Therapieversagen – 493
39.4
Nosokomiale Pneumonien – 493
39.4.1 39.4.2 39.4.3 39.4.4 39.4.5 39.4.6 39.4.7 39.4.8
Begriffsbestimmung – 493 Pathogenese – 493 Epidemiologie – 494 Diagnostik – 494 Prinzipien der Therapie der nosokomialen Beatmungspneumonie (VAP) – 496 Prognose – 497 Therapie – 497 Verlauf unter Therapie und Therapieversagen – 498
39.5
Schwere Pneumonien unter Immunsuppression – 499
39.5.1 39.5.2
HIV-Infektion – 499 Organtransplantation und andere Zustände mit iatrogener Immunsuppression – 500 Neutropenie – 501 Hämatopoetische Stammzelltransplantation – 502
39.5.3 39.5.4
39.6
Systematik wichtiger antimikrobieller Substanzen und ihrer Dosierungen zur Therapie schwerer Pneumonien – 502 Literatur – 504
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_39, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
39
39 39 39 39 39 39
488
Kapitel 39 · Pneumonien
39.1
Begriffsbestimmung
Die heute gebräuchlichen Definitionen der unterschiedlichen Formen der Pneumonie haben nicht nur eine begrifflich ordnende Funktion, sondern bezeichnen jeweils spezifische ätiopathogenetische, diagnostische und therapeutische Konzepte. Es kommt ihnen somit ein klinisch handlungsanweisender Wert zu. Ambulant erworbene Pneumonie Unter ambulant erworbenen Pneumonien versteht man Pneumonien des nicht schwergradig immunsupprimierten Patienten, die sich außerhalb des Krankenhauses entwickeln. Der Begriff der schwergradigen Immunsuppression bezeichnet dabei Zustände bzw. Erkrankungen, die mit einem relevanten Risiko opportunistischer Infektionen einhergehen.
39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39
In die Gruppe der nicht schwergradig immunsupprimierten Patienten werden daher auch solche eingeschlossen, die eine mit bestimmten Grunderkrankungen einhergehende Immunsuppression ohne definierbares Risiko opportunistischer Infektionen aufweisen (z. B. COPD, Diabetes mellitus, Leberzirrhose). Die Gruppe der ambulant erworbenen Pneumonie des älteren Menschen (≥65 Jahre) ist mit Abstand die häufigste. Dennoch kommen schwere ambulant erworbene Pneumonien auch bei jungen und nicht komorbiden Patienten vor! Nosokomiale Pneumonie Im Gegensatz zur ambulant erworbenen Pneumonie bezeichnet man Pneumonien des nicht schwergradig immunsupprimierten Patienten, die nach stationärer Aufnahme im Krankenhaus auftreten, als nosokomiale Pneumonien. Man unterscheidet nosokomiale Pneumonien des spontanatmenden Patienten von den (viel häufigeren) Pneumonien des beatmeten Patienten (Beatmungspneumonie). Weitere Differenzierungen sind möglich (7 Abschn. 39.4.1), jedoch bislang noch von untergeordneter klinischer Relevanz.
In den aktualisierten Leitlinien der American Thoracic Society (ATS) wird eine Gruppe von Patienten, die eine Pneumonie innerhalb einer Versorgungs- oder Pflegeinstitution erworben hat, gesondert als »health care-associated pneumonia« angesprochen [3]. Diese geht zweifellos mit einer erhöhten Letalität einher. Daten aus Europa bzw. Deutschland lassen jedoch nicht darauf schließen, dass sich diese erhöhte Letalität aus einem veränderten Erregerspektrum ergibt. Vielmehr scheint die hohe Komorbidität hierfür verantwortlich zu sein. Pneumonie unter Immunsuppression Schließlich bilden Pneumonien des schwergradig immunsupprimierten Patienten eine eigene Gruppe, die je nach vorherrschendem Immundefekt (z. B. T-Zell-, B-Zell-Defekt oder Neutropenie) und dem daraus resultierenden Risiko opportunistischer Infektionen differenziert werden können. Auch in dieser Gruppe findet sich das spezifische Muster des Erregerspektrums der ambulant und nosokomial erworbenen Pneumonien entsprechend dem Ort der Pneumonieentstehung; der jeweilige Grad der Immunsuppression bleibt jedoch für das Gesamtbild des Erregerspektrums bestimmend.
Typische/atypische Pneumonie »Typische« Pneumonien waren nach klassischer Vorstellung bedingt durch pyogene Erreger, »atypische« durch »atypische« Bakterien und Viren. Diese Einteilung ist heute nur von heuristischem Interesse, da sie keine wesentliche zusätzliche klinisch relevante Differenzierung leistet. Insbesondere sind Pneumokokken- und Legionellen-Pneumonien im individuellen Fall nicht nach diesen Kriterien klinisch zu unterscheiden!
> Nach heutigem Wissen kann eine solche Unterscheidung nach klinischen Kriterien im Individualfall nicht ausreichend valide getroffen werden und stellt daher keine Grundlage für differenzialtherapeutische Entscheidungen dar. Die Einteilung der Erreger in »typische« und »atypische« ist demgegenüber weiterhin hilfreich.
39.2
Pathophysiologie
Von einer schweren Pneumonie sprechen wir, wenn eine schwere akute respiratorische Insuffizienz allein oder zusammen mit einer schweren Sepsis bzw. einem septischen Schock vorliegt. Bei schweren Pneumonien kommt es als Folge des lokalen pulmonalen Inflammationsgeschehens zu einer ausgeprägten Minderbelüftung gut perfundierter Lungenabschnitte und zu einem hohen Anteil von Kompartimenten mit niedrigem Ventilations-Perfusions-Quotienten bis hin zum Shunt. Der Shuntanteil kann dabei 20% und mehr des Herzminutenvolumens betragen. Ein Teil der Ventilations-Perfusions-Störungen ist offenbar auf eine partielle Aufhebung der hypoxischen Vasokonstriktion durch im Rahmen der Immunantwort freiwerdende vasodilatierende Metaboliten der Arachidonsäure (Prostacyclin) zurückzuführen. Zusätzlich kann aufgrund flacher Atmung (Minderung der Compliance, schmerzbedingte Schonhaltung) die Totraumventilation auf bis zu 60% zunehmen. Der pulmonalarterielle Druck kann auf ca. 35 mm Hg ansteigen [21, 42]. Im Falle einer zusätzlichen Aktivierung systemischer inflammatorischer Kaskaden kommt es infolge einer schweren Mikro- und Makrozirkulationsstörung zu einer Hypotonie mit Organfunktionsstörungen bzw. zu einer schweren Kreislaufinsuffizienz und Gewebshypoxie mit Multiorganversagen. Genetische Fakotren spielen für die Entwicklung einer ambulant erworbenen Pneumonie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rolle, entsprechende Untersuchungen haben jedoch noch nicht zu klinisch relevanten Ergebnissen geführt.
39.3
Schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie
39.3.1
Definition
Die Bestimmung des Schweregrades ist ein zentraler Bestandteil der Erstuntersuchung eines Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie. Der aktuell wichtigste Score ist der CRB-65-Score (7 Übersicht). Er ist gut validiert und weist den Vorzug einer sehr einfachen Bestimmbarkeit auf.
489 39.3 · Schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie
CRB-65-Score 4 Die 4 Kriterien des CRB-65-Score – C »confusion« = neu im Zusammenhang mit der Pneumonie aufgetretene Bewusstseinstrübung – R »respiratory rate« = Atemfrequenz >30/min – B »blood pressure« = systolischer Druck <90 mm Hg oder diastolischer Druck ≤60 mm Hg – 65 Alter ≥65 Jahre 4 Auswertung: – Jedes erfüllte Kriterium ergibt einen Punkt, die Punkte werden addiert. Die maximale Punktzahl ist demnach 4. – Eine Punktzahl von 0 ist mit einer Letalität um 1–3%, 1–2 um 5–10%, 3–4 um 25–35% verbunden.
Demnach identifiziert der CRB-65 Patienten ohne Risiko sowie solche mit deutlich erhöhtem Risiko für einen tödlichen Ausgang [8, 18]. Der CRB-65-Score soll das klinische Urteil validieren, keineswegs aber ersetzen. Im Zweifel entscheidet das unabhängige klinische Urteil. Patienten mit einem Score >1 sollten in der Regel hospitalisiert werden. Der CRB-65-Score ist allerdings nicht geeignet, eine schwere ambulant erworbene Pneumonie im engeren Sinne (d. h. mit Indikation zu einer intensivierten Therapie) zu definieren. Eine Definition hat sich dabei als außerordentlich schwierig erwiesen, da eine allgemeine Referenz, gegen die mögliche Kriterien des Schweregrades validiert werden können, nicht verfügbar ist. Insbesondere hat sich die Referenz »Aufnahme auf der Intensivstation« als nicht geeignet gezeigt, da eine solche immer auch in erheblichem Umfang von lokalen Versorgungsstrukturen abhängig ist. Weitgehende Übereinstimmung besteht hinsichtlich der Kriterien für eine schwere ambulant erworbene Pneumonie. Diese reflektieren eine schwere akute respiratorische Insuffizienz, eine schwere Sepsis bzw. einen septischen Schock und/oder den Umfang bzw. die Dynamik der Infiltrationen in der Thoraxröntgenaufnahme.
doch nicht wesentlich das prädiktive Potenzial von Scores, die aus diesen Kriterien abgleitet worden sind. Aktuell wird daher darauf verwiesen, bei Patienten eine schwere ambulant erworbene Pneumonie anzunehmen, die Kriterien einer akuten respiratorischen Insuffizienz und/oder einer schweren Sepsis bzw. eines septischen Schocks aufweisen. Wenngleich die Erfüllung dieser Kriterien keineswegs immer die Notwendigkeit einer Aufnahme auf der Intensivstation nach sich ziehen muss, so ist doch immer die Notwendigkeit einer intensivierten Therapie begründet [10].
Intensivierte Therapie der schweren ambulant erworbenen Pneumonie Die Therapie muss nicht auf einer Intensivstation, sondern kann auch auf einer Intermediate-care-Station, ggf. auch auf einer personell und strukturell hinreichend ausgestatteten Normalstation erfolgen. 4 Kalkulierte antimikrobielle Therapie 4 Intensiverte Überwachung unter Einschluss von: – Atemfrequenz – Oxymetrie, ggf. Blutgasanalyse – Blutdruck – Puls – Bewussteinszustand – ggf. nichtinvasive Beatmung – ggf. Flüssigkeitssubstitution
Grenzen der intensivierten Therapie außerhalb der Intensivstation liegen in der Notwendigkeit 4 einer invasiven Beatmung, 4 einer Katecholamintherapie sowie 4 einer Organersatztherapie.
39.3.2
Epidemiologie
Inzidenz. Die Inzidenz der ambulant erworbenen Pneumonie beKriterien der schweren ambulant erworbenen Pneumonie nach ATS [2, 13] 4 Kriterien der schweren akuten respiratorischen Insuffizienz – Atemfrequenz >30/min (kann auch ein Kriterium der Sepsis sein) – paO2/FIO2 <250 – Notwendigkeit der (Intubation und) Beatmung 4 Kriterien der Kreislaufinsuffizienz/der schweren Sepsis bzw. des septischen Schocks – Systolischer arterieller Blutdruck <90 mm Hg – Diastolischer arterieller Blutdruck ≤60 mm Hg – Notwendigkeit einer Vasopressortherapie >4 h – Akute Bewusstseinstrübung – Akute Niereninsuffizienz 4 Kriterien der röntgenologischen Ausbreitung – Bilaterale Infiltrate – Multilobäre Infiltrate – Progression der Infiltrate um 50% innerhalb von 48 h
trägt 2–5/1000 Einwohner/Jahr. Sie nimmt mit dem Alter bis zu einer Inzidenz von 30/100 Einwohner/Jahr deutlich zu. Etwa 20% der Verläufe erfordern eine stationäre Behandlung. Von diesen nehmen ca. 10–15% einen schweren (intensivtherapiepflichtigen) Verlauf [42]. Komorbidität. Etwa 1/3 der Patienten weist keine Grunderkran-
kung auf (primäre Pneumonien), während bei zwei Dritteln Grundkrankheiten bestehen. Am häufigsten liegen eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), eine Alkoholkrankheit, eine chronische Herzerkrankung oder ein Diabetes mellitus vor. Gründe für eine Intensivtherapie. Häufigster Grund für eine In-
tensivtherapie ist eine schwere respiratorische Insuffizienz, gefolgt von schwerer Sepsis bzw. septischem Schock. Andere pulmonale und extrapulmonale Komplikationen (z. B. Abszessbildung, Empyem bzw. Meningitis, dekompensierte Herzinsuffizienz) stellen zusätzliche Indikationen zur Intensivtherapie dar. Ätiologie. Streptococcus pneumoniae ist der häufigste Erreger
Eine Ergänzung dieser Liste durch zusätzliche Kriterien ist möglich (und wurde von der ATS/IDSA auch vorgeschlagen), verbessert je-
auch der schweren Verlaufsformen, das sonstige Erregerspektrum ist regional unterschiedlich. Häufige Erreger sind in . Tab. 39.1 wiedergegeben.
39
490
39 39 39
Kapitel 39 · Pneumonien
. Tab. 39.1 Ätiologie der schweren Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie. Häufigkeitsangaben beziehen sich auf die höchste und niedrigste Inzidenz (>0) in epidemiologischen Studien; Streptococcus pneumoniae stellt den einzigen Erreger dar, der in allen Studien gefunden worden ist. (Nach [15]) Erreger
Häufigkeit [%]
Streptococcus pneumoniae
12–38
Legionella pneumophila und andere spp.
3–30
39
Gramnegative Enterobacteriaceae (GNEB)
2–34
Haemophilus influenzae
2–13
39
Staphylococcus aureus bzw. spp.
1–18
Mycoplasma pneumoniae
1–7
Respiratorische Viren
1–5
Pseudomonas aeruginosa
1–5
39
39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39
! Cave Patienten unter Steroidtherapie in einer Dosis ≥20 mg/ Tag über >2 Wochen sind als schwergradig immunsupprimierte Patienten einzuschätzen! Entsprechend ist das erwartete Erregerspektrum um opportunistische Erreger (Aspergillus!) zu erweitern.
39.3.3
Diagnosestellung einer ambulant erworbenen Pneumonie
Kriterien für das Vorliegen einer ambulant erworbenen Pneumonie umfassen: 4 Nachweis eines neu aufgetretenen Infiltrats im Thoraxröntgenbild, 4 Temperatur ≥38,3°C oder <36°C, 4 akut oder subakut aufgetretene respiratorische Symptome (Husten, Auswurf, Dyspnoe), 4 akut oder subakut aufgetretene Allgemeinsymptome 5 konstitutionelle Symptome: Übelkeit/Erbrechen, Diarrhö, Kopf-, Glieder-, Muskelschmerzen, 5 Sepsissymptome: Schwindel, Verwirrtheit. ! Cave Gerade schwere Pneumonien können oligosymptomatisch verlaufen. Dies gilt insbesonders für ältere Menschen. Fieber z. B. ist in bis zu 50% der Fälle nicht zu verzeichnen. Hingegen kann eine neu aufgetretene Verwirrtheit einziges Symptom einer schweren Pneumonie sein. Das Ausmaß der Infiltrate in der Röntgenthoraxaufnahme kann gerade bei schwerer COPD mit Lungenemphysem oder Dehydratation leicht unterschätzt werden.
39 39.3.4
39 39 39
Indikationen für eine Therapie auf Intensivstation bzw. für eine intensivierte Therapie
Nach einer Sonderauswertung von Daten der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) von 2005 und 2006 wurden in Deutschland nur ca. 15% der stationär behandelten Patienten, die an einer ambulant erworbenen Pneumonie starben, im Laufe ihrer Be-
handlung auf einer Intensivstation aufgenommen [18]. Diese Zahl gibt Anlass zu 2 Folgerungen: 4 In jedem Fall einer schweren ambulant erworbenen Pneumonie mit Schweregradkriterien ist bei Aufnahme und wiederholt im Verlauf kritisch zu prüfen, ob eine Indikation zu einer Aufnahme auf der Intensivstation bzw. zu einer intensivierten Therapie besteht. 4 Eine schwere ambulant erworbene Pneumonie als terminales Ereignis einer schweren Komorbidität mit Verzicht auf eine Intensivtherapie ist häufig, sollte jedoch als solche im Einklang mit dem mutmaßlichen Willen des Patienten bzw. seines Betreuers erkannt und entsprechend eindeutig dokumentiert und behandelt werden. Auf diese Weise kann man hoffen, die Raten fälschlicher Unterlassungen bzw. Einleitungen einer intensivierten Therapie zu reduzieren. Indikationen für eine Aufnahme auf der Intensivstation sind 4 die Notwendigkeit einer invasiven Beatmung, 4 das Vorliegen eines septischen Schocks, 4 die Notwendigkeit einer Organersatztherapie. Vor diesen Endpunkten liegt eine weite Zone des Ermessensspielraums. Die Entscheidung über die Aufnahme auf einer Intensivstation wird in diesen Fällen erheblich davon abhängen, welche Versorgungsstrukturen in einem Krankenhaus vorgehalten werden. Allgemein gilt: Je besser eine Intermediate-care-Station etabliert ist, desto weniger Patienten werden auf der Intensivstation aufgenommen. Auf der anderen Seite führt das Konzept der »intensivierten Therapie« eher zu einer höheren Anzahl an Patienten, die als solche mit schwerer ambulant erworbener Pneumonie erkannt und behandelt werden. Das Alter per se stellt keine Kontraindikation zur Intensivtherapie dar, da es kein unabhängiger prognostischer Faktor für einen tödlichen Ausgang ist. Entscheidend für die Indikationsstellung einer Intensivtherapie beim älteren Patienten ist vielmehr der prämorbide Allgemeinzustand.
39.3.5
Mikrobiologische Diagnostik
Stellenwert Die konventionelle mikrobiologische Diagnostik weist eine Reihe wichtiger Nachteile auf: 4 Die Ergebnisse der mikrobiologischen Diagnostik sind meist erst nach Stunden (Sofortdiagnostik) oder Tagen (Kulturen, Serologien) verfügbar, in jedem Fall aber nicht zum Zeitpunkt der initialen Einschätzung. Die möglichst rasche Einleitung einer adäquaten antimikrobiellen Therapie ist jedoch prognostisch entscheidend. 4 Die meisten diagnostischen Techniken weisen nur eine begrenzte Sensitivität und Spezifität auf; die diagnostische Ausbeute aller kulturellen Techniken wird durch eine vorbestehende antimikrobiellen Therapie noch weiter verschlechtert. 4 Auch ein valider Erregernachweis kann naturgemäß eine Infektion durch mehrere Erreger nicht ausschließen. 4 Eine Reduktion der Letalität durch den Einsatz der mikrobiologischen Diagnostik ist nicht nachgewiesen. Andererseits ergeben sich für die mikrobiologische Diagnostik 2 wichtige Funktionen [39]: 4 Identifikation des Erregerspektrums der eigenen Region als Orientierung für eine initiale kalkulierte antimikrobielle
491 39.3 · Schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie
Therapie (»epidemiologische Funktion«); um dies zu gewährleisten, muss allerdings ein sehr umfangreiches diagnostisches Programm über einen relevanten Zeitraum durchgeführt werden. 4 Identifikation des Erregers im Individualfall, um die initiale antimikrobielle Therapie zu modifizieren (»individuelle Funktion«).
Jede größere Intensivstation sollte daher eine umfassende, möglichst standardisierte mikrobiologische Diagnostik durchführen und die Ergebnisse systematisch erfassen, um das eigene Erregerspektrum als Basis der initialen kalkulierten antimikrobiellen Therapie zu identifizieren. Die prognostische Relevanz des Erregernachweises im Individualfall ist ungeklärt, dieser erleichtert jedoch in jedem Fall die Therapiesteuerung.
39.3.6
Prognose
Die Letalität der schweren Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie beträgt 20–35%, in einigen Untersuchungen auch >50%. Todesursachen sind meist eine therapierefraktäre Hypoxie oder ein therapierefraktärer septischer Schock bzw. ein Multiorganversagen. Von den Überlebenden haben nach 2 Jahren ca. 50% wieder ihre normale Lebens- und Arbeitsweise aufgenommen. Prognostische Faktoren. Die wichtigsten prognostischen Faktoren
umfassen den prämorbiden Allgemeinzustand des Patienten, eine inadäquate initiale antimikrobielle Therapie, das Vorliegen einer Bakteriämie sowie Faktoren, die die schwere respiratorische Insuffizienz, die schwere Sepsis bzw. den septischen Schock sowie die röntgenologische Ausbreitung der Infiltrate reflektieren [6]. Unter den mikrobiellen Ätiologien kommt Streptococcus pneumoniae, Legionella pneumophila, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, anderen gramnegativen Enterobacteriaceae (GNEB) sowie Pseudomonas aeruginosa prognostische Bedeutung zu.
Verfahren Antigentests im Urin. Die bereits kommerziell erhältlichen Tests
für Streptococcus pneumoniae und Legionella pneumophila der Serogruppe 1 als einfache, bettseitig durchführbare Antigentests im Urin weisen eine Sensitivität von 50–80% und eine Spezifität von >95–100% auf. Der resultierende hohe positive Vorhersagewert sowie die einfache Durchführbarkeit und rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse (binnen 15 min nach Testansatz) lassen diese Tests als wertvolle Ergänzung erscheinen. Vor Klärung der prognostischen Rolle der Mischinfektionen sollte jedoch das Konzept der kalkulierten initialen antimikrobiellen Therapie bei schweren Pneumonien nicht verlassen werden. Diagnostische Verfahren. Bei allen Patienten sollten zwei Paare Blutkulturen gewonnen sowie Urinantigentests auf Streptococcus pneumoniae und Legionella pneumophila Serogruppe 1 durchgeführt werden. Gegebenenfalls kann auch eine Sputumprobe nach Gram gefärbt, validiert und kulturell angezüchtet werden. Im Falle eines größeren Pleuraergusses muss eine Thorakozentese mit Zytologie, Bestimmung der laborchemischen Charakteristika (Transsudat/Exsudat) sowie Kultur erfolgen. Gepaarte Serologien (auf Legionella pneumophila, Mycoplasma pneumoniae und Chlamydia pneumoniae, Coxiella burnetti und respiratorische Viren (Influenzavirus, Parainfluenzavirus, RS-Virus, Adenovirus) sind nur im Rahmen systematischer Erhebungen des Erregerspektrums sinnvoll.
Beim beatmeten Patienten sollte Tracheobronchialsekret gewonnen und quantitativ kulturell aufgearbeitet werden. Eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) sollte in erster Linie bei einem Scheitern der initialen antimikrobiellen Therapie erwogen werden. In diesen Fällen ist es wichtig, eine umfassende mikrobiologische Aufarbeitung (auf bakterielle, »atypische« ebenso wie opportunistische Erreger) zu veranlassen. Methodische Voraussetzungen sind in . Tab. 39.5 (7 Abschn. 39.4.4) aufgeführt.
39.3.7
Therapie
Antimikrobielle therapeutische Grundstrategie Kontrollierte Studien zur Therapie der schweren ambulant erworbenen Pneumonie liegen nicht vor. Die initiale antimikrobielle Therapie sollte sich daher am lokalen Erregerspektrum orientieren oder – wo dies nicht bekannt ist – am mutmaßlich der eigenen Region ähnlichsten Spektrum anderer Regionen (»kalkulierte antimikrobielle Therapie«).
Die initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie wird stets intravenös begonnen und in der Regel über den ganzen Therapiekurs fortgesetzt. Sie wird ggf. entsprechend den Ergebnissen der mikrobiologischen Diagnostik (Erreger, Resistenz) im Individualfall modifiziert.
Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie In der Regel ist eine Kombinationstherapie indiziert. Dies gilt insbesondere angesichts von Daten, die eine Überlegenheit einer Kombinationstherapie über eine β-Laktam-Monotherapie selbst bei schweren invasiven Pneumokokkeninfektionen nahelegen [4]. Hierbei handelt es sich allerdings um Daten aus retrospektiven und nicht kontrollierten Studien. > Das höchste differenzialtherapeutische Gewicht kommt der Frage zu, ob der Patient ein Risiko für eine Pneumonie durch P. aeruginosa aufweist [2, 22, 48]. Dessen ungeachtet ist eine schwere ambulant erworbene Pneumonie durch P. aeruginosa zumindest in Deutschland selten!
z Risikofaktoren für eine Pneumonie durch P. aeruginosa 4 strukturelle pulmonale Komorbidität (in der Regel schwere COPD oder Bronchiektasen), 4 wiederholte Hospitalisationen in den letzten 12–24 Monaten, 4 wiederholte antimikrobielle Therapiekurse in den letzten 12–24 Monaten, 4 bekannte Kolonisation durch P. aeruginosa, 4 Vorliegen einer PEG.
39
492
Kapitel 39 · Pneumonien
. Tab. 39.2 Kalkulierte Initialtherapie bei hospitalisierten Patienten mit schwerer ambulant erworbener Pneumonie (sCAP) ohne Indikation für eine gegen P. aeruginosa wirksame initiale kalkulierte Therapie
39 39
Antimikrobielle Therapiedauer
Substanzen für die Initialtherapie
39
Mittel der Wahl*
Pseudomonasaktives β-Laktam
β-Laktam
5 Piperacillin/Tazobactam
3×4,5 g i.v.
8 Tage
5 Cefepim
3×2,0 g i.v.
8 Tage
39 39
3×4,5 g i.v.
5 Ceftriaxon
1×2,0 g i.v.
8 Tage
5 Imipenem
3×1,0 g i.v.
8 Tage
5 Cefotaxim
3×2,0 g i.v.
8 Tage
5 Meropenem
3×1,0 g i.v.
8 Tage
5 Ertapenem**
1×1,0 g i.v.
8 Tage
plus Fluorchinolon**
8 Tage
5 Levofloxacin
2×500 mg i.v.
8 Tage
5 Ciprofloxacin
3×400 mg i.v.
8 Tage
8 Tage
Alternative*
39
Fluorchinolon****
39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39
Dosierung der Initialtherapie (pro Tag)
5 Piperacillin/Tazobactam
plus Makrolid***
39
Substanzen für die Initialtherapie
Antimikrobielle Therapiedauer
39
39
Dosierung der Initialtherapie (pro Tag)*
. Tab. 39.3 Kalkulierte Initialtherapie bei hospitalisierten Patienten mit schwerer ambulant erworbener Pneumonie (sCAP) mit Indikation für eine gegen P. aeruginosa wirksame initiale kalkulierte Therapie
oder
5 Levofloxacin
2×500 mg i.v.
8 Tage
plus Aminoglykosid* und Makrolid
5 Moxifloxacin
1×400 mg i.v.
8 Tage
Amikacin
15 mg/kg KG i.v.***
3 Tage
Gentamicin
5 - 7 mg/kg KG i.v.***
3 Tage
Tobramycin
5 - 7 mg/kg KG i.v.***
3 Tage
*
Bei vorausgegangener Antibiotikatherapie innerhalb der letzten 3 Monate wird ein Wechsel der zuletzt verwendeten Substanzgruppe empfohlen. ** Patienten mit Risikofaktoren für eine Infektion mit Enterobacteriaceae inkl. ESBL-Bildnern (außer P. aeruginosa) sowie Patienten, die kürzlich eine Therapie mit Penicillinen oder Cephalosporinen erhalten haben. *** Initial parenterale Verabreichung. **** Bei Patienten mit septischem Schock und/oder invasiver Beatmung ist initial eine Kombinationstherapie mit einem β-Laktam indiziert.
Entsprechend wird die initiale antimikrobielle Therapie ausgewählt (. Tab. 39.2, . Tab. 39.3). z Aspirationspneumonie Patienten mit Verdacht auf Aspirationspneumonie sollten ein Aminopenicillin plus β-Laktamasehemmer, z. B. Amoxicillin/Clavulansäure oder Ampicillin/Sulbactam, Clindamycin plus Cephalosporin der 3. Generation, oder ein Carbapenem erhalten. z Health care-asscociated pneumonia Ein besonderes Erregerspektrum dieser Risikogruppe ist zumindest für Europa bzw. Deutschland nicht gesichert bzw. anzunehmen. Allerdings gilt es, individuell zu prüfen, ob Risikofaktoren für eine Pneumonie durch MRSA, GNEB oder Pseudomonas aeruginosa vorliegen. z CA-MRSA Zusätzlich zu den nosokomial erworbenen MRSA-Stämmen müssen aktuell auch ambulant erworbene in Betracht gezogen werden (CA-MRSA). Diese weisen über das Panton-Valentin-Leucocidin (PVL) und andere Toxine eine erhöhte Pathogentität auf. Klinisch manifestieren sie sich durch hochakute und nekrotisierende Pneumonien. Unerkannt ist die Pneumonie durch cMRSA entsprechend mit einer hohen Letalität belastet. Anders als nosokomiale MRSA sind cMRSA in der Regel noch gegenüber allen Nicht-β-Laktamen sensibel.
* **
***
Aminoglykoside sollten wegen erhöhter Toxizität im Regelfall nicht länger als 3 Tage verabreicht werden. Bei vorausgegangener Antibiotikatherapie innerhalb der letzten 3 Monate wird ein Wechsel der zuletzt verwendeten Substanzgruppe empfohlen. Weitere Dosierung nach Spiegelbestimmung.
Antimikrobielle Therapiedauer. Die antimikrobielle Therapie der schweren ambulant erworbenen Pneumonie sollte analog der nosokomialen Pneumonie 8 Tage nicht überschreiten. Ausnahmen sind: 4 Bakteriämische Pneumonien durch S.aureus: Antimikrobielle Therapiedauer mindestens 14 Tage. 4 Abszedierende Pneumonien: Antimikrobielle Therapiedauer bis zur kompletten radiologischen Rückbildung, Sequenztherapie möglich und indiziert.
Nichtmedikamentöse Therapie Die Therapie der schweren O2-refraktären respiratorischen Insuffizienz bestand bisher alternativlos in Intubation und Beatmung. Eine nichtinvasive Beatmung kann versucht werden, insbesonders bei Patienten mit COPD.
Antikoagulation Bei jeder akuten respiratorischen Insuffizienz ist eine Low-doseHeparinisierung indiziert. > Im Fall einer unilateralen Pneumonie kann durch Lagerung des Patienten auf die gesunde Seite das Ventilations-Perfusions-Verhältnis und somit die Hypoxämie (um paO2 ca. 10–15 mm Hg) gebessert werden.
493 39.4 · Nosokomiale Pneumonien
Therapie der schweren Sepsis Einer zeitgerechten und konsequenten Therapie der schweren Sepsis kommt eine hohe Bedeutung zu (7 Kap. 63). Es gilt daher, insbesonders diejenigen Patienten zu identifizieren, die innerhalb der ersten Stunden nach stationärer Aufnahme eine schwere Sepsis bzw. einen septischen Schock entwickeln. Dies ist nur durch eine intensivierte Überwachung möglich (7 Abschn. 39.4.3).
39.3.8
Therapieversagen
Therapieversagen Eine allgemein akzeptierte Definition ist nicht verfügbar. Im Allgemeinen wird von einem Therapieversagen gesprochen, wenn sich die klinische Situation des Patienten binnen 72 h nach Beginn der initialen antimikrobiellen Therapie nicht gebessert oder zumindest stabilisiert hat. Folgende Kriterien sind dabei insbesonders in ihrer Entwicklung seit Therapiebeginn zu beachten: 4 Atmung und Gasaustausch, 4 Kreislaufsituation, 4 andere Organfunktionen (z. B. Niere), 4 Körpertemperatur, 4 Biomarker (CRP, PCT). In der komplexen Situation eines Patienten mit schwerer ambulant erworbener Pneumonie kann nur die Berücksichtigung aller dieser Kriterien eine adäquate Einschätzung erbringen.
4 beim spontan atmenden Patienten mit Tracheostomie, 4 unter Beatmung (nichtinvasiv oder invasiv, jeweils ohne oder mit Tracheostomie). Die weitaus meisten Untersuchungen zur nosokomialen Pneumonie beziehen sich auf die Pneumonie des nicht schwergradig imunsupprimierten Patienten unter invasiver Beatmung, hier bezeichnet als Beatmungspneumonie [24]. Für die Beatmungspneumonie hat sich im angelsächsischen Sprachraum die sachlich inadäquate und irreführende Bezeichnung der »ventilator-associated pneumonia» (VAP) durchgesetzt. Aktuell zeichnet sich eine Revision dieser Bezeichnung hin zur »ventilationassociated pneumonia« unter Erhaltung des Akronyms »VAP« ab. Beatmungspneumonie Im Kontext der Beatmungspneumonie ist die Unterscheidung der früh einsetzenden nosokomialen Pneumonie (»early onset pneumonia»; von der stationären Aufnahme bis zum 4. Tag der stationären Behandlung) von der spät einsetzenden nosokomialen Pneumonie (»late onset pneumonia»; ab dem 5. Tag der stationären Behandlung [3]) von grundlegender Bedeutung. Die ältere Definition, wonach Pneumonien erst ab 48 h nach Krankenhausaufnahme als nosokomial anzusehen sind, wird durch diese neuere Unterscheidung hinfällig.
39.4.2 Ursachen eines Therapieversagens sind vielfältig und umfassen: 4 inadäquate initiale antimikrobielle Therapie, 4 erregerassoziierte Therapieversager (persistierende, resistente oder »atypische« Erreger), 4 Therapieversager durch Komplikationen der Pneumonie (Empyem, Abszess, nosokomiale Superinfektion), 4 Therapieversager durch Sonderformen der Pneumonie (Aspirations-, Retentionspneumonie oder seltene Erreger, einschließlich M. tuberculosis), 4 Pseudotherapieversager durch nichtinfektiöse Lungenerkrankungen, die eine Pneumonie vortäuschen Entsprechend komplex ist die differenzialdiagnostische Abklärung. Daher sollte bei einem Therapieversagen stets ein Pneumologe und/oder Infektiologe konsultiert werden.
Pathogenese
Die nosokomiale Pneumonie entsteht in erster Linie durch Mikroaspiration pathogener Keime, die den Oropharynx besiedeln [24] (. Abb. 39.1). Das endogen oder pathologisch besiedelte oropharyngeale Reservoir ist am bedeutsamsten. Für die spät einsetzende nosokomiale Pneumonie spielt das (pathologisch besiedelte) gastrische Reservoir eine zusätzliche Rolle. Begünstigende Faktoren sind: 4 Umgehung der unspezifischen Abwehr des oberen Respirationstrakts durch den Endotrachealtubus, 4 Beeinträchtigung der Immunitätslage des kritisch Kranken, 4 bestimmte Grunderkrankungen (z. B. COPD). Darüber hinaus spielt die exogene Übertragung von Erregern eine bedeutende Rolle. Ein weniger häufiger Pathomechanismus besteht in septischen Absiedlungen. Noch ungeklärt sind Rolle und Häufig-
Qualitativ hochwertige aktuelle Leitlinien zur Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie (einschließlich der schweren Verlaufsformen) umfassen: 4 die Leitlinie der ATS [2], 4 die Leitlinie der ERS [48], 4 die Leitlinie der BTS [26], 4 die S3-Leitlinie der PEG, DGP, DGI und von CAPNETZ [22].
39.4
Nosokomiale Pneumonien
39.4.1
Begriffsbestimmung
Nosokomiale Pneumonien können sich entwickeln: 4 beim spontan atmenden Patienten,
. Abb. 39.1 Pathogenese der nosokomialen Pneumonie
39
494
39 39 39 39 39 39 39 39
keit der Translokation von Darmbakterien aus dem ischämischen Darm. Die nosokomiale Pneumonie entwickelt sich bevorzugt in den abhängigen Lungenpartien, breitet sich typischerweise multifokal aus und weist häufig eine polymikrobielle Ätiologie auf [19, 28]. Die »early-onset pneumonia« entsteht durch Mikroaspiration von Keimen der oropharyngealen Flora bereits außerhalb oder innerhalb des Krankenhauses (z. B. bei Schluckstörungen, häufig im Rahmen der Intubation). Hingegen liegt der »late-onset pneumonia« eine Mikroaspiration von im Krankenhaus erworbenen meist oropharyngealen, gelegentlich auch gastrischen (potenziell multiresistenten) Kolonisationskeimen zugrunde. Ein liegender Tubus stellt dabei eine »via regia« für die Deszension von Keimen dar – sowohl über das Lumen des Tubus als auch entlang des Tubus am keineswegs dichten Tubuscuff. Die Bildung eines »Biofilms« am Tubus spielt dabei eine wichtige Rolle als Keimreservoir. ! Cave Eine prolongierte antimikrobielle Therapie mit breitem antimikrobiellem Spektrum birgt ein hohes Risiko für die Selektion multiresistenter Keime [38].
39.4.3
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Risikofaktoren. Das Risiko für die Entwicklung einer nosokomialen Pneumonie ist erhöht, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Hierzu gehören: 4 hohes Lebensalter, 4 kardiopulmonale oder andere schwere Grunderkrankungen, 4 Morbidität (hoher APACHE-II- oder SAPS-II-Score-Wert), 4 Bewusstseinstrübung, 4 vorangegangener thorakoabdomineller Eingriff, 4 prolongierte Hospitalisation, Beatmung und antimikrobielle Therapie. > Wichtige zusätzliche Risikofaktoren sind eine horizontale Körperlage, ein subglottischer Sekretstau sowie die Reintubation. Die Bedeutung der H2-Blocker und Antazida im Rahmen der Stressulkusprophylaxe als Risikofaktoren wird kontrovers diskutiert.
39.4.4
Diagnostik
Stellenwert der klinischen Diagnostik
39 39
Kapitel 39 · Pneumonien
Epidemiologie
Inzidenz. Die Inzidenz beträgt 5–15 Erkrankungen pro 1000 stati-
onär behandelte Patienten und ist bei älteren sowie bei beatmeten Patienten am höchsten. In Deutschland wird die absolute Inzidenz auf 120 000/Jahr geschätzt.
Zu den klassischen Diagnosekriterien einer Beatmungspneumonie (nach Johanson et al. [49]) gehören: 4 neu aufgetretenes und persistierendes Infiltrat in der Thoraxröntgenaufnahme plus 4 mindestens 2 der 3 folgenden Kriterien: 5 Fieber >38,3°C oder Hypothermie <36°C, 5 Leukozytose >12 000/μl oder Leukopenie <4000/μl, 5 purulentes Tracheobronchialsekret.
Ätiologie. Bei den früh einsetzenden noskomialen Pneumonien
überwiegen ambulant erworbene Keime und leichter therapierbare, weil nicht resistente gramnegative Enterobakterien (GNEB). Mit folgenden Erregern ist am häufigsten zu rechnen [37]: 4 Oxacillin- bzw. Methicilin-sensible Staphylococcus aureus (OSSA bzw. MSSA), 4 Haemophilus influenzae, 4 Streptococcus pneumoniae, 4 Escherichia coli und andere gramnegative Enterobakterien. Bei den spät einsetzenden nosokomialen Pneumonien finden sich zusätzlich meist komplizierte, ggf. auch typische multiresistente Erreger: 4 Oxacillin- bzw. Methicillin-resistente Staphylococcus-aureusStämme (ORSA bzw. MRSA), 4 Pseudomonas spp., 4 Acinetobacter spp., 4 Stenotrophomonas spp., 4 ESBL-bildende Gram-negative Enterobakterien. Unter bestimmten Bedingungen muss von einem modifizierten Erregerspektrum ausgegangen werden: 4 strukturelle Lungenerkrankung, insbesonders COPD: multiresistente Erreger, 4 Steroidtherapie: Pilze (Aspergillus spp.), 4 prolongierte stationäre Behandlung bzw. antimikrobielle Therapie: multiresistente Erreger, 4 zerebrale Erkrankungen mit Bewusstseinstrübung: endogene Kolonisationskeime, besonders Staphylococcus aureus (OSSA bzw. MSSA), 4 abdominalchirurgischer Eingriff und Aspiration: Anaerobier (Assoziation weniger gut geklärt).
Alle diese Zeichen kommen bei kritisch Kranken häufig vor, auch ohne dass eine Pneumonie besteht (zur Differenzialdiagnose 7 unten). Daher sind klinische Kriterien – im Gegensatz zur ambulant erworbenen Pneumonie – nur begrenzt sensitiv und spezifisch (20– 40% falsch-negative und falsch-positive Befunde). Dennoch müssen sie Grundlage für alle weiteren diagnostischen Entscheidungen bleiben [16, 17]. Alternativ wurde von Pugin et al. [36] der »clinical pulmonary infection score« (CPIS) beschrieben (. Tab. 39.4). Eine Überlegenheit gegenüber den Johanson-Kriterien [49] besteht nicht, der CPIS-Score ist jedoch wertvoll als Instrument der Evaluation des Therapieansprechens (7 unten).
Differenzialdiagnose der nosokomialen Pneumonie 4 4 4 4 4 4 4 4
Atelektasen Linksherzinsuffizienz bzw. Lungenödem Nierenversagen mit Lungenödem Lungenembolie bzw. -infarkt Pulmonale Hämorrhagien ARDS Medikamentös bedingte Alveolitis Infektionen: 5 Sinusitis 5 Katheterinfektionen 5 Harnwegsinfektionen 5 Abdominelle Infektionen
Stellenwert der mikrobiologischen Diagnostik Die mikrobiologische Diagnostik hat 3 Ziele: 4 die Diagnose einer Pneumonie mikrobiologisch zu sichern; 4 den oder die zugrunde liegenden Erreger im Individualfall zu identifizieren;
495 39.4 · Nosokomiale Pneumonien
. Tab. 39.4 Modifizierter Clinical Pulmonary Infection Score (CPIS). (Mod. nach Pugin et al. [36]) Parameter
. Tab. 39.5 Methodische Voraussetzungen zur Wahrung qualitativ hochwertiger diagnostischer Proben aus dem unteren Respirationstrakt
Punktzahl Probe
Voraussetzungen
Tracheobronchialsekret
Absaugung des Sekrets aus dem Tubus Tiefes Einführen eines frischen Katheters mit angeschlossenem Auffanggefäß, dann erst Absaugung einstellen Keine vorherige Instillation von Kochsalz
Bronchoskopie
Gute Sedierung Keine Anwendung von Lokalanästhetika Keine Aspiration über den Arbeitskanal des Bronchoskops vor Gewinnung der respiratorischen Sekrete
Temperatur [°C] Zwischen ≥36,5°C und ≤38,4°C
0
Zwischen ≥38,5°C und ≤38,9°C
1
Zwischen ≥39°C und ≤36°C
2
Leukozyten, mm3 Zwischen ≥4000 und ≤11.000
0
Zwischen <4000 oder >11.000
1
Zwischen <4000 oder >11.000 + Stabkernige ≥50%
2
Tracheobronchialsekret (TBAS) Kein Sekret
0
Nichteitriges Sekret
1
Eitriges Sekret
2
ARDS/Oxygenierung: paO2/FIO2 [mm Hg] ARDS (Definition ARDS: paO2/FIO2 ≤200, pulmonal arterieller Wedge-Druck ≤18 mm Hg (bzw. keine Stauung) und akute bilaterale Infiltrate)
0
paO2/FIO2 ≤240 and kein ARDS
2
Falls eine simultane Gewinnung von Tracheobronchialsekret und Material aus der bronchoalveolären Lavage erfolgt, wird erst das Tracheobronchialsekret gewonnen und dann die bronchoalveoläre Lavage durchgeführt. Die erste rückgewonnene Portion aus der bronchoalveolären Lavage wird verworfen. Lagerung und Transportzeit der gewonnenen Proben sind möglichst kurz zu halten. Die Verarbeitung der Proben sollte innerhalb von spätestens 4 h (besser 2 h) nach Probengewinung erfolgen.
4 die initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie zu modifizieren (»individuelle« Funktion).
Thoraxröntgenaufnahme Kein Infiltrat
0
Diffuse (oder fleckige) Infiltrate
1
Lokalisierte Infiltrate
2
Kultur TBAS/BALF Pathogene Bakterien nicht nachweisbar
0
Pathogene Bakterien in nicht signifikanter Keimzahl (TBAS <105, BALF <104 KBE/ml)
1
Pathogene Bakterien in signifikanter Keimzahl (TBAS ≥105, BALF ≥104 KBE/ml)
2
Maximale Punktzahl = 12 Punkte; Verdacht auf Pneumonie: ≥6 Punkte.
Eine wichtige Option der Schnelldiagnostik besteht in der Anfertigung eines Gram-Präparats sowie der Bestimmung der »intracellular organisms« (ICO) in phagozytierenden Zellen im GiemsaPräparat. Ein Anteil von >5% spricht für das Vorliegen einer Pneumonie. Die Sensitivität dieser Untersuchung unter antimikrobieller Vorbehandlung ist jedoch deutlich reduziert (<50%). Zusätzlich zu respiratorischen Sekreten sollten folgende Materialien untersucht werden: 4 2 Paare Blutkulturen, 4 ggf. (bei relevanter Ergussmenge) Pleuraergusspunktat, 4 ggf. Schnelltest auf Legionella pneumophila Serogruppe 1. Darüber hinaus ist stets gleichzeitig nach extrapulmonalen Infektionsherden zu fahnden. Diagnostische Methodik. Der korrekten Materialgewinnung und
4 das lokale Erreger- und Resistenzspektrum zu dokumentieren, auf das eine initial kalkulierte antimikrobielle Therapie ausgerichtet werden kann. Die qualitative Kultur respiratorischer Sekrete ist für die Diagnosestellung einer Pneumonie eine sensitive, jedoch wenig spezifische Methode (>75% falsch-positive Ergebnisse). Das erste Ziel kann daher mit dieser Methode nicht erreicht werden. Die quantitative Kultur respiratorischen Sekrets erreicht gegenüber der qualitativen Kultur eine ungleich höhere Spezifität. Dennoch muss auch bei sorgfältiger Beachtung der Methodik der Materialentnahme und -verarbeitung mit ca. 10–30% falsch-negativen und falsch-positiven Ergebnissen gerechnet werden [17, 19, 28]. Entsprechend hat die mikrobiologische Diagnostik die Funktionen, 4 die Grundlage für die Auswahl der kalkulierten antimikrobiellen Therapie zu liefern (»epidemiologische Funktion«) sowie
-verarbeitung ist hohe Bedeutung beizumessen. Tracheobronchialsekret sollte nativ gewonnen und kulturell quantitativ aufgearbeitet werden. Methodische Voraussetzungen zur Wahrung qualitativ hochwertiger diagnostischer Proben aus dem unteren Respirationstrakt sind in . Tab. 39.5 aufgeführt. Als Trennwert für ein positives Ergebnis gelten Befunde von 105 KBE (koloniebildende Einheiten)/ ml. Bronchoskopisch gewonnene Proben (BALF) weisen gegenüber dem Tracheobronchialsekret eine tendenziell höhere Spezifität auf. Die klinische Bedeutung dieses Vorteils wird jedoch kontrovers gesehen. Die bronchoskopische Diagnostik kann daher auf Fälle beschränkt bleiben, in denen der Inspektion des Tracheobronchialbaums eine differenzialdiagnostische Bedeutung zukommt [7, 17]. Trennwerte für ein positives Ergebnis sind der BALF sind 104 KBE/ ml. Entscheidend für eine optimale diagnostische Ausbeute ist auch die korrekte Steuerung der antimikrobiellen Therapie. Hier gelten die beiden folgenden Regeln:
39
496
Kapitel 39 · Pneumonien
39
. Tab. 39.6 Umgang mit diagnostischer Unsicherheit: Vorgehen nach Einleitung einer antimikorbiellen Therapie bei Verdacht auf eine nosokomiale Pneumonie. (Nach [43])
39
Klinische Konstellation
Strategie
Rationale
Klinischer Verdacht auf VAP
Quantitative Kulturen TBAS Kalkulierte antimikrobielle Therapie
Gesicherter prognostischer Vorteil
39
Reevaluation nach 72 h; 4 mögliche klinische Konstellationen:
39
Verdacht auf VAP bestätigt (klinisch und/oder durch Kulturergebnisse)
Fortführung der antimikrobiellen Therapie Adjustierung bzw. Deeskalation nach Kulturergebnissen
Vorgehen evident
39
VAP klinisch wahrscheinlich, Kulturergebnisse nicht signifikant, keine schwere Sepsis
Individuelle Abwägung
Vorgehen nicht gesichert
39
VAP klinisch unwahrscheinlich, Kulturergebnisse nicht signifikant, keine schwere Sepsis
Absetzen der antimikrobiellen Therapie
Reduktion des Selektionsdrucks und der Exzessletalität durch antimikrobielle Übertherapie
VAP ausgeschlossen, alternative Infektionsquelle und/oder schwere Sepsis
Fortsetzen bzw. adjustieren der antimikrobiellen Therapie
Vorgehen evident
39
39 39
39
4 Optimal ist eine mikrobielle Diagnostik vor Beginn der antimikrobiellen Therapie. 4 Besteht aufgrund einer anderen Infektion bereits eine antimikrobielle Therapie (häufige Konstellation), so sollte diese 72 h vor der Probenentnahme nicht verändert worden sein.
39
Hingegen ist ein sog. »antibiotisches Fenster« für die diagnostische Ausbeute wahrscheinlich kaum relevant.
39
Stellenwert der radiologischen Diagnostik
39
39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39 39
Die Thoraxröntgenaufnahme ist Grundlage der Diagnostik bei Verdacht auf eine Pneumonie. Liegendaufnahmen weisen allerdings eine Reihe von »toten Winkeln« auf, in denen sich Infiltrate verbergen können (oberes Mediastinum, para- und retrokardialer Raum). Auf dem Thorax des Patienten angebrachte Elektroden sollten wo immer möglich vor Anfertigung einer Thoraxröntgenaufnahme entfernt werden. In Einzelfällen kann eine Computertomographie des Thorax bei der Identifikation von Infiltraten oder Abszessen hilfreich sein.
Zusammenschau der Diagnostik Auch die Zusammenschau der klinischen, mikrobiologischen und radiologischen Parameter ergibt nicht selten keine sichere Aussage über das Vorliegen einer nosokomialen Pneumonie. Es bedarf daher Strategien, die zu einem rationalen Umgang mit diesen Unsicherheiten anleiten, indem sie das Risiko für eine verspätete oder inadäquate antimikrobielle Therapie einerseits bzw. einer Übertherapie andererseits gleichermaßen minimieren helfen.
39.4.5
Prinzipien der Therapie der nosokomialen Beatmungspneumonie (VAP)
Ein Vorschlag für eine Therapiestrategie angesichts der bestehenden diagnostischen Unsicherheiten ist in . Tab. 39.6 wiedergegeben [46]. Eine antimikrobielle Therapie kann demnach bei negativem mikrobiologischem Ergebnis abgesetzt werden, wenn 4 das Vorliegen einer Pneumonie im Verlauf unwahrscheinlich ist und/oder 4 eine alternative Diagnose gefunden worden ist.
Das Vorgehen im Fall eines fortbestehenden klinischen Verdachts auf VAP, jedoch negativen kulturellen Ergebnissen muss im Einzelfall entschieden werden. Gegebenenfalls müssen wiederholte Untersuchungen durchgeführt werden.
Eine weitere vielversprechende Strategie zur Minimierung des Risikos einer antimikrobiellen Übertherapie besteht in der Unterscheidung von Fällen mit hoher oder niedriger Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer nosokomialen Pneumonie entsprechend dem CPIS-Score (Vorliegen von Infiltraten und CPIS <6 oder ≥6; . Tab. 39.4). Patienten mit CPIS <6 können demnach initial mit einer Monotherapie über 3 Tage behandelt werden; bei fortbestehendem CPIS <6 nach 3 Tagen kann die Therapie abgesetzt werden [45].
In der Regel können nur potenziell pathogene Keime (»potentially pathogenic microorganisms«, PPM) als ursächliche Erreger angesehen werden. Non-PPM (d. h. Streptococcus-viridans-Gruppe, andere Streptococcus spp. außer Streptococcus pneumoniae, koagulasenegative Staphylokokken, Corynebacterium spp., Neisseria spp., Enterokokken, Anaerobier) stellen in der Regel keine ursächlichen Erreger dar. Candida spp. in respiratorischen Sekreten sind praktisch immer Kolonisationskeime. Ihre ursächliche Rolle in extrem seltenen Ausnahmefällen kann nur bioptisch gesichert werden.
Bei Nachweis von Aspergillus spp. sollte insbesonders bei Risikopatienten (Steroidtherapie, schwere akute Erkrankung und/oder Grunderkrankung) durch wiederholte Kulturen und bildgebende Verfahren (z. B. Computertomographie des Thorax) nach Hinweisen für eine Aspergilluspneumonie gesucht werden. Bei diesen Patienten ist eine kalkulierte antifungale Therapie in der Regel indiziert.
497 39.4 · Nosokomiale Pneumonien
39.4.6
Prognose
Die Letalität der nosokomialen Pneumonie beträgt 30–50%. Der Nachweis einer Pneumonie-assoziierten Exzessletalität ist insbesonders bei schwerkranken Patienten schwierig zu führen. Wahrscheinlich kommt der früh einsetzenden nosokomialen Pneumonie keine bzw. nur eine sehr geringe Exzessletalität zu, während mit einer solchen bei der spät einsetzenden Pneumonie gerechnet werden muss. Ursächlich dafür ist dann die Multiresistenz der Keime bzw. eine inadäquate antimikrobielle Therapie. Mehrere Studien haben eine erhebliche Exzessletalität einer initial inadäquaten antimikrobiellen Therapie nachweisen können. > Der umgehenden Einleitung einer adäquaten antimikrobiellen Therapie kommt eine hohe prognostische Bedeutung zu.
Der prognostische Nachteil einer inadäquaten initialen antimikrobiellen Therapie kann auch nach adäquater Korrektur häufig nicht mehr eingeholt werden.
. Tab. 39.7 Kalkulierte Initialtherapie der früh einsetzenden nosokomialen Pneumonie (»early onset pneumonia«) Dosierung der Initialtherapie (pro Tag)
Gesamttherapiedauer
5 Amoxicillin/ Clavulansäure
3×2,2 g i.v.
8 Tage
5 Ampicillin/ Sulbactam
3×3,0 g i.v.
8 Tage
5 Cefuroxim
3×1,5 g i.v.
8 Tage
5 Ceftriaxon
1×2,0 g i.v.
8 Tage
5 Cefotaxim
3×2,0 g i.v.
8 Tage
5 Ertapenem
1×1,0 g i.v.
8 Tage
5 Levofloxacin
1×500 mg i.v.
8 Tage
5 Moxifloxacin
1×400 mg i.v.
8 Tage
Substanzen für die Initialtherapie*
β-Laktam
Oder*** Fluorchinolon****
39.4.7
Therapie
Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie Es gibt nur wenige kontrollierte Studien zur Therapie der nosokomialen Pneumonie, die auch noch heute Aktualität beanspruchen dürfen. Die Auswahl der kalkulierten antimikrobiellen Therapie richtet sich nach heutigem Konsens nach den Kriterien 4 früh einsetzend, 4 spät einsetzend bzw. 4 Vorliegen von Risikofaktoren. > Der Referenzzeitpunkt für die Unterscheidung von früh und spät einsetzenden Pneumonien ist die Krankenhausaufnahme, und von einer früh einsetzenden Pneumonie kann nur bei Patienten ohne besondere Risikofaktoren gesprochen werden! Die früh einsetzende Pneumonie ist gegenüber den beiden anderen Formen vergleichsweise selten. Sie wird insbesondere in Kliniken mit einer hohen Rate an Aufnahmen von intensivtherapiepflichtigen Patienten von zu Hause sowie von Patienten mit Unfällen gesehen.
Für Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Pneumonie gilt das Therapieprinzip der Deeskalation, d. h. einer initialen Therapie mit breitem Spektrum, die nach 3–5 Tagen entsprechend den Ergebnissen der Kulturen adaptiert werden kann. Die antimikrobielle Therapie ist stets über den gesamten Zeitraum intravenös zu applizieren. z Aminoglykoside Seit 2004 sind eine Reihe von Studien und Metaanalysen publiziert worden, die übereinstimmend zeigen, dass eine Kombination aus β-Laktam und Aminoglykosid einer Monotherapie mit einem β-Laktam weder hinsichtlich der Wirksamkeit noch in der Prävention einer Resistenzentwicklung von P. aeruginosa unter Therapie überlegen ist. Die Kombinationstherapie weist im Gegenteil lediglich eine erhöhte Nephrotoxizität auf [5, 23, 25, 33–34, 44]. Seitdem ist die bisherige Sicht der Notwendigkeit einer Kombinationstherapie bei Patienten mit Risiko für P. aeruginosa nicht mehr unumstritten. Die meisten der in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien reflektieren allerdings nicht die zuletzt empfohlene Praxis der Einmaldosierung, der Dosierung nach Talspiegeln sowie der Deeskalation.
In jedem Fall wird eine Kombinationstherapie nur noch initial (bis zum Vorliegen der Ergebnisse aus Kultur und Resistenztestung, demnach 3–5 Tage) empfohlen. Die Rationale für diese Empfehlung liegt darin, dass durch die Kombinationstherapie das Risiko einer initial inadäquaten Therapie vermindert wird [9, 30, 41]. Wird die Therapie als Monotherapie fortgesetzt, sollte nicht länger als 8 Tage mit einer Substanz behandelt werden. Ausnahmen sind die bakteriämische Pneumonie durch Staphlyococcus aureus, die Aspergilluspneumonie sowie abszedierende Pneumonien. Als Kombinationspartner eines β-Laktams scheinen ein antipseudomonal wirksames Fluorchinolon oder Aminoglykoside möglich. z Therapieempfehlungen Therapieempfehlungen sind in . Tab. 39.7, . Tab. 39.8 und . Tab. 39.9 zusammengefasst. Gezielte antimikrobielle Therapie
Nach Vorliegen des mikrobiologischen Befundes ist ggf. eine entsprechende Modifikation (Umstellung, Adaptation an Resistenz) der initialen kalkulierten antimikrobiellen Therapie vorzunehmen (Deeskalation) [40]. Aufgrund der häufig multifokalen Ausbreitung und polymikrobiellen Ätiologie sollte jedoch zumindest bei der spät einsetzenden Beatmungspneumonie ein breites antimikrobielles Spektrum erhalten bleiben.
39
498
Kapitel 39 · Pneumonien
39
. Tab. 39.8 Kalkulierte Initialtherapie der spät einsetzender nosokomiale Pneumonie (»late onset pneumonia«)
. Tab. 39.9 Kalkulierte Initialtherapie: Modifikation bei entsprechenden Risikofaktoren
39
Substanzen für die Initialtherapie
Risikofaktoren
Therapie
39
Pseudomonasaktives β-Laktam
Strukturelle Lungenerkrankung, insbesonders COPD
initial antipseudomonal wirksame Kombinationstherapie
39 39 39 39 39
Dosierung der Initialtherapie (pro Tag)
Antimikrobielle Therapiedauer
5 Piperacillin/ Tazobactam
3×4,5 g i.v.
8 Tage
Steroidtherapie
Aspergillus spp. erwägen
5 Cefepim
3×2,0 g i.v.
8 Tage
5 Imipenem
3×1,0 g i.v.
8 Tage
Prolongierte stationäre Behandlung bzw. antimikrobielle Therapie
Antipseudomonal wirksame Kombinationstherapie, ggf. (bei hoher lokaler Prävalenz von MRSA) Vancomycin
5 Meropenem
3×1,0 g i.v.
8 Tage
Zerebrale Erkrankung mit Bewusstseinstrübung
Gegen Staphylokokken wirksame Therapie
5 Levofloxacin
2×500 mg i.v.
8 Tage
5 Ciprofloxacin
3×400 mg i.v.
8 Tage
Abdominalchirurgischer Eingriff, Verdacht auf Aspiration
Gegen Anaerobier wirksame Therapie
Herkunft aus einer Pflegeeinrichtung, multiple Komorbidität und wiederholte antimikrobielle Therapie
Ggf. initial MRSA- oder antipseudomonal wirksame Kombinationstherapie
plus Fluorchinolon**
oder plus Aminoglykosid
39 39
Amikacin
15 mg/kg KG i.v.
3 Tage
Gentamicin
5–7 mg/kg KG i.v.
3 Tage
Tobramycin
5–7 mg/kg KG i.v.
3 Tage
Therapiedauer
39 Gezielte Therapie einzelner Problemkeime
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4 MRSA: Für die gezielte Therapie der MRSA-Pneumonie stehen (neben Vancomycin 2 Substanzgruppen zur Verfügung: – Oxazolidinone (Linezolid), – Glycylcycline (Tigecyclin; noch nicht für die Therapie der nosokomialen Pneumonie zugelassen). Eine Überlegenheit von Linezolid gegenüber Vancomycin ist aufgrund der überlegenen Pharmakokinetik möglich, jedoch noch nicht gesichert. 4 Multiresistente P. aeruginosa: Für die gezielte Therapie multiresistenter P. aeruginosa kommt als letzte Wahl trotz der Toxizität noch in Frage: – Polymyxine (Colistin). 4 Acinetobacter baumannii: Mittel der Wahl sind Carbapeneme. Ersatzmittel bei Resistenz umfassen: – Sulbactam (in Kombination mit Ampicillin), – Glycylcycline (Tigecyclin; noch nicht für die Therapie der nosokomialen Pneumonie zugelassen). – Polymyxine (Colistin). 4 Stenotrophomonas maltophilia: Mittel der Wahl ist Cotrimoxazol. Neuerdings steht mit Tigecyclin eine weitere wirksame Substanz zur Verfügung (noch nicht für die Therapie der nosokomialen Pneumonie zugelassen). 4 ESBL-bildende GNEB: Mittel der Wahl sind Carbapeneme. 4 Pilze: Parenteral applizierbare antifungale Substanzen mit Wirksamkeit gegen Candida und Aspergillus spp. sind: – Echinocandine (Caspofungin), – Azole (Voriconazol; Cave: Interaktionen!).
Die Therapiedauer sollte grundsätzlich 8 Tage nicht überschreiten [11]. Insbesondere die Gruppe der Nonfermenter (Pseudomonas spp., Acinetobacter spp.) neigt jedoch zu Rezidiven. In diesen Fällen ist bei fortbestehender Beatmungspflichtigkeit täglich nach Anhaltspunkten für ein Rezidiv zu fahnden. Für den Fall eines Rezidivs muss prinzipiell eine Substanz aus einer anderen Substanzgruppe ausgewählt werden.
39.4.8
Verlauf unter Therapie und Therapieversagen
Ein klinisches Ansprechen auf eine Therapie kann binnen 3–6 Tagen erwartet werden [12]. Der CPIS-Score (. Tab. 39.4) kann als klinischer Score zur Evaluation des Therapieansprechens dienen. Als Biomarker kommen die Bestimmung des CRP- und/oder des Procalcitonin (PCT)-Wertes in Frage. Die serielle Bestimmung von Procalcitonin (PCT) kann dazu eingesetzt werden, die antimikrobielle Therapiedauer auf im Median bis zu 6 Tage zu verkürzen. Dabei müssen Stopp-Regeln definiert sein (d. h. absolute oder relative PCT-Werte, die auf die Möglichkeit der Beendigung der antimikrobiellen Therapie hinweisen) [32]. Hinsichtlich der Kriterien für ein Therapieversagen 7 Abschn. 39.3.8 (schwere ambulant erworbene Pneumonie). Die Ursachen des Therapieversagens sind ähnlich komplex wie bei der ambulant erworbenen Pneumonie. Häufiger als bei letzterer ist jedoch das Therapieversagen aufgrund resistenter Erreger. Abhängig von der jeweiligen Lokalität finden sich am häufigsten: 4 P. aeruginosa, 4 MRSA, 4 Acinetobacter spp., 4 Stenotrophomonas maltophilia, 4 multiresistente gramnegative Enterobacteriaceae (ESBL), wie Klebsiella spp., Proteus spp., Enterobacter spp., Serratia spp. Ebenso ist häufiger mit einer Resistenzentwicklung unter Therapie zu rechnen. Dies geschieht meist innerhalb der 2. Woche.
499 39.5 · Schwere Pneumonien unter Immunsuppression
> Der rechtzeitigen Erkennung solcher multiresistenter Erreger kommt eine wichtige Rolle in jedem Präventionskonzept der Ausbreitung resistenter Erreger zu.
Daher ist in der Regel bei einem Therapieversagen eine auch invasive bronchoskopische Reevaluation mit Gewinnung von Proben mittels BALF indiziert.
. Tab. 39.10 Erregerdiagnostik bei Patienten mit schwerer Pneumonie unter Immunsuppression. Der Umfang der indizierten diagnostischen Methoden unterscheidet sich je nach Typus der Immunsuppression Verfahren Nichtinvasiv
Die einzige aktuelle Leitlinie zur nosokomialen Pneumonie ist die überarbeitete ATS-Leitlinie von 2005 [2]. Es handelt sich um eine umfassende und kritische Stellungnahme, die auch die methodischen Probleme und praktischen Unsicherheiten thematisiert. Qualitativ hochwertige aktuelle Leitlinien bzw. Texte zur Therapie der nosokomialen Pneumonie umfassen: 4 die Leitlinie der ATS [3], 4 die Stellungnahme der European HAP working group [47].
Sputum
Kulturen: Bakterien, Pilze, Mykobakterien
PCR: M. tuberculosis, falls säurefeste Stäbchen nachweisbar Immunfluoreszenz: Pneumocystis jiroveci Serum
Antigen: Galaktomannan (29) CMV-pp65 (nur bei Patienten mit Neutrophilen > 1000/μl*)
39.5
Schwere Pneumonien unter Immunsuppression
Blutkulturen
Bakterien, Pilze
Urin
Antigen: S. pneumoniae Legionella pneumophila
Immunsuppression Unter Immunsuppression werden hier hochgradige Beeinträchtigungen der systemischen (und lokalen) Immunität verstanden. Dazu gehören typischerweise: 4 HIV-Infektion, 4 Organtransplantation und andere Zustände mit iatrogener Immunsuppression (z. B. Steroidtherapie ≥20 mg Prednisolonäquivalent), 4 Neutropenie (Neutrophile <500/μl oder <1000/μl mit zu erwartendem Abfall auf <500/μl in den nächsten 2 Tagen), 4 hämatopoetische Stammzelltransplantation.
Invasiv bronchoskopisch BALF
PCR: M.tb, falls säurefeste Stäbchen nachweisbar Galaktomannan CMV CMV, HSV, RSV, influenza A/B Färbungen: Pneumocystis jiroveci, Toxoplasma gondii Transbronchiale Biopsie (TBB)
Die Behandlung dieser Patienten umfasst zunächst 3 wesentliche Schritte: 1. Identifikation des Typus der Immunsuppression 2. CT des Thorax 3. Prüfung der Indikation zur Durchführung einer invasiven bronchoskopischen Diagnostik Die CT des Thorax ergibt in vielen Fällen bereits differentialdiagnostische Hinweise, reicht allein aber nie aus, um die Ätiologie zu identifizieren. Eine invasive bronchoskopische Diagnostik ist bei allen Patienten mit diffusen Infiltraten grundsätzlich gegeben. Dies begründet sich aus der Vielfalt potenzieller nichtbakterieller Erreger (. Tab. 39.10). Einseitige Infiltrate können ggf. auch zunächst kalkuliert antibakteriell behandelt werden. In Fällen, die aufgrund einer schweren akuten respiratorischen Insuffizienz nicht bronchoskopisch untersucht werden können, muss die Diagnostik auf die nichtinvasiven Methoden beschränkt bleiben und eine breite antimikrobielle Therapie angesetzt werden, die je nach Typus der Immunsuppression unterschiedliche nichtbakterielle Erreger umfasst (. Tab. 39.10). In Fällen, in denen die Ätiologie auch nach maximaler Diagnostik nicht gesichert werden kann und die nach 48–72 h nicht auf eine kalkulierte antimikrobielle Therapie ansprechen, ist die Indikation zu einer wiederholten Diagnostik zu überprüfen, v. a. wenn die erste
Kulturen: Bakterien (quantitativ), Pilze, Mykobakterien
Färbungen: Pneumocystis jiroveci CMV (Immunhistochemie oder In-situ-Hybridisierung) Pilze Kulturen: CMV
* <1000/μl ist diese Untersuchung nicht mehr durchführbar.
Untersuchung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Insbesondere bei transplantierten Patienten ist auch die Indikation zu einer videoassitierten thorakoskopischen (VATS)-Lungenbiopsie zu erwägen.
39.5.1
HIV-Infektion
Erregerspektrum. Im Zuge der HAART-Therapie HIV-infizierter
Patienten hat sich das Erregerspektrum der HIV-assoziierten Pneumonien deutlich verändert. Die häufigste Ätiologie ist heute die bakterielle Pneumonie, v. a. durch Str. pneumoniae und H. influenzae, gefolgt von Pneumocystis jiroveci (PCP) und M. tuberculosis [1]. Dennoch muss auch das gesamte Spektrum der HIV-assoziierten Komplikationen berücksichtigt werden
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Kapitel 39 · Pneumonien
! Cave In Fällen einer schweren HIV-assoziierten Pneumonie mit HIV-Erstdiagnose und/oder CD4-Zellzahlen <200/μl ohne HAART-Therapie ist die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PCP) deutlich erhöht. Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PCP). Der Anteil der Episo-
den einer PCP mit akuter respiratorischer Insuffizienz konnte von ca. 20% auf < 10% gesenkt werden [1 ,31]. Die Kurzzeitprognose dieser schweren Verläufe (Ausgang auf der Intensivstation) wird durch folgende Faktoren bestimmt: 4 Zeitpunkt der Diagnosestellung einer PCP (ungünstige Prognose bei später Diagnosestellung), 4 Verlauf der PCP unter Therapie (ungünstige Prognose bei Verschlechterung der akuten respiratorischen Insuffizienz trotz optimaler Therapie), 4 Alter, 4 Immunitätsstatus, 4 Stand der Aids-Erkrankung (Anzahl opportunistischer Infektionen), 4 pulmonale Koinfektionen (z. B. Zytomegalievirus), 4 Auftreten eines Pneumothorax. Gefährdet sind heute insbesonders Patienten mit noch unbekanntem HIV-Status und PCP als Aids-Erstmanifestation, da mit einer verzögerten Diagnosestellung gerechnet werden muss. Die Letalität auf der Intensivstation beträgt bei rechtzeitiger Diagnosestellung 30–60%, bei ungünstigen prognostischen Faktoren bis zu 90% [22, 30, 31, 44]. Die Langzeitprognose (Ausgang nach erfolgreicher Therapie auf der Intensivstation bzw. Entlassung aus dem Krankenhaus) wird bestimmt von den Optionen der antiretroviralen Therapie.
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Diagnostik
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Therapie schwerer Pneumonien bei HIV-Infektion 4 Kalkulierte initiale antimikrobielle Therapie Die kalkulierte initiale antimikrobielle Therapie ohne bzw. vor Erregernachweis erfolgt in Abhängigkeit von der CD4-Lymphozyten-Zellzahl: – CD4 ≥250/μl: wie schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie, – CD4 <250/μl: wie schwere Verlaufsformen der ambulant erworbenen Pneumonie plus Therapieregime für Pneumocystis jiroveci 4 Therapie der schweren Pneumocystis-jiroveciPneumonie (PCP) Basis der antimikrobiellen Therapie ist Cotrimoxazol, Reservemittel ist Pentamidin. Adjuvant werden Steroide eingesetzt (Prednisolon 80 mg/Tag in der 1. Woche, 40 mg/Tag in der 2. Woche, dann absetzen). Ein Ansprechen auf die Therapie zeigt sich bei einigen Patienten bereits in den ersten 72 h, abweichend von geltenden Regeln der antibakteriellen Therapie häufiger jedoch erst nach 4–8 (bis 10) Tagen. Eine Änderung der Medikation bei Nichtansprechen ist daher vor Ablauf von 7 Tagen nicht sinnvoll. Bei Therapieversagen sollte jedoch die Möglichkeit von Koinfektionen erwogen werden.
Kontrollierte Studien zur Therapie der PCP im Fall eines Nichtansprechens auf das erste antimikrobielle Regime liegen derzeit nicht vor. Auch steht keine Methodik zur Verfügung, um die Empfindlichkeit des Erregers zu prüfen. Da für Pentamidin die relativ beste Datenbasis besteht, sollte es als Reservemittel der Wahl eingesetzt werden. Eine Kombinationstherapie aus Cotrimoxazol und Pentamidin ist ebenfalls nicht gesichert überlegen, erhöht jedoch die Toxizität.
Indikation zur Intensivtherapie
Eine Indikation zur Intensivtherapie bei akuter respiratorischer Insuffizienz ist in der Regel gegeben. Der Verzicht auf eine Intensivtherapie kann im Fall einer weit fortgeschrittenen Aids-Erkrankung mit Vorliegen chronisch-opportunistischer Infektionen und Invaliditätsfolge sowie ausgeschöpfter antiretroviraler Therapiereserve erwogen werden. Es erscheint – soweit möglich – immer geboten, mit dem Patienten frühzeitig über Möglichkeiten und Grenzen der Intensivtherapie sowie die im individuellen Fall vorliegende prognostische Situation zu sprechen.
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Therapie
Aufgrund der Diversität der potenziellen ursächlichen Erreger sowie der guten diagnostischen Ausbeute zumindest bei opportunistischen Erregern sollte stets der Versuch eines Erregernachweises erfolgen. Zumindest bei beatmeten Patienten ist stets eine bronchoskopische Diagnostik mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) indiziert. Die BAL-Flüssigkeit sollte untersucht werden auf: 4 bakterielle Erreger (möglichst quantitativ), 4 Pilze, 4 Mykobakterien, 4 Viren (CMV), 4 Pneumocystis jiroveci, 4 Toxoplasma gondii.
Sogenannte Salvage-Optionen nach Versagen von oder Kontraindikationen gegen Cotrimoxazol und Pentamidin bestehen in der Kombination aus Clindamycin und Primaquin oder Trimetrexat plus Leucovorin (±Dapsone). Mit der antiviralen Therapie gegen HIV (HAART) sollte aufgrund möglicher Toxizitäten nicht vor Abschluss der Therapie der Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie begonnen werden.
39.5.2
Organtransplantation und andere Zustände mit iatrogener Immunsuppression
Erregerspektrum. Das Erregerspektrum ähnelt naturgemäß demjenigen der HIV-Infektion. Bei transplantierten Patienten ist das Zeitfenster zu berücksichtigen, nach dem das Risiko für bestimmte Erreger abgeschätzt werden kann ([43]; . Tab. 39.11). Allgemein ist die CMV-Infektion bzw. -Pneumonie hier zwischen dem 2. und 6. Monat die führende Komplikation. Die PCP ist in dieser Gruppe der iatrogenen T-Zell-Immunsuppression, insbesondere bei allen Patienten unter Steroidtherapie, in Betracht zu ziehen. Ihre Inzidenz ist zwar geringer als bei der HIV-Infektion, die Letalität beträgt hier jedoch unverändert bis 50%. Wichtige Unterschiede zur HIV-assoziierten PCP bestehen in einer kürzeren Dauer der Symp-
501 39.5 · Schwere Pneumonien unter Immunsuppression
ger macht das Vorliegen einer CMV-Pneumonie weniger wahrscheinlich.
. Tab. 39.11 Zeitfenster des Erregerspektrums bei Pneumonien organtransplantierter Patienten Zeit nach Organtransplantation
Vorherrschende Erreger
1–28 Tage
5 Grampositive und gramnegative Bakterien (bei Neutropenie auch Pilze: Aspergillus spp., Candida spp.)
29–180 Tage
5 5 5 5 5
>180 Tage
Therapie Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie
Zytomegalievirus Pneumocystis jiroveci Pilze (Aspergillus spp., Candida spp.) Mykobakterien (Häufigkeit und Spektrum bakterieller Erreger abhängig von Notwendigkeit der Beatmung und sonstigen Komorbiditäten)
5 Abhängigkeit vom Grad der Immunsuppression: 5 Immunsuppression gering: Spektrum wie ambulant bzw.nosokomial erworben 5 Immunsuppression schwer: Spektrum wie 29–180 Tage
tomatik bis zur Diagnosestellung sowie einer höheren Inzidenz der akuten respiratorischen Insuffizienz. Je nach transplantiertem Organ sind Besonderheiten des Erregerspektrums zu berücksichtigen. Darüber hinaus modifizieren individuelle Risikofaktoren (z. B. Komorbiditäten bzw. Transplantations-Matching) sowie gegebene präemptive Therapien (z. B. gegen CMV) bzw. Prophylaxen (z. B. gegen Pneumocystis jiroveci und Aspergillus spp.) das zu erwartende Erregerspektrum und die Auswahl der kalkulierten bzw. gezielten antimikrobiellen Therapie. Diagnostik. Für die Indikation und den Umfang der Diagnostik
gelten die Ausführungen zur HIV-Infektion (7 Abschn. 39.5.1). Differentialdiagnose. Mögliche nichtinfektiöse Differentialdiag-
nosen sind: 4 Lungenödem, 4 akuter Alveolarschaden (»acute lung injury«, ALI), 4 transfusionsassoziierter Alveolarschaden (»transfusion-associated lung injury, TRALI), 4 medikamentenassoziierter Alveolarschaden, 4 Lungenblutungen, 4 Abstoßungsreaktion (bei Lungentransplantation), 4 Neoplasie (z. B. lymphoproliferativ). Die Kriterien für die Diagnose einer CMV-Pneumonie sind wie folgt [27, 35]: 4 Definitiv: 5 Nachweis von CMV-Einschlusskörperchen im Lungengewebe (Immunhistochemie oder In-situ-Hybridisierung). 4 Wahrscheinlich 5 CMV-Antigennachweis im Blut oder in der BALF, oder positive CMV-Kultur oder positive CMV-PCR in der BALF. 5 Eine hohe Quantität antigenpositiver Zellen sowie der gleichzeitige Nachweis von CMV sowohl im Blut als auch der BALF erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer CMV-Pneumonie. 5 Ausschluss anderer möglicher Erreger und nichtinfektiöser Ätiologien, soweit möglich. Der Nachweis anderer Erre-
Es kann nach dem in der 7 Übersicht dargestellten Schema vorgegangen werden.
Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie 4 Tage 1–28 ab Organtransplantation: – Antibakterielles Regime analog der Therapie der Beatmungspneumonie (7 Abschn. 39.4.5) 4 Tage 28–180 ab Organtransplantation: – Gegen Zytomegalievirus wirksame Therapie (Ganciclovir oder Foscarnet) plus antibakterielles Regime analog der Therapie der Beatmungspneumonie – Ggf. Therapie gegen Pneumocystis jiroveci 4 Tage ≥180 ab Organtransplantation: – Abhängig vom Grad der fortbestehenden iatrogenen Immunsuppression – Falls CD4-Zellen <400/μl: 7 Tage 28–180 ab Organtransplantation – Falls CD4-Zellen >400/μl: entsprechend ambulant oder nosokomial erworbener Pneumonie
39.5.3
Neutropenie
Definition und Risikozuordnung. Eine Neutropenie besteht bei
Neutrophilenzahlen <500/μl oder <1000/μl mit einem zu erwartenden Abfall der Neutrophilenzahl auf <500/μl in den folgenden 2 Tagen. Patienten mit Neutropenie und Lungeninfiltraten sind stets Patienten mit erhöhtem Risiko. Als Standardrisiko (nicht Niedrigrisiko!) gilt dabei eine zu erwartende Neutropeniedauer von 6–9 Tagen, als Hochrisiko von ≥10 Tagen. Nicht immer demarkieren sich Infiltrate auf der Thoraxröntgenaufnahme bereits zum Zeitpunkt des Fieberbeginns. Daher muss bei Fieber zunächst unklarer Ursache spätestens im Fall eines Therapieversagens nach 72 h eine CCT des Thorax angefertigt werden. Erregerspektrum, Differenzialdiagnose. In dieser Gruppe sind
bakterielle und fungale Pneumonien führend. Unter den Therapieversagern finden sich mehrheitlich Pilzpneumonien, hier überwiegend durch Aspergillus spp. und andere Pilze (weniger Candida spp.) verursacht. Die typischen Erreger der T-Zell-Immunsuppression sind in dieser Gruppe von nachgeordneter Häufigkeit und manifestieren sich meist als diffuse beidseitige retikulonoduläre Infiltration. Ein nicht geringer Anteil der Patienten weist offenbar nichtinfektiöse Ätiologien (diffuser Alveolarschaden, Hämorrhagien u. a.) auf. Eine schwere respiratorische Insuffizienz entwickelt sich jedoch meist im Rahmen einer Pneumonie. Prognose. Etwa 30% der Patienten sprechen auf die erste kalku-
lierte antimikrobielle Therapie an, weitere 30% auf eine frühzeitige antimykotische Therapie. Die Prognose neutropenieassoziierter beatmungspflichtiger Pneumonien ist mit einer Letalität von 80–100% sehr schlecht. Dies gilt besonders für neutropenische Patienten mit Pneumonie und beatmungspflichtiger schwerer respiratorischer Insuffizienz [14].
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Kapitel 39 · Pneumonien
Diagnostik . Gelegentlich liegt zum Zeitpunkt der Entwicklung
eines Infiltrats im Röntgenbild des Thorax bereits ein Erregernachweis über eine positive Blutkultur vor. Ein Erregernachweis im Bronchialsekret gelingt demgegenüber häufig nicht, da die meisten dieser Patienten bereits breit antimikrobiell vorbehandelt sind. In der Diagnostik von Pilzpneumonien geben klinische Charakteristika und das Computertomogramm des Thorax bereits wesentliche Hinweise, während die Ausbeute bei Pilzerregern in der BALF limitiert ist. Galaktomannan in der BALF als neuer Parameter weist eine hohe Sensitivität und Spezifität für die invasive Aspergillose auf.
. Tab. 39.12 Zeitfenster des Erregerspektrums bei Patienten mit Pneumonien nach Stammzelltransplantation Zeit nach Organtransplantation
Vorherrschende Erreger
1–29 Tage
5 Grampositive und gramnegative Bakterien (bei Neutropenie auch Pilze: Aspergillus spp., Candida spp.)
30–100 Tage
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Zytomegalievirus Pneumocystis jiroveci Pilze (Aspergillus spp., Candida spp.) Mykobakterien (Häufigkeit und Spektrum bakterieller Erreger abhängig von Notwendigkeit der Beatmung und sonstigen Komorbiditäten)
>100 Tage
5 5 5 5
Bei allogener Transplantation: Zytomegalievirus andere respiratorische Viren kapseltragende Bakterien (S.pneumoniae)
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Bei beatmeten Patienten sollte aufgrund der Diversität der potenziell ursächlichen Erreger dennoch der Versuch eines Erregernachweises über Bronchoskopie mit BAL erfolgen.
Therapie Initiale kalkulierte antimikrobielle Therapie. Aufgrund der vi-
talen Gefährdung ist stets die umgehende Einleitung einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie erforderlich. Etabliert sind eine antipseudomonal wirksame Monotherapie und eine Kombinationstherapie. Wichtig ist eine Wirksamkeit gegen Staphylokokken, gramnegative Enterobakterien (GNEB) und P. aeruginosa. Als Substanzen für eine Monotherapie kommen somit in Frage: 4 Acylureido-Penicillin (Piperacillin/Tazobactam), 4 Cephalosporin der 3. Generation (Cefotaxim, Ceftriaxon), 4 Cephalosporin der 4. Generation (Cefepim). Als Kombinationspartner kommt in Frage: 4 Aminoglykosid (Tobramycin, Amikacin). Bei Hochrisikopatienten ist bereits initial eine zusätzliche antifungale Therapie indiziert. Als antifungale Substanzen kommen zuerst in Frage: 4 Caspofungin 4 liposomales Amphothericin B. Hinsichtlich der Rationale für eine Kombinationstherapie von β-Laktamen mit Aminoglykosiden wird auf 7 Abschn. 39.4 (»Nosokomiale Pneumonien«) verwiesen. Therapiedauer. Patienten mit Pneumonie unter Neutropenie werden solange behandelt, bis keine klinischen oder mikrobiologischen Zeichen der Infektion mehr nachweisbar sind. Im Fall einer persistierenden Neutropenie ist eine engmaschige Überwachung zur Erkennung möglicher erneuter Infektionen erforderlich. Die Therapie sollte nicht abgesetzt werden bei Patienten mit ausgeprägter Neutropenie <100/μl. Therapieversagen. Im Fall eines Therapieversagens ist eine umfangreiche diagnostische Reevaluation angezeigt. Als Substanzen für die kalkulierte Second-line-Therapie kommen somit in Frage: 4 nach Monotherapie: zusätzlich Aminoglykosid, 4 Carbapeneme, 4 Glykopeptid (Vancomycin), 4 Oxazolidinon (Linezolid), 4 Fluorchinolone III/IV, 4 antifungale Substanzen (7 oben). Adjuvante Therapie. Der Einsatz von G-CSF kann erwogen werden, wenn die Knochenmarkregeneration noch deutlich verzögert sein wird oder wenn ein Terapieversagen vorliegt. Bei Patienten mit
Hypogammaglobulinämie sollte die einmalige Gabe von 10 g Immunglobulin erwogen werden.
39.5.4
Hämatopoetische Stammzelltransplantation
Das Erregerspektrum bei Patienten mit Pneumonien nach Stammzelltransplantation weist einige Besonderheiten auf. Dazu gehört v. a. die gegenüber der soliden Organtransplantation modifizierte Dauer der Zeitfenster (. Tab. 39.12) sowie die Häufigkeit und Art nichtinfektiöser Komplikationen. Nichtinfektiöse Komplikationen sind häufig und müssen entsprechend differenzialdiagnostisch erwogen werden. Innerhalb der ersten 30 Tage kommt gehäuft eine diffuse alveoläre Hämorrhagie und ein »periengraftment respiratory distress syndrome« vor (Letzteres bis 5 Tage nach Transplantation der Neutrophilen). Eine Bronchiolitis obliterans bildet sich nur bei allogener Transplantation mit »graft versus host disease« aus. Das idiopathische Pneumoniesyndrom (im Sinne eines akuten Alveolarschadens) kann zu jeder Zeit nach Transplantation auftreten. Prinzipien der Diagnostik und Therapie folgen denen transplantierter und neutropenischer Patienten (7 Abschn. 39.5.2 und 39.5.3).
39.6
Systematik wichtiger antimikrobieller Substanzen und ihrer Dosierungen zur Therapie schwerer Pneumonien
Wichtige antimikrobielle Substanzen und ihre Dosierung zur Therapie der schweren Pneumonie zeigt . Tab. 39.13.
503 39.6 · Systematik wichtiger antimikrobieller Substanzen und ihrer Dosierungen zur Therapie schwerer Pneumonien
. Tab. 39.13 Wichtige antimikrobielle Substanzen zur Therapie der Pneumonie (Auswahl, alle Substanzen sind in ihrer intravenösen Applikationsform aufgeführt) Substanz
Handelsname
Dosierunga, b
Amoxicillin/Clavulansäure
Augmentan
3-mal 2,2 g
Ampicillin/Sulbactam
Unacid
3-mal 1,5–3 g
Piperacillin/Tazobactam
Tazobac
3-mal 4,5 g
2. Generation
Cefuroxim
Zinacef
3-mal 1,5 g
3. Generation
Cefotaxim
Claforan
3-mal 2 g
Ceftriaxon
Rocephin
1-mal 1–2 g
Ceftazidim
Fortum
3-mal 2 g
Cefepim
Maxipime
3-mal 2 g
Impinem/Cilastatin
Zienam
3-mal 1 g
Meropenem
Meronem
3-mal 1 g
Ertapenem
Invanz
1-mal 1 g
Gruppe II
Ciprofloxacin
Ciprobay
3-mal 400 mg
Gruppe III
Levofloxacin
Tavanic
1-mal 750 mg oder2-mal 500 mg
Gruppe IV
Moxifloxacin
Avalox
1-mal 400 mg
Erythromycin
Erythrocin
3- bis 4-mal 1 g
Clarithromycin
Klacid
2-mal 500 mg
Vancomycin
Vancymycin
2-mal 1g
Lincosamide
Clindamycin
Sobelin
3-mal 600 mg
Oxazolidinone
Linezolid
Zyvoxid
2-mal 600 mg
Amphotericin B
Amphoptericin B
1–1,5 mg/kg KG
Liposomales Amphotericin B
Ambisome
3–5 mg/kg KG
Caspofungin
Cancidas
Initial 70 mg, dann 50 mg
Voriconazol
Vfend
Initial 2-mal 6 mg/kg KG, dann 2-mal 3 mg/kg KG
Ganciclovir
Cymeven
2-mal 5 mg/kg KG
Foscarnet
Foscavir
3-mal 60 mg/kg KG
Sulfmethoxazol/Pyrimethamin (Cotrimoxazol)
Bactrim
20/100 mg/kg KG in 4 Dosen
Pentamidin
Pentacarinat
4 mg/kg KG
Substanzgruppe Penicilline Aminopenicillin plus β-Laktamasehemmer Acylureido-Penicillin plus β-Laktamasehemmer Cephalosporine
4. Generation, gegen Pseudomonas wirksam Carbapeneme
Fluorchinolone
Makrolide
Glykopeptide
Andere antibakterielle Substanzen
Antifungale Substanzen
Antivirale Substanzen
Substanzen zur Therapie der Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie
a b
Besondere Dosisempfehlungen bei Nieren- und Leberinsuffizienz in der Fachinformation beachten! Empfohlene Internetadresse: www.dosing.de. Alle Substanzen sind in ihrer intravenösen Applikationsform aufgeführt.
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Kapitel 39 · Pneumonien
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39
507
COPD und Asthma bronchiale B. Schönhofer, R. Bals
40.1
Einleitung – 508
40.2
Epidemiologie – 508
40.3
Diagnostik und Monitoring – 509
40.4
Verlauf und Prognose – 509
40.5
Kriterien zur Aufnahme ins Krankenhaus und auf die Intensivstation – 510
40.6
Therapie – 510
40.6.1 40.6.2 40.6.3 40.6.4
Therapiemaßnahmen des schweren Asthmaanfalls beim Erwachsenen – 510 Medikamentöse Behandlung einer COPD-Exazerbation – 512 Nichtpharmakologische Differenzialtherapie – 514 Adjunktive Therapiemaßnahmen – 517
40.7
Entlassungskriterien – 518 Literatur – 518
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_40, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
40
40 40 40 40 40 40 40 40
508
Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
40.1
Einleitung
Asthma bronchiale und COPD (»chronic obstructive pulmonary disease«) sind obstruktive Atemwegserkrankungen, die einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen (. Tab. 40.1). Beide Erkrankungen sind durch eine obstruktive Ventilationsstörung gekennzeichnet. Asthma bronchiale kann bereits im frühen Kindesalter auftreten, wohingegen die COPD eine Erkrankung des Erwachsenen ist und jenseits des 60. Lebensjahres den Altersgipfel hat. In über 80% der Fälle wird die COPD durch aktives oder passives Rauchen verursacht. Exazerbationen sind typische Ereignisse für beide Krankheitsbilder und können Schweregrade erreichen, die eine Intensivtherapie notwendig machen. Obwohl sich die Pharmakotherapie von Asthma bronchiale und COPD bzw. Lungenemphysem unterscheiden, ist es für die intensivmedizinische Therapie nur von sekundärer Bedeutung, welche exakte Pathogenese der akuten Bronchialobstruktion zugrunde liegt. Der Schwerpunkt der Ausführungen dieses Kapitels liegt bei der Erwachsenenmedizin; nur einige Aspekte der Pädiatrie werden aufgeführt.
40 40.2
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Epidemiologie
Das Asthma bronchiale ist eine Atemwegserkrankung mit bronchialer Hyperreagibilität sowie variabler Atemwegsobstruktion [1]. Diesen Veränderungen liegt eine chronische eosinophile Entzündung der Schleimhaut der Atemwege zugrunde. Insgesamt besteht eine Fehlregulation des Immunsystems mit Überwiegen einer Th2Antwort. In vielen Fällen liegt eine allergische Komponente vor. Das Asthma ist eher eine Erkrankung des Kindes- und jungen Erwachsenenalters. Die Prävalenz des Asthmas hat in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern zugenommen [2]. Die Einteilung des Schweregrades des stabilen Asthma bronchiale erfolgt nach klinischen Parametern als auch nach Lungenfunktionsmesswerten. Die Therapie des stabilen Asthmas erfolgt als Stufentherapie, die sich an der Tatsache orientiert, ob die Erkrankung kontrolliert oder unkontrolliert ist [1]. Eine Einteilung in statische Schweregrade wurde wegen der hohen Variabilität des Krankheitsverlaufes verlassen. In den letzten Jahren zeigte sich, dass Asthma in verschiedenen Formen auftritt (Phänotypen), von denen einige wenig auf eine Therapie ansprechen und oft zu bedrohlichen Komplikationen führen. Der Begriff COPD ist komplex definiert und umfasst eine Symptomatik und funktionelle Beeinträchtigung der Lunge, die durch eine Kombination aus chronischem Husten, gesteigerter Sputumproduktion, Atemnot, Atemwegsobstruktion und eingeschränktem Gasaustausch charakterisiert ist. Die Obstruktion ist progredient und durch Gabe eines Bronchodilatators oder eines Glukokotikosteroids im Gegensatz zum Asthma bronchiale nicht vollständig reversibel. Die COPD besitzt im Wesentlichen zwei morphologischpathophysiologische Komponenten, zum einen die chronisch obstruktive Bronchitis, zum anderen das Emphysem [3–5]. Nach aktuellen epidemiologischen Daten liegt die Inzidenz für COPD je nach Betrachtungsweise zwischen 8 und 15% [6–8]. 10–20% aller Raucher entwickeln eine COPD, ohne dass bisher klar ist, welche Suszeptibilitätsfaktoren zugrunde liegen. Weltweit ist die COPD derzeit die vierthäufigste Todesursache und wird Berechnungen zufolge in Jahr 2020 den 3. Platz einnehmen (www.who.int/ whr/2002) [9]. Die stabile COPD wird nach Parametern der Lungenfunktion in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Die Einteilung des Schwe-
. Tab. 40.1 Differenzialdiagnose von Asthma versus COPD. (Nach [15]) Merkmal
Asthma
COPD
Alter bei Erstdiagnose
Variabel; häufig: Kindheit, Jugend
Meist 6. Lebensjahrzehnt
Tabakrauchen
Kein direkter Kausalzusammenhang; Verschlechterung durch Tabakrauchen ist möglich
Direkter Kausalzusammenhang
Hauptbeschwerden
Anfallsartig auftretende Atemnot
Atemnot bei Belastung
Verlauf
Variabel, episodisch
Progredient
Allergie
Häufig
Selten
Obstruktion
Variabel
Persistierend
Reversibilität der Obstruktion
>20% FEV1
<15% FEV1
Bronchiale Hyperreaktivität
Regelhaft vorhanden
Gelegentlich
Ansprechen auf Kortison
Regelhaft vorhanden
Gelegentlich
. Tab. 40.2 Einteilung der akuten Exazerbationen der chronischen Bronchitis. (Nach Anthonisen et al. [10]) Typ I
Vorliegen aller 3 Parameter:
II
Vorliegen von 2 der 3 oben genannten Parameter
III
von 1 der 3 oben genannten Parameter und mindestens 1 zusätzliches Symptom:
5 Zunahme von Luftnot oder Brustenge 5 erhöhtes Sputumvolumen 5 vermehrte Sputumpurulenz
5 Hinweis auf eine Infektion der oberen Luftwege (Schluckbeschwerden, Schnupfen) 5 erhöhte Körpertemperatur 5 Zunahme der Bronchospastik, Husten oder Zunahme der Atemfrequenz über 20% vom Ausgangswert
regrades einer COPD-Exazerbation (AECOPD) nach klinischen Gesichtspunkten wird nicht einheitlich durchgeführt. Meist wird die Einteilung nach Anthonisen angewendet [10] (. Tab. 40.2). Eine klinisch relevante Definition nach den sog. GOLD-Kriterien (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease; [11]) bezeichnet die COPD-Exazerbation als akutes Ereignis, das charakterisiert ist durch eine Zunahme des normalen Ausmaßes der Luftnot, Husten und/oder Auswurf (über die normale Variabilität hinaus), die akut auftritt und mit der Notwendigkeit einhergehen kann, die Medikation zu ändern. Eine weitere klinisch orientierte Klassifikation unterscheidet die AECOPD nach Stockley [12] in 2 Typen:
509 40.4 · Verlauf und Prognose
4 Typ I: Zunahme der Dyspnoe, ggf. auch der Sputummenge. 4 Typ II: Zunahme der Dyspnoe, ggf. auch der Sputummenge, und Vorliegen eines eitrigen Sputums. In den letzten Jahren hat sich zunehmend gezeigt, dass COPD sehr häufig mit anderen Krankheiten (Komorbiditäten) assoziiert ist [13]. Dies bereitet im Rahmen von Exazerbationen oft differenzialdisgnostische Probleme. Die schwergradige Exazerbation führt sowohl bei der COPD als auch dem akut exazerbierten Asthma bronchiale (AA) zum ventilatorischen Versagen im Wesentlichen infolge der Erschöpfung der Atemmuskulatur (die zugrundeliegende Pathophysiologie zeigt die 7 Übersicht). Hieraus resultieren die respiratorsiche Azidose infolge Hyperkapnie sowie eine vital bedrohliche Hypoxämie.
Faktoren, die zum ventilatorischen Versagen führen 4 Hohe Belastung der Atempumpe – Massive Atemwegsobstruktion (d. h. erhöhter Atemwegswiderstand) – Erhöhter Atemantrieb – Verkürzte Inspiration – Hypersekretion – «Intrinsic positive endexpiratory pressure” (PEEPi) 4 Reduzierte Kapazität der Atempumpe – Dynamische Lungenüberblähung – Abflachung des Zwerchfells
Die Therapie der COPD erfolgt basierend auf GOLD stadienabhängig [11].
40.3
Diagnostik und Monitoring
Gerade unter intensivmedizinischer Betrachtung ist es wichtig, zur Erkennung der akuten Atemwegsobstruktion über eine einfache, aber aussagekräftige Diagnostik und das adäquate Monitoring zur verfügen. Im Wesentlichen gehören hierzu die Erfassung der klinischen Symptome, die Lungenfunktion, die Blutgasanalyse und die Pulsoxymetrie. In . Tab. 40.3 sind diese Aspekte und deren Aussagefähigkeit zur Beurteilung des Schweregrades von AECOPD oder AA tabellarisch aufgeführt.
40.4
Verlauf und Prognose
Patienten mit AECOPD haben generell eine ungünstige Prognose. Die Krankenhaussterblichkeit von Patienten mit einer schweren AECOPD liegt zwischen 3 und 10% [14]. Als unabhängige Prädiktoren für eine erhöhte Mortalität erwiesen sich die Langzeitgabe von oralen Kortikosteroiden, pathologische Blutgase, hohes Lebensalter, niedrigeres Albumin, niedriger Body-Mass-Index (BMI), kurzer zeitlicher Abstand zur letzten Hospitalisation. Auch wenn die absolute Anzahl der gefährdeten Patienten deutlich niedriger liegt, sind die Prädiktoren für eine eingeschränkte Prognose beim AA ähnlich. Asthmapatienten mit folgenden Charakteristika weisen eine deutlich gesteigerte Mortalitätsrate auf: wiederholte schwere Exazerbationen, frühere asthmabedingte Hospitalisation oder ambulante Notfallsituationen, Anwendung von >2 Patronen β2-Mimetika monatlich, Anwendung systemischer Kortikosteroide, Komorbidität (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen),
schwere psychiatrische oder psychosoziale Störungen und niedriger sozioökonomischer Status. Unter dem Aspekt der zeitlichen Dynamik setzen die Symptome bei der AECOPD relativ langsam ein. Demgegenüber ist es beim AA sinnvoll, zwischen langsamem und schnellem Verlauf der Erkrankung zu unterscheiden. Mehr Details hierzu sind in . Tab. 40.4 aufgeführt. Darüber hinaus wird die Exazerbation des Asthma bronchiale laut GINA-Leitlinie entsprechend dem Schweregrad in mild, moderate, schwergradig und lebensbedrohlich eingeteilt [1]. . Tab. 40.3 Klinische und Funktionsdiagnostik Variable/Messmethode
Hinweis auf schwere Atemwegsobstruktion
Symptome Dyspnoe
In Ruhe
Sprache
Nur noch einzelne Worte
Vigilanz
Agitation
Klinische Zeichen Atemfrequenz
>30/min
Herzfrquenz:
>120/min
Pulsus paradoxus
Ja
Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
Ja
Auskultation
Giemen und Pfeifen (Cave: »silent chest«)
Spirometrie (PEF oder FEV1)
<50 l/min oder <50% vom Soll
BGA p a O2
<60 mm Hg
paCO2
>42 mm Hg
pH-Wert
<7,3
SaO2 (Pulsoxymetrie)
<90%
paCO2=arterieller Kohlendioxidpartialdruck; paO2=arterieller Sauerstoffpartialdruck; PEF=»peak expiratory flow”; SaO2=Sauerstoffsättigung.
. Tab. 40.4 Hauptcharakteristiken bei Patienten mit Asthmaanfall der langsamen bzw. schnellen Verlaufsform Variable/Parameter
Langsamer Verlauf
Schneller Verlauf
Zeitverlauf
Progressive Exazerbation >6 h (üblicherweise über Tage oder Wochen)
Akut exazerbierend, <6 h
Häufigkeit
80–90%
10–20%
Geschlecht
Überwiegend weiblich
Überwiegend männlich
Triggerfaktoren
Überwiegend Infektionen der oberen Luftwege
Überwiegend Allergene, körperliche Belastung oder psychosozialer Stress
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Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
Variable/Parameter
Langsamer Verlauf
Schneller Verlauf
Schweregrad der Obstruktion
Mittel
Hoch
Ansprechen auf Therapie
Langsames Ansprechen auf Behandlung, hohe Hospitalisierungsrate
Schnelles Ansprechen auf Behandlung, geringe Hospitalisierungsrate
Dominierender pathophysiologischer Mechanismus
Inflammatorisch
Bronchospasmus
40 40 40 40 40.5
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Kriterien zur Aufnahme ins Krankenhaus und auf die Intensivstation
> Aufgrund der schlechten Prognose von schwergradiger AECOPD und AA ist es von entscheidender Bedeutung, gefährdete Patienten frühzeitig zu erkennen und ggf. ins Krankenhaus bzw. in die Intensivstation einzuweisen. Kriterien zur stationären Aufnahme Anamnese: 4 Rasche und deutliche Zunahme von Symptomen 4 Unfähigkeit zur Verrichtung gewöhnlicher Aktivitäten 4 Oftmals vorbekannte schwere COPD mit FEV1 <1/l oder <30% Soll, gehäufte Exazerbationsrate, ggf. Langzeitsauerstofftherapie
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Komorbidität:
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Symptome:
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40.6
. Tab. 40.4 Fortsetzung.
4 Hohes Alter 4 Schwere chronische Erkrankungen 4 4 4 4 4
Fehlendes Ansprechen auf eine ambulante Therapie Unzureichende häusliche Versorgung Dyspnoe bereits bei leichter Belastung oder in Ruhe neu aufgetretene Lippenzyanose neu aufgetretene beeinträchtigte Wahrnehmung, Schläfrigkeit 4 neue Rechtsherzdekompensation mit peripherem Ödem 4 neu aufgetretene Arrhythmien 4 Pulsoxymetrie, BGA: – evtl. SaO2 <90% – paO2 <60 mm Hg
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Kriterien zur Aufnahme auf die Intensivstation 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Verschlechterung der PEF-Werte trotz Therapie Schwerste Dyspnoe Orthopnoe trotz eingeleiteter Therapie Verwirrtheit, Lethargie Muskuläre Erschöpfung Persistierende oder zunehmende Hypoxämie Hyperkapnie Fallender arterieller pH-Wert (Azidose) Koma oder Atemstillstand
Therapie
Leitlinien, die als Grundlage für die Darstellungen zur Therapie in diesem Kapitel dienen 4 Guideline der Global Initiative for Asthma (GINA) [www. ginasthma.org] [1] 4 S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma, herausgegeben von der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin [15] [www. pneumologie.de] 4 Guideline der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) [www.gold.copd.org] [11] 4 Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem [16]
Die Hauptkomponenten des medikamentösen Managements einer akuten Exazerbation einer COPD bzw. eines Asthmas sind Bronchodilatatoren (bevorzugt inhalative β2-Sympathomimetika und Anticholinergika), Steroide und Antibiotika. Im Prinzip sind die Therapiemaßnahmen bei beiden Erkrankungen ähnlich.
40.6.1
Therapiemaßnahmen des schweren Asthmaanfalls beim Erwachsenen
> Die grundlegenden Therapiemaßnahmen eines Asthmaanfalls bestehen in der wiederholten inhalativen Gabe schnellwirksamer β2-Agonisten, der frühen Gabe systemischer Glukokortikosteroide und der Sauerstoffgabe.
Wichtig sind insbesondere kurzfristige Kontrollen, ob die bereits getroffenen Maßnahmen zu einer klinischen Verbesserung führen oder ob die Therapie erweitert werden muss. Die Notfallversorgung des schweren Asthmaanfalls entsprechend den Leitlinien von GINA und DGP ist in einer Übersicht und einem vereinfachten Algorithmus (. Abb. 40.1) dargestellt.
Erstversorgung eines akuten Asthmaanfalls nach der Leitlinie der AWL/DGP [15] Erstversorgung – ggf. präklinisch 4 2–4 Inhalationen eines rasch wirksamen β2-Mimetikums, Wiederholungen in 10- bis 15-minütigen Intervallen; β2-Mimetika-Inhalationen und Ipratropiumbromid 0,5 mg mittels Vernebler 4 50–100 mg Prednisolon-Äquivalent i.v. 4 evtl. β2-Agonisten parenteral 4 Sauerstoffgabe 2–4 l/min über Nasensonde 4 ggf. Theophyllin i.v. 4 Transport ins Krankenhaus mit Arztbegleitung 6
511 40.6 · Therapie
. Abb. 40.1 Algorithmus zur Therapie des schweren Asthmaanfalls. (Nach den Leitlinien [1, 15])
Erstversorgung im Krankenhaus 4 Diagnostische Maßnahmen (BGA, Thoraxröntgenaufnahme, Blutabnahme, EKG) 4 Fortsetzen der Gabe von Sauerstoff und inhalativer Bronchodilatatoren 4 evtl. β2-Agonisten parenteral (z. B. Reproterol 0,09 mg langsam i.v., Wiederholung nach 10 min möglich) 4 50–100 mg Prednisolon-Äquivalent i.v., alle 4–6 h 4 Indikation zur Intensivtherapie und Beatmung prüfen
Glukokortikosteroide beschleunigen die Abheilung der Exazerbation und werden bei allen Schweregraden des AA empfohlen. Ein schwerer AA sollte mit systemischen Glukokortikosteroiden behandelt werden, die oral oder intravenös gegeben werden können. Der intravenöse Zugang sollte bei Patienten bevorzugt werden, die nicht schlucken können, oder wenn die Resorption vermindert sein kann. Eine Dosis von 60–80 mg Methylprednisolon oder 300–400 mg
Hydrokortison pro Tag ist aufgrund einer Metaanalyse ausreichend für hospitalisierte Patienten [17]. Es ist nicht geklärt, wie lange systemische Glukokortikosteroide gegeben werden sollten. Für Erwachsene wird eine Dauer von 10–14 Tage angegeben [1], für Kinder 3–5 Tage. Es existieren auch keine wissenschaftlichen Daten, die zeigen, dass nach der Kurzzeittherapie die schrittweise Reduktion der Dosis (»Ausschleichen«) erforderlich ist. Nach klinischer Erfahrung ist nach Besserung der Akutsymptomatik das abrupte Absetzen der Steroidtherapie problemlos möglich. Inhalierte Glukokortikosteroide sind als Bestandteil eines bereits etablierten Therapieprogramms effektiv. Einige Studien zeigen, dass bei Patienten, die keine oralen Glukokortikosteroide einnehmen können oder wollen, durch hohe Dosen inhalativer Glukokortikosteroide ähnliche Effekte erreichbar ist [18]. Die Empfehlung einiger Leitlinien, die Dosierung inhalativer Glukokortikosteroide bei Verschlechterung der Asthmakontrolle zu erhöhen, wird durch wissenschaftliche Daten nicht belegt [19].
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Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
Bronchodilatatoren bei Asthma bronchiale Inhalativ applizierte kurzwirksame β2-Agonisten sind die 1. Wahl der bronchodilatatorischen Therapie. Die Applikation kann über unterschiedliche Systeme erfolgen: Vernebelung, Pulverinhalatoren oder Dosieraerosole (»metered dose inhaler«) mit einem Spacer. Das optimale Atemmanöver (nach Ausatmung) ist für die bronchiale Wirkstoffdeposition entscheidend. Das bedeutet 4 für Dosieraerosol: langsame tiefe Inspiration (ein Anhalten des Atmens ist bei β2-Mimetika nicht erforderlich, da die trockenen Partikel schnell im Bronchialsystem anwachsen und damit praktisch alle deponieren), 4 für Pulverinhalator: rasche tiefe Inspiration, 4 für Vernebler: langsame tiefe Inspiration, möglichst mit kurzer Pause. Die Anwendung von Dosieraerosolen mit Spacer führt in einigen Studien zum Effekt der Verneblungssysteme. Die Studienlage erlaubt keine sichere Empfehlung zu den Pulverinhalationssystemen beim akuten Asthmaanfall, da meist der Inspirationsfluss zu niedrig ist. Im Vergleich zu den beiden anderen Applikationsformen ist die Vernebelung des Medikamentes bei Kindern zu bevorzugen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass ein akut exazerbiertes Asthma bronchiale durch inhalative Applikation unter Kontrolle gebracht und auf die Gabe systemisch wirksamer Medikamente verzichtet werden kann. Der langwirksame β2-Agonist Formoterol, der ebenfalls einen schnellen Wirkungsbeginn aufweist, hat eine vergleichbare Wirkung wie kurzwirksame β2-Agonisten ohne vermehrte Nebenwirkungen. Bereits durch die Inhalation von β2Agonisten kommt es zur signifikanten Steigerung der Herzfrequenz [20]. Um v. a. kardiale Nebenwirkungen zu vermeiden, sollte die parenterale Gabe von β2-Agonisten nur auf solche Fälle beschränkt werden, bei denen eine inhalative Gabe nicht möglich ist. Allerdings ist bei invasiver Beatmung alternativ zur Inhalation auch eine Instillation via Tubus möglich. Die Gabe von Epinephrin (Adrenalin) als subkutane, intramuskuläre oder intravenöse Injektion wird zur Behandlung einer Anaphylaxie oder eines Angioödems empfohlen, spielt beim Asthma aber keine Rolle. Über eine inhalative Gabe beim Asthma existieren keine ausreichenden Daten, um eine klare Empfehlung abgeben zu können. Die Kombination aus einem inhalativen β2-Agonisten mit einem Anticholinergikum (Ipratropium) kann bezüglich der Bronchodilatation additiv wirken. Generell wird die Zugabe von Ipratropium empfohlen, wenn die Gabe eines schnellwirksamen β2-Agonisten nicht zum Erfolg führt. Auch Methylxanthine haben eine bronchodilatatorische Wirkung, die derjenigen inhalativer β2-Agonisten allerdings nicht äquivalent ist. Ihre Anwendung geht jedoch mit relevanten Nebenwirkungen einher (z. B. Tachykardie und Krampfanfälle) und ist im Vergleich zu den genannten Bronchodilatatoren wenig effektiv [21]. Die Therapie mit Theophyllin sollte sehr zurückhaltend und nur unter Kontrolle des Serumspiegels erfolgen [22]. Magnesium wird als einmalige Infusion von 2 g über 20 min verabreicht [23]. Obwohl Studien zeigen, dass bestimmte Patientengruppen (z. B. Patienten mit FEV1 25–30% des Solls, Erwachsene und Kinder, die nicht auf die Initialtherapie ansprechen, Kinder, deren FEV1 unter Therapie nicht auf >60% des Solls ansteigt) von einer Magnesiumgabe profitieren können, ist diese Substanz in aktuellen Leitlinien bisher nicht für die routinemäßige Gabe empfohlen. Die Exazerbation eines Asthma bronchiale kann, muss aber nicht zwingend durch eine bakterielle Infektion verursacht werden. Bei Zeichen eines bakteriellen Infektes (d. h. Verfärbung des Bronchialsekretes, laborchemischer Nachweis der Inflammation wie z. B.
Procalcitonin) sollte antibiotisch behandelt werden. Auch wenn die oben genannten Leitlinien nicht spezifisch auf die Art der Antibiotikatherapie eingehen, liegt es nahe, sich an den Leitlinien zur Behandlung ambulant erworbener Pneumonien zu orientieren [24]. Aktuelle Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass Makrolidantibiotika (z. B. Telithromycin) bei der akuten Exazerbation des Asthma bronchiale neben einem antimikrobiellen einen antiinflammatorischen Effekt haben [25]. Der Stellenwert dieser Wirkung innerhalb des Behandlungskonzeptes beim Asthma bronchiale ist derzeit noch offen. Leukotrienrezeptorantagonisten sind eine etablierte therapeutische Option bei der Behandlung des chronischen Asthmas, ihre Bedeutung beim Asthmaanfall ist allerdings unklar. Nur eine Studie zeigte eine Verbesserung der FEV1 nach Gabe von Montelukast beim AA [26].
Asthma in der Schwangerschaft Um die Entwicklung des Embryos bzw. Fetus nicht zu gefährden, sollte die Basistherapie (d. h. inhalative Glukokortikosteroide, β2Agonisten, ggf. auch Theophyllin, Leukotrienrezeptorantagonist) in der Schwangerschaft nicht geändert werden [15]. Die Therapie eines AA erfolgt wie bei nichtschwangeren Frauen. Die Behandlung soll stationär erfolgen. Insbesondere ist auf eine ausreichende Oxygenierung zu achten.
Sonstiges Die Gabe von Sedativa sollte zurückhaltend gehandhabt werden. Es wurde gezeigt, dass die Gabe dieser Medikamente mit einer erhöhten Rate an Todesfällen durch Asthma einhergeht [27]. Daher werden Sedativa in den Leitlinien sogar als kontraindiziert betrachtet [1]. Dennoch zeigt die klinische Praxis, dass sich durch die i.v. Gabe von Morphinen in der Hand des erfahrenen Intensivmediziners auch extreme Dyspnoe und Agitation im Einzelfall bessern und so evtl. die Intubation und die assoziierten Komplikationen verhindern lassen. Auch ohne Gefahr einer bedrohlichen Hypoventilation führt die langsame Gabe von Morphin zur Abnahme des Atemantriebs und der Atemfrequenz und damit verbunden zur Besserung der Atemmechanik (u. a. infolge Verlängerung des Exspiriums und Abnahme des intrinsischen PEEP) und des subjektiven Befindens. Steht die Hypersekretion beim Asthma bronchiale im Vordergrund, kann der endoskopisch versierte Intensivmediziner durchaus beim spontan atmenden und nur flach sedierten Patienten unter Monitoring der Vitalfunktionen und Intubationsbereitschaft eine Bronchoskopie zur Sekretentfernung durchführen.
40.6.2
Medikamentöse Behandlung einer COPD-Exazerbation
Bei der Pharmakotherapie der COPD-Exazerbation kommen im Wesentlichen die gleichen Medikamentengruppen wie beim Asthmaanfall zum Einsatz. Die medikamentöse Behandlung besteht aus folgenden Medikamentengruppen: Glukokortikosteroide können oral oder intravenös verabreicht werden. Sie verkürzen die Genesungszeit und führen zu einer schnelleren Verbesserung der Lungenfunktion [28]. Die exakte Dosierung ist nicht durch Studien evaluiert, eine Tagesdosis von 20–40 mg Prednisolon-Äquivalent über ca. 10 Tage wird empfohlen. Initial wurden in einigen Studien für kurze Zeit höhere Dosierungen gegeben. Wie beim Asthma bronchiale führt eine längere Behandlungsdauer nicht zur höheren Effizienz, sondern zu mehr Nebenwirkungen (u. a. Myopathie, Osteoporose, Entgleisung eines Diabetes mellitus und Flüssigkeitsretention). Daher sollten die Glu-
513 40.6 · Therapie
kokortikoide auch bei der AECOPD nach 10-tägiger Behandlung abgesetzt werden. Bronchodilatatoren: Kurzwirksame β2-Agonisten sind die Therapie der Wahl. Auch wenn dies nicht explizit in den Leitlinien erwähnt wird, sollte unserer Meinung nach gleichzeitig ein kurzwirksames Anticholinergikum (d. h. Ipratropium oder Oxitropium) inhaliert werden, da bei COPD das parasympathische Nervensystem über bronchiale Rezeptoren zur Bronchialobstruktion beiträgt [29]. Inwiefern auch im Rahmen der AECOPD die inhalative Applikation von langwirksamen Anticholinergika [30] klinisch bedeutsam ist, muss in zukünftigen Studien untersucht werden. Analog zum AA sollte die parenterale Gabe von β2-Agonisten nur auf solche Fälle beschränkt werden, bei denen eine inhalative Gabe nicht möglich ist. Gerade bei COPD-Patienten mit Komorbidität (u. a. kardiale Erkrankungen) ist mit einer erhöhten Nebenwirkungsrate zu rechnen. Die orale oder intravenöse Gabe von Theophyllin bei AECOPD ist nach wie vor umstritten. Aktuell erlebt diese Substanz einmal mehr eine gewisse Renaissance [31]. Positive Effekte bezüglich der Lungenfunktion oder klinischer Outcome-Parameter sind gering und gehen gerade bei COPD-Patienten und ihrer hohen Komorbidität mit einer relevanten Nebenwirkungsrate einher [32]. Zu vermeiden ist die simultane Gabe von i.v. β2-Agonisten und Theophyllin. Wie bereits oben dargestellt können Exazerbationen eines Asthma oder einer COPD durch virale und bakterielle Infektionen verursacht werden. Bei COPD-Exazerbationen ist dies in 50–60% der Fall. Die häufigsten bakteriellen Erreger sind H. influenzae, S. pneumonia, M. catarrhalis, Enterobacteriacaeae und P. aeruginosa. Hier sei auf die Ausführungen der S3-Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie, S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und vom Kompetenznetzwerk CAPNETZ verwiesen [12, 33, 34]. Eine mikrobiologische Sputumuntersuchung wird bei Patienten mit häufigen Exazerbationen (z. B. ≥3/Jahr), Therapieversagern und/oder bei besonders schweren Erkrankungen mit Verdacht auf multiresistente Bakterien empfohlen. Voraussetzungen sind das Vorliegen von makroskopisch purulentem Sputum und die Gewährleistung der notwendigen Logistik.
Empfehlung einer Antibiotikatherapie (Empfehlungsgrad B) laut CAPNETZ-Leitlinie [12] 4 Leichtgradige AECOPD (ambulante Therapie): Antimikrobielle Therapie nur bei COPD GOLD-Stadium III oder IV (FEV1 <50%/Soll) und Stockley Typ 2 [12]**; sollte eine PCT-Bestimmung möglich sein und der Wert <0,1 ng/ ml betragen, kann auf eine antimikrobielle Therapie verzichtet werden. 4 Mittelschwere AECOPD (Indikation zur Hospitalisierung nach den oben genannten Kriterien): Antimikrobielle Therapie nur bei Stockley II**; sollte eine PCT-Bestimmung möglich sein und der Wert <0,1 ng/ ml betragen, kann auf eine antimikrobielle Therapie verzichtet werden. 4 Schwere AECOPD (Indikation zur Intensivtherapie nach den oben genannten Kriterien): Antimikrobielle Therapie immer indiziert**. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Datenlage für eine Procalcitoningeleitete antimikrobielle Behandlung bei Patienten mit invasiver bzw. nichtinvasiver Beatmung wegen einer AECOPD auf der Intensivstation nicht ausreichend.
Die Arbeitsgruppe empfiehlt (Empfehlungsgrad C) folgende Antibiotika zur Therapie der AECOPD: 4 Für Patienten mit leichtgradiger AECOPD (ambulante Therapie) mit Stockley Typ 2 und COPD GOLD-Stadium III oder IV (FEV1 <50%/Soll): – Mittel der Wahl: Aminopenicillin ohne β-Laktamaseinhibitor (Amoxicillin). – Alternativen: Makrolid (Azithromycin, Clarithromycin, Roxithromycin) oder Tetracyclin (Doxycyclin). 4 Für Patienten mit mittelschwerer und schwergradiger AECOPD (hospitalisierte Patienten auf Normal- bzw. Intensivstation) mit Stockley Typ 2 ohne bekannte Kolonisation durch P. aeruginosa, ohne Bronchiektasien, ohne Beatmung bzw. ohne individuellen P.-aeruginosaNachweis: – Mittel der Wahl: Aminopenicillin mit β-Laktamaseinhibitor (Amoxicillin + Clavulansäure oder Sultamicillin) oder parenterale Cephalosporine der II. oder III. Generation. – Alternative*: Pneumokokkenwirksames Fluorchinolon (Levofloxacin, Moxifloxacin). 4 Für AECOPD-Patienten mit Stockley Typ 2 und mit bekannter Kolonisation durch P. aeruginosa oder mit Bronchiektasien oder mit individuellem P.-aeruginosaNachweis oder bei beatmeten Patienten: – Acylureidopenicillin + Betalaktamaseinhibitor (Piperacillin/Tazobactam). – Pseudomonaswirksames Carbapenem (Imipenem, Meropenem). – Pseudomonaswirksames Cephalosporin (Ceftazidim**, Cefepim). – Pseudomonaswirksames Fluorchinolon (Ciprofloxacin**, Levofloxacin). (* bei Therapieversagen oder Unverträglichkeit der anderen Substanzen, ** in Kombination mit einer pneumokokkenwirksamen Substanz)
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Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
Auch wenn hierzu keine harten Daten vorliegen, orientiert sich die Dauer der Antibiotikatherapie an der Symptomatik, der Färbung des Sputums und zukünftig evtl. auch am Verlauf des Procalcitoninwertes [35]. Bei Therapieversagen ist die Antibiose abzusetzen und je nach klinischer Situation auf ein anderes empirisches Regime zu wechseln oder eine 2- bis 3-tägige Behandlungspause einzulegen, nach der eine mikrobiologische Diagnostik durchgeführt wird. Da die Patienten mit starker Dyspnoe und Verdacht auf zugrunde liegende Exazerbation einer COPD häufig polymorbide sind, müssen differenzialdiagnostisch andere Erkrankungen, die ebenfalls mit dem Leitsymptom Dyspnoe einhergehen, verifiziert bzw. ausgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere für die koronare Herzkrankheit und die Herzinsuffizienz verschiedenster Ursache. Diuretika sind bei peripheren Ödemen, Stauungszeichen im Röntgenbild des Thorax und erhöhtem Jugularvenendruck indiziert. Auch wurde aktuell gezeigt, dass eine Hyperglykämie bei AECOPD als eigenständiger Risikofaktor zu betrachten ist und sich negativ auf den weiteren Krankheitsverlauf auswirkt [36]. Wir konnten nachweisen, dass ca. 10% der COPD-Patienten, die infolge Infektexazerbation auf die Intensivstation eingeliefert wurden, gleichzeitig asymptomatische tiefe Beinvenenthrombosen aufwiesen [37]. Ein relevanter Anteil dieser Patienten weist Lungenbembolien auf [38]. Wegen der weitgehenden Immobilität der Patienten mit AECOPD sollte eine Antikogulation mit niedermolekularen oder unfraktionierten Heparinen durchgeführt werden.
40.6.3
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In . Tab. 40.5 sind weitere Details zu den genannten Therapieformen dargestellt.
40
Sauerstofftherapie
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Therapieform
Charakteristika
Sauerstofftherapie
Hypoxämie paO2 <60 mm Hg oder SaO2<90%
Da die schwergradige Atemwegsobtruktion mit einer Hypoxämie einhergeht, liegt es nahe, mit Sauerstoff zu therapieren. Auch wenn zum Einsatz von Sauerstoff bei akuter Atemwegsobstruktion wenig evidenzbasierte Literatur existiert, besteht im klinischen Alltag kein Zweifel an dieser Indikation. Liegt eine Hypoxämie mit einer Sauerstoffsättigung <90% oder eine Hypoxämie (paO2 <60 mm Hg) vor, sollte dem Patienten Sauerstoff verabreicht werden. Die Hypoxämie lässt sich häufig bereits durch moderates Anheben der FIO2 (z. B. 2–3 l/min Flussrate) vollständig korrigieren. Es erweist sich als vorteilhaft, anstelle schematischer Sauerstoffkonzentrationen und -flussraten den Sauerstoff-Flow anhand des paO2 bzw. SpO2 zu titrieren. Bei normoxischen Patienten kann auf eine Sauerstofftherapie verzichtet werden. Die Sauerstoffgabe führt bei Patienten mit schwergradiger Atemwegsobstruktion, die per se einen hohen Atemantrieb aufweisen, neben der Verbesserung der Oxygenierung häufig via Hypoventilation und nachfolgender Hyperkapnie zur Entlastung der Atemmuskulatur. Im Gegensatz zu den Bedingungen bei chronisch ventilatorischer Insuffizienz, insbesondere infolge neuromuskulärer Erkrankung [39], ist bei akuter Atemwegsobstruktion nicht generell zu fürchten, dass durch Sauerstoffgabe der hypoxiebedingte Sti-
Unter O2-Gabe ist ein geringgradiger Anstieg des paCO2 erlaubt Therapiekontrolle nach 30 min, ggf. nach 120 min wiederholen
NIV
Trotz O2-Gabe persitierende Hypoxämie paO2 <60 mm Hg oder SaO2<90% oder persistierende Azidose, pH-Wert <7,35 Anhaltende Tachypnoe, AF >25/min Voraussetzung: wacher, kooperativer Patient, erhaltener Husten-, Schluckreflex (kein Aspirationsrisiko) Herz-Kreislauf-Stabilität
Invasive Beatmung
Trotz O2-Gabe und NIV persistierender paO2 <40 mm Hg oder respiratorische Azidose pHWert <7,2 Tachypnoe AF >35/min Indikation: Atemstillstand, Herz-Kreislauf-Instabilität, Somnolenz Therapierefraktäre bronchiale Hypersekretion, hohe Viskosität des Sekrets
Nichtpharmakologische Differenzialtherapie
> Neben der aufgeführten Pharmakotherapie stehen zur Notfalltherapie der schwergradigen akuten Atemwegsobstruktion im Wesentlichen die Gabe von Sauerstoff und die maschinelle Beatmung in Form der nichtinvasiven Beatmung (NIV) und invasiven Beatmung (IMV) zur Verfügung.
40
. Tab. 40.5 Differenzialtherapie mit Sauerstoff, nichtinvasiver Beatmung (NIV) und invasiver Beatmung
mulus der peripheren O2-Rezeptoren im Karotissinus ausfällt und damit eine lebensbedrohliche Zunahme der Hypoventilation droht.
Beatmung Über Jahrzehnte galt die invasive Respiratortherapie (»invasive mechanical ventilation«; IMV), deren Beatmungszugang der endotracheale Tubus ist, als Therapie der Wahl bei respiratorischen Notfällen. Mit der in jüngerer Vergangenheit zunehmend eingesetzten nichtinvasiven Positivdruckbeatmung (»non-invasive mechanical ventilation«; NIV) hat inzwischen ein neuer Abschnitt in der Beatmungsmedizin begonnen, was sich bereits aktuellen Konsensusartikeln widerspiegelt [40, 41]. Der Algorithmus zur Behandlung der COPD-Exazerbation, angelehnt an die Leitlinie der DGP [16], ist in . Abb. 40.2 dargestellt. z Einstellung der Beatmung Die oben beschriebene Pathophysiologie der schweren Atemwegsobstruktion wird bei der Einstellung der maschinellen Beatmung berücksichtigt. Wichtige Aspekte v. a. in der In-itialphase der Beatmung sind in . Tab. 40.6 aufgeführt, wobei für NIV und IMV grundsätzlich die gleichen Überlegungen gelten. Es ist wesentlich, darauf zu achten, dass durch Applikation des externen PEEP (etwa 3–6 cm H2O) der PEEPi antagonisiert und durch inspiratorische Druckunterstützung die diaphragmale Atemarbeit reduziert und die Ventilation erhöht wird [42, 43].
NIV Der Vollständigkeit halber soll bezüglich der NIV zunächst auf die Möglichkeit der Negativdruckbeatmung (NPV) hingewiesen werden. Vor allem in spezialisierten italienischen Zentren ist NPV sogar Therapie der 1. Wahl in der Behandlung der AECOPD [44, 45]. Auch wenn der Vergleich zwischen NPV und IMV bei AECOPD
515 40.6 · Therapie
. Abb. 40.2 Algorithmus zur Therapie des COPD-Exazerbation
den gleichen Effekt auf den Gasaustausch und eine Tendenz für eine geringere Komplikationsrate bei NPV ergab [46], hat sich die Positivdruckbeatmung zur Behandlung der akuten Atemwegsobstruktion durchgesetzt. Allgemein gesprochen ergeben sich die Vorteile der NIV aus den Nachteilen bzw. Komplikationen der IMV (7 Tab. 42.2). Der Ersatz des Endotrachealtubus durch die Beatmungszugänge der NIV (d. h. vor allem Masken) ist der wesentliche Grund für die Reduktion der tubusassoziierten Komplikationen. Insbesondere führt die Vermeidung der endotrachealen Intubation zur Reduktion der ventilatorassoziierten, besser jedoch tubusassoziierten Pneumonie [47]. Mögliche Nachteile der NIV sind der unsichere Beatmungszugang, lolake Hautschädigung und unzureichende Beatmungsqualität durch Leckagen. Die NIV ist detailliert beschrieben in 7 Kap. 42.
In die folgenden Ausführungen gehen die Empfehlungen der S3-Leitlinie »Nicht-invasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz« ein [48]. z Interfaces Eine Auswahl von Nasalmasken, Mund-Nasen-Masken und »nasal pillows« in verschiedenen Größen sollte vorrätig sein. Bei der hyperkapnischen Verlaufsform der ARI (akut respiratorische Insuffizienz) werden Mund-Nasen-Masken v. a. in der Initialphase der NIV bevorzugt eingesetzt [49]. Bei erfolgreicher Therapie kann nach 24 h auf eine Nasalmaske umgestellt werden. Für den Beatmungshelm, der den gesamten Kopf umschließt und bisher vorwiegend bei Patienten mit hypoxischer ARI eingesetzt wurde [50], ergibt sich bezüglich der hyperkapnischen ARI Folgendes: Im Vergleich zur Ganzgesichtsmaske wurde der Helm von COPD-
40
516
Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
40
. Tab. 40.6 Initiale Beatmungsparameter bei schwerer Atemwegsobstruktion; bei bewusstlosen Patienten
40
Parameter
Empfehlung
Beatmungsmodus
Druck- oder volumengesteuert
Atemfrequenz
8–15/min
Atemzugvolumen
6–10 ml/kg KG
Atemwegspitzendruck beachten
Atemminutenvolumen
8–10 l/min
Atemwegspitzendruck beachten
IPAP – druckkontrolliert
30–35 cm H2O
Externer PEEP
Regelmäßig iPEEP kontrollieren und anpassen
40
3–6 cm H2O, maximal 2/3 des iPEEP
I : E
1 : 1,5 bis 1 : 3–4
Exspiration möglichst lange
Vollständige Intoleranz gegenüber Masken oder Helm
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Inspiratorischer Flow
>100 l/min
Turbulenz (Inhomogenität) vermeiden
Gesichtstrauma, faziale Dysmorphie
D
Plateaudruck
<35 cm H2O
Plateaudruck wichtiger als Spitzendruck (7 unten)
Ileus
C
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Spitzendruck
<35 cm H2O
Optimaler Plateaudruck = Spitzendruck, ggf. durch Druckbegrenzung erzwingen
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. Tab. 40.7 Relative Kontraindikationen für nichtinvasive Beatmung; die Niveaus der Empfehlungen beziehen sich auf die Veröffentlichung der British Thoracic Society [84]
Ziel/Kommentar
Dynamische Überblähung vermeiden, bei Blutdruckabfall evtl. weniger, bei CO2-Anstieg evtl. mehr
PEEP »positive end-expiratory pressure«; iPEEP »intrinsic PEEP«; IPAP »inspiratory positive airway pressure«; KG: Körpergewicht;FIO2 inspiratorische Sauerstofffraktion; SaO2, Sauerstoffsättigung; I : E Verhältnis Inspiration zu Exspiration.
Patienten zwar ähnlich gut toleriert, die Absenkung des paCO2 war jedoch geringer, vorwiegend bedingt durch das hohe kompressible Volumen [51]. Wird der Helm bei hyperkapnischer ARI eingesetzt, ist auf hohe Flüsse zu achten und die Beatmungsqualität engmaschig zu überwachen. z NIV beim Asthma bronchiale Auch wenn für das akute Asthma bronchiale in Beobachtungsstudien ein günstiger Effekt der NIV auf den Gasaustausch nachgewiesen worden ist [52], konnte bis dato nur in einer randomisierten Studie gezeigt werden, dass durch den zusätzlichen Einsatz der NIV zur Standardtherapie die Lungenfunktion verbessert und eine Hospitalisierung vermieden werden kann [53]. Es wird empfohlen, beim Asthma bronchiale mit niedrigen Inspirationsdrücken (5–7 cm H2O) bei einem PEEP von 3–5 cm H2O zu beginnen und den Inspirationsdruck schrittweise bis maximal 25 cm H2O hoch zu titrieren [54]. z NIV bei AECOPD Im Vergleich zu AA wird NIV bei AECOPD deutlich häufiger eingesetzt. Für den Indikationsbereich der NIV als additive Therapie der leicht- bis mittelgradigen ARI, d. h. bei nicht primär bestehender Indikation zur invasiven Beatmung, ist die Datenlage inzwischen recht klar. Die Ergebnisse aller verfügbaren Studien wurden in Metaanalysen hinsichtlich wesentlicher Zielkriterien wie der Not-
Relative Kontraindikation
Empfehlungsniveau der British Thoracic Society
Koma oder massive Agitation
C
Fehlende Spontanatmung, Schnappatmung Fixierte oder funktionelle Verlegung der Atemwege
D
Massive Hypersekretion trotz Bronchoskopie
C
Multiorganversagen
C
Vital bedrohliche Hypoxämie oder Azidose (pH <7,1)
C
Hämodynamische Instabilität (kardiogener Schock, Myokardinfarkt)
Gastrointestinale Blutung Zustand nach Operation des Gesichts/der oberen Luftwege
D
Erbrechen
D
Zustand nach oberer gastrointestinaler Operation
C
Fehlen der Schutzreflexe
C
wendigkeit zur Intubation, der Krankenhausaufenthaltsdauer und der Mortalität beurteilt. Die jüngsten 3 Metaanalysen [55–57] ergaben mit höchstem EBM-Niveau (A), dass die NIV in Kombination mit der Standardtherapie bereits in der 1. Stunde die Blutgase (pH, paCO2) verbessert und die Atemfrequenz senkt. Die Intubationsfrequenz, die Krankenhausaufenthaltsdauer und die Mortalität werden durch NIV reduziert. Da mit wachsender Erfahrung in der Anwendung von NIV der Schweregrad der Grunderkrankung und das Ausmaß der Komorbidität der behandelten Patienten zunehmen, relativiert sich der Begriff »Kontraindikation« für NIV als Therapieverfahren der hyperkapnischen ARI [58] immer mehr. Daher sind in . Tab. 40.7 die relativen Kontraindikationen aufgeführt. Auch anhand des Verlaufes der Dyspnoe, Atemfrequenz und paCO2 lässt sich bereits 1–2 h nach Therapiebeginn zwischen Respondern (d. h. Abnahme dieser Parameter) bzw. Non-Respondern (d. h. ausbleibende Abnahme bzw. Zunahme dieser Parameter) unterscheiden [59–63]. Bei NIV-Versagen sollte die NIV umgehend beendet und unverzögert intubiert werden. Nur einige Untersuchungen verglichen direkt NIV und invasive Beatmung auf unterschiedlichem EBM-Niveau bei gegebener Indikation zur Beatmung infolge schwergradiger hyperkapnischer ARI mit ausgeprägter Azidose (pH-Wert im Mittel 7,2–7,25) [64, 65]. Es ergaben sich Trends zu besserem Outcome der mit NIV therapierten Patientengruppe.
517 40.6 · Therapie
Tracheotomie Es lässt sich schlussfolgern, dass NIV als Alternative zur invasiven Beatmung angewandt werden sollte. Ein Therapieversuch mit NIV zur Vermeidung von tubusassoziierten Komplikationen sollte auch bei Patienten mit schwergradiger Azidose unternommen werden, wenn die notwendigen Voraussetzungen (d. h. Erfahrung des Behandlungsteams und Möglichkeit zur unverzögerten Intubation und invasiven Beatmung) gewährleistet sind [59, 64].
Gestaltet sich die Entwöhnung von der invasiven Beatmung schwierig und zeichnet sich eine Langzeitbeatmung ab, dann ist die Tracheotomie der invasive Beatmungszugang der Wahl. Es war lange klinische Praxis, die Tracheotomie erst nach einer Beatmungsdauer von etwa 14 Tagen durchzuführen [68]. Vor allem mit der zunehmenden Verbreitung der Punktionstracheotomie verkürzt sich der Zeitraum zwischen Intubation und Tracheotomie immer mehr [69]. In diesem Zusammenhang ist kritisch anzumerken, dass bei großzügiger Indikationsstellung zur Frühtracheotomie die Vorteile der NIV nach früher Extubation ungenutzt bleiben. Vergleichsstudien beider Verfahren sind daher dringend erforderlich.
Sekretmobilisation > Das Management der Hypersekretion kann sowohl bei AECOPD als auch bei AA zentrale Bedeutung für den Krankheitsverlauf haben.
Im Einzelfall kann sich die Indikation zur Bronchoskopie während der NIV stellen. Analog den Erfahrungen zur Bronchoskopie während der NIV [66] kann es mit Hilfe der Sekretabsaugung mit und ohne Bronchiallavage gelingen, die Atemwegsobstruktion bei AECOPD zu verringern und damit zur Besserung der Atemmechanik beizutragen. Des Weiteren stehen effektive physiotherapeutische Manöver zur Sekretmobilisation (z. B. PEP) zur Verfügung.
Invasive mechanische Beatmung Es kann zum Versagen der NIV als Therapieverfahren der ARI kommen. In . Tab. 40.8 sind die Abbruchkriterien für NIV aufgeführt. Beim Therapieversagen der NIV, im Wesentlichen definiert als Verschlechterung des Vigilanzzustandes, des pH-Wertes und/ oder persistierendem paO2 <40 mm Hg, sind Intubation und invasive Beatmung indiziert [67]. Die Vorteile einer invasiven Beatmung sind die hierdurch erfolgende komplette Übernahme der Atemarbeit, die Möglichkeit der besseren tracheobronchialen Sektretabsaugung durch Bronchoskopie mit und ohne Lavage und die effektiv mögliche Sedation bis hin zur Vollnarkose und Muskelrelaxation im Extremfall. Letzteres kann in therapierefraktären Fällen die einzige Möglichkeit zur Durchbrechung des Asthmaanfalls sein. Als Nachteile sind dagegen zu nennen, dass die Intubation bei hochgradiger Dyspnoe schwierig und das Risiko von Herzrhythmusstörungen bei vorliegender Hypoxämie, Azidose, Therapie mit β2-Agonisten und evtl. Theophyllin nicht unbeträchtlich ist. . Tab. 40.8 Abbruchkriterien der NIV Kriterium
Abbruchkriterien der NIV (Indikationen zur Intubation)
pH-Wert
Abnahme
Oxygenierung
Abnahme von SaO2
Ventilation
pCO2-Zunahme
Dyspnoe
Zunahme
Atemfrequenz
Zunahme
Tidalvolumen
Abnahme
Herzfrequenz
Zunahme
Hämodynamik
Instabilität
Atemmuskulatur
Zunehmende Erschöpfung
Vigilanz und mentaler Zustand
Zunehmende Verschlechterung
NIV und Weaning vom Respirator bei COPD Bei invasiv beatmeten Patienten mit schwergradiger COPD lässt sich die Erfolgsrate der Respiratorentwöhnung durch frühzeitige Extubation und unmittelbar anschließende NIV, verglichen mit einer invasiv beatmeten Kontrollgruppe, signifikant verbessern. Zusätzlich kommt es zur Reduktion der Letalitäts- sowie Reintubations- und Tracheotomierate [70–72] (Level 1B, A).
NIV in der Postextubationsphase In der Postextubationsphase hat die NIV in der Prävention, aber auch Therapie einer erneuten ARI ihren Stellenwert. Das Dilemma der Reintubation infolge erneuter ventilatorischer Insuffizienz liegt in der hohen Komplikations- und Letalitätsrate [73]. Vor allem bei Risikopatienten mit COPD, hohem Alter und Hypersekretion, die nach Extubation eine hyperkapnische ARI entwickeln, führt der frühzeitige Einsatz von NIV zur Reduktion der Reintubations- und Letalitätsrate; dies wurde auf unterschiedlichen EBM-Niveaus gezeigt [74–77]. Auch wenn dies bisher nur in Form von Beobachtungsstudien gezeigt wurde, sollte zur Verbesserung der Prognose bei Patienten nach erfolgreichem Weaning vom Respirator, aber bleibender chronisch ventilatorischer (d. h. hyperkapnischer) Insuffizienz die NIV in Form der Heimbeatmung angeschlossen werden [78, 79].
40.6.4
Adjunktive Therapiemaßnahmen
Helium-Sauerstoff-Therapie Die Zumischung von Helium in das Inspirationsgas erleichtert aufgrund der geringen Viskosität von Helium die Verteilung des Gasgemisches bei hohem Atemwegswiderstand und reduziert die Atemarbeit bei Patienten mit AECOPD [80], sodass in der Regel die Überblähung, die Ventilation und die Hyperkapnie gebessert werden können. Zudem haben Studien gezeigt, dass Heliox die Partikelretention von Aerosolen in der Lunge verbessert und damit die Wirksamkeit von Bronchodilatatoren erhöht [81]. Der Vorteil von Heliox geht jedoch verloren, wenn die Sauerstoffkonzentration erhöht wird und der Heliumanteil dadurch unter 70–80% sinkt. Ein praktisches Problem beim Einsatz von Heliox in der mechanischen Beatmung besteht darin, dass die Flusssensoren in Beatmungsgeräten nicht auf die Dichte des Heliums kalibriert sind und daher Gasfluss und Tidalvolumen zu niedrig anzeigen. Eine Umrüstung von Beatmungsgeräten speziell für diesen Zweck ist möglich, aber sehr aufwendig.
Inhalationstherapie während der Beatmung Prinzipiell sollte auch während der Beatmung die antiobstruktive Inhalationstherapie fortgeführt werden. Es stehen hierzu Dosieraerosole und Vernebler (»metered dose inhaler systems«; MDI, »jet nebuliser system«, »ultrasonic nebulisers«) zur Verfügung [82, 83].
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Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
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Bei der Inhalationstherapie während der Beatmung u. a. auf Folgendes zu achten: 4 Verwendung von Spacern, 4 Applikation im inspiratorischen Schenkel des Schlauchsystems, 4 keine Befeuchtung, 4 lange Inspirationszeit.
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40.7
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Entlassungskriterien
Der Zeitpunkt, an dem ein Patient mit einer Exazerbation eines Asthma bronchiale oder einer COPD von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt werden kann, erfordert eine klinische Beurteilung der Situation. Die genannten Leitlinien sprechen hierzu keine Empfehlungen aus. Demgegenüber formulieren die Leitlinien Kriterien, die vor einer geplanten Entlassung von Patienten mit exazerbierter COPD bzw. Asthma bronchiale erfüllt sein sollten.
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40 Kriterien für die Entlassung eines Patienten nach Exazerbation einer COPD oder eines Asthma bronchiale aus dem Krankenhaus
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4 Die Gabe inhalativer β2-Agonisten alle 4 h ist ausreichend. 4 Der Patient kann im Raum herumgehen (wenn dies vorher möglich war). 4 Essen ohne Dyspnoe und Schlafen ohne Aufwachen wegen Atemnot. 4 Klinische Stabilität für 12–24 h. 4 Stabile Blutgase für 12–24 h (O2-Sättigung >90% oder nahe am persönlichen optimalen Niveau). 4 Der Patient versteht die Verwendung der Medikamente. 4 Die Versorgung zuhause ist sicher gestellt. 4 Patient, Familie und Arzt sind zuversichtlich, dass der Patient die Situation kontrollieren kann. 4 Klinische Untersuchung ist (nahezu) unauffällig (Asthma). 4 PEF oder FEV1 betragen >70% des Normwerts oder des persönliches Bestwertes nach Gaben eine kurzwirksamen β2-Agonisten (Asthma).
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Kapitel 40 · COPD und Asthma bronchiale
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521
Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung R. Dembinski, R. Kuhlen
41.1
Einleitung – 522
41.2
Indikationen zur Beatmung – 522
41.3
Unterstützung der Ventilation – 522
41.4
Aufrechterhaltung eines ausreichenden Gasaustauschs – 522
41.5
Formen der Beatmung – 522
41.5.1 41.5.2 41.5.3
Vollständige Unterstützung der Ventilation – 522 Partielle Unterstützung der Ventilation – 523 Trigger bei assistierter Beatmung – 525
41.6
Nebenwirkungen und Risiken der maschinellen Beatmung – 526
41.6.1 41.6.2 41.6.3 41.6.4 41.6.5
Hämodynamische Konsequenzen maschineller Ventilation – 526 Nebenwirkung der Beatmung auf die Organfunktion – 526 Beatmungsassoziierte Organschäden – 527 Infektiöse Komplikationen der Beatmung – 527 Beatmung als proinflammatorischer Stimulus – 528
41.7
Einstellung der Beatmung und Wahl des Verfahrens – 528
41.7.1 41.7.2 41.7.3
Akutes Lungenversagen – 528 Obstruktive Ventilationsstörung – 530 Nichtinvasive Beatmung (NIV) – 531
41.8
Entwöhnung von der Beatmung – 532
41.8.1 41.8.2
Begriffsbestimmung – 532 Grundlagen der Entwöhnung – 532
41.9
Schwierige Entwöhnung – 535
41.9.1 41.9.2 41.9.3 41.9.4 41.9.5
Entwöhnungskonzepte – 535 Weaningprotokolle – 536 Analgosedierung – 536 Wahl des Beatmungsverfahrens für die Entwöhnung – 538 Nichtinvasive Beatmung zur Entwöhnung – 538
Literatur – 538
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_41, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
41
41 41 41 41 41 41
522
Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
41.1
Einleitung
Die maschinelle Beatmung mit positivem Atemwegsdruck dient der Übernahme oder Unterstützung der Ventilation und der Aufrechterhaltung eines ausreichenden pulmonalen Gasaustauschs bei der akuten respiratorischen Insuffizienz. Bei physiologischer Atmung wird von der Atemmuskulatur ein negativer Druckgradient aufgebaut, dem entlang inspiratorisch Gas in die Lungen fließt. Bei der Beatmung resultiert demgegenüber der inspiratorische Druckgradient aus einem positiven Atemwegsdruck. > Die Umkehrung der intrathorakalen Druckverhältnisse hat zahlreiche pathophysiologische Konsequenzen. Dementsprechend ist mit der maschinellen Beatmung ein Überwachungsaufwand verbunden, der lediglich auf der Intensivstation gewährleistet werden kann.
41 41.2
41 41 41 41
Eine schwere respiratorische Insuffizienz tritt entweder als Versagen der Atempumpe oder als primäres Versagen des pulmonalen Gasaustauschs auf. Dementsprechend ergeben sich 2 prinzipielle Indikationen zur maschinellen Beatmung: 4 Übernahme oder Unterstützung der Ventilation 4 Aufrechterhaltung eines ausreichenden Gasaustauschs
41 41
41.3
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Aufrechterhaltung eines ausreichenden Gasaustauschs
Die hypoxische respiratorische Insuffizienz beruht pathophysiologisch in aller Regel auf Veränderung der Lungenstruktur und der Volumina. Es kommt auf dem Boden verschiedener Ursachen zu einer uniformen Abnahme der Gasaustauschfläche (7 Kap. 37). In dieser Situation dient die maschinelle Beatmung primär der Restitution der Gasaustauschfläche durch Wiedereröffnung und Offenhalten anderweitig verschlossener Lungenareale [2, 3].
41.5
Formen der Beatmung
Die verschiedenen Formen der maschinellen Beatmung lassen sich nach dem Anteil der maschinellen Ventilation an der Gesamtventilation in 2 Gruppen unterteilen.
Indikationen zur Beatmung
Hiervon abzugrenzen sind die nicht respiratorischen Indikationen zur Beatmung wie Koma, Intoxikationen, sequenzielle operative Versorgung in Narkose etc., die bei ca. 20% aller Patienten Grund der Beatmung sind [1]. Hierbei führen entweder der Ausfall des zentralen Atemantriebs, Blockaden der neuromuskulären Überleitung oder aber die Sicherung der Atemwege zur Beatmungsindikation.
41
41.4
Unterstützung der Ventilation
Eine absolute Indikation zur maschinellen Beatmung ist fraglos beim Ausfall des zentralen Atemantriebs oder der neuromuskulären Transmission gegeben. Schwieriger ist die Indikationsstellung bei Reduktion der effektiven Ventilation, ohne dass diese aber ganz ausfällt. Die Ineffektivität der Ventilation kann zumindest für eine gewisse Zeit durch Erhöhung der muskulären Atemarbeit kompensiert werden, führt allerdings dann in die Erschöpfung und wird so zu einer der häufigsten Inikationen. > Die Indikation zur Beatmung hängt davon ab, ob die erhöhte Atemarbeit vom Patienten geleistet werden kann, oder ob er sich muskulär erschöpfen wird. Indikation zur maschinellen Beatmung Die Indikation zur maschinellen Beatmung ist in aller Regel bei folgenden klinischen Zeichen gegeben 4 flache, schnelle Atmung (Frequenz >35/min, »rapid shallow breathing«), 4 deutliche Aktivität der inspiratorischen Hilfsmuskulatur, 4 Einziehungen der oberen oder unteren Thoraxapertur und/oder sichtbare, muskuläre Aktivität der Muskulatur des Schultergürtels, 4 Agitation, Minderung der Vigilanz durch die respiratorische Insuffizienz, 4 Entwicklung einer respiratorischen Azidose, 4 Entwicklung einer Hypoxämie (SaO2 <90%) trotz O2-Gabe
41.5.1
Vollständige Unterstützung der Ventilation
Hauptmerkmal der kontrollierten Beatmung ist das Fehlen jeglicher Spontanatmung. Die Ventilation resultiert aus der maschinellen Einstellung des Beatmungsmusters und den passiven mechanischen Eigenschaften des respiratorischen Systems. Je nach Steuerung des verabreichten Atemzugs unterscheidet man die volumenkontrollierte (VCV) von der druckkontrollierten (PCV) Beatmung.
Volumenkontrollierte Beatmung Bei der volumenkontrollierten Beatmung wird ein definiertes Atemzugvolumen (VT) mit einem einstellbaren Gasfluss appliziert. Die Höhe des Gasflusses ergibt sich aus VT und Dauer der Inspiration. An modernen Beatmungsgeräten stehen konstante, dezelerierende und sinusförmige Flussmuster zur Verfügung. Als weitere Option ist ein endinspiratorisches, strömungsfreies Plateau einstellbar (»No-flow-Intervall«; . Abb. 41.1, . Abb. 41.2). Der Atemwegsdruck ergibt sich bei der volumenkontrollierten Beatmung aus den mechanischen Eigenschaften des respiratorischen Systems und der Höhe des Gasflusses. Zur Vermeidung überhöhter inspiratorischer Spitzendrücke sollte eine absolute obere Druckgrenze (<30 cm H2O) eingestellt werden, bei deren Erreichen die Inspiration entweder abgebrochen oder auf diesem Druckniveau solange gehalten wird, bis die vorgegebene Inspirationszeit erreicht ist (volumenkontrollierte, druckbegrenzte Beatmung).
Druckkontrollierte Beatmung Bei der druckkontrollierten Beatmung wird der Atemwegsdruck in Form eines Rechtecksignals direkt angewählt. Der Gasfluss ergibt sich hierbei aus der Höhe der Druckamplitude und den mechanischen Eigenschaften des respiratorischen Systems. Da die respiratorischen Widerstände am Beginn der Inspiration am geringsten sind, erhält man eine hohe Initialströmung, die im Sinne eines dezelerierenden Flusses rasch abnimmt und mit einem No-flow-Intervall endet. Dieses No-flow-Intervall unterscheidet sich jedoch vom klassischen Plateau, da der Plateaudruck bei Volumenverlust (z. B. weil bisher verschlossene Bezirke der Lunge bei dem gehaltenen Druck eröffnet werden) sofort durch erneuten inspiratorischen Gasfluss aufrechterhalten wird. Da das Atemzugvolumen bei dieser Beatmung nicht konstant ist, muss es engmaschig überwacht werden.
41
523 41.5 · Formen der Beatmung
Paw
Paw Ppeak Pplat
Pinsp
PEEP Inspiration
Exspiration
Inspiration
Exspiration
PEEP
t Inspiration
Exspiration
Inspiration
Exspiration
t
Flow
Flow
Inspirationsflow
Inspirationsflow t
t
No-flowIntervall
No-flowIntervall
. Abb. 41.1 Atemwegsdruck (paw) und Gasfluss (Flow) während volumenkontrollierter Beatmung mit konstantem Fluss. Hier lässt sich ein Atemwegsspitzendruck (ppeak) am Ende des inspiratorischen Flusses von einem Plateaudruck (pplat) während des No-flow-Intervalls unterscheiden
. Abb. 41.2 Atemwegsdruck (paw) und Gasfluss (Flow) während druckkontrollierter Beatmung. Hier wird der Atemwegsdruck als Rechteck appliziert, sodass sich eine dezelerierende Gasströmung ergibt. Hier lässt sich der inspiratorische Druck (pinsp) nicht weiter differenzieren
Atemfrequenz, I : E-Verhältnis und »inversed ratio ventilation«
41.5.2
Bei allen kontrollierten Beatmungsverfahren werden die Beatmungsfrequenz und das Atemzeitverhältnis (Verhältnis aus Inspiration zu Exspiration, »I : E-ratio«) am Beatmungsgerät direkt eingestellt. Wird die Inspirationszeit über das physiologische Verhältnis von 1 : 2 gewählt, spricht man von »inversed ratio ventilation« (IRV). Hierbei wird die Exspirationszeit u. U. soweit verkürzt, dass eine vollständige Exspiration nicht mehr möglich ist, was zur Entwicklung eines intrinsischen PEEP (PEEPi) und zur Abnahme des VT führen kann. IRV ist sowohl bei der druck- als auch bei der volumenkontrollierten Beatmung möglich, wird allerdings heute nicht mehr empfohlen. Bei den kontrollierten Beatmungsverfahren ist eine tiefe Sedierung notwendig, um die Spontanatemaktivität zu unterdrücken. Bei erhaltener oder wieder einsetzender Spontanatmung kommt es häufig zur Desynchronisation zwischen Patient und Ventilator mit ansteigender Atemarbeit, erhöhtem Sauerstoffverbrauch und ungünstiger Gasverteilung in den Lungen. Wichtige Zeichen einer Desynchronisation zwischen Patient und Ventilator sind ansteigender Atemwegsdruck und abfallendes VT. Häufig kommt es auch zu einer Verschlechterung des Gasaustauschs.
Bei allen Verfahren zur partiellen Unterstützung der Ventilation ist die Spontanatmung zumindest teilweise erhalten. Spontanatmung und maschinelle Beatmung wechseln sich entweder ab (intermittierende Ventilation), oder jede Inspiration wird maschinell unterstützt (»inspiratory assist«). Die intermittierenden Verfahren zielen auf eine Optimierung des Minutenvolumens, während die Unterstützung jeder Inspirationsbemühung das einzelne Atemzugvolumen augmentiert. Die Vielzahl der Verfahren erklärt sich aus den verschiedenen technischen Möglichkeiten, die maschinelle Ventilation und die Spontanatmung zu verbinden.
Partielle Unterstützung der Ventilation
Assistierte maschinelle Ventilation (AMV, »assist control«, A/C) Bei AMV wird ein Atemhub eingestellt, der mit einer gewählten Atemfrequenz und einem einzustellenden I : E-Verhältnis appliziert wird. Der Patient kann allerdings über einen Triggermechanismus den nächsten, voreingestellten Atemhub auslösen, wodurch eine effiziente Entlastung der Atemmuskulatur erreicht wird (. Abb. 41.3). Problematisch ist allerdings, dass die Länge der maschinellen Inspiration unabhängig von der Anzahl der Triggerimpulse ist. Bei steigender Atemfrequenz wird also immer häufiger ein Atemhub mit einer definierten Inspiration ausgelöst, sodass die Exspiration notwendigerweise kürzer wird, was zur Entwicklung eines PEEPi beitragen kann. Diese Form der unterstützten Beatmung ist die einfachste und konventionellste Technik und wird heute weltweit nach wie vor am häufigsten verwendet [4].
524
41
Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Paw
Paw
A
C B
41 41
PEEP Trigger: Inspiration des Patienten
41 41
Inspiration
Exspiration
Inspiration
Exspiration
t
Flow
Inspiration
Exspiration
Inspiration
Exspiration
Inspiration
t
Exspiration
Flow Inspirationsflow
41 41
t
t
41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41
Trigger: Inspiration des Patienten
. Abb. 41.3 Atemwegsdruck (paw) und Gasfluss (Flow) während assistierter, volumenkontrollierter Beatmung mit positiv endexspiratorischem Druck (PEEP)
Synchronisierte intermittierende Ventilation (SIMV) Bei SIMV kann der Patient zwischen den eingestellten maschinellen Atemzügen ein- und ausatmen. Der Beginn eines maschinellen Atemhubes wird über einen Triggerimpuls an die Spontanatmung synchronisiert. Sollte der Patient nicht spontan atmen, wird der maschinelle Atemzug nach einem gewissen »Erwartungsfenster« appliziert. Da bei fehlender Spontanatmung eine maschinelle Mindestventilation sichergestellt ist, wurde SIMV vielfach als Standardmodus eingesetzt. Die maschinellen Atemhübe können sowohl volumen- als auch druckkontrolliert (pcSIMV) appliziert werden. Nachteilig ist aber, dass mit reinem SIMV keine effektive Entlastung der respiratorischen Muskulatur erreicht wird [5]. Der Tubus und das Atemschlauchsystem sind ein zusätzlicher Atemwegswiderstand, dessen Überwindung zusätzliche Atemarbeit darstellt. Deswegen werden die spontanen Atemzüge bei SIMV häufig mit einem inspiratorischen Hilfsdruck (»pressure support«, PS, 7 Kap. 42.3.1) unterstützt. Hierdurch kann die zusätzliche Atemarbeit kompensiert werden (. Abb. 41.4) [6]).
Trigger: Inspiration des Patienten . Abb. 41.4 Atemwegsdruck (paw) und Gasfluss (Flow) während volumenkontrollierter SIMV mit PEEP. Kommt es innerhalb eines Erwartungsfensters nicht zu einer Atembemühung, wird ein volumenkontrollierter Atemhub appliziert (A). Eine Spontanatmungsbemühung innerhalb des Erwartungsfensters führt ebenfalls zur Applikation eines volumenkontrollierten Atemhubes (C). Jede weitere Spontanatmungsbemühung außerhalb des Erwartungsfensters kann mit einer Druckunterstützung (»pressure support«, PS) unterstützt werden (B)
Paw oberes Druckniveau ≈ Pinsp unteres Druckniveau ≈ PEEP
Inspiration
Flow
Exspiration
Inspiration
t
Erhaltene Spontanatmung auf beiden Druckniveaus
BIPAP (»biphasic positive airway pressure«) BIPAP lässt sich als die Kombination einer drucklimitierten, zeitgesteuerten Beatmung mit erhaltener Spontanatmung beschreiben [7]. Es werden zwei Druckniveaus eingestellt, zwischen denen nach einer einstellbaren Zeitspanne gewechselt wird. Auf beiden Druckniveaus ist die Spontanatmung möglich. Der Anteil der maschinellen Ventilation ergibt sich aus den Volumenverschiebungen beim Wechsel zwischen dem unteren und dem oberen Druckniveau. Atmet der Patient nicht spontan, gleicht BIPAP also der druckkontrollierten Beatmung. Atmet der Patient lediglich auf dem unteren Druckniveau, entspricht dies einem druckkontrollierten SIMV (. Abb. 41.5). Originäres BIPAP ist erreicht, wenn der Patient auf beiden Druckniveaus spontan atmet. Der maschinelle Anteil der Ventilation kann über eine Verringerung der Druckamplitude zwischen
Exspiration
t
. Abb. 41.5 Atemwegsdruck und Gasfluss während BIPAP. Ungehinderte nicht synchronisierte Spontanatmung ist während des hohen Druckniveaus genauso wie während des unteren Druckniveaus möglich
oberem und unterem Druck und über eine Verkürzung der Zeit für das obere Druckniveau erreicht werden.
Druckunterstützte Beatmung Im Gegensatz zur intermittierenden Beatmung wird bei der druckunterstützten Beatmung (»pressure support»; PS) jede Spontanatemaktivität mit einem inspiratorischen Hilfsdruck unterstützt. Nach
41
525 41.5 · Formen der Beatmung
Paw
Paw
PEEP InExspiration spiration
InExspiration spiration
InExspiration spiration
t
Flow
Inspiration
Exspiration
InExInspiration spiration spiration
Exspiration
t
Flow
t
t
. Abb. 41.6 Atemwegsdruck und Gasfluss während druckunterstützter Beatmung (PS; »pressure support«). Jede Atembemühung des Patienten wird mittels eines vorgewählten Atemwegsdrucks unterstützt, sodass jeder Atemhub augmentiert wird
Überwinden der Triggerschwelle liefert der Ventilator hierbei solange eine Gasströmung, bis der gewählte Atemwegsdruck erreicht ist. Sobald die inspiratorische Gasströmung einen bestimmten Wert unterschritten hat (meist 25% des Spitzenflusses) oder der Atemwegsdruck um einen bestimmten Wert überschritten wird (meist 1–3 cm H2O), wird die Inspiration beendet. Die Höhe des VT hängt von der Höhe der Druckamplitude und der Mechanik des respiratorischen Systems ab. Je nach Höhe der Druckunterstützung ist eine graduelle Reduktion der Atemarbeit zu erreichen (. Abb. 41.6; [8]). Die alleinige Anwendung von PS setzt einen ausreichenden Atemantrieb des Patienten voraus. PS ermöglicht eine gute Adaptation zwischen Patient und Ventilator, da der Patient die nahezu vollständige Kontrolle über die Atemfrequenz, das Atemzeitverhältnis und die Höhe der Gasströmung behält. Es ist allerdings zu bedenken, dass auch bei diesem Modus eine Desynchronisation auftreten kann, insbesondere dann, wenn der Patient wenig Muskelkraft und eine hohe exspiratorische Resistance hat und beim Beatmungsgerät eine hohe Druckunterstützung eingestellt ist [9].
. Abb. 41.7 Atemwegsdruck und Gasfluss während proportionaler Druckunterstützung (»proportional assist ventilation«, PAV; bzw. »proportional pressure support«, PPS). Jede Atembemühung des Patienten wird mit einem Atemwegsdruck unterstützt, der sich aus den eingestellten Proportionalitätsfaktoren ergibt. Der applizierte paw entwickelt sich als Funktion des Pleuradrucks, des Flusses und des Volumens. Steigt der Muskeldruck, ergibt sich hieraus eine Erhöhung des applizierten paw im Sinne eines positiven Feedback-Mechanismus. Die muskuläre Mehrarbeit führt zu einer entsprechenden Erhöhung der Ventilation
übernommen. Bei Steigerung der Inspirationsbemühung wird eine proportional höhere Druckunterstützung verabreicht. Mit PAV soll eine optimale Adaptation zwischen Patient und Respirator ermöglicht werden [11]. Die optimale Einstellung dieses Beatmungsverfahrens setzt die Kenntnis von Elastance und Resistance voraus, deren genaue Bestimmung allerdings lange nur während kontrollierter Beatmung hinreichend genau durchgeführt werden konnte, weshalb PAV für die Praxis letztlich zu aufwendig war. Inzwischen können Elastance und Resistance zwar durch automatisierte Messmanöver auch während Spontanatmung hinreichend genau kalkuliert werden [12, 13], der klinische Stellenwert von PAV ist jedoch bis heute nicht hinreichend untersucht und kann deshalb nicht abschließend beurteilt werden.
Proportional assist ventilation (PAV) Eine neuere Entwicklung ist die Beatmung mit volumen- oder flussproportionaler Druckunterstützung (»proportional assist ventilation«; PAV bzw. »proportional pressure support«; PPS) [10]. Bei konventionellen Beatmungsverfahren kommt es zu einer Diskrepanz zwischen der Inspirationsbemühung und der tatsächlich erreichten Ventilation. Ein mit PS beatmeter Patient kann zwar mit einem höheren inspiratorischen Kraftaufwand ein größeres Atemzugvolumen generieren, erhält jedoch vom Respirator keine entsprechend höhere Unterstützung. Die notwendige Mehrarbeit muss vollständig vom Patienten selber aufgebracht werden. Mit PAV soll diese Diskrepanz vermieden werden, indem die Druckunterstützung proportional zur Inspirationsbemühung verabreicht wird (. Abb. 41.7). Mit PAV wird ein definierter Anteil der Atemarbeit gegen elastische Widerstände als volumenproportionale Druckunterstützung oder ein definierter Anteil der Atemarbeit gegen resistive Widerstände als flowproportionale Druckunterstützung vom Respirator
41.5.3
Trigger bei assistierter Beatmung
Wie schon angedeutet, ist die Triggerung bei assistierenden Beatmungsformen ein wichtiges Steuerungsprinzip. Hierbei wird der maschinelle Beatmungsvorgang durch die initiale Spontanatmungsaktivität des Patienten ausgelöst und so synchronisiert. Das erfordert einen entsprechenden Steuermechanismus im Respirator, der die Spontanatmungsbemühungen des Patienten erkennen und durch Auslösen eines maschinellen Beatmungszuges (»assistierte« Beatmung) beantworten oder, bei Spontanatmungsformen, einen ausreichenden Gasfluss zur Verfügung stellen muss (»demandflow«). Das zugrundeliegende Steuerprinzip beruht auf der Detektion eines relativen Unterdrucks als Folge der Einatmungsbemühungen des Patienten. In modernen Respiratoren erfolgt dies durch empfindliche elektronische Druck- oder Flowsensoren.
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41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41
Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Triggerempfindlichkeit Die Triggerempfindlichkeit (Triggerschwelle) wird entweder manuell als Differenzdruck (»Drucktrigger«) oder als Flowäquivalent (»Flowtrigger«) eingestellt oder fest vorgegeben. Bei Spontanatmung steigern hohe Triggerschwellen die Atemarbeit des Patienten durch ineffektive, nicht von einer effektiven Beatmung gefolgte Atemexkursionen. Dyspnoe, Stress, Angst, motorische Unruhe usw. sind die Folge. > Es ist daher nicht sinnvoll, hohe Atemfrequenzen oder unerwünschte Eigenatmung des Patienten durch das Erhöhen der Triggerschwelle am Respirator zu unterdrücken. Der Trigger soll so sensibel wie eben möglich eingestellt werden, ohne dass es zur Selbsttriggerung kommt.
Bei der Selbsttriggerung führen bereits geringste Schwankungen von Druck, Flow oder Volumen (z. B. durch Bewegungen des Patienten oder Kondenswasser in den Atemschläuchen) zur Auslösung einer unerwünschten maschinellen Inspiration, ohne dass ein echter Atemantrieb hier vorliegt. Die Sensitivität des gesamten Regelkreises aus Atemmechanik, Steuersensor und Ventil beeinflusst v. a. die Triggerlatenz. Sie beschreibt den Zeitraum vom Beginn der Inspirationsbemühung des Patienten bis zur tatsächlichen Öffnung des Inspirationsventils. Die Triggerlatenz sollte kurz sein, der maschinelle Ventilationsflow sollte möglichst verzögerungsfrei geliefert werden. Die Triggerlatenz ist gerätespezifisch unterschiedlich, abhängig von den pneumatischen Übertragungseigenschaften des Schlauchsystems, der Qualität des Inspirationsventils sowie der Sensitivität des Steuersensors. Sie kann von Patient oder Therapeut nicht unmittelbar beeinflusst werden. Ältere Respiratoren haben aufgrund technischer Unzulänglichkeiten oftmals hohe Ventiltriggerlatenzzeiten im Bereich von mehreren hundert Millisekunden, die insbesondere bei Spontanatmung zu unbefriedigender Volumenbereitstellung, Phasenverschiebung zwischen Patient und Respirator sowie Erhöhung der isometrischen Atemarbeit führen. Wesentliches klinisches Symptom überhöhter Latenzzeiten ist die Desynchronisation. Die Sensoren und Ventile moderner Intensivrespiratoren haben durchgehend recht geringe Triggerlatenzzeiten im Bereich weniger Millisekunden.
41
41.6
Nebenwirkungen und Risiken der maschinellen Beatmung
41
41.6.1
Hämodynamische Konsequenzen maschineller Ventilation
41 41 41 41 41 41 41
> Der positive Atemwegsdruck wird entsprechend der Dehnbarkeit des respiratorischen Systems auf die anderen intrathorakalen Organe übertragen, wobei die Drucktransmission mit der Höhe der Compliance zunimmt.
Bei Vorliegen eines schweren akuten Lungenschadens mit deutlicher Abnahme der Compliance ist mit weniger Beeinträchtigung der kardiozirkulatorischen Funktion durch erhöhten Beatmungsdruck zu rechnen als bei normaler Lungenmechanik, da es aufgrund der Steife der Lunge zu einer geringeren Druckübertragung kommt.
Wirkungen des positiven intrathorakalen Drucks am rechten Herzen Die Erhöhung des intrathorakalen Drucks führt je nach Höhe des Drucks, des Füllungszustandes der Gefäße und der kardialen Funktion zu: 4 Abnahme des venösen Rückstroms nach intrathorakal, 4 Kompression der Vorhöfe und Kammern mit Abnahme der Herzfüllung, 4 Erhöhung der rechtsventrikulären Nachlast.
Vermeidung und Therapie der eingeschränkten Herzleistung Da dem mittleren Atemwegsdruck eine entscheidende Bedeutung für die kardiozirkulatorischen Wirkungen der maschinellen Beatmung zukommt, sollte zu deren Vermeidung der Atemwegsdruck minimiert und der intravasale Füllungszustand optimiert werden [14].
Wirkungen des positiven intrathorakalen Drucks am linken Herzen > Eine Erhöhung des intrathorakalen Drucks senkt die Nachlast des linken Ventrikels.
Das ist der Grund für die benefiziellen Wirkungen der Beatmung beim kardiogenen Lungenödem (7 Kap. 31). Ebenfalls hierdurch erklärbar wird, warum bei der Entwöhnung von der Beatmung durch den abrupten Wegfall des positiven intrathorakalen Drucks beim Risikopatienten eine akute linksventrikuläre Dekompensation provoziert werden kann [15].
41.6.2
Nebenwirkung der Beatmung auf die Organfunktion
Hepatische Nebenwirkungen Aufgrund des verminderten Rückstroms venösen Blutes zum Herzen ist an der Leber häufig eine venöse Stauung nachzuweisen. Durch die Beeinträchtigung der intrahepatischen hydrostatischen Verhältnisse kommt es letztlich zu einer Beeinträchtigung der Leberzellfunktion. Hierdurch kann die maschinelle Beatmung zur recht häufigen Hyperbilirubinämie bei Intensivpatienten beitragen [16].
Renale Nebenwirkungen Während der maschinellen Beatmung ist regelhaft eine Einschränkung der Diurese und der Natriurese nachweisbar. Neben dem herabgesetzten Herzzeitvolumen und der Erhöhung des Drucks in der V. Cava inferior sind hierfür die Stimulation antidiuretischer und antinatriuretischer Hormonsysteme während der Überdruckbeatmung mitverantwortlich [17].
Nebenwirkungen am zentralen Nervensystem Abnahme des arteriellen Blutdrucks und Reduktion des venösen Abstroms können den zerebralen Perfusionsdruck senken. Hierdurch kann die Erhöhung des intrathorakalen Drucks bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck negative Folgen für die Hirnfunktion haben. Der mittlere Atemwegsdruck soll bei diesen Patienten so niedrig wie möglich gehalten werden. Auf der anderen Seite muss eine arterielle Hypoxämie oder aber eine ausgeprägte Hypoventilation verhindert werden, da hierdurch ebenfalls eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion zu befürchten ist [18]. Bei gleichzeitigem Vorliegen eines Lungenversagens und eines Schädel-Hirn-Traumas muss ein Hirndruckmonitoring vorgenom-
527 41.6 · Nebenwirkungen und Risiken der maschinellen Beatmung
men werden, um die ZNS-Effekte der Beatmungseinstellung individuell überprüfen zu können.
41.6.3
Beatmungsassoziierte Organschäden
Überdehnung der Lunge Die maschinelle Beatmung kann sowohl einen Lungenschaden auslösen als auch zur Progression eines bestehenden Lungenschadens beitragen. Als Ursache wurde der erhöhte Atemwegsdruck identifiziert (Barotrauma). Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass auch ein zu hohes Volumen der Lunge im Sinne eines Volutraumas schadet. Beide Effekte sind allerdings in der klinischen Praxis kaum voneinander zu trennen, da bei der Beatmung mit positivem Atemwegsdruck die Applikation hoher Volumina notwendigerweise mit der Applikation hoher Beatmungsdrücke einhergeht [19]. Ganz offensichtlich spielen diese Mechanismen auch für die klinische Behandlung beatmeter Patienten eine große Rolle, da die initiale Überblähung der Lunge durch hohe Atemzugvolumina als Risikofaktor für die Sterblichkeit bei der Behandlung eines akuten Lungenschadens identifiziert werden konnte [20]. ! Cave Kommt es zu einer Überdehnung der Lunge, können Verletzungen der alveolokapillären Mikrostrukturen bis hin zum Einreißen ganzer alveolarer Bezirke resultieren. Klinisches Korrelat eines ausgeprägten Barotraumas sind »Bullae« oder Pneumothoraces.
Lungenschaden durch Scherkräfte Auch die Beatmung bei einem zu geringen Lungenvolumen kann die Lunge schädigen. Rezidivierendes exspiratorisches Kollabieren von Lungenarealen mit Wiedereröffnung in der nächsten Inspiration kann in enormen Scherkräften resultieren, die zum Zerreißen des alveolokapillären Gerüsts der Lunge führen können. Die dosierte Applikation eines exspiratorischen Drucks während der Beatmung kann lungenprotektiv wirksam sein, wenn hierdurch die exspiratorische Atelektasenbildung minimiert werden kann [21]. Cave. Exspiratorische Atelektasenbildung mit Wiedereröffnung in der folgenden Inspiration führt zu Scherkräften, die zu einem beatmungsassoziierten Lungenschaden (Ventilator-associated Lung Injury, VALI) beitragen (Atelektrauma). Die molekularen Mechanismen der Mechanotransduktion, also der Umwandlung dieser physikalischen Reize in potenziell schädliche biochemische Signale, sind nur unvollständig bekannt [22]. Möglicherweise ist die Art dieser Signalumsetzung und/oder die Weiterverarbeitung dieser Signale auch davon abhängig, ob bereits eine Lungenschädigung besteht. So finden sich negative Effekte der maschinellen Beatmung v. a. im Sinne eines »second hit« bei bereits vorbestehender Lungenschädigung. Mögliche Sensoren physikalischer Reize sind dehnungsabhängige Ionenkanäle sowie verschiedene Plasmamembranrezeptoren (z. B. Integrinrezeptoren und Wachstumsfaktorrezeptoren) und zelluläre Adhäsionsmoleküle, die zu einer Aktivierung von Alveolarepithelzellen, Alveolarmakrophagen, Gefäßendothelzellen und Fibroblasten führen können. Hier kommt es durch Aktivierung von Proteinkinasen letztlich zu einer Freisetzung von Inflammationsmediatoren wie Zytokinen und Stickstoffmonoxid (NO) sowie zu einer Zerstörung der alveolokapillären Barriere. Diese Aufhebung der Kompartimentalisierung macht die Ausschüttung der Inflammationsmediatoren in die systemische Zirkulation möglich und bildet damit eine wichtige Vorraussetzung für die Schädigung anderer Organe.
Somit stellt die maschinelle Beatmung einen Risikofaktor für eine Schädigung sowohl der Lunge als auch anderer Organe dar.
41.6.4
Infektiöse Komplikationen der Beatmung
Beatmungsassoziierte PneumonieDie nosokomiale Pneumonie ist mit einer Inzidenz zwischen 8% und 28% aller länger als 24 h beatmeten Patienten eine häufige Komplikation der maschinellen Beatmung (7 Kap. 62–64). Sie verlängert die Verweildauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus und ist mit einer hohen Letalität von 20–76% je nach Patientenpopulation verbunden. Die Inzidenz der nosokomialen Pneumonie steigt mit der Dauer der endotrachealen Intubation und Beatmung. Bei nichtinvasiver Beatmung ist sie weniger häufig als beim intubierten Patienten, sodass der Ausdruck tubusassoziierte Pneumonie treffender ist als beatmungsassoziierte Pneumonie. Der Tubus wird zur Leitschiene für Bakterien, die sich aus dem Oropharynxbereich nach intratracheal ausbreiten und hier über die Tracheobronchitis letztlich eine Pneumonie verursachen können [23]. Zur Verhinderung der beatmungsassoziierten Pneumonie eignen sich entsprechend dieser Pathophysiologie [24]: 4 möglichst steriles Umgehen mit allen Teilen des Beatmungssystems, 4 Oberkörperhochlagerung, 4 Verkürzung der Beatmungsdauer, 4 Anwendung nichtinvasiver Beatmung wann immer möglich. Auch wenn verschiedene Untersuchungen die frühe enterale Ernährung, selektive Darmdekontamination (SDD), geschlossene Absaugsysteme, Verzicht auf Anhebung des pH-Werts des Magensafts zur Stressulkusprophylaxe u. a. vorgeschlagen haben, ist für eine klare Empfehlung dieser Interventionen keine eindeutige Evidenz gegeben [25].
Sinusitis Die Sinusitis ist zwar eine typische Komplikation beatmeter Patienten, wird aber oft nicht diagnostiziert. Die klinischen Zeichen der Sinusitis werden häufig im Rahmen der zugrundeliegenden, zur Beatmung führenden Erkrankung nicht entsprechend gewertet. > Bei Fortbestehen von Infektionszeichen ohne eindeutigen Grund sollte die Sinusitis beim beatmeten Patienten mittels bildgebender Diagnostik ausgeschlossen werden.
Gerade bei nasotracheal intubierten Patienten tritt die Sinusitis besonders gehäuft auf, sodass diese Intubationstechnik nur im Ausnahmefall für längere Zeit angewendet werden sollte.
Eine Reduktion der beschriebenen infektiösen beatmungsassoziierten Nebenwirkungen durch eine frühzeitige Tracheotomie ist zwar belegt [26, 27], allerdings zeigen auch neuere, randomisierte, kontrollierte Studien keine signifikante Reduktion von Beatmungsdauer oder Mortalität [28]. Der Stellenwert der frühzeitigen Tracheotomie kann deshalb nicht abschließend beurteilt werden. Vorliegende Studienergebnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass ausreichende Erfahrung mit dem Umgang einliegender Trachealkanülen unbedingt erforderlich ist, um schwerwiegende Komplikationen sicher vermeiden zu können [29].
6
41
528
41 41
Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Nachhaltig muss in diesem Zusammenhang der Stellenwert der nichtinvasiven Beatmung zur Verhinderung nosokomialer Infektionen betont werden.
41 41.6.5
41 41 41 41 41 41 41
Beatmung als proinflammatorischer Stimulus
Beatmung mit hohen Atemzugvolumina und ohne PEEP kann zu einer pulmonalen Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren führen [30]. Allerdings scheint dieser Mechanismus wesentlich von der Art des vorbestehenden Lungenschadens abzuhängen, da in verschiedenen Modellen unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Ergebnisse gefunden wurden. Bei Patienten mit einem akuten Lungenversagen kommt es bei protektiver Beatmung zu einer Abnahme inflammatorischer Mediatoren [31]. Allerdings ist nicht belegt, ob dies durch Reduktion pulmonaler Freisetzung bedingt ist, oder aber als Ausdruck der klinischen Verbesserung der Patienten interpretiert werden kann [32]. Vor kurzem konnte allerdings auch erstmals bei lungengesunden Patienten eine Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren in Abhängigkeit von der Beatmungseinstellung beobachtet werden [33].
41
41.7
Einstellung der Beatmung und Wahl des Verfahrens
41
41.7.1
Akutes Lungenversagen
41 41
Beim akuten Lungenversagen dient die Beatmungstherapie im Wesentlichen der Wiederherstellung der Gasaustauschfläche, da die Abnahme des ventilierten Lungenvolumens der wesentliche Mechanismus der Oxygenierungsstörung beim Lungenversagen ist [34].
41
Einstellung des Atemzugvolumens
41 41 41 41 41 41 41 41 41 41
Basierend auf den Erkenntnissen über den beatmungsassoziierten Lungenschaden wurden in den letzten Jahren große klinische Untersuchungen über die optimale Höhe des Atemzugvolumens beim akuten Lungenversagen durchgeführt. Die größte dieser Studien wurde vom amerikanischen ARDS-Network mit der Unterstützung der amerikanischen Gesundheitsbehörde (NIH) durchgeführt [35]. Bei 861 Patienten mit akutem Lungenversagen wurde die Anwendung eines damals konventionellen Atemzugvolumens in Höhe von 12 ml/kg KG mit einem reduzierten Atemzugvolumen von 6 ml/ kg KG untersucht. Die Untersuchung wurde vorzeitig abgebrochen, da ein signifikanter Abfall der Letalität von 40% auf 30% bei Anwendung geringer Atemzugvolumen erzielt wurde. Interessant ist, dass in der Gruppe mit hohem Tidalvolumen in den ersten beiden Tagen nach Studieneinschluss ein besserer Gasaustausch zu verzeichnen war. Dieses Ergebnis bestätigt die klinische Erfahrung, dass mit hohen Tidalvolumina kurzfristig sehr wohl eine Rekrutierung von atelektatischen Lungenarealen erzielt werden kann. Dies hat jedoch keine positiven Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf, da die negativen Effekte der hierdurch induzierten Lungenschädigung derart überwiegen, so dass eine dramatisch höhere Sterblichkeit von ARDS Patienten resultiert.
Das Atemzugvolumen beim akuten Lungenversagen soll ca. 6 ml/kg des idealen Körpergewichts betragen. Von enormer Bedeutung hierbei ist, dass sich das ideale Körpergewicht aus der Körpergröße ableitet, wozu in der ARDSnet-Studie folgende Formeln Verwendung fanden: 4 50+0,91×(Körpergröße–152,4) bei Männern, 4 45,5,+0,91×(Körpergröße–152,4) bei Frauen.
Die Anwendung höherer Tidalvolumina führt beim ARDS zu einer vermehrten ventilatorassoziierten Lungenschädigung, da die funktionell noch für eine Ventilation zur Verfügung stehende sog. Babylunge (7 Kap. 38.4.1) überdehnt wird. Je nach Schweregrad des ARDS und dem Ausmaß der Atelektasenbildung ist dieser Lungenanteil allerdings so klein, dass auch bei einem Tidalvolumen von 6 ml/kg KG eine endinspiratorische Überdehnung zustande kommt [36]. Deshalb muss das Tidalvolumen beim ARDS u. U. <6 ml/kg eingestellt werden. Die genaue Quantifizierung der Atelektasenbildung und der noch ventilierbaren Restlunge erfordert jedoch bislang aufwendige funktionelle computertomografische Untersuchungen, weshalb es bis heute schwierig ist, diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einem solchen ultraprotektiven Tidalvolumen besonders profitieren. Einen Anhalt hierfür bietet der inspiratorische Plateaudruck, der <30 cm H2O liegen sollte. Auch die Einhaltung dieses Grenzwertes verhindert jedoch nicht zuverlässig eine ventilatorassoziierte Lungenschädigung [36].
Positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) Da die Anwendung hoher Atemzugvolumina zur Vermeidung der Atelektasenbildung beim Lungenversagen ungeeignet ist, stellt sich die Frage nach dem Stellenwert des PEEP. Schon Anfang der 1970-er Jahre wurde gezeigt, dass mit PEEP das endexspiratorische Lungenvolumen erhöht und dementsprechend die Oxygenierung verbessert werden kann [37]. PEEP gehört seitdem zu den wesentlichen Bestandteilen der Beatmungstherapie beim Lungenversagen, wobei die optimale Höhe des PEEP unbekannt ist. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, welcher Algorithmus der PEEP-Einstellung die besten klinischen Erfolge bringt. Ganz wesentlich hierbei ist die Berücksichtigung der individuellen Reaktion eines Patienten auf den PEEP: Kommt es durch PEEP zu einer Rekrutierung bisher verschlossener Lungenareale, könnte dies hilfreich sein. Ist allerdings das Potenzial einer möglichen Rekrutierung bereits erschöpft, wird PEEP eher zu einer weiteren Überdehnung führen. Dies könnte sehr gut erklären, warum in großen, randomisierten kontrollierten Studien kein positiver Effekt höherer PEEP-Werte gefunden werden konnte. Hier wurde eben nicht die individuelle Reaktion auf PEEP zugrunde gelegt, sondern eine fixe PEEP-Einstellungen gewählt [38–40]. Das Rekrutierungspotenzial ist nicht nur vom Ausmaß, sondern wesentlich von der Art der bestehenden Atelektasen abhängig: So ist die Effektivität von PEEP bei Vorliegen neu aufgetretener, kollaptischer Atelektasen in der Regel hoch, wohingegen bei länger bestehenden, konsolidierten Atelektasen selbst hohe PEEP-Level nicht zu einer Verbesserung des Gasaustausches, sondern eher zu einer weiteren Lungenschädigung beitragen. Unklar bleibt, ob Patienten mit hohem Anteil an rekrutierbarem Lungengewebe damit gleichzeitig eine bessere Prognose haben. So war in einer klinischen Studie die Letalität bei diesen Patienten sogar höher als bei denen mit nur geringer Rekrutierung durch PEEP [41]. Eine mögliche Erklärung ist, dass v. a. das schwere, prognostisch ungünstigere ARDS durch einen massiven Inflammationprozess mit ausgeprägter At-
41
529 41.7 · Einstellung der Beatmung und Wahl des Verfahrens
. Tab. 41.1 Beatmungseinstellung für Patienten mit akutem Lungenversagen (ALI/ARDS) entsprechend der ARDSnet Studie [35] Parameter
Einstellung
Beatmungsmodus
Assistiert oder kontrolliert
Atemzugvolumen
6 ml/kg errechnetes Körpergewicht (7 oben)
Plateaudruck
<30 cm H2O
Atemfrequenz und pH (Ziel)
6–35/min, pH-Wert >7,3, wenn möglich
I : E-Verhältnis
1 : 1–1 : 3
Oxygenierungsziel
– paO2: 55–80 mm Hg – SpO2: 88–95%
Entwöhnung von der Beatmung
Spontanatmungsversuch mittels PS wenn FIO2 <0,4; PEEP <8 cm H2O
F IO 2
0,3
0,4
0,4
0,5
0,5
0,6
0,7
0,7
0,7
0,8
0,9
0,9
0,9
1,0
PEEP
5
5
8
8
10
10
10
12
14
14
14
16
18
18–24
elektasenbildung und damit ein generell höheres Rekrutierungspotenzial gekennzeichnet ist. Eine Möglichkeit, den Effekt des PEEP auch außerhalb des CT zu bestimmen, besteht darin, nicht nur die Wirkungen auf die Oxygenierung, sondern auch auf den paCO2 oder die Lungenmechanik zu analysieren. In der erwähnten CT-Untersuchung war ein Abfall des paCO2 ebenso wie eine Verbesserung der Lungenmechanik recht gut geeignet, das Rekrutierungspozential dieser Lunge zu bestimmen [41]. In der Zukunft werden klinische Untersuchungen nach solchen Untersuchungsergebissen stratifiziert werden müssen, um den Effekt des PEEP herauszuarbeiten. Typischerweise finden PEEP-Werte zwischen 10 und 20 cm H2O bei der Behandlung des akuten Lungenversagens Verwendung. Die ARDSnet-Studie benutzte einen einfachen Einstellalgorithmus, der neben den Einstellungen des Atemzugvolumens auch eine Tabelle zur PEEP-Einstellung in Abhängigkeit von der notwendigen FIO2 und den angestrebten Oxygenierungszielen der Beatmungstherapie umfasst [35]. Dieser Algorithmus wird auf dem Boden des nachgewiesenen Outcome-Effekts für die klinische Anwendung empfohlen (. Tab. 41.1).
Atemfrequenz und I : E-Verhältnis Bei Reduktion des Atemzugvolumens ist häufig keine Normoventilation zu erreichen. Experimentelle Untersuchungen zeigten, dass eine Erhöhung der Atemfrequenz zu einer relativen Zunahme der Totraumventilation führt, sodass Atemfrequenzen von mehr als 20/ min zunächst nur selten eingestellt wurden. Die resultierende Erhöhung des paCO2 wurde toleriert und als Konzept der »permissiven Hyperkapnie« bezeichnet. Interessanterweise wurden in der schon zitierten ARDS Network-Studie deutlich höhere Atemfrequenzen eingestellt, wodurch das Ausmaß der permissiven Hyperkapnie reduziert werden konnte. Hyperkapnie kann zu einer Zunahme des pulmonalen Drucks führen, so dass sich hieraus bei schon vorbestehender Erhöhung des rechtsventrikulären Widerstands ein Rechtsherzversagen entwickeln kann. In solchen Fällen kann die Hyperkapnie nur bei gleichzeitiger Senkung des Pulmonalisdrucks realisiert werden. Eine hyperkapnische Azidose kann selbst organprotektiv wirken [42]. Andererseits sind negative Effekte wie eine Steigerung des Hirndrucks oder die Abnahme des renalen Blutflusses bekannt [17]. Bis heute kann deshalb keine Empfehlung für den therapeutischen Einsatz einer hyperkapnischen Azidose außerhalb der Strategie der permissiven Hyperkapnie gegeben werden.
> Bei lungenprotektiver Beatmung kann die Atemfrequenz im Bedarfsfall bis zu ca. 30–35/min gesteigert werden. Die permissive Hyperkapnie sollte sich langsam entwickeln und nicht in einem pH-Wert <7,20 resultieren.
Wahl des Beatmungsverfahrens Es existieren bis heute keine Daten, welches spezifische Beatmungsverfahren beim Lungenversagen überlegen ist. Insbesondere die Diskussion um volumenkontrollierte vs. druckkontrollierte Beatmung wurde durch die Untersuchungen zum optimalen Atemzugvolumen entschärft, da offensichtlich die Einhaltung einer Zielvorgabe wichtiger ist als der Modus per se. Möglicherweise bieten noch experimentelle Beatmungsverfahren wie die Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV) mit extrem niedrigen Tidalvolumina und relativ hohen Atemwegsmitteldrücken Vorteile im Hinblick auf eine Reduktion des ventilatorassoziierten Lungenschadens bei gleichzeitiger Optimierung des Gasaustausches [43]. Eine entsprechende Empfehlung kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben werden, da eindeutige Ergebnisse größerer klinischer Studien nicht vorliegen. Interessant sind Berichte, dass die Beibehaltung einer spontanen Atemaktivität mittels BIPAP beim akuten Lungenversagen zur Verbesserung des Gasaustauschs verglichen zur kontrollierten Beatmung führt [44, 45]. Offensichtlich kann die Atelektasenbildung in den dorsal und zwerchfellnah liegenden Lungenarealen durch Aktivität des Zwerchfells reduziert werden (. Abb. 41.8). Hierfür ist wohl der regional erhöhte transpulmonale Druckgradient verantwortlich, der sich ergibt, wenn das Zwerchfell einen negativen Druck zusätzlich zum durch die Beatmung applizierten Beatmungsdruck aufbaut. Aufgrund der umgekehrten Vorzeichen der Spontanatmung kommt es hierbei kaum zu einer Beeinträchtigung der Hämodynamik, sodass der Sauerstofftransport hierdurch eindeutig verbessert werden kann [46, 47]. Eine kleine klinische Untersuchung zeigt, dass BIPAP mit früher Spontanatmung bei Patienten mit akutem Lungenschaden zu einer Verkürzung der Beatmungstherapie beiträgt [48]. Inwieweit das klinische Outcome hiervon beeinflusst wird, ist heute noch unklar [49].
530
Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Paw
Spontanatmung
41
Okklusionsmanöver
Aktive Inspiration
41 41 41
PEEPi PEEP
41
Kontrollierte Beatmung
41
Überdehnung
t Flow
Passive Inspiration
41 41
t
Atelektasenbildung
41 41 41
. Abb. 41.8 Stellung und Exkursion des Zwerchfells während Spontanatmung und kontrollierter Beatmung. Während bei unbehinderter Spontanatmung die größten Zwerchfellexkursionen hinten unten zu verzeichnen sind, wird dieser Bezirk unter Narkose zur Prädilektionsstelle der Atelektasenbildung. Die passive Zwerchfellauslenkung in ventralen Lungenarealen hingegen kann bei beim akuten Lungenversagen zu einer zusätzlichen Schädigung der Lunge durch Überdehnung führen
endexpiratorischer Fluss . Abb. 41.9 Diagnose eines intrinsischen PEEP (PEEPi) durch Analyse der Flowkurve. Messung des PEEPi bei kontrollierter Beatmung durch exspiratorisches Okklusionsmanöver
41 41
41.7.2
Obstruktive Ventilationsstörung
dieser nicht höher ist als der intrinsische PEEP (PEEPi), da anderenfalls eine Zunahme der Überblähung resultieren würde [51, 52].
Bei der obstruktiven Ventilationsstörung besteht das wesentliche Ziel der Beatmung in der Übernahme der Atemarbeit, ohne hierbei die die Lunge weiter zu überblähen.
> Der PEEP bei der Beatmung des Patienten mit obstruktiven Ventilationsstörungen sollte bei ca. 75% des PEEPi eingestellt werden.
41
Einstellung des Atemzugvolumens, der Atemfrequenz und des I : E-Verhältnisses
41
Bei den klassischen obstruktiven Ventilationsstörungen sind die Füllungsvolumina der Lunge hoch. Die Vermeidung bzw. Limitierung der dynamischen Hyperinflation bei der Beatmung von Patienten mit obstruktiver Ventilationsstörung ist wesentlich [50]. Dazu werden wie beim ARDS niedrige Atemzugvolumina von 6 ml/kg KG empfohlen. Die Abnahme der CO2-Exhalation darf nur bedingt zu einer Erhöhung der Atemfrequenz führen, da mit zunehmender Atemfrequenz die Dauer der Exspiration abnimmt und ihrerseits zur unvollständigen Exspiration führt. Zur Ermöglichung einer ausreichend langen Exspiration werden I : E Zeiten von 1 : 2–1 : 4 gewählt. Zur Erkennung einer ausreichend langen Exspiration dient die Flusskurve, die einen möglichst vollständigen exspiratorischen Gasfluss zeigen sollte. Modifikationen der Beatmungseinstellung sollten anhand des exspiratorischen Gasflusses überprüft werden (. Abb. 41.9).
Entsprechend konnte gezeigt werden, dass die Anwendung eines dosierten PEEP beim spontan oder assistiert atmenden COPD-Patienten die Atemarbeit senkt [53]. Ein zweiter Grund für die PEEP Anwendung bei COPD liegt darin, dass ca. 50% aller Exazerbationen einer COPD durch pulmonale Infektionen bedingt sind (»acute on chronic lung failure«). Hier kann PEEP zur Wiedergewinnung etwaiger atelektatischer Lungenareale beitragen.
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PEEP
41 41 41
Patienten mit COPD lernen, durch die Technik der Lippenbremse einen extrapulmonalen, exspiratorischen Druck aufzubauen, um der dynamischen Erhöhung des Atemwegswiderstands während der Exspiration entgegenzuwirken. Hierdurch wird der Widerstand in den Bronchiolen gesenkt und die Exspiration vereinfacht. Ebenso kann ein externer PEEP bei der Beatmung sinnvoll sein, solange
! Cave Die Höhe des PEEP bei COPD kann nur durch langsame Titration unter Überwachung der exspiratorischen Flusskurve, des Gasaustauschs und der Kreislaufsituation ermittelt werden [54]; dabei ist mit eher geringeren PEEP-Werten von 3–6 mbar anzufangen.
Wahl des Beatmungsverfahrens Bei der COPD führt der Anstieg der Atemarbeit auf dem Boden der eingeschränkten Lungenmechanik zur Beatmung dieser Patienten. Entsprechend sind v. a. solche Beatmungsverfahren geeignet, die eine optimale Übernahme der Atemarbeit ermöglichen. Je nach Schweregrad der respiratorischen Erschöpfung und dem Allgemeinzustand des Patienten ist zunächst ein Therapieversuch mit nichtinvasiver Beatmung gerechtfertigt (7 Abschn. 41.6.3). Bei Versagen der nichtinvasiven Beatmung ist allerdings eine zügige Intubation und häufig auch eine kontrollierte Beatmung indiziert, da nur so eine komplette Übernahme der Atemarbeit ermöglicht
531 41.7 · Einstellung der Beatmung und Wahl des Verfahrens
und dem Patienten eine notwendige Ruhepause verschafft werden kann [55]. > Die Therapie der Muskelermüdung besteht in der Entlastung der Muskulatur. Die Atemmuskulatur ist nur durch die Übernahme der Atemarbeit durch maschinelle Beatmung zu entlasten.
Druckunterstützte Beatmung (PS) ist zur assistierten Beatmung dieser Patienten geeignet, da jeder Atemhub unterstützt und eine gute Entlastung der Muskulatur erreicht wird, die mit der Höhe der Druckunterstützung dosiert werden kann. Mit PS kann dem Patienten die Atemarbeit weitgehend abgenommen werden. PS kann darüber hinaus durch graduelle Reduktion zur Entwöhnung benutzt werden.
41.7.3
Nichtinvasive Beatmung (NIV)
Bei der NIV wird die maschinelle Beatmung über eine dicht sitzende Nasen- oder Gesichtsmaske appliziert, ohne hierfür einen invasiven künstlichen Atemweg zu verwenden. Auch der Einsatz eines Beatmungshelms ist hierfür möglich. Es werden vergleichbar zur konventionellen Beatmungstechnik verschiedene Beatmungsverfahren verwendet. Zum Einsatz kommen sowohl Intensivbeatmungsgeräte, die eine optimale Überwachung bieten, allerdings häufig nicht zu unterdrückende Leckage-Alarme liefern, und preiswertere Highflow-CPAP-Geräte, die keine Druckunterstützung liefern, jedoch einfach und problemlos zu handhaben sind. Bei Beachtung der Voraussetzungen und Kontraindikationen des Verfahrens kann hiermit ebenso suffizient wie mittels konventioneller Beatmungstechnik die Atemarbeit übernommen werden [56]. Übernahme der Atemarbeit bedeutet also nicht notwendigerweise Intubation.
Voraussetzungen der NIV 4 4 4 4 4 4
Wacher, adäquat reagierender Patient Maske ist ohne größere Leckage anzupassen Patient toleriert die Maske Kein wesentliches Aspirationsrisiko Keine Verletzungen im Gesichtsbereich Logistische Voraussetzungen zur Durchführung und Überwachung der NIV gegeben
Indikationen der NIV Der Vorteil der NIV ist die Vermeidung der Risiken bzw. Nachteile der invasiven Beatmung. Hierzu gehören laryngeale und tracheale Verletzungen, ein notwendigerweise höherer Sedierungsgrad sowie ein schlechterer Patientenkomfort. Von entscheidender Bedeutung für die Bewertung der NIV im Rahmen der Intensivtherapie ist jedoch die mögliche Reduktion der Inzidenz beatmungsassoziierter Pneumonien (7 Abschn. 41.5.4) durch den Verzicht auf den Endotrachealtubus als Leitschiene für Bakterien, da hierdurch möglicherweise auch die Letalität reduziert werden kann. Die Vorteile der NIV können prinzipiell zu verschiedenen Zeitpunkten des Aufenthaltes eines Patienten auf der Intensivstation genutzt werden: So kann die NIV der primären Vermeidung einer Intubation dienen oder nach Intubation zur schnelleren Entwöhnung von der Beatmung eingesetzt werden. Nach Extubation kann NIV zur Prophylaxe einer Reintubation durchgeführt oder bei erfolglosem Extubationsversuch (»extubation failure«) zur Vermeidung einer Reintubation genutzt werden.
Ziele der NIV 4 Vermeidung der Intubation 4 Entwöhnung von der Beatmung 4 Vermeidung der Reintubation – zur Prophylaxe bei Risikofaktoren – bei »extubation failure«
> Die NIV wird eingesetzt, um die Ziele der maschinellen Beatmung, nämlich die Übernahme der Atemarbeit und/oder die Optimierung des Gasaustausches, bei Vermeidung der tubusassoziierten Risiken nutzen zu können.
Bis heute vorliegende Studien machen deutlich, dass NIV prinzipiell bei allen der oben genannten Indikationen zu einer Verbesserung des Outcomes von Intensivpatienten beitragen kann. Von größerer Bedeutung für den Erfolg der NIV sind hingegen Art und Ursache der respiratorischen Insuffizienz und damit das Ziel der Beatmung.
NIV zur Vermeidung der Intubation Klinische Studien zeigen eindeutig, dass der Einsatz von NIV zur Vermeidung einer Intubation sinnvoll ist. Insbesondere bei exazerbierter COPD mit hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz [57, 58] und hyperkapnischem kardiogenem Lungenödem [59–61] kann NIV im Vergleich zu Sauerstoffinsufflation meist zu einer Verbesserung des Gasaustausches, einer Reduktion der Intubations- und Komplikationsrate sowie der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus beitragen. In einigen Untersuchungen konnte hierdurch auch die Letalität reduziert werden [52, 62]. Die für eine erfolgreiche Beatmungstherapie bei COPD wichtige Übernahme der Atemarbeit gelingt also offensichtlich gut, während die positiven Effekte bei kardiogenem Lungenödem sowohl Folge der pulmonalen Effekte als auch einer kardialen Entlastung durch den positiven Atemwegsdruck (7 Abschn. 41.5.1) sind. Auch bei hypoxischer respiratorischer Insuffizienz wie bei schwerer Pneumonie kann der Gasaustausch durch NIV und den damit verbundenen positiven Atemwegsdruck verbessert werden. Diese Effekte sind allerdings im Wesentlichen von der Dauer der Therapie abhängig, und sie sind kurze Zeit nach Unterbrechung der Beatmung oft kaum noch nachweisbar [51]. Der Einsatz von NIV kann zwar auch hier zu einer Reduktion der Intubations- und Komplikationsrate sowie der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus beitragen, ein deutlicher Einfluss auf die Letalität konnte jedoch bislang nicht gezeigt werden [63].
NIV zur Entwöhnung von der Beatmung Patienten mit schwieriger und prolongierter Entwöhnung von der Beatmung können u. U. früher erfolgreich extubiert werden, wenn nach Extubation sofort mit NIV begonnen wird [64, 65]. So können möglicherweise auch die Patienten extubiert werden, bei denen ein Spontanatmungsversuch (7 Abschn. 41.7) nicht erfolgreich war. In den besonders erfolgreichen klinischen Studien, die für dieses Procedere neben anderen positiven Effekten auch eine höhere Überlebensrate nachweisen konnten, wurden allerdings auch zum großen Teil COPD-Patienten untersucht [66].
NIV zur Vermeidung der Reintubation Gelingt eine Extubation nach schwieriger Entwöhnung von der Beatmung, kann durch den prophylaktischen Einsatz der NIV die Rate an Reintubationen verringert werden [66]. Auch hier sind jedoch die positiven Effekte v. a. bei COPD Patienten nachweisbar. Dem-
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Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
gegenüber konnte eine klinische Studie aus dem Jahr 2004 keinerlei positive Effekte für den Einsatz von NIV bei vorwiegend hypoxischer respiratorischer Insuffizienz innerhalb von 48 h nach Extubation nachweisen [67]. Im Gegenteil war die Letalität in der Gruppe mit NIV sogar höher als in der Kontrollgruppe. Von Bedeutung für die Ergebnisse dieser Studie ist mit Sicherheit die unterschiedliche Zeitspanne bis zur Reintubation: Während die Patienten in der Kontrollgruppe bei persistierender respiratirscher Insuffizienz im Mittel innerhalb von 2 h reintubiert wurden, erfolgte die Reintubation bei den erfolglos behandelten Patienten in der NIV-Gruppe erst im Mittel nach 12 h. Dieser Unterschied macht deutlich, dass eine erfolglose NIV-Therapie nicht zu lange fortgeführt werden darf.
41 41
Die Ergebnisse klinischer Studien lassen den Schluss zu, dass ein Therapieversuch mit NIV immer gerechtfertigt ist, solange keine Kontraindikationen vorliegen. Allerdings sind die positiven Effekte v. a dann deutlich ausgeprägt, wenn NIV zur Übernahme der Atemarbeit eingesetzt wird, also die Ventilation im eigentlichen Sinne unterstützt werden soll. Ist das Ziel der NIV hingegen die Rekrutierung und Stabilisierung von Alveolarbezirken beim primär hypoxischen Lungenversagen, ist die Effektivität von NIV deutlich geringer. Hier scheinen Faktoren wie Undichtigkeiten an Maske oder Helm und die intermittierende Unterbrechung der Therapie einer dauerhaften Stabilisierung der Gasräume entgegenzustehen. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass positiver Atemwegsdruck bei konsolidierten Atelektasen kaum zu einer raschen Rekrutierung beiträgt (7 Abschn. 41.6.1). Es ist wichtig, diese Grenzen der NIV zu kennen und bei Versagen der NIV rechtzeitig eine Intubation durchzuführen. Im Allgemeinen wird hierfür ein Zeitraum von 1–2 h empfohlen. Kommt es in diesem Zeitraum nicht zu einer deutlichen Verbesserung des Gasaustausches und der Klinik, darf der Entschluss zur Intubation nicht verzögert werden (. Abb. 41.10).
Primäre Gasaustauschstörung
Extubation Failure
Kontraindikation für NIV ?
Risikopatient
ja
Weaning Failure
41 NIV für 1−2 h
Intubation
41
nein
Verbesserung des Gasaustauschs? ja
41 41 41
> Die NIV ist heute Beatmungstherapie der 1. Wahl bei respiratorisch insuffizienten COPD-Patienten. Sollte die NIV allerdings im individuellen Patienten nicht möglich oder nicht erfolgreich sein, darf die Entscheidung zur notwendigen Intubation nicht verzögert werden [68].
41.8
NIV weiter . Abb. 41.10 Algorithmus zum Einsatz der nichtinvasiven Beatmung (NIV)
Entwöhnung von der Beatmung
Da die maschinelle Beatmung mit nennenswerten Risiken und Nebenwirkungen behaftet ist, deren Häufigkeit mit der Beatmungsdauer zunimmt, sollte eine möglichst frühe Entwöhnung von der Beatmung angestrebt werden. Bei ca. 20% aller beatmeten Patienten gestaltet sich die Entwöhnung schwierig und kann hier bis zu 60% der gesamten Beatmungsdauer beanspruchen. Eine profunde Kenntnis der Pathophysiologie und der Klinik dieser Phase ist für die intensivmedizinische Praxis unverzichtbar [87].
Begriffsbestimmung
Die Entwöhnung bezeichnet den Übergang von maschineller Beatmung zur vollständigen Spontanatmung. Im weiteren Sinn beginnt dieser Prozess mit der graduellen Reduktion der maschinellen Ventilation und der entsprechenden Zunahme der Spontanatemaktivität. In engeren Sinn umfasst die Entwöhnung die Phase der Beendigung der Beatmungstherapie.
41.8.2 nein
41
Gute Synchronisation zwischen Ventilator und Patient Intakter Zahnstatus Niedriger Apache-Score (Krankheitsschweregrad) Niedrige Leckage Ausreichende Sekretmobilisation Adäquate Neurologie/Compliance des Patienten Erfahrung des behandelnden Teams Ausreichendes Equipment (z. B. Masken unterschiedlicher Größe) 4 Engmaschige Überwachung
41.8.1
41
41
4 4 4 4 4 4 4 4
Fazit für die Praxis
41 41
Prädiktoren für den Erfolg der NIV
Grundlagen der Entwöhnung
Die wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwöhnung ist ein Gleichgewicht zwischen der notwendigen und der möglichen Atemarbeit [88]. Überschreitet die notwendige Atemarbeit die Leistungskapazität der Atemmuskulatur, wird sich der Patient an seiner eigenen Atmung erschöpfen und eine zunehmende respiratorische Insuffizienz entwickeln [69].
533 41.8 · Entwöhnung von der Beatmung
Klinische und physiologische Zeichen und der Verlauf der inspiratorischen Muskelerschöpfung Klinische Zeichen 4 Tachypnoe, T V erniedrigt 4 »rapid shallow breathing» 4 Diskoordination der Atmung: – »paradoxe Atmung» – »respiratory alternans« CO2-Retention Entwicklung einer respiratorischen Azidose
Da die Atemarbeit der wesentliche, pathophysiologische Faktor während der Entwöhnung ist, wäre es wünschenswert, die Atemarbeit direkt messen zu können.
Die Atemarbeit (work of breathing, WOB) kann im physikalischen Sinne als das Produkt aus transpulmonalem Druck (ptp ) und Zugvolumen (V T ) für einen Atemzug gemessen werden: WOB = ptp*V T
muss für ein suffizientes Atemzugvolumen (VT) ein erhöhter Druck aufgebaut werden. Eine Verbesserung der Compliance führt zu einer Senkung der Atemarbeit. Es sollten alle therapierbaren Ursachen einer erniedrigten Compliance, wie etwa Pleuraergüsse, Pneumothoraces o. Ä., vor beginnender Entwöhnung behandelt werden. In diesem Zusammenhang muss auch besonderes Augenmerk auf die Flüssigkeitstherapie und -bilanz gerichtet werden, da die mit der Beatmung einhergehende Wasser- und Natriumretention häufig zu einem interstitiellen Ödem mit Abnahme der Compliance führt, sodass in der Phase der Entwöhnung die Gabe von Diuretika oftmals hilfreich ist. Zur Überwindung einer erhöhten Resistance muss eine höhere Atemarbeit geleistet werden. Entsprechend gestaltet sich die Entwöhnung bei COPD-Patienten besonders schwierig und langwierig. Metabolisches Gleichgewicht. Die O2-Aufnahme und die CO2-
Abgabe sind wesentliche Determinanten des respiratorischen Bedarfs und der Atemarbeit. Aus diesem Grund ist die Entwöhnung bei allen Zuständen mit relevanter Erhöhung der VO2 oder VCO2 (Fieber, septisches Syndrom) schwierig. In diesen Situationen sollte zunächst die Infektion beherrscht und die Temperatur soweit gesenkt werden, dass eine Erhöhung des metabolischen und respiratorischen Umsatzes vermieden wird. Ernährungsregime. Während der Entwöhnung soll eine normoka-
Der transpulmonale Druck während assistierter Beatmung ergibt sich aus der Summe des applizierten Atemwegsdrucks (paw) und dem vom Patienten aufgebrachten Pleuradruck (ppl). Der ppl kann mit einem Druckmesskatheter im Ösophagus abgeschätzt werden, sodass ein solcher Ösophaguskatheter zur direkten Messung der Atemarbeit notwendig ist. Da diese Technik allerdings mit vielen Fehlerquellen behaftet ist, hat sich diese Messung klinisch nicht etabliert. Da die direkte Messung der Atemarbeit in der klinischen Routine nicht zur Verfügung steht, ist es wichtig, die verschiedenen Determinanten der Atemarbeit aufzuzeigen, um das Konzept einer balancierten Atemlast während der Entwöhnung umzusetzen.
Erforderliche Atemarbeit Die Atemarbeit unterteilt sich in die patientenabhängige und die sog. zusätzliche, durch das Beatmungssystem bedingte Atemarbeit.
Determinanten der erforderlichen Atemarbeit 4 Patientenabhängige Faktoren – Compliance – Resistance – Auto-PEEP – VO2 – VCO2 – Grad der Analgosedierung – Schmerzen, Stress 4 »Added work of breathing« – Größe des Endotrachealtubus – Triggerschwelle – Demand-flow-Systeme – Höhe des Gasflusses – Grad der Synchronisation
Mechanik des respiratorischen Systems. Die von der Atemmuskulatur zu leistende Atemarbeit hängt maßgeblich von der Mechanik des respiratorischen Systems ab. Ist die Compliance erniedrigt,
lorische Ernährung angestrebt werden. Es liegen keine überzeugenden Befunde für ein spezifisches Ernährungsregime vor. Um das Verhältnis von Kohlendioxidproduktion und Sauerstoffverbrauch, den respiratorischen Quotienten (RQ), bei respiratorisch eingeschränkten Patienten günstig zu beeinflussen, wird meist eine kohlenhydratarme und lipidreiche Ernährung empfohlen. Da der RQ für Fett (0,7) geringer als der für Kohlenhydrate (1,0) ist, führt dies im Vergleich zu isoenergetischer kohlenhydratreicher und lipidarmer Ernährung zu einer Reduktion der CO2-Produktion [70]. Ob diese Strategie durch eine Entlastung der zu leistenden Atemarbeit auch das Outcome dieser Patienten verbessert, konnte allerdings bis heute nicht belegt werden. Das Gleichgewicht der Elektrolyte und Mineralien spielt eine wesentliche Rolle für die Leistungsfähigkeit der Atemmuskulatur. Ein Mangel an Phosphat, Kalzium oder Magnesium kann ebenso wie die Ausbildung einer Azidose zu einer klinisch relevanten Abnahme der muskulären Kraft führen [71]. > Die Korrektur etwaiger Elektrolytstörungen verbessert die muskuläre Kapazität, sodass bei der schwierigen Entwöhnung Elektrolytstörungen aktiv gesucht, diagnostiziert und korrigiert werden müssen. Sonstige Faktoren. Schmerzen oder physischer und psychischer
Stress können den Verlauf der Entwöhnung erschweren, Neben einer suffizienten medikamentösen Analgosedierung ist dementsprechend die psychologische Betreuung des Patienten während der Entwöhnung besonders wichtig. Hierzu kann die Bildung eines Teams der betreuenden Personen unter Einschluss der Familienangehörigen hilfreich sein. Mit normalen Umweltreizen aus dem gewohnten Umfeld (Musik, Bücher, Erzählungen etc.) kann der Patient stimuliert werden. Das Einhalten eines Schlaf-wach-Rhythmus ist wichtig, da bei Schlafmangel neben der generellen Beeinträchtigung des Wohlbefindens auch eine Fehlregulation der Atemsteuerung resultiert. Bei länger dauernden, schwierigen Verläufen der Entwöhnung bietet der Nachtschlaf eine Gelegenheit zur Erholung der Atemmuskulatur.
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Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Die Bedeutung der Erholungsphasen wird dadurch unterstrichen, dass nach der Entwicklung einer inspiratorischen Muskelermüdung die Gewährung längerer Erholungsphasen die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung der ursprünglichen Muskelkraft ist [55]. Endotrachealer Tubus. Der Endotrachealtubus (ETT) führt zu einer Querschnittsverengung der oberen Atemwege und zu einem Anstieg des Strömungswiderstands. Die Widerstandserhöhung ist vom Innendurchmesser des Tubus und der Gasströmung abhängig. Bei klinisch verwendeten Tubendurchmessern wird sich in aller Regel eine turbulente Gasströmung einstellen, sodass die Tubusresistance nicht linear, sondern quasi exponentiell von Gasfluss und Durchmesser abhängt [72]. Die Atemarbeit steigt mit Abnahme des Tubusdurchmessers und Zunahme der Gasströmung erheblich an [73]. Für den Verlauf der Entwöhnung ist dies relevant, wenn ein Patient diese zusätzliche Atemarbeit nicht leisten kann und deswegen zu erschöpfen droht.
Reservoir
PEEP
Heizung
O2 / Luft
Vernebler Vernebler Paw
> Bei der schwierigen Entwöhnung sollen möglichst großlumige Tuben oder Trachealkanülen gewählt werden, da hierdurch die zusätzliche Atemarbeit minimiert wird.
Häufig wird zur Erleichterung der Entwöhnung eine frühzeitige Tracheotomie in perkutaner Dilatationstechnik durchgeführt. Auch wenn dieses Verfahren heute weite klinische Verbreitung besitzt, ist keine überzeugende Datenlage verfügbar, dass hierdurch wirklich die Dauer oder der Verlauf der Beatmungstherapie positiv beeinflusst werden können. Homogen wird aber in der Klinik ein einfacheres Handling des Patienten berichtet, da sowohl die Sekretmobilisation und das Absaugen als auch die intermittierende Beatmung mittels Kanüle einfacher erscheint als durch nichtinvasive Verfahren. Ein direkter Vergleich der frühen Tracheotomie zu nichtinvasiven Beatmungstechniken bei der Entwöhnung steht allerdings noch aus. Technische Einflüsse. Eine weitere Ursache zusätzlicher Atemarbeit ist das Beatmungssystem selbst. Zur Erkennung einer Inspirationsbemühung ist der Triggermechanismus notwendig. Die Sensitivität des Triggermechanismus ist entscheidend für das Ausmaß der zusätzlichen Atemarbeit. Je höher die Triggerschwelle eingestellt ist, desto mehr Atemarbeit muss der Patient leisten [74]. Die Triggerschwelle wird so sensibel wie möglich eingestellt, ohne dass es zum Phänomen der Selbsttriggerung (»auto-triggern«) kommt. Das Auto-triggern darf allerdings nicht automatisch zur Erhöhung der Triggerschwelle führen, sondern es müssen zunächst mögliche Gründe hierfür überprüft werden, wie etwa Wasser im System o. Ä. Ebenso darf eine Tachypnoe nicht durch Verstellen des Triggers maskiert werden, sondern es muss die Ursache hierfür gesucht und ggf. behandelt werden. In modernen Beatmungsgeräten wird die inspiratorische Gasströmung bei der assistierten Spontanatmung durch einen Demand-flow-Regler kontrolliert. Mit Hilfe dieser Regulation wird soviel Gasfluss vom Beatmungsgerät appliziert, dass der vorgewählte Druck im Beatmungssystem aufrechterhalten wird. Wenn mit einer solchen Regulation keine Druckkonstanz während der Inspiration gewährleistet ist, steigt die Atemarbeit des Patienten an. Die Entwicklung mikroprozessorgesteuerter Beatmungsgeräte mit schnellen Ventilen hat dieses Problem minimiert. Dennoch führt auch ein gutes Regelsystem mit mechanischen Ventilen zu einer zusätzlichen Atemarbeit.
. Abb. 41.11 Schematische Darstellung eines High-flow-CPAP-Systems
Mit kontinuierlichen Flusssystemen (z. B. High-Flow-CPAP) kann annähernd vollständige Druckstabilität erreicht werden. Allerdings muss die Gasströmung unter Zuhilfenahme eines ausreichend großen Reservoirs höher sein als die vom Patienten benötigte Gasströmung (. Abb. 41.11). Synchronisation. Bei der assistierten Spontanatmung wird der
transpulmonale Druckgradient anteilig vom Patienten und vom Beatmungsgerät aufgebracht. Die maschinelle Assistenz sollte synchron zur Atembemühung des Patienten appliziert werden. Geht diese Synchronisation verloren, kommt es zu einer Verschiebung zwischen Inspirationsbemühung und maschineller Unterstützung, die zu einer ineffektiven Entlastung der Atemmuskulatur und zur Behinderung der Exspiration führen kann. Klinische Folgen sind ein Anstieg der Atemarbeit sowie das Gefühl der Dyspnoe [9]. > Synchronisationsstörungen sind durch die genaue, klinische Beobachtung zu diagnostizieren, wobei die Aktivität der Atemhilfsmuskulatur, nasale und juguläre oder Einziehungen der unteren Thoraxapertur oder aber eine etwaige exspiratorische Aktivität der Bauchmuskeln führende Befunde sind.
Mögliche Atemarbeit Für die erfolgreiche Entwöhnung ist es Bedingung, die notwendige Atemarbeit ohne maschinelle Unterstützung aufbringen zu können. Hierfür sind ein adäquater Atemantrieb und die entsprechende Leistungsfähigkeit der Atemmuskulatur Grundvoraussetzung [69]. Bei der akuten respiratorischen Insuffizienz ist der Atemantrieb in aller Regel stimuliert, was zu einer Ermüdung der Atemmuskulatur durch den permanent erhöhten »drive« führen kann. Deswegen darf der Atemantrieb während der Entwöhnung weder zu hoch noch zu niedrig sein. Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Modulation des Atemantriebs mittels Analgosedierung. Die Anwendung kurzwirksamer Medikamente hat sich bewährt, da sie eine zeitnahe Reaktion auf die gegebene Situation erlauben.
535 41.9 · Schwierige Entwöhnung
Kraft und Ausdauer der Atemmuskulatur werden von vielen Faktoren bestimmt, wobei die dynamische Hyperinflation klinisch die wichtigste Rolle spielt (7 Abschn. 41.6.2). Entwickelt sich während der Entwöhnung eine dynamische Hyperinflation, so wird durch die veränderte Geometrie des respiratorischen Systems die Atemmuskulatur in einem Bereich ungünstiger Länge-Kraft-Relation arbeiten müssen.
. Tab. 41.2 Erfolgversprechende Kriterien zur Beurteilung eines T-Stück-Versuchs Parameter
Wert
Atemzugvolumen (TV)
>5 ml/kg KG
Atemfrequenz (f )
<35/min
Hämodynamische Konsequenzen der Entwöhnung
Sauerstoffsättigung (SaO2)
>90% (bei FIO2 <0,4)
Während in Ruhe der O2-Verbrauch der Atemmuskulatur 1–3% der gesamten VO2 beträgt, kann dieser Anteil während der Entwöhnung auf 5% ansteigen. Da der Sauerstoffbedarf des Zwerchfells lediglich durch eine Erhöhung des Herzzeitvolumens gewährleistet werden kann, muss die kardiale Leistungsfähigkeit während der Entwöhnung erhalten sein [75].
Maximaler Inspirationsdruck (Pimax)
<20 mbar
Herzfrequenz (HF)
<140/min und keine andauernde Abweichung >20% vom Kontrollwert
Systolischer Blutdruck
<180 mm Hg oder >90 mm Hg und keine andauernde Abweichung >20% vom Kontrollwert
Psychische Verfassung
Keine Unruhe, Agitation oder Angst
! Cave Ein Patient im Schock sollte nicht entwöhnt werden. Eine eventuelle Hyper- oder Hypovolämie muss vor dem Weaning korrigiert werden
Ein weiterer Grund für die engmaschige Kontrolle der kardialen Funktion ist die Reduktion des intrathorakalen Drucks während der Entwöhnung. Hiermit wird der venöse Rückstrom zum rechten Herzen verbessert, es steigt aber die Nachlast des linken Ventrikels, was v. a. bei vorbestehender Herzinsuffizienz zum Versagen des linken Ventrikels führen kann [15]. ! Cave Eine latente linksventrikuläre Herzinsuffizienz kann durch abrupte Änderung der intrathorakalen Drücke während der Entwöhnung demaskiert werden. Hierdurch kann es beim Risikopatienten zu transienten koronaren Ischämien und zum Linksherzversagen kommen [76].
Wegen der hämodynamischen Konsequenzen des intrathorakalen Drucks ist bei der Entwöhnung von kardialen Risikopatienten ein invasives Kreislaufmonitoring manchmal unumgänglich.
41.9.1
Entwöhnungskonzepte
Zielgrößen Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Präferenzen für ein spezifisches Verfahren zur Entwöhnung [79]. Gerade bei schwierig zu entwöhnenden Patienten wird sich das Vorgehen eher am individuellen Verlauf als an einem festen Schema orientieren müssen. Zur Entwicklung einer erfolgreichen Entwöhnungsstrategie müssen v. a. folgende Fragen beantwortet werden: 4 Welche Kriterien werden für Verlauf und Erfolg der Entwöhnung angelegt? 4 Wann kann mit der Entwöhnung begonnen werden? 4 Welche Entwöhnungstechnik wird gewählt?
Auswahl objektiver Entwöhnungskriterien 41.9
Schwierige Entwöhnung
Die Häufigkeit der schwierigen Entwöhnung beträgt ca. 20% aller beatmeten Patienten. Nach kurzzeitiger Beatmungstherapie, etwa zur postoperativen Nachbeatmung oder bei Traumata, verläuft die Entwöhnung in aller Regel unproblematisch. Nach lang dauernder Beatmung und bei COPD ist bei bis zu 50% der Patienten mit Entwöhnungsproblemen zu rechnen. Um objektive Daten für den Verlauf der Entwöhnung zu erhalten, wird heute meist ein sog. Spontanatmungsversuch mit geringer Druckunterstützung benutzt [77, 78]. Die Kriterien, die zur Beurteilung eines solchen Versuchs herangezogen werden, sind in . Tab. 41.2 gezeigt. Nach erfolgreichem Spontanatmungsversuch ist eine direkte Entwöhnung in aller Regel möglich, während Patienten, die einen solchen Versuch nicht erfolgreich abschließen, als schwierig zu entwöhnen eingeschätzt werden. Dieses Vorgehen dient der Klassifizierung der Patienten während der Entwöhnung und ist wesentlicher Bestandteil von Entwöhnungsprotokollen.
Anhand objektiver Kriterien zur Beurteilung der Entwöhnung sollte es möglich sein, die Patienten zu identifizieren, die noch nicht zu entwöhnen sind. Bei diesen Patienten sollte anhand der Entwöhnungskriterien auch die Ursache der Ventilatorabhängigkeit beurteilbar sein, um so eventuelle Änderungen des therapeutischen Managements objektivieren zu können. Auf der anderen Seite sollen Patienten identifiziert werden, die einfach und schnell zu entwöhnen sind, damit die Beatmungstherapie nicht unnötig prolongiert wird. z Atemmuster Da die häufigste Ursache der gescheiterten Entwöhnung in der Entwicklung einer respiratorischen Muskelermüdung besteht, die durch ein typisches Atemmuster gekennzeichnet ist, wurde das Atemmuster als valider und einfach zu bestimmender Parameter für die erfolgreiche Entwöhnung beschrieben.
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Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
Der Quotient aus Atemfrequenz (f : 1/min) und Atemzugvolumen (V T : l) ist einer der besten Vorhersagewerte für den Verlauf der Entwöhnung: 4 f/V T : »rapid shallow breathing index« (RSB) Bei einem f/V T >105/min×l–1 ist der Entwöhnungsversuch bei 95% der Patienten nicht erfolgreich, während die meisten Patienten mit einem f/VT <100/min×l–1 erfolgreich zu entwöhnen sind [80].
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der RSB lediglich für die direkte Testung bei Diskonnektion vom Beatmungsgerät validiert ist, um einen absehbar unmöglichen Entwöhnungsversuch zu verhindern. Keine sichere Vorhersage besitzt der Parameter im Rahmen anderer Entwöhnungsstrategien; insbesondere ist der RSB nicht als Verlaufsparameter evaluiert, obwohl er immer wieder als solcher in der Literatur, aber auch in der klinischen Anwendung herangezogen wird [35]. Atemarbeit und Sauerstoffverbrauch. Da die Atemarbeit klinisch
nur schwierig zu messen ist, wurde als indirektes Maß hierfür der gesteigerte Sauerstoffverbrauch (VO2) bei einsetzender Spontanatmung benutzt. Die Differenz des VO2 zwischen kontrollierter Beatmung und Spontanatmung sollte demnach der Zunahme des O2Verbrauchs der nun arbeitenden Atemmuskulatur entsprechen und mit der Höhe der inspiratorischen Atemarbeit korrelieren (»oxygen cost of breathing«). Die VO2-Differenz kann nichtinvasiv mit Hilfe der indirekten Kalorimetrie bestimmt werden. Auch wenn es bezüglich der Grenzwerte für die VO2-Differenz während der Entwöhnung unterschiedliche, z. T. widersprüchliche Ergebnisse gibt (5–50%), ist die Entwöhnung bei einem exzessiven VO2–Anstieg durch Spontanatmung (>10–15%) in aller Regel nicht erfolgreich [81]. Atemwegsokklusionsdruck (P0.1). Der P0.1 ist der negative Druck in den ersten 100 ms einer Inspiration gegen ein geschlossenes System. Da hierbei kein Gas im respiratorischen System fließt, ist dieser Wert von lungenmechanischen Größen weitgehend unabhängig. Bei gegebener Muskelkraft ist der P0.1 direkt proportional zum Atemantrieb. Während die P0.1-Normalwerte beim Gesunden bei 1–2 cm H2O liegen, ist der P0.1 während der akuten respiratorischen Insuffizienz erhöht und sinkt wieder mit Besserung der respiratorischen Leistungsfähigkeit. Da der erhöhte zentrale Atemantrieb mit Besserung der respiratorischen Insuffizienz wieder abnimmt, wird ein niedriger P0.1 als prädiktiver Wert für die erfolgreiche Entwöhnung angegeben. Auch hier besteht hinsichtlich des Grenzwertes für eine erfolgreiche Entwöhnung Unklarheit, da je nach Studie Grenzwerte zwischen 3 und 6 cm H2O angegeben werden. Des Weiteren gilt zu berücksichtigen, dass ein hoher Atemantrieb sowohl auf eine noch unzureichende respiratorische Funktion hinweisen kann als auch durch das Ankämpfen eines Patienten gegen die Beatmung oder den Endotrachealtubus, durch Schmerzen oder psychische Agitation bedingt sein kann [82]. Weniger der absolute Wert als mehr der Trend des P0.1 ist somit für den Erfolg der Entwöhnung von Bedeutung. Gasaustausch. Nach den Leitlinien der europäischen Gesell-
schaft für Intensivmedizin aus dem Jahr 2007 kann die Entwöhnung von der Beatmung beginnen, wenn neben anderen Kriterien (7 unten) bei einer FIO2≤ 0,4 und einem PEEP <8 cm H2O ein paO2≥60 mm Hg erreicht wird [79]. Während des folgenden
Spontanatmungsversuchs sollten diese Kriterien bei einem PEEP von 5 cm H2O und einer Druckunterstützung von 5–8 cm H2O zur Kompensation des Tubuswiderstandes (7 unten) als Voraussetzung zur Extubation eingehalten werden. Weiterhin sollte es hierbei nicht zu einem exzessiven CO2-Anstieg (>8 mm Hg) kommen. Diese Werte sind allerdings eher als Hilfestellung denn als strikte Grenzwerte zu verstehen. So kann der Entwöhnungsprozess wahrscheinlich auch bei einer FIO2 von 0,6 und einem PEEP von 10 cm H2O beginnen, ohne dass mit negativen Auswirkungen gerechnet werden muss. Insbesondere bei Implementierung von nichtinvasiver Beatmung (7 unten) in den Entwöhnungsprozess ist die Erweiterung der Kriterien möglich sinnvoll, da dann auch nach Extubation eine intermittierende Ventilatorunterstützung möglich ist. Allerdings gilt der Patient strenggenommen auch solange nicht als erfolgreich von der Beatmung entwöhnt, solange er von nichtinvasiver Beatmung abhängig ist. In jedem Fall müssen die vorgeschlagenen Grenzwerte nach entsprechender klinischer Einschätzung nicht genau eingehalten werden. > Es ist nicht möglich, den gesamten Prozess der Entwöhnung anhand eines objektiv erfassbaren Kriteriums zu beurteilen, sodass in der klinischen Routine die Kombination der zur Verfügung stehenden klinischen und physiologischen Parameter gewertet werden muss [83].
41.9.2
Weaningprotokolle
Auch bei Erfüllen der oben genannten Kriterien zeigen ca. 20% der Patienten Zeichen der Erschöpfung bzw. der erneuten Gasaustauschstörung während eines Spontanatmungsversuchs. Auf der anderen Seite benötigen bis zu 50% der Patienten mit akzidenteller Extubation keine Reintubation, sodass offensichtlich ein relevanter Anteil der Patienten maschinell beatmet wird, ohne dass dies wirklich nötig wäre [84]. Offensichtlich wird in der klinischen Praxis eine konservative Einstellung bevorzugt, wodurch ein relevanter Anteil von Patienten beatmet bleibt, obwohl sie eigentlich entwöhnt werden könnten. Die Standardisierung der Entwöhnung ist sinnvoll, um beim individuellen Patienten zu überprüfen, ob er schon entwöhnt werden kann. Durch die Anwendung von Entwöhnungsprotokollen verläuft die Entwöhnung in aller Regel kürzer und erfolgreicher als bei einem Vorgehen, das von der subjektiven Einschätzung der Behandelnden geprägt ist [85–87]. Ein mögliches Entwöhnungsprotokoll ist in . Abb. 41.12 gezeigt. Die Implementierung solcher Entwöhnungsprotokolle in die Software moderner Beatmungsgeräte ist heute ebenfalls möglich [88].
41.9.3
Analgosedierung
Grundvoraussetzung für eine möglichst rasche Entwöhnung von der Beatmung ist die Kontrolle der Analgosedierung. So führte in einer klinischen Studie mit 128 Intensivpatienten allein ein täglicher Sedierungsstop bis zum Erwachen zu einer Reduktion der Beatmungs- und Intensivaufenthaltsdauer um mehr als 2 bzw. 3 Tage [89]. In dieser Hinsicht kann der Einsatz sehr kurz wirksamer Sedativa vorteilhaft sein, bei adäquater Kontrolle des Sedierungsgrades spielt die Wahl des Wirkstoffes jedoch wahrscheinlich nur eine untergeordnete Rolle im Hinblick auf die Beatmungsdauer [90]. Deshalb sollte der Sedierungsgrad zum einen in der Therapieverordnung täglich festgelegt und zum anderen regelmäßig kontrolliert
537 41.9 · Schwierige Entwöhnung
Tägliche Evaluation: patienten (> 24 h) beatmet
}
?# 7! 9282790 8 / 7 ?paO2 = 60mmHg bei FI O2 = 0,4 ?$$/ 'CO ?& 824;"4 ,/ ?T 5 797@" ?'2l ?) ! 0rf an ) / 4 40 7, 0:
Alle Patienten > 24 h beatmet 1. Entwöhnbarkeit? Bereit für 3-min-Spontanatmungsversuch? 2. Spontanatmungskapazität? Bereit für 30 min Spontanatmungsversuch?
ja
Entwöhnbarkeit?
Fortsetzung der Beatmung
nein
3 min Spontanatmungsversuch (5 mbar PEEP, 7 mbar PS)
}
?1 ?. 32)& T ?+,!1. -1 · l -1 T
2. Spontanatmungskapazität? Bereit für Extubation?
ja
Spontanatmungskapazität?
Fortsetzung der Beatmung
nein
2. Extubation? Erfolgreiche Entwöhnung (>24 h)?
}
30 min Spontanatmungsversuch (5 mbar PEEP, 7 mbar PS) ? 17 69 > ?paO2 = 60 mmHg bei FI O2 = 0,4 ?' 7>17 69 > Ve7A0 7929 ?++syst.
'290
'2 ?Pa ;/ 0A6947 7t
Extubation
ja
nein
Spontanatmungskapazität?
Fortsetzung der Beatmung
. Abb. 41.12 Beispiel für ein Weaningprotokoll
werden. Hierfür empfiehlt sich die Nutzung von Sedierungsscores wie etwa die Richmond Agitation Sedation Scale (RASS), die eine objektivierbare Einschätzung der Sedierungstiefe erlauben [91]. Inzwischen konnte auch gezeitgt werden, dass der kombinierte Einsatz von Entwöhnungs- und Sedierungsprotokollen im Vergleich zur alleinigen Nutzung von Entwöhnungsprotokllen zu einer schnelleren Entwöhnung führen kann [92].
Kompensation der zusätzlichen Atemarbeit Der Endotrachealtubus und das Beatmungssystem erhöhen die Atemarbeit. Intubierte Patienten müssen während eines T-StückVersuchs diese zusätzliche Atemarbeit leisten, die nach der Extubation wegfällt. Patienten, die zwar ihre eigentliche Atemarbeit leisten könnten, jedoch wegen der zusätzlichen Atemarbeit durch den Tubus erschöpfen, würden einen T-Stück-Versuch nicht erfolgreich bestehen.
Spontanatmungsversuch Das traditionellste Verfahren zur Entwöhnung von der Beatmung besteht darin, den Patienten intermittierend von der maschinellen Beatmung zu diskonnektieren und über ein T-Stück spontan atmen zu lassen. T-Stück-Versuche über 30 min bis maximal 120 min reichen zur Beurteilung der Spontanatmung aus [93]. In der Praxis finden hierfür sog. »feuchte Nasen« häufige Verwendung, die lediglich eine gewisse Anreicherung der Atemluft mit O2 ermöglichen. Alternativ hierzu werden auch Schlauchsysteme verwendet, die neben der O2-Anreicherung eine Befeuchtung und Erwärmung des Inspirationsgases oder die Anwendung eines geringen kontinuierlichen Atemwegsdrucks (CPAP) ermöglichen. > Um eine vorzeitige Erschöpfung des Patienten im Rahmen des Spontanatmungsversuchs zu vermeiden, wird heute jedoch meist eine geringfügige Respiratorunterstützung zur Kompensation der künstlichen zusätzlichen Atemarbeit empfohlen (7 unten).
Zwischen den Phasen der reinen Spontanatmung wird bei diesem Vorgehen der Patient in aller Regel kontrolliert oder assistiert-kontrolliert beatmet.
Druckunterstützte Beatmung zur Kompensation zusätzlicher Atemarbeit. Eine geringe Druckunterstützung von 7–12 mbar
wurde verwendet, um lediglich die zusätzliche geräte- und tubusbedingte Atemarbeit zu kompensieren [94]. Ist bei einem solchen Spontanatmungsversuch mit PS ein befriedigendes Atemmuster zu beobachten, kann der Patient extubiert werden. Im Vergleich zum T-Stück scheint der Anteil der erfolgreichen Spontanatmungsversuche mit diesem Verfahren höher zu sein [78, 95]. Automatische Tubuskompensation. Die exakte Kompensation
der tubusbedingten Atemarbeit mittels einer fixen Druckunterstützung ist beim individuellen Patienten allerdings schwierig, da der Tubuswiderstand und damit die tubusbedingte Mehrarbeit nicht linear vom Gasfluss abhängen. Somit ist auch die tubusbedingte zusätzliche Atemarbeit eine variable, flussabhängige Größe, die mit einer fixen Druckunterstützung nur unzureichend kompensiert werden kann (. Abb. 41.13). Deswegen wurde die konventionelle Druckunterstützung dahingehend modifiziert, dass sie nicht mehr fix, sondern entsprechend dem nicht linearen Zusammenhang zwischen Tubuswider-
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Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
pett
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Δpett [mbar]
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Unterkompensation
10 Überkompensation
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PS = 10 mbar
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Flow [I/sec]
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. Abb. 41.13 Schematische Darstellung des Druckverlustes über den Endotrachealtubus (pett) in Abhängigkeit vom Gasfluss (Flow). Da der exponentielle Anstieg von pett bei steigendem Flow die wesentliche Determinante der zusätzlichen Atemarbeit darstellt, wird verständlich, dass mit einer fixen Druckunterstützung von z. B. 10 mbar (PSV 10) die zusätzliche Atemarbeit eigentlich nur bei einem fixen Fluss exakt kompensiert werden kann. Da bei Spontanatmung der Gasfluss aber variabel ist, wird sich mit PSV entweder eine Unterkompensation bei hohem Flow (am Beginn der Inspiration) oder Überkompensation bei niedrigem Flow ergeben. Im Gegensatz zur fixen Druckunterstützung wird bei der automatischen Tubuskompensation der Atemwegsdruck so gesteuert, dass zu jedem Flow der entsprechende pett vom Beatmungsgerät übernommen wird, sodass der Patient auch bei variablem Gasfluss vollständig von der tubusbedingten Atemarbeit entlastet werden kann (PS »pressure support«)
stand und Gasfluss appliziert wird. Da mit dem Verfahren der Tubuswiderstand exakt für jeden Gasfluss kompensiert wird, wurde das Verfahren »automatische Tubuskompensation (ATC)« genannt [96]. Mit ATC wird die exakteste Kompensation der zusätzlichen Atemarbeit bei verschiedensten Atemmustern erreicht [97]. Da keine wissenschaftlichen Daten über die klinische Anwendung zur Entwöhnung an größeren Patientenkollektiven vorliegen, kann dieser Ansatz derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Intermittierende maschinelle Ventilation (IMV). SIMV zur Ent-
wöhnung erschien v. a. deshalb sinnvoll, da die Reduktion der maschinellen Atemfrequenz eine einfache, schrittweise Entwöhnung von der Beatmung ermöglicht. In modernen Respiratoren wird der Gasfluss für die Spontanatmung durch ein Demand-flow System zur Verfügung gestellt. Hierdurch wird die zusätzliche Atemarbeit für die Spontanatemzüge bei SIMV höher als mit kontinuierlichen Flowsystemen. Außerdem bleibt die Atemmuskulatur auch während der maschinell applizierten Atemhübe aktiv, sodass die Atemarbeit während SIMV bei ungünstiger Einstellung der Frequenz, des Atemzugvolumens oder der Flowcharakteristik sogar deutlich erhöht sein kann [4]. Daher kann dieses Verfahren heute nicht mehr generell empfohlen werden.
Nachdem die Verfahren der assistierten Spontanatmung, und hier v. a. SIMV und PS, weite klinische Verbreitung gefunden hatten [4], wurde in großen, multizentrischen Studien versucht, die verschiedenen Verfahren miteinander zu vergleichen, um ihren Stellenwert für die schwierige Entwöhnung einzuordnen [77, 78, 98]. Auch wenn das Ergebnis dieser Untersuchungen nicht eindeutig ist, kann man doch feststellen: 4 SIMV bietet keine spezifischen Vorteile als Entwöhnungsmodus und wird nicht empfohlen. 4 Sowohl T-Stück-Versuche als auch assistierte Beatmung mit einer geringen Druckunterstützung können für die Entwöhnung empfohlen werden. 4 Im direkten Vergleich beider Verfahren führt Druckunterstützung zu einer etwas höheren Anzahl erfolgreich entwöhnter Patienten. Viel wichtiger als die Auswahl der eigentlichen Technik der Entwöhnung scheint also die Organisation dieser Phase zu sein. Entwöhnungsprotokolle sollten hierbei eine Hilfe darstellen, den Prozess zu organisieren und dem Team zu helfen, den richtigen Zeitpunkt der Entwöhnung zu identifizieren. Auf keinen Fall sollen diese Protokolle aber zu einer Checklistenmentalität führen, die der Individualität des Geschehens keinen Platz mehr lässt. Dies ist insbesondere während der Entwöhnung von größter Bedeutung, da in dieser Phase der Patient aus seiner Sedierung erwacht und mit all den Schwierigkeiten der Situation umgehen lernen muss. Hierzu ist eine enge, verständnisvolle und unterstützende Betreuung durch das Pflegeteam ebenso notwendig wie die ärztliche Zuwendung, die in einem standardisierten Protokoll nicht abgebildet werden kann.
41.9.5
Nichtinvasive Beatmung zur Entwöhnung
Die Entwöhnung kann durch die Anwendung der nichtinvasiven Beatmung (NIV) statt der Entwöhnung über den künstlichen Atemweg, bis keinerlei Atemhilfe mehr notwendig ist, beschleunigt werden. NIV führt v. a. bei COPD-Patienten zu einer kürzeren und erfolgreicheren Entwöhnung [65, 99]. Die Anwendung von NIV als Bestandteil einer Entwöhnungsstrategie zumindest bei der COPD ist unbedingt zu empfehlen, es muss allerdings bedacht werden, dass bei den Patienten hierdurch kein Schutz der Atemwege mehr gewährleistet ist, was v. a. bei relevanter Aspirationsgefahr berücksichtigt werden muss.
Literatur 1
BIPAP zur Entwöhnung Für die Entwöhnung von der Beatmung liegen keine spezifischen Daten für BIPAP vor. In der klinischen Anwendung wird empfohlen, die BIPAP-Drucklevel einander anzunähern, um dann ein weiteres Weaning über CPAP zu erreichen. Die Entwöhnung mit BIPAP muss zunächst an größeren Patientenkollektiven untersucht werden, bevor hierzu eine Empfehlung gegeben werden kann.
Wahl des Beatmungsverfahrens für die Entwöhnung
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Kapitel 41 · Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung
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541 Literatur
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41
543
Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz B. Schönhofer 1
42.1
Pathophysiologischer Hintergrund – 544
42.2
Invasiver und nichtinvasiver Beatmungszugang – 544
42.3
Durchführung der nichtinvasiven Beatmung – 544
42.3.1 42.3.2 42.3.3 42.3.4
Beatmungsgeräte und Beatmungsverfahren – 545 Beatmungszugang (»Interfaces«) – 545 Personeller Aufwand und Ort des Geschehens – 545 Praktische Applikation von NIV – 547
42.4
Spektrum der Indikationen – 547
42.4.1 42.4.2 42.4.3 42.4.4 42.4.5 42.4.6 42.4.7
NIV bei hyperkapnischer Verlaufsform der ARI – 547 NIV bei hypoxämischer Verlaufsform der ARI – 549 Kardiales Lungenödem – 549 NIV in der perioperativen Phase – 550 NIV bei schwieriger Entwöhnung – 550 Postextubationsphase – 551 Neue Anwendungsbereiche – 551
Literatur – 552
1 Hinweis: Der Autor ist Sprecher des S3-Leitlinienprojekts »Nicht-invasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz«.
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_42, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
42
42 42 42 42 42 42 42 42 42
544
Kapitel 42 · Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
42.1
Pathophysiologischer Hintergrund
Das Atmungsorgan besteht aus 2 Kompartimenten: 4 der muskulären Atempumpe mit dem Zwerchfell als wichtigstem Muskel und 4 dem Lungenparenchym, in dem der Gasaustausch stattfindet (. Abb. 42.1) [1]. Die maschinelle Beatmung dient im Wesentlichen 2 Zielen: 4 der Übernahme einer erhöhten Atemarbeit sowie 4 der Korrektur einer schweren Gasaustauschstörung. Bei der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz aufgrund einer versagenden Atempumpe ist die Übernahme der Atemarbeit durch maschinelle Beatmung von entscheidender Bedeutung [2]. Bei der hypoxämischen Insuffizienz aufgrund eines akuten Lungenschadens (»acute lung injury«, ALI; »acute respiratory distress Syndrome«, ARDS) stellt die Verbesserung des alveolären Gasaustausches die Indikation zur Beatmung [3] dar, wenn trotz medikamentöser Therapie und O2-Applikation keine ausreichende Oxygenierung aufrecht erhalten werden kann.
Invasiver und nichtinvasiver Beatmungszugang
42
42.2
42
Bei vitaler Indikation ist die invasive Beatmung zweifelsfrei die Therapie der Wahl. Dennoch geht die »klassische« künstliche Beatmung über einen Endotrachealtubus mit zahlreichen, z. T. auch lebensbedrohlichen Nebenwirkungen einher. Diese reichen von unmittelbaren Schädigungen des Kehlkopfes und der Trachealschleimhaut über hämodynamische Interaktionen bis hin zu schweren Schädigungen auf alveolärer Ebene im Sinne des Baro-, Volu- bzw. Atelektraumas mit ggf. systemischen Auswirkungen auf den gesamten Organismus [4]. Auch unter atemmechanischer Betrachtung ergeben sich Nachteile für die invasive Beatmung. So führt der Trachealtubus proportional zu seiner Länge, v. a. aber in der 4. Potenz und umgekehrt proportional zu seinem Innendurchmesser zu erhöhter resistiver
42 42 42 42 42
. Tab. 42.1 Vor- und Nachteile von nichtinvasiver Beatmung bzw. invasiver Beatmung Komplikationen und klinische Aspekte
Invasive Beatmung
Nichtinvasive Beatmung
Ventilator- (tubus-) assoziierte Pneumonie
Relevant ab 3.–4. Tag der Beatmung
Nein
Tubusbedingte zusätzliche Atemarbeit
Ja
Nein
Tracheale Früh- und Spätschäden
Ja
Nein
Tiefe Sedation
Häufig notwendig
Nein
Intermittierende Applikation
Nein
Ja
Effektives Husten möglich
Nein
Ja
Essen und Trinken möglich
Kaum
Ja
Kommunikation möglich
Erschwert
Ja
Aufrechte Körperposition
Selten
Häufig möglich
Schwierige Entwöhnung vom Respirator
10–20%
Relativ selten
Zugang zu den Atemwegen
Direkt
Erschwert
Druckstellen im Gesichtsbereich
Nein
Ja
CO2-Rückatmung
Nein
Gelegentlich
Leckage
Kaum
Mehr oder weniger ausgeprägt
Aerophagie
Kaum
Häufiger
Atemarbeit [5]. Bei Sekretablagerung im Tubus kommt es zu einer weiteren Steigerung des Strömungswiderstandes [6]. Die Komplikation der invasiven Beatmung mit der höchsten Relevanz ist jedoch die tubusassoziierte Pneumonie (auch »ventilatorassoziierte Pneumonie«, VAP, genannt). Die Intubation geht mit einer 6- bis 20-fachen Zunahme der VAP, hohen Sterblichkeitsraten sowie deutlichen Mehrkosten einher [7]. Die Inzidenz der tubusassoziierten Pneumonie nimmt proportional zur Intubationsdauer zu [8]. Zur Vermeidung dieser schwerwiegenden Komplikation sollte möglichst auf die Intubation verzichtet bzw. frühzeitig extubiert werden [9]. In diesem Zusammenhang ergeben sich die wesentlichen Vorteile der nichtinvasiven Beatmung (. Tab. 42.1) insbesondere unter atemmechanischen und infektiologischen Aspekten.
42 42 42 42 42 42
42.3
42 42 42
. Abb. 42.1 Physiologie und Pathophysiologie der akuten respiratorischen Insuffizienz
Durchführung der nichtinvasiven Beatmung
Die NIV steht in 2 unterschiedlichen Techniken zur Verfügung: Negativ- und Positivdruckbeatmung. Bei der Negativdruckbeatmung (mit den Prototypen des »Tankventilators« oder der »eisernen Lunge«) führt der extrathorakal applizierte Unterdruck zur thorakalen Expansion und damit zur Inspiration. Während der Polioepidemi-
545 42.3 · Durchführung der nichtinvasiven Beatmung
en war die Negativdruckbeatmung als Therapieform der ventilatorischen Insuffizienz weit verbreitet [10]. Vor allem bedingt durch den hohen technischen Aufwand wird Negativdruckbeatmung inzwischen nur noch in wenigen Zentren zur Behandlung der akut respiratorischen Insuffizienz (ARI) eingesetzt [11]. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich NIV als Positivdruckbeatmung zur Behandlung der ARI zunehmend durchgesetzt. Hierbei führt die Applikation von positivem Druck über einen nichtinvasiven Beatmungszugang, entweder in Form von Masken oder Helmen, zur Erhöhung des intrabronchialen bzw. -alveolären Druckes und damit zur Unterstützung der Inspiration.
42.3.1
Beatmungsgeräte und Beatmungsverfahren
Abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, den örtlichen Gegebenheiten und insbesondere der Erfahrung des behandelnden Teams wird zur Durchführung der NIV bei ARI ein breites Spektrum von Beatmungsgeräten verwendet. Es reicht von portablen Geräten mit geringerem technischem Aufwand [12] bis zu HightechIntensivrespiratoren. Auch wenn inzwischen ein Minimum an technischer Ausstattung in allen Respiratoren zur Anwendung der NIV gewährleistet ist, existieren bisher keine allgemeingültigen Richtlinien oder Empfehlungen, welcher Gerätetyp bei welcher Indikation an welchem Ort zu verwenden ist. Die wesentlichen Charakteristika der portablen Ventilatoren und Intensivrespiratoren sind in . Tab. 42.2 aufgeführt. Trotz spezieller Softwareaufrüstungen für Intensivrespiratoren zur NIV-Applikation sind portable Geräte bei vergleichbarer Beatmungsqualität häufig einfacher zu handhaben [13]. Bei der Anwendung der NIV existiert eine teilweise verwirrende Vielzahl von Beatmungsoptionen. Allgemein gesagt wird NIV im assistierten, assistiert-kontrollierten oder kontrollierten Modus mit Druck- oder Volumenvorgabe angewandt. > Die inspiratorische Druckunterstützung ist der bevorzugte Modus bei NIV zur Behandlung der ARI. Hierbei bleibt die Spontanatmung erhalten (d. h. der Patient triggert die Inspiration), die inspiratorische Atemmuskulatur wird maschinell entlastet und die Ventilation augmentiert.
Die inspiratorische Druckunterstützung kommt nicht nur in Form von »pressure support ventilation« (PSV) [14], sondern auch in Form der »proportionate assist ventilation« (PAV) zur Anwendung. PAV führt zur Entlastung der Atemmuskulatur und Besserung der Blutgase [15]. Außer einem besseren Komfort bleibt zu klären, welchen Stellenwert PAV als Beatmungsform bei dieser Indikation hat. Inzwischen wird assistierte Beatmung fast nur noch im sog. STModus mit einer Backup-Frequenz eingesetzt, d. h. dass der Patient in der Regel die Maschine triggert und nur bei Bradypnoe oder Apnoe mit einer Sicherheitsgrundfrequenz kontrolliert beatmet wird. Da Patienten mit ARI häufig stark agitiert sind und einen hohen Atemantrieb aufweisen, werden bei diesen Patienten kontrollierte Beatmungsverfahren im Gegensatz zur elektiven häuslichen Beatmung bei chronisch ventilatorischer Insuffizienz selten angewendet [12]. In ihrer Anfangsphase wurde NIV bevorzugt mit Volumenvorgabe zur Therapie der ARI eingesetzt [16]. Im weiteren Verlauf setzte sich PSV durch, v. a. weil die Kompensation von Leckagen infolge Maskenundichtigkeit und/oder offenem Mund bei Beatmung mit Druckvorgabe im Vergleich zur Volumenvorgabe größer ist [17].
. Tab. 42.2 Vergleich der portablen Ventilatoren mit den Intensivrespiratoren Klinischer Aspekt
Portable Ventilatoren
Intensivventilatoren
Leckagekompensation
Gut bis sehr gut
Häufig unzureichend
Alarme
Selten
Häufig (Fehlalarme)
Alarme
Selten
Häufig (Fehlalarme)
Monitoring (z. B. Flow und Druck)
Oft nicht vorhanden
Immer vorhanden
Möglichkeit der Sauerstoffzumischung
Oft nicht vorhanden
Immer vorhanden
Handhabung
Einfach
Häufig kompliziert
Gewicht des Schlauchsystems
Leicht
Relativ schwer
CO2-Rückatmung
Möglich bei Einschlauchsystem
Nicht möglich bei Zweischlauchsystem d. h. separatem Exspirationsschenkel)
Leckagekompensation
Gut bis sehr gut
Häufig unzureichend
Reines CPAP (»continuous positive airway pressure«), d. h. Applikation eines konstanten Drucks während In- und Exspiration, wird in der Therapie des kardialen Lungenödems und während der postoperativen Phase (7 dort) erfolgreich eingesetzt. Ansonsten hat CPAP als Therapieoption der ARI nur eine untergeordnete Bedeutung [18].
42.3.2
Beatmungszugang (»Interfaces«)
Ein breites Spektrum von Beatmungszugängen im Gesichtsbereich, wie z. B. Nasenmasken, Mund-Nasen-Masken sowie Ganzgesichtsmasken steht zur Verfügung (. Abb. 42.2). Mund-Nasen-Masken werden v. a. in der Initialphase der Therapie bevorzugt [19]. Maskenbedingte Druckstellen im Bereich von Nasenrücken und/oder übrigen Gesichtsbereich müssen früh erkannt und umgehend korrigiert werden [20, 21]. Der Beatmungshelm, der den gesamten Kopf umschließt (. Abb. 42.3), wird vorwiegend bei Patienten mit hypoxämischer ARI eingesetzt [22]. Im Vergleich zur Ganzgesichtsmaske wurde der Helm auch von COPD-Patienten gut toleriert; das Ausmaß der paCO2-Absenkung war jedoch geringer [23, 24]. Die klinische Bedeutung der Unterschiede zwischen Masken und Helm bzgl. Triggerungszeiten und Druckkurven im Modellversuch muss weiter abgeklärt werden [25]. Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Beatmungszugänge werden in . Tab. 42.3 aufgeführt.
42.3.3
Personeller Aufwand und Ort des Geschehens
Der Personalbedarf bei NIV ist in der Initialphase der Therapie der ARI mit einem Patient-Therapeut-Verhältnis von 1:1 relativ hoch. Es ließ sich jedoch zeigen, dass NIV im Vergleich zur konventionellen Therapie (inklusive invasive Beatmung) für ein trainiertes Team
42
546
Kapitel 42 · Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
42 42 42 42 42 42 42 a
42
b
c
. Abb. 42.2 Maskentypen: a Nasenmaske, b Mund-Nasen-Maske, c Ganzgesichtsmaske
42 . Tab. 42.3 Vergleich verschiedener Interfaces für die NIV
42
Klinischer Aspekt
Nasenmaske
Nasen-Mundbzw. Ganzgesichtsmaske
Beatmungshelm
Mundleckage
Häufig
Nicht relevant
Nicht relevant
Mundatmung
Vermeiden
Möglich
Möglich
Monitoring des Atemzugvolumens
Oft fehlerhaft
Möglich
Möglich
Beeinträchtigte Nasenatmung
Problematisch
Unproblematisch
Unproblematisch
Initiale Besserung der Blutgase (insbesondere CO2-Abnahme)
Verzögert
Relativ schnell
Bei COPD im Vergleich zu NasenMund-Maske geringer
Komfort und Toleranz
Gut
Mäßig
Sehr gut
Kommunikationsfähigkeit
Gut
Mäßig
Mäßig
Expektoration
Gut
Eingeschränkt
Eingeschränkt
Aspirationsgefahr
Gering
Mäßig
Nein
Aerophagie
Selten
Mäßig
Mäßig
Klaustrophobie
Selten
Mäßig
Nein
Totraum (kompressibles Volumen)
Gering
Relativ groß
Groß
Geräuschbelästigung
Nein
Nein
Häufiger
Ohrendruck und Hörstörungen
Nein
Nein
Häufiger
Bronchoskopische Absaugung
Möglich
Möglich
Möglich
42 42 42 42 42 42 42 42 42 42 42 42 42 42 42
. Abb. 42.3 Beatmungshelm für die NIV
auch während der ersten 4 Therapiestunden keinen vermehrten Zeitaufwand bedeutet [26–28]. Im weiteren Verlauf lässt sich dann durch NIV aber Arbeitszeit und -aufwand einsparen [29]. Abhängig von den örtlichen Gegebenheiten und Ressourcen wird NIV zur Behandlung der ARI bevorzugt auf der Intensivstation oder der Intermediate Care Unit durchgeführt [30]. Argumente für diese beiden Einheiten sind die sichere und kontinuierliche Überwachung des Patienten (in Form von Monitoring und unverzögertem Beginn vital indizierter therapeutischer Maßnahmen wie z. B. Intubation), der hohe pflegerische Aufwand in der Initialphase der Therapie [29] und die Notwendigkeit einer exakten Dokumentation von Prozeduren, therapeutischem Aufwand und Beatmungsstunden. Die Ergebnisse der in England auf Normalstationen durchgeführten Therapiestudie zu NIV als Behandlungsform der ARI [31] sind nicht ohne Weiteres auf unsere Verhältnisse zu übertragen.
547 42.4 · Spektrum der Indikationen
42.3.4
Praktische Applikation von NIV
Die NIV wird bevorzugt in halbsitzender Position durchgeführt. Im Notfall wird vorwiegend mit einer Nasen-Mund-Maske begonnen. Diese sollte initial von Hand aufgesetzt werden, um den Patienten allmählich an diesen Fremdkörper zu gewöhnen. Darüber wird Sauerstoff zugeführt. Vor allem bei Patienten mit hyperkapnischer ARI kann die Adaptation an die Maskenbeatmung durch manuelle Luftinsufflation erleichtert werden. Diese Vorgehensweise hat auch den Vorteil, abschätzen zu können, wie gut sich der Patient beatmen lässt. Erfahrungsgemäß beruhigt sich der Patient schneller, wenn einige Minuten sein spontanes Atmungsmuster mit dem Beutel unterstützt wird. Zeichnet sich hier eine Stabilisierung ab, kann die Beatmungsmaschine angeschlossen werden. Ist der Patient sehr agitiert, hat sich eine leichte Sedierung bewährt, wobei der Autor wegen der guten Steuerbarkeit hier Morphium i.v. (5–10 mg) empfiehlt. Alternativ werden kurzwirksame Sedativa eingesetzt.
42.4
Mögliche Kontraindikationen für NIV
4 4 4 4 4 4 4
Basierend auf der S3-Leitlinie »Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz« werden im Folgenden die wichtigen Indikationen abgehandelt und am Ende des jeweiligen Abschnittes die wesentlichen Empfehlungen der S3-Leitlinie aufgeführt [38].
42.4.1
NIV bei hyperkapnischer Verlaufsform der ARI
Die häufigste Ursache für die hyperkapnische ARI (mit der Definition: pH <7,35 und paCO2 >45 mm Hg) ist die exazerbierte COPD (7 Kap. 40). Es kommt hierbei infolge des erhöhten Atemwegswiderstandes, der dynamischen Lungenüberblähung und der konsekutiven Abflachung des Zwerchfells zur Überlastung mit drohender Erschöpfung der Atemmuskulatur (7 Abschn. 40.2).
Spektrum der Indikationen
der Auch wenn nationale und internationale Empfehlungen bezüglich NIV als Therapieform der ARI publiziert sind [32, 33], stößt der breite Einsatz der NIV aus unterschiedlichen Gründen an Grenzen. Trotz der genannten praktischen Vorteile und der positiven Studienlage zum Stellenwert der NIV bei ARI sind die epidemiologischen Daten zur Anwendungsrate ernüchternd. Bei einer weltweit durchgeführten Erhebung zu Beatmungsverfahren ergab sich, dass NIV lediglich bei etwa 1–3% der beatmeten Patienten eingesetzt wird [34]. Da mit wachsender Erfahrung in der Anwendung von NIV der Schweregrad der Grunderkrankung und das Ausmaß der Komorbidität der behandelten Patienten zunehmen, relativiert sich der Begriff »absolute Kontraindikationen« für NIV als Therapieverfahren der hyperkapnischen ARI [35] immer mehr. In der Übersicht sind die möglichen Kontraindikationen aufgeführt.
4 4 4 4
> Allgemein ist festzustellen, dass der Erfolg von NIV in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß von der Erfahrung und Motivation des Behandlungsteams sowie der technischen Ausrüstung abhängt.
Länger dauerndes Koma oder massive Agitation Fehlende Spontanatmung, Schnappatmung Fixierte oder funktionelle Verlegung der Atemwege Massive Hypersekretion trotz bronchoskopischer Absaugung Multiorganversagen Vital bedrohliche Hypoxämie oder Azidose (pH <7,1) Hämodynamische Instabilität (kardiogener Schock, Myokardinfarkt) Vollständige Intoleranz gegenüber Masken oder Helm Gesichtstrauma und faziale Dysmorphie Ileus Gastrointestinale Blutung
Generell lässt sich bezüglich des Stellenwertes von NIV und invasiver Beatmung in der Therapie der ARI sagen, dass sich beide Verfahren ergänzen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen [36]. Darüber hinaus sind hohe NIV-Abbruchraten häufig auf infrastrukturelle Mängel, unzureichendes technisches Equipment sowie geringe Erfahrung von Pflegekräften und Ärzten zurückzuführen [37].
Komplexe Pathophysiologie der COPD 4 Hohe Belastung der Atempumpe – Massive Atemwegsobstruktion (d. h. erhöhter Atemwegswiderstand) – Erhöhter Atemantrieb – Verkürzte Inspiration – Hypersekretion – »Intrinsic positive endexpiratory pressure« (PEEPi) 4 Reduzierte Kapazität der Atempumpe – Dynamische Lungenüberblähung – Abflachung des Zwerchfells
Bezüglich der Einstellung der Beatmungsparameter bei COPD ist v. a. auf ausreichend hohe inspiratorische Spitzendrücke (d. h. zwischen 15 und 35 cm H2O) zu achten. Häufig wird die inspiratorische Druckunterstützung mit externem PEEP (»positive endexpiratory pressure«) von etwa 3–6 cm H2O kombiniert, um den PEEPi zu kompensieren. NIV führt zur Entlastung der Muskulatur, Verbesserung der Ventilation (erkennbar an der Reduktion des paCO2) und Abnahme der Dyspnoe. Im Vergleich zur konventionellen Therapie senkt NIV die Letalität (vermindertes relatives Risiko von 0,41) und die Intubationsfrequenz (vermindertes relatives Risiko von 0,42) [39]. Dies lässt sich an der »number needed to treat« verdeutlichen: nur 5 Patienten müssen mit NIV behandelt werden, damit eine Intubation verhindert wird, und nur 8 Patienten müssen mit NIV behandelt werden, damit ein Leben gerettet wird [39]. Es kommt darüber hinaus zur Senkung der Komplikationsrate und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes. Anhand des pH-Wertes lässt sich die Gruppe der COPDPatienten, die von NIV besonders profitieren, gut definieren: Für den pH-Bereich zwischen 7,2 und 7,35 ist die Effektivität der NIV nachgewiesen, wobei sich insbesondere durch frühzeitigen Therapiebeginn bei pH-Werten zwischen 7,30 und 7,35 die besten Ergebnisse erzielen lassen. In der Regel sollte bei einem pH-Wert von <7,2 die invasive Beatmung begonnen werden. Nur sehr erfahrene Behandlungsteams können in Einzelfällen (d. h. bei kooperierenden Patienten, unproblematischer Adaptation, keiner weiteren Organ-
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Kapitel 42 · Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
insuffizienz) COPD-Patienten bei pH-Werten von <7,2 nichtinvasiv beatmen. Das Koma galt lange als Kontraindikation für NIV. Es wurde allerdings inzwischen gezeigt, dass NIV auch bei Patienten mit Koma infolge hyperkapnischer ARI erfolgreich eingesetzt werden kann. Es sei angemerkt, dass diese Studienergebnisse in Zentren mit sehr großer Erfahrung auf dem Gebiet der NIV, kontinuierlichem Monitoring und unter Intubationsbereitschaft erhoben wurden und nicht verallgemeinert werden dürfen. In der Initialphase der NIV ist ein Monitoring der wichtigen Verlaufsparameter erforderlich, um Therapieerfolg bzw. -versagen frühzeitig zu erkennen (. Abb. 42.4). Besonders anhand des Verlaufes der Dyspnoe, der paCO2-Werte und der Atemfrequenz lässt sich bereits 12 h nach Therapiebeginn zwischen Respondern (d. h. Abnahme dieser Parameter) bzw. Non-Respondern (d. h. fehlende Abnahme bzw. Zunahme dieser Parameter) unterscheiden. In . Tab. 42.4 sind Abbruchkriterien für die NIV bzw. Intubationskriterien aufgeführt. Zum NIV-Versagen kommt es besonders häufig bei Patienten im hohen Lebensalter mit ausgeprägter Azidose und Multimorbidität. Auch nach zunächst erfolgreich abgeschlossener NIV müssen Patienten im weiteren Verlauf engmaschig beobachtet werden, da es auch nach Tagen wieder zur hyperkapnischen ARI (sog. NIV-
Spätversagen) kommen kann. Dabei geht der erneute Einsatz der NIV mit einer hohen Letalität einher, was sich evtl. durch frühzeitige Intubation bzw. invasive Beatmung verhindern lässt. In . Abb. 42.5 ist ein Algorithmus zum differenzierten Einsatz von NIV und invasiver Beatmung. Empfehlungen Bei leicht- bis mittelgradiger AECOPD mit einem pH-Wert zwischen 7,30 und 7,35 sollte NIV frühzeitig eingesetzt werden (A). Bei Patienten mit mittel- bis schwergradiger Azidose (pH <7,30) kann in spezialisierten Zentren im Einzelfall ein Therapieversuch mit NIV als Alternative zur invasiven Beatmung unternommen werden. Notwendige Voraussetzungen sind: strenges Monitoring und stetige Intubationsbereitschaft (C).
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. Abb. 42.4 Algorithmus zur NIV in der Initialphase der Therapie und im weiteren Verlauf bei Patienten mit hyperkapnischer ARI (1 Verlaufsparameter: Dyspnoe, pCO2, SaO2, pH-Wert, Atemfrequenz, Tidalvolumen; 2 chronisch ventilatorische Insuffizienz)
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. Abb. 42.5 Algorithmus zur Differenzialtherapie der invasiven Beatmung und NIV bei hyperkapnischer ARI (1 Nur bei guter technischer Ausstattung und durch Teams mit langjähriger Erfahrung; 2 Kontraindikationen 7 Übersicht)
549 42.4 · Spektrum der Indikationen
42.4.2
NIV bei hypoxämischer Verlaufsform der ARI
Die Datenlage zum Stellenwert der NIV bei der hypoxämischen ARI (mit der Definition: SaO2 <95% trotz O2-Gabe und Atemfrequenz >25/min) ist im Gegensatz zur hyperkapnischen ARI weniger klar. . Abb. 42.6 zeigt einen Algorithmus zur NIV in der Initialphase der Therapie bei Patienten mit hypoxämischer ARI. Es liegen Studienergebnisse vor, die für diese Indikation sprechen [38]. So führte die Anwendung von NIV bei Patienten mit rein hypoxämischer ARI (paO2 <60 mmHg bzw. SaO2 <90% bei einer inspiratorischen Sauerstoffkonzentration von 50%) gegenüber der Standardtherapie (inkl. Sauerstoffgabe) zu einer signifikanten Senkung des Intubationsrisikos, der Rate an septischen Schockgeschehen sowie der 90-Tage-Letalität (Odds-Ratio 0,39; p=0,017). Bei hämatologisch-onkologischen bzw. immunsupprimierten Patienten mit hypoxämischer ARI führte NIV innerhalb kurzer Zeit zur deutlichen Besserung der Oxygenierung. Demgegenüber zeigten andere Untersuchungen, dass NIV weniger bei rein hypoxämischer ARI, jedoch häufiger bei gemischt hypoxämisch-hyperkapnischer ARI, z. B. infolge Pneumonien, erfolgreich eingesetzt wurde. Bei hypoxämischer ARI mit zusätzlich überlasteter Atempumpe und konsekutiver Hyperkapnie bestehen gute Chancen für einen Therapieerfolg mit NIV. Die NIV-Versagerquote für ein heterogenes Patientenkollektiv mit hypoxämischer ARI lag für ambulant erworbene Pneumonie und ARDS bei etwa 30% bzw. >50%. Diese hohe Misserfolgsrate ist im Wesentlichen bedingt durch die komplexe Pathophysiologie der Grunderkrankung und nicht primär assoziiert mit NIV. Hier steht nicht die insuffiziente Atemmuskulatur im Vordergrund, sondern die reduzierte Gasaustauschfläche und Diffusionsstörung infolge Alveolarkollaps und Atelektase, Shunt infolge Ventilations-Perfusions-Missverhältnis und Inflammation. Eine weitere Ursache für die hohe Rate an NIV-Versagen bei Pneumonie und ARDS besteht darin, dass zur Beseitigung des Alveolarkollaps ein kontinuierlicher Überdruck notwendig ist, was bei NIV wegen der Leckage und diskontinuierlichen Anwendung nicht realisierbar ist. Schon kurzzeitige Abfälle des Atemwegsdrucks können bei kollapsgefährdeter Lunge zur Atelektasenbildung und Hypoxämie führen. Bei bestehender Indikation für eine Intubation bei hypoxämischer ARI wurde nachgewiesen, dass sich durch kurzphasige Vorschaltung von NIV die Oxygenierung im weiteren Verlauf bessert.
Empfehlungen Bei (hämato-)onkologischen, immunsupprimierten Patienten und bei Patienten mit Aids und Pneumozystispneumonie sollte CPAP bzw. NIV wenn möglich einer invasiven Beatmung vorgezogen werden (A). Ein Therapieversuch mit NIV bei schweren Formen der ambulant erworbenen Pneumonie ist besonders bei Patienten mit COPD unter Beachtung der Kontraindikationen und Abbruchkriterien gerechtfertigt (B). CPAP bzw. NIV können in besonderen Situationen nach Trauma mit oder ohne Beteiligung des Thorax bei Hypoxämie auf der Intensivstation eingesetzt werden. Jedoch wird NIV nicht als Routinemaßnahme bei Trauma- bzw. Verbrennungspatienten empfohlen (B). Insgesamt stellt das ARDS keine generell geeignete Indikation zur Anwendung von NIV dar. NIV sollte allenfalls in spezialisierten Zentren unter strengem Monitoring zum Einsatz kommen (D).
42.4.3
Kardiales Lungenödem
Der Stellenwert von NIV und CPAP beim kardial bedingten Lungenödem ist neben der medikamentösen Standardtherapie inzwischen gut belegt. CPAP hat bei dieser Indikation eine besondere Bedeutung. CPAP bewirkt das Absenken der kardialen Vor- und Nachlast, die Reduktion der Atemarbeit, eine Verbesserung der Koronarperfusion sowie des Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses. Bereits vor mehr als 20 Jahren wurde die Überlegenheit der CPAP-Behandlung im Vergleich zur alleinigen O2-Gabe beim kardiogenen Lungenödem nachgewiesen [40]. In oben genannten Metaanalyse ergibt der Vergleich NIV gegen Standardtherapie für NIV Verminderungen der Intubationsrate (–13%, signifikant) und der Sterblichkeit (–7%, nicht signifikant). Die Myokardinfarktraten werden nicht beeinflusst. Im direkten Vergleich NIV gegen CPAP ergeben sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich Intubationsfrequenz, Sterblichkeit und Myokardinfarktrate. Geht das kardial bedingte Lungenödem neben der Hypoxämie mit einer Hyperkapnie einher, kann CPAP in Kombination mit inspiratorischer Druckunterstützung, d. h. als NIV, durchgeführt werden.
. Abb. 42.6 Algorithmus zur NIV in der Initialphase der Therapie bei Patienten mit hypoxämischer ARI (Kontraindikationen s. Übersicht)
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Kapitel 42 · Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
42.4.5 Bei Patienten mit hypoxämischer ARI bei kardialem Lungenödem sollte nach initialer Sauerstoffgabe primär eine CPAP-Therapie eingesetzt werden (A). Bei zusätzlicher Hyperkapnie kann primär NIV als Alternative zu CPAP eingesetzt werden. Sowohl auf einen adäquaten inspiratorischen Druck (IPAP) mit dem Ziel der alveolären Normoventilation als auch auf einen ausreichend hohen exspiratorischen Druck (EPAP) ist hierbei zu achten (C). Bei Patienten mit hypoxämischer ARI bei kardiogenem Lungenödem dürfen durch die Adaptation an CPAP bzw. NIV die indizierte Pharmakotherapie sowie notwendige kardiologische Interventionen, wie z. B. Herzkatheter, nicht verzögert werden (D).
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42.4.4
NIV in der perioperativen Phase
Bei dieser Indikation ergeben sich deuliche Hinweise, dass NIV als »Bridging-Intervention« bei unterschiedlichen Krankheitsbildern (z. B. bei zystischer Fibrose vor Lungentransplantation und schwergradigem Emphysem vor Lungenvolumenreduktion) die Ventilation stabilisiert. Während einer Allgemeinanästhesie in Rückenlage des Patienten und maschineller Beatmung nimmt die funktionelle Residualkapazität (FRC) um ca. 20% ab, was zu endexspiratorischem Verschluss der kleinen Atemwege (»airway closure»), Bildung von Atelektasen, Zunahme des intrapulmonalen Rechts-links-Shunts, d. h. Hypoxämie, führt. Insbesondere nach abdominal- und thoraxchirurgischen Eingriffen kann es infolge dorsobasaler Belüftungsstörungen mit daraus resultierendem Rechts-links-Shunt zu Störungen der Sauerstoffversorgung kommen. Obwohl Masken-CPAP schon vor Jahren mit dem Ziel der Vermeidung von atelektatischen Lungenarealen bzw. konsekutiven Pneumonien postoperativ eingesetzt wurde, war dieses Vorgehen nicht durch Studien gesichert. Inzwischen ist die Datenlage klarer. Kommt es in der postoperativen Phase von kardio- und thoraxchirurgischen Eingriffen zur ARI, führt NIV in Form der inspiratorischen Druckunterstützung neben einer Verbesserung des Gasaustausches und der Hämodynamik zur Reduktion der Reintubations-, Komplikations- und Mortalitätsrate [38]. Squadrone et al. verglichen Sauerstofftherapie allein mit Sauerstoff plus CPAP-Therapie bei Patienten mit Hypoxämie nach großen abdominellen Operationen [41]. Patienten unter CPAP-Therapie hatten eine signifikant niedrigere Intubationsrate und entwickelten weniger Pneumonien bzw. Wundinfektionen durch Anastomoseninsuffizienzen.
Empfehlung
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Im schwierigen Entwöhnungsprozess von der invasiven Beatmung hat NIV eine zunehmende Bedeutung (Algorithmus . Abb. 42.7). Die zugrunde liegende Rationale ist die oben ausgeführte Erkenntnis, dass eine länger dauernde invasive Beatmung die Prognose des Patienten verschlechtert. Vergleichbar der invasiven Beatmung führt NIV zur Reduktion der Atemarbeit und Verbesserung des Gasaustausches. Zwingende Voraussetzungen für diese Strategie sind die Extubations- und NIV-Fähigkeit eines weiterhin vom Respirator abhängigen Patienten. Die Bedeutung der NIV im Weaning-Prozess wird ebenfalls kontrovers diskutiert. Gute Argumente sprechen dafür, dass NIV bei einer selektierten Gruppe invasiv beatmeter Patienten die Respiratorentwöhnung erleichtert. Aufgrund der komplexen Pathophysiologie der COPD ist bei invasiv beatmeten COPD-Patienten in 35–67% der Fälle mit einer schwierigen Entwöhnung zu rechnen [38]. Bereits vor >10 Jahren wurde im Rahmen von unkontrollierten klinischen Studien nachgewiesen, dass NIV im schwierigen Entwöhnungsprozess bei Patienten mit hyperkapnischer ARI infolge COPD eine mögliche Therapieoption darstellt. Inzwischen liegen die Ergebnisse von 3 randomisierten und kontrollierten Studien aus Italien, Frankreich und Spanien vor [38]. Bei invasiv beatmeten und schwer vom Respirator entwöhnbaren Patienten (v. a. mit der Diagnose COPD) wurde durch Extubation mit nachfolgender NIV – verglichen mit der invasiv beatmeten Kontrollgruppe – die Erfolgsrate der Respiratorentwöhnung signifikant gebessert. Des Weiteren ließ sich die Letalitätsrate signifikant reduzieren; auch wurden die Reintubations-, Tracheotomie- und Komplikationsrate gesenkt. Trotz dieser vielversprechenden Studienergebnisse sei einmal mehr einschränkend gesagt, dass neben der Patientenselektion (d. h. hyperkapnische ARI, vorwiegend infolge COPD) wesentliche Voraussetzung für den NIV-Erfolg in der Entwöhnungsphase die langjährige Erfahrung des Teams mit dieser Methode ist. Im Gegensatz zur hyperkapnischen Atmungsinsuffizienz bleibt der Stellenwert der NIV beim schwierigen Weaning infolge hypoxämischer Atmungsinsuffizienz strittig. Bisher wurde nur an einer kleinen Fallzahl bei Nicht-COPD-Patienten mit hypoxämischem Lungenversagen gezeigt, dass die Entwöhnungsrate nach frühzeitiger Extubation mit anschließender NIV hoch war und NIV zur Verbesserung physiologischer Parameter (wie z. B. Besserung der Oxygenierung, des Atemmusters und Abnahme des Shunts) führte. Da diese Ergebnisse jedoch bisher nicht durch größere Patientenzahlen und multizentrisch bestätigt wurden, kann der Einsatz der NIV im Weaning für diese Indikation derzeit nicht allgemein empfohlen werden.
Empfehlungen
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NIV bei schwieriger Entwöhnung
Empfehlungen
Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine postoperative hypoxämische ARI kann durch die frühzeitige Anwendung von CPAP bzw. NIV unmittelbar nach der Extubation die Rate der Reintubationen und weiterer Komplikationen signifikant gesenkt werden (B).
Ist eine NIV-Fähigkeit gegeben, sollten COPD-Patienten, die wegen hyperkapnischer ARI invasiv beatmet werden, möglichst frühzeitig extubiert und auf NIV umgestellt werden (A). Der Einsatz von NIV beim schwierigen Weaning infolge hypoxämischer ARI wurde bislang nur in monozentrischen Studien mit geringer Patientenzahl untersucht. Daher kann NIV im Weaning bei diesen Patienten zurzeit nicht empfohlen werden.
551 42.4 · Spektrum der Indikationen
. Abb. 42.7 NIV bei schwieriger Entwöhnung von invasiver Beatmung. CVI: Chronisch ventilatorische Insuffizienz
42.4.6
Postextubationsphase
Abhängig von unterschiedlichen Faktoren liegt die Inzidenz der Reintubation in der Postextubationsphase zwischen 3,3% und 23,5% [38]. Das sog. Postextubationsversagen, d. h. Reintubation aufgrund einer ARI, ist mit einer hohen Komplikations- und Letalitätsrate verbunden. Die Krankenhausmortalität kann 30–40% übersteigen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die ARI in der Postextubationsphase durch den frühzeitigen Einsatz der NIV – im Sinne der Prävention – zu verhindern oder eine bereits manifeste ARI mit NIV zu therapieren. Vor allem bei Risikopatienten mit COPD, hohem Alter, Herzinsuffizienz und Hypersekretion, die nach Extubation eine hyperkapnische ARI entwickeln, führt der frühzeitige Einsatz von NIV zur Reduktion der Reintubations- und Letalitätsrate; dies wurde auf unterschiedlichen EBM-Niveaus gezeigt [38]. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Patienten mit fortbestehender chronisch ventilatorischer Insuffizienz auch nach formell erfolgreich abgeschlossenem Weaning von NIV in Form der Heimbeatmung profitieren. Wir konnten zeigen, dass etwa 30% der entwöhnten Patienten im weiteren Verlauf erfolgreich mit NIV in häuslicher Umgebung versorgt wurden [42]. Gegen einen unselektierten Einsatz von NIV bei ARI in der Postextubationsphase sprechen aktuelle Ergebnisse randomisierter und kontrollierter Studien [43, 44]. In beiden Studien wurden allerdings vorwiegend Patienten mit hypoxämischer ARI und nur wenige Patienten mit COPD eingeschlossen. Während in einer Studie kein Unterschied zwischen der NIV und der Standardtherapie bezüglich Outcome-Parametern, wie z. B. Reintubationsrate, Letalität, Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus, gefunden wurde, waren in der anderen Studie Reintubations- und Letalitätsrate in der NIV-Gruppe signifikant erhöht. Diese Ergebnisse sind ernst zu nehmen und verdeutlichen v. a. bei der hypoxämischen ARI die Notwendigkeit zur strengen Patientenselektion und des engmaschigen Monitorings, um eine indizierte Reintubation nicht zu verzögern. Dennoch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass die beiden genannten Studien relevante methodische Mängel aufweisen und die Ergebnisse daher mit gebotener Zurückhaltung zu interpretieren sind. Die fehlende Effektivität und hohe Komplikationsrate bei den mit NIV behandelten Patienten erklärt
sich zumindest teilweise durch den verzögerten Beginn der NIV, niedrige Beatmungsdrücke bzw. Tidalvolumina, geringe Erfahrung des Behandlungsteams (Reintubationsrate >70% nach elektiver Extubation) und unzureichendes technisches Equipment. Diese Studienergebnisse lassen nicht die Schlussfolgerung zu, dass NIV in der Postextubationsphase generell kontraindiziert bzw. obsolet sei. Auch wenn NIV beim hypoxämischen ARI nicht oder nur mit großer Zurückhaltung zu empfehlen ist, profitieren insbesondere Risikopatienten mit COPD – wie in den anderen genannten Studien eindeutig gezeigt wurde – in dieser Situation von NIV.
Empfehlungen In der Postextubationsphase nach länger dauernder invasiver Beatmung (>48 h) sollten Patienten mit hyperkapnischer ARI und Risikofaktoren für ein Extubationsversagen prophylaktisch mit NIV behandelt werden (A). Auch bei adipösen Patienten reduziert NIV nach Extubation die Reintubationsrate. Nach Extubation von Patienten mit hypoxämischer ARI ohne begleitende COPD sollte kein Behandlungsversuch mit NIV erfolgen (A).
> Wichtige Voraussetzung für den Einsatz von NIV generell sind langjährige Erfahrung eines hoch motivierten Teams in der invasiven und nichtinvasiven Beatmung, engmaschiges Monitoring der Vitalfunktionen und die Möglichkeit zur unverzögerten Reintubation bei ventilatorischem Versagen, um weitere Komplikationen zu vermeiden.
42.4.7
Neue Anwendungsbereiche
In jüngerer Vergangenheit wurde NIV mit neuen Indikationen eingesetzt. Im Folgenden werden einige Bereiche erläutert.
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Kapitel 42 · Nichtinvasive Beatmung zur Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
Immunsupprimierte Patienten
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Entsprechend der Literatur und der klinischen Erfahrung nimmt die Mortalitätsrate bei immunsupprimierten Patienten, die infolge ARI invasiv beatmet werden, v. a. infolge nosokomialer Infektionen signifikant zu. Darüber hinaus ist bei Aids die ARI infolge Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie oder anderer opportunistischer Erreger die häufigste Todesursache. In einer randomisierten Studie wurde NIV mit der Standardtherapie bei immunsupprimierten Patienten mit ARI nach Organtransplantation verglichen [45]. Neben der verbesserten Oxygenierung führt NIV auch zur Reduktion der Intubations-, Komplikations- und Mortalitätsrate und der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation. Ein weiterer Vergleich zwischen Standardtherapie und NIV bei immunsupprimierten Patienten mit hypoxämischer ARI (meistens infolge Pneumonie) und hämatologischen Erkrankungen, HIV-Infektion und nach Transplantation ergab, dass NIV die Intubations-, Komplikations- und Mortalitätrate senkt [46].
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Perkutan endoskopische Gastrostomie (PEG) und Bronchoskopie
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Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen leiden häufig neben einer Atemmuskelschwäche unter Schluckstörungen und benötigen zur adäquaten enteralen Ernährung eine PEG-Sonde. Diesen Patienten droht während der PEG-Anlage die ARI. Durch Anwendung von NIV während der PEG-Anlage kann die ARI vermieden werden. Bei gefährdeten Patienten kann durch eine Bronchoskopie eine ARI verursacht werden. Bei unterschiedlichen Indikationen für eine Bronchoskopie bei Patienten mit Hypoxämien ließ sich zeigen, dass sich durch NIV über Maske und Helm die Oxygenierung verbessert und die Notwendigkeit zur Intubation verringert [38].
»Do Not Intubate« (DNI) oder »Do Not Resuscitate« (DNR) und Palliation In der terminalen Phase unterschiedlicher Erkrankungen kommt es häufig zur Beteiligung der Lunge mit konsekutiver Atmungsinsuffizienz. In der Endphase ihrer Krankheit werden Karzinompatienten mit ARI häufig nicht mehr auf die Intensivstation aufgenommen, da eine Intubation mit einer hohen Mortalität einhergeht. In dieser Situation lässt sich die Intubation durch NIV verhindern. In einer aktuellen Pilotstudie wurde gezeigt, dass NIV als Palliativmaßnahme bei Krebspatienten in der Terminalphase durchaus sinnvoll eingesetzt werden kann [38]. Die retrospektive Analyse zur Prognose von 2 Patientenkollektiven mit hämatologischen Erkrankungen und ARI, die im Zeitraum von 1990–1995 ohne NIV und von 1996–1998 mit NIV auf der Intensivstation behandelt wurden, ergab, dass die Überlebensrate mit NIV deutlich zunahm [38]. Im Grenzbereich zwischen Intensiv- und Palliativmedizin begegnen wir zunehmend multimorbiden Patienten mit ARI. In retrospektiven und unkontrollierten Studien wurde gezeigt, dass NIV bei Patienten mit ARI, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr intubiert wurden, erfolgreich eingesetzt wurde [38]. NIV führte zur Reduktion der Dyspnoe, d. h. Verbesserung der Lebensqualität, wobei eine gewisse Autonomie während der Intervention erhalten blieb. Durch NIV lässt sich evtl. Zeit gewinnen, um z. B. dem Patienten einen bewussten Abschied von seinen Verwandten zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang lässt sich das Statement der internationalen Consensus Conference on Intensive Care Medicine zitieren: »The use of NIV may be justified in selected patients who are not to be intubated and may provide patient comfort and facilitate physician-patient interaction [33].«
Auch wenn der Begriff »nichtinvasiv« eine gewisse Harmlosigkeit suggeriert, ergibt sich hierbei ein häufig unterschätzter Konflikt, und es stellen sich in diesem Zusammenhang kritische Fragen v. a. zu ethischen Aspekten. Fazit Bei der NIV handelt es sich definitiv um eine vollwertige Beatmung, die sich in der Akutsituation von der invasiven Beatmung zunächst nur durch den Beatmungszugang unterscheidet. NIV reduziert effektiv die Dyspnoe und kann somit in der Palliativsituation hilfreich sein. Wenn in einer Patientenverfügung jede Form der Beatmung als intensivmedizinische Maßnahme oder entsprechend dem auf aussagekräftige Indizien gestützten mutmaßlichen Willen des Patienten abgelehnt wird, ist auch NIV kontraindiziert. Die Maskenbeatmung kann zu relevanten Nebenwirkungen, wie z. B. Reduktion der Kommunikationsfähigkeit, schmerzhaften Druckstellen im Gesichtsbereich oder Aerophagie führen. Eventuell verlängert NIV sogar den Leidensweg und den Sterbevorgang und hat in dieser Situation keinen Nutzen mehr.
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42
555
Gastrointestinale Störungen Kapitel 43
Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
Kapitel 44
Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
Kapitel 45
Akute Pankreatitis
Kapitel 46
Akute gastrointestinale Blutungen
Kapitel 47
Mesenteriale Durchblutungsstörungen
VI
557
Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken T. Brünnler, J. Schölmerich
43.1
Einführung – 558
43.2
Gastroösophagealer Reflux und Gastroparese – 558
43.2.1 43.2.2 43.2.3
Pathophysiologie – 558 Klinische Folgen – 558 Therapeutische Konsequenzen – 558
43.3
Paralytischer Ileus – 559
43.3.1 43.3.2 43.3.3 43.3.4 43.3.5
Pathophysiologie – 559 Ätiologie – 559 Systemische Folgen – 559 Inflammatorische Reaktion und organsystembezogene Folgen – 560 Therapeutische Maßnahmen – 560
43.4
Intestinale Pseudoobstruktion – 561
43.4.1 43.4.2 43.4.3 43.4.4 43.4.5 43.4.6
Pathophysiologie – 561 Klinische Verlaufsform – 562 Diagnostik – 562 Differenzialdiagnose – 562 Prognose – 562 Therapeutische Maßnahmen – 562
43.5
Abdominelles Kompartment – 563
43.5.1 43.5.2 43.5.3 43.5.4
Diagnostik – 563 Ursachen – 563 Klinische Folgen – 563 Therapeutische Konsequenzen – 564
43.6
Bakterielle Translokation – 565
43.6.1 43.6.2 43.6.3
Mechanismen der bakteriellen Translokation – 565 Klinische Relevanz der bakteriellen Translokation – 565 Prävention und Therapie der bakteriellen Translokation – 565
43.7
Erkrankungen der Gallenblase und Gallenwege – 565
43.7.1 43.7.2
Akalkulöse Cholezystitis – 565 Sekundär sklerosierende Cholangitis – 565
Literatur – 566
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_43, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
43
43 43 43 43 43 43 43 43 43
558
Kapitel 43 · Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
43.1
Einführung
Funktionsstörungen des Magen-Darm-Traktes treten häufig als unerwünschte Begleiterscheinungen bei kritisch kranken Patienten auf. Fehlende Mobilisation, unphysiologische Ernährung oder der Einfluss diverser Medikamente können zu einer verzögerten Magen-Darm-Passage beim Intensivpatienten führen. Dabei spielt der gastroösophageale Reflux im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes eine wesentliche Rolle, generell gilt der paralytische Ileus als eine der Hauptkomplikationen bei Intensivpatienten und im Bereich des unteren Gastrointestinaltraktes die intestinale Pseudoobstruktion. Die intraabdominelle Druckerhöhung bis hin zum intraabdominellen Kompartment spielt bei einigen Erkrankungen eine wesentliche Rolle und bedarf einer schnellen Therapie. Der Übertritt von Mikroorganismen der Magen-Darm-Flora in die Blutbahn, bezeichnet als bakterielle Translokation, muss schließlich als Kofaktor für entzündliche Prozesse, beispielweise im Rahmen der Sepsis, betrachtet werden. Als weitere Probleme im Rahmen des Intensivaufenthalts sind häufig Entzündungen der Gallenblase zu finden (sog. «Intensivgallenblase«), Sludge und nicht letztlich zunehmend häufig auch Veränderungen der Gallenwege in Form der sekundär sklerosierenden Cholangitis.
43 43.2
43 43 43 43 43 43 43 43 43 43
Gastroösophagealer Reflux und Gastroparese
Motilitätsstörungen im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes einschließlich Ösophagus, Magen und Duodenum treten häufig beim Intensivpatienten auf. Ursachen bzw. auslösende Faktoren unterscheiden sich oft nicht voneinander [13]. Gastroösophagealer Reflux Beim gastroösophagealen Reflux kommt es zum Reflux von Mageninhalt in den Ösophagus. Während ein geringer Refluxanteil beim Menschen als physiologisch betrachtet werden kann, wird dieser Reflux als pathologisch bezeichnet, wenn eine verlängerte Refluxdauer vorhanden ist, wenn klinische Symptome auftreten und/oder eine Ösophagitis entsteht.
Gastroparese Bei der Gastroparese kommt es zu einer Verzögerung der Magenentleerung. Während primäre Ursachen vielfältig sind, tritt dieses Phänomen beim kritisch kranken Patienten häufig als Sekundärsymptom auf und kann den klinischen Verlauf deutlich beeinflussen.
43
43.2.1
43
Die Genese des gastroösophagealen Refluxes ist vielfältig. Es sind in aller Regel mehrere Faktoren beteiligt. Als wichtigster Schutzmechanismus gilt die Aufrechterhaltung einer intakten Funktion des unteren Ösophagussphinkters. Generell sind folgende Faktoren an der Pathogenese beteiligt: 4 transiente Relaxation des unteren Ösophagussphinkters, 4 transienter Anstieg des intraabdominellen Druckes über denjenigen des unteren Ösophagussphinkters hinaus, 4 spontaner Reflux durch einen insuffizienten Ösophagussphinkter,
43 43 43
Pathophysiologie
. Tab. 43.1 Ursachen für die Entstehung einer verminderten Ösophagusmotilität beim Intensivpatienten Patientenspezifische Faktoren
5 Kritische Erkrankung ohne direkten Einfluss auf die Motorfunkion (z. B. erhöhter intraabdomineller Druck, Sepsis, spinale Erkrankungen) 5 Kritische Erkrankung mit direktem Einfluss auf die Motorfunktion (z. B. akute Pankreatitis, intestinale Ischämie) 5 Vorangegangene Operationen 5 Präexistente Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) 5 Veränderungen im Elektrolytstatus
Iatrogene Faktoren
5 Medikamente (v. a. Sedierung, Analgesie, Katecholamine) 5 Invasive Beatmung 5 Total parenterale Ernährung/enterale Ernährung
4 Verminderung der Ösophagusmotilität, 4 verminderte Clearance-Funktion des tubulären Ösophagus. Insbesondere beim Intensivpatienten sind neben nicht messbaren Drücken im Bereich des unteren Ösophagussphinkters häufig erhöhte intraabdominelle Drücke nachzuweisen (7 Abschn. 43.2.4; . Tab. 43.5), die eine wesentliche Ursache in der Pathogenese des gastroösophagealen Refluxes darstellen. Daneben fokussiert sich die Diskussion zunehmend auf eine »Critical-care-Dysmotilität« , die mit einer Störung der Transportkapazität im oberen Gastrointestinaltrakt einhergeht. Der Veränderung der gastralen Motilität beim Intensivpatienten liegen folgende Faktoren zugrunde: 4 antrale Hypomotilität, 4 generell erhöhter Muskeltonus im Bereich des Pylorus, 4 vermehrtes Auftreten isolierter pylorischer Druckwellen. . Tab. 43.1 zeigt spezifische intensivmedizinische Einflussfaktoren, die die Entstehung einer verzögerten Transportfunktion und der daraus resultierenden Refluxerkrankung begünstigen.
43.2.2
Klinische Folgen
Bezüglich der Refluxerkrankung treten klassische Symptome wie Sodbrennen, retrosternale Schmerzen oder Dysphagie beim Intensivpatienten eher in den Hintergrund. Relevant ist in der Regel ein vermehrter Reflux über oder teils auch neben liegende Ernährungssonden, was folglich die Aszension von gastrointestinalen Keimen ins Bronchialsystem und somit die Entstehung einer Aspirationspneumonie begünstigt. Die klinischen Folgen einer verminderten gastralen Transportfunktion führen zur Begünstigung des gastroösophagealen Refluxes, bedingen Schwierigkeiten bei der Nahrungsapplikation und fördern die Aspiration von Mageninhalt in das Bronchialsystem.
43.2.3
Therapeutische Konsequenzen
Generell kommen 2 therapeutische Ziele zum Tragen: 4 ursächlich die Einleitung einer medikamentösen, prokinetischen Therapie, 4 die medikamentöse Säurehemmung zur Behandlung der Symptome.
559 43.3 · Paralytischer Ileus
. Tab. 43.4 liefert einen Überblick über die Möglichkeiten der medikamentösen Stimulation der gastrointestinalen Motilität.
43.3
Paralytischer Ileus
Ileus Ileus wird als Zustand bezeichnet, bei dem es zu einer partiellen oder vollständigen Blockade der Passage von Dünn- oder Dickdarm kommt. Dabei wird zwischen der paralytischen Form und der mechanischen Form unterschieden, wobei entweder eine Beeinträchtigung der Peristaltik zugrunde liegt oder eine mechanische Obstruktion im Bereich des Darmes besteht.
Im Bereich der Intensivmedizin spielt v. a. die adyname Form, also der paralytische Ileus eine wesentliche Rolle (. Abb. 43.1).
43.3.1
Pathophysiologie
Pathophysiologisch liegt dem Ileus eine ungeordenete Aktivität einzelner Zellen zugrunde, die zu einem Verlust der Synchronisation und damit zu einer Beeinträchtigung der Peristaltik führt. Diese diffuse gastrointestinale Dysmotilität führt zu einem vermehrten intraluminalen Druck mit intestinaler Dilatation. Damit verbunden ist schließlich eine Invasion neutrophiler Granulozyten in die Lamina muscularis, was zu einer direkten Schädigung der Muskelzellen durch die Freisetzung proteolytischer Enzyme und von Zytokinen führt. Getriggert durch diese inflammatorische Reaktion wird schließlich Stickstoffmonoxid (NO) freigesetzt, was eine Paralyse der Myozyten bedingt und damit die intestinale Dilatation aggraviert. Als Konsequenz entsteht schließlich eine Ischämie der intestinalen Wand, was wiederum eine vermehrte systemische Freisetzung von Entzündungsmediatoren bedingt. Die inflammatorische Reaktion korreliert dabei klinisch mit dem Schweregrad des Ileus [11].
43.3.2
Ätiologie
Der paralytische Ileus zählt allgemein zu den häufigsten Komplikationen bei Intensivpatienten. Es können dabei alle Abschnitte des Gastrointestinaltraktes betroffen sein. . Tab. 43.2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten Faktoren, die mit der Entstehung eines paralytischen Ileus beim Intensivpatienten assoziert sind. Beim kritisch kranken Patienten ist die Beeinträchtigung der intestinalen Motilität direkt mit der Schwere der zugrunde liegenden Erkrankung und der Mortalität assoziiert. a
43.3.3
Systemische Folgen
Der paralytische Ileus bedingt eine Vielzahl systemischer Folgeprobleme, die pathophysiologisch in erster Linie auf einen deutlich erhöhten intraabdominellen Druck und die Flüssigkeitsverschiebung zurückzuführen sind. Eine Übersicht liefert . Tab. 43.3.
. Tab. 43.2 Ursachen für die Entstehung eines paralytischen Ileus beim Intensivpatienten Medikamente
5 Opioide 5 Katecholamine
Infektiöse Prozesse
5 Intra- oder retroperitoneale Infektionen 5 Sepsis, septisch-toxischer Schock, Capillaryleak-Syndrom 5 Entzündliche Darmerkrankungen 5 Bakterielle oder parasitäre Darminfektionen 5 Antibiotikaassoziierte pseudomembranöse Kolitis
Vaskuläre Faktoren
5 Mesenteriale Ischämie 5 Venöse Stase 5 Retro- oder intraperitoneale Hämatome
Metabolische Ursachen
5 Akutes Nierenversagen 5 Elektrolytstörungen
b . Abb. 43.1a, b Röntgenübersicht bei paralytischem Ileus: a im Liegen, b im Stehen
43
560
Kapitel 43 · Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
43
. Tab. 43.3 Systemische Komplikationen bei Patienten mit paralytischem Ileus
43
Betroffene Organsysteme
Symptome
43
Kardiovaskuläres System
5 Erhöhung des systemischen Gefäßwiderstandes 5 Verminderung des Herzzeitvolumens 5 Anstieg des ZVD 5 Anstieg des pulmonal-kapillären Verschlussdruckes
Respiratorisches System
5 Erhöhter intrathorakaler Druck 5 Verminderte pulmonale Compliance 5 Verminderte paO2/FIO2-Ratio
ZNS
5 Erhöhter intrakranieller Druck 5 Verminderung der zerebralen Perfusion
Leber
5 Verminderte Leberperfusion
Niere
5 Verminderte Nierenperfusion 5 Verminderte glomeruläre Filtrationsrate 5 Prärenales Nierenversagen
43 43 43 43 43 43 43 43
Gastrointestinaltrakt
5 5 5 5 5 5
Vermehrter gastrointestinaler Reflux Vermehrte Flüssigkeitssequestration Bakterielle Überbesiedlung Bakterielle Translokation Distension Verminderung des mesenterialen Blutflusses
43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43
Bedeutung gewinnt dieses Phänomen insbesondere bei Patienten mit gestörter mukosaler Barrierefunktion und/oder systemischer Immuninkompetenz der Patienten. Dies resultiert entsprechend der »Darmhypothese der Sepsis« in der Prädisposition systemischer Infektionen und Septikämien. Bei kritisch kranken Patienten mit paralytischem Ileus begünstigen verschiedene Aspekte die bakterielle Translokation: 4 bakterielle Überbesiedlung, 4 inflammatorische mukosale Reaktion mit daraus resultierender Hemmung der mukosalen Barrierefunktion, 4 verminderte mesenteriale Perfusion bei erhöhtem intraabdominellem Druck, was ebenso zu einer Hemmung der mukosalen Barrierefunktion führt, 4 die bei kritisch kranken Patienten in aller Regel vorliegende systemisch supprimierte Immunkompetenz.
43.3.4
Inflammatorische Reaktion und organsystembezogene Folgen
Im Verlauf der Entwicklung eines paralytischen Ileus kommt es, wie bereits erläutert, zu einer Entzündung der intestinalen Wand. Damit repräsentiert der Darm einen entzündlichen Fokus und führt zu einer Aktivierung immunkompetenter Zellen mit Ausschüttung von Zytokinen. Infolgedessen kann die Entwicklung des Ileus per se zu einem systemisch inflammatorischen »response syndrome« (SIRS) führen und die Progression eines Multiorganversagens begünstigen [7].
Abdominelles Kompartmentsyndrom Gastroduodenaler Reflux, Aspiration Durch die verminderte Motilität wird die Entstehung von gastrointestinalem Reflux begünstigt. Dies kann klinisch mit vermehrtem Erbrechen einhergehen. Von entscheidender Bedeutung ist die Aszension von Mikroorganismen in das Bronchialsystem mit der Folge der Aspirationspneumonie.
Flüssigkeitssequestration und Hypovolämie Der Volumenstatus wird bei jeder Ileusform beeinträchtigt. Typischerweise kommt es – v. a. in der Frühphase – beim paralytischen Ileus zu einer vermehrten Perfusion der intestinalen Mukosa als Zeichen der inflammatorischen Reaktion. Dies kann in ausgeprägten Fällen zu einer Hypovolämie mit Beeinträchtigung der Herz-Kreislauf-Funktion führen und darüber entscheidend zu einer klinischen Verschlechterung des Patienten beitragen. Daher ist eine adäquate Flüssigkeitstherapie für den klinischen Verlauf von kritisch kranken Patienten mit Ileussymptomatik von entscheidender Bedeutung.
Mit zu den wichtigsten Komplikationen des paralytischen Ileus gehört das abdominelle Kompartmentsyndrom durch Erhöhung des intraabdominellen Drucks. Aus einer Erhöhung des intraabdominellen Drucks resultiert eine generelle Minderperfusion aller Organsysteme mit Verschlechterung der hämodynamischen wie auch respiratorischen Situation des kritisch kranken Patienten mit entsprechenden systemischen Konsequenzen. Eine schnelle therapeutische Konsequenz ist unabdingbar (7 Abschn. 43.4).
43.3.5
Therapeutische Maßnahmen
Therapeutische Maßnahmen bei kritisch kranken Patienten mit paralytischem Ileus sind vielfältig. Sie zielen zum einen auf die Beseitigung der Ursache und damit der zugrunde liegenden Erkrankung selbst ab, zum anderen müssen die daraus entstandenen Folgen entsprechend korrigiert werden. Dabei kommen konservative, ggf. aber auch operative Maßnahmen in Frage.
Bakterielle Überbesiedlung
Flüssigkeitsmanagement
Der paralytische Ileus ist mit einer bakteriellen Überbesiedlung, insbesondere durch Escherichia coli, vergesellschaftet. Dies kann durch eine breite oder auch inadäquate Antibiotikatherapie noch verstärkt werden. Durch Adhärenz bzw. Invasion von Mikroorganismen und/oder Endo- und Exotoxinen an bzw. in die intestinale Mukosa wird eine inflammatorische, mukosale Reaktion verstärkt, was schließlich zu einer Hyperperfusion der Mukosa mit Hypersekretion führt.
Aufgrund der in 7 Abschn. 43.2.3 und 7 Abschn. 43.2.4 erläuterten Folgen bezüglich der zirkulatorischen Funktion ist eine adäquate Volumen- und ggf. auch Katecholamintherapie zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Herz-Kreislauf-Funktion des Patienten unumgänglich.
43
Bakterielle Translokation
43
Die bakterielle Translokation bezeichnet den Übertritt von Mikroorganismen bzw. deren Anteilen über die intestinale Mukosa in die Blut- oder Lymphbahn (7 Abschn. 43.5). Pathophysiologische
! Cave Der Einsatz von Medikamenten, die zu einer mesenterialen Minderperfusion führen, wie z. B. Adrenalin, Dopamin oder auch Vasopressin mit seinen entsprechenden Analoga, sollte nur äußerst zurückhaltend erfolgen.
561 43.3 · Intestinale Pseudoobstruktion
Stimulation der intestinalen Motilität Die frühzeitige bzw. auch prophylaktische prokinetische Therapie kann zur Aufrechterhaltung der Motilität beitragen und so die Entstehung eines paralytischen Ileus verhindern. . Tab. 43.4 liefert einen Überblick über verschiedene prophylaktische oder therapeutische Optionen zur Prävention oder Therapie eines adynamen Ileus [3, 4].
Ernährung Der Stellenwert der enteralen Ernährung beim Intensivpatienten gilt mittlerweile als etabliert. Positive Effekte bezüglich der Aufrechterhaltung der intestinalen Funktionen, der Perfusion, Motilität und der Barrierefunktion der intestinalen Mukosa konnten mehrfach nachgewiesen werden. Auch wenn eine ausreichende kalorische Ernährung beim Intensivpatienten enteral häufig nicht zu erreichen ist, konnten die protektiven Effekte bereits bei geringer Zufuhr einer enteralen Ernährung gezeigt werden.
Abdominelle Dekompressionstherapie Sind konservative Maßnahmen nicht suffizient in der Therapie des paralytischen Ileus und entsteht ein erhöhter intraabdomineller Druck, sind ggf. auch interventionelle oder chirurgische Maßnahmen zu erwägen. Bei Patienten mit Leberzirrhose kann eine Aszitespunktion zur intraabdominellen Druckreduktion führen, bei Patienten mit ausgeprägter Dilatation evtl. auch eine endoskopische Dekompression. Zur Therapie eines intraabdominellen Kompartmentsyndroms ist schließlich die offene Laparotomie die Methode der Wahl.
43.4
Intestinale Pseudoobstruktion
Die intestinale Pseudoobstruktion umfasst ein klinisches Syndrom, das mit einer Veränderung der intestinalen Propulsion einhergeht, ohne dass eine mechanische Ursache zugrunde liegt. Dabei können sowohl Dünn- als auch Dickdarm betroffen sein, und es existieren akute, subakute und chronische Formen. Die klinische Verlaufsform kann von einer leichten Konstipation bis hin zu schweren Formen der intestinalen Pseudoobstruktion variieren. Im Bereich der Intensivmedizin spielt v. a. die akute Form, nach ihrem Erstbeschreiber auch als Ogilvie-Syndrom bekannt und mit einer akuten Dilatation des Darmes assoziiert, eine wesentliche klinische Rolle (. Abb. 43.2, [10]).
. Tab. 43.4 Prophylaktische oder therapeutische Optionen bei kritisch kranken Patienten mit paralytischem Ileus Stimulation der gastrointestinalen Motilität
Substanzen
Mechanische Stimulation der gastralen Aktivität
5 Frühzeitige enterale Ernährung
Medikamentöse Stimulation der gastralen Motilität
5 Metoclopramid 5 Erythromycin
Mechanische Stimulation der intestinalen Aktivität
5 Klysmen 5 Hebe-Senk-Einläufe
Medikamentöse Stimulation der intestinalen Motilität
5 Cholinergika 5 Opioidantagonisten
. Abb. 43.2 Intraoperatives Bild eines eingebluteten Ogilvie-Syndroms
Von dieser Erkrankung abzugrenzen ist das toxische Megakolon, das im Zusammenhang mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung auftritt, und sekundäre Formen des Megakolons, die enzündlich bedingt auftreten.
43.4.1
Pathophysiologie
Grundlagen Als pathophysiologische Grundlagen wurden identifiziert: 4 Inhibierung reflektorischer Motoneurone durch splanchnische Afferenzen als Folge toxischer Stimuli, 4 Verstärkung der inhibierenden sympathischen Impulse des Intestinums (keine Kontraktion), 4 Verstärkung der parasympathischen Impulse des Intestinums (keine Relaxation), 4 Verminderung exzitatorischer, parasympathischer Impulse (keine Kontraktion), 4 vermehrte Stimulation peripherer μ-Opioidrezeptoren durch endogene oder exogene Opioide, 4 Inhibierung der NO-Ausschüttung aus inhibitorischen Motoneuronen (keine Relaxation).
Sympatikus und Parasympathikus Initial wurde von Ogilvie 1948 propagiert, dass eine Reduktion der sympathischen Aktivität bei gesteigerter parasympathischer Innervation zu dem intestinalen Spasmus mit entsprechender Dilatation führt. Catchpol konnte jedoch 2 Jahrzehnte später zeigen, dass das Bild des Ileus v. a. durch die Prädominanz sympathischer nervaler Einflüsse entsteht. Die akute intestinale Pseudoobstruktion ist mit einer Vielzahl klinischer Komplikationen vergesellschaftet. Dazu zählen die intestinale Ischämie, die lokale oder generalisierte Hypoxie im Bereich des Peritoneums, des Darmes, der harnableitenden Wege oder im Bereich des Thorax, ebenso wie entzündliche Prozesse in den genannten Bereichen. Zudem spielen diverse Medikamente eine wichtige Rolle, die über inhibitorische Reflexe zum klinischen Bild des Ileus führen können.
Der postoperative Patient Bei postoperativen Patienten kommt es nach intestinaler Manipulation zu einer vermehrten Monozyteninfiltration im Bereich der Darmwand mit einer Hochregulation von diversen Entzündungsmediatoren wie ICAM-I, MCP-I, iNOS und COX-2 mRNA. Dabei konnte nachgwiesen werden, dass die klinische Form des postoperativen Ileus mit der intestinalen Entzündungsreaktion korreliert. Zudem konnte in zahlreichen Analysen nachgewiesen werden, dass
43
562
43 43
es postoperativ zu einer Ausschüttung endogener Opioide kommt, die durch eine verminderte NO-Ausschüttung aus inhibitorischen Motoneuronen zu einer verzögerten intestinalen Transitzeit führt. Der medikamentöse Einsatz entsprechender Substanzen kann diese Effekte weiter verstärken.
43 43.4.2
43
Kapitel 43 · Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
Klinische Verlaufsform
43
Die akute intestinale Pseudoobstruktion tritt in aller Regel bei Patienten auf, die bereits eine schwere zugrunde liegende Erkrankung aufweisen. Dazu zählen Patienten nach Schlaganfall oder akutem Myokardinfarkt sowie Patienten mit Peritonitis, Sepsis oder nach großen Operationen einschließlich orthopädischer Versorgung, Patientinnen nach Sectio oder Patienten nach kardiovaskulärer oder pulmonaler Operation [5, 15]. Die klinischen Symptome sind dabei in aller Regel nicht eindeutig und können sehr variabel imponieren: 4 Eine fehlende Stuhl- oder Gaspassage tritt in vielen Fällen auf, ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Bei bis zu 41% der Patienten findet sich eine erhaltene Stuhl- oder Gaspassage, wobei sogar teilweise Diarrhöen vorkommen können. 4 Übelkeit und Erbrechen treten häufig, in bis zu 71% der Fälle auf. 4 Klinisch weisen die Patienten eine abdominelle Distension auf, die mit abdominellen Schmerzen einhergehen kann. 4 Schmerzen und Abwehrspannung sind jedoch nicht zwingend erforderlich und können differenzialdiagnostisch auch auf eine Perforation hinweisen, die es weiter abzuklären gilt. 4 Darmgeräusche können fehlen, aber auch lebhaft bis hin zu hochgestellt sein und so das Bild des mechanischen Ileus kopieren.
43
43.4.3
43
Labordiagnostik
43 43 43 43 43 43 43 43
43 43 43 43 43 43
Diagnostik
Eine spezifische Labordiagnostik der akuten intestinalen Pseudoobstruktion existiert nicht. Laborchemische Veränderungen sind in aller Regel auf die zugrunde liegende Erkrankung zurückzuführen, evtl. zusätzlich einhergehend mit Elektrolytveränderungen oder einer Leukozytose.
Radiologische Diagnostik Radiologische Verfahren zum Nachweis der intestinalen Dilatation repräsentieren die zentrale Diagnostik dieser Erkrankung. In der Abdomenübersichtsaufnahme findet sich die Dilatation v. a. im Bereich vom Zäkum, Colon ascendens und Colon transversum. Das Colon descendens einschließlich Rektum sind ebenso wie Anteile des Dünndarms eher selten betroffen. Wichtig ist es, dabei differenzialdiagnostisch den mechanischen Ileus abzugrenzen. Als prognostische Größe kann der Diameter des Zäkums bestimmt werden, der entsprechend der Literatur in seiner Größe von 7–25 cm variiert.
43 43.4.4
43 43 43
Differenzialdiagnose
Die differenzialdiagnostische Abgrenzung der intestinalen Pseudoobstruktion zum mechanischen Ileus ist für den Patienten von entscheidender Bedeutung. Der Nachweis von Luft im gesamten Kolonrahmen bis einschließlich im Rektum grenzt dabei die intestinale Pseudoobstruktion deutlich vom mechanischen Ileus ab. Ist jedoch keine Luft im Rektosigmoid nachweisbar, kann anhand der
Abdomenübersicht nicht eindeutig zwischen beiden Entitäten unterschieden werden, und weitere Diagnostik ist notwendig.
Kolonkontrastmitteleinlauf Der Einlauf mittels wasserlöslichem Kontrastmittel hat sich bei Verdacht auf Vorliegen eines mechanischen Ileus in der Diagnostik bewährt und weist eine bis zu 96%ige Sensitivität bzw. bis zu 98%ige Spezifität auf. Bei klinischen Zeichen einer Perforation ist diese Untersuchung jedoch kontraindiziert. Im Zweifelsfall kann ggf. alternativ eine Untersuchung mittels Gastrografin vorgenommen werden, die in einzelnen Fällen auch therapeutisch Wirksamkeit zeigte.
Koloskopie Alternativ kann eine endoskopische Untersuchung (Rektosigmoidoskopie bzw. Koloskopie) durchgeführt werden, die zum einen eine Diagnose sichern bzw. therapeutischen Benefit durch eine Dekompression aufweisen kann.
Abdominelle Computertomographie Die abdominelle Computertomographie stellt (noch) kein Standardverfahren in der Diagnostik der intestinalen Pseudoobstruktion dar. Dennoch zeigte sie sich in einigen Analysen als Untersuchung mit hoher Senitivität und Spezifität – wenngleich prospektive Vergleichsuntersuchungen noch fehlen.
43.4.5
Prognose
Die Prognose von Patienten mit akuter intestinaler Pseudoobstruktion variiert je nach zugrunde liegender Erkrankung. Dabei wurden in einigen Untersuchungen Mortalitätsraten von 0–32% angegeben. Als Risikofaktoren hierfür wurden das Alter, eine schlechte Grundkonstitution sowie die Notwendigkeit chirurgischer Therapiemaßnahmen identifiziert. Negativ prädiktiv sind die intestinale Ischämie und die intestinale Perforation. Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Diagnosesicherung mit Einleitung entsprechender Therapiemaßnahmen unbedingt notwendig.
43.4.6
Therapeutische Maßnahmen
Grundsätzlich gilt es zunächst, die zugrunde liegenden Erkrankungen beim Intensivpatienten zu behandeln, um so den »Trigger« der intestinalen Pseudoobstruktion zu therapieren. Dazu zählen die adäquate Volumentherapie, eine ausreichende Oxygenierung des Intensivpatienten, der Ausgleich von Elektrolytstörungen sowie das therapeutische Management infektiöser Komplikationen. Die Zufuhr enteraler Ernährung sollte pausiert werden, ggf. muss bei längeranhaltender Pseudoobstruktion eine parenterale Ernährung – sofern noch nicht vorhanden – eingeleitet werden. Die Anlage einer Magen- oder Jejunalsonde ist nicht zwingend erforderlich, da in aller Regel eher die unteren gastrointestinalen Abschnitte betrofffen sind. Die Anlage eines Darmrohres gehört ebenfalls nicht zur Standardtherapie, sofern nicht das Rektosigmoid mitbetroffen ist. Das Verabreichen von Einläufen hat bislang keinen wesentlichen positiven Effekt gezeigt und sollte in Anbetracht einer potenziellen Perforation mit Vorsicht angewendet werden. Tipp Die Einleitung einer Dekompressionstherapie wird ab einer Zäkumdilatation von 9 cm empfohlen.
563 43.5 · Abdominelles Kompartment
Pharmakologische Dekompressionstherapie
z Neostigmin Der Acetylcholinesteraseinhibitor Neostigmin hat sich in der Therapie der akuten intestinalen Pseudoobstruktion bewährt. Wenngleich seine klinische Wirkung durch eine rasche Dekompression ausreichend bestätigt werden konnte, wurde andererseits keine Risikoreduktion bezüglich der Perforation und der Mortalität nachgewiesen. Dennoch ist die – auch wiederholte – Applikation des Medikaments unter Beachtung der Kontraindikationen durchaus angezeigt.
43.5
Abdominelles Kompartment
43.5.1
Diagnostik
Eine intraabdominelle Druckbestimmung erfolgt in der Regel indirekt über eine transurethrale Messung. Die direkte Druckmessung über einen intraperitonealen Katheter würde zwar eine genaue Messung liefern, ist jedoch in der Routine auf der Intensivstation nicht generell verfügbar. Einen Überblick über verschiedene Normwerte des intraabdominellen Drucks in Abhängigkeit von der klinischen Situation des Patienten liefert . Tab. 43.5 [9].
Kontraindikationen für Neostigmin 4 Herzfrequenz <60/min oder systolischer Blutdruck < 90 mm Hg 4 Bronchospasmus 4 Serumkreatininkonzentration > 3 mg/dl 4 Klinische Zeichen der Darmperforation
z Opioidantagonisten Die akute intestinale Pseudoobstruktion ist – zumindest teilweise – mit dem Einsatz von Opioidanalgetika assoziiert. Die dadurch vermittelte Stimulation peripherer μ-Rezeptoren wird für die inhibitorischen Effekte auf den Gastrointestinaltrakt verantwortlich gemacht. Der Einsatz von Opioidrezeptorantagonisten kann daher einen positiven Einfluss auf die postoperative oder opioidvermittelte Ileussymptomatik leisten, ohne die analgetische Wirkung zu stören oder Entzugssymptome zu induzieren. z Andere Des Weiteren gibt es therapeutische Ansätze mit Erythromycin, wobei der Einsatz bei der akuten intestinalen Pseudoobstruktion weiter untersucht werden muss.
43.5.2
Ursachen
Die Ursachen des erhöhten intraabdominellen Druckes bzw. des intraabdominellen Kompartments sind vielfältig, und viele Differenzialdiagnosen wie abdominelle Traumata, Operationen, Pankreatitis oder hämorrhagischer Schock sind in Betracht zu ziehen [6, 14]. Einen Überblick liefert . Tab. 43.6.
43.5.3
Klinische Folgen
Klinische Folge des erhöhten intraabdominellen Drucks ist eine generelle Minderperfusion aller Organsysteme. Es resultiert eine Verschlechterung der kardiovaskulären wie pulmonalen Situation sowie inflammatorischer Prozesse. Dabei können jedwede Organ-
. Tab. 43.5 Intraabdomineller Druck (IAP) in Abhängigkeit von der klinischen Situation Klinische Situation
IAP [mm Hg]
Endoskopische Dekompressionstherapie
Normal
0
Der Einsatz der koloskopischen Dekompression erfolgt in aller Regel nicht routinemäßig, sondern sollte der Einzelfallentscheidung vorbehalten werden. Die Prozedur ist insgesamt technisch als anspruchsvoll zu betrachten und mit einer erhöhten Komplikationsrate wie beispielsweise der Perforation assoziiert. Sie sollte daher nur angewendet werden, wenn das Risiko für eine Zäkalperforation besteht und allgemeine wie pharmakologische Maßnahmen keinen ausreichenden therapeutischen Benefit zeigen.
Invasiv beatmeter Patient
0–12
Intraabdominelle Hypertension
12–20
Abdominelles Kompartmentsyndrom
>20
Zäkostomie
Veränderungen der intraabdominellen Physiologie
5 Gastroparese, Ileus, intestinale Pseudoobstruktion 5 Hämo-/Pneumoperitoneum 5 Leberfunktionsstörungen/Aszites 5 Tumor
Veränderte Flüssigkeitssequestration
5 5 5 5 5 5 5
Veränderte Compliance der Bauchwand
5 5 5 5
Da nach endoskopischer Therapie eine relativ hohe Rezidivrate zur erneuten Entwicklung einer akuten intestinalen Pseudoobstruktion besteht, sind auch alternative Therapiemaßnahmen wie die perkutane Zäkostomie zu erwähnen. Wenngleich mit einer hohen Morbidität assoziert, zeigte sich die interventionelle Methode, die – endoskopisch unterstützt – ähnlich wie eine perkutane Gastrostomie angelegt wird, im Einzelfall erfolgreich.
. Tab. 43.6 Risikofaktoren für einen erhöhten intraabdominellen Druck
Chirurgische Dekompressionstherapie Bei Versagen konservativer oder interventioneller Therapiemaßnahmen sollte eine chirurgische Dekompressionstherapie mittels Zäkostomie, Kolostomie oder auch der Resektion entsprechender Darmabschnitte erfolgen. Da diese Therapiemaßnahme mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet ist, sollte sie nur bei Versagen der anderen Optionen oder bei Verdacht auf Perforation und/ oder Peritonitis durchgeführt werden.
Azidose Hypothermie Massentransfusionen Koagulopathie Volumenbilanz >5 l/24 h Pankreatitis Sepsis
Übergewicht Abdominelle Traumata Brandverletzungen Abdominelle Chirurgie mit Faszienverschluss 5 ARDS, mechanische Beatmung
43
564
Kapitel 43 · Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
43
systeme betroffen sein mit Ausprägung eines »multiple organ dysfunction syndrome» (MODS).
43
Kardiovaskuläre Folgen
43 43 43 43
Patienten mit erhöhtem intraabdominellem und in Folge auch erhöhtem intrathorakalem Druck erfahren eine deutliche Verschlechterung des Herzzeitvolumens. Während bei der intraabdominellen Hypertension die Effekte noch durch eine regulatorische Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstandes kompensiert werden können, kommt es bei Patienten mit abdominellem Kompartmentsyndrom bereits zu einer deutlichen hämodynamischen Instabilität. Infolgedessen ist eine ausreichende Volumensubstitution zur Kreislaufstabilisierung notwendig.
Intestinale Folgen
43
Das Intestinum reagiert mit am empfindlichsten auf die intraabdominelle Druckerhöhung. Durch eine verminderte mesenteriale Perfusion wird die bakterielle Translokation begünstigt. Die Patienten weisen einen deutlich erniedrigten mukosalen pH-Wert bei steigendem Druck auf, der sich nach abdomineller Dekompression wieder bessern kann. Zudem führt eine Minderperfusion zu einer progredienten Dilatation. Die daraus wiederum resultierende Hypovolämie, das erniedrigte Herzzeitvolumen und die damit oft verbundene notwendige Katecholamintherapie verstärken die intestinale Minderperfusion weiter.
43
Hepatische Folgen
43 43 43
43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43
Die intraabdominelle Druckerhöhung führt sowohl zu einer arteriellen Minderperfusion der Leber als auch zu einer Verminderung des portalvenösen Blutflusses, was durch eine hypovolämische Kreislaufsituation noch verstärkt wird. Durch Aggravierung der portalvenösen Hypertension können beispielsweise bei Patienten mit Leberzirrhose entsprechende Komplikationen wie eine akute Ösophagusvarizenblutung induziert oder verstärkt werden. Daher ist eine intraabdominelle Drucksenkung, z. B. durch Ablassen von Aszites bei Patienten mit Leberzirrhose, von therapeutischer Bedeutung.
Pulmonale Folgen Durch einen Anstieg des intraabdominellen Drucks erhöht sich konsekutiv der intrathorakale Druck. Die Elevation des Zwerchfells resultiert in einer Minderbelüftung der basalen Lungenabschnitte, was zu einem Verlust der funktionellen Residualkapazität führt. Durch Affektion der pulmonalen Mechanik mit verminderter Compliance wird die Atelektasenentwicklung mit Erhöhung des intrapulmonalen Shuntvolumens begünstigt. ! Cave Dabei ist zu beachten, dass bereits eine moderate Erhöhung des intraabdominellen Drucks zu einer signifikanten Erhöhung des intraalveolären Drucks führt und somit einen negativen Effekt auf den Gasaustausch hat.
Bei Patienten mit mechanischer Beatmung und erhöhtem intraabdominellem Druck sind insgesamt höhere Beatmungsdrücke für alveoläre Recruitment-Manöver notwendig. Der optimale positiv endexspiratorische Druck (PEEP) scheint tendenziell höher zu sein als bei Patienten ohne abdominelle Hypertension. Somit sollte ein PEEP mindestens um 2 cm H2O höher als der intraabdominelle Druck liegen. Bei spontan atmenden Patienten mit erhöhtem intraabdominellem Druck kommt es zu einer vermehrten Atemarbeit. Somit sollte beispielsweise bei gerade extubierten Patienten eine erhöhte Posi-
tion angestrebt werden, um so den Druck auf das Diaphragma zu mindern und die Kompression der basalen Lungenabschnitte weitgehend zu reduzieren.
Renale Folgen Im Rahmen des erhöhten intraabdominellen Drucks entsteht eine renale Minderperfusion mit konsekutiver Verschlechterung der glomerulären Filtrationsrate und letztlich verminderter Urinauscheidung. Dabei spielen zusätzliche Faktoren eine wichtige Rolle: 4 erhöhter venöser Druck mit der Folge der Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, 4 direkte Kompression der Nieren mit der Folge eines erhöhten Gefäßwiderstandes und Reduktion des Herzzeitvolumens, 4 Kompression der Ureteren, 4 erhöhter Sympathikotonus, 4 nichtosmotische ADH-Sekretion. > Die Entwicklung des akuten Nierenversagens stellt nach wie vor eine ernsthafte Komplikation beim kritisch kranken Patienten dar, die einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Prognose der Patienten hat.
Neurologische Folgen Nicht zuletzt entsteht bei Patienten mit intraabdomineller Druckerhöhung auch eine Erhöhung des intrazerebralen Drucks mit der Folge der zerebralen Minderperfusion aufgrund eines erhöhten Perfusionswiderstands. Insbesondere betroffen sind Patienten mit vorangegangenem Schädel-Hirn-Trauma, aber auch ohne äußere Hinweise auf eine Schädelverletzung können neurologische Defizite verursacht sein.
43.5.4
Therapeutische Konsequenzen
Therapeutisches Ziel ist eine unmittelbare Senkung des intraabdominellen Druckes. Konservative Therapiemaßnahmen haben hierbei nur eingeschränkte Bedeutung. Tiefe Sedierung und ausreichende Analgesie sind als obligat zu erachten. Eine negative Flüssigkeitsbilanz kann, sofern im Rahmen der intensivpflichtigen Erkrankung tolerabel, hilfreich sein (Anwendung von Flüssigkeitsrestriktion, Diuretika, Kolloiden, Dialyseverfahren), ist aber bei instabiler Kreislaufsituation häufig nicht praktikabel. Bei vorliegendem Bild eines Ileus sind entsprechende therapeutische Maßnahmen einzuleiten wie Aspiration über nasogastrale Sonden, Anwendung von Prokinetika, ggf. auch die Dekompressionstherapie des Dickdarms. Bei Patienten mit Aszites ist eine Parazentese therapeutisch hilfreich, bei intraabdominellen Abszessen therapeutische Punktionen und Entlastung durch Drainagen. Häufig reichen jedoch konservative oder auch interventionelle Optionen wie Entlastungspunktionen nicht aus, sodass die chirurgische Dekompression als letzte Therapiealternative einzusetzen ist. Diese kann bei sehr instabilen Patienten durchaus auch als »Bedside-Therapie« auf der Intensivstation durchgeführt werden. Dabei wird das Abdomen großzügig, in aller Regel durch eine mediane Laparatomie, eröffnet und lediglich als temporärer Schutz ein Netz eingenäht und dann mit sterilen Bauchtüchern versorgt. Ein definitiver Bauchdeckenverschluss wird häufig erst nach Überleben der kritischen Situation möglich.
565 43.7 · Erkrankungen der Gallenblase und Gallenwege
43.6
Bakterielle Translokation
Der menschliche Gastrointestinaltrakt ist von einer Vielzahl von Mikroorganismen besiedelt. Dabei stellt der Darm generell keine absolute Barriere dar, sondern es kommt auch beim Gesunden kontinuierlich zum Übertritt von Organismen im Sinne einer Translokation. Klinische Relevanz erhält dieses Phänomen insbesondere beim kritisch kranken Patienten, da infektiöse Prozesse begünstigt bzw. bestehende Infektionen verschlechtert werden können [1,16].
43.6.1
Mechanismen der bakteriellen Translokation
43.6.3
Prävention und Therapie der bakteriellen Translokation
Primäres Ziel ist es, die Entstehung der bakteriellen Translokation im Vorfeld zu minimieren. Dazu gehört, die Integrität der intestinalen Mukosa aufrechtzuerhalten. Für die Einleitung einer total parenteralen Ernährung gilt als gesichert, dass die bakterielle Überbesiedlung, die mukosale Atrophie sowie oxidativer Stress begünstigt werden. Somit hat die enterale Ernährung beim Intensivpatienten einen wichtigen Stellenwert. > Der frühzeitige Einsatz der enteralen Ernährung resultiert beim kritisch kranken Patienten in einer Verminderung septischer Komplikationen.
Der bakteriellen Translokation liegen folgende Mechanismen zugrunde: 4 Verminderung der gastrointestinalen Mikroflora mit bakterieller Überbesiedlung, 4 Störung der mukosalen Barrierefunktion, 4 Reduktion der allgemeinen immunologischen Funktion.
Weitere Behandlungsstrategien der bakteriellen Translokation umfassen folgende Maßnahmen: 4 Supplementation von IgA zur mukosalen Stabilisierung, 4 Verabreichung von Ornithin-α-Ketoglutarat zur Verbesserung der intestinalen Struktur sowie der zelluläre Immunität, 4 Gabe von Fischöl zur Förderung der intestinalen Perfusion.
Möglichkeiten der Translokation
Fazit
Die Möglichkeiten der Translokation aus dem Gastrointestinaltrakt zu extraintestinalen Lokalisationen sind vielfältig. Folgende Möglichkeiten können in Betracht gezogen werden: 4 retrograde Migration intrapulmonal, 4 transmurale Migration durch die intestinale Wand, 4 lymphatische Migration durch Peyer-Plaques und mesenteriale Lymphknoten, über den Ductus thoracicus sowie das systemische Lymphsystem, 4 vaskuläre Migration schließlich bis zum Pfortadersystem.
4 Wenngleich einige therapeutische Ansätze existieren, können zum jetzigen Zeitpunkt (noch) keine gezielten Therapieempfehlungen gegeben werden. 4 Das Phänomen der bakteriellen Translokation bedarf einer weiteren Charakterisierung, um künftig klinisch genau eingeordnet werden zu können.
Klinisch bedeutend ist v. a. die retrograde Migration, die insbesondere bei Patienten mit invasiver Beatmung Aspirationspneumonien begünstigt.
43.6.2
Klinische Relevanz der bakteriellen Translokation
Inwieweit die bakterielle Translokation schließlich Einfluss auf den klinischen Verlauf kritisch kranker Patienten nimmt, ist immer noch nicht eindeutig geklärt. In einigen Studien konnte ein klarer Zusammenhang zwischen der Inzidenz von infektiösen Komplikationen und der Zunahme der intestinalen Permeabilität gezeigt werden. Wichtig zu beachten ist, dass die bakterielle Translokation nicht einem »On-off-Prinzip« folgt, sondern als permanentes Phänomen v. a. bei kritisch kranken Patienten klinische Bedeutung erlangt. Während der Einfluss der bakteriellen Translokation auf das Outcome im Tiermodell bereits mehrfach nachgewiesen werden konnte, ist der Nachweis der bakteriellen Translokation beim Menschen durchaus schwieriger, zumal klinisch eindeutige Nachweismethoden bislang fehlen. > Eindeutige Aussagen zum Einfluss der bakteriellen Translokation auf den klinischen Verlauf und zur prognostischen Relevanz können derzeit nicht getroffen werden.
43.7
Erkrankungen der Gallenblase und Gallenwege
43.7.1
Akalkulöse Cholezystitis
Als weitere Komplikation im Rahmen eines längeren Intensivaufenthaltes muss die akalkulöse Cholezystitis angesehen werden. Morphologische Veränderungen der Gallenblase sind häufig. Ihre klinische Bedeutung ist allerdings manchmal schwierig zu deuten. Während die kalkulöse Cholezystitis mit Steinnachweis in der Bildgebung, beispielsweise der Sonographie, eindeutig zuzuordnen ist, finden sich bei Intensivpatienten häufig (sono-)morphologische Veränderungen der Gallenblase ohne Steinnachweis, ohne dass deren klinische Relevanz eindeutig abzuleiten ist [2, 8]. Während also spezifische Kriterien einer akalkulösen Cholezystitis fehlen, wird die Diagnose in aller Regel basierend auf morphologischen, klinischen und laborchemischen Veränderungen gestellt und kann dann auch erst retrospektiv nach chirurgischer Therapie verifiziert werden. Prädisponierende Faktoren sind in . Tab. 43.7 zusammen gefasst. Bezüglich therapeutischer Optionen gilt die chirurgische Cholezystektomie immer noch als Methode der Wahl, konservative Therapieversuche sind auch bei instabilen Patienten mit vermuteter, klinisch relevanter akalkulöser Cholezystitis als unterlegen zu bewerten.
43.7.2
Sekundär sklerosierende Cholangitis
Immer häufiger kommt es im Rahmen kritischer Erkrankungen zu Veränderungen der Gallenwege in Form einer sog. sekundär sklerosierenden Cholangitis (SSC) [12].
43
566
43 43
Kapitel 43 · Gastrointestinale Störungen bei kritisch Kranken
. Tab. 43.7 Ätiologie der akalkulösen Cholezystitis Häufigste zugrunde liegende Erkrankungen
43 43
5 Epitheliale Ischämie des Gallenblasenepithels und Reperfusionsschäden 5 Invasive Ventilation 5 Parenterale Ernährung 5 Opioidtherapie
Assoziierte Faktoren
5 5 5 5
43
43 43 43 43
Trauma Verbrennungsunfall Spinales Trauma Postoperativ nach herzchirurgischen Eingriffen 5 Verletzungen der thorakalen Aorta
Prädisponierende Faktoren
43
43
5 5 5 5
Intensivpflichtige Erkrankung Langer Intensivaufenthalt Nachweis einer Infektion Hohe Mortalität
rhose vergesellschaftet und geht mit einer deutlich verkürzten Lebenserwartung einher. Eine frühzeitige Ischämie der Gallenwege, beispielsweise im Rahmen eines allgemeinen Schockgeschehens, wird derzeit als frühes Ereignis in der Genese der SSC beim kritisch kranken Patienten angesehen. Inwieweit bakterielle Infekte zusätzlich eine wichtige Rolle spielen, ist offen.
Behandlungsoptionen Konservative Therapiestrategien sind derzeit nicht etabliert. Patienten, die einer Lebertransplantation nicht zugeführt werden können, weisen im Verhältnis eine deutlich geringere Lebenserwartung auf. Auch verläuft die SCC infolge einer intensivpflichtigen Erkrankung in aller Regel rapider und ist mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet.
Literatur 1
2
Sekundär sklerosierende Cholangitis Die sekundär sklerosierende Cholangitis ist eine chronisch cholestatische Gallenwegserkrankung, die mit Entzündung, Gallengangfibrose, -striktur und progressiver Destruktion der Gallenwege einhergeht. Im fortgeschrittenen Stadium führt sie schließlich zum Bild der biliären Zirrhose.
3
4 5
43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43 43
6
Diese Erkrankungsentität ist neuerdings immer häufiger bei kritisch kranken Patienten mit langem Intensivaufenthalt zu finden. Typischerweise haben diese Patienten keine vorbestehenden Gallenwegs- oder Lebererkrankungen und weisen auch während der kritischen Erkrankung keine mechanische Obstruktion der Gallenwege auf.
Klinische Zeichen Im Initialstadium sind klinische Zeichen schwer zu finden und häufig unspezifisch. Erhöhte Leberwerte können die einzigen Hinweise sein, besonders deutlich erhöhte Werte der AP und der γ-GT sind charakteristisch. Dennoch fehlen spezifische Parameter für das frühe Stadium der SSC. Im Verlauf der Erkrankung lässt sich dann typischerweise eine persistierende Cholestase mit klinischen Zeichen wie Ikterus und Pruritus nachweisen. Aszendierende Gallenwegsentzündungen sind dabei als relevant anzusehen. In der Diagnostik müssen bildgebende Verfahren wie die Sonographie nicht zwingend wegweisend sein, als Goldstandard gilt die ERCP. > Goldstandard in der Diagnostik der sekundär sklerosierenden Cholangitis ist die endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP).
Typische Läsionen dabei sind PSC-ähnliche Gallengangsläsionen, multifokale Strikturen und abwechselnd dilatierte und normal weite Gallenwege im Sinne eines »Perlschnurmusters«.
Ursachen Während die SSC häufig auf ein initiales direktes Gallenwegsproblem zurückgeführt werden kann (chronisch biliäre Obstruktion, chirurgische Interventionen am Gallengang, direkte Ischämien der Gallenwege), bleibt die Genese beim Intensivpatienten bislang weitgehend unklar. Sie ist mit einer rapiden Progression zur Zir-
7 8 9 10 11 12 13 14 15
16
Berg RD, Garlington AD (1979) Translocation of certain indigenous bacteria from the gastrointestinal tract to the mesenteric lymph nodes and other organs in a gnotobiotic mouse model. Infect Immun 23: 403–411 Boland GWL, Slater G, Lu DSK et al. (2000) Prevalence and significance of gallbladder abnormalities seen on sonography in intensive care unit patients. AJR 174: 973– 977 Booth CM, Heyland DK, Paterson WG (2002) Gastrointestinal promotility drugs in the critical care setting: a systematic review of the evidence. Crit Care Med 30: 1429–1435 Catchpole BN (1969) Ileus: use of sympathetic bocking agents in its treatment. Surgery 66: 811–820 Delgoda-Aros S, Camilleri M (2003) Pseudo-obstruction in the critically ill. Best Practice Res Clin Gastroenterol 17: 427–444 Deslauriers N, Derý R, Denault A (2009)Acute abdominal compartement syndrome. Can J Anaesth 56: 678–682 Madl C, Druml W (2003) Systemic consequences of ileus. Best Practice Res Clin Gastroenterol 17: 445–456 Laurila J, Syrjälä H, Laurila PA et al. (2004) Acute acalculous cholecystitis in critically ill patients. Acta Anaesth Scand 48: 986–991 Malbraine MLNG (2000) Abdominal pressure in the critically ill. Curr Opin Crit Care 6: 17–29 Ogilvie H (1948) Large intestine colic due to sympathetic deprivation: a new clinical syndrome. BMJ 2: 671–667 Quigley EMM (2005) Critical care dysmotility: abnormal foregut motor function in the ICU/ITU patient. GUT 54: 1351–1352 Ruemmele P, Hofstaedter F, Gelbmann CM (2009) Secondary sclerosing cholangitis. Nat Rev Gastrohepatol 6: 287–295 Schölmerich J, Langgartner J (2005) Störungen des Verdauungstraktes bei kritisch Kranken. Intensivmedizin 42: 317–336 Sugrue M (2002) Intraabdominal pressure: time for clinical practice guidlines? Intens Care Med 28: 389–391 Vanek VW, Al-Salti M (1986) Acute pseudo-obstruction of the colon (Ogilvie´s syndrome). An analysis of 400 cases. Dis Colon Rectum 29: 203–210 Wiest R, Rath HC (2003) Bacterial translocation in the gut. Best Practice Res Clin Gastroenterol 17: 397–425
567
Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen R.E. Stauber, P. Fickert, M. Trauner
44.1
Die Leber als »Opfer« und Zielorgan – 568
44.1.1 44.1.2 44.1.3
Sepsisinduzierte Cholestase – 568 Ischämische und hypoxische Hepatitis, Schockleber – 569 TPE- (total parenterale Ernährung) und medikamentös-induzierte Cholestase – 570 Akalkulöse Cholezystitis, Gallenblasen-Sludge beim Intensivpatienten – 570
44.1.4
44.2
Die Leber als »Täter« bzw. Ursache – 570
44.2.1 44.2.2
Akutes Leberversagen (ALV) – 570 Akut-auf-chronisches Leberversagen (ACLV) – 574
44.3
Extrakorporaler Leberersatz – 576 Literatur – 577
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_44, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
44
44 44 44 44 44 44 44 44 44 44 44 44 44 44
568
Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
44.1
Die Leber als »Opfer« und Zielorgan
44.1.1
Sepsisinduzierte Cholestase
Sepsisinduzierte Cholestase Als »sepsisinduzierte Cholestase« bezeichnet man das Auftreten einer konjugierten Hyperbilirubinämie als Folge einer extrahepatischen bakteriellen Infektion ohne direkte Invasion der Leber durch Erreger.
Ätiologie Ursächlich handelt es sich dabei meist um Infektionen mit gramnegativen Stäbchen und Bacteroides spp. [33], die über die Freisetzung bakterieller Lipopolysaccharide (LPS) zur Stimulation der systemischen und hepatischen Zytokinproduktion führen. Gramnegative und grampositive Kokken kommen ursächlich ebenso in Frage. Im Rahmen eines Toxic-shock-Syndroms sind Staphylokokkentoxine (z. B. TSST-1) als Stimulans der Zytokinsynthese von zentraler Bedeutung. Die Infektions-/Sepsisquelle ist bei sepsisinduzierter Cholestase meist intraabdomineller Natur (z. B. Appendizitis, Divertikulitis, Peritonitis). Extraabdominelle Infektionsherde wie Pneumonien, Endokarditiden, Harnwegsinfektionen, Meningitiden und Weichteilabszesse sind weitere wichtige Ursachen [33, 48]. Während die sepsisinduzierte Cholestase die klassische hepatische Manifestation eines Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS) im Rahmen einer Sepsis bzw. eines Systemic-inflammatory-response-Syndroms (SIRS) darstellt, können hämodynamische Störungen gleichzeitig auch zur ischämischen Hepatitis und Schockleber führen. Seltener können die beobachteten Leberveränderungen Ausdruck von Nebenwirkungen von Medikamenten oder total parenteraler Ernährung (TPE) sein.
Pathophysiologie Die Cholestase (i. e. Anstieg von Bilirubin und Gallensäuren im Serum) wird durch endotoxininduzierte proinflammatorische Zytokine (z. B. TNF-α, IL-1β, IL-6) ausgelöst, welche die Expression und Funktion hepatobiliärer Transportsysteme für Gallensäuren und Bilirubin hemmen [48]. Die Zytokinsensitivität der Bilirubinkonjugatexportpumpe (MRP2) ist tierexperimentell gut belegt und könnte die beobachtete konjugierte Hyperbilirubinämie bei Sepsis erklären. Zusätzlich wird die Funktion anderer hepatobiliärer Transportsystem (z. B. für Gallensäuren) sowie die Permeabilität von ZellZell-Kontakten (»tight junctions«) auf Ebene der Hepatozyten und Cholangiozyten durch proinflammatorische Zytokine erhöht [46]. . Abb. 44.1 fasst die Pathophysiologie und Manifestationsformen der sepsisinduzierten Cholestase zusammen.
Differenzialdiagnose Differenzialdiagnostisch sollte immer eine mechanische Cholestase mittels Sonographie ausgeschlossen werden. Weiterhin muss das Krankheitsbild gegenüber hepatotoxischen Nebenwirkungen von Medikamenten und der TPE abgegrenzt werden (7 Abschn. 44.1.3). Hämodynamische Ursachen eines sepsisassoziierten Pumpversagens im Sinne einer kardialen Stauungsleber oder ischämischen Hepatitis sind auszuschließen. . Abb. 44.2 fasst das differenzialdiagnostische Vorgehen bei Vorliegen eines Ikterus im intensivmedizinischen Bereich zusammen.
Klinik Die Diagnose wird bei Fieber und Ikterus bei vorwiegend konjugierter (70–80% konjugiertes Bilirubin) Hyperbilirubinämie (meist zwischen 5 und 10 mg/dl; selten zwischen 30 und 50 mg/dl) und relativ unauffälliger Lebersyntheseleistung bzw. Leberenzymen [γ-Glutamyl Transpeptidase (γ-GT) und alkalische Phosphatase (AP) maximal 2- bis 3-fach erhöht] gestellt.
44 44 44 44 44 44 44 44 44 44 44
. Abb. 44.1 Pathophysiologie und Manifestationsformen der Cholestase bei septischen Patienten. Diese kann entweder auf hepatozellulärer Ebene durch Transporterdefekte, auf Ebene der kleineren Gallengänge durch ein entzündliches Infiltrat (Cholangitis lenta) oder auf Ebene der großen Gallengänge über Obstruktion und fibroobliterierende Entzündung entstehen. Bei Auftreten einer Schockleber (ischämische Hepatitis) stehen zentrolobuläre Leberzellnekrosen im Vordergrund
569 44.1 · Die Leber als »Opfer« und Zielorgan
re, Cefoperazon). Bei Cephalosporinen mit Thiotetrazolring (z. B. Cefamandol, Cefperazon) sollte aufgrund ihrer Interaktion mit dem Vitamin-K-Metabolismus auf eine ausreichende Vitamin-KSubsititution geachtet werden. Das Vorliegen einer Cholestase darf jedoch kein Hinderungsgrund für die Gabe von Antibiotika mit primär renaler Elimination sein. Zur Gabe von Ursodeoxycholsäure gibt es noch keine evidenzbasierten Daten.
44.1.2
Ischämische und hypoxische Hepatitis, Schockleber
Definition
. Abb. 44.2 Differenzialdiagnostisches Vorgehen bei Ikterus im intensivmedizinischen Bereich je nach Vorliegen einer vorwiegend unkonjugierten Hyperbilirubinämie, eines primär cholestatischen oder hepatitischen Enzymmusters (LPS Leberparenchymschaden; TPE totale parenterale Ernährung)
Der Ikterus manifestiert sich 2–7 Tage nach Beginn der Bakteriämie. Kritisch kranke Patienten mit einem Serumbilirubin >2 mg/ dl innerhalb 48 h nach Aufnahme haben eine signifikant erhöhte Mortalität, was die Bedeutung früher Leberveränderungen für die Prognose der Patienten unterstreicht [27]. Die Serumgallensäuren sind als Ausdruck der Cholestase erhöht. Nach erfolgreicher antibiotischer Therapie sollten sich die Cholestaseparameter rasch normalisieren. Bei schweren Sepsisverläufen sind protrahierte oder zweigipfelige Verläufe möglich, wobei in diesen Fällen an eine insuffiziente Therapie der Infektionsquelle gedacht werden muss. Eine Leberbiopsie ist zur Sicherung der Diagnose üblicherweise nicht notwendig. Eine ungewöhnliche Art der sepsisinduzierten Cholestase wird selten in Form der Cholangitis lenta beobachtet (. Abb. 44.1), wobei sich hier histologisch Gallethromben in den kleineren Gallengängen mit Infiltration durch neutrophile Granulozyten finden und diese Patienten eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen [24]. Persistierende Erhöhungen von AP und γ-GT bei kritisch kranken Patienten mit beherrschter Grunderkrankung sollten auch an die seltene Möglichkeit einer sekundär sklerosierenden Cholangitis denken lassen (. Abb. 44.1). Die tatsächliche Prävalenz dieser Erkrankung wird wahrscheinlich unterschätzt. Diagnostisch wegweisend ist das Vorliegen von biliären Ausgüssen (»Gallefilz«) mit radiologischen Charakteristika der PSC in der Cholangiographie. Das mittlere Überleben dieser Patienten ohne Lebertransplantation liegt bei 13 Monaten. Therapeutisch kann eine Sphinkterotomie und endoskopische Extraktion der Ausgüsse versucht werden, welche meist nur teilweise gelingt [40]. > Krankheitsbilder, die mit einer sepsisinduzierten Cholestase einhergehen, haben generell eine schlechte Prognose (»signum mali ominis«), die durch den Schweregrad der zugrunde liegenden Erkrankung und nicht durch die Cholestase per se bestimmt wird.
Management Die kausale Therapie der sepsisinduzierten Cholestase besteht in einer Antibiose und/oder der chirurgischen Herdsanierung. Medikamente mit vorwiegend biliärer Elimination sollten in ihrer Dosierung angepasst oder generell gemieden werden (z. B. Fusidinsäu-
Die ischämische Hepatitis ist durch läppchenzentrale Nekrosen bei Minderperfusion und daraus resultierender Hypoxie bedingt und durch ausgeprägte Erhöhung der Transaminasen (GOT/GPT-Ratio >1) sowie der Lactatdehydrogenase (LDH) charakterisiert.
Ätiologie und Pathogenese Die ischämische Hepatitis wird durch eine Durchblutungsstörung der zentrilobulären Läppchenanteile (. Abb. 44.1) im Rahmen eines akuten kardialen Pumpversagens, bei starken Blutverlusten und Hitzschlag sowie bei intraoperativen Druckabfällen beobachtet. Obwohl die Hypotonie einen zentralen Faktor für die Genese einer ischämischen Hepatitis darstellt, scheint ein niedriger Perfusionsdruck allein nicht auszureichen, um dieses Bild hervorzurufen [22, 42]. So entwickelten Traumapatienten mit dokumentierten 15-minütigen hypotensiven Phasen keine ischämischen Hepatitiden [42], was die Bedeutung einer präeexistenten eingeschränkten rechtsventrikulären Pumpleistung unterstreicht [18]. Patienten mit chronischer respiratorischer Insuffizienz (z. B. bei COPD oder Schlafapnoesyndrom) können ebenso eine ischämische Hepatitis entwickeln [12].
Klinik und Diagnose An eine ischämische Hepatitis sollte bei Patienten mit rapider Erhöhung der Transaminasen (10- bis 100-fach) und der LDH infolge einer hypotonen Phase oder respiratorischen Insuffizienz gedacht werden. Charakteristisch ist die rasche Reversibilität der Transaminasenerhöhung nach Korrektur der auslösenden Ursache (üblicherweise massiver Anstieg und Fall innerhalb von 3–11 Tagen) [13]. Schwere Fälle werden meist bei vorbestehender kardialer Stauungsleber infolge einer rechtsventrikulären Pumpstörung beobachtet. Patienten mit vorbestehender Leberzirrhose stellen eine Hochrisikogruppe dar. Das Auftreten von Gerinnungstörungen und/oder Enzephalopathie sowie die Entwicklung eines akuten Leberversagens beim primär Lebergesunden sind im Rahmen einer ischämischen Hepatitis selten.
Management Die Therapie konzentriert sich auf die Stabilisierung der Hämodynamik. In speziellen Fällen kann eine extrakorporale Leberunterstützungtherapie in Betracht gezogen werden, wobei diese Therapieverfahren gegenwärtig nur in kontrollierten Studien angewandt werden sollten.
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570
Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
44.1.3
TPE- (total parenterale Ernährung) und medikamentös-induzierte Cholestase
TPE kann beim Erwachsenen zu biliären Komplikationen wie Sludge, Cholezystitis, biliärer Obstruktion, Steatose und nichtalkoholischer Steatohepatitis (NASH) führen. Die durch TPE induzierte nichtmechanische intrahepatische Cholestase wird selten im Erwachsenenalter unter Kurzzeitgabe einer TPE beobachtet, stellt aber ein häufiges Problem bei Frühgeborenen dar und kann bei Erwachsenen bei einer Ernährungszeit von >3 Monaten gehäuft auftreten [7, 8]. Eine Hochrisikogruppe stellen Patienten mit Restdarmlänge <50 cm nach Resektion unter Langzeit-TPE dar (Zirrhoserisiko 15–40%) [7]. Pathogenetisch werden verminderte Gallesekretion durch Dysbalance gastrointestinaler Hormone, bakterielle Translokation von Darmbakterien sowie die Bildung toxischer Gallensäuren (z. B. Lithocholsäure) angeschuldigt. Auch die mögliche direkte Beeinflussung der für die transkriptionelle Regulation von hepatozellulären Transportsystemen wichtigen Kernrezeptoren durch Bestandteile der parenteralen Ernährung (z. B. Sitosterole) wird intensiv beforscht. Die Vermeidung einer überhöhten Kalorienzufuhr sowie die zyklische Applikation der TPE mit 6- bis 12-stündigen Pausen stehen therapeutisch im Vordergrund. Über die Wirksamkeit von Metronidazol und/oder Ursodesoxycholsäure kann aufgrund der beschränkten Datenlage noch keine Aussage gemacht werden. Medikamente stellen beim Intensivpatienten einen seltenen, aber wichtigen Auslöser für Cholestasen und Hepatitiden dar. Antibiotika und Antimykotika sind hier neben Psychopharmaka führend. Meist lösen Antibiotika wie Amoxicillin-Clavulansäure (1:100.000 Expositionen), Flucloxacillin (1:15.000) und Makrolide das Bild einer medikamentösen Cholestase aus [31]. Eine typische antibiotikainduzierte Cholestase manifestiert sich meist unter dem Bild einer cholestatischen Hepatitis (GPT/AP-Ratio <2) mit einer Latenzzeit von typischerweise ca. 3 Wochen (1–6 Wochen) nach Einnahme des Medikaments, oft mit Oberbauchschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Pruritus und relativer Eosinophilie. Die Leberenzyme normalisieren sich meist innerhalb von 1–3 Monaten. Bei ausbleibender Normalisierung ist an das Vorliegen eines medikamentös induzierten »vanishing bile duct syndrome«, einer progredienten, meist immunologisch mediierten Zerstörung der kleineren intrahepatischen Gallenwege, zu denken. Asymptomatische, anikterische Verläufe medikamentös-toxischer Leberschäden mit isolierter Transaminasenerhöhung sind meist harmlos. Bei postoperativen Patienten sind Heparine, Antibiotika, Analgetika und NSAID führende Auslöser einer medikamentös induzierten Hepatopathie [3]. Die kausale Therapie besteht im Absetzen des/der auslösenden Medikamente.
44.1.4
Akalkulöse Cholezystitis, GallenblasenSludge beim Intensivpatienten
Die alkalkulöse Cholezystitis (ACC) macht 2–12% aller Cholezystitiden aus und kann sowohl Auslöser als auch Folge einer Sepsis sein. Vor allem nach Verbrennungen, Traumata sowie herzchirurgischen Eingriffen bei älteren oder immunkompromittierten Patienten sollte an diese seltene Erkrankung gedacht werden. Pathogenetisch scheinen neben einer Stase des Gallenblaseninhalts oder Ischämie/Hypoxie der Gallenblasenwand auch Druckerhöhungen im Gallengangsystem eine Rolle zu spielen. Die Infektion mit gramnegativen Erregern stellt letztendlich die gemeinsame
pathogenetische Endstrecke dar. Risikofaktoren für das Auftreten einer ACC sind männliches Geschlecht, ausgedehnte chirurgische Eingriffe, Polytraumata, Verbrennungen, TPE über mehr als 3 Monate, mechanische invasive Beatmung und Nierenversagen [39]. Klinisch ist die ACC durch Fieber, Oberbauchschmerz rechts, Leukozytose und den typischen sonographischen Befund einer oft druckschmerzhaften, meist wandverdickten Gallenblase ohne Konkremente charakterisiert. Kritisch erscheint es v. a., differenzialdiagostisch an die Erkrankung zu denken. Eine sonographische Klassifizierung des Befundes kann hilfreich sein [29], jedoch hängt die Treffsicherheit sehr stark von der Qualität des Untersuchers ab [47]. In 50% kommt es über eine ausgeprägte Schwellung der Gallenblase zur mechanischen Kompression der ableitenden Gallenwege. Die Schwierigkeit der Diagnose trägt entscheidend zur schlechten Prognose des Krankheitsbildes bei, da dieses meist verzögert erkannt wird [30]. Die Therapie besteht in der frühzeitigen Gabe von Antibiotika und Cholezystektomie. Die Feinnadelpunktion der Gallenblase mit Entlastung und Antibiotikainstillation in das Lumen stellt bei nicht operationstauglichen Patienten eine Therapiealternative dar.
44.2
Die Leber als »Täter« bzw. Ursache
44.2.1
Akutes Leberversagen (ALV)
Definition Das akute Leberversagen wurde ursprünglich als »potenziell reversible Erkrankung infolge eines schweren Leberschadens ohne vorbestehende Lebererkrankung mit Auftreten von hepatischer Enzephalopathie innerhalb von 8 Wochen nach Einsetzen erster Symptome« definiert. In der aktuellen Definition wird anhand des Zeitfensters zwischen Auftreten von Ikterus und Enzephalopathie zwischen hyperakutem, akutem und subakutem Leberversagen unterschieden (. Tab. 44.1) [35].
Ätiologie Die häufigsten Ursachen eines akuten Leberversagens in Europa sind die fulminante Virushepatitis (schlechtere Prognose bei Hepatitis B), Pilzvergiftungen und andere toxische bzw. medikamentöse Ursachen (. Tab. 44.2). Demgegenüber ist in Großbritannien und den USA die (oft suizidale) Paracetamol-Vergiftung führend vertre-
. Tab. 44.1 Definition des akuten Leberversagens. (Nach O´Grady et al. [31]) Leberversagen
Hyperakut
Akut
Subakut
Zeit (Ikterus o HE)
0–7 Tage
8–28 Tage
5–12 Wochen
Hirnödem
Häufig
Häufig
Selten
Prothrombinzeit
++
++
+
Bilirubin
+
++
++
Prognose (ohne LTX)
Mittel
Schlecht
Schlecht
Typische Ätiologie
Paracetamol
Virushepatitis
Non-A-EHepatitis
HE hepatische Enzephalopathie; LTX Lebertransplantation.
571 44.2 · Die Leber als »Täter« bzw. Ursache
. Tab. 44.2 Ätiologie des akuten Leberversagens Ursache
Symptomatik
Viral
5 Fulminante Hepatitis A/B (D) 5 Fulminante Hepatitis E (Endemiegebiet, Gravidität) 5 HSV-1, EBV, CMV
Toxisch
5 Paracetamol (>10 g/Tag; bei chronischem Alkoholabusus >3–4 g/Tag) 5 Idiosynkratische Medikamentenreaktion 5 Ecstasy (3–4 Methylendioxymethamphetamin, MDMA) 5 Amanita phalloides
Metabolisch
5 M. Wilson
Andere Ursachen
5 5 5 5 5
Ischämische Hepatitis Budd-Chiari-Syndrom Akute Schwangerschaftsfettleber Autoimmunhepatitis Maligne Leberinfiltration
ten. In einer prospektiven US-Multicenterstudie aus dem Zeitraum 1998–2001 an 308 Patienten mit akutem Leberversagen war eine medikamentös-toxische Ätiologie mit 52% der Fälle am häufigsten (Paracetamol 39%, Idiosynkrasie 13%), während die Ätiologie in 17% unklar blieb [36].
Pathophysiologie Die akute hepatische Enzephalopathie (HE) mit konsekutivem Hirnödem ist zentrales Merkmal des akuten Leberversagens. Höhergradige HE (Grad 3–4) und Hirnödem mit Gefahr der Hirnstammeinklemmung verschlechtern die Prognose dramatisch. Nach der Ammoniak-Glutamin-Hypothese führen erhöhte intrazerebrale NH3-Spiegel über vermehrte Glutaminsynthese in den Astrozyten zu einem osmotisch bedingten Hirnödem. Die arterielle NH3Konzentration korreliert dabei mit der zerebralen NH3-Aufnahme, und arterielle Ammoniakkonzentrationen >200 μmol/l bei HE Grad 3–4 sind mit dem Auftreten einer Hirnstammeinklemmung innerhalb der folgenden 24 h assoziiert [9]. Der intrakraniale Druck steigt beim akuten Leberversagen auch mit der Körpertemperatur; Fieber >38,5°C kann zu tödlicher Hirnstammeinklemmung führen. ! Cave Gefahr der tödlichen Hirnstammeinklemmung bei arterieller Ammoniak-Konzentration >200 μmol/l!
Diagnose Hinweise für eine fulminante Virushepatitis sind ein rezenter Auslandsaufenthalt (Hepatitis A) oder Information über infizierte Sexualpartner (Hepatitis B oder i.v. Drogenabusus). Für ein Leberversagen im Rahmen von Amanita phalloides sprechen der Genuss eines Pilzgerichtes 3–4 Tage zuvor und die Ausbildung einer Gastroenteritis vor dem Auftreten der Hepatotoxizität. Bei toxischer Ätiologie ist eine direkte, dosisabhängige Hepatotoxizität (Paracetamol, Amanita) von der dosisunabhängigen idiosynkratischen Reaktion auf verschiedene Medikamente (z. B. Antibiotika, Tuberkulostatika, NSAID, Antiepileptika) [3], aber auch pflanzliche Heilmittel zu unterscheiden. Für einen akuten M. Wilson sprechen eine Coombsnegative hämolytische Anämie, eine Ratio von alkalischer Phosphatase (U/l) zu Bilirubin (mg/dl) von <2 sowie das Vorliegen eines Kayser-Fleischer-Kornealrings (nur in ca. 50% vorhanden).
Laborchemisch sollten zur weiteren Abklärung der Ätiologie Hepatitisserologie (HAV, HBV, HCV, HEV, EBV, CMV, HSV), Paracetamol-Spiegel, Amanitin-Spiegel, Coeruloplasmin und Autoantikörper (ANA, SMA) bestimmt werden. Der Nachweis eines BuddChiari-Syndroms ist mit bildgebenden Verfahren wie Dopplersonographie und/oder MR-Venographie möglich. Die Gewinnung einer Leberhistologie mittels transjugulärer Leberbiopsie ist v. a. bei Verdacht auf Autoimmunhepatitis, idiosynkratische Hepatitis oder maligne Infiltration hilfreich.
Klinik Leitsymptom des akuten Leberversagens ist die Trias Ikterus – Enzephalopathie – Koagulopathie. Anfangs überwiegen unspezifische Symptome wie Malaise, Nausea, Emesis und Bauchschmerzen. Später manifestiert sich das akute Leberversagen mit Ikterus, hepatischer Enzephalopathie, Koagulopathie, Hypoglykämie, metabolischer Azidose und Nierenversagen. > Aufgrund der raschen Progredienz des ALV ist bereits bei geringgradiger Enzephalopathie eine intensivmedizinische Überwachung anzustreben.
z Zerebrale Manifestationen Eine höhergradige akute hepatische Enzephalopathie mit konsekutivem Hirnödem und Gefahr der tödlichen Hirnstammeinklemmung ist die gefährlichste Komplikation des ALV. Nach klinischen Hirndruckzeichen (systolische Hypertension, Bradykardie, erhöhter Muskeltonus, gestörte Pupillomotorik, fokale und generalisierte Krampfanfälle, pathologisches Atmungsmuster) sollte bei enzephalopathischen bzw. beatmeten Patienten systematisch gefahndet werden. Diese Symptome entwickeln sich jedoch häufig erst bei deutlich erhöhtem Hirndruck, was frühzeitige therapeutische Interventionen erschwert. z Hämodynamik Das ALV ist wie das fortgeschrittene chronische Leberversagen durch eine periphere Vasodilatation mit kompensatorischer hyperdynamischer Zirkulation im Sinne eines distributiven Schocks (arterielle Hypotonie, verminderter systemischer vaskulärer Widerstand, erhöhtes Herzminutenvolumen) charakterisiert. Hinzu kommen Störungen der Mikrozirkulation mit Gewebshypoxie. z Nierenversagen Das Auftreten eines Nierenversagens bei ALV ist Zeichen eines progredienten Multiorganversagens und mit schlechter Prognose verbunden. Davon abzugrenzen ist eine direkte Nephrotoxizität von Paracetamol. Etwa 30% aller Patienten mit ALV und bis zu 70% der Patienten mit Paracetamol-Intoxikation entwickeln ein akutes Nierenversagen. z Säure-Basen-Haushalt Häufig kommt es beim ALV infolge gestörter Metabolisierung von Bikarbonat zu einer metabolischen Alkalose. Die dadurch bedingte Erhöhung des Ammoniakpartialdrucks kann eine hepatische Enzephalopathie auslösen bzw. verschlechtern. Eine Laktazidose ist als prognostisch ungünstig zu werten. Im Rahmen einer ParacetamolVergiftung ist das Ausmaß der Azidose ein wichtiger Prognoseparameter in der Entscheidung zur Lebertransplantation (7 unten). z Nebenniereninsuffizienz Bei 62% der Patienten mit ALV konnte anhand eines pathologischen Synacthentests eine Nebenniereninsuffizienz nachgewiesen
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Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
werden, die mit hämodynamischer Instabilität und Schweregrad des Leberversagens korrelierte. z Störung der Hämostase Das ALV ist einerseits durch eine verminderte plasmatische Gerinnung infolge hepatischer Synthesestörung und vermehrten Verbrauch von Gerinnungsfaktoren, andererseits durch Thrombopenie und/oder herabgesetzte Thrombozytenfunktion gekennzeichnet. Die Prothrombinzeit ist ein wichtiger prognostischer Parameter beim ALV; ihre Verschleierung durch Substitution von Frischplasma bzw. Gerinnungsfaktoren ist zu beachten. z Infektionen Beim ALV besteht aufgrund der gestörten Immunfunktion eine erhöhte Infektneigung. Bakterielle Infektionen (vorwiegend S. aureus, E. coli) konnten in 80% und Pilzinfektionen (v. a. Candida) in 30% nachgewiesen werden [38]. Fieber und Leukozytose fehlen dabei häufig. Infektionen können überdies eine hepatische Enzephalopathie auslösen. Die Entwicklung einer systemischen Entzündungsreaktion (SIRS) mit hohen Konzentrationen inflammatorischer Zytokine ist prognostisch ungünstig.
. Tab. 44.3 Management des akuten Leberversagens Antidottherapie
5 N-Acetylcystein i.v. bei Paracetamol-Vergiftung 5 150 mg/kg KG als Bolus à 50 mg/kg KG über 4 h · 100 mg/kg KG über 16 h 5 Silibinin i.v. bei Amanita-Intoxikation(5 mg/ kg KG 4-mal täglich)
Kausaltherapie
5 Nukleos(t)id-Analogon bei akuter HBV-Infektion 5 Aciclovir/Ganciclovir/Famciclovir bei Herpeshepatitis (HSV-1, HHV-6, CMV, EBV) 5 Kortikosteroide bei Autoimmunhepatitis (Prednison 40–60 mg/Tag)
Symptomatische Therapie
5 Glukoseinfusionen (Zielzuckerspiegel 80– 110 mg/dl) 5 Substitution von Albumin und Gerinnungsfaktoren 5 Hochlagerung des Oberkörpers um 30° 5 Milde Hypothermie (35–36°C) 5 N-Acetylcystein i.v. (im Frühstadium des ALV)
Therapie der Komplikationen
5 Antibiotika (empirische Gabe von Breitspektrumantibiotika nach lokaler Resistenzlage bzw. gezielt nach Antibiogramm) 5 Vasopressoren (Noradrenalin) 5 Kontinuierliche Hämo(dia)filtration frühzeitig bei Oligoanurie 5 Respiratortherapie (paCO2 30–35 mm Hg)
Extrakorporaler Leberersatz
5 Experimentell (im Rahmen von Studien)
Lebertransplantation
5 King´s-College-Kriterien (. Tab. 44.4) 5 Clichy-Kriterien (. Tab. 44.5)
Management Eine kausale Therapie des akuten Leberversagens existiert derzeit nur für Teilbereiche. Im Vordergrund stehen daher supportive Maßnahmen, um eine spontane Leberregeneration zu begünstigen und/oder eine Überbrückung bis zur Lebertransplantation zu gewährleisten. Bei toxischer Ätiologie kann eine rechtzeitige Antidottherapie (N-Acetylcystein bei Paracetamol, Silibinin bei Amanita phalloides) den Verlauf günstig beeinflussen. Zentrales Problem ist die zeitgerechte, interdisziplinäre Indikationsstellung zur Lebertransplantation (. Tab. 44.3). > Beim Auftreten klinischer Zeichen eines akuten Leberversagens sollte der Patient frühzeitig – jedenfalls vor Auftreten eines Hirnödems – an ein Lebertransplantationszentrum transferiert werden.
z Kreislaufstabilisierung Entsprechend der zugrundeliegenden Vasodilatation und hyperdynamen Zirkulation ist bei fehlender Kreislaufstabilisierung trotz adäquater Hydrierung der Einsatz von Vasokonstriktoren (Noradrenalin) über einen ZVK unter arterieller Drucküberwachung indiziert. Supraphysiologische Dosen von Hydrokortison (300 mg/Tag) können in Analogie zum septischen Schock den Bedarf an Noradrenalin senken [15]. z Beatmung Eine höhergradige hepatische Enzephalopathie kann durch Aspirationsgefahr oder Sekretretention eine Respiratortherapie notwendig machen. Darüber hinaus kann eine oft ausgeprägte Agitiertheit des Patienten eine Sedierung und Intubation veranlassen. Pneumonien zählen zu den häufigsten Organinfektionen (50%) bei akutem Leberversagen. Eine Lungenbeteiligung im Rahmen eines Multiorganversagens (ARDS) ist als Kontraindikation für eine Transplantation zu werten. Zur Absenkung des Hirndrucks wird eine leichte Hyperventilation (Ziel-paCO2 30–35 mm Hg) empfohlen. Eine stärkere therapeutische Hyperventilation (paCO2 <30 mm Hg) kann zur Kupierung refraktärer ICP-Spitzen eingesetzt werden (Management des Hirnödems 7 unten).
z Sedierung Aufgrund von Veränderungen am GABA-Rezeptor besteht eine erhöhte Sensitivität gegenüber Benzodiazepinen. Häufig genügt die alleinige Analgesie mit kurzwirksamen Opioiden. Bei erhöhtem Hirndruck kann eine stärkere Sedierung mit Barbituraten zur Vermeidung von Hirndruckspitzen und Krampfanfällen angezeigt sein. Nach neueren Daten kann alternativ Propofol (30–90 μg/kg KG/ min) verwendet werden. z Hepatische Enzephalopathie Neben allgemeinen hirndrucksenkenden Maßnahmen erscheint aus pathophysiologischen Überlegungen die Elimination von Ammoniak wünschenswert (wie 7 oben angeführt, sollte eine arterielle NH3-Konzentrationen >200 μmol/l wegen der Gefahr einer Hirnstammeinklemmung unbedingt vermieden werden). Zu diesem Zweck kommen prinzipiell Laktulose (über Sonde bzw. rektal) und/ oder L-Ornithin-L-Aspartat (intravenös) in Frage. Allerdings zeigte eine rezente randomisierte, placebokontrollierte Studie an 201 Patienten mit ALV keinen positiven Effekt von L-Ornithin-L-Aspartat auf arterielle Ammoniakspiegel bzw. auf das Überleben [1]. Ammoniak kann durch extrakorporale Verfahren (7 unten) zumindest teilweise aus der Zirkulation entfernt werden. z Gerinnungssubstitution Eine Substitution von Gerinnungsfaktoren bzw. Frischplasma ist nur bei manifester Blutung bzw. vor geplanter Intervention indiziert. Die Gabe von Frischplasma ist zu bevorzugen (1 ml/kg KG führt zu Faktoranstiegen von 1–1,5%). Bei Prothrombinkomplexkonzentraten ist Vorsicht geboten, da eine latente Verbrauchskoagulopathie beschleunigt werden könnte. Thrombozytenkonzentrate sollen pro-
573 44.2 · Die Leber als »Täter« bzw. Ursache
phylaktisch bei einer Thrombopenie <10 G/l verabreicht werden (<20 G/l bei Sepsis), bei aktiver Blutung jedoch bereits bei <50 G/l [6, 37]. Vor invasiven Prozeduren ist eine Thrombozytenzahl von >50 G/l anzustreben. z Antimikrobielle Therapie Aufgrund der erhöhten Infektneigung und der Tatsache, dass unkontrollierte extrahepatische Infektionen eine Kontraindikation gegen eine Lebertransplantation darstellen, ist eine prophylaktische antibiotische Therapie beim ALV prinizipiell zu erwägen. Allerdings konnte dafür bisher kein Überlebensvorteil nachgewiesen werden. > Eine engmaschige mikrobiologische Überwachung (Blut-, Harn- und ggf. BAL-Kulturen) zur rechtzeitigen Erfassung bakterieller und fungaler Infektionen ist obligat [37].
z Virostatika Die Verwendung von Virostatika (Nukleosid- bzw- Nukleotidanaloga) bei fulminanter Hepatitis B ist risikoarm und bei frühem Beginn effektiv. Die meisten Daten existieren für Lamivudin (100–150 mg/Tag), welches bei akuter Hepatitis B mit beginnendem Leberversagen (INR >2,0) die Spontanheilung begünstigt bzw. in vielen Fällen eine Lebertransplantation überflüssig macht. Infektionen mit Viren der Herpesfamilie sollten insbesondere bei leukopenischen oder immunsupprimierten Patienten frühzeitig suspiziert werden, da effektive medikamentöse Therapien (Aciclovir, Ganciclovir, Famciclovir) verfügbar sind. z N-Acetylcystein Die hochdosierte intravenöse Gabe von N-Acetylcystein (NAC) ist Therapie der Wahl bei Paracetamol-Vergiftung. NAC kann bei Verabreichung innerhalb von 10 h nach der Einnahme von Paracetamol die Entwicklung von Lebernekrosen verhindern; ein positiver Effekt auf die Überlebensrate wurde bis zu 72 h nach Ingestion beobachtet [14]. Das vom King´s College Hospital (London) etablierte Schema umfasst einen einmaligen Behandlungszyklus. Rezente Daten zeigen einen Benefit von NAC auch beim nicht-Paracetamolassoziierten ALV im Frühstadium [26]. (. Tab. 44.3). z Management des Hirnödems Patienten mit höhergradiger Enzephalopathie benötigen ein engmaschiges neurologisches Monitoring mit spezieller Beachtung einer Hirndrucksymptomatik. Ob ein invasives Hirndruckmonitoring durchgeführt werden soll, wird kontrovers beurteilt [37]. Die kontinuierliche Überwachung des intrakraniellen Drucks (ICP, Ziel <20 mm Hg) und des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP, Ziel >60 mm Hg) ist sensitiver als die klinischen Hirndruckzeichen (7 oben »Zerebrale Manifestationen«). Diesem theoretischen Vorteil steht aber eine beträchtliche Komplikationsrate (Blutung, Infektion) gegenüber. Ein Überlebensvorteil durch den Einsatz von Hirndrucksonden beim ALV konnte bisher nicht schlüssig nachgewiesen werden. Eine Hochlagerung des Oberkörpers um 30° senkt den Hirndruck durch Verbesserung des venösen Abflusses und ist auch als Aspirationsprophylaxe sinnvoll. Bei akuten Hirndruckspitzen bzw. klinischen Hirndruckzeichen empfiehlt sich primär die Infusion von Mannitol 20% 0,5–1 g/kg KG über 15 min unter Beachtung der Diurese und Serumosmolalität (<320 mOsmol). Bei fehlendem Ansprechen auf Mannitol können alternativ eine kurzfristige therapeutische Hyperventilation (paCO2 25–30 mm Hg), eine Propofol- bzw. Thiopental-Narkose oder eine therapeutische Hypothermie (7 unten) eingesetzt werden.
z Nierenersatztherapie Bei Oligoanurie empfiehlt sich der frühzeitige Einsatz einer extrakorporalen Nierenersatztherapie. Aufgrund der hämodynamischen Instabilität und der Gefahr rascher Osmolaritätsverschiebungen bei konventioneller Hämodialyse kommen bei höhergradiger Enzephalopathie primär kontinuierliche Verfahren in Frage. Als Antikoagulation wird bei thrombopenischen Patienten Epoprostenol bevorzugt, ggf. auch in Kombination mit niedrigdosiertem Heparin. Für eine extrakorporale Leberunterstützungstherapie wurde beim akuten Leberversagen bisher kein eindeutiger Benefit gezeigt (7 Abschn. 44.3). z Therapeutische Hypothermie Aufgrund der Korrelation zwischen Körpertemperatur und intrakraniellem Druck (7 Abschn. 44.1.1 »Pathophysiologie«) erscheint eine therapeutische Hypothermie prinzipiell sinnvoll. In einer Pilotstudie konnte durch Kühlung des Patienten auf 32–33°C eine Senkung des ICP von 45 auf 16 mm Hg und eine Verbesserung des CPP von 45 auf 70 mm Hg erzielt werden [19]. Eine derartige therapeutische Hypothermie kommt v. a. bei therapieresistentem Hirnödem als Bridging zur Lebertransplantation in Frage. Mögliche Nachteile einer Hypothermiebehandlung sind gestörte Infektabwehr, beeinträchtigte Blutgerinnung und Herzrhythmusstörungen. Eine generelle Empfehlung zum Einsatz von Hypothermie kann anhand der vorliegenden Daten nicht gegeben werden [45]. z Lebertransplantation (LTX) Die notfallmäßige Lebertransplantation hat mit Überlebensraten von 50–80% einen wichtigen Fortschritt im Management des akuten Leberversagens gebracht. Netzwerke wie Eurotransplant ermöglichen mittels sog. »high-urgency (HU) requests« meist eine Organbeschaffung innerhalb von 48 h. Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass aufgrund des Zeitdrucks oft marginale Spenderorgane akzeptiert werden müssen. Es stellt eine besondere klinische Herausforderung dar, Patienten mit potenziell fatalem Verlauf frühzeitig zu identifizieren und rechtzeitig einer Notfall-LTX zuzuführen. Andererseits hat die Leber ein hohes Regenerationspotenzial, und unnötige Lebertransplantationen müssen vermieden werden. Bei persistierendem Leberversagen mit Syntheseausfall, progredienter Hyperbilirubinämie und renaler Dysfunktion ist das Abwarten einer Spontanregeneration meist durch Auftreten einer Sepsis oder Multiorganversagens kompliziert, welche eine klare Kontraindikation zur Transplantation darstellen. Das therapeutische Fenster zur Notfall-LTX ist somit sehr eng. Zentrumsabhängig wurden verschiedene Kriterien für eine frühzeitige Indikationsstellung erarbeitet. Am besten validiert sind die britischen King‘s-College-Kriterien (eigene Kriterien für Paracetamol bzw. Non-Paracetamol; . Tab. 44.4) [34] sowie die französischen Clichy-Kriterien (. Tab. 44.5), welche an Patienten mit fulminanter Virushepatitis erarbeitet wurden [5]. Eine Verbesserung der Prognosestellung bei Paracetamol-Intoxikation gelang durch Einbeziehung des Serumlaktats [4]. Weiterhin zeigte sich eine deutliche Abhängigkeit der Prognose des ALV von der Ätiologie (>50% Überleben ohne LTX bei Paracetamol, Hepatitis A, ischämischer Hepatitis und Schwangerschaftsfettleber [36]).
In verschiedenen Validierungsstudien bei durch Paracetamol und bei nicht durch Paracetamol bedingtem ALV zeigten die King‘s-College-Kriterien einen positiv-prädiktiven Wert von 70– 100%, aber einen negativ-prädiktiven Wert von nur 25–94% [37]. Die Clichy-Kriterien waren bei ALV nichtviraler Ätiologie den
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Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
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. Tab. 44.4 King´s-College-Kriterien zur Notfall-LTX. (Nach O´Grady et al. [34]; Bernal et al. [4]).
44
Ursache
King´s-College-Kriterien
ParacetamolIntoxikation
pH-Wert <7,3 unabhängig vom Grad der Enzephalopathie1 oder Laktat arteriell >3,5 mmol/l2 oder innerhalb von 24 h: 5 hepatische Enzephalopathie Grad 3/4 und 5 Prothrombinzeit >100 s (INR >6,5) und 5 Kreatinin >300 μmol/l (3,4 mg/dl)
44 44 44
Andere Ätiologien
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Prothrombinzeit >100 s (INR >6,5) oder mindestens 3 der folgenden Kriterien: 5 Alter <10 oder >40 Jahre 5 Ätiologie Non-A-E-Hepatitis, Halothan, Idiosynkrasie 5 Auftreten von Enzephalopathie >7 Tage nach Beginn des Ikterus 5 Prothrombinzeit >50 s (INR >3,5) 5 Bilirubin >300 μmol/l (>17,4 mg/dl)
1
Gilt 24 h nach Aufnahme im Referenzzentrum und adäquater Rehydrierung. 2 Bzw. >3 mmol/l 12 h nach adäquater Rehydrierung.
44 44 44 44
. Tab. 44.5 Clichy-Kriterien. (Nach Bismuth et al. [5]). Alter
Clichy-Kriterien
Alter <30 Jahre
Hepatische Enzephalopathie Grad 2–4 plus Faktor V <20%
Alter >30 Jahre
Hepatische Enzephalopathie Grad 2–4 plus Faktor V <30%
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King‘s-College-Kriterien unterlegen. Diese Limitationen sind bei der Indikationsstellung zur Notfall-LTX zu berücksichtigen.
44 44.2.2
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Akut-auf-chronisches Leberversagen (ACLV)
Ätiologie Zu den häufigsten präzipitierenden Ereignissen gehören Infektionen (z. B. Pneumonie, spontan-bakterielle Peritonitis, Harnwegsinfekt), schwere GI-Blutung (z. B. Ösophagusvarizenblutung) sowie die Exazerbation der Grundkrankheit (z. B. alkoholische Hepatitis oder akuter Schub einer chronischen Hepatitis B).
Pathophysiologie Zentral ist eine systemische Entzündungsreaktion (SIRS) infolge bakterieller Infektionen oder alkoholischer Hepatitis. Die vermehrte Produktion von NO und proinflammatorischen Zytokinen kann über systemische Vasodilatation zur Entwicklung eines hepatorenalen Syndroms beitragen. Anhand rezenter Daten wird auch die hepatische Enzephalopathie durch SIRS moduliert.
Differenzialdiagnose Die Identifizierung des auslösenden Ereignisses (7 unten; . Tab. 44.7) steht im Vordergrund der differenzialdiagnostischen Überlegungen. Die Unterscheidung vom akuten Leberversagen gelingt meist anhand klinischer, bildgebender und/oder laborchemischer Zirrhosezeichen als Hinweis auf eine präexistente Hepatopathie.
Klinik Patienten mit ACLV werden meist wegen Ikterus, therapieresistentem Aszites (meist in Kombination mit einem hepatorenalen Syndrom) oder höhergradiger hepatischer Enzephalopathie auffällig. z Hepatorenales Syndrom (HRS) Das hepatorenale Syndrom ist ein funktionelles Nierenversagen infolge fortgeschrittener Leberinsuffizienz. Es wird nach den aktuellen Diagnosekriterien des International Ascites Club wie folgt definiert [41]: 4 Leberzirrhose mit Aszites, 4 Serumkreatinin >1,5 mg/dl, 4 Kein Abfall des Kreatinins (<1,5 mg/dl) nach mindestens 2-tägigem Absetzen von Diuretika und Plasmavolumenexpansion mit Albumin (1 g/kg KG/Tag), 4 Fehlen von Schock, 4 keine aktuelle oder rezente Therapie mit nephrotoxischen Substanzen, 4 Fehlen einer parenchymatösen Nierenerkrankung (keine Proteinurie >500 mg/Tag, keine Mikrohämaturie, normales Nierensonogramm).
Definition Beim akut-auf-chronischen Leberversagen (»acute-onchronic liver failure«; ACLF) handelt es sich um eine akute Verschlechterung der Leberfunktion auf dem Boden einer vorbestehenden, chronischen Hepatopathie (Leberzirrhose). Dies ist mit einer kritischen Verschlechterung der Prognose verbunden: die Krankenhausmortalität beträgt anhand der vorliegenden Daten 50–66%. Die genaue Definition des ACLV ist noch im Fluss; derzeit ist folgende Arbeitsdefinition gängig [20]: 4 akute Verschlechterung der Leberfunktion über 2–4 Wochen, 4 präzipitierendes Ereignis (Infektion, GI-Blutung, Exazerbation der Grundkrankheit), 4 Ikterus plus hepatische Enzephalopathie (Grad 2–4) und/ oder hepatorenales Syndrom, 4 SOFA (Sepsis-Related Organ Failure Assessment)-Score >8.
Pathogenetisch spielt eine renale Minderperfusion infolge systemischer Vasodilatation und reaktiver Aktivierung von Sympathikus und Renin-Angiotensin-Aldosteron-System eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wird die Existenz eines sog. hepatorenalen Reflexes diskutiert. Je nach Verlauf unterscheidet man ein HRS Typ 1 (rasch progrediente Form mit ≥2-fachem Anstieg des Serumkreatinins auf >2,5 mg/dl innerhalb von 2 Wochen) und ein HRS Typ 2 (chronische Form mit einem Serumkreatinin von 1,5–2,5 mg/dl). Therapeutisch kann das HRS durch die Antagonisierung der systemischen Vasodilation mit einem Vasokonstriktor (Terlipressin bzw. Noradrenalin) und/oder eine Plasmavolumenexpansion mittels Humanalbumin durchbrochen werden (7 unten; . Tab. 44.7). In einer rezenten randomisierten Studie waren Terlipressin und Noradrenalin, jeweils kombiniert mit Albumin, bei HRS Typ 1 gleich effektiv [43]. Eine prophylaktische Albumingabe nach spontan-bakterieller Peritonitis (SBP) und anderen bakteriellen Infektionen kann die Entwicklung eines HRS verhindern und das Überleben verlängern.
575 44.2 · Die Leber als »Täter« bzw. Ursache
. Tab. 44.6 Schweregrade der HE (West Haven Criteria) Grad
Kriterien
Grad 0
Mentalstatus normal; psychometrische Tests pathologisch (z. B. Zahlenverbindungstest)
Grad 1
Aufmerksamkeitsdefizit, Euphorie/Ängstlichkeit, Rechenschwäche
Grad 2
Lethargie, zeitliche Desorientierung, Persönlichkeitsveränderung, inadäquates Verhalten
Grad 3
Somnolenz bis Stupor, Verwirrtheit, grobe Desorientierung, bizarres Verhalten
Grad 4
Koma
. Tab. 44.7 Management des akut-auf-chronischen Leberversagens Kontrolle der Auslöser
5 Intensive Infektsuche und rasche antibiotische Therapie 5 Kontrolle von gastrointestinalen Blutungen 5 Alkoholabstinenz
Hepatorenales Syndrom (HRS) Typ 1
5 Monitoring der Diurese (Harnkatheter!) 5 Plasmavolumenexpansion + Vasokonstriktor 5 Humanalbumin: 1 g/kg KG am Tag 1, danach 20–40 g/Tag 5 alternativ: ZVD-gesteuert (>4 mm Hg) 5 Terlipressin 3 mg/Tag (0,5 mg alle 4 h), 5 bei Therapieresistenz alle 3 Tage verdoppeln bis zu maximal 12 mg/Tag 5 alternativ: Noradrenalin 0,5–3 mg/h über ZVK 5 bei Therapieresistenz evtl. Leberersatztherapie (7 Abschn. 44.3) oder transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS)1 Prophylaxe: Meiden von nephrotoxischen Substanzen; Volumentherapie mit Albumin bei SBP und anderen bakteriellen Infektionen
Höhergradige hepatische Enzephalopathie (HE)
5 Ausgleich von Hypovolämie und Elektrolytentgleisungen 5 Therapieversuch mit Flumazenil (okkulte Benzodiazepingabe?) 5 Normale Proteinzufuhr (1,2 g/kg KG)2 5 Laktulose über Magensonde bzw. rektal (geringe Evidenz) 5 L-Ornithin-L-Aspartat i.v. 20–40 g/Tag (Evidenz nur für HE Grad 1–2) 5 Bei Therapieresistenz evtl. Leberersatztherapie (7 Abschn. 44.2.3) 5 Bei HE-Grad 4 großzügige Indikation zur Intubation (Aspirationsgefahr!)
Leberersatztherapie
7 Abschn. 44.2.3
Lebertransplantation
Höchstmögliche Priorität (Eurotransplant: T2)
1 Voraussetzungen
für TIPS-Implantation: Alter <65 Jahre, gute kardiale Pumpfunktion (EF >50%), keine früheren HE-Episoden, Bilirubin <5 mg/ dl, Child-Pugh-Score <12, Option der Lebertransplantation. 2 Proteinrestriktion führte in einer randomisierten Studie zu keiner rascheren Besserung des HE-Grads (Cordoba et al. [10]).
z Hepatische Enzephalopathie (HE) Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist definiert als metabolisch induzierte, potenziell reversible Funktionsstörung des ZNS infolge akuter oder chronischer Leberdysfunktion bei Fehlen anderer neuropsychiatrischer Erkrankungen [11]. Typischerweise findet sich ein grobschlägiger Tremor (Asterixis, »flapping tremor«). Klinisch wird die HE in 5 Schweregrade eingeteilt (West Haven Criteria; . Tab. 44.6). Eine höhergradige HE (Grad 2–4) tritt beim Zirrhotiker meist episodisch – ausgelöst durch Infektion, GI-Blutung, Hypovolämie, Elektrolytstörungen (Hypokaliämie) oder nach Benzodiazepingabe – auf. Bei HE-Grad 4 (Leberkoma) besteht aufgrund reduzierter Schutzreflexe eine erhöhte Aspirationsgefahr. Therapeutisch stehen die Kontrolle der auslösenden Faktoren sowie ammoniakspiegelsenkende Maßnahmen im Vordergrund (. Tab. 44.7). Proteinrestriktion ist heute obsolet; in einer rezenten Studie verbesserten sich HE-Episoden unabhängig von normaler (1,2 g/ kg KG) oder reduzierter Proteingabe [10]. Eine Metaanalyse mehrerer kleiner Studien ergab keine Evidenz für den Nutzen von nichtabsorbierbaren Disacchariden wie Laktulose [2]. Allerdings war Laktulose in einer rezenten randomisierten placebokontrollierten Studie an 140 Patienten in der Rezidivprophylaxe nach durchgemachter HE-Episode effektiv [44]. Eine weitere Therapieoption ist die Reduktion der ammoniakproduzierenden Darmflora mittels nichtabsorbierbarer Antibiotika, wie Neomycin, Paromomycin oder Rifaximin. Für Rifaximin (1100 mg/d p.o.) ist eine effektive Rezidivprophylaxe nach durchgemachter HE-Episode durch eine rezente Doppelblindstudie belegt [28]. Gute Evidenz anhand einer randomisierten placebokontrollierten Studie existiert auch für L-Ornithin-L-Aspartat (LOLA), allerdings anhand der vorliegenden Daten nur bei HE Grad 0–2 [23]. Die Wirksamkeit bei geringgradiger HE rechtfertigt unseres Erachtens den Einsatz von LOLA auch bei höhergradiger HE, wobei aber betont werden muss, dass beim ALV kein Effekt auf arterielle Ammoniakspiegel bzw. auf das Überleben gezeigt werden konnte (7 oben) Zu beachten ist die Kontraindikation zur LOLA-Infusion bei Serumkreatinin >3 mg/dl (z. B. bei begleitendem HRS). Oft bessert sich eine höhergradige HE durch alleinigen Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich.
Management Im Vordergrund stehen die Kontrolle der auslösenden Faktoren und die symptomatische Therapie der sekundären Endorganversagen (HRS, HE; . Tab. 44.7). > Da Infektionen zu den häufigsten Auslösern zählen, ist eine intensive Infektsuche (Thoraxröntgenaufnahme, diagnostische Parazentese, Harn- und Blutkulturen!) und rasche antibiotische Therapie (Soforttherapie empirisch je nach lokaler Resistenzlage, danach möglichst gezielter Antibiotikaeinsatz nach Antibiogramm) sehr wichtig.
Eine Kausaltherapie ist angesichts der weitgehend unbekannten Pathophysiologie gegenwärtig nicht möglich. Zum Stellenwert der extrakorporalen Leberersatztherapie 7 Abschn. 44.3. Ein aggressives Management auf der Intensivstation kann die akute Lebensgefahr in vielen Fällen abwenden, doch besteht aufgrund der persistierenden chronischen Leberinsuffizienz ein hohes Risiko für rezidivierendes ACLV. Langfristig kann die Prognose nur durch eine rasche Lebertransplantation mit höchstmöglicher Prioriätsstufe (im Eurotransplant-Bereich T2-Listung) verbessert werden, wobei jedoch die Verfügbarkeit von Spenderorganen limitierend ist. Im Fall einer floriden Alkoholhepatitis als Auslöser spielt
44
576
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Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
auch die Frage der Abstinenz bzw. des Rückfallrisikos eine wichtige ethische Rolle.
44.3
Extrakorporaler Leberersatz
Künstliche Leberersatzverfahren werden bereits seit über 2 Jahrzehnten – bisher ohne einen durchschlagenden klinischen Erfolg – entwickelt. Angesichts der sehr komplexen Funktionen der Leber (Galleproduktion, Entgiftung, Synthese, Stoffwechselhomöostase, Immunfunktion) mag dies nicht verwundern. Während zu Beginn vorwiegend bioartifizielle Systeme entwickelt wurden, liegt derzeit der Fokus der Entwicklung auf zellfreien Detoxifikationssystemen. Letztere können nur die Teilfunktion »Entgiftung« ersetzen, und man sollte daher besser von »Leberunterstützung« (»artificial liver support«) als von »Leberersatz« sprechen. . Tab. 44.8 zeigt die extrakorporalen Leberunterstützungssysteme.
Bioartifizielle Systeme Bioartifizielle Systeme enthalten Hepatozyten menschlicher oder tierischer Herkunft in Bioreaktoren, welche nicht nur Entgiftungs-, sondern auch Synthesefunktionen übernehmen sollen. Dabei wurden kryopräservierte Hepatozyten aus überzähligen Spenderlebern, humanen Tumorzelllinien und Schweinehepatozyten eingesetzt. Limitierend sind die geringe erreichbare Leberzellmasse (50–200 g), die fehlende physiologische Architektur des Leberzellverbandes entlang von Hohlfasern (fehlendes Stroma, fehlendes Pfortaderund Gallengangsystem) und die beträchtlichen Kosten.
Detoxifikationssysteme Detoxifikationssysteme sollten primär die Entgiftungsfunktion der Leber unterstützen und dadurch die Leberregeneration begünstigen. Ein wichtiges Element ihres Benefits dürfte die Therapie von Endorganversagen sein (Entfernung von Ammoniak bei der hepatischen Enzephalopathie, Entfernung von zirkulierenden Vasodilatoren und harnpflichtigen Substanzen bei hepatorenalem Syndrom). Die ersten derartigen Verfahren, die Hämoperfusion über Aktivkohle und das BiologicDT-System, wurden inzwischen wegen fehlender Wirksamkeit wieder verlassen. z MARS Das Molecular Adsorbents Recirculating System (MARS; Gambro; . Abb. 44.3a), eine Form der Albumindialyse, wurde an der Universität Rostock entwickelt, ist seit 1999 CE-zertifiziert und stellt das
. Tab. 44.8 Extrakorporale Leberunterstützungssysteme System
Beispiele
Bioartifizielle Systeme
5 ELAD (»extracorporeal liver assist device«) 5 BAL (»bioartificial liver«, HepatAssist) 5 AMC-BAL (Academic Medical Center [Amsterdam] »bioartificial liver«) 5 MELS (»modular extracorporeal liver support«)
Zellfreie Systeme
5 Hämoperfusion über Aktivkohle (»charcoal hemoperfusion«) 5 BiologicDT (»sorbent suspension dialysis«) 5 MARS (»molecular adsorbents recirculation system«) 5 Prometheus (»fractionated plasma separation and adsorption« FPSA)
zuletzt am häufigsten eingesetzte Therapieverfahren dar. Im Blutkreislauf befindet sich ein spezieller Filter (MARS-Flux) mit einer Porengröße von 50 kD, welcher für Albumin undurchlässig ist, aber den Übertritt von hydrophoben Substanzen (Toxinen) ermöglicht. Im Sekundärkreislauf zirkuliert eine Albuminlösung hoher Konzentration. Ein Dialysatkreislauf mit einem Low-flux-Dialysator ist am Sekundärkreislauf nachgeschaltet. In zwei kleinen randomisierten Studien bei ACLV zeigte MARS einen Überlebensvorteil gegenüber Hämodiafiltration (beim hepatorenalen Syndrom) bzw. Standardtherapie. In der letzteren Studie an 24 Patienten mit ikterischem Leberversagen unterschiedlicher Ätiologie (vorwiegend schwere alkoholische Hepatitis mit Leberzirrhose) wurde das 30-Tage–Überleben von 6/12 in der Kontrollgruppe auf 11/12 in der MARS-Gruppe verbessert [17]. Eine größere randomisierte Multizenterstudie an 70 Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose zeigte eine beschleunigte Verbesserung höhergradiger HE aber keinen Überlebensvorteil durch MARS [16]. Präliminäre Daten einer randomisierten Studie an 102 Patienten mit ALV (FULMAR Study; Saliba u. Mitarbeiter; AASLD 2008) zeigen keinen Überlebensvorteil durch MARS, jedoch einen positiven Trend in einer Subgruppe mit Paracetamol-Intoxikation. Eine weitere randomisierte Multizenterstudie (RELIEF Study) an 189 Patienten mit ACLV zeigte anhand präliminärer Daten ebenfalls keinen Überlebensvorteil durch MARS gegenüber der Standardtherapie (28-TageÜberleben 59% vs. 60%). Ein wahrscheinlicher Benefit durch MARS ist jedoch bei therapierefraktärem cholestatischem Pruritus anhand
44 44 44 44 44 44 44
. Abb. 44.3a, b Schematische Darstellung von MARS (a) und Prometheus-System (b). An den Blutkreislauf sind jeweils ein Sekundärkreislauf, in welchem albumingebundene Toxine adsorbiert werden, sowie ein Dialysatkreislauf gekoppelt. Die beiden Systeme unterscheiden sich in den Filtern des Blutkreislaufs (MARS-Flux vs. AlbuFlow, Erklärung 7 Text), den Adsorbern und Dialysatoren sowie der Anordnung des Dialysatkreislaufs
577 Literatur
mehrerer kleiner unkontrollierter Studien und Fallserien dokumentiert. z Prometheus Das Prometheus-Verfahren (Fractionated Plasma Separation and Adsorption, FPSA; Fresenius Medical Care; . Abb. 44.3b) hat ebenso wie das MARS einen Blut-, Sekundär- und Dialysatkreislauf, unterscheidet sich aber im Aufbau und in den verwendeten Filtern. Der Blutfilter (AlbuFlow) hat eine größere Porengröße von 300 kD und ist damit durchlässig für das patienteneigene Albumin, welches im Sekundärkreislauf direkt über die Adsorber geführt wird. Der Dialysatkreislauf ist parallel an den Blutkreislauf angeschaltet und enthält einen High-flux-Dialysator. In einer randomisierten Cross-over-Studie an 8 Patienten mit ACLV konnten wir mit beiden Systemen eine vergleichbare Bilirubinelimination bei etwas höherer Bilirubinclearance durch Prometheus zeigen [25]. Präliminäre Daten einer rezenten randomisierten Multizenterstudie an 145 Patienten mit ACLV (HELIOS Trial) zeigen keinen Benefit von Prometheus gegenüber der Standardtherapie (28-Tage-Überleben 66% vs. 63%).
Indikationen Der Einsatz extrakorporaler Leberunterstützungssysteme ist anhand der aktuellen Datenlage (rezente Negativstudien mit MARS bzw. Prometheus, siehe oben) nach wie vor als experimentell anzusehen. Der in anfänglichen kleinen Studien berichtete Benefit von MARS beim ACLV konnte in größeren Patientenkollektiven nicht bestätigt werden. Weitere Studien mit verbesserter Patientenselektion und/oder wirksameren Leberersatzsystemen sind wünschenswert.
Literatur 1
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44
578
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Kapitel 44 · Hepatobiliäre Funktionsstörungen und Leberversagen
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579
Akute Pankreatitis J. Schölmerich, T. Brünnler
45.1
Grundlagen – 580
45.1.1 45.1.2 45.1.3 45.1.4 45.1.5
Epidemiologie – 580 Ätiologie – 580 Pathophysiologie – 580 Klinik – 580 Komplikationen – 581
45.2
Diagnostik – 581
45.2.1 45.2.2 45.2.3 45.2.4
Differenzialdiagnose – 581 Diagnosesicherung – 581 Abklärung der Ätiologie – 582 Einschätzung der Prognose – 582
45.3
Therapie – 584
45.3.1 45.3.2 45.3.3 45.3.4 45.3.5 45.3.6
Konservative Basistherapie – 584 Medikamentöse Behandlung – 585 Beseitigung der Ursachen – 585 Therapie von Komplikationen – 585 Operative Therapie – 585 Interventionelle Therapie – 586
45.4
Überwachung – 586
45.5
Prognose und Folgetherapie – 586 Literatur – 586
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_45 ,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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580
Kapitel 45 · Akute Pankreatitis
45.1
Grundlagen
Die akute Pankreatitis repräsentiert ein Krankheitsbild, das von einer milden Entzündung der Bauchspeicheldrüse bis zur Sepsis, zum Multiorganversagen und zum Tod reichen kann. Morphologisch reicht das Spektrum von der interstitiell ödematösen (80–90% der Fälle) bis zur hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis mit (sub)totaler Nekrose (10–20%) des Pankreas selbst und/oder peripankreatischen Fettgewebsnekrosen. > Die Prognose korreliert mit dieser morphologischen Einteilung: Die Letalität der ödematösen Pankreatitis ist nahezu Null, die der hämorrhagisch-nekrotisierenden Form liegt bei 10–40%.
45.1.1
Epidemiologie
Die Erkrankung ist relativ häufig. Während die Inzidenz weltweit generell zunimmt [16], bestehen doch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern: In Großbritannien hat beispielsweise die Inzidenz zwischen 1960 und 1990 deutlich zugenommen, wobei unklar ist, inwieweit verbesserte diagnostische Techniken zu diesem Anstieg beitragen [21]. Derzeit zeigen die epidemiologisch bekannten Daten dort jedoch immer noch niedrigere Inzidenzen der akuten Pankreatitis mit etwa 10/100.000/Jahr als in anderen europäischen Ländern. In Deutschland, den Niederlanden oder Norwegen liegt die Inzidenz zwischen 16 und 20/100.000/Jahr, der Altersgipfel bei 35–44 Jahren [39, 46]. Männer sind zu 50% häufiger betroffen als Frauen. In anderen skandinavischen Ländern werden noch höhere Daten präsentiert, diskutiert werden ein etwaiger höherer Alkoholgenuss dort generell, zudem allgemein aber auch die steigenden Inzidenzen an biliären Pankreatitiden und die Zunahme der Post-ERCP-Pankreatitis bei zunehmendem Einsatz dieser Untersuchungstechnik. In Kalifornien zeigte sich ein Anstieg von 33 auf 44/100.000/Jahr zwischen 1994 und 2001 [9].
45.1.2
45
45.1.3
45 45
45 45 45
> Es wird heute davon ausgegangen, dass die Mehrzahl der Effekte an anderen Organen (Lunge, Niere, ZNS und kardiovaskuläres System) durch diese Mediatoren vermittelt ist und diese auch die Prognose der schweren Form der akuten Pankreatitis bestimmen. Diese entspricht daher einem SIRS.
Es ist bislang nicht gelungen, diese pathophysiologischen Vorstellungen in überzeugende Therapiekonzepte umzusetzen. Tierexperimentelle Befunde und erste klinische Studien weisen darauf hin, dass Interventionen bezüglich dieser Immunmediatoren nur in der frühen Phase der Erkrankung wirksam sein können.
45.1.4
45
45
flammatorischer, aber auch antiinflammatorischer Substanzen freisetzen, die dann sowohl zur weiteren Zerstörung der Drüse und/ oder des umgebenden Fettgewebes als auch zu Effekten im Gesamtorganismus führen (. Abb. 45.1) [12, 33, 35]. Von Bedeutung scheint auch eine Kupffer-Zellaktivierung in der Leber zu sein, die zu dem »Zytokinsturm« bei schwerer akuter Pankreatitis im Organismus beträgt.
Ätiologie
Ätiologisch kann man zwischen biliären (40–60%), alkoholtoxischen (20–40%) und einer Gruppe idiopathischer und durch seltene Ursachen (Hyperparathyreoidismus, Medikamente, Trauma, Infekte, Hyperlipoproteinämie) bedingten Pankreatitiden (bis 20%) unterscheiden. Hinzu kommt eine größere Gruppe nicht exakt definierter Entzündungsvarianten der Bauchspeicheldrüse nach allen Formen des Schocks und nach kardiovaskulären Eingriffen, deren genaue Häufigkeit und klinische Bedeutung derzeit ungeklärt ist [36]. In einer kürzlich veröffentlichten flächendeckenden Erhebung einer Region waren von 228 Fällen einer akuten Pankreatitis 40% biliär, 32% durch Alkohol und 18% durch andere Ursachen bedingt, für 21% ließ sich keine Ursache eruieren [21].
45
. Abb. 45.1 Pathophysiologische Abläufe bei akuter Pankreatitis
Pathophysiologie
Grundlage aller Formen der Pankreatitis ist vermutlich ein relativ uniformer Ablauf, der nach Schädigung des Organs durch mechanische, hypoxische oder toxische Einflüsse zu einer raschen Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFκβ in Azinuszellen und dadurch zur Freisetzung von Chemokinen führt. Hierdurch kommt es zu einer massiven Immigration von Granulozyten, Monozyten/ Makrophagen und Lymphozyten, die ihrerseits eine Vielzahl proin-
Klinik
> Das führende Symptom der akuten Pankreatitis ist der abdominelle Schmerz. Dieser tritt typischerweise akut auf, ist im Oberbauch mittig oder auch rechtsbetont zu finden oder kann sich gürtelförmig präsentieren.
Weitere Symptome sind eher unspezifisch und lassen die akute Pankreatitis nur schwierig von anderen Differenzialdiagnosen abgrenzen. Auch erlauben sie keine Differenzierung des Schweregrades der Pankreatitis [37]. Zu den nicht obligaten Zeichen gehören Übelkeit und Erbrechen, Meteorismus, Abwehrspannung, etwa in der Hälfte der Fälle Fieber als Ausdruck des SIRS und bei schwer verlaufenden Formen Zeichen des Schocks und des Organversagens wie das akute Nierenversagen, die respiratorische Insuffizienz als auch die hämodynamische Instabilität. Eine Bewusstseinsstörung im Sinne einer Encephalopathia pancreatica ist als seltenes Phänomen nur in etwa 10% zu beobachten, ebenso wie die prognostisch ungünstigen Hautphänomene [10]. Extrapankreatische Organkomplikationen treten fast ausschließlich bei der nekrotisierenden Form auf und haben prognostische Bedeutung. Sie stellen die wesentliche Indikation zur Intensivtherapie dar. Zu beachten ist, dass alle Patienten mit akuter Pan-
581 45.2 · Diagnostik
kreatitis sehr sorgfältig überwacht werden müssen, da Übergänge von leichten zu schweren Formen auch unter Therapie, wenngleich selten, vorkommen und Organkomplikationen selbst nach initial unkompliziertem Verlauf auftreten können.
45.1.5
4 4 4 4 4
Rupturiertes Aortenaneurysma Myokardinfarkt Akute Porphyrie Enterische Infektionen Intoxikationen (Thallium, Pilze etc.)
Komplikationen Diagnosesicherung
Wesentliche Komplikationen der schweren akuten Pankreatitis
45.2.2
4 Katecholaminpflichtiges Kreislaufversagen bzw. Schock (30–50%) 4 Nierenversagen (15–40%) 4 Lungenversagen (15–60%) 4 Enzephalopathie (20–60%) 4 Paralytischer Ileus (50–100%) 4 Intraabdominelle Hypertension (60–80%) 4 Intraabdomenelles Kompartment (27%)
Diagnose und Differenzialdiagnose der akuten Pankreatitis beruhen in erster Linie auf gründlicher Anamnese und körperlicher Untersuchung, unterstützt durch laborchemische Analysen und bildgebende Verfahren.
45.2
Diagnostik
Ziel der diagnostischen Maßnahmen ist es, die Diagnose rasch zu sichern, die Ätiologie der Pankreatitis zu klären, den Schweregrad und damit die Prognose abzuschätzen sowie Komplikationen und Verlauf zu beurteilen (. Abb. 45.2).
45.2.1
Differenzialdiagnose
Die wesentlichen Differenzialdiagnosen der akuten Pankreatitis sind in der Übersicht dargestellt.
Wesentliche Differenzialdiagnosen der akuten Pankreatitis 4 Mesenteriale Durchblutungsstörung 4 Akute Erkrankungen des Gallenwegsystems 4 Kompliziertes Ulcus duodeni, Ulcus ventriculi 6
. Abb. 45.2 Initiale Diagnostik bei akuter Pankreatitis (ERCP endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie, MRCP Magnetresonanzcholangiopankreatikographie, EUS Endoskopischer Ultraschall, CT Computertomographie, CRP C-reaktives Protein)
Laboranalysen Zu den wichtigsten laborchemischen Methoden gehört die Bestimmung der Aktivität der Lipase im Serum. Die Bestimmung ist sensitiv, wenn der Patient innerhalb der ersten 2 Tage nach Einsetzen der klinischen Beschwerden untersucht wird [41]. ! Cave Es wurden allerdings auch schon normale Lipase- (und Amylase-)werte bei letalen Formen der Pankreatitis zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme beobachtet, da insbesondere bei weitgehender Organnekrose die Serumaktivität der Enzyme rasch abfällt (. Abb. 45.3).
Da sich die Lipaseaktivität etwas langsamer als die der Amylase normalisiert und dieses Enzym für die Diagnosestellung spezifischer ist, wird es in der Notfallanalytik bevorzugt.
Bildgebende Verfahren Von den bildgebenden Verfahren stehen Sonographie und Computertomographie im Vordergrund. Die Sonographie hat den Vorteil der einfacheren Handhabung, besitzt in der Akutdiagnostik allerdings nur eine Sensitivität von 67% [37]. Vor allem die häufig ausgeprägte Darmgasbildung limitiert dieses Verfahren. Die Computertomographie ist in der Darstellung des Organs überlegen, jedoch findet sich bei 15–30% der Patienten mit leichter Erkrankung zumindest initial ein normales Computertomogramm
. Abb. 45.3 Serumamylase am Tag 1, 3 und 5 während akuter Pankreatitis bei Patienten mit einem später milden (Gruppe I), schweren (Gruppe II) oder fatalen (Gruppe III) Verlauf
45
582
Kapitel 45 · Akute Pankreatitis
45
[1]. Praktisch alle mäßig- bis schwergradigen akuten Pankreatitiden werden durch die Computertomographie aber entdeckt.
45
Abgrenzung anderer Erkrankungen
45 45
Eine Reihe von Maßnahmen ist erforderlich, um andere Erkrankungen abzugrenzen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn die Beschwerden schon länger anhalten und die Enzymbestimmung nicht mehr sicher verwertbar ist. Die Übersicht zeigt eine Liste diagnostischer Standardmaßnahmen.
45.2.4
Einschätzung der Prognose
Die Prognose der Erkrankung wird im Wesentlichen durch das Ausmaß der extrapankreatischen Organschäden bestimmt. Da heute die Mehrzahl der Patienten die 1. Woche aufgrund intensivtherapeutischer Möglichkeiten überlebt, werden dann das Auftreten von Infektionen intra- oder extrapankreatischer Nekrosen und die häufig folgende Sepsis prognosebestimmend. Das Infektionsrisiko ist dabei mit 40–70% als hoch einzuschätzen, wobei das Infektionsrisiko positiv mit dem Ausmaß der Nekrose korreliert [4, 5, 17, 26, 37] (. Tab. 45.1).
45
Standarduntersuchungen in der Diagnose der akuten Pankreatitis
Computertomographie
45
4 Positiver Nachweis – Abdominelle Schmerzen mit und ohne Palpation – Erhöhte Lipase im Serum – Sonographisch oder computertomographisch typische Veränderungen 4 Ausschluss anderer Erkrankungen – Rektal digitale Untersuchung – Serumaktivität der Kreatinkinase und alkalischen Phosphatase – Röntgenuntersuchung von Thorax und Abdomen – Sonographie von Niere, Darm, Gallenblase und Gallenwegen, Leber, Milz und abdominellen Gefäßen – Elektrokardiographie
Da die Computertomographie mit Kontrastmittelbolus bei Weitem die höchste Aussagekraft bezüglich des Vorliegens von intra- (und extra-)pankreatischen Nekrosen aufweist [1] (. Abb. 44.4), wird sie häufig zur Prognoseabschätzung eingesetzt. Zahlreiche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass der CTBefund nur eine mäßige Vorhersagekraft (positiver Vorhersagewert 75%, negativer Vorhersagewert 70%) für einen schweren oder fatalen Verlauf der Erkrankung hat [37]. So können keineswegs bei allen Patienten mit schwerem Verlauf Nekrosen in der Computertomographie nachgewiesen werden, und umgekehrt gibt es auch etliche Patienten mit leichtem Verlauf, obwohl Nekrosen festgestellt wurden [43]. Dies liegt auch an der Schwierigkeit der sicheren Diagnose von ausschließlichen Fettgewebsnekrosen.
45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45
Scores 45.2.3
Abklärung der Ätiologie
Hier spielen laborchemische Verfahren eine geringere Rolle. Erhöhungen der Cholestaseparameter sind bei biliärer Ätiologie sensitiv, aber nicht spezifisch; die Sonographie hat einen geringen Wert, da sie Gallengangsteine bei diesen Patienten in der Regel nicht nachweisen kann und ein Aufstau der Gallenwege auch bei ausgeprägter Entzündung im Pankreaskopfbereich vorkommt. Der Nachweis von Gallenblasensteinen ist nicht identisch mit der Diagnose einer biliären Pankreatitis. Gleiches gilt für die Computertomographie [24, 38].
Goldstandard ist die ERCP, die beim Nachweis einer biliären Ätiologie dann auch gleich therapeutische Interventionen erlaubt. Neueren Daten zufolge ist jedoch auch die MRCP in der Diagnostik der ERCP wenigstens als gleichwertig anzusehen, die Endosonographie (EUS) ist zum Steinnachweis im Choledochus gleichwertig oder möglicherweise sogar überlegen [24, 28].
Bislang sollte bei schwerer Pankreatitis mit Verdacht auf eine biliäre Genese innerhalb der ersten Tage immer noch eine ERCP, evtl. mit Papillotomie und Steinextraktion, erfolgen. Zur Patientenselektion zur ERCP kann eine EUS oder auch eine MRCP vorgeschaltet werden [25]. Wenn ein solches Verfahren regelmäßig angewandt wird und die in der ERCP gewonnene Galle auch noch auf Cholesterinkristalle untersucht wird, steigt der Anteil der diagnostizierten biliären Pankreatitiden in der Regel an.
Es wurden zahlreiche klinische Prognosescores für die akute Pankreatitis entwickelt (Übersicht bei [37, 40, 42]). Dabei finden sich in der Literatur pankreatitisspezifische Scores wie beispielsweise der Imrie- oder Ranson Score, aber auch klassische Intensivscores, die in den publizierten Untersuchungen prognostische Relevanz zeigten. Diesbezüglich finden die allgemeinen Intensivscores noch eher in der klinischen Routine Anwendung als die pankreatitisspezifischen Scores, welche zwar einen statistischen Bezug zum Schweregrad in Patientengruppen aufweisen und daher v. a. als Kriterien für Studien geeignet sind, sich aber aufgrund ihrer Komplexität oft nicht im klinischen Alltag durchsetzten. Im Einzelfall sind die Vorhersagewerte zudem ungenügend und nicht besser als die der bildgebenden Verfahren und/oder einer einfachen klinischen Untersuchung.
. Tab. 45.1 Prognose der akuten Pankreatitis – Einfluss einer Infektion von Nekrosen. (Nach [4]) Nekrosenausmaß
Bakteriologisch positiv
Bakteriologisch negativ
Patienten [%]
Mortalität [%]
Patienten [%]
Mortalität [%]
<30%
27
–
35
–
50%
40
39
45
13*
Subtotal/ total
33
67
20
14*
Extrapankreatisch
60
59
41*
11*
Aszites
71
53
51*
17*
* Signifikant gegenüber der infizierten Gruppe.
583 45.2 · Diagnostik
. Abb. 45.4a–d Nekrotisierende Pankreatitis im CT. a Subtotale Nekrose mit peripankreatischer Fettgewebsnekrose, Teile des Kopfes erhalten (13.11.06). b Zustand nach Punktion, Luft und nekrotisches Gewebe in der Pankreasloge (24.11.06). c Liegende Drainage, Verkleinerung der Nekrose (27.12.06). d Zustand nach Nekrosektomie, noch liegende Drainage (07.02.07)
Ein einfacher Score aus Harnstoff, LDH, Interleukin-6 und Alter ist offenbar gleichwertig [38], ein weiterer Score aus Abwehrspannung, Kreatinin und Hämatokrit auch [22]. Der Verlauf einzelner Laborparameter (7 unten) ist ebenfalls bereits oft wegweisend. Prognosescores kommen daher im Einzelfall selten zur Anwendung.
Laborparameter Verschiedene Laborparameter wurden bezüglich ihrer Fähigkeit der Prognosevorhersage untersucht. Da die diagnoseanzeigenden Pankreasenzyme hierfür nicht geeignet sind (. Abb. 45.3) und alle sonstigen untersuchten Parameter wie Blutglukose, Leukozytenzahl oder LDH-Aktivität im Serum sich als nicht sehr zuverlässig erwiesen haben, wurden aufgrund der 7 oben genannten pathophysiologischen Konzepte Zytokine oder die durch sie induzierten AkutPhase-Proteine (v. a. C-reaktives Protein) und Leukozytenprodukte (Leukozytenelastase) vorgeschlagen. Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die Leukozytenelastase [13] als auch Interleukin-6 [23] ebenso wie Interleukin-8 [11] die höchsten Vorhersagewerte für einen schweren oder letalen Verlauf der Erkrankung aufweisen (. Tab. 45.2). Die Zytokine haben aber noch keinen Einzug in die Routinediagnostik gehalten. Das C-reaktive Protein, dessen Synthese erst durch Zytokine induziert wird, erreicht seinen Gipfel erst 48 h oder später nach Einsetzen der Erkrankung und ist daher, zumindest initial, nicht als Prognoseparameter geeignet (. Tab. 45.3) [23, 32, 34, 37].
. Tab. 45.2 Vorhersagewerte (PPV positiv, NPV negativ) bei optimiertem Grenzwert (ROC-Analyse) für einen schweren oder fatalen Verlauf einer akuten Pankreatitis PPV (%)
NPV (%)
Grenzwert (%)
CRP
73
73
>10 mg/dl
α1-AT
59
50
>4 g/l
α2-MG
82
67
<1,5 g/l
PMN-Elastase
86
79
<320 μg/l
IL-6
91
82
>15 U/ml
Klinischer Score Freiburg
80
80
>3
Letztlich gelingt die Prognoseabschätzung durch eine gründliche mehrmalige tägliche klinische Untersuchung ebenso gut wie durch technische oder laborchemische Verfahren [37].
45
584
45
Kapitel 45 · Akute Pankreatitis
. Tab. 45.3 Zytokine und CRP zur Vorhersage des Schweregrades der akuten Pankreatitis [34]
45 Tag 1
45 45
Tag 2
45 45
Tag 3
45 45 45 45 45
Sensitivität [%]
Spezifität [%]
IL-6
100
86
IL-8
100
81
CRP
8
95
IL-6
100
73
IL-8
100
91
CRP
57
86
IL-6
86
91
IL-8
93
95
CRP
100
64
Tipp Für die Praxis ist derzeit daher Standard, dass mittels einer kontrastmittelverstärkten Computertomographie das Ausmaß der Nekrosen definiert wird, die Patienten mehrfach täglich klinisch untersucht werden und ab dem 3. Tag das CRP als Prognosemarker herangezogen wird. Möglicherweise etablieren sich derzeit auch weitere Marker wie das IL-6 in der klinischen Routine. Schließlich muss sorgfältig auf das Auftreten von Infektionszeichen geachtet werden.
45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45
45.3
Therapie
Therapieziele bei der akuten Pankreatitis sind Ursachenbeseitigung, Schmerzbekämpfung, supportive Maßnahmen sowie die Prophylaxe und Therapie von Komplikationen. Dies gilt umso mehr, als eine kausale medikamentöse Therapie bislang nicht existiert und interventionelle Maßnahmen und Operation bislang nur der Beseitigung von Komplikationen dienen [15].
45.3.1
Konservative Basistherapie
Die konservative Basistherapie ist in . Tab. 45.4 dargestellt. Im Vordergrund stehen Schmerzbekämpfung und Volumen- und Elektrolytsubstitution.
Schmerzbekämpfung Patienten mit akuter Pankreatitis leiden in den meisten Fällen unter nicht unerheblichen, insbesondere viszeralen Schmerzen. Die adäquate Schmerztherapie ist daher eines der unbedingten Ziele im Behandlungskonzept. Verwendung finden daher v. a. potente Schmerzmittel wie Opioidanalgetika, ggf. entsprechend des WHOStufenschemas auch in Kombination mit Nichtoioidanalgetika. Die Vorstellung, dass möglicherweise eine Verschlechterung der Pankreatitis durch inhibierende Effekte auf die Sphinkter-OddiFunktion auftreten könne, wurde nie belegt, sodass Opioide diesbezüglich unbedenklich eingesetzt werden können. Dabei werden vorwiegend Pethidin, Fentanyl und Buprenorphin verwendet [29]. Gelegentlich ist ein Periduralkatheter mit Bupivacain erforderlich (. Tab. 45.4), was v. a. beim wachen Patienten eingesetzt wird, in Einzelfällen jedoch auch beim intubierten und beatmeten Patienten
. Tab. 45.4 Konservative Basistherapie bei akuter Pankreatitis Schmerzbekämpfung
5 Pethidin 50–100 mg i.v. bei Bedarf, evtl. in Kombination mit Nichtopioidanalgetika (z. B. Metamizol), maximale Tagesdosis 500 mg 5 Fentanyl (0,05–0,3 μg/h), Sufentanil (Erhaltungsdosis 0,15–0.7 μg/kgKG/h) 5 Buprenorphin (maximal 4-mal 0,3 mg/Tag i.v. oder 4-mal 0,2 mg/Tag s.l.) 5 Periduralanästhesie (Bupivacain 0,125–0,5%, 4–8 ml/h)
Flüssigkeitsund Elektrolytsubstitution
5 Initial 3,0–6,0 l Flüssigkeit/24 h, ggf. Bilanzierung entsprechend hämodynamischem Volumenmonitoring 5 Elektrolyte Bicarbonat, Albumin nach Bedarf
Ernährung
5 Parenterale Ernährung nach den üblichen Kriterien, Zusatz von Lipiden erlaubt 5 Frühzeitige enterale Ernährung über nasojejunale Sonde erwägen 5 Insulin nach Bedarf
erwogen werden kann. Das früher empfohlene Procainhydrochlorid ist nicht hilfreich [19].
Supportive Therapie > Bei der Flüssigkeits- und Elektrolytersatztherapie ist zu beachten, dass häufig sehr viel mehr als 3 l Flüssigkeit pro Tag und z. T. auch kolloidale Volumenersatzmittel verabreicht werden müssen, da enorme Mengen eiweißreicher Flüssigkeit in die Peritonealhöhle und in den Darm sequestriert werden. Das benötigte Volumen kann in Einzelfällen bis zu 15 l täglich betragen. Hier sind eine sorgfältige Bilanzierung und eine engmaschige Kontrolle der hämodynamischen Parameter zwingend erforderlich.
Enterale Ernährung Während früher noch stenge Nahrungskarenz, Dauerdrainage des Magensaftes und parenterale Ernährung propagiert wurden, ist deren Effekt durch klinische Studien nicht belegt. Neuere Daten legen den Schluss nahe, dass eine frühe enterale Ernährung über eine Jejunalsonde oder sogar eine gastrale Sonde [20] Vorteile gegenüber der parenteralen Ernährung bieten kann. Eine zusammenfassende Analyse von 8 prospektiven, randomisierten Studien mit 275 Patienten mit nekrotisierender Pankreatitis, von denen 141 intrajejunal oder intragastral mit Sonden und 134 parenteral ernährt wurden, belegt, dass die Patienten, wenn möglich, enteral und nicht parenteral ernährt werden sollten [31]. Einzige Schwierigkeit kann dabei eine ausgeprägte Hemmung der Darmperistaltik v. a. im oberen Gastrointestinaltrakt sein, sodass entsprechende Prokinetika wie beispielsweise Metoclopramid regelmäßig zum Einsatz kommen. In der Regel sind wegen des Ausfalls der endokrinen Funktionen der Bauchspeicheldrüse Insulingaben erforderlich. > Die enterale Ernährung führt zu erheblicher Kostenersparnis, einer Senkung der Rate infektiöser Komplikationen, sicher nicht zu einer negativen Beeinflussung des klinischen Verlaufs und wahrscheinlich zur Verbesserung der Prognose.
585 45.3 · Therapie
45.3.2
Medikamentöse Behandlung
Hemmung der exokrinen Pankreassekretion und Proteaseinhibitoren In zahlreichen Studien wurde versucht, den Krankheitsverlauf durch Anwendung von Hormonen zur Hemmung der Enzymfreisetzung (Glukagon, Somatostatin, Octreotid, Kalzitonin) oder durch die Gabe von Proteaseinhibitoren (u. a. Aprotinin und Gabexat-Mesilat) zu beeinflussen. Obwohl sich im Tierversuch durchaus positive Effekte abzeichneten, waren die klinischen Ergebnisse bei Anwendung am Patienten bisher enttäuschend [41]), sodass der Einsatz dieser Substanzklassen nicht empfohlen werden kann. Dies gilt sowohl für die Therapie der akuten Pankreatitis als auch für die Prophylaxe nach ERCP (beispielweise untersucht für Gabexat-Mesilat oder IL-10). Etwas mehr Potenzial in der Prophylaxe konnte noch für den Einsatz von NSAID nachgewiesen werden [2].
Mediatorenblockade Ob sich die experimentellen Befunde zur Blockade von Tumornekrosefaktor D, Interleukin-1 oder zur Zytokindämpfung durch Interleukin-10 in die Klinik übertragen lassen werden, erscheint anhand der Datenlage derzeit nicht wahrscheinlich. Nach wie vor ist keine kausale medikamentöse Behandlung als wirksam gesichert [15].
Antibiotika Der Einsatz der antibiotischen Therapie bei Patienten mit akuter Pankreatitis ist derzeit in Diskussion. Als gesichert gilt der Einsatz beim Nachweis der Infektion nekrotischer Areale, umstritten bleibt nach wie vor der frühzeitige, dann prophylaktische Einsatz während der 1. Phase der Erkrankung [15, 30, 45]. Während in einigen Studien ein Vorteil bezüglich der Mortalität zu finden ist, sind andere Daten diesbezüglich kontrovers [18, 44]. Letztlich ist darauf zu achten, dass sowohl gallegängige als auch pankreasgängige Antibiotika bevorzugt werden, die Penetration von Antibiotika in das Pankreasgewebe sehr unterschiedlich ist und die Besiedelung der Nekrosen in der Regel durch gramnegative Keime erfolgt. Ein rascher Beginn scheint besser zu wirken als eine verzögerte Gabe [27]. Die akute nekrotisierende Pankreatitis ist eine der wenigen Erkrankungen, bei denen eine Prophylaxe mit hochwirksamen Antibiotika möglicherweise sinnvoll sein kann, eine Evidenz durch entsprechende Studien ist jedoch nicht belegt. Empfohlen wird die intravenöse Anwendung von Carbapenemen oder Chinolonen, abgeraten wird von Substanzen mit mangelnder Penetration oder Anreicherung im Pankreasgewebe (z. B. Aminoglycoside, Ampicillin, Cefotaxim).
45.3.3
Beseitigung der Ursachen
Die Ursachenbeseitigung ist bislang nur bei der biliären Pankreatitis durch Behebung von Abflussstörungen durchführbar. Hier ist bei Anwendung der EUS bzw. ERCP für die Akutdiagnostik eine frühzeitige Papillotomie mit Steinextraktion möglich; sie führt zum raschen Rückgang der klinischen und biochemischen Aktivitätsparameter. Die Durchführung der ERCP hat keine nachteiligen Folgen, die Papillotomie ist komplikationsarm. In verschiedenen Studien wurde nach dem optimalen Zeitpunkt für diese Intervention gesucht; insgesamt muss man davon ausgehen, dass bei klinischen Zeichen einer schweren Pankreatitis eine frühzeitige Intervention sinnvoll ist [15]. Eine Papillotomie bei nichtbiliärer Pankreatitis hat sich als nicht zweckmäßig erwiesen.
45.3.4
Therapie von Komplikationen
Die Letalität wird im Wesentlichen durch die extrapankreatischen Komplikationen bedingt. Prophylaxe, Früherkennung und frühzeitige Therapie dieser Komplikationen sind daher von großer Bedeutung. Die Indikation zur maschinellen Beatmung muss rechtzeitig gestellt werden; eine frühzeitige PEEP-Beatmung hat sich hier als zweckmäßig erwiesen. Bei Entwicklung eines abdominellen Kompartments muss an eine Druckentlastung mittels Laparatomie gedacht werden [8]. Eine rasche Korrektur der oft unterschätzten Flüssigkeitsverluste ist von wesentlicher Bedeutung und setzt ein angepasstes hämodynamisches Monitoring voraus. . Tab. 45.5 gibt einen Überblick der Therapie von Komplikationen.
45.3.5
Operative Therapie
Die operative Therapie der akuten Pankreatitis und insbesondere die Operationsindikation werden heute einheitlich eher zurückhaltend beurteilt. Eine Operationsindikation besteht übereinstimmend dann, wenn der Nachweis der Infektion von Nekrosen gelingt, was in der Regel durch eine gezielte Feinnadelpunktion und anschließende mikrobiologische Untersuchungen möglich ist. Allerdings werden auch hier zunehmend interventionelle Verfahren unter sonographischer oder computertomographischer Steuerung alternativ eingesetzt. Weitere Operationsindikationen können lokale Spätkomplikationen wie Abszesse, Sequesterbildung oder rasch wachsende Pseudozysten sein. In allen anderen Fällen sollte die Operationsindikation nur bei deutlicher klinischer Verschlechterung trotz konservativer Maximaltherapie und Nachweis von Nekrosen gestellt werden. Sicher darf nicht allein das morphologische Ergebnis bildgebender Verfahren die Operation begründen. Wenn operiert wird, sollte eine Nekrosektomie mit Bursalavage erfolgen (Spüllösung: Peritonealdialyselösung mit 4 mmol/l KCl und 250–500 Einheiten Heparin/l) [15].
. Tab. 45.5 Intensivtherapie von Komplikation der akuten Pankreatitis (PAK Pulmonalarterienkatheter; PEEP positiver endexspiratorischer Druck) Komplikation
Maßnahmen
Ileus
Heber-Drainage, Einläufe, Anwendung von Prostigmin umstritten; intraabdominelle Druckmessung, ggf. Entlastungslaparotomie bei Kompartment
Niereninsuffizienz
Bilanzierung, Diuretika, rechtzeitig Nierenersatzverfahren beginnen
Respiratorische Insuffizienz
O2-Gabe, frühzeitige Beatmung (inkl. PEEP), Patientenlagerung (Bauchlage oder motorbetriebenes Drehbett mit kontinuierlichem axialen Lagerungswechsel)
Kreislaufversagen
Invasives hämodynamisches Monitoring (arteriell und zentralvenös), Bilanzierung, Katecholamine
Blutzuckerentgleisung
Bilanzierte Glukosezufuhr, Altinsulininfusion
Gerinnungsstörung
Thromboembolieprophylaxe mit Heparin, ansonsten Substitution nach Bedarf
45
45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45
586
Kapitel 45 · Akute Pankreatitis
45.3.6
Interventionelle Therapie
In den letzten Jahren wurde von einzelnen Zentren über gute Erfolge mit der nichtoperativen Nekrosedrainage und -spülung berichtet. Dabei können perkutan CT-gesteuert Drainagen platziert und ein entsprechendes Spülregime gestartet werden, wobei die Zielkriterien die gleichen wie bei der operativen Drainageeinlage sind. In neueren Publikationen wird über die Anlage von bis zu 14 Drainagen berichtet [6]. Perkutane oder auch endoskopische transgastrische Nekrosektomien stellen reelle Alternativen zu chirurgischen Verfahren dar [15] (. Abb. 45.4). Sollten diese passiven Drainagemaßnahmen nicht ausreichen, das nekrotische Gewebe zu mobilisieren, können in einem weiteren Schritt perkutan auch aktive Verfahren wie die perkutane Nekrosektomie eingesetzt werden [7]. Dabei werden unter Durchleuchtungskontrolle Nekrosen mittels Instrumenten wie z. B. DormiaFangkörbchen zerkleinert und entfernt. Gegebenenfalls kann die Nekrosehöhle dabei durch ein über eine Schleuse eingebrachtes Endoskop visualisiert werden [14]. Ziel all dieser minimalinvasiven Maßnahmen ist, die Operation für den oft kritisch kranken Patienten entweder komplett zu vermeiden oder Zeit zu gewinnen, um die Operation auf einen späteren Zeitpunkt terminieren zu können, wenn sich die klinische Gesamtsituation stabilisiert hat. Inwieweit diese Verfahren die Zahl der Operationen weiter reduzieren werden, ist derzeit nicht endgültig absehbar.
Literatur 1 2 3
4
5 6
7
8 9
10 11 12
45.4
Überwachung
Die Früherkennung potenziell letaler Komplikationen ist von wesentlicher Bedeutung. Eine engmaschige Überwachung mittels klinischer, laborchemischer und bildgebender Verfahren ist daher erforderlich; insbesondere Gasaustausch, Nierenfunktionen und Infektionsparameter sollten lückenlos überprüft werden.
13
14
15
45.5
Prognose und Folgetherapie
Durch die modernen Verfahren der Intensivtherapie hat sich die Prognose auch der schweren Pankreatitis wesentlich gebessert [3]. In größeren Zentren mit selektioniertem Patientengut beträgt die Letalität der schweren Pankreatitis heute deutlich weniger als 10%, wobei alle oben genannten therapeutischen Prinzipien zum Einsatz kommen. Bei den Überlebenden kann es mehrere Monate dauern, bis endokrine und exokrine Organfunktionen wiederhergestellt sind. Bei einer Totalnekrose ist naturgemäß eine dauerhafte Ersatztherapie (orale Enzymsubstitution, Insulin) erforderlich. Bei vielen Patienten muss zumindest für eine Übergangsphase eine Ersatztherapie durchgeführt werden. Bei Nachweis einer biliären Genese ist die baldige elektive Cholezystektomie erforderlich, auch wenn initial eine Papillotomie erfolgt ist. Bei Pancreas divisum und rezidivierenden Pankreatitiden ist die Drainage mittels endoskopischer Techniken und selten auch eine operative Intervention sinnvoll. Bei alkoholinduzierter und medikamentös verursachter Erkrankung ist eine entsprechende Karenz erforderlich.
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45
589
Akute gastrointestinale Blutungen H. Messmann, F. Klebl
46.1
Definition und Einteilung – 590
46.1.1 46.1.2
Lokalisation – 590 Blutungsaktivität und -dauer – 590
46.2
Diagnostik – 590
46.2.1 46.2.2 46.2.3 46.2.4 46.2.5 46.2.6
Anamnese – 590 Klinik und Laborparameter – 591 Endoskopie – 592 Computertomographie (CT) und (CT-)Angiographie – 593 Szintigraphie – 594 Operation – 594
46.3
Therapie – 594
46.3.1 46.3.2 46.3.3 46.3.4 46.3.5 46.3.6 46.3.7
Stressblutungsprophylaxe – 594 Schockbekämpfung – 595 Blutungen aus Erosionen und Ulzerationen – 595 Ösophagusvarizenblutungen – 596 Seltenere Ursachen oberer gastrointestinaler Blutungen – 597 Mittlere gastrointestinale Blutungen: Dünndarmblutungen – 597 Untere gastrointestinale Blutungen: Dickdarmblutungen – 597
Literatur – 598 Internetadressen – 599
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_46, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
46
46 46 46 46
590
Kapitel 46 · Akute gastrointestinale Blutungen
46.1
Definition und Einteilung
Akute gastrointestinale Blutungen werden nach ihrer Lokalisation eingeteilt [33] in: 4 obere (proximal der Papilla Vateri bzw. im mit dem Gastroskop einsehbaren Bereich), 4 mittlere (distal der Papilla Vateri bzw. des mit dem Gastroskop einsehbaren Bereichs bis terminales Ileum), 4 untere gastrointestinale Blutungen (terminales Ileum und distal davon).
46 46.1.1
46 46 46 46 46 46 46
Lokalisation
z Obere gastrointestinale Blutung Die obere gastrointestinale Blutung ist wesentlich häufiger als die untere, wenn auch ihre Inzidenz abzunehmen und die der unteren zuzunehmen scheint [21]. Sie wird am häufigsten durch Schleimhauterosionen bzw. -ulzerationen sowie Varizen verursacht. . Tab. 46.1 zeigt die Häufigkeitsverteilung der oberen gastrointestinalen Blutungen [9]. z Mittlere gastrointestinale Blutung Eine obskure Blutung liegt vor, wenn bei einer gastrointestinalen Blutung keine Blutungsquelle in der Gastroskopie und Koloskopie nachgewiesen werden kann. Blutungen im Dünndarmbereich sind vergleichsweise selten. Häufigste Blutungsquelle sind Angiodysplasien, Tumoren, gefolgt von selteneren Ursachen wie (Meckel-) Divertikel oder M.-Crohn-Ulzerationen.
46
z Untere gastrointestinale Blutung Im Kolorektum sind Hämorrhoidalblutungen und Divertikelblutungen am häufigsten, gefolgt von Proktitis, Karzinomen und Nachblutungen nach Polypektomie oder Biopsie. Bei Kolonblutungen ist die Häufigkeitsverteilung stark altersabhängig (. Tab. 46.2), die Inzidenz der unteren gastrointestinalen Blutung nimmt mit dem Alter zu [26].
46
46.1.2
46 46
46
Blutungsaktivität und -dauer
46
Nach der Blutungsaktivität können overte Blutungen von okkulten Blutungen unterschieden werden. Während bei Ersteren Blutungszeichen wie z. B. eine Hämatochezie, Meläna o. Ä. vorliegen, werden Letztere anhand positiver Stuhltests auf Blut detektiert. Anhand der Blutungsdauer werden akute und chronische Blutungen unterschieden.
46
46.2
Diagnostik
46
46.2.1
Anamnese
46
Die Anamnese lässt oftmals eine Verdachtsdiagnose zu, sodass weiterführende diagnostische Maßnahmen bereits frühzeitig veranlasst werden können. Schmerzmitteleinnahme oder rezidivierende Oberbauchbeschwerden, z. T. jahreszeitlich abhängig oder in Stresssituationen, lassen ein Ulkus bzw. Erosionen vermuten. Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die Varizenblutung nur in 30–50% der Fälle die Blutungsursache. Gehäuft findet man bei diesen Patienten auch eine Gastropathie durch portale Hypertension oder MalloryWeiss-Läsionen infolge rezidivierenden Erbrechens. Letzteres tritt v. a. bei Alkoholikern auf, aber auch andere Ursachen (Erbrechen in
46
46 46 46
. Tab. 46.1 Prozentuale Verteilung der Blutungsquellen bei 1139 Patienten mit oberer gastrointestinaler Blutung. (Nach [9]) Blutungsquelle
Häufigkeit [%]
Ulcus duodeni
27
Ulcus ventriculi
24
Ösophagusvarizen
19
Erosionen
13
Refluxösophagitis
10
Mallory-Weiss-Läsionen
7
Tumorblutung
3
Angiodysplasie
1
Blutungsquelle nicht identifiziert
6
. Tab. 46.2 Blutungsquellen im Kolon in Abhängigkeit von Lebensalter und Häufigkeit <25 Jahre
25–60 Jahre
≥60 Jahre
Colitis ulcerosa/M. Crohn Polypen Infektiöse Enterocolitis
Divertikulose Colitis ulcerosa/M. Crohn Polypen Karzinom Angiodysplasie Infektiöse Enterokolitis
Angiodysplasie Divertikulose Karzinom Polypen
der Schwangerschaft, bei Zytostatikabehandlung etc.) sind möglich. Bei älteren Patienten oder solchen mit Niereninsuffizienz sollten Angiodysplasien in Betracht gezogen werden. z Hämatemesis und Kaffeesatzerbrechen Hämatemesis (Bluterbrechen) und Kaffeesatzerbrechen sind typische Symptome der oberen gastrointestinalen Blutung. Gleichzeitig geben diese Symptome einen Hinweis auf die Blutungsintensität: Der typische »Kaffeesatz« entsteht durch den Kontakt eher geringerer Blutmengen mit Magensäure, hingegen deutet hellrot erbrochenes Blut auf eine stärkere Blutung hin. In beiden Fällen gilt: Kann eine Blutungsquelle im oberen Gastrointestinaltrakt nicht gefunden werden, so muss eine Blutung im Nasen-Rachen-Raum ausgeschlossen werden. z Meläna und Hämatochezie Meläna (Teerstuhl) und Hämatochezie (Blutstuhl) können sowohl Folge einer oberen als auch einer mittleren oder unteren gastrointestinalen Blutung sein. Auch hier lassen die Symptome einen Rückschluss auf die Blutungsintensität zu: Teerstuhl entsteht, wenn mindestens 100–200 ml Blut das Kolon passieren und dabei bakteriell abgebaut werden. Das Zeitintervall zwischen Blutungsbeginn und dem ersten Auftreten von Teerstühlen kann 5–8 h betragen, jedoch können Teerstühle auch noch mehrere Tage nach Blutungsstopp auftreten oder bei sehr langsamer Passage Ausdruck einer unteren gastrointestinalen Blutung sein. Hämatochezie deutet hingegen eher auf eine untere oder auf eine besonders starke obere bzw. mittlere gastrointestinale Blutung hin.
46
591 46.2 · Diagnostik
46.2.2
Klinik und Laborparameter
Von entscheidender prognostischer Bedeutung hinsichtlich Rezidivblutung und Mortalität sind neben der Blutungsdiagnose der Schweregrad des Schocks sowie Begleiterkrankungen. In einer englischen Multicenterstudie an über 4000 Patienten mit oberer gastrointestinaler Blutung wurden verschiedene Risikofaktoren ermittelt und in einem Punktesystem zusammengefasst [34] (. Tab. 46.3). Aus den Punktwerten kann dann das Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisko abgeschätzt (. Tab. 46.4) und daraus eine Therapieempfehlung (zur ambulanten, stationären oder Intensivtherapie) abgeleitet werden [35].
Eine Einschätzung der Notwendigkeit einer Intervention erlaubt der Glasgow-Blatchford-Score [2] (. Tab. 46.5). Sein Vorteil liegt darin, dass kein Ergebnis einer endoskopischen Untersuchung vorliegen muss und somit eine Stratifizierung auch ohne diese möglich ist. Bei einem Score von 0 ist in der Regel keine Intervention nötig bzw. Mortalität vorhanden, sodass der Patient ambulant geführt werden kann [2]. Bei einem Score von ≥6 Punkten besteht bei >50% der Patienten die Notwendigkeit einer Intervention.
. Tab. 46.3 Scoringsystem zur Beurteilung des Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisikos bei der akuten oberen nichtvarikösen gastrointestinalen Blutung. (Nach [34]) Risikofaktoren
0
1
2
3
Alter (Jahre)
<60
60–80
>80
Schock
Nein
Tachykardie
Hypotonie
Begleiterkrankungen
Nein
Diagnose
Mallory-Weiss-Läsion, keine Läsion
Alle anderen Blutungsquellen
Blutungsstigmata
Keine Blutungsstigmata, keine Hämatinreste
Blut, adhärentes Koagel, Gefäßstumpf, spritzende Blutung
Kardial
Renal Hepatisch Maligne
Tumor
. Tab. 46.4 Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisiko bei Patienten mit akuter oberer, nicht variköser gastrointestinaler Blutung [35]: Patienten mit Scorewerten ≤2 können ambulant betreut werden, hingegen bedürfen Patienten mit einem Scorewert ≥6 einer intensivmedizinischen Überwachung Score
Patienten
Rezidivblutung
Mortalität nach Rezidivblutung
Gesamtmortalität
n
(%)
n
(%)
n
(%)
n
(%)
≤2
744
(30)
32
(4,3)
0
(0)
1
(0,1)
3–5
1219
(48)
173
(14)
30
(2,5)
56
(4,6)
≥6
580
(22)
211
(37)
80
(14)
126
(22)
. Tab. 46.5 Scoringsystem zur Beurteilung des Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisikos bei der akuten oberen gastrointestinalen Blutung. (Nach [2]) Scorewert
1
Harnstoff bei Aufnahme [mmol/l]
2
3
4
5
≥6,5,<8,0
>8,0, <10,0
≥10,0, <25,0
≥25,0
Hämoglobin [g/dl]
ƃ: ≥12,0, <13 Ƃ: ≥10,0, <12,0
ƃ: ≥10,0, <12,0
Systolischer Blutdruck [mmHg]
100 – 109
90 – 99
Andere
Puls ≥100/min Meläna
Synkope Lebererkrankung Herzinsuffizienz
6
ƃ: <10,0 Ƃ: <10,0
<90
Auswertung: Der Score beträgt 0 bei: einem Harnstoff <6,5, einem Hämoglobin von ≥12,9 g/dl bei Männern bzw. ≥11,9 g/dl bei Frauen, einem systolischen Blutdruck >109 mm Hg, einer Herzfrequenz <100/min, fehlender Meläna oder Synkope und Abwesenheit einer Lebererkrankung bzw. Herzinsuffizienz aktuell oder in der Vorgeschichte.
592
46
Kapitel 46 · Akute gastrointestinale Blutungen
. Tab. 46.6 Abschätzung der Blutungsstärke bei gastrointestinaler Blutung Parameter
46 46 46
Stärke leicht
mittel
schwer
Blutverlust [ml/Tag]
<250
250–1000
>1000
Hämoglobin [g/dl]
>11
9–11
<9
Konservenverbrauch [EK/Tag]
Keine
1–3
≥4
Kreislaufreaktion
Keine
Puls n RR (p) ZVD p
Puls n RR p ZVD p
Klinische Symptome
Abgeschlagenheit
Durst Übelkeit Bettlägerigkeit
Unruhe Fieber Schock Bewusstseinstrübung
46 46 46 EK Erythrozytenkonzentrat.
46 46 46 46 46
Abschätzung der Blutungsintensität Das Ausmaß der Blutverluste wird anhand verschiedener Parameter eingeschätzt (. Tab. 46.6). In der Initialphase einer akuten gastrointestinalen Blutung kann es dennoch schwierig sein, die Blutungsstärke abzuschätzen, da sowohl der Hämoglobinwert als auch Kreislaufparameter stabil sein können. Da es kein einfaches Verfahren zur Bestimmung des intravasalen Blutvolumens gibt, müssen in der Initialphase der Blutung Kreislaufparameter (Herzfrequenz, Blutdruck, ggf. ZVD) und Laborwerte (Hb, Hkt, Gerinnungsparameter) engmaschig kontrolliert werden.
46
46.2.3
46
> Die diagnostische Methode der Wahl bei der akuten gastrointestinalen Blutung ist die Endoskopie. Neben der Lokalisationsdiagnostik und der Aktivitätsbeurteilung kann, falls erforderlich und möglich, die sofortige endoskopische Therapie durchgeführt werden.
46 46 46 46 46 46 46 46 46 46 46
Endoskopie
Dennoch ist die gastrointestinale Blutung in den meisten Fällen selbstlimitierend.
Endoskopie bei der oberen gastrointestinalen Blutung Bei einer oberen gastrointestinalen Blutung kann in über 95% der Fälle die Blutungsquelle endoskopisch lokalisiert werden, wobei in 15–30% mehrere Blutungsquellen vorliegen. Durch die gleichzeitig gegebene Interventionsmöglichkeit senken die endoskopischen Verfahren die Mortalität, die Rate an Rezidivblutungen und die Notwendigkeit der chirurgischen Intervention bei der oberen gastrointestinalen Blutung – zumindest bei der Ulkusblutung [28]. Auf der anderen Seite verschlechtern ein fehlender Blutungsquellennachweis und das Versagen der endoskopischen Therapie die Prognose des Patienten [27]. ! Cave Vor einer Notfallendoskopie sollte die Herz-KreislaufFunktion möglichst stabilisiert werden. Im Zweifelsfall sollte der Patient zum Schutz vor einer Aspiration intubiert werden.
Tipp Vor der endotrachealen Intubation sollte der Mageninhalt über eine Sonde abgesaugt werden, ansonsten gelten auch hier die Regeln der »Ileuseinleitung«.
Die Anlage einer Magensonde allein für diagnostische Zwecke oder mit dem Ziel, durch Spülen mit kaltem Wasser einen Blutungsstillstand zu erzielen, ist obsolet. Bei einer aktiven Blutung zeigt das Magenaspirat nur in 50% der Fälle rotes Blut, in 30% Kaffeesatz; bei 20% der Patienten ist das Aspirat unauffällig. Moderne Endoskope erlauben problemlos das Absaugen auch größerer Blutmengen und von Koageln. Zum Schutz vor einer Aspiration sollte beim nichtintubierten Patienten auf eine Rachenschleimhautanästhesie verzichtet und eine Sedierung nur mit größter Vorsicht durchgeführt werden. Die Gabe von 250 mg Erythromycin 20‒90 min vor der Endoskopie kann die Untersuchungsbedingungen verbessern. Bei der endoskopischen Beurteilung der Stärke von Ulkusblutungen hat sich die Forrest-Klassifikation (. Tab. 46.7) bewährt, auch wenn verschiedene Untersucher zu durchaus unterschiedlichen Klassifikationseinschätzungen kommen können [22]. Im Idealfall kann bei der Notfallendoskopie die Blutungsquelle lokalisiert und endoskopisch therapiert werden. Bei Patienten mit Hämatemesis und fehlendem Nachweis einer Blutungsquelle ist zu bedenken, dass Erosionen ebenso wie Mallory-Weiss-Läsionen sehr rasch auch spontan abheilen und somit einer endoskopischen Diagnosestellung entgehen können, insbesondere, wenn die Zeitspanne zwischen Hämatemesis und Untersuchung mehr als 24 h beträgt.
. Tab. 46.7 Forrest-Klassifikation der Ulkusblutung Forrest-Klassifikation
Ulkus mit …
Ia
… spritzender Blutung
Ib
… Sickerblutung
IIa
… Gefäßstumpf
IIb
… Blutkoagel
IIc
… hämatinbelegtem Grund
III
… Fibrinbelag
593 46.2 · Diagnostik
Hämatemesis, Meläna
Anamnese, Untersuchung, Laboruntersuchung; Allgemeinmaßnahmen
Stabilisierung mit Vollelektrolytlösung, ggf. EK, FFP, Intubation Nein
Kreislauf stabil? Ja Ösophagogastroduodenoskopie Blutungsquelle nicht lokalisierbar Frisches Blut oder Hämatin im oberen GI-Trakt
Endoskopische Therapie
Kreislauf stabil?
Nein CT, nach Befund ggf. Angiographie oder Notfalloperation
Blutungsquelle nicht lokalisierbar Kein Blut im oberen GI- Trakt
Blutungsquelle lokalisierbar
Kreislauf stabil?
Blutung steht?
Ja
Ja
KontrollWeitere gastroskopie konservative nach 12 – 24 h Therapie in Abhängigkeit von der Blutungsquelle
Nein
Nein Je nach Blutungsursache: – Ballonsonde plus Terlipressin bzw. TIPS/Stent – Interventionelle Angiographie – Notfalloperation
CT, nach Befund ggf. Angiographie oder Notfalloperation
Ja Bei Meläna Koloskopie, ggf. Dünndarmendoskopie Bei Hämatemesis DD akute Erosionen, MalloryWeiss-Läsion, Ulcus Dieulafoy etc.
. Abb. 46.1 Vorgehen bei Patienten mit Hämatemesis und/oder Meläna. (Mod. nach [29])
Auch ein Dieulafoy-Ulkus kann sich differenzialdiagnostisch hinter dem Symptom Hämatemesis verbergen. Diese Läsion ist endoskopisch oftmals schwer zu erkennen und nur bei aktiver Blutung auffindbar. Findet sich endoskopisch Blut und Hämatin und ist der Kreislauf stabil, so sollte eine Kontrollendoskopie nach 12–24 h unter besseren Endoskopiebedingungen durchgeführt werden (. Abb. 46.1) [29].
Endoskopie bei der unteren gastrointestinalen Blutung Bei Hämatochezie und Hinweisen für eine massive Blutung sollte vor einer den Patienten belastenden Notfallkoloskopie durch eine Ösophagogastroduodenoskopie eine akute obere gastrointestinale Blutung ausgeschlossen werden, insbesondere, wenn anamnestische Hinweise wie rezidivierende Magenulzera oder Schmerzmittelabusus vorliegen. In allen anderen Fällen sollte eine Notfallkoloskopie angestrebt werden. Zwar ist diese Untersuchung beim unvorbereiteten Patienten schwierig, jedoch ergeben Verteilung und Farbe des Blutes im Kolon wichtige Hinweise auf Intensität und Lokalisation der Blutung. Der Blutungsquellennachweis gelingt häufiger als nach ausgedehnter Vorbereitung ggf. mit angiographischer Diagnostik, dies geht jedoch nicht mit einer eindeutigen Senkung von Morbidität oder Mortalität einher [12] Blut im linken Hemikolon, normal gefärbter Stuhl im Colon transversum sowie nachweisbare Divertikel machen die Verdachtsdiagnose »Divertikelblutung» sehr wahrscheinlich. Dies ist für den Chirurgen von großem Nutzen, falls eine Notoperation bei erneuter Blutung erforderlich wird. Ist eine Blutungsquelle im Kolon nicht eindeutig zu identifizieren, so sollte das terminale Ileum immer mitinspiziert werden.
Endoskopie bei der mittleren gastrointestinalen Blutung Bei Blutungen zwischen Treitz-Band und koloskopisch erreichbarem terminalem Ileum stehen mit der Push-Enteroskopie, der Single- oder Doppelballonenteroskopie und der Kapselendoskopie weitere endoskopische Verfahren zur Verfügung. Sie haben eine hohe Detektionsrate aktiver Blutungen, die Letzteren sind jedoch zeitaufwändig. Bei massiver, kreislaufwirksamer gastrointestinaler Blutung ist ihr Stellenwert daher noch nicht definiert. Bei kreislaufstabiler Situation können sie jedoch wichtige diagnostische Hinweise liefern und die weitere Therapie beeinflussen. Vorteil der Ballonverfahren ist, dass dabei eine endoskopische Blutstillung durchgeführt werden kann [13]. Nachteil ist, dass nicht bei allen Patienten eine komplette Darstellung des Dünndarms gelingt [31]. Mit der Kapselendoskopie glückt der Blutungsquellennachweis bei 2 von 3 Patienten mit obskurer Blutung [37], bei noch aktiver Blutung ist die Rate höher [32]. Die Detektionsraten von Blutungsquellen unterscheiden sich zwischen der Kapselendoskopie und der Doppelballonenteroskopie nicht wesentlich [3].
46.2.4
Computertomographie (CT) und (CT-)Angiographie
Lässt sich die Blutungsquelle endoskopisch nicht identifizieren, so kann versucht werden, eine aktive Blutung mittels CT oder Angiographie darzustellen. Angiographisch kann das Gefäß in gleicher Sitzung embolisiert werden. > Für die Praxis gilt: Ein Blutungsnachweis mittels konventioneller Angiographie gelingt in der Regel nur bei einer Blutungsintensität von mindestens 0,5 ml/min.
46
594
Kapitel 46 · Akute gastrointestinale Blutungen
46
Liegt keine aktive Blutung vor, so kann die Angiographie höchstens indirekte Hinweise bieten, z. B. können pathologische Gefäße bei Tumoren oder Gefäßmalformationen nachgewiesen werden. Es mehren sich Daten, die zeigen, dass eine gut durchgeführte Computertomographie mit intravaskulärer Kontrastmittelgabe eine ähnlich gute Detektion von Blutungsquellen erlaubt und diese bei stärkeren Blutungen mit hoher Sensitivität nachweisen kann [15, 40]. Vorteile der Computertomographie sind die raschere Verfügbarkeit mit kurzer Untersuchungszeit und die fehlende Invasivität. Für Interventionen ist aber dann doch die Angiographie nötig. Zumindest bei massiver mittlerer gastrointestinaler Blutung sollte der Einsatz radiologischer Verfahren frühzeitig erwogen werden [10].
46
46.2.5
46 46 46 46
46 46 46 46
Die Radionuklidszintigraphie mit 99mTc-markierten Erythrozyten oder Albumin ist sensitiver als die Angiographie, d. h. es lassen sich bereits Blutungen einer Stärke von 0,1 ml/min als pathologische Aktivitätsanreicherung darstellen. Die Spezifität dieser Methode ist jedoch niedriger als die der Angiographie, und manchmal kann es schwierig sein, die Blutung überhaupt einem bestimmten Darmabschnitt zuzuordnen. Durch die neuen Untersuchungsmodalitäten wie Kapsel- und Doppelballonenteroskopie hat die Blutungsszintigraphie daher an Bedeutung verloren und ist kaum mehr indiziert.
46 46.2.6
46 46 46
Szintigraphie
Operation
Ist eine Blutungslokalisation mit den oben genannten Methoden nicht umgehend möglich, kann als Ultima ratio eine Explorativlaparotomie erforderlich werden. Hierbei kann die intraoperative Endoskopie sehr hilfreich sein, insbesondere bei Angiodysplasien, die dann mittels Diaphanoskopie besser lokalisierbar sind.
46
46.3
Therapie
46
46.3.1
Stressblutungsprophylaxe
46 46 46 46 46 46 46 46 46
Intensivpatienten, die eine obere gastrointestinale Blutung entwickeln, haben im Vergleich zu solchen ohne Blutung eine deutlich erhöhte Mortalität [5, 16]. In einer deutschen Studie lag die Blutungsletalität bei ca. 13% und die Mortalität bei 53% [16]. Auch wenn ein Großteil der Mortalität durch Begleiterkrankungen bedingt ist, wird daher schon seit Längerem versucht, die obere gastrointestinale Blutung durch den Einsatz gastroprotektiver Medikamente primär zu verhindern. Die Pathogenese der Stressläsion im Magen besteht in einer Mikrozirkulationsstörung mit Verminderung der lokalen Zytoprotektion im Magen als Folge von Hypotonie und Hypoxie sowie nachfolgender Autokongestion. Helicobacter pylori spielt keine wesentliche Rolle. Die Inzidenz der oberen gastrointestinalen Blutung bei Intensivpatienten hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert. Dafür verantwortlich gemacht wird u. a. ein aggressiveres Ausgleichen von Störungen des Säure-Basen-Haushalts, Maßnahmen zur ausreichenden Oxygenierung bzw. die Vermeidung der Hypotension durch Gegensteuerung mit Katecholaminen mit nachfolgend verbesserter Versorgung der Magenschleimhaut [18].
Nicht alle oberen gastrointestinalen Blutungen, die auf der Intensivstation auftreten, gehen mit einer Beeinträchtigung des Kreislaufs einher. Daher wurde der Begriff der klinisch bedeutsamen Blutung eingeführt [5]. Er ist definiert durch einen Herzfrequenzanstieg um mindestens 20/min, einen Abfall des systolischen Blutdrucks um mindestens 20 mm Hg bzw. um mehr als 10 mm Hg beim Aufsitzen oder einen Abfall des Hämoglobinwertes um 2 g/dl und eine Transfusion mit nicht adäquatem Anstieg des Hämoglobinwertes. Die Häufigkeit solcher Blutungen bei Intensivpatienten liegt nur bei etwa 0,6–2% [5, 18]. Sie führen zu einer mittleren Verlängerung des Intensivstationsaufenthalts um 3,8 Tage und einer Steigerung der Mortalität (relatives Risiko: 2,9; 95%-Konfidenzintervall: 1,6–5,5) im Vergleich zu Kontrollen ohne Blutung [6].
Für klinisch bedeutsame Blutungen existieren zwei Hauptrisikofaktoren [5]: 4 die schwere respiratorische Insuffizienz (Beatmungspflichtigkeit über mindestens 48 h) und 4 die Gerinnungsstörung (PTT über dem 2-fachen der Norm, INR >1,5 oder Thrombozytenzahl <50/nl; . Tab. 46.8). Nur 0,1% der Patienten ohne diese beiden Risikofaktoren entwickelten eine klinisch bedeutsame obere gastrointestinale Blutung. Somit ist klar, dass nicht alle Patienten auf einer Intensivstation eine Stressblutungsprophylaxe brauchen. In der zitierten Studie wurde dazu angehalten, Patienten mit einer großflächigen Verbrennung, einem Schädel-Hirn-Trauma oder einem Ulkus bzw. einer Gastritis in den letzten 6 Wochen vor Intensivtherapie eine Stressulkusprophylaxe zukommen zu lassen, sodass diese Risikofaktoren weiterhin relevant sein könnten. Nach der Festlegung, wer einer Stressblutungsprophylaxe bedarf, muss hinterfragt werden, ob es Medikamente gibt, die die Inzidenz der klinisch bedeutsamen Blutung tatsächlich senken. H2-Rezeptorantagonisten vermindern die Rate an klinisch bedeutsamen Blutungen um mehr als 50% im Vergleich zu keiner Therapie oder Placebo-Gabe [8]. Die Rate an klinisch diagnostizierten Blutungen lag unter der Behandlung mit H2-Rezeptorantagonisten niedriger als unter Antazida. In der größten Studie, in der Ranitidin mit Sucralfat verglichen wurde, fand sich eine signifikant niedrigere Blutungsrate unter Ranitidin [7]. Interessanterweise ging auch die enterale Ernährung mit einer Reduktion von klinisch bedeutsamen Blutungen einher. > Ein Problem bei der Anwendung von H2-Rezeptorantagonisten zur Säuresuppression ist die Tachyphylaxie. Zwar gelingt mit der kontinuierlichen Ranitidin-Applikation eine etwas effektivere Säuresuppression innerhalb der ersten 24 h, aber Studien, die einen klinischen Vorteil der kontinuierlichen Infusion nachweisen würden, fehlen bisher. Protonenpumpenhemmer (zumindest eine orale Omeprazol-Suspension) sind bezüglich der Blutungsprophylaxe den H2-Rezeptorantagonisten (z. B. Cimetidin-Dauerinfusion) nicht unterlegen [4]. Ein Vorteil von Protonenpumpenhemmern gegenüber H2-Rezeptorantagonisten bezüglich relevanter Endpunkte ist jedoch nicht eindeutig belegt. Auch für Letztere fehlt bisher der Nachweis einer Senkung der Mortalität oder der Krankenhausaufenthaltsdauer.
595 46.3 · Therapie
. Tab. 46.8 Risikofaktoren für klinisch bedeutsame obere gastrointestinale Blutungen bei Intensivpatienten. (Nach [5]). Risikofaktor Respiratorische
a
Insuffizienza
Univariate Odds-Ratio
Regression, p-Wert
Multivariate Odds-Ratio
Regression, p-Wert
25,5
<0,001
15,6
<0,001
Koagulopathieb
9,5
<0,001
4,3
<0,001
Hypotension
5,0
0,03
3,7
0,08
Sepsis
7,3
<0,001
2,0
0,17
Leberinsuffizienz
6,5
<0,001
1,6
0,27
Niereninsuffizienz
4,6
<0,001
1,6
0,26
Enterale Ernährung
3,8
<0,001
1,0
0,99
Glukokortikoidtherapie
3,7
<0,001
1,5
0,26
Organtransplantation
3,6
0,006
1,5
0,42
Antikoagulationstherapie
3,3
0,004
1,1
0,88
Beatmungspflicht über >48 h. <50.000 μl oder PTT >2-fache der Norm oder INR >1,5.
b Thrombozytenzahl
46.3.3
Fazit Zusammenfassend scheinen zur Stressblutungsprophylaxe zunächst Allgemeinmaßnahmen sinnvoll, die die Pathophysiologie der Stressläsionsentstehung beeinflussen: 4 Vermeidung einer Hypotension, 4 ausreichende Oxygenierung, 4 Korrektur des Säure-Basen-Haushalts, 4 frühzeitig einsetzende enterale Ernährung. Bei Beatmungspflicht über mindestens 48 h oder Vorliegen einer Gerinnungsstörung ist eine medikamentöse Stressblutungsprophylaxe indiziert – anzuraten auch bei peptischen Ulzera oder einer Gastritis innerhalb der letzten 6 Wochen, bei Schädel-Hirn-Trauma oder großflächigen Verbrennungen. Als Medikamente der Wahl können derzeit H2-Rezeptorantagonisten und Protonenpumpenhemmer gelten.
46.3.2
Schockbekämpfung
Die Schockbekämpfung gehört zu den vordringlichsten Therapiemaßnahmen bei der akuten schweren gastrointestinalen Blutung; »Schock« gilt als eigenständiger prognostischer Parameter für Rezidivblutungen und Mortalität. Es sollten daher 2 großlumige Venenkanülen gelegt werden, die zusätzliche zentralvenöse und blutig-arterielle Druckmessung ist empfehlenswert. Bei Hämatemesis ist eine Hochlagerung des Oberkörpers sinnvoll, nicht jedoch im Schockzustand; hier sollte beim nichtintubierten Patienten die stabile Seitenlagerung vorgezogen werden. ! Cave Die initiale Schocktherapie muss sich am klinischen Zustand des Patienten und an den Kreislaufparametern orientieren! Hingegen kann der erste Hämoglobinwert – wenn eine vorherige Volumensubstitution nicht stattgefunden hat – irreführend »normal« sein. Ohne Infusionstherapie kann es 4–8 h dauern, bis ein Abfall des Hämoglobinwerts manifest wird.
Blutungen aus Erosionen und Ulzerationen
Erosionen Erosionen treten meist multipel auf und können z. B. bei einer hämorrhagischen Gastritis zu einer diffusen Blutung führen. Eine endoskopische Therapie ist meist nicht erforderlich oder bei diffusen Blutungen ungeeignet. Der Einsatz von Somatostatin oder seinem länger wirksamen Analogon Octreotid bei der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutung wird seit Jahren kontrovers diskutiert, scheint jedoch vorteilhaft zu sein [17], insbesondere bei endoskopisch schwer angehbaren Blutungen.
Ulkusblutungen Goldstandard bei der Behandlung von Ulkusblutungen ist die endoskopische Therapie. Verschiedene Techniken der Blutstillung werden hier eingesetzt. Es gilt, dass die Kombination zweier Techniken einer Monotherapie überlegen ist [20,38]. Blutstillung durch lokale Injektionsverfahren. Das Injektions-
verfahren hat sich aufgrund seiner einfachen Anwendbarkeit, der generellen und schnellen Verfügbarkeit und der hohen Effizienz hierzulande durchgesetzt [9]. Dabei wird am häufigsten verdünntes Adrenalin (Verdünnung 1:10.000–1:100.000) verwendet. Alternativen sind Fibrinkleber oder sterile Kochsalzlösung. ! Cave Wegen der immer wieder berichteten Komplikationen mit Sklerosierungssubstanzen sollten diese bei der Ulkusblutung nicht mehr eingesetzt werden. Thermokoagulation. Die thermischen Verfahren, insbesondere
Laser und EHT-Sonde, haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung verloren. Mono- und bipolare Sonden sowie die »Goldprobe« werden überwiegend noch im englischsprachigen Raum eingesetzt und meist mit einem Injektionsverfahren kombiniert. Der Argonbeamer ist eine weitere Alternative. Hämoclip. Der Hämoclip ist ein atraumatisches, mechanisches Verfahren, das entweder direkt bei der Forrest-IIa-Blutung oder
nach initialer Blutstillung bei einer Forrest-I-Blutung eingesetzt
46
596
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Kapitel 46 · Akute gastrointestinale Blutungen
werden kann. Er scheint in dieser Situation der Adrenalininjektion überlegen zu sein [20]. Rezidivblutungen. Da nach initialer Blutstillung in ca. 20% der Fälle mit einer Rezidivblutung zu rechnen ist und diese zu einem dramatischen Anstieg der Letalität von 10% auf 30% führt, sollte v. a. die Rezidivblutung verhindert werden. In einer Metaanalyse wurde ein kleiner Vorteil einer Kontrollendoskopie nach 24 h bei ForrestStadien I, IIa und b bezüglich der Rezidivblutungsrate, jedoch nicht bezogen auf die Mortalität gefunden. Andererseits traten in einer deutschen Studie 40–45% der Rezidivblutungen vor dieser Kontrollendoskopie auf [28, 30]. Die endoskopische Therapie der ersten Rezidivblutung ist durchaus zulässig, wenngleich Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko ‒ in der Übersicht dargestellt ‒ immer von Chirurgen und Internisten gemeinsam behandelt werden sollten [23].
. Tab. 46.9 Dosierung von vasoaktiven Substanzen bei der Varizenblutung Substanz
Dosierung
Unerwünschte Nebenwirkungen
Somatostatin
250-μg-Bolus i.v., dann 250–500 μg/h per infusionem für 48 h
Blutdruckanstieg, Hitzewallungen, Hyperglykämien bei Dauerinfusion
Octreotid
50-μg-Bolus i.v., dann 50 μg/h per infusionem für maximal 5 Tage
Diarrhö
Terlipressin
1–2 mg langsam i.v., dann 1 mg alle 4–6 h, maximale Tagesdosis 6-mal 20 μg/kg KG
Arrhythmien, Angina pectoris, Linksherzinsuffizienz, mesenteriale Ischämien
Risikofaktoren für eine Ulkusrezidivblutung 4 4 4 4 4 4 4 4
Alter >60 Jahre Komorbidität Schock Hämoglobinwert unter 10 g/dl Transfusionsbedarf ≥ 4 Erythrozytenkonzentrate/24 h Forrest-Stadium Ia oder IIa Ulkusgröße >2 cm Ulkuslokalisation an der Bulbushinterwand
Ligatur und Sklerotherapie. Die endoskopische Behandlung
mittels Ligatur ist derzeit das Standardverfahren. Die Ligatur als einfaches und komplikationsärmeres Verfahren verdrängte die Sklerotherapie in der Rezidivblutungsprophylaxe. Auch in der Akutsituation ist mit der Ligatur eine bessere Blutstillung zu erzielen als mit der Sklerotherapie [39]. Bei Magenvarizenblutungen wird hingegen meist die Cyanoacrylatinjektion angewandt. Vasoaktive Substanzen. Vasoaktive Substanzen vermindern die
46 46 46 46 46 46 46 46 46
Protonenpumpenhemmer. In der Akutbehandlung ist die Thera-
pie mit Protonenpumpenhemmern bzw. H2-Rezeptorantagonisten kein Ersatz für die endoskopische Therapie. Im Vergleich zu H2Rezeptorantagonisten oder Placebo vermindern Protonenpumpenhemmer die Rezidivblutungs- und Operationsrate, ein Einfluss auf die Mortalität ist bisher nicht belegt [24]. Ihr Einsatz zur Ulkusheilung ist sinnvoll. Helicobacter-pylori-Eradikation. Bereits bei der Notfallendoskopie sollten je 2 Biopsien aus Korpus und Antrum entnommen werden, um den Helicobacterstatus zu ermitteln. Der Eradikationserfolg ist bei einer sequenziellen Therapie, bei der zunächst nur mit Protonenpumpenhemmern begonnen wird und sich die eigentliche Eradikationstherapie erst später anschließt, nicht niedriger als bei sofortigem Eradikationsbeginn. Die Eradikationsbehandlung senkt die Häufigkeit von Rezidivblutungen langfristig und besser als eine alleinige Erhaltungstherapie mit antisekretorischen Substanzen [11]. Eine Langzeitsäuresuppression ist nicht nötig bei Helicobacterpylori-Positivität mit fehlenden weiteren Risikofaktoren und nach erfolgreicher Helicobacter-Eradikation.
46
46.3.4
46
Bei der akuten Ösophagusvarizenblutung stehen mehrere Therapieverfahren zur Verfügung: 4 endoskopische Sklerotherapie oder Ligatur, 4 medikamentöse Therapie mit vasoaktiven Substanzen wie dem Vasopressinanalogon Terlipressin, Somatostatin oder Octreotid, 4 Kompression durch Ballontamponade oder Ösophagusstents, 4 Notfall-TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Stentshunt).
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Ösophagusvarizenblutungen
Splanchnikusdurchblutung, reduzieren den Pfortaderdruck und sind der endoskopischen Therapie hinsichtlich der primären Blutstillung gleichwertig [17]. Die Verabreichung dieser Substanzen in der präklinischen bzw. präendoskopischen Phase verbessert möglicherweise die Endoskopiebedingungen. Außerdem werden bei vorbehandelten Patienten zum Untersuchungszeitpunkt weniger aktive Blutungen beobachtet [25], und auch nach der endoskopischen Blutstillung ist ihr Einsatz vorteilhaft [17]. Die Kombination mit der endoskopischen Therapie ist daher heute Standard. Die Dosierungsempfehlungen sind in . Tab. 46.9 zusammengefasst. Ballontamponade, Stent, Notfall-TIPS und Operation. Bei Blutungen, die endoskopisch nicht zu beseitigen sind, sollte eine Ballonsonde gelegt und mit einer medikamentösen Therapie kombiniert werden [1]. Bei der Blutung aus Ösophagusvarizen wird eine Sengstaken-Blakemore-Sonde, bei Fundus-/Korpusvarizen eine Linton-Nachlas-Sonde verwendet. Eine mögliche Alternative zur Ballontamponade ist bei der Ösophagusvarizenblutung eine Anlage spezieller beschichteter Stents – jedoch ist hierzu die Datenlage noch dünn [14]. Die Indikation zum Notfall-TIPS oder, falls dieser z. B. wegen einer Pfortaderthrombose nicht möglich ist, zur Operation ist dann zu stellen, wenn die Blutung akut endoskopischmedikamentös bzw. mittelfristig mittels Sonde nicht zu beherrschen ist. Dabei kann ein Notfall-TIPS in über 90% der Fälle erfolgreich platziert werden. Praktische Hinweise zur Behandlung der Ösophagusvarizenblutung sind in der 7 Übersicht zusammengefasst.
597 46.3 · Therapie
Verschiedene Behandlungsmöglichkeiten der akuten Ösophagusvarizenblutung 1.
2.
3.
4.
5.
Endoskopische Blutstillung durch Sklerosierung oder Ligatur – Methode der Wahl bei der akuten Varizenblutung – Ligatur der blutenden Varize bzw. direkt an der Kardia, um den Blutzufluss zu unterbinden – Alternative: Injektion von z. B. 0,5–1 ml 1%igem Polidocanol intra- oder paravasal, maximal 20 ml pro Sitzung, oder 0,5 ml N-Butyl-2-cyanoacrylat, 1:1 gemischt mit Lipoidol intravasal Ballontamponade mittels Sengstaken-Blakemore-Sonde (Doppelballon, vierlumig) – Ballon auf Dichtigkeit prüfen – Anschließend mit Lokalanästhetikumgleitgel versehen und durch die Nase einführen – Lagekontrolle durch Einblasen von Luft über die distale Öffnung unter gleichzeitiger Auskultation des Magens – Magenballon mit 250 ml Luft füllen und zuführenden Schlauch mit Klemme verschließen – Sonde zurückziehen, bis ein federnder Widerstand auftritt – Ösophagusballon mittels Druckmanometer auf 40 mm Hg aufblasen – Sonde ohne Zug fixieren, Schere für den Notfall bereitlegen (bei Dislokation mit Aspirationsgefahr muss die Sonde mit einem Scherenschlag durchtrennt werden) – Ösophagus- und Magensonde intermittierend absaugen – Ösophagusballon alle 4–6 h entblocken, um Drucknekrosen zu verhindern – maximale Liegedauer 24 h Stentanlage – Anlage eines großlumigen, beschichteten Metallstents zur Kompression der Varizen (Alternative zur Sengstaken-Blakemore-Sonde) Notfall-TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Stentshunt) – Indikation: Versagen der endoskopischen und medikamentösen Therapie – Ausschlusskriterien (relativ in der Notfallsituation): Pfortaderthrombose, Bilirubin >5 mg/dl, hepatische Enzephalopathie – Duplexsonographie vor TIPS empfohlen Medikamentöse Therapie – Vor der Endoskopie 1–2 mg Terlipressin (Glycylpressin) i.v. ggf. in Kombination mit Nitraten (z. B. Perlinganit 0,5–1 μg/kg KG/min i.v.), anschließend Fortführen mit 1 mg alle 4–6 h (maximale Tagesdosis 6-mal 20 μg/ kg KG); Kontraindikation: Hypertonie, schwere KHK, Epilepsie, Schwangerschaftstoxikose – Alternativ Somatostatin 250-μg-Bolus i.v., anschließend 250–500 μg/h per infusionem oder Octreotid 50-μg-Bolus i.v., anschließend 50 μg/h per infusionem über maximal 5 Tage
Patienten mit Leberzirrhose sollten bei einer gastrointestinalen Blutung prophylaktisch antibiotisch behandelt werden [36]. Eine
Lactulosegabe ist bei der Varizenblutung wegen der Gefahr einer hepatischen Enzephalopathie sinnvoll. Nach Überstehen der Akutsituation ist eine Sekundärprophylaxe einer Varizenblutung erforderlich.
46.3.5
Seltenere Ursachen oberer gastrointestinaler Blutungen
Im Folgenden sind seltenere Ursachen für obere gastrointestinale Blutungen einschließlich der therapeutischen Optionen dargestellt: 4 Ösophagitisblutungen finden sich meistens bei Patienten mit Refluxerkrankung, diabetischer Gastroparese oder Immunsuppression. In der Regel handelt es sich hier um diffuse Blutungen, die meist spontan sistieren und keiner endoskopischen Therapie bedürfen; allerdings ist eine Behandlung mit Protonenpumpenhemmern indiziert. 4 Blutende Ulzerationen im Ösophagus bzw. ösophagokardialen Übergang werden endoskopisch wie bei Lokalisation im Magen bzw. Duodenum therapiert. 4 Mallory-Weiss-Läsionen zeigen ebenfalls meist keine lebensbedrohlichen Blutungen. 80% der Blutungen stehen spontan und bedürfen keiner endoskopischen Therapie; größere Läsionen können gut mit Injektionsverfahren therapiert werden. 4 Angiodysplasien sind in 1% der Fälle für eine obere Gastrointestinalblutung verantwortlich; bei Patienten mit Niereninsuffizienz steigt der Anteil auf über 10% an. Das endoskopische Koagulationsverfahren mit dem Argonbeamer ist Methode der Wahl, jedoch müssen die betroffenen Abschnitte gelegentlich auch reseziert werden.
46.3.6
Mittlere gastrointestinale Blutungen: Dünndarmblutungen
Schwerwiegende Dünndarmblutungen aus Divertikeln, Tumoren, Polypen, Ulzera oder Angiodysplasien waren früher einer endoskopischen Therapie schwer zugänglich und mussten daher operativ versorgt werden, falls sie nicht bei einer Push-Enteroskopie erreichbar waren. Bei einer massiven Blutung kann dies auch heute noch gelten. Es sollte jedoch vorher geprüft werden, ob eine Angiographie mit interventionell-radiologischer Therapie erfolgreich sein kann. Bei Patienten, die sich hämodynamisch stabilisieren lassen, kann heute mit der Doppelballon- oder Single-Ballonenteroskopie eine endoskopische Blutstillung durchgeführt werden [13] – sowohl Injektionsverfahren als auch eine Argonbeamertherapie stehen zur Verfügung.
46.3.7
Untere gastrointestinale Blutungen: Dickdarmblutungen
Kolonblutungen können wie die des oberen Gastrointestinaltrakts endoskopisch behandelt werden. Divertikelblutungen lassen sich durch Injektionsverfahren angehen. Ist eine anhaltende Blutung endoskopisch nicht beherrschbar, so besteht die Indikation zur angiographischen Intervention oder operativen Resektion. Blutende Polypen können mittels Diathermieschlinge abgetragen, Tumorblutungen mittels thermischer Verfahren (Laser, Argonbeamer) behandelt werden. Nachblutungen nach Polypektomie sind häufig durch Clipapplikationen stillbar. Angiodysplasieblutungen werden mit den gleichen Methoden wie im oberen Gastrointestinaltrakt versorgt.
46
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In der Gruppe der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen kommt es bei der Colitis ulcerosa eher zu diffusen Blutungen, während beim M. Crohn Blutungen aus Ulzerationen überwiegen. Eine massive Colitis-ulcerosa-Blutung (Blutverlust >2 l/24 h) tritt selten auf und kann dann eine Indikation zur Kolektomie darstellen; gleiches gilt bei einer klinischen Zustandsverschlechterung der Patienten innerhalb von 48 h. Blutende M.-Crohn-Ulzerationen sollten hingegen zuerst endoskopisch mittels Injektionsverfahren therapiert werden. Sie zeichnen sich jedoch durch eine hohe Rezidivblutungsrate aus.
Literatur 1
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Kapitel 46 · Akute gastrointestinale Blutungen
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46
601
Mesenteriale Durchblutungsstörungen F. Rockmann, J. Schölmerich
47.1
Grundlagen – 602
47.1.1 47.1.2 47.1.3 47.1.4 47.1.5
Definition und Klassifikation – 602 Epidemiologie – 602 Ätiologie – 602 Pathophysiologie – 603 Klinik – 603
47.2
Diagnostik – 604
47.2.1 47.2.2
Differenzialdiagnose – 604 Diagnosesicherung – 604
47.3
Therapie – 607
47.3.1 47.3.2 47.3.3 47.3.4 47.3.5
Basistherapie – 607 Interventionelle Maßnahmen – 607 Operative Therapie – 608 NOMI – 608 Mesenterialvenenthrombose – 608
47.4
Prognose – 609 Literatur – 609
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_47, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
47
47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47
602
Kapitel 47 · Mesenteriale Durchblutungsstörungen
47.1
Grundlagen
Intestinale Durchblutungsstörungen umfassen neben der akuten mesenterialen Ischämie (arterielle Embolie, arterielle Thrombose, nichtokklusive Ischämie) die mesenteriale Venenthrombose. Die akute mesenteriale Ischämie ist ein lebensbedrohlicher Notfall mit einer nach wie vor erschreckend hohen Letalität von 50–90%. Die klinischen Erscheinungsformen werden von Art und Ausmaß der vaskulären Läsion und von der zugrunde liegenden Erkrankung bestimmt. Die entscheidende Determinante der Prognose ist die Geschwindigkeit der Diagnose, die im Wesentlichen durch bildgebende Verfahren erfolgt. Die Behandlung der akuten Mesenterialarterienverschlüsse und der Mesenterialvenenthrombose ist meist chirurgisch, seltener interventionell, die nichtokklusiven Formen werden wenn möglich konservativ behandelt. Die Gefäßversorgung des Magen-Darm-Traktes wird durch 3 große Arterien sichergestellt: 4 Truncus coeliacus, 4 A. mesenterica superior (AMS), 4 A. mesenterica inferior (AMI). Diese Hauptstämme werden untereinander durch Anastomosen verknüpft. Diese bestehen zwischen Truncus coeliacus und AMS (Rio-Branco-Arkade) ebenso wie zwischen AMS und AMI: RiolanAnastomose). Es ist auch eine präformierte Anastomose von der AMI zur A. iliaca intern sinistra vorhanden (Sudeck-Anastomose), innerhalb der Versorgungsgebiete der Gefäßstämme bestehen ebenfalls zahlreiche Querverbindungen. Diese Anastomosenbildung gewährleistet, dass erst Ausfälle größerer Stromgebiete eine Mangelversorgung mit sich bringen, während Astverschlüsse der 2. oder 3. Ordnung vollständig kompensiert werden können (. Abb. 47.1).
47.1.1
Definition und Klassifikation
Die arteriellen ischämischen Läsionen werden in die arterielle Embolie, die arterielle Thrombose und die nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) eingeteilt. Dabei handelt es sich bei der NOMI um eine Ausschlussdiagnose: Eine mesenteriale Ischämie, die weder durch Arteriosklerose, arterielle oder venöse Thrombosen, Embolien oder eine Vaskulitis verursacht wird, sondern Konsequenz einer verminderten Perfusion der Mesenterialgefäße aufgrund verschiedenster Ursachen ist.
47 47
47.1.2
Epidemiologie
Es liegen keine klaren Zahlen zu Inzidenz und Prävalenz akuter mesenterialer Durchblutungsstörungen vor. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa jeder tausendste hospitalisierte Patient ein solches Problem aufweist. > Neuere Daten lassen annehmen, dass zumindest die NOMI sehr viel häufiger ist und insbesondere bei multimorbiden Intensivpatienten zum letalen Ausgang beiträgt, ohne dass diese Diagnose angesichts der fehlenden Möglichkeiten der Beschwerdeäußerung durch den analgosedierten Patienten gestellt wird.
Die akuten intestinalen Durchblutungsstörungen haben insgesamt wegen ihrer gravierenden Prognose und trotz ihrer relativen Seltenheit erhebliche Bedeutung im Krankenhausalltag, da nur eine rasche Diagnose die Prognose im Einzelfall verbessern kann. Die Mesenterialvenenthrombose ist eine seltene Form der intestinalen Gefäßobstruktion, die langsam und symptomlos, subakut über Wochen und Monate, aber auch als akutes schweres Krankheitsbild verlaufen kann.
47.1.3
Ätiologie
Patienten mit mesenterialen Durchblutungsstörungen weisen eine ausgeprägte Komorbidität auf (. Tab. 47.1). In der Mehrzahl der arteriellen Verschlüsse liegt eine Emboliequelle im Herzen, sehr viel seltener sind Aneurysmata der Aorta und der Mesenterialgefäße mögliche Streuquellen, Thromben im venösen Kreislauf mit paradoxer Embolie sind eine Rarität. Die bei weitem häufigste Ursache der Mesenterialarterienthrombose ist eine vorbestehende Stenosierung durch Arteriosklerose der Viszeralarterien. Seltenere prädisponierende Faktoren sind Vaskulitiden oder intraabdominelle Tumoren. Bei Vorliegen einer Vaskulitis ist eine intestinale Beteiligung eher selten, lediglich bei der Polyarteritis nodosa, dem Churg-Strauss-Syndrom und der Purpura Schoenlein-Henoch wird diese häufiger beobachtet [2]. Bei einer NOMI finden sich andere Risikofaktoren (. Tab. 47.2) [3]. Hier ist im Wesentlichen eine verminderte Perfusion der Mesenterialgefäße entweder infolge einer Linksherzinsuffizienz, einer schock- oder sepsisbedingten Hypotonie oder einer Hypovolämie bei Dehydratation, Blutung, Dialyse oder überhöhter Diuretika-
. Tab. 47.1 Komorbiditäten bei Patienten mit mesenterialen Durchblutungsstörungen. (Nach [1])
47 47
Thromboembolische Genese [%]
Thrombotische Genese [%]
KHK
78
79
Aortensklerose
68
79
47
Myokardinfarkt
50
39
47
Stattgehabter Apoplex
15
10
Aortenaneurysma
14
11
Lungenemphysem
17
28
Malignom
7
18
47 47
. Abb. 47.1 Arterielle Gefäßversorgung des Intestinaltraktes mit präformierten Anastomosen
603 47.1 · Grundlagen
therapie ursächlich [4–6]. Eine sekundäre mesenteriale Vasokonstriktion infolge eines systemischen »Niedrigflusssyndroms« ist die entscheidende Ursache. Medikamente, die die splanchnische Perfusion beeinflussen, werden ebenfalls angeschuldigt, hier sind insbesondere Digoxin, Ergotamin, Katecholamine [7], Angiotensin II, Vasopressin und β-Blocker zu erwähnen [8], die alle auf Intensivstationen besonders häufig benutzt werden. Eine gestörte Sauerstoffutilisation bei Sepsis und die bei Intensivpatienten ebenfalls häufige Anämie und Hypoxie aufgrund anderer Ursachen verstärken den lokalen Ischämieeffekt [4]. Eine seltene Ursache ist Kokainabusus. Bei der Mesenterialvenenthrombose ist eine erhöhte Gerinnungsneigung die häufigste Ursache – beispielsweise findet sich ein AT-III-Mangel bei etwa 50% der Patienten [9]. . Tab. 47.3 gibt die Risikofaktoren wieder. Wenn diese zugrunde liegenden primären Störungen ausgeschlossen wurden, bleiben etwa 20% der Mesenterialvenenthrombosen ätiologisch ungeklärt [10]. Nach Splenektomie finden sich ein verminderter Perfusionsdruck und eine konsekutive Thrombozytose als Risikofaktoren.
. Tab. 47.2 Begleiterkrankung bei NOMI. (Nach [3]) Erkranktes Organ/Begleiterkrankung
Häufigkeit [%]
Herz
70
Niere
37
Pankreas
10
Bluthochdruck
10
Schock
40
Diabetes mellitus
23
Artherosklerose
27
. Tab. 47.3 Risikofaktoren für eine Mesenterialvenenthrombose Risikofaktoren Thrombophile Zustände
Hämatologische Erkrankungen
Antithrombin III-Mangel Protein-S-Mangel Protein-C-Mangel Faktor-V-Leiden G20210A-Mutation im Prothrombingen Phospholipidantikörper Hyperhomozysteinämie Orale Antikontrazeptiva Schwangerschaft Maligne Tumoren
47.1.4
Pathophysiologie
Grundlage der ischämischen Störungen ist eine Verminderung der Sauerstoffversorgung auf <50%. Ab dieser Grenze kommt es zu Funktionsstörungen des Darms. Bei einem Abfall auf <20% tritt eine Nekrose auf, die aufgrund der Anatomie der Gefäßversorgung (Serosa bis in die Villusspitzen) von der Mukosa ausgeht und dann die gesamte Darmwand betrifft. In der zeitlichen Abfolge sind zunächst eine Verminderung der Resorption, ein Motilitätsverlust, ein Ileus, eine Schleimhautablösung, eine Blutung, eine Permeabilitätssteigerung mit bakterieller Translokation, eine Peritonitis und schließlich eine Sepsis zu beobachten.
47.1.5
Klinik
Die Häufigkeit der Symptome bei der akuten Mesenterialarterienembolie ist in . Tab. 47.4 wiedergegeben. Leitsymptom ist der plötzlich auftretende Bauchschmerz, der in der Regel periumbilikal oder im rechten Unterbauch lokalisiert ist. Das subjektiv starke Schmerzempfinden steht häufig im Gegensatz zur klinischen Untersuchung, bei der das Abdomen noch weich und nur diskret druckempfindlich ist. Viele Patienten klagen über Übelkeit, Erbrechen und Durchfall [11]. Von klinischer Bedeutung ist der zeitliche Verlauf der Symptomatik, wobei sich ein Initialstadium, ein »stilles Intervall« und ein Spätstadium unterscheiden lassen (. Tab. 47.5). Insbesondere das stille Intervall ist Ursache vieler diagnostischer Probleme, da es vermeintlich die Dringlichkeit der Diagnostik reduziert. > Bei der akuten mesenterialen Ischämie ist initial häufig eine Diskrepanz zwischen starken Schmerzen und diskreter Druckempfindlichkeit des Abdomens zu beobachten.
Wegen der bei Mesenterialarterienthrombose häufig infolge der Arteriosklerose bereits ausgebildeten Kollateralen verläuft die Symptomatik weniger akut als bei der Embolie. Typisch sind allmählich zunehmende abdominelle Schmerzen mit einer Auftreibung des Bauches. Das Zeitintervall zwischen Beschwerdebeginn und Mesenterialinfarkt beträgt häufig 24 h. Gelegentlich finden sich auch länger zurück liegende Beschwerden einer chronischen mesenterialen Ischämie. Es besteht aber auch bei diesen Patienten zunächst eine Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerdeangaben und objektivem Befund.
. Tab. 47.4 Häufigkeit der Symptome bei Mesentrialarterienembolie
Polycythaemia vera Essenzielle Thrombozythämie Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
Symptome
Häufigkeit [%]
Abdomineller Schmerz
90
Pankreatitis Peritonitis und intraabdominelle Sepsis Entzündliche Darmerkrankungen Divertikulitis
Erbrechen
47
Diarrhö
19
Meteorismus
19
Postoperative Zustände
Abdominelle Operationen Splenektomie
Schock
17
Hämatochezie
15
Zirrhose und portale Hypertension
Sklerosierung von Ösophagusvarizen
Fieber
13
Verschiedene Ursachen
Abdominelles Trauma Dekompressionstrauma
Stuhlverhalt
6
Hämatemesis
3
Entzündliche Erkrankungen
47
604
Kapitel 47 · Mesenteriale Durchblutungsstörungen
47
. Tab. 47.5 Zeitlicher Verlauf der Klinik der arteriellen mesenterialen Embolie
. Tab. 47.6 Bedeutung der frühen Diagnose der akuten mesenterialen Ischämie für das Überleben (nach [12])
47
Formen
47
Jahr der Studie
Klinik
Initialstadium [0–6 h]
»Stilles Intervall« [7–12 h]
Spätstadium [>12 h]
Schmerz
+++
+
++
Ileussymptome
0
+
+++
47
Peritonismus
0
+
+++
47
AZ
0
––
–––
47
Labor
47 47
Leukozytose
++
Laktat
0
++ 0
+++ >6 mmol/l
Therapie
47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47
Revaskularisierung
+++
++
+
Resektion
0
++
+++
Letalität
rund 25%
rund 60%
80–90%
! Cave Bei bereits eingetretenem Mesenterialinfarkt kann sich rasch eine Sepsis mit Dehydratation, blutigen Durchfällen und Schockzeichen entwickeln.
Das klinische Erscheinungsbild der NOMI leitet oft fehl, da die Patienten meist wegen eines zugrunde liegenden Krankheitsbildes in der Regel schwerkrank oder frisch operiert sind und häufig auf der Intensivstation behandelt werden. Die intestinalen Symptome können unspezifisch sein und sich als Verstopfung, unspezifische Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und schleimig-blutige Durchfälle äußern. Wenn es zu einer intestinalen Gangrän gekommen ist, weist der Patient Zeichen einer Peritonitis oder einer Sepsis auf. > Bei allen Patienten, die eine entsprechende Vorerkrankung haben und bei denen mit Verschiebungen des Flüssigkeitshaushaltes oder Veränderungen der Durchblutung zu rechnen ist, muss bei Auftreten entsprechender Symptome oder bei unerklärten Laborveränderungen auf der Intensivstation (Leukozytose, LDH-Erhöhung) an die NOMI gedacht werden.
Auch die akalkulöse Cholezystitis wird in den Kontext dieses Krankheitsbildes gestellt und sollte an gleichzeitig bestehende intestinale Durchblutungsstörungen denken lassen. Besonders problematisch ist die Tatsache, dass die Mehrzahl der Patienten infolge ihrer Analgosedierung gar keine Symptome angeben und Diagnose und erforderliche Therapiemaßnahmen ausschließlich durch aufmerksame klinische Beobachtung und Sichtung der routinemäßig erhobenen Kontrollparameter indiziert werden. Auch bei der Mesenterialvenenthrombose ist die klinische Symptomatik unspezifisch. Leitsymptom ist bei mehr als 90% der Patienten der Schmerz, wobei Dauer, Art, Schweregrad und Lokalisation große Variationen aufweisen. Meist bestehen die Schmerzen bei Aufnahme in die Klinik schon einige Tage, über 50% der Pati-
Patienten [n]
Mortalität in Abhängigkeit eines anatomischen Korrelats
Mortalität in Abhängigkeit von der Zeit
Keine Gangrän
Gangrän
<24 h
>24 h
1977
52
–
–
54
95
1981
47
–
–
57
73
1986
23
25
75
–
–
1990
65
25
68
–
–
1990
83
–
–
0
88
1990
98
26
71
–
–
1990
82
31
73
–
–
1997
141
–
–
44
92
enten geben auch Übelkeit und Erbrechen an. Blutige Diarrhöen, Hämatochezie oder Hämatemesis sprechen für einen erfolgten Mesenterialinfarkt. Die Mehrzahl der Patienten hat ein schmerzhaftes aufgetriebenes Abdomen mit abgeschwächten Darmgeräuschen, die Hälfte hat peritonitische Zeichen und Temperaturen über 38°C.
47.2
Diagnostik
Da Anamnese und klinischer Befund bei Patienten mit den verschiedenen mesenterialen Durchblutungsstörungen fast immer unspezifisch und vieldeutig sind, stellt die definitive Diagnose eine klinische Herausforderung dar. Dies umso mehr, da bei den akuten Formen der mesenterialen Ischämie der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle für das Überleben der Patienten spielt (. Tab. 47.6). Flüssigkeitsexsudation in das Darmlumen oder den Peritonealraum kann zur Hämokonzentration führen; Hypoxämie und prärenales Nierenversagen treten oft begleitend auf. Sind diese Komplikationen aber erst eingetreten, ist das »therapeutische Fenster« meist bereits geschlossen.
47.2.1
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnose der akuten mesenterialen Ischämie ist umfangreich (. Tab. 47.7), viele der Differenzialdiagnosen können durch klinische Untersuchungen, einzelne technische Verfahren wie Elektrokardiogramm, Sonographie, Computertomographie und Labormethoden ausgeschlossen werden [13]. Bis zum Beweis einer anderen Diagnose muss die Verdachtsdiagnose einer mesenterialen Ischämie aufrechterhalten und zügig weiter verfolgt werden.
47.2.2
Diagnosesicherung
Wie bei jeder akuten Erkrankung findet sich häufig eine Leukozytose. Eine LDH-Erhöhung ist häufig, aber unspezifisch. Die Wertigkeit erhöhter Phosphatspiegel ist umstritten, normale Werte schließen eine mesenteriale Ischämie aber nicht aus. Dasselbe gilt für erhöhte Laktatwerte und eine metabolische Azidose.
605 47.2 · Diagnostik
Diagnose
Verfahren zum Ausschluss
distal dieser vorliegen. Die thrombosierte Mesenterialvene kann als erweitertes röhrenförmiges Gebilde ohne Flusssignal dargestellt werden. Bei guten Untersuchungsbedingungen kann hier eine definitive Diagnose möglich sein.
Akuter Myokardinfarkt (Hinterwand)
EKG
Computertomographie
Ulcus ventriculi/duodeni (mit Penetration/Perforation)
CT/ÖGD
Sonstige Hohlorganperforation
CT
Akute Pankreatitis
Labor, CT
Akute Gastroenteritis
Anamnese
Mechanischer Ileus (inkarzerierte Hernie, Volvulus, etc.)
CT
Gallenkolik
Sonographie
Peritonitis (Divertikulitis, Appendizitis, spontan bakterielle Peritonitis, Pseudoperitonitis diabetica, etc.)
Klinisches Bild
Obstipation
Anamnese
Ureterenkolik
Sonographie, Urinstatus
Dissezierendes Aortenaneurysma
Sonographie, CT
Intoxikation (Blei, Arsen)
Anamnese
Akute intermittierende Porphyrie
Labor
Vertebragene Beschwerden
Anamnese
Funktionelle Erkrankungen
Anamnese, Erfahrung des Arztes
. Tab. 47.7 Mögliche Differenzialdiagnosen der akuten mesenterialen Ischämie
Ein potenzieller zukünftiger Marker für die laborchemische Diagnose ist das »ischämiemodifizierte Albumin«. In einer aktuellen noch präklinischen Arbeit konnte eine signifikante Erhöhung dieses Markers bereits 30 min nach Beginn der Ischämie gezeigt werden [14]. Hier bleiben jedoch klinische Studien abzuwarten. Bereits experimentell in der Klinik eingesetzt zeigt der CobaltAlbumin Bindungstest (»cobalt-albumin binding assay«; CABA) ebenfalls eine hohe Spezifität (85,7%) bei exzellenter Sensitivität (100%) und ganz entscheidend einen positiv prädiktiven Wert von 100% [15]. Hier ist in den nächsten Jahren mit weiteren Ergebnissen zu rechnen.
Bildgebende Verfahren Sonographie. Die Sonographie ist das bildgebende Verfahren der
1. Wahl bei Patienten mit abdominellen Beschwerden. Bei akuter mesenterialer Ischämie können als Folgen sonographisch eine verdickte Dünndarmwand (>5 mm), Zeichen eines Subileus oder Ileus mit erweiterten Darmschlingen und fehlender Peristaltik und – in fortgeschrittenen Fällen – freie intraabdominelle Flüssigkeit und Lufteinschlüsse im Portalgefäßsystem gefunden werden [16]. Die wesentliche Bedeutung der Sonographie liegt im Ausschluss anderer abdomineller Erkrankungen (Aortenaneurysma, mechanischer Ileus, biliäre Erkrankungen etc.). Duplexsonographie. Die Rolle der Duplexsonographie beim aku-
ten Mesenterialarterienverschluss ist bislang nur unzureichend untersucht [17]. Die Untersuchung kann durch den häufig vorhandenen Meteorismus erheblich erschwert oder unmöglich sein. Wenn ein normaler Fluss in der AMS gefunden wird, ist eine Okklusion des Hauptstammes proximal der A. colica unwahrscheinlich, dennoch können signifikante Embolien in größere Gefäßabschnitte
Die weite Verbreitung der Computertomographie hat dazu geführt, dass bei vielen Patienten mit unklaren abdominellen Schmerzen diese Untersuchung relativ rasch und unkompliziert durchgeführt werden kann. Die Multidetektor-Computertomographie mit arterieller Kontrastierung (hier ist besonders auf eine flussgetriggerte und frühe arterielle Phase zu achten) ist heute in der Lage, arterielle Verschlüsse mit hoher Sensitivität (93%) und Spezifität (bis 100%) darzustellen [18]. Durch den adäquaten Einsatz dieser Technik kann ein deutlicher Überlebensvorteil für den Patienten erreicht werden [19]. Die zeit- und personalaufwendige Angiographie kann hierdurch bei der Frage nach akuter mesenterialer Ischämie im Sinne einer arteriellen oder venösen Thrombose und im Sinne einer akuten Embolie vermieden werden. > Der Goldstandard zur Diagnose einer akuten mesenterialen Ischämie ist heute die kontrastmittelgestützte Multidetektor-Computertomographie (MDCT). Wenn diese nicht zur Verfügung steht, muss jedoch weiterhin im Zweifel auf eine klassische Angiographie zurückgegriffen werden.
Entscheidend bei der Durchführung der CT-Untersuchung ist, dass in der Anforderung explizit nach der mesenterialen Ischämie gefragt wird, da sonst häufig nur eine spätere Kontrastmittelphase (sog. portalvenöse Phase) als Zeitpunkt der Untersuchung genutzt wird. Angiographie. Einzig bei der NOMI ist weiterhin eine Angiogra-
phie als Goldstandard zu sehen, da hier sowohl die funktionelle Engstellung untersucht als auch gleich eine Therapie durchgeführt werden kann. Aber auch hier existieren bereits erste Studien zur Diagnostik im MDCT [20–22]; inwieweit sich diese etabliert, bleibt abzuwarten. Abschließend bleibt jedoch zu sagen, dass in den S2-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie von 2008 [23] die digitale Subtraktionsangiographie als der Goldstandard genannt wird, in dieser Leitlinie sind jedoch die neueren Arbeiten über das MDCT noch nicht berücksichtigt. Hier ist aus Sicht der Autoren eine Anpassung an die gegenwärtige Literatur zu erwarten. Der Untersuchungsablauf der Angiographie gliedert sich wie folgt: Nach Darstellung der Aorta und der Abgänge des Truncus coeliacus und der AMS wird letztere selektiv dargestellt. Bei unauffälligem Befund können anschließend AMI und Truncus coeliacus selektiv dargestellt werden [11]. In der AMS findet sich meist ein abrupter Kontrastmittelabbruch, häufig am Gefäßabgang oder innerhalb von 1–2 cm nach dem Abgang (. Abb. 47.2). Mesenterialarterienembolien zeigen sich als scharfe, abgerundete Füllungsdefekte in der Kontrastmittelsäule (»Meniskuszeichen»). Wie bei der Thrombose finden sich zusätzliche Vasospasmen. Die Embolien sind üblicherweise an Gefäßengen, Verzweigungen oder Bifurkationen und meist distal des Abgangs der A. colica media lokalisiert (. Abb. 47.3). Im Vergleich siehe hierzu die Darstellung einer Mesenterialarterienembolie im MDCT: Auch hier lässt sich sowohl in den Originalschichten (. Abb. 47.4) als auch in der 3-D-Rekonstruktion (. Abb. 47.5) der Embolus eindeutig differenzieren.
47
606
Kapitel 47 · Mesenteriale Durchblutungsstörungen
47 47 47 47 47 47 . Abb. 47.4 Multislice-Angio-CT einer mesenterialen Ischämie: Der in diesem Bereich noch von Kontrastmittel teilumspülte Embolus ist mit einem Pfeil markiert
47 47 47 47 47
. Abb. 47.2 Haupstammverschluss der A. mesenterica superior
47 47 47 47 47
. Abb. 47.5 Multislice-Angio-CT: Sagitale Rekonstruktion des Originaldatensatzes mit deutlicher Darstellung der Kontrastmittelausparung in der A. mesenterica superior
47 47 47 47 47 47 47 47 47
. Abb. 47.3 Astverschluss der A. mesenterica superior nach Embolie
Praxis Für die NOMI ist die Mesenterialangiographie nicht mehr das einzig verlässliche Diagnoseverfahren. Hier scheint das MDCT ähnlich gut geeignet [21, 22, 24], wobei eine abschließende Evaluation noch aussteht. Entscheidend ist, dass bei klinischem Verdacht und Fehlen eines Therapieerfolges von Allgemeinmaßnahmen wie Volumenersatz und Schocktherapie eine rasche Diagnostik, hier vorzugsweise mit der Angiographie, angewendet wird.
Die NOMI ist angiographisch durch eine diffuse Verengung der AMS und ihrer Äste als Ausdruck der zugrunde liegenden Vasokonstriktion charakterisiert. Die peripheren Gefäßarkaden können spastisch enggestellt sein, weitgestellte und spastische Abschnitte der Gefäße können aufeinander folgen, und das Bild kann dann an eine Kette von Würsten erinnern (»string of sausage sign«; . Abb. 47.6). Die bereits seit vielen Jahren immer wieder diskutierte Minilaparoskopie [25, 26], hat sich als Routinediagnostik bei der mesenterialen Ischämie trotz nachgewiesener Sicherheit [27] auch bei Intensivpatienten nicht durchgesetzt [28]. . Abb. 47.7 fasst die Diagnostik zusammen.
607 47.3 · Therapie
Anamnese: Alter, Risikofaktoren (Arrhythmie, AVK, Exsikkose, Medikamente), Schmerzen (evtl. passager)
Laboruntersuchung (LDH, Laktat, Blutbild, CRP, Lipase, GPT), Sonographie
Andere eindeutige Diagnose
Verdacht auf mesenteriale Ischämie
Multislice-CT (mind.16 Zeilen) vorhanden? . Abb. 47.6 Angiographische Darstellung einer nichtokklusiven mesenterialen Ischämie mit Wechsel von Spasmen und normal weiten Abschnitten der Gefäße
Nein Ja Angiographie global + selektiv (AMS, AMI)
47.3
Therapie
47.3.1
Basistherapie
Der erste Schritt der Therapie bei allen Formen der akuten mesenterialen Ischämie ist die Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse. Anämie, Flüssigkeitsdefizite und Störung des Elektrolyt-und Säure-Basen-Haushaltes (Azidose!) sollten ausgeglichen, die Pumpleistung des Herzens optimiert und hämodynamisch relevante Arrhythmien behandelt werden. Bei klinischen oder laborchemischen Zeichen einer fortgeschrittenen Ischämie müssen unverzüglich Antibiotika (z. B. ein Cephalosporin der 3. Generation in Kombination mit Metronidazol) appliziert werden. Potenzielle vasokonstriktorische Medikamente (Digitalis!) sollten vermieden werden, das Gleiche gilt für Katecholamine. > Bei hypotensiven, hypovolämischen und im Schock befindlichen Patienten liegt immer eine mesenteriale Vasokonstriktion vor.
Eine Angiographie in dieser Situation ist bei begründetem Verdacht auf eine NOMI daher nur sinnvoll, wenn Allgemeinmaßnahmen nicht zu einer Besserung führen. Dann muss eine andere Form der mesenterialen Ischämie als Ursache des Schocks sicher ausgeschlossen werden [13].
47.3.2
Interventionelle Maßnahmen
Die Mehrzahl der Autoren empfiehlt bei angiographischem Nachweis einer mesenterialen Ischämie eine selektive Applikation von Papaverin in die AMS über Angiographiekatheter [6, 11, 29, 30]. Bei Vorliegen eines embolischen oder thrombotischen Gefäßverschlusses soll dadurch die häufig gleichzeitig vorhandene mesenteriale Vasokonstriktion behandelt werden. Bei der NOMI ist diese Maßnahme auch als definitive Therapiemöglichkeit anzusehen, wenn
Abdomen-CT mit arterieller Phase (flussgetriggert), spezifische Fragestellung »mesenteriale Ischämie?«
. Abb. 47.7 Vorgehen bei Verdacht auf akute mesenteriale Ischämie
noch keine Nekrosen aufgetreten sind [10]. Papaverin ist ein potenter Phosphodiesteraseinhibitor und führt über eine Erhöhung der cAMP-Konzentration zu einer Vasodilatation. Die Dosierung liegt nach einem Bolus von 5–10 mg bei 30– 60 mg/h (Applikation über eine Infusionspumpe). Heparin darf wegen Inkompatibilität mit Papaverin nicht im gleichen System gegeben werden. Bei ausgeprägter Hypovolämie und Hypotonie ist Papaverin kontraindiziert. Während der Infusion muss eine kontinuierliche Überwachung von Blutdruck, Herzfrequenz und Herzrhythmus gewährleistet sein. Bei korrekter Lage des Infusionskatheters in der AMS kommt es allerdings nur selten zu systemischen Blutdruckabfällen, da Papaverin während der ersten Leberpassage zu über 90% abgebaut wird. Beim plötzlichen Blutdruckabfall sollte die Infusion sofort gestoppt und die korrekte Lage des Angiographiekatheters überprüft werden. Eine seltenere Ursache einer akuten Hypotension ist eine Leberinsuffizienz mit inadäquater Clearance [24]. Eine Alternative ist Prostaglandin E1. In jüngerer Zeit wird empfohlen, bei akuter Mesenterialarterienokklusion eine lokale Thrombolyse durchzuführen. Eine kürzliche Zusammenfassung von 20 Fallberichten und 7 kleinen Patientenserien betreffend 48 Patienten mit akutem AMS-thromboembolischem Verschluss ergab bei 43 Patienten eine Wiedereröffnung, bei 30 Patienten war keine weitere chirurgische Maßnahme erforderlich. 43 der 48 Patienten überlebten. Der beste Indikator eines Erfolges war ein rascher Rückgang der abdominellen Schmerzen [31].
47
608
47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47 47
Kapitel 47 · Mesenteriale Durchblutungsstörungen
Es besteht noch keine breite Erfahrung mit diesem Verfahren, sodass es als experimentell betrachtet werden muss [32]. Die angewandten Substanzen entsprechen denen, die auch bei Verschlüssen anderer Gefäßsysteme benutzt werden. Andere Autoren raten von einer interventionellen lokalen Lyse ab, da schwere diffuse Mukosablutungen bzw. weitere Blutungskomplikationen auftreten können [33]. Ebenfalls deutlich zunehmend sind die radiologisch interventionellen Verfahren, durch die rasche Diagnose mittels MDCT kann bei noch fehlenden Zeichen einer Darmnekrose eine interventionelle Therapie gerade bei abgangsnahen Verschlüssen der mesenterialen Gefäße versucht werden. In den USA wurden von 2000–2006 bereits über 30% der Patienten mit akuter mesenterialer Ischämie mittels PTA mit und ohne Stentimplantation behandelt [34]. Gerade für ältere Patienten kann dies bei rascher Diagnosestellung eine günstigere Option sein [35].
47.3.3
Operative Therapie
Nach wie vor ist bei der Mesenterialarterienembolie und -thrombose nach Stabilisierung des Patienten die rasche operative Gefäßdesobliteration die Therapie der Wahl [3, 6, 10, 12]. Nach einer medianen Oberbauchlaparotomie wird zunächst das Intestinum beurteilt. Bei der Embolie ist das proximale Jejunum in der Regel unauffällig, die betroffenen Darmanteile können den gesamten übrigen Dünndarm und den Dickdarm bis ins Colon transversum einschließen. Wenn ein Embolus in der AMS angenommen wird, wird die Eröffnung der AMS im Mesenterium durchgeführt, nachdem der Patient systemisch heparinisiert wurde. Die Arteriotomie sollte proximal der A. colica media erfolgen.
Praxis Nach erfolgreicher proximaler und distaler Embolektomie werden 30 min Reperfusion abgewartet, bevor eine Darmresektion durchgeführt wird. Hierdurch wird versucht, das Resektionsausmaß möglichst zu minimieren [13]. Eine Second-look-Operation kann 12–24 h später durchgeführt werden, um Regionen fraglicher Vitalität zu inspizieren. Dies unterstützt die Reduktion der initialen Resektion. Neuere Daten lassen aber annehmen, dass eine Second-look-Operation nicht in allen Fällen hilfreich oder erforderlich ist [18].
Wenn der gesamte Dünndarm gangränös ist, ist eine mehr oder weniger komplette Enterektomie mit konsekutiver lebenslanger intravenöser Ernährung gelegentlich die einzige Option, die dann aber mit den ansonsten vorliegenden Erkrankungen abgewogen werden muss. Ist die Darmvitalität und Reperfusion nicht ausreichend beurteilbar, sollte keine die Kontinuität wieder herstellende Anastomose erfolgen, sondern zunächst ein Splitstoma angelegt werden, das eine Beurteilung der Durchblutung der beiden herausgeleiteten Darmenden erlaubt. Weitere operative Eingriffe werden dann von der Vitalität der Splitstomata abhängig gemacht.
47.3.4
NOMI
Bei einer NOMI besteht das Hauptproblem in der mesenterialen Vasokonstriktion, die nicht operativ korrigiert werden kann. Eine operative Exploration bei Patienten mit NOMI ist daher nur dann zweckmäßig, wenn die Patienten Zeichen einer Peritonitis aufweisen [24]. Entsprechend den oben dargestellten pathophysiologischen Prinzipien besteht die frühe Behandlung in der Korrektur prädisponierender und präzipitierender Faktoren und einer effektiven Behandlung der mesenterialen Vasokonstriktion. Die oben genannten allgemeinen Behandlungsmaßnahmen sind daher in diesem Fall von besonderer Bedeutung [6, 36]. Die weitere Therapie erfolgt pharmakologisch mit Hilfe der selektiven Infusion von Papaverin, anschließend oder alternativ kann Postagladin E1 (Bolus 20 μg, 0,1–0,6 ng/kg KG/min Dauerinfusion für maximal 48 h) in die AMS infundiert werden. Die Angiographie muss nach 30 min wiederholt werden, um die Beseitigung der Vasokonstriktion zu dokumentieren. Im Erfolgsfall wird die PapaverinInfusion für 24 h fortgesetzt und eine erneute Angiographie nach 30-minütigem Ersetzen der Papaverin-Infusion durch Kochsalz zur Definition des weiteren Vorgehens durchgeführt. Entsprechende Behandlungszyklen mit diesem Verfahren über bis zu 5 Tage sind beschrieben, natürlich aber nicht durch Studien evaluiert. Ein Effekt der lokalen Pharmakotherapie kann durch extremen Gefäßspasmus und ausgedehnte Kollateralisierung ausbleiben. Wenn sich Zeichen einer Peritonitis entwickeln oder sich unter der Infusion nicht zurückbilden, muss bei NOMI eine chirurgische Exploration erfolgen. Die Papaverin-Infusion wird während und nach der Operation fortgesetzt. Eine Peritoneallavage mit warmer Kochsalzlösung (37°C) kann die Vasokonstriktion ebenfalls reduzieren. Offensichtlich nekrotischer Darm wird reseziert. Wenn die Operationsränder eindeutig vital sind, kann eine primäre Anastomose versucht werden. In allen anderen Fällen ist eine Exteriorisierung mit Anlage eines Splitstomas zur Beurteilung der Vitalität im weiteren Verlauf angezeigt.
47.3.5
Mesenterialvenenthrombose
Bei der akuten Mesenterialvenenthrombose ist in der Regel eine unverzügliche Antikoagulation notwendig. Wenn keine Peritonitis und keine Zeichen der Darmnekrose erkennbar sind, kann sich das weitere Vorgehen auf Antikoagulation beschränken. Diese muss in der Regel lebenslang weiter geführt werden. Wie bei der arteriellen Ischämie sind Antibiotika indiziert. Eine thrombolytische Therapie bei akuter Mesenterialvenenthrombose kann auf 3 Wegen durchgeführt werden: systemisch, regional oder portal regional. Die systemische Thrombolyse birgt die Gefahr der generalisierten Blutungsneigung. Die regionale Thrombolyse kann im Rahmen der Operation ermöglicht werden, indem über eine Mesenterialvene ein Katheter in die V. mesenterica oder die Pfortader eingelegt wird. Dies kann durch einen transjugulärtranshepatisch-intraportal gelegten Katheter ebenfalls erreicht werden. Die operative Thrombektomie bei Pfortaderthrombose mit regionaler Thrombolyse wird vereinzelt beschrieben. Der operative Zugang hat durch das interventionelle Verfahren der TIPS-Katheterplatzierung an Bedeutung verloren.
609 Literatur
. Tab. 47.8 Übersicht über die akuten mesenterialen Durchblutungsstörungen Mesenteriale Durchblutungsstörung
Prädisposition
Leitsymptom
Definitive Diagnosesicherung
Therapie
Mesenterialarterienembolie
Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Myokardinfarkt, Aortenaneurysma
Plötzlich auftretende heftige Bauchschmerzen
Multislice-Computertomographie (Angiographie)
Embolektomie, Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialarterienthrombose
Generalisierte Arteriosklerose
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen
Multislice-Computertomographie (Angiographie)
Operative Revaskularisierung, Resektion von infarziertem Darm
Nichtokklusive Darmischämie
Linksherzinsuffizienz, ausgeprägte Hypotonie, Hypovolämie, Anämie, vasokonstriktorische Medikation
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, aufgetriebenes Abdomen; unerklärte Erhöhung von Laktat oder LDH bei analgosedierten Intensivpatienten
Angiographie
Papaverin, Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialvenenthrombose
Hyperkoagulabilität, portale Hypertonie, entzündliche intraabdominelle Erkrankungen, postoperativ
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen
(Multislice-) Computertomographie, Duplexsonographie (Angiographie)
Darmresektion und Heparin, evtl. Thrombektomie, in Einzelfällen nur Heparin und Thrombolyse
47.4
Prognose
Die verschiedenen Formen der akuten arteriellen mesenterialen Ischämie und die akute venöse Thrombose im Splanchnikusstromgebiet weisen nach wie vor eine sehr hohe Mortalität auf [12, 37–39]. Dies ist teilweise durch die Begleiterkrankungen der Patienten, v. a. aber durch die häufig verzögerte Diagnose bedingt. Ein Überblick über die publizierten größeren Serien akuter mesenterialer Ischämie zeigt die Bedeutung einer frühen Diagnose für das Überleben der Patienten [12]. Wenn die Diagnose vor Auftreten einer Gangrän erfolgt, liegen die Mortalitätsraten in den Studien, die dies analysiert haben, unter 30%. Erfreulicherweise lassen neue Übersichten [40, 41] erkennen, dass die Prognose sich in den letzten Jahren verbessert hat, wobei dies insbesondere für die Mesenterialarterienthrombose und für die -venenthrombose gilt. Die durchschnittliche Letalität in Studien nach 2000 lag bei 53% [41]. Unverändert schlecht ist die Prognose der NOMI, die ja in der Regel Patienten betrifft, die a priori eine ungünstige Prognose aufweisen und bereits intensivbehandlungspflichtig sind [6]. Hier spielen auch die erheblichen Probleme der Erkennung des Krankheitsbildes bei analgosedierten Patienten eine Rolle, sodass die Prävalenz der NOMI und ihrer Rolle für die Prognose dieser Patienten sicher immer noch unterschätzt wird. Die Mortalität nach einer chirurgischen Therapie einer arteriellen Embolie und einer venösen Thrombose liegt mit 54,1 und 32,1% deutlich niedriger als nach Operation einer arteriellen Thrombose oder einer NOMI (77,4 und 72,7%) [40]. . Tab. 47.8 gibt eine Übersicht über die akuten mesenterialen Durchblutungsstörungen. Fazit: 5 Grundsätze, die als Entscheidungshilfe verstanden werden sollten 4 Ähnlich wie beim Myokardinfarkt gibt es auch für den Mesenterialinfarkt ein bestimmtes Risikoprofil, das das Vorliegen einer mesenterialen Ischämie wahrscheinlich macht. 4 Typisch für das Frühstadium der akuten mesenterialen Ischämie ist ein Missverhältnis zwischen der erheblichen Beschwerdeangabe des Patienten und dem relativ unauffälligen abdominellen Untersuchungsbefund. Bei akuten, heftigen, anderweitig nicht erklärbaren
Bauchschmerzen muss immer auch an eine mesenteriale Ischämie gedacht werden. 4 Pathologische Laborwerte wie eine sonst nicht zu erklärende Leukozytose, eine metabolische Azidose oder ein erhöhter Laktatwert können als Hinweis auf eine mesenteriale Ischämie insbesondere bei Intensivpatienten gedeutet und als Argument für eine bildgebende Klärung verwendet werden. Das Fehlen dieser Parameter schließt eine mesenteriale Ischämie niemals aus. 4 Die MDCT ist heutzutage das Mittel der Wahl zur Diagnosestellung. Sie ist flächendeckend verfügbar, kann rasch durchgeführt werden und bietet neben der sicheren Diagnose auch die Möglichkeit, differenzialdiagnostische Fragestellungen zu beantworten. Entscheidend ist hier die gezielte Fragestellung, sodass die Untersuchung mit arterieller Phase und Gefäßrekonstruktion durchgeführt wird. 4 Bei arteriellen Verschlüssen steht die Thrombektomie bzw. Embolektomie im Vordergrund, gefolgt von der Antikoagulation. Bei venösen Thrombosen kann eine lokale Antikoagulation und Lyse durchgeführt werden, unterschiedliche Zugangswege sind möglich.
Literatur 1
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47
Kapitel 47 · Mesenteriale Durchblutungsstörungen
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611
Störungen des ZNS und neuromuskuläre Erkrankungen Kapitel 48
Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Kapitel 49
Erhöhter intrakranieller Druck
Kapitel 50
Koma, metabolische Störungen und Hirntod
Kapitel 51
Zerebrovaskuläre Notfälle
Kapitel 52
Epileptische Anfälle und Status epilepticus
Kapitel 53
Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten
Kapitel 54
Infektionen des ZNS
Kapitel 55
Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
Kapitel 56
Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
Kapitel 57
Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
VII
613
Neurodiagnostik in der Intensivmedizin A. Dörfler, M. Forsting, W. Müllges, B. Partik, D. Prayer, B. Wildemann
48.1
Neuroradiologie – 614
48.2
Computertomographie – 614
48.2.1 48.2.2 48.2.3 48.2.4 48.2.5 48.2.6
Trauma – 614 Infarkt – 616 Blutung – 618 Postoperative Veränderungen – 618 Entzündliche Erkrankungen – 619 Hirnödem – 620
48.3
Magnetresonanztomographie – 620
48.3.1 48.3.2
MRT-Akutindikationen beim Intensivpatienten – 620 Spinale MRT-Indikationen beim Intensivpatienten – 621
48.4
Angiographie, digitale Subtraktionsangiographie, MR-Angiographie – 621
48.5
PET und SPECT – 621
48.6
Neurosonographie – 621
48.6.1 48.6.2 48.6.3 48.6.4 48.6.5 48.6.6 48.6.7 48.6.8 48.6.9 48.6.10 48.6.11 48.6.12
Stellenwert der Neurosonographie – 621 Arterielle Stenosen und Verschlüsse – 622 Vasospasmen – 623 Regionale und globale Hirnperfusion – 624 Erhöhter intrakranieller Druck – 625 Gefäßmissbildungen – 626 Sinusvenenthrombosen – 626 Intrakranielle Blutungen – 626 Hydrozephalus – 626 Diagnostik und Monitoring bei embolisierenden Erkrankungen – 627 Periphere Nervenschäden – 628 Muskelschäden – 628
48.7
Liquordiagnostik – Lumbalpunktion – 628
48.7.1 48.7.2 48.7.3 48.7.4 48.7.5 48.7.6
Liquoranalytik – 628 Makroskopische Beurteilung – 628 Proteine im Liquor – 630 Liquorzellzahl und -zytologie – 632 Glukose und Laktat im Liquor – 633 Molekularbiologische Diagnostik – 633
Literatur – 633 H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_48, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
48
614
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48.1
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Neuroradiologie B. Partik, D. Prayer, A. Dörfler, M. Forsting
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Als bildgebende Verfahren im Bereich des Rückenmarks und des Gehirns stehen die Dopplersonographie, Computertomographie, Magnetresonanztomographie (MRT) und Angiographie zur Verfügung. Die nuklearmedizinischen Methoden Positronen-EmissionsTomographie (PET) und Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) spielen in der neurologischen Intensivmedizin nur eine untergeordnete Rolle.
48.2
Computertomographie
48
Das CT ist die am schnellsten verfügbare und für die Akutsituation meistens ausreichende Untersuchung zur Beurteilung des Gehirns und der Wirbelsäule. Die Möglichkeit zur relativ einfachen Überwachung und Beatmung während der Untersuchung machen die Computertomographie zu einem optimalen Verfahren für die rasche Abklärung von Notfällen. Folgende Indikationen können unterschieden werden: 4 Trauma, 4 ischämischer Infarkt, 4 Blutung, 4 postoperative Befundkontrolle, 4 entzündliche Prozesse (relative Indikation).
48
48.2.1
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48 48 48 48 48 48 48 48 48 48 48 48 48
. Abb. 48.1 Patientin, 67 Jahre, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, CT axial nativ. Epiduralhämatom in der hinteren Schädelgrube (schwarzer Pfeil), Subduralhämatom links temporal (weißer Pfeil), Kontusionsblutungen frontal
Trauma CT-Befund. Im CT zeigt sich das Epiduralhämatom meistens als
In der akuten Phase eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) ist die Computertomographie das wichtigste radiologische Untersuchungsverfahren. Epidurale, subdurale und intrazerebrale Blutungen lassen sich schnell und sicher diagnostizieren (. Abb. 48.1 [8]). ! Cave Allerdings zeigt das CT innerhalb der ersten Stunden nach einem SHT häufig noch nicht das volle Ausmaß der Verletzung. Deshalb sollte bei einem klinisch relevanten SHT immer eine Verlaufsuntersuchung durchgeführt werden.
In der subakuten bis chronischen Phase eines Schädel-Hirn-Traumas ist das MRT dem CT deutlich überlegen, da der höhere Weichteilkontrast und die fehlende knöcherne Artefaktbildung auch kleinere Verletzungen erkennen lassen. Bei der Diagnostik kleinerer Kontusionen oder sog. Scherverletzungen hilft auch die hohe Sensitivität des MRT für das Blutabbauprodukt Hämosiderin. Durch sog. Gradienten-Echo-Aufnahmen lassen sich auch kleinste punktförmige Hämorrhagien sicher diagnostizieren. Noch besser sind sog. SWI-Sequenzen, die allerdings noch nicht überall verfügbar sind. Für die Begutachtung nach Schädel-Hirn-Traumata ist daher das MRT die Untersuchungsmethode der Wahl.
Epidurales Hämatom Das epidurale Hämatom (EDH) ist meist arterieller Genese, bedingt durch eine Blutung aus der A. meningea media oder ihren Ästen. Das Hämatom ist zwischen der Dura mater und der Kalotte lokalisiert. Die häufigste Lokalisation ist temporoparietal. Infratentoriell ist das EDH häufig auch venöser Genese, bedingt durch Verletzungen der venösen Sinus [3].
bikonvexe Hyperdensität mit glatter Begrenzung zur Hirnoberfläche [9]. Je nach Größe kann das Epiduralhämatom massiv raumfordernd wirken (. Abb. 48.2). Besonderes Augenmerk gilt dem seltenen isodensen epiduralen Hämatom, das unmittelbar posttraumatisch bei nicht kompletter Thrombosierung beobachtet werden kann. > Das sog. luzide Intervall findet sich fast nur beim epiduralen Hämatom und hier auch nur in etwa 50% der Fälle. Bei 5% der Patienten können bilaterale EDH auftreten.
Subdurales Hämatom Das subdurale Hämatom (SDH) tritt gehäuft zwischen dem 6. und 8. Lebensjahrzehnt auf, wobei die Anamnese eines schweren Traumas fehlen kann. Das SDH ist meist venösen Ursprungs durch einen Einriss von Brückenvenen. Das Hämatom breitet sich im Subduralraum über größere Anteile der Hemisphäre aus und kann in Abhängigkeit von seiner Größe einen raumfordernden Effekt auf das Gehirn ausüben. CT-Befund: Das SDH zeigt sich als meist konkave hyperdense sichelförmige Zone. Blut im Interhemisphärenspalt, auf dem Tentorium sowie eine gewellte Begrenzung zur Hirnoberfläche sind Hinweise auf eine subdurale Hämatomlokalisation. Je nach Alter des subduralen Hämatoms kann dieses sich im CT auch hypodens oder hirnisodens präsentieren. Besonders die hirnisodensen Subduralhämatome werden häufig übersehen. Infolge einer Mittellinienverlagerung kann eine kontralaterale Blockade des Foramen Monroi auftreten, die zu einer Liquorzirkulationsstörung im Bereich der Seitenventrikel führt (. Abb. 48.3).
615 48.2 · Computertomographie
. Abb. 48.2a, b. Patient, 35 Jahre, Schädel-Hirn-Trauma vor 7 h. a CT nativ: typisch konfiguriertes Epiduralhämatom temporoparietal (Pfeil) und intrazerebraler Blutungsherd (*) links. b Schnittebene 3 cm tiefer: Zeichen der Raumforderung – Verlagerung und Kompression des Ventrikelsystems (Pfeil), Erweiterung des rechten Hinterhorns – Liquorabflussbehinderung (gefiederter Pfeil)
. Abb. 48.3 Patient, 68 Jahre, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, CT axial nativ. Subduralhämatom (schwarzer Pfeil) mit deutlich raumfordernder Wirkung, Metallartefakt durch Hirndrucksonde (weißer Pfeil)
. Abb. 48.4 Patientin, 53 Jahre, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, MRT axial, FLAIR. Nichthämorrhagische Kontusionsareale im Hirnstamm (schwarzer Pfeil) und am linken Temporalpol (weißer Pfeil)
48
616
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
48
Scherverletzung. Bei Einwirkung exzessiver Rotationskräfte auf das Gehirn treten durch multiple Risse entlang der Faserbündel sog. Scherverletzungen (»diffuse axonal injury«; DAI) auf. Diese sind typischerweise an der Kortex-Mark-Grenze, im Corpus callosum und an der dorsolateralen Zirkumferenz des oberen Hirnstamms lokalisiert [4]. CT: Petechiale Blutungen an der Kortex-Mark-Grenze und im Bereich des Corpus.
48 48 48
! Cave Nur 20–50% der Patienten weisen im initialen CT Abnormitäten auf.
48
Bei einer Diskrepanz zwischen Klinik und Bildgebung ist ein MRT indiziert, wobei das MRT-Erscheinungsbild der DAI vom Alter der Läsion und dem Vorhandensein einer Blutung abhängt [5]. Weniger als 30% der DAI sind hämorrhagisch und führen daher zu einer Unterschätzung des Verletzungsgrads im CT.
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Posttraumatisch. Posttraumatisch kann es auch zu Subarachnoidalblutungen (. Abb. 48.5a), Ventrikeleinblutungen, sekundärer Hirnstammblutung (Duret-Blutung) und zu einer ischämischen Infarzierung (Karotisdissektion, traumatischer Karotisverschluss) kommen.
48 48 48
Spätfolgen eines Hirntraumas
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48
. Abb. 48.5a, b Patient, 35 Jahre, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma. a CT axial nativ, traumatische Subarachnoidalblutung mit Blut in der präpontinen Zisterne (schwarze Pfeile) und im 4. Ventrikel (weißer Pfeil). b CT axial nativ, HR-Knochenfenster. Frakturlinie rechts okzipital paramedian (gefiederter Pfeil)
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Chronisch subdurales Hämatom. Hierbei handelt es sich um ein
48
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komplexes Krankheitsbild mit einer vielgestaltigen CT-Morphologie: Infolge von Resorptionsvorgängen, Granulationsgewebebildung, Flüssigkeitstransudation und Resorption entstehen computertomographisch unterschiedliche Bilder.
Hirnkontusion
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Fokales posttraumatisches Ödem. Infolge einer posttraumati-
schen Permeabilitätsstörung entsteht eine lokalisierte Flüssigkeitsansammlung (. Abb. 48.4). Im Gegensatz zum perifokalen Tumorödem erstreckt sich das traumatische Ödem jedoch auf Rinde und Basalganglien. Kontusionsblutung. Zumeist im Kortex und den subkortikalen
Regionen gelegen; häufiger sind sie an dem der Krafteinwirkung entgegengesetzten Seite (»contre-coup«) stärker ausgeprägt als an der direkten Stelle der Gewalteinwirkung.
Hier wurden ein aresorptiver Hydrozephalus bei Zustand nach Ventrikeleinblutung, fokale Hirnatrophie, posttraumatische Zysten oder umschriebene Substanzdefekte beschrieben. Eine seltene Komplikation bei Kindern ist die »wachsende Fraktur«, bei der sich die Dura in den Frakturspalt eingeklemmt hat und nachfolgend keine knöcherne Konsolidierung, sondern eine Verbreiterung des Frakturspalts eintritt. Im High-resolution- (HR-) Knochenfenster erlaubt die Computertomographie auch eine Beurteilung der ossären Strukturen (. Abb. 48.5b). An der Wirbelsäule kann mittels multiplanarer Rekonstruktion eine Aussage über die Stabilität einer Fraktur getroffen werden. Der posttraumatische Querschnitt stellt eine MRTIndikation dar.
48.2.2
Infarkt
Ischämischer Infarkt Traditionell wird der ischämische Hirninfarkt nach dem klinischen Verlauf in die Kategorien transitorisch ischämische Attacke (TIA), prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit (PRIND) und kompletter Insult unterteilt. Für die radiologische Diagnostik spielt diese Unterteilung eine nur untergeordnete Rolle. Bei der TIA ist nur in Ausnahmefällen ein CT-Befund nachweisbar. Kompletter Insult . Das CT galt jahrelang als wenig sensitiv in der Diagnostik des akuten ischämischen Hirninfarktes. Mit zunehmender Verbesserung der Technik und zunehmender Erfahrung in der Untersuchung akuter Insulte hat sich das CT jedoch in den letzten Jahren als recht zuverlässiges diagnostisches Verfahren in der Frühdiagnostik des akuten Schlaganfalls erwiesen 4 CT-Frühstadium: Im Frühstadium zeigt sich bei Verschlüssen der A. cerebri media häufig bereits nach 2 h eine Dichteminderung des Linsenkerns und eine fehlende Abgrenzbarkeit des Inselrinde (. Abb. 48.6). 4 CT-Akutstadium
617 48.2 · Computertomographie
. Abb. 48.6 Frischer embolischer Infarkt im Versorgungsgebiet der A. cerebri media rechts im Frühstadium. Der rechte Linsenkern ist im Vergleich zur Gegenseite dichtegemindert und nicht mehr abgrenzbar (Pfeil). Die äußeren Liquorräume sind im Vergleich zur Gegenseite rechts temporal gering eingeengt
! Cave Im Akutstadium zeigt sich das verschlossene Blutgefäß oftmals hyperdens (»hyperdense middle cerebral artery sign«; HCMS). Bei ausgedehnten Infarkten kommt es bereits früh zu einem Verstreichen der äußeren Liquorräume als Hinweis auf die Schwellung der Hemisphäre.
4 CT-Spätstadien: Die Dichte nimmt weiter ab, die Konturen werden scharf und im Gegensatz zu anderen hypodensen Prozessen entwickelt sich eine meist keilförmige Zone, die den Versorgungsgebieten der Hirnarterien entspricht (. Abb. 48.7). Nach intravenöser Kontastmittelgabe zeigt sich vom 12.–21. Tag eine gyral konfigurierte Schrankenstörung. Oft ist zu diesem Zeitpunkt das Infarktareal auf den nicht-kontrastangehobenen Bildern durch den sog. Fogging-Effekt nicht mehr nachweisbar. 4 CT-Endstadium (Monate/Jahre): Es zeigt sich eine scharf begrenzte liquorisodense Zone, die als Folge des Substanzdefektes mit einer Erweiterung der benachbarten Ventrikel (»evacuo«) kombiniert sein kann.
Zerebrale Mikroangiopathie Als Folge einer lange bestehenden Hypertonie kann es in den Basalganglien durch autochtone Thrombosen der kleinen perforierenden Arterien zu sog. lakunären Infarkten kommen. Diese sind nicht-embolischer Genese, sodass nach Durchführung eines CTs bei diesen Patienten nicht nach einer Emboliequelle (Herz, große supraaortale Gefäße) gesucht werden muss. Eine andere Manifestation der zerebralen Mikroangiopathie ist die sog subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE). Diese entsteht ebenfalls auf
. Abb. 48.7 Patient, 86 Jahre, Zustand nach Insult. Insult im Stromgebiet der A. cerebri posterior im chronischen Stadium (schwarzer Pfeil); subdurale Flüssigkeitslamelle links (Differenzialdiagnose: Hygrom, chronisches subdurales Hämatom; weißer Pfeil)
dem Boden einer Hypertonie und führt über die Lipophyalinose der langen penetrierenden Marklagerarterien zu einer vaskulären Demyelinisierung des Marklagers. Klinisch steht bei diesen Patienten häufig eine dementielle Entwicklung im Vordergrund.
Magnetresonanztomographie Mit konventioneller MR-Technik (T1- und T2-Spin-echo-Bildgebung) können akute Infarkte nicht besser als im CT diagnostiziert werden. Mit modernen MR-Techniken (Diffusions- und Perfusions-Bildgebung) sind die Infarkte jedoch in der Frühphase eindeutig besser als im CT abgrenzbar. Durch die Kombination dieser beiden Verfahren kann möglicherweise die sog. Penumbra (ischämischer Halbschatten) besser abgegrenzt werden. Durch die Kombination mit der Magnetresonanzangiographie (MRA), können auch Gefäßverschlüsse bzw. Stenosen der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Arterien schnell dargestellt werden [9].
Hämorrhagischer Infarkt Hämorrhagische Transformierungen bei embolischen Gefäßverschlüssen kommen nach neuropathologischen Untersuchungen bei bis zu 90% der Patienten vor. Durch die hohe Sensitivität des MRT für kleinere Einblutungen ist diese hämorrhagische Komponente im MRT ebenfalls fast immer nachweisbar. Klinische Konsequenzen aus diesem Nachweis ergeben sich jedoch gegenwärtig nicht. Größere Einblutungen sind auch im CT gut erkennbar. Je nach Größe der Einblutung spricht man edoch dann nicht mehr von einer hämorrhagischen Infarzierung, sondern von einem parenchymalen Hämatom. CT-Befund. Einblutungen in die Nekrosezone mit fleckiger Dich-
teerhöhung, besonders in der Peripherie der Infarktzone. Die Kombination einer überwiegend im zentralen Kortex lokalisierten
48
618
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
48.2.3
48
Blutung
Hirnmassenblutung Begünstigende Faktoren sind hypertone Arteriosklerose, Antikoagulanzientherapie, Angiitiden, Amyloidangiopathie, Tumorblutung, hämorrhagische Infarkte bei Embolien oder Sinusthrombosen. Das Blut kann in die Ventrikel oder den Subarachnoidalraum eindringen. Die Resorption der Blutung beginnt am Rand der Läsion. Als Residualzustand verbleibt oft ein spaltförmiger, glattwandiger Defekt; Verkalkungen sind selten. Folgende Lokalisationen werden beschrieben: 4 Stammganglienblutung (. Abb. 48.8); lateral im Bereich von Striatum/Claustrum (A. lenticulostriata); medial als Thalamusblutung häufig mit Ventrikeleinbruch, 4 Marklagerblutungen temporoparietal und frontal, 4 infratentorielle Blutungen: Pons und zerebellär.
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CT-Befund. Das frische Hämatom ist ein runder oder ovaler Herd
von homogen erhöhter Dichte (50–90 Houndsfield-Einheiten) und raumforderndem Effekt. Bei Einbruch in die Liquorräume sind die Ventrikel (Sedimentierung in den Hinterhörnern), die Interhemisphärenzisterne und die basalen Zisternen hämorrhagisch markiert. Ab dem 3.–4. Tag erfolgt die Ausbildung einer fokalen Ödemzone, ab dem 7. Tag bis zu mehreren Wochen kann nach Kontrastmittelgabe eine ringförmige Anfärbung auftreten.
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. Abb. 48.8 Raumfordernde hypertensive Stammganglienblutung rechts. Der rechte Seitenventrikel wird durch die Blutung fast vollständig komprimiert, die Mittellinie ist deutlich nach links verlagert
hyperdensen Zone und eines hypodensen angrenzenden Areals ist spezifisch für den hämorrhagischen Infarkt.
Venöser Infarkt –Sinusvenenthrombose
48
Bei einer Thrombose von Brückenvenen oder den großen venösen Sinus kann es zu einem venösen Stauungsinfarkt kommen. Zusätzlich liegen bei venösen Stauungsinfarkten fast immer kleinere Einblutungen vor. Nicht selten präsentiert sich die Sinusthombose primär als intrazerebrale Einblutung. Zur Diagnostik einer zerebralen Sinusvenenthrombose sollte die Computertomographie mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Die Spiral-CT-Technik mit intravenöser Kontrastmittelgabe und dreidimensionaler Rekonstruktion ermöglicht eine Angiographie-ähnliche Darstellung der großen Arterien und Venen. Mit der CT-Angiographie kann damit schnell und zuverlässig eine zerebrale Sinusvenenthrombose diagnostiziert werden. Auch die MR-Angiographie ermöglicht eine schnelle Diagnostik der Sinusvenenthrombose und sollte natürlich bei schwangeren Patientinnen als Untersuchungsmethode der Wahl eingesetzt werden.
48
CT-Befund. Ausgedehnte Ödemzonen, die ein inhomogenes fle-
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ckiges Enhancement aufweisen, und multiple kleine Blutungen, die bei der Thrombose des Sinus sagittalis superior meist bilateral parasagittal angeordnet sind. Gelegentlich kann die Thrombose der Blutleiter auf dem Nativscan als hyperdenser kalottennaher Streifen gesehen werden (»cord sign«). Als pathognomonisch gilt das sog. »empty triangle sign«, das Korrelat des kontrastmittelumspülten Thrombus im Sinus sagittalis superior.
Subarachnoidalblutung Ätiologie. Aneurysmen, Angiome, posttraumatisch (. Abb. 48.5a). Die Prädilektionstelle für Aneurysmen ist der Circulus arteriosus cerebri (Willisi). Blutungen aus rupturierten Aneurysmen tamponieren den Subarachnoidalraum, insbesondere die basalen Zisternen. Die Blutung kann sich in das Hirnparenchym wühlen und in das Ventrikelsystem einbrechen. Kleine Aneurysmen sind in der Regel im CT nicht sichtbar – die definitive Diagnose muss mittels Angiographie gestellt werden. Mögliche Komplikationen können ein vasospastischer Insult oder ein aresorptiver Hydrozephalus sein. > Der sichere Ausschluss einer Subarachnoidalblutung ist letztlich nur mittels Liquorpunktion möglich, nicht aber radiologisch.
48.2.4
Postoperative Veränderungen
Aufgrund der hohen Sensitivität für Hämatome ist die Beurteilung des postoperativen Situs eine Domäne der Computertomographie. Gut beurteilbar ist die Trepanationsstelle (osteoplastisch oder osteoklastisch), wobei das Trepanat regulär im Niveau der umgebenden Kalotte liegen sollte. Postoperative Substanzdefekte im Operationsgebiet, intrakranielle Luftansammlungen und Ödeme sind im Verlauf gut beurteilbar. Aufgrund der Blut-Hirn-Schranken-Störung, die ihr Maximum erst nach etwa 48 h erreicht, ist postoperativ ein kontrastmittelverstärktes CT mit der Fragestellung »Resttumor?« nur innerhalb dieses Zeitfensters sinnvoll. Zu den wichtigsten postoperativen Komplikationen gehören epidurale, subdurale und intrazerebrale Hämatome, Ödeme, Liquorzirkulationsstörungen, Infarkte, subdurale Empyeme und Abszesse.
619 48.2 · Computertomographie
. Abb. 48.9 Patient, 34 Jahre, unklares Koma, CT axial nativ. Hämorrhagische (schwarzer Pfeil) Herpesenzephalitis rechts temporal, Kompression des Vorderhorns des rechten Seitenventrikels (weißer Pfeil)
48.2.5
Entzündliche Erkrankungen
Bei entzündlichen oder infektiösen Veränderungen des ZNS sollte ein CT vor und nach Kontrastmittelgabe durchgeführt werden, um pathologische Kontrastmittelanreicherungen nachzuweisen. Eine Trennung von Meningitis und Enzephalitis ist nur selten möglich, da fast immer beide Kompartimente beteiligt sind. Die Meningitis ist die häufigste Form der ZNS-Infektion. Ätiologie: akute pyogene Meningitis (meistens bakteriell), lymphozytäre Meningitis (viral), chronische Meningitis (Tuberkulose) [7]).
. Abb. 48.10 Patient, 32 Jahre, Zustand nach Sinusitis, CT axial nach Kontrastmittelgabe: sinugener Hirnabszess mit Abszessmembran (schwarzer Pfeil) und subduralem Empyem (weißer Pfeil)
CT-Befund. Insbesondere bei der Herpes-simplex-Enzephalitis
(HSE) in der Frühphase normal. Subtile Hypodensitäten mit diskret raumfordernder Wirkung können im Temporallappenbereich auftreten. Hämorrhagien sind ein guter Hinweis auf eine HSE, treten jedoch in der Frühphase nur selten auf (. Abb. 48.9). Im kontrastmittelverstärkten CT: fleckiges oder gyriformes Enhancement möglich. > Die akute nekrotisierende Herpesenzephalitis ist eine MRT-Indikation.
Meningitis
Hirnabszess
In den meisten Fällen ist der CT-Befund negativ. Geringe Dilatation der Ventrikel und des Subarachnoidalraums sind unspezifische Frühzeichen. Weniger als 50% eines Kollektivs pädiatrischer Patienten mit dokumentierter Meningitis zeigten ein meningeales Enhancement im kontrastmittelverstärkten CT [2]. Das abnorme Enhancement der Meningen zeigt sich viel deutlicher im MRT als im CT. Nach Lumbalpunktion ist ein solches Enhancement der Meningen allerdings nicht verwertbar, da es hier in etwa 10–15% der Fälle auftritt, ohne dass eine Meningitis vorliegt.
Ätiologie. Häufig durch offene Schädelfrakturen sowie per con-
> In der Frühphase einer Meningitis sollte die Magnetresonanztomographie als bildgebendes Verfahren eingesetzt werden.
eine unspezifische Ödemzone ohne eindeutige Kontrastmittelaufnahme, später dann – nach Ausbildung einer Abszessmembran – ein hypodenser Herd, der nach Kontrastmittelinjektion ein ringförmiges Enhancement aufweist (. Abb. 48.10). Als Differenzialdiagnose zu einem zentral nekrotischen Primärtumor gelten folgende Hinweise: 4 Die Kontrastmittel aufnehmende Zone ist maximal 3–6 mm breit. 4 In etwa der Hälfte der Fälle ist sie medial geringfügig dünner infolge der schlechteren Vaskularisation des Marklagers.
Enzephalitis Ätiologie. Zumeist viral (Herpes simplex Typ 1 und 2); bei immun-
supprimierten Patienten viral: HIV, Zytomegalie; nichtviral: Toxoplasmose.
tinuitatem (Sinusitis, Osteomyelitis) und hämatogen (z. B. bei Endokarditis). In der Abszessentwicklung ist ein stadienhafter Ablauf bekannt, der über eine frühe und späte fokale Enzephalitis (engl.: »cerebritis«) zur frühen Abszessmembranentwicklung (2 Wochen) bis zur späten Abszessformation führt. Multiple Abszesse sind – außer bei immungeschwächten Patienten – selten. CT-Befund. In den Frühstadien (»cerebritis«) zeigt sich lediglich
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620
48 48
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Epidurale Abszesse entstehen meist postoperativ, subdurale Empyeme bei offenen Hirnverletzungen oder per continuitatem, wobei die Abgrenzung zum chronischen Subduralhämatom mitunter schwierig ist.
48
48.2.6
48
Ein Hirnödem stellt sich im CT als Zone verminderter Dichte (hypodens) dar. Raumforderungszeichen wie eine verstrichene Hirnfurchenzeichnung, enge basale Zisternen, eine Kompression der inneren Liquorräume und evtl. eine Verlagerung der Mittellinienstrukturen (Interhemisphärenspalt, Falx, Septum pellucidum, III. Ventrikel) lassen sich mit der Computertomographie ebenso sicher erkennen wie eine Liquorabflussblockade (Hydrocephalus occlusus).
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48.3
Hirnödem
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie (MRT) bietet einen ausgezeichneten Weichteilkontrast, die Möglichkeit der multiplanaren Bilderzeugung und benötigt keine Röntgenstrahlen. Die langen Untersuchungszeiten, die Anfälligkeit gegenüber Bewegungsartefakten und die schlechte oder nur eingeschränkte Möglichkeit der Patientenüberwachung gehören zu den Nachteilen des Verfahrens. Im Einzelfall sind die zu erwartenden Informationen aus der MRUntersuchung und die Belastung für den Patienten (Transport, Untersuchung in Narkose) gegeneinander abzuwägen. Weiterhin ist eine Ausrüstung der MR-Einheit mit entsprechenden nicht-ferromagnetischen Überwachungsgeräten notwendig. Technik. Die Bildgebung basiert auf der Interaktion zwischen
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hochfrequenten elektromagnetischen Wellen und den Protonen der Wasser- und Fettbestandteile im Körper in Gegenwart eines starken Magnetfelds (in der Routine bis 1,5 Tesla). Im Gegensatz zur Computertomographie werden somit keine ionisierenden Strahlen verwendet. Die Bildgebung ist in allen Ebenen des Raumes frei wählbar. Kontraindikationen. Herzschrittmacher, bestimmte Herzklappen,
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intrakorporale metallische Fremdkörper, z. B. Cochleaimplantate und verschiedene Pumpen; relative Kontraindikation: klaustrophobische Patienten (evtl. Sedierung erforderlich).
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48.3.1
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Koma ungeklärter Genese
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Insbesondere zum Ausschluss einer Enzephalitis: Bei Herpesenzephalitiden sind alle anderen Untersuchungen einschließlich des Liquorbefunds innerhalb der ersten 24–72 h u. U. negativ.
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MRT-Befund. Innerhalb dieses diagnostischen Fensters zeigt sich
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MRT-Akutindikationen beim Intensivpatienten
in T2-gewichteten Sequenzen und in Sequenzen mit zusätzlicher Unterdrückung des Signals freier Wasserstoffprotonen (z. B. »fluid attenuated inversion recovery«; FLAIR) eine mediotemporale Hyperintensität (. Abb. 48.11), die sich später auf die frontalen Hirnregionen, die weiteren temporalen Anteile und die Gegenseite ausdehnen kann. Andere Meningoenzephalitiden manifestieren sich in Form intrazerebraler, auf T2-gewichteten Sequenzen und auf der FLAIR-Sequenz hyperintenser Läsionen, die kein vaskuläres Ver-
. Abb. 48.11 Patient, 39 Jahre, MRT axial, T2-gewichtete Turbospinechosequenz. Herpesenzephalitis rechts temporal (Pfeil)
teilungsmuster aufweisen. Gelegentlich zeigt sich eine Anfärbung der Meningen.
Hirnstammläsionen Diese Region ist schädelbasisnah im CT aufgrund von Aufhärtungsartefakten der Knochenstrukturen nur eingeschränkt beurteilbar. Ätiologie. Vaskuläre (ischämischer Infarkt, venöse Infarzierung), entzündliche, blastomatöse (am häufigsten Tumoren der Gliomreihe) oder toxische Genese (zentrale pontine Myelinolyse). Zentrale pontine Myelinolyse. Diese entsteht nicht nur bei Patienten mit lange bestehender chronischer Intoxikation (Alkohol), sondern auch vermehrt als Komplikation einer zu raschen Veränderung (meist »Korrektur«) des Natriumgehalts durch osmotische Demyelinisierung. Zu den seltenen Ursachen gehören Leukodystrophien, Hydrocarbon, Ciclosporin, Methotrexat und Bestrahlung. MRT-Befund. Zentrale Signalveränderung im Hirnstamm mit erhaltenem peripherem Parenchymsaum.
Hirnvenenthrombosen Hier ist die Durchführung einer CT- oder MR-Angiographie hilfreich. Im Gegensatz zur konventionellen Angiographie können mit beiden Verfahren während einer Sitzung sowohl die Hirngefäße als auch das Hirnparenchym beurteilt werden.
Meningeosis carcinomatosa Die meningeale Tumorabsiedlung ist kernspintomographisch mit höherer Sensitivität zu erfassen als computertomographisch.
621 48.6 · Neurosonographie
MRT-Befund. Kontinuierliches oder noduläres Enhancement der
Anwendung. Bisher hat sich die Mehrzahl der Studien mit der
Meningen.
Messung des zerebralen Blutflusses durch SPECT mittels 99mTcHMPAO (de la Riva 1992) und der Messung der regionalen zerebralen Metabolisationsrate von Glukose durch PET mittels 18F-gekoppelter Fluordesoxyglukose als Radiotracer befasst [10]. Mit SPECT können nach Schädel-Hirn-Trauma im Vergleich zur strukturellen Bildgebung (CT, MRT) Ausmaß und Schweregrad der zerebralen Veränderungen besser beurteilt werden, wobei auch eine gute Korrelation zwischen neurologischen Ausfällen und Gehirndysfunktionen besteht [11].
> Bei negativem MRT sollte eine Liquorpunktion durchgeführt werden, da sie wesentlich sensitiver ist!
Älteres Schädel-Hirn-Trauma Besonders bei einer Diskrepanz zwischen klinischem Bild und negativem CT-Befund (z. B. bei einem apallischen Syndrom) kann die Kernspintomographie häufig die morphologische Ursache klären. Oft finden sich Zeichen eines diffusen Axonschadens in Form von Hyperintensitäten im Parenchym und im Balken auf T2-gewichteten Sequenzen. Weiterhin sind Härnosiderinreste auf für Blutabbauprodukte empfindlichen Gradientenechosequenzen darstellbar. Liquorpulsationen können mit nichtinvasiven Maßnahmen (besondere MR-Sequenzen) sowohl qualitativ als auch quantitativ dargestellt werden. Dies ist bei der Abklärung eines posttraumatischen Hydrocephalus internus von Bedeutung.
48.3.2
Spinale MRT-Indikationen beim Intensivpatienten
Akutes Querschnittsyndrom Das akute Querschnittsyndrom ist eine der wenigen Notfallindikationen für eine MRT-Untersuchung. Der MR-Befund ermöglicht häufig die sichere Differenzialdiagnose zwischen entzündlichen vaskulären oder traumatischen Ursachen des Querschnittsyndroms. Vorsicht ist geboten bei akuten epi- oder subduralen spinalen Hämatomen, diese können in der üblichen Spin-Echo-Technik übersehen werden. Empfehlenswert ist daher, immer sog. Gradienten-Echos durchzuführen, um diese seltenen Ursachen einer Querschnittlähmung nicht zu übersehen. Eine Myelographie zur Primärdiagnostik einer akuten Querschnittlähmung ist heute nur in Ausnahmefällen indiziert.
48.4
Angiographie, digitale Subtraktionsangiographie, MR-Angiographie
Die konventionelle zerebrale Angiographie spielt beim Intensivpatienten nur eine untergeordnete Rolle und ist auf wenige Indikationen, wie z. B. eine intraarterielle thrombolytische Therapie beim akutem Gefäßverschluss oder die Aneurysmasuche bei akuter Subarachnoidalblutung, beschränkt. Die Darstellung der supraaortalen Gefäße erfolgt dabei über einen transfemoralen Zugang in Kathetertechnik [6, 13].
48.5
PET und SPECT
Die Positronenemissionstomographie ist ein bildgebendes Verfahren, das in vivo eine Beurteilung des Stoffwechsels und anderer physiologischer Parameter erlaubt. Technik. Es erfolgt eine intravenöse Injektion von mit Positronen
emittierenden Nukliden gekoppelten Radiotracern. Durch den Positronenzerfall erfolgt die Emission von γ-Photonen, die zur Bilddarstellung verwendet werden. Die Bilder reflektieren somit die quantitative In-vivo-Verteilung von Radionukliden.
48.6
Neurosonographie W. Müllges
Die Fortschritte moderner neurologischer Ultraschalldiagnostik haben in den letzten Jahren das ursprüngliche Anwendungsgebiet der Dopplersonographie, die Diagnostik von arteriellen Stenosen oder Verschlüssen extra- und intrakranieller Gefäße, erheblich erweitert. Die Duplexsonographie lässt häufig das morphologische Korrelat zu auffälligen Audiosignalen sicherer klassifizieren, Ultraschallkontrastmittel erlaubt den positiv sicheren Nachweis eines intrakraniellen Arterienverschlusses oder die Darstellung von intrazerebralen Sinus und großen Venen; die B-Bild-Sonographie ermöglicht die Darstellung einiger krankhafter Veränderungen des Hirnparenchyms einerseits und andererseits die Darstellung von peripheren Nerven und von Muskelveränderungen. Transkranielles Monitoring dient der (Verlaufs-)Beurteilung zur Therapieführung relevanter funktioneller Störungen der Hirndurchblutung und damit indirekt auch des intrakraniellen Drucks.
48.6.1
Stellenwert der Neurosonographie
Unübertreffliche Vorteile der sonographischen Untersuchungsverfahren liegen neben der Nichtinvasivität in der raschen und einfachen Verfügbarkeit und damit auch Wiederholbarkeit (Verlaufsuntersuchung) am Patientenbett, was kritisch Kranken risikobehaftete Transporte mit zugleich hohem personellem Aufwand bei den Umlagerungen zu anderen bildgebenden Untersuchungsverfahren wie CT (mit Strahlenbelastung) und MRT (mit den Überwachungsrisiken) oder invasive Untersuchungen wie Arteriographie ersparen kann. Die Konkurrenz der Methoden ist bezüglich Befundspezifität und -sensitivität unterschiedlich gut evaluiert. Letztlich zählt beim Methodenvergleich die Qualität in der eigenen Klinik und nicht die aus Studien. Im Folgenden werden Ultraschallindikationen vorgestellt und ihre Grenzen kritisch beleuchtet. Einzigartig sind die Möglichkeiten des Ultraschallmonitorings sowohl bezüglich Hämodynamik wie auch Embolien. Zuletzt sollte man bedenken, dass Ultraschalldiagnostik gegenüber allen anderen Verfahren einen ganz erheblichen Kostenvorteil hat. Der wesentliche Nachteil ist, dass die Untersuchungsergebnisse von der Expertise des Untersuchers abhängen, die in der Regel nur durch eine systematische längere Ausbildung mit Hunderten von kontrollierten Befunden erworben werden kann. Die höchsten Anforderungen an die Erfahrung und Befundungssicherheit stellt zweifellos die extrakranielle Dopplersonographie mit den kleinen, leicht transportablen Geräten dar. Wenn dies die einzig verfügbare Technik ist, wird häufig ein radiologisches Verfahren ergänzend notwendig für die Diagnosesicherung.
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Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Dagegen ist die konventionelle transkranielle Dopplersonographie mitsamt des Monitorings sehr rasch und sehr sicher erlernbar; hier stellt die intellektuelle Befundinterpretation erfahrungsgemäß oft das größere Problem dar. Viel einfacher, aber an ein erheblich aufwendigeres und größeres Gerät gebunden, ist die Duplexsonographie, also Kombination von B-Bild- und Dopplertechnik, weil die visuelle Kontrolle der beschallten Struktur die Interpretation des Audiosignals erleichtert. Die Nervensonographie erfordert eine eigene konsequente Ausbildung und v. a. sehr solide anatomische Kenntnisse. Letztlich profitieren Patienten und Intensivstationen dann von der Neurosonographie, wenn Untersucher vorhanden sind, die die Grenzen der Methodik einerseits und andererseits ebenso gut ihre eigenen Grenzen kennen, die sich im Zuge gewonnener Untersuchungserfahrung und Qualitätskontrolle anhand konkurrierender Untersuchungsmethoden immer weiter in Richtung hoher Spezifität und Sensitivität hinausschieben werden. Auf jeder Intensivstation sollte heute eine extrakranielle Ultraschallgefäßdiagnostik jederzeit kompetent verfügbar sein, transkranielle Dopplersonographie gehört zwingend in die Behandlung von Patienten mit Subarachnoidalblutungen. Alle anderen im Folgenden dargestellten Ultraschallmöglichkeiten stellen aktuell noch Merkmale für eine elegante hervorgehobene intensivmedizinische Versorgungsqualität nicht nur auf dem Neurofachgebiet dar.
48
48.6.2
48
Untersuchung
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Arterielle Stenosen und Verschlüsse
Der größte Zeitdruck darf nicht dazu führen, sich bei der ersten Untersuchung auf einzelne Arterien von Interesse zu beschränken. Eine isolierte Betrachtung intrakranieller Gefäße beispielsweise kann zu gravierenden Fehlbewertungen und konsekutiven Fehlern im Therapiekonzept führen, wenn extrakranielle Läsionen übersehen wurden. Ultraschalldiagnostik ist aber stets insgesamt weniger zeitaufwendig als radiologische Gefäßdiagnostik. > Um Fehlbeurteilungen zu vermeiden, muss die Basisuntersuchung stets vollständig in standardisierter Reihenfolge im Seitenvergleich durchgeführt werden mit Dokumentation der Dopplerpulskurven von allen repräsentativen extra- und intrakraniellen Gefäßabschnitten.
bedingungen vorliegen (z. B. »Knickstenose«, Gefäßwandhämatom, Überlagerungen durch Jugulariskatheter oder Verletzungen). Supratentorielle Arterien. Die Untersuchung der supratentoriellen Arterien erfolgt durch das temporale Schallfenster, das sich vor und oberhalb des Tragus befindet. Bei ca. 10% der Erwachsenen verhindert der Knochen die Beschallbarkeit der Arterien. Dann ist die i.v.-Gabe von lungengängigem Ultraschallkontrastmittel in der Regel hilfreich. Dokumentiert werden die Flusssignale der proximalen Abschnitte der Aa. cerebri media, anterior und posterior. Infratentorielle Arterien. Die infratentoriellen distalen Segmente der A. vertebralis und die A. basilaris werden vorzugsweise über einen nuchalen Zugang aufgesucht, wozu der Patient in der Regel aber auf die Seite gedreht werden muss. Bei der transkraniellen Untersuchung ist die Duplex- gegenüber der Dopplersonographie insgesamt nur überlegen, wenn Unsicherheiten bei der anatomischen Gefäßzuordnung zum Audiosignal bestehen.
Indikation zur Untersuchung Der Verschluss einer hirneigenen Arterie führt zu einem ischämischen Hirninfarkt in ihrem Versorgungsgebiet. Stenose oder Verschluss einer extrakraniellen A. carotis interna oder A. vertebralis kann durch Embolie zu einem Territorialinfarkt durch sekundären Verschluss einer hirneigenen Arterie oder durch poststenotisch kritische Abnahme des Blutflusses zu einem hämodynamischen Endstrom- oder Grenzzoneninfarkt führen. Die Indikation zur Untersuchung ergibt sich daher 4 bei jedem Hirninfarkt bzw. bei neu akut aufgetretenen zentralen fokalen neurologischen Ausfällen, sei es, dass dies zur Aufnahme führte, oder sei es im intensivmedizinischen Behandlungsverlauf, insbesondere, wenn embolisierende Herzerkrankungen oder prothrombotische Gerinnungsstörungen (Sepsis) oder Thoraxtrauma vorliegen, 4 bei jedem Patienten, bei dem eine Verletzung hirnversorgender Halsgefäße naheliegend erscheint, z. B. Schädelbasisfraktur, Unfallmechanismus mit Halswirbelsäulenschleudertrauma (mit oder ohne Halswirbelfraktur), insbesondere wenn der Patient klinisch z. B. wegen einer Intubation nicht beurteilbar ist, 4 bei Patienten mit unklarem Koma (vertebrobasilärer Verschluss).
Befunde
Extrakranielle Gefäße. Die extrakraniellen Gefäße werden am
Stenose. Stenosen erkennt man an einer Erhöhung der Blutfluss-
günstigsten sitzend vom Kopfende des auf dem Rücken liegenden Patienten aus untersucht. Zum Screening ist ein Laptop-Dopplergerät in der Regel ausreichend. Üblicherweise wird zunächst die A. carotis communis am vorderen Rand des M. sternocleidomastoideus aufgesucht, dann werden die Dopplersignale des Blutflusses kontinuierlich nach kranialwärts verfolgt und die A. carotis interna (ACI) und externa voneinander differenziert. Die supratrochleären Arterien brauchen obligat nur untersucht zu werden, wenn eine sehr hochgradige Läsion der ACI vorliegt, um eine Aussage über die intrakranielle Kollateralisierung zu erlauben. Sodann wird die A. subclavia in der Klavikulargrube aufgesucht. Mittels 4-MHz-Dopplersonde wird weiters die A. vertebralis am Abgang aus der A. subclavia und submastoidal an der Atlasschleife beschallt, während mit der Duplexsonographie die Beschallung der transforaminalen Vertebralarteriensegmente möglich ist. Wie gut sich der Vertebralarterienabgang in der Duplexsonographie darstellen lässt, hängt auch von der Sondenkonfiguration ab. Die Duplexsonographie ist v. a. dann überlegen, wenn morphologische Sonder-
geschwindigkeit und einem steileren Anstieg des systolischen Pulskurvenanteils und auch am Auftreten von Dopplerfrequenzirregularitäten (»Turbulenzen«) beim Passieren einer umschriebenen Engstelle, wobei die Zunahme der Flussgeschwindigkeit mit dem Stenosegrad korreliert. Dopplersonographisch sind Stenosen ab 60% Einengung erkennbar, duplexsonographisch auch geringgradigere, die ohne Erhöhung der maximalen Frequenzen einhergehen. Die Vorteile der Duplexsonographie liegen in der Differenzierung der Stenosemorphologie, was z. B. eine atherosklerotische Läsion von einer Gefäßdissektion unterscheiden lässt, und in der korrekten Interpretation von Flussbeschleunigungen aufgrund eines abknickenden Gefäßverlaufs (Korrektur des dopplersonographischen Winkelfehlers). Entzieht sich eine relevante Stenose aus technischen oder anatomischen Gründen der unmittelbaren Beschallbarkeit, dann lässt sie sich in der Regel auch anhand indirekter Kriterien entdecken: 4 direkt: 5 umschriebene Beschleunigung der maximalen Blutflussgeschwindigkeit,
623 48.6 · Neurosonographie
a
b
. Abb. 48.12 Akuter Verschluss der von temporal beschallten A. cerebri media. In dieser axialen Schnittebene liegt der Circulus Willisi. Man erkennt den Gefäßabbruch nach Zuschalten der Farbkodierung von Flusssignalen und im Dopplermodus am »Widerstandsprofil« (a). Vergleiche dazu 30 min später während intravenöser Thrombolyse mit r-tPA (b). Jetzt stellt sich die A. cerebri media sowohl im Farb- wie im Dopplermodus als rekanalisiert dar.
5 intra- und unmittelbar poststenotische Strömungsstörungen; 4 indirekt: 5 Zunahme der prästenostischen Pulsatilität, 5 Abnahme der poststenotischen Pulsatilität, 5 Abnahme der poststenotischen gegenüber der prästenotischen maximalen Flussgeschwindigkeit, 5 poststenotische Ablösungsturbulenzen, 5 kompensatorischer Anstieg der Flussgeschwindigkeit in anderen, zur Kollateralversorgung dienenden Halsgefäßen, 5 Umkehr der Flussrichtung in als Kollateralen dienenden Gefäßen (extrakraniell supratrochleäre Arterien, intrakraniell Circulus Willisi). Die Sensitivität und Spezifität der Sonographie bei der Aufdeckung und Graduierung von extra- und intrakraniellen Gefäßstenosen liegen bei uns jeweils deutlich über 95%. Gefäßverschluss. Schwieriger ist der therapeutisch Weichen stel-
lende Nachweis eines Gefäßverschlusses mittels Dopplersonographie. Zwar findet sich unmittelbar proximal des Verschlusses ein sog. Widerstandssignal (kurz, nur frühsystolisch, bidirektional), aber wenn distal kein Flusssignal auffindbar ist, kann das auch daran liegen, dass sich ein filiformes Restlumen mit entsprechend niedrigem poststenotischem Fluss der Auffindbarkeit entzieht (»Pseudookklusion«). Dies kann die Duplexsonographie sicherer aufdecken (. Abb. 48.12a). Andererseits kann bei weiter distal vom beschallten Gebiet liegendem Gefäßverschluss proximal ein diastolischer Flussanteil erhalten bleiben, weil zwischen Beschallungsort und Verschluss kleine Gefäße abgehen und noch durchblutet werden. Typisches Beispiel ist der Verschluss der A. basilaris mit Restfluss in den proximaler abgehenden Kleinhirnarterien, sodass das Pulsprofil in den Vertebralarterien zwar niedrigamplitudig und systolisch steiler ist, aber noch diastolische Flussanteile aufweist (. Abb. 48.13a). Bei dem Verschluss einer großen intrakraniellen Arterie erhöht die i.v.Gabe von lungengängigem Ultraschallkontrastmittel die Diagnosesicherheit. Kann die Ultraschalldiagnostik trotz Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten (. Abb. 48.13b) eine Basilaristhrombose (z. B. als Ursache eines sonst unerklärlichen Komas) nicht sicher ausschließen, was bei kompetentem Untersucher selten und dann anatomisch bedingt
ist, so muss unbedingt eine weitere nichtinvasive oder invasive Gefäßdiagnostik (. Abb. 48.13c) angeschlossen werden. Ist eine hirnversorgende Halsarterie hochgradig stenosiert oder verschlossen, dann kommt es in der Regel zu einer kompensatorischen Flusserhöhung in einem oder mehreren anderen extrakraniellen Gefäßen, um eine intrakranielle Kollateralisierung über die supratrochleären Arterien/A. ophthalmica und/oder den Circulus Willisi zu gewährleisten, der sich transkraniell darstellen lässt. Ein typischer Fallstrick ist z. B. eine einseitig verschlossene A. carotis interna mit kontralateraler Stenose und intrakraniellem Crossfilling zur Seite des Verschlusses, was eine sehr hohe Strömungsgeschwindigkeit auf der stenotischen Seite und damit eine Überschätzung des Stenosegrades im Doppler bewirkt. Dies klärt die B-Bild-Morphologie im Duplex, ergänzt durch die Möglichkeit, das erhöhte Blutflussvolumen distal der Karotisstenose zu messen (7 Abschn. 48.6.4). Konventionelle Doppler- und Duplexsonographie lassen sich auch einsetzen zum sequenziellen Monitoring okkludierender arterieller Läsionen. Beispiele sind die Überprüfung der Rekanalisierung während i.v.-Thrombolyse (. Abb. 48.12), Auswirkung einer notwendigen Karotisokklusion (z. B. bei Glomustumor) auf die abhängige Hirnhemisphäre oder Dokumentation der initial oft rasch wechselnden Befunde bei einer Dissektion.
48.6.3
Vasospasmen
Seitdem rupturierte intrakranielle Aneurysmen (Subarachnoidalblutung) früh und auch bei Schwerstbetroffenen mittels Coils verschlossen werden, stellen die vom 3.–14. Tag eintretenden Vasospasmen den Hauptanlass zur immer noch hohen Letalität und
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Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
. Abb. 48.13 Akutes Koma mit unauffälligem kranialem CT und beidseits positivem Babinski-Zeichen. a Mit der konventionellen Dopplersonographie wurde sofort am Krankenbett an der extrakraniellen Atlasschleife der Vertebralarterie beidseits mit der extrakraniellen 4-MHzSonde (17+3 mm Empfangstiefe) ein Widerstandsprofil mit geringem diastolischem Restfluss dargestellt als Zeichen eines distalen sehr hochgradigen Abflusswiderstands. In der oberen Zeile dann Beschallung mit der transkraniellen 2-MHz-Sonde in einer Schalltiefe ab Nacken von 75+5 mm, wo die distale Vertebralarterie zu suchen ist; hier »perfektes« Widerstandsprofil. Damit steht die Diagnose eines Basilararterienverschlusses fest, und eine i.v.-Lysebehandlung wurde eingeleitet. b Die bereits am Arteriographietisch durchgeführte farbkodierte Duplexsonographie illustriert, dass der Basilarisverschluss an der Spitze des Gefäßes lokalisiert ist. Zur Erleichterung des Betrachters Bildkippung um 180°. Vom Nacken her (unten) Darstellung der beiden Vertebralarterien ab der Atlasschleife, die sich dann zur A. basilaris vereinigen. Dieser fehlt der Anschluss an den im vorliegenden Fall ungewöhnlich komplett vom Nacken her darstellbaren Circulus Willisi mit den seitlich abgehenden Aa. cerebri posteriores und mediae sowie weiter frontalwärts der beiden Aa. cerebri anteriores. c Die selektive Arteriographie beweist als Goldstandard den Basilarisspitzenverschluss endgültig; sie wurde hier einzig eingesetzt zur superselektiven arteriellen Thrombolyse
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Morbidität durch Entstehung regionaler oder globaler Ischämien des Gehirns dar. Solche sekundären Infarkte können durch Ballonangioplastie häufiger verhütet werden. Dies setzt eine dopplersonographische Früherkennung bedrohlicher Vasospasmen voraus. Gleiches gilt bei den seltenen anderen Ursachen von Vasospasmen wie z. B. Einnahme bestimmter Designerdrogen. > Transkranielles dopplersonographisches Monitoring muss jeder beherrschen, der Patienten mit akuter Subarachnoidalblutung behandelt.
Vasospasmen erkennt der Doppler als multiple längerstreckige Gefäßhauptstammstenosen, die sich von Stunde zu Stunde verändern. Eine Untersuchung pro Arbeitsschicht ist also obligat. Technisch bedingt können Spasmen in den kleinen kortikalen Gefäßen nicht erkannt werden. Die Zunahme der mittleren Blutflussgeschwindigkeit von normal 35–55 auf >200 cm/s (>80% Stenose) ist indikativ für einen drohenden Hirninfarkt. Allerdings machen pathologische Begleitumstände wie Hirnschwellung und abnormer Perfusionsdruck wie auch Winkelfehler (dieser Fehler ist im Duplex ausgeschaltet) bei unterschiedlichen Untersuchern im Schichtdienst diesen Cut-off-Messwert einerseits etwas unsicher, andererseits liegt diese Grenze so hoch, dass sie als Warnzeichen für eine Intervention meist zu spät kommt.
Eine Verbesserung der Sensitivität wurde versucht durch Einbeziehung des peripheren Gefäßwiderstands 4 Pulsatilitätsindex PI = (systolische – diastolische Flussgeschwindigkeit): mittlere Flussgeschwindigkeit oder des Lindegaard-Index 4 mittlere Flussgeschwindigkeit in der A. cerebri media – mittlere Flussgeschwindigkeit in der A. carotis interna (Letztere stark untersucherabhängig; >3,6= moderate Spasmen, >6= schwere Spasmen).
Letztlich hat sich die schlichte Dokumentation der mittleren Flussgeschwindigkeit in den großen Hirnarterien durchgesetzt, wobei die sichersten Aussagen für die A. cerebri media getroffen werden können, weil deren Beschallung am wenigsten untersucherund winkelabhängig ist. Eine mittlere Flussgeschwindigkeit dort >120 cm/s spricht für eine manifeste Stenose, >160 cm/s für einen imminenten ischämischen Insult, v. a. wenn gestützt durch eine Zunahme >50 cm/s im Zeitverlauf. Dies ist der richtige Moment, weitere Untersuchungen wie ein Parenchym-Perfusions-CT oder gleich eine Ballonangioplastie zu indizieren und dadurch einem komplizierenden Schlaganfall vorzubeugen.
48.6.4
Regionale und globale Hirnperfusion
Da die transkranielle Doppler- und Duplexsonographie nur die Flussgeschwindigkeiten und Pulskurven der wenigen großen hirneigenen Gefäße misst, ist der Wunsch nach einer direkten Darstellung der Hirngewebsperfusion eine Überforderung der Methode.
625 48.6 · Neurosonographie
Dennoch ist die Ultraschalluntersuchung auch bei dieser Fragestellung sinnvoll, denn einerseits gibt es indirekte Hinweise auf bedrohliche Veränderungen, andererseits haben alle möglicherweise als Konkurrenz angesehenen Methoden des Neuromonitorings auch ihre Grenzen. Nahinfrarot-Spektroskopie und Gewebs-pO2-Sonden messen nur lokal, und sensitive Grenzwerte sind nicht etabliert; die jugularvenöse O2-Sättigungsmessung misst nur einen globalen hemisphärischen Wert, und die Messung ist extrem artefaktbehaftet; HMPAO-SPECT erlaubt nur semiquantitative Aussagen; beim Diffusions-Perfusions-MRT fehlen eindeutige Grenzwerte; XenonCT und PET sind nicht allgemein verfügbar und/oder nicht beliebig wiederholbar. Grundsätzlich ist zur Interpretation von Ultraschallmessungen bei dieser Fragestellung zu bedenken, dass sowohl eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks (7 Abschn. 48.6.5) als auch der pH-Wert im Blut intrakranielle Flussgeschwindigkeiten und Pulsprofile in den großen Gefäßen verändern. Ein sinkender pH-Wert (bei hypoventilatorisch steigendem paCO2) lässt kleine kortikal-leptomeningeale Gefäße dilatieren und vice versa. Diese Verbesserung der kortikalen Durchblutung lässt die Gesamtperfusion ansteigen, und die Pulskurve verändert sich durch Zunahme des diastolischen Flussanteils, sodass die mittels Doppler verlässlich messbare mittlere Flussgeschwindigkeit in den Arterienhauptstämmen zunimmt. Globale Hypoperfusion. Der Prototyp einer regionalen Hypo-
perfusion entwickelt sich im abhängigen Versorgungsgebiet einer vorgeschalteten okkludierenden Arterienläsion. Bedrohlichkeit zur Entwicklung eines »hämodynamischen« Hirninfarkts wird allgemein dann angenommen, wenn 4 die poststenotische Flussgeschwindigkeit unter den Normalbereich fällt und/oder 4 die mittlere Strömungsgeschwindigkeit <50% der gesunden Gegenseite beträgt.
Hyperperfusion. Grenzwerte von Blutflussgeschwindigkeiten für Hyperperfusionszustände, die klinisch bedeutsam sind, wurden bisher nicht untersucht oder publiziert. Eine transkranielle Dopplersonographie im Verlauf kann aber die neurologischen Ausfallerscheinungen z. B. während einer hypertensiven Krise (»break through«) erklären und die Diagnose stützen.
48.6.5
Erhöhter intrakranieller Druck
Ein erhöhter intrakranieller Druck (ICP) senkt die Hirnperfusion, sei es lokal, regional oder global. Die Überlegungen aus dem vorhergehenden Abschnitt kommen hier also auch zum Tragen. Eine direkte Beziehung zwischen ICP und Flussgeschwindigkeiten in großen Gefäßen gibt es aber nicht; besser korreliert er mit dem Pulsatilitätsindex, der letztlich die Gefäßkompression von außen widerspiegelt (Steigen der Spitzengeschwindigkeit, Verlust der diastolischen Pulskurvenanteile; . Abb. 48.14). Unglücklicherweise läuft diese Entwicklung den Druckmesswerten aus einer Ventrikeldrainage nach. Ein (beidseitiges kontinuierliches) Dopplermonitoring in der A. cerebri media ist aber insbesondere dann sinnvoll, wenn keine Ventrikeldrainage liegt oder wenn der Druck nur lokal mittels Parenchymsonde gemessen wird. Bei zusätzlichen Stenosen und Vasospasmen (s.o.) sind die Druckinterpretationen von Dopplermessungen allerdings nicht sicher, zumindest nicht bei einmaliger Messung. Hirntoddiagnostik. Transkranielle
Diese Regel gilt für einzelne große Hirnarterien wie auch für den extrakraniellen Verschluss der ACI. Grundsätzlich ist die arterielle Versorgung des Gehirns sehr großzügig angelegt, sodass eine kritische hämodynamische Bedrohung erst ab einem vorgeschalteten Stenosegrad von mindestens 80% zu erwarten ist und auch dann noch in einem Großteil der Fälle effektiv kollateralisiert wird.
Dopplersonographie kann auch als Zusatzuntersuchung in der Hirntoddiagnostik eingesetzt werden. Hirntod tritt in den meisten Fällen durch supratentorielle Drucksteigerung und sekundär dann Perfusionsstillstand ein. Diese Entwicklung in extremis lässt sich mühelos durch wiederholte Dopplersonographie darstellen, indem die Pulssignale in allen großen hirneigenen Gefäßen zunehmend steiler und erst höher, dann kleiner werden, einhergehend mit dem Verlust der diastolischen Pulskurvenanteile; letztlich entstehen Widerstandsprofile wie bei allen Gefäßverschlüssen. Lässt sich gar kein Blutfluss mehr darstellen, hilft entweder der Nachweis von kleinen Widerstandsprofilen in beiden Karotiden und Vertebralarterien weiter oder transkranielle Duplexsonographie, weil man mit diesem Instrument visualisiert sicher sein kann, in der Region der Hirnarterien zu dopplern.
Globale Mangelperfusion. Bei globaler Mangelperfusion durch
Hirndruckzeichen. Die aus der CT-Diagnostik geläufigen »Hirn-
Nachlassen der systemischen vis a tergo (Schock) sinken die intrakraniellen Blutflussgeschwindigkeiten erst relativ spät ab, wenn die Kompensationsfähigkeit durch die Autoregulation der kortikalleptomeningealen Hirngefäße überschritten ist. Dann nimmt die Pulsatilität in den großen Hirngefäßen ab und zunehmend auch die systolische Spitzenflussgeschwindigkeit. In solchen kritischen Phasen kann ein bitemporales kontinuierliches Dopplermonitoring mittels per Haube fixierter 2-MHz-Sonden (7 Abschn. 48.6.10) die Steuerung von Volumen- und Katecholamintherapie erleichtern. Eine andere Methode, sich über die hemisphärische Blutversorgung einen Eindruck zu verschaffen, ermöglicht die extrakranielle Duplexsonographie. Weil hierbei die Querschnittsfläche der ACI (und auch der Vertebralarterien) gemessen werden kann, lassen sich die Blutflussmengen in den hirnversorgenden Halsgefäßen in ml/min quantifizieren. Ein weiteres Anwendungsgebiet für diese Messungen stellen Patienten in den ersten Tagen nach SchädelHirn-Trauma dar. Hier kommt es aufgrund einer Störung der Vasoregulation regelmäßig zum Wechsel zwischen globaler Hyper- und Hypoperfusion, und beides sollte nicht durch Beatmung oder durch Volumentherapie weiter schädigend akzentuiert werden.
druckzeichen« Ventrikelkompression oder Aufweitung und Mittellinienverlagerung lassen sich bettseitig oft genauso gut mit der B-
. Abb. 48.14 Schwere globale Hirnschwellung mit der Folge eines »Druckpulses« in intrakraniellen großen Arterien, dargestellt während sequenziellen Monitorings mit der konventionellen transkraniellen 2-MHz-Dopplersonographie. Beachte die abnehmende Gefäßperfusion im Vergleich von A. cerebri anterior (A1), Hauptstamm der A. cerebri media (M1) und ihren distalen (M2) Abschnitten. Solche druckbedingten schweren (multi-)regionalen Perfusionsstörungen gehen mit sehr hohem Risiko der Infarzierung einher, hier insbesondere der vom beschallten M2-Segment versorgten Hirnrindenregion. Eine Hyperventilation zur Hirndrucksenkung ist in solchen Fällen kontraindiziert
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Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Bild-Sonographie darstellen. Die Ausmessung des Ventrikelsystems wird in 7 Abschn. 48.6.9 beschrieben. Die Mittellinienstrukturen liegen in der Ebene des axialen Übersichtsbilds. Zu berücksichtigen ist die konkave Verziehung in den Randbereichen der trapezoiden Darstellung, also an den frontalen und dorsalen Mittellinienanteilen. Daher sollte zur sicheren Ausmessung von beiden temporalen Schallfenstern aus die Entfernung zu einer definierten Struktur ausgemessen werden. Die Mittellinienverlagerung entspricht dann der Hälfte der Differenz beider Messungen.
48
48.6.6
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Aneurysma. Intrazerebrale Aneurysmen am basalen Hirngefäßkranz lassen sich bisweilen duplexsonographisch abbilden. Dies kann technisch aber nur gelingen, wenn der Aneurysmasack mit hinreichend hohen Flussgeschwindigkeiten und hinreichend kräftig perfundiert wird. Aneurysmen an den Kleinhirnarterien sind anatomisch bedingt nur in seltenen Ausnahmen (Riesenaneurysmen) zugänglich. Für die Aneurysmasuche bei Subarachnoidalblutung besitzt das Verfahren also eine hohe Spezifität, aber niedrige Sensitivität, und die selektive Arteriographie bleibt unentbehrlich. Etwas sensitiver gelingt die Überprüfung, ob ein Coil-Paket die Perfusion in einem Aneurysma effektiv ausschaltet.
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Gefäßmissbildungen
Arteriovenöses Angiom. Arteriovenöse Angiome als typische
Hirnblutungsursache, sei es eine komplexe Fistelformation, sei es ein kompensatorisches Moyamoya-Wundernetz bei Verschlusskrankheit der A. cerebri media, können sich mittels transkraniellem B-Bild als echogene pulsierende Läsionen präsentieren, im Doppler als Netzwerk von an diesem Beschallungsort unüblichen Dopplersignalen, was der Duplex aufgrund der farbig kodierten Flussgeschwindigkeiten noch illustrativer darstellt. Schalltechnisch bedingt lassen sich solche Befunde nur im Marklager des Gehirns erheben, sodass auch hier die MRA und DSA insgesamt sensitiver bleiben. Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel. Einen Sonderfall stellt diesbezüglich die meist traumatisch erworbene Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel dar, die sich nach unserer Erfahrung bei vorhandenem temporalem Schallfenster niemals der transkraniellen Doppler-/ Duplex-Diagnostik entzieht. Durafistel. Auch sog. Durafisteln (meist symptomatisch durch kortexnahe Blutung) lassen sich mit hoher Treffsicherheit zumindest indirekt identifizieren. Schlüsselbefund ist eine »Internalisierung« des Pulsprofils in der ipsilateralen A. carotis externa, d. h. ein ungewöhnlich hoher diastolischer Blutflussanteil, weil die »feeder« der Fistel von dort abgehende Arterien wie die A. auricularis oder A. occipitalis darstellen, die intrakraniell geringen peripheren Widerstand finden. Einen solchen Befund zu erheben, erfordert eine erhebliche Erfahrung und Aufmerksamkeit des Untersuchers. Kavernom. Venöse Missbildungen (Kavernome) entziehen sich
wegen der sehr niedrigen Strömungsgeschwindigkeit in der Regel der Darstellbarkeit, es sei denn, sie fallen aufgrund ihrer Größe als »echoloser Tumor« im transkraniellen B-Bild auf.
48.6.7
Sinusvenenthrombosen
Im Gegensatz zur etablierten fetalen und Neugeborenendiagnostik hat sich die Ultraschalluntersuchung von Sinusthrombosen bei Erwachsenen noch nicht durchgesetzt. Dabei ist der Blutfluss im Sinus cavernosus, sagittalis superior, transversus und oft auch sigmoideus bei fast 2/3 der Patienten duplexsonographisch mit Ultraschallkontrastmittel erkennbar, bei etwa der Hälfte auch ohne. Da Thrombosen wegen des temporalen und nuchalen Fensters oft außerhalb der direkten Beschallbarkeit liegen, muss zur Akut- und Verlaufsdiagnostik die Umstellung der intrakraniellen Hämodynamik in die Betrachtung mit einbezogen werden. Es gibt allerdings wahrscheinlich nur wenige Untersucher, die das ausreichend sicher beherrschen. Aus diesem Grunde und wegen der höheren Sensitivität bleibt die venöse MR-Angiographie aktuell (noch) die Standarduntersuchung zumindest für die Akutdiagnostik.
48.6.8
Intrakranielle Blutungen
Intraparenchymatöse Blutung. Intraparenchymatöse Blutungen stellen sich bei der transkraniellen B-Bild-Untersuchung im Akutstadium als unübersehbar stark echogene Läsionen gegenüber dem echoarmen Hirnparenchym dar, die relativ scharf zur Umgebung abgegrenzt sind (. Abb. 48.15). Dies unterscheidet sie sicher von Hirninfarkten, die im Akutstadium keine Veränderung der normalen Echotextur aufweisen. Nützlich ist diese Differenzierung beispielsweise, wenn sich ein Schlaganfallpatient nach Thrombolyse klinisch verschlechtert (Frage: Infarkteinblutung oder -schwellung). Apikal und polar gelegene Blutungen entziehen sich allerdings aufgrund des Schallfensters der Schnittebene des Ultraschallbilds. Darauf beruht die Tatsache, dass für die Akutdiagnostik CT (und MRT) die sensitiveren Diagnoseinstrumente sind. Epi-/subdurales Hämatom. Parietale Parenchymeinblutungen, epi- und subdurale Hämatome (und auch ausgedehnte Subarachnoidalblutungen) lassen sich insbesondere für Verlaufsbeobachtungen in der Regel besser von der kontralateralen Kalottenseite her quantitativ beschreiben. Ventrikelblutung. Größere Ventrikelblutungen (. Abb. 48.15b). stellen sich im B-Bild als echogener Ausguss des sonst echoarmen Ventrikelsystems dar. Kleine Blutspiegel in den Hinterhörnern der Seitenventrikel entgehen allerdings der sonographischen Diagnostik. Alle Blutungen verlieren nach etwa 2 Wochen von ihrem Zentrum ausgehend zunehmend an Echogenität und sind nach 3–4 Wochen sonographisch nicht mehr abgrenzbar. Darüber hinaus entwickelt sich in den ersten Tagen ein im B-Bild darstellbarer hypoechogener perifokaler Ödemsaum, sodass die Abgrenzung gegenüber dem Hirnparenchym zunehmend unschärfer wird. > Insgesamt ist die transkranielle B-Bild-Untersuchung geeignet, ohne Informationsverlust zahlreiche CT-Kontrolluntersuchungen zu ersetzen.
48.6.9
Hydrozephalus
Das supratentorielle Ventrikelsystem ist im B-Bild als echolose Struktur mit echogenen Grenzlinien nahe bzw. in der Mittellinie erkennbar. Bei ausreichenden Untersuchungsbedingungen können der 3. Ventrikel, das Vorderhorn sowie die Cella-media-Region der
627 48.6 · Neurosonographie
a . Abb. 48.16 Hydrozephalus. Deutliche Erweiterung der inneren Liquorräume. Im B-Bild (axiale Schnittführung durch das Dienzephalon) deutliche Vergrößerung der echoarmen Liquorräume (Vorderhorn der Seitenventrikel >3 cm). In der M-Mode-Aufzeichnung legt die Undulation des Septum pellucidum während einer kurzen Schüttelphase des Kopfes nahe, dass der intraventrikuläre Druck nicht zu hoch und daher nicht für die Ventrikelerweiterung verantwortlich ist
48.6.10
b . Abb. 48.15 B-Bild-sonographische Darstellung einer Stammganglienblutung und ihrer Komplikationen im Verlauf. a Etwa 2 cm im Durchmesser große akute hyperechogene Stammganglienblutung (*) ohne Mittellinienverlagerung (die mit Aufwärtspfeil versehene Doppelkontur entspricht dem 3. Ventrikel), aber mit aufgeweitetem Vorderhorn des Seitenventrikels (zwischen den Pfeilspitzen). b Wenige Stunden später erhebliche Größenzunahme der Blutung (#), Tamponade des 3. Ventrikels (++), während die Vorderhornerweiterung (zwischen den senkrechten Pfeilen) abgenommen hat, Letzteres aufgrund der angelegten Ventrikeldrainage (hyperechogene Struktur; horizontaler Pfeil)
Seitenventrikel identifiziert und vermessen werden (. Abb. 48.16). Die Messwerte des 3. Ventrikels stimmen sehr gut mit den CTWerten überein, etwas schlechter ist die Korrelation im Bereich der Seitenventrikel. Erweiterungen des 3. Ventrikels und der rostralen Anteile der Seitenventrikel sind also sonographisch sicher messbar und können daher mit geringem Aufwand und ohne Belastung für den Patienten im Verlauf beispielsweise einer eitrigen Meningitis oder einer Liquorabflussstörung im Aquädukt überwacht werden. Temporalund Okzipitalhorn der Seitenventrikel sowie der 4. Ventrikel lassen sich nicht so zuverlässig wie im CT vermessen. Bei einem Hydrocephalus internus ist die Frage entscheidend, ob er durch Druckerhöhung zustande kam oder e vacuo bei Hirnatrophie. Bei der Klärung dieser Frage hat sich die Prüfung der Undulationsfähigkeit des Septum pellucidum im M-Modus als nützlich erwiesen; sie erlischt bei intraventrikulärer Druckerhöhung.
Diagnostik und Monitoring bei embolisierenden Erkrankungen
Embolien stellen sich bei der heute üblichen Darstellung der Dopplerpulskurve durch FFT-Analyse als kleine kurze Signale innerhalb dieser Kurve dar, die sich um mindestens 3 dB vom Hintergrund abheben und akustisch ein charakteristisches kurzes Geräusch bewirken. Je häufiger Mikroembolien auftreten, desto höher ist das Risiko eines Gefäßverschlusses und Hirninfarkts, unabhängig von der Emboliequelle. Zur Detektion intrakranieller Embolien wird über 15–30 min von beidseits temporal kontinuierlich mit jeweils einer 2-MHzSonde beschallt, die mit einer Kopfhalterung fixiert werden. Da dies naturgemäß insbesondere durch Haubenwackeln instabil werden kann, gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Abgrenzung gegenüber Artefakten. Die wahrscheinlich effektivsten sind entweder Verfolgen eines Embolus durch automatische sehr rasche Verstellung der Beschallungstiefe mit einer detektierten Embolie oder das simultane Messen an zwei Orten in demselben Gefäß (meist der A. cerebri media) mit Bestimmung der Transitlatenz. Etabliert ist das Verfahren als Monitoring bei Herzoperationen, zur Abschätzung des Hirninfarktrisikos bei Vorhofflimmern, aber auch z. B. zur Differenzierung von symptomatischen und asymptomatischen Karotisstenosen und weiteren Fragestellungen der Schlaganfalldiagnostik. Auf unserer Intensivstation setzen wir es v. a. ein bei Patienten mit dem Dilemma einer Hirnblutung und gleichzeitigem Vorhofflimmern oder Vitien, um Anhaltspunkte über die Notwendigkeit und erforderliche Intensität einer Antikoagulation zu erhalten und eine zur Embolieprophylaxe nicht notwendige, aber das Blutungsrisiko erhöhende Antikoagulation zu vermeiden.
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Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
48.6.11
Periphere Nervenschäden
Die Nervensonographie ist ein relativ junges B-Bild-Verfahren, das an hochfrequente (>14-MHz-) Schallköpfe gebunden ist; nur zur Beschallung in der Tiefe wird man auf 7- oder 5-MHz-Schallköpfe zurückgreifen, wie sie für die extrakranielle Duplexsonographie verwendet werden. Nach distal hin sind Nerven bis zu etwa 1 mm Durchmesser beurteilbar. Das größere Problem stellt der Verlauf dickerer Nervenstämme dar, die unter Muskelmassen verschwinden. Die Darstellung so feiner Strukturen erfordert eine hohe manuelle Geschicklichkeit, die Abgrenzung gegenüber vom Echoverhalten her sehr ähnlicher Nachbarstrukturen wie Faszien und Sehnen eine intime Kenntnis der Anatomie. Dennoch ist es möglich, z. B. den N. ischiadicus beckennah zu beurteilen oder den unteren Armplexus in der Klavikulargrube. Dies kann z. B. eingesetzt werden bei der Frage, ob eine isolierte schlaffe Armparese nach Thorakotomie durch eine lokale Blutung oder vielleicht doch durch einen Insult hervorgerufen wurde. Nervenverletzung. Eine andere naheliegende Fragestellung sind Nervenverletzungen, z. B. eine N.-radialis-Zerreißung oder Quetschung durch eingebrachtes Metall bei einer Oberarmschaftfraktur oder ein Tarsaltunnelsyndrom, wenn es um die Frage einer rasch notwendigen Explorationsoperation geht. All solche Fragestellungen wurden im Gegensatz zu chronischen Engpasssyndromen (wie z. B. Karpaltunnelsyndrom des N. medianus) bisher nur kasuistisch mitgeteilt und noch nicht systematisch untersucht, insbesondere nicht bei Schwerstkranken. Eine solche Evaluation ist ein vielversprechendes Aufgabengebiet für die Zukunft. Der naheliegende Nutzen liegt darin, Patienten explorative Operationen möglicherweise zu ersparen oder bei tief sedierten Patienten Schäden zu erkennen, die sich zu diesem Zeitpunkt klinisch nicht feststellen lassen. Dies gilt umso mehr, als elektrophysiologische Untersuchungen in diesem Stadium noch keine Denervierungsaktivität im Muskel erkennen lassen und die effektive Stimulierbarkeit von Nerven zur Leitfähigkeitsmessung oft durch Weichteilschwellungen vereitelt wird.
septiert dar. Darüber hinaus findet sich bei Zuschalten des Farbmodus eine Hypervaskularisierung der Umgebung. Kompartmentsyndrom. Der klinische Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom ist einfach zu bestätigen: die Muskeln in der betroffenen Loge sind im Seitenvergleich deutlich volumenvermehrt (Verdrängung der Faszien) und in der Regel echoärmer aufgrund des Muskelödems; die Zuschaltung des farbkodierten Modus lässt die Gefäßkompression bzw. Mangelperfusion erkennen. Fremdkörper. Fremdkörper und Splitter entziehen sich einem akribischen Ultraschaller erst, wenn sie deutlich kleiner als 1 mm (Glas ca. 1,5 mm) sind. Andere Materialien als Holz verursachen stark hyperechogene Repetitionsechos, Glas und Metallteile sog. Kometenschweifartefakte in die Tiefe. Allen solchen Läsionen gemeinsam ist im Akutstadium ein kleiner ödematöser Hof.
48.7
Liquordiagnostik – Lumbalpunktion B. Wildemann
Der Liquor wird durch Punktion des Subarachnoidalraums zwischen dem 3. und 4. bzw. dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper oder über eine aus therapeutischen Gründen eingeführte externe Ventrikeldrainage gewonnen. Für eine aussagekräftige Liquordiagnostik ist die gleichzeitige Entnahme einer Serum- oder Plasmaprobe unverzichtbar. ! Cave Kontraindikationen für eine Lumbalpunktion sind eine pathologisch veränderte Gerinnung (Thrombopenie <30.000/μl, INR <1,4, Quick-Wert <50%, PTT-wirksame Heparinisierung) sowie eine intrakranielle Drucksteigerung, da die plötzliche Druckentlastung nach Lumbalpunktion zu einer Einklemmung des Hirnstamms im Tentoriumschlitz oder im Foramen magnum führen kann.
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Muskelschäden
Die Ultraschalluntersuchung von Muskeln geschieht mit 7,5- (bis 15-) MHz-Schallköpfen, zwingend linear gebaut zum Vermeiden von Verzerrungen. Dies erlaubt eine Beschallung bis etwa 8 cm Tiefe von der Oberfläche her. Die in der Intensivmedizin relevanten Fragestellungen sind flink und reliabel zu beantworten und erfordern eine nur geringe Übung. Bei Unsicherheiten lässt sich in der Regel sofort der Vergleich mit der gesunden Seite heranziehen.
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Ruptur. Frische Muskelrupturen stellen sich als Kontinuitätsunterbrechung dar; zwischen den wulstig kontrahierten Muskelenden liegt ein echoarmes Hämatom.
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Hämatom. Frische Hämatome sind echofrei und weisen eine cha-
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rakteristische dorsale Schallverstärkung auf. Mit zunehmender Hämatomkoagulation (Stunden) finden sich in dieser Region dann zunehmend echoreichere kleine Herde. In wenigen Tagen nimmt die dorsale Schallverstärkung ab. Alte Hämatome stellen sich scharf begrenzt homogen mittelgradig echodicht dar. Abszess. Im Gegensatz dazu stellen sich Muskelabszesse zwar auch
echoarm, aber einerseits unscharf begrenzt und andererseits oft
48.7.1
Liquoranalytik
Die Liquordiagnostik umfasst die makroskopische Beurteilung, die Ermittlung der Zellzahl, die zytologische Differenzierung der Liquorzellen, die Bestimmung des Gesamtproteins und der BlutLiquor-Schrankenfunktion sowie die Differenzierung der Proteinfraktionen. Wichtige Zusatzinformationen geben die Laktat-/Glukosekonzentrationen sowie bei Entzündungen der Nachweis einer humoralen erregerspezifischen Immunantwort oder spezifischer Nukleinsäuresequenzen. Die Normalwerte der einzelnen Parameter sind aus . Tab. 48.1, die Stufen der Liquordiagnostik aus . Tab. 48.2 ersichtlich. Einige charakteristische Liquorbefunde sind in . Tab. 48.3 zusammengestellt.
48.7.2
Makroskopische Beurteilung
Der normale Liquor ist wasserklar. Trübung weist auf eine Zellvermehrung >ca. 1000/μl, eitriger Aspekt auf die Anwesenheit von Granulozyten >3000/μl oder eine massive Erhöhung des Gesamproteins (z.B. bei Tbc) hin. Eine xanthochrome Verfärbung des Liquors entsteht durch Blutungen in den Subarachnoidalraum nach
629 48.7 · Liquordiagnostik – Lumbalpunktion
. Tab. 48.1 Liquor: Referenzwerte
. Tab. 48.2 Stufen der Liquordiagnostik Notfallprogramm
Parameter
Referenzwert
Farbe
wasserklar
Zellzahl
bis 5/μl
Zelltyp
Lymphozyten (70–100%), Monozyten (bis 30%)
Gesamtprotein
200–500 mg/l*
Albumin
bis 110–350 mg/l*
IgG
bis 10–40 mg/l*
Zellzählung Gramfärbung bzw. Schnelltests zum Nachweis und zur Differenzierung von Bakterien Gesamtprotein (ggf. nur semiquantitativ) Zytologische Zelldifferenzierung Gesamtprotein (quantitativ) Liquor/Serum-Albuminquotient (QAlb) Liquor/Serum-IgG-Quotient Laktat und Glukose Isoelektrische Fokussierung zur Detektion von oligioklonalem IgG
IgA
bis 0,5–6 mg/l*
Erweitertes Programm
IgM
bis 0,05–0,8 mg/l*
Glukose
<50% der Serumglukose
Laktat
<2,1 mmol/I
Albuminquotient
bis 15 Jahre: 5×10–3 bis 40 Jahre: 6,5×10–3 bis 60 Jahre: 8×10–3
Liquor/Serum IgA-Quotient Liquor/Serum IgM-Quotient Erreger-spezifische Antikörperindizes (HSV, VZV, CMV, Borrelien, Treponemen, u.a.) PCR zum Erregernachweis (HSV, CMV, VZV, EBV, Enteroviren, JC-Virus, Borrelien, Mykobakterien, ggf. auch bakterielle Spezies) MRZ-Reaktion (multiple Sklerose und andere chronisch entzündliche Prozesse) Demenzmarker (Tau-Protein, E-Amyloid 1-42, Protein 14-3-3, neuronenspezifische Enolase (NSE), S-100B-Protein
Immunglobulinquotienten
. Abb. 48.17
Antikörperindex (Liquor/SerumQuotient der IgG-bezogenen Antikörperaktivitäten
bis 1,5
* Orientierende Referenzwerte; eigentliche Referenzwerte sind die Liquor/Serum-Quotienten, da die Konzentrationen aller aus dem Blut stammenden Proteine abhängig sind von der Blutkonzentration und der altersbezogenen Blut-Liquor-Schrankenfunktion
. Tab. 48.3 Charakteristische Liquorbefunde Diagnose
Zellzahl
Zytologie
Albuminquotient
Immunoglobuline – isoelektrische Fokussierung
Laktat/Glukose
Spezialdiagnostik
Virale Meningitis
Bis mehrere 100/μl
Mononukleäre Zellen, aktivierte Lymphozyten, Plasmazellen
Bis 20×10–3
Je nach Erreger lokale IgG-Synthese oder Zweiklassenreaktion (IgG + IgM)
<3,5 mmol/I >50% der Serumglukose
AI im Verlauf positiv, evtl. Erregernachweis durch PCR
Bakterielle Meningitis
Mehrere 1000/ μl Ausnahme: apurulente Meningitis bei Immun-supprimierten
Granulozyten
>25×10–3
Zweiklassen-reaktion (IgG + IgA)
>3,5 mmol/I <50% der Serumglukose
Bakteriennachweis im Grampräparat oder Antigenschnelltest, Erregeranzucht durch Kultur, bei antibiotischer Anbehandlung durch PCR
Tuberkulöse Meningitis
Mehrere 100/μl
»Buntes Zellbild«
>25×10–3
Zwei- oder Dreiklassenreaktion (IgA > IgM > IgG) Oligoklonales IgG (Typ 2 oder 3)
>3,5 mmol/I <50% der Serumglukose
Erregernachweis durch PCR, Erregeranzucht durch Kultur
Herpes-simplexVirus-Enzephalitis
Bis 500/μl
Mononukleäre Zellen, aktivierte Lymphozyten, Plasmazellen
>15×10–3
Lokale IgG-Synthese ab Woche 2 ab 2. Woche; oligoklonales IgG (Typ 2)
<3,5 mmol/I >50% der Serumglukose
Erregernachweis durch PCR AI>1,5 ab Woche 2
48
630
48
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
. Tab. 48.3 Fortsetzung Diagnose
Zellzahl
Zytologie
Albuminquotient
Immunoglobuline – isoelektrische Fokussierung
Laktat/Glukose
Spezialdiagnostik
Akute Neuroborreliose
Bis mehrere 100/μl
Mononukleäre Zellen, bis 25% aktivierte Lymphozyten und Plasmazellen
Bis >2510–3
Dreiklassenreaktion (IgM > IgG > IgA); oligoklonales IgG (Typ 2 oder 3)
<3,5 mmol/I >50% der Serumglukose
AI >1,5 4-6 Wochen nach Symptombeginn
Guillain-Barré-Polyneuroradikulitis
Normal bis maximal 30/μl
Mononukleäre Zellen
Bis 25×10–3
Keine lokale Synthese; fakultativ oligoklonales IgG in Liquor und Serum (Typ 3)
<3,5 mmol/l >50% der Serumglukose
Meningeosis carcinomatosa/ blastomatosa
Normal bis mehrere 100/μl
Tumorzellen, Blasten
>10×10–3
Selten lokale IgModer IgA-Synthese bei Lymphomen
>3,5 mmol/I >50% der Serumglukose
Identifikation monoklonaler Zellen durch FACS-Analyse oder PCR bei Lymphomen
Multiple Sklerose
Bis 35/μl
Mononukleäre Zellen, aktivierte Lymphozyten, Plasmazellen
<10×10–3
Lokale IgG-Synthese; oligoklonales IgG (Typ 2 oder 3)
<3,5 mmol/I >50% der Serumglukose
MRZ-Reaktion positiv
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frühestens 6 h durch Austritt von Blutfarbstoffderivaten (Hämoglobin, Bilirubin) aus zerfallenden Erythrozyten. Beträgt das Zeitintervall zwischen Blutungsereignis und Lumbalpunktion >6 h, dann kann artefiziell blutiger Liquor leicht von einem primär blutigen Liquor unterschieden werden. Klarer Überstand nach Zentrifugation spricht für eine artefiziell blutige Liquorprobe, Xanthochromie des Überstandes für eine primäre Blutung in den Subarachnoidalraum.
48.7.3
Proteine im Liquor
Proteine und Schrankenfunktion
48
Der normale Eiweißgehalt des Liquors beträgt 200–500 mg/l. Die Quantifizierung des Gesamtproteins gibt in der Notfallsituation orientierend die Funktion der Blut-Liquor-Schrankenfunktion wieder. Letztere wird jedoch deutlich sensitiver und spezifischer durch den Liquor/Serum-Albuminquotienten (QAlb) dargestellt (7 unten).
48
Liquorentstehung. Liquor wird als Filtrat des Blutes von den Ple-
48
48 48 48 48 48 48
xus chorioidei sezerniert und in seiner Zusammensetzung zusätzlich durch die Extrazellularflüssigkeit des Hirnparenchyms beeinflusst. Die Analytik des Liquorproteinprofils benötigt das Serum als Bezugsgröße, da der überwiegende Anteil des Liquorproteins aus dem Serum stammt. Zwischen Blut und Liquor besteht ein Fließgleichgewicht, das durch die Blut-Liquor-Schranke aufrechterhalten wird. Die wichtigsten Parameter, die die Liquorkonzentration von Plasmaproteinen beeinflussen, sind die Permeabilität der Blut-Liquor-Schranke und als dynamische Größe die Liquorflussgeschwindigkeit. Die Permeabilität ist gut für fettlösliche Moleküle, gering für wasserlösliche Moleküle und nimmt mit der Molekülgröße ab. Albuminquotient. Die Funktion der Blut-Liquor-Schranke ist verlässlich charakterisierbar durch den Quotienten aus Albuminkonzentration im Liquor und Albuminkonzentration im Serum (QAlb), da Albumin als rein extrazerebral (in der Leber) synthetisiertes Pro-
tein auch unter pathologischen Umständen ausschließlich aus dem Blut in den Liquor gelangt. Der Albuminquotient als quantitatives Maß für die Blut-/Liquor-Schrankenfunktion ist altersabhängig und beträgt im mittleren Erwachsenenalter <7×10–3 (. Tab. 48.1) Die Ursachen für Funktionsstörungen der Blut-Liquor-Schranke sind vielfältig und umfassen Entzündungen des zentralen und peripheren Nervensystems sowie Hirninfarkte und seltener auch neurodegenerative Erkrankungen. Neben der Funktion der Blut-LiquorSchranke wird der Albuminquotient durch den Flüssigkeitsturnover im Liquorkompartiment bestimmt. Bei Liquorzirkulationstörungen, z. B. infolge von Entzündungen, Verklebungen der Meningen und Raumforderungen im Spinalkanal, steigt der Albuminquotient in Abhängigkeit vom Ausmaß der Passagebehinderung an. Liquorspezifische Proteine. Einige Liquorproteine, z. B. β-TraceProtein und τ-Protein, sind Proteine lokalen Ursprungs und können nur im Liquor nachgewiesen werden. Sie eignen sich daher zur Differenzierung von Liquor und anderen Sekreten bei Liquorfisteln. Proteine des Hirnparenchyms. Bei Zelluntergang innerhalb des Zentralnervensystems (ZNS) werden Proteine aus dem Hirnparenchym, wie S 100B, neuronenspezifische Enolase (NSE) und 14-3-3-Protein vermehrt in den Liquor freigesetzt. Erhöhte Werte finden sich bei schweren hypoxischen Hirnschädigungen, bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und der Alzheimer-Krankheit sowie bei Herpes-simplex-Enzephalitis. Die diagnostische Aussagekraft ist begrenzt und jeweils im Zusammenhang mit klinischen und anderen diagnostischen Parametern zu interpretieren. NSE ist nach zerebraler Hypoxie auch im Serum in erhöhter Konzentration nachweisbar, und der Serum-NSE-Wert ist in Verbindung mit der bildgebenden Diagnostik ein wichtiger prognostischer Parameter für den Schweregrad der hypoxischen Schädigung des Hirnparenchyms. Die NSE steigt 24 Stunden nach Hypoxie an und erreicht an Tag 2–3 ein Maximum. Daher ist die serielle Bestim-
631 48.7 · Liquordiagnostik – Lumbalpunktion
mung zur Prognosabschätzung sinnvoll und notwendig. Normwerte: <10–20 ng/ml
Immunglobuline Bei zahlreichen entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems werden lokal innerhalb des ZNS Immunglobuline synthetisiert und in den Liquor sezerniert, die neben den aus dem Serum stammenden Fraktionen nachgewiesen werden können. Der Nachweis und die Differenzierung einer humoralen Immunreaktion im ZNS kann quantitativ oder qualitativ erfolgen. Die quantitative Auswertung erfolgt mit Hilfe von Liquor-Serum-Quotientendiagrammen (nach [31–33]). Hierbei werden die Liquor/Serum-Quotienten der Immunglobuline gegen den Liquor-Serum-Quotienten von Albumin aufgetragen (. Abb. 48.17). Aus den Quotientendiagrammen kann der Anteil der intrathekal produzierten Immunglobuline und auch das Vorliegen einer Blut-Liquor-Schranken-Störung direkt abgelesen werden. Die Konstellation der lokal synthetisierten Immunglobulinklassen ist für zahlreiche Entzündungen des ZNS relativ charakteristisch (. Tab. 48.3). Proteinquotienten sind nur unter der Voraussetzung eines ungestörten dynamischen Gleichgewichts zwischen Blut und Liquor verwertbar, d. h. sie können nicht angewandt werden nach Plasmapherese, größeren Blutverlusten, Albumin- und intravenösen Immunglobulingaben und bei stärkerer Blutbeimengung im Liquor. Noch sensitiver als in der quantitativen Liquorproteinanalytik gelingt der Nachweis einer humoralen Immunantwort durch qualitative Detektion oligoklonaler IgG-Fraktionen im Liquor mittels isoelektrischer Fokussierung. Diese Methode ermöglicht die Detektion einer intrathekalen IgG-Synthese bereits dann, wenn nur 0,5% des Gesamt-IgG im Liquor intrathekal gebildet werden. Eine intrathekale IgG-Synthese wird angezeigt durch Nachweis von ≥2 Banden im Liquor bei gleichzeitig negativen Banden im Serum (Typ 2) oder bei Nachweis von ≥2 liquorspezifischen Banden (wie oben) und zusätzlich identischen Banden in Liquor und Serum (Typ 3; . Abb. 48.18). Dagegen liegt bei den Mustern 1 (keine oligoklonalen Banden in Liquor und Serum) und 4 (identische oligoklonale Banden in Liquor und Serum) keine intrathekale IgG-Synthese vor. Muster 5 entspricht einem monoklonalen Bandenmuster in Liquor und Serum und weist auf eine systemische Paraproteinämie hin.
Antikörperindex (AI) Bei vielen Entzündungen des Nervensystems werden intrathekal erregerspezifische Antikörper gebildet, deren Nachweis diagnostisch wegweisend ist. Absolute Konzentrationen oder einfache Titerbestimmungen sind nicht ausreichend. Misst man volumenbezogene Titer oder Einheiten, muss man diese jeweils auf das Gesamt-IgG beziehen und aus diesen Quotienten den Liquor/Serum-Index berechnen. Bei dieser Methode der Berechnung kann man ab einem Quotienten >1,5 von einer intrathekalen Immunglobulinsynthese ausgehen.
9
. Abb. 48.17 Die Differenzierung der humoralen Immunantwort auf empirischer Grundlage mit Hilfe eines Diagramms nach Reiber. Die Permeabilität der Blut-Liquor-Schranke ist gekennzeichnet durch den Albuminquotienten (x-Achse) und den Immunglobulinquotienten (y-Achse). Die oberen hyperbolischen Kurven des (schraffierten) Referenzbereiches repräsentieren die Diskriminierungslinien (QLim, Lim von Limes) zwischen den aus dem Gehirn und den aus dem Blut stammenden Immunglobulinfraktionen im Liquor. Werte oberhalb von QLim werden als intrathekale Fraktionen in Prozent der Gesamtliquorkonzentration dargestellt mit Bezug auf QLim als 0%-Synthese. Die Diagramme beschreiben 5 Bereiche: 1=Normalbereich. 2=Reine Störung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion. 3=Intrathekale Ig-Synthese mit Schrankenfunktionsstörung. 4=Intrathekale Ig-Synthese. 5=Werte unterhalb der unteren hyperbolischen Linie zeigen einen methodischen Fehler an
48
632
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
Entzündungen
48
Bei vielen akuten Infektionen des ZNS lassen sich 3 Stadien abgrenzen: 4 eine akute granulozytäre Phase, 4 eine subakute mononukleäre Phase und 4 eine tertiäre humorale Phase.
48 48 48 48
. Abb. 48.18 Isoelektrische Fokussierung auf Agarosegel mit Immunoblot. Typ-2-Muster: oligoklonale IgG-Banden im Liquor, jedoch nicht im Serum. Typ-3-Muster: oligoklonale IgG-Banden nur im Liquor (wie Typ 2) und zusätzlich identische oligoklonale Banden in Liquor und Serum. Beide Muster zeigen eine intrathekale IgG-Synthese an
48 48 48 48
Beispiel 4 Liquor: Borrelientiter (IgG)=2,3; Gesamt-IgG=5,8 mg/dl IgGspez/IgGgesamt=0,4 4 Serum: Borrelien-Titer (IgG)=85; Gesamt-IgG=1415 mg/dl IgGspez/IgGgesamt=0,06 4 Liquor/Serum-Quotient der IgG-bezogenen Antikörperaktivitäten=6,6
48 48 48 48 48 48 48 48 48
Meist beginnt die intrathekale Antikörperproduktion in der 2. Woche der Erkrankung und kann über Monate und Jahre nachweisbar bleiben. Der AI hat für folgende Erkrankungen eine diagnostische Sensitivität von 90–100%: 4 Herpes-simplex-Virusenzephalitis, 4 Varizellen-zoster-Virus-Manifestationen am Nervensystem, 4 Neuroborreliose, 4 Neurolues. Eine autochthone Synthese polyviraler Antikörper wird mit hoher Sensitivität (<90%) ohne kausale Bedeutung bei Patienten mit multipler Sklerose vorgefunden. Besonders häufig lassen sich mutmaßlich als Korrelat einer immunvermittelten Bystander-Reaktion in Zwei- oder Dreifachkombination pathologische AI-Befunde für Masern-, Röteln- und Varizella-zoster-Viren (MRZ-Reaktion) aufzeigen. Eine positive MRZ-Reaktion weist somit auf das Vorliegen eines chronischen Entzündungsprozesses vom Autoimmuntyp hin und ergänzt die bezüglich der diagnostischen Sensitivität (95–98%) noch überlegene Detektion liquorspezifischer oligoklonaler IgGFraktionen. Die MRZ-Reaktion kann auch bei Neuromanifestationen systemischer Kollagenosen pathologisch verändert sein.
48 48 48 48 48 48 48
48.7.4
Die Phasenfolge der Entzündungsreaktionen ist monomorph, der zeitliche Ablauf der einzelnen Phasen weist auf die Art des Erregers hin. Die granulozytäre Zellreaktion dominiert alle bakteriellen Meningitiden, bei denen innerhalb von wenigen Stunden 10.000– 20.000 Leukozyten/μl in den Subarachnoidalraum einwandern können. Apurulente bakterielle Meningitiden mit nur gering erhöhten Zellzahlen (<1000/μl) kommen insbesondere bei immunsupprimierten Patienten vor. Bei den subakuten, nichteitrigen bakteriellen, mykotischen und parasitären Meningitiden bestehen granulozytäre und proliferative mononukleäre Phase nebeneinander, sodass eine gemischtzellige Entzündung vorherrscht (»buntes Zellbild«). Bei den meisten unkomplizierten viralen Meningitiden ist die granulozytäre Phase nach Stunden oder wenigen Tagen abgeklungen, sodass bereits die erste Liquoruntersuchung ein mononukleäres, meist überwiegend lymphozytäres Zellbild in Kombination mit einer deutlich schwächeren Schrankenfunktionsstörung als bei den bakteriellen Meningitiden zeigt. Unspezifische Reizprozesse. Mechanische Alterationen, Blutungen in den Subarachnoidalraum und intrathekale Gaben von Medikamenten oder Kontrastmittel führen zu Abräumreaktionen mit meist nur Stunden dauernder granulozytärer Phase und bis zu Monaten dauernder phagozytärer Phase (Erythrophagen, Siderophagen, Hämatoidinablagerungen, Schaumzellen oder Lipophagen). Eosinophile Granulozyten finden sich ebenfalls häufig als Fremdkörper-Reaktion (z. B. bei einer Liquordrainage), treten aber auch bei Parasitosen des ZNS und auch bei nicht parasitären Entzündungen wie der tuberkulösen Meningitis oder der Listeriose auf. Der zytomorphologische Nachweis von Erythrophagen und/ oder Siderophagen kann bei Patienten mit Subarachnoidalblutungen diagnostisch wegweisend sein. > Eine Lumbalpunktion ist zwingend erforderlich, wenn das akute Kopfschmerzereignis bereits einige Tage zurückliegt und in der kranialen Computertomographie Blut im Subarachnoidalraum nicht mehr nachgewiesen werden kann.
Erythrophagen können nach Blutungen in den Subarachnoidalraum frühestens nach 6–18 h, Siderophagen erst mit Latenz von 3–4 Tagen nachgewiesen werden.
Liquorzellzahl und -zytologie Neoplastische Veränderungen. Bei hirneigenen Tumoren kommt
Die Zellzahl im normalen Liquor beträgt bis 5/μl. Eine Zellvermehrung (Pleozytose) ist typisch, aber nicht beweisend für ZNSEntzündungen und kann auch bei Tumoren, Traumen, Parenchymblutungen oder nach einer vorangegangenen Lumbalpunktion bzw. nach Anlage externer Ventrikeldrainagen auftreten (Reizpleozytose). Im normalen Liquor finden sich mononukleäre Zellen, wobei Lymphozyten deutlich überwiegen. Die zellulären Reaktionen im Liquor lassen sich in 3 grundlegende, z. T. überlappende Typen einteilen: neuroimmunologische entzündliche Erkrankungen, unspezifische Reizprozesse und neoplastische Veränderungen. Spezialfärbungen, z. B. nach Gram, sind insbesondere für die Suche und rasche Grobdifferenzierung von Bakterien erforderlich.
es relativ selten (in 8–25%) zu einer meningealen Aussaat von Tumorzellen. Häufiger gelingt der Nachweis atypischer Zellen bei einer zerebralen oder meningealen Metastasierung von soliden Tumoren oder Leukosen und malignen Non-Hodgkin-Lymphomen. Unter den Meningealkarzinosen sind Mammakarzinome, Bronchialkarzinome und Melanome am häufigsten vertreten, eine meningeale Beteiligung bei akuten Leukämien und hochmalignen Lymphomen ist ebenfalls häufig zu erwarten und meist durch eine zellreiche unreife Blastenproliferation charakterisiert. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung von niedrig-malignen Lymphomen und reaktiv-entzündlichen lymphozytären Pleozytosen ist problematisch und gelingt oft nur durch zusätzliche Untersuchungen, die
633 Literatur
den Nachweis einer monoklonalen Zellpopulation erlauben (immunzytochemische Färbungen, FAKS, PCR).
48.7.5
Glukose und Laktat im Liquor
Die Liquorglukose muss immer in Relation zur Serumglukose beurteilt werden. Sie beträgt 50% bis ca. 66% der Serumkonzentration. Die Liquorglukose ist erniedrigt bei bakterieller, tuberkulöser und Pilzmeningitis sowie infolge des erhöhten Metabolismus von Tumorzellen häufig auch bei Meningeosis carcinomatosa. Das Liquorlaktat verhält sich meist umgekehrt proportional zur Liquorglukose und ist auch ohne Kenntnis des korrespondierenden Serumwertes diagnostisch verwertbar. Ein Anstieg des Liquorlaktats findet sich insbesondere bei entzür dlichen Erkrankungen. Laktatkonzentrationen im Liquor von >3,5 mmol/l sind typisch für bakterielle Meningitiden, bei viralen Entzündungen liegen die Werte meist <3,5 mmol/l. Insgesamt ist für die Beurteilung einer Infektion des Nervensystems die Laktatanalytik der Glukoseanalytik vorzuziehen, da auf die Mitbewertung des Serumwertes verzichtet werden kann und das Liquorlaktat im Vergleich zur Liquorglukose früher ansteigt und länger mit pathologisch erhöhten Werten persistiert.
48.7.6
Molekularbiologische Diagnostik
Bakterielle Infektionen. Die erfolgreiche Amplifikation mykobak-
terieller DNA-Sequenzen aus dem Liquor hat für die Diagnose der tuberkulösen Meningitis einen höheren Stellenwert als konventionelle Nachweisverfahren. Der Erregernachweis gelingt aber nicht in allen Fällen, und falsch-positive Ergebnisse können die Aussagekraft einschränken. Die Sensitivität der Methode liegt bei 50–90%. Der Stellenwert der PCR für die Diagnose einer Neuroborreliose ist gering. Die Detektion borrelienspezifischer DNA-Sequenzen im Liquor gelingt in <50% der Fälle. Eine PCR-Diagnostik für den Nachweis von Erregern bakterieller Meningitiden (Meningokokken, Pneumokokken, Staphylokokken, Haemophilus influenzae, Listerien, E. coli) kann als Ergänzung zum konventionellen zytologischen oder kulturellen Erregernachweis bei antibiotisch vorbehandelten Patienten sinnvoll sein.
Literatur Literatur zu 7 Abschn. 48.1–48.5 (Neuroradiologie) 1
2 3 4 5
Zahlreiche akute, subakute und chronische Infektionen des Nervensystems können mit hoher Sensitivität und Spezifität durch selektive In-vitro-Amplifikation erregerspezifischer Nukleinsäuresequenzen im nativen oder fraktionierten Liquor nachgewiesen werden. Die Polymerasekettenreaktion (PCR) und andere Nukleinsäureamplifikationstechniken (NAT) ermöglichen die Detektion erregerspezifischer DNA oder RNA bereits im Initialstadium einer Infektion und deutlich früher als serologische oder kulturelle Verfahren.
6 7 8 9 10
Virale Infektionen. Die PCR ist die diagnostische Methode der
Wahl für die frühe Diagnose der Herpes-simplex-Virusenzephalitis. Der qualitative Nachweis von Herpesvirus- (HSV-) DNA gelingt mit einer Sensitivität von 90–100% und Spezifität von nahezu 100%. Unter Therapie mit Aciclovir sind HSV-Genome noch bis zu 4 Tage nach Behandlungsbeginn nachweisbar und werden in der Regel innerhalb von 2 bis maximal 3 Wochen aus dem Liquor eliminiert. Andere virale Infektionen des Zentralnervensystems, die mit ähnlich hoher Sensitivität durch qualitative Detektion spezifischer DNA-Sequenzen im Liquor diagnostiziert werden können, sind Varizella-zoster-Virus- (VZV-) und Epstein-Barr-Virus- (EBV-) assoziierte Meningitiden, Meningoenzephalitiden und Myelitiden sowie die HSV-2-assoziierte rezidivierende und benigne verlaufende Mollaret-Meningitis. Bei aseptischen Meningitiden, die durch Enteroviren verursacht werden, gelingt der Nachweis spezifischer RNA-Sequenzen im Liquor mit deutlich höherer Sensitivität als die kulturelle Erregeranzucht. Eine hohe diagnostische Aussagekraft hat die PCR auch bei opportunistischen Virusinfektionen, die im Zusammenhang mit erworbener Immunschwäche (Aids, Organtransplantation) auftreten. Beispiele sind Enzephalitiden und Myeloradikuloneuritiden, die durch Reaktivierung von Zytomegalievirus (CMV) verursacht werden, die progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML), die durch Papovaviren vom JC-Typ ausgelöst wird sowie EBVassoziierte Non-Hodgkin-Lymphome.
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12
13
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48
634
Kapitel 48 · Neurodiagnostik in der Intensivmedizin
48
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48
Literatur zu 7 Abschn. 48.7 (Liquordiagnostik)
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635
Erhöhter intrakranieller Druck O.W. Sakowitz, A.W. Unterberg
49.1
Einleitung – 636
49.2
Intrakranieller Druck (ICP) – 636
49.2.1 49.2.2
Physiologie und Pathophysiologie des ICP – 636 Messmethoden – 638
49.3
Klinik – 638
49.3.1 49.3.2 49.3.3
Klinische Manifestationen des erhöhten ICP – 638 Indikationen für die ICP-Messung – 639 Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks – 639
49.4
Ausblick – 642 Literatur – 642
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_49, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
49
636
49 49 49 49 49 49 49 49 49
Kapitel 49 · Erhöhter intrakranieller Druck
49.1
Einleitung
Der Inhalt des Neurokraniums besteht aus dem weichen Hirngewebe, den bindegewebigen Hirnhäuten und -gefäßen (kompressibles Kompartiment) sowie den Flüssigkeiten Liquor und Blut (inkompressibles Kompartiment). Bei einem Gesamtvolumen von ca. 1500 ml beträgt der Anteil der Hirnsubstanz etwa 1100–1200 ml. Blut- und Liquorvolumen tragen je etwa 150 ml bei. Beim Blutvolumen überwiegt mit 2/3 der venöse Anteil. Der Liquor verteilt sich im extra- und intraventrikulären Raum, wobei sich Ersterer von intrakraniell kaudalwärts in den spinalen Subarachnoidalraum fortsetzt. Da sich der knöcherne Hirnschädel nach Schluss der Nähte nicht ausdehnen kann, steht diesen Volumina ein begrenzter Raum (Vgesamt) zur Verfügung. Tritt eine 4. Komponente (dVRaumforderung) hinzu, muss diese durch Ausgleichsbewegungen des inkompressiblen Kompartiments aufgewogen werden. Diese ‒ nach ihren Erstbeschreibern ‒ Munro-Kellie-Doktrin genannten Zusammenhänge sind in den folgenden Gleichungen verdeutlicht.
Vgesamt=VBlut+VLiquor+VGewebe Vgesamt+dVBlut+dVLiquor+dVGewebe+dVRaumforderung=konst.
49 49 49
49.2
Intrakranieller Druck (ICP)
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49.2.1
Physiologie und Pathophysiologie des ICP
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Definition, Normalwerte
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Als intrakranieller Druck wird derjenige Druck bezeichnet, der als Flüssigkeitsdruck in Höhe der Foramina Monroi in den Seitenventrikeln herrscht. An anderer Stelle gemessene Drücke (epidural, parenchymal) können geringfügig abweichen. Normalwerte sind in . Tab. 49.1 zusammengefasst. Der ICP ist positionsabhängig, eine Beziehung, die durch Oberkörperhochlagerung (umgekehrte Trendelenburg-Lagerung) therapeutisch genutzt wird.
ICP-Druckkurve
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Das Druckprofil des ICP wird durch die arterielle Pulswelle (Amplitudenmodulation um 1–4 mm Hg) und ventilatorische Schwankungen des intrathorakalen Drucks (Schwankungsbreite der Amplitudenmodulation abhängig von Atemtiefe) bestimmt. Bei spontan atmenden Patienten kommt es zu einem inspiratorischen Minimum, hingegen weisen mit Überdruck beatmete Patienten ein inspiratorisches Maximum auf [3].
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Die Kenntnis der Dynamik der ICP-Kurve und ihrer (patho)physiologischen Korrelate ist von intensivmedizinischer Bedeutung und prognostischem Wert.
Intrakranieller Druck und Hirndurchblutung Kann eine Zunahme des intrakraniellen Inhalts nicht mehr durch Volumenverschiebungen (dV) der flüssigen Rauminhalte kompensiert werden, kommt es zum Anstieg des intrakraniellen Drucks (7 Kap. 50).
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Nach Lundberg lassen sich bei der kontinuierlichen Aufzeichnung des ICP 3 Wellenformen klassifizieren [16]: 4 A-Wellen: A-Wellen (Synonyme: Plateauwellen, Lundberg-Wellen) zeichnen sich, bei einer Periode von 5–20 min, durch Druckanstiege über 40 mm Hg aus. Oft lassen sich im Rahmen einer intrakraniellen Raumforderung terminal Serien von A-Wellen auf steigenden Druckniveaus beobachten. Pathogenetisch wird eine Kompression sinusnaher Brückenvenen angenommmen. 4 B-Wellen: Als B-Wellen werden ICP-Anstiege mit einer Frequenz von bis zu 3/min bezeichnet, die unabhängig von Blutdruck und Atmung auftreten. Ihre Ursache ist letztlich ungeklärt, jedoch wird eine intrinsische, rhythmische Änderung des intrazerebralen Gefäßtonus angenommen. 4 C-Wellen: Als Folge von Undulationen des systemischen Blutdrucks (Hering-Traube-Wellen) treten C-Wellen mit einer Frequenz von bis zu 8/min und einer Amplitude von bis zu 20 mm Hg auf.
. Tab. 49.1 Normalwerte des intrakraniellen Drucks Altersgruppe
ICP (Normalwerte)
Säuglingsalter
<7,5 mm Hg
Kleinkindalter
<10 mm Hg
Erwachsene
<15 mm Hg
Das Hauptaugenmerk der intensivmedizinischen Behandlung der intrakraniellen Drucksteigerung liegt darauf, eine adäquate zerebrale Perfusion zu gewährleisten. Der zerebrale Perfusionsdruck (CPP) lässt sich näherungsweise als Differenz des systemischen arteriellen Mitteldrucks (»mean arterial pressure«, MAP) und des ICP errechnen. Korrekterweise muss der Druckaufnehmer hierbei auf gleicher Höhe angebracht sein (z. B. Nullpunktregistrierung auf Höhe des Meatus acusticus externus).
CPP = MAP–ICP CBF = CPP/CVR
In einem Bereich von 50–150 mm Hg ist der zerebrale Blutfluss (CBF) über die Autoregulation des intrakraniellen Gefäßwiderstands (»cerebrovascular resistance«, CVR) gesichert. Unter pathologischen Bedingungen mit einer Engstellung der Gefäße (z. B. zerebralem »Vasospasmus«) ist dieser Bereich verschoben, sodass schon bei normalem CPP von einem signifikant verminderten CBF ausgegangen werden muss. Für die individuelle Bestimmung des »optimalen« CPP können sog. »Autoregulationsindizes« herangezogen werden. Diese werden durch Korrelationsanalysen von blutflussassoziierten Messwerten (z. B. transkranielle Dopplersonographie, zerebrale Oxygenierung, etc.) mit dem CPP gewonnen. Zunehmende Verbreitung findet hier auch der zerebrovaskuläre Druck-Reaktions-Index (PRx), der die Stärke der linearen Korrelation zwischen ICP und MAP widerspiegelt. Negative Werte zeigen eine normale Reaktivität des zerebralen Gefäßstrombetts an [7].
Parameter der intrakraniellen Druckdynamik Wie aus . Abb. 49.1 zu ersehen ist, folgt der ICP-Anstieg nach Auftreten einer akuten Raumforderung einer Exponentialfunktion. Als kritischer Parameter dieser Druckzunahme kann die Elastance E als Maß der steigenden Rigidität des intrakraniellen Kompartiments bei Volumenzunahme und Einnahme der Ausgleichsräume bestimmt werden. Analog berechnet sich ihr Kehrwert, die Compliance C.
637 49.2 · Intrakranieller Druck (ICP)
. Abb. 49.1 Intrakranielle Compliance. Die Druck-Volumen-Kurve veranschaulicht die Phasen der Drucksteigerung bei einer intrakraniellen Raumforderung
Compliance: C E=dp/dV C=dV/dp
Diese abgeleiteten Werte haben den Vorteil, dass sie – im Gegensatz zum absoluten ICP – eine Aussage über die intrakraniellen Reserveräume erlauben. Zur Abschätzung der Compliance bietet sich der sog. Pressure-volume-Index (PVI) an [21]:
Pressure-Volume-Index: PVI=dV/log10 (p/p0)
Nach definierter Volumenbelastung (z. B. Flüssigkeitsinjektion in einen Ventrikelkatheter oder Aufblasen eines ventrikulär gelegenen Ballons) oder Volumenentzug wird der resultierende ICP bestimmt und mit dem Ausgangsdruck p0 verglichen. Der errechnete PVI bezeichnet die theoretische Volumenbelastung zur Steigerung des ICP auf das 10-fache des Ausgangswerts (Normwert 25–30 ml).
ICP und Ventilation Der zerebrale Gefäßtonus ist eng an den metabolischen Bedarf gekoppelt. Eine Zunahme des CO2-Partialdrucks (z. B. infolge erhöhter Stoffwechselleistung aktiver Hirnareale) führt zur Vasodilatation des zerebralen Strombetts und nachfolgend zum Anstieg des CBF. Die Umkehr dieser Beziehung wird klinisch im Rahmen der kontrollierten Hyperventilation genutzt. Hierbei gilt: > Im Bereich von 35–60 mm Hg bewirkt ein Abfall des arteriellen pCO2 um 1 mm Hg eine 4%ige Abnahme des CBF.
Der Beitrag des arteriellen O2-Partialdrucks zur Regulation des zerebralen Gefäßtonus ist in einem weiten Bereich vernachlässigbar. Erst ab einem Abfall des pO2 unter 50 mm Hg kommt es zur Vasodilatation.
ICP und Raumforderung Die Gefahr eines erhöhten ICP infolge einer akuten Raumforderung liegt darin, dass ein selbst-verstärkender Mechanismus (. Abb. 49.2) in Gang gesetzt wird, dessen Verlauf sich schematisch in Pha-
. Abb. 49.2 Circulus vitiosus von Raumforderung und intrakranieller Drucksteigerung, der unbehandelt zum zerebralen Kreislaufstillstand führen kann (ICP intrakranieller Druck; CPP zerebraler Perfusionsdruck; CVR zerebrovaskulärer Widerstand; CBV zerebrales Blutvolumen)
sen einteilen lässt. Nach einer initialen Phase der Kompensation (I) kommt es in der kritischen Phase (II) zur Erschöpfung der Ausgleichsräume des intrakraniellen Kompartimentes. Der resultierende Anstieg des ICP vermindert den zerebralen Perfusionsdruck. Im Zuge der Autoregulation sinkt der zerebrale Gefäßwiderstand, das intrakranielle Blutvolumen steigt und erhöht wiederum den ICP. Dieser Verlauf mündet in die Phase des terminalen Anstiegs (III), wo bereits eine geringe Volumenzunahme zu drastischen Drucksteigerungen führt. Der ICP folgt schließlich passiv dem arteriellen Druck (Verlust der Autoregulation), der zerebrale Blutfluss sistiert, bis der Hirntod (IV) eintritt.
Ursachen der intrakraniellen Drucksteigerung Grundsätzlich lassen sich Steigerungen des ICP (»intrakranielle Hypertension«), überwiegend definiert als Ventrikelinnendruck >20 mm Hg [5], nach ihrem zeitlichen Verlauf unterteilen. Ein langsames Ansteigen (z. B. bei Tumorwachstum) wird trotz pathologisch hoher ICP-Werte oft lange symptomlos toleriert. Schnelle Druckanstiege (innerhalb von Minuten) sind meist durch hämodynamische Ursachen (z. B. Vasodilatation), die zu einer Zunahme des zerebralen Blutvolumens führen, oder akut raumfordernde Prozesse wie intrakranielle Blutungen nach Schädel-Hirn-Trauma bedingt. Die posttraumatische Hirnschwellung gibt pathophysiologisch nach wie vor Rätsel auf. Beim schweren Schädel-Hirn-Trauma sind für die Hirnschwellung vaskuläre Mechanismen (Vasodilatation, erhöhtes zerebrales Blutvolumen) und das posttraumatische Hirnödem verantwortlich. Es werden 2 Prototypen des Hirnödems unterschieden [32]: 4 Vasogenes Hirnödem: Beim vasogenen Ödem kommt es zur Extravasation einer Ödemflüssigkeit ins Hirnparenchym durch die geschädigte Blut-Hirn-Schranke. Die Gefäßpermeabilität ist auch für Makromoleküle erhöht; die Ödemflüssigkeit ist proteinreich, der Extrazellulärraum erweitert. Das Ausmaß des Ödems wird vom Ausmaß der Schrankenstörung und vom Druckgradienten zwischen Blutgefäßen und Parenchym bestimmt. 4 Zytotoxisches Hirnödem: Beim zytotoxischen Hirnödem ist die Gefäßpermeabilität
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Kapitel 49 · Erhöhter intrakranieller Druck
primär unverändert. Ihm liegt ein toxischer Schaden von Astrozyten und Neuronen zugrunde, der zu einer intrazellulären Wasserakkumulation führt (Zunahme der Natriumpermeabilität, Hemmung des Energiestoffwechsels, Versagen der Eliminationsmechanismen für osmotisch wirksame Ionen und Moleküle). Dadurch kommt es zur Schrumpfung des Extrazellulärvolumens. Die zweifellos wichtigste Ursache für ein zytotoxisches Ödem ist die zerebrale Ischämie. Während die posttraumatische Hirnschwellung noch bis vor kurzer Zeit als vorwiegend vasogenen Ursprungs klassifiziert wurde, sprechen jüngere Ergebnisse eher für das Dominieren einer zytotoxischen Ödemkomponente [20].
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49.2.2
Messmethoden
Zur Messung des ICP wird eine Vielzahl von Messsystemen angeboten. Im Folgenden sollen anhand einer grundsätzlichen Einteilung, die sich nach dem Ort der Messung richtet (für Messmethoden alternativ zur Ventrikeldruckmessung . Abb. 49.3), Vor- und Nachteile der einzelnen Messverfahren geschildert werden.
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renchymatösen Messung mit diesen Sonden ist die subdurale Lage mit einer höheren Rate an Fehlfunktionen verbunden.
49.3
Klinik
49.3.1
Klinische Manifestationen des erhöhten ICP
Ventrikeldruckmessung Bei dem klassischen, flüssigkeitsmanometrischen Verfahren der Ventrikeldruckmessung wird ein Katheter in das Vorderhorn des (rechten) Seitenventrikels eingebracht und über eine Flüssigkeitssäule mit einem externen Druckaufnehmer verbunden. Der Liquordruck des Ventrikelsystems kann so, aber auch über einen mit dem Ventrikelkatheter kombinierten Direktdruckmesser (7 unten) bestimmt werden. Neben den niedrigen Kosten der einfachen Ventrikelkatheter und der simplen Handhabung ist die Möglichkeit zur Liquordrainage als Vorteil zu nennen. Die Ventrikelpunktion an sich ist mit einem durchschnittlichen Blutungsrisiko von 2% belastet, die Infektionsgefahr steigt mit der Liegezeit (5–10%). Das Risiko einer Fehlpunktion korreliert mit dem Ausmaß der Ventrikelverlagerung/-kompression (durchschnittlich 6%).
Parenchymdruckmessung Parenchymdruckmessungen erfolgen mit Direktdruckwandlern, die z. B. fiberoptisch oder piezoresistiv den mechanischen Druck übertragen. Die Einfachheit der Implantation dieser Systeme erklärt die steigende klinische Akzeptanz. Durch ein Bohrloch werden diese Sonden in 2–3 cm Tiefe in der weißen Substanz platziert. Infektionsrisiko und Blutungskomplikationen werden gegenüber der Ventrikeldruckmessung als günstiger beschrieben. Die Nachteile liegen in den deutlich höheren Kosten sowie den fehlenden Möglichkeiten, Liquor zu drainieren und nachträgliche Kalibrationen durchzuführen.
Epidurale Druckmessung
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. Abb. 49.3 Alternative Messverfahren des intrakraniellen Druckes. a epidural; b Fontanometrie (Säugling); c parenchymal; d subdural
Die epidurale Druckmessung beruht auf der Messung der Spannung der Dura (Prinzip der Koplanarität). Sie zeichnet sich durch ihre geringere Invasivität sowie eine geringere Komplikationsrate (Blutungen und Infektionen unter 1%) aus. Die Zuverlässigkeit der Methode ist jedoch eingeschränkt (Fehlfunktionen bis zu 15% der Messungen) und die klinische Verbreitung gering.
Subdurale Druckmessung Messsysteme, die subdural platziert werden, spielen heutzutage eine untergeordnete Rolle. Wenn überhaupt wird der ICP subdural mit Direktdruckwandlern (7 oben) gemessen. Gegenüber der intrapa-
Die Symptome der intrakraniellen Hypertension sind initial unspezifisch, abhängig vom zeitlichen Verlauf (akut oder chronisch) und müssen in ihrer Zusammenschau bewertet werden. Als Frühsymptome des erhöhten ICP sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen zu nennen. Später kann es (insbesondere bei chronisch progredienter Entwicklung) zu einer Stauungspapille kommen. Bei rascher Progredienz des Geschehens kommt es zur Entwicklung eines Druckgradienten mit einer sukzessiven Massenverschiebung des Gehirns. Diese wird durch Einklemmung von Hirngewebe an knöchernen und bindegewebigen Strukturen (Herniation) in klinisch-neurologischen Syndromen manifest. Die Richtung dieses Gradienten bestimmt die Richtung der Verschiebung und die klinische Symptomatik. So kommt es bei der axialen Massenverschiebung zur Einklemmung des Uncus hippocampi am Tentoriumschlitz (transtentorielle Herniation) mit einer Kompression des N. oculomotorius (N. III). Sie bewirkt eine Anisokorie, die letztendlich bei beidseitiger Herniation in eine bilaterale Mydriasis übergeht. Im Bereich der Falx cerebri kann es durch Verschiebung der Frontallappen (subfalziale Herniation) zu Verschlüssen der Aa. cerebri anteriores mit resultierendem Frontalhirnsyndrom und Minderperfusion der motorischen Regionen im Bereich der Mantelkante (Beinparese) kommen. Okklusionen im Stromgebiet der Aa. cerebri posteriores können zu Territorialinfarkten sowie petechialen Blutungen im Mittel- und Stammhirn führen. Bei der inversen transtentoriellen Herniation (z. B. infolge einer infratentoriellen Raumforderung) fehlt die pupillomotorische Störung. Massive Verschiebungen mit Einklemmung im Foramen magnum (transforaminale Herniation) führen in kürzester Zeit zur vegetativen Entgleisung und zum Atemstillstand. > Die klassische Cushing-Trias aus arterieller Hypertension (»Wasserhammerpuls»), Bradykardie und respiratorischer Arrhythmie findet sich nur in 1/3 der Fälle mit massiv erhöhtem ICP.
639 49.3 · Klinik
49.3.2
Indikationen für die ICP-Messung
Obwohl der positive Beweis einer Verbesserung des klinisch-neurologischen Endergebnisses durch ICP-Monitoring anhand einer kontrollierten, randomisierten Studie nach wie vor aussteht (und aufgrund methodischer und ethischer Vorbehalte wahrscheinlich nie geführt werden wird [4]), belegen mehrere kontrollierte klinische Studien – zumindest indirekt – den Nutzen der ICP-Messung und der ICP-gesteuerten Therapie [24]. Die Erhöhung des intrakraniellen Drucks kann nur dann behandelt werden, wenn der intrakranielle Druck als unabhängiger Parameter direkt gemessen wird. Die Messung des intrakraniellen Drucks ist immer dann indiziert, wenn eine Erkrankung zur ICP-Dekompensation führen kann und das Ausmaß der Steigerung des intrakraniellen Drucks durch bildgebende Verfahren nur unzuverlässig zu erkennen ist.
Die Indikationen für die ICP-Messung gilt in erster Linie für Patienten mit 4 schwerem Schädel-Hirn-Trauma (Glasgow Coma Scale <9), 4 höhergradigen Subarachnoidalblutungen (SAB nach Hunt u. Hess Grad 4 und 5), 4 intraventrikulären und intraparenchymatösen Hirnblutungen, 4 raumfordernden Hirninfarkten.
Seltenere Indikationen sind die perioperative Überwachung von Patienten nach Hirntumoroperationen, insbesondere mit erhöhtem Nachblutungsrisiko, schwere Meningitiden und das Reye-Syndrom.
Kontraindikationen Aus den Risiken und Komplikationen der einzelnen Messverfahren ergibt sich, dass sie abgebrochen oder nicht durchgeführt werden sollten, sobald weniger invasive Methoden zur Erkennung eines erhöhten intrakraniellen Drucks angewandt werden können. Bei wachen, bewusstseinsklaren Patienten erübrigt sich somit meist die
ICP-Messung. An ihre Stelle tritt die engmaschige neurologische Untersuchung. Bei Patienten mit Koagulopathien oder Immundefizit ist unter Abwägung der Nutzen-Risiko-Relation und angemessenen prophylaktischen Maßnahmen (z. B. Normalisierung der Gerinnungsparameter durch Faktorensubstitution) das jeweils risikoärmste Verfahren zu wählen.
49.3.3
Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks
Zur Senkung des erhöhten intrakraniellen Drucks steht eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, die neben ihrem therapeutischen Nutzen auch potenzielle Risiken und Komplikationen mit sich bringen. Im Folgenden werden diese in der Reihenfolge dargestellt, wie sie auch in der Praxis angewandt werden sollten. Ein detaillierter Algorithmus, der diese Optionen zusammenfasst, wird in Zusammenschau mit den heutzutage vorherrschenden Therapiekonzepten vorgeschlagen [6, 18] (7 Kap. 50, . Tab. 49.2).
Lagerung des Oberkörpers Die Lagerung des Patienten hat einen erheblichen Einfluss auf den intrakraniellen Druck und den zerebralen Perfusionsdruck. Schon die seitliche Drehung des Kopfes oder ein Abknicken des Halses kann den venösen Abfluss deutlich beeinträchtigen und eine prompte Steigerung des intrakraniellen Drucks hervorrufen. Obwohl kontrovers diskutiert, sind bei den meisten Patienten durch eine Oberkörperhochlagerung von 15–30°, bei unbehindertem zerebrovenösen Abfluss, intrakranieller Druck, zerebraler Perfusionsdruck und zerebrale Oxygenierung optimiert [31]. Andere mechanische Zu- und Abflusshindernisse (z. B. enge Halsverbände, zervikale Hämatome, Hautemphysem) sind zu vermeiden oder zu korrigieren, bevor sie hämodynamisch relevant werden. In verschiedenen Untersuchungen ist gezeigt worden, dass bei der Flachlagerung von Patienten mit erhöhtem intrakraniellen Druck der ICP zwar deutlich ansteigt, der zerebrale Perfusionsdruck jedoch praktisch unbeeinträchtigt bleibt und Hirndurchblu-
. Tab. 49.2 Synopsis der Therapieoptionen zur Senkung des intrakraniellen Druckes Therapie
Mechanismus
Vorteile
Nachteile
Oberkörperhochlagerung
Venöse Drainage, CBV p
Einfach, effektiv
CPP p
Liquordrainage
Intrakranielle Volumenentlastung
Einfach, effektiv
Invasiv, Infektionsrisiko
Hyperventilation
Vasokonstriktion,
Einfach, effektiv
Gefahr der zerebralen Ischämie, zerebrale Oxygenierung p
5 moderat (pCO2 =30– 35 mm Hg)
CBF p, CBV p
5 forciert (pCO2 <30 mm Hg)
CBF pp, CBV p
Osmodiuretika (z. B. Mannit 20%, hypertone Kochsalzlösungen)
Osmotischer Gradient, Dehydratation des Gehirns
Einfach
Gefahr der Nephrotoxizität bei Osmolarität >320 mosm/l, Hypernatriämie
Barbiturate
Metabolismus p, CBF p, CBV p
Systemische Nebenwirkungen, EEG-Überwachung notwendig
THAM (Trispuffer), Indomethacin, andere
Vasokonstriktion CBF p, CBV p
Zerebrale Oxygenierung p
Dekompressionstrepanation (+ Duraerweiterungsplastik)
Intrakranieller Raumgewinn
Hypothermie
Metabolismus p, CBF p, CBV p
Einfach, schnell
Operatives Risiko (gering) Technisch aufwändig, systemische Nebenwirkungen
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Kapitel 49 · Erhöhter intrakranieller Druck
tung und zerebrale Oxygenierung ebenfalls konstant bleiben [28]. Insofern wird von manchen Autoren sogar die Flachlagerung von Patienten heutzutage regelhaft durchgeführt.
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Als Empfehlung kann derzeit abgeleitet werden Die Oberkörperhochlagerung sollte bei Patienten mit deutlich erhöhtem intrakraniellem Druck als Basismaßnahme durchgeführt werden. Patienten mit nur mäßig erhöhtem intrakraniellem Druck profitieren von der Oberkörperhochlagerung entsprechend weniger.
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Liquordrainage Mittels eines Ventrikelkatheters kann nicht nur der ICP gemessen, sondern auch therapeutisch Liquor drainiert werden. Dadurch wird im intrakraniellen Kompartiment der Liquorraum verkleinert und Platz für eine Raumforderung geschaffen. Die Liquordrainage ist eine sehr einfache und effektive Maßnahme zur ICP-Senkung, deren Wert sich an der Einsparung weiterer Maßnahmen bemisst. Prinzipiell stehen zwei verschiedene Möglichkeiten der Liquordrainage zur Verfügung: Kontinuierliche Liquordrainage. Bei der kontinuierlichen Liquor-
drainage wird das Tropfgefäß in definierter Höhe über dem Meatus acusticus externus installiert und bleibt stets geöffnet. Intermittierende Liquordrainage. Die intermittierende Drainage erfolgt halbstündlich oder stündlich für wenige Minuten bis zu einer Drainagegrenze von 15–20 cm H2O. Während bei der Dauerdrainage eine gleichzeitige Messung des intrakraniellen Drucks nur mit einem zusätzlichen Druckaufnehmer möglich ist, kann dies bei intermittierender Drainage problemlos erfolgen.
Hyperventilation Bei Hypokapnie durch Hyperventilation kommt es zur Konstriktion zerebraler Gefäße. Unterschieden werden mäßige (paCO2 30– 35 mm Hg) und forcierte (paCO2 <30 mm Hg) Hyperventilation. Durch die Konstriktion der Hirngefäße wird das zerebrale Blutvolumen reduziert und der intrakranielle Druck rasch und effektiv gesenkt. Andererseits geht mit der Vasokonstriktion die Gefahr einer zusätzlichen (sekundären) zerebralen Ischämie einher [8]. ! Cave Die prolongierte, forcierte Hyperventilation (Zielgröße: paCO2 25 mm Hg) wirkt sich negativ auf das klinischneurologische Outcome der Patienten aus. Diese Maßnahme ist daher heute obsolet [25]. Da es in der Frühphase nach einer Hirnverletzung (z. B. erste 24 h nach SHT) meist zu einer zerebralen Hypoperfusion kommt, sollte speziell in dieser Zeit auf eine prophylaktische Anwendung der Hyperventilation verzichtet werden [5].
Auch die kurzfristige Hyperventilation kann sich u. U. negativ auswirken. Stets kommt es – trotz Abnahme des intrakraniellen Drucks und trotz Verbesserung des zerebralen Perfusionsdrucks – zur Abnahme der zerebralen Oxygenierung. Kritisch wird dieser Abfall der zerebralen Oxygenierung jedoch erst dann, wenn eine forcierte Hyperventilation eingesetzt wird [14]. Forcierte Hyperventilation kann dennoch kurzfristig angewandt werden, wenn einer akuten druckbedingten neurologischen Verschlechterung begegnet werden muss oder auch, wenn im Rahmen einer längerfristigen Therapie die Therapieoptionen Sedierung, Liquordrainage und Osmodiuretika ausgeschöpft sind.
Zur Erkennung einer möglichen zerebralen Ischämie bei der Hyperventilationstherapie werden die Überwachung der jugularvenösen O2-Sättigung oder die Hirndurchblutungsmessung empfohlen, sofern die Grenze eines paCO2 von 30 mm Hg unterschritten wird [5]. Alternativ bieten sich direkte Messungen des O2-Partialdrucks im Hirngewebe an. Diese Messungen basieren auf dem Prinzip der Clark-Elektrode (z. B. Licox-Mikrokatheter) und sind eine zuverlässige und sensitive Methode zur Erkennung zerebraler Hypoxien [14]. Ein im Rahmen der kontrollierten oder assistierten Beatmung applizierter positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) beeinflusst den intrakraniellen Druck zwar nicht per se, kann allerdings durch kardial-hämodynamische Effekte die zerebrale Perfusion indirekt beeinträchtigen [26].
Osmodiuretika (Mannit) Osmodiuretika führen zur raschen, effektiven, passageren Senkung des intrakraniellen Drucks. Neben Mannit (20%) werden seltener auch Sorbit (intravenös 40%) und Glycerol (10%, sowohl intravenös als auch oral) angewandt. Hypertone Kochsalzlösungen, auch in Kombination mit Kolloiden, befinden sich derzeit in Erprobung. Durchgesetzt hat sich die Gabe 20%iger Mannitinfusionen, wobei in der Intensivmedizin bei erwachsenen Patienten (70–80 kg) in der Regel ca. 125 ml (entspricht: 0,3 g/kg KG) über 10–20 min infundiert werden. Zur akuten, z. B. intraoperativen Senkung des gesteigerten intrakraniellen Drucks werden jedoch auch höhere Dosen, z. B. 250 ml, kurzfristig infundiert. Höheren Dosen von Mannit (bis zu 1,4 g/kg KG als rasche Bolusgabe) kommt nur in der präoperativen oder auch Prähospitalphase eine Rolle zu. So kann bei von zerebraler Einklemmung bedrohten Patienten Zeit bis zur definitiven operativen Versorgung gewonnen werden [35]. Mannitinfusionen werden entweder in vorher festgelegten Zeitintervallen (z. B. alle 6–8 h) gegeben oder erst nach Bedarf, d. h. jedes Mal, wenn der ICP einen definierten Wert (z. B. 20 mm Hg) übersteigt. Diese letztgenannte, individualisierte Mannittherapie ist weniger gebräuchlich. Meist werden Mannitgaben »nach Schema« angesetzt. Die 2-stündliche Mannitgabe entspricht einer Tagesdosis von 3,6 g/kg KG. Aufgrund der möglichen Nierenschädigung sollte vor der Mannitgabe die Plasmaosmolarität (Grenzwert 320 mosm/l) bestimmt werden. Wirkungsmechanismus. Als Wirkungsmechanismen des Mannits werden eine passagere, unspezifische Dehydratation des gut durchbluteten Gewebes (osmotischer Gradient) sowie die Verbesserung der rheologischen Eigenschaften des Blutes (herabgesetzte Viskosität) postuliert. Die Hirndurchblutung steigt an, und bei intakter Autoregulation nimmt der ICP ab, der CPP hingegen zu [6, 12, 22]. Reboundphänomen. Insbesonders nach mehrfacher Mannitgabe
bei defekter Blut-Hirn-Schranke könnte es zum Anstieg des ICPNiveaus kommen. Dies wird als Reboundphänomen bezeichnet und auf osmotisch wirksames, parenchymales Mannit zurückgeführt. Die Existenz des Rebounds ist schwer nachzuweisen, da der ICP eine dynamische Größe ist. Die klinische Erfahrung lehrt, dass selbst bei Patienten mit nachweisbarer Schrankenstörung über Tage mit Mannit therapiert werden kann und damit immer eine ICP-Reduktion erreicht wird, ohne dass darunter ein »tendenzieller« ICP-Anstieg zu beobachten ist. Im Rahmen des allgemeinen intensivmedizinischen Therapiekonzepts ist besonders darauf zu achten, dass durch adäquate Flüssigkeitsbilanzierung eine Normovolämie erhalten bleibt.
641 49.3 · Klinik
Hypertone Kochsalzlösungen Auch andere hyperosmolare Substanzen wie z. B. hypertone Kochsalzlösungen führen zu einer Reduktion des zerebralen Wassergehalts und können somit den ICP senken. Ferner wird eine Optimierung der Mikrozirkulation diskutiert. Der Einsatz hypertoner Kochsalzlösungen zur Therapie des erhöhten intrakraniellen Druckes leitet sich aus Studien zur »small-volume-resuscitation« bei polytraumatisierten Patienten im hämorrhagischen Schock ab. Die Kontrolle hämodynamischer Parameter wirkte sich hier am Besten bei Patienten mit SHT aus [34], sodass bei diesem Krankheitsbild bislang die meisten Erfahrungen bestehen. Die Auswahl der Konzentration (z. B. 1,6%, 3%, 23,4%) sowie Applikationsdauer und -häufigkeit variieren jedoch zwischen den Studien stark. Auch bei Patienten mit Subarachnoidalblutungen, intrazerebralen Blutungen und raumfordernden Hirninfarkten werden hypertone Kochsalzlösungen in zunehmendem Maße eingesetzt.
In einer großen prospektiven randomisierten Studie bei schwer schädel-hirn-traumatisierten Patienten konnte jedoch durch THAM allein keine signifikante Verbesserung des klinischneurologischen Endergebnisses erzielt werden. Allerdings wurden die nachteiligen Wirkungen prolongierter Hyperventilation durch THAM verringert [25]. Ähnlich wie die Hyperventilation führt die Gabe von THAM (1 mmol/kg KG) zwar zu einer Reduktion des ICP und einer Verbesserung des CPP, jedoch kommt es gleichzeitig zu einem signifikanten, nicht erwarteten Abfall der Gewebeoxygenierung. Möglicherweise erklärt sich dieses Phänomen auch durch einen arteriellen pO2Abfall nach Bolusinfusion von THAM. Die Gabe von THAM bei erhöhtem intrakraniellen Druck wird daher nicht generell empfohlen [13].
Indometacin
! Cave Hypertone Kochsalzlösungen können bei Patienten mit chronischer Hyponatriämie zur zentralen pontinen Myelinolyse führen. Eine Hyponatriämie sollte vor dem Einsatz hypertoner Kochsalzlösungen ausgeschlossen werden.
Indometacin ist ein nicht-steroidales Antiphlogistikum, das nach einer intravenösen Bolusgabe von 0,5–1 mg/kg KG zu einer raschen zerebralen Vasokonstriktion führt. Hierdurch wird der zerebrale Blutfluss und damit auch der intrakranielle Druck gesenkt. Indometacin hat somit einen ähnlichen Stellenwert wie THAM. Der Einsatz beschränkt sich bislang auf experimentelle Behandlungen des therapierefraktär erhöhten intrakraniellen Drucks.
Hochdosis-Barbiturattherapie
Katecholamine
Nach Ausschöpfen von Liquordrainage, moderater Hyperventilation und Gabe von Osmodiuretika können Barbiturate zur Therapie des erhöhten ICP eingesetzt werden. Barbiturate führen zu einer Reduktion des zerebralen Stoffwechsels und einer damit einhergehenden Senkung der Hirndurchblutung und des zerebralen Blutvolumens. Weitere erwünschte Wirkungen der Therapie sind die antikonvulsive Wirkung, die Hemmung lysosomaler Enzyme, die Verhinderung der Freisetzung von freien O2-Radikalen sowie eine mäßige Hypothermie bzw. Fiebersenkung [17]. Unerwünschte Nebenwirkungen der Barbiturate sind Blutdruckabfall, eine Leukozytendepression sowie eine erhöhte Infektbereitschaft. Um zu testen, ob es durch eine angestrebte Barbiturattherapie zur Verbesserung des zerebralen Perfusionsdrucks kommt, werden 5 mg/kg KG Thiopental in 30 min infundiert. Dabei werden der intrakranielle Druck, der mittlere arterielle Blutdruck und der zerebrale Perfusionsdruck kontrolliert. Nur wenn es zu einer Verbesserung des zerebralen Perfusionsdrucks kommt, ist ein Weiterführen der Therapie sinnvoll [9]. Als Erhaltungsdosis werden 5 mg/kg KG/h Thiopental empfohlen. Da keine eindeutige Korrelation zwischen Serumspiegel und therapeutischer Wirkung gezeigt werden konnte, wird die kontinuierliche EEG-Überwachung zur exakten Titration der therapeutischen Erhaltungsdosis herangezogen. Danach ist die maximale Reduktion des zerebralen Metabolismus erreicht, wenn ein Burstsuppression-Muster induziert worden ist [30].
Der Einsatz von Katecholaminen zur Behandlung des erhöhten intrakraniellen Drucks beruht auf dem Konzept des sog. CPP-Managements [29]. Wird bei erhaltener Autoregulation und konstantem Hirnstoffwechsel der arterielle Blutdruck gesteigert, so kommt es – dem oben dargestellten physiologischen Regelkreis folgend – zur Vasokonstriktion und zu einer Abnahme von zerebralem Blutvolumen und intrakraniellem Druck. Als Katecholamine werden Dopamin (Niedrigdosis: bis 3 μg/ kg KG/min; Mitteldosis: 5–10 μg/kg KG/min; Hochdosis: über 10 μg/kg KG/min) sowie Noradrenalin (z. B. 0,1 μg/kg KG/min) eingesetzt. Wichtig bei diesem Verfahren sind die Aufrechterhaltung der Normovolämie und die besondere Beachtung der Nierenfunktion. Da diese Therapieform auf der Annahme einer intakten Autoregulation basiert (und anderenfalls die ICP-Erhöhung verstärken würde), sollte sie zur Behandlung der intrakraniellen Hypertension (ICP >20 mm Hg) in erster Linie bei arterieller Hypotension oder erst nach Ausschöpfen anderer Maßnahmen wie moderater Hyperventilation, Liquordrainage und Osmodiuretikagabe eingesetzt werden. Eine vergleichende Studie der ICP-orientierten (»Standard«-) therapie mit einer CPP-orientierten Therapie konnte bei SHT-Patienten keinen messbaren Einfluss auf das klinisch-neurologische Endergebnis nachweisen. Hingegen ist die CPP-orientierte Therapiestrategie mit einer Häufung systemischer Komplikationen wie dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) vergesellschaftet [27].
THAM (Trispuffer) Intravenös appliziertes THAM (Trometamol, Trispuffer) führt zu einer signifikanten Senkung des intrakraniellen Druckes. THAM soll einerseits über eine Pufferung der intrazellulären Azidose wirken, andererseits wird eine diuretische Wirkung postuliert. Der genaue Mechanismus ist ungeklärt. Als mögliche Effekte bei akuten zerebralen Läsionen sind die Verminderung der extra- und intrazellulären Azidose, bei Ischämie die Senkung der Gewebelaktatkonzentration sowie die Verringerung eines postraumatischen Ödems zu nennen [1, 10].
! Cave Zumindest eine »unkritische« Erhöhung des CPP über 70 mm Hg muss demnach in Frage gestellt werden. Beim Schädel-Hirn-Trauma wird von einer prophylaktischen Anhebung des CPP über 50–70 mm Hg abgeraten [5].
Dekompressionstrepanation (mit Duraerweiterungsplastik) Die Dekompressionstrepanation mit Duraerweiterungsplastik sollte erst dann erfolgen, wenn zunächst versucht wurde, die Hirnschwellung konservativ zu behandeln. Sie wird uni- oder bilateral durchgeführt. Die Indikation stellt sich insbesondere bei langsam
49
642
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Kapitel 49 · Erhöhter intrakranieller Druck
progredienten ICP-Erhöhungen junger Patienten (Alter <50 Jahre), deren primäre Hirnschädigung überlebt werden kann, die keine primäre Pupillenstörung aufweisen und bei denen keine primären Hirnstammschädigungen vorliegen [15]. Patienten mit schwerer Hypoxie sind keine Kandidaten für diese Therapieform [11]. Die Dekompressionstrepanation mit Duraerweiterungsplastik wird als frühzeitige Maßnahme bei Patienten mit ausgedehnten Hemisphäreninfarkten (»maligner Mediainfarkt«) angewendet. Mehrere randomisierte, multizentrische Studien konnten hier eine drastische Reduktion in der Mortalität gegenüber der konservativen ICP-Therapie belegen [33]. Beim Schädel-Hirn-Trauma erlaubt die gegenwärtige Studienlage kein abschließendes Urteil zur Wertigkeit der Dekompressionstrepanation. Aktuelle prospektiv-randomisierte Multicenterstudien müssen abgewartet werden [30].
Hypothermie
49
In jüngster Vergangenheit wurde die kontrollierte moderate Hypothermie (32°C) zunächst an verschiedenen Zentren klinisch erprobt [19], anschließend in einer multizentrischen, randomisierten, prospektiven klinischen Studie, die an verschiedenen amerikanischen Zentren durchgeführt wurde. Der Wirkungsmechanismus leitet sich wie bei der Hochdosis-Barbiturattherapie von einer Verringerung des zerebralen Metabolismus und des zerebralen Blutflusses ab. Der intrakranielle Druck wird in der Phase der besonders stark ausgeprägten posttraumatischen Schwellung gedrosselt und der zerebrale Perfusionsdruck verbessert. Während durch Hypothermie in Phase-II-Studien zunächst äußerst positive Resultate hinsichtlich des klinisch-neurologischen Endergebnisses von Schädel-Hirn-Trauma-Patienten erzielt werden konnten [19], wurde die multizentrische Phase-III-Prüfung bereits vorzeitig abgebrochen [6]. Bei dieser Studie konnte kein positiver Effekt der Hypothermie beim schweren Schädel-Hirn-Trauma nachgewiesen werden – im Gegenteil: Die mit Hypothermie behandelten Patienten wiesen mehr Komplikationen auf und waren länger hospitalisiert. Aufgrund der z. T. erheblichen Beeinträchtigung anderer Körpersysteme (Leber, Pankreas, Nieren, Gerinnung) sollte das Verfahren der moderaten Hypothermie nur noch unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen als Ultima-ratio-Verfahren angewendet werden [23].
49
Glukokortikosteroide
49 49 49 49 49 49 49 49
49.4
Eine unkontrollierte Erhöhung des intrakraniellen Druckes ist häufig die Endstrecke verschiedener zerebraler Pathologien und stellt nach wie vor eine therapeutische Herausforderung dar. Die ICPMessung gehört seit vielen Jahren zum Repertoire neurochirurgisch-neurologischer Intensivmedizin. Idealerweise sollte eine sich anbahnende Erhöhung des intrakraniellen Drucks schon in der frühesten Anfangsphase erkannt werden, um mit der Therapie bereits in der Phase der Kompensation beginnen zu können. Hierzu befinden sich derzeit hämodynamikbasierte Konzepte (Autoregulation) und ergänzende Monitoringverfahren in der klinischen Erprobung und könnten zukünftig eine individualisierte Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks erlauben. Neue Therapieoptionen zur Senkung des ICP (z. B. hypertone Kochsalzlösungen), aber auch etablierte Therapieoptionen, die bislang weitestgehend pragmatisch angewandt wurden (z. B. Dekompressionstrepanation), müssen kontrollierten, randomisierten Studien unterzogen werden. Die Überwachung und Therapie von ICP und CPP wird auch in den nächsten Jahren die klinische Behandlung akut zerebral geschädigter Patienten maßgeblich bestimmen.
Literatur 1
2 3
4
5
6
49
In der Vergangenheit ist verschiedentlich beschrieben worden, dass durch Glukokortikosteroide, die nachweislich zu einer Verringerung des perifokalen Tumorödems führen, u. U. auch eine reduzierende Wirkung auf den erhöhten intrakraniellen Druck zu beobachten ist. Dies wird u. a. durch die Drosselung der Liquorsekretion erklärt. Ein solcher Effekt ist jedoch gering und nur schwer nachweisbar. Mit dem Ziel der intrakraniellen Drucksenkung sollte diese Substanzklasse deshalb nicht eingesetzt werden.
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Secalealkaloide
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10
49 49 49 49
Die einzige Substanz dieser Gruppe, von der nachweislich eine ICP-senkende Wirkung ausgeht und die heute vereinzelt klinisch eingesetzt wird, ist Dihydroergotamin (DHE; [3]). Sie soll insbesondere auf Venen konstriktorisch wirken und somit zu einer Drosselung des zerebralen Blutvolumens führen. Es sei darauf hingewiesen, dass es besonders bei parenteraler Anwendung von DHE zu schwerwiegender arterieller Vasokonstriktion bis zum vollständigen Gefäßverschluss kommen kann (Ergotismus).
Ausblick
11
12 13
14
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643 Literatur
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49
645
Koma, metabolische Störungen und Hirntod A. Bitsch (Vorauflage unter Mitarbeit von F. Weber und H. Prange)
50.1
Koma – 646
50.1.1 50.1.2 50.1.3 50.1.4 50.1.5
Pathogenese – 646 Beurteilung der Bewusstseinslage – 646 Diagnostik – 646 Therapie – 648 Differenzierung komaähnlicher Syndrome – 648
50.2
Metabolische Störungen – 649
50.2.1
Ursachen – 649
50.3
Hirntod – 651
50.3.1 50.3.2 50.3.3
Pathogenese – 651 Hirntodkriterien – 652 Hirntoddiagnostik – 652
Literatur – 653
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 0,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
50
646
50 50 50 50
Kapitel 50 · Koma, metabolische Störungen und Hirntod
50.1
Koma
Definition Koma kann nach einem Vorschlag der Konsensusgruppe der deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) folgendermaßen definiert werden: Verlust aller kognitiven Leistungen, Verlust der elektiven Reagibilität, Unerweckbarkeit.
50
50.1.1
50
Bewusstsein und Wachheit sind an eine weitgehend ungestörte Funktion des Kortex und der mesenzephalen Formatio reticularis sowie ihrer aszendierenden Projektionen gebunden. Hierbei hat das aszendierende retikuläre aktivierende System (ARAS) den größten Einfluss auf das Bewusstsein. Es stellt eine schlecht definierte Gruppe von Neuronen dar, die sich von der Brückenhaube bis zum Thalamus erstreckt. 3 Hauptprojektionswege wurden identifiziert [12]: 4 über die intralaminaren Thalamuskerne beidseits bis zum Kortex, 4 über den Hypothalamus zum limbischen System und Frontalhirn, 4 von den Raphekernen und dem Locus coeruleus zum Neokortex.
50 50 50 50 50 50 50 50 50
Pathogenese
Das ARAS übermittelt externe Stimuli zum Kortex und wird selbst durch kortikale Stimulation der Thalamuskerne und sensorische Projektionen zum limbischen System moduliert. Voraussetzung für die Entstehung des Komas ist eine beidseitige Schädigung, die das ARAS oder seine Projektionen unterbricht. Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob es sich um eine funktionelle oder strukturelle beziehungsweise um eine primäre (z. B. Schädel-Hirn-Trauma) oder sekundäre (z. B. metabolische) Schädigung handelt. Die Ursache des Komas entscheidet weniger über die klinische Ausprägung als über die zeitliche Dynamik der Bewusstseinsstörung.
50 50.1.2
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Beurteilung der Bewusstseinslage
Stupor – Somnolenz – Sopor – Koma Das Kontinuum des Bewusstseins reicht von Wachheit über Somnolenz, Sopor bis zum Koma, wobei die Begriffe »Somnolenz« und »Sopor« nur unscharf definiert sind. Abzugrenzen ist der Zustand des »Stupors«, der z. B. bei psychiatrischen Erkrankungen beobachtet wird (depressiver Stupor, katatoner Stupor). Es handelt sich um eine qualitativ andere Bewusstseinsstörung mit Fehlen jeglicher körperlicher und/oder geistiger Aktivität bei wachem Bewusstsein. Die Augen sind zumeist geöffnet, der Patient reagiert aber nicht oder nur deutlich vermindert auf externe Stimuli. Der Begriff Stupor hat im angloamerikanischen Sprachraum eine andere Bedeutung, die ungefähr der des deutschen Begriffs »Sopor« entspricht. 4 Somnolenz: Ein somnolenter Patient ist durch Ansprache jederzeit erweckbar – d. h. er öffnet die Augen und verhält sich dann zunächst adäquat. Er fällt allerdings rasch wieder in einen schlafähnlichen Zustand, sobald der Untersucher seine Aufmerksamkeit von ihm abwendet. 6
4 Sopor: Ein soporöser Patient dagegen ist durch Ansprache nicht erweckbar. Auch bei kräftiger Stimulation (Schütteln, Schmerzreiz) wird er nur kurz wach, öffnet die Augen und fällt bei Sistieren der Stimuli sofort wieder in den Sopor zurück. Er ist zu Lautäußerungen, nicht aber zu einer Kommunikation fähig. Auf Schmerzreiz erfolgt eine gerichtete Abwehrreaktion. 4 Koma: Der komatöse Patient zeigt auf Schmerzreiz lediglich ungerichtete Reaktionen (leichtes, oberflächliches Koma) oder auch auf stärksten Schmerzreiz keine Reaktion (tiefes Koma). Der komatöse Patient ist bewusstlos, die Augen bleiben geschlossen, und eine Kommunikation ist unmöglich. Die Tiefe des Komas kann anhand des Vorhandenseins oder Fehlens anderer Merkmale abgeschätzt werden. Hierzu zählen neben der Reaktion auf Schmerzreize Spontanbewegungen, Hirnstammreflexe, Körperhaltung, Muskeltonus und Spontanatmung.
Glasgow Coma Scale Alternativ kann die Schwere der Bewusstseinsstörung mit der Glasgow Coma Scale ermittelt werden [13]. Hierbei wird der jeweils besten Reaktion in den Kategorien 4 Augenöffnen, 4 verbale Antwort und 4 motorische Reaktion ein Punktwert zugeordnet. Diese Skala wurde ursprünglich für Patienten mit akutem Schädel-Hirn-Trauma entwickelt. Ihre Vorteile sind die einfache Handhabung sowie die standardisierbare und reproduzierbare Durchführbarkeit. Ein Nachteil ist, dass die Lokalisation der Schädigung nicht berücksichtigt wird. So wird z. B. ein Patient mit einem linksseitigen Mediainfarkt und einer Aphasie einen niedrigeren Punktwert erhalten und als tiefer komatös eingestuft als ein Patient mit einem rechtsseitigen Mediainfarkt, der keine Aphasie aufweist. Häufig ist es besser, den Zustand des Patienten mit einigen Worten zu beschreiben als sich auf eine bloße Zahl zu beschränken.
50.1.3
Diagnostik
Nach Sicherung der Vitalfunktionen erfolgt die Suche nach der Ursache des Komas. Unbedingt muss eine Fremdanamnese erhoben werden, die frühere Krankheiten, derzeitige Medikation, zeitliche Dynamik der Komaentstehung und Beschwerden in der unmittelbaren Vorgeschichte umfasst. Es schließt sich eine kurze allgemeine und neurologische Untersuchung an. Bei der allgemeinen Untersuchung wird insbesondere auf Herz-Kreislauf-Funktion, Atemfunktion, Atmungsform (. Tab. 50.1), Geruch der Atemluft, Verletzungen, Hauterscheinungen und Fieber geachtet. Die neurologische Untersuchung dient der Ermittlung der Komatiefe und soll insbesondere klinische Zeichen einer epileptischen Aktivität (z. B. Myoklonien, Spontannystagmus, Blickdeviation) und fokale neurologische Symptome aufdecken (7 Übersicht).
647 50.1 · Koma
. Tab. 50.1 Pathologische Atmungsformen Bezeichnung
Beschreibung
Ursache
Cheyne-Stokes-Atmung
Periodisch, vertiefte Atmung mit langen Apnoepausen
Diffuse kortikale Läsion, Urämie, Intoxikation, dienzephale Läsion
Hyperventilation
Regelmäßige Atmung mit erhöhter Frequenz
Zentral: Läsion der Formatio reticularis Metabolisch: Hypoxämie, Ketoazidose (Kussmaul-Atmung)
Apneuistische Atmung
Verlängerte Pause nach der Inspiration oder Respirationskrampf bei der Inspiration
Läsion des mittleren oder kaudalen Pons oder des dorsolateralen Tegmentums (z. B. Basilaristhrombose)
Biotsche ataktische Atmung
Unregelmäßiger Wechsel von oberflächlichen und tiefen Atemzügen, regellose Pausen
Läsion der dorsomedialen Medulla oblongata (z. B. Meningitis, Prozesse der hinteren Schädelgrube)
»Undines Fluch»
Normale Atmung im Wachzustand, Sistieren im Schlaf/bei Ablenkung
Läsion von Medulla oder oberem Halsmark, Differenzialdiagnose: Schlafapnoe
Hypoventilation
Flache Atmung mit verringertem Atemminutenvolumen
Schädigung des unteren Hirnstamms, metabolisch (z. B. Myxödem), Sedativa, Lungenerkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen
Neurologische Untersuchung
Weiterführende apparative und Labordiagnostik
4 Meningismus (vor Prüfung muss eine Fraktur im HWS-Bereich ausgeschlossen werden); Cave: Meningismus kann im Koma fehlen 4 Pupillengröße (weit/mittelweit/eng), -form (rund/ entrundet) und -reaktion (normal/träge/fehlend) 4 Spontane Augenbewegungen, z. B. – »Déviation conjugée« (konjugierte Blickdeviation): Läsion ipsilateral im Kortex oder kontralateral im Pons; bei epileptischem Fokus kontralateral im Kortex – Bulbusdivergenz: diffuse Schädigung – »Ocular bobbing« (plötzliche konjugierte Abwärtsbewegung der Bulbi mit nachfolgender langsamer Aufwärtsbewegung): bilaterale Ponsläsion – »Ocular dipping« (langsame, konjugierte, extreme Abwärtsbewegung der Bulbi, nach einigen Sekunden rasche Rückkehr in die Ausgangsstellung): diffuse Hypoxie – »schwimmende« Bulbi (langsame, unregelmäßige, nicht immer konjugierte horizontale Augenbewegungen): diffuse Hirnschädigung mit intaktem Hirnstamm 4 Kornealreflex 4 Okulozephaler Reflex (im Koma lösen bei intaktem Hirnstamm rasche, passive Bewegungen des Kopfes gegenläufige konjugierte Bulbusbewegungen aus; vor Prüfung HWS-Fraktur ausschließen) 4 Spontanbewegungen (gerichtet, ungerichtet, symmetrisch, asymmetrisch, Streck- oder Beugesynergismen) 4 Muskeleigenreflexe 4 Pyramidenbahnzeichen 4 Reaktion auf Schmerzreiz (gerichtet, ungerichtet)
4 Labor (Suche z. B. nach Hypo-/Hyperglykämie, Hypo-/ Hypernatriämie, Hypo-/Hyperkalzämie, Leber- oder Niereninsuffizienz, Myokardinfarkt, Sepsis, Hypoxie, Hyperkapnie, Hypothyreose, Addison-Krise) – Glukose (Schnelltest), Elektrolyte, Leberenzyme, Ammoniak, Nierenwerte, CK, CK-MB, Troponin, CRP, Procalcitonin (ggf. auch Interleukin-6), arterielle Blutgasanalyse, Osmolalität, Blutbild, Gerinnung, Schilddrüsenwerte, Kortisol, Laktat 4 EKG (z.B: Infarktzeichen, Brady-/Tachykardie, absolute Arrhythmie) 4 bildgebende Verfahren (CCT mit arterieller und venöser CT-Angiographie (z.B: Basilaristhrombose, Hirn- oder Sinusvenenthrombose), cMRT mit Diffusionswichtung/ ADC-Map und MR-Angiographie (z.B. frischer Infarkt, arterieller oder venöser Verschluss)) 4 Lumbalpunktion (Zellzahl, Protein, Laktat; zuvor muss eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks mittels CCT oder cMRT unwahrscheinlich gemacht werden) 4 Toxikologie (Blut, Urin, Mageninhalt) 4 EEG (Status epilpticus?) 4 Evozierte Potenziale (insbesondere Medianus-SEP zur Prognoseabschätzung bei hypoxischem Hirnschaden, AEP zur Funktionsprüfung des Hirnstamms) 4 Echokardiogramm
Ergeben sich Hinweise auf eine fokale Läsion, so ist eine strukturelle Hirnschädigung (Ischämie, Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Tumor) wahrscheinlicher als eine metabolische Entgleisung. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse kann die folgende laborgestützte und apparative Diagnostik eingesetzt werden (7 Übersicht).
Es ist zu beachten, dass strukturelle Läsionen, die nahezu symmetrisch beide Hemisphären betreffen (wie z. B. multiple Infarkte oder eine Thrombose der inneren Hirnvenen), eine metabolische Ursache vortäuschen können. Andererseits kann eine Stoffwechselentgleisung insbesondere bei älteren Patienten klinisch zu einer fokalen Betonung der neurologischen Ausfälle führen und somit eine strukturelle Läsion vortäuschen. Dies gilt insbesondere für die Hypoglykämie. Weiterhin ist zu bedenken, dass auch der Nachweis einer metabolischen Störung nicht mit dem Ausschluss einer strukturellen Hirnläsion gleichgesetzt werden darf, da Stoffwechselentgleisungen als Folge einer strukturellen Läsion auftreten können. Entsprechend zwingend sind aus diesen Gründen bei den meisten komatösen Patienten die neuroradiologische Untersuchung sowie ggf. auch die Liquordiagnostik.
50
648
50
50.1.4
Kapitel 50 · Koma, metabolische Störungen und Hirntod
Therapie
50
Wird aufgrund der Fremdanamnese und der ersten orientierenden Untersuchung die Ursache des Komas nicht ersichtlich, sollte – sofern nicht die Möglichkeit einer sofortigen Blutzuckerbestimmung besteht – ein Bolus von 16–25 g Glukose i.v. verabreicht werden. Da die Hypoglykämie eine sehr häufige Ursache des Komas darstellt und eine länger dauernde Hypoglykämie zu irreversiblen Hirnschäden führen kann, sollte diese Maßnahme vor zeitaufwendigeren Untersuchungen möglichst rasch durchgeführt werden. Selbst wenn die Ursache der Bewusstseinsstörung in einer Hyperglykämie besteht, schadet man dem Patienten durch diese Maßnahme nicht. Falls Hinweise auf das Vorliegen einer Wernicke-Enzephalopathie bestehen, sollten zusätzlich zur Glukoseinfusion 300 mg Thiamin i.v. verabreicht werden, da die alleinige Gabe von Glukose bei Patienten mit Thiaminmangel eine Wernicke-Enzephalopathie hervorrufen kann. Bei andauerndem Koma und weiterhin unklarer Komaursache sollte die Thiamin-Gabe fortgeführt werden (z. B. mit 3-mal 300 mg pro Tag). Andere Therapien sind von der Ursache des Komas abhängig, sodass eine adäquate Therapie nur eingeleitet werden kann, wenn die Ursache des Komas feststeht.
50
50.1.5
50 50 50 50 50 50 50
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Differenzierung komaähnlicher Syndrome
Verschiedene Syndrome sind dem Koma ähnlich und können zu Verwechslungen Anlass geben.
Locked-in-Syndrom Das Locked-in-Syndrom [7] zeichnet sich durch eine Tetraparese und die Lähmung fast aller motorischen Hirnnerven aus. Lediglich vertikale Augenbewegungen und Lidbewegungen sind möglich. Die Patienten sind wach und nehmen ihre Umgebung wahr. Sie sind also bei Bewusstsein und haben in der Regel auch keine kognitiven Störungen. Ursache ist eine bilaterale Zerstörung der ventralen Brückenanteile mit den hier verlaufendenden motorischen Efferenzen, die zu einer supranukleären motorischen Deefferenzierung führt. Das Locked-in-Syndrom ist am häufigsten Folge einer Basilaristhrombose. Weiterhin können pontine Tumoren, pontine Blutungen, eine zentrale pontine Myelinolyse oder ein Schädel-Hirn-Trauma dieses Krankheitsbild verursachen.
Schwere generalisierte neuromuskuläre Erkrankungen Patienten mit schweren neuromuskulären Erkrankungen – wie Guillain-Barré-Syndrom, Myasthenia gravis, paralytische Poliomyelitis oder schwere Hypokaliämie – können eine Tetraparese und eine Parese der Hirnnerven entwickeln, die Ähnlichkeit mit einem Koma oder einem Locked-in-Syndrom aufweist. Die fehlende Bewusstseinsstörung, die anderen Charakteristika der zugrunde liegenden Erkrankung und die Umstände der Entwicklung des Zustands gestatten jedoch meist die Abgrenzung.
50
Persistent Vegetative State (Wachkoma, Coma vigile; früher: apallisches Syndrom)
50
Patienten mit einem »persistent vegetative state« (PVS) (nach 6–12 Monaten auch »permanent vegetative state«) machen einen wachen Eindruck, zeigen jedoch keine kognitiven oder zielgerichteten motorischen Funktionen.
50
Die in der 7 Übersicht genannten klinischen Kriterien müssen erfüllt sein, um die Diagnose PVS stellen zu können [14].
Klinischen Kriterien des Persistent Vegetative State (PVS) 4 Kein Hinweis auf das Vorhandensein eines Bewusstseins oder einer Wahrnehmung der Umwelt; keine Interaktion mit anderen Personen. 4 Keine willkürlichen Reaktionen auf visuelle, akustische, taktile oder Schmerzreize. 4 Kein Hinweis auf Sprachverständnis oder sprachliche Äußerungen. 4 Intermittierende Phasen von Wachheit (Schlaf-wachZyklen) 4 Ausreichende erhaltene hypothalamische und autonome Hirnstammfunktion, um mit Hilfe von Medikamenten und Pflege zu überleben. 4 Blasen- und Mastdarminkontinenz 4 In unterschiedlichem Ausmaß erhaltene Hirnnervenfunktionen (Pupillenraktion, okulozephaler Reflex, Kornealreflex, vestibulookulärer Reflex, Würgereflex) und spinale Reflexe.
Ursachen des PVS sind u. a. Hypoxie, Hypoglykämie, Enzephalitis
und Schädel-Hirn-Trauma [5–7, 9]. Beim Schädel-Hirn-Trauma führt in der Regel eine diffuse axonale Schädigung zum PVS, bei anderen Erkrankungen, z. B. der Hypoxie, finden sich am häufigsten beidseitige Thalamusläsionen und ausgedehnte Kortexläsionen [14]. Die Chancen, dass sich ein Patienten von einem PVS wieder erholt, sind 12 Monate nach einem traumatischen und 3 Monate nach einem nichttraumatischen Hirnschaden praktisch gleich Null [4, 5].
Minimally Conscious State und akinetischer Mutismus Patienten mit diesen Syndromen machen einen wachen Eindruck, reagieren aber im Gegensatz zu Patienten im PVS in unterschiedlichem Ausmaß auf ihre Umwelt. Die Grenzen zwischen »minimally conscious state« (MCS) und akinetischem Mutismus (AM) sind fließend. Der MCS entspricht in vielerlei Hinsicht dem PVS, zeichnet sich aber durch mindestens eine der folgenden Eigenschaften aus [14]: 4 Einfache Aufforderungen werden befolgt. 4 Gestische oder verbale Ja/Nein-Antworten (unabhängig von deren Richtigkeit). 4 Verständliche Verbalisation. 4 Zielbewusstes Verhalten, einschließlich Bewegungen oder Affekte, die in Zusammenhang zu externen Stimuli und nicht reflektorisch auftreten. Beispiele: 5 situativ adäquates Lachen oder Weinen, 5 Lautäußerungen oder Gesten als direkte Antwort auf verbale Stimuli oder Fragen, 5 Greifen nach Gegenständen mit klarem Zusammenhang zwischen der Lokalisation des Gegenstandes und der Greifrichtung, 5 Berühren oder Halten von Objekten in einer an Größe und Form des Objektes angepassten Weise, 5 Gezielte Blickfolgebewegungen und nachhaltige Fixierung von Gegenständen. Der AM ist ein emotionsloser, weitgehend reaktionsloser Zustand. Der Patient fixiert vornehmlich sich bewegende Gegenstände. Der Zustand ist außerdem geprägt von einer starken psychomotori-
649 50.2 · Metabolische Störungen
schen Hemmung und Antriebslosigkeit (Abulie). Schmerzreize lösen entweder keine Reaktion aus oder eine Dekortikationsstellung. Beide Syndrome entstehen am häufigsten durch bilaterale Läsionen im frontoorbitalen Kortex oder in den nach frontal projizierenden Bahnen des ARAS. Meist sind Teile des limbischen Systems mitbetroffen (z. B. Gyrus cinguli). Ursachen sind z. B. bilaterale A.cerebri-anterior-Infarkte, Traumata oder Tumoren [1, 2, 14].
Änderungen im Muskeltonus und Reflexstatus sowie Myoklonien und Anfälle können sich im Verlauf eines metabolisch bedingten Komas einstellen. > In der Regel verursachen rasche Veränderungen der Stoffwechselsituation schwerere Symptome als besonders hohe Absolutwerte, die sich langsam entwickelt haben.
Prolongierte Hypersomnie Die Hypersomnie [12] ist definiert als Zustand eines intensiven und permanenten Schlafs, aus dem die Patienten kurzzeitig erweckt werden können. Gähnen und eine normale Schlafposition helfen bei der Unterscheidung zum Koma. Ursache ist u. a. eine beidseitige Thalamusläsion, wie sie bei Thrombosen der Basilarisspitze oder der inneren Hirnvenen vorkommt.
50.2
Metabolische Störungen
Bei Patienten mit Stoffwechselentgleisungen entwickelt sich das Koma oft langsam, wobei meist Aufmerksamkeitsstörungen und Verwirrtheitszustände vorausgehen. Häufig zeigen die Patienten einen Tremor, oft in Form eines »flapping tremors« (Asterixis), bevor das Koma eintritt. Eine normale Pupillenreaktion bei Vorhandensein anderer Zeichen einer Mittelhirnschädigung weist auf eine metabolische Ursache des Komas hin. Atemstörungen und bestimmte Konstellationen in der arteriellen Blutgasanalyse sind oft wegweisend für bestimmte Komaursachen, z. B. Hyperventilation und metabolische Azidose für Diabetes mellitus und Urämie, während Hyperventilation und respiratorische Alkalose bei Lungenerkrankungen, Sepsis und psychiatrischen Erkrankungen auftreten.
50.2.1
Ursachen
Die Ursachen endogener metabolischer Störungen sind vielfältig. Am häufigsten sind Blutzuckerentgleisungen, Hypoxie (z. B. nach Herzstillstand oder nach Status asthmaticus), Leber- und Nierenerkrankungen. Die septische Enzephalopathie wird vermutlich einerseits exogen durch Moleküle bakterieller Herkunft, andererseits aber auch endogen durch körpereigene Entzündungsmediatoren verursacht. Noch vor Entstehung eines Komas entwickelt sich ein hirnorganisches Psychosyndrom, das dem Auftreten klinischer und laborchemischer Entzündungszeichen Stunden bis Tage vorausgehen kann (»die Sepsis fängt im Kopf an«). Zum Teil verursachen metabolische Erkrankungen morphologische Veränderungen des Hirnparenchyms. So können nach einer globalen Hypoxie z. B. ein Hirnödem und später eine Atrophie auftreten. Die pathophysiologischen Veränderungen bei metabolischen Störungen sind uneinheitlich und werden durch die zugrunde liegende Störung bedingt. Die Therapie richtet sich ebenfalls nach der Art der metabolischen Störung. . Tab. 50.2 gibt eine Übersicht über die häufigsten metabolischen Störungen und deren akute Therapie [8, 11].
. Tab. 50.2 Metabolische Störungen mit zerebralen Manifestationen [8, 11, 12]. Alle genannten Erkrankungen können in unterschiedlichem Ausmaß auch zu Bewusstseinsstörungen führen Störung
Symptome
Diagnostik
Therapie
Hypoxie
Verwirrtheit, Myoklonien, epileptische Anfälle, Mydriasis
Neuronspezifische Enolase (im Blut), EEG, CCT, MRT, AEP, Medianus-SEP Infauste Prognose bei Erfüllen von einem der folgenden Kriterien, wenn Medikamenteneinfluss und Hypothermie ausgeschlossen sind [3]: 5 NSE-Spiegel innerhalb von 1–3 Tagen nach dem Ereignis >33 μg/l 5 Medianus-SEP mit beidseitig erloschenen kortikalen Potenzialen (innerhalb von 2–3 Tagen nach dem Ereignis) 5 Status myoclonicus innerhalb der ersten 24 h 5 Ausfall von Korneal- und Lichtreflex mit fehlender Schmerzreaktion am Tag 3.
Monitoring von Blutdruck und Atmung, symptomatische Behandlung der Anfälle, bei erhöhtem intrakraniellem Druck: intraparenchymatöse oder -ventrikuläre Druckmessung Sorbit 40% 4-mal 125 ml/Tag oder Mannit 15% 4-mal 100 ml/Tag, Thiopental bis zum Burstsuppression-EEG
Hyperglykämie: ketoazidotisches/hyperosmolares Koma
Polyurie, Polydipsie, Exsikkose, Abgeschlagenheit, ggf. Kussmaul-Atmung, Azetongeruch, organisches Psychosyndrom
Glukose in Serum und Urin, BGA, Osmolalität
Normalisierung der Stoffwechselsituation
50
650
50
Kapitel 50 · Koma, metabolische Störungen und Hirntod
. Tab. 50.2 Fortsetzung Störung
Symptome
Diagnostik
Therapie
Hypoglykämie
Heißhunger, erhöhter Sympathikotonus, epileptische Anfälle, Sehstörungen, Zephalgie, neurologische Herdsymptome (z. B. Hemiparese)
Glukose im Serum
Normalisierung der Stoffwechselsituation
NNR-Insuffizienz (Addison-Krise)
Abgeschlagenheit, Erbrechen, Hypotonie, Exsikkose, Hyperpigmentierung, abdominale Schmerzen, Adynamie,
Na+ (p), K+ (n), Kortisol (p), ACTH (n oder p – je nach Ursache), ACTH-Test
100 mg Hydrokortison i.v. alle 6 h, ggf. Rehydratation mit Glukose 5%
Hypothyreose
Abgeschlagenheit, Reflexverlust, Hypothermie, Hypoventilation, Bradykardie, Hypotonie, Myxödem
T3, T4, TSH, fT4, Cholesterin, respiratorische Azidose, Na+, K+
Normalisierung der Stoffwechselsituation
Thyreotoxikose
Fieber, Schwitzen, Tachykardie, kardiale Rhythmusstörungen, Tremor (zumeist feinschlägiger Halte- und Aktionstremor), Diarrhö
fT3, fT4, TSH, Natrium
Normalisierung der Stoffwechselsituation
Hepatisches Koma
Schläfrigkeit, Asterixis, Foetor hepaticus, Ikterus, Spidernaevi, Palmarerythem, Aszites, Splenomegalie
γ-GT, GOT, GPT, AP, Bilirubin, Ammoniak, Albumin, Quick-Wert, Cholinesterase, Sonographie, EEG (zur Quantifizierung der hepatischen Enzephalopathie), CCT, MRT
Senkung des Ammoniakspiegels und Kompensation der Synthesestörung nach internistischer Maßgabe; bei erhöhtem intrakraniellem Druck: Mannit 15% 3-mal 100 ml/Tag.
Urämisches Koma
Foetor uraemicus, KussmaulAtmung, bräunlich-graue Haut, Tremor, Myoklonus, Tetanie, Anfälle, fokal-neurologische Ausfälle
Kreatinin, Harnstoff, K+, Kalzium, Phosphat, Blutgasanalyse, Blutbild, EEG
Ggf. Behebung der Ursache (obstruktive Uropathie, prärenales Nierenversagen), Dialyse
Hyponatriämie
Verwirrtheit, epileptische Anfälle, bei zentraler pontiner Myelinolyse ggf. Tetraparese, Hirnnervenausfälle, protrahierte Bewusstseinsstörung
Na+ und Osmolalität im Serum und Urin
Wird eine Hyponatriämie zu schnell ausgeglichen, steigt das Risiko einer zentralen pontinen Myelinolyse
50
5 Dehydratation
Hypotonie, Tachykardie
Kreatinin, Thoraxröntgenaufnahme, CCT, MRT, Lumbalpunktion
NaCl 0,9% i.v. (Na+-Anstieg <1 mmol/h bzw. <10 mmol/Tag)
50
5 Überwässerung
Ödeme, Lungenstauung, Aszites
Hypernatriämie
Exsikkose, Tachykardie, Hypotonie
Na+, K+, Blutbild, Blutzucker, Kreatinin, Blutgasanalyse, Durstversuch
Reiner H2O-Verlust: Glukose 5%, bei Na+-Defizit: NaCl 0,9%
Hypokaliämie
Muskelschwäche, Faszikulationen, Adynamie, kardiale Rhythmusstörungen
K+ im Serum und Urin, Na+, Chlorid, Bikarbonat, Blutgasanalyse, Renin, Aldosteron, EKG
KCI i.v. (nicht mehr als 10–20 mmol/h) oder p.o.
Hypokalzämie
Tetanie, epileptische Anfälle, Verwirrtheit
Ca2+, Na+, K+, Kreatinin, AP, Phosphat, Blutgasanalyse, Parathormon, Vitamin D, EKG
Im Notfall 10–20 ml Ca2+-Gluconat 10% i.v., ansonsten 1–2 g Ca2+-Brausetabletten p.o.
Hyperkalzämie
Verwirrtheit, Psychose, Polyurie, Magen-Darm-Ulzera, Pankreatitis
Ca2+, Na+, K+, Kreatinin, Blutbild, AP, PSA, Elektrophorese, Parathormon, EKG, CCT
Forcierte Diurese (z. B. Furosemid 40–120 mg i.v.) einmalig 15–60 mg Pamidronsäure i.v. (langsam über 1 h), bei Tumor: Prednison 100 mg/Tag i.v. Dialyse Primärer Hyperparathyreoidismus o Operation
Septische Enzephalopathie
Bewusstseinsstörung, Desorientiertheit, Verwirrtheit
Blutkulturen, Fokussuche
Therapie der Sepsis
50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
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Flüssigkeitsrestriktion, bei instabilem Kreislauf: NaCl 5,85% fraktioniert, ggf. Diuretika
50 50
651 50.3 · Hirntod
50.3
Hirntod
Bei schwersten Fällen eines Komas kann bei hinreichend schwerwiegender Ursache innerhalb von einigen Stunden ein akuter und irreversibler Funktionsverlust des Gehirns eintreten. Dies trifft insbesondere für postanoxische Komata zu. Der Untersucher findet dann die klinischen Zeichen des Hirntodes (7 Kap. 48).
50.3.1
Pathogenese
Der Hirntod kann sich auf der Basis unterschiedlicher Ursachen (hypoxisch, ischämisch, entzündlich, traumatisch, toxisch) entwickeln. Pathogenetische Endstrecke ist allerdings praktisch immer die zunehmende Anoxie als Folge einer graduell oder kontinuierlich erfolgenden Ödementwicklung.
Anatomische Grundlagen Das Gehirn ist umgeben von einer starren knöchernen Kapsel, die nur eine größere Öffnung, das Foramen magnum, aufweist. Der Schädelinnenraum ist durch harte Bindegewebsduplikaturen, die Falx cerebri und das Tentorium cerebelli, in sich gekammert. Das Tentorium cerebelli grenzt den supratentoriellen Bereich (Großhirn) vom infratentoriellen Raum ab (Zerebellum, Pons, Medulla oblongata). Das Tentorium enthält einen schlitzförmigen Spalt, durch den das Mittelhirn als wichtiges Verbindungsstück zwischen Großhirn bzw. Zwischenhirn auf der einen und Hirnstamm, Kleinhirn und Rückenmark auf der anderen Seite verläuft.
Pathomechanismen Schädigende Einflüsse rufen im Gehirn ebenso wie in anderen Organen eine Schwellung hervor. Ist diese sehr ausgeprägt, sei es als Folge eines Tumors, einer Blutung, Ischämie bzw. Hypoxie oder einer Entzündung, so kann die Volumenzunahme im Hirnparenchym durch die Hohlraumsysteme (Ventrikelsystem, basale Zisternen) nicht mehr kompensiert werden. Es kommt zu Massenverschiebungen, deren Vektor davon abhängt, ob der volumenbeanspruchende Prozess umschrieben oder generalisiert ist.
. Abb. 50.1 Intrakranielle Massenverschiebungen bei lokalisiertem Hirnödem: 1 subfalxiale Herniation, 2 transtentorielle Herniation (»Einklemmung«), 3 foraminale Herniation
Subfalxiale Herniation Bei primär hemisphäriellen Prozessen führt die Massenverschiebung zur sog. subfalxialen Herniation mit Verlagerung der Mittellinienstrukturen zur kontralateralen (gesunden) Seite (. Abb. 50.1, Pfeil 1).
Transtentorielle Einklemmung Bei Progredienz des raumfordernden Prozesses stellt sich eine Verschiebung des Hirngewebes von kranial nach kaudal ein (. Abb. 50.1, Pfeil 2). Typisch für diese Situation ist eine Elongation und Torquierung des Hinstamms. Man spricht von einer transtentoriellen Einklemmung, bei der sich temporobasale Anteile des Großhirns in den Tentoriumschlitz verlagern. Es folgen Symptome wie zunehmende Bewusstseinsstörung, Streckbewegungen der Extremitäten, Miosis, später Mydriasis und Verlust der Lichtreaktion der Pupillen.
. Abb. 50.2 Intrakranielle Druck-Volumen-Beziehung (Munro-KellieDoktrin)
Circulus vitiosus Die zunehmende Schwellung des Gehirns löst einen Circulus vitiosus aus. Die in . Abb. 50.2 dargestellte Druck-Volumen-Kurve zeigt auf der Y-Achse den intrakraniellen Druckanstieg (ICP) und auf der X-Achse die Volumenzunahme an. Solange die intrakraniellen Reserveräume noch nicht erschöpft sind, führt ein definierter Volumenanstieg des Gehirns (ΔV) zu einem geringeren, gut kompensierten Druckanstieg. Sind jedoch diese Komplementärräume er-
schöpft, hat eine weitere Volumenzunahme einen massiven Druckanstieg zur Folge. Das hat aus klinischer Sicht die Konsequenz, dass ein kontinuierlich ansteigender intrakranieller Druck zu einer schwer vorhersehbaren, plötzlichen und raschen Verschlechterung des Zustands des Patienten führen kann. Im Verlauf dieses Prozesses wird der kritische Umkehrpunkt (»point of no return«) überschritten, wenn der ICP-Wert den
50
652
Kapitel 50 · Koma, metabolische Störungen und Hirntod
Hirntoddiagnostik
50.3.3
50
des mittleren arteriellen Druckes erreicht. Der zerebrale Perfusionsdruck (CPP=MAP–ICP) ist jetzt Null. Es tritt ein kompletter Durchblutungsstopp ein, der sich zunächst regional entwickelt, dann aber für das Gesamthirn zutrifft, wenn der Prozess auch den infratentoriellen Raum erfasst.
50
Einklemmung im Foramen magnum
Klärung der Ursache
Im Endstadium entsteht das Bild der sog. foraminalen Herniation (. Abb. 50.1, Pfeil 3). Sie ist selbst für kurze Zeit nicht mit dem Leben zu vereinbaren, weil wichtige Atmungs- und Kreislaufzentren im unteren Hirnstamm komprimiert und funktionsunfähig werden. Die komplette Durchblutungsunterbrechung wird vom Hirnparenchym nur über einen Zeitraum von ca. 5–14 min überlebt (abhängig vom Alter des Patienten, der Körpertemperatur und dem Grad der Vorschädigung). Bereits ein Abfall der Hirndurchblutung auf 10–15% des Normalwertes hat eine kritische Reduktion des Energieniveaus der Hirnzellen, den Verlust des Ionengleichgewichts der Zellmembranen und schließlich den Untergang der Zellen zur Folge. Die Überlebenszeit bzw. Wiederbelebungszeit des Hirnparenchyms kann lediglich durch Hypothermie oder massive medikamentöse Stoffwechselsenkungen etwas verlängert werden. Der Hirntod ist somit das Ergebnis eines Prozesses, bei dem zunächst durch lokale Druckzunahme die lokale Durchblutung gestört wird. Das entstehende Perfusionsdefizit führt zu weiterer Gewebeschädigung und Schwellung mit ICP-Anstieg. Am Ende dieses Prozesses, der wenige Stunden bis einige Tage andauern kann, steht der zerebrale Kreislaufstillstand. Ist dieser erst einmal eingetreten, kann zwar evtl. mit Hilfe der Intensivtherapie der Körperkreislauf stabilisiert und die Versorgung peripherer Organe sichergestellt werden, das Gehirn ist aber nicht mehr zu retten.
Die Ursache des zum Hirntodsyndrom führenden Prozesses muss aufgeklärt werden. Eine eindeutige Diagnose ist die Voraussetzung für die Feststellung des Hirntodes. »Primäre« zerebrale Prozesse sind schwere Schädel-Hirn-Verletzungen, intrazerebrale Blutungen, großflächige Hirninfarkte, Enzephalitiden und Subarachnoidalblutungen. Als »sekundäre« Hirnschädigungen werden u. a. zerebrale Hypoxie nach Herz-Kreislauf-Stillstand, schwere Intoxikationen und Sepsis mit Multiorganversagen klassifiziert.
50
50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50 50
50.3.2
Hirntodkriterien
Die Hirntodkriterien sind in der 7 Übersicht dargestellt:
Hirntodkriterien 4 Tiefes Koma mit Verlust sämtlicher motorischer Reaktionen (motorische Aktionen, die auf Rückenmarkniveau generiert werden, sind weiter möglich – spinale Automatismen), Verlust des Muskeltonus sowie Verschwinden der vom Gehirn regulierten autonomen Reaktionen – die hirngesteuerten Reflexe erlöschen in rostral-kaudaler Reihenfolge 4 Verlust der Hirnnerven- und Hirnstammfunktionen 4 Verlust der Atemfunktion
! Cave Bei schweren Intoxikationen, noch im Blut nachweisbaren wirksamen Konzentrationen von sedierenden/ narkotisierenden Medikamenten, medikamentös oder toxisch bedingter Blockade der neuromuskulären Übertragung, Unterkühlung, Kreislaufschock, endokrinem oder metabolischem Koma sind diese Hirntodkriterien nicht anwendbar.
Die diagnostische Verifizierung des Hirntodes ist gemäß der Vorgaben der Bundesärztekammer in folgenden Schritten vorzunehmen (. Abb. 50.3).
Untersuchung Das Hirntodsyndrom (Koma-Grad IV, Hirnstammareflexie, Apnoe) ist durch zwei von einander unabhängige Untersucher zu verifizieren. Die Untersucher (approbierte Ärzte) sollen möglichst über mehrjährige Erfahrungen in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen verfügen und dürfen keinem Transplantationsteam angehören. Zu untersuchen sind im Einzelnen 4 Ausmaß der Vigilanzminderung, 4 Hirnstammfunktionen einschließlich der Hirnstammreflexe (Pupillenreaktion, Kornealreflex, Okulozephalreflex, vestibulookuläre Reflexe, Schmerzreaktionen im Trigeminusversorgungsbereich, Würge- und Hustenreflexe), 4 Muskeltonus bei gleichzeitigem Ausschluss reizinduzierter Spontanbewegungen. 4 Apnoe (Nachweis durch Apnoetest: fehlender Atemantrieb bei Hyperkapnie) Der Untersucher muss außerdem die Körpertemperatur registrieren. Sedierende Medikamente müssen bezüglich ihres Einflusses auf die aktuelle Bewusstseinslage erfasst werden. Informationen über Vorgeschichte und bisherigen Verlauf sind hilfreich. Das Auftreten vegetativer Entgleisungen wie Temperaturabfall, Elektrolytstörungen und Urinflut (Diabetes insipidus) wird für die Diagnose des Hirntodes nicht gefordert, es stützt aber die Diagnose.
Nachweis der Irreversibilität Der Nachweis der Irreversibilität ist obligat. Hierfür wird im einfachsten Falle eine bestimmte Beobachtungszeit verlangt, nach deren Verstreichen die beiden Untersucher ihren klinischen Befund bestätigen müssen. Die Länge der geforderten Beobachtungszeit hängt vom Alter des Patienten und von der Klassifizierung der Hirnschädigung – primär oder sekundär – ab (7 Fließschema in . Abb. 50.3).
Zusatzuntersuchungen Um die diagnostische Prozedur zeitlich zu verkürzen, wurden ergänzende Untersuchungen vorgeschlagen. Hierzu gehören EEG, evozierte Potenziale sowie der Nachweis des Zirkulationsstillstands durch die transkranielle Dopplersonographie, zerebrale Perfusionsszintigraphie oder Kontrastmitteldarstellung der hirnzuführenden Gefäße. Eine digitale Subtraktionsangiographie wird nur dann akzeptiert, wenn von ihrem Ergebnis therapeutische Entscheidungen abhängen könnten. Damit kommt der Angiographie nicht mehr die Rolle des Goldstandards zum Nachweis des zerebralen Kreislaufstillstands zu.
653 Literatur
. Abb. 50.3 Ablauf der Hirntoddiagnostik. (Nach [10, 15])
Für alle apparativen Zusatzuntersuchungen wurden klar definierte Durchführungs- und Bewertungsbestimmungen von den entsprechenden Fachverbänden vorgegeben. Sie können der weiterführenden Literatur entnommen werden [10] (Näheres in 7 Kap. 48).
10
11
Literatur 1 2
3
4 5 6 7
8
9
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50
655
Zerebrovaskuläre Notfälle T. Steiner, S. Schwab, W. Hacke
51.1
Einleitung – 656
51.2
Klinisches Bild – 656
51.2.1 51.2.2
Differenzialdiagnosen – 656 Neurologisches Bild – 656
51.3
Aufnahme auf die Intensivstation – 656
51.3.1 51.3.2 51.3.3
Indikationen – 656 Akutversorgung und Erstdiagnostik – 657 Blutdruckbehandlung – 657
51.4
Ischämischer Infarkt – 658
51.4.1 51.4.2
Diagnostik – 658 Therapie – 659
51.5
Intrazerebrale Blutung – 660
51.5.1 51.5.2 51.5.3 51.5.4
Epidemiologie – 660 Ätiologie – 661 Neuroradiologische Untersuchungen – 661 Therapie – 662
51.6
Subarachnoidale Blutung – 663
51.6.1 51.6.2 51.6.3
Klinisches Bild – 663 Diagnostik – 663 Therapie – 664
Literatur – 665
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 1, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
51
656
51 51 51 51 51 51 51 51 51
51.1
Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
Einleitung
Unter zerebrovaskulären Notfällen werden in diesem Kapitel folgende Krankheitsbilder zusammengefasst: 4 zerebrale ischämische Infarkte, 4 spontane intrazerebrale Blutungen (ICB), 4 subarachnoidale Blutungen (SAB), 4 Blutungen aus vaskulären Malformationen, 4 Sinusvenenthrombosen.
51 51 51 51 51
Art des Notfalls
Häufigkeit [%]
Ischämischer Schlaganfall
80
Intrazerebrale Blutung
15
Subarachnoidale Blutung
5
Andere vaskuläre Malformationen
<1
Die Reihenfolge dieser Aufstellung entspricht der Häufigkeit der Krankheitsbilder (. Tab. 51.1).
51.2
Klinisches Bild
Erstes Kriterium bei der klinischen Evaluation ist die Vigilanz: Verletzungen der Hemisphären führen erst dann zu einer Vigilanzminderung, wenn entweder beide Hemisphären betroffen sind oder wenn es durch eine Raumforderung in einer Hemisphäre zu einer Hirnstammkompression kommt. Infratentorielle Prozesse führen in der Regel bereits bei Symptombeginn zu einer ausgeprägten Vigilanzminderung.
51 51
. Tab. 51.1 Häufigkeit zerebrovaskulärer Notfälle
51.2.1
Differenzialdiagnosen
Prinzipiell ist ein ischämischer Hirninfarkt klinisch nicht mit ausreichender Sicherheit von einer ICB zu unterscheiden. Große Blutungen führen im Durchschnitt früher zu einer Vigilanzminderung als Infarkte. Der Kliniker erlebt jedoch häufig nicht den initialen Verlauf. Der dringende klinische Verdacht eines Schlaganfalls ergibt sich aus der Akuität des Symptombeginns und dem Vorliegen fokaler neurologischer Defizite. In der Notfallsituation können Syndrome der Hemisphären von infratentoriellen Syndromen unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist aus 2 Gründen notwendig: 4 Im Hirnstamm sind die lebenswichtigen Steuerungsfunktionen für Herz, Kreislauf und Atmung lokalisiert, daher können Hirnstammprozesse einen akut letalen Verlauf nehmen. 4 Das therapeutische Vorgehen ist unterschiedlich.
Läsionen der Hemisphären als auch bei infratentoriellen Läsionen auftreten. Bei der gezielten Suche nach weiteren klinischen Kennzeichen der jeweiligen Syndrome gelingt die differenzialdiagnostische Eingrenzung in den meisten Fällen.
51.3
Aufnahme auf die Intensivstation
51.3.1
Indikationen
> Eine progrediente Verschlechterung kann durch prolongierte Blutung, Hirnödem oder Liquorzirkulationsstörung bedingt sein und ist eine Indikation zur Aufnahme auf die Intensivstation.
Patienten mit initialer Bewusstseinstrübung oder mit ausgedehnter ICB müssen intensivmedizinisch überwacht werden, falls eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist. Bei exzessiver Hypertonie ist eine adäquate Blutdrucküberwachung und -therapie häufig nur auf der Intensivstation möglich. Ergeben sich aus dem Befund der initial durchgeführten kranialen Computertomographie (CCT) Hinweise auf eine Liquorzirkulationsstörung, z. B. bei Blutungen mit Ventrikeleinbruch oder bei Verdacht auf eine Kompression des III. Ventrikels bzw. eine Blockade des Foramen Monroi, sind die Anlage einer Ventrikeldrainage und eine intensivmedizinische Überwachung notwendig.
Ischämischer Schlaganfall
51 51 51 51 51 51 51 51 51
51.2.2
Neurologisches Bild
Fokale Defizite treten bei einer Schädigung der Hemisphären kontralateral (sensomotorische Hemiparese) auf, während Hirnstammläsionen (oberhalb der Pyramidenbahnkreuzung) zu beidseitigen (Tetraparese) oder gekreuzten Symptomen (z. B. kontralaterale Hemiparese mit dissoziierter Sensibilitätsstörung und ipsilateraler Hirnnervenparese) führen. Hirnstammläsionen können folgende Kerngebiete betreffen: 4 III. Hirnnerv, Mittelhirn, Pons: Achsenabweichung der Bulbi, Nystagmen, Störungen des Licht- und des Kornealreflexes; 4 IV. und VI. Hirnnerv: Störung der Okulomotorik; 4 V. Hirnnerv: Sensibilitätsstörungen, abgeschwächter Kornealreflex; 4 VII. Hirnnerv: Fazialisparese; 4 X. Hirnnerv: Schluckstörungen, Dysarthrie. Schädigungen bestimmter Gangliengruppen führen zu Atemstörungen (dorsolateraler Pons), Schwindel (Vestibulariskerne: lateraler Pons) und Erbrechen (Area postrema in der Medulla oblongata). Dysarthrie, Ataxie und Vigilanzminderung können sowohl bei
Allgemeine Maßnahmen 4 Therapie der respiratorischen Insuffizienz: wegen Gefahr der Hypoxie und Hyperkapnie 4 Fiebersenkung, Erythrozytenkonzentrate bei Hb <10 g/l 4 Therapie einer Kreislaufinstabilität: Hypertonie (wenn systolischer Blutdruck >200 mm Hg und diastolischer Blutdruck >110 mm Hg), Hypo- und Hypervolämie 4 Therapie metabolischer Störungen: Hyperglykämie, Hyponatriämie 4 Optimierung der Kopflagerung Raumfordernder Infarkt der A. cerebri media 4 Osmotherapie mit Glyzerol (10%, 500–1000 ml/Tag) 4 Zunehmende Hirnschwellung 4 Analgosedierung, Intubation und evtl. Muskelrelaxation 4 Monitoring des intrakraniellen Drucks, Kontrolle des zerebralen Perfusionsdrucks 4 Evaluation zu dekompressiver Hemikraniektomie anhand des Verlaufs der CCT-Befunde 4 Behandlung einer Hirndruckkrise 6
657 51.3 · Aufnahme auf die Intensivstation
4 Osmotherapie – Mannitol 20%: 100 ml als Bolus i.v. – Hypertone Kochsalzlösung (NaCl 7,5%, HES 6%): 150 ml als Bolus i.v. – Kontrolle der Serumosmolarität: <315 mmol/l und Serumnatriumwert <155 mmol/l 4 Bei Unwirksamkeit oder Ausschöpfung der bisherigen Maßnahmen: THAM-Puffer – 1 mmol/kg KG als Bolus i.v., dann via Perfusor 0,25 mmol/kg KG/h; Ziel: pHart 7,5–7,55 4 Bei Unwirksamkeit oder Ausschöpfung der bisherigen Maßnahmen: Hyperventilation – Ziel: paCO2 30–35 mm Hg – nur über Stunden durchzuführen, wenn eine Methode zur Überwachung des zerebralen Blutflusses verfügbar ist 4 Bei Unwirksamkeit oder Ausschöpfung der bisherigen Maßnahmen: Thiopental – unter Volumengabe; nicht bei zerebralem Perfusionsdruck <70 mm Hg – 250 mg als Bolus i.v. 4 Bei Unwirksamkeit oder Ausschöpfung der bisherigen Maßnahmen: Anwendung nichtvalidierter Therapieformen in Erwägung ziehen – milde Hypothermie (32–33ºC) – Barbituratkoma – Indomethacin, Methohexital
51.3.2
Akutversorgung und Erstdiagnostik
Bei respiratorischer Insuffizienz sollte zur Vermeidung einer zerebralen Hypoxie frühzeitig, d. h. vor Erreichen kritischer arterieller Blutgaswerte, intubiert werden. Bei bewusstseinsgetrübten Patienten mit beeinträchtigten Schutzreflexen wird die Indikation zur Intubation zur Sicherung der Atemwege ebenfalls großzügig gestellt [1].
! Cave Die Intubation soll schonend erfolgen, um Hirndruckspitzen durch Pressen oder Blutdruckanstieg zu verhindern. Aus diesem Grund wird eine Magensonde auch erst nach der Intubation gelegt.
Ein Blutdruckabfall nach der Intubation muss möglichst schnell mit Volumengaben, bei fehlender Wirkung mit Katecholaminen behandelt werden, um einen Abfall des zerebralen Perfusionsdrucks zu verhindern. Depolarisierende Muskelrelaxanzien können durch initiale Faszikulationen hirndrucksteigernd wirken und sollten daher nicht ohne Präcurarisierung verwendet werden. Zur Intubation wird häufig Thiopental (5–7 mg/kg KG) verwendet. Etomidate ist wegen gelegentlich auftretender Myokloni mit möglichem Anstieg des Hirndrucks Mittel der 2. Wahl. Bei Gerinnungsstörungen wird mit der Substitution von Gerinnungsfaktoren bzw. Thrombozyten unmittelbar nach Eintreffen in der Klinik begonnen, um die Zunahme einer Blutung zu verhindern. Vor einer Operation muss der Quick-Wert mit Hilfe von Gerinnungsfaktoren auf mindestens 50% angehoben werden.
51.3.3
Blutdruckbehandlung
> Spontan erhöhte Blutdruckwerte in der Akutphase nach einem Schlaganfall sind ein häufiges Phänomen [2, 3]. Ebenso regelhaft kann eine Verschlechterung neurologischer Symptome nach Gabe von Antihypertonika beobachtet werden [4–6].
Untersuchungen zum prognostischen Wert erhöhter Blutdruckwerte bei Aufnahme und im weiteren Verlauf, erbrachten widersprüchliche Ergebnisse [7, 8]. Bestimmte Patienten mit zerebralen Ischämien scheinen sogar von einer Anhebung des Systemdrucks zu profitieren [9–11]. Bei ischämischen Schlaganfällen sollte erst dann eine Senkung des Blutdrucks vorgenommen werden, wenn bei mehreren Blutdruckmessungen in 15-minütigen Abständen keine Tendenz einer spontanen Senkung zu beobachten ist bzw. erst bei dauerhaft erhöhten Blutdruckwerten die Gefahr einer Einblutung in das Infarktgewebe steigt (. Tab. 51.2) [12].
. Tab. 51.2 Blutdruckbehandlung bei Schlaganfällen: Bei Ischämie, wenn systolischer Blutdruck >220 mm Hg und diastolischer Blutdruck 110–120 mm Hg; bei intrazerebraler Blutung mit vorbestehender Hypertonie, wenn systolischer Blutdruck >180 mm Hg/105–110 mm Hg; ohne Hypertonie, wenn systolische Werte >160/95. Der Blutdruck sollte wiederholt im Abstand von 15 min gemessen werden Medikament
Dosierung
Nebenwirkungen
Labetalol i.v. (Trandate)
10 mg
Übelkeit, Hypotension
Esmolol
250–500 mg (Bolus)
Kontraindiziert bei Bradykardie, AV-Block, Bronchospasmuns
Urapidil i.v. (Ebrantil)
5–25 mg
Hypotension
Clonidin s.c./i.v. (Catapressan, Paracefan)
0,075 mg
Initiale Blutdrucksteigerung, Sedierung
Esmolol
Bolus (s. o.), dann 50–100 μg/kg KG
(s. o.)
Urapidil 100 mg/50 ml
2–8 ml/h
(s. o.)
Clonidin 1,5 mg/50 ml
1–5 ml/h
Sedierung
Dihydralacin 50 mg + Metoprolol 10 mg/50 ml (Nepresol + Lopresor)
2–8 ml/h
Kombination mit Metoprolol zur Vermeidung von Tachykardien
Parenterale Einmalgaben
Parenterale Dauertherapie
51
658
51
Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
. Tab. 51.2 Fortsetzung Medikament
51 51
Dosierung
Nebenwirkungen
Nifedipin (Adalat)
5–10 mg
Hypotension, Tachykardie (bei Blutungen nur in den ersten beiden Tagen)
Captopril (Lopirin)
6,25–12,5 mg
Hypotension, insbesondere bei Dehydratation
Per os
51 51 51 51 51
Bei Patienten mit spontaner ICB sollte der Blutdruck auf der Basis der gegenwärtigen Studienlage bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte gesenkt werden (. Tab. 51.2 und 7 Abschn. 51.5.2 zur Bedeutung der Hypertonie bei spontaner ICB). ! Cave Der Blutdruck darf nicht zu rasch oder gar auf hypotensive Werte gesenkt werden, um bei erhöhtem intrakraniellem Druck einen kritischen zerebralen Perfusionsdruck nicht zu unterschreiten.
51 51.4
51 51 51 51 51
Der entscheidende Punkt des Penumbra-Konzepts: Der Infarktkern kann zunehmend die ganze Penumbra erfassen [14]. Gelingt es nicht, in dieser Zeit eine normale Perfusion herzustellen, erstreckt sich der Infarkt über das gesamte Ischämiegebiet. Deshalb wird dieser Zeitraum als therapeutisches Fenster bezeichnet. Die Größe des therapeutischen Fensters ist starken interindividuellen Schwankungen unterworfen und liegt in einer Größenordnung von 3–6 h [15].
Ischämischer Infarkt
Die pathophysiologische Begründung, den ischämischen Infarkt als Notfall zu behandeln, ergibt sich aus dem Penumbrakonzept: Eine irreversible Schädigung von Neuronen tritt ab einer Senkung des zerebralen Blutflusses auf Werte <8–10 ml/100 g Hirngewebe/min ein. Außerhalb des Infarktkerns kann die Durchblutung – abhängig von der Qualität der Kollateralversorgung – im Ischämiebereich bei 10–20 ml/100 g/min liegen, d. h. nach Wiederherstellung einer normalen Perfusion können Neurone in dieser Zone prinzipiell zu normaler Funktion zurückkehren. Dieser Bereich wird Penumbra genannt.
51.4.1
Diagnostik
Ohne bildgebende Verfahren ist eine eindeutige und aus therapeutischen Gründen notwendige Differenzierung von Ischämie und Blutung nicht möglich.
51 51 51 51 51 51 51 51 51 51 51
. Abb. 51.1 Links: Infarktfrühzeichen im Computertomogramm bei rechtsseitigem Infarkt 2 h nach Symptombeginn: fehlende Abgrenzbarkeit zwischen Capsula interna und Basalganglien, Aufhebung der Inselrindenzeichnung, Asymmetrie der Inselzisterne. Rechts: Normale anatomische Verhältnisse, dargestellt anhand eines Plastininschnitts durch die gleiche Höhe; Mitte: Höhenschnittbild
659 51.4 · Ischämischer Infarkt
. Abb. 51.2 Beispiel für ein deutliches »mismatch« zwischen Veränderungen in der diffusions- (1a) und der perfusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (1b) als Ausdruck einer deutlichen Differenz zwischen irreversibel und reversibel geschädigtem Hirngewebe. Letzteres ist prinzipiell durch Thrombolyse zu retten (»tissue at risk«). Ergebnis nach Thrombolyse: Endgültiger Infarkt reduziert auf den initial diffusionsgestörten Bezirk (2a). Die Perfusionsverhältnisse sind wieder normalisiert (2b)
Kraniale Computertomographie und Kernspintomographie Frühzeichen eines Hemisphäreninfarkts sind bei 60% der Com-
putertomogramme bereits innerhalb von 2 h und in 80% innerhalb von 3 h nach Symptombeginn sichtbar (. Abb. 51.1 [16, 17]). Außerdem kann mittels Computertomographie das Ausmaß des späteren Infarkts mit einiger Sicherheit vorhergesagt werden [18]. Mittels diffusions- und perfusionsgewichteter Magnetresonanztomographie (MRT) scheint es möglich zu sein, innerhalb von Minuten nach einer Ischämie zwischen Ischämie- und Infarktbezirk zu unterscheiden (. Abb. 51.2) [19]. Damit wird die Einschätzung von Risikopatienten vor Thrombolyse wesentlich verbessert. Mit modernen bildgegenden Verfahren (neben der MRT auch die Single-Positronenemissionstomographie – SPECT – und die Positronenemissionstomographie – PET) lässt sich also die Größe der Penumbra und damit das Vorhandensein des zu rettenden Hirngewebes abschätzen [20, 21].
4 Verschluss der A. basilaris mit der Konsequenz einer intraarteriellen Thrombolyse, 4 Verschluss extra- oder intrakranieller hirnversorgender Arterien des vorderen Kreislaufs mit der Konsequenz der systemischen Lyse (7 unten), 4 Qualität der Kollateralisierung eines Verschlusses als prognostischer Hinweis für den Erfolg einer Thrombolyse bzw. für die Entwicklung eines Hirnödems, 4 Infarktgenese, z. B. Dissektion eines Halsgefäßes mit der wesentlichen therapeutischen Konsequenz der antithrombotischen Therapie bei gleichzeitiger hypertensiver Behandlung zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden zerebralen Perfusionsdrucks, 4 subtotaler Verschluss der A. carotis interna mit hämodynamischer Beeinträchtigung mit der Konsequenz der hypervolämisch-hypertensiven Therapie.
Dopplersonographie und Angiographie der Hirngefäße
51.4.2
Zur Abklärung der Genese eines zerebralen Infarkts ist eine Vielzahl diagnostischer Techniken notwendig. Nur wenige sind allerdings in der Akutphase unerlässlich. Hierzu gehören Methoden, welche Aussagen über den Gefäßstatus des Patienten ermöglichen, wie die Dopplersonographie und die zerebrale DSA (digitale Subtraktionsangiographie). Mit diesen Untersuchungen können Befunde erhoben werden, die unmittelbare therapeutische Konsequenzen haben:
Lysetherapie
Therapie
Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit rt-PA beim Hemisphäreninfarkt gelten in einem Zeitfenster zwischen Symptom- und Therapiebeginn von <3 h als gesichert. Im Jahre 2001 erteilte das BfArM die Zulassung für Actilyse (Alteplase) zur fibrinolytischen Therapie bei akutem ischämischem Schlaganfall. Allerdings gelten klare Anwendungseinschränkungen, die wir im Folgenden wiedergeben.
51
660
Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
Behandlung des raumfordernden postischämischen Ödems
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Anwendungseinschränkungen für die Lysetherapie mit Actilyse (Alteplase) Die Therapie darf nur innerhalb von 3 h nach Beginn der Symptome eines Schlaganfalls eingeleitet werden, nachdem zuvor eine intrakranielle Blutung durch geeignete bildgebende Verfahren, wie eine Computertomographie (CT) des Schädels, ausgeschlossen wurde. Die Therapie darf nur unter Hinzuziehung eines in der neurologischen Intensivmedizin erfahrenen Arztes erfolgen. Die Therapie des akuten ischämischen Schlaganfalls mit Actilyse darf nur auf Intensivstationen bzw. begründetenfalls auf entsprechend ausgestatteten »Stroke Units« erfolgen, welche weiterhin durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet sind: 4 Die Möglichkeit zur Durchführung einer kraniellen CT muss 24 h am Tag bestehen. 4 Der als verantwortlich geltende Radiologe muss in der Auswertung von kranialen CT in der Frühphase des ischämischen Insults nachweislich qualifiziert sein. 4 Es muss eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem nahegelegenen neurochirurgischen Zentrum etabliert sein. 4 Blutzucker (BZ): 50 mg/dl> BZ < 400 mg/dl Blutdruck systolisch < 185 mmHg
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Rt-pA-Actilyse wird in einer Dosierung von 0,9 mg/kg KG über 1 h (maximal 90 mg) i.v. verabreicht [16, 22, 23]. In einem Zeitfenster bis zu 4,5 h ist die Thrombolyse bei exakter Patientenauswahl, ebenfalls in der genannten Dosierung, wirksam [82, 83]. ! Cave Das größte Risiko der Thrombolyse ist eine intazerebrale Blutung.
Die Rate symptomatischer intrazerebraler Blutungen lag in der ECASS-II-Studie (Therapiezeitfenster 6 h) bei 11,3% und 5,9%, in der NINDSS-Studie (Therapiezeitfenster 3 h) bei 7% und 1% und in der ECASS-III-Studie (Therapiezeitfenster 4,5 h) bei 5,3% und 2,2% jeweils in der rt-PA- bzw. in der Placebogruppe [22, 24]. Entscheidend ist die Beachtung klinischer und computertomographischer Ausschlusskriterien [25]. Aufgrund der Studienlage kann zur Thrombolyse bei Verschlüssen der A. basilaris Folgendes festgehalten werden: Es existieren keine prospektiven, multizentrischen, randomisierten und placebokontrollierten Untersuchungen. Bei der überwiegenden Zahl der Patienten (103 vs. 13) wurde das Thrombolytikum angiographisch bzw. intraarteriell appliziert. Einzelne Studien zeigen aber auch, dass eine i.v. Lysetherpaie bei dieser schwersten Form des Schlaganfalls sinnvoll sein kann. Eine retrospektive Analyse von 51 Patienten, die mittels intraarterieller Lyse behandelt worden waren, belegt, dass die Mortalität bei Patienten, bei denen eine Rekanalisation erreicht wurde, deutlich unter derjenigen der nichtrekanalisierten Patienten lag (46% vs. 92%). Insgesamt 10 von 16 Überlebenden behielten eine mäßiggradige bis geringe Behinderung zurück [81]. Möglicherweise kann durch Anwendung eines »BridgingKonzepts« (Einleitung einer intravenösen Thrombolyse (in Kombination mit intravenösem Thrombozytenaggregationshemmer) bis zum Beginn einer angiographisch kontrollierten, intraarteriellen Thrombolyse) die Rekanalisationsrate erhöht und die Letalität gesenkt werden [84].
Zu den allgemeinen Maßnahmen in der Initialtherapie gehören: 4 Oberkörperhochlagerung (≤30°), 4 Fiebersenkung bzw. Normothermie, 4 Normalisierung der Blutzuckerwerte, 4 Optimierung der Blutdruckwerte (7 oben), wobei die Aufrechterhaltung einer suffizienten zerebralen Perfusion oberstes Gebot sein muss. Etwa 10% der Patienten mit einem Hemisphäreninfarkt oder einem großen Kleinhirninfarkt entwickeln innerhalb von 24–72 h nach Symptombeginn ein raumforderndes Hirnödem, sog. malignem Mediainfarkt. Insgesamt 80% dieser Patienten sterben durch ein zentrales Herz-Kreislauf-Versagen nach transtentorieller Herniation mit Hirnstammkompression, sofern lediglich eine konservative Hirndrucktherapie durchgeführt wird [27]. Durch eine Entlastungstrepanation kann die Zahl der Patienten, die aufgrund der Erkrankung sterben, bettlägerig oder beim Gehen auf fremde Hilfe angewiesen wären, von 75% auf 24% gesenkt werden [85]. In einigen Untersuchung zeigt auch die moderate systemische Hypothermie Wirksamkeit [31, 55]. In jedem Fall muss die Indikation für diese Therapiemaßnahmen individuell gestellt werden.
Behandlung weiterer Komplikationen Hämodynamisch wirksame Stenosen der extra- oder intrazerebralen Gefäße (z. B. Dissektion der A. carotis interna, Stenosen der A. cerebri media) stellen ein besonderes Problem dar, wenn die neurologische Symptomatik mit Veränderungen des Blutdrucks fluktuiert. Dieses Problem kann sich insbesondere bei Patienten mit chronischer Hypertonie einstellen, bei denen die zerebrale Perfusion an ein höheres Druckniveau adaptiert ist. In diesen Fällen muss der systemische Druck bis über die »Symptomschwelle« angehoben werden. Hierzu wurde die sog. Triple-H-Therapie, welche für die Therapie von Vasospasmen nach Subarachnoidalblutungen eingesetzt wird (7 unten), in modifizierter Form übernommen und bezüglich der Zielblutdruckwerte bei ischämischem Infarkt verändert. Durch i.v.-Volumengabe (Hypervolämie) und ggf. Katecholaminzufuhr wird der systemische Druck angehoben (Hypertension). Empfohlene systolische Werte liegen für Normotoniker bei mindestens 140 mm Hg und für Hypertoniker bei mindestens 160 mm Hg. Bei der auf diese Weise eintretenden Hämodilution sollte ein Hb-Wert von 10 mg/dl nicht unterschritten werden. Ziel der Therapie ist ein langsames Ausschleichen, ohne daß erneut neurologische Fokalsymptome auftreten.
51.5
Intrazerebrale Blutung
51.5.1
Epidemiologie
Spontane intrazerebrale Blutungen (ICB) haben eine Inzidenz von etwa 20/100.000 Einwohner pro Jahr. Sie stellen nach dem ischämischen Hirninfarkten die zweithäufigste Ursache für einen Schlaganfall (ca. 15%) dar. Aufgrund der geringen Zahl kontrollierter Studien beruht ein großer Teil der gängigen Therapieempfehlungen auf theoretischen Überlegungen, Beobachtungen an kleinen Patientenkollektiven oder Ergebnissen aus Tiermodellen [86–88]. Die Indikationen für eine konservative oder operative Behandlung sind bei supratentoriellen Blutungen umstritten
661 51.5 · Intrazerebrale Blutung
51.5.2
Ätiologie
Hypertonie Die arterielle Hypertonie ist der wesentliche Risikofaktor für viele Subtypen der spontanen ICB. Durch die moderne neuroradiologische Diagnostik mit Angiographie, CT und MRT werden jedoch vermehrt auch andere Blutungsursachen diagnostiziert. Die meisten Patienten mit spontaner ICB haben bei Aufnahme und während des Klinikaufenthalts erhöhte Blutdruckwerte. Der Anteil hypertensiver Blutungen schwankt in neueren Studien zwischen 45 und 70% [32–34]. In einer prospektiven, kontrollierten Phase-II-Studie wurde die Auswirkung einer starken (systolischer Blutdruck (RRsys) über 24 h <140 mm Hg) und einer »schwachen«, amerikanischen Leitlinien folgenden Blutdrucksenkung (RRsys <180 mm Hg) auf die Nachblutungsrate innerhalb von 24 h untersucht. Es stellte sich heraus, dass durch eine starke Senkung des Blutdrucks die prozentuale Rate der Nachblutungen verringert wird [89].] Ein weitere prospektive Studie verglich die Rate schwerer Nebenwirkungen in 3 Gruppen mit unterschiedlichen Zielblutdruckwerten nach Therapie (Gruppe 1: 170–200 mm Hg, Gruppe 2: 140–170 mm Hg; Gruppe 3: 110–140 mm Hg). Es stellte sich heraus, dass die Rate schwerer Nebenwirkungen in alle Gruppen unter den Erwartungswerten lag. Es zeichnete sich allerdings ein nicht signifikanter Trend einer höheren Rate schwerer Nebenwirkungen bei stärkerer Blutdrucksenkung ab [90]. Eine Post-hoc-Analyse der Studie, in der rekombinanter Faktor VIIa zur Senkung der Nachblutungsrate nach spontaner ICB verabreicht worden war, ergab, dass Patienten mit initialen mittleren arteriellen Blutwerten unter 120 mm Hg signifikant seltener eine Zunahme der Ventrikelblutung innerhalb von 24 h nach Symptombeginn erlitten [58]. Die European Stroke Initative (EUSI) empfiehlt, den Blutdruck bei spontanen ICB mit bekannter chronischer Hypertonie über 180/105 mm Hg auf Werte unter 170/100 mm Hg und bei nicht vorbestehender Hypertonie über 160/95 mm Hg auf Werte unter 150/90 mm Hg zu senken [59]. Der Blutdruck sollte jedoch nicht um mehr als 20% des MAP bei Behandlungsbeginn gesenkt werden (. Tab. 51.2) Die Pathogenese hypertensiver Blutungen wird mit degenerativen Veränderungen in Form einer Lipohyalinose der Wand perforierender Arterien erklärt, die zur Ausbildung von Mikroaneurysmen führen. Ein plötzlicher Anstieg des zerebralen Blutflusses bringt die pathologisch veränderten Gefäße zur Ruptur [35]. Die Stammganglien sind neben Kleinhirn und Pons eine typische Lokalisation hypertensiver Blutungen. > Insgesamt 26% der Patienten mit spontaner ICB erleiden eine Nachblutung innerhalb der ersten 4 h nach Symptombeginn, weitere 12% bluten innerhalb der folgenden 21 h nach [52].
Amyloidangiopathie Die sog. zerebrale Amyloidangiopathie wird bei 7–17% aller ICB als Ursache angenommen. Sie tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf [36–38]. Die Blutungen liegen lobär, häufig direkt subkortikal. Morphologisch finden sich Amyloidablagerungen in der Wand kleiner und mittelgroßer kortikaler arterieller Gefäße, die zu starren und fragilen Rohren deformiert werden [38]. Auch diese Patienten weisen häufig, aber nicht immer, eine Hypertonieanamnese auf.
Gefäßanomalien Gefäßanomalien – Angiome, arteriovenöse Malformationen (AVM), Durafisteln und Teleangiektasien – liegen ungefähr 5% aller ICB zugrunde. Sie sind bei jüngeren Patienten häufiger. Der Verdacht auf eine Gefäßanomalie ergibt sich bei jüngeren Patienten mit subkortikalen Blutungen, einer familiären Anamnese arteriovenöser Malformationen oder mit entsprechenden CT-Veränderungen. Die Diagnose wird mit Hilfe der Angiographie, evtl. in Kombination mit einer MRT gesichert.
Gerinnungsstörungen Störungen der Blutgerinnung sind die Ursache von etwa 10% aller ICB, meist infolge einer Antikoagulation nach Beinvenenthrombose oder bei Arrhythmia absoluta [60]. In einer Studie mit 3862 Patienten unter Cumarintherapie ereigneten sich bei 6,8% der Patienten Blutungskomplikationen, davon nur 1,6% intrakraniell [39]. Die weitaus häufigste Indikation für die Gabe von Cumarinen bildet das Vorhhofflimmern. Aufgrund der demographischen Entwicklung in den Industrieländern ist in den kommenden 40 Jahren mit einer Verdopplung der Inzidenz des VHF und damit auch der assoziierten ICB zu rechnen [61]. Häufig liegen bei dieser Patientengruppe zusätzliche Risikofaktoren, wie eine arterielle Hypertonie, vor. Während einer HeparinTherapie treten ICB fast ausschließlich nach akuten Hirninfarkten auf, meist als hämorrhagische Transformation des ischämisch geschädigten Infarktareals. Bei einer Heparintherapie ohne zerebrovaskuläre Indikation ist das ICB-Risiko sehr gering [40].
Drogen Die Pathogenese von Blutungen nach Konsum sympathomimetischer Drogen ist nicht genau bekannt. Als auslösende Mechanismen werden Blutdruckspitzen durch eine Freisetzung von Katecholaminen, nekrotisierende Vaskulitiden und Vasospasmen mit anschließendem Reflowphänomen diskutiert [37]. Beschrieben wurden Blutungen u. a. nach dem Gebrauch von Cocain, Crack, Phenzyklidin und Amphetaminen [37, 41].
51.5.3
Neuroradiologische Untersuchungen
Nach Sicherung der Vitalfunktionen muss auch bei gering ausgeprägter Symptomatik ohne Verzögerung eine radiologische Diagnostik erfolgen. Bei Blutungen im Stammganglienbereich in Verbindung mit einer Bluthochdruckanamnese reicht eine CT meist aus. Bei atypisch lokalisierter Blutung oder fehlender Hypertonusanamnese ist die Nativ-CT zur weiteren Differenzialdiagnose nicht ausreichend. Bei einigen Patienten, bei denen z. B. der Verdacht auf eine große arteriovenöse Malformation besteht, kann bereits die kontrastmittelangehobene CT die Diagnose sichern; oft wird aber eine MRT oder eine Angiographie notwendig sein, um behandelbare Blutungsursachen möglichst schnell zu diagnostizieren. > Eine sofortige Angiographie ist bei Verdacht auf zerebrale Aneurysmen indiziert. Der Verdacht ergibt sich bei Blutungen in den Vorzugslokalisationen – wie Temporallappen und Fissura Sylvii, medianer Frontallappen und Interhemisphärenspalt – sowie bei begleitender Subarachnoidalblutung.
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Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
51.5.4
Therapie
Die wesentlichen therapeutischen Probleme in der Akutphase der spontanen ICB sind: 4 Nachblutungen, die sich bei fast 30% aller ICB bereits innerhalb von 4 h nach Symptombeginn ereignen und mit einer messbaren klinischen und prognostischen Verschlechterung einhergehen [57], 4 Erhöhungen des intrakraniellen Drucks akut durch Zunahme der Blutung, subakut durch Ödembildung oder Hydrozephalus bei Einbruch der ICB in das Ventrikelsystem, 4 Begleiterscheinungen und Komplikationen, wie erhöhte Blutdruck-, Temperatur- und Blutzuckerwerte, Schmerzen und Krampfanfälle u. a.). Diese Begleiterscheinungen können zu einer Exazerbation der erstgenannten Probleme führen. Die Behandlungen der Begleiterscheinungen und Komplikationen sind mit Ausnahme eines erhöhten Blutdrucks ähnlich wie bei der Ischämie.
Operative Hämatomausräumung In der STICH- (International Surgical Trial in Intracerebral Haemorrhage) Studie wurden 1033 Patienten mit akuter ICB innerhalb von 3 Tagen nach Beginn der Blutung eingeschlossen [62]. Wesentliches Einschlusskriterium war das Prinzip der »Unsicherheit« (»the clinical uncertainty principle«): Patienten mit einer ICB wurden dann eingeschlossen, wenn die verantwortlichen Ärzte nicht sicher waren, ob ein frühzeitiges operatives oder konservatives Vorgehen bei dem jeweiligen Patienten gewählt werden sollte. Die Operation erfolgte dann innerhalb von 24 Stunden nach Randomisierung. Die Blutung musste mindestens 2 cm im Durchmesser betragen und der Glasgow Coma Score (GCS) bei Aufnahme >5 sein. Patienten mit sekundären Blutungen und Kleinhirnblutungen wurden nicht eingeschlossen. Primärer Endpunkt war ein »gutes klinisches Ergebnis« (»favourable outcome«) auf der Extended Glasgow Outcome Scale (eGOS) nach 6 Monaten. In der STICH-Studie ergab sich kein Vorteil für die Hämatomausräumung bezüglich des klinisch-funktionellen Ergebnisses und der Letalität. Verschiedene Post-hoc-Analysen von STICH geben Anlass zu der Vermutung, dass bestimmte Untergruppen von Blutungen von einer Operation profitieren könnten, wie oberflächennah gelegene Blutungen (<1 cm) oder lobäre Blutungen ohne Ventrikeleinbruch [63]. Im Mittel wurden Patienten innerhalb von 20‒22 Stunden randomisiert und innerhalb von 5 Stunden operiert. 6% (28 Patienten) der in den operativen Arm randomisierten Patienten waren außerhalb des 24-h-Zeitfensters operiert worden. Deshalb stellt sich die Frage, ob das Zeitfenster in STICH nicht zu groß gewählt wurde. Denn ‒ wie oben erwähnt ‒ ereignet sich der Großteil der Nachblutungen innerhalb von 4 Stunden nach Symptombeginn. Auch diverse Metaanalysen konnten bisher keine Vorteile der chirurgischen gegenüber der konservativen Therapie nachweisen [63‒65]. Ein Grund für dieses Ergebnis ist sicher die Heterogenität der verschiedenen Studien.
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Aus diesen Gründen muss die Entscheidung für eine Operation individuell getroffen werden. Folgende Empfehlungen sollten dabei beachtet werden: 4 Initial komatöse Patienten oder Patienten mit bilateralen Pupillenstörungen profitieren in der Regel nicht von einer Operation. 6
4 Bei Nachweis einer Liquorzirkulationsstörung wird eine externe Ventrikeldrainage angelegt (7 unten), falls die individuelle Prognose nicht gegen den Eingriff spricht. 4 Patienten mit kleinen Blutungen ohne Bewusstseinstrübung oder Pupillenstörung haben möglicherweise auch ohne Operation eine gute Prognose. 4 Patienten mit progredienter Verschlechterung können möglicherweise von einer frühzeitigen Hämatomausräumung profitieren.
Nichtoperative Behandlung der spontanen ICB Bereits vor Jahren wurde versucht, mit hämostatischen Substanzen Blutungen zu stoppen oder das Risiko von Nachblutungen zu senken. Die Wirkung von Tranexamsäure und Aprotinin wurde vereinzelt bei ICB, aber hauptsächlich bei Subarachnoidalblutungen untersucht, allerdings ohne Erfolg [66‒70]. Nach Gabe von Epsilon-Aminocapronsäure (EACA) innerhalb von 12 Stunden über 24 Stunden bei 5 Patienten mit spontaner ICB in einer prospektiven nicht randomisierten Untersuchung fand sich bei 3 der Patienten eine Vergrößerung der ICB [71]. Einen anderen Ansatz bildet die Gabe von proagulatorischen Substanzen wie beispielsweise gefrorenes Frischplasma (»fresh frozen plasma»; FFP) oder Prothrombinkomplex (PPSB), die u. a. bei ICB verabreicht werden, die mit der Einnahme von oralen Antikoagulanzien (OAT) assoziiert sind [60]. Die Wirkung des aktivierten rekombinanten Faktors VII (rFVIIa) beruht auf einer lokal begrenzten Aktivierung des Gerinnungssystems, die an die Gegenwart des im subendothelialen Gewebes lokalisierten Gewebethromboplastins (Gewebefaktor; »tissue factor»; TF) geknüpft ist [72]. In hohen Dosen amplifiziert rFVIIa den lokal in Gang gesetzten Gerinnungsprozess in Gegenwart von aktivierten Thrombozyten [73]. Die Sicherheit und die prinzipielle Anwendbarkeit von rFVIIa bei spontanen ICB wurde zunächst in 2 Phase-IIaStudien untersucht und bestätigt [74, 75]. Eine Phase-IIb-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von rFVIIa (rFVIIa: 40, 80, 160 μg/kg KG) gegenüber Placebo bei 400 Patienten mit ICB [76]. Eine Zunahme der intrazerebralen Blutungen innerhalb von 24 Stunden trat signifikant seltener nach Gabe von rFVIIa auf [Placebo: 29%, rFVIIa (40, 80 und 160 μg/kg KG): 16%, 14%, bzw. 11%]. Die Rate der verstorbenen oder schwerbehinderten Patienten betrug 69% in der Placebo- und 55%, 49% und 54% in den Verumgruppen. Nicht- oder leichtbehinderte Patienten fanden sich bei 24% aller mit rFVIIa und 8% der mit Placebo behandelten Patienten. Schwerwiegende thromboembolische Ereignisse ‒ hauptsächlich Myokardinfarkte oder zerebrale Ischämien - traten bei 7% der mit rFVIIa behandelten und bei 2% der mit Placebo behandelten Patienten auf (p=0,12). Signifikant häufiger waren schwerwiegende arterielle thromboembolische Ereignisse ‒ und zwar für die höchste Dosis (160 μg/kg KG) von rFVIIa. Diese Ergebnisse konnten in der Phase-III-Studie (FAST: rFVIIa in Acute Hemorrhagic Stroke), nur teilweise bestätigt werden. Zwar führte die Therapie mit rFVIIa (20 und 80 μg/kg KG) zu einer dosisabhängigen Reduktion der Nachblutung. Diese hatte aber keinerlei Auswirkungen auf das klinisch-funktionelle Ergebnis nach 3 Monaten [91]. Eine Post-Hoc-Analyse kommt zu dem Schluss, dass zukünftige Studien, ähnlich wie bei der Behandlung der Ischämie, strengere Selektionskriterien anwenden sollten [92].
51
663 51.6 · Subarachnoidale Blutung
Die EUSI empfiehlt die Gabe von rFVIIa bei spontanen ICB nicht außerhalb von kontrollierten Studien [59].
Externe Ventrikeldrainage Bei Zeichen des Liquoraufstaus in der CT ist eine externe Ventrikeldrainage (EVD) indiziert. Die Drainage wird i. Allg. über ein frontales Bohrloch in den Ventrikel eingelegt. Bei Kompression des III. Ventrikels oder bei einer Monroi-Foramen-Blockade kann eine Drainage beider Seitenventrikel notwendig sein. Das Drainagesystem wird auf einer Höhe von etwa 15 cm über dem Niveau des Monroi-Foramen befestigt. ! Cave Bei Überdrainage besteht das Risiko einer Nachblutung, da der Gegendruck abnimmt und eine Sogwirkung entsteht. Das System kann durch den blutigen Liquor leicht verstopfen und muss daher in kurzen Intervallen auf Durchgängigkeit überprüft werden [42]. Am 1. postoperativen Tag wird eine CT zur Beurteilung der Ventrikelweite und der Lage der Drainage durchgeführt.
Läßt der Abfluß stark blutigen Liquors nach, wird die EVD abgeklemmt und eine Messung des intrakraniellen Drucks über die Ableitung durchgeführt. Steigt der intrakranielle Druck, wird die Drainage wieder freigegeben. Bleibt der Druck bei geschlossener Ableitung im Bereich unter 20–25 cm H2O, wird nach 24 h eine CT durchgeführt. Bei normaler Ventrikelweite kann die EVD dann entfernt werden. Grundsätzlich sollte die EVD wegen des Infektionsrisikos nach 7–10 Tagen entfernt oder gewechselt werden. Bei persistierender Liquorzirkulationsstörung wird ein permanenter Shunt angelegt. Die Behandlung von Blutungen mit Ventrikeleinbruch durch intraventrikuläre Instillation von Fibrinolytika zur schnelleren Klärung des Liquorraums ist gegenwärtig noch nicht etabliert, erste Ergebnisse sind jedoch erfolgversprechend [43, 44]. Retospektive Untersuchungen deuten an, dass bei kommunizierendem Hydrozephalus die Shunt- und Infektionsrate durch einen frühzeitigen Wechsel von einer externen zu einer lumbalen Drainage gesenkt werden kann [93].
. Tab. 51.3 Einteilung der subarachnoidalen Blutung in klinische Stadien nach Hunt und Hess Stadium
Symptome
Stadium I
5 Kopfschmerz 5 Leichter Meningismus
Stadium II
5 Schwerster Kopfschmerz 5 Deutlicher Meningismus 5 Hirnnervenparesen
Stadium III
5 Somnolenz 5 Psychische Veränderungen 5 Leichtes fokalneurologisches Defizit
Stadium IV
5 Sopor 5 Hemiparese 5 Vegetative Dysregulation
Stadium V
5 Koma
. Tab. 51.4 Zwei klinische Skalen mit Bezug zum klinischen Outcome. WFNS: World Federation of Neurological Surgeons Grading Scale for Subarachnoid Haemorrhage [94]. PAASH: Prognosis on Admission of Aneurysmal Subarachnoid Haemorrhage (PAASH) grading scale [95]. GCS: Glasgow Coma Score [96]. Kriterium
Anzahl von Patienten mit schlechtem Outcome
Odds ratio für ein schlechtes Outcome
Skala
Grad
WFNS
I
GCS 15
14.8%
Reference
II
GCS 13-14 no focal deficits
29.4%
2.3
III
GCS 13-14 focal deficits
52.6%
6.1
IV
GCS 7-12
58.3%
7.7
V
GCS 3-6
92.7%
69
PAASH
I
GCS 15
14.8%
Reference
51.6
Subarachnoidale Blutung
II
GCS 11-14
41.3%
3.9
51.6.1
Klinisches Bild
III
GCS 8-10
74.4%
16
IV
GCS 4-7
84.7%
30
V
GCS 3
93.9%
84
Die anamnestischen Angaben des »typischen« Patienten mit subarachnoidaler Blutung (SAB) bestehen in plötzlich einsetzenden, ausgeprägten (»so stark wie noch nie«) Nacken- und Hinterhauptkopfschmerzen, in der Regel verbunden mit Übelkeit und Erbrechen. Klinisch findet sich bei fast jedem Patienten eine Nackensteifigkeit. Prinzipiell können bei einer SAB neurologische Fokalsymptome wie bei jedem zerebralen Infarkt oder einer ICB (7 oben) auftreten. Therapeutische Konsequenzen richten sich nach der Klassifikation der Erstsymptome nach Hunt und Hess (. Tab. 51.3) [45]. Folgende Faktoren sind für die Prognose von Bedeutung [46]: 4 Grad der initialen Bewusstseinsstörung, 4 subarachnoidale Blutmenge (schlechte Prognose, wenn bei Aneurysmen im Basilarisgebiet die Blutmenge mehr als 15 cm3 beträgt), 4 Lokalisation des Aneurysmas.
Daten in dieser Tabelle wurden adaptiert von van Heuven et al. [97]
Eine progonostische Abschätzung kann anhand der in . Tab. 51.4 aufgeführten Skalen vorgenommen werden.
51.6.2
Diagnostik
Schon der Verdacht einer SAB rechtfertigt die Durchführung einer CT. Die Wahrscheinlichkeit des Blutnachweises mittels CT liegt bei 95% am ersten Tag und sinkt auf 50% am 3. Tag. Im Liquor ist Blut bzw. eine xantochrome Verfärbung allerdings noch 2–3 Wochen nach einer SAB nachweisbar. Bei positivem Nachweis einer SAB muss eine digitale Subtraktionsangiographie zum Nachweis der
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Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
Blutungsquelle erfolgen. In 80% der Fälle sind Aneurysmen die Ursache einer SAB. Weitere Blutungsquellen sind: 4 arteriovenöse Fehlbildungen, 4 Schädel-Hirn-Trauma, 4 Dissektionen, 4 mykotische Aneurysmen, 4 Gerinnungsstörungen, 4 Cocainmissbrauch.
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51.6.3
Therapie
Die Therapie der SAB ist im Wesentlichen die Therapie der Komplikationen. Es sind dies Nachblutungen, Gefäßspasmen und Hydrozephalus, wobei diese in bestimmten Zeitintervallen gehäuft auftreten. Außerdem treten Hyponatriämie und Krampfanfälle auf.
Vasospasmen Vasospasmen beginnen ab dem 3.–5. Tag nach einer SAB, erreichen ihr Maximum zwischen dem 5. und dem 14. Tag und bilden sich innerhalb von 3–4 Wochen zurück. Sie treten bei über 70% der Patienten auf. ! Cave Unbehandelt führen Vasospasmen in über 25% der Fälle zu zerebralen Infarkten und zum Tod.
Das Auftreten von Spasmen kann mittels transkranieller Dopplersonographie (mittlere Flussgeschwindigkeit >120 cm/s) oder digitaler Subtraktionsangiographie nachgewiesen bzw. kontrolliert werden. Der Kalziumantagonist Nimodipin bewirkt eine Relaxation der glatten Muskelzellen in zerebralen Gefäßen. Außerdem konnte eine spasmenprophylaktische Wirkung bei SAB nachgewiesen werden [49, 50]. Eine Dosierungsempfehlung ist nachfolgend aufgeführt.
Verhinderung von Nachblutungen > Nachblutungen treten bei bis 15% der nicht behandelten Aneurysmata innerhalb der ersten 24 h auf. Das Blutungsrisiko ist in den ersten 14 Tagen höher als in den ersten 6 Monaten. Innerhalb dieses Zeitraums bluten 50% der nicht geclippten Aneurysmata nach.
Aus diesem Grund wird bei Patienten, die initial in den Stadien I‒III nach Hunt und Hess eingeliefert werden, bei neuroradiologischem Nachweis einer Blutungsquelle bis zum 3. Tag (bevor Vasospasmen auftreten) eine akute Intervention mit Coiling (oder Clipping, s.u.) angestrebt. Die ISAT- (International Subarachnoid Aneurysm Trial) Studie verglich bei 2143 Patienten mit rupturiertem Aneurysma die Effektivität des Verschlusses durch »coils« (n=1070) oder »clips« (n=1073). Der Anteil der Patienten, die 1 Jahr ohne Behinderung überlebten, war nach endovaskulärer Behandlung signifikant größer. Die Nachblutungsrate war insgesamt gering (<2/1000) und in der endovaskulär behandelten Gruppe etwas größer [53]. Untersucht wurden als primärer Endpunkt: Tod oder Behinderung nach 1 Jahr (Werte auf der modified Rankin Scale (mRS) von 3‒6 und als sekundäre Endpunkte: Rate der Nachblutungen und epileptischer Anfälle. Die vollständigen Langzeitergebnisse dieser Studie wurden 2005 veröffentlicht [77]. Werte von 3‒6 auf der mRS betrugen 23,5% und 30,9% bei den Patienten, die endovaskulär bzw. neurochirurgisch behandelt worden waren, was einer absoluten Risikoreduktion von 7,4% entspricht. Anfälle traten seltener und Nachblutungen häufiger nach endovaskulärer Behandlung auf. Die Kritiken an ISAT betreffen die unterschiedliche Vorgehensweise bezüglich der Kontrolle des postinterventionellen Befundes (keine angiographische Kontrolle bei neurochirurgisch behandelten Patienten), die neurochirurgische Expertise und die von der Literatur abweichende (niedrigere) Komplikationsrate [78]. In einer anderen Untersuchung wurden Patienten auch mit schwerer SAB (Stadien IV und V) mit Erfolg früh operiert, wenn in der CT kein irreversibler Hirnschaden vorlag, ein regelrechter Blutfluss in den intrazerebralen Gefäßen nachweisbar war und der intrakranielle Druck unter 30 mm Hg lag [48]. Aus den genannten Gründen ist die Entscheidung über das Therapieverfahren immer eine individuelle Entscheidung und sollte deshalb von einem interdisziplinären Team aus Neuroradiologen, Neurologen und Neurochirurgen getroffen werden.
Dosierungsschema für Nimodipin zur Spasmenprophylaxe und zur Therapie bei subarachnoidaler Blutung ab Aufnahmetag über 2–3 Wochen 4 Bei analgosedierten bzw. bewusstseinsgestörten Patienten, bei denen das Medikament nicht in u.g. Dosierung über die Magensonde gegeben werden kann, unter Beobachtung des Blutdrucks langsame Steigerung – 1–6 h: 1 mg/h i.v. (wegen Thrombophlebitisgefahr über zentralvenösen Katheter) – 7–12 h: 1,5 mg/h i.v. – ab 12 h: 2 mg/h (Erhaltungsdosis) 4 Bei wachen Patienten – 4-mal 2 Tbl. à 30 mg 4 Nebenwirkungen – arterielle Hypotonie – Kopfschmerzen – akuter Ileus – pulmonaler Rechts-links-Shunt – Erhöhung der Leberenzymwerte
> Die Anwendung von Nimodipin führt bei einer nicht unwesentlichen Zahl der Patienten zu einer Blutdrucksenkung, die so ausgeprägt sein kann, dass die Therapie abgebrochen werden muss, wenn der systolische Blutdruck nicht dauerhaft über 140 mm Hg gehalten werden kann.
Durch Spasmen kann der zerebrale Perfusionsdruck so stark absinken, dass es zu ischämischen Infarkten kommt. In dieser Situation muss eine Verbesserung des zerebralen Blutflusses und der Oxygenierung angestrebt werden, was durch eine Anhebung des zerebralen Perfusionsdrucks und ein Absenken der Viskosität bzw. durch die sog. Triple-H-Therapie (Hypervolämie, Hypertension, Hämodilution) erreicht werden kann. Ein Therapie- bzw. Dosierungsschema ist nachfolgend aufgeführt, wobei berücksichtigt ist, ob ein Aneurysma bereits geclippt wurde. Es wird angenommen, dass bei der Entwicklung von Vasopasmen nach SAB die Inbalance zwischen Stickstoffmonoxid (NO) und Endothelin (ET)-1 eine wesentliche Rolle spielt. Endothelin-1 bildet dabei die gefäßverengende Komponente. Im Tierexperiment konnte gezeigt werden, dass der ET-1-Rezeptor-Antagonist Clazosentan zu einer Gefäßrelaxation führt [79]. In einer Phase-IIa-Studie erhielten 32 Patienten mit SAB nach Operation des Aneurysmas entweder Clazosentan (0,2 mg/kg KG/h)
665 Literatur
oder Placebo. 19 weitere Patienten mit Vasospasmen wurden in einer Open-label-Studie mit Clazosentan (0,4 mg/kg KG/h über 12 gefolgt von 0,2 mg/kg KG/h) behandelt [80]. Die Rate der angiopgraphisch nachgewiesenen Vasospasmen betrug 40% und 80% (p=0,008) bei mit Clazosentan behandelten bzw. Placebo-Patienten. Bei Patienten, die Clazosentan zur Behandlung bereits bestehender Vasospasmen erhalten hatten, fand sich eine Reduktion der Gefäspasmen bei 50%. Bei Patienten, die Verum erhalten hatten, traten weniger zerebrale Ischämien auf. Gegenwärtig wird die Wirkung von Clazosentan in einer größeren klinischen Studie untersucht.
Literatur 1
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Triple-H-Therapie 4 Indikation: Auftreten neurologischer Fokalsymptome bzw. Bewusstseinsverschlechterung bei erfolgloser Vasospasmusbehandlung mit Nimodipin oder wenn Kontraindikationen für die Behandlung bestehen 4 Ziel: Anheben des systolischen Blutdrucks bis zum Verschwinden neurologischer Symptome bis zu – systolischen Blutdruckwerte von 240 mm Hg bei geclipptem und bis 160 mm Hg bei ungeclipptem Aneurysma – zentralem Venendruck von 8–12 mm Hg – Wedge-Druck von 12–14 mm Hg, falls die Anlage eines Swan-Ganz-Katheters notwendig wird 4 Medikamente (die Therapie erfordert ein Dauermonitoring der Herz-Kreislauf-Parameter) – HAES 10%: 500–1000 ml/Tag – Elektrolytlösungen: 3–12 I/Tag – Katecholamine: Dobutamin, Noradrenalin 4 Risiken – Lungenödem – Pneumothorax – Hämatothorax – Herzinsuffizienz – Herzinfarkt – Elektrolytentgleisung – Aneurysmaruptur – Hirnödem
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Liquorzirkulationsstörung und Hydrozephalus Ein Hydrozephalus entwickelt sich entweder durch Verlegung der inneren Abflusswege (Okklusivhydrozephalus) oder der PaccioniGranulationen (Hydrocephalus aresorptivus). Dies geschieht akut oder in den ersten Tagen. Wird ein Hydrozephalus von einer Vigilanzstörung begleitet, besteht die Indikation zur Anlage einer EVD (7 oben).
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Fazit Durch intensivmedizinische Therapieverfahren konnten Prognose und Outcome schwerer Schlaganfälle in den vergangenen Jahren erheblich verbessert werden. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass der noch vor Jahren herrschende Fatalismus gegenüber der Schlaganfallbehandlung heute nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn die Patienten nach den richtigen Kriterien selektioniert und differenziert behandelt werden. Dies gilt sowohl für ischämische Infarkte als auch für intrazerebrale Blutungen. Der entscheidende prognostische Faktor ist die Zeit bis zur Behandlung.
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Kapitel 51 · Zerebrovaskuläre Notfälle
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669
Epileptische Anfälle und Status epilepticus F. Kerling, F. Reinhardt, H. Stefan
52.1
Epileptische Anfälle – 670
52.1.1 52.1.2 52.1.3 52.1.4
Ursachen – 670 Diagnose – 670 Notfallversorgung – 670 Medikamentöse Behandlung – 672
52.2
Status epilepticus – 672
52.2.1 52.2.2 52.2.3 52.2.4 52.2.5
Epidemiologie – 672 Pathogenese – 672 Diagnose und Differenzialdiagnose – 672 Zusatzuntersuchungen – 673 Therapie – 673
Literatur – 674
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 2, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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670
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Kapitel 52 · Epileptische Anfälle und Status epilepticus
52.1
Epileptische Anfälle
52.1.1
Ursachen
Epileptische Anfälle können als Erstmanifestation einer akut auftretenden Hirnerkrankung (z. B. Enzephalitis, Venenthrombose, ischämischer Hirninfarkt, Tumor, Trauma etc.), als Gelegenheitsanfall (bei Hypoglykämie, Fieber, Alkoholentzug, Medikamenteneinnahme etc.) oder im Verlauf einer chronischen Epilepsie bei bekannter (symptomatisch) oder unbekannter Ursache (kryptogen) auftreten. Pathophysiologisch liegen Erregungs- oder Enthemmungsphänomene von Nervenzellen zugrunde, deren Ursache individuell geklärt werden muss.
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52.1.2
Diagnose
Bei epileptischen Anfällen wird zwischen fokalen Anfällen, bei denen der Ausgangspunkt der Erregung in einer Hirnhemisphäre zu lokalisieren ist, und generalisierten Anfällen (Erregungen in beiden Hemisphären) unterschieden. Je nach Entstehungsort der Erregungsbildung werden unterschiedliche Anfallstypen differenziert. Sie werden nach der internationalen Klassifikation in fokale (partielle) Anfälle ohne Bewusstseinsstörung (einfach fokal) oder mit Bewusstseinsstörung (komplex fokal) eingeteilt. Generalisierte Anfälle können sekundär generalisiert (also aus einem fokalen Anfall hervorgehend) oder primär generalisiert sein (bei initialer Erregung beider Hemisphären). Für die Notfallsituation relevant sind v. a. tonisch-klonische Anfälle, seltener auch andere Anfallstypen wie komplex-fokale Anfälle (KFA) oder Absencen, auf die nicht näher eingegangen wird.
Tonisch-klonischer Anfall (»grand mal«)
52
Die stärkste Ausprägung eines epileptischen Anfalls wird als tonisch-klonischer Anfall bezeichnet. Hier kommt es nach einer initialen tonischen Anspannung der Muskulatur zu einer zweiten klonischen Phase mit rhythmischen Zuckungen, die sich im Verlauf des Anfalls verlangsamen und schließlich abebben. Hierbei verliert der Patient das Bewusstsein. Es kommt ferner zu einer Pupillenerweiterung, Tachykardie, Blutdruckanstieg und kurzfristiger Apnoe. Ein unkomplizierter tonisch-klonischer Anfall ist in der Regel in 2 min abgeklungen. Hieran kann sich infolge eines Erschöpfungszustands des Gehirns eine postiktuale Phase mit Umdämmerung oder Terminalschlaf anschließen, die vom eigentlichen Anfallsgeschehen abzugrenzen ist. Sie kann mehrere Minuten oder gelegentlich sogar bis zu einer halben Stunde andauern.
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52.1.3
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Notfallversorgung
Wesentlich bei der Erstversorgung eines epileptischen Anfalls ist, das Ausmaß der erforderlichen Behandlungsmaßnahmen in der Kürze der verfügbaren Zeit festzulegen, d. h. Hyperaktivismus zu vermeiden, jedoch mögliche Komplikationen frühzeitig abzuwenden. Komplikationen eines tonisch-klonischen Anfalls können durch den Anfall selbst oder durch die Entwicklung eines Status epilepticus entstehen. Im tonisch-klonischen Anfall sind Verletzungen durch den Sturz (Schädel-Hirn-Trauma, Fraktur, Zahnverlust) oder durch motorische Entäußerung (Schlagen gegen scharfe Kanten) möglich. Ersticken ist z. B. bei Aspiration oder Auftreten eines Anfalls im Schlaf durch große Kopfkissen möglich. In der Regel
bleibt ein isoliert auftretender tonisch-klonischer Anfall bei sachgerechter Lagerung ohne Komplikationen. Bei Dämmerzuständen nach KFA genügt es meist, auf die Patienten zu achten und sie vor unkontrollierten gefährlichen Handlungen zu schützen. Die Basismaßnahmen bei der Notfallbehandlung eines tonischklonischen Anfalls sind in der folgenden Übersicht dargestellt.
Basismaßnahmen bei der Notfallbehandlung eines tonisch-klonischen Grand-mal-Anfalls 4 Lagerung: – Stabile Seitenlage (u. U. erst postiktual möglich), Verletzungsgefahr ausschalten. 4 Sicherung der Vitalfunktionen – Zunächst keine Intubation oder Relaxation. 4 Erhebung der Fremdanamnese: – Frühere epileptische Anfälle. – Andere Vorerkrankungen:Trauma, Kopfschmerz, Fieber, Alkohol, Medikamente, Drogen, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 4 Untersuchung: – Reaktion auf Anruf, Hirnnerven, Meningismus, Paresen, Blutzucker, Puls, Temperatur. 4 Anfallskontrolle: – Ist die Anfallstätigkeit beendet, liegen Hinweise für eine Anfallsserie bzw. einen Status vor?
Lagerung Bei der Lagerung des Patienten ist v. a. darauf zu achten, dass die Luftwege freigehalten werden (stabile Seitenlage falls möglich, Öffnen des Hemdkragens, Entfernung von Prothesen, u. U. Einführen eines Guedel-Tubus etc.). Der Patient muss so gelagert werden, dass er sich nicht an scharfen oder heißen Gegenständen oder gar an laufenden Maschinen verletzen kann.
Sicherung der Atemwege Mit Beginn der tonischen Phase ist der Versuch, einen Beißkeil zwischen die Zähne des Patienten zu schieben, zwecklos. Intubation und Relaxation sind beim unkomplizierten tonischklonischen Anfall in der Regel nicht erforderlich. Eine Intubation kann dann notwendig werden, wenn der Patient nach Ende des Anfalls nicht erwacht und Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf) bedroht bzw. Schutzreflexe (Korneal-, Würgereflex) erloschen sind. Weitere Kriterien können die pulsoxymetrisch ermittelte O2-Sättigung (psO2 <85%) oder die Glasgow Coma Scale (<7) darstellen.
Anamnese am Notfallort Falls Angehörige zugegen sind, wird sofort mit der Erhebung der Fremdanamnese begonnen. Hierbei sollte nach weiteren internistischen oder neurologischen Vorerkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, Hypoglykämieneigung, Trauma, Infekt, Schlafmangel, Alkoholabusus, Medikamenteneinnahme, Drogen, gefragt werden. Wird der Patient allein aufgefunden und besteht keine Möglichkeit der Fremdanamnese, sind besondere Vorsichtsmaßnahmen zweckmäßig. Hierzu gehört auch die Asservierung von Tablettenresten oder Erbrochenem. Falls der Patient bei Eintreffen des Notarztes noch Konvulsionen aufweist, ist in der Regel auch bei unbekanntem Anfallsbeginn von einem prolongierten tonisch-klonischen Anfall auszugehen.
671 52.1 · Epileptische Anfälle
. Abb. 52.1 Auszug aus dem internationalen dreisprachigen (deutsch, englisch, französisch) Notfallausweis (eine SOS-Kapsel am Hals oder um den Arm kann auf einen Notfallausweisbesitzer hinweisen)
52
672
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Kapitel 52 · Epileptische Anfälle und Status epilepticus
Notfallausweis Der Dokumentation einer Epilepsieerkrankung, gerade auch für Notfallsituationen, dient ein Epilepsieausweis, der dem professionellen Erstversorger wichtige anamnestische Informationen liefern soll. Der Erstversorgende sollte stets beim Patienten nach dem Notfallausweis suchen, der entweder in einem Brustbeutel, in einer Jacken- oder Hosentasche getragen wird. Darin sind u. a. auch die aktuelle antiepileptische Medikation sowie eine Telefonnummer des behandelnden Arztes vermerkt (. Abb. 52.1).
Unnötige, sinnlose oder sogar gefährliche Maßnahmen bei einem unkomplizierten, einmalig auftretenden epileptischen tonisch-klonischen Anfall 4 Intubation und künstliche Beatmung 4 der Versuch, einen Beißkeil während des Anfalls einzuführen 4 auf Brustkorb oder Extremitäten des Patienten knien
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52.1.4
52
Bei einem isoliert aufgetretenen Anfall und bei bekannter medikamentös behandelter Epilepsie ist häufig nur eine ambulante Neueinstellung mit Serumspiegelkontrollen der Antikonvulsiva erforderlich, bei erstmaligem Auftreten eines tonisch-klonischen Anfalls hingegen eine neurologische Untersuchung mit EEG, zerebraler Bildgebung (CT, besser MRT) und Labordiagnostik. In der Regel ist bei einem isolierten tonisch-klonischen Anfall keine Gabe von Benzodiazepinen nötig. Eine solche kann indiziert sein, wenn es sich um eine Anfallsserie, d. h. mehr als einen Anfall innerhalb weniger Stunden handelt. Beim ersten Anfall ist meist nur bei hoher Rezidivneigung (Auffälligkeiten im EEG/MRT/CT oder positive Familienanamnese) mit einer Dauertherapie zu beginnen. Dauert ein tonisch-klonischer Anfall (ohne die postiktuale Erschöpfungsphase) länger als 5 min an oder folgt ein 2. Anfall, liegt nach der klinischen Definition ein Status epilepticus vor und die Behandlung erfolgt nach . Tab. 52.1.
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52.2
Medikamentöse Behandlung
Status epilepticus
Facharztstandard Facharztstandard Definition und Klassifikation des Status epilepticus Ein Status epilepticus (SE) liegt vor: 4 wenn ein tonisch-klonischer Anfall länger als 5 min oder ein fokaler Anfall bzw. eine Absence länger als 20–30 min dauert, 4 der Patient während einer Anfallsserie zwischen den einzelnen Anfällen weder klinisch noch elektroenzephalographisch eine vollständige Restitution erlangt. 4 Klinisch werden 4 wesentliche Subtypen unterschieden: 4 Der Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle (SGTKA) als schwerwiegendste Form mit hoher Letalität (bis 20%) 4 Der konvulsive oder non-konvulsive Status einfach- oder komplex-fokaler Anfälle mit partieller oder fehlender (einfach-fokal) Bewusstseinsstörung und teilweise vorhandenen motorischen Komponenten und fokalen Zeichen 6
4 Der Absencestatus mit Bewusstseinstrübung und fakultativ vorhandenen meist subtilen motorischen Phänomenen und typischen generalisierten Spike-waveParoxysmen. 4 Der subtile SE (subtle SE) mit Bewusstseinstrübung meist als Endstadium eines therapieresistenten tonischklonischen SE und fortlaufenden iktualer EEG-Aktivität. Neben diesen gibt es weitere Subtypen (myoklonischer SE, tonischer SE u. a.).
52.2.1
Epidemiologie
Ein Status epilepticus (SE), inbesondere der Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle (SGTKA), ist eine der häufigsten Notfallsituationen in der neurologischen Intensivmedizin. Jährlich sind ca. 17 von 10.000 Menschen betroffen ]. Die Letalität des SGTKA ist abhängig von seiner Dauer, SE über 30 min haben eine 10-fach höhere Letalität als solche unter 30 min Dauer (19% vs. 2,6%) ]. Über die Prognose anderer Statussubtypen gibt es keine validen Studien, insgesamt spielt hier die Statusdauer wohl eine geringere Rolle.
52.2.2
Pathogenese
Besonders häufige Ursachen eines SE sind Alkoholentzug, Entzug von Antikonvulsiva oder andere Auslöser, wie z. B. bestimmte Medikamente (Einnahme von zentralnervös stimulierenden Substanzen, z. B. Drogen). Andere wichtige Ursachen sind Infektionen und Durchblutungsstörungen des zentralen Nervensystems. Bei bereits hospitalisierten Patienten stellt der hypoxische Hirnschaden durch Herz-Kreislauf- oder Atemstillstand eine wichtige Ursache dar. Beim Versagen inhibitorischer Bremsmechanismen, die gewöhnlich einen Anfall beenden, kommt es zu einer exzessiven Aktivierung exzitatorischer Aminosäuren und zu einem Kalziumeinstrom in die Zellen mit möglicher Zellschädigung. Die energetischen Anforderungen an den Hirnmetabolismus werden um 200–300% gesteigert. Diese Anforderungen können initial durch eine erhöhte zerebrale Durchblutung und Hypertension ausgeglichen werden. Nach 20–60 min wird die Substratlieferung allerdings inadäquat, und es können neuronale Folgeschäden sowie eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks entstehen. Hierbei kann neben dem vermehrten intrakraniellen Blutvolumen auch ein vasogenes Ödem auftreten; weitere Folgen können eine respiratorische Azidose und Hypoxämie sein.
52.2.3
Diagnose und Differenzialdiagnose
> Der Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle (SGTKA) stellt den epileptologischen Notfall dar, bei dem eine schnelle Diagnosestellung (aufgrund der oben genannten Kriterien) und eine sich unmittelbar daran anschließende Therapieeinleitung den entscheidenden Einfluss auf die Prognose haben.
Ein SGTKA muss von Erkrankungen unterschieden werden, die eine Dezerebrierungsstarre hervorrufen. Ein generalisierter Tetanus kann der tonischen Phase eines Anfalls ähneln. Gelegentlich wird
673 52.2 · Status epilepticus
ein dissoziativer Status verkannt, bei dem häufig tonische motorische Phänomene imitiert werden. Andere Statusformen können eher mit dem Leitsymptom der Verwirrtheit kombiniert sein, sodass auch andere Erkrankungen wie Schlaganfall, transitorische globale Amnesie (TGA) und Demenz differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden müssen.
52.2.4
Zusatzuntersuchungen
Besonderheiten
Beim SGTKA wird die Diagnose klinisch gestellt und Zusatzuntersuchungen häufig erst nach Durchbrechen des Status begonnen. Neben der Erfassung einer primär bedrohlichen, akut aufgetretenen Hirnerkrankung durch CT oder MRT kommt der Sicherung der Diagnose durch EEG oder Video-EEG eine wesentliche Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für die SE ohne klare motorische Phänomene wie den komplex-fokalen SE oder den Absencestatus. Besteht nach dem erfolgreichen Durchbrechen des konvulsiven SE der Verdacht auf ein Fortbestehen subklinischer Anfälle, ist ein Langzeit EEGMonitoring sinnvoll (3). Zum Ausschluss entzündlicher Ursachen sollte eine Liquoruntersuchung durchgeführt werden.
52.2.5
zepins in Stufe I richtet sich nach der persönlichen Erfahrung, wobei Klasse-1-Evidenz für eine Überlegenheit von Lorazepam existiert [4] (. Tab. 52.2). Das Stufenschema wurde v. a. für den SGTKA konzipiert. Es ist auch bei anderen Statusformen anwendbar. In der Regel wird das Vorgehen dann eher weniger invasiv sein (z. B. ggf. eher keine oder späterer Beginn der Narkose). Beim Absencestatus ist Phenytoin nicht indiziert.
Für andere nicht im Stufenschema aufgeführte Substanzen gibt es kasuistische Hinweise auf eine Wirkung beim SE. So wurden Levetiracetam (i.v. und oraI), Lacosamid (i.v.), Topiramat (oral), Chloraldurat (rektal) oder auch Inhalationsnarkosen als erfolgreich in der Statusbehandlung beschrieben. Komplikationen wie ein Hirnödem können mit Mannit und eine Hyperthermie mit Kühlung behandelt werden. Bei Patienten, die mit Valproat eingestellt waren, kann diese Therapie parenteral fortgeführt werden. Letztere ist auch bei bisher schwer therapierbaren posthypoxischen Myoklonien hilfreich. > Ein Status epilepticus sollte spätestens nach 1 h unterbrochen sein. Bei längerer Dauer ist das Risiko eines neurologischen Defizits erhöht.
Therapie
Mit der Behandlung des SGTKA wird schon am Notfallort begonnen; danach ist eine unverzügliche Überweisung auf eine Intensivstation erforderlich. Dabei sollte nach dem beschriebenen Stufenschema vorgegangen werden (. Tab. 52.1). Die Wahl des Benzodia-
. Tab. 52.1 Stufenschema zur Status-epilepticus-Therapie. (Nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Stand 6.11.2007) Stufe
Therapie
I
Benzodiazepine (häufig prähospital)
5 5 5 5 5
II
Phenytoin (PHT) oder Valproinsäure (VPA)
5 Phenytoin-Infusionskonzentrat über separaten i.v. Zugang (cave: Gewebsnekrosen bei Paravasaten) 15-20 mg/kg. i.v. (50 mg/min über ca. 5 min, Rest über 20–30 min, maximal 30 mg/kg KG) 5 Die akute hoch dosierte Phenytoinapplikation muss unter Intensivüberwachung mit Monitoring von Blutdruck und EKG erfolgen. 5 Valproat 20–30 mg/kg KG als Bolus i.v., ggf. wiederholen, dann maximal 10 mg/kg KG 5 Bei Kontraindikation gegen PHT (z. B. Phenytoinallergie, Herzrhythmusstörungen) oder bei fehlendem Effekt Gabe von VPA
III
Phenobarbital
5 Phenobarbital 20 mg/kg KG i .v (100 mg/min, höhere Dosen sind unter Intensivbedingungen und Intubations-/Beatmungsbereitschaft möglich)
IV
Narkose
5 Thiopental 4-7 mg/kg KG als Bolus, dann 500 mg/h unter EEG-Monitoring bis zum BurstSuppression-Muster für 24 h 5 oder 5 Midazolam 0,15–0,2 mg/kg KG i.v. als Bolus, dann 0,05–0,2 mg/kg KG/h 5 oder 5 Propofol 1–2 mg/kg KG i.v. als Bolus, dann 2–10 mg/kg KG/h 5 Während der Narkose sollte parallel ein Antikonvulsivum zur Dauertherapie (oral über Magensonde oder i.v.) aufdosiert werden, um Rückfälle nach Beenden der Narkose zu vermeiden.
Lorazepam 0,1 mg/kg KG i.v. (2 mg/min, ggf. erneute Gabe, maximal 10 mg) oder bei fehlender individueller Erfahrung mit Lorazepam: Diazepam 0,25 mg/kg KG i.v. (5 mg/min, ggf. erneute Gabe, maximal 30 mg oder Clonazepam 1–2 mg i.v. (0,5 mg/min, ggf. erneute Gabe, maximal 6 mg).
52
674
52
Kapitel 52 · Epileptische Anfälle und Status epilepticus
. Tab. 52.2 Merkmale der einzelnen Substanzen zur Statusbehandlung des SGTKA (Stufe I–IV) Substanz
Pro
Contra
Clonazapam
5 Lange Erfahrung 5 Wirksam
5 Atem- und Kreislaufdepression 5 Kurze ZNS-Wirkdauer 5 Studienlage unbefriedigend
Diazepam
5 Wirkung in Studie belegt 5 lange Erfahrung
5 Atem- und Kreislaufdepression 5 Kurze ZNS-Wirkdauer
Lorazepam
In Studien bei SE am wirksamsten 5 Lange ZNS-Wirkdauer
5 Atem- und Kreislaufdepression 5 Gekühlte Lagerung nötig
Midazolam
5 m Notarztwagen verfügbar 5 i. m. Applikation möglich 5 Bukkale Gabe möglich
5 Atem- und Kreislaufdepression 5 Keine Studien
Phenobarbital
5 Lange ZNS-Wirkdauer 5 Wirkung in Studie belegt
5 Atem- und Kreislaufdepression 5 Starke Sedierung
Phenytoin
5 Gute Wirksamkeit 5 Wirkung in Studie belegt
5 Herzrhythmusstörungen 5 Schlechte lokale Verträglichkeit [5] 5 Langsame Infusionsgeschwindigkeit
Propofol
5 Lange Erfahrung in der Intensivmedizin
52
5 Keine Studien 5 Propofolinfusionssyndrom 5 Keine Zulassung für SE
Thiopental
5 Lange Erfahrung in der Intensivmedizin
5 Keine Studien 5 Kreislaufdepression
52
Valproat
5 Wirksam 5 Meist gut verträglich 5 Relativ schnell applizierbar
5 Keine -Studien mit Klasse-1Evidenz 5 Selten Hypotonie, Enzephalopathie, Hepatopathie
52 52 52 52 52 52 52 52
52 52 52 52 52 52 52 52 52 52 52 52 52 52
Praktisches Vorgehen bei einem Grand-mal-Status 4 Ambulanz – Lagerung, Sicherung der Vitalfunktionen, Kurzbefund (Bewusstseinslage, Meningismus, Pupillen, N. facialis, Reflexe, Motorik, Blutzucker) – Lorazepam i.v. bis 2 mg oder Clonazepam i.v. 1–2 mg (dann weiter nach Stufenschema, Monitorüberwachung) 4 Station – Allgemein-körperliche und neurologische Untersuchung – Überwachung: Respiratorische Insuffizienz, Hypoglykämie, Hypotension, Hypertension, Fieber? – Phenytoin- oder Valporat-Schnellinfusion + Lorazepam bis 8 mg/h – Labor 4 Intensivstation Falls nach 1 h kein Effekt oder respiratorische Insuffizienz, Hypertension bzw. Hypotension: 4 Intubation und Beatmung 4 Clonazepam bis 12 mg oder Midazolam i.v. 4 Phenytoin oder Valproat weiterführen 4 Falls nach 1 h kein Effekt: . Tab. 52.2
Literatur 1
2
3 4 5
Knake S, Rosenow F, Vescovi M, Oertel WH, Mueller HH, Wirbatz A et al. (2001) Incidence of status epilepticus in adults in Germany: a prospective, population-based study. Epilepsia 42 (6): 714–718 DeLorenzo RJ, Garnett LK, Towne AR, Waterhouse EJ, Boggs JG, Morton L et al. (1999) Comparison of status epilepticus with prolonged seizure episodes lasting from 10 to 29 minutes. Epilepsia 40 (2): 164–149 Stefan H, Hopfengartner R (2009) Epilepsy monitoring for therapy: challenges and perspectives. Clin Neurophysiol 120 (4): 653–658 Treiman DM (2001) Therapy of status epilepticus in adults and children. Curr Opin Neurol 14 (2): 203–210 Cadenbach A, Rottger K, Muller MK (1998) [«Purple glove syndrome.” Severe soft tissue reaction following phenytoin infusion]. Dtsch Med Wochenschr 13; 123 (11): 318–322
675
Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten T. Wetterling
53.1
Einleitung – 676
53.2
Akute organisch bedingte psychische Störungen – 676
53.2.1 53.2.2
Delir (Durchgangssyndrom, Verwirrtheitszustand) – 676 Entzugssyndrome – 676
53.3
Nichtorganische psychische Störungen – 678
53.3.1 53.3.2 53.3.3 53.3.4 53.3.5
Angststörung – 678 Erregungszustand/Aggression – 679 Akute Belastungsstörung/posttraumatische Belastungsstörung – 679 Schlafstörungen – 679 Suizidalität – 680
53.4
Einsatz von Psychopharmaka auf der Intensivstation – 680
53.5
Rechtliche Aspekte – 680 Literatur – 681
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 3,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
53
676
53 53 53 53 53 53
53.1
Kapitel 53 · Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten
Einleitung
53.2
Akute organisch bedingte psychische Störungen
53 53
53.2.1
53
53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53
ja
Die Behandlung auf Intensivstationen bedeutet für die Patienten einen erheblichen psychischen Stress. Die erlebnisreaktiven psychischen Störungen sind von den organisch bedingten Störungen zu unterscheiden. Diese Unterteilung ist mitunter etwas willkürlich, da sowohl organische Schädigungen als die auch durch sie hervorgerufenen psychischen Reaktionen zu dem psychopathologischen Zustandsbild beitragen können, das klinisch zu beobachten ist.
Durch somatische Erkrankungen, die auch das Gehirn betreffen, können verschiedene psychische Störungen induziert werden [13]. Da diese durch eine Reihe von psychopathologischen Symptomen gekennzeichnet sind, hat sich vielfach die Bezeichnung (organische) Psychosyndrome eingebürgert. Die Terminologie ist durch die Verwendung verschiedener Bezeichnung mitunter verwirrend. Im Folgenden werden die Terminologie und Definitionen des ICD-10 [12] zugrunde gelegt.
53
Bewusstseinstrübung
Delir (Durchgangssyndrom, Verwirrtheitszustand)
Oft wird der Terminus »Durchgangssyndrom« weitgehend synonym benutzt. Da dieser Begriff schlecht definiert ist, sollte er nicht mehr verwendet werden [13]. Er weist aber auf einen wichtigen Aspekt eines Delirs hin, nämlich 4 den plötzlichen Beginn (z. B. SHT oder postoperativ) und 4 die im unkomplizierten Fall kurze Dauer (<14 Tage) der psychopathologischen Symptomatik. Vielfach wird auch der Begriff Verwirrtheit verwendet. Er sollte auf die Fälle begrenzt werden, bei denen nur eine Desorientiertheit besteht.
Klinik und Diagnostik Ein Delir ist durch die folgende klinische Symptomatik gekennzeichnet (ICD-10, [12]): 4 Kardinalsymptom ist eine Bewusstseinstrübung mit Auffassungsstörung und Desorientiertheit (zu Zeit, Ort, Person) bis hin zu einer Verkennung der Situation. 4 Psychomotorische Unruhe (Bewegungsunruhe) mit abruptem Wechsel zwischen Übererregung und scheinbarer Ruhe. 4 Merkfähigkeitsstörungen, Denkstörungen, Halluzinationen, erhöhte Suggestibilität. 4 Störung des Schlaf-wach-Rhythmus Alle Symptome können im Verlauf eines Delirs stark wechseln oder verschwinden. Charakteristisch sind ein plötzlicher Beginn und Tagesschwankungen der Symptomatik. Die wichtigsten diagnostischen Schritte sind in . Tab. 53.1 dargestellt. Hilfreich ist oft die genaue Fremdanamnese.
nein Gedächtnisstörungen
Delir F 05
ja Kognitive Störungen
Demenz F 00-03
ja
nein
Amnesie F 04
nein Andere organische psychische Storungen wie - Depression - Wahn - Angst F 06-07
. Abb. 53.1 Entscheidungsalgorithmus für organisch bedingte psychische Störungen anhand von Kernsymptomen (in Anlehnung an ICD-10)
henden kognitiven Störungen (Demenz), nach Herz-Operationen, Exsikkose, Infekte und Medikamentennebenwirkungen.
Therapie Im Vordergrund steht immer, wenn möglich, die konsequente Behandlung der körperlichen Grunderkrankung, insbesondere bei metabolischen Störungen. Symptomatische Therapie bei Entzugsdelir (7 Abschn. 53.2.2). Therapieansätze bei anderen Ursachen: 4 Drogeninduziertes Delir 5 1–2 mg Clonazepam oder 10 mg Diazepam i.v. (bei Bedarf nach 2 h wiederholen). 4 Medikamenteninduziertes Delir z. B. bei Anticholinergika, trizyklischen Antidepressiva, AntiParkinson-Mittel (z. B. L-Dopa), Neuroleptika, Diuretika, Laxanzien, Digitalis, Glukokortikoiden, Antikonvulsiva: 4 Absetzen der Medikamente (sofern nicht lebensnotwendig!). 4 Haloperidol bis maximal 4-mal 10 mg/Tag i.v. 4 Bei älteren Patienten oder wenn eher sedierende Wirkung erwünscht ist: Melperon 25 mg i.v. bis zu 4-mal/Tag. 4 Gegebenenfalls Haloperidol und Melperon kombinieren. ! Cave Desorientierte Patienten ausreichend überwachen. Prophylaxe (v. a. postoperativ): 4 Engmaschige Kontrolle der Elektrolyte. 4 Präoperativ: Genaue Alkohol-/Medikamentenanamnese und ggf. vorgezogenen Entzug. 4 Bei älteren Patienten erhöhtes Risiko eines Delirs postoperativ durch vorbestehende kognitive Störungen (besonders Demenz) berücksichtigen [1].
Ein erhöhtes Delirrisiko besteht bei Erkrankungen/Schädigungen des ZNS: Meningoenzephalitis, zerebraler Hypoxie, Zustand nach SHT, intrakranieller Blutung, Hirntumor, Demenz.
53.2.2
Entzugssyndrome
Ätiologie
Klinik und Diagnostik
Sehr unterschiedliche Erkrankungen können zu einem Delir führen (Tab. 1). Häufigste Ursache für ein Delir ist im Erwachsenenalter ein Alkoholentzugsdelir (s. 53.2.2.). Bei Kindern sind es meist Vergiftungen und bei älteren Menschen kommen differentialdiagnostisch eine Reihe von Erkrankungen in Frage: postoperativ bei vorbeste-
Die Entzugssymptomatik kann zu ausgeprägten Entzugserscheinungen führen, die von vegetativen Störungen (Schwitzen, RR-Anstieg, Herzfrequenzanstieg) und psychischen Symptomen (Unruhe, Schlafstörung, Desorientiertheit) bis zur Ausbildung eines Delirs (7 Abschn. 53.2.1) führen können. Die Diagnose erfolgt klinisch.
677 53.2 · Akute organisch bedingte psychische Störungen
. Tab. 53.1 Differenzialdiagnose von häufig einem Delir zugrunde liegenden Erkrankungen Anamnese
Internistische/neurologische Befunde
Labor
Weitere Untersuchungen
Erkrankungen mit ZNS-Beteiligung Demenz
CT/MRT: Atrophie
Zusätzliche kognitive und Verhaltensstörungen
Enzephalitis/Meningitis
Fieber, Meningismus, evtl. neurologische Herdsymptome
Lumbalpunktion: Zellzahl, IgG, IgM, Blutkultur
Epilepsie
Krampfanfälle
Pontine Myelinolyse
Hyponatriämie
Dysarthrie, Schluckstörungen, Gangstörungen
Na+, K+, Ca2+ und Cl– im Serum
Wernicke-Enzephalopathie
Alkoholanamnese
Augenmuskelparesen, Ataxie, Polyneuropathie
y-GT, MCV, Vitamin B1 + B12
Vaskulärer Prozess
Diabetes, Hypertonus, Herzerkrankung
Neurologische Herdsymptome
zerebrovaskuläre Risikofaktoren: Diabetes mellitus, Hyperlipidämie
EEG: Allgemeinveränderungen, MRT EEG: Krampfpotenziale MRT: Pontine Läsion
CT/MRT: Vaskuläre Läsionen
Metabolische Störung Elektrolytstörung/ Exsikkose
Na+, K+, Ca2+ und Cl– im Serum, Hkt
Hypo-/Hyperglykämie
Diabetes mellitus
Blutzucker
Hyperthyreose
Schilddrüsenerkrankung
TSH
Hepatopathie
Lebererkrankung
Nephropathie
Nierenerkrankung
Infektionen/Sepsis
»flapping tremor«
γ-GT, GOT, GPT, Bilirubin, NH3
EEG: Allgemeinveränderungen
Kreatinin, Na+, K+, Ca2+ und Cl– im Serum Fieber
BSG, Leukozyten, Urin-/ Blutkultur, evtl. Lumbalpunktion
Na+, K+, Ca2+ und Cl- im Serum
Nach Trauma etc. Hitzschlag
Anamnese
Trockene Haut
Schädel-Hirn-Trauma
Unfall
Neurologische Herdsymptome
Systemische Hypoxie, z. B. Zustand nach Herzstillstand
Herzstillstand etc.
Verbrennungen
Verbrennungsunfall
Hautverbrennungen
Kreatinin, Na+, K+, Ca2+ und Cl- im Serum
Alkoholmissbrauch
Alkoholanamnese
Tremor, Schwitzen, erhöhter Puls, Hypertonus
γ-GT, MCV, CDT
Anticholinerge Drogen/ Medikamente
Drogen-/Medikamenteneinnahme
Weite Pupillen, warme, trockene Haut und Schleimhäute
Benzodiazepinmissbrauch
Benzodiazepineinnahme
Benzodiazepinnachweis im Urin
Dopaminerge Medikamente
Medikamenteneinnahme
Spiegel
CT/MRT: Hirnschädigung pO2
EKG
Substanzinduziert
In Anlehnung an [13].
EEG: frontale β-Wellen
53
678
53
Kapitel 53 · Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten
Ätiologie z
53
Chronische Alkohol- oder Benzodiazepin/ Sedativaabhängigkeit Ein Alkoholentzugsdelir kommt gehäuft bei körperlich schwer Erkrankten vor (z. B. bei Pneumonie) oder nach Traumata. Ein Delir kann bis 3 Tage nach dem letzten Alkoholkonsum auftreten. Im unkomplizierten Fall beträgt die Dauer der Entzugssymptomatik 2–8 Tage. Bei längerer Dauer sollte die Diagnose überprüft werden (. Tab. 53.1). Risikofaktoren für ein Alkoholentzugsdelir sind allgemein schwere körperliche Erkrankungen, insbesondere Herzrhythmusstörungen, Lebererkrankungen [14]. Differenzialdiagnostisch ist eine Wernicke-Enzephalopathie mit Desorientiertheit, Verlangsamung, Merkschwäche, Augenmuskelparesen (typisch, aber nicht obligat), Ataxie und Polyneuropathie oft schwer abzugrenzen. Bei längerer Benzodiazepinmedikation ist ein Entzugsdelir bis zu 6 Wochen nach Absetzen (je nach Halbwertszeit des Benzodiazepins bzw. seiner Metaboliten) möglich. Daher sollten Benzodiazepine nach längerer Therapie langsam und schrittweise abgesetzt werden.
53
Therapie
53 53 53 53 53 53
53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53 53
geschlossen werden kann, sollte Vitamin B1, 100 mg/Tag i.v. gegeben werden. ! Cave Glukosegabe erst nach Vitamin-B1-Gabe.
Bei Benzodiazepinentzug Umsetzen auf Äquivalenzdosis Oxazepam (Vorteil: kein Metabolit) und dann über 3–6 Wochen schrittweise reduzieren (wöchentlich um die Hälfte der Dosis).
53.3
Viele psychische Störungen, die auf einer Intensivstation zu beobachten sind, sind als eine Reaktion des Patienten auf die besonderen Bedingungen auf einer ITS anzusehen. In vielen Fällen ist eine organische Grunderkrankung oder eine schwere Verletzung als mit verursachend anzusehen
53.3.1 Für die Behandlung eines Alkoholentzugs sind eine Reihe von Therapieansätzen entwickelt worden. Eine scoregesteuert Therapie, d. h. an der aktuellen Symptomatik orientierte Behandlung hat sich bewährt [15,18]. Mit der medikamentösen Behandlung sollte wegen Wechselwirkungen erst bei einer Blutalkoholkonzentration <1‰ begonnen werden: z Unruhe und Angst Diazepam 2- bis 6-mal 10 mg i.v/Tag; Dosisanpassung nach Wirkung. ! Cave Bei Leberinsuffizienz kürzer wirksame Benzodiazepine (Lorazepam, Oxazepam) verwenden.
Bei vegetativen Symptomen (Tremor, Schwitzen, Tachykardie): Clonidin, Beginn mit Bolusinjektion von 0,15–0,6 mg Clonidin i.v., innerhalb von 10–15 min Weiterbehandlung 0,3–4 mg Clonidin/Tag (Dosisanpassung nach Wirkung → RR, Bradykardie!). ! Cave Monitorüberwachung wegen Risiko (bradykarder) Herzrhythmusstörungen, besonders bei Elektrolytstörungen (K+).
Nicht unterdosieren. Therapie nicht zu früh und nicht abrupt beenden; über 3 Tage ausschleichen. z Psychotische Symptome (Angst, Halluzinationen, Wahn) Haloperidol 5 mg langsam i.v., Dosisanpassung nach Wirkung, maximal 20 mg/Tag. Cave: Restriktive Anwendung; die Kardiotoxizität wird durch Clonidin verstärkt → Rhythmusstörungen (Monitorüberwachung!). > Eine Kombination der medikamentösen Strategien ist möglich, insbesondere von Haloperidol und Clonidin.
z
Weitere Therapieoption
Clomethiazol, bis 8-mal 2 Kaps./Tag. Besonders bei i.v. Gabe gute
Überwachung der Atmung, denn es wirkt stark atemanaleptisch → erhöhte Bronchialsekrektion mit Bronchospasmus. Es besteht ein hohes Risiko einer Clomethiazolabhängigkeit. Bei Alkoholabhängigen, bei denen bei einer schweren Entzugssymptomatik eine Wernicke-Enzephalopathie oft nicht sicher aus-
Nichtorganische psychische Störungen
Angststörung
Angst ist ein häufiges menschliches Gefühl. Es tritt besonders in Situationen auf, die von dem Betreffenden nicht übersehen werden können und/oder die der Betreffende für bedrohlich, aber als von ihm selbst nicht zu beeinflussen ansieht. Entsprechende Situationen kommen während der Behandlung auf einer ITS häufig vor.
Klinik und Diagnostik Angstzustände können nur klinisch diagnostiziert werden, d. h. vor allem durch die Angaben und auch das Verhalten des Patienten. »Organische« Ursachen sind ausschließen. Körperliche Symptome bei Angstzuständen können bestehen in: motorischer Unruhe (Zittern), Tachykardie, Blutdruckanstieg, Schwitzen. Auch völliger sozialer Rückzug (kaum Kontakt möglich) kann vorkommen. Der Patient liegt dann angstvoll angespannt, aber weitgehend regungslos im Bett. In diesen Fällen, besonders bei bekannter Psychose oder Angabe eines Bedrohungsgefühls ist an eine Psychose zu denken.
Ätiologie Auslöser für Angstzustände können eine Reihe von Erkrankungen/ Bedingungen sein: 4 »Realangst« (Aufwachen auf der Intensivstation, v. a. nach längerer Sedierung bei Beatmung, Zustand nach Herzinfarkt, Unfall etc.), 4 vorbestehende Angststörung oder Panikattacken (Prävalenz in der Bevölkerung etwa 10%), 4 vorbestehende Psychose (Prävalenz in der Bevölkerung etwa 1%) Mögliche organische Ursachen für Angststörungen sind Hyperventilation mit Ca2+-Mangel und eine Hyperthyreose. Bei Sedativaentzug bzw. -reduktion (besonders bei längerer Benzodiazepinmedikation) und auch Drogenintoxikationen kommt es häufig zu Angstzuständen. Bei älteren Patienten können zerebrovaskuläre Durchblutungsstörungen, Herzrhythmusstörungen, die zu einer Sauerstoffuntersättigung führen, zu Angstzuständen führen. Weiter ist differenzialdiagnostisch an eine paradoxe Reaktion auf Psychopharmaka (z. B. Benzodiazepine) zu denken.
Therapie Zunächst sollte immer ein Versuch erfolgen, verbal beruhigend einzuwirken, z. B. durch eine Erklärung der besonderen Situation
679 53.3 · Nichtorganische psychische Störungen
auf einer ITS. Bei ausbleibendem Erfolg kann eine medikamentöse Behandlung erfolgen mit: 4 Diazepam 5–10 mg i.m. oder i.v. (Cave: nicht bei Benzodiazepinabhängigkeit). 4 Bei psychotischer Angst (Gefühl der Bedrohung: Zusätzlich 5 mg Haloperidol i.v. 4 Bei Hyperventilation: Beutelrückatmung. Bei organischer Ursache sollte nach Möglichkeit eine kausale Therapie erfolgen.
53.3.2
Erregungszustand/Aggression
Klinik und Diagnostik Ein Erregungszustand kann abrupt, d. h. ohne erkennbare Vorwarnzeichen auftreten. Typische Symptomatik sind starke psychomotorische Unruhe mit (z. B. Hin-und-her-Laufen, Nesteln, Schreien). Das aggressive Verhalten kann sich gegen Personen und Sachen richten, oft ist es aber bei starker Erregung ungerichtet. Im Erregungszustand ist oft eine verbale Kommunikation mit dem Betreffenden kaum noch möglich. Die Diagnose ist klinisch zu stellen, dabei ist auf auslösende Situationen zu achten.
4 Deutlich Grenzen setzen, ohne dass der Patient dies als Gegengewalt ansieht (Hinzuziehen mehrerer Pflegepersonen etc.). 4 Nur im Extremfall Fixierung am Bett für die unbedingt notwendige Zeit (Dokumentation der Gründe in der Krankenakte!). 4 Vor evtl. notwendigen Injektionen für ausreichende Ruhigstellung des Patienten durch Pflegepersonal sorgen, um so Injektionsfehler zu vermeiden.
Medikamentös wird bei akutem aggressivem Verhalten die Kombination von Haloperidol (5–10 mg) mit Lorazepam (1–1,5 mg) oder Promethazin (3-mal 50 mg/Tag) empfohlen [5], ggf. Wiederholung. Bei länger andauerndem aggressivem Verhalten: Phenytoin (3-mal 100 mg/Tag), Carbamazepin (3-mal 150 mg/Tag) oder Valproat (3mal 250 mg/Tag), ggf. steigern [10].
53.3.3
Akute Belastungsstörung/ posttraumatische Belastungsstörung
Klinik und Diagnostik Ätiologie Die biologischen Grundlagen für aggressives Verhalten sind sehr komplex und noch nicht hinreichend geklärt [8]. Bei frontotemporalen Hirnschädigungen ist gehäuft mit aggressivem Verhalten zu rechnen. Erregungszustände können auftreten bei: 4 »Realangst« (Herzinfarkt, Unfall, Aufwachen auf Intensivstation, v. a. nach längerer Sedierung bei Beatmung), 4 Narkoseein- oder -ausleitung und nach längerer Beatmung, 4 neurologischen Erkrankungen: Zustand nach epileptischem Anfall, SHT, Meningoenzephalitis, 4 psychiatrischen Erkrankungen: akute Psychose, Delir (7 Abschn. 53.2.1), Demenz; Minderbegabung. Bei älteren Patienten können auch zerebrovaskuläre Durchblutungsstörungen, Herzrhythmusstörungen, die zu einer Sauerstoffuntersättigung führen, ursächlich für Erregungszustände sein. Weiter ist differenzialdiagnostisch an paradoxe Reaktionen auf Psychopharmaka (z. B. Benzodiazepine) zu denken.
Therapieansätze Grundregeln für den Umgang mit Patienten, die zu aggressivem Verhalten neigen, sind in der 7 Übersicht dargestellt (in Anlehnung an [13]).
Grundregeln für den Umgang mit Patienten, die zu aggressivem Verhalten neigen 4 Ruhe bewahren (sich nicht provozieren lassen) und versuchen, beruhigend einzuwirken. 4 Konfrontationen möglichst vermeiden. 4 Versuchen, mit dem Patienten ins Gespräch zu kommen (»talking down«). 4 Verständnis signalisieren, insbesondere für die kritische Situation. 4 Hilfe anbieten (auch Medikamente). 4 Personen, die die Erregung steigern, wegschicken. 6
Ein schwerer Unfall oder eine lebensbedrohliche Erkrankung, aber auch der Aufenthalt auf einer ITS führt sehr häufig zu einer akuten Belastungsstörung, die klinisch gekennzeichnet ist durch 4 Wechsel zwischen Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität und Rückzug. Die akute Symptomatik dauert in der Regel maximal 3 Tage an. Falls eine Bewältigung des zum ITS-Aufenthalt führenden Ereignisses nicht erfolgt, kann es zu einer länger andauernden Reaktion kommen. Diese sog. posttraumatische Belastungsstörung kann auch verzögernd entstehen und ist gekennzeichnet durch 4 wiederholtes Erleben des Traumas in sich unwillkürlich aufdrängenden Erinnerungen, 4 Gefühl des Betäubtseins, emotionaler Abgestumpftheit gegenüber anderen Menschen und der Umgebung, Unfähigkeit, Freude zu empfinden, 4 Schlafstörungen. Meist besteht eine erhebliche Angst, wieder in eine ähnliche Situation zu kommen
Therapieansätze Bei längeren ITS- Aufenthalten ist eine konsiliarische psychotherapeutische Behandlung anzustreben. Medikamentös können Antidepressiva vom Typ der Serotoninwiederaufnahmehemmer, wie z. B. Citalopram (20–40 mg/Tag) oder Sertralin (50–200 mg/Tag) verabreicht werden [3]. ! Cave Verzögerter Wirkungseintritt von Serotonin-ReuptakeHemmern (>14 Tage), Unruhe.
53.3.4
Schlafstörungen
Klinik Verschiedene Störungen des Schlafs sind denkbar: 4 fragmentierter Schlaf (Störung des normalen Schlafrhythmus),
53
680
53 53 53
Kapitel 53 · Psychische und psychosomatische Störungen bei Intensivpatienten
4 veränderter Schlaf-wach-Rhythmus (Schlaf zur Tageszeit, wach zur Nacht), 4 Hypo- bzw. Insomnie (Schlafdefizit bzw. -losigkeit), 4 Hypersomnie (verlängerte Schlafdauer und/oder exzessive Schläfrigkeit).
53
Ein fragmentierter Schlaf ist sicherlich die häufigste Form. Grund hierfür sind v. a. die Umgebungsbedingungen auf der ITS und Schmerzen sowie Bewegungseinschränkungen (z. B. nach Operationen an den Extremitäten)
53
Ätiologie
53 53 53 53 53 53 53 53 53 53
Ungefähr 1/3 seines Lebens verbringt ein Mensch schlafend. Normalerweise werden pro Nacht 4–5 Schlafzyklen mit je etwa 100 min Dauer durchlaufen. Den Abschluss bildet eine REM-(»rapid eye movement«) Schlafphase (Traumschlaf). Die Regulierung des Schlaf-wach-Rhythmus ist sehr komplex [2, 7]), dabei spielen äußere Reize (z. B. Tageslicht) eine wichtige Rolle [6]. Aufgrund der besonderen Bedingungen auf einer ITS und der Schwierigkeiten, die zum ITS-Aufenthalt führenden Ereignisse psychisch zu verarbeiten, treten Schlafstörungen bei den dort behandelten Patienten häufig auf, v. a. ein fragmentierter Schlaf und/oder eine Hyposomnie. Organische Ursachen für Schlafstörungen können sein: ein Delir, schneller Entzug von Medikamenten, insbesondere Sedativa oder Schmerzmitteln, sowie vorbestehende Schlafstörungen wie z. B. ein Schlaf-Apnoe-Syndrom.
Therapieansätze Spezielle Hinweise, bei welcher Art der Schlafstörung bestimmte Medikamente therapeutisch besonders gut wirksam sind, existieren bisher kaum. Medikamentös können Hypnotika wie Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon, kurzwirksame Benzodiazepine und sedierende Neuroleptika mit einer antihistaminergen Wirkung wie Melperon eingesetzt werden. Bei einem Delir und bei anders nicht zu behandelnden Schlafstörungen, insbesondere bei geriatrischen Patienten, kann Clomethiazol gegeben werden. Hierbei sind eine Tachyphylaxie, d. h. ein rasches Nachlassen der Wirkung, sowie Atemdepression und Verschleimung der Atemwege zu berücksichtigen.
53.3.5
53 53 53 53 53 53 53 53
Medikamente, die akut das Suizidrisiko verringern, sind nicht bekannt. Benzodiazepine, z. B. Lorazepam (1,5 mg), können gegeben werden, um die innere Anspannung des Patienten zu vermindern.
53.4
Suizidalität
Suizide zählen in der BRD zu den häufigsten Todesursachen bei jüngeren Menschen. Nach einem »überlebten« Suizidversuch (z. B. Tablettenintoxikation, Strangulation, Sprung) besteht häufig weiter eine ausgeprägte Suizidalität. Daher ist eine rasche Abklärung durch einen Psychiater anzustreben (7 Übersicht).
Fragen zur Klärung der Selbstmordgefährdung [13] 4 Denken Sie derzeit daran, sich das Leben zu nehmen? (Wie oft? Ständig?) 4 Haben die Selbstmordgedanken sich Ihnen aufgedrängt? 4 Halten Sie Ihre Lage für aussichts- und/oder hoffnungslos? (Warum?) 4 Wie ist Ihre augenblickliche Stimmung? 4 Können Sie noch an etwas anderes als Ihre Probleme denken? 4 Haben Sie schon einen Plan für einen Selbstmordversuch gemacht? (Wie?)
Einsatz von Psychopharmaka auf der Intensivstation
Der Einsatz von Psychopharmaka auf einer ITS ist dadurch eingeschränkt, dass diese sehr häufig nur in Tablettenform in den Handel kommen. Zubereitungen für i.v. oder i.m. Applikation Iiegen meist nur für ältere Präparate vor. Eine Fortführung einer Therapie mit Psychopharmaka ist aber bei den meisten psychiatrischen Erkrankungen wünschenswert, da diese chronisch verlaufen und ein Absetzen zur Exazerbation der psychopathologischen Auffälligkeiten führen kann. Daher sollte eine laufende Psychopharmakamedikation nur nach Rücksprache mit dem psychiatrischen Konsiliararzt oder wegen Nebenwirkungen bzw. Wechselwirkungen von Psychopharmaka mit anderen dringend indizierten Medikamenten unterbrochen werden. > In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die meisten Psychopharmaka über Cytochrome P450-Oxidasen abgebaut werden und daher mit einer Vielzahl von anderen Medikamenten interagieren können ([9, 11], tabellarische Übersicht in [17]).
Auch bewirken viele Psychopharmaka eine QTc-Verlängerung [4,16]. Grundsätzlich ist bei Gabe von Psychopharmaka damit zu rechnen, dass bei einem kleinen Teil der behandelten Patienten, insbesondere bei Kindern und älteren Patienten, paradoxe Effekten auftreten, z. B. mit Erregung statt Sedierung bei Benzodiazepinen.
53.5
53 53
! Cave Keine entwertenden Äußerungen, da diese das Insuffizienzgefühl und damit die Suizidalität verstärken können!
Rechtliche Aspekte
Häufig gestaltet sich die Aufklärung über notwendige geplante ärztliche Maßnahmen bei ITS-Patienten schwierig, weil diese oft nicht in der Lage sind, den Inhalt einer Aufklärung zu verstehen oder/ und intellektuell adäquat zu verarbeiten, sodass sie daraus keine eigene freie Willensentscheidung – nämlich die Einwilligung in die ärztliche Maßnahme – herleiten können. Eindeutige rechtliche Bestimmungen hinsichtlich der Aufklärung über bzw. der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen bestehen in der BRD nicht. Nach der gängigen Rechtsprechung ist eine umfassende Aufklärung über die Diagnose und die geplante Behandlung sowie eine anschließende Einwilligung durch den Patienten bzw. des Betreuers immer erforderlich [13]. Die Gestaltung des Aufklärungsgesprächs liegt weitgehend im Ermessen des Arztes. Der Umfang der Aufklärung richtet sich nach der Dringlichkeit des Eingriffes. Je dringlicher ein Eingriff ist, desto geringer sind die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung und umgekehrt.
681 Literatur
Literatur 1
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4 5
6 7
8
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12 13 14
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53
683
Infektionen des ZNS B. Salzberger
54.1
Einleitung – 684
54.2
Meningitis, Meningoenzephalitis und Enzephalitis – 684
54.2.1 54.2.2 54.2.3
Bakterielle Meningitis – 684 Virale Meningitis – 687 Enzephalitis – 687
54.3
Fokale intrakranielle Infektionen – 689
54.3.1 54.3.2
Hirnabszesse – 689 Subdurale Empyeme und infizierte Sinusvenenthrombosen – 689
Literatur – 690
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 4,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
54
684
54 54 54 54 54 54 54 54 54 54
54.1
54.2
54
54 54 54 54 54 54
Einleitung
Infektionen des ZNS können durch ein breites Spektrum von Erregern verursacht werden – Prionen, Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten. Infektionen dieses Organsystems sind häufig medizinische Notfälle und erfordern eine intensivmedizinische Betreuung. Die meisten ZNS-Infektionen sind ambulant erworben, nosokomiale ZNS-Infektionen treten v. a. nach neurochirurgischen Eingriffen auf und sind sehr viel seltener. Bei Infektionen des ZNS finden sich in der Diagnostik und der Therapie zwei Besonderheiten: Zum einen ist dies die Bedeutung des Liquor cerebrospinalis zur Erregerdiagnostik, die v. a. bei der Meningitis und bei der Enzephalitis die wichtigste Rolle spielt. Die Liquorpunktion liefert durch die Zytologie und Laborchemie, aber auch durch kulturelle und andere Methoden meistens die entscheidenden Bausteine zur Diagnose und Therapie. Die zweite Besonderheit ist die »pharmakologische Abgeschlossenheit des ZNS« durch die Blut-Liquor-Schranke. Diese ist zwar bei akuten Entzündungen deutlich durchlässiger für z. B. antimikrobielle Substanzen, allerdings muss auch die spezifische Penetration einzelner Stoffgruppen in das ZNS berücksichtigt werden. So ist z. B. bei nahezu allen β-Laktamantibiotika eine hochdosierte Therapie notwendig, eine Therapie mit Fluorchinolonen dagegen bei ZNS-Infektionen aufgrund der schlechten Penetration ungünstig.
54
54
Kapitel 54 · Infektionen des ZNS
ningitidis) und Listerien (L. monocytogenes). Hämophilusmeningitiden sind nach Einführung der Hib-Impfung selten geworden (. Tab. 54.2). Ebenfalls sehr selten sind parasitäre Erreger, z. B. Acanthamöben bzw. Naegleria fowleri nach Kontakt mit entsprechend kontaminiertem Wasser (7 Übersicht).
Verdacht auf Meninigitis, Enzephalitis
Fokales neurologisches Defizit oder Bewusstseinstörung oder Immundefekt?
Ja Nein
Meningitis, Meningoenzephalitis und Enzephalitis
Eine Meningitis und eine Meningoenzephalitis sind klinisch, laborchemisch und pathologisch nicht immer eindeutig voneinander zu trennen. Eine Infektion der Hirnhäute kann Kopfschmerzen, Meningismus sowie Somnolenz verursachen, bei Beteiligung des Hirnparenchyms kommen zusätzlich Veränderungen der kognitiven Funktionen, des Bewusstseins und fokale neurologische Zeichen dazu. Bei den im Parenchym ablaufenden Enzephalitiden sind in vielen Fällen weder meningeale Symptome noch eine hohe Pleozytose im Liquor vorhanden, hier sind die Veränderungen der Hirnfunktion bzw. fokale Zeichen deutlich ausgeprägter. Aus klinischer und didaktischer Sicht macht deshalb eine Trennung nach Syndromen Sinn, auch wenn diese in der Wirklichkeit oft nicht so scharf zu differenzieren sind. Die für den Intensivmediziner klinisch schwersten und wichtigsten Formen sind die akuten bakteriellen Meningitiden und die viralen Enzephalitiden.
54 54 54 54
Hirndruck?
Liquorpunktion Zytologie Laborchemie Erregerdiagnostik
Ja Beginn einer empirischen Therapie . Abb. 54.1 Liquorpunktion: Entscheidung und Vorbereitung
. Tab. 54.1 Liquorbefunde und Syndrome. (Mod. nach [2])
Bakterielle Meningitis
Epidemiologie und Pathogenese Es gibt keine Daten zur Häufigkeit der akuten bakteriellen Meningitis in Deutschland. Invasive Meningokokkenerkrankungen als die zweithäufigste Form treten etwa mit einer jährlichen Inzidenz von 1/100.000 auf, davon sind etwa 2/3 Meningitiden. Dies korrespondiert bei einer anzunehmenden Dunkelziffer recht gut mit Daten aus den USA, wo in einer Surveillance-Studie die jährliche Inzidenz der akuten bakteriellen Meningitiden etwa 3/100.000 betrug. Die häufigsten Erreger der bakteriellen Meningitis sind heute Pneumokokken (S. pneumoniae), Meningokokken (Neisseria me-
Nein
CT
Beginn einer empirischen Therapie
> Der wichtigste Schritt zur Diagnose bei allen diesen Syndromen ist die Liquoruntersuchung (. Tab. 54.1; . Abb. 54.1) [3, 5].
54.2.1
CT innerhalb von 30 min möglich?
Ja
54 54
Nein
a
Zellzahl/μl
Überwiegender Zelltyp
Eiweiß [mg/dl]
Glukose [mg/dl]a
Normal
0–5
-
<50
>45
Bakterielle Meningitis
1000– 5000
Neutrophile
100– 500
<40
Virale Meningitis
50–1000
Lymphozyten
<200
>45
Tuberkulöse Meningitis
50–300
Lymphozyten/ initial Neutropile
50–300
<45
Virale Enzephalitis
50–500
Lymphozyten
>45
Bei Störungen des Zuckerstoffwechsels muss der Liquor/SerumQuotient berechnet werden (Normalwert etwa 0,6; Werte <0,5 sind pathologisch).
685 54.2 · Meningitis, Meningoenzephalitis und Enzephalitis
. Tab. 54.2 Erreger der bakteriellen Meningitis bei Patienten >16 Jahre. (Mod. Nach [3]) Erreger
Häufigkeit (nach 1970)
S. pneumoniae
40–50%
N. meningitidis
2–20%
L. monocytogenes
6–25%
H. influenzae
4–8%
Andere
12–25%
Unbekannt
0–8%
Vor der Liquorpunktion muss wegen der Gefahr der Herniation ein erhöhter Hirndruck ausgeschlossen werden, dies kann durch klinische Kriterien und entsprechende Bildgebung geschehen (. Abb. 54.1). Die Liquorpunktion sollte möglichst immer, also auch nach Verzögerung durch eine notwendige Bildgebung, durchgeführt werden. Fast alle potenziellen Erreger (außer Meningokokken) können noch mehrere Stunden nach Beginn der antibiotischen Therapie aus dem Liquor kultiviert werden, und die erhöhte Zellzahl und weitere Auffälligkeiten bleiben noch länger bestehen.
Blutkulturen sind bei der akuten bakteriellen Meningitis in 50–70% Wichtige Differenzialdiagnosen 4 Hirnabszess, subdurales Empyem 4 Cryptococcus neoformans (Immundefekt) 4 Naegleria fowleri bzw. Acanthamoeba (Kontakt mit kontaminiertem Wasser)
Bakterielle Meningitiden entstehen in aller Regel durch die Sequenz der initialen Besiedlung der Schleimhäute (bei Pneumo- und Meningokokken der oberen Luftwege, bei Listerien des Gastrointestinaltraktes), dann Invasion der Grenzflächen und Besiedlung der Meningen durch bakteriämische Streuung. Pneumokokken können auch lokal invasiv (aus den Nasennebenhöhlen oder otogen) ins ZNS gelangen.
aller Fälle positiv. Weitere spezifische Methoden zur Erregerdiagnostik beinhalten Antigentests für Pneumo- bzw. Meningokokken oder den Nachweis bakterieller DNA. Diese Methoden sind sehr sensitiv und spezifisch, der Einsatz kann aber auf solche Fälle beschränkt werden, in denen keine prätherapeutische Liquorpunktion stattfinden kann oder die Kultur negativ bleibt, da sie die initiale empirische Therapie bis zur definitiven Erregerdiagnose kaum beeinflussen. Weitere Laboruntersuchungen sollten ein Blutbild, Differenzialblutbild, CRP bzw. PCT und Basisparameter der Gerinnungsfunktion beinhalten. Erhöhungen von CRP und PCT (>0,2 ng/ml) sind sehr viel häufiger bei der akuten bakteriellen Meningitis als bei der viralen Meningitis zu finden, aber Sensitivität und Spezifität sind nicht ausreichend, um hier hinreichend sicher zu differenzieren. Veränderungen des Blutbilds sind häufig nicht vorhanden, diese Laboruntersuchungen sind aber sinnvoll zur Beurteilung der initialen Schwere bzw. des Verlaufs.
Klinik Das häufigste Symptom der akuten Meningitis ist ein generalisierter, über wenige Stunden bis Tage zunehmender Kopfschmerz, gefolgt oder begleitet von Somnolenz bis hin zum Koma. Fieber ist ebenfalls häufig. Als lokalisierendes und fast pathognomonisches Zeichen kann eine meningeale Reizung (Nackensteifigkeit, Meningismus) auftreten. Jedes dieser Symptome ist in großen Fallserien bei mehr als 85% der Patienten vorhanden, die klassische vollständige Trias von Kopfschmerz, Fieber und Meningismus allerdings nur in etwa 2/3 der Fälle. Mindestens eins der Symptome der Trias ist jedoch in mehreren Fallserien in jeweils allen Fällen vorhanden gewesen. Insbesondere bei zusätzlicher Somnolenz und klinischer Verschlechterung muss deshalb bei jedem dieser 3 Symptome eine hohe diagnostische Aufmerksamkeit vorhanden sein und eine bakterielle Meningitis bedacht werden. Der Meningismus als lokalisierendes Symptom kann subtil oder nicht vorhanden sein oder sich nur diskret (Kernig-, Brudzinski-Zeichen) zeigen.
Diagnostik Der wichtigste Schritt ist die Liquorpunktion mit Zytologie, Laborchemie und Erregerdiagnostik. Der typische Befund bei der bakteriellen Meningitis ist ein trüber Liquor mit hoher Zellzahl, überwiegend Granulozyten, erhöhtem Eiweiß und erniedrigter Glukose (. Tab. 54.1).
Therapie Die initiale empirische Therapie muss rasch begonnen werden und die wichtigsten vorkommenden Erreger sicher treffen. Hierzu ist bei ambulant erworbener Meningitis eine Kombination eines 3.-Generations-Cephalosporins sowie eines Aminopenicilins adäquat (. Tab. 54.3 und . Tab. 54.4). Bei der Meningokokkenmeningitis ist die Gabe eines Antibiotikums vor Krankenhausaufnahme bereits mit einer besseren Prognose verbunden. Insgesamt muss es das Ziel sein, eine Antibiotikatherapie innerhalb von 3 h nach Krankenhausaufnahme zu beginnen.
Therapie mit Glukokortikoiden Die adjuvante Therapie mit Glukokortikoiden verbessert bei Kindern und Erwachsenen die Prognose der bakteriellen Meningitis und vermindert Spätkomplikationen deutlich. Dies konnte für Pneumokokkenmeningitiden, nicht aber für Meningokokken- oder andere bakterielle Meningitiden klar gezeigt werden. Da Pneumokokken der häufigste Erreger sind, sollte eine empirische Therapie mit Dexamethason 10 mg 4-mal täglich über 4 Tage parallel zur Antibiotikatherapie begonnen werden. Bei Nachweis anderer Erreger kann diese Therapie abgebrochen werden – hier bringt die Glukokortikoidtherapie keine gesicherten Vorteile, aber den potenziellen Nachteil der rascheren Wiederherstellung der Blut-HirnSchranke mit schlechterer Penetration von Antibiotika ins ZNS [1,8].
Die Therapie eines erhöhten Hirndrucks besteht aus der Hochlagerung des Oberkörpers (30°), ggf. kann eine medikamentöse Thera-
54
686
Kapitel 54 · Infektionen des ZNS
. Tab. 54.3 Empirische antibiotische Therapie bei akuter bakterieller Meningitis
54 54
. Tab. 54.4 Spezifische antibiotische Therapie bei akuter bakterieller Meningitis
Normale Tagesdosis
Normale Tagesdosis Pneumokokkenmeningitis
54
1. Ambulant erworbene Meningitis
5 Penicillin G (nach Antibiogramm mit MHK!)
Drittgenerationscephalosporin
54 54
5 Ceftriaxon
2×2 g
alternativ (bei Allergie)
5 Cefotaxim
3×4 g
5 Ceftriaxon
2×2 g
5 Vancomycin (rel. schlechte ZNSPenetration!)
2×1g
plus Aminopenicillin
54
5 Ampicillin
54
6×2 g oder 4×3 g
plus adjuvante Therapie mit Dexamethason (über 4 Tage)
54 54
54
4×10 mg
54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54
5 Dexamethason (über 4 Tage)
5 Penicillin G
2. Nosokomial erworbene Meningitis (auch Shuntinfektion)
alternativ
5 Vancomycin (rel. schlechte ZNS-Penetration!)
5 Ceftriaxon
2×1 g
4×10 mg
6×4 Mio. IU
2×2 g
Dexamethason absetzen!
5 Meropenem oder
3×1 g
Listerienmeningitis
5 Ceftazidim (plus Metronidazol, postoperativ)
3×2 g (plus 3×500 mg)
5 Ampicillin ggf. plus
6×2 g
5 Gentamycin
1×3–5 mg/kg KG (Spiegel)
54 54
Plus
Meningokokkenmeningitis
plus
54
6×4 Mio. IU
Dexamethason absetzen!
pie (z. B. mit hyperosmolaren Lösungen) oder eine Liquorableitung bei Hydrozephalus sinnvoll sein.
Staphylokokkenmeningitis
z
Nosokomiale Meningitis und liegender ventrikuloperitonealer Shunt Nosokomiale Infektionen kommen v. a. nach neurochirurgischen Eingriffen, bei nosokomialen Bakteriämien (z. B. Katheterinfektionen u. a.) und bei einem liegenden ventrikuloperitonealen Liquorshunt vor und haben deshalb ein gänzlich anderes Erregerspektrum. Aus diesem Grund muss die initiale empirische Therapie besonders gut staphylokokkenwirksam sein und auch Pseudomonas aeruginosa miteinbeziehen.
5 Flucloxacillin oder
6×2 g
5 Cefazolin
3×2 g
5 Fosfomycin oder
3×5 g
z Pneumokokkenmeningitis Die Pneumokokkenmeningitis ist die häufigste Meningitis in allen Altersklassen. In aller Regel ist die Meningitis Folge einer bakteriämischen Infektion. Seltener ist eine lokale Invasion nach Otitis, Sinusitis oder Mastoiditis. Ein solcher Herd muss durch eine Computertomographie oder andere Bildgebung ausgeschlossen werden. Häufige Spätkomplikationen der Pneumokokkenmeningitis sind v. a. Hörschäden, die bei Kindern auch zu Entwicklungsstörungen führen können. Studien bei Kindern und Erwachsenen haben klar gezeigt, dass eine adjuvante Steroidtherapie die Prognose verbessert und Spätkomplikationen reduziert. Die optimale antibiotische Therapie ist in aller Regel Penicillin G (. Tab. 54.4). In Deutschland sind penicillinresistente Pneumokokken extrem selten, deshalb sollte bei entsprechendem Nachweis und MHK-Bestimmung auf Penicillin G umgestellt werden. Penicillinresistente Pneumokokken kommen häufiger z. B. in Spanien, Ungarn, Island und Großbritannien vor. Die Dauer der Antibiotikatherapie beträgt in der Regel 14 Tage.
5 Rifampicin
1×600 mg
1. Methicillin-/Oxacillin-sensibel (MSSA)
alternativ: 5 Vancomycin
2×1 g
5 Linezolid
3×600 mg
plus ggf.
Dexamethason absetzen! 2. Methicillin-/Oxacillin-resistent (MRSA) 5 Vancomycin
2×1 g
5 Linezolid
3×600 mg
plus ggf. 5 Fosfomycin oder
3×5 g
5 Rifampicin
1×600 mg
Dexamethason absetzen!
z Meningokokkenmeningitis Meningokokkenmeningitiden treten nahezu ausschließlich als Komplikationen bakteriämischer Infektionen auf. Die Therapie der Wahl ist hier hochdosiertes Penicillin G, resistente Erreger sind bis-
687 54.2 · Meningitis, Meningoenzephalitis und Enzephalitis
her nur in Einzelfällen außerhalb von Europa beschrieben worden. Die Antibiotikatherapie soll über 7–10 Tage durchgeführt werden. Eine Wirksamkeit einer adjuvanten Steroidtherapie ist hier nicht vorhanden, deshalb sollte eine begonnene Dexamethasontherapie bei Nachweis von Meningokokken beendet werden [5]. Bei Vorhandensein einer Sepsis mit Gewebsthrombosierungen (Purpura fulminans) ist eine besonders deutliche Erniedrigung von Protein C im Serum vorhanden. Aus pathophysiologischer Sicht sollte der Einsatz von aktiviertem Protein C (Drotrecogin α) bedacht werden. Es sind allerdings nur Daten für kleine Patientenzahlen aus den randomisierten Studien für die Sicherheit und Wirksamkeit einer solchen Therapie vorhanden [8]. > Zusätzlich zur Therapie des Patienten muss eine Antibiotikaprophylaxe bei engen Kontaktpersonen durchgeführt werden.
Je nach Serotyp (bei A, C, W135 oder Y) kann eine Impfung angeboten werden.
. Tab. 54.5 Virale Meningitis/Enzephalitis und Differenzialdiagnosen Virusmeningitis (aseptische Meningitis) Coxsackieviren Echoviren Adenoviren HSV-2 VZV Influenza FSME
Parainfluenza HIV Masern Röteln Polioviren Dengue West-Nil-Fieber
Differenzialdiagnosen Infektiös Tuberkulose Borrelia Burgdorferi Treponema pallidum Rickettsia spp.
Nichtinfektiös SLE Sarkoidose M. Behçet Mollaret-Meningitis
Enzephalitis
z Listerienmeningoenzephalitis Auch Listerienmeningitiden entstehen durch Besiedlung der Meningen aus dem Blutstrom. Patienten mit Listerienmeningitis sind öfter Patienten mit Komorbiditäten (Diabetes mellitus). Häufig besteht eine parallele Bakteriämie. Die Therapie muss hier hochdosiert mit Ampicillin erfolgen; v. a. zu Beginn und bei gleichzeitiger Bakteriämie sollte eine Kombinationstherapie mit einem Aminoglykosid erwogen werden (. Tab. 54.4). Zum Therapiemonitoring sollten hier regelmäßige Spiegelbestimmungen durchgeführt werden. Die Therapiedauer beträgt meistens ca. 21 Tage. z
Besonderheiten bei Immundefekt: Tuberkulosemeningitis und Kryptokokkenmeningitis Insbesondere bei gleichzeitigem Verdacht auf einen T-zellulären Immundefekt (HIV-Infektion, Transplantation, medizinisch indizierte Immunsuppression) muss auch an atypische Erreger gedacht werden, z. B. Mycobacterium tuberculosis und Cryptococcus neoformans. M. tuberculosis kann verschiedene Liquorbefunde verursachen, von einer granulozytären bis zu einer fast rein lymphozytären Meningitis. Häufig ist hier eine überproportionale Erhöhung des Eiweißes und Erniedrigung der Glukose vorhanden. Die Färbung (Ziehl-Neelsen oder Auramin) ist sehr wenig sensitiv, die PCR ist hier nur ähnlich sensitiv wie der mikroskopische Nachweis. Ein negatives PCR-Ergebnis kann deshalb nicht zum Ausschluss einer tuberkulösen Meningitis benutzt werden. Cryptococcus neoformans tritt als Meningitiserreger v. a. bei HIV-infizierten Patienten auf. Typisch ist ein diskrepanter Befund zwischen schwersten Kopfschmerzen, relativ niedriger Liquorzellzahl und deutlich erhöhtem Liquordruck. Der spezifische Nachweis gelingt mit der Tuschefärbung, kulturell oder dem Nachweis des Antigens im Liquor.
54.2.2
Virale Meningitis
Virale Meningitiden sind deutlich häufiger als bakterielle, allerdings sind Patienten mit einer viralen Meningitis meist sehr viel weniger akut und schwer krank – die Allgemeinsymptome sind weniger schwer, der Kopfschmerz und Meningismus weniger ausgeprägt und der Verlauf sehr viel langsamer und weniger dramatisch. Deshalb ist dieses Syndrom in der Intensivmedizin deutlich seltener. Der typische Liquorbefund der viralen Meningitis ist ein klarer Liquor mit einer Zellzahl bis ca. 1000, einer mäßigen Eiweißerhöhung und normaler Glukose (. Tab. 54.1). Als Differenzialdiagnose kom-
HSV VZV Adenoviren FSME Enterovirus 71 HIV Influenza Röteln
EBV CMV Masern Japanische Virusenzephalitis LCMV West-Nil-Fieber JC-Virus Rabies (Tollwut)
Differenzialdiagnosen Intrazerebrale Durchblutungsstörung oder Blutung Intrakranielle Tumoren Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)
Hypoglykämie Methanolvergiftung Glykolvergiftung Andere toxische Ursachen Migränesyndrome
men u. a. die Borreliose, eine Lues, die Tuberkulose und nichtinfektiöse Erkrankungen in Frage (. Tab. 54.5). Eine empirische Therapie sowohl wie eine spezifische Therapie ist bei Viren als Erregern nicht mit einem klinischen Vorteil verbunden. Dies gilt auch für die Herpesvirusmeningitiden (HSV-1, HSV-2, VZV und EBV), für die eine wirksame antivirale Therapie existiert. Aufgrund der meist blanderen Klinik kann auch die spezifische Diagnostik für die möglichen Differenzialdiagnosen (Borrelien- und Luesserologie u. a.) meist abgewartet werden und eine supportive Therapie mit Schmerzmitteln bzw. Antipyretika durchgeführt werden. Erkrankungen aus der Differenzialdiagnose (Neuroborreliose, Neurosyphilis, Leptospirose und Tuberkulose; . Tab. 54.5) bedürfen der spezifischen und – aufgrund der Blut-Liquor-Schranke – besonders hochdosierten antiinfektiven Therapie.
54.2.3
Enzephalitis
Epidemiologie und Pathogenese Enzephalitiden treten etwas mit einer jährlichen Häufigkeit von 3–7/100.000 auf. Etwa 40% der Fälle bleiben ohne spezifische Diagnose, in 40% kann ein Erreger gefunden werden, und ca. 20% sind postinfektiöse Erkrankungen (ADEM, 7 unten) [2]. Eine virale Enzephalitis kann bei Erstinfektion mit dem betreffenden Virus bzw. v. a. bei latenten Infektionen auch durch Reaktivierung im ZNS entstehen. Herpesviren können so retrograd aus dem Manifesta-
54
688
54 54 54
Kapitel 54 · Infektionen des ZNS
tions- bzw. Latenzort ins ZNS eindringen. In den meisten anderen Fällen erfolgt die Infektion des ZNS durch eine virämische Phase. Meist ist das Parenchym diffus oder multifokal befallen. Das Erregerspektrum ist breit (. Tab. 54.5), wichtige Hinweise auf die Diagnose kann v. a. die Expositionsanamnese (Reise, Tierkontakt etc.) geben.
Klinik
54 54 54
Bei der Enzephalitis sind Kopfschmerz, Bewusstseinsstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, fokale neurologische Ausfälle und epileptische Anfälle die wichtigsten Symptome. Daneben können auch meningitische Symptome auftreten, Photophobie, Fieber und Abgeschlagenheit.
Diagnostik
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Auch hier gilt, dass die Liquordiagnostik der wichtigste Schritt zur Diagnose ist (. Tab. 54.1, . Abb. 54.1). Das typische Liquorbild der Virusenzephalitis weist eher eine geringe bis mäßige Pleozytose, eine Eiweißerhöhung und keine Erniedrigung der Glukose auf. Der Nachweis von Erythrozyten ist nicht pathognomonisch für Herpesviren, obwohl diese häufig auch hämorrhagische Nekrosen erzeugen. Der Erregernachweis kann durch PCR oder Viruskultur erfolgen. Blutuntersuchungen zeigen hier häufig keine Auffälligkeiten, bei einigen Erregern findet sich eine Leukopenie im Differenzialblutbild. Diese Veränderungen sind jedoch nicht pathognomonisch. Als Bildgebung sollte eine MRT des Gehirns erfolgen, parenchymatöse Läsionen sind hier meist besser zu differenzieren als im CT. Falls keine MRT zur Verfügung steht, ist die beste Alternative ein CCT mit Kontrastmittel.
54
Therapie
54 54 54 54 54
54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54
Eine spezifische Therapie ist nur für wenige Erreger vorhanden (HSV, VZV, Influenza). Da besonders bei der HSV-induzierten Enzephalitis eine rasche und adäquate Therapie die Prognose verbessert, sollte Acyclovir als empirische Therapie beim Verdacht auf virale Enzephalitis begonnen werden. Dies kann durchaus vor der Liquorpunktion geschehen, da die PCR-Diagnostik hierdurch über viele Stunden nicht beeinflusst wird. Bei Nachweis von Influenzavirus kann ein Neuraminidaseinhibitor angewandt werden (Oseltamivir, Zanamivir); Daten zur Wirksamkeit sind aus Studien nicht vorhanden. z Herpesvirusenzephalitis Die Herpesvirusenzephalitis tritt meist ohne vorher klinisch apparente Reaktivierung auf. In der Bildgebung finden sich v. a. fokale Veränderungen im Frontal- bzw. Temporallappen, manchmal mit Einblutung. Die Prognose der unbehandelten HSV-Enzephalitis ist mit einer hohen Mortalität und einer hohen Rate an Spätkomplikationen schlecht. Eine rechtzeitige antivirale Therapie kann die Überlebensrate deutlich verbessern und die Komplikationen reduzieren [4]. Die Diagnose wird sensitiv und spezifisch durch Nachweis der HSV-DNA im Liquor mittels PCR gestellt. > Bei klinischem Verdacht auf eine HSV-Enzephalitis muss rasch (vor Vorliegen des PCR-Ergebnisses oder der Viruskultur) eine Therapie mit intravenösem Acyclovir begonnen werden. Auf eine adäquate Dosierung muss geachtet werden (normale Tagesdosis 3×10 mg/kg KG i.v.), diese ist für HSV wie VZV (7 unten) ausreichend.
z Varizella-zoster-Enzephalitis Virus Eine Enzephalitis mit Varizella zoster tritt relativ häufig bei Kindern oder Jugendlichen nach Erstinfektion auf (ca. 1:400) und verursacht meist zerebelläre Symptome. Die Prognose ist sehr gut, nahezu alle Patienten erholen sich vollständig. Anders ist die Prognose der VZV-Enzephalitis bei immunkompromittierten Patienten, die klinisch, radiologisch und im Verlauf der HSV-Enzephalitis ähnelt. Auch hier kann die Enzephalitis einer klinisch apparenten oder inapparenten Reaktivierung folgen. Deshalb sollte auch der Nachweis von VZV aus dem Liquor mittels PCR erfolgen. Die Therapie sollte in Analogie zur HSV-Enzephalitis mit Acyclovir (3×750 mg i.v,) erfolgen. Daten aus Studien liegen hierzu nicht vor, da die VZV-Enzephalitis deutlich seltener auftritt als die HSVEnzephalitis. z Enzephalitiden durch andere Herpesviren Eine EBV-Infektion verursacht selten eine Enzephalitis, nahezu ausschließlich im Rahmen der Erstinfektion. Aufgrund der nahezu parallel ablaufenden Mononukleose ist die Diagnose meist bereits klinisch vermutet und kann durch die PCR aus dem Liquor bestätigt werden. CMV und HHV-6 verursachen selten schwere Enzephalitiserkrankungen bei Patienten mit schwerstem zellulärem Immundefekt, z. B. bei weit fortgeschrittener HIV-Infektion oder nach allogener Stammzelltransplantation. Bei diesen Patienten sollte deshalb beim entsprechenden Verdacht eine PCR-Diagnostik erfolgen. Eine antivirale Therapie sollte mit Ganciclovir (2×5 mg/kg KG/Tag) eingeleitet werden.
Differenzialdiagnose: Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) oder postinfektiöse Enzephalopathie Die postinfektiöse akute disseminierte Enzephalomyelitis ist eine seltene Erkrankung und tritt im Anschluss an virale Infektionen oder auch Impfungen auf. Hier ist der Pathomechanismus die Entwicklung einer Vaskulopathie, die klinisch schwer von einer infektiösen Enzephalitis oder einem Schub einer multiplen Sklerose unterschieden werden kann. Radiologisch zeigen sich Entmarkungsherde in der weißen Substanz, die Erregerdiagnostik ist negativ. Auch pathologisch-anatomisch zeigt sich im Gegensatz zur viralen Enzephalitis hier keine Infektion der Neurone. Bei Kindern ist die Prognose dieser Erkrankung gut, eine Ausnahme ist die besonders schwere Form der akuten hämorrhagischen Leukenzephalopathie [6].
z Besonderheiten bei Immundefekt Eine besondere Form der viralen Enzephalitis wird durch das Papova-Virus/JC-Virus verursacht. Hier kommt es zu rasch progredienten Persönlichkeitsveränderungen, fokalen neurologischen Zeichen und Bewusstseinsstörungen. Nahezu pathognomonisch sind die entsprechenden Veränderungen im NMR (Kernspinresonanz-Spektroskopie) des Gehirns, die bei Liquorpunktion mittels der spezifischen JC-Virus-PCR bestätigt werden sollten. Diese Erkrankung tritt auf bei fortgeschrittener HIV-Infektion, aber auch nach der Gabe von Biologika (z. B. Natazulimab). Die Therapie besteht bei HIV-infizierten Patienten in der antiretroviralen Therapie, nach der Gabe von Biologika ggf. durch Immunadsorption der Biologika. Cidofovir ist in vitro wirksam, weitgehende klinische Erfahrungen liegen zur Therapie hier nicht vor. CMV und HHV-6 kommen ebenfalls als Erreger einer Virusenzephalitis bei Patienten mit schwerem zellulärem Immundefekt in Frage.
689 54.3 · Fokale intrakranielle Infektionen
54.3
Fokale intrakranielle Infektionen
54.3.1
Hirnabszesse
Pathogenese und Epidemiologie Hirnabszesse treten durch lokale Infektionen (Sinusitis, Mastoiditis) oder durch bakteriämische Streuung auf. Herdinfektionen sind hier häufig Sinusitiden, Otitiden und Mastoiditiden, Abszesse im Zahnwurzelbereich oder Endokarditiden. Das Erregerspektrum umfasst Streptokokken, Anaerobier, S. aureus, Enterobakterien, Candida, Aspergillen und hängt im Wesentlichen vom Infektfokus und den Prädispositionen des Patienten (z. B. Neutropenie mit gramnegativer Bakteriämie oder disseminierter Aspergillose) ab.
Klinik Typischerweise machen sich intrakranielle Abszesse durch fokale neurologische Zeichen bemerkbar. Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sowie Fieber und andere Allgemeinsymptome sind häufig, auch ein Meningismus kann vorhanden sein
Diagnostik Der wichtigste Schritt ist die Bildgebung (CCT mit Kontrastmittel). Die typische Präsentation ist hierbei eine ringförmige Läsion, oft multipel mit Kontrastmittelanreicherung und häufig einem perifokalen Ödem. Eine Erregerdiagnostik kann durch Punktion (stereotaktisch) erfolgen. Die Erregerdiagnostik ist für die Planung der Therapie (Art und Dauer) relevant und sollte, falls der Erreger nicht anderweitig, z. B. in Blutkulturen, isoliert ist, immer vorgenommen werden.
. Tab. 54.6 Antibiotische Therapie von Hirnabszessen, subduralem Empyem und infizierter Thrombophlebitis Klinische Situation
Substanzen
Normaldosierung
Empirische Therapie
Ceftriaxon plus
2×2 g
Vancomycin plus
2×1 g
Metronidazol
3×500 mg
Ceftriaxon plus
2×2 g
Metronidazol
3×500 mg
Penicillin G plus
6×4 Mio. IU
Metronidazol
2×500 mg
Vancomycin
2×1 g
Ceftriaxon
2×2 g
Vancomycin
2×1 g
Gentamycin
(3–) 5 mg/kg KG (nach Spiegel)
Penicillin plus
6×4 Mio. IU
Metronidazol plus
3×500 mg
Sulfonamid
Nach Substanz
Gleichzeitige Otitis oder Sinusitis
Zahn- oder Kieferabszess
Penetrierendes Trauma oder postoperativ
Bakterielle Endokarditis
Lungenabszess, Empyem, infizierte Bronchiektasien
Therapie Bei Läsionen >2,5 cm soll, falls klinisch möglich, eine Aspiration mit Ableitung bzw. eine Exzision erfolgen. Eine empirische Therapie des Abszesses sollte begonnen werden (. Tab. 54.6). Bei Hirndruckbzw. fokalen neurologischen Zeichen und perifokalem Ödem sollte eine supportive Therapie mit Steroiden erfolgen. z Besonderheiten bei Immundefekt Bei schwer (<500/μl) und lang (>2 Wochen) neutropenischen Patienten steigt das Risiko von invasiven Pilzinfektionen rasch an. Hier sind Candidämien und invasive Aspergillosen zunehmend häufig, die sich auch als Hirnabszesse manifestieren können. Candidämien können durch die mangelnde Sensitivität der Blutkultur für diese Erreger unerkannt bleiben, auch die Diagnose von invasiven Aspergillosen kann schwierig sein. Bei Patienten mit schwerem T-zellulären Immundefekt (Transplantation, HIV-Infektion) kann eine zerebrale Toxoplasmose radiologisch nicht von multiplen Hirnabszessen unterschieden werden. Hier ist bei ansonsten fehlenden Hinweisen auf einen Fokus für Hirnabszesse ein Therapieversuch mit einer antiparasitären Therapie vor etwaiger Hirnbiopsie oder Abszessableitung indiziert.
54.3.2
Subdurale Empyeme und infizierte Sinusvenenthrombosen
Pathogenese und Epidemiologie Bei Zugang von Erregern in den Subduralraum (z. B. postoperativ, durch kranielle Osteomyelitis oder nach Besiedlung der Dura) kann es zum subduralen Empyem kommen. Infizierte Thrombosen können ebenso durch fokale Infektionen, aber auch sekundär bei anderen intrakraniellen Infektionen (Meningitis, Hirnabszess) auftreten. Beide Syndrome machen zusammen etwa 15–20% aller
intrakraniellen fokalen Infektionen aus. Die häufigsten Erreger sind Staphylokokken und Streptokokken.
Klinik Beim subduralen Empyem sind meistens Kopfschmerzen und Übelkeit vorhanden, Fieber nur in etwa 50% der Fälle. Bewusstseinstörungen, fokale neurologische Anzeichen und Anfälle sind häufig. Die Bewusstseinsstörung kann rasch progredient bis zum Koma sein. Die infizierte Venenthrombose kann abhängig von der Lokalisation relativ blande bis akut (z. B. Sinus-cavernosus-Thrombophlebitis) verlaufen. Bei dieser häufigen Lokalisation treten aufgrund der Lokalisation und Nachbarschaft zu den Hirnnerven v. a. Kopfschmerzen, periorbitale Schwellungen und Doppelbildersehen auf. Fieber ist hier bei der Mehrzahl der Patienten vorhanden.
Diagnostik Die wichtigste Maßnahme zur Diagnose eines subduralen Empyems ist die rasche Bildgebung (CCT oder NMR mit Kontrastmittel und ggf. spezifischen Parametern). Eine Lumbalpunktion ist weniger wichtig (7 »Therapie«) und häufig durch die bestehenden Masseneffekte kontraindiziert. Blutkulturen sollten angelegt werden. Auch für die Diagnose der infizierten Sinusvenenthrombose sind Schnittbildverfahren in aller Regel notwendig, Kontrastmittel erleichtern die Gefäßdarstellung und -beurteilung.
Therapie Die Therapie wird empirisch rasch begonnen (. Tab. 54.6). Die Ableitung des Empyems wird in der Regel durch neurochirurgische Drainage (z. B. per Bohrloch) vorgenommen. Bei infizierten Ven-
54
690
54 54 54 54 54
Kapitel 54 · Infektionen des ZNS
enthrombosen muss ein operativer Eingriff je nach Lage und klinischer Situation erwogen werden. Die empirische antibiotische Therapie entspricht der bei Hirnabszessen (. Tab. 54.6). Die Therapie muss auch hier für mindestens 3–4 Wochen durchgeführt werden; falls ein operativer Eingriff bzw. Entlastung nicht stattfindet über einen deutlich längeren Zeitraum. Eine adjuvante Therapie bei Hirndruck wird in Analogie zur bakteriellen Meningitis mit Hochlagerung des Oberkörpers und ggf. hyperosmolaren Lösungen behandelt, bei perifokalem Ödem kann eine Steroidtherapie sinnvoll sein. Die gleichen Schritte gelten in der Therapie der infizierten Sinusvenenthrombose. Aufgrund des Ausgangs von Infektionen im Gesichtsbereich muss hier ggf. eine operative Sanierung erfolgen.
54 54 54 54
Literatur 1 2 3
54
4
54
5 6
54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54
7 8
de Gans J, van de Beek D (2002) Dexamethasone in adults with bacterial meningitis. N Engl J Med 2002; 347: 1549–1556 Granerod J, Crowcroft NS (2007) The epidemiology of acute encephalitis. Neuropsychol Rehabil 17: 406–428 Pfister HW (2008) Bakterielle (eitrige) Meningoenzephalitis. In: Diener HC, Putzki N (Hrsg) Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart Skoldenberg B, Forsgren M, Alestig K et al. (1984) Acyclovir versus vidarabine in herpes simplex encephalitis. Randomised multicentre study in consecutive Swedish patients. Lancet ii: 707–711 Tunkel AR, Hartman BJ, Kaplan SL et al. (2004) Practice guidelines for the management of bacterial meningitis. Clin Infect Dis 39: 1267–1284 Tunkel AR, van de Beek D, Scheld WM (2009) Acute meningitis. In: Mandel GL, Bennett JE, Dolin R, (eds) Mandell, Douglas and Bennett´s principles and practices of infectious diseases, 7th edn. Churchill Livingstone Elsevier, Philadelphia, pp 1183–1189 Tyler KL (2009) Neurological infections: advances in therapy, outcome, and prediction. Lancet Neurol 8: 19–21 Vincent JL, Nadel S, Kutsogiannis DJ et al. (2005) Drotrecogin alfa (activated) in patients with severe sepsis presenting with purpura fulminans, meningitis, or meningococcal disease: a retrospective analysis of patients enrolled in recent clinical studies. Crit Care 9: R331–343
691
Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation M. Baumberger, P. Felleiter, F. Michel, H.G. Koch
55.1
Grundlagen – 692
55.1.1 55.1.2
Definition – 692 Statistik – 692
55.2
Pathophysiologie und Klinik – 692
55.2.1 55.2.2 55.2.3
Neurologische Ausfälle – 692 Ausfall des autonomen Nervensystems (»autonomic failure«) – 692 Störungen des Atmungssystems – 693
55.3
Diagnostik – 694
55.3.1 55.3.2 55.3.3
Neurostatus – 694 Begleitverletzungen – 696 Bildgebende Diagnostik – 696
55.4
Notfallmanagement – 696
55.4.1 55.4.2
Präklinik – 696 Intensivstation – 696
55.5
Therapie – 697
55.5.1 55.5.2
Operative und konservative Maßnahmen – 697 Pharmakotherapie – 697
55.6
Frührehabilitation – 697
55.6.1 55.6.2 55.6.3
Nahrungsaufbau und Darmrehabilitation – 697 Blasenrehabilitation – 697 Mobilisation – 698
55.7
Prognose – 698 Literatur – 698 Weiterführende Websites – 698 Liste der Querschnittzentren im deutschsprachigen Raum – 699
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5, 5 ,© Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
55
692
55 55 55 55 55 55 55 55 55 55
55.1
Grundlagen
55.1.1
Definition
Eine Querschnittlähmung entsteht durch akute oder chronische Schädigung des Rückenmarks (nach Unfall, durch Krankheit) oder als angeborene Missbildung. Die Unterbrechung der darin verlaufenden motorischen, sensiblen und vegetativen Bahnen führt zur Lähmung der Muskulatur unterhalb des Verletzungsniveaus, zum Ausfall der Sensibilität (Schmerz, Temperatur, Tast- und Lagesinn) und zu Störungen der vegetativen Funktionen. Die Reflexe fehlen im akuten Stadium, erscheinen aber nach Abklingen des spinalen Schocks in gesteigerter Form. Nach Höhe der Affektion unterscheidet man 4 Tetraplegie, durch Läsion des Halsmarks (C0–T1), bei der alle 4 Extremitäten betroffen sind. 4 Paraplegie, durch Läsion im Bereich T2–S5 mit Lähmung des Rumpfes und beider Beine. Sind nur Teile des Rückenmarks betroffen, können typische Querschnittsyndrome unterschieden werden. Häufig sind: 4 »central cord syndrome«, 4 »anterior cord syndrome«, 4 Brown-Séquard-Syndrom und dessen Mischformen, 4 Conus-Cauda-Syndrom bei einem Schaden unterhalb S2.
55 55.1.2
55
Kapitel 55 · Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
Statistik
55
Die Inzidenz der Querschnittlähmungen in Deutschland beträgt 25/1 Mio. Einwohner und in der Schweiz 27/1 Mio. Einwohner. Traumatische Querschnittlähmungen entstehen mehrheitlich (>60%) bei Verkehrsunfällen und bei Sportunfällen, am häufigsten sind 18- bis 25-jährige Personen betroffen. Rund 60% sind Paraplegiker und 40% Tetraplegiker. 2/3 der traumatischen Querschnittgelähmten sind Männer. Bei nichttraumatischen Querschnittlähmungen ist die Geschlechtsverteilung ausgeglichen.
55
55.2
Pathophysiologie und Klinik
55
55.2.1
Neurologische Ausfälle
55
55
Ein Trauma der Wirbelsäule verursacht in 7,5% der Fälle ein spinales Trauma. Die neurologischen Ausfälle sind durch direkte mechanische Einwirkung auf das Rückenmark (Distorsion oder Kompression durch Fraktur, Tumor, Metastase, Hämatom etc.) oder bei nichttraumatischer Ursache durch Beeinträchtigung der Durchblutung, Entzündungen jeglicher Art, toxisch-allergische Reaktionen oder Bestrahlung des Rückenmarks verursacht. Es kann zu Ödembildung und Blutungen peri- und intraspinal kommen, die ihrerseits den Schaden nach kranial und kaudal ausweiten.
55
55.2.2
55 55
55 55
55 55 55
Ausfall des autonomen Nervensystems (»autonomic failure«)
Die spezifischen querschnittbedingten kardiovaskulären Komplikationen sind Folge des Ausfalls autonomer Funktionen [16]. Im Gegensatz zum parasympathischen Nervensystem (Hirnnerven III, VII, IX und X und Nervenwurzeln S2–S4) läuft die sympathische Innervation über die spinalen Segmente T1‒L2. Die akute traumatische Querschnittläsion führt somit durch den Ausfall der sympathi-
schen Innervation zu einem Überwiegen des Parasympathikus. Die klassische Trias des neurogenen Schocks beinhaltet die Hypotonie zusammen mit einer Bradykardie und Hypothermie.
Hypotonie und Hypertonie Posttraumatisch kann in den ersten Sekunden bis Minuten der Bludruck noch durch die Aktivierung der Vasopressoren der Nebennierenrinde aufrecht erhalten werden. In der Folge kommt es zur Hypotonie durch den Ausfall des sympathischen Nervensystems. Pathophysiologisch führen die akute Abnahme des peripheren Gefäßwiderstandes und das venöse Pooling zu einer Abnahme der kardialen Vorlast. Die Hypotonie ist am ausgeprägtesten in der Phase des spinalen Schocks, welcher Tage bis Wochen dauert.
Orthostatische Hypotonie Sie tritt bei Läsionen oberhalb T6 häufig auf und stellt insbesondere bei der ersten Mobilisation des Patienten ein Problem dar. Die Symptome bessern sich meist während der Erstrehabilitation aufgrund lokaler spinaler Reflexe und Spastizität sowie durch adaptive zerebrovaskuläre Mechanismen.
Bradykardie Bradyarrhythmien und Sinusbradykardien treten infolge des Ausfalls der sympathischen Versorgung von T1–T4 bei allen tetraplegischen Patienten im Akutstadium auf. Ein initialer Sinusstillstand ist selten. Die Bradykardie bessert sich meist nach der Phase des spinalen Schocks. Vorsicht ist jedoch geboten bei Manipulationen am Patienten, wie beispielsweise bei trachealem Absaugen, Intubation oder Bronchoskopie. Ein reflektorischer Sinusstillstand kann als Folge der vagalen Stimulation auftreten.
Fehlende Thermoregulation Bei Läsionen oberhalb T6 ist die Temperaturregulation relevant gestört. In heißer Umgebung kann der Patient nur an den noch innervierten Körperpartien schwitzen. Die offene periphere Blutstrombahn führt bereits bei Zimmertemperatur zur Auskühlung, und eine Steigerung der Körpertemperatur durch Muskelzittern ist aufgrund der Lähmung nicht möglich.
Neurogenes Lungenödem Mit einer Permeabilitätsstörung der pulmonalen Zirkulation kann sich eine weitere potenziell lebensbedrohende Komplikation einer hohen Rückenmarkläsion klinisch manifestieren: das neurogene Lungenödem. Es ist die direkte Folge einer unkontrollierten massiven Freisetzung von Katecholaminen unterhalb der Läsion (»catecholamine surge«), die durch das akute Rückenmarktrauma ausgelöst wird.
Endokrinologie und Metabolismus Als Folge der vegetativen Lähmung ergeben sich bei einem Querschnittgelähmten spezielle Probleme, die Ausdruck einer unvorhersehbaren und unorganisierten Aktivität des Sympathikus sind [5]. Im Besonderen sind dies ein gestörter Glukose-, Lipid- und Kalziummetabolismus, ein Hypothyreoidismus (»low T3 syndrome«), Hyperprolaktinämie, Verlust des ADH-Tagesrhythmus, gestörte adrenokortikale Stressreaktion und Hypotestosteronämie. Bei querschnittgelähmten Frauen tritt eine transiente Amenorrhö (Dauer 2‒18 Monate, Durchschnitt 8 Monate) als Folge eines hypothalamischen hypophysären Hypogonadismus auf.
693 55.2 · Pathophysiologie und Klinik
. Abb. 55.1 Pathophysiologie der autonomen Dysregulation. (Nach [6])
Veränderungen der Atmung beim Querschnittgelähmten
Autonome Dysregulation Nach Abklingen des spinalen Schocks kann es bei Läsionshöhe T6 und höher als Ausdruck des chronischen Stadiums eines autonomen Ausfalls zur autonomen Dysregulation (Dysreflexie) mit gefährlicher, unkontrollierter Hypertonie kommen (. Abb. 55.1). Der dabei beobachtete massive Blutdruckanstieg stellt eine lebensbedrohliche Komplikation dar, die umgehend behoben werden muss. Falls die Ursache (in 95% eine überfüllte Blase) nicht umgehend gefunden werden kann, eignen sich Nitrate zur Senkung der Vorlast und vorübergehender Kontrolle der Hypertonie.
Totale Lungenkapazität
IRV
Vitalkapazität AZV Atemzugsvolumen ERV
ERV
Funktionelle Residualkapazität RV Residualvolumen
55.2.3
Störungen des Atmungssystems
Querschnittläsionen verursachen in Abhängigkeit von der Läsionshöhe eine Lähmung der inspiratorischen und exspiratorischen Muskulatur. Die fehlende Kraft der inspiratorischen Muskulatur führt zu einer Abnahme der inspiratorischen Kapazität (AZV+IRV) und somit zu einer reduzierten totalen Lungenkapazität. Folge davon kann eine Hypoventilation sein. Die reduzierte Kraft der exspiratorischen Muskulatur führt zu einer Abnahme des exspiratorischen Reservevolumens (ERV). Bei nur geringer Abnahme der funktionellen Residualkapazität (entspricht der Atemruhelage) beobachtet man einer Erhöhung des Residualvolumens. Folge davon ist ein schwacher Hustenstoß und damit ein vermindertes Vermögen, die Luftwege von Sekret freizuhalten (. Abb. 55.2). Querschnittläsionen unterhalb L1 beeinträchtigen die Atempumpe kaum. Läsionen von T5‒T12 führen durch die Lähmung der abdominalen Muskulatur und der Interkostalmuskulatur zur Beeinträchtigung von forcierter Ausatmung und Hustenstoß [4]. Bei Läsionen von T1–T5 nimmt die Schwächung der Interkostalmuskulatur progressiv zu. Dadurch wird der Hustenstoß und damit die Möglichkeit, Sekret abzuhusten, entscheidend beeinträchtigt
Normalperson
Verlauf über Jahre bei Tetraplegie
. Abb. 55.2 Veränderungen der Atmung beim Querschnittgelähmten
[3]. Bei Läsionen oberhalb C4–C8 erfolgt die Exspiration nur passiv. Bei Läsionen C4 und höher kommt es zum Ausfall der Zwerchfellatmung. Für eine suffiziente Inspiration ist mit zunehmender Lähmungshöhe die zervikale Atemhilfsmuskulatur verantwortlich. > Patienten mit Läsionen C2 oder höher bleiben in der Regel abhängig von einer mechanischen Ventilation, während bis zu 80% der Patienten mit einer Läsion C3 und C4 erfolgreich von der initialen mechanischen Ventilation entwöhnt werden können.
In Einzelfällen kann zu einem späteren Zeitpunkt die Implantation eines Zwerchfellstimulators erwogen werden [11].
55
694
55 55 55
Kapitel 55 · Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
Hypersekretion Das Überwiegen des parasympathischen Einflusses (via N. vagus) auf die Luftwege hat eine Verengung der Luftwege und eine Hypersekretion zur Folge (Bronchokonstriktion). Zusammen mit einem verminderten Hustenstoß führt dies zu Sekretstase, Atelektase, durch die bakterielle Besiedelung der Luftwege zu Bronchitis und Bronchopneumonie [9, 12].
55
Typische Komplikationen des Atmungssystems (Ausmaß in Abhängigkeit zur Läsionshöhe)
55
4 4 4 4 4 4 4
55 55 55
Thoraxkontusion (inkl. Pneumothorax) Akute und chronische Bronchitis Alveoläre Hypoventilation Aspiration Pneumonie Pleuraerguss Lungenembolie
55.3
Diagnostik
55.3.1
Neurostatus
Die neurologische Beurteilung einer Querschnittlähmung erfolgt nach den Richtlinien der ASIA (American Spinal Injury Association [2]; . Abb. 55.3) Das klinische Bild lässt Rückschlüsse auf den Ort der Verletzung/Erkrankung des Rückenmarks, die Schwere der Lähmung und prognostische Faktoren zu. Das »neurologische Niveau« bezeichnet das kaudalste Rückenmarksegment mit beidseitig normaler Funktion. Sensibles und in analoger Weise getestetes motorisches Niveau wie auch linke gegen rechte Körperseite können voneinander abweichen. Es empfiehlt sich mit der Prüfung der Sensibilität (Schmerz) von kranial her zu beginnen. Mit der Prüfung der Sensibilität in den Dermatomen können alle Rückenmarksegmente getestet werden, was bei der Prüfung der Motorik nicht möglich ist. > Normale Sensibilität zuerst im Gesicht testen, Hirnnerven sind meist nicht betroffen.
Die Untersuchung der Motorik beschränkt sich in der Akutphase auf die Testung der Muskelkraft der 10 beidseitigen Schlüsselmuskeln in 10 Myotomen. Der Kraftgrad wird semiquantitativ in Werte zwischen 0 und 5 eingeteilt. In der Akutphase liegt wegen des spinalen Schocks meist ein schlaffe Lähmung vor.
55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 55 a
55
. Abb. 55.3 ASIA-Statusblatt für die Untersuchung querschnittgelähmter Patienten (a). Zusätzlich wird seit 2009 auch die autonome Funktion beurteilt (b) (siehe nächste Seite). (Nach [17, 23]. Abb. von ASIA [24], mit frdl. Genehmigung www.asia-spinalinjury.org/publications)
b
. Abb. 55.3b
unbekannt nicht beurteilbar normal gestört
Autonome Steuerung des Blutdruckes
Autonome Steuerung des Schwitzens
unbekannt
beeinträchtigte Atemfunktion, benötigt keine mechanische Ventilation
beeinträchtigte Atemfunktion, benötigt teilweise mechanische Ventilation
Keine Spontanatmung, benötigt mechanische Ventilation
Hyperthermie Hypothermie
Hyperhydrosis oberhalb der Läsion Hyperhydrosis unterhalb der Läsion Hypohydrosis unterhalb der Läsion
Ruheblutdruck syst. > 90 mmHg Orthostatische Hypotonie Autonome Dysreflexie
Bradykardie Tachykardie andere Arrhythmien
gestörte Funktion
Untersuchungsdatum: ____________
unbekannt nicht beurteilbar normal gestört
Verletzungsdatum: _______________
Autonome Steuerung des broncho - pulmonalen Systems
Temperaturregulation
unbekannt nicht beurteilbar normal gestört
unbekannt nicht beurteilbar normal gestört
Beurteilung normal gestört
System/Organ Autonome Steuerung des Herzens
Allgemeine autonome (vegetative) Funktionen
Patient: ___________________________________
Beurteilung des vegetativen Nervensystems
psychogen reflexiv
(Kontinenz)
(Kontinenz)
oberhalb Konus Konus Cauda equina
normale Funktion reduzierte oder veränderte Funktion kompletter Verlust der Funktion nicht testbar aufgrund vorbestehender oder begleitender Probleme
Befund normal verstärkt vermindert fehlend unspezifisch normal überaktiv verminderte Aktivität akontraktil normaler urethraler Verschlussmechanismus normale Sphinkterfunktion während Entleerung Inkompetenter Sphinkter Detrusor - Sprinkter Dyssynergie Nicht relaxierender Sphinkter
Untersucher: __________________________
Sphinkter
Detrusoraktivität
System/Organ Empfindung der Blasenfüllung
Urodynamische Beurteilung
2 = 1 = 0 = NT =
Orgasmus Ejakulation (nur bei Männern) Empfindung der Menses (nur bei Frauen)
System/Organ Unterer Harntrakt Gefühl der Blasenfüllung vorhanden Fähigkeit, unwillkürlichen Harnabgang zu verhindern Blasenentleerungsmethode: …………………… Darm Gefühl für Darmfüllung/Entleerung vorhanden Fähigkeit, unwillkürlichen Stuhlabgang zu verhindern Willkürliche Analkontraktion vorhanden Sexualfunktion Genitale Erregung (Erektion oder Lubrikation)
Unterer Harntrakt, Darm- und Sexualfunktion
Anatomische Diagnose:
Score
55.3 · Diagnostik
695
55
696
55
Kapitel 55 · Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
. Tab. 55.1 Klassifikation der Querschnittlähmungen gemäß ASIA Schweregrad
Charakteristik
55
A
Komplett; keinerlei motorische oder sensible Funktionen in den sakralen Segmenten S4–S5
55
B
Inkomplett; sensible, aber keine motorischen Funktionen unterhalb des neurologischen Niveaus vorhanden, inklusive S4–S5
C
Inkomplett; motorische Funktionen unterhalb des neurologischen Niveaus vorhanden. Mehr als die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Niveaus hat Muskelkraft von weniger als 3 (= Motorik, die funktionell nicht eingesetzt werden kann)
55 55 55 55
D
55 55
E
Inkomplett; motorische Funktionen unterhalb des neurologischen Niveaus vorhanden. Mehr als die Hälfte der Kennmuskeln unterhalb des neurologischen Niveaus hat Muskelkraft 3 oder mehr (= Motorik, die funktionell eingesetzt werden kann, z. B. für Transfers) Normal; motorische und sensible Funktionen sind normal
55
55
Komplette oder inkomplette Querschnittlähmungen unterscheiden sich am Vorhandensein oder Fehlen der »sakralen Aussparung«. Findet sich eine perianale Sensibilität in den Segmenten S4–S5 (=sakrale Aussparung vorhanden), wird die Querschnittlähmung als inkomplette, bei fehlender perianaler Sensibilität als komplette Querschnittlähmung bezeichnet [20, 21]. Die Klassifikation der Querschnittlähmungen gemäß den ASIA-Kriterien zeigt . Tab. 55.1. Bei der Untersuchung der perianalen Sensibilität sollte immer auch eine Rektaluntersuchung zur Beurteilung des Sphinktertonus und willkürlicher Aktivität durchgeführt werden. Unterhalb des neurologischen Niveaus vorhandene Sensibilität (oder Motorik) wird als Zone mit partiell erhaltener Innervation bezeichnet.
55
55.3.2
55 55 55 55
55 55 55 55
Begleitverletzungen
Bei einer Verletzung der Wirbelsäule ist immer auch auf entsprechende Begleitverletzungen zu achten. Schwere Kopfverletzungen sind häufig mit Schäden an der Halswirbelsäule kombiniert. Bei thorakalen Wirbelfrakturen sind Rippenfrakturen, Herz- und Lungenkontusion, traumatische Pankreatitis, Hämato-/Pneumothorax und Paravertebral- und Mediastinalblutungen häufig [18]. Bei Verletzungen der Lendenwirbelsäule kommt es zu Leber- und Milzverletzungen, retroperitonealen Hämatomen und Nierenkontusionen. Bei Stürzen auf die Füße/Beine immer auch auf Frakturen der unteren Extremitäten, speziell der Füße achten.
55 55 55 55 55
55.3.3
Bildgebende Diagnostik
> Weil die klinische Untersuchung durch die fehlende Sensibilität erheblich erschwert ist, hat die Bildgebung spezielle Bedeutung.
Eine initiale Ganzkörper-Computertomographie mit einem SpiralCT bietet einen erheblichen Zeitgewinn in der primären Diagnostik. Sämtliche Skelettfrakturen vom Schädel bis zum Becken und mögliche Verletzungen der inneren Organe sind innerhalb weniger
Minuten diagnostiziert, und Probleme können gezielt angegangen werden. Danach empfiehlt es sich, nach Möglichkeit eine Magnetresonanzuntersuchung anzuschließen, die weitere Informationen über das Rückenmark (Blutung, Ödem, Defekte etc.) wie auch über die Wirbelsäule ergibt. Oft werden nicht oder wenig dislozierte Wirbelfrakturen erst im MRI entdeckt, und diskoligamentäre Läsionen der Wirbelsäule können erst im Magnetresonanzbild dargestellt werden. Nach Stabilisation der Wirbelsäule mit metallischen Implantaten ist die Bildgebung der Verletzungsstelle im MRI oft beeinträchtigt.
55.4
Notfallmanagement
55.4.1
Präklinik
Bei der präklinischen Versorgung traumatischer Rückenmarkverletzungen steht neben der Sicherung bzw. Wiederherstellung der Vitalfunktionen insbesondere die Vermeidung eines Transporttraumas im Vordergrund. Sekundärschäden durch unsachgemäße Umlagerungen des Patienten können zu einer bleibenden Verschlechterung der neurologischen Situation und somit gravierenden Folgen für das weitere Leben führen [10]. Deshalb werden Immobilisationshilfen bei allen Patienten mit Verdacht auf eine Verletzung der Wirbelsäule großzügig eingesetzt. Standard ist die Stabilisation der Halswirbelsäule, sei es anfangs durch manuelle Stabilisierung mit dem Halsschienengriff (z. B. während der Abnahme eines Motorradhelms) oder durch die anschließend möglichst frühzeitige Anlage eines stabilen Halskragens. Alle Umlagerungen wirbelsäulenverletzter Patienten werden mit einer Schaufeltrage oder Spineboard durchgeführt, der Transport selbst auf einer adäquat abgesaugten Vakuummatratze. Zuvor ist eine Kontrolle auf Fremdkörper im Auflagebereich des Patienten (z. B. Geldbörse, Schlüssel, Mobiltelefon) sinnvoll, da bereits in dieser Phase schnell Druckstellen erzeugt werden, welche die Rehabilitation des Patienten erheblich verzögern können. Die Zielklinik für einen Patienten mit Verletzungen der Wirbelsäule und/oder des Rückenmarks muss sowohl diagnostische Möglichkeiten in den Bereichen radiologische Bildgebung (konventionelles Röntgen, Computertomographie, Magnetresonanztomographie) sowie neurophysiologische und laborchemische Untersuchungen als auch die Möglichkeit einer sofortigen operativen Versorgung durch eine wirbelsäulenchirurgische Abteilung bieten. Aufgrund geringerer Vibrationen ist dem Hubschraubertransport der Vorzug zu geben, sofern die Witterungsbedingungen dies zulassen und es deshalb nicht zu zeitlichen Verzögerungen kommt.
55.4.2
Intensivstation
Die typischen intensivmedizinischen Problembereiche bei Patienten mit Verletzungen des Rückenmarks sind 4 der spinale Schock, 4 gesteigerte Reaktionen auf vagale Reize, 4 der paralytische Ileus, 4 das extrem hohe Risiko für Dekubitalulzera. 4 Für den Großteil dieser Probleme ist der Ausfall des autonomen Nervensystems verantwortlich.
697 55.6 · Frührehabilitation
Die durch Vasoplegie bedingte relative Hypovolämie, oft durch eine blutungsbedingte absolute Hypovolämie verstärkt, wird primär durch die Infusion kristalloider und kolloidaler Volumenersatzmittel therapiert. Bei persistierendem Schock werden Katecholamine eingesetzt, bevorzugt Noradrenalin zur Vasokonstriktion, bei ventrikulärer Dysfunktion auch Dobutamin [1]. Bei Verletzungen oberhalb von T7 kommt es durch den Ausfall der sympathischen Innervation des Herzens zu ausgeprägten Bradykardien bis hin zur Asystolie; diese können spontan auftreten, insbesondere jedoch bei vagalen Reizen (z. B. beim Absaugen). Akut wird mit intravenösem Atropin therapiert, bei rezidivierendem Auftreten wird Orciprenalin in einer Dosierung von 10–30 mg/Tag eingesetzt. Der Einsatz eines Herzschrittmachers ist nur extrem selten erforderlich. Aufgrund des posttraumatisch auftretenden paralytischen Ileus mit Retentionsmagen muss zur Entlastung möglichst frühzeitig eine Magensonde gelegt werden (Cave: Aspiration während der Einlage), über die dann auch bereits innerhalb der ersten 24 h zur endogenen Stimulation eine vorsichtige Ernährung begonnen werden kann. Parallel werden Laxanzien und Einläufe eingesetzt, um mittelfristig einen 2-täglichen Abführrhythmus zu erreichen. Alle querschnittgelähmten Patienten müssen regelmäßig in 2bis 3-stündigen Intervallen umgelagert werden. Auch bei Patienten mit instabilen Frakturen ist eine seitliche Lagerung mit einem Winkel von 30° durch unter die Matratze gelegte Schaumstoffkeile möglich, dennoch sollte eine operative Stabilisierung schnellstens angestrebt werden. Harte Halskragen sind sobald als irgend möglich gegen weiche Kragen auszutauschen, da sich im Bereich der Kanten innerhalb weniger Stunden schwere Drucknekrosen ausbilden können. Die Haut muss im Bereich der Risikoareale (Fersen, Knöchel, Trochanter major, Sitzbein, Steißbein) täglich kontrolliert werden. Eine nicht wegdrückbare Hautrötung bedeutet bereits einen Dekubitus Grad 1 und muss sofort konsequent und vollständig entlastet werden.
55.5
Therapie
55.5.1
Operative und konservative Maßnahmen
Die Wiederherstellung der Statik und Belastungsstabilität der Wirbelsäule wird heute meist operativ durch offene oder geschlossene Reposition und anschließende dorsale und/oder ventrale Osteosynthese durchgeführt. Eine konservative Therapie durch spezielle Lagerung oder äußere Stabilisierung (z. B. Halogestell, Korsett) bis zur knöchernen Ausheilung kann in seltenen Fällen indiziert sein. Das invasive Vorgehen ermöglicht eine Mobilisierung der Patienten innerhalb einiger Tage und trägt damit zur Senkung des Risikos typischer Komplikationen wie Lungenembolien oder Dekubitalulzera bei.
55.5.2
Pharmakotherapie
Die Gabe hochdosierter Kortikosteroide nach Rückenmarkverletzungen wird seit vielen Jahren sehr kontrovers diskutiert [13] Die in der NASCIS III-Studie (National Acute Spinal Cord Injury Study) [7] auch im Langzeitverlauf gezeigten positiven Effekte auf Sensorik und Motorik sind geringfügig, können für den einzelnen Patienten jedoch einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Diesem möglichen Benefit steht eine erhöhte Inzidenz von Infektionen gegenüber, welche in engem Zusammenhang mit der Förderung der Glukoneogenese und den daraus folgenden hyperglykämischen Episoden zu sehen ist. Es ist unbekannt, ob diese Erhöhung des In-
fektrisikos unter der heute in der Intensivmedizin üblichen engmaschigen Kontrolle der Glukosespiegel nachweisbar wäre. Die Gabe von Methylprednisolon (z. B. Solumedrol oder Urbason) wird heute nur noch als therapeutische Option empfohlen. Die Indikation wird der individuellen Einschätzung des Behandlers überlassen, ein Verzicht auf den Einsatz dieser Therapie stellt keine Unterlassung dar. Kontraindiziert ist die Gabe von hochdosiertem Methylprednisolon bei gleichzeitigem Vorliegen eines SchädelHirn-Traumas und wenn ein Therapiebeginn nicht innerhalb der ersten 8 h nach dem Rückenmarktrauma möglich war. Ebenfalls besteht keine Indikation bei Stich- und Schnittverletzungen des Rückenmarks und bei Kindern unter 16 Jahren.
Thromboseprophylaxe Querschnittgelähmte haben bereits initial ein sehr hohes Risiko für Becken-Beinvenenthrombosen und damit auch Lungenembolien. Es empfiehlt sich, in den ersten 12 Wochen eine Thromboseprophylaxe mit gewichtsadaptiert dosiertem niedermolekularem Heparin durchzuführen, Beginn 24h postoperativ [19]. Zusätzlich erhält der Patient hüfthohe Kompressionsstrümpfe (Kompressionsklasse II). Diese sollen während 6 Monaten getragen werden.
55.6
Frührehabilitation
55.6.1
Nahrungsaufbau und Darmrehabilitation
Die neurogene Darmlähmung ist eines der Merkmale einer akuten Querschnittlähmung. Charakteristisch ist die Unfähigkeit, den Darm spontan zu entleeren. In der Akutphase hat sich der Einsatz von Prokinetika, Laktulose und Bisacodyl-Suppositorien zusammen mit einer manuellen Ausräumung im zweitäglichen Abführrhythmus etabliert. Wenn diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, muss man zuerst mögliche intraabdominelle Verletzungen/Erkrankungen ausschließen, bevor man mit Neostigmin- (reversibler kompetitiver Hemmstoff der Acetylcholinesterase) und Dexpanthenolinfusionen beginnt. Das Risiko eines seltenen abdominellen Kompartmentsyndroms bei gleichzeitigem Vorhandensein von massiver Koprostase und Meteorismus muss im Auge behalten werden. Eine besondere Rolle spielt die frühenterale Ernährung. Entgegen älterer Empfehlungen wird heutzutage so früh wie möglich mit der enteralen Ernährung begonnen, evtl. kombiniert mit einer parenteralen Ernährung, wenn der errechnete/gemessene Kalorienbedarf nicht enteral abgedeckt werden kann, oder bei absoluter Kontraindikation für eine enterale Ernährung. Ziel dieser Maßnahme ist es, neben der Stimulation des Gastrointestinaltraktes, einer Mangelernährung während der ersten Rehabilitationsphase vorzubeugen. Beginn mit Infusion einer Glukoselösung über die Magensonde, anschließend mehrstufiger Kostaufbau mit faserreicher Kost und osmotischen Laxanzien (z. B. Makrogol = Polyethylenglykol). Gleichzeitig zeigt sich häufig eine akute Pankreatitis (16±5,5 Tage nach Trauma), die selten klinisch relevant wird und die eine Folge der autonomen Lähmung ist (Sphinkter-Oddi-Dysfunktion und vagal dominierte Innervation des Pankreas) [18].
55.6.2
Blasenrehabilitation
Die urologischen Störungen erfordern frühzeitig ein klares Behandlungskonzept, da sie bei nicht korrekter Behandlung eine der relevanten Todesursachen bei Querschnittgelähmten darstellen. Unmittelbar nach dem Eintreten der Lähmung besteht eine schlaf-
55
698
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Kapitel 55 · Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
fe Blasenlähmung (spinaler Schock). Hier wird für begrenzte Zeit ein transurethraler Dauerkatheter eingelegt. Dieser wird spätestens nach 48 h durch eine suprapubische Ableitung ersetzt, um Blaseninfektionen, Urethrastrikturen, Divertikel, Fistelbildung und Blasensteine zu vermeiden. Als nächster Schritt muss der sterile intermittierende Katheterismus angestrebt werden. Die weitere urologische Versorgung ist abhängig von der Blasenlähmungsart, die je nach Läsionshöhe spastisch (Läsion des 1. Neurons = »upper motor neuron bladder«; UMNB) oder schlaff (Läsion des 2. Neurons = »lower motor neuron bladder«; LMNB) sein kann.
8
9
10
11
55.6.3
Mobilisation 12
Der operativ stabilisierte Patient wird, nach Vorgabe des Operateurs, meist in den ersten Tagen mobilisiert. Bei konservativer Frakturbehandlung der Wirbelsäule wird der Patient 10–12 Wochen immobilisiert. Eine orthostatische Hypotension kann durch vorherige Flüssigkeits- oder Volumengabe und die enterale Gabe eines α-Mimetikums gelindert oder vermieden werden. Beginn mit 15–30 min Sitzen im individuell angepassten Rollstuhl, tägliche Steigerung nach Befinden des Patienten. Bei Tetraplegikern ist aufgrund der fehlenden Kreislaufregulation ein Vertikalisationstraining im Stehbett oder auf dem Kipptisch notwendig, um den Körper an die aufrechte Sitzposition zu gewöhnen.
13
14 15 16
17
55 55
55.7
Prognose
18
the treatment of acute spinal cord injury. Results of the Third National Acute Spinal Injury Randomized Controlled Trial. National Acute Spinal Cord Study. JAMA 277: 1597–1604 Curt A, Dietz V (1999) Electrophysiological recordings in patients with spinal cord injury: Significance for predicting outcome. Spinal Cord 37: 157–165 Dicpinigaitis PV, Spungen AM, Bauman WA, Absgarten A, Almenoff PL (1994) Bronchial hyperresponsiveness after cervical spinal cord injury. Chest 105: 1073–1076 Felleiter P, Reinsberger C, Springe D, Plunien H, Baumberger M (2006) Preclinical diagnosis of traumatic paraplegia or tetraplegia – a prospective study in 100 patients. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 41: 9–13 Glenn WW, Anagnostopoulos CE (1966) Electronic pacemakers of the heart, gastrointestinal tract, phrenic nerve, bladder, and carotid sinus: current status. Surgery 60: 480–494 Grimm DR, Schilero GJ, Spungen AM, Bauman WA, Lesser M (2006) Salmeterol improves pulmonary function in persons with tetraplegia. Lung 184: 335–339 Himmelseher S, Büttner J, Baethmann A, Piek J, Unterberg AW (1999) Zur Gabe von Kortikosteroiden nach akuter spinaler Traumatisierung. Mitteilung des wissenschaftlichen Arbeitskreises Neuroanästhesie der DGAI. Anästh Intensivmed 10: 716–726 Kirshblum S, Campagnolo DI, DeLisa JA (Hrsg) (2002) Spinal Cord Medicine. Lippincott, Williams & Wilkins, Phildadelphia Lin V et al. (2003) Spinal cord medicine, principles and practice. Demos Medical Publishing, New York Mathias CJ, Bannister R (Hrsg.) (1993) Autonomic failure, a textbook of clinical disorders of the autonomic nervous system. Oxford University Press, Oxford Maynard FM, Bracken Jr MB, Creasey G, Ditunno JF et al. (1997) International standards for neurological and functional classification of spinal cord injury. Spinal Cord 35: 266–274 Nobel D, Baumberger M, Eser P, Michel D, Knecht H, Stocker R (2002) Nontraumatic pancreatitis in spinal cord injury. Spine 1; 27: E228–32 Riklin C, Baumberger M, Wick L, Michel D, Sauter B, Knecht H (2003) Deep vein thrombosis and heterotopic ossification in spinal cord injury: a 3 year experience at the Swiss Paraplegic Centre Nottwil. Spinal Cord 41 (3): 192–8 Waters et al. (1991) Definition of complete spinal cord Injury. Paraplegia 9: 573–581 Woolsley RM, Young RR (1991) The clinical diagnosis of disorders of the spinal cord. Neurol Clin 9: 573–583 Zäch GA, Koch HG (Hrsg.) (2006) Paraplegie, Ganzheitliche Rehabilitation. Karger, Basel Alexander MS et al. (2009 Spinal Cord 47:36–43 ASIA – American Spinal Injury Association: International Standards for Neurological Classification of Spinal Cord Injury, revised 2000, Atlanta, GA (reprinted 2008)
> In der Akutphase einer Querschnittverletzung lässt sich kaum eine verlässliche Prognose bezüglich Erholung abgeben (spinaler Schock).
19
Die Beobachtung der neurologischen Entwicklung in den ersten Wochen nach der Verletzung ermöglicht Rückschlüsse auf die Prognose. Eine vorhandene sakrale Aussparung (=perianale Sensibilität vorhanden) wird als positives Zeichen interpretiert, während eine im MRI sichtbare Blutung im Rückenmark oder eine vollständige Kontinuitätsunterbrechung des Rückenmarks als schlechtes prognostisches Zeichen gewertet wird. Inkomplette Lähmungen (ASIA B‒D; . Tab. 55.1), rasche Erholung nach dem Trauma und neurophysiologisch messbare Aktivität können Zeichen einer positiven Prognose sein [8].
20
Literatur
Weiterführende Websites
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1
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2
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21 22 23 24
699 Liste der Querschnittzentren im deutschsprachigen Raum
Liste der Querschnittzentren im deutschsprachigen Raum BG-Kliniken Bergmannstrost Zentrum für Rückenmarkverletzte Merseburger Str. 165 D-06112 Halle/Saale Tel. +49/0345/132 6310 oder +49/345-132 6311 Fax +49/345/132 6313 online: www.qz-halle.de Klinikum Chemnitz Zentrum für Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzte Dresdner Str. 178 D-09131 Chemnitz Tel.: +49/371 333 11600 Fax.: +49/371 333 11602 E-Mail: [email protected] Unfallkrankenhaus Berlin Behandlungszentrum für Rückenmarkverletzte Warener Str. 7 D-12683 Berlin Tel. +49/30/5681 0 oder +49/30/5861 3401 Fax +49/30/ 5681 3403 Krankenhaus Zehlendorf Bereich Behring Sonderstation für Querschnittgelähmte Gimpelsteig 3-5 D-14165 Berlin Tel. +49/30/81021 oder +49/30/8102 1504 Fax +49/30/8102 1838 Gesundheitspark Neurologische Reha-Klinik Paracelsusring 6a D-14547 Beelitz Tel. +49/33204/223 04 Fax +49/33204 223 03 Fachklinik Hohenstücken Neurologisches Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche Brahmsstr. 38 D-14772 Brandenburg a. d. Havel Tel. +49/3381/79 0 Fax +49/3381/79 1119 E-Mail: [email protected] www.fachklinik-hohenstuecken.de Neurologisches Reha-Zentrum Karl-Liebknecht-Ring 26a D-17491 Greifswald Tel. +49/3834/871 00 oder +49/3834/871 301 Fax +49/3834/871 102 BG-Unfallkrankenhaus Querschnittgelähmten-Zentrum Bergedorfer Str. 10 D-21033 Hamburg Tel. +49/40/7306-0 oder +49/40/7306-2600 Fax +49/40/7306-2620 Werner-Wicker-Klinik Zentrum für Rückenmarksverletzte Am Kreuzfeld 4 D-34537 Bad Wildungen Tel. +49/5621/8030 oder +49/5621/803 207 Fax +49/5621/803 864 Orthop. Klinik u. Reha-Zentrum Abt. für Querschnittlähmungen Am Mühlenberg D-37235 Hessisch Lichtenau
Tel. +49/5602/830 oder +49/5602/83 1380 Fax +49/5602/83 1991 Chir. Univ. Klinik und Poliklinik Abt. für Rückenmarkverletzte »Bergmannsheil Bochum« Hunscheidtstr. 1 D-44789 Bochum Tel. +49/234/3020 oder +49/234/302 6703 Fax +49/234/302 6709 BG-Unfallklinik Spezialabt. für Rückenmarkverletzte Großenbaumer Allee 250 D-47249 Duisburg Tel. +49/203/76881 oder +49/203/7688 3141 Fax +49/203/7688 2283 Neurologisches Rehabilitationszentrum Godeshöhe Waldstr. 2–10 D-53227 Bonn Tel. +49/228/381-299 Fax +49/228/381-353 E-Mail: [email protected] www.godeshoehe.de/sprache.html Gesundheitszentrum Ev. Stift St. Martin Akademisches Lehrkrankenhaus der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Johannes-Müller-Str. 7 D-56068 Koblenz Tel. +49/261/1370 oder +49/261/137 1627 Fax +49/261/137 1234 E-Mail: [email protected] www.gzstift.de oder www.koblenz-stift.de Gemeinnütziges Gemeinschafts-Krankenhaus Klinikum der Uni. Witten Chirurg. Abteilung Beckweg 4 D-59313 Herdecke Tel. +49/2330/621 oder +49/2330/62 3561 Fax +49/2330/62 3995 BG-Unfallklinik Abteilung für Rückenmarkverletzte Friedberger Landstr. 430 D-60389 Frankfurt Tel. +49/69/4750 oder +49/69/475 2020 Fax +49/69/475 2224 BG-Unfallklinik Abteilung für Querschnittgelähmte Ludwig-Guttmann-Str. 13 D-67071 Ludwigshafen Tel. +49/621/6810 0 oder +49/621/6810 2325 Fax +49/621/6810 2604 Stift. Orthop. Univ.-Klinik Abt. f. Orthopädie II Zentrum für Querschnittgelähmte Ludwig-Guttmann-Haus Schlierbacher Landstr. 200 a D-69118 Heidelberg Tel. +49/6221/965 oder +49/6221/966 322 Fax +49/6221/966 345 E-Mail: [email protected] Klinik Markgröningen Orthop. Reha-Krankenhaus Abteilung für Querschnittgelähmte Nähere Hurst 20 D-71706 Markgröningen Tel. +49/7145/910 oder +49/7145/91 2201 Fax +49/7145/91 2910
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Kapitel 55 · Querschnittlähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation
BG-Unfallklinik Abteilung für Querschnittgelähmte Schnarrenbergstr. 95 D-72076 Tübingen Tel. +49/7071/6060 oder +49/7071/606 1045 Fax +49/7071/606 1048 SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach gGmbH Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg Guttmannstr. 1 D-76307 Karlsbad Tel.: +49 7202/61-3698 www.srh.de/kkl BG-Unfallkrankenhaus Abteilung für Querschnittgelähmte Prof.-Küntscher-Str. 8 D-82418 Murnau Tel. +49/8841/480 oder +49/8841/481 432 Fax +49/8841/482 440 Reha-Krankenhaus Ulm Akadem. Krhs. d. Uni. Ulm Abteilung für Querschnittlähmungen Oberer Eselsberg 45 D-89081 Ulm Tel. +49/731/1770 oder +49/731/177 1116 Fax +49/731/177 1103 Krankenhaus Hohe Warte Reha-Klinik für Querschnittgelähmte Hohe Warte 8 D-95445 Bayreuth Tel. +49/921/2801 oder +49/921/2801 501 Fax +49/921/124 05 Zentralklinik Klinik für Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie und Querschnittgelähmte Robert-Koch-Allee 9 D-99437 Bad Berka Tel. +49/36458/5-0 Fax +49/36458/421 80
55
Rehabilitationszentrum Weißer Hof A-3400 Klosterneuburg
55
Rehabilitationszentrum Häring Schönau 150 A-6323 Bad Häring
55
Rehabilitationszentrum Tobelbad Dr.-Georg-Neubauer-Str. 6 A-8144 Tobelbad
55 55 55 55 55 55 55 55
Schweizerisches Paraplegiker-Zentrum Im Burgfelderhof 40 Postfach CH-4025 Basel Tel. +41/61/325 00 00 Fax +41/61/325 00 01 [email protected] Schweizer Paraplegiker Zentrum CH-6207 Nottwil Tel. +41/41/939 54 54 Fax +41/41/939 54 40 E-Mail: [email protected] www.paranet.ch Paraplegikerzentrum Uniklinik Balgrist Forchstr. 340 CH-8008 Zürich Tel. +41/44/386 39 01 Fax +41/44/386 39 09 E-Mail: [email protected] www.balgrist.ch
701
Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten H.-P. Hartung, B.C. Kieseier, H.C. Lehmann
56.1
Einleitung – 702
56.2
Guillain-Barré-Syndrom – 703
56.3
Akute hepatische Porphyrien – 706
56.4
Hypokaliämie – 706
56.5
Chronische Polyneuropathien – 707
56.6
Störungen der neuromuskulären Übertragung – 707
56.6.1 56.6.2 56.6.3 56.6.4
Myasthenia gravis – 707 Lambert-Eaton-Syndrom – 708 Botulismus – 708 Neuromuskuläre Blockade – 708
56.7
Primäre Myopathien – 708
56.8
Critical-illness-Polyneuropathie (CIP) – 709
56.9
Critical-illness-Myopathie (CIM) – 709 Literatur – 710
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5 6, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
56
702
56 56 56 56 56 56 56 56 56 56
Kapitel 56 · Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
56.1
Einleitung
Neuromuskuläre Erkrankungen sind Störungen, die das periphere Nervensystem, die neuromuskuläre Endplatte und/oder die quergestreifte Muskulatur betreffen. Sie können sowohl Ursache als auch Folge einer intensivmedizinischen Behandlung sein. Neben den allgemeinen Komplikationen, die aufgrund der Immobilität bestehen (z. B. Infektionen, Thrombosen), stellen insbesondere eine Beteiligung der Atemmuskulatur oder die Beteiligung des autonomen Nervensystems krankheitsspezifische Komplikationen dar, die eine intensivmedizinische Behandlung bei neuromuskulären Erkrankungen erforderlich machen. Pathogenetisch kann hierbei eine Störung der elektrischen Erregungsfortbildung entlang des Axons, eine neuromuskuläre Übertragungsstörung oder eine strukturelle Schädigung von Nervenfasern oder Muskelfasern zugrunde liegen. Die Ursachen sind in . Tab. 56.1 gezeigt. In der Mehrzahl der Fälle ist die Diagnose bei Aufnahme auf der Intensivstation bekannt; Grund der Aufnahme ist dann eine akute Exazerbation oder rasche Progredienz mit manifesten oder
. Tab. 56.1 Ursachen einer akuten schlaffen Paralyse (mit/ohne Ateminsuffizienz) 1
Neuropathien
1.1
Immunvermittelt: Guillain-Barré-Syndrom, chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), vaskulitische Neuropathien
56
1.2
Infektiöse Neuropathien: Borreliose, diphterische Neuropathie, West-Nil-Virusinfektion
56
1.3
Akute alkoholische Polyneuropathie bei Thiaminmangel
1.4
Toxische Neuropathien (Hexacarbonschnüffler; Organophosphate, Acrylamid, Arsen-/Blei-/Thalliumneuropathie)
1.5
Medikamenteninduzierte Neuropathien (Dapson, Nitrofurantoin, Chloroquin, Gold, INH, Suramin, Zimeldin, Amiodaron)
56
2
Störungen der neuromuskulären Übertragung
2.1
Myasthenia gravis
56
2.2
Lambert-Eaton-myasthenes Syndrom
2.3
Botulismus
2.4
Organophosphatintoxikation
3
Myopathien
3.1
Erworbene Myopathien: Dermatomyositis, Polymyositis, Einschlusskörpermyositis, myoglobinurische Myopathie, toxische Myopathie
3.2
Angeborene Myopathien: myotone Dystrophien, kongenitale (Nemalin-, zentronukleäre) Myopathie, saurer Maltasemangel, mitochondriale Myopathien
4
Elektrolytstörungen
4.1
Hypokaliämische periodische Paralyse
4.2
Hyperkaliämische periodische Paralyse
4.3
Hypokaliämie
4.4
Hyperkaliämie
4.5
Hypophosphatämie
4.6
Hypermagnesiämie
56
56 56
56 56 56 56 56 56 56 56
drohenden vitalen Funktionsstörungen, die intensivmedizinische Überwachung und Behandlung erfordern. Gelegentlich können sich jedoch einige dieser Erkrankungen primär mit lebensbedrohlichen Komplikationen manifestieren. Häufige Ursachen sind hier insbesondere das Guillain-Barré-Syndrom und die sich mit Krise manifestierende Myasthenia gravis. Sehr selten sind dagegen dyskaliämische Paralysen, ein Botulismus oder akut nekrotisierende Manifestationen von Myopathien. Neuromuskuläre Erkrankungen, die im Rahmen einer intensivmedizinischen Behandlung auftreten, sind die Critical-illnessPolyneuropathie und Critical-illness-Myopathie. Eine wesentliche Komplikation dieser Erkrankungen besteht darin, dass sie die Entwöhnung von Respirator und die Rehabilitation ganz erheblich erschweren können. Die Erstversorgung des neuromuskulär Erkrankten folgt den allgemeinen intensivmedizinischen Grundsätzen. Liegen bei Aufnahme auf der Intensivstation keine Vorinformationen über eine neuromuskuläre Erkrankung vor oder handelt es sich um eine Erstmanifestation, so erfolgt, soweit möglich, eine gezielte Anamneseerhebung und eine orientierende neurologische Untersuchung [36, 52].
. Abb. 56.1 Klinisches Vorgehen bei akuter schlaffer Parese
703 56.2 · Guillain-Barré-Syndrom
Anamnestische Hinweise 4 Neuropathien: progrediente Schwäche, Sensibilitätsstörung und Muskelatrophien mit strumpf- und handschuhförmigem Verteilungsmuster 4 Störungen der neuromuskulären Übertragung: belastungsabhängige muskuläre Schwäche, Doppelbilder, Ptose, Dysphagie, Dysarthrophonie 4 Myopathien: Schwierigkeiten beim Aufstehen und Treppensteigen; Schwäche der Kopfbeugung/-streckung evtl. Muskelatrophien mit rumpfnahem Schwerpunkt 4 Motoneuronerkrankung (amyotrophe Lateralsklerose): Schwäche, Faszikulationen, Atrophie, Dysphagie, Dysarthrophonie
Bei der neurologischen Untersuchung soll jener Abschnitt des peripheren Nervensystems und der Muskulatur identifiziert werden, dessen Dysfunktion oder Schädigung dem Krankheitsbild zugrunde liegt (. Abb. 56.1; . Tab. 56.2). In . Tab. 56.3 sind die wegweisenden diagnostischen Zusatzmaßnahmen aufgelistet [52]. Entscheidende Bedeutung in der Differenzialdiagnose kommt der Neurographie und der Elektromyographie zu (. Abb. 56.2).
56.2
Guillain-Barré-Syndrom
. Tab. 56.2 Lokalisation bei Erkrankungen mit muskulärer Schwäche Lokalisation
Klinische Charakteristika
Peripherer Nerv
5 Schwäche und sensible Störungen 5 Gelegentlich assoziierte autonome Funktionsstörungen 5 Hirnnervenbeteiligung möglich 5 Hypo- bis Areflexie
Neuromuskuläre Endplatte
5 Kraniale, Schulter-, Beckengürtel- und proximale Muskulatur betroffen 5 Atemmuskeln können betroffen sein 5 Bei präsynaptischen Störungen vorübergehende Kraftsteigerung nach Übung (Fazilitierung), autonome Auffälligkeiten möglich 5 Bei postsynaptischen Störungen: Ermüdbarkeit
Muskel
5 Befall vornehmlich von Nacken-, Schulter-, Beckengürtel- und proximaler Muskulatur 5 Mögliche assoziierte Kardiomyopathie 5 Gelegentlich Beteiligung der Atemmuskulatur 5 Mögliches Risiko einer Myoglobinurie
Die Inzidenz des Guillain-Barré-Syndroms (GBS, akute Polyneuritis) beträgt etwa 1,5–2 pro 100.000 Einwohner/Jahr [45]. Es handelt sich um ein Syndrom mit verschiedenen pathologisch und pathogenetisch definierten Varianten (. Abb. 56.3 [25, 30]).
. Abb. 56.2 Diagnostischer Algorithmus bei schlaffer Parese (ALS amyotrophe Lateralsklerose, CIM Critical-illness-Myopathie, CIP Critical-illness-Polyneuropathie, GBS Guillain-Barré-Syndrom, LEMS Lambert-Eaton-myasthenes-Syndrom)
56
704
56 56
Kapitel 56 · Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
. Tab. 56.3 Akute neuromuskuläre Schwäche: Zusatzdiagnostik
Unmittelbar bei Aufnahme
56 56 56
Weitere klinischchemische Tests
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Diagnostik
1
Erforderlich
Blutbild BSG/CRP Blutgasanalyse Urinanalyse, Kreatinin, Myoglobin Serumelektrolyte Muskelenzyme (CK u. a.)
1.1
Progrediente Schwäche mehr als einer Extremität (unterschiedlicher Ausprägungsgrad bis hin zur Tetraplegie)
1.2
Areflexie (bzw. distale Areflexie mit proximaler Hyporeflexie)
2
Unterstützende klinische Kriterien
2.1
Progredienz der Erkrankung mit Erreichen des Maximums innerhalb von 4 Wochen
2.2
Relativ symmetrische Ausprägung der Paresen
2.3
Nur geringe sensible Defizite
2.4
Hirnnervenbeteiligung
2.5
Autonome Funktionsstörungen
2.6
Fehlen von Fieber bei Erkrankungsbeginn
3
Unterstützende Laborbefunde
3.1
Albuminozytologische Dissoziation (normale Zellzahl <10/ μl bei erhöhtem Liquoreiweiß)
3.2
Elektrophysiologie (z.B. bei AIDP: verlängerte F-Wellenlatenzen, F-Wellenausfälle, verlängerte distale Latenzen, verzögerte Nervenleitung, Leitungsblock)
4
Ausschlusskriterien
4.1
Botulismus, Diphtherie, Schlangenbiss
4.2
Toxische Neuropathien (Organophosphate, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Blei, Nitrofurantoin, Dapson, Suramin, Amiodaron)
4.3
Hexacarbonmissbrauch (Klebstoffschnüffler)
4.4
Akute Porphyrie
Serum/Blut 5 Leberfunktionstests 5 Schilddrüsenhormone 5 Autoantikörper (gegen Acetylcholinrezeptor, Ganglioside) 5 Bioassays für Botulinumtoxin 5 Toxikologisches Screening 5 Parathormon Urin 5 Porphyrine 5 δ-Aminolävulinsäure (Spontanurin und 24-h-Urin) Liquor 5 Entzündungszellen 5 Eiweiß und Immunglobuline
Bildgebende Verfahren
Kernspintomographie (Wirbelsäule/ Rückenmark/Cauda equina)
Elektrophysiologie
Neurographie, EMG, magnetisch evozierte motorische und sensibel evozierte Potenziale, repetitive Nervenstimulation
56 Pharmakologischer Test
. Tab. 56.4 Guillain-Barré-Syndrom: diagnostische Kriterien
Mit Camsilon (Edrophonium) oder Neostigmin (Prostigmin)
Krankheitsbilder In Mitteleuropa am häufigsten ist die klassische demyelinisierende Form, die akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (AIDP, 60–90%). Hiervon abgegrenzt werden kann die akute motorische und sensorische axonale Neuropathie (AMSAN, 5–10%), eine vorwiegend in Asien und Südamerika vorkommende akute motorische axonale Neuropathie (AMAN), sowie das MillerFisher-Syndrom, das durch die klinische Trias äußere Augenmuskelparesen, Areflexie und Extremitätenataxie gekennzeichnet ist (3–5% aller GBS-Fälle)[21, 43]. Sehr seltene Varianten sind die akute Pandysautonomie mit Ausfall sympathischer und parasympathischer vegetativer Funktionen und eine rein ataktische Variante [30, 66].
Symptomatik Die Erkrankung beginnt in der Regel 1–3 Wochen nach einem Infekt der Atemwege oder des Gastrointestinaltrakts (häufigster Keim: Campylobacter jejuni) mit distalen Parästhesien, denen unterschiedlich schnell eine progrediente aufsteigende Muskellähmung folgt. Die relativ symmetrisch ausgebildeten schlaffen Paresen entwickeln sich gewöhnlich über Tage, um schließlich entsprechend einer willkürlichen Definition in Abgrenzung zu chronischen Neuritiden innerhalb von 4 Wochen das Maximum der Krankheitsausprägung zu erreichen (. Tab. 56.4). Selten kann es, gerade bei den axonalen Varianten auch perakut innerhalb von Stunden, zu einer Tetraplegie kommen. Die okulomotorischen Hirnnerven und der N. facialis sind häufig mitbetroffen. Im Extremfall kann die komplette Paralyse aller Extremitätenmuskeln, der extraokulären und der Gesichtsmuskulatur zu einem dem Locked-in-Syndrom ähnlichen klinischen Zustand führen.
Prognose Das GBS ist eine monophasische Erkrankung, d. h. der initialen rapiden Verschlechterung folgt eine Regenerationsphase, die mehrere Wochen bis Monate andauern kann. Generell ist die Prognose bei der AIDP besser als bei der AMSAN. 25–30% aller GBS-Patienten werden aufgrund einer Mitbeteiligung des Zwerchfells und der Atemhilfsmuskulatur beatmungspflichtig. Weitere 20–30% entwickeln klinisch apparente autonome Störungen; subklinische Störungen sind mit entsprechenden Untersuchungsverfahren bei 60% nachzuweisen. Neben diesen beiden sind ein höheres Lebensalter und fehlende oder spät einsetzende Therapie (7 unten) ungünstige prognostische Faktoren [64]. Die Mortalität beträgt immer noch um 5%. 15% aller Erkrankungen heilen folgenlos aus, 65% der Patienten behalten mäßig ausgeprägte neurologische Defizite zurück. Etwa 15% aller Patienten bleiben deutlich behindert, es kann aber über Monate und Jahre fortschreitende klinische Verbesserungen geben.
Ätiologie Pathologisch ist die AIDP durch eine sowohl humorale (antikörpervermittelte) als auch zellulär (T-Zellen, Makrophagen) vermittelte Autoimmunattacke gegen die Myelinscheiden und in der Folge auch gegen das entmarkte Axon gekennzeichnet [50, 60, 66]. Entsprechend dem Konzept des »molekularen Mimikry« wird davon ausgegangen, dass bestimmte Antigene von Erregern einer vorausgehenden Bronchial- oder Darminfektion, z. B. mit Campylobacter jejuni oder Mycoplasma pneumoniae, zu einer antikörpervermittel-
705 56.2 · Guillain-Barré-Syndrom
. Abb. 56.3 Lokalisation und Pathomechanismen verschiedener neuromuskulärer Störungen
ten Kreuzreaktion gegen Myelinbestandteile führen [68]. Entsprechend lassen sich bei bis zu 30% aller Patienten Autoantikörper gegen Ganglioside nachweisen, deren Gegenwart einen prognostisch eher ungünstigen Verlauf anzeigen [23, 55].
Komplikationen und supportive Therapie Die häufigsten Komplikationen sind in der 7 Übersicht zusammengefasst und bedingen die Empfehlungen zur supportiven Therapie [6, 32].
Therapie Therapeutisch gleichermaßen wirksam sind Plasmapherese (5- bis 6-mal 50 ml/kg KG über 7–14 Tage) [31, 44] und intravenöse Immunglobuline (5-mal 0,4 g/kg KG/Tag) [1, 37, 62]. Auch Patienten, die nur leichtgradig betroffen sind, können von einer Plasmapheresebehandlung profitieren. Etwa 60% aller Patienten sprechen auf Plasmapherese- oder Immunglobulintherapie an. Allerdings kann es bei etwa 15%, in einem Abstand von 1–3 Wochen nach Beendigung der Therapie, zu einer Zunahme der Symptomatik kommen, die eine neuerliche Behandlung erfordert. Kortikosteroide sind zur Therapie des GBS nicht indiziert [31].
Häufige Komplikationen beim Guillain-Barré-Syndrom 4 Ateminsuffizienz 4 Autonome Funktionsstörungen: arterielle Hypertension, arterielle Hypotension, Tachykardie, Tachyarrhythmien, Bradyarrhythmien 4 Thrombembolie 4 Interkurrente Infekte (Pneumonie etc.) 4 Persistierende Dysästhesien/Parästhesien
Bei 25–30% der GBS-Patienten wird vorübergehend eine Beatmung notwendig. Hinweise auf eine progrediente Schwäche der Atem-
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706
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Kapitel 56 · Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
muskulatur sind Kurzatmigkeit, Tachypnoe, Orthopnoe, schwacher Hustenstoß und paradoxe Atembewegungen. Wie bei allen potenziell zu einer Ateminsuffizienz führenden neuromuskulären Erkrankungen sollte eine Intubation rechtzeitig elektiv durchgeführt werden, wobei v. a. klinische Zeichen, die Geschwindigkeit der Verschlechterung, eine grenzwertige Vitalkapazität von 1,2–1,5 l, eine O2-Sättigung von <90% bei Raumluftatmung und Nachweis einer CO2-Retention in der arteriellen Blutgasanalyse entscheidend sind [20, 30, 56]. Im weiteren Verlauf sollte die Indikation zur Tracheotomie frühzeitig gestellt werden, wenn eine langzeitige Beatmungspflichtigkeit abzusehen ist. Potenziell letale autonome Funktionsstörungen (Asystolie durch vagalen Reiz, etwa beim Absaugen) treten häufiger auf und erfordern neben EKG- auch Blutdruckmonitoring [51]. Eine Einschränkung der Herzfrequenzvariabilität belegt die autonome Mitbeteiligung. Dann empfiehlt sich u. U. die Anlage eines passageren Schrittmachers.
Supportive Therapie beim GBS [20, 27, 30, 34, 65] 4 EKG- und Blutdruckmonitoring bei Hinweis auf autonome Mitbeteiligung, ggf. Anlage eines passageren Herzschrittmachers. 4 Frühzeitige Indikationsstellung zur Intubation und Tracheotomie. 4 Verwendung von Succinylcholin und (u. E.) nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien kontraindiziert. 4 Thrombembolieprophylaxe (hohes Thrombembolierisiko) mit niedermolekularem Heparin, z. B. Enoxaparin (1-mal 40 mg s.c.), und Kompressionsstrümpfen. 4 Behandlung von Parästhesien und Schmerzen entsprechend den allgemeinen Richtlinien der Behandlung neuropathischer Schmerzen mit Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin oder trizyklischen Antidepressiva (Cave: Herzrhythmusstörungen) als Medikamente der 1. Wahl.
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56.3
Akute hepatische Porphyrien
Im Rahmen dieser angeborenen Störung der Hämbiosynthese (akute intermittierende Porphyrie, Porphyria variegata, hereditäre Koproporphyrie) kann sich nach anfänglichen abdominalen und Rückenschmerzen sehr rasch eine in der Regel deutlicher proximal als distal ausgeprägte symmetrische schlaffe Muskelschwäche ausbilden, die zur kompletten Tetraplegie und zur Ateminsuffizienz führen kann. Typischerweise sind die Achillessehnenreflexe erhalten. Häufig finden sich zusätzlich Zeichen einer autonomen Funktionsstörung (Fieber, Tachykardie, labiler Blutdruck, Harnverhalt, Erbrechen, Konstipation). Daneben werden Verwirrtheitszustände, Psychosen, Depression und epileptische Anfälle beobachtet [2, 53]. Elektrodiagnostisch und pathologisch handelt es sich um eine axonale Neuropathie. Potenziell eine porphyrische Krise auslösende Medikamente müssen abgesetzt werden. Eine Liste der sicheren und unsicheren Medikamente findet sich im Anhang des Arzneimittelverzeichnisses der Roten Liste (. Tab. 56.5).
. Tab. 56.5 Medikamente, die eine Porphyrie auslösen können. (Mod. nach Rote Liste 2009) Alkohol Arylessigsäure-Derivate Barbiturate u. Thiobarbiturate Carbamazepin Chinolone Chloramphenicol Chlordiazepoxid Chloroquin u. Derivate Clonazepam Clonidin Cotrimoxazol Cyproteron Danazol Dapson Diazepam Dichloralphenazon Diclofenac Dimenhydrinat Enfluran Ergotamin und Derivate Erythromycin Ethosuximid Follitropin alfa Gestagene Glibenclamid Gliquidon Glutethimid u. Derivate Griseofulvin Hydralazin Indometacin Lofepramin Medrogeston
Meprobamat Mesuximid Metamizol Methyldopa Metoclopramid Mianserin Nalidixinsäure Nichtsteroidale Antiphlogistika Nicethamid Nitrofurantoin Norethisteron Östrogene Orale Kontrazeptiva Paramethadion Pentazocin Phenoxybenzamin Phenylbutazon Phenytoin Piroxicam Primidon Progesteron und Derivate Rifampicin Spironolacton Sulfonamide Sultiam Tetrazycline Theophyllin u. Derivate Thiopental Tilidin Tolbutamid Tranylcypromin Trimethoprim Valproinsäure
Der Krankheitsverlauf wird möglicherweise durch hypertensive Entgleisung und Elektrolytentgleisung, insbesondere Hyponatriämie, weiter aggraviert. Als spezifische Therapie wird die Infusion von Hämin und Glukose zur Reduktion der überschießenden δ-Aminolävulinsäureproduktion empfohlen. Die Rücksprache mit einem in der Behandlung der Porphyrie erfahrenen Zentrum ist in jedem Fall empfehlenswert.
56.4
Hypokaliämie
Eine nicht selten übersehene Ursache einer neuromuskulären Schwäche ist die Hypokaliämie. Unter den zahlreichen Ursachen, wie beispielsweise der Thyreotoxikose [28, 40] ist bei entsprechender Familienanamnese – die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt – auch an eine seltene hypokaliämische periodische Lähmung zu denken. Andere Elektrolytstörungen, die zu einer akuten schlaffen Parese mit Ateminsuffizienz führen können, sind die Hypophosphatämie, Hyperkaliämie einschließlich der ebenfalls genetisch bedingten hypokaliämischen periodischen Lähmung [15] und die Hypermagnesiämie verschiedener Ätiologie.
707 56.6 · Störungen der neuromuskulären Übertragung
56.5
Chronische Polyneuropathien
Gelegentlich können sich vorbestehende chronische Polyneuropathien rasch verschlechtern und zu einer Ateminsuffizienz führen [26]. Zu diesen Neuropathien zählt die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) und die diabetische Neuropathie [38, 39]. Zur Therapie der CIDP kommen zunächst Immunglobuline, Plasmapherese oder hochdosiertes Kortison zum Einsatz [29, 46]. Häufig sind diese Verschlechterungen durch einen interkurrenten, insbesondere pulmonalen Infekt getriggert. Nach Ausheilung des Infektes ist zu prüfen, ob eine chronische Hypoventilation vorliegt, und es ist ggf. die Indikation für eine nächtliche assistierte Beatmung zu prüfen [17].
56.6
Störungen der neuromuskulären Übertragung
56.6.1
Myasthenia gravis
Die Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper, vornehmlich gegen den Acetylcholinrezeptor der postsynaptischen Membran, die neuromuskuläre Übertragung stören [18, 35].
. Tab. 56.6 Myasthenia gravis: Medikamente, die eine Exazerbation induzieren können Myasthenia gravis: exazerbationsinduzierende Substanzen
Antibiotika: Aminoglykoside, Ampicillin, Chinolone, Clindamycin, Colistin, Gyrasehemmer, Lincomycin, Piperacin, Polymyxin, Pyrantel, Streptomycin, Sulfonamide, Tetrazykline Antiarrhythmika: β-Blocker, Chinidin, Procainamid, Propafenon, Verapamil Antikonvulsiva: Carbamazepin, Phenytoin Antirheumatika: D-Penicillamin, Chloroquin, Resochin, Chinin Diuretika: Azetazolamid Kortikosteroide (initial), Schilddrüsenhormone Interferon-α (IFN- α) Kontrastmittel: Gadolinium Muskelrelaxanzien Psychopharmaka: Benzodiazepine, Barbiturate, Opioide, Lithium, Chlorpromazin Magnesiumsalze Lokalanästhetika
[67]. Bei 10–15% aller Patienten fehlen Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor; in 70% dieser Fälle lassen sich Antikörper gegen das MUSK- (»muscle specific kinase«) Antigen nachweisen [9].
Symptomatik Charakteristischerweise kommt es zu fluktuierender, belastungsabhängiger Schwäche der Augen-, oropharyngealen und Extremitätenmuskulatur. Selten manifestiert sich die Myasthenia gravis primär mit einer respiratorischen Insuffizienz. Meist bestanden dann bereits vorher andere, bis dahin unerkannt gebliebene, myasthene Symptome [13]. Häufig lösen fieberhafte Infekte eine akute Dekompensation aus (myasthene Krise), selten die in . Tab. 56.6 aufgeführten Medikamente.
Warnzeichen einer myasthenen Krise 4 Progrediente Dysarthrie, Verschlucken, Kurzatmigkeit, Hüsteln 4 Kopfhalteschwäche, Schwäche der Kieferschließer 4 Gewichtsverlust 4 Körperlicher Leistungsabfall über Tage bis Wochen 4 Rasch fluktuierende Symptome 4 Rasche Dosiswechsel und Steigerung der Gesamtdosis von Cholinesterasehemmern 4 Fieberhafte Infekte, insbesondere Bronchopneumonie, begünstigen die akute Dekompensation
Auch bei der myasthenen Krise sollte frühzeitig intubiert werden [10]. Empirisch gilt ein Abfall der Vitalkapazität auf <1,2–1,5 l als Indikation. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung und konsequent durchgeführter immunsuppressiver Therapie sind myasthene Krisen heutzutage selten. Die Diagnose wird gesichert durch den sog. Tensilontest. Bei deutlicher Besserung der myasthenen Symptome kann die Diagnose als weitgehend gesichert gelten. Elektrophysiologisch ist der Nachweis eines sog. Dekrements, der Abnahme der Amplitude des Summenmuskelaktionspotenzials nach Serienstimulation eines Nervs (N. accessorius oder facialis, axillaris, ulnaris), diagnostisch wertvoll. Der Nachweis von Acetylcholinrezeptorautoantikörpern im Blut belegt die Diagnose, und der intraindividuelle Titerverlauf gibt Anhalt für die zukünftige Krankheitsakuität. Die interindividuellen Antikörpertiter sind jedoch sehr unterschiedlich
Tensilontest 4 Stabiler i.v. Zugang. 4 10 mg=1 ml Edrophoniumclorid (Camsilon, früher Tensilon), mit 0,9%iger NaCl auf 10 ml verdünnen. 4 Zunächst 1 ml, bei ausreichender Verträglichkeit die übrigen 9 ml i.v. verabreichen. 4 Antidot Atropin bereithalten, Gabe bei bradykarder Reaktion.
Therapie Neben allgemeinen Maßnahmen ist die Verabreichung von Acetylcholinesterasehemmern indiziert. Eine Intubation sollte bei Abfall der Vitalkapazität und/oder schwerer Schluckstörung durchgeführt werden. In der myasthenen Krise erfolgt eine kausal orientierte Immuntherapie durch Plasmapherese oder Immunadsorption jeden 2. Tag, 3- bis 6-mal [44, 59]. Alternativ kann eine hochdosierte intravenöse Immunglobulingabe erfolgen [16, 63], wobei im Einzelfall initial eine weitere Verschlechterung möglich ist. Wegen der Gefahr initialer Verschlechterungen und verzögerten Wirkeintritts ist eine Therapie der myasthenen Krise alleinig mit Kortikosteroiden ungeeignet, in der Regel wird jedoch begleitend zu einer der oben genannten Therapieoptionen mit einer niedrigdosierten Kortikosteroidtherapie begonnen. Nach Auftreten einer myasthenen Krise ist eine langfristig immunsuppressive Therapie indiziert. In den meisten Fällen ist die an der Leukozyten-/Lymphozytenzahl orientierte Azathioprinbehandlung erfolgreich. Alternativ können Mycophenolat Mofetil oder Ciclosporin eingesetzt werden. Cyclophosphamid und Tacrolimus sind geeignete Immunsuppressiva der 2. Wahl [61]. Der gegen das CD20-Antigen auf B-Zellen gerichtete monoklonale Antikörper Rituximab scheint bei schweren Fällen effektiv zu sein [24].
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Kapitel 56 · Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
Therapie der myasthenen Krise 4 Symptomatische Therapie – Neostigminperfusor, 6–12 mg/Tag – Supportive, allgemein-intensivmedizinische Maßnahmen 4 Kausale, akut wirksame Therapie: – Plasmapherese, 3- bis 6-mal, alle 2–3 Tage – Immunglobuline, je 0,4 g/kg KG über 5 Tage 4 Beginn einer dauerhaft immunsuppressiven Therapie – Kortikosteroide, initial z. B. 10 mg Methylprednisolon/ Tag – Azathioprin – Therapiealternativen zu Azathioprin: Mycophenolat Mofetil, Ciclosporin, Cyclophosphamid, Tacrolimus, Rituximab
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Ein weiteres therapeutisches Prinzip der Myastheniebehandlung ist die Thymektomie, die jedoch erst nach Stabilisierung des klinischen Zustandes und bei bildmorphologischem Nachweis einer Thymusvergrößerung durchgeführt wird. Darüber hinaus wird sie in der Regel bei generalisierter Myasthenie und Alter unter 60 Jahren empfohlen. Die Evidenzlage sowohl für alle konservativen als auch chirurgischen Therapieoptionen bleibt unbefriedigend [4]. ! Cave Häufig löst eine hochdosierte Glukokortikosteroidtherapie eine Verschlechterung der Myasthenie aus, deren Tiefpunkt meist um den 6. Tag nach Therapiebeginn durchschritten wird. Ein hochdosierte Kortikosteroidtherapie (aus anderer Indikation) kann eine myasthene Krise auslösen. Seltener kann es auch unter Immunglobulintherapie zu Verschlechterungen kommen.
Kommt es in der myasthenen Krise zur respiratorischen Insuffizienz, ist bei adäquater Therapie eine assistierte Beatmung oft nur wenige Tage erforderlich, sodass auf eine Tracheotomie verzichtet werden kann [63]. Die Entwöhnung vom Respirator hat die Besonderheiten neuromuskulärer Ventilationsstörungen zu berücksichtigen und schlägt häufiger als bei anderen Erkrankungen fehl [49]. Die sekundäre Erschöpfung der Atemkraft tritt typischerweise etwas verzögert 24–48 h nach Extubation auf, sodass zumindest für diesen Zeitraum eine intensivmedizinische Überwachung fortgeführt werden sollte. Eine cholinerge Krise als Folge der Überdosierung von Anticholinergika erkennt man an begleitender Übelkeit, Erbrechen, abdominalen Krämpfen, Muskelfaszikulationen, vermehrter oropharyngealer Sekretproduktion, Miosis und Bradykardie.
56 56.6.2
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Lambert-Eaton-Syndrom
Das Lambert-Eaton-Syndrom (myasthenes Syndrom) ist ebenfalls eine Erkrankung der neuromuskulären Übertragung, wobei jedoch ursächlich Autoantikörper gegen die E-Untereinheit spannungsabhängiger präsynaptischer Kalziumkanäle gerichtet sind. In 70% der Fälle ist die Erkrankung paraneoplastisch mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom assoziiert. Typischerweise findet sich, im Unterschied zur Myasthenia gravis, eine proximal und beinbetonte Muskelschwäche, selten sind die Augenmuskeln beteiligt; charakteristisch sind parasympathische Störungen wie Mundtrockenheit und Obstipation. Respiratorische Insuffizienz ist seltener als bei der Myasthenia gravis.
3,4-Aminopyridin kann die neuromuskuläre Übertragung verbessern. Plasmapherese und immunsuppressive Agenzien sind beim nichtparaneoplastischen Lambert-Eaton-Syndrom wirksam [48].
56.6.3
Botulismus
Eine andere seltene Ursache einer vital bedrohenden Störung der neuromuskulären Übertragung ist der Botulismus. Neben dem klassischen nahrungsmittelinduziertem Botulismus, bei dem abdominale Schmerzen und Erbrechen etwa 12–16 h nach Nahrungsaufnahme auftreten, sind immer wieder kleine Ausbrüche von Wundbotulismus bei i.v.-Drogenabhängigen vorgekommen. An Symptomen entwickeln sich innerhalb weniger Stunden: Mundtrockenheit, Verlust der Akkommodationsfähigkeit, Mydriasis, kaum reagible Pupillen, intermittierende externe Ophthalmoplegie, Bulbärparalyse und absteigende schlaffe Lähmung, Konstipation, Harnverhalt und orthostatische Hypotension. Elektrodiagnostisch findet sich bei repetitiver Nervenstimulation eine Zunahme der Amplituden des Summenmuskelaktionspotenzials, die Elektromyographie zeigt den Befund einer akuten Myopathie mit Denervierungsaktivität. Als Therapieoption steht ein Antiserum vom Pferd zur Verfügung, ein neues humanes Immunglobulin ist zumindest bei Kindern erfolgreich angewandt worden [3]. Symptomatisch kann 3,4-Aminopyridin eingesetzt werden [7].
56.6.4
Neuromuskuläre Blockade
Eine persistierende neuromuskuläre Blockade kann durch wiederholte Anwendung von Pancuronium, Vecuronium oder anderen nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien auftreten. Sie manifestiert sich klinisch durch einige Tage nach Absetzen der Medikation manifeste schlaffe Tetraparese bis Tetraplegie, gelegentlich verbunden mit einer kompletten Lähmung der Augenmuskeln. Reflexe sind nicht auslösbar. Soweit überprüfbar, finden sich keine sensiblen Defizite. Die Serum-CK ist pathologisch erhöht. Es kann zu einer Rhabdomyolyse mit nachfolgender Myoglobinurie und akutem Nierenversagen kommen. Häufig liegt eine Multiorgandysfunktion vor, sodass auch die hepatische Eliminierung gestört ist. Dies reduziert die Ausscheidung von Pancuronium, Vecuronium und ihrer Metabolite. Die Diagnose wird elektrophysiologisch und bioptisch gesichert. Durch Serienreizung eines Nervs kann eine persistierende neuromuskuläre Blockade ausgeschlossen werden [5]. ! Cave Die Verwendung von Muskelrelaxanzien sollte bei neuromuskulären Erkrankungen generell vermieden werden, die Verwendung von depolarisierenden Muskelrelaxanzien ist bei neuromuskulären Übertragungsstörungen, aber auch bei neurotraumatologischen Patienten, längerer Immobilisation, Verbrennungen u. a. absolut kontraindiziert.
56.7
Primäre Myopathien
Eine Reihe angeborener und erworbener Muskelerkrankungen können zur Ateminsuffizienz führen (. Tab. 56.1; [47]). Auch Patienten mit einer der drei immunvermittelten primären Myopathien – Polymyositis, Dermatomyositis und Einschlusskörpermyositis – können wegen Schluckstörungen und muskulärer Ermüdbarkeit
709 56.9 · Critical-illness-Myopathie (CIM)
intensivpflichtig werden [47]. In der Regel ist die Diagnose vor einer solchen Dekompensation bekannt. Gesichert wird die Diagnose durch die Muskelbiopsie. Während Dermatomyositis und Polymyositis in einem hohen Prozentsatz gut durch antiinflammatorische bzw. immunmodulierende/-suppressive Therapien beeinflusst werden können, sind diese bei der Einschlusskörperchenmyositis in der Regel ineffektiv, auch wenn die entzündliche Komponente z. T. modifiziert werden kann [12, 57]. Bei Dysphagie und Ateminsuffizienz können jedoch hochdosierte intravenöse Immunglobuline als Therapieoption in Betracht gezogen werden [57]. Unter den angeborenen Muskelerkrankungen betrifft der Saure-Maltase-Mangel (M. Pompe) regelhaft die Atemmuskulatur. Für diese Erkrankung steht seit kurzer Zeit eine Enzymersatztherapie (Alglucosidase-α) zur Verfügung, die bei den kindlichen Formen zu guten Erfolgen führte. Aussagekräftige Studienergebnisse für diese aufwendige und extrem teure Therapie bei Erwachsenen fehlen jedoch noch.
56.8
Critical-illness-Polyneuropathie (CIP)
Die Critical-illness-Polyneuropathie ist eine potenziell reversible Erkrankung des peripheren Nervs, die sich während bzw. im Gefolge des »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) entwickelt. Prädiktoren sind Sepsis, Multiorganversagen, der längere Gebrauch von Muskelrelaxanzien und Steroiden sowie eine septische Enzephalopathie [5, 8, 14, 58]. In diesem Zusammenhang ist sie eine der häufigsten Ursachen für eine verzögerte bzw. nicht erfolgreiche Entwöhnung vom Respirator und eine protrahierte Rehabilitation (. Tab. 56.7). Es handelt sich um eine unterdiagnostizierte Entität, die auch erst nach Entlassung von der Intensivstation zu Tage treten und zu respiratorischen Komplikationen führen kann [11]. Klinisch finden sich deutliche schlaffe Paresen und ausgeprägte Muskelatrophien. . Tab. 56.7 Neuromuskuläre Ursachen einer verzögerten Entwöhnung vom Respirator 1
Neuropathien
1.1
5 Axonal
5 Critical-illness-Polyneuropathie (CIP) 5 Axonales Guillain-Barré-Syndrom (AMSAN, AMAN) 5 Akute hepatische Porphyrie 5 Vorderhornzellschaden bei diffuser hypoxischer Myelopathie
1.2
5 Demyelinisierend
5 Guillain-Barré-Syndrom (AIDP)
2
Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte
2.1
Dauerblockade nach Langzeitanwendung von nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien
2.2
Aminoglykoside
2.3
Myasthenia gravis
3
Myopathien
3.1
Nicht nekrotisierende atrophisierende Myopathie (Criticalillness-Myopathie im engeren Sinn; CIM)
3.2
Thick-filament-Myopathie
3.3
Rhabdomyolyse, nekrotisierende Myopathie des kritisch Kranken
Diagnostik Die entscheidende diagnostische Maßnahme sind die Neurographie und Elektromyographie, nicht zuletzt, da die klinische Untersuchung durch eingeschränkte oder unmögliche Mitarbeit des Patienten und äußere Hindernisse erschwert ist. Neurographisch finden sich mit einer Latenz von ca. 1 Woche bei normalen oder fast normalen distalen motorischen Latenzen und Nervenleitgeschwindigkeiten eine Amplitudenreduktion der Summenmuskel-/Nervenaktionspotenziale im Sinne der axonalen Läsion [41, 54]. Es ist bemerkenswert, dass bei vielen Patienten überwiegend motorische Fasern betroffen sind. Elektromyographisch findet sich nach etwa 2 Wochen pathologische Spontanaktivität. Ein myopathisches Muster im EMG oder eine reduzierte Antwort bei der direkten Muskelstimulation zeigen eine vergesellschaftete Myopathie an [38]. Die Bestimmung der Nervenleitung des N. phrenicus und die Nadelableitung aus der Thoraxwand bzw. dem Zwerchfell sind keine Routinemaßnahmen, können aber mit Sicherheit die CIP als Ursache der verzögerten Entwöhnung von der Beatmung identifizieren [42].
Pathogenese Pathogenetisch wird vermutet, dass Mediatoren, die im Rahmen des sog. »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) entstehen, über Mikrozirkulationsstörungen in den Vasa nervorum und toxische Mediatoren eine Schädigung der Axone herbeiführen [5, 8]. Eine CIP lässt sich klinisch bzw. elektrodiagnostisch bei 70% aller Patienten mit Sepsis und Multiorganversagen nachweisen. Die Prognose wird ganz wesentlich von der Grunderkrankung bestimmt. In jedem Fall begünstigt eine verzögerte Entwöhnung vom Respirator und eine verlängerte Immobilisation das Risiko, Sekundärkomplikationen wie tiefe Venenthrombose, Lungenembolie und Pneumonie zu entwickeln. Grundsätzlich kann sich die Neuropathie, nach Erholung von Sepsis und Multiorganversagen, innerhalb von Monaten zurückbilden; deutlich behindernde Residualzustände sind jedoch auch beschrieben worden. Eine spezifische Therapie ist nicht bekannt.
56.9
Critical-illness-Myopathie (CIM)
Die Critical-illness-Myopathie tritt wie die CIP im Zusammenhang mit intensivmedizinischen Maßnahmen zur Behandlung von Sepsis und Multiorganversagen, aber charakteristischerweise auch nach Organtransplantation (Lunge, Leber), Kortikosteroidtherapie, insbesondere bei Status asthmaticus, und als Komplikation der Behandlung mit nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien einzeln oder zusammen mit Kortikosteroiden auf. Entsprechend handelt es sich wahrscheinlich um ein heterogenes Krankheitsbild, dem auch unterschiedliche pathologisch-anatomische Veränderungen der Muskulatur zugrunde liegen (. Tab. 56.8; [5, 19, 22]). Die Prognose der Critical-illness-Myopathie hängt, wie bei der CIP, von der Grunderkrankung ab und wird mit Ausnahme der nekrotisierenden Form als relativ günstig angesehen, ist aber offenbar ungünstiger, wenn zusätzlich eine CIP vorliegt [5].
Histologischer Befund Die bioptischen Befunde sind heterogen (. Tab. 56.8; [33]). 4 Bei der Critical-illnesss-Myopathie im engeren Sinn sind unspezifische Zeichen der diffusen Muskelschädigung, wahrscheinlich durch Mikrozirkulationsstörung, toxische Metabolite und Hyperkatabolismus zu finden. 4 Histologisch abzugrenzen ist der selektive Myosinverlust bei der »Thick-filament-Myopathie«, die durch Immobilisation
56
710
Kapitel 56 · Neuromuskuläre Erkrankungen bei Intensivpatienten
56
. Tab. 56.8 Gegenüberstellung Critical-illness-Polyneuropathie (CIP) und Critical-illness-Myopathie (CIM)
56
Kriterien
CIP
CIM
Risikofaktoren
SIRS (Sepsis, Trauma)
Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien und/oder Kortikosteroide; Asthma; Leber-/Niereninsuffizienz; Organtransplantation (Lunge, Leber)
56 56 56
Neurologische Defizite
Motorisch und sensibel; Muskelatrophie
Rein motorisch; Muskelatrophie
4 5 6 7 8
9
10
56
Kreatinkinase
Normal
Normal oder leicht erhöht
56
Klinischer Verlauf
Langsame Rückbildung
Häufig rasche Rückbildung
56
Neurographie
Amplitudenreduktion der sensiblen und motorischen Aktionspotenziale (axonaler Läsionstyp)
Normal oder generalisiert reduzierte Amplituden bei höhergradiger Muskelatrophie
Denervierungszeichen (Spontanaktivität)
Myopathisch verändert
Nerv: Axonale Degeneration sensibler und motorischer Fasern Muskel: Denervierungsatrophie
Nerv: Normal Muskel: Vermehrte Kalibervariation, perifaszikuläre Atrophie, Typ II-Faseratrophie, zentralisierte Kerne, »rimmed vacuoles«, fettige Degeneration, Fibrose, Einzelfasernekrosen Selektiver Verlust von Myosin Nekrose
11
12
56 56 EMG
56 Histopathologie
56 56 56 56
56 56 56
16 17 18 19 20
21
22
und toxische Agenzien, u. a. auch durch hochdosierte Kortikosteroidgaben, auch experimentell ausgelöst werden kann. 4 Schließlich findet sich eine nekrotisierende Myopathie mit Übergang in eine generalisierte (toxische) Rhabdomyolyse [5, 22, 33].
23
24
Eine spezifische Therapie der CIM ist ebenso wie bei der CIP nicht bekannt. Es handelt sich um monophasische und selbst-limitierende Erkrankungen. Verbesserungen sind noch Monate und Jahre nach der akuten Erkrankung zu beobachten, so dass eine langfristige angelegte rehabilitative Therapie sinnvoll ist.
25
Literatur
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56
713
Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation J.D. Rollnik
57.1
Einleitung – 714
57.2
Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation und sozialmedizinische Grundlagen – 714
57.2.1 57.2.2 57.2.3 57.2.4
Gesetzliche Grundlagen – 714 Akutbehandlung und Frührehabilitation der Phase B – 714 Weiterführende neurologische Rehabilitation – 715 Frühreha-Barthel-Index – 715
57.3
Krankheitsbilder in der neurologischen/neurochirurgischen Frührehabilitation – 716
57.3.1 57.3.2
»Apallisches Syndrom« (G93.8) – 716 Andere Komata und Differenzialdiagnosen – 718
57.4
Therapieansätze in der neurologischen Frührehabilitation – 718
57.4.1 57.4.2 57.4.3
Medikamente in der Rehabilitation – 718 Therapeutische, aktivierende Pflege – 719 Physiotherapie – 720
57.5
Rehabilitationsprognose – 721 Literatur – 723
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57
714
57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57
Kapitel 57 · Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
57.1
Einleitung
Eine Schädigung des zentralen Nervensystems fordert den Arzt in ganz besonderer Weise. Zu Beginn der Behandlung stehen Vigilanzstörungen sowie motorische und koordinative Einschränkungen im Vordergrund; im weiteren rehabilitativen Verlauf stellen v. a. die kognitiven Einschränkungen eine Herausforderung dar. Ein optimales Behandlungsergebnis kann nur erreicht werden, wenn bereits auf der Intensivstation mit rehabilitativen Maßnahmen begonnen wird; danach muss eine nahtlose Überleitung in eine spezialisierte neurologische Rehabilitation erfolgen. Ziel dieser Übersicht ist es daher auch, Anregungen für Therapieansätze zur initialen Frührehabilitation in der Akutklinik zu geben. Außerdem soll ein sozialmedizinisches Basiswissen vermittelt werden, um die Weichen für eine rehabilitative Weiterbehandlung richtig stellen zu können. Bei der immer dringender geforderten Reduktion der Verweildauer ist es wichtiger denn je, dass die Kommunikation zwischen Akutbehandler und Rehabilitationseinrichtung verbessert wird. Zunehmend werden frühe Verlegungen zu den Nachbehandlern erforderlich. Was vor Jahren noch unvorstellbar war, ist heute die Regel – moderne Rehabilitationseinrichtungen übernehmen intensiv- und beatmungspflichtige Patienten. Umso wichtiger ist es, enge Kontakte zu lokalen Rehabilitationskliniken zu pflegen. Es ist – im Interesse der Patienten – ganz wichtig, dass die Akutbehandler »ihre« Rehabilitationseinrichtungen persönlich kennen. Nur so ist eine optimale Abstimmung möglich, können Missverständnisse abgebaut und das Leistungsspektrum der Rehabilitationsklinik optimal genutzt werden.
57.2
Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation und sozialmedizinische Grundlagen
57
57.2.1
Gesetzliche Grundlagen
57
In der neurologischen Rehabilitation gibt es deutlich mehr Maßnahmenarten als die allgemein bekannte Anschlussheilbehandlung (AHB), die ja v. a. bei Patienten nach Myokardinfarkt oder orthopädischen Erkrankungen beantragt wird. Leider ist es immer noch so, dass viele Akutmediziner nach dem Algorithmus vorgehen: »Wird keine AHB-Fähigkeit erreicht, so muss der Patient in eine Pflegeeinrichtung verlegt werden.« Das ist definitiv falsch und beraubt viele v. a. ältere Patienten nach einem Schlaganfall ihrer Chance auf Rehabilitation!
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Nach den Sozialgesetzbüchern gelten in Deutschland die Grundsätze: 4 Rehabilitation vor Pflege! 4 Rehabilitation vor Rente!
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57.2.2
Akutbehandlung und Frührehabilitation der Phase B
Die Verlegung von schwer betroffenen Patienten in eine spezialisierte neurologische Frührehabilitationseinrichtung sollte so schnell wie möglich, d. h. nach Abschluss der unmittelbaren Akutbehandlung, erfolgen. In einer Studie mit 1716 Schlaganfallpatienten konnte
belegt werden, dass ein früher Beginn der Rehabilitation innerhalb der 1. Woche zu einem signifikant besseren Outcome führte als ein Beginn zwischen 2 und 4 Wochen nach dem Ereignis (OR=2,11) [1]. Die neurologische Rehabilitation orientiert sich an dem sog. Phasenmodell, entwickelt von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) [2]. Dieses Phasenmodell gilt für neurologische bzw. neurochirurgische Patienten mit schweren Hirnschädigungen. Die einzelnen Behandlungsphasen unterscheiden sich nicht nur in den Patientencharakteristika, sondern auch hinsichtlich der leistungsrechtlichen Zuordnung. Im Einzelnen werden die Phasen A bis F unterschieden. Unter der »Phase A« versteht man die Akutbehandlung unter DRG-Bedingungen im Akuthaus. Von hier aus erfolgt dann die Verlegung in die Rehabilitationsklinik, wo die Behandlung als »Phase B« ‒ Frührehabilitation ‒ fortgesetzt wird.
Neurologische Frührehabilitation der Phase B; Eingangskriterien 4 Bewusstlose bzw. qualitativ oder quantitativ schwer bewusstseinsgestörte Patienten (darunter auch solche mit einem sog. »apallischen Syndrom«) mit schwersten Hirnschädigungen als Folge von Schädel-Hirn-Traumen, zerebralen Durchblutungsstörungen, Hirnblutungen, Sauerstoffmangel (insbesondere mit Zustand nach Reanimation), Entzündungen, Tumoren, Vergiftungen etc. 4 Patienten mit anderen schweren neurologischen Störungen (z. B. Locked-in-, Guillain-Barré-Syndrom, hoher Querschnittslähmung), die noch intensiv-behandlungspflichtig sind
Wie auch die Akutbehandlung ist die Frührehabilitation der Phase B leistungsrechtlich in den meisten Bundesländern dem Krankenhausbereich zugeordnet [3], sodass die Krankenkassen Kostenträger sind und eine Abrechnung über das DRG-System erfolgt. Dies bedeutet auch, dass es sich bei der Verlegung eines Patienten der Phase B in eine geeignete Rehabilitationsklinik um eine Krankenhausdirektverlegung handelt. Für diese ist in der Regel keine vorherige Genehmigung durch den Kostenträger erforderlich. Die neurologische Frührehabilitation wird im aktuellen DRGKatalog mit der Prozedur 8–552 abgebildet.
OPS 8–552: Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation (G-DRG 2009); Mindestmerkmale 4 Frührehateam unter Leitung eines Facharztes für Neurologie, Neurochirurgie, Physikalische und rehabilitative Medizin oder Kinder- und Jugendmedizin mit der Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie, der über eine mindestens 3-jährige Erfahrung in der neurologischneurochirurgischen Frührehabilitation verfügt. Im Frührehateam muss der neurologische oder neurochirurgische Sachverstand kontinuierlich eingebunden sein. 4 Standardisiertes Frührehabilitations-Assessment zur Erfassung und Wertung der funktionellen Defizite in mindestens 5 Bereichen (Bewusstseinslage, Kommunikation, Kognition, Mobilität, Selbsthilfefähigkeit, Verhalten, Emotion) zu Beginn der Behandlung. Der Patient hat einen Frührehabilitations-Barthel-Index nach Schönle bis maximal 30 Punkte zu Beginn der Behandlung. 6
715 57.2 · Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation und sozialmedizinische Grundlagen
4 Wöchentliche Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele. 4 Aktivierend-therapeutische Pflege durch besonders auf dem Gebiet der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation geschultes Pflegepersonal. 4 Vorhandensein und Einsatz von folgenden Therapiebereichen: Physiotherapie/Krankengymnastik, physikalische Therapie, Ergotherapie, Neuropsychologie, Logopädie/fazioorale Therapie und/oder therapeutische Pflege (Waschtraining, Anziehtraining, Esstraining, Kontinenztraining, Orientierungstraining, Schlucktraining, Tracheostomamanagement, isolierungspflichtige Maßnahmen u. a.) in patientenbezogenen unterschiedlichen Kombinationen. 4 Behandlungsdauer: Mindestens 300 min täglich (bei simultanem Einsatz von zwei oder mehr Mitarbeitern dürfen die Mitarbeiterminuten aufsummiert werden) im Durchschnitt der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation.
Die Forderung, 300 min (!) Therapie am Tag zu erbringen, macht deutlich, dass ein Akutkrankenhaus eine wie in der Prozedur geforderte Frührehabilitation nicht leisten kann. Der Frühreha-BarthelIndex (7 Abschn. 57.2.4) muss ≤30 sein, was bei den allermeisten intensivmedizinisch behandelten neurologischen Patienten der Fall sein dürfte. Trotz eines deutlichen Verweildauerrückgangs in der neurologischen Frührehabilitation (auf ca. 42 Tage) belegen die geringe Mortalität (1,9%) sowie die niedrige Rate der Pflegeheimverlegungen (18,2%) eine hohe Effizienz [3]. Immerhin ca. 40% der Frührehabilitationsfälle bessern sich in der neurologischen Frührehabilitation so weit, dass sie in nachfolgende Rehabilitationsphasen übergeleitet werden können [3].
57.2.3
Weiterführende neurologische Rehabilitation
Wenn sich der Patient weiter bessert – die Dokumentation dieser Besserung erfolgt mit dem Frühreha-Barthel-Index(7 Abschn. 57.2.4) ‒, kann eine Weiterbehandlung in der Phase C oder sogar D (Anschlussheilbehandlung) erfolgen. Leistungsrechtlich handelt es sich hierbei nicht mehr um eine Krankenhausbehandlung, sondern eine Rehabilitationsleistung, für die ein Antrag (Phase C) bei der Krankenkasse bzw. der gesetzlichen Rentenversicherung (Phase D bei noch nicht berenteten Patienten) zu stellen ist. Unter der Phase E versteht man v. a. medizinisch-berufliche (und auch ambulante) Rehabilitationsleistungen. Kostenträger für die medizinisch-berufliche Rehabilitation ist die gesetzliche Rentenversicherung bzw. die Arbeitsagentur. Auch hier ist zuvor eine Antragstellung erforderlich. Unter der Phase F versteht man v. a. die funktionserhaltende Dauerpflege in dafür spezialisierten Pflegeinrichtungen. . Abb. 57.1 stellt die möglichen Pathways im Phasenmodell dar. Wichtig ist, dass nicht zwingend eine Phase auf die andere folgen muss. So kann sich z. B. ein Patient nach der Frührehabilitation der Phase B so rasch verbessern, dass gleich eine Anschlussheilbehandlung folgen kann.
57.2.4
Frühreha-Barthel-Index
Als wichtiges Hilfsmittel für die korrekte Phasenzuordnung, nicht nur in der Frührehabilitation, sondern auch in nachfolgenden Phasen, gilt der Frühreha-Barthel-Index (FRB; . Abb. 57.2). Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) gründet primär auf dieses Messinstrument seine Entscheidungen über Genehmigung oder Ablehnung einer Maßnahme. Der FRB liegt in unterschiedlichen Versionen vor und gliedert sich in einen Frühreha-Index (FRI) und einen Barthel-Index (BI). Während im Frühreha-Index nur Minuspunkte vergeben werden (z. B. absaugpflichtiges Tracheostoma 50 Maluspunkte), ergibt der Barthel-Index Pluspunkte. Der Barthel-Index gibt Auskunft über das Ausmaß der Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens (Range 0–100). Je höher der Punktwert, desto selbstständiger ist der Pa. Abb. 57.1 Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation. (Nach [1])
57
716
Kapitel 57 · Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
. Abb. 57.2 Frühreha-Barthel-Index (FRB). Im oberen Abschnitt findet sich der Frühreha-Index (FRI), in dem Maluspunkte, z. B. für Beatmungspflicht, vergeben werden. Im unteren Abschnitt ist der Barthel-Index (BI) dargestellt, bei dem für jedes Item 0, 5 oder 10 Pluspunkte vergeben werden. Der Frühreha-BarthelIndex (FRB) stellt dann die Summe aus beiden Scores dar
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tient, d. h. desto weniger Hilfe benötigt er. Der Barthel-Index kann in nachfolgenden Rehabilitationsphasen auch zur Verweildauerabschätzung herangezogen werden [4]. Der Frühreha-Barthel-Index stellt die Summe aus Barthel- und Frühreha-Index dar.
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Anwendungsbeispiel für den Frühreha-Barthel-Index (FRB) 4 Frühreha-Index (FRI): –50 Punkte wegen absaugpflichtigen Tracheostomas 4 Barthel-Index (BI): +50 Punkte 4 Summe Frühreha-Barthel-Index (FRB): 0 Punkte Der Patient ist also der Frührehabilitationsphase B (≤30) zuzuordnen.
Hilfestellungen zum Frühreha-Barthel-Index, zur korrekten Phasenzuordnung und Antragsformulare zum Download sind auf der Homepage der BDH-Klinik Hessisch Oldendorf unter www.nkho. de (Menüpunkt »Anmeldung & Kontakt«) zu finden.
57.3
Krankheitsbilder in der neurologischen/neurochirurgischen Frührehabilitation
57.3.1
»Apallisches Syndrom« (G93.8)
Klinisches Bild Neurologen scheuen den Begriff des »apallischen Syndroms«, da er oft missbräuchlich oder gar falsch verwendet wird und »Syndrom« schon ausdrückt, dass keine Aussagen zur Ätiologie mit ihm verbunden sind. Definitionsgemäß versteht man unter einem apallischen Syndrom einen subakuten oder chronischen Ausfall sämtlicher Funktionen des zerebralen Kortex (=Pallium) und damit der Großhirnfunktion [5]. Dies trifft nur bei einem geringen Prozentsatz der Patienten wirklich zu, sodass es sinnvoller erscheint, z. B. von einem »minimal-responsivem Status« zu sprechen. Des Weiteren wird dem apallischen Syndrom häufig eine Irreversibilität unterstellt. Diese Annahme trifft nicht in allen Fällen zu, da gerade bei jüngeren Patienten (unter 18 Jahren) mit nur geringer Dauer des vorausgehenden Komas und rascher Besserungsgeschwindigkeit durchaus eine Remission eintreten kann [6]. Apallische Syndrome traumatischer Genese können sich innerhalb von 12 Monaten zurückbilden, bei nicht-traumatischer Genese (z. B. hypoxische Hirnschädigung) zeigt eine Persistenz von mehr als 3 Monaten eine schlechte Prognose an [6]. Das klinische Bild kann wie folgt beschrieben werden: 4 »Wachkoma« (Coma vigile): Trotz »Wachheit« (Augen sind geöffnet) sind die Patienten nicht bei Bewusstsein. Das Pflegepersonal beobachtet nur vegetative Reaktionen auf Schmerzreize, kein Fixieren und Verfolgen von Gesichtern oder Gegenstän-
717 57.3 · Krankheitsbilder in der neurologischen/neurochirurgischen Frührehabilitation
den im Raum und keine Hinweise auf eine Kommunikationsfähigkeit (z. B. Augenschluss nach Aufforderung). 4 Motorik: Erhöhter Muskeltonus mit Beugung der Extremitäten, keine gezielten Greif- oder Abwehrbewegungen, lediglich Automatismen und Primitivschablonen (z. B. Saugreaktion auf periorale Reize). 4 Vegetatives Nervensystem (»vegetative state«): Erhebliche vegetative Entgleisungen mit Tachykardien, Schwitzen, Hypertonie, Tachypnoe. Die klinische Beobachtung komatöser Patienten ist sehr wichtig, wobei das Pflegepersonal hierbei besonders gefordert ist. Pflegekräfte verbringen viel mehr Zeit am Patienten als Ärzte. Es ist daher unerlässlich, die Mitarbeiter zu schulen, damit sie Remissionszeichen erkennen. Auf der Intensivstation muss v. a. ein Arbeitsklima herrschen, in dem sich Pflegekräfte als wichtige Mitglieder im Team verstehen und keine Hemmungen haben, ihre Beobachtungen dem Arzt mitzuteilen.
Remissionszeichen beim Wachkoma können sein [3]: 4 Schmerzreaktionen mit Grimassieren und ungerichtete Abwehrbewegungen, 4 Augenfolgebewegungen und Fixieren von Gesichtern oder Gegenständen, 4 Greifbewegungen.
z Kasuistik Anhand einer kurzen Kasuistik sollen die prognostischen und therapeutischen Überlegungen dargestellt werden: Bei einem 46-jährigen Patienten war es nach akzidenteller intrathekaler Injektion eines Lokalanästhetikums zu einem Atemstillstand gekommen, mit konsekutivem hypoxischem Hirnschaden. Der Patient wurde mit der Diagnose eines »apallischen Syndroms« zur Frührehabilitation verlegt. Der Patient war bei Aufnahme komatös [Glasgow Coma Scale (GCS) 4 Punkte] und hatte die Augen geschlossen. Das EEG zeigte eine relativ flache, areaktive Kurve (. Abb. 57.3), die akustisch (AEP) und somatosensorisch evozierten Potenziale (Medianus-SSEP; . Abb. 57.4) waren jedoch gut reproduzierbar und normgerecht ableitbar. In der Computertomographie zeigten sich neben einer Atrophie nur schlecht abgrenzbare Basalganglien, wie dies nach hypoxischen Hirnschäden oft zu beobachten ist (. Abb. 57.5). Aufgrund der ableitbaren SSEP mit erhaltenen kortikalen Antworten war bei dem Patienten nicht von einem apallischen Syndrom auszugehen. Unter intensiver Ergo- und Physiotherapie sowie aktivierender Pflege zeigte der Patient schon nach wenigen Wochen erste Remissionszeichen. Nach 2 Monaten war der Patient wach und fixierte Personen und Gegenstände im Raum, eine minimale Kommmunikation war über Lidschluss möglich, es bestand eine Hemiparese rechts. Das Beispiel zeigt, dass durch diagnostische Maßnahmen schon frühzeitig ein apallisches Syndrom ausgeschlossen werden kann.
. Abb. 57.3 Das EEG des 46-jährigen Patienten (7 Kasuistik) zeigte eine relativ flache, areaktive Kurve
57
718
Kapitel 57 · Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
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. Abb. 57.4 Normale Medianus-SSEP mit regelrechten kortikalen N20bzw. P25-Latenzen (Ableitung am Skalp über C3´ bzw. C4´), die gegen die Annahme eines »apallischen Syndroms« sprechen
> Wenngleich der Nachweis normaler SSEP keine Aussage über die Integrität weiterverarbeitender sensibler Kortexstrukturen zulässt, kommt ihnen bei der Prognose von Komata große Bedeutung zu [7].
57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57 57
57.3.2
Andere Komata und Differenzialdiagnosen
Die Differenzialdiagnose der Komata ist überaus vielgestaltig, hier sei auf 7 Kap. 50 (»Koma, metabolische Störungen und Hirntod«) verwiesen. Wegen ihrer Bedeutung für die neurorologische Rehabilitation sollen hier jedoch noch kurz 2 Syndrome besprochen werden: das Locked-in-Syndrom und der akinetische Mutismus. Beim akinetischen Mutismus liegt eine erhebliche Frontalhirnschädigung vor (. Abb. 57.6). Hierdurch kommt es zu einer extremen Antriebsstörung. Die Patienten wirken dabei wach, machen jedoch spontan keine sprachlichen, motorischen und emotionalen Äußerungen. Durch Beobachtung der Patienten gelingt es aber rasch, ein apallisches Syndrom auszuschließen, da die Patienten doch schwache Reaktionen auf ihre Umwelt zeigen. Vor allem Abwehrbewegungen bei starken Schmerzreizen sind erhalten. Dem Locked-in-Syndrom liegt eine schwere Hirnstammschädigung zugrunde. Dadurch kommt es zu einer Tetraparese, einem Ausfall der Hirnnervenfunktionen (mit Ausnahme der vertikalen Augen- und Lidbewegungen, über die später eine Kommunikation möglich wird) und der Hirnstammreflexe. Durch den Ausfall der Hirnstammreflexe kann es – wenn die Patienten initial noch komatös sind – zu einer Verwechslung mit dem dissoziierten Hirntod kommen. Ein EEG ist obligat, um diese Differenzialdiagnose ausschließen zu können.
57.4
. Abb. 57.5 CCT des Patienten (7 Kasuistik) mit einer Erweiterung der äußeren Liquorräume (Atrophie) sowie einer schlechten Abgrenzbarkeit der Basalganglien (Pfeil)
Therapieansätze in der neurologischen Frührehabilitation
Aufgabe dieses Kapitels kann nicht eine umfassende Darstellung der neurologischen Rehabilitation oder ihrer wissenschaftlichen Grundlagen sein. Vielmehr soll empirisch auf einzelne, praxisorientierte Therapieansätze eingegangen werden. Dabei soll sich die Darstellung primär am intensivpflichtigen, vielleicht noch beatmeten Patienten orientieren. Da es sich hierbei meist um einen komatösen Patienten handelt, stehen die therapeutische Pflege sowie die motorische Rehabilitation (mit eher »passiven« Verfahren) im Vordergrund der Behandlung.
. Abb. 57.6 CCT einer 73-jährigen Patientin mit akinetischem Mutismus nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Beidseits frontal zeigen sich ausgedehnte Kontusionsfolgen
57.4.1
Medikamente in der Rehabilitation
Bevor auf einzelne Aspekte der Rehabilitation eingegangen wird, kurz einige Bemerkungen zu Einflüssen von Medikamenten. Zu unterscheiden sind hierbei Einflüsse von Begleitmedikamenten und der gezielte Einsatz von Pharmaka zur Förderung der Rehabilitation. Während der gezielte Einsatz von Pharmaka zur Verbesserung des Outcomes noch nicht empfohlen werden kann, ist von einer Reihe von Medikamenten bekannt, dass sie einen negativen Einfluss
719 57.4 · Therapieansätze in der neurologischen Frührehabilitation
auf die Rehabilitation haben. Hierzu gehören insbesondere: Neuroleptika, Benzodiazepine, Barbiturate, Phenytoin, Clonidin und Prazosin [8]. Bei diesen »detrimental drugs« ist belegt, dass sie die kortikale Plastizität – als ein wichtiges Substrat der Rehabilitation – einschränken und das Outcome verschlechtern können.
betroffener neurologischer Patienten erarbeiten. Ziel aller pflegerischen Maßnahmen ist die Erreichung einer möglichst großen Selbstständigkeit des Patienten in seinen alltagspraktischen Fähigkeiten (z. B. Mobilität, Nahrungsaufnahme).
Lagerungstechniken Tipp Als Faustregel gilt: Um ein optimales Rehabilitationsergebnis zu erreichen, sollte man versuchen, dem Patienten so rasch wie möglich keine sedierenden Medikamente mehr zu geben, v. a. keine Neuroleptika und Benzodiazepine.
Kontrovers wird der Einsatz von Amantadin nach Schädel-HirnTrauma (SHT) beurteilt [9, 10]. Wie bereits ausgeführt, ist ein genereller Einsatz nicht ausreichend evidenzbasiert. Die Erfahrung lehrt aber, dass die orale Gabe von 200–400 mg/Tag Amantadin nach SHT Vigilanz (und vielleicht auch Outcome) verbessern kann. Wir setzen in unserer Klinik Amantadin bei SHT-Patienten ein und beobachten bei nur geringen Nebenwirkungen oft ein positives Ansprechen.
57.4.2
Therapeutische, aktivierende Pflege
Der therapeutischen Pflege kommt eine große Bedeutung in der Frührehabilitation zu. Besonders wichtig sind Lagerungstechniken, z. B. zur Spastikhemmung, aber auch Verfahren der sog. »basalen Stimulation«. Hierbei ist es wichtig, dass Pflegepersonal und Physiotherapeuten ein gemeinsames Konzept zur Versorgung schwer
Die Lagerung muss individuell an den Patienten angepasst sein und vom gesamten interdisziplinären Team in gleicher Weise angewendet werden. Lagerungen sollen dem Patienten helfen, die Körperwahrnehmung zu verbessern und aktive Bewegungen durchzuführen. Weitere Ziele sind Vermeidung von Dekubiti, Kontraktur- und Gelenkfehlstellungsprophylaxe, Tonussenkung (Spastikreduktion) und Pneumonieprophylaxe. Die Lagerungen sollten nicht rein statisch erfolgen. Vielmehr soll den Patienten durch die Lagerung die Möglichkeit gegeben werden, sich trotz der bestehenden Defizite aktiv zu bewegen. Die Lagerung soll die Bewegungen der Patienten nicht behindern, sondern ermöglichen und unterstützen. Zuerst bietet man daher den Patienten Lagerungen an, die Aktivitäten erleichtern! Durch eine dem Patienten angepasste Lagerung kann der Tonus maßgeblich beeinflusst werden, sodass Spastik gehemmt oder zumindest reduziert wird. Spastik ist nicht nur schmerzhaft für den Patienten, sondern verringert auch die Einsetzbarkeit gelähmter Extremitäten, sodass eine erhaltene Willkürmotorik behindert wird. Bei komatösen neurologischen Patienten hat sich eine Oberkörperhochlagerung von 30° zur Hirndrucksenkung, aber auch zur Reduktion respiratorischer Komplikationen bewährt (. Abb. 57.7). Neben der Seitlagerung wird auch die Rückenlagerung (. Abb. 57.8) durchgeführt, bei der allerdings das Risiko der Entwicklung von sakralen Dekubiti besteht.
b
a
c
. Abb. 57.7a–c Komatöser, beatmeter Patient. a Seitlagerung mit 30° Oberkörperhochlagerung, in leichter Schrittstellung mit Lagerung beider Füße zur Spitzfußprophylaxe. b Seitlagerung mit 30° Oberkörperhochlagerung. c Seitlagerung mit 30° Oberkörperhochlagerung
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720
Kapitel 57 · Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
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. Abb. 57.9 Ganzkörperwaschung
57 57 57 57 57 57 57
. Abb. 57.8 Lagerung in Rückenlage mit Hochlagerung der Arme wegen Ödemen
Basale Stimulation
57
Unter basaler Stimulation versteht man die Förderung und Erhaltung der Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation des Patienten. Um dem Patienten ein intaktes und vollständiges Körpergefühl zu ermöglichen, werden ihm verschiedene basale Stimuli über seinen Körper angeboten. Diese Angebote können eine dem Körper nachgeformte Ganzkörperwäsche (. Abb. 57.9), ein bekannter Geruch, Geschmack oder auch die Darbietung akustischer Reize (z. B. Lieblingsmusik) sein. Daher ist es ganz wichtig, die Angehörigen nach Vorlieben des Patienten zu befragen. In der Pflege, aber auch bei anderen therapeutischen Kontakten sollte der Zugang zum Patienten über die gleichzeitige Ansprache, Berührung und motorische Führung bei Sichtkontakt (wenn möglich) erfolgen [11]. Alle Handlungen, die am und in der direkten Gegenwart des Patienten geschehen, müssen zuvor angekündigt werden. Ansprache und Kontaktaufnahme erfolgen bei Halbseitensymptomatik immer von der betroffenen Seite aus. Diese Aspekte der basalen Stimulation sollten in einer aktivierenden Pflege Grundbestandteil sein.
57
57.4.3
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57 57 57
Physiotherapie
Physiotherapie ist unabdingbar in der neurologischen Frührehabilitation. Über die notwendige Behandlungsfrequenz lassen sich keine definitiven Aussagen machen. Sicher ist, dass sich in Studien keine strenge Dosis-Wirkungs-Beziehung belegen lässt, »viel« bringt also auch nicht unbedingt »viel« [12]. Dessen ungeachtet fordert die Prozedur »neurologische Frührehabilitation« (G-DRG; 7 Abschn. 57.2.2) 300 min Therapie pro Tag, wobei der Anteil der Physiothe-
rapie daran jedoch nicht spezifiziert wird. An unserer Klinik gilt die Regel, dass ein schwer betroffener Frührehabilitationspatient mindestens 2 physiotherapeutische Einzelbehandlungen (je 30 min) pro Tag erhält. Die Aufgaben und Ziele der Physiotherapie lassen sich grob in . Tab. 57.1 darstellen. Für die Therapie wird der Patient vorsichtig in eine Position gebracht, die die Behandlung positiv unterstützt oder die es ihm erleichtert mitzuarbeiten. Dann kann ein an den Patienten angepasstes Bewegen erfolgen. Dabei sollte es sich nicht um ein passives Durchbewegen handeln, sondern vielmehr ein aktivierendes Bewegen. > Beim Bewegen ist es wichtig, den Patienten nicht passiv zu bewegen, sondern dem Patienten die Möglichkeit zu geben, dass er sich auf die Bewegungen einlassen kann.
Der Therapeut vermittelt dem Patienten nur den Ansatz einer Bewegung, der Patient soll diese dann möglichst selbstständig initiieren. Dadurch wird erreicht, dass eine Erinnerung an motorische Funktionen stattfindet, möglichst durch häufige aktive Repetition. Repetition ist die Grundlage aller übenden Verfahren und regt die kortikale Plastizität an – ein wichtiges neurophysiologisches Substrat der Funktionswiederherstellung.
. Tab. 57.1 Aufgaben und Ziele der Physiotherapie in der neurologischen Frührehabilitation. (Nach [13]) Aufgabenbereiche
Ziele
Lagerung
5 Kontrakturprophylaxe 5 Vermeidung abnormer Haltungsmuster (Kopf, Rumpf, Extremitäten)
Geführte Bewegungen
5 Erhaltung der freien Gelenkbeweglichkeit 5 Erhaltung der Dehnfähigkeit kontraktiler Gewebsstrukturen und des Gelenkspiels
Drehen und Mobilisation
5 Schulung und Erlernen funktioneller Bewegungsabläufe der betroffenen Körperseite 5 Selbstständige Bewegung der Extremität 5 Freies Sitzen 5 Stehen
721 57.5 · Rehabilitationsprognose
a
b
. Abb. 57.10a, b Präsentation der Hand am Mund. a Vorbereitung. b Erste Kontaktaufnahme der Hand mit dem Mund
techniken (nach Bobath) wird darüber hinaus der Spastik entgegengewirkt. In diesem Zusammenhang soll auch darauf hingewiesen werden, dass sich eine spastische Tonuserhöhung bei zentralen Lähmungen in der Regel erst postakut einstellt. Nach Rückenmarkschädigungen liegt z. B. initial ein sog. »spinaler Schock» vor, der mit Areflexie und schlaffen Paresen einhergeht. Dennoch muss die Physiotherapie bereits in der Akutphase einsetzen, um einer erst Tage oder Wochen später einsetzenden Spastik entgegenzuwirken. Atemtherapie und Pneumonieprophylaxe sind ebenfalls Aufgaben der Physiotherapie. Zur Anwendung kommen hier Interkostalausstreichungen (. Abb. 57.12a), Packegriffe, manuelle und mechanische Vibrationen, Kontaktatmung (. Abb. 57.12b), unterschiedliche Lagerungen und das frühzeitige Vertikalisieren des Patienten. Die Patienten sollten nach Absprache mit den Ärzten möglichst früh an die Bettkante mobilisiert werden. Die Vertikalisierung findet unter striktem Monitoring statt (. Abb. 57.13). Durch diese frühzeitige Mobilisation kann eine Steigerung des Wachheitsgrades, eine veränderte und vertiefte Atmung, eine Tonusregulation durch die Aktivierung der autochtonen Rückenstrecker und ein Kreislauftraining erreicht werden. Während jeder Therapie muss auf die korrekte Stellung der Gelenkpartner zueinander geachtet werden, da sonst Schmerzen auftreten können. Auf Schmerz reagiert der Patient mit einer Abwehrspannung, dadurch kann es zu einer Tonuserhöhung kommen, die den Therapiezielen entgegensteht.
57.5 . Abb. 57.11 Bewegungsanbahnende Übungen, auch zur Kontrakturprophylaxe
Hände, Füße und der Mund sollten sehr frühzeitig Beachtung in der Therapie erhalten, da diese sehr große Repräsentationsareale im Kortex aufweisen. So kann man den Patienten z. B. sehr gut eine Bewegung der Hand zum Mund initiieren lassen (. Abb. 57.10, . Abb. 57.11). Für den Erhalt der Gelenkbeweglichkeit ist es auch wichtig, dass die Muskulatur ihre physiologische Länge behält (. Abb. 57.11). Durch frühzeitige Aktivierung und Bewegung über das gesamte Bewegungsausmaß kann einer Muskelverkürzung vorgebeugt werden. Durch ein frühzeitiges Aktivieren der Muskulatur wird auch das Risiko von Spastizität reduziert. Durch besondere Behandlungs-
Rehabilitationsprognose
Beim »apallischen Syndrom« wurde bereits auf prognostische Kriterien eingegangen. Auch wurde weiter oben dargestellt, dass sich immerhin ca. 40% der Frührehabilitationsfälle so weit bessern, dass sie in nachfolgende Rehabilitationsphasen übergeleitet werden können [3], nur etwa jeder 5. Fall wird primär in eine Pflegeeinrichtung verlegt. Dennoch ist es aus Sicht des Rehabilitationsmediziners überaus wichtig, den Angehörigen eines schwer betroffenen Patienten, v. a. nach einem hypoxischen Hirnschaden, bereits in der Akutklinik eine realistische Prognoseeinschätzung zu vermitteln. Unterbleibt dies, so kommt es nicht selten in der Rehabilitationsklinik zu erheblichen Spannungen zwischen Angehörigen und Behandlern. Dies wiederum kann den Rehabilitationsverlauf empfindlich stören.
57
722
Kapitel 57 · Neurologische und neurochirurgische Frührehabilitation
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a . Abb. 57.13 Vertikalisieren eines beatmeten Patienten mit 2 Therapeuten
57 Diese negativen Prädiktoren wurden auch in aktuellen Studien größtenteils bestätigt. Unstrittig korreliert das Lebensalter negativ mit dem Outcome, dennoch sollte auch älteren Patienten eine Chance auf Rehabilitation nicht versagt werden, da Studien zwar statistische Aussagen zulassen, jedoch niemals eine zuverlässige Einschätzung des individuellen Schicksals ermöglichen. Allerdings ist es notwendig, z. B. Angehörige eines multimorbiden älteren Patienten mit schwerer Pflegebedürftigkeit über die eingeschränkte Rehabilitationsprognose aufzuklären, damit diese der Rehabilitationsbehandlung nicht mit unrealistischen Hoffnungen entgegen sehen.
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Zusammenfassung b . Abb. 57.12 Atemtherapie. a Interkostalausstreichungen. b Kontaktatmung
Zur Prognosestellung ist v. a. auch die Kenntnis negativer Prädiktoren wichtig. Für Patienten nach einem Schlaganfall sind diese Faktoren wohl bekannt und lassen sich auch auf andere neurologische Erkrankungen übertragen (7 Übersicht).
Negative Rehabilitationsprädiktoren bei Patienten nach Schlaganfall (nach [14]) 4 Vorangegangener Schlaganfall (auch: vorangegangener Myokardinfarkt) 4 Hohes Lebensalter (Begleiterkrankungen, Morbidität) 4 Schlechter funktioneller Status zu Beginn der Rehabilitation (z. B. schwere Pflegebedürftigkeit wegen einer Hemiplegie, d. h. ohne jede Willkürbewegung in den gelähmten Extremitäten) 4 Kognitive Defizite 4 Neglect und Störungen der räumlichen Orientierung 4 Depression 4 Blasen- und Mastdarminkontinenz 4 Mangelnde Motivation 4 Längerer Zeitraum zwischen Schlaganfallereignis und Rehabilitationsbeginn 4 Gestörte Haltungskontrolle
Neurologische Patienten sollten zügig einer qualifizierten Frührehabilitation zugeführt werden. Erleichtert wird eine rasche und unbürokratische Verlegung durch die Tatsache, dass die neurologische Frührehabilitation in den meisten Bundesländern leistungsrechtlich eine Krankenhausbehandlung ist und somit Direktverlegungen aus der Akutklinik in der Regel ohne vorherigen Kostenübernahmeantrag bei der Krankenkasse möglich sind. Dessen ungeachtet sollten schon in der Akutbehandlung, also beim beatmeten Patienten auf der Intensivstation, rehabilitative Behandlungsansätze genutzt werden. Hierzu zählen eine aktivierende Pflege mit speziellen Lagerungstechniken und Maßnahmen der basalen Stimulation wie auch eine früh einsetzende Physiotherapie. Wichtig ist, dass nicht voreilig, z. B. durch die irrige Diagnose eines »apallischen Syndroms« die Weichen in eine Pflegeinrichtung gestellt werden. In Deutschland hat nach dem Sozialgesetzbuch jeder Patient einen Anspruch auf Rehabilitation vor Pflege! Um die Zusammenarbeit zwischen Akutbehandlern und Rehabilitationseinrichtungen zu verbessern, muss es in der Zukunft einen besseren Dialog zwischen beiden Gliedern der Behandlungskette geben. Wünschenswert wäre, dass sich auch Intensivmediziner in »ihren« Rehabilitationseinrichtungen vor Ort einen Überblick über deren Möglichkeiten und Grenzen verschaffen, um dann gezielt Patienten zuweisen zu können. In einigen neurologischen Frührehabilitationseinrichtungen gibt es Beatmungsplätze, aber nur in sehr wenigen auch die Möglichkeit einer anschließenden medizinisch-beruflichen Rehabilitation. Letzteres wäre für einen berenteten Patienten irrelevant, für einen jungen Rehabilitanden, der sein Berufsleben noch vor sich hat, jedoch conditio sine qua non für eine erfolgreiche Partizipation. Daher ist es notwendig, das
723 Literatur
Behandlungsspektrum kooperierender Rehabilitationseinrichtungen zu kennen. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, den Angehörigen eines Frührehabilitationspatienten eine realistische Sichtweise über die Erfolgsaussichten der Rehabilitationsbehandlung zu vermitteln.
z Danksagung Für die Bereitstellung von Bildmaterial und inhaltliche Beratung bedanke ich mich bei Herrn Harenkamp, Herrn von der Heyde und Herrn Zarski (Physiotherapie der BDH-Klinik Hess. Oldendorf).
Literatur 1
2
3
4 5
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57
725
Stoffwechsel, Niere, Säure-Basen-, Wasserund Elektrolythaushalt Kapitel 58
Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
Kapitel 59
Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
Kapitel 60
Säure-Basen Status
Kapitel 61
Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
VIII
727
Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie S. Klose, H. Lehnert
58.1
Diabetisches Koma – Einteilung und Klassifikation – 728
58.2
Diabetische Ketoazidose – 728
58.2.1 58.2.2 58.2.3 58.2.4 58.2.5 58.2.6 58.2.7
Häufigkeit – 728 Ursachen – 729 Pathogenese – 729 Klinisches Bild – 729 Diagnostisches Vorgehen – 730 Therapie – 730 Prognose – 732
58.3
Hyperosmolares, nicht ketoazidotisches Koma – 732
58.3.1 58.3.2 58.3.3 58.3.4
Häufigkeit, Ursachen und Pathogenese – 732 Diagnostik und klinisches Bild – 732 Therapie – 733 Prognose – 733
58.4
Laktatazidosen – 733
58.4.1 58.4.2 58.4.3
Ursachen – 733 Klinik und Diagnostik der Laktatazidosen – 734 Therapie – 734
58.5
Hypoglykämie – 734
58.5.1 58.5.2 58.5.3 58.5.4
Ursachen – 734 Diagnostik und klinisches Bild – 735 Therapie – 736 Prognose – 736
58.6
Perioperative Betreuung des Diabetikers – 737
58.6.1 58.6.2 58.6.3 58.6.4
Perioperative Risiken und Diagnostik – 737 Präoperative Therapie – 737 Intraoperative Therapie – 737 Postoperative Therapie und Risiken – 737
58.7
Blutglukosekontrolle bei kritisch kranken Patienten mit Hyperglykämie – 737 Literatur – 738
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5 8, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
58
728
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58.1
Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
Diabetisches Koma – Einteilung und Klassifikation
Das diabetische Koma im engeren Sinne wird in die folgenden 3 Formen unterteilt: 4 diabetische Ketoazidose (DKA), 4 hyperosmolares, nicht ketoazidotisches Koma, 4 Laktatazidose. Diese Einteilung kann nicht immer starr eingehalten werden, da Mischbilder vorkommen. Auch die alkoholische Ketoazidose beim Diabetes mellitus gehört zu diesem Formenkreis, soll aber an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden. Die Hypoglykämie zählt nicht unmittelbar zu den Formen des diabetischen Komas, muss aber als relevante Akutkomplikation hier mitangeführt werden.
Diabetische Ketoazidose Der DKA liegen vielfältige Mechanismen zugrunde, meist aber eine ausgeprägte Insulinsekretionsstörung bzw. ein Insulinmangel. Es handelt sich damit auch um die klassische Komaform des Patienten mit Typ-1-Diabetes. Per definitionem gehören folgende Symptome zu dieser Erkrankung: 4 Hyperglykämie, bereits ab Werten von etwa 250 mg/dl bzw. 14 mmol/l, 4 metabolische Azidose,
4 erniedrigtes Serumbikarbonat, 4 vermehrte Bildung von Ketonkörpern.
Hyperosmolares, nicht ketoazidotisches Koma Beim hyperosmolaren, nicht ketoazidotischen Koma steht eine Hyperglykämie mit deutlich höheren Werten als bei der DKA und einem parallel verlaufenden Anstieg der Serumosmolarität, jedoch keine Ketoazidose im Vordergrund. Hier besteht noch eine erhaltene Insulinsekretion, sodass die antilipolytische Wirkung von Insulin vorhanden ist.
Laktatazidose Bei der Laktatazidose liegt eine schwere metabolische Azidose mit erhöhten Laktatkonzentrationen vor. Bei der diabetischen Laktatazidose handelt es sich im engeren Sinne um eine Laktatazidose vom Typ B1 (7 Abschn. 58.4.1). 58.2
Diabetische Ketoazidose
58.2.1
Häufigkeit
Die Bedeutung dieser Akutkomplikation ergibt sich daraus, dass eine DKA etwa 4–9% aller Krankenhausaufnahmen bei diabetischen Patienten ausmacht. Die jährliche Inzidenz liegt in den industrialisierten Ländern bei 4–8 Episoden pro 1000 Patienten mit Diabetes [12]. Im Rahmen von Erstmanifestationen tritt eine Ke. Abb. 58.1 Bildung von Ketonkörpern im Insulinmangel
729 58.2 · Diabetische Ketoazidose
toazidose bei 25–40% der Kinder mit Typ-1-Diabetes auf und darf aufgrund ihres lebensbedrohlichen Charakters nicht unterschätzt werden [8].
58.2.2
Ursachen
Das Ursachenspektrum der DKA ist außerordentlich vielfältig; neben auslösenden Erkrankungen stehen Behandlungsfehler im Vordergrund. Als Hauptursachen wurden in einer Metaanalyse Infektionen (28–56%) beschrieben, gefolgt von Therapiefehlern (21–41%), Diabetesneumanifestationen (17–22%) und anderen akuten Erkrankungen (10%) [12]. Darunter sind Alkoholabusus, Myokardinfarkt und Pankreatitis wichtige Auslöser; Medikamenteninteraktionen tragen weiterhin zur Stoffwechseldekompensation bei. Ein wesentliches Problem sind Behandlungsfehler, hier insbesondere die nicht ausreichende Insulinsubstitution, v. a. unter Stressbedingungen (perioperativ, Begleiterkrankungen). Ein besonderes Problem stellt auch die DKA bei Patienten mit Insulinpumpentherapie dar. Eine fehlende Zufuhr durch Pumpenstopp oder Katheterprobleme kann innerhalb kürzester Zeit zu einer DKA führen, da bei dieser Therapieform kein Basalinsulin zugeführt wird und somit die Insulinvorräte rasch erschöpft sind [2].
58.2.3
Pathogenese
Das klinische Vollbild der DKA ist Ausdruck der Hyperglykämie, der Ketoazidose und einer nachfolgenden ausgeprägten Dehydrierung.
Relativer Insulinmangel Ursächlich liegt dieser Entwicklung zunächst ein relatives Überwiegen insulinantagonistischer Hormone zugrunde (Wachstumshormon, Glukokortikoide, Katecholamine, Glukagon) und damit einhergehend ein relativer Insulinmangel. Die Hyperglykämie ist dabei in erster Linie Ausdruck der verminderten Aufnahme von Glukose in die insulinsensitiven Gewebe (quergestreifte Muskelzelle, Fettgewebszelle) bei gleichzeitiger Mehrproduktion von Glukose. Diese Mehrproduktion ist zum einen Ausdruck einer hyperglykämiebedingten Hochregulierung des Glukosetransporters 2 (GLUT-2), der Glukose aus den Hepatozyten transportiert. Im Gegensatz dazu bleibt GLUT-4 unter Bedingungen des Insulinmangels inaktiv und kann die Glukoseaufnahme in Muskel- und Fettzellen nicht bewirken. Weiterhin entsteht Glukose als Ausdruck eines erhöhten Proteinkatabolismus und einer verminderten Proteinsynthese (Kortisoleffekte) sowie einer erhöhten Verfügbarkeit von Aminosäuren als Substraten der Glukoneogenese.
Ketose Die Ketose ist Ausdruck der unter den Bedingungen des Insulinmangels verminderten antilipolytischen Wirkung. Insulin hemmt die Gewebslipase und verhindert hierdurch den Abbau gespeicherter Triglyzeride. Bei Insulinmangel nimmt die Aktivität der Gewebslipase zu, Triglyzeride werden zu Glyzerol und freien Fettsäuren hydrolysiert. Diese wiederum sind die hepatischen Vorstufen für die Ketonsäuren β-Hydroxybutyrat und Acetoacetat [11]. Zusammenfassend ist dies in . Abb. 58.1 dargestellt.
Folge: Dehydrierung Als lebensbedrohliches klinisches Leitsymptom entsteht mit Anstieg der Blutglukosewerte eine osmotische Diurese mit gleichzeitiger glukoseinduzierter Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten. Bei noch normaler Nierenfunktion und ausreichender Hydrierung gleicht der renale Glukoseverlust die Hyperglykämie aus. Höhere Blutglukosewerte sind daher auch ein Hinweis für eine zunehmend eingeschränkte Nierenfunktion bzw. Dehydrierung. Der Verlust von Natriumsalzen verstärkt die Dehydrierung. Schließlich entsteht ein Circulus vitiosus, bei dem sich die Ketonsäuren im distalen Tubulus wie nicht resorbierbare Anionen verhalten und daher als Natrium- und Kaliumsalze ausgeschieden werden; dies führt zu einem weiteren Elektrolytverlust.
58.2.4
Klinisches Bild
Die wesentlichen Symptome und Zeichen der DKA und ihre Ursachen sind in . Tab. 58.1 dargestellt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Differenzialdiagnose zwischen einer Pseudoperitonitis diabetica und einem akuten Abdomen schwierig sein kann. Erstere korreliert mit dem Schweregrad der Azidose. Prodromi wie Polyurie, Polydipsie, Erbrechen und Inappetenz können dabei dem Koma bis zu einigen Tagen vorausgehen; insbesondere bei schleichendem Verlauf sind Exsikkose und Volumenmangel sehr ausgeprägt. Das klinische Vollbild manifestiert sich durch die ausgeprägte Dehydrierung mit ihren Folgen (trockene Schleimhaut, fehlender Hautturgor, weiche Bulbi, herabgesetzter Muskeltonus). Aufgrund des Volumenmangels sind insbesondere die systolischen Blutdruckwerte niedrig, häufig unter 90–100 mm Hg. Die Extremitäten sind in der Regel blass. Mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung und insbesondere mit Zunahme der Azidose entwickelt sich die typische tiefe Kussmaul-Atmung zur Kompensation der metabolischen Azidose. Als prognostisch besonders ungünstiges Zeichen kann sich eine Cheyne-Stokes-Atmung einstellen [7]. Von großer Bedeutung ist die Differenzialdiagnose der unterschiedlichen Komaformen (. Tab. 58.2).
. Tab. 58.1 Klinik der diabetischen Ketoazidose Klinische Zeichen
Ursache
Polyurie, Polydipsie
Osmotische Diurese
Gewichtsverlust, Schwäche
Diurese, Katabolie
Übelkeit
Ketose
Abdominalbeschwerden
K+-Depletion (?)
Muskelkrämpfe
Flüssigkeitsverlust
Dehydratation
Osmotische Diurese
Gastroparese
Hyperglykämie
Warme Haut
K+-Depletion, Azidose
Hypotonie, Tachykardie
Vasodilatation
Somnolenz, Koma
Dehydratation, Azidose, Hyperosmolarität
58
730
58
Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
. Tab. 58.2 Differenzialdiagnostische Aspekte der Komaformen bei diabetischen Patienten Art des Komas
Blutglukose, ca. [mg/dl, mmol/l]
Plasma-/Urinketone
Dehydratation
Hyperventilation (Kussmaul-Atmung)
Blutdruck
Haut
Diabetische Ketoazidose
>300 >16
+-+++
++
++
(p)
Warm
Hyperosmolares Koma
>500 >28
Ø –+
+++
Ø
(p)
Normal
Laktatazidose
Variabel
Ø –+
++
p
Warm
58
Hypoglykämie
<50 <2,8
Ø
Ø
Ø
(n)
Kalt, schweißig
58
Nicht metabolisches Koma
Variabel
Ø –+
Ø –+
Ø –+
Variabel
Normal
58 58 58
58 58.2.5
58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58 58
Diagnostisches Vorgehen
Akutdiagnostik Die Akutdiagnostik der DKA umfasst v. a. die folgenden Untersuchungen: Blutglukose, Plasmaketonkörper, Elektrolyte im Serum, Kreatinin, Blutgasanalyse, Blutbild, Urinkultur, ggf. Blutkultur, EKG, Thoraxröntgenbild.
Diagnosekriterien Die Diagnose einer DKA kann dann gestellt werden, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind: 4 Blutglukose über 250 mg/dl (14 mmol/l), 4 pH-Wert <7,3, – 4 erniedrigtes HCO3 (<15 mmol/l), 4 hohe Anionenlücke (>12 mmol/l), 4 erhöhte Urin-/Serumketone. Zu beachten ist, dass eine Leukozytose, insbesondere aufgrund der erhöhten Sekretion der Glukokortikoide, obligat auftritt. 40–60% der Patienten zeigen Anstiege der Amylase, meist keine Lipaseerhöhung. Am ehesten handelt es sich hier um eine Erhöhung der Isoamylase aus den Speicheldrüsen. Weiterhin finden sich Anstiege der Transaminasen und der Creatinkinase; möglicherweise korreliert die CK-Erhöhung mit dem anfänglich auftretenden intrazellulären Phosphatmangel. Ein Laktatanstieg ist zum einen Ausdruck des Volumenmangels, zum anderen Zeichen der hieraus resultierenden Minderperfusion und Gewebehypoxie. Hier werden Werte über 2,5 mmol/l beobachtet. Bei deutlichem und weiterem Anstieg der Laktatwerte ist bei Vorliegen einer abdominellen Symptomatik an eine Peritonitis zu denken.
Elektrolyte Insbesondere die Bestimmung des Serumkaliumwertes ist von großer Bedeutung für die Steuerung der Substitutionstherapie. Obwohl die renalen Verluste zum Kaliummangel führen, sind bei der Aufnahme des Patienten die Werte im Serum häufig erhöht. Hierfür gibt es eine Reihe unterschiedlicher Erklärungen; insbesondere geht es dabei um den Transport von Kalium in den Extrazellulärraum, die Freisetzung von Kalium aus den Zellen im Austausch gegen Wasserstoffionen durch die Azidose sowie die intrazellulären Phosphatverluste, die zur Aufrechterhaltung der elektrischen Neutralität auch einen intrazellulären Kaliumverlust bedingen. Schließlich bewirkt der Insulinmangel eine verminderte Aufnahme von Kalium in die Zelle und führt über den Abbau von Glykogen und Proteinen ebenfalls zu einem Kaliumtransport aus der Zelle. Die Situation kann weiter dadurch kompliziert werden,
dass bei vielen Patienten, v. a. bei lange bestehendem Diabetes, ein hyporeninämischer Hypoaldosteronismus mit ohnehin tendenziell erhöhten Kaliumwerten besteht. > Dies verdeutlicht gleichzeitig, dass mit Durchführung einer effektiven Therapie (Volumensubstitution, Ausgleich des Insulinmangels) Kalium wieder in die Zellen transportiert wird und im Verlauf der Therapie eine Hypokaliämie entstehen kann. Die engmaschige Kontrolle des Serumkaliums ist daher essenziell.
Anionenlücke In der Situation der DKA ist die Anionenlücke typischerweise erhöht. Die Berechnung der Anionenlücke ergibt sich aus der Subtraktion der Chlorid- und Bikarbonatkonzentration von der Natri– umkonzentration ([Na+]–[Cl– + HCO3 ]). Die normale Anionenlücke von 8–12 mmol/l entsteht durch die nicht gemessene Konzentration an Albumin und organischen Säuren, in erster Linie Laktat, Phosphat und Sulfaten. Mit Anstieg der Ketonsäuren Acetoacetat und β-Hydroxybutyrat wird durch die notwendigen Puffervorgänge Bikarbonat verbraucht und durch die akkumulierenden Ketosäurenanionen ersetzt. Diese werden nicht bestimmt und erhöhen damit die Anionenlücke. Die Anionenlücke stellt damit auch einen geeigneten Parameter für die effektive Behandlung der azidotischen Situation des Patienten dar [1].
58.2.6
Therapie
Die Therapie der DKA muss rasch und zielgerichtet erfolgen, um eine weitere Progression, insbesondere des Flüssigkeitsverlusts, aufzuhalten. Im Vordergrund der therapeutischen Maßnahmen steht daher der Ausgleich des Flüssigkeitsdefizits, erst dann folgen die anderen therapeutischen Schritte, nämlich Insulinsubstitution, Stabilisierung der Kreislauffunktion, Ausgleich des Elektrolytdefizits, Behandlung der metabolischen Azidose und Behandlung der Begleiterkrankungen, Ursachen und Komplikationen. Die prästationäre Therapie des diabetischen Komas umfasst die folgenden Erstmaßnahmen: 4 Eigen- und Fremdanamnese, soweit möglich (Vorerkrankung, Therapie, Auslöser), 4 orientierende körperliche Untersuchung, 4 Glukoseschnelltest, 4 evtl. Ketonkörperschnelltest,
731 58.2 · Diabetische Ketoazidose
4 großlumige Venenkanüle und Infusion von 0,9%iger Kochsalzlösung, 500–1000 ml/h, sofern keine Herzinsuffizienz vorliegt, dann weiter nach Bedarf, 4 rascher Transport in die Klinik, 4 nur bei sicherer Diagnose 10–12 IE Normalinsulin i.v. Falls in der Notfallsituation kein Glukoseschnelltest durchführbar ist und als Differenzialdiagnose eine Hypoglykämie möglich ist, kann die Gabe von 40 ml 40%iger Glukose erfolgen. Dies führt zu einer sofortigen Besserung der hypoglykämischen Situation und hat einen vernachlässigbaren Einfluss auf das Coma diabeticum. Mit Klinikaufnahme erfolgt dann die Therapie des diabetischen Komas hinsichtlich Volumensubstitution, Insulinsubstitution, Elektrolytsubstitution sowie die Durchführung begleitender Maßnahmen.
Volumensubstitution Da davon ausgegangen werden kann, dass das mittlere Flüssigkeitsdefizit bei ca. 5 l oder etwa 7–10% des Körpergewichts liegt, ist die wichtigste Maßnahme die Beseitigung dieses intravasalen Volumenmangels. Anfänglich werden 1000 ml/h 0,9%ige NaCl-Lösung über ca. 4 h gegeben, dann wird die Substitution nach Bedarf mit 500–250 ml/h fortgeführt. Alternativ kann Ringer-Lösung verabreicht werden. Bei einem Serum-Natrium >150 mml/l bzw. Oligo-/ Anurie ist eine halb-isotone Kochsalzlösung zu bevorzugen [13]. Die Steuerung der Rehydrierung nach zentralem Venendruck ist in besonderen klinischen Situationen (z. B. bei Herzinsuffizienz) notwendig (. Tab. 58.3).
Insulinsubstitution Die pathophysiologische Bedeutung der Insulinsubstitution liegt in der antilipolytischen Wirkung und damit in der Behandlung der Ketoazidose sowie in der Hemmung der hepatischen Glukoneogenese. Die Insulinsubstitution folgt an 2. Stelle der therapeutischen Maßnahmen, da häufig mit einer ausreichenden Rehydrierung noch im subkutanen Gewebe vorhandene Insulindepots »mobilisiert« werden. > Wesentliches Prinzip der Insulintherapie in dieser Situation ist die ausschließliche Gabe von Normalinsulin und hier bevorzugt die i.v.-Gabe.
Die i.v.-Gabe ist der i. m.-Gabe vorzuziehen. Eine subkutane Injektion ist wegen der in Zusammenhang mit der Dehydrierung (zunächst) schlechten Resorptionbedingungen und der nach der Rehydrierung erfolgenden unkontrolliert raschen Resorption obsolet. Die kontinuierliche i.v.-Insulingabe beginnt mit einem Bolus von ca. 8–10 IE (0,15 IE/kg KG), gefolgt von ca. 4–8 IE/h (0,1 IE/ kg KG/h) über eine Infusionspumpe. Wichtig hinsichtlich der Do-
sierung ist hierbei die Berücksichtigung der evtl. prästationär gegebenen Insulindosen. Die weitere Anpassung erfolgt dann je nach Blutglukosewert, der Zielblutzucker liegt bei 250 mg/dl (14 mmol/l) in den ersten 24 h. Wenn dieser Wert erreicht ist, wird Insulin auf ca. 1–4 IE/h (0,05 IE/kg KG/h) reduziert. Um eine weitere Absenkung des Blutzuckers zu verhindern, kann 5- bis 10%ige Glukose im Bypass infundiert werden [12]. Eine Blutglukosesenkung von mehr als 50 mg/dl bzw. 3 mmol/l stündlich sollte zur Prophylaxe eines Disäquilibriumsyndroms (Hirnödem durch Osmolaritätsgradienten) vermieden werden. Eine niedrigdosierte Insulintherapie ist in spezialisierten Zentren mit einer geringen Mortalität assoziiert [24].
Kaliumsubstitution Die kontrollierte Kaliumgabe ist von größter Bedeutung und muss unmittelbar mit der Insulintherapie beginnen. Wesentlich ist, dass Kaliumverluste unter der Therapie direkt ausgeglichen werden; sie entstehen zum einen durch den renalen Verlust, zum anderen über den intrazellulären Shift durch Ausgleich der Azidose und Insulingabe. Bei regelrechter Nierenfunktion muss eine Kaliumsubstitution bereits bei einem Serumkalium von d5,0 mmol/l mit 20–30 mmol/l Infusionsflüssigkeit begonnen werden. Wenn das initiale Serumkalium <3,3 mmol/l beträgt, müssen wegen der Gefahr kardialer Arrhythmien vor der Insulinsubstitution zunächst 40 mmol K+/h verabreicht werden [13]. Empfehlungen zur Kaliumdosierung sind in . Tab. 58.4 genannt.
Phosphatsubstitution Während häufig unmittelbar vor der Behandlung die Phosphatkonzentrationen aufgrund des Verlusts in den Extrazellulärraum (Insulinmangel) erhöht sind, werden mit Beginn der Insulintherapie und bei fehlender Substitution niedrige Serumphosphatwerte beobachtet. Dies ist problematisch, da hieraus eine Abnahme des 2,3-DPG-Gehalts der Erythrozyten und ein zu rascher Ausgleich der Azidose folgen können. Dies wieder birgt die Gefahr einer Hypoxie der peripheren Gewebe mit kompensatorischer Steigerung des Herzminutenvolumens; Herzinsuffizienz und Atemdepression können resultieren. Prospektive randomisierte Studien konnten keinen Vorteil der Phosphatsubstituion bei DKA aufzeigen. Trotzdem wird bei Patientin mit Herzinsuffizienz, Anämie und respiratorischer Insuffizienz eine Indikation zur vorsichtigen Phosphatsubstitution bei Serumwerten von <1,0 mg/dl (0,4 mmol/l) gesehen. Diese kann mit 20–30 mmol/l einer Kaliumphosphatlösung als Zusatz zur Infusion erfolgen [13].
Bikarbonatgabe Die Bikarbonatgabe in der Therapie der DKA ist umstritten. Die grundsätzlichen Vorteile bestehen im Ausgleich und in der Behandlung von negativer Inotropie, peripherer Vasodilatation, Hy-
. Tab. 58.3 Volumensubstitution zur Therapie der diabetischen Ketoazidose. (Mod. nach [7])
. Tab. 58.4 Kaliumsubstitution bei der Therapie der diabetischen Ketoazidose. (Nach [14])
ZVD [cm H2O]
Infusionsmenge NaCl [ml/h]
Serumkalium [mmol/l]
Bei pH >7,2 mmol/h
Bei pH <7,2 mmol/h
0
1000
0–3
500
>6,0
0
0
4–8
250
5,0–5,9
10
20
9–12
100
4,0–4,9
10–20
20–30
>12
0
3,0–3,9
20–30
30–40
2,0–2,9
30–40
40–60
Bei Na+ >150 mmol/l bzw. Oligo-/Anurie 0,45%ige NaCl-Lösung.
58
732
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Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
potonie, Atemdepression und Insulinresistenz. Die Gefahren liegen v. a. in einem Abfall des Liquor-pH-Werts, einer Hypokaliämie, einer Linksverschiebung der Hämoglobin-O2-Dissoziationskurve, einer Natriumüberladung und einer Reboundalkalose. Daher gilt, dass sie nur bei vital bedrohlicher Azidose mit pH <7,0 sowie ernsten Herzrhythmusstörungen bzw. schwerer Hyperkaliämie durchgeführt werden sollte [12].
Die Abschätzung der benötigten Bikarbonatmenge kann nach folgender Formel erfolgen: 4 Natriumbikarbonat 8,4% [ml]=0,3× negativer Basenüberschuss × kg KG, davon 1/3 über 2 h bis pH > 7,0 unter 2-stündlichen pHKontrollen Die Infusionsmenge in ml Natriumbikarbonat entspricht etwa dem Körpergewicht in kg.
Da die Bikarbonatgabe bei Kindern zu einem höheren Risiko der Hirnödementwicklung führt, sollte diese nur Ausnahmefällen vor– behalten bleiben und ggf. mit 1–2 mmol NaHCO3 /kg KG über 1 h erfolgen [8,13].
Begleitmaßnahmen Stets muss die Therapie der diabetischen Ketoazidose von der Suche nach auslösenden Ursachen und deren Behandlung begleitet werden. Weiterhin gehören hierzu die Anlage eines zentralvenösen Katheters zur ZVD-Messung und ggf. hochdosierten Kaliumsubstitution in besonderen klinischen Situationen, eine kontinuierliche EKG-Überwachung, eine Antibiotikatherapie bei Infektionsverdacht und die Heparinisierung, v. a. bei älteren Patienten und bei ausgeprägter Dehydratation.
Therapiekontrolle Während der stationären Betreuung müssen folgende Parameter engmaschig überwacht werden: 4 Herz-Kreislauf-Funktion, initial mindestens alle 30 min für 4 h, dann alle 60 min bzw. je nach Befund, 4 Bewusstseinszustand, 4 Atemfunktion, 4 Körpertemperatur, zuerst 2-stündlich, dann später alle 6 h, 4 Flüssigkeitsbilanz mit ZVD-Messung. Hinsichtlich der Laborkontrollen müssen stündlich Blutzuckermessungen durchgeführt werden, bis der Blutzucker bei 250 mg/dl (14 mmol/l) liegt; bei stabilem Verlauf dann 2-stündlich. Die Serumelektrolyte (Kalium und Natrium) müssen mindestens 4-stündlich bestimmt werden, Serumkreatinin je nach Befund. pH-Wert und pCO2 werden bei einem pH von > 7,0 4-stündlich bis zur Normalisierung gemessen, bei einem pH <7,0 nach jeder Bikarbonatgabe (s. oben).
58.2.7
Prognose
Zu dieser Frage liegen nur wenige epidemiologische Daten vor. Mit Einführung und zunehmender Anwendung der adäquaten Volumensubstitution und eher niedrig dosierter kontinuierlicher Insulingaben hat sich die Prognose insgesamt deutlich gebessert. Die Gesamtletalität liegt etwa zwischen 5 und 8%. Insbesondere ist die Frühletalität (in den ersten 3 Tagen) deutlich zurückgegangen, die
Spätletalität durch begleitende oder auslösende Erkrankungen hat sich dagegen kaum geändert.
58.3
Hyperosmolares, nicht ketoazidotisches Koma
58.3.1
Häufigkeit, Ursachen und Pathogenese
Das hyperosmolare Koma wird insgesamt bei etwa 15–20% aller schweren hyperglykämischen Komaformen des Diabetes beobachtet. Eindeutig häufiger betroffen sind ältere Patienten, oft auch mit bis dahin unbekanntem Diabetes mellitus. Aufgrund des relativen Insulinmangels und der noch supprimierten Lipolyse entsteht keine Ketoazidose. Auslöser des hyperosmolaren Komas sind damit auch Erkrankungen des höheren Lebensalters bzw. auch Einnahme von Medikamenten, die in dieser Altersgruppe häufiger rezeptiert werden (. Tab. 58.5). Besonders problematisch ist bei älteren Patienten das gestörte Durstempfinden, sodass ein Ausgleich des Flüssigkeitsverlusts nur sehr eingeschränkt erfolgt. Ein zusätzliches großes Problem ist die Zufuhr zuckerhaltiger Getränke zur Durststillung. Zusammenfassend gilt für die Pathogenese, dass – wie oben erwähnt – die insulinantagonistischen Hormone ansteigen, die Lipolyse jedoch bereits bei deutlich niedrigeren als für die Glukoseutilisation in der Peripherie erforderlichen Insulinkonzentrationen gehemmt wird. Daher dominieren in dieser Situation Hyperglykämie und Hyperosmolarität, nicht die Ketoazidose; dies ist in . Abb. 58.2 dargestellt.
58.3.2
Diagnostik und klinisches Bild
Aus der Pathogenese ergeben sich die wesentlichen Kennzeichen des hyperosmolaren Komas: 4 bevorzugt ältere, meist Typ-2-Diabetiker, 4 häufig bei bis dahin unbekanntem Diabetes, 4 Hyperglykämie mit Werten z. T. weit über 600 mg/dl (33 mmol/l), 4 Hyperosmolarität und Hypernatriämie, 4 selten Azidose. Mehr als 30% dieser Patienten sind bei Klinikaufnahme deutlich bewusstseinseingeschränkt oder -getrübt, entsprechend hoch ist bei diesen Patienten auch die Anfangsletalität. Die Exsikkose ist häufig sehr ausgeprägt, die tiefe Kussmaul-Atmung fehlt. Eine neurologische Herdsymptomatik ist häufig, lokalisierte oder generalisierte Krampfanfälle, Hemi- oder Monoparesen kommen vor.
. Tab. 58.5 Auslöser des hyperosmolaren nicht ketoazidotischen Komas Begleiterkrankungen
5 Infektionen (Harnwegsinfekte, Gastroenteritiden) 5 Flüssigkeitsverluste 5 Gestörtes Durstempfinden 5 Kardiovaskuläre Ereignisse
Medikamente
5 5 5 5
Glukokortikoide Thiaziddiuretika Diphenylhydantoin Atypische Neuroleptika, z. B. Clozapin, Risperidon
733 58.4 · Laktatazidosen
. Abb. 58.2 Pathogenese des hyperosmolaren, nicht ketoazidotischen Komas
Da gerade in dieser Altesgruppe Gastrointestinal- und Harnwegsinfekte sehr häufig sind, muss hier nach dem klinischen Korrelat dieser Erkrankungen gesucht bzw. die entsprechende Labordiagnostik durchgeführt werden. Im Übrigen unterscheiden sich die diagnostischen Maßnahmen nicht wesentlich von denen, die für das ketoazidotische Koma aufgeführt wurden.
58.3.3
Therapie
Die allgemeinen therapeutischen Richtlinien und Konzepte entsprechen denen der diabetischen Ketoazidose. Wesentlich ist die rasche Volumengabe bei der sehr ausgeprägten Exsikkose in Form von isotoner, 0,9%iger NaCl-Lösung. Die Kontrolle der Kaliumwerte und die Kaliumsubstitution sind ebenfalls von übergeordneter Bedeutung, da diese Patientengruppe durch eine Hypokaliämie (maligne Herzrhythmusstörungen) hochgradig gefährdet ist. Eine Bikarbonatgabe ist hier nicht indiziert. Auf die Notwendigkeit der Heparinisierung ist bereits hingewiesen worden.
58.3.4
Die Laktatazidose wird eingeteilt in Typ A und Typ B: 4 Typ-A-Laktatazidosen sind Ausdruck einer Minderperfusion und verminderten Oxygenierung, während 4 Laktatazidosen vom Typ B durch eine Stoffwechselentgleisung oder durch Medikamente ausgelöst werden.
Prognose
Auch hier gilt, dass die Gesamtletalität (ca. 15%) im Wesentlichen von den Begleiterkrankungen, aber auch von der Ausgangssituation (Bewusstseinszustand, Exsikkose) abhängt. Eine strikte Beachtung und Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen kann die Gesamtletalität weiter senken.
58.4
Laktatazidosen
58.4.1
Ursachen
Prinzipiell stellen Laktatazidosen Additionsazidosen dar und sind Ausdruck einer vermehrten Bildung von Laktat mit nachfolgend bedrohlichem Abfall des arteriellen pH-Werts. Gleichzeitig ist diese Form der Azidose ein typisches Beispiel für eine Azidose, die mit erhöhter Anionenlücke einhergeht. Die Konzentration von Laktat liegt unter Kontrollbedingungen bei etwa 0,5–1,5 mmol/l. Eine Hyperlaktatämie wird definiert als ein mäßiggradiger Laktatanstieg auf bis zu 5 mmol/l, während eine Laktatazidose durch deutlich erhöhte Laktatspiegel (>5 mmol/l) in Kombination mit einer metabolischen Azidose charakterisiert ist. Im Gegensatz zu einer Hyperlaktatämie findet sich hier eine kritische metabolische Dysregulation.
Bei der Typ-A-Laktatazidose besteht ein Ungleichgewicht zwischen O2-Versorgung des Gewebes und Bedarf; dies erklärt, dass die wesentlichen Ursachen eher kardiopulmonale Erkrankungen aber auch regionale Minderperfusionen (Beispiel: akute arterielle Embolie) sind. Bei der Typ-A-Laktatazidose kommt es als Ausdruck der verminderten Gewebeoxygenierung zu einer verminderten Oxidation von Pyruvat im Zitronensäurezyklus. Dies erhöht die Laktatproduktion und die Bildung von ATP über die Glykolyse. Die Laktatkonzentration im Blut ist von prognostischer Bedeutung, da das Ausmaß seiner Produktion mit dem O2-Defizit korreliert.
. Tab. 58.6 Ursachen der Laktatazidose Typ
Ursachen
Typ-A-Laktatazidose
Schock (kardiogen, septisch, hypovolämisch) Schwere Hypoxämie (z. B. Asthma bronchiale) Schwere Anämie CO-Vergiftung
Typ-B-Laktatazidose
B1 (bei typischer Grunderkrankung) 5 Diabetes mellitus 5 Leberzirrhose 5 Tumor 5 Sepsis 5 Phäochromozytom B2 (medikamentös-toxische Einflüsse) 5 Biguanide (früher beobachtet bei Buformin und Phenformin) 5 Ethanol 5 Methanol 5 Fruktose 5 Sorbitol 5 Salicylat 5 Paracetamol 5 Terbutalin 5 Nitroprussid 5 Isoniazid B3 (angeborene Stoffwechselstörungen) 5 Glukose-6-phosphatase-Mangel (von Gierke) 5 Fruktose-1,6-diphosphatase- Mangel 5 Pyruvatcarboxylasemangel 5 Pyruvatdehydrogenasemangel
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734
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Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
Eine Laktatazidose tritt als Typ-B1-Laktatazidose beim Diabetes mellitus auf; Biguanide als orale Antidiabetika sind heute nur noch sehr selten Auslöser einer Laktatazidose (Typ B2). Dies war deutlich häufiger unter der Einnahme von Phenformin und Buformin Ende der 1970-er Jahre mit etwa 1 Fall auf 2000 Krankenhauspatienten [21]. In einer aktuellen Metaanalyse, die auch niereninsuffiziente Patienten eingeschlossen hat, ist die Inzidenz von Laktatazidosen mit ca. 9 pro 100.000 Patientenjahre mit und ohne Metformin-Therapie identisch. Aufgrund der aktuellen Datenlage sollten die bisherigen Kontraindikationen für Metformin modifiziert werden [10]. In . Tab. 58.6 sind die Ursachen der Laktatazidose genannt.
58.4.2
58 58 58 58 58 58 58
58.5
Hypoglykämie
58.5.1
Ursachen
Klinik und Diagnostik der Laktatazidosen
Labor Die typischen Laborzeichen sind ein Abfall des arteriellen pH-Werts und der Bikarbonatkonzentration im Serum, in der Regel begleitet von einem kompensatorischen Abfall des pCO2. Eine begleitende Hyperkaliämie ist sehr häufig. Ein weiterer richtungsweisender Parameter ist die erhöhte Anionenlücke. Es findet sich außerdem ein Anstieg der Serumchloridkonzentration, etwa in dem Ausmaß, wie Bikarbonat erniedrigt ist. Die Bestimmung der Laktatkonzentration ist zur Ausschlussdiagnostik obligat.
Klinik Die klinischen Zeichen reflektieren in erster Linie den veränderten Zellstoffwechsel bei intrazellulärem pH-Abfall. Verschiebungen des pH-Werts im Extrazellulärraum verändern die Bindung beispielsweise von Liganden an zelluläre membranständige Rezeptoren und verändern die Affinität von Transportproteinen im Plasma. Klinische bedeutsam sind v. a. die Veränderungen der kardiovaskulären Funktionen. So führt eine schwere Azidose zu einer verminderten Myokardkontraktilität, zu Vasodilatation und Hypotonie, einem verminderten hepatischen und renalen Blutfluss, einer Bradykardie und einer erhöhten Rate an ventrikulären Rhythmusstörungen. Weiterhin fallen im Prodromalstadium v. a. Appetitlosigkeit, Übelkeit, abdominelle Schmerzen, zunehmende Adynamie und Unruhe auf, im Vollbild dann Hypothermie und Bewusstseinsveränderungen bis hin zum Koma. Es besteht eine tiefe Kussmaul-Atmung.
58 58
dies betrifft natürlich insbesondere auch oligo-/anurische Patienten. Des Weiteren wird eine Indikation zur Hämodialyse v. a. dann gestellt, wenn der pH unter 7,0 liegt, eine Hypothermie, Azotämie und Oligo-/Anurie bestehen. Ein weiterer Vorteil der Dialyse ist es, dass hierunter eine Bikarbonatinfusion ohne das Risiko einer zu hohen Volumenbelastung möglich ist. Damit korrigiert letztendlich die Dialyse die Azidose nicht über die direkte Elimination von Wasserstoffionen oder Laktat, sondern über den Volumenentzug mit der Möglichkeit, dass Bikarbonat dem Pool an Puffersubstanzen zugeführt werden kann [14].
58.4.3
Therapie
Die Behandlung der Laktatazidosen hängt v. a. von ihrer Ursache und Ausprägung ab; eine leichte Azidose z. B. bei chronischem Nierenversagen erfordert nicht unbedingt eine Behandlung. Bei der diabetischen Azidose muss v. a. die Grunderkrankung behandelt werden, wie im vorausgehenden Abschnitt dargestellt; dies betrifft die Zufuhr von entsprechenden Mengen an Flüssigkeit, Insulin und Elektrolyten. Auf die Problematik der Bikarbonattherapie ist ebenfalls hingewiesen worden; zusätzlich sollte erwähnt werden, dass die Bikarbonatgabe insbesondere bei der tumorassoziierten Laktatazidose die Azidose weiter verschlimmern kann, weil hierdurch die Glykolyse stimuliert wird. Zusätzlich wird durch die Azidifizierung der Hepatozyten die Laktataufnahme weiter beeinträchtigt. Es wird daher diskutiert, ob Puffersubstanzen, die nicht zu einer vermehrten Bildung von Kohlendioxid führen wie eine äquimolare Lösung aus Natriumhydrogenkarbonat und Natriumkarbonat hier bevorzugt eingesetzt werden sollten. Bei einer durch Biguanid induzierten Laktatazidose kann eine Elimination der Substanz durch die Hämodialyse erreicht werden;
Wahrscheinlichkeit und Prädiktoren Der hypoglykämische Schock stellt eine der wichtigsten Akutkomplikationen beim diabetischen Patienten dar. Insbesondere bei der Einstellung mit intensivierter Insulintherapie muss mit dieser Komplikation gerechnet werden. So beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen intensiviert behandelten Patienten, eine schwere Hypoglykämie (oft auch mit Koma) zu erleiden, etwa einmal alle 1,5 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit für einen konventionell behandelten Patienten liegt bei nur etwa einmal in 5 Jahren. ! Cave Ein besonderes Problem ist, dass die Mehrzahl (etwa 55%) der schweren hypoglykämischen Episoden unbemerkt während des Schlafs stattfindet und dass etwa 35% der Episoden, die im wachen Zustand auftreten, nicht mit Warnsymptomen einhergehen.
Solche unbemerkten Hypoglykämien stellen einen Hauptrisikofaktor für schwere Hypoglykämien bei Typ-1-Patienten dar. Bei Typ-2-Diabetikern scheint die iatrogene Hypoglykämie seltener aufzutreten; so wurde für Typ-2-diabetische Patienten eine Häufigkeit von 2,2% an schweren Hypoglykämien pro Jahr mitgeteilt. Allerdings weisen aktuelle Daten darauf hin, dass bei diesen Patienten nach Umstellung auf eine Insulintherapie mit einer Hypoglykämiehäufigkeit zu rechnen ist, die sich nicht wesentlich von der von Typ-1-Diabetikern unterscheidet. Wesentliche Prädiktoren für das Auftreten einer Hypoglykämie sind eine: 4 vorausgegangene schwere Hypoglykämie, 4 Diabetesdauer von 9–12 Jahren, 4 Erniedrigung des HbA1c um 1%. Allerdings erklären sie gemeinsam nur 8% der Varianz der hypoglykämischen Ereignisse. Weitere individuelle Faktoren spielen eine erhebliche Rolle ebenso wie das komplexe Zusammenspiel von gestörter Gegenregulation und patientenspezifischen Parametern. ! Cave Klinisch bedeutsam ist folgender Zusammenhang: Patienten, bei denen sich bereits eine Hypoglykämie ereignet hat, sind besonders rezidivgefährdet.
Ursachen Als Ursache für eine Hypoglykämie ist prinzipiell ein absoluter oder relativ zu hoher Insulinspiegel im Serum anzusehen. Hierbei hat es sich als sinnvoll erwiesen, zwischen endogenen Ursachen (die überwiegend eine Nüchternhypoglykämie induzieren) und exogenen (überwiegend behandlungsbedingten) zu unterscheiden (. Tab. 58.7).
735 58.5 · Hypoglykämie
Die statistisch mit Abstand führenden Ursachen sind die durch Insulin oder Sulfonylharnstoffe induzierten Hypoglykämien. Bei diabetischen Patienten muss aber im Einzelfall bei begründetem Verdacht nach möglichen endogenen Ursachen gesucht werden. Die wesentlichen Ursachen einer Hypoglykämie bei Patienten, die mit Insulin oder einem Sulfonylharnstoffpräparat behandelt werden, sind in der Übersicht dargestellt.
. Tab. 58.7 Ursachen der Hypoglykämie Endogene Ursachen
Endokrin bedingt 5 Inselzelltumor 5 Inselzellhyperplasie (Kindesalter) 5 Extrapankreatische Tumoren: mesenchymale Tumoren, Sarkom, hepatozelluläres Karzinom 5 Hypophyseninsuffizienz 5 Nebenniereninsuffizienz Metabolisch bedingt 5 Glykogenspeicherkrankheiten (Kindesalter) 5 Störungen der Glukoneogenese (Kindesalter) 5 Carnitinmangel (Kindesalter) 5 Galaktosämie 5 Fruktoseintoleranz Hepatisch bedingt 5 Hepatitis 5 Leberversagen 5 Reye-Syndrom Autoimmun bedingt 5 Antiinsulinantikörpersyndrom (antiidiotypische Antikörper mit Stimulation von Insulinrezeptoren)
Exogene Ursachen
Mangelernährung Alkoholinduzierte Hypoglykämie Extreme Muskelarbeit Medikamente 5 Insulin 5 Sulfonylharnstoffe 5 Paracetamol 5 Disopyramid 5 Pentamidin
Die wichtigsten Ursachen einer Hypoglykämie bei Patienten, die mit Insulin oder einem Sulfonylharnstoffpräparat behandelt werden 4 Fehlende oder zu geringe Mahlzeitenzufuhr nach Injektion oder Tabletteneinnahme 4 Inadäquat erhöhte Muskelarbeit 4 Versehentlich zu hohe Dosis von Insulin und fehlerhafte Injektionstechnik (i. m. statt s. c.) 4 Nicht indizierte Therapie (Insulin und Sulfonylharnstoffe dort, wo Diät ausreicht) 4 Medikamenteninteraktion: Nichtselektive β-Blocker können zu einer Abschwächung der Hypoglykämiewahrnehmung führen, Salizylate oder Tetrazykline verstärken die Wirkung oraler Antidiabetika 4 Alkohol kann über die Hemmung der Glukoneogenese zu einer ausgeprägten Hypoglykämie führen
Neben den oben genannten Konstellationen, die in erster Linie mit der Injektion von Insulin oder der Einnahme von Sulfonylharnstoffen verbunden sind, besteht als weitere typische Risikokonstellation die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie, die aufgrund der verminderten renalen Elimination nicht nur zu einer Kumulation von Sulfonylharnstoffen, sondern auch von Insulin führen kann.
Physiologie der gegenregulatorischen Antwort Für das Verständnis der Klinik auf der einen Seite, aber auch der verminderten Wahrnehmung einer Hypoglykämie auf der anderen Seite ist die Physiologie der gegenregulatorischen Antwort von großer Bedeutung. Hier besteht insbesondere hinsichtlich der neuroendokrinen Gegenregulation ein hierarchisches System. So ist der sensitivste Mechanismus die Suppression der Insulinsekretion bei etwa 80 mg/dl (4,4 mmol/l). Glukagon wird gemeinsam mit Adrenalin, Kortisol und Wachstumshormon etwa bei einem glykämischen Schwellenwert von 65 mg/dl (3,6 mmol/l) sezerniert. Die zunehmende Sekretion dieser gegenregulatorischen Hormone ist verantwortlich für die autonome Symptomatik einer Hypoglykämie. Bei rekurrierenden Hypoglykämien diabetischer Patienten verschiebt sich der glykämische Schwellenwert (zunehmend niedrigere Werte), sodass die gegenregulatorische und symptombezogene Antwort auf eine Hypoglykämie abnimmt. Insbesondere bei Patienten mit einem Typ-1-Diabetes bestehen im Vergleich zur endokrinen Gegenregulation bei Normalpersonen typische Störungen der Hormonsekretion. So vermindert sich die Glukagonsekretion in den ersten 5 Jahren nach Manifestation des Typ-1-Diabetes; dies scheint mit dem Insulinmangel verknüpft zu sein. Die Adrenalinsekretion nimmt etwa 5–10 Jahre nach Diabetesmanifestation ab. Damit erhöht sich das Risiko für schwere Hypoglykämien etwa um den Faktor 25. Somit besitzt die Diabetesdauer einen erheblichen prädiktiven Wert für das Auftreten von akuten Hypoglykämien, insbesondere bei wiederkehrenden Hypoglykämien [15].
58.5.2
Diagnostik und klinisches Bild
Das klinische Bild der Hypoglykämie ist außerordentlich heterogen, eine Einteilung in eine asymptomatische, milde und schwere Form aber möglich (. Tab. 58.8). Oft findet sich jedoch ein individueller, typischer Ablauf der Hypoglykämie.
Symptomatik Trotz der komplexen Symptomatik unterscheidet man in Anlehnung an den zugrunde liegenden pathophysiologischen Prozess eine eher vasomotorische Phase mit Zeichen der adrenergen Gegenregulation von einer zerebralen Phase, die durch die neuro-glukopenischen Symptome gekennzeichnet ist. Solche neuroglukopenischen Symptome sind in der Übersicht zusammengefasst. . Tab. 58.8 Einteilung der Hypoglykämiesymptomatik Hypoglykämie
Symptomatik
Asymptomatische Hypoglykämie
5 Klinisch inapparent 5 Nur biochemische Sicherung (Blutglukose <40 mg/dl bzw. 2,2 mmol/l) 5 Vor allem nachts auftretend 5 Häufig auftretend
Milde Hypoglykämie
5 Symptomatisch 5 Fremde Hilfe nicht nötig 5 Etwa 1,5–2 Episoden/Woche
Schwere Hypoglykämie
5 Ausgeprägte Klinik und Beeinträchtigung 5 Fremde Hilfe notwendig 5 62 Episoden auf 100 Patienten bei intensivierter Insulintherapie
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Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
Neuroglukopenische Symptome bei akuter Hypoglykämie 4 Allgemeinsymptome: Gesichtsblässe, Benommenheit, Taubheit 4 Psychische Symptome: Müdigkeit, Apathie, Angst, Aggressivität 4 Motorische Symptome: Unruhe, gestörte Koordination, Unbeholfenheit 4 Wahrnehmungsstörungen: Konzentrationsschwäche, Halluzinationen, Verwirrtheit, Doppelbilder 4 Fortgeschrittene neurologische Symptome: pathologische Reflexe, Bewusstlosigkeit, Koma
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! Cave Vor allem bei älteren Patienten und vorgeschädigtem Gefäßsystem kann es durch die katecholaminbedingte Blutdrucksteigerung zu akutem Myokardinfarkt oder ischämischem Hirninfarkt kommen.
Das Vollbild des hypoglykämischen Schocks zeigt einen bewusstlosen Patienten mit einer Tachykardie bei gut fühlbarem Puls und normotonen bis hypertonen Blutdruckwerten. Die Haut ist feucht, die Atmung in der Regel normal. Es bestehen meist eine motorische Unruhe mit weiten Pupillen, eine Hyperreflexie, u. U. generalisierte tonisch-klonische Krämpfe oder lateralisierte Streckkrämpfe. Mitunter liegen Paresen mit positivem Babinski-Reflex vor, komplette Hemiparesen oder Tetraplegien können auftreten.
Diagnostik Die Diagnostik erfolgt durch rasche Blutzuckermessung; daher gehören Blutzuckerteststreifen zur Grundausstattung im ärztlichen Notfalldienst. Bei Verdacht auf zusätzlichen Alkoholgenuss ist die Ketonkörperbestimmung differenzialdiagnostisch wichtig, da bei der alkoholischen Ketoazidose neben der Hypoglykämie eine exzessive Ketonurie auftritt. Bei alkoholisierten Patienten kann eine Blutentnahme zur späteren Analyse auch aus forensischen Gründen von Bedeutung sein. Ein solches Vorgehen gilt im Übrigen für alle unklaren Spontanhypoglykämien, um durch spätere Analysen (z. B. Insulin, C-Peptid, Proinsulin, Pharmaka) eine differenzialdiagnostische Abklärung zu ermöglichen. Weiterhin gestattet die Asservierung von Serum auch die Abgrenzung zu endokrinen Ursachen der Hypoglykämie (Beispiel: Kortisolmangel, etwa im Rahmen von Autoimmunadrenalitis und Typ-1-Diabetes bei polyglandulärer Autoimmunität).
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58.5.3
> Bei Auftreten leichter bis mittelschwerer Hypoglykämien ist es daher wichtig, den Patienten aufzuklären, dass im Falle einer sich ankündigenden Hypoglykämie nur noch Traubenzucker direkt aufgenommen werden kann, andere Kohlenhydrate (Di- und Polysaccharide) dagegen ungeeignet sind.
Akuttherapie Ist der Patient bewusstlos und besteht der Verdacht auf eine Hypoglykämie, müssen unverzüglich mindestens 40–60 ml einer 40%igen Glukoselösung i.v. injiziert werden. Ist eine intravenöse Glukosegabe nicht möglich (kein Arzt anwesend, unruhiger Patient), wird 1 mg Glukagon i.m. injiziert; dies kann nach 10–20 min wiederholt werden. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass in jedem Fall anschließend Glukose (i.v. oder oral) zugeführt werden muss, da die Glykogenspeicher in der Leber durch Glukagon entleert werden und es zu protrahierten Hypoglykämien kommen kann. Die Glukagongabe ist wirkungslos bei lang anhaltender, hypoglykämiebedingter Entleerung der Glykogenspeicher in der Leber. Nach Durchführung der beschriebenen Maßnahmen kommt es in der Regel nach 5–10 min zur Besserung der Symptomatik.
Weiterführende Maßnahmen Zeigt sich kein Therapieerfolg, ist die Diagnose zu überprüfen. Insbesondere bei protrahierten Hypoglykämien durch kumulierte Sulfonylharnstoffe oder noch wirkendes Depotinsulin muss mit Rezidiven einer Hypoglykämie gerechnet werden. Unter diesen Bedingungen muss eine stationäre Beobachtung für 2–3 Tage erfolgen. Nach schweren Hypoglykämien sollte intravenös eine kontinuierliche Infusion über 24 h mit 1,5–2,5 l 10%iger Glukoselösung erfolgen und gleichzeitig Elektrolyte substituiert werden. Der Blutzucker ist dabei 4-stündlich zu messen und sollte auf Werten zwischen 180 und 230 mg/dl gehalten werden. Insbesondere bei schwerer durch Sulfonylharnstoff induzierter Hypoglykämie müssen alle 2–3 h Kohlenhydrate in einer Menge von 2 BE verabreicht werden. Bei lang anhaltenden Hypoglykämien, die als Folge exzessiver Insulinzufuhr in suizidaler Absicht auftreten, sind neben der kontinuierlichen Glukosegabe bei persistierender Bewusstlosigkeit eine Hirnödemtherapie mit Dexamethason (3mal 8 mg i.v.) und entwässernde Maßnahmen (Furosemid, ggf. Mannit) einzuleiten. In schwerwiegenden Fällen kann die Exzision des Insulinreservoirs die einzige Möglichkeit zum Schutz vor lang anhaltenden hypoglykämischen Zuständen sein. In jedem Fall ist während des Klinikaufenthalts eine Abklärung der Ursachen, eine Optimierung des Glukosestoffwechsels und eine umfangreiche Beratung und Schulung des Patienten vorzunehmen [16].
Therapie
Milde Hypoglykämien erkennt der mit seiner Krankheit vertraute Diabetiker selbst und kann rechtzeitig eine Therapie in Form einer Kohlenhydratzufuhr (Traubenzucker, kohlenhydrathaltige Getränke) durchführen. Eine Problematik ergibt sich bei den mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen und gleichzeitig mit Acarbose behandelten Patienten. Durch diese Medikamentenwirkung kommt es zu einer Hemmung der intestinalen, im luminalen Bürstensaum lokalisierten D-Glukosidase und dadurch zur Hemmung der Resorption von Oligosacchariden.
58.5.4
Prognose
Die Prognose ist meist günstig, verschlechtert sich aber bei über 1 h dauernder Bewusstlosigkeit. Bei protrahierter, mehrstündiger Hypoglykämie beträgt die Letalität bis zu 10%. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass nach wie vor etwa 4–5% der Typ-1-Diabetiker im hypoglykämischen Schock sterben. Dies bedeutet, dass präventiven Maßnahmen (intensive Schulung, adäquate Insulintherapie) größte Bedeutung zukommt.
737 58.7 · Blutglukosekontrolle bei kritisch kranken Patienten mit Hyperglykämie
58.6
Perioperative Betreuung des Diabetikers
58.6.1
Perioperative Risiken und Diagnostik
Diabetische Patienten sind öfter im operativen Krankengut repräsentiert als es ihrer Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung entspricht. Sie müssen sich besonders häufig koronaren Bypassoperationen, peripheren Gefäßeingriffen, Nierentransplantationen, Augenoperationen oder Amputationen unterziehen. Die bedeutsame Problematik besteht in der Insulinresistenz als Ausdruck des Postaggressionsstoffwechsels. Durch die Aktivierung der HypophysenNebennieren-Achse, des sympathischen Nervensystems und der Glukagonsekretion entsteht eine zunehmende Insulinresistenz. Der Gesunde, nicht aber der Typ-1-Diabetiker, kann hierauf mit einer gesteigerten endogenen Insulinsekretion reagieren. Dies bedeutet, dass der diabetische Patient durch eine Hyperglykämie, drohende Ketoazidose, Laktatazidose, Katabolie, aber auch Thromboembolien in hohem Maße gefährdet ist. Das insgesamt deutlich erhöhte Operationsrisiko resultiert darüber hinaus aus begleitenden Spätkomplikationen wie Makroangiopathie und Nephropathie. Noch zu sehr unterschätzt ist die Gefahr der kardialen autonomen Neuropathie. Plötzliche Kreislaufstillstände, am ehesten auf dem Boden maligner Herzrhythmusstörungen und stummer Infarkte, kommen gehäuft bei Patienten mit kardialer autonomer Neuropathie vor. Letztendlich sind auch aufgrund der häufig gestörten zellulären Immunantwort die Infektionsrate erhöht und die Wundheilung verzögert.
58.6.2
Präoperative Therapie
In der präoperativen Situation müssen die Blutzuckerwerte optimiert werden, ein Bereich zwischen 120 und 180 mg/dl (6,6– 10 mmol/l) ist anzustreben. Bei diätetisch gut eingestellten Typ2-Diabetikern ist meist keine Änderung der Behandlung erforderlich. Erst bei Ausgangswerten von 180 mg/dl (10 mmol/l) sollte eine zusätzliche Insulintherapie erfolgen (s. unten). Bei kleineren Eingriffen (z. B. Zahnextraktion, Eingriffe in Lokalanästhesie, aber auch ambulante Operationen) können Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen behandelt werden, diese Therapie beibehalten. Insulinotrope Substanzen dürfen nicht verabreicht werden, solange der Patient nüchtern bleibt. Wegen der kurzen Halbwertszeit (1,5–4,9 h) reicht es, Biguanide am Abend vor Operationen in Allgemeinanästhesie abzusetzen; für die Empfehlung einer 2-tägigen präoperativen Pause gibt es keine Evidenz. Nach unkompliziertem Verlauf und bei normalen Nierenfunktionsparametern in der Kontrolle kann Metformin 2 Tage nach dem Eingriff wieder eingesetzt werden [10,21]. Für Acarbose gilt, dass die perioperative Gabe dieses Präparats insbesondere für die Dauer der parenteralen Ernährung aufgrund seines Wirkprinzips nicht sinnvoll ist. Erst nach erfolgtem Kostaufbau kann dieses Präparat wieder eingenommen werden.
Praktisches Vorgehen Präoperativ sollte folgendermaßen vorgegangen werden: Bei guter Stoffwechseleinstellung muss eine Insulintherapie erst am Morgen des Operationstags auf i.v.-Zufuhr umgestellt werden. Das Insulin am Vorabend wird regulär subkutan injiziert. Bei kleineren bis mittelschweren Operationen kann die s. c.-Therapie mit ⅔ der Basalinsulindosis am Morgen des Eingriffs fortgeführt werden. Bei noch nicht ausreichender Stoffwechseleinstellung, aber not-
wendiger Operation wird anstelle der Basalinsulingabe am Vorabend eine kontinuierliche Insulininfusion mit etwa 1/20–1/30 der Gesamttageseinheiten/h beginnend durchgeführt. ! Cave Präoperativ ist bei Patienten mit diabetischer Gastroparese noch eine Besonderheit zu beachten: Hier kann als Folge der verzögerten Magenentleerung die übliche präoperative Nahrungskarenz nicht ausreichen, sodass Aspirationsgefahr besteht.
58.6.3
Intraoperative Therapie
Intraoperativ sollte die Blutglukosekonzentration bei allen Patienten mit Diabetes mellitus, die sich größeren oder länger dauernden Operationen unterziehen, gemessen werden. Blutzuckerwerte über 200 (11,2 mmol/l) mg/dl sollten nicht toleriert, sondern mit kleinen Boli Normalinsulin (4–8 IE) behandelt werden. Alternativ kann ein Insulinperfusor eingesetzt werden: Die Infusionsspritze enthält 50 IE Normalinsulin und wird mit isotoner NaCl-Lösung aufgefüllt, sodass 1 ml Lösung 1 IE Normalinsulin enthält. Begonnen wird mit einer Infusionsrate von 0,5–2(– 3) IE/h, je nach Blutzuckerwert. Erfahrungsgemäß ist bei schweren Infektionen, Sepsis oder Glukokortikoidtherapie eine höhere Dosis erforderlich. Neben dem Blutzucker muss auch regelmäßig die Serumkaliumkonzentration überwacht werden, eine Kaliumsubstitution ist häufig erforderlich. Bei längeren Operationen erfolgt eine Therapie mit 5%iger Glukoseinfusionslösung. Die Anwendung einer Infusion aus 500 ml Glukose (5–10%), Insulin (8–16 IE) und Kalium (10 mmol) kann zweckmäßig sein [3].
58.6.4
Postoperative Therapie und Risiken
Eine engmaschige Überwachung, insbesondere von Problempatienten, muss erfolgen, da sich gerade in der postoperativen Phase, bei vorbestehender kardialer Neuropathie, maligne Arrhythmien und Infarkte ereignen können. Weiterhin muss eine allmähliche Reduktion der Flüssigkeitszufuhr stattfinden: an den ersten Tagen sollte sie ca. 2–3 l/Tag betragen. Das größte Problem (und in dieser Phase häufiger als Folge der Insulinresistenz beobachtet) sind die ketoazidotische bzw. auch die hyperosmolare Entgleisung. Daher werden Patienten mit lange bestehendem oder schwer einstellbarem Diabetes mellitus, insbesondere nach großen Operationen, am besten auf einer Intensivstation betreut (7 Abschn. 58.7). Die parenterale Ernährung ist unter adäquater Insulinsubstitution (als Zusatz zur Infusionslösung oder mittels Perfusorspritze im Bypass) durchzuführen. Mit Beginn der regulären Ernährung erfolgt die Wiederaufnahme der oralen Medikation bzw. üblichen Insulintherapie [19].
58.7
Blutglukosekontrolle bei kritisch kranken Patienten mit Hyperglykämie
Hyperglykämie und Insulinresistenz sind häufig bei kritisch kranken Patienten, auch wenn kein Diabetes vorbesteht. Große Beobachtungsstudien beschreiben einen deutlichen Zusammenhang zwischen Hyperglykämie und Mortalität. Deletäre Effekte der Hyperglykämie sind: Hypovolämie, Inflammation mit prokoagulatorischer Situation, Modulation des NO-Metabolismus, oxidativer Stress, potenzielle Glukosetoxizität
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Kapitel 58 · Diabetisches Koma und perioperative Diabetestherapie
im Zusammenhang mit Ischämie und Reperfusion. Insulin wirkt diesen Veränderungen entgegen, antiinflammatorische, vasodilatatorische und endothelprotektive Eigenschaften sind unumstritten [5]. Interventionsstudien der letzten Jahre wiesen unterschiedliche Resultate einer strengen Blutzuckereinstellung bei Intensivpatienten auf, sodass nach anfänglicher Euphorie die Vorteile nun sehr kontrovers diskutiert werden. DIGAMI 1 bei Patienten mit Myokardinfarkt [17] und die erste Leuwen-Studie an kardiochirurgischen Patienten zeigten eine signifikante Senkung der Mortalität (ca. 4% absolut) in der intensiv behandelten Gruppe (Blutzuckerziel 80–110 vs. 180–210 mg/dl) [22]. Bei anderen internistischen Intensivpatienten konnte eine intensive Insulintherapie nicht die Krankenhausmortalität senken, jedoch wurde eine signifikante Reduktion der Morbidität (u. a. Verhinderung eines Nierenversagens, schnellere Entwöhnung von der Beatmung) festgestellt [23]. Bei Patienten mit schwerer Sepsis erbrachte die intensive Insulintherapie keinen Überlebensvorteil und ging häufiger mit schweren Nebenwirkungen (u. a. Hypoglykämien) einher [4]. NICE-SUGAR, eine Multicenterstudie an 6104 internistischen und chirurgischen Intensivpatienten, ergab, dass eine strikte Normoglykämie sogar die Mortalitätsrate erhöht (2,6% absolut nach 90 Tagen). Ob daran die hohe Hypoglykämierate (6,8% vs. 0,5% in der Kontrollgruppe) beteiligt ist, muss noch nachuntersucht werden [18]. Eine aktuelle Metaanalyse schlussfolgert, dass eine Insulintherapie bei kritisch kranken Patienten mit dem Ziel einer Normoglykämie das Hypoglykämierisiko deutlich erhöht und keinen generellen Überlebensvorteil mit sich bringt. Lediglich Patienten auf chirurgischen Intensivstationen könnten davon profitieren [6].
. Tab. 58.9 Insulinperfusorprotokoll. (Mod nach [9] ) Blutglukose
Anweisungen
<60 mg/dl <3,5 mmol/l
10 g Glukose i.v. (50 ml G 20%) Stopp Insulinperfusor für 5 min , Insulinrate um 25% reduzieren Nach 30 min BZ messen
60–79 mg/dl 3,5–4,5 mmol/l
5 g Glukose i.v. (25 ml G 20%), Insulinrate um 20% reduzieren
80–119 mg/dl 4,6–6,5 mmol/l
Insulinrate um 10% reduzieren
120–149 mg/dl 6,6–8,3 mmol/l
Gewünschter Bereich, Insulinrate beibehalten
150–179 mg/dl 8,4–9,9 mmol/l
Insulinrate um 10% erhöhen
180–200 mg/dl 10–11 mmol/l
Insulinrate um 20% erhöhen
>11 mmol/l
Insulinrate um 30% erhöhen
50 IE Insulin werden in einer Perfusorspritze auf 50 ml NaCl aufgezogen (1 IE/ml) und Dosisänderungen in 0,5-IE/hSchritten unter 1- bis 2-stündlichen Blutzuckermessungen vorgenommen. Initialer Insulinbolus und initiale Infusionsarte werden wie folgt berechnet: 4 Initialer Insulinbolus (in IE)=(Glukose [mg/dl]/30)–3 oder Glukose [mmol/l]–Zielglukose 4 Initiale Insulininfusionsrate (in IE)= )=(Glukose [mg/ dl]/60×0,03 oder Glukose [mmol/l]:3
Schlussfolgerungen für die Praxis
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4 Eine Hyperglykämie mit Blutglukosewerten >180 mg/dl (10 mmol/l) sollte bei schwerkranken Patienten unbedingt vermieden werden. 4 Ziel ist eine moderate Blutglukoseeinstellung (130–150 mg/dl bzw. 7–8,5 mmol/l. Wenn sicher eine Normoglykämie (80–110 bzw. 4,5–6,7) ereicht werden kann, scheint dies bei kardiochirurgischen Patienten von Nutzen zu sein. 4 Das Therapiekonzept ist am besten über eine glukosespiegelgesteuerte kontinuierliche intravenöse Insulin-Infusion umsetzbar, um gefährliche Hypoglykämien zu vermeiden.
Nach Stabilisierung der Situation, ggf. vor Verlegung auf Normalstation, kann eine Umstellung auf eine subkutane Insulintherapie vorgenommen werden. 2–3 h Fortführung der Perfusortherapie nach Injektion der ersten Dosis Basalinsulin ist sinnvoll, um Insulinlücken zu vermeiden.
s.c. Basis-Bolus-Therapie
Auf Intensivstationen werden verschiedenste, häufig klinikintern entwickelte Insulinperfusorprotokolle benutzt. Es sollten dynamische Dosierskalen verwendet werden, um die Änderung des Blutzuckers bezogen auf das Zeitintervall in die Dosisanpassung des i.v. verabreichten Normalinsulins (HWZ 5–9 min) einzubeziehen. Unabdingbar zur Vermeidung von Hypoglykämien ist ein stündliches Blutzuckermessintervall. Nur bei 2 aufeinanderfolgenden Mesungen mit Werten im Zielbereich kann das Intervall auf 2 h verlängert werden. Voraussetzung ist eine konstante Substratzufuhr. Ein Beispielprotokoll, modifiziert nach den aktuellen Zielwerten, wird hier vorgestellt (. Tab. 58.9; [9]). In Abhängigkeit vom Ausmaß der Insulinresistenz (Zunahme durch Katecholamine, Steroide, Adipositas, Sepsis u. a.) kann die benötigte Insulindosis erheblich variieren.
Für die s.c. Basis-Bolus-Therapie multipliziert man die durchschnittliche stündliche Perfusorrate der letzten 3–4 h×24 und erhält damit den Gesamttagesinsulinbedarf. Dieser wird dann zu 50% als basales Insulin und zu 50% als prandiales Insulin appliziert. Das prandiale Insulin wird in einem Verhältnis von 3:1:2 auf die Hauptmahlzeiten verteilt.
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58
741
Endokrine Störungen beim Intensivpatienten R. Büttner, R. Gärtner
59.1
Einleitung – 742
59.2
Thyreotrope Achse und primäre Störungen der Schilddrüsenfunktion – 742
59.2.1 59.2.2 59.2.3
Nieder-T3-Syndrom (»euthyroid sick syndrome«; NTIS) – 742 Thyreotoxische Krise – 743 Myxödemkoma – 744
59.3
Adrenokortikotrope Achse und primäre Störungen der Nebennierenfunktion – 746
59.3.1 59.3.2 59.3.3
Relative Nebenniereninsuffizienz – 746 Primäre Nebenniereninsuffizienz: Addison-Krise – 747 Phäochromozytomkrise – 748
59.4
Somatotrope Achse – 749
59.4.1
Somatotrope Dysregulation des Intensivpatienten – 749
59.5
Gonadotrope und laktotrope Achse – 749
59.5.1
Dysregulation der Reproduktionsachsen des Intensivpatienten – 749
Literatur – 750
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_5 9, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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59.1
Kapitel 59 · Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
Einleitung
Die Mehrzahl der kritisch kranken Patienten profitiert in relativ kurzer Zeit von den heutigen Möglichkeiten der Intensivmedizin und kann innerhalb von einigen Tagen in die allgemeinstationäre Therapie überführt werden. Andererseits entwickeln sich in einem erheblichen Prozentsatz Verläufe mit einer komplexen Dysregulation des gesamten Organismus und einer Beeinträchtigung mehrerer Organsysteme, die von der zugrundeliegenden Noxe unabhängig sein können. Während Störungen z. B. der kardialen, pulmonalen oder der Nierenfunktion augenfällig sind, entwickeln sich ebenso häufig auch Imbalancen der endokrinen Regelkreisläufe, deren therapeutische Konsequenz schwerer abzuschätzen ist und die klinisch häufig weniger beachtet werden. Die hypothalamisch-hypophysär-peripheren Hormonachsen werden bei kritisch Erkrankten oft gleichsinnig verändert: Nach einer initialen Aktivierung der zentralen Signalwege mit gleichzeitiger peripherer Hormonresistenz zeigt sich im Verlauf eine zentrale Herunterregulation, deren Schweregrad häufig mit der Mortalität korreliert. Andererseits können primär endokrinologische Erkrankungen bei schweren Verläufen selbst mit der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Therapie einhergehen: Typische Beispiele hierfür sind die thyreotoxische Krise, die Phäochromozytomkrise oder die sog. Addison-Krise. Diese Erkrankungen sind bei adäquater Diagnose und Therapie in aller Regel gut zu behandeln. Die klinisch wichtigen hormonellen Dysregulationen und die die Intensivmedizin betreffenden primär endokrinen Störungen werden in diesem Kapitel, gegliedert nach der jeweils betroffenen endokrinen Achse, dargestellt. Primäre und sekundäre Störungen der Glukosehomöostase und die diabetischen Komata werden in 7 Kap. 58 beschrieben.
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59.2
Thyreotrope Achse und primäre Störungen der Schilddrüsenfunktion
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59.2.1
Nieder-T3-Syndrom (»euthyroid sick syndrome«; NTIS)
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Die typischen Veränderungen der Schilddrüsenhormonwerte bei schwerer Erkrankung werden im deutschen Sprachraum als Nieder-T3-Syndrom bezeichnet; als Synonyme gelten »euthyroid sick syndrome» (ESS) oder »non-thyroidal illness syndrome» (NTIS) [1]. Bei jedem katabolen Zustand fallen regelhaft innerhalb weniger Stunden zunächst nur die Triiodthyronin (T3)-Serumspiegel, in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung dann auch die basalen TSH- und in der Folge die Thyroxin (T4)-Spiegel ab. Stirbt der Patient an seiner Erkrankung, so sind alle Schilddrüsenfunktionsparameter niedrig bis nicht mehr messbar. Erholt sich der Patient, so steigen die TSH-Werte als erstes wieder an, können sogar vorübergehend im hypothyreoten Bereich (>4 μU/ml) liegen. Bei schwerkranken, schilddrüsengesunden Patienten ergibt sich im Verlauf die Laborkonstellation einer transienten sekundären Hypothyreose, wobei die Patienten aber nach klinischen Kriterien euthyreot sind (. Abb. 59.1). Diese typischen Veränderungen der Schilddrüsenwerte können als prognostischer Index der Schwere der Erkrankungen verwendet werden. Die TSH-Spiegel korrelieren invers mit dem APACHE-II-Score [2]. Dieser typische Verlauf gilt nicht nur für schwer erkrankte Schilddrüsengesunde, sondern auch für Patienten mit einer primären Funktionsstörung: Erhöhte Schilddrüsenhormone bei Hyperthyreose fallen ab, ebenso wie das erhöhte TSH bei Hypothyreose.
. Abb. 59.1 Typischer Verlauf der Schilddrüsenhormonparameter Triiodthyronin (T3), Thyroxin (T4) und Thyreotropin (TSH) während einer schweren Allgemeinerkrankung und in der Rekonvaleszenzphase. Die Mortalität ist umgekehrt proportional zum Verlauf der Schilddrüsenfunktionsparameter
> Dies bedeutet, dass bei Intensivpatienten die Schilddrüsenparameter in Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung interpretiert werden müssen [3, 4].
Ätiologie Zytokine und Kortisol hemmen die 5´-Deiodase-Aktivität, die 5-Deiodase-Aktivität wird hingegen erhöht. Dadurch wird Thyroxin (T4) weniger zum stoffwechselaktiven T3, sondern zum stoffwechselinaktiven reversen T3 (rT3) abgebaut [5]. Da die Deiodasen Selenproteine sind und Selen bei Schwerkranken erniedrigt ist, wurde spekuliert, dass eine geringere Selenverfügbarkeit ursächlich für eine geringere Deiodaseaktivität verantwortlich sein könnte, was sich aber nicht bestätigt hat [1]. Inhibitoren der Schilddrüsenhormonbindung an die Transportproteine im Serum wie z. B. freie Fettsäuren oder Medikamente wie Furosemid oder Barbiturate können mit zu der T3-Erniedrigung beitragen [1, 3]. Zytokine, v. a. TNF-D und IL-6, aber auch Kortisol und Somatostatin, die meist bei schwerer Allgemeinerkrankung erhöht sind, hemmen die TSH-Sekretion aus der Hypophyse und konsekutiv die verminderte T4-Sekretion [6].
Diagnostik > Die Bestimmung des basalen TSH gilt üblicherweise als der zentrale Parameter zum Ausschluss einer Funktionsstörung. Da aber alle Intensivpatienten, je nach Schweregrad der Erkrankung, ein erniedrigtes TSH haben, müssen immer auch die peripheren Schilddrüsenhormone und die Klinik mit eingeschlossen werden.
Zusätzlich kann der TRH-Test durchgeführt werden, wenn es darum geht, eine Hyperthyreose bei Schwerkranken zu bestätigen [7]: Bei supprimiertem TSH infolge eines NTIS ist TSH durch TRH stimulierbar, nicht aber bei einer Hyperthyreose. Inadäquat zur Schwere der Erkrankung erhöhte periphere Schilddrüsenhormone, die aber durchaus noch im Normalbereich liegen können, deuten bei supprimiertem TSH auf eine Hyperthyreose hin; ein inadäquat zur Schwere der Erkrankung erhöhtes TSH, das ebenfalls noch im oberen Normbereich liegen kann, bei peripher erniedrigten Schilddrüsenhormonwerten auf eine Hypothyreose. Die typischen Symptome einer Hypo- bzw. Hyperthyreose sind somit führend in der Diagnostik einer ‒ zusätzlich zu einer anderen Erkrankung bestehenden ‒ Schilddrüsenfunktionsstörung. Die Re-
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ferenzwerte auch für Funktionsstörungen treffen also bei Schwerkranken nur bedingt zu und müssen immer unter Berücksichtigung der Klinik und der verabreichten Medikamente interpretiert werden [4, 6, 7]
mine den Übergang von der Hyperthyreose zur Krise begünstigen. Insbesondere die zentralnervösen Symptome werden verstärkt: psychomotorische Unruhe, Tremor, Agitiertheit gehen über in einen Stupor, begleitet von Schluckstörungen, und enden in Koma und Tod, falls die Erkrankung nicht adäquat behandelt wird.
Therapie Das NTIS wird als normale Reaktion des Organismus auf eine schwere Erkrankung aufgefasst. Eine Schilddrüsenhormonsubstitution ist nicht sinnvoll, wie klinische Studien gezeigt haben. Eine Ausnahme stellen kardiochirurgische Patienten, insbesondere Kinder dar, bei denen gezeigt werden konnte, dass eine postoperative Schilddrüsenhormonsubstitution den Katecholaminbedarf signifikant reduzieren kann [4].
59.2.2
Thyreotoxische Krise
Eine Hyperthyreose tritt bei etwa 3% aller Frauen und 0,3% der Männer auf und wird heute durch die verbesserten diagnostischen Möglichkeiten früher erkannt und behandelt. Dagegen sind thyreotoxische Krisen eher selten; etwa 30‒50 thyreotoxische Krisen werden in Deutschland pro Jahr diagnostiziert. Da thyreotoxische Krisen aber wegen der Schwierigkeit der Diagnosestellung übersehen werden können, ist von einer eher höheren Inzidenz auszugehen. Eine nicht adäquat behandelte thyreotoxische Krise ist mit einer Mortalität von über 50% innerhalb weniger Stunden bis Tage behaftet, Gleiches gilt für das Myxödemkoma. Bei richtiger Behandlung sollte die Mortalität jedoch unter 10% liegen [3].
Ätiologie Voraussetzung für die Entwicklung einer thyreotoxischen Krise ist immer eine länger bestehende, nicht erkannte bzw. nicht behandelte Hyperthyreose. Da gerade bei älteren Patienten eine Hyperthyreose oft monosymptomatisch verläuft, kann sie übersehen werden. Auslöser einer Krise ist nicht die Schilddrüsenhormonwirkung allein. > Die Menge an zirkulierendem Schilddrüsenhormon ist nicht verantwortlich für die Auslösung einer Krise. Patienten mit einer thyreotoxischen Krise weisen keine höheren Schilddrüsenhormonwerte auf als solche mit einer unkompliziert verlaufenden Hyperthyreose. Auslöser einer thyreotoxischen Krise sind vielmehr zusätzliche Stresssituationen, z. B. Unfall, Operation, Infektion, kardiovaskuläres Ereignis oder psychische Belastung und Stress. Diese zusätzlichen Erkrankungen, die ähnliche Symptome wie die Hyperthyreose selbst hervorrufen können, erschweren oft die Diagnose. ! Cave Da gerade in Deutschland infolge des Iodmangels Knotenstrumen mit autonomer Funktion sehr häufig sind – etwa 20–30 % aller über 70-Jährigen mit Struma weisen eine Schilddrüsenautonomie auf –, kann durch die Applikation iodhaltiger Kontrastmittel vor oder während einer anderen Erkrankung eine Hyperthyreose ausgelöst werden, die dann zusammen mit der zugrunde liegenden Erkrankung zur thyreotoxischen Krise führt.
Diagnostik Die Diagnose muss ausschließlich nach klinischen Kriterien gestellt werden. Klinische Symptome, die an eine thyreotoxische Krise differenzialdiagnostisch denken lassen sollten, sind: 4 hyperdynames Herzversagen, 4 Fieber mit inadäquater Tachykardie, 4 unklares septisches Krankheitsbild, 4 unklare gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Ikterus), 4 zentralnervöse Symptome, von psychomotorischer Unruhe, Agitiertheit, Tremor bis hin zu Apathie und Koma. z Anamnese Aus der Anamnese lassen sich möglicherweise Anhaltspunkte für eine länger bestehende Hyperthyreose erfragen, z. B. Wärmeintoleranz, Gewichtsabnahme, Diarrhöneigung, Verschlechterung einer vorbestehenden Herzinsuffizienz, neu aufgetretenes Vorhofflimmern, Muskelschwäche, Schlaflosigkeit. Kontrastmittelexposition oder die Anwendung iodhaltiger Medikamente (z. B. Amiodaron, Betaisodona). z Untersuchungsbefund Die typischen Zeichen einer schweren Hyperthyreose gehen über in die Leitsymptome einer thyreotoxischen Krise. Diese können alle gemeinsam, aber auch nur teilweise vorliegen.
Leitsymptome einer thyreotoxischen Krise 4 Allgemeinsymptome – warme, gut durchblutete Haut, die – je nach Hydrierungszustand – feucht oder trocken sein kann, Fieber >38,5°C mit inadäquater Tachykardie 4 Schilddrüsenspezifisch – diffus vergrößerte, schwirrende Struma mit oder ohne endokrine Orbitopathie oder nodöse Struma 4 Kardiovaskulär – Sinustachykardie mit verkürzter QT-Zeit oder tachykardes Vorhofflimmern – Zeichen der Rechtsherzdekompensation mit oberer Einflussstauung, Beinödemen, Hepatomegalie, Aszites, seltener Linksherzdekompensation – hohe Blutdruckamplitude 4 Gastrointestinal – gesteigerte Darmmotilität, Diarrhö, subakutes Abdomen 4 Neuromuskulär – psychomotorische Unruhe, Agitiertheit, wechselnd mit Adynamie, Somnolenz und Koma – Pseudobulbärparalyse mit Schluckstörung – verkürzte ASR-Relaxationszeit – ausgeprägte myasthenische Muskelschwäche
Pathogenese Die pathophysiologischen Mechanismen, die zur Auslösung einer Krise führen, können bislang nur teilweise erklärt werden. Schilddrüsenhormone erhöhen u. a. die Expression von β1-adrenergen Rezeptoren [8, 9]. Es kann somit angenommen werden, dass zusätzliche Stressreaktionen und damit eine Erhöhung der Katechola-
z Laborkonstellation Es gibt keine typische Laborkonstellation für eine thyreotoxische Krise. Das basale TSH ist immer supprimiert, die freien Schilddrüsenhormone sind vergleichbar mit denen einer unkompliziert
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Kapitel 59 · Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
verlaufenden Hyperthyreose. Sie können sogar, je nach Schwere des Krankheitsbilds oder einer anderen zusätzlichen, möglicherweise die Krise auslösenden Erkrankung im Normbereich liegen.
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> Wichtig ist es daran zu denken, dass diese Patienten, wie alle Schwerkranken, auch ein NTIS aufweisen können!
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Erhöhte Leberwerte einschließlich Bilirubin sind prognostisch ungünstig. Sie können direkte Folge der Schilddrüsenhormonwirkung auf die Leber sein, aber auch Folge einer Rechtsherzdekompensation. Vorwiegend bei jüngeren Patienten kann auch das Serumkalzium erhöht sein, verursacht durch einen gesteigerten Knochenabbau. Die Leukozyten sind meist eher niedrig normal, und es findet sich eine Mikrozytose mit grenzwertig niedrigem Hämoglobin oder eine mikrozytäre Anämie.
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Therapie
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Jeder Patient mit Verdacht auf eine thyreotoxische Krise muss intensivmedizinisch betreut werden [3]. Die kontinuierliche HerzKreislauf- und Lungenfunktionsüberwachung sowie das neurologische Monitoring sind wichtig, weil sich der Zustand des Patienten innerhalb von wenigen Stunden dramatisch ändern kann. Therapeutisch stehen neben den supportiven Maßnahmen die Hemmung der Schilddrüsenhormonwirkung und -freisetzung im Vordergrund (7 Übersicht). z Hemmung der Hormonwirkung Die Schilddrüsenhormonwirkung wird am schnellsten durch β-Blocker gehemmt. Auch bei kardial dekompensierten Patienten steht diese β-Blockade an erster Stelle der Therapie, da der adrenerge Stimulus Ursache der kardialen Dekompensation ist. Für Propranolol ist belegt, dass es zusätzlich die periphere Konversion von T4 zu T3, hemmt. Da nur T3, nicht aber T4 stoffwechselaktiv ist, ist diese periphere Konversionshemmung therapeutisch sinnvoll. Für andere, β1-selektive Blocker ist diese zusätzliche, schilddrüsenspezifische Wirkung nicht nachgewiesen worden. Alternativ zum Propranolol kann aber Esmolol oder Atenolol verwendet werden, wenn diese zusätzliche Wirkung nicht als notwendig erachtet wird. L-Carnitin blockiert die Bindung von T3 an den Kernrezeptor und kann so sehr effizient und nebenwirkungsfrei die Hormonwirkung blockieren. Insbesondere bei hoher Iodkontamination kann dies zusätzlich eingesetzt werden, in Dosen zwischen 2 g und 4 g oral pro Tag. Es ist für diese Indikation zwar nicht zugelassen, in neueren Studien ist die Wirksamkeit aber belegt [10]. z Hemmung der Hormonfreisetzung Die Schilddrüsenhormonfreisetzung wird am besten durch Thiamazol (Methimazol, Favistan) i.v. oder, wenn eine orale Applikation noch möglich ist, durch Propylthiouracil (Thyreostat) gehemmt. Da die meisten Patienten mit einer thyreotoxischen Krise mit Iod kontaminiert sind und die antithyreoidalen Medikamente kompetitiv zum Iod wirken, müssen diese Substanzen hochdosiert eingesetzt werden. Dem Propylthiouracil kommt hierbei eine zusätzliche Bedeutung zu, da es auch die periphere Konversion von T4 zu T3 hemmt und diese Konversionshemmung unabhängig von Iod ist. Glukokortikoide hemmen ebenfalls die periphere Konversion von T4 zu T3, und es ist daher sinnvoll, diese bei schweren Fällen zu geben. Die häufig diskutierte sog. relative Nebenniereninsuffizienz bzw. ein Glukokortikoidmangel sind immer zu belegen, aber in der Krisensituation ist eine Substitution mit 200–300 mg Hydrokortison/Tag möglicherweise sinnvoll (7 unten).
z Weitere Therapiemaßnahmen Die schnellste und effektivste Möglichkeit, die Schilddrüsenhormonsekretion zu hemmen, ist die möglichst frühzeitige Thyreoidektomie. Die früher häufig angewandten Plasmapherese oder Aktivkohle-Hämoperfusion zur Senkung der Schilddrüsenhormonspiegel sind schlechtere Alternativen, da sie wenig effektiv sind – die Schilddrüsenhormonspiegel sind ja nicht exzessiv erhöht – und zusätzliche Komplikationen (Thrombozytenabfall, Volumenverschiebung, Kreislaufbelastung) hervorrufen können [3,4,8].
Behandlung der thyreotoxischen Krise 1.
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Supportive Maßnahmen: – hochkalorische parenterale Ernährung – Kreislauf- und Lungenfunktionsüberwachung – evtl. frühzeitige Beatmung, v.a. bei beginnenden zentralnervösen Symptomen mit Schluckstörung und Koma, und/oder bei Lungenstauung – Sedierung (Promethazin 2-mal 25 mg oder Benzodiazepine) Blockade der Schilddrüsenhormonwirkung: – Propranolol 1 mg bis maximal 10 mg i.v./Tag oder – Propranolol 3- bis 4-mal 40–80 mg p.o./Tag alternativ – Esmolol 0,5 mg/kg KG Bolus über 2–3 min, dann 50–200 μg/kg KG/min über Perfusor oder – Metoprolol 100–400 mg p. o./Tag – Prednisolon 100–250 mg/Tag – L-Carnitin 2–4 g p.o./Tag (insbesondere bei Amiodaron-induzierter Thyreotoxikose) Blockade der Schilddrüsenhormonbildung: – Thiamazol (Favistan) 3-mal 40 mg i.v. oder – Propylthiouracil (Thyreostat) 4- bis 6-mal 50 mg p. o. – frühzeitige Thyreoidektomie
Die Mortalität der thyreotoxischen Krise sollte heute bei entsprechender Behandlung unter 10 % liegen. Nicht die Therapie ist die Schwierigkeit, sondern vielmehr die rechtzeitige Diagnosestellung und damit der frühzeitige Behandlungsbeginn.
59.2.3
Myxödemkoma
Das Myxödemkoma tritt bei Patienten mit lange unerkannter Hypothyreose auf. Die Diagnose lässt sich nur klinisch stellen, es gibt hierfür keine typische Laborkonstellation, d. h. sie ist nicht unterschiedlich zu der einer unkomplizierten Hypothyreose. Auslöser ist meist eine zusätzliche Erkrankung wie Infektion, Trauma, Operation oder Stress [11].
Ätiologie und Pathophysiologie Häufigste Ursache einer Hypothyreose ist entweder eine Autoimmun-(Hashimoto)-Thyreoiditis, eine Strahlenthyreoiditis nach externer Radiatio oder nach ablativer Therapie mittels Radioiod oder Operation. Etwa 5 % der Patienten mit Hypothyreose weisen eine sekundäre Hypothyreose infolge einer Hypophyseninsuffizienz auf. Hierbei wird die Symptomatik der Hypothyreose durch die meist begleitende Nebenniereninsuffizienz sowie einen hypogonadotropen Hypogonadismus überlagert. Aber auch bei einer autoimmun bedingten Hypothyreose muss an das gleichzeitige Vorliegen einer anderen organspezifischen Autoimmunerkrankung wie die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (M. Addison) gedacht werden.
745 59.2 · Thyreotrope Achse und primäre Störungen der Schilddrüsenfunktion
Eine Hypothyreose auf dem Boden einer Hashimoto-Thyreoiditis entwickelt sich nahezu immer sehr langsam, oft über Jahre oder Jahrzehnte und kann daher subjektiv unbemerkt zu einer verspäteten Diagnose führen. Durch die verbesserte Diagnostik und die routinemäßige TSH-Kontrolle ist das Vollbild der Erkrankung seltener geworden [10]. Das klinische Erscheinungsbild eines Myxödemkomas unterscheidet sich von einer schweren Hypothyreose durch die zusätzlichen zentralnervösen Störungen, deren pathophysiologische Grundlage nach wie vor unklar ist. Zusätzliche Stressfaktoren, wie z. B. Infektion, Trauma oder Operation, scheinen mitverantwortlich für ein Myxödemkoma zu sein.
Diagnostik Die Leitsymptome des Myxödemkomas sind Hypothermie, Hypoventilation, Bradykardie und Koma. Diese Symptome sind nicht pathognomonisch, können auch z. B. bei Barbituratintoxikation oder Hirnstammläsionen führend sein. Es muss bei diesen Symptomen aber differenzialdiagnostisch immer auch an ein Myxödemkoma gedacht werden. z Anamnese Vorangegangene Schilddrüsenoperation, Strahlentherapie unter Einbeziehung des Halsbereiches, Radioiodtherapie oder das unerklärte Absetzen einer Schilddrüsenhormonsubstitution sind evtl. fremdanamnestisch zu erfragen. Vorangegangene Hypophysenoperation oder -bestrahlung, Blasser-werden der Haut oder weniger Bräunung durch Sonneneinwirkung können Zeichen einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz mit sekundärer Hypothyreose sein. Eine sich langsam entwickelnde Lethargie, Antriebslosigkeit, Gewichtzunahme, Obstipation und Kälteintoleranz können ebenfalls häufig erfragt werden.
– Vergesslichkeit bis Amnesie, Lethargie und schließlich Koma – Kleinhirnsymptome wie Ataxie und Adiadochokinese – Epilepsie
z Laborkonstellation Im Fall einer primären Hypothyreose ist das basale TSH erhöht bei vermindertem freiem T4 (fT4) oder T4-Index. Man muss berücksichtigen, dass im Rahmen des NTIS das basale TSH erniedrigt ist, sodass es im Fall eines Myxödemkomas zwar inadäquat erhöht ist, aber nicht so hoch sein muss, wie man dies bei einer schweren Hypothyreose erwarten würde. Auch ist an die selteneren Fälle einer sekundären Hypothyreose zu denken. Die Diagnose kann sich also nicht allein auf die typischen Schilddrüsenparameter stützen. Zusätzliche typische, aber unspezifische Laborparameter bei schwerer Hypothyreose sind: 4 Hyponatriämie, 4 erhöhte LDH- und CK-Werte [11].
Therapie Die Therapie des Myxödemkomas umfasst – neben dem Ausgleich des Schilddrüsenhormonmangels – die Behandlung der Hypoventilation und Hyperkapnie durch maschinelle Beatmung, den Ausgleich der Hyponatriämie und Hypoglykämie sowie die Behandlung der Hypothermie und Hypotension [7]. Das therapeutische Vorgehen bei Myxödemkoma ist in der Übersicht zusammengestellt.
Behandlung des Myxödemkomas
z Untersuchungsbefund Die üblichen Symptome der schweren Hypothyreose als zugrunde liegende Erkrankung findet man regelhaft bei Patienten mit Myxödemkoma. Befunde und klinisches Bild sind in der Übersicht dargestellt.
Befunde beim Myxödemkoma 4 Allgemeinsymptome: – trockene, raue und kühle Haut, struppige Haare, aufgedunsenes Gesicht, große Zunge und raue Stimme – Hypothermie (<36°C) 4 Kardiovaskulär: – verlängerte QT-Zeit im EKG – meist auch Sinusbradykardie, seltener AV-Block – vermindertes Schlagvolumen und HZV – Perikard- und Pleuraergüsse 4 Pulmonal: – alveoläre Hypoventilation mit Hyperkapnie ohne subjektive Atemnot – Bronchopneumonie infolge der Hypoventilation 4 Gastrointestinal: – verminderte Darmmotilität bis zum paralytischen Ileus – Magenatonie 4 Neuropsychiatrisch: – verlängerte ASR-Relaxationszeit – Desorientiertheit, Halluzinationen, Depression 6
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Schilddrüsenhormonsubstitution – L-Thyroxin 500 μg i. v. am 1. Tag – danach 1,5 μg/kg KG/Tag entweder oral oder i. v Intubation und Beatmung – möglichst frühzeitige Beatmung, unter Berücksichtigung eines nicht zu schnellen Ausgleichs der Hyperkapnie Hypoglykämie – initial 50 ml einer 50%igen Glukoselösung i. v., dann weiter nach Blutglukosewerten Hyponatriämie – alleinige Wasserrestriktion, kein schneller Ausgleich, also keine hochprozentige Natriuminfusionslösung notwendig, da durch die wiederhergestellte Schilddrüsenhormonwirkung an der Niere Natrium wieder rückresorbiert wird Hypothermie – bei Körpertemperatur <31°C: langsame aktive Erwärmung durch Dialyse, angewärmte Infusionen etc., aber nicht mehr als 0,5°C/h – bei Körpertemperatur >31°C: nur passive Erwärmung durch warme Decken Hypotonie – Hydrokortison 200–300 mg/Tag über die ersten Tage, danach langsam reduzieren – Katecholamine und Digoxin sind weniger wirksam; es besteht eine erhöhte Gefahr von Herzrhythmusstörungen
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Kapitel 59 · Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
Das Myxödemkoma wies früher eine Mortalität von über 70% auf; diese sollte aber heute bei adäquater Behandlung unter 20% liegen.
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> Wie bei den meisten metabolischen Krisen ist nicht die Therapie selbst, sondern die rechtzeitige Diagnosestellung und Einbeziehung einer metabolischen Krise in die differenzialdiagnostischen Überlegungen der wichtigste Schritt [4, 11].
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Adrenokortikotrope Achse und primäre Störungen der Nebennierenfunktion
Primäre und sekundäre Störungen der Nebennierenfunktion sind intensivmedizinisch von Bedeutung, da die Nebennierenrinde die lebenswichtigen Steroidhormone Kortisol und Aldosteron produziert. 4 Kortisol aus der Zona fasciculata ist eines der wichtigsten Stresshormone des Körpers. Neben der Bereitstellung von Glukose als Energiesubstrat für Gehirn und periphere Gewebe reguliert es u. a. auch die Katecholaminempfindlichkeit des Gefäßsystems mit und ist so für den Erhalt des Kreislaufs nötig; in hohen Dosen wirkt Kortisol bekanntermaßen immunsuppressiv. Die adrenale Kortisolproduktion wird durch das adrenokortikotrope Hormon (ACTH) aus dem Hypophysenvorderlappen und dieses wiederum durch das hypothalamisch sezernierte CRH (»corticotropine releasing hormone«) gesteuert. 4 Aldosteron aus der Zona glomerulosa ist ein wichtiger Regulator des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts. Durch transkriptionelle Regulation verschiedener renaler Transportproteine in den Hauptzellen des distalen Nephrons bewirkt es eine Rückresorption von Wasser und Natrium sowie eine Sekretion von Kalium und Protonen. Die Aldosteronsekretion wird durch das Renin-Angiotensin-System reguliert, das v. a. durch eine herabgesetzte renale Perfusion sowie eine Hyponatriämie aktiviert wird.
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Das Nebennierenmark ist entwicklungsgeschichtlich ein Teil des sympathischen Nervensystems und produziert im Wesentlichen die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin. Diese entfalten über unterschiedliche Adrenorezeptoren multiple Wirkungen, die kurz zusammengefasst in lebensbedrohlichen Stresssituationen eine Stimulation des Herz-Kreislauf-Systems und der Atemfunktion bewirken. Im Folgenden werden die hypophysär-hypothalamische Nebennierenrindeninsuffizienz des Intensivpatienten, die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz und die intensivmedizinisch wichtige Phäochromozytomkrise als Erkrankung des Nebennierenmarks besprochen.
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Ätiologie, Pathophysiologie und Diagnostik
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Relative Nebenniereninsuffizienz
Kortisol (= Hydrokortison) wird beim Gesunden mit einer charakteristischen Tagesrhythmik mit einem Höhepunkt am Morgen und am frühen Abend sezerniert. Unter der Kontrolle von ACTH steigert die Nebennierenrinde in akuten Stresssituationen die Kortisolsekretion, gleichzeitig nimmt der Anteil an freiem Kortisol durch eine Abnahme der Konzentration an kortisolbindendem Globulin zu. Diese physiologische Stressreaktion der adrenokortikotropen Achse ist bei vielen akut erkrankten Patienten eingeschränkt, sodass relativ zum gesteigerten Bedarf zu wenig freies Kortisol vorliegt. Dies kann zu einer therapierefraktäre Hypotonie und Stoffwechselentgleisungen (Neigung zur Hypoglykämie) beitragen.
Diagnostische Kriterien für die sog. relative Nebenniereninsuffizienz des kritisch Kranken [12] 4 ein basaler Kortisolspiegel von <10 μg/dl oder 4 ein fehlender Anstieg des Serumkortisols 30–60 min nach Stimulation mit 250 μg ACTH um mindestens 9 μg/dl.
Insbesondere bei Patienten mit septischem Schock wird von einer hohen Prävalenz der relativen Nebenniereninsuffizienz von bis zu 60% ausgegangen [13]. Dabei korreliert das Auftreten der relativen Nebenniereninsuffizienz mit dem Schweregrad der Erkrankung und der Mortalität. Zur Pathogenese dieser Maladaptation der adrenokortikotropen Achse tragen Mediatoren wie TNF und Interleukin-6 bei. Zusätzlich ist eine zytokinvermittelte Resistenz der intrazellulären Glukokortikoidrezeptoren beschrieben worden, die die relative Nebenniereninsuffizienz fördert. ! Verstärkt wird die Dysregulation der adrenokortikotropen Achse bei vielen Patienten iatrogen durch das Narkosemittel Etomidat, das immer noch oft zur Intubation verwendet wird und für bis zu 48 h zu einer Hemmung der adrenalen Kortisolsekretion führt.
Von dem Krankheitsbild der relativen Nebenniereninsuffizienz ätiologisch zu trennen ist die eigenständige hypothalamisch oder hypophysär bedingte adrenokortikotrope Insuffizienz, die im Rahmen von primären Raumforderungen in diesem Bereich, aber auch bei Einblutungen, Traumata, Infektionen, granulomatösen Erkrankungen oder autoimmun bedingt auftreten kann. In der Akutsituation gelten zur Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen die gleichen Regeln, wie sie für die relative Nebenniereninsuffizienz angegeben sind, wobei aber auch die Möglichkeit einer gleichzeitig bestehenden Kompromittierung anderer Hypophysenfunktionen im Rahmen einer primären Hypophyseninsuffizienz (insbesondere der thyreotropen Achse; 7 Abschn. 59.2.3; und des Hypophysenhinterlappens) bedacht werden muss. Bei erst seit kurzer Zeit bestehender primärer Hypophyseninsuffizienz kann der ACTH-Kurztest falsch-normal ausfallen, dann sind ggf. zur Diagnosesicherung Stimulationstests der Hypophyse mit TSH und CRH (zuvor Ausschluss eines einblutungsgefährdeten Makroadenoms!) nötig. Primäre Hypophyseninsuffizenz. Die primäre Hypophyseninsuffizenz ist ein eigenständiges Krankheitsbild, das mit den klinischen Zeichen einer kombinierten adrenokortikotropen und thyreotropen Insuffizienz und ggf. eines Diabetes insipidus einhergeht und nach der Akuttherapie ätiologisch weiter abgeklärt werden muss. Die Diagnose kann anhand der Anamnese, der klinischen Präsentation und der Laborveränderungen gestellt werden, wobei typischerweise ein Mangel der peripheren Hormone (Kortisol, fT3, fT4) bei niedrigen hypophysären Hormonen (CRH, TSH) festzustellen sind. Eine gleichzeitige hypotone Polyurie mit Normo-/Hypernatriämie ist Zeichen eines konkomitanten ADH-Mangels. Therapeutisch ist hier neben der supportiven Volumen- und Elektrolytsubsitution zu beachten, dass die Gabe von Hydrokortison (100 mg Bolus, dann 10 mg/h) vor der Substitution mit L-Thyroxin (Abstand 12–24 h) zu erfolgen hat (ausführliche Dosierungsempfehlungen 7 Abschn. 59.3.2 bzw. 7 Abschn. 59.2.3) und ggf. eine zusätzliche Desmopressintherapie (1–4 μg i.v. oder s.c. alle 12 h) bei Beteiligung des Hypophysenhinterlappens nötig ist. Nach Besserung des klinischen Zustands ist eine ausführliche endokrinologische Diagnostik inkl. Funktionstests und Bildgebung
747 59.3 · Adrenokortikotrope Achse und primäre Störungen der Nebennierenfunktion
zur Klärung der Ursache und der weiteren Therapienotwendigkeit erforderlich.
Therapie Ob eine prinzipiell leicht durchführbare Glukokortikoidsubstitution bei kritisch Erkrankten im Hinblick auf Morbidität und Mortalität von Vorteil ist, wurde in den letzten Jahrzehnten in vielen Studien untersucht. Die initial verwendete hochdosierte Glukokortikoidtherapie, d. h. mit bis zu 40.000 mg (!) Kortisoläquivalent/Tag, geht mit einer erhöhten Komplikationsrate wie vermehrten Infektionen und Steroidmyopathie einher und gilt heute als sicher obsolet. Der Effekt von 200–300 mg Kortisol bzw Hydrokortison (die in der Therapiesituation gängigere klinische Bezeichnung des gleichen Hormons) pro Tag – entsprechend der angenommenen physiologischen Maximalsekretion der Nebennierenrinde – bei Patienten mit septischem Schock wurde in den letzten Jahren in mehreren randomisiert-kontrollierten Studien untersucht, z. B. [13, 14]. Eine aktuelle Metaanalyse dieser Daten zeigt zwar einen signifikanten Vorteil der Hydrokortisongabe für die initiale Kreislaufstabilisierung (relatives Risiko für das Überwinden des Schockzustands ca. 1,4), aber keinen eindeutigen Einfluss auf die Mortalität [12]. Ausgehend von diesen Studien und einer Reihe von anderen Arbeiten, die z. B. den Einfluss von Hydrokortison auf das ARDS untersuchten, hat eine internationale Kommission des American College of Critical Care Medicine 2008 die in der 7 Übersicht genannten Empfehlungen zur Steroidsubstitution bei kritisch kranken Patienten abgeleitet [12]:
Aktuelle Empfehlungen zur Glukokortikosteroidsubstitution bei kritisch kranken Patienten des American College of Critical Care Medicine 2008 [12] 4 Diagnostik: Der ACTH-Stimulationstest kann zur Diagnose der relativen Nebenniereninsuffizienz benutzt werden. Er sollte aber nicht als Entscheidungskriterium für die Durchführung einer Glukokortikoidsubstitution dienen, da sich die Hydrokortisoneffekte bei Patienten mit normaler und pathologischer Kortisolantwort auf ACTH im Hinblick auf die Mortalität nicht unterscheiden. 4 Indikationen – Sepsis: Eine intravenöse Hydrokortisongabe sollte bei Patienten mit therapierefraktärem septischem Schock erwogen werden, insbesondere bei ungenügendem Ansprechen auf Volumensubstitution und Vasopressoren. – ARDS: In der Frühphase eines schweren ARDS (paO2/ FIO2<200) bzw. bis zu Tag 14 eines therapierefraktären ARDS kann eine Glukokortikoidtherapie erwogen werden. 4 Dosierung – Sepsis: Als Dosis werden entweder 4-mal 50 mg Hydrokortison/Tag oder die kontinuierliche Infusion von 10 mg Hydrokortison/h nach einem Bolus von 100 mg empfohlen. Diese Dosis sollte über mindestens 7 Tage gegeben und das Hydrokortison dann bei stabilem Kreislauf langsam ausgeschlichen werden. – ARDS: Empfohlen wird hier die kontinuierliche Gabe von 1 mg/kg KG Methylprednisolon/Tag als kontinuierliche Infusion. Diese Dosis sollte für mindestens 14 Tage gegeben und dann langsam ausgeschlichen werden.
Eine Substitution mit dem synthetischen Mineralokortikoid Fludrokortison (50 μg/Tag) ist bei relativer Nebenniereninsuffizienz optional möglich. Die Rolle der Hydrokortisongabe bei anderen intensivpflichtigen Erkrankungen aus dem internistischen und operativen Bereich ist weiterhin nicht evidenzbasiert zu beurteilen, der Einsatz erfolgt nach klinischer Maßgabe.
59.3.2
Primäre Nebenniereninsuffizienz: Addison-Krise
Ätiologie Die primäre Nebenniereninsuffizienz bezeichnet den kompletten Ausfall der adrenalen Funktion mit konsekutivem Hypokortisolismus und Hypoaldosteronismus; die fehlende Katecholaminproduktion kann durch die Grenzstrangganglien in aller Regel kompensiert werden. Durch den sich entwickelnden Flüssigkeitsverlust und die Elektrolytverschiebungen kann sich ein intensivmedizinisches Krankheitsbild, die nach dem Erstbeschreiber benannte »AddisonKrise«, entwickeln.
Klinik Aufgrund der reaktiv gesteigerten Produktion des ACTH-Vorläufers Proopiomelanocortin sind Patienten mit primärer Nebenniereninsuffizienz oft hyperpigmentiert mit Betonung der Handlinien (. Abb. 59.2) und der Mundschleimhaut. Die Patienten sind oft mangelernährt und klagen über eine seit längerem bestehende Abnahme der Leistungsfähigkeit. Durch Infekte oder anderen körperlichen Stress kann sich eine krisenhafte Entgleisung entwickeln.
Typische Zeichen des bedrohlichen Kortisol- und Aldosteronmangels 4 Abdominelle Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen 4 Hypotonie und Exsikkose 4 Hyperkaliämie und Hyponatriämie 4 Hypoglykämie 4 Metabolische Azidose
Bei unzureichender Therapie kann es im Verlauf weniger Stunden zur Addison-Krise mit Bewusstlosigkeit und sekundären Organ-
. Abb. 59.2 Handlinien eines Patienten mit primärer Nebenniereninsuffizienz. (Aus [27])
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Kapitel 59 · Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
schäden wie Aspirationspneumonie, Nierenversagen und zerebraler Hypoxie kommen. ! Cave Bei fulminanter Sepsis (insbesondere durch Meningokokken, Hämophilus influenzae, Pneumokokken) muss an eine akute hämorrhagische Nebenniereninsuffizienz (»Waterhouse-Fridrichsen-Syndrom«) gedacht werden.
Diagnostik Bei Verdacht auf eine primäre Nebenniereninsuffizienz sollte grundsätzlich das Serumkortisol gemessen und ein ACTH-Stimulationstest der Nebennierenrinde durchgeführt werden. Die für die Diagnose der relativen Nebenniereninsuffizienz angegebenen Grenzwerte (7 Abschn. 59.3.1) gelten nur bei schwer erkrankten Patienten ohne vorbestehende Nebennierenerkrankung. Im Regelfall müssen daher allgemeine endokrinologische Kriterien bei der Auswertung berücksichtigt und im Zusammenhang mit der Klinik interpretiert werden: Ein basaler Kortisolwert von <3 μg/dl macht eine adrenokortikotrope Insuffizienz sehr wahrscheinlich. Ein fehlender Anstieg des Serumkortisols nach Gabe von synthetischem ACTH auf Werte <18 μg/dl gilt allgemein als Nachweis einer insuffizienten Nebennierenrindenfunktion, ein Anstieg auf Werte >20–25 μg/dl als sicherer Nachweis einer suffizienten adrenalen Kortisolproduktion. > Bei Verdacht auf Addison-Krise muss nach Abnahme des Plasmakortisolwerts sofort mit der spezifischen Therapie (7 unten) begonnen werden, um keine weitere Verschlechterung der klinischen Situation zu provozieren.
Falls in der weiteren Diagnostik eine Nebenniereninsuffizienz bestätigt wird, ist die Abklärung der Ursache – z. B. autoimmun, infektiös (Tbc), durch Metastasen eines Malignoms – nötig. Die Möglichkeit einer polyglandulären endokrinen Insuffizienz, die z. B. auch die Schilddrüse und die Bauchspeicheldrüse betreffen kann, oder einer primär hypophysären Störung, die auch die anderen endokrinen Funktionen der Hypophyse betreffen kann, sollte nicht außer Acht gelassen werden.
Therapie Die wichtigsten intensivmedizinischen Sofortmaßnahmen sind nach der Sicherung der Vitalfunktionen 4 Volumentherapie, 4 Elektrolytausgleich und 4 Kortisolsubstitution [15].
Bei Hydrokortisondosen von weniger als ca. 60 mg/Tag sollte eine zusätzliche Mineralokortikoidsubstitution mit Fludrokortison (0,05–0,1 mg/Tag) gegeben werden.
59.3.3
Phäochromozytomkrise
Ätiologie Phäochromozytome sind seltene Tumoren des Nebennierenmarks, die meist gutartig und einseitig sind. Sie können sporadisch, aber auch im Rahmen genetischer Syndrome (z. B. multiple endokrine Neoplasie, Neurofibromatose, von-Hippel-Lindau-Syndrom) entstehen und sind durch eine dauerhaft oder krisenhaft erhöhte Katecholaminsekretion gekennzeichnet. Auslöser solcher Phäochromozytonkrisen können sein 4 Stress, körperliche Belastung, 4 bestimmte Medikamente, z. B. β-Blockertherapie vor α-Blockade, Antihistaminika, trizyklische Antidepressiva, 4 intraoperative Manipulation am Phäochromozytom.
Klinik > Das Leitsymptom des Phäochromozytoms ist die Trias aus Kopfschmerzen, Schweißausbruch und Palpitationen.
Meist liegt eine entweder dauerhafte oder intermittierende arterielle Hypertonie vor, aber auch paradox erniedrigte Blutdruckwerte können insbesondere bei langem Krankheitsverlauf und Entwicklung einer Herzinsuffizienz entstehen. Blässe und Hyperhidrosis sind durch die periphere Katecholaminwirkung bedingt. Spontan, aber auch medikamentös ausgelöst (z. B. β-Blockertherapie) oder durch Manipulationen am Tumor (z. B. Biopsien, Operationen) kann sich eine extreme Katecholaminsekretion mit lebensbedrohlichen Blutdruckkrisen entwickeln [16]. Kennzeichnend sind extrem erhöhte RR-Werte (systolisch bis zu 300–350 mm Hg) mit Endorganschäden [17] (7 Übersicht).
Zeichen von Endorganschäden bei Phäochromozytomkrise 4 Koma, zerebrale Einblutung, Hyperthermie 4 Kardiale Dekompensation, Tako-Tsubo-Kardiomyopathie, Lungenödem und Myokardinfarkt 4 Nierenversagen 4 Paralytischer Ileus bei mesenterialer Ischämie 4 Hypertensive Retinopathie 4 Laktatazidose
Therapie der Addison-Krise 4 Intensivmedizinsische Überwachung. 4 ZVD-gesteuerte Volumengabe mit physiologischer Kochsalzlösung. 4 Hydrokortison (= Kortisol)-Bolus von 100 mg, anschließend kontinuierliche Infusion von 10 mg Hydrokortison/h. 4 Engmaschige Überwachung der Elektrolyte und der BGA, ggf. bei therapierefraktärer Hyperkaliämie oder Azidose spezifische Maßnahmen. 4 Bei Normalisierung des intravasalen Volumens, der Elektrolyte und des Kreislaufs Kortisolzufuhr auf 5 mg/h reduzieren. 4 Bei weiterer Stabilisierung: orale Hydrokortisonsubstitution nach Maßgabe des mitbehandelnden Endokrinologen.
! Cave Gelegentlich wird die katecholaminvermittelte vegetative Reaktion mit Angstgefühl und Hyperventilation als psychogenes Hyperventilationssyndrom verkannt.
Diagnostik Der Nachweis einer Katecholaminhypersekretion gelingt durch die Untersuchung der Katecholaminausscheidung (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Metanephrine) im 24-h-Sammelurin. Die Sammelbedingungen (Ansäuerung mit HCl, Interaktionen mit Ernährung und Medikation) müssen bei der Interpretation beachtet werden (7 Lehrbücher der Endokrinologie). Alternativ können die Plasmametanephrine bestimmt werden, falls die entsprechende Expertise im lokalen Labor vorhanden ist.
749 59.5 · Gonadotrope und laktotrope Achse
Therapie Phäochromozytome werden kausal durch Tumorexstirpation durch einen endokrin erfahrenen Chirurgen behandelt.
Präoperativ muss zur Vermeidung einer intraoperativen hypertensiven Krise eine mindestens 7–14tägige Prämedikation mit hochdosierten α-Blockern (z. B. Phenoxybenzamin, beginnend mit 2-mal 10 mg/Tag, Steigerung in den Zielbereich von etwa 0,5–1 mg/kg KG/Tag in 2–3 Einzeldosen) erfolgen. β-Blocker dürfen erst nach ausreichender α-Blockade eingesetzt werden.
Bei Blutdruckspitzen sind Kalziumantagonisten wie Nifedipin oder Nitrendipin sinnvoll, da Kalzium für die Katecholaminsekretion aus dem Tumor nötig ist. Beim hypertensiven Notfall mit Endorganbeteiligung wird wie in der 7 Übersicht dargestellt behandelt [18].
Therapie der Phäochromozytomkrise 4 Kontinuierliche invasive Blutdruckmessung, ZVD-Monitoring 4 Urapidilbolus 12,5–25 mg, dann 5–40 mg/h 4 Phentolamin (Regitin) (in Deutschland nur über internationale Apotheke erhältlich) 2–5 mg initial, dann nach Blutdruck 4 Falls nötig zusätzlich Nitroprussidnatrium (0,2–8 μg/ kg KG/min, ab 2 μg/kg KG/min mit Natriumthiosulfat im Verhältnis 1:10) 4 ZVD-gesteuerte Volumentherapie 4 Bei volumenrefraktärer Tachykardie oder höhergradigen Arrhythmien unter der oben ganannten Medikation zusätzlich nach ausreichnder α-Blockade β-Blocker (z. B. Propranolol 0,1–1 mg i.v.)
59.4
Somatotrope Achse
59.4.1
Somatotrope Dysregulation des Intensivpatienten
GH-Spiegeln, IGF-1 nimmt ab. Dies kann als der Versuch des Körpers interpretiert werden, anabole Vorgänge zu reduzieren und durch den insulinantagonistischen, lipolysefördernden Effekt von GH eine ausreichende Bereitstellung von Substraten zu gewährleisten. Das Ausmaß der initialen GH-Erhöhung korreliert dabei mit dem Schweregrad der Erkrankung und der Mortalität [19]. Im Verlauf einer längeren intensivpflichtigen Erkrankung verliert die GHSekretion ihre Pulsatilität, und die IGF-1-Spiegel nehmen weiter ab, was zum Hyperkatabolismus dieser Patienten beitragen kann [20].
Therapie Ausgehend von diesen pathophysiologischen Erkenntnissen haben viele Arbeitsgruppen den Effekt einer Wachstumshormonsubstitution bei kritisch kranken Patienten untersucht. Während zunächst positive Effekte auf die Stickstoffbilanz, die Länge des Krankhausaufenthalts sowie die Mortalität bei postoperativen, Verbrennungsund Traumapatienten gesehen wurden, ergaben 2 größere randomisierte Studien mit einem gemischten Patientenkollektiv im Jahr 1999 eine erhöhte Mortalität unter relativ hochdosierter GH-Gabe von ca. 0,1 mg/kg KG/Tag [21]. Als Ursachen hierfür wurden v. a. der kontrainsulinäre Stoffwechseleffekt, eine vermehrte Flüssigkeitsretention und eine zu frühe Gabe von GH in der Akutphase der Erkrankung diskutiert. Neuere Studien sprechen dafür, dass bei Einsatz von GH in niedriger Dosis (z. B. 0,05 mg/kg KG/Tag) in der »chronischen« Phase einer kritischen Erkrankung und unter gleichzeitiger adäquater Ernährung, ggf. Glutaminsubstitution, und Blutzuckerkontrolle der Katabolismus positiv beeinflusst werden kann [22], randomisierte Endpunktstudien mit diesem Ansatz fehlen aber. > Derzeit ist eine Wachstumshormontherapie bei Intensivpatienten in der katabolen Phase außerhalb von Studien nur in gut begründeten und dokumentierten Einzelfällen im Rahmen eines Heilversuchs denkbar.
59.5
Gonadotrope und laktotrope Achse
59.5.1
Dysregulation der Reproduktionsachsen des Intensivpatienten
Ätiologie und Pathophysiologie
Ätiologie und Pathophysiologie Wachstumshormon (»growth hormone«; GH) ist der wichtigste Regulator des Wachstums im Kindesalter, spielt aber auch im Erwachsenenalter eine wichtige Rolle für die Homöostase verschiedener Körperfunktionen wie z. B. 4 den Lipidstoffwechsel, 4 den Muskelaufbau, 4 den psychischen Affekt. GH wird im Hypophysenvorderlappen gebildet und pulsatil mit einer deutlichen zirkadianen Rhythmik unter der Kontrolle des hypothalamischen GH-RH (»growth hormone releasing hormone«) ausgeschüttet. Die anabolen GH-Effekte werden im Wesentlichen indirekt durch das in der Leber synthetisierte IGF-1 (»insulin-like growth factor 1«) vermittelt, dessen biologische Wirkung wiederum durch die Bindung an ebenfalls hepatisch gebildete IGF-Bindungsproteine gesteuert wird. Beim kritisch kranken Patienten zeigt sich in den ersten Stunden bis Tagen eine periphere GH-Resistenz bei hohen systemischen
Das hypothalamische »gonadotropine releasing hormone« (GnRH) stimuliert physiologischerweise die hypophysäre Produktion der Gonadotropine LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon), die die Bildung der Geschlechtshormone aus den primären Geschlechtsorganen Ovar und Hoden, aber auch aus den Nebennieren regulieren. Die Geschlechtshormone steuern primär die Reproduktionsfunktion. Testosteron ist bei beiden Geschlechtern darüber hinaus ein anaboles Hormon, das z. B. für den Muskelaufbau und die Blutbildung eine große Bedeutung hat. Das laktotrope Hormon Prolaktin gilt als Stresshormon mit immunmodulierender Wirkung. Bei kritisch kranken Patienten zeigt sich – ähnlich wie bei den anderen hypothalamisch-hypophysären Achsen – initial eine Stressreaktion mit erhöhter hypophysärer Sekretion der Gonadotropine und des Prolaktins. Im Verlauf ergibt sich aber innerhalb einiger Tage eine Umkehr hin zu erniedrigten LH- und Prolaktinspiegeln, wobei Letztere auch pharmakologisch deutlich beeinflusst werden (z. B. Erhöhung durch Neuroleptika, Metoclopramid, trizyklische Antidepressiva, Verapamil; Erniedrigung durch Dopamin). Auch die peripheren Geschlechtshormonspiegel sind bei kritisch Erkrankten deutlich verändert. Das zirkulierende Testosteron ist bei Männern regelhaft von Beginn der intensivpflichtigen Er-
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krankung an deutlich erniedrigt [23], während bei älteren Frauen mit septischem Schock ein erhöhtes Testosteron mit gesteigerter Sterblichkeit assoziiert war [24]. Bei beiden Geschlechtern ist eine Erhöhung von Serumestradiol und -17-Hydroxyestradiol als Ausdruck einer vermehrten peripheren Aromatisierung beschrieben worden, die – unabhängig vom Geschlecht – sowohl bei internistischen als auch chirurgischen Intensivpatienten mit der Mortalität korrelierte [24, 25]. Diese Dysregulationen werden multifaktoriell erklärt. Da die pharmakologische Gabe von GnRH die beschriebenen Störungen der Geschlechtshormonspiegel nur unvollständig bessert, wird neben einer zentralen Regulationsstörung auch eine verminderte periphere Geschlechtshormonsekretion vermutet [26]. Zudem tragen ein veränderter Hormonmetabolismus, z. B. durch erhöhte Entzündungsmediatoren, und die vermehrte Stimulation der Nebennierenrinde in Stresssituationen mit einer vermehrten adrenalen Steroidogenese, bei.
Therapeutische Aspekte Die Herunterregulation der gonadotropen Achse wird inzwischen als Versuch des Körpers gesehen, den anabolen Metabolismus und die Reproduktion bei einer lebensbedrohlichen Krankheit zu drosseln und Substrate zu sparen. Ob eine pharmakologische Testosteronsubstitution in der akuten oder chronischen Phase einer kritischen Erkrankung für die Verhinderung eines überschießenden Katabolismus sinnvoll ist, ist in Studien bislang nicht zureichend untersucht. Auch ist der prinzipiell vorstellbare Nutzen einer Hemmung der peripheren Aromatase, die erhöhte (17-Hydroxy-)Estradiolspiegel senken könnte, noch nicht belegt. Ähnlich gilt, dass zwar eine gewisse kausale Bedeutung des niedrigen Prolaktinspiegels in der chronischen Phase einer kritischen Erkrankung für die pathologische Immunsuppression vermutet wird, aber derzeit kein Nachweis für den Nutzen einer therapeutischen Intervention – z. B. durch gezielte Reduktion von Medikamenten, die den Prolaktinspiegel beeinflussen – besteht. > Die therapeutische Beeinflussung der Dysregulation der gonadotropen und laktotropen Achse beim kritisch kranken Patienten kann derzeit außerhalb von Studien nicht empfohlen werden.
Literatur 1 2 3
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4
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5
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6 7
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Kapitel 59 · Endokrine Störungen beim Intensivpatienten
8 9
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751
Säure-Basen Status K. Hofmann-Kiefer, P. Conzen, M. Rehm
60.1
Einleitung – 752
60.2
Physiologische Grundlagen – 752
60.2.1 60.2.2
Definitionen – 752 Puffersysteme – 752
60.3
Pathophysiologie des Säure-Basen-Haushalts – 754
60.3.1 60.3.2 60.3.3
Äthiopathologie von Säure-Basen-Störungen – 754 Physiologisch-analytische Modelle metabolischer Störungen – 755 Respiratorische Störungen – 759
60.4
Therapie der Störungen – 759 Literatur – 760
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_60, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
60
752
60
Kapitel 60 · Säure-Basen Status
60.1
Einleitung –
60
Ein Großteil der kritisch kranken Patienten zeigt ausgeprägte Veränderungen im Milieu der Körperflüssigkeiten. Das intakte Zusammenspiel verschiedener Regulationsmechanismen, kurz Säure-Basen-Haushalt genannt, ist aber für die Wiederherstellung der Homöostase essenziell, denn nahezu alle biochemischen Reaktionen des Körpers sind abhängig von der Aufrechterhaltung einer physiologischen Wasserstoffionenkonzentration. Diese wird daher vom Organismus normalerweise in sehr engen Grenzen konstant gehalten. Größere Veränderungen können weitreichende Organdysfunktionen hervorrufen.
60
60.2
Physiologische Grundlagen
60
60.2.1
Definitionen
60
Nach der Definition von Brönsted-Lowry sind Säuren Protonendonatoren und Laugen Protonenakzeptoren. Als starke Säure bezeichnet man eine Substanz, die schnell und nahezu irreversibel Protonen abgibt, während starke Basen Protonen nahezu irreversibel binden. Schwache Säuren und Basen können dagegen relativ leicht Protonen abgeben und wieder aufnehmen respektive aufnehmen und wieder abgeben. Sie bilden Gleichgewichte, sog. konjugierte Säuren-Basen-Paare:
60 60 60
60 60 60 60 60 60 60
HA lH+ + A
–
(1)
Die meisten biologischen Komponenten sind entweder schwache Säuren oder schwache Basen. Wasser kann sowohl wie eine Säure als auch wie eine Base reagieren, es dissoziiert reversibel zu Hydronium- und Hydroxylionen. 2 H2O lH3O+ + OH
–
(2)
60 Die Gleichgewichtskonstante dieser Reaktion ist:
60 60 60 60 60 60 60 60 60
–
K=
[H3O+] · [OH ] [H2O]2
(3)
Der Anteil der Hydronium- und Hydroxylionen ist jedoch sehr viel kleiner, als der des undissoziierten Wassers, er beträgt jeweils 10–7 mmol/l unter neutralen Bedingungen. Daher kann die Konzentration des undissoziierten Wassers im neutralen Milieu als konstant betrachtet werden. Der pH-Wert einer Lösung wird üblicherweise definiert als der negative dekadische Logarithmus der Hydroniumionenkonzentration. In neutralem Wasser beträgt der pH-Wert demnach –log(10–7)=7. Im arteriellen Blut dagegen liegt eine Hydroniumionenkonzentration von 40 nmol/l vor. Der pH-Wert beträgt dort dementsprechend: –log(40×10–9)=7,40. Hydroniumionenkonzentrationen zwischen 160 und 16 nmol/l sind mit dem Leben vereinbar (pH 7,8–6,8). Für eine Lösung, die die schwache Säure [HA] und die schwache Base [A–] enthält, lässt sich eine Dissoziationskonstante K wie folgt festlegen:
K=
[H+] · [A ] [HA]
[HA] – [A ]
+ , oder [H ] = K
(4)
Der negative dekadische Logarithmus dieser Gleichung wird als Henderson-Hasselbalch-Gleichung bezeichnet:
–
pH = pKs + log
[A ] (5)
[HA]
Nach dieser Gleichung lässt sich der pH-Wert einer Lösung berechnen aus dem pKs einer Säure und den Konzentrationen der Säure und ihrer konjugierten Base. Klinische Veränderungen, die mit einer Verschiebung des Blut-pH-Werts einhergehen, bezeichnet man je nach der Form der Veränderung als Azidosen oder Alkalosen. Unter einer Azidose versteht man ein Absinken des pH-Werts unter 7,36, unter einer Alkalose einen Anstieg des pH-Werts über 7,44. Respiratorische Störungen liegen vor, wenn der pCO2 primär von der Veränderung betroffen ist. Betreffen die Veränderungen im – Säure-Basen-Haushalt v. a. die HCO3 -Konzentration, spricht man von einer nichtrespiratorischen oder auch metabolischen Störung. Hierzu zählen auch Störungen renaler oder intestinaler Ursache. Metabolische Störungen können in der Regel durch respiratorische Kompensationsmechanismen in weiten Grenzen ausgeglichen werden und umgekehrt. (. Tab. 60.1). Zu beachten ist jedoch, dass beim intubierten und beatmeten Intensivpatienten das Atemminutenvolumen als wesentliches Regulativ des pCO2 von den Respiratoreinstellungen und nicht von physiologischen Erfordernissen bestimmt ist.
60.2.2
Puffersysteme
Schon unter physiologischen Bedingungen fallen im Stoffwechsel ca. 50–100 mmol Protonen pro Tag an [1]. Diese entstehen im Proteinstoffwechsel sowie aus der unvollständigen Verbrennung von Kohlehydraten, Fetten und organischen Säuren. Unter pathologischen Bedingungen (z. B. Sepsis) können auch weitaus größere Mengen an Protonen im Organismus entstehen. Um ein konstantes physiologisches Milieu aufrecht erhalten zu können, existieren im Körper daher effiziente Puffersysteme, die die anfallenden Protonen »abfangen«, den pH-Wert der Körperflüssigkeiten in engen Grenzen halten (7,36‒7,44) und damit für ein einwandfreies Funktionieren der Enzyme und Transportsysteme des Organismus sorgen.
Kohlensäure-Bikarbonat-Puffersystem Das Kohlensäure-Bikarbonat-System ist das effizienteste Puffersystem im menschlichen Organismus. Obwohl es im eigentlichen – Sinn nur aus den Komponenten H2CO3 und HCO3 als konjugiertes Säure-Basen-Paar besteht, kann auch der Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) in die Puffergleichung eingesetzt werden, denn es gilt: –
H2O + CO2 lH2CO3 lH+ + HCO3
(6)
Die Hydratation des CO2 geschieht hierbei über das Enzym Karboanhydrase, das sich v. a. in den Erythrozyten befindet. Zudem findet entlang der Erythrozytenmembran ein (elektroneutraler) Ionen-
753 60.2 · Physiologische Grundlagen
. Tab. 60.1 Verschiebungen im Säure-Basen-Haushalt und Kompensationsmechanismen Primäre Veränderung
Kompensationsreaktion
Respiratorische Azidose
paCO2 n
[sHCO3 ] n
Respiratorische Alkalose
paCO2 p
[sHCO3 ] p
Metabolische Azidose
[sHCO3 ] p
Metabolische Alkalose
[sHCO3 ] n
Weitere Puffersysteme
–
–
–
paCO2 p
–
paCO2 n
–
[sHCO3 ] = Standardbikarbonatkonzentration: Hierunter versteht man – die [sHCO3 ] einer beliebigen Blutprobe interpoliert auf einen pCO2 von 40 mm Hg, eine Temperatur von 37 °C und eine O2-Sättigung von 100%.
–
austausch statt, bei dem Chloridionen gegen HCO 3 ausgetauscht – werden (Chlorid-Shift). Hierdurch kann die HCO3 -Konzentration im Plasma erhöht werden. Wird der Löslichkeitskoeffizient des CO2 mit in Betracht gezogen, kann die Henderson-Hasselbalch-Gleichung für das Kohlensäure-Bikarbonat-System wie folgt beschrieben werden:
–
pH = pKs + log
[HCO ] 3
[0,03 PaCO2]
(7)
oder –
pH = 6,1 + log
[HCO ] 3 [0,03 PaCO2]
(8)
Man beachte, dass der pKs der Kohlensäure mit 6,1 relativ weit vom pH-Wert des Blutes entfernt ist und das System daher als Puffer grundsätzlich wenig effizient sein sollte. Das Reaktionsgleichge– wicht in Gleichung (6) liegt prinzipiell weit auf Seiten des HCO3. Entscheidend ist jedoch, dass das System nach zwei Seiten offen ist: CO2 wird über die Lungen abgeatmet, hierdurch verschiebt sich das Reaktionsgleichgewicht auf die Seite des CO2 ‒ Protonen können aufgenommen werden. Auf der anderen Seite können Nieren und – Leber aktiv in die Regulation der HCO3 -Konzentration eingreifen. Der Kohlensäure-Bikarbonat-Puffer wird nur wirksam bei metabolischen Störungen des Säure-Basen-Haushalts, auf respiratorische Störungen hat er keinen Einfluss.
Hämoglobin als Puffersystem Neben dem Kohlensäure-Bikarbonat-Puffersystem stellt das Hämoglobin das mengenmäßig bedeutendste Puffersystem dar. Für die Pufferkapazität verantwortlich sind im Wesentlichen Histidinbindungstellen mit einem pK von ca. 6,8. Die Säure-Basen-Gleichung des Hämoglobins kann vereinfacht ausgedrückt werden als Interaktion zwischen dem hydroxylierten Hämoglobin und seinem Kaliumsalz. H+ + KHb lHHb + K+
Desoxygeniertes Hämoglobin hat hierbei eine größere Pufferkapazität als oxygeniertes. Im Gegensatz zum Kohlensäure-BikarbonatPuffersystem wird das Hämoglobinpuffersystem sowohl bei metabolischen als auch bei respiratorischen Störungen wirksam.
(9)
Proteine (v. a. Albumin) und Phosphate spielen eine wichtige Rolle als extrazelluläre Puffersysteme. Daneben hat der Intrazellulärraum bedeutende Pufferkapazitäten. Neben Proteinpuffern spielt v. a. die Pufferung im Knochen eine große Rolle [2]. Karbonate und Phosphate übernehmen hierbei die Funktion von Pufferbasen. Der intrazelluläre Säure-Basen-Haushalt ist sehr komplex und kann daher hier nicht weiter ausgeführt werden. Es bestehen große Unterscheide zum Extrazellulärraum. So beträgt beispielsweise der pH-Wert im Zytoplasma und im endoplasmatischen Retikulum 6,8‒7,2, in den Golgi-Apparaten 5,6 und in den Mitochondrien 8,0 [3]. Sowohl die klassische Analytik als auch das Stewart-Modell des Säure-Basen-Haushalts (7 Abschn. 60.30.2) sollten intrazellulär anwendbar sein. Daten hierzu liegen allerdings noch nicht vor.
Pulmonale Kompensationsmechanismen Im Stoffwechsel entstehen bereits in Ruhe täglich ca. 14.000 mmol CO2, die zu einer Verschiebung des pH-Werts in Richtung auf eine Azidose führen würden. Darüber hinaus fallen durch metabolische Prozesse ständig größere Mengen an nicht flüchtigen Säuren an bzw. werden mit der Nahrung aufgenommen. Ein Abfall des pHWerts im arteriellen Blut stimuliert daher das Atemzentrum sowie periphere Chemosensoren und führt dadurch zu einer Steigerung des Atemminutenvolumens. Die pulmonale Antwort auf Verschiebungen des Säure-Basen Status setzt sehr schnell ein, erreicht aber dennoch erst nach mehreren Stunden ein Gleichgewicht entsprechend der Menge an anfallenden sauren Valenzen. Die alveoläre Ventilation kann hierbei für kurze Zeit auf das 10-fache des Normalwerts gesteigert werden. Dennoch wird durch ventilatorische Kompensation allein der pH-Wert normalerweise nicht vollständig normalisiert. Auch durch maximale Hyperventilation kann der pCO2 nur auf Werte von 10‒15 mm Hg gesenkt werden. Darüber hinaus ist keine respiratorische Kompensation mehr möglich. Metabolische Alkalosen können durch respiratorische Kompensation nur in weitaus geringerem Maße ausgeglichen werden als Azidosen, da die Verminderung der alveolären Ventilation zur Hypoxämie führt. Hierdurch werden sauerstoffsensitive Chemosensoren aktiviert, die wiederum eine Steigerung der Ventilation induzieren. In der Regel kommt es nicht zu einem Anstieg des pCO2 auf mehr als 55 mm Hg.
Renale Kompensationsmechanismen Nach der klassischen Analytik ist die Ausscheidung fixer Säuren (und damit von H+-Ionen) und Ammoniumionen unter normalen Bedingungen eine der Hauptaufgaben der Niere. Die Regulationsmechanismen setzen bei Störungen im Säure-Basen-Haushalt sofort ein. Bis sie klinisch wirksam werden, sind jedoch in der Regel mehrere Stunden erforderlich. Die renale Kompensation findet sowohl bei respiratorischen als auch metabolischen Störungen statt. Die Niere verfügt hierbei über 3 verschiedene effiziente Regelkreise zur Elimination anfallender saurer Valenzen 4 eine Steigerung der Rückresorption von Bikarbonat bei erhöhtem Anfall (I), – 4 die gesteigerte Exkretion fixer Säuren über H2PO4 (II), 4 die gesteigerte Bildung von Ammoniak (III).
60
754
Kapitel 60 · Säure-Basen Status
60.3.1
60
Äthiopathologie von Säure-Basen-Störungen
Bei Intensivpatienten entstehen Störungen im Säure-Basen-Haushalt aus einer Vielzahl von Ursachen. Selbstverständlich sollte hierbei eine kausale Behandlung erstes Therapieprinzip sein. Die wichtigsten Erkrankungen sowie kurze Hinweise zu ihrer Genese sind in . Tab. 60.2 (metabolische Azidosen), . Tab. 60.3 und . Tab. 60.4 (metabolische Alkalosen) zusammengefasst. Oft kann eine metabolische Störung nicht unmittelbar kausal behandelt werden. Eine symptomatische Therapie, z. B. durch Puffern von Azidosen (7 Abschn. 60.4), ist angezeigt. Kenntnisse in der Analytik des Säure-Basen-Haushalts sind deshalb zur Auswahl der optimalen Therapiestrategie sowie prinzipiell zum besseren Verständnis der zugrunde liegenden Erkrankungen von großer Bedeutung.
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. Tab. 60.2 Ätiopathologie der Azidosen
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Azidosen
Ätiopathologie
Laktatazidose
5 Mangelnde Sauerstoffversorgung der Gewebe 5 Hochgradige Leberinsuffizienz 5 Alkoholkrankheit 5 Diabetes mellitus (auch ohne Zufuhr von Biguaniden) 5 Thiaminmangel 5 Kurzdarmsyndrom (D-Laktat)
Ketoazidose
5 Relativer oder absoluter Insulinmangel bei Diabetes mellitus 5 Alkoholkrankheit 5 Fasten
Intoxikationen
5 Kohlenmonoxid und Zyanide o Laktatazidose 5 Acetylsalicylsäure o Akkumulation organischer Säuren (u. a. Laktat), oft überlagert durch respiratorische Alkalose bei Hyperventilation 5 Äthylenglykol o Akkumulation von Glykolsäure und Oxalsäure 5 Methanol o Akkumulation von Formaldehyd
Renale Azidosen
5 Fortgeschrittene Niereninsuffizienz (GFR <20 ml/min): Ausfall der renalen Puffersysteme (7 oben) o meist mit erhöhter Anionenlücke (7 Abschn. 60.30.2) 5 Renale tubuläre Azidose: Es existieren 3 verschiedene Typen, alle sind durch eine verminderte tubuläre H+-Ionen-Sekretion oder eine verminderte Bikarbonatrückresorption gekennzeichnet. 5 Eine Therapie mit Karboanhydrasehemmern (Acetazolamid) führt ebenfalls zu einer verminderten H+-Ionen-Sekretion.
Hyperchloräme Azidose
5 Verlust von alkalischen Sekreten aus Galle, Darm oder Pankreas o Ersatz von Bikarbonat durch Chloridionen im Plasma aus Gründen der Elektroneutralität 5 Einnahme von Colestyramin, Kalzium- oder Magnesiumchlorid 5 Zufuhr großer Mengen NaCl-Lösung oder sog. Vollelektrolytlösungen
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. Abb. 60.1 Renale Kompensationsmechanismen
Alle 3 Regelkreise sind an energieverbrauchende, membranständige Transportprozesse gebunden. In jedem Fall laufen die physiologischen Regelkreise über das Enzym Karboanhydrase. Wichtigste Quelle für Ammoniumionen (Regelkreis III) ist das Glutamin. Die genauen Reaktionswege sind der . Abb. 60.1 zu entnehmen.
60 60.3
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Pathophysiologie des Säure-Basen-Haushalts
Eine Einteilung der metabolischen Störungen im Säure-BasenHaushalt von Intensivpatienten ist sowohl nach äthiopathologischen als auch nach physiologisch-analytischen Gesichtspunkten möglich.
60
755 60.3 · Pathophysiologie des Säure-Basen-Haushalts
. Tab. 60.3 Ätiopathologie der Alkalosen. Der größte Teil der metabolischen Alkalosen resultiert entweder aus einem Mangel an Chloridionen (chloridsensitiv) oder einer gesteigerten Aktivität des mineralokortikoiden Systems (chloridresistent) Alkalose
Äthiopathologie
Chloridsensitive Alkalosen
5 Renal 5 Gastrointestinal 5 Zystische Fibrose
5 5 5 5 5
Chloridresistente Alkalosen
5 5 5 5
5 Gesteigerte mineralokortikoide Aktivität o Hypernatriämie, Hypokaliämie
Andere Ursachen
5 Hyperkalzämie (Pathomechanismus unklar) 5 Massivtransfusion
Primärer Hyperaldosteronismus Sekundärer Hyperaldosteronismus Cushing-Syndrom Bartter-Syndrom
Chloridverluste durch Diuretika (Furosemid, Etacrynsäure) Vermehrte Reabsorbtion von Na+bei Volumenmangel Chloridverluste durch Erbrechen Magensaftdrainage Chloridverluste über Schweiß
5 Milch-Alkali-Syndrom 5 Knochenmetastasen 5 Blutprodukte enthalten Anionen (Acetat, Laktat, Zitrat), die teilweise zu Bikarbonat verstoffwechselt werden
. Tab. 60.4 Ursachen der respiratorischen Alkalose Respiratorische Alkalose
Ursachen
Zentral stimuliert
5 Schmerz 5 Angst 5 Fieber
Drogeninduziert
5 Salizylate 5 Analeptika 5 Progesteron
Peripher stimuliert
5 5 5 5 5
Iatrogen
5 Falsche Respiratoreinstellung
60.3.2
Hypoxämie Asthma Lungenembolien Anämie Kardiale Dekompensation
Physiologisch-analytische Modelle metabolischer Störungen
Allgemein anerkannte Meilensteine in der Entwicklung der Analytik des Säure-Basen-Haushalts waren die Beschreibung der Hendersen-Hasselbalch-Gleichung 1916 [4, 5] (7 Abschn. 60.2.1), des »base excess« 1960 durch Siggaard-Andersen [6, 7] und der Anionenlücke in den 1970-er Jahren [8, 9]. Als weitere wesentliche Entwicklung gilt auch die von Peter Stewart 1983 ausgearbeitete »quantitative Analytik« des Säure-Basen-Haushaltes [10].
Henderson-Hasselbalch-Gleichung Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung bietet nur eine beschreibende Darstellung von pathologischen Veränderungen des SäureBasen-Haushalts. Sie stellt die Wasserstoffionenkonzentration als Funktion der Massengleichung der Kohlensäure dar und betrachtet ausschließlich die Variablen des Bikarbonat-Kohlensäure-Puffersystems (7 Abschn. 60.2.2). Alle anderen möglichen Variablen werden nicht in Betracht gezogen. Es existieren in der Literatur zahlreiche Nomogramme, die den Zusammenhang zwischen pH-Wert, pCO2 – und HCO3 graphisch darstellen. Ein Beispiel zeigt . Abb. 60.2. Als weiteres beschreibendes Element zur Differenzierung von Säure-Basen-Störungen wurde 1977 von Oh die Anionenlücke
. Abb. 60.2 Nomogramm zum Zusammenhang zwischen pH, pCO2 und – HCO3. (Nach Arbus 1973 [11])
(»anion gap«) eingeführt. Sie wird allgemein definiert als Differenz – – des Kations (Na+) und der Anionen (Cl und HCO3): –
Anionenlücke = [Na+] – ([Cl–]+[HCO3 ])
(10)
Der Normalwert der Anionenlücke liegt bei 12±4 Milliäquivalente/l (meq/l). Milliäquivalente/l ist eine im englischen Sprachraum gebräuchliche Angabe zur Beschreibung der Stoffmengenkonzentration. Wie die (veraltete) Angabe mval/l bezieht sie die Wertigkeit eines Ions (z) mit ein. 1 mmol/z = 1 meq = 1 mval
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Kapitel 60 · Säure-Basen Status
In der Realität existiert die Anionenlücke allerdings nicht, denn die Summe aller Kationen und Anionen im Plasma muss immer Null ergeben (»Gesetz der Elektroneutralität«; 7 unten). Es gibt demnach eine ganze Reihe von Ionen, sowohl mit negativer als auch mit positiver Ladung, die in die oben genannte Gleichung nicht eingehen. Diese sind teilweise leicht messbar (Beispielsweise Ka+, Mg2+, Ca2+, Laktat, Albumin) und werden daher von einigen Autoren auch mit in die Berechnung einbezogen, sodass die Definition des »anion gap« mittlerweile nicht mehr ganz einheitlich ist und durchaus unterschiedliche Normwerte angegeben werden [12]. Dennoch kann versucht werden, metabolische Störungen in solche mit großer oder kleiner Anionenlücke zu unterteilen: Bei metabolischen Störungen mit großer Anionenlücke (>20 mmol/l) handelt es sich meist um Azidosen, die durch einen starken Anstieg nicht volatiler Säuren im Plasma verursacht werden. Hierfür kommt eine ganze Reihe von Ursachen in Frage: 4 Versagen der renalen Elimination fixer Säuren bei hochgradiger Niereninsuffizienz, 4 gesteigerter Anfall nicht volatiler Säuren, beispielsweise bei Gewebehypoxie (Laktatazidose) oder im diabetischen Koma (Ketoazidose), 4 Intoxikation mit exogen zugeführten Säuren, z. B. Salizylaten. Metabolische Azidosen mit normaler Anionenlücke sind in der Regel verbunden mit einer Hyperchloridämie und treten v. a. bei größeren Verlusten von Darminhalt, Galle oder Pankreassekret auf. Auch die renale tubuläre Azidose (RTA; 7 unten) ist eine hyperchloräme Azidose mit normaler Anionenlücke. Von hoher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Zufuhr größerer Mengen chloridreicher Volumenersatzlösungen (NaCl-Lösung, Vollelektrolytlösungen, Hydroxyäthylstärkelösungen), die bei Intensivpatienten regelhaft zu einer hyperchlorämen Azidose führen (7 unten). In einer ganzen Reihe von Studien wurde untersucht, ob zwischen der Höhe der Anionenlücke und dem Mortalitätsrisiko kritisch kranker Patienten eine nachweisbare Relation besteht. Die Ergebnisse hierzu sind jedoch uneinheitlich. Einige Autoren sprechen dem »anion gap« durchaus eine prädiktive Bedeutung zu [13], andere fanden Parameter mit höherer prognostischer Aussagekraft, wie z. B. »base excess« oder »strong ion gap« (7 unten).
Standardbikarbonat und »base excess«
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Bereits in den 1940-er Jahren erkannten einige Untersucher, dass eine rein deskriptive Betrachtung, wie sie die Henderson-Hasselbalch-Gleichung und die daraus abgeleiteten Größen bieten, hinsichtlich der Beschreibung von Störungen des Säure-Basen-Haushalts einige Limitationen aufweist. Ein offensichtlicher Nachteil ist, dass Veränderungen des Plasmabikarbonats nur dann eine (semi) quantitative Aussage darüber erlauben, wie viel Säure oder Base dem Plasma zugeführt wurde, wenn der pCO2 konstant gehalten wird. Dies führte zu Entwicklung von Techniken, das Plasmabikarbonat zu standardisieren (7 Abschn. 60.2.1) bzw. die metabolische Komponente einer Säuren-Basen-Störung zu quantifizieren. 1948 prägten Singer u. Hastings [14] den Begriff der »Pufferbase« als Summe des Plasmabikarbonats und der nicht volatilen, schwachen Säure-Basen-Puffer. Dafinition Unter dem Basenüberschuss versteht man die Menge an Pufferbase (oder Säure), die einer Blutprobe bei standardisierten Bedingungen (pCO2 40 mm Hg, Temperatur 37°C) zugeführt werden muss, um einen pH-Wert von 7,4 zu erreichen.
Es existieren zahlreiche Formeln zur exakten Berechnung des »base excess«, in die teilweise unterschiedliche Einflussgrößen (z. B. Hämoglobinkonzentration, Albuminkonzentration, Phosphatkonzentration, O2-Sättigung des Blutes) mit eingehen. Die bekannteste errechnet den sog. genannten Standard-base-excess (SBE). Hierbei wird eine über sämtliche Körperkompartimente gemittelte Hämoglobinkonzentration von 5 g/dl angenommen: SBE = 0,9287 × [HCO–3 – 24,4 + 14,83 ×(pH – 7,4)]
(11)
Der Referenzbereich liegt bei ±3 meq/l. Liegt der SBE unter –3 meql/l, liegt eine metabolische Azidose vor, entweder primär oder kompensatorisch. Mit dem BE ist dem Intensivmediziner ein Instrument an die Hand gegeben, das Ausmaß einer Säure-Basen-Störung auf einen Blick abschätzen zu können. Außerdem kann der SBE zur Berechnung der evtl. notwendigen Menge einer Pufferlösung (z. B. Natriumbikarbonat) herangezogen werden (7 Abschn. 60.4). Daneben wurden, vergleichbar der Anionenlücke, zahlreiche Untersuchungen publiziert, die die prognostische Aussagekraft des Parameters »base excess« hinsichtlich der Mortalität von Intensivpatienten untersuchten. Während einige Autoren dem BE eine hohe prognostische Aussagekraft hinsichtlich des Überlebens insbesondere von politraumatisierten Patienten bescheinigten [15-18], fanden andere keine eindeutige Korrelation [19, 20].
Stewart-Modell des Säure-Basen-Haushaltes Die »moderne quantitative Analytik des Säure-Basen-Haushaltes« [10], wie sie 1983 von Peter Stewart eingeführt wurde, zeigt eine völlig veränderte Sichtweise hinsichtlich der Mechanismen, denen die Veränderungen des Säure-Basen-Haushalts unterliegen, auf. Die wissenschaftliche Diskussion hierüber wird auf breiter Basis geführt und hat bereits zu wichtigen neuen Erkenntnissen und damit einer neuen Sichtweise beigetragen. Das Modell wird daher im Rahmen dieses Kapitels ausführlich dargestellt. z Methodik der quantitativen Analytik Stewarts Ansatz betrachtet Gleichgewichte von Teilchen in Lösungen und die Interaktion dieser Gleichgewichte. Er geht hierbei von 3 Grundprinzipien aus: 4 Dem Prinzip der Elektroneutralität als wichtigster Grundlage: Die Summe der positiven Ladungen im Plasma muss immer der Summe aller negativen Ladungen entsprechen. 4 Die Dissoziationsgleichgewichte aller unvollständig dissoziierten Substanzen müssen immer erfüllt sein. 4 Dem Prinzip von der Erhaltung der Masse. Im Plasma definiert Stewart 3 Komponenten, die zu jeder Zeit diesen Prinzipien unterliegen: 4 Das Wasser, das in nur in geringen Teilen in H+-Ionen und OH–-Ionen dissoziiert vorliegt. 4 »Starke«, d. h. (nahezu) vollständig dissoziierte und damit chemisch nicht mit anderen Substanzen reagierende Ionen, wie Elektrolyte (Na+, K+, Cl–, Ca2+, Mg2+) und körpereigene Substanzen wie Laktat. 4 »Schwache«, d. h. unvollständig dissoziierte Substanzen. Dies sind die volatilen Säure-Basen-Paare Kohlendioxid+Kohlensäure und Ammoniak+Ammonium und die nicht volatilen Paare des Phosphates und der Plasmaproteine.
60
757 60.3 · Pathophysiologie des Säure-Basen-Haushalts
Des Weiteren beschreibt Stewart den pH-Wert und damit die Wasserstoffionenkonzentration, die Hydroxylionenkonzentration – 2– (OH–), aber auch die HCO3 und CO 3 -Konzentrationen als »abhängige« Variablen des Säure-Basen-Haushaltes. Diese sind nicht nur voneinander abhängig, sondern werden von den sog. unabhängigen Variablen vollständig bestimmt:
die Summe aller »starken« (vollständig dissoziierten) Kationen minus der Summe aller »starken« (vollständig dissoziierten) Anionen.
SID = [Na+] + [K+] – [Cl–] – [Lac–] (13) Normalwert: (142 meq/l) + (4 meq/l) – (105 meq/l) – (1 meq/l) = 40 meq/l
Die 1. unabhängige Variable ist der Kohlendioxidpartialdruck (pCO2). Mit der Beschreibung dieser Variablen sind in das Stewart-
Modell die respiratorischen Säure-Basen-Störungen eingeschlossen. Ein Anstieg des pCO2 führt auch hier zu einer Abnahme des pH-Werts und vice versa. Die Henderson-Hasselbalch-Gleichung hat insofern auch in der Theorie Stewarts nach wie vor Gültigkeit, allerdings ist sie keineswegs der einzige Faktor, der das Verhalten von H+-Ionen im Plasma bestimmt oder gar erklären kann. Weitaus interessanter sind die Implikationen des Stewart-Theorems für die metabolischen Veränderungen des Säure-Basen-Haushalts. Die metabolischen Komponenten des Säure-Basen-Haushalts sind im Stewart-Modell in der 2. und 3. unabhängigen Variablen zum Ausdruck gebracht: Die 2. unabhängige Variable ist die Gesamtmenge aller schwachen Säuren [A–] im Plasma. Der von Peter Stewart noch
als »ATOT« bezeichnete Komplex der schwachen negativen Ladungen beinhaltet alle unvollständig dissoziierten und damit chemisch nicht inerten Substanzen des Blutplasmas. Wie man heute weiß, stellen Albumin und Phosphat hierbei die Hauptmenge an schwachen negativen Ladungen dar [21]. So lässt sich [A–] nach Fencl et al. [22] mit Hilfe folgender Formel berechnen:
[A–] = [Alb ×(0,123 ×pH – 0,631)] + [Pi ×(0,309 ×pH – 0,469)] (12)
Die Albuminkonzentration ist hierbei in g/l, die des ionisierten Phosphats in mmol/l anzugeben. Legt man normale Albumin- bzw. Phosphatkonzentration von 45 g/l bzw. 1,2 mmol/l zugrunde, so berechnet sich bei einem pH von 7,4 (der pH-Wert ist hierbei für die Berechnung der Dissoziation des Albumins und des (ionisierten) Phosphats notwendig) ein Normalwert für [A–] von: 12,3 + 2,2 = 14,5 meq/l. Die 3. unabhängige Variable ist die Differenz der starken Ionen, die »strong ion difference« (SID). Unter der SID versteht Stewart
Hier dargestellt ist zunächst die leicht messbare, sog. »Bedside-SID«. Stewart beschrieb Natrium und Chlorid als die Hauptkomponenten der SID, da diese, bezüglich ihrer Konzentrationen im Extrazellu4– lärraum die größte Rolle spielen. K+ und SO2 , Ca2+ und Mg2+ sind zwar als weitere potenziell starke Ionen einzustufen, nicht nur die in vivo niedrige Konzentration, sondern auch die vergleichsweise geringe Schwankungsbreite im Plasma führt jedoch dazu, dass deren Beitrag für Veränderungen des Säure-Basen-Haushaltes begrenzt ist. Laktat ist kein Ion im chemischen Sinn, verhält sich aber zumindest im Plasma- und Extrazellulärraum aufgrund seiner nahezu vollständigen Dissoziation in Lac– wie ein starkes Ion und wurde daher in die SID eingruppiert [10]. . Abb. 60.3 erläutert das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten in Stewarts Model: Aus dem Diagramm ist ersichtlich, dass die Summe der Ladungen aller Kationen im Plasma ([Na+], [Ka+], [Mg2+], [Ca2+]) ca. 150 meq/l beträgt. Auf der negativen Seite stehen zunächst [Cl–] und [Laktat–] mit zusammen ca. 103 meq/l. Als Gesamtdifferenz der Ladungen dieser Ionen ergibt sich die oben beschriebene SID mit ca. 47 meq/l, die auch als »apparente SID« (SIDa) bezeichnet wird. Aus Gründen der Elektroneutralität, dem wesentlichsten Prinzipien des Stewart-Modells (7 oben), müssen aber noch weitere negativ geladene Komponenten im Plasma vorhanden sein: Dies ist – zum einen das [HCO3] (ca. 24 meq/l) und zum anderen die bereits angesprochene Fraktion der schwachen Säuren [A–] (ca.15 meq/l). Figge et al. [21] beschrieben folgerichtig eine »effektive SID« (SIDe), die sich als Funktion der Albumin- und Phosphatkonzentration sowie von pH und pCO2 berechnen lässt. [A–] wird hierbei mit Hilfe der Formel (12) berechnet, die aktuelle Bikarbonatkonzentration über die Henderson-Hasselbalch-Gleichung (5) aus pH-Wert und pCO2. Es gilt: SIDe = f(pH, pCO2, [Alb], [Pi–])
. Abb. 60.3 Normales Ioniogramm
(14)
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Kapitel 60 · Säure-Basen Status
Vereinfacht lässt sich SIDe auch darstellen als: SIDe = [A–] + [HCO–3 ] Normalwert: (14,5 meq/l) + (24 meq/l) = 38,5 meq/l
(15)
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Ergänzt man die Summe aus [Cl–] und [Laktat–] um die Summe – aus [A–]+[HCO3] (. Abb. 60.3), zeigt sich, dass zum Erreichen der Elektroneutralität noch weitere negativ geladene Komponenten dargestellt werden müssen. Wiederum Figge et al. [21] wiesen zu Recht darauf hin, dass nicht alle Anionen messtechnisch erfasst werden können. So finden sich im Blutplasma negative Ladungen (Ketonsäuren, Sulfat, Hydroxyproprionat, Oxalat u. a.), die den heutigen Blutgasanalysatoren vollkommen entgehen [23]. Die Fraktion dieser »schwer« messbaren Anionen (»unmeasured anions«) »füllt den Raum« zwischen SIDa und SIDe und wird demzufolge auch als »strong ion gap« (SIG) bezeichnet.
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SIG = SIDa – SIDe Normalwert: (47 meq/l) – (38,5 meq/l) = 8,5 meq/l
(16)
Das SIG ist von den Veränderungen der Plasmaalbuminkonzentration unabhängig. Im Gegensatz hierzu ist die Anionenlücke weitaus weniger spezifisch. Sie erfasst sowohl die Veränderungen der »unmeasured anions« als auch die Veränderungen der Plasmaproteine und des Laktats [24]. Das vollkommen neue Verständnis für die Mechanismen der Veränderungen des Säure-Basen-Status im Stewart-Modell ergibt sich aus folgendem Axiom: > Abhängige Variablen, wie der pH-Wert – damit auch [H+] und [HCO–3] – können sich nur dann im Sinne einer Azidose oder Alkalose ändern, wenn sich zumindest eine der unabhängigen Variablen pCO2, [A–] oder SID verändert. Bei ausschließlich metabolischen Veränderungen (pCO2 konstant) sind der pH-Wert und damit auch die Bikarbonatkonzentration vollkommen determiniert von Veränderungen von [A–] und/oder der SID.
Eine metabolische Azidose wird demnach nur durch einen Anstieg von [A–] oder eine Abnahme der SID verursacht, eine metabolische Alkalose nur durch eine Verminderung von [A–] oder eine Zuname der SID. . Abb. 60.4 verdeutlicht beispielhaft die Entstehung einer metabolischen Azidose durch eine Abnahme der SID bei Hyperchloridä-
mie und die einer metabolischen Alkalose durch Abnahme von [A–] bei Hypalbuminämie. Die Rolle des Bikarbonats als abhängige Größe wird hier klar ersichtlich: Werden dem System starke Anionen zugeführt, z. B. – in Form von Chlorid, verkleinert sich die SID, [HCO3 ] muss aus Gründen der Elektroneutralität abnehmen. Kommt es zu einem Verlust an [A–], beispielsweise durch eine Abnahme des Serumal– bumins, steigt die [HCO3 ] zur Wahrung der Elektroneutralität an. Selbstverständlich verändern sich hierbei auch die Konzentrationen der anderen abhängigen Ionen (z. B. [OH–]), diese sind jedoch aufgrund ihrer geringen Menge für das Gesamtsystem von kleinerer Bedeutung. Sollen die Veränderungen sämtlicher abhängigen Variablen in diesem Zusammenhang berechnet werden, folgt dies mathematisch gesehen einem Polynom 4. Ordnung. SID und [A–] müssen immer im Zusammenspiel betrachtet werden, da sie sich auch voneinander unabhängig verändern können. So sind Konstellationen denkbar, in denen der BE Null ergibt oder das Bikarbonat mit 24 meq/l normal ist, aber dennoch eine hyperchloräme Azidose vorliegt, die jedoch vollständig durch eine hypoalbuminäme Alkalose überlagert wird. Im klinischen Alltag ist diese Situation keineswegs selten, entsteht sie doch z. B. nach der Verabreichung größerer Mengen kochsalzhaltiger Infusionslösungen ([Cl–]) bei gleichzeitiger Verdünnung des Plasmaalbumins. Der klassischen Analytik entgeht eine solche Störung des Säure-BasenHaushaltes vollkommen. z Stewarts Analytik in der wissenschaftlichen Diskussion Der Ansatz von Stewart bietet eine Reihe sehr interessanter Implikationen. So ist etwa die einwandfreie Funktion humaner Enzymsysteme nach Stewart nicht abhängig vom pH-Wert (7 oben), sondern von der SID und damit von den Konzentrationsverhältnissen der starken Ionen. Auch die bereits beschriebenen (7 Abschn. 60.2.2) renalen Kompensationsmechanismen metabolischer Störungen müssen nach den Vorstellungen von Stewart aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Nicht die Sekretion von H+-Ionen und die Rückresorbtion von Bikarbonat sind hierbei die Zielgrößen der renalen Regulation, sondern Veränderungen der Plasma-SID durch Sekretion bzw. Rückresorbtion von Na+, Ka+und Cl–. Hier könnte sich möglicherweise ein Widerspruch zu unseren Kenntnissen über Protonenpumpen und Bikarbonattransportsystemen der Zellmembranen ergeben, die aktuell erforscht werden. Die außer Frage stehende Relation zwischen Fehlfunktionen der membranständigen Protonenpumpen und der RTA beispielsweise könnte ein Problem für Stewarts Analytik darstellen. Erste Arbeiten u. a. von Corey et al. [25] und Ring et al. [26] zeigen jedoch auf, dass Stewarts Theorem auch hier anwendbar sein könnte. So korrelierte in der Arbeit von Corey et al., die Patienten mit RTA einer Koch-
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. Abb. 60.4 Entstehung einer metabolischen Azidose durch Abnahme der SID bei Hyperchloridämie und Entstehung einer metabolischen Alkalose durch Abnahme von [A–] bei Hypalbuminämie
60
759 60.4 · Therapie der Störungen
salzbelastung aussetzten, der Plasma-pH-Wert nicht wie erwartet mit der renalen Bikarbonatausscheidung, sondern mit der SID. Für die Intensivmedizin ebenfalls interessant sind die Arbeiten von Scheingraber et al. [27], Rehm et al. [28‒30] und Kellum et al. [31‒35], die sich mit dem Einfluss von Infusionslösungen auf den Säure-Basen-Haushalt befassten. Scheingraber et al. infundierten Patientinnen im »steady state« größere Mengen an NaCl-Lösung ([Na+] und [Cl–] je 154 meq/l; SID = 0) und stellten fest, dass die mit Hilfe des Stewart-Modells prognostizierten Veränderungen im Säure-Basen-Status (hyperchloräme Azidose) exakt eintrafen. Bei Infusion der gleichen Menge Ringer-Laktatlösung ([Na+] = 129 meq/l; [Cl–] = 109 meq/l; SID = 27 meq/l) trat dieser Effekt nicht ein. Hier wurde die metabolische Azidose (Zufuhr von Chloridionen) durch eine metabolische Alkalose (Abnahme des Serumalbumins) vollkommen kompensiert. Die Patientinnen blieben pHstabil. Durch die oben genannten Arbeiten wurde der Begriff der »Dilutionsazidose« relativiert. Hierunter verstand man nach traditioneller Auffassung die Verdünnung von Bikarbonat im Extrazellulärraum durch bikarbonatfreie Elektrolytlösungen und eine sich hieraus ergebende Azidose. Die hier vorgestellten Arbeiten zeigen aber, dass, entsprechend der Terminologie von Stewart, nicht die Dilution von Bikarbonat, sondern Konzentrationsänderungen der Elektrolyte und Plasmaeiweiße als kausal für die Veränderungen im Säure-Basen-Haushalt anzusehen sind. Rehm et. al. [28] beschäftigten sich in ihren Arbeiten u. a. mit dem Einfluss von hydroxyäthylstärke-und albuminhaltigen Infusionslösungen und konnten die Anwendbarkeit von Stewarts Analytik ebenfalls bestätigen. Kellum und andere Autoren untersuchten den Einfluss der hyperchlorämen Azidose auf die Organsysteme und fanden negative Auswirkungen auf Hämodynamik [32], NO-Freisetzung [43], Immunsystem [32], Perfusion der gastralen Schleimhäute [37] und Hämostase [38, 39]. Als Konsequenz dieser Studien werden von der pharmazeutischen Industrie in jüngster Zeit vermehrt sog. balancierte Infusionslösungen angeboten. Balancierte Infusionslösungen enthalten ein verstoffwechselbares Anion (z. B. Laktat oder Azetat). Hierdurch wird die SID der Lösung soweit herabgesetzt, dass die Verdünnung der Plasmaeiweiße und damit die Abnahme von [A–] gerade ausgeglichen wird. Der Säure-Basen-Haushalt des Patienten bleibt daher, auch nach Infusion mehrerer Liter dieser Lösungen, unbeeinflusst. Analog zu Untersuchungen bezüglich der Anionenlücke und des BE finden sich in der Literatur etliche Studien, die den prognostischen Wert des »strong ion gap« hinsichtlich der Mortalität von Intensivpatienten evaluierten. Balasubramanyan et al. [19], Gunnerson et al. [40] und Kaplan u. Kellum [41] sprachen dem SIG hierbei einen besseren prädiktiven Wert zu als den Parametern der klassischen Säure-Basen-Analytik. Andere Untersucher fanden keine Unterschiede [49]. Die Frage nach der klinischen Relevanz des Stewart-Modells kann aus heutiger Sicht noch nicht abschließend beantwortet werden. Es darf aber festgehalten werden, dass Stewarts Analytik ein zunehmendes Maß an Aufmerksamkeit und auch Akzeptanz erhält. Etliche Kritiker verneinen andererseits die Notwendigkeit einer neuen Säure-Basen-Analytik, da aus deren Applikation auch kein zweifelsfreier klinischer Vorteil zu erkennen sei [42]. Fencl et al. [22] konnten jedoch zeigen, dass gerade bei Intensivpatienten eine Vielzahl verschiedener »versteckter« metabolischer Säure-BasenStörungen auftreten, die mit einem normalen BE oder einer normalen Bikarbonatkonzentration einhergehen und damit der traditionellen Analytik entgehen müssen. Etliche weitere Fragen sind bis heute unbeantwortet: Gibt es überhaupt Veränderungen des Säure-Basen-Haushaltes, die nur
mit Hilfe der einen, nicht aber der anderen Analytik erklärt werden können? Lässt sich die Richtigkeit des einen oder anderen Ansatzes beweisen oder sind die Ansätze nicht lediglich komplementär und demzufolge beide, der »klassische« und der »quantitativ analytische«, völlig korrekt? In seiner Arbeit »Reunification of acid-base physiology« [12] zeigt Kellum beispielhaft auf, dass etliche Kenngrößen der »konkurrierenden« analytischen Systeme durch einfache mathematische Umformungen ineinander übergeführt werden können. So kann beispielsweise die SID auch als Maß und damit die Elektrolyte als wichtige Einflussgrößen für die durch Singer und Hastings eingeführte »Pufferbase« verstanden werden. Nimmt die SID ab, führt dies zu einer Azidose und vice versa.
60.3.3
Respiratorische Störungen
Respiratorische Azidose Der arterielle pCO2 repräsentiert prinzipiell das Verhältnis zwischen CO2-Produktion und alveolärer Ventilation:
paCO2 =
[CO2] – Genese
(17)
alveoläre Ventilation
Von wenigen Ausnahmen abgesehen (maligne Hyperthermie, thyreotoxische Krise, unausgewogene parenterale Ernährung) findet sich beim Intensivpatienten fast immer eine reduzierte alveoläre Ventilation als Ursache einer Hyperkapnie. Kausale Therapiemaßnahmen zielen daher selten auf eine verminderte CO2-Produktion (Dantrolene, Thyreostatika), sondern meist auf die Wiederherstellung einer adäquaten Ventilation (Reversion eines Relaxanzien-, Narkotika- oder Opioidüberhangs, evtl. Bronchodilatation). Ist dies nicht in ausreichendem Maß möglich, so ist die maschinelle Beatmung oft die einzig sinnvolle Therapieoption, da renale Kompensationsmechanismen erst verzögert einsetzen und ausgeprägte respiratorische Azidosen grundsätzlich nicht völlig kompensieren können.
Respiratorische Alkalose Auslöser einer respiratorischen Alkalose ist i. Allg. eine im Verhältnis zur CO2-Produktion inadäquat gesteigerte alveoläre Ventilation. Hierfür kommt eine ganze Reihe von Ursachen in Frage (. Tab. 60.4). Die Therapie erfolgt in der Regel durch die Behandlung der auslösenden Erkrankung. In seltenen Fällen (pH>7,6) kann die Gabe von HCL-Lösung notwendig sein.
60.4
Therapie der Störungen
Prinzipiell sollte bei Störungen des Säure-Basen-Haushaltes die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund stehen. Da dies nicht in allen Fällen möglich ist, steht als symptomatische Therapieoption bei metabolischen Azidosen die Gabe alkalisierender Substanzen zur Verfügung. Natriumbikarbonat (NaBic) ist hierbei immer noch das am meisten eingesetzte Medikament, Trometamol (THAM, Trishydroxymethylaminomethan, R-NH2) kann eine Alternative darstellen.
760
60
Kapitel 60 · Säure-Basen Status
. Tab. 60.5 Wirkungsweise und Nebenwirkungen von Pufferlösungen Wirkungsweise nach klassischer Analytik
Wirkungsweise nach dem Stewart-Modell
Unerwünschte Wirkungen
Natriumbikarbonatlösung (8,4%)
Zufuhr von Bikarbonat: – H + HCO3 lH2CO3 lCO2 + H2O
Zufuhr des starken Kations Na+
5 Hypertone Lösung 5 Hypernatriämie 5 Hyperkapnie
THAM-Lösung (36,34%)
Produktion von HCO3 + – R – NH2 + H2O + CO2 l (R-NH 3) + HCO3
Entstehung eines »unmeasured + kation« THAM + (R-NH 3)
5 5 5 5 5
60 60 60
–
60 60 60 60 60
Dosierung von NaBic 4 NaHCO3 [mmol] = SBE × 0,2 × Körpergewicht [kg]
(18)
Dosierung von THAM
60 60 60 60 60 60 60 60 60 60 60 60 60 60
(THAM+), ein mit herkömmlichen Methoden nicht messbares starkes Ion, das ebenfalls den »Kationenpool« vergrößert und so auf der Seite der Anionen »Raum« schafft für eine Vergrößerung der SID. Fazit
Der Faktor 0,2 ergibt sich hierbei aus dem Anteil des EZR am Gesamtkörpergewicht.
60 60
Hypertone Lösung Hyperkaliämie o Hypokaliämie Hypoglykämie, Erbrechen Atemdepression (pCO2 p) Kumulation bei Niereninsuffizienz
4 THAM [mmol] = SBE × 0,3× Körpergewicht [kg]
(19)
Der Faktor 0,3 resultiert hier daraus, dass das THAM-Molekül nur zu 70% in dissozierter (= wirksamer) Form vorliegt, die Dosierung also etwas höher gewählt werden muss. Zu beachten ist, dass sowohl THAM (3000 mmol/l) als auch Nabic (1000 mmol/l) hyperosmolare Lösungen sind! (. Tab. 60.5).
Die Analytik des Säure-Basen-Haushalts hat, seit Erkennung der enormen Bedeutung metabolischer Störungen für den menschlichen Organismus, immer wieder zu teils enthusiastischen, teils sehr kontroversen Diskussionen geführt, wie z. B. im Rahmen der klassischen »Great transAtlantic acid-base debate« oder bei Einführung der Stewart-Analytik. Dem Thema »Säure-Basen-Haushalt« wird in der Zukunft noch viel Aufmerksamkeit zuteil werden. Arbeiten wie die »Reunification of acidbase physiology« [12] stellen wichtige Grundlagen zukünftiger Forschung dar, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden können.
Literatur 1
> Pufferlösungen sollten nur über einen zentralen Venenkatheter infundiert werden.
2
Substanzunabhängig bestehen bei einer zu hohen Alkalizufuhr folgende Gefahren: 4 Linksverschiebung der Sauerstoffdissoziationskurve mit dadurch erschwerter Sauerstoffabgabe an die Gewebe. 4 Entwicklung einer intrazellulären Azidose: Bei der Pufferung mit NaBic entsteht CO2. Dies kann, insbesondere bei hämodynamischer und/oder respiratorischer Instabilität, evtl. nicht ausreichend eliminiert werden und wird intrazellulär angereichert. Inwieweit diese potenzielle Gefahr im menschlichen Organismus tatsächlich von Bedeutung ist, ist allerdings unklar.
3
! Cave Der intrazelluläre Säure-Basen-Status wird durch eine Blutgasanalyse nicht erfasst.
»Klassische« und »moderne« Analytik gehen von völlig unterschiedlichen Wirkmechanismen einer »Pufferlösung« aus (. Tab. 60.5). Nach Stewarts Terminologie ist die Zufuhr bzw. die Produktion von Bikarbonat – einer abhängigen Variablen – für die Verän– derung von pH und HCO3 völlig irrelevant. Durch die Infusion von NaBic steigen SIDa und SIDe [29], der »Kationenpool« vergrößert sich. Damit ist die Infusion des starken Ions Natrium, nicht aber die Zufuhr von Bikarbonat als Ursache der pH-Wertveränderung anzusehen. Im Falle der THAM- Infusion postulierten Rehm u. Finsterer [29] das Entstehen eines positiv geladenen THAM-Moleküls
4 5
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60
763
Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation B.K. Krämer, B. Krüger
61.1
Einleitung – 764
61.2
Grundlagen der Nierenfunktion – 764
61.3
Ätiologie und Pathophysiologie – 764
61.3.1 61.3.2 61.3.3
Prärenales ANV – 765 Intrarenales (intrinsisches) ANV – 765 Postrenales ANV – 768
61.4
Diagnostisches Vorgehen – 768
61.4.1 61.4.2 61.4.3
Anamnestische Hinweise – 768 Urinanalytik – 769 Weiterführende Diagnostik – 769
61.5
Verlauf und Komplikationen – 769
61.6
Prognose – 770
61.7
Prophylaxe und Prävention – 770
61.8
Therapeutisches Vorgehen – 771
61.8.1 61.8.2 61.8.3 61.8.4 61.8.5 61.8.6 61.8.7
Allgemeine Therapiemaßnahmen – 771 Medikamentöse Therapie – 772 Indikation für extrakorporale Verfahren – 773 Zugangsmöglichkeiten für extrakorporale Verfahren – 773 Definition und Prinzipien der extrakorporalen Verfahren – 774 Technik der extrakorporalen Nierenersatzverfahren – 776 Extrakorporale Verfahren bei Intoxikationen – 777
Literatur – 777
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_61, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
61
764
61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61 61
61.1
Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
Einleitung
Die akute Einschränkung der Nierenfunktion (=akutes Nierenversagen; ANV) bis zur Dialysepflichtigkeit ist eine häufige Komplikation bei stationären Patienten (3–10%) und besonders bei Intensivpatienten (10–30%). Patienten nach Herzoperation erleiden in ca. 4–5% ein ANV (in 1–2% der Fälle dialysepflichtig), und bei Patienten nach schwerem Trauma (Crushsyndrom), z. B. nach Erdbeben, kommt es in 6,5–54% zu einem dialysepflichtigen ANV. Selbst Nierenschäden, die noch kein Nierenersatzverfahren erfordern, z. B. nach Kontrastmittelgabe, bzw. abhängig vom Schweregrad (RIFLE-Kriterien; 7 unten), haben eine deutliche Auswirkung auf die Mortalität [1, 2]. Bevölkerungsweit nimmt die Zahl von Patienten mit ANV bzw. dialysepflichtigem ANV von 61 bzw. 4 pro 100.000 Einwohner in 1988 auf 288 bzw. 27 pro 100.000 Einwohner in 2002 zu. Die Verteilung der Häufigkeit der Ursachen für ein ANV bei 748 Patienten in Madrid erbrachte in 45% ein intrarenales ANV (»akute Tubulusnekrose«), in 21% ein prärenales ANV, in 10% ein postrenales ANV, in 13% ein »acute on chronic« ANV, Glomerulonephritis/Vaskulitis in 4%, akute interstitielle Nephritis in 2% und Atheroembolie in 1%. In der PICARD-Studie wurden 618 Patienten mit ANV in 6 Intensivstationen in den USA untersucht: Über 70% wurden als ischämisches ANV klassifiziert (einschließlich Sepsis/Hypotonie), der Rest waren prärenale ANV (Hypovolämie, Hämorrhagie), Nephrotoxizität, ANV bei Herzerkrankungen, ANV bei Lebererkrankungen und ANV mit multifaktoriellen Ursachen.
61 61 61 61
Serumkreatinin
GFR-Abnahme
Urinmenge
Risk (Grad 1)
1,5–2-facher Anstieg (>0,3 mg/dl)
25%
<0,5 ml/ kg KG/h für 6 h
Injury (Grad 2)
2–3-facher Anstieg
50%
<0,5 ml/ kg KG/h für 12 h
Failure (Grad 3)
>3-facher Anstieg (>4 mg/dl, akuter Anstieg ≥0,5 mg/ dl)
75%
<0,3 ml/ kg KG/h für 24 h oder Anurie für 12 h
Loss
Dialysepflicht >4 Wochen
100%
ESRD
Dialysepflicht >3 Monate
100%
Cystatin C ist ein niedermolekulares Protein (Mitglied der Cystatin-Superfamilie von Cysteinproteasehemmern), das relativ konstant von allen kernhaltigen Körperzellen gebildet wird. Cystatin C wird frei filtriert und nicht reabsorbiert, jedoch tubulär metabolisiert. RIFLE-Kriterien
61.2
Grundlagen der Nierenfunktion
Beide Nieren werden von ca. 1,1 l/min Blut durchblutet (ca. 0,6 l Plasma). Etwa 20% des Plasmas (120 ml/min=glomeruläre Filtrationsrate; GFR) wird während der Passage durch die Glomeruli abfiltriert, entsprechend einer Gesamtprimärurinmenge von etwa 175 l/ Tag. Aus dem Primärurin werden 95–99,5% des Wassers, Natriums und Chlorids, 85–95% des Kaliums und nahezu 100% des Bikarbonats rückresorbiert. Die Regulation des renalen Blutflusses (RBF), der GFR und der tubulären Rückresorption unterliegt intrarenalen und extrarenalen (humoral/nerval) Mechanismen. Ein Abfall des effektiv zirkulierenden Blutvolumens, z. B. beim Blutverlust, führt durch Stimulation des Sympathikus und des RAAS, durch Abfall des renalen Perfusionsdruckes und durch volumenabhängige Stimulation der ADH-Sekretion zu einer gesteigerten Natrium- und Wasserrückresorption, sodass nur wenig konzentrierter Urin mit niedriger Natriumkonzentration produziert wird. Die Konzentrationsleistung der Niere setzt eine intakte Funktion der Tubulusepithelien voraus und geht bei Tubuluszellschädigung verloren, sodass die Urinanalytik Hinweise auf die Funktion gibt. Kreatinin, Harnstoff, Cystatin C
61
. Tab. 61.1 Einteilung des ANV nach den modifizierten RIFLEKriterien [36]
Der ideale Indikator der Nierenfunktion wird frei und vollständig in den Primärurin filtriert, aber weder tubulär sezerniert oder reabsorbiert (z. B. Inulin). Kreatinin (aus Kreatinmetabolismus im Skelettmuskel und Zufuhr von Fleisch) und Harnstoff werden frei filtriert, und ihre Konzentration im Primärharn entspricht der Serumkonzentration. Kreatinin wird darüber hinaus im Verlauf der Nephronpassage aus dem Tubulusepithel ins Lumen sezerniert, Harnstoff hingegen zu 35–50% reabsorbiert. Die Harnstoffrückresorption ist an die Natriumrückresorption gekoppelt. Ein im Vergleich zum Serumkreatinin überproportionaler Anstieg der Serumharnstoffkonzentrationen deutet auf eine Stimulation der Rückresorptionsmechanismen hin (oder ist Zeichen der Katabolie).
Die Acute Dialysis Quality Initiative (ADQI) hat die sog. RIFLE(Risk Injury Failure Loss ESRD) Kriterien entwickelt [3, 4]. Diese Kriterien setzen sich aus Anstieg des Serumkreatininwertes oder GFR-Abnahme oder Abnahme der Urinmenge zusammen. »risk« wurde auch als Grad 1, »injury« als Grad 2 und »failure« als Grad 3 definiert. Alle Patienten, die dialysepflichtig sind, werden mindestens dem Grad 3 zugeordnet (. Tab. 61.1).
61.3
Ätiologie und Pathophysiologie
Das ANV wird unter pathophysiologischen Aspekten in 3 Kategorien eingeteilt:
Klassifikation der Ursachen des akuten Nierenversagens Prärenales ANV 4 Hypovolämie – Dehydratation, Fieber, Blutungen, Verbrennungen – externe Flüssigkeitsverluste – gastrointestinal: Erbrechen, Diarrhö – renal: Diuretika, osmotische Diurese (Diabetes mellitus, Mannitol), polyurisches ANV – Sequestration von Flüssigkeit in den 3. Raum – Peritonitis, Pleuritis, Pankreatitis, Trauma, Verbrennungen – schwangerschaftsassoziiert (Hyperemesis, septischer Abort, HUS/TTP) oder peripartale Komplikationen (Präeklampsie) 4 Hypovolämie/Hypotonie – große Operationen: Herzchirurgie, Bauchaortenaneurysmaoperation, Verschlussikterusoperation 6
765 61.3 · Ätiologie und Pathophysiologie
– Sepsis, IL-2-Therapie (»capillary leak syndrome«), Endokarditis – Crushsyndrom 4 Niedriges Herzzeitvolumen – Herzinsuffizienz, Klappenvitien, Herzbeuteltamponade, Tachykardie, Bradykardie – Lungenembolie, PEEP 4 Erhöhter intrarenaler Gefäßwiderstand – Sepsis, Katecholamintherapie, Medikamente (Amphotericin B, Ciclosporin) – Leberzirrhose (hepatorenales Syndrom) 4 Renale Hypoperfusion bei gestörter Autoregulation – ACE-Hemmer, ARB, Cyclooxygenasehemmer (NSAID, COX-2-Hemmer) Intrarenales ANV 4 Ischämisches und/oder toxisches Nierenversagen – Ischämiefaktoren 7 oben bei prärenalem ANV – toxische Faktoren wie Röntgenkontrastmittel – Antibiotika (z. B. Aminoglykoside, Vancomycin, Amphotericin B) – Chemotherapeutika (z. B. Cisplatin, Methotrexat), Ciclosporin A, Äthylenglykol, Myoglobin, Hämoglobin, Harnsäure, Oxalat – Sepsismediatoren, Paracetamol im Rahmen von Überdosierungen 4 Renovaskuläre Erkrankungen – Nierenarterienthrombose oder -embolie mit Niereninfarkten, dissezierendes Aorteneneurysma, Cholesterinemboliesyndrom 4 Primär renale Erkrankungen/renale Beteiligung bei Systemerkrankungen/Infektionen – rapide progressive Glomerulonephritis, Vaskulitis, hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) – thrombozytopenische Purpura (TTP), disseminierte intravasale Gerinnung (DIC), Sklerodermie, Endokarditis, Shuntnephritis – akute interstitielle Nephritis – allergisch: Antibiotika (z. B. β-Laktamantibiotika, Rifampicin, Sulfonamide), Diuretika, Cyclooxygenasehemmer – infektiös: bakterielle Infektionen (Pyelonephritis, Leptospirose), Virusinfekte (Polyoma), Pilzinfektionen 4 Intratubuläre Obstruktion – monoklonale Leichtketten (Myelomniere, häufig multifaktoriell, u. a. Hyperkalzämie, Anfälligkeit für Kontrastmittel/NSAID, Hyperurikämie, Hyperviskosität) – Urat (Tumorlysesyndrom), Oxalat (Äthylenglykol, Vitamin C), Aciclovir, Hochdosis-Methotrexat – Sulfonamide, Indinavir, Hämproteine (Myoglobin, Hämoglobin), Triamteren – Natriumphosphat in Lösungen zur Koloskopievorbereitung (akute Phosphatnephropathie) Postrenales ANV 4 Ureterobstruktion – Nephrolithiasis (beidseitig), Papillennekrosen (beidseitig), Malignome (z. B. Ovarialkarzinom) 4 Obstruktion im Bereich der Harnblase – benigne Prostatahypertrophie, Blutkoagel, neurogene Blase, Nephrolithiasis, Malignome 4 Urethraobstruktion – Striktur, angeborene Urethralklappen
61.3.1
Prärenales ANV
Ein prärenales ANV ist eine funktionelle Nierenfunktionseinschränkung, die nach Normalisierung der renalen Durchblutung prompt reversibel ist. Das Nierentubulusepithel ist dabei (noch) nicht strukturell geschädigt. Ziel ist eine maximale renale Volumenkonservierung zugunsten der Aufrechterhaltung des effektiven zirkulierenden Blutvolumens und der Durchblutung vitaler Organe (Gehirn, Herz). Eine anhaltende, schwere Minderperfusion der Nieren kann im Verlauf aber zu einem intrarenalen ANV führen.
Pathomechanismen Eine Hypovolämie, die ausreichend ist, um ein ANV hervorzurufen, kann sich im Rahmen von Blutverlusten, Dehydratation, gastrointestinalen Flüssigkeitsverlusten oder Sequestration von Flüssigkeit in den Extrazellulärraum entwickeln. Bei großen Operationen besteht häufig eine Kombination aus Hypovolämie und Hypotonie (. Abb. 61.1). Auch eine Verminderung des effektiv zirkulierenden Volumens trotz teilweise normalem oder erhöhtem Extrazellulärvolumen wie bei Herzinsuffizienz, nephrotischem Syndrom oder bei systemischer Vasodilatation (z. B. bei Sepsis) kann ein prärenales ANV verursachen (. Abb. 61.1). Zu einem ANV kommt es, wenn die Autoregulationsmechanismen überfordert werden, die die GFR bei abfallendem Nierenperfusionsdruck zunächst noch aufrechterhalten. Diesbezüglich von Bedeutung sind Prostaglandine (Vasodilatation) und das RAAS (Konstriktion der efferenten Arteriole durch Angiotensin II). Deshalb können die nichtsteroidalen Antiphlogistika, auch die COX2-Hemmer, und ACE-Hemmer/ARB bei schon beeinträchtigter renaler Hämodynamik ein akutes Nierenversagen auslösen. > Besonders wichtig ist eine renale Minderperfusion auch bei Patienten mit akutem Leberversagen.
Die Zunahme der Durchblutung im Splanchnikusgebiet (NOvermittelt) mit systemischer Vasodilatation, gesteigertem HZV und systemischer Hypotonie geht mit der Verschlechterung der Lebererkrankung einher. Eine gegenregulatorisch (RAAS, Sympathikus) bedingte intrarenale Vasokonstriktion und stark stimulierte Natriumrückresorption (<10 mmol Na+/l Urin) kennzeichnen das »hepatorenale Syndrom«.
61.3.2
Intrarenales (intrinsisches) ANV
Das intrarenale ANV (ANV im engeren Sinne) entspricht einem mit Tubuluszellschädigung einhergehenden Nierenversagen, das in der Regel 1–3 Wochen anhält und sich dann in über 90% der Fälle langsam zurückbildet. Man unterscheidet zwischen 4 Initiierungsphase des ANV mit Störungen in der renalen Vasomotorik, prärenaler Azotämie, zellulärer ATP-Depletion und oxidativem Stress, 4 Extensionsphase des ANV mit proinflammatorischer Aktivierung von Dendriten, Makrophagen, Endothelzellen, Tubuluszellen und konsekutiver Adhäsion von Entzündungszellen an das Endothel peritubulärer Kapillaren im Nierenmark mit medullärer Kongestion und Hypoxie und 4 Erhaltungsphase mit Wiederherstellung der Tubuluszellen durch Redifferenzierung/Proliferation benachbarter intakter Tubuluszellen und durch Stammzellen und schlussendlich der 4 Reparaturphase mit Wiederherstellung der Polarität und Funktionalität der Tubuluszellen [5].
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Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
intravaskulärer Volumenmangel
Vorbestehende
Gastrointestinale, renale, oder dermale Verluste, Hämorrhagie, Schock
chron. Niereninsuffizienz
. Abb. 61.1 Mechanismen des akuten präund intrarenalen ANV
Renale Gefäßerkrankung der großen Gefäße
Vermindertes effektives intravaskuläres Volumen
Nierenarterienembolie, -thrombose, Nierearterienstenose
Herzinsuffizienz, Zirrhose, Nephrose, Peritonitis
Reduktion des renalen Blutflusses (generalisiert, lokalisiert)
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Tubulustoxizität Medikamente
Renale Gefäßerkrankung der kleinen Gefäße
CyA, Tacrolimus, ACE-Hemmer NSAIDs, KM, Amphotericin B
Vaskulitis, HUS, Sklerodermie, Präeklampsie, Atheroembolismus, maligne Hypertonie, Hyperkalzämie, Rejektion
Hämproteine Rhabdomyolyse, Hämolyse
Hepatorenales Syndrom
Sepsis
Akutes Nierenversagen
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Das intrarenale ANV wird häufig inkorrekterweise als »akute Tubulusnekrose« bezeichnet, da häufig keine ausgedehnten Nekrosen vorliegen (. Abb. 61.2). Bei Intensivpatienten ist das intrarenale ANV nur selten auf einen einzigen Schädigungsmechanismus zurückzuführen, sondern multifaktoriell bei häufig bereits bestehender chronischer Nierenfunktionsstörung zu erklären (. Abb. 61.2).
Ischämisches ANV Verminderte Nierendurchblutung. Ein ischämisches ANV entwi-
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ckelt sich häufig aus einem prärenalen ANV. Eine wichtige Ursache ist die schon unter physiologischen Bedingungen bestehende Hypoxie im Nierenmark (O2-Partialdruck im Nierenmark 10–20 mm Hg, in der Nierenrinde 50–60 mm Hg) mit zusätzlicher Verschlechterung bei einem Perfusionsabfall.
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Vasokonstriktion. Ursache ist nicht nur ein Abfall des systemi-
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schen Blutdrucks, sondern auch ein intrarenales Ungleichgewicht zwischen vasodilatatorischen (z. B. NO) und vasokonstriktorischen Substanzen (z. B. Endotheline). Darüber hinaus wird ein ANV durch die anschließende Reperfusion verstärkt mit u. a. gesteigerter Adhäsion von Leukozyten an Endothelzellen und konsekutiver Infiltration des Nierengewebes. Auswirkungen auf GFR/Urinproduktion. Nicht gut verstanden
ist, wie eine ischämische Nierenschädigung trotz überwiegend aufrechterhaltener Nierenperfusion zu einem kompletten Ausfall der Urinproduktion führen kann. Wesentliche Mechanismen sind Verstärkung der renalen Vasokonstriktion durch tubuloglomeruläres Feedback, Ausfall (Nekrose/Apoptose) oder funktionelle Störung (u. a. Verlust der Polarität) von Tubuluszellen, »backleak« von abgefiltertem Primärharn in das Interstitium durch geschädigten Tubulusepithelverband, Infiltration des Niereninterstitiums durch Leukozyten und Aggregation von abgeschilferten Tubuluszellen mit intratubulärer Obstruktion. Toxisches ANV. Neben Ischämie sind nephrotoxische Substanzen die häufigsten Ursachen eines ANV. Aminoglykoside, Röntgenkontrastmittel, Chemotherapeutika wie Cisplatin und mit Abstrichen Vancoymycin sind die wichtigsten Tubulotoxine. Hämproteine, die bei Rhabdomyolyse (7 Übersicht) oder Hämolyse (z. B. Transfusionszwischenfall, Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel) frei-
gesetzt werden, führen zu Tubulusschädigung und intratubulärer Obstruktion.
Rhabdomyolyse bei toxischem ANF 4 Crushsyndrom, z. B. 128 von 1975 Patienten nach Erdbeben 2003 in Bam, Iran 4 Statine 4 CK >16.000 U/l o hohe Wahrscheinlichkeit für ANV, gering bei CK-Werten <5.000–10.000 U/l 4 Cave: Hyperkaliämie 4 Hypokalzämie wegen Kalziumphosphatausfällung in der Muskulatur, später Hyperkalzämie
Eine intratubuläre Obstruktion tritt auch auf 4 bei Hyperurikämie infolge eines Zellzerfalls im Rahmen der Therapie maligner Erkrankungen (»Tumorlysesyndrom«, Harnsäurekonzentration meist >15 mg/dl), 4 bei Hyperoxalurie (Äthylenglykol, Vitamin-C-Überdosierung) oder 4 nach intravenöser Gabe von (Hochdosis-) Methotrexat bzw. von Aciclovir, Indinavir, Triamteren und Sulfonamiden. Leichtketten bei monoklonalen Gammopathien sind gleichfalls tubulotoxisch. Intratubuläre Obstruktion und Tubulustoxizität treten ebenfalls auf bei der akuten Phosphatnephropathie (häufig irreversibel!) durch natriumphosphathaltige Lösungen zur Koloskopievorbereitung (Kalziumphosphatpräzipitation und Hypotonie/ Hypovolämie) [6]. Vaskuläre und entzündliche Nierenerkrankungen. Neben den oben genannten Ursachen (prärenal, toxisch) gehen Erkrankungen der Nierengefäße, der Glomeruli und des Niereninterstitiums mit dem klinischen Bild eines ANV einher. Dies trifft auf hochgradige atherosklerotische Nierenarterienstenosen zu (funktionell bei ACE-Hemmergabe, strukturell bei embolischem Verschluss). Das Cholesterinemboliesyndrom meist nach suprarenaler Gefäßmanipulation (z. B. Koronarangiographie, Gefäßchirurgie) geht mit Embolisation tausender 20–40 μm großer Teile atherosklerotischer Plaques in kleine Arterien (Ateriolen) der Niere mit lokaler Entzündung einher; häufig irreversibel. Darüber hinaus kann eine Embo-
767 61.3 · Ätiologie und Pathophysiologie
Ischämie und Reperfusion Kalzium Sauerstoffradikale Purindepletion Phospholipasen
Tubuluslumen
Integrin Integrin
Normales Tubulusepithel mit Bürstensaum
Na+/K+-ATPase
Verlust der epithelialen Zellpolarität und des Bürstensaums
Tage bis Wochen
Proliferation, Differenzierung und Wiederherstellung der Zellpolarität
... weiterhin Komplement + ICAM-1 ↑ Endothelschädigung + Leukozytenrecruitment Apoptose
»Backleak«
Wachstumsfaktoren
Zelltod Ausbreitung mit Dedifferenzierung von vitalen Zellen
Obstruktion Loslösung von abgestorbenen und vitalen Zellen mit nachfolgender Tubulusobstruktion
Nekrose
Integrin Na+/K+-ATPase Nekrose . Abb. 61.2 Mechanismen der Schädigung und Erholung bei intrarenalem ANV
lisation von Plaquematerial >100 μm mit Lokalisation in kleinen/ mittleren Arterien auch spontan auftreten. > Antikoagulation per se scheint nicht mit Cholesterinembolien assoziiert (Konzept der Plaquehämorrhagie) zu sein.
Andere mikrovaskuläre, glomeruläre Erkrankungen der Niere sind akute Glomerulonephritiden (z. B. mit schwerem nephrotischem Syndrom), Vaskulitiden (rapid-progressive, nekrotisierende Glomerulonephritis), das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), die maligne Hypertonie und die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC). Hierbei führt die Obstruktion von Arteriolen und Glomeruluskapillaren zu glomerulärer Hypoperfusion und GFR-Abfall. Pharmaka, insbesondere Antibiotika (z. B. Penizilline, Ciprofloxacin), nichtsteroidale Antiphlogistika (auch COX-2-Hemmer),
ASS, Protonenpumpenhemmer, Cimetidin, Allopurinol, Indinavir und Diuretika (Thiazide, Schleifendiuretika) können ein ANV auch durch eine akute (»allergische«) tubulointerstitielle Nephritis induzieren; gelegentlich auch bei Infektionen (Legionellen, Leptospirose, CMV-Infektion, Polyoma-Infektion) und Autoimmunerkrankungen (Sarkoidose, Sjögren-Syndrom, SLE, Wegener-Granulomatose) [7]. Bei einer bakteriellen Endokarditis findet sich bei 1/3 der Patienten ein ANV mit einer komplementverbrauchenden (Plasma-C3 und -C4 sind vermindert) Poststreptokokken- bzw. Staphylokokkenglomerulonephritis (Differenzialdiagnosen: tubulointerstitielle Nephritis, Aminoglykosid-/Vancomycin-induzierte Nephrotoxizität, Nierenembolisation). Bei der Shuntnephritis bestehen ähnliche Befunde.
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Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
61.3.3
Postrenales ANV Cockroft-Gault-Formel zur Errechnung der GFR [ml/min]
Eine Obstruktion der ableitenden Harnwege ist die seltenste Ursache eines ANV; dabei betrifft die Obstruktion entweder beide Harnleiter, liegt distal der Blase oder die zweite Niere weist eine relevante Vorschädigung auf. Ursachen für eine Obstruktion der Ureteren sind u. a. Harnleitersteine, retroperitoneale Blutungen, Tumoren, Fibrose und Operationen. In der Blase kann eine Blasentamponade (z. B. Blutung aus der Niere nach Biopsie) zum ANV führen. Eine Blasenhalsobstruktion kann bei einer Prostataerkrankung, bei neurogener Blasenentleerungsstörung oder unter Anticholinergika auftreten.
61.4
Diagnostisches Vorgehen
Ein ANV kann oligurisch (Diurese <400 ml/Tag) oder nichtoligurisch (bzw. primär polyurisch) verlaufen. Oligurie oder Anurie (<100 ml/Tag) erlaubt die Verdachtsdiagnose ANV, wohingegen ein ANV durch eine normale Urinmenge nicht ausgeschlossen werden kann. Die bessere Prognose von Patienten mit nichtoligurischem ANV erklärt sich über die geringere Ausprägung der schädigenden Ursache und/oder der Begleitmorbidität. Häufig ist das ANV asymptomatisch und wird bei Intensivpatienten aufgrund eines Anstiegs der Serumretentionswerte oder eines Diureserückgangs diagnostiziert. Die Serumkreatininkonzentration steht im exponentiellem Zusammenhang mit der GFR und wird erst bei einem >50%-igen Nierenfuntionsverlust pathologisch. Bei einem 72 kg schweren Mann ist u. U. eine Abnahme der GFR von 120 auf 80 ml/min mit einem Kreatininanstieg von 0,8 mg/dl auf nur 0,9 mg/dl (gesteigerte Kreatininsekretion) vergesellschaftet und erst eine weitere GFR-Abnahme um 27 ml/min auf 53 ml/min führt zu einem »pathologischen« Kreatininanstieg auf 1,5 mg/dl. Die Serumkreatininkonzentration ist somit kein guter Marker für eine frühe Nierenfunktionsstörung. Eine Präzisierung der Nierenfunktionseinschätzung kann durch eine Abschätzung der GFR anhand des S-Kreatinins erfolgen. Die breiteste Verwendung findet die MDRD-Formel [8], die von den meisten klinisch-chemischen Labors mittlerweile automatisch mitgeliefert wird. Weiterhin findet die von Cockroft und Gault entwickelte Formel zur Abschätzung der GFR weite Verbreitung u. a. in Form eines GFR-Rechenschiebers. Eine Einschränkung für die Benutzung solcher Formeln ist, dass sie nur im Steady-State gültig sind, d. h. beim gerade erlittenen ANV kann trotz einer aktuellen GFR von <10 ml/min der Serumkreatininwert noch bei 1,0 oder 1,5 liegen, und damit würde die GFR rechnerisch massiv überschätzt und sich z. B. als 90 oder 60 ml/min errechnen. Die MDRD-Formel ist nur bei einer GFR zwischen 10 und 60 ml/min und bei normaler Muskelmasse validiert.
Vereinfachte MDRD-Formel zur Errechnung der GFR [http://mdrd.com] GFR [ml/min/1,73m2] = 186,3 (Kreatinin [mg/dl]–1,154) × Lebensalter [Jahre]–0,203) × 0,742 (für Frauen)
Männer: GFR=
Frauen:
GFR=
(140 – Alter [Jahre]) × Körpergewicht* [kg] 72 × Serumkreatinin [mg/dl] (140 – Alter [Jahre]) × Körpergewicht* [kg]
× 0,85
72 × Serumkreatinin [mg/dl] * Körpergewicht als »lean body weight«.
Serum-Cystatin C ist ein neuer Marker der Nierenfunktion. Allerdings wird Cystatin C nicht nur durch die Nierenfunktion, sondern auch durch die Schilddrüsenfunktion, eine Inflammation, eine Steroidtherapie, die Fettmasse sowie einen Diabetes mellitus beeinflusst und ist somit kein idealer Marker [9]. Im hohen GFR-Bereich von 70–90 ml/min ist Cystatin C dem Serumkreatinin in der Erfassung früher Nierenschäden überlegen. Ob dies allerdings eine klinische Relevanz hat, ist unklar bei gleichzeitig höheren Kosten. Somit wird die Verwendung von Serum-Cystatin C zur Erfassung von (frühen) Nierenfunktionschäden nicht empfohlen. NGAL (Neutrophil Gelatinase Associated Lipocalin) ist ein Biomarker für die frühe Erfassung des ANV. Allerdings konnte NGAL im Urin bei 451 kritisch Kranken die Vorhersage eines ANV anhand eines klinischen Modells nur marginal verbessern [10]. Somit stellt NGAL keinen Routinetest auf Intensivstationen dar. KIM-1 (»kidney injury molecule-1«) ist ein vielversprechender Marker für das ANV [11]. > Bei Verdacht auf ANV sollte rasch die Ursache eruiert werden. Zeitnahe Durchführung einer Nierensonographie zur Frage nach postrenalem ANV, zur Frage einer chronischen Vorschädigung der Nieren. Bei bestehendem klinischem Verdacht zusätzliche Duplexsonographie zur Frage der Nierendurchblutung. Sonographische Zeichen einer chronischen Nierenschädigung sind reduzierte Nierengröße, verschmälerter Parenchymsaum und häufig unregelmäßige Nierenkontur. Der typische sonographische Befund eines ANV sind eher große, geschwollene Nieren mit echoarmer Demarkierung der Pyramiden.
61.4.1
Anamnestische Hinweise
Auf ein prärenales ANV weisen vorangegangene Blutungen oder Flüssigkeitsverluste hin (z. B. bei Verbrennungen), besonders bei eingeschränkter Flüssigkeitszufuhr, wie bei älteren Patienten. Klinische Zeichen sind Tachykardie, Hypotonie, verminderter Hautturgor und trockene Schleimhäute. Zur Beurteilung des Volumenstatus kommen ferner Ultraschalluntersuchungen (Cavakollaps), ZVD-Messung und u. U. ein invasives hämodynamisches Monitoring in Frage. Die Diagnose prärenales ANV lässt sich am sichersten retrospektiv stellen, d. h., wenn der Volumenausgleich rasch zu einer Verbesserung der Nierenfunktion führt. Medikamentöse/toxische Ursachen ergeben sich aus Medikamentenplan/Krankenakte (NSAID/ACE-Hemmer etc.). Eine akute tubulointerstitielle Nephritis ist in 15–20% mit einem Exanthem, in 27–30% mit Fieber und in 23–36% mit Eosinophilie (in 10% mit dieser Trias) vergesellschaftet. Auf eine renale Vaskulitis deuten Gewichtsverlust, B-Symptomatik, Nachtschweiß
769 61.5 · Verlauf und Komplikationen
hin. Akute Flankenschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, gelegentlich Fieber sprechen für einen Niereninfarkt. Für das Vorliegen eines Cholesterinemboliesyndroms sprechen Hautveränderungen wie Livedo reticularis in 16%, Gangrän in 12%, Zyanose in 10%, Ulzerationen in 6%, blaue Zehen (»Blue-toe-Syndrom«) in 5%, zudem Allgemeinsymptome wie Fieber, Myalgien und Gewichtsverlust in 21% und Zeichen der Embolie in u. a. Mesenterialarterien, Carotiden und retinalen Arterien.
Urinanalytik
61.4.2
Zur Differenzialdiagnose (noch funktionelles) prärenales und intrarenales ANV trägt eine Urinprobe in Verbindung mit den Serumkonzentrationen von Natrium, Kreatinin und Harnstoff bei (. Tab. 61.2). Der grundsätzliche Unterschied besteht in der maximal stimulierten Rückresorption (von NaCl/H2O) beim prärenalen ANV und einer verminderten Rückresorption beim intrarenalen ANV. Die oben genannten Parameter erlauben die Abschätzung der Konzentrationsleistung der Nieren. Besonders die Urinnatriumkonzentration erlaubt eine erste Orientierung.
Die fraktionelle Exkretion (FE) von Natrium gibt den Anteil des filtrierten Natriums an, der mit dem Urin ausgeschieden wird FE Na+[%] =
(Na+)Urin [mmol/l] × (Kreatinin) Serum [mg/dl] (Na+)Serum [mmol/l] × (Kreatinin) Urin [mg/dl]
x 100
Bestimmung aus zeitgleich gewonnener Urin- und Blutprobe.
Falls vor der Uringewinnung bereits Diuretika verabreicht wurden, ist die Natriumausscheidung im Urin nicht mehr sehr aussagekräftig. In diesem Fall sollte eine Bestimmung der fraktionellen Harnstoffexkretion erfolgen. Das Urinvolumen hilft wenig bei der Differenzialdiagnose des ANV. Ein funktionelles prärenales ANV geht zwar immer mit Oligo- oder Anurie einher, ein intrarenales ANV kann aber oligoanurisch oder nichtoligurisch verlaufen. Selbst ein postrenales ANV kann bei inkomplettem/intermittierendem Harnwegsverschluss nichtoligurisch oder polyurisch verlaufen. Im Urinsediment finden sich beim prärenalen ANV wenig Zellen und u. U. hyaline Zylinder,
wohingegen sich beim postrenalen ANV gelegentlich eine Hämaturie und/oder Leukozyturie findet. Beim ischämischen oder nephrotoxischen intrarenalen ANV lassen sich häufig granulierte oder Epithelzylinder nachweisen. Bei Myoglobinurie oder Hämoglobinurie können Pigmentzylinder vorkommen, und der Urin ist rot-braun verfärbt. Hämaturie mit Erythrozytenzylindern, dysmorphen Erythrozyten (Akanthozyten) spricht für eine renale Vaskulitis/Glomerulonephritis. Pyurie, Leukozytenzylinder und granuläre oder Wachszylinder sprechen für Pyelonephritis oder tubulointerstitielle Nephritis (mit Eosinophilurie, d. h. >1% der Leukozyten; Sensitivität 67%, Spezifität 83%). Ein normales Urinsediment kann sich beim prärenalen, selten intrarenalen, postrenalen ANV, bei der Hyperkalzämie, bei der Myelomniere und bei Nierenarterienstenosen finden. Die Proteinausscheidung beim ANV liegt meist <1 g pro 24 h.
61.4.3
Immer wenn die Entstehung eines ischämischen oder nephrotoxischen ANV aus Anamnese/Verlauf eines Patienten nicht plausibel ist, muss umgehend eine intensivierte nephrologische Diagnostik erfolgen, um primär renale Erkrankungen oder eine Nierenbeteiligung bei Systemerkrankungen auszuschließen: Neben Urinmikroskopie, Quantifizierung einer Proteinurie, Bestimmung von Antikörpern (Anti-GBM, ANA, ANCA), Messung von Komplementfaktoren (C3, C4) und Kryoglobulin im Plasma, außerdem bei Verdacht auf mikroangiopathische Erkrankungen (HUS) Fragmentozyten. Gegebenenfalls großzügige Durchführung einer notfallmäßigen Nierenbiopsie. Beim Niereninfarkt finden sich eine Leukozytose, häufig eine Hämaturie und ein ausgeprägter LDH-Anstieg. Eine schnelle Diagnose innerhalb von Stunden ist vorrangig, um eine Therapie, z. B. mit Immunsuppressiva/Plasmapherese, einzuleiten. > Eine rasche Therapie ist für die Erholung der Nierenfunktion, z. B. bei renaler Vaskulitis, entscheidend.
Bei Verdacht auf Nierenarterien- oder Nierenvenenverschluss muss zumindest eine Dopplersonographie oder ein Angio-CT, ggf. eine Angiographie erfolgen. Diagnostisch für ein Cholesterinemboliesyndrom ist der Nachweis von Hollenhorst-Plaques in der Fundoskopie oder die Haut- oder Nierenbiopsie.
61.5 . Tab. 61.2 Parameter zur Unterscheidung zwischen prärenalem und intrarenalem ANV (Konzentrationsangaben von Harnstoff und Kreatinin in [mg/dl]) Parameter
Prärenales ANV
Intrarenales ANV
Urinvolumen
Niedrig
Kann niedrig sein
(Na+)
<10–20 mmol/l
>40 mmol/l
Urin
OsmolalitätUrin
>500 mosmol/l
<350 mosmol/l
FENA+
<1%
>(1–) 2%
(Kreatinin)Urin/ (Kreatinin)Serum
>40
<20
(Harnstoff )Serum/ (Kreatinin)Serum
>40
<20–30
FEHarnstoff
<35
50–65
Weiterführende Diagnostik
Verlauf und Komplikationen
Ein ANV geht häufig mit Hypervolämie, Hyponatriämie, Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie (+Vitamin-D-Mangel; führen zu Hypokalzämie), Hypermagnesiämie und metabolischer Azidose einher. Bei oligo-/anurischem ANV besteht das Risiko einer Überwässerung mit u. a. Lungenödem bei inadäquater Flüssigkeitszufuhr. Das Volumenmanagement ist durch i.v. Zufuhr von Medikamenten/Ernährungslösungen erschwert. Eine Hyperkaliämie ist eine bedrohliche Komplikation bei ANV. Die Nieren sind neben dem Kolon entscheidend für die Kaliumausscheidung. Therapiemöglichkeiten sind Glukose-/Insulingabe, 10%-iges Kalziumglukonat i.v. (Notfallmaßnahme bei bedrohlichen Rhythmusstörungen), Azidoseausgleich mit Natriumbikarbonat, inhalative β2-Mimetika, Schleifendiuretika oder Hämodialyse (HD). Beim Intensivpatienten sind vermehrte Kaliumfreisetzung durch Gewebeschädigung, erhöhte Zufuhr (Antibiotika, Blutprodukte), kaliumsparende Diuretika (Aldosteronantagonisten) oder
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Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
schwere Azidose von Bedeutung. Meist führen erst Serumkaliumspiegel >6 mmol/l zu Symptomen wie Bradykardie, Tachykardie, Synkopen, neuromuskulären Störungen (Paresen, Hyporeflexie, Ateminsuffizienz). Im EKG finden sich erhöhte T-Wellen, verlängerte PQ-Zeiten, verbreiterte QRS-Komplexe und teilweise lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen (Bradykardie, AV-Block I.–III. Grades, ventrikuläre Tachykardie, Kammerflimmern, Asystolie). Aus dem Proteinmetabolismus anfallende H+-Ionen werden von der Niere ausgeschieden, und das filtrierte HCO3 wird nahezu komplett rückresorbiert. Somit gehört die metabolische Azidose zu den typischen Komplikationen des ANV. Die Anionenlücke kann bei mäßiger Niereninsuffizienz normal sein, ist beim ANV in der Regel erhöht. Eine besonders schwere Azidose besteht, wenn der Säureanfall zusätzlich erhöht ist, wie bei Intoxikationen (Ethanol, Methanol, Ethylenglykol, Salizylate), Laktatazidose, Ketoazidose. Eine Hyperphosphatämie (fehlende renale Exkretion) findet sich in leichter Ausprägung regelhaft beim ANV und wird durch Gewebeuntergang und Katabolie verstärkt. Die Präzipitation von Kalziumphosphat kann eine Hypokalzämie auslösen. Urämie entsteht bei Akkumulation vieler Substanzen (Mittelmoleküle, MG 500–20.000), die über die Nieren ausgeschieden werden und aus dem Stickstoffmetabolismus stammen. Klassische Symptome wie Übelkeit, Inappetenz, Erbrechen und Bewusstseinsbeeinträchtigung (Enzephalopathie) lassen sich beim Intensivpatienten nicht gut erfassen. Polyserositis (Perikarditis bis zur Perikardtamponade, Pleuritis) bei schwerer Urämie sind klinisch oder apparativ zu diagnostizieren. Zudem sind die humorale und zelluläre Infektabwehr gestört und tragen mutmaßlich zur schlechten Prognose beim ANV bei. Unter anderem bedingt durch die urämische Thrombozytenfunktionsstörung ist die Blutungszeit bei Patienten mit ANV erhöht. Zudem trägt das ANV zur Entwicklung einer Anämie bei.
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Prognose
Die Prognose wird durch die Schwere der Erkrankung bestimmt, die zum ANV geführt hat. Die Sterblichkeit beim ANV mit Multiorganversagen oder ARDS liegt bei 70–100%, beim dialysepflichtigem ANV auf der Intensivstation bei 50%, wohingegen sie bei der isolierten Kontrastmittelnephropathie <1% liegen kann. Die Sterblichkeit kritisch Kranker mit ANV ist assoziiert mit höherem Alter, Sepsis, ARDS, Leberversagen, Thrombopenie, höheren Harnstoffwerten und niedrigem Serumkreatinin <2 mg/dl (618 Patienten in der Auriculin Anaritide Acute Renal Failure-Studie). In einer anderen Studie lag die Sterblichkeit bei 10% bei toxischem ANV und 30% bei ischämischem ANV. Ein ANV nach Kontrastmittelgabe führt selbst ohne Dialysepflichtigkeit zur mehrfachen Steigerung der Krankenhausmortalität. Ein ANV mit Serumkreatininanstieg um >0,5 mg/dl, >1 mg/dl und >2 mg/dl führt zu einer 6,5-, 11- und 50-fach höheren Krankenhaussterblichkeit. Selbst nach Entlassung haben Patienten mit transientem ANV eine höhere Sterblichkeit. Die Aussicht auf eine Funktionsaufnahme der Niere nach dialysepflichtigem ANV ist günstig (90–95%), allerdings bei vorbestehender chronischer Niereninsuffizienz deutlich schlechter (50–70%). Bei 50% aller Patienten nach ANV findet sich eine fortbestehende Einschränkungen der GFR und der Urinkonzentrierung [12–14].
61.7
Prophylaxe und Prävention
Vorbestehende Niereninsuffizienz (CNI Grad II–IV), hohes Lebensalter, generalisierte Artherosklerose und eine Beeinträchtigung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens sind Risikofaktoren für ein ANV und können bei Verschlechterung der Nierendurchblutung bei z. B. vorübergehenden Blutdruckabfällen oder Flüssigkeitsverlusten ein ANV begünstigen. Zudem können forcierte Diurese, Aszitespunktion oder nephrotoxische Medikamente ein ANV auslösen. Solche Maßnahmen sollten deshalb nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt werden. Die wichtigste Maßnahme ist die Schaffung eines »gut hydrierten« Flüssigkeitsstatus, falls klinisch vertretbar. Der Flüssigkeitsstatus sollte bei allen Hochrisikopatienten optimiert werden. Die Einschätzung des Flüssigkeitsstatus erfolgt mit klinischen und apparativen Parametern (u. a. Hautturgor, Blutdruck, ZVD, Sonographie). Die Flüssigkeitssubstitution wird mit Kristalloiden erreicht: 0,9% NaCl- oder Ringer-Lösung; keine Vorteile für Humanalbumin oder Stärkederivate; Letztere sind sogar ungünstig [15–17]. Keine prophylaktische Diuretikagabe, keine Dopamingabe in Nierendosis, keine intensivierte Insulintherapie mit Blutzuckerzielwerten zwischen 80 und 110 mg%, sondern Blutzuckerwerte unter 150 mg% anstreben! Die prophylakische Gabe von ACC vor großen Operationen war erfolglos. 4 Für eine Hydrierung vor Kontrastmittelgabe, Cisplatintherapie (+forcierte Diurese), Methotrexat (+forcierte Diurese+Urinalkalisierung), Amphotericin B und mit Abstrichen bei Hämolyse/Rhabdomyolyse (bei Rhabdomyolyse aggressiver Flüssigkeitsausgleich+zusätzliche Alkalisierung mit Natriumbikarbonatlösung) gibt es gute Daten. 4 Prophylaxe der intratubulären Obstruktion (»kristallinduzierte Nephropathie«) bei Therapie mit Aciclcovir, Sulfonamiden (+Urinalkalisierung), Harnsäure (Allopurinoltherapie oder rekombinante Uratoxidase Rasburicase+Urinalkalisierung), Oxalat, Methotrexat (+Urinalkalisierung; u. U. Methotrexatabbau mit Carboxypeptidase G2 beschleunigen) und Indinavir (häufig auch Nephrolithiasis; Kristalle im sauren Milieu besser löslich) mit ausreichender Hydrierung. 4 Verminderung der Antibiotikatoxizität von Aminoglykosid (ANV in 10–20% nach 5–7 Tagen) durch Einmalgabe und regelmäßige Spiegelkontrollen [18]. Erhöhtes Risiko bei langer Therapiedauer, höherem Lebensalter, reduziertem zirkulierendem Blutvolumen, Sepsis, Komorbidität (z. B. Diabetes mellitus), nephrotoxischer Begleitmedikation, Talspiegel >2,5 μg/ ml, Aminoglykosidsubtyp (fraglich), hoher Dosierungshäufigkeit. Tägliche Serumkreatininmessung bei kritisch Kranken. Aminoglykosidtalspiegel 24 h nach Einmalgabe sind häufig niedrig/nicht messbar und erlauben den Ausschluss einer Akkumulation. Zur Frage wirksamer Aminoglykosidspiegel nach Einmalgabe werden Spitzenspiegel und/oder Talspiegel bereits nach 12 h verwendet. Die Nephrotoxizität von Vancomycin ist deutlich geringer als früher angenommen (verbesserte Qualität der Chargen); nichtsdestotrotz sind Talspiegelkontrollen (Ziel >10 μg/ml und bis zu 15–20 μg/ml bei schwerer Infektion) erforderlich; die Kombination mit Aminoglykosiden sollte vermieden werden. Bei Patienten mit einer Vancomycintherapie >3 Tage, bei hohen Zielspiegeln, Potenzial für Nierenfunktionseinschränkungen und gleichzeitiger Aminoglykosidtherapie ist eine regelmäßige Talspiegelbestimmung sowie tägliche Kontrollen des Serumkreatininwertes erforderlich. Bei HD-Patienten »loading dose« von 1 g i.v. nach HD (15–20 mg/kg KG) und 500 mg i.v.
771 61.8 · Therapeutisches Vorgehen
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nach jeder weiteren HD (höhere Dosis bei Talspiegel 200 ml/h, Urin-pH-Wert >7) ein ANV zu verhindern (Hyperkaliämierisiko!). NSAID oder COX-2-Hemmer bei den oben genannten Risikogruppen möglichst kurz und niedrigdosiert einsetzen, Substanzen mit kurzer Halbwertszeit bevorzugen. COX-2-Hemmer sind bezüglich ANV-Auslösung nicht günstiger als klassische NSAID. Unter Therapie mit ACE-Hemmern bzw. Angiotensinrezeptorblockade kommt es bei 1,9% bzw. 2,0% der Patienten zu Verdopplung des Serumkreatinins. 0,7% der Patienten (1,1% bei Kombination) brechen deshalb die Therapie ab (ONTARGETStudie). Bei Herzoperationen könnte eine Herz-Lungen-Maschine mit pulsatilem Fluss oder die Off-pump-ACVB-Operation vorteilhaft sein. Bei ANV bei Myelomniere rascher Flüssigkeitsausgleich, danach Zufuhr von 3 l Kristalloid/Tag, ggf. Behandlung der Hyperkalzämie mit Bisphosphonaten und u. U. Entfernung der freien Leichtketten mittels Plasmapherese. Zur Vorbereitung einer Koloskopie keine natriumphosphathaltigen Lösungen, besonders nicht bei vorbestehender Einschränkung der Nierenfunktion, Volumendepletion oder ACEHemmer-/ARB-Therapie. Bei spontan bakterieller Peritonitis zusätzliche Gabe von intravenöser Albuminlösung (1,5 g/kg KG bei Diagnosestellung, 1,0 g/kg KG am Tag 3 der Antibiotikatherapie) mit weniger irreversibler Einschränkung der Nierenfunktion und besserem Überleben. Bei Risikopatienten durch prophylaktische Therapie mit täglich 400 mg Norfloxacin deutliche Risikoreduktion für spontan bakterielle Peritonitis (7 vs. 61%), hepatorenales Syndrom (28 vs. 41%) und verbessertes Überleben (94 vs. 62% nach 3 Monaten).
61.8
Therapeutisches Vorgehen
61.8.1
Allgemeine Therapiemaßnahmen
Prärenales und postrenales ANV sind nach rascher Korrektur der primären Störung (z. B. Flüssigkeitsdefizit) bzw. Beseitigung der Obstruktion häufig schnell reversibel (bzw. gehen bei nicht zeitnaher Therapie in ein intrarenales ANV über). > Für das intrarenale (ischämische/nephrotoxische) ANV besteht keine spezifische Therapie.
Deshalb sollte man eine stabile hämodynamische Situation mit ausgeglichenem Volumenstatus anstreben, neue toxische oder hämodynamische Insulte vermeiden, urämische Toxine entfernen und mögliche Komplikationen beherrschen. Beim hepatorenalen Syndrom mit Vasodilatation im Splanchnikusgebiet erhöhen Ornipressin/Terlipressin (=Vasopressinanaloga), häufig kombiniert mit Albumin (ca. 1g/kg KG/Tag), den systemischen Blutdruck, vermindern Plasmarenin und Noradrenalin und führen zu einer Steigerung der GFR und der Na+- und Urinausscheidung. Therapieerfolge sind auch zu verzeichnen mit der Kombination aus Midodrin (α1-adrenerger Agonist, maximal 3-mal 15 mg) und Octreotid (Somatostatin Analogon; hemmt die Freisetzung von endogenen Vasodilatatoren; 3-mal 100–200 μg). In kleineren Fallserien war die Kombination aus Noradrenalin+Albumin erfolgreich. Die Prognose des hepatorenalen Syndroms ist günstig, wenn es gelingt, die Leberfunktion wiederherzustellen, z. B. mittels einer Lebertransplantation oder Alkoholabstinenz [19]. Bei akuter tubulointerstitieller Nephritis lässt sich die Erholung der Nierenfunktion durch eine Steroidgabe (1 mg/kg KG/Tag) häufig beschleunigen. Beim Niereninfarkt erfolgt in der Regel eine Antikoagulation, besonders bei Vorhofflimmern oder bei Vorhofoder Ventrikelthromben. Gegebenenfalls erfolgt die Einleitung einer lokalen oder systemischen Thrombolyse innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen nach Symptombeginn mit schlecht vorhersagbaren Erfolgsaussichten. Ebenfalls können interventionelle Verfahren zum Einsatz kommen. Weitere allgemeine Therapiemaßnahmen beim ANV sind Flüssigkeitsvolumenbilanzierung mit Anpassung der Flüssigkeitszufuhr an die Diuresemenge. Beim ANV ist die Dosisanpassung renal eliminierter/metabolisierter Medikamente wichtig (. Tab. 61.3). Viele Medikamente müssen beim ANV reduziert bzw. abgesetzt werden (z. B. Aminoglykoside, Vancomycin, Sotalol, Spironolacton). Gentamycin: Bei zwingender Indikation grundsätzlich als Einmalgabe mit einer »loading dose« von, z. B. 240 mg i.v. und danach z. B. 40 mg täglich i.v. (120 mg nach HD i.v.) unter Talspiegelkontrolle bei schwerem ANV.
. Tab. 61.3 Dosisanpassung einiger wichtiger Antibiotika bei der Niereninsuffizienz HWZ [h] normal vs. Anurie
Startdosis
GFR normal
GFR 30 ml/min
GFR <5 ml/min ohne D
GFR <5 ml/min int. HD
GFR <5 ml/min CRRT
Piperacillin
1o4
4 g
3×4 g
2×4 g
2×4 g
4 g n. HD
2×4 g
Tazobactam
1,0o8
0,5 g
3×0,5 g
2×0,5 g
2×0,5 g
0,5 g
2×0,5 g
Ceftazidim
2,1o25
2 g
3×2 g
2×2 g
1×1 g
2 g n. HD
2×1 g
Ciprofloxacin
4,4o10
400 mg
2×400 mg
2×400 mg
1×400 mg
400 mg
2×400 mg
Gentamicin
2o48
240 mg
1×240 mg
1×120 mg
1×40 mg
120 mg
1×120 mg
Vancomycin
6o150
1 g
2×1 g
1×1 g
500 mg alle 72 h
500 mg n. HD
1×500 mg
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Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
! Cave Eine »prophylaktische« Unterdosierung wichtiger Medikamente aus ungerechtfertigter Sorge muss vermieden werden. Genauere Informationen zur Antibiotikadosierung sind über die Homepage der Sektion Nephrologie Ulm verfügbar [www.uni-ulm.de/ nephrologie/tab2_antibiotika.pdf].
In . Tab. 61.3 sind einige Informationen wiedergegeben. Weiterhin gibt die Klinische Pharmakologie der MHH Hinweise für die Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz [www.mh-hannover.de/ fileadmin/institute/klinische_pharmakologie/downloads/Q0_07. pdf]. Eine wichtige Determinante für die Ausscheidung von Medikamenten ist die extrarenale Dosisfraktion Q0: Beim nur extrarenal eliminierten Medikament ergibt sich ein Q0=1, wohingegen bei überwiegender renaler Elimination ein niedriger Q0-Wert von, z. B. 0,02 (für Gentamycin) besteht. Medikamente mit einem Q0 <0,2 sind: Acetazolamid, Aciclovir, ε-Aminocapronsäure, Ampicillin, Atenolol, Aztreonam, Baclofen, Bezafibrat, Bretylium, Carbenicillin, Cefalotin, Cefamandol, Cefazolin, Cefepim, Cefixim, Cefoxitin, Cefsulodin, Ceftazidim, Cefuroxim, Cidofovir, Cilastin, Enalapril, Fluconazol, Flucytosin, Foscarnet, Fosfomycin, Gabapentin, Gadodiamid, Ganciclovir, Gemcitabin, Gentamicin, Imipenem, Kanamycin, Lamivudin, Mannitol, Meropenem, Metformin, Methicillin, Methotrexat, Mitoxantron, Netilmicin, Ofloxacin, Oseltamivir, Penicillin G, Practolol, Sotalol, Streptomycin, Sulbactam, Tetracyclin, Tobramycin, Tranexamsäure, Valaciclovir, Vancomycin, Vinorelbin, Zoledronsäure. > Die Klinische Pharmakologie in Heidelberg hat einen internetbasierten Dosierungsrechner entwickelt [www. dosing.de], über den Vorschläge zu Dosierungsintervallen und Dosierung verfügbar sind.
Eine adäquate Ernährung im ANV ist wichtig, da diese Patienten häufig ein Protein-Energie-Wasting aufweisen, d. h. Protein- und Energiereserven (Muskulatur, Fettmasse) sind vermindert. Möglichst sollte die enterale Ernährung der parenteralen Ernährung vorgezogen werden. Die Mindestkalorienzufuhr liegt bei 20– 30 kcal/kg KG/Tag (bis 35 kcal/kg KG/Tag). Unter Umständen ist eine konzentrierte Ernährungslösung (1,2–2,0 kcal/ml) zur Verminderung der Volumenzufuhr sinnvoll. Enterale Ernährungslösungen bestehen unter kalorischen Gesichtspunkten zu ca. 50% aus Kohlenhydraten (5 g/kg KG/Tag), ca. 30–35% aus Fetten (1 g/kg KG/Tag). Obwohl bei der chronischen Niereninsuffizienz eine proteinarme Kost (0,8 g/kg KG) die Progression verlangsamt und die Harnstoffwerte absenkt, sollte beim ANV eine Gabe von 1,0–2,0 g Eiweiß/ kg KG/Tag ohne Proteinrestriktion erfolgen. Bei extrakorporaler Therapie und mäßiger Katabolie werden 1,0–1,5 g Eiweiß/kg KG/Tag und bei CRRT/SLED/schwerer Katabolie 1,5–2,0 g Eiweiß/kg KG/Tag empfohlen. Wasserlösliche Vitamine sind regelmäßig zu substituieren, wohingegen fettlösliche Vitamine bei der Niereninsuffizienz akkumulieren (allenfalls in reduzierter Dosis/Häufigkeit applizieren). Verbindliche Empfehlungen zur Substitution von Spurenelementen im ANV gibt es nicht. Je nach klinischer Situation kommen elekrolytmodifizierte (K+-arm, phosphatarm) Ernährungslösungen zum Einsatz (u. a. ESPEN Guidelines; [20]). Neben den oben genannten supportiven Maßnahmen gibt es medikamentöse Ansätze zur Steigerung des renalen Blutflusses und der Diurese. Ihr therapeutischer Nutzen ist trotz des teilweise häufigen klinischen Einsatzes nicht ausreichend belegt.
61.8.2
Medikamentöse Therapie
Dopamin und Katecholamine Dopamin wurde breit zur Prävention/Therapie des ANV eingesetzt unter der Vorstellung, dass es in niedriger, sog. Nierendosis (10 mg/h oder 1–3 μg/kgKG/min) die Nierendurchblutung steigert und diuretisch wirkt, ohne den peripheren Widerstand zu erhöhen (bei gesunden Probanden und tierexperimentell, nicht jedoch bei Intensivpatienten, bei denen die Nierendurchblutung abnimmt). > In mehreren Metaanalysen war kein Effekt von Dopamin in Nierendosis für Prävention oder Therapie eines ANV nachzuweisen [21–23].
Die Annahme einer selektiv renal wirksamen Dosierung ist inkorrekt, da hier bereits ungünstige Effekte auf die Mesenterialdurchblutung mit bakterieller Translokation oder Herzrhythmusstörungen nachweisbar sind. Der Einsatz von Dopamin in Nierendosis zur Verbesserung der Nierenfunktion ist deshalb obsolet. Allerdings kann Dopamin (wie andere Katecholamine auch) in einer Dosierung, die den Blutdruck bei vorbestehender Hypotonie steigert, positive Effekte auf die Nierenfunktion haben. In der Intensivtherapie sind jedoch meist andere Katecholamine indiziert. Ein ausreichender arterieller Perfusionsdruck ist eine Voraussetzung für die Funktion der Niere. Ein mittlerer arterieller Druck (MAP) von 85 mm Hg bewirkt keine Verbesserung der Nierenfunktion im Vergleich zu 65 mm Hg, weshalb mindestens ein minimaler MAP von >65 mm Hg erreicht werden sollte [24]. Weil renale Vasokonstriktion/nachgeschaltete Mechanismen zur Entstehung/Verstärkung eines ANV beitragen können, sind auch Vasodilatatoren wie Kalziumantagonisten und natriuretische Peptide wie ANP zur Prophylaxe und Behandlung des ANV eingesetzt worden. Der Einsatz dieser Substanzen ist nicht gerechtfertigt, insbesondere in Anbetracht des Hypotonierisikos [5]. Diuretika steigern die renale Natrium- und Wasserausscheidung durch Hemmung der Rückresorption von Natrium und Wasser aus dem Tubuluslumen. Ihre Wirkung hängt von der Nierenfunktion ab, d. h. wie viel Natrium und Wasser filtriert werden. Deshalb ist die Wirksamkeit von Diuretika bei Niereninsuffizienz vermindert. Im ANV kommen primär Schleifendiuretika (hemmen die Natriumrückresorption in der aufsteigenden Henle-Schleife) zum Einsatz.
Hochdosierte Diuretikatherapie kann bei einem Teil der Patienten ein oligurisches in ein nichtoligurisches ANV überführen, was die Steuerung des Volumenhaushaltes vereinfacht. Die Diuretikatherapie hat allerdings keine Wirkung auf die Dauer, Schwere und Prognose des ANV [25]. Entschließt man sich zu einer diuretischen Therapie, sollte die kontinuierliche Gabe (maximal 20–(40) mg Furosemid/h i.v.) gegenüber der intermittierenden Bolusgabe (maximal 80 mg Furosemid i.v.) bevorzugt werden.
Gegen den möglichen Nutzen von Schleifendiuretika beim ANV muss ihre Ototoxizität abgewogen werden (Dosen von 20 mg/h i.v. oder 500 (–1000) mg Furosemid p.o/Tag nicht überschreiten). Bei unzureichendem Ansprechen kann versucht werden, durch eine Kombination mit einem Thiaziddiuretikum (z. B. 2-mal 25 mg Hydrochlorothiazid; »sequenzielle Nephronblockade«) eine Diuresesteigerung zu erzielen. Bei 24- bis 48-stündiger Erfolglosigkeit Diuretika pausieren!
61
773 61.8 · Therapeutisches Vorgehen
Mannitol ist ein osmotisches Diuretikum. Die Infusion von Mannitol führt zur Volumenexpansion. In der Prävention bzw. Behandlung des ANV gibt es für Mannitol keine gesicherte Indikation.
Blut-Kompartment Blut Membran
Weitere Medikamente. Schilddrüsenhormon und IGF-1 (»insulin-
urämische Produkte
like growth factor-1«) waren beim ANV ebenfalls ohne Effekt.
61.8.3
Indikation für extrakorporale Verfahren
Bemühungen um Verbesserung der Nierenfunktion dürfen den notwendigen frühzeitigen (früher als bei der chronischen Niereninsuffizienz) Einsatz von Dialyseverfahren nicht verzögern.
Absolute Indikationen für die Durchführung einer Nierenersatztherapie beim ANV 4 Diuretikaresistente Hypervolämie (bei Oligurie mit respiratorischer Insuffizienz) 4 Schwerste hypertensive Entgleisung 4 Hyperkaliämie 4 Schwere metabolische Azidose (pH<7,1) 4 Urämische Perikarditis 4 Urämische Neuropathie/Enzephalopathie/Somnolenz 4 Vital bedrohliche Überdosierung einer dialysierbaren Substanz
Die in der 7 Übersicht genannten absoluten Indikationen oder urämischen Symptome sollten nicht abgewartet, sondern frühzeitig ein Nierenersatzverfahren begonnen werden [26]. Eindeutige, allgemein akzeptierte laborchemische Richtwerte für den Beginn extrakorporaler Blutreinigungsverfahren gibt es nicht. Therapiebeginn beim »Durchschnittspatienten« bei einem Serumkreatininwert von >5 mg/dl und einem Serumharnstoff >150 mg/dl erwägen (relative Indikation) und die Serumharnstoffkonzentration <200 mg/dl halten. Die Indikationsstellung für ein extrakorporales Nierenersatzverfahren ist grundsätzlich individuell. Die genannten Laborwerte geben nur Anhaltspunkte für einen Therapiebeginn wieder, von denen abgewichen werden kann bei Patienten mit fehlender Symptomatik und der Hoffnung auf baldige Besserung der Nierenfunktion nach Ursachenbeseitigung (z. B. postrenal). Beatmete Patienten mit ANV, bei denen Urämiesymptome schwer zu erkennen sind, sollten spätestens ab einer Serumharnstoffkonzentration von 140–150 mg/dl dialysiert werden. In der PICARD-Studie hatten Patienten, die erst bei einem Harnstoff >150 mg/dl dialysiert wurden, eine 2-fach gesteigerte Mortalität [26, 27].
Wasser
Elektrolyte
Dialysat
Dialysat-Kompartment . Abb. 61.3 Grundprinzip der Hämodialyse mit Blut- und Dialysatfluss im Gegenstromprinzip und Stoffausgleich durch Diffusion und Konvektion
Diffusion. Transport gelöster Teilchen durch Membran wegen
Konzentrationsunterschieds zwischen beiden Seiten der Membran. Diffusion ist wichtigster Transportmechanismus von kleinmolekularen Substanzen (bis MG 500) bei der HD. Konvektion. Kotransport von gelösten Teilchen mit Plasmawasser.
Mittelgroße Substanzen (bis MG 20.000) werden v. a. durch Konvektion transportiert. Treibende Kraft ist die hydrostatische Druckdifferenz zwischen Kapillarlumen und Dialysat. Die Konvektion ist zentraler Transportmechanismus bei der HF. Ultrafiltration. Transport von Flüssigkeit durch Membran auf-
grund hydrostatischer Druckdifferenz. Ultrafiltration entfernt gelöste Teilchen wie unter Konvektion beschrieben; beide Begriffe werden teilweise synonym gebraucht. Ultrafiltration steht auch für die Flüssigkeitsmenge, die entfernt wird.
Eliminationsverfahren Bei der HD (. Abb. 61.3) sind alle Mechanismen beteiligt, bei der HF nur die Konvektion/Ultrafiltration. Kleinmolekulare Substanzen (MG <500, Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin) werden am effektivsten durch Diffusion bei der HD entfernt, höhermolekulare Substanzen (MG <20.000) am effektivsten durch Konvektion bei der HF. Der Begriff Siebkoeffizient eines Dialysefilters veranschaulicht gut den Grad der Elimination: Siebkoeffizient (=Konzentration Ultrafiltrat/Konzentration Plasma) für Kreatinin ist beispielsweise 1,0 entsprechend einer freien, ungehinderten Filtration, für Albumin wäre dies z. B. 0 (=keinerlei Filtration).
61.8.4
Zugangsmöglichkeiten für extrakorporale Verfahren
Für die Wahl des Gefäßzugangs sind mehrere Faktoren wie das Patientenalter, ANV oder chronische Niereninsuffizienz (CNI), voraussichtliche Dialysedauer und der arterielle Gefäßstatus zu berücksichtigen.
Nichtrenale Indikationen
Arteriovenöse Fisteln
Diese sind selten und teilweise umstritten, z. B. Unterkühlung oder hohes Fieber, wo bevorzugt ein kontinuierliches Verfahren gewählt wird. Beim ARDS kann mittels CVVH (»continuous veno-venous hemofiltration«) rasch Flüssigkeit entzogen werden, zusätzlich zur evtl. erhaltenen Diurese. Die Elimination von Zytokinen bei Sepsis stellt bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis keine Dialyseindikation dar.
Spielen bei Intensivpatienten normalerweise keine Rolle! Bei chronischer Dialysepflicht wird vorzugsweise eine sog. Brescia-CiminoFistel zwischen V. cephalica am Unterarm und A. radialis am nichtdominanten Arm angelegt.
Transportmechanismen Der Transport von Substanzen oder Flüssigkeit durch eine semipermeable Membran erfolgt durch die im Folgenden genannten Mechanismen (. Abb. 61.3).
Shaldon-Katheter Ein- oder doppellumige Shaldon-Katheter (Erstbeschreiber Stanley Shaldon) in den Größen 6–13 F (bei Erwachsenen z. B. 8-F-SingleLumen, 11–13 F bei Doppel-/Triplelumenkatheter) stehen zur Verfügung. Der Shaldon-Katheter wird mittels Seldinger-Technik in großlumige Venen, bevorzugt die V. jugularis interna (Katheterlänge 15–17 cm bei rechter/19–20 cm bei linker V. jugularis interna), eingebracht.
774
Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
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Wichtige Grundsätze für die Verwendung von Dialysekathetern auf der Intensivstation 4 Das Infektionsrisiko ist für ZVK und Dialysekatheter in der V. femoralis am höchsten, deshalb möglichst die V. jugularis interna verwenden. Großlumige Dialysekatheter in der V. subclavia wegen hohen Risikos venöser Stenosen vermeiden, damit eine spätere Shuntanlage am Arm der betroffenen Seite nicht unmöglich wird. In Ausnahmefällen kann die V. subclavia verwendet werden. Manche Autoren argumentieren, dass 1. die Mortalität sehr hoch sei und 2. die Mehrzahl der mit Akutdialyse auf der Intensivstation behandelten Patienten ohnehin nicht dialysepflichtig bleibt, somit das Risiko der Verwendung der V. subclavia akzeptabel sei. 4 Getunnelte permanente Katheter (»Demers-Katheter«) haben ein erheblich niedrigeres Infektrisiko als nichtgetunnelte Katheter. Sie werden insbesondere bei Patienten mit absehbar langer Dialysedauer verwendet. 4 Die auf der Intensivstation üblichen Standards bei Katheteranlage und -pflege haben eine deutliche Abnahme der Infektrate ermöglicht. 4 Bei Nichtgebrauch müssen Dialysekatheter blockiert werden; bisher üblicherweise mit Heparinlösungen. Spezielle Blocklösungen wie Citratlösungen, Mischungen aus Taurolidin und Citrat oder antibiotikahaltige Lösungen weisen eine niedrigere Infektionsrate auf. Die besten Daten gibt es bisher für eine 30-%ige Citratlösung [28]. 4 Eine prophylaktische Erneuerung/Wechsel von ShaldonKathetern bei fehlenden Infektzeichen ist nicht indiziert.
Akutanlage eines PD-Katheters. Die PD ist in erfahrenen Zentren, besonders zur Behandlung von Kindern, ein alternatives Intensivdialyseverfahren.
61.8.5
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Hämofiltration (HF) Die HF wird intermittierend oder kontinuierlich durchgeführt. Treibende Kraft ist der arterielle Druck vor dem Dialysefilter und ein Unterdruck auf der Dialysatseite der Membran, wodurch Plasmawasser filtriert wird. Das Filtratvolumen wird abzüglich des geplanten Entzugs hinter oder vor dem Dialysator (»Prädilution« oder »Postdilution«) durch sterile, isotone, laktat- oder bikarbonatgepufferte Lösungen substituiert. Für die kontinuierliche HF werden niedrige Filtratraten von ca. 20–30 ml/min, aber mit langer Therapiedauer von Tagen (bis Wochen) erzielt (intermittierende HF: Filtratrate, z. B. 100 ml/min, Therapiedauer 3–4 h). In beiden Fällen werden Dialysatoren mit hoher Plasmawasserpermeabilität (High-flux-Filter) eingesetzt. Mögliche Vorteile der HF gegenüber der HD sind die bessere hämodynamische Stabilität und die gute Elimination von mittelmolekularen Substanzen bis ca. MG 20.000. Die Entfernung des gleichen Flüssigkeitsvolumens durch reine Ultrafiltration/HF (venöse Vasokonstriktion, meist kühle Substitutionslösung) wird hämodynamisch besser toleriert als bei Entfernung durch eine HD (zusätzlich Abnahme der Plasmaosmolalität). Bei infektiösen Patienten (Hepatitis B, C, HIV) erfolgt keine Kontamination der Maschine durch Blut (im Gegensatz zur HD). Nachteile der HF sind höhere Kosten und niedrige Clearance für kleinmolekulare Substanzen.
Peritonealdialyse (PD) Peritonealdialysekatheter
61 61
lysator nahezu komplett, d. h. zu ca. 80–90%, entfernt. Somit beträgt die Clearance von Harnstoff und Kreatinin bei einem Blutfluss von 300 ml/min und einem Dialysatfluss von 500 ml/min ca. 240– 270 ml/min. Mit steigendem Molekulargewicht werden Substanzen zunehmend schlechter dialysiert, und bei MG >5000 ist keine relevante diffusive Clearance zu erzielen. Bei kontinuierlicher HD entspricht die Clearance bei nahezu 100%iger Sättigung des langsamer laufenden Dialysats weitgehend dem Dialysatfluss.
Definition und Prinzipien der extrakorporalen Verfahren
Das Peritoneum wird als semipermeable Membran genutzt, Urämietoxine werden in das Dialysat abgegeben: 4 akute intermittierende PD mit z. B. 2000 ml Dialysat im stündlichen Wechsel, 4 CAPD oder CEPD (»chronic or continuous ambulatory peritoneal dialysis« bzw. bei Intensivpatienten »CE equilibrated PD«) mit z. B. 4-mal 2000 ml, 4 maschinengestützte CCPD (»chronic or continuous cyclic peritoneal dialysis«), z. B. mit 15 l Dialysat pro 12 h.
Hämodialyse (HD) Der HD-Aufbau besteht aus Blut- (Blutfluss 200–400 ml/min) und Dialysatkreislauf (z. B. 500 ml/min; . Abb. 61.3). Blut wird aus dem Gefäßzugang des Patienten (»arterielle Seite« oder »Arterie«) durch den Dialysator gepumpt und dem Patienten wieder zurückgegeben (»venöse Seite« oder »Vene«). Die Dialysemaschine zeigt Drücke vor der Pumpe (arterieller Druck) und hinter dem Dialysator (venöser Druck) an und erlaubt damit ein Monitoring. Ein Luftdetektor verhindert das Auftreten von Luftembolien. Im Dialysator, in dem Blut und Dialysat im Gegenstromprinzip (Steigerung der Effektivität) zirkulieren, findet der Stoffaustausch statt. Alle Substanzen mit Konzentrationsgradient zwischen Blut und Dialysat (deren Molekülgrößen nicht zu groß sind) diffundieren durch die Membran. Beispielsweise diffundiert Harnstoff aus dem Blut (Konzentration 150 mg/dl im Serum) ins Dialysat (Harnstoffkonzentration initial 0 mg/dl). Diffusion findet auch in der Gegenrichtung statt, z. B. für Bikarbonat zum Ausgleich der metabolischen Azidose. Kleinmolekulare Stoffe wie Harnstoff und Kreatinin werden aus dem Blut nach einem einmaligen Durchfluss durch den Dia-
Die Glukosekonzentration im Dialysat ist wichtig für das Ausmaß des Flüssigkeitsentzugs, d. h. je höher die Glukosekonzentration, desto mehr Flüssigkeitsentzug: 1,5%<2,5%<4%. Vorteile der PD sind die hämodynamische Stabilität, die fehlende Antikoagulation und der nicht benötigte Gefäßzugang. Hypokaliämie muss vermieden werden (Standard-PD-Lösungen enthalten kein Kalium, weshalb bei den hohen Dialysatmengen der Akutdialyse Hypokaliämien die Folge sein können; ggf. Kaliumzugabe in die PD-Lösungen). Zu beachten sind mögliche Stoffwechselentgleisungen durch intraperitoneale Glukosezufuhr. Zudem sind erhebliche Aminosäureverluste über das Dialysat zu erwarten.
Hämodiafiltration (HDF) Die HDF setzt sich aus einer HD und gleichzeitiger HF großer Volumina an Plasmawasser (ca. 12–50 l pro Dialyse) zusammen. Sehr gute Elimination von klein- und mittelmolekularen Substanzen durch HDF. Nachteile der HDF sind die notwendige Gerätetechnik und die hohen Kosten der Substitutionslösungen (diese können
775 61.8 · Therapeutisches Vorgehen
zumindest bei intermittierender HDF durch Herstellung im Gerät »HDF online« vermieden werden).
Ultrafiltration (UF) Wenn bei niedrigen Retentionswerten nur die Elimination von Plasmawasser erforderlich ist, kann dies mittels UF erfolgen. Bei der UF wird wie bei der HF Plasmawasser filtriert, jedoch ohne Substitution.
Kontinuierliche Dialyseverfahren Die Nomenklatur ist in . Abb. 61.4 dargestellt. Derzeit am meisten verwendet werden: 4 die CVVH («continuous veno-venous hemofiltration”), 4 die CVVHD («continuos veno-venous hemodialysis”; Dialysatfluss 1–2 l/h), 4 die CVVHDF («continuous veno-venous hemodiafiltration”).
(0 oder 100 oder 200 mg/dl). Die Aminosäureverluste betragen bei CVVH 5–15 g/Tag und bei HD 5–10 g/Dialyse. Weiterhin werden z. B. Insulin und Katecholamine eliminiert. > Eine Antibiotikazusatzdosis nach Dialyse ist nötig für viele Antibiotika.
Zunehmende Bedeutung erlangen die relativ neuen Verfahren: SLED (»sustained oder slow low efficiency dialysis«). Es handelt sich um eine Hämodialyse mit »konventionellen« Hämodialysemaschinen (z. B. Genius) über 8–24 h mit niedrigem Dialysatfluss von z. B. 100 ml/min. SCUF (»slow continuous ultra filtration«): SCUF entfernt bis zu 6 l Flüssigkeit pro Tag ohne Substitutionslösung, außer regulärer Flüssigkeitszufuhr über Ernährung etc. und ist nicht bei akuter Hyperkaliämie oder Urämie anwendbar.
Hämoperfusion Erstes kontinuierliches Verfahren war die CAVH (»continuous arterio-venous hemofiltration«), bei der mittels großlumiger Katheter in A. und V. femoralis der Blutdruckunterschied die Filtration von Plasmawasser ermöglicht. Die venovenösen Verfahren (Blutfluss ca. 150–300 ml/min) haben die CAVH weitgehend verdrängt u. a. wegen des Risikos der arteriellen Punktion und der Abhängigkeit von einem suffizienten Blutdruck. Beachtet werden müssen Glukoseverluste bis 80 g/Tag (aber auch Aufnahme) abhängig von der Dialysatglukosekonzentration
Blut wird durch eine Kapsel gepumpt, die Aktivkohle oder Austauschharze wie Polystyrol enthält. Prinzip ist eine unspezifische Adsorption von Giftstoffen an Aktivkohle oder Austauschharze zur Behandlung von akuten Vergiftungen mit nicht wasserlöslichen (nicht dialysablen) oder proteingebundenen Giftstoffen (7 unten).
Plasmapherese, Plasmaseparation (PS) Therapeutischer Plasmaaustausch kann mittels Zentrifugationstechnik in Blutbanken (Problem: Thrombozytopenie) oder mit der unten beschriebenen Membran-PS durchgeführt werden. Die PS entspricht im Prinzip einer HF mit zusätzlicher Filtration von Plasmaproteinen. Die Verwendung großporiger Plasmafilter (MG bis 3 Mio.) ermöglicht die Filtration der Plasmaproteine. Pro Sitzung werden 2,5–5 l Plasma filtriert, das ersetzt werden muss. Dies entspricht dem 1- bis 1,5-fachen Plasmavolumen:
Plasmavolumen [l] = 0,07 × Gewicht [kg] × (100–Hämatokrit [%])
Als Substitutionlösung verwenden wir eine 4- bis 5%-ige Humanalbuminlösung. Die PS entfernt auch sämtliche Gerinnungsfaktoren, weshalb bei wiederholter PS oder vorbestehender Gerinnungstörung u. U. FFP (»fresh frozen plasma«) verwendet werden müssen. Üblicherweise wird ein niedriger Blutfluss um 100 ml/min verwendet. Komplikationen sind sehr viel häufiger mit FFP als mit Humanalbuminlösung (20% vs. 1,4%), weshalb FFP nur bei klarer Indikation (HUS, Blutungsproblematik) Verwendung finden sollte. Nebenwirkungen sind citratinduzierte Parästhesien, Muskelkrämpfe, Hypokalzämie, Infektanfälligkeit, Hypotonie, Urtikaria, TRALI und anaphylaktische Reaktionen. Die Indikation zur PS besteht v. a. in der Entfernung von Autoantikörpern (Myasthenie-Krise, akutes Guillain-Barré-Syndrom, Goodpasture-Syndrom), der Entfernung von freien Leichtketten beim Plasmozytom mit ANV/oder Hyperviskositätssyndrom, weiterhin beim HUS/TTP (Substitution mit FFP!) bzw. der schweren nekrotisierenden Glomulonephritis mit initialer Dialysepflichtigkeit, bei Kryoglobulinämien und Kälteagglutinationserkrankung. Die Anwendung bei der Sepsis ist nicht hinlänglich gesichert [29]. . Abb. 61.4 Die zur Verfügung stehenden unterschiedlichen kontinuierlichen extrakorporalen Verfahren. SCUF=Ultrafiltration (»slow continuos ultrafiltration«), CWH=kontinuierliche venovenöse Hämofiltration, CWHD=kontinuierliche venovenöse Hämodialyse, CWHDF=kontinuierliche venovenöse Hämodiafiltration
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61.8.6
Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
Technik der extrakorporalen Nierenersatzverfahren
Differenzialindikation der extrakorporalen Verfahren – intermittierend oder kontinuierlich?
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Die Entscheidung für die einzelnen Verfahren wird nach praktischen Gesichtspunkten und lokalen Gegebenheiten (z. B. Geräteverfügbarkeit) getroffen, beispielsweise erfolgt bei schwerer Hyperkaliämie zur raschen Senkung des Kaliumspiegels zunächst der Einsatz von HD aufgrund von deren höherer Effektivität. Ein kreislaufinstabiler, beatmeter, anurischer Patient mit einer hohen notwendigen Infusionsmenge wird eher mit einem kontinuierlichen Verfahren versorgt. Beim mobilen Patienten mit hohem Diagnostikbedarf (CT, Angiographie etc.) oder Blutungsrisiko ist eher der Einsatz einer intermittierenden HD zu erwägen.
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Bewertung. Studien und Metaanalysen zur Frage, ob beim ANV
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die intermittierende oder die kontinuierliche Nierenersatztherapie überlegen ist, haben keinerlei Vorteile für eines der Verfahren zeigen können. Diese Studien haben belegt, dass nahezu alle Intensivpatienten in gleicher Weise mit beiden Verfahren behandelt werden können. Somit sind intermittierende und kontinuierliche Dialyseverfahren äquivalent [30, 31]. Allerdings haben intermittierende Dialyseverfahren, insbesondere SLED, auf der Kostenseite meist deutliche Vorteile.
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Dialysemembranen, Intensität, Substitutionslösung
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Die Frage der geeignetsten Dialysemembran zur Behandlung von Patienten mit ANV ist lange und kontrovers geführt worden (u. a. »high-flux« vs. »low-flux«, Biokompatibilität). Da inzwischen flächendeckend biokompatible Kapillardialysatoren mit synthetischen Membranen aus z. B. Polysulfon oder Polyacrylnitril (PAN, AN69: Cave: Keine gleichzeitige Gabe eines ACE-Hemmers wegen des Risikos einer anaphylaktischen Reaktion!) verwendet werden, ist die Biokompatibilität kein Thema mehr. Die noch relevante Frage ist die Wasserpermeabilität, wobei für HF oder CVVH natürlich ausschließlich High-flux-Membranen eingesetzt werden können. Aufgrund von theoretischen Vorteilen würden wir (nur bei guter Dialysewasserqualität!) High-flux-Dialysatoren den Vorzug geben. Die Frage der Intensität der Dialysetherapie wurde in mehreren, teilweise erst kürzlich publizierten Arbeiten untersucht. In einer frühen Studie wurde gezeigt, dass eine bessere Dialyseeffektivität bzw. eine häufigere Dialysebehandlung mit einem besseren Patientenüberleben einhergeht (der Kontrollarm war nach heutigen Standards »unterdialysiert«). Die US VA/NIH Acute Renal Failure Network Study (ATN) zeigte an 1124 Patienten mit akutem Nierenversagen beim Vergleich einer weniger intensiven Therapie mit HD oder SLED 3-mal/Woche und CRRT mit 20 ml/kg KG/h im Vergleich zu einer intensiven Therapie mit HD oder SLED 6-mal/ Woche (Kt/V von 1,2–1,4) und CRRT mit 35 ml/kg KG/h, dass die Mortalität, die Dauer der Dialysetherapie und die Rate der Erholung der Nierenfunktion identisch waren [32]. In der RENAL Replacement Therapy Study der ANZICS Clinical Trial Group wurde bei 1508 Intensivpatienten gezeigt, dass eine Postdilutions-CVVH mit 40 ml/kg KG/h (ca. 70 l/Tag) gegenüber 25 ml/kg KG/h (ca. 42 l/ Tag) Substitutionslösung keinen Vorteil erbrachte [33].
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Bewertung. Somit sind intermittierende HD und CRRT in der Versorgung des Intensivpatienten äquivalent. HD sollte jeden 2. Tag angewendet werden (Kt/V 1,2–1,4), und CRRT sollte mindestens 20 ml/kg KG/h Substitutionslösung (Filtrat und Dialysat) verwenden.
Das Dialysat bei der Akutdialyse ist in der Regel zusammengesetzt aus 4 2,0–4,0 mmol/l K+(abhängig vom prä-Dialysekaliumwert, u. U. bei massiver Hyperkaliämie vorübergehend ein Dialysatkaliumwert von 1,0 mmol/l), 4 140–145 (150) mmol/l Na+(die hämodynamische Stabilität ist höher bei hohen Dialysatnatriumkonzentrationen), 4 33–35 mmol/l Bikarbonat (abhängig von der prädialytischen Serumbikarbonatkonzentration; zum Ausgleich der metabolischen Azidose), 4 1,5–1,75 mmol/l Ca2+(bei Patienten mit prädialytischer Hypokalzämie) bzw. 1,25–1,5 mmol/l Ca2+(bei Patienten mit Normokalzämie) bzw. 1,0–1,25 mmol/l Ca2+(bei Hyperkalzämie), 4 0,5–1,0 mmol/l Mg2+, 100 mg/dl Glukose. Vermeidung der intradialytischen Hypotonie beim intensivpflichtigen Patienten mit ANV mit folgenden Maßnahmen: 4 möglichst niedrige Ultrafiltrationsrate durch längere oder häufigere HD-Behandlungen, 4 hohes Dialysatnatrium und/oder Dialysatnatriumprofile (zu Beginn der Behandlung z. B. 160 mmol/l), 4 niedrigere Dialysattemperatur, z. B. 35°C, 4 höheres Dialysatkalzium, 4 Einsatz des α1-adrenergen Agonisten Midodrin, 4 Einsatz von SLED oder CRRT-Verfahren.
Antikoagulation Ein extrakorporales Dialyseverfahren erfordert in aller Regel eine Antikoagulation. Unfraktioniertes Heparin wird als Bolus von 1000–3000 IE (1000–2000 IE bei kontinuierlichem Verfahren) zu Beginn der Behandlung verabreicht, eine anschließende Gabe von 500–2000 IE/h (300–500 IE/h bei kontinuierlichem Verfahren) über Perfusor wird mit der ACT (»activated clotting time«) überwacht. Die ACT sollte 150–200 s (»minimal dose heparin«) betragen, die PTT etwa 60–80 s. Niedermolekulares Heparin wird bei der ambulanten Dialyse mit standardisierten Schemata verwendet, allerdings ist im Intensivbereich das schwierige Monitoring des Anti-Faktor-Xa-Spiegels nachteilig, und das Kumulationsrisiko bei Niereninsuffizienz ist hoch. Als Alternative zur systemischen Antikoagulation hat sich in den letzten Jahren die regionale Antikoagulation mit Citrat besonders bei Kontraindikation einer systemischen Antikoagulation (frische Operation etc.) etabliert [34, 35]. Citrat bildet mit Kalzium Kalzium-Citrat-Komplexe, und der konsekutive Abfall des freien Kalziums im Plasma bewirkt die Gerinnungshemmung. Häufig wird zur Unterstützung dieses Effektes kalziumfreies Dialysat verwendet. Die Kalzium-Citrat-Komplexe werden über den Dialysator entfernt. Im Prinzip wird also vor dem Dialysator eine NatriumCitrat-Lösung infundiert (zwischen 4% und 30% Citrat), hinter dem Dialysator wird 10%-iges Kalziumchlorid substituiert. Protokolle für kalziumfreie Dialyse liegen vor [www.uniklinik-freiburg.de/ nephrologie/live/therapiestandards/standard_regionale_citrat_antikoagulation_200609.pdf]. Inzwischen wurde bei CVVH-Geräten mehrerer Anbieter die notwendige Software für die Citratantikoagulation entwickelt. Diese CVVH-Geräte überwachen die Kopplung zwischen Blutpumpe, Citratpumpe und Kalziumpumpe. Kontrollen von Serumkalzium und Serumbikarbonat müssen regelmäßig erfolgen. Nebenwirkungen der Citratantikoagulation umfassen Hypokalzämie, Hyperkalzämie, Hypernatriämie, metabolische Alkalose. Da Citrat hepatisch zu Bikarbonat metabolisiert wird, ist die Anwendung bei Leberinsuffizienz kontraindiziert (Citratintoxikation u. U. erkennbar an metabolischer Azidose). Vergleichende Studien bei Inten-
777 Literatur
sivpatienten ergaben weniger Blutungskomplikationen und längere Filterüberlebenszeiten mit der Citratantikoagulation im Vergleich zu Heparin. Im Gegensatz zur Citratantikoagulation ist die regionale Heparinisierung mit Antagonisierung des Heparins durch Protamin nach dem Filter problematisch, da es nach Abbau des Protamins (kurze Halbwertszeit) häufig zu einer erneuten biologischen Aktivität des Heparins (längere Halbwertszeit) mit entsprechenden Blutungskomplikationen kommt. Ferner kann eine sog. heparinfreie HD (»no heparin hemodialysis«) durchgeführt werden bei der Dialysator und Blutschlauchsystem vor Dialysebeginn mit einer Heparinlösung (2000–5000 IE Heparin/l 0,9% NaCl) durchspült (»geprimed«) werden. Darüber hinaus müssen hohe Blutflüsse von 250–500 ml/min eingehalten werden, und der Dialysator wird alle 15–30 min mit 25 ml 0,9% NaCl durchspült (»Flush«). Dieses Verfahren kann bei bis zu 90% der Intensivpatienten erfolgreich angewendet werden, ist allerdings sehr personalaufwendig. Bei heparininduzierter Thrombozytopenie (HIT II) kann zur Dialysebehandlung auch eine Citratantikoagulation erfolgen. Allerdings wird bei HIT II in der Regel auch in den dialysefreien Intervallen eine Antikoagulation benötigt. Hier sollte vorzugsweise Argatroban zur Antikoagulation eingesetzt werden. Erfreulicherweise kumuliert Argatroban nicht bei Niereninsuffizienz. Vorgeschlagene Argatroban-Dosierung bei der Hämodialyse ist 250 μg/kg KG als Bolus zu Dialysebeginn und Wiederholung nach 2 h. Alternativ kann Danaparoid eingesetzt werden. Hingegen ist die Verwendung von Hirudin bei extrakorporalen Dialyseverfahren aufgrund seiner stark verlängerten Halbwertzeit bei Niereninsuffizienz und fehlenden zuverlässigen Tests sehr problematisch. Bei HIT II werden als Katheterblocklösungen Urokinase, TPA oder 30%-ige Citratlösung eingesetzt.
Diphenylhydramin, Disopyramid, Procainamid, Carbamazepin, Phenytoin, Valproinsäure, Barbiturate (Phenobarbital, Primidon), Sedativa/Hypnotika (Meprobamat, Methaqualon, Glutethimid), Chloralhydrat, Chloramphenicol, Dapson, Paraquat, Tetrachlormethan (CCL4) und Knollenblätterpilztoxine zu.
Plasmaseparation Das Prinzip ist die Filtration großmolekularer Substanzen mit hoher Eiweißbindung und kleinem Verteilungsvolumen. Die Plasmaseparation wird angewendet bei Vergiftung z. B. mit Digitoxin, Phenylbutazon, Benzodiazepinen, Valproinsäure, Botulinustoxin, Knollenblätterpilztoxinen. > Die Details über die klinische Wirksamkeit von extrakorporalen Verfahren für einzelne Gifte sind in Standardwerken wie dem Giftindex nachzuschlagen bzw. über die Giftnotrufzentralen zu erfragen.
Literatur 1 2
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61.8.7
Extrakorporale Verfahren bei Intoxikationen
Der Einsatz von HD, Hämoperfusion oder PS ist nur sinnvoll, wenn eine biologisch relevante Menge des Giftstoffes entfernt wird, und nur bei schweren Intoxikationen mit z. B. progressiver Zustandsverschlechterung, oder wenn die gemessenen Toxinspiegel/die eingenommene Toxinmenge einen ungünstigen Verlauf als möglich erscheinen lassen.
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9 10
Hämodialyse, Hämofiltration Die Dialysierbarkeit eines Giftes wird bestimmt durch seine physikalischen Eigenschaften. Das Gift muss wasserlöslich sein und ein niedriges Molekulargewicht (MG<500) besitzen. Es sollte keine hohe Proteinbindung aufweisen und ein niedriges Verteilungsvolumen (<1 l/kg KG) besitzen, d. h. nicht intrazellulär gebunden oder im Fettgewebe gespeichert werden. HD kommt z. B. bei Vergiftungen mit erheblichen Mengen von Alkoholen (Äthanol, Isopropanol, Aceton, Methanol, Äthylenglykol), Barbituraten, Chloralhydrat, Theophyllin, Lithium, Bromiden, Procainamid, Atenolol, Sotalol oder Salicylaten in Frage.
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15
Hämoperfusion Durch Hämoperfusion können auch proteingebundene Substanzen mit hohem Molkulargewicht entfernt werden. Die Substanz muss in dem erreichbaren Kompartment (Blut) in großen Mengen vorliegen und darf kein großes Verteilungsvolumen besitzen, bzw. der zunächst nicht erreichbare Anteil muss rasch mit dem Blut äqualibrieren. Dies trifft z. B. für Theophyllin, Koffein, Paracetamol,
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778
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Kapitel 61 · Akutes Nierenversagen (ANV), extrakorporale Eliminationsverfahren und Plasmaseparation
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779
Infektionen Kapitel 62
Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika
Kapitel 63
Diagnose und Therapie der Sepsis
Kapitel 64
Nosokomiale Infektionen
Kapitel 65
Spezifische Infektionen
Kapitel 66
Intensivtherapie HIV Infektion
IX
781
Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika S.W. Lemmen
62.1
Antibiotikatherapie – 782
62.1.1 62.1.2 62.1.3 62.1.4 62.1.5 62.1.6 62.1.7
Resistenzentwicklung – 782 Adäquate vs. inadäquate Therapie – 782 Wahl des Antibiotikums – 782 Zeitpunkt der Antibiotikagabe – 782 Mono- vs. Kombinationstherapie – 782 Dauer und Dosierung – 783 Erregerspezifische Therapieumstellung – 783
62.2
Antibiotikastrategien – 784
62.2.1 62.2.2 62.2.3 62.2.4
Antibiotikarestriktion – 784 Antibiotika-Cycling – 784 Antibiotikaleitlinien – 784 Fallkonferenzen – 784
62.3
Antibiotikaprophylaxe – 784
62.4
Diagnostik und Therapieoptionen invasiver Candidainfektionen – 785
62.4.1 62.4.2 62.4.3 62.4.4
Epidemiologie invasiver Candidainfektionen – 785 Diagnostik invasiver Candidainfektionen – 785 Therapieoptionen invasiver Candidainfektionen – 786 Antimykotikaprophylaxe – 786
Literatur – 786
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_62, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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782
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Kapitel 62 · Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika
62.1
Antibiotikatherapie
62.1.1
Resistenzentwicklung
Eine der größten Herausforderungen der klinischen Infektiologie ist die weltweite und aktuell deutschlandspezifische Zunahme multiresistenter Erreger. So hat sich beispielsweise die Rate Methicillinresistenter Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) in Deutschland seit Anfang der 1990-er Jahre bis heute auf 25% erhöht. Bei nosokomial erworbenen Sepsisfällen auf Intensivstationen hat sich die Prävalenz sogar auf über 30% gesteigert. Auch die Rate Vancomycin-resistenter Enterokokken (VRE) betrug zuletzt ca. 10%; diese variiert sehr stark in den unterschiedlichen Krankenhäusern. Parallel zur Entwicklung der Resistenz bei grampositiven Erregern zeigte sich in den letzten Jahren eine rasant zunehmende Resistenzentwicklung bei gramnegativen Erregern wie E. coli und Klebsiellen spp. Aufgrund einer Breitspektrum-E-Laktamase (»extended spectrum E-lactamase«, ESBL) sind diese Erreger gegen sämtliche Penicilline und Cephalosporine resistent, sodass nur noch wenige Therapieoptionen, wie beispielsweise Carbapeneme, Glycylglyzine (z. B. Tigecyclin) und teilweise Gyrasehemmer zur Therapie eingesetzt werden können. Aufgrund der häufigen initialen empirischen inadäquaten Therapie sind schwere, lebensbedrohliche Infektionen mit diesen resistenteren Erregern assoziiert mit einer signifikant höheren Letalität, verlängerten stationären Liegedauer und erhöhten Kosten [1]. In Risikoanalysen konnte gezeigt werden, dass eine vorangegangene Antibiotikatherapie einer der wichtigsten prädisponierenden Faktoren war. Eine eindeutige Korrelation zwischen Antibiotikaverbrauch und Resistenzentwicklung konnte weiterhin in mehreren unterschiedlichen Publikationen gezeigt werden [2]. Diese Studien korrelierten jedoch ausschließlich einen zeitlichen und regional begrenzten Zusammenhang mit der Resistenzentwicklung, sodass die Kausalität zwischen Antibiotikagabe und Resistenzentwicklung berechtigt angezweifelt wurde. Erstmals beschrieb Gossens et al. bei gesunden Probanden die statistisch signifikant unterschiedliche Zunahme Makrolid-resistenter Streptokokken aus dem oropharyngealen Bereich nach Gabe von Azithromycin bzw. Clarithromycin im Vergleich zu Probanden, welche Placebo einnahmen [3]. > Mit dieser Untersuchung [3] konnte somit erstmals auch auf individueller Ebene ein kausaler Zusammenhang zwischen Antibiotikaanwendung und Resistenzentwicklung gezeigt werden.
Eine der wichtigsten Maßnahmen, einer solchen Resistenzentwicklung entgegenzuwirken, ist der streng indizierte und limitierte Einsatz von Antiinfektiva. Trotz Leitlinien und nationalen und internationalen Therapieempfehlungen für den Umgang mit Antibiotika kann und muss die Indikation für eine Therapie patientenspezifisch am Krankenbett gestellt werden. Hierfür gibt es in fast allen europäischen Ländern eine langjährige Ausbildung zum klinischen Infektiologen.
62.1.3
Adäquate vs. inadäquate Therapie
62.1.2
62
In unterschiedlichen prospektiven randomisierten klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass eine initiale empirische inadäquate Therapie insbesondere bei schweren Infektionen, wie Sepsis und Pneumonie, bei Intensivpatienten signifikant mit einer erhöhten Letalität, verlängerten Liegedauer und erhöhten Kosten assoziiert
Wahl des Antibiotikums
Grundlage für die adäquate Wahl sind zunächst die häufigsten zu erwartenden Erreger entsprechend der Infektionslokalisation – d. h. in Abhängigkeit von Anamnese, Klinik, Labor und bildgebenden Verfahren kann entweder eindeutig oder zumindest als Arbeitshypothese eine Infektionslokalisation, wie beispielsweise Pneumonie, ZVK-Infektion, Harnwegsinfektion usw., angenommen werden. Zusätzlich müssen individuelle Risikofaktoren für multiresistente Erreger beachtet werden.
Risikofaktoren für multiresistente Erreger 4 Chronische Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Alkoholismus) 4 Chronische Organinsuffizienz 4 Malignom 4 Vorausgegangene Antibiotikatherapie 4 Vorausgegangene Hospitalisierung
Für die unterschiedlichen Infektionen sollten die nationalen und internationalen Therapieempfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaften berücksichtigt werden. Diese Empfehlungen beruhen zumeist auf der aktuellen nationalen Resistenzsituation der häufigsten Erreger. Diese kann jedoch in der eigenen Institution signifikant vom nationalen Trend abweichen, sodass ist es zwingend notwenig ist, die eigene Therapiestrategie an die lokale aktuelle Resistenzsituation anzupassen und diese regelmäßig in 6- bis 12-monatlichen Abständen zu überprüfen.
62.1.4
Zeitpunkt der Antibiotikagabe
Bei schweren lebensbedrohlichen Infektionen – unabhängig davon, ob diese ambulant oder nosokomial erworben wurden – ist der Zeitpunkt der Antibiotikagabe von ausschlaggebender Bedeutung für die Überlebensrate. In einer retrospektive Analyse bei über 13.000 Patienten mit ambulant erworbener pneumogener Sepsis erhöhte sich die Letalität und die stationäre Liegedauer signifikant bei Patienten, bei welchen die Antibiotikatherapie erst 4 h nach stationärer Aufnahme eingeleitet wurde, im Vergleich zu Patienten, welche innerhalb von 4 h therapiert wurden [5]. Es konnte in einer retrospektiven Kohortenstudie gezeigt werden, dass der Beginn einer adäquaten Antibiotikatherapie während der 1. Stunde nach dokumentierter Hypotension mit der geringsten Letalität assoziiert war. Bis 6 h erhöhte jede weitere Stunde Verzögerung die Sterblichkeit um 7,6% [6].
62.1.5
62
62
ist [4]. Inadäquat wird definiert als In-vitro-Resistenz des Erregers gegen das gegebene Antibiotikum.
Mono- vs. Kombinationstherapie
In in-vitro-Untersuchungen konnte im Vergleich zu E-Laktamantibiotika allein (z. B. Cephalosporine oder Penicillin) in der Kombination mit Aminoglykosiden oder Gyrasehemmern ein additiver oder synergistischer Effekt gegenüber unterschiedlichen grampositiven Erregen (z. B. S. aureus oder Enterokokken) und gramnegativen Stäbchen (z. B. P. aeruginosa) gezeigt werden. Diese Ergebnisse waren Grundlage zahlreicher klinischer Studien, welche die Unter-
783 62.1 · Antibiotikatherapie
schiede zwischen Mono- vs. Kombinationstherapie bei Patienten mit unterschiedlichen Infektionen belegen sollten. In einer Metaanalyse mit 5 Studien mit sehr unterschiedlichem Studiendesign war nur bei Infektionen mit P. aeruginosa die Kombinationstherapie signifikant der Monotherapie bezüglich Letalität überlegen [7]. Die Autoren empfehlen daher nur bei Infektionen mit Nachweis oder dringendem Verdacht auf P. aeruginosa eine Kombinationstherapie, weniger wegen eines in vitro synergistischen Effektes, sondern vielmehr, um 2 Optionen für eine in vitro empfindliche Therapie zu haben. Andere Studien zeigten eine Überlegenheit der Kombinationstherapie bei neutropenischen Patienten oder eine geringere Komplikationsrate wie beispielsweise Hypotension. In einer 2004 publizierten Metaanalyse wurden die Ergebnisse von 64 klinischen Einzelstudien zusammenfassend bewertet [8]. In allen Studien wurde die Monotherapie mit E-Laktamantibiotika mit der Kombination entweder desselben oder eines anderen E-Laktamantibiotikums mit Aminoglykosiden verglichen. Die Autoren kamen zu den Schlussfolgerungen, dass die Monotherapie bezüglich Letalität, klinischer Versager- und bakterieller Eradikationsrate der Kombination gleichwertig war. Sogar in der Subgruppenanalyse mit P.-aeruginosa-Infektionen und S.-aureus-Endokarditiden konnte keine Überlegenheit der Kombinationstherapie gezeigt werden. In keiner der beiden Untersuchungsarme kam es gehäuft zu Superinfektionen mit Candida spp. Die Rate an Nebenwirkungen wie Nephro- und Ototoxizität war signifikant höher in der Patientengruppe mit Aminoglykosiden. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass bei einem Teil der hier analysierten Studien Aminoglykoside 3-mal täglich und nicht, wie heute üblich, 1-mal täglich gegeben wurden. In einer weiteren Metaanalyse wurden 8 Studien bewertet, welche die unterschiedliche bakterielle Resistenzentwicklung bei Patienten mit Monotherapie (E-Laktamantibiotika) vs. Kombinationstherapie (E-Laktam+Aminoglykoside) analysierten [9]. Auch hier ist die Mono- der Kombinationstherapie gleichwertig, d. h. es konnte keine verzögerte Resisenzentwicklung durch die Kombinationstherapie erreicht werden. In all diesen Studien wurde ausschließlich die Kombination von E-Laktamantibiotika mit Aminoglykosiden mit sehr unterschiedlichem Studiendesign untersucht; vergleichbare Studien mit E-Laktamantibiotika und Gyrasehemmern sind bisher nicht publiziert. Derzeit wird von der Deutschen Sepsisgesellschaft eine prospektive multizentrische Studie mit dieser Fragestellung bei Patienten mit Sepsis durchgeführt. > Vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund müssen die Empfehlungen der unterschiedlichen Fachgesellschaften für eine Kombinationstherapie als nur eingeschränkt evidenzbasiert angesehen und daher die Indikation für eine Kombination im Einzelfall begründet werden.
So empfehlen wir beispielsweise eine Kombinationstherapie – bevorzugt E-Laktam + Fluorchinolone – bei Patienten mit septischem Schock mit Multiorganversagen als Initialtherapie. Bei klinischer Besserung wird die Therapie mit dem E-Laktamantibiotikum fortgeführt und der Kombinationspartner abgesetzt.
62.1.6
Dauer und Dosierung
Die durchschnittliche Therapiedauer auch schwerer nosokomialer Infektionen beträgt 7 bis maximal 10 Tage. Kriterium für die Beendigung einer Therapie ist in erster Linie die klinische Besserung über 2–3 Tage. Die Reduktion der initial erhöhten Entzündungsparameter sowie Fieberfreiheit sind weitere Parameter, die jedoch
aus vielen anderen Gründen auch weiterhin erhöht bleiben können (z. B. nach operativen Eingriffen). Von dieser grundsätzlichen Empfehlung gibt es jedoch viele Ausnahmen, die entweder durch den Erreger oder die Infektionslokalisation bedingt sein können. So ist beispielsweise die postinfektiöse Komplikationsrate einer Staphylococcus-aureus-Bakteriämie/ Sepsis mit Osteomyelitis oder Endokarditis deutlich höher, wenn kürzer als 14 Tage i.v. therapiert wird. Die Relapsrate beatmungsassoziierter Pneumonien war bei P. aeruginosa bei einer Therapiedauer von 8 Tagen deutlich höher im Vergleich zu 15 Tagen [10]. Für Infektionen, bei denen am Infektionsort aufgrund der geringeren Durchblutung (z. B. Osteomyelitis) oder eines bradytrophen Gewebes (z. B. Endokarditis) nur geringe Antibiotikakonzentrationen erreicht werden, sind deutlich längere Therapiezyklen von 4 Wochen bis zu mehreren Monaten (z. B. bei chronischen Osteomyelitiden) indiziert. > Auf Intensivstationen sind bei schweren Infektionen die höchstzugelassenen intravenösen Dosierungen indiziert. Selbstverständlich müssen in Abhängigkeit von der Art der Elimination die maximalen Tagesdosierungen an die Organinsuffizienz, beispielsweise von Leber oder Niere, adaptiert werden.
In US-amerikanischen Empfehlungen werden E-Laktamantibiotika (z. B. Penicilline) häufig bis zu 6-mal täglich gegeben. Es ist bekannt, dass die Zeitdauer der Antibiotikakonzentration von E-Laktamantibiotika über der minimalen Hemmkonzentration (MHK) der Bakterien entscheidend ist für die bakterielle Abtötung und damit für die klinische Heilung. E-Laktamantibiotika können daher insbesondere bei schweren lebensbedrohlichen Infektionen oder bei einer persistierenden Bakteriämie trotz adäquater Therapie als Dauerinfusion gegeben werden (z. B. Ceftazidim und Doripenem). Im Gegensatz hierzu entscheidet bei Aminoglykosiden und Gyrasehemmern die maximale Serumkonzentration über das Abtöten von Bakterien. Insbesondere Aminoglykoside werden daher heute – mit Ausnahme bei Endokarditis – nur 1-mal täglich gegeben; so wird bei gleicher Wirkung ein deutlich verbessertes Nebenwirkungsprofil erreicht im Vergleich zur früher üblichen 2 - bis 3-mal täglichen Dosierung.
62.1.7
Erregerspezifische Therapieumstellung
Auf Intensivstationen ist eine Deeskalation von Antiinfektiva im Sinne einer Dosisreduktion, Verringerung der Applikationshäufigkeit oder Umstellung von der initial begonnenen intravenösen Therapie auf eine perorale Gabe in den meisten Fällen nicht indiziert. Eine erregerspezifische Umstellung der Initialtherapie mit einem breiten Erregerspektrum auf ein schmales Spektrum ist jedoch sowohl aus klinisch-infektiologischer Sicht im individuellen Fall wie auch aus epidemiologischer Sicht sinnvoll (. Tab. 62.1). Hierdurch wird eine verzögerte Resistenzentwicklung der Substanzen mit einem breiten Spektrum erzielt; weiterhin besitzen erregerspezifische Substanzen häufig eine bessere In-vitro-Aktivität, können teilweise höher dosiert werden und sind zudem häufig preisgünstiger. Kriterien für eine Umstellung sind, dass das mikrobiologisch nachgewiesene Bakterium ein typischer Erreger der Infektionslokalisation ist (z. B. S. pneumoniae bei Pneumonie oder S. aureus bei katheterinduzierter Infektion). Dieser sollte idealerweise in physiologisch sterilem Material nachgewiesen werden, wie beispielsweise Liquor, Blutkultur oder Punktion steriler Körperhöhlen. Beim Nachweis aus physiologisch kolonisiertem Material, wie beispielsweise respiratorischem Sekret, sollte der Erreger in Reinkultur und
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784
62
Kapitel 62 · Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika
62.2.3
. Tab. 62.1 Erregerspezifische Therapie Erreger
Wirkstoff
Pneumokokken
Penicillin
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Streptokokken (z. B. S. pyogenes)
Penicillin
Staphylokokken (S. aureus, CNS)
Oxacillin
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Enterokokken (E. faecalis)
Ampicillin
E. coli
Ampicillin, Cefuroxim
Klebsiella spp.
Cefuroxim
Proteus spp.
Cefuroxim
Moraxella catarrhalis
Cefuroxim
P. aeruginosa
Piperacillin, Ceftazidim
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hoher Konzentration – im optimalen Falle wiederholt – nachgewiesen werden (z. B. P. aeruginosa im Trachealsekret bei nosokomial erworbener Pneumonie).
62.2
Antibiotikastrategien
62.2.1
Antibiotikarestriktion
In mehreren Untersuchungen konnte durch eine Antibiotikarestriktion bestimmter Substanzklassen eine Reduktion der entsprechenden resistenten Erregerspezies gezeigt werden. Häufig wird in solchen Studien jedoch nicht beschrieben, dass alternativ andere Substanzklassen entsprechend häufiger eingesetzt werden, wodurch weitere Resistenzen selektiert und induziert werden. So konnte beispielsweise durch Einschränkung der Applikation von 3.-Generations-Cephalosporinen, Carbapenemen, Clindamycin, Vancomycin und Aminoglykosiden die MRSA-Rate sowie das endemische hohe Niveau von Klebsiella pneumoniae – Ceftazidimresistent über einen 4-Jahres-Zeitraum – deutlich gesenkt werden. Da aber die Antibiotikaanwendungsrate an sich nicht reduziert wurde, kam es zu einem Mehrverbrauch von E-Laktamase-geschützten Penicillinen, sodass zeitgleich ein massiver Anstieg von Acinetobacter spp. gezeigt werden konnte [11]. > Es ist daher nicht sinnvoll, einzelne Substanzklassen zu meiden und andere entsprechend vermehrt einzusetzen mit dem Ziel, das Resistenzniveau zu reduzieren. Es ist sehr viel sinnvoller, die Antibiotikaindikationen strenger zu stellen, um somit die Antibiotikaanwendungsrate insgesamt zu senken. Nur so ist mittelfristig eine Reduktion multiresistenter Erreger erreichbar.
62.2.2
Antibiotika-Cycling
Theoretisch ist vorstellbar, dass durch ein routinemäßiges Rotieren bestimmter Substanzklassen über einen definierten Zeitraum (beispielsweise 3–6 Monate) ein verminderter Selektionsdruck ausgeübt wird, wodurch einer Resistenzentwicklung entgegengewirkt werden soll. So wird beispielsweise empfohlen, periodisch bevorzugt Penicilline, dann Cephalosporine, Gyrasehemmer und anschließend Carbapeneme einzusetzen. Einerseits ist die Compliance mit einem solchen rotierenden System häufig gering, und andererseits konnte eine Senkung der Resistenzentwicklung nicht erreicht werden [12].
Antibiotikaleitlinien
Der Vorteil schriftlich eingeführter Leitlinien zur Antibiotikatherapie und Prophylaxe konnte mehrfach belegt werden; solche Leitlinien wurden als SOPs zur Diagnostik und Therapie der unterschiedlichen Infektionen für eine Intensivstation mit Hilfe eines Computerprogramms weiterentwickelt und vorgestellt [13]. Die Befolgung solcher komplexer und komplizierter SOPs erscheint auf den ersten Blick schwer realisierbar, andererseits kann so auf höchstem Niveau eine Qualität sichergestellt werden. Im Individualfall kann und muss jedoch die Freiheit und Möglichkeit bestehen, von solchen vorgegebenen »pathways« begründet abzuweichen.
62.2.4
Fallkonferenzen
In angloamerikanischen Ländern ist es üblich, anhand von aktuellen Fällen das implementierte diagnostische und/oder therapeutische Vorgehen aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen. Solche »morbidity and mortality conferences« (M&M-Konferenzen) sind in Deutschland unüblich, obwohl sie v. a. für jüngere Kollegen eine ideale Möglichkeit der Wissensvermehrung darstellen und die Möglichkeit bieten, etablierte Regimes zu aktualisieren und optimieren. So könnten auf dem Gebiet der klinischen Infektiologie beispielsweise Patienten mit einer Dreier- oder Viererkombination, einer Therapiedauer >2 Wochen, sowie Patienten, die bereits einen 3. Antibiotikazyklus erhalten oder bei denen eine verlängerte postoperative Prophylaxe über 24 h durchgeführt wird, vorgestellt werden. Fazit Zusammenfassend erscheint eine Strategie, die die unterschiedlichen Instrumente zur adäquaten und indizierten Antibiotikaanwendung kombiniert und diese auf die abteilungsspezifischen Bedürfnisse modifiziert, am sinnvollsten [14].
62.3
Antibiotikaprophylaxe
Das Ziel einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe ist die Reduktion postoperativer Wundinfektionen; dies konnte in mehreren Studien in den 1980-er und 90-er Jahren belegt werden und ist heute in sämtlichen Empfehlungen enthalten. Dennoch können nicht alle postoperativen Wundinfektionen auch durch eine adäquat gegebene Prophylaxe vermieden werden, und auch andere nosokomial erworbene Infektionen, wie Pneumonien, Harnwegsinfektionen oder katheterassoziierte Sepsisfälle können nicht verhindert oder reduziert werden. Die Indikationen für eine Prophylaxe sind entweder Operationen in einem physiologisch bakteriell besiedelten Situs, wie beispielsweise Kolonoperationen, bei denen ein erhöhtes Wundinfektionsrisiko bekannt ist, oder Eingriffe, bei denen eine Wundinfektion eine »medizinische Katastrophe« darstellen würde, wie beispielsweise Herzoperationen oder Implantationen großer Fremdkörper (z. B. Knie- und Hüfttotalendoprothese). Die Indikationen sind aktuell übersichtlich für die einzelnen operativen Disziplinen und mit Evidenzgrad bewertet publiziert [15]. Eine Antibiotikatherapie wird in solchen Fällen durchgeführt, bei denen eine bestehende Infektion bekannt ist (z. B. Klappenersatz bei Endokarditis), oder wenn diese erst intraoperativ offensichtlich wird (z. B. Peritonitis bei perforiertem Appendix). Hier wird die initial begonnene Prophylaxe in eine postoperative Therapie umgewandelt.
785 62.4 · Diagnostik und Therapieoptionen invasiver Candidainfektionen
. Tab. 62.2 Perioperative Antibiotikaprophylaxe Ziel
Reduktion postoperativer Wundinfektionen
Indikation
Entsprechend den Empfehlungen der Fachgesellschaft
Antibiotikum
1.-/2.-Generations-Cephalosporine oder Aminopenicilline+β-Laktamaseinhibitor
Dosis
Therapeutische Dosis
Zeitpunkt der Gabe
30–60 min vor Inzision
Applikation
Intravenös
Häufigkeit
»Single shot« (2. intraoperative Gabe bei Operationsdauer >3 h, hohem intraoperativem Blutverlust, Herz-Lungen-Maschine)
Für die Antibiotikawahl stehen überwiegend Basisantibiotika, wie 1.- oder 2.-Generations-Cephalosporine oder E-Laktamase-gestützte Penicilline (z. B. Ampicillin/Sulbactam) zur Verfügung. Bei bekannter Kolonisation/Infektion mit multiresistenten Erregern (z. B. MRSA, VRE oder ESBL) im Operationssitus muss im Einzelfall die Prophylaxe entsprechend modifiziert und adaptiert werden. Es ist bekannt, dass der Zeitpunkt der Gabe der Prophylaxe streng korreliert mit der Effektivität der Infektionsprävention (. Tab. 62.2).
Prophylaxe Optimalerweise wird die Prophylaxe 30–60 min vor Inzision gegeben. So werden während der Operation ausreichend hohe Antibiotikakonzentrationen in den Wundrändern erzielt, um dort Erreger abzutöten. Beträgt die Operationsdauer >3 h oder kommt es intraoperativ zu einer Verdünnung der Antibiotikakonzentration, beispielsweise durch Bluttransfusionen oder durch den Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen (insbesondere in der Pädiatrie), ist eine intraoperative 2. Gabe indiziert. Diese Antibiotika sollten ausschließlich intravenös und in therapeutischer Dosierung gegeben werden.
> Jede postoperative Antibiotikagabe, also nach Verschluss der Wundränder, reduziert nachweislich nicht mehr die Wundinfektionsrate, sondern erhöht die Resistenzrate, Nebenwirkungen und Kosten [16, 17].
Entsprechend den Leitlinien zur Antibiotikatherapie konnten auch durch die Einführung hausinterner Empfehlungen zur Prophylaxe die Qualität gesteigert und die Kosten gesenkt werden [18]. Intravasale Katheter, Drainagen oder Liquordrainagen sind keine Indikationen für eine Prophylaxe. Hier käme es bei einer mehrtägigen Gabe von Antibiotika zur Selektion und Kolonisation mit resistenten Erregern, die dann möglicherweise eine Infektion verursachen. Diese Infektionen sind nachgewiesenermaßen mit einer erhöhten Letalität, Liegedauer und Kosten assoziiert.
62.4
Diagnostik und Therapieoptionen invasiver Candidainfektionen
62.4.1
Epidemiologie invasiver Candidainfektionen
In der angloamerikanischen Literatur wird eine Zunahme nosokomial erworbener Candidainfektionen, insbesondere auf Intensivstationen, beschrieben – immer häufiger werden Patienten auf unseren Intensivstationen betreut, die mehrere Risikofaktoren für eine invasive Candidainfektion besitzen [4, 19]. Diese sind trotz adäquater antimykotischer Therapie mit einer Letalität von bis zu 40% assoziiert [20].
Risikofaktoren für invasive Candidainfektionen [20] 4 4 4 4 4
Antibiotikatherapie Intravasale Devices Gastrointestinale Operationen Verbrennungen Ausgeprägte Immunsuppression
Die wichtigsten Infektionsquellen sind intravasale Katheter, Translokation aus dem Gastrointestinaltrakt und Wund- und Urogenitalinfektionen. Trotz häufigen Nachweises von Candida aus respiratorischem Sekret – analog zu koagulasenegativen Staphlyokokken und Enterokokken, insbesondere unter einer Antibiotikatherapie – [21] konnte in einer Untersuchung an 232 Patienten im Rahmen von Obduktionen in keinem einzigen Fall eine Candidapneumonie nachgewiesen werden. Sogar bei 77 Patienten mit einem Nachweis von Candida im respiratorischen Sekret und histologischen Zeichen von Pneumonie konnte in der Autopsie keine Pneumonie erkannt werden. Da nur bei 7 Patienten (9%) mit Candidanachweis im respiratorischen Sekret eine antimykotische Therapie begonnen wurde, war das Risiko einer unerkannten Candidapneumonie aufgrund der erfolgreichen Therapie sehr gering. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass es bei Intensivpatienten diese Infektionsentität nicht gibt.
62.4.2
Diagnostik invasiver Candidainfektionen
Beweisend für eine invasive Candidainfektion ist der Nachweis von Candida spp. in Blutkulturen. Der einmalige Nachweis in einer einzigen Blutkulturflasche ist eine Therapieindikation. Es gibt Blutkulturflaschen mit speziellem Nährmedium für Sprosspilze; hierdurch konnte jedoch die Detektionsrate nicht erhöht werden, eine kürzere Detektionszeit wird diskutiert. Neben der Blutkulturdiagnostik ist der histologische Nachweis in Biopsiematerial beweisend. Der Nachweis von Candida aus Peritonealflüssigkeit/intraabdomineller Biopsie – insbesondere bei Zeichen einer Peritonitis – ist ebenfalls pathognomonisch für eine Candidainfektion. Die Bedeutung des Abstrichs bei dieser Infektion ist umstritten und sollte, wenn möglich, durch bioptisch gewonnenes Material ersetzt werden. Der Nachweis aus Urin oder Wundabstrichen kann nur patientenspezifisch interpretiert werden und stellt häufig eine Kolonisation dar, die keiner antimykotischen Therapie bedarf. In der Literatur wird der erhöhte Nachweis von Antikörpern und Antigen sowie ein Titeranstieg im zeitlichen Verlauf sehr kont-
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786
Kapitel 62 · Antibiotika, Prophylaxe und Antimykotika
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rovers diskutiert. Es konnte keine Korrelation zwischen Ergebnissen der Serologie und invasiven Candidainfektionen gezeigt werden.
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62.4.3
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Therapieoptionen invasiver Candidainfektionen
Neben Fluconazol und Amphotericin B gibt es seit wenigen Jahren mit Voriconazol und ein weiteres Azol und mit Caspo-, Anidulaund Micafungin die ersten Vertreter der Echinokandine – neue Therapieoptionen mit einem deutlich erweiterten antimykotischen Wirkspektrum. Diese neuen Antimykotika sind wirksam gegen Fluconazol-resistente Candida-albicans-Stämme und haben eine sehr gute Aktivität gegen andere Candida spp. mit einer intrinsischen Resistenz gegen Fluconazol, wie beipsielsweise C. krusei. In einer Metaanalyse konnte die Gleichwertigkeit von Fluconazol vs. Amphotericin B bei Patienten mit Candidämie gezeigt werden [22]. In den 6 Studien, die dieser Analyse zugrunde lagen, lag der Anteil von Candida albicans zwischen 50 und 70%. Die Nebenwirkungsrate, insbesondere die Nephrotoxizität, war in fast allen Studien signifikant bei Amphotericin B gegenüber Fluconazol erhöht. In einer randomisierten, prospektiven klinischen Untersuchung war Voriconazol bei nicht-neutropenischen Patienten bezüglich Letalität und mikrobiologischer Heilung (sterile Blutkulturen) gleichwertig mit Amphotericin B [23]. Auch Caspofungin war bei Patienten mit invasiven Candidainfektionen der Therapie mit Amphotericin B gleichwertig und zeigte gleichzeitig eine signifikant geringere Nebenwirkungsrate [24]. In einer prospektiven randomisierten doppelverblindeten Studie wurde die antimykotische Aktivität von Anidulafungin vs. Fluconazol bei 245 überwiegend nicht neutropenischen Patienten mit invasiver Candidainfektion untersucht. Mit statistischer Signifikanz war Anidulafungin am Ende der intravenösen Therapie bis zu 2 Wochen nach Beendigung der Gesamttherapie signifikant überlegen. Auch in der Subgruppenuntersuchung mit ausschließlich Candida-albicans-Erregern war die Gruppe mit Anidulafungintherapie sowohl mikrobiologisch wie auch klinisch signifikant der Fluconazolgruppe überlegen. Die Autoren schlussfolgern aus ihren Ergebnissen, dass Anidulafungin nicht unterlegen ist und möglicherweise als primäre Therapie einer Fungämie als Form einer invasiven Candidainfektion effektiver als Fluconazol ist [25]. In einer Phase-III-Studie konnte die Gleichwertigkeit bei Patienten mit Candidämie und invasiver Candidainfektion von Micafungin – ein weiterer Vertreter der Echinokandine – vs. liposomales Amphotericin B nachgewiesen werden. Patienten, die mit Micafungin therapiert wurden, hatten weniger Nebenwirkungen [26]. Entsprechend der empirischen Antibiotikatherapie muss die eigene Antimykotikastrategie an die lokale Nachweisrate der unterschiedlichen Candidasspezies und deren Resistenzmuster adaptiert werden. Stellt beispielsweise der Anteil Fluconazol-sensibler Candida-albicans-Stämme bei invasiven Infektionen mit Abstand den größten Anteil der Candidaspezies dar, kann evtl. auch bei instabilen und schwerkranken Patienten Fluconazol als initiale empirische Therapie gegeben werden. Bei der Gabe von Antimykotika müssen patientenspezifische Risikofaktoren berücksichtigt werden, sodass bei Patienten mit bekannter Besiedlung mit Fluconazol-resistenten Candida spp. oder bei bereits durchgeführter Fluconazol-Therapie eines der neueren Antimykotika wie Voriconazol oder ein Echinokandin gegeben werden sollte. Sind jedoch der Anteil an Candida spp., die intrinsisch gegen Fluconazol resistent sind (z. B. C. crusii), oder der Anteil von Candida albicans mit einer Fluconazol-Resistenz hoch, sollte
emipirisch – insbesondere bei instabilen und kritischen Patienten – kein Fluconazol mehr initial gegeben, sondern sofort mit Voriconazol oder einem Echinokandin therapiert werden. Analog zur erregerspezifischen Therapieumstellung bei Antibiotika kann auch bei initialem Beginn mit Voriconazol oder Caspofungin bei Nachweis fluconazolsensibler Erreger auf Fluconazol umgestellt werden. Ausführlich werden in aktuellen Leitlinien die Therapiestrategien für invasive Candidainfektionen dargestellt [27, 28]. Der Therapieerfolg wird signifikant erhöht, wenn intravasale Katheter (z. B. ZVK) bei Beginn der antimykotischen Therapie gewechselt werden. Eine Kontrolle mit wöchentlichen Blutkulturen wird empfohlen. Komplikationen wie Endokarditis, Osteomyelitis oder Abszedierung in Leber, Milz und Niere sind beschrieben.
62.4.4
Antimykotikaprophylaxe
Entsprechend der perioperativen Antibiotikaprophylaxe wird häufig bei Patienten mit multiplen Risikofaktoren für invasive Candidainfektionen die prophylaktische Gabe von Antimykotika diskutiert. In einer Metaanalyse wurden 6 unterschiedliche randomisierte Placebo-kontrollierte Studien mit einer Azol-Prophylaxe vs. Placebo bei chirurgischen Hochrisikopatienten durchgeführt [29]. Hierbei konnte – analog mehrerer Metaanalysen zur selektiven Darmdekontamination – zwar eine signifikante Reduktion der Candidainfektionen im Prophylaxearm gezeigt werden, die Gesamtletalität konnte jedoch nicht reduziert werden. > Aufgrund der Nebenwirkungsrate, der Resistenz und Kostensteigerung ist daher die Prophylaxe auch bei diesem Hochrisikoklientel kritisch zu hinterfragen und derzeit nicht zu empfehlen.
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789
Diagnose und Therapie der Sepsis T. Schürholz, G. Marx
63.1
Einführung – 790
63.2
Epidemiologie der Sepsis – 790
63.3
Langzeitüberleben und Lebensqualität nach Sepsis – 790
63.4
Definition und Diagnose der Sepsis – 790
63.4.1 63.4.2 63.4.3 63.4.4 63.4.5
Procalcitonin – 791 C-reaktives Protein – 791 Zytokine und andere Marker – 791 Monitoring der Mikrozirkulation – 792 Laktatclearance – 792
63.5
Therapie – 792
63.5.1 63.5.2 63.5.3 63.5.4 63.5.5
Kausale Therapie der Sepsis – 792 Supportive Therapie der Sepsis – 794 Adjunktive Therapie der Sepsis – 795 Nicht gesicherte adjunktive Therapien – 797 Weitere adjunktive Therapieansätze – 798
Literatur – 799
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_63, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
63
790
63 63 63 63
63.1
Kapitel 63 · Diagnose und Therapie der Sepsis
Einführung
In der Sepsistherapie wird zwischen den kausalen antimikrobiellen bzw. operativ-interventionellen Maßnahmen zur Herdsanierung, sowie den elementaren supportiven (organbezogenen) intensivmedizinischen Standardmaßnahmen und adjunktiven (potenziell zusätzlichen) therapeutischen Ansätzen unterschieden. Auf die wichtigsten dieser evidenzbasierten supportiven und adjunktiven Therapiemaßnahmen wird im folgenden Beitrag eingegangen.
63
63.2
63
Über Jahrzehnte lagen systematische epidemiologische Studien zur Inzidenz der Sepsis, schweren Sepsis oder des septischen Schocks in Deutschland nicht vor. Unter anderem war dieser fehlende Eingang in die Statistiken der Gesundheitsämter in der mangelnden Wahrnehmung der Sepsis als eigene Entität und damit durch Todesbescheinigungen mit anderer Diagnose begründet. Erst eine Studie des Kompetenznetzwerkes Sepsis (»SepNet«) konnte belegen, dass die Sepsisinzidenz auf deutschen Intensivstationen bei etwa 154.000 Fällen pro Jahr liegt (220 Fälle auf 100.000 Einwohner). Bedeutsam ist diese hohe Inzidenz auch, weil die sepsisbedingte Letalität in den Krankenhäusern mit bis zu 54% unverändert hoch ist. In der gesamten Bundesrepublik Deutschland sterben jährlich etwa 60.000 Menschen an der Sepsis und ihren Folgen. Nach den der Allgemeinbevölkerung gut präsenten Erkrankungen wie akutem Myokardinfarkt und koronarer Herzerkrankung ist Sepsis damit die dritthäufigste Todesursache [1]. Betrachtet man nur die Krankenhäuser, so liegt laut prospektiven Einzelstudien in Westeuropa und den USA die Sepsisinzidenz bei ca. 1–2%. Auf den Intensivstationen dagegen wird ein 10-Faches der an Sepsis Erkrankten diagnostiziert. Je nach vorliegender Studie variieren die Angaben zwischen 9 und 22%. Interessanterweise tritt aber in Krankenhäusern der Maximalversorgung fast die Hälfte der Sepsisfälle nicht auf den Intensivstationen auf. In einer repräsentativen französischen Studie lag die Sepsisinzidenz bei 9%. Etwa 50% der Fälle schwerer Sepsis oder septischen Schocks wurden nicht im Krankenhaus erworben. Von den anderen 50% der septischen Patienten war die Hälfte wiederum auf der Intensivstation an schwerer Sepsis erkrankt [2]. Es ist innerhalb der letzten 20 Jahre gelungen, die Letalität der schweren Sepsis und des septischen Schocks zu senken. Vermutlich auch durch den demographischen Wandel in den industrialisierten Ländern verursacht, zeigt sich aber eine stetige Zunahme der Sepsisinzidenz im gleichen Zeitraum. Es wird daher gerade in den kommenden Jahrzehnten von hoher Bedeutung für die Patienten sein, Fortschritte in der Prophylaxe und Behandlung der Sepsis zu erzielen.
Innerhalb der ersten 6 Monate nach einer Sepsis erhöht sich die Letalitätsrate um ein weiteres Drittel [3, 4]. Die Überlebenden einer schweren Sepsis und eines septischen Schocks sind in den wenigen bisher vorliegenden systematischen Nachuntersuchungen nicht nur durch gesundheitliche Einschränkungen und eine verminderte Lebensqualität charakterisiert, sondern auch durch eine deutlich reduzierte Lebenserwartung. Daraus folgt, dass die an Sepsis erkrankten Patienten rasch und entschlossen behandelt werden müssen, um ein Fortschreiten der Erkrankung und damit die Entwicklung einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks zu verhindern [3, 5].
Epidemiologie der Sepsis 63.4
63 63 63 63 63 63 63 63 63 63 63 63 63 63 63
> Die schwere Sepsis bzw. der septische Schock sind eine der Haupttodesursachen und werden angesichts des demographischen Wandels zu einem sich aggravierenden Problem.
63 63 63 63
63.3
Langzeitüberleben und Lebensqualität nach Sepsis
Sepsis bedingt nicht nur eine hohe Akutletalität, sondern hat darüber hinaus Auswirkungen auf das Langzeitüberleben und die Lebensqualität.
Definition und Diagnose der Sepsis
Machiavelli wird ein Zitat von 1513 zugeschrieben, das das Wesen der schweren Sepsis und des septischen Schocks anschaulich beschreibt.
»
Hektisches Fieber ist zu Beginn schwierig zu erkennen, aber leicht zu behandeln; bleibt es unbehandelt, ist es leicht zu erkennen, aber schwierig zu behandeln.
«
Aber auch die Einsicht, dass die körpereigene Antwort auf eine Infektion verantwortlich für den Tod vieler Patienten ist, traf Sir William Osler schon vor über 100 Jahren. Kritisch kranke Patienten weisen häufig ein systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) und multiple Organdysfunktionen auf, die nicht immer sicher in Zusammenhang mit einer Infektion zu bringen sind. Sepsis ist eine komplexe inflammatorische Wirtsreaktion auf eine Infektion. Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock definieren ein Krankheitskontinuum, das über eine Kombination aus Vitalparametern, hämodynamischen Daten und Organfunktionen definiert wird. Erst 1992 wurden im Rahmen einer Konsensuskonferenz Definitionen für eine generalisierte Antwort auf einen inflammatorischen Stimulus (SIRS), für Sepsis, schwere Sepsis und den septischen Schock publiziert [6] (7 Definitionen für SIRS, Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock; modifiziert nach [6]). »Systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) Körperkerntemperatur ≥38°C oder ≤36°C. 4 Tachykardie ≥90/min. 4 Tachypnoe ≥20/min oder paCO2≤33 mm Hg. 4 Leukozyten ≥12.000/μl, ≤4.000/μl oder ≥10% unreife Neutrophile.
Sepsis SIRS (2 oder mehr Punkte) mit vermuteter oder nachgewiesener Infektion. Schwere Sepsis (Sepsis mit wenigstens einer Organdysfunktion) 4 Akute Enzephalopathie (eingeschränkte Vigilanz, Desorientiertheit). 4 Kardiovaskulär (Hypotension, Katecholaminpflicht). 4 Renal (Diurese ≤0,5 ml/kg KG/h für mindestens 2 h). 4 Respiratorisch (paO2/FiO2 ≤ 250). 4 Hepatisch. 4 Hämatologisch (Thrombozyten ≤80 G/l oder Abfall um >30%). 4 Metabolisch (pH≤7,30 oder Basendefizit ≥5 mmol/l und Laktat >1,5-fach erhöht).
791 63.4 · Definition und Diagnose der Sepsis
Septischer Schock Sepsisinduzierte Hypotension (systolischer arterieller Blutdruck ≤90 mm Hg oder mittlerer arterieller Blutdruck ≤65 mm Hg über wenigstens 1 h trotz adäquater Volumenzufuhr, zusammen mit Veränderungen der Perfusion (Laktatazidose, Oligurie, Verwirrtheit) oder Vasopressoreinsatz.
Einschränkend muss man sagen, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass SIRS oder Sepsis einen Beitrag zur Letalität haben. Weiterhin ist die Spezifität des SIRS gering und scheint kein positiver Prädiktor für die Entwicklung einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks zu sein. Dagegen basieren die schwere Sepsis und der septische Schock auf einer gesicherten epidemiologischen und pathophysiologischen Grundlage. Im klinischen Alltag ist die Spezifität der klassischen Diagnosekriterien gering. Für den klinisch weniger erfahrenen Arzt bleibt es also immer noch schwierig, schnell eine für den Patienten angepasste Therapie einzuleiten. Später wurde der (bisher erfolglose) Versuch unternommen, das System zu modifizieren. Das PIROKonzept (»predisposition, infection, response, organ dysfunction«) konnte sich aber in der täglichen Praxis am Krankenbett bisher nicht etablieren und gelangte deshalb nicht in den klinischen Alltag. Neben den klinischen Parametern zur Diagnose wurden und werden Dutzende Biomarker für die Diagnose und Prognose der schweren Sepsis evaluiert. Wenn nicht bereits negative Ergebnisse vorliegen, müssen zahlreiche andere Parameter in weiteren Untersuchungen ihren Nutzen für die Beurteilung der schweren Sepsis und des septischen Schocks noch beweisen. Die in den meisten Kliniken gebrauchten Marker werden im Folgenden behandelt.
63.4.1
Procalcitonin
Procalcitonin (PCT) ist das Prohormon von Calcitonin und liegt im Serum von gesunden Menschen mit <0,1 ng/ml vor. Sicher scheint, dass PCT unter den Bedingungen einer Sepsis von fast allen extrathyreoidalen Geweben gebildet werden kann. PCT wird bei schweren inflammatorischen Wirtsantworten regelhaft erhöht gefunden. Gegenüber anderen Parametern der Inflammation ist PCT eher geeignet, zwischen systemischer und lokaler Inflammation zu diskriminieren. Das PCT ist schon etwa 2 h nach dem Auftreten der Infektion im Serum nachweisbar und damit früher als C-reaktives Protein aber später als proinflammatorische Zytokine vorhanden. Darüber hinaus binden Prohormone wie PCT offensichtlich nicht an Rezeptoren und werden auch nicht an andere Proteine gebunden. Infektionen, die zu einer systemischen Inflammation führen, sind i. Allg. mit erhöhten ProCT-Serumkonzentrationen assoziiert. Im Rahmen einer schweren Sepsis können die PCT-Konzentrationen bis auf ein Vieltausendfaches der Normalwerte ansteigen. Die Halbwertszeit des PCT beträgt etwa 24 h, daher sollte bei adäquater Antibiotikatherapie nach dieser Zeit das PCT nicht mehr ansteigen, sondern rückläufig sein. In einer Reihe von Studien konnte der Stellenwert des PCT als sensitiver und spezifischer Marker der schweren Sepsis und des septischen Schocks belegt werden. 4 Liegen die Serumkonzentrationen von PCT <0,5 μg, ist eine schwere Sepsis ausgeschlossen. 4 Werte bis 2,0 μg sprechen für ein erhöhtes Risiko. 4 Liegen die gemessenen Konzentrationen >10,0 μg, besteht ein Hinweis für ein fortgeschrittenes infektionsortfernes Organversagen.
Bei relativ hoher Sensitivität und Spezifität lässt sich die Sicherheit der Diagnose Sepsis unter Hinzuziehung von PCT zusätzlich zu den üblichen klinischen und laborchemischen Parametern deutlich erhöhen. > PCT erhöht die Sicherheit der Diagnose Sepsis zusätzlich zu den etablierten klinischen und laborchemischen Parametern.
Allerdings können klinische Situationen, bei denen es durch hämodynamische Störungen zu einer potenziellen Translokation von Endotoxinen kommt (nach großen chirurgischen Eingriffen, Polytrauma, kardiogenem Schock) zu einer Erhöhung des PCT im Plasma führen. Trotzdem konnte die Wertigkeit des PCT zur Steuerung einer Antibiotikatherapie gezeigt werden. Die Antibiotikatherapie wurde beendet, falls PCT um >90% vom Ausgangswert reduziert war oder falls PCT 0,25 μg/l unterschritt. Dieses Vorgehen führte zu einer substanziellen Reduktion des Antibiotikaverbrauchs (4 Tage gegenüber der Kontrollgruppe), ohne dass dadurch Nachteile für den Patienten entstehen [7]. PCT erfährt steigende klinische Akzeptanz durch seine höhere Sensitivität und Spezifität verbunden mit einer vorteilhaften Kinetik bei schwerer Sepsis verglichen mit CRP, Zytokinen und konventionellen Infektionsparametern. Die Wertigkeit des PCT wird aktuell in einer multizentrischen Studie (SISPCT) untersucht.
63.4.2
C-reaktives Protein
Das C-reaktive Protein (CRP), ein β-Globulin, ist konstitutiv im Serum Gesunder nur in geringen Konzentrationen vorhanden. Bei akuten und chronischen Inflammationen hat sich CRP klinisch-diagnostisch als wichtiger Entzündungsparameter aus der Klasse der Akut-Phase-Proteine etablieren können. Das CRP bindet an Lysophospholipide in der äußeren Zellmembran geschädigter Zellen, und seine biologische Funktion wird im Zusammenwirken mit der sekretorischen Phospholipase A2 in einer Markierung der geschädigten Zellen und der Förderung ihrer Phagozytose gesehen. CRP hat eine valide Aussagekraft für Diagnosestellung, Verlaufs- und Therapiekontrolle von Entzündungsaktivitäten, wird aufgrund seiner biologischen Funktion aber auch durch vielfältige nichtinfektiöse Stimuli induziert. Im Gegensatz zu PCT, TNF-α und Interleukin-6 erreicht CRP sein Maximum ungefähr 48 h nach Beginn der Inflammation. Dabei wird der Schweregrad der Infektion nicht durch die CRP-Werte widergespiegelt. Die erhöhten Werte können auch nach Beseitigung des Fokus noch erhöht bleiben. Darüber hinaus ist CRP bei nichtinfektiösen Zuständen wie postoperativen Phasen und Autoimmunerkrankungen erhöht. > CRP spiegelt nicht den Schweregrad der Infektion wider.
63.4.3
Zytokine und andere Marker
Während das pro-inflammatorische TNF-α nur wenig Beitrag zur Sepsisdiagnose leisten kann, ist das Interleukin-6 (IL-6) eng verbunden mit Inflammation und der Antwort eines Organismus auf eine Infektion. IL-6 ist jedoch auch deutlich erhöht z. B. nach chirurgischen Eingriffen oder bei Autoimmunerkrankungen und scheint deshalb die Wertigkeit des IL-6 in der Sepsisdiagnostik zu limitieren. Zudem gibt es nicht genug Daten über die Bedeutung des IL-6 in der frühen Sepsis. Ferner gibt es weitere in den letzte Jahren identifizierte Proteine wie den »triggering receptor on myeloid cell-1« (TREM-1), der
63
792
Kapitel 63 · Diagnose und Therapie der Sepsis
63
durch Neutrophile und Monozyten exprimiert wird und die Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren bei Infektionen mit Bakterien und Pilzen vermittelt. Im Gegensatz zum PCT ist die Prognosequalität für den löslichen TREM-1 (sTREM-1) geringer. Darüber hinaus kann keine Aussage über die Erkrankungsschwere getroffen werden. Das Lipopolysaccharide bindende Protein (LPS-BP) vermittelt die Aktivierung von Monozyten und die darauf folgende IL-6-Freisetzung über den CD14-Rezeptor. Die Plasmaspiegel sind höher bei gram-negativer Bakteriämie, brauchen aber relativ lang bis zu einer signifikanten Erhöhung (etwa 36 h). Breitere Erfahrungen mit diesem Parameter fehlen.
63
63.4.4
63 63 63 63
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Monitoring der Mikrozirkulation
Die Mikrozirkulation ist ein diskretes Organ, welches netzwerkartig in die Gewebe eingebettet ist, mit der Aufgabe, das chemische und physikalische Gleichgewicht als Voraussetzung für das Überleben von individuellen Zellen und Zellverbänden aufrecht zu erhalten. Tritt eine schwere Sepsis oder ein septischer Schock auf, beeinträchtigt die Inflammation die Vasoregulation und Endothelfunktion mit konsekutiver Distributionsstörung in der Makro- und Mikrozirkulation. Der zeitliche Verlauf und die Bedeutung für das Überleben konnte für die sepsisassoziierten Mikrozirkulationsstörungen gezeigt werden [8]. Patienten wurde mit Diagnosestellung septischer Schock bis zur Terminierung des Schocks sublingual die Mikrozirkulation durch orthogonale Polarisationsspektroskopie täglich einmal gemessen. Anfänglich zeigten sowohl überlebende als auch nichtüberlebende Patienten eine vergleichbare Kapillardichte und perfundierte kapilläre Gefäße. Bei den Überlebenden ließen sich die mikrozirkulatorischen Veränderungen im septischen Schock innerhalb der ersten 24 h nach Beginn des Schocks verbessern. Bei den Verstorbenen blieben die verminderte Kapillardichte und die geringere Anzahl der Gefäße bestehen. Parallel dazu waren aber keine Unterschiede in der Makrohämodynamik, der systemischen Oxygenierung und der Katecholamintherapie feststellbar. Die gestorbenen Patienten hatten im Vergleich zu den überlebenden Patienten signifikant geringere perfundierte Kapillaren. Nur die Laktatspiegel im arteriellen Blut wiesen ebenfalls Unterschiede zwischen überlebenden und gestorbenen Patienten auf. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Verbesserung der mikrovaskulären Perfusion innerhalb der ersten 24 h nach Beginn des Schocks ein für die Prognose der Erkrankung wichtiger Faktor sein könnte. Die Wiederherstellung der mikrovaskulären Perfusion stellt ein lohnendes therapeutisches Ziel dar, und die konsequente Beobachtung der mikrovaskulären Alterierung kann für kritisch kranke Patienten Vorteile bieten [9]. > Die Verbesserung der mikrovaskulären Perfusion innerhalb der ersten 24 h nach Beginn des Schocks ist ein wichtiges Therapieziel.
63.4.5
Laktatclearance
Das im Serum gemessene Laktat ist ein Parameter, der in der klinischen Beurteilung als Maß für die erfolgreiche Wiederherstellung oder Verbesserung der Mikrozirkulation und Gewebsoxygenierung septischer Patienten herangezogen wird. Dabei scheint v. a. der Verlauf der Laktatkonzentration, die Laktatclearance (prozentuale Reduktion bis zur 6. h nach Aufnahme) entscheidend zu sein. In einer prospektiven multizentrischen Observationsstudie wurde überprüft, ob eine frühe Laktatclearance mit einem ver-
besserten Überleben von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock assoziiert ist und ob eine Übereinstimmung zwischen Optimierung der zentralvenösen Sauerstoffsättigung (ScvO2) und früher Laktatclearance besteht. Bei 166 Patienten wurde direkt bei Aufnahme und nach 6 h Laktat gemessen. Von den 166 Patienten wiesen 15 (9%) keine Laktatclearance auf. Bei diesen Patienten betrug die Letalität 60% vs. 19% bei denen, die eine Laktatclearance von 10% und mehr aufwiesen. Ein Zusammenhang zwischen Laktatclearance und Optimierung der ScvO2 wurde nicht gefunden [10]. Damit scheint eine frühzeitige Laktatclearance tatsächlich ein Parameter zu sein, der mit der der Mikrozirkulation und Gewebsoxygenierung im septischen Schock und der Prognose des Patienten korreliert, sodass sich die frühzeitige Laktatclearance als Marker für die Schwere der Erkrankung zu eignen scheint. Eine Optimierung der ScvO2 schließt aber ein Ausbleiben der Laktatclearance nicht aus. > Die Laktatclearance ist eine Marker für die Erkrankungsschwere und das Überleben der Patienten.
63.5
Therapie
63.5.1
Kausale Therapie der Sepsis
Grundsätzlich gilt: Zeit ist der kritische Faktor! Ein schwere Sepsis oder ein septischer Schock müssen ebenso rasch und entschlossen wie ein hämorrhagischer Schock behandelt werden. Die kausale Therapie muss umgehend eingeleitet werden, die supportive Therapie muss innerhalb der ersten 6 h nach Diagnosestellung erfolgen, und die adjunktive Therapie wird zusätzlich und parallel zur kausalen und supportiven Therapie innerhalb der ersten 24 h durchgeführt (. Abb. 63.1). Dieses Vorgehen erhöht die Chancen, die Letalität substanziell zu senken [11]. Mit jeder Stunde, die vergeht, bis der Patient die Intensivstation erreicht, sinken dagegen die Aussichten auf ein Überleben (. Abb. 63.2). ! Cave Die Zeit ist ein kritischer Faktor für die Behandlung der Patienten mit schwerer Sepsis und des septischen Schocks. Jede Verzögerung der Therapie erhöht die Letalität.
Entscheidend für eine erfolgreiche Reduktion der Letalität ist aber ebenfalls die Gesamtheit der getroffenen Maßnahmen. Die »SurviZeitmanagement der Sepsistherapie
Adjunktive Therapie
Supportive Therapie
Antiinfektive Therapie Fokussanierung
0
5
10
15
20
Zeit nach Sepsisdiagnose [h]
. Abb. 63.1 Zeitmanagement der Sepsistherapie nach Diagnosestellung
793 63.5 · Therapie
Diagnoseverzögerung «Sepsis Management Bundle”
prähospital
NOTA
Station
ICU
Therapiebeginn
Zunehmende Organdysfunktion
Prognose
(So schnell wie möglich und innerhalb der ersten 24 h vervollständigen) 1. Niedrig dosierte Steroidtherapie im septischen Schock im Einklang mit den Behandlungsrichtlinien der Klinik. 2. Rekombinantes aktiviertes Protein C im Einklang mit den Behandlungsrichtlinien der Klinik. 3. Blutzuckerkontrolle durch Insulingabe, um den Blutzucker oberhalb des unteren Normwertes, aber <150 mg/dl (8,3 mmol/l) zu halten. 4. Inspiratorischer Plateaudruck unter <30 cm H2O für maschinell beatmete Patienten.
. Abb. 63.2 Zeit als kritischer Faktor: Diagnoseverzögerung und verspäteter Therapiebeginn mindern die Prognose septischer Patienten
ving Sepsis Campaign« (SSC) wurde 2002 ins Leben gerufen, um die Letalität der Sepsis zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden die sog. Bündel (»bundles«) an Maßnahmen zusammengestellt, die es jedem Intensivmediziner möglich machen sollten, auf dieses Ziel hinzuarbeiten (7 unten). 4 Die ersten Bündelmaßnahmen müssen innerhalb der ersten 6 h nach Diagnosestellung der schweren Sepsis oder des septischen Schocks erfüllt sein, um eine adäquate Hämodynamik und Perfusion wieder herzustellen. 4 Innerhalb der ersten 24 h müssen die weiteren, unten aufgeführten Maßnahmen evaluiert sein. Die ersten Leitlinien der SSC zu den Maßnahmen wurden 2004 publiziert und 2008 aktualisiert [12]. Eine ausführliche Bewertung erfolgte auch in der von der Deutschen Sepsis-Gesellschaft (DSG) initiierten 1. Revision der S2K-Leitlinien zur »Diagnose und Therapie der Sepsis« [13].
»Sepsis Resuscitation Bundle« (So schnell wie möglich und innerhalb der ersten 6 h vervollständigen) 1. Laktat im Serum messen. 2. Blutkulturen vor Antibiotikagabe abnehmen. 3. Gabe eines Breitspektrumantibiotikums innerhalb der 1. h nach Aufnahme. 4. Bei Hypotension oder Laktat >4 mmol/l: – Gabe von wenigstens 20 ml/kg KG kristalloider Volumenersatzlösung (oder einer equivalenten Menge Kolloid). – Gabe von Vasopressoren (Noradrenalin) bei persistierender Hypotension (MAP <65 mm Hg ) nach initialer Volumengabe. 5. Zentralvenösen Druck von >8 mm Hg anstreben. 6. Zentralvenösen Sauerstoffsättigung (ScvO2) von >70% anstreben.
Eine Analyse von über 15.000 Patienten aus 165 Studienzentren weltweit konnte die Ergebnisse der Implementierung der Sepsis»Bundles« in den Jahren 2005–2008 eindrucksvoll belegen [14]. Die Daten wurden auf die Häufigkeit der Durchführung der beiden »Bundle«-Sets und deren Zusammenhang mit der Krankenhausletalität verglichen. Die Durchführung des gesamten »resuscitation bundle« wurde anfänglich zu 10,9% befolgt. Nach 2 Jahren war dieser Anteil auf 31,3% gestiegen. Die Durchführung des »management bundle” stieg im gleichen Zeitraum von 18,4% auf 36,1%. Alle Elemente der »bundles« wurden häufiger befolgt. Das Ergebnis war ein Rückgang der Krankenhausletalität von 37,0% auf 30,8%. Auch wenn einzelne Maßnahmen besonders effektiv waren, so ist zu beachten, dass die Reduktion der Letalität nur durch die Durchführung aller Maßnahmen erreicht werden konnte. Die Gabe von Breitspektrumantibiotika, die vorherige Abnahme von Blutkulturen und die Blutzuckerkontrolle hatten einen positiven Effekt auf den Rückgang der Letalität. Ebenso konnten die Gabe von rekombinantem humanem aktiviertem Protein C (rhAPC) in den ersten 24 h und die Einhaltung des Plateaudrucks bei Beatmung die Überlebenschance verbessern. Keinen Einfluss auf die Letalität bei Patienten im septischen Schock hatten dagegen die Laktatmessung, die Gabe von niedrig dosierten Steroiden, die Erreichung eines ZVD von mindestens 8 mm Hg oder eine S cvO2 von 70% oder mehr. Je länger ein Zentrum die »bundles« anwendete, desto deutlicher war der Rückgang der Letalität. Die »surviving sepsis campaign« resultierte damit in einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung. Dies ist ein eindrucksvoller Beleg für die Vorteile einer standardisierten Basistherapie und »standard operating procedures« (SOP) bei septischen Patienten. Das konsequente Training des intensivstationären Personals ist ein grundlegender Faktor, die »bundles« umzusetzen und damit eine Verbesserung der Therapie zu erreichen [15]. > Die Bündelung der Maßnahmen der »surviving sepsis campaign« senkt die Letalität.
Fokussanierung Eine der Grundsäulen der Sepsistherapie (. Abb. 63.3) war und ist immer noch die Sanierung des Infektionsherdes. Eine unterlassene oder unvollständige, aber auch verzögerte Sanierung resultiert in einer erhöhten Letalität. Ein entscheidender Faktor ist der Zeitraum zwischen dem Auftreten der Sepsissymptomatik und der eingeleiteten Sanierung. Dabei kann bei unklarem Fokus die Sanierung auch aus mehreren Maßnahmen bestehen. Zu beachten sind im Besonderen:
63
Kapitel 63 · Diagnose und Therapie der Sepsis
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Fokussanierung
Antiinfektiva
Supportive Therapie
Adjunktive Therapie
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4 Ersatz oder wenn möglich Entfernung von jeglicher Art Fremdmaterial (implantierte Katheter, Schrittmacher, Gefäßersatzprothesen, Gelenksendoprothesen etc.). 4 Zeitgerechte Sanierung von insuffizienten Anastomosen oder mechanischem Ileus. 4 Drainage (offen oder via Katheter) von abszessverdächtigen Formationen. 4 Wundbehandlung, Nekroseabtragung bis Amputation (»life before limb«).
Antimikrobielle Therapie Der Fokus der Sepsis kann bestimmend für die Häufigkeit von Organdysfunktionen und die Evolution zum septischen Schock sein. In der Intensivtherapie sind die Pneumonie und der abdominelle Sepsisfokus am häufigsten und mit der schon vorher beschriebenen hohen Letalität verbunden. Bei Beginn einer kalkulierten antimikrobiellen Therapie müssen diese Überlegungen berücksichtigt werden. Die Grundlage bilden dabei die Regeln der »Tarragona-Strategie« (7 unten). Bei der Auswahl der primären antiinfektiven Therapie sind die lokalen Erregerspektren und die Resistenz entscheidend. Regelmäßige Kontrollen und Analysen dieser Parameter sind unabdingbar für die erfolgreiche Therapie und die Eindämmung der zunehmenden Resistenzentwicklung. Ist die initiale Therapie nicht adäquat, wird die Letalität dieser Patienten doppelt so hoch sein wie bei den adäquat behandelten Patienten [16].
Die 5 Regeln der »Tarragona-Strategie« zur Antibiotikatherapie [17] 1.
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2.
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3. 4. 5.
63 63 63 63 63
»Look at your patient« (Beachtung individueller Risikofaktoren). »Listen to your hospital« (Beachtung interner Resistenzlage). »Hit hard« (Früh Breitspektrum- und Hochdosistherapie). »Get to the point« (Effektive Gewebsspiegel erreichen). »Focus, focus, focus« (Deeskalation und kurze Behandlungsdauer, wenn möglich).
Wie auch bei der Fokussanierung ist die Zeit bis zum Beginn der antimikrobiellen Therapie einer der entscheidenden Faktoren zum Erfolg der Sepsistherapie. Die Sterblichkeit nimmt mit jeder Stunde einer nach sepsisbedingter Hypotonie verspätet begonnenen Antibiotikagabe um etwa 7% zu (. Abb. 63.4). Dabei konnte sogar ein Unterschied von etwa 5% zwischen den ersten und zweiten 30 min belegt werden [18]. Um die Antibiotikatherapie ideal zu steuern und das passende Antibiotikum zu verordnen, ist die Kenntnis über die Identität
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 h h 6 36 ≥3 is < h b 4 24 ≥2 is < b h 2 2 ≥1 <1 s bi h ≥9 <9 s bi h ≥6 <6 s bi h ≥5 <5 s bi h ≥4 <4 s bi h ≥3 <3 s bi h ≥2 <2 s bi h ≥1 <1 s bi ≥½ ½ h s< bi
63
. Abb. 63.3 Die Säulen der Sepsistherapie
Anteil Überlebender effektive Antibiotikatherapie
0
63
Anteil aller Patienten [Fraktion]
794
Zeit seit Beginn der Hypotension . Abb. 63.4 Letalität in Abhängigkeit des Beginns einer antimikrobiellen Therapie nach sepsisbedingter Hypotonie. (Mod. nach [14])
des Erregers entscheidend. Leider gelingt dieser mikrobiologische Nachweis nur bei maximal der Hälfte der Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock [1]. Da selbst der positive Nachweis erst nach 1–2 Tagen erfolgt, wird daher initial eine Therapie mit Breitspektrumantibiotika so schnell wie möglich nach Sepsisdiagnose angesetzt und auch verabreicht. Weitere Maßnahmen zur Diagnostik außer der Abnahme von Blutkulturen (7 Abschn. 64.3) werden daher kaum möglich sein. Neuere Methoden wie Multiplex-Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zur Identifizierung einer begrenzten Anzahl von Erregern oder Breitband-PCR sind derzeit noch nicht in der Lage, die Blutkulturen zu ersetzen. Zukünftig werden diese Diagnostika aber eine wichtige Rolle spielen, wenn ebenfalls eine Resistenztestung erfolgen kann. Sind die primär verabreichten Antibiotika nicht in der Lage, die Erreger wirksam einzudämmen, wird als Hauptgrund eine primäre Resistenz vermutet. Diese Resistenzen entstehen vornehmlich durch die vorherige Gabe von Antibiotika, wobei solche mit einem schmalen Spektrum (z. B. 2.-Generations-Cephalosporine) Resistenzen eher begünstigen. Als Risiko zählt hier die noch immer weit verbreitete über den Operationstag hinaus verlängerte, perioperative »Prophylaxe«. ! Jede Stunde Verzögerung einer adäquaten Antibiotikatherapie nach Beginn eines septischen Schocks resultiert in höherer Letalität.
63.5.2
Supportive Therapie der Sepsis
Wichtigste Maßnahmen in der supportiven Therapie der Sepsis Nach Diagnosestellung schwere Sepsis oder septischer Schock muss so schnell wie möglich ein bedarfsgerechtes Sauerstoffangebot zur Verfügung gestellt werden. Als erste Maßnahme zur initialen hämodynamischen Stabilisierung erfolgt dazu die adäquate Volumenzufuhr. Um das intravasale Volumendefizit auszugleichen, ist sowohl die Auswahl der Volumenersatzmittel als auch die Steuerung der Therapie entscheidend. Dabei sollen initial 500–1000 ml Kristalloide (elekrolytbasierte Volumenersatzlösungen) oder 300–500 ml Kolloide (eiweißbasasierte Volumenersatzlösungen) über 30 min gegeben werden. Weitere Abwägungen zur Wahl der Volumenersatzlösung finden sich in 7 Kap. 22.
63
795 63.5 · Therapie
Lassen sich trotz adäquater Volumenzufuhr der mittlere arterielle Blutdruck und eine adäquate Diurese nicht erreichen, ist der Einsatz von Katecholaminen indiziert. Als Vasopressor der Wahl wird Noradrenalin eingesetzt, auch wenn die Volumengabe noch nicht voll ausgeschöpft ist, um lebensbedrohliche Hypotonien abzuwenden und einen mittleren arteriellen Druck von wenigstens 65 mm Hg zu sichern. Ein Vorteil für die Anwendung einer Adrenalingabe konnte nicht belegt werden [19], sondern es wurde im Gegenteil eine Störung der gastrointestinalen Perfusion festgestellt. Wenn bei optimierter Volumentherapie trotzdem ein unzureichendes Herzzeitvolumen und/oder eine zentralvenöse Sättigung von <70% als Zeichen einer Hypoperfusion bestehen, ist das Mittel der 1. Wahl Dobutamin. Die Anwendung anderer β-Symphatikomimetika wie Dopexamin oder das Erreichen supramaximaler Zielwerte wird nicht empfohlen. Vasopressin führt ebenfalls zur arteriellen Blutdrucksteigerung im septischen Schock, mindert aber deutlich das Herzzeitvolumen und führt zu einer Umverteilung regionaler Blutflüsse. Bei höheren Dosierungen sind Myokardischämien, Abfälle des Herzzeitvolumens, Herzstillstand und ischämische Hautläsionen möglich. Eine Studie über die Anwendung von Vasopressin ergab einen Nutzen, wenn überhaupt, nur in Kombination mit einer niedrigen Noradrenalindosis (<15 μg/min) [20]. > Die Katecholamintherapie der Wahl besteht aus Noradrenalin und Dobutamin.
63.5.3
Adjunktive Therapie der Sepsis
Glukokortikosteroide Eine Hochdosistherapie mit Kortikoiden sollte in der Therapie der schweren Sepsis oder septischen Schocks keine Verwendung finden, da kein oder sogar ein ungünstiger Effekt gezeigt wurde. Erkenntnisse der modernen Immunologie weisen jedoch darauf hin, dass Cortisol wichtige modulierende und integrierende Funktionen in der Immunantwort übernimmt. Eine ungestörte Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse sowie der zellulären Glukokortikoidrezeptoren ist zur Abwehr schwerer Infektionen erforderlich. Unter den Bedingungen eines prolongierten septischen Schocks ist sowohl die funktionelle Integrität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse gestört als auch die Sensitivität der Gewebe für Glukokortikoide. Da zudem der septische Schock und die Nebennierenrindeninsuffizienz hinsichtlich ihrer hämodynamischen Veränderungen Gemeinsamkeiten aufweisen, erschien es sinnvoll, im hyperdynamen septischen Schock Substitutionsdosen von Hydrokortison zu applizieren. Eine französische multizentrische Studie konnte bei Patienten im septischem Schock zeigen, dass durch eine über insgesamt 7 Tage verabreichte Substitutionstherapie mit 200 mg Hydrokortison pro Tag bei nachgewiesener relativer Nebennierenrindeninsuffizienz eine raschere hämodynamische Stabilisierung erreicht werden und die 28-Tage-Letalität gesenkt werden kann [21]. Daraus resultierte zunächst die Empfehlung, eine Substitutionstherapie mit niedrig dosiertem Hydrokortison in einer Dosierung von 200–300 mg/Tag innerhalb von 24 h bei Patienten mit septischem Schock zu initiieren. Bedingung war, dass die Patienten trotz ausreichender Volumentherapie Vasopressoren bekamen, um einen adäquaten Blutdruck aufrechtzuerhalten [21]. Eine Therapiedauer von 7 Tagen sollte nicht überschritten werden. Um danach ein Rebound-Phänomen (hämodynamisch und immunologisch) zu vermeiden, wird eine Dosisreduktion um 50% alle 2 Tage vorgenommen.
Eine Spiegelbestimmung vor Initiierung einer Therapie wird nicht empfohlen, da die Inter-Assay-Varianz der Cortisolbestimmungen erheblich variiert. Die verfügbaren Assays messen das an Globulin und Albumin gebundene Cortisol, sodass bei hypalbuminämischen Patienten falsch-niedrige Cortisolkonzentrationen gemessen werden können. Um eine Klärung über die Wirksamkeit einer Kortisontherapie im septischen Schock herbeizuführen, wurde eine internationale multizentrische, randomisierte Studie (Corticosteroid Therapy of Septic Shock, CORTICUS) durchgeführt [22]. Im Gegensatz zu der oben erwähnten französischen Studie konnte in der CORTICUSStudie kein Überlebensvorteil durch die Therapie mit Hydrokortison festgestellt werden. Nach 28 Tagen betrug die Letalität 39,2% bzw. 36,1% (Hydrokortison vs. Placebo; p=0,69) in der Gruppe mit einem negativen Corticotropintest (keine stimulierbare Cortisolfreisetzung). Bei den Patienten mit einer positiven Reaktion auf die Stimulation starben 28,8% bzw. 28,7% (Hydrokortison vs. Placebo; p=1,00). Allerdings traten mehr unerwünschte Nebenwirkungen wie Hyperglykämien und Superinfektionen auf. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Studien war allerdings das Einschlussfenster, d. h. der mögliche Zeitraum zwischen der Diagnose septischer Schock und Randomisierung in einen der Therapiearme der Studien (8 h vs. 72 h bei CORTICUS). Aus anderen Therapieansätzen wissen wir, dass die Zeit ein entscheidender Faktor in der Sepsistherapie ist. Möglicherweise hat diese Ausweitung des Beginns der Therapie zu einem anderen Ergebnis beigetragen. Eine Gegenüberstellung der beiden oben erwähnten Untersuchungen zeigt die Unterschiede bei Krankheitsschwere, Intervention und Einschlusskriterien (. Tab. 63.1) Die Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft empfehlen auf Basis dieser Daten keine Behandlung mit niedrig dosiertem, intravenös appliziertem Hydrokortison. Der Einsatz von niedrig dosiertem Hydrokortison in einer Dosierung von 200–300 mg/Tag kann aber bei Patienten mit therapiefraktärem septischem Schock, der trotz Volumentherapie und Vasopressorentherapie in hoher Dosis nicht zu stabilisieren ist, als Ultima-ratio-Therapie erwogen werden. In unserer Klinik setzen wir auf Basis der Leitlinien Hydrokortison zur Therapie des therapiefraktären septischen Schocks nur bei persistierender Noradrenalintherapie mit Dosierungen von >0,5 μg/kg KG/min ein.
. Tab. 63.1 Vergleich der französischen Multicenterstudie [21] und der CORTICUS-Studie [22] Französische Multicenterstudie
CORTICUSStudie
Zeitfenster bei Einschluss
8 h
72 h
Systolischer Blutdruck bei Einschluss <90 mm Hg
>1 h
<1 h oder Vasopressor
Intervention
Hydrokortison/ Fludrokortison
Hydrokortison
SAPS-II-Score
59±21
49±17
28-Tage-Letalität Placebo
59%
31%
Internationale Guidelines
Noch nicht vorhanden
Hydrokortison
Einschlusskriterien
Krankheitsschwere
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Kapitel 63 · Diagnose und Therapie der Sepsis
> Die Therapie mit niedrig dosiertem Hydrokortison ist im therapierefraktären septischen Schock gerechtfertigt.
Rekombinantes humanes aktiviertes Protein C Innerhalb der letzten zwanzig Jahre sind zahlreiche erfolglose Versuche unternommen worden, die Letalität septischer Patienten durch medikamentöse Intervention zu reduzieren. Die sog. PROWESS-Studie (Protein C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis) konnte an 1690 Patienten mit schwerer Sepsis zeigen, dass die Therapie mit dem Wirkstoff Drotrecogin alfa [aktiviert], einer rekombinanten Form des endogenen humanen aktivierten Protein C (rhAPC), das relative Risiko, an einer schweren Sepsis zu sterben, um 19% senkt [23]. Die Publikation dieser Studie führte zur Zulassung von rhAPC in der Therapie der schweren Sepsis im Jahr 2001 in den USA und im darauffolgenden Jahr in Europa. Der Wirkmechanismus ist vielfältig und besteht auf seiten der Koagulation aus einer Begünstigung der Fibrinolyse und einer Hemmung der Thrombingeneration, während auf seiten der Inflammation eine Hemmung der proinflammatorischen Zytokine und eine antiapoptotische Wirkung (Verminderung des programmierten Zelltods) beschrieben wird. Weitere Studien beschäftigten sich mit dem Langzeitüberleben der mit rhAPC behandelten PROWESS-Patienten. So konnte gezeigt werden, dass die Krankenhausletalität bei mit rhAPC behandelten Patienten um absolut 5,2% sank. Patienten, die einen APACHE-II-Score von 25 oder höher aufwiesen, überlebten die schwere Sepsis länger, wenn sie mit rhAPC behandelt wurden (mediane Überlebenszeit 450 vs. 71 Tage). Darüber hinaus hielt dieser Effekt der höheren Überlebensrate auch nach 3 Monaten (mit rhAPC behandelt +10,5% absolut), nach 6 Monaten (mit rhAPC behandelt +9,8% absolut), 1 Jahr (mit rhAPC behandelt +10,8% absolut) und sogar nach 15 Monaten (mit rhAPC behandelt +11,8% absolut) noch an. Damit wurde belegt, dass es sich hier nicht nur um einen kurzzeitigen Effekt handelt, sondern dass sich eine langfristige Überlebenschance für den Patienten bietet. Auf PROWESS folgte eine offene, einarmige Studie (ENHANCE: Extended Evaluation of Recombinant Human Activated Protein C) an mehr als 2300 Patienten. Unter anderem konnte die Bedeutung des frühen Therapiebeginns nach Auftreten des ersten Organversagens demonstriert werden. Startet man die Therapie mit rhAPC innerhalb der ersten 24 h nach Auftreten der sepsisinduzierten Organdysfunktion, ist die Letalität geringer, als wenn die Therapie nach den ersten 24 h begonnen wird (22,9% vs. 27,4%, p=0,01) [24]. Diese Ergebnisse unterstreichen nochmals die immense Bedeutung der frühen Diagnose und der zeitnahen Therapie in der schweren Sepsis und im septischen Schock. Entscheidend für eine kritische Haltung gegenüber diesem Medikament war das Blutungsrisiko unter der Therapie. In der PROWESS-Studie lag die Inzidenz schwerer Blutungen in der Behandlungsgruppe mit 3,5% deutlich höher als in der Kontrollgruppe mit 2,0%. Besonders fatal sind hierbei intrakranielle Blutungen, die v. a. auftraten, wenn die Patienten entweder eine Meningitis oder aber Thrombozytenwerte <30 Gpt/l hatten (. Tab. 63.2). Im Rahmen der ENHANCE-Studie wurde sogar eine wiederum erhöhte Blutungsrate im Vergleich zu PROWESS festgestellt (6,5% vs. 3,5%) und ebenfalls eine höhere Rate an intrakraniellen Blutungen (1,5% vs. 0,2% in der PROWESS-Studie). Der Grund liegt vermutlich in der dem klinischen Alltag näheren Anwendung unter Bedingungen, die nicht so strikt wie in der ersten Studie waren. Folgerichtig wurden Patienten mit einem chirurgischen Eingriff in den 12 h vor Gabe von rhAPC, mit Eingriffen am ZNS in den letzten
. Tab. 63.2 Indikationen und Kontraindikationen einer rhAPC-Therapie Indikationen
Kontraindikationen
Gesicherter/hochgradiger Verdacht auf Infektion
Aktive Blutung
≥2 sepsisinduzierte Organversagen
Einsatz gerinnungshemmender Medikamente in therapeutischer Dosierung
Organversagen <24 h alt
Thrombozytenzahl <30 Gpt/l
Gabe von rhAPC innerhalb 24 h nach Sepsisbeginn
Operation <12 h zuvor GI-Blutung <6 Wochen zuvor Operation/Trauma/zerebraler Insult <3 Monate zuvor
Maximaltherapie
Schwere chronische Lebererkrankung Schwangerschaft
3 Monaten und mit einer Thrombozytopenie für die Therapie mit rhAPC kontraindiziert. Eine weitere Studie sollte die Frage klären, ob rhAPC mit Heparinen im Rahmen der allgemeinen Intensivtherapie interagieren. Erwachsene Patienten wurden u. a. auf den Einfluss auf die 28Tage Letalität, Sicherheit und venöse thrombembolische Ereignisse (VTE) untersucht. Aufgenommen wurden Patienten mit einer schweren Sepsis, die mit rhAPC therapiert wurden und begleitend eine prophylaktische Heparindosierung oder Placebo bekamen. Die Sterblichkeit war bei den Patienten mit begleitender Heparintherapie etwas geringer (–3,6%), erstaunlicherweise hatten jedoch Patienten, die bei Einschluss in die Studie eine prophylaktische Heparintherapie hatten und dann Placebo bekamen, eine höhere Letalität (+8,7%)! Zwar stellte man mehr Blutungsereignisse fest, wenn zu rhAPC auch Heparin infundiert wurde, es gab aber weniger ischämische Schlaganfälle. Die Rate an VTE war bei beiden Therapieansätzen gleich. Die septischen Patienten mit einem niedrigeren Letalitätsrisiko (nur ein Organversagen oder APACHE-II-Score <25) hatten in PROWESS keinen klaren Vorteil durch die Therapie mit rhAPC. Daher wurde für diese Patientengruppe eine weitere Studie aufgelegt (ADDRESS: Exploration of Drotrecogin Alfa [Activated] in Adult Patients with Severe Sepsis at Lower Risk Of Death) [25]. Allerdings wurde die ADDRESS-Studie vorzeitig abgebrochen, da schon eine Zwischenanalyse keinen Vorteil für die Therapie mit rhAPC zeigen konnte. Post-hoc-Analysen zeigten sogar bei chirurgischen Patienten mit schwerer Sepsis und nur einem Organversagen eine höhere Letalität (+7,6%). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Zulassung des Medikaments rhAPC sich auf erwachsene Patienten mit einem mehrfachen Organversagen oder einem APACHE-II-Score von >24 Punkten beschränkt. Die Therapie soll additiv zur Standardtherapie erfolgen und möglichst innerhalb der ersten 24 h der schweren Sepsis begonnen werden Um die Effektivität von rhAPC bei an schwerer Sepsis erkrankten Kindern zu überprüfen, wurde die RESOLVE-Studie initiiert (Researching Severe Sepsis and Organ Dysfunction in Children: a Gobal Perspective) [26]. Es gab zwar keine erhöhten Blutungsrisiken, es ließ sich jedoch auch keine Senkung der Letalität feststellen. Es wird daher nicht empfohlen, rhAPC bei Kindern anzuwenden. Trotz der positiven Studien gab es seit Zulassung der rhAPCTherapie in der schweren Sepsis und des septischen Schocks gro-
797 63.5 · Therapie
ße Kontroversen. In einem Übersichtsartikel wurde rhAPC für die zugelassene Indikation nur eine schwache Wirksamkeit unterstellt. Die Autoren forderten eine weitere randomisierte, kontrollierte Studie, um mit Sicherheit die Bedeutung von rhAPC in der schweren Sepsis zu beantworten. Im Gegensatz dazu zeigt die Analyse der bisherigen Studien mit insgesamt über 3000 Patienten, dass die Behandlung mit rhAPC mit einer erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit einhergeht. Es gibt zurzeit kein Medikament, das in der Anwendung bei so einer großen Anzahl von Patienten in Studien seine Wirksamkeit bewiesen hat und bei dem trotzdem in der wissenschaftlichen Literatur so konträre Diskussionen geführt werden. Eine weitere Studie, die die Effektivität und Sicherheit von rhAPC bei Patienten im septischen Schock untersucht, wird aktuell durchgeführt. > Die Anwendung von rekombinantem humanem aktiviertem Protein C kann bei Patienten im septischen Schock mit hoher Erkrankungsschwere (APACHE II>24) unter Beachtung des Blutungsrisikos v. a. in den ersten 24 h erfolgen.
Intensivierte Insulintherapie 2001 führte eine Studie zur intensivierten Insulintherapie bei postoperativen Intensivpatienten [27] zu einer breiten klinischen Anwendung bei verschiedenen Patientengruppen. Die Autoren hatten gezeigt, dass bei einer strikten Einhaltung der Normoglykämie die Letalität um fast ein Drittel gesenkt werden konnte und dass diese Verbesserung insbesondere durch eine Reduktion der Inzidenz der postoperativen Sepsis und Multiorganversagen erreicht wurde. Schnell war diese Therapie fester Bestandteil vieler Behandlungsleitlinien. Weitere Studien konnten die positiven Ergebnisse der ersten monozentrischen Studie leider nicht wiederholen. Die breitere Anwendung und Überprüfung zeigte bei fehlendem Nutzen eine erhöhte Rate an Hypoglykämien auf, die teilweise mit einer erhöhten Letalität assoziiert gewesen waren. Eine Metaanalyse hat zu diesem Thema über 8000 Patienten ausgewertet [28]. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Krankenhausletalität zwischen der intensivierten Insulintherapie und einer weniger engen Blutzuckerkontrolle (21,6% vs. 23,3%). Dagegen war aber das Risiko schwerer Hypoglykämien (Glukose: <40 mg/dl) 6-mal so hoch unter einer intensivierten Insulintherapie. Die Krankenhausletalität bei chirurgischen oder internistischen Patienten war vergleichbar, nur konnte interessanterweise bei chirurgischen Patienten eine signifikante Reduktion von Septikämien durch die intensivierte Insulintherapie erreicht werden. Für diese Patientengruppe scheint eine Sepsisprävention durch die Insulintherapie möglich. Diese Hypothese muss allerdings noch in klinischen Studien untersucht werden. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass die Metaanalyse ergab, dass eine Hypoglykämie signifikant häufiger auftrat in der Gruppe der Patienten, die eine intensivierte Insulintherapie erhielten. Auch die VISEP-Studie konnte weder günstige Effekte einer intensivierten Insulintherapie auf die Morbidität noch auf die Letalität von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock zeigen [29]. Dagegen war die Rate an schweren Hypoglykämien unter einer intensivierten Insulintherapie 6-mal so hoch. Eine weitere Untersuchung (GLUCONTROL) sollte einen optimalen Bereich zur Blutzuckereinstellung auf der Intensivstation zu evaluieren [30]. Es wurden zwei Gruppen in Bezug auf ihre Blutglukose (Gruppe 1: 7,8–10,0 mmol/l, 140–180 mg/dl vs. Gruppe 2: 4,4–6,1 mmol/l, 80–110 mg/dl) randomisiert. Die Studie wurde aufgrund einer hohen Rate an Verletzungen des Studienprotokolls vorzeitig abgebrochen. Hierbei spielte die Anzahl der Blutzuckerwerte
im Zielbereich, nicht aber die aufgetretenen Hypoglykämien, eine entscheidende Rolle. Patienten der Gruppe 2 wurden signifikant häufiger mit Insulin behandelt (30% mehr als die Vergleichsgruppe). Dabei war auch die Rate an Hypoglykämien in Gruppe 2 mit fast 9% 3-mal so hoch wie in Gruppe 1. GLUCONTROL konnte auch durch den vorzeitigen Abbruch und damit herabgesetzter »Power« keinen Vorteil einer intensivierten Insulintherapie für das Überleben belegen, zeigte aber eine höhere Rate an Hypoglykämien. Die bislang größte prospektive Studie zum Thema intensivierte Insulintherapie (NICE-SUGAR: Normoglycemia in Intensive Care Evaluation Survival Using Glucose Algorithm Regulation) untersuchte an über 6000 Patienten mit einer erwarteten Intensivtherapiedauer von >2 Tagen die Unterschiede bei einer Blutzuckereinstellung zwischen 81 und 108 mg/dl (Gruppe 1) oder ≤180 mg/dl (Gruppe 2) [31]. Die Letalität bei einer engen Blutzuckereinstellung (Gruppe 1) war 2,6% höher als bei eher liberaler Einstellung des Blutzuckers. Ein Unterschied zwischen operativen und konservativen Patienten war nicht vorhanden. Ursächlich für die höhere Letalität bei intensivierter Insulintherapie waren v. a. kardiovaskuläre Komplikationen und schwere Hypoglykämien (6,8 vs. 0,5% in der konservativ behandelten Gruppe). Einen Einfluss auf andere Kenngrößen der Intensivtherapie (Aufenthaltsdauer Intensivstation, Aufenthaltsdauer Krankenhaus, Beatmungstage, Nierenersatzverfahren) konnte man in dieser Untersuchung nicht feststellen. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass bei den Patienten, die eine enge Blutzuckereinstellung erhalten sollten, diese im Mittel nur am 1. Tag nach Studieneinschluss erreicht werden konnte und die Patienten anschließend Blutzuckerwerte von >108 mg/dl aufwiesen. Die Empfehlungen der »Surviving Sepsis Campaign« und der deutschen Sepsis-Gesellschaft sind folgerichtig von einer »tight glucose control« mit Einstellung einer Normoglykämie auf eine moderate Insulintherapie mit einem Schwellenwert bei 150 mg/dl umgeändert worden. > Eine Insulintherapie sollte moderat erfolgen, um den Blutzucker unter einem Wert von 150 mg/dl zu halten. Eine enge Blutzuckereinstellung in den normoglykämen Bereich kann in einer erhöhten Letalität durch kardiovaskuläre Komplikationen und Hypoglykämien resultieren.
63.5.4
Nicht gesicherte adjunktive Therapien
Antithrombin In einer Phase-III-Studie mit 2.300 Patienten konnte durch die Therapie mit Antithrombin die 28-Tage Letalität von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock im Vergleich zu Placebo nicht signifikant gesenkt werden. Möglicherweise wird die fehlende Wirksamkeit von Antithrombin durch eine Begleitbehandlung mit Heparin verursacht [32], denn ein Subkollektiv von Patienten, die keine niedrig dosierte Heparintherapie erhielten, schien von einer Therapie mit Antithrombin zu profitieren [32]. Das Blutungsrisiko ist unter Antithrombin erhöht. Eine Behandlung mit Antithrombin bei schwerer Sepsis oder septischem Schock wird daher nicht empfohlen.
Immunglobuline Zum Wirkungsprofil unspezifischer, polyvalenter Immunglobuline gehören Toxinneutralisation, Inhibition der β-Laktamase und immunomodulatorische Effekte. Die Toxinneutralisation und Inhibition der β-Laktamase geschieht durch die im Präparat vor-
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Kapitel 63 · Diagnose und Therapie der Sepsis
handenen Antikörper gegen Bakterienantigene. Die immunomodulierende Wirkung wird teilweise durch die Beeinflussung der Bakterientoxine und teilweise durch direktes Modulieren der zytokinproduzierenden Zellen herbeigeführt. Nicht nur unterschiedlich hergestellte Immunglobuline, sondern auch die eines bestimmten Herstellers weisen qualitative und quantitative Schwankungen auf. Diese Schwankungen betreffen Mengen der vorhandenen Immunglobulinklassen (IgG, IgM) sowie das Wirksamkeitsspektrum gegen bakterielle Toxine. Immunglobuline sind sowohl in der Prophylaxe als auch in der Therapie der Sepsis benutzt worden. Der prophylaktische Einsatz von Immunglobulinen senkt die Sepsisinzidenz bei gefährdeten Patienten nicht eindeutig. Die therapeutische Effektivität von Immunglobulinen ist ebenfalls nicht gesichert. Kleine Studien mit ungenügenden Fallzahlen zeigen entweder keine oder eine positive Wirksamkeit. In der einzigen bisher durchgeführten großen randomisierten multizentrischen Studie war kein Effekt auf die Sterblichkeit nachweisbar. In einer jüngeren Metaanalyse wurden 27 Studien mit Immunglobulinen einbezogen. Bei den erwachsenen Patienten ließ sich kein positiver Effekt hinsichtlich der Letalität für i.v. IgG nachweisen, und eine weitere Analyse empfiehlt eine adäquat angelegte und transparent durchgeführte Studie. Daher wird der Einsatz von i.v. IgG in der Behandlung von Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock nicht empfohlen. Auch für die Gabe von intravenös verabreichtem IgM-angereichertem Immunglobulin (i.v. IgGMA) kann derzeit aufgrund des Fehlens von großen randomisierten Studien keine Empfehlung ausgesprochen werden. Für einen breiten klinischen Einsatz fehlt derzeit eine überzeugende randomisierte, kontrollierte Untersuchung, sodass auch die Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft und der DIVI allenfalls den Einsatz von i.v. IgGMA erwägen.
Selenium Selen im Plasma ist bei kritisch kranken Patienten in der Sepsis deutlich vermindert. Parallel dazu werden in der Sepsis Stoffwechselvorgänge aktiviert, die eine vermehrte Sauerstoffradikalbildung (Hydrogenperoxide und Superoxide) zur Folge haben. Selen liegt in der Form des Selenocysteins im aktiven Zentrum der Selenoenzyme vor. Diese Enzyme sind die selenabhängigen Gluthationperoxidasen und Thioredoxinreduktasen, die das Redox-Gleichgewicht plasmatisch, zytosolisch und auch im Zellkern aufrechterhalten. Eine verminderte Gluthationperoxidaseaktivität bei Patienten mit Sepsis deutet auf einen gesteigerten Bedarf an Selenium in dieser Situation hin. In der Applikation hat Selen eine hohe therapeutische Breite. In einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie bei 41 Patienten mit schwerer Sepsis konnte gezeigt werden, dass durch die Gabe von Selenium eine signifikante Morbiditätsreduktion erreicht wurde. Allein oder in Kombination mit anderen Antioxydanzien gibt es ebenfalls mehrere Studien, die bei unterschiedlichen Indikationen einen positiven – jedoch nicht signifikanten – Trend durch eine Behandlung mit Selenium nahelegen. Kürzlich wurde eine den allgemeinen Kriterien genügende Studie (prospektiv, randomisiert, Placebo-kontrolliert, multizentrisch) durchgeführt, um zu klären, ob Na-Selenit das Überleben einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks positiv beeinflusst (SIC, Selenium in Intensive Care) [33]. Im Rahmen der Studie wurden 249 Patienten mit einem i.v. Bolus von 1000 μg Na-Selenit behandelt, an den sich eine kontinuierliche, 14-tägige Infusion von ebenfalls 1000 μg täglich anschloss. Die erste Analyse an 28 Patienten zeigte im Vergleich mit der Placebo-Gruppe eine um 10,3% reduzierte Letalität. Vor der endgültigen Analyse mussten weitere 49 Patienten aufgrund Studienprotokollverletzungen ausgeschlos-
sen werden. Bei den verbliebenen 92 Patienten wurde die Letalität sogar um 14% reduziert. Weitere Analysen bestätigten den Vorteil bei disseminierter intravasaler Gerinnung, mit einem APACHEIII-Score >101 Punkte und bei >3 Organdysfunktionen. Während der Therapie waren die Konzentrationen im hochnormalen Bereich, ohne dass negative Nebeneffekte festgestellt wurden. Auch diese Studie brachte nicht genug Patienten ein, um sichere Aussagen über eine seleninduzierte Reduktion der Letalität zu treffen, da sie lediglich eine nicht signifikant reduzierte Letalität durch die Therapie mit Selen zeigen konnte [33]. Eine weitere prospektive, doppelblinde Multicenterstudie untersuchte an 60 Patienten im septischen Schock die kontinuierliche Gabe von Selenium (4000 μg am Tag 1, 1000 μg an Tag 2–9) im Vergleich zu einer Placebo-Infusion. Der primäre Endpunkt war die benötigte Zeit bis zur Beendigung der Vasopressortherapie [34]. Gezeigt werden konnten keine toxischen Nebenwirkungen, aber auch keine Einflüsse auf die Vasopressortherapie, Beatmungsdauer oder Letalität. Bis zum Vorliegen einer ausreichend großen (mit adäquater »Power«), randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Studie kann die Selentherapie höchstens erwogen werden. Einen gesicherten Nutzen gibt es angesichts der Datenlage noch nicht. > Daten für eine Senkung der Letalität durch Selen im septischen Schock liegen nicht vor.
63.5.5
Weitere adjunktive Therapieansätze
Zwei klinische Studien mit kleiner Fallzahl konnten keinen Nachweis einer Letalitätssenkung durch Ibuprofen erbringen. Eine nachträgliche Subgruppenanalyse deutete jedoch auf einen möglichen Vorteil für Patienten mit Sepsis und Hypothermie hin. In einer großen randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie mit großer Fallzahl zeigte Ibuprofen gegenüber Placebo keine positiven Auswirkungen auf Letalität oder Entwicklung von Komplikationen (Schock, ARDS). Die Gabe von Wachstumshormonen bei kritisch Kranken führte gegenüber der Placebo-Gruppe zu einer signifikanten Zunahme der Letalität. Wegen der fehlenden positiven Wirkung kann daher weder Ibuprofen noch eine Behandlung mit Wachstumshormon als adjunktive Sepsistherapie empfohlen werden. In einer Phase-III-Studie konnte durch die Gabe von »tissue factor pathway inhibitor« gegenüber der Placebo-Gruppe keinen letalitätssenkenden Effekt zeigen. Prostaglandine, Pentoxifyllin, hoch dosiertes N-Acetylcystein, Granulozyten-colony stimulating factor, Stickstoffmonoxidsynthetase-Inhibition, rekombinanter Inhibitor des plättchenaktivierender-Faktor-Inhibitors (PAF-Acetylhydrolase), Behandlung mit rekombinantem Anti-CD14-monoklonalem Antikörper, C1-Esterase-Inhibitoren, Plasmapherese und sowie Hämofiltrationsverfahren in Abwesenheit eines akuten Nierenversagens sollten in der Therapie der schweren Sepsis oder des septischen Schocks nicht eingesetzt werden, da für diese Substanzen ein Behandlungsvorteil nicht nachgewiesen werden konnte. > Viele dieser Therapieansätze werden noch immer vereinzelt im klinischen Alltag eingesetzt, da man »einen positiven Effekt bei Patienten schon gesehen hat«. Solange aber keine Vorteile einer Therapie im Rahmen einer kontrollierten Studie belegt sind, sollte man sich an die aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften halten.
799 Literatur
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63
801
Nosokomiale Infektionen H. Häfner, S. Koch, S. Lemmen
64.1
Einführung – 802
64.2
Epidemiologie und Datenerhebung – 802
64.3
Pathophysiologie – 802
64.4
Allgemeines diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine nosokomiale Infektion – 803
64.5
Prävention device-assoziierter nosokomialer Infektionen – 804
64.6
Ausgewählte nosokomiale Infektionen – 804
64.6.1 64.6.2 64.6.3 64.6.4 64.6.5
Gefäßkatheterassoziierte Infektionen – 804 Pneumonie, beatmungsassoziert und nicht beatmungsassoziiert – 808 Katheterassoziierte Harnwegsinfektionen – 811 Postoperative Wundinfektionen – 815 Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö und Kolitis – 817
Literatur – 819
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_64, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
64
802
64 64 64 64 64 64
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
64.1
Einführung
Nosokomiale Infektionen gefährden nicht selten den Erfolg einer intensivmedizinischen Behandlung und können nicht vollständig eliminiert werden. Sie sind jedoch kein unausweichliches Schicksal. Durch Einhaltung sinnvoller Präventionsmaßnahmen kann ca. 1/3 der nosokomialen Infektionen verhindert werden. Nosokomiale Infektion Das Wort »nosokomial« leitet sich ab von den griechischen Wörtern »nosos«, die Krankheit, und »komein«, »sich sorgen um«. Nosokomiale Infektionen sind Infektionen, die im Krankenhaus entstehen und bei Aufnahme ins Krankenhaus weder vorhanden noch in Inkubation begriffen waren [1].
64
64.2
64
In der 1995 veröffentlichten EPIC-Studie wurde die Prävalenz ausgewählter nosokomialer Infektionen auf Intensivstationen von 17 westeuropäischen Ländern ermittelt [2]. Von 10.038 Patienten auf 1417 Intensivstationen entwickelten 21% eine nosokomiale Infektion. Führende Infektionen waren: 4 Pneumonien (46,9%), 4 Infektionen der unteren Atemwege (17,8%), 4 Harnwegsinfekte (17,6%), 4 Bakteriämien/Fungämien (12%).
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Epidemiologie und Datenerhebung
Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes muss in Deutschland pro Jahr mit ca. 500.000–800.000 nosokomialen Infektionsfällen gerechnet werden, davon mehr als 60.000 Fälle jährlich allein auf deutschen Intensivstationen [3]. > Je nach Studie erleiden bis zu 30% der Patienten einer Intensivstation mindestens eine nosokomiale Infektion, was mit längeren Liegezeiten, Steigerung der Kosten und erhöhter Letalität verbunden ist [1].
Dem Gefährdungspotenzial für die Patienten Rechnung tragend, sind Krankenhäuser in Deutschland seit 2001 durch das Infektionsschutzgesetz verpflichtet, in mindestens einem Risikobereich, z. B. Intensivstation oder operativer Abteilung, nosokomiale Infektionen zu erfassen. Dem Gesundheitsamt ist das gehäufte Auftreten nosokomialer Infektionen, bei denen ein epidemiologischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, nicht namentlich zu melden. Als eine mögliche Erfassungsmethode für nosokomiale Infektionen wird die Erhebung und Auswertung der Daten analog dem Krankenhaus-Infektions-Surveillance System (KISS) vorgeschlagen [4]. Für Deutschland werden seit 1997 im KISS-Projekt nationale Daten über im Krankenhaus erworbene Infektionen zusammengetragen. Das KIS-System ist dem US-amerikanischen National Nosocomial Infections Surveillance System (NNIS) bzw. dem Nachfolgeprojekt National Healthcare Safety Network (NHSN) und den Definitionen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) angelehnt [5]. Zentrale Venenkatheter (ZVK), Harnwegskatheter (HWK) und der Tubus bei der invasiven Beatmung werden als »devices« bezeichnet [4]. Berechnet werden keine absoluten Zahlen, sondern Infektionen pro 1000 Device-Tage als Ausdruck einer risikobasierten Infektionsrate. Für alle 533 am KISS-Projekt teilnehmenden Intensivstationen lagen die device-assoziierten Infektionsraten im Zeitraum 01/2004–12/2008 im Mittel bei: 4 5,36 Pneumonien pro 1000 invasiver Beatmungstage, 4 1,27 ZVK-assoziierte Sepsisfälle pro 1000 ZVK-Tage,
4 2,13 Harnwegsinfektionen pro 1000 Harnwegskathetertage [4]. Die Berechnung wirkt abstrakt, ermöglicht aber eine Einordnung der eigenen Daten unabhängig von Erfassungszeitraum und Patientenanzahl. Ein direkter Vergleich mit den Referenzwerten des KISS-Projektes ist nur mit Einschränkungen möglich, da die unterschiedlichen Versorgungsstufen der Krankenhäuser zwar indirekt über die Bettenzahl abgebildet werden, die Erkrankungsschwere der Patienten jedoch unberücksichtigt bleibt.
64.3
Pathophysiologie
Für das Entstehen einer nosokomialen Infektion sind zwei Mechanismen entscheidend [1]: 4 die Disposition (z. B. Einschränkung der Immunkompetenz des Patienten) und 4 die Exposition (z. B. Kolonisation mit potenztiell pathogenen Erregern). Eine Verminderung der körpereigenen Abwehr wird für viele intensivmedizinisch betreute Patienten postuliert. Eine offensichtliche Beeinträchtigung der lokalen Abwehrfunktion stellen Verletzung physiologischer Körperbarrieren, z. B. Verbrennungswunden, intravasale Katheter und Intubationstuben dar. Beispielsweise können Traumata, größere Operationen und Blutverlust eine deutliche inflammatorische Antwort des Körpers triggern, die von einer teilweise dramatischen Verminderung der zellvermittelten Immunität gefolgt sein kann. Diese Einschränkung der Immunkompetenz scheint mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer septischen Komplikation verbunden zu sein [6]. Durch die Fortschritte in der Intensivmedizin überleben Patienten immer häufiger die initiale Phase und treten in eine »chronische Phase« ihrer kritischen Erkrankung ein. Viele der Todesfälle in der späten Phase der Intensivmedizin sind Folge eines Multiorganversagens und häufig mit einer Sepsis assoziiert [7]. Durch Diagnostik, Therapie und intensive Pflege wird auf der Intensivstation das natürliche Maß an Körperkontakten eines Menschen um ein Vielfaches überschritten und hat Einfluss auf die Besiedlung des Patienten. Scheithauer et al. [8] ermittelten pro Patient einer internistischen und chirurgischen Intensivstation durchschnittlich 163 bzw. 188 direkte Kontakte pro Tag. Diese Zahlen können zum Verständnis beitragen, dass eine exogene Übertragung von potenziellen Infektionserregern in hohem Maße durch nicht adäquat desinfizierte Hände des Personals erfolgt. Deutlich seltener sind Luft, Wasser oder kontaminierte Gegenstände der Vektor. Ein zweiter Mechanismus, der zu Veränderungen der Kolonisation eines Patienten beiträgt, ist die wiederholte Gabe von Antibiotika. Der Selektionsdruck auf die physiologische Flora begünstigt das Wachstum von Bakterien, die natürlicherweise resistent gegen das verabreichte Antibiotikum sind. Der Entwicklung von resistenten oder gar multiresistenten Bakterien wird Vorschub geleistet. Diese Erreger können im weiteren Verlauf, z. B. ausgehend vom Hauptreservoir Oropharynx und Gastrointestinaltrakt, eine endogene nosokomiale Infektion verursachen [1].
803 64.4 · Allgemeines diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine nosokomiale Infektion
64.4
Allgemeines diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine nosokomiale Infektion
Besteht der Verdacht auf eine nosokomiale Infektion, ist eine abgestufte Diagnostik angeraten. Eine Sonderstellung nehmen febrile, neutropenische Patienten ein, für die es spezielle Empfehlungen gibt. Eine komplette körperliche Untersuchung ist obligat und kann zusammen mit der bisherigen Krankengeschichte erste Hinweise zur Erstellung einer Verdachtsdiagnose liefern.
Verdachtsdiagnose 4 Die Höhe des Fiebers gibt keinen sicheren Hinweis für das Bestehen oder gar den Schweregrad einer Infektion. 4 Begleitsymptome wie Hypotonie und Bewusstseinstörung erlauben keine Differenzierung zwischen infektiösem und nicht-infektiösem Krankheitsbild. 4 Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen künstlich gekühlte Patienten und Patienten mit extrakorporalen Organersatzverfahren, wie kontinuierlicher Dialyse, die Fieber als Symptom maskieren können.
Septische Patienten, die keine fieberhaften Temperaturen entwickeln, haben eine signifikant höhere Letalität als fiebernde Patienten. Bei Infektionsverdacht ist die Bestimmung von Blutbild, Differenzialblutbild, Kreatinin, Kreatininclearance, Transaminasen und Gerinnungsparametern sowie C-reaktivem Protein (CRP) und/ oder Procalcitonin (PCT) sinnvoll. PCT ist das Akut-Phase-Protein mit der schnelleren Dynamik und einem sehr hohen negativen Vorhersagewert. Leider ist der positive prädiktive Wert bei Patienten mit schweren nosokomialen Infektionen auf einer Intensivtstation nur als moderat einzustufen. Ein Marker, der SIRS und Sepsis sicher diskriminiert, existiert derzeit leider nicht. Ein Thoraxröntgenbild, wenn auch nur liegend, ist eine Basisuntersuchung und kann ggf. durch eine Sonographie der Pleura und eine Bronchoskopie ergänzt werden. Die nasale Intubation birgt die Gefahr eine Sinusitis. Wunden und Drainagen sind hinsichtlich möglicher Entzündungszeichen zu inspizieren. Bei abdomineller Symptomatik ist eine Sonographie des Abdomens, z. B. im Hinblick auf eine akalkulöse Cholezystitis, sinnvoll. Bei Verdacht auf eine durch Antibiotika induzierte Diarrhö sollten 2 Stuhlproben zur Bestimmung der Clostridium-difficile-Toxine bzw. zur Erregeranzucht versandt werden. Erbringen die Untersuchung des Patienten und die Diagnostik keinen offensichtlichen infektiösen Fokus, ist die Entfernung des ZVK und ggf. eine Neuanlage zu erwägen. Eine Spiegelung des Augenhintergrundes kann bei Verdacht auf eine Candidämie sinnvoll sein. Unter Umständen gelingt eine Klärung des infektiösen Fokus nur durch eine erneute und forcierte Diagnostik, wie Computertomographie, MRT oder Echokardiogramm (7 Kap. 17). > Bei Verdacht auf eine Infektion sollten möglichst vor Gabe eines Antibiotikums Blutkulturen entnommen werden. Ein Blutkulturpaar besteht aus einer aeroben und einer anaeroben Flasche.
Ein Blutvolumen von 5–10 ml pro Blutkulturflasche ist bei Erwachsenen vorgesehen. Für die Art der Blutkulturentnahme gibt es je nach Fragestellung verschiedene Vorgaben. Bei Patienten mit neuem Infektionsverdacht wird die Abnahme von wenigstens 2 BKPaaren an jeweils getrennten peripheren Punktionsstellen empfoh-
len. Auf der Intensivstation kann auf ein festgelegtes Zeitintervall zwischen den Punktionen verzichtet werden. Die Abnahme an getrennten Punktionsstellen erhöht die Aussagekraft. Das frühere Postulat, mit 2–3 Blutkulturpaaren eine ausreichende diagnostische Sicherheit zu erreichen, scheint nicht mehr haltbar. In der Studie von Lee et al. [9] wurde durch die Entnahme von 2 Blutkulturpaaren innerhalb von 24 h lediglich eine Sensitivität von 90%, durch 4 Blutkulturpaare hingegen eine Sensitivität von 99% erzielt. Bei Verdacht auf Endokarditis sollten, soweit es die klinische Situation erlaubt, 3 Blutkulturpaare durch 3 Venenpunktionen im Abstand von 1 h, bei bedrohlichem Krankheitsbild innerhalb 1 h vor Therapiebeginn entnommen werden [10]. Bei Verdacht auf eine Fungämie werden 3–4 Blutkulturpaare beimpft. Wird eine Kathetersepsis vermutet und der eventuelle Erhalt des Venenkatheters erwogen, kann eine zusätzliche Blutabnahme über den Venenkatheter oder das implantierte Portsystem sinnvoll sein. Weitere Blutkulturen sollten keinesfalls automatisch bei jeder weiteren febrilen Episode entnommen werden. Wiederholte Blutkulturabnahmen unter einer effektiven Antibiotikatherapie sind nur bei bestimmten Fragestellungen, z. B. Ausschluss einer persistierenden Bakteriämie, insbesondere bei Nachweis von Staphylococcus aureus, sinnvoll. Bei Candidämie werden in den ersten Tagen der Antimykotikagabe Blutkulturkontrollen empfohlen, da eine Candidämie zu Beginn der Therapie persistieren kann und diese eine Verlängerung der Therapiedauer zur Folge hätte [10]. Bei Verdacht auf eine nosokomiale Infektion sollten neben Blutkulturen weitere Materialien mikrobiologisch und ggf. virologisch untersucht werden. Im Gegensatz zu Abstrichmaterial bietet Nativmaterial (z. B. Wundsekret/Pus in einer sterilen Spritze aufgezogen) zusätzlich die Möglichkeit einer schnellen mikroskopischen Diagnostik. Punktions- und Biopsiematerial für die Mikrobiologie und Virologie sollten nativ und keinesfalls in Formalin versandt werden. Je nach Dringlichkeit des Geschehens kann eine Kooperation der Beteiligten bereits im Vorfeld der Probengewinnung dazu beitragen, dass das Material möglichst optimal gewonnen und evtl. außerroutinemäßigen Testverfahren, z. B. einer PCR, unterzogen wird. Bei instabilen Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock gibt die Leitlinie der Surviving Sepsis Campaign von 2008 wichtige Hinweise zum komplexen Management. Wird eine schwere Sepsis erkannt, soll eine intravenöse Antibiotikatherapie innerhalb der 1. h, nach Abnahme geeigneter Proben, begonnen werden [10] (7 Kap. 63). Je instabiler der Patient, desto schneller und vehementer muss die Diagnostik verfolgt werden. Der Begriff der sog. »antibiotischen Abdeckung« suggeriert falsche Sicherheit. Kein Antibiotikum erreicht jedes Kompartiment und jeden Erreger. Viele nosokomial erworbene multiresistente Erreger entziehen sich den gängigen Breitspektrumantibiotika. > Die Kenntnis des Erregers einschließlich seines Resistogramms kann der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie sein, da eine keimspezifische Antibiotikaauswahl, Dosierung und Therapiedauer erfolgen kann.
Je nach Art und Lokalisation des Infektionsherdes, z. B. bei Pleuraempyem oder nekrotisierender Fasziitis, sind zusätzlich zu einer Antibiotikatherapie invasive Maßnahmen zur Sanierung erforderlich.
64
804
64 64 64
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
64.5
Prävention device-assoziierter nosokomialer Infektionen
Detaillierte Leitlinien zur Prävention der wichtigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind aktualisiert im Internet zugänglich (www.nrz-hygiene.de oder www.cdc.gov). Weitere wichtige Aspekte des Hygienemanagements auf der Intensivstation sind in 7 Kap. 5 erläutert.
64 64 64 64 64 64 64 64 64 64
64.6
Ausgewählte nosokomiale Infektionen
Die Häufigkeit der einzelnen nosokomialen Erkrankungen variiert je nach Fachbereich, Patientencharakteristika, Krankenhaus und Station. Die in der 7 Übersicht markierten* nosokomialen Infektionen werden nachfolgend besprochen.
Nosokomiale Infektionen auf der Intensivstation 4 Gefäßkatheterassoziierte Infektionen* 4 Pneumonie, beatmungsassoziiert und nicht beatmungsassoziiert* 4 Katheterassoziierter Harnwegsinfekt* 4 Postoperative Wundinfektion* 4 Clostridium-difficile-Diarrhö/Kolitis* 4 Sinusitis 4 Tracheobronchitis 4 Haut-/Weichteilinfektion 4 Endokarditis 4 Meningitis/Ventrikulitis (ggf. assoziiert mit einer Lumbaloder Ventrikeldrainage)
64 64 64 64 64 64 64 64 64 64 64 64
64.6.1
Gefäßkatheterassoziierte Infektionen
Das Auftreten von nosokomialen Sepsisfällen auf Intensivstationen kann vielfältige Ursachen haben, jedoch gelten intravaskuläre Katheter in der Intensivmedizin als Hauptursache für eine nosokomiale primäre Sepsis. Gefäßkatheterassoziierte Sepsis Eine nosokomiale primäre laborbestätigte Sepsis ist definiert als Nachweis von Bakterien oder Pilzen in mindestens einer Blutkultur bei Patienten mit Gefäßkathetern bei gleichzeitigem Vorliegen klinischer Infektionszeichen; des Weiteren darf eine andere Infektionsursache nicht erkennbar sein. Diese Infektionen werden auch als katheterassoziierte Blutstrominfektionen bezeichnet, wenn zusätzlich eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: 4 positives Resultat bei der Untersuchung der Katheterspitze, d. h. Nachweis von ≥15 koloniebildenden Einheiten (KBE) pro Kathetersegment bei der Agar-RollMethode oder ≥102 bzw. ≥103 KBE/ml Spülflüssigkeit bei der quantitativen Diagnostik (Ultraschall- bzw. Schüttlermethode) sowie Nachweis des gleichen Erregers in einer Blutkultur 4 positives Ergebnis (≥2 h Zeitdifferenz) bei der »Differential-time-to-positivity- (DTP-) Methode oder 6
4 positives Ergebnis (Keimzahlverhältnis 5:1 zugunsten des Katheters) bei der quantitativen Blutkulturdiagnostik von 2 simultan entnommenen Blutkulturen [10]. 4 Weitere Sepsisdefinitionen sind in 7 Kap. 63 dargestellt.
Epidemiologie In der deutschen NIDEP-Studie waren 12,8% aller nosokomialen Infektionen auf eine primäre Sepsis zurückzuführen; europäische Vergleichszahlen liegen ebenfalls in diesem Bereich [2,15]. In Deutschland rechnet man jährlich mit 10.000 primären Sepsisfällen in der Intensivmedizin [15]. Die KISS-Referenzwerte aus dem Jahr 2008 geben eine gemittelte ZVK-assoziierte Sepsisrate von 1,34 pro 1000 ZVK-Tage für interdisziplinäre Intensivstationen an und liegen deutlich niedriger als die vergleichbaren amerikanischen katheterassoziierten Infektionsraten (2,0 pro 1000 ZVK-Tage) von NHSN [4, 13]. Patienten mit einer nosokomialen primären Sepsis haben ein 28–35% höheres Risiko zu versterben als vergleichbare Patienten ohne entsprechende Infektion. Dies bedeutet: Durch Prävention von etwa 3 katheterassoziierten Sepsisfällen kann ein Todesfall verhindert werden [15].
Katheterarten und Komplikationsrisiken [16, 17] ! Cave Der Einsatz von Gefäßkathetern ist verbunden mit einem erhöhten Risiko für Infektionen und Komplikationen wie Entzündungen an der Einstichstelle, katheterassoziierten Bakteriämien/Sepsen und Thrombophlebitiden. Vor jeder Katheteranlage ist eine strenge Indikationsstellung vorzunehmen.
Die Inzidenz katheterassoziierter Infektionen variiert je nach Kathetertyp (. Tab. 64.1), der Häufigkeit der Manipulationen und den patienteneigenen Risikofaktoren. Obwohl im klinischen Alltag lokale oder systemische Infektionen bei peripheren Verweilkanülen relativ häufig beobachtet werden, ist die Infektionsrate bedingt durch die hohe Anzahl der Einsätze dennoch relativ niedrig. Mehr als 90% aller durch Gefäßzugänge verursachten Infektionen sind mit zentralen Venenkathetern assoziiert. Bei peripher arteriellen Kathetern finden sich bei vergleichbarer Liegedauer deutlich niedrigere Infektionsraten [18]. Vermutet wird, dass durch den hohen arteriellen Druck eine Keimkolonisation des Katheters reduziert wird.
Infektionen assoziiert mit zentralen Venenkathetern
z Pathogenese und Erregerspektrum Die Oberfläche der meisten ZVK wird bereits nach kurzer Liegedauer mit einer Fibrinschicht bedeckt und bietet besonders Bakterien wie S. aureus und koagulasenegativen Staphylokokken die Möglichkeit zur Adhärenz. Durch Bildung sog. Biofilme schützen sich Bakterien einerseits vor den Angriffen des Immunsystems, andererseits auch vor Antibiotika, da diese den Biofilm nur ungenügend durchdringen können [19]. Grampositive Kokken werden in mehr als 60% der ZVK-assoziierten Bakteriämien/Sepsisfällen nachgewiesen; prinzipiell können aber alle potenziell pathogenen Erreger eine solche Infektion verursachen. Die von KISS ermittelten Nachweishäufigkeiten von Erregern gefäßkatheterassoziierter Infektionen für den Zeitraum 2004–2008 sind in . Tab. 64.2 aufgeführt [4].
805 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
. Tab. 64.1 Katheterarten und Komplikationsrisiken. (Mod. nach CDC [13,16, 17, 18]) Katheter
Insertionsstelle
Anmerkungen/Infektionsrate (IR): mittlere Infektionsrate/1000 Kathetertage
Periphere Venenkatheter (PVK)
Unterarm oder Handrücken
5 Phlebitis bei längerer Liegedauer, meist mechanische Reizung, 5 Sehr selten Sepsis bezogen auf hohe Anwendungsrate, 5 Komplikationen wegen großer Verwendungshäufigkeit insgesamt hoch 5 IR: 0,5/1000 Kathetertage
Periphere arterielle Katheter
A. radialis
5 Niedrigeres Infektionsrisiko im Vergleich zu ZVK bei Liegedauer <10 Tage 5 IR: 0,9/1000 Kathetertage
Pulmonalarterienkatheter (PAK)
Zentraler Venenzugang an oberer Extremität oder am Hals (bevorzugt: V. jugularis rechts)
5 Vergleichbare Infektionsraten wie bei ZVK 5 IR: 1,7/1000 Kathetertage
Midline Katheter
Über Kubitalvenen bis in die V. basilaris oder V. basilica, wird nicht bis in die zentralen Venen vorgeschoben, Länge (8–20 cm)
5 Geringere Phlebitisraten als bei kurzen PVK, geringere Infektionsraten als bei ZVK 5 IR: 0,2/1000 Kathetertage
Nicht getunnelte zentralvenöse Katheter (ZVK)
V. subclavia, V. jugularis, V. femoralis (≥8 cm)
5 Hauptverantwortlich für katheterassoziierte Sepsis (7 s. Text) IR: 2,0/1000 Kathetertage [NHSN] IR: 1,34/1000 Kathetertage [KISS]
Getunnelte/teilimplantierte zentralvenöse Katheter (z. B. Hickman-Katheter)
Implantiert in V. subclavia, V. jugularis, V. femoralis (≥8 cm)
5 Cuff (»Manschette«) hemmt die Einwanderung von Keimen entlang des Katheters, geringere Infektionsraten als bei nicht getunnelten ZVKs 5 IR: 1,6/1000 Kathetertage
Peripher inserierte ZVK (PICC)
Über V. subclavia, V. jugularis oder V. brachialis in V. cava superior
5 Ähnlich hohe Infektionsrate wie bei nicht getunneltem ZVK 5 IR: 2,1/1000 Kathetertage
Total implantierte Gefäßzugänge (Ports)
Subkutan implantierter Gefäßzugang in die V. jugularis oder V. subclavia (≥8 cm)
5 Geringstes Risiko für katheterassoziierte Sepsis, chirurgischer Eingriff für Anlage und Wechsel erforderlich 5 IR: 0,1/1000 Kathetertage
. Tab. 64.2 Prozentuale Verteilung der häufigsten Erreger gefäßkatheterassoziierter Infektionen im KIS-System (2004–2008) [4] Erreger
Nachweishäufigkeit [%]
Koagulasenegative Staphylokokken (z. B. S. epidermidis)
33,2%
S. aureus
20,0%
Enterokokken
16,6%
Gramnegative Stäbchenbakterien (am häufigsten Klebsiella spp.)
19,8%
Candida albicans
5,2%
z Infektionsweg Katheterassoziierte Infektionen entstehen im Wesentlichen auf 3 Wegen (. Abb. 64.1; [19]). Extraluminaler Infektionsweg [. Abb. 64.1, 7 Punkt 1]. Die Kolonisation des Katheters geht von der Einstichstelle aus. Hierbei wandern die Keime der Hautflora entlang des Katheters bis an die Katheterspitze. Selbst bei adäquat durchgeführter Hautdesinfektion gelingt es nicht, alle Hautkeime zu eliminieren, sodass diese sich bereits beim Einführen des Katheters auf der Katheteroberfläche absiedeln und vermehren können. Lösen sich die Keime von der
. Abb. 64.1 Pathogenese von katheterassoziierten Infektionen
Katheterspitze ab, so gelangen sie ins Blut und können eine Sepsis verursachen. Dieser Pathomechanismus wird für die Mehrheit der Katheterinfektionen verantwortlich gemacht, besonders bei kurzen Liegezeiten von 1–10 Tagen (7 Punkt 1 der . Abb. 64.1).
64
806
Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
Verdacht auf katheterassoziierte Infektion bei nicht implantiertem zentralvenösem Venenkatheter (ZVK) oder Arterienkatheter
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Sepsis (keine Hypotonie, kein Organversagen)
Schwere Sepsis, septischer Schock (Hypotonie, klinische Zeichen von Organversagen)
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Antibiotikatherapie erwägen
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– Katheter wenn möglich belassen, Entnahme von 2 Blutkulturpaaren (1× peripher, 1× über ZVK) – Wenn keine andere Quelle eruierbar, Katheter entfernen, Katheterspitze kultivieren und ggf. Katheterneuanlage auf anderer Seite
– Entnahme von 2 Blutkulturpaaren (1× peripher, 1× über ZVK) – Wenn keine andere Quelle eruierbar, Katheter entfernen, Katheterspitze kultivieren, ggf. Katheterneuanlage auf anderer Seite
Empirische Antibiotikatherapie
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Blutkulturen: negativ und Katheterspitze nicht kultiviert
Blutkulturen: negativ und Katheterspitze: negativ
Weiterhin Fieber und keine andere Ursache eruierbar: Katheter entfernen, Katheterspitze kultivieren
Nach anderer Ursache suchen
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Blutkulturen: negativ und Katheterspitze: – ≥ 15 KBE oder – ≥ 102 bzw. ≥ 103 KBE/ml
– Bei Nachweis von S. aureus: Antibiotikatherapie für 5-7 Tage sowie weiter nach Infektionsquelle suchen und Blutkulturen entnehmen – Bei Nachweis anderer Erreger: Weiter nach Infektionsquelle suchen und Blutkulturen entnehmen
Blutkulturen: positiv und Katheterspitze: – ≥ 15 KBE oder – ≥ 102 bzw. ≥ 103 KBE/ml
Gezielte Antibiotikatherapie (. Abb. 64.3)
. Abb. 64.2 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf katheterassoziierte Infektionen (KAI) bei nicht-implantiertem zentralvenösem (ZVK) und arteriellem Katheter. (Mod. nach Mermel et al. [22])
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Intraluminaler Infektionsweg [. Abb. 64.1, 7 Punkt 2]. Durch unsachgemäßen Umgang beispielsweise mit den 3-Wege-Hähnen oder anderen Verbindungsstücken (Hub) werden Keime in das Katheterlumen eingebracht. Die Liegedauer des Verweilkatheters und damit die Häufigkeit der Manipulationen spielt eine entscheidende Rolle. Diesem Infektionsweg wird bei längeren Liegezeiten die größte Bedeutung beigemessen (7 Punkt 2 der . Abb. 64.1). Aber auch durch Applikation von unsterilen Infusionslösungen können katheterassoziierte Infektionen verursacht werden. Industriell hergestellte Infusionen können als keimfrei betrachtet werden, unsachgemäßes Arbeiten bei der Zubereitung von Mischinfusionen oder beim Richten der Infusionen stellt hingegen eine reelle Infektionsquelle dar. Hämatogene Besiedlung [. Abb. 64.1, 7 Punkt 3]. Im Rahmen
einer sekundären Bakteriämie, deren Ursache als nicht-katheterinduziert anzunehmen ist, kann ein ZVK auf dem Blutweg kolonisiert werden. Eine hämatogene Besiedlung wird in weniger als 5% der Katheterinfektionen vermutet (7 Punkt 3 der . Abb. 64.1).
Diagnose der Kathetersepsis
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wiesenen Katheterinfektionen konnte in weniger als 5% Eiter oder eine Rötung an der Einstichstelle festgestellt werden [18]. Auch die klinischen Infektionszeichen wie Fieber mit und ohne Schüttelfrost oder erhöhte Infektionsparameter (Leukozyten, CRP-/PCT) sind wegen ihrer geringen Spezifität wenig hilfreich. Die mikrobiologische Untersuchung der Katheterspitze kann die Hypothese einer Katheterinfektion immer nur retrospektiv bestätigen bzw. widerlegen. Typisch für eine katheterassoziierte Infektion ist eine rasche Entfieberung innerhalb weniger Stunden nach Entfernen des Katheters. Untersuchungen haben gezeigt, dass in 75–90% der Fälle der Katheter unnötig gezogen wurde [16]. Je nach Klinik des Patienten werden unterschiedliche Vorgehensweisen bei Verdacht auf eine Katheterinfektion vorgeschlagen (. Abb. 64.2; [21,22]).
Katheterinfektionen durch periphere Katheter gehen häufig einher mit den klassischen Zeichen einer lokalen Entzündung wie Schwellung, Rötung, Überwärmung sowie ggf. eitriger Sekretion. Auch wenn der Patient nicht fiebert, ist eine sofortige Entfernung des Katheters notwendig. Bei ZVK-assoziierten Infektionen sind äußere Zeichen für die Diagnosestellung selten wegweisend. Selbst bei eindeutig nachge-
Bei Patienten mit Sepsis kann der Katheter zunächst belassen und die Diagnostik am liegenden Katheter durchgeführt werden. Erhärtet sich der Verdacht, muss der Katheter entfernt bzw. gewechselt werden. Bei Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock muss der Katheter nach Ausschluss anderer Infektionsursachen immer entfernt bzw. gewechselt werden.
Bei Verdacht auf eine ZVK-assoziierte Infektion sollten jeweils ein Blutkulturpaar über den Katheter und über eine periphere Vene entnommen werden. Als zuverlässigste Methode zur Diagnostik
807 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
Therapie von Patienten mit katheterassoziierter Infektion bei nicht implantiertem zentralvenösem (ZVK) oder arteriellem Katheter
Nicht kompliziert
Kompliziert
Septische Thrombose, Endokaditis, akute Osteomyelitis usw.
Katheter entfernen und Antibiotikum für 4−6 Wochen; 6−8 Wochen bei Osteomyelitis
Koagulasenegative Staphylokokken
− Katheter entfernen und Antibiotikum für 5−7 Tage − Wird Katheter belassen: Antibiotikum für 5−7 Tage
S. aureus
Katheter entfernen und Antibiotikum (i.v.) für ≥ 14 Tage
Enterokokken
Gramnegative Stäbchen
Katheter entfernen und Antibiotikum (i.v.) für 7−14 Tage
Katheter entfernen und Antibiotikum (i.v.) für 7−14 Tage
Candida spp.
Katheter entfernen und Antimykotikum für 14 Tage nach der ersten negativen Befund
. Abb. 64.3 Therapie von katheterassoziierten Infektionen. (Mod. nach Mermel [22])
einer katheterassoziierten Blutstrominfektion gilt die quantitative Blutkulturdiagnostik (7 Übersicht »Mikrobiologische Verfahren«) [21]. Sie ist aufwendig und teuer und in den meisten Laboratorien nicht etabliert. Als relativ neue Methode zur In-situ-Diagnose wird daher die »differential time to positivity« (DTP) propagiert. Eine rein qualitative Kultivierung der Katheterspitze wird wegen geringer Sensitivität nicht empfohlen, stattdessen sollte die semiquantitative Agar-Roll-Technik oder die quantitative Aufarbeitung mittels Ultraschall oder Schüttlermethode zur Anwendung kommen [10, 21]. Prinzipiell sollten Katheterspitzen nur bei Verdacht auf eine Katheterinfektion zur Mikrobiologie eingesandt werden.
Empfohlene mikrobiologische Verfahren zur Abklärung einer katheterassoziierten/-induzierten Infektion [10, 18] 4 Bei liegendem Katheter: – Ermittlung der »differential time to positivity (DTP)«: Nach gleichzeitiger Entnahme von Blutkulturen aus Katheter und peripherer Vene wird die Zeit bis zum positiven Wachstumssignal im Blutkulturautomaten ermittelt. Bei katheterassoziierten Infektionen wird aufgrund der höheren Bakteriendichte am Katheter erwartet, dass diese Blutkultur früher positiv wird. Beträgt die Zeitdifferenz >2 h; so spricht dies für eine Katheterinfektion. – Quantitative Blutkulturtechnik (z. B. Lysiszentrifugationsverfahren): Simultane Entnahme von Blutkulturen aus Katheter und peripherer Vene. Bewertung: Der Nachweis von Keimen im Verhältnis von 5:1 spricht für das Vorliegen einer Katheterinfektion. Die Methode eignet sich nicht bei kurzer Liegezeit. 4 Nach Katheterentfernung: – Semiquantitative Agar-Roll-Technik: Ausrollen des distalen Katheterstücks (5 cm) auf Blutagar. Der Nachweis von ≥15 KBE macht eine Katheterinfektion bei Vorliegen von Infektionszeichen 6
wahrscheinlich. Da Keime im inneren Katheterlumen mit dieser Methode nicht erfasst werden, sollte bei längerer Katheterverweildauer ein zusätzliches Verfahren eingesetzt werden. – Quantitative Aufbereitung des distalen ZVK-Segments mittels Ultraschall- oder Schüttlerbehandlung: Der Nachweis von ≥102 bzw. ≥103 KBE/ml Spüllösung spricht für das Vorliegen einer Katheterinfektion. Durch diese Aufbereitungsmethoden werden auch Keime der Katheterinnenfläche erfasst.
Wird die Blutkulturdiagnostik rein qualitativ durchgeführt, so müssen typische Hautkeime wie koagulasenegative Staphylokokken (z. B. S. epidermidis), Corynebakterien oder Propionibakterien in 2 Blutkulturen unterschiedlicher Entnahmestellen nachgewiesen werden, um als Erreger einer Katheterinfektion gewertet zu werden.
Therapie Obwohl ein Katheterwechsel allein bereits zu einer deutlichen klinischen Besserung führen kann, wird von den meisten Experten eine systemische Antibiotikatherapie empfohlen [22, 23]. Wahl und Dauer der antimikrobiellen Therapie richten sich dabei nach Erreger, Resistenz und dem Vorhandensein von Komplikationen wie septische Gefäßthrombose oder Endokarditis. In . Abb. 64.3 ist die therapeutische Vorgehensweise bei nachgewiesener Katheterinfektion bei nichtimplantierten zentralvenösen und arteriellen Kathetern dargestellt. Bei Nachweis von S. aureus, Enterokokken oder gramnegativen Stäbchen wird ein schneller Katheterwechsel gefordert, da in zahlreiche Studien höhere Letalitäts- und Komplikationsraten bei Belassen der Katheter gefunden wurden. Weiterhin muss bei diesen Erregern eine unverzügliche systemische Antibiotikatherapie über 7–14 Tage durchgeführt werden; bei Komplikationen verlängert sich die Therapiedauer entsprechend dem Krankheitsbild. Werden koagulasenegative Staphylokokken bei nichtimplantierten Kathetern nachgewiesen, so wird eine 5- bis 7-tägige Antibiotikatherapie mit oder ohne Katheterwechsel gefordert.
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
Bei Nachweis von Candida spp. muss der Katheter unverzüglich gewechselt und eine Antimykotikatherapie für 14 Tage, gerechnet ab dem letzten Keimnachweis in den Kontrollblutkulturen, durchgeführt werden [22].
Empirische Antibiotikatherapie Staphylokokken sind die häufigsten Erreger einer Katheterinfektion. Aufgrund der hohen Methicillin-Resistenz bei koagulasenegativen Staphylokokken und je nach MRSA-Prävalenz wird eine empirische Therapie mit Vancomycin oder Teicoplanin empfohlen. Alternativen hierzu sind Linezolid, Daptomycin, Tigecyclin oder Quinupristin/Dalfopristin. Liegt keine Methicillin-Resistenz vor, sollte bei Nachweis von Staphylokokken eine Umstellung auf penicillinasefeste Penicilline (z. B. Oxacillin) erfolgen. Enterokokken werden mit einer empirischen Vancomycin-Therapie ebenfalls erfasst. Ampicillin gilt bei Empfindlichkeit als Mittel der Wahl, im Fall einer Resistenz kommt Vancomycin in Frage. Bei Verdacht auf gramnegative Erreger kann das Spektrum um 3.-Generations-Cephalosporine (z. B. Cefotaxim, Ceftriaxon) oder Fluorochinolone wie Cipro- oder Levofloxacin erweitert werden. Bei neutropenischen Patienten sollte immer ein pseudomonaswirksames Mittel (z. B. Ceftazidim) mit oder ohne Kombinationspartner (Aminoglycosid, Fluorochinolon) gewählt werden. Für Enterobacter spp., Acinetobacter spp. und Serratia marcescens gelten Carbapeneme (Ertapenem, Imipenem, Meropenem) als Mittel der 1. Wahl, für P. aeruginosa pseudomonaswirksame β-Laktamantibiotika (Ceftazidim, Carbapeneme, Piperacillin). Bei neutropenischen und kritisch kranken Patienten, sowie bei bekannter Kolonisation mit multiresistenten Erregern, wird eine empirische Kombinationstherapie bis zum Vorliegen des Resistogramms empfohlen. Bei Verdacht auf eine Katheterinfektion mit Candida spp. gilt Fluconazol als Mittel der Wahl. Ist der Patient jedoch klinisch instabil, liegen bei dem Patienten Risikofaktoren für eine Fluconazol-Resistenz vor oder bestehen hohe lokale Resistenzraten gegen Fluconazol, so sind Echinocandine (Caspofungin, Anidulafungin, Micafungin) zu bevorzugen. Wird Candida spp. oder S. aureus an der ZVK-Spitze, aber nicht in der Blutkultur nachgewiesen, sollte nach weiteren Infektionszeichen gesucht und wiederholt Blutkulturen entnommen werden. Ist der infizierte Katheter implantiert (z. B. Hickman-Katheter, Port) und kann trotz Prüfung aller Optionen nicht entfernt werden, so kann in Ausnahmefällen zusätzlich zur systemischen Therapie eine sog. Antibiotic-lock-Technik versucht werden. Hierzu wird der Katheter mit einem geeigneten Antibiotikum in hoher Konzentration geblockt. Vor erneuter Benutzung wird die Lösung abgezogen und verworfen [22, 23]. Die Therapiedauer beträgt 7–14 Tage. Eine dauerhafte Sanierung des Katheters ist meist nicht zu erwarten, jedoch kann durch dieses Vorgehen u. U. Zeit bis zur Neuimplantation gewonnen werden. Keinesfalls ist ein solches Vorgehen bei einer Fungämie oder S.-aureus-Infektion indiziert, da das klinische Versagen hier extrem hoch ist. Auch bei Patienten mit Endokarditis, septischer Gefäßthrombose oder Osteomyelitis muss der Katheter immer entfernt werden.
Präventionsmaßnahmen Katheterassoziierte Infektionen sind zu einem Großteil vermeidbar. Die Infektionsraten können signifikant gesenkt werden durch: 4 Anwendung aseptischer Techniken bei der Katheteranlage, 4 Schulungsmaßnahmen, 4 Kenntnisse der Leitlinien und 4 Einhaltung der hygienischen Umgangs- und Pflegemaßnahmen.
Unter den Präventionsmaßnahmen wird der aseptischen Katheteranlage die größte Bedeutung beigemessen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen zur Prävention von zentralvenösen katheterassoziierten Infektionen des Robert Koch-Instituts und der CDC ist . Tab. 64.3 zu entnehmen [16, 19]. Bei der Wahl der Insertionsstelle ist die V. subclavia aus infektionspräventiver Sicht zu bevorzugen, da die Infektionsraten bei einer Anlage in der V. subclavia in der Regel niedriger sind als bei der V. jugularis. Die höchsten Bakteriämie-/Sepsisraten wurden bei Katheterinsertion in die V. femoralis gefunden. Durch Erfassung und Bewertung nosokomialer Infektionen (Surveillance) können eigene Infektionsraten ermittelt und mit KISS-Referenzwerten verglichen werden. Erhöhte Infektionsraten lassen sich durch Erstellung eigener Leitlinien auf der Basis von RKI/CDC-Empfehlungen und deren strikte Umsetzung im stationären Bereich senken. In aktuellen Studien konnten die durchschnittlichen Sepsisraten von 4,3 auf 1,4 bzw. 7,7 auf 2,3 pro 1000 ZVK-Tage gesenkt werden, indem folgende Maßnahmen implementiert wurden: 4 standardisierte, evidenzbasierte Legetechnik, 4 standardisierte Überwachung der aseptischen Katheteranlage, 4 tägliche Überprüfung der Indikationsstellung für den ZVK, 4 Personalschulungen und 4 Surveillance [24,25]. Hervorzuheben ist der 2. Punkt. Jedes Mitglied des »Katheteranlageteams« (Minimum ein Arzt und eine Pflegekraft) war berechtigt, bei Missachtung der Asepsis den Vorgang abzubrechen und eine Neuanlage unter sterilen Kautelen zu initiieren. Die Reduktion katheterassoziierter Infektionsraten durch Verwendung antibiotika- oder antiseptikabeschichteter Katheter ist durch randomisierte klinische Studien vielfach dokumentiert. Dennoch wird ihr Einsatz in Deutschland bisher nur empfohlen, wenn die katheterassoziierte Sepsisrate erhöht ist und sich trotz Ausschöpfung aller anderer Präventionsmaßnahmen nicht senken lässt [20]. Die neuen amerikanischen Leitlinien empfehlen die Verwendung beschichteter zentraler Venenkatheter zusätzlich für Patienten mit eingeschränkten venösen Zugangsmöglichkeiten, nach wiederholten ZVK-assoziierten Infektionen und für Patienten mit einem erhöhten Risiko für schwere Komplikationenen (Aortenprothese, Herzklappenersatz) [26].
Pneumonie, beatmungsassoziert und nicht beatmungsassoziiert
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64.6.2
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Klassifikationen der Pneumonien
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Frühere Einteilungen der Pneumonien folgten morphologischen Gesichtspunkten (Lobär-, Lobulär- oder interstitielle Pneumonie) oder mikrobiologischen Nachweisen (»typische« und »atypische«
809 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
. Tab. 64.3 Spezielle Maßnahmen zur Prävention der ZVK-assoziierten Sepsis. (Nach [20, 26]) Indikation
Indikation für ZVK täglich überprüfen
Katheteranlage
Katheteranlage stets unter aseptischen Bedingungen durchführen (sterile Handschuhe, steriler Kittel, Kopfhaube, Mund-/ Nasenschutz, steriles Lochtuch) Desinfektion des Punktionsareals mit einem Hautdesinfektionsmittel, dabei Einwirkzeiten beachten V. subclavia aus infektionspräventiven Gründen bevorzugen, alternativ: V. jugularis möglich
Verband
Abdecken der Kathetereintrittsstelle entweder mit steriler Kompresse oder transparentem semipermeablem Folienverband
Verbandswechsel
Wechsel grundsätzlich, wenn der Verband feucht, lose oder schmutzig ist Wechsel in Non-touch-Technik, Einmalhandschuhe verwenden Applikation von Hautdesinfektionsmittel (keine Salben) auf die Insertionsstelle Gazeverband: 5 Wechsel täglich bei bewusstseinsgetrübten, beatmeten Patienten 5 Tägliche Palpation bei bewusstseinsklaren Patienten, keine Aussage zur Wechselfrequenz Folienverband mindestens alle 7 Tage wechseln
Katheterwechsel
Kein routinemäßiger ZVK-Wechsel; Katheter, die notfallmäßig unter aseptischen Bedingungen gelegt wurden, jedoch so schnell wie möglich wechseln Tägliche Inspektion der Einstichstelle, bei sichtbarer Entzündung sofortige Entfernung des Katheters und Neuanlage an anderer Stelle Katheterwechsel über Führungsdraht nur, wenn kein Infektionsverdacht
Spülung
Falls erforderlich, sterile physiologische Kochsalzlösung verwenden
Infusionssysteme
Wechsel des Infusionssystems alle 72 h (Ausnahmen: bei Applikation von Lipidlösungen spätestens nach 24 h, bei Gabe von Blut- und Blutprodukten spätestens nach 6 h)
Pneumonie). Durchgesetzt haben sich Klassifikationen, die Unterschiede im zu erwartenden Erregerspektrum widerspiegeln [23].
Klassifikationen der Pneumonien 4 CAP: »community-acquired pneumonia«/ambulant erworbene Pneumonie. 4 HCAP: »health-care-associated pneumonia«/in Pflegeeinrichtungen ambulant erworbene Pneumonie. 4 HAP: »hospital-acquired pneumonia«/nosokomiale Pneumonie bei spontan atmenden Patienten Pneumonie mit Beginn ≥48 h nach Aufnahme, war bei Aufnahme ins Krankenhaus weder vorhanden noch in Inkubation begriffen. 4 VAP: »ventilator-associated pneumonia«/beatmungsassoziierte Pneumonie Pneumonie mit Beginn >48–72 h nach endotrachealer Intubation.
Definition, Diagnostik und Therapie der nosokomialen Pneumonie sind Gegenstand von 7 Kap. 39 und werden dort ausführlich dargestellt.
. Tab. 64.4 Häufigste Erreger einer »ventilator-associated pneumonia« (VAP) in Deutschland (KISS-Erfassung 2004–2008) Erreger
Anteil an allen VAP
Staphylococcus aureus
20%
Pseudomonas aeruginosa
17%
Klebsiella spp.
12%
E. coli
12%
Enterobacter spp.
8%
Das Risiko für eine VAP korreliert wesentlich mit der Beatmungsdauer. Mit jedem Beatmungstag erhöht sich das Risiko schätzungsweise um mindestens 1%, in den ersten 5 Tagen sogar um bis zu 3%. 90% aller ventilatorassoziierten Pneumonien entstehen in den ersten 10 Beatmungstagen [30]. Die Angaben zur Gesamtletalität bei Patienten mit VAP liegen zwischen 30 und 70% [27]. Bei Patienten mit VAP steigt die Länge des intensivmedizinischen Aufenthaltes signifikant um durchschnittlich 6 Tage. Die zusätzlichen Kosten werden mit ca. 7300 Euro bzw. 10.000– 40.000 US-Dollar pro VAP veranschlagt [27‒29].
Epidemiologie Für die Häufigkeit nosokomialer Pneumonien ohne maschinelle Beatmung (HAP) existieren für Deutschland keine genauen Angaben. US-amerikanischen Erhebungen zufolge muss bei 5–15 von 1000 Krankenhausaufnahmen mit einer nosokomialen Pneumonie gerechnet werden [27]. Nach Angaben des nationalen Referenzzentrums für nosokomiale Infektionen liegt die VAP-Inzidenzrate für den Auswertungszeitraum 2004–2008 bei 5,31 Pneumonien pro 1000 invasiver Beatmungstage [4]. > Die beatmungsassoziierte Pneumonie ist die häufigste aller nosokomialen Infektionen in der Intensivmedizin.
Erreger Nosokomiale Pneumonien werden bei Immunkompetenten durch eine Vielzahl von Bakterien, jedoch nicht durch Pilze oder Viren verursacht. Die meisten vorliegenden Daten beziehen sich auf Studien zur VAP; die Studienlage zur HAP und HCAP ist spärlicher. Die häufigsten Erreger der VAP auf 523 deutschen Intensivstationen im Zeitraum 2004–2008 sind in . Tab. 64.4 dargestellt [4]. Die Zeitspanne bis zum Auftreten der Pneumonie kann Hinweise auf das zu erwartende Erregerspektrum und die Prognose des Patienten geben.
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
Prävention Zahlreiche Risikofaktoren für die Entstehung einer nosokomialen Pneumonie sind beeinflussbar. Im Mittelpunkt stehen die Vermeidung der Aspiration und der sorgsame Umgang mit dem Beatmungszubehör. z Oropharyngeale Besiedlung Mit zunehmender Aufenthalts- und Beatmungsdauer kommt es zu einer oropharyngealen Besiedlung mit resistenten und virulenten Hospitalkeimen. Der Immunstatus des Patienten, die Menge und die Virulenz des Erregers entscheiden, ob es nach Aspiration von oropharyngealem Sekret zur Entwicklung einer Pneumonie kommt. Ob der Magen und die Nasennebenhöhlen ein potenzielles Keimreservoir darstellen, ist umstritten [27]. Um eine direkte Inokulation von Keimen zu vermeiden, sollte für die routinemäßige Mundpflege abgekochtes oder steriles Wasser eingesetzt werden. Leitungswasser und Tee sind meist mikrobiell besiedelt und daher obsolet. Der Nutzen von topisch und/oder systemisch applizierten Antibiotika als sog. selektive Darmdekontamination (SDD) zur Vermeidung einer VAP wird kontrovers diskutiert. Während die Deutsche Sepsis-Gesellschaft in der S-2-Leitlinie zur »Diagnose und Therapie der Sepsis« die selektive Darmdekontamination zur Vermeidung einer VAP bei voraussichtlich längerer Beatmungsdauer (>48 h) mit Einschränkungen befürwortet, spricht sich die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut gegen die routinemäßige Gabe einer SDD aus [31, 32]. Aufgrund bestehender Daten zur Kosteneffektivität und potenziellen Resistenztriggerung wird die SDD in zahlreichen internationalen Leitlinien derzeit für den Routineeinsatz zur Vermeidung einer VAP nicht empfohlen [27, 30]. Die Diskussion hält an. Eine größere randomisierte Studie aus den Niederlanden, veröffentlicht im New England Journal of Medcine (2009), ergab bei Intensivpatienten mit SDD eine absolute Senkung der 28-Tage-Sterblichkeit um 3,5%. Hieraus folgt, dass man 29 Patienten mit SDD behandeln müsste, um einen Todesfall zu vermeiden [33].
tagonisten scheint Sucralfat mit einem niedrigeren Risiko für eine »VAP«, aber einem höheren gastrointestinalen Blutungsrisiko verbunden zu sein [23]. z
Intubation und invasive Beatmung
> Das Risiko einer nosokomialen Pneumonie ist bei invasiver Beatmung um das 6- bis 20-Fache höher als ohne Beatmung [23]. Die Indikation sollte folglich streng und die nichtinvasive Beatmung als Alternative geprüft werden.
z Lagerung und Ernährung Während der invasiven Beatmung in Rückenlage sollte der Oberkörper 30–45° hochgelagert werden. Dies stellt eine einfache und effektive Methode zur Vermeidung von Regurgitationen von Magensaft mit nachfolgender Aspiration dar [27]. Für Patienten mit akutem Lungenversagen empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie zur Lagerungstherapie eine wiederholte Bauchlagerung, da möglicherweise durch eine Optimierung der pulmonalen Ventilationsverteilung eine Senkung der Pneumonierate zu erwarten ist [34]. Einer frühen enteralen Ernährung wird gegenüber einer parenteralen Ernährung der Vorzug gegeben, da hierdurch die Integrität der intestinalen Mukosa aufrechterhalten bleibt und eine bakterielle Translokation aus dem Darm in die Blutbahn vermieden werden kann [30].
Die nichtinvasive Beatmung führte in verschiedenen Studien an ausgewählten Patientenkollektiven zu einer Reduktion der Pneumonieinzidenz und Senkung der Letalität. Intubation und mechanische Beatmung verhindern den Hustenreflex, beeinträchtigen die mukoziliäre Clearance-Funktion und schädigen das Oberflächenepithel der Trachea. Für die Entstehung einer VAP spielt der endotracheale Tubus als Leitschiene für potenziell infektiöses Sekret die bedeutendste Rolle. Selbst bei optimal geblocktem Cuff kann es zu einer kontinuierlichen Aspiration geringer Mengen von oropharygealem Sekret, insbesonders durch die Längsfurchen des Cuffs, in die Trachea kommen. Bei intubierten Patienten kann in der Folge eine Tracheobronchitis und bei andauernder Aspiration eine Bronchiolitis, Bronchopneumonie und schließlich Pneumonie hervorgerufen werden [30]. Als Präventionsmaßnahme zur Reduktion der Mikroaspiration wird die subglottische Sekretabsaugung oberhalb des Cuffs mittels spezieller Endotrachealtuben gesehen. Trotz fehlender großer randomisierter Studien wird der Einsatz dieser Tuben für Patienten mit einer zu erwartenden Beatmungsdauer von >72 h empfohlen [27, 35]. Die Kombination solcher Spezialtuben mit einem ultradünnen Polyurethan-Cuff, bei dem beim Blocken keine Längsfurchen mehr entstehen und somit ein Eindringen des Sekretes in die tiefen Atemwege verhindert werden kann, scheint sowohl für die Earlyonset- (1.–4. Behandlungstag) als auch für die Late-onset-VAP (>5. Behandlungstag) infektionspräventiv [35]. Leider ist der Einsatz solcher Spezialtuben mit erheblichen Kosten verbunden. Eine Biofilmbildung auf dem Tubus scheint ebenfalls Einfluss auf die Kolonisation der Trachea und die Entwicklung einer späten »ventilator-associated pneumonia« durch resistente Erreger zu haben [36]. Eine Minimierung der durch die mechanische Ventilation verursachten Lungenparenchymschädigung durch die Begrenzung des Tidalvolumens und einen adäquaten PEEP ist infektionspräventiv. Ungeplanten Extubationen und damit evtl. verbundenen Reintubationen kann durch Sedationsprotokolle vorgebeugt werden. Reintubationen gelten für die Early-onset-VAP als wichtigster Risikofaktor. Weaningprotokolle helfen, die Intubations- und Beatmungsdauer des Patienten zu verkürzen [27].
z Stressulkusprophylaxe Kritisch kranke Patienten sind in erhöhtem Maße gefährdet, Stressulzera zu entwickeln, weshalb Maßnahmen zur Anhebung des Magensaft-pH-Wertes in unterschiedlichem Ausmaß empfohlen werden. Ein höherer pH-Wert fördert jedoch wiederum die bakterielle Besiedlung des Magens und kann über den Mechanismus der Regurgitation das Pneumonierisiko erhöhen. Die Ergebnisse entsprechender Studien sind widersprüchlich und rechtfertigen keine Empfehlung zum Management der Stressulkusprophylaxe bei beatmeten Patienten. Besteht jedoch die Indikation für eine Stressulkusprophylaxe, müssen die Vor- und Nachteile von H2-Blockern bzw. Sucralfat abgewogen werden. Im Vergleich zu H2-Rezeptoran-
Beatmungssystem. Die strikte Händedesinfektion vor und nach der Manipulation am Beatmungssystem ist Standard. Das Wechselintervall des Beatmungsschlauches beträgt laut RKI alle 7 Tage. Gemäß CDC muss der Beatmungsschlauch nicht mehr routinemäßig, sondern nur noch zwischen 2 Patienten bzw. bei sichtbarer Verschmutzung oder Defekt gewechselt werden. [37]. Kondenswasser, das sich in Beatmungsschläuchen ansammelt, kann durch Patientensekret kontaminiert sein und darf nicht unbemerkt in den Tubus oder in In-line-Vernebler gelangen. Die Handhabung von In-line-Verneblern erfordert besondere Vorsicht. Sie bieten die idealen Voraussetzungen für die Vermehrung von »Feuchtkeimen« wie Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter spp.
811 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
. Tab. 64.5 Spezielle Maßnahmen zur Prävention der beatmungsassoziierten Pneumonie. (Nach [27, 32]) Intubation
Indikation für invasive Beatmung täglich überprüfen Anwendung »nicht-invasiver Beatmungsverfahren«, wenn immer möglich Vermeidung von Reintubationen Bevorzugen der orotrachealen Intubation gegenüber der nasotrachealen Intubation, sofern möglich
Lagerung des Patienten
Hochlagerung des Oberkörpers um 30–45°, wenn keine Kontraindikation
Beatmungsfilter (HME-Filter)
Keine Empfehlung für oder gegen die Verwendung eines HME-Filters
Beatmungsschläuche
Kondenswasser ist regelmäßig und vorsichtig aus dem Beatmungskreislauf zu entfernen, dabei Tragen von Einmalhandschuhen und strikte Händedesinfektion Wechselintervall des Beatmungsschlauches auch ohne Einsatz eines Beatmungsfilters alle 7 Tage (RKI), laut CDC kein routinemäßiger Wechsel bei einem Patienten; Wechsel, wenn verschmutzt oder defekt
Absaugsystem
Hygienische Händedesinfektion und Tragen von Einmalhandschuhen Keine Empfehlung hinsichtlich der Favorisierung des geschlossenen oder des offenen Absaugsystems Geschlossene Systeme: Absaugvorgang kann mehrfach mit demselben Katheter wiederholt werden; Entfernung des Sekrets mittels steriler Spüllösung Offenes Absaugsystem: Sterilen Einmalkatheter verwenden; Absaugsystem nach Gebrauch mit Leitungswasser durchspülen. Falls innerhalb eines Absaugvorgangs der Absaugkatheter wiederholt in den Tubus eingeführt werden soll, Spülung mit sterilem Wasser Aufhängen des Ansatzstücks in senkrechter Position
Medikamentenvernebler
Hygienische Händedesinfektion und Tragen von keimarmen Einmalhandschuhen Entfernung des Kondenswassers aus den Beatmungsschläuchen vor Befüllen des Verneblers Verwendung von Medikamenten in Einzelampullen Vernebler nur für die Zeit der Anwendung in Position belassen Thermische oder chemische Desinfektion des In-line-Verneblers nach jedem Gebrauch Nach einer chemischen Desinfektion: Vernebler mit sterilem Wasser zur Beseitigung von Desinfektionsmittelresten ausspülen und trocken lagern
Wiederaufbereitung von Beatmungszubehör
Vor Gebrauch beim nächsten Patienten: Gründliche Reinigung und Desinfektion der Gegenstände, die direkten oder indirekten Schleimhautkontakt haben Bevorzugung thermischer Desinfektionsmaßnahmen Nach einer chemischen Desinfektion: Nachspülen mit sterilem Wasser zur Beseitigung von Desinfektionsmittelresten; trockene Lagerung
Ernährung
Frühzeitiges Anstreben der enteralen Ernährung Kontrolle der korrekten Lage der Ernährungssonde vor jeder Nahrungszufuhr und Anpassung an die Darmtätigkeit
Stressulkusprophylaxe
Keine Empfehlung hinsichtlich der Ulkusprophylaxe
Selektive Darmdekontamination (SDD)
Derzeit keine Empfehlung für den Routineeinsatz der SDD
und Serratia spp., die innerhalb des Beatmungssystems als infektiöse Aerosole ein unmittelbares Risiko für eine Pneumonie darstellen können. Zum Schutz werden deshalb steriles Wasser und Medikamente in Einzelampullen zur Befüllung verwendet. Nach Gebrauch ist eine chemische oder thermische Desinfektion durchzuführen. Eine Alternative zur Applikation von Medikamenten stellen patientenbezogene Dosieraerosole mit Mini-Spacer-Aufsatz dar. Hinsichtlich der Vermeidung einer VAP spielt die Art des Absaugsystems, offen oder geschlossen, keine Rolle. In diesem Fall entscheiden in der Praxis weitere Aspekte wie Kosten und Handlichkeit. Beim Nachweis von infektiösen Erregern wie Mycobacterium tuberculosis ist ein geschlossenes Absaugsystem zum Schutz Dritter zu bevorzugen. Bronchoskope. Nosokomiale Ausbrüche, z. B. mit Pseudomonas
spp., durch defekte oder unzureichend aufbereitete Bronchoskope sind vielfach dokumentiert. Der komplexe Aufbau von Endoskopen verlangt zwingend eine Reinigung und das manuelle Bürsten des Arbeitskanals. Erst danach kann das Bronchoskop manuell, halbmaschinell oder maschinell desinfizierend aufbereitet und getrocknet werden. Gesetzliche Vorgaben existieren und werden durch die Empfehlung »Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung
flexibler Endoskope« der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut konkretisiert [38]. Die Verantwortlichkeit für die Aufbereitung der Bronchoskope sollte auf jeder Intensivstation geklärt sein. Präventionsstrategien. Umfangreiche Studien zu weiteren Einzel-
aspekten der Betreuung invasiv beatmeter Patienten und dem Umgang mit dem Beatmungssystem bilden die Grundlage für die in . Tab. 64.5 als Checkliste zusammengefassten derzeitigen Präventionsstrategien.
64.6.3
Katheterassoziierte Harnwegsinfektionen
Definition Ein symptomatischer katheterassoziierter Harnwegsinfekt (HWI) geht einher mit dem Nachweis einer signifikanten Bakteriurie und mindestens einem klinischen Zeichen eines Harnwegsinfektes (Fieber, Dysurie, Pollakisurie, suprapubische 6
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
Schmerzen, Flankenschmerzen oder ein klopfschmerzhaftes Nierenlager). Mit Ausnahme des Fiebers sind die Symptome eines HWI bei sedierten Patienten kaum zu erheben. Kann das Fieber keiner anderen Infektionsursache zugeordnet werden, und die mikrobiologische Diagnostik erbringt einen Keimnachweis von ≥105 koloniebildenden Einheiten (KBE)/ml Urin mit nicht mehr als 2 unterschiedlichen Keimarten, so kann mit großer Wahrscheinlichkeit von einem symptomatischen HWI ausgegangen werden. Aber auch der Nachweis von niedrigeren Keimzahlen (≥103 bis <105 KBE/ ml) und maximal 2 unterschiedlichen Erregern kann mit einem HWI vereinbar sein, wenn neben einem der klinischen Zeichen eine Pyurie nachweisbar bzw. der Harnstreifentest für Leukozytenesterase und/oder Nitrit positiv ist (CDC 2009 [www.cdc.gov/nhsn/library.html]). Der Nachweis signifikanter Keimzahlen ohne klinische Symptome eines HWI wird als asymptomatische Bakteriurie bezeichnet [14].
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Epidemiologie Harnwegsinfekte (HWI) gehören mit einem Anteil von 30–40% zu den häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen und sind in 90% mit einem Katheter, in 10% mit einem endoskopisch-urologischen Eingriff assoziiert. Durch die Einführung eines Fremdkörpers in die Harnröhre kommt es selbst bei sachgerechter Anlage im Laufe der Zeit zu einer bakteriellen Kolonisation. Das Risiko bei transurethral katheterisierten Patienten für eine Keimbesiedlung der Blase steigt pro Tag um 3–10%, sodass nach 20–30 Tagen bei der Mehrheit der Patienten eine Bakteriurie nachzuweisen ist [39].
Pathogenese und Risikofaktoren
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Die bakterielle Kolonisation der Blase ist auf 3 Arten möglich [40, 41]:
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Einschleppung von Erregern über die (kontaminierte) Katheterspitze beim Legen des Katheters. Dieser Infektionsweg spielt
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heute eine untergeordnete Rolle (<1%), da die Katheteranlage in der Regel von geschultem Personal sachgerecht durchgeführt wird. Als dominierende Keime werden Hautkeime sowie endogene Darmkeime (z. B. E. coli, Proteus spp., Enterobacter spp.) des Patienten nachgewiesen.
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Langsame Einwanderung der Keime an der Außenseite der Katheteroberfläche (extraluminaler Weg). Der Meatus urethrae ist
physiologischerweise bakteriell kolonisiert. Bakterien können im Spalt zwischen Urethraschleimhaut und Katheteroberfläche in die Blase gelangen und sich dort vermehren. Schätzungsweise 2/3 aller Harnwegsinfektionen werden auf diese Weise verursacht. Besonders bei Frauen spielt dieser Infektionsweg aufgrund der kürzeren Urethra eine größere Rolle als bei Männern. Infektionserreger sind meist Darmkeime des Patienten (7 oben), die aus dem Perinealbereich verschleppt werden. Kontamination des Urins durch Manipulation am Ableitungssystem (intraluminaler Weg). Rund 30% aller katheterassoziieten
Infektionen werden durch Tätigkeiten wie z. B. Diskonnektion des Beutels oder Ablassen des Harns verursacht. Als dominierende Keime finden sich meist Darmkeime(7 oben), zusätzlich aber auch exogene Keime, die über die Hände des Personals verschleppt werden (z. B. S. aureus, P. aeruginosa).
> Je länger die Verweildauer des Katheters, desto größer ist das Risiko für die Entstehung eines Harnwegsinfektes. Die Indikation zur Anlage eines Blasenverweilkatheters muss stets streng gestellt und die Notwendigkeit täglich evaluiert werden.
Sind Bakterien einmal in die Harnblase gelangt, so können sie sich innerhalb von Tagen rasch vermehren und Keimzahlkonzentrationen von >105 koloniebildende Einheiten (KBE)/ml erreichen [41]. Viele Keime besitzen die Fähigkeit, über Wochen und Monate im katheterisierten Harntrakt zu persistieren, ohne dass dies mit klinischen Zeichen einhergeht. Bei Patienten mit langliegendem Dauerkatheter entwickelt sich in bis zu 95% der Fälle eine polybakterielle Bakteriurie. Keime wie Proteus spp. und Pseudomonas aeruginosa sind in der Lage, an Oberflächen von nekrotischem Gewebe, Steinen und Fremdmaterialien zu haften und sich in einer Matrix, bestehend aus Exopolysacchariden, einzubetten. Einlagerungen, z. B. von wirtseigenen Proteinen und Urinmineralien, führen zu Inkrustationen und konsekutiv zu Katheterobstruktionen mit der Gefahr einer aufsteigenden Harnwegsinfektion. Die Biofilmbildung wird insbesondere für langliegende Blasenkatheter (>7 Tage) angenommen und betrifft neben der Außenseite auch das Katheterlumen [41, 42]. Die im Katheterurin nachgewiesene Erregerkonzentration stimmt dementsprechend nicht zwangsläufig mit dem Ausmaß der Blasenkolonisation überein [42]. Biofilme stellen eine wirkungsvolle Barriere gegen die wirtseigene Abwehr und Antibiotika dar. Das Infektionsrisiko für einen katheterassoziierten HWI wird zusätzlich erhöht durch endogene Faktoren, wie Obstruktionen im Harntrakt, geringe Diurese, Immunsuppression, Diabetes mellitus, Polytrauma, Immobilität, hohes Lebensalter und chirurgische Eingriffe an den ableitenden Harnwegen [40].
Komplikationen Die häufigsten Komplikationen bei Kurzzeitkatheterisierung (≤ 7 Tage) sind Fieber, akute Pyelonephritis sowie Bakteriämie bzw. klinische Sepsis [41, 42]. Das Risiko für eine Bakteriämie im Rahmen eines Harnwegsinfektes ist mit 2–4% zwar relativ gering, da aber ein so großer Anteil an Patienten katheterisiert wird, gilt die Katheterisierung als häufigste Ursache für eine nosokomiale gramnegative Bakteriämie [41]. Eine prolongierte Katheterisierung birgt zusätzlich die Gefahr lokaler, periurethraler Komplikationen, wie Prostatitis, Epididymitis und Skrotalabszess [45].
Diagnostik und Befundinterpretation Bei liegendem Blasenkatheter erfolgt die Probenabnahme über den entsprechenden patientennahen Abnahmeport, keinesfalls aus dem Urinauffangbeutel. Voraussetzungen für die Diagnostik sind die kontaminationsfreie Abnahmetechnik und der Transport des Nativurins ins Labor innerhalb von 2 h. Ist Letzteres nicht möglich, so sollte der Urin bei Kühlschranktemperatur gelagert werden. Eine Lagerung der Probe bei Raumtemperatur führt zu einer deutlichen Keimvermehrung und damit zu einer falsch-hohen Keimzahlbestimmung. Indikationen für eine mikrobiologische Diagnostik sind gegeben 4 bei symptomatischen Patienten (z. B. Fieber), 4 vor interventionellen Eingriffen im Bereich der Harnwege [45].
813 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
> Ein routinemäßiges mikrobiologisches Urinmonitoring auf der Intensivstation wird nicht empfohlen.
Nitritteststreifen können zur Detektion von Enterobakterien dienen, da diese Nitrat zu Nitrit reduzieren. Bakterien wie Pseudomonas spp. und Enterokokken entgehen diesem Nachweis. Eine Pyurie kann mikroskopisch, mittels Leukozytenesterase-Teststreifen oder durch Urinflowzytometrie diagnostiziert werden. Leukozytenesterase-Teststreifen weisen jedoch eine niedrige Sensitivität und Spezifität sowie einen niedrigen positiven prädiktiven Wert auf [44]. Eine Pyurie mit ≥10 Leukozyten/mm3 bzw. ≥3 Leukozyten pro Gesichtsfeld kennzeichnet eine Inflammation des Urogenitaltraktes und tritt häufig zusammen mit einer symptomatischen Bakteriurie auf. Erreger von Harnwegsinfektionen entstammen größtenteils der körpereigenen Darmflora. Neben E. coli, dem dominierenden Erreger ambulanter HWI, muss bei nosokomialen Infektionen u. a. mit Proteus spp., Klebsiellen, Enterobacter spp., P. aeruginosa, Citrobacter spp., Acinetobacter spp. und Enterokokken gerechnet werden. > Bei katheterisierten Patienten sind polymikrobielle Infektionen relativ häufig. Der Nachweis mehrerer Erreger in einer Urinprobe kann deshalb nicht, wie bei Mittelstrahlurin, stets im Sinne einer Kontamination interpretiert werden [45]. Zur Abklärung der ätiologischen Bedeutung sollten Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden.
Ein Candidanachweis im Urin ist auf Intensivstationen häufig und in der Regel lediglich als Kolonisation der Blase oder des Blasenkatheters ohne Krankheitswert zu sehen. Selten ist eine Candidurie Ausdruck einer lokalen Infektion oder einer Fungämie mit Ausscheidung des Erregers im Urin. Bei immunsupprimierten Patienten sollte jedoch bei einer persistierenden Candidurie an eine Dissemination gedacht werden und mittels Sonographie oder Computertomographie der Nieren weiter abgeklärt werden [11]. Des Weiteren wird die Abnahme von 3 Blutkulturpaaren empfohlen.
Die Interpretation der mikrobiologischen Befunde ist schwierig. Üblicherweise wird bei einem symptomatischem katheterassoziiertem HWI der Nachweis uropathogener Erreger in hoher Keimzahl mit 105 (KBE)/ml Urin erwartet; niedrigere Keimzahlen sind jedoch kein Ausschlusskriterium (7 oben: Definition) [40, 41].
Mit Ausnahme des Fiebers sind die Symptome eines Harnwegsinfektes bei sedierten Patienten kaum zu erheben. Somit stößt die Unterscheidung in symptomatische und asymptomatische Patienten an ihre Grenzen. Intensivmedizinisch betreute Patienten weisen häufig Fieber, eine Pyurie und Bakteriurie auf und werden deshalb therapiert. Bei diesen Patienten sollte zusätzlich an andere Infektionsquellen gedacht werden, bevor die Diagnose eines Harnwegsinfektes gestellt wird. 75–90% aller Patienten mit einer asymptomatischen Bakteriurie entwickeln weder klinische noch systemische Infektionszeichen. Eine Kontrolle der Urinbefunde wird nicht empfohlen. Wird ein Patient im weiteren Verlauf symptomatisch, so geht dies meist mit einem Erregerwechsel einher [41, 45]. Bei nosokomialen katheterassoziierten HWI ist ein Erregernachweis mit Resistogramm immer indiziert, um vor dem Hintergrund hoher Resistenzraten adäquat zu therapieren.
Therapie Antibiotikatherapien bei asymptomatischen Bakteriurien führen nicht zu einer andauernden Keimeliminierung, hingegen aber zu einer Selektion resistenter Erreger. Aufgrund fehlender Evidenz für eine Senkung der Letalitäts- oder Morbiditätsrate bei katheterisierten Patienten wird eine Antibiotikagabe nur empfohlen bei: 4 Patienten mit bevorstehenden urologischen Eingriffen (z. B. transurethraler Resektion der Prostata) oder Implantation von urethralen Prothesen/Stents, 4 bei Immunsupprimierten und Schwangeren [45]. Tipp Ein Katheterwechsel führt in 30–50% der Fälle zu einer spontanen Sanierung [45].
Die häufigste Manifestation eines symptomatischen HWI bei katheterisierten Patienten ist Fieber. Sind andere Ursachen für das Fieber ausgeschlossen, so sollte eine Therapie eingeleitet werden wegen der potenziellen Gefahr einer urogenen Bakteriämie oder Pyelonephritis. Eine Urindiagnostik muss stets vor Antibiotikagabe erfolgen, damit die empirisch begonnene Therapie entsprechend adaptiert werden kann. Aufgrund der Fähigkeit einiger Keime (z. B. P. aeruginosa), sich durch Biofilmbildung vor Antibiotika zu schützen, wird empfohlen, länger liegende Katheter (>7 Tage) vor Therapiebeginn zu ziehen [45]. Zur empirischen parenteralen Therapie des nosokomialen katheterasoziierten HWI sind Cephalosporine der Gruppe 2/3a, Chinolone (Cipro- und Levofloxacin), Aminopenicilline/βLaktamaseinhibitor sowie Carbapeneme geeignet [46]. Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP-SMX) wird ohne Austestung nicht mehr empfohlen. Bei schweren Infektionen, bei Verdacht auf Pseudomonas spp. oder bei Nichtansprechen der initialen Therapie innerhalb von 1–3 Tagen sollen pseudomonaswirksame Antibiotika eingesetzt werden [46]. Dazu zählen Cephalosporine der Gruppe 3b (Ceftazidim und Cefepim), Fluorochinolone (Cipro- und Levofloxacin) sowie Acylaminopenicilline/β-Laktamaseinhibitoren (z. B. Piperacillin/Tazobactam) und Carbapeneme. Bei Nachweis von Extended-spectrum-β-Lactamase (ESBL)-bildenden Erregern sind Carbapeneme wirksam. Fluorochinolone können Therapieoptionen nach Austestung sein. Bei Urosepsis mit Organdysfunktion kann eine initiale Kombination aus β-Laktamantibiotikum und Fluorochinolon bis zur klinischen Stabilisierung des Patienten sinnvoll sein. Klinik und Resistogramm entscheiden über die weitere kalkulierte Therapie. Insgesamt sollte eine effektive Therapie über 10–14 Tage erfolgen. Bei Verdacht auf Urosepsis sollten auf alle Fälle 2 Blutkulturpaare zusätzlich zur Urindiagnostik entnommen werden. Die Therapiedauer der nosokomialen komplizierten Zystitis oder Urethritis beträgt in der Regel 3‒5 Tage über die Entfieberung bzw. Beseitigung der Ursache hinaus. Eine akute unkomplizierte Pyelonephritis benötigt eine Therapie über 7–14 Tage, bei Komplikationen wie Abszedierung kann eine Gabe über Wochen indiziert sein [41]. > Ein Candidanachweis im Urin ist auf Intensivstationen häufig und in der Regel lediglich als Kolonisation der Blase oder des Blasenkatheters ohne Krankheitswert zu werten. Selten ist eine Candidurie Ausdruck einer lokalen Infektion oder einer Fungämie mit Ausscheidung des Erregers im Urin.
Behandelt werden sollten symptomatische Patienten, neutropene Patienten, Neugeborene mit niedrigem Geburtsgewicht, Patienten
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
. Tab. 64.6 Spezielle Maßnahmen zur Prävention des katheterassoziierten Harnwegsinfektes. (Nach [39]) Indikation
Strenge Indikationsstellung, Indikation für Katheter täglich überprüfen
Katheterwahl
Sorgfältige Auswahl des Katheters je nach Indikation und der Kathetergröße je nach Meatus urethrae Bei Kurzzeitdrainage (≤5 Tage) kann alternativ zwischen transurethralem, suprapubischem Katheter oder streng aseptischem intermittierendem Einmalkatheterismus gewählt werden Bei längerer Katheterisierung (>5 Tage) und nach größeren operativen Eingriffen Anlage eines suprapubischen Katheters unter Beachtung der Kontraindikationen bevorzugen Bei transurethraler Kurzzeitdrainage (≤5 Tage) kann aus Kostengründen ein Latexkatheter verwendet werden (Cave: Latexallergie) Bei längerfristiger Blasendrainage Bevorzugung eines Vollsilikonkatheters
Katheteranlage
Desinfektion der Harnröhrenöffnung und ihrer Umgebung mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel (Einwirkzeit beachten) Aseptische Katheteranlage möglichst mittels Katheterset (sterile Einmalhandschuhe, steriles Abdecktuch, ggf. sterile Pinzette, sterile Tupfer, steriles Gleitmittel; steriles Aqua dest. oder vorzugsweise sterile 8- bis 10%ige Glycerin-Wasser-Lösung zur Ballonfüllung)
Ableitungssystem
Verwendung steriler, geschlossener Harnableitungssysteme mit Rückflusssperre, Luftausgleichsventil, Ablassstutzen und Ablassventil Abknicken und Diskonnektion von Katheter und Drainagesystem vermeiden; ist eine Diskonnektion nicht vermeidbar, alkoholische Wischdesinfektion der Konnektionsstelle Spülungen und Instillationen nur bei spezieller urologischer Indikation, nicht zur Infektionsprophylaxe durchführen Lagerung des Katheters ohne Zug am Unterbauch zur Leiste hin Positionierung des Auffangbeutels immer freihängend unterhalb des Blasenniveaus ohne Bodenkontakt Rechtzeitiges Entleeren des Auffangbeutels, bevor der Harn mit der Rückflusssperre in Kontakt kommt, dabei Tragen von Einmalhandschuhen Auf Spritzschutz und Verhinderung des Nachtropfens (Rückstecklasche) achten Kein Kontakt zwischen Ablassstutzen und Auffanggefäß bei der Harnentsorgung; Auffanggefäß desinfizierend reinigen Kein intermittierendes Abklemmen des Katheters als Blasentraining
Pflege des Meatus urethrae und des Katheters
Reinigung des Genitales: Tägliches Waschen mit Wasser und Seife; Tragen von Einmalhandschuhen; Zug am Katheter vermeiden Schonendes Entfernen von Inkrustierungen am Übergang von Katheter und Urethra mit H2O2 (3%-ig) getränkten Tupfern; auf perineale Hygiene achten
Wechselintervall
Kein routinemäßiger Katheterwechsel, sondern nur bei Bedarf (z. B. Obstruktion)
Gewinnung von Proben
Kein routinemäßiges mikrobiologisches Monitoring bei katheterisierten Patienten Abnahme von mikrobiologischen Proben aus patientennaher Abnahmestelle nach vorheriger alkoholischer Wischdesinfektion Abnahme anderer Proben mit Einmalhandschuhen aus dem Ablassstutzen
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nach Nierentransplantation und Patienten, die sich einem urologischen Eingriff unterziehen. Kann bei Candidurie auf den Urinkatheter verzichtet werden, so sollte er als initiale Maßnahme gezogen werden [11]. Ist der Verzicht auf einen Katheter nicht möglich, so kann ein Katheterwechsel evtl. sinnvoll sein. Der Nutzen eines solchen Wechsels bei Candidurie ist ungeklärt. Geht die Candidurie mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen einher, so sollte eine i.v. Therapie initiiert werden. Die Wahl des Antimykotikums, Dosis und Dauer richten sich nach der Infektion und der nachgewiesenen Spezies. Antimykotische Blasenspülungen sind obsolet.
Prävention Einen Überblick über die wichtigsten Empfehlungen zur Prävention von Infektionen, assoziiert mit einem Blasenkatheter zeigt . Tab. 64.6.
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Einige wichtige Anmerkungen zur Katheterauswahl [45]. Supra-
pubische Blasenkatheter scheinen im Vergleich zu transurethralen Kathetern mit einem niedrigeren Risiko für einen Harnwegsinfekt assoziiert zu sein. Silikon- und Latexkatheter unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Bakteriurieinzidenz. Latexkatheter sind am preiswertesten,
führen aber häufig zu lokalen Irritationen und allergischen Unverträglichkeitsreaktionen. Silikonkatheter neigen zu weniger Inkrustationen und scheinen daher für eine Langzeitkatheterisierung am geeignetsten. Ein regelmäßiger Katheterwechsel wird nicht empfohlen; Indikationen hierfür sind Inkrustationen und Obstruktionen. Silberbeschichtete Katheter vermindern signifikant die Inzidenz von asymptomatischen Bakteriurien, aber nur für einen Zeitraum von <1 Woche. Neuere Daten deuten jedoch auch auf eine Wirksamkeit hinsichtlich der Prävention von syptomatischen HWI hin. Antibiotikabeschichtete Blasenverweilkatheter scheinen bei kurzzeitiger Katheterisierung lediglich eine asymptomatische Bakteriurie verhüten bzw. verzögern zu können. > Eine klare Empfehlung für den klinischen Einsatz beschichteter Katheter kann aufgrund der aktuellen Datenlage und der Gefahr einer möglichen Resistenzinduktion derzeit nicht gegeben werden.
815 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
64.6.4
Postoperative Wundinfektionen
. Tab. 64.7 Risikofaktoren für die Entstehung einer postoperativen Wundinfektion. (Nach [48, 49])
Facharztstandard Postoperative Wundinfektion Eine postoperative Wundinfektion ist definiert als eine Infektion im Operationsgebiet innerhalb von 30 Tagen. Bei Implantaten (z. B. Hüftendoprothesen, Kunstklappen) gilt ein Beobachtungszeitraum von 1 Jahr. 6
Risikofaktoren Endogene, patienteneigene Risikofaktoren
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
Exogene Risikofaktoren
Prä- und intraoperativ 5 Dauer des stationären Aufenthalts präoperativ 5 Präoperative Haarentfernung 5 Verzicht auf eine indizierte perioperative Prophylaxe 5 Notfalloperation 5 Kontaminationsgrad der Wunde 5 Operationsdauer 5 Operationstechnik einschließlich Blutstillung 5 Hypothermie des Patienten während des Eingriffs 5 Hypoxie 5 Implantation von Fremdkörpern 5 Bluttransfusionen (Reduktion der zellulären Abwehr) Postoperativ 5 Drainage (Art und Dauer) 5 Nicht sachgerechte postoperative Wundversorgung 5 Art der postoperativen Ernährung 5 Postoperative invasive Maßnahmen, die eine Bakteriämie auslösen
Entsprechend der Infektionslokalisation wird eingeteilt in: 4 oberflächliche Infektion, umfasst ausschließlich die Kutis und Subkutis, 4 tiefe Infektion, greift auf Faszien und Muskeln über, 4 Infektion im Operationsgebiet (Organ, Körperhöhle). Als Infektionskriterien gelten: 4 eitrige Sekretion aus der Inzisionsstelle oder aus der Drainage, 4 mikrobiologischer Keimnachweis aus aseptisch entnommenem Wundsekret oder Gewebe, 4 Rötung, Schwellung, Schmerz oder Druckempfindlichkeit bei oberflächlichen Infektionen, 4 Abszess oder weitere Infektionszeichen der tieferen Schichten, des operierten Organs bzw. der operierten Körperhöhle bei tiefen Infektionen [14].
Epidemiologie Postoperative Wundinfektionen stellen die dritthäufigste nosokomiale Infektionsart dar. Nach den Daten des deutschen Surveillance-Systems KISS wurden im Zeitraum 1997‒2004 bei 274.050 erfassten Operationen insgesamt 5500 postoperative Wundinfektionen ermittelt, d. h. bei 2% der Operierten traten Wundinfektionen auf. Diese Infektionen verlängern die Hospitalisationsdauer im Mittel um 7–8 Tage. Für Deutschland rechnet man mit ca. 1 Mio. zusätzlichen Krankenhausverweiltagen pro Jahr, die durch postoperative Wundinfektionen verursacht werden [47].
Risikofaktoren und Wundinfektionsraten Das Risiko, eine Wundinfektion zu entwickeln, hängt von zahlreichen endogenen und exogenen Faktoren ab (. Tab. 64.7). Als wesentliche Einflussfaktoren gelten das Alter, der ASA-Score, die Operationsdauer und die Wundkontaminationsklasse (sauber, sauber kontaminiert, kontaminiert und schmutzig). Nach abdominalchirurgischen Eingriffen kommen aufgrund des häufiger kontaminierten oder infizierten Operationssitus mehr Wundinfektionen vor als bei aseptischen extraabdominellen Eingriffen. Endoskopische Eingriffe sind in der Regel mit niedrigeren Infektionsraten assoziiert.
Erregerspektrum Wie aus . Tab. 64.8 ersichtlich, sind grampositive Keime wie S. aureus, koagulasenegative Staphylokokken (z. B. S. epidermidis) oder Enterokokken die häufigsten Erreger von postoperativen Wundinfektionen. Bei abdominellen Eingriffen dominieren gramnegative Erreger wie E. coli, Pseudomonas aeruginosa und Klebsiellen. Im Einzelfall können auch Enterokokken und anaerobe Bakterien, wie z. B. Bacteroides spp., am Infektionsgeschehen beteiligt sein. In den meisten Fällen handelt es sich um Bakterien der patienteneigenen Haut- oder Darmflora, die zum Zeitpunkt der Inzision oder während der Operation in die Wunde gelangen.
Hoher ASA-Scorea Hohes Lebensalter Nasale Besiedlung mit S. aureus Infektion an anderer Stelle Komorbiditäten Adipositas permagna Diabetes mellitus Mangelernährung Nikotinkonsum Maligne Grunderkrankung Immunsuppression Anämie (prä- und postoperativ)
a
ASA-Score der amerikanischen Gesellschaft für Anästhesie, beschreibt den präoperativen Gesundheitszustand des Patienten, Einteilung in 5 Kategorien.
Der Nachweis von koagulasenegativen Staphylokokken bei oberflächlichen Wundinfektionen muss kritisch bewertet werden, da bei nicht korrekter Probenabnahme häufig Hautkeime angezüchtet werden. Unbestritten ist ihre Bedeutung als Erreger bei Implantatinfektionen (z. B. Knie- oder Hüft-TEP, künstliche Herzklappe) oder Wundinfektionen nach thoraxchirurgischen Bypassoperationen. Viren (z. B. HIV, Hepatitis B oder C) können zwar während einer Operation übertragen werden, führen aber nicht zu Wundinfektionen.
Diagnostik und Therapie Die meisten Wundinfektionen treten zwischen dem 3. und dem 8. postoperativen Tag nach primärem Wundverschluss auf. Eine primär heilende Wunde ohne Drainage gilt in der Regel nach 24 h als verschlossen und ist nicht mehr exogen kontaminationsgefährdet. Infektionen im Zusammenhang mit Implantaten können jedoch bis zu 1 Jahr nach Operation manifest werden. Die Kennzeichen einer postoperativen Wundinfektion sind vereinfacht in der eingangs genannten Definition zusammengefasst. Die je nach Infektionsloka-
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
. Tab. 64.8 Anteil der häufigsten nachgewiesenen Erreger [%] bei postoperativen Wundinfektionen je nach Fachgebiet. (Nach [4]) Erreger
Abdominalchirurgie
Traumatologie/ Orthopädie
Herzchirurgie (n=714)
Gefäßchirurgie (n=413)
Geburtshilfe (n=653)
S. aureus (% Anteil von MRSA an S. aureus)
43,4 (36,3)
39,0 (18,0)
37,4 (19,7)
36,9 (32,5)
24,6 (10,0)
Enterokokken
21,0
12,0
8,5
16,5
8,5
E. coli
27,2
4,5
3,6
10,8
7,4
P. aeruginosa
6,2
3,0
2,7
6,0
1,7
Klebsiella spp.
4,5
0,9
2,8
1,6
1,3
64
Koagulasenegative Staphylokokken
2,9
11,9
16,9
7,7
7,1
Enterobacter spp.
4,9
3,0
5,2
1,9
1,2
64
Streptokokken
1,4
0,3
0,2
1,2
1,6
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Daten des Krankenhausinfektions-Surveillance-Systems (Modul OP-KISS) aus dem Zeitraum 2004–2008.
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lisation spezifischen Definitionen des RKI bzw. der CDC können unter www.nrz-hygiene.de oder www.cdc.gov nachgelesen werden. Die Diagnose einer Wundinfektion kann im Einzelfall schwierig sein, da Symptome wie Rötung, Schwellung, Schmerz und Druckempfindlichkeit im Operationsgebiet sowohl bei Wundheilungsstörungen als auch bei Infektionen vorliegen können. Eine eitrige Sekretion aus der Inzisionsstelle oder einer Drainage, die Zugang zum Operationsgebiet hat, ist beweisend für eine Wundinfektion. Eine mikrobiologische Diagnostik durch sterile Entnahme eitrigen Sekretes ist indiziert, um eine gezielte Antibiotikatherapie durchführen zu können. Tiefe Wundinfektionen oder Infektionen in einer Körperhöhle, z. B. Mediastinitis, verursachen meist Fieber. Eine Blutkulturdiagnostik sollte immer durchgeführt werden. Postoperative Wundinfektionen erfordern in der Regel eine chirurgische Revision. Eine mechanische Wundreinigung zur Entfernung sämtlicher Nekrosen und Beläge und eine lokale antiseptische Behandlung, ggf. in Kombination mit einer systemischen Antibiotikatherapie, sind die wichtigsten Maßnahmen. Abszesse müssen eröffnet, antiseptisch gespült und häufig mit einer Drainage versorgt werden. Organinfektionen bzw. Infektionen in einer Organhöhle müssen immer chirurgisch revidiert und mit Antibiotika therapiert werden. Bei der empirischen Antibiotikagabe sind die am häufigsten nachgewiesenen Wundinfektionserreger der jeweiligen Indikatoroperation (. Tab. 64.8) zu berücksichtigen. Die mikrobiologische Untersuchung von intraoperativ gewonnenem Material aus dem Wundgebiet (Gewebe, Punktat, Abstrich) ermöglicht eine erregerspezifische Therapie.
Prävention Die Surveillance postoperativer Wundinfektionen, z. B. im Rahmen des KIS-Systems, gilt als wichtiges Instrumentarium zur Reduktion der Infektionsraten [4]. Es wird geschätzt, dass bei Patienten ohne Risikofaktoren ca. 20% der postoperativen Wundinfektionen vermeidbar sind [50]. Vermutlich liegt dieser Anteil bei sog. »sauberen Eingriffen« noch höher.
Wichtigste Eckpfeiler der Prävention von postoperativen Wundinfektionen sind: 4 Kontrolle endogener Risikofaktoren durch optimale Operationsvorbereitung, 4 adäquate perioperative Antibiotikaprophylaxe (7 Kap. 62), 4 saubere und aseptisch ausgeführte Operationstechnik, 4 Vermeidung exogener Kontaminationsquellen [50].
Zahlreiche der in . Tab. 64.7 genannten Risikofaktoren sind beeinflussbar. Eine verlängerte präoperative Verweildauer bzw. eine Verzögerung des Operationszeitpunktes bei Verletzungen erhöhen das Risiko einer postoperativen Wundinfektion. Die Ursachen hierfür sind meist multifaktoriell, z. B. Abhängigkeit der präoperativen Verweildauer von Erkrankungsschwere und Komorbiditäten, Kolonisation mit resistenten Erregern (z. B. MRSA) [49]. Zeitpunkt und Art einer präoperativen Haarentfernung haben einen erheblichen Einfluss auf die Wundinfektionsrate. Kann auf eine Haarkürzung nicht verzichtet werden, sollte sie vorzugsweise kurz vor der Operation mit einem elektrischen Haarclipper erfolgen. Eine Haarrasur am Vortag mit einem scharfen Einmalrasierer kann Mikroläsionen verursachen, welche Infektionen durch die residente Flora und Krankenhauskeime begünstigen. Eine Haarentfernung mit chemischen Mitteln ist ebenfalls möglich, sollte aber wegen häufiger Hautreizungen einen Tag vor der Operation durchgeführt werden [50]. Bei allen Eingriffen im OP ist die generelle Einhaltung aseptischer Arbeitsmethoden/-techniken und der adäquate Umgang mit sterilen Medizinprodukten Standard. Die Erfahrung und die Operationstechnik des Operateurs nehmen wesentlich Einfluss auf die postoperativen Infektionsraten. Als wichtigste Maßnahmen bei der postoperativen Wundversorgung gelten: 4 Unverzüglicher Verbandswechsel bei Verdacht auf eine Wundinfektion, bei Durchfeuchtung/Lageverschiebung des Verbandes oder anderen Komplikationen. 4 Entfernung des Verbandes, des Nahtmaterials sowie der Drainagen unter Anwendung aseptischer Arbeitstechniken. 4 Wunddrainagen so früh wie möglich entfernen [49]. Die kompletten und nach Evidenzgraden bewerteten Präventionsmaßnahmen sind u. a. in der Leitlinie »Prävention postoperativer
817 64.6 · Ausgewählte nosokomiale Infektionen
Infektionen im Operationsgebiet« des Robert Koch-Institutes zusammengefasst [49].
64.6.5
Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö und Kolitis
Infektionen mit Clostridium difficile (CDI) sind eine der häufigsten Ursachen von nosokomialen Diarrhöen bei Erwachsenen. Seit 2003 wird weltweit nicht nur über eine Zunahme der Inzidenz der CDI, sondern auch der Schwere der Erkrankungen berichtet. In Deutschland wurde in den Jahren 2000–2004 ein Anstieg von 7 auf 39 Fälle pro 100.000 stationäre Patienten ermittelt, in den Jahren 2004–2006 kam es nochmals zu einer Verdopplung [51]. . Im Zusammenhang mit nosokomialen Ausbrüchen, die zunächst in Nordamerika, dann aber auch in Europa einschließlich Deutschland auftraten, wurde ein neuer Epidemiestamm, der sich durch eine erhöhte Virulenz auszeichnet, nachgewiesen [51]. Entsprechend molekularbiologischer Typisierungsergebnisse wird dieser Stamm als Ribotyp 027, nordamerikanischer Pulsfeld-Typ NAP 1 und Toxinotyp III bezeichnet.
Erreger Clostridium difficile (CD) ist ein anaerobes, grampositives sporenbildendes Stäbchenbakterium, das ubiquitär in der Umwelt (Boden, Oberflächenwasser), aber auch im Darm von Tier und Mensch nachgewiesen werden kann. Die Sporen sind nicht nur verantwortlich für die hohe Umweltresistenz, sondern auch für die Toleranz gegen zahlreiche chemische Substanzen, einschließlich vieler Desinfektionsmittel. CD gilt als Erreger von ca. 15–20% aller antibiotikaassoziierten Durchfallerkrankungen und von mehr als 95% aller pseudomembranösen Kolitisfälle (PMC) [51]. Krankheitsauslösend wirken die Virulenzfaktoren Enterotoxin A und das Zytotoxin B, die zu einer Schädigung der Intestinalzellen und somit zu Diarrhö oder Kolitis führen können. Pathogene Stämme bilden zumeist beide Toxine, selten jedoch ausschließlich Toxin B. Stämme, die keine Toxine bilden, gelten als apathogen. Einige virulente Stämme bilden zusätzlich ein sog. binäres Toxin (CDT), dessen Rolle in der Pathogenese der Erkrankung bisher noch nicht geklärt ist. Die Toxinexpression von Enterotoxin A und Zytotoxin B wird durch einen positiven (TcdR) und einen negativen Regulator (TcdC) gesteuert. Als Ursache der erhöhten Virulenz des Epidemiestammes (NAP1/027) wird eine in vitro nachgewiesene Toxinhyperproduktion, als Folge einer 18-bp-Deletion im TcdC, vermutet [52]. Bis zu 80% der Kleinkinder und 5% der Erwachsenen sind mit CD im Darm asymptomatisch kolonisiert. Obwohl neuere Daten auf eine Zunahme im ambulanten Bereich hindeuten, ist eine stationäre Aufnahme in Abhängigkeit von der Hospitalisationsdauer ein klarer Risikofaktor für eine Kolonisation. Clostridium difficile wurde bei 20–40% der stationären Patienten nachgewiesen, größtenteils jedoch ohne Krankheitswert. Bei 1 von 100 mit Antibiotika behandelten Patienten muss mit einer CDI gerechnet werden [51].
Übertragungsweg Neben dem endogenen Infektionsweg stellt die nosokomiale Übertragung ein zunehmendes krankenhaushygienisches Problem dar. Klinisch symptomatische Patienten scheiden mit ihrem flüssigen Stuhl eine große Menge an Bakterien/Sporen aus, was zu erheblichen Umgebungskontaminationen führen kann. Eine Weiterverbreitung des Erregers erfolgt durch direkten oder indirekten Kontakt über Hände oder kontaminierte Gegenstände (Toiletten, Steckbecken, Bett, Telefon etc.). Aufgrund der Sporenbildung kann
der Erreger lange Zeit außerhalb des Wirtes persistieren, sodass der indirekte Übertragungsweg eine erhebliche Rolle spielt. Ob der Mensch nach der Kolonisation erkrankt oder asymptomatischer Träger bleibt, ist abhängig von der individuellen Disposition und der Virulenz/Toxigenität des CD-Stammes.
Risikofaktoren Eine Alteration der normalen Gastrointestinalflora durch 4 Antibiotikatherapie, 4 Immunsuppression oder 4 Operation begünstigt eine Infektion mit Clostridium difficile. Zusätzlich gefährdet sind Patienten mit langen Hospitalisationszeiten, schweren Grundkrankheiten, Intensivaufenthalt, Therapie zur Senkung des Magensäure-pH-Wertes und ältere Patienten (>60 Jahre) [54].
Patienten mit gastrointestinalen Grunderkrankungen und Antibiotikatherapie scheinen generell ein höheres Erkrankungsrisiko zu haben [53]. Prinzipiell kann eine CDI durch jedes Antibiotikum ausgelöst werden, am häufigsten werden in diesem Zusammenhang Clindamycin, Breitspektrumpenicilline, Cephalosporine und Chinolone genannt. Aber auch unter Vancomycin und Metronidazol treten entsprechende Infektionen auf. Die Absenkung des Magensäure-pH-Wertes durch H2-Blocker oder Protonenpumpenhemmer scheint CD einen Überlebensvorteil zu ermöglichen. Aktueller Diskussionsgegenstand ist auch die Sondenkost, welche als potenzielle Keimquelle bei hygienisch nicht adäquater Zubereitung gesehen wird [54].
Klinik Virulente C.-difficile-Stämme sind in der Lage, zum einen eine sekretorische Diarrhö, zum anderen eine Kolitis auszulösen. Unspezifische klinische Zeichen sind wässrige Diarrhö, abdominelle Krämpfe, ggf. Fieber und eine ausgeprägte Leukozytose. Hypalbuminämie und Ödeme deuten auf eine Proteinverlustenteropathie hin. Differenzialdiagnostisch ist an Infektionen mit Noro-, Adenound Rotaviren zu denken.
Bei der fulminanten Kolitis besteht die Gefahr der Entwicklung eines toxischen Megakolons, eines Ileus und einer Perforation. Diffuse abdominelle Schmerzen, Leukozytose, Fieber, Hypotonie und Oligurie sind mögliche Kennzeichen einer schweren systemischen Infektion. Die richtungweisende Diarrhö kann bei toxischer Dilatation des Kolons oder paralytischem Ileus fehlen. Bei einer fulminanten Kolitis ist eine entschlossene Diagnostik und rasche Prüfung gastroenterologischer und chirurgischer Therapieoptionen entscheidend.
Lebensbedrohliche Verläufe einer C.-difficile-Kolitis werden bei 1–3% der Patienten erwartet [53]. Für schwere CDI-Fälle besteht gemäß § 6 Abs.1 Nr.5a IfSG eine Meldepflicht. Die Definition ist unter www.rki.de abrufbar.
Diagnostik Bei Verdacht auf eine pseudomembranöse Kolitis (PMC) kann die Endoskopie mit dem Nachweis von typischen Pseudomembranen (. Abb. 64.4) rasch zur Diagnosesicherung führen. Bei Patienten
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
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. Tab. 64.9 Basismaßnahmen zur Prävention device-assoziierter Infektionen. (Nach [26, 32, 39])
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Infektionskontrolle
Personalschulung Erfassung und Bewertung nosokomialer Infektionen Erkennung und Isolation von Patienten mit multiresistenten Erregern
Händedesinfektion
Vor und nach Patientenkontakt Vor und nach Kontakt mit invasiven »devices« Vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen der Einmalhandschuhe
Einmalhandschuhe
Bei Kontakt mit potenziell infektiösem Material
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. Abb. 64.4 Koloskopisches Bild einer pseudomembranösen Kolitis durch C. difficile. [Abb. von Priv.-Doz. Dr. med. R. Winograd, früher Med. Klinik III, Universitätsklinikum Aachen, mit frdl. Genehmigung]
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mit gastroenteralen Grundkrankheiten wie M. Crohn oder Colitis ulcerosa können diese pathognomonischen Zeichen fehlen [54]. In den meisten Fällen ist zur Abklärung einer CDI eine mikrobiologische Diagnostik erforderlich. Diese basiert in der Regel auf dem Nachweis der Toxine A und/oder B mittels ELISA. Aufgrund der niedrigen Sensitivität sollten bei negativem Ergebnis erneut 1 oder 2 Stuhlproben untersucht werden. Auf kurze Transportzeiten (<2 h) ist wegen möglichen Toxinzerfalls bei Raumtemperatur zu achten. Molekularbiologische Verfahren (z. B. PCR) zum Nachweis der Toxin-A/B-Gene sind hochspezifisch und sensitiv, aber in der Routinediagnostik noch nicht etabliert. Eine generelle Empfindlichkeitsaustestung wird nicht gefordert, da in Deutschland noch keine Vancomycin- und Metronidazolresistente Stämme aufgetreten sind [51]. Die Detektion des neuen hochvirulenten C.-difficle-Stammes erfordert eine kulturelle Erregeranzucht mit nachfolgender molekulargenetischer Analyse. Eine Koloskopie oder Sigmoidoskopie ist bei typischer Klinik und positivem Toxinnachweis nicht notwendig; wegen Gefahr einer Kolonperforation liegt bei schwerer Kolitis eher eine Kontraindikation vor [54].
Therapie Bei milder Klinik mit 3–4 wässrigen Stühlen pro Tag ist das Absetzen der auslösenden Antibiotikatherapie der entscheidende Schritt. Indikationen für eine gezielte Therapie sind: 4 Der Patient ist symptomatisch im Sinne einer Kolitis oder einer schweren Diarrhö. 4 Persistierende Diarrhö trotz Absetzen der Antibiotikatherapie. 4 Notwendigkeit der Fortführung der auslösenden Antibiotikatherapie [54].
mit Vancomycin in üblicher Dosierung empfohlen; bei lebensbedrohlichen Verläufen sollte eine Hochdosis-Vancomycin-Therapie mit 4-mal 500 mg/Tag oral durchgeführt werden. Vielfach wird in diesen Fällen auch ein zusätzlicher rektaler Vancomycin-Einlauf 4-mal täglich oder eine Kombinationstherapie mit einer intravenösen Metronidazolgabe angeraten [51, 52, 54]. Die Applikation der Medikamente sollte bei C.-difficile-Diarrhö bevorzugt oral bzw. über Magensonde erfolgen; eine parenterale Gabe ist nur für Metronidazol möglich. Die intravenöse Verabreichung von Vancomycin erzielt keine ausreichenden Konzentrationen im Darmlumen. Die Gabe von Flüssigkeit und Kontrolle des Elektrolythaushaltes sind obligat. Antiperistaltisch wirksame Medikamente sollten vermieden werden. Als Therapieerfolg ist die Entfieberung nach 1‒2 Tagen und das Sistieren der Diarrhö nach 2‒5 Tagen zu werten [54]. Eine mikrobiologische Kontrolle des Stuhls zur Bestätigung des Therapieerfolges sollte nicht durchgeführt werden, da der Toxinnachweis noch längere Zeit positiv ausfallen kann. Rund 12–24% der Patienten entwickeln trotz adäquater Therapie eine zweite Krankheitsepisode innerhalb von 2 Monaten nach initialer Diagnosestellung [53]. Klinisch ist nicht beurteilbar, ob es sich dabei um eine Reinfektion oder um ein Rezidiv mit gleichem Erreger handelt. Die erste Rekurrenz der Erkrankung wird in der Regel mit einer erneuten Gabe des initial eingesetzten Antibiotikums über 10–14 Tage behandelt. Bei wiederkehrenden Rezidiven kann eine ausschleichende Intervalltherapie mit Vancomycin über eine Dauer von 7 Wochen, ggf. in Kombination mit Probiotika, versucht werden [51, 52]. Letztere haben bei intensivpflichtigen und immunsupprimierten Patienten mehrfach zu Fungämien mit Saccharomyces boulardii und Septikämien mit Lactobacillus spp. geführt und sollten bei diesem Patientenklientel sehr restriktiv eingesetzt werden [54].
Prävention und Hygienemanagement Metronidazol ist bei einer mild bis moderat verlaufenden CDI das Medikament der Wahl. Vancomycin sollte aufgrund der Gefahr Vancomycin-resistenter Enterokokken (VRE) nur bei entsprechender Indikation eingesetzt werden. Die Normaldosis von Metronidazol beträgt 3-mal 500 mg/Tag oral für 10–14 Tage. Bei Schwangerschaft, Stillzeit oder anderen Kontraindikationen für Metronidazol ist die Gabe von Vancomycin möglich. Die orale Vancomycin-Dosis beträgt 4-mal 125 mg/Tag für 10–14 Tage [54]. Bei schwer verlaufender Erkrankung oder Hinweis auf eine Infektion mit einem hochvirulenten Stamm wird eine Initialtherapie
Der wichtigste Schritt zur Prävention der C.-difficile-Diarrhö ist der restriktive Einsatz von Antibiotika. Ist ein Patient erkrankt, muss die Übertragung auf andere Patienten verhindert werden. Immunsupprimierte und Patienten mit Antibiotikatherapie scheinen besonders gefährdet zu sein. Bei der Versorgung des Erkrankten sollten Handschuhe und Kittel im Sinne einer Kontaktisolation getragen werden, da der Stuhl hochgradig infektiös ist. Eine Unterbringung im Einzelzimmer ist zu befürworten, solange der Patient symptomatisch ist. Keinesfalls sollte eine Zusammenlegung mit einem im-
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munsupprimiertem Patienten bzw. einem Patienten unter laufender Antibiotikatherapie erfolgen. > Die Fähigkeit von C. difficile Sporen zu bilden, ist der Grund für eine ausgeprägte Umweltresistenz. Da Sporen alkoholresistent sind, ist es notwendig, die Hände mit Wasser und Seife zu waschen.
Die in . Tab. 64.9 zusammengefassten derzeitigen Empfehlungen zur Infektionsprävention sollen dem Stationsteam als praxisnahe Anleitung und Checkliste im Umgang mit den verschiedenen »devices« dienen.
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Kapitel 64 · Nosokomiale Infektionen
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Spezifische Infektionen C. Dierkes, E. Bernasconi
65.1
Einleitung – 822
65.2
Bakterielle Infektionen – 822
65.2.1 65.2.2 65.2.3 65.2.4
Tuberkulose – 822 Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) – 823 Nekrotisierende Fasziitis – 825 Gasbrand – 825
65.3
Virale Infektionen – 826
65.3.1 65.3.2 65.3.3 65.3.4 65.3.5
Influenza – 826 Varizella zoster – 827 Zytomegalovirus (CMV) – 828 Tollwut – 830 Virale hämorrhagische Fieber – 830
65.4
Parasitäre Infektionen – 831
65.4.1
Malaria – 831
65.5
Infektionen unter iatrogener Immunsuppression – 833
65.5.1 65.5.2
Infektionen nach Organtransplantation – 833 Infektionen bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen/ rheumatologischen Erkrankungen – 833 Infektionen bei hämato-onkologischen Erkrankungen/ Knochenmarkstransplantation – 834
65.5.3
Literatur – 834
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65.1
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
Einleitung
In diesem Kapitel wird auf die Infektionen eingegangen, die nicht im Rahmen der einzelnen Erkrankungsentitäten in den übrigen Kapiteln behandelt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Infektionen bzw. Erregern, die auch dem Intensivmediziner häufiger begegnen können. Fragestellungen außerhalb dieser Gruppe sollten mit Hilfe spezieller Literatur beantwortet werden, Hilfestellungen geben auch die Verweise auf Webseiten am Ende des Kapitels.
65
65.2
Bakterielle Infektionen
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65.2.1
Tuberkulose
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Epidemiologie Die Tuberkulose ist eine der Infektionserkrankungen, die trotz effektiver Behandlungsmöglichkeiten eine hohe Sterblichkeit verursachen. Trotz der Infektion von vermuteten 30% der Weltbevölkerung betreffen allerdings nur 5% aller Erkrankungen Europa, hier insbesondere Osteuropa, sodass bei zunehmender Migration die Bedeutung auch in Deutschland wächst. Im Jahr 2007 wurden ca. 5000 Neuerkrankungen diagnostiziert, davon waren 43% aller Neuerkrankten nicht in Deutschland geboren [1]. Der Hauptmanifestationsort bleibt die Lunge, insbesondere bei Patienten auf der Intensivstation, wenn auch nur 3% aller Tuberkuloseinfizierten eine intensivmedizinische Therapie benötigen. Die Rate der gefürchteten Multiresistenzen bleibt mit ca. 2% in Deutschland niedrig. Besorgniserregend sind Fälle von extrem multiresistenten Erregern, sog. XDR-Tuberkulose, die auch in Deutschland bereits in Einzelfällen beschrieben wurden.
Erreger Der wichtigste Erreger der Tuberkulose ist Mycobacterium tuberculosis. Das säurefeste, schwach grampositive Bakterium ist kulturell sehr langsam wachsend und daher mittels dieser Methode meist nur verzögert nachweisbar. Spezielle Färbungen wie die Ziehl-Neelsen-Färbung helfen bei der Visualisierung in Ausstrichpräparaten, sofern eine ausreichende Zahl von Erregern vorhanden ist. Andere Mykobakterien des Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes wie M. bovis, spielen in Deutschland fast keine Rolle. Atypische Mykobakterien sind selten und lediglich im Kontext stark immunsupprimierter Patienten z. B. nach Knochenmarktransplantation, von Bedeutung.
Klinische Präsentation
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Prinzipiell lassen sich 2 Patientengruppen unterscheiden, die mit Tuberkulose auf einer Intensivstation behandelt werden: 4 Patienten mit nachgewiesener Tuberkuloseinfektion, die im Rahmen der Infektion oder der Therapie eine Komplikation entwickeln. Hierzu zählen die tuberkulösen Perikarditiden, Meningitiden sowie postoperative Patienten nach thoraxchirurgischen Eingriffen, eine insgesamt seltene Patientengruppe; 4 Patienten mit Sepsis oder respiratorischer Insuffizienz, bei denen erst im Verlauf der Erkrankung die Diagnose gestellt werden kann. Hier sind insbesondere immunsupprimierte Patienten betroffen, unter anderem HIV-positive Patienten, bzw. Patienten mit iatrogener Immunsuppression, bei denen auch disseminierte Infektionen vorkommen können (LandouzySepsis). Insbesondere die 2. Gruppe weist eine sehr heterogene Präsentation auf, sodass die Identifikation schwierig sein kann. Bei den Ri-
. Tab. 65.1 Diagnostik bei Verdacht auf Tuberkulose Methode
Einschränkungen
Sputum/BAL-Kultur
Ergebnisse bis zu 4 Wochen später
Nukleinsäureamplifikation
Ergebnis nach wenigen Stunden, keine Unterscheidung vital/avital (Sensitivität)
Hauttest nach MendelMantoux
Abhängig vom Immunstatus des Patienten
Interferon-γ-Essays
Ebenfalls vom Immunstatus abhängig, aber in geringerem Ausmaß
sikogruppen sollte stets eine Tuberkulose differenzialdiagnostisch erwogen werden, um so frühzeitig therapeutische Maßnahmen ergreifen zu können, da insbesondere die verspätete Therapie zur erhöhten Mortalität bei Patienten auf Intensivstationen beiträgt. Die Erfragung möglicher Tuberkuloseexpositionen oder positiver Hauttests sollte erfolgen.
Diagnostik Nach wie vor ist der kulturelle bzw. direkte Nachweis von Mykobakterien aus Atemwegsmaterial die wichtigste diagnostische Methode (. Tab. 65.1). Diese kann auch bei beatmeten Patienten angewendet werden, sei es gezielt in Form einer bronchoalveolären Lavage bei nachweisbaren Konsolidierungen oder tuberkulosespezifischer Veränderungen im Röntgenbild, ansonsten typischerweise aus den Oberlappen. Werden hier Bakterien gefunden, so muss die Diagnose einer offenen Tuberkulose gestellt werden, und entsprechende Isolationsmaßnahmen müssen ergriffen werden. Neben Atemwegsmaterialien kann der Direktnachweis auch aus allen anderen Materialien bei vermuteter lokaler Infektion geführt werden. Kulturelle Nachweise gelingen derzeit meist nach 5–14 Tagen. In der Akutdiagnostik unabdingbar sind daher Nukleinsäureamplifikationstechniken (NAT), die innerhalb weniger Stunden Ergebnisse liefern, jedoch nicht zwischen vitalen oder avitalen Pathogenen unterscheiden können und somit in der Verlaufskontrolle nur bedingt verwertbar sind. Zur Resistenztestung sind zudem weiterhin kulturelle Methoden notwendig. Die Sensitivität der NAT liegt bei 80–90% und ist ähnlich der kulturellen Diagnostik. Zum sicheren Ausschluss einer offenen Tuberkulose sollten Proben mindestens 3-mal hintereinander untersucht werden. Sollte keine Bronchoskopie verfügbar sein, so kann Magennüchternsekret auch beim intubierten Patienten mittels Magensonde gewonnen werden. Die indirekten Nachweismethoden wie Tuberkulinhauttests nach Mendel-Mantoux oder neuere Methoden mit Nachweis von Interferon-γ produzierenden spezifischen Zellen spielen auf der Intensivstation meist keine Rolle, da die begleitende intrinsische Immunsuppression der schweren Erkrankung die Sensitivität deutlich erniedrigt. Eine Übersicht über die Möglichkeiten der Diagnostik bietet . Tab. 65.1. > Bei Erstdiagnose besteht eine Meldepflicht laut § 7 Infektionsschutzgesetz.
Therapie Die medikamentöse Therapie der Tuberkulose ist immer eine Kombinationstherapie, die von der Resistenzlage beeinflusst wird. Da diese in der Regel beim Intensivpatienten nicht bekannt ist, wird mit der Standardtherapie begonnen. Diese besteht aus der Kom-
823 65.2 · Bakterielle Infektionen
. Tab. 65.2 Medikamentöse Therapie der Tuberkulose Medikament
Dosierung
Besonderheiten
Adjustierung bei Dialyse
Isoniazid (INH)
5 mg kg KG/Tag (max. 300 mg)
Oral und intravenös
Ja
Rifampicin
10 mg kg KG/Tag (max. 600 mg)
Oral und intravenös, multiple Interaktionen
Nein
Prognose Die Mortalität der Tuberkulose liegt weltweit bei 24%, in den Industrienationen bei 5–7%. Diese ist bei Patienten mit Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung mit 25–67% deutlich erhöht. Risikofaktoren, die mit erhöhter Mortalität assoziiert werden, sind ein verzögerter Therapiebeginn, akutes Nierenversagen, Sepsis, ARDS, Beatmungspflicht sowie begleitende nosokomiale Pneumonie [3].
Prävention
Pyrazinamid
15–30 mg/ kg KG/Tag (maximal 2000 mg)
Oral, hepatotoxisch
Ja (Therapie nicht empfohlen)
Ethambutol
15–25 mg/ kg KG/Tag (maximal 1600 mg)
Oral
Ja
bination von Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol für 2 Monate, gefolgt von 4 Monaten Isoniazid und Rifampicin. Die Dosierungen können . Tab. 65.2 entnommen werden. > Beachtung der Ergebnisse der Resistenztestung, die oft erst nach mehreren Wochen verfügbar sind! Besondere Situationen. Bestehen Bedenken bezüglich der oralen
Resorption, so kann auf ein parenterales Therapieschema ausgewichen werden. Hier bietet sich die Gabe von Streptomycin in einer Dosis von 15 mg/kg KG i.v. an, bei Niereninsuffizienz muss eine Dosisanpassung erfolgen. Andere Zweitlinientherapeutika sollten nur nach Erhalt der Resistenztestung eingesetzt werden. Bei primär verzögertem Ansprechen muss eine Verlängerung der Gesamttherapiedauer erfolgen; dies gilt ebenfalls für Fälle von Miliartuberkulose und tuberkulöser Meningitis. Nebenwirkungen. Sowohl Isoniazid, Ethambutol, Pyrazinamid als
auch Rifampicin können zu Leberwerterhöhungen führen. Im Umfeld einer intensivmedizinischen Behandlung ist es oft schwierig, die Ursache einer solchen Leberschädigung abzugrenzen. Aufgrund der Gefahr einer fulminanten Hepatitis sollte aber im Fall einer Erhöhung auf das mehr als 3-Fache der Norm die Therapie unterbrochen und erst nach Normalisierung wieder begonnen werden. Visus- und Farbsehprüfungen sind bei sedierten Patienten meist nicht möglich, sollten aber so rasch wie möglich nachgeholt werden und insbesondere in der oft schwierigen Aufwachphase nicht in Vergessenheit geraten. Die Sehstörungen sind normalerweise vollständig reversibel. Adjuvante Therapie. Die Gabe von Steroiden ist bei erhöhtem in-
trakraniellem Druck bei tuberkulöser Meningitis empfohlen [2]. Bei Patienten mit erhöhtem Vitaminbedarf (Alkoholabhängige, Schwangere, Mangelernährte) sollte eine Substitution von Pyridoxin (Vitamin B6) erfolgen. Hinsichtlich der Behandlung von Komplikationen unterscheidet sich die Tuberkulose nicht von anderen Infektionen, die zur respiratorischen Insuffizienz führen. So können auch bei diesen Patienten überbrückende Therapien mit Organersatzverfahren bis zum extrakorporalen Lungenersatz erfolgreich eingesetzt werden.
Bei nachgewiesener offener Tuberkulose muss eine Isolation des Patienten möglichst in einem Zimmer mit separater Luftführung erfolgen. Besucher und medizinisches Personal müssen Schutzkittel, Mundschutz nach Schutzklasse FFP3 sowie bei direktem Kontakt auch Handschuhe tragen. Dies gilt auch für invasiv beatmete Patienten, insbesondere bei Tätigkeiten wie Absaugung oder Bronchoskopie. Meist nach 2–3 Wochen korrekter Therapie sind Patienten nicht mehr infektiös, bei multiresistenten Keimen kann die Zeit verlängert sein. Eine Kontrolle mittels Lichtmikroskopie ist möglich, diese kann aber bei Nachweis avitaler Pathogene ohne Möglichkeit der Unterscheidung in die Irre führen.
65.2.2
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
Das hämolytisch-urämische Syndrom ist eine Systemerkrankung, die mit Organversagen und einer hohen Mortalität einhergeht. Das Entscheidende in der Behandlung der Erkrankung ist die rechtzeitige Diagnosestellung. Gekennzeichnet ist die Erkrankung durch das Auftreten einer thrombotischen Mikroangiopathie, die die Folgeerscheinungen Anämie, Nierenversagen und Thrombopenie verursacht.
Epidemiologie Insgesamt ist das HUS eine seltene Erkrankung, die in der Allgemeinbevölkerung eine Inzidenz von ca. 5 Erkrankungen/106 Einwohner pro Jahr aufweist. Bei Kindern <15 Jahren liegt die Inzidenz bei 7–10/106, noch höher im Bereich <5 Jahre [4]. Bei Kindern stellen hämorrhagische Durchfallerkrankungen den Hauptauslöser dar. Diese sind meist durch E. coli der Gruppe der enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) bedingt und besitzen die Fähigkeit, Enterotoxine (Shiga-like Toxin) zu bilden, die zu einer Schädigung der Darmepithelien führen. Hierüber kann es zu einer Invasion von Toxinen in den Blutkreislauf kommen. Einer der bekanntesten Erreger ist der Serotyp E. coli 0157, der im Rahmen einer Massenerkrankung im Jahr 1982 in den USA als Auslöser identifiziert werden konnte. Seltener werden auch Infektionen mit Shigellen oder Streptococcus pneumoniae gefunden. Bei Kindern ist das infektionsassoziierte HUS mit >90% der Hauptgrund für ein akutes Nierenversagen. Es wird unterschieden zwischen einem »typischen« infektionsassoziiertem HUS sowie dem atypischen HUS anderer Genese. Infektionen stellen bei Erwachsenen nur eine untergeordnete Ursache dar; in den meisten Fällen bleibt die Genese unklar, kann aber auch medikamentös induziert oder angeboren sein. Weitere assoziierte Ursachen sind in . Tab. 65.3 dargestellt.
Pathogenese Im Fall des infektiösen HUS scheint es zu einer Aufnahme und Dissemination von Toxinen zu kommen, die konsekutiv zu einer Schädigung des Gefäßendothels führen. Je nach Unterart des pro-
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824
65
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
. Tab. 65.3 Ursachen eines hämolytisch-urämischen Syndroms
. Tab. 65.4 Symptome bei HUS
Infektiös
Shiga-Toxin produzierende E. coli (enterohämorragische E. coli), Shigellen, HIV
Organsystem
Symptome
Medikamentös
Immunsuppressiva (Tacrolimus, Ciclosporin), Clopidogrel, Ticlopidin, Chemotherapeutika (Cisplatin, Bleomycin, Gemcitabin)
Neurologisch
Somnolenz, Krampfanfälle
Hämatologisch
Thrombopenie, Anämie
Renal
Akutes Nierenversagen
Weitere betroffene Organe
Herz, Pankreas, Muskulatur, Darm
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Schwangerschaft Allogene Stammzelltransplantation Idiopathisch
ADAM-TS13-Defizienz
duzierten Toxins unterscheiden sich die klinische Präsentation und die Prognose des Patienten. In der Pathogenese des atypischen HUS scheint zudem eine Metalloprotease (ADAM-TS13) eine Rolle zu spielen, die normalerweise den Abbau von Multimeren des von-Willebrand-Faktors induziert. Bei genetischen Formen des HUS konnte ein Mangel dieser Protease nachgewiesen werden, die bei erworbenen Formen von den auslösenden Faktoren beeinflusst werden. Dadurch kommt es zur Akkumulation der genannten Multimere mit konsekutiver Thrombozytenaggregation, Okklusion der kleinen Kapillaren und Schädigung des Gewebes. Je nach betroffenem Organ zeigt sich die Erkrankung in unterschiedlicher Ausprägung.
Klinische Präsentation Bedingt durch die Pathogenese der Erkrankung präsentieren sich die Patienten oft oligosymptomatisch (. Tab. 65.4). Beim klassischen HUS besteht eine Einschränkung der Nierenfunktion bis hin zum Nierenversagen sowie laborchemisch eine ausgeprägte Thrombopenie und Anämie. Insbesondere bei atypischen Präsentationen finden sich auch neurologische Beeinträchtigungen, hier sind Bewusstseinsstörung oder Krampfanfälle möglich. Neben diesen typischen Symptomen können auch andere Organe durch die Mikroangiopathie betroffen sein; zu nennen sind das Herz, der Darm oder die Muskulatur. Vorausgehend findet man die Symptome des gastrointestinalen Infektes mit Durchfällen und krampfartigen Bauchschmerzen. Fieber besteht nur in 30% der Fälle, bei bis zu 50% kommt es zusätzlich zu Übelkeit und Erbrechen.
Diagnose Die Diagnose des klassischen HUS bei Kindern kann zumeist aus der typischen Anamnese mit Diarrhö in Kombination mit einer Thrombopenie und Erhöhung der Retentionsparameter gestellt werden. Aufgrund der Zerstörung von Erythrozyten kann die Diagnose durch den Nachweis von Hämolyseparametern wie LDH-Erhöhung und Haptoglobinerniedrigung sowie von Fragmentozyten im peripheren Blutausstrich bestätigt werden. Weitere spezifische Laborparameter sind in der Akutsituation nicht verfügbar; zur Einordnung der Erkrankung sollte bei hochgradigem Verdacht eine Bestimmung der ADAM-TS13-Protease erfolgen. Hierüber kann, wenn auch nicht zeitnah, eine weitgehende Diagnosesicherung erfolgen. Differenzialdiagnostisch ist eine Sepsis mit disseminierter intravasaler Gerinnung zu erwägen.
Therapie Bei Kindern mit HUS sollte die klassische Therapie eines akuten Nierenversagens mit Volumenkontrolle, Blutdruckeinstellung sowie Elektrolytausgleich erfolgen. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten sollte nur im Notfall einer akuten Blutungssituation
durchgeführt werden, da nicht mit einem langfristigen Anstieg der Thrombozyten zu rechnen ist. Bluttransfusionen bei ausgeprägter Anämie sind jedoch meist unausweichlich. Eine antibiotische Therapie ist auch bei infektassoziierter Erkrankung nicht indiziert, da diese Therapie mit einem schlechteren Outcome, sowohl was Überleben als auch Erhalt der Nierenfunktion angeht, assoziiert ist. Erklärt wird dies experimentell mit einer zunehmenden Freisetzung von bakteriellen Bestandteilen bzw. Toxinen in die Darmmukosa, die hierüber eine vermehrte Wirkung aufweisen können. Weitere adjuvante Therapien werden in Studien kontrovers diskutiert. Hier ist die Durchführung einer Plasmaseparation zu nennen, die insbesondere bei neurologischer Symptomatik zum Einsatz kommt. Präventiv wird der Einsatz von Antikörpern gegen Shigalike-Toxin in Studien evaluiert, hier zeigt sich ein möglicher Vorteil bei Einsatz während der Phase der Diarrhö [5].
Prognose Je nach Ursache der Erkrankung ergibt sich eine unterschiedliche Prognose sowohl bezüglich des Überlebens als auch der Nierenfunktion bzw. weiterer Organmanifestationen. Das typische HUS weist eine bessere Prognose als die atypischen Formen auf. Bei Kindern mit typischem HUS ist zunächst bei bis zu 2/3 der Fälle mit einer zumindest temporären Dialysepflichtigkeit zu rechnen. Bezüglich einer bleibenden terminalen Niereninsuffizienz wird das Risiko in Studien bei 12% angegeben, mit zusätzlich bis zu 25% fortbestehender Nierenfunktionseinschränkung [6]. Patienten mit atypischen HUS und z. B. angeborenem Mangel der ADAM-TS13-Metalloprotease haben ein hohes Rezidivrisiko. Experimentelle Therapien wie die Durchführung einer Nierenoder auch Lebertransplantation konnten bisher ihre Effektivität nicht endgültig beweisen. Beispiel Übernahme einer 54-jährigen Patientin aus einem peripheren Krankenhaus, Verlegung wegen zunehmender Vigilanzminderung und Verdacht auf Sepsis. Bei Ankunft zeigt sich die Patientin somnolent und ohne eindeutigen Infektfokus, anamnestisch hatte eine Diarrhö in der Vorwoche bestanden. Die Laborwerte bei Übernahme zeigen eine deutliche Thrombopenie von 14/nl, eine Anämie, Kreatininerhöhung, Troponin- und LDH-Erhöhung sowie Erhöhung der Leberparameter. Bei Verdacht auf HUS wurden 43‰ Fragmentozyten nachgewiesen und eine sofortige Plasmaseparation begonnen. Obwohl diese bereits 3 h nach Übernahme durchgeführt wurde, verschlechterte sich der Zustand der Patientin zunehmend; es erfolgte eine Schutzintubation. Im Verlauf der nächsten Stunden dann kardiale Instabilität mit Asystolie 9 h nach Übernahme. Zunächst konnte eine erfolgreiche Reanimation stattfinden, 11 h nach Übernahme dann Tod im Multiorganversagen.
825 65.2 · Bakterielle Infektionen
65.2.3
Nekrotisierende Fasziitis
Epidemiologie Insgesamt haben schwere Infektionen mit dem Bild einer nekrotisierenden Fasziitis weltweit in den letzten Jahren zugenommen, auch wenn die Gründe hierfür nicht eindeutig geklärt sind. Risikofaktoren sind u. a. Diabetes mellitus, aber auch Adipositas sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit; somit Erkrankungen, die insgesamt ebenfalls zunehmen. Neben vorerkrankten Patienten können jedoch auch Infektionen aus völliger Gesundheit heraus bei jungen Erwachsenen nach Bagatelltraumata vorkommen. Epidemiologische Zahlen zur Erkrankungshäufigkeit in Deutschland liegen nicht vor, da die Erkrankung nicht meldepflichtig ist. In den USA werden ca. 1000 Erkrankungen/Jahr beschrieben, in England ca. 500 Fälle im Jahr [7].
Pathogenese Die nekrotisierende Fasziitis ist typischerweise eine durch Streptokokken der Gruppe A verursachte Infektion der Faszien und des Subkutangewebes. Im Unterschied zum selten intensivmedizinisch zu behandelnden Erysipel verläuft die Entzündung in tiefen Hautschichten und kann schwere toxische Schocksyndrome verursachen. Neben Streptokokken finden sich insbesondere auch anaerobe Erreger sowie Mischinfektionen; hier sind Peptostreptokokken, Bacteroides spp., E. coli, Klebsiellen und Staphylokokken zu nennen. Auslöser sind zumeist Hautverletzungen, die das Eindringen der Pathogene in das Gewebe ermöglichen, jedoch ist nur bei 10– 40% aller Patienten ein erinnerliches Trauma oder eine Hautläsion zu erfragen.
Klinik Die Diagnose der nekrotisierenden Fasziitis basiert auf der typischen klinischen Präsentation mit dem Bild einer schweren systemischen Infektion. Hauptbetroffene Körperareale sind die Extremitäten sowie der Körperstamm, jedoch kann die Infektion prinzipiell überall auftreten. Lokal kann sich ein Erythem sowie eine Schwellung zeigen, auch findet sich oft eine livide Verfärbung. Im weiteren Verlauf können sich konfluierende Blasen, auch hämorrhagisch, als Zeichen der fortschreitenden Infektion bilden (. Abb. 65.1). Aufgrund der Nekrosen im Gewebe kann es sowohl zur relativen Schmerzfreiheit kommen als auch zu stärksten Schmerzen bei noch unauffälligem Hautbefund. Bei klinischem Verdacht auf eine Fasziitis kann zur Diagnosesicherung sowie zur Gewinnung von Material zur mikrobiologischen
Untersuchung eine Probe mittels Einspritzen von steriler Flüssigkeit subkutan und konsekutiver Flüssigkeitsaspiration erfolgen. Hieraus kann im Gram-Präparat ein Nachweis von Bakterien erfolgen, dies schließt eine Infektion bei negativem Befund jedoch nicht aus sondern dient lediglich der Bestätigung.
Therapie Die Therapie der nekrotisierenden Fasziitis muss in enger Zusammenarbeit von Intensivmediziner und Chirurgen erfolgen, da sowohl die systemische Inflammation als auch die Lokaltherapie entscheidend sind. Seitens der Chirurgie ist ein ausgiebiges Débridement notwendig, um ein Fortschreiten der Infektion zu verhindern. Intraoperativ sollte in jedem Falle ein Gram-Präparat angefertigt werden, hierdurch ist oft bereits das Keimspektrum einzugrenzen. Die antibiotische Therapie muss sowohl gegen grampositive Erreger als auch gegen Anaerobier eingeleitet werden, bis eine zielgerichtete Therapie nach Abstrich/Antibiogramm durchgeführt werden kann. Hier bietet sich z. B. eine Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum wie Piperacillin/Combactam oder einem Carbapenem an. Zusätzlich sollten Clindamycin und Penicillin G gegeben werden, um eine Unterbrechung der Toxinbildung zu ermöglichen. Die meist notwendige rekonstruktive Chirurgie sollte erst nach Stabilisierung des Patienten sowie vollständiger Infektfreiheit erfolgen.
Prognose Der wichtigste die Prognose bestimmende Faktor ist die Zeit bis zur Diagnosestellung und dem Beginn einer chirurgischen Intervention. Die Mortalität der Patienten ist hoch, in Studien werden Zahlen zwischen 7% und 25% genannt. > Die Diagnose einer nekrotisierenden Fasziitis wird hauptsächlich durch das klinische Bild bestimmt. Die rasche mikrobiologische Diagnostik und chirurgische Intervention bestimmen das Überleben maßgeblich.
65.2.4
Gasbrand
Ähnlich der nekrotisierenden Fasziitis ist die Krankheit durch eine rasche bakterielle Invasion und Destruktion von Gewebe gekennzeichnet. Auch hier sind eine rasche Diagnosestellung und chirurgische Versorgung wegweisend für den weiteren Ablauf der Erkrankung
Epidemiologie Der häufigste Erreger der Gasbrandinfektion ist Clostridium perfringens, ein obligat anaerobes, sporenbildendes Bakterium. Es ist ubiquitär z. B. im Erdreich vorhanden, sodass Infektionen jederzeit auftreten können. Seltener finden sich Clostridium septicum, Clostridium novyi sowie weitere Clostridienspezies. Therapeutisch ergeben sich hieraus keine Konsequenzen, wenn auch die Pathogenität teilweise differiert. Bedingt durch die Verbreitung des Erregers finden sich Infekte meist nach Verletzungen, die die Invasion der Sporen in das Gewebe ermöglichen. Hier sind z. B. Messerstichverletzungen oder schwere Verkehrsunfälle zu nennen. Bei postoperativen Infektionen nach z. B. orthopädischer Versorgung stammen die Sporen meist aus dem endogenen Erregerreservoir des Patienten, da diese auch über mehrere Jahre nach Verschleppung in das Gewebe noch zur Infektion führen können.
. Abb. 65.1 Nekrotisierende Fasziitis
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Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
Pathogenese
Prognose
Clostridium perfringens erhält seine Pathogenität durch die Bildung von Toxinen. Mehrere Studien haben die Gefährlichkeit des α-Toxins nachgewiesen, das mit einer Wirkung als Phospholipase C sowie Sphingomyelinolase zur lokalen Gewebsdestruktion führt. Das Θ-Toxin bildet zudem Lysine, die z. T. Granulozyten zerstören. Werden die Toxine in den Blutkreislauf aufgenommen, kommt es zur systemischen Reaktion im Sinne einer septischen Kreislaufsituation. Die Aggregation von Thrombozyten in den infizierten Arealen führt zum Bild der fehlenden Blutung bei der operativen Versorgung [8].
Die Mortalität der Gasbrandinfektion ist hoch und wird in Studien zwischen 67–100% angegeben. Meist führt die Infektion über das Multiorganversagen innerhalb von 24 h zum Tod. Ist der primäre Befall an den Extremitäten nachweisbar, so ist das Überleben besser als bei Stamminfektionen.
Klinik und Diagnostik
Epidemiologie
Ist eine Weichteilinfektion mit stärksten Schmerzen mit einem Hautemphysem verbunden, so muss an eine Gasbrandinfektion gedacht werden. Es lassen sich typischerweise Krepitationen im Gewebe palpieren, die teilweise auch radiologisch nachweisbar sind. Typischerweise treten die Beschwerden zunehmend nach einem initialen Trauma mit einer Inkubationszeit von wenigen Stunden bis zu 3 Tagen auf. Es kommt zur ödematösen Hautschwellung, teilweise mit bronzener Verfärbung; zudem treten systemische Infektionszeichen wie Somnolenz, Tachykardie, Tachypnoe, im weiteren Verlauf dann auch Hypotonie auf. Laborchemisch lassen sich Zeichen der disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung nachweisen, es kommt zum septischen Schock oft in Kombination mit einem Multiorganversagen. Im Gegensatz zur Fasziitis greift die Infektion auch die tieferliegenden Muskelschichten an und führt hier über die Toxinwirkung zur Destruktion des Gewebes. Innerhalb weniger Stunden breitet sich die Infektion in der Tiefe weiter aus. Die Magnetresonanztomographie kann sehr sensitiv das Befallsmuster im Gewebe nachweisen, ist jedoch bei schwerkranken Patienten oft nur mit Schwierigkeiten einzusetzen, zudem nicht überall zeitnah verfügbar. Die Computertomographie kann daher ebenfalls zur Eingrenzung des Weichteilschadens eingesetzt werden. Sonographisch lassen sich das Gewebsödem sowie Lufteinschlüsse und Flüssigkeitsverhalte nachweisen.
Infektionen mit dem Influenzavirus unterliegen einer saisonalen Schwankung. In Mitteleuropa kommt es alljährlich im Winter zu einem Anstieg der Infektionen. Besonders gefährdet sind Patienten mit Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen, Immunsuppression, hohem sowie sehr jungem Alter (Säuglinge). In Deutschland wird die Zahl der jährlichen Todesfälle, die mit Influenza assoziiert sind, auf etwa 13.000 geschätzt. Noch höhere Zahlen finden sich in Jahren, in denen neue Virustypen zirkulieren, gegen die nur eine geringe Kreuzimmunität besteht. Neben der saisonalen Influenza treten immer wieder neue Virusstämme auf, die von tierischen Wirten auf den Menschen übergreifen. Bekannte Wirte für das Influenza-A-Virus sind Vögel, Schweine, Pferde sowie kleinere Säugetiere. Gelegentlich kommt es zur Vermischung von humanen mit tierspezifischen Virusstämmen, sodass neue Antigene in die Zirkulation eintreten (sog. Antigen-Shift). Sobald sich diese Stämme durch Anpassung im Menschen dann von Mensch zu Mensch übertragen können, besteht die Gefahr einer stärkeren Epidemie oder gar Pandemie, da für diese Virusstämme kaum Immunität vorhanden ist. In den letzten Jahren wurde zunächst die aviäre Influenza, seit 2009 die »Schweinegrippe« bzw. »Neue Grippe« als Pandemierisiko eminent. Der derzeitigen aviären Influenza ist der Sprung zur weitverbreiteten Menschzu-Mensch Übertragung bisher jedoch nicht gelungen.
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> Stärkste Schmerzen trotz äußerlich wenig auffälligem Hautbefund sollten an eine Gasbrandinfektion denken lassen.
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Therapie
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Wichtigste therapeutische Maßnahme ist auch hier die chirurgische Versorgung des infizierten Areals mit großzügigem Débridement. Oft kann eine Amputation einer betreffenden Extremität bei weitreichendem Befall nicht verhindert werden. Flankierend wird eine antibiotische Therapie mit hochdosiertem Penicillin G bis zu 20–30 Mio. Einheiten empfohlen. Auch hier gilt, dass eine adjuvante Therapie mit Clindamycin zu empfehlen ist. Kann eine Mischinfektion nicht ausgeschlossen werden, so sollte die Therapie wie bei der nekrotisierenden Fasziitis mit einem begleitenden Breitbandantibiotikum durchgeführt werden. Ansonsten gelten die gleichen Regeln zur Versorgung eines Patienten im septischen Schock mit Flüssigkeitssubstitution sowie weiterer adjuvanter Therapie. Der Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie hat in experimentellen Studien einen sehr positiven Effekt gehabt, die klinische Studienlage bleibt aber kontrovers. Sollte eine hyperbare Sauerstofftherapie logistisch ohne die Gefahr längerer Transportwege, die bei Intensivpatienten stets risikobehaftet sind, möglich sein, so sollte sie durchgeführt werden.
65.3
Virale Infektionen
65.3.1
Influenza
Neue Grippe H1N1. Im Jahr 2009 trat im Rahmen eines AntigenShifts eine neue Grippevariante in die Zirkulation ein. Aufgrund fehlender Immunität entwickelte sich hieraus eine weltweite Pandemie mit insgesamt geringer Mortalität, die höchste Warnstufe der World Health Organization konnte im August 2010 wieder aufgehoben werden. Im Rahmen dieser neuen Influenza zeigten sich andere Risikofaktoren im Vergleich zur saisonalen Influenza, die mit einer erhöhten Mortalität einhergehen. So sind jüngere Personen, Schwangere sowie Übergewichtige besonders gefährdet. In einer kanadischen Studie lag das Durchschnittsalter der Personen, die intensivmedizinisch betreut werden mussten, bei 32 Jahren, die 90-Tage-Mortalität bei 17,3%, die Rate der invasiven Beatmung bei 81%. Ähnliche Zahlen werden auch aus anderen Regionen gemeldet [9].
Klinik Die klassische Präsentation einer Influenza stellen plötzlicher Krankheitsbeginn, hohes Fieber, schwere Allgemeinsymptome (Kopfschmerzen, Muskelschmerzen) sowie respiratorische Beschwerden wie Husten, Schnupfen und Heiserkeit dar. Die wichtigste Komplikation ist die Pneumonie, je nach Virustyp dominiert hier entweder die Influenzapneumonie oder bakterielle Superinfektionen. Bei respiratorischem Versagen kann dann eine Intensivtherapie notwendig sein. Bei der neuen Influenza H1N1 sind diese Komplikationen selten, jedoch eher bei jüngeren Menschen aufge-
827 65.3 · Virale Infektionen
treten. Primäre Influenzapneumonien waren zu ca. 66% Ursache des respiratorischen Versagens.
. Tab. 65.5 Medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei Influenza
Diagnostik
Medikament
Dosierung Kinder
Erwachsene
Besonderheiten
Amantadin
5 mg/kg KG bis 150 mg in 2 Dosen
2×100 mg
Nur oral verfügbar Schnelle Resistenzentwicklung Wirkung nur gegen Influenza A
Oseltamivir
2×2 mg/ kg KG bis 40 kg, sonst 2×75 mg
2×75 mg
Nur oral verfügbar
Bei wachen, kooperationsfähigen Patienten kann der Nachweis des Virus aus Rachenspülwasser durchgeführt werden. Alternativ kann ein hoher Nasen-Rachen-Abstrich durchgeführt werden. Hierzu stehen verschiedene Schnelltests zur Verfügung, die jedoch bei einer Sensitivität zwischen 40% und 80% den Ausschluss einer Influenza nur eingeschränkt ermöglichen. Insbesondere bei niedriger Viruslast versagen diese Tests. Eine sensitivere Methode ist der Nachweis mittels Nukleinsäureamplifikation, die nicht nur aufwendiger, sondern auch teurer und nicht überall zeitnah verfügbar ist. Beim intubierten Patienten kann die Diagnostik aus einer bronchoalveolären Lavage durchgeführt werden, jedoch kann auch hier Rachenspülwasser oder Trachealsekret verwendet werden.
Rimantadin
Nur oral verfügbar Schnelle Resistenzentwicklung Wirkung nur gegen Influenza A
> Bei einem Direktnachweis der klassischen Influenzaerreger ist der Erkrankungsfall meldepflichtig nach § 7 Infektionsschutzgesetz, zudem der Tod bei H1N1-Infektion.
Therapie Antivirale Substanzen gegen Influenza A und B sind Neuraminidasehemmer wie Oseltamivir und Zanamivir, gegen Influenza A auch Amantadin und Rimantadin. Aufgrund einer schnellen Resistenzentwicklung gegen Letztgenannte wird der Einsatz nur bei fehlender Verfügbarkeit von Neuraminidasehemmern empfohlen. Oseltamivir ist nur oral verfügbar, während Zanamivir als inhalative Therapie angewendet wird. Die Anwendung bei invasiv beatmeten Patienten als Verneblung ist derzeit nicht evaluiert. Eine gute Wirksamkeit ist bei Einsatz innerhalb der ersten 48 h nach Symptombeginn nachgewiesen, sodass bei begründetem Verdacht mit entsprechender Exposition eines Risikopatienten die Therapie auch kalkuliert begonnen werden sollte. Hierdurch kann eine Reduktion der Krankheitsdauer erreicht werden; der Nachweis der Reduktion von schweren Komplikationen ist bisher aufgrund der geringen Fallzahl in Studien nicht gesichert. Bei schweren Verläufen mit respiratorischer Insuffizienz sollte immer eine Kombinationstherapie mit einer antibiotischen Therapie erfolgen. Die Details zeigt . Tab. 65.5. Neuere Substanzen, die auch eine intravenöse Therapie erlauben, sind derzeit in der klinischen Erprobung. Resistenzen gegen Neuraminidasehemmer wurden beobachtet, sodass wie bei konventionellen Antibiotika der Einsatz rational und zeitlich begrenzt erfolgen sollte. Die normale Therapiedauer liegt bei 5 Tagen, kann in schweren Fällen aber verlängert werden. Nebenwirkungen der Therapie sind meist gering und betreffen v. a. den Gastrointestinaltrakt.
Prävention Jedes Jahr wird ein neuer Impfstoff gegen die saisonale Influenza im Herbst zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Kinetik der Impfantwort und Dauer sollte die Impfung möglichst im Oktober/November stattfinden. Im Umfeld des Gesundheitswesens dient die Impfung nicht primär dem Schutz des Personals, sondern soll die Infektion Gefährdeter verhindern. Dies sollte sowohl dem ärztlichen als auch dem pflegerischen Personal vermittelt werden, um einer geringen Impfrate zu begegnen. Sollte es zur Exposition mit infektiösem Material kommen, so kann eine medikamentöse Prophylaxe mit Oseltamivir durchgeführt werden; dies sollte jedoch gegen die möglichen Nebenwirkungen abgewogen werden.
Zanamivir
Nicht verfügbar
2×10 mg
Nur inhalativ verfügbar
Bei nachgewiesener Influenzainfektion muss eine Isolation des Patienten erfolgen, möglichst sollte eine eigene Belüftung zur Verfügung stehen. Der individuelle Schutz sollte in Form von Schutzkittel, Atemmaske und Handschuhen erfolgen. Bei Influenzastämmen, die ein Pandemierisiko beinhalten, sollte eine Atemmaske der Schutzklasse FFP3 verwendet werden. Die Versorgung des Patienten sollte möglichst nur durch geimpftes Personal erfolgen. Die Infektiosität eines Patienten besteht in der Regel bis zu 7 Tage nach Erkrankung, jedoch sind bei Immunsupprimierten auch längere Virusausscheidungen beobachtet worden.
65.3.2
Varizella zoster
Epidemiologie Während die Varizelleninfektion bei Kindern meist ohne Komplikationen verläuft, kann die Erstinfektion im Erwachsenenalter zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Vermutlich 3–5% aller Erwachsenen bis 40 Jahre besitzen keine Immunität. Für den Intensivmediziner sind die zerebralen Beteiligungen mit Enzephalitis, aber auch die Varizellenpneumonie von Bedeutung, die mit hoher Frequenz zur Beatmungspflicht führt und bei bis zu 20% der Erwachsenen auftritt. Als Risikofaktoren für eine Varizellen-Pneumonie konnten männliches Geschlecht sowie Nikotinkonsum in mehreren Studien identifiziert werden [10].
Erreger Das Varizella-zoster-Virus gehört zur Gruppe der Herpesviren und wird auch als humanes Herpesvirus 3 (HHV3) bezeichnet. Das Virus ist doppelsträngig, membranumhüllt und sehr eng mit dem Herpes-simplex-Virus verwandt.
Diagnose Wichtiges Instrument in der Diagnose der Varizelleninfektion ist eine genaue Anamnese, in der eine fehlende Varizelleninfektion in der Kindheit erfragt werden muss, zudem sollte der Kontakt zu erkrankten Kindern erfragt werden. Die zweite Komponente stellt
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Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
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die körperliche Untersuchung dar, bei der ein makulopapulöses bis vesikuläres Exanthem Anlass zur spezifischen Diagnostik geben sollte. Die Kombination einer Pneumonie mit virustypischen Veränderungen in der Bildgebung der Lunge (noduläre Veränderungen sowie Zeichen der interstitiellen Pneumonie) sowie Virusnachweis z. B. mittels Nukleinsäureamplifikation aus einer bronchoalveolären Lavage (oder auch Liquor bei Verdacht auf Enzephalitis) sichern die Diagnose. Die serologische Antwort ist in der akuten Phase der Erkrankung meist nicht schnell genug, der Nachweis spezifischer IgG kann jedoch eine vorangegangene Varizelleninfektion anzeigen und somit die Erstinfektion und eine dadurch bedingte Pneumonie unwahrscheinlich machen.
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> Die rasche Diagnose gelingt mit Nachweis der Hautveränderungen sowie einer genauen Anamnese.
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Therapie
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Die Therapie der komplizierten Varizelleninfektion im Erwachsenenalter sollte mit Aciclovir erfolgen, eine intravenöse Therapie sollte mit 5–10 mg/kg KG über 7–10 Tage verabreicht werden. Die Datenlage bezüglich einer zusätzlichen Gabe von Kortikosteroiden ist widersprüchlich, mehrere retrospektive Studien konnten eine schnellere Verbesserung der Beatmungsparameter zeigen, während andere Studien keinen Vorteil nachweisen konnten [11–12]. Die Entscheidung sollte daher situativ erfolgen. Bei immunsupprimierten Personen sollte die Gabe von Varizella-zoster-Immunglobulinen erwogen werden, dies gilt auch für schwer erkrankte Erwachsene in der Frühphase. Randomisierte Studien liegen hierzu jedoch nicht vor. Die Gabe von Acetylsalicylsäure sollte aufgrund der Gefahr eines Reye-Syndroms vermieden werden.
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Prävention
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Die Impfung von seronegativen Personen ist die beste Methode, die Erkrankung im Erwachsenenalter zu verhindern. Eine spezielle Isolation eines Patienten mit Varizellenpneumonie muss nicht erfolgen; es sollte jedoch sichergestellt werden, dass nur Personen mit nachgewiesener Immunität die Behandlung übernehmen, da die Kontagiosität sehr hoch ist. Zudem sollten bei direktem Kontakt mit dem Patienten Schutzhandschuhe getragen werden, da nosokomiale Epidemien beschrieben und immunsupprimierte Patienten besonders gefährdet sind. Postexpositionell sollte bei diesen Patienten die Gabe von Varizella-zoster-Immunglobinen erfolgen.
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65.3.3
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Zytomegalovirus (CMV)
Zytomegalovirus (CMV), das größte Virus, das Menschen infizieren kann, gehört zur Betaherpesgruppe. Die CMV-Primärinfektion verläuft meistens asymptomatisch, wobei bei jungen Erwachsenen ein mononukleoseähnliches Krankheitsbild beobachtet werden kann. Die Prävalenz der Infektion in der allgemeinen Bevölkerung wird auf 60–70% in den westlichen Ländern und bis 100% in einigen Gebieten von Afrika geschätzt. Sowohl die Primärinfektion als auch die Reaktivierung aus der latenten Infektion können bei Patienten mit zellulärer Immundefizienz zu schweren klinischen Manifestationen führen. In den ersten Monaten nach Organtransplantation weist die CMV-Pneumonie eine hohe Mortalität auf [13]. Bei Patienten mit fortgeschrittener und unbehandelter HIV-Infektion stehen dagegen CMV-Retinitis, Darm- und Zentralnervensystembefall als Krankheitsmanifestationen im Vordergrund.
Erreger Das CMV-Genom besteht aus einer linearen doppelsträngigen DNA. Die 230 vom Virus kodierten Proteine dienen sehr unterschiedlichen Zwecken, zur Virusaufnahme in die Zellen, zur viralen Replikation, zur Downregulierung des menschlichen Immunsystems und Latenzbildung. Im Gegensatz zu γ-Herpesviren (EpsteinBarr-, humanes Herpesvirus 8) besteht für CMV kein Hinweis auf ein onkogenes Potenzial, da CMV in vitro weder Zellen immortalisieren noch die DNA-Proliferation stimulieren kann.
Klinik Die klinische Manifestation der CMV-Infektion hängt v. a. vom Schweregrad der Immundefizienz ab. Vor einem spezifischen Organbefall können über Tage oder Wochen Abgeschlagenheit, Fieber, leichte Anämie, Thrombozytopenie und Erhöhung der Transaminasen im Vordergrund stehen. Akute CMV-Infektion. Die Primärinfektion im frühen Erwachsenenalter kann wie eine Mononukleose mit Fieber, Halsschmerzen, Lymphadenopathien, Splenomegalie, Lymphozytose im peripheren Blutbild und Erhöhung der Lebertransaminasen verlaufen. Beim immunkompetenten Individuum sind interstitielle Pneumonie, schwere Hepatitis, Meningoenzephalitis, Guillain-Barré-Syndrom, Myokarditis und hämolytische Anämie seltene Komplikationen. CMV-Infektion und HIV. In der Ära der kombinierten antiretroviralen Therapie ist eine schwere Reaktivierung der CMV-Infektion selten geworden. Diese opportunistische Infektion tritt typischerweise als späte Komplikation von Aids bei einer CD4-Zellzahl <100/ μl, nach einer oder mehreren vorhergehenden opportunistischen Infektionen auf. Am häufigsten klagen die Patienten über progressiven Visusverlust wegen einer nekrotisierenden Retinitis. In der Frühphase beobachtet man im Augenfundus weißliche Infiltrate mit oder ohne Hämorrhagie v. a. in der peripheren Retina. Ohne CMV-spezifische Behandlung führt die Infektion zur progressiven Destruktion der Retina mit irreversiblem Visusverlust. Interessanterweise kann auch beim asymptomatischen HIV-infizierten Patienten mit CD4 <100/μl wenige Wochen nach Beginn einer antiretroviralen Therapie eine Visusverschlechterung eintreten. Es handelt sich dabei um ein sog. inflammatorisches Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS) mit Retinitis und Vitritis von unterschiedlichem Schweregrad. Pathophysiologisch handelt sich um einen beginnenden, häufig kaum erkennbaren CMV-Befall der Retina. Wegen der raschen Verbesserung der CMV-spezifischen Immunantwort unter antiretroviraler Behandlung kommt es zu einer starken lokalen Entzündungsreaktion. Zur Behandlung dieses Syndroms kommen sowohl antivirale Substanzen als auch Steroide zum Einsatz. Eine weitere charakteristische CMV-Manifestation bei Patienten mit Aids ist die Polyradikulopathie. Typisch ist eine aszendierende Schwäche der unteren Extremitäten mit Verlust der Sehnenreflexe und später der Blasen- und Darmkontrolle. In 1–6 Wochen tritt eine zunehmende schlaffe Paralyse auf. Die CMV-Enzephalitis, mit charakteristischem periventrikulärem Befall in der zerebralen Magnetresonanz, war häufig eine präterminale Aids-Manifestation vor der Zeit der kombinierten antiretroviralen Therapie. CMV kann ebenfalls den ganzen Gastrointestinaltrakt involvieren. Aids-Patienten können sowohl eine Dysphagie wegen Ösophagusulzera wie auch eine explosive wässrige bis blutige Diarrhö wegen des Kolonbefalls entwickeln. CMV-Infektion nach Transplantation. Die immunsuppressive Therapie bei hämatopoietischer Stammzelltransplantation (HSCT) oder nach Organtransplantation geht mit dem Risiko einer schwe-
829 65.3 · Virale Infektionen
ren CMV-Infektion einher. Gleichzeitig erhöht eine aktive CMVInfektion das Risiko der Organabstoßung. Die Intensität der Immunsuppression bestimmt den Schweregrad der CMV-Infektion. Medikamente wie Ciclosporin und Azathioprin können auch als Monotherapie zu einer CMV-Reaktivierung führen, wobei Azathioprin in Kombination mit hochdosierten Steroiden das Risiko wesentlich erhöht. Die Anwendung vom OKT3-Antiserum zur Behandlung der Organabstoßung kann ebenfalls zu einer schweren CMV-Krankheit führen. Seronegative Organempfänger können die CMV-Infektion durch die Organspende akquirieren und haben dann das höchste Risiko einer CMV-Erkrankung. Unabhängig vom Serostatus des Spenders kann es beim CMV-seropositiven Empfänger wegen der Immunsuppression zu einer klinisch manifesten CMV-Reaktivierung kommen. Eine CMV-Pneumonie in den ersten 4 Monaten nach HSTC ist mit einer höheren Mortalität als nach einer Nierentransplantation behaftet. Dabei könnte eine gleichzeitig auftretende Graft-versushost-Reaktion zur Schwere des Krankheitsbildes beitragen. Die CMV Krankheit trägt ebenfalls zur Morbidität in den ersten 14 Wochen nach Lebertransplantation, v. a. beim seropositiven Spender, bei. Klinisch dominieren hohes und andauerndes Fieber, erhöhte Leberenzyme und Hyperbilirubinämie. Die Leberbiopsie ist die einzige sichere diagnostische Methode, um zwischen CMV-Infektion und Abstoßungsreaktion zu unterscheiden und um eine korrekte sowie organrettende Therapie einzuleiten. Nach Nierentransplantation ist die CMV-Infektion meistens weniger schwerwiegend als nach Lebertransplantation. Im Gegensatz zur häufig asymptomatischen Reaktivierung beim CMVseropositiven Nierenempfänger führt die Primärinfektion beim seronegativen Empfänger und positiven Spender zu Fieber, Myalgien, Arthralgien, Hepatosplenomegalie, Leukopenie, Lymphozytose und atypischen Lymphozyten.
Diagnose Bei der akuten Infektion kann man spezifische IgM-Antikörper mit einem ELISA-Test nachweisen. Diese können aber zusammen mit dem später auftretenden IgG-Antikörper Monate oder sogar Jahre persistieren. Es ist darum bei der Interpretation der CMV-Serologie bei einem unklaren Krankheitsbild immer Vorsicht geboten. Die Detektion von pp65-Antigen in Granulozyten mit monoklonalen Antikörpern war für Jahre eine wichtige Grundlage der CMV-Diagnostik. Die Mehrheit der klinischen Laboratorien bietet heute eine quantitative molekularbiologische Diagnostik, basierend auf der Technologie der Polymerasekettenreaktion (PCR). Eine positive PCR im Liquor ist ein starker Hinweis auf einen CMV-Befall des zentralen Nervensystems. Die positive PCR im EDTA-Blut ist dagegen in Abwesenheit einer schweren zellulären Immundefizienz, z. B. beim schwerkranken Patienten auf der Intensivpflegestation, schwieriger zu interpretieren. Dabei handelt es sich häufig um eine
unspezifische CMV-Reaktivierung. Die Notwendigkeit der Behandlung mit antiviralen Substanzen ist in diesen Fällen umstritten. Ein ähnliches diagnostisches Conundrum bietet die positive CMV-PCR in der bronchoalveolären Lavage bei Verdacht auf CMV-Pneumonie. CMV-Pneumonien treten in aller Regel nur bei allogen stammzelltransplantierten Patienten auf. Die spezifischste, aber wenig sensitive diagnostische Methode ist die Histologie. Das Vorhandensein von aufgeblasenen Zellen mit klassischen intranukleären Inklusionen im Gewebe gilt als Goldstandard in der Diagnose der klinisch signifikanten CMV-Infektion.
Therapie Zur Behandlung der schweren CMV-Infektionen können verschiedene antivirale Substanzen eingesetzt werden, die in . Tab. 65.6 mit entsprechendem Dosierungsschema präsentiert werden. Wenn die CMV-Krankheit bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion oder nach Organtransplantation diagnostiziert wird, ist die Indikation der Behandlung immer gegeben. Bei immunkompetenten Patienten ist der Schweregrad des Verlaufs für den möglichen Einsatz antiviraler Substanzen bestimmend. Ganciclovir ist aktiv gegen alle Herpesviren und wird als Mittel der 1. Wahl in der Behandlung der CMV-Infektion eingesetzt. Für die Aktivierung braucht es einen ersten Phosphorylierungsschritt durch ein Virusenzym, das vom UL97-Gen kodiert wird. Ganciclovirmonophosphat wird dann durch menschliche Enzyme zum Triphosphat umgewandelt. Eine Mutation im CMV UL97-Gen führt zur Ganciclovirresistenz, die nach längerer oder wiederholter Behandlung von immunkompromittierten Patienten beobachtet wird. Valganciclovir ist der Valinesther von Ganciclovir. Es ist durch eine gute orale Bioverfügbarkeit charakterisiert (ca. 68%) und hat Ganciclovir v. in der Erhaltungstherapie weitgehend ersetzt. Häufigste Nebenwirkungen von Ganciclovir und Valganciclovir sind Neutropenie und Trombozytopenie. Als Alternative zu Ganciclovir und Valganciclovir steht Cidofovir zur Verfügung. Es braucht keinen Phosphorylierungschritt durch virale Enzyme und ist darum aktiv gegen Ganciclovir-resistente CMV-Stämme. Wegen der langen intrazellulären Halbwertszeit kann Cidofovir einmal wöchentlich in der Induktionsphase (2 Wochen) und dann alle 2 Wochen verabreicht werden. Der Nierentoxizität mit irreversibler Schädigung des proximalen Tubulus kann durch Gabe von Probenecid vorgebeugt werden. Foscarnet, ein direkter Hemmer der CMV-Polymerase, ist ebenfalls gegen Ganciclovir-resistente CMV wirksam. Da in vitro eine synergistische Wirkung von Ganciclovir mit Foscarnet gezeigt wurde, kann der kombinierte Einsatz beider Substanzen bei schweren Fällen erwogen werden. Wegen der schlechten subjektiven Verträglichkeit und signifikanter Nephrotoxizität wird Foscarnet selten verschrieben. Die antivirale Prophylaxe oder präventive Therapie bei Nachweis von CMV-DNA im Blut kann die Inzidenz der CMV-Infektion bei transplantierten Patienten wesentlich senken. Ganciclovir i.v.,
. Tab. 65.6 Antivirale Therapie der CMV-Infektion Medikament
Substanz
Induktionstherapie* (erste 2 Wochen)
Erhaltungstherapie*
Ganciclovir
Guanosinanalog (Nukleosid)
5 mg/kg KG, 2× täglich i.v.
5 mg/kg KG, 1× täglich
Valganciclovir
Valinester von Ganciclovir
900 mg, 2× täglich p.o.
900 mg (2 Tbl.), 1× täglich
Cidofovir
Cytosinanalog (Nukleotid)
5 mg/kg KG, 1× pro Woche i.v.
5 mg/kg KG, 1× alle 2 Wochen
Foscarnet
Pyrophosphatanalog
90 mg/kg KG, 2× täglich in 2 Dosen (über mindestens 2 h)
90–120 mg/kg, 1× täglich
a Die
Dosierung muss bei Niereninsuffizienz angepasst werden. Cidofovir ist bei Niereninsuffizienz kontraindiziert.
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Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
Valganciclovir p.o. sowie Valacyclovir p.o. werden zu diesem Zweck eingesetzt, hochtitrige CMV-spezifische Immunglobuline in der Therapie der CMV-Pneumonie. Die Transplantationszentren verfügen über die aktuellen Protokolle zur CMV-Prävention.
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65.3.4
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Tollwut ist eine virale Enzephalomyelitis, die, einmal ausgebrochen, trotz modernster Intensivbehandlung in praktisch 100% der Fälle zum Tode führt. Aus diesem Grund ist die Prävention von höchster Bedeutung [14].
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Tollwut
Erreger und Epidemiologie Das klassische Tollwutvirus infiziert verschiedene Säugetiere, wobei in Europa v. a. der Hund und der Fuchs, in den USA auch Fledermäuse für die Übertragung auf den Menschen verantwortlich sind. Weltweit sterben pro Jahr zwischen 50.000 und 100.000 Menschen an der Tollwut, wobei die meisten Fälle in Indien und China vorkommen. Deutschland gilt seit 2008 als tollwutfrei, jedoch sterben in Europa (zumeist Osteuropa) bis zu 10.000 Menschen/Jahr. Im Jahr 2004 wurde die Übertragung an 4 Patienten durch Organtransplantation dokumentiert.
Klinik Der Mensch wird durch den Biss eines tollwütigen Tieres infiziert. Das Virus gelangt in periphere Nervenendigungen, von dort aus in das zentrale Nervensystem und verursacht hier eine Enzephalitis. Die Inkubationszeit der Tollwut ist, in Abhängigkeit von der Lokalisation der Wunde, unterschiedlich und beträgt zwischen 3 Wochen und 3 Monaten. In seltenen Fällen kann die Inkubationszeit auch 1 oder mehrere Jahre dauern. Nach einem Prodromalstadium von 2–10 Tagen mit Müdigkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Fieber treten die ersten neurologischen Symptome auf. Ein Teil der Patienten klagt über Schmerzen und Parästhesien im Bereich der Wunde. Nachfolgend imponieren Hyperaktivität, Verwirrtheit, Halluzinationen und Anfälle mit Agitiertheit (Exzitationsphase). Als Ausdruck der Dysautonomie beobachtet man Hyperthermie, Tachykardie, Blutdruckschwankungen und Hypersalivation. Als klassisches Zeichen kann auch die Hydrophobie, d. h. Auftreten von schweren lokalen Spasmen beim Versuch, Wasser zu trinken, kombiniert mit Angst auftreten. Die Exzitationsphase wird von der paralytischen Phase abgelöst, bei der die Patienten zunehmende Lähmungen entwickeln, gefolgt von einem progredienten Koma. Die Krankheit führt praktisch immer in 1–2 Wochen zum Tod.
Diagnose Vor Auftreten der typischen klinischen Zeichen ist die Diagnose einer Tollwutinfektion praktisch unmöglich, sodass sich die Verdachtsdiagnose insbesondere aus dem Verhalten eines auffälligen Tieres ergibt. Das Virus kann mittels Immunfluoreszenz aus Hautoder Nervengewebebiopsien, oder mit RT/PCR (»reverse transcriptase polymerase chain reaction«) im Speichel sowohl beim Menschen als auch im Tier nachgewiesen werden. Ist eine Untersuchung des verursachenden Tieres möglich, so sollte die entsprechende Diagnostik durchgeführt werden. Andere Verfahren wie Liquoruntersuchungen, die oft eine mononukleäre Pleozytose zeigen, oder die Magnetresonanzuntersuchung des Gehirns oder das Elektroenzephalogramm zeigen keine krankheitsspezifischen Veränderungen. Andere behandelbare Erkrankungen, wie die Herpes-simplex-Enzephalitis, Tetanus und Vergiftung mit atropinartigen Substanzen, müssen vor der Diagnose einer Tollwut ausgeschlossen werden.
Behandlung Es gibt keine wirksame Behandlung der Tollwut. Eine amerikanische Expertengruppe empfiehlt für Erkrankte folgendes Protokoll: aktive Tollwutimpfung, Antitollwutimmunglobulin, intravenöses oder intraventrikuläres Ribavirin, intravenöses oder intraventrikuläres Interferon α. Die einzige Person, die eine symptomatische Tollwut überlebt hat, wurde mit neuroprotektiven Maßnahmen, Ribavirin i.v. und Amantadin p.o. behandelt [15]. Die Postexpositionsprophylaxe muss so früh wie möglich erfolgen. Die Entscheidung, ob diese bei der Art von Exposition indiziert ist, hängt von der lokalen Epidemiologie ab. Ist eine Tollwutexposition möglich, muss sofort eine kombinierte postexpositionelle aktive und passive Impfung gemäß Angaben der Impfstoffhersteller durchgeführt werden. Das Antitollwutimmunglobulin wird teils periläsionell im Bereich der Wunde, teils intramuskulär injiziert.
Prävention Verschiedene inaktivierte Tollwutimpfstoffe stehen zur aktiven Immunisierung zur Verfügung. Die Impfung sollte bei Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko wie z. B. Laborpersonal, Tierärzte, Wildhüter und Jäger in Endemiegebieten etc. durchgeführt werden. Die Impfung kann auch für Personen, die für mehr als einen Monat im Ausland in ein Endemiegebiet reisen, empfohlen werden. Nach einer tollwutverdächtigen Exposition wird auch bei Geimpften eine postexpositionelle aktive Immunisierung empfohlen.
65.3.5
Virale hämorrhagische Fieber
Unter viralem hämorrhagischem Fieber versteht man eine Gruppe von Erkrankungen, die klinisch akut beginnen und mit folgenden Symptomen einhergehen: 4 Fieber, 4 Myalgien, 4 Kopfschmerzen, 4 respiratorische Störungen, 4 gastrointestinale Störungen, 4 Lungenödem, 4 Schock, 4 schwerste Haut- und Schleimhautblutungen. In der Regel werden diese Erkrankungen von Insekten oder Tieren übertragen und in Europa v. a. bei Rückkehrern aus Endemiegebieten beobachtet. Obwohl Ribavirin für einige der Erreger möglicherweise eine wirksame Behandlung darstellt, bleibt die gute intensivmedizinische Betreuung der Komplikationen von zentraler Bedeutung. ! Cave Die hohe Infektiosität, verbunden mit der hohen Virulenz einzelner Erreger, erfordert eine frühe, rigorose und konsequent durchgeführte Isolation im Verdachtsfall.
Erreger, die ein virales hämorrhagisches Fieber auslösen können, sind in . Tab. 65.7 dargestellt.
Gemeinsamkeiten viraler hämorrhagischer Fieber Es handelt sich um sehr akut auftretende Erkrankungen mit hohem Fieber, Multiorganbefall und generalisierten Kapillarschäden, die neben den charakteristischen Haut- und Schleimhautblutungen oft mit einem Lungenödem einhergehen. Todesursache ist in der Regel ein hypovolämischer Schock, z. T. begleitet von einem ARDS. Die meisten Erkrankungen sind Zoonosen und werden eher in ländlichen Gebieten übertragen. Alle viralen hämorrhagischen Fieber ha-
831 65.4 · Parasitäre Infektionen
. Tab. 65.7 Viren, die ein hämorrhagisches Fieber hervorrufen können Virusfamilie
Hauptvertreter
Endemiegebiete
Bunyaviridae
Krim-Kongo-Fieber, verschiedene Hantaviren
Afrika, Südosteuropa, mittlerer Osten und Asien; weltweit
Arenaviridae
Lassavirus, Junin-, Machupo-, Guanaritound Sabiavirus
Westafrika, Südamerika
Filoviridae
Marburg- und Ebolavirus
Zaire, Südsudan, Gabun
Flaviviridae
Gelbfiebervirus, Denguevirus
West- und Zentralafrika, Asien, Teile von Afrika; Zentral- und Südamerika
ben eine Inkubationszeit, die kürzer als 4 Wochen ist. Eine genaue Anamnese kann hierbei Hinweise auf den Erreger liefern. Generell geht es bei der Behandlung darum, die Komplikationen der akuten Phase der Erkrankung zu behandeln, da sich die Patienten in der Regel danach rasch und komplett wieder erholen. Das Hauptproblem ist das Auftreten eines Kapillarlecks mit hypovolämischem Schock und Hämokonzentration, die durch kontrollierte Volumengabe behandelt werden müssen. Ausgedehnte Blutungen führen zu Anämie und Thrombopenie, die durch Blutersatzprodukte korrigiert werden müssen. Eine disseminierte intravasale Gerinnung gehört nicht zur Klinik der viralen hämorrhagischen Fieber, kann aber im Rahmen einer Sekundärkomplikation wie der bakteriellen Sepsis hinzukommen. Lungenödem und ARDS erfordern häufig eine maschinelle Beatmung, und ein Nierenversagen muss durch eine Nierenersatzbehandlung überbrückt werden. Nicht selten treten auch ZNS-Komplikationen mit intrazerebralen Blutungen und Krämpfen auf, weiterhin Herzrhythmusstörungen sowie Leberfunktionsstörungen, v. a. bei Gelbfieber.
Differenzialdiagnose Die folgenden Infektionskrankheiten müssen differenzialdiagnostisch bei einem Patienten mit akuter Krankheit, Fieber und hämorrhagischem Ausschlag in Betracht gezogen werden: eine bakterielle Sepsis mit Purpura fulminans/disseminierter intravasaler Gerinnung, verursacht durch Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae, Staphylococcus aureus, gramnegative Keime, Capnocytophaga canimorsus oder andere Erreger, weiterhin eine Rickettsiose, eine Leptospirose sowie eine Malaria.
Antivirale Behandlung Eine spezifische Behandlungsmöglichkeit besteht in der Gabe von Ribavirin in einer Dosierung von 2 g i. v. als Erstdosis, dann 1 g i. v. alle 6 h für 4 Tage, danach 0,5 g alle 8 h für weitere 6 Tage. Diese Behandlung wird für Lassafieber empfohlen, ist aber möglicherweise auch beim südamerikanischen hämorrhagischen Fieber, dem KrimKongo-Fieber und bei Hantaviren wirksam. ! Cave Weder Austauschtransfusionen noch Steroide scheinen bei viralem hämorrhagischem Fieber wirksam zu sein.
Vorsichtsmaßnahmen im Krankenhaus Diese haben das Ziel, sekundäre Erkrankungsfälle zu vermeiden. An ein virales hämorrhagisches Fieber muss bei jedem Patienten gedacht werden, der innerhalb von 4 Wochen nach der Rückkehr aus einem Endemiegebiet akut Fieber, Allgemeinsymptome und Haut- und Schleimhautblutungen entwickelt.
Patienten, die diese Kriterien – Fieber, Allgemeinsymptome und Haut- und Schleimhautblutungen – erfüllen, sollten hospitalisiert und für 3 Wochen in einem Einzelzimmer, möglichst mit Unterdruckbelüftung, isoliert werden. Die Übertragung findet v. a. durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten statt, möglicherweise auch aerogen. Es empfiehlt sich deshalb das Tragen von Schutzkleidung, Hochleistungsatemschutzmasken, chirurgischen Handschuhen, Kopfbedeckung und Schutzbrille. Sämtliche Körperflüssigkeiten müssen mit den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen behandelt werden. Alle Personen innerhalb des Krankenhauses, die möglicherweise mit kontaminiertem Material in Kontakt kommen könnten, müssen entsprechend informiert und die notwendigen Schutzmaßnahmen sichergestellt werden [16].
Wichtige Kontaktadresse bei Verdacht auf ein virales hämorrhagisches Fieber: 4 Bernhard-Nocht-Institut (BNI), Bernhard-Nocht-Str. 74, D-20359 Hamburg, Tel.: +49/40/42 818 0.
65.4
Parasitäre Infektionen
65.4.1
Malaria
Infektionen mit Plasmodium vivax, ovale und malariae verlaufen auch für Touristen praktisch nie tödlich und können in der Regel ambulant behandelt werden. > Eine schwere Malaria kann durch Infektion mit Plasmodium falciparum und Plasmodium knowlesi ausgelöst werden. Sie führen zu einer Reihe von Komplikationen, die eine Intensivbehandlung erfordern und eine Letalität von 10–50% aufweisen.
An eine Malaria muss bei jedem Patienten mit Fieber gedacht werden, der von einer Tropenreise zurückkehrt [17].
Erreger Plasmodium-falciparum-Sporozoiten infizieren primär Hepatozyten, in denen sie zu Schizonten werden. Nach 1–2 Wochen platzen die infizierten Hepatozyten, und Merozoiten werden in die Blutbahn freigesetzt. In der Phase der Parasitämie treten die typischen klinischen Symptome auf. Im Gegensatz zu P. vivax und P. ovale persistiert P. falciparum nicht in der Leber. Die freigesetzten Merozoiten infizieren die Erythrozyten, reifen zu Schizonten aus und setzen nach Ruptur des Erythrozyten erneut Merozoiten frei. Es ist mit einer Inkubationszeit von 7 Tagen bis zu mehreren Monaten (im Mittel 2 Wochen) zu rechnen, insbesondere bei einer unvollständig aktiven Chemoprophylaxe.
Epidemiologie Plasmodium falciparum ist der häufigste Erreger einer Malaria in Afrika, Haiti, in verschiedenen Ländern Südamerikas, in Südostasien und in Neuguinea, während P. vivax häufiger auf dem indischen
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Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
Subkontinent auftritt. Weitere humanpathogene Plasmodien sind P. ovale, P. malariae und P. knowlesi. P. knowlesi, der kürzlich in Malaysia beschrieben wurde, kann zu einer hohen Parasitämie und schwerem klinischem Verlauf führen. Der wiederholte Kontakt mit dem Parasiten führt zu einer partiellen Immunität, die einige Jahre nach Verlassen des Endemiegebiets wieder verschwinden kann. Neben der Übertragung durch Anophelesmücken kann die Krankheit selten durch Bluttransfusionen, kontaminierte Kanülen, Organtransplantation und transplazentar übertragen werden. In Europa werden die meisten Fälle bei Tropenrückkehrern und Ausländern aus Endemiegebieten beobachtet.
Pathogenese Bei der Ruptur der Schizonten werden vom Parasiten Stoffe freigesetzt, die zur Makrophagenstimulation und der Freisetzung von Interleukin 1, Tumornekrosefaktor α und anderen proinflammatorischen Zytokinen führen. Parasitenhaltige Erythrozyten adhärieren zudem im Bereich der Venolen verschiedener Organe, insbesondere des Gehirns, der Nieren, des Darms, der Plazenta, der Skelettmuskulatur und der Leber. Folge davon sind Ischämie, Hypoxie und anaerobe Glykolyse, verbunden mit einer erhöhten Laktatproduktion.
. Tab. 65.8 Kriterien für eine schwere (=komplizierte) Malaria. Definitionsgemäß genügt ein Kriterium Klinische Kriterien
5 Krämpfe, Somnolenz, Koma (zerebrale Beteiligung) 5 Arterielle Hypotonie bis zum Schock 5 Hohe respiratorische Frequenz, Kussmaul-Atmung 5 Ikterus 5 Wiederholtes Erbrechen 5 Hyperpyrexie (>40° C) 5 Extreme Schwäche
Laborparameter
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Parasitämie >5 % Disseminierte intravasale Gerinnung Hämoglobinurie (intravasale Hämolyse) Blutglukose <2,8 mmol/l (<50 mg/dl) Kreatinin >250 μmol/l (>3 mg/dl) Hämoglobin <7 g/dl Bilirubin >40 μmol/l (>3 mg/dl) arterieller pH-Wert <7,2
Diagnose Klinik Eine schwere bzw. komplizierte Malaria besteht bei Vorhandensein von mindestens einem der in Tab. 66.8 aufgelisteten Kriterien. Patienten mit schwerer Malaria werden so rasch wie möglich auf eine Intensivstation aufgenommen und mit Chinin behandelt. ZNS. Die klinischen Zeichen einer zerebralen Malaria sind Be-
wusstseinsstörungen, generalisierte Krämpfe und Augenmotilitätsstörungen. Das Auftreten einer Dezerebrierungsstarre und Retinablutungen sind Ausdruck einer schlechten Prognose. Überlebende können nach einigen Tagen aus dem Koma erwachen und haben nur selten neurologische Folgeschäden. Ein schwerer Verlauf ist v. a. bei kleinen Kindern, schwangeren Frauen, älteren Patienten, Immunsupprimierten und bei Asplenie zu erwarten. Bei Vorhandensein von zerebralen Symptomen müssen unbedingt andere Ursachen wie virale oder bakterielle Meningoenzephalitiden ausgeschlossen werden. ! Cave Eine Hypoglykämie kann Symptome eines zerebralen Befalls nachahmen und tritt gehäuft als Nebenwirkung unter Therapie mit Chinin und Chinidin auf. Herz, Kreislauf und Lunge. Das akute Lungenödem ist eine ge-
fürchtete Komplikation, v. a. bei Fällen mit hoher Parasitämie und bei schwangeren Patientinnen. Hypotonie und Schock können Ausdruck einer Dehydratation bei Fieber, einer akuten Blutung oder einer gramnegativen Sepsis, die nicht selten als Komplikation einer Malaria auftritt, sein. Eine Laktatazidose ist Ausdruck der Gewebehypoxie. Niere und Leber. Etwa 33% der Patienten mit schwerer Malaria
entwickeln Nierenfunktionsstörungen, die bis zur akuten Tubulusnekrose führen können. Der Ikterus ist Ausdruck der intravasalen Hämolyse, kombiniert mit einer Hepatozytendysfunktion. Blutgerinnung. Leichtere Störungen der Blutgerinnung mit Akti-
vierung der plasmatischen Gerinnung oder Thrombozytopenie sind häufig. Eine disseminierte intravasale Gerinnung kann bei schwerer Malaria vorkommen.
Die Diagnostik beginnt mit einer detaillierten Reise- und Prophylaxeanamnese. Sobald als möglich müssen dicke und dünne Blutausstriche angefertigt werden, um die Diagnose zu stellen. Ein einmaliger negativer Ausstrich schließt eine Malaria nicht aus, vielmehr sollten weitere Ausstriche alle 6–8 h, wenn möglich bei Schüttelfrost und Fieberanstieg, abgenommen werden. Falls mindestens 3 Ausstriche negativ sind, wird die Diagnose Malaria unwahrscheinlich. Fälle von zerebraler Malaria mit negativem peripherem Ausstrich sind jedoch beschrieben worden. Aufgrund der Morphologie kann im Ausstrich oft die Artdiagnose gestellt und die Parasitendichte in % der befallenen Erythrozyten quantifiziert werden. Bei einer Parasitendichte von >2% sollte eine engmaschige, d. h. 6-stündliche Kontrolle der Parasitendichte durchgeführt werden. Schnelltests, die den Nachweis von Plasmodiumantigenen ermöglichen, erleichtern das Screening, ersetzen aber die morphologische Diagnostik nicht. Die Differenzialdiagnose der Malaria erfasst v. a. Influenza, Typhus, bakterielle Sepsis, Dengue, akute Schistosomiase, Leptospirose, Infektion durch Rickettsia sp., Borrelia recurrentis und Gelbfieber.
Therapie Die in der 7 Übersicht dargestellten allgemeinen Behandlungsrichtlinien gelten für Patienten mit schwerer Malaria.
Allgemeine Behandlungsempfehlungen für Patienten mit schwerer Malaria 4 Verlegung des Patienten auf die Intensivstation. 4 Lumbalpunktion bei klinischem Verdacht auf Beteiligung des Zentralnervensystems. 4 Berechnung der Medikamentendosierung aufgrund des Körpergewichts und schnellstmöglicher Beginn mit einer Antimalariachemotherapie. 4 Regelmäßige Kontrolle der Laborparameter, insbesondere Blutglukose und arterielle Blutgasanalyse, Laktatkonzentration, Parasitämie, Thrombozyten, Gerinnungsparameter und Nierenfunktion. 6
833 65.5 · Infektionen unter iatrogener Immunsuppression
4 Sorgfältige Überwachung des intravasalen Volumenstatus; hier ist oft die Anlage eines zentralvenösen Katheters (oder eines Pulmonalarterienkatheters) erforderlich. Vorsichtige Flüssigkeitszufuhr, um das Auftreten eines Lungenödems zu verhindern. 4 Überwachung der Körpertemperatur: Einsatz von physikalischen Mitteln, kombiniert mit Antipyretika bei schwerer Hyperthermie. 4 Blutkulturen zum Ausschluss einer begleitenden Bakteriämie oder Sepsis anderer Ursache, frühzeitiger Einsatz von Breitspektrumantibiotika bei Verdacht auf Sepsis. 4 Kontrolle der Urinproduktion, meist durch Einlage eines Urinkatheters. 4 Kontrolle des spezifischen Gewichts und der Natriumkonzentration im Urin.
Die Behandlung einer komplizierten Malaria, bei der entweder Plasmodium falciparum nachgewiesen wurde oder die Artdiagnose noch nicht erfolgte, wird in der Regel parenteral mit Chinin durchgeführt. Für Chinindihydrochlorid wird das in der 7 Übersicht dargestellte Dosierungsschema empfohlen.
Empfohlenes Dosierungsschema für Chinindihydrochlorid 4 Initialdosis 7 mg/kg KG Chinindihydrochlorid (Salz) über 30 min in 100 ml Glukose 5% i. v. 4 Unmittelbar anschließend 10 mg/kg KG über 4 h in 250 ml Glukose 5% i. v. 4 Die Maximaldosis von 2,5 g Chinindihydrochlorid sollte am 1. Tag nicht überschritten werden. 4 Danach 10 mg/kg KG i. v. in 250 ml Glukose 5% über 4 h, 3× pro Tag, d. h. alle 8 h. 4 Nach 48–72 h und günstigem Verlauf kann die Tagesdosis auf 1,8 g, d. h. 3× 600 mg pro Tag, reduziert werden. 4 Bei günstigem Verlauf kann auf eine perorale Behandlung mit Chininsulfat 3× 600 mg/Tag p. o. für 7 Tage, kombiniert mit Doxicyclin 200 mg/Tag p. o., gewechselt werden.
Austauschtransfusion. Bei sehr hoher Parasitämie (>15%) und bei
schwerer disseminierter intravasaler Gerinnung muss eine Austauschtransfusion erwogen werden. Die von der World Health Organisation publizierten Richtlinien für die Behandlung der schweren Malaria können unter http://apps. who.int/malaria/treatmentguidelines.html heruntergeladen werden.
Prävention Die Malariaprävention basiert auf dem Vermeiden eines Kontakts mit dem Moskitovektor und der medikamentösen Prophylaxe. Verschiedene Impfpräparate sind zurzeit in klinischer Prüfung.
65.5
Im Rahmen des zunehmenden Einsatzes von potenten Immunsuppressiva nehmen auch die Komplikationen dieser Therapien zu. Neben malignen stehen infektiöse Erkrankungen im Vordergrund. Diese weichen im Erregerspektrum häufig von denjenigen des vorab »gesunden« Patienten ab, sodass eine besondere Diagnostik notwendig ist. Auch die klinische Symptomatik eines immunsupprimierten Patienten ist oft weniger ausgeprägt oder vollständig divergierend. > Die klinische Symptomatik von immunsupprimierten Patienten ist initial oft milde, bevor dann eine rasche Dekompensation stattfindet. Fieber und andere Zeichen der Infektion können vollständig fehlen.
Im Folgenden wird auf die Diagnostik bzw. die zu erwartenden Infektionsarten eingegangen, die in verschiedenen Szenarien typisch sind. Hierbei bleiben Infektionserreger unberücksichtigt, gegen welche keine spezifische Therapie vorhanden ist und bei denen sich aus der Diagnostik somit keine therapeutische Relevanz ergibt. Auch wird der Schwerpunkt auf solche Infektionen gelegt, die auf der Intensivstation zu finden sind. Bezüglich der spezifischen Therapie wird auf die entsprechenden weiterführenden Kapitel verwiesen. Es wird die Immunsuppression nach solider Organtransplantation, bei hämatoonkologischen Erkrankungen sowie bei Autoimmunerkrankungen im weitesten Sinne unterschieden.
65.5.1 Als Alternative zur Chinindihydrochlorid können Artemisininderivate (Artesunate, Artemether) zuerst parenteral und per os, nach Angaben des Herstellers eingesetzt werden. Schwangerschaft. Die Therapie erfolgt bevorzugt mit Chinin; zu-
sätzlich sollte ein Gynäkologe in die Betreuung einbezogen werden. Anstelle von Doxycyclin wird bei Schwangeren Clindamycin 5 mg/ kg KG 3× pro Tag angewandt. ! Cave Die Behandlung in der Schwangerschaft ist besonders risikoreich, da vermehrt schwere Hypoglykämien, ein Lungenödem oder ein Abort auftreten können. Nebenwirkungen. Die wichtigsten Nebenwirkungen von Chinin
sind: Tinnitus, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrhythmusstörungen und Krämpfe. Bei Überdosierung kann Aktivkohle per os gegeben werden.
Infektionen unter iatrogener Immunsuppression
Infektionen nach Organtransplantation
Je nach der Zeitspanne, die seit der Organtransplantation vergangen ist, wandelt sich das erwartete Erregerspektrum abhängig vom Grad der Immunsuppression (. Tab. 65.9; [13]). ! Cave Bei Patienten, die Abstoßungsreaktionen durchgemacht und somit eine Intensivierung der immunsuppressiven Therapie erhalten haben, kann sich dieser Zeitrahmen entsprechend verschieben.
65.5.2
Infektionen bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen/ rheumatologischen Erkrankungen
Im zunehmenden Maße werden immunsuppressive Therapien bei Patienten mit rheumatologischen, autoimmunen oder anderen Erkrankungen eingesetzt, z. B. bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, rheumatoider Arthritis oder Kollageno-
65
834
65 65
Kapitel 65 · Spezifische Infektionen
. Tab. 65.9 Infektionen nach Organtransplantation Zeitraum
Infektionen/Erreger
1. Monat
Nosokomiale Infektionen (7 Kap. 64) 5 Multiresistente Erreger (MRSA, VRE) 5 Wundinfektion 5 Katheterinfektionen Vom Fremdspender übertragene Infektionen (sehr selten) 5 HIV, HSV, Tollwut, West-Nil-Virus, Trypanosomen, Rabies, LCMV
65 65 65
65 65 65 65
65 65 65 65 65 65 65
Herpes simplex
Enzephalitis, Meningitis
Toxoplasmose
Vigilanzminderung, neurologische Symptomatik
Tuberkulose
Landouzy-Sepsis, Miliartuberkulose
Reaktivierung latenter Infektionen: 5 CMV 5 HSV Pneumonien
Literatur 1 2
sen. Gemeinsam ist allen Erkrankungen, dass eine zunehmende immunsuppressive Therapie durchgeführt wird. Hierzu zählen sowohl die Substanzen, mit denen bereits langjährig Erfahrung besteht wie z. B. Steroide, Cyclophosphamid, Azathioprin oder auch Methotrexat, als auch neue insbesondere antikörperbasierte Therapien. Zunehmende Bedeutung erlangt derzeit die Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie, die insbesondere in diesem Patientenkollektiv mit hoher Mortalität verbunden ist. Diese sollte somit differenzialdiagnostisch immer in Erwägung gezogen werden. Bezüglich weiterer Pneumonien unter Immunsuppression 7 Kap. 39. Neben der Infektion mit opportunistischen Erregern kann es auch in diesem Risikokollektiv zur Reaktivierung latenter Infektionen kommen. Fatale Ausgänge sind z. B. im Rahmen einer fulminanten Hepatitis B oder auch einer Tuberkulosesepsis beschrieben (. Tab. 65.10).
65.5.3
65
Leberversagen
>6 Monate
65 65
Hepatitis B
In der weiteren Diagnostik Nachweis von säurefesten Stäbchen und Diagnose einer Landouzy-Sepsis mit Befall von Darm, Nieren und der Lunge. Ein Tuberkulin-Hauttest vor Beginn der immunsuppressiven Therapie war negativ geblieben.
65
65
Komplikation
Pneumocystis jiroveci Hepatitis-B/C-Infektion Virale Infektionen (HSV, CMV, VZV, EBV) Listerien Nokardien Toxoplasmose
65
65
Erkrankung
2.–6. Monat
65
65
. Tab. 65.10 Komplikationen bei chronischen Erkrankungen unter Immunsuppression
Infektionen bei hämatoonkologischen Erkrankungen/ Knochenmarkstransplantation
Insbesondere bei Patienten nach Knochenmarktransplantation in der Phase der Neutropenie können bakterielle Infektionen mit der Folge einer Sepsis auftreten. Das Erregerspektrum ist hier selbst im Vergleich zu anderen immunsupprimierten Personen deutlich erweitert. Neben ZNS-Infektionen stehen Pneumonien im Vordergrund. Es wird auf den entsprechenden Abschnitt im 7 Kap. 39 verwiesen.
3
4
5
6
7 8 9 10
11 12 13 14 15 16
Beispiel. Vorstellung einer 34-jährigen Patientin in der Notaufnah-
me mit Husten, Dyspnoe und zunehmender Allgemeinzustandsverschlechterung. Vor wenigen Wochen Beginn einer Therapie mit Prednisolon sowie Chloroquin bei Verdacht auf Kollagenose mit positiven antinukleären Antikörpern (ANA) bei Gelenkbeschwerden und Hautveränderungen. Trotz rascher Einleitung einer antibiotischen Therapie bereits wenige Stunden nach Aufnahme weitere respiratorische Verschlechterung und Beginn einer invasiven Beatmung. Bei rascher Eskalation der Beatmungsparameter Verlegung in ein Zentrum, bei Lungenversagen Beginn einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) sowie Hochfrequenzbeatmung.
17
Institut, R.K., Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2007. 2009, Robert Koch Institut Prasad, K. and M.B. Singh, Corticosteroids for managing tuberculous meningitis. Cochrane Database Syst Rev, 2008 (1): CD002244 Erbes, R., et al., Characteristics and outcome of patients with active pulmonary tuberculosis requiring intensive care. Eur Respir J, 2006. 27 (6): 1223–8 Scheiring, J., S.P. Andreoli, and L.B. Zimmerhackl, Treatment and outcome of Shiga-toxin-associated hemolytic uremic syndrome (HUS). Pediatr Nephrol, 2008. 23 (10): 1749–60 Mukherjee, J., et al., Human Stx2-specific monoclonal antibodies prevent systemic complications of Escherichia coli O157:H7 infection. Infect Immun, 2002. 70 (2): 612–9 Scheiring, J., A. Rosales, and L.B. Zimmerhackl, Clinical practice. Today‘s understanding of the haemolytic uraemic syndrome. Eur J Pediatr, 2010. 169 (1): 7–13 Golger, A., et al., Mortality in patients with necrotizing fasciitis. Plast Reconstr Surg, 2007. 119 (6): 1803–7 Stevens, D.L., The pathogenesis of clostridial myonecrosis. Int J Med Microbiol, 2000. 290 (4–5): 497–502 Kumar, A., et al., Critically ill patients with 2009 influenza A (H1N1) infection in Canada. JAMA, 2009. 302 (17): 1872–9 Jones, A.M., N. Thomas, and E.G. Wilkins, Outcome of varicella pneumonitis in immunocompetent adults requiring treatment in a high dependency unit. J Infect, 2001. 43 (2): 135–9 Adhami, N., et al., Effect of corticosteroids on adult varicella pneumonia: cohort study and literature review. Respirology, 2006. 11 (4): 437–41 Mer, M. and G.A. Richards, Corticosteroids in life-threatening varicella pneumonia. Chest, 1998. 114 (2): 426–31 Fishman, J.A., Infection in solid-organ transplant recipients. N Engl J Med, 2007. 357 (25): 2601–14 Plotkin, S.A., Rabies. Clin Infect Dis, 2000. 30 (1): 4–12 Willoughby, R.E., Jr., et al., Survival after treatment of rabies with induction of coma. N Engl J Med, 2005. 352 (24): 2508–14 From the Centers for Disease Control and Prevention. Update: management of patients with suspected viral hemorrhagic fever–United States. JAMA, 1995. 274 (5): 374–5 Pasvol, G., Management of severe malaria: interventions and controversies. Infect Dis Clin North Am, 2005. 19 (1): 211–40
Internetadressen Robert Koch-Institut [www.rki.de] Bernhard-Nocht-Institut [www.bni-hamburg.de/] Paul-Ehrlich-Gesellschaft [www.pei.de ] World Health Organization [www.who.gov]
835
Intensivtherapie bei HIV-Infektion B. Salzberger
66.1
Einleitung – 836
66.2
Diagnostik und Stadien der HIV-Infektion – 836
66.2.1 66.2.2
Diagnostik – 836 Stadieneinteilung – 836
66.3
Antiretrovirale Therapie auf der Intensivstation – 836
66.3.1 66.3.2 66.3.3
Einleitung und Fortsetzung der antiretroviralen Therapie – 836 Inflammatorisches Immunrekonstitutionsyndrom (IRIS) – 838 Postexpositionsprophylaxe der HIV-Infektion – 838
66.4
Pulmonale Manifestationen der HIV-Infektion – 838
66.4.1 66.4.2
Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie – 838 Bakterielle Pneumonien und andere pulmonale Manifestationen – 839
66.5
ZNS-Manifestationen bei HIV-Infektion – 840
66.5.1 66.5.2 66.5.3
Zerebrale Toxoplasmose – 840 Kryptokokkenmeningitis – 840 Andere – 840
66.6
Gastrointestinale Komplikationen – 840
66.7
Andere Komplikationen – 841 Literatur – 841
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_66, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
66
836
66 66 66 66 66 66 66 66 66 66
66.1
66.2
Diagnostik und Stadien der HIV-Infektion
66.2.1
Diagnostik
66
66 66 66 66 66 66
Einleitung
In den ersten Jahren der AIDS-Epidemie war die Behandlung von HIV-assoziierten Komplikationen mit einer ICU-Mortalität von 80–90% verknüpft [6]. Mit der rascheren Diagnose und besseren Therapie zuerst der opportunistischen Erkrankungen und der HIVInfektion verbesserte sich die Prognose deutlich [9]. Heute ist die Langzeitprognose HIV-infizierter Patienten mit einer wirksamen antiretroviralen Therapie am ehesten vergleichbar mit der anderer chronischer Erkrankungen [1]. Damit hat sich auch das Spektrum der zum Intensivaufenthalt führenden Erkrankungen geändert: Opportunistische Erkrankungen sind seltener und nicht-HIV-assoziierte, wie z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen, häufiger geworden. Da sich die intensivmedizinische Betreuung von HIV-infizierten Patienten bei diesen Erkrankungen nicht von denen anderer Patienten unterscheidet, werden hier nur die spezifisch HIV-assoziierten Erkrankungen behandelt. Opportunistische Erkrankungen sind durch die moderne antiretrovirale Therapie sehr viel seltener geworden, sie treten jedoch immer noch als Primärmanifestation der HIV-Infektion auf und führen dann auch häufig zu einem schweren und intensivpflichtigen Verlauf [12]. Patienten, deren HIV-Infektion erst durch schwere Komplikationen oder bei weit fortgeschrittenem Immundefekt entdeckt wird, machen einen Anteil von ca. 25% aller Erstdiagnosen der HIV-Infektion aus.
66
66
Kapitel 66 · Intensivtherapie bei HIV-Infektion
Die Diagnose der HIV-Infektion kann durch Nachweis von Antikörpern oder Virusbestandteilen erfolgen. Sie wird in der Regel gestellt mittels eines ELISA-Tests, der HIV-1- und HIV-2-Antikörper sowie HIV-Antigen nachweisen kann. Die sehr hohe Sensitivität des ELISA bedingt eine niedrige Spezifität, deshalb ist eine Bestätigung im Immunfluoreszenz- bzw. Western-Blot-Test notwendig. Ein direkter Virusnachweis mittels PCR, besonders bei unklarer Serologie und Verdacht auf Primärinfektion, kann ebenfalls die Diagnose sichern. ! Cave Patienten mit einer HIV-Infektion haben v. a. während der oft langjährigen klinischen Latenzzeit ein völlig unauffälliges Routinelabor. Ein normales Labor schließt eine HIV-Infektion nicht aus! Mögliche Hinweise (meist spät) sind eine Lymphopenie und eine polyklonale Gammopathie.
66 66.2.2
66
Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Klassifikation der CDC (. Tab. 66.1). Hierzu gehört die Messung der CD4-Zellzahl im peripheren Blut als wichtigster Marker des Immunstatus. Im natürlichen Verlauf der HIV-Infektion schließt sich an eine symptomatische (7 unten.) oder asymptomatische primäre HIV-Infektion häufig eine langjährige klinische Latenzphase an. Erst bei deutlicher Verminderung der CD4-Zellzahl kommt es dann zum Auftreten von opportunistischen Erkrankungen.
66 66
Eine symptomatische primäre HIV-Infektion tritt etwa bei 20–30% aller Infizierten auf. Dabei kommt es 3–6 Wochen nach Erstinfektion zu einem mononukleoseähnlichen Krankheitsbild mit sehr unterschiedlicher Ausprägung. Neben Fieber, einem generalisierten makulopapulösem Exanthem und schwerem Krankheitsgefühl können auch generalisierte Lymphknotenschwellungen vorhanden sein. Im Labor findet sich eine Lymphozytose mit Reizformen, eine mäßige Erhöhung der Transaminasen und LDH sowie eine Thrombopenie. Zur Intensivaufnahme können v. a. die neurologischen Komplikationen (Meningitis oder Guillain-Barré-Syndrom), seltener eine Blutungsneigung bei Thrombopenie, führen [11]. Bei schweren Komplikationen durch eine primäre HIV-Infektion kann eine antiretrovirale Therapie erwogen werden, eine Verbesserung der Langzeitprognose durch einen derart frühen Therapiebeginn ist bisher jedoch nicht nachgewiesen [4].
66.3
Antiretrovirale Therapie auf der Intensivstation
66.3.1
Einleitung und Fortsetzung der antiretroviralen Therapie
Eine Therapie der HIV-Infektion ist mit dem Auftreten einer opportunistischen Erkrankung klar indiziert, ebenso beim Auftreten HIV-assoziierter Symptome. Eine weitere Indikation ist bei asymptomatischen Patienten beim Unterschreiten der Grenze von 350 CD4/mcl gegeben [4]. So ist praktisch immer bei einer HIVassoziierten Erkrankung als Ursache des Intensivaufenthalts die Notwendigkeit einer antiretroviralen Therapie gegeben. Diese muss nicht notfallmäßig sofort, sollte aber rasch, d. h. innerhalb von ca. 10 Tagen nach Auftreten der Komplikation begonnen werden. Die einzige Ausnahme ist hier die Tuberkulose. Gerade bei der Tuberkulose ist das Risiko einer paradoxen Reaktion (IRIS, 7 Abschn. 66.3.2) besonders hoch. Deshalb sollte hier in aller Regel die antiretrovirale Therapie frühestens nach ca. 8 Wochen Therapie der Tuberkulose eingesetzt werden. Für die Initialtherapie sind mehrere Kombinationen sinnvoll und empfohlen (. Tab. 66.2). Eine einmal eingeleitete antiretrovirale Therapie wird auch auf der Intensivstation fortgeführt. Eine Unterbrechung birgt das Risiko für eine Resistenzentwicklung bzw. ein Therapieversagen und sollte nur in gut begründeten Ausnahmesituationen (z. B. schwere Nebenwirkungen) erfolgen. Auf die entsprechenden Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten muss dabei geachtet werden [7, 10] (. Tab. 66.3). . Tab. 66.1 Staging der HIV-Infektion nach dem Schema der Centers of Disease Control (CDC), USA
66
66
Primäre HIV-Infektion
Stadieneinteilung
Klinische Manifestationen/ CD4-Zellzahl
A=Asymptomatisch oder Lymphadenopathie oder primäre HIV-Infektion
B=Mindere klinische Manifestation, z. B. oraler Soor
C=Definitive opportunistische Erkrankung, z. B. PcP oder KaposiSarkom
1≥500 CD4/mcl
A1
B1
C1
2=200–500 CD4/ mcl
A2
B2
C2
3≤200 CD4/mcl
A3
B3
C3
837 66.3 · Antiretrovirale Therapie auf der Intensivstation
. Tab. 66.2 Antiretrovirale Therapie: Indikationen, Kombinationen und Postexpositionsprophylaxe
a
Indikationen zur Therapie [4]
Klare Indikation: 5 Alle Patienten mit symptomatischer HIV-Infektion, z. B. alle mit klinischem Stadium C, nahezu alle mit klinischem Stadium B 5 Asymptomatische Patienten mit eingeschränktem Immunsystem, definiert durch CD4-Zellzahl ≤350 CD4/ mcl Indikation nicht sicher: 5 Primäre HIV-Infektion 5 Asymptomatische Patienten mit CD4-Zellzahl > 350 CD4/mcl
Primär empfehlenswerte Kombinationen [4]
Kombination zweier Nukleosidanaloga, z. B. Fixkombinationen 5 Tenofovir + Emtricitabin oder 5 Abacavir a+Lamivudin plus 5 Nichtnukleosidaler Inhibitor der RT, z. B. Efavirenz oder 5 mit Ritonavir pharmakologisch geboosteter Proteaseinhibitor, z. B. Lopinavir, Fosamprenavir, Darunavir, Atazanavir
Postexpositionsprophylaxe [5]
Indikation: 5 Parenteraler oder Schleimhautkontakt mit potenziell HIV-infiziertem Material, z. B. Nadelstichverletzung, Blutspritzer ins Auge oder auch ungeschützter sexueller Kontakt mit sicher HIV-infizierter Person Durchführung: 5 Tenofovir + Emtricitabin oder 5 Zidovudin + Lamivudine Jeweils plus 5 Lopinavir/r (Kombinationspräparat) oder 5 Efavirenz
Vorherige Bestimmung von HLA-B5701 zur Vermeidung des Hypersensitivitätssyndroms.
. Tab. 66.3 In der Intensivmedizin relevante Neben- und Wechselwirkungen einer antiretroviralen Therapie der wichtigsten Substanzen Substanz/-Gruppe
Relevante NW
Metabolismus
Potenzielle Interaktionen (Beispiele)
Tenofovir
CK n, Kreatinin n (selten)
Renale Elimination
Potenziell: Cotrimoxazol, Aciclovir, Cidofovir Ganciclovir, Amphotericin B über renale Elimination
Abacavir
Hypersensitivitätssyndrom (HLAB5701 assoziiert)
Hepatische Elimination (keine Induktion oder Hemmung von CYP-Enzymen)
Potenziell: Rifampicin, Ganciclovir
Zidovudin
Anämie, Leukopenie
Renale Elimination
Mögliche Verstärkung von Nebenwirkungen mit Ganciclovir, Zytostatika
Emtricitabin
NW sehr selten, Schlafstörungen
Renale Elimination
Kaum Interaktionen
Lamivudin
NW sehr selten, Schlafstörungen
Renale Elimination
Kaum Interaktionen
Efavirenz
Schlafstörungen, Hautausschlag, Depression (selten), Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert durch CYP 3A4 u. a. (Induktion und Inhibition)
Rifampicin, Statine, Coumarine u. a.
Nevirapin
Hautausschlag, Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert durch CYP 3A4 u. a. (Induktion und Inhibition)
Rifampicin, Statine, Coumarine u. a.
Diarrhö Triglyzeride n Cholesterin n Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert, v. a. durch CYP 3A4, starke Inhibition
Rifampicin, Statine, Coumarine, Azole, Ciclosporin u. a.
Nukleosid/Nukleotidanaloga
NNRTI
Proteaseinhibitorena Lopinavir/r
66
838
Kapitel 66 · Intensivtherapie bei HIV-Infektion
. Tab. 66.3 Fortsetzung
66
Substanz/-Gruppe
Relevante NW
Metabolismus
Potenzielle Interaktionen (Beispiele)
Fosamprenavir/r
Diarrhö Triglyzeride n Cholesterin n Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert, v. a. durch CYP 3A4, starke Inhibition
Rifampicin, Statine, Coumarine, Azole, Ciclosporin u. a.
Darunavir/r
Diarrhö (seltener) Triglyzeride n Cholesterin n Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert, v. a. durch CYP 3A4, starke Inhibition
Rifampicin, Statine, Coumarine, Azole, Ciclosporin u. a.,.
Atazanavir/r
Diarrhö (seltener) Triglyzeride n Cholesterin n (seltener) Leberenzyme n
Hepatisch metabolisiert, v. a. durch CYP 3A4, starke Inhibition
Rifampicin, Statine, Coumarine, Azole, Ciclosporin u. a., Inhibition von Adsorption bei gleichzeitiger PPI-Gabe
66 66 66 66 66 66 a
66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66 66
Jeweils mit pharmakologischer Boosterung. Für potenzielle Interaktionen Interaktionsdatenbanken konsultieren [7].
66.3.2
Inflammatorisches Immunrekonstitutionsyndrom (IRIS)
Kurz nach Einführung der antiretroviralen Kombinationstherapie wurden bei einigen Patienten unübliche klinische Verläufe von opportunistischen Erkrankungen unter einer eingeleiteten antiretroviralen Therapie beobachtet. Mittlerweile sind solche Verläufe für nahezu alle opportunistischen und sogar für Autoimmunerkrankungen beschrieben. Allen diesen Verläufen ist eine paradoxe klinische Verschlechterung nach Beginn einer antiretroviralen Therapie gemein, z. B. einer Verschlechterung einer Tuberkulose oder auch das Auftreten einer neuen opportunistischen Infektion bzw. einer Autoimmunerkrankung. Alle diese Verläufe werden unter dem Begriff des inflammatorischen Immunrekonstitutionssyndroms (IRIS) zusammengefasst. Das Risiko eines IRIS ist besonders hoch, wenn der initiale Immundefekt schwer war und der Zeitpunkt des Auftretens mit einem raschen Anstieg der CD4-Zellzahl im Blut korreliert. Nach dem Verlauf und den gemessenen Zytokinmustern muss am ehesten von einer Aktivierung des angeborenen Immunsystems ausgegangen werden. Welcher genaue Pathomechanismus diesem Syndrom zugrunde liegt, ist aber bisher ungeklärt. Am häufigsten ist eine solche paradoxe klinische Verschlechterung beim Vorliegen einer Tuberkulose, sie kann jedoch auch die Therapie einer PcP komplizieren [2]. Eine prophylaktische Therapie mit Glukokortikoiden reduziert das Risiko und den Schweregrad des IRIS bei gleichzeitiger Tuberkulose, kann aber nicht generell empfohlen werden. ! Cave Bei einer Verschlechterung einer opportunistischen Infektion im zeitlichen Zusammenhang mit der Einleitung einer antiretroviralen Therapie muss neben einem Therapieversagen auch das Auftreten eines IRIS in Betracht gezogen werden.
66.3.3
Postexpositionsprophylaxe der HIV-Infektion
Routinemaßnahmen zur Vermeidung von Infektionen durch Blutbestandteile sind Bestandteil der Hygienemaßnahmen auf jeder Intensivstation. Diese Maßnahmen verhindern auch die Übertragung des HIV mit hoher Sicherheit. Unfälle mit einem parenteralen oder Schleimhautkontakt mit HIV-kontaminiertem Material stellen ein Risiko für eine HIV-Übertragung dar (Übertragung in ca. 0,03% von Fällen mit parenteralem Kontakt). Die Art der Verletzung, das kontaminierte Material und vermutlich auch die Höhe der VirusRNA im Blut haben dabei Einfluss auf das Risiko. So ist z. B. eine perkutane Verletzung mit einem höheren Risiko als ein Schleimhautkontakt verbunden, eine Verletzung mit einer Hohlnadel gefährlicher als eine mit einer Nahtnadel. Aus Kohortenstudien ist bekannt, dass eine Postexpositionsprophylaxe mit antiretroviralen Substanzen das Risiko einer Infektion um ca. 80% mindert, deshalb sollte nach lokalen Maßnahmen eine solche, bestehend aus einer antiretroviralen Dreifachkombination nach entsprechendem Kontakt, angeboten und für 4 Wochen appliziert werden [5] (. Tab. 66.2). Tipp Bei beruflicher HIV-Exposition sollte dringend ein BG-Verfahren eingeleitet werden, damit eine Dokumentation des Unfalls erfolgt und entsprechende Nachuntersuchungen durchgeführt werden. Dies dient v. a. der Sicherheit der Beschäftigten.
66.4
Pulmonale Manifestationen der HIV-Infektion
66.4.1
Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie
Die häufigste pulmonale Manifestation der HIV-Infektion ist die Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PcP). Sie ist außerdem der häufigste Grund für eine Intensivaufnahme bei HIV-Infizierten. Sie tritt auf bei fortgeschrittenem Immundefekt (<200 CD4/mcl). Die Symptome sind Fieber, Dyspnoe und trockener Husten. Im Labor findet sich häufig eine Erhöhung der LDH, grob korreliert
839 66.4 · Pulmonale Manifestationen der HIV-Infektion
mit dem Schweregrad. Radiologisch zeigt sich anfangs eine geringe interstitielle Zeichnungsvermehrung, später ein ausgedehntes, meist bihilär schmetterlingsförmig konfiguriertes Infiltrat. Eine Computertomographie ist dabei sensitiver als die Übersichtsaufnahme (. Abb. 66.1). Pneumocystis jirovecii kann mittels Zytologie bzw. PCR aus der Bronchiallavage nachgewiesen werden. Trotz Fortschritten in der Diagnostik und Therapie liegt die ICU-Mortalität der beatmungspflichtigen PcP bei etwa 25%. Prognostisch ungünstig ist dabei ein hoher Anteil von Granulozyten in der BAL oder ein gleichzeitiger Nachweis von CMV-Virus. Die Standardtherapie ist hochdosiertes Cotrimoxazol, alternativ Pentamidin (. Tab. 66.4). Bei schweren Verläufen verbessert eine adjuvante Therapie mit Glukokortikoiden die Prognose. Ob bei Nachweis von CMV in der BAL eine antivirale Therapie sinnvoll ist, ist nicht klar.Viele Experten sind jedoch der Ansicht, dass dies nicht notwendig und aufgrund der zusätzlichen Toxzität auch nicht sinnvoll ist. Generell sind genuine CMV-Pneumonien bei der HIVInfektion eine extreme Rarität und auch deshalb der pathogenetische Wert eines Nachweises von CMV-Virus oder -DNA in der BAL in dieser Situation unklar. Als Komplikation sind bei der PcP häufig Pneumatozelen vorhanden, die für einen Pneumothorax prädisponieren. Obwohl hierfür keine speziellen Studien vorhanden sind, sollte eine Beatmung bei PcP nach den gängigen Standards des ARDS (mit niedrigen Tidalvolumina) erfolgen [3, 8]
a
b
66.4.2
. Abb. 66.1 Thoraxröntgenaufnahme (a) bzw. Computertomographie des Thorax (b) bei einem Patienten mit HIV-Infektion und Pneumocystisjirovecii-Pneumonie (Abb. von Prof. Dr. S. Feuerbach, Institut für Radiologie, Universitätsklinikum Regensburg, mit frdl. Genehmigung)
Bakterielle Pneumonien und andere pulmonale Manifestationen
Die Häufigkeit von bakteriellen Pneumonien ist bei der HIV-Infektion deutlich erhöht. Die häufigsten Erreger sind S. pneumoniae und H. influenzae. Da hier P. aeruginosa und S. aureus häufige Pathogene sind, sollten diese Erreger bei der empirischen Therapie ebenfalls berücksichtigt werden [3, 8]. Andere spezifische Ursachen für ein respiratorisches Versagen bei HIV-infizierten Patienten können eine Infektion mit M. tuberculosis (7 Kap. 65), Pilzpneumonien, ein Non-Hodgkin-Lymphom,
. Tab. 66.4 Therapie spezifischer Manifestationen der HIV-Infektion Manifestation
Therapieschema
Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie
Therapie der 1. Wahl
Cotrimoxazol (15–20 mg/kg KG Trimethoprim/Tag)
Alternative
Pentamidin 4 mg/kg KG i.v. (je über 21 Tage)
Adjuvante Therapiemaßnahmen
Adjuvante Steroidtherapie mit 2×40 mg Prednison (bei arteriellem pO2 ≤70 mm Hg oder AAd O2 >35 mm Hg): 5 2×40 mgTag 1–5, 5 40 mg Tag 6–10, 5 20 mg Tag 11–15 Beatmung mit niedrigem Tidalvolumen (wie bei ARDS)
Rezidivprophylaxe
Cotrimoxazol (verschiedene Optionen der Dosierung), bis CD4 >200 und HIV-RNA unter der Nachweisgrenze für 3 Monate
Therapie der 1. Wahl
Pyrimethamin 50–100 mg/Tag + Sulfadiazin 4×1–1,5 g/Tag
Alternative
Pyrimethamin 50–100 mg/Tag + Clindamycin 4×600 mg/Tag für 42 Tage
Adjuvante Therapiemaßnahmen
Folinsäure 10–30 mg/Tag
Rezidivprophylaxe
Pyrimethamin 50 mg/Tag + Sulfadiazin 4×0,5–1 g
Zerebrale Toxoplasmose
66
840
66 66
Kapitel 66 · Intensivtherapie bei HIV-Infektion
. Tab. 66.4 Fortsetzung Manifestation
Therapieschema
Kryptokokkenmeningitis
Therapie der 1. Wahl
Amphotericin B 0,7 mg/kg KG/Tag + Flucytosin 4×25 mg/kg KG/Tag für 14 Tage
Alternative
Fluconazol 400–800 mg + Flucytosin 4×25 mg/kg KG/Tag für 14 Tage Danach jeweils Fluconazol 400 mg für 8 Wochen
Adjuvante Therapiemaßnahmen
Entlastung Liquordruck nach Monitoring (bis Öffnungsdruck <200 mm H2O)
Rezidivprophylaxe
Fluconazol 200 mg/Tag p.o., bis CD >200 und HIV-RNA unter der Nachweisgrenze für 3 Monate
Therapie der 1. Wahl
Jeweils für 21 Tage 5 Ganciclovir 2×5 mg/kg KG/Tag i.v.
Alternative
Foscarnet 2×90 mg/kg KG/Tag i.v.
Adjuvante Therapiemaßnahmen
–
Rezidivprophylaxe
Nicht etabliert, möglich: Valganciclovir 480 mg/Tag, bis CD4 >100 und HIV-RNA unter der Nachweisgrenze für 3 Monate
66 66 66 66
CMV-Enzephalitis/ Gastroenteritis/ Kolitis
66 66 66 66
eine HIV-assoziierte pulmonale Hypertonie oder eine kardiale Dekompensation bei HIV-assoziierter Kardiomyopathie darstellen.
66
66.5
ZNS-Manifestationen bei HIV-Infektion
66
66.5.1
Zerebrale Toxoplasmose
66 66 66 66 66 66
Die zerebrale Toxoplasmose entsteht durch eine Reaktivierung intrazerebraler Toxoplasmoseherde. Eine solche Reaktivierung kann vorkommen bei deutlich erniedrigter CD4-Zellzahl (in der Regel <150 CD4/mcl). Die Symptome entstehen durch die Entzündung und Raumforderung. Sie verursachen fokale neurologische Symptome je nach Lokalisation, die meist plötzlich auftreten, seltener Anfälle und systemische Symptome. Die Diagnose wird initial klinisch gestellt durch eine zerebrale Bildgebung (CT bzw. MRT mit Kontrast). Hier zeigen sich ringförmige kontrastmittelanreichernde raumfordernde Läsionen mit perifokalem Ödem. Morphologisch sind diese Läsionen nicht sicher unterscheidbar von einem zerebralen Non-Hodgkin-Lymphom. Falls die Erkrankung auf eine antiparasitäre Therapie (. Tab. 66.4) nicht anspricht, ist eine stereotaktische Biopsie indiziert [3].
66 66 66 66 66 66 66
66.5.2
66.5.3
Andere
Virale Enzephalitiden können durch das assoziierte Koma oder andere schwere neurologische Störungen zur Aufnahme auf die Intensivstation führen. Hier sind v. a. Enzephalitiden mit JC-Virus, CMV, HSV und VZV zu nennen. Während die Enzephalitiden durch Herpesviren häufiger Anfälle und schwere Bewusstseinsstörungen verursachen, präsentiert sich die JC-Virusenzephalitis (auch progressive multifokale Leukenzephalopathie, PML) häufiger mit kognitiven und fokalen neurologischen Störungen. Der Nachweis der Erreger gelingt durch Liquorpunktion und PCR. In der Bildgebung zeigen sich bei den Enzephalitiden durch Herpesviren meist einzelne fokale Läsionen, während die ausgeprägten entzündlichen Veränderungen bei der PML fast pathognomonisch sind. Die Enzephalitiden mit HSV und VZV werden nach den bekannten Schemata behandelt, für die Therapie der CMV-Enzephalitis ist Ganciclovir die 1. Wahl, Foscarnet und Cidofovir sind Alternativen. Eine Therapie der PML ist nicht durch Studien etabliert, in vitro wirkt Cidofovir auf JC-Virus. Eine genuine HIV-Enzephalopathie ist v. a. durch schwerste kognitive Einbußen apparent. Im Liquor zeigt sich ein hoher Nachweis von HIV-RNA und in der Bildgebung eine ausgeprägte Erweiterung der äußeren und inneren Liquorräume. Die Therapie der Wahl ist die antiretrovirale Therapie, durch die oft eine fast vollständige Remission der Klinik erzielt werden kann [3].
Kryptokokkenmeningitis 66.6
Die Kryptokokkenmeningitis ist eine schwer verlaufende Meningitis bei weit fortgeschrittenem Immundefekt (CD4 <100/mcl). Symptome sind Fieber und Kopfschmerzen, ein Meningismus kann vorhanden sein. Der Erreger, Cryptococcus neoformans, ist ubiquitär und verursacht zunächst pulmonale, später disseminierte Infektionen. Die Diagnose wird durch Liquorpunktion gestellt, dabei ist neben der Kultur und dem Nachweis des Kryptokokkenantigens auch ein direkter Nachweis durch Tuschefärbung möglich. Die Therapie der 1. Wahl besteht aus der Kombination von Amphotericin B und Flucytosin, alternativ Fluconazol (. Tab. 66.4). Eine wichtige adjuvante Therapiemaßnahme bei der Kryptokokkenmeningitis ist die Therapie des meist deutlich erhöhten Liquordrucks durch Punktion nach Druckmonitoring [3].
Gastrointestinale Komplikationen
Gastrointestinale Blutungen und seltener Perforationen können durch CMV-Ulzerationen im Ösophagus, Magen, Kolon und seltener Dünndarm auftreten. Endoskopisch zeigen sich ausgestanzte multiple Ulzerationen. Blutungen können ebenfalls durch Schleimhautbefall von Kaposi-Sarkomen entstehen. Eine Remission mukokutaner Kaposi-Sarkome kann durche eine antiretrovirale Therapie weitestgehend gelingen. Nur bei Progression bzw. Nichtansprechen sollte eine zytostatische Therapie angewandt werden. Hepatitiskoinfektionen v. a. mit HCV sind bei der HIV-Infektion häufig und mit einer rascheren Progression zum Leberversagen verbunden. Die Behandlung von hepatologischen Komplikationen
841 Literatur
unterscheidet sich jedoch nicht von der anderer Patienten, eingeschlossen die Lebertransplantation als Ultima ratio [3].
66.7
Andere Komplikationen
Hämatoonkologische Manifestationen der HIV-Infektion können ebenfalls zum Intensivaufenthalt führen. Das Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome ist für nicht antiretroviral behandelte HIV-infizierte Patienten ungefähr um das 200-Fache erhöht. Spezielle Formen, die bei der HIV-Infektion häufiger sind, beinhalten das primäre Pleura- bzw. peritoneale Lymphom, das mit HHV-8 assoziiert ist. Ebenso HHV-8-assoziiert ist das Kaposi-Sarkom, das neben Hautund Schleimhäuten auch innere Organe (Leber, Milz u. a.) befallen kann.
Literatur 1
The Antiretroviral Therapy Cohort Collaboration (2008) Life expectancy of individuals on combination antiretroviral therapy in high-income countries: a collaborative analysis of 14 cohort studies. Lancet 372: 293–9 2 Behrens GM, Meyer D, Stoll M et al. (2000) Immune reconstitution syndromes in human immuno-deficiency virus infection following effective antiretroviral therapy. Immunobiology 202: 186–93 3 Benson CA, Kaplan JE, Masur H et al. (2004) Treating Opportunistic Infections Among HIV Infected Adults and Adolescents. National Center for HIV, STD and Tb Prevention 4 Deutsche AIDS Gesellschaft (DAIG) (2008) Leitlinien zur antiretroviralen Therapie im Erwachsenenalter, 19.01.2010 [erhältlich unter: www.daignet.de/site-ocntent/hiv-therapie/leitlinien-1] 5 Deutsche AIDS Gesellschaft (DAIG) (2008) Postexpositionelle Prophylaxe der HIV-Infektion, 19.01.2010 [erhältlich unter:www.daig-net.de/siteocntent/hiv-therapie/leitlinien-1] 6 Gatell JM, Marrades R, el-Ebiary M et al. (1996) Severe pulmonary infections in AIDS patients. Semin Respir Infect 11: 119–28 7 Liverpool HIV Pharmacology Group (2010) HIV Drug Interactions. Liverpool University [www.hiv-druginteractions.org/] 8 Masur H (2006) Management of patients with HIV in the intensive care unit. Proc Am Thorac Soc 3: 96–102 9 Morris A, Wachter RM, Luce J et al. (2003) Improved survival with highly active antiretroviral therapy in HIV-infected patients with severe Pneumocystis carinii pneumonia. AIDS 17: 73–80 10 Piscitelli SC, Galliciano KD (2001) Interactions among drugs for HIV and Opportunistic Infections. N Engl J Med 344: 985–96 11 Tindall B, Hing M, Edwards P et al. (1989) Severe clinical manifestations of primary HIV infection. AIDS 3: 747–9 12 Vincent B, Timsit JF, Auburtin M et al. (2004) Characteristics and outcomes of HIV-infected patients in the ICU: impact of the highly active antiretroviral treatment era. Intensive Care Med 30: 859–66
Internetadressen Frei zugängliches Lehrbuch zu HIV und Aids [www.hiv-net.de] Deutsche AIDS-Gesellschaft e. V. mit Therapieleitlinien und vielen weiteren Informationen [www.daig-net.de] University of California, San Francisco. Webbasiertes Lehrbuch zu HIV und Aids [http://hivinsite.ucsf.edu/] Expertensystem mit Informationen zu Resistenzen und Interaktionen bei HIV und Aids [www.radata.de]
66
843
Trauma Kapitel 67
Polytrauma
Kapitel 68
Schädel-Hirn-Trauma
Kapitel 69
Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion
Kapitel 70
Thoraxtrauma
Kapitel 71
Abdominalverletzungen
Kapitel 72
Brandverletzungen
Kapitel 73
Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
X
845
Polytrauma M. Lehnert, I. Marzi
67.1
Einleitung und Definition – 846
67.2
Pathophysiologie – 846
67.2.1 67.2.2
Pathophysiologie des Ischämie-Reperfusions-Syndroms – 847 Wertigkeit klinisch messbarer Entzündungsmarker – 847
67.3
Behandlung des posttraumatischen Organversagens – 847
67.3.1 67.3.2 67.3.3
Inzidenz – 847 Intensivtherapie nach Polytrauma – 848 Infusions-, Transfusions- und kardiozirkulatorische Therapie – 848
67.4
Operative Therapie – 849
67.4.1 67.4.2 67.4.3 67.4.4
Allgemeine Aspekte – 849 Behandlungsphasen – 851 Übersehene Verletzungen, Patientenübergabe und Folgeoperationen – 856 Immun- und metabolismusmodulierende Therapiemaßnahmen – 856
Literatur – 857
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_67, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
67
846
67
Kapitel 67 · Polytrauma
67.1
Einleitung und Definition Definition
67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67 67
Der Begriff Polytrauma kennzeichnet die Verletzung mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei im Idealfall eine komplette Wiederherstellung möglich ist, Einzelverletzungen überlebbar sind, die Kombination der Einzelverletzungen jedoch tödlich enden kann.
Pathophysiologie
Im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie wurden von 1993 bis Ende 2008 über 42000 schwerverletzte Patienten erfasst [2]. Es fanden sich ein vorwiegend stumpfer Unfallmechanismus (95%) mit einem Verletzungsschweregrad laut Injury Severity Score (ISS) von 24,2 und ein NACA-Index (National Advisory Board Committee for Aeronautics) von mindestens Grad 4 bei 88,9% der Patienten; 31% der Patienten waren primär bewusstlos (GCS <8: 31%). Das Verletzungsmuster umfasste folgende schwere Verletzungen [Abbreviated Injury Scale (AIS) ≥3]: 4 Kopf-Hals-Bereich 58,3%, 4 Thoraxtrauma 60,6%, 4 Abdominaltrauma 20,1%, 4 Extremitätenverletzungen 37,1%.
67.2
3% der Patienten wurden am Unfallort reanimiert, 21,2% der Patienten entwickelten ein Multiorganversagen und 14,2% der Patienten starben im weiteren klinischen Verlauf [2]. Die Behandlung des polytraumatisierten Patienten umfasst nicht nur die Wiederherstellung verletzter Organstrukturen; sie muss vielmehr auch die zum Organversagen führenden Pathomechanismen sowie bestehende Begleiterkrankungen berücksichtigen [34]. Kurze Rettungszeiten, gezielter Volumenersatz und frühzeitige respiratorische Unterstützung verhindern zunehmend den frühen Unfalltod durch Verblutung oder Ateminsuffizienz. Während eine differenzierte Infusions- und Intensivtherapie immer seltener zu einem frühen therapieresistenten Organversagen, z. B. der Niere oder Lunge führt, rücken das komplexe sequenzielle Versagen mehrerer Organsysteme (Multiorganversagen; MOV) sowie die Sepsis in den Vordergrund. Abgesehen von den individuellen und sozialen Folgen eines überlebten Multiorganversagens ist die Prophylaxe und Therapie eines MOV mit einem erheblichen apparativen, personellen und finanziellen Aufwand verbunden.
Die durch den »first hit« aktivierte Kaskade der körpereigenen Abwehrreaktion (»host defence response«) wird im weiteren Verlauf gemeinsam mit der durch Schmerz und Stress ausgelösten neuroendokrinen Reaktion durch verschiedene sekundäre Faktoren weiter stimuliert (»second hit»). Hierzu zählen exogene Belastungen, wie z. B. ausgedehnte chirurgische Interventionen, fortdauernder Transfusionsbedarf, Infekte und endogene Belastungen, wie z. B. Hypoxie, metabolische Azidose, Ischämie-Reperfusions-Syndrome durch rezidivierende Blutdruckabfälle oder vorhandene Gewebsnekrosen nach ungenügendem chirurgischem Debridement sowie Infekte [25, 11]. In Abhängigkeit von der Verletzungsschwere und vom posttraumatischen Verlauf wird neben der systemischen Inflammation (SIRS) ein kompensatorisches antiinflammatorisches Syndrom (»compensatory antiinflammatory response syndrome»; CARS) ausgelöst, das neben der als günstig anzusehenden Begrenzung der Entzündungsreaktion auch in eine posttraumatische Immunsuppression mit verminderter Resistenz gegen Infekte münden kann.
67 67 67 67 67 67 67 67
Es bleibt damit in jeder Hinsicht klare therapeutische Zielsetzung, sekundäre Organkomplikationen nach Polytrauma auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Durch ein Trauma mit Todesfolge kommt es z. B. in den USA zu einem mittleren Verlust von 35 Lebensjahren, dieser beträgt durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen 12‒13 Lebensjahre und durch bösartige Neubildungen ca. 16 Jahre. Diese Zahlen heben die enorme sozioökonomische Bedeutung des Traumas hervor [1].
. Abb. 67.1 Komponenten der posttraumatischen Entzündungsreaktion
Direkt vom Trauma abhängig (»first hit») entwickelt sich eine systemische Entzündungsreaktion (SIRS), die als physiologische körpereigene Abwehrleistung (»host defence response») angesehen werden kann. Die schwere äußere Gewalt führt zu ausgedehnter Gewebezerstörung verschiedener Körperregionen und umfasst 5 grundlegende Komponenten: 4 Weichteiltrauma, 4 Organtrauma, 4 Frakturen, 4 Ischämie/Reperfusion und Hypoxie, 4 Infektion.
847 67.3 · Behandlung des posttraumatischen Organversagens
So hängt die Aktivierung und Hemmung der monozytären IL-1βProduktion klar mit der Verletzungsschwere zusammen [35]. Bis zu einer gewissen Schwelle gelingt es dem Organismus, den entstandenen Schaden durch eigene Reparaturmechanismen (Wund- und Frakturheilung, Blutungsstillung) zu begrenzen und im günstigen Fall zur lokalen Heilung zu gelangen. Abhängig von individuellen Faktoren und der Traumaschwere werden jedoch durch die systemische Einschwemmung lokal freigesetzter Entzündungsmediatoren auch verletzungsferne Organe in einen generalisierten Entzündungsprozess (»whole body inflammation») einbezogen. In diesem Fall kann der immunologische Abwehrprozess außer Kontrolle geraten, und die hochaktiven Abwehrkaskaden (Phagozyten, Monozyten, Komplement u. a.) schädigen Endothelien und Parenchymzellen (. Abb. 67.1). Sie können durch den Verbrauch aber auch dekompensieren. Werden die körpereigenen Schutzmechanismen (z. B. Antioxidanzien, Proteaseninhibitoren) übermäßig beansprucht oder therapeutisch nicht ausreichend unterstützt, entsteht ein Zellschaden, und der Organismus entwickelt leicht eine Organdysfunktion. Der Übergang der physiologischen »host defense response” mit SIRS und reversiblen Organdysfunktionen in ein prolongiertes Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS) und evtl. irreversibles Multiorganversagen (MOV) wird als „host defence failure disease„ beschrieben. Es kann bereits früh (Tag 1‒5) manifest werden und ist zu unterscheiden vom sekundär auftretenden MODS oder MOV, bei dem die Kompensationsmechanismen des SIRS durch weitere Insulte (»second hits«) überlastet werden oder es im Rahmen der Immunsuppression (CARS) zu einem Infekt kommt. > Die gestörte Balance zwischen immunstimulierenden und antiinflammatorischen Mechanismen ist wesentliche Ursache der posttraumatischen Zelldysfunktion und damit Wegbereiter des Organversagens.
In 7 Kap. 63 wird der Themenkomplex Inflammation und SIRS eigens behandelt, sodass im Weiteren nur auf die besonderen Aspekte beim polytraumatisierten Patienten eingegangen wird, diese sind in einer aktuellen Übersicht nachzulesen [8].
67.2.1
Pathophysiologie des Ischämie-Reperfusions-Syndroms
Nach kontusionsbedingter lokaler oder schockinduzierter systemischer Ischämie werden zelluläre ATP-Vorräte verbraucht; toxische Metaboliten und Laktat akkumulieren in der Zelle. Durch die (wieder einsetzende) Reperfusion kommt es zu einer Reoxygenierung der Gewebe und zur Bildung freier Sauerstoffradikale sowie zur Einschwemmung toxischer Stoffwechselprodukte in den Kreislauf. Die Bildung reaktiver O2-Radikale in der frühen Reperfusionsphase ist die Ursache eines membrandestabilisierenden Peroxidationsprozesses und initiiert, neben einer endothelialen Permeabilitätsstörung (Kapillarleck), eine lokale Entzündungsreaktion mit Störung der Mikrozirkulation. Letztere spiegelt sich in ansteigenden Laktatserumwerten wider. Es kommt zur Expression von Adhäsionsmolekülen mit nachfolgender Anhaftung und Gewebeeinwanderung von neutrophilen Leukozyten, die weitere Gewebeschäden induzieren. Der programmierte Zelltod (Apoptose) wird ebenfalls infolge eines Traumas aktiviert und betrifft u. a. Hepatozyten und Enterozyten. Des Weiteren nimmt im Rahmen des CARS der durch Apoptose induzierte Abfall der Blutmonozyten deutlich zu. Die sequenzielle Aktivierung immunkompetenter T- und B-Zellen, die Freisetzung systemisch wirksamer Mediatoren (TNF, Interleukine,
Wachstumsfaktoren), die Aktivierung des Komplement-, des Gerinnungs- sowie des Kallikrein-Kinin- Systems, die Interaktion mit neuroendokrinen Regulationskreisen und die veränderte Substratzufuhr beeinträchtigen den Gesamtorganismus. Nutritiv bedingte Proteindefizite und Vitaminmangelzustände tragen weiterhin zu einer verminderten Immunität bei [11].
67.2.2
Wertigkeit klinisch messbarer Entzündungsmarker
Neben den routinemäßig etablierten CRP-Messungen setzt sich die Bestimmung neuerer Parameter der posttraumatischen Entzündungsreaktion zur Quantifizierung des immunologischen Status und zur weiteren Therapieplanung (elektive operative Eingriffe) des Patienten immer mehr durch. Der Serum-Il-6-Wert ist hierbei mit der Traumaschwere assoziiert und kann außerdem die Entwicklung posttraumatischer Komplikationen (MODS, ARDS, Tod) vorhersagen [14]. Weiterhin führte die frühe posttraumatische Versorgung von Verletzungen des Oberschenkels,des Beckens oder der Wirbelsäule bei einem Il-6-Schwellenwert von >500 pg/μl zu einer erhöhten MODS-Inzidenz [20]. Auf seiten der antiinflammatorischen Mediatoren korrreliert Il-10 mit der Entwicklung posttraumatischer Komplikationen (Sepsis, ARDS). Hierbei kommt der immunsuppressive Effekt des Il-10 zum Tragen. Weiterhin besitzen der TNF-Rezeptor 1 wie auch der Il-1-Rezeptorantagonist einen Vorhersagewert für das Aufreten posttraumatischer Komplikationen [9]. Procalcitonin (PCT) kann ebenfalls mit dem klinischen Verlauf nach Polytrauma assoziiert werden, wobei ein fehlender Abfall des postraumatischen Anstiegs mit Sepsis und/ oder MODS in Verbindung gebracht werden kann [16, 12]. Insbesondere bei Lungenkontusionen oder abdominellen Traumata wird eine hohe PCT-Produktion beobachtet, daher besitzt dieser Parameter eine gewisse Organspezifität bei der Charakterisierung der Verletzungsschwere. Eine Übersicht über aktuelle Entzündungsmarker findet sich bei [27] und eine kritische Bewertung bei [30]. Dieser wichtige Aspekt der topographischen Zuordnung eines Markers wird auch in der Bestimmung von Proteinen aus der Gruppe der »fatty acid binding proteins« (FABP) berücksichtigt, die z. B. als spezifisch für die Freisetzung aus der Leber bzw. aus dem Dünndarm bestimmt werden können [6]. Ihre Wertigkeit für die klinische Einschätzung von Polytraumapatienten ist Gegenstand aktueller klinischer Studien.
67.3
Behandlung des posttraumatischen Organversagens
67.3.1
Inzidenz
Laut Traumaregister der DGU entwickelten 21,2% der erfassten polytraumatisieren Patienten ein Multiorganversagen; die durchschnittliche Intubations- und Beatmungsdauer lag bei 9,0 Tagen, und 2,5% der Patienten wurden dialysiert. In einer retrospektiven Untersuchung fanden Regel et al. [23] bei 1171 polytraumatisierten Patienten eine Inzidenz eines MOV von 11,4%. Die Mortalität lag bei den Patienten mit einem Multiorganversagen bei 61,5%, verglichen mit 11,4% bei den Patienten ohne Organversagen [29]. Die Mortalität eines etablierten MOV nach schwerem Trauma wird in der internationalen Literatur mit ca. 30–50% angegeben. Bekannte Risikofaktoren für die Entwicklung eines MOV sind in . Tab. 67.1 dargestellt [26, 24].
67
848
67 67 67 67
Kapitel 67 · Polytrauma
. Tab. 67.1 Risikofaktoren für die Entwicklung eines MOV Risikoparameter
Schwellenwert
Alter
>55 Jahre
ISS
>24 Punkte
Laktat
>2,5 mmol/l
Basenüberschuss (BE)
>8 mmol/l
Transfusionsbedarf
>5 Konserven innerhalb 12 h
67 67
67.3.2
Intensivtherapie nach Polytrauma
67
Die Besonderheiten der Intensivtherapie des Polytraumatisierten werden durch die lokalen, insbesondere aber durch die systemischen Folgen der Gewebetraumatisierung mit schwerem SIRS, hämodynamischer Instabilität und schließlich MODS geprägt. Entscheidend ist das auf die pathophysiologischen Besonderheiten des Polytraumatisierten und auf die jeweilige Stufe der operativen Versorgung abgestimmte intensivmedizinische Vorgehen.
67
67.3.3
67 67
67 67 67 67 67
Infusions-, Transfusions- und kardiozirkulatorische Therapie
Jeder polytraumatisierte Patient ist vom Volumenmangel bedroht, der zur Herz-Kreislauf-Insuffizienz und schließlich zum hypovolämischen Schock bzw. – zusammen mit der Gewebetraumatisierung – zum traumatisch-hämorrhagischen Schock führen kann (Einzelheiten 7 Kap. 21). Der Volumenmangel mit nachfolgender Minderperfusion der Organe entsteht durch traumainduzierte Blutungen, weiterhin durch Vasodilatation und das Kapillarlecksyndrom im Rahmen des schweren posttraumatischen SIRS. Das wesentliche Ziel besteht im Ausgleich des Volumenmangels, der Verbesserung der Gewebeperfusion und der Verhinderung des Ischämie-Reperfusions-Schadens.
67
! Cave Voraussetzung für eine intensivmedizinische Volumentherapie beim polytraumatisierten Patienten ist jedoch die schnellstmögliche chirurgische Versorgung großer bzw. sich nicht selbst tamponierender Blutungsquellen, da eine aggressive Infusionstherapie mit O2-Träger-freien Lösungen bei unstillbarer Blutung das Ausbluten des Patienten fördern und damit die Prognose verschlechtern kann.
67
Infusionstherapie
67 67 67
67 67 67 67 67
Bis heute ist der Streit, ob kristalloide gegenüber kolloidalen Volumenersatzlösungen zu bevorzugen seien, auch für den Volumenersatz beim des Schwerverletzten nicht entschieden (7 Kap. 22). Einerseits gibt es Hinweise, dass die ausschließliche Verwendung kristalloider Lösungen (z. B. Ringer-Laktat oder Ringer-Acetat) sich ungünstig auf die Mikro- und Makrozirkulation auswirkt, Leukozyten aktiviert und möglicherweise mit einer höheren Inzidenz an Organversagen (Lungenveragen, abdominelles Kompartmentsyndrom) einhergeht. Andererseit gibt es mittlerweise Studien und Metanalysen, die entweder für die gesamte intensivmedizinische Population oder aber für operative und traumatisierte Patienten eine schlechtere Prognose bei Verwendung kolloidaler Lösungen aufzeigen oder keine günstigen Einflüsse nachweisen konnten.
In der klinischen Praxis hat sich der Einsatz kristalliner Lösungen kombiniert mit kolloidalen Lösungen etabliert, wobei bei Letzteren das Nebenwirkungsprofil, insbesondere allergische Reaktionen, und bei Hydroxyethylstärken auch die Dosisbegrenzungen und eine mögliche Nephrotoxizität zu beachten sind.
Transfusionstherapie Beim polytraumatisierten Patienten wird meist ein Hämoglobinwert von 9‒10 g/dl angestrebt. Allerdings ist ungeklärt, in welchen Situationen von diesen Zielwerten nach oben oder unten abgewichen werden kann oder soll. Bei hämodynamisch stabilen Patienten mit isolierter Organverletzung scheinen niedrigere Hb-Werte vertretbar zu sein, nicht jedoch bei Polytraumatisierten, denn die Dynamik des Blutungsverlaufs ist bei multiplen Blutungsquellen und einer durch das Trauma und die Blutverluste induzierten Gerinnungsstörung nur schwer abschätzbar. Wird bei diesen Patienten lediglich bis zur empfohlenen Untergrenze des Hb-Werts transfundiert, kann sich rasch ein hämorrhagischer Schock entwickeln. Zudem stehen häufig Folgeoperationen in der Sekundär- und Tertiärphase an, die ebenfalls mit Hb-relevantem Blutverlust einhergehen. Es bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass Bluttransfusionen ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines Multiorganversagens sind und außerdem immunsuppressive Effekte aufweisen.
Messparameter zur Volumenund Infusionstherapie Es gibt keinen einfachen Parameter zur Beurteilung des intravasalen Volumenstatus. Meist werden folgende Variablen, allein oder in Kombination, zur Diagnose eines Volumenmangels oder zur Effizienzkontrolle einer Volumentherapie herangezogen: 4 systemischer Blutdruck, 4 Herzfrequenz, 4 Schlagvolumenvarianz 4 Urinausscheidung, 4 zentraler Venendruck (ZVD), 4 Herzzeitvolumen, extravaskuläres Lungenwasser, gesamtenddiastolischer Volumenindex.
Zielgrößen der Volumen- und Infusionstherapie Eine anhaltende, verborgene Mangeldurchblutung von Geweben ist von großer Bedeutung für die Prognose polytraumatisierter Patienten. Daher sind nicht nur die oben genannten physiologischen Variablen wichtige Endpunkte der Volumentherapie, sondern auch das Laktat als Produkt des anaeroben Stoffwechsels in den hypoxischen Geweben. Ein erhöhter Serumlaktatspiegel und/oder ein zunehmendes arterielles Basendefizit sind Zeichen der ungenügenden Volumentherapie bzw. der anhaltenden Blutverluste (7 Kap. 22). ! Cave Physiologische Marker der Volumentherapie wie z. B. systolischer Blutdruck und Urinproduktion sind nur dann verlässliche Zielgrößen der Volumentherapie, wenn auch die biochemischen Marker wie Serumlaktat und Basendefizit ausgeglichen sind.
Je mehr Zeit vergeht, um das Serumlaktat zu normalisieren, desto höher ist die Letalität: Gelingt die Normalisierung innerhalb von 24 h, beträgt die Letalität weniger als 1%; vergehen hingegen mehr als 48 h, steigt die Letalität auf über 85% an [29, 7].
849 67.4 · Operative Therapie
Gerinnungstherapie Die allgemeinen Grundzüge der Gerinnungstherapie sind in 7 Kap. 24 dargestellt. Die Besonderheiten der Gerinnungsstörung beim polytraumatisierten Patienten ergeben sich aus der Kombination von Verlust- und Verdünnungskoagulopathie, häufig verbunden mit Hypothermie und Azidose, aus der sich die „letale Triade» von Hypothermie, Azidose und Koagulopathie ergibt [10]. Durch Weichteilverletzungen werden außerdem große Mengen des subendothelialen »tissue factor” freigesetzt, die zusätzlich zum Verbrauch von Gerinnungsfaktoren führen. Entscheidend ist eine frühe und vorausschauende, quantitativ ausreichende Substitution von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten. Einzelheiten zur Optimierung der Blutgerinnung bei Polytraumatisierten sind in 7 Kap. 24 dargestellt.
Lunge Das Thoraxtrauma wird umfassend in 7 Kap. 70 abgehandelt. Zu beachten bleibt, dass im Rahmen eines Schockgeschehens auch die initial nicht verletzte Lunge einem Ischämie-Reperfusions-Geschehen mit nachfolgender Entzündungsreaktion bis hin zum ARDS unterliegt. Aber auch ohne Thoraxtrauma kann die Sauerstoffversorgung des Organismus durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden, z. B. durch abdominelles Kompartmentsyndrom, neurogenes Lungenödem nach Schädel-Hirn-Trauma, Störungen des Atemantriebs, z. B. bei zervikaler Querschnittslähmung, pulmonale Aspiration oder durch eine Fettembolie im Zusammenhang mit multiplen Extremitätenfrakturen. Bei traumaassoziiertem Lungenversagen kann durch eine kinetische Therapie (intermittierende Bauchlage, Rotationsbett) die Oxygenierung oft signifikant verbessert werden [31].
Gastrointestinaltrakt und Leber Anhaltende gastrointestinale Perfusionsstörungen, auch nach erfolgreicher Schocktherapie, sind maßgeblich an Mukosaschäden des Darms beteiligt. Diese Schäden ermöglichen den Übertritt von Darmbakterien in die lymphatische und portale Strombahn (Translokation). Der Nachweis von zirkulierendem Endotoxin ist beim polytraumatisierten Patienten allerdings nur teilweise gelungen. Ein aktiviertes, darmassoziiertes lymphatisches Gewebe (GALT) kann zudem eine Vielzahl von Entzündungsmediatoren als Reaktion auf eine Bakterientranslokation sezernieren; entsprechend kann das Darmsystem als bedeutende Quelle einer Phagozytenaktivierung angesehen werden. Schwere Verletzungen intraabdomineller Organe, insbesondere der Leber und der Milz, bedingen aufgrund des akuten Blutverlusts immer eine hochgradige Bedrohung des Patienten durch Hypoxie und Ischämie, aber auch durch die Belastung des Gerinnungssystems. Verletzungen der Bauchspeicheldrüse können zu einem prognosebestimmenden Faktor werden, wenn eine Berstung oder ischämische Nekrose zum Austritt von Pankreassekret führt. Eine Steigerung der Katecholamintherapie führt über eine Vasokonstriktion der gastrointestinalen Gefäße zu einer zunehmenden Low-flow-Hypoxie des Gastrointestinaltraktes mit weiterer Schädigung der Barrierefunktion der Darmmukosa. Der Einsatz oder die Steigerung einer Katecholamintherapie ist daher immer erst nach erschöpfender Volumentherapie sinnvoll.
Ursache des akuten Nierenversagens ist v. a. eine ischämische Mikrozirkulationsstörung, wobei der hohe Energiebedarf der Tubuluszellen für ischämische Schädigungen prädisponiert. Maßgeblich für den Grad renaler Funktionsstörungen ist die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems sowie die Konzentration vasokonstringierender Substanzen wie Noradrenalin, Thromboxan A2, Leukotrien C und Endothelin. Ist jedoch ein Nierenversagen eingetreten (Anstieg des Serumkreatinins um 0,5–2 mg/dl/Tag), sollten rechtzeitig extrarenale Eliminationsverfahren eingesetzt werden, da sie der traditionellen intermittierenden Dialyse überlegen sind [4]. Einzelheiten 7 Kap. 61. Crushsyndrom. Diese Sonderform des akuten Nierenversagens ent-
steht bei der Zerstörung großer Muskelmassen mit Myoglobinämie und Myoglobinurie. Myoglobin kann, besonders bei saurem UrinpH, in den Nierentubuli ausfallen und diese verlegen; zusätzlich spielen O2-Radikal-induzierte Nierenschäden eine große Rolle. Zur Prophylaxe eines Nierenversagens ist in dieser Situation eine forcierte Diurese (Urinausscheidung über 2 ml/kg KG/h) unter Einsatz von Elektrolytinfusionen, Mannit und Furosemid bei gleichzeitiger Alkalisierung des Urins (Urin-pH ≥7) durch vorsichtige Infusion von Natriumbikarbonat indiziert. Die günstigen Effekte des Mannits beim Crushsyndrom könnten durch seine kombinierte Wirkung als Osmodiuretikum und Antioxidans bedingt sein.
Polytrauma und Schädel-Hirn-Trauma Als nach wie vor limitierende Verletzung der die Klinik erreichenden polytraumatisierten Patienten gilt das schwere Schädel-HirnTrauma (SHT). Die Prognose eines SHT hängt neben der primären morphologischen Hirnschädigung maßgeblich von der sekundären ischämisch-entzündungsbedingten Hirnschädigung ab. Einzelheiten 7 Kap. 68.
Antiinfektiöse Therapie Da zahlreiche nichtinfektiöse Stimuli nach Polytrauma (Weichteilund Knochenverletzungen, SHT u. a.) ein der Sepsis ähnliches klinisches Bild bis hin zum Multiorgandysfunktionsyndrom hervorrufen können, ist ein durch Erreger ausgelöstes Krankheitsgeschen nicht immer leicht zu erkennen. Eine empirische antibiotische Therapie sollte bei Verdacht auf schwere Sepsis oder septischen Schock so schnell wie möglich initiiert und dann bei diagnostischer Sicherung des Fokus und Nachweis des Erregers entsprechend angepasst werden. Neben einer Pneumonie ist bei Polytraumapatienten insbesondere auf das Vorliegen von Weichteil- und Wundinfekten zu achten, da avitale Gewebeanteile von einer bakteriellen Besiedelung besonders betroffen sind. Daher ist eine regelmäßige sorgfältige Untersuchung des Patienten unabdingbar, bei unklaren septischen Zeichen insbesondere die wiederholte klinische und bildmorphologische Einschätzung des Abdomens und des restlichen Körperstammes sowie des Schädels (»Pan-CT«). Einzelheiten 7 Kap. 63.
67.4
Operative Therapie
67.4.1
Allgemeine Aspekte
Niere Die Häufigkeit des akuten Nierenversagens beim Polytraumatisierten ist seit Einführung der frühzeitigen Volumentherapie erheblich zurückgegangen. Ein Nierenversagen kann durch Einsatz extrakorporaler Eliminationsverfahren weitgehend kompensiert werden.
Hämorrhagischer Schock, Schädel-Hirn-Trauma und Multiorganversagen (MOV) stehen als Haupttodesursachen polytraumatisierter Patienten im Mittelpunkt therapeutischer Interventionen. Zur Verkürzung blutungsbedingter Ischämiezeiten steht in der präklinischen Phase, mit der Ausnahme schwerer Blutverluste aus offenen
67
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Kapitel 67 · Polytrauma
oder geschlossenen Verletzungen, die Volumentherapie mit kolloidalen und/oder kristalloiden Lösungen im Vordergrund. Schwere Gefäß- oder Organzerreißungen führen häufig vor einer definitiven chirurgischen Blutstillung zum Verbluten, sodass hier die Letalität nur durch schnellsten Transport in ein geeignetes chirurgisches Zentrum gesenkt werden kann. Die Primärdiagnostik einer abdominellen Blutung (7 Kap. 71) kann vielfach bei gegebenen technischen Voraussetzungen bereits präklinisch mit Ultraschall erfolgen („prehospital focused abdominal sonography for trauma»; p-FAST; [32]).
67
Frühstabilisierung – Damage Control vs. Early Total Care
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Im Vergleich zu einem abwartenden Verhalten mit initialer Gipsund Extensionsbehandlung der Frakturen langer Röhrenknochen oder mit einer sofortigen Rundumversorgung sämtlicher Frakturen im Sinne der »early total care« hat sich das Stufenkonzept zur operativen Versorgung des Polytraumatisierten mit seinem zentralen Element der Primärversorgung am Unfalltag (»day 1 surgery«) unter Miteinbeziehung lebensrettender Sofortoperationen als günstiger erwiesen. Das Damage-Control-Konzept weicht dabei klar von den etablierten Standardversorgung isolierter Verletzungen ab. Patienten die nur unter kontinuierlicher, intensiver Therapie zu stabilisieren sind oder Patienten mit einer hohen Gesamtverletzungsschwere, mit einem schweren SHT oder schweren Thoraxtrauma (jeweils AIS≥3), instabilem Becken, Koagulopathie, Hypothermie oder einer antizipierter OP-Zeit über 6 h sollten nach dem Damage-Control-Konzept behandelt werden [19, 17]. Die Traumaschwere sowie die individuellen biologischen Gegebenheiten sind vorgegeben, allerdings muss die operative Versorgung die zusätzliche Gesamtbelastung im Sinne des »second hit« möglichst gering halten, aber eine suffiziente »Schadensbegrenzung” anstreben. Am Beispiel einer penetrierenden Abdominalverletzung mit Hämorrhagie wurde das Konzept entwickelt, und in der 7 Übersicht wird das etappenweise Vorgehen exemplarisch dargestellt.
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Phasen des Damage-Control-Konzepts am Beispiel penetrierender Abdominalverletzungen 4 Phase I: Initiale Damage-Control-Laparatomie mit 5 Komponenten: – Blutungskontrolle (Packing, Kompression, Gefäßversorgung) – Exploration – Kontaminationskontrolle (Abstaplen von verletzten Darmabschnitten: »source control«, spätere Rekonstruktion) – definitives Packing – rascher, temporärer Bauchdeckenverschluss 4 Phase II: Transfer auf die Intensivstation zur Stabilisierung und Behandlung der letalen Trias Hypothermie, Azidose und Gerinnunsstörung 4 Phase III: Reexploration und definitive Versorgung der Verletzungen (z. B. Darmanastomosen) Dieses Versorgungsprinzip lässt sich zwanglos auch auf andere Organsysteme übertragen
Weitere typische Eingriffe nach dem Damage-Control-Prinzip sind z. B. die Versorgung von Hohlorganverletzungen, Versorgung offener Frakturen mit radikalem Débridement von nekrotischem Gewebe, Spaltung von Kompartmentsyndromen sowie rasche Stabilisierung von Frakturen des Beckens (Beckenzwinge) und der Röhrenknochen mit externen Fixateuren und Versorgung von instabilen Verletzungen der Wirbelsäule. Diese dringlichen Primäreingriffe sollten nach initialer Stabilisierung der Vitalfunktionen im Rahmen der »day 1 surgery« durchgeführt werden und fallen in die Primärphase der operativen Therapie. Die Damage-control-Chirurgie ermöglicht eine weichteilgerechte Behandlung von Frakturen (kein Gips), reduziert Schmerz und Stress und verringert fortdauernde Blutverluste. Vor allem aber wird hierdurch die Voraussetzung für eine effiziente Intensivbehandlung geschaffen, wozu z. B. bei Hirn- und/oder Thoraxverletzungen die Lagerung mit erhöhtem Oberkörper sowie die freie Drehlagerung gehören.
Indikationen zur Durchführung von Damage-control-Chirurgie 4 Damage Control Orthopedics [18]: – ISS≥16 und/oder – Schweres SHT (AIS≥3) – Schweres Thoraxtrauma (AIS≥3) – Instabile Beckenfraktur – Multiple Frakturen langer Röhrenknochen (Femur, Tibia, Humerus) – Persistierend instabiler Kreislauf (Blutdruck<90 mm Hg) 4 Damage Control der Körperhöhlen [3, 28] – pH <7,2 – Temperatur <34°C – INR >1,6
Geplante Sekundär- und Tertiäroperationen Im Rahmen der Primäreingriffe wird ein Gesamtkonzept zur Versorgung der einzelnen Verletzungen erstellt unter Berücksichtigung evtl. erforderlicher Folgeoperationen [15]. Hierbei sind die Konsequenzen aus dem Ersteingriff (Bauchtuchtamponade, Primärstabilisierung mit Fixateur externe etc.) zu bedenken. Zur Sanierung der Weichteilschäden werden innerhalb der ersten Tage Second-lookOperationen mit Nach-Débridement durchgeführt und bis zum Erreichen gut durchbluteter Wundflächen wiederholt. In der vulnerablen Phase der Intensivbehandlung, vor der 3. Operationsphase, sind lediglich gering belastende Maßnahmen vorzusehen, die jedoch durch Entfernung von Gewebedébris, Hämatomen und Nekrosen die Belastung des Gesamtorganismus vermindern. In der tertiären Operationsphase sind ergänzende und verzögert durchführbare Operationen wie Verfahrenswechsel und die definitive Versorgung von Frakturen des Mittelgesichts, der Hand, des Fußes oder ergänzende Osteosynthesen notwendig.
Zeitplanung Eine genaue Zeitvorgabe für die Eingriffe der 3. Operationsphase ist problematisch, da hierfür harte Indikationsparameter fehlen. Auf der einen Seite sollte bei ausgeprägtem SIRS mit Mehrorganversagen keine aufschiebbare Operation durchgeführt werden, um die systemischen Entzündungsvorgänge nicht zusätzlich zu aktivieren. Auf der anderen Seite kann jedoch nicht unbegrenzt zugewartet werden, da dies die lokalen Erfolgsaussichten, v. a. bei Gelenkverletzungen, verringert und die Infektionsgefahr erhöht.
851 67.4 · Operative Therapie
> Als grobe Richtschnur mag die Empfehlung gelten, nach dem 5. Tag die Operationen der 3. Phase durchzuführen. Dies sollte allerdings nicht in jedem Fall als günstigster Zeitpunkt angesehen werden.
Reduktion der immunologischen Belastung des Gesamtorganismus
Bei Rückgang der Mediatoraktivierung und deutlichem Trend zur Stabilisierung der Organfunktionen sind Folgeoperationen vertretbar. Die in . Tab. 67.2 angegebenen Kriterien können als Hilfe bei der Therapieentscheidung eingesetzt werden.
. Tab. 67.2 Entscheidungskriterien für die Planung verzögerter Operationen nach Polytrauma (Tertiärphase) Kriterien für die Durchführung einer Folgeoperation nach Polytrauma
Kriterien gegen die Durchführung einer Folgeoperation nach Polytrauma
Nach Tag 5 nach Trauma
Tag 1–5 nach Trauma
Verbesserung der Oxygenierung
Verschlechterung des Gasaustauschs
Negative Bilanz (Flowphase)
Positive Bilanz (Einschwemmung)
Stabilisierung der Gerinnung
Protrahierte Gerinnungsstörung (DIC)
Rückläufige Elastase, Creaktives Protein, Il-6, PCT
Anstieg von Elastase, C-reaktivem Protein, Il-6, PCT
Normalisierung des Laktats
Anhaltende Laktatämie (außer bei operativ korrigierbarer Ischämie!)
Nach wie vor ist wegen der ungelösten Schwierigkeit, den Immunstatus eines Patienten exakt festzulegen, eine spezifische Mediatormodulation nach Trauma nicht begründet. Die Vorstellung, durch Inhibition oder Neutralisierung eines sog. Hauptmediators die Entzündungskaskade vorteilhaft beeinflussen zu können, hat sich als falsch erwiesen. Die medikamentöse Beeinflussung der Immunkaskaden muss zudem Risikofaktoren und Vorerkrankungen (Diabetes mellitus, Gefäße, Leber, Lunge usw.), eine veränderte Immunreaktion in Relation zum Alter und auch geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen. Ein Ziel aller therapeutischen Maßnahmen muss die Reduzierung der direkten und indirekten immunologischen Belastung des Gesamtorganismus im Hinblick auf eine Abschwächung und Kontrolle der systemischen Entzündungsreaktion sein. Einen Überblick über pathogenetische Faktoren des Multiorganversagens und mögliche therapeutische Ansätze gibt . Tab. 67.3.
67.4.2
Behandlungsphasen
Die klinische Behandlung des polytraumatisierten Patienten kann im zeitlichen Ablauf von Diagnostik und Therapie in folgende Phasen eingeteilt werden (. Tab. 67.4 und . Tab. 67.5). Bei polytraumatisierten Patienten muss ein qualifiziertes Versorgungsteam vor Ankunft des Verletzten im Schockraum bereitstehen, Routinemaßnahmen müssen vorbereitet sowie die diagnostisch-therapeutischen Algorithmen eingeübt sein. Innerhalb des Traumateams bzw. im Schockraum leitet ein Unfallchirurg in Kooperation mit dem Anästhesisten den diagnostischen und therapeutischen Stufenplan unter Heranziehung weiterer Fachdisziplinen. Ziel der Schockraumphase ist es, die Vitalfunktionen zu stabilisieren und dabei gleichzeitig in kurzer Zeit die Diagnostik abzuschließen, um den Patienten dann
. Tab. 67.3 Übersicht über pathophysiologische Ursachen des Multiorganversagens und therapeutische Konsequenzen für dessen Verhinderung Ursache
Pathophysiologie
Erstversorgung
Operation
Intensivbehandlung
Folgemaßnahmen
Hämorrhagischer Schock, Hypoxie
Ischämie/Reperfusion Inflammation, Mikrozirkulationsstörung
Volumentherapie, Bluttransfusion, Beatmung
Blutstillung, Tamponade, Frakturstabilisierung
Volumen- und Transfusionsausgleich, Oxygenierung
»Second look«: definitive Blutstillung (Tamponadenwechsel, Débridement)
Gewebetrauma (Muskel, Weichteile)
Avitales Gewebe, Minderperfusion, Superinfektion
Sterile Abdeckung
Radikales Débridement, temporärer Wundverschluss
Optimierung von O2Angebot, Perfusion und evtl. Antibiotikatherapie
»Second look«: Débridement, Weichteilrekonstruktion
Frakturen
Schmerz, Gewebetrauma, Mediatoraktivierung
Grobreposition, Schienung, sterile Abdeckung
Stabilisierung von Becken, Wirbelsäule, Röhrenknochen
Optimierte Pflege, Lagerungstherapie, adaptierter Analgetikabedarf
»Second look«: definitive Osteosynthesen, Verfahrenswechsel
Verletzungen von Parenchymorganen
Direkte Mediatoraktivierung, Blutungsschock, Hypoxie, Perfusionsstörung
Organunterstützende Maßnahmen (Beatmung)
Revaskularisation, Blutstillung, Débridement
Unterstützung der Organfunktion, Beatmung, Hämofiltration, Stoffwechselsubstitution
»Second look«: definitive chirurgische Versorgung
Gastrointestinale Perfusionsstörungen
Persistierender Low-flow, Phagozytenaktivierung, Endotoxinämie, Mukosaschädigung
Volumensubstitution, Verkürzung der Schockphase
Rasche definitive Blutstillung und operative Versorgung
Frühe enterale Ernährung, Optimierung des O2Angebots
Intervention (Schockgallenblase, Stressblutungen, Darmperforationen)
Neurotrauma
Hypoxie, Blutungen
Optimierung der Durchblutung und Oxygenierung
Entlastung von Raumforderungen
Kreislaufunterstützung, Verbesserung der zerebralen Perfusion, Oxygenierung
Rekonstruktive Eingriffe, (frontobasale Läsionen)
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Kapitel 67 · Polytrauma
. Tab. 67.4 Behandlungsphasen polytraumatisierter Patienten Behandlungsphase
Zeitraum
Akut- oder Reanimationsphase (Schockraumphase)
1.–3. Stunde
Primärphase
3. Stunde bis 2. Tag
Sekundärphase
2.–5. Tag
Tertiärphase
Nach dem 5. Tag
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gezielt der operativen Versorgung zuzuleiten. Im Einzelfall kann dies bedeuten, dass die Schockraumphase abgebrochen wird, um eine Massenblutung in der 1. operativen Phase zu kontrollieren. Ansonsten kann die Diagnostik zügig komplettiert und der Verletzte gezielt der dringlichen Operationsphase oder, bei fehlender Operationsindikation, der intensivmedizinischen Behandlungsphase zugeführt werden. > An die Schockraumphase schließt sich, abhängig von den vorliegenden Verletzungen, entweder eine operative oder eine intensivmedizinische Phase an.
Prinzipien der Primärversorgung Für die Gesamtkoordination der operativen Polytraumaversorgung sollte ein erfahrener Unfallchirurg zuständig sein, der, in Absprache mit dem Anästhesisten, zusätzliche Fachdisziplinen hinzuzieht. In der dringlichen 1. Operationsphase sind als lebenserhaltende Maßnahmen v. a. die Blutstillung und Entlastung intrazerebraler Hämatome indiziert.
Zielvorgaben der 1. Operationsphase („day 1 surgery») 4 Reduktion der Systembelastung durch: – Ausgedehntes Débridement nekrotischen und minderdurchbluteten Gewebes – Stabilisierung der großen Skelettabschnitte (Schaftfrakturen, Becken, Wirbelsäule) 4 Erhaltung der verletzten Strukturen durch: – Revaskularisation – Versorgung offener Frakturen – Reposition und Primärstabilisierung von Luxationen oder Frakturen 4 Anstreben von: – Lagerungsstabilität für pflegerische Maßnahmen – Schmerzreduktion
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. Tab. 67.5 Stufenkonzept der operativen Versorgung des Polytraumas
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Primärphase
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5 Blutungskontrolle: Abdomen, Thorax, Gefäße 5 Dekompression: epi-/subdurale Hämatome, Hemikraniektomie, (Spannungs)Pneumo-thorax, Rückenmarkdekompression 5 Weichteildebridement, Nekrosektomien 5 Kompartmentsyndrome 5 Frakturen langer Röhrenknochen 5 Instabile Becken- und Wirbelsäulenfrakturen 5 Luxationen 5 (Revaskularisation)
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Operative Verfahren Bei der Primärversorgung des Schwerverletzten müssen das Versorgungskonzept, Operationsdauer, Lagerung und supportive Medikation zwischen den beteiligten Fachdisziplinen abgesprochen und koordiniert werden. Meist wird bei paralleler operativer Versorgung [z. B. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG), Neurochirurgie] in Rückenlage, teilweise mit erhöhtem Oberkörper vorgegangen. Einer progredienten Hypothermie sollte durch Verwenden einer Wärmematte und Erwärmung von Infusionslösungen vorgebeugt werden. Die Verwendung eines maschinellen Autotransfusionssystems (»cell saver«) bei »sauberen« Verletzungen und die rechtzeitige Substitution von Plasmakomponenten (v. a. Frischplasma) vor Manifestation einer DIC müssen eingeplant werden.
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Extra- und intradurale Schädel-Hirn-Verletzungen werden morphologisch-strukturell durch die CT-Diagnostik unterschieden. Die Erhebung der Glasgow Coma Scale ab der notärztlichen Versorgung zeigt bei einem Wert von <8 Punkten ein schweres SHT an. In der 1. Operationsphase müssen intrazerebrale Raumforderungen, meist als epidurale und akute subdurale Hämatome, entlastet werden. Ohne Zeitverlust wird dies in der Regel durch osteoplastische Trepanation durchgeführt, wobei je nach örtlicher Gegebenheit auch primär eine Entlastung durch sog. Bohrlöcher erfolgen kann. Als dringliche Operationsmaßnahmen sind in der 2. Operationsphase offene Schädel-Hirn-Verletzungen, raumfordernde Kontusionen oder Impressionsfrakturen einzubeziehen. In dieser 2. Phase muss auch die Implantation einer intrakraniellen, möglichst intraventrikulären Drucksonde für die weitere Überwachung berücksichtigt werden, wobei als Indikationen ein GCS <8 Punkten, im CCT objektivierte Hirnkontusionen und ein Hirnödem anzuführen sind. Bei schweren intrazerebralen Verletzungen sollte nach der primäroperativen Versorgung ein Kontroll-CCT auf dem Weg zur Intensivstation durchgeführt werden, ansonsten innerhalb von 12–24 h (. Tab. 67.5).
Mittelgesichtsverletzungen Frontobasale Frakturen mit offener Hirnverletzung und persistierender Liquorrhö werden regelmäßig gemeinsam mit der neurochirurgischen Versorgung in der 3. Operationsphase plastisch verschlossen (. Tab. 67.5). Bei ausgedehnten Verletzungen mit der Gefahr von Hirnabszessen oder Sinusinfektionen kann diese Versorgung, v. a. bei zusätzlichen frontalen raumfordernden Blutungen, in die dringliche Operationsphase vorgezogen werden. Isolierte Mittelgesichtsfrakturen, mit oder ohne Schädelbasisfraktur, führen häufig zu ausgedehnten kreislaufwirksamen Blutungen
Sekundärphase
Lebenserhaltende und dringliche Operationen
Tertiärphase Verzögerte Operationen
5 Second-look-Operationen 5 Wechsel/Entfernung von Leber-/Beckentamponaden 5 Hirndrucksonde
5 Verfahrenswechsel (Fixateur externe o Marknagel) 5 Definitive Osteosynthesen: (Becken, Azetabulum, Wirbelsäule) 5 Hand-, Fußverletzungen 5 Weichteilrekonstruktion 5 Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, neurochirurgische, urologische Eingriffe (u. a.)
853 67.4 · Operative Therapie
aus dem Nasen-Rachen-Raum, die bereits in der prähospitalen oder Schockraumphase durch Tamponaden (Gaze, Ballonkatheter) gestoppt werden müssen. Diese Tamponaden müssen ggf. in der 2. Operationsphase komplettiert oder erneuert werden. Offene Frakturen des Mittelgesichts (Le Fort 1–3) oder offene Unterkieferfrakturen sowie Zahn- und Weichteilverletzungen können in der 2. Operationsphase, parallel mit weiteren Eingriffen, zumindest primär versorgt werden, wobei die Revision in der Regel von innen nach außen hin erfolgt. Aufwendige rekonstruktive Eingriffe sind für die 3. Operationsphase vorzusehen.
Wirbelsäulenverletzungen Bei bewusstlosen polytraumatisierten Patienten müssen neurologische Ausfälle durch instabile Frakturen oder Luxationen immer ausgeschlossen werden. Bis zum Ausschluss einer Verletzung muss die HWS im Philadelphiakragen immobilisiert werden. Bei Frakturen des thorakolumbalen Übergangs sollte bis zur Operation eine Unterstützung der Lordose durch eine Rolle erfolgen. Die therapeutischen Maßnahmen in der 1. Operationsphase zielen auf die sofortige Entlastung einer Rückenmarkkompression. Die frühzeitige, zusätzlicher Gabe von Methylprednisolon nach dem NASCI-Schema (»national acute spinal cord injury«) ist immer noch Gegenstand aktueller Diskussionen, wird im eigenen Vorgehen jedoch durchgeführt [13]. Da bei Polytraumatisierten in der dringlichen Operationsphase keine ausgedehnten Operationen mit hohem Blutverlust durchgeführt werden können, muss die HWS möglichst von vorn dekomprimiert werden, während an der LWS Reposition und Dekompression in der Primärphase in der Regel von dorsal erfolgen. Schwieriger sind die selteneren Verletzungen der oberen BWS, da sie häufig eine ventrale Dekompression erfordern, diese jedoch in der dringlichen Operationsphase v. a. pulmonal belastend ist. Bei klarer Kompressionssymptomatik müssen hier alternativ eine initiale dorsale Dekompression und Reposition und eine sekundäre ventrale Stabilisierung erwogen werden (. Tab. 67.6).
Thorax Beim Polytrauma stehen die geschlossenen Verletzungen mit über 90% an erster Stelle, wobei vital bedrohliche Spannungs- und Hämatothoraces bereits am Unfallort oder im Schockraum durch Thoraxdrainagen entlastet werden müssen und unmittelbar anschließend durch eine Röntgenaufnahme kontrolliert werden sollten. Die Kombination von Pneumo- und Hämatothorax ist bei der Einlage von Thoraxdrainagen zu beachten, ebenso wie ein möglicher Zwerchfellhochstand oder eine -ruptur. Die großlumige Drainage sollte, möglichst digital geführt, oberhalb der Mamille in der hinteren Axillarlinie nach dorsal eingebracht werden. Bei persistierendem Pneumothorax (Röntgenkontrolle, Thoraxspiral-
CT) sollte eine weitere ventrale Drainage wegen häufiger ventraler Pneumothoraces gelegt werden. Durch konsequenten Einsatz des Thorax-CT sowohl initial als auch während der Intensivbehandlung konnten in einem hohen Prozentsatz persistierende ventrale Pneumothoraces trotz liegender Drainage festgestellt werden. Notfallthorakotomie. Die Notfallthorakotomie bereits im Schock-
raum ist eine seltene, vorgezogene Operationsindikation bei progredient kreislaufinstabilen Patienten, v. a. mit penetrierenden Thoraxverletzungen. Während ihre Erfolgsaussichten bei Schussverletzungen zumindest als partiell aussichtsreich beurteilt werden, sind die Erfolgsaussichten beim Polytrauma mit stumpfem Verletzungsmuster und Herzstillstand im Rahmen dieses letzten Rettungsversuchs ausgesprochen schlecht. Dringliche Eingriffe. Während die Entscheidung zur Operation
in der 1. Operationsphase von der hämodynamischen Instabilität abhängt, gehören anhaltende Blutungen oder Blutungsgefahren (gedeckte Aortenruptur) oder seltene perforierende Verletzungen (Ösophagus) zu den dringlichen Operationsindikationen. In Anbetracht der weit überwiegenden konservativen, interventionellen (Stenteinlage) und intensivtherapeutischen Behandlung dieser Verletzungen wird die Entscheidung zur Thorakotomie in der 2. und 3. Operationsphase in der Regel erst nach abgeschlossener Diagnostik, unter regelmäßigem Einschluss eines Computertomatogramms und ggf. einer Angiographie, Bronchoskopie oder Ösophagusdarstellung gefällt (. Tab. 67.7).
Abdomen und Retroperitoneum Hämodynamisch wirksame und sonographisch gesicherte abdominelle Blutungen sind, neben intrazerebralen Hämatomen, die Hauptoperationsindikation in der 1. Operationsphase. In ca. 60% der Fälle handelt es sich dabei um Milzverletzungen, danach in absteigender Häufigkeit um Leber-, Mesenterial- und Darmverletzungen. Bei hämodynamisch stabiler Situation sollte jedoch bei nicht eindeutig zuzuordnender Blutung eine ergänzende Diagnostik, möglichst durch Spiral-CT mit Kontrastmittelgabe, erfolgen, v. a. um retroperitoneale Verletzungen und Verletzungen des Urogenitalsystems festzustellen und so deren gezielte Mitversorgung in der dringlichen Operationsphase zu ermöglichen. Ebenfalls ist ein differenziertes Vorgehen bei Leberrupturen mit hämodynamischer Stabilität erforderlich, auch Nierenparanchymverletzungen bei stabilen Patienten werden zunehmend konservativ und bei Notwendigwerden einer Operation wann immer möglich organerhaltend versorgt [22]. Minimalinvasive Operationsverfahren stellen bislang nur bei isolierten thorakoabdominellen Stichverletzungen eine Alternative dar. Im Rahmen der Volumentherapie nach Hämorrhagie, aber
. Tab. 67.6 Operative Maßnahmen bei Wirbelsäulenverletzungen Verletzung
Primärphase
Sekundärphase
Tertiärphase
Inkomplette oder komplette Querschnittsymptomatik
Dekompression und Stabilisierung: HWS in der Regel von ventral; obere/untere BWS/ LWS in der Regel dorsal; mittlere BWS ventral
–
Komplettierung der Osteosynthese, u. U. ventrale Fusion
Instabile Wirbelsäulenverletzung
Stabilisierung: HWS ventral; LWS dorsal; BWS selten
–
Komplettierung der Osteosynthese
Wirbelsäulenverletzungen ohne neurologische Ausfälle und ohne Instabilität
Konservative Unterstützung (LWS-Rolle, Philadelphiaksragen)
–
In Ausnahmen: Osteosynthese
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Kapitel 67 · Polytrauma
. Tab. 67.7 Operatives Vorgehen bei Thoraxverletzungen Verletzung
Unfallort, Schockraum
Primärphase
Sekundärphase
Tertiärphase
Hämatothorax
Thoraxdrainage: <1000 ml initial und <500 ml/h; Notfallthorakotomie bei penetrierenden Verletzungen
Thorakotomie bei Blutverlust über Thoraxdrainage: >2000 ml initial Thorakotomie bei Blutverlust über Thoraxdrainage: >1000 ml oder >500 ml/h
–
Anhaltender Blutverlust über Drainage (nach weiterer Diagnostik)
Pneumothorax, Spannungspneumothorax
Thoraxdrainage (prophylaktisch bei bilateralen Rippenfrakturen und langem Primäreingriff )
Korrektur oder Ergänzung von Thoraxdrainagen nach Diagnostik
–
Kontrolle und ggf. Ergänzung (ventrale Pneumothoraces (CT) oder Beatmungsschwierigkeiten)
Lungenverletzung
Thoraxdrainage
Thorakotomie bei Blutverlust über Thoraxdrainage: >2000 ml initial
–
Thorakotomie bei Blutungen und persistierenden Leckagen
Bronchusverletzung
Intubation, Thoraxdrainagen
Bei Hämatopnoe und nach Bronchoskopie: Thorakotomie, Naht
–
Thorakotomie
Herzverletzungen
Perikardpunktion Schockraum: Notfallthorakotomie
Notfallthorakotomie: Perikardfensterung, definitive Versorgung
–
Thorakale Aortenruptur
Thoraxdrainage links bei Hämotothorax
Vollständige Ruptur: Notfallthorakotomie; interventionelle Stentung Partielle Ruptur mit Hämatom (Intima/Media): Thorakotomie
–
Bei Diagnostik und Entwicklung eines Aneurysmas
Ösophagusverletzung
Thorakotomie mit Direktnaht (kleine Verletzungen), kollare Ausleitung
–
Ösophagusersatzoperation: Magenhochzug zug oder Koloninterponat
Zwerchfellruptur
Zwerchfellnaht in der Regel über Laparotomie
–
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auch bei größeren retroperitonealen Blutungen kann sich ein abdominelles Kompartmentsyndrom entwickeln. Die Diagnose wird klinisch oder anhand der Druckmessung in der Blase über einen transurethralen Katheter gestellt: ein Druck >25 mm Hg zusammen mit zunehmender Organdysfunktion (Urinausscheidung <0,5 ml/ kg KG/h) oder Beatmung (paO2/FIO2 <150 oder maximaler Beatmungsdruck >45 cm H2O oder Herzindex <3 l/min/m2) und verbesserte Organfunktion nach Entlastung. Die entlastende Laparatomie ist die einzige Therapieoption, der nachfolgende Bauchdeckenverschluss kann über verschiedene Techniken durchgeführt werden [5]. Den abdominellen Verletzungen ist 7 Kap. 71 gewidmet, worauf hier verwiesen sei.
4 Schadenskontrolle: Exploration des Abdomens über eine erweiterbare mediane Oberbauchlaparotomie und Blutabsaugung in einen »cell saver« (Ausnahme Hohlorganverletzungen). Blutstillung durch direkte Kompression, Tamponade oder vorübergehende arterielle/venöse Gefäßdrosselung. 4 Abstopfen (engl. »packing«) schwerer Leberblutungen, v. a. bei dekompensierter Gerinnung, da Lebersegmentresektionen nicht möglich sind (Versorgungsprinzip der 1. Operationsphase). Nach Blutstillung durch Abstopfen und ausreichender Substitution von Gerinnungspräparaten wird ein „second look» durchgeführt; evtl. muss der Patient in ein spezielles Zentrum verlegt werden (. Tab. 67.8; 7 Kap. 71 „Bauchtrauma»).
Milzverletzung. Eine konservative Behandlung der Milzverletzun-
Becken und Sakrum
gen erfolgt in erster Linie bei Kindern, die primär stabil sind und nicht hämodynamisch relevant bluten. Hingegen ist ein konservatives Vorgehen beim Polytrauma und bei Patienten >55 Lebensjahren sehr kritisch zu überprüfen und mit einem hohen Risiko verbunden. Der isolierte Beitrag der Milzblutung zur Kreislaufsituation ist bei multipel verletzten Patienten kaum abzuschätzen, daher ist die Indikation zur Splenektomie bei Polytrauma mit Milzverletzung sehr großzügig zu stellen. Folgende prinzipielle Maßnahmen sind bei der abdominellen Verletzung von besonderer Bedeutung:
Während bei Klassifikation und Operationsindikation instabiler Beckenverletzung prinzipiell Übereinkunft besteht, herrschen unterschiedliche Auffassungen über das zeitliche und operative Vorgehen, v. a. bei hämodynamisch instabilen Patienten (. Tab. 67.9). Die Strategie der Versorgung muss daher differenziert unter den folgenden Gesichtspunkten beurteilt werden: Hämodynamische Instabilität. Thorakale, abdominale und periphere Blutungen müssen vor einer operativen Intervention am Becken ausreichend versorgt sein. Bei aktivem Kontrastmittelaus-
855 67.4 · Operative Therapie
. Tab. 67.8 Versorgungsstrategie bei Abdominalverletzungen Verletzung
Primärphase
Sekundärphase
Tertiärphase
Milzruptur
Splenektomie, ausnahmsweise Milzerhalt
–
Evtl. »second look«
Leber(teil)rupturen
Bei hämodynamischeer Instabilität Blutstillung, Tamponade, Abstopfen (»packing«)
–
»Second look«, Segment-resektionen
Darmruptur
Übernähung, Resektion, Anus praeter
–
»Second Look«
Blasenruptur
Übernähung, Splintung, Spülkatheter
–
Evtl. sekundäre Eingriffe: Nieren, Ureter, Urethra
Blutungen im Retroperitoneum
Direkt nur bei Nierenverletzungen mit Blutungen oder Ischämie Selbsttamponade zulassen Interventionelle Embolisation Tamponade im Rahmen ventraler Beckenosteosynthesen
–
»Second look«, gezielte Rekonstruktionen (Urogenitalsystem)
. Tab. 67.9 Versorgungsstrategie bei Beckenverletzungen Verletzung
Primärphase
Stabile, wenig disloziierte Beckenringverletzungen v. a. A-Typen)
Sekundärphase
Tertiärphase
–
Konservativ
Symphysensprengung
Plattenosteosynthese, Fixateur externe
–
Plattenosteosynthese
Laterale Kompressionstypen (B-Typ), Rotationsinstabilität
Disloziert: ventrolaterale Osteosynthese Alternativ: Reposition mit Fixateur externe
–
»Second look« Verfahrenwechsel auf ventrolaterale Plattenosteosynthese
Vertical-shear-Verletzungen + Rotationsinstabilität (CTypen), Sakrumfrakturen
Schwere Blutung: Beckenzwinge, Embolisation, Packing Ventrale oder dorsale Osteosynthese bei akuter Blutung
–
Anatomische Rekonstruktion
tritt im Multislice-CT als Hinweis auf eine arterielle Beckenblutung ist neben der Stabilisierung des Beckens (Tuchbinde, Fixateur) bei entsprechend vorhandener Infrastruktur die Angiographie und ggf. interventionelle Blutungskontrolle indiziert [33]. Bei protrahiertem Blutverlust sollte eine operative Blutstillung durch Reposition, initiale Stabilisierung und Tamponade mit folgender Zielsetzung angestrebt werden: 4 Verhinderung lokaler Kompartmentsyndrome, 4 optimiertes Intensivmanagement inkl. Lagerungsmöglichkeit, 4 Reduktion der immunologischen Belastung. Die primäre Verplattung einer Symphysenruptur bei ohnehin erfolgter Laparotomie ist idealerweise auf dem Rückzug durchzuführen, während bei vitalen Operationen (SHT, Extremitätenserienfrakturen) auch der »fixateur externe« angewandt werden kann. In gleicher Weise sollte bei C-Verletzungen mit instabilem dorsalem Ring die Beckenzwinge als Ergänzung ventraler Fixationsmaßnahmen (»fixateur externe«, Platte) zur dorsalen Reposition und Erststabilisierung eingesetzt werden. Hämodynamische Stabilität. Die Frühstabilisierung instabiler
komplexer Beckenverletzungen ist auch in diesen Fällen in der dringlichen Operationsphase großzügig zu stellen, obwohl die verzögerte Versorgung ebenfalls gute rekonstruktive Ergebnisse ermöglicht. Die Rekonstruktion des Azetabulums erfordert höchste Präzision und sollte, als verzögerte Versorgung der 3. Operations-
phase, nach entsprechender CT-Diagnostik durchgeführt werden. Ausnahmen hiervon bilden instabile Hüftluxationsfrakturen. Begleitverletzungen. Aufgrund der erheblichen Gewalteinwirkung
ist bei Beckenverletzungen regelmäßig mit relevanten Begleitverletzungen zu rechnen.
Begleitverletzungen beim Beckentrauma und empfohlene Therapiemaßnahmen 4 Intraabdominelle Verletzungen: Laparotomie 4 Retroperitoneale Blutungen [venöse präsakrale Plexus, Beckengefäße (10–15%), Spongiosa]: Tamponade, Embolisation, Beckenzwinge 4 Urogenitale Begleitverletzungen (Urethra, Ureter, Blase): Rekonstruktion, Schienung 4 Rektumläsionen: Anus praeter 4 Nervenläsion (Plexus lumbosacralis, N. ischiadicus, N. femoralis): sekundäre Versorgung 4 Ausgedehnte Weichteildécollements: Débridement, Drainage, »second look«
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Kapitel 67 · Polytrauma
Obere Extremitäten Dringliche Operationen. Verletzungen der Arme mit Ischämie
oder arterieller Blutung, z. B. der A. subclavia oder A. brachialis, erfordern die unmittelbare Revaskularisation oder Blutstillung in der 1. Operationsphase. Schaftfrakturen des Humerus, offene Frakturen und Weichteilverletzungen, Luxationen oder Luxationsfrakturen sind Indikationen für die dringliche Operationsphase. Spätere Versorgung. Alle übrigen Verletzungen, insbesondere pe-
riphere Frakturen, Sehnen-, Nerven- oder Weichteilverletzungen des Unterarms oder der Hand können häufig erst in der 3. Operationsphase definitiv versorgt werden, es sei denn, die Gesamtsituation ist so stabil, dass diese Maßnahmen vorgezogen werden können. Bei diesen Verletzungen ist jedoch während der Frühstabilisierung auf eine temporäre Ruhigstellung, in der Regel durch Gipsschienen, und die Verhinderung von Sekundärschäden (Kompartmentsyndrom, Druckstellen) zu achten. Für die Versorgung von Humerusschaftfrakturen beim schweren Polytrauma ist alternativ der »fixateur externe« zur Initialstabilisierung geeignet. Die Möglichkeit zur Versorgung komplexer Gelenkfrakturen, z. B. Humeruskopfluxationsfrakturen oder diakondyläre Humerusfrakturen, hängt beim schweren Polytrauma von der Kreislaufstabilität ab. Sollten diese Verletzungen nicht definitiv operiert werden können, muss aber eine achsenorientierte Reposition und Ruhigstellung, z. B. mit Gilchrist-Verband, durch Gipsschiene oder am Ellbogen mit einem gelenkübergreifenden »fixateur externe«, erfolgen.
weise vom erforderlichen Zeitaufwand und der Frakturlokalisation ab: Bei schweren Polytraumata (ca. ISS >40 Punkte) ist auch hier die externe Fixation durchzuführen, die bei Gelenkfrakturen im Kniebereich (diakondyläre Femurfrakturen, Tibiakopffrakturen) oder Knieluxationen häufig als gelenkübergreifender Fixateur mit Transfixation montiert werden kann. In gleicher Weise können distale Unterschenkelfrakturen (Pilon tibiale, OSG, Rückfuß) durch Transfixation des OSG und Montage des »fixateur externe« auf den 1. Mittelfußknochen oder auf den Rückfuß primär stabilisiert werden.
Gefäßverletzungen und Amputationen Verletzungen großer Gefäße der Extremitäten erfordern in der dringlichen Operationsphase eine umgehende Revaskularisation. Analog muss bei Amputationsverletzungen oder drittgradig offenen Frakturen mit prolongierter Ischämie eine Wiederdurchblutung nach spätestens 5 h erfolgen. Eine länger dauernde Ischämiephase führt neben erheblicher lokaler Schwellung, Perfusionsstörungen und Kompartmentsyndrom zu einer vital bedrohlichen systemischen Belastung, die zu einem akuten Lungen- und Organversagen führen kann. ! Cave Je stammnaher die Ischämiegrenze liegt, desto ausgeprägter entwickelt sich die systemische Reaktion. Daher muss die Indikation zur Replantation und Revaskularisation beim Polytrauma besonders kritisch gestellt werden.
Übersehene Verletzungen, Patientenübergabe und Folgeoperationen
Offene Frakturen und Weichteilverletzungen. Für die Versorgung
67.4.3
offener Frakturen der oberen und unteren Extremität gelten die Prinzipien des sorgfältigen Débridements, der ausgiebigen Spülung (Jetlavage) sowie der großzügige Einsatz temporärer Hautersatzmaterialien. Ein geplanter »second look« muss bei allen drittgradigen Weichteilschäden und Verschmutzungen vorgesehen werden. Die Weichteildeckung sollte nicht erzwungen, sondern durch großzügigen Einsatz von temporären Hautersatzmaterialien oder Vorlage dynamischer Hautnähte erreicht werden. Die Druckentlastung von Faszienlogen sollte möglichst präventiv erfolgen, da eine druckrelevante Schwellung sich häufig erst in den folgenden Stunden nach Primärversorgung, im Rahmen der sich entwickelnden Reperfusionsschädigung, etabliert. Luxationen bzw. Luxationsfrakturen des Handgelenks oder der Handwurzel müssen erkannt, eingerichtet und temporär ruhiggestellt werden.
Trotz etablierter Diagnostik werden einige Verletzungen (Hand, Fuß) erst während der Intensivtherapie oder bei wiedererlangtem Bewusstsein des Patienten diagnostiziert. Alle therapierelevanten Maßgaben für die Nachbehandlung [Stabilität, Lagerung, Antibiotikatherapie, geplante Folgeoperationen oder Diagnoseschritte (Kontroll-CCT)] müssen mündlich und schriftlich angeordnet werden. Gerade die Unsicherheit über die Stabilität bereits versorgter Frakturen oder evtl. noch bestehende Instabilitäten verhindern die während der Intensivbehandlung erforderlichen Lagewechsel zur Verbesserung der Lungenfunktion und Prävention von Druckulzera.
67.4.4
Untere Extremitäten Prinzipiell müssen in der ersten Versorgungsphase Gefäßverletzungen behandelt und Extremitätenverluste durch Ischämie vermieden werden. Zur Reduktion der Systembelastung und verbesserten Intensivbehandlung müssen in der dringlichen 2. Versorgungsphase Schaftfrakturen von Femur und Tibia stabilisiert werden. In Anbetracht der hohen systemischen Belastung bei Femurmarknagelung (Fettembolie, vasokonstringierende Mediatoren bis hin zum akuten Lungenversagen) sollte jedoch bei Polytraumatisierten mit einem hohen ISS (>25 Punkte) eine zeitraubende primäre Femurmarknagelung, v. a. bei kurzen Schräg- und Querfrakturen oder engem Markraum, nicht durchgeführt werden. Stattdessen kann beim Polytrauma (ISS >25 Punkte) die schnelle Primärstabilisierung des Femurs mit einem »fixateur externe« durchgeführt werden, gefolgt vom Wechsel auf einen Marknagel in der 3. Operationsphase [15]. Auch für Unterschenkelschaftfrakturen ist dieses Vorgehen prinzipiell anzuwenden, wobei die systemische Belastung durch die Marknagelung als wesentlich geringer ‒ verglichen mit der Oberschenkelmarknagelung ‒ anzusehen ist. Hier hängt die Vorgehens-
Immun- und metabolismusmodulierende Therapiemaßnahmen
Entscheidend für die Minimierung der ungünstigen Auswirkungen der Gewebetraumatisierung und Voraussetzung für eine erfolgreiche Intensivtherapie des Polytraumas ist die rechtzeitige und adäquate chirurgische Versorgung. Als adjuvante medikamentöse oder apparative Verfahren werden darüber hinaus eine Reihe therapeutischer Ansätze diskutiert, die auf pathophysiologischen Überlegungen und erfolgreichen tierexperimentellen Untersuchungen beruhen und z. T. in kleineren klinischen Studien untersucht wurden. Hierzu gehören u. a. die frühzeitige, hochdosierte Gabe verschiedener Antioxidanzien sowie Modulationen der Zytokinantwort des Organismus auf das Trauma. Bislang gehört jedoch keines dieser medikamentösen Verfahren zur etablierten Therapie des Polytraumas oder des polytraumainduzierten Organversagens. Die trauma- oder sepsisinduzierte Katabolie ist ein Hauptgrund für Morbidität und Mortalität. Hier hat eine frühe enterale Ernährung mit speziellen Zusätzen (Arginin, Glutamin oder ungesättigten ω3-Fettsäuren, Wachstumsfaktoren) und/oder der Einsatz
857 Literatur
4 Vermeidung bzw. frühzeitige Therapie eines Schockzustands durch chirurgische Blutstillung, Infusionsund Transfusionstherapie sowie begleitende Katecholamintherapie. 4 Gestuftes operatives Behandlungskonzept zur Reduktion der posttraumatischen Inflammation. 4 Vermeidung eines iatrogenen »second hit« durch ausgedehnte operative Maßnahmen in der vulnerablen Phase an Tag 2–5 nach Trauma. 4 Vermeidung von Hypoventilation und Hypotension bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma. 4 Ausreichende Schmerzbekämpfung und Sedierung durch Analgetika und Sedativa. 4 Frühzeitige enterale Nahrungszufuhr. 4 Supportive Maßnahmen bei schweren Funktionsstörungen oder Ausfall einzelner Organe: Beatmung bei Lungenversagen (druckkontrollierte Beatmung mit permissiver Hyperkapnie) und extrakorporale Eliminationsverfahren wie CVVH bei Nierenversagen. 4 Rechtzeitige, adäquate Antibiotikatherapie bei Infektionsnachweis.
. Abb. 67.2 Etablierte Maßnahmen zur Prävention des posttraumatischen Organversagens
bestimmter Hormone (anabole Androgene) bei Schwerbrandverletzten ermutigende Ergebnisse gebracht; die Validierung bei polytraumatisierten Patienten steht noch aus.
Hämofiltration Die Auswirkungen einer kontinuierlichen Hämofiltration auf den Verlauf einer Sepsis werden insgesamt kontrovers, von einigen Autoren jedoch insbesondere wegen der Möglichkeit einer proinflammatorischen Zytokinelimination günstig beurteilt. Möglicherweise führt die frühzeitige kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVH) zu einer Abschwächung des hyperdynamen Kreislaufversagens und zu einer Verbesserung der O2-Extraktionsrate; der Stellenwert des Verfahrens ist jedoch außerhalb der Organersatztherapie im Rahmen eines akuten Nierenversagens zzt. nicht validiert [4].
Literatur 1 2 3
Bewertung Abgesehen von der Sicherstellung bzw. möglichst frühzeitigen Wiederherstellung einer ausreichenden Oxygenierung und Zirkulation zur Begrenzung ischämischer bzw. hypoxischer Schäden ist eine gesicherte, spezifische intensivmedizinische Therapie der Auswirkungen des Gewebeschadens und der unkontrollierten systemischen Entzündungsreaktion zzt. nicht bekannt. Hier scheint das Monitoring der Immunsituation in zeitlicher, örtlicher und quantitativer Hinsicht noch nicht ausreichend genau, um Schlüsse für eine gezielte Therapie ziehen zu können. Zusammenfassung der Intensivtherapie bei Polytrauma Polytraumatisierte Patienten entwickeln häufig eine systemische Entzündungsreaktion, die zum Multiorganversagen führen kann. Zur Modulation dieser Entzündungsantwort mit dem Ziel einer Prognoseverbesserung des Polytraumapatienten stehen derzeit ergänzende Therapiemaßnahmen mit immunmodulierenden und zytoprotektiven Substanzen im Mittelpunkt des wissenschaftlich-therapeutischen Interesses.
4
5
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7 8 9 10 11 12
Anerkannte Therapieprinizipien Zu den anerkannten Therapieprinzipien des polytraumatisierten Intensivpatienten zählen derzeit (. Abb. 67.2): 4 Vermeidung bzw. frühzeitige Therapie einer Hypoxämie durch O2-Zufuhr, CPAP oder Beatmung mit ausreichend hohem PEEP sowie Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bei inadäquat niedriger Hämoglobinkonzentration. 6
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858
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Kapitel 67 · Polytrauma
16 Maier M, Wutzler S, Lehnert M, Szermutzky M, Wyen H, Bingold T, Henrich D, Walcher F, Marzi I (2009) Serum procalcitonin levels in patients with multiple injuries including visceral trauma. J Trauma 66: 243–249 17 Marzi I, Mutschler W (1996) [Strategy of surgical management of polytrauma]. Zentralbl Chir 121: 950–962 18 Nast-Kolb D, Ruchholtz S, Waydhas C, Schmidt B, Taeger G (2005) [Damage control orthopedics]. Unfallchirurg 108: 804, 806–804, 811 19 Pape HC, Tornetta P, III, Tarkin I, Tzioupis C, Sabeson V, Olson SA (2009) Timing of fracture fixation in multitrauma patients: the role of early total care and damage control surgery. J Am Acad Orthop Surg 17: 541–549 20 Pape HC, van GM, Rice J, Gansslen A, Hildebrand F, Zech S, Winny M, Lichtinghagen R, Krettek C (2001) Major secondary surgery in blunt trauma patients and perioperative cytokine liberation: determination of the clinical relevance of biochemical markers. J Trauma 50: 989–1000 21 Perel P, Roberts I (2007) Colloids versus crystalloids for fluid resuscitation in critically ill patients. Cochrane Database Syst RevCD000567 22 Pfitzenmaier J, Buse S, Haferkamp A, Pahernik S, Djakovic N, Hohenfellner M (2009) [Kidney injuries]. Unfallchirurg 112: 317–325 23 Regel G, Grotz M, Weltner T, Sturm JA, Tscherne H (1996) Pattern of organ failure following severe trauma. World J Surg 20: 422–429 24 Rose S, Marzi I (1998) Mediators in polytrauma--pathophysiological significance and clinical relevance. Langenbecks Arch Surg 383: 199–208 25 Rotstein OD (2003) Modeling the two-hit hypothesis for evaluating strategies to prevent organ injury after shock/resuscitation. J Trauma 54: S203–S206 26 Sauaia A, Moore FA, Moore EE, Norris JM, Lezotte DC, Hamman RF (1998) Multiple organ failure can be predicted as early as 12 hours after injury. J Trauma 45: 291–301 27 Stahel PF, Smith WR, Moore EE (2007) Role of biological modifiers regulating the immune response after trauma. Injury 38: 1409–1422 28 Staib L, Aschoff AJ, Henne-Bruns D (2004) [Abdominal trauma. Injury oriented management]. Chirurg 75: 447–466 29 Tisherman SA, Barie P, Bokhari F, Bonadies J, Daley B, Diebel L, Eachempati SR, Kurek S, Luchette F, Carlos PJ, Schreiber M, Simon R (2004) Clinical practice guideline: endpoints of resuscitation. J Trauma 57: 898–912 30 Visser T, Pillay J, Koenderman L, Leenen LP (2008) Postinjury immune monitoring: can multiple organ failure be predicted? Curr Opin Crit Care 14: 666–672 31 Voggenreiter G, Aufmkolk M, Stiletto RJ, Baacke MG, Waydhas C, Ose C, Bock E, Gotzen L, Obertacke U, Nast-Kolb D (2005) Prone positioning improves oxygenation in post-traumatic lung injury--a prospective randomized trial. J Trauma 59: 333–341 32 Walcher F, Weinlich M, Conrad G, Schweigkofler U, Breitkreutz R, Kirschning T, Marzi I (2006) Prehospital ultrasound imaging improves management of abdominal trauma. Br J Surg 93: 238–242 33 Westhoff J, Laurer H, Wutzler S, Wyen H, Mack M, Maier B, Marzi I (2008) [Interventional emergency embolization for severe pelvic ring fractures with arterial bleeding. Integration into the early clinical treatment algorithm]. Unfallchirurg 111: 821–828 34 Wutzler S, Maegele M, Marzi I, Spanholtz T, Wafaisade A, Lefering R (2009) Association of preexisting medical conditions with in-hospital mortality in multiple-trauma patients. J Am Coll Surg 209: 75–81 35 Wutzler S, Maier M, Lehnert M, Henrich D, Walcher F, Maegele M, Laurer H, Marzi I (2009) Suppression and recovery of LPS-stimulated monocyte activity after trauma is correlated with increasing injury severity: a prospective clinical study. J Trauma 66: 1273–1280
859
Schädel-Hirn-Trauma J. Piek
68.1
Einleitung und Definition – 860
68.2
Epidemiologie – 860
68.3
Pathophysiologisches Konzept – 860
68.4
Klassifikation und Einteilung – 861
68.4.1 68.4.2
Morphologische Einteilung – 861 Verletzungsschwere – 862
68.5
Erstversorgung – 863
68.5.1 68.5.2 68.5.3 68.5.4 68.5.5 68.5.6
Untersuchung des Verletzten, Dokumentation der Befunde – 863 Stabilisierung der Vitalfunktionen – 863 Medikamentöse Behandlung – 863 Wundversorgung/Wundbehandlung – 864 Sichtung, Transport – 864 Übergabe des Patienten durch den Notarzt – 864
68.6
Erstversorgung im Krankenhaus – 864
68.6.1 68.6.2 68.6.3 68.6.4 68.6.5 68.6.6 68.6.7
Orientierende neurologische Untersuchung – 864 Leichtes und mittelschweres SHT – 864 Schweres SHT – 865 Verweilkatheter – 866 Monitoring – 866 Operative Behandlung der Verletzungsfolgen – 867 Hirnödem und intrakranielle Drucksteigerung: intensivmedizinische Behandlung – 870
68.7
Spätfolgen des Schädel-Hirn-Traumas – 870
68.7.1 68.7.2 68.7.3
Posttraumatische und postoperative Meningitis – 870 Posttraumatischer Hydrozephalus – 870 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel – 871
68.8
Prognose – 871 Literatur – 871
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_68, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
68
860
68
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
68.1
Einleitung und Definition
Definition
68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68
Wirkt eine Gewalt auf den Kopf ein, führt sie, je nach Ausmaß und Richtung der einwirkenden Kraft, zu Verletzungen von Kopfschwarte, Schädelskelett und Gehirn, die unter dem Begriff Schädel-Hirn-Trauma (SHT ) zusammengefasst werden.
Intensivstationen, in denen Patienten mit schweren Kopfverletzungen behandelt werden, stellen das jeweilige regionale Zentrum dar, in dem Erstversorgung und -behandlung derartiger Patienten in Kooperation mit den zuständigen Stellen organisiert und strukturiert werden. Daher wird nachfolgend auch auf die Aspekte der Primärversorgung am Unfallort und auf die Erstversorgung im Krankenhaus eingegangen.
68.2
Epidemiologie
Das SHT ist in industrialisierten Ländern ein erhebliches gesundheitspolitisches und ökonomisches Problem. Es spielt bei etwa 60–70% aller tödlich verlaufenden Unfälle die verlaufsbestimmende Rolle. Exakte epidemiologische Daten für Deutschland wurden erstmals von Rickels et al. für den Zeitraum 2002–2003 erhoben [31]. Nach dieser Erfassung ist in Deutschland jährlich mit einer Zahl von etwa 330 Patienten pro 100.000 Einwohnern zu rechnen, die wegen eines SHT stationär behandelt werden müssen. Hierbei wird, wie in allen industrialisierten Ländern, ein stetiger Rückgang der Unfallzahlen beobachtet. Dies ist vorwiegend auf den Erfolg präventiver Maßnahmen (Helm- und Anschnallpflicht, Verbesserung der passiven Sicherheitseinrichtungen an Fahrzeugen usw.) zurückzuführen. Hinsichtlich der Häufigkeit finden sich der Risikostruktur entsprechend 3 Altersgipfel: 4 Bei Kindern unter 11 Jahren verunglücken Mädchen und Jungen gleich häufig. Häufige Ursachen des Schädel-HirnTraumas sind in dieser Altersgruppe Stürze, Freizeit- und Verkehrsunfälle. 4 Ein zweiter Gipfel findet sich im Alter von 20–30 Jahren. Hier überwiegen eindeutig Männer, die nahezu 3-mal häufiger als Frauen ein Schädel-Hirn-Trauma erleiden. 4 In hohem Alter sind wiederum Stürze die häufigste Ursache eines SHT; Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Verbesserung der Erstversorgung von Unfallopfern sowie die flächendeckende Versorgung mit neurochirurgischen Abteilungen
und mit Zentren für die Frührehabilitation haben in den letzten Jahrzehnten entscheidend zur Senkung von Letalität und Morbidität beigetragen.
Unfallursachen Regionale und sozioökonomische Gegebenheiten haben entscheidenden Einfluss auf die Unfallursachen. Umfangreiche Datenbanken, wie sie in vielen Ländern angelegt wurden, lassen sich nur bedingt mit eigenen Zahlen vergleichen, was die Notwendigkeit regionaler Analysen unterstreicht (. Abb. 68.1). Etwa 25% aller Patienten mit SHT sind Opfer eines Verkehrsunfalls. In der Hauptsache sind Insassen von PKWs, Radfahrer und Fußgänger betroffen. Bei Stürzen in Haus und Garten, die mittlerweile mit über 50% die Verkehrsunfälle als führende Unfallursache abgelöst haben, handelt es sich fast immer um Stürze aus größerer Höhe (von Leitern, Treppen und Bäumen). Freizeit- und Sportunfälle führen ebenfalls oft zu Schädel-Hirn-Verletzungen; besonders schwer verlaufen erfahrungsgemäß Reitunfälle, die nicht selten mit schweren Wirbelsäulenverletzungen einhergehen. Arbeitsunfälle sind fast immer durch Sturz aus großer Höhe (Dachdecker, Bauarbeiter) bedingt, selten werden sie durch herabfallende Gegenstände verursacht. Gewalttaten (14%) und Suizide (<1%) sind in Deutschland seltenere Ursachen schwerer Kopfverletzungen. Sie werden zumeist durch Schlagverletzungen auf den Kopf verursacht. Kopfschussverletzungen sind im Gegensatz zur amerikanischen Literatur (hier bis zu 20%) extrem selten. Etwa 20% aller Verletzten steht zum Zeitpunkt des Unfalls unter Alkoholeinfluss. Besonders oft findet sich Alkoholeinfluss bei Opfern von Gewalttaten, häuslichen Unfällen und solchen im Sportund Freizeitbereich. Eine Besonderheit stellen – auch hinsichtlich des Unfallmechanismus – kindliche Schädel-Hirn-Traumata dar (7 Kap. 88). Hier ist besonders bei Kleinkindern und Säuglingen stets an die Möglichkeit einer Schädel-Hirn-Verletzung im Rahmen einer Kindesmisshandlung zu denken.
68.3
Pathophysiologisches Konzept
Beim SHT lassen sich zeitlich primäre von sekundären Hirnschäden abgrenzen (. Abb. 68.2; [33]). Primäre Hirnschäden entstehen im Augenblick des Unfalls, sind daher einer Behandlung nicht zugänglich und für den größten Teil der frühen Todesfälle verantwortlich. Sie umfassen hämorrhagische Kontusionen, Zerreißungen der Nervenfasern (diffuser Axonschaden) und intrakranielle Gefäßläsionen. . Abb. 68.1 Ursachen des Schädel-HirnTraumas. (Nach [31])
861 68.4 · Klassifikation und Einteilung
. Abb. 68.2 Entwicklung des Sekundärschadens nach schwerem SHT
> Das Behandlungskonzept beim Schädel-Hirn-Trauma besteht in einer Vermeidung bzw. Minimierung des zerebralen Sekundärschadens.
68.4
Klassifikation und Einteilung
Je nach Zielsetzung lassen sich Schädel-Hirn-Verletzungen unterschiedlich einteilen und klassifizieren. Ziele der gewählten Klassifikation sind z. B.: 4 morphologische Einteilung der Verletzungsfolgen (chirurgische Behandlung), 4 pathophysiologische Einteilung (Definition von Patientenkollektiven als mögliche Zielgruppen einer spezifischen Behandlung), 4 Analyse von Unfallursachen und Risikofaktoren, 4 Erstellung einer Prognose, 4 Vergleich von Behandlungsergebnissen. . Abb. 68.3 Extrakranielle Komplikationen nach schwerem Schädel-HirnTrauma. Komplikationen, die einen signifikanten Einfluss auf die Prognose haben, sind blau gekennzeichnet.
Sekundäre Hirnschäden entstehen im Verlauf und bestimmen entscheidend die weitere Prognose. Da sie einer Behandlung prinzipiell zugänglich sind, gilt ihnen besonderes Interesse. Sekundäre Komplikationen können intra- und extrakraniell bedingt sein. Zu den wesentlichen intrakraniellen Ursachen gehören die posttraumatischen Hämatome (7 Abschn. 68.6.6) und das posttraumatische Hirnödem mit nachfolgender Steigerung des intrakraniellen Druckes. Nur einige der zahlreichen extrakraniellen Faktoren sind von prognostischer Bedeutung ([30] . Abb. 68.3). Am ungünstigsten wirken sich Hypotension und Hypoxämie auf die Prognose aus [7, 14, 26, 30]. Durch eine optimale Erstversorgung und Intensivbehandlung kann zumindest ein Teil dieser sekundären Komplikationen vermieden werden.
68.4.1
Morphologische Einteilung
Morphologisch unterscheidet man offene und gedeckte Verletzungen. Direkt offene Verletzungen sind solche, bei denen es durch Verletzung von Kopfschwarte, Schädelknochen und Dura zu einer Verbindung des intrakraniellen Raums mit der Außenwelt kommt. Sichere Zeichen einer derartigen Verletzung sind der Austritt von Liquor oder Hirnsubstanz aus der Wunde. Bei indirekt offenen Verletzungen erfolgt die Verbindung über basale Frakturen mit gleichzeitiger Eröffnung der Nebenhöhlen (frontobasale Verletzungen) oder der Mastoidzellen (otobasale Verletzungen). Klinische Zeichen sind der Austritt von Liquor oder Hirnsubstanz aus Nase oder Gehörgang. Da die intakte Dura einen guten Schutz gegen Infektionen darstellt, führen offene Verletzungen besonders häufig zu intrakraniellen Infektionen (aszendierende Meningitis, Hirnabszess usw.). Sie bedürfen stets der neurochirurgischen Abklärung und Behandlung. Für die morphologische Klassifikation der intrakraniellen Verletzungsfolgen hat sich die Einteilung nach Marshall [28] bewährt (. Tab. 68.1), die ebenfalls eine hohe prognostische Aussagekraft
68
862
68
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
. Tab. 68.1 Computertomographische Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas. (Nach [28]). Diffuses SHT Typ I:
Keine computertomographisch fassbaren Läsionen
68
Diffuses SHT Typ II
Basale Zisternen abgrenzbar mit einer Mittellinienverschiebung von maximal 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 ml
68
Diffuses SHT Typ III
Basale Zisternen komprimiert oder fehlend mit einer Mittellinienverschiebung von maximal 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 ml
68
Diffuses SHT Typ IV
Mittellinienverschiebung über 5 mm; sämtliche im Computertomogramm fassbaren Läsionen unter 25 ml
68
Raumfordernde Blutung, operiert
Alle Verletzungstypen, bei denen eine raumfordernde intrakranielle Blutung operativ entfernt wurde
Raumfordernde Blutung, nicht operiert
Alle Verletzungstypen, bei denen eine raumfordernde intrakranielle Blutung nicht operativ entfernt wurde
68 Hirnstammverletzung
68 68
. Tab. 68.2 Glasgow Coma Scale (GCS) [40]
68
Augenöffnen
(1–4 Punkte)
68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68 68
Motorische Antwort
(1–6 Punkte)
Auf Aufforderung
6 Punkte
Auf Schmerz gezielt
(1–5 Punkte)
5 Punkte
Voll orientiert
5 Punkte
Spontan
4 Punkte
Auf Schmerz ungezielt
4 Punkte
Unzureichend orientiert
4 Punkte
Auf Anruf
3 Punkte
Beugesynergismen
3 Punkte
Äußert einzelne Wörter
3 Punkte
Auf Schmerzreiz
2 Punkte
Strecksynergismen
2 Punkte
Unverständliche Laute
2 Punkte
Kein Augenöffnen
1 Punkt
Keine Schmerzabwehr
1 Punkt
Keine Antwort
1 Punkt
Auswertung 7 Übersicht.
hat. Sie beruht auf der Unterscheidung zwischen »diffusen« und »fokalen« Hirnschäden. Als fokale Hirnschäden werden all solche bezeichnet, bei denen eine umschriebene (oft operativ zu behandelnde) Hirnverletzung oder Raumforderung vorliegt (epidurale, subdurale, intrazerebrale Hämatome sowie umschriebene Kontusionen; 7 Abschn. 68.6.6). Der diffuse Hirnschaden bezeichnet hingegen Verletzungen, die das Gehirn insgesamt betreffen, oft multilokulär sind, keine operativ behandelbare Raumforderung zur Folge haben und bei genügender Schwere zur sofortigen Bewusstlosigkeit des Patienten führen (z. B. diffuser Axonschaden). Die meisten Schädel-Hirn-Traumata bestehen in einer Kombination von fokalen mit diffusen Hirnschäden. Von besonderer prognostischer Bedeutung ist ferner die Frage, ob die primäre Hirnschädigung tiefer gelegene Hirnarele wie z. B. Pons und Medulla betroffen hat [12, 43]. Derartige Schädigungen lassen sich besonders gut im Kernspintomogramm nachweisen. Beidseitige pontomedulläre Schädigungen werden so gut wie nie überlebt. Auch der Nachweis einer posttraumatischen Subarachnoidalblutung verschlechtert die Prognose zusätzlich [22].
Verletzungsschwere
68
68.4.2
68
Die Einteilung der Verletzungsschwere erfolgt international nach der Glasgow Coma Scale (GCS; . Tab. 68.2 [40]). Bei ihr werden die drei Grundfunktionen des Bewusstseins (Augenöffnen, motorische und verbale Reaktion) untersucht und durch Punktzahlen ei-
68
Verbale Antwort
ner halbquantitativen Skala zugeordnet. Je nach erreichter Leistung kann eine Punktzahl zwischen 1 und 6 erreicht werden. Die jeweils erreichten Ergebnisse werden addiert. Aus dem Verlauf können Änderungen der Bewusstseinslage rasch erkannt werden. Unter den Aspekten des modernen Rettungswesens ist diese Einteilung jedoch nicht unproblematisch, da Sedativa usw. das Ergebnis verfälschen können. Auch müssen zur genauen Beurteilung die Vitalfunktionen stabilisiert sein, um Einflüsse von Hypoxämie und Hypotonie auszuschließen. Die Untersuchung der Bewusstseinslage des Schädel-Hirn-Verletzten erfolgt nach der Glasgow Coma Scale (GCS).
Auswertung der GCS Die Einteilung der Verletzungsschwere richtet sich nach der schlechtesten innerhalb von 48 h erreichten Punktzahl und wird wie folgt vorgenommen: 4 3–8 Punkte = Schweres Schädel-Hirn-Trauma 4 9–12 Punkte = Mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma 4 13–15 Punkte = Leichtes Schädel-Hirn-Trauma
Für Kinder wurde die GCS durch die sog. »Children´s Coma Scale« (. Tab. 68.3) modifiziert.
863 68.5 · Erstversorgung
68.5.2
. Tab. 68.3 Children’s Coma Scale (Kinder-GCS)
Die rasche Stabilisierung der Vitalfunktionen dient der Prävention von Hypoxämie und Hypotonie zur Minimierung des sekundären Hirnschadens.
Augenöffnen Score
>1 Jahr
<1 Jahr
4 Punkte
Spontan
Spontan
3 Punkte
Auf Anruf
Auf Schreien
2 Punkte
Auf Schmerz
Auf Schmerz
1 Punkt
Keine
Keine
Atmung Bewusstlose Patienten (GCS-Score ≤8 Punkte) sollten endotracheal intubiert und beatmet werden, so rasch dies ohne zusätzliche Gefährdung des Patienten möglich ist. Bei Patienten mit einem GCS >8 Punkten und zusätzlichen Verletzungen, die eine rasche Verschlechterung der Spontanatmung befürchten lassen (z. B. Mittelgesichtsverletzungen, Querschnittslähmung), ist die Indikation zur Intubation und Beatmung ebenfalls großzügig zu stellen. Primär nicht intubationspflichtigen Patienten mit leichteren Verletzungen sollte Sauerstoff verabreicht werden (6 l/min über Maske oder 3 l/min über Nasensonde). Bei der obligaten pulsoxymetrischen Überwachung sollte die O2-Sättigung >95% betragen. Beim normotonen Erwachsenen wird eine Normoventilation angestrebt.
Beste motorische Antwort Score
>1 Jahr
<1 Jahr
6 Punkte
Befolgt Aufforderungen
Spontane Bewegungen
5 Punkte
Gezielte Abwehr
Gezielte Abwehr
4 Punkte
Zurückziehen auf Schmerzen
Zurückziehen auf Schmerzen
3 Punkte
Flexion auf Schmerzen
Flexion auf Schmerzen
2 Punkte
Extension auf Schmerzen
Extension auf Schmerzen
1 Punkt
Keine
Keine
Stabilisierung der Vitalfunktionen
Kreislauf
Beste verbale Antwort Score
>5 Jahre
2–5 Jahre
0–23 Monate
5 Punkte
Orientiert
Verständliche Worte
Plappernde Sprache
4 Punkte
Verwirrt
Unverständliche Worte
Schreien, aber tröstbar
3 Punkte
Unzusammenhängende Worte
Persistierendes, untröstbares Schreien
Persistierendes, untröstbares Schreien
2 Punkte
Unverständlich
Stöhnen oder unverständliche Laute
Stöhnen oder unverständliche Laute
1 Punkt
Keine
Keine
Keine
Aus intensivmedizinischen Daten lässt sich extrapolieren, dass der zerebrale Perfusionsdruck (CPP) um 60 mm Hg liegen sollte. Therapieziel zu seiner Aufrechterhaltung ist daher ein mittlerer arterieller Blutdruck von 80‒90 mm Hg, der so rasch wie möglich erreicht werden sollte. Daher werden Patienten mit schwerem und mittelschwerem SHT zwei, mit leichtem SHT ein großlumiger peripherer Zugang angelegt. Die Anlage eines zentralvenösen Zugangs am Unfallort bzw. vor der Krankenhauseinlieferung ist fast nie indiziert. Eine Hypertonie ist zumeist Folge einer nicht ausreichenden Analgesierung bzw. Sedierung. Ist diese Ursache ausgeschlossen, sollten erhöhte Blutdruckwerte nicht durch die Gabe vasoaktiver Substanzen gesenkt werden (Cave: CPP-Abfall!). Die Kombination von Hypotonie mit Bradykardie weist oft auf eine Verletzung des Rückenmarks hin. Ein hämorrhagischer Schock ist beim Erwachsenen praktisch immer durch eine extrakranielle Blutungsursache bedingt. Bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern können intrakranielle Blutungen und Hämatome der Galea dagegen kreislaufwirksam sein.
68.5.3
Medikamentöse Behandlung
Auswertung 7 Übersicht.
Volumentherapie 68.5
Erstversorgung
68.5.1
Untersuchung des Verletzten, Dokumentation der Befunde
Besondere Sorgfalt ist der zeitlich genauen Dokumentation der Glasgow Coma Scale, der motorischen Funktion aller Extremitäten und der initialen Bewusstseinslage zu widmen. Anamnese und Befund werden anhand des Notarzteinsatzprotokolls der DIVI erhoben und dokumentiert. Hinsichtlich der Vorgeschichte ist insbesondere auf den Unfallhergang und auf die Medikamentenanamnese zu achten, da zum einen bestimmte Unfallabläufe mit typischen Verletzungsmustern einhergehen, zum anderen die Einnahme gerinnungshemmender Substanzen (insbesondere Cumarinderivate und Thrombozytenaggregationshemmer) die Entstehung intrakranieller Blutungen begünstigt [11].
Ein hämorrhagischer Schock erfordert die sofortige Volumensubstitution. Isotone Lösungen (z. B. Ringerlösung, NaCl 0,9%) und Kolloide sind Mittel der Wahl. Hypotone kristalloide Lösungen (Glukose 5%, Ringerlaktatlösung) begünstigen ein Hirnödem.
Analgetika, Sedativa Die ausreichende Sedierung und Analgesie ist besonders bei intubierten und beatmeten Patienten sicherzustellen. Sedativa und Analgetika sind nach Wirkung zu titrieren, weil eine Überdosierung ‒ speziell bei hypovolämischen Patienten ‒ eine Hypotonie bewirken kann. Zur Intubation empfiehlt sich die Kombination eines Opioids mit einem Hypnotikum, für die Analgosedierung während des Transportes die Gabe eines Opioids mit einem Benzodiazepin von kurzer Wirkungsdauer. Ist die Analgosedierung eines nicht intubierten Patienten indiziert (z. B. Agitiertheit, Schmerzen), sollte ebenfalls ein Opioid mit einem Benzodiazepin verabreicht werden;
68
864
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Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
u. U. ist hierbei auch eine Intubation in Kauf zu nehmen. Differenzialdiagnostisch ist zuvor Sauerstoffmangel bzw. ein hämorrhagischer Schock als Ursache der Agitiertheit auszuschließen.
. Tab. 68.4 Checkliste für die Übergabe des Patienten mit schwerem SHT im Schockraum
Vasoaktive Substanzen
Unfallzeitpunkt/-hergang 5 Art des Unfalls 5 Rettungs-/Auffindesituation
Kann die arterielle Hypotonie nicht innerhalb weniger Minuten durch Volumengabe behoben werden, sind vasoaktive Substanzen indiziert. Die Überlegenheit eines bestimmten Präparates ist nicht erwiesen.
68.5.4
68
Fremdkörper in perforierenden Verletzungen sind zu belassen: durch das Entfernen kann eine bislang tamponierte Blutung verstärkt werden. Offene Verletzungen mit Austritt von Hirnsubstanz werden feucht und steril abgedeckt. Bei spritzend blutenden Kopfschwartenwunden sollte wegen des erheblichen Blutverlustes eine provisorische Blutstillung (z. B. Fassen des blutenden Gefäßes mit einer Klemme) erfolgen.
68 68
68.5.5
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Wundversorgung/Wundbehandlung
Sichtung, Transport
> Es sollte stets dem Transportmittel der Vorzug gegeben werden, das den Patienten auf dem schnellsten und schonendsten Wege in die nächste geeignete Klinik transportiert.
Die Inzidenz von Verletzungen der Halswirbelsäule beträgt bei schwerem SHT bis zu 10%. Daher ist für den Transport bis zum endgültigen radiologischen Ausschluss einer derartigen Verletzung bei allen Patienten mit SHT die Halswirbelsäule gesondert zu immobilisieren (Zervikalorthese, »stiff neck«). Bei stabilen Kreislaufverhältnissen empfiehlt sich die Hochlagerung des Oberkörpers bis 30°. Bei instabilem Kreislauf wird der Patient flach gelagert. Eine effektive und schnellstmögliche Versorgung von Patienten mit SHT wird durch die primäre Einlieferung in das nächste geeignete Krankenhaus gewährleistet. Hier sollten Patienten mit schweren und mittelschweren Traumata jederzeit computertomographisch untersucht werden können.
68 Übergabe des Patienten durch den Notarzt
68
68.5.6
68
Die Übergabe des Patienten in der Notaufnahme ist wesentlicher Schnittpunkt der Behandlungskette. Bei Eintreffen sind daher die weiterbehandelnden Ärzte mündlich und schriftlich ausführlich über den Patienten zu informieren (. Tab. 68.4).
68 68 68 68 68 68
Verletzungsmuster Verdachtsdiagnosen (z. B. Blutungen, Aspiration, Intoxikation)
68
68
Eigen-, Fremdanamnese (Medikamentenanamnese, Vorerkrankungen)
68.6
Untersuchungsergebnisse 5 Atmung 5 Kreislauf 5 initialer neurologischer Befund (Bewusstseinslage, Pupillenbefund, Motorik) 5 periphere Durchblutung 5 Schmerzlokalisation Therapie 5 Beatmung (Intubation, Respiratordaten) 5 Lagerung (Vakuummatratze) 5 Immobilisierung (HWS, Extremitäten) 5 Thoraxdrainage 5 Venenzugänge 5 Medikation (Dosis, Zeitpunkt) Sonstige Daten 5 Patientendaten (Name, Anschrift, Angehörige) 5 Transport 5 vergebliche Punktionsversuche
68.6.1
Orientierende neurologische Untersuchung
Anschließend erfolgt die orientierende neurologische Untersuchung mit 4 Erhebung des Lokalbefunds an Kopf und Wirbelsäule, 4 Prüfung der Tiefe der Bewusstseinsstörung (GCS), 4 Prüfung von Pupillenweite und -lichtreaktion, 4 Untersuchung der wichtigsten Hirnstammreflexe, 4 Prüfung der Schmerzabwehr und des Muskeltonus, 4 Untersuchung der Kennreflexe der zervikalen und lumbalen Wurzeln, 4 Prüfung auf pathologische Reflexe. Diese Untersuchung ermöglicht eine Einschätzung der Verletzungsschwere und bestimmt Umfang und Dringlichkeit der weiteren neuroradiologischen Diagnostik. Im Rahmen dieses Kapitels soll auf die Versorgung leichter und mittelschwerer Traumata nur kursorisch eingegangen werden, da diese zumeist keiner intensivmedizinischen Behandlung bedürfen.
Erstversorgung im Krankenhaus 68.6.2
Auf die Versorgung mehrfachverletzter Patienten wird in 7 Kap. 67 eingegangen, sodass nachfolgend nur die Versorgung isolierter Schädel-Hirn-Traumata beschrieben wird. Zunächst sind die Stabilisierung der Vitalfunktionen und der Ausschluss lebensbedrohlicher Begleitverletzungen durchzuführen.
Leichtes und mittelschweres SHT
Liegt ein leichtes SHT vor, so sind Röntgenaufnahmen des Schädels überflüssig. Zwar ist unstrittig, dass das Vorhandensein einer Schädelfraktur mit einem erhöhten Risiko einhergeht, eine operationsbedürftige intrakranielle Blutung zu erleiden. Der direkte Nachweis der Blutung gelingt jedoch nur mittels der kraniellen Computertomographie (cCT). Diese sollte daher immer durchgeführt werden, wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen. Die Indikation hierzu besteht bei den in . Tab. 68.5 dargestellten Befundkonstellationen.
865 68.6 · Erstversorgung im Krankenhaus
. Tab. 68.5 Indikationen zur CT-Untersuchung nach leichtem Schädel-Hirn-Trauma. (Nach [10, 11, 15, 18, 23, 29, 37, 44])
. Tab. 68.6 Erstversorgung des Patienten mit schwerem SHT Maßnahme
Patientengruppe
Leichtes SHT: 5 Patient mit Kopfverletzung, 5 nicht oder kurzfristig bewusstlos, 5 GCS-Score 13–15 Punkte bei Erstuntersuchung
CT indiziert bei
5 GCS Score 13 oder 14 Punkte noch 2 h nach Trauma 5 Anamnestisch Anhalt für Gerinnungsstörung oder Einnahme gerinnungshemmender Medikamente 5 Anisokorie, Aphasie oder motorische Halbseitenzeichen 5 Krampfanfall nach Trauma 5 Klinisch Verdacht auf Schädelfraktur 5 Alter >65 Jahre 5 Mehr als einmaliges Erbrechen nach dem Unfall
Sicherung der Vitalfunktionen Anamnese
Unfallzeitpunkt Unfallhergang Medikamentenanamnese Vorerkrankungen
Klinische Untersuchung
Lokal Neurologischer Befund 5 Bewusstseinslage (GCS) 5 Pupillenbefund 5 Motorik
Verweilkatheter
2–3 großlumige periphervenöse Zugänge Arterielle Kanüle Zentraler Venenkatheter Blasenkatheter Magensonde
Laborbestimmungen
Kleines Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten) Arterielle Blutgasanalyse Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium) Blutgruppe Gerinnungsstatus (mit Quick, PTT, PTZ als Minimum) Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker GOT, GPT, γ-GT, LDH, CK
Basismonitoring
EKG Pulsoxymetrie Kapnometrie Blutdruck
Außerdem sollte jeder Patient mittels CT untersucht werden, der aufgrund externer Einflüsse (z. B. Sedierung, Alkoholintoxikation) neurologisch nicht beurteilbar ist.
Obligat sind ferner Röntgenaufnahmen der HWS (bis BWK 1!) zum Frakturausschluss. Bei Patienten mit mittelschwerem SHT wird so rasch wie möglich ein CT angefertigt. Diese Patienten sind klinisch engmaschig zu überwachen, um eine Verschlechterung der Bewusstseinslage rasch erkennen zu können. > Bei jedem Patienten schwerem und mittelschwerem SHT oder bei entsprechendem Unfallmechanismus sind Röntgenaufnahmen der HWS in 2 Ebenen (bis BWK 1) oder ein Spiral-CT der HWS mit sagittaler und koronarer Rekonstruktion anzufertigen, da etwa 10% aller Verletzten eine begleitende Halswirbelsäulenverletzung aufweisen.
Ist die Versorgung in einer neurochirurgischen Abteilung nicht möglich, sollte zumindest der konsiliarische Kontakt (z. B. über Telekonsil) mit einer neurochirurgischen Fachabteilung aufgenommen werden. Auch bei diesen Patienten ist der radiologische Frakturausschluss der HWS obligat.
68.6.3
Schweres SHT
Bewusstlose Patienten, d. h. solche mit schwerem SHT, bedürfen stets der intensivmedizinischen Versorgung und der Behandlung in einer neurochirurgischen Fachabteilung. Auch bei ihnen ist ein CT so rasch wie möglich nach Klinikaufnahme und Erstversorgung anzufertigen. Die notwendige Erstversorgung ist in . Tab. 68.6 zusammengefasst und sollte sich primär (vor Durchführung des CT) auf das Notwendigste beschränken. Sie sollte mit der Erstuntersuchung nur wenige Minuten in Anspruch nehmen.
Neuroradiologische Diagnostik Die zerebrale Computertomographie ist die Methode der Wahl zum Nachweis knöcherner und intrakranieller Verletzungsfolgen. Die Untersuchung dient zunächst dem Ausschluss raumfordernder intrakranieller Hämatome und von Parenchymverletzungen. In Abteilungen ohne Spiral-CT beginnt sie mit Schichten in Ventrikelhöhe, um im Fall einer intrakraniellen Blutung die notwendigen Operationsvorbereitungen zu veranlassen. Wird eine raumfordernde intrakranielle Blutung nachgewiesen, ist diese baldmöglichst operativ zu versorgen.
Erst danach bzw. in einer Folgeuntersuchung sollten nicht nur die parenchymatösen Verletzungen erfasst werden. Durch entsprechende Untersuchungstechnik (»Knochenfenster«) ist eine genaue Darstellung der knöchernen Strukturen anzustreben, wobei besonders auf Traumafolgen im Bereich der knöchernen Augenhöhlen, der Fronto- und Otobasis und am kraniozervikalen Übergang zu achten ist. ! Cave Ein früh nach dem Trauma durchgeführtes, unauffälliges Computertomogramm schließt ein intrakranielles Hämatom nicht endgültig aus, da sich viele Hämatome erst mit zeitlicher Verzögerung entwickeln. Im initialen CT nachgewiesene Kontusionen können sich in den nachfolgenden Stunden und Tagen vergrößern. Bei schweren und mittelschweren Traumata muss daher die Untersuchung nach spätestens 8–12 h wiederholt werden, bei klinischem Verdacht auch früher.
Besondere Risikogruppen für derartige verzögerte Hämatome sind Patienten mit vorbestehender Hirnatrophie (ältere Menschen, Alkoholiker), für die Vergrößerung primärer Kontusionen Patienten mit Störungen der Blutgerinnung (z. B. Massentransfusion). Die Durchführung eines kranialen MRT ist in der Frühphase des SHT so gut wie nie indiziert. Im weiteren Verlauf lassen sich jedoch insbesondere diffuse Hirnschäden im T2- oder Flair-gewich-
68
866
Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
68.6.5
68
Monitoring
Basismonitoring
68 68 68 68 68 68 68 68 68
. Abb. 68.4 Typisches Kernspintomogramm bei schwerer diffuser Hirnschädigung. Gut erkennbar sind die kontusionellen Läsionen der mesialen Anteile beider Temporallappen (solide Pfeile), des Kleinhirnwurms (gestrichelter Pfeil) und der dorsolateralen Brücke (unterbrochener Pfeil)
68 68 68 68
teten Kernspintomogramm gut darstellen (. Abb. 68.4) und ermöglichen eine bessere Abschätzung der Prognose [12, 43]. Die Darstellung der intra- und extrakraniellen Gefäße mittels zerebraler Angiographie ist beim typischen SHT nur selten indiziert. Hauptindikationen ist die Abklärung von Gefäßverletzungen (z. B. extrakranielle traumatische Dissektionen, Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel).
Klinisch-neurologische Überwachung
68
68.6.4
68
Routinemäßig sollten allen Patienten mit schwerem SHT ein zentraler Zugang, Magensonde, Blasenableitung und arterielle Kanüle angelegt werden, sobald dies ohne Gefährdung des Patienten und Verzögerung der notwendigen Diagnostik möglich ist. Als Punktionsort für den zentralen Venenkatheter ist aus neurochirurgischer Sicht die Punktion der V. jugularis interna wegen der Gefahr der versehentlichen Karotispunktion mit nachfolgender Hämatomentstehung und venöser Abflussbehinderung zu vermeiden. Die Anlage einer arteriellen Kanüle sollte bei Patienten mit bestehenden Paresen grundsätzlich auf der paretischen Seite erfolgen. Zum einen ist so die Gefahr der Diskonnektion geringer, zum anderen wird bei einem Gefäßverschluss nicht die noch funktionstüchtige Gliedmaße betroffen.
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Liegen keine Begleitverletzungen vor, kann bei leichten und mittelschweren Schädel-Hirn-Verletzungen der arterielle Blutdruck unblutig gemessen werden, bei schwerem SHT sollte eine kontinuierliche blutige Messung erfolgen. Zur Bestimmung des zerebralen Perfusionsdrucks erfolgt der Nullpunktabgleich in gleicher Höhe wie der zur ICP-Messung, d. h. in Höhe des Foramen Monroi (grob: in Höhe des äußeren Gehörgangs). Die Überwachung der Oxygenierung erfolgt für mittelschwere und schwere Traumata kontinuierlich mittels Pulsoximetrie. Beim schweren SHT werden zusätzlich diskontinuierliche Kontrollen der Blutgase durchgeführt. Als Schwellenwerte gelten: SaO2 >95%, paO2>100 mm Hg, paCO2 >35 mm Hg. Die Überwachung der Körpertemperatur sollte ebenfalls kontinuierlich erfolgen. Sie ist allgemein etwas geringer als die eigentliche Hirntemperatur [19]. Es ist noch nicht definitiv geklärt, ob eine moderate Hypothermie die neurologische Erholung nach SHT verbessert [8, 25, 38]. Hypertherme Zustände sollten jedoch auf jeden Fall vermieden werden, denn Hyperthermie bedeutet eine zusätzliche Belastung des vorgeschädigten Gehirns durch erhöhten zerebralen Metabolismus und Substratbedarf. Der Hämoglobingehalt sollte nicht unter 10 g/dl abfallen. Störungen der Serumelektrolyte sind die häufigsten Komplikationen nach Schädel-Hirn-Trauma [30]. Besonderer Aufmerksamkeit ist den bekannten zentralen Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes zu widmen, auf deren Behandlung an anderer Stelle eingegangen wird. Besondere Aufmerksamkeit erfordern weiterhin mögliche Gerinnungsstörungen [30], da diese das verzögerte Auftreten intrakranieller Hämatome begünstigen und zur Vergrößerung vorbestehender Kontusionsblutungen beitragen können [11, 15, 23, 44].
Verweilkatheter
! Cave Wegen der Gefahr der Perforation in das Schädelinnere sollten Patienten mit frontobasalen Verletzungen keine transnasale Magensonde erhalten.
Trotz einer Vielzahl additiver Verfahren des Monitoring, die Aussagen über den zerebralen Stoffwechsel, die Durchblutung und Oxygenierung des Gehirns geben, ist die neurologische Untersuchung des Patienten die einzige Möglichkeit der Funktionsüberprüfung des geschädigten Gehirns und damit der von Behandlungserfolg oder -misserfolg. Zu erfassen sind Bewusstseinslage (nach der GCS), Pupillenweite und -lichtreaktion sowie die seitengetrennte Prüfung der Motorik. Obwohl die Erhebung der GCS beim sedierten, intubierten und beatmeten Patienten mit schwerem SHT erschwert ist, lässt sich zumindest als prognostisch bedeutsamste Komponente der GCS die motorische Antwort neben der obligaten Pupillenkontrolle erfassen. Eine Verschlechterung des GCS-Scores von 2 oder mehr Punkten, neu aufgetretene Störungen des Pupillenverhaltens oder das Neuauftreten fokaler neurologischer Zeichen sind hochgradig verdächtig auf eine intrakranielle Komplikation und erfordern fast immer ein Kontroll-CT.
Intrakranieller Druck Die Messung des intrakraniellen Druckes (ICP) dient der Sicherung der zerebralen Perfusion und der Oxygenierung. Die gezielte Behandlung des erhöhten intrakraniellen Drucks setzt seine kontinuierliche Messung voraus. In einer Vielzahl von Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen erhöhtem ICP und Prognose nachgewiesen (Literatur in [6, 26]). Anhaltspunkte für einen erhöhten intrakraniellen Druck ergeben sich aus der Bewusstseinslage des
867 68.6 · Erstversorgung im Krankenhaus
Patienten, dem Verlauf des neurologischen Befundes und dem Läsionstyp im CT. Die Indikationen zur intrakraniellen Druckmessung sind in . Tab. 68.7 dargestellt. Parallel ist der zerebrale Perfusionsdruck zu bestimmen, der sich als Differenz zwischen mittlerem arteriellem Druck und ICP errechnet. Als Schwellenwert sollte bei einem ICP von <20 mm Hg der CPP bei etwa 60 mm Hg liegen [6, 24]. Eine Anhebung des CPP über diesen Wert scheint mit einer erhöhten Rate systemischer Komplikationen bei vergleichbarem Outcome behaftet zu sein [2, 20]. Auf die verschiedenen Messverfahren wird in 7 Kap. 48 eingegangen. Für Patienten mit SHT kommen epidurale, ventrikuläre oder parenchymatöse Messverfahren in Betracht. Ihre Differenzialindikationen sind in . Tab. 68.8 wiedergegeben.
Erweitertes Neuromonitoring Zerebrale Oxygenierung und Durchblutung lassen sich durch die Messung von ICP und CPP nur indirekt erfassen. Deshalb wurden in den letzten Jahren zusätzliche Verfahren des Neuromonitorings entwickelt, die ausführlich in 7 Kap. 16 dargestellt sind. Mit Hilfe dieser Verfahren lässt sich eine Optimierung des zerebralen Monitorings erreichen, da in einer konkreten Situation ein erhöhter ICP durchaus noch eine adäquate Oxygenierung und Durchblutung bedeuten kann und umgekehrt [42]. Durch die Online-Mikrodialyse können zusätzliche Informationen über die metabolische Situation des Gehirns erhalten werden. Sie wird bislang nur in wenigen Zentren durchgeführt und ermöglicht die Bestimmung der extrazellulären Konzentrationen von Glukose, Laktat, Pyruvat, Glyzerol und Glutamat etwa 10–15 min nach Probensammlung. Damit kann sie Auskunft über die biochemischen Reaktionen des Gehirns (z. B. nach Hypoxie) auf hämodynamische Veränderungen geben [34–36]. . Tab. 68.7 Indikationen zur intrakraniellen Druckmessung. (Nach [6, 24]) Intrakranieller Druck (ICP)
Indikationen
Schweres SHT (GCS ≤8 Punkte) und CT-Hinweise auf eine intrakranielle Druckerhöhung
Raumfordernde intrakranielle Blutung Verstrichenes Kortexrelief Einengung der Ventrikel und/ oder perimesenzephalen Zisternen Kontusionen mit perifokalem Ödem
Schweres SHT (GCS ≤8 Punkte) ohne CT-Hinweise auf eine intrakranielle Druckerhöhung und…
Alter >40 Jahre und beste motorische Antwort Beugesynergismen oder systolischer Blutdruck <90 mm Hg
. Tab. 68.8 Differenzialindikationen zu verschiedenen Messverfahren des ICP bei schwerem SHT Latente oder zu erwartende Gerinnungsstörungen
Epidural
Enges oder verlagertes Ventrikelsystem
Epidural oder parenchymal
Intraventrikuläre Blutung
Ventrikulär
Traumatisches Hämatom, postoperativ
Parenchymal oder epidural
68.6.6
Operative Behandlung der Verletzungsfolgen
Die operative Behandlung nach SHT umfasst die Versorgung von Kopfschwartenverletzungen, die Entleerung intrakranieller Hämatome, die Behandlung offener Schädel-Hirn-Verletzungen und von Impressionsfrakturen sowie die Therapie der Spätfolgen (z. B. Hirnabszess, posttraumatischer Hydrozephalus). Auf letztere soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Schließlich kann bei therapierefraktärer intrakranieller Drucksteigerung die Dekompressionstrepanation indiziert sein.
Verletzungen der Kopfschwarte Verletzungen der Kopfschwarte heilen i. Allg. problemlos, können aber Ursache erheblicher Blutverluste sein (z. B. Durchtrennung der A. temporalis). Sie sollten möglichst früh versorgt werden. Vorher ist zu klären, ob Fremdkörper eingedrungen sind oder gar eine Impressionsfraktur vorliegt. Eine Tetanusprophylaxe ist obligat.
Kalottenfrakturen z Lineare Frakturen des Schädeldachs Diese heilen, auch wenn sie sehr ausgedehnt sind, spontan und bedürfen fast nie der operativen Behandlung. Durch die geschlossene Kopfhaut sind sie nur selten palpabel. Verdächtig sind umschriebene Unterblutungen der Galea. Durch Inspektion oder Palpation offener Kopfwunden lassen sich ggf. darunter gelegene Frakturen erkennen. Man achte auf Austritt von Liquor und/oder Hirnbrei als Hinweis auf eine offene Schädel-Hirn-Verletzung. Zur Abklärung ist ein Schädel-CT obligat. z Offene Impressionsfrakturen Offene Impressionsfrakturen [3] bedürfen immer der neurochirurgischen Behandlung. Die Versorgung sollte innerhalb der ersten 6–8 h erfolgen, da die Gefahr einer posttraumatischen Infektion (Meningitis, Hirnabszess, Subduralempyem) groß ist. Die Wirksamkeit einer antibiotischen Prophylaxe ist umstritten. Die operative Behandlung besteht in einem Wunddebridement nach allgemeinen chirurgischen Grundsätzen und einem Duraverschluss durch primäre Naht oder autologes Transplantat (Galea, Fascia lata). Eventuell entstandene Knochendefekte können sekundär nach ca. 6 Monaten gedeckt werden.
Schussverletzungen Eine Sonderform des offenen SHT stellen Schussverletzungen dar, die eine besonders schlechte Prognose haben. Sind Patienten mit derartigen Verletzungen primär tief bewusstlos und handelt es sich um eine Durchschussverletzung, die das Ventrikelsystem betrifft, ist i. Allg. nur eine provisorische Wundversorgung indiziert. Eine ausgedehntere Versorgung nach obigen Gesichtspunkten ist nur bei wachen oder bewusstseinsgetrübten Patienten indiziert.
Geschlossene Impressionsfrakturen Diese Frakturen sollten ebenfalls operativ versorgt werden, wenn eine Duraverletzung vermutet wird. Dies ist fast immer der Fall, wenn die Impression Kalottendicke überschreitet. Ist die Impressionsfraktur so ausgedehnt, dass sie raumfordernd wirkt (sehr selten), bedarf sie der akuten neurochirurgischen Behandlung. In den meisten Fällen sind Impressionsfrakturen umschrieben und können geplant neurochirurgisch versorgt werden. Eine Verlegung in die neurochirurgische Klinik ist in diesen Fällen erst nach der Versorgung akut bedrohlicher Begleitverletzungen sinnvoll. Impressionsfrakturen sind grundsätzlich computertomo-
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Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
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graphisch abzuklären, um ihre Ausdehnung und das Ausmaß einer evtl. darunter liegenden Hirnverletzung erkennen zu können.
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Schädelbasisfrakturen
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Bei etwa 2% aller Schädelverletzungen bzw. 5–10% aller schweren Schädel-Hirn-Traumata liegt eine frontobasale Fraktur vor. Wegen der Gefahr einer aszendierenden Meningitis durch Verbindung des Schädelinneren mit den Nebenhöhlen oder dem endonasalen Raum bedürfen sie stets der weiteren Abklärung. Klinisch verdächtig auf frontobasale Frakturen ist das Vorliegen eines Brillenhämatoms, für laterobasale Frakturen des Felsenbeins eine retroaurikuläre Unterblutung (»battle’s sign«). Beweisend ist der Austritt von Liquor oder Hirnbrei aus Nase oder Ohr. Radiologisch (Dünnschicht-CT der betroffenen Region) können, neben der Fraktur selbst, als indirekte Frakturhinweise intrakranielle Luft oder Verschattungen der Nebenhöhlen nachgewiesen werden. Der direkte Nachweis von Liquoraustritt ist schwer zu führen, da er oft nur vorübergehend beobachtet wird. z Liquorfistel Eine fragliche Liquorfistel kann am zuverlässigsten durch eine Liquorraumszintigraphie, ein Dünnschicht-CT in Bauchlage mit vorheriger intrathekaler Kontrastmittelgabe oder durch ein T2-gewichtetes Kernspintomogramm bestätigt werden. z Operationsindikationen Frakturen der Schädelbasis werden überwiegend konservativ behandelt. Eine operative Behandlung frontobasaler Verletzungen ist jedoch erforderlich bei 4 ausgedehnter Zertrümmerung der Frontobasis mit starker Dislokation von Knochenfragmenten, 4 gleichzeitigem Vorliegen ausgedehnter Mittelgesichtsverletzungen mit frontobasaler Beteiligung, 4 frontobasaler Liquorfistel, die nach etwa 7-tägiger Behandlung durch eine lumbale Dauerdrainage nicht sistiert. Liegt gleichzeitig ein raumforderndes intrakranielles Hämatom vor, erfolgt die Versorgung sofort. Ist dies nicht der Fall, sollte in unkomplizierten Fällen der operative Verschluss früh, d. h. innerhalb der ersten Woche vorgenommen werden. Bei ausgedehnten Hirnverletzungen erfolgt die spätere Versorgung nach Abklingen des posttraumatischen Ödems und Stabilisierung des Gesamtzustands. z Antibiotika Der Wert einer antibiotischen Prophylaxe bei aktiver Liquorrhö ist umstritten, sie wird jedoch in den meisten Kliniken durchgeführt. Zur Prophylaxe sollten Antibiotika verwendet werden, die im Wirkspektrum die im Nasen-Rachen-Raum gängigen Keime einschließen. Reserveantibiotika haben in der Prophylaxe keinen Platz! Bei aufgetretener Infektion (Nachweis einer Meningitis durch Lumbaloder Subokzipitalpunktion) ist immer gezielt (nach Antibiogramm) antibiotisch zu behandeln (7 Kap. 54). Otobasale Verletzungen bedürfen nur selten der operativen Behandlung, da sie sich zumeist spontan oder unter lumbaler Liquordrainage verschließen. Persistiert trotz dieser Maßnahmen eine Otoliquorrhö über 7 Tage, sollte die operative Deckung erfolgen.
Epidurales Hämatom Epiduralhämatome (. Abb. 68.5) befinden sich zwischen Dura mater und knöchernem Schädel und werden meist innerhalb der ersten 4–8 h nach dem Trauma symptomatisch. Betroffen sind vorwiegend jüngere Patienten.
. Abb. 68.5 Typisches Computertomogramm bei ausgedehntem Epiduralhämatom (Pfeile) rechts temporoparietal. Man beachte die ausgedehnte raumfordernde Wirkung mit Verlagerung der Mittellinienstrukturen
Ursache ist meist eine Verletzung der A. meningea media oder ihrer Äste durch eine Schädelfraktur. Seltener sind Verletzungen eines Hirnsinus oder ein Frakturspalthämatom die Ursachen. Im Computertomogramm sind sie bikonvex, meist temporal (etwa 75%) oder frontal (etwa 11%) lokalisiert und hyperdens. Andere Lokalisationen sind seltener [9, 29]. z Symptomatik Klassisch, aber eher selten, ist die Entwicklung der Symptome nach einer kurzen Phase der Bewusstlosigkeit und anschließendem Aufklaren (»freies Intervall«) gefolgt von sekundärer Eintrübung, Entwicklung einer einseitigen homolateralen Pupillenerweiterung mit kontralateraler Hemiparese. Bei primär bewusstseinsgetrübten oder komatösen Patienten kommt es zur Zunahme der Bewusstlosigkeit mit einseitiger Pupillenerweiterung und kontralateralen Halbseitenzeichen (häufigerer Verlauf). Die Behandlung besteht fast immer in der sofortigen operativen Entfernung des Hämatoms und Versorgung der Blutungsquelle. Die Prognose hängt weitgehend vom neurologischen Zustand zum Operationszeitpunkt ab. Wenn keine zusätzlichen intrakraniellen Verletzungen vorliegen, ist sie bei frühzeitiger Operation sehr gut [9,29].
Subdurales Hämatom (SDH) Subdurale Hämatome werden in akute, subakute und chronische eingeteilt [5, 9, 29]. z Akutes SDH Akute Subduralhämatome (. Abb. 68.6) befinden sich zwischen Hirnoberfläche und Dura mater. Sie entstehen zu etwa 25% durch Abrisse von Brückenvenen, zu etwa 75% durch Einrisse kleiner Gefäße auf der kontusionierten Hirnoberfläche. Betroffen sind alle Altersgruppen. Im Computertomogramm manifestieren sich die Blutungen als hyperdense, konvex-konkave Struktur über der Großhirnhemisphäre mit vorwiegender Lokalisation frontotemporoparietal. Fast immer finden sich als Ausdruck des primären Hirn-
869 68.6 · Erstversorgung im Krankenhaus
bewusstlos und die Prognose ungünstig (Letalität zwischen 40 und 70%). Die Neigung zur posttraumatischen Ödementwicklung ist ausgeprägt. z Subakutes und chronisches SDH Subakute Hämatome treten nach 3–20 Tagen auf, sind im CT bereits beginnend hypodens, teilweise verflüssigt. Chronisch subdurale Hämatome werden ab 20 Tagen, oft jedoch erst Monate nach einem Trauma beobachtet.
Traumatisches intrazerebrales Hämatom
. Abb. 68.6 Typisches Computertomogramm bei akutem subduralem Hämatom (Pfeile) über der rechten Hemisphäre. Beachte die raumfordernde Wirkung des Hämatoms (Verlagerung des ipsilateralen Seitenventrikels zur Gegenseite mit hydrozephalem Aufstau des kontralateralen Seitenventrikels)
schadens begleitende Läsionen des Hirnparenchyms (kontusionelle Schäden). Die Symptomatik entspricht der des Epiduralhämatoms mit Bewusstlosigkeit, homolateraler Pupillenerweiterung und kontralateraler Hemiparese. Seitens des Verlaufs wird ein freies Intervall fast nie beobachtet: die Patienten sind aufgrund ihrer schweren primären Hirnschädigung fast immer initial bewusstlos und verschlechtern sich aufgrund der Raumforderung sekundär (»latentes Intervall«). Akute Subduralhämatome werden definitionsgemäß innerhalb von 72 h nach dem Trauma symptomatisch; die meisten werden in den ersten 1–3 h nach dem Trauma festgestellt. Raumfordernde Blutungen müssen durch eine Notfallkraniotomie und Duraeröffnung dargestellt und ausgeräumt werden. Aufgrund der zusätzlichen Schädigung des Hirnparenchyms sind die Patienten oft tief
Intrazerebrale Blutungen entwickeln sich aus Einrissen tiefer gelegener kleinerer Hirngefäße, zumeist in Kontusionszonen des Frontal- und Temporalhirns. Die Symptomatik ist ähnlich wie beim Subdural- und Epiduralhämatom, wobei die Ausprägung und Geschwindigkeit der Symptomatik von der Schwere des initialen Hirnschadens sowie von der Größe und Lokalisation der Blutung bestimmt werden. Oftmals entwickelt sich in den nächsten Tagen ein ausgeprägtes perifokales Ödem. Intrazerebrale Hämatome können sich auch noch Tage nach der primären Verletzung entwickeln bzw. deutlich an Größe zunehmen (. Abb. 68.7) [4, 15] und operationsbedürftig werden (»delayed traumatic intracerebral hematomas«). Besonders gefährdet sind Patienten mit kleinen Kontusionen im primären Computertomogramm und gleichzeitigen Störungen der Blutgerinnung (SHT und Polytrauma, Gerinnungsstörungen durch Massentransfusion) sowie Patienten mit vorbestehender Atrophie (Alter, Alkoholismus) [15, 23, 44]. Raumfordernde Blutungen, die klinisch durch Einklemmungssymptome symptomatisch sind, werden operiert. Kritisch sind Hämatomvolumina von über 20 ml, die operiert werden sollten [4].
Dekompressionstrepanation In den letzten Jahren hat die operative Dekompression bei therapierefraktärer intrakranieller Drucksteigerung eine zunehmende Renaissance erfahren [13, 16, 17]. Die Gründe hierfür liegen darin, dass diese Behandlung kausal, einfach durchzuführen und nebenwirkungsarm ist. Die Indikation hierzu ist jedoch streng zu stellen (7 Übersicht) und betrifft nach unseren Erfahrungen pro Jahr nur etwa 2–5% aller Verletzten. Bei streng gestellter Indikation können so durchaus noch in etwa 70% der Fälle gute bis befriedigende Behandlungsergebnisse erreicht werden [16]. Derzeit wird diese Therapieoption im Rahmen einer europäischen Multicenterstudie überprüft.
. Abb. 68.7 Computertomographische Entwicklung ausgedehnter frontaler Kontusionsblutungen über einen Zeitraum von 6 Tagen
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Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
Indikationen zur Dekompressionskraniotomie (nach [16]) 4 4 4 4
Alter <50 Jahre Primärer GCS-Score >3 Punkte Konservativ nicht beherrschbarer ICP-Anstieg Intrakranieller Druckanstieg korreliert mit klinischer Verschlechterung (Bewusstseinslage, TCD, EEG, evozierte Potenziale) 4 Eingriff vor Auftreten einer irreversiblen Hirnstammschädigung
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68.6.7
Hirnödem und intrakranielle Drucksteigerung: intensivmedizinische Behandlung
Behandlungskonzepte Zu unterschiedlichen Zeitpunkten entwickeln die meisten Patienten mit schwerem SHT infolge des posttraumatischen Hirnödems einen Anstieg des intrakraniellen Drucks [41], der den zerebralen Primärschaden durch Massenverschiebung und transtentorielle Herniation weiter verstärkt. Aktuelle Behandlungsformen des posttraumatischen Hirnödems fußen zum einen auf unspezifischen, allgemeinen Maßnahmen (z. B. Sedierung, Lagerung, Liquordrainage etc.), zum anderen auf einer spezifischen medikamentösen Behandlung mit verschiedenen pharmakologischen Ansätzen. Die Kombination dieser Maßnahmen führt zu verschiedenen Behandlungskonzepten. Das gängige Behandlungskonzept für Patienten mit SHT beruht auf der Hypothese, dass eine Optimierung der zerebralen Perfusion unter gleichzeitiger Senkung des intrakraniellen Druckes und Aufrechterhaltung der allgemeinen Körperhomöostase die neurologische Erholung des Patienten (»outcome«) verbessert [6, 24]. Voraussetzung ist ein Basismonitoring (. Tab. 68.9), verbunden mit der klinischen Überwachung des Patienten, das ggf. durch eine Überwachung von ICP und CPP ergänzt wird. Auf die Behandlung des erhöhten ICP wird ausführlich in 7 Kap. 49 eingegangen. Allgemein wird sie in Form einer Stufentherapie durchgeführt, wobei die nebenwirkungsträchtigsten Maßnahmen an letzter Stelle der Therapie stehen. Für die Differenzialtherapie des posttraumatischen Hirnödems wird ein erweitertes Neuromonitoring (endexspiratorisches CO2, Bulbus-jugularis-Oxymetrie, Gewebe-pO2, transkranieller Doppler, EEG, evozierte Potenziale, Mikrodialyse, rCBF) empfohlen, wobei der Stellenwert einzelner Parameter noch definiert werden muss. Durch dieses multimodale Monitoring kann eine bessere Differenzierung der verschiedenen Ödemformen vorgenommen und der Einsatz verschiedener spezifischer und unspezifischer Maßnahmen optimiert werden (7 Kap. 16). Grundsätzlich andere Therapiekonzepte [1, 32] haben sich gegenüber diesen etablierten Behandlungsformen bislang nicht durchsetzen können.
»Neuroprotektive« Medikamente Trotz vielversprechender tierexperimenteller Daten konnte bislang beim posttraumatischen Hirnödem für kein Pharmakon ein klinischer Wirksamkeitsnachweis erbracht werden. Lediglich die Gabe von Mannitol kann zur Behandlung des akuten intrakraniellen Druckanstiegs als gesichert empfohlen werden [6].
. Tab. 68.9 Monitoring bei schwerem SHT Basismonitoring
Allgemeines Monitoring 5 EKG 5 psO2 (Pulsoxymetrie) 5 ETCO2 (Kapnometrie) 5 Blutdruck (blutig, kontinuierlich, Mitteldruck) 5 Temperatur (rektal, kontinuierlich) 5 Arterielle Blutgasanalyse (paO2, paCO2, pH) 5 Labor (kleines Blutbild, Thrombozyten, Elektrolyte, Blutzucker, Gerinnung, Osmolarität)
Zerebrales Monitoring
5 Neurologische Überwachung (GCS, Motorik, Pupillen) 5 Intrakranieller Druck (ICP) 5 Zerebraler Perfusionsdruck (CPP) 5 CT (nach Erfordernis jederzeit durchführbar)
Erweitertes Neuromonitoring
5 5 5 5 5 5 5
EEG Evozierte Potentiale Transkranielle Dopplersonographie Hirngewebe-pO2 Jugularvenenoxymetrie Mikrodialyse Regionaler zerebraler Blutfluss (rCBF)
68.7
Spätfolgen des Schädel-Hirn-Traumas
68.7.1
Posttraumatische und postoperative Meningitis
Bei jeder Eröffnung des Liquorraums – sei es durch ein direkt oder indirekt offenes Schädel-Hirn-Trauma oder nach einem intrakraniellen Eingriff kann es zu einer posttraumatischen/postoperativen Meningitis kommen. Diese tritt nur selten vor Ende der 1. Krankheitswoche auf. Leitsymptome sind Kopfschmerz, Erbrechen, Nackensteifigkeit und Temperaturerhöhung. Differenzialdiagnostisch ist mittels Computertomographie ein subdurales Empyem oder ein Hirnabszess auszuschließen. Bei der Lumbalpunktion, welche erst im Anschluss an ein CT durchgeführt werden sollte, findet sich eine Erhöhung von Zellzahl und Eiweißgehalt, oft schon makroskopisch an der Trübung des Liquors erkennbar. Die Therapie besteht in einer hochdosierten antibiotischen Behandlung nach vermutetem oder nachgewiesenem Erreger und Resistenzbestimmung.
68.7.2
Posttraumatischer Hydrozephalus
Etwa 5% aller Patienten entwickeln nach einem schweren SHT einen posttraumatischen Hydrozephalus. Ursache ist in den meisten Fällen ein Missverhältnis zwischen Liquorproduktion und -resorption (Hydrocephalus aresorptivus). Nur in Ausnahmefällen handelt es sich um einen Verschlusshydrozephalus durch Ventrikeleinblutung mit konsekutiver Aquäduktblockade. Der posttraumatische Hydrozephalus tritt nur selten vor der 2. Krankheitswoche auf. Klinische Zeichen beim wachen Patienten sind Nachlassen von Konzentration und Gedächtnis, Koordinationsstörungen und Abbau der Persönlichkeit. Bei bewusstseinsgetrübten Patienten gibt eine verzögerte Erholung zur weiterführenden Diagnostik (CT, MRT) Anlass. Die Behandlung des aresorptiven Hydrozephalus besteht in der Anlage eines ventrikuloperitonealen Shuntsystems. Beim Verschlusshydrozephalus ist die endoskopische Wiederherstellung der Liquorpassage (Entfernen des Koagels, ggf.
871 Literatur
. Tab. 68.10 Glasgow Outcome Scale. (Nach [21,39]) Outcome-Klasse
Punktzahl
Outcome
»Schlechtes Outcome«
1 Punkt
Verstorben
2 Punkte
Vegetativ (=apallisches Syndrom)
3 Punkte
Schwerbehindert, pflegebedürftig
4 Punkte
Mäßig behindert
5 Punkte
Keine/minimale Behinderung
»Gutes Outcome«
. Abb. 68.8 Typischer klinischer Befund (pulsierender Exophthalmus, konjunktivale Injektion, Protrusio Bulbi) bei Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel rechts
Ventrikulostomie) die Behandlungsmethode der Wahl, die wir gegenüber der Anlage eines Shuntsystems bevorzugen.
68.7.3
Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel
Durch Frakturen der Schädelbasis im Bereich des Sinus cavernosus kann die Wand der durchtretenden A. carotis verletzt werden. Hierdurch kommt es zum Einströmen des arteriellen Blutes über das Niederdrucksystem des Sinus in die orbitalen Venen. Auskultatorisch findet man ein pulssynchrones Rauschen. Dieses ist typischerweise mit einem pulsierenden Exophthalmus, einer erheblichen konjunktivalen Injektion und einer Schwellung der Konjunktiven verbunden (. Abb. 68.8). Derartige Fisteln manifestieren sich klinisch zumeist innerhalb der ersten 14 Tage, können jedoch auch weit später auftreten. Nach obligater augenärztlicher Erhebung des Ausgangsbefundes lässt sich die Fistel in CT- oder MRT-Angiographiesequenzen wie auch im konventionellen Angiogramm und durch Ultraschalldiagnostik darstellen. Bei klinischem Verdacht sollten Diagnostik und Behandlung zügig erfolgen, da die Erblindung des betroffenen Auges droht. Der notwendige Verschluss der Fistel wird heute fast immer auf endovaskulärem Wege durchgeführt.
68.8
Prognose
Gerade in der Frühphase nach SHT ist es nicht möglich, eine individuelle Prognose zu stellen. Unzweifelhaft korrelieren jedoch bestimmte Faktoren mit einer besonders schlechten Prognose: 4 Alter über 40 Jahre, 4 niedriger Glasgow-Koma-Score, 4 Störungen von Pupillo- und Okulomotorik, 4 intrakranieller Druck >20 mm Hg, 4 bestimmte intrakranielle Verletzungsmuster (diffuse Verletzung mit Schwellung oder Mittellinienverlagerung, akutes Subduralhämatom), 4 Auftreten extrakranieller Komplikationen (Hypoxämie, Hypotension).
Zur Bewertung des Behandlungserfolgs hat sich die Glasgow Outcome Scale (. 68.11; [2]) international durchgesetzt. Hierbei werden zur weiteren Vereinfachung die Outcome-Klassen »verstorben«, »vegetativ« und »schwer behindert« als »schlechtes Outcome«, die Klassen »leichte Behinderung« und »keine/minimale Behinderung« als »gutes Outcome« zusammengefasst. Mortalität und Morbidität von Patienten mit schwerem SchädelHirn-Trauma sind in den letzten Jahren gesunken. Grob geschätzt kann von einer Senkung der Sterblichkeit von etwa 40% auf 30% ausgegangen werden [27, 31]. Die Ursache hierfür scheint in einer besseren Primärversorgung und einer Optimierung der allgemeinintensivmedizinischen Behandlung zu liegen. Für Deutschland ist ferner darauf hinzuweisen, dass in den letzten Jahren zunehmend Zentren der Frührehabilitation geschaffen wurden, in die die Patienten unmittelbar nach Abschluss der intensivmedizinischen Akutbehandlung verlegt werden sollten.
Literatur 1
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Kapitel 68 · Schädel-Hirn-Trauma
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873
Verletzungen der Kieferund Gesichtsregion S. Reinert
69.1
Grundlagen – 874
69.2
Verletzungen der Gesichtsweichteile – 874
69.2.1 69.2.2
Diagnostik – 874 Primärversorgung – 874
69.3
Einteilung der Gesichtsschädelfrakturen – 875
69.4
Unterkieferfrakturen – 875
69.4.1 69.4.2 69.4.3 69.4.4
Symptomatik und Diagnostik – 875 Einteilung – 875 Therapie – 875 Operationszeitpunkt – 876
69.5
Mittelgesichtsfrakturen – 876
69.5.1 69.5.2 69.5.3 69.5.4 69.5.5
Nasenbeinfrakturen – 876 Jochbeinfrakturen (laterale Mittelgesichtsfrakturen) – 876 Le-Fort-I-, -II- und -III-Frakturen – 877 Orbitafrakturen – 879 Panfaziale Frakturen – 879
69.6
Frontobasisfrakturen – 879
69.6.1 69.6.2
Symptomatik und Diagnostik – 879 Therapie – 879
69.7
Kombinierte Weichteil-Knochen-Verletzungen des Gesichtsschädels – 880
69.7.1 69.7.2
Diagnostik und Besonderheiten der Anästhesie – 880 Therapie – 880
69.8
Sekundäre rekonstruktive Chirurgie im kraniomaxillofazialen Bereich – 880 Literatur – 880
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_69, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
69
874
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69.1
Kapitel 69 · Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion
Grundlagen
Die herausragende Bedeutung des Gesichts für die Persönlichkeit eines Menschen bedingt, dass Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion für den betroffenen Patienten nicht nur von funktioneller, sondern auch von ästhetischer Bedeutung sind: Funktionen wie Sprache, Sehen, Riechen, Kaufunktion und Schlucken können durch ein Trauma im Gesichtsschädelbereich beeinträchtigt werden, aber auch das Gesicht als Ausdruck der Persönlichkeit kann in seiner Integrität zerstört werden. Diese Gesichtspunkte sind bei der Therapie zu berücksichtigen und erfordern eine sorgfältige Diagnostik, eine zeitgerechte, anatomisch exakte Reposition und Fixation aller frakturierten Skelettabschnitte sowie eine subtile Weichteilversorgung. Wegen der aus ästhetischen Gründen begrenzten Zugangswege im sichtbaren Bereich wird die Exposition der Frakturen von intraoral, kleinen periorbitalen Inzisionen und bei komplexen Mittelgesichtsfrakturen über einen Bügelschnitt bevorzugt. Auch im Rahmen der Primärversorgung, die spätestens ca. 7–10 Tage nach dem Trauma erfolgen soll, kann eine primäre Knochentransplantation von autologen Rippen-, Beckenkamm- oder Tabula-externa-Kalottentransplantaten notwendig werden. Die Weichteilversorgung erfolgt mit feinstem atraumatischem Nahtmaterial. Wegen der besonderen Bedeutung der Schädel- und Gesichtstraumatologie für die Intensivmedizin sollen diese Aspekte im Folgenden besonders herausgestellt werden. Einerseits haben moderne Anästhesieverfahren der Kiefer- und Gesichtschirurgie die Anwendung fortschrittlicher chirurgischer Techniken ermöglicht, andererseits wird durch die Osteosyntheseverfahren die postoperative Intensivbehandlung v. a. des polytraumatisierten Patienten wesentlich verbessert. Während früher Ober- und Unterkiefer häufig für mehrere Wochen gegeneinander immobilisiert wurden (mandibulomaxilläre Fixation, früher intermaxilläre Fixation genannt), ist dies heute meist nur kurzfristig erforderlich oder vermeidbar. Auf diese Weise werden Mundhygiene und Bronchialtoilette erleichtert und nichtintubierten Patienten die verbale Kommunikation ermöglicht.
69.2
Verletzungen der Gesichtsweichteile
69.2.1
Diagnostik
69
Verletzungen der Gesichtsweichteile treten nicht selten in Kombination mit Frakturen auf. In solchen Fällen werden, unter Nutzung der Weichteilwunden als Zugang, zunächst die knöchernen Verletzungen nach dem Prinzip »von innen nach außen« versorgt. Da die Primärversorgung zugleich auch die definitive Versorgung sein sollte, kommt der Beurteilung des Erstbehandlers große Bedeutung zu: Lässt sich eine knöcherne Verletzung nicht ausschließen, sollte möglichst auf eine Weichteilversorgung zunächst verzichtet und eine exakte Frakturdiagnostik, zumeist mit Hilfe einer Computertomographie, durchgeführt werden. Dies kann bedeuten, dass der Patient in eine Klinik mit mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Fachabteilung verlegt werden muss. Sind knöcherne Verletzungen ausgeschlossen, sollten Weichteilverletzungen des Gesichts sofort versorgt werden, wenn nicht vital bedrohliche andere Verletzungen im Vordergrund stehen.
69
69.2.2
69
Kleinere Wunden im Gesichtbereich lassen sich in Lokalanästhesie versorgen, ausgedehnte und tiefere Verletzungen sollten in Intubati-
69 69 69 69 69
Primärversorgung
onsnarkose versorgt werden, wobei die Lokalisation der Weichteilverletzungen die Art der Intubationsnarkose bestimmt. ! Cave Generell muss bei allen Operationen im Gesicht der Befestigung des Tubus und einer sicheren Konnektion mit dem Narkosegerät besondere Sorgfalt gewidmet werden. Da sich der Tubus im Operationsgebiet befindet, ist eine ungewollte Dislokation während des Eingriffs nicht sicher auszuschließen.
Schürfwunden Großflächige, wenn auch oberflächliche Schürfwunden im Gesicht sind eine Indikation zur Versorgung in Intubationsnarkose, wenn sie durch Fremdkörper, beispielsweise Schmutz, Steine oder Lacksplitter, verunreinigt sind. Solche Wunden müssen in Narkose mit einer sterilen Bürste, steriler Kochsalz- und 3%iger H2O2-Lösung ausgebürstet werden. Erfolgt dies nicht primär, resultieren ästhetisch störende Schmutztätowierungen, die sekundär nur sehr schwer zu entfernen sind, da auch durch hochtouriges Hautschleifen die tiefer im Gewebe liegenden Pigmentpartikel nicht erfasst werden.
Operationstechnik Generell gilt für die Wundversorgung im Gesichts- und Halsbereich, dass eine atraumatische Operationstechnik mit schichtweisem Wundverschluss, unter Verwendung von feinem Nahtmaterial, erforderlich ist. Alle Wunden müssen sorgfältig bis in die Tiefe und in voller Ausdehnung inpiziert und möglicherweise eingesprengte Fremdkörper (Glassplitter, Holz, Metall, Geschossteile und Schmauchspuren) entfernt werden. Bei gequetschten Wundrändern sind wegen der sehr guten Blutversorgung und hohen Infektionsresistenz der zervikofazialen Weichteile Wundrandexzisionen nicht oder nur äußerst sparsam durchzuführen. Sie sollten auf nekrotische oder extrem schmutztätowierte Gewebeabschnitte beschränkt bleiben. Zur Vermeidung von Gewebeverlusten sollten auch kleine, schmalbasig gestielte Haut- und Schleimhautanteile erhalten werden. Ist bei ausgedehnten Quetschwunden oder Explosionsverletzungen ein Débridement erforderlich oder liegen echte Hautdefekte vor, ist eine plastischchirurgische Rekonstruktion, beispielsweise durch Nahlappenplasik, anzustreben. Aus den genannten Prinzipien geht hervor, dass ausgedehnte Weichteilverletzungen des Gesichts nur von in der Gesichtschirurgie erfahrenen Operateuren versorgt werden sollten. Weichteilverletzungen des Gesichts in der Umgebung von Mund, Nase und Augenlidern sollten in speziellen Zentren behandelt werden. Hier kann auch der Transport mit einem Rettungshubschrauber indiziert sein.
Verletzungen des N. facialis Eine Besonderheit stellt die Verletzung von Ästen des N. facialis dar. Eine Primärversorgung sollte nur dann erfolgen, wenn die Nervdurchtrennung gesichert ist und die Voraussetzungen für eine mikrochirurgische Rekonstruktion günstig sind. Ist dies nicht gegeben, müssen die Nervenenden im Rahmen der Primärversorgung durch farbige, nicht resorbierbare Fäden markiert werden, um ihr Aufsuchen bei einer baldestmöglichen posttraumatischen frühen sekundären Versorgung zu erleichtern. Ist die Nervdurchtrennung unsicher oder nur partiell, kann ebenfalls ein abwartendes Verhalten vorteilhaft sein, da in solchen Fällen häufig keine Parese eintritt und daher eine Fazialis-Rekonstruktion nicht notwendig ist.
875 69.4 · Unterkieferfrakturen
Komplikationen
69.4
Unterkieferfrakturen
Postoperative Komplikationen sind bei Gesichtsweichteilverletzungen vom Lokalbefund her in der Regel nicht zu erwarten. Die Extubation kann kurz nach Ende des Eingriffs erfolgen.
69.4.1
Symptomatik und Diagnostik
69.3
Einteilung der Gesichtsschädelfrakturen
Der Gesichtsschädel reicht anatomisch vom Haaransatz bis zum Unterkieferrand und wird in die Regionen Ober-, Mittel- und Untergesicht gedrittelt. Da bei transversalen Abrissfrakturen des Mittelgesichts der große Keilbeinflügel, die Flügelfortsätze, die Gehörgangsvorderwand und die Wände des Sinus frontalis ohne begleitende Hirnverletzungen gebrochen sein können, erstrecken sich die klinischen Grenzen des Mittelgesichts auch in die frontale Region. Anatomisches Substrat des Untergesichts ist der Unterkiefer, der als einziger beweglicher Knochen des Gesichtsschädels über das Kiefergelenk mit der Schädelbasis artikuliert. Frakturen des Unterkiefers folgen wegen seiner kompakten Knochenstruktur in Klinik und Therapie anderen Prinzipien als Frakturen im Mittelgesicht. Es werden folgende Formen unterschieden: 4 Frakturen im bezahnten Kiefer, 4 Frakturen im zahnlosen oder zahnarmen Kiefer, 4 Frakturen im Milch- und Wechselgebiss. Das Mittelgesicht besteht im Gegensatz zum Unterkiefer aus einer Vielzahl dünnwandiger, pneumatisierter Knochen. Die durch den Unterkiefer vermittelten hohen statischen Druckkräfte werden durch Stützpfeiler (Trajektorien) auf die Schädelbasis fortgeleitet (. Abb. 69.1). Man unterscheidet: 4 Nasenbeinfrakturen, 4 Jochbeinfrakturen, 4 Le-Fort-I-, -II- und -III-Frakturen, 4 Orbitafrakturen, 4 panfaziale Frakturen, 4 Frontobasisfrakturen.
. Abb. 69.1 Trajektoriensystem des Gesichtsschädels. 1 Stirn-Nasen-Pfeiler, 2 Jochbeinpfeiler, 3 Flügelgaumenpfeiler. (Nach [7])
Ein sicheres Frakturzeichen im Bereich des Unterkiefers ist die Deformierung, die jedoch aufgrund der Weichteilschwellung maskiert sein kann, sich aber intraoral als Stufenbildung innerhalb der Zahnreihe mit Einriss der angrenzenden Schleimhaut und als Okklusionsstörung manifestiert. Eine pathologische Beweglichkeit ist bei Unterkieferfrakturen innerhalb der Zahnreihe meist nachweisbar, bei Frakturen des aufsteigenden Astes oder Infrakturen nicht. Auf eine Prüfung der ohnehin häufig nicht auslösbaren Krepitation sollte im Gesichtsschädelbereich verzichtet werden. Die unsicheren Frakturzeichen wie Hämatom, Ödem, Druckund Stauchungsschmerz sowie die gestörte Funktion sind allenfalls diagnostische Hinweise. Auch für den Gesichtsschädelbereich gilt, dass die bildgebende Diagnostik immer in 2 Ebenen erfolgen muss. Sie umfasst bei isoliertem Verdacht auf eine Unterkieferfaraktur mindestens eine Panoramaschichtaufnahme und eine kaudalexzentrische Schädelp.-a.-Aufnahme (nach Clementschitsch).
69.4.2
Einteilung
Die Unterkieferfrakturen lassen sich einteilen in: 4 Frakturen im bezahnten Kiefer, 4 Frakturen im zahnlosen oder zahnarmen Kiefer, 4 Frakturen im Milch- und Wechselgebiss. Klinisch von großer Bedeutung ist innerhalb dieser Gruppen die Abgrenzung von Frakturen des Collum mandibulae, die als gelenknahe Fraktur, nach einer Ruhigstellung von ca. 1 Woche, einer frühfunktionellen Behandlung bedarf.
69.4.3
Therapie
Die Therapie der Unterkieferfrakturen hängt von der Frakturlokalisation, dem Frakturtyp, den Begleitverletzungen, dem Gebisszustand, dem Allgemeinzustand und dem Alter des Patienten ab. Grundsätzlich werden die konservative Therapie, die operative Therapie und Kombinationsformen unterschieden. Frakturen im Milch- und Wechselgebiss werden meist konservativ, d. h. durch eine Oberkiefer- und Unterkiefer-Schienung mit mandibulomaxillärer Fixation für ca. 3–4 Wochen behandelt. Frakturen innerhalb der Zahnreihe gelten wegen des Kontakts zur Mundhöhle definitionsgemäß als offene Frakturen und werden daher baldmöglichst geschient und unter antibiotischer Prophylaxe ruhiggestellt. Dislozierte Frakturen werden mit besonders zierlichen Osteosyntheseplatten monokortikal, von intraoral versorgt. Dieser Zugang vermeidet zusätzliche äußere Narben und eine Schädigung des Ramus marginalis des N. facialis. Wegen der Prüfung und Einstellung der Okklusion, d. h. des korrekten Zusammenbisses, muss die Intubation nasotracheal erfolgen. Gelegentlich werden postoperativ Gummizüge zwischen Oberkiefer- und Unterkieferschiene eingehängt, um auch wegen der Wundheilung eine gewisse Ruhigstellung zu bewirken. Weitere Vorteile der operativen Frakturversorgung sind die verbesserte Mundhygiene und orotracheale Absaugung sowie die Möglichkeit einer schnellen Reintubation während der Intensivtherapie. Dies betrifft v. a. polytraumatisierte Patienten.
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876
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Kapitel 69 · Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion
Einfache, gering dislozierte Frakturen im voll bezahnten Unterkiefer können auch heute noch konservativ, d. h. durch dentale Schienenverbände und mandibulomaxilläre Immobilisation, behandelt werden. Eine Schienung kann meist in Lokalanästhesie erfolgen. Dislozierte Frakturen und Frakturen im zahnlosen oder zahnarmen Kiefer werden operativ versorgt. Die starre mandibulomaxilläre Fixation kann meist unmittelbar postoperativ entfernt werden. Die mandibulomaxilläre Fixation ist besonders ungünstig während einer Intensivtherapie, da sie die Mundhyggiene erschwert und die verbale Kommunikation behindert. Erschwert wird auch eine Notintubation, da zunächst die mandibulomaxillären Drähte mit einer Drahtschere durchtrennt werden müssen.
69
! Cave Bei Intensivpatienten, die mandibulomaxillär fixiert sind, muss eine Drahtschere sofort verfügbar sein; am besten wird die Schere gut sichtbar am Bett befestigt.
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69.4.4
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Operationszeitpunkt
Besteht eine Indikation zur operativen Frakturversorgung, sollte diese baldmöglichst erfolgen, da durch die dauernde Bewegung mobiler Knochenfragmente über kleinste Schleimhauteinrisse oder die Alveolen von im Bruchspalt stehenden Zähnen die Infektionsgefahr erhöht. Ferner ist eine Sofortversorgung von Unterkieferfrakturen bei unstillbarer Blutung im Frakturbereich oder größeren begleitenden intra- oder extraoralen Weichteilverletzungen indiziert. Ist wegen des Allgemeinzustands des Patienten eine definitive Versorgung nicht möglich, muss zumindest eine Ruhigstellung durch dentale Schienen erfolgen und die Osteosynthese möglichst in den ersten 2–3 Tagen nach dem Unfall durchgeführt werden (sog. verzögerte Primärversorgung). Bei beginnender Infektion ist eine antibiotischeTherapie bis zur operativen Versorgung sinnvoll. Nach operativer Versorgung von Unterkieferfrakturen sind intraorale Schwellungen mit Behinderung der Atmung allgemein nicht zu erwarten, sodass postoperativ eine frühzeitige Extubation erfolgen kann. Geschlossene Unterkieferfrakturen, z. B. Collum-mandibulaeFrakturen, werden umgehend durch dentale Schienenverbände ruhiggestellt.
69 69
69.5
Mittelgesichtsfrakturen
69
Mittelgesichtsfrakturen werden heute ausschließlich operativ reponiert und mit Hilfe unterschiedlich dimensionierter Osteosyntheseplatten (Mini- und Mikroplatten) aus Titan fixiert. Diese gewährleisten eine dreidimensional stabile Fixation der operativ reponierten Skelettabschnitte und stellen im Vergleich zu den früher erforderlichen intra-extraoralen Frakturverbänden eine erheblich geringere Belastung des Patienten dar.
69
69.5.1
69
Symptomatik und Diagnostik
69 69
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Nasenbeinfrakturen
Wegen ihrer exponierten Lage sind die Nase und ihre äußeren und inneren Weichteile besonders häufig Traumen ausgesetzt. Es handelt sich meist um geschlossene Frakturen, jedoch sind etwa in der Hälfte der Fälle die bedeckenden Weichteile, das knorpelige oder knöcherne Septum oder die Naenmuscheln ebenfalls betroffen.
Frakturen des Nasenbeins sind vor Eintreten der Weichteilschwellung oft an der außeren Deformität der Nase erkennbar. Hämatome können sich in die paranasalen Weichteile, aber auch nach endonasal ausbreiten und führen dann zu einer Behinderung der Nasenatmung. Diese Patienten berichten oft auch über eine einseitige Hyposmie infolge einer Einengung des Riechspalts. Komplikationen von Nasentraumen sind begleitende Verletzungen der Rhinobasis sowie Blutungen aus den Aa. ethmoidales oder der A. maxillaris mit Aspirationsgefahr. Die Diagnostik umfasst die innere und äußere Inspektion nach Abschwellen der Nasenschleimhaut mit Nasentropfen sowie die Palpation zur Aufdeckung von Stufen oder einer pathologischen Beweglichkeit.
Therapie Die Behandlung von Weichteil- und Knorpelverletzungen folgt den bereits oben dargestellten Prinzipien. Nasenbeinfrakturen werden in der Regel geschlossen – vom Naseninneren her ‒ reponiert und durch Nasentamponade und äußere Schienung stabilisiert. Bei offenen Frakturen wird die Reposition bereits im Rahmen der Primärversorgung vorgenommen, wobei möglichst alle Knochenfragmente erhalten und durch Drahtnähte oder Mikroplatten fixiert werden.
69.5.2
Jochbeinfrakturen (laterale Mittelgesichtsfrakturen)
Symptomatik und Diagnostik Jochbein- und Jochbogenfrakturen gehören zu den häufigsten Gesichtsschädelfrakturen. Die Frakturlinien der Jochbeinfraktur verlaufen durch die Sutura frontozygomatica entlang der lateralen Orbitawand nach kaudal, durch den Orbitaboden zum Infraorbitalrand, über die faziale Kieferhöhlenwand zur Crista zygomaticoalveolaris und über die dorsolaterale Kieferhöhlenwand zurück zur Fissura orbitalis inferior (. Abb. 69.2). Darüberhinaus ist der Jochbogen frakturiert. Klinisch fällt initial eine Abflachung der Jochbeinprominenz auf, die jedoch bald durch die eintretende Weichteilschwellung mit Lidödem und Monokelhämatom maskiert wird. Schwellungen erheblichen Umfangs sind jedoch auch durch ein Luftemphysem möglich, wenn der Patient geschneuzt hat. Durch Traumatisierung des N. infraorbitalis besteht häufig eine Hyp- oder Parästhesie im Ausbreitungsbereich dieses Nervs. Ein nach medial dislozierter oder im Sinne einer Jochbogenfraktur isoliert eingeknickter Jochbogen kann durch mechanische Behinderung der Muskelfortsatzexkursion eine Kieferklemme verursachen. Da der Orbitaboden bei der Jochbeinfraktur mitbetroffen ist, können Doppelbilder oder, nach Abklingen der Schwellung, auch ein Enophthalmus auftreten. Aus diesem Grund ist parallel immer ein augenärztliches Konsil erforderlich. Da klinisch kein Frakturausschluss möglich ist, sind eine halbaxiale bzw. Nebenhöhlenaufnahme und eine axiale Schädelaufnahme (sog. Henkeltopfaufnahme) erforderlich. Da mit diesen Summationsaufnahmen Blow-out-Frakturen nicht sicher dargestellt werden können, ist ein Gesichtsschädel-CT in axialer und koronarer Schichtführung indiziert. Liegt gleichzeitig ein Schädel-Hirn-Trauma vor und somit eine Indikation für ein kraniales CT, kann auch die Nativröntgendiagnostik entfallen und unmittelbar ein Gesichtsschädel-CT zur Frakturdiagnostik angefertigt werden.
877 69.5 · Mittelgesichtsfrakturen
. Abb. 69.2 Jochbeinfraktur mit Darstellung der zur Repositionskontrolle relevanten Punkte: 1 Sutura frontozygomatica, 2 Infraorbitalrand, 3 Crista zygomaticoalveolaris, 4 Jochbogen, 5 Innenfläche der lateralen Orbitawand. (Nach [7])
Therapie Dislozierte Jochbeinfrakturen werden über einen Zugang in der lateralen Augenbraue, subziliar und eine Stichinzision im Bereich der Wange mit Hilfe des Einzinker-Hakens offen reponiert und durch Miniplattenosteosynthese fixiert. Bei entsprechender Trümmerungszone und zur Kontrolle des Repositionsergebnisses wird häufig auch die Crista zygomaticoalveolaris freigelegt. Der frakturierte Orbitaboden wird revidiert und mit Ethisorb oder PDS-Folie rekonstruiert. Jochbeintrümmerfrakturen werden über einen Bügelschnitt versorgt. Der Eingriff erfolgt in Allgemeinnarkose mit orotrachealer Intubation oder nasotrachealer Intubation auf der kontralateralen Seite.
69.5.3
Le-Fort-I-, -II- und -III-Frakturen
Die Le-Fort-I- und Le-Fort-II-Fraktur werden auch als zentrale Mittelgesichtsfrakturen und die Le-Fort-III-Fraktur als zentrolaterale Mittelgesichtsfraktur bezeichnet.
Symptomatik und Diagnostik
z Le-Fort-I-Fraktur Bei der Le-Fort-I-Fraktur handelt es sich um eine horizontale Fraktur, die von der Apertura piriformis durch die faziale Kieferhöhlenwand bis zur Crista zygomaticoalveolaris, die dorsale Kieferhöhlenwand und die Flügelfortsätze, die laterale Nasenwand bis wieder zur Apertura piriformis verläuft (. Abb. 69.3). Der Vomer und das knorpelige Nasenseptum sind ebenfalls betroffen. Klinisch fällt entweder eine Einstauchung oder eine pathologische Mobilität des Oberkiefers auf. Durch die Dislokationstendenz des Oberkiefers nach dorsal-kaudal besteht häufig ein Frühkontakt im distalen Seitenzahngebiet mit frontal offenem Biss.
. Abb. 69.3 Le-Fort-I-Fraktur; schematische Darstellung. (Nach [7])
z Le-Fort-II-Fraktur Bei der Le-Fort-II-Fraktur wird das Mittelgesicht pyramidenförmig zentral ausgesprengt. Die Bruchlinie verläuft durch die Nasenwurzel im Bereich der Sutura frontonasalis, über das Tränenbein und den Orbitaboden zum Infraorbitalrand, durch die faziale Kieferhöhlenwand, die Crista zygomaticoalveolaris, die dorsale Kieferhöhlenwand, die Flügelfortsätze und die laterale Nasenwand zur Fissura orbitalis inferior (. Abb. 69.4). Klinisch ist neben der Mobilität v. a. die Okklusionsstörung mit noch stärkerer Abflachung des Mittelgesichts (»dish face«) auffällig (. Abb. 69.5). Nasenbluten, Luftemphysem und periorbitale Hämatome sind ebenfalls häufig. z Le-Fort-III-Fraktur Bei der Le-Fort-III-Fraktur handelt es sich um einen vollständigen Abriss des Gesichts- vom Hirnschädel, sodass die Frakturlinie durch die frontonasalen und frontomaxillären Suturen über die mediale Orbitawand zum hinteren Anteil der Fissura orbitalis inferior verläuft. Von dort zieht die Frakturlinie durch die Flügelfortsätze, die Sutura zygomaticosphenoidalis, die Sutura frontozygomatica und den lateralen Orbitarand. Darüber hinaus sind die Jochbögen und das kraniale Nasenseptum frakturiert (. Abb. 69.6). Die Le-Fort-III-Fraktur ist i. Allg. mit einer erheblichen Weichteilschwellung durch Einblutung in die Weichteile verbunden, die oft das Gesicht grotesk entstellt. Durch begleitende Sehnervverletzungen kann eine Erblindung resultieren, und bei größeren Blutverlusten über den Nasenrachen ist u. U. eine vitale Bedrohung mit Aspirationsgefahr möglich.
Therapie In der Regel sind geschlossene Mittelgesichtsfrakturen ohne größere Weichteilverletzungen keine Indikationen zur Sofortversorgung. Wegen des oft nicht mit Sicherheit auszuschließenden begleitenden Schädel-Hirn-Traumas und des sehr schnell einsetzenden, oft extremen posttraumatischen Ödems und Hämatoms im Gesichtsbereich
69
878
Kapitel 69 · Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion
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. Abb. 69.4 Le-Fort-II-Fraktur mit Dislokation des dorsalen Oberkiefers nach kaudal und frontal offenem Biss; schematische Darstellung. (Nach [7])
. Abb. 69.6 Le-Fort-III-Fraktur, Dislokation wie bei Le-Fort-II-Fraktur. (Nach [7])
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. Abb. 69.5 Seitliche Darstellung der Le-Fort-Frakturen mit Darstellung der typischen Dislokation durch Zug des M. pterygoideus medialis nach kaudal. (Nach [7])
sollte eine verzögerte Primärversorgung zwischen dem 4. und 7. postraumatischen Tag durchgeführt werden. In dieser Zeit kann die präoperative Diagnostik, beispielsweise eine Gesichsschädel-CT und neurochirurgische sowie augenärztliche Untersuchungen, erfolgen. Die umgehende Versorgung von Mittelgesichtsfrakturen ist bei unstillbaren Blutungen aus Mund bzw. Nase und zusätzlichen äußeren Weichteilverletzungen oder ausgedehnten intraoralen Schleimhautverletzungen indiziert. In diesen Fällen ist meist mangels ausreichender Diagnostik und in Anbetracht der erforderlichen Narkosedauer eine endgültige Frakturversorgung nicht möglich.
Dislozierte oder mobile Le-Fort-Frakturen werden i. Allg. operativ durch intraorale Zugänge und Schnittführungen im Bereich der lateralen Augenbraue sowie unter der Unterlidkante freigelegt, reponiert und durch Miniplattenosteosynthese fixiert. Komplexe Frakturen werden über einen bikoronaren Schnitt angegangen (. Abb. 69.7). Da ein Hauptkriterium der regelrechten Reposition die korrekte Verzahnung von Oberkiefer und Unterkiefer ist, wird während der Operation eine mandibulomaxilläre Immobilisation durch dentale Schienenverbände durchgeführt. In diesen Fällen ist somit eine nasotracheale Intubation erforderlich. Postoperative Ödeme im Oropharynxbereich mit Verlegung der Atemwege sind bei Mittelgesichtsfrakturen nicht zu erwarten. Bei ausreichend stabiler Osteosynthese der Mittelgesichtsfrakturen wird die mandibulomaxilläre Immobilisation am Ende der Operation gelöst. Der frei zugängliche Mund- und Rachenraum erlaubt dann eine baldige Extubation. Kann eine hinreichende Stabilität im Rahmen der osteosynthetischen Versorgung, beispielsweise bei schwersten komplexen Mittelgesichtstrümmerfrakturen, nicht erzielt werden, ist eine weitere mandibulomaxilläre Immobilisation erforderlich. In solchen Fällen sollte der nasotracheale Tubus zur Sicherheit während der ersten postoperativen Nacht belassen werden. Die Extubation kann dann meist am nächsten Tag – in Abstimmung mit dem Operateur – erfolgen. Zur Erleichterung der behinderten Mundatmung, insbesondere bei zusätzlich tamponierter Nase, können 2 Wendl-Tuben in beide Mundwinkel zwischen Wange und Zahnreihen eingebracht werden. Bei voraussehbar längerer Beatmungspflichtigkeit kommt alternativ eine Tracheotomie in Betracht.
879 69.6 · Frontobasisfrakturen
tät des Gesichtsschädels muss mit langen Operationszeiten und der Notwendigkeit einer postoperativen intensivmedizinischen Betreuung gerechnet werden. Nicht selten ist in solchen Fällen das Zusammenwirken mehrerer Fachgebiete wie Kiefer- und Gesichtschirurgie, Neurochirurgie, HNO und Ophthalmologie erforderlich. Perioperativ ist in Abhängigkeit vom Blutbild die Bereitstellung von Blutkonserven erforderlich. Wegen der zu erwartenden ödematösen Schwellung ist bereits intraoperativ eine antiphlogistische Therapie mit Kortisonpräparaten zu diskutieren.
. Abb. 69.7 Zugangswege zum Gesichtsschädel (Bl=bikoronare Inzision, NS=N. supraorbitalis, FS=Foramen supraorbitale, NF=Stirnast des N. facialis, TCI=transkonjunktivale Inzision, NI=N. infraorbitalis, GI=GlabellaInzision, AI=Augenbraueninzision, OB=Oberlid-Blepharoplastik-Inzision, UB=Unterlid-Blepharoplastik-Inzision, SI=Subziliarinzision, II=infraorbitale Inzision, JB=Jochbogen, SI=Stichinzision). (Nach [7])
69.5.4
Orbitafrakturen
Orbitafrakturen treten einerseits im Rahmen von Jochbein-, LeFort-II- und Le-Fort-III-Frakturen auf, kommen aber andererseits auch als isolierte Frakturen vor. Am häufigsten sind isolierte Orbitabodenfrakturen ohne Beteiligung des Infraorbitalrandes, sog. Blow-out-Frakturen, und Frakturen der medialen Orbitawand. Beide Formen sind wegen der Weichteilschwellung oder der geringen initialen Symptomatik klinisch schwer nachweisbar und werden auch auf konventionellen Röntgenaufnahmen leicht übersehen. Da v. a. isolierte Orbitabodenfrakturen mit Dislokation von Orbitaweichteilen in Richtung Kieferhöhle ohne adäquate Therapie zu erheblichen funktionellen Spätfolgen wie Bulbusmotilitätsstörung mit Diplopie und Enophthalmus führen können, ist bei Verdacht eine Computertomographie erforderlich. Der Patient darf vor dem Frakturausschluss nicht schneuzen und erhält abschwellende Nasentropfen. Die Therapie besteht in der operativen Revision mit Reposition der prolabierten Orbitaweichteile. Da eine Reposition und Fixation der meist multiplen Knochenfragmente nicht möglich ist, wird der Defekt in der Orbitawand beispielsweise durch ein Ethisorb-Patch, spezielle Titanplatten oder autologe Knochentransplantate von der Tabula externa rekonstruiert. > Bei umfangreichen Maßnahmen an den Orbitawänden ist in Absprache mit dem Operateur postoperativ eine regelmäßige Visuskontrolle notwendig.
69.5.5
Panfaziale Frakturen
Sind mehrere Regionen des Gesichtsschädels frakturiert, spricht man von panfazialen Frakturen. Diese werden wegen der initialen Gefährdung des Patienten und der erheblichen Schwellung meist nach 7–10 Tagen verzögert primär versorgt. Wegen der Komplexi-
69.6
Frontobasisfrakturen
69.6.1
Symptomatik und Diagnostik
Der vordere Anteil der Schädelbasis wird vom Orbitadach, der Stirnhöhlenhinterwand, der Lamina cribrosa, den Dächern von Siebbein und Keilbeinhöhle sowie der Keilbeinhinter- und Seitenwand gebildet. Wegen der damit verbundenen, sehr unterschiedlichen Festigkeit zeigen frontobasale Frakturen oft unerwartete Verlaufsrichtungen. Von klinisch großer Bedeutung ist, dass die Dura im Bereich der Rhinobasis dünn und mit dem Knochen fest verwachsen ist. Sie ist daher relativ unelastisch mit der knöchernen Unterlage verbunden und reißt bei Frakturen besoders leicht ein. Klinisch sind frontobasale Frakturen, mit Ausnahme offener Verletzungen, wegen ihrer verdeckten Lage nicht unmittelbar erkennbar. Charakteristische Symptome sind Blutungen aus Nase und Nasenrachen, Brillenhämatom, Hämatosinus, Rhinoliquorrhö, eine uni- oder bilaterale Riechstörung und Schleimhautunterblutungen des Rachendachs und der Rachenhinterwand. Oft wird am Patienten mit vermuteter Rhinoliquorrhö eine Bestimmung des Zuckergehalts mit Teststreifen gegenüber dem normalen Nasensekret durchgeführt. Für sie gilt: Der Zuckergehalt des Liquor cerebrospinalis ist halb so groß wie der des Blutes und doppelt so groß wie der des Nasensekrets. Sind klinische Hinweise auf eine frontobasale Fraktur gegeben, ist wegen der schwerwiegenden Spätkomplikationen wie Meningitis oder Hirnabszess in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik indiziert. Methode der Wahl ist die Computertomographie, mit deren Hilfe nicht nur die knöchernen Verletzungen, sondern gleichzeitig auch intrakranielle Komplikationen wie Blutungen, Fremdkörper oder Hirnsubstanzdefekte dargestellt werden können.
69.6.2
Therapie
Die Versorgung frontobasaler Frakturen ist eine interdisziplinäre Aufgabe und hängt vom Dislokationsgrad und den Begleitverletzungen ab. Oft stellt sich bei der Versorgung eine größere Ausdehnung der Verletzungen heraus als erwartet. Absolute Operationsindikationen sind: 4 massive Blutungen aus Nase und Nasenrachen, 4 intrazerebrale Blutungen mit Anstieg des Hirndrucks, 4 offene Hirnverletzungen, 4 Liquorrhö, 4 Pneumatozephalus, 4 Pfählungs- und Schussverletzungen, 4 Früh- und Spätkomplikationen wie Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess, Osteomyelitis, Nebenhöhleneneiterungen sowie posttraumatische Muko- und Pyozelen. Zugangsweg der Wahl ist der Bügelschnitt, der auch als Zugang zum supra- und lateroorbitalen Rand genutzt werden kann.
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Kapitel 69 · Verletzungen der Kiefer- und Gesichtsregion
69.7.2
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. Abb. 69.8 Intraoprative Situation nach Bügelschnitt: Zustand nach Osteosynthese einer komplexen Mittelgesichtsfraktur mit Beteiligung des Os frontale
Besondere Bedeutung kommt der adäquaten Versorgung der Stirnhöhle zur Sicherstellung ihrer postoperativen Funktion zu. Diese hängt entscheidend von der Integrität des Ductus nasofrontalis ab. Ist der Ductus nicht durch eine dislozierte Fraktur verlegt, kann die Stirnhöhle, nach Revision und Osteosynthese der Vorderwand (. Abb. 69.8), meist erhalten werden; ist der Ductus nasofrontalis mit der Stirnhöhlenhinterwand zertrümmert, kommt die Kranialisierung der Stirnhöhle mit Entfernung ihrer Rückwand und mit Verschluss des Ductus zur Nase in Betracht. Allgemein scheint eine invasivere operative Therapie von Stirnhöhlenfrakturen langfristig zu besseren Ergebnissen zu führen.
69
69.7
Kombinierte Weichteil-KnochenVerletzungen des Gesichtsschädels
69
69.7.1
Diagnostik und Besonderheiten der Anästhesie
69 69 69 69 69 69 69 69 69 69 69
Bei den kombinierten Weichteil-Knochen-Verletzungen des Gesichtsschädels handelt es sich oft um schwerste Gesichtsschädelverletzungen. Wegen der vorgegebenen Weichteilzugänge ist in diesen Fällen auch die Versorgung der knöchernen Verletzungen indiziert, sofern nicht vital bedrohliche anderweitige Verletzungen im Vordergrund stehen. Voraussetzung ist allerdings der Ausschluss intrakranieller Verletzungen und eine ausreichende Frakturdiagnostik, sodass i. Allg. umgehend eine Computertomographie des Hirnund Gesichtsschädels durchgeführt werden muss. > Bei profusen Blutungen und/oder Aspirationsgefahr kann jedoch zuvor eine notfallmäßige Blutstillung, z. B. durch Bellocq-Tamponade, und eine Intubation erforderlich sein.
Letztere kann extrem schwierig sein, sodass der Anästhesist entsprechende Erfahrung besitzen sollte. Der Intubationsweg sollte mit dem Operateur abgestimmt sein. Meist besteht wegen der erforderlichen mandibulomaxillären Fixation eine Indikation für eine nasotracheale Intubation. Bei Vorliegen komplexer nasoorbitoethmoidaler Frakturen kann intraoperativ, nach Osteosynthese des Ober- und Unterkiefers, eine orotracheale Umintubation nach Lösung der mandibulomaxillären Fixation erforderlich werden.
Therapie
Kombinierte Knochen- und Weichteilverletzungen werden nach dem Prinzip »von innen nach außen« versorgt, d. h. dass zunächst alle dislozierten Skelettabschnitte freigelegt, reponiert und fixiert werden. Erst im Anschluss erfolgt der mehrschichtige Wundverschluss der Weichteilverletzungen. Bestehen Trümmerungen oder Knochendefekte, ist eine primäre Rekonstruktion mit autologen Knochentransplantaten, meist von der Tabula externa, indiziert. Dies gilt insbesondere für die Wiederherstellung der nasoorbitalen Region, da die anderenfalls eintretenden Spätfolgen wie narbige Schrumpfung der Weichteile, Telekanthus, Enophthalmus, vertikaler Bulbustiefstand und Doppelbilder auf diese Weise am effektivsten gemindert weden können. Alle Sekundärkorrekturen sind einer optimalen Primärversorgung erheblich unterlegen. Wegen des u. U. hohen operativen Aufwandes sind für Primärversorgungen allerdings Operationszeiten von 8–10 h keine Seltenheit. Postoperativ sollte der Patient nach umfangreichen Interventionen intubiert bleiben und für die Nacht einer intensivmedizinischen Überwachung zugeführt werden. In diesem Rahmen ist insbesondere der neurologische Status zur frühen Erfassung sich anbahnender intrakranieller Komplikationen von Bedeutung. Ernste lokale Komplikationen sind unter perioperativer antibiotischer Prophylaxe selten, jedoch kann der Patient für mehrere Tage durch eine erhebliche Schwellung beeinträchtigt sein.
69.8
Sekundäre rekonstruktive Chirurgie im kraniomaxillofazialen Bereich
Sekundäre rekonstruktive Operationen im kraniomaxillofazialen Bereich sind frühestens nach ca. 6 Monaten möglich. In der Regel befindet sich der Patient zu diesem Zeitpunkt wieder in einem guten Allgemeinzustand. Da es sich jedoch nicht selten ebenfalls um langdauernde Eingriffe mit nicht unerheblichem Blutverlust handelt, ist präoperativ die Frage einer Eigenblutspende zu klären. Der Intubationsweg sollte wiederum mit dem Operateur abgestimmt werden, allerdings ist eine mandibulomaxilläre Fixation meist nicht mehr zu erwarten. Bei komplexen endonasalen oder intraoralen Rekonstruktionen sollte die mögliche Verletzungsgefahr durch postoperatives Absaugen geklärt sein. Werden Beckenkammtransplantate gehoben, steht oft der Schmerz an der Entnahmestelle im Vordergrund, sodass eine effektive analgetische Therapie erforderlich ist.
Literatur 1
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5 6 7
Austermann, KH (2002) Frakturen des Gesichtsschädels. In: Schwenzer N, Ehrenfeld M (Hrsg) Spezielle Chirurgie, Bd 2. Thieme, Stuttgart, S 275–366 Booth, PW, Schendel SA, Hausamen JE (2007) Maxillofacial surgery, vol 1. Churchill Livingstone, St. Louis Ernst A, Herzog M, Seidl RO (2004) Traumatologie des Kopf-Hals-Bereichs. Thieme, Stuttgart Ewers, R, Wild K, Wild M, Ensilidis G (1995) Traumatologie. In: Hausamen JE, Machtens E, Reuther J (Hrsg) Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 211–298 Fonseca RJ, Walker RV, Betts NJ (2004) Oral and maxillofacial trauma, vol 1, 2. Saunders, Philadelphia London Härle F, Champy M, Terry BC (1999) Atlas of craniomaxillofacial osteosynthesis. Thieme, Stuttgart New York Prein J (1998) Manual of internal fixation in the craniofacial-skeleton. Springer, Berlin Heidelberg New York
881
Thoraxtrauma R. Stocker
70.1
Einleitung – 882
70.2
Diagnostik – 882
70.3
Stumpfes Thoraxtrauma – 882
70.3.1 70.3.2 70.3.3 70.3.4 70.3.5 70.3.6
Rippenfrakturen – 882 Lungenkontusion – 883 Pneumothorax, Hämatothorax – 883 Zwerchfellruptur – 884 Tracheobronchiale Verletzungen – 884 Allgemeine Probleme nach stumpfem Thoraxtrauma – 885
70.4
Penetrierendes Thoraxtrauma – 885
70.5
Herzverletzungen – 885
70.5.1 70.5.2 70.5.3 70.5.4
Herzkontusion – 885 Verletzungen der Koronararterien – 886 Herztamponade – 886 Anatomische Läsionen des Herzens – 886
70.6
Verletzung der Aorta und der großen Gefäße – 887
70.7
»Damage Control« beim Thoraxtrauma – 888
70.7.1 70.7.2 70.7.3
Packing – 888 Wundverschluss – 889 Postoperative Behandlung – 889
Literatur – 890
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_70, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
70
882
70 70 70 70 70 70 70 70
70.1
Kapitel 70 · Thoraxtrauma
Einleitung
Thoraxtraumen sind in den meisten Fällen potentiell lebensbedrohliche Verletzungen, die eine sach- und zeitgerechte Erstbeurteilung mit entsprechender Primärversorgung und Akuttherapie erfordern. Hauptursachen vermeidbarer Todesfälle sind in diesem Zusammenhang v. a. die inadäquate Sicherung der Atmung und die Tatsache, dass Thoraxverletzungen unzureichend erkannt oder behandelt werden [15]. Auch in der Notaufnahme spielt die Unterschätzung bzw. das Nichterkennen von Thoraxverletzungen eine wesentliche Rolle für die Morbidität und Mortalität nach Trauma [15]. Folgende Maßnahmen sind möglicherweise schon bei der präklinischen Versorgung von Patienten mit Thoraxtrauma erforderlich: 4 Intubation und Beatmung, 4 Anlage einer Thoraxdrainage, z. B. beim Spannungspneumothorax oder beim »einfachen« Pneumothorax mit begleitender Hypoxie [11].
70
70.2
70
Die Diagnostik umfasst neben Inspektion (Hautkolorit, Atemmechanik, Atemexkusrsionen, Asymetrien) die Auskultation (bereits am Unfallort), bei der v. a. das Fehlen von Atemgeräuschen einen hohen Stellenwert bei der Diagnose des Pneumothorax hat [52]. Nach Eintreffen in der Notaufnahme erfolgt die Routineuntersuchung des Schwerverletzten auf der Suche nach Thoraxverletzungen in der Regel durch eine Thoraxröntgenaufnahme. Diese muss fast immer im Liegen angefertigt werden, was die Interpretation erschwert. Verletzungen wie Hämatothorax, Pneumothorax und Lungenkontusionen kommen häufig nicht ausreichend zur Darstellung [51]. Die eine deutlich präzisere Evaluation der Verletzungsfolgen erlaubende Computertomographie hat den Nachteil, dass sie den Transport des z. T. sehr instabilen Patienten erforderlich macht. Mit den modernen Multislice-Spiral-Computertomographiegeräten lassen sich kontrastmittelverstärkte Aufnahmen nicht nur des Thorax in Minuten anfertigen, die Auskunft über Skelett-, Lungenparenchym- und Gefäßverletzungen geben. Sowohl ein Pneumothorax wie auch ein Hämatothorax werden mittels CT deutlich besser detektiert als mit konventionellen Röntgenaufnahmen. So zeigten Plurad et al. die Detektion von okkultem Pneumothorax in 14,5% und von auf Röntgenaufnahmen nicht sichtbarem Hämatothorax in 21,4% [40]. Für den Nachweis von Lungenkontusionen ist die Computertomographie der klassischen Röntgenuntersuchung noch stärker überlegen; so werden Lungenkontusionen mit diesem Verfahren doppelt so häufig diagnostiziert wie auf der Röntgenaufnahme [49]. Eine valable Alternative zur Ergänzung der Röntgenuntersuchung bei Patienten, die nicht transportiert werden können bzw. müssen, stellt die Sonographie des Thorax dar. Sie ist eine rasch verfügbare, bettseitig einsetzbare Methode, die heute in jeder Notfallaufnahme zur Verfügung steht. Obwohl sie in der Thoraxuntersuchung beim Thoraxtrauma nicht allgemein etabliert ist, zeigt die Literatur, dass Rippenfrakturen [5, 19, 24, 30, 51, 54], Sternumfrakturen [5, 30], Pneumothorax [14, 26, 45], Pleuraergüsse bzw. Hämatothorax [1, 7] mit diesem Verfahren diagnostiziert werden können. In einer aktuellen systematischen Arbeit konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit stumpfem Thoraxtrauma mittels Ultraschall häufiger Rippenfrakturen und Pleuraergüsse diagnostiziert werden als in der konventionellen Radiographie [42]. Zudem konnten
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Diagnostik
auch Lungenkontusionen (unregelmäßig, oft polzyklisch begrenzte echoarme, subpleurale Infiltration im Bereich der traumatisierten Region) dargestellt werden, welche durch das Fehlen der typischen Lufteinschlüsse von der Pneumonie abgrenzbar sind.
70.3
Stumpfes Thoraxtrauma
Nichtpenetrierende Verletzungen des Thorax können in der Notaufnahme bei polytraumatisierten Patienten leicht übersehen werden. ! Cave Zeichen eines stumpfen Thoraxtraumas sind ein Warnsignal für evtl. begleitende Herz- und Lungenverletzungen.
Statistisch gesehen sind Hypoxie, Verbluten sowie mit dem Thoraxtrauma verbundene extrathorakale Zusatzverletzungen die häufigsten Todesursachen beim stumpfen Thoraxtrauma. Das Thoraxtrauma selbst stellt die Hauptursache von Todesfällen aufgrund thorakaler Störungen bei Personen unter 45 Jahren dar. Je nach Krafteinwirkung können verschiedene intrathorakale Verletzungen auftreten:
70.3.1
Rippenfrakturen
Rippenfrakturen stellen eine häufige Manifestation von Thoraxverletzungen dar. Das Risiko für wesentliche Komplikationen steigt mit der Anzahl verletzter Rippen, als Ausdruck der größeren Krafteinwirkung einerseits und der posttraumatischen Auswirkungen andererseits. Rippenserienfrakturen gehen in 5–7% mit schwersten kardiorespiratorischen Komplikationen einher. Rippenserienfrakturen schließen meistens Frakturen der 7.–10. Rippe ein und sind deshalb oft mit Verletzungen der Milz und/oder der Leber verbunden. Hohe Rippenfrakturen können auf schwere innere Verletzungen hinweisen, wobei v. a. die Fraktur der ersten Rippe nach früheren Untersuchungen als Warnzeichen für potentielle Gefäßverletzungen (Ruptur der A. subclavia, traumatische Aortenruptur) gegolten hat. In der Untersuchung von Lazrove [27] wurde allerdings gezeigt, dass Frakturen der ersten Rippe nicht notwendigerweise mit einer erhöhten Inzidenz von inneren Verletzungen einhergehen.
Thoraxwandinstabilität Der Begriff »flail chest« bezieht sich auf die paradoxe inspiratorische Retraktion bzw. exspiratorische Expansion eines instabilen Thoraxwandanteils durch Mehrfragmentrippenserienfrakturen. Bei gleichzeitig schlechter Lungencompliance wird die paradoxe Thoraxwandbewegung durch den erhöhten pleuroatmosphärischen Duckgradienten verstärkt. Störungen des Gasaustausches wurden früher v. a. den mechanischen Störungen der Thoraxwand mit dem Auftreten von sog. »Pendelluft« zugeschrieben. Eine größere Relevanz der »Pendelluft» konnte allerdings, außer vielleicht bei massivster Thoraxwandinstabilität, weder klinisch noch experimentell bewiesen werden. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass die alveoläre Ventilation und die O2Aufnahme auf der Seite der Instabilität sogar größer sein können, sodass heute die Störungen des Gasaustausches v. a. auf Lungenkontusionen zurückgeführt werden. Aus diesem Grund sollte von externen (Traktion) oder internen (Beatmung) Stabilisierungsversuchen der mobilen Thoraxwand abgesehen werden. Die Ventilations-/Perfusionsstörung ist v. a. durch regionale Hypoventilation von perfundierten Alveolen bedingt, v. a.
883 70.3 · Stumpfes Thoraxtrauma
. Abb. 70.1 a, b Schwere beidseitige Lungenkontusionen bei Polytrauma mit stumpfem Thoraxtrauma (a). Die Computertomographie (b) zeigt die rechtsseitigen Verdichtungen in den abhängigen Lungenabschnitten, die u. a. für eine Zunahme des Rechts-links-Shunts mit Verschlechterung des O2-Transports verantwortlich sind und darauf hinweisen, dass diese Patienten u. U. von einer Lagerungstherapie, z. B. intermittierende Bauchlage, profitieren können
durch Lungenkontusionen oder schmerzbedingte Thoraxbewegungseinschränkung.
70.3.2
Lungenkontusion
Bei der Lungenkontusion bewirkt die auf den Thorax einwirkende Energie eine Erhöhung des intraalveolären Drucks mit Ruptur der alveolokapillären Membran. Dies führt zur intraalveolären Blutung gefolgt von einem interstitiellen und alveolären Ödem mit Surfactant-Schaden, auch wenn eine größere Gewebszerreißung fehlt. Pathophysiologische Folge ist ein Ventilations-Perfusions-Missverhältnis mit resultierender Hypoxie. Lungenkontusionsbedingte schwere Gasaustauschstörungen stellen die Hauptindikation zur Intubation und Beatmung mit positiv endexspiratorischem Druck dar. Schwere einseitige Kontusionen können dabei zu stark unterschiedlicher Lungendehnbarkeit führen und in Einzelfällen eine differenzierte, seitengetrennte Beatmung über einen Doppellumentubus erfordern. Auch hier gilt jedoch der Grundsatz, so kurz und so schonend wie möglich zu beatmen, da gezeigt werden konnte, dass nicht beatmete, optimal analgetisch behandelte Patienten einen
günstigeren Verlauf hinsichtlich Behandlungsdauer und pulmonaler Infektionen aufweisen können ([6]; . Abb. 70.1). Patienten mit ausgedehnten Lungenkontusionen benötigen eine sorgfältige hämodynamische Behandlung. Einerseits kann eine übermäßige Volumenzufuhr zu einer vermehrten Ödembildung führen, nicht nur in den kontusionierten Arealen, sondern auch in normalen Lungenanteilen. Andererseits begünstigt eine protrahierte Hypovolämie die Gewebeischämie und insbesondere eine Splanchnikusminderperfusion und kann damit Wegbereiter für ein Multiorganversagen sein. Aus diesem Grund ist ein sorgfältiges hämodynamisches Monitoring unabdingbar; entsprechend kann auch die Indikation für die Überwachung mittels Pulmonaliskatheter großzügiger gestellt werden. Eine der schwerwiegensten Folgen der Lungenkontusion ist das posttraumatische ARDS, dessen Behandlung auch heute noch eine große Herausforderung darstellt. Als ultimative Rescuetherapie bei konventionell nicht beherrschbaren Gasaustauschstörungen kommen in jüngerer Zeit vermehrt extrakorporale Gasaustauschverfahren (ECMO) und »pumpless extracorporal lung assist«; pECLA) zum Einsatz, beides Verfahren, die eine extrem lungenschonende Beatmung erlauben, ohne große Kompromisse bezüglich Gasaustausch einzugehen. Technische Entwicklungen wie Membranlungen mit extrem tiefem Flusswiderstand als AV-Shunt angelegt oder aber die Langzeitanwendung von Zentrifugalpumpen mit moderner Membranlungentechnologie, welche hohe Flüsse und eine relativ niedrige Antikoagulation erlaubt, haben zu deren Popularisierung beigetragen. Als neuestes Device wird zur Zeit an verschiedenen Orten ein extrakorporales, rollerpumpengetriebenes, Low-flowSystem (Decap) eingeführt, das lediglich einen zentralvenös oder femoral eingelegten Hämofiltrationskatheter benötigt und den arteriellen CO2-Gehalt um 15–20% zu reduzieren vermag, wobei größere Studien über dessen Effektivität bislang noch fehlen. Gerade bei Patienten mit akuter Hirnverletzung kann die aus der lungenprotektiven Beatmung resultierende permissive Hyperkapnie wegen deren Auswirkungen auf den intrakraniellen Druck nicht toleriert werden, weshalb eine extrakorporale CO2-Elimination unabdingbar werden kann. Das Konzept der extrakorporalen CO2-Elimination konnte an einer kleinen Fallserie von 5 Patienten erfolgreich gezeigt werden [4]. Kleinere Fallserien von ECMO-Behandlungen über die letzten 10 Jahre zeigen ebenfalls, dass diese Verfahren einen zunehmend festen Platz in der Behandlung des hypoxisch-hyperkapnischen posttraumatischen ARDS einnehmen könnte ( [33,29].
70.3.3
Pneumothorax, Hämatothorax
Sowohl stumpfe als auch penetrierende Verletzungen des Thorax können mit einem Pneumo- und/oder Hämatothorax einhergehen, selbst dann, wenn keine Rippenfrakturen vorliegen. ! Cave Fehlende Rippenfrakturen schließen ein schweres Thoraxtrauma nicht aus! Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche, bei denen das elastische Thoraxskelett die gesamte Verletzungsenergie an die intrathorakalen Organe weitergeben kann.
Klinisch sensitive, allerdings nicht sehr spezifische Zeichen für einen Pneumothorax sind ein subkutanes Emphysem, abgeschwächte oder fehlende Atemgeräusche und asymmetrische Thoraxexkursionen. Die größte Gefährdung geht von einem Spannungspneumothorax aus: Er kann zum einen zur Kompression der gegenseitigen Lunge mit weiterer Verschlechterung des Gasaustausches führen,
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Kapitel 70 · Thoraxtrauma
Hämatothorax
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Blutungen, die zu einem Hämathothorax führen, können aus der Brustwand, dem Lungenparenchym, den großen Gefäßen oder dem Herzen stammen. In der Regel werden die Patienten primär lediglich mit einer großlumigen Thoraxdrainage versorgt, die über eine Minithorakotomie ohne Verwendung des Mandrains eingeführt werden sollte. Hierdurch wird das Risiko iatrogener Lungenverletzungen vermindert und eine genauere Plazierung nach dorsobasal ermöglicht. Die Technik der Thoraxdrainage wird ausführlich in Kap. 21 dargestellt. Bei einem starken Blutverlust über die Drainage muss eine Notfallthorakotomie erwogen werden.
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70.3.4
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Zwerchfellruptur
Traumatische Zwerchfellrupturen treten in etwa 2–3% der stumpfen Thoraxverletzungen auf und werden häufig verspätet diagnostiziert. Die verzögerte Diagnose trägt zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität bei. In 70–75% der Fälle ist das linke Zwerchfell betroffen [3]. Radiographisch findet man ein höherstehendes linkes Zwerchfell, eine intrathorakale Verschiebung von Abdominalorganen (Magen, Darm) mit Verschwinden der Zwerchfellkontur und einer atypischen Lage der Magensonde [3]. Falls der Patient beatmet ist, können diese Zeichen schwerer zu erkennen sein. Dann sollte eine Thoraxröntgenaufnahme endexspiratorisch in Kopftieflage angefertigt werden. Die Diagnose wird durch die Computertomographie erleichtert; hierbei wird nach einem der folgenden Zeichen gesucht: 4 Unterbrechung der Zwerchfellkontur, 4 Fett, Magenanteile und/oder Darmschlingen im Thorax [50].
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> Viele Zwerchfellrupturen werden allerdings erst bei einer aus anderen Gründen erforderlichen Laparotomie oder wegen Komplikationen entdeckt, und ein Teil wird sogar längerfristig übersehen. Bei Problemen der Respiratorentwöhnung nach entsprechenden Verletzungen sollte deshalb an eine übersehene Zwerchfellruptur gedacht werden.
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70.3.5
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. Abb. 70.2 Spannungspneumothorax beidseits nach stumpfem Thoraxtrauma. a Zu beachten ist der beidseitige Zwerchfelltiefstand. b Die Computertomographie zeigt die ausgeprägten Verdichtungen der abhängigen Lungenabschnitte beidseits
zum anderen, v. a. bei doppelseitigem Spannungspneumothorax, das Herz und die großen Gefäßen komprimieren und so die HerzKreislauf- Funktion bis hin zum Kreislaufstillstand beeinträchtigen (. Abb. 70.2).
Pneumothorax Bei jedem Traumpatienten sollte ein Thoraxröntgenbild zum Ausschluss eines Pneumothorax oder anderer Thoraxverletzungen angefertigt werden. In der Regel ist auf dem gewöhnlichen a.-p.Röntgenbild jeder drainagebedürftige Pneumothorax zu sehen; sicherer ist allerdings die Diagnostik mittels Computertomographie. Falls Intubation und Beatmung notwendig werden, sollte auch ein kleiner Pneumothorax drainiert werden.
Tracheobronchiale Verletzungen
Verletzungen des Tracheobronchialbaumes sind selten, ihre Erkennung aber sehr wichtig. Sie können sowohl bei stumpfem als auch bei penetrierendem Thoraxtrauma vorkommen. Eine plötzliche, heftige Thoraxkompression ist die häufigste Ursache beim stumpfen Trauma. Obwohl über tracheobronchiale Rupturen auf jedem Niveau des Tracheobronchialbaums berichtet wurde, kommt die überwiegende Zahl im Abstand von 2,5 cm von der Carina vor. Hauptsymptome sind Dyspnoe, Husten, schmerzhafte Hämoptoe und Subkutan-, Mediastinal- und Kollaremphysem, wobei immerhin in ca. 10% der Fälle nur wenige Symptome vorliegen. Falls die Rupturstelle frei durch die Pleura mediastinalis kommuniziert, tritt ein Pneumothorax auf, der charakteristischerweise durch eine Thoraxdrainage nicht behoben werden kann. Besteht keine Verbindung mit dem Pleuraraum, tritt kein oder nur ein kleiner Pneumothorax auf, der drainierbar ist [25].
Thoraxröntgenbefund Bei vollständiger Ruptur befindet sich der obere Rand der kollabierten Lunge unterhalb der Rupturstelle, da die kraniale Fixation durch den Tracheobronchialbaum wegfällt [35]. Dies grenzt die Tra-
885 70.5 · Herzverletzungen
cheobronchialruptur vom unkomplizierten Pneumothorax ab, bei dem der Oberrand der kollabierten Lunge oberhalb des Niveaus des ipsilateralen distalen Hauptbronchus liegt.
Trachealruptur Bei einer Trachealruptur sollte der Patient, wenn immer möglich, fiberoptisch intubiert werden, wobei das Fiberskop als Führung verwendet wird. Von einer blinden endotrachealen Intubation ist abzuraten, da sie meist nicht erfolgreich ist und zudem weitere Verletzungen und bei Fehllage eine Atemwegsobstruktion verursachen kann. Bei hochliegenden, vollständigen Rupturen muss über eine zervikale Inzision die distale Trachea direkt intubiert werden. Bei Bronchialrupturen wird der Patient am besten einseitig auf die Gegenseite oder mittels eines Doppellumentubus intubiert. Falls notwendig, kann intraoperativ die betroffene Seite zur Verbesserung des Gasaustausches direkt intubiert werden.
70.3.6
Allgemeine Probleme nach stumpfem Thoraxtrauma
Thoraxverletzungen werden in der überwiegenden Zahl der Fälle höchstens mit Einlage von Thoraxdrainagen, sonst aber nicht-chirurgisch behandelt. In weniger als 0,1% ist eine chirurgische Intervention erforderlich, die in Abhängigkeit vom Traumamechanismus (penetrierend vs.stumpf) sowie vom Ausmaß der Resektion (Wedgeresektion, Lobektomie, Pneumonektomie) mit einer hohen Mortalität zwischen 20% (Wedgeresektion bei isoliertem stumpfem Thoraxtrauma) bis 60% (Pneumonektomie beim Mehrfachverletzten) vergesellschaftet ist [31]. Neben den Begleitverletzungen besteht das Hauptproblem nach Thoraxtraumen im hohen, v. a. schmerz- und atemmechanikbedingten Risiko für schwerwiegende pulmonale Komplikationen. Die schmerzbedingte Hypoventilation führt dabei zur Sekretretention, die zusammen mit einer Beeinträchtigung des Hustenstoßes eine wesentliche Vorbedingung für das Auftreten von Atelektasen und Pneumonien darstellt. Dabei ist das Risiko umso größer, je stärker die Lunge chronisch vorgeschädigt ist. > Eine ausreichende Analgesie, die damit mögliche Atemund Physiotherapie und die Möglichkeit, den Patienten zu mobilisieren, spielen deshalb eine Schlüsselrolle bei der Versorgung von Thoraxverletzungen.
Dabei ist es weniger wichtig, welches Analgesieverfahren gewählt wird oder wie die Verfahren kombiniert werden; wichtig ist vielmehr, dass der Patient – nicht nur in Ruhe, sondern auch bei der Atemtherapie und beim Husten – weitgehend schmerzfrei ist. Um dies zu erreichen, hat sich die thorakale Periduralanalgesie, allenfalls kombiniert mit systemischen Analgetika, sehr bewährt. Viele Patienten, auch mit schweren Verletzungen v. a. des Thoraxskeletts, können damit vor der Intubation und Beatmung bewahrt werden. Dabei muss zwischen dem 2. und 4. posttraumatischen Tag mit der schwersten Einschränkung der Lungenfunktion gerechnet werden, sodass während der ersten 5 Tage nach Trauma eine sorgfältige Überwachung, Analgesie und Atemtherapie erforderlich sind.
70.4
Penetrierendes Thoraxtrauma
Die meisten Patienten mit offenen Thoraxverletzungen benötigen in der Regel nur eine Thoraxdrainage, sofern damit die Reexpansion der Lunge und die Drainage eines Hämatothorax sichergestellt werden können. Parenchymverletzungen erfordern selten ein chirurgisches Vorgehen [23]. ! Cave Das Hauptrisiko für diese Patienten besteht im Auftreten von systemischen Luftembolien unter Husten, ValsalvaManöver und mechanischer Beatmung durch traumatisch bedingte bronchovenöse Fisteln.
Das Risiko ist umso größer, je höher die angewendeten Spitzendrücke sind [16]. Subklinische Luftembolisierungen sind häufig unspezifisch. Wichtige Zeichen sind Hämoptysis und der plötzliche Kreislaufzusammenbruch nach Beginn der mechanischen Beatmung oder Drainage eines Pneumothorax [16]. Die definitive Diagnose kann häufig erst nach Thorakotomie durch sichtbare Luft in den Koronararterien oder durch Luftaspiration aus dem linken Ventrikel gestellt werden. Die Mortalität und Morbidität, z. B. durch hypoxische Hirnschädigung nach systemischer Luftembolisierung, ist hoch und steigt auf 100%, wenn weder am Unfallort noch bei der Notaufnahme ein spontaner Kreislauf vorhanden ist [34]. Damit ein Überleben möglich ist, muss die Diagnose schnell gestellt und die Embolisationsquelle sofort ausgeschaltet werden. Bei Verdacht auf Luftembolisierung muss der Patient sofort in Kopftieflage gebracht und mit 100% O2 und niedrigen Drücken beatmet werden [20]. Bei der Notthorakotomie muss die betroffene Lunge am Hilus ausgeklemmt und die Embolisierungsquelle gesucht und ausgeschaltet werden. Gleichzeitig soll versucht werden, möglichst viel Luft aus dem linken Herzen und der Aorta abzusaugen [20].
70.5
Herzverletzungen
Klinisch relevante Verletzungen des Herzens nach stumpfem Thoraxtrauma sind insgesamt nicht sehr häufig, tragen aber wesentlich zur Mortalität nach stumpfem Thoraxtrauma bei. Über die eigentliche Inzidenz von Herzverletzungen herrscht weitgehend Unklarheit; sie wird in der Literatur zwischen 5 und 78% angegeben [37]. Stumpfe Verletzungen des Herzens können als Folge eines direkten Schlages auf den Thorax oder einer schnellen Dezeleration, bei der das Herz auf das Sternum aufprallt, entstehen. Das Spektrum der Verletzungen reicht dabei von der asymtomatischen Herzkontusion bis zur Herzruptur. Die überwiegende Zahl von Herzverletzungen ist den Herzkontusionen zuzuordnen. Anatomische Läsionen des Herzens sind üblicherweise klinisch (oder post mortem) erkennbar und erfordern oft ein schnelles und rigoroses Eingreifen, während Diagnosestellung und klinische Einschätzung der Herzkontusion sehr schwierig sind.
70.5.1
Herzkontusion
Die Häufigkeit von Herzkontusionen nach stumpfem Thoraxtrauma, in der Literatur mit bis zu 76% angegeben, ist abhängig von den Kriterien, die zur Diagnostik verwendet werden [36]. Als diagnostische Methoden wurden die Untersuchung von Herzenzymen, das EKG, Radionukliduntersuchungen und die Echokardiographie eingesetzt. Einige Arbeiten der letzten Jahre
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Kapitel 70 · Thoraxtrauma
haben gezeigt, dass Laboruntersuchungen, so auch die 5–7%-Grenze des Verhältnisses CK-MB zu Gesamt-CK, EKG-Veränderungen und auch echokardiographische Befunde schlecht mit der klinischen Relevanz korrelieren [8, 39]. Auch erhöhte Serum-TroponinSpiegel sind eher mit der Gesamtschwere der Verletzung und physiologischen Parametern korreliert als mit der mechanischen Krafteinwirkung auf den Thorax und somit nicht als spezifischer Hinweis auf eine Herzkontusion zu werten [32]. Komplikationen nach Herzkontusion sind selten und bestehen v. a. in Rhythmus- und Überleitungsstörungen, sodass eine Intensivüberwachung bei Patienten mit leichtem stumpfem Thoraxtrauma und normalem oder minimal pathologischem EKG aufgrund der Diagnose Herzkontusion allein nicht mehr notwendig scheint [10]. Bei Patienten mit signifikanter, d. h. symptomatischer Herzkontusion (deutliche EKG-Veränderungen, Schmerzen) genügen eine EKG-Überwachung sowie die symptomatische Therapie von relevanten Herzrhythmusstörungen [39]. Bei Verdacht auf Störungen der Herzfunktion müssen andere kardiale Verletzungen oder Erkrankungen, z. B. mittels Echokardiographie, ausgeschlossen werden. Hier kann die Indikation für einen Pulmonaliskatheter eher großzügig gestellt werden; die Korrektur der hämodynamischen Parameter erfolgt symptomatisch.
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70.5.2
Verletzungen der Koronararterien
Traumatische Läsionen der Koronararterien sind selten und verlaufen klinisch wie ein akuter Myokardinfarkt. Eine direkte Ruptur der Koronararterie wie auch Intimaläsionen sind sehr selten. In einzelnen Fällen wurde auch über akute Koronarverschlüsse ohne vorbestehende Koronarsklerose berichtet [46]. Verschiedene Mechanismen können am Auftreten eines akuten Myokardinfarktes nach Thoraxtrauma beteiligt sein: 4 Ablösen einer vorbestehenden Plaque, 4 Einblutung in eine Plaque, 4 traumainduzierter Koronarspasmus, 4 Koronarthrombose aufgrund der Gefäßverletzung, 4 direkte Durchtrennung/Ruptur einer Koronararterie, 4 Koronarembolie, 4 disseziierendes Aneurysma. Neben der symptomatischen Therapie sollten bei Verdacht auf eine Koronargefäßläsion, sofern möglich, frühzeitig eine Koronarangiographie mit der Möglichkeit der Angioplastie oder Stenteinlage oder evtl. ein koronarchirurgisches Vorgehen diskutiert werden.
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70.5.3
Herztamponade
Die beiden häufigsten Gründe für den sofortigen Tod bei Patienten mit penetrierender Thoraxverletzung sind das Verbluten und die Herztamponade [47]. Da über einen gewissen Zeitraum beide Situationen durch Volumenzufuhr/-ersatz verbessert werden können, besteht die Gefahr, dass insbesondere die Herztamponade zu spät erkannt wird. Lewis et al. empfehlen deshalb die Notthorakotomie bei allen Patienten mit penetrierendem Thoraxtrauma, bei denen ein Kreislaufkollaps oder -stillstand auftritt, sofern 3 min vorher noch Lebenszeichen vorhanden waren [28]. Die Diagnose ist, je nach kardialen oder anderen Begleitverletzungen, schwierig zu stellen. Die klassische Beck-Trias mit Halsvenenstauung, Hypotension und abgeschwächten Herztönen ist bei weniger als 50% der Patienten vorhanden. Andere Zeichen wie kalte
Extremitäten, Agitiertheit, Pulsus paradoxus können auch bei Patienten im hypovolämischen Schock gesehen werden. Andererseits kann ein Pulsus paradoxus trotz Herztamponade wegen anderer anatomischer Läsionen des Herzens wie Vorhofseptumdefekt, Linksherzversagen oder Aorteninsuffizienz fehlen. Im EKG können eine ST-Hebung, eine »low voltage« und ein elektrischer Alternans Hinweise auf die Tamponade geben, auch wenn diese Zeichen nicht spezifisch sind. Die zuverlässigste Diagnostik kann mit der Echokardiographie erzielt werden, allerdings darf hierdurch im Notfall die relativ einfache Therapie (Perikardiozentese, Perikardiotomie) nicht hinausgezögert werden. Bis zur Entlastung der Tamponade müssen die Füllungsdrücke und die Herzfrequenz hoch gehalten werden, um wenigstens ein minimales Herzzeitvolumen und einen minimalen Druck aufrechtzuerhalten.
70.5.4
Anatomische Läsionen des Herzens
Herzruptur Die Herzruptur stellt ein nicht ungewöhnliches Ereignis bei Patienten dar, die nach Thoraxtrauma sofort sterben. Dezelerierende Kräfte beim Aufprall üben eine signifikante Überdehnung der Wand aus, die zu einer Herzruptur führen kann. Die Vorhöfe, da dünnwandig, sind dabei häufig involviert. Penetrierende Thoraxverletzungen führen allerdings häufiger zur Herzruptur. Falls das Perikard miteröffnet wird, führt die Herzruptur zum exsanguinierenden Hämatothorax, anderenfalls zur Herztamponade.
Ventrikelseptumruptur Die meisten Ventrikelseptumrupturen entstehen im Bereiche des apikalen Anteils des Septums [12]. Klinisch zeigen die Patienten die Zeichen des kongestiven Herzversagens mit einem lauten Holosystolikum über dem linken Sternumrand.
Klappenverletzungen Klappenverletzungen stellen einen seltenen und meist unerwarteten Grund des Herzversagens bei Traumapatienten dar. Unglücklicherweise kann eine akute Dyspnoe auch durch die begleitenden Thoraxverletzungen wie Lungenkontusion, Rippenfrakturen und »flail chest« erklärt werden. Dies gilt auch für verspätet auftretende, z. B. durch eine Papillarmuskelruptur bedingte Klappeninsuffizienzen [17]. Die Aortenklappe ist am häufigsten betroffen, gefolgt von der Mitral- und der Trikuspidalklappe. Die klinischen Zeichen sind von der Größe des Regurgitationsvolumens und von der Compliance der vorgeschalteten Kammer abhängig [12]. In der Regel kommt es dort aufgrund der fehlenden Adaptationszeit zu einem akuten Druckanstieg. Dieser kann, z. B. im Fall der Aorteninsuffizienz, zu einem vorzeitigen Schluss der Mitralklappe mit entsprechendem Rückstau in die Lungenstrombahn führen, womit andererseits eine Erhöhung des Schlagvolumens über den Frank-Starling-Mechanismus verhindert wird. Zusätzlich kommt es über eine reflektorische Erhöhung des Sympathikotonus zur Tachykardie und peripheren Vasokonstriktion. Bei der traumatischen Mitralinsuffizienz führt die Regurgitation zu einem akuten Anstieg des linken Vorhofdrucks mit fulminantem Lungenödem. In Abhängigkeit vom Regurgitationsvolumen kann eine traumatische Trikuspidalinsuffizienz relativ symptomarm verlaufen, sofern keine pulmonale Hypertension (z. B. durch das Auftreten eines ARDS) auftritt [12], da rechter Vorhof und V. cava sehr dehnbar sind. Beim Anstieg des rechtsventrikulären Afterloads nimmt die Regurgitation zu Ungunsten des transpulmonalen Flusses und
887 70.6 · Verletzung der Aorta und der großen Gefäße
damit der Linksherzfüllung zu; hierdurch fällt das Herzzeitvolumen ab. Therapeutisch genügt in der Regel die Normalisierung des pulmonalarteriellen Druckes; eine akute kardiochirurgische Intervention ist selten notwendig.
70.6
Verletzung der Aorta und der großen Gefäße
Beim stumpfen Thoraxtrauma werden erhebliche Scherkräfte durch die abrupte Dezeleration auf die Aortenwand übertragen, die im Bereiche der Mündung der A. subclavia sowie im aszendierenden Anteil auf der Höhe der Koronararterien am größten sind [36]. Dabei kann es an der Aufhängung der thorakalen Aorta im Isthmusbereich, durch die geringe Elastizität des Lig. pulmonale, zum Einriss der Aortenwand kommen (häufigste Lokalisation: Aortenisthmus; ca. 85%). Die traumatische Aortenruptur verläuft bei vollständiger Ruptur in ca. 85% der Fälle sofort tödlich [12]. Bei einem kleinen Prozentsatz der Fälle kommt es entweder zur gedeckten Ruptur mit Einriss der Intima und Media bei kontinuitätserhaltender intakter Adventitia und nachfolgender Ausbildung eines Aneurysma spurium und Mediastinalhämatom – oder zur gedeckten Ruptur mit kleinem Intima-/Mediaeinriss und Ausbildung eines chronischen Aneurysmas nach Monaten oder Jahren. Die vollständige Ruptur kann im späteren Verlauf auftreten. Penetrierende Thoraxverletzungen können ebenfalls mit Verletzungen der großen Gefäße einhergehen. Je nachdem ob die Verletzung intraperikardial oder extraperikardial liegt, führt sie entweder zur akuten Tamponade oder zum massiven Hämatothorax [12].
Symptome und Diagnostik Die klinischen Befunde der Aortenruptur weisen eine diagnostische Trias auf, die in mehr als 50% der Fälle zu finden ist [12]. Klinische Symptome der Aortenruptur sind thorakale Schmerzen zwischen den Schulterblättern, Puls- und Blutdruckdifferenz zwischen oberen und unteren Extremitäten, Atemnot und radiologisch ein verbreitertes Mediastinum [43]. Allerdings sind diese Zeichen nicht immer sehr zuverlässig, sodass einerseits spezifisch nach ihnen gesucht und andererseits im Zweifelsfall eine erweiterte Diagnostik angeschlossen werden muss. Als Screeningmethode, v. a. auch bei instabilen, schlecht transportierbaren Patienten, gewinnt die transösophageale Echokardiographie zunehmenden Stellenwert, vorausgesetzt, sie wird von einem erfahrenen Untersucher durchgeführt ([43]; . Abb. 70.3). Die intravenöse, kontrastmitteloptimierte CT-Angiographie in Spiraltechnik hat heute die konventionelle transfemorale, intraarterielle Aortographie als Primärdiagnostik weitgehend verdrängt [18]. Ihre Sensitivität für das Screening nach Aortenverletzungen liegt bei 96–99%. In der normalen Computertomographie des Abdomens gilt ein zwerchfellnahes periaortales Hämatom (PH) als indirektes Zeichen für eine mögliche thorakale Aortenruptur. Die Sensitivität des PH für die Diagnose der Aortenverletzung betrug in einer Untersuchung von Wong et al. [53] 70%. Die Spezifität lag sogar bei 94%. Falsch-positive PH-Befunde kamen lediglich bei Zwerchfellrupturen und Wirbelkörperfrakturen vor.
Therapie Wenn die Diagnose einer Aortenruptur gestellt worden ist, sollte die Versorgung baldmöglichst erfolgen. Die Therapieoptionen sind offen-chirurgisch oder minimalinvasiv mittels Stentgraftimplantation (EAP).
. Abb. 70.3 Transösophageale Echokardiographie der thorakalen Aorta descendens (Ao) unmittelbar nach Abgang der A. subclavia links: Im Querschnitt durch die Aorta stellt sich der lokale Intimariss mit Membran (dicker Pfeil) dar; intramurales Hämatom (kleine Pfeile), semizirkuläres periaortales Hämatom (H)
Bei der Direktnaht ohne kardiopulomonalen Bypass besteht, in Abhängigkeit von der Abklemmdauer der Aorta, das Risiko einer spinalen Ischämie mit nachfolgender Querschnittsläsion (Inzidenz 5–20%) sowie einer Ischämie der Abdominalorgane, insbesondere der Nieren. Darüber hinaus führt das herznahe Abklemmen der Aorta zu einer beträchtlichen Steigerung des linksventrikulären Afterloads mit Anstieg des pulmonalkapillären Verschlussdrucks bis hin zur Linksherzdekompensation und zu einer u. U. massiven Drucksteigerung in der oberen Körperhälfte, die den Einsatz von Vasodilatatoren erfordert. Andererseits erfordert der Einsatz eines partiellen (z. B. venoarteriellen) Bypasses eine systemische Antikoagulation, die v. a. beim frischen, schweren Polytrauma und/oder speziell beim akuten Schädel-Hirn-Trauma kontraindiziert ist. Die Mortalität des offenen chirurgischen Vorgehens wird in der Literatur ebenfalls zwischen 5 und 20% beziffert [38]. In den letzten Jahren hat sich die transkutane, endovaskuläre Stentgraftimplantation mehr und mehr durchgesetzt [41]. Bei dieser liegt die technische Erfolgsrate bei 90–100%, und das Risiko für eine Paraplegie zwischen 0 und 6% [38]. In einer neueren Multizenterstudie an 193 Patienten konnte eine signifikant geringere Mortalität, weniger Bluttransfusionen und weniger systemische und lokale Komplikationen sowie ein kürzerer Krankenhausaufenthalt im Vergleich zur offenen Versorgung gezeigt werden [13]. Damit kann zunehmend davon ausgegangen werden, dass dieses Verfahren zum Goldstandard wird, obwohl Langzeitresultate, v. a. bei jungen Patienten, immer noch fehlen. Aufgrund der Risiken mag es in einigen Fällen sinnvoll sein, die Versorgung während der ersten Tage nach Trauma aufzuschieben. Um das Risiko einer Spontanruptur zu reduzieren, müssen während dieser Zeit Blutdruck und Druckamplitude streng kontrolliert und ggf. reduziert werden, z. B. durch Anwendung eines kurzwirksamen £-Blockers (Esmolol) mittels Dauerinfusion. Um nachteilige Effekte der negativ inotropen Wirkung auf die systemische Zirkulation in der Frühphase nach Trauma zu mini-
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Kapitel 70 · Thoraxtrauma
mieren, sollte der Einsatz mit einem pulmonalarteriellen Katheter überwacht werden. In etwa 10% aller Aortenverletzungen ist die aszendierende Aorta betroffen. Meist wird eine solche Verletzung von einer Herztamponade und in einem Teil von Koronarläsionen begleitet. Eine chirurgische Intervention kann nur am kardiopulmonalen Bypass vorgenommen werden. Verletzungen im Bereich des Aortenbogens mit seinen Gefäßabgängen sind sehr selten. Die Symptomatologie hängt vom Ausmaß und den betroffenen Gefäßen ab. Eine Versorgung ist in der Regel nur am kardiopulmonalen Bypass in tiefer Hypothermie möglich.
»Damage Control« beim Thoraxtrauma
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Chirurgische Interventionen, abgesehen von Drainagen, sind beim Thoraxtrauma selten indiziert. Trotzdem kann es in gewissen Fällen notwendig werden, beim Thoraxtrauma zur Blutstillung einen sog. Damage-control-Ansatz zu wählen. Dieser zielt darauf ab, primär Voraussetzungen für eine überlebbare Physiologie zu schaffen und erst, wenn dies erreicht ist, in den Operationssaal für die definitive Versorgung zurückzukehren [9, 21]. Dieses Vorgehen wurde in erster Linie für Verletzungen von soliden Abdominalorganen und abdominelle Gefäßverletzungen beschrieben, wo die Austamponierung der Bauchhöhle bzw. des Retroperitoneums, evtl. zusammen mit einem perihepatischen, perisplenischen oder perirenalen Packing, über den Aufbau eines Gegendrucks zur vorläufigen Blutstillung angewendet wird. »Damage control« beim Thoraxtrauma hat sich etwas verschieden entwickelt. Hier wurde zu Beginn eine zentrale Thorakotomie mit dem Ziel einer physiologischen Stabilisierung beim Patienten in extremis vorgenommen. Im Gegensatz zur »damage control« beim Abdominaltrauma mag der schnelle Verschluss, z. B. mittels Ethi-Zip oder VAC-System, v. a. bei diffusen muskulären Blutungen nicht anwendbar sein. Zudem kann das Packing in der Thoraxhöhle wegen der daraus resultierenden Kompression von Lunge, Herz und großen Gefäßen nicht im selben Maß angewendet werden wie in der Bauchhöhle. Aus diesem Grund zielen Damage-control-Verfahren im Thoraxbereich eher auf Techniken zu Vereinfachung und Verkürzung des Eingriffs ab und sind zudem eine Art Triage-Tool, da Patienten mit letalen Verletzungen nicht zwingend in den Operationsaal verbracht werden müssen. Thoraxdrainagen sind dabei neben der Therapie ein diagnostisches Manöver, und es kann bei deren Einlage z. T. gleichzeitig das Perikard und das Zwerchfell palpiert werden, um die Diagnose einer Perikardtamponade oder Zwerchfellverletzung zu stellen. Der Zugang zur Einlage der Drainagen kann dabei so gewählt werden, dass diese Diagnostik erleichtert wird. Neue Verfahren wie die Thorakoskopie erlauben in den Händen sehr Geübter eine schnelle Inspektion von Blutungsquellen, Perikardtamponade oder des Mediastinums in der Region der großen Gefäße (periaortales Hämatom) und können in geeigneten Fällen die unverzügliche explorative Thorakotomie ersetzen bzw. erlauben es, einen optimalen Zugang zu wählen.
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Zugang Der klassische Damage-control-Zugang ist eine zentrale Thorakotomie über einen anterolateralen Zugang ausgehend von der Mitte des Sternums entlang der V. Rippe bis zur mittleren bzw. posterioren Axillarlinie. Die Interkostalmuskulatur sollte dabei nur in einem Gebiet aufgespalten werden, um einen Zugang zur Thoraxhöhle zu schaffen und eine Verletzung der Lunge durch die Inzision zu vermeiden. Der Retraktor sollte so positioniert werden, dass er bei einer evtl. notwendigen Thorakotomieerweiterung auf die Gegenseite nicht im Weg ist. Der Hilus der Lunge wird dann durch die Hand gefasst und die Aorta gerade distal vom Abgang der A. subclavia abgeklemmt. Nun kann die primäre Pathologie gesucht werden.
Beim Vorliegen einer Perikardtamponade soll das Perikard anterior von N. phrenicus eröffnet werden. Bei Herzverletzungen soll ohne Verzögerung eine Sternotomie zur weiteren Exposition vorgenommen werden. Eine frühe Abklemmung des Hilus kann helfen, Luftembolien, die bei Überdruckbeatmung wahrscheinlich unterschätzt werden, zu vermeiden, weshalb sie wahrscheinlich häufiger indiziert wäre. Wenn keine geeigneten Klemmen vorhanden sind oder der Zugang zum Hilus erschwert ist, kann das Lig. pulmonale inferior durchtrennt und die Lunge um 180° in sich gedreht werden. Das erlaubt die Kontrolle der Gefäße und des Bronchus, um Zeit zu haben, dringlichere Verletzungen anzugehen. Wenn eine größere Blutungsquelle nicht zu finden ist, kann ein Finger anterior vom Perikard hinter dem Sternum in die gegenseitige Pleurahöhle vorgeschoben werden, um eine relevante Blutung dort auszuschließen. Ziele dieses Vorgehens sind 4 Entlastung einer evtl. vorliegenden Perikardtamponade und 4 Blutstillung. Nachdem dies erreicht ist, kann die Thorakotomie in Ruhe, ggf. nach Transfer in den Operationssaal, verschlossen werden, nachdem die A. mammaria interna und die Interkostalgefäße sorgfältig exploriert worden sind und ggf. die Blutstillung erfolgt ist. > Vor allem bei linkseitiger Thorakotomie ist die Lunge häufig im Wege, weshalb die einseitige Intubation nach rechts, ein Bronchusblocker oder seltener (Zeitfaktor!) ein Doppellumentubus verwendet werden muss.
Formale Lungenresektionen sind v. a. in den Händen des weniger Erfahrenen zeitraubend und deshalb gefährlich. Tipp Die Verwendung von großen Staplern bei nichtanatomischen Wedgeresektionen erlaubt eine schnelle Blutstillung und Leckagebehebung.
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Packing
Das Packing solider Abdominalorgane ist ein akzeptierter Standard bei Verletzungen solider Abdominalorgane oder von Gefäßen. Im Thoraxbereich hat das Packing wegen der speziellen kardiopulmonalen Bedingungen (Herzfüllung, Lungenexpansion) nicht dieselbe Bedeutung. Das Packing wurde u. a. zur temporären Blutungskontrolle im Thoraxapex und im Mediastinum beschrieben, bei Letz-
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terem, bevor die intraoperative proximale und distale Blutstillung durchgeführt werden kann. Allerdings toleriert v. a. das kalte, irritable Herz keinen externen Druck auf Vorhöfe oder Ventrikel, da dadurch die passive Füllung kompromittiert wird. Das obere Mediastinum weg von Herz und Lungen ist ein Ort, an dem das Packing zur Stillung von Sickerblutungen angewendet werden kann. Das Verfahren wird zudem als Utima ratio zur Stillung von Sickerblutungen aus der Interkostalmuskulatur und Rippenfrakturen beim kalten, azidotischen Patienten mit multiplen Thoraxverletzungen angewendet, wobei ein Tamponadeeffekt ohne wesentliche Nebeneffekte schwierig zu erzielen ist und natürlich die endotracheale Intubation erfordert. Zusätzlich brauchen diese Patienten oft hohe Beatmungsdrücke, was durch das Packing noch verstärkt werden kann. Aus all diesen Gründen kann ein Packing am ehesten im Apex, im oberen Mediastinum oder subpulmonal weg von Herz und Lungenhilus durchgeführt werden und wird oft mit der Anwendung von Kollagenvlies oder Fibrinkleber kombiniert.
70.7.2
Wundverschluss
Im Abdominalbereich werden heute als Standard zum raschen Wundverschluss nach dem Damage-control-Konzept sog. Towelclip- oder Vakuumsyteme verwendet. Dies ist möglich, weil die abdominale Mittellinie avaskulär ist. Dieselben Verfahren können bei muskulösen Patienten im Thoraxbereich kaum angewendet werden, da die Durchtrennung der Thoraxwandmuskulatur zu einem signifikanten Blutverlust führen kann. Deshalb ist die bevorzugte Methode heute ein Einzelnaht-en-masse Verschluss (»single en mass closure«) von Thoraxwand, Muskeln und Haut, um eine Blutstillung zu erreichen. Die spezielle Physiologie des Herzens macht u. U. andere Vorgehensweisen erforderlich: Nach einer hypotensiven Periode kann häufig eine myokardiale Dysfunktion beobachtet werden, die in einer Dilatation des Herzens mit dem Ziel, einen höheren Punkt in der Starling-Kurve zu finden, resultiert. Da die diastolische Füllung des Herzens vorwiegend passiv geschieht, wird jeder Druck auf das Herz zu einer Abnahme von Schlag- und Herzzeitvolumen führen. Aus diesem Grund werden Techniken, die von der Herzchirurgie abgeleitet wurden, beim versagenden Herzen nach Damagecontrol-Thorakotomie angewendet. Die Thorakotomie wird durch einen Spreizer offengehalten und die Wunde z. B. mittels BogotaBag oder Plastikfolie provisorisch verschlossen. Dies erlaubt die Expansion des Herzens und die venöse Füllung. Wenn der Patient überlebt und sich die Myokardfunktion erholt, kann die Thorakotomie sekundär verschlossen werden. In einzelnen Fällen wird ein formaler Wundverschluss trotz allen Stabilisierungsmaßnahmen und Flüssigkeitsentzug nicht toleriert, weshalb eine Thoraxwandrekonstruktion mit Omentum- oder Muskelflaps mit Hautdeckung u. U. nach Wochen vorgenommen werden muss.
70.7.3
Postoperative Behandlung
Der Damage-control-Ansatz hat 2 Hauptstoßrichtungen: 4 Die erste ist, Vorgehensweisen und Prozeduren zu wählen, die einfacher und schneller sind und es erlauben, eine überlebbare Physiologie in einem einzigen Operationsschritt wiederherzustellen. 4 Der zweite Ansatz ist eine abgekürzte Thorakotomie zur Wiederherstellung einer überlebbaren Physiologie, bei der die
definitive Versorgung in einer zweiten chirurgischen Intervention vorgenommen wird. Die postoperative Behandlung der ersten Gruppe ist vergleichbar mit einer Standardbehandlung nach jeder Thorakotomie: Der Patient wird aufgewärmt, die Hämodynamik stabilisiert und die Gerinnung korrigiert. Es kommt sehr häufig vor, dass der Patient signifikante Kontusionen entweder vom Unfall direkt und/oder von den notwendigen Manipulationen für die Blutstillung hat. Deshalb muss versucht werden, eine Flüssigkeits-/Volumenüberladung zu vermeiden und den Patienten so trocken wie möglich zu fahren, damit einerseits weitere pulmonale Komplikationen vermieden, andererseits aber die Organperfusion nicht kompromittiert wird. Dabei ist zudem darauf zu achten, dass der Blutdruck an der untersten Grenze bleibt, um Nachblutungen nicht zu begünstigen. Manchmal sind Bronchoskopien zur Bronchialtoilette repetitiv notwendig, wobei berücksichtigt werden muss, dass die dabei häufig auftretende PEEP-Reduktion bzw. die Applikation eines Sogs die intrapulmonale Blutung begünstigen und den Gasaustausch weiter gefährden kann. Einige Patienten bluten in dieser Phase alarmierend weiter. Eine der schwierigsten Entscheidungen ist dann festzulegen, wann der Patient wieder in den Operationssaal zur Blutstillung zurückkehren muss. Diese Entscheidung sollte sinnvollerweise unter Einbezug des primär operierenden Chirurgen getroffen werden, der am ehesten weiß, wie die Blutstillung bei der primären Intervention adäquat durchgeführt werden konnte. Gerade im massivtransfundierten, kalten und koagulopathischen Patienten ist es oft schwierig, alle potenziellen Blutungsquellen zu finden und eine suffiziente Blutstillung durchzuführen weshalb der Patient zur Aufwärmung und Gerinnungskorrektur auf die Intensivstation verlegt wird, sobald relevante Blutungen gestillt sind. Dies erlaubt dann eine chirurgische Revision unter deutlich besseren Bedingungen, auch wenn selbst dann die Blutung nicht immer gestillt werden kann, was zur hohen Letalität beiträgt. Über die Schwellenwerte der Blutungsmengen, bei denen die Rückkehr in den Operationssaal notwendig ist, schweigt die Literatur. Vorbedingung für die chirurgische Reintervention ist – exsanguinierende Blutungen ausgeschlossen – die Korrektur von Körpertemperatur und Gerinnung. Besonderes Augenmerk ist dabei auf Serumfibrinogenspiegel und ggf. den Faktor XIII zu richten, da diese – auch bei der großzügigen Gabe von FFP – häufig untersubstituiert sind. Zudem sollten Thrombozytenwerte sicher über 80.000 mm3 angestrebt werden. > Bleibt nach diesen Maßnahmen die Blutung über z. B. 300 ml/h ohne klar abnehmende Tendenz, ist nach 3–4 h eine chirurgische Reintervention oder ggf. eine Angiographie mit Embolisationsintention in Erwägung zu ziehen.
Bei anhaltendem Volumenbedarf ohne Drainage nach außen oder bei plötzlichem Sistieren einer Blutung durch die Drainage muss zudem daran gedacht werden, dass entweder die Drainage ungünstig liegt oder das Blut im Thorax koaguliert. Letzteres gibt erst recht den Hinweis auf eine chirurgische Blutung und ist eine Indikation für eine niederschwellige Reintervention, sofern der tamponierende Effekt des Hämatothorax mit Abnahme des Transfusionsbedarfs – ohne den Patienten bezüglich Gasaustausch schwer zu kompromittieren – nicht vorübergehend erwünscht ist. In die zweite Gruppe von Patienten fallen diejenigen nach abgekürzter Thorakotomie. Dieser Ansatz hat zum Ziel, die Blutung zu stoppen und eine überlebbare Physiologie wiederherzustellen. Das Timing für die Rückkehr in den Operationsaal hängt von den
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Kapitel 70 · Thoraxtrauma
Befunden ab, die beim Ersteingriff erhoben wurden [22]. Sofern eine Ligatur vorgenommen oder Shunts angelegt wurden, kann der Patient in den OP zurückgebracht werden, sobald er aufgewärmt und nicht mehr koagulopathisch ist. Oft beeinflussen Verletzungen außerhalb des Thorax die Entscheidung für die Rückkehr in den Operationssaal mit.
4
Komplikationen
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Spezielle Komplikationen, die in der postoperativen Phase antizipiert werden müssen, sind die Tamponade oder bronchopleurale Fisteln.
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Perikardtamponade. Die Zeichen der klassischen Perikardtam-
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ponade sind gestaute Halsvenen, gedämpfte Herzgeräusche und Hypotension, ggf. mit ausgeprägtem Pulsus paradoxus. Allerdings sind diese Zeichen postoperativ nicht immer einfach zu interpretieren. Insbesondere die lokalisierte Kompression von rechtem oder linkem Vorhof präsentiert sich oft nicht in klassischer Art und Weise, weshalb bei Verdacht großzügig eine Echokardiographie durchgeführt werden soll. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die transthorakale Untersuchung durch Luft und andere Überlagerungen z. T. keine konklusiven Resultate ergibt, weshalb in diesen Fällen eine transösophageale Untersuchung notwendig werden kann. Bronchopleurale Fistel. Bronchopleurale Fisteln sind ebenfalls häu-
fige Komplikationen nach pulmonalen Eingriffen. Deshalb müssen adäquate Drainagen mit der notwendigen Sorgfalt platziert werden, bevor der Thorax verschlossen wird. Signifikante parenchymatöse Verletzungen oder gar Resektionen benötigen in der Regel mindestens 2 dicklumige Drainagen, wobei die zweite tief posterior platziert werden sollte. Das Management von Fisteln bei expandierten Lungen ist deutlich einfacher zu erzielen. Wenn ein adäquater Gasaustausch ohne hohe Beatmungsdrücke sichergestellt werden kann, können bronchopleurale Fisteln meist konservativ behandelt werden. Nur in Fällen mit hohem Gasverlust oder wenn die Lunge wegen der starken Fistelung nicht expandiert werden kann, ist evtl. eine chirurgische Sanierung angezeigt. Vorübergehend muss u. U. eine einseitige oder seitengetrennte Ventilation vorgenommen oder gar ein Bronchusblocker eingesetzt werden. Bei seitengetrennter Ventilation kann die leckende Lunge asynchron über ein zweites Beatmungsgerät mit sehr tiefen Beatmungsdrücken behandelt werden, bis die Fistel im Idealfall verklebt. Zusammenfassung Die Morbidität und Mortalität des schweren Thoraxtraumas konnte in den letzten Jahren durch neue chirurgische Vorgehensweisen (videaoassistierte Thorakoskopie, Damage-control-Ansatz), durch extrakorporale Lungenunterstützung/Lungenersatz zur CO2-Elimination bzw. Oxygenierung unter lungenprotektiver Beatmung, durch optimierte Analgesie und durch frühe Physiotherapie und Patientenmobilisation gesenkt werden. Alle diese Techniken sind andererseits an der zunehmenden Komplexität der akuten und intensivmedizinischen Behandlung des schweren Thoraxtraumas mitbeteiligt.
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Abdominalverletzungen C. Hierholzer, A. Woltmann
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Vorbemerkung – 894
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Präklinik – 894
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Anamnese – 894
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Diagnostik – 894
71.4.1 71.4.2 71.4.3 71.4.4 71.4.5 71.4.6 71.4.7 71.4.8
Klinische Diagnostik – 894 Apparative Diagnostik – 895 Laboruntersuchung – 895 Nativröntgen – 896 Computertomographie – 896 Weiterführende radiologische Kontrastmitteluntersuchungen – 897 Messung des intraabdominellen Drucks – 897 Invasive Diagnostik – 897
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Therapie – 899
71.5.1 71.5.2 71.5.3 71.5.4 71.5.5 71.5.6 71.5.7 71.5.8
Konservative Therapie – 899 Operative Therapie – 900 Klassifikation – 901 Zusammenfassung der Prioritäten und Laparotomieprinzipien – 901 »Damage Control« – 902 Abdominales Kompartmentsyndrom – 902 Parenchymatöse Organe – 903 Hohlorgane – 905
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Postoperative Behandlung – 908
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Folgeeingriffe – 908
71.7.1 71.7.2
Anus-praeter-Rückverlagerung – 908 Bauchdeckenrekonstruktion – 908
Literatur – 909
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_71, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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71.1
Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
Vorbemerkung
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Stumpfe Abdominalverletzungen treten überwiegend im Rahmen einer Polytraumatisierung auf. Daher muss bei jedem Polytrauma in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere mit einer zunehmenden Häufigkeit von Rumpfverletzungen und damit auch von Abdominaltraumata gerechnet werden. Im Traumaregister der DGU wurde im Jahr 2008 bei 6369 polytraumatisierten Patienten mit einem ISS-Wert ≥16 in 24% der Fälle ein Abdominaltrauma diagnostiziert, die in 95% der Fälle durch eine stumpfe Verletzungen verursacht wurden. Das Abdominaltrauma kann zur Sofortletalität führen, wenn Rupturen der Aorta, anderer großer Gefäße oder von parenchymatösen Organen am Unfallort auftreten. Neben diesen schicksalhaften primär tödlichen Verläufen wird eine Frühsterblichkeit innerhalb der ersten 24 h durch Verletzungen des Körperstamms mit thorakalen und pelvinen Verletzungen oder Massenblutungen im Bereich des Abdomens verursacht. Generell gilt, dass polytraumatisierte Patienten mit Abdominalverletzungen eine höhere Gesamtverletzungsschwere aufweisen im Vergleich zu Patienten ohne Abdominalverletzungen. Das Frühversterben kann z. T. durch ein sofortiges Erkennen, eine zielgerichtete Diagnostik und schnellstmögliche Einleitung einer adäquaten Therapie reduziert werden. Daher kommt der Diagnostik des Abdominaltraumas innerhalb der ersten 1–2 h nach dem Unfall eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Besondere Bedeutung für das Überleben und das Outcome des Polytraumapatienten hat die primär übersehene Abdominalverletzung, die eine sekundäre Gefährdung durch Blutung oder Infektion darstellt und sich negativ auf die Spätletalität auswirkt. Einfache Verletzungen, wie die der Milz oder des Darms, können bei verspäteter Behandlung durch Verbluten oder Sepsis schnell zum Tod des Patienten führen. Daher besitzen Abdominalverletzungen in der Unfallchirurgie höchste Behandlungspriorität. Man unterscheidet stumpfe von penetrierenden Traumata. Bei den stumpfen Gewalteinwirkungen sind die parenchymatösen Organe durch direkten Anprall, Scherkräfte und Dezeleration gefährdet. Penetrierende Stich-, Schuss- oder Pfählungstraumata führen v. a. zu Verletzungen der Hohlorgane. Die operative Therapie einer abdominalen Monoverletzung wird in der Regel in einer Sitzung vorgenommen. Ist die Abdominalverletzung Teil einer Mehrfachverletzung, ist es günstiger, die chirurgische Versorgung in Etappen durchzuführen. Für komplexe abdominelle Verletzungen hat sich deswegen, parallel zum Versorgungskonzept der Frakturstabilisierung durch Fixateur externe und späterem Verfahrenswechsel, beim Polytrauma das Prinzip der »damage control« durchgesetzt.
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Präklinik
Ein Abdominaltrauma mit der Gefahr eines sich rasch entwickelnden Schockzustands muss bei jedem Patienten mit entsprechendem Unfallmechanismus, wie z. B. eine direkte oder indirekte Gewalteinwirkung auf Bauchwand, Becken, untere Thoraxapertur, Flanken oder Rücken, vermutet werden. Die primäre Untersuchung am Unfallort beinhaltet neben dem Überprüfen der Vitalfunktionen das Erfassen von Hinweisen auf perforierende Verletzungen, wie Schuss-, Stich- oder Pfählungswunden, das Erkennen von Prell- oder Gurtmarken und Schürfwunden im Bereich des Abdomens sowie weitere Hinweise auf schwere Verletzungen des Rumpfes. Dazu gehören neben der prall extendierten Bauchwand alle weiteren Auffälligkeiten im Bereich
des Thorax und des Beckens, insbesondere Hinweise auf eine knöcherne Instabilität in der manuellen Überprüfung. Nach initialer notärztlicher Versorgung zur Sicherung der Vitalfunktionen sollte ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik erfolgen.
Präklinische Therapie des Abdominaltraumas 4 Anlage von 2 großlumigen peripher venösen Zugängen. 4 Bei penetrierenden Verletzungen Belassen der eingedrungenen Fremdkörper (Pfählungsverletzung, Stichverletzung). 4 Abdecken von offenen Wunden oder prolabierten Intestinalorganen mit sterilem Verbandsmaterial. 4 Bei Verdacht auf Abdominaltrauma mit entsprechender Schmerzsymptomatik können Analgetika verabreicht werden. Dies kann jedoch die klinische Symptomatik verschleiern und muss in der anschließenden Diagnostik berücksichtigt werden. 4 Bei Abdominaltrauma mit Schock: Einleitung einer Schocktherapie über 2 großlumige periphere Zugänge. Ziel der Volumentherapie ist die Aufrechterhaltung eines systolischen Blutdruckes von 80–100 mm Hg, Analgesie und Sedierung, ggf. Intubation und Beatmung 4 Bei arteriellen Verletzungen ggf. Drucktamponade von starken Blutungen. 4 Schnellstmöglicher Transport in ein geeignetes Krankenhaus.
71.3
Anamnese
Eine detaillierte Anamneseerhebung ist wichtig, um die Art und Intensität der Gewalteinwirkung zu erfassen und Hinweise auf eine mögliche abdominale Verletzung zu erhalten. Stumpfe Bauchverletzungen nach Hochrasanztraumata (Sturzverletzungen nach Motorradunfällen, Risikosportarten und Berufsunfälle), Tritt- oder Schlagverletzungen sowie Dezelerationstraumata, z. B. bei Auffahrunfällen mit primär einsetzenden Rückenschmerzen (Abschertrauma) sind typische Verletzungsabläufe, die zu Abdominalverletzungen führen.
71.4
Diagnostik
71.4.1
Klinische Diagnostik
Bei einem stumpfen oder penetrierenden Abdominaltrauma kann sich jederzeit und sehr schnell eine Schocksituation mit akuter Lebensbedrohung ausbilden. Daher sollte der Patient mit dem entsprechenden Meldebild in der aufnehmenden Klinik angekündigt und im Schockraum behandelt werden. Die etablierten und standardisierten Algorithmen der Schockraumbehandlung werden angewendet [20]. Die Schockraumphase umfasst: 4 therapeutische Maßnahmen zur Sicherung und Wiederherstellung der Vitalfunktionen, 4 standardisierte klinische, prioritätenorientierte Untersuchung. Hierzu wird der Patient initial komplett entkleidet. Nach Beurteilung von Schockzeichen und Bewusstseinslage wird eine komplette Inspektion des gesamten Patienten inklusive des Rumpfbereichs durchgeführt und nach perforierenden Verletzungen, nach Prell-
895 71.4 · Diagnostik
marken, Hämatomausbildung und Schürfwunden untersucht. Die Bauchwand wird palpatorisch beurteilt und zwischen einem weichen und prall gespannten Abdomen unterschieden. Der wache und ansprechbare Patient wird nach Schmerzen befragt und die angegebene Lokalisation genau untersucht. Ein deutlich extendiertes Abdomen mit oder ohne Schmerzangabe stellt einen wegweisenden Befund dar, der eine weitere apparative und ggf. invasive Diagnostik erfordert. Um Mitverletzungen der angrenzenden Thorax- und Beckenregion zu erfassen, ist eine primäre Stabilitätsprüfung von Thorax und Becken erforderlich. Bei der rektalen Untersuchung wird auf eine Prostataluxation und Blut am Fingerling geachtet. Bei primärer Bewusstlosigkeit des Patienten wird das therapeutische Vorgehen nach der klinischen Untersuchung des Patienten vorwiegend an den Ergebnissen der apparativen Diagnostik festgelegt. Für das weitere Vorgehen bei stabilem oder gut stabilisierbarem Kreislauf müssen das penetrierende und das stumpfe Abdominaltrauma getrennt betrachtet werden. Im Folgenden werden die klinischen Befunde mit den apparativen Untersuchungsergebnissen korreliert und zeitgerecht der Bedarf an weiterführenden Untersuchungen oder akuten Therapiemaßnahmen festgelegt. ! Cave Unterscheide stumpfes vom perforierenden Abdominaltrauma.
Vorgehen bei perforierendem vs. stumpfem Bauchtrauma Im europäischen Raum ist die perforierende abdominale Verletzung deutlich seltener als die stumpfe abdominale Verletzung. Bei perforierenden Verletzungen ist die sofortige operative Revision des Abdomens erforderlich, um eine mögliche Hohlorganperforation auszuschließen und zu behandeln. Beim stumpfen Bauchtrauma kann nach Stabilisierung der Vitalfunktion entsprechend eines allgemeingültigen Schockraumalgorithmus vorgegangen werden.
er abdomineller Flüssigkeit mit einer relativen Quantifizierung der Volumenausdehnung. Es sollten folgende 3 Kategorien unterschieden werden: 4 nicht vorhanden, 4 wenig nachweisbar, 4 viel nachweisbar. Liegt keine freie abdominelle Flüssigkeit vor, ist ein Verbluten in die freie Bauchhöhle wenig wahrscheinlich, eine Organverletzung aber nicht ausgeschlossen. Wenig freie abdominelle Flüssigkeit weist auf eine intraabdominelle Verletzung hin, die weiter abgeklärt werden muss (z. B. Leberkapselruptur ohne hämodynamische Instabilität, Hohlorganverletzung). Die notfallmäßige Ultraschalluntersuchung des Abdomens erfolgt mit standardisiertem Vorgehen und überprüft das Vorhandensein von freier Flüssigkeit perisplenisch, perihepatisch, perikardial sowie im Bereich des kleinen Beckens bei möglichst gefüllter Harnblase. Zusätzlich können Pleuraergüsse und eine Perikardtamponade orientierend und sehr schnell erkannt werden. > Die FAST-Sonographie ist geeignet, den Nachweis und die Menge freier Flüssigkeit zu kontrollieren.
In mehreren prospektiv kontrollierten Studien [24] konnte gezeigt werden, dass diese wiederholten sonographischen Untersuchungen zu einer Verbesserung der Sensitivität und zu einer Reduktion von falsch-negativen Ergebnissen führte. Blackbourne et al. zeigten in einer prospektiven Studie, dass die Sensitivität der Untersuchung auf 72% und die Spezifität auf fast 97% verbessert werden konnte [3]. Die Sonographie kann sequenziell als Verlaufskontrolle eingesetzt werden, um eine Zunahme der klinischen Symptomatik, eine neu auftretende Kreislaufinstabilität oder auch eine konservative Therapie zu evaluieren. Gegebenenfalls muss eine unmittelbare Konsequenz für eine bestehende oder im Verlauf auftretende Schocksymptomatik mit Volumenbedarf gezogen und die Indikation zur sofortigen Notfalllaparotomie gestellt werden.
71.4.3 71.4.2
Laboruntersuchung
Apparative Diagnostik
Sonographie Parallel und überlappend zur Stabilisierung der Vitalfunktionen und zur klinischen Untersuchung wird eine »focused assessment sonography for trauma« (FAST) innerhalb der ersten Minuten durchgeführt, um eine unmittelbare Beurteilung der intrathorakalen und intraabdominellen Verletzungsschwere zu erhalten [31].
Zur orientierenden Untersuchung werden mit »focused assessment sonography for trauma« (FAST) die 4 standardisierten Schnitte durchgeführt: 4 Rechtslateraler Längsschnitt zur Beurteilung des Morrison-Pouch (zwischen rechtem Leberlappen und rechter Niere) und der Pleura. 4 Linkslateraler Längsschnitt zur Beurteilung des Koller-Pouch (zwischen Milz und linker Niere) und der Pleura. 4 Epigastrischer Querschnitt (Perikard, große Gefäße). 4 Suprapubischer Querschnitt (Douglas-Raum).
Im Vordergrund steht nicht die differenzierte Darstellung der Pathomorphologie einzelner Organe, sondern der Nachweis von frei-
Folgende Laboruntersuchungen sind bei einer Abdominalverletzung hilfreich: 4 Blutgruppe, 4 Kreuzprobe (Kreuzung und Bereitstellung von 6 Erythrozytenkonzentraten), 4 Hämoglobin, Hämatokrit, 4 Thrombozyten, 4 Quick-Wert, 4 Blutgasanalyse, 4 Laktat, 4 Amylase, Lipase, 4 Urinstatus. Ein erniedrigter Hämatokrit weist bis zum Beweis des Gegenteils auf eine Blutung, nicht auf »eine Verdünnung« hin. Hohe Laktatund negative Base-exzess-Werte zeigen eine drohende oder manifeste Schocksituation an. Verschlechtern sich diese Werte innerhalb der Diagnostik-/Therapiephase, kann dies ein Warnhinweis sein, dass die eingeschlagene Strategie geändert werden muss.
71
896
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71.4.4
Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
Nativröntgen
Wurde durch die vorgenannten Untersuchungen eine intraabdominelle Blutung ausgeschlossen, können folgende weiterführende Röntgenuntersuchungen indiziert sein. 4 Thoraxübersicht (. Abb. 71.1), 4 Abdomenübersicht und Linksseitenlage, 4 Wirbelsäule in 2 Ebenen, 4 Becken a.-p. In der Abdomenübersicht können Fremdkörper (z. B. Projektile) geortet, in der Linksseitenlage freie Luft nachgewiesen werden. Die übrigen Aufnahmen dienen zum Nachweis von Begleitverletzungen, die auf eine abdominelle Verletzung hinweisen.
71
71.4.5
71
Die CT-Untersuchung stellt in der Diagnostik des Bauchtraumas den Goldstandard dar und wird nach der Abdomensonographie eingesetzt und in der Regel als Polytrauma-Multislice-CT durchgeführt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Patient kreislaufstabil ist und die Vitalfunktionen gesichert sind. Die CT-Diagnostik bietet im Rahmen der einsetzbaren Bildgebungsverfahren die beste Organdiagnostik und weist mit hoher Sensitivität und Spezifität freie Flüssigkeit nach und ermöglicht die Darstellung von Organverletzungen [33]. Durch die Verwendung von i.v.-Kontrastmittel lassen sich frische Blutungen und Gefäßverletzungen lokalisieren und die Durchblutungssituation einzelner Organe beurteilen (Beispiel: Nierenarterienverletzung mit Ischämie der abhängigen Parenchymareale). Mit der CT-Diagnostik können Verletzungen von parenchymatösen Organen, wie z. B. der Leber und der Milz, klassifiziert und damit therapeutische Entscheidungshilfen gegeben werden (. Abb. 71.2, . Abb. 71.3).
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Computertomographie
CT-Dichte-Messungen können weiterhin zur Differenzierung der Qualitäten freier Flüssigkeit beitragen (Blut/Aszites). Insbesondere eignet sich die CT zum Nachweis von Zwerchfellrupturen mit traumatischer Hernierung von abdominalen Organen in den Thorax (. Abb. 71.4). Das Retroperitoneum kann sicher dargestellt werden, die Ausdehnung von retroperitonealen oder Rektusscheidenhämatomen bestimmt und freie Luft nachgewiesen werden. Luftüberlagerungen, z. B. durch ein Hautemphysem oder starken Meteorismus, schränken die Beurteilbarkeit im Gegensatz zur Sonographie nicht ein. Die Untersuchung sollte nativ und mit Kontrastmitteln (enteral und intravenös) gefahren werden. Der Zeitaufwand einer abdominalen CT-Diagnostik beträgt heute wenige Minuten. Die Diagnostik von Hohlorganverletzungen ist auch unter Verwendung von i.v.- und oralem Kontrastmittel schwierig und kann nicht immer eine Verletzung nachweisen. Neben dem Nachweis eines direkten Kontrastmittelaustrittes ist das Vorhandensein von freier intraabdominaler oder retroperitonealer Luft mit freier Flüssigkeit ein diagnostisches Kriterium für eine Hohlorganverletzung (. Abb. 71.5). Die Indikation für eine sonographische und auch computertomographische Kontrolluntersuchung sollte bei den folgenden Organpathologien erfolgen [36]:
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. Abb. 71.2 Zentrale Leberruptur
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. Abb. 71.1 Linksseitige Zwerchfellruptur
. Abb. 71.3 Milzruptur und freie intraabdominelle Flüssigkeit
897 71.4 · Diagnostik
4 Neu auftretende Druckschmerzhaftigkeit, peritoneale Reizung des Abdomens oder Kreislaufinstabilität, 4 veränderte oder fehlende Peristaltik, 4 Anstieg von Infektparametern (Leukozyten, CRP, Laktat, Temperaturerhöhung), 4 Nachweis von freier Flüssigkeit ohne erkennbare sonstige Organläsionen, 4 freie Flüssigkeit mit Darmwandverdickung.
71.4.6
Weiterführende radiologische Kontrastmitteluntersuchungen
Die retrograde Urethrozystographie dient zum Nachweis einer Harnröhren- und Harnblasenruptur. Um eine etwaige Harnblasenruptur differenziert bilanzieren zu können, sollte immer eine Füllungs-(intraperitoneale Ruptur!) und Ablaufphase (extraperitoneale Ruptur!), angefertigt werden [23] (. Abb. 71.6).
71.4.7 . Abb. 71.4 Zwerchfellruptur
Messung des intraabdominellen Drucks
Die regelmäßige Messung des intraabdominellen Druckes wird eingesetzt, um die Entwicklung eines abdominellen Kompartmentsyndroms rechtzeitig zu erkennen. Die abdominelle Druckmessung erfolgt mit kontinuierlicher Druckbestimmung über eine liegende Blasenmesssonde. Der normale intraabdominelle Druck sollte die Grenze von 10 mm Hg nicht überschreiten. Eine pathologische Druckerhöhung besteht für den Druckbereich von >25 mm Hg. Ab dieser Druckerhöhung ist mit einer deutlichen Zunahme von posttraumatischem Organversagen, auch im Sinne eines Multiorganversagens, zu rechnen.
71.4.8
Invasive Diagnostik
Proktorektoskopie Insbesondere bei Pfählungsverletzungen und posttraumatischem peranalen Blutabgang ist diese Untersuchung indiziert, um Beckenboden- und Rektumverletzungen nachzuweisen und ggf. auch lokal zu behandeln.
Peritoneallavage Die Einführung der Peritoneallavage durch Root et al. (1965) stellte für die Diagnostik des Abdominaltraumas einen entscheidenden Fortschritt dar [25]. Abdominalverletzungen, die einer Laparotomie bedurften, konnten früher erkannt werden. Die Rate der übersehenen Verletzungen nahm ab. Gleichzeitig nahm jedoch die Zahl der unnötigen Laparotomien zu. Mit der Peritoneallavage kann lediglich die Qualität freier abdomineller Flüssigkeit geklärt werden. Bereits geringe Mengen Blut färben die Flüssigkeit rot, ohne dass sich hierdurch eine echte Entscheidungshilfe für das weitere Vorgehen ergibt. Der wesentliche Nachteil der Peritoneallavage ist die Invasivität mit einer Komplikationsrate von ca. 1% [11]. Zusätzlich bestehen Kontraindikationen. Insbesondere bei vorausgegangenen abdominalen Operationen ist die Gefahr der iatrogenen Organverletzung durch vorbestehende Verwachsungen erhöht. Im Vergleich zur Sonographie ermöglicht die Peritoneallavage keine differenzierte Organdiagnostik. Insofern wird die Methode heute nur noch selten eingesetzt.
. Abb. 71.5 Freie intra- und retroperitoneale Luft
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Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
Laparoskopie
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a
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b
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Explorative Laparotomie Als Indikationen gelten: 4 freie abdominelle Flüssigkeit und Kreislaufinstabilität nach Trauma, 4 typische Begleitverletzungen und Kardinalsymptome für ein Abdominaltrauma (Beispiel: Slice-Fraktur thorakolumbal und Bauchdeckenekchymosen; . Abb. 71.7), 4 posttraumatischer Peritonismus, 4 posttraumatische freie abdominelle Luft, 4 penetrierende, (insbesondere Schuss-) Verletzung.
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Bei thorakoabdominellen Stichverletzungen kann die Indikation zur Laparoskopie bestehen, um eine Differenzierung zwischen thorakaler und abdomineller Verletzung vorzunehmen und die Durchstichverletzung im Peritoneum zu lokalisieren. Befindet sich der Einstich an der vorderen, unteren Thoraxapertur unterhalb der Brustwarzenlinie, kann durch die Laparoskopie geklärt werden, ob der Stichkanal im Abdomen mündet. Nach einer Stichverletzung des Abdomens liegt bei ca. 30% der Patienten keine peritoneale Läsion und bei weiteren 30% trotz Perforation des Peritoneums kein therapiebedürftiger Befund vor. Daher empfiehlt sich die Laparoskopie zur Diagnostik einer abdominalen Stichverletzung [15], und es lassen sich nichttherapeutische Laparotomien, die eine messbare Morbidität aufweisen, vermeiden [8]. In der Laparoskopie lassen sich intraabdominale Läsionen solider Organe und des Zwerchfells erkennen und nicht nur die Qualität, sondern auch die Quelle freier abdomineller Flüssigkeit klären. Organe ohne Mesenterium sind jedoch nur eingeschränkt beurteilbar. Die subtile Untersuchung des gesamten Dünndarms »hand-byhand« ist anspruchsvoll und zeitintensiv. Liegt eine Läsion des Peritoneums vor, wird in der Regel laparotomiert, weil die Sensitivität der Laparoskopie für den Nachweis gastrointestinaler Verletzungen gering ist (25%) [2] und retroperitoneale Verletzungen nicht zuverlässig laparoskopisch abgeklärt werden können. Daher ist die Indikation zur Laparoskopie kritisch zu stellen. Es wird empfohlen, durch Minilaparotomie paraumbilikal den Kameratrokar einzuführen. Die Exploration geschieht optisch und mit Haltezangen sowie der Saug-Spül-Sonde. Begrenzte Monoverletzugen, z. B. der Leber oder Milz, können bilanziert und behandelt werden (z. B. Blutstillung durch Klebung mit Fibrin oder Kollagenvlies). Wird bei einer explorativen Laparoskopie eine rekonstruktiv zu behandelnde Verletzung diagnostiziert oder bleiben Zweifel, sollte die Indikation zur Laparotomie gestellt werden. Eine Voraussetzung für die Durchführung einer Laparoskopie ist Kreislaufstabilität. Bei kompromittierten Beatmungssituationen und erhöhtem Hirndruck ist die Laparoskopie kontraindiziert. Im Gegensatz zu den perforierenden Abdominaltraumata hat die Laparoskopie bei stumpfen Bauchtraumata, insbesondere beim polytraumatisierten Patienten, keinen gesicherten Stellenwert [30].
c . Abb. 71.6a–c Überrolltrauma mit C-Verletzung des Beckens und retroperitonealer Ruptur der Harnblase. a 3-D-Rekonstruktion der C-Verletzung des Beckens. b, c Urethrozystographie: Intakte Füllungsphase – kein Hinweis auf intraperitoneale Ruptur (b). In der Ablaufphase Nachweis einer extraperitonealen Ruptur (c)
Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) Die ERCP ist bei Verdacht auf Gallengang- oder Pankreasgangverletzungen indiziert. Sie kann therapeutisch sinnvoll sein, um durch Papillotomie oder Einlage eines Stents in den Gallen- oder Pankreasgang den Abfluss von Galle oder Pankreassekret in das Duodenum zu verbessern.
899 71.5 · Therapie
a
c . Abb. 71.7 Verletzung der Wirbelsäule als typische Begleitverletzung des Abdominaltraumas, mit monosegmentaler dorsaler Spondylodese versorgt
b
71.5
Therapie
71.5.1
Konservative Therapie
Therapieziel Ziel der Behandlung ist die komplikationslose Heilung der Verletzungen unter Erhalt der Organe und ihrer Funktionen sowie Vermeidung von operationsbedingten Komplikationen nach Laparotomie, wie z. B. Platzbauch oder Narbenhernien.
Therapiemaßnahmen Verletzungen parenchymatöser Organe werden mit 10 Tage Bettruhe behandelt. Die Bauchlagerung sollte vermieden werden. Bei Pankreasverletzungen wird eine parenterale Therapie durchgeführt.
Therapieentscheidungen Die Entscheidung, ob konservativ behandelt oder operiert wird, ist abhängig vom Gesamtverletzungsmuster, von der Kreislaufstabilität und dem Schweregrad der parenchymatösen Verletzung. Die vermehrt eingesetzte diagnostische Laparoskopie könnte dazu führen, dass der Anteil an konservativen Behandlungen bei parenchymatösen Verletzungen ansteigt [14].
Fehler, Gefahren und Komplikationen Gerade beim konservativen Vorgehen fehlt die visuelle Kontrollmöglichkeit des intraabdominalen Lokalbefunds. Insofern besteht die Gefahr, Verletzungen zu unterschätzen, Begleitverletzungen zu übersehen und Komplikationen, wie z. B. erneute Blutung (Beispiel:
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900
Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
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zweizeitige Milzruptur) oder Auftreten einer Peritonitis, zu spät zu erkennen.
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Indikation
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Die Indikation zur konservativen Therapie bei stumpfem Bauchtrauma kann dann gestellt werden, wenn das Ausmaß der intraabdominellen Verletzung mit einer Computertomographie diagnostisch abgeklärt wurde und Hohlorganverletzungen und Zwerchfellrupturen ausgeschlossen wurden. Leber und Milz sind nach stumpfen Traumata am häufigsten betroffen und machen zusammen 60–70% der Organläsionen aus [30]. Insbesondere Milz- und Leberverletzungen der Grade I und II (intrakapsuläres Hämatom bzw. kleine Lazeration) können erfolgreich konservativ mit Bettruhe behandelt werden [29]. Bei Verletzungen von parenchymatösen Organen (Milz, Leber, Niere, Pankreas) muss immer an eine begleitende Hohlorganverletzung gedacht werden. In einer retrospektiven Studie von 3089 Patienten mit stumpfen Organverletzungen fanden Nace et al. bei ca. 10% der Patienten eine zusätzliche Hohlorganverletzung [19]. Aufgrund der diagnostischen Unsicherheit sind begleitende Hohlorganverletzungen beim primär konservativen Vorgehen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität belastet. In der Regel ist eine intensivmedizinische Überwachung und engmaschige sonographische Befundkontrolle erforderlich. Bei höhergradigen parenchymatösen Verletzungen ist eine erneute CT-Kontrolle im Verlauf durchzuführen.
Operationsvorbereitung Die Nüchternheitsgrenze muss nicht abgewartet werden. Bei penetrierenden Verletzungen ist die Tetanusprophylaxe zu überprüfen, ggf. aufzufrischen. Ein mikrobiologischer Abstrich sowie die Photodokumentation werden vorbereitet. 6 Blutkonserven sind zu kreuzen. Wenn dies nicht abgewartet werden kann, werden Erythrozytenkonzentrate der Gruppe 0 negativ vorgehalten. Eine Antibiotikaprophylaxe, z. B. die Kombination eines 3.-Generations-Cephalosporins mit Metronidazol, wird gegeben, wenn die Laparotomie therapeutisch ist. Es wird eine Magensonde gelegt. Ein Blasenkatheter ist sinnvoll, kann aber auch intraoperativ als Cystofixkatheter unter Sicht und digitaler Kontrolle gelegt werden. Warme Decken oder Luftheizdecken (»warm-touch«) wirken der Auskühlung des Patienten entgegen. Als Saugung wird ein Cellsaver vorbereitet.
Anästhesie und Lagerung 4 Vollnarkose, Relaxierung. 4 Rückenlage, linken Arm nach Möglichkeit anlagern. 4 Der Operateur steht rechts, zwei Assistenten stehen links vom Patienten. 4 Ist eine Rektumverletzung zu vermuten, werden die Beine auf Beinhaltern gelagert, damit jederzeit die Möglichkeit zu Steinschnittlagerung und transanalem Zugang gegeben ist.
Operatives Vorgehen 71.5.2
Operative Therapie
Indikation zur Notfalllaparotomie Die Indikation zur Notfalllaparotomie (7 Übersicht) muss gestellt werden, wenn trotz suffizienter Volumensubstitutionstherapie keine ausreichende Kreislauffunktion wiederhergestellt werden kann und die klinische Symptomatik sowie sonographische Befunde eine intraabdominale Verletzung wahrscheinlich machen. Eine instabile Kreislaufsituation liegt vor, wenn der systolische Blutdruck unter 80 mm Hg beträgt bzw. wenn sich keine Stabilisierung des arteriellen Blutdrucks über 80 mm Hg erzielen lässt.
Indikation zur Notfalllaparotomie 4 4 4 4
Vermutete Hohlorganverletzung Fortgesetzt aktive intraabdominelle Blutung Prolabierte Viszera Schwere Verletzungen des Pankreas insbesondere mit Verdacht auf Gangruptur 4 Jede abdominale Schussverletzung und Stichwunde mit Penetration der Faszie
Als auffällige klinische Befunde gelten ein gespanntes Abdomen, Peritonismus, Prellmarken oder der Nachweis von Hämatomen. Der sonographische Nachweis von freier Flüssigkeit gilt als entscheidender diagnostischer Wegweiser. Gerade im Fall einer Polytraumatisierung mit hohem ISS-Score dient die rechtzeitige Laparotomie der Vermeidung von Komplikationen, wie Gerinnungsstörung, Infektion und Ausbildung eines SIRS. Selten kann hier eine diagnostische Laparoskopie eingesetzt werden.
Als Standardzugang für die notfallmäßige Laparotomie wird die mediane Laparotomie verwendet. Sie kann bei Bedarf zu einer Sternotomie erweitert werden. Nach Eröffnung des Abdomens werden die Ligg. teres und falciforme hepatis durchtrennt und alle 4 Quadranten tamponiert. Danach wird die Bauchhöhle systematisch und quadrantenweise exploriert. In der Regel beginnt die Exploration im linken oberen Quadranten, da die Milz am häufigsten betroffen ist [31]. Bei einer Milzruptur wird eine direkte Blutstillung durch die Splenektomie erreicht. Hat man eine Blutungsquelle bzw. Hohlorganverletzung entdeckt, werden diese zunächst gestillt bzw. provisorisch übernäht, bevor weiter exploriert wird. Bei Ruptur großer stammnaher Gefäße (z. B. bei Beckenfraktur) kann eine Blutungskontrolle durch eine temporäre Aortenabklemmung oder durch eine direkte manuelle Kompression erzielt werden. Die Intaktheit des Zwerchfells wird überprüft. Der MagenDarm-Trakt wird von oral nach aboral »hand-by-hand« abgesucht. Eine Mobilisierung von Darmabschnitten ist nur erforderlich, wenn Verwachsungen vorliegen. Ein Kocher-Manöver zur Mobilisierung und Exploration des Duodenums ist bei Verdacht auf eine Duodenalverletzung indiziert. Zuletzt sollte immer auch die Bursa omentalis eröffnet und exploriert werden, um Pankreas und Magenhinterwand einzusehen. Dies geschieht am besten durch Lösen der Verklebungen zwischen Colon transversum und Omentum majus, wo man entlang des Mesotransversums in die Bursa omentalis gelangt. Bei penetrierenden Verletzungen sollten alle retroperitonealen Hämatome exploriert werden, da Projektile bei Schussverletzungen typischerweise einen unberechenbaren Zickzack-Verlauf durch das Abdomen nehmen und multiple Organläsionen hervorrufen können. Bei schweren diffusen Blutungen aus parenchymatösen Organen, aber auch bei Ausbildung eines retroperitonealen Hämatoms bei Beckenfraktur und Zerreißung des sakralen Plexus, stellt die
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901 71.5 · Therapie
Kompression und Tamponade durch das Packing mit Bauchtüchern eine schnelles und sicheres Verfahren zur Blutungskontrolle dar.
versagen sowie nach Verletzungsschweregrad und entsprechender notwendiger Therapie mit Punkten (»Scoring«) von 1= minimal, 2= gering, 3= mäßig, 4= schwer oder 5= maximal, bewertet.
Packing Beim Packing erfolgt die Kompression der Blutungsregion oder des verletzten Organs durch eine zirkuläre Tamponade mit Bauchtüchern. Bei der Leber ist zunächst die vollständige Mobilisation durch Durchtrennung der Ligg. falciforme, triangulare und coronare erforderlich. Bei Leberverletzungen stellt das Packing oftmals die initiale Behandlung dar. In der weiteren Folge ist nach Stabilisierung der Allgemeinsituation und Restitution der plasmatischen Gerinnung die Entfernung der Bauchtücher nach 2–3 Tagen erforderlich. Gelingt ein direkter Verschluss der Bauchdecke nach Packing des Bauchraums nicht, wird der temporäre Verschluss unter Vakuumtherapie erreicht.
Sondersituation perforierendes Bauchtrauma Bei perforierenden Verletzungen im kranialen Abschnitt des Bauchraums können begleitende Verletzung des Thorax und des Perikards auftreten. Insbesondere muss ein Pneumothorax und eine Perikardtamponade ausgeschlossen werden. Bei abdominellen Schussverletzungen wird die Indikation zur notfallmäßigen Laparotomie auch beim kreislaufstabilen Patienten gestellt. Auch bei Stichverletzungen wird die Indikation zur operativen Inspektion des Bauchraums gestellt. In Abhängigkeit vom Verletzungsausmaß kann eine Laparoskopie oder eine Laparotomie durchgeführt werden. Sowohl beim stumpfen wie beim penetrierenden Trauma kann nach einem Stufenschema vorgegangen werden (. Abb. 71.8).
71.5.3
Klassifikation
Nach Borlase u. Moore [4] kann das Abdominaltrauma nach dem Abdominal Trauma Index klassifiziert werden. Die einzelnen Organe werden nach Risikofaktoren für Komplikationen wie Abszedierung, Darmfistel, Wundinfektion, Pneumonie oder Multiorgan-
71.5.4
Zusammenfassung der Prioritäten und Laparotomieprinzipien
> Erste Priorität bei der explorativen Laparotomie hat die Blutungskontrolle.
Die Blutungskontrolle kann erreicht werden: 4 direkt: 5 Koagulation, 5 Klebung, 5 Ligatur, 5 Umstechung, 5 Naht, 5 Wrapping, 5 Omentoplastik, 4 indirekt: 5 temporäre Einstromdrosselung, 5 Tamponade, 5 Entfernung des blutenden Organs. Die Einstromdrosselung funktioniert über die zuführenden Hauptgefäße: 4 Leber: Lig. hepatoduodenale (Pringle-Manöver), 4 Mesenterium, Milz, Niere: subdiaphragmale Aorta, 4 Becken: infrarenale Aorta. Ziele der Einstromdrosselung sind: 4 Kreislaufstabilität wiederzuherstellen, 4 Zeit zur Bilanzierung der Verletzung zu gewinnen, 4 über Organerhalt, Teil- oder Komplettresektion entscheiden zu können.
Bauchtrauma
penetrierend
Stumpf
Schock, freie abdominelle Flüssigkeit
Kreislaufinstabil, freie abdominelle Flüssigkeit
Schock
Kreislaufinstabil
Stich
Schuss/Pfählung
CT, ggf. Kontrollsonographie CT
Laparatomie
Laparoskopie/ Laparatomie
Laparatomie
. Abb. 71.8 Algorithmus für stumpfe und penetrierende Bauchtraumata
Laparoskopie/ Laparatomie
Laparatomie
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Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
Gerade bei Patienten im Volumenmangelschock ist das sicherste Verfahren zur Blutstillung anzuwenden. In der Regel bedeutet dies die Entfernung der Milz bei Milzverletzung. Ist man sich sicher, dass eine zweite Niere vorhanden ist, die eine normale Durchblutung aufweist, kann in dieser chirurgischen Notsituation auch die verletzte Niere zugunsten einer suffizienten Blutstillung geopfert werden.
Im Rahmen einer »Second-look-Operation« werden 24–48 h später die Verletzungen definitiv chirurgisch versorgt, d. h. die Komplettierung der Blutstillung, erweiterte Resektionen, die Wiederherstellung der Darmpassage und ggf. die Anlage von Stomata und Drainagen vorgenommen [27].
> Zweite Priorität hat die Beseitigung der Kontamination.
71.5.6
Hohlorganverletzungen werden verschlossen. Bei verletzten Darmabschnitten gilt die Regel, so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu resezieren. Prinzipiell ist auf eine ausreichende Mobilisation für eine gute Übersicht, genaue Beurteilbarkeit und eine spannungsfreie Anastomosentechnik zu achten. Ist der Patient kreislaufstabil, kann die Darmpassage durch einfache Anastomosen primär wieder hergestellt werden.
Das abdominale Kompartmentsyndrom tritt am häufigsten nach Abdominaltrauma auf. Die Inzidenz wird mit ca. 6% nach einem Abdominaltrauma angegeben [12]. Besonders gefährdet für die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms sind Patienten, die nach Abdominaltrauma mit einer »Damage-control-Operation« behandelt wurden. Ätiologisch kommt ein abdominales Kompartmentsyndrom häufig nach Packing von schweren intraabdominellen Blutungen sowie bei ausgedehnten Hämatomen im Retroperitoneum und Becken vor (7 Übersicht). Es kann sich auch bei Massentransfusion und Volumentherapie zur Behandlung von Volumenmangelschock als generalisiertes Ödem des Gastrointestinaltrakts entwickeln.
71.5.5
»Damage Control«
Bei der Notfallversorgung von mehrfachverletzten Patienten mit Abdominaltrauma steht die Wiederherstellung stabiler Verhältnisse mit einem minimalen operativen Trauma im Zentrum der Versorgungsstrategie [27]. Die Polytraumapatienten sind durch Hypovolämie, Koagulopathien und Hypothermie vital gefährdet. Die chirurgischen Aufgaben bestehen in der Blutungskontrolle, der Dekontamination und dem provisorischen Bauchdeckenverschluss (. Tab. 71.1). Das bedeutet: In kürzest möglicher Zeit werden aktive Blutungsquellen zuverlässig verschlossen, z. B. durch Splenektomie bei Milzblutung und durch Packing von blutenden Leberläsionen oder diffusen Blutungsquellen mit Tamponade der parakolischen Rinnen und des Beckens. Aufwendige und langdauernde intraabdominale Rekonstruktionen werden nach Stabilisierung des Patienten auf einen sekundären Zeitraum verschoben. Nach der Lavage aller 4 Quadranten werden Organläsionen nur dann repariert, wenn dies ohne großen Aufwand zur kurzfristigen Stabilisierung der Gesamtsituation beiträgt. Hohlorganverletzungen werden reseziert. Transmurale Läsionen des Gastrointestinaltrakts werden im Sinne eines Resektions-Débridements behandelt. Auf eine Rekonstruktion der Darmpassage wird verzichtet und die Darmenden durch Klammernähte ohne Anastomosierung oder Stomaanlage blind verschlossen. Das tamponierte Abdomen wird ohne Drainageneinlage temporär verschlossen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Allgemeinzustand des Patienten zu stabilisieren.
71 71
. Tab. 71.1 Damage-control-Konzept Indikationen
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Polytraumapatienten, die an mehreren Körperregionen Verletzungen aufweisen, die primär versorgt werden müssen Drohender oder manifester Schock Hypothermie
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Gerinnungsstörung Chirurgische Aufgaben
Blutungskontrolle Dekontamination Provisorischer Bauchdeckenverschluss
Abdominales Kompartmentsyndrom
Ätiologie des abdominalen Kompartmentsyndroms 4 Nach Packing von intraabdominellen Blutungen 4 Bei ausgedehnten Blutungen und Hämatomen im Retroperitoneum und Becken 4 Nach Massentransfusion als generalisiertes Ödem des Gastrointestinaltrakts 4 »capillary-leak-syndrome« mit diffuser Vermehrung der subperitonealen interstitiellen Flüssigkeit 4 Peritonitis
Definition Das abdominale Kompartmentsyndrom ist als intraabdominale Druckerhöhung >25 mm Hg definiert.
Die abdominale Druckmessung wird kontinuierlich über einen Druckabnehmer im Blasenkatheter vorgenommen. Das abdominale Kompartmentsyndrom tritt klinisch häufig in Kombination mit weiteren Organdysfunktionen in Erscheinung. Typischerweise werden eine respiratorische Insuffizienz mit erhöhten Beatmungsdrücken, eine Reduktion des Herzminutenvolumens, prärenales Nierenversagen sowie Hypoxie und Hyperkapnie beobachtet [7]. Zur Prävention eines Multiorganversagens muss rechtzeitig eine entlastende Laparotomie vorgenommen werden und ein temporäres Laparostoma angelegt werden. Der passagere Bauchdeckenverschluss wird unter Verwendung von Folienverbänden in Kombination mit Vakuumversiegelung vorgenommen. Die Bauchhöhle wird bis zum definitiven Verschluss etappenlavagiert, d. h. in 2- bis 3-tägigen Intervallen revidiert. Vakuumverbände werden auf ein folienarmiertes Bauchtuch gelegt, das mit seiner Folienseite dem großen Netz aufliegt. Die Versiegelung erfolgt ebenfalls mit Folie (. Abb. 71.9). Der negative Vakuumsog soll 20 cm Wassersäule nicht übersteigen. Kann das Abdomen nach multiplen Etappenlavageoperationen nicht mehr direkt verschlossen werden, wird der Bauchdeckenverschluss durch Meshgraft, die auf eine Netzblombe oder auf ein Vicrylnetz zwischen den Faszien platziert wird, sekundär herbeigeführt [5].
903 71.5 · Therapie
Konservative Therapie. Bei limitierten Milzverletzungen, wie z. B.
oberflächlichen Rissbildungen oder subkapsulären Hämatomen, sollte möglichst ein konservativer Therapieversuch unternommen werden, der bei ca. 90% der Patienten erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann. Bei etwa 10% der primär konservativ behandelten Patienten muss bei Therapieversagen eine sekundäre Laparotomie, meist innerhalb der ersten 24 h, vorgenommen werden. Operative Therapie. Ziel der Laparotomie ist die schnellstmög-
. Abb. 71.9 Passagerer Bauchdeckenverschluss mit Vakuumverband beim abdominalen Kompartmentsyndrom
liche Kreislaufstabilisierung, die am einfachsten durch eine totale Splenektomie zu erzielen ist. Wenn der Blutverlust <0,5 l beträgt, keine weiteren intraabdominellen Verletzungen oder eine Gerinnungsstörung vorliegen, kann in ausgewählten Fällen ein Versuch der Milzerhaltung vorgenommen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine sichere Blutstillung – mit z. B. Fibrinklebung oder andere lokale Anwendung von Hämostyptika, Argonplasmakoagulation, Infrarotkoagulation bis hin zur Teilresektion – erzielt werden konnte. Ansonsten ist die Splenektomie indiziert. Hierfür werden zunächst von ventral das Lig. gastrolienale disseziert und die Aa. gastricae braeves zur Milz durchtrennt und ligiert. Danach wird von laterodorsal das Lig. phrenicolienale durchtrennt. Die Milz kann nun aus ihrem Bett hervorluxiert werden. Am Milzhilus werden nun die A. und V. lienalis von dorsal separat durchtrennt und ligiert. Vor dem Bauchdeckenverschluss wird eine Zieldrainage eingelegt, um Wundsekret abzuleiten, das mit etwas Pankreassekret vermischt sein kann, wenn der Pankreasschwanz arrodiert ist. Nach Milzresektion sollte postoperativ innerhalb von 3 Wochen eine Impfung mit einem polyvalenten Vakzin gegen Pneumokokken und Hämophilus influenzae durchgeführt werden, um einem OPSI- (»overwhelming post-splenectomy infection«) Syndrom vorzubeugen.
Leber 71.5.7
Parenchymatöse Organe
Milz Bei einem stumpfen Abdominaltrauma ist die Milz mit 30% das am häufigsten verletzte Organ [31]. Bei der Milzverletzung werden die in . Tab. 71.2 dargestellten Schweregrade unterschieden. Komplexe Rupturen (Grad IV) und Desvaskularisation von >25% der Milz (Grad V) werden in ca. 25% aller Milzläsionen beobachtet. z Therapie Bei ca. der Hälfte der Patienten mit einer Milzruptur erfordert die Zunahme von freier Flüssigkeit mit initialem Verbrauch von mehr als 2 Blutkonserven oder instabile Kreislaufverhältnisse eine notfallmäßige Laparotomie.
Die Leber ist beim stumpfen Bauchtrauma in 15% verletzt. In Anlehnung an Moore et al. 1995 [18] wird eine eingängige Klassifikation vorgeschlagen (. Tab. 71.3). Der rechte Leberlappen ist in 70%, der linke in 15% betroffen, in weiteren 15% beide Leberlappen. Die operative Versorgung ist ab Grad II relativ, ab Grad III absolut indiziert. Die Letalität nach stumpfem Lebertrauma ist deutlich höher als die nach perforierender Verletzung [29] und von der Schwere und der Ausdehnung des Traumas abhängig. Liegt nach einem stumpfen Bauchtrauma eine Monoverletzung der Leber vor, ist mit einer Letalität von ca. 10% zu rechnen, die nach Verletzung von 3 intraabdominalen Organen auf bis zu 60% ansteigt. Schwere Leberrupturen kommen v. a. beim Polytrauma vor und weisen innerhalb der ersten 48 h eine hohe Letalität auf, die . Tab. 71.3 Schweregradeinteilung von Leberverletzungen
. Tab. 71.2 Schweregradeinteilung von Milzverletzungen
Schweregrad
Kennzeichen
Schweregrad
Kennzeichen
I
Kapselriss Subkapsuläres Hämatom
I
Subkapsuläres Hämatom Kapselriss (nicht blutend)
II
Stichverletzung (wenig blutend)
II
blutender Kapselriss
III
III
Ruptur von Trabekelgefäßen
Blutende Ruptur Verletzung von Gallengängen Nekrosen
IV
Ruptur von Segment- und Hilusgefäßen
IV
Verletzung von Pfortaderästen
V
Hilus- oder Totalruptur
V
Verletzung von V.-cava-Ästen
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Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
im Wesentlichen durch das Ausmaß der Parenchymzerstörung und zentralen Gefäßbeteiligung, dem Blutungsschock und Koagulopathien, aber auch durch Begleitverletzungen verursacht ist. Große Parenchymeinrisse in nur einem Leberlappen (Grad IV) weisen eine Letalität von 30% auf. Bei einer ausgedehnten beidseitigen Parenchymzerstörung oder bei Verletzungen der Lebervenen oder retrohepatischen V. cava (Grad V) steigt die Letalität auf bis zu 66% an [6, 1]. Bei den Begleitverletzungen stehen thorakale und pulmonale Verletzungen im Vordergrund sowie schwere Verletzungen weiterer intraabdomineller Organe, wie z. B. eine Milzruptur. z Therapie Schwere Leberrupturen haben wegen des hohen Blutverlustes höchste Dringlichkeit in der Versorgung. Zur übersichtlichen Exposition von Leberrupturen empfiehlt sich die mediane Laparotomie, damit auch intraabdominelle Begleitverletzungen beurteilt und therapiert werden können. Zunächst wird das Hämatom ausgeräumt und die Leber adäquat mobilisiert. Hierfür werden die Ligg. teres hepatis und falciforme bis auf die suprahepatische V. cava, die Ligg. triangularia und coronarium durchtrennt. Es werden sowohl der linke als auch der rechte Leberlappen so weit mobilisiert, dass eine suffiziente Tamponade möglich ist. Einfache Dekapsulierungen und oberflächliche Einrisse machen 70–80% aller Leberverletzungen aus und können durch temporäre Kompression, Parenchymnaht, Infrarot- oder Argonplasmakoagulation sowie Aufbringen von Hämostyptika (Kollagenvlies, Fibrinkleber) lokal behandelt werden. Große Rupturen bedürfen der temporären Tamponade mit Bauchtüchern, die Leber sollte möglichst zirkulär komprimiert werden. Wenn sich die Blutungssituation nicht stabilisieren lässt, kann mit dem Pringle-Manöver der gesamte arterielle und portalvenöse Zustrom durch Okklusion des Lig. hepatoduodenale mit einem Zügel abgeklemmt werden. Auf diese Weise kann es gelingen, Blutungen aus Pfortaderoder Leberarterienäste zu stillen, Nekrosen zu débridieren und Parenchymverletzungen selektiv zu versorgen. Hierbei sollten tiefe Parenchymdurchstechungen vermieden werden, um ischämisch bedingte Lebernekrosen sowie Abflussstörungen von Lebervenen und Gallengängen zu verhindern. Lassen sich Blutungen durch das Pringle-Manöver (maximal 60 min) und die Tamponade nicht beherrschen, dann sind Verletzungen der Lebervenen oder der retrohepatischen V. cava anzunehmen (Grad V). Die Blutstillung erfordert dann das Ausklemmen der suprahepatischen und infrahepatischen V. cava inferior, um einen Überblick zu bekommen. Die V. cava wird unterhalb der Leber nach einem Kocher-Manöver angezügelt und abgeklemmt. Oberhalb der Leber kann sie nach vollständiger Durchtrennung der Ligg. falciforme und triangulare dexter sowie ihres peritonealen Überzugs unterfahren und abgeklemmt werden. Danach wird die Leber von rechts so weit mobilisiert, dass eingerissene V.-cava-Äste zur Darstellung kommen und übernäht werden können. Ausgedehnte Resektion, wie z. B. die anatomische Hemihepatektomie oder atypische Leberresektionen sollten nur in Ausnahmefällen bei ausgedehnten Parenchymzerstörungen eingesetzt werden. Das Leber-Packing setzt eine vollständige Mobilisation des Organs voraus (7 oben). Dabei wird die Hauptmasse der Bauchtücher dorsal parakaval beidseits sowie zwischen Leberunterfläche und rechter Kolonflexur eingelegt. Es ist darauf zu achten, dass das Packing die retrohepatische V. cava und den Lebervenenabstrom nicht kompromittiert. Bei hilusnahen Verletzungen der großen Gefäße ist diese Methode nicht anwendbar. Die Letalität liegt je nach Schweregrad der Verletzung bei 10–60%. Die Operation wird im Sinne
. Tab. 71.4 Schweregradeinteilung von Pankreasverletzungen Schweregrad
Kennzeichen
I
Kontusion Oberflächlicher Organeinriss
II
Tiefe Rissverletzung Keine Gangbeteiligung
III
Distale Ruptur mit Gangbeteiligung
IV
Proximale Ruptur mit Beteiligung der Ampulla Vateri
V
Massive Pankreasdestruktion
der »damage control« mit einem Leber-Packing und temporärem Bauchdeckenverschluss abgeschlossen [6]. Second-look-Operationen sind in zweitäglichen Intervallen vorzusehen. Nach Entfernen der Bauchtücher und Bluttrockenheit können Kollagenvliese auf die Leberläsionen zur Abdichtung aufgelegt werden. Sehr effektiv gegen Nachblutungen und Infektionen ist die Omentoplastik. Hierzu wird das Omentum majus soweit mobilisiert, dass ein Omentum-Flap in die Leberläsion platziert werden kann. Dieser dichtet die Leberwunde binnen kürzester Zeit ab. Das Abdomen wird dann nach Platzierung von Zieldrainagen verschlossen. z Komplikationen Nachblutungen kommen vorwiegend nach Grad-III- bis -V-Verletzungen vor. Des Weiteren können sich postraumatische Nekrosen, Abszesse und Biliome, v. a. in intrahepatischen Hohlräumen, ausbilden. Die chirurgische Therapie besteht im Débridement, Einlage von Zieldrainage, ERCP und Papillotomie sowie ggf. Einlage einer nasobiliären Sonde, um den Galleabfluss zu erleichtern. Gallefisteln treten mit einer Inzidenz von bis zu 20% auf. Die Therapie umfasst die Punktion sowie die externe oder interne Drainage. Unter verbesserten Galleabflussbedingungen zeigt die Gallefistel eine gute Abheilungstendenz [22]; ggf. ist eine zusätzliche Stenteinlage in die Gallenwege erforderlich.
Pankreas Das Pankreas liegt retroperitoneal und ist aufgrund dieser Lokalisation vor Verletzungen relativ geschützt. Durch die Lage ventral der Wirbelsäule ist das Pankreas nach lokalisiertem stumpfem Anpralltrauma (Pferdetritt, Fahrradlenker), insbesondere bei schlanken Patienten, gefährdet. Es bedarf jedoch einer erheblichen Gewalteinwirkung, damit es zu Pankreasverletzungen kommt. Die Inzidenz der Pankreasverletzung ist beim stumpfen Abdominaltrauma mit ca. 1–4% relativ gering. Daneben können penetrierende Verletzungen zu Pankreasverletzungen führen. Patienten mit Pankreasverletzung weisen in einem hohen Prozentsatz abdominale Begleitverletzungen auf. Pankreasverletzungen können nach Moore in die in . Tab. 71.4 dargestellten Schweregrade eingeteilt werden. Neben Kontusionen und Rissverletzungen ohne Gangbeteiligung (entsprechend Grad I–II, etwa 70%) können Organrupturen und Parenchymdestruktionen mit Gangbeteiligung entstehen (Grad III–V). z Diagnostik In der CT-Untersuchung kann der Nachweis einer ödematösen Pankreasschwellung oder einer Flüssigkeitsansammlung peripankreatisch oder in der Bursa omentalis ein radiologischer Hinweis auf
905 71.5 · Therapie
eine Pankreasverletzung sein. Oftmals ist die CT-Diagnostik nicht eindeutig und lässt keine Aussage über das Verletzungsausmaß treffen oder sogar die Pankreasverletzung nicht detektieren. In einer Studie von Ilahi et al. wurde bei 80% der Patienten die Pankreasverletzung nicht erkannt und erst intraoperativ nachgewiesen und bei 30% die Schwere der Pankreasverletzung unterschätzt [13]. Typische intraoperative Befunde sind das subkapsuläres Hämatom, Fettnekrosen, Pankreasödem, gallige Inhibierung des peripankreatischen Weichgewebes. In der Primärdiagnostik ist die Bestimmung der Serumamylase nicht als Indikator einer Pankreasverletzung geeignet, da die Serumamylase nicht mit der Verletzungsschwere korreliert. z
. Tab. 71.5 Schweregradeinteilung von Nierenverletzungen nach American Association of Surgical Trauma (AAST)
Therapie
Schweregrad
Kennzeichen
I
Kontusion Oberflächliches Hämatom
II
Oberflächlicher Riss Keine Beteiligung des Kelchsystems
III
Riss >1 cm Keine Urinextravasation
IV
Durchgehende Parenchymläsion Verletzung von Kelchen und Hilusgefäßen
V
Massive Nierendestruktion Nierenstielabriss
Konservative Therapie. Die Indikation für eine konservative The-
rapie wird bei Pankreasverletzungen Grad I–II ohne Peritonitiszeichen und ohne klinische Verschlechterung gestellt. Der Patient wird parenteral ernährt unter gleichzeitiger Antibiotikaabschirmung. Zur Sekretreduktion wird Somatostatin appliziert. Operative Therapie. Die Operationsindikation ergibt sich aus dem
klinischem Bild des akuten Abdomens oder dem computertomographischen Nachweis einer Pankreasverletzung mit parapankreatischem Paravasat, das die Fascia Gerota nicht respektiert. Der Zugang erfolgt über die Bursa omentalis entlang des Mesocolon transversum, wobei das Netz am Magen belassen wird. Kontusionen oder oberflächliche Rupturen des Organs ohne Ruptur des Ductus Wirsungianus werden gezielt drainiert. Die Linksresektion ist indiziert, wenn eine Komplettruputur links von der Mitte des Organs vorliegt. Liegt die Ruptur rechts von der Mitte, wird das Pankreas nach proximal übernäht. Das distale Pankreas wird über eine Pankreatikoileostomie an die Darmpassage angeschlossen. Damit kann der Pankreasschwanz und die Insulinkompetenz erhalten werden. Bei einer vollständigen Zerstörung des Organs kann auch die Duodenopankreatektomie notwendig werden. z Komplikationen An Komplikationen müssen vorwiegend Abszesse (75%), Pankreasfisteln (31%) und die Pankreatitis (19%) behandelt werden [32]. Klinisch am relevantesten ist die Pankreasfistel, die mit einer externen Drainage behandelt werden kann und hierunter spontan ausheilt. Nur selten ist ein Sekundäreingriff mit interner Drainage (Pankreatikojejunostomie) erforderlich. Pankreaspseudozysten entstehen als Folge einer inadäquaten Drainage oder übersehener Gangverletzungen.
Niere Die meisten Nierenverletzungen werden durch ein stumpfes Trauma verursacht und treten am häufigsten nach Verkehrs- und Sportunfällen auf. Der Anteil der Nierenverletzungen an der Gesamtzahl der Traumapatienten beträgt ca. 2–5%. Schuss- und Stichverletzungen sind die häufigsten Ursachen für eine perforierende Verletzung. Die Nierenverletzungen werden nach der Klassifikation der American Association of Surgical Trauma (AAST) in 5 Schweregrade eingeteilt (). Nach stumpfem Trauma treten schwere Nierenverletzungen relativ selten auf. Vorerkrankte Nieren sind mit einem höheren Verletzungsrisiko assoziiert. Ein wichtiges klinisches Zeichen einer Verletzung des harnableitenden Systems kann eine Makro- oder Mikrohämaturie oder Blutaustritt aus dem Meatus sein. z Diagnostik Diagnostisch wird neben der Urindiagnostik die Sonographie eingesetzt, um freie intraabdominale Flüssigkeit oder Verletzungen des
Nierenparenchyms zu erkennen. Die Sonographie dient der ersten Evaluierung des Nierentraumas, ist aber nicht geeignet, den Schweregrad der Verletzung oder die Nierenfunktion abzuschätzen. Eine genaue Beurteilung der Nierenverletzung wird mit der CTUntersuchung unter Verwendung von i.v.- Kontrastmittel vorgenommen und die Lokalisation und Tiefe der Verletzung bestimmt. In der Kontrastmittelphase ist eine Gefäßverletzung mit konsekutiver Ischämie von abhängigen Parenchymarealen erkennbar. In der Ausscheidungsphase können Verletzungen des Hohlsystems sowie eine Urinextravasation diagnostiziert werden. z
Therapie
Konservative Therapie. Der Großteil der Nierenverletzungen
kann konservativ behandelt werden [23]. Ziel der Behandlung ist es, so viel Nierenfunktion wie möglich zu erhalten. Verletzungen des Hohlsystems mit Ausbildung eines Urinoms, die nicht vom Nierenbecken ausgehen, heilen in der Regel konservativ aus. Gegebenenfalls ist eine vorübergehende Schienung und Harnableitung erforderlich. Operative Therapie. Eine absolute Operationsindikation besteht
nur bei einem massiven renalen Blutverlust sowie bei Nierenstielverletzungen, insbesondere, wenn ein pulsierendes und expandierendes Hämatom beobachtet wird [23]. Es sollte ein ausreichendes Débridement von devaskularisiertem Gewebe erfolgen und das Hohlsystem und Parenchymdefekte verschlossen werden. Die Indikation zur Nephrektomie kann bei schwerer Nierenverletzung eines kreislaufinstabilen polytraumatisierten Patienten gegeben sein.
71.5.8
Hohlorgane
Magen Eine Verletzung des Magens nach stumpfem Abdominaltrauma ist selten, da der linke Rippenbogen und die muskelstarke Magenwand einen guten mechanischen Schutz vor Verletzung und Perforation bieten. Magenwandverletzungen werden im Rahmen von Anpralltraumata mit Kompression des Magens gegen die Wirbelsäule und bei Einwirkung von Scherkräften beobachtet. Bei perforierenden Abdominalverletzungen wird eine Verletzung der Magenwand mit 20% wesentlich häufiger beobachtet [21]. z Therapie Die Magenperforation stellt eine Indikation zur Laparotomie dar. Für den Magen gilt, dass die gesamte Hinterwand exploriert wer-
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Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
den muss. Hierfür ist die Eröffnung der Bursa omentalis vom Colon transversum her erforderlich. Perforationen werden im Gesunden exzidiert und dann vorzugsweise quer übernäht. Liegt die Perforationsstelle an der großen Kurvatur, wird das Netz vom Magen abpräpariert und am Colon transversum belassen. Derartige Perforationen lassen sich leicht keilexzidieren (Wedge-Resektion). Der Magen wird zweireihig fortlaufend mit einem monofilen, resorbierbaren Faden der Stärke 3-0 genäht. Die innere Naht fasst die Mukosa zur Blutstillung mit, die äußere Naht soll die Lefzen invertierend verschließen. Eine doppellumige Magensonde sollte einerseits den Magen, andererseits das Duodenum drainieren. Liegt eine subtotale Zerstörung des Magens vor, wird die Diskontinuitätsresektion vorgenommen und sekundär die Passage durch eine hochgezogene Jejunumschlinge nach Y-Roux wiederhergestellt. z Komplikationen Nach stumpfen Magentraumata können subphrenische Abszesse und Pleuraempyeme bei Begleitverletzungen des Zwerchfells auftreten.
Duodenum Das Duodenum liegt überwiegend retroperitoneal und ist durch die damit verbundene Ummantelung beim stumpfen Bauchtrauma relativ geschützt. Das Duodenum weist eine unmittelbare anatomische Nähe zum Pankreas und zum Ductus choledochus auf und wird in 4 Duodenalabschnitte (intraperitoneal, Papillenregion, Pars horizontalis, Pars ascendens) eingeteilt. Klinisch ist die abdominale Schmerzsymptomatik, die durch die retroperitoneale Reizung verursacht ist, durch eine uncharakteristische Schmerzlokalisation und -ausstrahlung sowie eine typische zeitliche Verzögerung gekennzeichnet. Neben den Zeichen des Peritonismus kann ein galliges Erbrechen auftreten und sich bei einer Duodenalperforation im weiteren Verlauf eine Peritonitis mit Anstieg der Entzündungsparameter entwickeln. Der diagnostische Nachweis von freier intraabdominaler oder retroperitonealer Luft kann mit einer konventionellen Abdomen- und Thoraxübersichtsaufnahme oder besser mit einem Computertomogramm gelingen. Die Duodenalverletzungen werden nach Moore in 5 Grade eingeteilt [31] (). z Therapie Intraoperativ sind eine gallige Imbibition, Luftblasen anterolateral des Duodenums und im Mesocolon transversum sowie retroperitoenales Blut oder Ödem verdächtig auf eine Duodenalperforation. Die meisten Duodenalverletzungen werden nach perforierendem
71 71
. Tab. 71.6 Schweregradeinteilung von Verletzungen des Duodenums Schweregrad
Kennzeichen
I
Hämatom Serosaverletzung
II
Transmurale Läsionen <50% der Zirkumferenz
III
71
Transmurale Läsionen >50% der Zirkumferenz
IV
Transmurale Läsion mit Verletzung von Papille und Choledochus
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V
Devaskularisierung und Pankreasverletzung
71 71 71
Trauma oder Gurtverletzungen mit begleitenden Wirbelsäulenfrakturen beobachtet. Einfache Lazerationen, die in ca. 80% der duodenalen Verletzungen auftreten, können übernäht werden. Einblutungen in die Duodenalwand resorbieren sich spontan und können konservativ behandelt werden. Bei Duodenalverletzungen wird das Duodenum zunächst nach Kocher mobilisiert. Die Perforation wird längs exzidiert und quer, einreihig und fortlaufend vernäht. Ist eine direkte Naht nicht möglich, wird in den Defekt eine hochgezogene Jejunumschlinge eingenäht (Rekonstruktion nach Y-Roux mit End-zu-Seit- oder End-zuEnd-Anastomose).
Dünndarm und Dickdarm Verletzungen des Dünn- und Dickdarms treten nach einem stumpfen Abdominaltrauma relativ selten auf (Inzidenz 2–3,6%) [10] und sind schwer zu diagnostizieren, da die initiale Symptomatik klinisch inapparent ist. Vorwiegend ist der Dünndarm betroffen (93%), Verletzungen des Kolons und Rektums sind weniger häufig (30%) [35]. Dezelerationstraumata führen überwiegend zu Abscherverletzungen. Nach einem perforierenden Abdominaltrauma sind Dünndarm- und Magenwandverletzungen die häufigsten Organverletzungen des Gastrointestinaltrakts. In der radiologischen Diagnostik lassen sich ggf. freie intraabdominale Luft, Raumforderungen und Flüssigkeitsansammlungen nachweisen. z
Therapie
Konservative Therapie. Die Indikation zur konservativen Therapie
von Dünndarmverletzung kann bei unkomplizierten Wand- oder Mesenterialhämatomen gestellt werden. Operative Therapie. Verletzungen des GI-Traktes werden meist im Rahmen einer Laparotomie oder Laparoskopie aufgrund anderer dominierender Begleitverletzungen festgestellt oder erst im Rahmen der weiterführenden Diagnostik (CT mit oraler und/oder rektaler Kontrastmittelgabe) bei klinischer Verschlechterung des Patienten nach primär konservativem Vorgehen entdeckt. In der Mehrzahl besteht der intraoperative Befund in einer muralen Hämatombildung oder Deserosierung (Grad I) und in 1/4 der Fälle in einer traumatischen Perforation des Lumens (Grad II) [26]. Bei stumpfen Abdominalverletzungen können multiple Darmläsionen mit unterschiedlichen Lokalisationen auftreten, die bei ca. 1/4 der Patienten mit Dünn- oder Dickdarmverletzungen vorkommen. Operative Therapie von Jejunum- und Ileumverletzungen. Ein-
blutungen in die Dünndarmwand oder kleinere Deserosierungen (Grad I) können übernäht werden. Transmurale Läsionen (Grad II/ III, <50% bzw. >50% der Zirkumferenz) können je nach lokaler Ausdehnung des Defekts durch Einzelknopfnaht quer verschlossen oder kurzstreckig mit primärer Anastomose reseziert werden. Ausgedehnte Mesenterialeinrisse in Kombination mit Perfusionsstörungen des Darms erfordern eine primäre Resektion mit oder ohne Anastomose. Bei einer Perforation wird der Defekt längs exzidiert und allschichtig extramukös quer vernäht (fortlaufend, einreihig, monofil, 4-0). Größere Wanddefekte werden reseziert. Die Anastomose muss im gut durchbluteten Gewebe spannungsfrei angelegt werden. Blutungen aus dem Mesenterium werden übernäht. Ischämische Darmabschnitte werden reseziert. Bestehen Zweifel an der Vitalität von Darmabschnitten oder ist der Patient in einem kritischen Schockzustand, werden die Darmenden nach der Resektion mit Klammernähten blind verschlossen (»damage control«). Bei einer Second-look-Operation nach 1–2 Tagen kann dann die Durchblu-
907 71.5 · Therapie
tung der belassenen Abschnitte geprüft und die Anastomose (wie oben beschrieben) angelegt werden. Für reine Dünndarm- und Dünndarm-Dickdarm-Anastomosen ist keine orthograde intraoperative Darmspülung (»wash-out«) erforderlich. Wichtig aber sind das sorgfältige Entfernen von Blut und Darminhalt aus der Peritonealhöhle und die ausführliche Spülung des Abdomens. Typisch für die abdominelle Stichverletzung ist die Eventeration und Inkarzeration von Dünndarmanteilen, die durch die Bauchpresse durch den Stichkanal nach außen gedrückt werden. Diese Situation muss möglichst schnell aufgehoben werden. Ohne weitere Diagnostik wird die Laparotomie durchgeführt, die eventerierten Dünndarmanteile werden reponiert, da sonst die Inkarzeration und Strangulation in kürzester Zeit zur Dünndarmnekrose führen.
Loop-Stoma oder ein terminales Stoma mit Blindverschluss des aboralen Stumpfs, anzulegen. Die Prognose der Dickdarmverletzung ist von der rechtzeitigen Diagnose und Einleitung der Therapie abhängig, da durch die Perforation eine Peritonitis und damit Infektion mit Multiorganversagen ausgelöst werden kann. Die Letalität und das Risiko für septische Komplikationen steigt bei perforierenden Kolonverletzung deutlich an und wird durch eine verzögerte Versorgung nach >12 h nochmals verschlechtert. Diese Patienten weisen ein 3-fach erhöhtes Risiko auf, nach Kolonperforation zu sterben [16]. Eine weitere Gefährdung geht von einer Anastomoseninsuffizienz aus, die typischerweise zwischen dem 5. und 7. postoperativen Tag manifest wird.
Kolon
Rektum, Anorektum
Nur etwa 10–20% der Kolonverletzungen treten isoliert auf. Sie gehören zu den häufigsten «missed injuries« [9]. Ursachen dieser initialen Fehleinschätzung sind die geringe Sensitivität der radiologischen Notfalldiagnostik, die Maskierung durch schwerwiegende Begleitverletzungen, die erschwerte klinische Einschätzung des intubierten Patienten sowie zweizeitige Hohlorganperforationen. Aufgrund der größeren Mobilität ist das linke häufiger als das rechte Hemikolon betroffen.
Intraperitoneale Verletzungen des Rektums werden entsprechend den Therapieprinzipien des Kolons behandelt. Bei extraperitonealen Verletzungen des Rektums und des Anus ist in der Regel keine Resektion erforderlich. Sie werden entweder von abdominal oder transanal übernäht und drainiert. Es empfiehlt sich dann die Anlage eines doppelläufigen protektiven Anus praeter, der auch vor den Komplikationen der Anastomoseninsuffizienz und Ausbildung einer Stuhlfistel schützt. Zur Ausleitung sind das Sigma oder terminale Ileum geeignet. Wichtig ist, dass dabei das protektive Stoma die Stuhlpassage in den abführenden Schenkel komplett blockiert.
z
Therapie
Operative Therapie. Alle intraperitoneal lokalisierten Kolonverlet-
zungen müssen operativ versorgt werden. Die Dickdarmwand ist dünner als die Dünndarmwand. Bei einer traumatischen Perforation sind deshalb die an den Defekt angrenzenden Wandanteile im Dickdarmbereich immer so mitverletzt, dass eine einfache Exzision und die direkte Übernähung sehr risikoreich und die Wundheilung gefährdet sind. Sicherer ist es deshalb, den Dickdarmabschnitt im gesunden Segment zu resezieren und den Defektverschluss mit primärer Anastomose in einem vitalen Bereich auszuführen. Vor der Anastomosierung sollte eine intraoperative, orthograde Darmspülung (»wash-out«) erfolgen. Zu diesem Zweck wird appendektomiert und über den Appendixstumpf ein großlumiger Katheter eingeführt. Das gesamte Kolon wird soweit mobilisiert, dass man bis zur Resektionsstelle den Darm (zuführenden Schenkel) mit warmer Ringer-Lösung orthograd sauber spülen kann. Die Spüllösung wird über einen großlumigen Ablauf, der im Resektionsstumpf wasserdicht verankert ist, abgeleitet. Der abführende Schenkel wird ebenfalls entweder orthograd oder retrograd nach anal hin oder von anal her gespült. Am so vorbereiteten Darm wird die Dickdarmanastomose in fortlaufender, einreihiger Nahttechnik oder mit dem von rektal eingeführten Zirkular-Stapler spannungsfrei und gut durchblutet angelegt. Verschlechtert sich der Kreislaufzustand intraoperativ, ist es wiederum günstiger, die Darmenden nach der Resektion blind zu verschließen und die Passage bei einer Second-look-Operation wiederherzustellen. Ist auch dies mit einer zu großen Belastung für den Patienten verbunden, wird der Dickdarm über ein endständiges Stoma ausgeleitet. Das therapeutische Vorgehen wird vom Allgemeinzustand des Patienten, der Verletzungsschwere, den Risikofaktoren sowie den intraoperativen Befunden abhängig gemacht und individuell angepasst. Bei Polytraumatisierung, bei Kreislaufinstabilität, Blutverlust von >1 l, Katecholaminpflichtigkeit, fortgeschrittenem Patientenalter, kardiopulmonalen Begleiterkrankungen, langer Latenzzeit bis zur Versorgung sowie bei ungünstigen intraoperativen Voraussetzungen (Stuhlkontamination, Kontusionen, Hämatombildung und Peritonitis) ist die Anlage eines Stomas, wie z. B. ein protektives
Zwerchfell Zwerchfellverletzungen kommen mit einer Inzidenz von 4–6% bei stumpfen Abdominal- und Thoraxtraumata vor. Die linke Seite ist 10-mal häufiger als die rechte Seite betroffen. Für die Zwerchfellruptur typisch ist, dass sie meist erst verzögert diagnostiziert wird, wenn nicht primär eine Laparotomie aus anderer Indikation notwendig ist. Die nicht erkannte Zwerchfellruptur, die mit einer Inkarzeration von abdominalen Organen kompliziert sein kann, ist mit einer hohen Letalität behaftet [28]. z Diagnostik Diagnostisch ist die konventionelle Röntgenaufnahme wenig aussagekräftig, und der radiologische Nachweis der linksseitigen Zwerchfellruptur gelingt nur in 25–40%, obwohl in 85% die Thoraxaufnahme pathologisch ist [34]. Der Nachweis einer Zwerchfellruptur ist auch mit der CT-Diagnostik nicht immer eindeutig und kann bei kleinen Rupturen ohne Enterothorax übersehen werden. z Therapie Die Zwerchfellruptur stellt eine absolute Operationsindikation dar. Es können pulmonale Beeinträchtigungen, sekundäre Organschäden durch Verlagerung in den Thorax mit Inkarzeration, Strangulation und Blutungen resultieren. Wenn das Perikard zerrissen ist, kann es auch vice versa zur Subluxation des Herzens in das Abdomen kommen. Durch Zug an den Koronarien resultiert ein Gefäßspasmus, der zum kardialen Schock führen kann. Linksseitige Rupturen sind besser von abdominal, rechtsseitige Rupturen von thorakal anzugehen. Linksseitig müssen in der Regel prolabierte Organe reponiert werden, rechtsseitig verhindert die Leber eine abdominale Naht des Zwerchfells. Bei der frischen Ruptur kann das Zwerchfell in der Regel direkt genäht werden (Einzelknopf, kräftiger, resorbierbarer Faden). Ist der Defekt nicht verschließbar, kann ein Kunststoffnetz (Vicryl-Prolene) eingenäht werden. Vor Beendigung des Eingriffes wird eine Thoraxdrainage eingelegt.
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Kapitel 71 · Abdominalverletzungen
71.6
Postoperative Behandlung
Offene Bäuche im Etappenlavageprogramm indizieren eine parenterale Ernährung, bis eine suffiziente Peristaltik einsetzt. Bauchlagerung ist in dieser Phase nicht möglich. Zieldrainagen nach Bauchdeckenverschluss können nach 2–3 Tagen entfernt werden. Besteht besonders nach Splenektomie der Verdacht auf Pankreassekretion in die Drainage, kann man Amylase und Lipase aus dem Sekret bestimmen. Bestätigt sich der Verdacht, sollte die Drainage bis zur Selbstabdichtung des Pankreaslecks belassen werden. Retroperitoneale Zieldrainagen nach Rektumverletzungen bleiben 7 Tage vor Ort, um eine Nahtinsuffizienz frühzeitig zu erkennen und ggf. auf diesem Weg zu behandeln. Das Risiko einer Postsplenektomiesepsis beträgt beim Traumapatienten 1,4%. Perioperativ ist deshalb eine einmalige Antibiotikaprophylaxe mit einem Breitspektrumpenicillin oder 3. Generation Cephalosporin sinnvoll. Zur Vermeidung von Sekundärinfektionen durch Pneumokokken kann die Impfung (Pneumovax 23) durchgeführt werden. 3 Wochen nach Splenektomie werden die Patienten mit einem polyvalenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff immunisiert. Alle Patienten mit parenchymatösen intraabdominellen Organläsionen sollten zunächst für 10 Tage Bettruhe einhalten, um die Gefahr einer zweizeitigen Ruptur oder Rezidivblutung zu minimieren, es sei denn, das Organ wurde entfernt. Nach Naht am Gastrointestinaltrakt wegen perforierender Verletzung wird zunächst über 3–5 Tage parenteral ernährt. Setzen dann Darmgeräusche ein, kann mit dem vorsichtigen Kostaufbau (Tee, Suppe, Flüssignahrung, Joghurt, Zwieback) über mehrere Tage stufenweise begonnen werden. Nach Anlage eines Stomas ohne Anastomose kann die Ernährung zügiger aufgebaut werden. Abführende Maßnahmen sollten vorzugsweise mit Klysmen und Einläufen starten. Erst sekundär werden peristaltikstimulierende Medikamente (Neostigmin, Metoclopramid, Ceruletid) eingesetzt. Nicht selten durchbricht eine diagnostische Gastrographinpassage den Obstipationszustand. Gegen Blähungen helfen warme Bauchwickel und Sab-simplex. Tipp Die Stuhlregulation gelingt am besten über eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Nach einer Abdominalverletzung sollte der Stuhlgang weich gehalten werden. Neben viel Flüssigkeit kann hierfür etwas Rizinusöl oder Laktulose zugesetzt werden.
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Durchfälle, die auf ein Kurzdarmsyndrom zurückzuführen sind, können medikamentös durch antiperistaltische Medikamente (z. B. Loperamid, ggf. Opioide) beeinflusst werden. Gegen den Gallesäureverlust können gallesäurebindende Substanzen wie Cholestyramin eingesetzt werden. Zudem müssen der Vitaminmangel, insbesondere B12, und der Eisenmangel, behoben werden. Bei bakterieller Überwucherung werden Antibiotika, insbesondere Tetracyclin und Metronidazol, eingesetzt. Pankreasfermente und H2-Antagonisten können die Situation weiter verbessern. Ein Kurzdarmsyndrom stellt eine Indikation zur stationären Weiterbehandlung in einer geeigneten Reha-Klinik zur medikamentösen Einstellung dar.
. Abb. 71.10 Bauchdeckenrekonstruktion bei großer Narbenhernie nach medianer Laparotomie durch Netzimplantation in Sublay-Technik
71.7
Folgeeingriffe
71.7.1
Anus-praeter-Rückverlagerung
Die Anus-praeter-Rückverlagerung nach protektivem Stoma oder endständiger Ausleitung (z. B. Hartmann-Operation) kann frühestens 6 Wochen nach der Primäroperation erfolgen. Besser ist es, einen längeren Zeitraum, z. B. 6 Monate, abzuwarten, bis die Verwachsungen besser gelöst werden können. Vor der Anus-praeterRückverlagerung sollten Stenosen im abführenden Schenkel, z. B. durch Kontrasmitteleinlauf, ausgeschlossen werden. Darüber hinaus muss die Sphinkterfunktion überprüft werden (Tonus, Manometrie, Quarkeinlauf).
71.7.2
Bauchdeckenrekonstruktion
Resultierende Hernien, seien es kleine Narbenhernien oder große Abdominalhernien nach offen gelassenem Abdomen, sind eine absolute Indikation zur operativen Reparation. Kleine Hernien können direkt oder durch Doppelung, große Hernien durch Bauchdeckenplastiken, Kunststoffnetze oder Cutisplastik verschlossen werden (. Abb. 71.10). Zusammenfassung Abdominalverletzungen gefährden den Patienten vital und erfordern ein standardisertes Management. Stumpfe Abdominalverletzungen treten überwiegend im Rahmen einer Polytraumatisierung auf. Neben der klinischen Untersuchung sind die Multislice-CT und die Sonographie die Säulen der Diagnostik. Die rechtzeitige Behandlung bestimmt die Prognose. Zur Senkung von Mortalität und Morbidität sowie Organ- und Funktionserhalt werden konservative und operative Therapieverfahren differenziert eingesetzt. Die operative Strategie berücksichtigt den Gesamtzustand des Patienten, extraabdominelle Begleitverletzungen und zielt auf die Vermeidung von Komplikationen: Verbluten, Sepsis, Kompartment- und Kurzdarmsyndrom. Bei Komplexverletzungen wird nach dem Prinzip der »damage control« vorgegangen. Daher ergibt sich häufig die Indikation zur Second-look-Operation. Im eigenen Krankengut ist die Milz (53%) gefolgt von der Leber (24%) am häufigsten betroffen. Hohlorganverletzungen fanden sich bei 14% der Patienten. Die Mortalität betrug nach Polytraumatisierung bei gleichzeitiger Abdominalverletzung 18%.
909 Literatur
Literatur 1 2 3
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71
911
Brandverletzungen N. Pallua, E. Demir
72.1
Grundlagen und allgemeine Aspekte – 912
72.1.1 72.1.2 72.1.3 72.1.4 72.1.5 72.1.6 72.1.7 72.1.8
Einleitung – 912 Pathophysiologie der Verbrennungswunde – 912 Evaluation der Verbrennungstiefe und Flächenausdehnung – 912 Systemische Auswirkungen einer Verbrennung – 914 Begleitverletzungen – 916 Chemische Verbrennungen und Stromverletzungen – 917 Erstversorgung am Unfallort – 918 Aufnahme und Primärversorgung im Verbrennungszentrum – 919
72.2
Intensivmedizinisch relevante plastisch-chirurgische Aspekte – 920
72.2.1 72.2.2
Oberflächliche Verbrennungen – 920 Tiefgradige Verbrennungen – 921
72.3
Intensivmedizinische Therapie bei Verbrennungen – 924
72.3.1 72.3.2 72.3.3 72.3.4 72.3.5 72.3.6 72.3.7 72.3.8
Schmerztherapie und Sedierung – 924 Flüssigkeitsmanagement – 925 Temperaturmanagement – 925 Respiratorisches Management bei Verbrennungen – 925 Grundlagen in der Behandlung von Infektionen – 925 Ernährungstherapie – 927 Besonderheiten in der Behandlung von Kindern mit Verbrennungen – 928 Besondere Aspekte in der Behandlung von geriatrischen Patienten – 929
Literatur – 930
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_72, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
72
912
72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72
Kapitel 72 · Brandverletzungen
72.1
Grundlagen und allgemeine Aspekte
72.1.1
Einleitung
Verbrennungsverletzungen in ihrer gesamten Bandbreite benötigen grundsätzlich eine adäquate Erstbehandlung vor Ort und im Anschluss eine kompetente Folgebehandlung. Das Überleben, die private und berufliche Rehabilitation mit Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik sind eine große Herausforderung für das gesamte Kompetenzteam, das sich aus Spezialisten für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin, besonders spezialisiertem Pflegepersonal sowie Physio- und Ergotherapie, Psychologie und Ernährungstherapie zusammensetzt [19]. Brandverletzungen sind Folge einer traumatischen Schädigung der Haut durch Hitzeeinwirkung. Die Bandbreite von thermischen Verletzungen reicht von Verbrennungen, Verbrühungen über chemische Verätzungen bis zu Elektroverbrennungen. Während Verbrennungen durch Flammen oder durch Kontakt mit heißen Gegenständen entstehen, werden Verbrühungen durch heiße Flüssigkeiten oder heißen Dampf verursacht. Nichtthermische Noxen wie z. B. elektrischer Strom oder Strahlung können analoge Hautschäden hervorrufen. Die chemische oder toxische Hautschädigung wird schließlich aufgrund ihrer pathophysiologischen Ähnlichkeit zu Verbrennungen als Paraverbrennung bezeichnet [11]. Die klinischen Verläufe nach Verbrennungen reichen von leichten Bagatellverletzungen bis hin zu lebensbedrohlichen Traumata mit der Notwendigkeit einer Intensivtherapie und operativen Maßnahmen. Die adäquate Behandlung einer thermischen Verletzung erfordert die genaue initiale Beurteilung der Brandwunden und eventueller Begleitverletzungen. Zum einen wird die Verbrennungstiefe abgeschätzt, daraus erfolgt die Indikation zur konservativen oder operativen Behandlung. Zum anderen ist die Ausdehnung des thermischen Schadens bezogen auf die gesamte Körperoberfläche und die Lokalisation der Verletzung von Bedeutung. Das Vorliegen eines Inhalationstraumas und anderer Begleittraumata (z. B. Augenverletzungen, Schädel-Hirn-Trauma, Knochenbrüche, innere Verletzungen) müssen genau diagnostiziert bzw. ausgeschlossen werden. Wichtige therapeutische Entscheidungen in dieser ersten Behandlungsphase beeinflussen den Therapieverlauf und schließlich das Outcome in entscheidendem Ausmaß [9, 16–18].
Pathophysiologie der Verbrennungswunde
72
72.1.2
72
Die Tiefenausdehnung der Hautschädigung ist bei Verbrennungen abhängig von 4 der Höhe der einwirkenden Temperatur und 4 der Zeitdauer der Hitzeeinwirkung.
72 72 72 72 72 72
Ab einer Temperatur von 40°C treten Störungen von Enzymen und Strukturproteinen durch Denaturierung auf. Reparaturmechanismen können diese zwar zunächst noch kompensieren, bei zunehmender Temperatur kommt es allerdings zu irreversiblen Zellschädigungen. Die kritische Temperatur irreversibler Schädigungen der Zellen wird mit 50–53°C angegeben. Bei Temperaturen über 65°C genügt bereits eine Expositionsdauer von weniger als 1 s, um eine Koagulationsnekrose mit Proteindenaturierung hervorzurufen. Das hitzetransportierende Medium beeinflusst die Einwirkdauer der Wärme dabei erheblich. Luft beispielsweise speichert bei gleicher Temperatur weniger Wärme als Wasser. Im Vergleich hierzu ist heißes Fett ein sehr potenter Wärmespeicher [6].
. Abb. 72.1 Verbrennungszonen nach Jackson: Hyperämie (A), Zone der Stase (B), Koagulationszone (C)
Verbrennungszonen nach Jackson Wenngleich das Übergangsareal von Brandwunde zu ungeschädigter Haut bei der Inspektion oft als scharfe Grenze erscheint, so spiegelt dies nicht die tatsächliche Wundsituation wider. Im Zentrum der Brandwunde findet sich die sog. Koagulationszone, hier ist die Gewebeschädigung am größten. Eine zelluläre Regeneration ist aufgrund von Proteindenaturierung und dadurch bedingter Koagulationsnekrose in dieser Zone nicht möglich. Konzentrisch um die Koagulationszone herum schließen sich Zellen aus der Zone der Stase an. Diese die zentrale Nekrosezone umgebenden Zellen sind nicht irreversibel geschädigt. Als Folge einer progressiven Durchblutungsverminderung kann die Nekrose in diese Zone fortschreiten. > Es gilt, die Perfusion und damit den Sauerstofftransport in diesen Arealen zu verbessern und somit weitere Zelluntergänge (sog. »Nachbrennen«) zu verhindern.
In der äußeren Zone der Hyperämie findet sich nur eine minimale Zellschädigung bei Vasodilatation und Hyperämie aufgrund freigesetzter Entzündungsmediatoren [6, 9]. Diese Einteilung der Verbrennungswunde in 3 konzentrische Zonen nach Jackson aus dem Jahr 1953 ist unerlässlich, um eine korrekte chirurgische Therapie durchführen zu können (. Abb. 72.1).
72.1.3
Evaluation der Verbrennungstiefe und Flächenausdehnung
Verbrennungstiefe Die Einteilung der Verbrennungstiefe erfolgt in 3 Schweregrade (I– III). In der englischsprachigen Literatur ist die 2002 von der European Burn Association (EBA) vorgeschlagene Klassifikation zu finden, die sich an dem anatomischen Aufbau der Hautstrukturen orientiert und Verbrennungen nach ihrer histopathologischen Ausdehnung einteilt (. Tab. 72.1). z Verbrennung I. Grades Bei Verbrennungen I. Grades ist nur die oberflächliche Hautschicht, die Epidermis (Oberhaut), betroffen (. Abb. 72.2). Die Haut ist aufgrund der ausgeprägten Vasodilatation gerötet, überwärmt und weist ein oberflächliches Ödem auf. Eine Blasenbildung ist nicht zu beobachten. Innerhalb von wenigen Tagen erfolgt eine spontane Abheilung ohne Narbenbildung.
913 72.1 · Grundlagen und allgemeine Aspekte
. Tab. 72.1 Klassifikation der Verbrennungstiefe nach der European Burn Association (EBA) EBA-Klassifikation
Geschädigte Hautstruktur
„superficial burns»
Nur die Epidermis betroffen
»superficial partial thickness burns«
Epidermis und papilläre Dermis sind geschädigt
„deep dermal partial thickness burns»
Epidermis und die retikuläre Dermis betroffen
»full thickness burns«
Epidermis und gesamte Dermis betroffen, ggf. sind zusätzlich das subkutane Fettgewebe, Faszien, Muskeln oder Knochen durch die Verbrennung geschädigt
. Abb. 72.3 Verbrennung Grad IIa
. Abb. 72.4 Verbrennung Grad IIb, typisches Mischbild mit IIa-gradigen Anteilen nach dem Aufnahme-Débridement
Grad IIa. Bei oberflächlich II.-gradigen Verbrennungen sind die Epi-
. Abb. 72.2 Verbrennung Grad I
z Verbrennung II. Grades Verbrennungen II. Grades stellen keine einheitliche Entität dar, es besteht zumeist ein Mischbild aus oberflächlicher und tief dermaler Schädigung der Lederhaut. Aufgrund der dermatohistopathologischen Veränderungen ist eine Einteilung in oberflächliche (IIa) und tiefe (IIb) II.-gradige Läsionen sinnvoll. Klinisch ist diese Differenzierung von großer Bedeutung, da oberflächlich II.-gradige Verbrennungen unter kontrollierter konservativer Therapie zumeist narbenfrei abheilen können. Tiefere, IIb-gradige Läsionen hingegen stellen in Abhängigkeit von der betroffenen Körperregion eine Operationsindikation dar und können nicht ohne Narbenbildung abheilen.
dermis und die oberflächliche Koriumschicht geschädigt (. Abb. 72.3). Die Durchblutung der Haut wird über den subdermalen Gefäßplexus gewährleistet. Die Hautanhangsgebilde wie Haarwurzeln und Hautdrüsen sowie Nervenendigungen bleiben weitgehend erhalten. Klinisch zeigt sich eine erythematöse Hautveränderung mit Blasenbildung. Nach Abtragung der Blasen bleibt ein rötlicher gut perfundierter Wundgrund, der schmerzhaft ist, zurück. Beim sog. Ritztest finden sich auf Anritzen der Haut mit einer Kanüle kapilläre Blutungen aus der papillären Dermis. In der Regel heilen oberflächliche II.-gradige Verbrennungen innerhalb von 2–3 Wochen unter einer kontrollierten topischen Therapie ohne Narbenbildung ab. Nach Abschluss der Epidermisregeneration endet die Schmerzhaftigkeit der Wunde. Rötungen oder livide Verfärbungen können noch über mehrere Wochen persistieren. Erfolgt nur eine protrahierte inkomplette Abheilung des Epitheldefektes, so ist von einer Schädigung im Sinne einer tiefdermalen Verbrennung oder Verbrühung auszugehen [9]. Grad IIb. Bei tief II.-gradigen Verbrennungen reicht die Schädigung
bis in die tiefe Koriumschicht. Das klinische Erscheinungsbild ist variabel (. Abb. 72.4). Einerseits können sich dickwandige Blasen mit weißlichem Wundgrund finden, andererseits kann die Blasenbildung auch wegen der aufliegenden Nekroseschicht fehlen. Charakteristisch für die tiefe Verbrennung II. Grades ist die beginnende
72
914
Kapitel 72 · Brandverletzungen
geschlagen, welche eine sehr genaue altersabhängige Berechnung der verbrannten Areale ermöglichen.
72
> Die Prognose eines Verbrennungsopfers hängt wesentlich vom flächenhaften Ausmaß der Verbrennung und der Verbrennungstiefe ab. Ab einer Schädigung von 25%VKOF wird von einer schweren Brandverletzung gesprochen.
72 72
Die Ausdehnung der betroffenen Wundfläche und die Wundtiefe beeinflussen neben den Begleiterkrankungen signifikant die Überlebensprognose [18, 19].
72 72
72.1.4
72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72
. Abb. 72.5 Tiefe Verbrennung mit den Graden IIb und III, (* = Grad III mit Beteiligung von Faszien, Sehnen, Muskelgewebe und Knochen)
Zirkulationsstörung im subkorialen dermalen Gefäßnetz. Die Wunden erscheinen weiß bis elfenbeinfarben. Die Sensibilität ist durch die Zerstörung der sensiblen Nervenendigungen deutlich vermindert. Im Ritztest finden sich nur verzögert und vereinzelt kapilläre Blutungen. Die spontane Abheilung von Verbrennungen Grad IIb erfolgt stark verlangsamt über mehrere Wochen. Neben einer verlängerten Heilungsperiode ist die Gefahr von unvorteilhaften hypertrophen und instabilen Narben bei einem konservativen Vorgehen erhöht. Daher besteht eine absolute Operationsindikation. z Verbrennung III. Grades Die bei III.-gradigen Verbrennungen entstehende Nekrose umfasst sämtliche Hautschichten und kann das subkutane Fettgewebe sowie tiefere Schichten und Strukturen mit einbeziehen. Klinisch zeigen diese Verletzungen eine blasse bis bräunliche oder dunkelrote Kolorierung (. Abb. 72.5). Die Haut ist dabei trocken und lederartig. Der Ritztest fällt negativ aus, und die Sensibilität ist vollständig aufgehoben. Es besteht eine absolute Indikation zur Operation mit Nekrektomie der verbrannten Haut und definitiver autologer oder temporärer allogener Defektdeckung, in Abhängigkeit von der betroffenen Körperregion und dem Allgemeinzustand des Patienten [9].
Ausdehnung der Verbrennung Das Flächenausmaß einer Brandverletzung wird angegeben als prozentualer Anteil der verbrannten Areale an der gesamten Körperoberfläche, der sog. verbrannten Körperoberfläche (VKOF in%). Eine einfache, direkt am Unfallort grob orientierende Methode zur Ermittlung des Verbrennungsausmaßes ist die Flächenabschätzung mit Hilfe der gesamten Handinnenfläche des Patienten, die ca. 1% der Gesamtkörperoberfläche ausmacht. Die genauere 1951 von Wallace aufgestellte »Neuner-Regel« teilt den Körper eines Erwachsenen in jeweils 9% der Körperoberfläche umfassende Regionen. Kopf, Thorax, Bauch, obere und untere Rückenpartie, 2× ein Arm, 2× ein Bein ventral und 2× ein Bein dorsal mit je 9% ergeben 99% und werden um 1% Anteil für den Genitalbereich vervollständigt. Für die Berechnung der VKOF bei Kindern ist diese Regel modifiziert und an die veränderten Körperproportionen angepasst, so u. a. an den relativ größeren Anteil des Kopfes mit relativ geringerem Anteil der Extremitäten. Bei Kleinkindern wird die Gesamtfläche der Beine um 9% auf 27% (36–9%) zugunsten des Kopfes 18% (9+9%) reduziert. Zur exakten klinischen Berechnung der VKOF eignen sich Tabellen, wie beispielsweise von Lund und Browder vor-
Systemische Auswirkungen einer Verbrennung
Verbrennungsverletzungen stellen eine traumatische Schädigung des größten Organs des menschlichen Organismus dar – der Haut. Diese schützt den Menschen vor physikalischen Umwelteinflüssen wie Hitze, Kälte und Strahlung. Die Thermoregulation des Körpers läuft wesentlich über die vasomotorische Regulation des Kapillarnetzes der Haut. Erhalt von Homöostase, Schutzbarriere gegenüber Parasiten und pathogenen Mikroorganismen, Initiierung humoraler und zellulärer Abwehrmechanismen, sensorische Interaktion mit der direkten Umgebung und Vitamin-D-Produktion sind weitere essenzielle Funktionen dieses Organs. Diese Hautfunktionen werden bei Verbrennungsverletzungen wesentlich beeinträchtigt. Teilweise sind die Schädigungen reversibel, sodass die Integrität der Haut komplett wiederhergestellt werden kann. Bei schweren Verletzungen allerdings ist eine Restitutio ad integrum nicht mehr möglich – es findet eine Defektheilung statt. ! Cave Bei ausgedehnten Verbrennungen >20% verbrannter Körperoberfläche (VKOF) ist die Schädigung so groß, dass es zu systemischen Störungen mit lebensbedrohlichen oder gar tödlichen Verläufen kommt.
Die lokale Aktivierung der Gewebsmakrophagen führt zur gesteigerten Freisetzung von Entzündungsmediatoren und proinflammatorischen Zytokinen. Eine systemische Entzündungsreaktion, systemic inflammatory response syndrome (SIRS), und die Ausbildung eines sog. »capillary leak« sind die Folge [6, 19]. Die Flüssigkeitsverschiebungen können derartig hohe Volumenverluste verursachen, dass es zu einem hypovolämischen Verbrennungsschock kommt. Ein Verbrennungsschock resultiert aus dem Zusammenspiel von Hypovolämie und der Ausschüttung verschiedener Mediatoren [20].
Ödeme Im Rahmen des »capillary leak« findet eine Extravasation von Plasma in die Verbrennungswunden und das umliegende Gewebe statt. Die Menge der Ödembildung hängt von der Flächenausdehnung der Verbrennung sowie der Art und Menge der Volumenersatztherapie ab. Der Wassergehalt im brandverletzten Organismus zeigt in der ersten Phase einen plötzlichen raschen Anstieg in den ersten Stunden nach thermischem Trauma, gefolgt von einer zweiten Phase mit stufenweise ablaufender Ödembildung in den ersten 12–24 h. Dabei führt die Volumenersatztherapie zu einem erhöhten Blutfluss und einem Druckanstieg im Kapillarbett, welches zu einem weiteren Flüssigkeitsaustritt beiträgt. Ohne Volumenersatz limitiert sich die Ödembildung durch fallendes Plasmavolumen und absinkende Kapillardrücke, da unter normalen physiologischen Bedingungen der Blutdruck in den Kapillaren eine Filtration von Flüssigkeit in das Interstitium bewirkt.
915 72.1 · Grundlagen und allgemeine Aspekte
Zur physiologischen Ödembildung kommt es, wenn der transvaskuläre Flüssigkeitsstrom die Drainagekapazität des Lymphsystems überschreitet. Bei einer Brandverletzung kommt es zu einer direkten oder zu einer über Mediatoren induzierten Veränderung in der Gefäßpermeabilität für Wasser und kleinmolekulare Substanzen. Eine begleitend erhöhte Proteinpermeabilität der Kapillarendothelien führt über eine Reduzierung des resorptiven onkotischen Gradienten zu einer Erhöhung der Nettoflüssigkeitsfiltration. Weitere Faktoren stellen ein hydrostatischer Druckanstieg in den Kapillaren in den ersten Stunden nach einer Verbrennung und die Entwicklung eines stark negativen interstitiellen hydrostatischen Druckes mit einer Saugkraft für Flüssigkeit vom intravaskulären zum interstitiellen Raum hin dar. Da proteinreiche Flüssigkeit in den Brandwunden verloren geht, sinkt der kolloidosmotische Druck bei Verbrennungspatienten erheblich (bis zu 50% der Norm). Ödeme werden nicht nur in direkt verbrannten Weichteilen beobachtet. Großflächige Verbrennungen führen auch zu einem erhöhten Wassergehalt im gesamten Organismus, bereits ab 10% VKOF. Ursachen hierfür liegen ebenfalls in einer Steigerung des transkapillären Flüssigkeitsflusses, einem Anstieg der Kapillarpermeabilität und als Folgen einer anhaltenden Hypoproteinämie. Neben einer Schädigung der endothelialen Kapillarwände verursacht eine Brandverletzung auch Veränderungen in den Zellmembranen mit Rückgang der Membranpotenziale. Direkt verletzte Zellen, mit zerstörter Zellmembran, schwellen durch Natrium- und Flüssigkeitseinstrom an. Die Anschwellung von Zellen, die nicht direkt von einer Verbrennung betroffen sind, ist vergleichbar mit den Veränderungen eines hämorrhagischen Schocks [18, 19, 21].
Immunantwort auf eine Brandverletzung Ein ausgedehntes Verbrennungstrauma hat neben der lokalen Schädigung der Haut auch weit reichende systemische Auswirkungen, die insbesondere das Immunsystem betreffen und damit eine multifaktorielle Schädigung des Körpers bewirken. Durch das thermische Trauma werden – ausgehend von den hitzegeschädigten Hautarealen – zelluläre und humorale Mechanismen in Gang gesetzt. Initial entwickelt sich eine lokal begrenzte Entzündungsreaktion, die klinisch einhergeht mit einer Hyperämie und Gewebeschwellung. Gewebsmakrophagen, durch Zelldetritus und Toxine angelockt, setzen ihrerseits proinflammatorische Zytokine frei, die weitere zelluläre Entzündungsreaktionen aktivieren. Diese Mediatoren spielen eine wichtige, komplexe Rolle in der Pathogenese von Ödemen und kardiovaskulären Störungen. Die gesteigerte vaskuläre Permeabilität nach einem thermischen Trauma wird von Histamin und vasoaktiven Substanzen wie z. B. dem Serotonin, Bradykinin, den Prostaglandinen und Leukotrienen beeinflusst. Der Hypermetabolismus wird durch Hormone wie z. B. Glukagon, Cortisol und Katecholamine reguliert. Histamin verursacht nach dessen Freisetzung von Mastzellen thermisch verletzter Gewebe Lücken zwischen den Endothelzellen. Es ist wahrscheinlich verantwortlicher Mediator für eine erhöhte Gefäßpermeabilität in der frühen Phase der Verbrennung. Prostaglandine sind Gewebshormone, die aus verbranntem Gewebe und Entzündungszellen freigesetzt werden und zur inflammatorischen Reaktion infolge einer Verbrennung beitragen. Thromboxane, lokal in der Verbrennungswunde produziert, können durch eine Senkung des Blutflusses eine Zunahme der Ischämiezone in der Verbrennungswunde begünstigen. Kinine, wie das Bradykinin, sind wichtige Mediatoren im Rahmen der Ödembildung und entzündlichen Reaktion. Katecholamine werden in hoher Konzentration nach einer Brandverletzung freigesetzt und bewirken u. a. eine Vasokonstriktion via α1-Rezeptoren. In Kombination mit der Hypovolämie
wird eine Senkung des Kapillardruckes und damit eine Reduktion der Ödembildung erreicht. Nachteilig wirkt sich die Beeinträchtigung der mikrovaskulären Durchblutung in der bereits vorgeschädigten Zone der Stase aus. Es besteht die Gefahr eines »Nachbrennens« sowie einer renalen Minderperfusion. Unterstützt werden die zellulären Mechanismen durch enzymatische Reaktionskaskaden des Komplementsystems und der Blutgerinnung. Alle diese beschriebenen Vorgänge dienen grundsätzlich der erleichterten Migration von Entzündungszellen in Richtung des Fokus sowie dem Abbau von nekrotischem bzw. infiziertem Gewebe [20–23, 25]
Akute hämodynamische Folgen von Brandverletzungen Die hämodynamischen Veränderungen einer Brandverletzung äußern sich in einem verminderten Plasmavolumen, reduziertem Herzzeitvolumen und sinkender Harnproduktion begleitet von einem erhöhten systemischen Widerstand und konsekutiv reduzierter peripherer Perfusion. Herz. Eine Verminderung der Herzleistung findet bereits vor ei-
ner feststellbaren Reduktion im Plasmavolumen statt. Diese Verminderung der Herzleistung korreliert nicht mit einem möglichen Volumendefizit. Dieser Umstand und eine direkte Einschränkung der kardialen Kontraktilität deuten auf eine neurogene Reaktion oder eine gesteigerte vasokonstriktorische Mediatorwirkung im Blutkreislauf hin. Hypovolämie und sympathische Stimulation setzen vasoaktive Substanzen wie Katecholamine, Vasopressin und Angiotensin II frei. Diese bewirken einen erhöhten systemischen Gefäßwiderstand und eine Steigerung des Afterloads. Beachtenswerterweise kann es bei Verbrennungen, trotz adäquater Flüssigkeitstherapie, zu einer Erhöhung des Hämatokritwertes und der Hämoglobinkonzentration kommen. Der erhöhte systemische Widerstand ist teilweise auf diese Erhöhung der Blutviskosität infolge der Hämokonzentration zurückzuführen. Niere. Die Nieren gehören zu den Organen, die besonders anfällig
für eine Minderperfusion und Fehlfunktionen sind, falls die Volumenersatztherapie inadäquat erfolgt. Eine Nierenischämie als direkte Folge einer Hypovolämie und Sympathikusstimulation wird bei verspäteter Therapie oder einer ausgeprägten Hypotension im Rahmen von Verbrennungen beobachtet. Erhöhungen im serumfreien Hämoglobin und Myoglobin verstärken ein Nierenversagen. Gastrointestinaltrakt. Durch eine Vasokonstriktion kann es im
Magen-Darm-Trakt zu einer Hypoxie kommen. Die Folgen einer viszeralen Ischämie können zu einer Dislokation von Bakterien mit Endotoxinfreisetzung und der Ausbildung einer Sepsis führen. Das therapeutische Ziel besteht in der Wiederherstellung des intravasalen Volumens, um die Gewebeperfusion aufrechtzuerhalten und das Auftreten einer Organischämie zu verhindern. Dies kann bei ausgedehnten Verbrennungen sehr große Mengen von Volumenersatzlösungen erfordern, um das vaskuläre Volumen aufrechtzuerhalten. Dabei sollte einer frühzeitigen Volumenersatztherapie mit kolloiden Lösungen kritisch gegenübergestanden werden. Die Initialtherapie kann mit kristalloiden Lösungen begonnen werden, die Infusion von Kolloiden und Proteinen sollte erst 12–24 h nach dem Trauma eingesetzt werden, da zunächst eine Stabilisierung der mikrovaskulären Permeabilität im verletzten Gewebe eintreten sollte.
72
916
72
Kapitel 72 · Brandverletzungen
Lunge. Patienten mit großflächigen Verbrennungen zeigen einen
72
Anstieg des Lungengefäßwiderstandes. Neben einer Hypoproteinämie begünstigt ein erhöhter Kapillardruck infolge des erhöhten Lungengefäßwiderstandes die Ausbildung von Lungenödemen [18, 20].
72
SIRS und Sepsis
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Nach schweren Verbrennungen kommt es zu einer überschießenden Antwort des Immunsystems, so dass innerhalb kürzester Zeit der gesamte Organismus in die Entzündungsreaktion mit einbezogen wird. Auf diese Weise werden ganze Organsysteme, die ursprünglich nicht von der Verbrennung betroffen waren, geschädigt. Diesen Zustand der überschießenden dysregulierten Immunreaktion bezeichnet man als »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) . Die Dauer des SIRS, das für den Betroffenen eine vitale Gefährdung darstellt, beträgt 3–7 Tage. Die Übergänge eines SIRS zur Sepsis mit Multiorganversagen sind fließend. Zwei Theorien werden für die Sepsisentstehung bei Verbrennungen diskutiert: Two-hit-Konzept. Beim »Two-hit-Konzept« wird neben der eigentlichen Verbrennungsverletzung ein zweites Trauma postuliert (z. B. Wundinfektion oder das Einschwemmen von Endotoxinen), das dann zu einer überschießenden Immunantwort mit hoher Letalität führt. Eine Reduzierung der Mortalität nach einem Verbrennungstrauma kann durch eine frühzeitige radikale operative Entfernung des geschädigten Gewebes erreicht werden. Posttraumatische Immunsuppression. Dieses Modell geht davon aus, dass nach einer initialen Immunstimulation eine Immunsuppression eintritt, die schwere invasive Infektionen begünstigt. Da im Stadium der Immuninkompetenz Hypersensitivitätsreaktionen vom verzögerten Typ supprimiert sind, werden beispielsweise zur temporären Deckung nach früher Nekrektomie eingesetzte allogene Hauttransplantate (z. B. glyzerolkonservierte Fremdhaut) vom Immunsystem nicht als fremd erkannt [20, 23, 25, 29]
72 72
72.1.5
Begleitverletzungen
72
Aufgrund der hohen Aufmerksamkeit, die Verbrennungsverletzungen in der Primärversorgung binden, können potenziell lebensbedrohliche Verletzungen bisweilen übersehen werden. Neben einem Inhalationstrauma und Brandgasvergiftungen muss auch an Verletzungen von inneren Organen (z. B. Milzrupturen, freie Flüssigkeit im Abdomen, Organhämatome), Wirbeltraumata und Frakturen, Sehnenausrisse sowie an die Beteiligung von Augen oder Ohren gedacht werden [19]. Alle Patienten mit Begleitverletzungen müssen in ein Schwerstverbrannten-Zentrum verlegt werden.
72
Inhalationstrauma
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72 72 72 72
Ein Inhalationstrauma (IHT) entsteht durch Schädigung des Atemtraktes (vom pharyngealen Trakt bis zu den Aleveolen reichend) durch direkte thermische Einwirkung bei Brandopfern oder durch chemische Noxen. Die Inzidenz im Kollektiv der Brandverletzten wird zwischen 18% und 35% angegeben. Die Letalität kann bei Vorliegen eines IHT um bis zu 20% und bei Entwicklung einer Pneumonie um weitere 40% erhöht sein. Die Unfallanamnese (z. B. geschlossener Raum, Stichflamme) kann erste Hinweise für das Vorliegen eines IHT ergeben. Zu beachten ist dabei, dass bis zu 25% aller IHT bei Unfällen außerhalb geschlossener Räume entstehen, da durch Inhalation von Hitze eine
. Tab. 72.2 Klassifikation des Inhalationstraumas Grad
Kennzeichen
1
Schleimhautrötung und Ödem
2
Blasenbildung
3
Nekrosen und Ulzerationen der Schleimhaut
lokale thermische Schädigung der Luftwege entstehen kann. Rauch und trockene Gase schädigen eher die oberen Luftwege, da Rauch einen frühzeitigen reflektorischen Glottisschluss auslöst, und trockene Gase nur eine geringe Wärmeleitungskapazität haben. Die Inhalation von Dämpfen hingegen führt zu Verletzungen bis in tiefere Bereiche des Respirationstraktes [4, 5]. Klinische Hinweise für ein IHT sind Verbrennungen im Gesichtsbereich, angesengte Gesichtshaare (Wimpern, Augenbrauen, Nasenhaare), Ruß im Mund-Rachen-Bereich, ein inspiratorischer Stridor oder Husten [16,17]. Eine Sicherung der Diagnose erfolgt mit einer Treffsicherheit von 80% durch eine frühzeitige fiberoptische Bronchoskopie. Im Verlauf eines IHT sind weitere bronchoskopische Kontrollen indiziert. Der COHb-Wert wird als Parameter zur Orientierung (COHb >10%) und zur Verlaufskontrolle bestimmt. > Die Diagnose eines Inhalationstraumas erfolgt nach Aufnahme in das Verbrennungszentrum durch eine fiberoptische Bronchoskopie.
Die Klassifikation des Inhalationstraumas zeigt . Tab. 72.2. Das Inhalationstrauma verläuft in 3 Phasen: 4 In der exsudativen Phase während der ersten 2 Tage bestimmt ein Alveolar- und Lungenödem das klinische Bild. Die Alveolaroberfläche besteht zu etwa 93% aus Typ-I-Pneumozyten. Nach Schädigung lösen sich diese Zellen von der Basalmembran ab und bilden ein intraalveoläres Exsudat. 4 Die degenerative Phase der folgenden beiden Tage zeichnet sich durch eine Reduktion in der Produktion des Anti-Atelektasefaktors Surfactant durch die Typ-II-Pneumozyten aus. Dieser Umstand begünstigt die Entstehung eines Lungenödems. 4 In der proliferative Phase zwischen dem 5. und 10. Tag nach Inhalationstrauma infiltrieren Entzündungszellen das Lungengewebe. Dadurch besteht eine erhöhte Gefahr für die Ausbildung eines ARDS (»acute respiratory distress syndrome«) und einer Superinfektion. Behandlung des Inhalationstraumas Durch Hitzeeinwirkung kann es zu einem raschen Anschwellen der Atemwege kommen. Es sollte daher bei Verdacht auf ein stattgehabtes Inhalationstrauma eine frühzeitige Intubation erfolgen. Nach abgeschlossener fiberoptischer Diagnostik wird in der Frühphase des Inhalationstraumas nach Intubation eine Beatmung mit 100% FIO2 kurzzeitig indiziert, insbesondere, wenn eine Kohlenmonoxidoder Zyanwasserstoffvergiftung besteht. Zur Beatmung von Verbrennungspatienten und Lagerungstherapie beatmeter Patienten sei auf 7 Kap. 41 („Maschinelle Beatmung und Entwöhnung von der Beatmung») und 7 Kap. 38 („Akutes Lungenversagen») in diesem Buch verwiesen. Da bei langzeitbeatmeten Verbrannten Fibrinbeläge und Nekrosen nicht abgehustet werden können, ist bei diesen Patienten eine temporäre Bauchlagerung sinnvoll. In Einzelfällen ist die frühe intrabronchiale Applikation von Surfactant nach Bronchiallavage erfolgreich angewandt worden, für deren Wirksamkeit allerdings
917 72.1 · Grundlagen und allgemeine Aspekte
keine belastbaren Daten vorliegen [24]. Die regelmäßige Inhalation von Heparin als Aerosol in Kombination mit N-Acetylcystein kann zur Sekretreduktion in den Atemwegen verwandt werden und dadurch Atelektasen vorbeugen. Eine inhalative Kortisonapplikation wird kontrovers diskutiert und sollte kritisch gesehen werden. Hämodynamisch gilt es zu beachten, dass ein IHT den Flüssigkeitsbedarf eines verbrannten Patienten signifikant steigert [2]
Brandgasvergiftung Das Einatmen von toxischen Gasen, die bei Bränden entstehen, z. B. Chlorwasserstoff, Zyanwasserstoff, Aldehyde oder Schwefeldioxid, bewirkt eine Entzündungsreaktion der Atemwege. Andere Gase, wie z. B. Kohlenstoffmonoxid oder Zyanid, rufen keine lokale Reaktion hervor, behindern jedoch den Sauerstofftransport und führen so zu Vergiftungen. Kohlenstoffmonoxid (CO). Die Vergiftung mit CO ist die häufigste
frühe Todesursache nach einem stattgehabten Inhalationstrauma. Aufgrund der im Vergleich zu O2 200- bis 250-fach höheren Hämoglobinaffinität blockiert CO den Sauerstofftransport. Die Patienten erscheinen gut oxygeniert, die Pulsoxymetrie zeigt falsch-hohe Werte an. Eine Carboxyhämoglobinkonzentration (CoHb) über 10% ist symptomatisch mit neurologischen Symptomen wie Kopfschmerz und Verwirrung. Bei Werten >20% werden Übelkeit, Desorientierung und Sehschwächen befundet. Konzentrationen >40% können neben Halluzinationen und Krämpfen zu einem Schockzustand führen. CoHb-Werte >60% enden mit kompromittierter Atmungs- und Kreislaufsituation oftmals in einem Koma letal. Eine rasche Intubation und Beatmung mit 100%igem Sauerstoff ist indiziert. Besteht die Möglichkeit einer hyperbaren Sauerstoffbeatmung in einer HBO-Druckkammer, sollte diese sofort initiiert werden. Zyanwasserstoff (HCN). Eine Vergiftung mit HCN lässt sich durch
Beatmung mit 100%igem Sauerstoff allein nicht verbessern. Die Patienten zeigen eine Hyperventilation mit Azidose. HCN blockiert die Zytochromoxidase der Atemkette, die Sauerstoffabgabe aus dem Blut an das Gewebe ist reversibel unterbunden. Zur Behandlung einer HCN-Vergiftung wird die i.v.-Gabe von 250 mg/kg KG Natriumthiosulfat und 4 g Hydroxycobalamin (Vitamin B12) sowie eine Beatmung mit 100%igem Sauerstoff empfohlen. Eine Behandlung mit Methämoglobinbildnern (z. B. 4-DMAP) wird bei ausschließlichen HCN-Vergiftungen empfohlen. Sie ist bei einem Inhalationstrauma mit zusätzlichen Verbrennungen kontraindiziert, da die Sauerstofftransportkapazität des Blutes durch die Methämoglobinbildung noch weiter herabgesetzt wird und so die Verbrennungstiefe zunehmen kann.
72.1.6
Chemische Verbrennungen und Stromverletzungen
Chemische Verbrennungen Verbrennungen durch Chemikalien bilden eine komplett unterschiedliche Gruppe mit großen Variationen in den pathologischen Auswirkungen. Hierbei führen nicht die thermische Energiefreisetzung der jeweiligen Substanz, sondern extreme pH-Werte, oxidative Potenziale oder Zellvergiftungen zur Hautschädigung. Begleitend kann allerdings Hydratationshitze bei exothermer Reaktion der Substanz das Ausmaß der chemischen Verbrennung verstärken. Eine systemische Auswirkung mit behandlungsbedürftigen Folgen ist dabei nicht selten. Alle Patienten mit chemischen Verbrennungen müssen sofort dekontaminiert werden. Hierbei ist das Entfernen der Kleidung und
eine kurze Dusche oder das Spülen der betroffenen Areale für 5 min zumeist ausreichend. Augen sollten noch am Unfallort sofort mit Augenspülungen (im besonderen bei alkalischen Substanzen) behandelt werden. > Ein sofortiger Transfer in ein Zentrum für Schwerstbrandverletzte unter Mitnahme aller Informationen bezüglich der beteiligten chemischen Substanzen ist essenziell [11, 18].
Stromverletzungen Zumeist haben Stromverletzungen schwerwiegende Folgen und erfordern zahlreiche chirurgische Interventionen unter begleitender stadiengerechter Intensivtherapie. Sie zeichnen sich durch eine teilweise erhebliche verlängerte Rehabilitationsperiode mit deutlich reduzierter Funktion der betroffenen Körperregion aus. Die Dimension der Schädigung wird durch die Stromstärke (Ohm᾽sches Gesetz: Stromstärke = Spannung/Widerstand), Beschaffenheit der Kontaktfläche (Hautdicke und Feuchtigkeit), Einwirkdauer, Stromart (Wechselstrom, Gleichstrom) sowie den Weg des Stroms durch den Körper bestimmt. Die direkten Folgen entstehen durch die Interaktion des Stroms mit dem Körpergewebe oder nach dessen Umwandlung in thermische Energie. Indirekte Schäden sind zumeist als systemische Folge der Stromverletzung in Form von Nierenversagen oder Herzrhythmusstörungen zu beobachten. > Gemäß dem Ohm‘schen Gesetz ist der durch den Strom verursachte Schaden proportional zur Spannung und umgekehrt proportional zum Gewebewiderstand.
Nervengewebe und Blutgefäße beispielsweise zeigen einen geringeren Widerstand im Gegensatz zu Knochengewebe mit einem sehr hohen Widerstandspotenzial. Grundsätzlich sind im Niederspannungsbereich (<1000 V) Schäden durch Wechselstrom, aufgrund der ausgelösten tetanischen Muskelfibrillationen mit unwillkürlich verlängerter Stromkontaktdauer schwerwiegender als Gleichstromverletzungen. Im Hochspannungsbereich (>1000 V) ist dieser Unterschied zwischen Gleich- und Wechselstrom ohne wesentliche Bedeutung. Eine Verletzung im Niedrigspannungsbereich ist durch den Stromfluss zwischen dem Eintrittspunkt und dem Austrittspunkt durch den Körper mit Beteiligung der entsprechenden Organsysteme bestimmt. Bei Hochspannungsverletzungen ist ein direkter Stromkontakt, mit schweren tiefen Verbrennungen am Kontaktpunkt mit der Hochspannungsquelle, von einer Lichtbogenverletzung mit schwerer thermischer Schädigung ohne Stromfluss durch den Körper, zu unterscheiden [15, 19]. Das Herz kann neben einer direkten Myokardschädigung mit schweren Herzrhythmusstörungen reagieren. Gefäße leiten den elektrischen Strom v. a. in der Schicht der Gefäßmuskulatur sehr gut. In Abhängigkeit vom Gefäßkaliber kommt es zur Ausbildung von Aneurysmen und im Falle von kleinen Gefäßen zu Koagulationsnekrosen. Diese Vorgänge sowie eine reaktive Schwellung der Gefäßintima beeinträchtigen die Perfusion der distalen Abschnitte und können im Bereich der Extremitäten zu Ausfällen in den Muskelgruppen mit ischämiebedingter Schwellung und Ausbildung eines akuten Kompartmentsyndroms führen. Eine sofortige Fasziotomie kann die Schädigung der Muskulatur begrenzen. Dennoch verbleiben die Amputationsraten nach Starkstromverbrennungen aufgrund der Gefäß- und Nervenschädigung sowie der massiven Muskelnekrosen relativ hoch. Eine Myoglobinurie nach Muskelzerfall kann zu einem Nierenversagen durch Myoglobinablagerung in den Nierentubuli führen.
72
918
Kapitel 72 · Brandverletzungen
72
Eine frühzeitige Alkalisierung des Harns, z. B. mit i.v.-Gabe von Mannitol und Natriumbicarbonat oder enteraler Gabe von KaliumNatrium-Hydrogencitrat (Uralyt-U) unter einer forcierten Diurese (Urinausscheidung >200 ml/h), sollte durchgeführt werden. Der Flüssigkeitsbedarf eines Verletzten mit Stromverbrennung ist deutlich erhöht. Bei diesen Patienten kann daher – neben der Anwendung der gängigen Substitutionsformeln – zur Steuerung der Volumensubstitution ein invasives Monitoring erwogen werden. Durch eine direkte Schädigung des Atemzentrums oder bei Lähmung der Atemhilfsmuskulatur ist der Atemstillstand eine häufige Todesursache bei Stromunfällen. Weitere Schädigungen des Nervensystems äußern sich durch Krampfanfälle, Querschnittslähmungen bei beispielsweise horizontalem Arm-zu-Arm-Stromfluss oder durch tetanische Muskelfibrillationen. Weitere Organsysteme wie das periphere Nervensystem, die Augen (Katarakte) oder das Trommelfell können ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden sein.
72
72.1.7
72 72 72 72 72 72
72
Erstversorgung am Unfallort
72
Eine möglichst rasch eingeleitete Akutbehandlung verbessert den Heilungsverlauf und das Behandlungsergebnis nach allen Verbrennungstraumata. Am Unfallort wird der Patient zuerst abgelöscht und aus der Gefahrenzone des Brandherdes geborgen. Sofern möglich, sollte eine Kaltwasserbehandlung (15°–20°) der Brandwunden begonnen werden, die Mindestdauer beträgt hierbei 10 min. Auch bei verzögertem Therapiebeginn ist die Kaltwasserbehandlung noch sinnvoll, da sie die lokale Gewebsüberhitzung vermindert und zusätzlich einen schmerzlindernden Effekt hat. Eine großflächige Kühlung kann allerdings auch zum Auskühlen des Patienten führen, dies muss verhindert werden, da eine stark erniedrigte Körpertemperatur die operative Notfallversorgung verzögert und einem Schockgeschehen sowie einer gestörten Blutgerinnung Vorschub leistet.
72
> Daher ist eine zeitliche Begrenzung der Kühlung auf maximal 20 min einzuhalten.
72 72 72 72
72 72 72 72 72 72 72 72
Im Rettungsdienst werden zunehmend spezielle sterile Gelfolien eingesetzt, die einen kühlenden Effekt besitzen und sich gut als Wundabdeckung für den Transport ins Krankenhaus eignen. Neben der lokalen Hautschädigung können die bei ausgedehnten Verbrennungen beobachteten generalisierten Reaktionen bereits am Unfallort anbehandelt werden. Eine Volumenverschiebung im Rahmen des Kapillarlecks kann in kurzer Zeit zum hypovolämischen Schock führen. Zur Prävention bzw. Therapie des Schockgeschehens sollten ausschließlich kristalloide Lösungen (balancierte Lösungen) verwendet werden [3]. Der Volumenbedarf eines Schwerbrandverletzten lässt sich mit Hilfe der Parkland-Formel nach Baxter errechnen.
Parkland-Formel nach Baxter 4 Für Erwachsene: (4 ml z. B. Ringer-Laktat ×% VKOF × kg KG)/24 h. 4 Für Kinder: (4–6 ml z. B. Ringer-Laktat ×% VKOF × kg KG)/24 h. 6
72 72
Die Hälfte des errechneten Infusionsvolumens wird in den ersten 8 h infundiert, die zweite Hälfte über die folgenden 16 h. Zu beachten ist, dass in der 1. Stunde nach erfolgter Verbrennungsverletzung die Infusionsgeschwindigkeit deutlich höher liegen muss. Hier wird folgende Dosis empfohlen: 4 0,5 ml, z. B. Ringer-Laktat ×% VOKF × kg KG.
Neben dieser klassischen Berechnungsformel nach Baxter existieren zahlreiche alternative Infusionsschemata wie z. B. die Cincinnati-Formel. Das Infusionsregime bei Kindern muss angepasst erfolgen und ist in 7 Abschn. 72.3.7 aufgeführt. Grundsätzlich handelt es sich bei allen Infusionsformeln um Richtwerte. > Eine entscheidende Richtgröße ist die ausreichende Diurese, die durch suffiziente Flüssigkeitszufuhr ohne Gabe von Diuretika erreicht wird: 5 0,5–1 ml/kg/h.
> Bei Verbrennungen durch elektrischen Strom oder bei gleichzeitig vorliegendem Inhalationstrauma kann der Flüssigkeitsbedarf bis zu 50% höher liegen.
Noch am Unfallort muss der Verletzte 2 großlumige intravenöse Zugänge erhalten. Eine suffiziente Analgesie ist unerlässlich, zu bevorzugen sind Opioide. Besteht der Verdacht auf ein Inhalationstrauma, sollte die Indikation zur Intubation großzügig gestellt werden. Die Kriterien für die Zuweisung eines Brandverletzten in ein Verbrennungszentrum sind klar definiert.
Kriterien für die Zuweisung eines Brandverletzten in ein Verbrennungszentrum Diese Kriterien orientieren sich an den von der American Burn Association definierten Burn Unit Referral Criteria: 4 tiefe Verbrennungen >Grad IIb unabhängig von der VKOF, 4 oberflächliche Verbrennungen (I–IIa) >20% VKOF, 4 oberflächliche Verbrennungen (I–IIa) >10% bei Patienten >50 Jahre, 4 alle Verbrennungen bei Kindern <10 Jahre, 4 alle Verbrennungen des Gesichts, der Hände, der Füße, der Genitalien, des Perineums oder der Brüste, 4 Inhalationstraumata, 4 Verbrennungen bei Patienten mit relevanten Nebendiagnosen, 4 alle polytraumatisierten und verbrannten Patienten, deren Hauptverletzung in der Verbrennung besteht, 4 alle Verbrennungen durch elektrischen Strom, chemische oder radioaktive Substanzen. Die Betten in einem Zentrum sind über die Zentrale Anlaufstelle für Schwerbrandverletzte (ZA-Brandverletzte) bei der Berufsfeuerwehr Hamburg (Tel. 040/42 851-39 98) deutschlandweit zu erfragen.
919 72.1 · Grundlagen und allgemeine Aspekte
72.1.8
Aufnahme und Primärversorgung im Verbrennungszentrum
Vorgehen bei der Notaufnahme Die Akutbehandlung von Brandverletzten erfolgt in einem speziell eingerichteten Aufnahmeraum (. Abb. 72.6). Neben dem Kreislaufmonitoring müssen eine maschinelle Beatmung sowie diagnostische oder therapeutische Interventionen in dieser Einheit möglich sein. Zum Schutz vor Auskühlung des Brandverletzten sollten zusätzlich zur auf 37°C aufheizbaren Raumtemperatur spezielle Heizstrahler installiert sein. Der Patient wird auf einer Spezialtrage gelagert, die ihrerseits in eine spezielle Badewanne eingelassen werden kann. Nach kompletter Entkleidung wird das Monitoring vervollständigt (EKG, Pulsoxymetrie, Blutdruck, Temperatur). Die Verbrennungswunden können erst nach Reinigung unter fließendem Wasser mit nicht verfärbenden desinfizierenden Waschlösungen beurteilt werden. Dabei erfolgt die Entfernung von Rußauflagerungen und Brandblasen durch ein manuelles Débridement. Der Wundstatus wird ausführlich auf Fotos und in Dokumentationstabellen festgehalten. Außerdem muss auf einen ausreichenden Tetanusschutz geachtet werden. Die Indikation zu chirurgischen Maßnahmen wird zu diesem Zeitpunkt gestellt, und die notwendigen Maßnahmen eingeleitet. Abhängig vom Verletzungsausmaß müssen die Intubation, die Anlage eines zentralvenösen sowie eines arteriellen Zugangs, einer Magensonde und eines Harnblasenkatheters erfolgen. Neben den arteriellen Blutgasen werden Hämatokrit, CO-Hämoglobin, Elektrolyte, Kreatinin, Myoglobin, Eiweiß/Albumin, Glukose und die Blutgruppe bestimmt. Außerdem wird das Aufnahmegewicht des Patienten mit einer in der Trage installierten Waage bestimmt. Aus verbrannter Körperoberfläche und Gewicht des Patienten wird nun erneut der Flüssigkeitsbedarf an kristalloider Lösung ermittelt und mit der bis zu diesem Zeitpunkt infundierten Flüssigkeit verrechnet. Suffiziente Infusionstherapie nach Diurese unter Vermeidung von Katecholaminen, im Besonderen von α-Rezeptorenblockern ist dabei ein wichtiges Gebot. Die präklinisch begonnene Analgesie wird fortgesetzt. Mit Hilfe des Abbreviated Burn Severity Index (ABSI-Score) nach Tobiasen kann die Prognose eines Brandverletzten mit sehr guter Wertigkeit geschätzt werden (. Tab. 72.3). Dieser Score berücksichtigt neben VKOF auch Alter, Geschlecht, Verbrennung-
a . Abb. 72.6 Erstversorgungeinheit mit Aufnahmebad
. Tab. 72.3 ABSI-Index Variable
Punkte
Mann
0
Frau
1
Alter 0–20
1
21–40
2
41–60
3
61–80
4
>80
5
Inhalationstrauma
1
III.-gradige Verbrennung
1
% VKOF 1–10
1
11–20
2
21–30
3
31–40
4
41–50
5
51–60
6
61–70
7
71–80
8
81–90
9
91–100
10
Auswertung: Gesamtpunktzahl
Sterbewahrscheinlichkeit
2–3
<1%
4–5
2%
6–7
10–20%
8–9
30–50%
10–11
60–80%
>11
>90%
b
72
920
Kapitel 72 · Brandverletzungen
72
stiefe und das Vorliegen eines Inhalationstraumas. Anhand der Gesamtpunktzahl wird eine Sterbewahrscheinlichkeit ermittelt [28].
72
Indikationen zur Operation
72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72 72
Unmittelbar im Anschluss an die Erstversorgung sollte mit der Planung der chirurgischen Interventionen gemäß der Prioritäten begonnen werden. > Eine absolute sofortige Operationsindikation stellen tief dermale oder drittgradige zirkuläre Verbrennungen dar. Derartige Verbrennungen am Thorax oder an den Extremitäten können durch die entstehende Gewebeverhärtung und -kontraktur die Atmung bzw. die periphere Durchblutung behindern.
Der starre Wundschorf muss sofort durch eine Inzision, die sog. Escharotomie, entlastet werden. Diese geschwungenen Inzisionen erfolgen in der Regel nur durch die verbrannte Haut. Ist eine Escharotomie jedoch nicht ausreichend, muss eine tiefere Inzision in Form einer Fasziotomie erfolgen. Hierbei wird die Muskelfaszie zur Druckentlastung in den Muskellogen gespalten. Bei zirkulärer Verbrennung der Hände ist neben einer Escharotomie über den Mittelhandmuskeln und der Finger sowie neben einer prophylaktischen Karpaltunnelspaltung eine Schienenbehandlung indiziert. Der Erfolg einer kompletten Escharotomie zeigt sich unmittelbar in verbesserter Atmung (bzw. Erniedrigung der Beatmungsdrücke) und einem Wiederauftreten oder Erstarken peripherer Extremitätenpulse an den betroffenen Gliedmaßen. Die elektive Planung zur Abtragung von verbranntem Gewebe kann begonnen werden, sofern der Patient kreislaufstabil ist und eine ausreichend hohe Körpertemperatur (>33°C) aufweist. Allerdings ist ein Patient mit Verbrennungen grundsätzlich als instabil anzusehen. > Eine frühzeitige Abtragung der Verbrennungswunden bietet gegenüber einer zuwartenden konservativen Haltung bei großflächigen Verletzungen einen hohen Überlebensvorteil.
72.2
Intensivmedizinisch relevante plastisch-chirurgische Aspekte
Es erfolgt nun eine kurze Darstellung der plastisch-chirurgischen Prinzipien in der Verbrennungschirurgie unter Berücksichtigung ihrer intensivmedizinischen Relevanz für den Behandlungsablauf [26, 27].
72 72
72.2.1
Oberflächliche Verbrennungen
Grad-I-Verbrennungen
72 72 72 72 72
Verbrennungen I. Grades beschädigen nur die Epidermis. Innerhalb von einer Woche kommt es zur narbenlosen Abheilung. Zur Behandlung sind kühlende Maßnahmen und eine intensive Hautpflege, Schmerzmittel jedoch selten notwendig. Eine Ausnahme bilden großflächige I.-gradige Verbrennungen nach Ganzkörperexposition durch z. B. Solarien. Hierbei kann es zu erheblichen Schmerzen und einem erhöhten Flüssigkeitsbedarf in den 1. Tagen kommen. Eine stadiengerechte Schmerztherapie und intravenöse Flüssigkeitssubstitution verbessern den Zustand des Patienten innerhalb kurzer Zeit [22].
Grad-IIa-Verbrennung Für oberflächlich II.-gradige Verbrennungen gibt es generell 2 Methoden der Wundbehandlung: die Okklusions- und die veraltete Expositionsmethode. Die Okklusionsmethode schützt besser gegen Auskühlung, ist aber aufgrund der Verbände, die mindestens einmal täglich gewechselt werden müssen, arbeitsintensiv. Allen okklusiven Behandlungsmethoden ist gemeinsam, dass die Wundverbände den Wundgrund feucht halten. Die Austrocknung einer Verbrennung führt zu einem Tieferschreiten der Nekrose mit einem ungünstigen Heilungsverlauf. In trockeneren, heißeren, südlichen Gegenden wird oft noch der Expositionsmethode (z. B. Verfahren zur Gerbung) der Vorzug gegeben. Dieses Verfahren hat für den mitteleuropäischen Raum nur historische Bedeutung [22].
Topische antimikrobielle Lösungen und Salben als Wundauflagen Oberflächlich II.-gradige Verletzungen müssen mit antimikrobiellen Lösungen oder Salben behandelt werden. Hiermit lässt sich der Gefahr begegnen, dass mikrobielle Wundbesiedelungen in eine invasive Wundinfektion übergehen und so den Epithelschaden verschlimmern bzw. zu einer Bakteriämie oder Sepsis führen. Nur die Kombination von täglicher Reinigung der Wunden und dem erneuten Auftragen der antibakteriellen Substanz sichert eine niedrige Keimzahl auf der Wundoberfläche und reduziert das Infektionsrisiko. Außerdem erlauben die Verbandswechsel eine engmaschige Wundinspektion. Die gebräuchlichsten topischen antibakteriellen Substanzen sind Silbersulfadiazin, Mafenid, Polyhexanid und Essigsäure. Silbersulfadiazin (Silbernitrat und Natriumsulfadiazin) wird in Form einer Emulsion 2–3 mm dick einmal täglich auf die Wunden aufgetragen. Es kühlt, wirkt schmerzlindernd und reduziert die bakterielle Besiedelung. Die Substanz wirkt nur oberflächlich und kann Nekrosen nicht durchdringen. Die Anwendung bei tieferen Verbrennungen oder auf Wundschorf ist daher nicht sinnvoll. Nach dem Auftragen entsteht ein gelblich-grauer Belag. Hierbei liegt eine Reaktion des Silbersulfadiazins mit dem Wundsekret vor. Nach einigen Tagen sollte sich der Schorf leicht ablösen und darunter eine beginnende Epithelisierung aufzeigen. In 5–15% der Fälle kann 2–3 Tage nach der Sibersulfadiazin-Anwendung eine passagere Leukopenie auftreten, die sich spontan – auch bei Fortsetzen der Therapie – wieder normalisiert. Als Ursache dafür wird eine toxische Knochenmarksuppression angenommen. Mafenid-Acetat wird entweder als wässrige 5%ige Lösung als Feuchtverband oder als 11%ige Emulsion eingesetzt. Mafenid kann durch Wundschorf und Nekrosen hindurch diffundieren. Gegen grampositive und gramnegative Keime zeigt es eine gute antibakterielle Wirkung. Dagegen besteht keine Wirkung gegen multiresistente Staphylokokken bzw. nur eine geringe gegen Hefen oder Pilze. Mafenid sollte, wenn möglich, 2-mal täglich in Kombination mit einer Fettgaze appliziert werden, da es rasch die Wunde penetriert und vom Körper resorbiert und abgebaut wird. Mafenid wird zur topischen Behandlung von tiefgradigen Verbrennungen bis zum Zeitpunkt einer operativen Intervention oder postoperativ nach einer Nekrektomie für den Verband von biologischen Transplantaten (z. B. allogene Spenderhaut) verwendet. Da Mafenid ein Karboanhydrasehemmer ist, kann es bei größeren Wundflächen zu einer metabolischen Azidose, u. U. mit einer kompensatorischen Hyperventilation, kommen. Polyhexanid penetriert Wunden oder exponiertes Knorpelgewebe sehr gut und kann z. B. im Bereich des Gesichtes als Feuchtverband eine gute lokale antimikrobielle Wirkung entwickeln. Der
921 72.2 · Intensivmedizinisch relevante plastisch-chirurgische Aspekte
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. Abb. 72.7 Einsatz eines synthetischen Wundverbands (Biobrane) bei einer II.-gradigen Verbrennung des Gesichts und des Halses. a Initialer Befund mit typischer Blasenbildung. b 1 Woche nach Wundsäuberung, Blasenentfernung und Applikation von Biobrane-Folie. c Resultat nach 3 Monaten
große Vorteil liegt in einer ausbleibenden Schorfbildung, sodass der Wundheilungsverlauf stets sehr gut beurteilt werden kann. Essigsäure findet als 1%ige Lösung Anwendung bei einer Kolonisation der Wunde mit Pseudomonas aeruginosa. Da keine breite antibakterielle Wirkung besteht, empfiehlt sich die alternierende Anwendung mit den zuvor genannten Substanzen, z. B. durch Abwechseln mit Mafenid oder Polyhexanid [22, 26].
mit der von Biobrane. Zunehmend wird Suprathel auch bei großflächigen IIa- bis IIb-gradigen Verbrennungsarealen eingesetzt. Suprathel ermöglicht eine permanente Wundabdeckung bis zur Reepithelisierung bei geringer Narbenbildung. Eine durch Suprathel bewirkte Verkleinerung der mit Spalthaut zu deckenden Restwundflächen ist gerade bei IIb-gradigen Verbrennungen von Vorteil [26]. Zu neueren Verbandsmaterialien wie z. B. dem Suprasorb X+PHMB stehen Langzeitergebnisse bei Verbrennungen noch aus.
Einsatz biosynthetischer Folien als Wundauflagen Als Alternative zum Salbenverband bei oberflächlichen Verbrennungen (Grad IIa) existiert mittlerweile eine Vielzahl biosynthetischer Foliensysteme. Diese Produktgruppe zeichnet sich durch einfache Handhabung und Anwendung, gute Schmerztoleranz sowie durch eine hohe Patientencompliance (besonders bei Kindern) und Vermeidung zusätzlicher Wundflächen aus. Nachteilig verbleibt der relative hohe Preis dieser Produkte. Nach einem kompletten Débridement wird die sorgfältig gereinigte Wunde mit dem synthetischen Folienmaterial im Sinne einer Ersatzhaut bedeckt. Die bedeckten Wunden werden regelmäßig einer Inspektion unterzogen, wobei schmerzhafte Verbandswechsel entfallen. Die Folienverbände lösen sich mit beginnender Epithelisierung vom Wundrand ausgehend zunehmend ab. Nach etwa 2 Wochen ist mit einem Abschluss der Wundheilung zu rechnen. Das semipermeable Biobrane besteht aus einer inneren NylonKollagen-Schicht und einer äußeren Silikonschicht, ist durchsichtig, wasserabweisend und durchlässig für Wundsekret (. Abb. 72.7). Gerade bei Kindern ist dieser synthetische Wundverband ideal und zeigt gute kosmetische und funktionelle Ergebnisse. Suprathel, chemisch zusammengesetzt aus D,L-Lactid, Trimethylencarbonat und ε-Caprolacton, ist ein degradierbarer avitaler Epithelersatz. Die Indikation und Anwendung überschneidet sich
72.2.2
Tiefgradige Verbrennungen
Kommt es bei zunächst als oberflächlich II.-gradig beurteilten und konservativ therapierten Verbrennungen innerhalb von 2 Wochen zu keiner ausreichenden Epithelisierung, muss von einer tieferen dermalen Schädigung ausgegangen werden. Bei diesen tief dermalen Verbrennungen (Grad IIb) besteht eine Operationsindikation [18, 22]. > Verbrennungen Grad I werden mit rückfettenden Salben wie Dexapanthenol-Salbe behandelt. Oberflächliche Grad II-Verbrennungen, z. B. mit SilbersulfazidinCreme oder mit biosynthetischen Foliensystemen. Tief dermale und III.-gradige Verbrennungen stellen eine Operationsindikation dar. Die operative Abtragung der tief verbrannten Haut wird bereits innerhalb der ersten 24 h nach Trauma begonnen. Die Deckung der Wunden erfolgt bei kleinflächigen Verbrennungen <15% VKOF direkt autolog mit Eigenhaut und bei großflächigen Verbrennungen zweizeitig: Zunächst temporär mit allogener Haut (z. B. Spenderhaut) und nach Wundkonditionierung und Stabilisierung des Patienten mit oberflächenvergrößerter Spalthaut.
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Kapitel 72 · Brandverletzungen
Die einzelnen befund- und stadienabhängigen Operationsverfahren mit den sich daraus für die intensivmedizinische Verbrennungstherapie ergebenden Konsequenzen werden im Folgenden zusammengefasst.
Nekrektomie Ziel der Operation ist die vollständige Entfernung der nekrotischen Hautanteile und die anschließende Deckung des Defektes. Sofern der subdermale Gefäßplexus noch erhalten ist (Grad IIb), wird eine tangentiale Nekrektomie als Operationsverfahren gewählt. Dabei werden die verbrannte Epidermis sowie die oberen Dermisschichten abgetragen. Der Blutverlust ist bei diesem Vorgehen in Abhängigkeit von der verbrannten Fläche nicht unerheblich, und es bedarf einer guten präoperativen Vorbereitung des Patienten. Eine
gute tiefdermale retikuläre Blutung bietet nach einer tangentialen Nekrektomie einen transplantationsfähigen Wundgrund zur Defektdeckung. Zeigt die tangentiale Nekrektomie keine durchblutete Dermis, so muss von einer drittgradigen Brandwunde ausgegangen werden. In diesem Fall wird die Dermis bis auf das Fettgewebe entfernt oder eine epifasziale Nekrektomie bis auf die Muskelfaszie durchgeführt. Die Muskelfaszie als Wundgrund bietet eine sehr gute Kapillardichte zur Defektdeckung. Eine tangentiale Nekrektomie im Fettgewebe zeigt dagegen eine starke Blutungsneigung. Die Körperkontur kann allerdings besser erhalten werden. Der Wundgrund muss in diesem Fall vor einer endgültigen Deckung mit Hauttransplantaten zunächst durch eine temporäre Weichteildeckung konditioniert werden [18, 22, 27].
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. Abb. 72.8 a Entnahme von Spalthaut mit dem Dermatom (0,2–0,3mm Dicke). b Oberflächenvergrößerung (Mesh-Graft). c Aufbringen der Mesh-Grafts auf gut perfundierten Wundgrund. d Typisches Mesh-Graft-Muster nach Ausheilung (mit Ausschnittsvergrößerung)
923 72.2 · Intensivmedizinisch relevante plastisch-chirurgische Aspekte
Temporäre Weichteildeckung Nach erfolgter Nekrektomie können die Wundflächen entweder temporär mit allogenen bzw. xenogenen Hauttransplantaten oder definitiv mit autologer Haut gedeckt werden. Bei großflächigen Verbrennungen (>15% VKOF) empfiehlt sich ein zweizeitiges Vorgehen mit zunächst temporärer Wundabdeckung. Zu bedenken ist, dass postoperativ instabile Kreislaufverhältnisse mit Katecholaminpflichtigkeit ein Nachbrennen verursachen können. Ein massives Ödem mit signifikanter Transsudation kann die Einheilung der Hauttransplantate gefährden. Eine temporäre Weichteildeckung verkürzt die Operationszeit erheblich, verringert den Blutverlust durch Wegfall der Hebestellen, erlaubt die Stabilisierung des Patienten und eine Konditionierung der Wunden. Diese allogenen Hauttransplantate werden kommerziell kryooder glyzerolkonserviert angeboten. Eine Alternative stellen konservierte xenogene Hauttransplante aus z. B. Schweinehaut dar. Im Stadium der Immuninkompetenz sind Hypersensitivitätsreaktionen vom verzögerten Typ supprimiert. > Allogene Hauttransplantate werden vom Immunsystem nicht als fremd erkannt und können so nach früher
Nekrektomie zur temporären Wunddeckung eingesetzt werden [18].
Endgültige Defektdeckung Die permanente Deckung erfolgt mit Eigenhaut. Es können dabei Vollhaut, Spalthaut, Keratinozytensuspensionen oder Zellkulturen je nach Befundausdehnung, Lokalisation und Allgemeinzustand des Patienten Verwendung finden. Essenzielle Substanzverluste in der Dermis werden mit Dermisersatzmaterialien (z. B. Integra oder Matriderm) wiederhergestellt. Spalthauttransplantate Spalthauttransplantate werden in einer Dicke von 0,2–0,4 mm an gesunden Hautarealen entnommen und auf die Wunden aufgebracht und fixiert (. Abb. 72.8). Bei großen Wundflächen muss die Spalthaut nach Entnahme zunächst expandiert werden. Dies kann in Form von sog. »Mesh-Grafts« als Gitternetzmuster oder mit dem Verfahren nach Meek durch auf Seide fixierte kleine quadratische Hautinseln erfolgen. Es können mit diesen Verfahren Expansionen zwischen 1:1,5 bis zu 1:12 erreicht werden (. Abb. 72.9). Mit zuneh-
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. Abb. 72.9a–d Oberflächenvergrößerung durch Meek-Technik. a Die Spalthaut wird auf sterile Träger ausgebreitet und maschinell in kleine Quadrate zerteilt. b Die Hautquadrate werden auf spezielle Seidenmembranen übertragen; die Seide wird auseinandergezogen. c Die Seide wird auf gut perfundiertem Wundgrund nach Nekrektomie appliziert. d Eingeschränkt ästhetisches Ergebnis nach Einsatz der Meek-Technik (mit Ausschnittsvergrößerung)
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Kapitel 72 · Brandverletzungen
mender Oberflächenexpansion wird das kosmetische Ergebnis unbefriedigender. An exponierten Arealen wie dem Gesicht oder den Händen kommen daher keine expandierten Transplantate zum Einsatz. Unabhängig von der Oberflächenvergrößerung erfolgt die Ernährung der transplantierten Haut in den ersten 48 h über eine Diffusion vom Wundgrund. In den ersten Tagen nach einer Hauttransplantation sind diese Hauttransplantate daher sehr empfindlich gegenüber Scherkräften, wie sie z. B. bei der Mobilisation des Patienten entstehen. Die aufgebrachten Transplantate werden durch dicke, leicht komprimierende Überknüpfverbände gesichert, um diese Scherkräfte zu vermeiden und den Kontakt zum Wundgrund sicherzustellen. > Der erste Verbandswechsel nach einer Spalthauttransplantation erfolgt in der Regel am 5. postoperativen Tag [21, 22].
Vollhauttransplantate Vollhaut hat eine stabilere Qualität als Spalthaut und neigt weniger zur Kontraktur. Als nachteilig kann sich die anfangs eingeschränkte Ernährung der dickeren Vollhauttransplantate vom Wundbett aus erweisen. Als Folge davon kann es zu einem Nichtanwachsen der transplantierten Haut kommen. Vor allem kleinere Defekte eignen sich für eine Behandlung mit Vollhaut, z. B. an den Augenunterlidern. Die Entnahmestellen, z. B. an der Oberarminnenseite, retroaurikulär, supraklavikulär oder aus der Leiste können primär verschlossen werden. Keratinozytensuspensionen und Kulturen Autologe Keratinozyten werden in zertifizierten Labors kultiviert und dort für die Transplantation vorbereitet. Durch die Züchtung von Eigenhaut kann eine Expansion von bis zu 1:5000 erreicht werden. Aus einer eingesandten Hautspindel des Patienten wird eine Primärkultur in einem Zellkulturmedium hergestellt. Kultivierte Keratinozyten können schließlich in Suspension mit Fibrinkleber oder als konfluierende Zellkultur auf Trägerfolien aufgebracht werden. Mit 3 cm2 entnommener Vollhaut z. B. lässt sich nach etwa 3–4 Wochen eine Fläche von 1,7 m2 decken. Da es sich hierbei um ein äußerst teures Verfahren handelt, kommt es nur bei Patienten mit ausgedehnten tiefen Verbrennungen (VKOF >70%) zur Anwendung.
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. Tab. 72.4 Beispielhaftes Schema der Analgosedierung für Verbrennungspatienten Form Analogsedierung
Substanzen
Kurzzeitanalgosedierung (<24h)
Propofol oder Midazolam-Boli + Remifentanil
Mittellange Analgosedierung (<3d)
Stabiler Patient: Propofol oder Midazolam + Remifentanil/Sufentanil + ggf. Clonidin Instabiler Patient: S-Ketamin als Sedativum
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Langzeitanalgosedierung (>3d)
Wie mittellange Analgosedierung (7 oben) Cave: Ceiling-Effekt von Midazolam, Propofol (Dosisbegrenzung beachten!)
ReCell-Verfahren Seit einigen Jahren besteht auch die Möglichkeit, aus kleinen Hautproben direkt im Operationssaal eine Keratinozytenzellsuspension zum Aufsprühen auf Hautdefekte im ReCell-Verfahren zu erstellen.
72.3
Intensivmedizinische Therapie bei Verbrennungen
72.3.1
Schmerztherapie und Sedierung
Zur Stabilisierung der Vitalparameter, Optimierung der Beatmung, der Schmerzfreiheit und als psychoprotektive Maßnahme ist eine differenzierte Analgosedierung des Patienten auf einer Verbrennungsintensivstation notwendig. Das Ziel dieser Behandlung ist ein schmerzfreier, kooperationsfähiger und stressabgeschirmter Patient ohne Langzeitnarkose. Stress- und schmerzbedingte Katecholaminausschüttungen sind nachteilig, da sie zu einer Vasokonstriktion der Haut und damit zu einem Nachbrennen der Wunden führen. Im modernen Konzept einer im Rahmen der Verbrennungstherapie erfolgenden Analgosedierung wird die Sedierung auf ein Mindestmaß zum Erhalt der Spontanatmung reduziert. Idealerweise erfolgt die Spontanatmung über ein Tracheostoma, und der Patient wird begleitend schmerzfrei gehalten. So besteht die Möglichkeit der Frühmobilisation des Patienten mit Reduktion von thrombembolischen Risiken und einer guten Prävention von Kontrakturen. Bei oberflächlichen Verbrennungen ist der Schmerz intensiver als bei tiefen, da bei Letzteren die sensiblen Schmerzrezeptoren der Haut stärker geschädigt sind. Schmerzmittel sollten grundsätzlich nur intravenös oder enteral gegeben werden, nicht jedoch subkutan oder intramuskulär. Besondere Anforderungen an die Schmerztherapie und Sedierung des Schwerbrandverletzten ergeben sich aus der Notwendigkeit regelmäßiger schmerzhafter Verbandswechsel.
Substanzen und ihre Anwendung Bei Verbrennungspatienten muss für ausreichende Analgesie und für eine ausreichende Sedierung bei beatmeten Patienten gesorgt werden. Es sei hier auf 7 Kap. 25 in diesem Buch verwiesen. Blutdruckabfälle durch die Analgosedierung und die Beeinträchtigung der Darmmotorik sollten durch Auswahl der Medikamente, Anpassung der Dosierung, regelmäßige Sedierungspausen und frühzeitiges Absetzen der Substanzen vermieden werden. Durch die Vermeidung von Blutdruckabfällen wird der für die Grenzzonenperfusion des verbrannten Gewebes nachteilige Einsatz von Vasopressoren reduziert. Für die Therapie der opioidinduzierten Darmatonie steht mit Methylnaltrexon ein μ-Rezeptorantagonist zur Verfügung (Relistor). Nekrektomien und Spalthauttransplantationen, Interventionen und rezidivierende Verbandswechsel in Narkose können einen Rückschlag im Entwöhnungsprozess des Patienten vom Respirator bedeuten. Durch den Einsatz von Substanzen mit kurzer Halbwertszeit lässt sich dieses Problem minimieren. Ein mögliches Schema der Analgosedierung eines Verbrennungspatienten könnte wie in . Tab. 72.4 dargestellt aussehen. > Eine adäquate und differenzierte Analgosedierung kann die Beatmungs- und Behandlungsdauer signifikant verkürzen.
925 72.3 · Intensivmedizinische Therapie bei Verbrennungen
72.3.2
Flüssigkeitsmanagement
Der tägliche Flüssigkeitsbedarf, der beim verbrannten Erwachsenen nach der initialen Schocktherapie zu substituieren ist, lässt sich anhand folgender Formel berechnen:
Flüssigkeitsbedarf 4 Täglicher Flüssigkeitsbedarf = Grundbedarf (1500 ml/ m2 KOF)+evaporativer Wasserverlust [(25% VKOF)×KOF in m2×24] Diese Flüssigkeitsmenge ist täglich beim schwerbrandverletzten Intensivpatienten enteral oder parenteral zu applizieren [3].
Transfusionen Bei Schwerverbrannten sollte der Hämatokrit bei etwa 30% gehalten werden. Nur durch eine ausreichende Organperfusion lässt sich eine Hypoxie mit nachfolgender Gefahr eines Multiorganversagens (MOV) vermeiden. Vor anstehenden größeren Nekrektomien sollte der Hämatokrit auf diesen Zielwert angehoben werden. Intraoperativ empfiehlt es sich, bei Massivtransfusion Erythrozytenkonzentrate und Frischplasmakonserven (FFP) im Verhältnis 1:1 zu transfundieren.
Eine frühzeitige Substitution von Proteinen beginnt spätestens 24 h nach dem Trauma. Hierbei kommt 5% Albumin zur Anwendung. Die modifizierte Formel nach Brooke empfiehlt 4 5% Humanalbumin in der Dosis von 0,3–0,5 ml×kg KG pro % VKOF
Des Weiteren kommt in Abhängigkeit von den Laborparametern der Gerinnung und der Blutungsneigung FFP zum Einsatz. Ausgedehnte tangentiale Nekrektomien gehen mit einem hohen Blutverlust einher. Hierbei darf das gesamte Blutvolumen maximal einmal ausgetauscht werden, danach steigt die Gefahr von Gerinnungsstörungen mit Blutungskomplikationen dramatisch an.
72.3.3
Temperaturmanagement
Inflammatorische Mediatoren und Schmerzen führen nach einer schweren Brandverletzung durch eine hypothalamische Regulationsstörung zu einer erhöhten Körpertemperatur. Dabei ist von einer regulativ angestrebten Zieltemperatur von ca. 38°C auszugehen. Eine Normothermie ist bei diesen Patienten als Zeichen einer beginnenden Sepsis oder als Signal der reduzierten physiologischen Ressourcen zu werten. Die Patientengruppe der brandverletzten Kleinkinder und Säuglinge ist aufgrund des erhöhten Oberflächen-Volumen-Verhältnisses, der geringeren Muskelmasse und einem geringeren Anteil an isolierendem Fett für eine Hypothermie anfälliger als Erwachsene. Aufgrund der unzähligen Folgen u. a. für das kardiopulmonale System, den Stoffwechsel, die Blutgerinnung, das Zentralnervensystem, das Immunsystem, die medikamentösen Therapien und die Wundheilung ist eine erfolgreiche Wärmeregulierung bei den betroffenen Patienten essenziell.
> Eine Umgebungstemperatur zwischen 30 und 33°C und eine Luftfeuchtigkeit von 80% unter Vermeidung von jeglicher Zugluft kann Temperatur und Wasserverluste durch Konvektion und Evaporation verhindern und den Energiebedarf erheblich reduzieren.
Im Rahmen der plastisch-chirurgischen Interventionen wird durch moderne Verbandsmaterialien (z. B. biosynthetische Foliensysteme) mit geringeren Feuchtanteilen oder durch reduzierte Verbandswechselfrequenzen, sowie durch Einsatz von Wärmelampen einer Auskühlung der Patienten effektiv vorgebeugt.
72.3.4
Respiratorisches Management bei Verbrennungen
Die Kriterien einer Indikation zur maschinellen Beatmung und zur Intubation sind in 7 Kap. 41 in diesem Buch nachzulesen Bei manifestem Inhalationstrauma sowie bei thermischem Trauma der oberen Atemwege muss die Indikation frühzeitig gestellt werden [2]. Die Indikation zu einer operativen plastischen Tracheostomie ist bei einem schweren Inhalationstrauma oder bei einem beatmungspflichtigen Schwerstbrandverletzten frühzeitig zu stellen. Die Tubusgröße kann deutlich vergrößert werden und damit eine Reduktion der Atemarbeit unter Spontanatmung ermöglichen, und die möglicherweise geschwollene und thermisch geschädigte Stimmbandebene wird mechanisch nicht alteriert. Ein plastisches Tracheostoma kann darüber hinaus nach Reduktion der Sedierung sicher für eine Spontanatmung genutzt werden, und es stellt einen sicheren Zugang zum Atemweg der Patienten bei rezidivierend nötigen Narkosen dar [2, 4]. Zu den Beatmungformen und adjuvanten Therapien des ARDS inklusive Lagerungstherapien sei auf 7 Kap. 38 dieses Buches verwiesen. Alle Therapieprinzipien der Behandlung des ARDS gelten auch für Patienten mit Inhalationstrauma und ARDS. Als alternative Beatmungsmethoden kann bei Verbrennungspatienten eine kombinierte Hochfrequenzbeatmung, z. B. in Form einer »percussive diffusive convective ventilation« mit z. B. einem VDR4-Beatmungsgerät durchgeführt werden. Diese Methode ermöglicht es, eine druckkontrollierte Beatmung mit einer simultanen Spontanatmung auf dem oberen und unteren Druckniveau am Respirator unter effizienter Sekretmobilisation zu kombinieren [2].
72.3.5
Grundlagen in der Behandlung von Infektionen
Infektionen zählen neben dem Inhalationstrauma zu den führenden Todesursachen bei Schwerstbrandverletzten. Es konnte gezeigt werden, dass bei Verbrennungen >40% VKOF in 75% der Fälle die Letalität durch eine Infektion bedingt ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion wird durch das Patientenalter, den Immunstatus, Umfang und Schwere des thermischen Traumas beeinflusst [7, 13].
Wundinfektionen Die Verbrennungswunde bietet aufgrund ihrer feuchten und warmen Umgebung einen idealen Nährboden für eine Kolonisation mit Bakterien. Die tägliche plastisch-chirurgische Beurteilung der Brandwunden bildet dabei einen Grundpfeiler in der Prophylaxe und Behandlung von Infektionen. Durch die Einführung des Konzepts der frühzeitigen Exzision und Einleitung einer Lokaltherapie sowie der frühzeitigen Defektdeckung der nekrektomierten Areale konnte die Infektionsrate und somit die Letalität deutlich gesenkt werden. Von einer prophylaktischen Antibiotikagabe sollte grund-
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Kapitel 72 · Brandverletzungen
sätzlich abgesehen werden, um eine Selektion und Resistenzentwicklung zu vermeiden. Stattdessen sollte bei ersten Anzeichen einer Infektion neben einer chirurgischen Lokaltherapie eine begleitende Breitspektrumantibiotikatherapie eingeleitet werden. Anhand der regelmäßigen Wundabstriche und Kulturen kann im Verlauf eine zielgerichtete Antibiotikatherapie erfolgen. Dabei stellt eine Anzahl von ca. 105 Organismen pro Gramm Gewebe einen Grenzwert für eine Gewebeinvasion dar. Eine histopathologische Beurteilung einer Gewebeprobe kann entscheidend zur Diagnostik verhelfen. Die systemische antimikrobielle Therapie kann ein aggressives chirurgisches Vorgehen nicht ersetzen. Die Antibiotikatherapie sollte nach Keimnachweis und Vorliegen der Resistenzbestimmung angepasst werden [7]. Eine Veränderung der Keimflora in der Verbrennungswunde im Verlauf von grampositiv (besonders: Enterokokken, β-hämolytische Streptokoken der Gruppe A, Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, Koagulase-negative Staphylokokken) zu gramnegativ (im Wesentlichen: Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter sp., Klebsiellen, Enterobaktergruppe, Proteus mirabilis et vulgaris) ist typisch. Ergänzend zu beachten ist, dass eine Infektion mit Anaerobiern (z. B. Bacteroides oder Fusobakterien) bei schlecht perfundierten Muskeln (z. B. nach Stromverletzungen), Frostbeulen oder begleitenden Quetschwunden häufig auftritt [7, 13]. Pilzinfektionen stellen bei Schwerbrandverletzten eine lebensbedrohliche Situation dar. Candida-Infektionen sind die häufigsten nichtbakteriellen Ursachen und treten entweder lokal oder systemisch auf. Sporenpilze, z. B. Aspergillus spp., finden sich lokal im Respirationstrakt oder in Wunden und haben ein hohes invasives Potenzial. Da Wundinfekte mit Sporenpilzen eine hohe Mortalität besitzen, besteht die primäre Therapie – soweit möglich – in der radikalen, weiträumigen Exzision der betroffenen Region. Manifeste Pilzinfektionen müssen generell mit systemischen Antimykotika behandelt werden. Als potenzielle Pforten einer invasiven Infektion sollten neben der Brandwunde die Atemwege, das Tracheobronchialsystem (Cave: Inhalationstrauma), der Magen-Darm-Trakt, die Harnwege und externe Zugangspforten wie z. B. katheterassoziierte Infektionen Beachtung finden. Eine septische Eskalation geht zumeist von der Verbrennungswunde oder dem Tracheobronchialsystem aus [13].
SIRS und Sepsis Wie bereits ausgeführt, hat das ausgedehnte Verbrennungstrauma neben der lokalen Schädigung der Haut auch weitreichende systemische Auswirkungen (7 Abschn. 72.1.4). Die Dauer eines SIRS („systemic inflammatory response syndrome»), welches für den Verbrennungspatienten eine vitale Gefährdung darstellt, beträgt je nach dem Unfallschweregrad bis weit über 7 Tage. Ein SIRS kann fließend in eine Sepsis mit Multiorganversagen übergehen [23, 25] Eine Sepsis kann als Ursache eine systemische Einschwemmung von Bakterien oder ihrer Zerfallsprodukte – den Endotoxinen – aus der Brandwunde, von den Atemwegen, aus dem Gastrointestinaltrakt, den Harnwegen, dem Zahn-Mund- und Kieferhöhlenbereich oder aus externen Zugangspforten nach Anlage von zentralen oder peripheren Kathetern haben. Hierbei ist eine passagere Bakteriämie ohne signifikante Morbidität von einer folgenreichen Sepsis mit Organdysfunktion zu unterscheiden [8, 9, 20]. Bei Schwerstbrandverletzten überwiegt die Sepsis durch gramnegative Erreger. Dabei gilt es zu beachten, dass die Standardkriterien für die Diagnose einer Sepsis auf das Kollektiv der Brandverletzten nicht angewendet werden können. Die Verbrennung führt zu einem Hautverlust unter Schädigung der primären Schutzbarriere
. Tab. 72.5 Curreri-Formel zur Berechnung des Energiebedarfs schwerbrandverletzter Erwachsener Alter
Kalorienbedarf
16–59 Jahre
Kalorien [kcal/Tag]= (25×kg KG) + (40×% VKOF)
>60 Jahre
Kalorien [kcal/Tag] = (20×kg KG) + (65×% VKOF)
kg KG: Kilogramm Körpergewicht, VKOF: Prozent der verbrannten Körperoberfläche
gegen eindringende Mikroorganismen aus der mittelbaren Umwelt. Das immunreaktive metabolische Profil ist durch Freisetzung von Entzündungsmediatoren bereits vor Therapiebeginn verändert. Ein Patient mit großflächigen Verbrennungen befindet sich in einem Zustand des Hypermetabolismus; gängige Leitlinien zur Definition einer Sepsis, z. B. Fieber, Tachykardie oder eine Leukozytose, sind daher nahezu immer zu befunden. Ein erhöhter Volumenbedarf bei adäquater Infusionstherapie kann neben einer Blutung auch auf den Beginn einer Sepsis hinweisen. Zeichen einer beginnenden Sepsis sind Fieber oder Hypothermie, Leukozytose oder Leukopenie, Thrombopenie, Hyperglykämie, ein Ileus, eine veränderte Bewusstseinslage und ein beginnendes Organversagen. Im Labor finden sich erhöhte Entzündungsparameter wie z. B. Tumornekrosefaktor α (TNF-α), Interleukin-6 (IL-6), CRP und Prokalzitonin (PCT) [5, 20, 23, 25, 29]. Die Kriterien zur Definition von Infektionen und Sepsis bei Verbrennungspatienten sind in der 7 Übersicht zusammengestellt.
Kriterien der American Burn Association Consensus Conference zur Definition von Infektionen und Sepsis bei Verbrennungspatienten Eine Sepsisquelle wird angenommen im Fall von: 4 Brandwundenbiopsien mit >105 Organismen/g Gewebe oder histologischen Hinweisen einer Gewebeinvasion, 4 positiven Blutkulturen, 4 Harnwegsinfekten mit über 105 Organismen/ml Urin, 4 Pneumonie. Zusätzlich zu einer Sepsisquelle sollten mindestens 5 der folgenden Kriterien erfüllt sein: Tachypnoe (Atemfrequenz >40/min), paralytischer Ileus, Hyper- oder Hypothermie (Temperatur <36,5°C bzw. >38,5°C), Vigilanzveränderungen, Thromobozytopenie (<50.000 Thrombozyten/mm3), Leukopenie oder Leukozytose (<3.500 Zellen/mm3 oder >15.000/mm3), Azidose oder Hyperglykämie.
Neben der zügigen Diagnostik und Beseitigung der Sepsisquelle ist eine sofortige systemische Behandlung mit Antibiotika bereits bei Anzeichen einer Sepsis erforderlich. Die hohe Variabilität des klinischen Erscheinungsbildes der Sepsis erschwert häufig die frühzeitige Erkennung. Grundsätzlich kann eine gute Lokaltherapie die Kontamination der Wunden niedrig halten und damit die Gefahr einer septischen Komplikation reduzieren. Daher sollten obige klinische Diagnoseparameter und die Brandwunden konsequent täglich beurteilt werden [7, 13].
927 72.3 · Intensivmedizinische Therapie bei Verbrennungen
72.3.6
Ernährungstherapie
Beim Schwerbrandverletzten ist eine frühzeitige enterale Ernährung essenziell [10, 18]. Zur Berechnung des erhöhten Energiebedarfs existieren altersangepasste Formeln, abgestimmt auf das Ausmaß der Verbrennung. Bei schwerverbrannten Erwachsenen empfiehlt sich die Berechnung z. B. nach der Curreri-Formel (. Tab. 72.5) oder der Harris-Benedict-Formel [1]. Für Kinder existieren altersangepasste Formeln, die statt des Körpergewichtes die Körperoberfläche als Grundlage zur Berechnung verwenden z. B. Galveston-Shriners-Formeln (7 Abschn. 72.3.7) [1, 19]. Zu beachten ist, dass diese errechneten Kalorienmengen reduziert werden müssen, wenn erhöhte Cholesterin- und Trigylceridspiegel auftreten oder trotz Insulingabe Blutzuckerwerte von >150 mg% vorliegen. > In einem optimalen Ernährungsplan beträgt das Verhältnis von Kalorien zu Stickstoff 100–150:1.
Der wesentliche Anteil der Ernährung besteht aus Kohlenhydraten mit einem Kaloriengehalt von 4,5 kcal/g. Eiweiß sollte mit ca. 1–2 g/ kg KG/Tag substituiert werden. Bei Kleinkindern wird aufgrund der relativ größeren Körperoberfläche ein Eiweißanteil von 3 g/ kg KG/Tag benötigt. Wenngleich alle Aminosäuren in ausgewogenem Verhältnis in der Ernährung enthalten sein sollten, nehmen die Aminosäuren Glutamin und Arginin eine besonders wichtige Rolle bei Schwerverbrannten ein. Arginin ist von zentraler Bedeutung für die Wundheilung. Glutamin fungiert als Energielieferant für Lymphozyten, Makrophagen und Enterozyten, als Radikalenfänger und nicht zuletzt als Regulator im Proteinstoffwechsel [18, 19]. Schwerverbrannte weisen einen gestörten Fettstoffwechsel auf. Nach schweren Verbrennungen werden die Fettdepots rasch aufgelöst, dabei findet eine Umverteilung und weniger eine Verwertung der Lipide statt. Unter Umständen verstärken dabei erhöhte Katecholaminspiegel die Lipolyse unter gleichzeitiger Blockade der Fettsäureoxidation. Als Folge resultiert eine Verfettung der Leber. Als Konsequenz daraus sollte der Fettanteil der Diät gering bei ca. 30% Fett bzw. bei 1 g Fett/kg KG/Tag gehalten werden. Bei Kindern sollte die Fettzufuhr mit 10% Fett noch geringer ausfallen. Die Nahrung kann entweder enteral (kurzfristig über nasogastrale oder nasoenterale Tuben und langfristig über eine interventionelle Gastrostomie oder Jejunostomie) oder auf intravenösem Weg zugeführt werden. Studien konnten aufzeigen, dass bei einer enteralen Nahrungszufuhr die Rate von Infektionen und Sepsis und somit die Letalität signifikant niedriger ist als bei parenteraler Ernährung. Wahrscheinlich wirkt die enterale Ernährung einer Atrophie des Darmepithels entgegen und vermindert so das Risiko einer bakteriellen Translokation von Darmflora ins Blut. Auch obere gastrointestinale Blutungen treten unter enteraler Ernährung deutlich seltener auf. Oft geht eine schwere Verbrennung mit einer Magenatonie einher. Da es bei oraler Nahrungszufuhr rasch zu Erbrechen kommen kann, empfiehlt es sich, eine Magensonde zu legen, um eine vorliegende Magenentleerungsstörung frühzeitig erkennen und entlasten zu können. Bei einer Magenatonie kann die Ernährung über eine Duodenalsonde sicher erfolgen. Eine parenterale Ernährung ist nur bei kompletter Dysfunktion des Gastrointestinaltraktes indiziert und sollte zeitlich so kurz wie möglich gehalten werden. Eine geringe Menge enteraler Sondenkost sollte parallel beigeführt werden. Bei parenteraler Ernährung sollte der berechnete Energiebedarf durch Glukose gedeckt werden. Darüber hinaus werden, analog zur enteralen Ernährung, 1–2 g/
kg KG/Tag Aminosäuren appliziert. Aufgrund der Fettverwertungsstörung ist der Fettanteil gering zu halten (1 g/kg KG/Tag Fette) [1].
Elektrolyte In der Akutphase der Verbrennungsbehandlung ist Natrium ein wichtiger Bestandteil der Infusionstherapie. Ungenügende Na-Substitution führt zu schwerwiegenden Komplikationen. Bei ausreichender renaler Funktion wird ein eventueller infusionsbedingter Na+-Überschuss wieder ausgeschieden. Nicht nur Wundsekretion, sondern auch eine Wundbehandlung mit silberhaltigen Präparaten wie z. B. Silbersulfadiazin führt zu einem Natriumverlust durch Ausfallen von Silberchlorid (AgCl). Bei Kindern sind Hyponatriämien etwa 48 h nach der Verbrennung häufiger zu beobachten und müssen unbedingt ausgeglichen werden. Ein Verlust an Kalium erfolgt zum einen über die Wundfläche und zum anderen über die renale Ausscheidung. Beim Verbrennungspatienten ist eine solche Hypokaliämie wesentlich häufiger als eine Hyperkaliämie. Eine Hyperkaliämie kann neben einer beginnenden Niereninsuffizienz auf einen vorliegenden Zellzerfall hinweisen. Bei persistierender Hyperkaliämie sollten tiefer liegende Gewebenekrosen in Betracht gezogen werden; insbesondere nach Stromverletzungen. In den ersten Wochen nach Verbrennungsverletzungen finden sich stets erniedrigte Serumkalziumspiegel. Diese sind teilweise durch die niedrigen Serumalbuminkonzentrationen bedingt, da Kalzium nur teilweise ionisiert und großteils proteingebunden im Serum vorliegt. Eine genauere Aussage erlaubt die Bestimmung der Konzentration an ionisiertem Kalzium. Initial erniedrigte Kalziumspiegel werden zum einen über Verluste im Wundsekret erklärt, zum anderen durch Kalziumverschiebungen nach intrazellulär. Begleitend spielt der verminderte Knochenstoffwechsel eine Rolle. Phosphat verhält sich ähnlich wie Kalzium und ist ebenfalls nach Verbrennungen erniedrigt. Beide Elektrolyte, sowohl Kalzium als auch Phosphat, sind im Stoffwechsel von hoher Wichtigkeit. So sind diese beiden Elektrolyte im Knochenaufbau und Phosphat darüber hinaus in der ATP-Synthese bedeutsam. Wichtig ist deshalb eine adäquate – allerdings seperat erfolgende – Substitution [18, 21].
Vitamine und Spurenelemente Vitamin A (Retinol) spielt eine Rolle in der Fibroblastendifferenzie-
rung und der Neusynthese von Kollagen. Bei Schwerverbrannten findet sich eine erniedrigte Vitamin-A-Konzentration. Vitamin B1 (Thiamin) und Vitamin B2 (Riboflavin) sind an der Wundheilung durch Kollagenvernetzung beteiligt. Bei Verbrennungsverletzungen besteht ein erhöhter Bedarf. Insbesondere Vitamin B2 sollte über einen längeren Zeitraum substituiert werden, um den Bedarf von 10–20 mg pro Tag zu decken. Vitamin B6 (Pyridoxin) ist am Aminosäurestoffwechsel beteiligt und wird daher bei erhöhtem Proteinstoffwechsel in stärkerem Maße benötigt. Die Rolle von Vitamin C (Ascorbinsäure) im Rahmen der Verbrennungstherapie ist vielseitig. Als Radikalenfänger und Antioxidans reduziert dieses Vitamin den Gewebeschaden und wirkt gleichzeitig über die Aktivierung von Leukozyten an der Immunreaktion mit. Insbesondere von Bedeutung ist die maßgebliche Unterstützung der Kollagensynthese im Rahmen der Wundheilung. Vitamin E (Tocopherol) ist als Antioxidans noch potenter als Vitamin C. Auch Tocopherol wird eine gewebeprotektive Wirkung zugeschrieben. Die Substitution der Spurenelemente Zink, Selen und Kupfer erscheint im Rahmen der Verbrennungsbehandlung sinnvoll. Ein Zinkmangel hat schwerwiegende Folgen für die Wundheilung. Die Epithelisierung der Wundareale ist beeinträchtigt, sodass sich als Folge instabile Narben entwickeln können. Zink wirkt darüber hin-
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Kapitel 72 · Brandverletzungen
aus als Radikalenfänger wie Vitamin C und Vitamin E gewebeprotektiv. Eine Substitution ist indiziert, da die körpereigenen Reserven bei Schwerverbrannten innerhalb einiger Tage aufgebraucht sind. Selen schützt Zellen vor oxidativem Stress und toxischen Medikamentenwirkungen. Da Selen auch protektiv gegenüber Silber wirkt, schützt die Gabe vor den Nebenwirkungen einer topischen Silbersulfadiazin-Therapie. Kupfer ist wichtig für den Erhalt diverser Enzymfunktionen im Rahmen der Immunregulation und der Wundheilung. Initial steigt nach schweren Verbrennungen die Serumkupferkonzentration für 10 Tage an, danach fällt der Spiegel jedoch unter die Norm. Hauptsächlich verantwortlich für den Abfall des Kupferspiegels ist der Verlust dieses Spurenelements über die Wundfläche [1, 18, 19, 21].
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Beispiel einer Substitution von Spurenelementen und Vitaminen bei Schwerverbrannten 4 4 4 4 4
Multivitaminpräparat, mit den Vitaminen A, B1, B2, B6, D, E Vitamin C, 2- bis 4-mal pro Tag, jeweils 0,5–1 g Selen 100 μg bis zu 3-mal täglich Zink 30 mg bis zu 3-mal täglich Folsäure 1- bis 2-mal 10 mg täglich
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72.3.7
Besonderheiten in der Behandlung von Kindern mit Verbrennungen
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Die Behandlung von Kindern nach Verbrühungs- oder Verbrennungstrauma nimmt eine Sonderstellung in der Intensivtherapie ein. Nach der Erstversorgung am Unfallort gemäß den obigen Ausführungen sollte ein Verbrennungszentrum mit Spezialisierung auf Kinderverbrennungen die weitere Therapie gemeinsam mit den federführenden Plastischen Chirurgen oder einem spezialisiertem Kinderchirurgen übernehmen [14].
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Volumenersatztherapie und Beurteilung
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Eine verzögerte oder ungenaue Volumenersatztherapie des »capillary leak« in der akuten Behandlungsphase hat gerade bei brandverletzten Kindern schwerwiegendere Folgen als beim Erwachsenen mit vergleichbarem Verletzungsausmaß. 2 großlumige periphere und ein zentralvenöser Zugang gewährleisten die Verabreichung großer Flüssigkeitsmengen bei Säuglingen und Kleinkindern mit großflächigen Verbrennungen. Eine intraossäre Punktion, z. B. in der proximalen Tibia stellt ein relativ sicheres Reserveverfahren dar. Der Flüssigkeitsverlust nach einer Verbrennung fällt bei Kindern aufgrund des veränderten Verhältnisses zwischen geringerem Körpergewicht zur Körperoberfläche gravierender aus. Ein Erwachsener hat ein Blutvolumen von etwa 70 ml/kg KG im Vergleich zu einem Säugling mit einem Blutvolumen von 90 ml/kg KG. Entsprechend betrifft der Flüssigkeitsverlust nach einer Verbrennung mit vergleichbarer Ausdehnung bei Kindern einen größeren Anteil des Blutvolumens, als dies bei einem Erwachsenen der Fall wäre. Die Berechnung der Volumenersatztherapie bei Kindern basiert auf Formeln unter Berücksichtigung der Körperoberfläche. Die genaue Dubois-Formel oder die einfachere Jacobson-Formel erlauben die schnelle Berechnung der Körperoberfläche (7 Übersicht).
. Tab. 72.6 Flüssigkeitssubstitution bei brandverletzten Kindern nach der Galveston-Shriners-Burns-Hospital-Formel Zeitraum post Trauma
Schema
Substanzen
Tag 1 (0–24 h)
5000 ml/m2 VKOF + 2000 ml/m2 KOF
Ringer-Laktat + 12,5 g Albumin (davon 50% 0–8 h, 50% 9–24 h)
Tag 2 (24–48 h)
3750 ml/m2 VKOF + 1500 ml/m2 KOF
Ringer-Laktat und Kolloide (Albumin >2,5 g/dl)
Tag 3 (48–72 h)
3750 ml/m2 KOF offener Wunden + 1500 ml/m2 KOF
Ringer-Laktat und Kolloide (Albumin >2,5 g/dl)
KOF=Körperoberfläche; VKOF=verbrannte Körperoberfläche.
Berechnung der Körperoberfläche bei Kindern 4 Dubois-Formel: KOF [m2] = Länge [cm] 0,725×Gewicht [kg] 0,425×0,007184 4 Jacobson-Formel: KOF [m2] = (Länge [cm] + Gewicht [kg] – 60)/100
Die Galveston-Shriners-Burns-Hospital-Formel (Beispiel in . Tab. 72.6) errechnet sich in den ersten 24 h aus 5000 ml/m2 VKOF und zusätzlichen 2000 ml/m2 KOF Ringer-Laktat mit 12,5 g Albumin versetzt. Dabei werden 50% in den ersten 8 h und die verbleibende Hälfte in den folgenden 16 h transfundiert. Am folgenden Tag werden 3750 ml/m2 VKOF zuzüglich einer Erhaltungsmenge von 1500 ml/m2 KOF verabreicht. Neben dem isotonen Ringer-Laktat werden Kolloide nach Bedarf zur Optimierung des Albuminwertes über 2,5 g/dl verabreicht. Am Tag 3 werden 3750 ml/m2 KOF offener Wunden und zusätzliche 1500 ml/m2 KOF gegeben. Die Cincinnati-Shriners-Burns-Hospital-Formel kombiniert die Baxter-Parkland-Formel mit einer zusätzlichen Menge an Erhaltungsflüssigkeit.
Flüssigkeitstherapie nach der Cincinnati-Shriners-BurnsHospital-Formel 4 In den ersten 24 h werden 4 ml pro kg KG pro % VKOF Ringer-Laktat mit einem Zusatz von NaHCO3 und weiteren 1500 ml/m2 KOF Flüssigkeit ergänzt.
Grundsätzlich handelt es sich bei diesen Formeln wie bei den Erwachsenen nur um orientierende Richtlinien. Die klinischen Verlaufsparameter und im Besonderen die Diurese des kleinen Patienten bestimmen die Flüssigkeitssubstitution. Kinder können am 2. posttraumatischen Tag eine Hyponatriämie entwickeln. Diese ist auf die renale Minderleistung in der Entwicklungsphase mit hohen Natriumverlusten im Urin zurückzuführen. Eine regelmäßige Kontrolle ist empfehlenswert. Der Ausgleich eines Kaliumdefizits kann über Kaliumphosphatgaben erfolgen. Bei Kindern <1. Lebensjahr kann die Gabe einer Dextroselösung als Erhaltungsinfusion eine Hypoglykämie vorbeugen. Der kolloidosmotische Druck kann durch eine 8 h nach dem thermischen Trauma einsetzende Gabe von Humanalbumin (20%) (Ziel: Serumalbuminspiegel >2,5 g/dl) aufrechterhalten werden.
929 72.3 · Intensivmedizinische Therapie bei Verbrennungen
. Tab. 72.7 Galveston-Shriners-Formel für Säuglinge, Kinder und Jugendliche Alter
Kalorienbedarf
0–1 Jahre
2100 kcal/m2 KOF + 1000 kcal/ m2 VKOF
1–11 Jahre
1800 kcal/m2 KOF + 1300 kcal/ m2 VKOF
>12 Jahre
1500 kcal/m2 KOF + 1500 kcal/ m2 VKOF
KOF=Gesamtkörperoberfläche, VKOF=% der verbrannten Körperoberfläche.
Damit kann das intravasale Volumen positiv reguliert werden. Humanalbumin (20%) kann auf 3 Einzeldosen verteilt über 24 h verabreicht werden. Die Bewertung einer Volumenersatztherapie bedarf bei verbrannten Kindern besonderer Überlegungen. Bei Kindern erlauben klinische Zeichen einer Hypotonie, reduzierten Diurese oder Tachykardie keine sichere frühzeitige Beurteilung einer Hypovolämie. Eine vollständige kardiale Dekompensation mit konsekutivem Schockzustand tritt meist erst nach Verlust von bis zu 25% des Blutkreislaufvolumens auf. Des Weiteren verdeutlicht die nach rechts verlagerte Frank-Starling-Kurve ein gering dehnbares Myokard, sodass das Herzminutenvolumen überwiegend durch die Herzfrequenz reguliert wird. Bei Verbrennungen >20% KOF wird nach Legen eines Blasenkatheters die Harnbilanz berechnet. In den ersten Stunden nach dem Trauma wird mindestens alle 15 min die Diurese bestimmt und entsprechend der Bilanz eine Anpassung der Substitutionsmengen durchgeführt. Bei Kindern liegt der Zielwert der Harnproduktion bei 1 ml/kg KG/h und bei Säuglingen bei bis zu 2 ml/kg KG/h. Eine Übertransfusion kann bei Kindern schnell zu Lungen- und Hirnödemen führen und sollte vermieden werden. Zusätzliche Indikatoren des kindlichen Volumenstatus sind neben dem mentalen Zustand und der Körpertemperatur die Rekapillarisationszeit der gesunden Haut, die arteriellen Blut-pH-Werte, Laktatwert und Basendefizite. Diese Parameter sollten ebenfalls in die Bewertung der Volumentherapie mit eingehen. Daneben existieren gering invasive Möglichkeiten des Volumenersatzmonitorings mittels transpulmonaler Thermodilution (TPTD) z. B. als PiCCO-System. Diese Methoden erlauben die Messung des Herzzeitvolumens, des systemischen Gefäßwiderstandes, des globalen enddiastolischen Volumens und des intrathorakalen Blutvolumens und erlauben eine zielgerichtete Volumentherapie.
Atemwege Die Ödembildung mit einem Höhepunkt am 3. und 4. posttraumatischen Tag hat schwere Auswirkungen auf die relativ engen oberen und unteren Atemwege von Säuglingen und Kindern. Im Vergleich zum Erwachsenen findet sich bereits bei geringen Ödemen eine überproportionale Erhöhung des Atemwegswiderstands aufgrund des geringen Durchmessers der Trachea. Eine frühzeitige Intubation mit adäquater Fixierung sollte die Atemwege sichern. Liegt ein Inhalationstrauma (Bronchoskopie, COHb-Werte) vor, so ist aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate durch eine Kohlenmonoxidvergiftung neben einer sofortigen Sauerstofftherapie mit einem FIO2 von 1,0 auch eine HBO-Therapie einzuleiten, sofern die technischen Voraussetzungen dazu gegeben sind. Die Therapie des Inhalationstraumas beinhaltet wie beim Erwachsenen eine Sicherung der Atemwege (Intubation, Tracheostomie), die Sekretmo-
bilisation (Lagerung, Lavage, Physiotherapie, Mobilisation) und die medikamentöse Therapie (Bronchodilatation, Heparin und Acetylcystein-Vernebelung).
Hypermetabolismus und Ernährung Nach einer kindlichen Brandverletzung ist der Grundumsatz in Abhängigkeit von der Dimension des Traumas im Sinne eines Hypermetabolismus hochreguliert. Die Auswirkungen dieser hyperdynamen Reaktion äußern sich in einer gesteigerten Herz-Kreislauf-Reaktion mit erhöhtem Energie- und Sauerstoffverbrauch, Proteolysen, Lipolysen und Glykogenolyse. Der Verlust an Muskelmasse, Beeinträchtigung der Wundheilung und Immunschwäche bedingen eine gesteigerte Morbidität mit einem Anstieg der Mortalität. Selbst in einem Intervall nach einem Verbrennungstrauma werden weiterhin Hypermetabolismus und Muskelproteinabbau mit Muskelmassenverlust bei den Patienten beobachtet. Ein gestörtes Nagel-, Haar- und Knochenwachstum mit der Gefahr einer Osteopenie ist nicht selten. Diese Veränderungen beeinträchtigen den Wachstumsverlauf der kleinen Patienten nach großflächigen Verbrennungsverletzungen über Jahre hinweg. Der Katabolismus kann durch Einsatz von Hormonen (z. B. Anabolika, Wachstumshormone, Insulin) und Medikamente geringer gehalten werden. Es steht außer Frage, dass auch bei brandverletzten Kindern eine frühzeitige enterale Ernährung mit proteinreicher hochkalorischer Diät sehr viele Vorteile bietet. Die Berechnung der Kalorienzufuhr erfolgt über Formeln, welche die Körperoberfläche und die Verbrennungsflächen mitberücksichtigen z. B. Galveston-Shriners(. Tab. 72.7) oder Curreri-Junior-Formeln.
72.3.8
Besondere Aspekte in der Behandlung von geriatrischen Patienten
Die Patientengruppe der älteren Patienten muss weniger in rigiden Altersklassen als vielmehr in einer individuellen Betrachtung des Allgemeinzustandes unter besondere Berücksichtigung der gesundheitlichen und sozialen Situation gesehen werden. Neben dem zumeist von jüngeren Patienten abweichenden Verbrennungsmuster und Unfallmechanismus ist eine physiologisch verminderte Reservekapazität in den meisten Organsystemen für die Therapie und Prognose der Verbrennung von Bedeutung [12]. Die reduzierte kardiale Belastbarkeit und damit eingeschränkte funktionelle Anpassungsfähigkeit auf eine Volumenverschiebung bedingt eine erhöhte Mortalitätswahrscheinlichkeit. Komorbiditäten wie eine Herzinsuffizienz oder eine koronare Herzkrankheit können diese noch erheblich erhöhen. Die kardiale Hausmedikation (z. B. β-Blocker oder Kalziumantagonisten) kann die physiologische Adaptation auf Volumenveränderungen oder die Empfindlichkeitsraten auf Katecholamine negativ beeinflussen. Die notwendige Volumentherapie kann in diesem Patientenkollektiv schnell zu einer kardiopulmonalen Dekompensation infolge relativen Volumenüberschusses führen. Die reduzierte pulmonale Compliance durch einen altersbedingt rigiden Brustkorb, ein erschwerter Sauerstoffaustausch bei verminderter Diffusionskapazität und eine reduzierte pulmonale Clearance erschweren eine Atemtherapie. Bei einer notwendigen maschinellen Beatmung ist die eingeschränkte Vitalkapazität zu beachten. Ein manifestes Inhalationstrauma wirkt sich daher prognostisch besonders negativ aus. Daher sollte eine frühzeitige Indikation zur plastischen Tracheostomieanlage gestellt werden. Die Nierenfunktion ist mit zunehmendem Alter aufgrund der reduzierten Anzahl funktioneller Nephrone reduziert. Die Volu-
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Kapitel 72 · Brandverletzungen
72
menverschiebungen und die notwendige Volumentherapie muss diesem Umstand Rechnung tragen. Zu beachten ist neben einer reduzierten Kreatinin-Clearance auch die Tatsache einer verringerten Muskelmasse mit verringerter Kreatininproduktion, was in der Labordiagnostik im Serum durch einen normwertigen Kreatininwert eine gute Nierenfunktion vortäuschen kann. Weitere bedeutende Aspekte stellen die reduzierte Glukosetoleranz, eine verlangsamte Regeneration und Wundheilung sowie eine Degenerationen des muskuloskelettalen Systems mit reduzierter Körperkraft dar. Einem evtl. veränderten psychischen Zustand einschließlich einer Demenz der älteren Patienten ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Von intensivmedizinischer Bedeutung ist ebenfalls das Konzept der Wundsanierung bei älteren Verbrennungspatienten. Die individuell unterschiedlich eingeschränkten kardiopulmonalen Kapazitäten limitieren die Dauer einer Nekrektomie und einer temporären bzw. autologen Defektdeckung. Auch wenn die aktuelle Datenlage der Studien keinen eindeutigen Vorteil in einer frühzeitigen Nekrektomie und Defektdeckung sieht, kann eine prolongierte konservative Therapie durch Wundinfekte mit systemischer Bakteriämie einschließlich der Gefahr einer Sepsis den vorbelasteten Patienten vital gefährden.
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> Auch bei älteren kreislaufinstabilen Patienten sollte eine frühzeitige Nekrektomie angestrebt werden.
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Die Wundflächendeckung erfolgt bei Verbrennungsflächen >15– 20% VKOF zweizeitig, zunächst mit Fremdhaut (z. B. glyzerolkonservierte Spenderhaut). Eine autologe Deckung mit Eigenhaut erfolgt im Intervall bei stabilen kardiovasukulären und pulmonalen Verhältnissen sowie in einer günstigeren weniger katabolen Phase der Heilung.
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931
Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung C.-M. Muth
73.1
Tauchunfall – 932
73.1.1 73.1.2 73.1.3
Pathophysiologie – 932 Symptomatik des schweren Tauchunfalls – 932 Therapie des schweren Tauchunfalls – 934
73.2
Ertrinken – 936
73.2.1 73.2.2 73.2.3 73.2.4
Ursachen und Abläufe beim Ertrinken – 936 Pathophysiologie des Ertrinkungsunfalls – 936 Therapie – 938 Prognose nach Ertrinken – 939
73.3
Unterkühlung (Hypothermie) – 939
73.3.1 73.3.2 73.3.3 73.3.4
Pathophysiologie – 939 Notfallmaßnahmen bei Hypothermie – 940 Klinische Maßnahmen bei Hypothermie – 942 Prognose – 942
Literatur – 943
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_73, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
73
932
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
73.1
Tauchunfall
Definition
73 73 73 73 73
Der schwere Tauchunfall ist ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis, das bei Tauchern und anderweitig überdruckexponierten Personen in der Dekompressionsphase auftreten kann. Durch einen raschen Abfall des Umgebungsdruckes kommt es zur Bildung freier Gasblasen in Blut und Geweben und dadurch zur Dekompressionserkrankung (DCI, von engl. »decompression illness« oder auch »decompression injury«). Abhängig vom Entstehungsmechanismus werden Dekompressionskrankheit (DCS: »decompression sickness«) und arterielle Gasembolie (AGE) unterschieden [1, 2].
73
73.1.1
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Dekompressionskrankheit
73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73 73
Pathophysiologie
Mit dem Abtauchen nehmen der Umgebungsdruck und damit entsprechend dem Dalton-Gesetz auch die inspiratorischen Partialdrücke der Atemgase zu. Dies führt (bei Verwendung von Luft als Atemgas) zu einem Anstieg des Stickstoffpartialdruckes auch im Blut und somit zur Ausbildung von Diffusionsgradienten in Richtung der Gewebe. Während des Tauchens werden die Körpergewebe nach dem Gesetz von Henry mit Stickstoff aufgesättigt, und zwar umso mehr, je höher der inspiratorische Partialdruck des Stickstoffs ist. Neben weiteren Faktoren spielen die im Überdruck verbrachte Zeit und die Gewebeperfusion eine wesentliche Rolle bei der Aufsättigung [3]. Die Menge des überschüssig aufgenommenen Inertgases nimmt also mit der Tauchtiefe und der Tauchzeit zu. Beim Auftauchen und der damit verbundenen Druckabnahme bildet sich ein umgekehrter Diffusionsgradient aus. Es kommt zu einer relativen Inertgasübersättigung der Gewebe, die jedoch in einem gewissen Bereich toleriert wird. Bei zu rascher Druckabnahme kommt es hingegen zu einer kritischen Übersättigung mit der Bildung von Gasblasen im Blut und im Gewebe und dadurch zum Dekompressionsunfall [4].
Arterielle Gasembolie (AGE) Die häufigste Ursache für eine arterielle Gasembolie beim Tauchen ist ein pulmonales Barotrauma (PBT) [1, 2]. Das pulmonale Barotrauma entsteht durch die vom Gesetz von Boyle und Mariotte beschriebene Ausdehnung des Atemgases in der Lunge bei nachlassendem Umgebungsdruck während der Dekompression und inadäquater Exspiration (willentliches Luftanhalten, Air-Trapping, Laryngospasmus). Die Folge ist eine Überdehnung der Lunge oder regionaler Bezirke mit der Ruptur von Alveolarabschnitten. Da bereits ein Druckgradient von nur 7,4‒9,8 kPa ‒ entsprechend 75‒100 cm H2O ‒ zur Ruptur von Lungengewebe führen kann [5], sind pulmonale Barotraumen auch beim Tauchen in sehr geringen Wassertiefen (z. B. Schwimmbad) möglich.
Pathophysiologie der Gasblasen Bei massiver Blasenbildung können die Gasblasen direkt im betroffenen Gewebe und im Gefäßsystem entstehen. Gasblasen im Gewebe bedingen durch Verdrängung und mechanische Irritation eine Schmerzsymptomatik, gleichzeitig aber auch durch Kompression von benachbarten Kapillargebieten eine Behinderung der Mikrozirkulation und nachfolgend eine Versorgungsstörung. Gasblasen im Gefäßsystem können zum direkten Gefäßverschluss führen [6]. Die Gasblase bewirkt nicht nur eine mechanische Irritation, sondern als Fremdoberfläche auch erhebliche Schäden am Gefäßendothel, und
löst verschiedene biochemische Reaktionen im Blut [6, 7] aus, v. a. Aktivierung der plasmatischen Gerinnung und von Immunglobulinen [8–10]. Darüber hinaus führt die Aktivierung von Faktoren des Komplementsystems zur Zunahme der Perfusionsstörung und somit des Gewebeschadens. Neben diesen allgemeinen Mechanismen, die sowohl für die DCS als auch für die AGE gelten, führt der Verschluss der hirnversorgenden Arterien zu einer zerebralen Ischämie. Insgesamt ähneln die Pathomechanismen nach zerebraler arterieller Gasembolie denen anderer embolischer Verschlüsse der hirnversorgenden Arterien.
73.1.2
Symptomatik des schweren Tauchunfalls
Die Symptomatik des schweren Tauchunfalls hängt unmittelbar mit der Verteilung der Gasblasen und dem Befall der jeweils betroffenen Gewebe zusammen. Die Symptomatik kann dabei ausgesprochen mild sein, mit nur sehr diskreten Beschwerden, aber auch mit neurologischen Ausfällen einhergehen, die bis zur Para- oder Hemiplegie reichen können (. Tab. 73.1; [1, 2]).
Dekompressionskrankheit (DCS) Die DCS ist vornehmlich auf Blasenbildung im Gewebe und im venösen System zurückzuführen und kann in eine milde und eine schwere Verlaufsform untergliedert werden. Die milde Form, DCS Typ 1, ist durch Hauterscheinungen, Pruritus und Schmerz gekennzeichnet. Die schwere Verlaufsform, DCS Typ 2, umfasst hingegen zusätzlich eine neurologische und/oder pulmonale Symptomatik [1, 2].
DCS Typ 1 Bei dieser Form tritt die Symptomatik in der Regel mit einer deutlichen Latenz auf und kann sich dann langsam weiter entwickeln. Die Latenz für das Auftreten von Symptomen kann mehrere Stunden betragen (in der Regel bis 24 h, Fälle nach bis zu 72 h sind beschrieben) [4, 11]. Die möglichen Erscheinungsformen sind vielfältig. Relativ häufig ist die kutane Symptomatik, die mit fleckig-marmorierter Haut und Pruritus einhergeht. Diese als Taucherflöhe bekannte Erscheinungsform ist Ausdruck eines Blasenbefalls der Kutis und Subkutis mit Reizung entsprechender Nervenendigungen. In selteneren Fällen kann das Lymphsystem betroffen sein. Dann finden sich schmerzhaft geschwollene Lymphknoten, gelegentlich auch umschriebene ödematöse Schwellungen der Haut. Relativ häufig ist die muskuloskelettale Symptomatik, die mit Muskel- und Gelenkschmerzen einhergeht und in der Tauchmedizin als »bends« bezeichnet wird. Die muskuloskelettale Symptomatik entwickelt sich häufig rasch nach dem Auftauchen, meist innerhalb von 6 h nach einem Tauchgang. Neben diesen klassischen Symptomen gibt es auch unspezifische Beschwerden, die an einen Tauchunfall denken lassen sollten. Dazu zählt z. B. eine auffällige Müdigkeit des Betroffenen, die sich nicht aus der Belastung durch den Tauchgang oder das persönliche Verhalten vor dem Tauchgang erklären lässt oder schmerzhaft geschwollene Mammae bei weiblichen Tauchern.
DCS Typ 2 Bei der schweren Verlaufsform der Dekompressionskrankheit können alle unter DCS Typ 1 beschriebenen Symptome auftreten. Erschwerend kommen hier jedoch eine neurologische und/oder auch eine pulmonale Symptomatik hinzu [1, 2].
933 73.1 · Tauchunfall
. Tab. 73.1 Übersicht über die Pathogenese und Symptomatik des schweren Tauchunfalls. (Mod. nach [1]) Dekompressionskrankheit
Arterielle Gasembolie
Aktuelle Nomenklatur
Dekompressionskrankheit, DCS, »decompression sickness
Arterielle Gasembolie, AGE
Synonyme
Caisson-Krankheit, Caisson-Unfall, Druckunfallkrankheit
–
Pathogenetische Faktoren
Größere Tauchtiefe/hohe Umgebungsdrücke 5 Lange Expositionszeit 5 Aufsättigung der Körpergewebe mit Inertgas 5 Zu rasches Auftauchen nach längeren und/oder tiefen Tauchgängen mit hoher Aufsättigung
Übertritt von Gasblasen in die arterielle Strombahn beim Tauchen durch: 5 Pulmonales Barotrauma (PBT) mit Überblähung von Alveolarabschnitten 5 Paradoxe Embolie durch: a) Übertritt venös entstandener Gasblasen über die Lungengefäße b) Übertritt venös entstandener Gasblasen über ein offenes Foramen ovale (PFO)
Zeit bis zum Auftreten von Symptomen
Minuten bis Stunden (in der Regel innerhalb von 24 h, selten bis zu 72 h)
Minuten
Symptomatik
DCS Typ 1: nur Schmerz
Hautsymptome (»Taucherflöhe«): 5 Juckreiz 5 Punktförmige Rötung 5 Schwellung 5 Marmorierung der Haut Muskel- und Gelenkschmerzen (»bends«): 5 Große Gelenke (belastungsabhängig) Skelettmuskulatur 5 Selten: Hand- und Fußgelenke Lymphsystem: 5 Geschwollene, druckdolente Lymphknoten 5 Brustschwellung bei weiblichen Tauchern Sonstiges: 5 Extreme Müdigkeit, Apathie
Benommenheit, Schwindel Verwirrtheit, Desorientiertheit Sprach- und/oder Sehstörungen Nervenausfälle unterschiedlicher Ausprägung: von leichten Empfindungsstörungen über hängendes Augenlid und/oder Taubheit in einzelnen Gliedmaßen bis zur kompletten Halbseitenlähmung und Bewusstlosigkeit Bei Mitbeteiligung des Atemzentrums: 5 Blutdruckabfall 5 Atemstörungen 5 Herzstillstand Pupillenasymmetrie möglich: einseitig weite Pupille
DCS Typ 2: wie Typ 1, zusätzlich mit neurologischer und/ oder pulmonaler Symptomatik
Muskel-/Gelenkschmerzen u. U. schon beim Auftauchen (Verteilung wie bei Typ 1) Schwindel/Erbrechen Hör-/Seh-/Sprachstörungen Gestörte Muskelkoordination Häufig vom Nabel abwärts: 5 Sensibilitätsstörungen, Paresen, Paraplegie 5 Blasen- und Mastdarmschwäche Akute Dyspnoe (»Chokes«) mit Brustschmerz, Husten, Erstickungsgefühl Bei paradoxer Embolie auch Halbseitensymptomatik möglich
Die pulmonale Symptomatik beruht auf einer massiven Verlegung der pulmonalen Strombahn mit venösen Gasblasen und ähnelt pathophysiologisch der venösen Gasembolie anderer Ursache. Die Symptomatik entwickelt sich unmittelbar bzw. sehr rasch nach dem Auftauchen und ist gekennzeichnet durch retrosternale Schmerzen, flache, rasche Atmung sowie die typischen trockenen Hustenattacken, die dieser Erscheinungsfom den Namen (»chokes«) gegeben haben. Differenzialdiagnostisch ist stets auch an ein pulmonales Barotrauma zu denken. Die neurologische Symptomatik betrifft v. a. das Rückenmark, aber auch andere Manifestationsorte des Nervensstems. Die Symptomatik tritt innerhalb von Minuten bis zu wenigen Stunden nach dem Tauchgang auf. Sie kann ausgesprochen mild sein und lediglich mit umschriebenen Parästhesien einhergehen; sie kann aber auch
einen kompletten Querschnitt verursachen. Ist das Gehirn der Manifestationsort, so kann die Erscheinungsform von leichten kognitiven Störungen bis zum Koma reichen [11, 12]. Eine Sonderform der neurologischen DCS ist der Befall des Innenohrs, der zu Schwindel, Übelkeit, Erbrechen führen kann, oft verbunden mit einem Nystagmus sowie Hörverlust und Tinnitus.
Pulmonales Barotrauma (PBT) Beim pulmonalen Barotrauma kann es zur Ruptur von Alveolarabschnitten mit unterschiedlichen Folgen kommen (. Abb. 73.1; [1, 2]). Eine Ruptur pleuranaher Abschnitte kann zum Eindringen von Luft in den Pleuraspalt und somit zum Pneumothorax führen. Findet die Ruptur noch unter Überdruckbedingungen statt und ist die Dekompression nicht völlig abgeschlossen, kommt es zur weiteren
73
934
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
anfalls. Die Symptomatik kann von leichten Paresen und motorischen Schwächen bis hin zur Hemiplegie reichen. Bei Befall des Hirnstamms mit Ausfall entsprechender Zentren sind auch akute Kreislaufreaktionen und Störungen der Atemregulation möglich [6]. Die Symptomatik einer AGE tritt meist innerhalb von Sekunden bis Minuten nach dem Auftauchen auf [1, 2]. Nicht selten werden zerebrale arterielle Gasembolien von zerebralen Krampfanfällen begleitet, die ausgesprochen therapieresistent sein können. Da diese Form des Krampfanfalls in der Regel nur unzureichend auf die Gabe von Benzodiazepinen anspricht, sollten hierfür Barbiturate eingesetzt werden [6].
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73.1.3
73
Die Behandlung des schweren Tauchunfalls erfolgt nach empirischen Grundsätzen. Von unbestreitbarem Nutzen sind v. a. die normobare Sauerstoffgabe und die Infusionstherapie für die Akutbehandlung sowie die schnellstmögliche Rekompression und Therapie mit hyperbarem Sauerstoff in einer Therapiedruckkammer. Entsprechend besteht auch für diese Maßnahmen internationaler Konsens und Einigkeit bei den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften (. Abb. 73.2; [2,14]).
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Notfallmaßnahmen
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. Abb. 73.1 Symptomtrias bei pulmonalem Barotrauma. Darstellung der klassischen Trias der möglichen Folgen eines pulmonalen Barotraumas mit nachfolgender Lungenüberdehnung. Willentliches oder unwillkürliches Luftanhalten beim Auftauchen kann zur Lungenüberdehnung führen. Mögliche Folgen sind eine arterielle Gasembolie z. B. in zerebralen Gefäßen (1), ein Pneumothorax (2), der sich zum Spannungspneumotharax entwickeln kann, und ein Mediastinalemphysem (3). Zu beachten ist, dass jede Folgeerscheinung allein, aber auch in jeder beliebigen Kombination auftreten kann!
73
Ausdehnung des Gases mit Ausbildung eines Spannungspneumothorax. Erfolgt die Ruptur in der Nähe der Hili, entwickelt sich ein Mediastinalemphysem, gelegentlich begleitet von einem kollaren Emphysem. In sehr schweren, aber seltenen Fällen kann die mediastinale Gasmenge zu einer Kompression des Herzens, hier v. a. des rechten Herzens, und über Rückflussbehinderungen und Arrhythmien zu Kreislaufstörungen führen. Am meisten gefürchtet ist jedoch das Eindringen von Gas in das Gefäßsystem, speziell in die arterielle Strombahn. Die Folge ist eine arterielle Gasembolie, wobei die Gasbläschen dem Blutstrom folgend in alle Endarterien gelangen können. Besonders gefürchtet ist die zerebrale arterielle Gasembolie, die mit einer schlaganfallähnlichen Symptomatik unterschiedlichster Ausprägung einhergeht und für ca. 15% aller tödlich verlaufenden Tauchunfälle verantwortlich ist [13].
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Arterielle Gasembolie (AGE)
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Therapie des schweren Tauchunfalls
Hier sind grundsätzlich alle Erscheinungsformen denkbar, abhängig von den betroffenen Versorgungsgebieten. Da die arteriellen Blasen dem Blutstrom folgen, ist ein Befall der hirnversorgenden Arterien sehr wahrscheinlich. Auch hier ist die Symptomatik von der Menge des eingedrungenen Gases sowie von den betroffenen Versorgungsgebieten abhängig und ähnelt der des akuten Schlag-
Wie bei jedem Notfall steht die Sicherung der Vitalfunktionen im Vordergrund. Neben einer kurzen Eigen- oder Fremdanamnese, in der nach den Tauchgangsdaten, vor allem Tiefe und Tauchgangszeit, sowie Besonderheiten während des Tauchgangs gefragt werden sollte, muss der Zeitverlauf der Symptome dokumentiert werden. Des Weiteren muss unbedingt eine sorgfältige Erhebung des neurologischen Status sowohl für periphere Nervenfunktionen als auch Hirnnerven und ZNS erfolgen. Die Befunde müssen gut dokumentiert und dem weiterbehandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden. Da die Ursache für die Symptomatik stets auch ein pulmonales Barotrauma sein kann, muss eine sorgfältige Auskultation der Lungen zum Ausschluss eines Pneumothorax erfolgen, der bei Vorliegen entlastet werden muss. Normobare Sauerstoffgabe. Die wichtigste Sofortmaßnahme beim Tauchunfall ist die schnellstmögliche Gabe von Sauerstoff [1, 2, 14]. Die inspiratorische Sauerstoffkonzentration muss so hoch wie möglich sein (angestrebte FIO2 1,0!). Ziel ist die rasche Inertgaselimination bei gleichzeitiger Minimierung der durch die Gasblase hervorgerufenen Hypoxie. Die rasche Gabe von Sauerstoff mit möglichst hoher FIO2 kann zu einem Rückgang der Symptomatik führen. Zudem ist erfahrungsgemäß die Effektivität der weiterführenden Therapiemaßnahmen bei jenen Tauchern verbessert, die mit normobarem Sauerstoff vorbehandelt wurden [2, 14]. Flüssigkeitsgabe zum Ausgleich eines Volumendefizits. Jeder
Taucher hat nach einem Tauchgang ein Volumendefizit, weil es während des Tauchens zu einer überschießenden Urinproduktion gekommen ist. Dieses Flüssigkeitsdefizit ist ungünstig, da nicht nur die Rheologie des Blutes verändert, sondern auch die Inertgasabgabe reduziert ist. Die Gabe von Flüssigkeit stellt daher bei der Akutbehandlung des schweren Tauchunfalls einen wesentlichen Therapiepfeiler dar. Zum Volumenausgleich eignen sich sowohl kolloidale als auch kristalloide Infusionslösungen. Der empfohlene Flüssigkeitsersatz beträgt als Initialdosis 1000‒2000 ml in der ersten Stunde mit einer Erhaltungsdosis von bis zu 500 ml/h in der Folge, ggf. abhängig von den klinischen Parametern [1, 2, 14].
935 73.1 · Tauchunfall
. Abb. 73.2 Flussdiagramm der Tauchunfallbehandlung. (Mod. nach [16])
Lagerung. Aktuelle Therapievorschläge empfehlen sowohl für die
DCS als auch für die AGE die flache Rückenlagerung des Patienten, bei bewusstlosen Patienten auch die stabile Seitenlage [1, 2]. Transport. Der Transport von verunfallten Tauchern sollte mög-
lichst erschütterunsfrei erfolgen, weil bei stärkeren Erschütterungen mit weiterer Freisetzung von Gasblasen gerechnet werden muss. Ist ein Lufttransport vorgesehen oder unumgänglich, muss bedacht werden, dass jede weitere Druckreduktion die Symptomatik verschlechtern kann.
Weiterführende Therapiemaßnahmen Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO). Die Therapie mit hyperba-
rem Sauerstoff stellt die einzig sinnvolle weiterführende Therapiemaßnahme dar [1, 2, 11, 14], denn hierdurch werden die Gasblasen aufgelöst. Aus diesem Grund sollten alle Patienten mit der klinischen Symptomatik einer Dekompressionserkrankung schnellstmöglich einer Rekompressionsbehandlung mit hyperbarem Sauerstoff zugeführt werden. Obwohl die unverzügliche Rekompression die besten Ergebnisse bringt, ist eine Druckkammerbehandlung auch nach längerem Verzug noch indiziert, um eine Verbesserung des Zustands zu erreichen. Für die Therapie der arteriellen Gasembolie und für die schwere DCS steht ein bestimmtes Behandlungkonzept zur Verfügung, das mit Therapiedrücken von 280 kP (2,8 bar) nach einer initialen
Behandlung, je nach klinischem Verlauf, noch über 1‒3 weitere Behandlungen durchgeführt wird [2]. Ist danach noch eine Restsymptomatik vorhanden, erfolgt die Weiterbehandlung nach dem Therapieschema für Spätbehandlungen bei niedrigeren Therapiedrücken. Diese Behandlungen werden so lange durchgeführt, bis es zu einer Stagnation kommt. Sind über 2‒3 Behandlungseinheiten keine klinischen Fortschritte mehr zu erzielen, kann die HBO-Therapie beendet werden. Als für den Therapieerfolg außerordentlich günstig haben sich therapiebegleitende rehabilitative Maßnahmen und krankengymnastische Übungen erwiesen. Hierbei scheinen sich deutlich bessere Fortschritte im Heilungsverlauf erzielen zu lassen, wenn die Physiotherapie schon während der laufenden HBO-Therapie begonnen wird [2].
Intensivmedizinische Besonderheiten Es gibt außer den oben erwähnten Therapiemaßnahmen keine spezifischen Therapieoptionen oder speziellen medikamentösen Einflussmöglichkeiten. Andererseits sind sämtliche intensivmedizinischen Standardverfahren, soweit der Umstand sie erfordert, möglich und statthaft (z. B. Heparinisierung des immobilen Patienten). Bei massivem Gasblasenbefall im Rahmen einer AGE oder einer sehr schweren DCS Typ 2 kann es zur Rhabdomyolyse kommen, so dass nierenprotektive Maßnahmen und eine forcierte Diurese notwendig werden [15, 16].
73
936
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
73
Bei intubierten Patienten muss vor Beginn der Druckkammerbehandlung ein Pneumothorax sicher ausgeschlossen sein. Darüber hinaus sollte wegen der Unfähigkeit zum Druckausgleich eine Parazentese beidseits durchgeführt werden. Für den Intensivmediziner ist wichtig, dass der Tubuscuff während der Druckkammerbehandlung in der Regel mit Flüssigkeit geblockt werden muss (Aqua dest. oder NaCl 0,9%), um physikalisch bedingte Größenveränderungen eines luftgefüllten Cuffs während der Kompression (Undichtigkeit) oder Dekompression (Cuffruptur, Trachealruptur) zur vermeiden. Die Flüssigkeit muss nach den Behandlungen jeweils entfernt und der Cuff wieder mit Luft geblockt werden [11, 16, 17].
73
73.2
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Definition Die klassische Differenzierung der Begriffe Ertrinken und Beinahe-Ertrinken ist international durch eine neue Nomenklatur ersetzt worden, bei der nur noch der Begriff »Ertrinken« Verwendung findet. Gemäß des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) wird demnach Ertrinken als »Prozess der primären Atmungsstörung durch Ein-/Untertauchen in Flüssigkeit« definiert.
73 73.2.1
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Ertrinken
Ursachen und Abläufe beim Ertrinken
Das Ertrinken ist weltweit ein Problem v. a. der jüngeren Lebensjahre, von dem Kleinkinder besonders betroffen sind. Daneben zeigt sich eine statistische Häufung in der späten Pubertät und im jüngeren Erwachsenenalter, häufig mit Alkohol als Kofaktor, sowie in der Altersgruppe zwischen 40 und 50 Jahren, hier im Zusammenhang mit kardialen Ereignissen [19, 20]. Wird der Beginn des Ertrinkens bei noch vollem Bewusstsein erlebt, kommt es zu einer initialen Panikreaktion, verbunden mit heftigsten, automatisch einsetzenden Schwimmbewegungen. Während des vollständigen Untertauchens erfolgt ein reflektorisches Atemanhalten, gleichzeitig werden häufig größere Mengen Flüssigkeit geschluckt. Infolge dessen kann es zum Erbrechen kommen, einhergehend mit einer unwillkürlichen Inspiration. Dies, oder die unwillkürliche Inspiration infolge eines maximalen Atemreizes nach längerem Luftanhalten, führt zur Aspiration zunächst kleinster Flüssigkeitsmengen, wodurch in der Regel ein Laryngospasmus ausgelöst wird. Der zunehmende Sauerstoffmangel mündet in eine Bewusstlosigkeit. In dieser Phase kann es erneut zur Aspiration kommen, weil der Laryngospasmus sich löst. Schließlich kommt es zu hypoxischen Konvulsionen und zum Tod [18, 19].
73
73.2.2
73
Beim Ertrinken ohne Aspiration, das in ca 15% der Fälle zu beobachten ist, ist die wahrscheinlichste Ursache ein Herzstillstand, der u. U. noch während des bestehenden Laryngospasmus eintritt. In der überwiegenden Zahl der Fälle kommt es jedoch während des Ertrinkens zur Aspiration zumindest kleiner Mengen an Flüssigkeit (in der Mehrzahl der Fälle deutlich weniger als 22 ml/kg KG; [18, 20, 21])
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Pathophysiologie des Ertrinkungsunfalls
Salzwasserertrinken und Süßwasserertrinken Salzwasser ist im Vergleich zum Blut eine hypertone Flüssigkeit. Aufgrund dieser Unterschiede in der Osmolarität bildet sich bei Anwesenheit von Salzwasser im Alveolarraum ein Diffusionsgradient aus, der zum Einstrom von Plasma aus dem Gefäß in die Alveolen führt. So kommt es in den betroffenen Alveolarabschnitten zu einem intraalveolären Lungenödem (. Abb. 73.3; [18, 20]). Süßwasser ist hingegen im Vergleich zum Blut hypoton. Auch hier bildet sich daher nach Aspiration ein Diffusionsgradient zwischen Alveole und Blutgefäß aus, allerdings entgegengerichtet. Der Ausstrom von Süßwasser aus den betroffenen Alveolarabschnitten hat ein Auswaschen von Surfactant mit Ausbildung von Atelektasen in den betroffenen Abschnitten zur Folge [18, 21]. Gleichzeitig kann sich aber beim Ertrinken in Süßwasser ein Lungenödem ausbilden [22]. Es ist noch nicht vollständig geklärt, warum es dazu kommt. Mögliche Ursachen sind eine Verletzung der Integrität der Alveolarwand durch das Auswaschen des Surfactants, eine initiale, vorübergehende Hypervolämie der pulmonalen Strombahn und möglicherweise auch ein entzündliches Lungenödem [23].
Weitere Pathophysiologie und klinisches Erscheinungsbild Obwohl der Unterscheidung in Süß- und Salzwasserertrinken für längere Zeit größte Wichtigkeit zugeordnet wurde, konnten die ursprünglich postulierten Veränderungen (z. B. ausgeprägte Elektrolytverschiebungen, massive Hämolyse u. a.) bei Klinikaufnahme, bis auf wenige Ausnahmen, nie in dem postulierten Maße beobachtet werden. Eine Unterscheidung in Süßwasser- und Salzwasserertrinken ist daher aus heutiger Sicht, zumindest für die Therapie, von geringer Bedeutung. Tatsächlich ist bei allen Betroffenen eine mehr oder minder stark ausgeprägte Hypoxie nachweisbar [18, 20, 21]. Eine solche Hypoxie tritt unmittelbar nach Aspiration von Flüssigkeit ein. Schon bei der Aspiration einer kleinen Menge von nur 1–2,2 ml/kg KG Flüssigkeit in die Lunge sind ausgeprägte Veränderungen des arteriellen Sauerstoffgehalts zu beobachten. Im Gegensatz zum Ablauf ohne Aspiration, bei der eine Hypoxie relativ rasch durch Beatmung und Wiederherstellung eines Kreislaufs beseitigt wird, persistiert die Hypoxie bei Zustand nach Aspiration über längere Zeit [24]. Die Ursache liegt in der Ausbildung pulmonaler Rechts-links-Shunts, die eine venöse Beimischung im arteriellen System zur Folge haben. Die Ursache ist der beschriebene Verlust von Gasaustauschfläche als Folge der Flüssigkeitsaspiration. In jedem Fall ist am Ende ein Lungenödem, ein Verlust von Gasaustauschfläche, ein Rechts-links-Shunt und eine Abnahme der Compliance der Lunge zu beobachten (. Abb. 73.3; [18, 25]).
Hypothermie In vielen Fällen von Ertrinken findet sich begleitend eine mehr oder minder stark ausgeprägte Hypothermie. Die Ursache dafür liegt in der, verglichen mit Luft, höheren Wärmeleitfähigkeit von Wasser, die beim Opfer zu einer vermehrten und beschleunigten Auskühlung führen kann [20]. Eine Absenkung der Körpertemperatur erhöht jedoch die Wiederbelebungszeit, sodass bei einer notwendigen Herz-Lungen-Wiederbelebung mit scheinbarer Erfolglosigkeit keinesfalls mit den Maßnahmen aufgehört werden darf, ehe der Patient normotherm ist, da bei niedrigen Körpertemperaturen auch nach längerer Zeit noch erfolgreich wiederbelebt werden kann [21]. Dies betrifft v. a. Kinder, die wegen des Verhältnisses von Körperoberfläche zu Körpervolumen besonders rasch auskühlen und bei denen erfolgreiche Wiederbelebungsmaßnahmen nach Submersionszeiten von bis zu 66 min beschrieben werden [22]. Unter besonders günstigen Bedingungen gilt dies auch für Erwachsene.
937 73.2 · Ertrinken
Allerdings hängt das Ausmaß einer solchen Unterkühlung von vielen Faktoren ab. Ganz wesentlich für den Grad der Hypothermie ist die Temperatur des Wassers, aber auch die Menge der aspirierten und geschluckten kalten Flüssigkeit, das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen (s. oben) [20] sowie die Isolation der betreffenden Person.
Wirbelsäulenverletzungen Bei Badeunfällen, die mit der Symptomatik Ertrinken einhergehen, ist an die Möglichkeit knöcherner Verletzungen der Wirbelsäule, speziell der Halswirbelsäule, zu denken. Gerade bei jüngeren Menschen und einem Unfallgeschehen in Ufernähe ist dem Ereignis nicht selten ein (Kopf-)sprung ins Wasser vorausgegangen, der zu der typischen Verletzung geführt haben kann. Hier ist zu bedenken, dass es sowohl primär zur Schädigung von Nerven und Rückenmark gekommen sein kann, die dann zum Ertrinken führten, oder aber dass es zur irreversiblen Nervenschädigung erst durch Luxationen der Fraktur gekommen ist, die die Folge zu starker Manipulationen bei der Rettung waren. Bei Verdacht (Geschehen ufernah, anamnestisch Sprung oder Sturz ins Wasser) ist daher entsprechende Vorsicht angezeigt, und es sollte eine Stabilisierung der Halswirbelsäule erfolgen [28].
Neurologische Störungen
. Abb. 73.3 Pathophysiologie der Abläufe beim Ertrinken. Obwohl initial pathophysiologisch völlig unterschiedlich, ist die endgültige Konsequenz sowohl des Ertrinkens im Süsswasser als auch im Salzwasser ein Verlust von Gasaustauschfläche und eine Oxygenierungsstörung mit Ausbildung einer mehr oder minder schweren Hypoxie, die in schweren Fällen zum hypoxisch bedingten Multiorganversagen führt
Neben den bislang beschriebenen pathophysiologischen Veränderungen tritt bei zahlreichen Ertrunkenen ein mehr oder weniger schweres Hirnödem auf [29], sehr wahrscheinlich als Reaktion auf eine zerebrale Hypoxie. Abhängig vom Ausmaß und der Dauer der zerebralen Hypoxie, aber auch von der Körpertemperatur während der hypoxischen Episode, kann daher eine Hirnschädigung unterschiedlichster Ausprägung die Folge sein. Insgesamt kann der neurologische Zustand eines Patienten nach Ertrinken über einen weiten Bereich variieren. Um hier eine gewisse Vergleichbarkeit und Systematik zu ermöglichen, wurde u. a. eine Klassifizierung vorgeschlagen, die den neurologischen Zustand in die Kategorien A, B und C einteilt und praktikabel ist (. Tab. 73.2; [30]).
. Tab. 73.2 Klassifikation des neurologischen Status bei Ertrunkenen Kategorie
Subkategorie
Entspricht Glasgow Coma Scale
Beschreibung
A
Keine
15
»Awake« (= wach)
B
Keine
10–13
»Blunted« (= eingetrübt) 5 Lethargie 5 Desorientiertheit 5 Agitiertheit 5 Gerichtete Schmerzabwehr
C
Abhängig von motorischer Antwort
3–5
»Comatose« (= komatös)
C1
5
5 Dekortiziert 5 Beugesynergismen auf Schmerzreiz 5 Cheyne-Stokes-Atmung
C2
4
5 Dezerebral 5 Strecksynergismen auf Schmerzreiz
C3
3
5 Keine Reaktionen auf Reizung
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Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
Ertrinken Als Folge eines zunächst überlebten Ertrinkens kann sich der Zustand des Patienten rasch verschlechtern, zum einen bedingt durch den beschriebenen Sachverhalt (früher auch sekundäres Ertrinken genannt), aber auch durch eine entzündliche Reaktion der Lunge, die in ein ARDS und in ein Multiorganversagen münden kann [22].
73.2.3
Therapie
Präklinische Maßnahmen Wichtig ist schnelle Rettung! Dazu müssen Verunfallte rasch an die Wasseroberfläche gebracht werden. Der Transport an Land bzw. in ein Boot muss ebenfalls schnellstmöglich erfolgen. Falls nötig, muss dort umgehend mit der kardiopulmonalen Reanimation begonnen werden. Wegen des beschriebenen Verlustes von Gasaustauschfläche und der vermehrten venösen Beimischung sollte die Beatmung des Verunfallten mit einer FIO2 von 1,0 erfolgen [18–20]. Die Indikation zur Intubation sollte möglichst großzügig gestellt werden, weil zum einen mit einer plötzlichen drastischen Verschlechterung des Zustands gerechnet werden muss und zum anderen die Beatmung mit erhöhten endexspiratorischen Drücken (PEEP) einen günstigen Einfluss auf den Verlauf hat (. Abb. 73.4). Keinesfalls soll Zeit mit dem Versuch vergeudet werden, Wasser aus der Lunge des Verunfallten zu entfernen, wobei eine Absaugung des Rachenraums vor der Intubation jedoch sehr häufig notwendig
ist, da u. U. nur so geeignete Intubationsbedingungen geschaffen werden können. Darüber hinaus sollte nach Intubation und initialer Blähung der Lunge intratracheal abgesaugt werden, um evtl. vorhandenen Schaum oder auch Aspirat aus der Trachea und den Bronchien zu entfernen. Neben der frühzeitigen Intubation sollte rasch ein venöser Zugang geschaffen werden. Des Weiteren sollte so bald wie möglich eine kontinuierliche EKG-Überwachung und v. a. eine pulsoxymetrische Überwachung erfolgen. Im Verlauf des Ertrinkens werden regelhaft größere Flüssigkeitsmengen verschluckt. Entsprechend ist mit einem prall gefüllten Magen zu rechnen. Dadurch wird einerseits die Aspirationsgefahr erhöht und andererseits eine adäquate Beatmung behindert. In vielen Fällen ist es zwar schon vor Beginn der Rettungsmaßnahmen zur Aspiration auch von Erbrochenem gekommen, dies kann jedoch auch während der Rettungsmaßnahmen wiederholt geschehen. Nach adäquater Primärversorgung, Sicherung der Atemwege und Stabilisierung des Zustandes sollte daher der Magen über eine Sonde entlastet werden. Die medikamentöse Wiederbelebung erfolgt nach den Empfehlungen des European Resuscitation Council (ERC) [31]. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass bei stärkerer Unterkühlung die Wirkung der Notfallmedikamente verzögert einsetzen kann und dass unter den Bedingungen der Hypothermie die Flimmerschwelle des Herzens verschoben ist.
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. Abb. 73.4 Flussdiagramm bei Ertrinken. Neben einer raschen Rettung sind bei allen Patienten nach Ertrinken die Sauerstoffgabe und die stationäre Überwachung erforderlich. In Fällen mit objektivierbarer pulmonaler Beeinträchtigung ist eine frühe Intubation gerechtfertigt, der Sauerstoffgehalt des Inspirationsgases sollte hier höchstmöglich sein. Schwere Fälle benötigen eine intensivmedizinische Überwachung und Versorgung
939 73.3 · Unterkühlung (Hypothermie)
! Cave Wegen der bereits beschriebenen Neigung zur plötzlichen Verschlechterung des Zustandes müssen die Geretteten ständig überwacht werden.
Es gilt daher für jeden Fall von Ertrinken, dass neben einer guten und v. a. raschen Erstversorgung für einen ebenso raschen Transport in ein Krankenhaus gesorgt werden muss. Dies gilt sowohl für Verunfallte, bei denen Herz-Lungen-Wiederbelebung notwendig war, als auch bei jenen, die spontan atmend, evtl. sogar neurologisch und pulmonal unauffällig gerettet werden konnten. In jedem Fall ist die stationäre Überwachung angezeigt, bei entsprechender Symptomatik auf einer Intensivstation, da es wegen der Lungenschädigung noch Stunden bis Tage nach dem Ereignis zu einer plötzlichen Verschlechterung des Zustandes kommen kann.
Klinische Versorgung Die klinische Versorgung richtet sich ganz wesentlich nach dem Zustand des Patienten. Während bei problemlosen Verläufen bei Patienten der Kategorie A (. Tab. 73.2) eine reine Überwachung angezeigt sein kann, erfordern Patienten der Kategorie B zumindest die intensivmedizinische Überwachung und Patienten der Kategorie C eine forcierte intensivmedizinische Behandlung. Bei diesen komatösen Patienten ist neben einer effektiven Wiedererwärmung und der Behandlung der pulmonalen Störungen auch der Versuch der zerebralen Wiederbelebung angezeigt. In diesem Zusammenhang ist jedoch nicht die Normothermie anzustreben, sondern eine milde Hypothermie hat sich als günstig erwiesen [31]. Unter klinischen Bedingungen sollten die Patienten der Kategorien B und C ein erweitertes Monitoring erhalten, so dass sich die Therapie an den damit erhobenen Parametern orientieren kann. Dazu gehört je nach klinischer Situation eine arterielle Kanülierung, so dass Blutgase und Elektrolyte regelmäßig bestimmt und der Blutdruck kontinuierlich gemessen werden können, weiterhin ein zentraler Venenkatheter zur Applikation von Katecholaminen und zur Abschätzung der Volumensituation. Da bei ausgeprägter zerebraler Hypoxie mit einem Hirndruckanstieg zu rechnen ist, sollte v. a. beim komatösen Patienten das Anlegen einer Hirndrucksonde erwogen werden [32]. Darüber hinaus sollte eine möglichst genaue Überwachung der Körpertemperatur mit Einhaltung einer milden Hypothermie (32– 34°C entsprechend den aktuellen Empfehlungen des ERC) in der frühen Phase erfolgen [31], ebenso das Legen eines Blasenkatheters. Als weitere diagnostische Maßnahme ist die Röntgenkontrolle der Lunge angezeigt; CT- oder NMR-Untersuchungen sind in der Frühphase hingegen nicht zwingend notwendig. Bei ungeklärter Ursache für das Ertrinken, z. B. bei lautlosem Untergehen im Wasser, ist zum Ausschluss internistischer oder neurologischer Erkrankungen ggf. die Diagnostik mittels EKG, EEG sowie abdomineller Sonographie angezeigt. Die Infusionstherapie richtet sich nach dem klinischen Bild und der Hämodynamik. Initial kann es notwendig sein, ein gewisses Flüssigkeitsdefizit auszugleichen, weil, wie oben beschrieben, durch Flüssigkeitsverschiebungen in das Gewebe und in die Lunge eine relative Hypovolämie vorliegen kann [33]. In der Folge sind jedoch häufig eine Volumenrestriktion und die Gabe von Diuretika oder osmotisch wirksamen Infusionslösungen notwendig, um das Hirn- und Lungenödem zu behandeln. Auch die respiratorische Therapie richtet sich nach dem klinischen Bild. Hier ist sowohl die alleinige supplementäre Gabe von Sauerstoff beim spontan atmenden Patienten als auch die Behandlung eines schweren ARDS denkbar. Es sei auf die entsprechenden
Kapitel zur Respiratortherapie verwiesen (7 Kap. 37–42). Die Gabe von Surfactant nach Ertrinken ist wegen der sehr widersprüchlichen Datenlage derzeit allenfalls als Ultima ratio in sehr schweren Fällen in Betracht zu ziehen [34]. Die medikamentöse Therapie richtet sich ebenfalls nach den klinischen Erfordernissen und allgemeinen intensivmedizinischen Therapieprinzipien. Nicht selten entwickelt sich infolge eines Ertrinkens eine Pneumonie, die entsprechend antibiotisch behandelt werden muss. Es sollte jedoch keine blinde Prophylaxe erfolgen, sondern erst bei positivem Erregernachweis gezielt behandelt werden [35].
73.2.4
Prognose nach Ertrinken
Die Prognose nach Ertrinken hängt ganz wesentlich von der Dauer der Hypoxie und der Ausprägung der neurologischen Schädigung ab. Während Patienten, die mit Kategorie A (. Tab. 73.2) klassifiziert wurden, das Ereignis in der Regel ohne bleibende Ausfälle überleben, ist die Überlebensrate bei Patienten der Kategorie B schon leicht verringert, auch kann es bei den Überlebenden zu neurologischen Dauerschäden kommen. Von den mit C klassifizierten Patienten sterben trotz initialem Überleben 30–40%; bei den Überlebenden ist eine bleibende neurologische Beeinträchtigung durchaus wahrscheinlich. > Die Dauer der Hypoxie gehört zu den wichtigsten prognostischen Faktoren. Bei Ertrunkenen ist daher absolute Eile bei der Behebung einer Hypoxie geboten. Wegen der spezifischen pathophysiologischen Veränderungen sollte dabei die initiale FIO2 so hoch wie möglich sein [36].
73.3
Unterkühlung (Hypothermie)
Definition Der menschliche Körper hat die Fähigkeit, seine Körpertemperatur auch bei Schwankungen der Umgebungstemperatur konstant bei etwa 37°C zu halten. Unterkühlung (Hypothermie) ist daher streng genommen definiert als Abfall der Körperkerntemperatur unter diesen Bereich, der aber naturgemäß in Grenzen Schwankungen unterliegt. Klinisch wird daher dann von Hypothermie gesprochen, wenn die Körperkerntemperatur des Patienten unter 35°C liegt [37–40].
73.3.1
Pathophysiologie
Ursachen der akzidentellen Hypothermie Zur Hypothermie kommt es dann, wenn die Wärmeabgabe des Körpers für längere Zeit die Wärmeproduktion übersteigt, oder die Wärmeabgabe so rasch erfolgt, dass eine Aufrechterhaltung der Homöostase nicht möglich ist (z. B. Eiswasserertrinken) [37, 40]. Wesentliche Kofaktoren sind bei diesem in Mitteleuropa eher seltenen Krankheitsbild Alkohol- und Drogenmissbrauch, psychiatrische Erkrankungen, Ertrinkungsunfälle, Lawinenunglücke, Bootsunfälle im Küstenbereich und schwere Traumen. Bei Erwachsenen ist der Alkohol- und Drogenmissbrauch die führende Ursache, während bei Kindern häufiger als Auslöser Ertrinkungsunfälle vorliegen [26].
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940
73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
Pathophysiologische Veränderungen bei Hypothermie
73
Eine Hypothermie wirkt sich auf alle wesentlichen Organsysteme aus. Im frühen Stadium versucht der Körper, weitere Wärmeverluste zu minimieren und die endogene Wärmeproduktion zu erhöhen. Es kommt daher zunächst zur Sympathikusaktivierung mit peripherer Vasokonstriktion, Tachykardie und einer Steigerung des Herzzeitvolmens (HZV) sowie einer Zunahme der Atemfrequenz. In diesem frühen Stadium tritt zudem häufig eine Kältediurese auf [26, 37, 39]. Sinkt die Körpertemperatur weiter ab, stehen wärmekonservierende Maßnahmen im Vordergrund. Es kommt nun zu einer Bradykardie und einem Abfall des HZV, bei weiteren Wärmeverlusten zur Asystolie und Kammerflimmern. Unter bereits moderater Hypothermie können atriale und ventrikuläre Arrhythmien und typische EKG-Veränderungen (»J-Wellen«) beobachtet werden. Die PQ- und QT-Zeiten sind verlängert, der QRS-Komplex ist verbreitert [37–40]. Atemfrequenz, Atemzugvolumen und das Sauerstoffangebot nehmen ab, und es bildet sich eine zunehmende Azidose aus. Außerdem kann es zu einer ödematösen Schwellung des Alveolarepithels bis hin zur Entwicklung eines Lungenödems kommen, das den Gasaustausch weiter erschwert. Gleichzeitig besteht eine Reduktion der Stoffwechselvorgänge, die einerseits die protektive Wirkung einer Hypothermie erklärt, andererseits wird u. a. die Abbaurate von Medikamenten vermindert [26, 37–40]. Bei höhergradigem Abfall der Körpertemperatur entwickelt sich eine zunehmende Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma. Hierdurch wird bei intoxikierten und/oder traumatisierten Patienten die neurologische Einschätzung erschwert. Durch eine verminderte Freisetzung von Insulin und eine periphere Insulinresistenz kommt es außerdem regelhaft zur Hyperglykämie, die unter Wiedererwärmungsmaßnahmen aber meist rückläufig ist, so dass eine Insulingabe im hypothermen Zustand beim wiedererwärmten Patienten zur Hypoglykämie führen kann. Daher sollte die Gabe von Insulin bei hypothermen Patienten unterbleiben [37–40]. Darüber hinaus ist auch die Gerinnung gestört, wobei einerseits die Thrombozytenfunktion vermindert ist, es andererseits aber zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) kommen kann. Da die entsprechenden laboranalytischen Methoden meist bei 37°C durchgeführt werden, ist eine Detektion im Kliniklabor nicht immer möglich [26]. Schließlich führt die schwere Hypothermie über einen Abfall der glomerulären Filtrationsrate und des renalen Blutflusses zu einer Oligo- oder Anurie.
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Stadieneinteilung der Hypothermie
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Je nach Grad der Unterkühlung kommt es entsprechend den beschriebenen pathophysiologischen Veränderungen zu unterschiedlichen Reaktionen, so dass in ein Erregungsstadium (milde Hypothermie), Erschöpfungsstadium (moderate Hypothermie) und Lähmungsstadium (tiefe Hypothermie) unterschieden werden kann [37–40]. 4 Beim Erregungsstadium mit milder Hypothermie (Körperkerntemperatur 37‒34°C) kommt es zu psychischer Erregung und unwillkürlichem Muskelzittern. Die Atmung ist vertieft, die Haut wegen einer Vasokonstriktion in der Peripherie blass. Durch Kälte und verminderte Durchblutung sind Schmerzen an den Akren möglich, im weiteren Verlauf bei persistierender Kälteexposition auch Erfrierungen. 4 Fällt die Körpertemperatur weiter, kommt es bei moderater Hypothermie zum Erschöpfungsstadium (Kerntemperatur 27‒34°C), mit Bewusstseintrübung bis zur Bewusstlosigkeit,
Bradykardie unterschiedlicher Ausprägung, Muskelsteife ohne Muskelzittern und zu einer flachen, unregelmäßigen Atmung. Diese Symptome sind umso ausgeprägter, je tiefer die Körpertemperatur ist, und stellen bereits eine ernste Lebensbedrohung dar. Bei einem ausgeprägten Erschöpfungsstadium ist der Unterkühlte unter keinen Umständen mehr zur Selbstrettung in der Lage, muss also gerettet werden. 4 Bei schwerer Hypothermie kommt es zum Lähmungsstadium (Kerntemperatur unter 27°C) mit Bewusstlosigkeit, Muskelstarre, Sistieren der Atembewegungen und (u. U. auch zentral) nicht mehr tastbarem Puls.
73.3.2
Notfallmaßnahmen bei Hypothermie
In allen Fällen sind eine rasche Rettung und die Vermeidung weiterer Wärmeverluste wichtig. Kernpunkte der präklinischen Behandlung sind v. a. die Überwachung und Stabilisierung der Vitalfunktionen sowie die Verhinderung weiterer Auskühlung (. Abb. 73.5; [41]). Einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose hat auch der Bergevorgang an sich, denn bei fehlerhafter Rettung kann es zum plötzlichen Kreislaufstillstand (»Bergetod«) kommen. Die Hauptursache ist hier der sog. Afterdrop mit einem weiteren Abfall der Körpertemperatur nach beendetem Kälteaufenthalt durch Zustrom kalten Blutes aus der Peripherie und Abstrom vergleichsweise warmen Blutes aus dem Kern. Dieser Mechanismus wird durch falsche Lagerung beim und nach dem Bergen und durch falsche Wiedererwärmungsmaßnahmen hervorgerufen. Außerdem kann es beim Afterfall zum Kreislaufzusammenbruch während und nach dem Bergen kommen. Bei sämtlichen Rettungs- und Transportmaßnahmen sind die Verunfallten daher streng waagerecht zu lagern und möglichst wenig zu bewegen [37–41]. Obwohl die exakte Bestimmung der Körpertemperatur in dieser Phase wünschenswert wäre, ist dies in der Praxis kaum durchführbar. Zum einen werden dafür spezielle, auch niedrige Körpertemperaturen messende Thermometer benötigt, zum anderen sind die zur Verfügung stehenden Verfahren nicht genau genug. Speziell bei Ertrinkungsopfern ist zudem das Verfahren der tympanalen Temperaturmessung systembedingt ungeeignet [42].
Notfallmaßnahmen entsprechend dem Unterkühlungsstadium Bei Unterkühlten im Erregungsstadium steht die rasche Wiedererwärmung im Vordergrund. Nasse Kleidung muss ggf. schnellstmöglich gegen trockene und warme ausgetauscht werden; zusätzlich werden wärmende Decken angewandt (passive externe Wiedererwärmung). »Warm-packs« oder Hiebler-Packungen am Körperstamm sind sinnvoll, bedürfen aber der Überwachung, da lokale Verbrennungen unbedingt vermieden werden müssen. In jedem Fall sollten die Verunfallten dieses Stadiums, wenn bewusstseinsklar, heiße Getränke verabreicht bekommen, keinesfalls jedoch Alkohol! Wegen des erhöhten Sauerstoffverbrauchs beim unwillkürlichen Muskelzittern ist Unterkühlten im Vollbild des Erregungsstadiums (heftigstes, unkontrolliertes Zittern) zusätzlich zu den Wärmeerhaltungsmaßnahmen Sauerstoff per Nasensonde oder Maske zu applizieren. Bei den Verunfallten mit ausgeprägterer Hypothermie ist, wie erwähnt, größtmögliche Vorsicht insbesondere bei allen Manipulationen und Lagerungen geboten, da sich anderenfalls der Zustand verschlechtern kann. Nasse Kleidung ist daher nur dann zu entfernen, wenn es ohne starke Manipulationen (z. B. durch
941 73.3 · Unterkühlung (Hypothermie)
Hypothermiebehandlung Bei allen Patienten: • Nasse Kleidung vorsichtig entfernen • Heftige Bewegungen und Manipulationen vermeiden • Patient vor weiteren Wärmeverlusten und Zugluft schützen (Decken, isolierende Materialien) • Patient in der Waagerechten lagern • Überwachung der Körper(kern)temperatur • EKG-Überwachung, wenn möglich (möglicherweise Nadelelektronen erforderlich)
Überprüfung von Vigilanz, Ansprechbarkeit, Atmung und Puls Puls und Atmung vorhanden
Puls und Atmung nicht vorhanden • Umgehend mit CPR beginnen • Bei Kammerflimmern/-flattern maximal 3 Defibrillationsversuche • Intubation und Beatmung mit (möglichst erwärmtem) Sauerstoff • Infusionstherapie mit erwärmten Infusionslösungen
• Schonender Transport in Klinik • Engmaschig überwachen
Wie ist die Körperkerntemperatur?
< 30°C
> 30°C
Wie ist die Körperkerntemperatur?
< 30°C Wiedererwärmung mit konvektiver Luftwärmung
Wiedererwärmung mit konvektiver Luftwärmung und venovenösem Bypass
• Mit CPR fortfahren • Zunächst keine weitere Gabe von Notfallmedikamenten • Defibrillationsversuche auf insgesamt 3 begrenzen
> 30°C
• Mit CPR fortfahren • Weitere Gabe von Notfallmedikamenten in verlängerten Intervallen • Erneute Defibrillation mit steigender Körpertemperatur
Nein Transport in Klinik Dort weiter hämodynamisch instabil / reanimationspflichtig?
Ja Wiedererwärmung mit Herz-Lungen-Maschine
Fortführung der Maßnahmen bis: • Kerntemperatur >34°C, oder • Einsetzen von Spontanatmung und Kreislauferholung, oder • Versagen der CPR mit Einstellung aller Maßnahmen . Abb. 73.5 Flussdiagramm der Hypothermiebehandlung. (Mod. nach den Empfehlungen der AHA)
73
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73
Kapitel 73 · Tauchunfälle, Ertrinken, Unterkühlung
Aufschneiden) möglich ist. Diese Patienten können aber durch Einhüllen in Rettungsfolie (Dampfsperre) und dann in Decken vor weiterer Auskühlung geschützt werden.
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Eine kardiopulmonale Reanimation darf keinesfalls wegen scheinbarer Erfolglosigkeit zu früh beendet werden, da bei niedrigen Körpertemperaturen auch nach längerer Zeit noch erfolgreich wiederbelebt werden kann. Allerdings ist bei einer Hypothermie unter 28°C Zurückhaltung mit Defibrillationsversuchen geboten, da sie meist frustran bleiben. Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch das Ansprechen auf Notfallmedikamente nur zeitverzögert und deutlich abgeschwächt erfolgt [26, 31, 41].
Im Vordergrund steht daher der schnellstmögliche Transport (ggf. unter Fortführung der mechanischen Wiederbelebungsmaßnahmen) in ein Krankenhaus mit Intensivstation bzw. bei kreislaufinstabilen Patienten in ein Zentrum mit kardiochirurgischer Abteilung.
73.3.3
Klinische Maßnahmen bei Hypothermie
In der Klinik stehen die Stabilisierung des Patienten und die schonende Wiedererwärmung im Vordergrund, wobei insbesondere nach Kreislaufstillstand und Reanimation nicht die Normothermie, sondern initial eine milde Hypothermie von 32–34°C angestebt wird [31]. Eine Hyperthermie ist unbedingt zu vermeiden.
Die weitere Behandlung erfolgt nach den üblichen intensivmedizinischen Prinzipien, wobei eine kontinuierliche Kreislaufüberwachung und ggf. eine entsprechend angepasste Katecholamin- und Volumentherapie von besonderer Bedeutung sind. Hierbei ist auch an nierenprotektive Maßnahmen und an eine forcierte Diurese zu denken. Außerdem sind engmaschig Blutgasanalysen und Elektrolytbestimmungen durchzuführen, u. a. weil es durch Zelluntergang zu massiven Anstiegen des Serumkaliumwertes kommen kann (was prognostisch sehr ungünstig ist) [40]. Die Körperkerntemperatur ist engmaschig und möglichst exakt zu überwachen. Hierfür eignen sich z. B. Temperatursonden, die im unteren Ösophagusdrittel platziert werden, Blasenkatheter mit Thermistor oder, bei entsprechender Indikation, auch ein Pulmonaliskatheter.
decken bzw. Warmluftgebläse eingesetzt. Auf diese Weise ist eine Wiedererwärmungsrate von ca. 0,5–1,0°C/h zu erreichen [43]. Die früher stattdessen durchgeführten Warmwasserbäder werden hingegen nicht mehr empfohlen, weil es hierdurch häufiger zu kardiovaskulären Komplikationen kommen kann [44]. Es ist zu beachten, dass die aktive externe Wiedererwärmung eine periphere Vasodilation mit Abfall des Systemgefäßwiderstandes und des arteriellen Blutdrucks auslöst, sodass eine entsprechende Volumen- und/oder Katecholamintherapie notwendig werden kann. Der Patient ist daher engmaschig zu überwachen. Ergänzend sollte erwärmtes und wasserdampfgesättigtes Atemgas zugeführt werden [45] und, obgleich nur gering effektiv, erwärmte Infusionslösungen [46]. Invasive Verfahren zur Wiederwärmung. Bei höhergradiger Hypothermie werden invasivere Verfahren angewandt. Hierzu gehört die komplikationsträchtige (Aspirationsgefahr) wiederholte Magenspülung mit warmer Kochsalzlösung, bzw. die Anwendung spezieller Erwärmungssonden, die in den Ösophagus eingeführt werden. Traditionell ist auch die Peritonealspülung mit warmen Flüssigkeiten möglich, die zwar sehr invasiv, aber mit Wiedererwärmungsraten von bis zu 4°C/h recht effektiv sein kann [26]. > Als bei Patienten mit spontanem Kreislauf besonders effektiv und v. a. für Intensivstationen problemlos durchzuführen hat sich die Wiedererwärmung mit venovenösem Bypass und Apparaten zur Hämodialyse/ Hämofiltration erwiesen [47].
Diese können zur Effizienzsteigerung zudem noch mit einem leistungsfähigen Infusionswärmer für hohe Flussraten gekoppelt werden, mit dessen Hilfe das zum Patienten zurückfließende Blut erwärmt wird. Es steht bei der Anwendung dieser Geräte zwar die Erwärmung im Vordergrund, dennoch ist simultan bei Bedarf (z. B. lebensbedrohliche Hyperkaliämie) auch die Hämodialyse bzw. -filtration möglich. > Bei Patienten mit hypothermiebedingtem Kreislaufstillstand ist hingegen die Wiedererwärmung mit der Herz-Lungen-Maschine die Behandlungsmethode der Wahl [48].
Gerade bei extremer Hypothermie mit therapierefraktärem Kammerflimmern oder Asystolie ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine trotz des hohen Aufwands indiziert und kann zum Überleben des Betroffenen führen. Deshalb sollten solche Patienten primär in Zentren mit dieser technischen Möglichkeit transportiert werden.
73.3.4
Prognose
Verfahren zur Wiederwärmung Als sinnvolle Wiedererwärmungsmethoden kommen nur solche in Frage, die effektiv Wärme übertragen, ohne bei Patienten mit Körperkerntemperaturen unter 30°C die Gefahr eines Afterdrops zu erhöhen. Sie sollten zudem möglichst breit verfügbar, einfach anzuwenden und so wenig invasiv wie möglich sein. Abhängig von der Ausprägung der Hypothermie, aber auch von der Bewusstseinslage und der Kreislaufsituation kommen die im Folgenden dargestellten Verfahren in Betracht.
73
Nichtinvasive Verfahren zur Wiederwärmung. Bei milder bis mä-
73
ßig ausgeprägter Hypothermie und kreislaufstabilen Patienten kann eine nichtinvasive aktive externe Wiedererwärmung erfolgen. Bei diesem Verfahren werden v. a. konvektive Systeme, also Wärme-
Die Prognose ist für Patienten mit milder, aber auch mit moderater Hypothermie mit Temperaturen über 32°C, abhängig von Begleitverletzungen oder -erkrankungen, durchaus als gut zu bezeichnen. Bei Patienten mit schwererer Hypothermie und speziell mit Kreislaufstillstand ist die Prognose jedoch insgesamt sehr schlecht. Die Problematik liegt v. a. darin, dass vor Ort nicht festgestellt werden kann, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Hypothermie und Herz-Kreislauf-Stillstand besteht, oder ob primär der Tod eingetreten und es dann sekundär zur Auskühlung gekommen ist.
943 Literatur
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73
945
Operative Intensivmedizin Kapitel 74
Abdominalchirurgische Eingriffe
Kapitel 75
Herzchirurgische Eingriffe
Kapitel 76
Thoraxchirurgische Eingriffe
Kapitel 77
Gefäßchirurgische Eingriffe
Kapitel 78
Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen – elektive Kraniotomie, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Rückenmarkverletzung
XI
947
Abdominalchirurgische Eingriffe G. Peterschulte, W.T. Knoefel
74.1
Einleitung – 948
74.2
Ösophaguschirurgie – 948
74.2.1 74.2.2 74.2.3 74.2.4
Ösophaguskarzinom – 948 Überwachung des Ösophaguspatienten – 950 Postoperative Bilanzierung und Ernährung – 950 Komplikationen der Ösophaguschirurgie – 951
74.3
Pankreaschirurgie – 954
74.3.1 74.3.2 74.3.3 74.3.4
Indikation und operatives Vorgehen – 954 Überwachung des Pankreaspatienten – 954 Postoperative Ernährung und Bilanzierung – 955 Komplikationen der Pankreaschirurgie – 955
74.4
Leberchirurgie – 956
74.4.1 74.4.2 74.4.3 74.4.4
Indikation und operatives Vorgehen – 956 Überwachung des Leberpatienten – 956 Postoperative Ernährung und Bilanzierung – 957 Komplikationen der Leberchirurgie – 957
74.5
Septische Chirurgie – 958
74.5.1 74.5.2 74.5.3 74.5.4 74.5.5 74.5.6 74.5.7 74.5.8
Akutes Abdomen – 958 Weichteilinfektionen des Abdomens – 959 Cholezystitis (Schockgallenblase) – 960 Pankreatitis – 961 Hohlorganperforation – 962 Intraabdominelle Abszesse – 963 Platzbauch – 963 Abdominelles Kompartment – 963
Literatur – 964
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74.1
Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
Einleitung
Die Abdominalchirurgie ist geprägt durch ein breites Erkrankungsund Eingriffsspektrum. Die enge Nachbarschaft parenchymatöser Organe und Hohlorgane bedingt prä-, aber auch postoperativ multiple Wechselwirkungen, die zu ausgesprochen komplexen Erkrankungsmustern führen können. Neben der Verdauungsfunktion aller Organe bestehen ausgeprägte systemische, endokrine, immunologische und gerinnungsphysiologische Effekte. Das Austreten von Verdauungssäften und Stuhl kann zu schwerwiegenden Arrosionsblutungen oder schweren septischen Krankheitsverläufen führen. „Reducing mortality means avoiding complications, but also minimize failure to rescue once complications occurr [5].« Insbesondere die Vermeidung septischer Erkrankung und septischer Komplikationen ist eines der wichtigsten Ziele der allgemeinchirurgischen Intensivmedizin. Hieraus ergeben sich besondere Anforderungen an das Monitoring abdominalchirurgischer Patienten. Neben der kontinuierlichen Überwachung von Vitalparametern, insbesondere bei blutungsgefährdeten Patienten, gilt ein besonderes Augenmerk den Drainagesekreten und dem Monitoring der abdominellen Organfunktionen.
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Alkoholabusus (besonders Spirituosen) Nikotinabusus Barettösophagus Refluxösophagitis Verätzungen Verbrennungen Sklerodermie Endobrachyösophagus
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen chirurgischen Disziplinen tritt die Entwicklung von Komplikationen bei abdominalchirurgischen Patienten häufig erst in einem späteren Zeitfenster auf. So ist bei der Planung der Verweildauer abdominalchirurgischer Patienten auf der Intensivstation zu berücksichtigen, dass neben der akuten Kreislauf- und respiratorischen Kontrolle auch bei stabilen Patienten noch schwerwiegende Organfunktionsstörungen zu erwarten sein können. Die postoperative Verweildauer auf der Intensivstation umfasst daher nicht nur die akute Überwachungsphase, sondern auch den Zeitraum, in dem mit derartigen Störungen zu rechnen ist. Ziel dieses Kapitels ist es, diese besonderen intensivmedizinischen Anforderungen in Bezug auf die einzelnen Organsysteme zu erläutern. Neben diesen elektiven Eingriffsarten werden spezifische und abdominelle Notfallsituationen und typische postoperative intensivmedizinisch relevante Erkrankungsbilder dargestellt.
Abhängig vom Staging eines Ösophaguskarzinoms kann eine kombinierte neoadjuvante Radiochemotherapie präoperativ bereits durchgeführt worden sein. Diese kann die operative Präparation durchaus erschweren und zu einer erhöhten postoperativen, insbesondere pulmonalen, Morbidität führen. Eine umfangreiche präoperative Anamnese gehört daher unbedingt zur präoperativen Diagnostik, um eine adäquate Risikostratifizierung für den Ösophaguspatienten durchführen zu können. In Abhängigkeit der Erkrankung, des Stagings und der Lokalisation der Raumforderung oder Stenose kommen unterschiedliche operative Verfahren zum Einsatz. Häufigste Lokalisation des Ösophaguskarzinoms ist der obere und mittlere Anteil des Ösophagus (. Tab. 74.1). Peptische Stenosen und Kardiakarzinome finden sich zumeist im distalen Bereich des Ösophagus. Verletzungen durch verschluckte scharfkantige Fremdkörper finden sich in den physiologischen Engstellen des Ösophagus gehäuft. Therapie der Wahl beim Ösophaguskarzinom ist die vollständige Ösophagektomie über einen thorakoabdominellen Zugang. Zur Rekonstruktion der Kontinuität kann entweder der Magen als Ösophagoplastik hochgezogen oder ein Kolonanteil interponiert werden. Bei peptischen Stenosen ist nur eine inkomplette Resektion des Ösophagus notwendig. Hier wird in der Regel eine intrathorakale Anastomose zwischen Ösophagus und Magen angelegt. Aufgrund der Anatomie des Ösophagus sind derartige resektive Verfahren für den Patienten stark traumatisierend [17].
74.2
Ösophaguschirurgie
Die chirurgisch behandelbaren Krankheitsbilder umfassen gutartige und bösartige Raumforderungen, Divertikel und zu einem geringeren Teil auch traumatische Ösophagusverletzungen. Während gutartige Tumoren und Divertikel in der Regel einem lokalresektiven Verfahren zugeführt werden und keine aufwendigen rekonstruktiven Maßnahmen erfordern, stellt die Behandlung der bösartigen Raumforderung und traumatischen Ösophagusverletzung eine schwere Traumatisierung des Patienten dar.
. Tab. 74.1 Lokalisationen des Ösophaguskarzinoms
74.2.1
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Risikofaktoren des Ösophaguskarzinoms
> Patienten mit Ösophaguskarzinom stellen sich daher mit einer Anzahl von Begleiterkrankungen vor, die für den weiteren postoperativen Verlauf relevant werden können.
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Hauptrisikofaktoren für die Entstehung eines Ösophaguskarzinoms sind der Missbrauch von Alkohol, Nikotin und die Refluxösophagitis (7 Übersicht).
> Dieses spezielle Monitoring erfordert ein besonderes personelles Engagement, da diese Parameter nicht automatisiert erhoben und dargestellt werden können.
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4 mittlere Karzinome (50%), die in der Regel Plattenepithelkarzinome darstellen, und 4 tiefsitzende Ösophaguskarzinome (35%); diese sind in über 50% Adenokarzinome.
Ösophaguskarzinom
Das häufigste Erkrankungsbild in der Chirurgie ist das Ösophaguskarzinom. Mit einer Inzidenz von 3–5/100.000 ist das Ösophaguskarzinom die achthäufigste Todesursache [1]. Man unterscheidet gemäß der Lokalisation des Tumors 4 hochsitzende pharynxnahe Karzinome (15%),
Lokalisation
Art
Oberes Ösophaguskarzinom
Plattenepithelkarzinom
Mittleres Ösophaguskarzinom
Plattenepithelkarzinom Adenokarzinom
Distales Ösophaguskarzinom
Adenokarzinom Plattenepithelkarzinom
949 74.2 · Ösophaguschirurgie
Ösophagektomie Die Ösophagektomie kann als Ein- oder Zweihöhleneingriff durchgeführt werden. In Abhängigkeit der Höhe des Befundes und dem Staging des zu resezierenden Tumors wird präoperativ die Wahl des operativen Verfahrens festgelegt. Zur Durchführung einer transthorakalen Ösophagektomie ist eine Intubation durch einen Doppellumentubus erforderlich. Dieser ist bei der von abdominell durchgeführten transhiatalen Ösophagusresektion verzichtbar. z Transthorakale Ösophagektomie Zur Durchführung einer transthorakalen Ösophagektomie wird der Patient in Linksseitenlage gelagert. Zur Darstellung des thorakalen Anteils des Ösophagus wird nun eine rechtsseitige Thorakotomie im 5.–7. ICR durchgeführt. Anschließend wird die Lunge nur noch linksseitig beatmet und die rechte Lunge zur Seite gedrängt. Unter Mitresektion der Pleura mediastinalis wird dann der Ösophagus »en bloc« mit dem hinteren Mediastinum reseziert. Nun wird die rechtsseitige Lunge wieder beatmet. Dabei ist auf vollständige Entfaltung der Lunge zu achten. Anschließend erfolgt der Verschluss des Thorax mit Einlage von Drainagen, und der abdominelle Teil der Operation wird begonnen. Hierbei wird durch eine Oberbauchlaparotomie die Kardia und der abdominelle Anteil des Ösophagus dargestellt und reseziert. Nun wird der Magenschlauch präpariert. Die kleine Kurvatur wird hierbei vollständig reseziert (. Abb. 74.1). Der verbliebene Magenschlauch wird nun ausschließlich über die A. gastroepiploica dextra versorgt. Anschließend erfolgt die zervikale Präparation des Ösophagus über einen Schrägschnitt im Bereich des linken M. sternocleidomastoideus. Hier liegt der Ösophagus in enger Nachbarschaft zur Trachea. Zwischen Ösophagus und Trachea verlaufen die Nn. recurrentes (. Abb. 74.2). Anschließend erfolgen das Hochziehen des Magenschlauches und die Anlage der zervikalen Anastomose. ! Cave Die Nn. recurrentes können hierbei beschädigt werden.
. Abb. 74.1 Schematische Darstellung eines Mageninterponates. (Aus [18])
z Transmediastinale abdominelle Ösophagektomie Bei der transhiatalen, transmediastinal durchgeführten Ösophagektomie wird auf eine thorakale Präparation des Ösophagus verzichtet. Durch eine Oberbauchlaparotomie wird der untere mediastinale Anteil des Ösophagus direkt aufgesucht und von dort stumpf manuell präpariert. Die Anlage des Magenschlauchs und die zervikale Präparation des Ösophagus sowie die Anlage der zervikalen Anastomose verlaufen in gleicher Weise. z Intrathorakale Anastomose Unabhängig von der Art der Ösophaguspräparation kann bei weit distal sitzenden Ösophaguskarzinomen auf eine komplette Resektion des Ösophagus verzichtet werden. Hierbei wird nach Absetzen des distalen Anteils des Ösophagus transhiatal oder transthorakal der Magenschlauch mit dem intrathorakal liegenden proximalen Anteil des Ösophagus anastomosiert. Eine gute Drainage im Bereich der Anastomose ist dringend erforderlich! . Abb. 74.2 Anatomie des Ösophagus. Zu beachten ist die enge Lagebeziehung zu den Nn. recurrentes. (Aus [15])
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
74
. Tab. 74.2 Postoperative Überwachungsparameter nach Ösophaguschirurgie
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Blutung
Tachykardie Hypotonie Hb-Abfall
Lungenödem
aSO2 pO2 pCO2
Trachealverletzung
Hautemphysem Fistelvolumen der Thoraxdrainagen Luft in zervikaler Easy-Flow-Drainage Messbares Luftleck am Beatmungsgerät
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. Abb. 74.3 Schematische Darstellung eines Koloninterponates. (Aus [18])
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z Alternative Rekonstruktionsverfahren Gelegentlich ist der Magen zur Rekonstruktion des Ösophagus nicht geeignet oder muss mitreseziert werden. Hierbei kommt als rekonstruktives Verfahren die Interposition eines Kolonanteils in Betracht. Unter Schonung der Arkaden wird das Transplantat präpariert und spannungsfrei transmediastinal nach kranial vorgezogen. Es erfolgt eine Seit-zu-Seit-Anastomose auf den proximalen Dünndarm sowie eine End-zu-Seit-Anastomose im zervikalen Bereich. Anschließend wird die Kontinuität des Dickdarms wieder hergestellt (. Abb. 74.3). Bei kurzstreckigen Veränderungen im Bereich der Speiseröhre, insbesondere bei peptischen Stenosen, ist die Durchführung einer Merendino-Operation angezeigt. Hierbei wird ein gestieltes Dünndarmtransplantat zwischen distalem Ösophagus und Fundus interponiert.
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74.2.2
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Überwachung des Ösophaguspatienten
Die postoperative Überwachung des Ösophaguspatienten umfasst neben der Überwachung der Vitalparameter weitere eingriffsspezifische Überwachungsaspekte. Aufgrund der Schwere des postoperativen Traumas, insbesondere im thorakalen Bereich, wird der Ösophaguspatient in der Regel beatmet auf die Intensivstation verlegt. Neben der Überwachung der Beatmungsparameter und der Elektrolyte gilt hier das besondere Augenmerk einer möglichen Tracheal- oder Bronchialverletzung. Eine sorgfältige Kontrolle der einliegenden Thoraxdrainage, ein Aufnahmethorax sowie die Kontrolle eines Gasverlustes über das Beatmungsgerät gehören daher zum postoperativen Standard (. Tab. 74.2). Aufgrund der präparationsbedingten Traumatisierung der Lunge neigt der Ösophaguspatient zur Bildung von Atelektasen, Pleuraergüssen und einem Lungenödem. ! Cave Auch wenn in Ausnahmefällen die linksseitige Pleurahöhle nicht eröffnet wird und in diesem Bereich nicht präpariert wird, kann es hier durchaus zu einem linksseitigen Pleurareizerguss kommen.
Eine sorgfältige Überwachung der Ein- und Ausfuhr sowie der Bilanz sollten daher ebenfalls erfolgen (7 Abschn. 74.2.3). Die Kont-
rolle der Infektparameter (Leukozyten, CRP, Procalcitonin) sowie die Körpertemperatur dienen dem Monitoring einer möglichen Infektion. Hier gilt das besondere Augenmerk auf die zervikale oder intrathorakale Anastomose. Post extubationem sollte auf jeden Fall die Stimmbandfunktion kontrolliert werden. Präparationsbedingt kommt es nicht selten zu einer Verletzung des linksseitigen N. recurrens mit entsprechender Stimmbandparese.
74.2.3
Postoperative Bilanzierung und Ernährung
Intra- und postoperative Flüssigkeits- und Blutverluste führen bei dem Ösophaguspatienten häufig zu einer postoperativen Hypotonie. Während bei zahlreichen anderen Eingriffsformen eine kausale Therapie im Sinne einer Volumensubstitution angezeigt ist, muss der Ösophaguspatient aufgrund der intraoperativen Traumatisierung der Lunge eine äußerst schonende Volumensubstitution erfahren. Zur Kreislaufoptimierung ist daher der medikamentösen Blutdrucktherapie durch Adrenalin oder Noradrenalin der Vorzug zu geben. ! Cave Der Ösophaguspatient entwickelt unter einer positiven Bilanz rasch ein Lungenödem o Katecholamine vor Volumensubstitution zur Kreislaufoptimierung.
In den ersten postoperativen Tagen ist eine positive Bilanzierung des Patienten auf jeden Fall zu vermeiden. Die postoperative Ernährung sollte aufgrund des Postaggressionsstoffwechsels zunächst mit einer 20%igen Glukoselösung durchgeführt werden. Ab dem 3. Tag kann mit einer komplett parenteralen Ernährung angefangen werden. Insbesondere bei der Rekonstruktion durch Magenhochzug ist die rasche enterale Ernährung anzustreben. Hierzu sollte der Patient bereits intraoperativ mit einer Jejunalsonde, die entweder transnasal oder als perkutane Enterojejunostomie angelegt wurde, ernährt werden. Diese enterale Ernährung kann in der Regel spätestens ab dem 3. postoperativen Tag begonnen werden. Der Patient sollte mit einer gastralen Magensonde versorgt werden, um einen paralytisch bedingten Reflux von der intrathorakalen oder zervikalen Anastomose fernzuhalten.
951 74.2 · Ösophaguschirurgie
. Abb. 74.5 Stent-Versorgung in situ bei zervikaler Anastomoseninsuffizienz
. Abb. 74.4 Endoskopische Darstellung einer Insuffizienz der zervikalen Anastomose
74.2.4
len Drainagesekretes. Nicht selten zeigt sich bereits eine ausgeprägte Rötung im Bereich der zervikalen Wunde. Plötzlich auftretende Herzrhythmusstörungen in diesem Zusammenhang weisen auf eine beginnende Mediastinitis hin (7 Übersicht).
Komplikationen der Ösophaguschirurgie
Die enge anatomische Lagebeziehung zu Nachbarorganen, Gefäßen und Nerven und die schwierige Perfusionssituation der Rekonstruktion können zu Minderbelüftung der Lunge, Ergussbildung im Bereich des Thorax, bronchialem Sekretverhalt und Anastomoseninsuffizienz und damit konsekutiv zu Pneumonie und Sepsis führen. Die frühzeitige Diagnose dieser Komplikationen kann die Morbidität und Mortalität des Ösophaguspatienten deutlich senken. Nicht selten kündigen sich derartige Probleme zunächst durch eine unspezifische Vigilanzminderung oder kardiorespiratorische Verschlechterung an. Der Arzt sollte daher in dem kritischen Intervall der ersten 7 postoperativen Tage auch bei unklaren kardialen oder respiratorischen Symptomen an ösophagusspezifische Ursachen denken.
Anastomoseninsuffizienz Die Anastomoseninsuffizienz in der Ösophaguschirurgie tritt in 7,5–22,2% der Fälle auf [13]. > Bedingt durch eine schwierige Perfusionssituation des Interponates, einer frühen Belastung der Anastomose durch den Speichelfluss und einer gewissen Histoinkompatibilität kommt es im Bereich der Ösophagusanastomose nicht selten zu Wundheilungsstörungen.
Die Anastomoseninsuffizienz führt unbehandelt zu einer schweren Sepsis und Mediastinitis. Ziel der postoperativen Überwachung muss daher die frühzeitige Diagnose einer Anastomoseninsuffizienz sein. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Ösophagusanastomose unterscheidet man die zervikale von der intrathorakalen Anastomoseninsuffizienz. z Zervikale Anastomoseninsuffizienz Neben einem schweren septischen Krankheitsbild mit zumeist hohem Fieber kommt es zu einer deutlichen Veränderung des zervika-
Typische Zeichen einer zervikalen Anastomoseninsuffizienz 4 4 4 4 4
Luft über zervikale Drainage Rötung der zervikalen Wunde Eintrübung des zervikalen Drainagesekretes Herzrhythmusstörungen Schweres septisches Krankheitsbild
> Wichtigstes Ziel nach Diagnose einer zervikalen Anastomoseninsuffizienz ist die schnelle und vollständige Drainage des Sekretes aus der Wundhöhle.
Hierzu ist in jedem Fall die linkslaterale Halswunde in voller Breite zu eröffnen. Die Wunde wird saubergespült mit einer Spüllösung (z. B. NaCl 0,9%) und digital ausgetastet. Hierbei sollte die Wunde soweit eröffnet werden, dass der insuffiziente Ösophagusstumpf sicher getastet wird. Zur Behandlung der Sepsis wird der Patient breit antibiotisch abgedeckt. Geeignete Mittel sind u. a. Carbapeneme, Chinolone und Penicilline + Clavulansäure. Im Anschluss sollte eine Endoskopie der Anastomose und des Magenschlauchs durchgeführt werden, um umfangreichere Nekrosen auszuschließen und das Ausmaß der Anastomoseninsuffizienz abschätzen zu können (. Abb. 74.4). Kleinere Anastomoseninsuffizienzen können konservativ zur Ausheilung gebracht werden, große Anastomoseninsuffizienzen sollten, sofern die Höhe der Anastomose das zulässt, überstentet werden (. Abb. 74.5). Eine Computertomographie des Thorax und Abdomens sollten in jedem Fall bei einem schweren septischen Krankheitsbild zum Ausschluss einer Mediastinitis durchgeführt werden. Die zervikale Wunde wird in den nächsten Tagen regelmäßig ausgespült und mit sterilen feuchten Kompressen offen gehalten (7 Übersicht).
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
Maßnahmen bei zervikaler Anastomoseninsuffizienz 4 4 4 4 4
Eröffnen und Ausspülen der zervikalen Wunde Endoskopie Gegebenenfalls Stent CT Thorax/Abdomen (bei septischem Krankheitsbild) Diskontinuitätsresektion
z Intrathorakale Anastomoseninsuffizienz Kommt die Anastomose intrathorakal zu liegen, sind die lokalen Wundverhältnisse selbstverständlich nicht zu beurteilen. Hier gilt es insbesondere, auf allgemeinseptische Verschlechterungen rasch mit einer umfangreichen Diagnostik zu reagieren. Einliegende Drainagen zeigen häufig eine entsprechende Sekretveränderung an. ! Cave Bei partieller Verklebung der Wundhöhle können die Drainagen auch über längere Zeit noch unauffällig erscheinen, obwohl sich bereits ein septischer Verhalt intrathorakal oder intramediastinal ausgebildet hat.
Plötzlich auftretende Herzrhythmusstörungen, Fieber und ein Anstieg der Infektparameter müssen in jedem Fall an eine intrathorakale Anastomoseninsuffizienz denken lassen. Zeitnahe CT-Diagnostik ist zum Ausschluss einer intrathorakalen Anastomoseninsuffizienz unerlässlich. Aufgrund der Lage der Anastomose ist eine ausreichende Drainage in der Regel nicht herzustellen. Falls nicht vorhanden, sollten Thoraxdrainagen eingelegt werden, um die Sekrete gut zu drainieren und der Bildung eines Pleuraempyems vorzubeugen. Hierüber sollte eine intermittierende Spülung erfolgen. Die Anastomoseninsuffizienz sollte mit einem Stent überbrückt werden. Führt dies nicht zu einer raschen Besserung des Patienten, ist in diesem Fall die operative Exploration und Komplettierung der subtotalen Ösophagektomie die Therapie der Wahl. Eine Rekonstruktion der Anastomose ist aufgrund der schweren Entzündungsreaktionen im Mediastinum in der Regel nicht mehr durchführbar. Der Ösophagusstumpf wird daher zervikal als Speichelfistel ausgeleitet, der Magenschlauch oder das Dünndarminterponat werden reseziert und blind nach kranial verschlossen. Zur Ernährung sollte eine Jejunalkatheter angelegt werden. Auch in diesem Fall wird eine breite antibiotische Abdeckung zur Behandlung der septischen Komplikationen durchgeführt.
74 Maßnahmen bei intrathorakaler Anastomoseninsuffizienz
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Anlage von Thoraxdrainagen (falls nicht vorhanden) Spülen der Pleurahöhle 4–6× tgl. mit 100 ml Spüllösung Überbrückung des Defektes durch einen Stent Breite antibiotische Abdeckung Diskontinuitätsresektion
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. Abb. 74.6 Röntgenbild einer Stent-in-Stent-Versorgung eines langstreckigen Defektes
Zur Behandlung der Magenschlauchnekrose ist ein großzügiges Überstenten des nekrotischen Bereichs erforderlich. Hierzu kann auch eine Stent-in-Stent-Versorgung notwendig werden. Nicht selten erfordert in dieser Situation das septische Krankheitsbild und die Ausdehnung der Nekrose die Resektion des Magenschlauchs. Der Stent sollte nach 6 Wochen entfernt werden, da sonst eine Überwucherung mit Granulationsgewebe die Bergung des Stents verhindern kann.
Trachealverletzung Aufgrund der engen Lagebeziehung des Ösophagus zur Trachealhinterwand kann es präparationsbedingt, aber auch im Rahmen von Anastomoseninsuffizienzen zu einer Ausbildung einer Tracheal- oder Bronchialfistel kommen. Beim beatmeten Patienten lässt sich eine Trachealverletzung eindrucksvoll durch die luftgefüllten Drainagebeutel (. Abb. 74.7), ein erhöhtes Fistelvolumen über die Thoraxdrainage sowie ein durch das Beatmungsgerät angezeigtes Luftleck diagnostizieren. Kleinere Trachealfisteln können beim nichtbeatmeten Patienten häufig über längere Zeit subklinisch bleiben und fallen in der Regel durch rezidivierende Aspirationspneumonien auf. Plötzlich einsetzende Rhythmusstörungen zeigen auch hier die beginnende Mediastinitis an und zwingen zu raschem Handeln. Die Therapie der Wahl ist die Versorgung einer möglichen Insuffizienz der zervikalen Anastomose oder des Magenschlauches (s. oben) und die plastische Deckung der Trachealfistel. Hierzu erfolgt nach Übernähung der Trachealverletzung und Abdichtung durch einen Azygos- oder Perikardlappen die Versorgung mit einem Latissimus-dorsi- oder Sternocleidomastoideus-Schwenklappen. Die Sepsis wird mit einer breiten antibiotischen Abdeckung behandelt.
Recurrensparese z Magenschlauchnekrose Gelegentlich kommt es neben einer Anastomoseninsuffizienz zu einer weitergehenden Perfusionsstörung zumeist im Bereich der ehemaligen kleinen Kurvatur. Die Magenschlauchnekrose stellt sich in aller Regel zunächst wie eine zervikale Anastomoseninsuffizienz dar. Die weitergehende Perfusionsstörung fällt dann während der endoskopischen Beurteilung auf. Gelegentlich kommt es hierbei zu weiteren Insuffizienzen und Ausbildung von Trachealfisteln (7 unten).
Bei der Mobilisation des zervikalen Ösophagus kommt es gelegentlich zu einer Verletzung oder Irritation des N. laryngeus recurrens, der an der Hinterwand der Trachea in enger Nachbarschaft zum Ösophagus verläuft (. Abb. 74.2). Die Wahrscheinlichkeit für eine Recurrensparese im Rahmen einer Ösophagusresektion wird in der Literatur mit 7,4–15,3% angegeben [6]. Operationstechnisch bedingt ist zumeist der linke N. laryngeus recurrens betroffen. Wache Patienten fallen nach Extubation durch eine heisere Stimme auf. Weniger vigilante Patienten zeigen oft im Verlauf rezidivierende Sekretverhalte und Bronchopneumonien. Besteht bei einem Patienten der Verdacht auf eine Recurrensparese, so sollte das
953 74.2 · Ösophaguschirurgie
. Abb. 74.7 Luftgefüllter zervikaler Drainagebeutel bei postoperativem Trachealleck . Abb. 74.8 Postoperative Stenose der zervikalen Anastomose nach Magenhochzug
Ausmaß des Stimmbandstillstandes durch eine endoskopische Diagnostik gesichert werden. Die Weite der Stimmritze und das Ausmaß der Minderbeweglichkeit sollten exakt dokumentiert werden. > Die Therapie der Wahl beim wachen und vigilanten Patienten ist die logopädische Behandlung.
Kommt es infolge eines persistierenden Sekretverhaltes zu rezidivierenden Aspirationspneumonien, so sollte eine zeitige Tracheotomie erwogen werden. Kommt es auch nach Monaten nicht zu einer Rückbildung der Recurrensparese, so kann eine Laterofixation des betroffenen Stimmbandes Erleichterung verschaffen.
Postoperative Anastomosenstenose Die zervikale Anastomose nach Ösophagusrekonstruktion (. Abb. 74.8), im geringeren Maße auch die intrathorakale Anastomose, neigen insbesondere nach stattgehabter Anastomoseninsuffizienz zu einer stenosierenden Narbenbildung. Diese Komplikation, die zumeist erst im ambulanten Bereich relevant wird, kann beim langzeitbeatmeten Ösophaguspatienten mit kompliziertem septischem Krankheitsverlauf in der Weaning-Phase relevant werden. Im Rahmen der Beatmungsphase und parenteralen Ernährung wird die Anastomosenstenose zunächst kaum bemerkt. Der Patient wird jedoch im Rahmen des Weanings durch rezidivierende Aspirationspneumonien auffällig. Es sollte daher im Rahmen einer prolongierten Weaning-Phase immer auch an das Vorliegen einer postoperativen Anastomosenstenose gedacht werden. Zur Diagnosesicherung sollte eine endoskopische Kontrolle der Anastomose durchgeführt werden. Therapie der Wahl ist die sukzessive Bougierung der Anastomosenstenose, bis die Schluckfähigkeit wiederhergestellt ist. ! Cave Auch nach suffizienter Bougierung neigt der Narbenring der Anastomose zur erneuten Stenosierung.
Begleitend zur Bougierung sollte in jedem Fall eine logopädisch begleitete Schluckübung durchgeführt werden.
Postoperative Pneumonie Im gesamten postoperativen Verlauf ist der Ösophaguspatient durch die Ausbildung einer Pneumonie gefährdet. Während es in seltenen Fällen direkt postoperativ, häufig nach stattgehabter Radiochemo-
therapie, zu einer Reaktivierung einer radiogenen Pneumonitis kommen kann, führen im weiteren Verlauf die Minderbelüftungen, insbesondere basaler Lungenabschnitte durch externe Kompression oder rezidivierende Aspirationen zu einer Pneumonie und konsekutiver Sepsis. Trachealverletzungen und postoperative Anastomosenstenosen führen zu Aspirationspneumonien, Zwerchfellparesen und Pleuraergüssen, häufig zu Atelektasen und konsekutiven Pneumonien infolge der Minderbelüftung. Recurrensparesen können zu Sekretverhalten führen, die ebenfalls zu Bronchopneumonien führen können. Juninger et al. fanden bei einer retrospektiven Untersuchung eine signifikant höhere Pneumonierate (27,4 vs. 41,3%) [6]. Es sollte daher bei einer postoperativen Pneumonie nach Ösophagusresektion eine umfangreiche Ursachenabklärung erfolgen. Neben der kausalen Behandlung der oben beschriebenen Ursachen einer Pneumonie sollte eine breite antibiotische Abdeckung durchgeführt werden. Gelegentlich ist die Durchführung einer Tracheotomie zur Verbesserung der Bronchialtoilette unerlässlich.
Der langzeitbeatmete Ösophaguspatient Schwerwiegende septische Komplikationen aufgrund von Pneumonien oder Anastomoseninsuffizienzen führen häufig zu einer prolongierten Beatmungssituation. Hier wird in der Regel eine frühzeitige Tracheotomie die Prognose des Patienten entscheidend verbessern. Nach Ösophagusresektion ist die Durchführung einer Tracheotomie jedoch nicht unproblematisch. Durch die enge Nachbarschaft des Tracheostomas zur zervikalen Anastomose kann die Versorgung des Tracheostomas deutlich erschwert werden. Die Drainage von Sekret aus der zervikalen Wunde bei einer Anastomoseninsuffizienz kann zu einer Andauung der benachbarten Haut führen. Die dünne Hautbrücke zwischen Tracheostoma und zervikaler Wunde kann daher komplett nekrotisch werden, und es entsteht so eine gemeinsame Wundhöhle von Tracheostoma und Anastomoseninsuffizienz. > Die Indikation zur Tracheostomie sollte daher besonders kritisch gestellt werden.
Nach Abheilung der Anastomose oder weitgehender Ausheilung einer Anastomosenstenose kann das Weaning des Patienten in jedem Fall durch eine Tracheostomie unterstützt werden. Diese sollte dann etwas rechtslateral angebracht werden.
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
74.3
Pankreaschirurgie
74.3.1
Indikation und operatives Vorgehen
Die wichtigsten Indikationen zur Pankreaschirurgie sind 4 die chronische Pankreatitis und 4 das lokalisierte Malignom. Der am häufigsten befallene Anteil ist bei beiden Erkrankungen der Pankreaskopf. Mit einer Inzidenz von 10/100.000 Einwohnern [14] gehört das Pankreaskopfkarzinom zu den häufigsten soliden Tumoren. Die chronische Pankreatitis mit Ausprägung von Pseudozysten ist mit einer Inzidenz von 110–280/1 Mio. Einwohnern [14] bei Alkoholabhängigen die häufigste Erkrankungsursache. Häufig führt in beiden Fällen die Kompression des Ductus choledochus zu einer ausgeprägten Bilirubinämie. In seltenen Fällen führt diese Bilirubinämie zu Leberfunktionsstörungen. Während die Patienten mit Pankreasmalignom in aller Regel aus völliger Gesundheit heraus erkranken, haben Patienten mit einer chronischen Pankreatitis eine längere Vorgeschichte. Bedingt durch den Alkoholmissbrauch sind Patienten mit einer chronischen Pankreatitis in der Regel bereits vorerkrankt. Hier muss also perioperativ und postoperativ mit einer erhöhten Inzidenz von operationsunabhängigen Begleitkomplikationen gerechnet werden. Das operative Vorgehen ist bestimmt durch die Hauptlokalisation der Erkrankung im Pankreaskopf. Bei beiden Erkrankungen ist in diesen Fällen die Resektion des Pankreaskopfes erforderlich. Bei der chronischen Pankreatitis mit Pseudozysten ist eine onkologische Radikalität nicht indiziert. Hier wird daher in aller Regel auf die Resektion des Duodenums und der damit verbundenen Lymphabflussgebiete verzichtet. Eine duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion ermöglicht hier eine organerhaltende und effektive Therapie. Bei Patienten mit einem Pankreaskopfkarzinom muss in jedem Fall mit onkologischer Radikalität reseziert werden, so prognostische Operabilität besteht. Da der Pankreaskopf und das Duodenum das gleiche Lymphabflussgebiet speisen, ist eine Resektion des Duodenums zusammen mit dem Pankreaskopf zwingend erforderlich.
Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion Nach Eröffnung des Abdomens durch eine quere Oberbauchlaparotomie wird das große Netz vom Colon transversum abpräpariert. Anschließend werden das Duodenum und der Pankreaskopf vollständig nach Kocher mobilisiert. Die Vv. mesenterica superior und porta werden identifiziert. In Abhängigkeit der Ausdehnung des Befundes und des genau gewählten Verfahrens wird der Pankreaskopf und Proc. uncinatus ausgeschält, ggf. auch das Pankreas am Übergang zwischen Kopf und Corpus mit dem Elektrokauter durchtrennt. Der Pankreaskopf wird bis zur distalsten Stenose breit eröffnet und der distale Ductus choledochus dekomprimiert. Anschließend erfolgt die Rekonstruktion durch eine Pankreatojejunostomie.
Whipple-Operation Auch hier wird zunächst das große Netz vom Colon transversum abpräpariert und das Duodenum und der Pankreaskopf nach Kocher mobilisiert. Die A. gastrica dextra wird ligiert. Die AA. hepaticae und V. porta werden dargestellt; und die A. gastroduodenalis wird nahe ihrem Abgang aus der A. hepatica unterbunden und durchtrennt. Pankreaskopf und Duodenum werden soweit mobilisiert, dass die V. cava freiliegt. Anschließend wird das Duodenum knapp hinter dem Pylorus mit einem Klammernahtgerät durchtrennt, der
Ductus choledochus abgesetzt, der distale Anteil des Duodenums ebenfalls mit Klammernahtgerät durchtrennt und das Pankreas im Bereich des Übergangs des Kopfes zum Corpus mittels Diathermie durchtrennt. Anschließend erfolgt in der Regel eine 2- oder 3-Schlingen Rekonstruktion. Hierzu werden Dünndarmschlingen ausgeschaltet und als Pankreatojejunostomie und als biliodigestive Anastomose verwendet. Die gastrointestinale Kontinuität wird mit einer Duodenojejeunostomie kurz hinter dem Pylorus oder einer Gastrojenunostomie, falls der Pylorus nicht erhalten wird, hergestellt. Schließlich werden die Dünndarmschlingen der biliodigestiven Anastomose und der Pankreatikojejunostomie durch eine Fußpunktanastomose mit dem verbleibenden Jejunum reanastomosiert. Easy-Flow-Drainagen werden standardmäßig im Bereich der Pankreasanastomose platziert [9].
74.3.2
Überwachung des Pankreaspatienten
Direkt postoperativ steht die Blutungskontrolle und damit die Überwachung der Vitalparameter an erster Stelle. Gelegentlich ist es im Rahmen von onkologischen Resektionen erforderlich, Teile der V. porta zu resezieren und zu ersetzen. In diesem Fall sollte postoperativ in jedem Fall eine Duplexsonographie der die Leber versorgenden Gefäße erfolgen. Bei Rekonstruktion der V. porta oder der V. mesenterica superior sowie bei arteriellen Rekonstruktionen (A. mesenterica superior, Truncus coeliacus, A. hepatica) ist eine besonders engmaschige duplexsonographische Kontrolle erforderlich, um ggf. frühzeitig revidieren zu können. Die Kontrolle des Laktatwertes und des Blutzuckerspiegels sind zum Monitoring der Leberfunktion ebenfalls unerlässlich. Die Kontrolle der Leberenzyme gehört selbstverständlich ebenfalls zum täglichen Monitoring (7 Übersicht).
Kotrollparameter der postoperativen Leberfunktion 4 Duplexsonographie der A. hepatica, der V. portae und der V. hepaticae 4 Leberenzyme 4 Quick-Wert 4 Laktatwert 4 Blutzuckerspiegel
Nach einem freien Intervall von ca. 5 Tagen steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Anastomoseninsuffizienzen. In diesem Zeitraum gilt das besondere Augenmerk der Easy-Flow-Drainagen. Galliges oder grau-braunes trübes Drainagesekret deutet auf eine Insuffizienz der biliodigestiven Anastomose bzw. der Pankreatikojejunostomie hin. Auch wenn diese Überwachung in der Regel nicht auf der Intensivstation stattfindet, ergeben sich aus diesen Anastomoseninsuffizienzen durchaus intensivrelevante Komplikationen (7 Abschn. 74.3.4). Insbesondere können sie Ursache für eine schwere septische Erkrankung des Patienten mit bisher unklarem Fokus sein. > Die Kontrolle der Easy-Flow-Drainagen gehört daher bei Wiederaufnahme eines Pankreaspatienten auf die Intensivstation im Rahmen einer septischen Erkrankung zu den ersten Maßnahmen.
955 74.3 · Pankreaschirurgie
74.3.3
Postoperative Ernährung und Bilanzierung
Aufgrund perioperativ freigesetzter Zytokine neigt der Pankreaspatient zu einer Vasoplegie, die einen relativen Volumenmangel verursacht. Postoperativ sollte daher auf eine ausreichende Volumensubstitution geachtet werden. In den ersten 2 postoperativen Tagen ist eine moderate Plusbilanz anzustreben. Zur Minimierung einer postoperativen Darmparalyse sollte auf einen ausgeglichenen Elektrolythaushalt geachtet werden. Eine enterale Ernährung sollte aufgrund der komplexen Rekonstruktion in den ersten 3–5 postoperativen Tagen erst langsam begonnen werden. Ein eventueller Reflux sollte durch eine Magensonde suffizient abgeleitet werden. Größtes Problem postoperativ ist der Rückstau der Verdauungssäfte in die zuführenden Schlingen. Hierdurch kann es zu einer Druckbelastung der ohnehin vulnerablen Anastomosen kommen und damit eine Anastomoseninsuffizienz provoziert werden. Stellt sich in den ersten Tagen keine ausreichende Darmperistaltik ein und kommt es nicht zum Abführen, so sollte rasch eine umfangreiche propulsive Medikation sowie lokale Abführmaßnahmen eingeleitet werden (7 Übersicht).
Drainage eines trüben Sekretes, insbesondere aus den pankreasnah gelegenen Easy-Flow-Drainagen. Eine Bestimmung der Amylase aus dem Drainagesekret sichert die Diagnose einer Insuffizienz der Pankreatojejunostomie, ist aber ohne therapeutische Konsequenz, da diese Drainagen ohnehin belassen werden, bis die Fördermenge sehr gering ist oder ein sauberes Sekret gefördert wird. Die Quantität des Drainagesekretes erlaubt eine Einschätzung der Größe der Anastomoseninsuffizienz. Fieber und ein schweres septisches Krankheitsbild sind in der ersten Phase der Insuffizienz der Pankreatojejunostomie selten und deuten in der Regel auf einen infektiösen Verhalt hin. In diesem Fall sollte zur Fokussuche ein Abdomen-CT mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Gut zugängliche Verhalte sollten punktiert und interventionell drainiert werden. Das so gewonnene Sekret sollte in jedem Fall einer mikrobiologischen Untersuchung zugeführt werden. Nicht selten kommt es, im Rahmen einer bei Oberbaucheingriffen sehr häufigen Darmparalyse, zu einem Rückstau von Stuhl in die abführenden Schlingen. Hierdurch kann die Pankreatojejunostomie aufgrund der erhöhten Druckbelastung ebenfalls insuffizient werden. Dann ist statt der typischen trüben Drainagesekretion die Drainage von Dünndarmstuhl zu verzeichnen.
Abführende Maßnahmen
Insuffizienz der biliodigestiven Anastomose
4 4 4 4 4
Auch die biliodigestive Anastomose wird durch die frühzeitige Passage von Galle direkt nach Anlage belastet. Auch wenn die Anlage der biliodigestiven Anastomose technisch unproblematischer ist, kann eine zu stark geknüpfte Anastomose oder ein zu lang belassener Gallengang ebenfalls leicht Nekrosen entwickeln. Die Insuffizienz der biliodigestiven Anastomose tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,8–7% auf [7]. Klinisch auffällig wird der Patient in der Regel durch einen Oberbauchperitonismus. Da die Galle nicht selten eine Keimbesiedlung aufweist, ist häufig die Insuffizienz mit einem Fieberschub oder einem schweren septischen Krankheitsbild verbunden. Über die insbesondere im Bereich der biliodigestiven Anastomose einliegenden Easy-Flow-Drainagen kommt es rasch zu einer deutlich gelblich-grünlichen Einfärbung des Drainagesekretes. Die Bestimmung des Bilirubinwertes aus dem Drainagesekret sichert die Diagnose. Auch hier sollten bei Fieber und schwerem septischem Krankheitsbild ein Abdomen-CT zur Fokussuche durchgeführt werden und ggf. Verhalte punktiert sowie interventionell drainiert werden. Die digestive Aktivität der Galle kann, wenn auch in geringerem Ausmaß im Vergleich zum amylasehaltigen Pankreassekret, zu Arrosionen der benachbarten Strukturen führen.
Klysma Hebe-Senk-Einlauf Erythromycin 100 mg 3× tgl. i.v. MCP 3× 1Amp. i.v. Prostigmin über Perfusor oder als Kurzinfusion 2 ml/h
Erst bei suffizientem Abführen kann mit der enteralen quantitativen Ernährung begonnen werden. Unproblematisch ist jedoch die moderate Zufuhr von Wasser oder Tee, die der Patient schluckweise trinken kann.
74.3.4
Komplikationen der Pankreaschirurgie
Die Anastomosen von Gallengang und Pankreas werden bereits kurz nach der Anastomosenanlage durch verdauungsaktive Sekrete belastet. Insbesondere die Pankreatojejunostomie stellt eine operative Herausforderung dar. Die Nahtverbindungen zu dem oft sehr weichen Pankreasgewebe müssen mit aller Vorsicht geknüpft werden, um einerseits eine Dichtigkeit der Anastomose zu gewährleisten, andererseits ein Einreißen oder Durchschneiden der Fäden in das Pankreasgewebe zu vermeiden. Kleinste Undichtigkeiten können hier zu Wundheilungsstörungen führen und durch die verdauungsaktiven Sekrete erweitert werden. Das Auftreten einer Anastomoseninsuffizienz ist daher mit einer Wahrscheinlichkeit von 10–29% [8] eine häufige Komplikation. Kommt es erst einmal zum Übertritt der verdauungsaktiven Sekrete in die Bauchhöhle, können hier weitere Arrosionskomplikationen die Folge sein. Besonders gefürchtet sind die Arrosionsblutungen aus den viszeralen Arterien, Truncus coeliacus und A. mesenterica superior.
Insuffizienz der Pankreatojejunostomie Die Pankreatojejunostomie ist sicherlich die problematischste Anastomose. Eine Insuffizienz tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 9,6–29,1% auf [8]. Nach zunächst freiem Intervall in den ersten postoperativen Tagen findet sich häufig eine sukzessive Eintrübung der Drainagesekrete. Zusätzlich kann ein oberbauchbetonter Peritonismus auftreten. Zumeist im Verlauf eines Tages kommt es dann zur
Therapie der Anastomoseninsuffizienzen Die Neuanlage insuffizient gewordener Anastomosen weist aufgrund der hohen Entzündungsaktivität des umliegenden Gewebes eine hohe Rezidivquote auf. Dies gilt insbesondere für die Pankreatojejunostomie, die nicht nur durch Entzündungsmediatoren, sondern auch durch die digestive Aktivität der passierenden Sekrete eine deutlich schlechtere Wundheilung aufweist. Die Präparation in bereits entzündetem Gebiet kann zusätzlich zu erheblichen Schäden bereits gut verheilter und verklebter Anteile der Anastomosen führen und die Situation zusätzlich verschlechtern. Die Behandlung der Anastomoseninsuffizienz der Pankreatojejunostomie sollte daher zunächst konservativ erfolgen. > Die rasche Drainage der austretenden Sekrete sollte zur Verminderung der digestiven Aktivität im freien Abdomen jederzeit sichergestellt sein. Hierbei ist eine interven-
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
tionelle, in der Regel CT-gesteuerte Drainage einer operativen Freilegung eines Verhaltes vorzuziehen.
Gelegentlich kann die Einlage einer Spüldrainage zu einer Verdünnung der Sekrete und damit der Verdauungsaktivität führen. Hierbei sollte intermittierend gespült werden, um die Ausbildung von Spülstraßen zu vermeiden. Übersteigt die aus den Easy-Flow-Drainagen drainierte Flüssigkeitsmenge den 24-h-kumulativen Wert von 200 ml, so muss von einer größeren Anastomoseninsuffizienz ausgegangen werden. Hier ist eine konservative Ausheilung der Defekte fraglich und eine operative Revision zu erwägen. Die Neuanlage der insuffizienten Anastomosen muss dann versucht werden. Gelegentlich kann eine Restpankreatektomie erforderlich werden. Bei einer Insuffizienz der biliodigestiven Anastomose, so sie nicht innerhalb der ersten 24 h nach Operation auftritt und in dieser kurzen Zeit auch wieder sistiert, empfiehlt sich dagegen die operative Revision mit Neuanlage der Anastomose.
Arrosionsblutung Bedingt durch die operativ unvermeidbare Freilegung der Viszeralgefäße kommt es bei einer Insuffizienz der Pankreatojejunostomie zu einer kontinuierlichen Benetzung der Gefäße mit verdauungsaktiven Sekreten. Dies führt zu einer sukzessiven Andauung der Gefäßwände. Ist hier die kritische Wandstärke unterschritten, so kommt es plötzlich zur Ruptur des so arrodierten Gefäßes und zu einer fulminanten intraabdominellen Blutung. Klinisch wird der Patient, häufig aus völligem Wohlbefinden, durch einen plötzlichen Druckabfall auffällig. Die, sofern noch vorhanden, intraabdominellen Easy-Flow-Drainagen fördern instantan Blut. Bei hinreichend großer Anastomoseninsuffizienz der Pankreatojejunostomie wird ein Teil des Blutes auch in das Darmlumen gepresst, und der Patient erbricht frisch blutig. Ein Abfall des systemischen Hb-Wertes lässt sich in dieser frühen Phase der Blutung nicht beobachten. > Aufgrund der akuten vitalen Gefährdung und der häufig interventionell schwierigen Versorgung im Rahmen einer Angiographie sollte die operative Revision im Vordergrund stehen.
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Der Patient muss daher unter fortlaufender Volumensubstitution sofort in den OP verbracht und das Abdomen exploriert werden. Intraoperativ sollte die Blutung zunächst durch manuelle Kompression kontrolliert werden, um eine ausreichende Stabilisierung des Patienten für die nun folgende Rekonstruktion des arrodierten Gefäßes zu erreichen. Lässt sich ein Übernähen oder eine direkte Endzu-End-Anastomose des betroffenen Gefäßes nicht durchführen, kann eine arterielle Transposition der A. lienalis die Durchblutung der kritischen Viszeralorgane sicherstellen.
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74.4
Leberchirurgie
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74.4.1
Indikation und operatives Vorgehen
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Die Indikationsstellung zur Durchführung intensivmedizinisch relevanter, umfangfangreicher resektiver Leberverfahren erfolgt weitgehend bei primärem und sekundärem Malignom der Leber. Ziel der operativen Verfahren ist die Entfernung des betroffenen Leberareals mit größtmöglichem Sicherheitsabstand unter Erhaltung einer ausreichenden Leberfunktion. Entsprechend dem Umfang des resezierten Lebergewebes spricht man von einer rechtsseitigen oder erweiterten rechtsseitigen Hemihepatektomie sowie korrespondierend von einer linksseitigen Hemihepatektomie.
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Hemihepatektomie rechts Zunächst erfolgt die Eröffnung des Lig. hepatoduodenale und die Präparation der dort enthaltenen Strukturen. Gallengang, Leberarterien und die Pfortader werden angeschlungen. Nun wird eine sorgfältige Lymphknotendissektion im Bereich des Lig. hepatoduodenale durchgeführt mit dem Ziel einer möglichst kompletten Lymphadenektomie. Komplette Freilegung der rechten und linken Leberarterie sowie des rechten und linken Pfortaderstammastes und die nachfolgenden Aufzweigungen. Präparation des Ductus choledochus und Ductus hepaticus mit den Aufzweigungen in den rechten und linken Gallengang. Nach sicherer Darstellung aller Strukturen erfolgt nun die Durchtrennung des entsprechenden Pfortaderastes, der anschließend sorgfältig übernäht wird. Anschließend wird der entsprechende Ductus hepaticus zwischen resorbierbaren Ligaturen durchtrennt. Nach Durchtrennung der arteriellen Versorgung entsprechend dem Resektionsvorhaben kommt es meist zu einer scharfen Demarkierung des von diesen Gefäßen versorgten Leberparenchyms, sodass die Resektionsebene auf diese Art schon vorgezeichnet ist. Anschließend erfolgt die vollständige Mobilisation der Leber unter Umstechung entsprechender Gefäße. Das retrohepatische Cavasegment wird bis zur Einmündung der Lebervenen dargestellt. Nach Darstellung der einmündenden Lebervenen wird die entsprechende Lebervene zwischen Gefäßklemmen durchtrennt und ebenfalls übernäht. Nun erfolgt die transparenchymatöse Durchtrennung der Leber im Bereich der Demarkationslinie, hierbei werden bei sukzessiver Durchtrennung des Lebergewebes die zahlreichen parenchymatösen Gefäße mit Clips oder Ligaturen versorgt. Gelegentlich kann es erforderlich sein, die Durchblutung der Leber komplett durch einen Torniquet (Pringle-Manoeuvre) zu unterbrechen. Die derartig initiierte warme Ischämie der Leber sollte eine Zeit von 60 min nicht überschreiten [9].
74.4.2
Überwachung des Leberpatienten
Im Fokus der Überwachung steht neben der Kontrolle der Vitalparameter die Überwachung der Leberfunktion und des Galleabflusses. Im Bereich der Leberresektionsfläche kann es gelegentlich zur postoperativen Drainage von Galle kommen. Eine aufmerksame Beobachtung des Drainagesekretes der Easy-Flow-Drainagen erlaubt eine sichere Identifizierung des Problems innerhalb des 1. postoperativen Tages. > Auch bei fehlender Anastomose kann es aus der Resektionsfläche der Leber zu galliger Drainage kommen.
Leberfunktionsstörungen (7 Übersicht) können akut oder chronisch protrahiert auftreten. Insbesondere bei umfangreichen Tumorresektionen kann eine Gefäßanastomose der leberversorgenden Arterien und Venen erforderlich sein. Kommt es innerhalb der ersten postoperativen Tage zu einem akuten Verlust der Leberfunktion, so muss hier an eine plötzlich auftretende Thrombose im Bereich der V. portae oder der arteriellen Lebergefäße gedacht werden.
957 74.4 · Leberchirurgie
Zeichen einer akuten postoperativen Leberperfusionsstörung 4 4 4 4
Anstieg der Leberenzyme SGOT (AST) und SGPT (ALT) Plötzliche Blutungsneigung und Abfall des Quick-Wertes Plötzlicher Anstieg des Laktatwertes Plötzlicher Kalziumabfall (Zitratverwertungsstörung bei Gabe von Erythrozytenkonzentraten) 4 Plötzlicher Abfall des Blutzuckers 4 Deutliche Zunahme des Aszites (Pfortaderthrombose)
Eine protrahiert einsetzende Leberfunktionsstörung ist nach umfangreichen Leberresektionen in Abhängigkeit der Qualität der Restleber regelhaft zu erwarten. Zur Überwachung der Leberfunktion sollten daher vom 1. postoperativen Tag an mindestens einmal täglich die Leberenzyme sowie die Parameter Bilirubin und die leberabhängigen Gerinnungsparameter überprüft werden. Ein Anstieg des Laktatwertes kann nach Ausschluss einer anderweitigen Ischämie ebenfalls auf eine Leberfunktionsstörung hindeuten. Die Kontrolle des Ammoniakwertes im Serum zur Kontrolle der Entgiftungsleistung der Leber sollte nur bei neurologischen Auffälligkeiten durchgeführt werden.
74.4.3
Postoperative Ernährung und Bilanzierung
Da im Rahmen einer Leberresektion üblicherweise höchstens eine Fußpunktanastomose der Passage des Nahrungsbreis ausgesetzt ist, steht einer baldigen enteralen Ernährung nichts im Wege. Es sollte daher zügig mit dem oralen Kostaufbau begonnen werden. Nach Ausgleich etwaiger intraoperativer Volumendefizite ist auch eine ausgeglichene Bilanzierung unter Berücksichtigung kardialer Vorerkrankungen zu gewährleisten. Eine operativ bedingte Positivoder Negativbilanzierung ist nicht erforderlich. Im Rahmen von gastrointestinalen Blutungsereignissen sollte in jedem Fall auf eine zügige Darmpassage geachtet werden. Hier ist die Gabe von oralen und peranalen Abführhilfen indiziert.
74.4.4
Komplikationen der Leberchirurgie
Die Komplikationen in der Leberchirurgie lassen sich unterteilen in akute, direkt postoperativ auftretende Komplikationen und den chronisch protrahierten Leberfunktionsausfall mit seinen Sekundärkomplikationen. Während im ersten Fall immer ein schnelles therapeutisches Eingreifen erforderlich ist, lässt sich der protrahierte Leberfunktionsausfall ausschließlich symptomatisch behandeln. Ursachen für den protrahierten Leberfunktionsausfall sind entweder eine zu schlechte und damit zu kleine Restleber oder eine Infektion.
Galleleckage der Leberresektionsfläche Während Blutungen im Bereich der Leberresektionsfläche intraoperativ leicht aufzufinden sind, kann die Drainage von Galle aus den intraparenchymatösen Gallenwegen oft okkult bleiben. Im weiteren Verlauf kommt es jedoch zu einer kontinuierlichen Galledrainage über nicht versorgte Gallengänge und zu einer Sequestration von Galle in die freie Bauchhöhle. Diese wird nun in den nächsten Stunden über die einliegenden Easy-Flow-Drainagen drainiert. Klinisch auffällig wird der Patient, da zumeist noch deutlich analgosediert,
lediglich durch den gelb-grünlichen Farbumschlag des Drainagesekretes. Eine Bestimmung des Bilirubinwertes aus dem Drainagesekret gibt Auskunft über das Ausmaß der Leckage. Erschwert wird die optische Wahrnehmung durch ein bereits initial, also präoperativ erhöhtes Serumbilirubin, das ebenfalls zu einer gelb-grünlichen Färbung des Drainagesekretes führen kann. > Steht die Diagnose einer Galleleckage fest, so wird in der Regel unverzüglich eine erneute Laparotomie zur chirurgischen Versorgung des Gallelecks notwendig. Ein Verschieben der chirurgischen Versorgung auf den nächsten Tag ist wegen der schnell fortschreitenden, galligen Peritonitis gefährlich.
Ein konservatives Vorgehen muss chirurgischerseits individuell in Ausnahmefällen gerechtfertigt werden. Gründe können z. B. ein deutliches Absinken von Sekretionsmenge und Bilirubinkonzentration sein.
Akuter postoperativer Leberausfall Insbesondere bei größeren onkologischen Resektionen bei Gallengangkarzinom oder Gallenblasenkarzinom kann es zu einer Resektion von Gefäßanteilen kommen. Die anschließende Rekonstruktion erfolgt entweder durch Übernähung oder End-zu-End-Anastomose. Diese Gefäßanastomosen sind durch die postoperativ aktivierte Gerinnungskaskade thrombosegefährdet. In diesen Fällen sollte daher eine Antikoagulation mit Heparin durchgeführt werden. Eine 2- bis 3-fache Erhöhung der PTT ist dabei anzustreben.
Maßnahmen zum Monitoring nach Gefäßanastomose 4 Nach Übernahme aus dem OP initiale Duplexuntersuchung der Lebergefäße 4 4-stündliche Kontrolle der Leberenzyme 4 2× tgl. Duplexuntersuchung der Lebergefäße 4 PTT zwischen 60–80/s mittels Heparin oder Agatroban/ Hirudin bei HIT
Erfolgt diese Therapie nicht zeitnah oder insuffizient, so kann es im Rahmen der ersten postoperativen Tage zur Ausbildung einer akuten Thrombose im Bereich der Gefäßanastomose kommen. Dieser partielle oder totale Verschluss des Gefäßes führt zu einem akuten Perfusionsausfall der Leber. Klinisch auffällig wird der Patient durch Anstieg der Leberenzyme sowie einen deutlichen Abfall der Syntheseleistung, zu messen am Serumbilirubin und den Gerinnungsfaktoren. Auch der Abbau des Laktats ist gestört und führt zu einer Erhöhung des Serumlaktatwertes. Tritt innerhalb der frühen postoperativen Phase eine akute Veränderung in diesen Parametern auf, so ist unverzüglich eine Duplexuntersuchung der Leber durchzuführen. > Der fehlende Nachweis eines Flusssignals über der V. portae oder der A. hepatica dextra oder sinistra sollte zu unverzüglichem, weiterem diagnostischem und therapeutischem Eingreifen führen. Jede Verzögerung hier kann zu einem Totalausfall der Leber und damit zum sicheren Tod des Patienten führen.
Bei diagnostischer Unsicherheit sollte unverzüglich eine Angiographie oder eine CT-Angiodarstellung durchgeführt werden. Ist die Diagnose gesichert, sollte unverzüglich eine operative Revision der Gefäßanastomose durchgeführt werden. Hierbei sollte neben der Revision der Anastomose bis weit in die Peripherie mit geeigneten
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
Kathetern eine Thrombektomie des nachgeschalteten Gefäßsystems durchgeführt werden. Ist es einmal zu einer intraparenchymatösen Thrombosierung des Gefäßbettes gekommen, ist ein Erhalt der Leber unwahrscheinlich. Nach erfolgter Revision ist eine rasche Antikoagulation mit Heparin, auch unter Inkaufnahme eines gewissen Blutungsrisikos, unverzüglich durchzuführen.
Protrahierte Leberfunktionsstörung Postoperativ lässt sich aus dem Zustand der Leber, deren Zirrhosegrad und dem tatsächlich erhaltenen Leberanteil die mögliche postoperative Einschränkung der Leberfunktion abschätzen. Insbesondere bei ausgeprägtem zirrhotischem Umbau der Leber besteht jedoch eine große Ungewissheit über die Funktionsfähigkeit der verbliebenen Restleber. Nach einem zunächst freien Intervall, bedingt durch noch im Serum zirkulierende, präoperativ synthetisierte Proteine, kommt es am 4.–5. postoperativen Tag allmählich zu einer klinisch manifesten Leberfunktionseinschränkung. Gekennzeichnet ist diese Situation durch einen langsamen Anstieg der Entgiftungsparameter (Bilirubin, Ammoniak) sowie einem Abfall der in der Leber synthetisierten Proteine (Gerinnungsfaktoren, Albumin). Ziel der intensivmedizinischen Therapie ist die Überbrückung dieser in der Regel passageren Funktionsstörung bis zur ausreichenden Regeneration der Leber. Die Behandlung erfolgt symptomatisch durch Substitution der Gerinnungsfaktoren und des Albumins. Je nach Volumenstatus des Patienten können hierzu FFP (»fresh frozen plasma«) oder Gerinnungskonzentrate und Albuminkonzentrate verwendet werden. Bildet der Patient eine protrahierte, relevante Vigilanzstörung aus, so kann durch ein maschinelles Entgiftungsverfahren (Prometheus, MARS) die Vigilanz des Patienten verbessert und eine Intubation vermieden werden. Während diese Primärprobleme des passageren Leberfunktionsausfalls gut therapierbar sind, ist der Patient in dieser Phase insbesondere durch Sekundärkomplikationen wie Pneumonie oder Blutungskomplikationen bedroht. Eine umfangreiche Prophylaxe und frühzeitige Mobilisation des Patienten, auch bei eingeschränkter Vigilanz, ist daher anzustreben und hilft, diese Komplikationen zu vermeiden. Besonders problematisch ist die Rückkopplung einer infektiösen Situation auf die Leberfunktion. Bei schwerem septischem Krankheitsbild, infolge einer Pneumonie oder eines abdominellen Verhaltes, kommt es daher zu einer deutlichen Verschlechterung des Leberfunktionsausfalls. Eine frühzeitige Detektion der infektiösen Problematik und eine rasche Aufdeckung des septischen Fokus sind daher in dieser Phase unverzichtbar. Nach Diagnosestellung und Sanierung eines septischen Fokus sollte umgehend eine umfangreiche Antibiotikatherapie durchgeführt werden.
Biliom
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Okkulte Insuffizienzen im Bereich der intraparenchymatösen Gallenwege (Leberresektionsrand) können zu einem persistierenden Galleverhalt führen (. Abb. 74.9). Nicht selten kommt es im weiteren postoperativen Verlauf zu einer sekundären Infektion dieser Biliome. Klinisch auffällig wird der Patient durch einen plötzlichen Fieberanstieg sowie einen Anstieg der Leberenzyme und des Bilirubinwertes. Bei protrahierter Leberfunktionsstörung kann es zu einer Verschlechterung eben dieser kommen. Da zu diesem Zeitpunkt in der Regel schon alle intraabdominellen Drainagen entfernt sind, ist die CT-Untersuchung des Abdomens wegweisend. Entsprechende Verhalte sollten im Rahmen dieser klinischen Konstellation in jedem Fall punktiert und inter-
. Abb. 74.9 Postoperatives Biliom nach linksseitiger Hemihepatektomie im CT
ventionell drainiert werden. Eine breite antibiotische Abdeckung ist ebenfalls erforderlich.
74.5
Septische Chirurgie
In 7 Abschn. 74.5 der septischen Chirurgie sind Erkrankungen der Bauchhöhle zusammengefasst, die zu einem schweren septischen Krankheitsbild führen. Neben Hohlorganperforationen und akut entzündlichen Erkrankungen der Bauchorgane finden die Weichteilinfektionen der Bauchwand sowie der Perinealregion und angrenzender Strukturen besondere Beachtung. Die schwere septische Erkrankung infolge eines akut entzündlichen Prozesses im Bereich des Abdomens erfordert eine radikale Sanierung des septischen Fokus. Die Schwere der Erkrankung lässt eine alleinige antibiotische Therapie häufig nicht zu. Wegen der großen resorptiven Fläche des Peritoneums können auch kleinere entzündliche Foci zu einem schweren septischen Krankheitsbild führen. Neben einer umfangreichen Diagnostik ist daher häufig eine rasche, explorative Laparotomie unbedingt notwendig. Leitsymptom dieser entzündlich abdominellen Erkrankung ist in der Regel das akute Abdomen.
74.5.1
Akutes Abdomen
Definition Das akute Abdomen stellt kein eigenständiges Krankheitsbild dar, sondern ist ein Symptomenkomplex, der auf eine schwere abdominelle Erkrankung hinweist, die in der Regel eine chirurgische Sanierung erfordert.
Die Differenzialdiagnosen eines akuten Abdomens sind vielfältig.
Ursache für ein akutes Abdomen 4 Cholezystitis 4 Magenperforation 4 Dickdarmperforation 6
959 74.5 · Septische Chirurgie
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Duodenalperforation Sigmadivertikulitis Darmischämie Appendizitis Salpingitis Pyelonephritis Zystitis und verschiedene mehr
Bei der Diagnose eines akuten Abdomens ist rasches Handeln geboten. Die weiterführende Diagnostik sollte auf ein Minimum eingeschränkt und eine explorative Laparotomie zeitnah durchgeführt werden. Das akute Abdomen steht häufig am Anfang eines Intensivaufenthaltes. Nicht selten kommt es jedoch nach elektiver Versorgung und protrahiertem Intensivverlauf ebenfalls zur Ausprägung dieses Krankheitsbildes. Die Diagnose ist hier bei dem sedierten Patienten häufig schwierig und wird nicht selten deutlich zeitverzögert gestellt. Peritonismus und Abwehrspannung sind bei dem tief analgosedierten Patienten häufig nicht nachweisbar. Umso wichtiger ist die rasche Reaktion auf einen unklaren Fieber- und Katecholaminanstieg. Bei den oft bereits mehrfach voroperierten Patienten ist die Indikationsstellung zur raschen Laparotomie oft problematisch. Hier sollte in Abwägung der Vor- und Nachteile eines operativen Vorgehens zunächst eine sorgfältige Diagnostik durchgeführt werden. Sonographie und Abdomen-CT sollten helfen, das Problem einzugrenzen und eine differenzierte Therapieentscheidung zu fällen; ggf. ist hier das interventionelle Vorgehen einer explorativen Laparotomie vorzuziehen [12].
74.5.2
Weichteilinfektionen des Abdomens
Im Bereich der Bauchdecke sowie der Perinealregion treten, wie im übrigen Integument, abszedierende, phlegmonöse oder nekrotisierende, gangränöse Infektionen auf. Während die meisten Bauchdeckeninfekte ohne größere systemische Reaktionen ablaufen, kommt es bei einigen Krankheitsbildern regelhaft zu einem schweren septischen Krankheitsverlauf mit einer hohen Mortalität. Prädisponierend für einen derart schweren Krankheitsverlauf sind neben Art und Virulenz der Erreger Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Alkoholabusus, Malignome, Bestrahlungs- oder Steroidtherapie. Intensivmedizinisch relevant können Senkungsabszesse infolge intraabdomineller Hohlorganverletzungen, die nekrotisierende Fasziitis und der Gasbrand sein.
Senkungsabszess Ursache für die Ausbildung eines Senkungsabszesses (. Abb. 74.10) sind in der Regel Spontanperforationen infolge eines chronisch verlaufenden Entzündungsprozesses, zumeist des Kolons, die über eine längere Phase inapparent bleiben. Zumeist liegt bei den Patienten keine Perforation in die freie Bauchhöhle vor, sondern eine gedeckte Perforation nach retroperitoneal oder interenterisch. Im weiteren Verlauf kommt es zur Ausbildung eines Abszesses, der an geeigneten Prädilektionsstellen sich weiter nach peripher ausbreitet und zu einer Infektion der Bauchdecke oder des Perineums und Oberschenkels führen kann. Das Krankheitsbild zeichnet sich durch eine zunächst fluktuierende, sich langsam verschlechternde allgemeine Infektkonstellation aus. Erst im weiteren Verlauf fällt dann im Bereich der Bauchdecke oder des Perineums eine zunehmende phlegmonöse
. Abb. 74.10 Weichteilephysem bei Senkungsabszess
Rötung mit gelegentlicher Crepitatio durch Gaseinschlüsse auf. Erst in diesem Stadium der Erkrankung kommt es dann zu einem rasch progredienten, schweren septischen Krankheitsbild. Ursache für den zunächst weitgehend inapparenten Verlauf sind reduzierte Schmerzwahrnehmungen im Rahmen einer ethyltoxisch oder diabetisch bedingten peripheren Neuropathie oder eine Verkennung der Schmerzproblematik aufgrund von unkontrolliertem Schmerzmittelgebrauch. > Bei Vorliegen einer ausgeprägten Phlegmone der Bauchdecke oder des Perineums sowie der Leistenregion muss dringend an eine Hohlorganperforation gedacht werden.
Eine entsprechende umfangreiche Diagnostik sollte in jedem Fall eingeleitet werden. Neben der Bestimmung der systemischen Infektparameter sollte bei Verdacht auf einen Senkungsabszess die Sonographie die Diagnose sichern. Um das gesamte Ausmaß der Erkrankung abzubilden, kann ein präoperatives Abdomen-CT sinnvoll sein. In jedem Fall sollte der Patient einer raschen chirurgischen Versorgung zugeführt werden. z Therapie Vor dem Hintergrund des schweren septischen Krankheitsbildes ist die vordringlichste chirurgische Maßnahme die Freilegung der infektiösen Areale. Nekrotische Haut- und Muskelanteile sollten im Gesunden reseziert werden. Ein sorgfältiges Spülen des gesamten Wundbereiches hilft, die Keimzahl zu verringern. Nicht selten zeigt sich bei der Exploration des Infektionsgebietes bereits eine Stuhlkontamination, die dann diagnostisch wegweisend für eine Hohlorganperforation ist. Die septische Wunde wird selbstverständlich nicht verschlossen, sondern mit feuchten Bauchtüchern abgedeckt. Im weiteren Verlauf sollte sie regelmäßig lavagiert werden. Bei jedem Verdacht auf eine ursächliche Hohlorganperforation sollte anschließend eine explorative Laparotomie durchgeführt werden. Gelegentlich werden die Patienten in einem derart schweren septischen Krankheitsbild mit einem hohen Katecholaminbedarf vorgestellt, dass die explorative Laparotomie erst sekundär nach Wundversorgung und intensivmedizinischer Stabilisierung durchgeführt werden kann. Die antibiotische Abdeckung sollte die Darmflora umfangreich umfassen und auch mögliche Problemkeime mit einschließen. Geeignete Mittel sind z. B. Carbapeneme, Teicoplanin, Metronidazol sowie Chinolone. Jede weitere Verschlechterung des septischen
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
Krankheitsbildes sollte eine umgehende Exploration des Wundgebietes mit konsequenter Resektion der nekrotischen und infizierten Areale erzwingen.
Gasbrand Nekrotisierende Fasziitis Die nekrotisierende Fasziitis ist eine rasch fortschreitende, schwere Weichteilinfektion, die ausschließlich die Haut, das Subkutangewebe und die Muskelfaszien betrifft. Ursächlich ist eine Streptokokken-A-Infektion, der in der Regel eine Bagatellverletzung vorausgegangen ist. Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, Alkoholabusus sowie eine allgemeine Schwächung des Immunsystems durch Chemotherapie und Bestrahlung sowie iatrogen induziert im Rahmen einer Transplantation. Klinisch auffällig werden die Patienten durch eine sehr schmerzhafte, rasch fortschreitende, scharf begrenzte Rötung der Haut (. Abb. 74.11). Hinzu kommen eine livide, landkartenartige Verfärbung der Haut, hohes Fieber und eine Leukozytose. Kennzeichnend ist das rasche Fortschreiten der Erkrankung. Häufig liegen zwischen dem Auftreten einer initialen phlegmonösen Rötung um eine Bagatellverletzung herum und dem Ausbilden eines schweren septischen Krankheitsbildes weniger als 24 h. Prädilektionsstellen sind Fuß und Unterschenkel. Kommt es im Bereich des Skrotums zu einer nekrotisierenden Fasziitis, so spricht man auch von einer Fournier-Gangrän. ! Cave Das Ausmaß der Fasziennekrose lässt sich anhand der Hautveränderungen nur unzureichend abschätzen. Häufig ist die Fasziennekrose deutlich umfangreicher.
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Bereich nicht infizierter Haut gelegen, angelegt werden. Der Wert einer hyperbaren Oxygenation ist noch nicht abschließend geklärt.
z Therapie Die unverzügliche operative Sanierung und Resektion der Faszie ist lebensrettend. Eine rasche Elimination des verursachenden Keims (Streptococcus der Gruppe A) sollte innerhalb von 24 h zu einer Elimination des infektauslösenden Agens führen. Die antibiotische Therapie sollte mit grampositiv wirksamen Antibiotika durchgeführt werden. Geeignet sind hier z. B. Penicilline oder Clindamycin. Innerhalb von 24 h – oder bei deutlich verschlechtertem und septischem Krankheitsbild auch früher – sollte eine chirurgische Reevaluation des Wundgebietes erfolgen. Nekrotische Areale sollten weit im Gesunden nachreseziert werden. Gegebenenfalls muss eine Amputation der Extremität erwogen werden. Im Rahmen einer Fournier-Gangrän kann es auch zu einer Resektion der Testes kommen. Entlastend sollte hier bei umfangreichem Befund in der Perinealregion ein Entlastungsstoma, sicher im
Der Gasbrand ist eine rasch fortschreitende Myonekrose verursacht durch eine Infektion mit Clostridien. Der nur unter anaeroben Bedingungen wachsende Keim führt durch die Bildung von zahlreichen enzymatisch aktivierten Exotoxinen zu einer Zersetzung der Muskulatur. Daraus resultiert die charakteristische Gasbildung. Während die meisten Clostridieninfektionen im Rahmen schwerer Traumata bei kontaminierten und zerfetzten Wunden auftreten, kann es bei Risikopatienten wie Diabetikern und Alkoholikern zu einer spontan auftretenden Clostridieninfektion kommen. z Symptome Nach kurzer Inkubationszeit sind ein ausgeprägter Wundschmerz und ein schweres septisches Krankheitsbild mit Verwirrtheitszuständen und Organdysfunktionen zu verzeichnen. Im weiteren Verlauf tritt dann die charakteristische Crepitatio im Bereich des Wundgebietes auf. > Nach Diagnosestellung ist die rasche kombinierte chirurgische, antibiotische und intensivmedizinische Therapie lebensrettend.
z Therapie Ein großzügiges Freilegen des Infektionsgebietes verbunden mit einer konsequenten Resektion nekrotischer Muskelanteile ist die Therapie der Wahl. Eine Amputation der betroffenen Extremität ist oft nicht zu vermeiden. Im Bereich der Bauchdecke kann es zu einem weitgehenden Verlust der Bauchdeckenmuskulatur kommen. Hier sind dann die temporäre Versorgung mit einem Vicrylnetz und eine spätere plastische Rekonstruktion erforderlich. Da Clostridien sensibel auf Penicilline sind, reicht bei einer Clostridienmonoinfektion diese Therapie aus. 3/4 aller Gasbrandinfektionen stellen jedoch Mischinfektionen dar, bei denen neben Clostridien auch E. coli, Bacteroides, Enterococcus faecalis und weitere Enterobakterien nachweisbar sind. Es sollte daher ohne sicheren Nachweis einer Monoinfektion eine breitere Antibiotikatherapie durchgeführt werden. Geeignete Mittel sind u. a. Clindamycin, Metronidazol, Chinolone und Carbapeneme [11]. Unter den Weichteilinfektionen stellt der Gasbrand weiterhin die Hauptindikation für die hyperbare Oxygenierung dar, wenngleich auch hierbei keine randomisierten Studien die Effektivität nachgewiesen haben.
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74.5.3
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Die Cholezystitis ist eine primär chemische, sekundär bakterielle Entzündung der Gallenblasenwand verursacht durch eine mechanische oder funktionelle Obstruktion der ableitenden Gallenwege (Infundibulum oder Ductus cysticus). 95% der Gallenwegsobstruktionen werden durch einen Gallenstein verursacht. Bei einer funktionellen Obstruktion kommt es in der Regel durch längere Nahrungskarenz zu einer Eindickung der Gallenflüssigkeit und einen konsekutiven Abflussstau. Diese Form der funktionellen Obstruktion ist im Bereich der Intensivmedizin häufig anzutreffen [16].
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. Abb. 74.11 Oberschenkelbefund bei nekrotisierender Fasziitis
Cholezystitis (Schockgallenblase)
z Komplikationen Unbehandelt führt die akute Cholezystitis zu einem Krankheitsbild mit hoher Mortalität. Im Vordergrund stehen die Ausbildung einer emphysematösen Cholezystitis, z. B. durch Gasbildner, das Gallenblasenempyem oder die Perforation. Hier kann es zur Penetration
961 74.5 · Septische Chirurgie
piratorische Situation bei verschlechtertem septischem Krankheitsbild verbietet oft eine intraabdominelle Druckerhöhung, wie sie bei der laparoskopischen Cholezystektomie durch Insufflation von CO2 unvermeidbar ist. Hier sollte primär die offenchirurgische Cholezystektomie durchgeführt werden. Eine lokale Lavage und das Einlegen von Drainagen im Operationsgebiet schließen den Eingriff ab. Eine postoperative antibiotische Abdeckung ist beim normal gesunden Patienten in der Regel nicht erforderlich. Bei dem septischen Intensivpatienten sollte jedoch eine Abdeckung mit Chinolonen erfolgen.
74.5.4
. Abb. 74.12 Cholezystitis mit klassischer Dreischichtung und Sludge
in die Leber mit Ausbildung eines Leberabszesses oder zu einer Perforation in die freie Bauchhöhle kommen. Folge ist eine gallige Peritonitis, die zu einem schweren septischen Krankheitsbild führen kann. z Symptome Die klassische Trias aus rechtsseitigem Oberbauchschmerz, Fieber und Leukozytose weist bei dem wachen Patienten auf eine akute Cholezystitis hin. Gelegentlich können intermittierende Steinabgänge auch zu einem kolikartigen Beschwerdebild führen. Diagnostisch wegweisend sind, neben der Klinik, eine Oberbauchsonographie, die eine Dreischichtung der Gallenblasenwand als Entzündungskorrelat darstellen sollte (. Abb. 74.12). Häufig findet sich auch freie Flüssigkeit im Gallenblasenbett. Der Konkrementnachweis sollte regelhaft gelingen, eine intrahepatische Cholestase ist jedoch selten anzutreffen. Laborchemisch findet sich neben einer Infektkonstellation eine Erhöhung der γ-GT, gelegentlich auch des Bilirubins. Die bei Intensivpatienten auftretende Cholezystitis im Rahmen einer funktionellen Obstruktion ist häufig maskiert. Durch den langen Intensivaufenthalt und die problematische Grunderkrankung werden die Symptome einer akuten Cholezystitis oft verzögert wahrgenommen. Eine eindeutige Klinik liegt häufig nicht vor. Die Patienten entwickeln häufig nach intermittierender Besserung ihres Allgemeinzustandes und ihrer Grunderkrankungen eine erneute Verschlechterung mit einem schweren septischen Krankheitsbild. Im Rahmen der Fokussuche sollte daher auch an eine akute Cholezystitis gedacht werden. z Therapie Unter einer antibiotischen Therapie kommt es i. Allg. zu einer spontanen Remission der Erkrankung. Es zeigt sich jedoch im weiteren Verlauf, dass die akute Cholezystitis eine hohe Rezidivrate aufweist. 60% der primär gebesserten Patienten erleiden innerhalb der nächsten 6–8 Wochen einen erneuten Entzündungsschub. Therapie der Wahl ist daher eine Cholezystektomie. Während im unkomplizierten Fall eine laparoskopische Entfernung der Gallenblase angestrebt werden sollte, ist dies bei dem komplizierten Intensivpatienten häufig kontraindiziert. Eine instabile kardiores-
Pankreatitis
Die akute Pankreatitis wird ausgelöst durch eine Aktivierung proteolytischer Enzyme und führt zu einem Autodigestionsprozess des Pankreas. Ursächlich dafür sind sowohl die Obstruktion des Ductus pancreaticus, ein Reflux von Duodenalinhalt sowie ein Gallereflux, wie er bei Steineinklemmung im Bereich der Papille durchaus vorkommen kann, eine veränderte Permeabilität des Gangsystems sowie eine vorzeitige Zymogenaktivierung durch Enzymdefekte. Lokal kommt es zu einer Destruktion des Pankreasparenchyms und des umgebenden Fettgewebes. Unter Mitwirkung der Phospholipase werden hochpotente Mediatoren freigesetzt, diese können zu einem SIRS (»systemic inflammatory response syndrome«) führen. Durch die einmal ausgelöste Entzündungsreaktion kommt es zu einer Selbstverstärkung und zu einem Progress der Erkrankung. Die im Rahmen des Entzündungsprozesses ebenfalls freigesetzten Elastasen bedingen eine Zerstörung der elastischen Fasern der Blutgefäße und damit eine Gefäßarrosion und Blutung. Die Freisetzung von Entzündungsmediatoren führt zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität und zu einer Vasoplegie. In der Folge kommt es im Rahmen der Pankreatitis zur lokalen Ödembildung im Bereich des Pankreas sowie zu einem systemischen Schockgeschehen. Dies resultiert in einem verminderten Herzzeitvolumen und einer Hypoxämie mit einer weiteren Verstärkung des lokalen Entzündungsprozesses. Durch die explosionsartige Freisetzung der Mediatoren kommt es zu einer Aktivierung des Gerinnungssystems und konsekutiv zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung. Folge ist ein Verschluss der Kapillargebiete mit Eröffnung der Shunts und daraus folgend ein erhöhtes Shuntvolumen. Klinisch macht sich dies in einem progredienten Lungenödem bemerkbar, sodass die Patienten im weiteren Verlauf rasch beatmungspflichtig werden können. Weiteres Organversagen wie das akute Nierenversagen und eine Leberinsuffizienz können in der Folge auftreten. z Ätiologie Häufigste Ursachen einer akuten Pankreatitis sind der Alkoholmissbrauch sowie die Cholezystolithiasis. Gelegentlich kommt es im Rahmen einer ERCP zu einer iatrogen verursachten Pankreatitis. z Diagnose Typisch für die Pankreatitis sind ein gürtelförmiger Schmerz sowie ein Gummibauch. Laborchemisch wegweisend ist eine Erhöhung der pankreasspezifischen Iso-Amylase oder der Lipase im Serum. Bildgebende Verfahren sichern die Diagnose durch Darstellung eines ödematös veränderten Pankreas. Wegen häufig konsekutiv vorliegender Überblähung des Colon transversum ist die Ultraschalluntersuchung zur Diagnose der akuten Pankreatitis häufig nicht geeignet. Es sollte daher regelhaft ein Abdomen-CT mit Kontrastmittel zur Diagnosesicherung durchgeführt werden. Insbesondere beim Intensivpatienten ist die Symptomatik einer akuten Pankreatitis oft deutlich maskiert. Hier wird der Verdacht
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Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
auf eine akute Pankreatitis oft erst beim Eintreten einer Schocksymptomatik gestellt. Es empfiehlt sich daher, bei jedem Schockgeschehen eine rasche Abklärung durch ein Abdomen-CT mit Kontrastmittel herbeizuführen. z Therapie Im Vordergrund der Behandlung steht bei der akuten Pankreatitis die Behandlung des Schockgeschehens. Eine rechtzeitige Volumensubstitution und Kreislaufstabilisierung verhindert die weitere Verschlechterung der Pankreatitis. Weiterhin sollte eine parenterale Ernährung angestrebt werden. Da es sich bei der akuten Pankreatitis in der Regel um eine abakterielle Entzündung handelt, ist eine antibiotische Abdeckung zunächst nicht erforderlich [14].
Akute nekrotisierende Pankreatitis Bei schwereren Verläufen der akuten Pankreatitis kommt es im weiteren Krankheitsverlauf zur Ausbildung von Nekrosen. Prognosebestimmender Faktor ist die Infektion der Nekrosen. Während die Mortalität ohne Superinfektion bei 10% liegt, steigt sie bei superinfizierten Nekrosen bis auf 40% an [14]. z Diagnostisches Vorgehen Finden sich im Rahmen der CT-Diagnostik Nekrosen, so sollten diese (sofern erreichbar) CT-gesteuert punktiert werden. Das Material sollte unverzüglich einer mikrobiologischen Untersuchung zugeführt werden, um eine Infektion auszuschließen. z Therapie Die Standardtherapie der nekrotisierenden Pankreatitis ist zunächst eine konservative. Unter breiter intensivmedizinischer Überwachung wird unter Nahrungskarenz eine Sepsistherapie durchgeführt. Volumengabe und Kreislaufunterstützung stehen im Vordergrund. Analgesie und Behandlung der Sepsiskomplikationen (CVVH bei Niereninsuffizienz, Substitution von Albumin und Gerinnungsfaktoren) werden supportiv durchgeführt. > Eine antibiotische Therapie als Prophylaxe kann die infizierten Nekrosen nicht verhindern und ist daher nicht indiziert. Operatives Vorgehen. Eine Operationsindikation ist bei einer un-
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komplizierten akuten nekrotisierenden Pankreatitis nicht gegeben. Kommt es im Rahmen der enzymatischen Andauung jedoch zu Arrosionsblutung, Hohlorganperforation oder Obstruktion, so ist selbstverständlich eine operative Sanierung erforderlich. Ein operatives Vorgehen bei einer biliären Pankreatitis sollte sich zunächst auf eine möglichst schonende Wiederherstellung des Galleabflusses beschränken. Kommt es zur Superinfektion der Nekrosen, so ist das chirurgische Vorgehen dringend indiziert. Therapie der Wahl ist eine Nekrosektomie mit anschließender Einlage von Spüldrainagen. Hierbei ist eine intermittierende Lavage einer kontinuierlichen Spülung, wegen der Ausbildung von Spülstraßen, vorzuziehen [2].
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Hohlorganperforation
Hohlorganperforationen führen durch den Austritt von chemischen oder bakteriellen Noxen in die freie Bauchhöhle regelhaft zu einem akuten Abdomen und einem schweren septischen Krankheitsverlauf. Häufigste Ursache für eine Hohlorganperforation ist das perforierte Ulkus und die perforierte Sigmadivertikulitis.
Perforiertes Magenulkus Ursache für die Ausbildung eines Magenulkus ist die Imbalance zwischen säureschützender Schleimschicht und Säurebildung. Durch passagere Minderperfusion kann die Säurebarriere zusammenbrechen. Die nun freiliegende Magenschleimhaut wird jetzt durch säureaktivierte proteolytische Enzyme angedaut, und es resultiert lokal eine Entzündungsreaktion. Persistiert diese, kann eine komplette Auflösung der Magenwand im Bereich dieses Ulkus die Folge sein. Mageninhalt wird nun in die freie Bauchhöhle freigesetzt. z Diagnose Beim wachen Patienten fällt die Perforation eines Ulkus durch ein akutes Schmerzereignis im Bereich des Oberbauchs gefolgt von einem progredienten Peritonismus auf. Beim intubierten und sedierten Patienten wird dieses initiale Schmerzereignis in der Regel nicht wahrgenommen. Hier zeigt sich durch ein erneut auftretendes septisches Krankheitsbild die beginnende Peritonitis an. Zur Diagnosesicherung sollten eine Abdomenübersichtsaufnahme in Linksseitenlage oder ein Abdomen-Computertomogramm durchgeführt werden. z Therapie Der Nachweis von freier Luft beweist die Hohlorganperforation und sollte eine rasche, explorative Laparotomie nach sich ziehen[3].
Sigmadivertikulitis Zumeist infolge einer chronischen Obstipation kommt es beim älteren Patienten an entsprechenden Prädilektionsstellen im Bereich des Colon sigmoideum zur Ausbildung von Pseudodivertikeln. Diese sind zumeist Kot gefüllt und können sich im weiteren Verlauf entzünden. Der chronische Entzündungsprozess kann im unbehandelten Fall in eine Perforation im Bereich entzündeter Divertikel münden. Es kommt dann zum Austritt von Stuhl in die freie Bauchhöhle und konsekutiv zur kotigen Peritonitis. z Diagnose Der wache Patient wird auffällig durch einen linksseitigen Unterbauchschmerz, der chronisch progredient ist. Hinzu treten Fieber und Leukozytose als allgemeine Infektzeichen. Gelegentlich, insbesondere bei indolenten Patienten (Alkoholismus, chronischer Schmerzmittelgebrauch), verläuft die Sigmadivertikulitis inapparent. Diese Patienten werden erst durch die Perforation klinisch auffällig und zeigen direkt ein schweres septisches Krankheitsbild mit akutem Abdomen. Dies gilt insbesondere für den Intensivpatienten, der intubiert und beatmet zunächst klinisch völlig unauffällig erscheint. Ansteigende Infektparameter des beatmeten Patienten können oft nicht in den Zusammenhang mit einer akuten Sigmadivertikulitis gebracht werden und verzögern die erforderliche Diagnostik. > Diagnostisch beweisend ist das Abdomen-CT mit Nachweis von freier Luft als Zeichen einer Perforation und lokalen Entzündungszeichen im Bereich des Colon sigmoideum [14].
z Therapie Die unkomplizierte Sigmadivertikulitis wird in der Regel im ersten Schub konservativ behandelt. Eine Antibiotikatherapie mit 3.-Generations-Cephalosporinen und Metronidazol führt in der Regel zum Erfolg. Wegen einer erhöhten Rezidivneigung wird spätestens nach dem zweiten Schub insbesondere bei jüngeren Patienten eine Resektion des divertikeltragenden Colon sigmoideum angestrebt. Hat bereits eine Perforation stattgefunden, so ist die Resektion des Colon sigmoideum die Therapie der Wahl. Eine primäre Anasto-
963 74.5 · Septische Chirurgie
mosierung muss dann oft unterbleiben, da in dem peritonitischen Bauch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Anastomoseninsuffizienz auftreten würde. Bei Vorliegen einer kotigen Peritonitis wird das Abdomen ausführlich lavagiert. Kommt es im weiteren Verlauf zu einer septischen Verschlechterung des Patienten, so ist eine Second-lookOperation mit erneuter Lavage, ggf. auch einer programmierten Lavage durchzuführen.
74.5.6
Intraabdominelle Abszesse
Intraabdominelle Abszesse können infolge einer Peritonitis oder einer gedeckten Anastomoseninsuffizienz auftreten. Nach zunächst freiem klinischem Intervall imponiert postoperativ bei den Patienten eine erneute septische Konstellation. Gegebenenfalls findet sich auch ein lokaler Druckschmerz. Hinweisend kann die im Operationsbericht vermerkte Kontaminierung der Abdominalhöhle intraoperativ sein. Kommt es daher postoperativ nach zunächst unkompliziertem Verlauf zu einer akuten septischen Verschlechterung, so muss an das Vorliegen eines intraabdominellen Abszesses gedacht werden. Diagnostisch wegweisend sind die bildgebenden Verfahren zur Darstellung der Abszesse. Hier reicht oft die Abdomensonographie aus. Ist der Darm infolge des lokalen Entzündungsprozesses deutlich überbläht (paralytischer Ileus) so sollte zur Diagnosesicherung ein Abdomen-CT durchgeführt werden. z Therapie Eine erneute explorative Laparotomie ist in der Regel verzichtbar und zumeist auch schädlich, da bei der Präparation des Abszesses zahlreiche Läsionen, insbesondere im Bereich des Dünndarms, gesetzt werden können. Die Therapie der Wahl besteht aus einer interventionellen Punktion des Abszesses und dem Einlegen einer Spüldrainage. Nach Evakuierung der Abszesshöhle sollte diese initial gespült werden. Je nach Beschaffenheit der Drainageflüssigkeit sollte im weiteren Verlauf ggf. eine intermittierende Spülung fortgeführt werden. Begleitend sollte zunächst eine kalkulierte Antibiotikatherapie begonnen werden. Hier sind auch ggf. die Problemkeime, wie z. B. Enterococcus faecium, zu berücksichtigen. Geeignete Antibiotika sind z. B. Carbapeneme, Chinolone, Metronidazol und Teicoplanin [10].
74.5.7
Platzbauch
Insbesondere nach septischen Eingriffen ist der Platzbauch eine gefürchtete postoperative Komplikation. Ursache ist eine Fasziennekrose im Bereich der Fasziennaht mit Ausriss des Nahtmaterials, was zu einer Eröffnung der Abdominalhöhle und Hervorluxieren des Dünndarmkonvoluts führen kann. > Auch wenn die Fasziennekrose ursächlich im Vordergrund steht, sollte bei jedem Platzbauch eine komplette Exploration der Bauchhöhle durchgeführt werden.
Ursache für einen Platzbauch sind nicht selten eine bis dahin unerkannte Anastomoseninsuffzienz oder ein septischer Fokus. z Diagnose Regelmäßige Wundkontrollen erlauben die schnelle und sichere Diagnose eines Platzbauches. Insbesondere Hautrötungen und putride Sekretionen sollten sorgfältig untersucht und nicht primär als
einfacher subkutaner Abszess interpretiert werden. Ein subkutaner Platzbauch kann durch eine Abdomensonographie ausgeschlossen werden. z Therapie Die rasche chirurgische Versorgung des Platzbauches ist zwingend erforderlich. Neben der Exploration der Bauchhöhle und der Lavage des Abdomens sollte ein Bauchdeckenverschluss wieder angestrebt werden. Die nekrotische Faszie sollte in jedem Fall reseziert werden. Sind die Faszienränder zu distant und kommt es bei Fasziennaht zu einem erhöhten intraabdominellen Druck, so sollte ein temporärer Bauchdeckenverschluss mit einem weichen, resorbierbaren Netz angestrebt werden. Die früher verwendeten Platzbauchnähte sollten wegen erhöhter Arrosionsgefahr im Bereich der Dünndarmschlingen und der möglichen abdominellen Druckerhöhung keine Verwendung mehr finden [4].
74.5.8
Abdominelles Kompartment
Ein abdominelles Kompartment liegt vor, wenn der intraabdominelle Druck >20 mm Hg ist. Repräsentativ für den intraabdominellen Druck gilt der Blasendruck, der problemlos über einen einliegenden transurethralen Katheter gemessen werden kann. Ein erhöhter Blasendruck von 20 mm Hg gilt dementsprechend als Beweis für das Vorliegen eines abdominellen Kompartmentsyndroms. Ursache für das Auftreten eines abdominellen Kompartments sind die in der Regel septisch bedingten Volumenänderungen im Bereich der Bauchorgane. Durch die erhöhte Kapillarpermeabilität bedingt kommt es im Rahmen einer Sepsis zu einem Anschwellen von Dünn- und Dickdarm. Nach Bauchdeckenverschluss, der möglicherweise noch unproblematisch gelingt, führt das Anschwellen des Darms zu einer erhöhten Kompression. Die daraus folgende Hypoperfusion erhöht die Gefäßpermeabilität und führt zu einem venösen Rückstau. Hierdurch kommt es zu einem weiteren Anstieg des intraabdominellen Druckes. Bei weiter ansteigendem intraabdominellem Druck kann eine Hypoperfusion sämtlicher Bauchorgane resultieren mit konsekutivem Funktionsausfall. Der Rückfluss des venösen Blutstroms kann durch V.-cava -Kompression nahezu komplett unterbunden werden. Das abdominelle Kompartmentsyndrom stellt daher ein lebensbedrohliches Erkrankungsbild dar, welches umgehend therapiert werden muss. z Diagnose Klinisch auffällig wird der Patient in der Regel durch eine arterielle Hypotonie und ein Sistieren der Nierenfunktion. Eine zunehmende Einschränkung der Beatmungsfähigkeit bei weiter ansteigendem Druck ist ein weiteres Zeichen für das Auftreten eines abdominellen Kompartmentsyndroms. Spätestens nun sollte eine Messung des Blasendrucks zur Evaluation durchgeführt werden. Bei Vorliegen eines Blasendrucks >20 mm Hg ist das Vorliegen eines abdominellen Kompartmentsyndroms gesichert. z Therapie Therapie der Wahl ist das sofortige Eröffnen der Bauchdecke. Diese Entlastung führt rasch zu einer Beatembarkeit des Patienten und zu einer Normalisierung des Katecholaminbedarfs. Bei schwerem Krankheitsbild kann auf einen weiteren temporären Verschluss der Bauchdecke verzichtet werden. Ein Bauchdeckenverschluss sollte dann in den nächsten Tagen mittels eines weichen, resorbierbaren Netzes erfolgen (. Abb. 74.13). Die weitere Therapie besteht in der intensivmedizinischen Stabilisierung der Kreislaufsituation und einer Behandlung der Sepsis.
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964
Kapitel 74 · Abdominalchirurgische Eingriffe
11 Podbielski et al. (1998) Gruppe-A-Streptokokken und die nekrotisierende Fasziitis. Dtsch Ärztebl 95 (8): A–414 12 Renk u. Langgartner (2003) Management des akuten Abdomens. Intensivmedizin 40: 599–617 13 Schröder et al. (2009) Ischämische Konditionierung des Mageninterponates vor transthorakaler Ösophagektomie – Einfluß auf postoperative Mortalität und Anastomoseninsuffizienz 10.3205/09dgch541 [www. egms.de/static/en/meetings/dgch2009/09dgch541.shtml] 14 Siegenthaler u. Büchler (2001) Akute Pankreatitis. Lehrbuch der Inneren Medizin, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart New York, S 1202–1203 p 15 Tillmann B (2009) Atlas der Anatomie des Menschen, 2. Aufl. 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 285 16 Töns u. Schumpelick (Hrsg) (1997) Chirurgische Notfall- und Intensivmedizin. Enke, Stuttgart 17 Waldeyer et al. (1987) Anatomie des Menschen. Teil II 12. Aufl. de Gruyter, Berlin, S 322–327 18 Welte M, Hansen D (2008) Anästhesie in der Viszeralchirurgie. In: Rossaint R, Werner C, Zwißler B (Hrsg) Die Anästhesiologie, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 1033 19 Winkeltau u. Treutner (1994) Das Kompartmentsyndrom der Abdominalhöhle. In: Winkeltau (Hrsg) Die diffuse Peritonitis. Wiss. Verlagesgesellschaft, Stuttgart, S 79–81
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. Abb. 74.13 Temporärer Bauchdeckenverschluss bei abdominellem Kompartment
Die Anwendung einer Hämofiltration über 24 h mit einem moderaten Wasserentzug kann die Schwellung des Darmes minimieren. Sobald es zu einem deutlichen Abschwellen der Bauchorgane gekommen ist, sollte der rasche Bauchdeckenverschluss angestrebt werden, um eine Retraktion der Faszienränder zu vermeiden [19].
74 Literatur
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1
Bollschweiler et al. (2001) Epidemiologie des Ösophaguskarzinoms in Deutschland. Onkologie 24: 180–184 2 Clancy et al. (2005) Current management of acute pancreatitis (Aktuelles Management der akuten Pankreatitis). Gastroint Surg 9 (3): 440–452 3 Domschke u. Schumpelick 1983), Streßulcus: Mechanismen der Aggression und Protektion. Dtsch Med Wochenschr 108: 510–515 4 Fleischer et al. (2000) Die infizierte Bauchdecke und der Platzbauch. Chirurg 71: 754–762 5 Ghaferi et al. (2009) Variation in Hospital Mortalitiy Associated with Inpatient Surgery. N Egl J Med 2009; 361: 1368–1375 6 Gockel et al. (2002) Einfluß der Recurrensparese bei Ösophagektomie wegen Ösophaguskarzinoms auf die perioperative Morbidität. Kongressband Chirurgenkongress 2004 [doc04dghc0668] 7 Hopt et al. (2004) Nahtinsuffizienzen im biliopankreatischen Bereich. Chirurg 75: 1079–1087 8 Kollmar et al. (2006) Anatomische Klassifikation der Pankreatojejunostomie korreliert mit der postoperativen Fistelrate nach Whipple Operation, doc06dgch4810 9 Kremer et al. (1992) Chirurgische Operationslehre. Thieme, Stuttgart New York 10 Mazuski et al. (2009) Intraabdominal infections (Intraabdominelle Infektionen). Surg Clin North Am 98 (2): 421–437
965
Herzchirurgische Eingriffe E. Kilger, K. Nassau, F. Vogel, B. Zwißler
75.1
Grundlagen der Behandlung – 966
75.2
Überwachung nach herzchirurgischem Eingriff – 966
75.2.1 75.2.2
Routineüberwachung – 966 Erweitertes hämodynamisches Monitoring – 966
75.3
Herz-Kreislauf-Therapie – 967
75.3.1 75.3.2 75.3.3
Herzfunktion – 968 Perfusionsdruck – 971 Rhythmus – 973
75.4
Systemisches Inflammationssyndrom (SIRS) – 974
75.4.1
Pharmakologische Therapie – 975
75.5
Blutgerinnung – 975
75.6
Komplikationen nach Kardiochirurgie – 976
75.6.1 75.6.2 75.6.3 75.6.4 75.6.5 75.6.6 75.6.7
Myokardinfarkt – 976 Nierenversagen – 977 Lungenversagen – 977 Gastrointestinale Komplikationen – 978 Neurologische Defizite – 978 Infektionen – 979 Posttraumatische Belastungsstörungen – 979
75.7
Minimalinvasive Herzchirurgie – 979 Literatur – 979
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_75 , © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
75
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
75.1
Grundlagen der Behandlung Routineüberwachung nach herzchirurgischem Eingriff
Herzchirurgische Eingriffe gehören zu den häufigsten Operationen weltweit. Die Anzahl der Eingriffe ist bis vor wenigen Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2008 wurden in Deutschland knapp 90.000 herzchirurgische Operationen durchgeführt. Die Indikationen für herzchirurgische Eingriffe schließen myokardiale Ischämien, Herzvitien, Herzinsuffizienz, kongenitale Fehlbildungen und Arrhythmien mit ein. Trotz ständiger Fortschritte sowohl der operativen Techniken als auch der perioperativen Patientenbetreuung ist die Letalität bei Erwachsenen in einem Bereich von etwa 3–5% seit Jahren konstant. Mitverantwortlich für diese Stagnation ist die Tatsache, dass zunehmend ältere Patienten mit mehr Begleiterkrankungen operiert werden. Der Anteil der über 70-jährigen Patienten lag in einer bundesweiten Erhebung aus dem Jahr 2008 bei 49% – im Vergleich dazu 1996 noch bei 29% [18]. Während noch vor einigen Jahren die kardial bedingte Letalität nach herzchirurgischen Eingriffen die häufigste Todesursache war, rückt heute das Multiorganversagen immer mehr in den Vordergrund. Neben den zunehmenden Begleiterkrankungen der Patienten ist die generalisierte Entzündungreaktion (SIRS), bedingt durch den extrakorporalen Kreislauf und das chirurgische Trauma, ein Hauptfaktor in der Genese des Multiorganversagens [25].
Potenzielle Komplikationen nach kardiochirurgischem Eingriff 4 Myokardiales Pumpversagen/Myokardischämie/ Low-Output-Syndrom 4 Herzrhythmusstörungen 4 Systemische Inflammation (SIRS) 4 Respiratorische Insuffizienz 4 Hämodilution/Anämie 4 Verlust-, Verdünnungs-, Verbrauchskoagulopathie 4 Niereninsuffizienz 4 Gastrointestinale Funktionsstörungen 4 Neurologische Defizite 4 Infektionen
Arterieller Zugang Die invasive arterielle Kanülierung erlaubt neben der kontinuierlichen Registrierung des arteriellen Blutdrucks die häufige Entnahme von Blutproben zum Monitoring des pulmonalen Gasaustausches, des Säure-Basen-Haushalts und der Elektrolyte. Dabei sollte ein MAP von 70 mm Hg nicht unterschritten werden. Bei Operationen an der Aorta wird meist zum Schutz der Nähte eine systolische Druckobergrenze (meist 120 mm Hg) eingehalten [3].
Zentraler Venenkatheter Die Anlage eines mehrlumigen zentralen Venenkatheters ist bei intrathorakalen Eingriffen in der Regel indiziert. Bei der Katheterauswahl sollten mindestens 3 Lumina eingeplant werden, da einige in der kardiochirurgischen Intensivmedizin eingesetzte Medikamente galenisch inkompatibel sind (z. B. Enoximon, Amiodaron, Furosemid).
75.2.2
Erweitertes hämodynamisches Monitoring
Pulmonalarterienkatheter Einzelne dieser Veränderungen treten in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu jedem Patienten auf und erfordern v. a. in der frühen postoperativen Phase eine gezielte Intervention. Besonderheiten in der Therapie dieser Störungen bei Erwachsenen sind Gegenstand dieses Kapitels. Die intensivmedizinische Betreuung von Kindern, die häufig bereits in den ersten Lebenswochen am Herz operiert werden müssen, erfordert aufgrund der adaptiven Besonderheiten bei Säuglingen und Kleinkindern und den komplexen pathophysiologischen Veränderungen zusätzliche Kenntnisse in der Pädiatrie und Kinderkardiologie.
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75.2
Überwachung nach herzchirurgischem Eingriff
75
75.2.1
Routineüberwachung
75
Überwachung und Behandlung eines Patienten in den ersten Stunden nach einem kardiochirurgischen Eingriff sind personell und apparativ aufwendig (7 Übersicht).
75
4 Kontrolle von Blutdruck, Herzfrequenz, Diurese und Körpertemperatur 4 ST-Segment-Analyse am Monitor/kontinuierliche Arrhythmieüberwachung 4 12-Kanal-EKG und Thoraxröntgendiagnostik 4 Beurteilung des Volumenstatus 4 Dokumentation des Blutverlustes über die Thoraxdrainagen 4 Dokumentation von Beatmungsparametern 4 Durchführung von Blutgasanalysen, Kontrolle der Elektrolyt-, BZ- und Laktatkonzentration 4 Kontrolle von Myokardmarkern, Blutbild und Gerinnung 4 Kontrolle der Leber- und Nierenfunktionsparameter sowie der Infektionsmarker
Die Indikation zum erweiterten makrohämodynamischen Monitoring nach einer Herzoperation hängt vom prä- und intraoperativen Zustand des Patienten ab. Die Indikation zur Anlage eines Pulmonalarterienkatheters ist daher streng zu stellen. Sie ergibt sich v. a. in Fällen, bei denen eine Messung des pulmonalarteriellen Druckes indiziert ist, wie z. B. nach Mitralklappenoperation, nach Herztransplantation oder bei einem akuten Druckanstieg im Rahmen eines akuten Lungenversagens. Die Messung wird zudem zur Steuerung der Therapie im Rahmen der rechtsventrikulären Nachlastsenkung bei Rechtsherzversagen benötigt [8, 23].
Transkardiopulmonale Thermodilution und Pulskonturanalyse Bei dem transkardiopulmonalen Messsystem zum hämodynamischen und volumetrischen Monitoring wird das Herzzeitvolumen sowohl diskontinuierlich mittels transkardiopulmonaler Thermodilution als auch kontinuierlich durch arterielle Pulskonturanalyse (PiCCO-System) ermittelt. Die Messung des Herzzeitvolumens mittels Pulskonturanalyse wird durch die transkardiopulmonale Thermodilution kalibriert. Ein kalter Bolus (≤24ºC, 10–15 ml) wird über einen zentralvenösen Katheter injiziert. Die Temperatur des Injektats wird mittels Thermistor am Injektionsort registriert. Mit einem zweiten Thermistor, der in die Spitze eines arteriellen Femo-
967 75.3 · Herz-Kreislauf-Therapie
raliskatheters eingebracht wird, wird der Temperaturverlauf des Blutes nach Injektion des Indikators gemessen. Über die Kalibrierung hinaus liefert die transkardiopulmonale Thermodilution u. a. Informationen über das intrathorakale Blutvolumen (ITBV). Das ITBV setzt sich zusammen aus dem global enddiastolischen Volumen (GEDV) und dem Volumen der Lungenstrombahn. Zur Abschätzung der kardialen Vorlast ist der Messwert des ITBV aussagekräftiger als ZVD oder PCWP. Durch Therapiealgorithmen, die auf dem GEDVI basieren, konnten nach herzchirurgischen Eingriffen neben der Dauer der Katecholamintherapie auch die Dauer der Beatmung und des Intensivaufenthalts reduziert werden [17]. Aus der kontinuierlichen Beat-to-beat-Analyse des arteriellen Pulssignals werden weitere volumetrische Parameter abgeleitet. Die (be)atmungsabhängige Oszillation der Pulsdruckkurve wird rechnerisch ausgewertet. Aus den zyklischen Schwankungen ergibt sich die Schlagvolumenvariation (SVV) als Korrelat des intravasalen Volumenstatus. Diese scheint ein besserer funktioneller PreloadParameter zu sein als die statischen Parameter PCWP und ZVD. Eine alternative Form der Pulskonturanalyse bietet ein Sensor, der an jedem arteriellen Druckabnehmer angeschlossen werden kann und ohne initiale Kalibrierung durch die Analyse der Form der arteriellen Druckkurve und des Schlagvolumens zusammen mit Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht des Patienten die Berechnung des Herzzeitvolumens und der Schlagvolumenvariation ermöglicht (Vigileo-System mit FloTrac-Sensor) [35]. Klinische Untersuchungen aus der herzchirurgischen Intensivmedizin zeigten unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Reliabilität und Validität des Verfahrens. Eine abschließende Evaluation des Verfahrens kann zurzeit noch nicht vorgenommen werden [56]).
korreliert unter Berücksichtigung der linkskardialen Compliance mit der linksventrikulären Vorlast. Über einen linksatrialen Katheter ist die Zufuhr vasopressorischer Substanzen distal der pulmonalen Strombahn möglich. Dieser Applikationsweg soll eine katecholamininduzierte Aggravierung einer pulmonalen Hypertension verhindern.
Echokardiographie Die transthorakale und transösophageale Echokardiographie (TTE/ TEE) als semi-invasives Verfahren erlaubt die visuelle Beurteilung der Herz- und Klappenfunktion. Aussagekräftige Untersuchungsresultate setzen eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung des Untersuchers voraus. Über standardisierte Schnittebenen können die globale LV- und RV-Funktion und der Volumenstatus beurteilt sowie regionale Wandbewegungsstörungen und Klappen- und Herzvitien dedektiert werden. Mittels CW- und PW-Dopplertechnik lassen sich Blutflussgeschwindigkeiten über allen Klappen sowie rechts- und linksventrikulärem Ausflusstrakt quantifizieren [49].
Funktionsparameter und diagnostische Möglichkeiten während der Echokardiographie 4 4 4 4 4
Globale links- und rechtsventrikuläre Pumpfunktion Volumenstatus Regionale Wandbewegungsstörungen Klappenvitien/Endokarditis/intrakavitäre Thromben Dissektionen/Aneurysmen der Aorta ascendens und der thorakalen Aorta descendens 4 Ausschluss einer Perikardtamponade 4 Positionierung einer intraaortalen Gegenpulsationspumpe (IABP)
Gemischtvenöse Sauerstoffsättigung Die Sauerstoffsättigung im gemischtvenösen Blut (SvO2) liefert Informationen über das Maß der globalen Sauerstoffausschöpfung. Bei hypodynamer Kreislaufsituation (z. B. kardial bedingtes Lowoutput-Syndrom) nimmt die periphere Sauerstoffausschöpfung zu, die arteriovenöse Differenz des Sauerstoffgehalts (avDO2) steigt, und die gemischtvenöse Sättigung fällt ab. Niedrige Werte fordern eine prompte Intervention zur Steigerung des Sauerstoffangebots der Gewebe. Eine zielorientierte Volumen- und Katecholamintherapie, die als Richtgröße eine SvO2 >70% in der frühen postoperativen Phase nach Herzoperation anstrebt, verkürzt die Krankenhausliegedauer und die Inzidenz einer fortbestehenden Organdysfunktion bei Entlassung (z. B. Niereninsuffizienz oder neurologisches Defizit) [42].
Zentralvenöse Sauerstoffsättigung In aktuellen Studien wurde die Sauerstoffsättigung im zentralvenösen Blut (ScvO2) bei der Initialtherapie kritisch kranker Patienten als Surrogatparameter für die gemischtvenöse Sättigung verwendet. Tatsächlich kann die zentralvenöse Sättigung in Zusammenschau mit anderen Parametern, wie dem Laktat- und dem pH-Wert, orientierend Aufschluss über die globale Sauerstoffbilanz geben, ohne dass die Anlage eines Pulmonalarterienkatheters notwendig wäre [8, 13 ].
Linksatrialer Katheter Ein linksatrialer Katheter wird intraoperativ über einen direkten Zugang nach Eröffnung des Perikards eingelegt. Ein linksatrialer Katheter erlaubt die direkte Messung des linksatrialen Druckes (LAP). Dieser entspricht bei normaler Mitralklappenfunktion dem linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdruck (LVEDP) und
Die echokardiographische Untersuchung ist ein hochsensitives Verfahren zur Detektion von Myokardischämien. Neu aufgetretene regionale Wandbewegungsstörungen sind bei myokardialer Perfusionsstörung früher erkennbar als EKG-Veränderungen und lassen eine annähernde Lokalisation des okkludierten Gefäßes zu. Bei Patienten, die akute anhaltende hämodynamische Störungen aufweisen und bei denen die ventrikuläre Funktion und ihre Determinanten unklar sind, ist die Echokardiographie sinnvoll und verbessert das klinische Outcome (Empfehlungsgrad B) [8, 40].
75.3
Herz-Kreislauf-Therapie
Obwohl herzchirurgische Eingriffe langfristig zu einer kardialen Verbesserung führen sollen, ist im unmittelbar postoperativen Verlauf mit einer passageren kardialen Funktionseinschränkung zu rechnen. Das Ausmaß und die Dauer dieser Reduktion hängen von der Schwere der vorbestehenden Dysfunktion, der Qualität der intraoperativen Myokardprotektion, dem Ischämiereperfusionsschaden und dem operativen Ergebnis ab. »Myocardial stunning« beschreibt die reversible Dysfunktion nach zeitlich begrenzter kardialer Ischämie und anschließender Reperfusion. Diese Situation besteht auch nach kardioplegischem Herzstillstand. Es kommt zu einem Zellödem mit intrazellulärer Kalziumakkumulation und zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen in der Phase der Reperfusion. Zur Verbesserung der postoperativen Funktion ist neben der inotropen Unterstützung v. a. die Optimierung der Vorlast, aber auch der Nachlast von entscheidender Bedeutung (Frank-StarlingMechanismus; . Abb. 75.1). Typischerweise versucht man, diese Optimierung durch Messung der Füllungsdrücke zu erzielen, wobei
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
Linksventrikuläre Funktion
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Normovolämie
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Schlagvolumen
Hypervolämie Hypovolämie
Enddiastolisches Volumen . Abb. 75.1 Frank-Starling-Mechanismus: Beziehung zwischen Schlagvolumen und Vorlast
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diese die ventrikuläre Vorlast vielfach nicht verlässlich reflektieren. Aufgrund der postoperativ verminderten Compliance (diastolische Dysfunktion) benötigt das Myokard in dieser Phase eine höhere Vorlast zur Optimierung der Auswurfleistung. Selbst ein Herz mit präoperativ annähernd normaler Auswurfleistung (EF >50%) und unauffälligem intraoperativem Verlauf wird meist in den ersten 6 h auf der Intensivstation eine Verschlechterung der Pumpfunktion um 10–15% erfahren und sich erst im weiteren Verlauf innerhalb von 24 h erholen. Ausmaß und Dauer der postoperativen systolischen Dysfunktion sind individuell sehr unterschiedlich. Je ausgeprägter die Kontraktilitätsminderung ist, desto höher ist das Risiko multipler Endorgandysfunktionen.
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75.3.1
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Herzfunktion
Postoperativ ist die schnelle Wiederherstellung eines adäquaten Herzzeitvolumens unter optimierter myokardialer Sauerstoffbilanz prognostisch entscheidend. Das Risiko einer globalen Minderperfusion besteht unter Normothermie bei einem »cardiac index« (CI) <2,0 l/m2. Dennoch lässt sich die Bedeutung eines unzureichenden Herzeitvolumens nur in der Zusammenschau vieler Befunde abschätzen. Orientierend erlaubt die Bestimmung des Serumlaktatwerts, des Säure-Basen-Status und der zentral- oder gemischtvenösen Sauerstoffsättigung mit arteriovenöser Sauerstoffdifferenz einen Rückschluss auf die globale Sauerstoffbilanz. Ein erweitertes hämodynamisches Monitorung quantifiziert die Herzleistung und dient zur Therapiesteuerung. Durch eine echokardiographische Untersuchung können Perikardtamponaden oder sonstige operativ bedingte Komplikationen ausgeschlossen werden. Eine eindeutige Zuordnung der Genese des Pumpversagens ist trotz allem nicht immer möglich [3].
Mögliche Ursachen eines Low-output-Syndroms nach herzchirurgischem Eingriff 4 Systolisches und/oder diastolisches Herzversagen 4 Postoperativer Myokardinfarkt, z. B. frühzeitiger Bypassverschluss 4 Herzrhythmusstörungen 4 Perikardtamponade bei Nachblutung/Erguss 4 Hypovolämie/Hypervolämie 4 Pneumothorax/Hämatothorax 4 Akute Klappendysfunktion/Shuntvitien
An erster Stelle in der Therapie des linksventrikulären Pumpversagen steht die Optimierung der myokardialen Vorlast. Darüber hinaus existieren verschiedene pharmakologische und apparative Möglichkeiten zur Verbesserung der linksventrikulären Pumpfunktion. Zur pharmakologischen Verbesserung der myokardialen Kontraktilität kommen Dopamin, Dobutamin, Adrenalin, Noradrenalin, Phosphodiesterasehemmer sowie der Kalzium-Sensitizer Levosimendan zur Anwendung. Die Summation der inotropen, vasokonstriktorischen oder vasodilatierenden und chronotropen Wirkungen jeder Substanz muss auf die physiologische Situation des Patienten abgestimmt werden, um den optimalen Therapieeffekt zu erzielen. Eine Kombinationstherapie von Inotropika und Vasokonstriktoren ist bei schwer eingeschränkter Pumpfunktion mit Hypotension häufig erforderlich. Apparative Unterstützungssysteme bei myokardialem Pumpversagen sind die intraaortale Gegenpulsationspumpe (IABP) oder verschiedenste Assist-device-Formen von passageren bis bleibenden Kunstherzen. z
Medikamentöse Therapie
Dopamin war viele Jahre das bevorzugte Katecholamin zur kreis-
laufstützenden Therapie bei kardiochirurgischen Patienten, insbesondere im Hinblick auf eine Aufrechterhaltung der Nierenfunktion. Die Daten bezüglich der regionalen Perfusion unter Dopamin sind jedoch uneinheitlich. Einige Studien zeigten sogar eine Verschlechterung der renalen und der gastrointestinalen Perfusion. Dies kann dadurch bedingt sein, dass infolge des dosisabhängigen Wirkprofils von Dopamin bereits im niedrigen Dosisbereich eine Vasokonstriktion auftritt. Der Anstieg des koronararteriellen Blutflusses ist unter Dopamin geringer als der Anstieg des Herzzeitvolumens. Ebenso ist bei Patienten mit KHK ein Anstieg des pulmonalarteriellen Drucks durch Dopamin ungünstig. Der Einsatz von Dopamin wird daher in der Behandlung kardiochirurgischer Patienten zunehmend kritisch diskutiert [3]. Dobutamin ist ein synthetisches Katecholamin, das β1-, β2- und α-Rezeptoren als Angriffspunkt hat. Dobutamin stimuliert v. a. die myokardialen β1-Rezeptoren. Die β2- und α-Wirkung ist wesentlich schwächer ausgeprägt. Die Substanz steigert das Herzzeitvolumen und verbessert die renale und gastrointestinale Durchblutung. Durch Stimulation von β2-Rezeptoren kann jedoch der arterielle Perfusionsdruck abfallen. Die proarrhythmogene Wirkung und die Steigerung der Herzfrequenz sind nach herzchirurgischen Eingriffen unerwünscht, da die Arrhythmieneigung postoperativ per se erhöht ist. Vor allem bei eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion wird eine Tachykardie oder Tachyarrhythmie aufgrund der verkürzten und unregelmäßigen Diastolendauer schlecht toleriert [3]. Adrenalin ist eine stark positiv-inotrop wirkende Substanz. Die kardiovaskulären Effekte von Adrenalin beruhen auf einer direkten Stimulation der β- und α-Rezeptoren. Adrenalin erhöht die Leitungsgeschwindigkeit im AV-Knoten bzw. den Purkinje-Fasern, verkürzt die Systole mehr als die Diastole und steigert so die diastolische Perfusion des Myokards. Gleichzeitig nimmt jedoch auch der myokardiale Sauerstoffverbrauch zu, sodass es besonders bei Patienten mit nicht vollständiger Revaskularisation zu einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf kommen kann. In äquipotenter Dosierung ist der positiv-chronotrope Effekt weniger ausgeprägt als unter Dobutamin. Nachteilig sind die potenzielle Verschlechterung der Splanchnikusperfusion und die Verstärkung einer Laktazidose. Zudem wird in einer weiteren Arbeit dem Adrenalin im Vergleich zu Milrinon bei Patienten mit Low-output-Syndrom nach koronarer Bypass-Chirurgie eine Verschlechterung der
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metabolischen und renalen Funktion zugesprochen [20]. Trotzdem ist Adrenalin das am häufigsten eingesetzte Katecholamin zur Therapie des Low-output-Syndroms nach herzchirurgischen Eingriffen [23]. Der positiv-inotrope Wirkungsmechanismus der Phosphodiesterasehemmer (PDE-Hemmer) wie Enoximon, Amrinon oder Milrinon erfolgt durch die Hemmung der PDE III an der Zellmembran. Dadurch wird der Abbau von cAMP gehemmt, sodass erhöhte cAMP-Spiegel resultieren. Eine positive Inotropie mit direkter venöser und arterieller Dilatation ist die Folge. Die Vorteile der PDE-Hemmer im Vergleich zu den Katecholaminen bestehen in der rezeptorunabhängigen Steigerung der Myokardkontraktilität. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt bei Patienten mit Down-Regulierung der β-Rezeptoren. PDE-Inhibitoren reduzieren zudem die myokardiale Wandspannung und ökonomisieren den Sauerstoffverbrauch trotz der Erhöhung der Myokardkontraktilität. Zusätzlich verbessern sie die diastolische Relaxation des Herzens [47, 57]. Eine Hypovolämie muss vor Gabe eines PDE-Hemmers ausgeglichen werden, da anderenfalls infolge der vasodilatierenden Wirkung ein ausgeprägter Blutdruckabfall auftreten kann. Die Wirkung zu den Katecholaminen ist additiv. Kommt es trotz adäquater Volumentherapie zu einem kritischen Abfall des Perfusionsdrucks, sollte zusätzlich ein Vasopressor wie Noradrenalin verabreicht werden. Die Kombination von Enoximon oder Milrinon mit Noradrenalin hat sich dabei als effektives Konzept bei der schwierigen Entwöhnung vom kardiopulmonalen Bypass erwiesen [3]. Milrinon und Dobutamin sind vergleichbar in der Therapie des Low-output-Syndroms nach herzchirugischem Eingriff. Allerdings tritt unter Dobutamin signifikant häufiger Vorhofflimmern als bei Milrinon auf. Die Gabe von Milrinon hingegen ist häufiger mit Sinusbradykardien assoziiert [15]. Zusätzlich wird aktuell auf den kardioprotektiven Effekt der Phosphodiesterase-Inhibioren nach herzchiurgischen Eingriffen hingewiesen [44]. Levosimendan kommt aus der Familie der Kalzium-Sensitizer. Es verbessert die myokardiale Kontraktilität und wirkt auf die glatte Muskulatur relaxierend. Levosimendan bewirkt am Herzmuskel keine Konzentrationsänderung von intrazellulärem Kalzium. Die Substanz wirkt nicht wie die konventionellen Inotropika über einen »second messenger« (cAMP). Die positiv-inotrope Wirkung wird durch Sensibilisierung des kardiospezifischen Troponin C für Kalzium erzielt. Die Bindung an Troponin C führt zu längeren AktinMyosin-Querbrückenankopplungen und damit zu mehr Kraftentwicklung der kontraktilen Elemente der Herzmuskelzellen. Da die intrazelluläre Kalziumkonzentration nicht erhöht wird, bleibt die diastolische Relaxation unverändert. Über eine Aktivierung der ATP-abhängigen Kaliumkanäle wirkt Levosimendan relaxierend. Dadurch kommt es sowohl im arteriellen als auch im venösen System zu einer Vasodilatation. Ferner führt es dadurch zu einer Zunahme des koronaren Blutflusses, was gerade bei Patienten nach Bypasschirurgie erwünscht ist. Levosimendan steigert nur unwesentlich den myokardialen Sauerstoffverbrauch, was sich zusammen mit der verbesserten Koronarperfusion bei »stunned« oder »hibernating myocardium» als effektiv erwiesen hat [41]. Levosimendan wird kontinuierlich mit einer Dosis von 0,05– 0,1 μg/kg KG/min mit oder ohne Aufsättigungsbolus verabreicht. Die Therapiedauer differiert derzeit noch stark zwischen 6 und 24 h. Der positiv-inotrope Effekt wird dosisabhängig für mindestens 48 h nach Beendigung der Infusionzeit nachgewiesen. Verantwortlich dafür ist der Metabolit OR-1876 mit einer Halbwertszeit von 70– 80 h, der bei der Metabolisierung in Leber und Darm entsteht.
> In den Leitlinien der »European Society of Cardiology« (2005) wird Levosimendan bei symptomatischem Low-output-Syndrom aufgrund systolischen Herzversagens empfohlen (Klasse IIb).
Bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz und zusätzlicher β-Blocker-Therapie zeigt Levosimendan gegenüber Dobutamin einen Überlebensvorteil [36]. Levosimendan erhöht den myokardialen Sauerstoffverbrauch nur sehr moderat, reduziert das myokardiale Stunning und senkt den Katecholaminbedarf vor allem bei Patienten mit stark eingeschränkter Pumpfunktion. Aufgrund seines präkonditionierenden Potentials scheint Levosimendan vor allem dann erfolgversprechend zu sein, wenn es vor Beginn des kardiopulmonalen Bypasses appliziert wird [48]. Wegen fehlender Zulassung kann Levosimendan in Deutschland derzeit nur im Rahmen des sog. Heilversuchs zur Anwendung kommen. z Intraaortale Gegenpulsation Bei der intraaortalen Gegenpulsation (IABP) wird in SeldingerTechnik über die A. femoralis ein Ballonkatheter in die Aorta descendens eingebracht. Der Ballon wird in der Diastole – nach Schluss der Aortenklappe – binnen Millisekunden mit Helium gefüllt und kurz vor Beginn der nächsten linksventrikulären Ejektion schlagartig wieder abgelassen. Es resultiert eine Augmentation des diastolischen Druckes, der den intraventrikulären systolischen Druck übersteigen sollte. Die Koronarperfusion und die zerebrale Perfusion nehmen zu. Die präsystolische Entleerung des Ballons vermindert die linksventrikuläre Nachlast durch Absenkung des enddiastolischen Aortendrucks nach einer assistierten Systole (. Abb. 75.2). Die Triggerung der Pumpenaktionen kann über ein EKGSignal, die an der Katheterspitze mittels konventionellem oder fiberoptischem Drucksensor aufgenommene aortale Pulsdruckkurve oder über Herzschrittmacherspikes erfolgen. Der Einsatz der IABPPumpe ist eine Klasse-I-Empfehlung im kardiogenen Schock und eine Klasse-IIa-Empfehlung bei Myokardinfarkt mit hämodynamischer Instabilität oder bei reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion. Die Inzidenz einer Ischämie des Beines auf der Seite der Katheterinsertion lag früher bei 5–18%, konnte jedoch durch die Einführung neuer Katheter mit geringerem Außendurchmesser und die Anwendung einer schleusenlosen Technik weiter reduziert werden. Die Minderperfusion ist nach Entfernen des Katheters meist reversibel. Schwerwiegende vaskuläre Komplikationen sind, ebenso wie katheterassoziierte Infektionen oder ein Ballonleck, selten [11, 37].
. Abb. 75.2 Druckkurvenverlauf bei Ballongegenpulsation. (Mod. nach Datascope Deutschland)
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
> Mehrere Studien bestätigten, dass der frühzeitige – bei Hochrisikopatienten bereits präoperativ begonnene – Einsatz der IABP die Letalität und die Behandlungskosten einer Herzoperation reduziert [11]. Bei Rechtsherzversagen wird durch Einsatz der IABP die rechtsventrikuläre Perfusion verbessert [7].
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z Schrittmacherstimulation Über die intraoperativ angelegten epikardialen Schrittmachersonden ist es durch Stimulation oberhalb der Eigenfrequenz möglich, das Herzzeitvolumen auch bei unverändertem Schlagvolumen zu steigern. Patienten mit Sinusrhythmus profitieren von einer atrialen Stimulation, da die Erregung über das physiologische Reizleitungssystem geleitet wird und Vorhof und Ventrikelkontraktion adäquat aufeinander abgestimmt werden. Durch die alleinige ventrikuläre Stimulation geht ein optimaler Kontraktionsablauf verloren und reduziert bei Patienten mit Sinusrhythmus das Herzzeitvolumen. Bestehen postoperativ Reizleitungsstörung, ist zur Steigerung des Herzzeitvolumens eine DDD-Stimulation mit angepasster AVÜberleitungszeit sinnvoll. Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion ≤35%, einer QRS-Dauer von >130 ms (v. a. bei Linksschenkelblock) bei Sinusrhythmus und in einem NYHA-Stadium III–IV profitieren von einer biventrikulären Stimulation durch eine Resynchronisation des Kontraktionsablaufs. Eine biventrikuläre Stimulation zur Optimierung des Kontraktionsablaufs und Verbesserung der Herzleistung ist auch temporär über die epikardalien Schrittmachersonden möglich. Durch atriobiventrikuläre Stimulation bei eingeschränkter EF nach Bypassoperation konnte bei Patienten der Herzindex im Gegensatz zu einer atrialen Stimulation gesteigert werden. Fallstudien geben Hinweise, dass der Inotropikabedarf unter dieser Stimulation bei Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA IV) nach Bypassoperation reduziert werden kann [14].
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Rechtsherzversagen
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Eine Dysfunktion des rechten Ventrikels (RV) wird v. a. durch Veränderungen seiner Nachlast und/oder seiner Kontraktilität ausgelöst. Die Inzidenz des schweren akuten Rechtsherzversagens beträgt 0,1% bei konventioneller Herzoperation, 2–3% nach Herztransplantation und 20–30% nach Implantation eines linksventrikulären Assistsystems [24]. Jede pulmonale Hypertension hat einen Anstieg der rechtsventrikulären Nachlast zur Folge. Eine vorbestehende pulmonale Hypertension kann durch die nach EKZ häufig beobachtete Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den gefäßwirksamen Mediatoren zugunsten pulmonaler Vasokonstriktoren oder die Wirkung von Protamin weiter verstärkt werden und ein akutes Rechtsherzversagen auslösen. Postoperative Hypoxie, Hyperkapnie und Azidose wirken additiv. Eine pathologische Erhöhung der rechtsventrikulären Nachlast kann eine relative Ischämie des rechten Ventrikels zur Folge haben. In dieser Situation sinkt der Gradient zwischen dem rechtskoronaren Perfusionsdruck und dem intraventrikulären Druck im rechten Herz. Eine absolute Ischämie im Sinne eines Rechtsherzinfarkts ist meist Folge eines proximalen Verschlusses der rechten Koronararterie. Postoperativ ist die Kontraktilität des RV infolge von Kardioplegie und Reperfusion häufig eingeschränkt.
! Cave Der rechte Ventrikel reagiert auf eine Volumenüberladung (Überdehnung) während der Entwöhnung vom kardiopulmonalen Bypass empfindlich (Übersicht bei [58]).
z Diagnostik und Überwachung bei Rechtsherzversagen Die Echokardiographie ist die beste Methode zum Nachweis einer akuten rechtsventrikulären Dysfunktion. Beim Rechtsherzversagen ist ein erweitertes hämodynamisches Monitoring unverzichtbar. Der zentrale Venendruck bildet das rechtsventrikuläre enddiastolische Volumen und damit die Vorlast häufig unzureichend ab. Eine Methode zur bettseitigen Bestimmung des Füllungsvolumens ist die Fast-response-Thermodilutionstechnik als Fortentwicklung der Swan-Ganz-Methode. Der Katheter registriert nach Injektion eines Kältebolus Schlag für Schlag die Temperaturänderung in der Pulmonalarterie. Daraus werden die Auswurffraktion und das enddiastolische Volumen des rechten Ventrikels errechnet. z Therapiestrategien beim Rechtsherzversagen Ist die Ursache der Rechtsherzdysfunktion bekannt, muss eine kausale Therapie angestrebt werden. Falls diese nicht möglich ist, muss eine symptomatische Therapie erfolgen.
Symptomatische Therapie der Rechtsherzinsuffizienz 4 Optimierung der Vorlast 4 Erhöhung des rechtsventrikulären Perfusionsdrucks durch Noradrenalin und/oder Einsatz der intraaortalen Gegenpulsation 4 Erhöhung der Kontraktilität durch Katecholamine und/ oder Phosphodiesterasehemmer 4 Verminderung der Nachlast durch – hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentration (Basismaßnahme) – mäßiggradige Hyperventilation und Azidoseausgleich (Basismaßnahme) – Gabe inhalativer Vasodilatatoren, wie Stickstoffmonoxid (NO) oder vasodilatierender Aerosole
Durch eine Volumentherapie kann über den Frank-Starling-Mechanismus eine Erhöhung des rechtsventrikulären Schlagvolumens erfolgen, solange die Vorlastreserve des rechten Ventrikels noch nicht ausgeschöpft ist. Eine Volumenzufuhr darüber hinaus hat durch eine weitere Steigerung des intraventrikulären Druckes negative Auswirkungen. Bei arterieller Hypotension ist eine Steigerung der rechtskoronaren Perfusion durch Anhebung des systemischen Mitteldrucks prognostisch günstig, obwohl die Pulmonalgefäße von der vasokonstriktorischen Wirkung systemisch applizierter Vasopressoren nicht ausgenommen sind. Noradrenalin gilt als Mittel der Wahl zur Anhebung des Perfusionsdrucks bei dekompensiertem Rechtsherzversagen und Schock (. Tab. 75.1). Zur Verbesserung der Kontraktilität werden beim Rechtsherzversagen dieselben Substanzen eingesetzt wie bei der akuten Linksherzinsuffizienz. Dobutamin besitzt das günstigste Wirkungsprofil der Katecholamine. Die pulmonal vasokonstringierende Wirkung von Adrenalin und Dopamin ist ausgeprägter. Phosphodiesterasehemmer werden aufgrund ihrer inodilatorischen Wirkung mit gutem Erfolg eingesetzt, sofern der arterielle Druck stabil gehalten wird.
971 75.3 · Herz-Kreislauf-Therapie
. Tab. 75.1 Therapieoptionen bei Rechtsherzversagen Dosierunga
Halbwertszeitb
Nitroglycerin
0,1–0,8 μg/kg KG/min
2,7 min
Nitroprussidnatrium
0,2–0,8 μg/kg KG/min
3,5 min
Epoprostenol (PGl2-Analogon)
1,0–20 ng/kg KG/min
3,0 min
Iloprost
0,5–2 ng/kg KG/min
30 min
Stickstoffmonoxid (NO)
0,1–40 ppm
<3 s
Prostaglandin E1
5–20 ng/kg KG/min
Nicht untersucht
Epoprostenol (PGl2-Analogon)
10–25 ng/kg KG/min
Nicht untersucht
Iloprost
10–20 μg über 10–15 min
Nicht untersucht
Milrinon
2–5 mg über 5–10 min
Nicht untersucht
Noradrenalin
0,02–0,4 μg/kg KG/min
Minuten
Adrenalin
0,03–0,15 μg/kg KG/min
Minuten
Dobutamin
5–20 μg/kg KG/min
Minuten
Dopexamin
0,25–1 μg/kg KG/min
7 min
Isoprenalin
0,01–0,05 μg/kg KG/min
3,8 min
Amrinon
0,75 mg/kg KG (über 2–3 min) o 5–10 μg/kg KG/min
210–340 min
Enoximon
0,5 mg/kg KG (über 10 min) o 5–20 μg/kg KG/min
360 min
Milrinon
0,05 mg/kg KG (über 10 min) o 0,5 μg/kg KG/min
140–160 min
Medikament Vasodilatatoren (i.v.)
Vasodilatatoren inhalativ (nicht zugelassen)
Katecholamine
Phosphodiesterasehemmer
a
b
Dosierungsangaben sind Anhaltszahlen. Eine individuelle Titration der Dosis je nach gewünschtem klinischen Effekt ist unverzichtbar und kann eine Über- oder Unterschreitung der angegebenen Dosierung erforderlich machen. Anhaltswerte, die in Abhängigkeit vom Lebensalter sowie Vorerkrankungen starken Schwankungen unterliegen.
Bei der systemischen Gabe von Vasodilatatoren zur rechtsventrikulären Nachlastsenkung kommt es meist zu einem gleichzeitigen Blutdruckabfall mit Beeinträchtigung der Organperfusion und zur Verminderung der hypoxisch-pulmonalen Vasokonstriktion mit Verschlechterung der Oxygenierung. Dagegen induzieren inhaliertes Stickstoffmonoxid (NO) bzw. die Aerosole verschiedener vasodilatierender Prostanoide oder Milrinon eine selektive pulmonale Vasodilatation. Inhalierte Vasodilatatoren werden daher aufgrund ihrer topischen Effekte systemischen Vasodilatatoren vorgezogen. Als besonders wirksam erwiesen sich die inhalativen Substanzen bei der Therapie des Rechtsherzversagens nach kardiochirurgischem Eingriff. Ihr Einsatz erscheint daher trotz der fehlenden Zulassung im Einzelfall gerechtfertigt [29, 45].
75.3.2
Perfusionsdruck
Hypotension Der herzchirurgische Eingriff mit extrakorporaler Zirkulation ist häufig mit einem Vasodilatationssyndrom (VDS) verbunden. Neben bestimmter Begleitmedikation (ACE-Hemmer) wird v. a. ein systemisches Inflammationssyndrom (SIRS) dafür verantwortlich gemacht. Klinisch ist das VDS durch einen erniedrigten systemischen Widerstand gekennzeichnet. Ein inadäquater Perfusions-
druck (MAP <65–70 mm Hg) sollte nicht wegen potenziell ungünstiger Nebenwirkungen von Vasopressoren toleriert werden. Dauert die katecholaminrefraktäre Vasoplegie länger als 36–48 h, so steigt die Letalität auf bis zu 25% an. Zu den verfügbaren Medikamenten mit vasokonstriktorischen Eigenschaften zählen Adrenalin, Noradrenalin, Vasopressin und selten Methylenblau [3] (. Tab. 75.2). Unter der Prämisse der Normovolämie erscheint der Einsatz von Noradrenalin zur Anhebung des Perfusionsdrucks nach einer Herzoperation als Mittel der Wahl. Noradrenalin weist neben dem α-adrenerg vermittelten vasokonstriktorischen Effekt auch eine positiv-inotrope Komponente auf. Die positive Inotropie wird über β1- und myokardiale α-Rezeptoren vermittelt. Da Noradrenalin eine größere Affinität zu α- als zu β-Rezeptoren besitzt, stehen die Effekte der α-adrenergen Stimulation im Vordergrund. Es kommt zu einer Konstriktion der Arteriolen und damit zu einem deutlichen Anstieg des peripheren Gefäßwiderstands. Der positiv-chronotrope Effekt wird durch eine Reflexbradykardie (Stimulation der Barorezeptoren) abgeschwächt. Mit der Anhebung des Perfusionsdrucks bei Normovolämie erhofft man sich eine Verbesserung der regionalen Durchblutung der Nieren und des Splanchnikusgebiets einher. Vasopressin ist ein Hormon der Neurohypophyse, das über periphere Vasopressinrezeptoren (Subtyp V1a) eine katecholaminrezeptorunabhängige Vasokonstriktion bewirkt. Eine Kombination
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
. Tab. 75.2 Kardiovaskuläre Medikamente. (Nach [3]) Substanz
Dosis
Inotropie
Chronotropie
Vasokonstriktion
Vasodilatation
Milrinon
0,125–0,5 μg/kg KG/min
++++
0
0
+++
Dobutamin
2–20 μg/kg KG/min
+++/++++
+/++
0
++
Adrenalin
1–20 μg/kg KG/min
++++
++++
++++
+++
Noradrenalin
2–40 μg/kg KG/min
++
+
++++
0
Dopamin
1–4 μg/kg KG/min
+
+
0
+
Vasopressin
0,01–0,04 IE/min
0
0
++++
0
von Noradrenalin mit Argipressin (0,03 IE/min) zeigte sich in neueren, prospektiv kontrolliert randomisierten Studien bei vasodilatativem Schock nach herzchirurgischen Eingriffen der Monotherapie mit Noradrenalin überlegen. Hinweise auf eine Reduktion der Herzfrequenz sowie eine Abnahme der myokardialen Funktion im Gegensatz zu Noradrenalin konnten durch verschiedene Studien gesammelt werden. Die Beurteilung von Vasopressin im Hinblick auf die gastrointestinale Perfusion wird kontrovers diskutiert [38]. Als ein Risikofaktor zur Entwicklung eines Vasodilatationssyndroms zählt die präoperative Einnahme eines ACE-Hemmers. Dass bei diesem Risikokollektiv eine niedrigdosierte Gabe von Vasopressin bereits vor extrakorporaler Zirkulation nützlich sein kann, ist in einer aktuellen Studie gezeigt worden [19]. Zur abschließenden Beurteilung des Stellenwerts von Vasopressin als Kombinationspartner von Noradrenalin nach kardiochirurgischen Eingriffen im Hinblick auf Morbidität und Mortalität fehlen größere prospektive Studien. Vasopressin (0,03 IE/min) kann derzeit nicht als alternativer Vasopressor zu Noradrenalin, sondern allenfalls als zusätzliche vasoaktive Substanz im vasodilatatorischen Schock angesehen werden. Das systemische Inflammationssyndrom ist assoziiert mit der Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO). Methylenblau inhibiert NO und verhindert die cGMP-abhängige Relaxation der glatten Muskulatur. Durch die Inhibition von NO soll die postoperative Vasoplegie abgeschwächt werden. Die Datenlage zur Therapie einer katecholaminrefraktären Vasoplegie durch Gabe von Methylenblau ist gering. Einige Fallberichte sowie eine randomisierte Studie konnten unter dieser Therapie die hohe Mortalität bei diesem Patientenkollektiv senken. Nebenwirkungen dieser Substanz umfassen Arrhythmien, koronare Vasokonstriktion, ein reduziertes Herzzeitvolumen, reduzierte Perfusion im mesenterialen und renalen Stromgebiet sowie eine Erhöhung des pulmonalen Widerstands und eine Verschlechterung des pulmonalen Gasaustauschs. Diese treten verstärkt bei Dosierungen >2 mg/kg KG auf. Aufgrund unzureichender Datenlage und der beschriebenen Nebenwirkungen sollte die Indikation zur Therapie bei Vasoplegie nach herzchirurgischem Eingriff streng gestellt werden [30, 34].
Ziel der postoperativen Kreislauftherapie Nach den S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Thorax, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) sind folgende Parameter (Empfehlungsgrad D): 4 MAP >65 mm Hg, ScvO2 >70% oder SvO2 >65% 4 Herzindex >2,0 l/min/m², LV-EDAI 6–9 cm²/m² 4 ZVD 8–12 mm Hg (abhängig von Beatmung)/PAOP 12–15 mmHg 4 ITBVI 850–1000 ml/m²/GEDVI 640–800 ml/m² 4 Diurese >0,5 ml/kg KG/h 4 Laktat <3 mmol/l
Hypertension Wenige Patienten entwickeln postoperativ eine Hypertension, die zum einen die Nachlast stark anheben und zum anderen eine postoperative Blutung verstärken kann. In der Phase der Wiedererwärmung nach extrakorporaler Zirkulation normalisiert sich die Kerntemperatur schneller als die Temperatur der Körperperipherie. Die Thermoregulation bewirkt eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße, was eine Hypertension zur Folge haben kann. Die hier zu empfehlenden Vasodilatatoren sind Nitroglycerin, Nitroprussid und Clonidin sowie der α-Blocker Urapidil und der ACE-Hemmer Enalapril. Nitroglycerin senkt über die Freisetzung von Stickstoffmonoxid die Nachlast. Begleitende reflektorische Tachykardien sind bei dem kardiochirurgischen Patientengut nicht immer erwünscht. Nitroprussid ist die stärkste antihypertensive Substanz und senkt bei sofortigem Wirkungseintritt und sehr kurzer Wirkdauer die Nachlast. Bei längerdauernder Infusion sollte besonders bei Niereninsuffizienz der Thiozynatspiegel zur Vermeidung einer Zyanidinintoxikation kontrolliert werden. Die Therapie mit dem ACE-Hemmer Enalapril ist nicht nur zur Senkung des Blutdrucks, bei zwar längerer Halbwertszeit, gut geeignet, sondern wirkt sich darüber hinaus positiv auf das kardiale Remodelling aus. Urapidil hemmt neben der postsynaptischen α-Blockade die symphatotone Gegenregulation durch Stimulation zentraler Serotoninrezeptoren. Durch die prophylaktische Anwendung von α-Agonisten wie Clonidin kann bei herzchirurgischen Patienten signifikant das Auftreten myokardialer Ischämien reduziert werden.
973 75.3 · Herz-Kreislauf-Therapie
75.3.3
Rhythmus
Herzrhythmusstörungen treten nach herzchirurgischen Eingriffen häufig auf und können den postoperativen Verlauf erheblich beeinträchtigen. Vorerkrankungen, Vormedikation, Art des herzchirurgischen Eingriffs und intraoperativ verabreichte Medikation können sowohl den Herzrhythmus als auch die Herzfrequenz beeinflussen. Häufig treten postoperativ innerhalb der ersten 24 h relative Sinusbradykardien (70–80/min), Sinustachykardien (>110/ min) und nach Klappenoperation junktionale Tachykardien mit AV-oder ventrikulären Blöcken auf. Hypertrophierte, druckbelastete Ventrikel reagieren sensibel auf zu große Frequenzschwankungen. Zu hohe Frequenzen reduzieren das Herzzeitvolumen durch zu kurze Füllungszeit und damit zu geringes enddiastolisches Volumen. Umgekehrt kann durch eine Bradykardie trotz ausreichender diastolischer Füllung ein normales Herzzeitvolumen unterschritten werden. Eine optimale Frequenz liegt hier zwischen 90 und 100/min. Der chronisch volumenbelastete Ventrikel benötigt nach herzchirurgischen Eingriffen keine maximale Vorlast. In diesem Fall kann durch ein reduziertes enddiastolisches Volumen mit verminderter Wandspannung die Auswurffraktion erhöht werden. Sinusrhythmus mit Frequenzen um die 100/min kann deshalb zur Verbesserung des Herzzeitvolumens führen. Die diastolische Compliance ist bei einem chronisch dilatierten Ventrikel weniger eingeschränkt als bei einem hypertrophierten, chronisch druckbelasteten Ventrikel. Hier sind die Ventrikel weniger von einer Vorhofkontraktion, die zu einer maximalen diastolischen Füllung führt, abhängig. Deshalb werden Tachykardien und der Verlust des Sinusrhythmus in dieser Situation besser toleriert als bei einem chronisch druckbelasteten Ventrikel.
Tachykardien
z Vorhofflimmern Vorhofflimmern ist mit einer Inzidenz von 20–65% die häufigste Rhythmusstörung nach kardiochirurgischem Eingriff. Die durchschnittliche Inzidenz liegt bei 32%. Patienten nach kombinierten Eingriffen oder Klappenchirurgie sind häufiger betroffen als Bypasspatienten. Vorhofflimmern entwickelt sich meist innerhalb 48 h, selten in der frühen postoperativen Phase oder nach dem 4. Tag. Insgesamt 15–30% der Patienten mit postoperativem Vorhofflimmern konvertieren spontan innerhalb von 2 h in einen Sinusrhythmus, 25–80% binnen 24 h; 90% der Patienten haben 6–8 Wochen nach der Operation einen Sinusrhythmus. Durch die Prävention von postoperativem Vorhofflimmern können Krankenhausaufenthaltsdauer, Apoplexrate und Letalität reduziert werden [46].
Prädiktoren für das Auftreten postoperativen Vorhofflimmerns [46] 4 4 4 4 4 4 4
Höheres Lebensalter Linksventrikuläre Hyperthrophie Anamnestisch paroxysmales Vorhofflimmern Absetzen der β-Blocker/ACE-Hemmer-therapie COPD Signifikante Aortensklerose Herzklappenoperatoion
z Prävention des postoperativen Vorhofflimmerns Metaanalysen haben gezeigt, dass eine Gabe von β-Blockern die Inzidenz von postoperativem Vorhofflimmern reduziert (8,7–9,8%
vs. 20–34%). Patienten mit Risikofaktoren, u. a. mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (EF <40%), die überdurchschnittlich häufig Vorhofflimmern entwickeln, waren jedoch in den meisten zugrunde liegenden Studien ausgeschlossen. Sotalol (KlasseIII-Antiarrhytmikum) reduziert die Inzidenz von Vorhofflimmern im Vergleich zu Placebo und ist möglicherweise effizienter als β-Blocker mit einem allerdings größeren Potenzial proarrhythmischer Wirkungen. Die Gabe von Amiodaron (Klasse-III-Antiarrhytmikum) ist zwar weit verbreitet, seine Effektivität im Hinblick auf die Vermeidung von postoperativem Vorhofflimmern jedoch vergleichbar mit der von β-Blockern. Vor allem bei Patienten mit Kontraindikationen gegen β-Blocker, z. B. bei Asthma bronchiale, findet Amiodaron optional seine Anwendung [1]. Tipp Die präoperative Gabe eines β-Blockers reduziert die Inzidenz von postoperativem Vorhofflimmern.
Eine i.v.-Magnesiumsubstitution, beginnend vor elektiver Bypasschirurgie, reduziert die Inzidenz von VHF. Eine atriale Schrittmacherstimulation (HF 90–110/min) über temporäre epikardiale Schrittmachersonden kann ebenfalls die Häufigkeit von Vorhofflimmern senken. Das Konzept der systemischen Inflammation als pathophysiologischer Ursache des postoperativen Vorhofflimmerns wird zunehmend diskutiert. Die Beeinflussung der systemischen Inflammation nach herzchirurgischen Eingriffen ist ein Hauptziel in der Prävention von postoperativem Vorhofflimmern. Vor allem Statine, aber auch Steroide scheinen hierbei eine wichtige Rolle zu spielen [4, 33]. z Behandlung des postoperativen Vorhofflimmerns Der Grad der hämodynamischen Beeinträchtigung durch das Vorhofflimmern hängt von der Ventrikelfrequenz, der globalen Pumpfunktion und der Dauer des Vorhofflimmerns ab. Besteht ein Vorhofflimmern länger als 48 h und wird eine Konversion in den Sinusrhythmus angestrebt, muss zuvor eine adäquate Antikoagulation oder ein Thrombenausschluss mittels TEE erfolgen. Bei Unsicherheit in der Rhythmusanalyse über das Oberflächen-EKG kann die Ableitung eines Elektrokardiogramms über die Vorhofelektroden hilfreich sein. Möglich sind 2 Therapiestrategien zur Behandlung von Vorhofflimmern: Frequenzkontrolle und elektrische oder pharmakologische Kardioversion. Anzustreben in der frühen postoperativen Phase ist zunächst eine Konversion in einen Sinusrhythmus, da die sonst benötigte Antikoagulation das Risiko einer Perikardtamponade erhöhen kann. Frequenzkontrolle. Eine Fortführung der β-Blocker-Gabe ist eine
effektive Maßnahme zur Frequenzkontrolle bei postoperativem Vorhofflimmern. Bestehen Bedenken gegen die Gabe eines langwirksamen β-Blockes, kann ein Therapieversuch mit dem kurzwirksamen Esmolol erfolgen. Sind β-Blocker kontraindiziert, können Kalziumantagonisten eingesetzt werden. Verapamil bewirkt eine effektive Frequenzkontrolle, hat aber eine ausgeprägt negativ-inotrope Wirkung, sodass Verapamil nur bei guter Pumpfunktion (EF >60%) gegeben werden sollte. Diltiazem wird bei eingeschränkter Ejektionsfraktion besser toleriert. Digoxin hat auch bei schneller Aufsättigung eine relativ lange Anschlagzeit und v. a. bei eingeschränkter Nierenfunktion eine lange Wirkdauer.
75
974
Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
Behandlungsbedürftige Tachykardie
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Kalium- und Magnesiumsubstition
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Hämodynamik stabil
Supraventrikuläre Tachykardie Frequenzkontrolle
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QRS > 120 ms
QRS < 120 ms
β-Blocker Ca-Antagonisten Digoxin
SVT mit Blockbild
Ventrikuläre Tachykardie
Kardioversion Sotalol Amiodaron Ajmalin Adonosin
Hämodynamik instabil
Lidocain Ajmalin Amiodaron
Kardioversion Defibrillation plus pharmakologische Therapie
. Abb. 75.3 Flussdiagramm zur Therapie behandlungsbedürftiger Tachykardien bei herzchirurgischen Patienten (QRS QRS-Zeit; SVT supraventrikuläre Tachykardie)
Kardioversion. Bei hämodynamischer Instabilität durch Vorhof-
flimmern ist neben der Basistherapie mit Anhebung der Serumkalium- und -magnesiumkonzentration in den hochnormalen Bereich eine sofortige elektrische Kardioversion indiziert (. Abb. 75.3). Zur pharmakologischen Kardioversion eignen sich Klasse-IA-, -IC- und Klasse-III-Antiarrhythmika. Unter der Gabe von Typ-IA- und -ICAntiarrhytmika (7 Kap. 33) erfolgt bei 40–75% der Patienten eine Konversion in einen Sinusrhythmus innerhalb der 1. Stunde. KlasseIC-Antiarrhythmika (Flecainid, Propafenon) sollten bei Patienten nach Myokardinfarkt wegen der ausgeprägten proarrhythmogenen Wirkung zurückhaltend eingesetzt werden. Klasse-IA-, -IC- und Klasse-III-Antiarrythmika prädisponieren durch Verlängerung der QTc-Zeit zu Torsade-de-pointe-Arrhythmien, sodass die QTc-Zeit regelmäßig kontrolliert werden muss (abnorme Verlängerung des QTc-Intervalls >500 ms 1/2 oder QTc-Zunahme während der Therapie >60 ms 1/2). Amiodaron hat multiple antiarrhythmische Effekte, u. a. eine Blockade des schnellen Natriumkanals, β-blockierende Eigenschaften, Verlängerung des Aktionspotenzials und der effektiven Refraktärperiode (Klasse-I-, -II-, -III- und -IV-Eigenschaften nach Vaughan-Williams). Als Slow-in-slow-out-Pharmakon sollte Amiodaron nach einer initialen Bolusgabe kontinuierlich i.v. weiter verabreicht werden. Der Kardioversion geht eine Frequenzkontrolle voraus, die für sich häufig bereits eine Stabilisierung der hämodynamischen Situation bewirkt. Entscheidet man sich für eine antiarrhythmische Therapie mit Amiodaron über einen längeren Zeitraum, wird nach einer Aufsättigungsphase (bis zu einer Gesamtdosis von 6–12 g) auf eine Erhaltungsdosis (meist 200 mg/Tag p.o./i.v.) umgesetzt. Gravierende Nebenwirkungen sind bei kurzfristiger Anwendung selten. Ist eine Konversion in einen stabilen Sinusrhythmus nicht zu erreichen, so ist nach 48 h eine adäquate Antikoagulation anzustreben, um thrombembolische Komplikationen zu vermeiden. Bei Patienten mit Vorhofflimmern und zusätzlichen Risikofaktoren für thrombembolische Komplikationen zeigte sich in der ACTIVE WStudie eine Antikoagulationstherapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten einer Kombinationstherapie mit Aspirin und Clopidogrel im Hinblick auf die Reduktion ischämischer Ereignisse und Blutungen überlegen [2].
Ventrikuläre Tachykardien Ventrikuläre Rhythmusstörungen sind seltener und werden u. a. durch transiente metabolische Störungen oder ischämische Ereignisse hervorgerufen. Ist eine ventrikuläre Tachykardie Folge einer Ischämie oder Myokarddilatation bei akuter linksventrikulärer De-
kompensation, so besteht die Therapie in erster Linie in der kardialen Rekompensation bzw. in der koronaren Revaskularisation. Eine adjuvante Kalium- und Magnesiumsubstitution bis in den hochnormalen Bereich sollte in jedem Fall erfolgen. Ventrikuläre Arrhythmien per se sind nur dann behandlungsbedürftig, wenn sie eine hämodynamische Beeinträchtigung oder Prodromi einer vitalen Gefährdung darstellen (Salven, R-auf-TPhänomen, selbstlimitierte ventrikuläre Tachykardie). Lidocain hat einen Stellenwert in der Akutbehandlung ischämiebedingter ventrikulärer Arrhythmien. Amiodaron ist bei rezidivierender ventrikulärer Tachykardie, hochgradig eingeschränkter Pumpfunktion (EF <30%) oder nach Myokardinfarkt das Antiarrhythmikum der Wahl, da die negativ-inotrope und proarrhythmogene Wirkung relativ gering ist.
Bradykardien Bradykarde Rhythmusstörungen treten v. a. nach Klappenersatz auf. Ein höhergradiger AV-Block ist eine typische Komplikation nach Aortenklappenersatz aufgrund der anatomischen Nähe der Reizleitungsstruktur und des Aortenklappenrings. Kommt es spontan oder unter antiarrhythmischer Therapie zu einer hämodynamisch relevanten Reizbildungs- oder Reizleitungsstörung, ist eine temporäre externe Schrittmacherstimulation eine effektive Therapiemöglichkeit, ohne dass die Nebenwirkungen einer positivchronotropen pharmakologischen Stimulation in Kauf genommen werden müssen. Epikardiale ventrikuläre Elektroden zur VVI-Stimulation sollten bei allen Patienten intraoperativ angelegt werden. Die alleinige ventrikuläre Schrittmacherstimulation reduziert bei Patienten im Sinusrhythmus das Herzzeitvolumen, während durch eine Stimulation über eine zusätzliche atriale Sonde im DDD-Modus mit einer individuell angepassten AV-Verzögerungszeit das Herzzeitvolumen gesteigert werden kann. Oft ist eine kürzere als die intrinsische AVZeit optimal. Eine atriale Elektrode ist somit bei allen Patienten mit präoperativ bestehendem Sinusrhythmus wünschenswert. Durch Vorhofstimulation wird die Erregung über das physiologische Reizleitungssystem fortgeleitet und ein optimaler Kontraktionsablauf des Ventrikels initiiert. Bei ventrikulärer Stimulation hat die Erregungswelle einen heterotopen Ursprung. Ist bei hochgradiger Herzinsuffizienz eine Stimulation im AAI-Modus nicht möglich oder besteht ein Linksschenkelblock, so kann über eine biventrikuläre Stimulation eine Optimierung des Kontraktionsablaufs und eine Verbesserung der Herzleistung erzielt werden. Eine biventrikuläre Stimulation ist auch passager über temporäre epikardiale Schrittmacherelektroden möglich [14].
75.4
Systemisches Inflammationssyndrom (SIRS)
Herzchirurgische Eingriffe prädisponieren zu einer postoperativen systemischen Entzündungsreaktion (SIRS). Das ausgedehnte chirurgische Trauma, die Ischämie mit nachfolgender Reperfusion während extrakorporaler Zirkulation und der Fremdoberflächenkontakt bei EKZ tragen maßgeblich dazu bei. Die Inflammationskaskade nach herzchirurgischen Eingriffen weist große Parallelen zum Geschehen bei Sepsis auf (. Abb. 75.4). Die komplexe systemische Entzündungsreaktion nach Initiation des kardiopulmonalen Bypass geht mit einer frühen Phase der Aktivierung von zellulären und humoralen Komponenten und einer späten Phase des Ischämiereperfusionsschadens einher. Folge ist eine intensive Interaktion zwischen Endothelzellen und Immunantwort im Blut. An den Endothelzellen kommt es zur Adhäsion
975 75.5 · Blutgerinnung
. Abb. 75.4 Systemische Entzündungsreaktion (SIRS) nach Herzoperation und extrakorporaler Zirkulation (EKZ extrakorporale Zirkulation; PML polymorphkerniger Leukozyt; NO Stickstoffmonoxid; PAF »platelet activating factor. (Mod. nach [59])
von Leukozyten und Thrombozyten. Dies ist wesentlich für die klinische Manifestation der Entzündungsreaktion, da viele der oben genannten Mechanismen durch die Leukozyten-Endothel-Interaktion weiter unterhalten werden. Es folgt die Freisetzung von Zytokinen, Arachidonsäuremetaboliten, Adhäsionsmolekülen, Stickstoffmonoxid (NO) und Sauerstoffradikalen. Das Endothel ist aktiv an der Aufrechterhaltung der kardiovaskulären Homöostase beteiligt, indem es Gefäßpermeabilität, Gefäßtonus, Gerinnung und Fibrinolyse sowie die Entzündungsreaktion moduliert. Proinflammatorische Stimuli reduzieren den Gefäßwiderstand und können postoperativ zu einer vasopressorenpflichtigen Hypotension führen. Das Ausmaß des SIRS korreliert mit der Anzahl postoperativer Komplikationen, tritt aber in abgeschwächter Form bei jedem Patienten auf. Verschiedene pharmakologische und technische Therapieregimes werden verfolgt, um die systemische Inflammation zu vermindern. Heparin-beschichtete kardiopulmonale Bypasssysteme, Hämofiltration oder die Gabe von Steroiden sollen die Inflammationsreaktion und die damit assoziierten Komplikationen mildern. Wenngleich aussagekräftige Untersuchungen fehlen, deutet die bisherige Datenlage darauf hin, dass die herzchirurgischen Eingriffe am schlagenden Herzen (»off pump coronary artery bypass») mir einer geringeren oxidativen Stressreaktion und Inflammation einhergehen als Eingriffe unter extrakorporaler Zirkulation [52].
75.4.1
Pharmakologische Therapie
Steroide Eine aktuelle Metaanalyse von randomisierten Studien über die perioperative prophylaktische Anwendung von Steroiden zeigte ein geringeres Risiko für postoperatives Vorhofflimmern und für Nachblutungen sowie eine reduzierte Intensiv- und Krankenhausaufenthaltsdauer. Auch ein Trend zur reduzierten Letalität war erkennbar. Problematisch in der abschließenden Beurteilung bleibt jedoch die Tatsache, dass sowohl Studien mit hochdosierten immunsuppressiven Steroiddosen als auch Studien mit hochphysiologischen, nur immunmodulierenden Steroiddosen (Hydrokortison) in die Metaanalyse eingeschlossen wurden [55]. Deshalb bleibt weiterhin die Frage nach der Patientenauswahl, der Dosis und des Zeitpunktes der Steroidgabe offen. Jedoch erscheint der nachfolgende Ansatz vielversprechend.
In Analogie zu Untersuchungen bei Sepsis kann Hydrokortison zur Modulation der überschießenden proinflammatorischen Immunreaktion eingesetzt werden. Ein therapiebedürftiges SIRS scheint in etwa 20–30% der Fälle nach einer Herzoperation aufzutreten. Bei Patienten, die ein schweres postoperatives SIRS im Sinne eines vasopressorenpflichtigen Vasodilatationssyndroms entwickeln, konnte eine stark erhöhte IL-6-Serumkonzentration (>1000 pg/ml) gemessen werden. Als Risikokollektiv gelten Patienten mit einer präoperativen Auswurffraktion <40% und einer intraoperativen EKZ-Dauer >97 min (z. B. Kombinationseingriffe, Eingriffe mit mehr als 4 Bypässen). Bei diesem Patientenkollektiv reduziert eine präventiv, d. h. vor Beginn der extrakorporalen Zirkulation begonnene Substitution von Hydrokortison in Stressdosis (300 mg/Tag) den Katecholaminbedarf, die Beatmungsdauer sowie die Intensivstations- und Krankenhausverweildauer [25]. Interleukin-6 erreicht 4–6 h nach Beendigung der EKZ einen Maximalwert. Es folgt ein zweiter Anstieg 12–18 h nach der Operation, sodass bei Vasoplegie eine Substitution mit Hydrokortison auch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein kann.
Statine Die prophylaktische Anwendung von Statinen vor kardiopulmonalem Bypass reduziert die Letalität, die Häufigkeit von Schlaganfällen und von postoperativem Vorhofflimmern. Keinen Einfluss hat die Anwendung zur Protektion von Myokardinfarkt und Nierenversagen [5].
75.5
Blutgerinnung
Herzoperationen mit extrakorporaler Zirkulation gehen mit tiefgreifenden Veränderungen des hämostaseologischen Systems einher.
Pathophysiologische Veränderungen des Gerinnungssystems bei kardiochirurgischem Eingriff mit extrakorporaler Zirkulation 4 Abnahme oder Denaturierung von Gerinnungsfaktoren 4 Abnahme physiologischer Inhibitoren (Antithrombin, Protein C, Protein S) Konzentrationsabnahme von Fibrinolyseinhibitoren (PAl-1, α2-Antiplasmin) 4 Disseminierte intravasale Gerinnung (z. B. überschießende Thrombinbildung) 4 Gesteigerte Fibrinolyse 4 Thrombozytopenie und/oder Thrombozytopathie mit Thrombozytenaktivierung, -dysfunktion oder -desensibilisierung 4 Hypothermieinduzierte Gerinnungsstörungen 4 Heparin- und protamininduzierte Gerinnungsstörung
Die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Hämostase nach herzchirurgischen Eingriffen mit extrakorporaler Zirkulation ist nach wie vor ein Problem. Insbesondere die zusätzliche Therapie mit verschiedenen Thrombozytenaggregationshemmern führt immer häufiger zu perioperativen Blutungskomplikationen. Der perioperative Verbrauch von Blutprodukten ist bei herzchirurgischen Patienten deutlich höher als bei Patienten anderer chirurgischer Disziplinen. Die Gabe von unfraktioniertem Heparin vor bzw. wäh-
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
75
rend extrakorporaler Zirkulation stellt immer noch den Goldstandard der Antikoagulationstherapie dar. Eine Vielzahl von Strategien wurde entwickelt, um das postoperative Risiko einer mikrovaskulären Blutung aufgrund einer Koagulopathie zu reduzieren und den perioperativen Fremdblutverbrauch zu minimieren. Dazu zählen Wärmemaßnahmen, die autologe Retransfusion von gefiltertem Drainageblut sowie die Gabe von Antifibrinolytika. Seit 2007 ruht die Zulassung für Aprotinin, weil die Aprotiningabe mit einem erhöhten Risiko für Nierenversagen sowie myokardiale und zerebrale Ischämien assoziiert wurde [32]. Heute wird oft das Lysinanalogon Tranexamsäure als Antifibrinolytikum perioperativ verwendet. Bei postoperativen Nachblutungen ist die Differenzierung zwischen einer chirurgisch zu stillenden Blutungsquelle und einer mikrovaskulären Blutung aufgrund einer Koagulopathie anhand der Bestimmung von globalen Gerinnungsparametern schwierig, da diese in beiden Fällen oft außerhalb der Norm liegen. Die Korrelation zwischen der Thoraxdrainagenförderrate und globalen Gerinnungsparametern ist gering. Anhand der Sekretionsrate wird der Blutverlust oft überschätzt. Da die Laborlaufzeiten auch für globale Gerinnungsparameter vielerorts zu lang sind, um eine schnelle und zielgerichtete Therapie einer Nachblutung zu ermöglichen, haben mehrere Arbeitsgruppen Algorithmen zur Transfusion von allogenen Gerinnungskomponenten und gerinnungsfördernden Präparaten (z. B. Desmopressin, Protamin) unter Zuhilfenahme bettseitig durchgeführter Gerinnungsmessungen entwickelt [21]. Zur Steuerung der Heparintherapie während EKZ ist die derzeit meist angewandte Methode die Messung der »activated clotting time« (ACT). Ein weiteres Verfahren zur Abschätzung der plasmatischen Gerinnung, der Fibrionolyse sowie der thrombozytären Funktion stellt das Thrombelastogramm (TEG) dar. Vor allem bei Patienten unter Therapie mit Heparin, Phenprocoumon und antifibrinolytischer Medikation liefert es bettseitig wertvolle Ergebnisse. Mittels PFA-100 (»platelet function analyzer«)- oder Impedanzaggregometrie (Multiplate)- Monitoring lassen sich Thrombozytenfunktionsstörungen aufgrund einer v.-Willebrand-Erkrankung, der Gabe von Trombozytenaggregationshemmern und anderen angeborenen oder erworbenen Thrombozytenfunktionsstörungen erkennen. Beide Syteme liefern jedoch unterhalb eines Hämatokritwertes von 35% und einer Thrombozytenzahl <100 G/l eingeschränkt verwertbare Ergebnisse. Bei der perioperativen Anwendung eines Algorithmus unter Berücksichtigug von Point-of-care-Analysen kann der Transfusionsbedarf sowohl bei dem Routine- als auch bei den Hochrisikopatienten reduziert werden (. Abb. 75.5).
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Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
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Die Assoziation von Fremdblutgabe und Letalität, die für allgemeine Intensivpatienten besteht, konnte auch für herzchirurgische Patienten gezeigt werden. Es besteht eine Korrelation zwischen der Anzahl der transfundierten Konzentrate und der steigenden postoperativen Morbidität und Mortalität bei Patienten nach Bypassoperation [42]. Der Transfusionstrigger ist auch bei Herzpatienten kein feststehender Wert, sondern wird individuell anhand physiologischer Variablen abgeschätzt. Trotz bestehender Transfusions-Guidelines differiert der Zeitpunkt der Gabe von Erythrozytenkonzentraten zwischen Chirurgen, Anästhesisten und Intensivmedizinern stark (30–90%), selbst innerhalb eines Zentrums [27]. Bei Bypasspatienten beeinflusst das Herabsetzen des Transfusionstriggers von einem Hämoglobinwert von 9 g/dl auf 8 g/dl die postoperative Morbidität oder Letalität nicht.
Mikrovaskuläre Blutung TEG mit/ohne Heparinase Thrombozytenzahl Fibrinogen
TEG Heparinase ⊕
TEG Fibrinolyseindex ↑
hTEG Gerinnungszeit ↑
Protamin
Fibrinogen < 100 mg/dl
Thrombo < 100 G/l und TEG Thrombusstabilität ↓
Frischplasma Antifibrinolytika
ThrombozytenKryopräzipitat konzentrat
. Abb. 75.5 Nach Thrombelastogramm (TEG) gesteuerte Therapie von Gerinnungsstörungen (hTEG=heparinaseaktiviertes TEG; Heparinase = Reaktionszeit R ohne Heparinase >2×R mit Heparinase; hTEG=Gerinnungszeit R >10 min; TEG=Fibrinolyseindex ; Lyseindex zum Zeitpunkt 30 min >7,5%; TEG=Thrombusstabilität p; maximale Amplitude <45 mm). (Nach [42])
Risikofaktoren für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bei kardiochirurgischen Patienten 4 4 4 4 4 4 4
Reoperation Notfalloperation Kardiopulmonaler Bypass von >2 h Dauer Kombinierte Eingriffe Weibliches Geschlecht/Alter/Gewicht <70 kg Präoperativer Hämatokrit <34% Einnahme von Erythrozytenaggregationshemmern
75.6
Komplikationen nach Kardiochirurgie
75.6.1
Myokardinfarkt
Der Myokardinfarkt nach Bypassoperation ist mit einer Inzidenz zwischen 5 und 10% eine relativ häufige und schwere Komplikation, die mit einer deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert ist. Der perioperative Myokardinfarkt kann durch Minderperfusion im Bereich der nativen oder der Bypasskoronargefäße bedingt sein. Die häufigsten Ursachen sind Okklusion des Bypass, geknickter oder überdehnter Bypass, subtotale Stenose im Bereich der Anastomose oder Spasmus der Bypassgefäße. Die Diagnose eines Myokardinfarkts in der Akutphase nach einer Herzoperation ist schwierig. Das EKG unterscheidet sich auch nach unkompliziertem Operationsverlauf oft vom präoperativen EKG-Befund. ST-Streckenveränderungen sind bei vorbestehendem Schenkelblock oder unter ventrikulärer Schrittmacherstimulation nicht oder nur eingeschränkt verwertbar. Neu aufgetretene Q-Wellen sind nach Herzoperation kein sicherer Indikator eines abgelaufenen transmuralen Infarkts. Bei Bestimmung der enzymatischen Myokardmarker muss deren spezifischer Kinetik Rechnung getragen werden. Der prädiktive Wert der CK-MB-Massenkonzentration zeigt sich in den ersten 12 h höher als für Troponin. Die CK-MB-Massenkonzentration ist in den ersten 6 h nach Einsetzen der Myokardläsion auch signifikant sensitiver als die CK-MB-Aktivität. Als Grenzwert, der zwischen einem postoperativen Infarkt und einer Enzymerhöhung als Folge des operativen Eingriffs unterscheidet, wurde eine CK-MBMassenkonzentration von 45–70 μg/l oder eine CK-MB-Aktivität >50 U/l über mehrere Stunden ermittelt.
977 75.6 · Komplikationen nach Kardiochirurgie
Troponin I korreliert postoperativ mit der Aortenabklemmzeit und erreicht 24 h postoperativ ein Maximum. Vorteil dieser Strukturproteine ist neben der Organspezifität auch der Nachweis kleinster Nekrosen z. B. im Rahmen einer Angina pectoris. Nach 24 h ist Troponin I der sensitivste Marker einer myokardialen Ischämie. Grenzwerte, die zwischen einem durch den chirurgischen Eingriff bedingten Anstieg und einer perioperativen Myokardnekrose differenzieren, liegen in einem Bereich von 9–20 μg/l.
Zeichen eines Myokardinfarkts nach herzchirurgischem Eingriff 4 4 4 4
Hämodynamische Instabilität ST-Streckenveränderungen Rhythmusstörung Neu aufgetretene regionale Wandbewegungsstörungen im TTE/TEE 4 Im Verlauf Anstieg der Myokardmarker
Neben dem jeweiligen Maximalwert ist der Verlauf der Myokardmarker entscheidend. Ein sekundärer Anstieg oder eine protrahierte Plateauphase können Indikatoren eines Myokardzelluntergangs sein. Im zeitlichen Verlauf führend in Anstieg und Abfall, aber nicht myokardspezifisch, ist die Serummyoglobinkonzentration. Die transthorakale oder transösophageale Echokardiographie kann bettseitig schnell Auskunft über neu aufgetretene regionale Wandbewegungsstörungen liefern und Rückschlüsse auf das betroffene Koronarstromgebiet geben. Die Diagnose eines postoperativen Myokardinfarkts ist nur in Zusammenschau von mindestens 2 der 3 genannten Befunde [EKG, Ultraschallkardiographie (UKG) und Enzymveränderungen] zu stellen. Die Bestimmung der Myokardmarker hat hierbei prognostische Bedeutung und dient der Verlaufsdokumentation. Die Therapie des postoperativen Myokardinfarkts erfolgt nach den allgemeinen Therapieprinzipien, die eine größtmögliche Ökonomisierung des myokardialen Sauerstoffbedarfs zum Ziel haben. Als weiterführende Maßnahme kann eine sofortige Herzkatheteruntersuchung mit Darstellung der Nativ- und Bypassgefäße indiziert sein. Sie bietet die Möglichkeit der Koronarintervention oder bei entsprechenden Befunden zur Rethorakotomie und Revision der Operationsergebnisse. Eine frühzeitige Wiederaufnahme der Thrombozytenaggregationshemmung mit Azetylsalizylsäure (ASS) nach Bypassoperation sollte angestrebt werden. Eine prospektive Multicenterstudie der »Perioperative Ischemia Research Group« (McSPI) an über 5000 Patienten zeigte eine Reduktion der postoperativen Letalität und der Häufigkeit nichttödlicher ischämischer Komplikationen (z. B. Myokardinfarkt, Apoplex, Mesenterialinfarkt) durch die Gabe von ASS innerhalb 48 h postoperativ. Das Blutungsrisiko war nicht erhöht [31]. Hingegen scheint die alleinige oder zusätzliche Gabe von Clopidogrel zu Aspirin keinen weiteren Vorteil zu bringen [39]. > Die frühzeitige postoperative Gabe von ASS reduziert sehr wahrscheinlich die Letalität sowie die Häufigkeit ischämischer Komplikationen nach Bypasschirurgie.
75.6.2
Nierenversagen
Nierenversagen nach herzchirurgischen Eingriffen ist eine ernstzunehmende Komplikation und stellt einen unabhängigen Prädiktor für die postoperative Letalität dar. 8–15% der Patienten nach kardiochirurgischem Eingriff entwickeln eine kompensierte Nierenin-
suffizienz; 1–5% der Patienten eine Niereninsuffizienz, die ein Nierenersatzverfahren erfordert. Abhängig von der Art des Eingriffes (z. B. Anlage eines Assist-device) kann die Prozentsatz auf über 30% steigen. Die perioperative Letalität ist bei Patienten mit ersatzverfahrenpflichtigem Nierenversagen durch einen Anstieg auf 50–65% gekennzeichnet. Bei Patienten mit präoperativ eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin <200 μmol/l) ist postoperativ sowohl die Morbidität und Letalität erhöht als auch die 5-Jahres-Überlebensrate signifikant reduziert [12]. Postoperative Nierenfunktionsstörungen werden u. a. durch Ischämiereperfusionsrchäden, Inflammation, atherosklerotische Embolien und das Low-output-Syndrom (mit-)verursacht. Durch die unphysiologische Perfusion der Nieren während des CPB wird die Möglichkeit der Autoregulation der Nieren überschritten. Durch manuelle Manipulationen können Atheromembolien ausgelöst werden, die ebenfalls zum Nierenversagen führen können. Das systemische Inflammationssyndrom mit Freisetzung von Interleukinen und Tumornekrosefaktor verschlechtert die Mikrozirkulation der Nieren und schränkt die tubuläre Funktion der Nieren ein [51].
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Nierenversagens 4 Präoperative Risikofaktoren: Alter, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, pAVK, COPD 4 Operative Risikofaktoren: Reoperationen, Operation am offenen Herzen, Kreislaufstillstand, EKZ >140 min 4 Postoperative Risikofaktoren: Infektionen/Sepsis, Low-output-Syndrom, Therapie mit Inotropika, IABP, postoperative Hypotension (systolischer Blutdruck <90 mm Hg über mehr als 1 h) [51]
Normovolämie, adäquates Herzzeitvolumen und ausreichender renaler Perfusionsdruck haben höchste Priorität bei der Prävention eines postoperativen Nierenversagens. Die Therapie mit Schleifendiuretika, Mannitol, und Dopamin ist bei einem herzchirurgischen Eingriff im Hinblick auf die Vermeidung eines Nierenversagens nicht effektiv. Für eine Prävention durch Einhaltung einer Normoglykämie, die Gabe von α2Agonisten, Nitroprussid und Bikarbonat gibt es Hinweise. Sistiert die Diurese, kann bei kardiochirurgischen Patienten durch eine frühe und intensive Hämofiltration eine niedrigere Letalität als vorhergesagt erreicht werden (40% tatsächliche Letalität vs. 66% prädiktiver Wert). Ein diskontinuierliches Verfahren ist bei hämodynamischer Instabilität nicht indiziert. Vergleicht man das Auftreten von postoperativem Nierenversagen bei Off-pump-coronary-artery-bypassVerfahren und Operationen mit extrakorporaler Zirkulation, so ist kein signifikanter Unterschied zu finden.
75.6.3
Lungenversagen
Die eingeschränkte Lungenfunktion nach kardiochirurgischen Eingriffen ist, trotz des kontinuierlichen Fortschritts im Hinblick auf extrakorporale Zirkulationsverfahren, Operationstechniken und der postoperativen Intensivmedizin, ein wesentlicher Bestandteil der Morbidität. Die Prävalenz der maximalen Lungendysfunktion, des ARDS (»adult respiratory distress syndrome«) ist jedoch sehr gering (0,5%). Die Pathogenese der postoperativen pulmonalen Dysfunktion ist multifaktoriell. Die häufig auftretende Einschränkung des pul-
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monalen Gasaustausches, die sich meist als Oxygenierungsstörung manifestiert, kann v. a. durch den alveoloarteriellen Sauerstoffgradienten und die intrapulmonale Shuntfraktion quantifiziert werden. Durch den operativen Eingriff mit Sternotomie, Pleurotomie und Präparation der A. mammaria interna kommt es bereits intraoperativ zu Atelektasenbildung und Veränderungen der Lungencompliance mit Verlust von FRC. Das EKZ-assoziierte systemische Inflammationssyndrom erhöht zusätzlich die endotheliale Permeabilität und den Lungenparenchymschaden. Durch einen intraoperativen Kälteschaden oder nach Durchtrennung (Aortenbogenersatz) kann eine Phrenikusparese mit Zwerchfellhochstand entstehen. Hinzu kommen weitere Faktoren, die postoperativ eine respiratorische Insuffizienz aggravieren: beatmungs- und lagerungsbedingte Dystelektasen, schmerzbedingte Einschränkung der Atemexkursion, Sekretretention. Neuere Daten bei Off-pump- vs. On-pump-Verfahren unterstreichen, dass die Hauptursache der respiratorischen Insuffizienz nicht wie bislang postuliert in der EKZ-bedingten Inflammation liegt, da sich keine signifikanten Unterschiede der Patientenpopulationen im Hinblick auf die Lungenfunktion ergaben [10]. Noch bis zu 4 Monate postoperativ kann bei Patienten nach Bypassoperation eine Verminderung der FRC festgestellt werden, wobei schmerzbedingt eingeschränkte Atemexkursionen ausgeschlossen werden konnten. Die Ursachen hierfür sind noch nicht geklärt [54]. Die postoperative Anwendung der nichtinvasiven Beatmung nach herzchirurgischen Eingriffen verbessert den pulmonalen Gasaustausch und reduziert die Reintubationsrate [26].
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Gastrointestinale Komplikationen
Abdominelle Komplikationen nach herzchirurgischem Eingriff sind selten (0,5–3%), aber mit einer Letalität zwischen 30% und 80% vergesellschaftet. Die gastrointestinale Blutung stellt die Hauptursache dar (30%) gefolgt von der gastrointestinalen Minderperfusion (17%), die sich in den meisten Fällen als eine nonokklusive Mesenterialischämie (NOMI) darstellt. Der Gastrointestinaltrakt verfügt nicht über eine ausreichende Autoregulation, um Hypotensionen zu kompensieren. In multivariaten Analysen stellten sich Alter, eine vorbestehende Herz- oder Niereninsuffizienz sowie die Art und Dauer des Eingriffs als Risikofaktoren dar. Postoperativ korrelieren die Notwendigkeit der Gabe inotroper Substanzen, das Auftreten eines Nierenversagens, die Transfusionsmenge sowie die Beatmungsdauer mit gastrointestinalen Komplikationen. Auch die herzchirurgischen Eingriffe in OPCAB-Verfahren scheinen keinen positiven Effekt auf Inzidenz und Prognose zu haben. Die Diagnose wird aufgrund der unspezifischen Symptomatik häufig sehr spät gestellt. Bereits bei Verdacht ist eine gezielte Diagnostik notwendig. Hierbei ist die computertomographische Mesenterialangiographie die Methode der Wahl. Eine Besonderheit der gastrointestinalen Komplikationen stellt das Ogilvie-Syndrom dar, das postoperativ am häufigsten bei herzchirurgischen Operationen auftritt. Hierbei handelt es sich um eine massive Kolondistension (meist Colon ascendens und transversum sowie Coecum) ohne mechanische Obstruktion. Ursache ist ein Missverhältnis der Aktivität von Parasympathikus und Sympathikus. Neben der hämodynamischen Stabilisierung mit ausreichendem Sauerstoffangebot ist die Gabe von Prokinetika die Therapie der Wahl. Bei Versagen dieser Therapie kann eine Koloskopie mit Dekompression erfolgen. Eine schnelle chirurgische Intervention, ob als Entlastungsstomie oder Resektion, sollte nicht verzögert werden [22].
75.6.5
Neurologische Defizite
Die Bandbreite neurologischer Defizite nach kardiochirurgischem Eingriff reicht von Veränderungen der Persönlichkeit, des Verhaltens oder kognitiver Fähigkeiten bis hin zum massiven apoplektischen Insult. Postoperativ stehen delirante Symptome im Vordergrund. Die Inzidenz des postoperativen Delirs schwankt abhängig von den angewandten Untersuchungsmethoden zwischen 30 und 79%. Sowohl Bewusstseinsstörungen als auch kognitive Defizite wie Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen oder Desorientiertheit können dabei auftreten. Hypodyname Formen des Delirs mit komatösen Symptomen sowie hyperdyname neurologische Defizite mit Halluzinationen und gestörtem Schlafrhythmus werden beobachtet. Oft fluktuiert die Symptomatik im Tagesverlauf. Risikofaktoren für ein perioperatives Delir sind prädisponierende Vorerkrankungen, die Art des Eingriffes und Faktoren, die durch die perioperative Therapie beeinflusst werden (7 Übersicht).
Risikofaktoren des perioperativen Delirs (mod. nach [60]) 4 Vorerkrankungen – Demenz – Alkohol- und Nikotinabusus – Hypertension – Chronische Erkrankungen – Männliches Geschlecht – Höheres Alter – Immobilität 4 Perioperative Therapie – Psychoaktive Medikamente – Metabolische Entgleisung – Hypoxämie – Schmerz – Schlafentzug – Kein Fensterplatz
Die Diagnose des postoperativen Delirs wird klinisch gestellt. Hilfreich und validiert sind dabei Untersuchungs-Scores wie z. B. der Richmond Agitation and Sedation Scale [60]. Die Therapie besteht in Basismaßnahmen wie verbaler Reorientierung und Förderung des Nachtschlafes. Zusätzlich werden Antipsychotika und zentral wirksame α2-Agonisten verwendet [61]. Wenn zur perioperativen Sedierung α2-Agonisten verwendet werden, scheint die Dauer des Delirs verkürzt zu sein [62]. Die Inzidenz eines Schlaganfalls lag in einer retrospektiven Analyse der Daten von 16.200 herzchirurgischen Patienten in Deutschland im Durchschnitt bei 4,6%. Embolien durch atherosklerotische Plaques sind verursacht durch Manipulationen an der Aorta, Mikroembolien durch den extrakorporalen Kreislauf, zu niedrigen Perfusionsdruck während der extrakorporalen Zirkulation sowie Thrombembolien. Die höchste Inzidenz haben Patienten mit Zweifach- oder Dreifachklappenersatz (9,7%). Unabhängige Risikofaktoren für eine zerebrale Ischämie sind ein neurovaskuläres Ereignis in der Vorgeschichte, arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus oder pAVK. Ob bei Verwendung eines Off-pump-Verfahrens weniger neurologische Defizite auftreten, wird nach wie vor kontrovers diskutiert [50]. Intraoperative neuroprotektive Strategien verfolgen v. a. eine Verminderung der zerebralen Mikroembolisation durch Luftblasen, Plaquematerial und Zelldébris während der extrakorporalen Zirkulation. Weitere Ziele sind
979 Literatur
die Verminderung der zerebralen Hypoperfusion und der Hämodilution sowie die Abschwächung des Ischämiereperfusionsschadens und der systemischen Inflammation. Moderate Hypothermie (33–35°C) mit langsamem Wiedererwärmen und Vermeidung einer Hyperthermie (>38°C) scheinen den größten positiven Einfluss auf das neurologische Outcome zu haben. Eine Obstruktion der V. cava superior durch die venöse Kanülierung während EKZ mit konsekutivem Abfall des arteriovenösen Druckgradienten muss vermieden werden. Perioperativ muss auf die Aufrechterhaltung eines adäquaten zerebralen Perfusionsdrucks geachtet werden. Hypo- oder Hyperkapnie sind zu vermeiden, und der Blutzuckerspiegel sollte niedrig gehalten werden (Zielwert <150 mg/dl).
75.6.6
Infektionen
Die Inzidenz schwerer Infektionen nach herzchirurgischen Eingriffen liegt bei 3,5%. Dabei handelt es sich in 35% um Septikämien, in 33% um Infektionen der Venenentnahmestellen und in 25% um eine Mediastinitis. Die Patienten mit schweren postoperativen Infektionen haben eine signifikant höhere Letalität als Patienten mit unauffälligem Verlauf. Als Hochrisikokollektiv gelten Patienten mit Adipositas und Diabetes mellitus [16]. Bei beatmeten Patienten einer chirurgischen Intensivstation (63% herzchirurgische Patienten) konnte durch eine intensivierte Insulintherapie (Blutzucker zwischen 80 und 110 mg/dl) sowohl die Morbidität als auch die Letalität während der Intensivtherapie gesenkt werden. Der größte Anteil in der Reduktion der Mortalität konnte bei Patienten im Multiorganversagen mit nachgewiesener Sepsis erreicht werden [6]. Inwieweit ein postoperativ stark erhöhter Procalcitoninwert (5–10 ng/ml) zwischen infektiologischer und nicht infektiologischer Ursache unterscheiden lässt, ist noch Gegenstand der aktuellen Diskussion [43].
75.6.7
Posttraumatische Belastungsstörungen
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität nach herzchirurgischen Eingriffen ist in den meisten Fällen sehr erfreulich. Allerdings werden Patienten durch schwere postoperative Verläufe häufig Stresssituationen ausgesetzt. Diese Patienten zeigen im Langzeitverlauf eine erhöhte Inzidenz von stressassoziierten Erkrankungen wie das Auftreten von postraumatischen Belastungsstörungen (PTSD; traumatische Erinnerungen aus der Zeit der Intensivbehandlung), die zu einer signifikanten Verschlechterung der Lebensqualität führen. Unter der Gabe von Hydrokortison in Stressdosierung zeigen diese Patienten eine reduzierte Inzidenz und Intensität chronischer Stresssymptome. Ebenso scheint die Vermeidung von β-adrenergen Substanzen wie Adrenalin zu einer reduzierten Inzidenz von PTSD bei Männern zu führen. Ein ähnlicher Effekt konnte mit der Gabe von β-Blockern bei Frauen erzielt werden [28].
Beim OPCAB-Verfahren wird der Anastomosenbereich des Myokards durch einen Retraktor ruhiggestellt. Da der Zugang über eine Sternotomie erfolgt, ist in Abhängigkeit von der Lokalisation der Stenosen eine arterielle und venöse Mehrfachbypassversorgung möglich. Durch das OPCAB-Verfahren kann das kurz- und mittlelfristige klinische Outcome der Patienten verbessert werden. In Bezug auf die Letalität besteht kein signifikanter Unterschied zum ONCABVerfahren. In den letzten 10 Jahren ist diese Operationstechnik fast zu einem Routineverfahren geworden. Die Inzidenz einer Konversion vom OPCAB- zum ONCAB-Verfahren (»on-pump coronary artery bypass») liegt bei 1–8%. Die Entscheidung, ob die begonnene Operation mit der Herz-Lungen-Maschine weitergeführt wird, erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Anästhesist und Herzchirurg. Der Langzeiterfolg einer Bypassoperation wird an der Offenheitsrate der Bypassgefäße gemessen. Es existiert eine Vielzahl heterogener Studien, die OPCAB-Prozeduren mit konventioneller Bypasschirurgie vergleichen. Es ergaben sich keine signifikante Unterschiede in Bezug auf Letalität, Häufigkeit perioperativer Schlaganfälle, Myokardinfarkt und Nierenversagen. Im Hinblick auf die Inzidenz von Vorhofflimmern, Transfusionspflichtigkeit und pulmonalen Infektionen sowie die Dauer des Intensivstations- und Krankenhausaufenthalts – bzw. die Krankenhauskosten – ist ein Vorteil des OPCAB-Verfahrens belegt. Ob minimal-invasive Operationstechniken die Offenheitsrate der Bypässe sowie des neurokognitive Outcome der Patienten beeinflussen, ist bislang unklar. Für Hochrisikopatienten ist der therapeutische Nutzen eines OPCAB-Verfahrens offenbar am größten. In dieser Patientengruppe ist bei OPCAB-Operationen u. a. die Abnahme der Häufigkeit apoplektischer Insulte sowie der Intensivstations- bzw. Krankenhausverweildauer signifikant. Ein Trend zu einer geringeren Letalität ist erkennbar. Auch die Kostenersparnis ist in dieser Patientengruppe am höchsten [9, 50].
Literatur 1
2
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75.7
Minimalinvasive Herzchirurgie
Durch Off-pump-Operationsverfahren ohne kardioplegischen Herzstillstand und ohne extrakorporale Zirkulation sollen die systemischen pathophysiologischen Veränderungen minimiert werden. Der derzeit am häufigsten durchgeführte Eingriff ist das OPCABVerfahren (»off pump coronary artery bypass») mittels Zugang über eine Sternotomie.
8
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Kapitel 75 · Herzchirurgische Eingriffe
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Thoraxchirurgische Eingriffe J. Geiseler, J. Fresenius, O. Karg
76.1
Grundlagen – 984
76.2
Überwachung nach thoraxchirurgischem Eingriff – 984
76.2.1 76.2.2
Routineüberwachung – 984 Erweitertes hämodynamisches Monitoring – 985
76.3
Respiratorische Insuffizienz nach thoraxchirurgischen Eingriffen – 985
76.3.1 76.3.2
Formen der respiratorischen Insuffizienz – 985 Therapie der respiratorischen Insuffizienz – 985
76.4
Sekretmanagement nach thoraxchirurgischen Eingriffen – 987
76.4.1 76.4.2
Physiotherapie – 988 Bronchoskopie – 988
76.5
Pneumonie nach thoraxchirurgischen Eingriffen – 988
76.6
Postoperative Schmerztherapie – 989
76.7
Spezielle postoperative Krankheitsbilder – 989
76.7.1 76.7.2 76.7.3 76.7.4 76.7.5 76.7.6 76.7.7
Herniation des Herzens – 989 Tracheobronchiale Ruptur – 989 Torsion eines Lungenlappens – 989 Prolongierte pleurale Fistel – 990 Anastomoseninsuffizienzen bzw. Stumpfinsuffizienzen – 990 Postoperative Nachblutung – 990 »Acute Lung Injury« (ALI) und »Acute Respiratory Distress Syndrome« (ARDS) nach Lungenresektion – 990 Akute Rechtsherzinsuffizienz – 991 Herzrhythmusstörungen – 991
76.7.8 76.7.9
Literatur – 991
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Kapitel 76 · Thoraxchirurgische Eingriffe
76.1
Grundlagen
Hauptindikation für einen thoraxchirurgischen Eingriff ist die Resektion von primären und sekundären Lungentumoren, führend hierbei das Bronchialkarzinom. Pneumothorax und entzündliche Erkrankungen wie Pleuraempyem stellen weitere häufige Indikationen dar. Wurde in den Anfängen der Thoraxchirurgie ausschließlich offen operiert, zeigt sich wie in anderen operativen Disziplinen ein Trend zu vermehrtem Einsatz von videoassistierten Eingriffen (»videoassisted thoracoscopic surgery«; VATS) und minimalinvasiven Eingriffen. Gleichzeitig wird vermehrt parenchymsparend operiert – die Anzahl der Pneumonektomien ist zugunsten von Manschettenresektionen, Bilobektomien und atypischen Resektionen gesunken [1]. Parallel dazu hat sich die Patientenstruktur geändert: Das Durchschnittsalter ist angestiegen, und die Grenzen der funktionellen Operabilität sind nach unten verschoben worden, d. h. Patienten, die aufgrund ihrer Lungenfunktion oder Komorbiditäten früher als inoperabel für einen thoraxchirurgischen Eingriff galten, können heute dank verbesserter Narkoseführung, parenychymsparender Eingriffe, intraoperativ lungenprotektiver Beatmung [2] und intensivmedizinischer postoperativer Überwachung und Therapie in kurativer Absicht operiert werden. Die erwartete Mortalität nach lungenresizierenden Eingriffen sollte bei <2% nach Lobektomien und 6% bei Pneumonektomien [3] liegen, wobei selbst die Untergruppe von Patienten, die das 80. Lebensjahr überschritten haben, keine höhere Mortalität aufweist [4]. > Hauptsächlich entscheidend für eine geringe postoperative Komplikations- und Mortalitätsrate ist die präoperative Auswahl von für diesen Eingriff geeigneten Patienten.
Die Darstellung von funktioneller Operabilität und Bedeutung von Komorbiditäten würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, somit wird auf die entsprechende Literatur verwiesen [5, 6]. Haupttodesursache nach einer Thoraxoperation sind pulmonale, v. a. infektiöse Komplikationen. Die akute respiratorische Insuffizienz im Rahmen eines »acute lung injury« (ALI) tritt in ca. 2–5 % der Operierten auf und ist mit einer Sterblichkeit von 25–100% behaftet [7].
Potenzielle Komplikationen nach thoraxchirurgischen Eingriffen 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Sekretretention und Atelektase Nosokomiale Pneumonie Herzherniation Trachealverletzung Lungentorsion und -infarzierung Prolongierte Parenchymfistel Anastomseninsuffizienz, Bronchusstumpinsuffizienz „acute lung injury» (ALI)/»acute respiratory distress syndrome» (ARDS) Pneumothorax, ggf. mit Spannungssymptomatik Bronchospasmus Stimmbandparese Herzrhythmusstörungen Postoperative Nachblutung Akute Schmerzen Pleuraerguss (Wundsekret, Hämatom, Chylothorax) Lungenembolie
Auf die Diagnostik und Therapie von Lungenembolie und Bronchospasmus wird im Weiteren nicht speziell eingegangen – hier wird auf die entsprechenden Kapitel in diesem Buch verwiesen (7 Kap. 36 und 40).
76.2
Überwachung nach thoraxchirurgischem Eingriff
76.2.1
Routineüberwachung
Alle Patienten nach thoraxchirurgischen Eingriffen müssen routinemäßig nach der Extubation für einige Stunden überwacht werden (Aufwachraum). Eine Aufnahme auf die Intensivstation bzw. eine postoperative Überwachungsstation ist nicht in jedem Fall erforderlich.
Überwachungsintensität in Abhängigkeit vom Eingriff (Beispiele) 4 Intensivstation – Manschettenresektion – Pneumonektomie bzw. Restpneumonektomie – Extrapleurale Pneumonektomie – Lobektomie bzw. atypische Resektion bei grenzwertiger funktioneller Operabilität – Lungenvolumenresektion – Erhebliche Komorbiditäten (Niereninsuffizienz, kardiale Insuffizienz) – Intraoperative hämodynamische Instabilität – Postoperative akute respiratorische Insuffizienz 4 Überwachungsstation – Unkomplizierte Lobektomie bzw. Bilobektomie – Metastasektomie – Dekortikation bei Empyem 4 Thoraxchirurgische Normalpflegestation – Mediastinoskopie – Thorakoskopische Talkumpleurodese – Teilpleurektomie bei Pneumothorax – Lungenbiopsie – Atypische Resektion (VATS) bei benignen Rundherden
Die Routineüberwachung auf Intensiv- und Intermediate Care Station ist in der 7 Übersicht dargestellt.
Routineüberwachung nach thoraxchirurgischem Eingriff auf der Intensiv- und Intermediate-Care Station 4 Kontrolle von Blutdruck (nichtinvasiv bzw. invasiv), Herzfrequenz, Atemfrequenz, Körpertemperatur, Diurese 4 Kontinuierliche Arrhythmieüberwachung 4 Kontinuierliches Monitoring der Sauerstoffsättigung 4 12-Kanal-EKG bei intra- bzw. postoperativer hämodynamischer Instabilität 4 Beurteilung des Volumenstatus 4 Beobachtung und Dokumentation des Blutverlusts über die Thoraxdrainagen 4 Röntgendiagnostik des Thorax 6
985 76.3 · Respiratorische Insuffizienz nach thoraxchirurgischen Eingriffen
4 Kontrolle der Laborparameter: Blutbild, Nierenfunktion, Elektrolyte, Blutzucker, ggf. Blutgerinnung, ggf. Laktat (sofort, nach 12 und 36 h – Intervalle an die Klinik angepasst) 4 Blutgasanalyse – ggf. engmaschige Kontrolle bei respiratorischer Insuffizienz
76.2.2
Erweitertes hämodynamisches Monitoring
Zentralvenöser Druck Der Stellenwert des zentralvenösen Drucks, früher routinemäßig gemessen, ist in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt worden. Als Instrument zur Beurteilung des Flüssigkeitsstatus hat er seine Rolle verloren.
Pulmonaliskatheter vs. Thermodilution Ein erweitertes hämodynamisches Monitoring nach thoraxchirurgischen Eingriffen ist nur selten erforderlich – Hauptindikationen stellen ALI/ARDS und eine akute Rechtsherzdekompensation dar. Obwohl der Einsatz des Pulmonaliskatheters in der Intensivmedizin bezüglich der Prognoseverbesserung nicht evidenzbasiert und möglicherweise mit einer erhöhten Komplikationsrate verbunden ist [8], bietet er im Vergleich zu der alternativ vermehrt in der Intensivmedizin eingesetzten transpulmonalen Thermodilutionsmethode (PiCCO-System) Vorteile. So konnte gezeigt werden, dass der nach Pneumonektomie mittels transpulmonaler Thermodilution bestimmte extravaskuläre Lungenwasserindex (EVLWI) das gravimetrisch oder mit der Doppelindikatormethode bestimmte Volumen deutlich überschätzt [9]. Zudem ist ein Therapiemonitoring bei pulmonalisdrucksenkender Therapie nur mittels der mit dem Pulmonaliskatheter gemessenen Werte möglich.
Echokardiographie Die transthorakale Echokardiographie (TTE) besitzt beim erfahrenen Untersucher eine hohe Aussagekraft in der Akutdiagnostik bei hämodynamischer Instabilität und erlaubt eine visuelle semiquantitative Beurteilung von Volumenstatus und Klappenfunktion des Herzens. Der Einsatz auf der Intensivstation nach thoraxchirurgischen Eingriffen ist eingeschränkt durch die häufig im Rahmen einer COPD vorhandenen deutlichen Lungenüberblähung sowie durch Verbände. Als Alternative steht die transösophageale Echokardiographie (TEE) zur Verfügung, die jedoch höhere Anforderungen an Equipment und Ausbildung bzw. Erfahrung des Untersuchers stellt. Hiermit lassen sich zuverlässig die globale rechts- und linksventrikuläre Funktion sowie regionale Wandbewegungsstörungen beurteilen, ebenso Klappenvitien. Eine Perikardtamponade kann sicher diagnostiziert bzw. ausgeschlossen werden. Der Volumenstatus des Patienten kann für die Notfalltherapie hinreichend genau abgeschätzt werden.
76.3
Respiratorische Insuffizienz nach thoraxchirurgischen Eingriffen
Die überwiegende Anzahl der Patienten kann nach lungenresizierenden Eingriffen noch im Operationssaal problemlos extubiert werden. Risikofaktoren für die Notwendigkeit der Fortsetzung einer invasiven Beatmung über das Operationsende hinaus waren [10]:
4 4 4 4 4 4
Notwendigkeit einer intraoperativen Blutransfusion, höherer Kreatininwert, ausgedehntere Resektionen, niedrigere präoperative Lungenfunktion, erhebliche Komorbiditäten, Narkoseführung ohne Periduralkatheter.
Während viele dieser Faktoren nicht beeinflusst werden können, sprechen diese Daten aus einer großen Kohortenstudie deutlich für eine Narkoseführung mittels Periduralanästhesie. Üblicherweise erhalten Patienten routinemäßig unmittelbar nach der Extubation transnasal Sauerstoff. Bei unkompliziertem Verlauf ist eine frühe Beendigung der Sauerstoffgabe bei vielen Patienten möglich [11]. Nicht wenige Patienten, v. a. mit vorbestehender COPD, Atelektasen oder postoperativer Pneumonie, entwickeln jedoch eine länger anhaltende respiratorische Insuffizienz, die eine differenzierte Diagnostik und Therapie erfordert.
76.3.1
Formen der respiratorischen Insuffizienz
Ursächlich für die respiratorische Insuffizienz sind häufig postoperative Veränderungen der Atemmechanik mit Abnahme der funktionellen Residualkapazität (FRC) um bis zu 20% mit der Folge der Ausbildung von Atelektasen [12]. Verstärkt wird die Atelektasenbildung noch durch eine oft schmerzbedingte flache Atmung. Wichtig sowohl für Diagnostik als auch Therapie ist die Blutgasanalyse aus arteriellem Blut oder arterialisiertem Kapillarblut. Anhand der Ergebnisse können zwei verschiedene Formen der respiratorischen Insuffizienz unterschieden werden (. Tab. 76.1): 4 Oxygenierungsstörung, 4 ventilatorische Insuffizienz.
76.3.2
Therapie der respiratorischen Insuffizienz
Die primäre Therapie ergibt sich aus der zugrunde liegenden Störung: Bei der Oxygenierungsstörung wird durch Erhöhung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration die Hypoxämie verbessert (beim Shunt gelingt dies allerdings nur unzureichend). Nachteilig bei dieser Therapie ist, dass sich bei hohen inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen Atelektasen ausbilden können und auch das Risiko einer Hyperkapnie besteht. Bei der ventilatorischen Insuffizienz erfolgt die Beatmung zur Verbesserung der alveolären Ventila-
. Tab. 76.1 Formen der respiratorischen Insuffizienz Oxygenierungsstörung
Ventilatorische Insuffizienz
Erkrankung
Lungenparenchymerkrankung
Atempumpenschwäche
Pathophysiologie
Verteilungsstörung, Diffusionsstörung, Shunt
Verminderung der alveolären Ventilation
Klinik
Hypoxämie
Hyperkapnie (mit begleitender leichter sekundärer Hypoxämie)
Therapie
Erhöhung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration
Verbesserung der alveolären Ventilation durch Beatmung
76
986
76
Kapitel 76 · Thoraxchirurgische Eingriffe
. Tab. 76.2 Unterschiede verschiedener Devices für die oronasale Sauerstoffgabe Device
Sauerstofffluss
Inspiratorische Sauerstoffkonzentration
Abhängigkeit vom Atemmuster
Einfache Sauerstoffbrille
1–4 (maximal 6) l/min
Bis zu FIO2 0,4
Erheblich
Transnasale Sauerstoffsonde
4–6 l/min
Bis zu FIO2 0,5
Erheblich
Einfache Sauerstoffmaske
6–10 l/min
Bis zu FIO2 0,5 (0,6)
Erheblich
8–15 l/min
Bis zu FIO2 0,8 (0,9)
Gering
76
Sauerstoffmaske mit Reservoir und Nichtrückatmungsventil Venturi-Maske
4–6 l/min
Bis zu FIO2 0,6 – je nach verwendeter Düse
Gering (Vorteil einer fixen Sauerstoffkonzentration)
76
Masken-CPAP
High-flow (10–20 l/min) bzw. über Beatmungsgerät
Bis zu FIO2 1,0
Gering
76 76 76
76 76
tion mit konsekutiver Abnahme bzw. Normalisierung des erhöhten pCO2.
76
Therapie der Oxygenierungsstörung
76 76 76 76 76 76
z Sauerstoff Für die Behandlung der Oxygenierungsstörung nach thoraxchirurgischem Eingriff stehen verschiedene Devices zur Verfügung, die sich in ihrer Effektivität unterscheiden: Niedrigflusssauerstoffsysteme, Hochflusssauerstoffsysteme und Masken-CPAP mit fixer inspiratorischer Sauerstoffkonzentration. Diese unterscheiden sich in ihrer Leistungsfähigkeit zum Teil erheblich (. Tab. 76.2) [13]. Die Wahl des Device wird durch die zugrunde liegende Pathologie (z. B. Verteilungsstörung bei COPD, Shunt bei Atelektase) und die Schwere der Oxygenierungsstörung bedingt. Ziel der Therapie ist eine Sicherstellung einer ausreichenden Sauerstoffversorgung des Organismus, um eine Gewebshypoxämie mit entsprechenden Konsequenzen zu verhindern. Wichtiger als der Wert des Sauerstoffpartialdrucks (pO2) bzw. der Sauerstoffsättigung (SO2) ist hierbei das Sauerstoffangebot für den Körper (»delivery of oxygen«, DO2).
76 76
Berechnung des arteriellen Sauerstoffgehalts (CaO2) und des Sauerstoffangebots (DO2) DO2 = HMV [l/min] × CaO2 [ml/dl Blut] × 10
76 76 76 76 76 76 76 76
CaO2 = Hb [g/dl] × SaO2 × 1,34 [ml/g Hb]* 4 DO2 = „delivery of oxygen» 4 HMV = Herzminutenvolumen 4 CaO2 = „content arterial of oxygen» 4 Hb = Hämoglobin 4 SaO2 = arterielle Sauerstoffsättigung * physikalisch gelöster O2-Anteil vernachlässigt
Der Normalwert bei Gesunden liegt bei ca. 1000 ml Sauerstoff/min, die kritische Grenze ist nicht genau bekannt, liegt aber bei einer DO2 von <8 ml O2/kg KG/min [14]. > Angestrebt werden sollte eine DO2 postoperativ von 10–12 ml O2/kg KG/min, um einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur kritischen Grenze zu haben.
z CPAP zur Verbesserung der Oxygenierung Das Ziel der CPAP-Therapie ist eine Verbesserung der Oxygenierung durch Erhöhen der postoperativ pathologisch verminderten funktionellen Residualkapazität (FRC). Die Anwendung eines positiven endexspiratorischen Drucks soll dabei einen endexspiratorischen Kollaps von Lungengewebe verhindern und bereits kollabiertes Lungengewebe rekrutieren. Battisti et al. konnten 2005 zeigen, dass durch die Anwendung von CPAP bzw. nichtinvasiver Beatmung (NIV) bei nicht hyperkapnischen Patienten postoperativ nach verschiedenen großen Operationen, darunter auch thoraxchirurgische Eingriffe, bereits im Aufwachraum eine deutliche Verbesserung der Blutgase zu erreichen ist, die über die unmittelbare Anwendung von CPAP hinaus anhielt [15]. z
CPAP bei Vorliegen eines obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms Die Zahl der Patienten mit obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom (OSAS) nimmt stetig zu – Schätzungen gehen von einer Prävalenz von 5% aus. Die Kombination mit COPD, einer der häufigsten Komorbiditäten bei lungenresizierenden Eingriffen, wird als OverlapSyndrom bezeichnet. Obwohl die Koinzidenz von OSAS bei COPD nicht erhöht ist [16], stellt sie doch die Intensivmedizin in der postoperativen Phase vor besondere Herausforderungen. Pathognomonisch für das OSAS ist eine rezidivierende, partielle oder komplette Obstruktion der oberen Atemwege bei erhaltenem Atemantrieb. Anästhetika und Sedativa beeinflussen noch über die Zeitdauer der Operation hinaus den Tonus der Muskulatur der oberen Atemwege [17] und können in Kombination mit der häufig notwendigen postoperativen Rückenlage zu einem Auftreten bzw. einer Verstärkung eines vorbestehenden OSAS führen. Durch die konsekutive Hypoxämie wird das postoperative Auftreten von Arrhyhtmien und hypertensiven Entgleisungen begünstigt, ebenso auch das Risiko von myokardialen Ischämien erhöht. Auch wenn große prospektive Studien über den postoperativen Einsatz von CPAP bei bekanntem OSAS fehlen, weisen doch kleinere Studien auf eine mögliche Rolle von postoperativem CPAP bei häufigen Entsättigungen und hohem Apnoe-Hypopnoe-Index hin. Die Leitlinien der American Society for Anesthesiology [18] empfehlen generell die Bevorzugung von lokoregionalen Anästhesie- und Analgesieverfahren (z. B. Periduralanästhesie), die kontinuierliche postoperative Gabe von Sauerstoff unter Monitoring der Blutgase, die Vermeidung der Rückenlage sowie die routinemäßige postoperative Fortführung einer bereits durchgeführten CPAPTherapie.
987 76.4 · Sekretmanagement nach thoraxchirurgischen Eingriffen
z
Nichtinvasive Beatmung bei postoperativer Oxygenierungsstörung In einer 2001 von Auriant [19] publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass durch eine postoperativ bei Oxygenierungsstörungen durchgeführte nichtinvasive Beatmungstherapie mit dem Zielvolumen 8–10 ml/kg KG für im Schnitt 14 h die Reintubationsrate signifikant gesenkt werden konnte. Die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus unterschieden sich in der NIV-Gruppe nicht von der Kontrollgruppe, jedoch konnte die Krankenhausmortalität und auch die 120-Tage-Mortalität mit dieser Maßnahme signifikant gesenkt werden. Aktuelle Daten aus Frankreich unterstreichen den Stellenwert der postoperativen NIV sowohl bei hypoxämischer als auch hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz nach lungenresizierenden Eingriffen: Bei ca. 16% der operierten Patienten trat ein akutes respiratorisches Versagen (ca. 66% hypoxämisch, ca. 33% hyperkapnisch) auf. Die Erfolgsrate der NIV betrug 85,3%, im Fall des NIV-Versagens erhöhte sich die postoperative Mortalität auf der Intensivstation von 6,7% auf 46,1% [20]. Die aktuelle S3-Leitlinie der AWMF »Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz« empfiehlt bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine postoperative hypoxämische akute respiratorische Insuffizienz die frühzeitige Anwendung von CPAP bzw. NIV unmittelbar nach der Extubation, um die Reintubationsrate und weitere Komplikationen zu senken (»level of evidence«: B) [21]. > Wichtig ist eine ausreichende Höhe des PEEP-Wertes um 9–10 cm H2O – hierdurch kann während des gesamten Atemzyklus ein höherer trachealer Druck aufrechterhalten werden, was zu einer Verbesserung der Oxygenierung ohne negative Auswirkungen auf die Hämodynamik führt [22].
Therapie der ventilatorischen Insuffizienz Nicht selten besteht nach Übernahme eines thorakotomierten Patienten aus dem Aufwachraum eine leichte Hyperkapnie mit leichter respiratorischer Azidose. Ursachen hierfür können eine verlängerte Wirkung der Narkosemittel mit Dämpfung des Atemzentrums, eine zu großzügige Gabe von Sauerstoff oder auch eine schmerzbedingte Verminderung der Ventilation sein.
Bei nicht zu schwerer respiratorischer Azidose (pH-Wert >7,3) und klinisch stabilem, wachem Patienten reicht häufig die Reduktion der Menge des insufflierten Sauerstoffs – vorausgesetzt: ein hochnormaler pO2 in der Blutgasanalyse – und die ausreichende Gabe von Analgetika. Eine engmaschige Kontrolle des pCO2 in kurzem Abstand von 15–30 min ist erforderlich. Bei deutlich erhöhtem pCO2 ist ein Versuch der nichtinvasiven Beatmung mit ausreichend hohen inspiratorischen Drücken zur Verbesserung der alveolären Ventilation, u. U. in Kombination mit einer medikamentösen Antagonisierung der Narkosemittel, angezeigt. Eigene Daten zeigen, dass in über 90% der Fälle eine Reintubation auf diese Weise verhindert werden konnte [23]. Die Grenzen der nichtinvasiven Beatmung sollten dabei beachtet und bei pHWerten <7,2 die Reintubation erwogen werden.
76.4
Sekretmanagement nach thoraxchirurgischen Eingriffen
Dem Sekretmanagement kommt nach thoraxchirurgischen Eingriffen eine entscheidende Bedeutung zu: Dys- und Atelektasen (. Abb. 76.1) sind häufige postoperative radiologische Befunde, und die Entwicklung einer Pneumonie ist eine gefürchtete postoperative Komplikation. Ursächlich für die Belüftungsstörung und Sekretretention sind eine verminderte Inspirationstiefe als Folge des Operationstraumas und ein abgeschwächter Hustenstoß, der verschiedene Ursachen haben kann: schmerzbedingt fehlende tiefe Inspiration vor dem Husten, ungenügende Anspannung der Exspirationsmuskeln, eine z. B. intubationsbedingte Glottisdysfunktion oder eine Engstellung von Atemwegen an Bronchusmanschetten. Gleichzeitig besteht postoperativ und als Folge der Intubation eine vermehrte endobronchiale Sekretbildung, die sich auf eine evtl. vorbestehende chronische Raucherbronchitis aufpfropft. > Therapeutische Ansatzpunkte stellen neben einer ausreichenden postoperativen Analgesie (7 Abschn. 76.6) die Physiotherapie und die Bronchoskopie dar.
. Abb. 76.1a, b Totalatelektase der rechten Lunge. a 1. postoperativer Tag nach Unterlappenresektion durch Sekretpfopf im Hauptbronchus rechts. b Kontrolle nach bronchoskopischer Sekretentfernung – Wiederbelüftung des rechten Lungenflügels
76
988
76 76 76
Kapitel 76 · Thoraxchirurgische Eingriffe
76.4.1
Physiotherapie
Die postoperative Physiotherapie stellt einen intergralen Bestandteil der Intensivtherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen dar. Neben frühzeitiger Mobilisierung werden verschiedene Techniken zur Verbesserung von Sekretolyse und Sekretexpektoration und Wiedereröffnung von atelektatischen Lungenabschnitten angewandt [24].
76 76 76 76 76 76
Physiotherapeutische Maßnahmen des Sekretmanagements 4 Sekretolyse – manuelle Thoraxperkussion – maschinelle Thoraxperkussion – endobronchiale Oszillationen (Flutter, RC-Cornet, Acapella) 4 Sekretexpektoration – »incentive spirometer« – manuell assistiertes Husten – »active cycle of breathing technique« – forcierte Exspiration – PEP-Ventil
76 76 76 76 76 76 76
schiedenen Geräten teilweise deutlich unterscheidet [27] – Geräte mit geringer zusätzlicher Atemarbeit sind zu bevorzugen. Größter Vorteil des »incentive spirometer« ist die häufige Durchführbarkeit des Manövers auch ohne Anwesenheit eines Physiotherapeuten. Die Kombination von Physiotherapie und prophylaktischer nichtinvasiver Beatmung stellt eine weitere Alternative dar: Postoperativ wurden in einem systematischen Review von insgesamt 5 Studien positive Effekte auf die Prophylaxe bzw. Therapie von Atelektase, Sekretverhalt und Pneumonie nach lungenresizierenden Eingriffen beschrieben [28].
Manuelle und maschinelle Thoraxperkussionen erreichen Frequenzen von 4–8 Hz bzw. 25–40 Hz und liegen somit unter oder über der Resonanzfrequenz des Thorax (11–13 Hz), was ihre Wirksamkeit beeinträchtigt. Für endobronchiale Oszillationen konnte eine bessere Wirkung auf die Sekretolyse bei Patienten mit COPD und Mukoviszidose nachgewiesen werden. Die Datenlage für das »incentive spirometer« ist nicht einheitlich. Während die Studie von Gosselink [25] keinen Vorteil gegenüber konventioneller Physiotherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen fand, wird in einer aktuellen Übersicht [26] eine schwache Evidenz für die Reexpansion der Lunge nach größeren thoraxchirurgischen Eingriffen, bei allerdings geringer Studienzahl, angegeben. Bei der Auswahl des »incentive spirometer« sollte die zusätzlich notwendige Atemarbeit mitberücksichtigt werden, die sich bei ver-
76.4.2
Bronchoskopie
Die bronchoskopische Sekretabsaugung ist den Patienten vorbehalten, bei denen die Physiotherapie nicht mehr effektiv ist. Insbesondere bei Atelektase eines Lungenflügels, manchmal auch von einzelnen Lungenlappen, ist es nahezu nicht mehr möglich, Luft hinter das Sekret zu bringen, was eine Voraussetzung für effektives Abhusten ist. Die Bronchoskopie ist hier sehr hilfreich (. Abb. 76.1b), gleichzeitig kann der Bronchialbaum auf entzündlich bedingte Engstellen, Knickstenosen u. a. inspiziert werden. Die Verwendung von Lokalanästhesie für die Bronchoskopie ist obligat, auf die Gabe von sedierenden Medikamenten wie Midazolam sollte, wenn möglich, verzichtet werden, da die Sedierung häufig über die Zeit der Untersuchung hinaus anhält und somit während dieser Zeit neuerlich das Abhusten deutlich eingeschränkt ist.
76.5
Pneumonie nach thoraxchirurgischen Eingriffen
Pneumonien treten nach lungenresizierenden Eingriffen häufig auf – es werden Inzidenzen von 3,4% [29] bis 25% [30] beschrieben. Folgen einer Pneumonie sind eine signifikant höhere Beatmungspflichtigkeit sowie ein längerer Aufenthalt auf der Intensivstation und im Krankenhaus [30]. Folgende Risikofaktoren für das Auftreten einer Pneumonie in der postoperativen Phase sind bekannt [29–32]: 4 vorbestehende COPD,
76 76 76 76 76 76 76 76 76
. Abb. 76.2a, b Pneumonektomie rechts. a Thoraxröntgenaufnahme postoperativ. b 36 h später – Entwicklung des Vollbildes eines ARDS (Postpneumonektomieödem)
989 76.7 · Spezielle postoperative Krankheitsbilder
4 4 4 4 4 4 4
Ausmaß des lungenresezierenden Eingriffs, Präoperativ vorhandene Kolonisierung des Bronchialsystems, männliches Geschlecht, Body-Mass-Index längere Operationsdauer, Aufenthalt auf der Intensivstation, höherer postoperativer Schmerz-Score.
Hilfreich bei der Diagnose einer Pneumonie sind klinischer und radiolgischer Befund sowie mikrobiologische Untersuchungen und Laborparameter – allerdings gelten für das häufig verwandte Procalcitonin postoperativ andere Grenzwerte, oberhalb derer mit ausreichender Sensitivität und Spezifität eine bakterielle Infektion diagnostiziert werden kann [33]. Eine frühzeitige kalkulierte antibiotische Therapie ist aus prognostischen Gründen zwingend erforderlich. Ob in Zukunft eine prophylaktische Antibiotikatherapie bei Nachweis einer signifikanten bakteriellen Besiedelung des Tracheobronchialsystems die Rate postoperativer Pneumonien senken kann, muss in weiteren Studien geklärt werden. Eine Änderung der perioperativen Antibiotikaprophylaxe von einem Cephalosporin der 2. Generation auf ein Breitspektrumpenicillin plus einen β-Laktamasehemmer konnte in einer Studie die Häufigkeit postoperativer Pneumonien signifikant um 45% reduzieren [32].
76.7
Spezielle postoperative Krankheitsbilder
76.7.1
Herniation des Herzens
Die Herniation des Herzens stellt eine extrem seltene, akut lebensbedrohliche Notfallsituation dar und erfordert unverzügliche Diagnostik und Therapie. Sie setzt einen intraoperativ angelegten, gedeckten Perikarddefekt und eine Pneumonektomie voraus. Postoperativ können folgende Faktoren eine Herniation begünstigen: versehentlich übermäßiger Sog über die Thoraxdrainage in der leeren Pleurahöhle, mechanische Ventilation mit hohen inspiratorischen Drücken und eine Lagerung des Patienten auf die operierte Seite. Folgen der Herniation sind ein akuter Blutdruckabfall, Auftreten von Herzrhythmusstörungen und eine obere Einflussstauung. Therapeutisch notwendig ist eine sofortige Rethorakotomie mit Repositionierung des Herzens. Überbrückend müssen der Sog an der Thoraxdrainage weggenommen werden und eine Lagerung auf die gesunde Seite erfolgen. Bei kritischem Blutdruckabfall ist die Gabe von Vasopressoren bzw. auch Einleitung von Reanimationsmaßnahmen notwendig.
76.7.2 76.6
Postoperative Schmerztherapie
Eine optimale postoperative Schmerztherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen ist obligat, um postoperativ eine effektive Sekretexpektoration zu ermöglichen und den Patienten früh mobilisieren zu können. Grundsätzlich werden heute zwei Verfahren eingesetzt: 4 Patientenkontrollierte Analgesie (PCA): Bei der PCA erfolgt die Applikation von intravenösen Opioiden auf Anforderung durch den Patienten [34], bei nicht ausreichender Schmerzkontrolle werden zusätzlich Substanzen wie Novamin oder Paracetamol gegeben. Diese Methode hat, obwohl bewährt, zwei erhebliche Nachteile: 5 eine opioidinduzierte Übelkeit und Emesis, 5 häufig erheblich sedierende, teilweise auch atemdepressive Effekte, die wiederum einer frühzeitigen Mobilisierung und auch einem effektiven Sekretmanagement entgegenstehen. 4 Periduralanalgesie (PDA): Die PDA besteht in der rückenmarknahen Applikation von Lokalanästhetika, häufig in Kombination mit Opioiden. Mögliche Vorteile sind eine deutlich geringer ausgeprägte Atemdepression und sedierende Wirkung sowie verminderte postoperative Übelkeit. Mögliche Nebenwirkungen sind motorische Paresen und Blasenentleerungsstörungen, die eine intermittierende Katheterisierung der Harnblase erfordern. Eine Hypotonie ist durch eine Hemmung des Sympathikus mit fehlender Vasokonstriktion verursacht und benötigt primär Katecholamine. Eine eindeutige Überlegenheit der einen über die andere Methode ist bisher nicht bewiesen, einige Studien [35, 36] haben jedoch unter Periduralanalgesie eine signifikant bessere analgetische Wirkung und im Vergleich zur präoperativen Funktion geringer eingeschränkte Lungenfunktionsparameter beschrieben. Die Rate postoperativer Komplikationen war allerdings nicht unterschiedlich.
Tracheobronchiale Ruptur
Eine Ruptur im Bereich von Trachea und/oder Hauptbronchien ist nach Intubation eine seltene Komplikation, kann aber unter Verwendung von Doppellumentuben, wie sie für seitengetrennte Beamtung bei thoraxchirurgischen Operationen verwendet werden, durchaus auftreten. Typischerweise handelt es sich um längsverlaufende Zerreißungen im Bereich der Pars membranacea, die sich sehr selten in einen der beiden Hauptbronchien fortsetzen. Klinisch macht sich eine Trachealruptur durch die Entwicklung eines Mediastinalemphysems bemerkbar, die Entwicklung einer Mediastinitis ist eine häufig fatale Komplikation. Die Diagnostik ist die Domäne der flexiblen Bronchoskopie. Ursprünglich galt die frühe chirurgische Revision mit Übernähung des Defekts als Therapie der Wahl [37]. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass in speziellen Situationen, v. a. bei Spontanatmung und Länge der Lazeration <4–5 cm, auch ein konservatives Vorgehen mit gutem Langzeitergebnis möglich ist [38]. Eine aktuelle Metaanalyse fand sogar eine erhöhte Mortalität in der Gruppe der Patienten mit einer Trachealruptur, die erst nach dem operativen Eingriff diagnostiziert und dann chirurgisch versorgt wurde, im Vergleich zur konservativen Therapie [39]. Unmittelbar nach Diagnosestellung muss eine antibiotische Therapie eingeleitet werden unter dem Aspekt der Verhinderung einer Mediastinistis.
76.7.3
Torsion eines Lungenlappens
Torsionen eines oder mehrerer Lungenlappen sind seltene postoperative Ereignisse nach lungenresizierenden Eingriffen. In der Regel treten sie 1–5 Tage nach der Operation auf. Klinisch weisen die Patienten Zeichen einer Entzündung auf, verbunden mit einer Verschlechterung des Gasaustauschs und radiologischen Zeichen einer Verschattung. Bronchoskopie und evtl. eine Angiographie bestätigen die Diagnose, die Therapie besteht in einer Rethorakotomie mit Replatzierung und ggf. Fixierung des mobilen torquierten Lappens, um die Gefahr einer Nekrose des Lappens mit Infektionsrisiko zu minimieren [40, 41]
76
990
76 76 76 76 76 76 76 76
76.7.4
76.7.5
76
76 76 76 76 76 76 76 76 76 76
Prolongierte pleurale Fistel
Pleurale Fisteln treten häufig in den ersten Stunden bzw. Tagen nach thoraxchirurgischen Eingriffen als Folge des Operationstraumas auf. Standardmäßig erfolgt unmittelbar postoperativ die Anlage eines Sogs von –10 bis –20 cm H2O. Ausnahme ist die Pneumonektomie, wo kein Sog angelegt wird. Häufig kann der Sog bereits kurz, d. h. wenige Stunden nach der Operation bei fehlender Fistelung entfernt werden, bei nur geringer Fistel ist meist die passive Ableitung der Luft über eine Drainage mit Wasserschloss ausreichend [42]. Die Indikation für eine weitere Saugung besteht nur bei großer Fistel mit Hautemphysem bzw. bei radiologisch nicht vollständig ausgedehnter Restlunge [43]. Bei emphysematös veränderten Lungen können prolongierte pleurale Fisteln (Dauer >7 Tage) auftreten, mit dem Risiko eines verlängerten Krankenhausaufenthaltes und erhöhter Krankenhauskosten [44]. Das Risiko kardiopulmonaler Komplikationen nimmt im Vergleich zu Patienten ohne oder mit kurz dauernder pleuraler Fistel nicht zu, jedoch ist das Risiko, ein Empyem zu entwickeln, erhöht [45].
76
76
Kapitel 76 · Thoraxchirurgische Eingriffe
Anastomoseninsuffizienzen bzw. Stumpfinsuffizienzen
Anatomoseninsuffizienzen sind seltene postoperative Komplikationen, die aber aufgrund der steigenden Zahlen von Manschettenresektionen häufiger auch die Intensivmedizin vor Probleme stellen. Frühe Zeichen sind eine Zunahme der Expektoration von wässrigem Sekret bzw. Hämoptysen. Eine unverzügliche u.a. bronchoskopische Diagnostik ist erforderlich, um lebensbedrohliche Komplikationen wie Asphyxie im Rahmen einer Hämoptoe zu verhindern. Die Therapie besteht in einer raschen Rethorakotomie mit ggf. Restpneumonektomie, bis dahin muss der Patient auf der Intensivstation überwacht und antitussiv behandelt werden – manchmal ist bei manifester respiratorischer Insuffizienz die seitengetrennte Intubation bereits auf der Intensivstation erforderlich. Stumpfinsuffizienzen treten häufiger nach Pneumonektomie als nach Lobektomie auf, v. a. bei nicht tumorfreiem Resektionsrand bzw. entzündlichen Lungenerkrankungen, und sind meist durch die Entwicklung eines Empyems kompliziert. Klinisch machen sie sich durch eine vermehrte Sekretproduktion bemerkbar, u. U. zusätzlich Entzündungszeichen bei gleichzeitigem Empyem, in Kombination mit einem absinkenden Flüssigkeitsspiegel in der Thoraxröntgenaufnahme nach Pneumonektomie. Die Diagnose wird ebenfalls bronchoskopisch gestellt. Therapeutisch erfolgt eine Drainageableitung bei Empyem und, falls möglich, eine Rethorakotomie mit Deckung des Stumpfs. > Solange die Insuffizienz besteht, ist auf eine korrekte Lagerung des Patienten – Tieferlagerung der betroffenen Seite – zu achten, um Aspirationen von u. U. infektiösem Material in die gesunde Lunge zu verhindern.
76 76.7.6
76 76 76
Postoperative Nachblutung
Hämodynamisch wirksame Nachblutungen nach thoraxchirurgischen Eingriffen sind durch Tachykardie und Hypotonie bis hin zum Schockzustand gekennzeichnet. Die Diagnose wird gestellt durch Messung des Drainagesekrets, Kontrolle des Hämoglobingehalts im Blut und radiologisch durch eine zunehmende pleurale Verschattung. Die Therapie besteht in einer chirurgischen Revision
mit z. B. Umstechung eines blutenden Gefäßes und Hämatomausräumung.
76.7.7
»Acute Lung Injury« (ALI) und »Acute Respiratory Distress Syndrome« (ARDS) nach Lungenresektion
! Cave ALI und ARDS nach lungenresizierenden Eingriffen stellen lebensbedrohliche Komplikationen dar.
Pathophysiologie Pathologisch gekennzeichnet durch eine diffuse Schädigung der alveolokapillären Membran, besteht klinisch eine progrediente respiratorische Insuffizienz mit erheblicher Oxygenierungsstörung. In der intialen exsudativen Phase kommt es zur Entwicklung eines interstitiellen und alveolären Ödems mit Ausbildung von hyalinen Membranen. Der weitere Verlauf ist variabel, von einer Lösung des Ödems mit Restitutio ad integrum bis hin zu einer proliferativen Phase mit Remodelling der Lunge, Vernarbung und Entwicklung einer Lungenfibrose. Die Häufigkeit beträgt in Abhängigkeit von der Größe des Eingriffs 4–7% nach Pneumonektomie und 1–2% nach Lobektomie [46]. Die genaue Genese dieser auch als Postpneumonektomieödem bezeichneten akuten Gasaustauschstörung ist nicht geklärt, verschiedene Mechanismen wie eine Schädigung durch die EinLungen-Ventilation während der Operation, Ischämie-Reperfusions-Schädigung, hohe intraoperative inspiratorische Sauerstoffkonzentration mit konsekutiver Radikalenbildung, stark positive Flüssigkeitsbilanz und Stress des pulmonal-kapillären Gefäßbettes werden angeschuldigt [47, 48]. Folgende Risikofaktoren für die Entwicklung eines postoperativen ARDS wurden identifiziert [nach 7]: 4 präoperativ bereits eingeschränkte Lungenfunktion, 4 chronischer Alkoholkonsum, 4 Ausmaß des lungenresizierenden Eingriffs, 4 Flüssigkeitsüberladung, 4 keine intraoperative lungenprotektive Beatmung, 4 neoadjuvante Radiochemotherapie, 4 erheblicher intraoperativer Transfusionsbedarf. Als mögliche Prophylaxe gegen ein ALI wird postoperativ nach Pneumonektomie eine restriktive Flüssigkeitsgabe empfohlen, auch wenn es hierfür keine gesicherten Daten gibt.
Klinik und Prognose Klinisch manifestieren sich ALI bzw. ARDS zwischen dem 1. und 13. postoperativen Tag [49] mit Tachypnoe, Dyspnoe und einer ausgeprägten Oxygenierungsstörung, häufig bevor korrespondierende radiologische Veränderungen auftreten (. Abb. 76.2). Gleichzeitig kann eine metabolische Azidose vorliegen. Die Mortalität wird mit 25–100% [7] angegeben.
Therapie Eine spezifische Therapie von ALI bzw. ARDS existiert nicht. In Frühstadien ist die Gabe von Sauerstoff etabliert, um ein ausreichendes Sauerstoffangebot für den Körper zu gewährleisten. In der Regel ist zur Beatmung ein einläufiger Endotrachealtubus ausreichend, in seltenen Fällen, z. B. bei gleichzeitig erheblicher pleuraler Leckage, kann eine seitengetrennte Beatmung (»independent lung ventilation«; ILV) nach Einbringen eines Doppellumentubus erfor-
991 Literatur
derlich sein. Bei invasiver Beatmung ist eine lungenprotektive Beatmung Standard [50]. Eine strenge Flüssigkeitsrestriktion bei manifestem ALI/ARDS wird von vielen Abteilungen angewandt, obwohl sich in einer aktuellen Studie [51] in der flüssigkeitsrestriktiven Gruppe nur ein nicht signifikanter Trend zu einer Verbesserung der Lungenfunktion und einer Verkürzung von Beatmungszeit und Dauer des Intensivaufenthalts fanden.
76.7.8
Akute Rechtsherzinsuffizienz
Verschiedene Faktoren können postoperativ zu einer starken Erhöhung der pulmonalarteriellen Widerstände mit konsekutivem akutem Rechtsherzversagen führen: Eine postoperative akute Lungenembolie oder ein ALI/ARDS mit schwerer Hypoxämie sind die häufigsten Ursachen. Eine mechanische Beatmung kann zu einer Aggravation der Rechtsherzbelastung führen. Die Reduktion der pulmonalen Strombahn nach Lungenresektion allein führt in der Regel nicht zu einem relevanten Lungenhochdruck, vorausgesetzt, es bestand präoperativ keine pulmonalarterielle Hypertonie, die aber in den allermeisten Fällen eine funktionelle Inoperabilität bedingt. Diagnostisch wegweisend sind eine obere und untere Einflussstauung, Tachykardie und Blutdruckabfall, auskultatorisch nachweisbare Trikuspidalinsuffizienz bzw. betonter 2. Herzton und Rechtsherzbelastungszeichen im EKG. Die Sicherung der Diagnose erfolgt mittels Echokardiographie bzw. Druckmessung im kleinen Kreislauf durch den Pulmonaliskatheter. Die Therapie der akuten Rechtsherzinsuffizienz besteht in der Entlastung des rechten Herzens durch Senkung von Vor- und Nachlast, mittels Applikation von Sauerstoff zur Verminderung der hypoxischen pulmonalarteriellen Vasokonstriktion und Gabe von pulmonalisdrucksenkenden Medikamenten wie inhalativem Prostaglandin oder Stickstoffmonoxid (NO). Zusätzlich können positivinotrope Substanzen wie β-Rezeptoragonisten (z. B. Dobutamin) die rechtsventrikuläre Funktion verbessern. Nach kausal behandelbaren Ursachen wie einer Lungenembolie, die eine therapeutische Antikoagulation erfordert, sollte immer gesucht werden.
eine medikamentöse Frequenzkontrolle, z. B. mit β-Blockern oder Amiodaron, eine sofortige Elektrokonversion ist nur bei hämodynamischer Instabilität indiziert. Bei Persistenz von Vorhofflattern oder -flimmern muss, sofern chirurgisch vertretbar, eine Antikoagulation mit z. B. niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosierung zur Prophylaxe thrombembolischer Ereignisse erfolgen. Die Prognose dieser postoperativ aufgetretenen Rhythmusstörungen ist gut, bis vor Entlassung wechseln unter Frequenzkontrolle ca. 85% der Patienten spontan in einen Sinusrhythmus. Bei ventrikulären Rhythmusstörungen muss nach auslösenden Faktoren wie Myokardischämie, Infarkt etc. gesucht werden. Hilfreich sind EKG, Laboruntersuchungen (Troponin, Kalium) und ggf. die Echokardiographie. Bei isolierten ventrikulären Rhythmusstörungen ist ein abwartendes Beobachten gerechtfertigt, bei symptomatischer ventrikulärer Tachykardie erfolgt die Kardioversion/ Defibrillation mit nachfolgender antiarrhythmischer Therapie mit β-Blockern oder Amiodaron unter Beachtung der Kontraindikationen. Beim Einsatz von β-Blockern muss das möglicherweise erhöhte Risiko eines postoperativ auftretenden Schlaganfalls – z. B. aufgrund von Hypotonie und Bradykardie – sowie eine u. U. erhöhte Gesamtmortalität kritisch gegen die positiven Effekte einer Rhythmusstabilisierung und Reduzierung postoperativer Infarkte abgewogen werden [54].
Literatur 1 2
3
4 5
6
7
76.7.9
Herzrhythmusstörungen 8
Inzidenz und Klinik Herzrhythmusstörungen, die postoperativ nach Thorakotomie auftreten, sind überwiegend supraventrikulärer Genese (supraventrikuläre Tachykardie, Vorhofflattern, Vorhofflimmern). Gehäuft treten sie am 2. und 3. postoperativen Tag auf. Die Inzidenz hängt von der Art des Eingriffs – häufiger nach Lobektomie, Bilobektomie und Pneumonektomie – ab und rangiert in der Literatur zwischen 12,5 und 33% [52, 53]. Klinisch führend sind Dyspnoe, Palpitationen, Atemnot und Hypotonie. Eine lebensbedrohliche hämodynamische Instabilität kann gelegentlich Folge dieser Rhythmusstörungen sein. Ventrikuläre Rhythmusstörungen sind wesentlich seltener und stellen keine postoperative Komplikation im engen Sinn dar, sondern sind Ausdruck einer begleitenden Herzerkrankung bzw. einer perioperativen Myokardischämie.
Therapie Die Therapie der symptomatischen supraventrikulären Rhythmusstörungen unterscheidet sich nicht von der Therapie von Rhythmusstörungen anderer Genese. Bei hämodynamischer Stabilität erfolgt
9
10
11
12 13 14
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76
992
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Kapitel 76 · Thoraxchirurgische Eingriffe
15 Battisti A, Michotte JB, Tassaux D et al. (2005) Non-invasive ventilation in the recovery room for post-operative respiratory failure: a feasibility study. Swiss Med Wkly 135: 339–343 16 Weitzenblum E, Chaouat A, Kessler R et al. (2008) Overlap Syndrome: Obstructive sleep apnea in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Proc Am Thorac Soc 5: 237–241 17 Eastwood PR, Platt PR, Shepherd K et al. (2005) Collapsibility of the upper airway at different concentrations of propofol anesthesia. Anesthesiology 103: 470–4677 18 American Society for Anesthesiology ASA (2006) Practice Guidelines for the Perioperative Management of Patients with Obstructive Sleep Apnea. 104:1081–1093 19 Auriant I, Jallot P, Hervé P et al. (2001) Noninvasive ventilation reduces mortality in acurte respiratory failure following lung resection. Am J Respir Crit Care Med 164: 1231–1235 20 Lefebvre A, Lorut C, Alifano M et al. (2009 Noninvasive ventilation for acute respiratory failure after lung resection: an observational study. Intensive Care Med 35: 663–670 21 Schönhofer B, Kuhlen R, Neumann P et al. (2008) Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz. S3-Leitlinie herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Pneumologie 62: 449–479 22 Kindgen-Milles D, Buhl R, Loehr SA et al. (2002) Nasal CPAP therapy: effect of different CPAP levels on pressure transmission into the trachea and pulmonary oxygen transfer. Acta Anaesthesiol Scand 46: 860–865 23 Geiseler J, Heindl S, Passlick B et al. (2003) Noninvasive ventilation after thoracic surgery. ESICM 2003, Amsterdam 24 Reeve J, Denehy L, Stiller K. (2007) The physiotherapy management of patients undergoing thoracic surgery: a survey of current practice in Australia and New Zealand. Physiother Res Int 12: 59–71 25 Gosselink R, Schrever K, Cops P et al. (2000) Incentive spirometry does not enhance recovery after thoracic surgery. Crit Care Med 28: 679–683 26 Agostini P, Singh S (2009) Incentive spirometry following thoracic surgery: what should we be doing? Physiotherapy 95: 76–82 27 Weindler J, Kiefer RT (2001) The efficacy of postoperative incentive spirometry is influenced by the device-specific imposed work of breathing. Chest 119: 1858–1864 28 Freynet A, Falcoz PE (2008) Does non-invasive ventilation associated with chest physiotherapy improve outcome after lung resection? Interact Cardiovasc Thorac Surg 7: 1152–1154 29 Nan D, Fernandez-Ayala M, Farinas-Alvarez C et al. (2005) Nosocomial infection after lung surgery: incidence and risk factors. Chest 128: 2647–2652 30 Schussler O, Alifano M, Dermine H et al. (2006) Postoperative pneumonia after major lung resection. Am J Respir Crit Care Med 173: 1161–1169 31 Belda J, Cavalcanti M, Ferrer M et al. (2005) Bronchial colonization and postoperative infections in patients undergoing lung cancer surgery. Chest 128: 1571–1579 32 Schussler O, Dermine H, Alifano M et al. (2008) Should we change antibiotic prophylaxis for lung surgery? Postoperative pneumonia is the critical issue. Ann Thorac Surg 2008; 86: 1727–1733 33 Falcoz PE, Laluc F, Toubin MM et al. (2005) Usefulness of procalcitonin in the early detection of infection after thoracic surgery. Eur J Cardiothorac Surg 27: 1074–1078 34 Lehmann KA (1995) Patientenkontrollierte Analgesie zur Behandlung postoperativer Schmerzen. Zentralb. Chir 120: 1 –15 35 Azad SC, Groh J, Beyer A et al. (2000) Kontinuierliche Periduralanalgesie versus patientenkontrollierte intravenöse Analgesie – Schmerztherapie nach Thorakotomien. Anaesthesist 49: 9–17 36 Bauer C, Hentz JG, Ducrocq X et al. (2007) Lung function after lobectomy: a randomized, double-blind trial comparing throacic epidural ropivacaine/sufentanil and intravenous morphine for patient-controlled analgesia. Anesth Analg 105: 238–244 37 Mussi A, Ambrogi MC, Menconi G et al. (2000) Surgical approach to membraneous tracheal wall lacerations. J Thorac Cardiovasc Surg 120: 115–118 38 Conti M, Pugeoise M, Wurtz A et al. (2006) Management of postintubation tracheobronchial ruptures. Chest 130: 412–418
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993
Gefäßchirurgische Eingriffe A. Greiner, J. Grommes, M. Jacobs
77.1
Einführung – 994
77.2
Postoperative Überwachung – 994
77.2.1
Postoperative operationsspezifische Komplikationen – 994
77.3
Operationen an der A. carotis – 994
77.3.1 77.3.2 77.3.3
Krankheitsbild und Indikationen zur Operation – 994 Operationsverfahren – 995 Postoperative intensivmedizinische Kontrolle – 995
77.4
Operationen an der Aorta – 996
77.4.1 77.4.2 77.4.3
Aortendissektion, Aortenaneurysma – 996 Operationsverfahren – 996 Postoperative intensivmedizinische Kontrolle – 997
77.5
Periphere Revaskularisation – 997
77.5.1 77.5.2 77.5.3
Krankheitsbild und Indikation – 997 Operationsverfahren – 998 Postoperative Überwachung – 998
77.6
Akute Ischämie – 998
77.6.1 77.6.2 77.6.3
Krankheitsbild und Indikation – 998 Therapie – 999 Postoperative Überwachung – 999
Literatur – 999
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_77, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
77
994
77 77 77 77 77 77 77 77 77 77 77 77
77.1
Kapitel 77 · Gefäßchirurgische Eingriffe
Einführung
Gefäßchirurgische Eingriffe werden routinemäßig an unterschiedlichsten Organsystemen und Regionen des menschlichen Körpers durchgeführt. Die intensivmedizinische postoperative Überwachung ist daher für jede Operation sehr spezifisch. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, die im postoperativen intensivmedizinischen Management zu berücksichtigen sind. Die beinahe allen Operationen zugrundeliegende Erkrankung ist die Atherosklerose. Dies ist eine systemische Erkrankung, die relevante kardiale und pulmonale Begleiterkrankungen der Patienten mit sich bringt. Die gestörte Endothelfunktion spielt bei der Pathogenese der postoperativen Organminderperfusion eine ebenso wichtige Rolle wie Obstruktionen der Organarterien, die das Kapillarbett des betroffenen Organs speisen (Davignon u. Ganz 2004; Schachinger u. Zeiher 2000). Die Folge nach gefäßchirurgischen Eingriffen sind postoperative Komplikationen wie kardiale, zerebrale oder mesenteriale Ischämien. Des Weiteren muss mit Komplikationen gerechnet werden, die durch die einzelnen atherosklerotischen Risikofaktoren verursacht werden. Nikotinkonsum führt dabei häufig zu obstruktiven Lungenerkrankungen, die den postoperativen Verlauf durch eine erhöhte Rate an pulmonalen Infekten erheblich beeinträchtigen/belasten. Das Vorliegen von Diabetes mellitus kann zu metabolischen Entgleisungen oder erhöhten perioperativen Infektraten führen (Tamai et al. 2006).
77.2
77 77
77.2.1
77
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! Cave Ein fehlender Verlust von Blut über entsprechende Wunddrainagen schließt eine Blutung nicht aus.
Im Gegensatz dazu fallen Blutungen im Bereich der Extremitäten durch eine zunehmende Schwellung auf. Zudem ist der Verlauf meist nicht so dramatisch, da der benachbarte Weichteilmantel genügend Gegendruck aufbauen kann, um der Blutung entgegen zu wirken. Die Folge ist eine entsprechend größenprogrediente Schwellung. Die Kontrolle von Wunddrainagen ist ein essenzieller Bestandteil der postoperativen intensivmedizinischen Überwachung. Bei der postoperativen Blutung spielt die Früherkennung einer aktiven Blutung eine wesentliche Rolle. Je länger der hämodynamische Schockzustand anhält, desto größer ist die Gefahr einer irreversiblen Zellschädigung. Ein unmittelbar postoperativer thrombotischer Verschluss einer arteriellen Gefäßrekonstruktion führt zum klinischen Bild einer akuten Ischämie des Organs, das durch die rekonstruierte Arterie versorgt wird. Die postoperative Überwachung des Organs, dessen Kapillarbett durch die Gefäßrekonstruktion gespeist wird, ist ein wesentlicher Bestandteil der intensivmedizinischen Überwachung.
77.3
Operationen an der A. carotis
77.3.1
Krankheitsbild und Indikationen zur Operation
Postoperative Überwachung
Das Monitoring und die Beatmung unmittelbar nach gefäßchirurgischen Eingriffen entsprechen der postoperativen intensivmedizinischen Behandlung. Eine bereits erwähnte häufig vorliegende gestörte Organmikrozirkulation kann hier durch eine postoperative Hypovolämie signifikant verschlechtert werden, sodass eine ausreichende Volumensubstitution unter Berücksichtigung der kardialen Vorerkrankung gewährleistet sein muss (Cabrales et al. 06).
77
durch umliegendes Gewebe nicht tamponiert wird. Der Abfall des Hämoglobins ist meist etwas verzögert.
Postoperative operationsspezifische Komplikationen
Die nach gefäßchirurgischen Eingriffen möglichen Komplikationen hängen von der durchgeführten Operation ab, sind daher operationsspezifisch und werden zusätzlich in den folgenden Unterkapiteln aufgeführt. Komplikationen können prinzipiell in operationsprozedurabhängige und nicht prozedurabhängige Ereignisse unterteilt werden. Beide Arten von Komplikationen können das Leben bedrohen und müssen daher so früh wie möglich erkannt werden. Nicht prozedurabhängige Komplikationen wie kardiopulmonale Ereignisse werden durch übliches intensivmedizinisches Monitoring meist früh erkannt. Prozedurabhängige Komplikationen können an der Gefäßrekonstruktion oder am Organ, das über die Gefäßrekonstruktion arteriell versorgt wird, auftreten. Blutungen aus arteriellen Anastomosen sind selten, stellen jedoch einen technischen Fehler dar, der operativ versorgt werden muss. Die Symptome, die auf eine Anastomosenblutung hinweisen, hängen im Wesentlichen von der Lokalisation der Anastomose ab. Blutungen in freie Körperhöhlen, z. B. in das Abdomen oder den Thorax, fallen zumeist erst durch das klinische Bild eines hämorrhagischen Schocks auf, da die Blutung
Die Indikation zur Operation einer Karotisstenose ergibt sich aus der daraus resultierenden Symptomatik und dem Grad der Stenose. Die Einteilung der Karotisstenose erfolgt in 4 klinische Stadien (. Tab. 77.1).
Asymptomatische Karotisstenose Eine moderate bis höchstgradig asymptomatische Karotisstenose (>70%) der extrakraniellen A. carotis führt zu einer erhöhten Schlaganfallrate von etwa 11% in 5 Jahren. Gleichzeitig besteht ein erhebliches Risiko für schlaganfallunabhängige vaskuläre Ereig. Tab. 77.1 Klinische Stadien der Karotisstenose Stadium
Klinik
Indikation
I
Asymptomatisch, auch »alter« Insult >6 Monate
Relativ
II
Reversible zerebrale Ischämie in den letzte 6 Monaten
Absolut
IIa
Amaurosis fugax
IIb
TIA (transitorische ischämische Attacke) Symptomatik <24 h
III
Akuter zerebraler Insult
IIIa
Crescendo-TIA, reversibles ischämisches Defizit, RIND
IIIb
Akuter progredienter Insult
IV
Chronischer Insult mit bleibendem neurologischem Defizit, Ereignis liegt innerhalb der letzten 6 Monate
Absolut
Relativ
995 77.3 · Operationen an der A. carotis
nisse. Das jährliche Risiko für ein koronares ischämisches Ereignis liegt dabei bei 7%, und die Gesamtmortalität für diese Patientengruppe ist 4–7%. Das therapeutische Vorgehen bei asymptomatischen Karotisstenosen basiert v. a. auf 2 Multicenterstudien (ACAS – Asymptomatic Carotid Atherosklerosis Study, ACST – Asymptomatic Carotid Surgery Trial; Halliday et al. 2004). Im Rahmen dieser Studien wurde eine signifikante Risikoreduktion durch die Operation für Stenosegrade >60% nachgewiesen. Trotz dieser Datenlage werden in Europa asymptomatische Stenosen ab einem Stenosegrad von 80% operiert. Des Weiteren profitieren nur Patienten mit einer Lebenserwartung von mindestens 5 Jahren von der Operation. Eine der Komplikationen der Karotisoperation ist der Schlaganfall, der eigentlich durch die Operation verhindert werden soll. Der Nutzen der Operation hängt deshalb auch wesentlich von der Komplikationsrate des jeweiligen gefäßchirurgischen Zentrums ab und steht der NNT (»number needed to treat«) von 19 gegenüber. Demnach müssen 19 Patienten erfolgreich operiert werden, um einen Schlaganfall zu verhindern. Eine niedrige operative kombinierte Morbiditäts-Mortalitäts-Rate <3% ist Voraussetzung. Eine Indikation zur operativen Behandlung einer asymptomatischer Karotisstenose ergibt sich auch durch bevorstehende chirurgische Großeingriffe, um das perioperative Risiko für einen Schlaganfall zu senken.
4 Bei der Eversions-TEA hingegen wird die A. carotis interna von der Gabel abgesetzt und der Atherosklerosezylinder durch Umstülpung der A. carotis interna entfernt.
Symptomatische Karotisstenose
77.3.3
Die Überlegenheit der Karotisendarteriektomie zur Behandlung symptomatischer Karotisstenosen im Vergleich zur medikamentösen Behandlung wurde im Rahmen randomisierter Studien klar belegt (Rothwell 2004; Rothwell et al. 2004). Voraussetzung hierfür ist eine niedrige Komplikationsrate mit einer perioperative Mortalität und Morbidität von <6%. Das Risiko eines ipsilateralen Schlaganfalls kann dabei bei Stenosen >70% um etwa 16% dauerhaft gesenkt werden. Das Zeitfenster zwischen einem zerebralen ischämischem Ereignis und der Operation soll möglichst gering gehalten werden, da in der 1. Woche das Risiko einer wiederholten Ischämie bei etwa 10% liegt. Eine Reevaluierung der Daten aus NASCET und ECST ergab, dass die Patienten am meisten profitierten, wenn die Operation innerhalb der ersten 2 Wochen durchgeführt wurde.
Akute Karotisstenose Eine Karotisstenose Stadium III stellt einen gefäßchirurgischen Notfall dar. Dabei kommt es unter maximaler medikamentöser Behandlung zu einer Verschlechterung der neurologischen Symptomatik (»stroke in evolution«) oder zu wiederholten ischämischen Ereignissen (Crescendo-TIA). Vor der Operation muss eine zerebrale Blutung oder ein manifester ischämischer Infarkt ausgeschlossen werden. Bei bereits somnolenten Patienten verbietet sich die Operation.
77.3.2
Operationsverfahren
Offene Operationsverfahren Das der offenen Karotisoperation zugrundeliegende Prinzip ist die lokale adventitianahe Ausschälung, die sog. Thrombendarterioktomie (TEA) des atherosklerotischen Segmentes. Dabei sind 2 Verfahren gebräuchlich. 4 Im Rahmen der konventionellen TEA wird eine Längsarteriotomie mit Patch-Plastik durchgeführt.
Endovaskuläre Verfahren Eine alternative Methode stellt die Stent-PTA dar. Die Überlegenheit der Stent-PTA im Vergleich zur TEA konnte bis jetzt nicht hinreichend bewiesen werden. Es findet sich keine signifikante Senkung der Komplikationsrate (Eckstein et al. 2008).
Intraoperative Sicherheit Um eine zerebrale Ischämie während der Ausklemmphase zu verhindern, ist es notwendig, vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Einen hohen Stellenwert hat hierbei das Neuromonitoring. Dabei erfolgt die Detektion physiologischer Parameter, die auf eine zerebrale Ischämie hinweisen. Geeignete Methoden sind u. a. das EEG, die transkranielle Dopplersonographie oder die Infrarotspektroskopie. Wenn die Operation beim wachen Patienten durchgeführt wird, kann klinisch ein auftretendes neurologisches Defizit festgestellt werden. Reicht der Kollateralfluss nicht aus und ergibt sich ein Hinweis auf eine zerebrale Ischämie, muss ein intraluminärer Shunt eingelegt werden, um auch während der Klemmzeit die zerebrale arterielle Perfusion zu gewährleisten.
Postoperative intensivmedizinische Kontrolle
Nach einer Karotisoperation muss in der frühen postoperativen Phase eine intensivmedizinische Kontrolle des Patienten gewährleistet sein, da die Operation mit z. T. lebensbedrohlichen akuten Komplikationen assoziiert sein kann. Die postoperative Überwachung muss darauf ausgerichtet sein, diese Komplikationen frühzeitig zu erkennen.
Nachblutungen Blutungen im Bereich des Operationsgebietes treten je nach Operationstechnik mit einer Inzidenz von 1–6% auf und können in kurzer Zeit zu akuter Erstickungsgefahr führen. Bei 1,5% aller Patienten, bei denen eine Rekonstruktion der A. carotis durchgeführt wird, muss eine operative Exploration des Halses wegen einer Nachblutung durchgeführt werden (Shakespeare et al. 2009). Die Kompression und das ödematöse Anschwellen der oberen Atemwege kann die notfallmäßige Intubation erheblich erschweren. Die Indikation zur operativen Hämatomentlastung soll daher zu einem frühen Zeitpunkt gestellt werden. Im Fall der endotrachealen Notfallintubation sollte eine Tracheotomiebereitschaft verfügbar sein.
Schwankungen des Blutdrucks Schon während der Karotisoperation neigen die Patienten zu erheblichen Blutdruckschwankungen. Diese können sich in der postoperativen Phase fortsetzen. Die akute postoperative Hypertonie birgt die Gefahr eines Myokardinfarktes, einer intrazerebralen Blutung und einer Wundblutung. Eine Hypotonie kann das Auftreten einer myokardialen Ischämie ebenfalls begünstigen. Daher ist die kardiale Überwachung in der postoperativen Phase unverzichtbar, zumal der Myokardinfarkt die häufigste perioperative Todesursache der Karotisrekonstruktion ist.
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Kapitel 77 · Gefäßchirurgische Eingriffe
Hyperperfusionssyndrom Aufgrund einer gestörten Autoregulation der zerebralen Perfusion kann es postoperativ zu einer Steigerung der Durchblutung im Stromgebiet der rekonstruierten Karotis kommen. Jeder Kopfschmerz nach Karotisoperation ist als Hyperperfusionssyndrom zu werten. In seltenen Fällen kann es zu Krämpfen oder sogar zu intrazerebralen Blutungen kommen, wobei hypertone Krisen dies begünstigen.
Aufgrund der beträchtlichen Invasivität dieser Operationen muss der Komorbiditätsstatus und das Alter der Patienten bei asymptomatischen Aneursymen in den Entscheidungsprozess zur Operation mit eingebunden werden. Bei Symptomen, die v. a. durch Kompression benachbarter Strukturen erzeugt werden (N.-recurrens-Heiserkeit, Stridor, V.-cava-Kompressionssyndrom, obere Einflussstauung, Rückenschmerzen) ist die Indikation härter. Die Ruptur stellt eine Notfallindikation zur Operation dar.
Neurologische Komplikationen
Abdominelles Aortenaneurysma
Ein Apoplex kann durch eine Hirnblutung oder eine Ischämie verursacht sein. Die erste klinisch neurologische Beurteilung sollte unmittelbar nach der Operation erfolgen. Danach müssen regelmäßige klinische Kontrollen durchgeführt werden, um den neurologischen Status einzuschätzen und neurologische Komplikationen frühzeitig erkennen zu können. Der akute Frühverschluss einer Karotisrekonstruktion ist ein absoluter chirurgischer Notfall und geht mit einer plötzlichen neurologischen Verschlechterung des Patienten einher.
Das Bauchaortenaneurysma ist das häufigste Aneurysma beim Menschen. Die Prävalenz wird bei der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen mit 3–7% angegeben. Die Inzidenz liegt bei 38– 40/100000 Einwohner pro Jahr. Die weitaus häufigste Lokalisation degenerativer atherosklerotischer Aneurysmen ist das infrarenale Aortensegment (80–90%). Die Indikation zur elektiven operativen Ausschaltung eines abdominellen Aortenaneurysmas bei fehlender Symptomatik ergibt sich ab einem transversalen maximalen Durchmesser von 5,5 cm. Bei einem Durchmesser von 5,0–5,9 cm besteht ein Rupturrisiko von 10% innerhalb eines Jahres und von 25% innerhalb von 5 Jahren. Eine schnelle Größenprogredienz (>0,5 cm/Jahr) bei grenzwertig großen Aneurysmen stellt ebenfalls ein erhöhtes Rupturrisiko und somit eine Operationsindikation dar. Die Indikation zur dringlichen Operation (innerhalb von 24 h) ergibt sich bei symptomatischen abdominellen Aortenaneurysmen bei noch intakter Aortenwand. Es besteht typischerweise ein deutlicher Druckschmerz im Bereich des tastbaren Aneurysmas sowie Flanken- und Rückenschmerz. Die Aortenruptur stellt einen chirurgischen Notfall dar.
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77.4
Operationen an der Aorta
77.4.1
Aortendissektion, Aortenaneurysma
Die Indikation zur operativen Behandlung einer Dissektion der Aorta (jährliche Inzidenz: 3–10/100.000 Einwohner) hängt im Wesentlichen von dem Segment ab, in dem die Dissektion beginnt (Hagan et al. 2000). Daher ist die Stanford-Klassifikation von klinischer Relevanz (Daily et al. 70).
Stanford-Klassifikation
z Stanford-Typ-A-Aortendissektion Proximale Aortendissektionen, die die Aorta proximal der linken A. subclavia involvieren, stellen einen chirurgischen Notfall dar. Es besteht die Gefahr, dass Abgänge der supraaortalen Äste verlegt werden und es zu einem zerebralen Insult kommt. Des Weiteren droht ein Myokardinfarkt bei akutem Verschluss der Koronarostien oder eine Perikardtamponade. z Stanford-Typ-B-Aortendissektionen Akute distale Dissektionen distal des Abgangs der linken A. subclavia werden in der Regel konservativ behandelt, vorausgesetzt, es besteht keine bedrohliche Symptomatik, und der Patient kann suffizient medikamentös antihypertensiv behandelt werden. Die Indikation zur sofortigen Ausschaltung einer akuten Typ-B-Dissektion ergibt sich bei nicht beherrschbarem Schmerz, der Ruptur und einer Organ-, Rückenmark- oder Extremitätenischämie. Die Indikation zur Ausschaltung einer chronischen Aortendissektion (älter als 14 Tage) ergibt sich bei Expansion des Aortendurchmessers >6 cm (Neya et al. 1992; Svensson et al. 1990).
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Nichtdisseziierendes thorakoabdominelles Aneurysma
77
Die Indikation zur Ausschaltung eines thorakoabdominellen degenerativen Aortenaneurysmas ergibt sich ab einem Durchmesser von 6 cm. Die Einteilung in 4 Typen nach Crawford schätzt das Risiko einer Rückenmarkischämie ab. Nach Crawford ist die spinale Ischämiegefahr am höchsten bei Typ I (Aneurysma distal der linken A. subclavia bis proximal der Nierenarterie) und Typ II (Aneurysma distal der linken A. subclavia bis zur Aortenbifurkation) und geringer bei Typ IV (Aneurysma vom Diaphragma bis zur Aortenbifurkation) und Typ III (Aneurysma von der 6. Interkostalarterie bis zum Diaphragma) (Crawford et al. 1989).
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77.4.2
Operationsverfahren
Offene Operationsverfahren Das Prinzip besteht in der Ausschaltung des Aneurysmas durch Ersatz mit einer Kunststoffprothese. Je nach Segment müssen organversorgende Äste wie Karotiden, Nierenarterien und Viszeralarterien in den Aortenersatz replantiert werden.
Endovaskuläre Operationsverfahren Zurzeit sind Endoprothesen v. a. für das infrarenale Aortensegment und die thorakale Aorta erhältlich. Fenestrierte oder mehrarmige Prothesen zur Versorgung von Organarterien, die aus dem Aneurysma abgehen, werden als Sonderanfertigungen produziert.
Hybridverfahren Ist es notwendig, Ostien organversorgender Arterien zu überstenten, muss vor der Stentimplantation eine »debranching operation« durchgeführt werden. Dabei werden Arterien, die aus dem Aneurysma abgehen und daher durch den Stent von der arteriellen Strombahn abgehängt werden, durch extraanatomische Rekonstruktionen (Transposition, Bypass) versorgt. Die Wahl des Therapieverfahrens hängt, v. a. beim abdominellen Aneurysma, in erster Linie von der Morphologie das Aortenaneurysmas ab. Obwohl die Operationsletalität bei der offenen Operation für elektive Eingriffe im Vergleich zu endovaskulären Prozeduren initial etwas höher liegt ist, die Überlebensrate bereits nach einem Jahr für beide Verfahren gleich (EVAR Trial 1 u. 2; Anonymous 2005a, b). Ein Problem bei der endovaskulären Behandlung ist die insuffiziente Isolation des Aneurysmas vom Blutfluss bei weiterhin bestehendem Druck im Aneurysmasack (»endoleaks«). Im Gegensatz
997 77.5 · Periphere Revaskularisation
dazu kann jedes abdominale Aortenaneurysma erfolgreich operativ ausgeschaltet werden. Eine besondere Situation stellt die traumatische Aortenruptur loco typico beim Dezelerationstrauma (distal der linken Subklavia) dar, die sich erfolgreich mit einer Stentprothese behandeln lässt (Hoornweg et al. 2006; Buz et al. 2008; Xenos et al. 2008).
Intraoperative Sicherheit Die operative Ausschaltung eines thorakoabdominellen Aortenaneurysmas zählt zu den technisch anspruchsvollsten gefäßchirurgische Eingriffen. Die technischen Manöver müssen schnell und effizient durchgeführt werden, um einen ischämischen Schaden des Rückenmarks und der Organe zu verhindern. Der Schutz vor zerebrospinaler Ischämie spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die zerebrale Protektion bei der Behandlung thorakaler Aortenaneurysmen und Dissektionen mit Einbeziehung des Aortenbogens kann auf unterschiedliche Weisen erfolgen, wobei sowohl die tiefe Hypothermie mit Kreislaufstillstand, die retrograde zerebrale Perfusion über die V. cava superior als auch die selektive antegrade Gehirnperfusion verwendet werden. Trotz aller Maßnahmen besteht nach wie vor eine hohe Inzidenz ischämischer Hirnkomplikationen (Jacobs et al. 2001; Mommertz et al. 2009). Die spinale Protektion basiert auf zwei Säulen. Dabei gewährleistet die Liquordrainge den spontanen Abfluss der zerebrospinalen Flüssigkeit. Ziel ist es, den Liqourdruck <15 m Hg zu halten. Die transkraniale elektrische Stimulation ermöglicht es, intraoperativ online durch die Erfassung motorisch evozierter Potentiale (MEP) die Rückenmarkfunktion zu überwachen. Auf pathologisch veränderte MEP können rückenmarkprotektive Maßnahmen eingeleitet werden. Diese Maßnahmen beinhalten etwa die Reinsertion von Interkostal- und Lumbalarterien oder die Steuerung über das Blutdruckmanagement (Mommertz et al. 2009).
77.4.3
Postoperative intensivmedizinische Kontrolle
Spinale Ischämie Nach operativer Ausschaltung thorakoabdomineller Aneurysmen ist die Erhaltung und Kontrolle der Rückenmarkperfusion von besonderer Bedeutung. Diese hängt im Wesentlichen vom mittleren arteriellen Druck und dem Liquordruck ab. Ziel ist es daher, den mittleren arteriellen Druck auf mindestens 75 mm Hg und den Liquordruck <15 mm Hg zu halten. Beim nicht wachen Patienten ist die neurologische Beurteilung nicht suffizient möglich. Hohe Liquordrücke jedoch weisen auf eine spinale Ischämie hin. Die Liquordrainage wird etwa 48 h belassen. Beim neurologisch unauffälligen Patienten kann die Drainage bei entsprechendem Gerinnungsstatus entfernt werden.
Gerinnungskontrolle Ein weiteres Augenmerk nach Operationen thorakoabdomineller Aneurysmen liegt in der Kontrolle und ggf. Optimierung der Gerinnung, um Blutungskomplikationen zu verhindern.
Organminderperfusion > Klinische Hinweise auf eine Organminderperfusion erfordern eine sofortige Diagnostik, um eine schnelle therapeutische Entscheidung zu fällen.
Ein Verschluss einer Nierenarterienrekonstruktion im Rahmen einer operativen Ausschaltung eines Aneurysmas kann klinisch unbemerkt bleiben, da die zweite Niere die Diurese ausreichend erhal-
ten kann. Sollte in der postoperativen Phase die Diurese abnehmen oder sistieren, sollte unverzüglich die Durchblutung der Nieren duplexsonographsich beurteilt werden. Die Duplexsonsographie – als Bedside-Untersuchung – erlaubt in aller Regel eine sichere und schnelle Beurteilung der Organdurchblutung. Ist der Patient stabil und lässt sein Allgemeinzustand eine Reoperation zu, sollte eine Thrombektomie erfolgen. Patienten in einem postoperativ kritischen Allgemeinzustand sollten nicht zur Rettung einer Niere gefährdet werden. Die Entscheidung zur Relaparotomie wegen einer verschlossenen Nierenarterie muss daher sehr kritisch gestellt werden. Ein diagnostisches Problem stellt die Mesenterialischämie dar. Der Verschluss einer Mesenterialarterie kann in der unmittelbar postoperativen Phase v. a. beim beatmeten Patienten anfänglich klinisch stumm verlaufen. Ein fehlender Laktatanstieg schließt eine Mesenterialischämie nicht sicher aus. Sonographisch können betroffene Darmschlingen sich aton, dilatiert und wandverdickt darstellen und geringe Mengen freier Flüssigkeit nachweisbar sein. Jedoch sind diese Veränderungen durch die postoperative Atonie und Luftüberlagerung häufig maskiert. Zudem ist freie Flüssigkeit unmittelbar nach einer Laparotomie ein Normalbefund. Die CTAngiographie kann die Hauptäste der Mesenterialarterien zwar darstellen, aber eine Mesenterialischämie nicht ausschließen. Die endoskopische Diagnostik erlaubt eine schnelle Beurteilung nur von Magen, Duodenum und Kolon. Im Rahmen der Notfalldiagnostik kann der Dünndarm endoskopisch nur sehr eingeschränkt beurteilt werden. Die Kapselendoskopie scheidet hier als Untersuchung aus. Es zeigt sich zurzeit kein sicheres Diagnostikum, das eine mesenteriale Ischämie sicher ausschließen kann. Daher muss dem klinischen Verdacht die unverzügliche explorative Relaparotomie folgen. Klinischer Untersuchungsbefund, ansteigende Laktatwerte oder auch erhöhter Katecholaminbedarf können Zeichen einer mesenterialen Ischämie sein. Ein Anstieg der Laktatwerte zeigt sich häufig mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung. Bei der Beurteilung des Laktatspiegels muss der unmittelbar postoperative Wert als Referenz herangezogen werden. Da eine Darmischämie eine absolut lebensbedrohliche Situation in der postoperativen Phase darstellt, muss die Indikation zur Operation großzügig und rasch gestellt werden.
77.5
Periphere Revaskularisation
77.5.1
Krankheitsbild und Indikation
Am Boden einer generalisierten Atherosklerose entwickelt sich die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Das dabei betroffene Endorgan ist die Skelettmuskulatur. Im Ruhezustand reicht die Sauerstoffversorgung der Muskulatur aus. Unter Belastung kommt es allerdings zu einem massiven Anstieg des metabolischen Bedarfs, der einerseits durch den gestörten arteriellen Fluss in das Bein und andererseits durch einen chronischen ischämischen Mitochondrienschaden in der Muskelzelle nicht mehr gedeckt werden kann (Greiner et al. 2006). Das Resultat sind Schmerzen beim Gehen, meistens in der Wadenmuskulatur. Das klinische Bild der pAVK wird in unterschiedliche Schweregrade eingeteilt, von denen sich das weitere therapeutische Vorgehen ableitet (. Tab. 77.2). In den Stadien I und IIa ist eine konservative Therapie indiziert. Hierzu zählt Gehtraining, Thrombozytenaggregationshemmer und die Minimierung kardiovaskulärer Risikofaktoren. Die Indikation zu einem revaskularisierenden Eingriff oder endovaskulärer In-
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998
Kapitel 77 · Gefäßchirurgische Eingriffe
77
. Tab. 77.2 Einteilung der pAVK nach Fontaine Klinisches Stadium (Fontaine)
Symptomatik
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I
Asymptomatisch
IIa
Claudicatio intermittens, Gehstrecke >200 m
IIb
Claudicatio intermittens, Gehstrecke <200 m
III
Ruheschmerz
IV
Gewebedefekt
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tervention ergibt sich im Stadium IIb oder höhergradigen Stadien. Kniegelenkübergreifende Eingriffe mit Anschluss an krurale oder pedale Gefäße bleiben den Stadien III und IV vorbehalten, um eine drohende Majoramputation zu vermeiden.
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77.5.2
Operationsverfahren
Da es sich um ein multimorbides Patientenkollektiv handelt, muss Operations- und Narkoserisiko präoperativ evaluiert werden, nachdem die Indikation zu einem gefäßchirurgischen Eingriff gestellt wurde. Zu den Routineuntersuchungen, die Labordiagnostik, Elektrokardiogramm und Röntgen-Thorax umfassen, ist präoperativ eine Echokardiographie, eine Lungenfunktion und evtl. eine kardiale Ischämiediagnostik zu ergänzen. Art und Ausmaß der Operation richten sich nach dem Ausmaß und der Lokalisation der Atherosklerose. Das Spektrum gefäßchirurgischer Eingriffe reicht von lokaler Thrombendarteriektomie, z. B. in der A. femoralis, bis zu Bypassanlagen mit autologer Vene oder alloplastischem Material. Autologes Venenmaterial, insbesondere die oberflächlichen Venen der unteren Extremitäten, in seltenen Fällen jedoch auch Armvenen oder tiefe Beinvenen, sind bisher v. a. für krurale und pedale Rekonstruktionen den Kunststoffprothesen überlegen. Biologische Prothesen sind bisher noch nicht fest in der klinischen Routine etabliert.
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77.5.3
77
Während der operativen Prozedur erfolgt in der Regel eine systemische Antikoagulation vor Ausklemmen der betroffenen Arterie, z. B. mit Heparin. Nach Eingriffen an Aorta, Iliakal- oder Femoralgefäßen ist postoperativ eine weitere Antikoagulation als Thromboseprophylaxe ausreichend. Sollte eine Thrombozytenaggregationshemmung perioperativ pausiert worden sein, sollte diese am Folgetag wieder begonnen werden (Chassot et al. 2007). Bei kniegelenkübergreifenden Eingriffen oder weiter periphereren Rekonstruktionen sollte frühpostoperativ eine therapeutische Antikoagulation, z. B. eine PTT-wirksame Therapie mit unfraktioniertem Heparin oder eine gewichtsadaptierte Therapie mit einem niedermolekularen Heparin mit der Thrombozytenaggregationshemmung kombiniert werden. Nach Interventionen und Stentapplikation distal des Leistenbandes wird eine Kombination aus Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmer oder doppelten Thrombozytenaggregationshemmern empfohlen. Für die Art der weiteren Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung gibt es derzeit keinen allgemeinen Konsens (AbuRahma et al. 1999; Green et al. 2000).
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Postoperative Überwachung
Postoperativ ist neben der Überwachung der Vitalzeichen der Lokalbefund zu überwachen. Die Gefahr einer Nachblutung nach einer Operation am Gefäßsystem darf nicht unterschätzt werden und wird durch die teils erforderliche Antikoagulation erhöht. > Die Offenheit der Revaskularisation oder des Bypasses sollte engmaschig kontrolliert werden. Dies kann klinisch durch Prüfung des Pulsstatus, Temperatur und Rekapillarisierung oder apparativ mit Dopplersonde oder Duplexsonographie am Patientenbett durchgeführt werden.
Je nach Dauer und Ausmaß der Operation und der perioperativen Ischämie der Extremität durch das Ausklemmen muss postoperativ mit einem Kompartmentsyndrom gerechnet werden. Das klinische Bild des Kompartmentsyndroms ist durch Druckschmerz im Bereich des geschwollenen Kompartments, Muskeldehnungsschmerz, Sensibilitätsstörung und Einschränkung der aktiven Bewegung gekennzeichnet. Insbesondere Dehnungsschmerz und Sensibilitätsstörung sind die Hauptkriterien eines Kompartmentsyndroms. Die Diagnose eines Kompartmentsyndroms wird klinisch erstellt. Sie kann durch eine Druckmessung im Kompartment ergänzt werden. Druckwerte zwischen 10 und 15 mm Hg gelten als normwertig und Werte >30 mm Hg als pathologisch.
77.6
Akute Ischämie
77.6.1
Krankheitsbild und Indikation
Eine akute Ischämie entwickelt sich entweder aufgrund einer Embolisation (ca. 70%), deren häufigste Quelle das Herz darstellt, oder einer lokalen arteriellen Thrombosierung (ca. 30%). Das klinische Bild ermöglicht keine Unterscheidung. Hinweise für eine Embolie aus der Anamnese sind ein subakutes Ereignis, vorangegangene Embolien, bekannte Emboliequelle wie chronisches Vorhofflimmern, keine Claudicatiosymptomatik vor dem Ereignis und normale Verschlussdrücke an der nicht betroffenen Extremität. Eine lokale Thrombosierung kann durch vorangegangene Operation am Gefäßsystem (z. B. nach Bypassoperation), aber auch durch Gefäßpathologien wie Aneursymen der A. politea, bedingt sein. Die akute Ischämie ist eine klinische Diagnose. Die Symptome der Ischämie wurden 1954 von Pratt mit den 6 Ps zusammengefasst (Pratt 1954; . Tab. 77.3). Beurteilt werden Hautkolorit, Temperatur, Pulsstatus sowie Motorik und Sensibilität. Frühzeichen einer Sensibilitätsstörung können sehr diskret sein. Die Interpretation des Pulsstatus kann bei vorbestehender pAVK schwierig sein und sollte deshalb durch eine Doppleruntersuchung ergänzt werden. Ein mittels Doppler nachweisbares Signal und ein ableitbarer Knöchel-Arm-Index sprechen gegen eine akute Gefährdung der Extremität. Zur Prognose und Therapieentschei-
. Tab. 77.3 Klinische Zeichen der Ischämie: 6 Ps „pain«
Schmerz
„paleness«
Blässe
„paresthesia«
Gefühlsstörung
„pulslessness«
Pulsverlust
„paralysis«
Lähmung
„prostration«
Erschöpfung/Schock
999 Literatur
. Tab. 77.4 Klassifikation der Ischämie nach Rutherford zur Prognosebeurteilung und Therapieentscheidung Kategorie
Beschreibung/Prognose
Sensibilitätsverlust
Muskelschwäche
Dopplersignal arteriell
venös
I
Nicht unmittelbar gefährdet
Fehlend
Fehlend
Hörbar
Hörbar
IIa
Rettbar bei sofortiger Behandlung
Minimal (Zehen) oder fehlend
Fehlend
Oft hörbar
Hörbar
IIb
Rettbar bei unverzüglicher Revaskularisation
Mehr als Zehen- und Ruheschmerz
Gering bis mäßig
Nicht hörbar
Hörbar
III
Amputation erforderlich oder unvermeidbare Nervenschädigung
Anästhesie
Paralyse (Rigor)
Nicht hörbar
Nicht hörbar
dung hat sich die Klassifikation nach Rutherford etabliert (. Tab. 77.4).
Die farbkodierte Duplexsonographie erlaubt als nichtinvasive Untersuchung rasch die Objektivierung und Lokalisation des Gefäßverschlusses. Hiermit lassen sich ebenso teilthrombosierte Aneurysmen als Emboliequelle nachweisen. Die Angiographie kann unklare Befunde der Duplexsonographie klären und bietet zudem die Option einer interventionellen Therapie. MR- und CT-Angiographie können zusätzliche Befunde darlegen, ohne jedoch eine therapeutische Option zu bieten.
77.6.2
Therapie
Zu den Allgemeinmaßnahmen gehören sofortige Heparinisierung mit initialer Bolusgabe und kontinuierlicher Infusion, Tieflagerung und Polsterung der Extremität und Schmerztherapie. Die klassisch chirurgische Therapie ist die Katheterthrombembolektomie nach Forgarty, die insbesondere für den embolischen Gefäßverschluss Anwendung findet. Daran anschließen können sich in Abhängigkeit von der Ischämieursache alle weiteren gefäßchirurgischen Optionen. Als Therapiealternative ist die lokale Thrombolysetherapie von zunehmender Bedeutung, die gerade bei vorbestehender pAVK und hoher Komorbidität eine niedrigere periprozeduale Mortalität im Vergleich zum operativen Vorgehen bietet (Schumann et al. 2007). Diese Therapie wird häufig als kathetergesteuerte Thrombembolektomie angewendet und bietet hohe primäre Erfolgsraten (Kudo et al. 2006). Zur Lysebehandlung akuter Arterienverschlüsse kommen heute überwiegend Urokinase oder Plasminogenaktivator (rtPA) zur Anwendung.
77.6.3
Postoperative Überwachung
In der postoperativen Überwachung steigt je nach Ausmaß und Dauer der Ischämie das Risiko eines Reperfusionssydroms (Kompartmentssyndrom). Hier ist eine engmaschige klinische Beurteilung von entscheidender Bedeutung und die Indikation zur Faszienspaltung großzügig zu stellen (Norgren et al. 2007). Bei fortgeschrittenem Stadium der Ischämie muss neben der Schädigung der Muskulatur und Nerven mit Beeinträchtigung weiterer Organsysteme (insbesondere Crush-Niere infolge Myoglobinurie, Hypovolämie durch Flüssigkeitsextravasation, Rhythmusstörungen durch Hyperkaliämie und metabolische Azidose) gerechnet werden. Der Crush-Niere sollte durch ausreichende Volumensubstitution und forcierte Diurese entgegengewirkt werden. Diese Patienten sollten in jedem Falle intensivmedizinisch betreut werden.
Eine Majoramputation kann auch nach initial erfolgreicher Revaskularisation bei foudroyantem Verlauf mit vitaler Gefährdung indiziert sein, um eine weitere Toxineinschwemmung zu reduzieren.
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1000
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Kapitel 77 · Gefäßchirurgische Eingriffe
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1001
Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen – elektive Kraniotomie, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma, Rückenmarkverletzung S. Pilge, G. Schneider
78.1
Einleitung – 1002
78.2
Allgemeine Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin – 1002
78.2.1 78.2.2
Physiologie und Pathophysiologie des ZNS – 1002 Allgemeine klinische Aspekte – 1007
78.3
Spezielle Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin – 1010
78.3.1 78.3.2 78.3.3 78.3.4
Elektive Kraniotomie – 1010 Intrakranielle Blutung – 1014 Schädel-Hirn-Trauma – 1018 Rückenmarkeingriffe und -verletzungen (spinales Trauma, spinale Blutung) – 1018
Literatur – 1021
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_78, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
Einleitung
Das Kollektiv der neurochirurgischen Intensivpatienten stellt ein sehr heterogenes Patientengut dar, das sich einerseits aus Patienten nach elektiven neurochirurgischen Eingriffen und andererseits aus Notfallpatienten zusammensetzt (mit und ohne operative Versorgung, in der prä- oder postoperativen Behandlungsphase). Allen Patienten gemeinsam ist die kritische Situation des ZNS mit seinen physiologischen und pathophysiologischen Reaktionen. Deshalb werden im Folgenden relevante allgemeine Aspekte der Physiologie bzw. Pathophysiologie des ZNS zusammengefasst. Für eine detaillierte Darstellung wird auch auf 7 Kap. 16 (»Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring«) und 7 Sektion VII (»Störungen des ZNS und neuromuskuläre Erkrankungen«, insbesondere 7 Kap. 48: »Neurodiagnostik in der Intensivmedizin« und 7 Kap. 49: »Erhöhter intrakranieller Druck«) verwiesen. Auf diesen Grundlagen aufbauend werden die speziellen Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin dargestellt. Abhängig von den Versorgungsstrukturen des betreffenden Krankenhauses wird »neurochirurgische Intensivmedizin« auf (inter)disziplinär unterschiedlich geführten Intensivstationen betrieben: Neben einem interdisziplinären Modell, einer neurochirurgisch oder anästhesiologisch geführten Intensivstation, können z. B. Patienten mit Subarachnoidalblutung auch auf einer neurologischen Intensivstation oder Polytraumata [mit begleitendem Schädel-Hirn-Trauma (SHT)] auch auf einer allgemeinchirurgisch geleiteten Intensivstation versorgt werden. Unabhängig von der Struktur der Intensivstation ist es entscheidend, dass adäquates Wissen und Fertigkeiten in der Versorgung neurochirurgischer Patienten vorhanden sind, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Diagnostik und Therapie zu gewährleisten.
Allgemeine Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
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78.2
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Bei der Behandlung neurochirurgischer Patienten steht die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung adäquater zerebraler Perfusion im Mittelpunkt. Die Ursachen einer ischämischen Schädigung sind so heterogen wie die Patienten der neurochirurgischen Intensivmedizin und können beispielsweise traumatischer, vasospastischer, entzündlicher oder neoplastischer Genese sein. Nahezu alle diese Ursachen münden letztlich in einer gemeinsamen Endstrecke: der zerebralen Minderperfusion. Mit dieser gemeinsamen Endstrecke fällt auch die pathophysiologische Antwort des zentralen Nervensystems (ZNS) auf ischämische Noxen weitgehend uniform aus: nach Ausschöpfung zerebraler Regulationsmechanismen entsteht ein Hirnödem, es folgen Anstieg des regionalen oder globalen Hirndruckes, ggf. mit Einblutungsgefahr. Deshalb bilden die allgemeingültigen Prinzipien der Physiologie und Pathophysiologie des ZNS die gemeinsame Grundlage neurochirurgischer Intensivmedizin.
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Zentralnervöse Regulationsmechanismen Die Hirndurchblutung wird global durch den zerebralen Blutfluss (CBF) bestimmt. Dieser beträgt ca. 15–20% des HZV, ca. 45–60 ml/ min/100 g Gehirn (kritischer Wert 18 ml/min/100 g für reversiblen Neuronenuntergang, einhergehend mit EEG-Veränderungen und Verlust von evozierten Potenzialen; <6 ml/min/100 g irreversibler Neuronenuntergang). Der CBF wird innerhalb der Grenzen zerebraler Autoregulation (MAP 50–150 mm Hg) unabhängig vom zerebralen Perfusionsdruck (CPP) v. a. durch metabolische (CBF≈ CMRO2=zerebrale Sauerstoffaufnahme), aber auch chemische und neurogene Faktoren bestimmt. Außerhalb des Bereiches oder bei Störung der Autoregulation ist der CBF direkt druckabhängig. Sowohl einen Abfall des MAP (mit zerebraler Minderperfusion) als auch einen erhöhten CBF (mit Hyperperfusion) gilt es zu verhindern. Letzterer kann bei defekter Blut-Hirn-Schranke ein Hirnödem aggravieren oder durch Vasodilatation im gesunden Gewebe ein Steal-Phänomen bewirken. Cave: bei 50% der Patienten mit schwerem SHT ist die Autoregulation gestört [1]. Auch bei intakter Autoregulation steigt pro Anstieg des paCO2 um 1 mm Hg der CBF um 1–2%. > Damit stellt der paCO2 einen wesentlichen Faktor zur Anpassung der regionalen Durchblutung und damit der CBF-Steuerung dar.
Intrakranieller Druck (ICP) Der intrakranielle Raum wird durch die drei Kompartimente bestimmt: 4 Hirngewebe (ca. 88%), 4 Liquor (9–10%) und 4 Blutvolumen (2–3%, hauptsächlich venöses Niederdrucksystem). Der physiologische intrakranielle Druck (ICP) beträgt weniger als 15 mm Hg. Die Elastance (elastische Rückstellkraft) beschreibt die Veränderung des ICP als Funktion von Veränderungen des intrakraniellen Volumens (dP/dV).
Der ICP ist neben dem arteriellen Mitteldruck (MAP) eine wesentliche Determinante des zerebralen Perfusionsdruckes (CPP): 4 CPP=MAP–(ICP+ZVD) Ohne Vorliegen entsprechender Pathologie beträgt der ZVD auf Höhe des Bulbus der V. jugularis Null, daher darf als Näherung 4 CPP=MAP–ICP benützt werden. Der CPP gilt als treibende Kraft für den zerebralen Blutfluss (CBF). 4 CBF=CPP/CVR (CVR = zerebrovaskulärer Widerstand)
78 Physiologie und Pathophysiologie des ZNS
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78.2.1
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Für eine umfassende Darstellung wird auf 7 Kap. 16 (»Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring«) und 7 Sektion VII (»Störungen des ZNS und neuromuskuläre Erkrankungen«) verwiesen. Die im Zusammenhang mit neurochirurgischer Intensivmedizin wesentlichen Aspekte werden im Folgenden nochmals als Grundlagen zusammengefasst dargestellt.
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Eine ICP-Erhöhung kann nach Volumenzunahme einzelner Kompartimente erfolgen, z. B. 4 Hirngewebe: Tumor, Hirnödem, 4 Liquor: Störung von Liquorproduktion, -resorption, -abfluss, 4 Blutvolumen: Hyperämie, Hämatom. Einem akuten ICP-Anstieg liegt meistens eine Blutung zugrunde. Druckanstiege, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, sind häufig durch Liquorzirkulationsstörungen oder ein progredientes Hirnödem bedingt. Ein langsamer Druckanstieg kann bes-
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ser durch Volumenabnahme anderer Kompartimente kompensiert werden, z. B. durch Verdrängung von zerebralem Liquorvolumen durch das Foramen magnum in den spinalen Subarachnoidalraum (Monroe-Kellie-Hypothese):
Monroe-Kellie-Hypothese
Optimierung des zerebralen Perfusionsdruckes (CPP): Lund vs. Rosner und Brain Trauma Foundation Das CPP-Konzept nach Rosner setzt eine intakte Autoregulation voraus: Durch Erhöhung des MAP >70 mm Hg (durch Katecholamine/Flüssigkeit) kommt es idealerweise zu einer Reduktion des ICP durch autoregulatorische zerebrale Vasokonstriktion:
4 Gesamt-ICP = pGehirn + pBlut + pLiquor cerebrospinalis
z Hyperventilationstherapie Das zerebrale Blutvolumen (CBV) kann über Steuerung des paCO2 beeinflusst werden (CO2-Reaktivität der Gefäße). Durch Hyperventilation lässt sich somit beim kontrolliert beatmeten Patienten das intrakranielle Blutvolumen reduzieren. ! Cave Die Hypokapnie birgt die Gefahr des kapillären Kollapses mit konsekutiver zerebraler Ischämie und Ödembildung.
Die meist uniforme pathophysiologische Antwort auf zerebrale Ischämie/Neurotrauma besteht aus neuronaler und interstitieller Laktatazidose, Hyperämie (Vasoparalyse) und Begünstigung eines Hirnödems. Die Hyperventilationstherapie zielt daher durch die induzierte Hypokapnie mit respiratorischer Alkalose auf Reduktion der Laktatazidose sowie die Umverteilung des CBF in ischämische und damit maximal vasodilatierte Regionen und Senkung des ICP. Um die positiven, nicht jedoch die negativen Effekte zu induzieren, wird nur milde, vorübergehende Hyperventilation (paCO2 30–32 mm Hg) bei akuten Hirndruckkrisen empfohlen. Allerdings dürfte bei fast allen Patienten mit zerebralen Noxen initial als Folge eines reduzierten zerebralen Metabolismus auch der CBF reduziert sein. Diese Patienten profitieren nicht von einer Hyperventilation. Im Gegenteil drohen kapillärer Kollaps und Ischämie. Nach dieser Akutphase kommt es bei 45% zu einer posttraumatischen Hypoperfusion. Auch hier gilt die induzierte Hypokapnie als kontraindiziert. Bei 55% der Patienten liegt in der postakuten Phase eine zerebrale Hyperämie vor, hier profitieren Patienten von Hyperventilation. > Eine generelle, präventive, forcierte Hyperventilation bei der Behandlung des erhöhten ICP gilt folglich mittlerweile als obsolet.
Weiter limitierend ist die Tatsache, dass es nach 6–8 h durch den Ausgleich der pH-Verschiebungen durch zerebrale Pufferungssysteme (verstärkte Bicarbonatsekretion in den Liquor) zu einem Wirkungsverlust der induzierten Hypokapnie kommt. Die milde Hyperventilation wird deshalb bis zur differenzierten Diagnostik (Ischämie/Hyperämie/Ödem) nur noch zur Kupierung von ICPKrisen empfohlen, bis unter zerebralem Monitoring (jugularvenöse Sättigung, TCD, zerebrale Mikrodialyse) Normokapnie wieder erreicht werden kann. ! Cave Abruptes Beenden der Hyperventilation kann durch Hyperämie ein Rebound-Phänomen mit ICP-Anstieg induzieren.
4 CPP=MAP–ICP.
Das Lund-Konzept zielt auf die Reduktion des posttraumatischen vasogenen Hirnödems in der Erholungsphase der defekten BlutHirn-Schranke durch Reduktion des ICP. Dies wird durch 3 Maßnahmen angestrebt: 4 Reduktion des zerebralen Blutvolumens (Venokonstriktion) durch Infusion von Dihydroergotamin. 4 Reduktion des kapillären hydrostatischen Drucks durch Infusion des α2-Agonisten Clonidin und des β1-Antagonisten Metoprolol. 4 Stabilisierung des physiologischen kolloidosmotischen Drucks (Plasmaalbuminkonzentration >40 g/l). > Die scheinbar diametralen Konzepte könnten nach Diagnostik der Intaktheit zerebrovaskulärer Autoregulation und der Blut-Hirn-Schranke differenziert eingesetzt werden.
Die Leitlinien der Brain Trauma Foundation nennen einen Zielwert von 60–70 mm Hg für den CPP [2]. Arterielle Hypotension (SAP <90 mm Hg) ist unbedingt zu vermeiden, doch auch CPP-Werte >70 mm Hg sind wegen möglicher pulmonaler Komplikationen nicht indiziert.
Zentrale Regulationsstörungen z Atemregulation In- und Exspiration werden durch 2 Atemzentren im Hirnstamm koordiniert (. Abb. 78.1): Das bulbäre Atemzentrum liegt rostral in der Medulla oblongata: In- und Exspirationszentrum sind durch wechselseitigen Einfluss für Initiierung und Aufrechterhaltung der Atmung verantwortlich. Das pneumotaktische Atemzentrum der Pons modifiziert die Aktivität des bulbären Zentrums. Dieses Zusammenspiel vermittelt u. a. eine Hemmung der Inspiration bei Schlucken oder Erbrechen. Eine Störung dieser Zentren bei Erkrankungen des ZNS oder durch Anästhetika bedingt ein erhöhtes Aspirationsrisiko. Über periphere und zentrale Chemorezeptoren und zentrale Mitinnervation (limbischer Kortex, Dienzephalon) wird das Atemzeitvolumen insbesondere über den pCO2 an den Bedarf angepasst. CO2 kann im Gegensatz zu Protonen die Blut-Hirn- und die Blut-Liquor-Schranke frei passieren. Der zentrale pCO2 liegt ca. 10 mm Hg über dem paCO2. Im Liquor entstehende Kohlensäure dissoziiert, die H+-Ionen können wegen der fehlenden Pufferkapazität des Liquors nicht abgefangen werden und stimulieren die zentralen Chemorezeptoren. Nach 1–2 min ist die Steigerung des Atemantriebes mit Steigerung von Atemfrequenz und Atemzugvolumen voll ausgeprägt. > Bis zu einem paCO2 von 60–70mm Hg ist die Beziehung mit einer Steigerung der Ventilation um 2–3 l/min/mm Hg CO2 linear.
Bei Störung des zentralen Atemzentrums, pharmakologischer Blockade (v. a. durch Opioide) oder chronischer Hyperkapnie bei
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
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. Abb. 78.1 Lokalisation des kardiorespiratorischen Netzwerkes in der Medulla oblongata und der Pons. Im rechten Teil ist die Lokalisation der respiratorischen Neuronengruppen auf die dorsale Oberfläche des Hirnstamms projiziert. In dem Querschnittsschema sind rechts das respiratorische Netzwerk und links das kardiovaskuläre Netzwerk markiert, um auf ihre benachbarte Lokalisation aufmerksam zu machen. Sowohl das respiratorische wie auch das kardiovaskuläre Netzwerk sind jedoch bilateral angelegt. Die Rhythmogenese der Atmung erfolgt wahrscheinlich im PBC (5M=Nucl. motorius trigemini, 5ST=Tractus spinalis trigemini, A=Nucl. ambiguus, AP=Area postrema, BC=Brachium conjunctivum, BP=Brachium pontis, C=Nucl. cuneatus, Coll. inf.=Colliculus inferior, DRG=dorsale respiratorische Gruppe, ICP=Pedunculus cerebelli inferior, IO=Nucl. olivaris inferior, KF=Nucl. Kölliker-Fuse, LC=Locus coeruleus, LRN=Nucl. reticularis lateralis, NTS=Nucl. tractus solitarius, P=Tractus pyramidalis, PBC=Prä-Bötzinger-Komplex, PBM=Nucl. parabrachialis medialis, Ph=Nucl. praepositus hypoglossi, PRG=pontine respiratorische Gruppe, RVLM=rostroventrolaterale Medulla, SO=Nucl. olivaris superior, TB=Corpus trapezoideum, TS=Tractus solitarius, VL=Nucl. vestibularis laterlais, VM=Nucl. vestibularis medialis, VRG=ventrale respiratorische Gruppe, X=Nucl. dorsalis vagi, XII=Nucl. hypoglossi). (Aus [60])
COPD kann der hyperkapniebedingte Atemantrieb vermindert bis erloschen sein. Schwächere chemosensitive Parameter sind paO2 und Blut-pH. H+-Ionen können die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren, dadurch erklärt sich die geringere Atemantriebssteigerung. Die peripheren Chemorezeptoren befinden sich beidseits im Glomus caroticum (Afferenzen via N. XI) und in paraaortalen Ganglien des Aortenbogens (Afferenzen via N. X). Im Gegensatz zu den zentralen Chemorezeptoren werden sie am stärksten durch den paO2 stimuliert, führen aber meist erst bei einem paO2<65 mm Hg zu einem zusätzlichen Atemanreiz. Sie reagieren ebenfalls sehr schnell, binnen Sekunden, und auch dann noch, wenn die zentrale Antwort weitgehend ausgeschaltet ist. Allerdings reicht die hier erzielte Steigerung
der Spontanatmung (Atemfrequenz und -zugvolumen) meist zur Vermeidung einer Hypoxämie nicht aus. z Zentralnervöse Atemstörungen Zentralnervöse Atemstörungen können durch Hirnstammläsionen bedingt sein, finden sich aber auch medikamentös bedingt, bei Hypothyreose, metabolischer Alkalose, Hungerzuständen oder Schlafapnoe (. Tab. 78.1). Sie sind bei der klinischen (Erst-) Untersuchung hilfreich zu kennen und u. U. richtungsweisend bei der weiteren Diagnostik. Cheyne-Stokes-Atmung. Die Cheyne-Stokes-Atmung ist charakterisiert durch periodisch zu- und abnehmende Atemzugvolumina, ausgehend von einer Apnoephase. Zugrunde liegt eine gestörte
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. Tab. 78.1 Ursachen von Atemstörungen Differenzierung von Atemstörungen
Erkrankungen
Zentral
Affektion der zentralen Atemzentren oder der neuronalen Verbindungsbahnen (Unreife bei Frühgeborenen, Ischämien, Blutungen, Trauma, Entzündungen, postoperativ) oder im Rahmen von Vigilanzminderung/Koma u. a.
Metabolisch/Endokrin
Metabolische Neuropathien (Diabetes mellitus, Urämie, Porphyrie), metabolisches Koma, Hypothyreose u. a.
Neuromuskulär
Myopathien, neuromuskuläre Übertragungsstörungen (Myasthenia gravis, Lambert-Eaton-Syndrom), periphere Neuropathien (Critical-illness-Polyneuropathie, Guillain-Barré-Syndrom, Neuropathie N. phrenicus), Vorderhornzellerkrankungen (amyotrophe Lateralsklerose, spinale Muskelatrophie, Poliosyndrom) u. a.
Pulmonal
Ventilations-, Perfusions- und Diffusionsstörungen, Pneumothorax, Infektionen, ALI/ARDS u. a.
Andere
Intoxikationen (Alkohol, Drogen, Botulismus), Anästhetika (ZNS-Dämpfung, neuromuskuläre Blockaden durch Muskelrelaxanzien), funktionelle Störungen (Hyperventilationssyndrom), Hungerzustände, Schlafapnoe u. a.
CO2-Reagibilität des zentralen Atemzentrums. Erst eine CO2-Akkumulation während einer Apnoephase steigert den Atemantrieb, durch zunehmende Ventilation sinkt der paCO2 und damit der Atemantrieb bis zur nächsten Apnoephase. Klinische Korrelate sind meist akute Läsionen von oberer Pons oder bihemisphärischen Kortexarealen, hypertensive Enzephalopathie oder beginnende transtentorielle Herniation. Zentrale Hyperventilation. Die zentrale Hyperventilation ist meist durch Läsionen des zentralen Hirnstamms bedingt und klassischerweise gekennzeichnet durch Erhöhung des paO2 bei gleichzeitiger Hypokapnie und respiratorischer Alkalose. Hier kann die Gabe von Neuroleptika oder Benzodiazepinen erfolgreich sein. Meist sind Tachypnoe und Hypokapnie allerdings mit normalen oder gar erniedrigten paO2-Werten assoziiert, somit reflektorische Atemantwort auf Hypoxämie.
Undine-Syndrom. Das Undine-Syndrom, ein sehr selten beschrie-
bener Verlust unwillkürlicher Atmung, wird v. a. im Schlaf symptomatisch. Seine Existenz beruht auf der anatomischen Trennung von willkürlicher und unwillkürlicher Atmung. Es kann passager beobachtet werden, bei Persistenz besteht die Möglichkeit der Implantation von Zwerchfellschrittmachern. > Unabhängig von der Genese der Atemstörung gestaltet sich die Therapie zur Sicherung der Atemwege sowie Aufrechterhaltung von Normokapnie und ausreichender Oxygenierung symptomatisch.
z
Neurogene Lungenfunktionsstörungen und neurogenes Lungenödem Pulmonale Komplikationen treten bei Intensivpatienten mit akuten ZNS-Läsionen häufiger auf als bei anderen Intensivpatienten. Ursächlich können u. a. direkte Parenchymläsionen oder ein neurogenes Lungenödem sein. Es besteht ein erhöhtes Aspirationsrisiko durch verminderte Vigilanz und fehlende Schutzreflexe bei Störungen der Atemzentren oder kaudaler Hirnnerven. Immobilität und ein verändertes Atemmuster begünstigen die Entstehung von Atelektasen und das pulmonale Infektionsrisiko. Bewusstseinsgetrübte Patienten haben durch die oft erforderliche Sicherung der Atemwege durch Intubation/Tracheotomie und durch eine prolongierte Weaning-Phase ein deutlich höheres Risiko für eine beatmungsassoziierte Pneumonie (VAP durch Baro-, Volu-, Atelekt-, Biotrauma), zumal die Freisetzung inflammatorischer Mediatoren bei akuten ZNS-Läsionen diskutiert wird. Die Genese des neurogenen Lungenödems (»neurogenic pulmonary edema«; NPE) kann bislang noch nicht hinreichend ergründet werden. Das NPE tritt charakteristischerweise innerhalb von Minuten bis Stunden nach einer akuten ZNS-Läsion ein, meist nach Schädel-Hirn-Traumata, epileptischen Krampfanfällen und zerebralen Blutungen (v. a. SAB), ohne direkte Traumatisierung der Lunge. Differenzialdiagnostisch müssen Aspirationspneumonitis oder ARDS in Betracht gezogen werden. Rascher Beginn und meist auch Abklingen helfen bei der differenzialdiagnostischen Abgrenzung von anderen möglichen Ursachen. Beim NPE fehlen initial meist Fieber und interstitielle Infiltrate. Leitsymptom ist die Dyspnoe, manchmal begleitet von milden Hämoptysen. Klinisch zeigen sich Tachypnoe, Tachykardie und feuchte Rasselgeräusche, radiologisch typischerweise ein normal konfiguriertes Herz mit bilateralem, alveolärem Lungenödem. Allerdings kann sich das NPE auch als radiologisches Bild einer dekompensierten Herzinsuffizienz darstellen. Die Diagnose wird oftmals retrospektiv durch das schnelle Abklingen der Symptome binnen 48–72 h bekräftigt. Dadurch wird die Inzidenz in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben – von 0,1–0,8% nach SHT [3] bis zu 20% nach schwerem SHT [4].
Ataktisches Atemmuster. Biot hat das ataktische Atemmuster bei
schweren Meningitiden beschrieben, seltener tritt dies auch bei zentralen Traumata auf. Es zeigen sich ein unregelmäßiges Muster von Atemfrequenz und -amplitude, verminderte Reaktion auf Stimulation der Chemorezeptoren und verstärkte Wirkung atemdepressiver Pharmaka. Häufig liegen Läsionen der Formatio reticularis (Sitz des medullären Atemzentrums) zugrunde. Apneusis. Eine sog. Apneusis tritt ebenfalls bei Hirnstammschädigungen im Bereich des Atemzentrums auf, ist aber charakterisiert durch periodische Atmung mit langer, tiefer Inspiration und langen Atempausen.
Die Therapie ist symptomatisch: Sicherung einer ausreichenden Oxygenierung und hämodynamische Stabilisierung. Eine große Herausforderung stellt die Therapieoptimierung bei folgenden Limitationen dar: 4 Flüssigkeitsrestriktion bei Lungenödem vs. Aufrechterhaltung des CPP oder Triple-H nach SAB. 4 Lungenprotektive Beatmung mit permissiver Hyperkapnie vs. notwendige Normokapnie bei erhöhtem ICP. 4 Mechanische Beatmung mit hohem PEEP kann den zerebralvenösen Rückstrom behindern.
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
Eine systemische Hypotension mit konsekutiver zerebraler Minderperfusion gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Experimentelle Befunde weisen auf die Wirksamkeit einer α-adrenergen Blockade hin. Allgemeine Therapieoptionen bestehen in: ICPSenkung, Senkung kardialer Vor- und Nachlast (Diuretika, α2Rezeptoragonisten, Hämofiltration), Steigerung der myokardialen Inotropie (β-adrenerge Medikamente, z. B. Dobutamin) und Verringerung der Gefäßendothelpermeabilität (klinisch nicht belegt). Die Prognose ist in erster Linie abhängig von der zugrundeliegenden zerebralen Erkrankung. Allerdings wird bei Patienten mit NPE eine 3-fach höhere Mortalitätsrate bzw. vegetativer Zustand beschrieben [4].
handlung des Flüssigkeits- und Volumenhaushaltes eines Patienten mit neurologischen/neurochirurgischen Erkrankungen gelten als oberste Gebote Aufrechterhaltung der Plasmaosmolarität und Vermeidung der Zufuhr von hypoosmolaren Lösungen (Ringer-Laktat!) oder freiem Wasser (Glukoselösungen!), um der Ausprägung eines Hirnödems entgegenzuwirken [7, 8].
z Zentrale Temperaturregulationsstörungen Die Thermoregulation ist ein sehr komplexes System mit 3 wesentlichen Subsystemen: 4 Thermoafferenz (Messfühler), 4 zentrale Regler (Informationsverarbeitung) und 4 Thermoefferenz (Stellglieder).
Natriumkonzentration und Osmolalität der Extrazellulärflüssigkeit stellen die wichtigsten Stellgrößen im Wasser- und Elektrolythaushalt dar und werden durch Verschiebungen des Gesamtkörperwassers konstant gehalten. Die Volumenregulation ist hierbei von der Osmoregulation zu unterscheiden: Das ECF-Volumen bestimmt bei intakter Nierenfunktion die Urin-Natrium-Ausscheidung, mit Sensoren in Vas afferens der Glomeruli, Karotissinus und Vorhöfen sowie Effektoren via Sympathikus, RAAS-System sowie ANP und ADH unter pathologischen Bedingungen. Eine konstante Plasmaosmolalität wird insbesondere bestimmt durch die Serum-Natrium-Konzentration (effektive Plasmaosmolalität = 2×Na+Glc/18). Hypothalamische Messsensoren steuern über ADH und Durstempfinden die Urinosmolalität und Wasseraufnahme. Zentrale Regulationsstörungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes (SIADH, Diabetes insipidus, Salzverlustsyndrom) stellen die häufigsten extrakraniellen Komplikationen nach schwerem SHT und neurochirurgischen Eingriffen dar [9]. Erkrankungen/ Verletzungen des ZNS gehen insbesondere mit Störungen des Natriumhaushaltes einher, was zu gravierenden Dysbalancen der Plasmaosmolalität und Verschlechterung des neurologischen Outcomes führen kann. Eine Hypernatriämie (>150 mmol/l) tritt bei Diabetes insipidus, eine Hyponatriämie (<135 mmol/l) bei Salzverlustsyndrom und Schwartz-Bartter-Syndrom (SIADH) auf.
Störungen der Temperaturregulation können daher auf verschiedenen Ebenen begründet sein – in diesem Kapitel werden nur Grundzüge der zentralen Thermoregulation erläutert. Der Hypothalamus beinhaltet die wichtigsten zentralen Temperaturkontrollzentren. Bei Ausfall dieser Zentren verändern sich v. a. die sog. Trigger-Schwellen für thermoregulatorische Prozesse wie Schwitzen, Vasodilatation, Vasokonstriktion und Kältezittern. Alle Anästhetika – inhalative wie intravenöse – erhöhen dosisabhängig die Kerntemperaturschwellen für Wärmereaktionen und erniedrigen diese analog für Kältereaktionen. Deshalb eignen sich Anästhetika, um ein Kältezittern unter therapeutischer Hypothermie zu vermeiden (entsprechende Vorsicht ist bei Sedierungsrücknahme geboten). Neurogenes Fieber ist nicht infektiösen Ursprungs und tritt bei 4–37% der Patienten nach SHT auf. Als ursächlich werden Läsionen im Bereich der Thermoregulationszentren des Hypothalamus angenommen [5]. Eine erhöhte Inzidenz an posttraumatischem neurogenem Fieber konnte bei diffusem axonalem Schaden und Läsionen im Bereich des Frontallappens beobachtet werden [6]. Oftmals wird eine passagere Krankheitsphase mit spontanem Abklingen beschrieben. > Bei vorhandener zerebraler Schädigung sollte – wegen des erhöhten Sauerstoffbedarfs bei Fieber – jeder Temperaturanstieg über 37°C therapiert werden (pro Zunahme der Körpertemperatur um 1°C Anstieg des Sauerstoffverbrauchs um 7–12%), um eine zerebrale Hypoxämie zu vermeiden.
Da keine kausalen Therapieoptionen bestehen, muss symptomatisch therapiert werden. Im klinischen Alltag hat sich eine Kombination aus Opioid/Neuroleptikum (Reset oder Verstellen der zentralen Temperaturschwellen plus periphere Vasodilatation, z. B. Pethidin/Atosil) und physikalischer Kühlung (u. U. auch durch kalte Magen- und Blasenspülungen, intravenöse Kühlkatheter) als erfolgreich erwiesen. Mitunter kann aber eine Temperatursenkung nur sehr mühsam und unzureichend erzielt werden. Andererseits müssen Maßnahmen zur Unterdrückung von Kältezittern getroffen werden (Sedierung, vegetative Blockade), da auch dies zu einem starken Anstieg des Sauerstoffverbrauchs führen kann. z Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt Allgemeine Störungen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts werden in 7 Kap. 60 (»Säure-Basen-Status«) geschildert. Bei Be-
> Um Hypovolämie (mit Abnahme des CPP) oder Hypervolämie (mit erhöhter Inzidenz kardiopulmonaler Komplikationen und Hirnödemen) zu vermeiden, bedarf es kontinuierlichen intensivmedizinischen Monitorings. Flüssigkeitsrestriktion per se ist nicht geeignet zur Hirnödemprophylaxe und -therapie.
z Diabetes insipidus Der zentrale Diabetes insipidus führt durch einen kompletten oder partiellen Ausfall der ADH-Sekretion zur Diurese von bis zu 20 l hypoosmolaren Urins (Diagnosekriterium) und manifestiert sich als hypernatriämische hyperosmolare Dehydratation [10]. Hauptursächlich sind hypophysenchirurgische Eingriffe, aber auch SHT (2% der Patienten). Erste klinische Symptome der Hypernatriämie mit konsekutiv osmotisch bedingtem neuronalem Wasserentzug sind Lethargie, Schwäche und Gereiztheit. Die Therapie besteht bei einer Diurese bis zu 4 l/Tag in der Wiederherstellung der Normovolämie. Darüber hinaus ist die Gabe von Desmopressinacetat (Minirin) indiziert, z. B. fraktioniert 0,5–2 μg i.v., alternativ intranasal, s.c. oder i.m [11]. Die niedrigste wirksame Dosis sollte verabreicht werden, um eine Hyponatriämie und Wasserretention zu vermeiden. z Schwartz-Bartter-Syndrom (SIADH) Dem Schwartz-Bartter-Syndrom liegt eine pathologisch gesteigerte ADH-Sekretion zugrunde (Differenzialdiagnose ADH-Sekretion durch Schmerzen, Stress, Hypotonie). Zugrundeliegende Pathomechanismen sind nicht hinreichend geklärt, als ursächlich diskutiert werden atriale und zerebrale natriuretische Peptide. Klinisch führend sind hohe Natriumkonzentration im Urin (>25 mmol/l), trotz niedriger Serum-Natrium-Konzentration und Serumosmolalität <280 mosmol/l (höhere Urin- als Serumosmolarität); normales bis gesteigertes extrazelluläres Flüssigkeitsvolumen ohne periphere
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Ödembildung bei normaler Nieren-, Nebennieren- und Schilddrüsenfunktion. Normalerweise wird ADH bei Hyponatriämie nicht sezerniert, der Nachweis im Serum trägt zur Diagnosesicherung bei. Die Therapie besteht primär aus Flüssigkeitsrestriktion bei liberaler Salzzufuhr. Parenterale Natriumsubstitution (mit 3%iger Kochsalzlösung, ggf. Furosemid zum Wasserentzug) ist erst ab einem Serumwert von 115 mmol/l, bzw. darüber bei neurologischen Symptomen, indiziert [12, 13]. ! Cave Die Korrektur der Serum-Natrium-Konzentration sollte sehr langsam mit maximal 2 mmol/l/h erfolgen und 12 mmol/Tag am 1. Tag nicht überschreiten, sonst drohen schwerste, z. T. irreversible neurologische Schäden bis hin zur zentralen pontinen Myelinolyse [14].
z Zerebrales Salzverlustsyndrom Bei einer Hyponatriämie gilt es differenzialdiagnostisch das zerebrale Salzverlustsyndrom (»cerebral salt wasting«; CSW) abzugrenzen. Allerdings können SIADH und CSW auch kombiniert oder in Folge auftreten, was Diagnostik und Therapie zusätzlich erschwert. Das CSW gilt als selten und ist in seiner Existenz nicht unumstritten [15, 16]. Am häufigsten wird es nach SAB beschrieben, als ursächlich gilt die inadäquate Freisetzung zerebraler natriuretischer Peptide [17]. Auch eine Triple-H-Therapie bei Patienten mit SAB und erhöhte Plasmakatecholaminspiegel können eine Natriurese induzieren. Es handelt sich letztlich um eine Ausschlussdiagnose. Differenzialdiagnostisch sind kardiale, renale oder hepatogene Erkrankungen und eine Nebennierenrindeninsuffizienz als Ursachen einer vermehrten Kochsalzausscheidung auszuschließen. Im Gegensatz zur Normo- bis Hypervolämie beim SIADH herrscht beim CSW ein Volumenmangelstatus mit hohem Hämatokrit und hoher UrinNatrium-Konzentration. Die Therapie ist auf den Ausgleich des Volumen- und Natriummangels ausgerichtet. Auch hier gilt es, eine zu schnelle Natriumkorrektur zu vermeiden.
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Allgemeine klinische Aspekte
Neurologische Beurteilung > Im Zentrum jeder neurologischen Beurteilung steht die klinisch-neurologische Untersuchung des Patienten. Die Basisuntersuchung ist einfach erlernbar und schnell durchführbar. Sie sollte täglich mindestens einmal erfolgen und sorgfältig dokumentiert werden, um bei Veränderung des klinischen Bildes schnell diagnostische Maßnahmen oder Therapien einleiten zu können.
Außerordentlich wichtig ist deshalb auch neurologisch geschultes Pflegepersonal, um eine engmaschige klinische Überwachung zu gewährleisten. Es empfiehlt sich, zur Dokumentation standardisierte neurologische Überwachungsbögen einzusetzen. Die klinische Untersuchung dient der Beurteilung des Bewusstseinszustandes und der Erkennung fokal neurologischer Defizite. Die 7 Übersicht zeigt die relevanten neurologischen Untersuchungsparameter.
Hauptkriterien der klinischen neurologischen Untersuchung 4 Pupillengröße, -form und -reaktion (weit/mittel/eng, rund/ entrundet, normal/träge/fehlend) 4 Spontane Augenbewegungen (z. B. konjugiert, unkonjugiert) 4 Meningismus 4 Kornealreflex 4 Okulozephaler Reflex 4 Atemmuster (7 Abschn. 78.2.1 »Zentrale Regulationsstörungen«) 4 Spontanbewegungen (gerichtet, ungerichtet, symmetrisch, asymmetrisch, Streck- oder Beugesynergismen) 4 Muskeleigenreflexe 4 Pyramidenbahnzeichen 4 Reaktion auf Schmerzreiz (gerichtet, ungerichtet)
Bewusstseinsminderungen gliedern sich in »Somnolenz«, »Sopor« und »Koma«. Als somnolent wird ein schläfriger Patient beschrieben, der durch Ansprache erweckbar ist – er öffnet die Augen und verhält sich adäquat. Ein soporöser Patient öffnet erst bei kräftiger Stimulation (Schmerzreiz) kurzzeitig die Augen und zeigt eine gerichtete motorische Abwehr – außer Verbalisieren von Lauten ist keine Kommunikation möglich. Findet keine Reaktion auf stärkste Reize oder nur eine ungezielte Abwehr statt, liegt ein komatöser Zustand vor. Zur differenzierten Beurteilung des Komagrades werden zusätzlich Kriterien wie das Vorhandensein von Spontanbewegungen, Hirnstammreflexen, Körperhaltung, Muskeltonus und Spontanatmung herangezogen. Beurteilung von Augenöffnen auf Ansprache, verbale Antwort und motorische Reaktion bildet die Grundlage der Glasgow Coma Scale (GCS; 7 Kap. 68) [18, 19]. Diese ist einfach in der Anwendung und erleichtert eine standardisierte und reproduzierbare Beurteilung. Die GCS wurde allerdings für die Beurteilung des akuten SHT entwickelt und berücksichtigt keine fokal neurologischen Defizite. Insbesondere bei Blutungen sind Schweregrad der Blutung sowie der klinische Zustand bei Aufnahme prognostisch wichtige Kriterien und Grundlage für therapeutische Maßnahmen. Für die Einteilung der Subarachnoidalblutung (SAB) haben sich die Skala nach Hunt u. Hess (. Tab. 78.2 und . Tab. 78.3) [20] sowie die neuere WFNS-Skala (. Tab. 78.3) im klinischen Alltag durchgesetzt [21]. Obwohl Hunt-u.-Hess-Grad und Letalität bzw. Morbidität nach SAB gut korrelieren, ist die Einteilung nicht unumstritten: Die Skala ist in verschiedenen Punkten nicht eindeutig, weshalb die World Federation of Neurosurgical Surgeons (WFNS) eine ebenfalls 5-stufige Schweregradeinteilung anhand der Glasgow Coma Skala einführte, die nun bei allen größeren kontrollierten Studien zur Subarachnoidalblutung Verwendung findet. Die Einteilung nach Fischer klassifiziert die CT-Befunde bei SAB (. Tab. 78.4) [22]. Die Grundlagen apparativer Diagnostik und Überwachung werden in 7 Kap. 16 (»Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring«) behandelt, ferner in 7 Kap. 48 (»Neurodiagnostik in der Intensivmedizin«). Jeder Intensivmediziner und jeder neurologische Untersucher sollte mit den Kriterien des Hirntodes (u. a. Verlust von Hirnnerven- und Hirnstammfunktionen sowie des Atemantriebes) vertraut sein, um mögliche Organspender zu erkennen und zu melden (gesetzliche Meldepflicht nach § 11, Abs. 4, TPG). Die Hirntoddiagnos-
78
1008
78 78 78 78
Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
. Tab. 78.2 Skala nach Hunt u. Hess. Die Skala nach Hunt u. Hess klassifiziert den Schweregrad nichttraumatischer Subarachnoidalblutungen nach der neurologischen Symptomatik Hunt-u.Hess Skala
Neurologische Symptomatik
1
Asymptomatisch oder geringe Kopfschmerzen, leichter Meningismus
2
Moderate bis schwere Kopfschmerzen, Nackensteife Keine neurologischen Defizite außer Hirnnervenausfällen
78 3
Bewusstseinseintrübung (Somnolenz) Mildes fokal neurologisches Defizit
4
Stupor Moderate bis schwere Hemiparese
5
Koma Dezerebrationskrämpfe
78 78 78
z
. Tab. 78.3 Klinische Stadien der akuten Subarachnoidalblutung
78
Nach Hunt u. Hess
Klinische Befunde
Nach WFNSa (Glasgow Coma Scale)
Grad
Symptome
Score
Motorisches Defizit
1
Leichter Kopfschmerz/ Meningismus Kein neurologisches Defizit
15
Keines
2
Mäßiger bis schwerer Kopfschmerz/ Meningismus Kein neurologisches Defizit außer Hirnnervenstörung Keine Bewusstseinsveränderung
14–13
Keines
3
Somnolenz oder Verwirrtheit und/ oder neurologische Ausfälle
14–13
Vorhanden
4
Sopor, schwere neurologische Ausfälle Vegetative Störungen
12–7
Keines oder vorhanden
5
Koma Strecksynergismen
6–3
Keines oder vorhanden
78 78 78 78 78 78 78 78 78 78 a World
Federation of Neurological Surgeons.
78 78 78 78
Fischer Grad
Zugrundeliegender CT-Befund
1
Keine Blutung evident
2
Subarachnoidales Blut <1 mm Dicke
3
Subarachnoidales Blut >1 mm Dicke
4
Subarachnoidales Blut jeder Dicke mit Ventrikeleinbruch oder Parenchymblutung
Basistherapie
78
78
. Tab. 78.4 Einteilung nach Fischer. Die Gradeinteilung einer SAB nach Fischer basiert auf dem initialen Befund des nativen CCT
tik wurde 1997 von der Bundesärztekammer in der 3. Fortschreibung der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes festgeschrieben [23]. Bezüglich Kriterien und Ablauf der Hirntoddiagnostik wird auf 7 Kap. 79 (»Hirntoddiagnostik und Behandlung von Organspendern«; Umgang mit Angehörigen) verwiesen.
Homöostase, Beatmung, Lagerung
> Primäres Ziel bei der intensivmedizinischen Behandlung von neurochirurgischen/-traumatologischen Patienten ist die Minimalisierung des sekundären Hirnschadens durch den Erhalt der Homöostase und damit vorrangig die Prävention von Hypotension, Hyper-/Hypokapnie, Hypoxämie, Hyper-/Hypoglykämie und Hyperthermie.
Daher ist die Indikation zur Intubation und/oder invasiven Beatmung im Zweifelsfall großzügig zu stellen, zwingend bei einem GCS <8. Um ICP-Anstiege durch Stress und Stimuli im Rahmen der Laryngoskopie zu vermeiden, sind ausreichende Sedierung, Analgesie und vegetative Abschirmung erforderlich. Bei Verdacht auf eine Verletzung der Halswirbelsäule ist die fiberbronchoskopische Intubation das Verfahren der Wahl, bei einer konventionellen Intubation ist auf eine konsequente HWS-Stabilisierung zu achten (manuelle In-line-Stabilisierung). Eine 25°–30° Oberkörperhochlagerung wird empfohlen: Sie begünstigt die hirnvenöse Drainage, reduziert das intrakranielle Volumen und somit den ICP. Ein relevanter Abfall des arteriellen Mitteldrucks (CPP=MAP–ICP) bei Lagerungsmaßnahmen, insbesondere im Rahmen einer Hypovolämie oder Kreislaufinstabilität, muss zügig therapiert werden. Die Anwendung positiv-endexspiratorischen Druckes (PEEP) ist auch bei neurochirurgischen/-traumatologischen Patienten immer dann indiziert, wenn sie zu einer Verbesserung der LungenCompliance (Rekrutierung von Alveolen) und Reduktion der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration beiträgt. Bedenken im Sinne einer reduzierten hirnvenösen Drainage mit konsekutivem ICP-Anstieg sind hier nicht gerechtfertigt. Die Anwendung eines PEEP von 10–15 cm H2O wird als unkritisch angesehen, v. a. wenn ein kontinuierliches ICP-Monitoring gewährleistet ist. Unter Berücksichtigung des ICP-Verlaufs ist somit sowohl eine Rücken-, Seit- oder Bauchlage vorstellbar, insbesondere bei Patienten mit respiratorischer Globalinsuffizienz. In jeder dieser Positionen muss eine neutrale Position im Atlantookzipitalgelenk ohne Torsion des Halses konsequent aufrechterhalten werden. Die Beatmung kann volumen- oder druckkontrolliert erfolgen. In jedem Fall ist es elementar, die Aufrechterhaltung einer Normokapnie engmaschig zu überprüfen, Sedierungstiefe und Invasivität der Beatmung zu evaluieren und an den aktuellen (neurologischen) Zustand des individuellen Patienten zu adaptieren. > Stress durch unzureichende Sedierung, Analgesie oder vegetative Abschirmung, verbunden mit einer erschwerten Beatmungssituation (inkonstante Beatmungsparameter, Pressen gegen das Beatmungsgerät mit Druckspitzen und Gefahr eines
1009 78.2 · Allgemeine Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
Pneumothorax) verschlechtern das Patienten-Outcome und sind daher unbedingt zu vermeiden.
z Antikoagulation Die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen ist bei neurochirurgischen oder neurotraumatologischen Patienten sehr hoch, bedingt durch Lähmung und Immobilisation, aber auch durch Gerinnungsstörungen (7 Abschn. 78.3.3). Sie wird mit 10–20% bei Patienten mit spinalem Trauma [24] und bis zu 50% bei Patienten mit SHT angegeben. Entsprechend hoch ist das Risiko einer fulminanten Lungenembolie (50% Letalität). Die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen erreicht ihren Gipfel zwischen 72 h und 14 Tage nach dem traumatischen Ereignis (spinales Trauma/SHT) [25]. Die Thromboseprophylaxe sollte daher frühestmöglich bei allen Patienten begonnen werden, erfordert aber häufig sorgfältiges Abwägen zwischen Antikoagulation einerseits und erhöhtem Risiko intrakranieller Blutungen andererseits. Allgemein gilt, die Thromboseprophylaxe erst ab 36 h nach einem Trauma zu beginnen, abhängig vom Grad der intrakraniellen Mitbeteiligung oder Gerinnungsstörungen. Nach elektiven neurochirurgischen Eingriffen ist der Beginn nach Absprache mit dem Operateur in der Regel früher möglich. Mechanische Verfahren (Kompressionsstrümpfe, Mobilisation, Physiotherapie) bilden die Basis, sind aber allein bei längerer Immobilität nie ausreichend. Meist werden niedermolekulare Heparine (NMH) eingesetzt, wobei die Wahl des Pharmakons nicht entscheidend zu sein scheint [26]. Bei erhöhtem Blutungsrisiko ist eine intravenöse, nicht PTTwirksame Heparinisierung besser steuerbar.
Sedierung und Neuroprotektion Allgemein ist es sinnvoll, standardisierte Beurteilungsbögen zur Dokumentation des neurologischen Zustandes und der Sedierungstiefe zu verwenden. Es wurde bereits die Notwendigkeit einer adäquaten Sedierungstiefe unterstrichen. Deshalb ist es wichtig, den klinischen Zustand sorgfältig zu erheben und zu dokumentieren, um damit u. a. das Sedierungsregime zu begründen. Die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zu Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin empfiehlt:
»
Das Monitoring sollte regelmäßig (z. B. 8-stündlich) erfolgen und dokumentiert werden. Dabei ist immer ein Sedierungsund Analgesieziel für jeden Patienten individuell festzulegen und über ein regelmäßiges Monitoring zu überprüfen und zu dokumentieren und ggf. an neue Bedingungen zu adaptieren. [27]
«
Die neurologische Beurteilbarkeit ist andererseits beim wachen, nicht sedierten Patienten am besten gewährleistet und dann der wichtigste, kontinuierliche Parameter, der großen Einfluss auf Diagnostik und Therapie hat. Besteht die Indikation zur Sedierung, sollten die gewählten Medikamente gut steuerbar sein, um Aufwachversuche zur neurologischen Beurteilung (»neurologische Fenster«) zu ermöglichen. Auf eine neuromuskuläre Blockade sollte verzichtet werden. Unter pharmakokinetischen Gesichtspunkten sind Substanzen mit kurzer kontextsensitiver Halbwertszeit und ohne aktive Metabolite wie Propofol, Sufentanil und Remifentanil sinnvoll. Auch die inhalative Sedierung (AnaConDa) kann angewandt werden, wenn kurze Aufwachzeiten, rasche Erholung kognitiver Funktionen oder eine schnelle Mobilisierung angestrebt
werden, zudem inhalative Anästhetika eine gute hämodynamische Stabilität und einen positiven Effekt auf die Lungenfunktion bieten. Es gibt keine zeitliche Beschränkung der Anwendungsdauer. Allerdings stellt die inhalative Sedierung von Intensivpatienten einen »off-label use« dar. Deshalb sollte in diesem Fall die Indikation zur Sedierung gut überprüft und Hämodynamik, Beatmungsparameter sowie Leber- und Nierenwerte engmaschig überwacht werden. Bei der Wahl intravenöser Anästhetika und bei einer zu erwartenden begrenzten Sedierungsdauer sollte bevorzugt Propofol eingesetzt werden, bis zu 7 Tage mit maximal 4 mg/kg KG/h (Cave: Propofolinfusionssyndrom). Es besteht keine Zulassung bei Patienten <16 Jahre. Ketamin wird bei kontrolliert beatmeten Patienten kein negativer Effekt auf den ICP zugeschrieben. Durch den supplementären Einsatz kann der Bedarf an Katecholaminen und Analgetika reduziert werden, was dann einen positiven Effekt auf den CPP und die Darmtätigkeit hat. Opioide tragen in der Regel nicht zu einer hämodynamischen Instabilität und damit auch nicht zu einem ICP-Anstieg bei. Ein opioidinduzierter Abfall des CPP und die konsekutiv autoregulative Dilatation zerebraler Gefäße können jedoch zu einem ICP-Anstieg führen. Barbiturate haben keinen Stellenwert bei der Langzeitsedierung. Sie finden vielmehr Verwendung bei der Senkung eines erhöhten ICP im Rahmen des sog. Barbituratkomas (7 Kap. 49: »Erhöhter intrakranieller Druck«) unter EEG-Kontrolle. Eine prophylaktische Barbituratgabe wird nicht empfohlen [28]. Durch Reduktion des zerebralen Stoffwechsels und des Energiebedarfes kommt es zu einem Abfall der Hirndurchblutung und zu einer Umverteilung von zerebralem Blutvolumen zugunsten von maximal vasodilatierten ischämischen Arealen, konsekutiv zu einer Reduktion des ICP. Diese Reduktion des zerebralen Stoffwechsels geht mit einer Reduktion der neuronalen Aktivität einher, bis »burst suppression« im EEG erreicht wird. Eine Dosiserhöhung darüber hinaus bringt keinen Benefit. Liegt bereits eine Reduktion der hirneigenen elektrischen Aktivität durch die Grunderkrankung vor, können auch Barbiturate keine weitere Suppression des zerebralen Stoffwechsels erzielen. Eine Cochrane-Analyse hob den klaren Effekt der Barbiturattherapie bei der ICP-Senkung hervor, allerdings zeigte sich keine Verbesserung von Mortalität oder neurologischem Defizit im Vergleich zur Standardtherapie [28]. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind bedingt durch Immunsuppression und Hypotonie. . Tab. 78.5 gibt eine Übersicht über die ZNS-Wirkung von Anästhetika.
Kriterien für die Auswahl geeigneter Substanzen zur Analgosedierung und Anästhesie des Patienten mit schwerem SHT 4 Erhöhung der zerebralen Ischämietoleranz (Neuroprotektion) 4 Senkung des zerebralen Sauerstoffverbrauches (CMRO2) 4 Erhaltung von zerebralem Perfusionsdruck (CPP) und Blutfluss (CBF) 4 Senkung des intrakraniellen Blutvolumens (CBV) 4 Reduktion des intrakraniellen Druckes (ICP) 4 Erhaltung zerebrovaskulärer Regelmechanismen (Autoregulation, CO2-Reagibilität)
78
1010
78
Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
. Tab. 78.5 ZNS–Wirkung von Anästhetika Anästhetika
CMRO2
CBF
CBV
ICP
Autoregulation
Besonderheiten
Thiopental
p
p
p
p
0
Immunsuppression
Etomidat
p
p
p
p
0
Hemmung der Kortisolsynthese
Propofol
p
p
p
p
0
Propofolinfusionssyndrom
Ketamin
0
n
?
n
?
NMDA-Rezeptorantagonist
Isofluran
p
n
n
n
–
Kein Einfluss auf Autoregulation bei volatilen Anästhetika nur bei MAC <1,5 Vol. %
Sevofluran
p
n
n
n
–
Desfluran
np
n
n
n
–
Stickoxydul
p
n
n
n
–
78
Benzodiazepine
p
n
?
n
?
Fentanyl
0
?
(n)
0
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Alfentanil
0
?
(n)
0
Sufentanil
0
?
(n)
0
Remifentanil
0
?
(n)
0
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78 78
Succinylcholin
n/0
0/n
?
0
?
Nichtdepol. Relaxanzien
0
0
?
0
0
78
– nicht beeinträchtigt, 0=keine Wirkung, ?=fragliche oder unbekannte Wirkung.
78
78.3
Spezielle Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
78
78.3.1
Elektive Kraniotomie
78
Allgemeine Prinzipien der postoperativen Überwachung nach elektiven Eingriffen
78
In der unmittelbaren postoperativen Phase gilt es (neben den allgemeingültigen Prinzipien der intensivmedizinischen Versorgung), intrakranielle Komplikationen so früh wie möglich zu erkennen. Intraoperativ entstandene Läsionen sind fast immer direkt postoperativ erkennbar. Symptome durch Nachblutungen oder sekundäre Ischämien entwickeln sich ebenfalls rasch. Die meisten postoperativen Nachblutungen treten innerhalb der ersten 12 h nach dem operativen Eingriff auf [29]. Ein postoperatives Hirnödem hingegen ist meist über mehrere Tage progredient. Besonders häufig tritt Letzteres nach elektiver Entfernung intrakranieller Meningeome oder Metastasen auf, mit einem Maximum am 2. oder 3. postoperativen Tag. Nach jeder intrakraniellen Operation finden sich die radiologischen Zeichen eines Pneumatozephalus, in der Regel von geringem Volumen und daher ohne klinische Relevanz. Die intrakranielle Luft wird meist binnen weniger Tage resorbiert, nur selten verbleiben größere Luftansammlungen und führen zu neurologischen Symptomen wie Lethargie, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Erbrechen oder Krampfanfällen. Auch dies bedingt die Notwendigkeit postoperativer Überwachung nach intrakraniellen Eingriffen.
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> Prinzipiell besteht bei jedem intrakraniellen Eingriff die Gefahr gravierender Blutungskomplikationen, daher ist eine adäquate Überwachung zumindestens für 12 h notwendig.
Pneumatozephalus n
Dies bezieht sich auch auf kleinere Eingriffe wie die Entlastung eines chronisch subduralen Hämatoms, die Bohrlochtrepanation zur Anlage einer externen Ventrikeldrainage oder epilepsiechirurgische Eingriffe. > Bei allen intrakraniellen Komplikationen gilt: Neben klinischen Zeichen einer intrakraniellen Hypertension sind fokal neurologische Defizite und epileptische Anfälle charakteristisch.
Bei der Übernahme aus dem OP muss eine genaue Übermittlung der relevanten Informationen durch Operateur und Anästhesie erfolgen. Diese umfasst 4 den präoperativen Zustand (vorbestehende neurologische Ausfälle oder Epilepsie), 4 den intraoperativen anästhesiologischen Verlauf (Anästhesieverfahren bzw. möglicher Anästhetika- oder Relaxansüberhang, Blutverlust, Besonderheiten wie z. B. Elektrolytstörungen – insbesondere Diabetes insipidus, Gerinnungsstörungen – Cave: Nachblutung – oder Kreislaufdysregulation), 4 den operativen Verlauf (Art und Umfang des Eingriffes, Anzahl und Lage der Drainagen, intraoperative Besonderheiten wie z. B. erschwerte Blutstillung, Gefäßverschlüsse, Hirnschwellung, Eröffnung von Nebenhöhlen), 4 die postoperativen Anordnungen durch Operateur und Anästhesie (Patientenlagerung, Umfang und Art der postoperativen Überwachung inklusive Art und Zeitpunkt der postoperativ notwendigen Bildgebung wie CT-/MRT-Kontrolle, Notwendigkeit der postoperativen Nachbeatmung, Umgang mit Drainagen/Redons/EVD/lumbale Drainage: z. B. Höhe der EVDAbleitung über dem Nullpunkt=MAE, Redon mit/ohne Sog,
1011 78.3 · Spezielle Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
Liegedauer; postoperative Medikation wie Antikonvulsiva, Antibiotika, Dexamethason oder Mannitol). > Der neurologische Status sollte unmittelbar postoperativ mindestens 2-stündlich überprüft und dokumentiert werden. Die klinisch-neurologische Untersuchung spielt hierbei die wichtigste Rolle.
Bei jeder neurologischen Veränderung muss an eine Komplikation gedacht und rasch gehandelt werden. Eine sofortige Revision ohne CT-Kontrolle kann bei fulminanten Verläufen wie z. B. Anisokorie auf der operierten Seite, einhergehend mit Vigilanzminderung, gerechtfertigt sein. Besonderes Augenmerk gilt auch der Funktion der vorhandenen Drainagen (z. B. Redon-, Robinson-, Jackson-Pratt-Drainage mit oder ohne Sog angeordnet, EVD, lumbale Drainage). Hier sind v. a. Menge und Art des geförderten Sekretes zu beachten. Die Liquorüberdrainage einer EVD kann gewünscht sein im Sinne einer möglichen Reduktion vasospasmogener Substanzen oder einer intrakraniellen Hypertension, andererseits aber durch Stimulation der Liquorproduktion die Entwicklung eines shuntpflichtigen Hydrozephalus fördern. Die Detektion von Liquorbeimengungen in Redon-, Robinsonoder Jackson-Pratt-Drainagen liefert einen wichtigen Hinweis auf Liquorfisteln. Der sorgfältige Umgang bei der Beobachtung und Pflege der Drainagen ist generell sehr wichtig. Der Sog muss mit dem Operateur abgesprochen und meist milde eingestellt werden. Bei unkontrolliertem Einsatz drohen ebenfalls Komplikationen bis hin zu einer pseudohypoxischen Hirnschwellung bei exzessiver intrakranieller Hypotension [30]. Primäres Ziel der postoperativen intensivmedizinischen Überwachung nach neurochirurgischen Eingriffen ist die Überwachung des Therapieerfolges, d. h. die Verbesserung oder der Erhalt des neurologischen Zustandes, bei intrakraniellen Eingriffen insbesondere des Bewusstseins. Die kontinuierliche klinische Überwachung hat prä- wie postoperativ höchste Priorität. Die Notwendigkeit einer Sedierung und invasiven Beatmung muss regelmäßig evaluiert und abgewogen werden. Bei Patienten, die präoperativ nicht intubiert waren oder bei denen postoperativ die präoperativen Gründe für die Intubation wegfallen (Stabilisierung von Frakturen), sollte eine rasche Ausleitung der Narkose möglichst noch im OP angestrebt werden. Allerdings muss diese Entscheidung immer mit Rücksicht auf den Gesamtkontext der klinischen Situation (abhängig vom Operationsverlauf und der kardiopulmonalen Situation) getroffen werden. Ferner ist die Notwendigkeit einer unmittelbar postoperativ notwendigen Diagnostik (Angiographie, CT/MRT) mit dem Operateur abzuklären. Meist sind diese Untersuchungen kurz nach der Extubation durch die oftmals noch mangelnde Compliance der Patienten erschwert und daher nicht zielführend. Als Indikationen zur Nachbeatmung bzw. protrahierter Extubation auf der Intensivstation gelten intraoperative chirurgische oder kardiopulmonale Komplikationen, intrakranielle Hypertension, mögliche Hirnnervenausfälle nach Operationen am Hirnstamm (und damit Beeinträchtigung der Schutzreflexe) oder Hinweise auf einen Pneumo- oder Hämatothorax (z. B. nach Anlage eines zentralen Venenkatheters, mit der Notwendigkeit einer unmittelbaren postoperativen Röntgenkontrolle des Thorax). Die Indikation postoperativer Anfallsprophylaxe wird international sehr kontrovers diskutiert. Generell kann keine Empfehlung zur prophylaktischen Gabe von Antikonvulsiva gegeben werden [31]. Besteht präoperativ jedoch bereits ein Anfallsleiden, so muss die Medikation perioperativ unbedingt weitergeführt werden. Phenytoin ist mit einer F VIII-Hemmung assoziiert und sollte daher
bei intrakraniellen Eingriffen wegen der erhöhten Blutungsgefahr nur nach Rücksprache mit dem Operateur eingesetzt werden [32]. Die Inzidenz einer Erstmanifestation postoperativer Anfälle nach supratentoriellen Eingriffen beträgt ca. 18%, das höchste Risiko haben Patienten mit SAB nach Aneurysmaoperation, mit SHT und GCS < 10 und nach Meningeomoperation. Bezüglich Grundlagen und Möglichkeiten des zerebralen und neurophysiologischen Monitorings sei auf 7 Kap. 16 verwiesen.
Postoperative eingriffspezifische Überwachung z
Postoperative Überwachung nach supratentoriellen Eingriffen Nach supratentoriellen Eingriffen wird das Risiko einer postoperativen intrakraniellen Nachblutung mit 0,8–1,1% beschrieben. Hierbei handelt es sich meist um intraparenchymale Hämatome (43–60%), epidurale (28–33%) oder subdurale Hämatome (5–7%) [33]. Nach jedem supratentoriellen Eingriff sammelt sich serös-blutige Flüssigkeit epidural, dies sollte aber nicht zu einer Abdrängung der Dura führen (intraoperativ wird dies durch Durahochnähte am Trepanationsrand oder Mittelhochnähte der Dura im Bereich des Knochendeckels verringert). Subdurale Hämatome, die mit einer klinischen Verschlechterung einhergehen, bedürfen meist der operativen Revision. Meist erscheinen sie im CT kleiner als intraoperativ. Subdurale Hämatome außerhalb des Operationsgebietes können klinisch stumm und ohne operative Konsequenz bleiben. Sie zeigen Tendenz zur spontanen Rückbildung. Intrazerebrale Hämatome entstehen bevorzugt im Bereich von Tumoroperationen. Die Größe des Hämatoms hat Einfluss auf die perifokale Ödembildung, daher sollte eine Revision erwogen werden. Extrakranielle Nachblutungen treten in bis zu 11% der Fälle auf. In der Regel wird bei einer Standardtrepanation ein subgaleales Redon für 24 h eingelegt. In den ersten 4 postoperativen Stunden sollte die Fördermenge 100 ml nicht überschreiten. Subdurale Hygrome, meist frontotemporoparietal, werden bei 17% der Patienten nach supratentoriellen Eingriffen beobachtet. Charakteristischerweise treten Kopfschmerzen ca. 1 Woche postoperativ auf. Ohne Vigilanzminderung oder Mittellinienverlagerung ist initial die Gabe von Analgetika oder Steroiden möglich, in <3% ist eine subdurale Drainage erforderlich. Ein postoperatives Hirnödem tritt häufig nach supratentoriellen Tumoroperationen auf. Die präoperativ meist begonnene Therapie mit Dexamethason muss fortgesetzt werden. Alle Faktoren, die zu einer Aggravierung führen könnten, müssen beherzt therapiert werden: Hyperkapnie, Hyperthermie, Hypoxie, Stress und Agitation des Patienten. Der Entstehung eines postoperativen Hirnödems können aber auch venöse (Sinusvenenverletzungen, Sinusvenenthrombosen) oder arterielle (Gefäßverschlüsse, Störung der Mikrozirkulation, langer Druck auf das Hirngewebe durch Hirnspatel) Durchblutungsstörungen zugrunde liegen. z
Postoperative Überwachung nach infratentoriellen Eingriffen Eingriffe bei infratentoriellen Prozessen können je nach Lokalisation und Art auch in sitzender Position oder in Bauch- oder Seitlage erfolgen. Bei sitzender Lagerung ist die Gefahr von (paradoxen) Luftembolien und Pneumenzephalus mit entsprechenden postoperativen Folgen zu beachten. Bei massiven, meist intraventrikulären und bifrontalen Luftansammlungen besteht die Möglichkeit eines Spannungspneumenzephalus durch Ausdehnung der Luft bei Erwärmung auf Körpertemperatur nach Duraverschluss. Hier besteht die Indikation zur Entlastung, meist durch ein Bohrloch. Luftem-
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
bolien können neben einem arteriellen Blutdruckabfall durch paradoxe Embolien mit entsprechenden fokal neurologischen Ausfällen durch einen gestörten pulmonalen Gasaustausch für die postoperative Überwachung relevant sein. Weitere postoperative Komplikationen sind möglich durch einen Hydrocephalus occlusus, postoperative Blutungen oder Hirnnervenausfälle. Ein Hydrocephalus occlusus tritt häufig bei Erkrankungen der hinteren Schädelgrube auf und muss bei der prä- wie postoperativen Versorgung dieser Patienten beachtet werden. Eine besonders kritische Situation entsteht bei Patienten mit beidem: einer akuten Raumforderung in der hinteren Schädelgrube und einem begleitenden Hydrozephalus. Beides kann ursächlich für eine klinische Verschlechterung sein, und beides muss entlastet werden. Die Anlage einer externen Ventrikeldrainage allein könnte die transtentorielle Herniation infratentorieller Strukturen begünstigen, ebenso zu einer Tumoreinblutung führen. Erfolgt eine Anlage präoperativ, muss die Entlastung vorsichtig und druckkontrolliert erfolgen bzw. die Drainage erst nach Duraeröffnung geöffnet werden. Die initiale Symptomatik einer Hirnstammkompression besteht in Störungen der Blutdruckregulation und der Atmung, aber auch in Herzrhythmusstörungen. > Durch das geringe Reservevolumen der hinteren Schädelgrube führen raumfordernde postoperative Blutungen viel schneller zu Komplikationen als supratentoriell lokalisierte Raumforderungen.
Während supratentorielle Prozesse auch klinisch durch Störung von Bewusstsein oder Pupillomotorik, aber auch durch fokal neurologische Symptome und ICP-Anstieg auffällig werden, fehlt dies als »Warnsymptomatik« bei infratentoriellen Prozessen, es droht das unvermittelte Auftreten einer lebensbedrohlichen Symptomatik. Da Raumforderungen in der hinteren Schädelgrube häufig mit Liquorabflussstörungen einhergehen, ist eine Ventrikeldrainage meist sinnvoll. Der gemessene Druck ist jedoch nicht repräsentativ, da oft keine freie Kommunikation supra- und infratentoriell möglich ist. Postoperative Ausfälle insbesondere der Hirnnerven III–XII sind nach infratentoriellen Eingriffen möglich. Augenmuskelparesen beispielsweise können nach Läsionen der Nn. III, IV und VI, aber auch nach Schädigung der Hirnnervenkerne oder des Fasciculus longitudinalis medialis resultieren. Eine differenzierte neurologische Untersuchung ist essenziell. Hervorzuheben sind Schäden des N. vagus: Durch einen unvollständigen Glottisschluss sind stille Aspirationen mit pneumonischen Komplikationen möglich. Ferner gehen Schäden von Nn vagus und glossopharyngeus mit einer Beeinträchtigung der pharyngealen und trachealen Schutzreflexe einher. Im Rahmen der Narkoseausleitung sind letztere Kriterien unmittelbar postoperativ nicht immer suffizient zu beurteilen und eine protrahierte Extubation auf der Intensivstation daher ratsam. z
Postoperative Überwachung nach Eingriffen im Bereich der Mittellinie Eingriffe im Bereich der Mittellinie betreffen meist Hypothalamus, Hypophyse oder 3. Ventrikel. Häufig sind hierbei Adenome, die funktionell in hormonell inaktive und hormonell aktive Tumoren (Wachstumshormon, Prolaktin, ACTH, LH, FSH, TSH) unterteilt werden. Hormonell inaktive Adenome führen zu einer Hypophysenvorderlappeninsuffizienz und zu einer Kompression der Sehbahn. Hormonell aktive Tumore gehen mit spezifischen Krankheitsbildern und einer erhöhten Mortalität einher, z. B. M. Cushing, Akromegalie oder Störung der ADH-Freisetzung mit konsekutiver Störung des Natrium- und Wasserhaushaltes (7 Abschn. 78.2.1 »Zentrale Regulationsstörungen«). Bei Aufnahme auf die Intensivstation ist die Kenntnis der präoperativen klinischen und endokri-
nologischen Situation sowie der präoperativen Substitutionstherapie essenziell. > Wichtig sind stündliche Visuskontrollen: Sekundärer Visusverlust und retroorbitale Kopfschmerzen sind alarmierende Hinweise auf eine Nachblutung. Wie bei allen intrakraniellen Eingriffen ist postoperativ die stündliche Kontrolle von Bewusstsein, Pupillenreaktion und Motorik indiziert.
Bezüglich der medikamentösen hormonellen Therapie sei auf weiterführende fachspezifische Literatur sowie 7 Abschn. 78.2.1 (»Zentrale Regulationsstörungen«) verwiesen. Hervorzuheben ist, dass im Rahmen einer Hypophysenunterfunktion eine Hypothyreose erst nach einigen Tagen postoperativ laborchemisch messbar ist, eine Nebennierenrindeninsuffizienz durch die kurze Halbwertszeit des freien Hormons hingegen rasch zu dramatischen Folgen führen kann. Bei der Substitutionstherapie mit Hydrokortison nach Schema gilt es, einen erhöhten Tagesbedarf durch perioperativen Stress, Fieber oder Infektionen zu beachten. Bei der postoperativen Betreuung von Patienten mit Morbus Cushing muss Augenmerk auf bestehende Immunsuppression mit erhöhter Rate an Pneumonien und Meningitis sowie auf die Komplikationen durch Diabetes mellitus, Hyperkoagulabilität, Kapillarfragilität und gastrointestinale Ulzera gelegt werden. Bei Akromegalie stehen neben Organkomplikationen respiratorische Einschränkungen und Intubationsschwierigkeiten im Vordergrund. Weitere Komplikationen nach Eingriffen im Bereich der Schädelbasis sind Liquorfisteln mit entzündlichen Komplikationen wie Hydrocephalus hypersecretorius oder Meningitis (1–3%). Bei Blutkontamination im 3. Ventrikel nach transventrikulären Eingriffen am/in der Nähe des Hypothalamus wird die sog. hypothalamische Hyperthermie beschrieben (Diagnose: Ausschlussverfahren und mikrobiologische Liquoruntersuchung). Hypothalamische Läsionen können eine charakteristische Trias aus Hyperthermie, Hypernatriämie und Koma bedingen und sind dann mit einer schlechten Prognose assoziiert. z
Postoperative Überwachung nach epilepsiechirurgischen Eingriffen Epilepsiechirurgie umfasst im wesentlichen 3 Therapieformen: 4 Resektion des epileptogenen Gewebes (v. a. temporal), 4 funktionelle Verfahren (Dekonnektion, funktionelle Hemisphärektomie) und 4 stimulierende Verfahren (z. B. Tiefenhirnstimulation). Fazit Generell sollten alle Patienten nach Kraniotomien mindestens 12 h intensivmedizinisch überwacht werden. Spezielle postoperative Komplikationen sind abhängig von Verfahren und operativem Zugangsweg: Seh- und Sprachstörungen, kontralaterale Hemiparese, Verschlusshydrozephalus, Störungen der Pupillomotorik und psychiatrische Komplikationen, ferner Blutungen und Infektionen.
Spezielle Aspekte: postoperative Infektionen und Meningitis Bei intrakraniellen Infektionen handelt es sich meist um sekundäre bakterielle Meningitiden nach intrakraniellen Eingriffen, als Komplikationen eines (offenen) SHT (offene Impressionsfrakturen, Schädelbasisfrakturen mit Liquorfisteln, Nasennebenhöhlenverletzungen mit Inokulation von Keimen des Nasen-Rachen-Raums) oder Folge externer Drainagen. Die beiden wichtigsten Risikofaktoren sind peri- bzw. postoperative Liquorfisteln und die Notwendig-
1013 78.3 · Spezielle Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
keit von Revisionseingriffen. Präoperative Antibiotikaprophylaxe konnte bei neurochirurgischen Patienten zwar die Rate an Hautinfektionen, nicht jedoch die Rate an tiefergelegenen Infektionen senken [34]. Das mikrobielle Spektrum beinhaltet häufig Keime des NasenRachen-Raums oder typische Krankenhauskeime (Pneumokokken, Meningokokken, Gruppe-B-Streptokokken, Listeria monocytogenes, Staphylokokken und gramnegative Enterobakterien). Die klassischen Symptome einer Meningitis sind Kopfschmerzen, Erbrechen, Nackensteife, Fieber, sekundäre Bewusstseinseintrübung, Krampfanfälle oder fokal neurologische Defizite. ! Cave Die bakterielle Meningitis ist ein absoluter Notfall: Der meist schwere Verlauf erfordert eine extrem rasche Diagnostik und Therapie. Durch den geringen Gehalt an Immunglobulinen und Komplementfaktoren im Liquor führen septische Kontaminationen zu dramatischen mikrobiellen Proliferationen.
Besteht der Verdacht, sollte binnen 1 h die Antibiotikatherapie begonnen werden – eine Verzögerung des Therapiebeginns um mehr als 3 h nach Krankenhausaufnahme ist mit einem signifikant schlechteren Outcome assoziiert und muss vermieden werden [35]. Noch am Aufnahmetag muss eine bildgebende Diagnostik durchgeführt werden, in der Regel ein Schädel-CT mit Knochenfenster, auch um differenzialdiagnostisch einen Abszess oder ein Empyem bzw. andere Ursachen einer Raumforderung (z. B. Hydrozephalus) auszuschließen. Eine Lumbalpunktion (Cave: erhöhter ICP und schlechter Gerinnungsstatus bei Sepsis) und die Abnahme von Blutkulturen sind obligat. Pathognomonische Liquorbefunde für eine bakterielle Infektion sind trüber Liquor mit einer Pleozytose von >1000 Zellen/ mm3), erhöhter Eiweißgehalt (>100 mg/dl) und erniedrigter Glukosegehalt (<40 mg/dl). Die adjuvante Therapie mit Dexamethason senkt die Letalität der bakteriellen Meningitis, insbesondere der Pneumokokkenmeningitis im Erwachsenenalter und reduziert die Zahl schwerer Hörstörungen und neurologischer Residualsymptome; dies bestätigte sich in der aktuellsten Metaanalyse von Van de Beek et al. [36]. Eine positive Wirkung von Dexamethason bei der Meningokokkenmeningitis konnte nicht belegt werden. Analog wird bei Patienten mit einer Meningitis als Folge einer bakteriellen Endokarditis und bei der bakteriellen Meningitis im Neugeborenenalter der Einsatz von Kortikosteroiden nicht empfohlen. Bei Verdacht auf eine bakterielle Meningitis (d. h. klinischer Verdacht plus trüber Liquor) sind 10 mg Dexamethason i.v. unmittelbar vor Gabe des Antibiotikums vorgesehen und dann 10 mg alle 6 h über 4 Tage. Eine Stressulkusprophylaxe wird empfohlen, ferner eine Low-dose-Heparinisierung zur Thromboseprophylaxe. Bei primär bewusstseinsgetrübten Patienten oder bei Vorhandensein von fokal neurologischen Defiziten sollten vor einer Lumbalpunktion im CT raumfordernde Prozesse und ein erhöhter Hirndruck ausgeschlossen werden (Einklemmungsgefahr). In diesem Fall sollte nach der Abnahme von Blutkulturen sofort mit der Gabe von i.v. Dexamethason und der i.v. Antibiotikatherapie begonnen werden. Die antibiotische Therapie muss initial nach Gewinnung von mikrobiologischem Probematerial rasch hochdosiert, »kalkuliert ungezielt« und intravenös erfolgen. Die empirische Therapie sollte gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gewählt werden. Sie ist abhängig vom Alter des Patienten und unterscheidet zwischen ambulant erworbener (Cephalosporin plus Ampicillin) und nosokomialer bakterieller Meningitis (Meropenem plus Vancomycin, plus Metronidazol bei operativem Zugangsweg
durch Schleimhäute) [37]. Möglichst schnell sollte ein Grampräparat angefertigt werden, um das Erregerspektrum weiter einzugrenzen. > Nach dem Infektionsschutzgesetz besteht Meldepflicht bei laborchemischem Nachweis von N. meningitidis, Listeria monocytogenes und Haemophilus influenzae in Blut oder Liquor.
Nach Therapiebeginn sollte die Fokussuche komplementiert werden, durch z. B. eine HNO-ärztliche-Konsiliaruntersuchung oder CT/MRT (parameningeale Entzündungsherde: Sinusitis). Mögliche CCT-Befunde bei bakterieller Meningoenzephalitis sind: 4 Hirnschwellung (Hirnödem; Hirnvolumenzunahme bei Sinus-/Venenthrombose), 4 Hydrozephalus, 4 Infarkte (bei zerebraler Vaskulitis oder septisch-embolischer Herdenzephalitis oder Stauungsinfarkte bei Sinus-/Venenthrombose), 4 intrazerebrale Blutung (bei Verbrauchskoagulopathie; Stauungsblutung bei Venenthrombose), 4 Zerebritis, 4 Ventrikulitis, 4 Hirnabszess, 4 subdurales Empyem (mit sekundärer Meningitis) oder parameningeale Infektionsherde im Knochenfenster (Sinusitis, Mastoiditis). Ebenfalls relevant bei der Diagnostik zerebrovaskulärer Komplikationen sind: MRT, TCD, Audiometrie oder akustisch evozierte Hirnstammpotenziale. Bei der intensivmedizinischen Versorgung müssen auch extrakranielle Komplikationen der bakteriellen Meningitis, v. a. in der Akutphase, erkannt und therapiert werden. Im Vordergrund stehen 4 septische Organkomplikationen, 4 Elektrolytstörungen (insbesondere SIADH, zerebrales Salzverlustsyndrom, zentraler Diabetes insipidus), 4 Sehstörungen (zerebrale Vaskulitis), 4 Hörminderungen, aber auch 4 spinale Komplikationen (Myelitis, spinale Vaskulitis). Ein erhöhter intrakranieller Druck muss entsprechend therapiert und ggf. eine externe intraventrikuläre Liquordrainage gelegt werden (ICP-Messung, Entlastung eines Hydrozephalus). Für die arteriellen zerebralen Gefäßkomplikationen (Arteriitis, Vasospasmus) gibt es bislang keine gesicherten Therapieoptionen. Eine PTTwirksame Heparinisierung ist bei septischen Sinus-sagittalis- oder Sinus-cavernosus-Thrombosen oder kortikalen Venenthrombosen indiziert. Bei Pneumokokken- und Listerienmeningitiden beträgt die Letalität 20–40%; bei Meningokokkenmeningitiden 3–10% [38]. Neurologische Residuen (insbesondere Hörstörungen, neuropsychologische Auffälligkeiten, Hemiparese, epileptische Anfälle, seltener Ataxie, Hirnnervenparesen und Sehstörungen wie z. B. homonyme Hemianopsie) werden bei 20–40% aller Patienten nach bakterieller Meningitis beschrieben. Differenzialdiagnostisch gilt es, andere Ursachen einer Meningitis abzugrenzen, z. B. 4 Pilzmeningitis (viral oder aseptisch), 4 postoperatives aseptisches Meningismussyndrom nach Eingriffen an der hinteren Schädelgrube bei 30% aller Kinder mit typischem Liquorbefund einer bakteriellen Meningitis (die Diagnose erfolgt durch negativen mikrobiologischen Nachweis, die Therapie mit Glukokortikoiden).
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4 tuberkulöse Meningitis, 4 parameningeale Eiterherde, 4 intrakranielle Abszesse (Hirnabszess, subdurales Empyem, epiduraler Abszess), 4 spinale Abszesse, 4 Neuroborreliose. Wegweisend sind in der Regel Klinik (Exposition, Hauteffloreszenzen), mikrobiologischer Keimnachweis in Blutkultur oder Liquor (Grampräparat, Antigennachweis mit der Latexagglutinationsmethode, PCR, Kultur) oder Procalcitonin-Bestimmung (bei der Differenzialdiagnose zwischen bakteriell und viral). Bezüglich Diagnose und Therapie anderer Ursachen einer Meningitis muss auf 7 Kap. 54 (»Infektionen des ZNS«) sowie auf weiterführende Fachliteratur und Leitlinien verwiesen werden.
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
Intrakranielle Blutung
Die differenzierte Betrachtung intrakranieller Blutungen lässt eine Einteilung nach ihrer Lokalisation (epidurale, subdurale, subarachnoidale und intrazerebrale Blutungen) oder gemäß dem zugrundeliegenden Pathomechanismus (spontane versus traumatische Blutung) zu. Nicht selten treten kombinierte Blutungen auf. Epi- und subdurale Blutungen sind meist traumatischer Genese (7 Kap. 68: »Schädel-Hirn-Trauma«). Dieses Kapitel thematisiert intrazerebrale (ICB) und subarachnoidale Blutungen (SAB).
Typisch für die ICB ist die Entstehung eines perifokalen Hirnödems, meist innerhalb der ersten 24–48 h nach dem initialen Blutungsereignis und mit einer maximalen Ausbreitung oftmals nach 1 Woche. Die zugrundeliegende Pathophysiologie ist noch nicht hinreichend erklärt, am ehesten vermutet man eine entzündliche oder ischämische Genese, ferner immunologische Phänomene oder exzitatorische Transmitter (v. a. Glutamat, im Rahmen von Apoptosephänomenen). Das klinische Korrelat sind sekundäre klinische Verschlechterungen. Tierexperimentelle Therapieansätze umfassen NMDA-Rezeptor-Antagonisten, Kalziumantagonisten, hyperbaren Sauerstoff oder Immunsuppressiva. Eine frühe chirurgische Hämatomentlastung scheint die Entwicklung des perifokalen Ödems zu verringern. Eine Therapieempfehlung für Kortikosteroide analog zum perifokalen Ödem bei intrazerebralen Tumoren existiert nicht. Die Symptomatik der ICB hängt von der anatomischen Lokalisation und der Größe der Blutung ab, tritt aber meist rascher ein als beim ischämischen Ereignis, das hier die wichtigste Differenzialdiagnose darstellt. Daher muss vor Therapiebeginn mit Antikoagulanzien bei Verdacht auf ein ischämisches Ereignis unbedingt eine Blutung durch bildgebende Verfahren ausgeschlossen werden. Sowohl bei der Akutversorgung als auch bei der intensivmedizinischen Therapie stehen neben einer differenzierten neurologischen Diagnostik im Vordergrund: 4 Sicherung der Vitalparameter, 4 Gerinnungsdiagnostik und ggf. hämostatische Therapie, 4 Blutdruckmanagement sowie 4 Prävention und Therapie von Sekundärkomplikationen.
Intrazerebrale Blutung (ICB) Einer spontanen intrazerebralen (Massen)Blutung (hämorrhagischer Apoplex) liegt häufig eine hypertensive Vasopathie zugrunde, aber auch Gerinnungsstörungen (meist im Rahmen einer Antikoagulanzientherapie), Aneurysmen, zerebrale Amyloidangiopathie, Tumoren/Metastasen, Stauungsblutungen bei Venen- oder Sinusthrombose, Vaskulitis oder andere Gefäßanomalien wie Angiome, AV-Malformationen, Durafisteln und Kavernome. Es gibt nur eine geringe Anzahl randomisierter kontrollierter Studien zur Therapie der ICB, sodass bislang auch nicht die Wirksamkeit von verschiedenen Behandlungsstrategien nachgewiesen werden konnte. Auch konnte trotz Verbesserungen im Bereich der Akutversorgung von Schlaganfallpatienten und der intensivmedizinischen Versorgung keine signifikante Verbesserung der Mortalität nach ICB erzielt werden [39]. Die ICB hat eine ungünstige Prognose: 50% der Patienten sterben, meist innerhalb der ersten 30 Tage. Die akute raumfordernde Wirkung der Blutung einerseits und diejenige sekundärer Effekte (perifokales Hirnödem oder Liquorzirkulationsstörungen) können neben der lokalen Gewebedestruktion zu einem kritischen ICPAnstieg mit Gefahr der transtentoriellen Herniation führen. Eine sekundäre Verschlechterung kann durch letztere sekundäre Effekte, aber auch durch eine erneute Blutung in den ersten Tagen, v. a. in den ersten 6 h, bedingt sein und ist ein prognostisch ungünstiges Zeichen für ein schlechtes Outcome. > Meist ist die Blutungszunahme unmittelbar nach der Diagnosestellung am größten. Dieses Wissen ist von großer Relevanz, da genau in dieser kritischen Phase Patienten sehr häufig im Rahmen der Diagnostik transportiert, gelagert und von wechselndem ärztlichem Personal betreut werden. Genau in dieser Phase ist es wichtig, eine kontinuierliche neurologische Überwachung und intensivmedizinische Versorgung zu gewährleisten.
Bislang gibt es keine verbindlichen Richtlinien hinsichtlich des Blutdruckmanagements. Es herrscht jedoch die allgemeine Annahme, dass eine zu rasche und starke Blutdrucksenkung v. a. bei großen Blutungen vermieden werden sollte, um einen ausreichenden zerebralen Perfusionsdruck zu gewährleisten. In der Akutphase empfehlen die aktuellen Richtlinien der American Stroke Association [40, 41] eine aktive Blutdrucksenkung erst bei Werten >200 mm Hg systolisch (MAP >150 mm Hg). Ohne Hinweise auf eine ICP-Erhöhung kann dann der systolische Blutdruck unter Werte von 160–180 mm Hg eingestellt werden, sonst nur unter Hirndruckmonitoring. Alle Richtlinien beruhen bislang auf Konsens und nicht auf wissenschaftlicher Evidenz. Der Vorteil der ICP-Messung bei intrazerebraler Blutung konnte bislang nicht belegt werden. Die begleitende sympathikoadrenerge Stressreaktion verkompliziert die Blutdruckeinstellung. Zur medikamentösen Therapie eignen sich in der Initialphase gut steuerbare Substanzen wie z. B. Urapidil und Clonidin, alternativ auch β-Blocker. Vasodilatanzien wie Nifedipin, Nitroglycerin oder Nitroprussid können im Rahmen der Akutversorgung in der Notaufnahme oder durch den Notarzt verwendet werden. Danach gelten sie wegen möglicherweise ICPerhöhender Wirkung als 2. Wahl. Patienten mit einer ICB müssen engmaschig überwacht werden (Stroke Unit). Bei bereits bestehender Vigilanzminderung oder ausgedehnten Befunden ist die Aufnahme auf eine Intensivstation indiziert. Es gilt zu beachten, dass sekundäre Verschlechterungen häufig und mitunter erst nach einigen Tagen auftreten, sodass von einer frühzeitigen Rückverlegung auf eine Normalstation Abstand genommen werden sollte, insbesondere bei Hinweisen im CT auf eine Liquorzirkulationsstörung. Der Hydrocephalus obstructivus stellt eine häufige Komplikation intrazerebraler Blutungen dar, entweder durch Kompression der Liquorabflusswege durch den raumfordernden Prozess selbst oder durch intraventrikuläres Blut. Die Indikation zur Anlage einer externen Ventrikeldrainage oder eines Shunts muss mit den Kollegen
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der Neurochirurgie diskutiert werden, ebenso die Indikation zur chirurgischen Hämatomausräumung. Bislang existieren keine evidenzbasierten Empfehlungen. Die Konsensusrichtlinien der American Heart Association sprechen sich nur bei Kleinhirnblutungen >3 cm Durchmesser mit neurologischer Beeinträchtigung oder Liquorabflussstörungen bzw. Hirnstammkompression für eine sofortige Hämatomausräumung aus; ein möglicher Benefit wird ebenfalls bei lobären Blutungen <1 cm unter der Hirnoberfläche gesehen [41]. Auch bei supratentoriell gelegenen Blutungen mit progredienter klinischer Verschlechterung kann ein operatives Vorgehen indiziert sein. Bei Thalamus- und Hirnstammblutungen, großen Befunden in der dominanten Hemisphäre oder initial komatösen Patienten (mit bilateralen Störungen der Pupillomotorik) ist eher Zurückhaltung geboten.
Subarachnoidalblutung (SAB) Das Auftreten einer SAB wird in allen Altersgruppen mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr beschrieben und ist nur sehr selten bei Kindern zu beobachten. Frauen erkranken etwa 2-mal so häufig wie Männer. Zudem gibt es Hinweise auf jahreszeitliche und zirkadiane Einflüsse: Blutungsgipfel morgens sowie im Winter und im Frühjahr. Im Gegensatz zur ICB hat sich die Prognose der akuten SAB in den letzten Jahren dank interventionell-radiologischer und mikrochirurgischer Behandlungsmethoden deutlich verbessert. Als Hauptursache einer SAB findet sich in 80% der Fälle die Ruptur eines zerebralen Aneurysmas, seltener andere Gefäßanomalien (zerebrale oder spinale Angiome). Ursächlich können auch Traumata sein, Tumoren, venöse Thrombosen, Infektionen oder Bluterkrankungen. Die pathophysiologischen Grundlagen (kongenital vs. erworben) konnten noch nicht hinreichend ergründet werden. Bei 33% der histopathologischen Untersuchungen des Bindegewebes von Patienten mit SAB ließen sich strukturelle Veränderungen ähnlich denen des Marfan-Syndroms nachweisen. In der Tat gibt es kongenital auftretende Erkrankungen wie das Marfan-, Ehler-Danlos-Syndrom oder die fibromuskuläre Dysplasie, die häufig mit intrazerebralen Aneurysmen assoziiert sind. Prädilektionsstellen für Aneurysmen, die sich meist langsam über Jahre entwickeln, sind die Gabelungen der intrakraniellen Arterien des Circulus arteriosus Willisii: A. communicans anterior (36%), A. carotis interna (16%), A. communicans posterior (16%) und A. cerebri media (13%). > Pathognomonisch ist der plötzliche diffuse Vernichtungskopfschmerz. Noch charakteristischer als seine Intensität ist das perakute Auftreten mit Erreichen des Schmerzmaximums binnen weniger Sekunden. 2/3 der Patienten zeigen eine verminderte Bewusstseinslage bei Aufnahme. Andere typische Erstsymptome sind Übelkeit, Erbrechen, Nackensteife und Krampfanfälle.
Bei immerhin 30% wird allerdings die Diagnose im Rahmen der Erstabklärung nicht gestellt. Sehr häufig werden retrospektiv sog. Warnblutungen, d. h. kleinere Blutungsereignisse, beschrieben. Fokal neurologische Symptome im Sinne von Frühwarnzeichen sind eher selten, aber bei Aneurysmen im Bereich der A. carotis interna mit Affektion des N. occulomotorius durch Sehstörungen möglich. Die prognostisch bedeutsame Klassifikation des klinischen Schweregrades erfolgt nach den Skalen von Hunt u. Hess [20] oder der World Federation of Neurological Surgeons [21] (7 Abschn. 78.2.2 »Neurologische Beurteilung« sowie . Tab. 78.2 und . Tab. 78.3). 10–15% der Patienten sterben noch vor Erreichen der Klinik. Die 30-Tages-Letalität inklusive Prähospitalphase beträgt 45–50%. Oberste Priorität bei der Diagnostik hat das CT mit einer sehr hohen Sensitivität bereits am 1. Tag. Beim Nachweis einer SAB muss
zur Lokalisation der Blutungsquelle eine DSA (zerebrale Angiographie) erfolgen; in 25% der Fälle finden sich auch multiple Aneursymen. Die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und -risiken sollten interdisziplinär diskutiert werden. An dieser Stelle werden nur einige Grundgedanken formuliert, für detaillierte Angaben wird auf die weiterführende fachspezifische Literatur verwiesen. Für die Aneurysmaausschaltung sind derzeit 2 Verfahren etabliert: 4 endovaskuläres Coiling und 4 mikrochirurgisches Clipping. Die prospektiv randomisierte, multizentrische ISAT-Studie [42, 43] schlussfolgert, dass zumindest bei SAB-Patienten, für die klinisch und angiographisch nach neurochirurgischer und neuroradiologischer Meinung beide Verfahren in Frage kommen, das Coiling die besseren klinischen Langzeitergebnisse liefert. Der OutcomeVorteil bleibt über mindestens 7 Jahre bestehen und wird auch nicht durch die in der Coiling-Gruppe häufiger auftretenden SABRezidive und Reinterventionen zunichte gemacht [44, 45]. In die ISAT-Studie wurden im Rahmen des »uncertainty principle« v. a. Patienten in relativ gutem neurologischem Zustand (88% WFNSGrade 1–2) und mit relativ kleinen Aneurysmen (92% <11 mm) der vorderen Zirkulation (97%) eingeschlossen. Allerdings sind in dieser Studie Patienten über 70 Jahre und mit vertebrobasilären Aneurysmen unterrepräsentiert, ebenso Patienten mit Aneurysmen der A. cerebri media, die häufig nach interdisziplinärem Konsens primär operiert werden. Der Zeitpunkt der Intervention wird in zeitlicher Anlehnung an das Auftreten von Sekundärkomplikationen gewählt: 4 In den ersten 4 Wochen nach einer Aneurysmaruptur kommt es ohne Aneurysmaausschaltung in ca. 40% der Fälle zu einer Reruptur, dann mit einer noch schlechteren Prognose als das Erstereignis. Das kumulative Risiko in den ersten 2 Wochen liegt bei 19%. 4 Das Auftreten von Vasospasmen (Verengungen der subarachnoidalen Arterien) zwischen Tag 4 und Tag 14 führt zu konsekutiven Perfusionsminderungen und »verzögerten ischämischen neurologischen Defiziten«. Hieraus generiert sich die Empfehlung einer möglichst raschen Aneurysmaausschaltung innerhalb der ersten 72 h nach der Blutung, d. h. noch vor Einsetzen der Vasospasmen. Dies stellt somit eine Sekundärprophylaxe und keine Therapie des Krankheitsbildes SAB dar. Patienten, die bereits zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme bewusstlos sind, haben eine sehr schlechte Prognose. Bei den initial noch wachen Patienten wird die Morbidität und Letalität nicht mehr von der Schwere der initialen Blutung bestimmt, sondern vielmehr von Sekundärkomplikationen und sekundären Hirnschäden, die im Zusammenhang mit der Aneurysmaausschaltung auftreten. Die wesentlichen Faktoren sind: Rezidivblutung, mit der Aneurysmaausschaltung assoziierte Komplikationen (z. B. akutes fokales neurologisches Defizit, AFND), vasospasmusbedingte ischämische neurologische Defizite, posthämorrhagischer Hydrozephalus und intensivmedizinische Komplikationen. Komplikationen der Aneurysmaausschaltung z Nachblutung Wie bereits erwähnt, geht eine Nachblutung mit einer hohen Letalität einher, das höchste Risiko besteht in den ersten Tagen nach dem initialen Blutungsereignis. Man vermutet arterielle Blutdruckanstiege als die häufigste Ursache. Eine invasive Blutdruckmessung ist daher obligat. Systolische Blutdruckspitzen >160 mm Hg sollten vermieden werden. Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung eines
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
adäquaten zerebralen Perfusionsdruckes (CPP=MAP–ICP). Bei Normotonikern scheint ein MAP von 70–80 mm Hg ausreichend, bei primär komatösen Patienten mit Hypertonus wird ein MAP von 60–90 mm Hg nahegelegt, um zerebrale Ischämien zu vermeiden. Die Inzidenz an Nachblutungen hat durch die zunehmende Praxis an Frühoperationen innerhalb der ersten 72 h und der Möglichkeit des frühen endovaskulären Aneurysma-Coilings deutlich abgenommen. z Hydrozephalus Die klinische Symptomatik eines Hydrozephalus entspricht derjenigen einer intrakraniellen Druckerhöhung: Kopfschmerzen, Erbrechen, Müdigkeit, zunehmende Vigilanzminderung bis hin zur Bewusstlosigkeit. Bezogen auf das zeitliche Auftreten unterscheidet man einen akuten (binnen der ersten 3 Tage), einen subakuten (nach 4–13 Tagen) und einen chronischen (ab 14 Tage) Hydrozephalus. Bei bis zu 25% aller Patienten mit SAB ist bereits im AufnahmeCT ein akuter Hydrozephalus apparent, allerdings wird dies nur bei 40% der Betroffenen klinisch symptomatisch. Ein akuter Hydrozephalus führt nicht in jedem Fall zu einem chronischen Verlauf: Bei 14–21% aller SAB-Patienten wird die Indikation für einen ventrikuloperitonealen Shunt gestellt. Das Risiko hierfür ist abhängig von: Lebensalter, WFNS-Grad, Hydrozephalus bei Aufnahme und Art der Aneurysmaausschaltung. Bei endovaskulärer Versorgung ist signifikant häufiger eine dauerhafte Liquorableitung notwendig als bei chirurgischer. Als Therapie der Wahl bei der Akutversorgung gilt die Anlage einer externen Ventrikeldrainage. Sie dient sowohl der Hirndruckmessung und Liquoranalyse als auch der Drainage von blutigem Liquor aus dem Subarachnoidalraum. Letzteres wird als therapeutische Maßnahme diskutiert, aufgrund einer signifikanten Korrelation zwischen subarachnoidaler Blutmenge und Inzidenz eines symptomatischen Vasospasmus. z Akut fokales neurologisches Defizit (AFND) Akute fokal neurologische Defizite beschreiben neurologische Defizite, die sich akut binnen weniger Stunden als direkte Folge einer SAB oder der Aneurysmaversorgung präsentieren. Ein AFND geht mit einer schlechten Prognose einher, begründet durch die Beobachtung, dass die häufigste Ursache (intrazerebrale Blutung nach Aneurysmaruptur in 20–40%) mit schweren neurologischen Beeinträchtigungen vergesellschaftet ist. Operativ oder interventionsbedingte Ursachen sind Clip-Stenosen mit konsekutiver territorialer Ischämie, thrombotisch bedingte Gefäßstenosen oder Coiling-assoziierte Gefäßkomplikationen. Postoperativ oder postinterventionell sollte daher umgehend eine neurologische Untersuchung, möglichst am wachen Patienten, durchgeführt und bei Verdacht auf ein neu aufgetretenes neurologisches Defizit zügig eine diagnostische Abklärung (CT-Angiographie, Kontrollangiographie) veranlasst werden. Differenzialdiagnostisch sind v. a. Vasospasmen, Hydrozephalus oder Meningitis abzugrenzen. z Vasospasmen Vasospasmen treten zwischen dem Tag 4 und 14 nach dem initialen Blutungsereignis auf. Verengungen der subarachnoidalen Arterien führen konsekutiv zu regionalen zerebralen Perfusionsminderungen und damit v. a. bei eingeschränkter zerebraler Autoregulation zu »verzögerten ischämischen neurologischen Defiziten« (»delayed ischemic neurological deficit«; DIND). Aufgrund des verminderten Nachblutungsrisikos infolge der Frühversorgung gelten Vasospasmen als die Hauptkomplikation nach SAB. Sie sind bei fast 75% aller
betroffenen Patienten angiographisch nachweisbar, jedoch nur bei 30% klinisch apparent als DIND. Die Symptomatik ist jeweils abhängig vom Versorgungsgebiet der betroffenen Gefäße (A. cerebri anterior: Antriebsminderung, hirnorganisches Psychosyndrom; A. cerebri media: kontralaterale Hemisymptomatik, ggf. Sprachstörungen) und kann blutdruckabhängig reversibel sein. Das Risiko steigt mit der Menge subarachnoidalen Blutes (CCT, Einteilung gemäß Fischer-Skala). Als zusätzlich begünstigende Faktoren werden Hypovolämie in der postoperativen Phase und Hyperglykämie angesehen. Als wichtigste diagnostische Maßnahme zur Früherkennung und Verlaufsbeurteilung, v. a. bei bewusstseinsgetrübten Patienten, gilt die transkranielle Dopplersonographie (Anstieg der mittleren Blutflussgeschwindigkeit >200 cm/s bzw. signifikanter Anstieg >ca. 50% im Verlauf, Nachteil: keine kontinuierliche Messmethode; 7 Kap. 16: »Zerebrales Monitoring, neurophysiologisches Monitoring«). In letzter Zeit nimmt hier auch die zerebrale Mikrodialyse einen zunehmenden Stellenwert ein. Die Diagnose »symptomatischer Vasospasmus« kann aber nicht allein durch Messbefunde, sondern immer nur im Zusammenhang mit einer neurologischen Verschlechterung gestellt werden. Erst dann besteht die Indikation zum Beginn einer Triple-H-Therapie. Therapie des Vasospasmus. Die Triple-H-Therapie (arterielle Hypertension, Hypervolämie und Hämodilution) gilt derzeit als Behandlung der Wahl bei symptomatischem Vasospasmus [46]. Die Effektivität der Triple-H-Therapie ist jedoch bisher nicht in prospektiven, kontrolliert randomisierten Studien bewiesen, und auch ihre Durchführung variiert stark. So ist unklar, welchen Anteil Hämodilution und Perfusionssteigerung am Therapieerfolg haben. Im klinischen Alltag zeigt sich jedoch, dass sich ischämische Symptome mildern oder voll reversibel sind, wenn frühzeitig innerhalb von Stunden nach Auftreten eines DIND mit der Therapie begonnen wird. Die Prophylaxe vasospasmusbedingter ischämischer neurologischer Defizite und Hirninfarkte erfolgt mittels oraler Gabe des Kalziumantagonisten Nimodipine (Nimotop) (6-mal 60 mg/Tag für 21 Tage). Die intravenöse Gabe ist nicht wirksamer als die perorale, hat ein höheres Risiko einer Hypotonie, und die Datenlage ist hier nicht ausreichend. Eine suffiziente Blutdruckerhöhung hat Priorität vor Nimodipingabe. In einem Cochrane-Review fand sich eine signifikante Senkung der Häufigkeit verzögerter ischämischer neurologischer Defizite (»number needed to treat«; NNT=20) [47]. Sie beruht aber v. a. auf einer großen Nimodipin-Studie. Die Mechanismen bleiben jedoch unklar. Die Wirkung resultiert eher aus einer Erhöhung der Ischämietoleranz (Neuroprotektion) und der Verbesserung der pialen Kollateralisierung als einer direkten Beeinflussung des Vasospasmus. Patienten in schlechtem klinischem Zustand (Schweregrade nach Hunt u. Hess 4–5), die das höchste Risiko eines Vasospasmus aufweisen, sind in den existierenden Studien nicht ausreichend repräsentiert. Da die Wirksamkeit von zermörserten Tabletten, die über die Magensonde verabreicht werden, eingeschränkt ist (Angabe des Herstellers) und der positive Effekt für intravenöses Nimodipin nicht ausreichend belegt ist, muss für diese Patientengruppe die Behandlungsempfehlung relativiert werden. Die prophylaktisch induzierte Triple-H-Therapie hat weder Einfluss auf die Inzidenz und die Ausprägung eines symptomatischen Vasospasmus noch auf das Outcome der Patienten und wird nicht empfohlen. Einer Hypovolämie hingegen muss unbedingt entgegengewirkt und eine Normovolämie aufrechterhalten werden. Antihypertensive Pharmaka sollten aus diesem Grunde zurückhaltend eingesetzt werden, v. a. da bei Patienten mit symptomatischem Vasospasmus sehr häufig die zerebrale Autoregulation gestört und
1017 78.3 · Spezielle Aspekte der neurochirurgischen Intensivmedizin
die zerebrale Perfusion somit vom arteriellen Blutdruck abhängig ist. Zur Kontrolle des Therapieziels »Hypervolämie« und zur Vermeidung von Organkomplikationen unter Therapie [Lungenödem, kardiopulmonale Dekompensation) ist ein angepasstes intensivmedizinisches Monitoring notwendig (zentralvenöser Druck, Flüssigkeitsbilanz, Körpergewicht, kontinuierliches hämodynamische Monitoring mittels transpulmonaler Thermodilution und arterieller Pulswellenanalyse (PiCCO, TEE, pulmonalkapillärer Verschlussdruck). In spezialisierten Zentren besteht die Möglichkeit, Vasospasmen endovaskulär zu behandeln mittels transluminaler Ballondilatation und intraarterieller Gabe vasodilatatorischer Substanzen. Die Ballondilatation kann insbesondere bei frühzeitigem Einsatz innerhalb von 2 h nach Auftreten eines DIND enggestellte Gefäßsegmente effektiv und anhaltend aufweiten und damit die neurologische Symptomatik verbessern. Die Methode ist aber für distale Gefäßabschnitte und diffuse Spasmen weniger geeignet. Bislang fehlen kontrollierte Studien zum neurologischen Outcome. Komplikationen treten in ca. 5% der Fälle auf, sind dann aber besonders schwerwiegend (Gefäßdissektion, -ruptur). Die intraarterielle Gabe von Kalziumantagonisten oder von Papaverin kann auch distale Segmente oder langstreckige Spasmen erreichen, ist dafür aber von zeitlich begrenzter Wirkung (ca. 3 h). Erfahrungen mit dieser Behandlung haben den Charakter von Fallberichten. Weitere Forschungsansätze zur Reduktion des Risikos verzögerter ischämischer Defizite (DIND) umfassen: Statintherapie (Pravastatin 40 mg/Tag) in den ersten 3 Tagen, intravenöse Magnesiumbehandlung und selektive ETA-Rezeptor-Antagonisten. Allerdings kann bislang keine generelle Handlungsempfehlung gegeben werden [48]. Ein weiterer erfolgversprechender Ansatz zur Prophylaxe des Vasospasmus ist die Implantation von »slow-release pellets« intrazisternal während der operativen Aneurysmaversorgung, die den vasodilatierenden Wirkstoff (z. B. Nicardipine) kontinuierlich über einen Zeitraum von 2–3 Wochen freisetzen. Neurologische Komplikationen Meningitis. Hier sei auf 7 Abschn. 78.3.1 (»Spezielle Aspekte: postoperative Infektionen und Meningitis«) verwiesen. Die klassischen Symptome einer Meningitis finden sich auch als Reizreaktion auf subarachnoidales Blut, dies wird dann als aseptische Meningitis bezeichnet. Die Inzidenz für eine bakterielle Meningitis liegt bei 6–22%. Sie steigt mit der Liegedauer einer Liquordrainage >15 Tage sowie bei einer Liquorfistel oder Katheterobstruktion (z. B. durch einen Blut-Clot), jedoch nicht mit dem Vorhandensein von Blut im Liquor oder einer ICB. Da in den ersten Tagen nach Anlage einer externen Ventrikeldrainage das Meningitisrisiko niedrig ist und häufige Liquorabnahmen das Infektionsrisiko erhöhen können, wird eine seltenere Liquorabnahme (z. B. 2-mal in der 1. Woche und täglich ab jedem weiteren Tag) empfohlen. Die externe Ventrikeldrainage sollte insbesondere bei abzusehender längerer Drainagepflichtigkeit frühzeitig (z. B. nach 7 Tagen) gewechselt werden bzw. in eine lumbale Drainage umgewandelt werden, was allerdings nicht immer effektiv ist, da über die lumbale Drainage häufig keine ausreichend hohe Drainagemenge zu realisieren ist. z Krampfanfälle und intrakranielle Hypertension Krampfanfälle werden bei bis zu 26% der Patienten mit aneurysmatischer SAB beobachtet, insbesondere in Zusammenhang mit der Blutung bei linksseitigem Mediaaneurysma. Die Routine-EEG-Diagnostik hat einen großen Stellenwert, insbesondere zum Ausschluss eines nonkonvulsiven Status epilepticus. Bei der SAB wird auch das Auftreten einer sog. »cortical spreading
depression« als Ursache einer neurologischen Verschlechterung bzw. DIND diskutiert. Zum Thema intrakranielle Hypertension sei auf 7 Kap. 49 (»Erhöhter intrakranieller Druck«) verwiesen. Nicht neurologische Komplikationen Neurogen-extrazerebrale Organfunktionsstörungen nach SAB betreffen v. a. das kardiopulmonale System (myokardiale Nekrosen, verminderte Herzauswurfleistung, neurogenes Lungenödem). z Pulmonale Komplikationen 22% der Patienten mit aneurysmatischer SAB erleiden pulmonale Komplikationen, zunehmend mit Lebensalter und Schweregrad der SAB. Dies ist dann mit einem schlechten klinisch-neurologischen Endergebnis assoziiert [49]. Nosokomiale Pneumonien, kardiogenes und neurogenes Lungenödem sowie Aspirationspneumonie sind zusammen für 85% aller pulmonalen Komplikationen nach SAB verantwortlich. Die hohe Letalität begründet sich durch die möglichen Organdysfunktionen wie ARDS, SIRS, Sepsis oder (Multi-) Organversagen. ! Cave Bei 35% der Patienten nach SAB finden sich Hinweise auf eine Herzinsuffizienz. Bei fehlender kardialer Abklärung und aggressiver Triple-H-Therapie besteht die Gefahr der kardiopulmonalen Dekompensation (Lungenödem).
z Elektrolytstörungen Oft zeitlich koinzident mit dem Vasospasmus entwickeln sich eine Natriurese, Hyponatriämie und Hypovolämie. Diese Komplikationen sind pathophysiologisch nur zum Teil verstanden (7 Abschn. 78.2.1: »Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt«) und begünstigen die sekundären Ischämien. z Hyperglykämie 80–100% der SAB-Patienten weisen bei stationärer Aufnahme eine Hyperglykämie auf. Dies wird assoziiert mit einer Vielzahl extrakranieller Komplikationen wie Lungenödem, Pneumonie und schweren neurologischen Komplikationen. Bei Patienten mit hochgradiger SAB und schweren fokalen Defiziten treten Hyperglykämien im Blut bei gleichzeitig kritisch erniedrigten Hirngewebsglukosespiegeln auf. Die Methode der zerebralen Mikrodialyse kann in diesen Fällen dazu beitragen, Patienten mit zerebral ausgeschöpfter Glukoseverstoffwechselung zu identifizieren und die Insulintherapie zu optimieren, um eine zerebrale metabolische Entgleisung zu vermeiden. z Kardiale Komplikationen 35% der Patienten mit SAB weisen Zeichen einer Herzinsuffizienz auf. Besonders am 1. und 2. postoperativen Tag werden kardiale Arrhythmien (30%, davon 5% lebensbedrohlich), gefolgt von Lungenödem (23%), Veränderungen der Leberwerte (24%) sowie Nierenfunktionsstörungen (7%) beschrieben. Die Häufigkeit des Auftretens von EKG-Veränderungen korreliert mit der Menge an subarachnoidalem Blut im CT nach der Fischer-Skala und wird mit bis zu 67% angegeben (in 30% Arrhythmien). Troponin I als Marker einer Myokardschädigung ist bei 20–30% der Patienten nach SAB erhöht und wird als Prädiktor für das Auftreten pulmonaler und kardialer Komplikationen diskutiert. In der Regel ist eine Normalisierung der EKG-Veränderungen im Verlauf ohne spezifische Therapie zu beobachten.
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78.3.3
Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
Schädel-Hirn-Trauma
Hier sei auf 7 Kap. 68 verwiesen, das bereits die wichtigsten Aspekte von Erstversorgung bis Beginn der Intensivtherapie, Prinzipien des Monitorings, Indikationen zur operativen Versorgung und die Basistherapie behandelt. An dieser Stelle werden nur einige Themen ergänzt bzw. hervorgehoben. Bei primär bewusstlosen Patienten oder bei Patienten, bei denen die Indikation zur Sedierung besteht, ist eine engmaschige neurologische Untersuchung essenziell. Eine neu aufgetretene Anisokorie muss dringlichst abgeklärt werden, durch bildgebende Verfahren, aber auch durch neurologische und augenärztliche Konsiliarärzte (Bulbustrauma). ! Cave Die Gabe eines Mydriatikums beim bewusstlosen Patienten stellt einen Kunstfehler dar. > 10% der Patienten mit SHT weisen eine begleitende Verletzung der Halswirbelsäule auf.
Auf Besonderheiten in Diagnostik und Therapie des Schädel-HirnTraumas bei Kindern kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Zerebrale Krampfanfälle Die posttraumatische Epilepsie nach SHT ist besonders häufig bei Patienten mit Kontusionen (fokale Läsionen). Frühe zerebrale Krampfanfälle innerhalb der 1. Woche nach dem traumatischen Ereignis sind in bis zu 30% der Fälle beschrieben [26]. Die prophylaktische Gabe von Antikonvulsiva in der Frühphase nach SHT wird sehr kontrovers diskutiert, reduziert sie zwar signifikant die Inzidenz, führt jedoch nicht zur Verbesserung des neurologischen Outcome. In der Spätphase, ab 7 Tage nach SHT, treten zerebrale Krampfanfälle ebenfalls relativ häufig mit 9–42% auf. Hier konnte eine prophylaktische Gabe das Auftreten nicht signifikant verringern. Generell kann somit keine Empfehlung zur Prophylaxe ausgesprochen werden [31]. Treten allerdings Krampfanfälle auf, sollten diese therapiert werden und eine antikonvulsive medikamentöse Einstellung erfolgen. Hierbei wird die Anlehnung an die neurologischen Leitlinien zur Therapie von Epilepsie empfohlen. > Bei anhaltender Bewusstlosigkeit, Änderungen der Vigilanz oder unklaren Änderungen neurokognitiver Funktionen muss differenzialdiagnostisch ein nonkonvulsiver Status epilepticus ausgeschlossen werden (mittels EEG).
z Gerinnungsstörungen bei SHT Nach einem Schädel-Hirn-Trauma sind z. T. gravierende Gerinnungstörungen bis hin zu einer Verbrauchskoagulopathie mit DIG beschrieben. Allerdings fehlen randomisierte Studien zur Diagnostik und Therapie. Eine ausgeprägte Gerinnungsstörung gilt als Kriterium für einen prognostisch ungünstigen Verlauf durch Verzögerung der operativen Versorgung und der Aggravierung von Sekundärschäden. Im Tierexperiment finden sich Hinweise auf Aktivierung der Gerinnungskaskade, insbesondere über traumatisch freigesetztes zerebrales Gewebethromboplastin (Faktor III). Zu den weiteren möglichen Mechanismen der Gerinnungsaktivierung zählt die Aktivierung des endogenen Gerinnungssystems und der Thrombozyten durch Faktor XII nach Schädigung des Gefäßendothels; Freisetzung von Plättchenfaktoren (Phospholipiden) aus v. a. Thrombozyten, Leukozyten und Erythrozyten; Aktivierung von Zytokinen mit vermehrter Expression von Thromboplastin; Aktivierung der
Gerinnungskaskade auf verschiedenen Ebenen durch zerebrale Hypoxie, Gewebeazidose und Störungen des zerebralen Blutflusses. Die Größe der Hirnläsion scheint mit dem Ausmaß einer Gerinnungsstörung assoziiert zu sein. Zudem scheint die Lokalisation der zerebralen Gewebsverletzung eine Rolle zu spielen: So findet sich eine DIG häufiger bei Verletzung thromboplastinreicher Areale, analog häufiger bei intra- vs. extrakraniellen Verletzungen. Dem Verletzungsmuster wird ebenfalls Bedeutung zugemessen: die Verletzung großer Gefäße trägt zu einer Verlustkoagulopathie bei; bei Schussverletzungen führt die Mitbeteiligung von multiplen Gefäßen entlang des Schusskanals zu einer Störung der Blut-HirnSchranke und begünstigt damit die Einschwemmung von v. a. Gewebsthromboplastin. Studien zeigen eine signifikante Korrelation zwischen dem Ausmaß der Gerinnungsstörung (gemessen an einem sog. DIC-Score) und dem initialen GCS-Score [50]. Am häufigsten verwendet wird der sog. modifizierte DIC-Score nach Kearney [51]. Dieser umfasst 5 Parameter (Thrombozytenzahl, Prothrombinzeit, aPTT, Fibrinspiegel, D-Dimer-Spiegel) und vergibt eine Punktzahl von 0–15 (5 Punkte sind hier Indikator einer Gerinnungsstörung). Die Therapie der Gerinnungsstörung muss an den 3-Phasenartigen Verlauf der DIC angepasst werden: Gabe von Gerinnungsinhibitoren (AT III) bzw. Antifibrinolytika, Gabe von niedrig dosiertem Heparin und Substitution reduzierter Gerinnungsfaktoren.
Thromboseprophylaxe Neurotraumatologische Patienten haben ein hohes Thromboserisiko: bis zu 50% ohne Prophylaxe. Der Beginn einer Thromboseprophylaxe wird in der Regel erst ab 36 Stunden nach dem Trauma empfohlen, allerdings sind hier häufig sehr individuelle Entscheidungen zu treffen. Bei hohem Blutungsrisiko wird einer nicht PTTwirksamen i.v. Heparinisierung dem Vorzug vor NMH gegeben.
78.3.4
Rückenmarkeingriffe und -verletzungen (spinales Trauma, spinale Blutung)
Epidemiologie und Pathogenese Rückenmarkverletzungen bei Intensivpatienten sind meist traumatischer Genese, seltener handelt es sich um Patienten mit spinalen Raumforderungen, arteriovenösen Malformationen oder Hämatomen. Die Häufigkeit von Rückenmarkverletzungen wird in Industrieländern mit 50 Neuerkrankungen pro Jahr pro 1 Mio. Einwohner angegeben, die Inzidenz kompletter Querschnittslähmungen mit 10–15. In Deutschland werden ca. 1200 traumatische Querschnittslähmungen pro Jahr gemeldet, bedingt durch Verkehrs- und Arbeitsunfälle, Suizidversuche, Sport- und Badeunfälle (Beschleunigungsverletzungen, Sturz aus großer Höhe). Führend handelt es sich um Polytraumatisierte mit Begleitverletzungen an Wirbelsäule und Rückenmark, aber auch pulmonale Komplikationen bei isolierten höhergelegenen Verletzungen des Zervikalmarks bedürfen oftmals einer intensivmedizinischen Versorgung. Bei Vorliegen eines SHT weisen 10% der Patienten begleitende Wirbelsäulenverletzungen auf, meist der HWS. Verletzungen der BWS gehen häufig mit einem Thoraxtrauma einher, bei Verletzungen der LWS gilt es, eine intraabdominelle Verletzung oder ein retroperitoneales Hämatom auszuschließen [52].
Klassifikation und Erstversorgung Bei traumatischen Rückenmarkverletzungen bestimmen v. a. folgende Faktoren die weitere Diagnostik und Therapie: 4 Höhe der Verletzung,
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4 Alter und Stabilität der Fraktur sowie 4 Ausprägung der neurologischen Komplikationen und Begleitverletzungen. Hier sei auf 7 Kap. 55 (»Querschnittslähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation«) verwiesen. > Die wesentliche Frage bei der Erstversorgung ist, ob es sich um eine stabile oder eine operativ versorgungspflichtige Wirbelsäulenverletzung handelt.
Bei Übergabe des Patienten auf die Intensivstation muss daher besprochen werden, ob es sich um eine stabile oder instabile Fraktur handelt, ob oder welche operative Stabilisierungsmaßnahmen ergriffen wurden und inwieweit eine Mobilisation des Patienten erlaubt ist. Die gleiche Sorgfalt ist bei nichttraumatischen postoperativen oder konservativen Rückenmarkpatienten anzuwenden. Mögliche Ursachen für Raumforderungen sind Hämatome, Pus (Abszesse) oder Tumoren, häufig auch Metastasen. Tumorbedingte Kompressionen entstehen selten innerhalb des Rückenmarks selbst, meist kommt es zu einer Einengung durch umgebende Strukturen. Zur Klassifikation der Wirbelsäulenverletzungen muss auf weiterführende Fachbücher verwiesen werden. Für die einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule existieren verschiedene Einteilungen, meist mit entsprechenden Leitlinien zur Versorgung. Erwähnt seien Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule: Die häufigsten Frakturen treten am Übergang auf. Operativ versorgt müssen Kompressionsfrakturen mit komplettem Berstungsbruch (Typ A3), Distraktions- (Typ B) und Rotationsverletzungen (Typ C). Verletzungen der oberen HWS (Okziput – HWK 2) sind überproportional häufig mit anderen Wirbelsäulenverletzungen assoziiert. Im Bereich der unteren HWS sind häufig degenerative Veränderungen vorbestehend (Myelopathie, Spinalkanalstenose). In diesem Fall können bereits geringere Auslöser wie HWS-Distorsionen zu gravierenden neurologischen Komplikationen führen. Beschrieben sind auch neurologische Ausfälle ohne radiologisches Korrelat (SCIWORA: »spinal cord injury without radiographic abnormality«), oft bedingt durch transiente ligamentäre Deformationen, häufiger bei Kindern. Ziel der Erstversorgung bei vermutetem spinalem Trauma ist die rasche Sicherung der Diagnose. Im Vordergrund steht die Prävention von Sekundärschäden [53]. Bei jedem Patienten mit Mehrfachverletzung ist bis zum Beweis des Gegenteils von einer Mitbeteiligung der Wirbelsäule und/oder des Rückenmarks auszugehen. Entsprechende Vorsicht ist bei Lagerung geboten (Stiffneck, Vakuummatraze). Umgekehrt müssen bei jedem Patienten mit frischem spinalem Trauma Mehrfachverletzungen vermutet werden: SHT, Rippenfrakturen, (Spannungs-)Pneumothorax, intraabdominelle Organmitbeteiligung (Milzruptur, Leberkapselhämatom) oder z. B. Ureterenverletzung. Deshalb ist neben dem genauen neurologischen Aufnahmebefund (lokale Verletzungszeichen, Motorik, Sensibilität, Reflexstatus, Blasen-Mastdarm-Funktion, kardiopulmonaler Status) ein genaues Bild über die bereits stattgefundene Diagnostik zu erheben und diese ggf. zügig zu komplettieren (Ultraschall Abdomen, Thoraxröntgenaufnahme, konsiliarische Stellungnahmen durch z. B. Chirurgie, Urologie, Ophthalmologie). Nach der Diagnosesicherung eines spinalen Traumas ist es in der Frühphase wichtig, engmaschig neurologisch zu überwachen, um klinische Befundverschlechterungen erfassen zu können. Diesen Verschlechterungen können die Entwicklung eines spinalen Hämatoms oder das Dislozieren instabiler Frakturen zugrunde
liegen. Sie bedürfen einer weiteren Abklärung und ggf. operativen Versorgung. Für die Beschreibung des Ausmaßes einer Lähmung empfehlen sich die Skala nach Frankel et al. [54] und die Klassifikation der American Spinal Injury Association [55] (ASIA, 7 Kap. 55: »Querschnittslähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation«; 7 Abb. 55.3). Die Einteilung nach Frankel unterscheidet nach funktionellen Kriterien 5 Schweregrade: 4 A: vollständige Lähmung, 4 B: motorisch komplette und sensibel inkomplette Lähmung, 4 C: motorisch inkomplette Lähmung ohne Funktionswert, 4 D: motorisch inkomplette Lähmung mit Funktionswert, 4 E: keine Lähmung/vollständige Erholung. Die AISA-Klassifikation basiert auf einem Punktesystem für motorische und sensible Funktionen und ist wesentlich komplexer. Beide Einteilungen eignen sich auch zur Verlaufsbeobachtung. Die Behandlung von Rückenmarkverletzungen in einem Zentrum ist nach frühestmöglicher Verlegung erstrebenswert, sowohl für die Akuttherapie als auch für die Frührehabilitation. Unter www.dmgp.at/zentren.htm findet sich eine Liste der deutschsprachigen Querschnittsgelähmtenzentren. z
Gabe von Kortikosteroiden nach akuten spinaler Traumatisierung In den Multizenterstudien NASCIS I–III (National Spinal Cord Injury Study) wurde die Wirksamkeit von Methylprednisolon nach akuten (nicht penetrierenden) Rückenmarkverletzungen analysiert. Die NASCIS-II-Studie [56] (NASCIS-II-Schema: Bolus 30 mg/ kg KG Methylprednisolon, Infusion 5,4 mg/kg KG/h über 23 h) konnte einen geringfügig positiven Effekt auf Sensorik und Motorik bis zu 6 Monate nach Trauma zeigen, nach 1 Jahr noch eine leicht verbesserte Motorik gegenüber der Kontrollgruppe. Diese positiven Effekte zeigten sich jedoch nur bei Therapiebeginn innerhalb von 8 h. Polytraumatisierte Patienten wurden nicht von der Studie ausgeschlossen, sind aber unterrepräsentiert. In der NASCIS-III-Studie zeigte sich jedoch 6 Wochen nach einem spinalen Trauma eine höhere Komplikationsrate an schwerer Sepsis und schwerer Pneumonie bei >48 h mit Methylprednisolon im Vergleich zu >24 h behandelten Patienten [57]. Alle relevanten Studien weisen methodische Schwächen auf, insbesondere bezüglich der Definition der Studienkriterien (z. B. penetrierendes vs. nicht penetrierendes spinales Trauma, isoliertes spinales Trauma vs. Polytraumatisierung), der Charakterisierung der Patientengruppen und Outcome-Parameter und schließlich dem Vorhandensein valider Kontrollgruppen. Der Arbeitskreis Neuroanästhesie der DGAI empfiehlt [58]:
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Angesichts der kontroversen Datenlage, der ungeklärten funktionell-neurologischen Endergebnisse, möglicherweise schwerer Nebenwirkungen und des Mangels eines klaren Beweises für die langfristige klinische Wirksamkeit des medikamentösen Konzeptes der Kortikosteroidtherapie bleibt die Entscheidung, Glukokortikoide nach akuter Rückenmarkschädigung zu applizieren, dem einzelnen verantwortlich Behandelnden überlassen. Der Entschluss, auf den Einsatz von Glukokortikoiden nach akuter spinaler Traumatisierung zu verzichten, kann nicht als therapeutische Unterlassung gewertet werden.
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Falls jedoch eine Therapie bei nicht penetrierenden Verletzungen erwogen wird, sollte diese frühestmöglich, aber spätestens binnen 8 h begonnen und nicht länger als 24 (–36) h fortgeführt werden.
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
Zur Orientierung wird das in der NASCIS-II-Studie gebrauchte Dosierungsschema empfohlen. Die schlechte Datenlage zur Verwendung von Kortikosteroiden bei penetrierenden spinalen Traumata lässt keine Schlussfolgerungen oder Empfehlungen zu. Analog zu intrakraniellen Prozessen kommt den Kortikosteroiden in der Therapie spinaler Kompression bei Tumorerkrankungen eine weniger umstrittene wichtige Rolle zu. Neben einer hochdosierten Therapie mit Dexamethason kommen hier Radiotherapie und Chemotherapie zum Einsatz, in seltenen Fällen ist ein operatives Vorgehen (Tumor-Debulking und anteriore Stabilisierung, Dekompressionslaminektomie) indiziert.
Komplikationen und Langzeitverlauf Die Frühletalität von Patienten mit spinalem Trauma beträgt zwischen 4–20% und wird v. a. bestimmt durch Patientenalter, Höhe der Rückenmarkläsion und Grad der Begleitverletzungen. Verglichen mit Patienten mit thorakalen Läsionen haben Patienten mit C1- bis C3-Läsionen ein 6,6-fach, mit C4- bis C5-Läsionen ein 2,5fach erhöhtes Letalitätsrisiko in der Akutphase. Im weiteren Verlauf bestimmen Organkomplikationen das Outcome, führend sind Sepsis, Lungenembolie und Pneumonie. Kardiopulmonale Komplikationen z Kardiovaskuläre Komplikationen Neben möglichen kardiovaskulären Komplikationen erfordern häufig pulmonale Probleme eine intensivmedizinische Behandlung. Eine hämodynamische Instabilität ist häufig bei polytraumatisierten Patienten, bedingt durch den Blutverlust oder die Begleitverletzungen. Primär durch die Rückenmarkverletzung bedingte kardiovaskuläre Komplikationen der Akutphase sind der spinale Schock und bradykarde Herzrhythmusstörungen. Der sog. spinale Schock mit Hypotension, Bradykardie und Hypothermie folgt nach maximaler Vasoparalyse ohne mögliche sympathikotone Gegenregulation. Diese Phase kann Tage bis Wochen dauern. Bradykarde Herzrhythmusstörungen treten nicht selten bei hohen zervikalen Läsionen (C1–C5) innerhalb von 2 Wochen nach einem spinalen Trauma auf. Meist handelt es sich um Bradyarrhythmien oder Sinusbradykardien, ein primärer Sinusarrest wird seltener beobachtet. Häufig wird dies auch bei Patienten mit thorakalen Läsionen bei Th1–Th4 in der Akutphase beschrieben, mit Tendenz zum Abklingen nach Ende des spinalen Schocks. Bei Manipulationen am Patienten (Kopflagerung, Absaugen) ist eine erhöhte Empfindlichkeit für eine vagale Stimulation zu beachten. Bei wirkungsloser medikamentöser Stimulation (Atropin, Orciprenalin) ist ein externer Pacer und u. U. die Implantation eines permanenten Herzschrittmachers erforderlich. Bei heterogener Genese kardiovaskulärer Komplikationen ist die Therapie symptomatisch. > Oberstes Gebot ist die rasche hämodynamische Stabilisierung und Aufrechterhaltung von Normotension sowie optimaler Oxygenierung.
z Pulmonale Komplikationen Diese können neben einer möglichen Lähmung der Interkostaloder Zwerchfellmuskulatur auch bedingt sein durch Verletzungen des knöchernen Thorax und/oder der Lungen (Rippenserienfrakturen, Pneumothorax, Hämatothorax, Lungenkontusionen). Die Intubationsmaßnahmen erfordern höchste Vorsicht, als Methode der Wahl gilt die fiberoptisch gestützte Intubation. In den ersten 12–24 h nach einem spinalen Trauma kann Succinylcholin verwendet werden. Binnen der ersten 3 Tage jedoch kann es zur peri- und extrajunktionalen Neubildung von Acetylcholin-
rezeptoren kommen. Diese neu gebildeten Rezeptoren vom fetalen Typ besitzen eine längere Öffnungszeit und induzieren damit einen etwa 2-fach höheren Kaliumefflux aus der Muskelzelle mit der Gefahr der Hyperkaliämie. Bei Läsionen zwischen C5 und Th1 ist bei (in-)kompletter Lähmung der Interkostalmuskulatur bei erhaltener Zwerchfelltätigkeit eine suffiziente Spontanatmung initial oft möglich. Das Zwerchfell als wichtigster Motor der Inspiration wird innerviert aus den Segmenten C3–C5; die Mm. intercostales externi aus Th1–Th11. Die Exspiration erfolgt passiv. Aktive Exspiration z. B. für den Hustenstoß, erfolgt mit Hilfe der Abdominalmuskulatur (Th7–L1). Im Verlauf kommt es deshalb häufig zu einer respiratorischen Verschlechterung. In der Frühphase sind auch akute, mitunter fulminante pulmonale Störungen beschrieben im Sinne eines neurogenen Lungenödems (7 Abschn. 78.2.1 »Zentrale Regulationsstörungen«). Bei einer Mitbeteiligung des Zwerchfells bei Läsionen oberhalb von C4 ist keine Spontanatmung möglich, die Langzeitprognose ist hier schlecht. Die frühzeitige Anlage eines plastischen Tracheostomas ist bei pulmonalen Komplikationen indiziert. Bei der Prävention oder Therapie pulmonaler Komplikationen stehen Basismaßnahmen wie rasche Mobilisierung und intensive Physiotherapie im Vordergrund. Eine rasche operative Stabilisierung der Wirbelsäule ist hier sehr wichtig. Bis dahin oder falls dies nicht möglich ist, werden 2-stündliche achsengerechte Lagerungsmaßnahmen (z. B. mit Hilfe von Rotationsbetten) empfohlen. Begleitmaßnahmen bestehen in der Gabe von Sekretolytika (i.v. oder per inh.), guter Mund-, Rachen- und Bronchialtoilette, Vermeidung eines Subileus zum Erhalt der Zwerchfellmobilität und Förderung des spontanen Hustenstoßes (z. B. durch tägliche Aufwachversuche). Die regelmäßige mikrobiologische Untersuchung von Sputum oder Trachealsekret (mindestens 1-mal/Woche) ermöglicht im Fall einer Pneumonie die rasche antibiotische Therapie nach Resistenzlage. Spätestens jedoch vor Beginn einer Antibiotikatherapie sollte eine mikrobiologische Probengewinnung erfolgen. Gastrointestinale Komplikationen Gastrointestinale Komplikationen werden am häufigsten in Form von Motilitätsstörungen oder Stressulzera beobachtet. 10% der Patienten mit spinalem Trauma entwickeln Stressulzera, daher besteht die Indikation zur medikamentösen Ulkusprophylaxe. Die Diagnose kann bei einer Sickerblutung und bei gleichzeitig eingeschränkter Algesie erschwert sein. Eine Subileussymptomatik tritt bei fast allen Patienten in der Frühphase auf, deshalb sollten von Anfang an unterstützende Maßnahmen getroffen werden. Ein akutes Abdomen stellt in 10–15% der Fälle die Todesursache nach Rückenmarkverletzungen dar [59]. Thromboembolische Komplikationen Details 7 Abschn. 78.2.2 (»Basistherapie«). Urovesikale Komplikationen Details 7 Kap. 55 (»Querschnittslähmung: Akutbehandlung und Rehabilitation«). Ein transurethraler Dauerkatheter sollte im Rahmen der Erstversorgung bei Aufnahme bei einem spinalen Trauma gelegt werden (zur Bilanzierung, insbesondere bei schlaffer Blasenlähmung), nach 48 h empfiehlt sich zur Vermeidung von häufigen Komplikationen wie Blaseninfektionen oder Urethrastrikturen eine suprapubische Ableitung oder, falls ausreichend, sterile intermittierende Katheterisieren.
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Dekubitalulzera Das Risiko für die Entwicklung von Dekubitalulzera ist bereits in der Frühphase sehr hoch, bedingt durch verminderte Hautdurchblutung bei Hypotension, Immobilisation, Hautreizungen bei Inkontinenz. Es empfiehlt sich der Einsatz von speziellen Betten, um 2-stündliche Lagerungswechsel zu gewährleisten. Spastik und autonome Hyperreflexie Die Therapie einer muskulären Spastik erfolgt neben der intensiven Physiotherapie medikamentös mit Baclofen (Therapiebeginn 3-mal 5 mg p.o., Steigerung einer Einzeldosis um 5 mg alle 3 Tage, maximal 30–75 mg/Tag, Dosisreduktion bei Leber- und Niereninsuffizienz). Bei fehlendem Erfolg nach oraler Applikation besteht der nächste Schritt in der intrathekalen Gabe. Es können mitunter erhebliche Nebenwirkungen auftreten, sodass die Therapie damit vertrauten Zentren vorbehalten sein soll.
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Kapitel 78 · Intensivtherapie nach neurochirurgischen Eingriffen
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1023
Organtransplantation Kapitel 79
Behandlung von Organspendern
Kapitel 80
Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
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Behandlung von Organspendern T. Bein
79.1
Hirntodfeststellung – 1026
79.1.1 79.1.2 79.1.3 79.1.4 79.1.5 79.1.6
Definition des Hirntodes – 1026 Voraussetzungen zur Feststellung des Hirntodes – 1026 Untersuchungen zur Feststellung des Hirntodes – 1026 Qualifikation der Untersucher – 1028 Apparative Zusatzuntersuchungen – 1028 Todeszeitpunkt und Dokumentation – 1029
79.2
Intensivmedizinische Behandlung des Organspenders – 1030
79.2.1 79.2.2 79.2.3
Einleitung – 1030 Pathophysiologische Konsequenzen des Hirntodes – 1030 Spezielle Kriterien für die Eignung zur Spende – 1032
Literatur – 1033
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_79, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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Kapitel 79 · Behandlung von Organspendern
79.1
Hirntodfeststellung
79.1.1
Definition des Hirntodes
Definition Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten. (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer)
Nach Feststellung des Hirntodes ist die Organentnahme zum Zwecke der Transplantation möglich, sofern der Verstorbene zu Lebzeiten eine gültige Willensbekundung vorgenommen hat (z. B. mittels Organspendeausweis) oder – bei Fehlen einer solchen Bekundung – die Verwandten/Angehörigen den bekannten oder mutmaßlichen Willen erklären. Darüber hinaus ergeben sich medizinische (z. B. Malignomerkrankung) und juristische Besonderheiten (bei nicht natürlicher Todesursache), welche zuvor abgeklärt werden müssen.
Die Entscheidung zur Organspende des Verstorbenen gilt als unabdingbare (rechtliche) Voraussetzung zur Organentnahme. Bei Fehlen einer schriftlichen Willensbekundung zu Lebzeiten (z. B. Organspendeausweis) muss für diese Entscheidung unter Einbeziehung der nächsten Verwandten/Angehörigen der mutmaßliche Wille des Verstorbenen ermittelt werden (sog. »erweiterte Zustimmungsregelung« durch das Transplantationsgesetz von 1997)).
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Bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen eines kompletten Ausfalls der Hirnfunktionen sollte – unter Beachtung der Voraussetzungen ‒ unverzüglich die Hirntoddiagnostik vorgenommen werden. Die behandelnden Ärzte sind verpflichtet, den festgestellten Hirntod eines Patienten der zuständigen Koordinierungsstelle der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) oder dem zuständigen Transplantationszentrum mitzuteilen. Über die medizinische Eignung für oder Kontraindikationen gegen die Organentnahme wird interdisziplinär entschieden. Die Bundesärztekammer hat ‒ entsprechend § 3 Abs. 2 Pkt. 2 Transplantationsgesetz (TPG) – die Verfahrensregeln zur Feststellung des Hirntodes vorgegeben. Die Hirntoddiagnostik ist sowohl an bestimmte klinische Voraussetzungen als auch an eine spezielle Qualifikation der Untersucher geknüpft.
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79.1.2
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Voraussetzungen zur Feststellung des Hirntodes
Der klinische Verdacht auf das Erlöschen sämtlicher Hirnfunktionen und somit die Bedingungen zur Einleitung entsprechender Untersuchungen sind gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 4 Akute schwere Hirnschädigung: 4 Primär: direkte traumatische oder nicht traumatische Hirnschädigung, z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Hirninfarkt, intrazerebrale oder subarachnoidale Blutung, Enzephalitis, Hirntumor, akuter Verschlusshydrozephalus). Bei primärer Hirnschädigung wird zwischen supra- und infratentorieller Läsion unterschieden.
4 Sekundär: Hirnschädigung infolge ausgeprägter hypoxischischämischer Läsion nach Kreislaufstillstand, Intoxikation oder Lungenerkrankung sowie infolge Hypoglykämie. Vor der Feststellung des Hirntodes muss ausgeschlossen werden, dass andere Einflussfaktoren an der bestehenden Hirnstörung beteiligt sind. Zu diesen gehören: Schock/schwere Hypotension (systolischer Blutdruck <80 mm Hg), Intoxikation/Medikamenteneinwirkung, Hypothermie (Körperkerntemperatur <36°C), schwere Störung des Elektrolyt- oder Säure-Basen-Haushalts, endokrinologische oder metabolische Stoffwechselentgleisung. > Die Hirntoddiagnostik darf nur bei Kreislaufstabilität (systolischer Blutdruck ≥80 mm Hg sowie bei ausreichender Körperkerntemperatur (≥36°C) durchgeführt werden.
Für den Intensivmediziner klinisch bedeutsam ist der Ausschluss des Einflusses sedierender oder analgesierender Medikamente, welche im Rahmen der Behandlung (häufig kontinuierlich via Perfusor!) verabreicht wurden. In diesen Fällen muss eine Pause von mindestens 24 h zwischen der Beendigung der Analgosedierung und der Hirntoddiagnostik eingehalten werden. Bei längerdauernder, hochdosierter Infusion von Benzodiazepinen (Midazolam!) kann wegen der ausgeprägten Tendenz zur Gewebekumulation dieser Zeitraum verlängert sein. In diesen Fällen sollte eine Serumspiegelbestimmung durchgeführt werden. > Nach Beendigung einer kontinuierlichen Analgosedierung mit Benzodiazepinen/Opioiden via Perfusor muss mindestens 24 h vor Einleitung der Hirntoddiagnostik gewartet werden, um einen Überhang auszuschließen. Im Zweifel können Konzentrationsbestimmungen dieser Substanzen im Serum durchgeführt werden.
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Beobachtungszeit. Sie beträgt bei primärer Hirnschädigung für Erwachsene und Kinder ab dem 3. Lebensjahr 12 h, für Kinder unter 2 Jahren 24 h und für reife Neugeborene (erste 4 Lebenswochen) 72 h; bei sekundärer Hirnschädigung ist für alle Patienten eine Beobachtungsdauer von 72 h gefordert (. Abb. 79.1).
79.1.3
Untersuchungen zur Feststellung des Hirntodes
Die klinischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktionen werden nach einem von der Bundesärztekammer vorgegebenen Musterprotokollbogen wie im Folgenden dargestellt dokumentiert (abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de). Komanachweis. Fehlen jeglicher Reaktionen, spontaner mimischer Äußerungen und Grimassieren oder Abwehrbewegungen auf Schmerzreize (z. B. kräftiger Druck mit dem Reflexhammerstiel auf Finger- und Fußnägel, Druck auf den oberen Orbitarand, die Kiefergelenke oder das Nasenseptum). ! Cave Bei Störungen der sensiblen Leitungsbahnen (Querschnittslähmung, Guillain-Barré-Syndrom) können die Reaktionen auf Schmerzreize an den Extremitäten fehlen. Bei Gesichtsschädelverletzung kann die Wahrnehmung von Schmerzreizen an den supraorbitalen Nervenaustrittspunkten und an der Nasenschleimhaut beeinträchtigt sein.
1027 79.1 · Hirntodfeststellung
. Abb. 79.1 Hirntodalgorithmus. Algorithmus zum Vorgehen bei schweren Hirnschädigungen, bei denen ein Erlöschen der Hirnfunktionen vermutet wird
Eine besondere, häufig irritierende Ausdrucksform des Hirntodes ist das Auftreten von spontanen oder bei Berührungen ausgelösten ungerichteten Bewegungen der Extremitäten oder des Rumpfes. Es handelt sich um eine Enthemmung spinaler Reflexschablonen durch den Wegfall inhibierender Einflüsse des Gehirns auf das Rückenmark. Auch vegetative Äußerungen (wie Hautrötung, profuses Schwitzen, Tachykardie, plötzlicher Blutdruckanstieg), das Auftreten von Muskeleigen- und Bauchhautreflexen, Beugesynergien und Babinski-Zeichen sind bei bereits eingetretenem Hirntod möglich. Fehlen der Pupillenreaktion. Mittelweite (4 mm) bis weite (9 mm) Pupillen. Keinerlei Reaktion auf Lichteinfall. Artifizielle Beeinträchtigungen der Pupillenreaktion – wie Trauma der Kornea oder des Bulbus, lokale Anwendung von pupillenwirksamen Substanzen – wie auch vorbestehende Pupillenanomalien sind auszuschließen. Fehlen des okulozephalen Reflexes. Seitdrehungen des Kopfes aus der Mittelposition um 90° führen nicht zu Gegenbewegungen der Bulbi. Auch Bulbusbewegungen nach oben infolge rascher Nackenbeugung fehlen. Bei vermuteter oder nachgewiesener Instabilität der Halswirbelsäule kann eine beidseitige kalt-kalorische Vestibularisprüfung (Auslösung von Nystagmus) durchgeführt werden. Fehlen des Kornealreflexes. Das reflektorische Blinzeln bei Berüh-
rung der Kornea unterbleibt. Der Kornealreflex weist einen trigeminofazialen Reflexbogen auf, deshalb kann er bei traumabedingter Schädigung der genannten Nerven ausfallen (z. B. bei Orbita- und Felsenbeinfrakturen). In solchen Fällen ist die Bewertung für die Hirntoddiagnostik nur eingeschränkt möglich. Fehlen des Rachen- und Trachealreflexes. Tiefes, endotracheales,
bzw. pharyngeales Absaugen führt nicht zur Auslösung eines Hustenreflexes oder zur Würgereaktion. Apnoetest. Der Apnoetest ist ein wesentlicher Hinweis auf die erloschenen Hirnstammfunktionen. Er sollte als letzter Test durchgeführt werden, wenn alle anderen Untersuchungsergebnisse mit der Diagnose des Hirntodes kompatibel sind. Zur Durchführung des Apnoetests wird der Patient zunächst für einige Minuten mit reinem Sauerstoff beatmet, sodass der arteriel-
le Sauerstoffpartialdruck (paO2) auf mindestens 200 mm Hg steigt. Anschließend wird der Patient vom Respirator diskonnektiert, oder es wird eine apnoeische Ventilation mit reinem Sauerstoff vorgenommen. Es empfiehlt sich nicht, den Patienten in dieser Phase am Beatmungsgerät zu belassen, da moderne, »sensibel« eingestellte Trigger eine Spontanatmungsaktivität vortäuschen können. Etwa 5 min nach Beginn des Apnoetests werden die arteriellen Blutgaswerte bestimmt, da nach Maßgabe des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ein paCO2 von ≥60 mm Hg zur Beurteilung und Dokumentation der Apnoe gefordert ist. In Abhängigkeit von einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion kann sich während der »Wartezeit« bis zur dokumentierten Hyperkapnie eine Desaturation (SaO2<90%) entwickeln. In dieser Situation wird eine kurze Beatmungszeit mit niedrigen Tidalhüben und reinem Sauerstoff empfohlen. Auch weitere Störungen können sich unter Hyperkapnie einstellen (Hypotension, Herzrhythmusstörungen). Bei kritischer Verschlechterung des Zustands unter Hyperkapnie im Rahmen des Apnoetests oder bei anderen Konstellationen, welche die Beurteilung einer möglichen Atemexkursion erschweren, muss der Patient zunächst stabilisiert und die Untersuchung verschoben werden. Die präzise Erfassung der Apnoe als wichtiges Zeichen der erloschenen Hirnfunktionen erfordert eine optimale Vorbereitung und gewissenhafte Durchführung mit der Beobachtung und Dokumentation eines zweifelsfrei eingetretenen Atemstillstandes. Bei Zweifeln oder unterschiedlichen Interpretationen kann das Hirntodprotokoll nicht abgeschlossen werden. ! Cave Spinale Automatismen können Atembewegungen vortäuschen. Weitere, ergänzende klinische Untersuchungsmöglichkeiten zum Nachweis ausgefallener Hirnstammfunktionen. Das Fehlen
folgender Reflexe unterstützt die Diagnose »Hirntod«, ist aber weder beweisend noch vorgeschrieben. Es handelt sich um 4 Ausfall des bulbovagalen Reflexes (okulokardialer Reflex): Die Herzfrequenz sinkt nicht bei starkem Druck auf die Bulbi. 4 Ausfall des vestibulookulären Reflexes: Spülung des äußeren Gehörgangs mit etwa 50 ml kalten Wassers (Eiswasser) führt nicht zu einer langsamen, tonischen, ipsiversiven Bulbusbewegung wie bei komatösen Patienten mit intaktem Hirnstamm. Diese Untersuchungen sind – wie auch der Atropintest – nicht obligatorisch. Sie können zusätzlich zur Bestätigung der vorgeschriebenen Untersuchungen durchgeführt werden. 4 Atropintest: Bei Ausfall des dorsalen (parasympathischen) Vaguskerns im kaudalen Hirnstamm kommt es nach Injektion von 2,0 mg Atropin nicht zu einer Tachykardie. Zu beachten ist allerdings: Ein Atropin-induzierter Herzfrequenzanstieg schließt den Hirntod aus, umgekehrt jedoch ist ein fehlender Herzfrequenzanstieg kein Beweis für den eingetretenen Hirntod. > Aus medizinischer und juristischer Sicht ist nicht nur der Nachweis des Ausfalls der Gesamtfunktion des Gehirns, sondern auch der Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome gefordert. Dies impliziert eine Wiederholung der klinischen Untersuchung nach den oben angegebenen Fristen der Beobachtungszeit. Selbstverständlich dürfen sich in der Zwischenzeit keine Hinweise auf eine noch intakte Hirnfunktion ergeben.
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79.1.4
Kapitel 79 · Behandlung von Organspendern
Qualifikation der Untersucher
»Die beiden den Hirntod feststellenden und dokumentierenden Ärzte müssen über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen verfügen.« (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer), eine spezielle Fachrichtung ist hierfür aber nicht vorgeschrieben. Die Ärzte sollen die Untersuchung unabhängig voneinander vornehmen. Sie dürfen im Fall einer Organtransplantation weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen des Verstorbenen beteiligt sein oder Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist. Die Untersuchungsergebnisse und der Zeitpunkt ihrer Feststellung müssen von den Ärzten unter Angabe der zugrunde liegenden Befunde dokumentiert und anschließend unterschrieben werden. Die Gelegenheit zur Einsichtnahme der Untersuchungsbefunde ist den nächsten Angehörigen sowie anderen nahestehenden Personen zu gewähren.
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79.1.5
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Zum Nachweis der Irreversibilität können statt einer zweiten klinischen Untersuchung bestimmte apparative Zusatzuntersuchungen verwendet werden, welche hinsichtlich ihrer Aussagekraft evaluiert wurden. Die vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer akzeptierten Zusatzuntersuchungen sind: das Elektroenzephalogramm (EEG), die multimodal evozierten Potenziale (EVP), die Dopplersonographie und die zerebrale Perfusionsszintigraphie. Die Durchführung einer Zusatzuntersuchung ist ausreichend. Manche Methoden sind jedoch in Handhabung und Bewertung sehr von der individuellen Erfahrung der Untersucher abhängig. Außerdem können bestimmte methodische Schwierigkeiten auftreten, die zu Fehlinterpretationen führen und die Diagnose »Hirntod« in Frage stellen. Daher dürfen untersuchende Ärzte nur diejenigen Methoden verwenden und deren Ergebnisse interpretieren, mit welchen absolute Routine und Vertrautheit besteht und die keine uneindeutigen Befunde zulassen.
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Apparative Zusatzuntersuchungen
Elektroenzephalographie (EEG)
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Die standardisierte Ableitung eines Elektroenzephalogramms muss über 30 min einen völligen Ausfall der bioelektrischen Hirnaktivität (sog. Nulllinien-EEG) aufweisen. Der Nachweis der Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ist somit gegeben. Allerdings können Artefakte im Zeitalter der elektronisch »hochgerüsteten« Intensivstationen – bedingt durch elektronische Signale von Beatmungsgeräten, Alarmsystemen etc. – die Beurteilung des Elektroenzephalogramms beeinträchtigen. Studien haben zudem interindividuelle und sogar intraindividuelle Diskrepanzen bei der (wiederholten) Befundung gezeigt. Die Ableitung ist zeitaufwändig und dauert nicht selten 2 h und mehr. ! Cave Intoxikationen mit Sedativa (z. B. Barbiturate, Benzodiazepine) oder Succinylcholin können eine elektrozerebrale Stille vortäuschen. Die korrekte, artefaktfreie Ableitung eines Nulllinien-EEG über 30 min ist auf modernen Intensivstationen erheblich erschwert.
Wegen der Problematik der Artefakterzeugung und der Schwierigkeit der Intepretation wird auf vielen Intensivstationen das EEG als apparative Zusatzuntersuchung nicht angewendet. Bei bestimmten
Hirnschädigungen (primäre infratentorielle Lokalisation) hat allerdings die EEG-Untersuchung nach wie vor einen hohen Stellenwert. > Im Fall einer primär infratentoriellen Hirnschädigung ist zur Feststellung des Hirntodes der Nachweis eines Nulllinien-EEG oder des zerebralen Kreislaufstillstands erforderlich; nur so kann belegt werden, dass auch die Funktion des Großhirns und nicht nur diejenige des Hirnstamms erloschen ist.
Evozierte Potenziale Akustisch (AEP) oder somatosensibel (SEP) evozierte Potenziale weisen den Vorteil auf, dass sie von Sedativa, Anästhetika und metabolischen Enzephalopathien nicht nennenswert beeinflusst werden. Dennoch sind Durchführung und Interpretation dieser Zusatzuntersuchung abhängig von der Erfahrung des Anwenders. Akustisch evozierte Potenziale (AEP). Die Wellen I und II ent-
stehen im Hörnerv. Ihre Darstellung auf einer oder beiden Seiten belegt die Intaktheit von Innenohr und Hörnerv. Die Wellen III‒V werden im Hirnstamm generiert. Sie verschwinden beim Erlöschen der Hirnstammfunktionen. Das Fehlen der frühen akustisch evozierten Potenziale ist aber kein sicheres Hirntodzeichen, denn eine vorbestehende Taubheit oder eine Läsion des Hörnervs, z. B. infolge einer Felsenbeinquerfraktur oder einer Meningitis, können zum Ausfall geführt haben. Fehlende akustisch evozierte Potenziale mit und ohne Persistenz der Welle I werden auch bei einer Thrombose der A. basilaris beobachtet. Es wird daher bei Nichtdarstellbarkeit der AEP das Vorhandensein einer Voruntersuchung mit noch nachweisbarer Welle I gefordert. Anderenfalls ist der Befund erloschener AEP-Wellen für die Hirntoddiagnostik nicht interpetierbar. Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP) des N. medianus. Die
Ableitung der SEP nach bilateraler Medianusstimulation ist als Irreversibilitätsnachweis des Hirnfunktionsverlusts bei primär supratentoriellen und sekundären Hirnschädigungen jenseits des 2. Lebensjahres geeignet. Für primär infratentorielle Schädigungen gelten andere Untersuchungsbedingungen (▶ EEG). Eine Rückenmarkschädigung soll ausgeschlossen sein. Die Medianus-SEP müssen bei der Hirntoddiagnostik grundsätzlich auf beiden Seiten untersucht werden. Beim Hirntod fallen die Komponenten N13 (ableitbar über dem 2. Halswirbelkörper) und der kortikale Primärkomplex bei Fz-Referenz aus. Die Kette der Farfield-Potenziale bricht spätestens nach der Komponente N11/ P11 bei extrakranieller Referenz und Ableitung über der sensiblen Hirnrinde ab. Die kortikalen Antworten erlöschen jedoch oft schon vor Eintritt des definitiven Hirntodes. Das Potenzial über dem 7. Halswirbelkörper (N13a) ist üblicherweise vorhanden, kann aber bei einer zusätzlichen Schädigung des Halsmarks fehlen. > Die Ableitung akustisch oder somatosensibel evozierter Potenziale erfordert Erfahrung in Durchführung und Befundung, darüber hinaus ist diese Untersuchung eher als Verlaufsuntersuchung geeignet, da häufig zur zweifelsfreien Intepretation ein Vorbefund (vor Eintreten des Hirntodes) erforderlich ist.
Untersuchung der zerebralen Perfusion Der Stillstand des zerebralen Kreislaufs lässt sich mittels Dopplersonographie nachweisen. Hierfür ist ein arterieller Mitteldruck >80 mm Hg (Erwachsene), bzw. >60 mm Hg (Kinder) erforderlich. Die zerebrale Perfusionsszintigraphie (»single photon emission
1029 79.1 · Hirntodfeststellung
computer tomography«; SPECT) ist ebenfalls für den Nachweis des zerebralen Zirkulationsstillstands geeignet. Die selektive zerebrale Angiographie wurde »historisch« häufig eingesetzt, wird heute aber aus verschiedenen Gründen (z. B. Kontrastmittelapplikation) nicht mehr empfohlen. Wurde im Rahmen einer diagnostischen zerebralen Perfusionsdarstellung der Zirkulationsstillstand nachgewiesen, ist hierdurch die Irreversibilität ohne weitere Beobachtungszeit festgestellt, sofern die Untersuchungsdauer mindestens 30 min betragen hat. Dopplersonographie. Diese kann in jedem Lebensalter eingesetzt werden, allerdings können bei Kleinkindern die Untersuchungsbedingungen wegen des inkompletten knöchernen Schädels erschwert sein. Sie schließt mindestens die extrakraniellen Aa. carotides internae et vertebrales sowie die transkraniell zu beschallenden Aa. cerebri mediae ein. Bei zerebralem Zirkulationsstillstand wird entweder ein Perfusionsstopp oder ein Pendelfluss dargestellt. Die Qualität auch dieser Untersuchung ist in hohem Maße von der Erfahrung des Untersuchers abhängig. Unklare Ergebnisse sind nur in Zusammenschau mit einem vor dem Hirntod erhobenen Befund ausreichend interpretierbar.
Auch das Verfahren der transkraniellen Dopplersonographie ist sehr stark von der Erfahrung des Untersuchers abhängig. Unter erschwerten Untersuchungsbedingungen (z. B. fehlendes »Knochenfenster«) darf dieser Befund nur dann als sicheres Zeichen des zerebralen Kreislaufstillstands gewertet werden, wenn derselbe Untersucher einen Signalverlust bei zuvor eindeutig ableitbaren intrakraniellen Strömungssignalen dokumentiert hat und an den extrakraniellen Arterien ebenfalls ein zerebraler Kreislaufstillstand nachweisbar ist.
Zerebrale Perfusionsszintigraphie (SPECT). Bei der SPECT wer-
den Radiopharmaka verwendet, deren diagnostische Sicherheit validiert worden ist (meist: Tc-99m-Hexamethylpropylenaminoxim; HMPAO). Kriterien des Hirntodes sind die fehlende Darstellung der zerebralen Gefäße, der zerebralen Perfusion und der Anreicherung im Hirngewebe. Die Szintigraphie muss in verschiedenen Ansichten und in tomographischer Technik erfolgen. Nach Bolusinjektion des Radiopharmakons werden zunächst die großen kranialen Gefäße von ventral dargestellt, anschließend wird die Gewebedurchblutung mittels statischer Szintigraphien erfasst (. Abb. 79.2). Interne Qualitätskontrollen (z. B. Überprüfung der physiologischen Verteilung des Radiopharmakons in Thorax und Abdomen) tragen zur Qualitätssicherung bei.
79.1.6
Todeszeitpunkt und Dokumentation
Todeszeitpunkt Da nach aktueller Rechtsauffassung der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist, entspricht der Abschluss der Diagnosestellung und Dokumentation des Hirntodes dem Todeszeitpunkt des Patienten.
Der Zeitpunkt des Hirntods ist unabhängig sowohl vom Zeitpunkt der Beendigung der mechanischen Beatmung/Kreislaufunterstützung als auch vom Zeitpunkt einer späteren Organentnahme.
. Abb. 79.2 Zerebrale Perfusionsszintigraphie (SPECT) bei komplettem zerebralem Perfusionsstillstand. Erkennbar ist die Darstellung der Perfusion von Schädelkalotte und -haut, während intrazerebral keinerlei Perfusionsmarkierung zur Darstellung kommt. (Abb. freundlicherweise überlassen von der Abteilung für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Regensburg)
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Kapitel 79 · Behandlung von Organspendern
79.2
79.2.1
Intensivmedizinische Behandlung des Organspenders
Spenderorgane
Einleitung
In den letzten Jahren stieg in Deutschland nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) die Zahl der Organspender stetig; die Angaben bis zum 1. Halbjahr 2010 zeigt . Tab. 79.1. Die Ursachen des Hirntodes lagen in der überwiegenden Zahl bei nicht traumatischen intrakraniellen Blutungen (58,2%) im Vergleich zu Schädel-Hirn-Traumata (18,7%), ischämisch-hypoxischen Hirnschäden (11%) oder Hirninfarkten (11%). Obwohl die Zahl der Transplantationen gesteigert wurde, ergibt sich für die einzelnen Organe weiterhin eine unverändert große oder zunehmende Warteliste, da die Zahl von Patienten mit Organerkrankungen im Endstadium, für welche die Transplantation die einzige erfolgversprechende Therapie bedeutet, weiter steigt. Auch die zunehmende Aktivität im Bereich der Lebendspende (Niere, Teil der Leber) kann dieses Defizit nur begrenzt auffangen. In den letzten Jahren wurde wegen des Spendermangels eine liberalere Einstellung zur Frage der medizinischen Eignung von verstorbenen Patienten für eine Organspende entwickelt. Strenge medizinische Kriterien für die Auswahl hirntoter Spender sind heute weitgehend aufgegeben worden, um wartenden Patienten eine Möglichkeit zur Transplantation zu geben. Dabei wurden in den letzten Jahren zunehmend »marginale« Spenderorgane gewonnen und auch vielfach erfolgreich transplantiert. Auch die Altersgrenze der zur Organspende geeigneten Verstorbenen hat sich deutlich nach oben verschoben: Während man z. B. in den 1980-er Jahren die Obergrenze für eine Leberspende mit 50–55 Jahren angab, wurden in jüngster Vergangenheit gelegentlich auch Lebertransplantationen von über 80-jährigen Spendern durchgeführt. Die Ursachen für den oben beschriebenen Organmangel bestehen zum einen in einer ungenügenden Meldung potenzieller Organspender an die DSO oder die Transplantationszentren. Darüber hinaus besitzt nach wie vor nur ein geringer Teil der Bevölkerung einen Organspendeausweis. Die Erfassung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen durch die Angehörigen/Verwandten ist schwierig und emotional belastet. Die Ablehnungsquote durch die Angehörigen/Verwandten wird nach wie vor mit ca. 40% angegeben.
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4 Trotz einer leicht steigenden Zahl von Organspenden in Deutschland besteht weiterhin eine unveränderte oder sogar zunehmende Differenz zwischen der Transplantationstätigkeit und der Warteliste schwer kranker Patienten. 4 Das Konzept der Lebendspende ist nur in eingeschränktem Maße in der Lage, dieses Defizit abzubauen. 4 Die mögliche erreichbare Zahl postmortaler Organspender wird derzeit verhindert durch eine unzureichende Meldung von Patienten mit vermutetem oder eingetretenem Hirntod durch die Krankenhäuser sowie durch die hohe Ablehnungsquote durch Angehörige/Verwandte.
In diesem Zusammenhang ist die adäquate intensivmedizinische Betreuung hirntoter Patienten von großer Bedeutung. Durch den Eintritt des Hirntodes kann es zu gravierenden pathophysiologischen Veränderungen kommen. Diesen muss durch geeignete Maßnahmen entgegengetreten werden, damit nicht in der Situation des Spendermangels weitere geeignete Organe verloren werden. Die Durchführung der Hirntoddiagnostik und auch die Versorgung des hirntoten Organspenders stellen erhebliche Anforderungen an das Personal einer Intensivstation. Daher sollte unmittelbar nach eingetretenem Hirntod der zuständige Transplantationskoordinator der DSO verständigt werden, damit dieser das Krankenhaus bei der Organspende logistisch und ggf. auch personell unterstützen kann. > Durch einen reibungslosen Ablauf der Organspende mit einer möglichst kurzen Zeitspanne zwischen Eintreten des Hirntodes und Organentnahme lassen sich sekundäre Schädigungen geeigneter Spenderorgane vermeiden.
79.2.2
Pathophysiologische Konsequenzen des Hirntodes
Das Erlöschen der zerebralen Funktionen resultiert in gravierenden pathophysiologischen Veränderungen, deren Kenntnis die Durchführung gezielter Maßnahmen ermöglicht, um einen hirntoten Organspender bis zur Organentnahme in einem stabilen Zustand zu halten.
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. Tab. 79.1 Postmortale Organspenden in Deutschland jeweils im 1. Halbjahr 2008, 2009, 2010. (Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation)
79
Organe
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Niere a
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Transplantationen im 1. Halbjahr 2009
Transplantationen im 1. Halbjahr 2010
Anmeldungen 2009
1060
1087
1109
3409
Leber a
484
533
558
1853
Herz
188
178
194
773
Lunge
121
124
144
443
65
56
81
110
Pankreas
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a
ohne Lebendspenden.
Transplantationen im 1. Halbjahr 2008
1031 79.2 · Intensivmedizinische Behandlung des Organspenders
Stabilität des kardiovaskulären Systems
Diabetes insipidus
Durch den Hirntod werden ausgeprägte Störungen der neurohumoralen Steuerungssysteme induziert. In der Frühphase nach eingetretenem Hirntod finden häufig kurzfristig massive endogene Katecholaminausschüttungen statt, welche fokale myokardiale Nekrosen bis hin zum Infarkt hervorrufen können. In einer späteren Phase manifestiert sich ein »sepsisähnliches« Syndrom mit Freisetzung inflammatorischer Mediatoren und einer entsprechenden Vasoplegie. Zusätzlich kommt es zum Verlust aller zentralen sympathoadrenergen Funktionen. Durch Verlust des peripheren Vasomotorentonus in Verbindung mit einer Reduktion des Herzminutenvolumens droht eine Minderperfusion der Organsysteme. Eine behandlungspflichtige Hypotension tritt bei bis zu 85% aller Organspender auf und ist die häufigste behandlungspflichtige Komplikation.
Bei etwa 80% der Patienten entwickelt sich nach eingetretenem Hirntod ein zentraler Diabetes inspidus als Konsequenz aus dem Ausfall der hypothalamisch-hypophysären Funktion. Er manifestiert sich durch eine Polyurie, die nachfolgend zu einer hyperosmolaren Dehydratation mit Hypernatriämie führt. Die klinisch oft eindrucksvolle Diagnose eines Diabetes insipidus (Polyurie von 400 ml/h und mehr) kann durch die Bestimmung der Natriumausscheidung im Urin (<20 mmol/l) bestätigt werden. Die Behandlung des Diabetes inspidus erfolgt am einfachsten durch die Gabe von Desmopressin, (Bolus 2–4 μg, kontinuierlich 0,5–1 μg/h i.v.). Negative Effekte einer Desmopressin-Gabe im Hinblick auf die Funktion der Spendernieren wurden nicht nachgewiesen. Sind bereits größere Flüssigkeitsverluste aufgetreten, sollten diese durch Infusion 2,5%iger Glukoselösung oder 0,45%iger NaClLösung ausgeglichen werden.
! Cave Nach Eintritt des Hirntodes entwickelt sich häufig eine ausgeprägte Hypotension. Um sekundäre Organschäden zu vermeiden, sollte ein ausreichender arterieller Mitteldruck ≥70 mm Hg aufrechterhalten werden.
Die Behandlung der Hypotension erfolgt entsprechend dem Konzept des septischen Schocks: Neben ausgiebiger Volumensubstitution ist der Einsatz von Vasopressoren notwendig (Noradrenalin, Dobutamin). Bei unklarem Volumenstatus und/oder hämodynamischer Instabilität kann ein erweitertes hämodynamisches Monitoring sinnvoll sein. Die Echokardiographie erlaubt neben der Abschätzung der kardialen Vorlast auch eine Beurteilung der Inotropie und kann insbesondere bei Traumapatienten einen Perikarderguss als Ursache einer Hypotension ausschließen. Zur differenzialdiagnostischen Abklärung der Ursache der Hypotension empfiehlt sich auch die Durchführung eines Volumenbelastungstests mit Infusion von 500 ml kristalloider Flüssigkeit innerhalb von 5–10 min. Ein Anstieg des Blutdrucks mit Abnahme der Herzfrequenz lässt einen Volumenmangel als wesentliche Ursache der Hypotension erscheinen. > Die großzügige Volumengabe ist die wichtigste Maßnahme zur Kreislaufstabilisierung nach eingetretenem Hirntod. Bleibt hierunter eine Verbesserung der kardiovaskulären Funktion aus, ist die zusätzliche Katecholamintherapie erforderlich.
Zur Volumensubstitution sollten vordringlich kristalloide Infusionen verwendet werden, da kolloidale Volumenersatzmittel eine Vielzahl verschiedener Nebenwirkungen auslösen können und möglicherweise die Nierenfunktion beeinträchtigen.
Herzrhythmusstörungen Arrhythmien und insbesondere Bradykardien sind mit Eintreten des Hirntodes durch Ausfall der sympathischen und parasympathischen Kreislaufregulation häufig zu beobachten. Dabei muss beachtet werden, dass die Gabe von Atropin durch den Ausfall der parasympathischen Regulationszentren im Hirnstamm keinen Effekt hat. Das Herz eines hirntoten Organspenders ist funktionell denerviert. > Klinisch bedeutsame, bradykarde Herzrhythmusstörungen nach eingetretenem Hirntod sind nicht mit Atropin behandelbar. In dieser Situation sind entweder sympathomimetische Substanzen mit direkter Wirkung am Herzen (Adrenalin, Dobutamin) einzusetzen oder es ist – in bedrohlichen Situationen – die Einschwemmung eines passageren Schrittmachers zu erwägen.
> Zur Behandlung der Polyurie im Rahmen eines Diabetes insipidus empfiehlt sich die Gabe von Desmopressin in Kombination mit der Infusion hyposmolarer Lösungen. Bei dieser Maßnahme müssen engmaschige Elektrolytkontrollen (insbesondere Na+ und K+) erfolgen.
Hypothermie Mit Eintreten des Hirntodes kommt es zum vollständigen Verlust der Temperaturregulation, sodass oftmals eine Hypothermie (Körperkerntemperatur <36°C) auftritt. Zusätzlich kann die Substitution von großen Flüssigkeitsvolumina zur Behandlung des Diabetes insipidus diesen Effekt verstärken. Die Hypothermie kann zahlreiche unerwünschte Effekte nach sich ziehen: 4 Kardiale Arrhythmien sowie negativ-inotrope Effekte der Hypothermie können eine Kreislaufinstabilität begünstigen. 4 Eine Koagulopathie kann zu einer klinisch relevanten Blutungsneigung insbesondere bei Traumapatienten führen. 4 Nicht zuletzt kommt es als Folge der Hypothermie zu einer Linksverschiebung der Hämoglobin-O2-Bindungskurve. Dies vermindert die Sauerstoffabgabe von Oxyhämoglobin im Gewebe. Daher sollte auch nach Eintritt des Hirntodes die Normothermie angestrebt werden. Zu diesem Zweck ist der Einsatz konvektiver Luftwärmer wie auch spezieller Infusionswärmer geeignet.
Beatmung Die Beatmungsbehandlung folgt den Grundsätzen des Konzeptes der lungenprotektiven Beatmung: Anwendung kleiner Tidalvolumina von etwa 6 ml/kg KG, Begrenzung des Inspirationsdrucks auf ca. 30 mbar, ausreichend hoher PEEP zur Verhinderung des Alveolarkollapses. Dies gilt besonders, wenn auch die Entnahme der Lungen im Rahmen einer Multiorganspende vorgesehen ist. Hier ist aber darauf zu achten, dass ein (zu) hoch gewählter PEEP eine Hypotension als Folge hoher Beatmungsdrücke induzieren kann, insbesondere wenn gleichzeitig eine Hypovolämie vorliegt. Die frühzeitige Antibiotikagabe (nach Entnahme von Trachealsekret zur mikrobiologischen Analyse) trägt zur Verhinderung einer nosokomialen Pneumonie bei und steigert damit die mögliche Eignung als Spenderorgan.
Blutersatz Die Indikationsstellung zur Transfusion von Blutprodukten richtet sich nach den inzwischen nicht mehr strittigen Grundsätzen einer »restriktiven« Strategie. In der Regel ist ein Transfusionstrigger ei-
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Kapitel 79 · Behandlung von Organspendern
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nes Hb-Wertes <7 g/dl für die Gabe von Erythrozytenkonzentraten ausreichend.
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Gerinnungsstörungen
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Gerinnungsstörungen sind selten, können jedoch im Rahmen des Eintritts des Hirntodes auftreten. Neben einer Verlustkoagulopathie bei traumatisierten Patienten wird eine Verbrauchskoagulopathie bis hin zum Vollbild der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) bei etwa 5% aller Organspender beobachtet und pathophysiologisch mit dem Übertritt von zerebralen Gangliosiden in die systemische Zirkulation in Zusammenhang gebracht. Die Substitutionstherapie mit Gerinnungsfaktoren sollte sich primär am klinischen Bild und weniger an Laborparametern orientieren. > Gerinnungsstörungen im Rahmen des Eintritts des Hirntodes sind selten. Therapieziel bei Gerinnungsstörungen ist die Kontrolle klinisch relevanter Blutungen, aber nicht die Normalisierung von Laborwerten!
Die Substitutionstherapie mit Gerinnungsfaktoren oder gefrorenem Frischplasma erschwert zudem die Beurteilung der Leberfunktion des Spenders, die Indikation sollte insbesondere bei einer geplanten Leberspende sehr streng gestellt werden. Die Ziele der Intensivtherapie des hirntoten Organspenders sind in . Tab. 79.2 zusammengefasst.
79.2.3
Spezielle Kriterien für die Eignung zur Spende
In Zeiten stagnierender Spenderzahlen und großer Wartelisten gibt es keine allgemein gültigen Kriterien, welche ein Organ als spendeuntauglich charakterisieren. Allgemein gilt, dass eine sorgfältige Anamnese zu erheben ist in Bezug auf frühere Erkrankungen, Auslandsaufenthalte, Drogen-, Alkohol- und Nikotinabusus. Der aktuelle Status der Organe lässt sich durch klinische Untersuchung, Laborkonstellation und bildgebende Verfahren einschätzen. Abgesehen von den meisten Malignomerkrankungen und schwersten systemischen Infektionskrankheiten (Sepsis) lässt sich
kein eindeutiges Ausschlusskriterium – auch nicht für das Alter – definieren. Bei eingeschränkten Funktionen zu transplantierender Organe oder einem unklaren Infektions- oder Malignomstatus muss gemeinsam mit dem Koordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation und dem Fachkollegen des Transplantationszentrums entschieden werden. Die erfolgreiche Transplantation von Nieren älterer Spender (>70 Jahre) gilt heute nicht mehr als Einzelfall. Kreatininwerte >2 mg/dl, ein hoher Katecholaminbedarf und eine Oligurie werden von einzelnen Zentren kritisch bewertet, sind aber kein absolutes Ausschlusskriterium. Auch ein seit langem bestehender Diabetes mellitus, ein Hypertonus sowie eine fortgeschrittene Arteriosklerose stellen in vielen Zentren keine absolute Kontraindikation zur Nierenentnahme/-transplantation dar. In diesen Fällen und auch bei hohem Spenderalter geht aber häufig eine histologische Begutachtung der entnommenen Organe der endgültigen Entscheidung über eine Eignung als Transplantat voraus. Die Altersobergrenze für eine Spende der Leber wird im Eurotransplant-Bereich mit 75 Jahren angegeben, wobei Spender über 60 (65) Jahren häufig bereits als »marginale« Spender betrachtet werden. Auch andere Faktoren (Langzeitbeatmung, eine höhere inotrope Medikamentengabe, verlängerte hypotensive Perioden sowie deutlich erhöhte Transaminasenwerte) können zur Ablehnung führen. > Der Grad der Leberverfettung wird als wesentlicher Faktor für eine gute Transplantatfunktion angesehen. Als oberer Grenzwert wird etwa 30% angegeben.
Diabetes mellitus stellt per se keine Kontraindikation zur Leberentnahme dar. Im Zweifelsfall müssen histologische Untersuchungen nach der Organentnahme die Eignung der Leber bestätigen. Bezüglich der Entnahme des Pankreas gelten relativ restriktive Regeln. Die Obergrenze des Alters des Verstorbenen wird mit 50 Jahren angegeben. Dies hängt zum einen mit der Tatsache zusammen, dass im Gegensatz zu Herz oder Leber die Bauchspeicheldrüse kein absolut lebensnotwendiges Organ darstellt, zum anderen ist die Transplantatverlustrate bei über 45-jährigen Spendern erhöht. Ein anamnestisch bestehender Diabetes mellitus verbietet die Entnahme/Transplantation des Pankreas. In zweifelhaften Situatio-
. Tab. 79.2 Ziele der Intensivtherapie des hirntoten Organspenders Parameter
Therapeutisches Ziel
Therapiemöglichkeiten bei Abweichungen von der therapeutischen Zielgröße
Blutdruck
Mittlerer arterieller Druck ≥70 mm Hg
5 Ausgleich eines Volumenmangels bei beatmungsabhängigen Schwankungen der arteriellen Druckkurve 5 Bei Normovolämie: Gabe von Katecholaminen, bevorzugt Noradrenalin + Dobutamin
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Diurese
>1,0 ml/kg KG/h
5 Anhebung des arteriellen Mitteldrucks 5 Bei Polyurie: Desmopressin (2–4 μg i.v.)
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Natrium
Na+ <155 mol/l
5 Gabe von Na+-freier Flüssigkeit via Magensonde 5 Infusion von 2,5%iger Glukoselösung 5 Gabe von Desmopressin
Oxygenierung
SaO2 ≥90%
5 Erhöhung der FIO2 5 Erhöhung des PEEP 5 Lagerungstherapie, Open-lung-Manöver
Körpertemperatur
≥36,0°C
5 Anwendung eines Infusionswärmers 5 Anwendung konvektiver Luftwärmer
Hämoglobinwert
≥7 g/dl
5 Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
Blutzucker
<150 mg/dl
5 Insulin-Perfusor
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1033 Literatur
nen hilft die Bestimmung des HbA1c-Wertes. Erhöhte Amylasewerte, wie sie bei vielen traumatisierten Patienten gefunden werden, sind keine absolute Kontraindikation zur Pankreastransplantation. Ältere Verstorbene und Patienten mit einem BMI >30 kg KG/m2 sind jedoch auch mögliche Spender für Inselzelltransplantate. Bei beabsichtigter Entnahme des Herzens wird die Altersgrenze des Spenders mit etwa 60 Jahren angegeben. Allerdings sind auch hier die Grenzen fließend, und es kommt im Wesentlichen auf das biologische Alter bzw. die konkrete kardiale Situation des Spenders an. Akzeptiert werden heute auch Spender mit höherer kontinuierlicher Infusion von Katecholaminen, Zustand nach Reanimation, myokardialer Dysfunktion (echokardiographisch bestimmte Ejektionsfraktion von 0,35±0,10) und EKG-Veränderungen (WPWSyndrom, verlängerte QT-Zeit). Allerdings fordern viele Transplantationszentren die Durchführung einer Koronarangiographie als Kriterium zur Akzeptanz bzw. Ablehnung. Die Realisierung von Lungenentnahmen bei potenziellen Organspendern weist die niedrigste Rate aller in der klinischen Routine transplantierten Organe auf. Wegen der Zunahme von Lungentransplantationskandidaten auf den Wartelisten hat sich die Akzeptanz von »nicht idealen« Spendern aber auch auf diesem Gebiet erhöht. Während im Eurotransplant-Bereich noch eine Altersgrenze von 50 Jahren gilt, geben amerikanische und japanische Autoren deutlich höhere Grenzen an (60 bzw. 65 Jahre). > Bei der Lungenspende spielt die Dauer der maschinellen Beatmung wegen der hohen Inzidenz nosokomialer Pneumonien und wegen des anzunehmenden »beatmungsinduzierten Lungenschadens« eine erhebliche Rolle. Diese Zeitdauer sollte eine Woche nicht überschreiten.
Radiologisch nachgewiesene Infiltrate sind heute kein absolutes Ausschlusskriterium mehr. Auch bezüglich eines »kritischen« paO2/ FIO2-Indexes sind viele Transplantationszentren großzügiger geworden. Auch hier ist im Einzelfall eine Klärung mit der DSO bzw. den Transplantationsteams erforderlich. > Die umfassende, sorgfältige, intensivmedizinische Behandlung des Spenders verbessert nicht nur die Funktion des übetragenen Organs im Empfänger, sondern erhöht auch die Anzahl der pro Spender gewonnenen Organe und hilft somit, den Mangel an Spenderorganen zu reduzieren.
In einer prospektiven Untersuchung wurde in 15 Intensivstationen in Italien die Praxis der Organprotektion bezüglich einer potenziellen Lungenspende untersucht (Mascia et al. 2006). Von 34 Patienten, bei denen der Hirntod festgestellt worden war, waren 23 wegen erhöhten Alters nicht zur Lungenspende geeignet. Nur bei 2 von den verbleibenden 11 Patienten wurden die Lungen entnommen, weil die anderen eine zu schlechte Lungenfunktion hatten (paO2/ FIO2 <300). Bei diesen Patienten waren in der Phase während und nach der Hirntodbestimmung keinerlei Recruitment- oder Lagerungsmaßnahmen vorgenommen worden, sodass das organprotektive Regime als »suboptimal« eingeschätzt wurde. In einer retrospektiven Analyse aller in den USA von 2000– 2001 erfassten Organspender wurden die Auswirkungen einer konsequenten Hormonsubstitution (Methylprednisolon, Vasopressin, Trijodthyronin) auf die Stabilität und die Transplantationseignung der Organe ermittelt. Von ca. 10.000 Spendern wurden 701 mit diesem Schema behandelt. Es zeigte sich, dass in dieser Gruppe die Rate der zur Spende geeigneten Organe um 22,5% größer war im Vergleich zur nicht hormonbehandelten Gruppe. Hochgerechnet bedeutete dies, dass durch konsequente Hormonsubstitution ca.
Frühe Identifkation potenzieller Organspender Invasives hämodynamisches Monitoring, großzügige Volumengabe MAP < 70 mm Hg
MAP > 70 mm Hg
Vasopressoren MAP < 70 mm Hg MAP > 70 mm Hg L-ThyroxinSubstitution
Optimierung der Therapie
Optimierung der Therapie
Fruhe Identifikation und Behandlung hirntodassoziierter Komplikationen Diabetes insipidus Neurogenes Koagulopathie → Gabe von → Desmopressin Lungenödem → optimierte Beatmung Gerinnungs→ Flüssigkeitsfaktoren management
SIADH → hypertone NaCI-Substitution
. Abb. 79.3 Algorithmus eines »aggressiven« Managements für potenzielle Organspender (SIADH = Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion). (Mod. nach DuBose u. Salim 2008)
2000 Organe mehr hätten gewonnen werden können (Rosendale et al. 2003). Auch in anderen Studien sind solche Algorithmen zur »aggressiven« Behandlung potenzieller Organspender vorgestellt worden (. Abb. 79.3). Für eine erfolgreiche Organspende ist aber nicht nur eine gute Intensivtherapie des Spenders erforderlich, sondern auch eine möglichst schnelle und reibungslose Organentnahme nach durchgeführter Hirntoddiagnostik und anschließender Zustimmung durch die Angehörigen. > Je mehr Zeit zwischen Eintreten des Hirntodes und Entnahme der Organe vergeht, umso größer ist die Gefahr sekundärer Schäden primär transplantationsgeeigneter Organe.
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Kapitel 79 · Behandlung von Organspendern
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1035
Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe C. Lichtenstern, M. Müller, J. Schmidt, K. Mayer, M.A. Weigand
80.1
Einleitung – 1037
80.2
Hintergrund der Transplantationsmedizin – 1037
80.3
Grundlagen der Abstoßungsreaktion – 1038
80.4
Immunsuppressiva – 1038
80.4.1 80.4.2 80.4.3 80.4.4
Kortikoide – 1038 Calcineurin-Inhibitoren – 1040 Antiproliferativa – 1042 Antilymphozyten-Antikörperpräparate – 1043
80.5
Infektiologische Komplikationen der Immunsuppression – 1043
80.5.1 80.5.2 80.5.3 80.5.4
Infektiologische Überwachung – 1044 Antimikrobielle Prophylaxe – 1045 Antimikrobielle Therapie – 1045 Tumorerkrankungen als Komplikation einer immunsuppressiven Therapie – 1045 HIV und Organtransplantation – 1046
80.5.5
80.6
Spezielle Intensivmedizin nach Nieren-/Nieren-PankreasTransplantation – 1046
80.6.1 80.6.2 80.6.3 80.6.4
Einleitung – 1046 Komorbidität – 1046 Operationstechnik – 1046 Postoperative Intensivtherapie – 1047
80.7
Kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantation – 1047
80.7.1 80.7.2
Operationstechnik – 1048 Postoperative Intensivtherapie – 1048
80.8
Lebertransplantation – 1048
80.8.1 80.8.2 80.8.3 80.8.4 80.8.5 80.8.6 80.8.7
Einleitung – 1048 Hämodynamische Effekte und hepatorenales Syndrom – 1049 Hepatopulmonales Syndrom und portopulmonale Hypertension – 1049 Hepatische Enzephalopathie – 1049 Präoperative Intensivtherapie – 1049 Operationstechnik – 1050 Postoperative Intensivtherapie – 1050
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_80, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
80
1036
80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
80.9
Herztransplantation – 1051
80.9.1 80.9.2 80.9.3
Einleitung – 1051 Präoperative Intensivtherapie – 1052 Postoperative Intensivtherapie – 1052
80.10
Lungentransplantation – 1054
80.10.1 80.10.2 80.10.3 80.10.4
Einleitung – 1054 Präoperative Intensivtherapie – 1055 Operationstechnik – 1055 Postoperative Intensivtherapie – 1055
Literatur – 1056
1037 80.2 · Hintergrund der Transplantationsmedizin
80.1
Einleitung
Hintergrund der Transplantationsmedizin
80.2
Der Intensivmedizin kommt eine zentrale Bedeutung in Rahmen der Transplantationsmedizin zu. Aufgrund ihrer marginalen Organfunktion benötigen die Patienten nicht selten bereits im Vorfeld der Transplantation eine intensivmedizinische Versorgung, zu der dann auch die Evaluation und Listung sowie die Koordination des zeitkritischen Transplantationsablaufs gehören können. Die direkte postoperative Betreuung nach komplexen Organtransplantationen bedarf fast ausschließlich der Versorgung im Rahmen von Überwachungsstationen, in denen sowohl direkt transplantationsassoziierte Komplikationen als auch Nebenerkrankungen eine intensivmedizinische Behandlungen notwendig machen. Sie zielt auf die Stabilisierung der Organfunktion, Behandlung begleitender Organdysfunktionen, adäquate Induktion der Immunsuppression und die möglichst frühe Wiedererlangung der Eigenständigkeit des Transplantierten ab. Die spezifische intensivmedizinische Betreuung transplantierter Patienten dient der Erhaltung der Funktion des Transplantats, der Steuerung der immunsuppressiven Medikation sowie deren Nebenwirkungen und Interaktionen und Therapie von (spezifischen) Begleiterkrankungen. Das intensivmedizinische Vorgehen z. B. in Bezug auf Hämodynamik, Beatmung, Sedierung oder Therapie von Blutungen unterliegt dabei organspezifischen Zielwerten, um sekundären Schäden des Transplantats vorzubeugen. Die intensivmedizinische Betreuung von Transplantationspatienten ist immer eine interdisziplinäre Angelegenheit (. Abb. 80.1). > Transplantationspatienten bedürfen nicht selten präund postoperativ einer interdisziplinären intensivmedizinischen Betreuung. Dabei kommt der Behandlung bestehender Organdysfunktionen und der Erhaltung der Transplantatfunktion eine zentrale Bedeutung zu.
Psychiatrie Psychosomatik
Medizinische Klinik Nephrologie Hepatologie Kardiologie Pulmonologie
. Abb. 80.1 Multidisziplinarität der Transplantationsmedizin TransplantationKoordination Gesetzgeber DSO Eurotransplant
Explantationsteam
Organversagen Ambulante Nachsorge
Apotheke
Erste Versuche mit der Transplantation von Organen vom Tier auf den Menschen und von einem Menschen zu einem anderen scheiterten Ende des 19. Jahrhundert. Bald erkannte man, dass im Gegensatz dazu Gewebeverpflanzungen innerhalb eines Individuums möglich waren. Die Erkenntnis, dass die Abstoßung fremder Gewebe Folge einer Immunisierung ist, wurde durch Peter Medawar 1945 beschrieben. Das für die Erkennung körperfremder Gewebe entscheidende Human-Leukocyte-Antigen-System (HLA) wurde 1958 erstmals beschrieben. Ein erster Transplantationserfolg ergab sich 1954 mit der ersten erfolgreichen Nierentransplantation bei eineiigen Zwillingen durch Murray in Boston, USA. Im Jahr 1963 wurde dann erfolgreich die erste Lunge und im gleichen Jahr durch Starzl in Denver die erste Leber transplantiert. Christiaan Barnard wurde 1967 durch die erste Herztransplantation in Kapstadt weltberühmt. Der Patient überlebte diese Operation 18 Tage. Den entscheidenden Durchbruch erfuhr die Transplantationsmedizin 1976 mit der Entdeckung der immunsuppressiven Effekte von Ciclosporin A durch Jean Borel. Die Induktion einer donorspezifischen Toleranz unter Erhaltung der eigenen Immunität ist die Zielvorstellung für die Weiterentwicklung der Transplantationsmedizin. Bis heute wurden verschiedene Strategien hierzu beschrieben, die auf einer Induktionstherapie mit monoklonalen Antikörpern, einer Übertragung hämatopoietischer Stammzellen des Organspenders [43] und der Induktion von hemmenden Zellen, die die gegen das Spendergewebe gerichteten Lymphozyten regulieren, beruhen [39]. Die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung unterliegt in Deutschland den Regelungen des Transplantationsgesetzes. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ist die bundes-
Listung Spenderallokation
Transplantionschirurgie
Malignome Immunsuppression
Organtransplantation
Immunologie
Operation Anästhesie
Toleranzinduktion
Abstoßung
Transplantatversagen
Pathologie
Individualisierte Therapie Infektion Labormedizin
Radiologie
Blutbank
Infektiologie Mikrobiologie
Intensivmedizin
80
1038
80 80 80 80 80 80 80 80
weite Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende der vermittlungspflichtigen Organe Niere, Herz, Leber, Lunge, Pankreas und Dünndarm. Im Jahr 2009 wurden in Deutschland gut 1200 postmortale Organentnahmen und etwa 3900 Organtransplantationen durchgeführt. Für die Länder Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Kroatien und Deutschland wird bei der Stiftung Eurotransplant in Leiden (Niederlande) eine gemeinsame Warteliste der potenziellen Organempfänger geführt. An diese Vermittlungsstelle melden die Transplantationszentren die erforderlichen Daten der zur Organtransplantation gelisteten Patienten. Heute steht der Zahl der Patienten auf den Wartelisten ein eklatanter Mangel an Spenderorganen gegenüber. Aktuelle Tumorerkrankungen, die durch die Transplantation nicht kurativ behandelt sind, stellen eine Kontraindikation für eine Transplantation dar, wobei im Falle von kurativ behandelten oder chronischen Tumorerkrankungen individuell entschieden werden muss. Suchterkrankungen sowie andere psychiatrische Erkrankungen, die eine mangelnde Therapiebindung in der Folge der Transplantation sehr wahrscheinlich machen, schließen eine Transplantation ebenfalls aus.
80 80.3
80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
Grundlagen der Abstoßungsreaktion
Die genetisch fremden Gewebe eines transplantierten Organs induzieren z. B. durch die Zelloberflächenmerkmale des AB0-Systems oder die auf allen kernhaltigen Zellen ausgeprägten Haupthistokompatibilitätskomplexe (MHC) eine Abwehrreaktion des Empfängers. Nicht körpereigene MHC werden als Antigen erkannt und lösen so die entscheidende T-Zell-Reaktion aus. Eine möglichst genaue Übereinstimmung der MHC-Typen von Spender und Empfänger (identisch bei eineiigen Zwillingen) erhöht die Akzeptanz des Fremdgewebes. Man unterscheidet eine akute und eine chronischen Form der Abstoßungsreaktion. Die kurz nach der Transplantation perakut verlaufende humorale Abstoßungsreaktion wird durch im Empfängerorganismus präexistierende Antikörper gegen Lymphozyten, Monozyten und/oder Endothelien vermittelt. Es folgt nach einer Komplementaktivierung eine Embolisation der Blutgefäße des Transplantats, die quasi nicht therapierbar ist. Eine im Vorfeld der Transplantation durchgeführte Cross-match-Untersuchung macht diese Variante der Abstoßung unwahrscheinlich. Die zweite akute Abstoßungsreaktion wird durch zytotoxische T-Lymphozyten vermittelt und tritt häufig in der Frühphase nach einer Transplantation auf. Hiervon ist die chronische Abstoßungsreaktion zu unterscheiden, bei der sowohl humorale als auch zelluläre Mechanismen eine Rolle spielen. Eine solche Reaktion verläuft in der Regel über Monate bis Jahre, ist durch eine progrediente Fibrosierung, Vaskulopathie mit Proliferation von Endothel- und Gefäßmuskelzellen gekennzeichnet und im Gegensatz zur akuten Abstoßungsreaktion meist schlecht behandelbar. Die immunologische Auseinandersetzung mit den transplantierten Geweben führt auch unter Immunsuppression zu histologisch nachweisbaren entzündlichen Veränderungen. Das Maß der Abstoßungsreaktion wird anhand von Transplantatbiopsien untersucht. Nach der Transplantation werden unabhängig vom klinischen Zustand in einem festen zeitlichen Schema sog. Protokollbiopsien entnommen, die es ermöglichen, therapiebedürftige Abstoßungen vor einer klinisch manifesten Organdysfunktion zu entdecken [12]. Die histologischen Befunde werden nach organspezifischen internationalen Klassifikationen eingeordnet 4 Nieren-, Lebertransplantate: BANFF-Kriterien [59, 63],
4 Herz-, Lungentransplantate: Klassifikationen der International Society of Heart and Lung Transplantation (ISHLT) [71, 79]). Um eine frühe Schädigung des transplantierten Organs noch vor Einwachsen der Gefäßanschlüsse zu vermeiden, wird mit einer hochdosierten Immunsuppression begonnen, die im weiteren Verlauf reduziert werden kann. Die Kombination mehrerer Immunsuppressiva mit unterschiedlichen Wirkprinzipien verringert dabei das Auftreten assoziierter Nebenwirkungen. Das Ausmaß der notwendigen Immunsuppression ist abhängig von: 4 Zeitpunkt nach der Transplantation (Initialphase, Frühphase, Langzeitverlauf), 4 Art der Transplantation (absteigend: Herz/Lunge, Niere, Leber), 4 Aktivität des Immunsystems (Alter: Kinder, Erwachsene), 4 anderen individuellen Faktoren (z. B. HLA-Mismatch, Ischämiezeit).
80.4
Immunsuppressiva
Kortikosteroide wirken unspezifisch antiinflammatorisch. Calcineurin-Inhibitoren (Ciclosporin A, Tacrolimus) hemmen die Immunreaktion durch Blockierung der IL-2-Produktion in der TZelle. DNA-Synthesehemmer wirken unspezifisch (Azathioprin) bzw. »spezifisch« (MPA, MMF) antiproliferativ auf Lymphozyten. mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus) blockieren spezifisch die T-Zell-Proliferation durch Unterbrechung der intrazellulären Signalweiterleitung nach Aktivierung des IL-2-Rezeptors. Polyklonale Antikörper und Anti-CD3-Antikörper wirken durch Elimination von T-Zellen immunsuppressiv, während die monoklonalen Antikörper gegen den IL-2-Rezeptor die Proliferation aktivierter T-Zellen blockieren.
80.4.1
Kortikoide
Kortikoide bewirken nach Bindung intrazellulärer Rezeptoren eine Hemmung der Transkription der Gene proinflammatorischer Zytokine (z. B. IL-1, IL-2; . Abb. 80.2). Damit üben sie einen unspezifisch entzündungshemmenden Einfluss auf Leukozyten aus. Bekannte unerwünschte Wirkungen der Steroide sind Flüssigkeitsretention, diabetische Stoffwechsellage, Hypercholesterinämie und Osteoporose. Im Rahmen der Transplantation werden Kortikoide in hohen Dosen zunächst parenteral und später enteral verabreicht, um eine frühe Abstoßung während des Einheilens des transplantieren Organs zu verhindern. Dazu wird Prednisolon oder Methylprednisolon (500–1000 mg; 10 mg/kg KG) intravenös appliziert (. Tab. 80.1). In den ersten postoperativen Tagen kann Prednisolon in einer Dosierung von bis zu 1,5–5 mg/kg KG (zumeist aufgeteilt in 2 oder 3 Dosen) gegeben werden, bevor es in den folgenden Tagen/Wochen weiter reduziert und ganz ausgeschlichen werden kann. Hohe intravenöse Kortikoidboli werden auch im Fall einer akuten Abstoßungsreaktion verwendet, z. B. Methylprednisolon 10 mg/kg KG/ Tag über 3 Tage.
1039 80.4 · Immunsuppressiva
T-Zell-RezeptorTCR Komplex αβ
Kostimulierende Membranproteine
CD4
. Abb. 80.2 Wirkungsmechanismus der Immunsuppressiva an der T-Helferzelle
γ
z. B. CD28γ CD40L
β
IL-2-Rezeptor Induzierbar α (CD25)
CD3
CD3
Apoptose Sirolimus/Everolimus: FKBP
Ciclosporin: Ciclophilin mTOR
Calcineurin Steroide
NFAT
NFkB
Tacrolimus: FKBP G1
IL2-Gen AP-1
S
Purine
Transkription M
NFAT NFkB
G2
. Tab. 80.1 Dosierung, Verfügbarkeit, Zielspiegel der Immunsuppressiva Gruppe
Wirkstoff
Bioverfügbarkeit
Dosierung
Kortikoide
Predisolon Methylprednisolon
>90%
Methylprednisolon: 3–5×500 mg i.v. Stoßtherapie bei Abstoßung
Zielspiegel (Erwachsene)
Ciclosporin A: Kortikoidwirkung p CsA-Spiegel n Enzyminduktoren für CYP-450 (z. B. Rifampicin, Phenytoin, Barbiturate, Primidon): Kortikoidwirkung p Nichtsteroidale Antiphlogistika und Salicylate: gastrointestinale Blutungsgefahr n
Prednison: initial bis 1,5 mg/kg KG, anschließend Reduktion nach Schema des Transplantationszentrums
Calcineurininhibitoren
Ciclosporin A (Microemulsion)
30–60%
I: 2×2,5–3,75 mg/ kg KG E: 2×0,5–2 mg/kg KG
Interaktionen
I: 100–375 ng/ml (Talspiegel) 800–1700 ng/ml (C2-Spiegel) E: 75– 250 ng/ml (Tal-Spiegel) 500–800 ng/ml (C2-Spiegel)
CYP-450 Substrate (Azolantimykotika, Makrolidantibiotika, Kalziumantagonisten, Allopurinol, Danazol, Metoclopramid, Methylprednisolon): Ciclosporin A-Spiegel n CYP-450 Induktoren (Barbiturate, Carbamazepin, Johanniskraut, Metamizol, Nafcillin, Octreotid, Orlistat, Phenytoin, Probucol, Rifampicin, Sulfadimidin u. Trimethoprin (nur i.v.), Sulfinpyrazon, Terbinafin, Ticlopidin): Ciclosporin A-Spiegel p Grapefruit/Grapefruitsaft bewirkt irreversible Hemmung von CYP-450 (3A4): Ciclosporin A-Blutspiegel n n Nephrotoxische Substanzen: Nephrotoxizität n Kortikoide: Häufigkeit zerebraler Krampfanfälle n Diclofenac Bioverfügbarkeit von Diclophenac n
80
1040
80
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
. Tab. 80.1 Fortsetzung Gruppe
Wirkstoff
Bioverfügbarkeit
Dosierung
Zielspiegel (Erwachsene)
Interaktionen
Calcineurininhibitoren (Forts.)
Tacrolimus
5–67%
I: 2×0,05 mg/kg KG E: 2×0,025 mg/kg KG
I: 5–18 ng/ml (Talspiegel) E: 3–15 ng/ml (Talspiegel)
CYP-450 Substrate (7 oben): Tacrolimus-Spiegel n CYP-450 Induktoren (7 oben): Tacrolimus-Spiegel p Grapefruit/Grapefruitsaft bewirkt irreversible Hemmung von CYP-450 (3A4): Tacrolimus-Blutspiegel n n Nephro-, neurotoxische Substanzen Nephro-/Neurotoxizität n Kortikoide: Tacrolimus n p
Antiproliferativa
Azathioprin
85%
I: 1×3–5 mg/kg KG E: 1×1–2 mg/kg KG
MMF, MPA
>90%
2×500 mg bis 2×1500 mg
1,0–4,5 μg/ml (mit CNI) 2,0–4,5 μg/ml (ohne CNI)
Aciclovir, Ganciclovir: Plasmakonzentrationen von Aciclovir/Ganciclovir + MPA n Antazida, Colestyramin, gallensäurenbindende Arzneimittel: MPAExposition p Ciclosporin A: MPA-Plasma-AUC p Tacrolimus: MPA-Plasma-AUC n, MPAG-Plasma AUC p, TacrolimusAUC n?
Sirolimus
10–15%
Loading Dose: 6 mg 1×2 mg/Tag
4–12 ng/ml (mit CNI und Kortikoid) 12–20 ng/ml (mit Kortikoid) 5–10 ng/ml ( mit Aza oder MMF)
CYP-450 Substrate (7 oben): Sirolimus n CYP-450 Induktoren (7 oben): Sirolimus p Kontraindiziert: Voriconazol
Everolimus
16%
I: 2×0,75mg/Tag E: nach Spiegel
3–8 ng/ml
CYP-450 Substrate (7 oben): Everolimus n CYP-450 Induktoren (7 oben): Everolimus p
Polyklonale Ak
Nur i.v.
Nach Präparat
80
Anti-CD3-Ak
Nur i.v.
5 mg/Tag i.v. für 10–14 Tage
80
Anti-IL-2RAk
Nur i.v.
Nach Präparat
80 80 80 80 80 80
Purinsynthesehemmer
Allopurinol Xanthinoxidase (Aza-Dosisreduktion auf 25 %) p Muskelrelaxantien Wirkung pn Warfarin gerinnungshemmende Wirkung p Zytostatika/myelosuppressive Mittel: Myelotoxizität: n
80 80 80 80 80 80
mTORInhibitoren
80 80 80 80
Antikörperseren
80
Abkürzungen: I=Induktionsdosis, E=Erhaltungsdosis. Ak=Antikörper.
80
80.4.2
80
Das intrazelluläre Enzym Calcineurin bindet die durch den T-ZellRezeptor intrazellulär freigesetzten Kalziumionen und aktiviert danach die zytosolische Komponente des Transkriptionsfaktors NF-AT, das verbunden mit seiner nukleären Komponente unter anderem die Synthese von Interleukin-2 (IL-2) bewirkt. Die Calcineurin-Inhibitoren (CNI) [Ciclosporin A, Tacrolimus (FK507)] blockieren die Bindung von Kalziumionen an die spezifische Bindungsstelle am Calcineurin und entfalten so ihre immunsuppressive Wirkung v. a. über die Hemmung der Freisetzung von IL-2 aus T-Zellen (. Abb. 80.2).
80 80 80
Calcineurin-Inhibitoren
Calcineurin-Inhibitoren besitzen eine dosisabhängige nephrotoxische Wirkung, die bei intravasaler Hypovolämie schnell zur Entwicklung eines akuten Nierenversagens führen kann. Der Einsatz weiterer potenziell nephrotoxischer Medikamente ist deshalb kritisch abzuwägen. CNI begünstigen die Entstehung eines Hypertonus und einer Osteoporose. Zusätzlich kann CNI eine Reihe von neurologischen Nebenwirkungen verursachen, wie z. B. Tremor, Kopfschmerzen, Parästhesien und die CNI-assoziierte posteriore Leukenzephalopathie mit Verwirrung, Koma, Krampfanfällen, kortikaler Blindheit und Lähmungen (. Tab. 80.2).
80
1041 80.4 · Immunsuppressiva
. Tab. 80.2 Nebenwirkungen der Immunsuppressiva Kortikoide
Antiproliferativa
Calcineurininhibitoren
Antikörperpräparate
Ciclosporin A
Tacrolimus
Azathioprin
MMF, MPA
Sirolimus
Everolimus
Polyklonale Ak
AntiCD3-Ak
AntiIL2R-AK
Arterieller Hypertonus
+++
+++
++
–
–
+
+
–
–
–
Nephrotoxisch
–
+++
+++
–
–
+ (Proteinurie)
+ (Proteinurie)
+ (bei wiederholter Gabe)
–
–
Diabetes mellitus
+++
– (?)
+
–
+
–
–
–
–
–
Hyperlipidämie
++
++
+
–
–
+++
+++
–
–
–
Osteoporose
+++
+
+
–
–
–
–
–
–
–
Neurologische Symptome
+
++
++
+
+
–
–
–
–
–
Knochenmarkdepression
–
+
+
+++
+++
++
++
–
–
–
Gastrointestinale Beschwerden
+
+
+
+
+++
++
++
–
+
+
Wundheilungsstörungen
+
–
–
+
+
++
++
–
–
–
Myalgie/ Arthralgie
+
–
–
+
–
++
++
+
+
+
Hirsutismus
–
+
–
–
–
–
–
–
–
–
Apopezie
–
–
+
+
+
–
–
–
–
–
Gingivahypertrophie
–
++
+
–
–
–
–
–
–
–
Allergische Reaktionen/ Anaphylaxie
–
–
–
–
–
–
–
+++
++
+
Fieber, Schüttelfrost
–
–
–
–
–
–
–
++
+++
+
Dermatitis/ Akne
+
–
+
+
–
++
++
–
–
–
Malignome
–
++
++
?
?
–
–
++
+
+
– nicht berichtet, + selten, ++ häufig, +++ sehr häufig beschrieben.
Ciclosporin A Ciclosporin A bildet intrazellulär mit Cyclophilin einen Komplex, der dann an Calcineurin bindet und dessen Aktivierung durch Kalziumionen hemmt. Es steht zur intravenösen und oralen Applikation zur Verfügung, wobei die orale Bioverfügbarkeit auch der neueren Mikroemulsionen großen inter- und intraindividuellen Unterschieden unterliegt (30–60%). Ciclosporin A wird 2-mal täglich im Abstand von 12 h (. Tab. 80.1). Die enterale Resorption von Ciclosporin A ist dabei u. a. auch vom Gallefluss abhängig, was z. B. für Lebertransplantierte von großer Relevanz ist. Ciclosporin A wird über Cytochrom P 450 (CYP 450) (Isoenzym 3A4) in der Leber verstoffwechselt. Daraus
ergeben sich vielfältige Möglichkeiten von Arzneimittel- bzw. Nahrungsmittelinteraktionen, wie z. B. Azol-Antimykotika, diverse Antibiotika, aber auch Johanniskrautpräparate und Grapefruitsaft [CYP 450-(3A4)-Blockade]. Die Halbwertszeit liegt in Abhängigkeit von der Leberfunktion bei 6–20 h. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite und der variablen Bioverfügbarkeit von Ciclosporin A ist eine strenge Wirkspiegelüberwachung in der Intensivmedizin unbedingt notwendig. In der Regel werden Talspiegel 12 h nach Applikation bestimmt (Zielspiegel: 80–250 ng/ml). Da die Absorptionsschwankungen in den ersten Stunden am größten sind, kann auch eine Messung 2 h nach der Applikation durchgeführt werden (Zielspiegel: 500–
1042
80 80 80 80 80 80 80 80 80
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
1200 ng/ml). Dies korreliert genauer mit dem Plasmakonzentrationsverlauf und kann deshalb bei schwierigen Fällen zu einer verbesserten Einstellung führen [56].
Tacrolimus Tacrolimus geht intrazellulär einen Komplex mit dem Immunophilin FKBP ein, das ebenfalls die kalziumabhängige CalcineurinAktivierung und damit die IL-2-Synthese hemmt. Es ist seit 1994 in Deutschland zur Immunsuppression nach Organtransplantation zugelassen [36, 77]. Auch Tacrolimus kann sowohl enteral als auch parenteral verabreicht werden, wobei die enterale Verfügbarkeit ebenfalls einer hohen Variabilität (5–67%) unterliegt. Tacrolimus wird täglich 2-mal im Abstand von exakt 12 h gegeben (. Tab. 80.1), um die angestrebten Vollblutspiegel von 5–15 ng/ml zu erreichen. Eine neue Galenik erlaubt auch eine einmalige orale Tagesgabe (Advagraf). Die Elimination von Tacrolimus geschieht ebenfalls hauptsächlich über CYP 450-(3A4) in der Leber. Die Halbwertszeit liegt bei 12–16 h. Außerdem bewirkt Tacrolimus über Calcineurin in den Inselzellen in einem stärkeren Maße als Ciclosporin A eine Reduktion der Insulinsekretion und begünstigt einen Diabetes mellitus. Darüber hinaus kommt es unter Tacrolimus tendenziell häufiger zu neurologischen Nebenwirkungen als unter Ciclosporin A.
80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80
80.4.3
Antiproliferativa
Diese Gruppe von Immunsuppressiva hemmt die Proliferation der nach Antigenkontakt stimulierten Lymphozyten entweder unspezifisch durch Störung der Nukleinsäuresynthese oder durch selektive Blockade der intrazellulären Signaltransduktion in den T-Zellen.
Unselektive Purinsynthesehemmer: Azathioprin, 6-Mercaptopurin Azathioprin wird in der Leber zu 6-Mercaptopurin umgewandelt, das als Antimetabolit der Nukleinsäuresynthese zu einer allgemeinen Proliferationshemmung führt (. Abb. 80.2). Aufgrund des unselektiven Wirkungsmechanismus wirken diese Substanzen bei hohen Dosierungen hämatotoxisch. Personen mit einer Unterfunktion der Thiopurin-Methyltransferase (Untersuchung in Speziallaboratorien) bzw. im Fall einer Komedikation mit Xanthinoxidasehemmern (Allopurinol) sind hiervon besonders betroffen. Weitere Nebenwirkungen von Azathioprin und 6-Mercaptopurin sind gastrointestinale Beschwerden, Pankreatitiden und cholestatische Hepatitiden. Heute werden bevorzugt T-Zell-selektive Antiproliferativa verwendet.
T-Zell-»selektive« Purinsynthesehemmer: Mycophenolatmofetil, Mycophenolsäure Mycophenolatmofetil (MMF) wird im Magen zur wirksamen Substanz Mycophenolsäure (MPA) hydrolisiert, das auch direkt als magensaftresistente Darreichung angeboten wird (1 g MMF äquivalent zu 0,72 g MPA). Diese Substanzen besitzen eine T-Zell-spezifische antiproliferative Wirkung, da sie durch Hemmung der Inosinmonophosphatdehydrogenase die De-novo-Purinsynthese blockieren, auf die T- und B-Zellen in ihrer Proliferation angewiesen sind (. Abb. 80.2). Andere Zellen besitzen zumeist die Möglichkeit, über den »salvage pathway« Purine wiederzuverwerten und sind deshalb weniger MPA-empfindlich, woraus sich eine geringere knochenmarkdepressive Potenz ergibt. MPA wird im Dünndarm resorbiert (Bioverfügbarkeit >90%) und unterliegt nach Glucuronidierung in der Leber einem enterohepatischen Kreislauf, da es nach Ausschei-
dung mit der Galle von Dünndarmbakterien wieder in MPA abgebaut und reabsorbiert wird. Beide Substanzen werden 2-mal täglich verabreicht und besitzen eine Halbwertszeit von etwa 16 h. Gastrointestinale Beschwerden wie Diarrhö, Bauchschmerzen und Übelkeit sind die häufigsten Nebenwirkungen, wobei eine Zytopenie gleichwohl in seltenen Fällen auftritt. Die Kombination dieser spezifischen Antiproliferativa mit Calcineurin-Inhibitoren erlaubt deutlich niedrigere CNIZielspiegel als eine Kombination mit Azathioprin, was sich positiv auf potenzielle Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie auswirkt.
mTOR-Inhibitoren: Sirolimus, Everolimus Sirolimus und Everolimus bilden wie Tacrolimus mit dem Immunphilin FKBP einen Komplex, der aber nicht Calcineurin, sondern die zytosolische Proteinkinase »mammalian target of Rapamycin« (mTOR) deaktiviert (. Abb. 80.2). Dadurch blockieren sie die IL2-Rezeptor-vermittelte Signaltransduktion und Aktivierung von T-Killerzellen und stoppen den Zellzyklus dieser Zellen in der G1Phase, während andere Effekte wie die IL-2-vermittelte Apoptose erhalten bleiben. mTOR-Inhibitoren hemmen aufgrund ihres späteren Angriffspunktes die T-Zell-Proliferation auch noch 24 h nach Antigenkontakt. Sirolimus und Everolimus sind insbesondere für die Immunsuppression nach Nierentransplantationen attraktiv, da sie für sich allein nicht nephrotoxisch sind [42, 55]. Allerdings wird für die Kombination mit den Calcineurin-Inhibitoren eine Verstärkung der nephrotoxischen Wirkung beschrieben. Eine mögliche kompetitive Hemmung in Kombination mit Tacrolimus am gemeinsamen Angriffspunkt FKBP scheint klinisch wenig bedeutsam [50, 52]. Sirolimus ist für Nierentransplantierte für die initiale Kombination mit Ciclosporin A und für eine Dauertherapie ohne Ciclosporin A zugelassen. Die synergistischen immunsuppressiven Effekte beider Substanzen erlauben eine Dosisreduktion von Ciclosporin A bis hin zum kompletten Ausschleichen, oder alternativ auch eine Reduktion der Dosierung von Kortikoiden. Sirolimus wird einmal täglich gegeben. Es steht ausschließlich in einer enteralen Darreichung zur Verfügung, die einer gewissen inter- und intraindividuellen Schwankung unterliegt (10–15% Bioverfügbarkeit). Der Abbau geschieht über CYP 450 (3A4) in der Leber mit einer Halbwertszeit von etwa 60 h. Wirkspiegelmessungen sind deshalb unbedingt notwendig, wobei in der Kombination mit Ciclosporin A ein Sirolimus-Talspiegel von 4–12 ng/ml im Vollblut angestrebt wird. Da beide Substanzen bei gleichzeitiger Verabreichung schlecht steuerbar miteinander interagieren, sollen sie versetzt in einem Abstand von etwa 4 h gegeben werden. Im Fall des Absetzens von Ciclosporin A muss die Sirolimus-Dosis wegen der dann fehlenden Interaktion etwa 3- bis 4-mal höher dosiert werden, um den therapeutischen Zielspiegel der Monotherapie von 12–20 ng/ml zu erreichen. Die antiproliferative Wirkung von Sirolimus beeinflusst auch glatte Gefäßmuskelzellen und Malignomzellen, woraus eine günstige Beeinflussung der Langzeitprognose abgeleitet wird [14, 34]. Sirolimus führt dosisabhängig zu einer Hyperlipidämie, die häufig eine begleitende Behandlung mit Statinen notwendig macht. Weitere Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwerden, Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie, thrombotische Mikroangiopathie, Arthralgie und Akne. Auch Everolimus besitzt eine geringe Bioverfügbarkeit (ca. 16%) und wird ebenfalls über CYP 450 (3A4) verstoffwechselt (Halbwertszeit etwa 28 h), weswegen eine Wirkspiegelüberwachung (Zielbereich: 3–8 μg/l) notwendig ist. Es besteht ein vergleichbares Interaktionspotenzial wie für Sirolimus. Unter Everolimus lassen
1043 80.5 · Infektiologische Komplikationen der Immunsuppression
sich die Ciclosporin A-Dosierung und damit die nephrotoxischen Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie reduzieren. Everolimus ist für Patienten nach Nieren- und Herztransplantation in Kombination mit Ciclosporin A zugelassen. Dabei war es in einer Dreifachkombination mit Ciclosporin A und einem Kortikoid gleichwertig zu MMF bei Nierentransplantierten und überlegen zu Azathioprin bei Herztransplantierten [23].
80.4.4
Antilymphozyten-Antikörperpräparate
Globulinpräparate richten sich gegen Merkmale von Lymphozyten und führen entweder zu deren Depletion (polyklonale Seren, AntiCD3-Seren) oder zur Blockierung des aktivierenden IL-2-Rezeptors. Sie sind entweder tierischen Ursprungs oder werden rekombinant hergestellt. Antikörperpräparate werden zur immunsuppressiven Induktion auch wegen der Möglichkeit, die Dosierung anderer Immunsuppressiva (z. B. CNI) zu reduzieren, oder zur Behandlung der (steroidrefraktären) Abstoßungsreaktionen eingesetzt.
Polyklonale Seren Diese Antikörperpräparate reagieren aufgrund ihrer polyklonalen Zusammensetzung mit einer Vielzahl von Merkmalen menschlicher T-Zellen. Dadurch bewirken sie infolge einer raschen Elimination (Zelllyse) der gebundenen Lymphozyten eine rasch einsetzende starke Immunsuppression [8]. Da es sich um tierische Globuline (Kaninchen, Pferd) handelt, ist insbesondere bei einer wiederholten Gabe mit allergischen Reaktionen, einschließlich Fieber, Übelkeit, Serumkrankheit, Immunkomplexnephritis, oder Thrombozytopenie zu rechnen. Im Rahmen von wiederholten Gaben wurde das Auftreten von Lymphomen und monoklonalen Gammopathien beschrieben. Die Halbwertszeiten liegen je nach Präparat bei 2–14 Tagen.
Monoklonale Antikörper Anti-CD3-Antikörper (OKT3) ist ein von Mäusen stammender monoklonaler Antikörper, der an CD3, ein dem T-Zell-AntigenRezeptor (TCR) assoziiertes Protein, bindet und so die Antigenbindung an T-Zellen verhindert. OKT3 aktiviert die T-Zelle, ohne dass ein weiteres Antigen an den TCR binden kann, und bewirkt eine folgende Zytokinausschüttung. Nach Unterbindung der T-ZellProliferation folgt die rasche Depletion des gesamten T-Zell-Pools durch Lyse oder Apoptose mit einer ausgeprägten suppressiven Wirkungen (spezifische zelluläre und sekundär humorale Immunität). OKT3 wird v. a. bei akuten Abstoßungsreaktionen eingesetzt. Als spezifische Nebenwirkung ist das Zytokinfreisetzungssyndrom mit Fieber, Schüttelfrost/Rigor, Kopfschmerz, Tremor, Übelkeit/Erbrechen, Durchfall, Muskel- und Gelenkschmerzen zu nennen. Patienten können im Verlauf einer Therapie Antikörper gegen OKT3 bilden, die zu einem Wirkungsverlust und allergischen Reaktionen führen können. Die Gefahr von Virusinfektionen, insbesondere CMV, und einem EBV-assoziierten lymphoproliferativen Syndrom ist bei einer Therapie mit OKT3 deutlich erhöht. Die rekombinanten IL-2-Rezeptor-Antikörper Basiliximab und Daclizumab verhindern durch Rezeptorblockade nur die IL2-vermittelte T-Zell-Proliferation. Dabei werden spezifisch die nach Antigenkontakt aktivierten T-Zellen an ihrer Proliferation gehindert, während ruhende T-Zellen unbeeinflusst bleiben. Auch die alternative IL-15-abhängige Proliferation wird unterbunden, da IL-15 ebenfalls am blockierten Rezeptor bindet. Beide Substanzen wurden bisher zusätzlich zu einem Standardschema aus Ciclosporin A und Steroiden zur Induktion der immunsuppressiven Therapie ver-
abreicht, wodurch sich die Rate akuter Abstoßungsreaktionen bei Nierentransplantationen um ca. 30% senken ließ. Ihre Wirkdauer erstreckt sich auf eine bis mehrere Wochen. Beide Präparate werden am Tag der Transplantation und dann in einem festen Schema in den folgenden Wochen appliziert. Sie besitzen beide ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil quasi ohne allergische Reaktionen, da aufgrund der rekombinanten Herstellung nur der bindende Fab-Anteil des Antikörpers von einem immunisierten Mausklon stammt, während der übrige Fc-Anteil humanen Charakter hat. Weitere neue Antikörperpräparate sind auf dem Markt, und ihr Nutzen im Rahmen von Organtransplantationen befindet sich in der klinischen Untersuchung. Alemtuzumab ist ein Anti-CD52Antikörper, der zu einer Depletion von Lymphozyten, Monozyten, NK-Zellen und Thymozyten sowohl im peripheren Blut als auch in den Lymphknoten führt, während lymphozytäre Gedächtniszellen erhalten bleiben. Alemtuzumab könnte aufgrund seiner breiten Wirksamkeit bei der Induktion einer Toleranzentwicklung Anwendung finden. Weitere Angriffspunkte sind eine negative Regulation der Kostimulation des T-Zell-Rezeptors über CD28 mittels CTLA-4 (Belatacept) oder die Interaktion antigenpräsentierender Zellen mit T-Zellen über LFA-1; CD11a (Efalizumab). Fazit Man unterscheidet 4 Immunsuppressivaklassen: 4 Kortikoide, 4 Calcineurin-Inhibitoren, 4 Antiproliferativa, 4 Antikörperpräparate. Sie beeinflussen im Wesentlichen die Funktion bzw. Proliferation der für die Abstoßungsreaktion verantwortlichen T-Lymphozyten (. Abb. 80.2). Die Doppeltherapie aus einem CNI und einem Kortikoid stellt bis heute ein Basisregime dar. Insbesondere die Problematik der Nephrotoxizität der CNI lässt aber nach Alternativen suchen. Antiproliferativa erlauben als Ergänzung in einer Dreifachtherapie, die CNI-Dosis zu reduzieren oder diese bei niedriger Abstoßungsgefahr evtl. vollständig zu ersetzen. Antikörperpräparate können ergänzend zur Induktion der Immunsuppression oder zur Therapie der akuten Abstoßung angewendet werden. Es gilt, für jeden Patienten eine individuelle Langzeitkombination mit entsprechenden Wirkspiegeln zu finden.
80.5
Infektiologische Komplikationen der Immunsuppression
Immunsuppressiva bedingen eine erhöhte Infektanfälligkeit, reduzieren die klinischen Symptome einer Infektion und begünstigen deren foudroyanten Verlauf. Das Spektrum wahrscheinlicher Infektionserreger ist insbesondere um Viren, Pilze und intrazelluläre Bakterien erweitert. Eine strenge Expositionskontrolle gegenüber potenziellen Pathogenen ist entscheidend und beinhaltet z. B. eine besondere Aufmerksamkeit beim Patientenkontakt, restriktive Indikationen zu invasiven Techniken/Applikationen und die Beachtung entsprechender baulicher Voraussetzungen. Prophylaktische Therapien sollen bei vorliegender Evidenz entsprechend durchgeführt werden. Eine empirisch kalkulierte antiinfektive Therapie muss dem spezifischen 6
80
1044
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
Phase I 0 - 80 Tage Nosokomiale Infektionen
80 80 80
Bakterien
Viren
Wund-, Katheter-, Harnwegsinfekte, Pneumonie auch atypische Bakterien
Phase II 30 - 180 Tage Opportunistische Infektionen
Nokardien Listerien, Mykobakterien
HSV CMV EBV, VZV, RSV, Adenoviren HBV, HCV
80 80 80
Pilze
Candida Aspergillus
Parasiten
. Abb. 80.3 Infektionsrisiken im zeitlichen Verlauf nach Organtransplantation (HSV=humanes Herpesvirus, CMV=Zytomegalievirus, EBV=Epstein-Barr-Virus, VZV=Varizella-zoster-Virus, RSV=«respiratory syncytial virus«, HBV=Hepatitis-B-Virus, HCV=Hepatitis-C-Virus). (Mod. nach [27])
Phase III > 180 Tage Chronische Infektionen
CMV- Retinitis- Kolitis EBV-assoziierte lymphoproliferative Erkrankung Papillomavirus
Pneumocystis jiroveci Cryptococcus neoformans Toxoplasma gondii Strongyloides stercoralis
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Keimspektrum Rechnung tragen. Im Fall einer Sepsis muss auch die Reduktion/Pausierung der Immunsuppression, begleitet von einer engmaschigen Abstoßungsdiagnostik, erwogen werden. Das große Interaktionspotenzial von Immunsuppressiva z. B. mit einer Reihe von Antiinfektiva, muss beachtet werden.
Die Reduktion der Aktivität der T-Zell-vermittelten Immunreaktion durch Immunsuppressiva prädisponiert insbesondere für Infektionen durch Viren, bestimmte Parasiten, Pilze und intrazelluläre bakterielle Erreger bzw. Mykobakterien [18]. Zusätzlich erhöht die Schwächung der angeborenen unspezifischen und der humoralen Immunität, z. B. durch Kortikoide, die Gefahr für Infektionen durch Bakterien und respiratorische Viren. Bereits vorliegende Virusinfektionen mit intrinsisch immunmodulierenden Effekten (CMV, EBV, HBV oder HCV) begünstigen das Auftreten weiterer Infektionserkrankungen. Mit der Transplantation können persistierende intrazelluläre Erreger, wie z. B. CMV oder Toxoplasma gondii, durch das Transplantat vom Spender auf den Empfänger übertragen werden. Für Transplantationspatienten besteht im Rahmen einer stationären Behandlung ein erhöhtes Risiko für bekannte Erreger nosokomialer Infektionen wie z. B. Pseudomonas aeruginosa, multiresistente Bakterien (z. B. MRSA, VRE, ESBL) und Clostridium difficile. Oberflächliche und tiefe Wundinfektionen durch Bakterien bzw. Candida spp., Pneumonien (u. a. durch Aspergillus spp.), Harnwegsinfekte und katheterassoziierte Infektionen können als perioperative nosokomiale Infektion innerhalb des 1. Monats auftreten (. Abb. 80.3). Ab dem 2. Monat spielen klassische opportunistische Infektionen eine zunehmende Rolle: 4 CMV 5 wichtigste Virusinfektion, 5 abhängig von Serostatus, Immunsuppression, HLA-Kompatibilität und CMV-Status des transplantierten Organs: 10–50%, 5 häufig ist das transplantierte Organ das Ziel der Infektion, 4 Pneumocystis jiroveci, 4 Aspergillus spp. und 4 Candida spp. 5 innerhalb der ersten 3 Monate (postoperativ) und in Phasen verstärkter Immunsuppression, 4 Nokardien,
4 Toxoplasma gondii, 4 Listerien. Ab ca. 6 Monaten nach der Transplantation stellen Pneumokokken, bakterielle Harnwegsinfekte, respiratorische Viren (einschließlich Influenzaviren), Herpes zoster und sehr selten eine CMV-Retinitis die Hauptgefahren dar. Diese zeitliche Abgrenzung gilt für Patienten mit wiederholten akuten oder einer chronischen Abstoßung aufgrund der intensivierten Immunsuppression nur bedingt. Auch Patienten mit chronischen immunmodulierenden Virusinfektionen bleiben deutlich gefährdeter für Infektionen.
80.5.1
Infektiologische Überwachung
Eine umfangreiche infektiologische Diagnostik soll das Vorhandensein viraler und bakterieller Infektionen bei Spender und Empfänger vor der Transplantation untersuchen. Serologische Tests mit Nachweis von Antikörpertiteranstiegen sind unter Immunsuppression selten hilfreich, weshalb einem direkten Erregernachweis, z. B. mittels Kultur oder über kulturunabhängige Verfahren wie PCR, eine bedeutendere Rolle zukommt. Aber auch allgemeine Entzündungsparameter wie Leukozytenzahl, C-reaktives Protein und Procalcitonin (PCT), das auch unter Immunsuppression eine gute Sensitivität und Spezifität für bakterielle und fungale Infektionen besitzt, bleiben hilfreich [10, 45, 62]. Besonders zur Differenzialdiagnose kann PCT wichtige Hinweise liefern, da es im Fall von viralen Infektionen bzw. bei Abstoßungsreaktionen zu keinem PCT-Anstieg kommt. Aufgrund der möglichen Reaktivierung bzw. Neuinfektion mit CMV, die für die Morbidität und Letalität des Transplantierten von großer Relevanz ist, werden nach der Transplantation für 3–6 Monate wöchentliche Screening-Untersuchungen mittels quantitativem pp65-Antigentest aus Leukozyten des peripheren Blutes und/ oder der direkte PCR-Nachweis empfohlen [67, 68]. Bei einer neu auftretenden Leukopenie und im Fall von unklaren Durchfällen muss ebenfalls frühzeitig an eine akute CMV-Infektion gedacht werden [41]. Andere Herpesviren verursachen kurz nach der Transplantation seltener Infektionen. Trotzdem sollten im Verdachtsfall frühzeitig serologische Untersuchungen und ein Antigennachweis durchgeführt werden.
1045 80.5 · Infektiologische Komplikationen der Immunsuppression
Serologische Untersuchungen sind zur Diagnose von Pilzinfektionen bei immunsupprimierten Personen in der Regel nicht aussagekräftig. Der Nachweis pilzlicher Antigene wie dem Polysaccharid 1,3-β-D-Glucans, einem Bestandteil der Pilzzellwand (Ausnahmen: Zygomyzeten, Kryptokokkus), sowie PCR-Verfahren gewinnen hier zunehmend an Gewicht. Der Galactomannan-Antigen-Test aus Serum oder aus der bronchoalveolären Lavage (BAL) deutet besonders bei mehrfach positiven Befunden mit einer hohen Sensitivität auf Aspergillusinfektionen hin. Eine engmaschige infektiologische Überwachung (. Tab. 80.3) trägt dem besonderen Risiko transplantierter Patienten Rechnung.
80.5.2
Antimikrobielle Prophylaxe
Im medizinischen Umgang mit immunsupprimierten Patienten ist zur Vermeidung einer Exposition besonders mit nosokomialen Keimen eine aseptische Arbeitsweise selbstverständlich. Auch ein ausreichender Impfschutz gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Mumps, Influenza, Streptococcus pneumoniae, Hepatitis B (ggf. Hepatitis A) und Varicella zoster (wenn keine Immunisierung vorliegt) sollte vor Beginn der medikamentösen Immunsuppression bestehen. Unter einer immunsuppressiven Therapie sind Impfungen eingeschränkt wirksam, aber nicht gänzlich ineffektiv, wobei Lebendimpfungen kontraindiziert sind. Aufgrund der bedeutenden Morbidität und Letalität von Infektionen durch CMV und Pneumocystis jiroveci sind für Organtransplantierte hierzu vielfach Prophylaxeregimes etabliert. Die in mo-
. Tab. 80.3 Diagnostische Maßnahmen bei Infektionsverdacht Allgemein
Klinische Untersuchung
Bildgebung
Thoraxröntgenaufnahme, ggf. hochauflösendes Thorax-CT Abdomensonographie, ggf. CT, MRT bei abdomineller Symptomatik (Transösophageale) Echokardiographie bei Verdacht auf Endokarditis
Mikrobiologische Diagnostik
Blutkulturen aus periphervenösem Blut, ggf. zusätzlich aus ZVK Spezifische Antikörper-Antigen-Tests: Viren-PCR, pp65 (CMV), Aspergillus-Gallactomannan-Antigen, 1,3-β-D-Glucan, Legionellenantigen im Urin Urin-, Stuhlkultur: Clostridium-difficile-Toxin/ Enterotoxin, Rota-, Noroviren Tiefes Trachealsekret: CMV, HSV, RSV, Legionellen, Mykobakterien, Pneumozystis, Pilze Wundabstrich, Drainageflüssigkeiten Punktionsmaterial Liquorkultur
Klinischchemische Diagnostik
Leukozyten, Differenzialblutbild, Hb, Thrombozyten CRP, PCT, Interleukin-6 Elektrolyte, Gerinnungsparameter, Retentionsparameter, Leberwerte, Laktat
nozytären Zellen des Organempfängers persistierenden Zytomegalieviren können unter Immunsuppression reaktiviert werden oder auch durch Spenderzellen (Transplantat, Bluttransfusion) auf diesen übertragen werden. Je nach CMV-Status von Organempfänger und -spender liegt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer CMV-Infektion ohne Prophylaxe bei 20–70%. Eine CMV-Infektion, die sich mit Fieber, Leukopenie, Thrombopenie, Hepatitis, Kolitis, Pankreatitis oder interstitieller Pneumonie darstellen kann, korreliert negativ mit der Langzeittransplantatfunktion, bedingt eine höhere Gesamtletalität und erhöht die Inzidenz von Infektionen. Ganciclovir (alternativ das enteral besser verfügbare Prodrug Valganciclovir), Foscarnet und Cidofovir sind gegen CMV virostatisch wirksam, wobei zur Prophylaxe zumeist Valganciclovir [61] oder Ganciclovir für 1–4 Monate oral gegeben wird [3, 4, 64]. Bei ca. 10% aller Patienten kommt es im ersten halben Jahr nach der Transplantation besonders in Phasen einer CMV-Infektion oder einer abstoßungsbedingt intensivierten Immununsuppression zu einer Pneumozystits-Pneumonie (PCP), die mit einer hohen Letalität verbunden ist [5]. Eine primäre Prophylaxe mit Cotrimoxazol, das zusätzlich auch einen effektiven Schutz gegen Toxoplasmen bietet, ist nicht nur für die besonders gefährdeten Lungentransplantationspatienten etabliert. Therapeutisch werden hochdosiertes Cotrimoxazol (bei bedeutsamer Hypoxie in Kombination mit einem Kortikoid) oder alternativ Pentamidin eingesetzt. Wegen der hohen Rate an Rezidiven muss nach überstandener Infektion die Prophylaxe dauerhaft durchgeführt werden. Nach Lungentransplantation wird zusätzlich regelhaft eine aspergilluswirksame antimykotische Prophylaxe gegeben.
80.5.3
Antimikrobielle Therapie
Eine empirische antiinfektive Therapie muss bei immunsupprimierten Patienten aufgrund verschleierter Symptome und der Gefahr eines perakuten Verlaufs frühzeitig eingeleitet und nach Erhalt mikrobiologischer Befunde angepasst werden. Bezüglich der Gestaltung der infektiven Therapie sind auch Infektionen durch atypische und multiresistente Pathogene zu beachten. Bei schweren septischen Verläufen muss auch die Immunsuppression angepasst bis ausgesetzt werden, da die immunologische Kompetenz auch unter adäquater antiinfektiver Therapie mitentscheidend für die Überwindung einer Infektion bleibt [2, 17]. Der Einsatz von nephrotoxischen Pharmaka inkl. der Aminoglykoside und von Amphotericin B muss vor dem Hintergrund der Therapie mit CalcineurinInhibitoren sorgfältig abgewogen werden.
80.5.4
Tumorerkrankungen als Komplikation einer immunsuppressiven Therapie
Im langfristigen Verlauf treten unter Immunsuppression bei ca. 15% der Patienten maligne Tumoren auf, wobei es sich überwiegend um dermale Plattenepithelkarzinome handelt. Deshalb sollten Organtransplantierte regelmäßig hautärztlich untersucht werden. Neben einer chirurgischen Therapie kann die Reduktion oder die Umstellung der Immunsuppression hilfreich sein. Zusätzlich treten unter Immunsuppression vermehrt Lymphome auf. Hierfür gelten eine Epstein-Barr-Virusinfektion und die Gabe von Anti-T-Zell-Antikörper als Hauptrisikofaktoren.
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80.5.5
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
HIV und Organtransplantation Indikationen zur Nierentransplantation
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Vor dem Hintergrund der verbesserten Lebenserwartungen und -qualität stellt eine HIV-Infektion heute keine absolute Kontraindikation für eine Transplantation dar. Im Gegenteil drängt sich die Frage nach einer Transplantation z. B. für Patienten mit einer simultanen HIV- und HCV-Infektion oder aufgrund der nephrotoxischen Komplikationen der »highly active anti-retroviral therapy« (HAART) aktuell vermehrt auf. Stabil hohe T-Helfer-Zell-Zahlen und die Abwesenheit Aidsdefinierender Erkrankungen in der jüngeren Vergangenheit sind Voraussetzung für die Transplantation. Die Erhaltung der T-HelferZell-Konzentrationen unter weitergeführter HAART sowie eine vor dem Hintergrund der relevanten Interaktionen kalkulierte Wirkstoffauswahl und engmaschige Dosisüberwachung der immunsuppressiven Medikation sind entscheidende Punkte in der Betreuung dieser Patienten.
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80.6
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Spezielle Intensivmedizin nach Nieren-/ Nieren-Pankreas-Transplantation
Die intensivmedizinische Betreuung von Nierentransplantierten ist zumeist aufgrund von sekundären Komplikationen der Niereninsuffizienz notwendig. Zur Erhaltung der Transplantatfunktion sind entscheidend: 4 die Überwachung der Organperfusion, 4 ein adäquater Volumenstatus und 4 die Vermeidung einer nephrotoxischen Medikation.
80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80
80.6.1
Einleitung
In Deutschland werden jährlich ca. 3000 Personen neu auf die Warteliste für eine Nierentransplantation aufgenommenen. Insgesamt warten aktuell etwa 10.000 Personen auf eine Nierentransplantation, wobei pro Jahr ca. 2200 Nierentransplantationen nach postmortaler Organspende und ca. 500 im Rahmen einer Lebendspende durchgeführt werden [21]. Mit der Nierentransplantation ist sowohl eine deutlich längere Lebenserwartung und eine bessere Lebensqualität im Vergleich mit allen anderen Nierenersatzverfahren verbunden [78]. Deshalb wäre grundsätzlich eine präemptive Transplantation vor dem Beginn der Dialysepflichtigkeit anzustreben. Diese ist allerdings aufgrund der geringen Verfügbarkeit von postmortalen Spenderorganen nur im Rahmen einer Lebendspende umsetzbar. Die häufigsten Ursachen der zur Transplantation führenden Erkrankungen sind Diabetes mellitus, Glomerulonephritiden, hypertensive Nierenerkrankung, polzystische Nierenerkrankung (7 Übersicht).
4 Diabetische Nephropathie bei primär insulinpflichtigem Diabetes mellitus 4 Diabetische Nephropathie bei nicht primär insulinpflichtigem Diabetes mellitus 4 Chronisch nephritisches Syndrom, diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis 4 Polyzystische Niere 4 Hypertensive Nierenerkrankung 4 Nephrotisches Syndrom
Die Patienten leiden oft an sekundären Komplikationen der Niereninsuffizienz und der Grunderkrankung wie Diabetes mellitus und Hypertonus, sodass Nebenerkrankungen wie koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Folgen der arteriellen Hypertension und des Diabetes in weiteren Endorganen, sekundärer Hyperparathyreoidismus und Osteopathien gehäuft auftreten können. > In der akuten präoperativen Vorbereitung zur Transplantation muss der Patient nochmals dialysiert werden, um ohne Überwässerung oder Hyperkaliämie transplantiert werden zu können.
80.6.2
Komorbidität
Die Langzeitprognose von Patienten nach Nierentransplantation ist selten durch die Transplantatfunktion selbst limitiert. Auch 5 Jahre nach postmortaler Transplantation ist bei etwa 70% der Patienten eine ausreichende Nierenfunktion gegeben. Die bedeutsamen kardiovaskulären Nebenerkrankungen (z. B. arterieller Hypertonus, Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit, zerebrale Durchblutungsstörungen) sind die häufigsten Todesursachen der Patienten nach einer Nierentransplantation [28, 58]. Neben der Organerhaltung und Behandlung der Komplikationen der Immunsuppression ist damit die entschlossene Behandlung von Herz-KreislaufErkrankungen und ihrer Risikofaktoren (einschließlich Rauchen) entscheidend für die Prognose dieser Patienten.
80.6.3
Operationstechnik
Die Transplantation erfolgt extraperitoneal in die Fossa iliaca in unmittelbarer Nähe der Iliakalgefäße, mit denen A. renalis und V. renalis des Transplantates end-zu-seit-anastomosiert werden. Eine linke Spenderniere wird zumeist rechts implantiert und umgekehrt. Der Transplantatureter wird so in den M. detrusor der Harnblase anastomosiert, dass eine Antirefluxplastik entsteht. Bereits intraoperativ kommt es häufig zu einer Funktionsaufnahme des Transplantats, allerdings bedürfen auch einige Patienten aufgrund einer fehlenden initialen Transplantatfunktion einer postoperativen Dialyse. Zumeist kommt es innerhalb der folgenden 2 bis 3 Wochen zur Funktionsaufnahme des Transplantats.
1047 80.7 · Kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantation
80.6.4
Postoperative Intensivtherapie
Monitoring und Zielgrößen Patienten nach Nierentransplantation werden postoperativ in der Regel spontanatmend in den Überwachungsbereich übernommen. Im Vordergrund stehen eine engmaschige Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung sowie die Überwachung der Transplantatfunktion v. a. anhand von Serumkreatinin und Harnstoff. Um eine ausreichende Perfusion des Transplantats zu gewährleisten, ist auf die Vermeidung einer Hypovolämie und von hypotensiven Phasen zu achten. Die regelgerechte Transplantatperfusion wird direkt nach Aufnahme und im weiteren Verlauf durch tägliche Duplexsonographien überwacht. Flüssigkeit und Elektrolyte werden entsprechend der Diurese substituiert. Kristalloide sind dabei Mittel der 1. Wahl. Der Stellenwert von Kolloiden bei der Flüssigkeitssubstitution nach Nierentransplantation ist heute nicht sicher zu bewerten, allerdings ist im Zweifel der Einsatz von Albumin oder evtl. Gelatine zu favorisieren. Hydroxyethylstärke gilt wegen der Gefahr der Tubulusnekrose als kontraindiziert.
Immunsuppression Die immunsuppressive Therapie beginnt perioperativ mit einer Kombination aus CNI, Antiproliferativum und Kortikoid. Sie kann durch eine Induktionsbehandlung mit T-Zell–Depletion (Antithymozytenantikörper, OKT3) und die Interleukin-2-Rezeptorantagonisten Basiliximab und Dacluzimab ergänzt werden. CalcineurinInhibitorfreie Protokolle wurden zur Vermeidung der CNI-assoziierten Toxizität entwickelt, sind aber im Vergleich bezüglich der Abstoßungshäufigkeit und bezüglich des Transplantatüberlebens zumindest in der frühen Phase nach Transplantation eher unterlegen [1, 46]. Bei histologisch gesicherter Calcineurin-Inhibitortoxizität, sollte auf ein Calcineurin-Inhibitor-freies Protokoll bestehend aus mTOR-Inhibitor, Mycophenolat und evtl. Kortikoid umgestellt werden. Eine permanente Kombination aus CNI mit mTOR-Inhibitoren besitzt eine deutlich erhöhte Nephrotoxizität und ist deshalb nur in einer individuellen Abwägung sinnvoll [51]. Eine umfassende Leitlinie zur Versorgung von Nierentransplantierten wurde aktuell von einer internationalen Expertengruppe erarbeitet [16].
80.7
Transplantatdysfunktion Für die zumeist passagere frühe Transplantatdysfunktion sind in der Regel eine Hypovolämie, hypotensive Phasen oder Probleme an den Gefäßanschlüssen wie Thrombosen, Embolien oder Stenosen der A. bzw. V. renalis verantwortlich. Darüber hinaus können postrenale Harnabflussstörungen durch Stenosen an der Ureteranastomose, ischämisch bedingte Ureterleckagen, äußere Kompression des Ureters, z. B. durch Hämatome, verlegte Ureterschienen und Blasenkatheter, sowie Lymphozelen oder Serome auftreten. Diagnostisch sind bildgebende Verfahren hierbei zielführend. Die nephrotoxische Wirkung der Induktionsbehandlung mit hochdosiertem Ciclosporin A (CNI) sowie eine frühe Polyomavireninfektion können intrarenale Ursachen für eine frühe Transplantatdysfunktion sein. Bei einer primären Oligurie oder Anurie ist zu beachten, dass eine folgende Hyperhydratation zu einer Beeinträchtigung der Transplantatperfusion führen kann. Bei ausreichendem Volumenstatus ist eine diuretische Stimulation mit Furosemid zulässig, sollte aber engmaschig reevaluiert und bei Persistenz der Funktionseinschränkung beendet werden. Bei reduziertem Herzzeitvolumen ist Dobutamin das Mittel der Wahl. Bei einer Anuriedauer von >24 h sollte eine Nierenersatztherapie durchgeführt werden, wobei bezüglich des Volumenentzuges auf die Vermeidung einer intravasalen Hypovolämie zu achten ist. Die Anwendung von Dopamin im akuten Nierenversagen ist nicht angezeigt.
Akute Abstoßung Bei bis zu 1/3 der Patienten kommt es innerhalb der ersten 3 Monate nach Transplantation zu einer akuten Abstoßung. Sie wird durch eine Biopsie histologisch gesichert. Die akute Abstoßung wird mit Kortikoiden allein oder in Kombination mit Antikörperpräparaten und/oder Plasmapherese behandelt.
Chronische Abstoßung Die chronische Transplantatnephropathie zeichnet sich aus durch eine langsame Verschlechterung der Transplantatfunktion, die häufig mit einer nicht nephrotischen Proteinurie einhergeht. Maßgeblich verantwortlich scheinen kardiovaskuläre Risikofaktoren zu sein. Andere Ursachen, wie toxische Schäden, z. B. durch CNI, eine neuerliche Glomerulonephritis, eine Rekurrenz der Grunderkrankung oder Polyomainfektionen lassen sich histologisch von der chronischen Transplantatnephropathie unterscheiden.
Kombinierte Nieren-PankreasTransplantation
> Die häufig schwerwiegenden sekundären Komplikationen eines unkontrollierten Typ-1-Diabetes (z. B. KHK) und die mögliche postoperative Transplantationspankreatitis machen die intensivmedizinische Überwachung nach Pankreastransplantation obligat.
Die Transplantation von insulinsezernierenden Geweben durch Pankreas- oder Inselzelltransplantation stellt eine Möglichkeit der kausalen Therapie eines komplikationsträchtigen Typ-1-Diabetes dar. Man kann verschiedene Konzepte des β-Zellersatzes unterscheiden: 4 Bei Patienten mit noch intakter Nierenfunktion als alleinige Transplantation, 4 bei Patienten, die bereits zuvor eine Niere eines anderen Spenders erhalten haben, sowie 4 bei Patienten, die zeitgleich Pankreas und Niere vom gleichen Spender erhalten. Bei der Inzelzelltransplantation werden im Gegensatz zur soliden Pankreastransplantation Inselzellen (mehrerer Spenderorgane) zunächst isoliert, aufgereinigt und schließlich transkutan direkt in die Pfortader appliziert. Die Isolation und Reinigung der Inselzellen ist technisch sehr aufwendig und setzt ein großes Maß an Erfahrung voraus, sodass sie weltweit nur an wenigen Zentren durchgeführt wird. Die solide Pankreas- bzw. eine kombinierte Nieren-PankreasTransplantation wurde in Deutschland im Jahr 2008 an 23 Zentren 137-mal durchgeführt. Bei der Entscheidung über eine Transplantation müssen die verbesserte Lebensqualität und der Einfluss sekundärer Diabeteskomplikationen gegenüber dem Risiko der Operation und der Immunsuppression abgewogen werden. Darüber hinaus gilt die Pankreastransplantation als indiziert, wenn eine fortgeschrittene Nephropathie auch eine Nierentransplantation notwendig macht. Inwieweit diabetische Folgekomplikationen durch die Pankreastransplantation positiv beeinflussbar sind, ist vom Zeitpunkt der Transplantation abhängig. Trotzdem bleibt festzustellen, dass Patienten nach kombinierter Nieren-PankreasTransplantation eine bessere Langzeitprognose aufweisen als solche nach alleiniger Nierentransplantation, was auf eine Reduktion so-
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Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
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wohl der Hypoglykämierate als auch der kardiovaskulären Letalität zurückzuführen ist [22, 54, 69].
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80.7.1
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Operationstechnik
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Die Empfindlichkeit des Pankreasgewebes gegenüber chirurgischer Manipulation und die suffiziente Drainage des exokrinen Sekrets des Pankreas stellen die beiden Hauptprobleme der Transplantationsoperation dar. In der Regel wird das Organ als pankreatikoduodenales Segment zusammen mit der Milz unter möglichst geringer Manipulation entnommen und konserviert. Bei simultaner Implantation von Pankreas und Nieren wird zunächst das Pankreas transabdominell in der rechten Fossa iliaca platziert. Von dort wird zur enterischen Ableitung das Dünndarmsegment mit dem Empfängerjejunum anastomosiert. Alternativ kann auch eine Ableitung des Pankreassekretes in die Blase erfolgen, was aufgrund erheblicher Infektionsprobleme als unterlegene Technik gilt. Die Gefäßversorgung geschieht zumeist über die Iliakalgefäße, wobei auch eine venöse Drainage in die V. portae möglich ist, die der physiologischen Situation am ehesten entspricht. Die Nierentransplantation erfolgt dann anschließend in die kontralaterale Fossa iliaca.
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80.7.2
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Monitoring und Zielgrößen
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Postoperative Intensivtherapie
Zusätzlich zu den Vorgaben, die aus einer simultanen Nierentransplantation resultieren, erfordert die Überwachung der Funktion des Pankreas mit der Möglichkeit der Entwicklung einer systemischen Inflammation auf dem Boden einer Transplantatpankreatitis sowie die postoperativ nicht seltenen kardialen und zerebrovaskulären Komplikationen eine mehrtägige intensivmedizinische Überwachung.
Komplikationen Die Pankreastransplantation ist mit einer relevanten Komplikationsrate und Letalität verknüpft. Dabei spielen chirurgische Komplikationen (Anastomosenleckagen, Transplantatpankreatitis, Peritonitis und Wundinfektionen) sowie medizinische Komplikationen, insbesondere Myokardischämien, eine wichtige Rolle.
Abstoßungsdiagnostik Bei der simultanen Transplantation ist die Nierenbiopsie richtungsweisend für die Beurteilung einer Abstoßung. Sie kann allerdings durch eine selektive Pankreasbiopsie ergänzt werden, wenn eine Diskrepanz zwischen guter Nieren- aber reduzierter Pankreasfunktion erkennbar wird.
80.8
Lebertransplantation
Mit Einführung des MELD-Systems werden vermehrt Patienten mit einer fortgeschrittenen Leberinsuffizienz und entsprechend bedeutenden begleitenden Organdysfunktionen transplantiert. Die Anwendung von Organersatzverfahren, die Überwachung der Transplantatfunktion, die Beachtung entsprechend veränderter Pharmakokinetik und evtl. eine spezifische Gerinnungssubstitution sind komplexe Anforderungen an die Intensivmedizin im Rahmen von Lebertransplantationen. Hämodynamisch ist besonders auf die Vermeidung eines rechtsventrikulären Versagens mit Leberstauung zu achten.
80.8.1
Einleitung
Aktuell werden in Deutschland an 22 Zentren jährlich etwa 1100 Lebertransplantationen nach postmortaler Organspende durchgeführt [21]. Zusätzlich werden an einigen Zentren Lebendspenden vorgenommen, bei denen das Transplantat durch eine empfängerorientierte Mehrsegmentresektion oder Hemihepatektomie links gewonnen wird. Auch die Aufteilung einer postmortalen Leberspende (Splitlebertransplantation) auf 2 Spender ist möglich und wird insbesondere im Rahmen der Transplantation von Kindern praktiziert. Die Leberzirrhose auf dem Boden einer chronischen Lebererkrankung und ein akutes Leberversagen sind die klassischen Indikationen für die Lebertransplantation (. Tab. 80.4). Die Lebertransplantation hat sich aber auch zu einer etablierten onkologischen Therapieoption, z. B. beim hepatozellulären Karzinom entwickelt. Viele verschiedene chronische Lebererkrankungen führen bei Fortschreiten zu Fibrose und Zirrhose der Leber, in deren Folge sich eine portale Hypertension sowie Störungen der Synthese- und Entgiftungsleistung der Leber ergeben. Symptome der fortgeschrittenen Zirrhose sind Aszites, Ikterus, Hypalbuminämie, hepatische Enzephalopathie, bedeutsame Muskeldystrophie, Lethargie, Osteoporose, rezidivierende spontane bakterielle Peritonitiden, hepatorenales und hepatopulmonales Syndrom und der refraktäre Pruritus. Ein akutes Leberversagen kann sich auch ohne eine vorexistierende chronische Lebererkrankung, z. B. im Rahmen von Intoxikationen oder Virusinfektionen, entwickeln. Seit Dezember 2006 gilt für die Einstufung der Dringlichkeit einer Listung zur Lebertransplantation das »model of end stage liver disease« (MELD). Durch eine an der 3-Monats-Letalität orientierten Organvergabe versucht man mit dem MELD-System, die Sterblichkeit auf der Warteliste zu senken (7 Übersicht und . Tab. 80.5).
80 Berechnung des MELD-Scores
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4 10×[0,957 × Ln (Serumkreatinin) + 0,378 × Ln (Bilirubin ges.) + 1,12 × Ln (INR) + 0,643]
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Der MELD-Score basiert ausschließlich auf objektiven Laborbefunden (Kreatinin, INR, Serumbilirubin), während das Child-Turcotte-Pugh-System auch weniger objektive Parameter wie das Ausmaß von Aszites und Enzephalopathie einbezieht. Daraus ergibt sich verglichen mit der vorherigen Vergabepraxis eine Bevorzugung von kränkeren Patienten mit einem höheren perioperativen Risiko [26]. Ein MELD-Wert >30 ist mit einer höheren postoperativen Letalität assoziiert.
1049 80.8 · Lebertransplantation
. Tab. 80.4 Häufige Indikationen zur Lebertransplantation. (Nach [73]) Kategorie
Erkrankung
Akutes Leberversagen
Intoxikationen Akute Virushepatitis
Chronische Lebererkrankungen
Chronische Virushepatitis Alkoholische Leberzirrhose Primär biliäre Zirrhose Primär sklerosierende Cholangitis
Metabolische Erkrankungen
α1-Antitrypsinmangel M. Wilson Hereditäre Hämochromatose Amyloidose
Malignome
Hepatozelluläres Karzinom Hepatoblastom Cholangiozelluläres Karzinom
Andere
Budd-Chairi-Syndrom Polyzystische Lebererkrankung Echinokokkose
. Tab. 80.5 MELD Score (Berechnung des individuellen Wertes 7 Übersicht) MELD-Wert
3-Monats-Letalität [%]
6
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15
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24
21
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30
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80.8.2
Die portale Hypertension bildet den Ausgangspunkt einer Reihe von spezifischen pathophysiologischen Veränderungen, die durch eine vermehrte Freisetzung von Vasodilatatoren (z. B. Stickstoffmonoxid (NO), Kohlenmonoxid (CO), Prostaglandine, Glukagon) u. a. im Splanchnikusgebiet zur Eröffnung von portovenösen und portosystemischen Shunts mit Volumen-Pooling im Splanchnikusstromgebiet, einer verringerten kardialen Vorlast, erniedrigten system- und pulmonalarteriellen Widerständen sowie einer kompensatorischen Tachykardie bei deutlich erhöhtem Herzzeitvolumen (ScvO2 hoch) führt [49]. Mit dem Fortschreiten der Leberinsuffizienz führt die relative Hypovolämie trotz Aktivierung des ReninAngiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) zur Minderperfusion der Nieren und der Entwicklung eines hepatorenalen Syndroms (HRS) [32]. Das HRS ist bei fortgeschrittener Lebererkrankung ein wesentlicher prognostischer Faktor.
80.8.3
Neben dem reinen Labor-MELD-Wert (»Lab-MELD«) wurde für Indikationen abseits der chronischen Lebererkrankung wie z. B. bei Malignomen oder metabolischen Erkrankungen ein Regelwerk von »standard exceptions« (SE) etabliert, das zur Bestimmung der Allokationspriorität einen »Match-MELD-Score« vergibt [13]. Ein Alter über 65 Jahre ist eine relative Kontraindikation, da die Ergebnisse einer Lebertransplantation bei diesen Personen deutlich schlechter sind als bei jüngeren Patienten. Darüber hinaus können vorliegende Gefäßverschlüsse eine Transplantation undurchführbar machen. Bei einem fortgesetzten Alkoholabusus und einer fehlenden Abstinenz von mindestens 6 Monaten ist eine Transplantation nach dem Transplantationsgesetz verboten.
Hepatopulmonales Syndrom und portopulmonale Hypertension
Die oben genannten Vasodilatatoren bewirken über eine Dilatation intrapulmonaler Gefäße und die Eröffnung von intrapulmonalen Rechts-links-Shunts eine Behinderung der Gasdiffusion und Ausbildung eines Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses, die zu einer zentralen Zyanose führen. Das hepatopulmonale Syndrom geht mit einer deutlichen Erhöhung der Letalität einher. Selten entwickeln Patienten mit Leberzirrhose eine klinisch bedeutsame portopulmonale Hypertension (PPH), die wahrscheinlich aus der Proliferation von Endothelien und glatten Muskelzellen der pulmonalen Gefäßbahn als Folge der hyperdynamen Zirkulation resultiert. Die portopulmonale Hypertension spricht oft gut auf die inhalative oder intravenöse Gabe von Prostaglandinanaloga an [37, 76]. Auch eine restriktive Ventilationsstörung infolge von Aszites und Pleuraergüssen stellt eine durch die Lebererkrankungen vermittelte pulmonale Dysfunktion dar.
80.8.4 > Für Patienten mit einem akuten Leberversagen gelten für eine hochdringliche High-Urgency-(HU-) Listung Ausnahmeregeln, die nicht an die Kriterien des MELD-Scores gebunden sind.
Hämodynamische Effekte und hepatorenales Syndrom
Hepatische Enzephalopathie
Aufgrund der eingeschränkten Eliminationsleistung der Leber oder nach Anlage eines TIPS kommt es zur Anhäufung von Toxinen (z. B. Ammoniak), die ursächlich für die hepatische Enzephalopathie sind. Beim akuten Leberversagens kann sich dabei ein lebensgefährliches Hirnödem entwickeln, während chronische Verläufe klinisch weniger imposant sind. Die enterale Gabe von Lactulose und eine Ansäuerung des Stuhls fördern die Ammoniakausscheidung. Eine weitere Therapieoption stellt die enterale oder intravenöse Zufuhr von Ornithin-Aspartat dar.
80.8.5
Präoperative Intensivtherapie
Präoperativ sind die Erhaltung der Organfunktionen, die Durchführung einer notwendigen Nierenersatztherapie und die begleitende Behandlung von Infektionen entscheidend. Bei einer fortgeschrittenen hepatischen Enzephalopathie ist zum Schutz vor einer Aspiration die endotracheale Intubation und Beatmung frühzeitig zu erwägen.
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80.8.6
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
Operationstechnik
Unterschiede bezüglich der Transplantationstechnik betreffen die Art der hepatovenösen Anastomose und der Gallengangsanastomose. Die klassische Technik mit Klemmung der V. cava inferior blieb aufgrund der hämodynamischen Effekte trotz des Einsatzes von Bypasssystemen ein sehr komplikationsträchtiges Verfahren. Bei den heute praktizierten Techniken (Piggyback oder Seit-zuSeit Anastomose) bleibt der kavale Rückstrom wegen der partieller V.-cava-Ausklemmung erhalten, was erhebliche Vorteile bezüglich hämodynamischer Stabilität, Blutung/Transfusionsbedarf, folgender Organdysfunktionen und Operationsdauer bringt. Auch die klassisch durchgeführte Cholezystojejunostomie oder -duodenostomie wurde wegen höherer Komplikationsraten zugunsten einer direkten End-zu-End- bzw. Seit-zu-Seit-Gallengangsanastomosen verlassen, die zusätzlich endoskopisch-interventionell kontrolliert und therapiert werden können. T-Drainagen schaden mehr, als sie nützen, und sollten keine Anwendung mehr finden.
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80.8.7
Postoperative Intensivtherapie
Die Überwachung und Optimierung der hämodynamischen und respiratorischen Situation, der rasche Ausgleich einer Hypothermie sowie die Kontrolle etwaiger Blutungskomplikationen ist die Aufgabe der frühen postoperativen Intensivtherapie.
Monitoring und Zielgrößen Das entscheidende Ziel der hämodynamische Steuerung in der frühen postoperativen Phase ist eine Optimierung des hepatischen Einflusses und Ausflusses, um eine günstige Transplantatperfusion zu erzielen. Dazu wird der zentrale Venendruck (5–10 mm Hg) so niedrig eingestellt, wie es zur Erzielung eines adäquaten HZV (CI 2,5–3) mit ausreichendem systemischem Perfusionsdruck (MAP 60–90 mm Hg) notwendig ist. Die Überwachung des pulmonalarteriellen Drucks mittels Swan-Ganz-Katheter ist hilfreich, da dieser in der frühen postoperativen Phase oft auch bei Patienten ohne bekannte PPH erhöht ist. Dabei muss auch mit dem Auftreten einer akuten Rechtsherzinsuffizienz gerechnet werden. Zur Therapie einer pulmonalen Hypertonie kommen inhalatives Iloprost oder/und Stickstoffmonoxid (NO) zum Einsatz. Bei der Abschätzung der kardialen Vorlast sind Echokardiographie, PiCCO und die kontinuierliche ZVD-Messung hilfreich. Eine transösophagealen Echokardiographie ist auch bei Patienten mit Ösophagusvarizen ohne aktuelle Blutungsanamnese komplikationsarm durchzuführen. Die Transplantatfunktion wird anhand engmaschiger laborchemischer Kontrollen überwacht. Die Perfusion des Transplantats sowie dessen parenchymatöse Struktur werden direkt nach Aufnahme auf der Intensivstation und in der Folge mindestens einmal täglich (duplex-)sonographisch überprüft. Aufgrund der Gefahr von Thrombosen in den angeschlossenen Gefäßen wird zur Verbesserung der Rheologie ein niedriger Hämatokrit von ca. 25% (Hb 6,5– 8,5 g/dl) bei Patienten mit unkompliziertem postoperativem Verlauf ohne symptomatische kardiale Ischämie oder Blutung angestrebt. In der Regel wird der Patient intubiert und beatmet auf die Intensivstation übernommen. Sowohl das intraoperative anästhesiologische Management als auch die postoperative Analgosedierung sollte mit kurzwirksamen Substanzen durchgeführt werden, um eine möglichst frühe Extubation innerhalb weniger Stunden zu ermöglichen.
Transplantatdysfunktion Die Transplantatdysfunktion zeigt sich laborchemisch anhand einer mangelnden Lebersyntheseleistung (Quick/INR, Cholinesterase, Albumin), durch einen fehlenden Abfall bzw. Wiederanstieg der Transaminasen, Anstieg der Cholestaseparameter (Bilirubin, alkalische Phosphatase, γ-GT) und eine erhöhte Laktatdehydrogenase. Klinisch können Blutungen, eine neu auftretende hämodynamische Instabilität, Flüssigkeitseinlagerungen, Aszitesbildung und Varizenblutung auf die Transplantatdysfunktion mit erneuter portaler Hypertension hindeuten. > Transkutane Messungen der ICG-Elimination (LiMON) [25] sowie neuere Atemtestverfahren (Limax) zur Quantifizierung der Cytochrom-P 450 (1A2)-Aktivität erlauben bereits früh eine zuverlässige Prognose über die Transplantatfunktion [72].
Eine primäre Non-Funktion des Transplantats tritt in 1–5% der Fälle auf und zeigt sich im Verlauf der ersten 2 Tage nach Transplantation. Ursächlich kommen ein schwerwiegender Reperfusionsschaden, Perfusionsprobleme des Transplantats oder eine fulminante Cholestase in Frage. Ist die Ursache durch eine operative Revision nicht zu beheben, bleibt therapeutisch nur die sofortige Listung zur hoch dringlichen Retransplantation übrig.
Operationassoziierte Komplikationen Blutungen. Die Kombination von Thrombozytopenie, Thrombozytenfunktionsstörung und Mangel an Gerinnungsfaktoren, mögliche Parenchymverletzungen während der Multiorganentnahme und die Gefäßanastomosen stellen Risiken für postoperative Blutungen dar (Inzidenz ca. 10–15%). Deshalb sind eine engmaschige Überwachung der Blutgerinnung und eine bedarfsgerechte Substitution von Gerinnungsfaktoren (Frischplasma, PPSB, Fibrinogen, rekombinanter Faktor VII, Faktor XIII) und Thrombozyten im Blutungsfall zügig zu gewährleisten. Bettseitige Diagnosesysteme wie Thrombelastographie und Multiplate können eine zeitnahe Evaluation der Gerinnungssituation und der durchgeführten Substitutionsmaßnahmen ermöglichen. Eine operative Revision mit Hämatomausräumung geschieht in Abhängigkeit der Dynamik der Blutung. Gefäßkomplikationen. Thrombosen der A. hepatica (bis 10%) führen zum Anstieg der Transaminasen und früh zu Gallengangsnekrosen. Diese können durch den Einsatz der sog. Branch-patchTechnik reduziert werden, bei der die Aufzweigungen der A. hepatica propria und A. gastroduodenalis spender- und empfängerseits durchtrennt und als »umbrella« anastomosiert werden. Zu den Risikofaktoren gehören die Verwendung von Interponaten, eine vorbestehende arterielle Stenosierung im Stromgebiet des Truncus coeliacus, eine postoperative Hyperkoagulation, ein hoher Hämatokrit und eine Dissektion der A. hepatica. Die operative Revision oder eine radiologische Intervention (Lyse, PTA) müssen umgehend nach Diagnosestellung eingeleitet werden. Tritt eine arterielle Minderperfusion spät nach der Lebertransplantation auf, ist eine Retransplantation aufgrund von Gallengangsnekrosen und intrahepatischen Abszessen häufig unumgänglich. Pfortaderstenosen oder -thrombosen, sowie Komplikationen der V.-cava-Anastomose sind deutlich seltener. Flussbehinderungen in der Pfortader können erneut Zeichen der portalen Hypertension bis hin zu schweren Leberfunktionsstörungen hervorrufen. Die chirurgische Revision und Thrombektomie haben hier zunächst Priorität. Stenosen an der kavalen Anastomose oder der V. cava selbst sind zumeist auf operative Probleme (»kinking«, Naht) zurückzuführen. Diagnostisch kann neben der Duplexsonographie eine Ka-
1051 80.9 · Herztransplantation
theterkavographie helfen. Liegt eine geringgradige Stenose vor, ist eine Ballondilatation mit Stentanlage anzustreben, da die operative Revision technisch schwierig ist. Gallenwegskomplikationen. Stenosen im Anastomosenbereich
werden in bis zu 1/5 der Fälle beobachtet. Neben operativen Ursachen kann eine chronische Abstoßung, eine arterielle Minderperfusion oder ein Konservierungsschaden (»ischemic type biliary lesion«) ursächlich sein. Intrahepatisch lokalisierte Strikturen haben eine deutlich schlechtere Prognose als Anastomosenstenosen. Zusätzlich können Insuffizienzen oder Leckagen zu intraabdominellen Biliomen führen. Endoskopisch- und radiologisch-interventionelle Therapieverfahren (Stentung, Dilatation, Papillotomie, Drainagenanlage, PTCD) sind heute Mittel der 1. Wahl zur Behandlung der Gallenwegskomplikationen und machen operative Revisionen meist unnötig.
Akute Abstoßung Eine frühe akute Abstoßung wird innerhalb von 5–30 Tagen nach Transplantation in 15–35% der Fälle diagnostiziert und ist fast immer mit einer Kortikoidstoßtherapie erfolgreich zu therapieren. Die späte akute Abstoßung (10–20%) ist im Gegensatz dazu oftmals schwerer zu therapieren und führt nicht selten zu einer chronischen Abstoßung. Klinische Zeichen der akuten Abstoßung sind Fieber, Bauchschmerzen, Hepatosplenomegalie, gelegentlich Aszites, eine Transaminasenerhöhung, Erhöhung von γ-GT, AP und Bilirubin. Die Diagnose wird histologisch durch Leberbiopsie gesichert. Komplikationen an Gefäßen, Gallenwegen, eine CMV-Infektion, Reinfektion des Transplantates mit Hepatitis B oder C oder eine toxische Medikamentenwirkung sind differenzialdiagnostisch zu bedenken.
Chronische Abstoßung Bei etwa 4% der Lebertransplantierten entwickelt sich eine chronische Abstoßung mit einer schleichenden Verschlechterung der Transplantatfunktion, die sich durch einen kontinuierlichen Anstieg von Bilirubin und Cholestaseparameter bei gering erhöhten Transaminasen und lange erhaltener Synthesefunktion zeigt. Histologisch werden eine progredient verlaufende cholestatische Hepatopathie mit Rarifizierung der intrahepatischen Gallengänge (»vanishing bile duct syndrome«) diagnostiziert. Therapeutisch sind Immunsuppressionsstoßtherapie mit Kortikoiden oder Antikörperpräparaten nur selten erfolgreich, sodass schließlich die erneute Listung zur Transplantation geplant werden muss.
Immunsuppression Postoperativ wird die Immunsuppression regelhaft als Kombination von CNI mit Kortikoiden begonnen. Bei Patienten mit einer deutlichen Einschränkung der renalen Funktion kann zur Dosisreduktion der CNI primär eine Dreifachkombination mit MMF/ MPA erfolgen. Alternativ kann 3–6 Monate nach der Transplantation eine Umstellung auf einen mTOR-Inhibitor erwogen werden, die aufgrund der erhöhten Rate von A.-hepatica-Thrombosen und Wundheilungsstörungen in der frühen Phase nach Lebertransplantation kontraindiziert sind. Die Kortikoide können innerhalb von 6–12 Monaten zumeist ausgeschlichen werden. Antikörperpräparate spielen bei den in Erprobung befindlichen Konzepten zur Toleranzinduktion nach Lebertransplantation eine Rolle [29].
80.9
Herztransplantation
Aufgrund einer marginalen kardialen Funktion bedürfen zur Herztransplantation gelistete Patienten häufig bereits präoperativ einer intensivmedizinischen Behandlung. Regelhaft ist eine differenzierte Unterstützung der Transplantatfunktion mittels Inotropika notwendig, die ein engmaschiges Monitoring (z. B. Echokardiographie, Pulmonaliskatheter) erfordert.
80.9.1
Einleitung
In den letzten Jahren wurden in Deutschland an 24 Kliniken jährlich knapp 400 Herz- und Herz-Lungen-Transplantationen durchgeführt [21]. Indikation für die Herztransplantation ist die irreversible Herzerkrankung im Endstadium (NYHA IV) trotz optimierter medikamentöser Therapie mit einer voraussichtlichen Lebenserwartung von 6–12 Monaten bzw. einer geschätzten 1-Jahres-Überlebensrate ohne Herztransplantation von unter 50% (7 Übersicht). Grundlage der Indikationsstellung ist die progrediente Abnahme der körperlichen Belastbarkeit, die z. B. durch die Spiroergometrie im Verlauf und Herzinsuffizienzprognose-Scores (Heart Failure Survival Score, Seattle Heart Failure Score) evaluiert wird.
Die häufigsten Indikationen für Herztransplantation 4 Dilatative Kardiomyopathie 4 Koronare Herzerkrankung einschließlich ischämischer Kardiomyopathie 4 Restriktive Kardiomyopathie 4 Angeborene Herzfehler 4 Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
Die Bestimmung des pulmonalarteriellen Widerstands und die Überprüfung der medikamentösen Beeinflussbarkeit sind von entscheidender Bedeutung für die Indikationsstellung zur Herztransplantation. Vor dem Hintergrund der Knappheit von Spenderorganen müssen vor der Listung alternative operative Optionen wie eine Myokardrevaskularisation, der Klappenersatz oder die Resektion eines linksventrikulären Aneurysmas erwogen werden [75]. Bei Vorliegen eines Linksschenkelblocks und/oder einer asynchronen ventrikulären Erregungsausbreitung im NYHA-Stadium III kann eine biventrikuläre Schrittmacherimplantation erfolgen, die in etwa 2/3 der Fälle eine klinische Verbesserung bringt. Die Implantation intrakorporaler mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme (ventrikuläre »assist devices«; VAD) sind weitere Alternativen. Hierbei stellen medikamentös austherapierte reversible Herzerkrankungen (z. B. Myokarditis) als »bridging to recovery« ebenso eine Indikation für den Einsatz eines VAD dar wie Patienten die aufgrund ihrer Begleiterkrankungen als nicht transplantabel eingeschätzt werden (»destination therapy«) [66]. Am häufigsten werden VAD jedoch bei Patienten eingesetzt, die sonst die Wartezeit auf ein Spenderherz nicht überleben würden (»bridging to transplantation«). Die klassischen Nebenerkrankungen der zur Herztransplantation gelisteten Patienten ergeben sich aus der chronischen Herzinsuffizienz wie z. B. Nieren-, Leberinsuffizienz und neurologischen Komplikationen. Relative Kontraindikationen stellen eine hochgradige COPD, ein schwerer Diabetes mellitus mit Ne-
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Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
phropathie, eine fortgeschrittene periphere Verschlusskrankheit und eine schwere Leberzirrhose dar. Langzeitbetrachtungen deuten auf einen Anstieg der Posttransplantationsletalität mit zunehmendem Alter hin, wobei heute ein Alter von 70 Jahren als obere Altersgrenze für eine Herztransplantation gilt. Hauptgrund für eine Ablehnung einer Transplantationslistung ist die fixierte pulmonale Hypertonie (transpulmonaler Gradient >15 mm Hg; pulmonalarterieller Gefäßwiderstand >400 dyn×s×cm–5). Die Implantation eines linksventrikulären »assit device« ist hier eine Therapiealternative, in deren Folge evtl. eine Reevaluation nach mehrmonatiger Therapie erfolgen kann [24].
80.9.2
Präoperative Intensivtherapie
Im Vorfeld der Transplantation richtet sich die Therapie nach den Vorgaben der Herzinsuffizienzbehandlung mit dem Ziel des Erhalts und der Stabilisierung der vitalen Organfunktionen. Häufig sind die Patienten präoperativ katecholaminpflichtig und respiratorisch grenzgradig kompensiert. Aufgrund des chronisch aktivierten sympathischen Nervensystems sind die kardialen β1-Rezeptoren down-reguliert. Hierdurch und durch eine partielle Entkopplung der β-Rezeptoren von der cAMP-Synthese ist die myokardiale Reaktion auf β-Mimetika deutlich reduziert. Daher kann auch eine sehr vorsichtige Narkoseeinleitung zu einer klinisch bedeutsamen Abnahme der kardialen Pumpfunktion führen, der dann mit einer adaptierten Katecholamintherapie begegnet werden muss. > Die Koordination des zeitlichen Ablaufs der Herztransplantation ist aufgrund der geringen Ischämietoleranz des Spenderorgans organisatorisch aufwendig, um unnötige Verzögerungen und Risiken für den Organempfänger zu vermeiden. Für voroperierte Patienten muss eine längere chirurgische Präparationszeit vorgesehen werden.
Intraoperative Kernpunkte für einen positiven Transplantationsverlauf stellen eine ausreichend lange Reperfusionsdauer, die aggressive Behandlung einer pulmonalen Hypertonie und die adäquate Therapie eines kardialen Pumpversagens dar.
80 80.9.3
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Postoperative Intensivtherapie
Ziele der Intensivtherapie der unmittelbar postoperativen Phase nach Herztransplantation sind die Stabilisierung der Herz-Kreislauf-Funktionen und die Behandlung begleitender Organdysfunktionen. > Aufgrund von Ischämie und Reperfusion des Spenderorgans ist eine diastolische Funktionsstörung nahezu regelhaft und durch ein restriktives Füllungsverhalten der Ventrikel gekennzeichnet.
. Tab. 80.6 Hämodynamische Zielgrößen nach Herztransplantation. (Nach [15]) Parameter
Zielgröße
Rhythmus
Sinusrhythmus, alternativ (wenn möglich) AAI-SM, DDD-SM
Blutdrücke
MAP >65 mm Hg ZVD 8–12 mm Hg (abhängig von der Beatmung)
HZV
CI >2 l/min/m2 SvO2>70% oder ScvO2>65%
Echokardiographie
LV-EDAI 6–9 cm2/m2
PiCCO
ITBVI 850–1000 ml/m2 GEDVI 640–800 ml/m2
PAK
PAWP 12–15 mm Hg
Diurese
> 0,5 ml/kg KG/h
Laktat
< 3 mmol/l
4 wiederholte Echokardiographie und 4 engmaschiger rhythmologischer Diagnostik (12-Kanal-EKG).
Globales Pumpversagen Eine global eingeschränkte myokardiale Kontraktilität ist zumeist Folge einer langen Ischämiezeit, einer operativen Komplikation oder einer ungenügenden Organprotektion. So könnte z. B. bei einem hypertrophierten Spenderherz die Kardioplegie die Innenschicht nur ungenügend erreicht haben. Nicht erkannte Koronarstenosen und Luftembolien in die Koronararterien können umschriebene Myokardischämien zur Folge haben, die sich echokardiographisch als regionale Wandbewegungsstörungen darstellen. Die Ausbildung eines Reperfusionsödems ist das morphologische Korrelat der myokardialen Zellschädigung infolge von Ischämie und Reperfusion. Zusätzlich kann eine inadäquate ventrikuläre Entlastung bei Ex- bzw. Implantation zu deren Überdehnung mit nachfolgender Gefügedilatation geführt haben. Ausflusstraktobstruktionen, Klappendysfunktionen und ein ungenügender Volumenstatus können echokardiographisch als Gründe für das Pumpversagen ausgeschlossen werden. Zur Therapie des biventrikulären Versagens kommen Inotropika und nachlastsenkende Medikamente unter strenger Überwachung der Gefäßwiderstände zum Einsatz. Weiterhin muss die Korrektur einer (operationsbedingten) Volumenüberladung, die Behandlung begleitenden Elektrolytverschiebungen und die Optimierung des Säure-Basen-Haushalts erfolgen. Bei ungenügender Stabilisierung sollte frühzeitig der Einsatz einer IABP sowie einer ECMO erwogen werden.
Das transplantierte Herz ist funktionell denerviert und reagiert aufgrund des unterbrochenen Barorezeptorenreflexes besonders empfindlich auf eine Hypovolämie. Indirekt wirkende Sympathomimetika und Parasympathikolytika wie Atropin sind am Herzen nur reduziert bzw. gar nicht wirksam.
> Das transplantierte Herz besitzt die Fähigkeit, sich auch Tage nach der Transplantation zu erholen, sodass diese Verfahren über einen längeren Zeitraum erfolgversprechend angewandt werden können.
Monitoring und Zielgrößen
Rechtsherzversagen
Zur postoperativen Überwachung gehört ein umfangreiches hämodynamisches Monitoring (. Tab. 80.6) mittels 4 pulmonalarterielle und evtl. linksatriale Druckmessung, einschließlich der Messung von HZV und pulmonal- sowie systemvaskulären Widerständen,
Die isolierte Rechtsherzinsuffizienz ist die häufigste Ursache eines frühen Transplantatversagens. Sie ist in der Regel die Folge des erhöhten pulmonalarteriellen Widerstands des Empfängers, der sich auf dem Boden der im Vorfeld der Transplantation bestehenden chronischen Linksherzinsuffizienz sekundär ausgebildet hat. Rezi-
1053 80.9 · Herztransplantation
Rechtsherzversagen Zeichen einer unzureichenden RV-Vorlast Echo: niedriges RV-Füllungsvolumen PAK: PAWP/ZVD > 1
RV-Dysfunktion Echo: RV-Dilatation, Kontraktilitätsschwäche PAK: PAWP/ZVD < 1 oder schnell ansteigend
ja
Herzrhythmus: atrioventrikuläre Synchronizität
ja
ja Elektrische, medikamentöse Kardioversion ggf. Schrittmacherstimulation
Vorsichtige Vorlastoptimierung MAP > 70 mm Hg
Inotropika, Vasodilatatoren Bei PHT: inhalative pulm. Vasodilatatoren
MAP < 70 mm Hg
Inotropika, Inodilatatoren + Vasopressoren Bei PHT: inhalative pulmonale Vasodilatatoren
Zielwerte erreicht Inotropika: Dobutamin, Adrenalin Inodilatatoren: PDE-III-Hemmer, Levosimendan Vasodilatatoren: Nitropräparate inhalative pulmonale Vasodilatatoren: Iloprost, NO
ja Engmaschige Therapieevaluation
nein Therapieoptimierung chirurgische Intervention IABP, ECMO, VAD
. Abb. 80.4 Therapie des Rechtsherzversagens. (Mod. nach [15])
divierende Lungenembolien und primäre Ursachen, die mit einem Umbau der Lungenstrombahn einhergehen, können ebenfalls ursächlich sein. Das an den pulmonalen Hypertonus nicht adaptierte Spenderherz kann dabei rasch dilatieren und eine hochgradige Trikuspidalinsuffizienz ausbilden. Als operationsbedingte Ursachen für das Rechtsherzversagen können eine unzureichende Entlüftung des rechten Herzens mit konsekutiver Luftembolie sowie Flussbehinderungen an den Nahtstellen des Atriums (hoher ZVD, niedriger PAP, echokardiographisch kleiner rechter Ventrikel) und der Pulmonalarterie (hoher ZVD, hoher PAP, echokardiographisch großer rechter Ventrikel) auftreten. Echokardiographisch imponiert das Rechtsherzversagen mit einer rechtsventrikulären Dilatation, die mit einer bedeutsamen Trikuspidalklappeninsuffizienz, Kontraktilitätseinschränkung und Abflachung des Ventrikelseptums einhergeht. Weitere klinische Zeichen einer zunehmenden Rechtsherzinsuffizienz sind: 4 Tachykardie 4 Abweichung der elektrischen Herzachse (Steiltyp, überdrehter Rechtstyp oder S1-Q3-Typ), 4 Erhöhung des transpulmonalen Gradienten >15 mm Hg, 4 Erhöhung des Pulmonalgefäßwiderstands >240 dyn×s×cm–5 und 4 Anstieg des rechtsatrialen Drucks. Infolge der kavalen Stauung entwickelt sich im weiteren Verlauf eine 4 Leberfunktionsstörung mit Transaminasen- und Bilirubinanstieg. Ein Perikarderguss als Ursache des Rechtsherzversagens muss echokardiographisch ausgeschlossen werden. Zur Verhinderung eines Rechtsherzversagens sind eine kritische präoperative Evaluation und eine großzügige Indikationsstellung zur prophylaktischen/präemptiven Senkung des pulmonalartiellen Widerstandes zu empfehlen [20]. Therapeutisch anzustreben ist eine Kombination von 4 Nachlastsenkung durch Erniedrigung des Pulmonalgefäßwiderstands,
4 Optimierung der rechtsventrikulären Vorlast und des koronaren Perfusionsdrucks, Inotropieunterstützung und 4 Erhalt der atrioventrikuläre Synchronizität (. Abb. 80.4). Zusätzlich kommen in erster Linie Inodilatatoren wie Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinon) und der Kalzium-Sensitizer Levosimendan sowie β-Mimetika und zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Perfusionsdrucks auch Vasokonstriktoren (Noradrenalin), und die Inhalation von Iloprost oder/und NO zum Einsatz [6]. Eine hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentration ist zusätzlich einer der potentesten Dilatatoren in der pulmonalarteriellen Strombahn ventilierter Lungenareale. Zur weiteren Entwöhnung von den inhalativen pulmonalen Vasodilatatoren kann frühzeitig orales Sildenafil eingesetzt werden [11]. Ein durch die atriale Dilatation entstandenes Vorhofflimmern sollte aggressiv antiarrhythmisch behandelt werden (elektrische Kardioversion und/oder Amiodaron) und ggf. bei therapiebedingter Sinusbradykardie oder AV-Blockierung eine Schrittmacherstimulation erfolgen. Der Einsatz einer IABP kann über die Verbesserung der Koronarperfusion auch bei Rechtsherzversagen erwogen werden. Bei einem drohenden Versagen der konventionellen Therapie sollte der Einsatz einer ECMO und evtl. die nachfolgende Implantation eines VAD zur Überbrückung bis zur Erholung, einer Retransplantation oder als abschließende Versorgung erwogen werden.
Trikuspidalklappeninsuffizienz Implantationsbedingt kann es besonders bei einem Größenmissverhältnis der atrialen Anteile des Herzens bei der Operationstechnik nach Lower und Shumway zu einer Trikuspidalklappeninsuffizienz (TI) kommen [47]. Ein vorbestehender pulmonaler Hypertonus und ein akutes Rechtsherzversagen können diesen Befund noch verstärken. Das Risiko für eine TI steigt mit der Anzahl schwerer Abstoßungsreaktionen und der durchgeführten Myokardbiopsien [7]. Eine Nachlastsenkung mit Iloprost oder NO sowie Inotropika wird zur konservativen Therapie eingesetzt. Ist die TI klinisch relevant, sollte eine operative Trikuspidalklappenrekonstruktion erwogen werden.
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Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
Abstoßung Eine frühe hyperakute Abstoßungsreaktion kann Folge des Vorhandenseins oder der Bildung von Antikörpern durch den Organempfänger gegen Zelloberflächenmoleküle vom HLA-Typ des Spenderorgans sein. Klinisch imponiert die schnelle Ausbildung eines biventrikulären Pumpversagens bei initial guter Transplantatfunktion. Diese Problematik könnte durch eine im Vorfeld durchgeführte Crossmatch-Testung verhindert werden, für die aber aufgrund der geringen Ischämietoleranz des Spenderherzens bei der aktuellen Untersuchungstechnik nicht genügend Zeit bleibt. > Eine Hochdosiskortikoidtherapie sowie die Elimination der Antikörper mittels Plasmapherese stellen die Therapie der Wahl dar.
Eine Elimination von B-Zellen durch Gabe von OKT3 oder einem Immunsuppressivum mit gewisser B-Zell-Spezifität wie Cyclophosphamid kann zusätzlich erwogen werden. Die chronische Abstoßung ist durch eine transplantationsspezifische koronare Vaskulopathie gekennzeichnet. Sie ist bei mindestens 40% der Transplantierten innerhalb der ersten 5 Jahre nachweisbar und begründet den Großteil der transplantationsassoziierten Morbidität und Letalität [74].
ein akutes postoperatives Nierenversagen aggressiv behandelt werden [38]. Hierzu gehören ein Optimierung der Hämodynamik, die Gabe von Diuretika und die Vermeidung hoher CNI-Spiegel.
Immunsuppression Die frühe immunsuppressive Therapie nach Herztransplantation besteht klassischerweise aus einer Kombination aus CNI, Antiproliferativum und Kortikoid. Sie kann durch eine Induktionsbehandlung mit T-Zell-Depletion (Antithymozytenantikörper, OKT3) oder die Interleukin-2-Rezeptorantagonisten Basiliximab und Dacluzimab ergänzt werden, die bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion einen späteren Start der CNI-Applikation erlauben. MMF/MPA erscheint Azathioprin überlegen. Der Einsatz der mTOR-Inhibitoren ist aufgrund ihrer antiproliferativen Eigenschaften attraktiv zur Prävention der koronaren Arteriopathie. Studien mit Sirolimus und Everolimus in Kombination mit CNI zeigten geringer ausgeprägte koronare Gefäßveränderungen, niedrige Abstoßungsraten, aber auch eine stärker ausgeprägte Entwicklung einer Niereninsuffizienz. Kortikoide werden regelhaft nach 6–12 Monaten ausgeschlichen [44].
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Lungentransplantation
Nichtkardiale Komplikationen Störungen der Lungenfunktion sind nach Herztransplantationen
keine Seltenheit. Häufige Ursachen sind neben einer interstitiellen Flüssigkeitszunahme infolge einer systemischen Entzündungsreaktion eine postoperative Linksherzinsuffizienz, Pneumonien, Hämatothorax, Pneumothorax, Chylothorax und Atelektasen, auch z. B. im Rahmen einer Zwerchfellparese nach Verletzung des N. phrenicus. Nachblutungen infolge einer postoperativen Verdünnungskoagulopathie, einer gerinnungsrelevanten Leberfunktionsstörungen bei chronisch-venöser Stauung, einer Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern, Heparin, Vitamin-K-Antagonisten und direkten Thrombininhibitoren stellen ein ernsthaftes Problem in der postoperativen Phase dar. Eine durch Laboranalysen einschließlich Thrombelastographie gestützte Substitution von Blutprodukten und Gerinnungsfaktoren sollte zeitnah durchgeführt werden. Bei therapierefraktären diffusen Blutungen kann die Offlabel-Gabe von aktiviertem Faktor VII als Heilversuch sinnvoll sein [30]. Echokardiographische Verlaufskontrollen zum Ausschluss einer Perikardtamponade sind für die Indikationsstellung zur operativen Revision angezeigt. Nach Eingriffen mit extrakorporaler Zirkulation werden in ca. 6% der Fälle neurologische Veränderungen (Beeinträchtigungen der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Delir, Krampfanfälle, transitorische ischämische Attacken, Apoplex, Koma) verzeichnet, wobei Operationen am offenen Herzen wie die Herztransplantation mit einer noch höheren Inzidenz verbunden sind [65]. Mikroembolien, regionale und globale Minderperfusionen während der extrakorporalen Zirkulation (EKZ) oder auch eine inflammatorische Reaktion des Gehirns auf die EKZ sind hierfür ursächlich [57]. Bei einem verzögerten Aufwachen nach der Transplantation sollte eine weiterführende neurologische Diagnostik (CT, MRT, evozierte Potenziale) veranlasst werden. Häufig besteht bei den Patienten bereits präoperativ als Folge der Herzinsuffizienz eine eingeschränkte Nierenfunktion. Perioperative Faktoren wie die EKZ, hämodynamische Instabilität oder nephrotoxische Medikamente (z. B. CNI) können postoperativ zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion führen [53]. Da die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz mit einer Zunahme der Letalität nach Herztransplantation assoziiert ist, sollte
Die Lungentransplantation zielt besonders auf die Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten. Postoperativ ist auf besonderes Gewicht zu legen auf die Limitierung des pulmonalarteriellen Druckes, die Vermeidung einer Flüssigkeitsüberladung und die zügige Entwöhnung vom Respirator.
80.10.1
Einleitung
In Deutschland werden aktuell jährlich knapp 300 Lungentransplantationen durchgeführt [21]. Sie ist beim irreversiblen Organversagen trotz maximaler medikamentöser und apparativer Therapie indiziert (7 Übersicht). Die Lungentransplantation kann als unilaterale oder bilaterale Transplantation durchgeführt werden. Indikationen für eine Doppellungentransplantation sind beispielsweise das Vorliegen einer zystischen Fibrose (CF) oder eine schwere pulmonale Hypertonie, während bei älteren Emphysem- bzw. Fibrosepatienten auch eine Einlungentransplantation mit gutem Ergebnis durchgeführt werden kann.
Indikationen zur Lungentransplantation (nach [40]) 4 COPD/Emphysem 4 Idiopathische Lungenfibrose 4 Zystische Fibrose (CF) 4 α1-Antitrypsin-Mangel 4 Idiopathische pulmonale Hypertonie 4 Bronchiektasien 4 Sarkoidose 4 Retransplantation (BOS, non-BOS) (BOS=Bronchiolitis-obliterans-Syndrom bei chronischer Abstoßung)
Da die Kriterien des idealen Spenders (Alter <55 Jahre, Beatmung <48 h, normales Röntgenbild, <20 Packungsjahre, bronchoskopisch
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kein putrides Sekret, pO2/FIO2 >300 mm Hg) nur selten erfüllt werden, besteht ein eklatanter Mangel an Spenderorganen. Durch Erweiterung der Spenderkriterien kann die Verfügbarkeit auch ohne Verschlechterung der Transplantationsergebnisse gesteigert werden [19]. Eine Lebendspende von einer Lunge oder von Lungenlappen zweier Spender wird bislang nur in den USA und Japan durchgeführt [60]. Die Lebenserwartung Lungentransplantierter (5-Jahres-Überlebensrate 50–60%) liegt deutlich unter der der Normalbevölkerung, wobei Infektionen die Haupttodesursache darstellen [40]. Im Vergleich mit dem natürlichen Verlauf der Erkrankung weisen retrospektive Analysen auf einen Überlebensvorteil bei zystischer Fibrose, pulmonaler Hypertonie und idiopathischer Lungenfibrose hin [3], während beim Emphysem nur in 1/3 der Fälle ein Gewinn von mehr als 1 Jahr erreicht wird [34]. Die entscheidende Motivation für die Lungentransplantation ist die deutliche Verbesserung der Lebensqualität [35, 48, 70].
80.10.2
Präoperative Intensivtherapie
Die progrediente Verschlechterung der pulmonalen Funktion von zur Lungentransplantation gelisteter Patienten macht nicht selten eine intensivmedizinische Betreuung notwendig. Die nichtinvasive Beatmung (NIV) ist besonders bei Patienten mit Lungenemphysem und Hyperkapnie bzw. respiratorischer Azidose das Mittel der Wahl. Auch Patienten mit progredienter Hypoxie und Belastung der Atempumpe können von der NIV profitieren. Eine invasive Beatmung ist so lange wie möglich zu vermeiden, da diese Patienten aufgrund der Immobilisation und begleitender Organdysfunktionen eine deutlich schlechtere Prognose nach der Transplantation haben. Extrakorporale Verfahren wie der »interventional lung assist« (ILA) als arteriovenöses nicht pumpengetriebenes Verfahren zur CO2Elimination und die ECMO können bei einem respiratorischen Versagen, das unter invasiver oder nichtinvasiver Beatmung nicht adäquat zu stabilisieren ist, eingesetzt werden, stellen aber größte Anforderungen an das Transplantationsteam.
80.10.4
Postoperative Intensivtherapie
Das Ziel der Intensivtherapie in der unmittelbar postoperativen Phase nach Lungentransplantation ist die Stabilisierung der kardiopulmonalen Funktion und evtl. bestehender zusätzlicher Organdysfunktionen.
Monitoring und Zielgrößen Für die postoperative Therapiesteuerung und Überwachung sollte je nach Grunderkrankung ein erweitertes hämodynamisches Monitoring mittels PAK oder PiCCO zur Messung genutzt werden. Zusätzlich sind die Echokardiographie, die intermittierende oder kontinuierliche Messung der zentralvenösen Sättigung, bronchoskopische Kontrollen der Anastomosen und Ultraschall von Thorax und Abdomen zu empfehlen. > Regelmäßige radiologische Kontrollaufnahmen der Lunge mittels konventioneller Technik stellen eine Basisdiagnostik dar, die bei Bedarf um computertomographische Untersuchungen erweitert werden muss.
Bei vorbestehender und postoperativer pulmonaler Hypertonie muss die frühzeitige inhalative Therapie mit Iloprost oder NO erwogen werden. Im Hinblick auf ein mögliches Reperfusionsödem der Lunge wird ein restriktives Flüssigkeitsmanagement angestrebt. Die Beatmung sollte zur Vermeidung einer Hyperinflation druckkontrolliert erfolgen. Insbesondere bei der unilateralen Lungentransplantation des Emphysempatienten kann es unter maschineller Beatmung aufgrund der Ausatembehinderung der nativen Lunge zu einer gefährlichen Überblähung kommen. Gegebenenfalls muss eine selektive Zwei-Lungen-Beatmung über einen doppellumigen Tubus durchgeführt werden. Die Steuerung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration und des PEEP erfolgen nach Kriterien der protektiven Beatmung anhand des arteriellen Sauerstoffpartialdrucks und der arteriellen Sauerstoffsättigung. Ziel ist eine frühzeitige Extubation, was auch beim Sedationsregime entsprechend berücksichtigt werden muss. Auch die präoperative Adaptation des Patienten an eine Hyperkapnie kann ein Problem darstellen, das sich im Verlauf zurückbildet.
Transplantatdysfunktion 80.10.3
Operationstechnik
Soweit möglich, wird auf den Einsatz einer EKZ intraoperativ verzichtet, da hiermit eine höhere perioperative Morbidität, z. B. infolge von Blutungen und schwerwiegenderen Reperfusionsschäden, verbunden ist. Dazu muss nach Entnahme des ersten Lungenflügels der Gasaustausch über eine Einlungenbeatmung des zunächst verbliebenen nativen Lungenflügels erfolgen. In dieser Phase ist ein Rechtsherzversagen möglich, da es im Rahmen der Reduktion der pulmonalen Strombahn zu einem nicht beherrschbaren pulmonalarteriellen Druckanstieg kommen kann. Darüber hinaus kann sich eine bedrohliche Hypoxie entwickeln. Zur Transplantation der Gegenseite erfolgt dann die isolierte Beatmung der ersten transplantierten Lunge. Ein Reperfusionsschaden und eine primäre Transplantatdysfunktion stellen in dieser Phase Probleme dar. Neben der klassischen Thorakosternotomie (Clamshell-Inzision) wurden minimalinvasive Verfahren (anterolaterale Thorakotomie ohne Sternotomie) entwickelt, die kosmetisch vorteilhaft und mit einer Reduktion der postoperativen Schmerzen und Wundheilungsstörungen einhergehen. Neben den Gefäßanastomosen erfolgt bei der Lungentransplantation die Anastomose an den Hauptbronchien, bei einer kombinierten Herz-Lungen-Transplantation an der distalen Trachea.
Die primäre Transplantatdysfunktion mit dem klinischen Bild eines fortschreitenden Lungenversagen (ARDS) stellt die häufigste Komplikation in der postoperativen Intensivbehandlung dar. Ursächlich hierfür können ein Reperfusionsschaden, eine Obstruktion der Pulmonalvenen und eine fulminante akute Abstoßung sein. Die symptomatische Therapie entspricht der des ARDS mit lungenprotektiver Beatmung sowie einer großzügigen Indikationsstellung für NO bzw. Iloprost. Bei einer primären Transplantatdysfunktion oder einer schweren pulmonalen Hypertonie können zur Überbrückung extrakorporale Lungenersatzverfahren (ILA, ECMO) notwendig sein.
Operationsbedingte Komplikationen Die Denervierung des Transplantats geht mit einem abgeschwächten Hustenreflex, einer verringerten mukozilären Clearance, die die Ausbildung von Atelektasen und Pneumonien begünstigen, und einem reduzierten Atemantrieb bei Hyperkapnie einher. Läsionen des N. phrenicus mit konsekutiver Zwerchfellparese (zumeist passager), ein Hämatothorax, Verletzungen des Ductus thoracicus mit Chylothorax und bronchopleurale Fisteln sind weitere operationsbedingte Komplikationen. Eine fibrinöse Bronchitis infolge von Schleimhautischämien der zentralen Atemwege aufgrund der transplantationsbedingten Unterbindung der bronchialarteriellen Perfu-
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Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
sion kann Atelektasen, Infektionen und Blutungen hervorrufen, die im postoperativen Verlauf wiederholte interventionelle Bronchoskopien erforderlich machen. Atemwegskomplikationen mit Nekrosen und Obstruktionen treten gehäuft bei einem Größenmissverhältnis zwischen Spenderund Empfängerorgan und primären Perfusionsproblemen an den bronchialen Anastomosen auf. Zur Entfernung von Granulationsgewebe werden interventionelle Techniken (z. B. Lasertherapie) bis hin zur Stentimplantation eingesetzt, die auch bei bronchialen Stenosen genutzt werden. Infolge von Elektrolytstörungen oder Ischämien sowie der Operation am Herzen entwickeln sich postoperativ relativ häufig atriale Tachykardien (Vorhofflimmern, -flattern).
Intestinale Komplikationen Schwerwiegende intestinale Komplikationen in Form von Kolonperforationen und Ileus sind nicht selten nach Lungentransplantationen, treten schon früh postoperativ auf und sind mit einer hohen Letalität verbunden. Neben einem Alter von >50 Jahren, einer vorbestehenden Divertikulose und einer hochdosierten Kortikoidtherapie ist eine zystische Fibrose (CF) als Grunderkrankung der Hauptrisikofaktor für diese intestinalen Komplikationen [31]. Patienten mit CF entwickeln aufgrund des primär zähen, flüssigkeitsarmen Stuhls auch unabhängig von einer Lungentransplantation oft ein distales intestinales Obstruktionssyndrom (DIOS). Eine intestinale Minderperfusion infolge von sehr restriktiver Flüssigkeitsgabe, Opioide und Infektionen werden ebenfalls als Ursachen angeführt. Prophylaktisch ist auf eine ausreichende Hydratation und die schnelle Reduktion von Opioiden zu achten. Zusätzlich sollten Acetylcystein und Quellmittel frühzeitig gegeben werden sowie Darmspülungen beizeiten durchgeführt und periphere Opiatantagonisten erwogen werden. Der konservativ nicht therapierbare Ileus muss zügig operativ versorgt werden. Eine operationsbedingte, häufig passagere, Vagusläsion kann zu Magenentleerungsstörungen führen. Eine symptomatische Therapie mit Metoclopramid und Erythromycin und ggf. eine Duodenalsonde können hier Abhilfe schaffen.
Akute Transplantatabstoßung
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Die akute Transplantatabstoßung zeigt sich anhand unspezifischer Symptome wie Husten, subfebrilen Temperaturen und Luftnot. Weitere Probleme wie Hypoxämie, Pleuraerguss, interstitielle Infiltrate oder ein Abfall der Lungenfunktion können auftreten, sind aber nicht beweisend für eine Abstoßung. Klinisch ist dies nicht von einer CMV-Pneumonitis oder einer anderen Infektion zu unterscheiden, weshalb nur eine Bronchoskopie mit BAL und ggf. transbronchialen Biospien Gewissheit schaffen kann. Die akute Abstoßung ist nach einer Kortikoidstoßtherapie meist vollständig reversibel.
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Chronische Transplantatabstoßung: Bronchiolitisobliterans-Syndrom
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Im Verlauf des 2. Jahres nach Transplantation tritt typischerweise das Bronchiolitis-obliterans-Syndrom (BOS) unter der Ausbildung einer obstruktiven Ventilationsstörung auf. Wiederholte akute Abstoßungen, virale Infekte, mangelhafte Therapieadhärenz, Aspiration und Mikroaspirationen bei gastroösophagealem Reflux gelten als Trigger des BOS. Unter einer Langzeittherapie mit Azithromycin konnte eine Verbesserung der Lungenfunktion beobachtet werden [33]. Hinweise auf die Entwicklung eines BOS können auch aus einer progredienten Verschlechterung der Lungenfunktion abgeleitet werden, die mit elektronischen Geräten täglich von den Patienten gemessen werden kann.
> Aufgrund der bedeutsamen Überblähung sind Lungentransplantierte mit fortgeschrittenem BOS sehr schwer maschinell zu beatmen und von der Beatmung zu entwöhnen.
Immunsuppression Die frühe immunsuppressive Therapie nach Lungentransplantation besteht klassischerweise aus einer Kombination aus CNI, Antiproliferativum und Kortikoid. Eine Induktionsbehandlung mit T-Zell-Depletion oder mit den Interleukin-2–Rezeptorantagonisten Basiliximab und Dacluzimab erlaubt einen späteren Start der CNI-Applikation. Die mTOR-Inhibitoren werden aufgrund der relevanten Rate pulmonaler Komplikationen aktuell nicht regelhaft eingesetzt [9].
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80
1058
80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80 80
Kapitel 80 · Intensivtherapie nach Transplantation solider Organe
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1059
Spezielle Notfälle Kapitel 81
Die Schwangere in der Intensivmedizin
Kapitel 82
Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
Kapitel 83
Anaphylaktischer Schock
Kapitel 84
Rheumatologische Notfälle
Kapitel 85
Hämatologisch-onkologische Störungen
Kapitel 86
Vergiftungen
XIII
1061
Die Schwangere in der Intensivmedizin M.K. Bohlmann, K. Diedrich
81.1
Einleitung – 1062
81.2
Ethische Aspekte – 1062
81.3
Diagnostik in der Schwangerschaft – 1062
81.3.1 81.3.2 81.3.3
Bestimmung des Gestationsalters – 1062 Kardiotokogramm (CTG) – 1062 Untersuchungsintervalle – 1063
81.4
Frühgeburtlichkeit – 1063
81.4.1 81.4.2
Lebensfähigkeit des Kindes – 1063 Induktion der fetalen Lungenreife – 1063
81.5
Schwangerschaftsspezifische Besonderheiten – 1063
81.5.1 81.5.2 81.5.3 81.5.4
Thromboembolisches Risiko – 1063 Beatmungsaspekte – 1063 Harnwegsinfektionen – 1063 Bildgebung in der Schwangerschaft – 1063
81.6
Medikamente – 1064
81.6.1 81.6.2 81.6.3 81.6.4 81.6.5
Antibiotika – 1064 Virustatika – 1065 Antimykotika – 1065 Analgetika – 1065 Abstillen – 1065
Literatur – 1065
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_81, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
81
1062
81
81.1
Kapitel 81 · Die Schwangere in der Intensivmedizin
Einleitung
81
In Industrieländern machen Schwangere weniger als 2% der intensivpflichtigen Patienten aus, während diese Rate in Entwicklungsländern mehr als 10% beträgt [10, 12]. Insgesamt findet sich eine höhere Inzidenz der Intensivpflichtigkeit bei Frauen in der Postpartalperiode als in der Schwangerschaft selbst [20], was durch geburtshilfliche Komplikationen, wie ausgeprägten Blutverlust, hypertensive Krisen oder postpartale Sepsis, zu erklären ist. Aufgrund der dann möglichen »getrennten« Behandlung von Mutter und Kind, der guten neonatologischen Versorgungsoptionen sowie der Verwendung von Trink- und Sondennahrung für das Neugeborene ist hierbei das Risikoprofil differenziert zu betrachten. Auf Intensivstationen zu behandelnde Schwangere stellen hingegen eine besondere Risikogruppe dar, da hier grundsätzlich sowohl den medizinischen Bedürfnissen der Mutter als auch des in utero befindlichen Kindes/der Kinder Rechnung getragen werden muss. Daher gilt der Fokus dieses Kapitels Schwangeren, bei denen die besonderen Veränderungen des maternalen Organismus in der Schwangerschaft, der Einfluss des Kindes auf die Mutter sowie Sicherheitsbedenken für Mutter und Kind in einer potenziell lebensbedrohlichen Situation zu berücksichtigen sind. Angehörige, betreuende Ärzte, Pflegekräfte und weitere Mitarbeiter können dabei vor weitreichende Fragen gestellt werden, die in einem Lehrbuch der Intensivmedizin nicht jeweils im Einzelnen aufgegriffen werden können.
81
81.2
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81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81
Ethische Aspekte
Die Behandlung von Schwangeren auf einer Intensivstation sollte naturgemäß in einem Zentrum mit entsprechender Expertise und Ausstattung, z. B. einem Perinatalzentrum mit neonatologischer Versorgungsmöglichkeit, erfolgen [3]. Insgesamt hat sich eine kompetente interdisziplinäre Betreuung durch Intensivmediziner, Geburtshelfer, Neonatologen, Experten weiterer beteiligter Fachdisziplinen sowie ggf. Psychologen im Alltag bewährt. Der Entscheidungsautonomie der – aufgeklärten – Schwangeren muss dabei Rechnung getragen werden. Bei nicht entscheidungsfähiger Patientin sollten die Vorstellungen der Angehörigen in das medizinische Vorgehen einfließen, ggf. kann darüber hinaus ein lokales Ethik-Komitee hilfreiche Stellungnahmen abgeben. Die Entscheidung zum Abbruch oder zur Vorenthaltung medizinischer Maßnahmen bei terminaler maternaler Erkrankung sollte ebenfalls im interdisziplinären Konsens getroffen werden [19]. Dieses Dilemma wird besonders deutlich in der Behandlung hirntoter Schwangerer, bei denen durch intensivmedizinische Maßnahmen die Vitalfunktionen der Mutter einzig zur weiteren Entwicklung des Kindes aufrecht erhalten werden.
81.3 81.3.1
Diagnostik in der Schwangerschaft
z. B. eine Transvaginalsonographie in frühen Schwangerschaftswochen bzw. ein Transabdominalschall (ab ca. 14 Schwangerschaftswochen) notwendig. Durch eine per Ultraschall erfolgende Biometrie des Kindes lassen sich auch das Gestationsalter sowie die Intaktheit der Gravidität (positive Herzaktionen spätestens nach 6+3 Schwangerschaftswochen post menstruationem) bestimmen. Serologisch kann eine Intaktheit bei Frühestschwangerschaften durch ansteigende hCGWerte (Verdopplungszeit etwa 2 Tage bis zur 10. Schwangerschaftswoche) vermutet werden. Dabei ist insbesondere bei unbekannter Schwangerschaftsdauer ein einmaliger Wert weniger aussagefähig als die Ergebnisse einer nach 2 Tagen durchgeführten Verlaufskontrolle. Eine gynäkologische Untersuchung – z. B. mit Spekula auf einem speziellen Untersuchungsstuhl – wird sich an den Möglichkeiten zur Mobilisation der Patientin orientieren müssen.
81.3.2
Kardiotokogramm (CTG)
Die parallele Darstellung der fetalen Herzfrequenz in Kombination mit der Ableitung uteriner Kontraktionen wird als CTG bezeichnet, das ggf. noch durch die Darstellung von Kindsbewegungen ergänzt werden kann (sog. Kinetokardiotokogramm). Die nervale Steuerung der fetalen Herzfrequenz wird dabei durch übergeordnete medulläre Zentren gewährleistet [6], die mannigfaltigen Einflüssen unterliegen (. Tab. 81.1). Bei der Interpretation des CTG ist daher diesen Einflussfaktoren Rechnung zu tragen. Indikationen zur erstmaligen CTG-Ableitung sind in frühen Schwangerschaftswochen gegeben 4 bei drohender Frühgeburtlichkeit, 4 Verdacht auf vorzeitige Wehen sowie 4 Herzfrequenzalterationen. In praxi wird sicher aufgrund der einfachen, ungefährlichen Methode die Indikation zur CTG-Ableitung bei Risikoschwangeren großzügiger gestellt werden, wobei sich aus etwaigen Pathologien naturgemäß auch therapeutische Konsequenzen ergeben sollten. Von daher wird vor Erreichen der kindlichen Lebensfähigkeit (7 Abschn. 81.4.1) in der Regel auf die Ableitung der fetalen Herzfrequenz verzichtet und ein alleiniges Tokogramm geschrieben.
. Tab. 81.1 Einflussfaktoren auf das Kardiotokogramm. (Mod. nach [6]) Maternal
Fetal
Fetoplazentar
Exogen
Körperhaltung
Bewegungen
Gestationsalter
Medikamente
Fieber
Hypoxämie
Plazentainsuffizienz
Drogen
Körperliche Aktivität
Weckreize
Amnioninfektion
Lärm
Kreislaufschock
Verhaltenszustände
Nabelschnurkompression
Nikotinabusus
Bestimmung des Gestationsalters
Bei unbekanntem Graviditätszustand einer – ggf. komatösen - Patientin im gebärfähigen Alter kann eine Schwangerschaft durch eine einfache Bestimmung des Hormons hCG (humanes Choriongonadotropin) im Serum oder Urin bestätigt oder ausgeschlossen werden. Ein positiver Testbefund sagt dabei nichts über Intaktheit oder Lokalisation (Cave: Extrauteringravidität; EUG) der Schwangerschaft aus. Daher sind ggf. weitere apparative Untersuchungen, wie
Uteruskontraktionen
1063 81.5 · Schwangerschaftsspezifische Besonderheiten
81.3.3
Untersuchungsintervalle
Die Häufigkeit der klinischen und sonographischen Untersuchungen sowie der CTG-Ableitungen wird von der jeweiligen Situation der Schwangeren determiniert. Normalerweise sind bis zur 34. Schwangerschaftswoche (SSW) Untersuchungen gemäß den Mutterschaftsrichtlinien [11] in 4-wöchentlichen Abständen empfohlen, während danach das Intervall auf 2 Wochen verkürzt wird. Bei Terminüberschreitung werden 2-tägige Untersuchungen gefordert. Die Intervalle sollten bei entsprechender klinischer Symptomatik verkürzt werden, sodass die oben genannten Empfehlungen sicher nicht bei intensivpflichtigen Schwangeren anzuwenden sind. Hier sollte die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Geburtshelfern und ggf. Neonatologen das Vorgehen determinieren.
81.4
Frühgeburtlichkeit
81.4.1
Lebensfähigkeit des Kindes
> Die Grenze der kindlichen Lebensfähigkeit wird i. Allg. nach 23–24 SSW post menstruationem angesiedelt, wobei auch nach knappem Überschreiten dieses Zeitfensters von einer hohen neonatalen Mortalität und Morbidität auszugehen ist [14].
In diesem Zeitraum muss daher der Vorteil für das Kind durch eine Tragzeitverlängerung im Verhältnis zu potenziellen Gefahren für die Mutter besonders kritisch abgewogen werden. Wenn es hingegen zu einem wesentlich früheren Schwangerschaftszeitpunkt absehbar sein dürfte, dass nach menschlichem Ermessen der Zeitraum der Lebensfähigkeit des Kindes aufgrund einer lebensbedrohlichen maternalen Konstellation nicht oder nur sehr schwer erreicht werden dürfte, die Schwangerschaft aber das Leben bzw. die Behandlungsmöglichkeiten der Mutter noch stärker gefährdet oder beeinträchtigt, kann nach interdisziplinärem Konsens und Absprache mit der Patientin bzw. deren Angehörigen ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation in Erwägung gezogen werden. Umgekehrt verhält es sich bei höheren Schwangerschaftswochen (insbesondere abgeschlossene >30. SSW), wo die Risiken der Frühgeburtlichkeit signifikant sinken. Hier wird, sofern aus maternaler Sicht möglich, eine (Schnitt-) Entbindung sicher eher erwogen werden.
81.4.2
Induktion der fetalen Lungenreife
Entscheidende Bedeutung für Frühgeborene hat die Lungenentwicklung. Es ist anerkannt, dass durch die Induktion der fetalen Lungenreife das Risiko eines neonatalen Versterbens, eines Atemnotsyndroms sowie einer intraventrikulären Blutung signifikant gesenkt werden kann [4]. > Seitens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) wird daher bei drohender Frühgeburtlichkeit zwischen der abgeschlossenen 24. und 34. SSW die 2-malige Gabe von plazentagängigen Kortikosteroiden (Bethamethason 12 mg intramuskulär) im Abstand von 24 h gefordert [4]. Diese Maßnahme dürfte aus geburtshilflicher Sicht aufgrund des guten fetalen Sicherheitsprofils bei intensivpflichtigen Schwangeren großzügig Anwendung finden, sofern keine maternalen Gründe dem entgegenstehen.
81.5
Schwangerschaftsspezifische Besonderheiten
81.5.1
Thromboembolisches Risiko
Schwangerschaft und Wochenbett gelten als der risikoreichste Zeitraum für das Auftreten thromboembolischer Erkrankungen im Leben einer Frau [2]. Als ursächlich werden neben veränderten endokrinen Faktoren auch direkte Kompressionseffekte des graviden Uterus auf die Beckengefäße angenommen, das Risiko für Thromboembolien ist dabei in allen Schwangerschaftstrimestern gleich hoch [8]. Dieses Risiko wird durch weitere Faktoren, wie z. B. einer dauerhaften Immobilisierung weiter erhöht, sodass dieser Tatsache im therapeutischen Management Rechnung getragen werden muss. > Sofern keine medizinische Gründe dagegen sprechen, sollte daher bei allen immobilisierten Schwangeren eine konsequente Antikoagulation durchgeführt werden.
In der Regel kommen dabei aufgrund der fehlenden Plazentagängigkeit Heparine zur Anwendung, während Vitamin-K-Antagonisten in der Schwangerschaft wegen ihres teratogenen Potenzials sowie des Risikos fetaler Hirnblutungen nur äußert zurückhaltend eingesetzt werden sollten. In praxi hat sich in der Schwangerschaft die Anwendung niedermolekularer Heparine aufgrund des im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin besseren Sicherheitsprofils bewährt [2]. Die Prophylaxe sollte risiko- und gewichtsadaptiert erfolgen [1].
81.5.2
Beatmungsaspekte
Im Falle einer notwendigen Beatmung der Schwangeren sind angepasste Schemata aufgrund des Zwerchfellhochstandes sowie des erhöhten intraabdominellen Druckes zu berücksichtigen [13].
81.5.3
Harnwegsinfektionen
In der Schwangerschaft treten u. a. häufiger Infektionen der ableitenden Harnwege auf [17], die eine bedeutsame Ursache maternaler Morbidität und sepsisbedingter Mortalität darstellen [15]. Durch aszendierende Infektionen besteht darüber hinaus ein signifikant erhöhtes Risiko einer vorzeitigen Wehentätigkeit mit der Gefahr der Frühgeburtlichkeit. Daher müssen auch asymptomatische Harnwegsinfekte in der Schwangerschaft konsequent zur Verhinderung von Komplikationen behandelt werden. Insbesondere ist bei Schwangeren mit intermittierender transurethraler Katheterisierung [17] bzw. mit liegendem transurethralem Dauerkatheter [9] von einer erhöhten Prävalenz von Harnwegsinfektionen auszugehen, sodass diese Patientinnen ein besonderes Risikokollektiv darstellen. Eine prophylaktische Antibiotikatherapie kann in diesen Fällen erwogen werden [17].
81.5.4
Bildgebung in der Schwangerschaft
Normalerweise sind durch bildgebende Untersuchungen wichtige ergänzende Informationen bei intensivpflichtigen Patienten zu erwarten. Dabei sollte bei Schwangeren möglichst auf die Verwendung ionisierender Strahlung verzichtet werden oder aber, soweit möglich, der Fetus außerhalb des Strahlenfeldes zu liegen kommen sowie das Strahlenfeld möglichst klein gehalten werden. Dennoch lassen sich Streustrahlungen nicht vollständig vermeiden. In Ab-
81
1064
Kapitel 81 · Die Schwangere in der Intensivmedizin
. Tab. 81.2 Effekte einer direkten Bestrahlung auf die Schwangerschaft (SSW=Schwangerschaftswoche, p.m.=post menstruationem, mGy=Milli-Gray). (Mod. nach [16])
. Tab. 81.3 Zu erwartende fetale Dosis bei verschiedenen diagnostischen Maßnahmen und suffizienter Abschirmung (mGy=MilliGray). (Mod. nach [16])
Schwangerschaftswoche
Auswirkungen
Geschätzter Grenzwert
Maßnahme
Fetale Dosis (in mGy)
Kraniales CT
<0,1 mGy
Tod des Embryos oder keine Konsequenz (»alles oder nichts«)
50–100 mGy
Thoraxröntgenaufnahme
<0,1 mGy
81
Implantationsphase 5 (2–4 Wochen p.m.)
<0,1 mGy
81
Organogenese 5 (4.–10.SSW p.m.)
Kongenitale Anomalien (Skelett, Auge, Extremitäten)
200 mGy
Extremitätenröntgenaufnahme (ohne Hüfte und Becken) Thorax-CT
1 mGy
Abdomen (a.-p.)
2,5 mGy
Wachstumsrestriktion
200–250 mGy
Becken (a.-p.)
3 mGy
i.v.-Pyelogramm
6 mGy
5 (10.–17. SSW p.m.)
Schwere Oligophrenie
60–310 mGy
Lumbale Wirbelsäule (a.-p.)
7 mGy
Mikrozephalie
200 mGy
Abdomen-/Becken-CT
30 mGy
5 (18.–27. SSW p.m.)
Schwere Oligophrenie
250–280 mGy
81 81 81
81 Fetalperiode
81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81 81
hängigkeit von der Schwangerschaftswoche sind verschiedene Auswirkungen einer vom Fetus absorbierten Strahlung zu erwarten (. Tab. 81.2). In . Tab. 81.3 ist die auf den Fetus einwirkende Strahlenbelastung verschiedener Röntgenuntersuchungen aufgeführt. Insbesondere auf klinisch wenig aussagefähige Verlaufskontrollen unter Verwendung ionisierender Strahlung sollte verzichtet werden. Weitere Maßnahmen, wie z. B. ein Spiralangio-CT des Thorax zur Diagnose einer Lungenembolie, gehen mit einer signifikanten fetalen Strahlenbelastung einher. Ultraschalluntersuchungen werden in der Schwangerschaft als vollkommen harmlos angesehen, während auf Doppler-Untersuchungen des Kindes im 1. Trimenon möglichst verzichtet werden sollte. Zu Magnetresonanzuntersuchungen ohne Kontrastmittel liegen bis dato keine sicheren Hinweise auf eine fetale Kompromittierung vor, wobei allerdings mögliche Erwärmungseffekte sowie der Einfluss der methodenimmanenten Lautstärke auf den Fetus bis dato nicht ausreichend beurteilt sind [16]. Zur Verwendung von Gadolinium liegen im Tierversuch Hinweise auf teratogene Effekte vor [16]. ! Cave Daher muss bei der Anwendung bildgebender Verfahren in der Schwangerschaft eine besondere Risiko-NutzenAbwägung erfolgen.
81.6
Medikamente
> Ein Großteil der Medikamente ist zur Anwendung in der Schwangerschaft nicht zugelassen, sodass ihre Verwendung einem »off-label use« entspricht. Nach gängiger Auslegung ist ein Übergehen entsprechender Warnhinweise der Produktinformationen dann möglich, wenn das nicht für die Anwendung in der Schwangerschaft zugelassene Präparat als unbedenklich und hinreichend wirksam, bei gleichzeitig fehlender zugelassener Alternative, angesehen wird [18].
Dem Arzt ist es im Sinne der »Therapiefreiheit« jedoch gestattet, auch nicht zugelassene Arzneimittel bzw. Arzneimittel außerhalb
ihres Indikationsbereichs im Patienteninteresse anzuwenden [6]. Im Sinne eines »informed consent« sollte die Schwangere, wenn möglich, über diese Konstellation informiert werden [6]. Das embryo-/fetotoxische Potenzial von Medikamenten kann zudem von der SSW abhängig sein, d. h. Präparate, die beispielsweise im 1. Trimenon kontraindiziert sind, können u. U. zu einem späteren Zeitpunkt problemloser angewendet werden. Für Einzelheiten sei auf die entsprechenden Lehrbücher der Pharmakologie verwiesen. Die hier verwendete Darstellung kann diese Lektüre nicht ersetzen. Wenn möglich, sollte vor der Anwendung von Antiinfektiva eine Resistenzbestimmung erfolgen.
81.6.1
Antibiotika
Penicilline Penicilline wirken durch eine Hemmung der bakteriellen Zellwandsynthese bakterizid. Aufgrund ihres auf Bakterien beschränkten Wirkmechanismus sowie der jahrzehntelangen Anwendung in der Schwangerschaft ohne Hinweise auf teratogene Effekte werden sie als Antibiotika der 1. Wahl angesehen [18].
Cephalosporine Die ebenfalls als β-Laktamantibiotika zu klassifizierenden Cephalosporine weisen wie Penicilline ein sehr gutes Risikoprofil auf und werden ebenso als Mittel der Wahl in der Schwangerschaft angesehen. Dabei sollte Cephalosporinen der 1. und 2. Generation wegen der größeren Erfahrung der Vorzug gegeben werden [18].
Makrolide Die bakteriostatisch wirkenden Makrolide finden bei entsprechender Indikation (grampositive Keime) eine breite Anwendung in der Schwangerschaft, insbesondere auch bei Vorliegen einer Penicillinallergie. Erythromycinestolat sollte im 2. und 3. Trimenon wegen hepatischer Nebenwirkungen nicht angewendet werden. Bei einer Clindamycin-Daueranwendung ist das Risiko einer maternalen pseudomembranösen Kolitis zu beachten [18].
1065 Literatur
Tetracycline Tetracycline sind nach der 16. SSW wegen kindlicher Zahnverfärbungen, potenzieller Schädigungen der Knochenentwicklung sowie des Risikos maternaler Leberschäden kontraindiziert [18].
Sulfonamide und Trimethoprim Sulfonamide, auch in Kombination mit Trimethoprim, werden in der gesamten Schwangerschaft als Mittel der 2. Wahl angesehen. Sie finden insbesondere bei Harnwegsinfekten Anwendung und weisen ein gutes Sicherheitsprofil auf [18].
Aminoglykoside Intravenöse Aminoglykoside gelten aufgrund ihrer fetalen Ototoxizität in der Schwangerschaft als bedenklich und sollten daher nur bei vitaler Indikation und Versagen der First-line-Therapie gramnegativer Keime verwendet werden [18].
Metronidazol und andere Nitroimidazole Diese Präparate kommen bei Infektionen mit Anaerobiern zur Anwendung. Immer wieder diskutierte teratogene Effekte konnten bis dato nicht nachgewiesen werden [18].
Gyrasehemmer Trotz nicht nachgewiesener teratogener Effekte werden Gyrasehemmer in der Schwangerschaft als relativ kontraindiziert angesehen [18]. Ihre Anwendung sollte, wenn überhaupt, nur bei Infektionen mit Enterobaktern und Pseudomonaden sowie bei Versagen einer Primärtherapie erfolgen.
81.6.2
Virustatika
Mittel der Wahl bei systemischer Herpes- oder erstmaliger mütterlicher Varizelleninfektionen in der Schwangerschaft ist intravenös appliziertes Aciclovir, wofür bis dato kein Nachweis einer embryo-/ fetotoxischen Wirkung vorliegt. Besonders risikoreich sind erstmalige Infektionen um den Geburtstermin, da dann kein suffizienter Nestschutz aufgebaut werden kann. Hinsichtlich der Anwendung weiterer Virustatika sei auf entsprechende Lehrbücher der Geburtshilfe verwiesen. Zur Verhinderung einer vertikalen Transmission bei HIV-positiven Schwangeren liegt eine spezielle Leitlinie vor [7].
81.6.3
Antimykotika
Antimykotika der Wahl in der Schwangerschaft sind Clotrimazol und Nystatin. Weitere Präparate sollten nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung appliziert werden [18].
81.6.4
Analgetika
> Als Mittel der 1. Wahl gilt in jedem Trimenon Paracetamol in üblicher Dosierung.
Bei der Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) in analgetischer Dosierung ist neben der Plazentagängigkeit, einer die Thrombozytenfunktion beeinträchtigenden Wirkdauer von etwa 10 Tagen zusätzlich mit einem erhöhten Risiko peripartaler Blutungen zu rechnen. Darüber hinaus ist insbesondere nach der 30. SSW das Risiko eines vorzeitigen Verschlusses des kindlichen Ductus arteriosus Botalli zu beachten, so dass ASS in diesem Zeitfenster nur eingeschränkt zur Anwendung kommen sollte [2].
Nichtsteroidale Antiphlogistika sind mit keinem erhöhten Risiko kindlicher Fehlbildungen assoziiert. Allerdings ist bei ihrer Anwendung im 3. Trimenon das Risiko eines vorzeitigen Verschlusses des kindlichen Ductus arteriosus Botalli ebenso signifikant erhöht wie das Risiko kindlicher Nierenschäden [18]. Opiatderivate werden bei geburtshilflichen Operationen häufig eingesetzt. Sie sind in der Schwangerschaft bei gegebener Indikation einsetzbar. Bei einer direkten präpartalen Anwendung ist das Risiko einer fetalen Atemdepression zu beachten. Zudem können maternal applizierte Opioide zu charakteristischen CTG-Veränderungen (Amplitudenverlust) sowie zu einer Entzugssymptomatik beim Neugeborenen führen.
81.6.5
Abstillen
Beim Abstillen ist zwischen einem primären und sekundären Vorgehen zu unterscheiden. In der Regel kommt beim primären Abstillen kurz nach der Geburt die Einfachgabe Cabergolin (2 Tabletten) zur Anwendung, während nach bereits erfolgtem Milcheinschuss normalerweise Bromocriptin [4×1,25 mg/Tag) über zumindest 10 Tage verwendet wird. Hierbei ist das erhöhte Auftreten zentralnervöser Nebenwirkungen bei der Mutter zu beachten.
Literatur 1
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81
1066
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19 20
Kapitel 81 · Die Schwangere in der Intensivmedizin
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1067
Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom M.C. Schneider, E. Beinder, J.-C. Fauchère, M. Siegemund
82.1
Terminologie – 1068
82.2
Epidemiologie – 1068
82.3
Ätiologie, Pathogenese und Pathophysiologie – 1069
82.4
Diagnostik, Differenzialdiagnostik – 1070
82.4.1 82.4.2
Diagnostik – 1070 Differenzialdiagnostik – 1071
82.5
Klinische Manifestationen, Komplikationen und Behandlung – 1072
82.5.1 82.5.2 82.5.3 82.5.4 82.5.5 82.5.6
Hypertonie – 1073 HELLP-Syndrom – 1074 Drohende Eklampsie, Eklampsie – 1074 Nierenversagen – 1076 Respiratorische Insuffizienz – 1076 Gerinnungsstörungen, Thrombozytopenie – 1076
82.6
Betreuung des Neugeborenen bei Präeklampsie – 1077
82.6.1 82.6.2 82.6.3
Einfluss der Präeklampsie auf den Fetus – 1077 Einfluss der Präeklampsie auf das Neugeborene – 1077 Einfluss der mütterlichen Behandlung der Präeklampsie auf das Neugeborene – 1077
Literatur – 1077
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_82, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
82
1068
82
Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
. Tab. 82.1 Kriterien einer schweren Präeklampsie und damit einer Intensivbehandlung Kriterien
82 82
Symptome
Schwangerschaftshochdruck ≥160/110 mm Hg und Proteinurie >0,3 g/24 h Schwangerschaftshochdruck ≥140/90 mm Hg und Proteinurie >5 g/24 h Zusätzliche Organmanifestationen
Zentralnervöse Symptome
Anhaltende Kopfschmerzen Augenflimmern und Skotome Myoklonien Papillenödem
Niere
Oligurie <500 ml/24 h
Leber
Leberschwellung Leberenzymanstieg (LDH >600 U/l, AST >70 U/l, ALT >70 U/l) Oberbauchschmerzen
82
Lunge
Lungenödem Zyanose
82
Thrombozytopenie
<100×109/l
Hämolyse
LDH, indirektes Bilirubin und Fragmentozyten erhöht
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82 82.1
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Terminologie
Die Präeklampsie und die mit ihr assoziierten Krankheitsbilder Eklampsie und HELLP-Syndrom setzen Schwangere und deren Feten bedeutenden Risiken aus und zählen zu den Hauptursachen mütterlicher und fetaler Morbidität und Mortalität. Die Erkrankung kann sich ganz unterschiedlich äußern: als überwiegend mütterliches (Hypertonie, Proteinurie und weitere Organfunktionsstörungen) oder fetales Syndrom (fetale Wachstumsrestriktion, Verminderung der Fruchtwassermenge, fetale Asphyxie), aber auch als Kombination der mütterlichen und fetalen Erkrankung. Sie wird dennoch ausschließlich nach mütterlichen Kriterien eingeteilt [36]: 4 Schwangerschaftshypertonie: Erstmanifestation einer Hypertonie nach der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) mit systolischen und/oder diastolischen Blutdruckwerten >140 bzw. >90 mm Hg, die 2-mal im Abstand von mindestens 6 h bei Fehlen einer Proteinurie gemessen werden. Schwangerschaftskomplikationen sind selten. Meist steigt der Blutdruck im Verlauf der Schwangerschaft nicht weiter an, bisweilen wird ein progredienter Anstieg ohne weitere Präeklampsiesymptome (außer einer möglichen fetalen Wachstumsrestriktion) beobachtet, selten die Progression in eine Präeklampsie. Postpartal normalisiert sich der Blutdruck wieder. 4 Chronische Hypertonie: Hypertonie, die bereits vor der Schwangerschaft oder später als 12 Wochen nach der Entbindung besteht. Bei einer Pfropfpräeklampsie mit einer Inzidenz von etwa 25% sind die Risiken der Frühgeburtlichkeit, der fetalen Wachstumsrestriktion, der vorzeitigen Plazentalösung und des akuten Nierenversagens höher als bei der neu aufgetretenen Präeklampsie. 4 Präeklampsie/Eklampsie: Schwangerschaftshypertonie mit Proteinurie, die durch >300 mg Protein im 24-h-Sammelurin bzw. durch zwei qualitative Bestimmungen (Uristix) mindestens einfach positiv im Abstand von mehr als 4 h definiert ist. Die Eklampsie als Komplikation einer schweren Präeklampsie äußert sich in tonisch-klonischen Krämpfen. Nach dieser Klassifikation gehen weder die Ödeme noch der relative oder absolute Blutdruckanstieg in die Definition der Präeklampsie ein. Da die Proteinurie ein spätes Symptom ist, sollten auch die jenigen Patientinnen behandelt werden, bei denen die Schwanger-
schaftshypertonie mit Kopfschmerzen, Oberbauchschmerzen oder Laborveränderungen (Thrombopenie und erhöhte Leberwerte) assoziiert sind. Aus klinischer Sicht ist es sinnvoll, eine schwere von einer milden Präeklampsie zu unterscheiden, da dies den Entbindungszeitpunkt beeinflusst und außerdem bestimmt, ob die Patientin intensivmedizinisch behandelt werden muss (. Tab. 82.1 und . Abb. 82.1).
82.2
Epidemiologie
Die Präeklampsie tritt mit einer Inzidenz von 3‒5% aller Schwangerschaften auf. 4 In etwa 25% der Fälle entwickelt sie sich bereits vor der 35. SSW, in der Regel mit einem höheren mütterlichen bzw. kindlichen Komplikationsrisiko. 4 Bei rund 75% der Fälle tritt sie erst kurz vor oder am Entbindungstermin auf [26], meist als leichte Form mit einem geringen mütterlichen und neonatalen Morbiditätsrisiko. Gemäß einer englischen Erhebung [5] sterben heutzutage in England zwischen 6 und 13 Mütter auf 1 Mio. Schwangerschaften direkt an den Folgen und Komplikationen einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie. Diese mütterlichen Todesfälle wären heute meist vermeidbar, wenn die Schwangerschaft rechtzeitig beendet, die Entwicklung schwerer Erkrankungsstadien vermieden und die Behandlungsstandards eingehalten würden. So konnte die Inzidenz der Eklampsie in England von 1922‒1964 von 0,8% auf 0,049% um über 90% reduziert werden.
Risikofaktoren für das Auftreten einer Präeklampsie [8] 4 4 4 4 6
Altersextreme bei Erstgravidität (<20 bzw. >40 Jahre) Primipaternität Heterologe Inseminationen, Eizell- oder Embryospende Erhöhte Trophoblastmenge (Mehrlingsschwangerschaften, Blasenmole)
1069 82.3 · Ätiologie, Pathogenese und Pathophysiologie
. Abb. 82.1 Algorithmus: Stationäre vs. intensivmedizinische Betreuung
4 Erkrankungen der Mutter mit Gefäßbeteiligung (Hypertonie, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Adipositas, Nierenerkrankungen) 4 Autoimmunerkrankungen (Antiphospholipidsyndrom, Rheuma, Lupus erythematodes) 4 Genetische Disposition (Mutationen und Polymorphismen mit Assoziation zu Thrombophilie, Hyperlipidämie, Arteriosklerose) 4 Positive persönliche (Präeklampsie in früherer Schwangerschaft) bzw. familiäre Anamnese (mütterlicheroder väterlicherseits)
Faktoren, die das Präeklampsierisiko reduzieren 4 Blande Anamnese (Schwangerschaft mit demselben Partner) 4 Zigarettenkonsum (senkt paradoxerweise die Präeklampsiehäufigkeit [11])
Intensivmedizinische Bedeutung der schweren Präeklampsie Die prädiktive Bedeutung der schweren Präeklampsie als wichtiger mütterlicher Morbiditätsfaktor ergibt sich aus den Ergebnissen einer englischen Fallkontrollstudie aus dem Jahre 1998 [34]: Bei einer totalen Morbiditätsinzidenz von 12,0 auf 1000 Geburten folgten auf massive Hämorrhagie 6,7 schwere Präeklampsie 3,9, Eklampsie 0,2, HELLP-Syndrom 0,5, schwere Sepsis 0,4 und Uterusruptur 0,2. Auch in Finnland waren Komplikationen einer schweren Präeklampsie (32%) nach denjenigen einer Massenblutung (73%) die zweithäufigsten Eintrittsdiagnosen von Schwangeren auf einer In-
tensivstation. In Yorkshire mussten zwischen 1999 und 2003 49 von 1087 Schwangeren (4,5%) wegen Komplikationen einer schweren Präeklampsie (Inzidenz 0,52%) auf einer Intensivstation behandelt werden.
82.3
Ätiologie, Pathogenese und Pathophysiologie
Die Ätiologie der Präeklampsie ist nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt: Sicher ist, dass die Erkrankung nur entsteht, wenn eine Plazenta vorhanden ist, und dass sie meist folgenlos ausheilt, wenn die Plazenta bei der Entbindung entfernt wird. Ferner ist allgemein anerkannt, dass die mütterlichen Symptome der Präeklampsie wie Hypertonie, Proteinurie, Gerinnungsstörung und Leberdysfunktion auf eine generalisierte Endothelerkrankung der Schwangeren zurückzuführen sind. Die Präeklampsie ist eine zweiphasige Erkrankung mit einem präklinischen plazentaren und einem klinischen Stadium (. Abb. 82.2; [21, 24, 26]). z Stadium 1 Histopathologische Untersuchungen zeigen, dass eine mangelhafte endovaskuläre Invasion fetaler Zytotrophoblasentzellen in mütterliche deziduale Gefäße (»poor placentation«) als früheste pathophysiologische Veränderung bei Präeklampsie regelmäßig nachweisbar ist [23]. Die endovaskuläre Invasion von Zytotrophoblastzellen führt im Normalfall zu einem extensiven Umbau (Remodelling) der Spiralarterien, den Endarterien der uteroplazentaren Zirkulation, die mütterliches Blut direkt in den intervillösen Raum der Plazenta leiten. Dieses Remodelling ist etwa in der 20. SSW abgeschlossen, sodass der niedrige Gefäßwiderstand der schlauchartig dilatierten Spiralarterien eine maximale Perfusion des intervillösen Raumes gewährleistet.
82
1070
Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
. Abb. 82.2 Pathophysiologie der Präeklampsie. (Nach [21])
82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82 82
Bei der Präeklampsie ist die von natürlichen Killerzellen und Makrophagen begleitete Trophoblastinvasion in Spiralarterien und Dezidua unvollständig (»shallow invasion«), sodass der Umbau der Spiralarterien ausbleibt und die uteroplazentare Perfusionskapazität den fetalen Bedürfnissen, die sich im Verlauf der Schwangerschaft verzehnfachen (von 50 auf 500 ml/min), nicht entspricht ‒ aus immunologischer Sicht eine Form der mütterlichen Abwehr des genetisch fremden Fetus. z Stadium 2 Vasokonstriktion und Minderperfusion im intervillösen Raum führen zu einer plazentaren Hypoxie, die über weitgehend unbekannte Mechanismen eine Endothelaktivierung auslöst und unterhält. Diese wird von einem Ungleichgewicht zwischen angiogenen Faktoren, wie VEGF (»vascular endothelial growth factor«) oder PlGF (»placental growth factor«) und Faktoren, die die Angiogenese inhibieren, wie sFlt I (»soluble fms-like tyrosine kinase I«) und sEng (»soluble endoglin«) begleitet, die mit der Pathogenese der Präeklampsie eng verbunden ist [22]. Eine verminderte plazentare Durchblutung, auch wenn sie zu einer fetalen Wachstumsrestriktion führt, reicht jedoch allein nicht für die Entwicklung einer Präeklampsie aus. Nur 30‒50% aller Feten präeklamptischer Schwangerer weisen eine Wachstumsrestriktion auf. Offenbar handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, das zur endothelialen Aktivierung bei Präeklampsie führt. Das Endothel steht im Mittelpunkt der Symptome Hypertonie, periphere Vasokonstriktion, Proteinurie und Ödeme, die allesamt auf gestörte endotheliale Funktionen zurückgeführt werden können. Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass das Endothel durch noch unbekannte zirkulierende Substanzen (»Faktor X«) aktiviert wird, die zu Endothelveränderungen führen, wie sie auch unter oxidativem Stress beobachtet werden. Allerdings konnte in einer prospektiv randomisierten und Placebo-kontrollierten Untersuchung, in der der Einfluss von Vitamin C und Vitamin E auf die Inzidenz der Präeklampsie in einem Hochrisikokollektiv untersucht wurde, kein präventiver Effekt dieser Antioxidanzien nachgewiesen werden [19]. Die pathologischen Veränderungen einer Präeklampsie entsprechen nicht derjenigen einer klassischen Hypertonie, sondern vielmehr einer Minderdurchblutung praktisch aller Organe. In der Niere beispielsweise finden sich stark geschwollene Endothel- und Mesangiumzellen, welche die glomerulären Kapillaren verschließen. Die veränderte Nierenfunktion spiegelt sich im Kreatinin- und Harnsäurespiegel und in der Eiweißausscheidung wider. Verände-
rungen am zerebralen Gefäßsystem sind unabhängig vom systemischen Blutdruck und reichen von Blutungen und Petechien bis zu Gefäßwandveränderungen und fibrinoiden Nekrosen mit Ischämiearealen und Mikroinfarkten. > Das Leitsymptom der Präeklampsie, die Hypertonie, ist hauptsächliche durch eine erhöhte Sensitivität gegen alle zirkulierenden Vasokonstriktoren bedingt, unterstützt durch die gesteigerte Aktivität des sympathischen Nervensystems.
Gleichzeitig führt die gestörte Endothelfunktion zu einer verminderten Produktion von gefäßerweiternden Mediatoren wie den Prostaglandinen und Stickstoffmonoxid. Die Organdurchblutung wird durch die aktivierte Gerinnung mit Ablagerung von kapillären Mikrothromben sowie die Hämokonzentration bei vermehrter Ödembildung weiter beeinträchtigt.
82.4
Diagnostik, Differenzialdiagnostik
82.4.1
Diagnostik
Blutdruckmessung Die Messung wird nach einer 10-minütigen Ruhephase bei der sitzenden Patientin durchgeführt; primär an beiden Armen, zur Verlaufskontrollen am Arm mit den höheren Werten. Die International Society for the Study of Hypertension in Pregnancy (ISSHP) empfiehlt, die Korotkoff-Phase I (Hörbarwerden der Töne) zur Bestimmung des systolischen und die Korotkoff-Phase V (Verschwinden der Töne) zur Bestimmung des diastolischen Blutdruckwertes zu benutzen. Bei bis zu 25% der Patientinnen mit leichter Hypertonie führt die manuelle Blutdruckmessung zu falsch-hohen Werten (»white coat hypertension«), tageszeitliche Schwankungen und die Größe der Blutdruckmanschette sollten ebenfalls beachtet werden. Diese Fehlerquellen können durch eine 24-h-Blutdruckmessung mit vollautomatischen, oszillometrischen Geräten ausgeschaltet werden, die sich auch zur Überprüfung der therapeutischen Maßnahmen eignen.
Eiweißausscheidung im Urin Falls keine quantitative Proteinbestimmung im 24-h-Sammelurin vorliegt, die zur Objektivierung verlangt werden sollte, gilt ein Wert von >0,3 g/l (einfach positiv im U-Stix) als pathologisch. Falsch-
82
1071 82.4 · Diagnostik, Differenzialdiagnostik
. Tab. 82.2 Präeklampsie: Laborparameter (Verlaufskontrolle) Organfunktion
Parameter
Pathologische Werte
Niere
Kreatinin-Clearance
<60–80 ml/min
Kreatinin
>80 μmol/l (1,05 mg/dl)
Harnsäure
>360 μmol/l (6,05 mg/dl)
Proteinurie
>0,3 g/24 h
Albumin
Abfall < Referenzbereich
Alaninaminotransferase (ALT)
Anstieg > Referenzbereich
Aspartataminotransferase (AST)
Anstieg > Referenzbereich
Laktatdeyhdrogenase (LDH)
Anstieg > Referenzbereich
Bilirubin
Anstieg > Referenzbereich
Thrombozyten
<100.000/ μl (Abfall)
Hämoglobin
>13 g/dl
. Abb. 82.3 Symptome der Präeklampsie
Hämatokrit
≥38%
positive Werte können durch verstärkten Fluor oder eine Infektion vorgetäuscht werden.
Fibrinogen
Abfall < Referenzbereich
Haptoglobin
Abfall <70%
Leber
Gerinnung und Blutbild
Klinisches Bild Starke Kopfschmerzen (bis zu 40%), Doppelsehen, Augenflimmern und Hyperreflexie mit Klonus sind als zentralnervöse Symptome grundsätzlich als Warnhinweise auf eine drohende Eklampsie zu werten. Jede hypertensive Schwangere sollte regelmäßig danach gefragt und über die Bedeutung dieser Symptome aufgeklärt werden. Das Eklampsierisiko steigt, wenn gleichzeitig eine Proteinurie besteht. Der (rechtsseitige) Oberbauchschmerz ist für das HELLPSyndrom meist richtungsweisend; in ca. 20‒40% der Fälle geht er den laborchemischen Veränderungen um Tage bis Wochen voraus. Die Symptome der Präeklampsie sind in . Abb. 82.3 dargestellt. > Das Auftreten dieser Prodromalsymptome sollte eine umgehende stationäre Einweisung der Schwangeren zur weiteren Abklärung und Therapie nach sich ziehen.
Fetale Überwachung Mit Kardiotokographie (CTG; Wehenschreiber), Dopplersonographie der uterofetoplazentaren Gefäße und Fetometrie kann der fetale Zustand beurteilt und eine fetale Wachstumsrestriktion ausgeschlossen werden. Bei einer Entbindung vor der 34. SSW stellt sich die Indikation zur fetalen Lungenreifeinduktion mit Betamethason (2-mal 12 mg i.m. im Abstand von 12 h).
Laboruntersuchungen Diese dienen dem Ausschluss eines HELLP-Syndroms und der Funktionsdiagnostik evtl. beteiligter Organe (. Tab. 82.2).
82.4.2
Differenzialdiagnostik
> Bei einer neu aufgetretenen Hypertonie in Kombination mit einer Proteinurie in der Schwangerschaft besteht kein Zweifel an einer Präeklampsie.
. Tab. 82.3 Differenzialdiagnose des HELLP-Syndroms HELLP
TTP
HUS
Virushepatitis
Hämolyse
++
+++
++
–
Thrombopenie
++
+++
+++
–
Ikterus
–
++
++
++
Hypertonie
Meist
–
–
–
Transaminasen
++
Selten
Selten
++
Proteinurie
Meist
Selten
Meist
–
Oberbauchschmerz, häufig DIG
Neurologische Symptome
Besonderes
DIG=disseminierte intravaskuläre Gerinnung; TTP=thrombotisch-thrombozytopenische Purpura; HUS=hämolytisch-urämisches Syndrom.
Schwieriger ist die Differenzialdiagnose bei einer Thrombozytopenie oder bei Hämolyse, Anstieg der Leberenzyme, alleinigen Oberbauchschmerzen und Nierenerkrankungen (. Tab. 82.3).
1072
Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
. Abb. 82.4 Algorithmus zum Vorgehen bei schwerer Präeklampsie. (Hauseigenes Vorgehen; [24, 30])
Schwere Präeklampsie
82 82
Stationäre Beobachtung, tägliche maternale und fetale Evaluation, Magnesiumsulfat, antihypertensive Therapie, falls RR > 160/110 mm Hg
82 82 82 < 23 SSW
23−32 SSW
Schwangerschaftsabbruch diskutieren
Maternale Gefährdung oder fetale Gefährdung
> 32 SSW
82 82 82
ja
Entbindung
82 nein
82 nein
82
Lungenreifungsprophylaxe
ja
82 82
Erhebliche fetale Restriktion
82 82
Wichtige Differenzialdiagnosen einer Thrombozytopenie in der Schwangerschaft
82
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
82 82 82 82 82 82 82 82 82
82.5
Pseudothrombozytopenie Gestationsthrombozytopenie Immunologische Formen Autoimmunthrombozytopenie Medikamentös induzierte Thrombozytopenie Präeklampsie und HELLP-Syndrom Disseminierte intravasale Gerinnung (DIG) Hämolytisch urämisches Syndrom (HUS) Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangel Schwangerschaftsfettleber
Klinische Manifestationen, Komplikationen und Behandlung
Obwohl die Entbindung die einzige kausale Therapie der Präeklampsie darstellt, von der sich die Patientin bei komplikationslosem Verlauf rasch vollständig erholen kann, sind sowohl der klinische Verlauf als auch der Zeitpunkt der Schwangerschaft für das Vorgehen richtungsweisend. Nach Sicherung der Diagnose sollte der Zustand der Schwangeren optimiert und unter engmaschiger Kontrolle stabilisiert werden, um das Komplikationsrisiko zu minimieren. Vor der 34. SSW drängt sich in aller Regel ein abwartendes
Verhalten auf, um die Probleme der extremen Frühgeburtlichkeit zu vermeiden. Dadurch wird die Mutter allerdings der Gefahr einer Verschlechterung der Präeklampsie und damit assoziierten Komplikationen ausgesetzt. Das Vorgehen besteht also aus einem ständigen Abwägen der Risiken, dessen wichtigste Entscheidungsdeterminanten der Schweregrad der Präeklampsie einerseits und die Gefahren der Frühgeburtlichkeit andererseits sind, wobei der Sicherheit der Mutter oberste Priorität zukommt (. Abb. 82.4). Da sich aus einer Präeklampsie jederzeit ohne Vorwarnzeichen eine Eklampsie oder ein HELLP-Syndrom entwickeln kann, muss die ambulante oder stationäre Überwachung der Schwangeren darauf ausgerichtet sein, die mit einer Exazerbation assoziierte Morbidität und Mortalität durch frühzeitige Erfassung und rechtzeitige therapeutische Interventionen zu reduzieren. Deshalb sollten, bei individualisierten Untersuchungsintervallen, die Laborwerte regelmäßig kontrolliert werden, bei milden Verlaufsformen wöchentlich, bei schweren täglich, in Einzelfällen sogar noch häufiger. > Die engmaschige klinische Überwachung ist von zentraler Bedeutung.
82
1073 82.5 · Klinische Manifestationen, Komplikationen und Behandlung
. Tab. 82.4 Medikamente zur Akuttherapie der schwangerschaftsinduzierten Hypertonie
. Tab. 82.5 Medikamente zur Therapie der chronischen Hypertonie in der Schwangerschaft
Substanzklasse
Pharmakon
Dosis
Substanzklasse
Pharmakon
Anfangsdosis
Maximaldosis
Peripherer Vasodilatator
Dihydralazin (Nepresol)
5–10 mg i.v., repetitiv nach 20– 30 min bis Therapieziel erreicht; danach 3,0–4,5 mg/h i.v.
Zentraler adrenerger Antagonist
Methyldopa
3-mal 250 mg
3 g/Tag
Kalziumantagonist
Nifedipin (Adalat)
5–10 mg p.o., repetitiv nach 30 min bis maximal 50 mg; danach retardiertes Nifedipin 20 mg/8–12 h p.o.
Nifedipin (retardiert)
2-mal 30 mg
Kalziumantagonist
150 mg/ Tag
β-Rezeptorenblocker
Metoprolol
1-mal 50 mg
100 mg/ Tag
Kombinierter α1/β-Rezeptorenblocker
Labetolol (Trandate)
10–20 mg i.v., repetitiv nach 10– 20 min, bis Therapieziel erreicht, bei fehlender Wirkung Dosissteigerung auf 40 bzw. 80 mg i.v. bis zur Maximaldosis von 300 mg; danach 20–160 mg/h i.v.
Kombinierter α1-/βRezeptorenblocker
Labetolol
3-mal 100–200 mg
2400 mg/ Tag
α1-Rezeptorblocker und 5HT1A-Agonist
82.5.1
Urapidil (Ebrantil)
5–10 mg i.v.; danach 6–24 mg/h i.v.
Hypertonie
Therapie schwangerschaftsinduzierten Hypertonie Die endotheliale Dysfunktion, die mit einer gestörten Stickstoffmonoxid (NO)-Freisetzung gekoppelt ist, führt zu Beeinträchtigung der Gefäßintegrität, diffusen Vasospasmen und inadäquater Sauerstoffversorgung. Zwischen Hypertonie und Hypovolämie scheint eine inverse Korrelation zu bestehen [15]. Das Ziel der antihypertensiven Therapie besteht darin, das Risiko zerebro- und kardiovaskulärer Komplikationen zu reduzieren, die für die mütterliche Mortalität und Morbidität hauptsächlich verantwortlich sind [5, 37]. Die Blutdrucksenkung kann für den Fetus selbst nachteilig sein: Durch Verminderung der uteroplazentaren Durchblutung kommt es gehäuft zu Wachstumsrestriktion und pathologischen Kardiotokogrammen. Die Behandlung einer leichten bis mittelschweren Hypertonie in der Schwangerschaft vermindert zwar die Entwicklung einer schweren Hypertonie, verhindert aber nicht das Auftreten einer manifesten Präeklampsie; wenig beeinflusst werden Frühgeburtshäufigkeit, Wachstumsrestriktion und perinatale Mortalität [12]. Eine medikamentöse Behandlung der Schwangerschaftshypertonie wird empfohlen, wenn die Blutdruckwerte wiederholt 160 mm Hg systolisch oder 110 mm Hg diastolisch übersteigen [5, 24]. Dihydralazin, das klassische Mittel der Wahl, wenn die Hypertonie unter intravenöser Magnesiumtherapie persistiert [30], kann durch Labetalol und Nifedipin oder Urapidil als Alternativen (. Tab. 82.4) ersetzt bzw. ergänzt werden, die ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufweisen [16]. > Ziel der ist ein Blutdruck um 130–140/90–100 mm Hg.
Eine Hypotonie der Mutter könnte den Fetus gefährden und sollte deshalb vermieden werden. Der mittlere arterielle Druck sollte zur Verhinderung zerebrovaskulärer Ereignisse unter 125 mm Hg liegen.
Flüssigkeitstherapie und Monitoring Das durch die Hämokonzentration verminderte Plasmavolumen und das tief normale Herzzeitvolumen bergen die Gefahr von Oligurie, Nierenversagen und fetaler Minderversorgung. Besonders
die Verabreichung von Antihypertensiva und Anästhetika kann die Organminderperfusion verstärken. Deshalb sollte am Beginn der Therapie der schweren Eklampsie immer eine Optimierung des Plasmavolumens stehen. Dabei werden sowohl kristalloide wie auch kolloidale Infusionen eingesetzt. Die Verabreichung von kristalloiden Infusionen mit 1–2 ml/kg Kg/h sollte bis zum Erreichen einer Normovolämie fortgesetzt werden. Der theoretische Vorteil von Kolloiden für Ödembildung, Mikrozirkulation und Volumenstatus wurde bisher noch in keiner kontrollierten Studie untersucht, es gibt aber Hinweise, dass sich Hydroxyethylstärkelösungen der 3. Generation (geringes Molekulargewicht, niedriger Substitutionsgrad) günstig auf Mikrozirkulation und Sauerstoffversorgung auswirken [35]. 500–1000 ml können ohne Gefährdung der Niere gegeben werden. Dabei sollte auf eine genaue Flüssigkeitsbilanz geachtet werden. Bei Patientinnen mit einer therapierefraktären Oligurie, einer massiven Blutung oder einer strukturellen Herzerkrankung ist der Einsatz eines zentralen Venenkatheters indiziert. Bei ausgeglichener Flüssigkeitsbilanz, normalem ZVD und fortbestehender Oligurie oder bei einem unter der Infusionstherapie aufgetretenen Lungenödem kann die Echokardiographie oder ein Pulmonalarterienkatheter weiteren Aufschluss über die Hämodynamik geben. Eine Therapie mit Diuretika ist nur bei Patientinnen mit Lungenödem aufgrund eines Kapillarschadens (»capillary leak syndrome«), Tokolyse oder bei vorbestehender Herzkrankheit indiziert.
Therapie der chronischen Hypertonie Schwangere mit schwerer Hypertonie (>160/110 mm Hg) oder Endorganschaden haben ein erhöhtes mütterliches und auch fetales Morbidität- und Mortalitätsrisiko. Sie bedürfen einer antihypertensiven Therapie und engmaschiger Schwangerschaftskontrollen, weil sich in >50% der Fälle eine Präeklampsie entwickelt. Außerdem sollte der auf 5–10% erhöhten Inzidenz einer vorzeitigen Plazentalösung Rechnung getragen werden. In der Schwangerschaft werden Methyldopa, Nifedipin und Metoprolol zur Langzeitbehandlung der Hypertonie bevorzugt (. Tab. 82.5; [27]). Frauen, die pränatal Angiotensin-I-ConvertingEnzym (ACE)-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten erhielten, sollten möglichst schon präkonzeptionell auf andere Antihypertensiva umgestellt werden. Mit Nifedipin bestehen zwar zahlreiche Erfahrungen zur Anwendung in der Schwangerschaft, die Substanz ist dennoch nicht zur Behandlung in der Schwangerschaft zugelassen. Schwangere mit unkomplizierter essenzieller Hypertonie und einem Blutdruck <160/110 mm Hg haben dagegen eine günstigere Prognose. Meist sinkt der Blutdruck auch ohne medikamentöse
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Therapie im II. Trimenon, sodass in vielen Fällen auf eine antihypertensive Therapie verzichtet werden kann. Die Frage, ab welchen Blutdruckwerten eine Hypertonie in der Schwangerschaft behandelt werden sollte, wird in der Literatur kontrovers beurteilt: Am häufigsten wird eine Blutdruckgrenze von 160/110 mm Hg [5, 30] angegeben. In einer retrospektiven Auswertung von 28 Präeklampsiefällen mit zerebrovaskulärem Insult war das Auftreten eines Insults bei allen Patientinnen mit einem systolischen Blutdruck von mehr als 155 mm Hg (>160 mm Hg; 95,8%), nicht aber mit einer schweren diastolischen Hypertonie assoziiert [18].
82 82.5.2
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Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
HELLP-Syndrom
Das Akronym HELLP steht für Laborveränderungen, die mit einer Inzidenz von 10–20% im Rahmen einer schweren Präeklampsie auftreten [30] und durch Hämolyse, »elevated liver enzymes« (LDH, AST, ALT) und »low platelets« (<100.000/μl) charakterisiert sind (. Tab. 82.1). Rechtsseitige Oberbauchschmerzen sind richtungsweisend und gehen den laborchemischen Veränderungen in ca. 20–40% der Fälle um Tage bis Wochen voraus. Sie werden durch den gestörten Blutfluss in den Lebersinusoiden und Dehnung der Glisson-Kapsel ausgelöst. Im Falle subkapsulärer oder intrahepatischer Hämatome muss mit dem Risiko einer spontanen Leberruptur gerechnet werden. Leberzellnekrosen äußern sich in erhöhten Transaminasenwerten. In bis zu 20% der Fälle fehlen aber die klassischen Symptome der Präeklampsie. Der spontane Verlauf des HELLP-Syndroms ist unberechenbar, einerseits kann es in bis zu 43% der Fälle zu einem (meist kurzfristigen) Rückgang der klinischen und laborchemischen Symptomatik kommen, andererseits muss unabhängig davon in über 50% der Fälle mit schweren Komplikationen gerechnet werden. In einem Kollektiv von 442 Fällen [32] waren dies: 4 disseminierte intravasale Gerinnung (DIG) (21%), 4 vorzeitige Plazentalösung (16%), 4 akutes Nierenversagen oder Aszites (8%), 4 Lungenödem oder Pleuraerguss (6%), 4 Leberhämatome, Hirnödem, Netzhautablösung und ARDS (je 1%), Prädiktoren für einen ungünstigen Verlauf des HELLP-Syndroms sind das Auftreten einer DIG und afroamerikanische Ethnizität, nicht jedoch der Schweregrad der HELLP-assoziierten Laborveränderungen [13]. Da eine Prognose im Einzelfall nicht möglich ist, ist in der Regel die Entbindung als einzig kausale Therapie angezeigt. Nur in Einzelfällen kann aufgrund extremer Frühgeburtlichkeit unter Intensivbeobachtung in einem Perinatalzentrum bis zum Eintritt der Lungenreife abgewartet werden. Ob durch Steroide, die zur Induktion der fetalen Lungenreife verabreicht werden (12 mg Betamethason i.m. und Wiederholung nach 12 h) auch der Verlauf der Erkrankung günstig beeinflusst wird, kann wegen fehlender Power der Untersuchungsergebnisse nicht schlüssig beantwortet werden [31]. Steroide können die Normalisierung pathologisch hämatologischer und biochemischer Veränderungen beim HELLP-Syndrom beschleunigen.
82.5.3
Drohende Eklampsie, Eklampsie
In den westlichen Industrieländern sind Krampfanfälle bei Schwangeren mit Präeklampsie mit einer Inzidenz von etwa 0,05% selten [10]. Im Gegensatz dazu sind eklamptische Anfälle in Schwellenländern zum Großteil für die mütterliche Mortalität verantwortlich.
Die Ätiologie der Krampfanfälle ist bisher unbekannt, durch bildgebende Verfahren und autoptisch konnten petechiale Blutungen, kortikale und subkortikale Ödeme sowie fokale und regionale Ischämien, aber auch eine Hyperperfusion im Rahmen einer hypertensiven Enzephalopathie nachgewiesen werden. Obwohl keine direkte Korrelation zwischen dem Auftreten einer Eklampsie und den Blutdruckwerten besteht, sind Kopfschmerzen und andere zentralnervöse Symptome als Warnhinweise für eine drohende Eklampsie ernst zu nehmen. Das traditionelle Präeklampsiekriterium Hypertonie konnte bei 38% der Eklampsiefälle nicht nachgewiesen werden [10]. Etwa 2/3 der Eklampsien treten prä- und intrapartal auf, 1/3 in den ersten 2 Tagen (selten auch später) nach der Entbindung. Dabei kommt es v. a. bei Entbindungen am Termin gehäuft zu postpartalen Krampfanfällen. Charakteristisch sind tonisch-klonische Krämpfe, die, meist an den Extremitäten beginnend, sich auf den Stamm ausbreiten und von einem epileptischen Anfall kaum zu unterscheiden sind. > Die Letalität einer Eklampsie ist hoch, für Schwangere beträgt sie bis zu 2–5%, für Feten bis zu 20% – ein eklamptischer Krampfanfall muss deshalb immer therapiert werden. Differenzialdiagnose der Eklampsie 4 Epilepsie 4 Epileptiforme Krampanfälle bei – Zerebrovaskulärem Insult (Ischämie, Sinusvenenthrombose) – Intrakranieller Raumforderung (Hirnödem, Hämorrhagie) – Meningitis/Enzephalitis – Toxisch-metabolischen Störungen (Kokainabusus, Hypo- und Hyperglykämie, Hyponatriämie, Hypokalzämie)
Prophylaxe der Eklampsie Die prophylaktische Wirkung von Magnesiumsulfat wurde in einer prospektiven Multicenterstudie mit 10.141 Patientinnen, die in der Mehrzahl aus Schwellenländern stammten und an einer schweren Präeklampsie litten, nachgewiesen [1]. Das Eklampsierisiko wurde halbiert, bei schwerer Präeklampsie wurde auf 63 Patientinnen eine Eklampsie verhindert (»number needed to treat«; NNT), bei leichter Präeklampsie mussten 109 behandelt werden. Ebenso wurde das mütterliche Mortalitätsrisiko insignifikant gesenkt. Die prophylaktische Wirksamkeit von Magnesiumsulfat wurde in weiteren großen prospektiv randomisierten Untersuchungen bestätigt, gemäß welchen das Eklampsierisiko von 2% auf 0,6% reduziert wurde [30]. Da diese prophylaktische Wirksamkeit von Magnesiumsulfat in zwei randomisierten Studien bei milder Präeklampsie jedoch nicht nachgewiesen wurde, ist diese Therapie wohl bei schwerer, nicht aber bei milder Präeklampsie indiziert [29].
1075 82.5 · Klinische Manifestationen, Komplikationen und Behandlung
Magnesiumtherapie (MgSO4)
4 Dosierung – »loading dose« von 3–4 g MgSO4 als Kurzinfusion über 20 min – Erhaltungsdosis von 1–3 g/h als Dauerinfusion bis 24–48 h nach der Entbindung, normale Nierenfunktion vorausgesetzt 4 Kontrolle folgender Parameter (Erhaltung > 1g/h) – Serummagnesiumspiegel – therapeutischer Bereich 2,0–4,0 mmol/l – Patellarsehnenreflex nicht auslösbar >5 mmol/l) – Atemdepression >6 mmol/l – Herzstillstand >12 mmol/l – Urinausscheidung (>50 ml/h) – Dosisanpassung bei Oligurie – Atemfrequenz (>14/min) oder Pulsoxymetrie (>95%) 4 Bei klinischen Hinweisen auf Magnesiumüberdosierung – Stopp der MgSO4-Infusion – Kalziumglukonat 10% 10 ml i.v. über 3 min – Sauerstoff (Gesichtsmaske), Intubation und Beatmung bei Atemstillstand – Kardiopulmonale Reanimation (Asystolie); Sectio in moribunda
Nach der Entbindung sollte bei allen Patientinnen mit schwerer Präeklampsie und HELLP-Syndrom die intravenöse Magnesiumprophylaxe und Blutdrucktherapie für 24–48 h auf einer Intensivstation oder der geburtshilflichen Abteilung fortgesetzt werden, da eklamptische Krampfanfälle sowie ein HELLP-Syndrom auch postpartal auftreten können. Die intensivmedizinische Betreuung sollte gleichzeitig für eine intensivierte Atemtherapie sowie die Normalisierung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes genutzt werden. Die kritisch kranke Schwangere benötigt somit eine multidisziplinäre Betreuung bis in die postpartale Phase, um einen optimalen Ausgang für Mutter und Kind zu garantieren.
– Lorazepam als Alternative bzw. bei Fortbestehen der Konvulsionen in einer Dosierung von 0,05 mg/kg Kg über 2–5 min i.v. (kann nach 5–15 min wiederholt werden, maximal 8 mg/12 h) – Diazepam als nebenwirkungsreichere (Wirkungsdauer) 2. Alternative in einer Dosierung von 0,1–0,3 mg/kg Kg Cave: – Risiko des Atemstillstands bei Polypharmazie erhöht – Im Unterschied zu MgSO4 kein Einfluss auf mütterliche Mortalität: Relatives Risiko (RR) unter MgSO4 vs. Diazepam 0,59 [12] – Im Unterschied zu MgSO4 kein (neuro-)protektiver fetaler Effekt: 5-min-Apgar-Wert <7 MgSO4 vs. Diazepam RR 0,72; Intensivbehandlung >7 Tage RR 0,66 [12] 4 Schutz vor Sekundärschaden (Hypoxie, Aspiration, Körperverletzungen) – Stabilisierung des Zustands der Mutter unter Monitoring der Vitalfunktionen – Sauerstoffgabe, Seitenlagerung, H2-Blocker, Metoclopramid, Natriumzitrat 4 Korrektur des Volumenstatus (Hypovolämie, Oligurie) – Kontrolle der Flüssigkeitbilanz: Zufuhr/Ausfuhr (Dauerkatheter) – Korrektur einer Hypovolämie: primär Kristalloide, sekundär auch Kolloide (Hydroxyethylstärke) vor vasodilatativer Therapie bzw. rückenmarknaher Regionalanästhesie; Blut bzw. Blutprodukte gelten als wichtige Risikofaktoren für das Auftreten eines Lungenödems [33] Cave: Erhöhtes Lungenödemrisiko: »capillary leak syndrome«, tiefer onkotischer Druck (Hypalbuminämie), Steroidtherapie (Lungenreifung) in Kombination mit Tokolyse (β-Stimulation).
Therapie der Eklampsie Von einer Eklampsie ist auszugehen, wenn bei einer Schwangeren mit Präeklampsie und neurologisch unauffälliger Anamnese ein tonisch-klonischer Krampfanfall auftritt. Es handelt sich also um eine Ausschlussdiagnose (7 oben).
Wichtigste Maßnahmen bei Eklampsie 4 Therapie des Anfalls und Prophylaxe weiterer Konvulsionen – MgSO4 als Mittel der Wahl: »loading dose« von 3–4 g als Kurzinfusion über 5 min, anschließend eine Dauerinfusion von 1–3 g MgSO4/h – MgSO4 als Mittel der Wahl bei Anfallsrezidiv (ca. 10%): »rescue dose« 2 g als Kurzinfusion – Mütterliche Nebenwirkungen: Wärmegefühl, Flush, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Palpitationen – Fetale Nebenwirkungen (MgSO4 passiert die Plazenta): Verringerung der basalen Herzfrequenz und Einengung der Oszillationsamplitude 6
Entbindung und postpartale Betreuung 4 Entbindung nach Stabilisierung, da in bis zu 10% trotz MgSO4-Therapie ein weiterer Anfall auftreten kann [30] – Keine Notfallsectio: Optimierung des Zustands der Mutter hat Priorität – Dringliche Sectio: persistierende fetale Bradykardie und/oder späte Dezelerationen (Differenzialdiagnose Abruptio placentae) 4 Postpartale Betreuung (Überwachungs- bzw. Intermediate-Care- oder Intensivstation): – Fortsetzung der MgSO4-Therapie (24–48 h) (in einer prospektiv erfassten Kohorte aus den Jahren 1999/2003 traten 32% der eklamptischen Anfälle postpartal auf [33]) – Verlaufskontrolle – Anpassung der antihypertensiven Therapie – HELLP-Syndrom post partum (Inzidenz 31% [2]) – Korrektur der Hypervolämie (negative Bilanzierung) – Rehabilitation (Mobilisation, Physiotherapie)
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Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
Geburtsmodus und intrapartales Vorgehen Aus den pathophysiologischen Veränderungen wird deutlich, dass die Geburt und damit die Entfernung der Plazenta die kausale Therapie der Erkrankungen des präeklamptischen Formenkreises ist. Deshalb bedürfen Patientinnen nach der 34.–36. SSW meist nur einer kurzen antepartalen Stabilisierung und einer postpartalen Intensivtherapie. In früher auftretenden Fällen (<32‒34 SSW) kann eine längere, abwartende Therapie die Schwangerschaft verlängern und damit die kindliche Morbidität und Mortalität senken [36]. Um ein optimales Ergebnis zu gewährleisten, sollten dabei Geburtshelfer, Anästhesisten, Neonatologen und Intensivmediziner eng zusammenarbeiten. Es gibt keine prospektiv randomisierten Untersuchungen zur Frage des besten Geburtsmodus bei Schwangeren mit einer Präeklampsie. Bei leichter Schwangerschaftshypertonie oder Präeklampsie und komplikationslos vorangeschrittener Geburt sowie unbeeinträchtigtem fetalem Zustand kann eine vaginale Geburt angestrebt werden. Bei schwerer Präeklampsie kann ebenfalls eine vaginale Geburt unter optimalen Bedingungen (rückenmarknahe Analgesie) angestrebt werden, wenn die geburtshilflichen Befunde günstig sind. In einer retrospektive Fallanalyse (n=114) wurde keine Verbesserung des mütterlichen oder neonatalen Outcome bei dringlicher Sectio nach der 32. SSW nachgewiesen, wohl aber ein höheres mütterliches und neonatales pulmonales Morbiditätsrisiko als bei vaginaler Entbindung [7]. Durch kontinuierliche klinische und CTG-Überwachung wird dem bei Präeklampsie peripartal erhöhten Risiko einer vorzeitigen Plazentalösung bzw. pathologischer CTG-Befunde Rechnung getragen.
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82.5.4
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Die Verminderung des renalen Blutflusses und der glomerulären Filtrationsrate im Rahmen einer schweren Präeklampsie ist auf Vasospasmen, thrombotische Mikroangiopathie und prärenale Hypovolämie zurückzuführen; im Falle eines HELLP-Syndroms auch auf eine direkte tubuläre Schädigung durch Hämaturie und Hämoglobinurie bei Hämolyse. Ein Nierenversagen wird oft durch zusätzliche Faktoren (HELLP, Hämorrhagie, Sepsis) ausgelöst [33]. Es unterscheidet sich von der pränatalen Niereninsuffizienz durch eine erniedrigte Urinosmolalität.
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Nierenversagen
Grundsätze von Prophylaxe und Therapie des Nierenversagens 4 Korrektur einer Hypovolämie: Kristalloidlösung oder Hydroxyethylstärkelösungen der 3. Generation als Bolus 300–500 ml (7 oben) 4 Kontrolle der Flüssigkeitsbilanz: Zufuhr (1–2 ml/kg Kg/h), Ausfuhr (>30 ml/h), Gewichtskontrolle 4 Schleifendiuretika (Furosemid): Vor Korrektur des Volumendefizits und präpartal kontraindiziert (Ausnahme: Lungenödem) 4 Invasives Monitoring des rechts- bzw. linksventrikulären Preloads (ZVD bzw. PCWP): – Als Routine nicht empfohlen; keine Literaturhinweise, die einen positiven Einfluss auf mütterliches, fetales oder geburthsilfliches Outcome belegen [20] 6
– Indikationen: – Persistierende Oligurie/Anurie nach Volumenkorrektur bzw. Auftreten eines Lungenödems oder einer Herzerkrankung [6] – Persistierende Oligurie bei ZVD <10 mm Hg: balancierte Elektrolytlösung bzw. Kolloid 300–500 ml – Persistierende Oligurie bei ZVD >10 mm Hg: Furosemid 20 mg i.v. 4 Hämodialyse bzw. Hämofiltration: Inzidenz in industrialisierten Ländern 0,01%
82.5.5
Respiratorische Insuffizienz
Der hohe hydrostatisch-onkotische Druckgradient und die gestörte Gefäßpermeabilität begünstigen die Entwicklung eines Lungenödems bei Präeklampsie. Tokolytika, Steroide, korrektive Infusionstherapie und peripartale Volumenverschiebungen können in vielen Fällen als zusätzliche Risikofaktoren nachgewiesen werden [25]. Die Diagnose stützt sich in erster Linie auf Klinik und Pulsoxymetrie/Blutgasanalyse, auf eine Bestimmung des ZVD kann wegen schlechter Korrelation mit dem pulmonal-kapillären Druck meist verzichtet werden [4].
Prophylaxe und Therapie der respiratorischen Insuffizienz 4 Flüssigkeitsrestriktion (1–2 ml/kg Kg/h) und Diuretika (Lungenödem) 4 Supportive Maßnahmen (O2-Maske, CPAP, BiPAP, Intubation und Beatmung) 4 Antibiotika (Pneumonie, puerperale Sepsis, ARDS) 4 Invasives hämodynamisches Monitoring 4 Stellenwert der auf PiCCO beruhenden Bestimmung der intrathorakalen Flüssigkeitsvolumina bei Präeklampsie noch nicht definiert
82.5.6
Gerinnungsstörungen, Thrombozytopenie
Eine disseminierte intravaskuläre Gerinnungungsstörung (DIG) tritt mit einer Inzidenz von bis zu 20% sowohl bei vorzeitiger Plazentalösung als auch bei akutem Nierenversagen im Rahmen eines HELLP-Syndroms auf [13]. Sie gewinnt an Bedeutung, wenn gleichzeitig eine Thrombozytopenie vorliegt. Von einem erhöhten Blutungsrisiko muss bei einer isolierten Thrombozytopenie <50.000/ μl ausgegangen werden, sie gilt ohne Thrombozytensubstitution als Kontraindikation für eine Sectio oder rückenmarknahe Anästhesie. Eine Substitutionstherapie ist jedoch ohne manifeste Blutungsneigung selbst bei Thrombozyten <25.000/μl selten indiziert [3], da die verabreichten Thrombozyten sofort in mikroangiopathischen Thrombosen verbraucht werden.
1077 Literatur
82.6
Betreuung des Neugeborenen bei Präeklampsie
– Thrombopenie: hypoxische Schädigung der fetalen Megakaryozyten bei intrauteriner Wachstumsrestriktion; gestörte Blutgerinnung mit nicht signifikant erhöhter Hirn- und Lungenblutungsneigung – Polyglobulie 4 Neurologische und psychomotorische Entwicklung – Präeklampsie und intrauterine Wachstumsrestriktion sind unabhängige Risikofaktoren für: – Zerebrale Ischämien mit vermehrtem Auftreten von Zerebralparesen, Epilepsien sowie motorischen und kognitiven Störungen – Neonatale Enzephalopathie
Die etablierte Präeklampsie schreitet mit variabler Geschwindigkeit fort bis zur Geburt von Fetus und Plazenta. Deshalb sind mütterliche und kindliche Interessen, außer in schweren Fällen von uteroplazentarer Insuffizienz und intrauteriner Wachstumsrestriktion, nicht immer leicht zu vereinbaren. Ohne alternative Behandlungsmöglichkeit zur vorzeitigen Entbindung bleibt die Präeklampsie eine wichtige Ursache iatrogener Frühgeburtlichkeit.
82.6.1
Einfluss der Präeklampsie auf den Fetus
Bei Feten von Schwangeren mit Präeklampsie besteht keine Evidenz für eine Beschleunigung der Lungenreifung oder der neurologischen und körperlichen Entwicklung. Im Gegenteil scheint die Präeklampsie eher mit einer verzögerten Lungenentwicklung verbunden zu sein. Durch den chronischen Mangel an Sauerstoff, Proteinen und Eisen kommt es zudem im Gehirn dieser Feten zu einer herabgesetzten Myelinisation der Nervenzellen sowie zu einem verminderten Wachstum glialer Zellen. Die Ausprägung der intrauterinen Wachstumsrestriktion durch die nutritive und respiratorische Plazentarinsuffizienz hängt vom Schweregrad und der Dauer der Präeklampsie und damit vom Grad der fetalen Hypoxämie und der Azidose ab.
82.6.3
Die iatrogene, frühzeitige Entbindung beeinflusst die neonatale Morbidität und Mortalität in Abhängigkeit von Gestationsalter und intrauteriner Wachstumsrestriktion. Die Behandlung der Mutter kann zu den in der 7 Übersicht genannten Komplikationen beim Neugeborenen führen.
Einfluss der mütterlichen Behandlung auf das Neugeborene
> Auf diesem Hintergrund sind eine Vermeidung einer mütterlichen Hypoxämie sowie eine Verbesserung der postnatalen Oxygenation durch eine Lungenreifungsinduktion bei drohender Frühgeburt essenziell.
82.6.2
4 Komplikationen bei Frühgeburtlichkeit: – Atemnotsyndrom des Frühgeborenen durch Surfactantmangel – Bronchopulmonale Dysplasie – Nekrotisierende Enterokolitis – Retinopathie des Frühgeborenen 4 Hypermagnesiämie durch den Übertritt des therapeutisch verabreichten Magnesiums in die fetale Zirkulation und dessen Konkurrenz zu Kalzium: – Muskelrelaxation mit neonataler Muskelhypotonie und Bewegungsarmut – Neonatale Atemdepression – Verminderte gastrointestinale Motilität mit verzögertem enteralem Nahrungsaufbau 4 Hyponatriämie durch den plazentaren Übertritt von freiem Wasser beim Einsatz von Glukoselösungen bei der Mutter
Einfluss der Präeklampsie auf das Neugeborene
Das Neugeborene einer Mutter mit Präeklampsie ist durch die chronische intrauterine Hypoxie bereits pränatal einem erhöhten Stress ausgesetzt, der im Fall einer vorzeitigen Plazentalösung intrapartal bedrohlich zunehmen kann.
Einfluss der Präeklampsie auf das Neugeborene 4 Folgen der intrauterinen Wachstumsrestriktion – Neonatalperiode: – Häufigerer Reanimationsbedarf – Vermehrte Morbidität und Mortalität – Längerer stationärer Aufenthalt – Spätfolgen: – Erhöhtes Risiko eines metabolischen Syndroms (arterielle Hypertonie, Übergewicht, koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen) in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter 4 Abnormitäten des Blutbildes – Neutropenie: tritt bei 40–50% der Neugeborenen durch eine verminderte Produktion von neutrophilen Granulozyten auf; diese in der Regel vorübergehende Erscheinung erhöht in seiner schweren Form (<500/μl) die Infektionsgefahr der Neugeborenen 6
Einfluss der mütterlichen Behandlung der Präeklampsie auf das Neugeborene
Literatur 1
2
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Altman D, Carroli G, Duley L, Farrell B, Moodley J, Neilson J, Smith D (2002) Do women with pre-eclampsia, and their babies, benefit from magnesium sulphate? The Magpie Trial: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 359: 1877–1890 Audibert F, Friedman SA, Frangieh AY, Sibai BM (1996) Clinical utility of strict diagnostic criteria for the HELLP (hemolysis, elevated liver enzymes, and low platelets) syndrome. Am J Obstet Gynecol 175: 460–464 Baxter JK, Weinstein L (2004) HELLP syndrome: the state of the art. Obstet Gynecol Surv 59: 838–845 Bolte AC, Dekker GA, van Eyck J, van Schijndel RS, van Geijn HP (2000) Lack of agreement between central venous pressure and pulmonary capillary wedge pressure in preeclampsia. Hypertens Pregn 19: 261–271
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Kapitel 82 · Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
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1079
Anaphylaktischer Schock U. Müller-Werdan, K. Werdan
83.1
Definitionen, Pathogenese – 1080
83.1.1 83.1.2
Anaphylaktische Reaktionen – 1080 Anaphylaktoide Reaktionen – 1080
83.2
Pathophysiologie und Pathologie – 1080
83.3
Inzidenz und Ursachen – 1080
83.4
Klinik – 1082
83.5
Diagnose und Therapie – 1082
83.5.1 83.5.2
Allgemeine Maßnahmen – 1083 Medikamentöse Therapie – 1084
83.6
Nachbehandlung und Prophylaxe – 1085
83.6.1 83.6.2 83.6.3 83.6.4
Allgemeine Empfehlungen – 1085 Vorgehen bei bekannter Allergie auf iodhaltige Kontrastmittel – 1085 Promitprophylaxe vor Dextran-Infusionen – 1085 Experimentelle Therapieansätze – 1085
Literatur – 1086
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_83, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
83
1080
83 83 83 83 83
83.1
Kapitel 83 · Anaphylaktischer Schock
Definitionen, Pathogenese
Der anaphylaktische Schock ist ein akut eintretender Schockzustand, der durch anaphylaktische und anaphylaktoide Reaktionen ausgelöst wird. Der Blutdruckabfall infolge Vasodilatation mit relativer Hypovolämie kann mit folgenden Begleitsymptomen einhergehen: 4 Erythem, 4 Urtikaria, 4 Angioödem (Quincke-Ödem), 4 Bronchospasmus, 4 Larynxödem.
83
Der anaphylaktische Schock ist typischerweise ein »warmer« Schockzustand. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Schock« der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin hat folgende Definition vorgeschlagen [2]: Der anaphylaktische Schock ist eine akute Verteilungsstörung des Blutvolumens im Sinn des distributiven Schocks, die durch IgE-abhängige, Typ-I-allergische, klassisch-anaphylaktische Überempfindlichkeitsreaktionen bzw. physikalisch, chemisch oder osmotisch bedingte, IgE-unabhängige anaphylaktoide Überempfindlichkeitsreaktionen ausgelöst wird.
83
83.1.1
83 83 83
83 83 83 83 83 83 83 83 83 83 83 83 83 83 83
Anaphylaktische Reaktionen
Klassische anaphylaktische Reaktionen sind IgE-vermittelte allergische Reaktionen auf ein meist bivalentes Antigen, entsprechend einer Typ-I-Reaktion nach Gell und Coombs, die perakut und generalisiert ablaufen. Antibiotika, Insekten- und Schlangengifte, Impfstoffe, Seren und Nahrungsmittel gehören zu den typischen auslösenden Allergenen. IgE-spezifische Effektorzellen der Immunantwort sind im wesentlichen Mastzellen und basophile Granulozyten, die nach Stimulation ein ähnliches Spektrum proinflammatorischer, sog. primärer Mediatoren (Histamin, Prostaglandine, Leukotriene, PAF u. a.) freisetzen und damit das klinische Erscheinungsbild der Anaphylaxie hervorrufen. Beide Zellarten setzen chemotaktische Faktoren frei, die weitere Zellen des Abwehrsystems anlocken, deren Sekretionsprodukte sekundäre Mediatoren im Entzündungsgeschehen sind: Den eosinophilen Granulozyten wird eine modulierende Wirkung auf diese proinflammatorischen Kaskaden zugeschrieben, hervorgerufen durch die Freisetzung von Substanzen, die Leukotriene und Histamine inaktivieren. Neutrophile Granulozyten und Thrombozyten und deren zahlreiche Freisetzungsprodukte spielen vermutlich v. a. bei Spätreaktionen eine wesentliche Rolle, die, wie bei allen Typ-I-Allergien, auch bei der Anaphylaxie komplizierend 6–12 h nach dem initialen Ereignis auftreten können.
83.1.2
Anaphylaktoide Reaktionen
Von der klassischen Anaphylaxie abzugrenzen sind IgE-unabhängige Unverträglichkeitsreaktionen ohne vorausgehende Sensibilisierung mit einem sehr ähnlichen oder identischen klinischen Erscheinungsbild: Bei anaphylaktoiden Reaktionen (typischerweise ausgelöst z. B. durch Röntgenkontrastmittel, Salicylate und Opioide) kommt es durch chemische, physikalische oder osmotische Stimuli zur Mediatorfreisetzung aus Mastzellen und basophilen Granulozyten.
Der Begriff »anaphylaktoide Reaktion« kann auch als Oberbegriff für akute Unverträglichkeitsreaktionen mit den Symptomen einer Anaphylaxie verwendet werden, ohne damit eine Aussage zum Pathomechanismus zu verknüpfen. Idiopathische Anaphylaxie. Diese kann typischerweise bei jungen Erwachsenen auftreten, häufig nachts oder postprandial; auslösende Faktoren und Effektorzellen sind unbekannt. Anaphylaxis factitia. Die Anaphylaxis factitia wird dem Münchhausen-Syndrom zugerechnet.
83.2
Pathophysiologie und Pathologie
Der kumulative Effekt der freigesetzten Mediatoren besteht im Wesentlichen in einer erhöhten Gefäßpermeabilität, einer ausgeprägten Vasodilatation und einem Bronchospasmus. Autoptisch wurde bei tödlich verlaufenden Anaphylaxien ein Lungenödem mit oftmals flüssigkeitsgefüllten Alveolen, ein Ödem der oberen Atemwege einschließlich des Larynx und der Epiglottis, der Haut und der viszeralen Organe gefunden. Auch eine pulmonale Überblähung wird häufig im Zusammenhang mit Ödemen der oberen Atemwege beobachtet. In anderen Fällen kommt es zu einer ausgeprägten Bronchokonstriktion.
83.3
Inzidenz und Ursachen
Genaue Zahlen zur Inzidenz anaphylaktischer und anaphylaktoider Reaktionen sind aufgrund deren Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit nicht bekannt. Nach einer älteren Untersuchung kommt es bei ca. 1/2700 hospitalisierten Patienten zu einer medikamenteninduzierten Anaphylaxie. Die Arbeitsgruppe des American College of Allergy, Asthma and Immunology zur Epidemiologie der Anaphylaxie [17] kam auf der Grundlage der publizierten Literatur zu aktuellen Schätzungen des Risikos einer anaphylaktischen Reaktion; dieses wird beziffert auf 50‒2000 Episoden pro 100.000 Personen oder als Lebenszeitprävalenz von 0,005‒2,0%. An der Berliner Charité wird aus diesem Grund seit 2006 für den deutschsprachigen Raum ein AnaphylaxieRegister geführt [5].
Medikamente β-Laktamantibiotika. Nach Schätzungen ist bei Verabreichung von Penicillin bei 1:10.000 Patienten mit einer Anaphylaxie zu rechnen, die in 9% der Fälle tödlich verläuft, sodass z. B. in den USA jährlich mit mehreren Hundert Todesfällen zu rechnen ist [3]. Auch die Einnahme von Cephalosporinen und neueren β-Laktamantibiotika kann zur Anaphylaxie führen. > Es wird geschätzt, dass bei etwa 3–7% der Patienten mit Penicillin-Allergie Kreuzreaktionen gegen ein Cephalosporin auftreten. Chinolone. Die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen bei Einsatz von Fluorchinolonen wird auf 1,8–23 pro 10 Mio. Behandlungstage geschätzt [4]. Iodhaltige Kontrastmittel. Etwa 200–800 Todesfälle sollen in den USA jährlich zu Lasten iodhaltiger Kontrastmittel gehen [7]. Dagegen gelten schwere anaphylaktoide Reaktionen auf Kontrastmittel mit Gadoliniumchelaten, welche im Rahmen von Magnetresonanz-
1081 83.3 · Inzidenz und Ursachen
tomographien eingesetzt werden, als extrem selten, mildere Unverträglichkeitsreaktionen kommen bei einem sehr niedrigen Prozentsatz der Patienten vor [24].
exotische Früchte wie Avocado, Banane, Kiwi, Passionsfrucht, aber auch Kastanien.
Weitere Einflussfaktoren Kolloidale Infusionslösungen. Folgende Inzidenzen anaphylaktoi-
der Reaktionen wurden für den Einsatz von kolloidalen Volumenersatzlösungen berichtet (zit. in [20]): 4 0,069% für Dextran 70.000, 6%, 4 0,085% für Hydroxyethylstärke 450.000, 6%, und für Hydroxyethylstärke 200.000, 10%, 4 0,066–0,146% für Gelatine 3%, 4 0,011% für Albumin 5%. Eine weitere, prospektiv angelegte Studie [14] berichtete über eine Inzidenz anaphylaktoider Reaktionen auf Gelatinepräparate von 0,345%, auf Dextrane von 0,273%, auf Albumin von 0,099% und auf Stärkepräparate von 0,058%. Die insgesamt niedrige Inzidenz anaphylaktoider Reaktionen – in dieser französischen Studie bei einem von 456 Patienten – erklärt die Schwankungsbreite der Zahlenangaben.
Insekten, Schlangen Typische Verursacher der Anaphylaxie sind Insektengifte, übertragen durch Stiche der Tiere der Ordnung Hymenoptera (u. a. Bienen, Wespen, Hornissen), und Schlangengifte (z. B. Klapperschlangen, Mokkassinschlangen), die neben toxischen auch schwere allergische Reaktionen hervorrufen können. Etwa 0,5–5% der Bevölkerung haben schon eine schwere allergische Reaktion auf einen Insektenstich durchgemacht, und 1% dieser Reaktionen kann in eine lebensbedrohliche Anaphylaxie münden [7].
Nahrungsmittel Schwierig ist bei akuten Reaktionen nach Mahlzeiten die Abgrenzung allergischer Reaktionen gegenüber Nahrungsmittelintoleranzen und Bakterientoxinerkrankungen. Nahrungsmittelallergien bestehen bei etwa 1–6% der Kinder und sind im Erwachsenenalter seltener anzutreffen. Schwere anaphylaktische Reaktionen auf Nahrungsmittel sind eher selten, jedoch gehäuft für Erdnüsse, Sojabohnen, Eiweiß und Schalentiere beschrieben worden.
Latexallergie Die Inzidenz latexallergischer Anaphylaxien nimmt zu. Diese können durch die Benutzung von Latexhandschuhen ausgelöst werden; es sind aber auch Anaphylaxien bei Anwendung von Latexkathetern oder Kondomen beschrieben worden. Im Gefolge der Aids-Epidemie hat sich die weltweite Latexproduktion mehr als verdoppelt. Auch wenn keine exakten epidemiologischen Daten vorliegen, ist davon auszugehen, dass etwa 7–18% [13] der Ärzte und des Pflegepersonals auf Latex allergisch reagieren. Gefährdet sind neben dem medizinischen Personal und den Arbeitern aus der latexverarbeitenden Industrie v. a. Patienten, die sich mehreren operativen Eingriffen unterzogen haben. Ganz besonders hoch ist der Anteil sensibilisierter Spina-bifida-Patienten (mehr als 50%). Ein hohes Allergisierungspotenzial haben auch Schleimhautkontakte, z. B. bei urogenitalen Katheterisierungen oder Bariumkontrasteinläufen. Inzwischen stehen kommerzielle Tests zur Verfügung, die präoperativ innerhalb weniger Stunden eine Aussage darüber zulassen, ob bei einem Patienten latexspezifische IgE-Antikörper im Serum vorhanden sind. Von den im Naturlatex enthaltenen Polypeptiden zeigen etwa 60 IgE-bindende Eigenschaften, viele der Allergene sind mittlerweile molekular identifiziert [21]. Überzufällig häufig ist die Latexallergie mit Nahrungsmittelallergien verbunden, oft gegen
Anaphylaktische Reaktionen treten nicht regelhaft auf, kommen aber, wie alle anderen Formen der Typ-I-Allergie, bei genetisch prädisponierten Individuen gehäuft vor. Bei Atopikern sollen anaphylaktische/ anaphylaktoide Reaktionen stärker verlaufen, ebenso bei Patienten unter Therapie mit ACE-Hemmern oder β-Rezeptorenblockern. Hat der Patient bereits eine oder mehrere Überempfindlichkeitsreaktionen erlitten, so ist das Risiko einer weiteren Reaktion erhöht. Bei Patienten, die an einer Virusinfektion erkrankt sind (Aids, infektiöse Mononukleose, Cytomegalievirus), ist das Risiko unerwünschter und multipler Arzneimittelwirkungen erhöht [30]. Anaphylaktische Reaktionen treten häufiger nach intravenöser als nach oraler Allergenzufuhr auf, daher ist der anaphylaktische Schock nicht selten iatrogen verursacht.
Anaphylaktoide Narkosezwischenfälle Anaphylaktoide Narkosezwischenfälle bis hin zum Herzstillstand treten nach einer umfangreichen französischen Studie mit einer Inzidenz von 1:4500–1:6000 Allgemeinanästhesien auf. In ca. 6% der Fälle kam es trotz adäquater Therapie zum Tod des Patienten. Auslösende Agenzien waren in 60–70% der Fälle Muskelrelaxanzien, in ca. 18% Latexprodukte und in ca. 5% kolloidale Volumenersatzmittel [13]. Auch in einer neueren Studie waren wesentliche Allergene, die in der perioperativen Phase zur Anaphylaxie führten, Muskelrelaxanzien (am häufigsten) und Latex [15]. Eine in 2008 veröffentlichte französische Studie fand prospektiv bei 70.000 beobachteten Allgemeinnarkosen 39 Fälle einer Anaphylaxie, meist verursacht durch Latex, neuromuskuläre Blockade und Antibiotika [19]. Bei klaren Verdachtshinweisen kann bei Risikopatienten eine präoperative Diagnostik zum Nachweis von IgE-Antikörpern sinnvoll sein. Aufgrund struktureller Besonderheiten (quartäre Ammoniumgruppe) können alle Muskelrelaxanzien Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen. Aber auch Opioide, Lokalanästhetika und andere Anästhetika wurden als potenziell anaphylaktoid wirkende Agenzien identifiziert. Zahlreiche Substanzen, die in der Intensivmedizin und Anästhesiologie eingesetzt werden, können anaphylaktische/ anaphylaktoide Reaktionen auslösen [7, 30]. Wie die Mainz-Marburg-Studie [18] an 240 allgemeinchirurgischen Patienten zeigen konnte, ist eine Histaminfreisetzung in der perioperativen Phase ein häufiges Ereignis und wird wegen fehlender Hautreaktionen oft fehlinterpretiert. Histaminfreisetzung wurde nach jedem Medikament der Narkoseeinleitung und Narkoseerhaltung gemessen. Bei den meisten Patienten ist sie klinisch unbedeutend, bei einigen besonders empfindlichen Patienten aber exzessiv und kann dann zu kardiorespiratorischen Störungen führen. Patienten mit Tumoren sind eine spezielle Risikogruppe für das Auftreten von histaminbedingten kardiorespiratorischen Störungen.
Prophylaxe Eine Prophylaxe mit Fenistil (0,1 mg/kg KG) und Cimetidin (5 mg/ kg KG) 15 min vor Narkoseeinleitung kann die histaminbedingten kardiorespiratorischen Störungen vor dem Hautschnitt möglicherweise reduzieren, wird in der klinischen Routine aber nur bei besonders gefährdeten Patienten durchgeführt. Statt Cimetidin, das stark an Cytochrom P450 bindet, können auch neuere H2-Blocker verwendet werden.
83
1082
83 83
Kapitel 83 · Anaphylaktischer Schock
Protamin Anaphylaktische Reaktionen auf Protamin zur Neutralisation der Heparinwirkung wurden gehäuft bei Diabetikern beobachtet, die protaminhaltige Insulinpräparate erhalten hatten [25].
83
83.4
83
Eine klinische Unterscheidung zwischen anaphylaktischer und anaphylaktoider Reaktion ist nicht möglich. Im Folgenden ist daher von anaphylaktoiden Reaktionen oder Anaphylaxie als Oberbegriffen die Rede. Das klinische Bild anaphylaktoider Reaktionen variiert interindividuell stark, auch in Abhängigkeit vom Antigeneintrittsort, der Absorptionsrate und dem Ausmaß der Sensibilisierung. Initial können daher abdominelle Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, kolikartige Beschwerden, Uteruskrämpfe, Harn-/ Stuhldrang bis zum unwillkürlichen Abgang von Stuhl und Harn, selten Darmblutungen), Hauterscheinungen oder Beschwerden von Seiten des Respirationstraktes im Vordergrund stehen. Das zeitliche Intervall bis zum Auftreten von Beschwerden kann Minuten bis mehrere Stunden betragen, ganz überwiegend treten die Symptome jedoch innerhalb der ersten Stunde nach Antigenexposition auf.
83 83 83 83 83 83 83 83 83 83
Klinik
83
83 83 83 83
Herz-Kreislauf-Störungen Die hämodynamischen Veränderungen beim anaphylaktischen Schock sind bekannt. Im Vordergrund stehen Hypovolämie aufgrund von Flüssigkeitsverschiebungen ins Interstitium und periphere Vasodilatation, Tachykardie oder bei fulminantem Verlauf initial reflektorische Bradykardie sowie erniedrigte kardiale Füllungsdrücke.
Bewusstseinsstörungen
Die Diagnose der Anaphylaxie ergibt sich aus der Beobachtung der typischen klinischen Befunde im Zusammenhang mit der Exposition mit einem möglichen Antigen oder einem anderen Trigger einer anaphylaktoiden Reaktion (z. B. körperliche Anstrengung, Sport bei der anstrengungsbedingten Anaphylaxie). Jedoch lässt sich bei etwa 25% der anaphylaktoiden Reaktionen kein Trigger zuordnen. Experimentelle Ansätze in der Diagnostik des anaphylaktischen Schocks betreffen insbesondere die Einführung neuer diagnostischer Blutmarker, die eine Diagnose und eine Verlaufskontrolle der Erkrankung erleichtern sollen. Insbesondere die Messung erhöhter Histaminspiegel und der Nachweis von Mastzelltryptase im Plasma können – auch retrospektiv – die Diagnose einer akuten anaphylaktischen/anaphylaktoiden Reaktion sichern [15]. Mögliche Differenzialdiagnosen sind in der 7 Übersicht zusammengefasst:
Atemwegsobstruktion
83
Gastrointestinale Beschwerden sind einerseits Folge der Permeabilitätsstörung des Magen-Darm-Trakts, andererseits einer gesteigerten Darmmotorik durch Histaminrezeptorstimulation. Abdominelle Koliken, Erbrechen und Diarrhö sind die Folge.
Hauterscheinungen
83
83
Gastrointestinale Symptome
Inwieweit zerebrale Symptome wie Schwindel, Verwirrtheit, Synkopen, Krampfanfälle und Bewusstseinseinschränkungen bei anaphylaktischen Reaktionen die Folge einer zerebralen Minderdurchblutung oder einer direkten Einwirkung der freigesetzten Mediatoren sind, ist nicht geklärt.
83
83
Häufig entwickelt sich ein Lungenödem. In unterschiedlichem Ausmaß kann es auch zur pulmonalen Vasokonstriktion kommen, z. T, mit extremer Erhöhung des pulmonalen Gefäßwiderstands bis hin zur akuten respiratorischen Insuffizienz.
! Cave Der Verlauf ist unberechenbar: Anaphylaktoide Reaktionen können spontan zum Stillstand kommen oder unter adäquater Therapie progredient verlaufen. In schweren Fällen, etwa bei intravenöser Antigenexposition, kann ohne Hauterscheinungen und Atembeschwerden unmittelbar ein Schock ausgelöst werden.
Die sich meist sehr rasch entwickelnde systemische Reaktion geht in über 90% der Fälle mit Hauterscheinungen wie Pruritus, Flush oder Erythem einher, in schweren Fällen mit Urtikaria und Angioödem. Während es sich bei der Urtikaria um eine oberflächlich dermale Quaddelbildung handelt, ist das Angioödem (Quincke-Ödem) eine umschriebene teigig-ödematöse subkutane Schwellung von Haut und Schleimhäuten, die häufig an Augenlidern, Lippen, Genitalien und den Extremitäten (in Gelenknähe) auftritt. Am Anfang allergischer Sofortreaktionen stehen oft Juckreiz und/oder Brennen an Handinnenflächen und Fußsohlen, perioral oder/und perianal, sowie ein Kribbeln im Rachen, während Unverträglichkeitsreaktionen, z. B. auf Aspirin, meist im Kopfbereich beginnen und sich dann kontinuierlich kaudalwärts ausbreiten. Häufig treten Juckreiz und Schwellungen der Nasen-, Augen- und Mundschleimhaut und Ödeme der Lippen, der Augenlider und der Zunge auf.
83
Globusgefühl ist als Alarmzeichen zu werten, auch wenn bei der oropharyngealen Untersuchung noch kein pathologischer Befund zu erheben ist [8].
Häufig und bedrohlich sind Atemwegsobstruktionen, extrathorakal durch Ödeme im Larynx- und Pharynxbereich, intrathorakal durch Bronchialobstruktion. Hauptaugenmerk ist auf die mögliche Entwicklung eines Larynxödems zu richten, das sich durch Heiserkeit und Stridor ankündigen kann. Das Larynxödem ist die häufigste Todesursache bei anaphylaktoiden Reaktionen. ! Cave Das Larynxödem kann, ebenso wie die akute Schocksymptomatik, das einzige Symptom der Anaphylaxie sein! Ein Uvulaödem ist ein häufiges Frühsymptom; ein subjektives
83.5
Diagnose und Therapie
Erkrankungen, die mit einer anaphylaktischen/anaphylaktoiden Reaktion verwechselt werden können (mod. nach [7]) 4 Vasovagale Episoden 4 Akute pulmonale Ereignisse – akuter Asthmaanfall – akutes Lungenödem – Lungenembolie – Spontanpneumothorax – Fremdkörperaspiration – Epiglottitis 6
1083 83.5 · Diagnose und Therapie
. Tab. 83.1 Stadieneinteilung und Symptomatik anaphylaktischer/ anaphylaktoider Sofortreaktionen. (Nach [3])
83.5.1
Allgemeine Maßnahmen
Stadium
Symptomatik
Nach derzeitigem Kenntnisstand werden die folgenden allgemeinen Maßnahmen empfohlen [3, 7, 13]:
0
Lokal begrenzte kutane Reaktion
Unterbrechung der Antigenzufuhr
I
Leichte Allgemeinreaktion: 5 disseminierte kutane Reaktionen (z. B. Flush, generalisierte Urtikaria, Pruritus) 5 Schleimhautreaktionen (z. B. Nase, Konjunktiven) 5 Allgemeinreaktionen (z. B. Unruhe, Kopfschmerz)
II
Ausgeprägte Allgemeinreaktion: 5 Kreislaufdysregulation (Blutdruck-, Pulsveränderung) 5 Luftnot (leichte Dyspnoe, beginnender Bronchospasmus) 5 Stuhl- bzw. Urindrang
Entfernung des auslösenden Agens von der Eintrittspforte (z. B. Entfernen des Insektenstachels) oder Verminderung der weiteren systemischen Absorption (z. B. Anlegen eines Tourniquets bei Eintrittspforte an einer Extremität) bzw. Unterbrechung der Antigenzufuhr. In bestimmten Situationen (z. B. Insektenstich) kann die subkutane Injektion von Adrenalin (0,1–0,2 mg) – möglichst in der Nähe der Einstichstelle – sinnvoll sein.
III
Bedrohliche Allgemeinreaktion: 5 Schock 5 Bronchospasmus mit bedrohlicher Dyspnoe 5 Bewusstseinstrübung, -verlust, ggf. mit Stuhl-/ Urinabgang
IV
Versagen der Vitalfunktionen: 5 Atem-, Kreislaufstillstand
4 Akute kardiale Ereignisse – supraventrikuläre Tachykardien – akuter Myokardinfarkt/akute Myokardischämie 4 Medikamentenüberdosierung 4 Arzneimittelunverträglichkeitsreaktionen 4 Akute Hypoglykämie 4 Karzinoidsyndrom 4 Mastozytose 4 Hereditäres Angioödem
Für die Notfalltherapie spielt die Unterscheidung zwischen anaphylaktischer und anaphylaktoider Reaktion keine Rolle. Pragmatisch sinnvoll erscheint aber eine Stadieneinteilung der Symptomatik unter Berücksichtigung der Organmanifestation, wobei der anaphylaktische Schock dem Stadium III entspricht (. Tab. 83.1). Besteht der Verdacht auf eine anaphylaktische Reaktion, so muss umgehend mit der Notfalltherapie begonnen werden; diese richtet sich nach dem klinischen Erscheinungsbild und dem mutmaßlichen Auslöser.
Adrenalin Adrenalin kann grundsätzlich intravenös, intramuskulär (sofortige Selbsttherapie von Patienten mit bekannter Allergie nach Allergenexposition bei ausgeprägten Allgemeinreaktionen mit kommerziell erhältlichen Fertigspritzen), sublingual oder endotracheal verabreicht werden. Eine inhalative Verabreichung von Adrenalin könnte insbesondere bei drohendem Larynxödem oder bei pulmonaler Symptomatik sinnvoll sein. Jedoch kommt es oft zu geringeren systemischen Wirkspiegeln bei inhalativer Adrenalinverabreichung, insbesondere bei Kindern [27]. ! Cave Die intravenöse Verabreichung von Adrenalin darf nur fraktioniert in kleinen Dosen (ca. 0,1 mg/min) sehr langsam unter Puls- und Blutdruckkontrolle erfolgen.
Im Rahmen der Erstversorgung wird bei schweren anaphylaktoiden Reaktionen mit Atemnot und/oder Hypotension – besonders bei Hauterscheinungen – die Verabreichung von Adrenalin i.m. empfohlen (500 μg bei Erwachsenen, bei fehlender klinischer Besserung nach 5 min wiederholen [22]).
Sicherung der Atemwege In jedem Fall wird eine O2-Zufuhr über Maske empfohlen, bei bedrohlicher Hypotension und/oder Hypoxie (Dyspnoe/Zyanose) sind endotracheale Intubation und 100% O2-Beatmung indiziert. Ein Larynxödem kann die Intubation erschweren oder sogar unmöglich machen; in solchen Fällen kann die Koniotomie lebensrettend sein. Entwickelt sich eine Obstruktion der oberen Atemwege, so ist eine sofortige Intubation des Patienten erforderlich, die dann meist schwierig ist. Bei Hypoxie und Lungenödem ist häufig eine kontrollierte Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck erforderlich.
Lagerung Grundpfeiler der Sofortbehandlung bei Hypotension und Hypoxie 4 4 4 4 4
Ausschalten des mutmaßlichen Auslösers, Offenhalten der Atemwege, 100% O2-Zufuhr, intravasale Volumengabe, Anwendung von Katecholaminen bei Bedarf.
Flachlagerung des Patienten, wenn möglich Schocklagerung (Ausnahme: Lungenödem).
Venenzugang Schon ab Stadium I: Zuverlässiger, möglichst großlumiger venöser Zugang, rasche Volumensubstitution (Elektrolyt- und Kolloidlösungen).
Stationäre Aufnahme In den Mitteilungen des International Liason Committee on Resuscitation (ILCOR; 11]) und des Project Team of the Resuscitation Council [22] wird die intramuskuläre Adrenalininjektion durch den Erstversorger bei schweren anaphylaktoiden Reaktionen mit Schock und/oder Atemnot empfohlen.
> Alle Patienten mit einer anaphylaktischen Reaktion müssen stationär aufgenommen und kontinuierlich überwacht werden, auch dann, wenn die Symptome rasch auf eine adäquate Therapie ansprechen. Die Symptome können wiederkehren und sich als Spätreaktion bis zu
83
1084
83
Kapitel 83 · Anaphylaktischer Schock
. Tab. 83.2 Differenzialtherapie anaphylaktischer/anaphylaktoider Reaktionen. (Mod. nach [3] und [20]) Stadium
Kutane Reaktionen Perioperativ
Sonstige Situationen
83
0
Keine Therapie
Keine Therapie
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I
Keine Therapie
II
Evtl. H1(und H2-) Antagonist* (250–500 mg PrednisolonÄquivalente i.v.)**
III
83
83 83 83 83
Pulmonale Reaktionen
Kardiovaskuläre Reaktionen
H1-(und H2-) Antagonist* (50–125 mg PrednisolonÄquivalente i.v.)**
Möglichst: i.v.-Zugang, O2
Möglichst: i.v.Zugang, O2
H1- (und H2-) Antagonist* (250–500 mg PrednisolonÄquivalente i.v.)**
Obligat: i.v.-Zugang, O2 1.) β2-Mimetika-/Adrenalin-Inhalation*** 2.) 250–500 mg Prednisolon-Äquivalente i.v.
Obligat: i.v.Zugang, O2 1.) Ringer-Laktat (≥500 ml) 2.) Kolloide
Bei zunehmender Kreislaufsymptomatik trotz Volumengabe: H1und H2-Antagonist*. Bei zunehmender Kreislaufsymptomatik trotz Volumengabe und H1- und H2-Antagonisten: Adrenalin i.v.: 1 mg/10 ml: 0,1 mg/min (oder Adrenalin i.m., 7 Text)
Obligat: i.v.-Zugang, O2 1.) β2-Mimetika-/Adrenalin-Inhalation*** 2.) 1000 mg Prednisolon-Äquivalente i.v 3.) 5 mg/kg KG Theophyllin i.v. (weiter: 10 mg/kg KG/Tag. Cave: Tachykardie)
Obligat: i.v.Zugang, O2 Kolloide und/oder Ringer-Laktat (u. U. >2 I) Katecholamine: Adrenalin i.v.(1 mg/10 ml: 0,1 mg/min) oder intratracheal [18]
Bei unzureichendem Therapieerfolg nach Volumengabe und Adrenalin: Nach etwa 1 mg Adrenalin: 1.) Noradrenalin (1 mg/10 ml: 0,05–0,1 mg/min) 2.) H1- und H2-Antagonisten: Dimetindenmaleat ≥8 mg oder: Clemastin ≥4 mg (H1-Blocker) 1.) Cimetidin ≥400 mg oder 2.) Ranitidin ≥100 mg (H2-Blocker) Ultima ratio: Vasopressin
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IV
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Progredienz/unzureichender Therapieerfolg
Progredienz erwartet
Kortikosteroide i.v. (H1- und H2Antagonist)
Kortikosteroide i.v. (H1- und H2Antagonist)
Reanimation: – Allgemeine Maßnahmen – Adrenalin (+ Noradrenalin), Volumen
* H1-Antagonisten: Dimetindenmaleat 8 mg oder Clemastin 4 mg; H2-Antagonisten: 1.) Cimetidin 400 mg, 2.) Ranitin 100 mg. ** Bei Patienten mit bekannter Allergiedisposition (z. B. Hyposensibilisierung, Allergietestung). *** Bis zum Auftreten von Tremor oder/und Tachykardie.
12 h nach dem Initialereignis manifestieren! Biphasische Reaktionen treten in etwa 20% der Fälle auf [6].
Die Vitalfunktionen werden mit EKG und Pulsoxymeter kontinuierlich überwacht, da Arrhythmien, myokardiale Ischämien, respiratorische Insuffizienz und Gewebshypoperfusion auftreten können. Bei Kreislaufschock und Störungen des pulmonalen Gasaustausches sowie zur Steuerung der Flüssigkeits- und Katecholamintherapie kann ein invasives hämodynamisches Monitoring (intraarterielle Blutdruckmessung, Kontrolle der zentralvenösen/kardialen Füllungsdrücke und des Herzindex) angezeigt sein [7, 28]. Die aktuelle Diskussion um den Stellenwert des Rechtsherzkatheters gibt derzeit [1] noch keinen überzeugenden Anlass zur Änderung dieser Empfehlungen.
83
Reanimation
83
Die Therapie im Stadium IV richtet sich nach der jeweiligen Organinsuffizienz und dem ggf. eingetretenen Herz-Kreislauf-Stillstand.
83.5.2
Medikamentöse Therapie
Empfehlungen zur Akuttherapie anaphylaktoider Reaktionen wurden in einer interdisziplinären Konsensuskonferenz erarbeitet und 1994 in der Zeitschrift »Der Anästhesist« publiziert [3]. Ranft u. Kochs haben 2004 eine Synposis bestehender Leitlinien und Empfehlungen zur Therapie anaphylaktischer Reaktionen im Allgemeinen erstellt [23]. Die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Schock« der DIVI hat in 2005 überarbeitete Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie des anaphylaktischen Schocks herausgegeben [1]. Differenzialindikationen zum Einsatz von Medikamenten zur Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen mit Dosierungsbeispielen sind in . Tab. 83.2 (mod. nach [3]) zusammengestellt. Für eine ausführliche Darstellung der Differenzialtherapie wird auf die Publikationen der interdisziplinären Konsensuskonferenz und der IAG Schock sowie das Advisory Statement der ILCOR [11] verwiesen. Diese Leitlinien beruhen im Wesentlichen auf Expertenkonsens, da Evidenz aus klinischen Studien weitgehend fehlt. Zu diesem Er-
1085 83.6 · Nachbehandlung und Prophylaxe
gebnis kam kürzlich auch eine Analyse der Cochrane Collaboration hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit von H1-Antihistaminika bei der Behandlung der Anaphylaxie [26]. Das primäre Katecholamin zur Behandlung der Anaphylaxie ist historisch das Adrenalin, dessen Primat in einer Stellungnahme der World Allergy Organization kürzlich bekräftigt wurde [10].
Verminderte Ansprechbarkeit auf Katecholamine Bei Patienten unter β-Blockertherapie sowie unter Medikation mit trizyklischen Antidepressiva besteht eine verminderte Ansprechbarkeit auf Katecholamine. Dies dürfte auch für Patienten unter ACE-Hemmertherapie zutreffen: Die Kininase II ist mit dem Angiotensin-converting-Enzym identisch, ACE-Hemmer verhindern durch die Hemmung der Kininase II den raschen Abbau der Kinine, deren Wirkung hierdurch etwa um das 50fache gesteigert wird. Durch Dosiserhöhung der Katecholamine lässt sich jedoch die erwünschte Wirkung auch bei so vorbehandelten Patienten erzielen.
In jedem Fall sollte das Notfallinstrumentarium (inkl. Intubationsbesteck, O2-Quelle) sofort bereitstehen; evtl. kann es auch sinnvoll sein, die Untersuchung nur in Anwesenheit eines erfahrenen Intensivteams durchzuführen.
Medikamentöse Prophylaxe Eine validierte Prophylaxe gibt es nicht [29]. Bei bekannter Kontrastmittelüberempfindlichkeit kann in folgender Weise vorgegangen werden: H1/H2-Blocker. 20–30 min vor der Kontrastmittelgabe sollte Di-
metinden (Fenistil) in der Dosierung von 0,1–0,5 mg/kg KG (=2 Amp.=8 mg) i.v. verabreicht werden; gleichzeitig werden 5 mg/ kg KG Cimetidin (Tagamet) i.v. gegeben. Die Verabreichung sollte in 250 ml einer herkömmlichen Infusionslösung erfolgen. Statt Cimetidin, das stark an Cytochrom P 450 bindet, können auch neuere H2-Blocker verwandt werden. Kortikoide. Es gibt kein allgemein verbindliches Konzept für die
83.6
Nachbehandlung und Prophylaxe
83.6.1
Allgemeine Empfehlungen
Substanzen, die anaphylaktisch/anaphylaktoid wirken, sollten möglichst vermieden werden. Ist dies nicht möglich, wird eine Prämedikation mit H1- und H2-Blockern sowie Kortikosteroiden empfohlen. Langfristige Desensibilisierungsbehandlungen können bei Patienten sinnvoll sein, die anaphylaktisch auf Antigene, die nicht durchgehend vermeidbar sind (z. B. Insektengifte und Nahrungsmittel), reagiert haben. Alle Patienten, die eine anaphylaktische oder anaphylaktoide Reaktion durchgemacht haben, müssen allergologisch weiter abgeklärt werden. Aufklärung und Schulung zur initialen Selbstbehandlung im Falle eines Antigenkontakts (z. B. eines Insektenstichs) sollten unbedingt erfolgen. Der Patient erhält einen Allergiepass. Für anaphylaxiegefährdete Patienten kann ein Notfallset zusammengestellt werden, das die Patienten immer bei sich tragen sollten.
83.6.2
Vorgehen bei bekannter Allergie auf iodhaltige Kontrastmittel
Bei einer positiven Allergieanamnese und besonders bei früherer Kontrastmittelreaktion erhöht sich das Risiko einer Kontrastmittelnebenwirkung um ein Mehrfaches. Bei derartigen Patienten sollte möglichst auf Untersuchungen ohne Kontrastmittelanwendung ausgewichen werden. Sollte dies aus zwingenden Gründen nicht möglich sein, sind die unten genannten Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die Vortestung mit einer geringen Dosis des Kontrastmittels hat bei einem anaphylaktoiden Reaktionsmechanismus wenig Sinn. Verschiedene Prämedikationskonzepte werden empfohlen, die meisten schließen die Gabe von H1- und H2-Antagonisten und Kortikosteroiden ein. Umstritten ist dagegen die zusätzliche Prämedikation mit Adrenalin. Es gibt Empfehlungen, bei Hochrisikopatienten eine β-Blockertherapie abzusetzen [29]. Die potenziell verstärkte anaphylaktische/anaphylaktoide Reaktion unter β-Blockern und die abgeschwächte Wirkung der therapeutisch zugeführten Katecholamine sind im Einzelfall abzuwägen gegen die nachgewiesene perioperative Letalitätssenkung durch β-Blocker bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit bei nichtkardialen operativen Eingriffen.
Prämedikation mit Kortikosteroiden. In einer nicht verblindeten Untersuchung an 6763 Patienten war die Inzidenz von Kontrastmittelreaktionen nach zweimaliger oraler Gabe von 32 mg Methylprednisolon ca. 12 und 2 h vor Gabe eines ionischen Kontrastmittels signifikant verringert, nicht aber nach nur einmaliger Verabreichung der Dosis ca. 2 h vorher [12].
Auswahl des Kontrastmittels Empfohlen wird ferner die Verwendung von nichtionischen, niedrigosmolaren Kontrastmitteln wegen der geringeren Inzidenz anaphylaktoider Reaktionen und der besseren kardiovaskulären Verträglichkeit, insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Herzleistung.
83.6.3
Promitprophylaxe vor Dextran-Infusionen
Die Einführung der i.v. Haptenprophylaxe (Dextran 1 = Promit) hat die schweren anaphylaktischen Reaktionen nach Dextraninfusion ganz erheblich reduziert. Vor einer Infusion von Dextran 40 oder 60 werden beim Erwachsenen 20 ml Promit langsam i.v. injiziert. Als prophylaktische Maßnahmen sind außerdem angezeigt: klare Indikationsstellung, strenge Überwachung des Infusionsbeginns, d. h. der ersten 20–30 ml der Dextraninfusion, ausreichende Information über die Art der möglichen anaphylaktoiden Symptome.
83.6.4
Experimentelle Therapieansätze
Ein vielversprechender Therapieansatz zur Prävention anaphylaktischer Reaktionen bei bekannter Typ-I-Allergie ist der Einsatz von monoklonalen Anti-IgE-Antikörpern der Klasse IgG. Eine Studie bei Patienten mit Erdnussallergie konnte zumindest in immunologischen Tests eine verbesserte Toleranz gegen das Allergen belegen [16]. Weitere immuntherapeutische Ansätze mit einem DNAAbschnitt des Haupterdnussallergens sind im tierexperimentellen Stadium [9].
83
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83 83 83 83 83 83 83 83
Literatur 1
2 3 4 5 6
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Kapitel 83 · Anaphylaktischer Schock
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1087
Rheumatologische Notfälle S. Siebig
84.1
Einleitung – 1088
84.2
Akute Dislokation im Halswirbelsäulenbereich bei rheumatoider Arthritis (RA) – 1088
84.3
Arteriitis temporalis – akute Ischämie – 1088
84.4
Systemische Sklerose – renale Krise – 1089
84.5
Das katastrophale Antiphospholipidantikörpersyndrom (APS) – 1090
84.6
Goodpasture-Syndrom – 1090
84.7
Lupuskrise – 1091
84.8
Komplikationen der rheumatologischen Therapie – 1092
84.8.1 84.8.2 84.8.3
Septische Arthritis – 1092 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie – 1092 Methotrexat-Pneumonitis – 1093
Literatur – 1094
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_84, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
84
1088
84 84 84
84.1
Kapitel 84 · Rheumatologische Notfälle
Einleitung
Obgleich die Rheumatologie als Fachrichtung der Inneren Medizin in aller Regel eher als Disziplin gilt, in der Entscheidungen nach reiflicher Überlegung und langwieriger Diagnostik gefällt werden, besteht bei einzelnen Krankheitsmanifestationen unmittelbarer Handlungsbedarf. Die wichtigsten dieser rheumatologischen Notfälle werden im Folgenden kurz dargestellt.
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84.2
Akute Dislokation im Halswirbelsäulenbereich bei rheumatoider Arthritis (RA)
Bei der RA handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung, bei der es durch eine Synovialitis zur Arthritis, Bursitis und Tendovaginitis kommt. Die Erkrankung verläuft meist schubförmig und mündet langfristig in den meisten Fällen in einen Funktionsverlust verschiedenster Gelenke. Innere Organe können ebenfalls betroffen sein. z Epidemiologische und pathophysiologische Aspekte Neben dem »klassischen« Befall der Hand- und Fingergelenke tritt bei einem Teil der Patienten bereits sehr früh eine Destruktion und Instabilität im Bereich der Halswirbelsäule auf [1]. Nach 10 Jahren Krankheitsverlauf finden sich bei >50% der Patienten entzündliche Veränderungen im Halswirbelsäulenbereich. Insgesamt liegt die Prävalenz zwischen 19 und 70% [2–4]. Als besondere Risikofaktoren für einen Befall der Halswirbelsäule gelten ausgeprägte erosive Gelenkveränderungen, ein positiver Rheumafaktorennachweis und ein hohes CRP zum Zeitpunkt der Diagnosestellung [1, 5]. Am häufigsten findet sich eine Zerstörung des atlantoaxialen Übergangs mit der Folge einer anterior-posterioren Subluxation unter Beteiligung des Dens axis [6]. Etwas seltener kommt es zu Veränderungen im Facettengelenk C1 und C2 sowie der Massae laterales im Bereich des altantookzipitalen Übergangs, die zu Lateral-, Vertikalund Rotationsinstabilitäten führen können und die sich bei 5–34% der RA-Patienten im Verlauf der Erkrankung entwickeln [5]. z Klinik RA-Patienten mit einem Befall der Halswirbelsäule äußern häufig Schmerzen im Kopf- und Nackenbereich, insbesondere in den frühen Morgenstunden. Kommt es zur Instabilität und Subluxation, können Kompressionen von Nervenwurzeln und des Myelons auftreten, die neurologische Symptome bis hin zu einer Querschnittsymptomatik hervorzurufen vermögen. Penetriert beispielsweise der Dens axis das Foramen ovale im Rahmen einer sog. vertikalen Subluxation, können Myelonkompressionen resultieren, die mit anfallartigen bulbären Symptomen wie Schwindel, Erbrechen, Tachykardien oder Dyspnoe einhergehen. Durch Kompression der Medulla oblongata kann es zudem zum Auftreten eines Nystagmus, von zerebellären Ataxien und peripheren Paresen kommen. Kernaussage für den Notfallmediziner ist, dass bei jedem Patienten mit einer RA eine Instabilität im Halswirbelsäulenbereich droht und dass Manipulationen wie beispielsweise im Rahmen der Intubation oder Maskenbeatmung für den Patienten aufgrund einer drohenden vertikalen Subluxation vital gefährdend sein können. Daher sollte die Anamnese jedes RA-Patienten die Frage nach Beschwerden im Halswirbelsäulenbereich enthalten.
. Abb. 84.1 Zervikalarthritis. Kompression im atlantoaxialen Gelenk, zu erkennen an der abnehmenden Distanz im Röntgenbild (Stern)
z Diagnostik In der klinischen Untersuchung kann bei der Palpation des vorderen Atlasbogens durch die hintere Rachenwand eine ungewöhnliche Protrusion auffallen, die aber sicherlich nur vom geübten, rheumatologisch erfahrenen Arzt festgehalten werden kann. Drehbewegungen des Kopfes können bei bereits bestehenden Luxationen zu Schwindelattacken und Schweißausbrüchen führen [2]. Basisdiagnostik ist die Durchführung von Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule (a.-p., lateral), wobei nach Frakturausschluss Funktionsaufnahmen zur Beurteilung einer atlantodentalen Distanzierung besonders hilfreich sind (. Abb. 84.1). Goldstandard ist inzwischen das MRT der HWS, das zusätzlich Aufschluss über die entzündlichen Knochen- und Weichteilveränderungen im Spinalkanal und im Bereich des Foramen ovale gibt. > Basisdiagnostik der Wahl sind konventionelle Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule mit Funktionsuntersuchung, die im Idealfall vor einer Intubation oder Beatmung durchgeführt werden sollten. In Abhängigkeit von den zeitlichen Erfordernissen ist zusätzlich die Durchführung eines MRT der HWS mit Kontrastmittelapplikation zu empfehlen.
z Therapie Alle neurologischen Kompressionssymptome stellen eine Notfallindikation zum operativen Vorgehen dar, die in der Regel eine transorale Resektion des Dens axis und posteriore Fusion beinhaltet [2]. Inwiefern Patienten mit einer Instabilität oder Subluxation ohne Myelonkompression einer chirurgischen Stabilisierung unterzogen werden sollten, wird kontrovers diskutiert. Hier sollte ein unfallchirurgischer Kollege hinzugezogen werden. Die konservative Stabilisierung mittels angepasster Halskrause, ebenso wie physiotherapeutische Maßnahmen, können die Progression bei manchen Patienten positiv beeinflussen [3].
84.3
Arteriitis temporalis – akute Ischämie
Bei der Arteriitis temporalis handelt es sich um eine nekrotisierende Vaskulitis, die sich häufig im Bereich der supraaortalen großen bis mittelgroßen Arterien manifestiert und an der insbesondere Frauen nach dem 50. Lebensjahr erkranken.
1089 84.4 · Systemische Sklerose – renale Krise
. Tab. 84.1 Klassifikationskriterien für die Arteriitis temporalis. (Nach [10]) Kriterium
Bei bis zu 50% der Patienten kommt es unter dem anschließenden vollständigen Ausschleichen der medikamentösen Therapie zum Rückfall, sodass eine längerfristige immunsuppressive Therapie notwendig wird.
1
Alter über 50 Jahre
2
Neu aufgetretener Kopfschmerz
84.4
3
Palpabel veränderte A. temporalis oder Pulsabschwächung, dabei druckschmerzhaft und nicht durch eine Arteriosklerose der Halsarterien erklärt
Ausgelöst durch ein Autoimmungeschehen kommt es bei der systemischen Sklerose oder Sklerodermie zur Kollagenanhäufung und Fibrosierung der Haut sowie zahlreicher innerer Organe.
4
BSG >50 mm/h
5
Histologisch granulomatöse Veränderungen
Die Erkrankung gilt als gesichert, wenn 3 von 5 Kriterien erfüllt sind (Sensitivität 93%, Spezifität 91%).
z Epidemiologische und klinische Aspekte Die Prävalenz der Erkrankung wird bei Personen nach dem 50. Lebensjahr auf 200 pro 100.000 geschätzt [7]. Es kommt meist schlagartig zur Entwicklung von Symptomen wie Allgemeinzustandsminderung mit Fieber, Abgeschlagenheit sowie depressiven Stimmungsschwankungen, v. a. aber zu Kopfschmerzen, Schmerzen beim Kauen und Sehstörungen. Gerade die ophthalmologischen Symptome müssen ernst genommen werden bzw. ein unmittelbares Handeln nach sich ziehen. Augenflimmern, Motilitätsstörungen der Augen, v. a. jedoch plötzlich eintretende Sehverschlechterungen müssen differenzialdiagnostisch immer auch an eine Arteriitis temporalis denken lassen. Ursache für die Beschwerden sind die entzündlichen Veränderungen im Bereich der Aa. centrales retinae, die mit der Gefahr einer Erblindung einhergehen. Zwischen 15 und 20% der Patienten mit einer Arteriitis temporalis entwickeln auch heute noch einen ein- oder beidseitigen Visusverlust, der bei raschem Therapiebeginn bei den meisten Personen verhinderbar wäre [8]. > Bei plötzlichen Sehstörungen – insbesondere bei Frauen über dem 50. Lebensjahr – muss differenzialdiagnostisch immer an eine Arteriitis temporalis gedacht und bei Verdacht auf die Erkrankung unmittelbar eine Therapie eingeleitet werden!
z Diagnostik Besteht der Verdacht auf eine Arteriitis temporalis, stehen zur Diagnosesicherung die Duplexsonographie der A. temporalis (Nachweis eines Gefäßwandödems sowie vaskulärer Stenosen) sowie eine Biopsie der A. temporalis (Nachweis einer granulomatösen Riesenzellarteriitis) zur Verfügung [9]. Die Klassifikationskriterien der Erkrankung sind in . Tab. 84.1 aufgeführt. z Therapie, Prognose Therapie der Wahl ist die hochdosierte Gabe von Kortikosteroiden (100 mg/Tag Prednisolonäquivalent bzw. bei bereits eingetretenen Visusproblemen 500 mg für die ersten 3 Tage), die innerhalb weniger Tage zur Besserung der Klinik führt und unmittelbar eingeleitet werden sollte. Nach Ansprechen der Therapie, die neben der klinischen Besserung auch in einem Absinken der initial meist drastischen erhöhten BSG und/oder des CRP-Wertes laborchemisch nachvollzogen werden kann, ist eine Dosisreduktion auf 1 mg/kg KG der Steroidmedikation möglich. Die Erhaltungsdosis liegt bei 5–7,5 mg Prednisolonäquivalent pro Tag, die für mindestens 6–12 Monate unter Beschwerdefreiheit fortgesetzt werden sollte [2].
Systemische Sklerose – renale Krise
z Epidemiologische und pathophysiologische Aspekte Die Prävalenz der Erkrankung wird auf bis zu 50 Fälle pro 1 Mio. Personen beziffert, wobei regionale Unterschiede bestehen [11]. Die parallel entstehende obliterierende Angiopathie (sog. Zwiebelschalenangiopathie) führt bei den Erkrankten zudem nicht selten zu Haut-, aber auch Organinfarkten. So entstehen u. a. Veränderungen des renalen Stromgebiets mit Stenosen der Aa. arcuatae und interlobulares. Hierdurch können Ischämien des juxtaglomerulären Apparates induziert werden, die in einer gegenregulatorischen Reninproduktion mündet, die sich auch im Blut der betroffenen Patienten nachweisen lässt und einen deutlichen Blutdruckanstieg bewirkt [12]. Hypertensive Episoden verschlechtern die renale Hypoperfusion weiter, indem lokale Vasospasmen (»renales RaynaudSyndrom«) ausgelöst werden, und führen schlussendlich zu einer zusätzlichen Verstärkung der Reninproduktion. Dieser Circulus vitiosus muss möglichst frühzeitig therapeutisch durchbrochen werden, da es bei den Patienten zu einer progredienten Verschlechterung der renalen Funktion bis hin zum akuten Nierenversagen kommen kann. z Klinik Klinisch verlaufen diese sog. renalen Krisen zunächst meist symptomarm. Im Rahmen von kurzfristigen Blutdruckanstiegen können Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, bei kardial vorgeschädigten Patienten auch eine Angina-pectoris-Symptomatik auftreten. 75% der renalen Krisen sind in den ersten 4 Jahren nach Diagnosestellung zu verzeichnen [12], wobei auch eine hochdosierte Kortisontherapie, wie sie beispielsweise im Rahmen der Grunderkrankung bestehen kann, eine Risikoerhöhung für diese Komplikation darzustellen scheint [13]. z Therapie Mittel der Wahl der renalen Krise sind kurzwirksame ACE-Hemmer, die bei ausbleibender Blutdrucksenkung durch weitere Substanzen ergänzt werden sollten (. Tab. 84.2). Auch nach suffizienter Blutdrucksenkung ist häufig noch ein weiterer Anstieg der Retentionsparameter zu beobachten, der erst 7–10 Tage nach Therapiebeginn sein Maximum erreicht. Bei 20–50% der Sklerodermiepatienten mit Entwicklung einer renalen Krise kommt es trotz suffizienter Blutdrucksenkung zur Entwicklung einer progredienten Niereninsuffizienz mit Dialyseindikation [14, 15]. Die Prognose dieser Patienten ist insgesamt schlecht. In einer Studie mit 820 Sklerodermiepatienten, die einer dauerhaften Dialysetherapie nach renaler Krise bedurften, lag die 2-Jahres-Überlebensrate lediglich bei 49% [15].
84
1090
Kapitel 84 · Rheumatologische Notfälle
84
. Tab. 84.2 Therapie der renalen Krise bei der systemischen Sklerose
84
Ziel der Blutdrucksenkung
Systolischer Blutdruck 120 mm Hg
84
Mittel der Wahl
ACE Hemmer (z. B. Captopril 150–200 mg/ Tag)
84
Alternativen bzw. Eskalationsmöglichkeiten
5 Calziumantagonisten (z. B. Amlodipin 10 mg/Tag) 5 Urapidil (Erantil 12,5–50 mg Bolusweise i.v., alternativ kontinuierlicher Perfusor 5–10 mg/h) 5 Dihydralazin (Reserveantihypertensiva 25 mg alle 8 h i.v.)
84 84 84 84.5
84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84 84
Das katastrophale Antiphospholipidantikörpersyndrom (APS)
Das katastrophale APS ist definiert durch das Auftreten von mindestens 3 Thrombosen in mindestens 3 verschiedenen Organsystemen zum gleichen Zeitpunkt oder in kurzer zeitlicher Abfolge [16]. z Epidemiologische und pathophysiologische Aspekte Bedingt durch die Mikrothromben in insbesondere kleineren Gefäßen kommt es zum Funktionsverlust der betroffenen Organe sowie zur Hyperkoagulabilität mit Auslösung eines disseminiert intravasalen Gerinnungsversagens (7 Kap. 24). ) Aus pathophysiologischer Sicht scheinen Antiphospholipidantikörper, die gegen Thrombozyten und Endothelzellen gerichtet sind, ursächlich beteiligt zu sein. Die Aktivierung von Endothelzellen, wie sie bei Schädigungen des Endothels bei u. a. septischen Geschehnissen auftreten kann, führt möglicherweise zur Expression membranassoziierter prokoagulatorischer Proteine als Zielantigene für Antiphospholipidantikörper [17]. So kann es bei APS-Patienten durch Infektionen verstärkt zur Entstehung eines katastrophalen APS kommen. Bei einem Großteil der Patienten treten die Veränderung aber spontan, ohne vorhergehende Warnsymptome auf. z Diagnose Neben der klinischen Präsentation tragen laborchemische Befunde zur Diagnose der katastrophalen APS bei. Neben einer Thrombozytopenie, Anämie und Gerinnungsveränderungen im Sinne einer Verbrauchskoagulopathie lassen sich bei den meisten Patienten Phospholipidantikörper (»Lupusantikoagulans« und Autoantikörper gegen Cardiolipin sowie β2-Glykoprotein I) nachweisen. z Therapie, Prognose Von 1000 APS-Patienten entwickeln 8% ein katastrophales APS und bedürfen einer unmittelbaren intensivmedizinischen Behandlung mit Antikoagulation (Vollheparinisierung mit 2- bis 3-fach verlängerter PTT), Kortikosteroidgabe (>2 mg/kg KG) und Plasmapherese zur Eliminierung der zirkulierenden Antikörper. Zur Vermeidung eines Rezidivs nach Plasmapheresebehandlung wird eine Therapie mit Cyclophosphamid empfohlen [17]. Möglicherweise kann auch durch eine B-Zelldepletion mit Rituximab eine Remission erzielt werden. Die Prognose ist aber leider auch unter diesen intensiven Therapiemaßnahmen schlecht. 50–80% der Patienten sterben [17]. Insbesondere eine Prophylaxe durch eine adäquate Antikoagulation der Patienten mit bekanntem APS (Cumarinderivate mit Ziel-INR 2,5–
. Abb. 84.2 Computertomographieschnitt bei diffusen Lungenblutungen (Pfeil) bei Goodpasture-Syndrom
3,5) hilft, das katastrophale APS zu verhindern und damit die mit der Komplikation einhergehende hohe Mortalität zu minimieren.
84.6
Goodpasture-Syndrom
Beim Goodpasture-Syndrom kommt es durch die Bildung von Anti-Basalmembran-Autoantikörpern zu teilweise vital bedrohlichen Hämoptysen und der Entwicklung einer rapid progressiven Glomerulonephritis mit rasch einsetzendem Nierenversagen. z Epidemiologische und ätiologische Aspekte Es handelt sich um eine sehr seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 0,1–0,5/106/Jahr, die mehr Männer als Frauen betrifft. Nicht selten entwickelt sich das Krankheitsbild nach grippeähnlichen Erkrankungen oder Infekten der oberen Atemwege [18]. z Klinik, Komplikationen Erstmanifestation des Goodpasture-Syndroms sind meist Hämoptysen (. Abb. 84.2), die teilweise vital bedrohliches Ausmaß annehmen können und einer unmittelbaren intensivmedizinischen Therapie bedürfen (7 Abschn. 29.8.1 »Hämoptysen«).
Exkurs akute Maßnahmen bei ausgeprägten Hämoptysen 4 Ausgleich Volumendefizit: – Großlumiger peripherer Zugang – Gabe von Volumen (z. B. 1 l Vollelektrolytlösung) – Engmaschige Kontrolle des Hämoglobingehalts – Durchführung einer Kreuzprobe und Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten bzw. in Abhängigkeit vom Hämoglobingehalt und der hämodynamischen Situation Substitution von Erythrozytenkonzentraten 4 Stabilisierung Atemwege bzw. Verhinderung von Aspiration des Blutes: – Bei Bewusstseinsminderung und hämodynamischer Instabilität großzügige Indikation zur frühzeitigen Intubation mit Doppellumentubus 4 Blutstillung – Durchführung einer flexiblen Bronchoskopie – Frühzeitige Kontaktaufnahme mit Thoraxchirurgie
1091 84.7 · Lupuskrise
Die Nierenschädigung läuft hingegen klinisch zunächst eher unbemerkt ab. Nur selten treten Symptome eines nephrotischen Syndroms in den Vordergrund. Umso wichtiger ist es daher, eine entsprechend kontinuierliche Überwachung bei betroffenen Patienten durchzuführen (Urinuntersuchungen, Kontrolle der Serumretentionsparameter). Kommt es zu einem renalen Befall, entwickelt sich das Bild einer rapid progressiven Glomerulonephritis mit rasch einsetzendem akutem Nierenversagen und häufig Hämodialysebedarf. z Diagnostik Diagnostisch empfiehlt sich die Durchführung einer Nierenbiopsie, um zum einen differenzialdiagnostisch andere Erkrankungen auszuschließen und andererseits auch die Krankheitsaktivität beurteilen zu können (z. B. Prozentsatz der beteiligten Glomeruli). In der indirekten Immunfluoreszenz lassen sich IgA-Ablagerungen entlang der Basalmembran der Glomeruli und Alveolen nachweisen. Zudem weisen bis zu 30% der Patienten im Serum erhöhte ANCATiter auf. z Therapie, Prognose Zum Erhalt oder zumindest zur Verbesserung der Nierenfunktion sollte möglichst frühzeitig eine Therapie eingeleitet werden. Neben einer Kortikosteroidbehandlung (250 mg/Tag Prednisolonäquivalent für 3 Tage) hat sich hier das extrakorporale Plasmaphereseverfahren in Kombination mit der Gabe von Cyclophosphamid (2 mg/ kg KG) bewährt (für mindestens 14 Tage mit einem Plasmaaustausch von mindestens 4 l Plasma pro Plasmapherese). Mit Hilfe des Plasmaaustauschs gelingt es, zirkulierende AntiBasalmembran-Autoantikörper ebenso wie andere inflammatorische Mediatoren (v. a. Komplementfaktoren) zu eliminieren; die Gabe von immunsuppressiven Medikamenten minimiert die Antikörperneubildung. Von diesem Vorgehen profitieren 40–45% der Patienten [19], wobei die Prognose auch hier mit dem Zeitpunkt der Therapieeinleitung korreliert. Präsentieren sich Patienten bei Erstdiagnose unter dem Bild eines akuten Nierenversagens, kommt es meist zu keiner Erholung der Nierenfunktion im Verlauf, sodass hier frühzeitig an eine Nierentransplantationslistung gedacht werden muss. > Eine rechtzeitige Diagnosestellung und frühzeitige Therapieeinleitung können beim Goodpasture-Syndrom die Organfunktionen erhalten und damit die Prognose der Erkrankung wesentlich verbessern.
84.7
Organmanifestation mit Entwicklung eines kritischen Krankheitsbildes kommen kann. Diese sog. Lupuskrise geht dann häufig mit der Entstehung einer Polyserositis mit nicht selten hämodynamisch relevanten Pleura- und Perikardergüssen einher. Aber auch ein ausgeprägter ZNS-Befall mit Krampfanfällen oder die Entwicklung einer Endokarditis (Libman-Sachs-Endokarditis) können zu einer Aufnahme auf der Intensivstation führen. Bedingt durch die Leukozytopenie und generelle Immunschwäche, v. a. aber durch die immunsuppressive Therapie im Verlauf entwickeln des Weiteren nicht wenige Patienten septische Komplikationen. z Diagnostik . Tab. 84.3 zeigt die international gültigen Klassifikationskriterien.
. Tab. 84.3 Klassifikationskriterien für den Lupus erythematodes Kriterium 1
Schmetterlingserythem: umschriebene, symmetrische, hellrote, flache bis leicht erhabene Rötung der Wangen, die über dem Nasenrücken zusammenläuft
2
Lupoide Hautveränderungen
3
Photosensibilität: Überempfindlichkeit gegenüber Licht; nach Sonneneinstrahlung können beispielsweise Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Fieber auftreten
4
Erosionen oder Geschwüre der Mundschleimhaut
5
Gelenkschmerzen und Gelenkerguss
6
Serositis (v. a. Pleuritis und Perikarditis)
7
Nierenbefall: 5 über 0,5 g Eiweiß pro Tag im Urin oder 5 Harnsedimente mit Nachweis von Erythrozyten oder Erthrozyten- bzw. Harnzylindern.
8
Befall des Zentralnervensystems: 5 epileptische Anfälle oder 5 psychische Krankheiten ohne bekannte metabolische oder medikamentöse Ursache als Auslöser
9
Hämatologische Symptome: 5 hämolytische Anämie oder 5 Leukopenie mit Leukozytenzahlen <4000/mm³ Blut oder 5 Lymphopenie mit Lymphozytenzahlen <1500/mm³ Blut oder 5 Thrombozytopenie mit Thrombozytenzahlen <100.000/ mm³ Blut
10
Immunologische Befunde: 5 positives LE-Zellzeichen (in Blutausstrichen sichtbare »hematoxylin bodies«; = phagozytierte Kernreste in Leukozyten; diese Kernreste stammen von zerstörten Zellen, an die ein bestimmter, gegen Desoxyribonukleoproteine gerichteter Autoantikörper, der sog. LE-Faktor, gebunden hatte) oder 5 Autoantikörper gegen Doppelstrang-DNA oder 5 Autoantikörper gegen das Ribonukleoprotein Sm 5 Autoantikörper gegen Phospholipide
11
Antinukleäre Antikörper (ANA) in der Immunfluoreszenzmikroskopie
Lupuskrise
Der Lupus erythematodes gehört zur Gruppe der Kollagenosen. Die Patienten entwickeln eine Vaskulitis bzw. Perivaskulitis der kleinen Arterien und Arteriolen, verbunden mit Ablagerungen von Immunkomplexen, die aus DNA, Anti-DNA, Komplement und Fibrin bestehen. Neben einem Befall der Haut können die Gelenke, Nieren, Lungen, das Nervensystem, aber auch jedes andere Organ betroffen sein. z Epidemiologische und klinische Aspekte Die Erkrankung tritt v. a. bei Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. Die Prävalenz liegt dabei zwischen 20 und 150 Fällen auf 100.000 Einwohner [20]. Fast alle Patienten zeigen initial Allgemeinbeschwerden wie Müdigkeit, Schwäche und Gewichtsverlust. Bis zu 50% der Patienten haben zudem mehr oder minder ausgeprägte Fieberepisoden [21]. Nahezu jedes Organ kann bei dieser Erkrankung beteiligt sein, wobei es gerade im Rahmen der Erstmanifestation zur krisenhaften
Das Auftreten von 4 Kriterien macht die Diagnose eines Lupus erythematodes wahrscheinlich.
84
1092
Kapitel 84 · Rheumatologische Notfälle
84
. Tab. 84.4 Serologische Marker der Krankheitsaktivität beim Lupus erythematodes
84
Anstieg
5 IgG Doppelstrang DNA-Titer [23] 5 BSG [24]
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Abfall
5 Komplementfaktoren (v. a. C3 und C4) [25]
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. Tab. 84.5 Therapie der Lupuskrise
84
Immunsuppression
Hochdosierte Prednisolon-Stoßtherapie (initial bis zu 500 mg/ Tag), bei schweren Fällen in Kombination mit weiteren immunsuppressiven Substanzen wie Cyclophosphamid/ (Rituximab)
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Plasmapherese
Verfahren zur Elimination von Immunkomplexen, Auto-AK und proinflammatorischen Mediatoren Symptomatische Therapie
Krampfanfall:
akut Benzodiazepin (z. B. Lorazepam 1–5 mg i.v. oder s.l.), im Verlauf ggf. zusätzlich Antiepileptikum (z. B. Levetiracetam nach Spiegel)
Serositis:
ggf. Punktion, v. a. bei hämodynamischer Einschränkung
Endokarditis:
Antibiotika
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Ein Anhalt der Krankheitsaktivität bietet neben der klinischen Symptomatik, und damit dem Organbefall, die Bestimmung der Krankheitsmarker im Serum (. Tab. 84.4). Die serologischen Marker können aber immer nur in Kombination mit der Klinik gewertet werden. Es gibt durchaus auch Fälle mit deutlich erhöhten Doppelstrang-DNS-Titern und erniedrigtem Komplement ohne Hinweis auf eine erhöhte Krankheitsaktivität [22]. Sehr hohe CRP-Werte sind als Hinweis auf infektiöse Komplikationen zu werten. z Therapie Eine Lupuskrise mit Entwicklung von intensivmedizinisch zu behandelnden Organmanifestationen bedarf einer immunsuppressiven Therapie sowie symptomatischer Maßnahmen, die auf den Organbefall abgestimmt sind (. Tab. 84.5).
84.8
Komplikationen der rheumatologischen Therapie
Weitere rheumatologische Notfälle ergeben sich nicht selten als Komplikationen der rheumatologischen Therapie, v. a. durch die mittlerweile vielschichtige Anwendung diverser immunsupprimierender Medikamente. Beispielhaft soll das Kapitel daher noch mit 3 häufigen dieser Folgezustände abgeschlossen werden, die dem Notfall- und Intensivmediziner vertraut sein sollten.
84.8.1
Septische Arthritis
z Epidemiologische und ätiologische Aspekte Septische Arthritiden treten insbesondere in vorgeschädigten Gelenken und beim immunkompromittierten Patienten auf. In bis zu 70% der Fälle werden sie durch eine septische Streuung bedingt, selten nur durch eine per continuitatem fortgeleitete Infektion. Auch die Einschleppung von Keimen durch operative Eingriffe oder Gelenkpunktionen und -injektionen ist seltener als vermutet. Das Risiko für eine punktionsbedingte septische Arthritis liegt bei RAPatienten bei ca. 1:10.000–1:12.000 Injektionen [26]. z Klink Patienten mit einer septischen Arthritis weisen meist monoartikulär auftretende, dolente Gelenkschwellungen v. a. im Knie-, Hüftund Schulterbereich auf, die in aller Regel mit einer deutlichen Bewegungseinschränkung einhergehen. Zudem kommt es zur Entwicklung von fluktuierendem, remittierendem Fieber bis teilweise über 40°C. . Abb. 84.3 zeigt das dopplersonographische Bild einer Arthritis des proximalen Interphalangealgelenks. z Therapie Als infektiologischer Notfall bedarf die septische Arthritis einer unmittelbaren antibiotischen Therapie, möglichst allerdings nach Blutkulturanlage und Gelenkpunktion zur Erregersuche. Als empirische Therapie beim abwehrgeschwächten Patienten kommt beispielsweise eine Kombination aus Piperacillin und Sulbactam (oder Tazobactam) in Frage. Bei Endoprothesenträgern empfiehlt sich die Gabe von Cefuroxim, ggf. in Kombination mit Vancomycin. Die medikamentöse Therapie wird durch die arthroskopische und ggf. offene chirurgische Gelenkspülung ergänzt, die den Funktionserhalt des Gelenks verbessern. Bei Persistenz der Infektion muss über eine offene chirurgische Synovektomie nachgedacht werden.
84.8.2
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie
z Epidemiologische und ätiologische Aspekte Während die Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PCP-Pneumonie) bis vor 10 Jahren eine Erkrankung war, die man v. a. bei HIV-Patienten nachweisen konnte, steigt die Zahl der HIV-negativen Erkrankungsfälle in den letzten Jahren kontinuierlich an und betrifft immer häufiger auch Patienten unter einer modernen immunsuppressiven Therapie [27]. So entwickeln geschätzte 1–2% aller rheumatologischen Patienten im Verlauf ihrer Erkrankung eine PCPPneumonie [28]. Ähnlich wie bei den HIV-Patienten ist bei diesem Patientenkollektiv medikamentös induziert die T-Helferzellzahl bzw. -funktion gestört, sodass opportunistische Infektionen mit Pneumocystis jiroveci auftreten können. PCP-Pneumonien treten insbesondere unter einer Kombinationsbehandlung mit Cyclophosphamid bzw. Methotrexat auf. Aber
1093 84.8 · Komplikationen der rheumatologischen Therapie
. Abb. 84.3 Arthritis des proximalen Interphalangealgelenks. Ultraschallbild einer Arthritis mit massiver Hyperämie im Synovialspalt (2). 1=Gelenkoberfläche, 3=Hautniveau
auch eine alleinige Applikation von Glukokortikoiden scheint das Risiko für die Entstehung einer PCP-Pneumonie deutlich zu erhöhen. So konnte in einer Fallserie aus der Mayo-Klinik bei 91% der Nicht-HIV-Patienten mit PCP eine vorausgegangene Steroidgabe dokumentiert werden [29]. z Klinik und Diagnostik Klassische klinische Symptome einer PCP-Pneumonie sind ein trockener, unproduktiver Husten, Dyspnoe, Tachypnoe und Fieber, wobei sich auskultatorisch häufig ein unauffälliger Befund ergibt. Erst im Thoraxröntgenbild zeigen sich im Verlauf häufig retikulonoduläre Veränderungen, typischerweise mit einer »schmetterlingsförmigen« bihiliären michglasartigen oder fleckigen Verschattung (. Abb. 84.4). Diagnostiziert wird die PCP-Pneumonie mit Hilfe mikrobiologischer Verfahren aus Sputum oder Lavageflüssigkeit. Bei einer Sensitivität von 85% ist hier v. a. die PCP-PCR zu nennen [30]. Ein Großteil der Patienten bedarf intensivmedizinischer Behandlungsmaßnahmen und nicht selten einer Intubation und Beatmung. z Therapie, Prognose Mittel der Wahl bei dieser Erkrankung ist nach wie vor die hochdosierte Gabe von Trimethoprim/Sulfamethoxazol für mindestens 14 Tage. Bei HIV-Patienten mit einer PCP soll laut Leitlinien eine adjuvante Prednisolon-Therapie erfolgen. Bislang fehlen prospektive Daten zur zusätzlichen Steroidgabe bei PCP-Pneumonie Patienten ohne HIV-Erkrankung. Im Rahmen retrospektiver Aufarbeitungen kam man zu widersprüchlichen Ergebnissen bezüglich eines möglichen Vorteils dieser Steroidtherapie [31, 32]. Gerade beim beatmungspflichtigen Nicht-HIV-PCP-Pneumonie-Patienten wird eine Prednisolon-Applikation jedoch auch ohne entsprechende evidenzbasierte Daten von den meisten Fachgesellschaften empfohlen. Als alternative antibiotische Substanzen zu Trimethoprim/Sulfamethoxazol stehen Atovaquon oder Pentamidin zur Verfügung.
. Abb. 84.4 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie. Schmetterlingsförmige, retikuläre Zeichnungsvermehrung bei einem invasiv beatmeten Patienten (Pfeil=Tubus) mit PCP-Pneumonie
Standardtherapie bei PCP Pneumonie 4 Trimethoprim 15–20 mg/kg KG/Tag und 4 Sulfamethoxazol 75–100 mg/kg KG in 3–4 Dosen über den Tag verteilt, mit ggf. zusätzlicher Steroidtherapie.
Insgesamt scheint die Prognose der rheumatologischen Patienten mit PCP-Pneumonie weitaus schlechter zu sein als die der HIVPatienten mit demselben Krankheitsbild [27].
84.8.3
Methotrexat-Pneumonitis
z Epidemiologische und ätiologische Aspekte und Klinik Methotrexat (MTX) ist ein Folsäureantagonist, der u. a. ein pulmonales Nebenwirkungsspektrum besitzt. Bis zu 11% der RA-Patienten entwickeln unter einer MTX-Therapie eine akute Pneumonitis [33], die mit trockenem Husten, leicht erhöhter Temperatur, Dyspnoe und Tachypnoe einhergeht. Bei einigen Patienten bildet sich jedoch auch ein intensivmedizinisch zu behandelndes Krankheitsbild mit Entwicklung einer respiratorischen Insuffizienz aus [2, 4]. Als Risikofaktoren für eine MTX-Pneumonitis gelten hohes Alter, vorbestehende interstitielle Lungenerkrankung und das Auftreten von Nebenwirkungen unter anderen Basistherapeutika in der Anamnese [34, 35]. Die Komplikation scheint unabhängig von der applizierten Dosis oder Zeitdauer aufzutreten, was ein immunologisches Geschehen als Ursache wahrscheinlich macht. z Therapie Nach Ausschluss einer infektiologischen Ursache für die pulmonalen Symptome sollte die MTX-Therapie beendet werden. Möglicherweise ist die zusätzliche Applikation von Kortikosteroiden sinnvoll [36]; evidenzbasierte Daten hierzu existieren bislang allerdings nicht.
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Kapitel 84 · Rheumatologische Notfälle
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1095
Hämatologisch-onkologische Störungen S. Froh
85.1
Erkrankungen im Rahmen der fortschreitenden malignen Grunderkrankung – 1096
85.1.1 85.1.2
Hyperviskositätssyndrom (HVS) – 1096 Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) – 1096
85.2
Erkrankungen im Rahmen der Therapie – 1097
85.2.1 85.2.2 85.2.3
Tumorlysesyndrom – 1097 Respiratorische Insuffizienz – 1097 Bedrohliche Nebenwirkungen durch Chemotherapeutika – 1098
85.3
Hämatoonkologische Notfälle – 1098
85.3.1 85.3.2 85.3.3 85.3.4 85.3.5
Hyperkalzämie – 1098 Maligner Perikarderguss – 1099 Obere Einflussstauung/V.-cava-superior-Syndrom – 1099 Tumorlysesyndrom – 1100 Infektionen in der Neutropenie – 1100
Literatur – 1100
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_85 , © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
85
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1096
Kapitel 85 · Hämatologisch-onkologische Störungen
85.1
Erkrankungen im Rahmen der fortschreitenden malignen Grunderkrankung
Patienten mit hämatoonkologischen Grunderkrankungen entwickeln spezifische Komplikationen, die entweder Folge der Grunderkrankung sind oder im Rahmen der meist aggressiven Therapieschemata entstehen, da in beiden Fällen eine Immunsuppression vorliegt. Häufig treten Probleme, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, schlagartig auf mit leider oft rascher Verschlechterung der klinischen Situation. Allerdings konnte in den letzten Jahrzehnten die Prognose dieser Tumorpatienten einerseits durch die Knochenmark- und periphere Stammzelltransplantation, andererseits durch optimierte supportive Therapiemaßnahmen erheblich verbessert werden. Tumorpatienten (insbesondere nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation) mit intensivpflichtigen Komplikationen haben eine schlechtere Prognose als andere kritisch kranke Patienten auf der Intensivstation, dennoch konnte über die Jahre eine positive Entwicklung verzeichnet werden, wie z. B. bei Patienten mit respiratorischer Insuffizienz, bei denen durch frühzeitige Initiierung einer nichtinvasiven Beatmung eine Verminderung der Intubationspflichtigkeit und eine verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden kann. Untersuchungen an Patienten mit einer malignen hämatologischen Grunderkrankung ergaben, dass bezüglich der Prognose und des Outcomes kein signifikanter Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Stammzelltransplantation bestand [4]. Zur Einschätzung der Gesamtprognose bei intensivpflichtigen Tumorpatienten ist die Prognose der Grunderkrankung, der sich entwickelnden Komplikationen und des Organversagens zu beachten.
85.1.1
Hyperviskositätssyndrom (HVS)
Die veränderte plasmatische und zelluläre Blutzusammensetzung führt zu einer erhöhten Viskosität des Blutes, damit zu einer schlechteren Perfusion, was wiederum eine Laktatazidose und Verschlüsse der kleinen Gefäße zur Folge hat. Gehirn, Lunge und Niere sind besonders von dieser Problematik betroffen. Patienten mit rasch progredienter akuter Leukämie (Hyperleukozytose) haben ein besonders hohes Risiko hierfür, aber auch Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen oder Hypergammaglobulinämien (M. Waldenström, multiples Myelom). Das HVS wird als onkologischer Notfall betrachtet, der zu zentralvenösen Thrombosen, Verschlüssen von peripheren Gefäßen, Blutungen, Nierenversagen, respiratorischer Insuffizienz oder Milzinfarkten führen kann. z Klinik, Symptomatik Das klinische Bild imponiert als Verwirrtheit, Schwindel, ophthalmologische Symptomatik, abdominelle Schmerzsymptomatik, respiratorische Insuffizienz, kardiovaskuläre Symptomatik und Oligurie. Die Leukozytenzahlen im Serum und die respiratorischen Parameter sollten engmaschig kontrolliert werden, die Paraproteinkonzentration im Serum gilt es zu berücksichtigen. Regelmäßige neurologische Untersuchungen sind wichtig. Durch den erhöhten Druck in thrombosierten Gefäßen können intrakranielle oder intrapulmonale Blutungen durch Gefäßruptur die Folge sein, insbesondere, wenn gleichzeitig eine Thrombozytopenie vorliegt oder die Gerinnungssituation beeinträchtigt ist. Dann muss die Gabe von Erythrozytenkonzentraten erfolgen, wobei diese mit Vorsicht transfundiert werden sollten aufgrund der dadurch erneut beding-
ten Erhöhung der Blutviskosität und somit wiederum Gefahr der Ischämie durch Okklusion der Gefäße. z Therapie Das vorrangige Therapieziel besteht bei einem zellulär verursachten HVS in der raschen Zytoreduktion durch eine schnelle Initiierung der jeweils spezifischen Chemotherapie. Mittels Leukapherese können die Symptome kontrolliert werden, der Einfluss auf die Prognose bleibt jedoch unklar [3]. Bei den Hypergammaglobulinämien kann die Plasmapherese eine Verbesserung der Symptomatik bewirken. Des Weiteren kommen supportive Maßnahmen wie Volumensubstitution, Harnalkalisierung, die Gabe von Allopurinol und, wenn nötig, die mechanische Beatmung bei respiratorischer Insuffizienz zum Einsatz.
85.1.2
Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
Abnorme Triggermechanismen führen zu einer verstärkten intravasalen Gerinnung. Dies wiederum ist mit schweren Gewebeschädigungen, Schädigungen des Endothels und dem Auftreten gramnegativer Endotoxine im Blut assoziiert. z Klinik, Symptomatik Zu Beginn kommt es zur Thrombenbildung, bei deren Auflösung entstehen Fibrinspaltprodukte; deren antikoagulatorische Eigenschaften und die verbrauchten Gerinnungsfaktoren bergen das Risiko für intrakranielle Blutungen. Insgesamt kommt es durch die vermehrte intravasale Gerinnung zu Organischämien, zum Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und zu sinkenden Thrombozytenzahlen. Oligurie, kühle Extremitäten oder Hypoxämie sind frühe klinische Zeichen einer DIC. Bei Progredienz der DIC treten Ekchymosen, Hämatome, petechiale oder spontane Blutungen auf. Schwere Formen der DIC kommen bei schweren Infektionen, beim Tumorlysesyndrom oder bei sehr ausgeprägter Leukämieerkrankung (Bildung prokoagulatorischer Gerinnungsfaktoren durch die Leukämiezellen, insbesondere bei der Promyelozytenleukämie) vor. . Abb. 85.1 zeigt eine hämorrhagische Gastritis im Rahmen einer DIC. z Diagnostik Laborchemisch fallen verminderte Thrombozytenzahlen, erniedrigtes Fibrinogen und AT III auf, gefolgt von einer verlängerten Prothrombinzeit, einer aktivierten partiellen Thromboplastinzeit und erhöhten D-Dimeren. Liegen Organverschlüsse vor, können erhöhte Transaminasen oder erhöhte Kreatininwerte ein Hinweis hierauf sein. Ein Abfall der Hämoglobinwerte und ein Anstieg des Harnstoffs zeigen einen Blutverlust und eine Hämolyse an. > Fibrinogenwerte <100 mg/dl gelten neben der klinischen Symptomatik als Indikator für eine DIC.
z Therapie Im Rahmen der Therapie spielt die rasche Ursachenfindung eine wichtige Rolle. Eine durch die Leukämie oder durch Infektionen bedingte disseminierte intravasale Gerinnung spricht gut auf die Therapiemöglichkeiten an. Die Leukämie sollte schnellstmöglich trotz des Risikos der dadurch progredienten Thrombopenie chemotherapeutisch behandelt werden. Bei zugrunde liegenden Infektionen kommen Breitspektrumantibiotika zum Einsatz. Die Verabreichung von Heparin als
1097 85.2 · Erkrankungen im Rahmen der Therapie
jeder Patient klinisch und laborchemisch hinsichtlich des Tumorlysesyndroms überwacht werden. Eine gefürchtete Komplikation des Tumorlysesyndroms ist das akute Nierenversagen mit Entstehung einer metabolischen Azidose (akute tubuläre Nekrose durch hohe Phosphat- und Harnsäurespiegel), sodass eine neu aufgetretene Niereninsuffizienz und darüber hinaus Muskelkrämpfe, zerebrale Krämpfe oder Herzrhythmusstörungen als Indikatoren für die Entstehung eines Tumorlysesyndroms gelten. z
Therapie Eine ausreichende Volumensubstitution (200–500 ml/h, Glukose 5% und NaCl 0,9% im Wechsel) ist die vorrangigste prophylaktische und therapeutische Maßnahme, unter Bilanzierung des Volumenstatus bei herz- oder niereninsuffizienten Patienten. Die stündliche Urinausscheidung sollte bei 100 ml liegen. Zur Forcierung der Diurese und Senkung des Kaliumspiegels kann Furosemid (20–100 mg i.v.) verabreicht werden.
. Abb. 85.1 Hämorrhagische Gastritis im Rahmen einer DIC
Thrombininhibitor und die Gabe von AT III wird empfohlen. Zusätzlich können »fresh frozen plasma«, Thrombozytenkonzentrate oder Gerinnungsfaktoren gegeben werden.
85.2
Erkrankungen im Rahmen der Therapie
Die Zerstörung schnell proliferierender Tumorzellen im Rahmen der antineoplastischen Therapie verursacht metabolische Störungen wie Azidose, Elektrolytstörungen, DIC, renale Dysfunktion oder Hyperbilirubinämie. Des Weiteren sind nach myelosuppressiver Therapie Infektionen, die einer antimikrobiellen Therapie bedürfen, häufig vertreten. Die respiratorische Insuffizienz und Typhlitis im Besonderen benötigen bei Versagen der konventionellen Therapie intensivmedizinische Maßnahmen.
85.2.1
Tumorlysesyndrom
Das Tumorlysesyndrom entsteht als metabolische Entgleisung 4 bei ausgeprägtem Zelluntergang durch Chemotherapeutika oder Bestrahlung, 4 bei hoher Tumorlast und 4 bei schnell wachsenden malignen Erkrankungen. Dann kommt es zur Freisetzung intrazellulärer Komponenten, zu Gerinnungsstörungen, metabolischen Störungen und Störungen der Nierenfunktion. Die Letalität liegt bei 15% [1]. Fortgeschrittene Burkitt-Lymphome oder die akute lymphatische Leukämie können oft typischerweise mit einem Tumorlysesyndrom assoziiert sein, auch schon bei initialer Gabe von Glukokortikoiden. Es tritt aber auch im Rahmen anderer solider rasch wachsender Tumorerkrankungen oder anderer Leukämieformen auf. z Diagnostik Diagnostisch sind laborchemisch eine erhöhte Harnsäure, erhöhte Kaliumwerte, erhöhte Phosphatwerte und erniedrigte Kalziumwerte wegweisend. Eine hohe LDH gibt Hinweise auf eine rasch proliferierende Tumorerkrankung. Bei neu diagnostiziertem fortgeschrittenem Tumorleiden und bei Einleitung der Chemotherapie muss
Die intravenöse Gabe von Natriumbikarbonat zur Harnalkalisierung wird aufgrund der vermehrten Ablagerung von Kalziumphosphat und Xanthin nicht mehr empfohlen [9]. Als wichtiges therapeutisches Ziel kommt die Senkung der Harnsäure zum Einsatz, damit die Entstehung des Nierenversagens vermieden wird. Hierfür steht seit einigen Jahren die intravenöse Gabe von Rasburicase zur Verfügung, ein rekombinantes Enzym für den direkten Abbau der im Blut zirkulierenden Harnsäure. Der erhebliche Kostenfaktor für dieses Medikament darf nicht außer Acht gelassen werden. Gemäß eines aktuellen Konsensus [5] wird Rasburicase (0,1–0,2 mg/kg KG i.v. alle 24 h) bei hohem oder mittlerem Risiko für ein Tumorlysesyndrom empfohlen, bei vorbestehender Niereninsuffizienz, Hyperurikämie oder bei Kontraindikationen für Allopurinol. Neben dieser Therapiemöglichkeit existiert die konventionelle Verabreichung von Allopurinol, die langsamer wirkt und weniger effektiv, jedoch kostengünstiger ist und über einen längeren Zeitraum gegeben werden kann. Phosphatbinder können zur Senkung der hohen Phosphatspiegel eingesetzt werden. Bei Patienten mit einem hohen Risiko für ein Tumorlysesyndrom sollte zu Beginn eine Vorphasetherapie z. B. Steroide in Kombination mit Cyclophosphamid oder Vincristin oder niedrig dosiertes AraC begonnen werden, die nicht gleich am Anfang einen massiven Zellzerfall zur Folge haben. Bei Zeichen einer Niereninsuffizienz oder ausgeprägten Elektrolytstörungen sollte die Indikation zur Nierenersatztherapie großzügig gestellt werden, da die Prognose des durch das Tumorlysesyndrom bedingten Nierenversagens gut ist. Um mögliche Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen oder zerebrale Krampfanfälle frühzeitig zu erkennen, müssen die Vitalzeichen engmaschig kontrolliert und initial während der Hochrisikophase laborchemische Kontrollen alle 4–6 h durchgeführt werden.
85.2.2
Respiratorische Insuffizienz
Ursachen der respiratorischen Insuffizienz können zum einen Infektionen sein, zum anderen können Chemotherapeutika eine pulmonale Toxizität nach sich ziehen, oder es handelt sich um das Erstsymptom einer Leukämie im Sinne eines »acute respiratory distress syndrome« (ARDS) durch direkte interstitielle Infiltration.
85
1098
85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85
Kapitel 85 · Hämatologisch-onkologische Störungen
z Klinik, Symptomatik, Diagnostik Die klinische Symptomatik besteht aus Dyspnoe, Husten oder Fieber. Typische Symptome einer Pneumonie wie starke Sputumproduktion fehlen häufig aufgrund der Immunsuppression. Um die Diagnose der Pneumonie zu erhärten, wird eine Computertomographie der Lunge empfohlen, da eine konventionelle Röntgenaufnahme des Thorax und die Auskultation der Lunge meist nicht wegweisend sind. Eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage hilft bei der Abgrenzung einer Infektion von therapiebedingten pulmonalen Problemen. Besteht der Verdacht auf eine Mykose, muss eine Biopsie ergänzt werden, wenn die Serologie keinen Aufschluss gibt. In der Regenerationsphase des Knochenmarks können sich durch den Anstieg der Leukozyten pulmonale Infiltrate ausbilden, die sog. »Anschoppung« der Lunge, welche rasch eine respiratorische Insuffizienz mit Beatmungspflichtigkeit bedingen kann. z Therapie Ein Problem nach allogener Knochenmarktransplantation stellen Hämoptysen bei diffuser alveolärer Blutung im Rahmen eines Graft-versus-Host Syndroms dar, die durch die Gabe hochdosierter Steroide therapiert werden sollten. In lebensbedrohlichen Fällen sollten unverzüglich operative Verfahren, eine endobronchiale Lasertherapie oder Embolisierung der betroffenen Bronchialarterien zum Einsatz kommen. Insgesamt wird bei respiratorischen Problemen (Lungenödem, pulmonalvenöse Stauung) bei hämatoonkologischen Patienten die frühzeitige Initiierung einer nichtinvasiven Beatmung empfohlen, da in Studien gezeigt werden konnte, dass dies mit einer verbesserten Überlebenswahrscheinlichkeit und verminderter Intubationspflichtigkeit einhergeht [2, 6].
Bedrohliche Nebenwirkungen durch Chemotherapeutika
85
85.2.3
85
Die wohl bekanntesten Nebenwirkungen durch Zytostatika sind Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall, Mukositis und Myelosuppression. Es sind jedoch auch chemotherapiespezifische Nebenwirkungen bekannt, wie allergische Reaktionen, ausgelöst durch Taxane, Carboplatin, Bleomycin, Asparaginase oder Tenoposid. Nephrotoxische Substanzen sind Ifosfamid, Cisplatin oder Methotrexat. Prophylaktische Maßnahmen sind Wässerung sowie Vermeidung zusätzlicher nephrotoxischer Medikamente. Bei Methotrexat sollte ein Urin-pH-Wert >7 angestrebt werden. Spiegelmessungen sollten erfolgen und ein Folinsäure-Rescue durchgeführt werden. Ifosfamid kann eine ZNS-Toxizität im Sinne eines Durchgangsyndroms, Koma, Krampfanfälle oder extrapyramidale Störungen auslösen. Meist kommt es zu einer spontanen Rückbildung, Benzodiazepine bewirken eine Besserung. Anthrazykline Diese verursachen kardiotoxische Nebenwirkungen mit Entwicklung einer Herzinsuffizienz, abhängig von der Summendosis des Zytostatikums. 5-FU kann zu Angina pectoris, Rhythmusstörungen oder Myokardinfarkt führen. Die Therapie der kardialen Probleme unterscheidet sich nicht von der bei nicht chemotherapiebehandelten Patienten. Eine Lungenfibrose mit Restriktion kann durch Chemotherapeutika wie Bleomycin, Cyclophosphamid, Melphalan oder AraC bewirkt werden. Symptome wie Husten und respiratorische Insuffizienz treten oft erst Wochen bis Monate nach der Erstexposition auf. Glukokortikoide helfen bei akuten Verläufen. Diarrhöen wer-
85 85 85 85 85 85 85 85 85 85
. Tab. 85.1 Bedrohliche Nebenwirkungen durch Chemotherapeutika Nebenwirkung
Wirksubstanz
Allergische Reaktionen
5 5 5 5 5
Nephrotoxizität
5 Ifosfamid 5 Cisplatin 5 Methotrexat
Pulmonale Toxizität
5 5 5 5
Kardiale Toxizität
5 Anthrazykline 5 5-FU
ZNS-Toxizität
5 Ifosfamid
Diarrhöen
5 Irinotecan 5 5-FU
Taxane Carboplatin Bleomycin Asparaginase Tenoposid
Bleomycin Cyclophosphamid Melphalan AraC
den häufig unter Irinotecan oder 5-FU gesehen und können sich rasch zu einer Exsikkose und aufgrund der Entzündung der Darmschleimhaut zu einer Sepsis ausweiten. Eine Volumensubstitution und antibiotische Behandlung sollten unverzüglich begonnen werden. . Tab. 85.1 zeigt die Nebenwirkungen der Zytostatika im Überblick.
85.3
Hämatoonkologische Notfälle
85.3.1
Hyperkalzämie
Eine Hyperkalzämie tritt v. a. bei Mammakarzinomen, Bronchialkarzinomen, Nierenzellkarzinomen oder dem Plasmozytom auf. Sie ist in ca. 75% durch eine Überproduktion von PTHrP (Parathormon-related Peptid) oder seltener durch ossäre Metastasen bedingt. > Eine tumorbedingte Hyperkalzämie liegt bei Kalziumwerten von 2,6 mmol/l im Serum vor.
Pathophysiologisch kommt es zu einer Osteoklastenaktivierung und zu renaler Kalziumreabsorption und renalem Phosphatverlust durch die Kreuzreaktion von PTHrP mit PTH-Rezeptoren. Zusätzlich kann eine tumorassoziierte Calcitriolfreisetzung vorliegen, oder Zytokine können zur Osteoklastenaktivierung führen. z Klinik, Symptomatik Die klinische Symptomatik ist von der Geschwindigkeit der Entwicklung der Hyperkalzämie und von der Höhe der Kalziumspiegel abhängig. Es kommt zu Desorientiertheit und Verwirrung, Vigilanzminderung und Depressionen. Renal fällt eine Polyurie mit Gefahr der Exsikkose auf, oder es entwickelt sich eine Nephrokalzinose oder Nephrolithiasis. QT-Zeit-Verkürzungen können sich im EKG zeigen, was die Gefahr von Herzrhythmusstörungen oder einer Asystolie birgt. Eine neuromuskuläre Symptomatik mit Adynamie und Muskelschwäche, eine gastrointestinale Symptomatik mit Übelkeit, Erbrechen, peptischen Ulzera oder Pankreatitis werden ebenfalls beschrieben.
1099 85.3 · Hämatoonkologische Notfälle
. Abb. 85.2a, b Perikarderguss im Thoraxröntgenbild
a
b
Es sollte immer das korrigierte Kalzium nach der Formel von Payne (7 Kap. 18.1.4) berechnet werden, da bei einer Hypoalbuminämie das Gesamtkalzium im Normbereich liegen kann, obwohl der ionisierte Anteil erhöht ist. z Diagnostik, Differenzialdiagnosen Differenzialdiagnostisch kommt der primäre Hyperparathyreoidismus in Frage, bei dem das intakte PTH erhöht ist, im Gegensatz zur tumorbedingten Hyperkalzämie, bei der es supprimiert ist. Seltenere Differenzialdiagnosen sind medikamentös bedingte Hyperkalzämien, ausgelöst durch Lithium, Tamoxifen oder Vitamin D, oder Hyperkalzämien im Rahmen granulomatöser Erkrankungen (Sarkoidose, Tuberkulose) oder Immobilisation. Die tumorassoziierte Hyperkalzämie kann durch die Bestimmung von PTHrP bestätigt werden. Zusätzlich bestimmt man Kalzium und Phosphat im Serum und Urin und die Retentionswerte. z Therapie Neben der kausalen Tumortherapie ist die wichtigste symptomatische therapeutische Maßnahme die Volumensubstitution (NaCl 0,9% 200–500 ml/h) unter Kontrolle des Volumenstatus, der Elektrolyte und der Retentionswerte. Bei unzureichender Diurese können Schleifendiuretika (Furosemid 20–80 mg i.v.) zur Steigerung der Kalziumausscheidung eingesetzt werden. Bei Kalziumwerten von 3–4,5 mmol/l sollten unverzüglich Bisphosphonate und eine forcierte Diurese zum Einsatz kommen. Aminobisphosphonaten (Pamidronsäure 60–90 mg i.v. als Infusion 0,5–1 mg/min, Zolendronat 4 mg i.v. über 15 min, Ibandronat 2–6 mg i.v. über 1 h) sollte der Vorzug gegeben werden, um eine Nierenschädigung zu vermeiden. Bei Kalziumwerten >4,5 mmol/l und an- oder oligurischem Nierenversagen muss eine Nierenersatztherapie diskutiert werden. Weitere Therapiemöglichkeiten sind der Einsatz von Glukokortikoiden oder Calcitonin.
85.3.2
Maligner Perikarderguss
Bei Bronchialkarzinomen, Mammakarzinomen, Lymphomen oder akuten Leukämien finden sich häufig maligne Perikardergüsse, entstanden durch Tumorinfiltration per continuitatem, Metastasierung oder sehr selten durch primär perikardiale Tumoren. z Klinik, Symptomatik Abhängig von der Ergussmenge und Entstehungsgeschwindigkeit sind maligne Perikardergüsse entweder asymptomatisch, oder es
kommt initial zu Dyspnoe, Palpitationen, thorakalen Schmerzen oder peripheren Ödemen. Im Verlauf kann sich eine Perikardtamponade mit Zyanose und Synkopen entwickeln. z Diagnostik Bei der körperlichen Untersuchung sind eine Tachykardie, arterielle Hypotonie, ein Pulsus paradoxus und eine Halsvenenstauung auffällig. Diagnostisch zeigt sich im Elektrokardiogramm (EKG) eine Niedervoltage und eine Sinustachykardie, in der Röntgenaufnahme des Thorax eine Verbreiterung des Perikardschattens (. Abb. 85.2). Die Echokardiographie als diagnostisches Mittel der Wahl sichert die Diagnose, dient zur Abschätzung der hämodynamischen Relevanz und der Verlaufskontrolle. Bei Verdacht auf Malignität sollte eine zytologische Untersuchung des Ergusses durchgeführt werden, bei negativem Befund ist die Perikardbiopsie zu erwägen, da hier die Sensitivität bei 97% [8] liegt. z Therapie Die Perikardiozentese ist bei hämodynamischer Beeinträchtigung die Therapie der Wahl. Zusätzlich sollte bei Tumoren, die chemotherapiesensibel sind, rasch eine systemische zytostatische Therapie begonnen werden. Chirurgische Verfahren oder eine Instillation von fibroseinduzierenden Substanzen können bei Rezidiven in Abhängigkeit von der Prognose der Grunderkrankung eingesetzt werden.
85.3.3
Obere Einflussstauung/ V.-cava-superior-Syndrom
Bei einer oberen Einflussstauung, die durch Malignome verursacht wird, sind Bronchialkarzinome (insbesondere kleinzellige Bronchialkarzinome) und Mammakarzinome die Hauptverursacher, seltener sind mediastinale Lymphome, Keimzelltumoren, Thymome, Mesotheliome oder Metastasen anderer Tumoren dafür verantwortlich. z Klinik, Symptomatik Der Tumor wächst entweder direkt in die V. cava superior ein, komprimiert diese oder führt zur Bildung einer Thrombose (v. a. bei liegenden Kathetern). Durch den fehlenden venösen Abfluss bilden sich Ödeme im Gesicht oder an den Armen, Kollateralkreisläufe werden sichtbar, und die Patienten leiden unter Dyspnoe oder Husten.
85
1100
Kapitel 85 · Hämatologisch-onkologische Störungen
z Klinik, Symptomatik Das typische Symptom Fieber kann fehlen, es fallen klinisch Gliederschmerzen, Schüttelfrost, möglicherweise eine Tachykardie und eine Hypotonie bei beginnender Sepsis auf.
85 85
z Diagnostik Die Standarddiagnostik umfasst das Routinelabor inklusive Blutbild und Entzündungswerte (CRP), den Urinstatus und Blutkulturen. Eine Röntgenaufnahme des Thorax sollte ergänzt werden.
85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85 85
. Abb. 85.3 Obere Einflussstauung im Computertomogramm
z Diagnostik Erste diagnostische Hinweise kann schon die Thoraxröntgenaufnahme liefern, indem hier eine Mediastinalverbreiterung bei oberem Mediastinaltumor sichtbar wird. Für eine genauere Abklärung bezüglich der anatomischen Verhältnisse oder einer möglicherweise vorliegenden Thrombose ist jedoch eine Computertomographie des Thorax nötig (. Abb. 85.3). Die Histologie sollte durch eine Biopsieentnahme (CT- oder sonographiegesteuert, mediastinoskopisch oder mittels Thorakotomie) erfolgen. z Therapie Therapeutisch hilfreich sind die Oberkörperhochlagerung und die Applikation von Sauerstoff und der Beginn einer Antikoagulation bei bestehender Thrombose. Bei akutem Verschluss der V. cava kann eine Thrombolyse in Erwägung gezogen werden.
z Therapie Die antimikrobielle Therapie sollte bei Verdacht auf eine Infektion unverzüglich nach Abnahme der Diagnostik begonnen werden. Bei Patienten mit niedrigem Risiko empfiehlt sich Amoxicillin/ Clavulansäure plus Ciprofloxacin [7], bei Patienten mit höherem Risiko wird eine i.v. verabreichte antibiotische Therapie mit einem pseudomonaswirksamen Breitbandantibiotikum favorisiert. Kann das Fieber unter der initialen antibiotischen Therapie nicht gesenkt werden, empfiehlt sich bei Verdacht auf eine Pneumonie eine bronchoalveoläre Lavage zum Nachweis atypischer Erreger (Pneumocystis jirovecii). Bei prolongierter Neutropenie und Pneumonie oder therapieresistentem Fieber sollte bei Hochrisikopatienten eine antimykotische Therapie ergänzt werden. Zur Abdeckung der häufig durch Aspergillus bedingten pulmonalen Infektionen wird Voriconazol oder Caspofungin favorisiert.
Literatur 1
2
Tipp
3
Um das Risiko für eine Thrombose im Allgemeinen zu minimieren, sollten im Bereich der Venen im Gebiet der Einflussstauung keine Katheter gelegt werden.
4
5
Bei schweren Verläufen kann eine rasche Linderung der Symptome durch Einlage endovaskulärer Stents erreicht werden. Kausal empfiehlt sich ein rascher Beginn der entsprechenden Chemotherapie bzw. Strahlentherapie.
6
85 85.3.4
85 85 85 85 85
Tumorlysesyndrom
7
Ein Tumorlysesyndrom kann auch spontan bei schnell wachsenden, malignen Erkrankungen oder großer Tumorlast auftreten. Charakteristika und Therapie 7 Abschn. 85.2.1. 8
85.3.5
Infektionen in der Neutropenie
In der Folge einer Chemotherapie und der dadurch entstehenden Neutropenie stellen Infektionen die am häufigsten auftretenden lebensbedrohlichen Komplikationen dar.
9
Annemans L, Moeremans K, Lamotte M, Garcia Conde J, van den Berg H, Myint H, Pieters R, Uyttebroeck A (2003) Incidence, medical resource utilisation and costs of hyperuricemia and tumour lysis syndrome in patients with acute leukaemia and non-Hodgkin’s lymphoma in four European countries. Leuk Lymphoma 44: 77–83 Azoulay E, Alberti C, Bornstain C, Leleu G, Moreau D, Recher C, Chevret S, Le Gall JR, Brochard L, Schlemmer B (2001) Improved survival in cancer patients requiring mechanical ventilatory support: impact of noninvasive mechanical ventilatory support. Crit Care Med 29: 519–525 Blum W and Porcu P (2007) Therapeutic apheresis in hyperleukocytosis and hyperviscosity syndrome. Semin Thromb Hemost 33: 350–354 Bruennler T, Mandraka F, Zierhut S, Siebig S, Wrede C, Klebl F, Holler E, Salzberger B, Schoelmerich J, Langgartner J (2007) Outcome of hematooncologic patients with and without stem cell transplantation in a medical ICU. Eur J Med Res 12: 323–330 Coiffier B, Altman A, Pui CH, Younes A, Cairo MS (2008) Guidelines for the management of pediatric and adult tumor lysis syndrome: an evidencebased review. J Clin Oncol 26: 2767–2778 Hilbert G, Gruson D, Vargas F, Valentino R, Chene G, Boiron JM, Pigneux A, Reiffers J, Gbikpi-Benissan G, Cardinaud JP (2000) Noninvasive continuous positive airway pressure in neutropenic patients with acute respiratory failure requiring intensive care unit admission. Crit Care Med 28: 3185–3190 Kern WV, Cometta A, De Bock R, Langenaeken J, Paesmans M, Gaya H (1999) Oral versus intravenous empirical antimicrobial therapy for fever in patients with granulocytopenia who are receiving cancer chemotherapy. International Antimicrobial Therapy Cooperative Group of the European Organization for Research and Treatment of Cancer. N Engl J Med 341: 312–318 Porte HL, Janecki-Delebecq TJ, Finzi L, Metois DG, Millaire A, Wurtz A (1999). Pericardoscopy for primary management of pericardial effusion in cancer patients. Eur J Cardiothorac Surg 16: 287–291 Ten Harkel AD, Kist-Van Holthe JE, Van Weel M, Van der Vorst MM (1998) Alkalinization and the tumor lysis syndrome. Med Pediatr Oncol 31: 27–28
1101
Vergiftungen H. Desel
86.1
Einleitung – 1102
86.2
Toxikologische Grundlagen – 1102
86.2.1 86.2.2
Terminologie – 1102 Toxikokinetik – 1102
86.3
Diagnostik – 1103
86.3.1 86.3.2 86.3.3 86.3.4 86.3.5 86.3.6 86.3.7 86.3.8
Anamnese – 1103 Inspektion des Auffindeortes – 1103 Identifizierung von Noxen – 1104 Toxikologische Wirkstoffbewertung – 1104 Expositionsbewertung – 1104 Klinische Untersuchung – 1104 Labordiagnostik – 1104 Risikobewertung/Vergiftungsdiagnose – 1105
86.4
Therapie – 1105
86.4.1 86.4.2 86.4.3 86.4.4 86.4.5
Ersthelfermaßnahme – 1106 Sicherung der Vitalfunktionen/Intensivüberwachung – 1106 Dekontamination – primäre Giftentfernung – 1106 Förderung der Elimination – sekundäre Giftentfernung – 1108 Antidottherapie – 1109
86.5
Rolle der Giftinformationszentren – 1109
Literatur – 1111
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_86, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
86
1102
86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86 86
Kapitel 86 · Vergiftungen
Einleitung
86.1
Vergiftungen verursachen heute einen wesentlichen Anteil intensivmedizinischer Behandlungsfälle, auch wenn die Zahl lebensbedrohlicher Vergiftungen mit langer Behandlungsdauer, insbesondere mit älteren, unsicheren Schlafmitteln, Pestiziden und anderen hochtoxischen chemischen Produkten stark zurückgegangen ist. Etwa 50.000–100.000 chemische Stoffe werden heute industriell verwendet und sind in chemischen Produkten enthalten, mit denen Menschen in Kontakt kommen. Jeder Stoff besitzt ein eigenes toxikologisches Profil, verursacht eine eigene Vergiftung. Allerdings sind viele Vergiftungen beim Menschen bis heute noch nicht oder nicht ausreichend gut dokumentiert worden. Die Mehrzahl aller Vergiftungen wird zweifellos durch Ethanol verursacht. Durch Alkohol verursachte Gesundheitsstörungen gehören zu den häufigsten Ursachen für stationäre Krankenhausbehandlungen. Alle anderen Vergiftungen sind vergleichsweise selten. Eigene klinische Erfahrung kann der Arzt in seinem Berufsleben daher nur mit einem sehr kleinen Teil von Vergiftungen erwerben. Während in der Vergangenheit der genauen Vergiftungsdiagnostik eine eher untergeordnete Rolle zugedacht (die Entität »Schlafmittelvergiftung« gab und gibt es nicht) und die Vergiftungstherapie nach weitgehend noxenunabhängigen, schematischen Regeln (»immer Giftentfernung«) durchgeführt wurde, haben eine differenzierte Einschätzung der stofflichen Noxe als Vergiftungsursache und die toxikologische Risikobewertung unter Berücksichtigung des Applikationspfades und der absorbierbaren Dosis in der modernen klinischen Toxikologie erheblich an Bedeutung gewonnen, um die Indikation für spezifische Behandlungsverfahren, insbesondere die Gabe hochwirksamer Antidote, auf verlässlicher Basis stellen zu können.
Toxikologische Grundlagen
86.2
Bei der Beschreibung von Vergiftungen hat sich die genaue Anwendung der toxikologischen Terminologie bewährt, um Missverständnisse im interdisziplinären Dialog zu vermeiden. Die für die intensivmedizinische Vergiftungsbehandlung bedeutsamen toxikologischen Begriffe sollen daher hier beschrieben werden.
86.2.1
Terminologie
In der Regel werden in der Toxikologie die unerwünschten Wirkungen stofflicher Noxen auf den Körper untersucht. Als stoffliche Noxen werden chemisch definierte Stoffe betrachtet. Nur in Ausnahmefällen werden Stoffgemische (z. B. Schlangengifte) oder Produkte mit speziellen physikalischen Eigenschaften untersucht (z. B. definierte Sprayaerosole, definierte Nanomaterialien). Toxizität Die Toxizität ist eine Noxeneigenschaft. Sie beschreibt qualitativ die Art der durch die Noxe ausgelösten Schädigung (z. B. Hepatotoxizität) und quantitativ eine Dosis, die zur Auslösung definierter toxischer Effekte (Erfahrung beim Menschen oder im Tierversuch) erforderlich ist.
. Tab. 86.1 Poisoning Severity Score. (Nach [5]) Schweregrad
Erklärung
0
Symptomlos
Keine Symptome o somit keine Vergiftung
1
Leicht
Symptome geringgradig und vorübergehend o in der Regel keine ärztliche Behandlung erforderlich
2
Mittelschwer
Symptome, die in der Regel eine ärztliche Vorstellung erforderlich machen
3
Schwer
Lebensbedrohliche Symptome
4
Tödlich
Vergiftung mit tödlichem Ausgang
Exposition Die Exposition charakterisiert einen Kontakt zwischen einer toxischen Noxe und dem Patienten. Qualitativ beschreibt die Exposition die Art des Kontaktes (den Expositionspfad) und quantitativ die Dosis der Noxe, der gegenüber der Patient exponiert war.
Vergiftungsrisiko Die toxikologische Risikobewertung in der regulatorischen, vorwiegend prophylaktisch orientierten Toxikologie (Überwachungsbehörden, normgebende Instanzen) ergibt sich aus einer Betrachtung von Toxizität und Exposition.
> In der klinischen Toxikologie stellt eine Risikobewertung unter zusätzlicher Berücksichtigung der Symptomatik zum Untersuchungszeitpunkt und der labordiagnostischen Ergebnisse die Voraussetzung für die richtige Diagnosestellung und die Entscheidung für die optimale Therapie dar.
Nicht jede Exposition verursacht eine Vergiftung oder gar eine lebensbedrohliche Symptomatik, die eine intensivmedizinische Behandlung erfordert. Vielmehr erfolgen die meisten Expositionen, ohne dass die Exponierten irgendwelche Beschwerden entwickeln. Die Zahl der Expositionen gegenüber einer Noxe ist daher fast immer deutlich größer als die Zahl der Vergiftungen. Bei der quantitativen Beschreibung von Vergiftungsrisiken ist deshalb die Dokumentation des Schweregrades einer Vergiftung (oder allgemeiner: einer Exposition) von großer Bedeutung. Die Schwere einer Vergiftung wird heute in den meisten Fällen durch den 5-stufigen Poisoning Severity Score ausgedrückt (. Tab. 86.1).
86.2.2
Toxikokinetik
Definition Die Toxikokinetik beschreibt 4 die Aufnahme einer Noxe in den Körper, 4 die Verteilung in die Körperorgane, 4 (bei vielen Noxen zudem) die chemische Umwandlung der Noxe im Körper und 4 deren Entfernung: Absorption – Distribution – Metabolismus – Elimination (ADME).
1103 86.3 · Diagnostik
Expositionspfade und Absorption
Elimination
Etwa 90% aller medizinisch zu versorgenden Vergiftungen werden durch die orale Aufnahme einer Noxe verursacht. Seltener werden toxische Noxen inhaliert, auf die Haut aufgetragen oder parenteral verabreicht (z. B. Biss, Stich oder intravenöser Drogenkonsum). Lokale Wirkungen, Absorption (Resorption, Aufnahme in die Blutbahn) und Möglichkeiten zur Giftentfernung unterscheiden sich erheblich zwischen den verschiedenen Expositionspfaden: 4 Die empfindlichsten Strukturen für toxische Lokalwirkungen (Reizung, Verätzung) finden sich in den Atemwegen, während die äußere Haut vergleichsweise gut geschützt ist. 4 Aufgrund des hepatischen First-pass-Metabolismus ist die Bioverfügbarkeit nach oraler Aufnahme vieler Stoffe geringer als nach inhalativer Aufnahme. 4 Eine primäre Giftentfernung vor Entfaltung einer lokalen Schädigung oder Absorption ist bei Hautkontakt gut möglich und sehr wirksam, nach inhalativer Exposition praktisch unmöglich.
Elimination bezeichnet alle Prozesse, die eine Entfernung einer toxischen Noxe aus dem Blut bewirken. Eine Elimination kann erfolgen durch 4 renale Ausscheidung, 4 biliäre Ausscheidung, 4 metabolische Entgiftung, sowie (von geringer Bedeutung) durch 4 pulmonale oder dermale Ausscheidung. Die physiologische Elimination kann durch therapeutische Maßnahmen prinzipiell beschleunigt werden (sekundäre Giftentfernung). Dies kann die Vergiftungsdauer verkürzen und Vergiftungskomplikationen vermeiden. Allerdings müssen in Zeiten einer »evidence based medicine« bei der Indikationsstellung für eliminationsfördernde Maßnahmen immer die Risiken von Komplikationen der z. T. invasiven Behandlungen mit dem zu erwartenden Nutzen für den Patienten sorgfältig abgewogen werden (7 Tab. 86.3).
Verteilung Nach der Absorption werden die Noxen im Körper verteilt. Viele Noxen werden dabei in verschiedenen Geweben (»tiefen Kompartimenten«) angereichert.
Virtuelle Verteilungsvolumen Das virtuelle Verteilungsvolumen Vd eines Stoffes, das sich als Quotient aus bioverfügbarer Dosis DBV und Plasmaspiegel Cp berechnet 4 Vd = DBV/Cp ist ein Maß dafür, welcher Anteil einer Noxe sich nach Absorption und Verteilung im Blut befindet und damit einem Blutreinigungsverfahren (zur Förderung der Elimination) prinzipiell zugänglich ist: 4 Ein Vd von 0,1 l/kg KG entspricht einer Verteilung ausschließlich im Blut. 4 Bei einem (für z. B. trizyklische Antidepressiva typischen) virtuellen Verteilungsvolumen von 20 l/kg KG finden sich nur 0,5% der aufgenommenen Dosis im Blut. Auch ein Behandlungsverfahren, das die aufgenommene Noxe vollständig aus dem Blut entfernte, könnte den »Körperbestand« der Noxe nur unwesentlich reduzieren.
Fremdstoffmetabolismus Durch die chemische Umwandlung eines aufgenommenen Stoffes im Körper können 4 giftige Stoffe in ungiftige Metabolite entgiftet (metabolische Desaktivierung) und 4 ungiftige Stoffe in toxische Metabolite gegiftet (metabolische Aktivierung) werden. Eingriffe in den Fremdstoffmetabolismus (z. B. Förderung der Entgiftung durch Acetylcystein bei Paracetamol-Überdosierung oder Hemmung der Giftung durch Fomepizol bei EthylenglycolVergiftung) stellen wichtige Mechanismen für die Wirkungen vieler Antidoten dar. Das wichtigste Organ des Fremdstoffmetabolismus ist die Leber. Viele Reaktionen, insbesondere viele durch Esterasen katalysierte Reaktionen, finden jedoch auch im Blut oder der anderen Organen statt. > Die entgiftende Stoffwechselreaktion stellt eine wichtige Form der Elimination dar.
86.3
Diagnostik
Die Diagnostik einer Vergiftung unterscheidet sich in einigen Aspekten von der Diagnostik anderer Erkrankungen. Während – wie eingangs erwähnt – historisch eher von einer Krankheitsentität »Vergiftung« ausgegangen wurde, die nach einem festen Schema medizinisch zu versorgen war (Idealfall: Panantidot), wurde in den letzten Jahrzehnten erkannt, dass eine sehr genaue Kenntnis und Beschreibung der Exposition die Voraussetzungen für die optimale Therapie darstellen.
86.3.1
Anamnese
In der Mehrzahl aller Vergiftungsfälle und Vergiftungsverdachtsfälle kann bereits aufgrund der durch eine genaue Anamnese erhobenen Daten eine verlässliche Diagnose gestellt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings neben der Erhebung der aktuellen und bisherigen Beschwerden eine Erfragung und Dokumentation der Exposition: 4 Gegenüber welchen Noxen fand eine Exposition statt (7 unten)? 4 Welche Menge (Dosis) wurde aufgenommen oder wie lange dauerte der Giftkontakt (insbesondere bei inhalativer oder dermaler Exposition)? 4 Welche Zeit ist seit Beginn oder Ende der Exposition vergangen? > Die seit der Exposition verstrichene Zeit ist für eine Risikobewertung bedeutsam, da besonders bei oraler Aufnahme von Noxen, die ihre toxischen Wirkungen erst nach Absorption und Verteilung im Kreislauf entfalten, fast immer mit einer symptomarmen oder -freien Latenzzeit zu rechnen ist. Gleiches gilt für die Inhalation bestimmter Reizgase (vom Latenztyp, z. B. Phosgen).
86.3.2
Inspektion des Auffindeortes
Bei Vergiftung oder Vergiftungsverdacht ist auch bei glaubhafter Anamnese die Umgebung des Patienten nach angebrochenen oder geleerten Verpackungen und anderen Indizien für eine Exposition zu untersuchen. Dies ist erforderlich, da häufig, besonders in Fällen
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1104
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mit suizidalem Hintergrund, nicht alle aufgenommenen Noxen erinnert oder angegeben werden. Alle Produkte und (auch leere) Behältnisse sollten asserviert und im ärztlichen Bericht genau und vollständig dokumentiert werden.
86 86.3.3
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Kapitel 86 · Vergiftungen
Identifizierung von Noxen
Die Identifikation und Dokumentation der Noxen, denen gegenüber der Patient exponiert war, ist der Kern jeder toxikologischen Diagnostik. Eine Ungenauigkeit an dieser Stelle kann die nachfolgenden Therapieentscheidungen erschweren und zu anderenfalls vermeidbarer Übertherapie führen. Erfahrungsgemäß kann insbesondere nach einer Ingestion von biologischen Noxen (z. B. Pflanzen oder Pilze) eine hinreichend genaue Noxenidentifizierung aufwendig sein. Besonders schwierig ist zudem oft eine Identifizierung umgefüllter Produkte, z. B. Brennstoff in Lampen. Eine Beteiligung sachkundiger Dritter, ggf. vermittelt durch Giftinformationszentren, ist mitunter erforderlich. Nach Identifizierung der Noxe stellt sich in den meisten Fällen die Frage nach chemisch definierten Inhaltsstoffen. Qualitative Angaben hierzu finden sich auf vielen Produktetiketten. Oft beziehen sich die Etikettangaben allerdings nur auf die Wirkstoffe für die dem Produkt zugedachte Anwendung, die Angabe von Begleitstoffen kann fehlen. Insbesondere auf die Erkennung des Vorhandenseins eines organischen Lösemittels, das z. B. bei manchen Pestizidpräparaten toxischer ist als der Wirkstoff, muss geachtet werden. Gegebenenfalls notwendige quantitative Gehaltsangaben sind in der Regel nur über Giftinformationszentren, Hersteller bzw. Importeure zugänglich.
86.3.4
Toxikologische Wirkstoffbewertung
Der nächste Schritt der toxikologischen Diagnostik stellt die Bewertung der Gefährlichkeit der identifizierten chemischen Inhaltsstoffe dar. Bei Ethanol und häufig verwandten Arzneimittelwirkstoffen gelingt dies erfahrungsgemäß mit ärztlicher Kenntnis und Erfahrung, bei vielen anderen Stoffe sind dafür ergänzende Datenquellen (toxikologische Fachliteratur oder Datenbanken) oder eine konsiliarische Beratung durch ein Giftinformationszentren erforderlich (7 Tab. 86.3)
86 86.3.5
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Expositionsbewertung
Liegt der häufigste Fall einer oralen Aufnahme vor, so stellt die aufgenommene Stoffdosis (oder die aufgenommenen Dosen bei Aufnahme mehrerer Stoff mit toxischem Potenzial) den Ausgangspunkt der Expositionsbewertung dar. Hat der Patient nach Ingestion nicht (spontan oder induziert) erbrochen, entspricht die Exposition der aufgenommenen Dosis. Bei lückenhafter Anamnese, oft z. B. bei kindlichen Ingestionsfällen, oder nach Erbrechen ist die absorbierbare Dosis oft nicht genau feststellbar. In diesen Fällen muss die maximal mögliche Dosis (z. B. Zahl der fehlenden Dragees in einer Blisterverpackung) für die weitere Risikobewertung des Falles angenommen werden. > Bei inhalativer oder dermaler Exposition ist die resorbierte Dosis oft schwer zu bestimmen.
86.3.6
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung bei einem Vergiftungsverdacht ist besonders auf vergiftungstypische Zeichen zu richten. Offensichtlich sind häufig mit einer Vergiftung in Zusammenhang stehende Ventilationsstörungen und Magen-Darm-Beschwerden (z. B. Motilitätsstörung), die beide mit Latenz zur Expositionsbeginn auftreten können. > Von besonderer Bedeutung ist der Zustand der Augen oder die Lichtreagibilität der Pupillen.
Bewusstseinszustand Der Bewusstseinszustand des Patienten kann durch eine Vielzahl von Wirkstoffen primär oder sekundär beeinträchtigt sein. Insbesondere nach der Einnahme von Arzneimitteln ist in vielen Fällen mit einer Beeinträchtigung des Bewusstseins zu rechnen. Eine Untersuchung des Bewusstseinszustands und die Dokumentation der Ergebnisse im zeitlichen Verlauf können für eine diagnostische Gesamteinschätzung (alle Noxen dokumentiert?) bedeutsam sein.
Foetor ex ore Ein ungewöhnlicher Mundgeruch kann bei anamnestisch unklarer Situation der Verdacht auf eine Vergiftung lenken. Andererseits schließt das Fehlen eines Foetor die Aufnahme einer toxischen Dosis eines stark riechenden Produktes oft aus, was insbesondere in vielen pädiatrischen Verdachtsfällen hilfreich ist.
Hautveränderungen Diagnostisch bedeutsam sind ferner der Zustand der Haut und der Schleimhäute sowie das Vorhandensein frischer oder verheilter Venenpunktionsstellen. Bei Verdacht auf Reizung oder Verätzung der Haut ist bei Entscheidung über die Notwendigkeit einer lokalen Dekontamination zu beachten, dass auch Hautveränderungen in vielen Fällen mit Latenz auftreten. > Bei Kontamination der Haut im Gesicht ist in jedem Fall der Zustand der Augen genau zu prüfen.
86.3.7
Labordiagnostik
Der Labordiagnostik kommt ein hoher Stellenwert bei der Vergiftungsdiagnostik zu. Laboruntersuchungen können eingesetzt werden, um das Ausmaß der Aufnahme toxischer Stoffe oder ihrer Stoffwechselprodukte festzustellen (»Belastungsmonitoring« in arbeitsmedizinischer Diktion) oder bereits eingetretene toxische Wirkungen quantitativ zu erfassen (»Effektmonitoring«). Die gezielte Anwendung und Interpretation laborchemischer Basisuntersuchungen sind zu unterscheiden von spezieller toxikologischer Analytik.
Basisdiagnostik – toxikologische Interpretation Störungen des Elektrolyt- oder Glukosehaushalts sowie der Blutgerinnung und der Leber- und Nierenparameter können als Vergiftungszeichen durch eine Vielzahl stofflicher Noxen ausgelöst werden und auf zunächst nicht erkannte Ursachen hinweisen. Von besonderer Bedeutung bei der Diagnostik von intensivmedizinisch zu behandelnden Vergiftungen ist die Untersuchung des Säure-Base-Haushalts: eine Vielzahl von Noxen kann eine metabolische Azidose verursachen.
1105 86.4 · Therapie
Hinweise auf eine toxische Ursache einer Azidose kann zudem die Berechnung der osmotischen Lücke (OL) und der Anionenlücke (AL) geben (7 Übersicht).
Berechnung der osmotischen Lücke (OL): 4 OL = gemessene Osmolalität – errechnete Osmolalität (Normalwert: 0–10 mOsM) – Errechnete Osmolalität: 2 (Na+ + Glukose + Harnstoff ) – [alle Konzentrationen in mmol/l]
aufwendigen chromatographischen Verfahren erbracht werden (qualitativ wie quantitativ). Dies ist nur in wenigen Speziallaboratorien möglich. Die Giftinformationszentren verfügen über einen Zugriff auf Datenbanken, die parameterabhängig die Auswahl des am besten geeigneten Speziallabors ermöglichen. Eine Sonderform der toxikologischen Laboruntersuchung ist die Systematische Toxikologische Analytik (STA), die auch als (umfassendes) toxikologisches Screening bezeichnet wird [4].
Berechnung der Anionenlücke (AL):
Toxikologisches Screening
4 AL = Na+–(Cl– + HCO3–) (Normalwerte: 3–16 mmol/l)
Eine Systematische Toxikologische Analytik (STA) ermöglicht eine Suche nach toxischen Agenzien, ohne einen konkreten Stoff im Verdacht zu haben. Durch Einsatz eines (molekül-) massenselektiven Detektors nach chromatographischer Auftrennung eines Stoffgemischs in einer Urin- oder Serumprobe werden mehrere tausend verschiedene Stoffe in einer Untersuchung erkannt und dabei eine hohe analytische Verlässlichkeit der Untersuchungsergebnisse erreicht. Die STA erfasst deutlich mehr als 90% aller typischen Noxen bei Vergiftungsfällen und kann somit – bei geringer diagnostischer Restunsicherheit – als einzige Labormethode auch zum Ausschluss einer Vergiftung verwendet werden.
Hilfreich ist ferner die Bestimmung der Cholinesterase, sofern eine Vergiftung mit einem Alkylphosphat- oder Carbamat-Insektizid oder einem Nervenkampfstoff vermutet wird oder ausgeschlossen werden soll.
Toxikologische Analytik Unter toxikologischer Analytik werden alle Laborverfahren zusammengefasst, die spezifisch und ausschließlich für die Diagnostik eines Vergiftungsverdachtsfalls oder der Dokumentation des Verlaufs einer Vergiftung angewandt werden. Ganz überwiegend handelt es sich dabei um Verfahren zum Nachweis eines toxischen Stoffes in Blut oder Urin. Die wichtigste und am häufigsten angewandte Methode der toxikologischen Analytik ist die Bestimmung der Blut(ethyl)alkoholkonzentration. Ebenfalls weit verbreitet und bei der Vergiftungsdiagnostik bedeutsam sind immunchemische Nachweise weiterer häufig gebrauchter Suchtstoffe wie Cannabis, Kokain, Amphetamine, aber auch von Opiaten, Barbituraten und Benzodiazepinen. Bei der Interpretation dieser Suchtstoffsuchanalytik ist umfassender analytischer Sachverstand erforderlich, der in den Limitierungen der angewandten immunchemischen Verfahren begründet ist und über den das direkt mit der Patientenbehandlung befasste medizinische Personal in der Regel nicht verfügt. Grundsätzlich sind die Ergebnisse immunchemischer Untersuchungen nur als diagnostischer Hinweis zu deuten. Ein positives Testergebnis für – beispielsweise – Benzodiazepine bedeutet nicht in jedem Fall, dass tatsächlich Benzodiazepin aufgenommen wurde und schon gar nicht, dass eine Benzodiazepin-Vergiftung vorliegt. Andererseits schließt ein negatives Testergebnis für Benzodiazepine eine BenzodiazepinVergiftung nicht sicher aus. Im Zweifelsfall sollte konsiliarisch eine Interpretationshilfe eingeholt werden (Laborarzt oder Giftinformationszentrum). ! Cave Keinesfalls sollte eine Entscheidung über eine Therapie, die ein Komplikationsrisiko umfasst, allein auf Basis eines immunchemischen Testergebnisses getroffen werden.
Vergleichsweise verlässlich sind die immunchemischen Tests auf Knollenblätterpilztoxine (Amanitine) im Urin und (auch in Überdosis) auf viele Arzneimittelwirkstoffe, für die üblicherweise therapeutische Blutspiegelkontrollen durchgeführt werden (z. B. Antiepileptika). Diese Tests erlauben zudem eine quantitative Aussage und vermögen zwischen einer geringen bzw. therapeutischen Dosierung und einer Vergiftung zu unterscheiden. Ein verlässlicher Nachweis der 7 oben erwähnten Suchtstoffe und ein Nachweis seltener Noxen, unter denen niedermolekulare Glykole wie z. B. Ethylenglycol, toxische Alkohole wie z. B. Methanol, γ-Hydroxybuttersäure und verwandtes Stoffe (γ-Butyrolacton, 1,4-Butandiol) die größte Bedeutung besitzen, kann derzeit nur mit
86.3.8
Risikobewertung/Vergiftungsdiagnose
Eine verlässliche Vergiftungsdiagnose kann erst nach Anamneseerhebung, Expositionsbewertung, klinischer Untersuchung und häufig nach einer Interpretation spezifischer Laborwerte durchgeführt werden. Bei der Zusammenschau der Befunde ist kritisch zu überprüfen, ob das klinische Bild mit der Anamnese und den Untersuchungsergebnissen zusammenpasst. Hierfür kann in vielen Fällen konsiliarischer Sachverstand eines Giftinformationszentrums notwendig sein. Bei Diskrepanzen zwischen erwartetem und tatsächlich vorliegendem klinischem Befund muss die initiale Diagnose kritisch hinterfragt werden. Weitere Noxen oder – bei lückenhafter Anamnese – gänzlich andere Ursachen für vorliegende Symptome müssen in diesen Fällen sorgfältig erwogen werden. Oft kann in einer solchen Situation die Indikation zu toxikologischer Analytik noch nachträglich gestellt werden. > Die zusammenschauende klinisch-toxikologische Risikobewertung bildet die Grundlage aller Therapieentscheidungen, insbesondere zur Indikation und Dauer einer intensivmedizinischen Überwachung. Hierzu sind Kenntnisse zur Toxikokinetik der aufgenommenen Stoffe nötig.
86.4
Therapie
Neben den spezifischen Behandlungsverfahren spielen die allgemeinen notfallmedizinischen Maßnahmen moderner Intensivmedizin in der Therapie von Vergiftungen eine bedeutsame Rolle. Auch viele Vergiftungen, bei denen bis heute kein Antidot bekannt und keine Giftentfernungsmaßnahme wirksam ist (z. B. Colchicinvergiftung), haben heute unter symptomorientierter, intensivmedizinischer Behandlung eine deutlich bessere Prognose als noch vor 20 Jahren. Prinzipiell besteht bei der Behandlung vergifteter Patienten eine Gefährdung des medizinischen Personals. Von praktischer Bedeu-
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Kapitel 86 · Vergiftungen
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tung ist das Kontaminationsrisiko allerdings nur bei sehr wenigen flüchtigen oder über die Haut oder die Augen wirkenden Noxen.
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86.4.1
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Ersthelfermaßnahme
Eine Kontamination mit Gefährdung des Ersthelfers besteht prinzipiell bei der Atemspende nach Ingestion flüchtiger Gifte sowie bei Aufnahme reizender oder ätzender Stoffe. Diesbezügliche Fallberichte sind äußerst rar, das Vergiftungsrisiko für den Helfenden kann in der Mehrzahl der Fälle als gering eingestuft werden.
Sicherung der Vitalfunktionen/ Intensivüberwachung
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86.4.2
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Typischerweise entwickeln sich Symptome nach einer oralen, inhalativen oder dermalen Vergiftung mit oft mehrstündiger Latenz. Lebensbedrohliche Symptome wie Herzrhythmusstörungen oder Störungen der Atmungsregulation können auch aus einem Zustand völliger Beschwerdefreiheit auftreten. Je nach Exposition muss daher eine intensivmedizinische Überwachung des Patienten sichergestellt werden, sofern die toxikologische Risikobewertung das Auftreten solcher Symptome möglich erscheinen lässt. Bei manchen oralen Vergiftungen tritt eine zentralnervöse Dämpfung als vorwiegendes Symptom ein, ohne dass im Regelfall eine bedrohliche Störung der Atmungsregulation zu befürchten ist (z. B. Benzodiazepinvergiftung, aber auch akute Ethanolvergiftung). In diesem Fällen hat sich die kontinuierliche Überwachung der arteriellen Sauerstoffsättigung bewährt.
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86.4.3
Dekontamination – primäre Giftentfernung
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Die Entfernung der toxischen Noxe von der Körperoberfläche oder aus dem Körper stellt ein bedeutsames spezifisches Therapieprinzip bei Vergiftungen dar, um die Vergiftungsschwere zu verringern oder die Dauer einer Vergiftung zu verkürzen. So plausibel dieses seit Jahrhunderten etablierte Behandlungsprinzip auch scheint, so dürftig sind die Beweise seiner Wirksamkeit, wenn man die Beurteilungskriterien der »evidence based medicine« anlegt. Als »primäre Giftentfernung« bezeichnet man traditionell alle Maßnahmen, die die Absorption einer Noxe verhindern oder vermindern (sollen). Im engeren und üblichen Sinne wird der Begriff nur auf die Therapie oraler Vergiftungen bezogen. Unter dem Begriff »sekundäre Giftentfernung« werden alle therapeutische Maßnahmen zusammengefasst, die eine Elimination beschleunigen (sollen). Da es für die Begriffe »primäre Giftentfernung« und »sekundäre Giftentfernung« in der englischsprachigen Fachliteratur keine Entsprechungen gibt und (daher) ihre Bedeutung auch in der deutschsprachigen Fachsprache abnimmt, werden sie im Folgenden vermieden.
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Absorptionsverminderung bei oraler Exposition
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Die längste Tradition unter den Maßnahmen zur Absorptionsverminderung hat das induzierte Erbrechen. Ein früher Bericht über die Anwendung ist aus dem 13. Jahrhundert überliefert [3]. Im 20. Jahrhundert wurde die Magenspülung zur Standardbehandlungsmethode für die Mehrzahl akuter oraler Vergiftungen, hat
jedoch heute ihre Bedeutung weitgehend verloren. Auch die Gabe von Laxanzien und die anterograde Darmspülung sind traditionelle Behandlungsverfahren, die nur noch sehr selten eingesetzt werden. Hingegen hat in jüngerer Zeit die orale Gabe von Aktivkohle die größte Bedeutung gewonnen. Die Entleerung des Magens oder des Dickdarms unter endoskopischer Kontrolle und die laparoskopische Giftentfernung bleiben sehr seltenen Indikationen vorbehalten. Die Indikation für absorptionsvermindernde Maßnahmen hat sich seit dem Ende der 1990-er Jahre stark gewandelt und orientiert sich heute an diesbezüglichen »position statements« maßgeblicher klinisch-toxikologischer Fachgesellschaften, die im Folgenden berichtet werden [1]. Für keine der Maßnahmen zur Absorptionsverminderung wurde bei umfassender Literaturdurchsicht ein hinreichender klinischer Wirksamkeitsnachweis gefunden. Zudem ist jede der Behandlungsmaßnahmen mit z. T. lebensbedrohlichen Komplikationsrisiken behaftet. Keine dieser Maßnahmen gilt heute daher mehr als Routinebehandlungsverfahren. Über die Indikationsstellung muss in jedem Einzelfall nach kritischer Kriterienprüfung entschieden werden. Magenspülung. Die Magenspülung erfolgt durch orales Einführen und Vorschieben eines großlumigen Kunststoffschlauchs in den Magen und wiederholtes Einspülen und Ablaufenlassen von körperwarmem Wasser (500–1000 ml/Spülportion), bis die auslaufende Spülflüssigkeit keine festen Bestandteile und keine Verfärbungen mehr enthält. In experimentellen Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Ausbeute einer Magenspülung im Verlauf der ersten Stunden nach Ingestion schnell abfällt. In mehreren kontrollierten klinischen Studien der 1990-er Jahre wurde zudem gezeigt, dass die Durchführung einer Magenspülung das Risiko für das Auftreten einer Aspirationspneumonie erhöht. Eine Magenspülung gilt daher nur als indiziert nach oraler Aufnahme einer potenziell letalen Giftdosis, wenn die Behandlung innerhalb von 60 min nach Ingestion durchgeführt werden kann. Bei nicht intubierten Patienten ist eine Magenspülung kontraindiziert, wenn die Schutzreflexe der Atemwege beeinträchtigt sind. Als weitere spezifische Kontraindikationen gelten die Ingestion von niedrig viskösen flüssigen Kohlenwasserstoffen (z. B. Lampenölen oder Benzin) oder anderen Stoffen mit hohem Aspirationspotenzial sowie die Ingestion von ätzend wirkenden Stoffen. Magensonde. Toxische Flüssigkeiten können über eine Sonde
schonend aus dem Magen abgesaugt werden. Zu diesem Verfahren liegen keine Bewertung von Nutzen und Risiken und keine Vergleiche mit anderen absorptionsvermindernden Maßnahmen vor. Untersuchungsergebnisse zur Pharmakokinetik von Arzneimittelwirkstoffen lassen vermuten, dass Flüssigkeiten im Regelfall schneller aus Magen und Darm absorbiert werden als feste Stoffe. Eine Giftentfernung über eine Magensonde muss daher als experimentelles Verfahren bewertet werden. Eine Anwendung allenfalls innerhalb von 60 min nach Ingestion einer Flüssigkeit ist plausibel. Endoskopie. Manche Arzneistoffe können, insbesondere nach Einnahme in Überdosis, im Magen verklumpen, sich so einem peristaltischen Weitertransport widersetzen und zu langanhaltender Nachabsorption führen. Dadurch kann die Vergiftung deutlich länger andauern, als nach der Eliminationshalbwertszeit der aufgenommenen Noxe zu erwarten wäre. Am häufigsten wird dieses Phänomen bei Carbamazepin beobachtet. Um den Prozess der
1107 86.4 · Therapie
Nachresorption effektiv zu unterbrechen, kann das verklumpte Material endoskopisch zerkleinert und entfernt werden. Eine endoskopische Untersuchung kann zudem nach Ingestion ätzender Noxen durchgeführt werden, wobei auch bei dieser Methode nur zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit zur Minderung des lokalen Schadens und ggf. der Absorption besteht. Sinnvoll erscheint eine endoskopische Giftentfernung bei Ingestion hoher Dosen, wie sie typischerweise bei suizidaler Ingestion zu erwarten sind. Erst eine späte Ösophagogastroskopie (>6 h nach Ingestion) ermöglicht hingegen eine medizinisch notwendige Beurteilung des vollständigen Ausmaßes der Schleimhautschädigung und des Perforationsrisikos. Sowohl durch die frühe als auch durch die spät durchgeführte Endoskopie kann das Risiko für eine Perforation der geschädigten Organwand erhöhen und sollte daher nur durch sehr erfahrene Untersucher erfolgen. Kontrollierte Studien zur Anwendung endoskopischer Methoden liegen nicht vor. Induziertes Erbrechen. Das induzierte Erbrechen, ausgelöst durch die orale Gabe von Ipecac-Sirup (Sirupus ipecacuanha) war bis fast zum Ende des 20. Jahrhundert eine Standardmethode zur Verminderung der Absorption nach oraler Aufnahme toxischer Stoffe, insbesondere im Kindesalter. Das Erbrechen setzt im zeitlichen Mittel 20 min nach Ipecac-Gabe ein und dauert durchschnittlich 60 min an. Auch für diese Behandlungsmethode wurde in experimentellen Untersuchungen festgestellt, dass ihre Wirksamkeit im Verlauf der ersten Stunden nach Ingestion schnell abfällt. Das Aspirationsrisiko scheint gegenüber dem der Magenspülung geringer zu sein. Induziertes Erbrechen gilt daher nur als indiziert nach oraler Aufnahme einer sicher toxischen Giftdosis, wenn die Behandlung innerhalb von 60 min nach Ingestion durchgeführt werden kann. Nicht angewandt werden darf induziertes Erbrechen bei eingeschränktem Bewusstsein und nach Einnahme aller Noxen, die das Bewusstsein und damit die Schutzreflexe der Atemwege dämpfen oder unterbrechen könnten. Kontraindikationen sind weiterhin die Aufnahme von schaumbildenden Stoffen, niedrig viskösen flüssigen Kohlenwasserstoffen (z. B. Lampenöl oder Benzin) sowie die Ingestion von ätzend wirkenden Stoffen. Damit bleibt in der Gesamtschau das induzierte Erbrechen eine vergleichsweise verträgliche Methode der Absorptionsminderung. Bei Berücksichtigung aller Kontraindikationen, insbesondere das Nichtanwenden bei allen zentralnervös aktiven Stoffen, beschränkt sich ihre Anwendbarkeit allerdings auf wenige Noxen wie Paracetamol und Eisensalze. Apomorphin und Salzwasserlösung zum Auslösen von Erbrechen gelten heute wegen ihres ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses als eindeutig kontraindiziert. Einmalige Aktivkohlegabe. Die pharmakologischen Eigenschaften
der medizinischen Kohle (Aktivkohle, Carbo medicinalis) wurden vielfach untersucht: Aktivkohle bindet viele organische und einen Teil der anorganischen Stoffe sehr effektiv. Bei Stoffen, die aufgrund vergleichsweise geringer Toxizität erst nach Ingestion von Dosen über 50 g Vergiftungen auslösen (wichtigstes Beispiel: Ethanol), ist die Gabe von Aktivkohle wegen ihrer begrenzten Bindungskapazität im Regelfall nicht effektiv. Die Gabe von Aktivkohle in üblicher therapeutischer Dosis (1 g/kg KG) ruft oft Erbrechen hervor, das (bei erhaltenen Schutzreflexen selten) eine Aspiration verursachen kann. Kohlegabe gilt ebenfalls nur als indiziert nach oraler Aufnahme einer sicher toxischen Giftdosis, wenn die Behandlung innerhalb von 60 min nach Ingestion durchgeführt werden kann und bekannt
ist, dass die applizierte Kohle einen wesentlichen Anteil der ingestierten Giftdosis effektiv bindet. Als kontraindiziert gilt die Gabe von Aktivkohle bei eingeschränktem Bewusstsein – es sei denn, die Atemwege wurden durch Intubation hinreichend vor Aspiration geschützt. Nach Aufnahme ätzend wirkender Stoffe sollte ebenfalls auf eine Kohlegabe verzichtet werden, da diese Maßnahme eine nachfolgende endoskopische Diagnostik stark erschwert. Laxanzien und anterograde Darmspülung. Ein Laxans als Zusatz
zur Aktivkohle stellte über viele Jahre die Standardbehandlung oraler Vergiftung dar. Durch die Gabe des Laxans sollte die giftbeladene Aktivkohle schneller enteral ausgeschieden und eine durch Aktivkohle verursachte Obstipation vermieden werden. Wegen des Fehlens jeglichen Wirksamkeitsnachweises aus klinischen Studien gilt die Verwendung von Laxanzien zur Absorptionsverminderung heute als obsolet. Eine zurückhaltende Bewertung gilt auch für die anterograde Darmspülung (»whole bowel irrigation«), die besonders in Nordamerika früher oft zur Absorptionsverhinderung angewandt wurde.
Verminderung der Absorption und eines lokalen Schadens nach dermaler Exposition Bei dermalem Kontakt mit einem toxischen Agens steigt die lokale Schädigung oder die absorbierte Dosis mit der Dauer der Einwirkung an. Es ist daher sehr plausibel, dass eine frühzeitige Beendigung der Exposition das Ausmaß der Beschwerden reduziert. Der Dekontamination von Haut und leicht zugänglichen Schleimhäuten, insbesondere der Augen, wird daher eine hohe Wirksamkeit zugemessen. Die Absorptions- und Lokalschadenverminderung durch Hautdekontamination besitzt im Gegensatz zur Magen-Darm-Dekontamination auch heute eine große therapeutische Bedeutung, da das Komplikationsrisiko für diese Behandlung als sehr gering eingeschätzt wird. Dieses günstige Nutzen-Risiko-Profil gilt auch für die frühzeitige Dekontamination durch Ersthelfer, die dazu auch telefonisch angewiesen werden können. Begründet werden die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen unter Verweis auf experimentelle Untersuchungen; klinische Daten aus kontrollierten Studien sind nicht verfügbar. Dekontamination der Haut. Die Dekontamination der Haut wird
durch die vollständige Entfernung von kontaminierter Kleidung eingeleitet. Anschließend wird der betroffene Hautbereich mit fließendem, möglichst körperwarmem Wasser gespült. An Arbeitsplätzen, an denen mit gefährlichen Stoffen umgegangen wird, steht für die Spülung häufig eine Notdusche zu Verfügung. Die Dauer der Spülung richtet sich nach der Art des Stoffes und der Dauer der Einwirkung auf die Haut. Zum Beispiel sollte nach mehrminütiger Einwirkung einer starken, ätzenden Lauge mindestens 15 min gespült werden, um eine ausreichende Dekontamination zu erzielen. Bei Hautkontamination mit lipophilen Agenzien, z. B. Phenolen, kann die Spülung mit Wasser auch bei nur oberflächlichem Eindringen in die Haut nur wenig Schadstoff entfernen. In diesem Fällen scheint es plausibel, ein lipophiles, aber dennoch hautverträgliches Lösungsmittel zur Spülung zu verwenden. Traditionell wird für diesen Zweck Polyethylenglykol 400 (PEG-400 oder PEG9) empfohlen. Auf augenscheinlich unverletzter Haut scheint auch eine Verwendung von handelsüblichem Speiseöl zu Spülung vertretbar zu sein, sofern PEG-400 nicht verfügbar ist. Eine stoffspezifische und hochwirksame dermale Dekontamination bei Einwirkung von Flusssäure oder Lost-Kampfstoffen ist mit Kalziumglukonat bzw. Chloramin T möglich.
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Kapitel 86 · Vergiftungen
Dekontamination der Augen. Sinngemäß gelten bei Augenexpo-
sitionen die gleichen Spülempfehlungen mit Wasser wie für die Haut beschrieben (7 oben). Die Dekontamination der Augen wird allerdings häufig durch einen Blepharospasmus erschwert, der erst nach lokaler oberflächlicher Anwendung eines Lokalanästhetikums durchbrochen werden kann. Zurückhaltung kann bei der Augenkontamination mit Brandkalk (ätzend wirkendes Kalziumoxid) geboten sein, da bei blepharospasmusbedingtem ungenügendem Spülerfolg eine chemische Reaktion mit Wasser unter starker Wärmeentwicklung induziert werden kann, die das Auge zusätzlich schädigt.
Dekontamination nach inhalativer Exposition
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Im Gegensatz zu den Verhältnissen bei oralem oder dermalem Expositionspfad ist bei inhalativer Exposition eine Dekontamination nur sehr eingeschränkt möglich. Traditionell wird nach Inhalation einer größeren Dosis Babypuder bei ausgeprägter initialer Atemwegssymptomatik eine Bronchiallavage empfohlen, da in Einzelfällen eine deutliche Verbesserung des klinischen Zustandes erreicht werden konnte. Klinische Untersuchungen hierzu fehlen für diese heute sehr seltene Exposition.
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86.4.4
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Förderung der Elimination – sekundäre Giftentfernung
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Nach Einführung der Hämodialyse in die Intensivmedizin Anfang der 1960-er Jahre entwickelte sich dieses Verfahren schnell zu einer wichtigen Methode der Vergiftungsbehandlung. Durch Hämodialyse kann eine bereits absorbierte Noxe beschleunigt aus der Blutbahn eliminiert werden. Eine Indikation zur Hämodialyse wurde in den 1980-er Jahren bei bis zu 141 verschiedenen Vergiftungen gesehen. Weitere intensivmedizinische Methoden zur Beschleunigung der Giftelimination kamen während der letzten Jahrzehnte hinzu, von denen der Hämoperfusion seit den 1970-er Jahren eine besondere therapeutischen Bedeutung zugedacht wurde [2]. Weniger invasive Methoden zur Beschleunigung der Elimination stellen die kontrollierte Hyperventilation, die forcierte Diurese, die Urinalkalisierung, die Urinansäuerung und die wiederholte Gabe von Aktivkohle dar. Eine große Zahl von Fallberichten und Fallserien wurde dokumentiert, in den meisten Fällen jedoch, ohne dass der Nutzen der Behandlungen für die Patienten hinsichtlich des Verlaufs der Vergiftung systematisch untersucht wurde. Übersichtsarbeiten jüngeren Datums, in denen diese Aspekte methodenspezifisch untersucht wurden, führten zu einem erheblich eingeschränkten Indikationsspektrum [2]. Dieses soll im Folgenden, sortiert nach dem Ausmaß der Invasivität der Methodik, erläutert werden.
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Urinalkalisierung
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Die Alkalisierung des Urins ist ein vergleichsweise verträgliches und einfach anzuwendendes Verfahren zur Eliminationsbeschleunigung schwacher Säuren. Durch intravenöse Gabe von Natriumhydrogenkarbonat wird eine leichte »metabolische« Alkalose induziert, die der Körper durch vermehrte renale Elimination basischer Stoffe zu kompensieren versucht: Im alkalisch eingestellten Primärurin (Glomerulumfiltrat, pH-Wert 7,5–9) liegen schwach saure Agenzien überwiegend in Form ihrer hydrophilen Säureanionen vor und werden in dieser Form praktisch nicht rückabsorbiert.
Klinische Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Urinalkalisierung bei Aufnahme toxischer Dosen von Salicylaten, Barbituraten, Chlorphenoxycarbonsäuren-Herbizidwirkstoffen, Fluorid, Methotrexat, Diflunisal und Chlorpropamid wirksam ist. Zudem wird eine Urinalkalisierung bei Vorliegen einer Rhabdomyolyse eingesetzt.
Urinansäuerung In Analogie zur besser untersuchten Alkalisierung des Urin stellt auch die Ansäuerung des Urins ein verträgliches und einfach anwendbares Verfahren dar und wird gelegentlich angewandt, um die Elimination schwacher Basen zu beschleunigen : Durch intravenöse Gabe von z. B. Methionin oder Argininhydrochlorid oder anderer Säuren wird eine leichte metabolische Azidose induziert, die der Körper durch vermehrte renale Elimination saurer Stoffe zu kompensieren versucht: Im sauer eingestellten Primärurin (pHWert 4–5) liegen schwach alkalische Agenzien überwiegend in Form ihrer hydrophilen Ammoniumkationen vor und werden in dieser Form praktisch nicht rückabsorbiert. Die klinische Bedeutung dieses Verfahrens ist nicht evaluiert, systematische Untersuchungen zu seiner Wirksamkeit fehlen. Pharmakologisch plausibel erscheint der Einsatz zur Eliminationsförderung nach Ingestion von basischen Noxen mit geringem Verteilungsvolumen, etwa von Amphetamin-Derivaten.
Forcierte Diurese Ziel der forcierten Diurese ist eine Steigerung der Ausscheidung renal eliminierter toxischer Stoffe durch Steigerung des Harnvolumens. Dies wird durch eine intravenöse Zufuhr großer Volumina von Kristalloidlösungen, ggf. in Kombination mit Diuretika, erreicht. Durch Zugabe von Natriumhydrogencarbonat oder Argininhydrochlorid kann zusätzlich eine Alkalisierung bzw. Ansäuerung erreicht werden (7 oben). Bei Durchführung der forcierten Diurese besteht das Risiko einer Überwässerung mit Elektrolytentgleisung, insbesondere bei eingeschränkter Nierenfunktion. Eine engmaschige Elektrolytkontrolle ist daher erforderlich. Die Wirksamkeit der forcierten Diurese zur Eliminationsbeschleunigung bei Vergiftungen konnte in klinischen Studien nicht nachgewiesen werden. Gleichsam konnte eine Überlegenheit der forcierten alkalischen Diurese gegenüber der Urinalkalisierung ohne Volumenbelastung ausschließlich für Chlorphenoxycarbonsäuren nachgewiesen werden. Für alle anderen Vergiftungen gelten alle Diureseverfahren wegen des vergleichsweise ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses heute als kontraindiziert.
Wiederholte Aktivkohlegabe Neben der Anwendung zur Absorptionsverzögerung (7 oben) wird die orale Gabe von Aktivkohle in wässriger Suspension bei einer kleinen Zahl von Stoffen eingesetzt, um die Elimination zu beschleunigen. Dazu wird die Kohle 2-stündlich in einer Dosis von 500 mg/kg KG oral verabreicht. Bei der 1. Dosis wird bei erwachsenen Patienten der Suspension ein Laxans, z. B. Natriumsulfat, zugesetzt, um eine Obstipation zu vermeiden. Der Wirkmechanismus besteht in der Elimination der Stoffe durch Rückdiffusion in den Darm entlang eines Konzentrationsgefälles, das durch die niedrige Konzentration des Stoffes in der Umgebung der Kohle erzeugt wird. Die wiederholte Gabe von Aktivkohle gilt nach aktueller Datenlage klinischer Studien als indiziert nach Aufnahme toxischer Dosen von Carbamazepin, Phenobarbital, Dapson, Chinin und Theophyllin. Bei diesen Vergiftungen hat die wiederholte Kohlegabe hinsichtlich der Beschleunigung der Elimination eine ähnliche Wirksamkeit wie eine Hämoperfusion.
1109 86.5 · Rolle der Giftinformationszentren
! Cave Kontraindiziert ist die wiederholte Kohlegabe bei gestörten Schutzreflexen der Atemwege sowie bei Darmobstruktion.
nachzustehen scheint, lässt eine Hämoperfusion möglicherweise zukünftig nur noch dann als indiziert erscheinen, wenn eine wiederholte Kohlegabe nicht durchführbar ist.
86.4.5
Antidottherapie
Kontrollierte Hyperventilation Die Verteildauer von Stoffen im Körper, insbesondere von leichtflüchtigen organischen Lösungsmitteln, die wegen ihres hohen Dampfdrucks bei Körpertemperatur zu einem erheblichen Anteil ausgeatmet werden, kann durch eine kontrollierte Hyperventilation unter vermindertem Sauerstoffpartialdruck in der Inspirationsluft verkürzt werden. Klinische Studien zu dieser nur selten indizierten Behandlung liegen nicht vor. Viele organische Lösemittel lösen mitunter lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen aus. Da die kontrollierte Hyperventilation mit erhöhtem Sympathotonus einhergehen kann, der das Auftreten von Herzrhythmusstörungen begünstigt, wird die Anwendung meist kritisch bewertet.
Hämodialyse Viele Fremdstoffe sind dialysierbar, die Wirksamkeit einer Hämodialyse zur wirksamen Beschleunigung der Elimination ist jedoch nur für wenige Stoffe überzeugend gesichert. Als kontraindiziert gilt die Hämodialyse heute bei allen Vergiftungen mit Stoffen, die ein hohes virtuelles Verteilungsvolumen besitzen (wie die meisten Psychopharmaka). Die Hämodialyse stellt zudem ein invasives Behandlungsverfahren dar, das den Körper erheblich belastet (Blutungsrisiko nach Heparinisierung, Verbrauchskoagulopathie, arterielle Hypotonie, Infektionsrisiko). Die Indikation zur Dialyse zum Zweck der Eliminationsbeschleunigung sollte daher selbst bei gesicherter toxikokinetischer Wirksamkeit nur zurückhaltend gestellt werden (Beispiel: akute Ethylalkoholvergiftung). Unzweifelhaften Stellenwert hat die Hämodialyse auch heute noch bei der Vergiftung mit Lithiumsalzen und mit Salicylaten sowie bei schweren Vergiftungen mit »toxischen« Alkoholen. Für die Behandlung der Methanol- und Ethylenglycolvergiftung, für die die Hämodialyse über Jahrzehnte als Standardbehandlungsmethode galt, steht mit Fomepizol heute ein gut wirksames Antidot zur Verfügung. Eine Dialyse gilt bei dieser Vergiftung nur noch als indiziert, wenn die medizinische Behandlung erst begonnen werden kann, nachdem bereits toxische Mengen von Methanol- oder Glykolmetaboliten im Stoffwechsel gebildet wurden.
Hämoperfusion Im Gegensatz zur Hämodialyse kann mit Hämoperfusion die Elimination auch solcher Stoffe beschleunigt werden, die zu einem hohen Anteil plasmaproteingebunden vorliegen. Auch die Hämoperfusion ist ein invasives Behandlungsverfahren, das den Kreislauf und das Gerinnungssystem erheblich belastet (Blutungsrisiko nach Heparinisierung, Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Verbrauchskoagulopathie, arterielle Hypotonie, Infektionsrisiko). Prinzipiell gilt die Wirksamkeit der Hämoperfusion bei schweren Vergiftungen mit Barbituraten (in Ergänzung zur Urinalkalisierung), Carbamazepin und Theophyllin als gesichert. Kontraindiziert ist die Hämoperfusion z. B. bei Knollenblätterpilz- und Paraquatvergiftung sowie in gleicher Weise wie die Hämodialyse bei allen Vergiftungen mit Stoffen, die ein hohes virtuelles Verteilungsvolumen besitzen. Die noch junge Erkenntnis der letzten Jahre, dass die weniger invasive, wiederholte orale Gabe von Aktivkohle in ihrem Wirksamkeitsspektrum und ihrer Effektivität der Hämoperfusion nicht
Die Gabe eines Antidots galt von je her als die wichtigste spezifische Behandlung einer Vergiftung. Die Vorstellung, die Wirkung eines Giftes durch ein Gegengift schnell und vollständig aufheben zu können, faszinierte die Menschheit seit mehr als 2000 Jahren [8]. Antidote, die in ihrer Wirkung diesem Idealbild entsprechen, gibt es heute für wenige Vergiftungen. Der modernen Intensivmedizin steht nur eine gut überschaubare Zahl von Arzneimitteln als Antidote zur Verfügung. Bei weitem nicht jede Vergiftung lässt sich mit einem verfügbaren Antidot behandeln, wobei eine Abschätzung des Anteils der mit Antidoten behandelbaren Vergiftungen von der zugrundegelegten Antidotdefinition abhängt. Fasst man im weiten Sinne alle bei Vergiftungen symptomorientiert wirkenden Arzneimittel wie etwa Benzodiazepine, Sympathotonika (z. B. Clonidin), Natriumhydrogencarbonat (zur Alkalisierung von Blut und Urin), Atropin oder Sauerstoff (zur Verdrängung von Kohlenmonoxid) unter den Antidotbegriff, so kann die Mehrzahl der Vergiftungen mit Antidoten behandelt werden. Beschränkt man den Begriff auf Arzneimittel, die ausschließlich zur Behandlung einer spezifischen Vergiftung angewandt werden (z. B. Digitalis-Antitoxin oder Naloxon), so kann nur ein geringer Teil aller Vergiftungen als antidotbehandelbar gelten. Zurzeit sind knapp 40 zugelassene Arzneimittel als Antidote (im weiteren Sinne) zur Vergiftungsbehandlung in Deutschland verfügbar. In . Tab. 86.2 werden diese Arzneimittel zusammen mit Beispielindikationen aufgelistet. Ferner ist in dieser Tabelle angegeben, welche Antidote für den Notarzt, in jeder Klinik, die Vergiftungen behandelt, oder in einem Klinikverbund vorrätig gehalten werden sollten.
86.5
Rolle der Giftinformationszentren
Rund 80 staatliche Giftinformationszentren (GIZ, Giftnotrufe) wurden als seit Mitte des letzten Jahrhunderts in Europa eingerichtet. In Deutschland sind derzeit 9 GIZ rund um die Uhr mit toxikologisch qualifizierten Ärzten besetzt (. Tab. 86.3). Wesentlicher Inhalt der Giftnotrufberatung ist die toxikologische Risikobewertung des Einzelfalls als Beitrag zur Diagnostik und daraus abgeleitet Empfehlungen zur bestmöglichen medizinischen Behandlung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Oft werden die GIZ sehr früh nach einem Expositionsereignis von Betroffenen selbst oder von Begleitpersonen kontaktiert. Dadurch können Ersthelfer sinnvoll angeleitet und auf diese Weise Fehlverhalten und verschlimmernde Komplikationen vermieden werden (Sekundärprävention).. Alle Beratungsfälle, insbesondere auch die eine Beratung auslösenden Noxen (Produkte), werden in den GIZ dokumentiert. In einem Teil der Fälle werden der weitere Verlauf und der Ausgang der Vergiftung verfolgt und ebenfalls dokumentiert. Dieser Datenbestand an Humankasuistiken wird zur Verbesserung der Beratungsgrundlagen fortlaufend ausgewertet. Dabei werden zur schnelleren Bewertung der Humantoxizität neuer Wirkstoffe, Produkttypen oder sehr seltener Noxen oft die Falldaten mehrerer GIZ zusammengeführt.
86
1110
86
Kapitel 86 · Vergiftungen
. Tab. 86.2 Antidota zur Behandlung von Vergiftungen und Empfehlung zu ihrer Bevorratung in Notarztkoffer, Klinik oder Klinikverbund. (Nach [1]) Antidot
Toxische Agenzien (Beispiele)
Acetylcystein
Paracetamol
86
Aktivkohle
Diverse
+
+
Atropin (100 mg)
Alkylphosphate, Methylcarbamate
+
+
86
Beclometasondipropionat
Reizgase
+
+
Biperiden
Neuroleptika
Botulinum-Antitoxin
Botulinumtoxin
Calciumgluconat
Flusssäure
Chloramin T
Lost-Kampfstoffe
Dantrolen
Inhalationsnarkotika (maligne Hyperthermie)
+
Deferoxamin
Eisensalze
+
86
86 86 86 86
Notarzt
Klinik +
+ + (+)
+ +
Diazepam
Chloroquin
Digitalisantitoxin Fab (Digitalisantidot)
Digoxin, Digitoxin
Dimethylaminophenol
Blausäure, Cyanide
Dimercaptopropansulfonsäure
Quecksilber
Eisen-(III)-hexacyanoferrat-(II)
Thallium
Flumazenil
Benzodiazepine
Folinsäure
Methanol, Formiate
+
Folsäure
Methotrexat
+
86
Fomepizol
Methanol, Ethylenglycol
+*
Glucagon
β-Blocker
+
86
Hydroxocobalamin
Blausäure, Cyanide
Kreuzotterantitoxin oder -antiserum
Kreuzotter
86
Levocarnitin
Valproat
Magnesiumsulfat
Terfenadin, Aconitin
+
+
Naloxon
Opioide
+
+
86
Natriumsulfat
Bariumsalze
Natriumthiosulfat
Blausäure, Cyanide
(+)
+
86
Obidoxim
Alkylphosphate
(+)
+
Physostigmin
Scopolamin
+
+
Phytomenadion
Antikoagulanzien
Polyethylenglycol-400
Phenol (dermal)
86 86 86 86
86
86 86
+
+ +
+
+ + +
+
(+)
+
+ +
+
+ (+)
+
Heparin
+
Pyridoxin
Insoniazid
+
Sauerstoff
Kohlenmonoxid
86
Silibinin
Amanitine
Simethicon
Schaumbildner
86
Sirupus ipecacuanha
Eisensalze
Toloniumchlorid
Methämoglobinbildner
+
+
Tranexamsäure
Fibrinolytika
(+)
+
86 86
+*
(+)
Protamin
86
Klinikverbund
+
+ +
+
+ +
* Sofern Fomepizol nicht vorrätig gehalten wird, sollte Ethanol als (schlechter verträgliches) Ersatzantidot bevorratet werden.
1111 Literatur
. Tab. 86.3 Giftinformationszentren in Deutschland GIZ
Zuständigkeit für Bundesländer
Berlin
BE, BB
40.875 (2008)
030/19 240
München
BY
34.321 (2007)
089/19 240
Nürnberg
BY
Göttingen
HB, HH, NI, SH
34.851 (2009)
0551/38 31 80 (Fachpersonal)
Bonn
NW
30.300 (2009)
0228–19 240
Mainz
RP, HE
30.801 (2007)
06131/19 240
Erfurt
TH, SN, ST, MV
20.725 (2009)
0361/730 730
Freiburg
BW
22.128 (2009)
0761/19 240
Homburg/Saar
SL
1.420 (2006)
06841/19 240
Gesamt
Anfragen pro Jahr (lt. Jahresberichte der GIZ)
(kein Jahresbericht)
ca. 215.000
Literatur 1
2 3
4
5
6
7
8
American Academy for Clinical Toxicology, European Association of Poisons Centres and Clinical Toxicologists (1997) The AACT/EAPCCT Position Statements on Gastrointestinal Decontamination. J Toxicol Clin Toxicol 35 (7): 695–762; überarbeitete Versionen in verschiedenen Einzelbeiträgen in J Toxicol Clin Toxicol 43 (2004) Jaeger A (2004) Changes in the approaches to drug elimination in poisoning over the last 40 years. J Toxicol Clin Toxicol 42 (4): 412–414 Lewin L (1920) Giftentfernung bei der Behandlung Albrecht I. von Habsburg (1255–1308); zit. nach Lewin L: Gifte in der Weltgeschichte, Berlin 1920, S 49 Maurer HH (2004) Position of chromatographic techniques in screening for detection of drugs or poisons in clinical and forensic toxicology and/ or doping control. Clin Chem Lab Med 42 (11): 1310–1324 Persson HE, Sjöberg GK, Haines JA, Pronczuk de Garbino J (1998) Poisoning Severity Score. Grading of acute poisoning. J Toxicol Clin Toxicol 36 (3): 205–213 Statistisches Bundesamt: Krankenhausstatistik – Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern (lfd. aktualisiert), in: Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes [www.gbe-bund.de (Stand/ Abruf: 7.10.2010)] Statistisches Bundesamt: Todesursachenstatistik (lfd. aktualisiert). In: Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes [www.gbe-bund.de (Abruf: 7.10.2010)] Valle G et al. (2009) Mithridates VI Eupator, father of empirical toxicology. Clin Tox 47: 433
Telefon
0911/398 2451
86
1113
Pädiatrische Intensivmedizin Kapitel 87
Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Kapitel 88
Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom
XIV
1115
Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen P. Groneck, C.P. Speer, K. Bauer (†)
87.1
Reanimation Früh- und Neugeborener – 1117
87.1.1 87.1.2
Temperaturregulation des Neugeborenen und Schutz vor Unterkühlung – 1117 Maßnahmen der Neugeborenenreanimation – 1119
87.2
Perinatale Schäden und ihre Folgen – 1121
87.2.1 87.2.2
Asphyxie – 1121 Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) – 1122
87.3
Das Frühgeborene – 1123
87.3.1 87.3.2 87.3.3 87.3.4 87.3.5 87.3.6 87.3.7 87.3.8 87.3.9
Atemnotsyndrom Frühgeborener – 1124 Persistierender Ductus arteriosus (PDA) – 1126 Neonatale chronische Lungenkrankheit oder bronchopulmonale Dysplasie (BPD) – 1126 Retinopathia praematurorum (ROP) – 1128 Hirnblutungen des Frühgeborenen – 1129 Posthämorrhagischer Hydrozephalus (HC) – 1130 Periventrikuläre Leukomalazie (PVL) – 1131 Frühgeborenenapnoe – 1131 Grundzüge der mechanischen Beatmung bei Neugeborenen – 1133
87.4
Lungenerkrankungen des Neugeborenen – 1134
87.4.1 87.4.2 87.4.3 87.4.4 87.4.5 87.4.6 87.4.7 87.4.8 87.4.9 87.4.10 87.4.11
Transitorische Tachypnoe – 1134 Mekoniumaspirationssyndrom – 1135 Pneumothorax – 1136 Lobäres Emphysem – 1137 Lungenhypoplasie – 1137 Zwerchfellhernie (Enterothorax) – 1138 Neonatale Pneumonien – 1138 Persistierende pulmonale Hypertonie (persistierende fetale Zirkulation) – 1138 Lungenblutung – 1140 Chylothorax – 1140 Obstruktion der oberen Atemwege – 1140
87.5
Bluterkrankungen – 1141
87.5.1 87.5.2 87.5.3 87.5.4 87.5.5
Fetale Erythropoese – 1141 Neonatale Anämie – 1141 Polyzythämie, Hyperviskositätssyndrom – 1142 Pathologische Hyperbilirubinämie – 1142 AB0-Erythroblastose – 1142
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_87, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
87
87.5.6 87.5.7 87.5.8 87.5.9 87.5.10
Rh-Erythroblastose – 1143 Kernikterus, Bilirubinenzephalopathie – 1144 Weitere hämolytische Erkrankungen – 1145 Neonatale Thrombozytopenie – 1145 Koagulopathien – 1146
87.6
Fehlbildungen und Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts – 1146
87.6.1 87.6.2 87.6.3 87.6.4
Ösophagusatresie – 1146 Intestinale Obstruktionen – 1147 Bauchwanddefekte – 1148 Nekrotisierende Enterokolitis (NEC) – 1148
87.7
Neugeborenenkrämpfe – 1150
87.8
Sepsis des Früh- und Neugeborenen – 1151
87.8.1
Meningitis – 1152
87.9
Metabolische Störungen – 1153
87.9.1 87.9.2 87.9.3 87.9.4 87.9.5 87.9.6 87.9.7
Hypoglykämie – 1153 Hyperglykämie – 1154 Hypokalzämie – 1154 Hyponatriämie – 1154 Hypernatriämie – 1155 Hyperkaliämie – 1155 Hypokaliämie – 1155
87.10
Analgesie bei Früh- und Neugeborenen – 1155
87.10.1 87.10.2
Beurteilung der Schmerzintensität bei Neugeborenen – 1156 Analgetische Therapie für wenig schmerzhafte diagnostische und therapeutische Eingriffe bei Neugeborenen – 1156 Schmerztherapie bei kleinen operativen Eingriffen – 1156 Indikationen für Opioidanalgetika (Morphin und Fentanyl) in der Neonatologie – 1157
87.10.3 87.10.4
Literatur – 1158
1117 87.1 · Reanimation Früh- und Neugeborener
87.1
Reanimation Früh- und Neugeborener C.P. Speer
87.1.1
Voraussetzungen für die Durchführung einer Reanimation
Die meisten Neugeborenen durchlaufen eine unproblematische kardiorespiratorische Adaptation. Bei ca. 10% der Kinder können allerdings mehr oder weniger intensive Reanimationsmaßnahmen erforderlich sein. Ungefähr 2/3 dieser Patienten lassen sich aufgrund definierter Risiken bereits vor der Geburt identifizieren, bei 1/3 der Neugeborenen tritt die Reanimationssituation völlig unerwartet auf. Diese Tatsache unterstreicht die Notwendigkeit, dass die essenziellen Wiederbelebungsmaßnahmen zu jeder Zeit differenziert und kompetent durch ein geschultes neonatologisches Reanimationsteam durchgeführt werden können. Weitere Voraussetzungen sind eine optimale Information über maternale und fetale Risiken sowie eine gezielte Vorbereitung auf die spezielle Reanimationssituation. > Sind die personellen, organisatorischen und apparativen Möglichkeiten in einer Geburtsklinik nicht vorhanden, um ein Frühgeborenes oder Risikoneugeborenes optimal zu versorgen, so muss die Mutter – wenn immer medizinisch vertretbar – in ein Perinatalzentrum verlegt werden. Dieses medizinisch gut begründete Postulat ist inzwischen durch den gemeinsamen Bundesausschuss verbindlich festgelegt.
Der antenatale Transport von Schwangeren und damit von Risikofrüh- und Neugeborenen in ein Perinatalzentrum Level 1 ist bei folgenden Störungen obligat: 4 Frühgeborene mit einem Gestationsalter <29,0 Wochen (geschätztes Gewicht <1250 g). 4 Höhergradige Mehrlingen (>2) <33 Gestationswochen. 4 Alle pränatal diagnostizierten Erkrankungen, bei denen nach der Geburt eine unmittelbare Notfallversorgung erforderlich ist. Dies betrifft Erkrankungen der Mutter mit fetaler Gefährdung sowie angeborene Fehlbildungen. z
Postnatale Beurteilung
Apgar-Schema. Für die postnatale Beurteilung reifer Neugeborener
hat sich das Apgar-Schema bewährt (. Tab. 87.1). Frühgeborene lassen sich aufgrund des vom Gestationsalter abhängigen Muskeltonus und der Reflexerregbarkeit allerdings nicht adäquat beurteilen. Eine allzu schematische Erfassung der einzelnen Apgar-Kriterien bei der Erstversorgung eines deprimierten reifen Neugeborenen birgt darüber hinaus die Gefahr, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen nur verzögert einsetzen. Säure-Basen-Status. Die Bestimmung des Säure-Basen-Status ist als ein fester Bestandteil und eine wesentliche Ergänzung der kindlichen Zustandsbeurteilung anzusehen. Diese nur mit einer zeitlichen Latenz verfügbare Diagnostik ist jedoch für die initialen therapeutischen Entscheidungen in der Regel nicht relevant.
. Tab. 87.1 Apgar-Schema zur Beurteilung der postnatalen Adaptation ApgarKriterium
0 Punkte
1 Punkt
2 Punkte
Aussehen
Blass oder zyanotisch
Stamm rosig, Akrozyanose
Ganz rosig
Puls (Herzfrequenz)
Kein/e
<100/min
>100/min
Gesichtsmimik bei Stimulation
Keine
Grimassieren
Schreien
Aktivität
Schlaff
Geringe Extremitätenflexion
Kräftig, aktiv
Respiration
Keine
Langsam, unregelmäßig
Regelmäßig, kräftig
Auswertung (1 min): 8–10 Punkte = gut, 5–7 Punkte = beeinträchtigt, 0–4 Punkte = schwer beeinträchtigt. Ein vitales und lebensfrisches Neugeborenes weist Apgar-Werte von ≥8 in der 1. Lebensminute und ≥9 nach 5 min und 10 min auf.
87.1.2
Temperaturregulation des Neugeborenen und Schutz vor Unterkühlung K. Bauer (†), C.P. Speer
Die Geburt bedeutet für das Neugeborenen eine akut einsetzende Kältebelastung: Die Umgebungstemperatur liegt 15–20°C unter der Körpertemperatur, und damit treten Wärmeverluste durch Strahlung (kühle Raumwände), Konvektion (kühle, bewegte Luft) und Verdunstung (trockene Luft) auf.
Temperaturregulation des reifen Neugeborenen Als Gegenregulation auf die postnatale Kälteeinwirkung verringert das reife Neugeborene die Wärmeverluste an der Körperoberfläche durch Vasokonstriktion der Hautgefäße und steigert seine Wärmeproduktion. Die Wärmeproduktion erfolgt im braunen Fettgewebe, das nur Neugeborene besitzen. Das braune Fettgewebe liegt zwischen den Schulterblättern, hinter dem Herzen und um die großen Blutgefäße, damit die dort produzierte Wärme rasch im Körper verteilt werden kann. Die Braunfärbung des Gewebes entsteht durch den hohen Anteil an Mitochondrien. Die dort stattfindende Fettoxidation ist durch das sog. »uncoupling protein« von der Atmungskette abgekoppelt, damit die Energie ausschließlich in Form von Wärme frei wird. Durch die Aktivierung des braunen Fettgewebes kann das reife Neugeborene seine Wärmeproduktion von 23 auf 45 cal/kg KG/ min steigern. Trotzdem übertreffen die Wärmeverluste eines unbekleideten reifen Neugeborenen bei Raumtemperatur seine Wärmeproduktion (. Abb. 87.1), und ohne wärmeschützende Maßnahmen kommt es zu einem Abfall der Körpertemperatur um >1,5°C in der 1. Lebensstunde. Asphyktische reife Neugeborene haben eine verringerte Fähigkeit zur Wärmeproduktion.
87
1118
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
87
. Tab. 87.2 Symptome der akuten Hypothermie beim Neugeborenen
87
Rektaltemperatur
Symptome
87
31–35°C
Zunahme des O2-Verbrauchs, Vasokonstriktion, Akrozyanose, Tachykardie
87
29–31°C
Abnahme des O2-Verbrauchs, Azidose oder Alkalose, Ödeme, Bradykardie, arterielle Hypotonie, Lethargie, Trinkschwäche
25–29°C
Bradykardie, Asystolie, Herzrhythmusstörungen, Vasodilatation in der Haut, Ödeme, Koma, Apnoe
87 87 87
. Abb. 87.1 Wärmebilanz eines reifen unbekleideten Neugeborenen bei Zimmertemperatur . Tab. 87.3 Schutz vor Unterkühlung im Kreißsaal
87 87 87 87 87
Reifgeborenes
Asphyktisches/ dystrophes Reifgeborenes
Frühgeborenes
5 Abtrocknen 5 Nasse Tücher entfernen 5 Hautkontakt zur Mutter
5 Abtrocknen 5 Nasse Tücher entfernen 5 Wärmestrahler
5 Abtrocknen 5 Nasse Tücher entfernen 5 Wärmestrahler 5 Tücher, Plastikfolie 5 Rumpf und Kopf dem Wärmestrahler exponieren
87 87
. Abb. 87.2 Wärmebilanz eines unbekleideten Frühgeborenen von 1000 g Geburtsgewicht bei Zimmertemperatur
Hyperthermie sollte aber bei der Erstversorgung von Neugeborenen ebenfalls vermieden werden.
Wärmeschutz bei reifen, gesunden Neugeborenen
87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87
Temperaturregulation des Frühgeborenen Beim Frühgeborenen ist das Risiko einer Unterkühlung sehr viel größer als beim Reifgeborenen, und die Wärmeverluste übersteigen die Wärmeproduktion bei weitem (. Abb. 87.2). Dies hat folgende Ursachen: 4 5-mal größere Körperoberfläche im Verhältnis zur Körpermasse als beim Erwachsenen, 4 kein subkutanes Fettgewebe, 4 hohe Wasserdurchlässigkeit der Haut und damit hoher transkutaner Wasser- und Wärmeverlust, 4 kaum braunes Fettgewebe. Aufgrund seiner minimalen Fähigkeit zur Gegenregulation verhält sich das sehr unreife Frühgeborene wie ein wechselwarmer Organismus.
Schutz vor Unterkühlung Akute Hypothermie beeinträchtigt eine Vielzahl von Organfunktionen (. Tab. 87.2). Sie muss deshalb bei der Erstversorgung von Neu- und Frühgeborenen vermieden werden. Die Aufrechterhaltung einer normalen Körpertemperatur spielt auch in der weiteren Therapie von Neugeborenen eine entscheidende Rolle. Ein therapeutischer Einsatz von Hypothermie zur Neuroprotektion nach Asphyxie befindet sich im experimentellen Stadium und kann zum klinischen Einsatz nicht empfohlen werden. Eine
Beim reifen gesunden Neugeborenen genügen einfache Maßnahmen zum Schutz vor Unterkühlung: Das Neugeborene wird gut abgetrocknet, und die nassen Tücher werden entfernt. Danach kann das gesunde Reifgeborene in direkten Hautkontakt auf die Brust der Mutter gelegt und mit einem trockenen Tuch zugedeckt werden (. Tab. 87.3).
Wärmeschutz bei der Reanimation von Neugeborenen Wärmeschutz ist ein wichtiger Bestandteil bei der Reanimation von Neugeborenen, deshalb ist die Überwachung der Rektaltemperatur während der Reanimation notwendig. Zu Beginn der Reanimation müssen die Neugeborenen gut abgetrocknet und die nassen Tücher entfernt werden. Die Erstversorgung erfolgt dann unter einem Wärmestrahler. Der Erstversorgungsraum sollte zugluftfrei und kein Durchgangsraum sein.
Wärmeschutz bei der Erstversorgung von unreifen Frühgeborenen Bei der Erstversorgung von Frühgeborenen sollte der Erstversorgungsraum durch zusätzliche Wärmelampen aufgeheizt und der Wärmestrahler über dem Reanimationstisch sollte auf maximale Strahlungsleistung gestellt werden. Die Extremitäten des Frühgeborenen werden mit warmen Tüchern bedeckt, Bauch und Brust bleiben frei und dem Wärmestrahler exponiert. Der feuchte Nabel mit der Metallklemme darf nicht am Kind anliegen (. Abb. 87.3).
1119 87.1 · Reanimation Früh- und Neugeborener
87.1.3
Maßnahmen der Neugeborenenreanimation C.P. Speer
3 klinische Kriterien – nämlich Hautfarbe, Atmung und Herzfrequenz – geben ausreichende Informationen, um das akute Vorgehen zu planen und die Maßnahmen, die in 3 Stufen erfolgen sollten, weder zu spät noch zu voreilig durchzuführen (. Abb. 87.4).
Stufe 1: Basismaßnahmen Die einfachen Basismaßnahmen der Reanimation umfassen Abtrocknen, Stimulation und Absaugen des Neugeborenen sowie ggf. eine sog. »O2-Vorlage«. Während dieser Maßnahmen ist eine schnelle Beurteilung zum Ausschluss von schweren Fehlbildungen erforderlich. Das Legen eines Zugangs ist in 7 Abschn. 88.4.1 beschrieben. Abtrocknen. Nach dem Abtrocknen wird das Neugeborene in an-
gewärmte, trockene Tücher gehüllt. Die Erstversorgung erfolgt unter einem Heizstrahler, Zugluft im Raum ist zu vermeiden! Bei sehr kleinen Frühgeborenen und extrem hypotrophen Neugeborenen ist ein zusätzlicher Wärmeschutz durch verschiedenste Folien (u. a. Plastikfolien) oder Warmluftdecken erforderlich. Stimulation. Durch die taktile Stimulation, u. a. von Rücken und
Fußsohlen, wird die kindliche Atmung stimuliert. Die Mehrzahl der Neugeborenen beginnt innerhalb von 10 s nach der Geburt spontan zu atmen, allerdings ist damit zu rechnen, dass ca. 10% der Neugeborenen nach 1 Lebensminute noch keine regelmäßige Atemtätigkeit aufweisen. . Abb. 87.3 Bei der Erstversorgung von Frühgeborenen unter einem Wärmestrahler werden Extremitäten und Flanken mit warmen Tüchern bedeckt, Gesicht und Rumpf bleiben frei dem Wärmestrahler exponiert
Absaugen. Bei entsprechender Indikation wie Verlegung der Atem-
wege durch Fruchtwasser, Blut oder Mekonium sollten zuerst der Oropharynx und dann die Nasenwege des Neugeborenen mit einem ausreichend großlumigen Katheter (Ch 8–10) abgesaugt werden.
Nach der Erstversorgung sollte das unreife Frühgeborene möglichst schnell in einen Inkubator gelegt werden, in dem hohe Lufttemperaturen und hohe Umgebungsfeuchte eingestellt werden können.
! Cave Mund vor Nase absaugen! Es besteht eine erhöhte Aspirationsgefahr durch die Stimulation der kindlichen Eigenatmung nach nasalem Absaugen!
Therapie der Hypothermie
Weiterhin ist unbedingt darauf zu achten, dass beim Absaugen keine Bradykardie durch Vagusstimulation auftritt. Der Sog am Absauggerät ist auf 200 mbar zu begrenzen, um Verletzungen der Schleimhaut zu vermeiden. Ein routinemäßiges Absaugen aller Neugeborenen ist nicht indiziert.
Um ein unterkühltes Neugeborenes aufzuwärmen, wird im Inkubator initial eine Lufttemperatur von 37°C eingestellt und Manipulationen, die ein Öffnen der Inkubatorklappen erfordern, werden auf ein Minimum beschränkt. Die Rektaltemperatur muss kontinuierlich überwacht werden, um eine überschießende Hyperthermie durch rechtzeitige Reduktion der Inkubatortemperatur zu vermeiden. Hypotherme Neugeborene benötigen eine kontinuierliche intravenöse Glukosezufuhr.
O2-Gabe. Bei zentraler Zyanose während der ersten Lebensminuten
wird dem Neugeborenen in vielen Zentren O2 vor Nase und Mund geleitet. Ob eine Erstversorgung von deprimierten reifen Neugeborenen mit Raumluft (21% O2) oder mit 100% O2 durchgeführt wer-
. Abb. 87.4 3-Stufen-Modell der Neugeborenenversorgung. (Nach Speer 2004)
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
den sollte, wird wegen der potenziellen O2-Toxizität zuzeit äußerst kontrovers diskutiert. Einige inernationale Fachgesellschaften empfehlen inzwischen in ihren Leitlinien, auf eine initiale Sauerstoffgabe zu verzichten und die Neugeborenen in Raumluft zu stabilisieren. Da der Sauerstoffpartialdruck in fetalem Blut durchschnittlich nur 25 mm Hg beträgt, kann eine postnatale Hyperoxygenierung des desprimierten Neugeborenen durchaus problematisch sein. Dies gilt besonders für Hochrisikofrühgeborene, bei denen sich nicht nur ein Mangel an protektiven Antioxidanzien zum Zeitpunkt der Geburt findet, sondern auch eindeutige Spuren einer Gewebeschädigung durch Sauerstoffradikale nachweisbar sind. Zurzeit wird in multzentrischen Studien geprüft, wie das optimale Sauerstoffangebot für sehr kleine Frühgeborene und reanimationspflichtige Neugeborene aussehen sollte. Bis die Ergebnisse vorliegen, sollte in der Hochrisikogruppe sehr unreifer Frühgeborener eine Sauerstofftherapie nur unter kontinuierlicher Messung der Sauerstoffsättigung erfolgen und einer Hyperoxygenierung (SO2 >93%) bereits während der Stabilisierungsphase und darüber hinaus bei beatmeten Frühgeborenen während der ersten Lebenswochen vermieden werden.
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Stufe 2: Zusatzmaßnahmen bei insuffizienter Spontanatmung
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Führen die beschriebenen Basismaßnahmen nicht zum Einsetzen der Spontanatmung, so sind zur Vermeidung von Bradykardie und Hypoxie weitere Schritte erforderlich.
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Beutel-Masken-Beatmung. Neugeborene mit fehlender Eigenatmung werden nach 30 s mit einer Beutel-Masken-Beatmung und inspiratorischem Druckplateau (»Blähatmung«) behandelt. Diese Blähatmung besteht aus maximal 3 Beatmungshüben mit einem hohen inspiratorischen Beatmungsdruck (ca.30 cm H2O) und einer langen Inspirationszeit (ca. 3–5 s). Ziel dieser Beatmungsstrategie ist, die intraalveoläre Lungenflüssigkeit in das pulmonale Lymphund Gefäßsystem zu pressen und somit, in Analogie zur Atemtechnik Neugeborener, eine funktionelle Residualkapazität herzustellen. Diese Maßnahme sollte unter Auskultationskontrolle erfolgen und in eine den Bedürfnissen des Neugeborenen angepasste assistierte Beatmung übergehen. Runde Silikonmasken eignen sich für die Maskenbeatmung am besten; sie erlauben eine optimale Abdichtung. Bei sehr kleinen Frühgeborenen, die postpartal nicht schreien, sollte sofort mit einer Beutel-Masken-Beatmung oder einem Beatmungssystem mit Druckbegrenzung begonnen werden, um eine hypoxisch bedingte Bradykardie und somit das Risiko von Fluktuationen des zerebralen Blutflusses zu vermeiden (Cave: Hirnblutung). Allerdings ist bei sehr kleinen Frühgeborenen mit unreifen Lungenstrukturen auf einen äußerst sensiblen Umgang mit der Beutel-Masken-Beatmung zu achten; durch inadäquat hohe Beatmungsvolumina und Beatmungsdrücke können folgenschwere Lungenverletzungen ausgelöst werden (7 Abschn. 87.3.4; bronchopulmonale Dysplasie). ! Cave Durch falsche Kopfposition oder fehlerhafte Maskenhaltung kann die Atemtätigkeit des Früh- und Neugeborenen unterdrückt werden (»Erstickung unter der Maske«)! Ebenso kann eine forcierte Maskenbeatmung zu einem Baro- und Volutrauma mit Schädigung der Alveolen führen; mögliche Komplikationen sind ein
iatrogenes pulmonales interstitielles Emphysem oder ein Pneumothorax.
Eine primäre Maskenbeatmung sollte bei folgenden Erkrankungen des Neugeborenen gänzlich vermieden werden: 4 Mekonium- und Blutaspiration, 4 Zwerchfellhernie, 4 schwerste postpartale Asphyxie. Diese Kinder werden abgesaugt bzw. sofort intubiert. Intubation. Bleibt ein Neugeborenes trotz Beutel-Masken-Beatmung apnoeisch oder bradykard, wird es umgehend endotracheal intubiert. Für die Gruppe sehr kleiner Frühgeborener ist inzwischen eindeutig belegt, dass die Vermeidung von postpartaler Hypoxie zu einer Reduktion der Inzidenz des Atemnotsyndroms und der Sterblichkeit beiträgt. Dennoch ist von einer grundsätzlichen Intubation dieser besonderen Patientengruppe abzuraten, da gerade bei sehr vitalen Frühgeborenen unter der Intubation transistorische hypoxämische Phasen und Störungen der zerebralen Zirkulation nicht auszuschließen sind. Es empfiehlt sich, die Intubation selektiv durchzuführen. Das Frühgeborene sollte unmittelbar nach der Geburt mit einem nasalen CPAP-System versehen werden und in Abhängigkeit vom Schweregrad der Atemnotsymptomatik innerhalb von Minuten intubiert werden. Während der Intubation muss eine kontinuierliche Überwachung der kindlichen Herzfrequenz und O2-Sättigung (Pulsoxymeter) erfolgen. Bei einer Bradykardie ist der Intubationsversuch unverzüglich abzubrechen und das Kind mit erneuter Beutel-Masken-Beatmung und adäquater O2-Zufuhr zu stabilisieren (Cave: Hyperoxie).
Komplikationen Die häufigsten Komplikationen im Verlauf der Intubation sind die Fehlpositionen des Tubus in den Ösophagus und eine einseitige Intubation des rechten Hauptbronchus; durch entsprechende Korrektur der Tubuslage sind diese Situationen leicht zu beheben. Ernsthafte Komplikationen stellen die Perforation des Ösophagus und Hypopharynx dar; tracheale Perforationen wurden durch Führungsstäbe von Endotrachealtuben beobachtet. Magenrupturen wurden nach Reanimation Neugeborener mit tracheoösophagealer Fistel beschrieben. Subglottische Stenosen können sich als chronische Komplikationen eines Intubationsschadens ausbilden. Naloxon. Neugeborene, deren Mütter unter der Geburt Opioide erhalten haben, fallen häufig durch einen fehlenden Atemantrieb nach der Geburt auf. Durch die intravenöse Gabe des Opioidantagonisten Naloxon (z. B. Narcanti neonatal) kann die atemdepressive Wirkung diaplazentar übergetretener Morphinderivate aufgehoben werden (Dosierung: 0,1 mg/kg KG). Da die Opioidanalgetika eine längere Halbwertszeit als Naloxon haben, muss mit symptomatischen Rebound-Effekten beim Kind gerechnet werden; sie erfordern wiederholte Gaben von Naloxon. ! Cave Kinder heroinabhängiger Mütter dürfen kein Naloxon erhalten, da schwerste akute Entzugserscheinungen ausgelöst werden können.
Stufe 3: Zusatzmaßnahmen bei insuffizienter Kreislauffunktion Da Bradykardien bei Neugeborenen in der Regel durch eine Hypoxie bedingt sind, lassen sich die meisten Kreislaufprobleme durch eine suffiziente Oxygenierung beheben. Besteht die Bradykardie
1121 87.2 · Perinatale Schäden und ihre Folgen
trotz ausreichender Lungenbelüftung fort, so sind weitere Maßnahmen wie extrathorakale Herzmassage, Adrenalingabe, Volumensubstitution und Azidosekorrektur angezeigt. Herzmassage. Eine externe Herzmassage sollte bei allen Neugebo-
renen durchgeführt werden, bei denen die Herzfrequenz unter 60 Schlägen/min liegt und die nach Beginn der adäquaten Ventilation nicht mit einem Anstieg der Herzfrequenz reagieren. Bei einer der möglichen Techniken wird der Thorax des Kindes von beiden Seiten umfasst und das Sternum 1 Querfinger unterhalb der Intermamillarlinie mit einer Frequenz von 120/min um 1–2 cm komprimiert. Diese Art der Herzmassage stellt die effektivste Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Kreislauffunktion dar, sie setzt aber voraus, dass zwei in der Reanimation Neugeborener erfahrene Personen die kardiozirkulatorische und respiratorische Reanimation durchführen. Eine Einzelperson ist gezwungen, durch Sternumkompression mit 2 Fingern eine wirksame Herzmassage und gleichzeitig eine effiziente Beatmung zu gewährleisten. > Es wird derzeit ein Verhältnis von 3 Herzkompressionen zu 1 Beatmung empfohlen.
Praktisches Vorgehen bei der Neugeborenenreanimation 4 Basismaßnahmen – Adäquate Wärmezufuhr; Abtrocknen und Zudecken des Neugeborenen – Luftwege freimachen (Mund vor Nase gezielt absaugen) – Auskultation (Stethoskop) – Beutel-Masken-Beatmung (O2-Zufuhr: 21–100=%), initiale »Blähatmung« (3–5 s), danach assistierte Beatmung (Beatmungsfrequenz 40–60/min) 4 Bei Apnoe und/oder Bradykardie (Herzfrequenz 60–80/ min unter Beutel-Masken-Beatmung) – Endotracheale Intubation (Tubus: 2,0–3,5 mm) – Herzmassage; Verhältnis Kompression zu Beatmung 3:1 – Bei Bedarf Suprarenin 0,01–0,03 mg/kg/KG i.v. – Eventuell Natriumbikarbonat 8,4% (1:1 mit Aqua pro inj. verdünnt), 1(–3) mmol/kg KG sehr langsam i.v. 4 Eventuell Nabelvenenkatheter, Volumenzufuhr (isotone Kochsalzlösung, Blut; 10–15 ml/kg KG)
Trotz wirksamer Herzmassage muss die Ursache der Bradykardie rasch erkannt und wenn möglich kausal behandelt werden. Adrenalin. Besteht die Bradykardie trotz ausreichender Lungenbe-
lüftung fort, so wird Suprarenin über die katheterisierte Nabelvene oder eine periphere Vene (0,01–0,03 mg/kg/KG) appliziert. Ist kein Gefäßzugang möglich, so sollte Adrenalin (0,1–0,3 ml/kg/KG in einer Verdünnung von 1:10.000) über den endotrachealen Tubus verabreicht werden. Intrakardiale Injektionen sind obsolet. Die Wirkung von Adrenalin wird durch die bestehende Azidose eingeschränkt. Natriumbikarbonat. Die Indikation für die Gabe von Natriumbikarbonat ist nur bei schwerer protrahierter metabolischer Azidose z. B. nach intrauteriner Hypoxie und nach längerdauernden Reanimationsmaßnahmen, insbesondere bei schlechtem Ansprechen auf Adrenalin indiziert. Die Gabe von Natriumbikarbonat erfolgt intravenös in einer mindestens 1:1 verdünnten Lösung (Aqua dest.) und über einen längeren Zeitraum – über 15 min bei Neugeborenen und über Stunden bei Frühgeborenen – (Initialdosis: 1–3 mval NaHCO3/ kg KG). Da Natriumbikarbonat 8,4% hyperosmolar ist, besteht die Gefahr, dass Frühgeborene im Rahmen der Serumosmolalitätspitzen und -schwankungen eine Hirnblutung entwickeln. Eine Bikarbonatbehandlung verbietet sich bei einer ausgeprägten respiratorischen Azidose. Volumengabe. Bei anamnestischem und klinischem Verdacht auf einen akuten Blutverlust sollte unverzüglich Volumen zugeführt werden. Für eine initiale Volumensubstitution bietet sich isotone Kochsalzlösung (10–15 ml/kg KG) an. Als effektivste Maßnahme ist unter kritischer Indikationsstellung die Gabe von rhesusnegativem, lysinfreiem Erythrozytenkonzentrat (10–15 ml/kg KG) anzusehen. Eine entsprechende Notfallkonserve, die ohne Kreuzprobe transfundiert werden kann, sollte heute für Risikosituationen unmittelbar nach der Geburt verfügbar sein; bei hämorrhagischem Schock ist die Transfusion bis zu einer Stabilisierung des kindlichen Zustands fortzuführen. In der 7 Übersicht sind sämtliche Schritte der Reanimation zusammengefasst.
87.2
Perinatale Schäden und ihre Folgen P. Groneck
87.2.1
Asphyxie
Perinatale Asphyxie bedeutet einen Insult für den Fetus oder das Neugeborene, bedingt durch eine Hypoxie und/oder Ischämie mit begleitender Azidose vor oder unter der Geburt, der zu einer stark gestörten postnatalen kardiorespiratorischen Adaptation führt.
Pathophysiologie Antenatal kann eine Beeinträchtigung des Fetus durch plazentare Insuffizienz, maternale Infektionen oder Blutungen bedingt sein.
Risikofaktoren für eine Asphyxie unter der Geburt 4 Maternale Erkrankungen: – Hypertension, Hypotension, Diabetes, Infektion, andere Grunderkrankung 4 Plazentare Auffälligkeiten: – Chorioamnionitis, Infarzierung, Fibrose, vorzeitige Lösung 4 Nabelschnurzwischenfälle: – Prolaps, Knoten, Kompression, Insertio velamentosa mit Gefäßriss 4 Fetale Ursachen: – Frühgeburtlichkeit, Infektion, Wachstumsrestriktion, Übertragung
Die auslösenden Faktoren führen zu einer Bradykardie, Hypotension, verminderten Herzauswurfleistung und metabolischen Azidose. Das Ausmaß einer Asphyxie zeigt sich an der Schnelligkeit, mit der ein asphyktisches Kind auf Reanimationsmaßnahmen reagiert. Untersuchungen beim Versuchstier zeigen eine typische Sequenz nach einer experimentell induzierten Hypoxie: Nach einigen heftigen Atemzügen kommt es zu einer Phase der primären Apnoe, begleitet von einer Bradykardie. In dieser Situation lassen sich die
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Tiere oft durch einfache taktile Maßnahmen zur Atmungsaufnahme stimulieren, unter der es auch zum Anstieg der Herzfrequenz kommt. Bei weitergehender Hypoxie folgt eine Phase mit erneuten heftigen Atemzügen, die schließlich sistieren und in eine terminale Apnoe übergehen. In dieser Phase ist das Tier schwer deprimiert, azidotisch, bradykard, und bedarf der intensiven kardiopulmonalen Reanimation. Formen der fetalen Depression, bei denen eine ausreichende kardiorespiratorische Adaptation nach taktiler Stimulation oder kurzfristiger Maskenbeatmung zu erreichen ist, können also nicht als schwere perinatale Asphyxie bezeichnet werden.
Klinik Eine pränatale Hypoxie/Ischämie kann sich durch Auffälligkeiten im Kardiotokogramm äußern. Bei einer perinatalen Hypoxie/Ischämie präsentiert sich das Kind klinisch unter einer stark gestörten kardiorespiratorischen Adaptation nach der Geburt: es ist bradykard, zyanotisch, apnoisch, hypoton, bewegungslos und bedarf der Reanimation. Der Apgar-Score ist eine gute und brauchbare Zustandsbeschreibung der kardiopulmonalen Adaptation nach der Geburt. Ein niedriger Score zeigt die Notwendigkeit von Reanimationsmaßnahmen an, ist aber kein sicherer Indikator für eine perinatale Asphyxie (= Hypoxie/Ischämie + Azidose) und allein auch kein Prognosekriterium für die Entwicklung einer Zerebralparese. Ansteigende Werte unter der Reanimation geben Hinweis auf den Erfolg der durchgeführten Maßnahmen. Kinder mit einer für die Prognose relevanten Asphyxie unter der Geburt zeigen in der Regel folgende Störungen: 4 eine schwere Azidose im Nabelschnurblut (<7,0), 4 einen 10-min-Apgar-Wert von ≤5, 4 eine verzögerte Aufnahme der Eigenatmung (>10 min), 4 Symptome der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie (7 Abschn. 87.2.2), d. h. neonatale neurologische Symptome einschließlich Krampfanfälle, 4 hypoxisch-ischämisch bedingte Funktionsstörungen anderer Zielorgane.
Zielorgane der Asphyxie Hypoxisch-ischämische Läsionen können sich an verschiedenen Organsystemen manifestieren (% Häufigkeit): 4 Niere: 50%, Oligurie bis Anurie. Genaue Flüssigkeitsbilanz! Vorsicht bei nephrotoxischen Medikamenten. 4 ZNS: 28%, hypoxisch-ischämische Enzephalopathie. 4 Herz: 25%, postasphyktische Kardiomyopathie mit schlechter Herzauswurfleistung, niedriger Blutdruck! Diagnose durch Echokardiographie. 4 Lunge: 23%, postasphyktische Lungenkrankheit vom ARDSTyp oder pulmonale Hypertension, Echokardiographie). 4 Leber: Transaminasenanstieg, Produktionskoagulopathie, später Cholestase. 4 Mikrozirkulation: disseminierte intravasale Gerinnung mit Thrombozytenabfall.
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Differenzialdiagnose
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Eine nicht asphyxiebedingte postnatale Beeinträchtigung der Atmung kann in folgenden Situationen beobachtet werden:
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Massiver Vagusreiz. Bei einem massiven Vagusreiz aufgrund einer
fetalen Kopfkompression oder Zug an der Nabelschnur bei Entwicklung ist der Nabelarterien-pH-Wert meist normal, d. h. >7,2, das Kind bradykard und atemdeprimiert (niedriger 1-min- und ggf.
5-min-Apgar-Wert), reagiert aber sofort und anhaltend auf Maskenbeatmung. Anschließend finden sich keine Hinweise auf neurologische Beeinträchtigung, Spontanatmung, Spontanmotorik, Muskeltonus und Blutdruck sind normal. Diese Kinder müssen postnatal beobachtet werden. Blutdruck, klinisch-neurologische Symptome und Schädelsonographie müssen registriert werden, eine Therapie ist nicht erforderlich. Anästhetika. Fetale Atemdepression aufgrund von Auswirkungen
der maternalen Anästhesie oder anderer Medikamente (MgSO4): guter Nabelarterien-pH-Wert, fehlende Spontanatmung, schnelles Ansprechen auf Reanimationsmaßnahmen, jedoch auch nach Intubation und Beatmung wenig Spontanatmung und -motorik. Weitere Ursachen
4 Neuromuskuläre Erkrankung des Neugeborenen: Symptomatik wie bei Anästhetika, 4 ZNS-Missbildung oder -trauma, spinales Trauma: Symptomatik wie bei Anästhetika, 4 Larynx-/Tracheamissbildung, Lungenhypoplasie, Zwerchfellhernie, Pleuraerguss: oft guter Nabelarterien-pH-Wert, jedoch postnatal ausgeprägte Zyanose bei meist anfangs noch regem Kind, 4 fetale Infektion: variable Werte für Nabelarterien-pH-Wert und Reaktion auf Reanimationsmaßnahmen je nach fetaler Beeinträchtigung. Neugeborene mit zyanotischen Vitien sind selten unmittelbar postnatal auffällig. Die Kinder adaptieren sich in der Regel gut und werden, wenn die Lungenperfusion Ductus-abhängig ist, erst bei Verschluss des Ductus arteriosus Botalli zyanotisch. Eine Gruppe von Neugeborenen weist bei der Geburt eine ausgeprägte Azidose auf (pH-Wert <7,0), zeigt jedoch klinisch keine Symptome und eine ungestörte kardiopulmonale Adaptation. Es besteht eine Assoziation mit einer Sectioentbindung und/oder einer Spinalanästhesie. Diese Kinder sind nicht asphyktisch, die Prognose ist gut. Sie sollten jedoch nicht zu früh entlassen, sondern für ca. 24 h überwacht werden (einschließlich Blutzuckerkontrolle).
87.2.2
Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE)
Tierexperimentelle Untersuchungen ischämischer Hirnläsionen haben gezeigt, dass die Gewebeschädigung während der HypoxieIschämie beginnt und in der Reperfusionsphase noch weiter zunimmt. Wesentliche Schädigungsmechanismen im Bereich der Mikrozirkulation laufen erst ab, wenn die Blutversorgung wiederhergestellt ist. Die Hauptmediatoren dieses Reperfusionsschadens sind freie O2-Radikale, neutrophile Granulozyten und vom Endothel stammende Faktoren. Die Folge einer Ischämie ist zunächst eine Entzündung der Mikrovaskulatur. Der Entzündungsprozess mündet in einen Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke. Aus lädierten Zellen werden dann neurotoxische exzitatorische Aminosäuren freigesetzt (Glutamat und Aspartat). Diese Substanzen aktivieren einen Ionenkanal (NMDA-Kanal, N-Methyl-D-Aspartat), was zu einem Ca2+-Influx in die Zelle führt. Durch Aktivierung von Proteasen kann der Zelltod eingeleitet werden. Während sich meist alle anderen Organe vom asphyktischen Insult erholen, ist dies beim Gehirn nicht immer der Fall. Die Schädigung des Gehirns verläuft in verschiedenen Phasen: Auf die Hy-
1123 87.3 · Das Frühgeborene
poxie/Ischämie folgt die initiale Gefäßläsion im Rahmen der Reperfusion. Daran schließt sich eine Latenzzeit an, die dann gefolgt wird von einer Verminderung energiereicher Phosphate (Phosphokreatinin und ATP). Dieses sekundäre Energieversagen ist in der Regel erst nach 24–72 h in voller Ausprägung vorhanden. Je nach Ausmaß der Schädigung entwickelt sich eine lokale Hirnläsion oder eine diffuse neuronale Nekrose mit schwerem Hirnödem oder Hirntod. Tierexperimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Latenzphase möglicherweise ein therapeutisches Fenster zur Behandlung der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie darstellt. Dies bildet die Basis für die Hypothermiebehandlung (7 unten)
Klinik Die typischen klinischen Symptome einer HIE sind: 4 Beeinträchtigung der Bewusstseinslage (Hyperexzitabilität, Lethargie oder Koma), 4 Änderung des Muskeltonus (Hyper- oder Hypotonie), 4 Änderung des Reflexverhaltens (fehlender Moro-Reflex, fehlender Greif- und Saugreflex), 4 Auftreten von Krampfanfällen. Das EEG zeigt typische Veränderungen in Abhängigkeit vom Schweregrad der Hirnschädigung. Die Sarnat-Klassifikation erlaubt oft die Prognoseeinschätzung aufgrund klinischer Parameter.
Therapie Hypothermiebehandlung. Die Kühlung des Körpers und damit des Gehirns auf eine Temperatur von 33‒34°C für eine Zeit von 72 h mit Beginn in der Latenzphase (2 bis spätestens 6 h nach dem Insult) führt bei Neugeborenen mit moderater Enzephalopathie offenbar zu einer Verminderung der Hirnschädigung. Bei Neugeborenen mit schwerer Enzephalopathie verbessert diese Behandlung die Prognose nicht. Die Hypothermiebehandlung ist derzeit noch nicht generell etabliert. Wegen der Begrenztheit der Spätergebnisse wird sie als »Therapie in Entwicklung« angesehen. Bei unregelmäßiger Atmung oder Apnoen sollte eine frühzeitige Intubation und Beatmung erfolgen. Der pO2 und pCO2 sollten in normalen Grenzen gehalten werden; eine Hyperventilation ist nicht sinnvoll. Bei metabolischer Azidose sollte gepuffert werden. Kreislauf. Wichtigste Größe für ausreichende Hirnperfusion ist
der Blutdruck. Bei Kindern mit schwerer Asphyxie soll bereits im Kreißsaal ein sicherer intravenöser Zugang gelegt werden, bei instabilem Blutdruck erfolgt die Gabe von Katecholaminen (Dopamin/ Dobutrex oder Suprarenin). Bei Kindern <1000 g: Vorsicht bei der Katecholamintherapie. Sedierung. Die Verwendung von Sedativa sollte vorsichtig erfolgen (Cave: Hypotension), falls möglich keine Sedierung, damit die neu-
rologische Prognose besser eingeschätzt werden kann. Bei Auftreten von Krampfanfällen erfolgt eine Behandlung mit Phenobarbital, Phenytoin oder Lorazepam (7 Abschn. 87.7). Weitere Maßnahmen. Bei einer HIE kann ein Hirnödem auftre-
ten. Wie bei allen anderen Anoxie-bedingten Hirnödemen gibt es jedoch keine spezifische »Hirnödemtherapie«, da es sich um ein zytotoxisches Hirnödem handelt. Glukokortikosteroide sowie Mannit sind aus diesen Gründen nicht indiziert.
87.3
Das Frühgeborene C.P. Speer
Grundlagen Ungefähr 6,5% aller Geburten erfolgen vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW); etwa 1,5% der Kinder sind sehr kleine Frühgeborene (Geburtsgewicht <1500 g, Gestationsalter <32 vollendete Gestationswochen). Die Frühgeburtlichkeit trägt als wesentlicher Faktor zur perinatalen und neonatalen Sterblichkeit bei. Die Ursachen der Frühgeburtlichkeit lassen sich nur bei einem Teil der Patienten eruieren: 4 vorzeitige Wehen, 4 vorzeitiger Blasensprung, 4 Amnioninfektionssyndrom, 4 Mehrlingsschwangerschaft, 4 akute Plazentalösung, 4 mütterliche Erkrankungen wie EPH-Gestose u. a.
Prognose Die Überlebenschance Frühgeborener mit einem Geburtsgewicht von <1500 g hat sich im letzten Jahrzehnt deutlich verbessert. Während in den frühen 1970-er Jahren nur 15–40% dieser Risikopatienten die Neonatalperiode überlebten, ist 10 Jahre später der Anteil überlebender Frühgeborener auf mehr als 90% angestiegen. Die günstigere Prognose ist zu einem großen Teil auf die Verbesserung der Betreuung und des perinatalen Managements von Risikoschwangeren sowie die Fortschritte der neonatalen Intensivmedizin zurückzuführen. Das Grundproblem sehr kleiner Frühgeborener bleibt jedoch bestehen – die Unreife von Organsystemen und -funktionen, die postpartal zu einer Reihe von akuten Erkrankungen und chronischen pulmonalen und neurologischen Folgeschäden führen können: 4 Apnoe, Atemnotsyndrom, chronische Lungenerkrankung, bronchopulmonale Dysplasie, 4 Hypothermie, Hypoglykämie, Bradykardie, 4 persistierender Ductus arteriosus, 4 nekrotisierende Enterokolitis, 4 erhöhte Infektionsdisposition, nosokomiale Sepsis, 4 intrazerebrale Blutung, periventrikuläre Leukomalazie, Frühgeborenenretinopathie, Taubheit, psychomotorische Retardierung, neurologische Schädigung. In den letzten Jahren gibt es eine zunehmende Anzahl von experimentellen Untersuchungen sowie von klinischen Beobachtungen und Studien, die eine Assoziation zwischen maternaler Chorioamnionitis und dem Auftreten einer bronchopulmonalen Dysplasie sowie Hirnblutungen bzw. periventrikulärer Leukomalazie nahelegen. Eine Chorioamnionitis lässt sich bei >50% aller sehr unreifer Frühgeborener in der Vorgeschichte nachweisen. Vermutlich führt die im Rahmen einer Chorioamnionitis beschriebene intrauterine Zytokinexposition des Feten zu einer Entzündungsreaktion in der kindlichen Lunge sowie zu einer ersten Schädigung der unreifen vaskulären Endothelstrukturen, dem sog. »first hit«. Sind unmittelbar nach der Geburt weitere schicksalhafte oder auch vermeidbare Ereignisse zu verzeichnen, die zu einer Veränderung des zerebralen Blutflusses führen, so kann eine Hirnblutung oder Minderperfusion vulnerabler Gehirnstrukturen auftreten. Die intrauterine pulmonale Entzündungsreaktion wird durch postnatale Sauerstofftoxizität, Baro-/Volutrauma sowie Infektionen verstärkt und kann in eine bronchopulmonale Dysplasie einmünden.
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Prävention Für eine optimale Betreuung von Risikofrühgeborenen müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein. Risikoschwangere und Frühgeborene sollten nur in personell und technisch optimal ausgestatteten Perinatalzentren betreut werden. Ein In-utero-Transport eines gefährdeten Frühgeborenen ist mit ungleich geringeren Risiken verbunden als eine postnatale Verlegung. Die Inzidenz von bleibenden Behinderungen ist – wie in vielen Studien belegt – bei einer Behandlung in Perinatalzentren deutlich geringer als in kleinen Kinderkliniken, die über eine geringere Erfahrung in der Behandlung der Patienten und/oder eine unzureichende personelle bzw. apparative Ausstattung verfügen. > Bei einer drohenden Geburt vor der 34. Gestationswoche ist unter maximaler tokolytischer Therapie eine Lungenreifungsbehandlung mit Betamethason oder Dexamethason durchzuführen.
Die Geburt dieser Risikopatienten sollte so atraumatisch wie möglich erfolgen. Eine primäre Sectio caesarea ist in jedem Fall bei Kindern mit Beckenendlage, drohender intrauteriner Asphyxie, Verdacht auf Amnioninfektionssyndrom sowie jedweder Form relevanter mütterlicher und kindlicher Pathologie indiziert. Durch eine schonende Spontangeburt scheint die Komplikationsrate, insbesondere zerebraler Schädigungen, nicht erhöht zu sein. Während der mütterlichen Anästhesie muss eine intrauterine und postpartale Depression des Kindes unbedingt vermieden werden. Dies setzt eine enge Abstimmung von Anästhesieverfahren, chirurgischem Vorgehen und unmittelbar postpartaler Versorgung der Frühgeborenen voraus. Nach der Erstversorgung der Frühgeborenen im Kreißsaal erfolgt die weitere zeit- und personalaufwendige Behandlung und Pflege der Kinder auf einer neonatologischen Intensivstation. Einzelheiten sind den Lehrbüchern der Pädiatrie und Neonatologie zu entnehmen.
87.3.1
Atemnotsyndrom Frühgeborener C.P. Speer
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Die Surfactant-Substitution stellt einen entscheidenden Durchbruch in der Behandlung des Atemnotsyndroms Frühgeborener dar. Durch diese kausale Therapiemaßnahme konnten die akuten pulmonalen Komplikationen beatmeter Frühgeborener um 2/3 reduziert und die Sterblichkeit von Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom deutlich gesenkt werden.
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Epidemiologie
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Etwa 1% aller Neugeborenen erkrankt an einem Atemnotsyndrom [»respiratory distress syndrome« (RDS), hyalines Membransyndrom]. Die Inzidenz steigt mit abnehmendem Gestationsalter; bis zu 60% der Frühgeborenen <30. Gestationswoche entwickeln ein RDS.
Pathogenese Wesentliche Ursache des RDS ist der Mangel eines pulmonalen oberflächenaktiven Surfactant-Systems, das die Oberflächenspannung der Alveolen vermindert und somit zur Stabilität des Alveolarsystems beiträgt; es beugt einem Alveolarkollaps in der Exspiration vor (Surfactant = »surface active agent«). Surfactant wird von Pneumozyten des Typs II gebildet, in den Alveolarraum sezerniert und besteht überwiegend aus verschiedenen Phospholipiden.
. Abb. 87.5 Circulus vitiosus des Surfactant-Mangels
Hyaline Membranen Das Surfactant-Defizit wird typischerweise durch eine postnatal einsetzende intraalveoläre Akkumulation von Plasmaproteinen kompliziert, die nach Schädigung des Alveolarepithels und Kapillarendothels die Alveoli auskleiden und die Surfactant-Wirkung direkt hemmen (hyaline Membranen). Eine ausreichende SurfactantSynthese besteht in der Regel von der 35. Gestationswoche an. Kinder diabetischer Mütter, Neugeborene mit Asphyxie oder schwerer Erythroblastose können eine verzögerte Lungenreifung aufweisen. Eine beschleunigte Lungenreifung wird bei Präeklampsie und Wachstumsrestriktion, bei intrauterinem Stress durch vorzeitigen Blasensprung (2–7 Tage) und durch mütterliches Amnioninfektionssyndrom beobachtet.
Pathophysiologie Bei einem Surfactant-Mangel entwickeln sich in den Lungen der Frühgeborenen unmittelbar nach der Geburt zunehmende diffuse Atelektasen. Die alveoläre Minderbelüftung führt zu einer Hypoxämie/Hypoxie und zu einem Anstieg des CO2-Partialdruckes. Die Folgen sind eine systemische Hypotension und Vasokonstriktion der pulmonalen Gefäße, die eine pulmonale Minderperfusion sowie eine Ausbildung intrapulmonaler Shunts und eines Rechts-Links-Shunts auf Vorhofebene (Foramen ovale) bzw. über den Ductus arteriosus nach sich ziehen; der pulmonale Metabolismus wird erheblich eingeschränkt. Azidose, Hypoxie und der veränderte Lungenstoffwechsel hemmen die postnatal einsetzende de novo-Synthese von Surfactant. In . Abb. 87.5 ist der Circulus vitiosus des Atemnotsyndroms dargestellt.
Klinik Die klinischen Symptome treten unmittelbar nach der Geburt oder innerhalb der ersten 3–4 h post partum auf: 4 Tachypnoe >60/min, 4 Nasenflügeln, 4 exspiratorisches Stöhnen, 4 sternale und interkostale Einziehungen, 4 abgeschwächtes Atemgeräusch, 4 Mikrozirkulationsstörungen mit blass-grauem Hautkolorit, 4 Temperaturinstabilität, 4 evtl. Zyanose (bei insuffizienter Behandlung). Bei der röntgenologischen Untersuchung des Thorax finden sich typische Veränderungen des RDS. Unter zunehmender Verdichtung
1125 87.3 · Das Frühgeborene
. Abb. 87.6 Radiologische Veränderungen eines schweren Atemnotsyndroms. Verdichtetes Lungenparenchym, Auslöschung der Zwerchfell- und Herzkonturen, positives Lungenbronchogramm
des Lungenparenchyms mit Auslöschung der Herz- und Zwerchfellkonturen entwickelt sich eine sog. »weiße Lunge« (. Abb. 87.6). > Man beachte folgende Differenzialdiagnose: Eine neonatale Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B kann sich unter den klinischen und radiologischen Zeichen eines RDS manifestieren!
Akute Komplikationen Im Verlauf der Erkrankung können folgende Komplikationen auftreten: 4 extraalveoläre Luftansammlung, pulmonales interstitielles Emphysem, 4 Pneumothorax, 4 Pneumomediastinum, 4 Pneumoperitoneum, 4 Pneumoperikard. Als Folge der Lungenunreife, der Langzeitbeatmung und der O2Toxizität (durch die hohe inspiratorische O2-Konzentration) kann sich bei Risikopatienten eine chronische Lungenerkrankung, die bronchopulmonale Dysplasie (BPD) entwickeln.
Therapie Symptomatische Behandlung. Die Therapie des RDS wird vom Schweregrad der pulmonalen Erkrankung bestimmt. Bei leichtem RDS erfolgt eine O2-Zufuhr und/oder die Anlage eines NasenCPAP (binasaler Prong), bei deutlicher Ventilations- und Oxygenierungsstörung müssen die Kinder maschinell beatmet werden. Die Überwachung erfolgt mittels kontinuierlicher transkutaner pO2-und pCO2-Messung, Pulsoxymetrie, regelmäßiger Blutgasanalysen und engmaschiger Blutdruckkontrollen; evtl. ist eine Plasmabzw. Bluttransfusion erforderlich. Grundprinzip der Behandlung ist das sog. »minimal handling», d. h. die möglichst geringe Belastung des Frühgeborenen durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Kausale Behandlung: Surfactant-Substitution. In den letzten 20 Jahren ist mit der Substitution mit natürlichem und synthetischem Surfactant ein entscheidender Fortschritt in der Behandlung des Atemnotsyndroms Frühgeborener erzielt worden.
Natürliche Surfactant-Präparate werden durch Lavage von Kälber- und Rinderlungen (Alveofact, Infasurf) oder Homogenisierung von Rinderlungen (Surfactant-TA, Survanta) oder Schweinelungen (Curosurf) extrahiert oder aber wurden für klinische Studien aus dem menschlichen Fruchtwasser isoliert. Die Präparate unterscheiden sich in der Zusammensetzung der Phospholipidfraktionen sowie im Apoproteinmuster. Zurzeit gibt es auf dem Markt keine synthetischen Surfactant-Präparate. Unmittelbar nach intratrachealer Applikation natürlicher Surfactant-Präparate konnte bei Frühgeborenen mit manifesten RDS in allen kontrollierten Studien eine – wenn auch recht unterschiedliche – Verbesserung der Oxygenierung und der Beatmungssituation erzielt werden. Synthetische Präparate zeigen im Vergleich zu natürlichen Surfactant-Präparationen eine wesentlich langsamere Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches und des Beatmungsverlaufs. Sowohl nach prophylaktischer als auch nach therapeutischer Surfactant-Gabe konnte die Pneumothoraxinzidenz um 50–70% und die Sterblichkeit um ca. 40% reduziert werden. Alle anderen akuten und chronischen mit Atemnotsyndrom assoziierten Komplikationen wurden durch eine Surfactant-Therapie nicht beeinflusst. Direkte Vergleichsstudien zwischen natürlichen und synthetischen Surfactant-Präparaten belegen eine bessere klinische Wirksamkeit natürlicher Präparate. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine Surfactant-Behandlung Frühgeborener <28 Gestationswochen in der frühen Phase des Atemnotsyndroms einer Therapie in einer späteren Erkrankungsphase überlegen ist. Generell sollten alle Frühgeborenen <32 Gestationswochen nach suffizienter kardiorespiratorischer Stabilisierung zu einem Zeitpunkt mit Surfactant behandelt werden, an dem die ersten klinischen Zeichen eines RDS nachweisbar sind (. Tab. 87.4). »Surfactant-Non-Responder«. Eine Reihe von Grunderkrankun-
gen kann den Effekt einer Surfactant-Therapie negativ beeinflussen. So muss bei Frühgeborenen mit struktureller Lungenunreife oder Lungenhypoplasie, z. B. nach längerem vorzeitigem Blasensprung, sowie bei Kindern mit konnataler und neonataler Pneumonie mit einem fehlenden oder deutlich geringeren Therapieerfolg gerechnet werden. Aber auch die perinatale Hypoxie, Hypothermie und nicht zuletzt die systemische Hypotension haben unmittelbaren Einfluss auf die initiale Wirksamkeit der Surfactant-Behandlung. Eine nur transitorische Verbesserung der Oxygenierung und des Gasaustausches wird bei Frühgeborenen beobachtet, die im Rahmen eines hämodynamisch signifikanten persistierenden Ductus arteriosus ein intraalveoläres Ödem entwickeln. Nebenwirkungen. Unmittelbare Nebenwirkungen einer Behand-
lung mit natürlichem Surfactant-Präparaten sind – von Fehlern bei der Anpassung der maschinellen Beatmung abgesehen – bisher nicht beschrieben worden. ! Cave Nach Applikation natürlicher Surfactant-Präparate kann eine ungenügende Adjustierung des Beatmungsdrucks zur akuten Überblähung des Lungenparenchyms (»Hyperexpansion«) und dadurch zu schwerwiegenden Ventilations- und Zirkulationsstörungen führen. Andere Indikationen für eine Surfactant-Therapie. Neben dem
neonatalen Atemnotsyndrom ist eine Surfactant-Behandlung auch bei Erkrankungen sinnvoll, in deren Verlauf ein sekundärer Surfac-
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
. Tab. 87.4 Empfehlungen zur postnatalen Surfactant-Behandlung Zeitpunkt
5 Prophylaktische oder möglichst frühe Behandlung im Kreißsaal nur für Frühgeborene <28 Gestationswochen nach postpartaler Stabilisierung (Voraussetzung: erfahrenes Reanimationsteam) 5 Frühe Surfactant-Substitution bei Frühgeborenen <32 Gestationswochen mit klinischen Zeichen des RDS, maschineller Beatmung und einem O2-Bedarf von >40% 5 Spätere Surfactant-Behandlung bei etwas »reiferen« Frühgeborenen mit RDS, maschineller Beatmung und einem O2-Bedarf von >50–60%
Dosis
5 Initialdosis für die prophylaktische Behandlung mit natürlichen Surfactant-Präparaten ca. 100 mg/kg KG 5 Initialdosis für die Behandlung des manifesten RDS 100 bis maximal 200 mg/kg KG
Mehrfachbehandlung
5 Innerhalb von 48 h wiederholte SurfactantGaben bei erneutem O2-Anstieg >30% und maschineller Beatmung (kumulative Dosis: 400 mg/kg KG)
Applikation, Therapievoraussetzungen
5 Unabhängig von der Art der Surfactant-Präparation muss der behandelnde Kinderarzt mit allen Aspekten der intratrachealen Surfactant-Applikation, der maschinellen Beatmung sowie allen anderen Maßnahmen der neonatologischen Intensivmedizin vertraut sein
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tant-Mangel auftritt: bei konnataler Pneumonie, Mekoniumaspirationssyndrom u. a.
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Prävention
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Die sog. Lungenreifungsbehandlung durch Betamethason oder andere Glukokortikoidderivate kann die Inzidenz und den Schweregrad des RDS Frühgeborener durch eine Enzyminduktion vermindern. Betamethason sollte möglichst 48 h vor der Geburt der Schwangeren verabreicht werden. Repetitive Gaben sind obsolet. Pränatale Kortikosteroide in Kombination mit der postnatalen Surfactant-Therapie (natürliches Surfactant) reduzieren die Sterblichkeit sowie die Inzidenz pulmonaler und extrapulmonaler Komplikationen (Hirnblutung). Als weiterer bedeutsamer Faktor in der Prävention des RDS ist eine schonende Geburtseinleitung und optimale primäre Reanimation der Risikokinder anzusehen.
87.3.2
Persistierender Ductus arteriosus (PDA) C.P. Speer
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> Ein hämodynamisch wirksamer persistierender Ductus arteriosus stellt das häufigste kardiovaskuläre Problem Frühgeborener dar.
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Pathogenese und Pathophysiologie
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Bei reifen Neugeborenen setzt mit ansteigenden O2-Partialdrücken nach der Geburt eine Konstriktion des Ductus arteriosus und nachfolgend der Verschluss ein. Der Ductus arteriosus Frühgeborener
reagiert schwächer auf die postnatalen Kontraktionsreize; wesentliche Faktoren dürften die unreife Muskulatur des Ductus und der persistierende vasodilatatorische Effekt hoher Prostaglandinkonzentrationen (PGE2) bei Frühgeborenen sein. Bei ausbleibendem Ductusverschluss entwickelt sich in der akuten Phase des RDS ein Shunt zwischen pulmonaler und systemischer Zirkulation (Rechtslinks-Shunt). Mit Rückbildung des RDS sinkt der pulmonale Gefäßwiderstand ab; in dieser Phase kann sich ein hämodynamisch signifikanter Links-rechts-Shunt über den PDA entwickeln. Die Folge ist eine akute pulmonale Überflutung mit hämorrhagischem Lungenödem und akuter kardialer Insuffizienz. Die Beatmungssituation der Patienten verschlechtert sich akut, durch Intensivierung der Beatmung und Erhöhung der inspiratorischen O2-Konzentration nimmt die Lungenschädigung zu (bronchopulmonale Dysplasie). Auch bei protrahierter Manifestation eines PDA können u. a. ein interstitielles Lungenödem und Veränderungen der Organperfusion (Nieren, Magen-Darm-Trakt) auftreten.
Klinik Ein PDA manifestiert sich häufig zwischen dem 3. und 5. Lebenstag mit folgender Charakteristik: 4 präkordiale Hyperaktivität, 4 systolisches Herzgeräusch, gelegentlich kontinuierlich (ca. 20% der Frühgeborenen mit hämodynamisch signifikantem PDA haben kein Geräusch!), 4 Pulsus celer et altus (»springende Pulse«), Tachykardie, 4 Verschlechterung der Beatmungssituation, evtl. feinblasige Rasselgeräusche, 4 evtl. Hepatomegalie, 4 renale Ausscheidungsstörungen, 4 Zirkulationsstörungen. Ein mehr als 7 Tage bestehender hämodynamisch signifikanter PDA ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung einer bronchopulmonalen Dysplasie. Die klinische Verdachtsdiagnose wird durch die Thoraxröntgenaufnahme, die zweidimensionale Echokardiographie und den direkten Shuntnachweis mit Hilfe der Dopplertechnik und Farbdopplerverfahren bestätigt.
Therapie Die wesentlichen Therapieprinzipien bei symptomatischem PDA sind: 4 Flüssigkeitsrestriktion, 4 Prostaglandinsynthesehemmer (Indometacin), 4 operativer PDA-Verschluss. Durch die Hemmung der Prostaglandinsynthese wird der gefäßerweiternde Effekt von Prostaglandin E2 antagonisiert. Kontraindikationen der Indometacin-Behandlung sind: Thrombozytopenie, Serumkreatinin >1,8 mg/dl und Oligurie. Etwa 40% aller mit Indometacin behandelten Frühgeborenen sprechen auf diese konservative Behandlung nicht an.
87.3.3
Neonatale chronische Lungenkrankheit oder bronchopulmonale Dysplasie (BPD) P. Groneck
1967 beschrieb Northway erstmalig eine Gruppe von Frühgeborenen, die nach maschineller Beatmung wegen eines Atemnotsyndroms keine Besserung der Lungenfunktion zeigten. Die Kinder blieben über
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lange Zeit respiratorabhängig und waren schlecht von der Beatmung zu entwöhnen oder starben unter der Beatmung. Diese vorher nicht beobachtete chronische Lungenkrankheit wurde als bronchopulmonale Dysplasie (BPD) bezeichnet. Anfangs wurde die BPD ausschließlich aufgrund radiologischer Veränderungen diagnostiziert. Später wurden v. a. klinische Befunde (O2-Bedarf und Atemnotsymptomatik) sowie ein Zeitfaktor für die Diagnosestellung herangezogen. Von einer milden BPD spricht man, wenn mit einem postnatalem Alter von 28 Tagen Sauerstoff erforderlich ist, um die pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung >90% zu halten. Persistiert dieser Sauerstoffbedarf bis zum postkonzeptionellen Alter von 36 Wochen, so liegt eine moderate BPD vor. Bei einer schweren BPD besteht zu diesem Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Atemhilfe (CPAP oder maschinelle Beatmung) oder ein erhöhter Sauerstoffbedarf (FIO2>0,35).
Pathogenese Die BPD ist eine chronische Lungenkrankheit Frühgeborener. Grundvoraussetzung für die Entstehung ist die Unreife der Lunge, die sowohl die anatomischen Stukturen als auch funktionelle Systeme betrifft: Das Surfactant-System, Enzyme zur O2-Detoxifikation (Superoxiddismutase, Katalase, Glutathionperoxidase) sowie notwendige Faktoren zur Epithelregeneration (Vitamin A). Bestimmte, meist nicht vermeidbare Noxen wie erhöhte O2Zufuhr, mechanisches Beatmungstrauma, eine pränatale Chorioamnionitis, insbesondere Infektionen mit Ureaplasma urealyticum, postnatale pulmonale und systemische Infektionen, hohes Flüssigkeitsangebot, eine pulmonale Hyperperfusion bei offenem Ductus arteriosus u. a. führen zu einer akuten Lungenläsion. Dabei besteht zumeist eine gesteigerte pulmonale mikrovaskuläre Permeabilität, wahrscheinlich aufgrund einer persistierenden Entzündungsreaktion. Die Folge ist eine abnorme Lungenentwicklung mit einer Beeinträchtigung der Alveolarisierung und Vaskularisierung der sich entwickelnden Lunge. Bei anhaltender Exposition gegenüber den Noxen wird der normale Gewebereparaturprozess in der Lunge gestört, es kommt zur Ausbildung einer interstitiellen Fibrose und eines Lungenemphysems. Die Pulmonalgefäße sind durch diesen Umbauprozess ebenfalls betroffen, sie sind rarefiziert und zeigen eine Mediahypertrophie. Die Folge kann ein ausgeprägter pulmonaler Hypertonus sein. Für die Entwicklung einer BPD ist häufig ein Atemnotsyndrom in den ersten Lebenstagen verantwortlich, aber keine unabdingbare Voraussetzung. Ein Teil der sehr unreifen Frühgeborenen entwickelt eine BPD auch bei initial offenbar gesunder Lunge. Eine pränatale fetale Inflammationsreaktion im Rahmen einer Chorioamnionitis, postnatale systemische Infektionen oder ein persistierender Ductus arteriosus können dabei ursächlich beteiligt sein. Unterschiedliche therapeutische Praktiken (Flüssigkeitszufuhr, Indikation zur mechanischen Beatmung) haben einen deutlichen Einfluss auf die Inzidenz der BPD.
Klinik Kinder mit einer BPD zeigen die folgenden klinischen Symptome: 4 Sie lassen sich schwer von der Beatmung entwöhnen. 4 Sie haben nach der Extubation eine persistierende Atemnot mit anhaltendem O2-Bedarf, sternalen und kostalen Einziehungen und einer Tachypnoe. 4 Oft besteht eine kardiopulmonale Instabilität mit Neigung zu häufigen O2-Sättigungsabfällen und Bradykardien. 4 Es findet sich ein typisches radiologisches Bild in Form von fleckig-steifigen röntgendichten Veränderungen in Abwechslung mit Regionen erhöhter Strahlentransparenz oder zystisch-
. Abb. 87.7 BPD Stadium IV nach Northway: diffus über beide Lungen verteilte ausgeprägte zystische Aufhellungen sowie streifig-fleckförmige Verdichtungen
emphysematösen Bereichen. Die Veränderungen werden nach Northway in verschiedene Stadien (I‒IV) eingeteilt (. Abb. 87.7).
Prävention Prinzipiell ist die Prävention der BPD erstes Ziel. Wichtige Maßnahmen sind in der 7 Übersicht aufgeführt. Allgemeine Maßnahmen zur Prävention der bronchopulmonalen Dysplasie 4 Pränatale Steroidbehandlung. 4 Frühzeitige Surfactant-Therapie bei Vorliegen eines Atemnotsyndroms. 4 Frühzeitige Behandlung eines klinisch relevanten offenen Ductus arteriosus. 4 Vermeidung einer Flüssigkeitsüberladung. 4 Niedrigste mögliche Beatmungsunterstützung zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Gasaus-tauschs. 4 Falls möglich, frühzeitige Extubation und CPAP-Behandlung. 4 Gewährleistung einer ausreichenden Ernährung (parenteral/enteral) sowie Versorgung mit Spurenelementen und Vitaminen. Die intramuskuläre Verabreichung von Vitamin A in einer Dosis von 5000 IE 3-mal/Woche führt zu einer mäßiggradigen, aber signifikanten Senkung der BPD-Rate. 4 Lichtschutz von parenteral zugeführten Lipidlösungen, um die Bildung toxischer Lipidhydroperoxide zu vermeiden. 4 Die Bedeutung der Behandlung einer pulmonalen Ureaplasmenbesiedlung bei der Geburt auf die Entwicklung einer BPD ist noch nicht endgültig geklärt. Bei Besiedlung und anhaltenden pulmonalen Problemen des Kindes ist eine Behandlung mit Erythromycin zu erwägen. 4 Die prophylaktische Behandlung mit Coffein ab dem 3. Lebenstag zur Therapie von Apnoen senkt signifikant das Risiko, eine BPD zu entwickeln.
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Therapie Flüssigkeitreduktion. Bei klinischen Symptomen einer BPD sollte
eine Reduktion der Flüssigkeitszufuhr angestrebt werden.
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Diuretika. Diuretika verbessern die Lungenfunktion und den Gas-
austausch bei Frühgeborenen mit Symptomen einer BPD. Die Wirkung beruht offenbar auf einer Verminderung des Lungenwassers. Die Wirkung hält für ca. 8 Wochen an. Aufgrund der Kalziurie ist die Anwendung von Furosemid jedoch problematisch, da sich eine Nephrokalzinose entwickeln kann. Dexamethason. Unter einer Behandlung mit Dexamethason kommt es zu einer Verminderung des pulmonalen Wassergehaltes, zu einem Anstieg der Compliance und zu einer Verbesserung des Gasaustausches. Die Therapie ermöglicht innerhalb von 2–5 Tagen bei der Mehrzahl der behandelten beatmeten Patienten eine Extubation. Der Effekt ist möglicherweise bedingt durch eine Abnahme der pulmonalen Entzündungsreaktion sowie der mikrovaskulären Permeabilität der Lunge. Dexamethason hat eine Fülle von Nebenwirkungen und ungünstigen Langzeiteffekten. Insbesondere sind die Auswirkungen auf die Lungenentwicklung und die Hirnentwicklung nicht geklärt. Alarmierend sind die bisherigen Ergebnisse von Nachuntersuchungen Frühgeborener, die eine sehr frühe oder sehr lange postnatale Kortikosteroidtherapie erhalten haben: Es wurde ein deutlich erhöhtes Risiko für eine beeinträchtige neurologische und kognitive Entwicklung festgestellt. Offenbar werden die kurz- bis mittelfristigen Vorteile einer postnatalen Glukokortikoidtherapie mit langfristigen erheblichen Nachteilen erkauft. Glukokortikoide sollten daher postnatal nur noch in lebensbedrohlichen Situationen eingesetzt sowie die Dosis und die Therapiedauer deutlich reduziert werden. Inhalative Steroide werden zur Prophylaxe einer BPD nicht empfohlen. Bei manifester Erkrankung kann die topische Steroidbehandlung erwogen werden. Bronchodilatatoren. Bei pulmonaler Obstruktion oder radiologi-
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schem Nachweis emphysematöser Veränderungen können inhalative oder systemische Bronchodilatatoren eingesetzt werden. O2-Gabe. Bei etablierter BPD, insbesondere bei schweren Verläu-
fen, besteht eine deutliche Mediahypertrophie der Pulmonalgefäße. In dieser Situation sollte O2 nicht zu niedrig dosiert werden, um die Entwicklung bzw. Zunahme einer pulmonalen Hypertonie zu vermeiden (SO2 >92%, pO2 >55 mm Hg). Eine ausreichende O2-Zufuhr ist ebenfalls erforderlich für eine befriedigende Gewichtszunahme. Die regelmäßige echokardiographische Überwachung zur Beurteilung des Lungengefäßwiderstandes ist notwendig.
Prognose In den meisten Fällen kommt es zu einer Reparatur der pulmonalen Veränderungen, erkennbar am Rückgang der Atemnotsymptomatik und des O2-Bedarfs. Nur wenige Kinder benötigen auch zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik noch O2 und erhalten eine entsprechende häusliche Therapie, die in der Regel nicht länger als 3–6 Monate erforderlich ist. Einzelne Kinder lassen sich nicht von der Beatmung entwöhnen oder müssen nach Spontanatmungsphasen reintubiert werden und sterben an der Beatmung. Kinder mit BPD sind stark anfällig für eine RSV-Bronchiolitis, auch im Rahmen einer nosokomialen Infektion im Krankenhaus. Diese Infektion kann bei BPD-Patienten zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild führen. Weiterhin haben Kinder mit BPD nicht selten ein hyperreagibles Bronchialsystem und erkranken innerhalb der ersten 2 Le-
bensjahre häufig an einer obstruktiven Bronchitis. Störungen der Lungenfunktion (reversible oder fixierte Obstruktionen, erhöhtes intrathorakales Gasvolumen) sind bis ins Erwachsenenalter nachweisbar. In der Regel sind die Kinder jedoch körperlich später gut belastbar und in der Lage, Sport zu treiben.
87.3.4
Retinopathia praematurorum (ROP) P. Groneck
Definition und Pathogenese Die »retinopathy of prematurity« (ROP) ist eine multifaktorielle vasoproliferative Netzhauterkrankung, deren Inzidenz und Schweregrad mit zunehmender Unreife ebenfalls zunimmt. 10% der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1750 g, aber fast 80% aller Kinder unter 1000 g entwickeln irgendeine Form dieser Erkrankung. Dies führt bei 1% bzw. 5% zu einer erheblichen Visuseinschränkung. Die ROP ist die häufigste Ursache von Blindheit bei Kindern unter 6 Jahren. Risikofaktoren für die ROP-Entwicklung sind, neben der Unreife, postnatale Situationen, die entweder mit einer retinalen Minderperfusion oder einem erhöhten retinalen O2-Angebot einhergehen: Hyperoxie, beatmungsbedingte Hypokapnie, Hypotension bei Sepsis, rezidivierende Apnoen, persistierender Ductus arteriosus, Hyperkapnie. Die Erkrankung ist intensivmedizinisch relevant, da die Vermeidung bzw. adäquate Behandlung dieser Situationen für die Entstehung der Retinopathie von Bedeutung ist. Die genannten Risikofaktoren beeinträchtigen die Perfusion der Retina, die bei sehr unreifen Frühgeborenen noch nicht vollständig vaskularisiert ist. Die Gefäßversorgung der Netzhaut entwickelt sich ab der 16. Woche von der Optikusscheibe aus und ist erst am Termin abgeschlossen. Bei der Pathogenese der Erkrankung werden unterschieden 4 Eine Phase des primären Insults (relative retinale Hyperoxie), die zu einer Vasokonstriktion mit Stillstand der Gefäßentwicklung führt (Verminderung der Expression retinaler Wachstumsfaktoren wie VEGF und IGF-1). 4 Eine Phase der relativen retinalen Ischämie, auf die durch erneute Produktion von VEGF und IGF-1 eine Neovaskularisierung folgt. Die Gefäße wachsen in den Glaskörper ein, aufgrund einer vermehrten Permeabilität kann es zu Blutungen und Ödembildung kommen. 4 Eine Phase der Narbenbildung. Mit den Gefäßzellen kommt es zur Neubildung von Fibroblasten mit kontraktilen Elementen. Diese neovaskulären Elemente durchsetzen den Glaskörper, durch narbige Kontraktion kann die Retina, an denen das Gewebe anheftet, abgehoben werden. Bei völliger Ablösung der Netzhaut und massiver narbiger Kontraktion bildet die Retina ein retrolental gelegenes tunnelartiges Gebilde, das mit Narbengewebe durchsetzt ist.
Diagnose Typische klinische Symptome zeigen sich nicht während der ROPEntwicklung. Aus diesem Grund sind v. a. bei kranken, intensivbehandelten Frühgeborenen regelmäßige ophthalmologische Kontrolluntersuchungen des Augenhintergrundes notwendig. Der Zeitpunkt des Auftretens hängt von der retinalen Gefäßentwicklung und somit vom postkonzeptionellen Alter ab. Der Median des Auftretens der ersten Veränderungen ist die 34. Woche, der ersten Proliferationen die 36. Woche. Um eine Retinopathie nicht zu übersehen, sollte die Erstuntersuchung bei Kindern unter 1000 g im Alter von 6 Wochen oder in
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der 32. Woche p.c. erfolgen, bei Kindern zwische 1000–1500 g im Alter von 4 Wochen. Kontrolluntersuchungen werden je nach Befund alle 7–14 Tage durchgeführt, bis die Netzhautvaskularisierung abgeschlossen ist.
Verlauf und Prognose Die meisten Kinder mit leichtgradigen Erkrankungen zeigen eine Regression. Bei ausgeprägter Fibroplasie ist die Prognose schlecht. Das Risiko für eine Erblindung beträgt bei Frühgeborenen unter 750 g 5–9%, unter 1000 g 2% und über 1000 g 0,1%.
Prävention und Therapie Eine sicher wirksame Prävention der ROP besteht nicht. Notwendig ist die Überwachung der O2-Zufuhr. Sie erfolgt bei kleinen Frühgeborenen vorzugweise über den transkutan gemessenen pO2. Anzustreben ist ein pO2 <80 mm Hg. Die Messung der SaO2 mit Hilfe der Pulsoxymetrie ist für die Erfassung der Hyperoxie nicht gut geeignet. Weiterhin ist von Bedeutung die Vermeidung einer Hyperoxie bei O2-Zufuhr im Rahmen von Apnoe-assoziierten Hypoxien sowie die Vermeidung von Hypokapnie bei der maschinellen Beatmung. Therapeutisch wird die Lasertherapie angewendet. Ziel der Photokoagulation ist die Zerstörung des angiogenen Granulationsgewebes zur Unterbindung der Gefäßneubildung. Die Behandlung vermindert die Wahrscheinlichkeit eines Visusverlustes um über 50%.
87.3.5
Hirnblutungen des Frühgeborenen P. Groneck
Die intrazerebrale Blutung ist eine typische und häufige Komplikation der Frühgeburtlichkeit. Inzidenz und Schweregrad sind direkt abhängig von der Reife der Kinder, sie wird bei 20% der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g beobachtet. Die typische Hirnblutung Frühgeborener entsteht in der germinalen Matrix, einer subventrikulär gelegenen, gelatinösen, gefäßreichen Zone über dem Kopf des Nucleus caudatus. Diese Region ist Ausgangspunkt der Migration zerebraler Neuroblasten auf die Hirnoberfläche. Weiterhin stellt sie ein Grenzgebiet der vaskulären Versorgung der vorderen und mittleren Hirnarterie dar.
Subependymale Hämorrhagie Nach einer Endothelläsion im Bereich des Gefäßnetzes der germinalen Matrix kommt es zur Blutung, die subependymal begrenzt bleiben kann (subependymale Hämorrhagie, SEH, Grad 1 nach Papile und Burstein).
. Abb. 87.8 Sonographische Darstellung einer massiven Ventrikelausgussblutung im sagittalen Längsschnitt bei einem extrem unreifen Frühgeborenen (a Grad 3) sowie einer Ventrikelblutung mit begleitendem hämorrhagischem Infarkt im Hirnparenchym (b sagittaler Längsschnitt, Grad 4)
Komplikationen
Die Ruptur des über dem Kopf des Nucleus caudatus liegenden Ependyms führt zu einer intraventrikulären Ausdehnung der Blutung (intraventrikuläre Hämorrhagie, IVH, Grad 2). Bei intraventrikulärer Ansammlung großer Mengen an Blut mit deutlicher Dilatation des Ventrikels liegt eine Grad-3-Blutung vor.
Die Folge der Hirnblutung ist eine Destruktion der germinalen Matrix mit möglicher Läsion der glialen Präkusorzellen. Bei intraventikulärer Blutung kann es zu einer Behinderung des Liquorabflusses oder der Liquorresorption kommen. Die resultierende Ventrikeldilatation kann sich wieder zurückbilden, stabil persistieren oder progressiv weiterentwickeln. Ein solcher posthämorrhagischer Hydrozephalus mit Druckentwicklung muss chirurgisch drainiert werden.
Intraparenchymatöse Hämorrhagie
Pathogenese
Größere Ventrikelblutungen behindern den venösen Abfluss und können zu einem begleitenden hämorrhagischen venösen Infarkt führen (intraparenchymatöse Hämorrhagie (IPH), Grad 4 (. Abb. 87.8). Bei einer Ventrikelblutung ist daher der begleitende Infarkt in der Regel einseitig auf der Seite der ausgedehnteren Blutung zu finden.
Für die Entstehung einer Hirnblutung sind verschiedene Faktoren von Bedeutung: 4 postnatal: zerebrale Hyper- und Hypoperfusion, 4 prä- und perinatal: Zytokinexposition bei Chorioamnionitis mit möglicher Endothelschädigung, 4 anatomisch und unreifeassoziiert: entwicklungsbedingte, besondere Anfälligkeit der Gefäße der germinalen Matrix für Noxen.
Intraventrikuläre Hämorrhagie
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Postnatale Faktoren Aufgrund der Gefäßarchitektur liegt eine gesteigerte Vulnerabilität der Mirkovaskulatur im Bereich der germinalen Matrix sowohl bei Hypotension als auch bei Hypertension vor. Obwohl auch bereits bei Frühgeborenen eine Autoregulation vorhanden ist, kann dieser Kompensationsmechanismus bei einzelnen sehr kranken Kindern beeinträchtigt sein. Eine zerebrale Hyperperfusion kann zu einer mechanischen Ruptur der Matrixgefäße führen. Neben einer gesteigerten Perfusion auf der arteriellen Seite ist ein erhöhter venöser Druck ebenfalls von Bedeutung. Die postnatalen Ursachen sind in der folgenden Übersicht zsammengefasst:
Postnatale Ursachen von Hirnblutungen bei Frühgeborenen 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Zerebrale arterielle Hyperperfusion Inadäquate Katecholamintherapie Rapide Volumenexpansion Massive Hyperkapnie Erhöhter venöser Gefäßdruck Pneumothorax Erhöhtes intrathorakales Gasvolumen bei inadäquater Beatmung Zerebrale Hypoperfusion Hypotension Hypokapnie Bolusinjektion von Anästhetika bei Hypovolämie Zerebrales Stealsyndrom durch Links-rechts-Shunt bei offenem Ductus arteriosus
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Eine zerebrale Hypoperfusion führt zu einer ischämieinduzierten Läsion der Matrixgefäße. Durch postnatale Faktoren induzierte Hirnblutungen hängen z. T. von der Qualität der neonatologischen Versorgung ab, sie sind aufgrund der Fortschritte in der neonatologischen Therapie in den letzten Jahren seltener geworden.
Prä- und perinatale Faktoren Neuere Untersuchungen sprechen dafür, dass eine pränatale Zytokinexposition im Rahmen einer Chorioamnionitis zu einer Schädigung der Gefäße in der germinalen Matrix führt und dadurch eine Hirnblutung auslösen kann. Die Mechanismen sind noch nicht hinreichend geklärt.
Klinik
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Schwere Hirnblutungen (Grad 3 und 4) führen bei sehr kleinen Frühgeborenen praktisch immer zu klinischen Symptomen. Diese zeigen sich an 4 einer plötzlichen Änderung der Hauptperfusion (»septisches Aussehen«), 4 einer plötzliche Änderung des respiratorischen Status mit erhöhtem O2-Bedarf, Apnoen oder erhöhtem Ventilationsbedarf bei beatmeten Patienten, 4 Instabilität des Blutdrucks, 4 bei massiven Blutungen füllige oder gespannte Fontanelle, Krampfanfälle, 4 Abfall des Hb/Hkt, 4 muskuläre Hypotonie und Hypomotorik. Bei entsprechenden Syptomen gehört die zerebrale Sonographie zur Notfalluntersuchung; bei fehlender Blutung müssen andere Ursachen für die Zustandsverschlechterung gesucht werden. Eine weitergehen-
de bildgebende Diagnostik ist nicht indiziert. 80–90% der Hirnblutungen treten innerhalb der ersten 48 h nach der Geburt auf.
Therapie und Prävention Eine kausale Therapie gibt es nicht. Symptomatisch erfolgen eine Stabilisierung des Kreislaufs und die Transfusion von Erythrozytenkonzentrat. Ein hoher Qualitätsstandard der neonatalen Versorgung ist Grundvoraussetzung für die Prävention potenziell vermeidbarer Hirnblutungen. Die pränatale Behandlung mit Glukokortikoiden ist eine wichtige präventive Maßnahme. Die frühzeitge prophylaktische Behandlung mit Indomethacin (7 Abschn. 87.3.3; Ductus arteriosus) führt zu einer signifikanten Senkung der Rate an schweren Hirnblutungen, überraschenderweise jedoch nicht zu einer Verminderung der neurologischen Spätfolgen. Ein verzögertes Abnabeln (»late clamping«, Abnabelung ca. 30 s nach Entwicklung des Kindes) führt ebenfalls zu einer Verringerung der Rate an schweren Hirnblutungen und ist als präventive Maßnahme zu empfehlen.
Verlauf und Prognose Die anfänglich echodichte Blutung wird im Verlauf zunehmend echoärmer als Zeichen der Liquefizierung, bis sie nicht mehr darstellbar ist. Zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus sind bei den meisten Frühgeborenen nach Hirnblutungen vom Grad 1 oder 2 keine Residuen nachweisbar. Bei ca. 30% der Patienten mit Ventrikelblutung kommt es zu einer Ventrikeldilatation; Blutungen im Parenchymbereich hinterlassen eine porenzephale Zyste. Die Prognose der Hirnblutungen bei Frühgeborenen hängt v. a. vom Vorhandensein einer Parenchymläsion ab. Während die Wahrscheinlichkeit einer neurologischen Folgeschädigung bei einer 1.oder 2.-gradigen Blutung nur geringfügig gegenüber Kindern der gleichen Reife ohne Blutung erhöht ist (5–15%), nimmt die Rate bei Grad-3-Blutungen deutlich zu (35%) und ist nahezu die Regel bei Kindern mit Hirnparenchymläsionen (90%).
87.3.6
Posthämorrhagischer Hydrozephalus (HC) P. Groneck
Entstehung Liquor wird in den Plexus chorioidales der Seitenventrikel und des Daches des 3. Ventrikels produziert. Der Liquor fließt über die Foraminae Monroi in den 3. Ventrikel, weiter über den Aquädukt in den 4. Ventrikel und die Foraminae Luschka und Magendie in die Cisterna magna. Von dort erfolgt eine Verteilung über die Hemisphären sowie den Spinalkanal und eine Reabsorption in den Blutstrom. Der Mechanismus der Liquorreabsorption ist noch nicht eindeutig geklärt, insbesondere sind bei Säuglingen keine Pacchionischen Granulationen in der Arachnoidea nachweisbar. Die täglich produzierte Liquormenge beträgt ca. 10 ml/kg KG, der normale Hirndruck liegt bei 4–5 cm H2O. Nach einer Ventrikelblutung kann die Liquorzirkulation entweder durch Verlegung der ableitenden Wege (obstruktiver HC) oder durch Resorptionsbehinderung aufgrund einer blutungsbedingten sterilen Arachnoiditis in der hinteren Schädelgrube oder der Hirnkonvexität beeinträchtigt sein (HC aresorptivus, kommunizierender HC). Die Zuordnung kann durch die Ultraschalluntersuchung erfolgen. Bei Obstruktionen lässt sich oft der verlegende Clot nachweisen, bei kommunizierendem HC liegt eine deutliche Dilatation des 4. Ventrikels vor.
1131 87.3 · Das Frühgeborene
Nach einer Ventrikelblutung kommt es bei 1/3 der Patienten zu einer zunehmenden Ventrikeldilatation als Ausdruck eines Hydrozephalus. Die Wahrscheinlichkeit einer HC-Entwicklung sowie das Ausmaß der Dilatation hängen v. a. von der Menge des intraventrikulär vorhandenen Blutes ab. Bei 65% der Kinder mit HC ist die Dilatation passager und es kommt innerhalb von 4 Wochen zum spontanen Stillstand oder zur Rückbildung der Ventrikelerweiterung. 35% zeigen eine progressive Zunahme der Ventrikeldilatation (Druck-HC).
Klinik und Therapie Um die Entwicklung eines progressiven Druckhydrozephalus frühzeitig zu erkennen, sind nach einer Ventrikelblutung folgende regelmäßige Untersuchungen notwendig: Kopfumfangskurve. Kopfumfangszunahmen über 2 cm/Woche sind Ausdruck eines Druckhydrozephalus. Sonographie. Sonographische Kontrolluntersuchungen, je nach Befund 1- bis 2-mal pro Woche. Ausdruck eines Druck-HC sind zunehmende Dilatation mit Verlust der »Taillierung« der Seitenventrikel im Koronarschnitt, die Seitenventrikel wirken »balloniert«. Klinische Druckzeichen. Füllige, gespannte oder vorgewölbte Fon-
tanelle. Zunehmende Dehiszenz der Schädelnähte. Bei stark erhöhtem Druck Sonnenuntergangsphänomen. Bei klinischen Symptomen von Hirndruck erfolgt die Anlage eines Ventrikelkatheters mit Rickham-Reservoir oder einer Ableitung nach außen. Das Reservoir erlaubt eine 1- bis 2-malige sterile Punktion täglich, die Punktionsmenge beträgt 10 (–15) ml/kg KG/ Tag. Bei der Ableitung nach außen in ein geschlossenes System können häufiger kleinere Mengen bei gleicher Gesamtmenge drainiert werden, allerdings ist die Möglichkeit einer Infektion höher. Die Punktionsmenge wird nach dem Fontanellenbefund und der Entwicklung der sonographischen Ventrikelweite gesteuert. Bei persistierender Punktionsnotwendigkeit über 4 Wochen wird ein ventrikuloperitonealer Shunt angelegt. Da hohe Liquoreiweißwerte (bei Blutungen bis zu 300 mg/dl) zu einer Okklusion des Ableitungsventils führen können, wird vor der definitiven Versorgung in der Regel ein Wert unter 100 mg/dl angestrebt.
87.3.7
Periventrikuläre Leukomalazie (PVL) P. Groneck
Als PVL wird eine Nekrose mit nachfolgender zystischer Umwandlung der weißen Substanz lateral der Seitenventrikel bezeichnet, die durch eine Ischämie im Grenzgebiet vaskulärer Versorgungsgebiete entsteht. Es ist eine typische Läsion Frühgeborener mit einem Maximum um die 28. SSW. Die Inzidenz beträgt bei Frühgeborenen unter der 32. SSW zwischen 3 und 9%. Die Diagnose wird durch die zerebrale Ultraschalluntersuchung gestellt (. Abb. 87.9). Eine zerebrale Ischämie kann bei Frühgeborenen durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt sein, die pränatal, perinatal oder postnatal ihren Ursprung haben. Pränatale Ursachen sind zirkulatorische Beeinträchtigungen aufgrund maternaler Blutungen während der Schwangerschaft, Komplikationen bei Zwillingsgravidität oder einer Chorioamnionitis. Postnatal kann eine PVL bei schweren kardiorespiratorischen Beeinträchtigungen auftreten. Dazu gehören u. a. ein persistierender Ductus arteriosus, Blutdruckabfälle im Rahmen einer Sepsis oder eine Hirnminderdurchblutung.
. Abb. 87.9 Periventrikuläre Zystenbildung nach Leukomalazie im posterioren Trigonumbereich, darunter Anschnitt des Seitenventrikels sowie als echodichte Struktur der Plexus chorioideus
Klinik Akut zeigt die PVL selten klinische Symptome. Eine muskuläre Hypotonie und Hypomotorik wird nur bei ausgedehnten Befunden beobachtet und findet sich auch bei kranken Frühgeborenen ohne PVL. In den meisten Fällen von prä- und perinatal entstandener PVL sind die Kinder asymptomatisch. Die klinischen Spätfolgen der PVL sind eine spastischen Diplegie, bei ausgedehnteren Befunden kommt es oft zu einer Beeinträchtigung der Funktion der oberen Extremität und des Intellekts.
87.3.8
Frühgeborenenapnoe P. Groneck
Frühgeborene, insgesondere sehr unreife Kinder mit einem Geburtsgewicht <1000 g, zeigen nach der Geburt über eine lange Zeit eine ausgeprägte kardiorespiratorische Instabilität. Ohne dass oft eine wesentliche andere Grundkrankheit vorliegt, kommt es zu rezidivierendem plötzlichen Auftreten von Apnoen, Bradykardien und Hypoxämien. Aufgrund der Unreife zentraler Steuerungsstrukturen sind Apnoen bei Frühgeborenen regelhaft zu beobachten und somit physiologisch (Frühgeborenenapnoen). Sie werden jedoch pathologisch durch ihre Dauer oder die begleitende Bradykardie und Hypoxämie. Apnoen mit relevanten Bradykardien und Hypoxämien sind behandlungsbedürftig. Frühgeborenenapnoe 4 Apnoe 5 Atempause >20 s oder 5 Atempause <20 s mit begleitender Bradykardie/ Hypoxämie 4 Bradykardie 5 Abfall <80/min oder 5 Herzfrequenzabfall von mehr als 1/3 des Ausgangswerts 4 Hypoxämie 5 SaO2-Abfall <80%, mindestens für 4 s
Da die Herzauswurfleistung bei Neugeborenen im Wesentlichen durch die Herzfrequenz bestimmt wird, kommt es bei solchen Er-
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1132
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
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eignissen stets zu einer beträchtlichen Verminderung der Hirnperfusion mit einem erhöhten Risiko für ischämische Hirnläsionen sowie für eine Retinopathie (ROP). Neben dieser unreifebedingten Genese von Apnoen können prolongierte Atempausen jedoch auch Symptome einer Grunderkrankung sein (symptomatische Apnoen). Insbesondere bei systemischen Infektionen kommt es häufig zur Beeinträchtigung der Atemregulation. Prinzipiell sind Apnoen solange verdächtig auf eine Sepsis, bis diese klinisch, laborchemisch oder kulturell ausgeschlossen werden kann.
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Pathogenese
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Von unreifebedingten Frühgeborenenapnoen kann erst nach Ausschuss symptomatischer Apnoen gesprochen werden. Die möglichen Ursachen symptomatischer Apnoen, Bradykardien und Hypoxämien sind in der Übersicht aufgeführt.
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4 Sepsis (besonders bei neu auftretenden Apnoen) 4 Persistierender Ductus arteriosus (oft auch subklinisch, daher ist eine Echokardiographie sinnvoll; Apnoen sind manchmal Symptom bei Wiedereröffnung eines bereits verschlossenen PDA) 4 Apnoen als Symptom einer beginnenden respiratorischen Insuffizienz bei Atemnotsyndrom oder Pneumonie 4 Die Bedeutung einer Anämie als Ursache für Apnoen ist noch nicht eindeutig geklärt 4 Zentrale Atemregulationsstörung bei Asphyxie, Hirnblutung, Hirnmissbildung 4 Gastroösophagealer Reflux 4 Obere Luftwegsobstruktion bei Choanalstenose, nasaler Stenose oder Stimmbandlähmung (Meningomyelozele) 4 Fütterungsbedingte Bradykardien durch Vagusreiz bei Magendehnung oder Hypoxien durch Atmungsunterbrechung während des Trinkens
Frühgeborenenapnoe. Frühgeborenenapnoen sind komplexer Genese. Zugrunde liegt eine Kombination unreifebedingter Ursachen ganz verschiedener Organsysteme: des Atemzentrums, der oberen Luftwege, des Thorax und der Lunge.
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Mit Hilfe der gleichzeitigen Registrierung von thorakaler und nasaler Atmung, Herzfrequenz, und O2-Sättigung (Oxykardiorespirographie) können bei Frühgeborenen die 7 oben beschriebenen verschiedenen Formen der Atemregulationsstörung dargestellt werden. Zentrale Apnoe. Thorakale Atmungsaktivität und nasaler Luftstom sistieren parallel, Herzfrequenz und O2-Sättigung fallen anschließend ab. Obstuktive Apnoe. Thorakale Atmungsaktivität hält an, nasaler Luftstom sistiert, Herzfrequenz und O2-Sättigung fallen ab. Gemischte Apnoe. Erst obstuktive, dann zentrale Apnoe oder um-
gekehrt. Primäre Hypoxämie. Primärer Abfall der O2-Sättigung, dann ggf. Abfall von Herzfrequenz und unregelmäßige Atmung. Aufgrund der Häufigkeit von Apoen, Bradykardien und Hypoxämien bei Frühgeborenen müssen die Vitalparameter dieser Kinder in der Regel über lange Zeit auf einer Intensivstation überwacht werden. Da die unterschiedlichen Ursachen auch eine differenzierte Therapie erforden, sollte stets versucht werden, die Natur der Atemregulationsstörung genau zu diagnostizieren. Im Rahmen des üblichen Monitorings wird mit Hilfe der Impedanzmethode nur die thorakale, nicht aber die nasale Atmung registriert. Daher sind obstuktive Apnoen oft nicht leicht zu diagnostizieren. Sie können sich hinter isolierten Hypoxien und/oder Bradykardien verbergen.
Therapie Zur Behandlung des Apnoe-Bradykardie-Hypoxämie-Syndroms Frühgeborener stehen, je nach der vorherrschenden Ursache, verschiedene Optionen zur Verfügung.
Zentrale Unreife. Die Neurone des Atemzentrums in der Medulla
oblongata zeigen bei Frühgeborenen eine veminderte Myelinisierung sowie eine verminderte Anzahl von Synapsen und Dendriten. Funktionell weist das Atemzentrum bei Frühgeborenen eine verminderte CO2-Reaktivität auf. Im Gegensatz zum reifen Neugeborenen reagiert das Frühgeborenen auch auf eine Hypoxie, nach einer kurzen Hyperpnoe, mit einer Apnoe. Obere Luftwege. Das Offenhalten der oberen Luftwege ist ein aktiver Prozess. Bei schwachem Gegenzug des M. genioglossus nach vorn können die oberen Luftwege bei bei Zwerchfellzug kollabieren. Thorax. Bedingt durch die geringe Mineralisierung der Rippen ist der
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Diagnose
Ursachen symptomatischer Apnoen
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Lunge. Eine subklinische neonatale chronische Lungenkrankheit geht oft mit einem interstitiellen Ödem einher. Dadurch kann eine regionale Hypoventilation mit intrapulmonalem Rechts-linksShunt hervorgerufen werden. Die Folge sind rezidivierende Hypoxien. Zentral bedingte Schwankungen des Atemminutenvolumens bei periodischer Atmung können ebenfalls zu einer intermittierenden Hypoventilation führen.
Thorax instabil. Dieses bedingt eine erhebliche Steigerung der Atemarbeit. Bei Zwerchfellermüdung können Apnoen auftreten, die als zentral bedingt imponieren. Es besteht ebenfalls eine bemerkenswerte Parallelität zwischen der Dauer des Auftretens von Apnoen und der Thoraxstabilität im Laufe des Wachstums kleiner Frühgeborener.
Differenzialtherapeutische Maßnahmen bei Frühgeborenenapnoen 4 Bei allen Formen der Apnoen: taktile Stimulation – Taktile Maßnahmen wie Streicheln oder sanftes Schütteln führen in den meisten Fällen zur Wiederaufnahme der Atmung 4 Zentrale Apnoen: Atemstimulation durch Methylxanthine oder Doxapram 4 Obstruktive Apnoen: Nasen-CPAP 4 Pulmonale/thorakale Ursachen: Nasen-CPAP, Methyl-xanthine, geringfügige Anhebung der inspiratorischen O2-Konzentration (5%) 4 Periodische Atmung: geringfügige Anhebung der inspiratorischen O2-Konzentration 4 Bei Versagen dieser Maßnahmen ist eine maschinelle Beatmung erforderlich.
1133 87.3 · Das Frühgeborene
Weiterhin hängt die Wahl der Therapiemaßnahme von der Häufigkeit und Schwere der Atemregulationsstörung ab. Wenn bei schweren Apnoen wiederholt eine Maskenbeatmung zur Behandlung der Bradykardie und Hypoxie notwendig ist, besteht in der Regel die Indikation zur maschinellen Beatmung. Prinzipiell würde eine prolongierte maschinelle Beatmung zu einer erheblichen Besserung der kardiorespiratorischen Instabilität bei kleinen Frühgeborenen führen. Diese Maßnahme ist jedoch mit einem hohen Risiko für eine bronchopulmonale Dysplasie belastet (7 Abschn. 87.3.4). Es gibt derzeit keine sicheren Angaben, wieviele und welcher Schweregrad von Apnoen toleriert werden können, und somit keine klaren Indikationen, wann die konservative Behandlung beendet und eine maschinelle Beatmung erfolgen soll. Folgende therapeutische Maßnahmen werden bei Frühgeborenenapnoen angewendet: 4 Methylxanthine (Theophyllin, Coffein): Durch zentrale Stimulation kommt es zum Anstieg der Atemfrequenz. Weitere Effekte: gesteigerte Zwerchfellkontraktilität, Bronchodilatation, Diurese, verbesserte CO2-Antwort. 4 Doxapram: Bei zentralen Apnoen und nicht ausreichender Wirkung von Coffein kann die Gabe von Doxapram (zentrales Analeptikum) indiziert sein. 4 Nasen-CPAP: CPAP, über einen Nasen- oder Rachentubus angewandt, verhindert den Alveolarkollaps im Endexspirium, verbessert die regionale Verteilung der Ventilation und erhöht die funktionelle Residualkapazität. Durch Öffnung der oberen Luftwege werden gemischte und obstruktive Apnoen wirksam behandelt. Weiterhin werden pulmonal bedingte Ursachen von Atemregulationsstörungen therapeutisch beeinflusst. 4 O2-Gabe: Die geringfügige Anhebung der inspiratorischen O2-Konzentration um 5% vermindert die Häufigkeit von pulmonal bedingten Hypoxämien und beeinflusst die periodische Atmung. Diese Maßnahme führt in der Regel nicht zu einer Hyperoxie. Eine große Hyperoxiegefahr besteht jedoch, wenn während einer Hypoxämie O2 in erhöhter Konzentration zugeführt wird, um die O2-Mangelsituation so kurz wie möglich zu halten. Diese Maßnahme kann zu einer reaktiven Hyperoxie mit der Gefahr der Ausbildung einer Retinopathie führen und sollte daher mit großer Vorsicht erfolgen.
87.3.9
Grundzüge der mechanischen Beatmung bei Neugeborenen P. Groneck
Ziel der mechanischen Beatmung ist die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Gasaustausches für O2 und CO2 mit einem Minimum an mechanischer und O2-toxischer Schädigung für die Lunge. Insbesondere bei Frühgeborenen stellt die Beatmung einen wichtigen Risikofaktor für die Ausbildung einer bronchopulmonalen Dysplasie dar. Die Beatmung muss angepasst werden an: 4 das Alter und die Größe des Kindes, insbesondere an das Lungenvolumen sowie die altersabhängig unterschiedlichen Atemfrequenzen, 4 die Schwere der zugrundeliegenden Erkrankung, 4 die Art und intrapulmonale Ausdehnung der Erkrankung. Die Oxygenierung und die Elimination von CO2 werden von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst und daher getrennt behandelt.
Oxygenierung Bei der Beatmung ist die Versorgung des Blutes mit O2 abhängig
4 von der Höhe der eingeatmeten O2-Konzentration (FIO2 1,0=100% O2), 4 von der Höhe des Diffusionsdrucks, der durch den mittleren Atemwegsdruck beeinflusst wird. Der mittlere Atemwegsdruck wird bestimmt durch die Fläche unterhalb der Beatmungskurve (Druck-Zeit-Kurve). Diese Kurve lässt sich auf einem Monitor mittels eines Druckwandlers bei jedem Beatmungsgerät darstellen und ist nützlich bei der Beatmungssteuerung. Faktoren, die in den mittleren Atemwegsdruck eingehen, sind: 4 PEEP, 4 Spitzendruck (PIP), 4 Inspirationszeit (IZ), 4 Atemfrequenz, 4 Gasfluss [l/min]. Dieser bestimmt die Anstiegssteilheit der Beatmungsdruck-Zeitkurve sowie die Ausbildung eines Platteaus im Spitzendruckbereich. Ein Plateau bedeutet eine bessere intrapulmonale Gasverteilung, jedoch auch eine höhere Barotrauma-Gefahr. Insbesondere Frühgeborene sollten, wenn möglich, ohne oder mit sehr kurzem Plateau beatmet werden. Durch Erhöhung bzw. Verlängerung aller dieser Variablen wird der mittlere Atemwegsdruck erhöht. Viele dieser Maßnahmen haben jedoch ebenfalls einen Einfluss auf die CO2-Elimination, eine gleichsinnige Verbesserung beider Anteile des Gasaustausches ist jedoch oft notwendig und erwünscht. > An erster Stelle der Maßnahmen zur Verbesserung der Oxygenierung steht die Erhöhung der FIO2, dann folgen Adjustierungen des mittleren Atemwegsdrucks mit einer Erhöhung des PIP und des PEEP.
Die Erhöhung des mittleren Atemwegsdrucks führt nur bis zu einem gewissen Grad zu einer Verbesserung der Oxygenierung (sog. optimaler mittlere Atemwegsdruck, dieser liegt bei ca. 14 cm H2O bei einem schweren Atemnotsyndrom), bei Erhöhung über diesen Wert überwiegt wieder der Überblähungseffekt mit Kompression des Herzens.
CO2-Elimination
CO2 ist ein rasch diffundierendes Gas, aus diesem Grund hängt die CO2-Elimination von der Menge des pro Zeiteinheit in der Alveole verfügbaren Atemgases und damit von der Höhe des Atemminutenvolumens ab. Die CO2-Elimination wird bei Druck-Zeit-gesteuerten Respiratoren bestimmt durch 4 den PIP (der PIP bestimmt das Tidalvolumen), 4 die Atemfrequenz (AF). Bei volumengesteuerten Geräten wird die CO2-Elimination über das Atemminutenvolumen reguliert, das gezielt eingestellt werden kann.
Lungenmechanik Für die optimale Anpassung der Beatmung ist die Abschätzung der zugrundeliegenden Lungenmechanik des behandelten Patienten notwendig, besonders bei Verwendung druckgesteuerter Beatmungsgeräte. Die Lungendehnbarkeit = Compliance gibt die Änderung des Lungenvolumens pro verwendeten Beatmungsdruck an. Wird ein normales Atemzugvolumen. (VT=5 ml/kg KG) bei einer gesunden Lunge verabreicht, so beträgt wegen der guten Lungendehnbarkeit der Atemwegsdruck (= notwendiger Beatmungsdruck) ca. 10–
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
14 cm H2O. Wird das gleiche Volumen einem Patienten mit niedriger Compliance verabreicht, so steigt wegen der Steifheit der Lunge der Atemwegsdruck erheblich höher an (z. B. 20–25 cm H2O). Aus diesem Grund ist das Monitoring des Tidalvolumens tubusnah mittels eines Pneumotachographen eine wichtige Maßnahme zur Dosierung des Beatmungsdrucks bei druckkontrollierter Beatmung. Die Resistance gibt an, wie hoch der notwendige Druck ist, um ein Atemgas mit einer konstanten Flussrate durch die Luftwege zu bewegen Bei Erkrankungen, die mit einem hohen Atemwegswiderstand und somit einer hohen Resistance einhergehen, sind oft hohe Beatmungsdrucke notwendig, um das erforderliche Gasvolumen in einer bestimmten Zeit in die Lunge zu bringen.
Das Produkt aus Compliance und Resistance gibt die Zeitkonstante an: 4 T=R×C
T ist ein Maß für die Zeit, in der es zu einem Druckausgleich zwischen Munddruck und Alveolardruck gekommen ist. Bei niedriger Compliance und normaler Resistance ist das Produkt ebenfalls niedrig, d. h. die Zeitkonstante ist kurz. Der Druckausgleich zwischen Mund und Alveole erfolgt rasch, In- und Exspiration sind bereits nach sehr kurzer Zeit beendet. Bei hoher Resistance und normaler Compliance ist die Zeitkonstante lang, d. h. das Atemgas braucht lange zur Füllung und Entleerung der Lunge.
Beatmungsbeispiel RDS Beim Atemnotsyndrom ist die Zeitkonstante niedrig (C stark erniedrigt, R nur gering erhöht). Somit ist eine Beatmung mit hohen Atemfrequenzen (kurze In- und Exspiration) möglich. Die funktionelle Residualkapazität (FRC) ist niedrig, daher ist die Anwendung von PEEP sinnvoll. Der Beatmungsdruck wird bei druckgesteuerten Geräten soweit erhöht, bis ein Tidalvolumen von 4–5 ml/kg KG erreicht ist. Die FIO2-Anpassung erfolgt nach der pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffksättigung (SO2 90–95%).
Beatmungsgeräteinstellung 4 4 4 4 4 4
Inspirationszeit: 0,35 s Exspirationszeit: 0,65 s, I:E-Ratio 1:2 Atemfrequenz 60/min PEEP: 4–5 cm H2O Beatmungsspitzendruck: je nach V T (7 oben), z. B. 18–25 cm H2O 4 Gasflow: 4–5 l/min
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Neuere Geräte enthalten eine Triggerfunktion durch spontane Atemaktivität.
87.4
Lungenerkrankungen des Neugeborenen C.P. Speer
87.4.1
Transitorische Tachypnoe
Die transitorische Tachypnoe (synonym: transientes Atemnotsyndrom des Neugeborenen, »fluid lung» = Flüssigkeitslunge) entwickelt sich in den ersten Lebensstunden nach der Geburt überwiegend bei reifen Neugeborenen oder relativ »reifen« Frühgeborenen. Charakteristisch ist die deutlich beschleunigte Atemfrequenz mit minimalen Einziehungen und gelegentlich auftretender leichter Zyanose. Die Erkrankung bildet sich in der Regel innerhalb der ersten 2–3 Lebenstage spontan zurück.
Pathogenese Die transitorische Tachypnoe wird vermutlich durch eine verzögerte Resorption der kindlichen Lungenflüssigkeit über die pulmonalen Lymph- und Blutgefäße oder aber einen vermehrten pulmonalen Flüssigkeitsgehalt ausgelöst. Prädisponierende Faktoren, die mit einer normalen Flüssigkeitsresorption interferieren oder aber zu einer Erhöhung des pulmonalen Flüssigkeitsgehalts führen, sind Sectio ceasarea, perinatale Asphyxie, exzessive mütterliche Analgesie, Oxytocin und vermehrte Flüssigkeitszufuhr bei der Mutter, verspätetes Abnabeln u. a.
Klinik Die Neugeborenen fallen durch eine kurze Zeit nach der Geburt einsetzende Tachypnoe (bis zu 120 Atemzüge/min) auf, die nur von geringen Einziehungen und wechselndem ausgeprägtem inspiratorischem Stöhnen begleitet ist; die Lungen sind häufig überbläht. Bei Hypoxämie ist in der Regel eine Zufuhr von 30–40% O2 in der Inspirationsluft ausreichend, um eine suffiziente Oxygenierung zu erzielen. Das Thoraxröntgenbild zeigt typischerweise vermehrte zentrale Verdichtungen mit einer peripheren Überblähung der Lunge und mitunter interlobären Flüssigkeitsansammlungen oder kleinen Pleuraergüssen. Gelegentlich entwickelt sich auf dem Boden einer massiven pulmonalen Überblähung eine pulmonale Hypertonie mit Rechts-links-Shunt, die in das gefürchtete Krankheitsbild der persistierenden pulmonalen Hypertonie (PPH) einmünden kann.
Diagnose Die Diagnose der transitorischen Tachypnoe basiert häufig auf dem Ausschluss anderer akuter pulmonaler Erkrankungen und wird oft erst retrospektiv gestellt. Neonatale Pneumonien, insbesondere mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B, können initial unter einer identischen Dynamik verlaufen.
Druck-Zeit-gesteuerte Continuous-flow-Geräte Dieser Gerätetyp wird vorwiegend in der Neonatologie verwendet. Die Inspiration erfolgt, bis ein vorgegebener Druck innerhalb einer vorgegebenen Zeit erreicht ist, unabhängig vom zugeführten Volumen. Continuous flow bedeutet, dass im Schlauchsystem ständig ein Gasfluss vorliegt, auch wenn keine Inspiration erfolgt. Auf diese Weise sind neben den verabreichten maschinellen Atemzügen spontane Atemzüge möglich (intermittierend mandatorische Beatmung, IMV).
Therapie Bei Atemfrequenzen >80/min wegen Aspirationsgefahr keine orale Ernährung, intravenöse Flüssigkeitszufuhr, bei Bedarf O2-Gabe; häufig ist eine kurzzeitige antibiotische Behandlung indiziert.
1135 87.4 · Lungenerkrankungen des Neugeborenen
. Abb. 87.10 Pathogenetische Sequenz der Mekoniumaspiration. Neben mechanischen Faktoren, die zu einer schweren Beeinträchtigung der Lungenfunktion beitragen, begünstigt die chemische pulmonale Entzündungsreaktion die Entwicklung von Hypoxie und Azidose
87.4.2
Mekoniumaspirationssyndrom
Nach der Aspiration von Mekonium entwickelt sich eine pathogenetisch komplexe Erkrankung, die durch eine akute Atemnotsymptomatik der überwiegend übertragenen oder reifen hypotrophen Neugeborenen und einen entsprechenden radiologischen Lungenbefund charakterisiert ist. Mekoniumhaltiges Fruchtwasser ist bei 10–18% aller Geburten nachzuweisen.
Inzidenz Die Inzidenz des schweren Mekoniumaspirationssyndroms liegt zwischen 0,2–6 erkrankten Neugeborenen/1000 Lebendgeborenen. Es bestehen erhebliche geographische und regionale Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit.
Ätiologie und Pathogenese Mekonium besteht aus eingedickten intestinalen Sekreten und Zellen sowie löslichen und zellulären Fruchtwasserbestandteilen. Die wasserlöslichen Festsubstanzen bestehen u. a. aus Mukopolysacchariden, Plasmaproteinen, Proteasen, konjugiertem Bilirubin, die fettlöslichen Bestandteile u. a. aus Bilirubin, Bilirubinoiden, freien Fettsäuren, Cholesterin und Glykolipiden. Mekonium wird bereits ab der 10.–16. Gestationswoche im fetalen Gastrointestinaltrakt gefunden. Aufgrund einer intestinalen Hypomotorik wird nur selten ein Mekoniumabgang bei Frühgeborenen beobachtet. Die Häufigkeit des Auftretens von mekoniumhaltigem Fruchtwasser ist direkt mit der Reife der Neugeborenen verbunden und mit höheren Serumspiegeln des properistaltischen Hormons Motilin assoziiert. Bei fehlenden Hinweisen auf eine intrauterine oder subpartale Gefährdungssituation dürfte ein Mekoniumabgang v. a. ein reifeabhängiges Phänomen reflektieren. Eine akute intrauterine oder subpartale kindliche Hypoxie kann, gerade in den letzten Gestationswochen, einen vorzeitigen Mekoniumabgang auslösen, der besonders bei einem Oligohydramnion ein sehr zähes »erbsbreiartiges« Fruchtwasser hinterlassen kann. Der Abgang von partikelhaltigem und dickflüssigem Mekonium prädisponiert zur Entstehung eines Mekoniumaspirationssyndroms und zu komplizierten Erkrankungsverläufen.
Pathophysiologie Im Verlauf einer intrauterinen oder subpartalen Hypoxie, die zu einer Vasokonstriktion mesenterialer Gefäße, Darmischämie, konsekutiver Hyperperistaltik und Sphinkterrelaxation führt, tritt ein frühzeitiger Mekoniumabgang auf. Die Aspiration von Mekoniumpartikeln kann durch eine hypoxieinduzierte vorzeitige Atemtätigkeit, die ein bestimmtes Muster aufweist, bereits in utero erfolgen; häufiger findet die Aspiration von Mekonium jedoch unmittelbar nach der Geburt statt. Bei mehr als 50% aller Neugeborenen mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser lassen sich Mekoniumbestandteile im Trachealaspirat nachweisen, die bei der Mehrzahl der Kinder folgenlos eliminiert werden. Größere Mekoniumpartikel, die mit den ersten Atemzügen in die kleineren Luftwege gelangen, führen zu einer partiellen Bronchusobstruktion und Verlegung der Alveolen. Die Folgen sind die Ausbildung von Atelektasen, überblähten emphysematösen Arealen (»air trapping«) und extraalveoläre Luftansammlungen (interstitielles Emphysem, Pneumothorax, Pneumomediastinum etc. (. Abb. 87.10). Die konnatale Listerioseinfektion kann eine Ursache für den vorzeitigen Mekoniumabgang bei Frühgeborenen sein. Durch im Mekonium enthaltene Substanzen (z. B. Fettsäuren) entwickelt sich innerhalb von 24–48 h eine chemische Pneumonie. Darüber hinaus führen verschiedene Proteine und Phospholipasen zu einer direkten Inaktivierung des Surfactant-Systems. Häufig bilden sich intrapulmonale Shunts und eine durch eine Konstriktion der Lungengefäße bedingte persistierende pulmonale Hypertonie aus, die zur Wiederherstellung fetaler Zirkulationsverhältnisse führen kann.
Klinik Das klinische Bild wird vom Schweregrad der intrauterinen Asphyxie und dem Ausmaß der Mekoniumaspiration bestimmt. Die Neugeborenen fallen unmittelbar nach Geburt durch schwere Atemdepression, Schnappatmung, Bradykardie, Hypotonie und Schocksymptome auf; die Haut ist mit Mekonium bedeckt, Fingernägel und Nabelschnur können grünlich verfärbt sein. Neugeborene mit Spontanatmung weisen eine Tachypnoe, ausgeprägte Dyspnoezeichen und evtl. eine Zyanose auf. Die Thoraxröntgenaufnahme zeigt dichte fleckige Infiltrate neben überblähten Arealen, abgeflachte Zwerchfelle und häufig extraalveoläre Luft (. Abb. 87.11).
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
87.4.3
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Ein spontaner asymptomatischer Pneumothorax tritt bei ca. 0,5–1% aller Neugeborenen auf. Die Pneumothoraxinzidenz bei maschinell beatmeten Frühgeborenen mit Atemnotsyndrom betrug vor Einführung der Surfactant-Therapie 15–30%. Inzwischen wird diese Komplikation bei 3–6% aller beatmeten Frühgeborenen beobachtet.
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Ätiologie
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Ein symptomatischer Pneumothorax kann bei einer Reihe pulmonaler Erkrankungen von Früh- und Neugeborenen auftreten: Atemnotsyndrom, Mekoniumaspiration, Lungenhypoplasie, kongenitale Zwerchfellhernie, transitorische Tachypnoe, Aspirationspneumonie, Staphylokokkenpneumonie mit Pneumatozele, lobäres Emphysem, weiterhin nach Thorakotomie, nach unsachgemäßer Reanimation und bei maschineller Beatmung.
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Pathogenese
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Pneumothorax
. Abb. 87.11 Radiologische Veränderungen bei einem schweren Mekoniumaspirationssyndrom. Neben verdichteten dystelektatischen Arealen finden sich typische überblähte Lungenanteile
Prävention Durch sorgfältiges fetales Monitoring sind die Warnzeichen der intrauterinen Hypoxie meist zu erkennen. Bestehen Hinweise auf eine kindliche Gefährdung, so ist die sofortige Geburtsbeendigung obligat. Bei allen Geburten, die durch mekoniumhaltiges Fruchtwasser auffallen, sollte umgehend ein erfahrener Kinderarzt zur Versorgung des Neugeborenen hinzugezogen werden. Beim Abgang von mekoniumhaltigem Fruchtwasser müssen Geburtshelfer oder Hebamme bereits vor dem ersten Atemzug des Neugeborenen, d. h. unmittelbar nach der Geburt des kindlichen Kopfes, Mekonium aus dem Oropharynx entfernen. Findet sich bei einem klinisch auffälligen Neugeborenen während der laryngoskopischen Inspektion des Kehlkopfs Mekonium unterhalb der Stimmbänder, so sollte es unverzüglich mit einem dicklumigen Katheter oder evtl. direkt über einen Endotrachealtubus abgesaugt werden. Bei größeren Mengen erbsbreiartigen Mekoniums in den Luftwegen sollte eine Bronchiallavage durchgeführt werden. Tierexperimentelle Untersuchungen und einzelne klinische Erfahrungsberichte aus jüngster Zeit weisen darauf hin, dass eine Bronchiallavage mit einer verdünnten Lösung einer natürlichen Surfactant-Präparation (5 mg Phospholipide/ml) zu einer deutlichen Verbesserung der Oxygenierung und Ventilation führt. Auf eine primäre Maskenbeatmung sollte – wenn möglich – verzichtet werden.
Therapie Die z. T. außerordentlich schwierige Behandlung der Hypoxämie bei Neugeborenen mit Mekoniumaspirationssyndrom kann eine konventionelle Beatmungstherapie, die Hochfrequenzoszillationsbeatmung, die Surfactant-Substitutionstherapie und den Einsatz von Stickstoffmonoxid (NO) einschließen. Als Ultima-ratio-Therapie ist eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) zu erwägen. Einzelheiten der Therapie sind den Lehrbüchern der Neonatologie zu entnehmen.
Ein hoher intraalveolärer Druck, der durch erhöhten Spitzendruck und positiven endexspiratorischen Druck (PEEP) bei maschineller Atmung oder aber bei tachypnoischen spontan atmenden Kindern durch einen erhöhten sog. »Auto-PEEP« entsteht, kann besonders in ungleich belüfteten Lungenarealen zu einer Überblähung von Alveolen und nachfolgender Ruptur der Alveolarwand führen. Die extraalveoläre Luft kann durch das interstitielle Gewebe und entlang der perivaskulären Gefäßscheiden sowie der peribronchialen Lymphgefäße zu entweichen. In Abhängigkeit von der Ausbreitung der Luft ist mit einer Reihe von Komplikationen zu rechnen: interstitielles Emphysem, Pneumomediastinum, Pneumothorax, Pneumoperitoneum, Pneumoperikard und subkutanes, zervikales oder thorakales Emphysem. Ein Spannungspneumothorax entwickelt sich bei einer druckwirksamen Ansammlung von Luft im Pleuraspalt. Ein einseitiger Spannungspneumothorax führt nicht nur zu einer schweren Ventilationsstörung der betroffenen, gelegentlich kollabierten Lungenseite, sondern durch die Mediastinalverlagerung auch der kontralateralen Lunge. Daneben wird durch Kompression der V. cava oder Torsion der großen Gefäße der venöse Rückfluss erheblich beeinträchtigt. Bei der Entstehung des interstitiellen Emphysems scheinen nicht nur physikalische Faktoren von Bedeutung zu sein, sondern auch pulmonale Entzündungsvorgänge und proteolytische Lungengerüstschädigungen, die u. a. nach pränatalen Infektionen beobachtet wurden.
Klinik Die klinischen Leitsymptome des gefürchteten Spannungspneumothorax sind plötzlich einsetzende Atemnot, Zyanose, Hypotension, Schocksymptome, Bradykardie, Thoraxasymmetrie, Verlagerung der Herztöne und seitendifferentes Atemgeräusch. Gerade bei kleinen Frühgeborenen kann die Diagnose eines Spannungspneumothorax schwierig sein, da bei maschinell beatmeten Patienten nicht immer ein fehlendes oder abgeschwächtes Atemgeräusch nachweisbar ist. Bei linksseitigem Spannungspneumothorax sind die Herztöne nach rechts verlagert.
Diagnose und Therapie In lebensbedrohlichen Situationen darf keine Zeit durch Anfertigung einer Röntgenaufnahme vergehen, vielmehr ist eine sofortige Pleurapunktion mit Entlastung des Pneumothorax durchzuführen. Anschließend wird eine Pleuradrainage unter optimalen Bedingungen gelegt. Die Transillumination des Thorax mit einer fiberopti-
1137 87.4 · Lungenerkrankungen des Neugeborenen
schen Kaltlichtlampe erlaubt eine rasche Identifizierung des illuminierten lufthaltigen Pleuraraums.
87.4.4
Lobäres Emphysem
Das kongenitale lobäre Emphysem ist durch eine Überblähung einer oder mehrerer Lungenlappen charakterisiert; meistens sind die Oberlappen oder der rechte Mittellappen betroffen. Etwa 10% der betroffenen Kinder haben zusätzlich ein Vitium cordis oder andere Fehlbildungen.
Ätiologie Als Ursachen des lobären Emphysems, das mit zunehmender Überblähung normales Lungengewebe komprimiert, werden Störungen im Aufbau der Bronchialwand (z. B. Fehlen des bronchialen Knorpels), intraluminale Bronchusobstruktionen (eingedicktes Sekret, Schleimhautfalten) oder extraluminale Bronchusobstruktionen (z. B. Kompression durch aberrierende Gefäße) gefunden.
Klinik und Therapie Häufig entwickelt sich die klinische Symptomatologie, gekennzeichnet durch eine progrediente Tachypnoe und anderen Dyspnoezeichen, innerhalb der ersten Lebenswochen. Einige Neugeborene erkranken allerdings unmittelbar postpartal an einer akuten progredienten Atemnotsymptomatik. Bei diesen Kindern ist eine sofortige Bronchoskopie und/oder Resektion des betroffenen überblähten Lungenteils lebensrettend. Bei vital milder, aber progredienter Symptomatik, ist eine chirurgische Therapie angezeigt. Nur bei asymptomatischen Kindern kann, unter regelmäßiger Kontrolle, auf eine invasive Behandlung verzichtet werden, da sich ein lobäres Emphysem gelegentlich zurückbildet.
87.4.5
. Abb. 87.12 Radiologischer Befund einer ätiologisch ungeklärten Lungenhypoplasie bei Frühgeborenen der 34. Gestationswoche
Lungenhypoplasie Klinik und Diagnose
Eine Lungenhypoplasie ist entweder Ausdruck einer gestörten Organanlage oder einer Ausreifungsstörung der fetalen Lunge, die durch verschiedene mit der normalen Lungenentwicklung interferierende Faktoren ausgelöst werden kann.
Ätiologie und Pathogenese Eine Anlagestörung der Lunge wird bei seltenen Chromosomenaberrationen beobachtet. Wesentlich häufiger entwickelt sich eine Lungenhypoplasie im Rahmen fetaler Grunderkrankungen oder Störungen, die mit der normalen Ausbildung der Alveolen interferieren. Ein Mangel an Fruchtwasser, der zu einem Verlust intraalveolärer Flüssigkeit in der vulnerablen Phase der Lungenentwicklung (vor der 26. Gestationswoche) führt, kann eine schwere Lungenhypoplasie nach sich ziehen. Eine bilaterale Nierenagenesie (Potter-Sequenz), Anhydramnie bei vorzeitigem Blasensprung oder Fruchtwasserverlust nach Amniozentese sind als Ursache der Lungenhypoplasie definiert. Aber auch fehlende intrauterine Atembewegungen des Fetus, wie sie bei neuromuskulären Erkrankungen, Myasthenia gravis, Anenzephalie und anderen Erkrankungen beobachtet werden, können die normale Entwicklung nachhaltig beeinflussen. Eine Kompression der fetalen Lunge nach Malformation des Thorax führt bei verschiedenen Skeletterkrankungen (u. a. asphyxierende Thoraxdysplasie) zu einer Lungenhypoplasie. Auch andere Fehlbildungen wie die Zwerchfellhernie und Chylothorax können über eine Kompression des Lungengewebes die normale Wachstumsdynamik nachhaltig beeinträchtigen.
Die schwere Lungenhypoplasie manifestiert sich entweder unter dem Bild einer Asphyxie oder aber einer schwersten respiratorischen Insuffizienz. Die hypoplastischen Lungen lassen sich häufig auch unter intensiven Beatmungsmaßnahmen nicht wirksam eröffnen. Häufig treten bilaterale Pneumothoraces auf; einige Patienten entwickeln auf dem Boden einer primären pulmonalen Hypertonie eine persistierende fetale Zirkulation. Bei ausgeprägten Formen der Lungenhypoplasie ist die Prognose infaust. Die Thoraxröntgenaufnahme zeigt typischerweise schmale Lungen mit einem glockenförmigen Thorax (. Abb. 87.12). Die Diagnose ist allerdings häufig nur zu vermuten und wird anhand anamnestischer Risiken sowie des postpartalen Verlaufs nicht selten retrospektiv gestellt. Post mortem kann durch Bestimmung des Lungengewichts sowie mit Hilfe morphometrischer Techniken die Verdachtsdiagnose verifiziert werden.
Therapie Nur bei weniger ausgeprägten Formen der Lungenhypoplasie kann durch differenzierte Beatmungstechniken, Einsatz von Stickstoffmonoxid NO und ggf. Surfactant-Substitution (sekundärer Surfactant-Mangel) eine nachhaltige Stabilisierung der Lungenfunktion erzielt werden. Als vielversprechender theoretischer Ansatz in der Behandlung der Lungenhypoplasie stellt sich momentan die sog. »liquid ventilation«, eine Beatmung mit flüssigen Perfluorcarbonen, dar.
87
1138
87
87.4.6
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Zwerchfellhernie (Enterothorax)
Inzidenz
87
Die Inzidenz einer Zwerchfellhernie beträgt ca. 0,25/1000 Lebendgeborene, 80–90% der Hernien treten auf der linken Seite auf.
87
Pathogenese
87 87 87 87
Ein Zwerchfelldefekt kann zu einer Verlagerung sämtlicher Bauchorgane in die Thoraxhöhe führen (. Abb. 87.13). Dieses Krankheitsbild ist der dringlichste Notfall in der Neugeborenenchirurgie. Infolge der Lungenkompression und Herzverlagerung kann sich eine schwerste, rasch progrediente, respiratorische und kardiozirkulatorische Insuffizienz mit persistierender fetaler Zirkulation entwickeln.
Klinik
87
Die Leitsymptome der Zwerchfellhernie sind: 4 zunehmende Atemnot, 4 Zyanose, 4 Schocksymptome, 4 Verlagerung der Herztöne, 4 asymmetrisch vorgewölbter Thorax ohne Atemexkursion, 4 fehlendes Atemgeräusch, 4 evtl. Darmgeräusche im Thorax, 4 eingesunkenes »leeres« Abdomen.
87
Therapie
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87 87 87 87 87 87
Da mit zunehmender Luftfüllung des intrathorakal gelegenen Darms Lunge, Herz und Mediastinum verdrängt werden und somit eine Spannungssymptomatik entstehen kann, ist eine primäre Maskenbeatmung nicht angezeigt. Die Neugeborenen werden umgehend intubiert, erhalten eine offene Magensonde und werden bereits im Kreißsaal auf die betroffene Seite gelagert.
Prognose Die Prognose der Zwerchfellhernie wird entscheidend vom Grad der Lungenhypoplasie, der optimalen Erstversorgung, der chirurgischen Therapie und der anschließenden intensivmedizinischen Behandlung beeinflusst. Die Diagnose kann bei bereits zum Untersuchungszeitpunkt vorliegendem Enterothorax pränatal gestellt werden.
87
87.4.7
Neonatale Pneumonien
Eine neonatale Pneumonie entwickelt sich auf dem Boden einer intrauterinen, sub- oder postpartalen Infektion mit mütterlichen oder nosokomialen Erregern, u. a. durch Aspiration infizierten Fruchtwassers. Pathogenese, Risikofaktoren und Erregerspektrum werden in 7 Abschn. 87.8 (Neugeborenensepsis) abgehandelt. Beatmete und intensivmedizinisch behandelte Früh- und Neugeborene sind besonders durch eine Pneumonie mit Pseudomonas- oder Klebsiella-spp. gefährdet. Chlamydien und Ureaplasmen kommen ebenfalls als Erreger von Pneumonien Frühgeborener vor. Seltener treten Mykoplasmen als Erreger auf. > Bei langzeitbeatmeten Frühgeborenen, die über längere Zeit antibiotisch behandelt wurden, ist immer an eine Pilzpneumonie, insbesondere mit Candida spp., zu denken.
Klinik Die klinische Symptomatik einer in den ersten Lebenstagen oder auch später auftretenden neonatalen Pneumonie verläuft häufig unter dem Bild eines progredienten Atemnotsyndroms mit Tachypnoe, Einziehungen und Nasenflügeln.
Therapie Die primäre antibiotische Behandlung muss gegen die potenziellen Mikroorganismen gerichtet sein (7 Abschn. 87.8; neonatale Sepsis). Bei Atem- und/oder Kreislaufinsuffizienz der erkrankten Neugeborenen wird die erforderliche Supportivtherapie durchgeführt. Chlamydien- und Ureaplasmapneumonien werden mit Erythromycin behandelt, Pneumocystispneumonien mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol.
87.4.8
Persistierende pulmonale Hypertonie (persistierende fetale Zirkulation)
Die persistierende pulmonale Hypertonie (PPH; Synonym: persistierende fetale Zirkulation, PFC) ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das auf dem Boden eines anhaltend erhöhten pulmonalen Gefäßdrucks durch einen signifikanten Rechts-links-Shunt über das offene Foramen ovale und über den persistierenden Ductus arteriosus sowie durch intrapulmonale Shunts (ohne Hinweise auf eine strukturelle Herzerkrankung) gekennzeichnet ist.
Ätiologie
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. Abb. 87.13 Beidseitiger Zwerchfelldefekt mit intrathorakal gelegenem Magen rechts und Darmanteilen links, massive Verlagerung des Herzens nach rechts
Die PPH tritt überwiegend bei reifen und übertragenen Neugeborenen auf. Nach intrauteriner und subpartaler Hypoxie oder mütterlicher Aspirin- und Indometacin-Einnahme während der Schwangerschaft wurde eine Verdickung und Ausdehnung der Gefäßmuskulatur bis in kleine Pulmonalarterien hinein beschrieben. Am häufigsten entwickelte sich eine PPH sekundär bei Neugeborenen nach Mekoniumaspiration. Weitere Erkrankungen, in deren Folge sich eine PPH entwickeln kann, sind die subpartale und postnatale Hypoxie, die neonatale Sepsis mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B und Listerien, die Zwerchfellhernie, die Lungenhypoplasie, Pneumothorax, Hyperviskositätssyndrom, Hypoglykämie und Hypothermie sowie ein Atemnotsyndrom. Die PPH ist nicht selten idiopatisch. Die Prävalenz der Erkrankung wurde auf 1 Neugeborenes/1000 Lebendgeborene geschätzt.
1139 87.4 · Lungenerkrankungen des Neugeborenen
Pathophysiologie Bei intranataler oder postpartaler Hypoxie entwickelt sich rasch eine metabolisch-respiratorische Azidose. Die normalerweise durch Anstieg des paO2 und Abfall des paCO2 unmittelbar nach der Geburt einsetzende Dilatation der Lungenarterien bleibt aus; die Azidose induziert über eine pulmonale Vasokonstriktion eine pulmonale Hypertonie, die über das Foramen ovale, den Ductus arteriosus Botalli und intrapulmonale Shunts die Entwicklung eines persistierenden Rechts-links-Shunts nach sich zieht. Es kommt zu einem zunehmenden O2-Mangel des arteriellen Bluts, der mit der postnatal einsetzenden Vasodilatation interferiert (. Abb. 87.14). Bei einigen dieser Patienten liegen bereits pulmonale Gefäßveränderungen im Sinne einer Mediahypertrophie vor, die Ausdruck einer chronischen intrauterinen Hypoxie sein könnten (primärer pulmonaler Hochdruck; andere Kinder haben als Grunderkrankung eine mehr oder weniger ausgeprägte Lungenhypoplasie). Potente Stimuli der pulmonalen Vasokonstriktion sind Leukotriene und weitere Lipidmediatoren, deren Freisetzung bei allen sekundären Formen der PPH durch Hypoxie, Infektionen und die im Verlauf verschiedener Grunderkrankungen einsetzenden Entzündungsreaktion gefördert wird.
Perinatale Hypoxie
Lactat, CO2 Azidose
pulmonale Hypoxie
Konstriktion der Lungenarteriolen
rechts-links Shunt
pulmonale Hypertension
offener Ductus arteriosus offenes Foramen ovale
Klinik Die Neugeborenen erkranken in der Regel innerhalb der ersten 12 Lebensstunden. In Abhängigkeit von der Grunderkrankung stellen entweder die Zyanose (Polyzythämie, idiopatische PPH u. a.) oder die schwere Atemnotsymptomatik mit Zyanose (Mekoniumaspiration, Zwerchfellhernie u. a.) im Vordergrund. Die Patienten können innerhalb kurzer Zeit ein Multiorganversagen oder eine Myokardischämie entwickeln. Die klinische Verdachtsdiagnose einer PPH kann durch die präund postduktale O2-Differenz und nicht zuletzt durch die Echokardiographie (einschließlich Dopplerdiagnostik) bestätigt werden. Der Röntgenthoraxbefund ist bei einigen Erkrankungen unauffällig (Asphyxie, Hyperviskositätssyndrom etc.), bei anderen zeigt er die typischen Veränderungen der Grunderkrankung.
Therapie Zu einer optimalen Behandlung gehört – wenn immer möglich – eine Korrektur der Grundproblematik sowie eine gezielte Supportivtherapie und Behandlung aller im Verlauf der Erkrankung aufgetretenen Komplikationen, wie z. B. Hypotension, myokardiale Dysfunktion, Azidose. Die Kinder müssen sediert und ggf. relaxiert werden. Der entscheidende therapeutische Ansatz ist eine suffiziente maschinelle Beatmung mit ausreichender Oxygenierung sowie eine moderate Alkalisierung des Blutes (Natriumbikarbonatinfusion). Bei besonders schweren Verläufen kann durch eine milde Hyperventilationsbehandlung mit Senkung des pCO2 auf >35 mm Hg die Vasokonstriktion pulmonaler Gefäße möglicherweise aufgehoben werden. Die früher geübte Hyperventilationstherapie mit pCO2 <25 mm Hg gilt wegen erheblicher pulmonaler und zerebraler Nebenwirkungen heute als obsolet. Zusätzlich werden das kurzzeitig wirksame und gut steuerbare Prostacyclin, auch in inhalativer Form, eingesetzt. Als vielversprechender neuer therapeutischer Ansatz ist die inhalative Behandlung mit NO (Stickstoffmonoxid) anzusehen; NO führt zu einer selektiven Vasodilatation der Pulmonalgefäße in den ventilierten Lungenarealen. In allen Studien konnte eine deutlich verbesserte Oxygenierung unter NO-Therapie beobachtet werden. Ebenso war die Notwendigkeit, NO-behandelte Neugeborene mit pulmonaler Hypertonie
. Abb. 87.14 Circulus vitiosus der perinatalen Hypoxie
einer extrakorporalen Membranoxygenierung zu unterziehen, in allen Studien deutlich reduziert. Die Rate an akuten pulmonalen und extrapulmonalen Komplikationen sowie neurologischen und auditiven Langzeitfolgen unterschied sich nicht zwischen der Gruppe NO-behandelter Neugeborenen und unbehandelten Kontrollpatienten. Eine initiale Konzentration von 20 ppm iNO, die kontinuierlich reduziert werden soll, führt in der Regel zu einer effektiven Vasodilatation, ohne eine potenziell gefährliche Methämoglobinämie zu induzieren. Inhalatives NO sollte nicht mit anderen selektiven Vasodilatatoren kombiniert werden. Derzeiteit verfügen nur einige Neonatalzentren über diese Therapiemöglichkeit. Neugeborene, die auf keine dieser Maßnahmen ansprechen, werden einer Hochfrequenzoszillationsbeatmung zugeführt. Kann mit diesen Maßnahmen keine ausreichende Oxygenierung erreicht werden, so kann der Patient mit einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) behandelt werden. Die international anerkannten Kriterien für eine ECMO-Therapie sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst:
International anerkannte Kriterien für eine ECMOTherapie 4 4 4 4
Gestationsalter >34 Wochen Geburtsgewicht >2,0 kg KG Keine Gerinnungsstörung Fehlendes Ansprechen auf alle erwähnten therapeutischen Maßnahmen 4 Modifizierter Oxygenierungsindex (Ol) von 25–40 – Ol=mittlerer Atemwegsdruck [cm H2O]×FIO2×100/paO2 [mm Hg]
Prognose Die neonatale Sterblichkeit der PPH liegt bei 20–30%. In den wenigen Langzeituntersuchungen der überlebenden Kinder wird deutlich, dass nur ca. 40% diese Erkrankung unbeschadet überstehen;
87
1140
87
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
die restlichen Patienten weisen neurologische Folgeschäden in unterschiedlichster Ausprägung auf. Bei 20% der Kinder wurde ein neurosensorischer Hörverlust diagnostiziert.
87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87
87.4.9
Lungenblutung
Eine akute, von den Alveolen ausgehende Lungenblutung, tritt überwiegend bei Frühgeborenen und hypotrophen Neugeborenen auf, die an verschiedensten Erkrankungen der Neonatalperiode leiden. Während bei mehr als 10% verstorbener Neugeborener eine Lungenblutung autopisch diagnostiziert wird, entwickelt sich dieses lebensbedrohliche Ereignis bei weniger als 5% aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von >1500 g auf, die an einem Atemnotsyndrom erkrankt sind.
Ätiologie Prädisponierende Faktoren für eine Lungenblutung sind eine neonatale Streptokokkenpneumonie, die perinatale Asphyxie, Hypothermie, Azidose, Hypoglykämie, Gerinnungsstörungen, Herzversagen, PDA, schwere Erythroblastose, Surfactant-Therapie und O2-Toxizität.
Klinik Akute Blutung aus Mund, Nase und den Atemwegen mit rasch progredientem Kreislauf- und Atmungsversagen. In den Thoraxröntgenaufnahmen zeigt sich eine zunehmende Verdichtung der Lunge.
Therapie Unverzügliche Stabilisierung der Beatmungs- und Kreislaufsituation mit allen zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Maßnahmen sowie – wenn immer möglich – Behandlung der Grundstörung. Die durch die Lungenblutung induzierte Inaktivierung des endogenen Surfactant-Systems kann durch hohe Dosen natürlicher exogener Surfactant-Präparate wirksam behandelt werden.
. Abb. 87.15 Beidseitiger ausgeprägter Pleuraerguss. Nach Punktion Nachweis von mehr als 90% mononukleären Zellen (Lymphozyten). Diagnose: linksseitiger Chylothorax
serumähnliche Pleuraflüssigkeit mehrere Tausend Leukozyten/μl, mehr als 90% sind mononukleäre Zellen (Lymphozyten). Nach Milchernährung nimmt die Pleuraflüssigkeit eine weißliche, typisch chylöse Farbe an.
Therapie und Prognose Die kontinuierliche Ableitung der chylösen Flüssigkeit führt bei den meisten Kindern zu einer Ausheilung. Es treten aber z. T. erhebliche Eiweißantikörper- und Lymphozytenverluste auf. Eine orale Ernährung mit mittelkettigen Triglyzeriden reduziert die Chylusproduktion. Bei den meisten Formen eines Chylothorax kann man von einer sich selbst begrenzenden Erkrankung ausgehen. Selten werden Versuche chirurgischer Korrekturmaßnahmen oder intraperitoneale Shuntableitung, allerdings mit unsicherem Ausgang nötig.
87 87
87.4.10
Chylothorax
87.4.11
Obstruktion der oberen Atemwege
Unter Chylothorax wird eine Ansammlung von chylöser Flüssigkeit im Pleuraraum verstanden (. Abb. 87.15).
Angeborene Obstruktionen der oberen Luftwege gehen häufig mit akuter unmittelbar postpartal auftretender Atemnot einher.
Epidemiologie
Ätiologie, Pathogenese und Therapie Da Neugeborene für eine suffiziente Ventilation auf eine ungehinderte Nasenatmung angewiesen sind, führen sämtliche anatomische und funktionelle Obstruktionen der oberen Luftwege zu einer akuten Atemnotsymptomatik.
87
Ein angeborener Chylothorax ist ein seltenes Ereignis; häufiger werden erworbene Ansammlungen chylöser Flüssigkeit nach kardiochirurgischen Eingriffen beobachtet. Als Folge parenteraler Langzeiternährung über einen zentralen Venenkatheter wurden Thrombosierungen der oberen Hohlvene und sekundärem Chylothorax beschrieben.
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Ätiologie und Pathogenese
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87 87
Die Ursache für die Entstehung eines angeborenen Chylothorax ist unklar; es wird ein angeborener Defekt des Ductus thoracicus vermutet. Bei Neugeborenen mit Down-, Noonan- und Turner-Syndrom sowie bei Hydrops fetalis tritt gelegentlich ein Chylothorax auf; ebenso wurde nach Geburtstraumata die Entwicklung chylöser Effusionen beobachtet.
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Klinik und Diagnostik
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Die Neugeborenen fallen unmittelbar postnatal oder innerhalb der ersten Lebenstage durch mehr oder minder ausgeprägte Zeichen der Atemnot auf. Vor Beginn einer oralen Ernährung enthält die
Choanalatresie, Pierre-Robin-Sequenz Trotz deutlicher Atemexkursionen unmittelbar nach der Geburt können Neugeborene mit Choanalatresie oder Pierre-Robin-Sequenz (Mikrognathie, Glossoptose, Gaumenspalte) kein adäquates Atemzugvolumen aufbauen. Diese bedrohliche Situation ist durch Einführen eines passenden Guedel-Tubus häufig akut zu beheben. Die Bauchlage kann das Zurückfallen der Zunge bei Neugeborenen mit Pierre-Robin-Sequenz häufig verhindern und die Luftnotsymptomatik verbessern. Eine frühe, dem individuellen Befund angepasste kieferorthopädische Behandlung mit einer speziellen Gaumenplatte, die einen posterioren Bügel oder Sporn zur Verhinderung der Glossoptose aufweisen sollte, sowie selten chirurgische Maßnahmen können langfristig zu einer Ausheilung der Fehlbildung führen.
1141 87.5 · Bluterkrankungen
Larynx- und Trachealatresien Beide Fehlbildungen verlaufen meist letal. Der kongenitale laryngeale Stridor auf dem Boden einer Laryngomalazie heilt bei den meisten Kindern im Verlauf des 1. Lebensjahres aus. Subglottische Stenose Schwieriger gestaltet sich die Behandlung einer kongenitalen oder häufig durch prolongierte Intubation oder Intubationsschäden erworbenen subglottischen Stenose. Bei dieser Problematik können langwierige tracheale Dilatationen, Lasertherapien oder auch laryngotracheale Rekonstruktionen angezeigt sein.
87.5
Bluterkrankungen C.P. Speer
87.5.1
Fetale Erythropoese
Physiologische Besonderheiten Die Erythropoese, die am 20. Gestationstag beginnt, findet in der Fetalzeit überwiegend in Leber und Milz statt. Erst im letzten Trimenon wird das Knochenmark zum Hauptbildungsort der Erythropoese. Die Hämoglobinkonzentration steigt von 8–10 g/dl im Alter von 12 Gestationswochen auf 16,5–20 g/dl im Alter von 40 Gestationswochen an. Nach einem kurzen postpartalen Anstieg der Hämoglobinkonzentration innerhalb von 6–12 Lebensstunden fällt sie kontinuierlich auf 10 g/dl im Alter von 3–6 Monaten ab. Frühgeborene unterhalb der 32. Gestationswoche haben niedrigere Ausgangshämoglobinkonzentrationen und erfahren einen schnelleren Abfall der Hämoglobinkonzentration; der Tiefpunkt ist 1–2 Monate nach der Geburt erreicht. Während dieser physiologischen Anämisierung lässt sich kaum Erythropoetin im Plasma nachweisen.
Besonderheiten fetaler Erythrozyten Fetale und neonatale Erythrozyten weisen eine kürzere Überlebenszeit (70–90 Tage) und ein größeres mittleres korpuskuläres Volumen auf (MCV 110–120 fl) als Erythrozyten Erwachsener. In den ersten Tagen nach der Geburt besteht in der Regel eine Retikulozytose von 50–120‰. Die Erythrozyten enthalten überwiegend fetales Hämoglobin F, das aus zwei α-Ketten und zwei γ-Ketten besteht. Unmittelbar vor der Geburt setzt bei einem reifen Neugeborenen die Synthese von β-Hämoglobinketten und damit adultem Hämoglobin ein (zwei α-Ketten und zwei β-Ketten). Zum Zeitpunkt der Geburt enthalten die Erythrozyten reifer Neugeborener 60–90% fetales Hämoglobin; diese Konzentration sinkt bis zum Alter von 4 Monaten auf <5% ab.
Blutvolumen Das Blutvolumen reifer Neugeborener beträgt etwa 85 ml/ kg KG; Plazenta und Nabelgefäße enthalten ca. 20–30 ml/ kg KG Blut. Eine späte Abnabelung kann zu einem vorübergehenden Anstieg des neonatalen Blutvolumens innerhalb der ersten Lebenstage führen (7 Abschn. 87.5.3: »Polyzythämie, Hyperviskositätssyndrom«), eine zu frühe Abnabelung zu einer Anämie. Um diese Komplikationen zu vermeiden, sollte die Abnabelung ca. 30 s nach der Geburt erfolgen.
. Tab. 87.5 Ätiologie der neonatalen Anämie Blutverlust
5 Fetomaternale Blutung 5 Plazenta prävia 5 Vorzeitige Plazentalösung 5 Fetofetale Transfusion 5 Nabelschnureinriss 5 Vasa prävia 5 Neonatale Blutung: intrakraniell, gastrointestinal u. a. 5 Frühgeborenenanämie
87.5.2
Verminderte Blutbildung 5 Konnatale und perinatale Infektionen 5 BlackfanDiamondAnämie 5 Konnatale Leukämie 5 Frühgeborenenanämie
Hämolyse 5 Rh-Erythroblastose 5 AB0-Erythroblastose 5 Andere Blutgruppeninkompatibilitäten 5 Erythrozytenmembrandefekte 5 Erythrozytenenzymdefekte 5 Selten: Hämoglobinopathien
Neonatale Anämie
Eine Anämie Neugeborener ist durch Hämoglobinkonzentrationen (Hb) von <14 g/dl sowie einen Hämatokrit (Hkt) von <40% charakterisiert. Sie kann durch akuten oder chronischen Blutverlust, eine verminderte Bildung sowie durch eine immunologisch vermittelte oder nicht immunologisch bedingte Hämolyse der Erythrozyten verursacht sein (. Tab. 87.5). Nach einem akuten Blutungsereignis sind die Hämoglobinkonzentration und der Hämatokrit Früh- und Neugeborener häufig normal und fallen erst im Rahmen der Hämodilution kontinuierlich ab. Das zirkulierende Blutvolumen kann jedoch bereits während der Blutungsereignisse bedrohlich vermindert sein. Ein chronischer Blutverlust kann u. a. durch fetomaternale Transfusion zustande kommen, die bei ca. 50% aller Schwangerschaften beobachtet wird; der fetale Blutverlust kann erheblich sein. Die Diagnose einer fetomaternalen Transfusion wird durch den Nachweis von HbF-haltigen kindlichen Erythrozyten im mütterlichen Blut erbracht.
Klinik Leitsymptome der akuten Blutungsanämie sind Blässe, Tachykardie, schwache oder nicht tastbare periphere Pulse, Hypotension, Tachypnoe und bei massivem Blutverlust Schnappatmung und Schock. Die klinischen Symptome bei chronischem Blutverlust sind Blässe bei erhaltener Vitalität, Tachykardie und normaler Blutdruck. Häufig besteht eine Herzinsuffizienz mit Hepatomegalie. Die gelegentlich nachweisbare Splenomegalie ist Ausdruck der extramedullären Blutbildung. Selten entwickelt sich ein Hydrops fetalis. Eine neonatale Anämie, die durch eine verminderte Bildung von Erythrozyten verursacht wird, wie z. B. bei Blackfan-DiamondAnämie, ist durch niedrige Retikulozytenzahlen und Fehlen von Erythrozytenvorstufen im Knochenmark charakterisiert. Häufigste Ursachen für eine immunologisch vermittelte Hämolyse der Neugeborenen sind Inkompatibilitäten zwischen mütterlicher und kindlicher Blutgruppe (7 Abschn. 87.5.5: »Rh-Erythroblastose«, 7 Abschn. 87.5.6: »AB0-Erythroblastose« etc.). Nichtimmunologische Erkrankungen, die mit einer Hämolyse einhergehen, sind Defekte der Erythrozytenmembran (hereditäre Sphärozytose), Erythrozytenenzymdefekte (Glukose-6-Phosphat-
87
1142
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
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Dehydrogenase- und Pyruvat-Kinase-Mangel), seltene Hämoglobinopathien sowie die α-Thalassämie.
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Therapie
87 87 87 87 87 87
> Neugeborene mit ausgeprägtem akutem Blutverlust (hämorrhagischer Schock, »weiße Asphyxie») werden notfallmäßig ohne vorherige Kreuzprobe mit Erythrozytenkonzentrat der Blutgruppe Null Rhesus negativ (CMV-negativ) transfundiert.
Die Neugeborenen können foudroyante Verlaufsformen einer nekrotisierenden Enterokolitis sowie einen Ileus entwickeln. Daneben treten z. T. gravierende Thrombozytopenien, Hypoglykämien, Hypocalzämien und ausgeprägte Hyperbilirubinämien auf.
Bei allen anderen Indikationen ist vor der Transfusion eine kindliche Blutgruppenbestimmung und Kreuzprobe durchzuführen. Bei Verdacht auf Störung der Erythropoese und hämolytische Anämien ist vor Gabe von Blutprodukten kindliches Blut für die entsprechende Spezialdiagnostik abzunehmen (7 Abschn. 87.5.6: »Rh-Erythroblastose« u. a.). Eine klinisch signifikante Anämie Frühgeborener wird durch Transfusion von bestrahltem CMV-negativen Erythrozytenkonzentrat behandelt.
Beim Auftreten erster Symptome muss unverzüglich eine partielle modifizierte Austauschtransfusion durchgeführt werden. Zur
Erythropoietin
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Eine Erythropoieitin-Therapie kann, wie in mehreren randomisierten und kontrollierten Studien belegt, die Spätanämisierung Frühgeborener zu einem gewissen Grad verhindern. Da noch eine Reihe klinisch relevanter Fragen der Erythropoietin-Substitution ungeklärt sind (optimaler Zeitpunkt des Behandlungsbeginns, Dosis, Therapiedauer, optimale Eisensubstitution u. a.), kann diese Therapie derzeit noch nicht als Standardtherapie empfohlen werden.
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87.5.3
87 87
87 87 87 87 87 87 87 87
87 87 87 87
Therapie Senkung des Hkt auf 55% wird kindliches Blut gegen Plasma oder eine Albuminlösung ausgetauscht (Hämodilution).
87.5.4
Pathologische Hyperbilirubinämie
Die Besonderheiten des Bilirubinstoffwechsels Neugeborener sind in den Lehrbüchern der Pädiatrie dargestellt. Neben Erkrankungen, die mit einer gesteigerten Hämolyse einhergehen, können pathologische Erhöhungen des indirekten Bilirubins bei angeborenen Defekten der Glukuronidierung, bei erhöhtem Bilirubinanfall durch vermehrten Erythrozytenabbau sowie durch eine vermehrte enterale Rückresorption von Bilirubin erfolgen. Die wesentlichen Ursachen sind in . Tab. 87.6 dargestellt.
87.5.5
AB0-Erythroblastose
Polyzythämie, Hyperviskositätssyndrom
Unter einer Polyzythämie (synonym: neonatale Polyglobulie) wird ein venöser Hämatokrit >65% (Hämoglobin >22 g/dl) verstanden, der unter dem Bild eines Hyperviskositätssyndroms zu einem Anstieg der Blutviskosität, zur vaskulären Stase mit Mikrothrombosierung, zu Hypoperfusion und zur Ischämie von Organen führen kann.
Ätiologie Etwa 3–5% aller Neugeborenen weisen nach der Geburt einen Hkt von >65% auf. Risikokollektive sind reife oder postmature hypotrophe Neugeborene (intrauterine Wachstumsrestriktion, chronische fetale Hypoxie), Patienten nach fetofetaler oder maternofetaler Transfusion, Neugeborene nach später Abnabelung, Kinder diabetischer Mütter, Nikotinabusus während der Schwangerschaft, Neugeborene mit Hyperthyreose oder Kinder mit angeborenen Erkrankungen (adrenogenitales Syndrom, Trisomie 21, BeckwithWiedemann-Syndrom). Bei einem Hkt-Wert von >65% steigt die Blutviskosität exponentiell an.
Klinik
87
4 Oligurie, 4 Hämaturie 4 Nierenversagen.
Die klinische Symptomatik ist außerordentlich vielfältig und reflektiert die Mikrozirkulationsstörungen und manifesten Durchblutungsstörungen der betroffenen Organsysteme. Die Neugeborenen fallen häufig durch ihr plethorisches oder auch blass-graues Hautkolorit und eine Belastungszyanose auf. Daneben finden sich Hyperexzitabilität, Myoklonie, Hypotonie, Lethargie und zerebrale Krampfanfälle. Bei einigen Kindern steht die kardiopulmonale und renale Symptomatik im Vordergrund: 4 Atemnotsyndrom, 4 persistierende pulmonale Hypertonie mit PFC-Syndrom, 4 Herzinsuffizienz,
Mit einer AB0-Unverträglichkeit ist bei ca. 1 von 200 Neugeborenen zu rechnen. Im Gegensatz zur Rh-Inkompatibilität tritt die AB0-Erythroblastose häufig in der ersten Schwangerschaft auf. Mütter mit der Blutgruppe 0 haben natürlich vorkommende AntiA- und Anti-B-Antikörper (Isoagglutinine), die zur Gruppe der IgM-Antikörper gehören und deshalb nicht die Plazenta passieren. Dennoch bilden einige Schwangere plazentagängige IgG-Antikörper, die gegen die kindliche Blutgruppeneigenschaft A, B oder AB gerichtet sind. Die mütterliche IgG-Antikörperbildung kann vermutlich durch exogene Ursachen, wie z. B. Darmparasiten, stimuliert werden. Als weitere Ursache wird der Übertritt kindlicher Erythrozyten in die mütterliche Zirkulation vermutet, da die Antigenität der kindlichen Blutgruppeneigenschaften erst gegen Ende der Schwangerschaft voll ausgebildet ist. So erklärt sich der im Vergleich zur Rh-Inkompatibilität milde Verlauf der hämolytischen Erkrankung beim ersten Neugeborenen sowie die Tatsache, dass Frühgeborene nur extrem selten an einer AB0-Inkompatibilität erkranken. Der Schweregrad der hämolytischen Erkrankung Neugeborener nimmt bei nachfolgenden Schwangerschaften in der Regel nicht zu. Der Grund liegt vermutlich in einer Suppression der IgG-Antikörperbildung durch die natürlich vorkommenden IgM-Anti-Aoder Anti-B-Antikörper.
Klinik Die Neugeborenen weisen meistens nur eine geringgradige Anämie auf; es besteht nur selten eine Hepatosplenomegalie; die Kinder entwickeln keinen Hydrops. Im peripheren Blut finden sich neben Retikulozyten und Erythroblasten als Ausdruck der gesteigerten Erythropoese Sphärozyten, die infolge der komplementvermittelten Hämolyse durch Fragmentation entstehen. Erkrankte Neugeborene sind lediglich durch die Hyperbilirubinämie und das damit verbundene Risiko einer Bilirubinenzephalopathie gefährdet.
87
1143 87.5 · Bluterkrankungen
. Tab. 87.6 Ätiologie der indirekten Hyperbilirubinämie (Erhöhung des unkonjugierten Bilirubins)
. Tab. 87.7 Unterschiede zwischen der Rh- und AB0-Inkompatibilität
Erkrankungen bzw. Störungen
Inkompatibilität
Mit gesteigerter Hämolyse
Ohne Hämolyse
Blutgruppeninkompatibilität: 5 Rh, AB0, Kell, Duffy u. a. Neonatale Infektionen (bakteriell, viral) Genetisch bedingte hämolytische Anämien: 5 Enzymdefekte: Glukose6-Phosphat-Dehydrogenase, Pyruvatkinase 5 Membrandefekte: Sphärozytose u. a. 5 Hämoglobinopathien (homozygote α-Thalassämie)
Verminderte Bilirubinkonjugation: 5 Physiologischer Ikterus 5 Muttermilchikterus 5 Kinder diabetischer Mütter 5 Crigler-Najjar-Syndrom, (genetisch bedingter Glukuronyltransferasemangel) 5 Gilbert-Meulengracht-Syndrom (verminderte Bilirubinaufnahme in die Leberzelle) 5 Hypothyreose 5 Medikamente (Pregnandiol) Vermehrter Bilirubinanfall: 5 Polyzythämie 5 Organblutungen, Hämatome Vermehrte enterale Rückresorption von Bilirubin: 5 intestinale Obstruktion 5 unzureichende Ernährung (verminderte Peristaltik)
Rh
AB0
Erkrankung bei der 1. Schwangerschaft
Selten
Häufig
Frühzeitige Anämisierung des Kindes
+
+
Hyperbilirubinämie während der ersten 24 h post partum
++
+
Erythroblasten
+++
+
Sphärozyten
±
++
Retikulozyten
++
+ bis ++
Direkter Coombs-Test (Kind)
+++
– bis ±
Indirekter Coombs-Test (Mutter)
+++
±
manifestiert sich typischerweise während der zweiten und weiteren Schwangerschaften mit zunehmendem Schweregrad der fetalen Erkrankung, die in einen Hydrops fetalis einmünden kann.
Klinik Diagnose und Therapie Die wesentlichen diagnostischen Merkmale der AB0-Inkompatibilität im Vergleich zur Rh-Inkompatibilität sind in . Tab. 87.7 zusammengefasst. Durch eine rechtzeitig begonnene und konsequent durchgeführte Phototherapie können bei den meisten Kindern kritische Bilirubinserumkonzentrationen vermieden werden. Eine Austauschtransfusion ist nur extrem selten durchzuführen. Durch zirkulierende Antikörper kann sich in den ersten Lebenswochen eine in der Regel blande verlaufende Anämie entwickeln.
87.5.6
Rh-Erythroblastose
Etwa 15% der europäischen Bevölkerung sind Rh-negativ, ca. 5% der amerikanischen schwarzen Bevölkerung. Vor Einführung der Anti-D-Prophylaxe betrug die Prävalenz der Rh-Inkompatibilität 45 erkrankte Kinder pro 10.000 Lebendgeborene. Die Erkrankungshäufigkeit konnte um weit mehr als 90% reduziert werden.
Ätiologie, Pathogenese Das erythrozytäre Rhesus-Antigensystem besteht aus 5 Antigenen: C, D, E, c und e; d hat keine antigenen Eigenschaften. Bei ca. 90% der Rhesusinkompatibilität sensibilisiert das D-Antigen des Fetus die Rh(d)-negative Mutter, die in der Folge IgG-Antikörper (AntiD-Antikörper) bildet. Da in der Frühschwangerschaft nur ausnahmsweise kindliche Erythrozyten in den Kreislauf der Mutter gelangen, bildet die Mutter keine oder nur geringe Mengen an Anti-D-Antikörpern. Das erste Kind bleibt entweder gesund oder entwickelt nur eine hämolytische Anämie und/oder Hyperbilirubinämie, vorausgesetzt, dass eine frühere Sensibilisierung durch Aborte oder Bluttransfusionen ausgeschlossen ist. Unter der Geburt und bei der Plazentalösung kann eine größere Menge kindlicher Erythrozyten in die mütterliche Blutbahn übertreten. Die Rh-Erythroblastose bei unterlassener Rh-Prophylaxe
In Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung bestehen: 4 eine mehr oder weniger ausgeprägte Anämie, 4 ein Icterus praecox (Gesamtbilirubin >7 mg/dl innerhalb der ersten 24 Lebensstunden), 4 ein Icterus gravis (Gesamtbilirubin) >15 mg/dl bei reifen Neugeborenen), 4 und als Ausdruck der extramedullären Blutbildung eine Hepatosplenomegalie. Als Zeichen der gesteigerten Hämatopoese sind Erythroblasten und Retikulozyten im peripheren Blut in großer Zahl nachweisbar. Hydrops fetalis Bei schwerer fetaler Anämie (Hämoglobin <8 g/dl) können sich eine intrauterine Hypoxie und Hypoproteinämie infolge einer verminderten Albuminsynthese entwickeln. Veränderungen der Zellpermeabilität und Verminderungen des onkotischen Drucks führen zu generalisierten Ödemen, Höhlenergüssen (Aszites, Pleuraerguss, Perikarderguss), Hypervolämie und Herzinsuffizienz. Beim generalisierten Hydrops kann bereits ein intrauteriner Fruchttod oder eine irreparable zerebrale Schädigung auftreten.
Diagnose Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge wird bei allen Frauen im Verlauf der Schwangerschaft nach irregulären Antikörpern gesucht, um Inkompatibilitäten in Rh-, Duffy-, Kell- oder anderen Blutgruppensystemen zu erkennen. Mit dem indirekten Coombs-Test werden plazentagängige IgG-Antikörper nachgewiesen. Bei vorhandenen Antikörpern ist eine engmaschige fetale Ultraschalldiagnostik unabdingbar. Da keine Korrelation zwischen der Konzentration vorhandener Antikörper und dem Schweregrad der möglichen kindlichen Erkrankung besteht, ist bei vorhandenen Antikörpern eine sequenzielle Bestimmung der fetalen Hirndurchblutung indiziert. Die dopplersonographische Messung der Flussgeschwindigkeit korreliert mit dem Grad der Anämisierung. Nur noch selten wird eine
1144
87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) zur Bilirubinbestimmung durchgeführt. Das Ausmaß der Hämolyse lässt sich durch spektrophotometrische Analyse der optischen Dichte (450 nm) des Fruchtwassers ablesen (Liley-Diagramm). Durch Zuordnung in 3 Gefahrenzonen können der kindliche Zustand beurteilt und entsprechende therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Nach der Geburt sind beim Neugeborenen unverzüglich folgende Bestimmungen durchzuführen: 4 Hämoglobinkonzentration, 4 Serumbilirubinwert, 4 Blutgruppenbestimmung, 4 Coombs-Test, 4 Retikulozytenzahl, 4 Blutausstrich.
Intrauterine Therapie des Fetus
Prognose
Bei ausgeprägter fetaler Anämie ist eine intrauterine Transfusion in die kindliche Bauchhöhle oder neuerdings durch Kordozentese in die Nabelvene möglich; bei ersten Zeichen eines Hydrops fetalis ist eine vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft durch Sectio caesarea erforderlich.
Trotz adäquater Initialbehandlung entwickeln die Kinder aufgrund der noch vorhandenen Anti-D-Antikörper häufig eine über mehrere Wochen anhaltende Spätanämie. Bei erhöhten Retikulozytenzahlen und asymptomatischem Kind ist keine weitere Therapie erforderlich. Stellen sich eine persistierende Tachykardie sowie andere Zeichen der chronischen Anämie ein, so ist eine weitere Transfusion indiziert. Selten wird eine Pfortaderthrombose nach Austauschtransfusion beobachtet; diese schwerwiegende Komplikation ist therapeutisch nicht zu beeinflussen.
Phototherapie
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Austauschtransfusion
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Zur Vermeidung der Bilirubinenzephalopathie wird nach wie vor eine Austauschtransfusion reifer Neugeborener bei Bilirubinserumkonzentrationen von >20 mg/ dl empfohlen; bei schweren Grunderkrankungen (Asphyxie, neonatale Sepsis, hämolytische Anämie u. a.) sowie eine Hyperbilirubinämie in den ersten 3 Lebenstagen liegt die Austauschgrenze in dieser Gruppe niedriger.
Für Frühgeborene gelten besondere Austauschgrenzen: 4 Frühgeborene mit einem Gewicht von >1500 g: >15 mg/dl, 4 Frühgeborene >1000 g: >10 mg/dl.
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87.5.7
Kernikterus, Bilirubinenzephalopathie
Unkonjugiertes, nicht an Albumin gebundenes Bilirubin kann aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften leicht in das zentrale Nervensystem eindringen. Es hemmt den neuronalen Metabolismus (eine Hemmung der oxidativen Phosphorylierung) und hinterlässt eine irreversible Schädigung im Bereich der Basalganglien, des Globus pallidus, des Nucleus caudatus (Kernikterus), des Hypothalamus, einiger Kerngebiete von Hirnnerven und auch der Großhirnrinde. Bei einer erhöhten Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke (schwere Anämie, Hypoxie, Hydrops) kann auch an Albumin gebundenes Bilirubin in das Hirngewebe übertreten.
Pathogenese
87 87
Prävention
Bei Neugeborenen mit Rh-Erythroblastose ist, neben den beschriebenen hämatologischen Auffälligkeiten, immer ein positiver direkter Coombs-Test zu finden (Nachweis von inkompletten, an kindliche Erythrozyten gebundenen Antikörpern). Unmittelbar nach der Geburt kann die Konzentration des indirekten Bilirubins stark ansteigen; daher sind engstmaschige Bilirubinbestimmungen erforderlich.
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87
Als Komplikationen der Blutaustauschtransfusion können Infektionen (u. a. Sepsis), Katheterperforation, Pfortaderthrombose, Hypotension, Azidose, nekrotisierende Enterokolitis und Elektrolytentgleisungen auftreten. Nach einem Blutaustausch besteht häufig eine Anämie und Thrombozytopenie; durch eine zusätzliche, kontinuierlich durchgeführte Phototherapie kann die Zahl von mehrfachen Austauschtransfusionen gesenkt werden.
Durch Gabe eines Anti-D-Immunglobulins innerhalb von 72 h nach der Geburt kann die Sensibilisierung einer Rh-negativen Mutter durch die Rh-positiven fetalen Erythrozyten häufig vermieden werden. Die Anti-D-Prophylaxe muss bei Rh-negativen Frauen auch nach Aborten, Amniozentesen oder unsachgemäßer Transfusion mit Rh-positivem Blut durchgeführt werden. Zu der ersten Schwangerschaft kann eine maternale Immunglobulinprophylaxe in der 28. Gestationswoche und unmittelbar postnatal die Sensibilisierung auf weniger als 1% reduzieren. Nach bisherigen Kenntnissen scheint die im letzten Trimenon durchgeführte Anti-D-Prophylaxe beim Neugeborenen keine klinisch signifikante Hämolyse auszulösen.
Bei leichten Verläufen (einer Rh-Inkompatibilität) kann eine Phototherapie u. U. in zwei Ebenen zur Behandlung der Hyperbilirubinämie ausreichen. Durch sichtbares Licht (Wellenlänge 425–475) wird das in der Haut vorhandene Bilirubin zu nicht toxischen BilirubinIsomeren umgeformt und mit der Galle und dem Urin ausgeschieden. Die Indikation für den Beginn einer Phototherapie hängt von Gestationsalter, Lebensalter, Höhe der Bilirubinkonzentration, Dynamik des Bilirubinanstieges sowie vom Ausmaß der Anämie und anderen Risikofaktoren ab.
87
Mögliche Komplikationen
Der Blutaustausch erfolgt mit kompatiblem Spendervollblut in 5bis 20-ml-Portionen über einen Nabelvenenkatheter. Durch diese Maßnahme wird das 2- bis 3-fache Blutvolumen eines Neugeborenen ausgetauscht, d. h. ca. 90% der kindlichen Erythrozyten werden neben mütterlichen Antikörpern und verfügbarem Bilirubin eliminiert.
Die Entstehung einer Bilirubinenzephalopathie wird von folgenden Faktoren beeinflusst: Lebensalter und Reifegrad der Kinder, Überschreiten der Albuminbindungskapazität durch zu hohe Bilirubinspiegel, Verminderung der Bindungskapazität bei Hypalbuminämie, Verdrängung des Bilirubins durch Gallensäuren, freie Fettsäuren (Hypoglykämie!) oder Medikamente und Veränderungen bzw. Schädigung der Blut-Hirn-Schranke nach Asphyxie, Hypoxie, neonataler Meningitis und anderen Erkrankungen.
Klinik und Therapie Die Frühsymptome der Bilirubinenzephalopathie sind: Apathie, Hypotonie, Trinkschwäche, Erbrechen, abgeschwächte Neugeborenenreflexe und schrilles Schreien. Danach fallen die Neugeborenen durch eine vorgewölbte Fontanelle, eine opisthotone Körper-
1145 87.5 · Bluterkrankungen
haltung, muskuläre Hypertonie und zerebrale Krampfanfälle auf. Überlebende Kinder weisen häufig eine beidseitige Taubheit, choreoathetoide Bewegungsmuster sowie eine mentale Retardierung auf.
– selten: aplastische Anämie, kongenitale Leukämie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, Riesenhämangiom u. a. – Retardierung – Polyzythämie
Therapie Keine therapeutische Maßnahme kann diese irreversible Schädigung rückgängig machen. In der heutigen Zeit sollte diese vermeidbare Komplikation aber nicht mehr auftreten. Gerade in den westlichen Industrienationen wird aber inzwischen eine zunehmende Anzahl von Kindern beobachtet, die an den Folgen einer Bilirubinenzephalopathie leiden. Ziel aller in der Peri- und Neonatalmedizin tätigen Ärzte, Hebammen und Kinderkrankenschwestern muss es sein, die Früh- und Neugeborenen mit einem erhöhten Risiko für eine Hyperbilirubinämie frühzeitig zu identifizieren und einer adäquaten Therapie zuzuführen.
87.5.8
Weitere hämolytische Erkrankungen
Blutgruppenunverträglichkeiten gegen andere Erythrozytenantigene [c, E, Kell (K), Duffy u. a.] sind für weniger als 5% aller hämolytischen Erkrankungen der Neonatalperiode verantwortlich. Der direkte Coombs-Test ist bei diesen Unverträglichkeiten immer positiv. Kongenitale Infektionen mit verschiedenen Erregern sowie neonatale Infektionen können eine nichtimmunologische Hämolyse induzieren. Die homozygote α-Thalassämie kann sich ebenfalls unter dem Bild einer schweren hämolytischen Anämie mit Hydrops fetalis präsentieren; auch bei dieser und den folgenden Erkrankungen ist der direkte Coombs-Test negativ. Hämolytische Anämie und ausgeprägte Hyperbilirubinämie mit Gefahr der Bilirubinenzephalopathie werden bei Neugeborenen mit hereditärer Sphärozytose oder angeborenen Enzymdefekten, wie dem Pyruvatkinase- oder Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel beobachtet.
87.5.9
Neonatale Thrombozytopenie
Die wesentlichen maternalen und kindlichen Ursachen und Erkrankungen, die eine neonatale Thrombozytopenie (<150.000 Thrombozyten/μl) auslösen können, sind in der folgenden Übersicht dargestellt.
Ursachen der neonatalen Thrombozytopenie 4 Mütterliche Ursachen: – idiopathisch thrombozytopenische Purpura der Mutter – Lupus erythematodes der Mutter – Medikamente während der Schwangerschaft – Thrombozyteninkompatibilität: Alloimmunthrombozytopenie 4 Kindliche Ursachen: – konnatale Infektionen: Toxoplasmose, Röteln, Zytomegalie, Herpes simplex, Lues – neonatale Infektionen: Sepsis neonatorum – disseminierte intravaskuläre Gerinnungsstörung nach Asphyxie, Schock etc. – nekrotisierende Enterokolitis – Austauschtransfusion 6
Im Rahmen einer aktiven idiopatischen thrombozytopenischen Purpura (ITP oder eines Lupus erythematodes) können die maternalen Autoantikörper durch diaplazentaren Übertritt beim Neugeborenen eine Immunthrombozytopenie induzieren. Bei Müttern, die sich gegen Medikamente sensibilisiert haben, wurde nach Anlagerung des Antigen (Medikament-) Antikörperkomplexes an fetale Blutplättchen von der Entwicklung einer Thrombozytopenie berichtet. Bei der neonatalen Alloimmunthrombozytopenie handelt es sich um eine fetomaternale Thrombozyteninkompatibilität. Unter den kindlichen Ursachen ist das Wiskott-Aldrich-Syndrom hervorzuheben. Aufgrund eines intrinsischen Thrombozytendefekts ist die Überlebenszeit der Blutplättchen deutlich vermindert. Die Thrombozyten sind bei dieser Erkrankung deutlich kleiner als bei allen anderen Formen der neonatalen Thrombozytopenie. Die Inzidenz der Alloimmunthrombozytopenie wird mit 2000‒3000:1 Neugeborenen angegeben. Verantwortlich für die mütterliche Sensibilisierung ist in mehr als 75% der Fälle das plättchenspezifische Antigen PLA1, das bereits in der 19. Schwangerschaftswoche von den fetalen Thrombozyten exprimiert wird. 98% der Bevölkerung besitzen PLA1-positive Thrombozyten.
Klinik Klinisch symptomatische Neugeborene mit Thrombozytopenie fallen durch Petechien, Purpura und gelegentlich Schleimhautblutungen auf. Neben renalen und gastrointestinalen Blutungen ist die gefürchtete Komplikation eine innerhalb der ersten Lebenstage auftretende Hirnblutung. Einige Neugeborene sind auch bei ausgeprägten Thrombozytopenien symptomlos. Die Diagnose wird durch Nachweis spezifischer Thrombozytenmerkmale und Antikörpernachweis bei Mutter und Kind gestellt.
Therapie Thrombozytenzahlen von <50.000/μl oder klinische Blutungszeichen erfordern eine sofortige Transfusion eines Thrombozytenkonzentrats. Bei der Alloimmunthrombozytopenie stellt jedoch die Selektion geeigneter Thrombozytenspender ein logistisches Problem dar, da 98% der Bevölkerung PLA1-positive Thrombozyten besitzen und somit als Spender ausscheiden. Eine Thrombozytentypisierung potenzieller Spender ist nur in wenigen Blutbanken vorhanden. Als idealer Spender kompatibler Thrombozyten kommt daher nur die Mutter in Frage. Das Verfahren der Thrombozytenisolierung durch Zellseparation wird auch unmittelbar nach der Geburt von den Müttern gut toleriert.
87.5.10
Koagulopathien
In der Neonatalperiode werden nicht selten Störungen der plasmatischen Blutgerinnung beobachtet; sie können Ausdruck eines angeborenen Mangels an Gerinnungsfaktoren (Hämophilie u. a.), eines Vitamin-K-Mangels oder einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (DIC) sein. Neugeborene weisen erniedrigte Plasmakonzentrationen nahezu aller Gerinnungsfaktoren auf; besonders die Synthese der Vitamin-K-abhängigen Faktoren II, VII, IX und X ist gestört.
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87
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
> Es gibt keinen diaplazentaren Übertritt von Gerinnungsfaktoren.
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87.6
P. Groneck
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Fehlbildungen und Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
87.6.1
Ösophagusatresie
Die Ösophagusatresie ist mit 1:3000 Geburten nicht selten. Anatomisch besteht eine Unterbrechung des Organs mit proximalem und distalem Blindsack und zumeist einer tracheoösophagealen Fistel. Die häufigste Form dieser Malformation geht mit einer Fistel zwischen distalem Blindsack und der Trachea einher (85%), gefolgt von einer Form ohne Fistel, jedoch mit oft größerem Abstand zwischen beiden Blindsäcken.
Diagnose und Klinik In der Schwangerschaft findet sich bei der Ultraschalluntersuchung häufig ein Polyhydramnion, da das Kind kein Fruchtwasser schlucken kann. Weiterhin lässt sich bei wiederholten Untersuchungen der Magen nicht darstellen, oder es findet sich ein dilatierter oberer Blindsack im Thorax. Nach der Geburt kommt es zur Ansammlung von oropharyngealen Sekreten, die nicht verschluckt werden können und sich aus dem Mund entleeren. Husten und Atemnotsymptome sind weitere frühe Auffälligkeiten. Das Kind erbricht sofort oder hustet beim ersten Trinken. Eine über die Nase eingeführte, nicht zu dünne Magensonde (Gefahr des Aufrollens im Blindsack) stößt nach ca. 11–13 cm auf einen Widerstand. Über die Sonde kann Luft als Kontrastmittel gegeben werden. Radiologisch findet sich im Thorax-Abdomen-Röntgenbild ein luftgefüllter oberer Blindsack mit Darstellung der Magensonde im Blindsack. Bei Bedarf kann eine vorsichtige Kontrastmittelfüllung mit Isovist durchgeführt werden. Prinzipiell sollte jede Röntgenthoraxerstaufnahme bei Neugeborenen mit liegender Magensonde erfolgen, um sofort eine Aussage über die Kontinuität des Ösophagus treffen zu können. Bei einer Ösophagusatresie ohne Fistel (zweithäufigster Typ) ist das Abdomen luftleer (. Abb. 87.16).
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Therapie
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Wenn die Diagnose pränatal bekannt ist, sollte keine Maskenbeatmung oder Anlage eines Nasen-CPAP erfolgen, um den Magen nicht zu überblähen:
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4 Einführen eines Absaugkatheters in den oberen Blindsack und Anwendung eines Dauersogs zur Sekretentfernung. 4 Hochlagerung des Oberkörpers zur Verhinderung des Reflux von Magensekreten über die Fistel in die Trachea. 4 Wenn das Kind beatmet werden muss, ist eine Bauchlage sinnvoll, damit der Magen komprimiert wird und sich nicht so leicht mit Luft füllt. 4 Flüssigkeitstherapie und Ernährung über eine Dauertropfinfusion.
In der Regel erfolgt die operative Behandlung am 1. Lebenstag. Wenn das Kind krank ist oder eine schwere Aspiration vorliegt,
. Abb. 87.16 Kontrastmittelfüllung des oberen Blindsacks bei einem Neugeborenen mit Ösophagusatresie
kann die Operation unter den 7 oben genannten Maßnahmen einige Tage verschoben werden. Bei sehr schlechtem Zustand: Ausschließliche Anlage einer Gastrostomie zur Magendekompression als Erstmaßnahme. Postoperativ erfolgt eine Beatmung, Antibiotikabehandlung und intravenöse Ernährung. Über eine Duodenalsonde kann ab dem 4. Tag vorsichtig Nahrung gegeben werden. 10 Tage nach der Operation erfolgt eine radiologische Kontrastmitteldarstellung der Anastomose, anschließend kann der Nahrungsaufbau begonnen werden. Viele Kinder haben eine residuale Striktur, die eine Bougierung erfordert, sowie über längere Zeit eine Störung der Ösophagusmotilität und Schluckprobleme. Weiterhin liegt sehr häufig eine tracheale Instabilität vor, im Extremfall kann es zu einem Trachealkollaps mit Apnoen kommen.
87.6.2
Intestinale Obstruktionen
Alle intestinale Atresien und Obstruktionen anderer Genese können pränatal ebenfalls zu einem Polyhydramnion führen. Die klinischen Hauptsymptome nach der Geburt hängen von der Höhe der Obstruktion ab. Atresien im Bereich des Duodenums und des oberen Jejunums führen zum meist galligen Erbrechen relativ kurz nach der Geburt. Atresien im unteren Dünndarm und Kolon haben als Leitsymptom ein geblähtes Abdomen und fehlenden Abgang von Mekonium. In der Regel wird bei reifen Neugeborenen innerhalb der ersten 24 h
1147 87.6 · Fehlbildungen und Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
Mekonium abgesetzt. Abgang von Mekonium schließt jedoch eine Obstruktion im Oberen Magen-Darm-Trakt nicht aus. Die Erstuntersuchung besteht in einer Abdomenübersichtsaufnahme. Nach der Geburt füllt sich der Magen und Darm rasch mit Luft und erreicht innerhalb von 24 h das Kolon. Bei einer intestinalen Atresie oder einer anderen Durchgängigkeitsstörung sistiert die Gasfüllung vor der Obstruktion. Ein Kontrasteinlauf zeigt bei Dünndarmatresie oder Mekoniumileus ein Mikrokolon. Eine Analatresie ist von außen bei der körperlichen Untersuchung sichtbar.
Duodenalatresie Bei dieser Fehlbildung lassen sich bei der pränatalen Ultraschalluntersuchung oft zwei flüssigkeitsgefüllte Blasen im Bereich des Magens bei fehlender Darstellung des Restdarms nachweisen. Neben der Atresie können eine Duodenalstenose, ein Pancreas anulare oder eine Malrotation zu Obstruktionen in diesem Bereich führen. Häufig sind diese Fehlbildungen mit einer Trisomie 21 verbunden, klinisch muss nach entsprechenden Symptomen gesucht werden. Postnatal tritt sehr frühzeitig Erbrechen auf, auch schon ohne Fütterung. Je nach Höhe der Unterbrechung ist das Erbrochene gallig. Das Abdomen ist oft eingefallen. Die Röntgenaufnahme des Abdomens ist typisch, es zeigen sich bei Duodenalatresie 2 luftgefüllte Hohlräume (Magen und Bulbus duodeni, »Double-bubblePhänomen«) bei luftleerem Abdomen. Bei einer Duodenalstenose oder Malrotation ist zumeist noch etwas Luft distal der Enge zu finden (. Abb. 87.17). Die fehlende Flüssigkeitzufuhr und das Erbrechen können rasch zu einer Dehydratation und metabolischen Alkalose führen. Als Erstbehandlung wird eine Magensonde gelegt, um das Sekret abzusaugen; weiterhin Anlage eines venösen Zugangs zur Flüssigkeitstherapie, Ernährung und evtl. Korrektur von Elektrolytstörungen. Die chirurgische Behandlung (Duodenojejunostomie oder Duodenoduodenostomie) wird in der Regel frühzeitig durchgeführt. Postoperativ liegt häufig eine Motilitätsstörung des Duodenums vor, die den oralen Nahrungsaufbau verzögern kann. Über den offenen Pylorus können größereSekretmengen in den Magen zurückfließen und sich über die Magenablaufsonde entleeren.
Malrotation Dieser Fehlbildung liegt embryologisch eine inkomplette Darmdrehung zugrunde. Anstatt im rechten Unterbauch kommt das Zökum meist im rechten Oberbauch zu liegen, verwächst mit der seitlichen Bauchwand und obstruiert über Ladd-Bänder komplett oder meist partiell das Duodenum. Weiterhin ist bei dieser Fehlbildung die Fixation des Mesenteriums gestört. Anstelle der üblichen, posterioren Fixation von links kranial nach rechts kaudal liegt ein schlecht fixiertes Mesenterium commune vor, das leicht torquieren kann (Volvulus). In solchen Fällen entsteht rasch über eine Abdrosselung der mesenterialen Blutgefäße ein ausgedehnter Darminfarkt. Je nach Grad der duodenalen Obstruktion und der Beeinträchtigung der mesenterialen Perfusion resultiert bei der Malrotation keine Symptomatik (manchmal Zufallsbefund), eine intermittierende oder permanente duodenale Obstruktion mit galligem Erbrechen oder eine lebensbedrohliche Situation mit akutem Abdomen bei Volvulus. > Galliges Erbrechen bei Neugeborenen ist ein Hinweis auf eine mechanische Obstruktion und erfordert immer eine sorgfältige Diagnostik einschließlich des Ausschlusses einer Malrotation, um die Entwicklung eines Volvulus zu verhindern.
Röntgenologisch finden sich im Abdomenübersichtsbild Befunde einer meist inkompletten duodenalen Obstruktion und einer
. Abb. 87.17 Typisches luftleeres Abdomen mit Darstellung zweier isolierter Luftblasen (sog. Double-bubble-Phänomen) im Magenfundus und Bulbus duodeni bei Duodenalatresie
pathologischen Darmgasverteilung distal der Stenose. Der Kontrasteinlauf zeigt ein malpositioniertes Zökum im rechten oder mittleren oberen Abdomen, bei der Kontrastmitteldarstellung von oral her lässt sich die Fehlposition des Duodenums darstellen. Bei einem Volvulus ist das Abdomen oft luftleer. Dieses Krankheitbild manifestiert sich als lebensbedrohliche Situation mit akutem Abdomen, Hämatemesis und Schock. Mit massiver Flüssigkeitssubstitution und Notfalloperation wird versucht, den ischämischen Darm noch zu retten.
Dünndarmobstruktion Die Ursachen einer Dünndarmobstruktion bestehen in einer angeborenen Atresie oder Obstruktion durch Mekonium. Je nach Höhe der Obstruktion resultiert galliges Erbrechen oder ein innerhalb der ersten 12–48 h nach der Geburt auftretendes geblähtes Abdomen mit fehlendem Mekoniumabgang.
Dünndarmatresie Die Dünndarmatresie geht, im Gegensatz zu den Atresien des oberen Magen-Darm-Trakts, nicht gehäuft mit weiteren Fehlbildungen oder einer chromosomalen Anormalie einher. Von der Entstehung her liegt in der Regel eine frühe intrauterine Perfusionseinschränkung eines Darmanteils vor. Postnatal finden sich in der Abdomenübersichtsaufnahme stark dilatierte Dünndarmschlingen und ein luftleeres Rektum.
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
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Die Aufnahme im Hängen zeigt Flüssigkeitsspiegel in den dilatierten Schlingen. Beim Kontrasteinlauf ist ein Mikrokolon darstallbar. Kritisch ist bei der intestinalen Obstruktion die konstante Darstellung einer isolierten geblähten Darmschlinge. Die fehlende Dekompression kann dabei zu einer Beeinträchtigung der vaskulären Versorgung des dilatierten Darmanteils führen; es resultieren eine Beeinträchtigung der Mukosaintegrität sowie ein massiver Volumenverlust in den Darm. Präoperativ ist daher bei allen Kindern mit intestinalen Obstruktionen und Darmblähung eine reichliche Volumenzufuhr mit Vollelektrolytlösung notwendig, um Flüssigkeitverluste in den »3. Raum« zu ersetzen. Postoperativ ist aufgrund des Lumenunterschiedes zwischen proximalem und distalem Anteil die Darmmotilität stark beeinträchtigt, was den Nahrungsaufbau stark verzögert und über längere Zeit eine parenterale Ernährung erfordert.
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Mekoniumobstruktion
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Eingedicktes Mekonium kann zu einer vollständigen Verlegung des Darms führen.
Mekoniumpfropfsyndrom Von einem Mekoniumpfropfsyndrom spricht man, wenn die Obstruktion im Kolon gelegen und durch rektale Spülungen zu mobilisieren ist. Ein Kontrasteinlauf sichert die Diagnose (Fehlen von Mikrokolon, Nachweis von Mekoniumpartikeln) und wirkt gleichzeitig therapeutisch.
Mekoniumileus Ein Mekoniumileus ist durch diese konservativen Maßnahmen nicht zu beheben, die Obstruktion liegt in der Regel im Bereich des distalen Ileums. Die Symptomatik ist typisch für die zystische Fibrose (CF), jedoch präsentiert sich nur ein Teil der Neugeborenen mit CF nach der Geburt mit einem Mekoniumileus. Die mukösen Drüsen dieser Kinder produzieren ein extrem zähes Mekonium, das eine höhere Konzentration an Proteinen enthält. Der erhöhte Nachweis von Albumin im Stuhl wurde einige Zeit als Suchtest für die CF verwendet, hat sich jedoch wegen der bei Frühgeborenen häufig falsch-positiven Resultate nicht durchsetzen können. Der Mekoniumileus bei CF kann kompliziert sein durch eine pränatale Perforation mit Mekoniumperitonitis, im Röntgenbild finden sich dann intraabdominelle Kalzifizierungen. Durch die gesunkene Mortalität sehr kleiner Frühgeborener stellen heute Kinder mit extrem niedrigem Geburtsgewicht (<1000 g) und gleichzeitiger schwerer intrauteriner Wachstumsrestriktion (<3. Perzentile) eine wesentliche Gruppe der Patienten mit Mekoniumileus dar, ohne dass eine CF vorliegt. Die Ursache liegt neben der Unreife wohl in einer intestinalen Hypomotorik, bedingt durch mesenteriale Hypoperfusion bei chronischer intauteriner Hypoxie im Rahmen der Dystrophie.
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87.6.3
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Bauchwanddefekte umfassen die Omphalozele und die Gastroschisis. Sie treten bei etwa 1 von 4000 Geburten auf, mit einer höheren
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troschisis liegt der Bauchwanddefekt lateral vom normal ansetzenden Nabel und die Darmschlingen liegen frei in der Amnionhöhle. Die Diagnose beider Erkrankungen erfolgt oft schon pränatal. Da der Darm physiologischerweise in der Frühschwangerschaft herniert ist, kann die Ultraschalldiagnose allerdings erst nach der 14. Woche gestellt werden. Bei Bauchwanddefekten (wie bei Neuralrohrdefekten und Ösophagus- oder Duodenalatresie) finden sich im maternalen Blut erhöhte Werte für α1-Fetoprotein (AFP), das vom Fetus produziert wird und diaplazentar in das mütterliche Blut übertritt. Nach der Geburt können sich in seltenen Fällen differenzialdiagnostische Schwierigkeiten zwischen beiden Bauchwanddefekten ergeben, wenn der Herniensack der Omphalozele prä- oder perinatal rupturiert ist. In solchen Fällen muss der genaue Ansatz der Nabelschnur aufgesucht werden. Im Gegensatz zur Gastroschisis ist die Omphalozele häufig mit Begleitfehlbildungen assoziiert (ca. 40%, oft gastrointestinal oder kardial) sowie mit einer chromosomalen Aberration verbunden (nicht selten Trisomie 18). Die Erstmaßnahmen bei Bauchwanddefekten sind in der 7 Übersicht dargestellt.
Bauchwanddefekte
Inzidenz der Gastroschisis. Bei der Omphalozele liegt der Abdominalwanddefekt periumbilikal, die aus dem Abdomen heraustretenden Darmschlingen sind von einem Bruchsack umgeben und die Nabelschnur setzt an der Spitze des hernierten Darms an. Die Fehlbildung stellt eine Persistenz der physiologischen Herniation des fetalen Darms dar, die sich üblicherweise bis zur 10. Woche wieder zurückbildet. Bei der Gas-
Erstmaßnahmen bei Bauchwanddefekten 4 Versorgung auf steriler Unterlage und mit sterilen Handschuhen. 4 Kind nach der Geburt sofort in Seitenlage bringen, bei Gastroschisis ist ein Abknicken der mesenterialen Gefäßversorgung unbedingt zu vermeiden, ggf. Lösung einer Torsion, keinen Zug auf den Darm ausüben. 4 Steriles Abdecken der Darmschlingen bzw. des Bruchsackes mit angefeuchteten Bauchtüchern (warme NaCl-0,9%-Lösung). 4 Bei Atemstörung keine Maskenbeatmung, sondern primäre Intubation zur Vermeidung der Darmüberblähung. 4 Anlage einer großlumigen Magensonde zur Dekompression, Sonde offen lassen. 4 Anlage einer Infusion (Vollelektrolylösung, Glukosezusatz nach Bedarf ).
Die Plazenta sollte in einem sterilen Gefäß zur operativen Versorgung mitgebracht werden, da bei großen Defekten ein passagerer Verschluss der Bauchwand mit Amnion erfolgen kann.
87.6.4
Nekrotisierende Enterokolitis (NEC)
Die NEC ist eine akut auftretende entzündliche Erkrankung des Dünn- und Dickdarms, welche im Verlauf zu einem septischen Krankheitbild mit disseminierten Darmnekrosen führt. Die Ursache ist multifaktoriell. Die NEC ist die häufigste Ursache gastrointestinaler Notfallsituationen Neugeborener; betroffen sind v. a. Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht <1500 g. Neben einzelnen sporadischen Fällen wird häufig ein gruppenweises Auftreten der Erkrankung beobachtet.
Pathogenese Verschiedene Faktoren sind für die Genese der Erkrankung verantwortlich: 4 Unreife der intestinalen Abwehrmechanismen, 4 bakterielle Überwucherung des Darms, 4 orale Ernährung, 4 Hypoxie-Ischämie des Darms.
1149 87.6 · Fehlbildungen und Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts
Zur Unreife der lokalen Abwehr tragen eine verminderte Ausstattung mit sekretorischem IgA auf der Darmschleimhaut, eine geringe Menge an intestinalen T-Lymphozyten und ein relativ hoher pHWert der Magensäure bei. Die geringe Darmmotilität begünstigt die Bakterienadhäsion. Darmbakterien. Die bakterielle Besiedlung des Darms ist ebenfalls
von Bedeutung. Die Epidemiologie mit gruppenweisem Auftreten der Erkrankung und das klinische septische Krankheitsbild legen eine Infektion als beteiligten Faktor nahe. Bei einer NEC lassen sich häufig bakterielle Erreger, v. a. gramnegative Keime wie Klebsiella, Enterobacter, Escherichia coli oder Pseudomonas aus der Peritonealflüssigkeit, der Blutkultur oder aus dem Stuhl isolieren. Andere Fälle gehen mit einer Sepsis durch Staphylokkokus epidermidis oder einer Rotavirus-Infektion einher. Die Pneumatosis als pathognomonisches Zeichen entsteht durch intraluminale Ausbreitung der bakteriellen H2-Bildung im Rahmen der Kohlenhydratvergärung des Darminhalts. Orale Ernährung. Die orale Ernährung ist ein weiterer pathogeneti-
scher Faktor. Eine NEC tritt praktisch nur bei oral ernährten Neugeborenen auf. Eine zu rasche Steigerung der Nahrung (>20 kcal/ kg KG/Tag) kann bei der bestehenden Unreife des Verdauungsapparates zu einer Verbesserung der Wachstumsbedingungen von Bakterien mit nachfolgender bakterieller Überwucherung führen. Bei Fütterung mit Frauenmilch kommt eine NEC seltener vor als bei Ernährung mit einer Kuhmilchpräparation. Mesenteriale Hypoperfusion. Eine mesenteriale Hypoperfusion mit nachfolgender Ischämie kann zu einer NEC führen. Allerdings ist die postasphyktische Genese einer NEC selten. Wahrscheinlich ist die Ischämie ein sekundäres Ereignis, möglicherweise hervorgerufen durch die infektionsbedingte Produktion vasokonstriktorischer Mediatoren.
Klinik und Diagnostik Kinder mit NEC zeigen folgende Symptome: 4 geblähtes, meist druckschmerzhaftes Abdomen, 4 Absetzen blutiger Stühle, 4 Erbrechen oder Nahrungs- und Seketrückstau im Magen, 4 häufig lokalisierte Resistenz im Abdomen palpabel, 4 evtl. livide oder rötliche Verfärbung der darüberliegenden Bauchhaut, 4 bei fortschreitender Erkrankung mit diffuser Peritonitis gesamte Bauchhaut glänzend und ödematös, 4 Fehlen von Darmgeräuschen. Neben den lokalen Befunden finden sich Symptome einer systemischen Infektion: 4 Temperaturinstabilität, 4 Apnoen, 4 Muskelhypotonie, 4 Hypomotorik bis Lethargie, 4 Hypotension, 4 Azidose, 4 dissiminierte intravasale Gerinnung mit Thrombopenie. Röntgendiagnostik. Radiologisch findet sich in den frühen Stadien
der Erkrankung eine lokalisierte oder generalisierte Dilatation von Darmschlingen sowie eine Verdickung der Darmwand. Das typische Zeichen einer NEC ist die Pneumatosis intestinalis mit einer perlschnurartigen Ansammlung von Gasblasen in der Darmwand.
. Abb. 87.18 Massive Darmdilatation, schaumiger Darminhalt sowie perlschnurartige Ansammlung von Gasblasen in der Darmwand (Pneumatosis intestinalis) bei einem Neugeborenen mit nekrotisierender Enterokolitis
Bei Ausbreitung dieser Gasansammlung über die Mesenterialgefäße in die Lebervenen lässt sich intrahepatische Luft nachweisen. Eine Perforation des Darms führt zum Auftreten freier Luft im Abdomen. Das Pneumoperitoneum stellt sich in Rückenlage oft als rundliche strahlentransparente Figur in Bauchmitte dar; die Perforation lässt sich meist besser bei einer Aufnahme in Linksseitenlage als sichelartige Luftdarstellung über der Leber nachweisen (. Abb. 87.18). Die Erkrankung verläuft progressiv; von Bell ist der Verlauf in 3 Stadien beschrieben worden: 4 Verdacht auf NEC (Stadium 1): Systemische Symptome (7 oben) und Distension des Darms (A ohne, B mit blutigen Stühlen). 4 Definitive NEC (Stadium 2): Zunahme der systemischen Symptome, Ileus, als diagnostisches Symptom Nachweis einer Pneumatosis intestinalis. (A ohne, B mit deutlichem abdominellen Lokalbefund: Abwehrspannung, Bauchwandinfiltration, abdominelle Resistenz, Aszites). 4 Fortgeschrittene NEC (Stadium 3): Schwere systemische Infektionssymptome, sehr krankes Kind, deutliche Zeichen der Peritonitis, (A ohne, B mit Darmperforation).
Therapie Die Behandlung der NEC hängt von der Schwere der Erkrankung ab. Bei Patienten im Stadium 1 nach Bell erfolgt eine konservative Behandlung mit Nahrungspause (keine oralen Medikamente), Magenablaufsonde und breiter antibiotischer Therapie. Die Flüssigkeits- und Elektrolyttherapie ist von besonderer Bedeutung, da es zu erheblichen Verlusten von Flüssigkeit in den Darm kommen kann (sog. 3. Raum). In der Regel ist die Gabe isotoner Elektrolytlösung erforderlich. Beim Stadium 1B oder Ileussymptomatik ist unbedingt eine Mitbeurteilung des klinischen Befundes durch einen Kinderchirurgen
87
1150
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
87
notwendig, um rechtzeitig die Indikation zum operativen Vorgehen stellen zu können. Eine Operationsindikation ist gegeben bei Perforation, klinischen Peritonitissymptomen oder deutlichen Pneumatosiszeichen. Ein toxisches Krankheitbild erfordert eine notfallmäßige operative Therapie.
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Postoperative Probleme bei NEC
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Intraoperativ werden die gangränösen Darmbereiche reseziert, in vielen Fällen jedoch Organabschnitte mit noch unklarer Erholungsprognose belassen. Der postoperative Nahrungsaufbau des Neugeborenen mit NEC muss daher berücksichtigen, dass größere Bereiche der Darmwand noch entzündlich verändert sein können, dass im weiteren Verlauf aufgrund von Narbenbildungen lokale Strikturen und Stenosen auftreten können, und dass sich nach ausgedehnten Darmresektionen ein Malabsorptionssyndrom entwickeln kann (Kurzdarmsyndrom). Das Risiko für die Ausbildung eines solchen Kurzdarmsyndroms hängt ab von der Menge und anatomischen Struktur des verbliebenen Restdarms, es ist hoch bei Resektion von über 50% der Darmlänge. Dies entspricht einer Restdarmlänge bei reifen Neugeborenen von 70–150 cm (normale Darmlänge 140–300 cm) und von 40–50 cm bei Frühgeborenen in der 26. Schwangerschaftswoche (ca. die Hälfte der Länge reifer Neugeborener). Von besonderer Bedeutung für die Darmfunktion ist der Verbleib der Ileozäkalklappe, bei Verlust kommt es zu einer weiteren Verkürzung der Transitzeit sowie verstärkten Flüssigkeits- und Nahrungsverlusten. Weiterhin dient diese Struktur als Barriere zwischen dem sterilen Dünndarm und dem bakteriell besiedeltem Dickdarm. Eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms führt zu einer chronischen Entzündung der Darmwand mit weiterer Beeinträchtigung der resorptiven Funktion. Wenn postoperativ die Darmmotilität wieder in Gang kommt, können bei sehr kurzem Darm große Mengen Flüssigkeit und Elektrolyte verloren gehen, die ersetzt werden müssen. Nach Normalisierung der Darmmotilität wird mit der Zufuhr von oraler Nahrung begonnen. In der Regel wird eine verdünnte Semielementardiät verabreicht.
87 87.7
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Neugeborenenkrämpfe P. Groneck
Im Gegensatz zu Krampfanfällen bei älteren Säuglingen und Kindern sind Krampfanfälle beim Neugeborenen in der überwiegenden Mehrzahl nicht idiopathisch – und damit wahrscheinlich genetischer Ursache – sondern beruhen auf einer akuten zerebralen Funktionsbeeinträchtigung. Die Inzidenz wird mit 0,5% aller Neugeborenen angegeben. Die klinische Diagnose neonataler Krämpfe ist nicht immer einfach, aus diesem Grund ist immer eine genaue Beobachtung und Beschreibung der registrierten Phänomene erforderlich. Die meisten Neugeborenenkrämpfe sind wahrscheinlich zu kurz, um zu iktogenen Schäden zu führen (Dauer in 97% der Fälle unter 10 min). Dies ist erst bei einem Status epilipticus zu befürchten, d. h. bei einem Krampfanfall von >30 min Dauer oder bei intermittierender Krampfaktivität über 1 h.
87
Klinik
87
Klinisch können spezifische Typen neonataler Anfälle unterschieden werden.
Klonische Krämpfe. Rhythmische Zuckungen auf einer oder beiden Körperseiten (fokal oder generalisiert) mit einer Frequenz von 1–2/ s, wobei Hin- und Rückbewegung eine unterschiedliche Geschwindigkeit aufweisen (meist schnelle Hin- und langsamere Rückbewegung). Sie gehen in der Regel mit einer EEG-Veränderung einher und können Ausdruck einer strukturellen Hirnläsion oder einer metabolischen Störung (Hypoglykämie) sein. Muskelkloni im Rahmen einer Hyperexzitabilität sind keine Krampfanfälle, sondern ein oszillatorisches Zittern; Hin- und Rückbewegung sind gleichschnell. Tonische Krämpfe. Fokale tonische Anfälle manifestieren sich als einseitige anhaltende tonische Beugung oder Streckung einer Extremität, des Halses oder Rumpfes. Bei der generalisierten Form betreffen diese Bewegungen beide Körperseiten, z. T. mit Streckung der Beine und Beugung der Arme. Fokale tonische Krämpfe gehen, im Gegensatz zu der generalisierten Form, mit EEG-Veränderungen einher. Myoklonische Krämpfe. Plötzlich einschießende rasche Kontraktion eines Beugemuskels, entweder fokal oder multifokal, d. h. asynchrone alternierende Myoklonien unterschiedlicher Körperteile. Myoklonische Krämpfe gehen in der Regel nicht mit EEG-Veränderungen einher. Im Schlaf werden fokale Myoklonien bei Neugeborenen, insbesondere bei Frühgeborenen, sehr häufig gesehen. Diese Schlafmyoklonien sind physiologisch und kein Ausdruck einer Hirnfunktionsstörung. Subtile Krämpfe. Hierzu gehören orale Automatismen, stereotype komplexe Bewegungsmuster wie Pedalieren der Beine und tonische Augendeviationen. Selten können sich Krämpfe auch als Apnoe präsentieren, die dann in der Regel mit einer Tachykardie einhergeht (differenzialdiagnostisch wichtiges Kriterium zu anderen Apnoeformen!). Subtile Krämpfe sind nicht selten mit anderen Krampfphänomenen assoziiert.
Ätiologie und Diagnostik Sehr verschiedene Grundkrankheiten können sich mit Krämpfen in der Neugeborenenperiode präsentieren (. Tab. 87.8). Die Prognose der Kinder wird in der Regel durch diese zugrundeliegenden Erkrankungen bestimmt. Die basale Diagnostik bei Neugeborenenkrämpfen umfasst neben der klinischen Untersuchung und der Anamnese bestimmte Laboruntersuchungen (Blutzucker, Elektrolyte, Kalzium, Blutbild, Blutgasanalyse, CRP, IgM, Urinstatus), die Sonographie des Kopfes und das EEG. Weitere Untersuchungen erfolgen entsprechend spezifischer Auffälligkeiten.
Therapie > Bei Neugeborenenkrämpfen müssen Diagnostik und Therapie parallel erfolgen.
Da die Hypoglykämie sofort behandelbar und ihre Folgen schwerwiegend sind, erfolgt als erste Maßnahme die Bestimmung des Blutzuckers als kapillärer Schnelltest und sofort nach Blutabnahme die Verabreichung von Glukose 10% i. v., 2 ml/kg KG. Unter der Glukosezufuhr sollte der Krampfanfall beobachtet und beschrieben werden: Krampftyp, ein- oder beidseitig, vegetative Symptome, Dauer. Anschließend Blutabnahme für die Bestimmung von Kalzium, Natrium, Magnesium und Kalium. Wenn der Krampfanfall nicht innerhalb von einigen Minuten sistiert, werden intravenös Antikonvulsiva verabreicht (Mittel der 1. Wahl ist nach Ansicht einiger Autoren Phenobarbital, dann Phenytoin, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam).
1151 87.8 · Sepsis des Früh- und Neugeborenen
. Tab. 87.8 Ursache von Neugeborenenkrampfanfällen Akute metabolische Störungen
5 5 5 5 5
Asphyxie ZNS-Infektion
5 Meningitis 5 Enzephalitis
Hirnblutung, Hirnfehlbildungen Angeborene Stoffwechselerkrankungen
5 Aminoazidopathien 5 Organoazidurien
Benigne Neugeborenenkrämpfe
5 Familiär 5 »Fifth-day-fits« (Krämpfe am 5. Lebenstag)
Hypoglykämie Hypokalzämie Hyponatriämie Hypernatriämie Hypomagnesiämie
Pyridoxinabhängige Krämpfe Angeborene paroxysomale Erkrankungen Neurokutane Syndrome Toxine
5 5 5 5
Bilirubin Heroin Kokain Lokalanästhetika
Die antikonvulsive Behandlung erfordert obligatorisch eine Überwachung von Herzfrequenz, Atmung und Oxygenierung. Bei Hypokalzämie muss Kalziumglukonat 10%, 0,5 ml/kg KG sehr langsam i. v., zugeführt werden. Manchmal ist die Hypokalzämie von einer Hypomagnesiämie begleitet (Bestimmung von Mg2+ im Blut), Behandlung mit Magnesiumsulfat 15–30 mg/kg KG. Bei persistierenden Krämpfen Gabe von Pyridoxin 50–100 mg i. v.
87.8
Sepsis des Früh- und Neugeborenen C.P. Speer
Die neonatale Sepsis stellt nach wie vor eines der Hauptprobleme der Neugeborenenmedizin dar. Es handelt sich um eine disseminierte mikrobielle Erkrankung, die durch die klinischen Symptome einer systemischen Infektion und die Septikämie, d. h. den kulturellen Nachweis pathogener Erreger in der Blutkultur charakterisiert ist. Im Rahmen des septischen Schocks kann sich ein Multiorganversagen ausbilden. 10–25% der Patienten sterben an den Komplikationen dieser oftmals foudroyant verlaufenden Infektion, bis zu 1/4 der Kinder entwickelt als Folge einer zu spät diagnostizierten Sepsis eine eitrige Meningitis. Besonders kritisch ist die Situation auf neonatologischen Intensivstationen; hier kann bei 25% der Kinder im Verlauf der Intensivtherapie eine Sepsis nachgewiesen werden.
sprung, Amnioninfektionssyndrom, Fieber, Bakteriämie der Mutter und Frühgeburtlichkeit. 4 Die spät einsetzende Form tritt in der Regel nach dem 5. Lebenstag auf; der klinische Verlauf kann entweder foudroyant oder langsamer fortschreitend sein; die Neugeborenen erkranken häufig an einer Meningitis. Die Erreger stammen häufig aus dem postnatalen Umfeld. Besonders intensivmedizinisch behandelte Früh- und Neugeborene sind gefährdet, an einer späteinsetzenden nosokomialen Sepsis zu erkranken. Die wesentlichen Erreger der früh oder spät einsetzenden neonatalen Sepsis sind in der 7 Übersicht zusammengefasst
Wesentliche Erreger der früh und der spät einsetzenden neonatalen Sepsis 4 Früh einsetzende Sepsis – Streptokokken der Gruppe B – Escherichia coli – Staphylococcus aureus – Listeria monocytogenes – Enterokokken u. a. 4 Spät einsetzende Sepsis – Escherichia coli – Staphylococcus epidermidis – Klebsiella-Enterobacter-Spezies – Pseudomonas aeruginosa – Proteus-Spezies – Candida albicans u. a.
Klinik Die klinische Symptomatik der Neugeborenensepsis ist uncharakteristisch und variabel; bleiben die oftmals diskreten klinischen Zeichen unerkannt, so kann sich innerhalb kurzer Zeit das Vollbild des septischen Schocks entwickeln (. Tab. 87.9). Einer der wichtigsten Hinweise ist das von einer erfahrenen Kinderkrankenschwester registrierte »schlechte Aussehen« des Neugeborenen. Neben Störungen der Temperaturregulation und der Atmungsfunktion werden gastrointestinale Symptome beobachtet. Phasenweise nachweisbare Veränderungen des Hautkolorits weisen auf die im Rahmen der Bakteriämie auftretende Mikrozirkulationsstörung hin. Daneben können Hyperexzitabilität, Hypotonie, Apathie und zerebrale Krampfanfälle auftreten. Petechien, verstärkte Blutungsneigung, Hypotension und septischer Schock entwickeln sich im Verlauf der Erkrankung. ! Cave Bei klinischen Warnzeichen muss solange der Verdacht auf eine neonatale Sepsis bestehen, bis das Gegenteil bewiesen ist, d. h. eine Infektion ausgeschlossen wurde oder eine andere Ursache für die Verschlechterung des kindlichen Zustands gefunden wurde. Der Verlauf der Neugeborenensepsis wird entscheidend vom Zeitpunkt der Diagnose bzw. des Behandlungsbeginns beeinflusst.
Verlaufsform der Sepsis Die neonatale Sepsis manifestiert sich in zwei Verlaufsformen: 4 Die früh einsetzende Form zeichnet sich durch den Krankheitsbeginn in den ersten Lebenstagen, das typische Erregerspektrum (7 unten) und die fulminante Verlaufsform aus. Häufig entwickelt sich die systemische Infektion auf dem Boden einer neonatalen Pneumonie. Bei vielen Kindern sind geburtshilfliche Risikofaktoren vorhanden: vorzeitiger Blasen-
Diagnostik Untersucht werden Blutkulturen (aerob, anaerob), ggf. Liquorkulturen, Urinstatus und -kultur, Haut- und Schleimhautabstriche und Magensekret. Bei jedem isolierten Erreger ist eine Resistenztestung durchzuführen. Verschiedene Entzündungsparameter können als Warnzeichen einer neonatalen Infektion angesehen werden und zur Früherkennung der neonatalen Sepsis beitragen (. Tab. 87.10).
87
1152
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
. Tab. 87.9 Wesentliche Symptome der neonatalen Sepsis
. Tab. 87.10 Früherkennung und Warnzeichen neonataler Infektionen
Temperaturinstabilität
Hyper-, Hypothermie
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Atemstörungen
Tachypnoe, Dyspnoe, Apnoe
Geburtshilfliche Risikofaktoren
87
Gastrointestinale Symptome
Trinkschwäche, Erbrechen, abdominelle Distension
Klinische Zeichen
87
Zirkulatorische Insuffizienz
Periphere Mikrozirkulationsstörungen, Blässe, grau-marmoriertes Hautkolorit, septischer Schock, Multiorganversagen, DIC
Neurologische Störungen
Hyperexzitabilität, Lethargie, Krampfanfälle
Entzündungsparameter
87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87
Erregernachweis
Differenzialdiagnose
Pathogenese, Risikofaktoren
Verschiedene Erkrankungen Früh- und Neugeborener können sich unter nahezu identischer Symptomatologie manifestieren wie die neonatale Sepsis. Bei Frühgeborenen kann eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe B unter dem Bild eines Atemnotsyndroms verlaufen. Weitere Erkrankungen sind: 4 akute pulmonale Erkrankungen des Neugeborenen, 4 persistierende fetale Zirkulation, 4 Hyperviskositätssyndrom, 4 kardiale Erkrankungen, 4 nekrotisierende Enterokolitis, 4 zerebrale Blutungen, 4 metabolische Störungen, 4 intrauterine Infektionen u. a.
Die bekannten geburtshilflichen, pränatalen und postnatalen Risikofaktoren der neonatalen Sepsis lassen sich uneingeschränkt bei der Meningitis Neugeborener nachweisen. Neugeborene mit Liquor-Shunt-Systemen sind besonders gefährdet, über eine Bakteriämie eine Ventilinfektion zu entwickeln; der häufigste Erreger ist Staphylococcus epidermidis.
Therapie Bei der Frühsepsis wird von vielen klinischen Gruppen an einer Kombinationsbehandlung mit Ampicillin und einem Aminoglykosid (z. B. Gentamycin) festgehalten; alternativ wird eine empirische Therapie mit Ampicillin und einem Cephalosporin der 3. Generation (z. B. Cefotaxim) praktiziert. Beide Therapiekonzepte wurden von der American Academy of Pediatrics empfohlen. Der Hauptgrund für die Gabe von Ampicillin ist die unzulängliche Aktivität der Cephalosporine gegen Listeria monocytogenes und Enterokokken. Bei Verdacht auf eine Staphylokokken-Infektion muss die verwendete Kombination um ein Staphylokokkenwirksames Mittel erweitert werden. Ergeben sich aufgrund bakteriologischer Untersuchungen der Mutter Hinweise auf einen seltenen Erreger der Frühsepsis (Klebsiella, Pseudomonas, Serratia etc.), sollte eine Kombinationstherapie mit einem Cephalosporin und einem Aminoglykosid gewählt werden. Vor einigen Jahren wurde im Rahmen einer Standardtherapie mit Cefotaxim eine rasche Selektion von Cefotaxim-resistenten Enterobacter-Species (Enterobacter cloacae) nachgewiesen; diese Erreger waren auch gegen neuere Cephalosporine resistent. Eine Anwendung von Cephalosporinen sollte daher nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen.
Meningitis
87
87.8.1
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Die neonatale Meningitis ist eine mikrobielle Infektion der Hirnhäute, des Gehirns und häufig auch der Ventrikel; sie wird durch die typischen Erreger neonataler Infektionen verursacht.
87
5 Leukozytosen 5 Gesamtzahl aller neutrophiler Granulozyten 5 I/T-Quotient 5 CRP 5 Interleukin-6 u. a.
Klinik Die klinischen Zeichen der neonatalen Meningitis sind unspezifisch und in der Regel nicht von den Symptomen der Neugeborenensepsis zu unterscheiden. Als zusätzliche Symptome können Berührungsempfindlichkeit, spärliche Spontanbewegungen und schrilles Schreien hinzukommen. Eine gespannte Fontanelle, die opisthotone Körperhaltung oder gar Nackensteifigkeit treten insgesamt selten und erst im fortgeschrittenen Stadium der Meningitis auf. Krampfanfälle werden bei ca. 15% der erkrankten Neugeborenen beobachtet. Aufgrund der uncharakteristischen Symptomatologie sollte bei jedem Patienten, bei dem eine neonatale Sepsis zu vermuten ist, eine Liquoruntersuchung erfolgen. Bei ausgeprägter Instabilität der Kinder kann man jedoch gezwungen sein, die erforderliche Lumbalpunktion erst nach Therapiebeginn durchzuführen. Die Besonderheiten der Liquordiagnostik im Neugeborenenalter sind an anderer Stelle ausgeführt. Wiederholte Sonographien und eventuell NMR-Untersuchungen werden zur Erfassung von Komplikationen durchgeführt.
Therapie Die Prognose der neonatalen Meningitis wird entscheidend vom Therapiebeginn und der Wahl der Antibiotika bestimmt; die antibiotische Behandlung muss sich gegen das besondere Spektrum der zu vermutenden Erreger neonataler Infektionen richten (7 oben). Eine zuverlässige Liquorgängigkeit sowie eine ausreichende Dosierung der Antibiotika sind unbedingt zu beachten; die Dosierung der verschiedenen Präparate liegt in der Regel höher als bei der neonatalen Sepsis.
87.9
Metabolische Störungen
87.9.1
Hypoglykämie
Die Hypoglykämie ist die häufigste metabolische Störung bei Neugeborenen. Eine symptomatische Hypoglykämie ereignet sich bei 1–3 von 1000 Neugeborenen. Deutlich höher ist das Hypoglykämierisiko bei dystrophen Neugeborenen (5–15%) und bei Frühgeborenen.
1153 87.9 · Metabolische Störungen
4 4 4 4 4
Weitere Risikofaktoren für eine Hypoglykämie sind: Hypothermie, Hypoxie, mütterlicher Gestationsdiabetes, Diabetes mellitus, Polyzythämie.
. Tab. 87.11 Laborchemische Definition der Hypoglykämie Zeit postnatal
Glukose (im Plasma)
[h]
[mg/dl] (mmol/l)
Reife Neugeborene
1–3
<35 (1,9)
Pathogenese
Reife Neugeborene
4–24
<40 (2,2)
Hypoglykämien bei Neugeborenen können folgende Ursachen haben:
Reife Neugeborene
>24
<45 (2,5)
Frühgeborene
<24
<25 (1,4)
Frühgeborene
>24
<45 (2,5)
Unzureichende Glukosezufuhr. Der Glukoseverbrauch übersteigt
die Glukosezufuhr bzw die Glukoseproduktion. Der Glukosebedarf von Neugeborenen beträgt 4–8 mg/kg KG/min und ist damit deutlich höher als bei Erwachsenen. Gleichzeitig haben Neugeborene nur einen geringen Glykogenvorrat (1% des Körpergewichts). Deshalb kommt es bei Ausbleiben einer exogenen Glukosezufuhr rasch zu Hypoglykämien. Dies ist die häufigste Ursache von Hypoglykämien beim Neugeborenen. Hyperinsulinismus. Ein Hyperinsulinismus liegt bei Kindern diabetischer Mütter (transient), beim Beckwith-Wiedemann-Syndrom und bei der Nesidioblastose (diffuse Inselzellhyperplasie) vor. Kongenitale Stoffwechseldefekte. Aminosäurestoffwechselstörungen (z. B. Ahornsirupkrankheit) stören die Glukoneogenese. Glykogenspeicherkrankheiten, Galaktosämie und Fruktoseintoleranz verringern die Verfügbarkeit von Glukose aus Glykogen. Typischerweise treten hier rezidivierende oder persistierende Hypoglykämien auf. Polyglobulie. Die Ursache der Hypoglykämien bei Polyglobulie ist nicht bekannt.
Klinik Die Symptome der Hypoglykämie sind unspezifisch (7 Übersicht), deshalb muss die Hypoglykämie in die Differenzialdiagnose vieler Symptome des Neugeborenen einbezogen werden.
Symptome der neonatalen Hypoglykämie 4 4 4 4 4 4 4 4
Zittrigkeit Krampfanfälle Apnoen Zyanose Trinkschwäche Apathie Muskuläre Hypotonie Tachypnoe
Prophylaxe und Therapie Neugeborene mit einem besonderen Risiko für eine Hypoglykämie sollten baldmöglichst postnatal Glukose erhalten. Bei Neugeborenen, die enterale Zufuhr vertragen, kann dies als Frühfütterung mit Maltodextrin (25 g Glukose/100 ml) erfolgen, dabei ist anfangs vor jeder Mahlzeit eine Blutzuckerkontrolle erforderlich. Frühgeborene, die nur eine geringe enterale Zufuhr vertragen, sollten eine kontinuierliche Infusion einer 10%igen Glukoselösung mit 3 ml/kg KG/h erhalten. Bei einer Hypoglykämie mit klinischer Symptomatik ist eine intravenöse Gabe von 2 ml/kg KG Glukose 10% über 10 min, direkt gefolgt von einer Glukoseinfusion mit 8 mg Glukose/kg KG/min erforderlich. Das therapeutische Vorgehen ist in der folgenden Übersicht zusammengefasst:
Prophylaxe und Therapie der neonatalen Hypoglykämie 4 Prophylaxe bei asymptomatischen Risikoneugeborenen – Hypotrophe/hypertrophe Reifgeborene: Frühfütterung mit Maltodextrin (25 g Glukose in 100 ml), 8 Mahlzeiten a 5 ml/kg KG – Frühgeborene: – Infusion von 10%-iger Glukose 3 ml/kg KG/h 4 Therapie der symptomatischen Hypoglykämie – Glukose 10%-Bolus: 2 ml/kg KG i. v. – dann Glukoseinfusion: 8 mg/kg KG/min
Prognose Wenn die Hypoglykämie nur kurz dauert, ist die Prognose gut. Prolongierte oder tiefe Hypoglykämien sind mit neurologischen Folgeschäden assoziiert.
87.9.2
Diagnose Die laborchemische Definition der Hypoglykämie beim Neugeborenen ist schwierig, da Neugeborene auch bei niedrigen Blutzuckerwerten häufig asymptomatisch sind. Sie hängt außerdem von der Reife und vom Alter des Neugeborenen ab (. Tab. 87.11). Risikokinder sollten 1 h postpartal eine Blutzuckerbestimmung erhalten und danach dreistündliche Blutzuckerkontrollen für die nächsten 24 h. Bei persistierender Hypoglykämie sollten nach einem angeborenen Stoffwechseldefekt gesucht und Insulin, Kortisol und Wachstumshormon bestimmt werden.
Hyperglykämie
Eine symptomatische neonatale Hyperglykämie kommt bei Sepsis, Asphyxie, postoperativem Katabolismus oder extremer Unreife als Folge einer gestörten Glukosehomöostase vor. Wesentlich seltener ist der transiente neonatale Diabetes mellitus.
Diagnose Laborchemisch besteht eine Hyperglykämie bei einem Nüchternblutzucker von >126 mg/dl (bzw. >7 mmol/l). Klinische Symptome sind Polyurie, Glukosurie und Dehydratation. Bei der symptomatischen Hyperglykämie besteht keine Ketonurie.
87
1154
87 87
Therapie
87.9.3
87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87 87
– – – – – – –
Die Therapie der symptomatischen Hyperglykämie besteht in einer Reduktion der Glukosezufuhr und einer vorsichtigen Rehydratation. Beim neonatalen Diabetes mellitus ist eine Insulintherapie erforderlich.
87 87
Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Hypokalzämie
Die Ursache für die frühe Hypokalzämie (Lebenstag 1–3) ist das plötzliche Ausbleiben der hohen intrauterinen Kalziumzufuhr. Ein erhöhtes Risiko für eine frühe Hypokalzämie besteht bei Neugeborenen diabetischer Mütter, bei Sepsis und nach Asphyxie. Die frühe Hypokalzämie ist meist asymptomatisch. Die späte Hypokalzämie (nach dem 3. Lebenstag) kann durch hohe Phosphatzufuhr mit der Nahrung bei verfrühter Kuhmilchfütterung oder durch Vitamin-D-Mangel verursacht werden. Sie ist wesentlich seltener als die frühe Hypokalzämie, dafür aber häufig symptomatisch.
Diagnose Laborchemisch liegt eine Hypokalzämie vor, wenn das Serumkalzium weniger als 1,8 mmol/l bzw. das ionisierte Kalzium weniger als 0,63 mmol/l beträgt. Die klinischen Symptome der Hypokalzämie sind unspezifisch (Zittrigkeit, Tremor, Hyperexzitabilität oder Krampfanfälle). In die Differenzialdiagnose müssen Hypoglykämie und Hypomagnesiämie einbezogen werden. Bei Neugeborenen mit einem erhöhten Risiko für eine frühe Hypokalzämie sollte das Serumkalzium anfangs täglich kontrolliert werden.
Therapie Bei klinischer Symptomatik langsame intravenöse Gabe von 0,5 ml/kg KG Kalziumglukonat 10% (1 ml Kalziumglukonat 10%=0,22 mmol Ca2+). Vorsicht: Schnelle intravenöse Kalziumgabe führt zur Bradykardie und paravenöse Kalziumgabe zu schweren Gewebenekrosen. Persistiert die Symptomatik trotz Kalziumsubstitution, kann eine Hypomagnesiämie vorliegen. Bei asymptomatischer Hypokalzämie Erhöhung der täglichen Kalziumzufuhr um 5 ml/kg KG Kalziumglukonat 10%.
87.9.4
Hyponatriämie
Bei der Differenzialdiagnose der Ursachen einer Hyponatriämie ist es wichtig festzustellen, ob die Hyponatriämie mit einer Gewichtszu- oder -abnahme einhergeht.
Ursachen der Hyponatriämie 4 Hyponatriämie mit Gewichtszunahme (Verdünnungshyponatriämie) – iatrogene Überwässerung – inadäquate, zu hohe ADH-Sekretion nach Asphyxie, Hirnblutung, Sepsis, Meningitis 4 Hyponatriämie mit Gewichtsabnahme (Natriumdefizit) – gesteigerte Natriurese – gestörte tubuläre Natriumrückresorption bei sehr unreifen Frühgeborenen – Diuretikatherapie 6
adrenogenitales Syndrom erhöhte extrarenale Natriumverluste Erbrechen, Diarrhö Magenablaufsonde mangelnde Zufuhr verzögerter oraler Nahrungsaufbau elektrolytarme Infusionslösungen
Das adrenogenitale Syndrom ist eine seltene Ursache der Hyponatriämie im Neugeborenenalter. Es handelt sich um einen angeborenen Enzymdefekt mit verminderter Bildung von Mineralokortikoiden. Gleichzeitig besteht eine Hyperkaliämie und bei Mädchen eine Virilisierung des Genitals.
Klinische Symptome Muskuläre Hypotonie, Apnoen, Apathie, Hyperexzitabilität, Krampfanfälle. Bei gleichzeitigem Gewichtsverlust häufig Zeichen der Dehydratation (verringerter Hautturgor, Oligurie, Tachykardie)
Diagnose Serumnatrium <130 mmol/l. Zusätzlich sollten Kalium, Chlorid, Kreatinin im Serum und Natrium, Kalium, Chlorid und Kreatinin im Urin bestimmt werden. Damit ist die Berechnung der fraktionellen Natriumexkretion möglich. Zusätzliche wertvolle Hinweise liefern der Gewichtsverlauf und die Flüssigkeitsbilanzierung.
Therapie Bei Verdünnungshyponatriämie ist die adäqute Therapie die Flüssigkeitsrestriktion und nicht eine zusätzliche Natriumsubstitution. Besteht dagegen ein Natriumdefizit, so erfolgt ein Ausgleich dieses Defizits nach der folgenden Formel: 4 [Nasoll (mmol)–Naist (mmol)]×kg KG×0,5a Anmerkung: a Frühgeborene und Neugeborene haben einen größeren Extrazellulärraum (ca. 500 ml/kg KG) als Erwachsene, deshalb wird der Faktor 0,5 anstelle von 0,3 zur Berechnung des Extrazellulärvolumens aus dem Gewicht benutzt.
Der Natriumtagesdarf eines Neugeborenen beträgt 2–4 mmol/ kg KG.
87.9.5
Hypernatriämie
Eine Hypernatriämie entsteht durch erhöhten Wasserverlust oder eine zu hohe Natriumzufuhr.
Ursachen der Hypernatriämie beim Neugeborenen 4 Erhöhter Wasserverlust (hypertone Dehydratation) – hoher transepidermaler Wasserverlust bei unreifen Frühgeborenen – geringe Konzentrationsfähigkeit der unreifen Niere – osmotische Diurese bei Glukosurie – Diarrhö 6
1155 87.10 · Analgesie bei Früh- und Neugeborenen
4 Zu hohe Natriumzufuhr – iatrogen bei Infusionstherapie – durch falsche Zubereitung von Säuglingsnahrung (zu hohes Pulver-Wasser-Verhältnis)
Diagnose Serumnatrium >150 mmol/l. Bei ausgeprägter hypertoner Dehydratation Kreislaufschock, Krampfanfälle, Apathie, Koma.
Therapie Bei Dehydratation mit Kreislaufschock rascher Ausgleich des intravasalen Volumenmangels durch isotone Kochsalzlösung. Die anschließende Rehydratation und Senkung des Serumnatriums soll dann langsam erfolgen, um die Entstehung eines Hirnödems zu vermeiden.
87.9.6
Hyperkaliämie
Verschiedene Ursachen der Hyperkaliämie sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt.
Therapie der Hyperkaliämie 4 Beenden jeglicher Kaliumzufuhr, auch Bluttransfusionen stoppen 4 Anheben des Serumkalziums (antagonisiert die elektrophysiologischen Effekte der Hyperkaliämie) – Gabe von Kalziumglukonat 10% 0,5–1 ml/kg KG langsam i.v. 4 Alkalisierung (vorübergehende Senkung des Kaliums, Wirkeintritt nach 30 min) – NaHCO3 8,4%-Kurzinfusion 1–2 ml/kg KG 4 Glukose-Insulin-Infusion (vorübergehende Senkung des Kaliums, Wirkeintritt nach 30 min) – 0,5 g/kg KG Glukose + 0,1 lE/kg KG Altinsulin über 1 h infundieren 4 Peritonealdialyse
87.9.7
Hypokaliämie
Eine Hypokaliämie entsteht meist durch mangelnde Zufuhr oder gesteigerte Verluste (Diuretikatherapie, Erbrechen, Diarrhö, Drainageverluste).
Ursachen der Hyperkaliämie
Diagnose
4 Überhöhte Zufuhr – Fehlinfusion – Bluttransfusion – Blutaustauschtransfusion 4 Verschiebung aus dem Intrazellulärraum – extrem unreife Frühgeborene – Azidose – ausgedehnte Gewebenekrosen 4 Veminderte renale Ausscheidung bei Niereninsuffizienz – adrenogenitales Syndrom
Serumkalium <3,6 mmol/l. Symptome entstehen erst relativ spät (muskuläre Hypotonie, Darmatonie, Herzrhythmusstörungen). Typische EKG-Veränderungen sind flaches (negatives) T, ST-Senkung und U-Welle.
Bei extrem unreifen Frühgeborenen kann sich, ohne das Vorliegen einer Azidose oder Oligurie, in den ersten 12 Lebensstunden rasch eine lebensbedrohliche Hyperkaliämie entwickeln. Die Ursache dieser Verschiebung von Kalium aus dem Intra- in den Extrazellulärraum ist unbekannt. Innerhalb der nächsten 24 Lebensstunden normalisieren sich die Kaliumwerte dann spontan wieder.
Diagnose Serumkalium >6 mmol/l in einer nicht hämolytischen Blutprobe. Häufig asymptomatisch, besonders unreife Frühgeborene sind noch bei hohen Kaliumwerten von >7 mmol/l asymptomatisch. Klinische Symptome sind muskuläre Hypotonie, Darmatonie oder Herzrhythmusstörungen. Typische EKG-Veränderungen sind schmale, spitze T-Welle, ST-Senkung und QRS-Verbreiterung.
Therapie Die Therapie der Hyperkaliämie muss rasch erfolgen und engmaschig überwacht werden.
Therapie Das Kaliumdefizit lässt sich am Serumkalium nur ungenau ablesen, da Kalium ganz überwiegend intrazellulär vorkommt. Die Substitution muss wegen der Gefahr von Herzrhythmusstörungen langsam erfolgen (maximale Zufuhr 0,5 mmol/kg KG/h). Der Kaliumtagesbedarf des Neugeborenen liegt bei 1–2 mmol/ kg KG.
87.10
Analgesie bei Früh- und Neugeborenen K. Bauer (†), C.P. Speer
Neugeborene und Frühgeborene verspüren Schmerz, weil sich die neuroanatomischen Grundlagen der Schmerzleitung bereits im 2. Schwangerschaftsdrittel entwickeln. Deshalb ist bei schmerzhaften Maßnahmen bei Früh- und Neugeborenen eine adäquate analgetische Therapie indiziert.
87.10.1
Beurteilung der Schmerzintensität bei Neugeborenen
Eine wirksame Schmerztherapie kann nur dann erfolgen, wenn Ärzte und Schwestern Schmerzreaktionen von Neu- und Frühgeborenen erkennen und beurteilen können. Akuter Schmerz lässt sich bei reifen Neugeborenen an typischen physiologischen, metabolischen und Verhaltensveränderungen gut erkennen (. Tab. 87.12). Sehr viel schwieriger zu erkennen ist akuter Schmerz bei Frühgeborenen, da ihre sichtbaren Schmerzreaktionen schwächer ausgeprägt sind.
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1156
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
. Tab. 87.12 Schmerzreaktionen bei Neu- und Frühgeborenen Veränderung physiologischer Parameter
Veränderung metabolische Parameter
Hyperglykämie Proteinkatabolismus
Veränderung des Verhaltens
Schmerzschrei 5 Ungerichtete Grobmotorik 5 Ausweichbewegungen Schmerzmimik: 5 Stirnrunzeln 5 Zukneifen der Augen 5 Vertiefung der Nasolabialfalte 5 Anspannen der Lippen
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Anstieg der Herzfrequenz Blutdruckanstieg Anstieg der Atemfrequenz Abnahme der O2-Sättigung
Nichtpharmakologische Schmerztherapie Zur nicht pharmakologischen Schmerztherapie gehören Schnullernlassen und orale Saccharosegabe. Schnullernlassen. Durch Schnullernlassen beruhigen sich Frühund Neugeborene bei einer kapillären Fersenblutentnahme schneller, jedoch ist die analgetische Wirkung gering. Orale Saccharosegabe. Saccharose ist ein wirksames Analgetikum bei einer kapillärer Blutentnahme aus der Ferse oder bei einer periphervenösen Blutentnahme. Die wirksame Einzeldosis für Neugeborene beträgt 0,24 g (2 ml einer 12%igen Lösung) und sollte etwa 2 min vor dem Schmerz durch langsames Einträufeln aus einer 2-ml-Spritze direkt in den Mund oder in einen Flaschensauger verabreicht werden. Die Wirkung wird über Endorphinrezeptoren vermittelt, die durch die intensive Süße stimuliert werden.
Topische Applikation von Lokalanästhetika In der klinischen Praxis ist die Verhaltensbeobachtung entscheidend für das Erkennen von Schmerzen. In die Beurteilung von Schmerzreaktionen sollten folgende Fragen einbezogen werden: 4 Welches Gestationsalter hat das Neugeborene? 5 Je unreifer ein Neugeborenes ist, desto weniger ausgeprägt sind seine Schmerzreaktionen. 4 In welchem Bewusstseinszustand ist das Neugeborene? 5 Schlafende oder sedierte Neugeborene haben wesentlich weniger ausgeprägte Schmerzreaktionen, obwohl sie Schmerzen empfinden. 4 In welchem Allgemeinzustand ist das Neugeborene? 5 Schwerkranke Neugeborenen haben wesentlich schwächer ausgeprägte Schmerzreaktionen. 4 Hat das Neugeborene tatsächlich Schmerzen, oder ist es aus anderen Gründen unruhig? 5 Mögliche Ursachen von Unruhe sind Hyperkapnie bei unzureichender Beatmung, Tubusobstruktion durch Sekret, schlechte und deshalb unbequeme Lagerung oder ein Infusionsextravasat. 4 Bestehen belastungsverstärkende Faktoren (Lärm, Licht, häufige Störungen), die reduziert werden können? 4 Hat das Neugeborene bereits sedierende/analgetische Medikamente erhalten? 5 Sedierung kann Schmerzreaktionen deutlich abschwächen, ohne den Schmerz zu lindern. 5 War die bisherige Schmerztherapie adäquat?
87.10.2
Analgetische Therapie für wenig schmerzhafte diagnostische und therapeutische Eingriffe bei Neugeborenen
Bei wenig schmerzhaften diagnostischen und therapeutischen Eingriffen wie Blutentnahme (kapillär, venös, arteriell), Lumbalpunktion oder Anlage eines intravenösen Zugangs sind gerade für Frühgeborene die damit verbundenen an sich schmerzlosen Manipulationen viel destabilisierender als der kurze Schmerz. Deshalb sollten solche Eingriffe auf das notwendige Mindestmaß beschränkt und den Frühgeborenen möglichst lange ungestörte Ruhepausen gegönnt werden (»minimal handling«). Zur Analgesie können eine nicht pharmakologische Schmerztherapie oder die topische Applikation von Lokalanästhetika eingesetzt werden.
Die topische Applikation einer eutektischen Mischung von Lokalanästhetika (EMLA) als Öl-in-Wasser-Emulsion mit 2,5%igem Lidocain und 2,5%igem Prilocain wird bei Kindern zur Lokalanästhesie bei Blutentnahmen, beim Legen von intravenösen Zugängen und bei der Lumbalpunktion erfolgreich eingesetzt. Die normale Dosis für Kinder beträgt 1–2 g und wird 1 h vor dem Eingriff unter einem Okklusivverband am geplanten Punktionsort aufgebracht. Bei Neu- und Frühgeborenen hat die topische Applikation von Lokalanästhetika bei Blutentnahmen und Lumbalpunktion keine sichere Wirkung.
87.10.3
Schmerztherapie bei kleinen operativen Eingriffen
Für kleine operative Eingriffe (Zirkumzision, Thoraxdrainage, Venae sectio) ist die topische Anwendung von Lokalanäthestetika nicht ausreichend. Die richtige Analgesie bei der Zirkumzision ist eine Leitungsanästhesie des N. dorsalis penis. Bei Anlage einer Thoraxdrainage und bei Venae sectio sollte eine lokale Infiltrationsanästhesie mit Lidocain vorgenommen werden, zusammen mit einer i.v.-Injektion, z. B. von Morphin (0,1 mg/kg KG) als systemische Analgesie/Sedierung.
87.10.4
Indikationen für Opioidanalgetika (Morphin und Fentanyl) in der Neonatologie
Die Opioidwirkung ist bei Neugeborenen extrem variabel, da sich die Verteilung der Opiatrezeptoren, die Entwicklung des schmerzleitenden Systems und der Opioidmetabolismus mit zunehmendem Gestationsalter und postnatalen Alter ändern. Die Halbwertszeit von Opioidanalgetika ist bei Frühgeborenen länger als bei reifen Neugeborenen und bei reifen Neugeborenen wiederum länger als bei Erwachsenen. Dosisangaben können deshalb nur Hinweise für den Therapiebeginn sein, danach muss individuell nach Wirkung dosiert werden. Opioidanalgetika sollen bei Früh- und Neugeborenen nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden. Sichere Indikationen sind die postoperative Schmerztherapie, die Therapie starker akuter Schmerzen, wie sie z. B. beim Legen einer Thoraxdrainage auftreten, die Analgesie während ECMO-Therapie und die Analgesie/Sedierung bei sterbenden Neugeborenen.
1157 87.10 · Analgesie bei Früh- und Neugeborenen
. Tab. 87.13 Wirkcharakteristika von Morphin bei Neugeborenen
. Tab. 87.14 Wirkcharakteristika von Fentanyl
Bolusgabe
Bolusgabe
Indikation
Akute, starke Schmerzen, postoperative Analgesie
Indikation
Akute starke Schmerzen, postoperative Analgesie
Einzeldosis
0,05–0,2 mg/kg KG alle 2–6 h, langsam i.v. geben
Einzeldosis
Wirkeintritt
3–5 min
2–4 μg/kg KG alle 2–4 h, langsam i.v. geben bei kleineren operativen Eingriffen 2–10 μg/kg KG
Wirkeintritt
Sofort
Wirkdauer
40–90 min, bei Frühgeborenen auch deutlich länger
Wirkdauer
20–40 min
Nebenwirkungen
Atemdepression, Blutdruckabfall, Darmmotilitätsstörungen, Harnverhalt
Halbwertzeit
6–32 h
Vergleich
Wirkeintritt langsamer, Wirkdauer länger als bei Fentanyl
Nebenwirkungen
Antidot
Naloxon
Atemdepression, Thoraxrigidität, Glottisspasmus, Bronchospasmus, Blutdruckabfall, Darmmotilitätsstörungen
Vergleich
Weniger sedierend und schlafinduzierend als Morphin, kürzer wirksam, weniger kardiovaskuläre Nebenwirkungen, schnellere Toleranzentwicklung
Antidot
Naloxon
Dauerinfusion Indikation
Enge Indikationsstellung, kurzfristig zur postoperativen Analgesie
Dosierung
Aufsättigungsdosis 50 μg/kg KG, gefolgt von Infusion mit: 10 μg/kg KG/h
Frühgeborenes <37. SSW
10–20 μg/kg KG/h
Reifes Neugeborenes <7 Tage
20–40 μg/kg KG/h
Reifes Neugeborenes >7 Tage
Problematisch ist der Einsatz von Opioidanalgetikainfusionen wegen mechanischer Beatmung, da es keine Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit von Opioiden in dieser Indikation bei Neugeborenen gibt.
Morphin Der Morphinmetabolismus bei Neugeborenen und Frühgeborenen ist extrem variabel. Schon Frühgeborene mit einem Gestationsalter von 24–25 SSW glukuronidieren Morphin, wenn auch nur sehr langsam. Deshalb liegt die Halbwertszeit von Morphin bei Frühgeborenen in den ersten Lebenstagen bei 9–11 h und bei reifen Neugeborenen bei 7–8 h. Die Halbwertszeit nimmt mit zunehmendem postnatalem Alter ab und erreicht in den ersten Lebensmonaten Erwachsenenwerte. Das Auftreten von Nebenwirkungen ist bei Neugeborenen genauso häufig wie bei Erwachsenen. Morphininfusion. Die Morphininfusion sollte auf der Neugebore-
nenintensivstation nur mit größter Zurückhaltung eingesetzt werden, da die Auswirkungen auf die zerebrale Entwicklung unbekannt sind, die Pharmakokinetik extrem variabel ist und Toleranzentwicklung auftritt. Die Toleranzentwicklung und die Entwicklung einer körperlichen Abhängigkeit beginnt nach etwa 10 Tagen Morphintherapie. Sie entwickelt sich bei Dauerinfusion schneller als bei intermittierenden Bolusgaben. Die einzig sichere Indikation für die Morphininfusion ist die kurzdauernde postoperative Analgesie. Die Sicherheit und Wirksamkeit der Morphininfusion zur Sedierung/Analgesie bei mechanischer Beatmung von Neu- und Frühgeborenen ist nicht hinreichend bewiesen, um einen routinemäßigen klinischen Einsatz zu empfehlen (. Tab. 87.13).
Infusion Indikation
Kurzfristig zur postoperativen Analgesie, ECMOTherapie
Dosierung
1–5 μg/kg KG/h
Fentanyl Fentanyl, ein synthetisches Opioidanalgetikum, ist das derzeit gebräuchlichste intravenöse Medikament bei der Anästhesie von Frühgeborenen, und deshalb hat auch sein Einsatz in der Neonatologie deutlich zugenommen (. Tab. 87.14). Die Halbwertszeit von Fentanyl ist mit 6–32 h bei Neugeborenen verlängert und zeigt eine hohe interindividuelle Variabilität im Vergleich zur Halbwertszeit von 4–7 h bei älteren Kindern. Die Nebenwirkungen sind denen von Morphin ähnlich, allerdings sediert Fentanyl weniger und weist geringere kardiovaskuläre Nebenwirkungen auf. Eine spezifische Nebenwirkung von Fentanyl ist das Auftreten von Muskelrigidität, die auch bei Neugeborenen zu Brustkorbstarre und Laryngospasmus führen kann. Toleranz und Abhängigkeit entwickeln sich wegen der kurzen Wirkdauer von Fentanyl bereits nach einer Therapiedauer von nur 3–5 Tagen. Um Entzugssymptome wie Kreislaufinstabilität, Temperaturschwankungen, Agitation, Schreien und Unruhe, Trinkschwäche, Erbrechen und Durchfall zu vermeiden, ist ein mehrtägiges Ausschleichen von Fentanyl erforderlich. Fentanylinfusion. Fentanyl ist das Opioidanalgetikum der Wahl
für die intraoperative Anästhesie Neugeborener, besonders in der Herzchirurgie, da es nur geringe Nebenwirkungen auf das Herzkreislaufsystem hat. Indikationen auf der Neugeborenenintensivstation sind die postoperative Analgesie Neugeborener, die ECMOTherapie und das PFC-Syndrom, da Fentanyl den pulmonalen Gefäßwiderstand senkt. Die Fentanylinfusion wird häufig mit einer Benzodiazepininfusion kombiniert, da Fentanyl nur eine geringe sedierende Wirkung hat. Die Sicherheit und Wirksamkeit von Fentanyl zur Analgesierung/Sedierung beatmeter Frühgeborener ist nicht nachgewiesen.
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Kapitel 87 · Intensivmedizin bei Früh- und Neugeborenen
Literatur 1
American Heart Association, American Academy of Pediatrics, Kattwinkel J (Hrsg) (2009) Reanimation von Früh- und Neugeborenen. Hans Huber, Bern 2 Maier RF, Obladen M (Hrsg) (2011) Neugeborenenintensivmedizin, 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York 3 Quintana S, Alvarez M (2006) European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Resuscitation 69: 347–348 4 Saugstad OD, Ramji S, Soll RF, Vento M (2008) Resuscitation of newborn infants with 21% or 100% oxygen: an updated systematic review and meta-analysis. Neonatology 94: 176–182 5 Schiffmann H (2009) Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin. In: Speer CP, Gahr M (Hrsg) Pädiatrie, 3. Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York, S 208–225 6 Speer CP (2004) Reanimation des Neugeborenen. In: Reinhardt D (Hrsg) Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter, 7. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 3–19 7 Speer CP (2009) Neonatologie. In: Speer CP, Gahr M (Hrsg) Pädiatrie, 3. Aufl, Springer, Berlin Heidelberg New York, S 140–205 8 Speer CP (2010) Physiologie und Pathologie des Neugeborenen. In: Rath W, Gembruch U, Schmidt S (Hrsg) Geburtshilfe und Perinatalmedizin, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart New York, S 683–708 9 Taeusch HW, Ballard RA (2004) Avery’s diseases of the newborn, 8th edn. Elsevier Health Science, London Philadelphia 10 Volpe JJ (2008) Neurology of the newborn, 5th edn. WB Saunders/Elsevier Health Science, London Philadelphia
1159
Kinderintensivmedizin M. Sasse
88.1
Einleitung – 1160
88.2
Organisation von pädiatrischen Intensivstationen – 1160
88.2.1
Fortbildung – 1160
88.3
Besonderheiten bei pädiatrischen Intensivpatienten – 1160
88.4
Intensivmedizinische Techniken – 1161
88.4.1 88.4.2 88.4.3
Intravenöser Zugang – 1161 Atemwegsmanagement – 1162 Monitoring – 1164
88.5
Kreislaufversagen – 1164
88.5.1 88.5.2 88.5.3 88.5.4 88.5.5
Ursachen – 1165 Pathogenese – 1165 Diagnostik – 1165 Behandlung und Monitoring – 1166 Reanimation im Kindesalter – 1169
88.6
Ernährung – 1171
88.7
Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom und Sepsis – 1171
88.7.1
Therapie – 1173
88.8
Analgesie und Sedierung – 1173
88.8.1 88.8.2 88.8.3 88.8.4 88.8.5 88.8.6 88.8.7 88.8.8
Nichtpharmakologische Strategien – 1174 Nichtopiodanalgetika – 1174 Regionalverfahren – 1174 Opioide – 1174 Sedierung – 1175 Relaxierung – 1175 Behandlung häufiger Nebenwirkungen – 1176 Monitoring der Sedierung – 1176
88.9
Therapie des Schädel-Hirn-Traumas – 1176
88.9.1 88.9.2 88.9.3
Definition – 1177 Intensivmedizinische Therapie – 1177 Rehabilitation – 1178
88.10
Gesprächsführung und ethische Überlegungen – 1179 Literatur – 1179
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8_88, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
88
1160
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88.1
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
Einleitung
Die Kinderintensivmedizin ist seit langem als eigenständiges medizinisches Fachgebiet etabliert. Das Patientengut ist hierbei, im Gegensatz zu den meisten Intensivstationen der Erwachsenenmedizin, nicht krankheits-, sondern altersspezifisch definiert. Behandelt werden Kinder von der Neugeborenenperiode bis zum Erwachsenenalter. Bei einigen angeborenen Erkrankungen geht die Betreuung auch über das Kindesalter hinaus. Nach eigenen Erhebungen verfügt die BRD über 77 Betriebseinheiten für pädiatrische Intensivmedizin (PICU). Davon sind 46 eigenständige Stationen und 31 in Kombination mit einer neonatologischen Intensiveinheit. Mit Ausnahme von einigen kinderkardiologischen Intensiveinheiten und spezialisierten Brandverletzteneinrichtungen decken die pädiatrischen Intensivstationen das gesamte Spektrum der Kinderheilkunde ab. Die Berechtigung zur Weiterbildung für die Zusatzbezeichnung Pädiatrische Intensivmedizin liegt in 45 Kliniken in Deutschland vor. Aufgrund der großen physiologischen und psychologischen Unterschiede in diesem inhomogenen Patientengut müssen an das betreuende Personal wie auch an die apparative Ausstattung und die benötigte Logistik hohe Anforderungen gestellt werden. Der finanzielle Aufwand, eine PICU zu betreiben, ist notwendigerweise hoch. Des Weiteren zwingt die Struktur einer PICU zu einer stark ausgeprägten, traditionell gut verankerten Interdisziplinarität. In diesem Kapitel wird auf die Besonderheiten der Kinderintensivmedizin sowohl unter organisatorischen, ausbildungstechnischen als auch medizinischen Fragestellungen eingegangen.
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88.2
Organisation von pädiatrischen Intensivstationen
Oben beschriebene Gründe erfordern einen hohen Anteil an fachkompetentem Personal im ärztlichen und pflegerischen Bereich. In Deutschland ist die zusätzliche Weiterbildung im Bereich Intensivmedizin für Kinder- und Jugendmedizin über die Weiterbildungsordnung definiert, und für die Pflege steht die Fachweiterbildung für Anästhesie und Intensivpflege zur Verfügung, um eine erweiterte Kompetenz im Bereich der pädiatrischen Intensivmedizin zu erlangen. Der apparative Aufwand ist aufgrund der Größen- und Gewichtsunterschiede in den verschiedenen Altersgruppen hoch. Die handelsüblichen Beatmungsgeräte bieten mittlerweile allesamt technische Voraussetzungen, die sowohl für kleine Neugeborene als auch für Erwachsene geeignet sind. Allerdings verteuert sich die Anschaffung im Vergleich zur Standardausstattung, da Module zur Beatmung von Säuglingen und Kindern und Verbrauchsmaterialien hinzugekauft werden müssen. Die Lagerhaltung ist ausgeprägt, um den anatomischen Gegebenheiten der Kinder Rechnung tragen zu können. Beatmungstuben, zentrale Venenkatheter, Beatmungsmasken usw. müssen in diversen Größen bevorratet werden. Die hohe emotionale Belastung bei schweren pädiatrischen Erkrankungen erfordert sowohl für die Patienten und deren Angehörige als auch für das Personal einen großen Aufwand an psychologischer Hilfestellung. Aufgrund dieser Gegebenheiten hat sich weltweit eine starke Zentralisierung der Kinderintensivmedizin entwickelt.
88.2.1
Fortbildung
Einige zertifizierte, standardisierte Fortbildungsangebote haben sich im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren etabliert. Verantwortlich zeichnen hierfür u. a. die nationalen Räte für Wiederbelebung, die im European Resuscitation Council (ERC) zusammengeschlossen sind. Angeboten werden Kurse zum Basic, Intermediate und Advanced Life Support. Ebenso existieren Kurse zum Newborn Life Support. Alle Kursformate richten sich nach den weltweit gültigen Leitlinien zur Reanimation und Notfallversorgung von Kindern. Sie werden permanent evaluiert und verfügen über zertifizierte Ausbilder, die in der Erwachsenenbildung geschult sind. Studien haben gezeigt, dass durch Teams, die in solchen Kursen geschult sind, die Mortalität bei einem kindlichen Notfall um 40% gesenkt werden konnte. Über die in der 7 Übersicht gelisteten Internetadressen kann das Kursangebot eingesehen werden.
Kursangebot Basic, Intermediate und Advanced Life Support 4 4 4 4 4
European Resuscitation Council [www.erc.edu] German Resuscitation Council [www.grc-org.de] Suisse Resuscitation Council [www.resuscitation.ch] Austrian Resuscitation Council [www.arc.or.at] Deutscher Rat für Wiederbelebung im Kindesalter [www.dr-wiki.de]
Weitere Angebotewie Kurse für spezielle pädiatrische Intensivmedizin, Beatmung im Kindesalter, Transport von kritisch kranken Kindern und Traumaversorgung können über die nationalen Kinderintensivgesellschaften abgefragt werden. Im pädiatrischen Kinderintensivnetzwerk Niedersachsen hat sich länderübergreifend ein permanentes Curriculum Kinderintensivmedizin etabliert, das in Form von Workshops Therapiestandards vermittelt und handwerkliche Fertigkeiten trainiert. Hier kommt es weiterhin zu einer starken Vernetzung von mehr als 30 Kinderintensivstationen, um die vielfältigen vorhandenen Kompetenzen optimal nutzen zu können.
88.3
Besonderheiten bei pädiatrischen Intensivpatienten
Während man bei Kindern ab dem 13. Lebensjahr von vergleichbaren Bedingungen in der intensivmedizinischen Versorgung wie bei Erwachsenen ausgehen kann, weisen insbesondere Säuglinge und Kleinkinder einige Besonderheiten auf. Die Kommunikationsfähigkeit ist bei diesen Kindern häufig noch unterentwickelt und wird durch Angst und mangelndes Verständnis in die oft schmerzhaften Prozeduren weiter eingeschränkt. Die Beurteilung des Patienten muss sich daher auf klinische Zeichen und die elterliche Einschätzung stützen. Die Eltern kennen ihre Kinder am besten und sollten unbedingt in die Anamnese, Diagnostik und Therapie einbezogen werden. Nichtsdestotrotz haben selbst kleine Kinder ein Recht auf Information auch über schwierige Sachverhalte. Ihre Mitarbeit kann durch adäquate Erklärung der Gegebenheiten wesentlich verbessert werden. Der Umgang mit den Familien kann aufgrund der sehr hohen emotionalen Belastung schwierig sein. Besonders bei lebensbedroh-
1161 88.4 · Intensivmedizinische Techniken
lichen akuten Notfällen sind oft mehrere Gespräche notwendig, um den Eltern das Krankheitsbild verständlich zu machen. Bei der Versorgung von kleinen Kindern sind handwerkliche Geschicklichkeit und Erfahrung notwendig. Die Kleinheit der anatomischen Strukturen erfordert ausgiebiges Training, um eine Intubation bei einem Säugling oder die Anlage eines zentralen Venenkatheters komplikationslos durchzuführen. Dies muss von Anfang an bei der Ausbildung des Intensivpersonals berücksichtigt werden. Die funktionelle Residualkapazität der Lunge, muskuläre und myokardiale Kraftreserven sowie die Glykogendepots sind noch nicht voll ausgebildet. Es kommt daher in krisenhaften Situationen zu einer schnelleren Dekompensation des Patienten. Diese Fakten müssen in die Strategie der Behandlung einbezogen werden und erklären die häufigere Intubations- und Katecholaminpflichtigkeit von pädiatrischen Intensivpatienten im Vergleich zu Erwachsenen. Aufgrund ihrer physiologischen Entwicklung ändern sich Organfunktion, Flüssigkeitshaushalt und damit auch die Kinetik und Elimination von Medikamenten altersabhängig erheblich. So variiert der tägliche Grundbedarf an Flüssigkeit vom Säugling bis zum Adoleszenten von mehr als 150 ml/kg KG/Tag bis zu 40 ml/kg KG/ Tag. Auch die altersentsprechende Anpassung der Dosis von Medikamenten ist daher dringend geboten, lässt sich aber ohne einschlägige Literatur kaum noch überblicken.
Eine vorläufige Abschätzung des Gewichtes bei Kenntnis des Alters lässt sich nach folgender Formel berechnen: 4 Gewicht [kg]=(Alter in Jahren+4)×2
nekrosen auftreten. Wegen der Gefahr einer Osteomyelitis sollte die intraossäre Kanüle nur als Notfallzugang genutzt und sobald als möglich nach Anlage eines alternativen Venenzuganges wieder entfernt werden.
Zentraler Venenkatheter Zentrale Venenkatheter (ZVK) stellen einen wichtigen Beitrag zur Patientensicherheit dar. Durch sie können bei korrekter Lage venenreizende und Hautnekrosen verursachende Medikamente gefahrlos appliziert werden. Benötigt der Patient die kontinuierliche Zufuhr lebenserhaltender Substanzen wie z. B. Katecholamine, so ist dies dauerhaft und sicher nur über einen ZVK möglich. Dieser Zugang erlaubt mit der Messung des zentralen Venendruckes und der Ermittlung der zentralvenösen Sauerstoffsättigung weiterhin wichtige Funktionen des intensivmedizinischen Monitorings. Bei großlumigen Kathetern ist die schnelle Gabe signifikanter Volumenmengen problemlos möglich. Vorsicht ist aber bei 4- und 5-F-ZVK geboten, da durch die engen Lumina Volumen nur langsam appliziert werden kann. Hier sollten großlumige periphere Verweilkanülen oder intraossäre Zugänge bevorzugt werden. Die Anlage eines ZVK bedarf allerdings gerade bei kleinen Kindern einiger Erfahrung. Der Innendurchmesser der V. jugularis interna beträgt beispielsweise ca. 2 mm und muss einen 4-F-Katheter aufnehmen können. Das Angebot an Venenkathetern ist ausreichend groß. Mehrlumige ZVK mit Längen von 6–60 cm sind erhältlich und lassen damit auch die periphere Anlage von Multilumenkathetern zu. Tipp
88.4
Intensivmedizinische Techniken
88.4.1
Intravenöser Zugang
Periphere Verweilkanülen und intraossäre Kanülen Die frühe Volumengabe ist beim kindlichen Notfall von entscheidender Bedeutung. Die schwierigen Venenverhältnisse v. a. bei Säuglingen und im Notfall lassen häufig die umgehende Anlage einer peripheren Verweilkanüle nicht zu. > Nach internationalen Leitlinien muss bereits nach 90 s vergeblichen Bemühens die Anlage einer intraossären Kanüle durchgeführt werden.
Diese garantiert die Gabe von ausreichenden Flüssigkeitsmengen und die sichere Applikation von hochkonzentrierten, lebenserhaltenden Medikamenten. Neben den klassischen Knochenkanülen stehen die Bone-Injection-Gun und der Elektrobohrer EZ-IO als technische Hilfsmittel zur Verfügung. Die letzteren Systeme finden zunehmend Anwendung auch im Rettungsdienst. Die Technik der Applikation muss trainiert werden und lässt sich an Hühnerknochen simulieren. Für Kinder <6 Jahren eignet sich besonders die anteromediale Oberfläche der Tibia 2–3 cm unterhalb der Tuberositas tibiae und für Kinder >6 Jahren die mediale Fläche der Tibia 3 cm oberhalb des Malleolus medialis. Grundsätzlich eignet sich aber beinahe jeder Knochen zum Einbringen einer Knochenkanüle. Um chronische Schäden zu vermeiden, ist streng auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Wachstumsfuge zu achten. Als Komplikationen können Extravasate, Embolien, Infektionen, Kompartmentsyndrome durch Extravasate, Frakturen oder Haut-
Aus Sicherheitsgründen sollte die Länge so gewählt werden, dass die gesamte Katheterlänge in die Vene vorgeschoben werden kann, um damit auf die Nutzung einer Zusatzmuffe zur Fixierung verzichten zu können. Erfahrungsgemäß gelingt die Fixierung mit den zusätzlichen Muffen nicht immer sicher.
Antimikrobiell beschichtete Katheter sind für Größen ab 5–6 F erhältlich. Ihr Nutzen muss noch weiter validiert werden. Die Anzahl der Lumina muss strategisch, nach Überdenken der notwendigen Therapie, bestimmt werden. Im septischen Schock kann dies auch die Anlage von 2 ZVK am Beginn der Erkrankung bedeuten. Aufgrund der Gefahr einer Thrombosierung des Gefäßbettes sollten bei Säuglingen 4-F-Katheter verwendet werden.
Ort der Anlage V. femoralis. Im Notfall ist die V. femoralis der sicherste und
schnellste Zugangsweg für einen zentralen Venenkatheter. Der anlegende Arzt behindert dabei nicht die Person, die eine Thoraxkompression oder eine Beutelbeatmung durchführt. Der Katheter kann auch beim wachen Patienten unter Lokalanästhesie gelegt werden. Die Leitstrukturen sind klar, und die Nähe zur A. femoralis kann zur schnellen zusätzlichen Anlage einer arteriellen Druckmessung in einer Prozedur genutzt werden. Nachteile sind die Lage im Windelbereich und bei mobilen Patienten die Gefahr des Verschlusses der Lumina durch Anwinkeln des Beins sowie eine hohe Thromboserate bis über die Höhe der Nierenvenen. Begünstigt wird dies durch den geringen Innendurchmesser der V. cava inferior, insbesondere bei kleinen Kindern. Nach Stabilisierung des Patienten sollte daher an eine rasche Entfernung des ZVK aus der Leiste gedacht werden.
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1162
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
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V. jugularis interna. Der häufigste Anlageort bei Kindern stellt die V. jugularis interna dar. Besonders auf der rechten Seite ist das Vorbringen des Seldinger-Drahtes einfach zu bewerkstelligen. Nachteilig sind die im Gegensatz zu anderen Orten etwas unpräziseren Leitstrukturen, die unmittelbare Nähe zur meist darunter liegenden A. carotis und bei Säuglingen der geringe Abstand zur oberen Thoraxapertur mit Gefahr eines Pneumothorax nach Fehlpunktion. Eine tiefe Sedierung des Patienten ist daher bei der Anlage von Vorteil. Als außerordentlich hilfreich für eine schnellere Punktion hat sich die sonographische Darstellung der Halsgefäße bewährt. Sie kann entweder nach der Lagerung, vor der Punktion mit Markierung des Venenverlaufes oder direkt bei der Anlage erfolgen. In letzterem Fall kann der punktierende Arzt unter Sicht des Ultraschallbildes die Nadel direkt in die Vene einführen. Dies spart Zeit und Narkose. Dieses Vorgehen führt zu deutlich weniger Punktionen mit geringerer Infektionsgefahr und einer reduzierten Anzahl von Hämatomen im Gebiet der ZVK-Anlage. Die Sonographie muss steril erfolgen und kann mit etwas Übung durch den Punktierenden selbst durchgeführt werden.
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V. subclavia. Als weiterer Punktionsort kommt die V. subclavia in
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Frage. Große Vorteile sind hier die klare Leitstruktur, die gut zu pflegende Eintrittsstelle und die sichere Fixierung an einer nicht mobilen Körperstelle. Allerdings kommt es hier häufig zum Pneumothorax, da die Kleinheit der kindlichen Strukturen bei nicht exakten Punktionen sehr schnell zur Verletzung der Lunge führen kann. Eine tiefe Sedierung des Patienten beim Legen eines V. -subclavia-Katheters ist bei Kindern daher unerlässlich. Ebenso ist die Gefahr eines Hämatothorax gegeben, da sich nach Fehlpunktionen die A. subclavia relativ schlecht komprimieren lässt und ein Nachbluten für den Beobachter oft unsichtbar direkt in die Pleurahöhle erfolgt. Gerade bei Kindern muss daher bei Problemen, die in unmittelbarem Anschluss an eine ZVK-Anlage auftreten, immer an eine Komplikation durch die Punktion gedacht werden.
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88.4.2
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Atemwegsmanagement
In allen Notfallsituationen sind das Atemwegsmanagement und die Beatmung von herausragender Bedeutung. Wie bereits erwähnt sind die muskulären Reserven von Kindern im Vergleich zum Erwachsenen gering, sodass sich sehr schnell eine dekompensierte
Ateminsuffizienz mit daraus folgender Reanimation entwickeln kann. Frühzeitig sind die Atemwege zu sichern und eine ausreichende Sauerstoffzufuhr und Ventilation zu gewährleisten. Sind Kinder bewusstseinklar und die Atmung ausreichend, sollte von invasiven Manipulationen Abstand genommen werden. Angst und Stress erhöhen den Sauerstoffbedarf und die Atemarbeit. Die Kinder sollten eine für sie angenehme Haltung einnehmen. Die Anwesenheit der Eltern dient der Beruhigung. Sie können in die Therapie mit einbezogen werden, z. B. indem sie die Sauerstoffquelle vor den Mund ihres Kindes halten.
Sicherung der Atemwege Bei Kindern unter 12 Jahren, insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern, müssen bei der Sicherung der Atemwege anatomische Besonderheiten berücksichtigt werden. Der Larynx liegt auf Höhe C3 und damit höher als beim Erwachsenen. Die engste zu passierende Stelle ist auf Höhe des Ringknorpels, und die Epiglottis ist groß und U-förmig. Des Weiteren haben Säuglinge und Kleinkinder einen großen Hinterkopf. Eine Überstreckung des Kopfes ist daher gar nicht oder nur in geringer Ausprägung notwendig, um die Epiglottis gut einsehen zu können. Säuglinge werden daher in Neutralposition gelagert. Eine zu starke Reklination des Kopfes behindert die Sicht auf den Larynx und verlegt die Atemwege. Grundsätzlich muss eine Intubation, v. a. von Säuglingen und Kleinkindern, ausreichend trainiert werden. Sollten keine Erfahrungen vorliegen oder die Intubation auch nach mehreren Versuchen nicht gelingen, muss ein geübter Intensivmediziner hinzugezogen werden. > Intubationsversuche sollten eine Dauer von 30 s nicht übersteigen. Die Sauerstoffzufuhr und Ventilation können auch durch alternative Methoden gewährleistet werden (. Tab. 88.1).
Neben der Beutel-Masken-Ventilation bieten sich der Larynxtubus und die Larynxmaske an, jeweils auch mit Saugkanal. Sie sind auch in Kindergrößen erhältlich. Allerdings bedarf es auch bei diesen beiden Methoden einer ausreichenden Erfahrung, um sie erfolgreich und sicher anwenden zu können. Der Goldstandard bleibt die endotracheale Intubation. Sollte die Beatmung mit Beutel und Masken wegen einer Verlegung des Nasen-Rachen-Raums, z. B. bei angeborenen Missbildungen, nicht effektiv sein, kann ein oro- oder nasopharyngealer Tubus eingebracht werden, der in allen Kindergrößen vorrätig sein sollte. In den meisten Fällen gelingt anschließend die Maskenventilation.
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. Tab. 88.1 Alternative Methoden zur Atemwegssicherung mit Angaben zum Leckagedruck, Aspirationsschutz, Möglichkeiten, sie als Intubationshilfe zu benutzen, und Angaben, ob pädiatrische Größen erhältlich sind
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ETC
LT/LTS
LMA
ProSeal
ILMA
Leckagedruck [cm H2O]
>30
24–36
19–22
27–32
24–30
Aspirationsschutz
++
++
(±)
+
(+)
Als Intubationshilfe verwendbar
–
–
+
–
++
Pädiatrische Größe erhältlich
–
+
+
+
–
ETC=Kombitubus, LT=Larynxtubus, LTS=Larynxtubus suction, LMA=Larynxmaske, ProSeal=Larynxmaske mit Absaugkanal, ILMA=Intubationslarynxmaske.
1163 88.4 · Intensivmedizinische Techniken
Wahl des endotrachealen Tubus Tubusdurchmesser Bei einem Neugeborenen sollte der innere Durchmesser des Tubus 2,5–3,5 mm betragen. Bei Säuglingen wird eine Größe von 3,5–4,5 mm empfohlen. Der Tubusdurchmesser bei Kindern, die >1 Jahr alt sind, wird berechnet nach der Formel: 4 Tubusdurchmesser: Alter in Jahren/4+4.
Tipp Als grober Anhalt kann auch der Außendurchmesser des kleinen Fingers des Patienten gelten, der dem Außendurchmesser des Tubus entspricht.
Der Tubus sollte so groß gewählt werden, dass möglichst kein Tubusleck besteht. Sollte ein vollständiger Verschluss der Trachea benötigt werden, z. B. bei Aspirationsgefahr durch Blutungen aus dem Nasen-Rachen-Raum oder einem schweren ARDS mit hohen Beatmungsdrücken, kann ein Tubus mit Low-pressure-Cuff gewählt werden. Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass der Cuff bis in Region der Stimmbänder reichen kann. Auf die permanente Kontrolle des Cuff-Druckes ist fortwährend zu achten.
. Tab. 88.2 Grundeinstellung bei der invasiven Beatmung Parameter
Einstellung
Beatmungsdruck
20 cm H2O
Sauerstoffkonzentration
100%
Atemfrequenz
20–40/min nach Alter
Inspirationszeit
0,5–1 s
Tidalvolumen
5–7 ml/kg KG
PEEP
Mindestens 4 cm H2O initial
Mit der noninvasiven Beatmung können Intubationen vermieden werden. Vor allem bei onkologischen Kindern mit Immunsuppression wird sie häufig angewendet. Sie kann über die ersten kritischen Stunden und Tage einer Pneumonie hinweghelfen. Allerdings birgt die noninvasive Beatmung die Gefahr, dass der Behandler sich in einer falschen Sicherheit wiegt. Da das Kind über die Maske beatmet wird, erhält es im Verlauf weniger Aufmerksamkeit, und eine notwendige endotracheale Intubation wird u. U. erst verspätet durchgeführt. Nach Beginn der noninvasiven Beatmung sollte eine sofortige klinische Besserung des Patienten eintreten. Ist dies nicht der Fall, muss eine Intubation erwogen werden. Invasive Beatmung. Muss das Kind intubiert werden, sollte eine
Tubustiefe Die Tubustiefe bei oraler Intubation berechnet sich nach der Formel: 4 cm: Alter in Jahren/2+12 Für die nasale Intubation gilt: 4 cm: Alter in Jahren/2+15
Beatmung Bedarf der pädiatrische Patient einer mechanischen Atemhilfe, ist in den meisten Fällen die Anwendung einer noninvasiven Beatmungsform gerechtfertigt. Zusatzmodule an den üblichen Beatmungsgeräten lassen diese Möglichkeit zu. Sie stellen einen ausreichenden Flow bereit und bieten effektive Triggersysteme. Bei Säuglingen kann leicht ein nasaler kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck (CPAP) über einen in der Nase liegenden, weichen und kurzen Tubus appliziert werden. Noninvasive Beatmung. Bei größeren Kindern kann mit verschiedenen Maskensystemen (nasal, Mund-Nase oder Vollgesichtsmasken) eine druckkontrollierte oder druckunterstützte Beatmung durchgeführt werden. Die Masken sind in unterschiedlicher Qualität und in verschiedenen Größen für alle Kinder erhältlich. > Bevorzugt werden Nasenmasken, da hierbei die Kinder sprechen und essen können. Vollgesichtsmasken lösen häufig Angstzustände aus.
Die Masken müssen gut angepasst werden. Gelangt zu viel Nebenluft z. B. in die Augen, wird die Beatmung von den Kindern nicht toleriert. Besonders im Kleinkindalter ist die Compliance häufig eingeschränkt und macht in vielen Fällen eine solche Beatmungsform unmöglich. Oft ist eine Grundsedierung notwendig.
lungenschonende Beatmung im Sinne einer »Low-tidal-volumeBeatmung« angestrebt werden. Für Kinder ist deren Nutzen allerdings nicht ausreichend validiert. Der positive endexspiratorische Druck (PEEP) sollte bei der initialen Einstellung des Beatmungsgerätes 4 cm H2O nicht unterschreiten. Er richtet sich im weiteren Verlauf nach dem Sauerstoffbedarf. Die Grundeinstellung bei der invasiven Beatmung zeigt . Tab. 88.2. Grundsätzlich sollte das Atemhubvolumen so groß sein, dass sich der Thorax adäquat seitengleich hebt. Sollte das mit der Voreinstellung nicht möglich sein, muss der Atemhub so lange vergrößert werden, bis dieses Ziel erreicht ist. Das Atemhubvolumen bei fehlendem Tubusleck ist proportional zur eröffneten alveolären Oberfläche. ! Cave Hebt sich der Thorax nicht, kann auch kein Gasaustausch stattfinden!
Daher kann auch bei kleinen Kindern mit ARDS ein großes Atemhubvolumen oder ein hoher Spitzendruck notwendig sein, um alveoläre Oberfläche zu rekrutieren. Die weitere Beatmungstherapie wird nach den Blutgaswerten ausgerichtet. Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV). Alternativ zur
konventionellen Beatmung steht im Kindesalter die in der Pädiatrie gut etablierte Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV) zur Verfügung. Unter der Vorstellung, ein Volutrauma zu vermeiden, wird hierbei mit extrem hohen Atemfrequenzen und minimalen Tidalvolumina beatmet. Ob die HFOV tatsächlich einen Vorteil gegenüber der konventionellen Beatmung hat, ist nicht erwiesen. Die HFOV stellt allerdings eine sichere und zuverlässige Form der Beatmung dar. Durch einen weltweit gut standardisierten Algorithmus der Einstellung und Entwöhnung des Patienten an die HFOV ist sie schnell erlernbar. Zentren für die Behandlung des Lungenversagens sollten ein Gerät zur HFOV vorrätig haben.
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88.4.3
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
Monitoring
Das Monitoring auf pädiatrischen Intensivstationen unterscheidet sich nicht wesentlich von dem bei erwachsenen Patienten. Bei Säuglingen ergibt sich die zusätzliche Möglichkeit einer zuverlässigen transkutanen paO2- und paCO2-Messung. Beim Kauf eines Beatmungsgerätes ist unbedingt auf die Integration einer endexspiratorischen CO2-Messung zu achten. Allein durch häufige Blutgasanalysen besteht bei Säuglingen und Kleinkindern oft eine Transfusionspflichtigkeit, die durch nichtinvasives Monitoring verhindert werden kann. Pulmonaliskatheter sind meist größeren Kindern nach kardiochirurgischen Eingriffen mit entsprechender Indikation vorbehalten. Ihre Anlage bei Säuglingen und Kleinkindern ist technisch schwierig und kann mit Komplikationen behaftet sein. Handelsübliche Systeme zur Messung des Herzzeitvolumens (HZV) sind mit einiger Erfahrung auch bei Säuglingen anwendbar. Derzeit sind einige Geräte zur nichtinvasiven HZV-Bestimmung, z. B. mit Pulskonturanalyse, in der Erprobung. Ausreichende Daten zur Validierung liegen allerdings derzeit noch nicht vor, da aufgrund des geringen Absatzvolumens der Systeme große Studien mit adäquaten Patientenzahlen kaum gefördert werden. Ebenso ist die Messung des intraabdominellen Druckes noch nicht ausreichend im Fokus der Kinderintensivmedizin, sie kann aber analog der Verfahren bei Erwachsenen ermittelt werden. Die Notfallsonographie inkl. der transkraniellen Darstellung des Gehirns und seiner Gefäße und die Notfallechokardiographie gehören zum Rüstzeug jedes pädiatrischen Intensivmediziners, zumal die Schallbedingungen bei Kindern günstig sind. Die Echokardiographie kann im Notfall rasch über einen vorhandenen Perikarderguss wie auch über die Myokardfunktion Auskunft geben. Um die notwendigsten Befunde im Notfall darstellen zu können, reichen wenige Stunden Übung. Dauer-EEG, intrakranielle Druckmessung und evozierte Potenziale sollten Standard auf einer Kinderintensivstation sein. > Trotz aller Technik sollte das klinische Bild des Patienten aber weiter im Vordergrund stehen und auch bei der Ausbildung des intensivmedizinischen Personals geschult werden.
Bei Kenntnis der altersentsprechenden Atemfrequenz (. Tab. 88.3) kann ab dem Kleinkindesalter die Herzfrequenz mittels der 5erRegel berechnet werden (. Tab. 88.4). Ab dem 2. Lebensjahr lassen sich der mittlere Normwert des systolischen Blutdrucks und die untere Grenze des systolischen Blutdrucks der in . Tab. 88.5 dargestellten Formel berechnen. Zur Bewertung von Atem-, Herzfrequenz und des Blutdruckes müssen Alter, Fieber, Schmerz, Vorerkrankungen und Erregung einkalkuliert werden. > Es ist oftmals besser, den Trend der Parameter zu beurteilen, als sich auf den absoluten Wert zu verlassen.
So kann bei einem chronisch herzinsuffizienten Säugling seine gewohnte Atemfrequenz deutlich oberhalb der Norm liegen, und erst eine akute Erhöhung derselben zeigt eine Verschlechterung seines Zustands an.
. Tab. 88.3 Normwerte für die altersentsprechende Atemfrequenz Alter [Jahre]
<1
2–5
5–12
>12
Atemfrequenz
30–40
20–30
20–24
12–20
. Tab. 88.4 Ermittlung der Herzfrequenz anhand der 5er-Regel Alter
>30 Tage
5 Jahre
12 Jahre
18 Jahre
Atemfrequenz
30
20
18
14
×5
×5
×5
Herzfrequenz
130
100
90
70
. Tab. 88.5 Ermittlung des systolischen Blutdrucks Alter
Systolischer Blutdruck Normwert [mm Hg]
Untergrenze [mm Hg]
0–1 Monat
60
50
1–12 Monate
80
70
1–10 Jahre
90+2×Alter
70+2×Alter
>10 Jahre
120
90
88.5
Kreislaufversagen
Der Körper ist je nach Belastung pro Zeiteinheit auf eine definierte Zufuhr von energiereichen Substraten und einen effektiven Abtransport von überschüssigen Stoffwechselsubstraten angewiesen. Diese Größe ist das Herzzeitvolumen (HZV) oder der »cardiac output«; sie ist das Maß für die umgesetzte Menge Blut/min und hängt vom Schlagvolumen und der Herzfrequenz ab. Das Schlagvolumen (. Abb. 88.1) wird bestimmt durch 4 die myokardiale Kontraktilität, 4 das Volumenangebot (Vorlast), 4 das ventrikuläre Fassungsvolumen, 4 die Compliance des Ventrikels 4 den extraventrikulären Widerstand, der dem Myokard durch die Gefäße entgegengesetzt wird (Nachlast). So ist das Schlagvolumen z. B. vermindert nach der obigen Reihenfolge durch eine dilatative Kardiomyopathie oder Myokarditis, Hypovolämie, hypertrophe Kardiomyopathie oder Perikarderguss, Steifheit der Ventrikelmuskulatur nach Reanimation oder kardiochirurgischem Eingriff oder eine periphere Widerstandskrise bei Neuroblastom. Vor allem bei Säuglingen ist die Fähigkeit zur Verstärkung der Kontraktilität noch nicht voll entwickelt. Diese Kinder können daher ihr Herzzeitvolumen fast ausschließlich nur durch eine Erhöhung der Herzfrequenz steigern. Diese »Bedarfstachykardie« ist wichtiger Bestandteil zur Kompensation einer Kreislaufinsuffizienz. Besteht eine der geschilderten Ursachen zur Verringerung des Herzzeitvolumens und kann die Versorgung des Gewebes mit energiereichen Substraten und Sauerstoff nicht mehr gewährleistet
1165 88.5 · Kreislaufversagen
Compliance Vorlast Nachlast
Schlagvolumen »cardiac output«
Kontraktilität
Blutdruck
Herzfrequenz Peripherer Gefäßwiderstand
. Abb. 88.1 Bestimmende Parameter für »cardiac output« und Blutdruck
werden, liegt ein Kreislaufversagen oder Schock vor. Nachfolgend kommt es zu einem Funktionsverlust der Organe und dem Zelltod des minderversorgten Gewebes.
88.5.1
Ursachen
Die Ätiologie des Kreislaufversagens bei Kindern unterscheidet sich wesentlich von der des erwachsenen Patienten. Erleidet der Erwachsene meist eine kardiogenen Schock aufgrund eines primären Herzversagens, so stehen beim Kind die Hypovolämie, der distributive Schock bei der Sepsis oder eine generalisierte Hypoxie aufgrund respiratorischer Ursachen im Vordergrund. > Die führende terminale Arrhythmie bei Kindern ist daher nicht die ventrikuläre Tachykardie, sondern die Bradykardie.
Da das Kreislaufversagen am Ende dieses Krankheitsprozesses steht, ist das Erkennen des kritisch kranken Kindes von besonderer Bedeutung. Hiermit kann eine Dekompensation des Kreislaufversagens in den meisten Fällen verhindert werden. Die Prognose des kindlichen Kreislaufversagens ist deutlich günstiger als die des Erwachsenen.
88.5.2
Pathogenese
Bei bestehender Kreislaufinsuffizienz versucht der Körper, diesen Zustand zu kompensieren. Die Atemanstrengungen werden intensiviert, um die Sauerstoffaufnahme zu erhöhen. Durch die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin wird eine verstärkte Kontraktilität des Myokards, ein erhöhtes Schlagvolumen und eine Steigerung der Herzfrequenz erreicht. Der Anstieg der Herzfrequenz ist daher ein guter Parameter für den Stresszustand des Patienten. Ist die Steigerung des Herzzeitvolumens immer noch nicht ausreichend, wird durch die Produktion von Noradrenalin der systemarterielle Gefäßwiderstand erhöht, um einen adäquaten Perfusionsdruck aufrechtzuerhalten. Zur besseren Versorgung der lebenswichtigen Organe wird das Blutvolumen auf Kosten der Durchblutung von Haut, Muskeln und des Gastrointestinaltraktes umverteilt. Um das intravasale Volumen zu erhalten, wird die Urinausscheidung reduziert. Der arterielle Blutdruck ist zur Beurteilung des Herzzeitvolumens nur begrenzt geeignet. Liegt er unter der Norm, spricht dies für ein reduziertes HZV. Durch massive Ausschüttung von Vasokonstriktoren kann der Blutdruck im Normbereich gehalten wer-
den – auch wenn ein deutlich erniedrigtes Herzzeitvolumen vorliegt. Die Überwachung des arteriellen Blutdrucks allein ist hier unzureichend. Durch die reduzierte Haut- und Muskeldurchblutung kommt es zu einer Marmorierung und Kühle der Haut. Die peripheren Pulse sind nur noch schwach tastbar. Die Rekapillarisierungszeit ist mit >2 s verlängert. Wird durch eine Narkoseeinleitung die Produktion der endogenen Katecholamine bei diesen Patienten unterdrückt, kommt es zu einem arteriellen Blutdruckabfall. Die Koronarperfusion sinkt bei dem ohnehin maximal angestrengten Herzmuskel unter ein kritisches Maß, und es kommt zu einem akuten Herzstillstand. Dies stellt ein häufiges Problem bei Kindern v. a. bei septischen Erkrankungen dar und kann durch die Gabe von Vasokonstriktoren bereits vor der Narkoseeinleitung einfach umgangen werden. Reichen die Mechanismen zur Kompensation nicht aus, werden auch die lebensnotwendigen Organe wie Herz und Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet. Als Zeichen der mangelnden Durchblutung des Gehirns verliert der Patient seine Kommunikationsfähigkeit und trübt schließlich ein. Dies ist ein sicheres Zeichen einer in Kürze auftretenden kardiorespiratorischen Erschöpfung. Bei Kindern, mit ihren relativ geringen Glykogen- und muskulären Reserven, tritt der Atem- und Kreislaufstillstand meist plötzlich und oftmals unerwartet auf. Besonders bei Säuglingen und Kleinkindern verläuft dieser Prozess fulminant. Differenzialdiagnostisch und -therapeutisch muss von verschiedenen Kompartimenten des Kreislaufs ausgegangen werden. Neben dem systemarteriellen und pulmonalarteriellen Kreislauf verfügt jedes Organ über eine eigene Versorgung. Bei einem vorliegenden intrakraniellen Druckanstieg oder einem intraabdominellen Kompartmentsyndrom muss dieser Umstand berücksichtigt werden, auch wenn das Herzzeitvolumen im Systemkreislauf ausreicht.
88.5.3
Diagnostik
> Das oberste Primat ist das sofortige Erkennen des kritischen kranken Kindes, um die Entstehung einer Kreislaufdekompensation abzuwenden. Kommt es zu einem reanimationspflichtigen Ereignis, verschlechtert sich die Prognose erheblich.
Die Ätiologie des Kreislaufversagens muss unverzüglich diagnostiziert werden, um eine differenzierte Therapie zu ermöglichen. Dem klinischen Erscheinungsbild kommt bei Kindern besondere Bedeutung zu, da ihre Kommunikationsfähigkeit, altersbedingt, eingeschränkt sein kann. Prädisponierende Erkrankungen wie angeborene Erkrankungen müssen anamnestisch erfasst werden. Das klinische Bild gibt raschen Aufschluss über den derzeitigen Zustand des Patienten und ist allseits verfügbar. Die Beschaffenheit der Haut (Temperatur, Turgor und Hautfarbe) gibt einen Überblick über den Volumenstatus, Oxygenierung und den peripheren Gefäßwiderstand. Die Rekapillarisierungszeit kann als guter Parameter für eine erfolgreiche Rehydratation herangezogen werden. Pulsfrequenz und Qualität sowie die Beurteilung von Atemfrequenz und Atemarbeit sind überaus wichtige klinische Zeichen zur Abschätzung einer drohenden Kreislaufinsuffizienz. Die Urinproduktion kann ebenso Aufschluss über den Volumenstatus geben.
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Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
In kurzen Abständen muss der psychomentale Status erfasst werden, da er Auskunft über eine beginnende schwere Dekompensation geben kann.
Labordiagnostik
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Mit der arteriellen oder kapillären Blutgasanalyse können Aussagen über den respiratorischen und den Kreislaufstatus gewonnen werden. Während der pO2, pCO2 und die Sauerstoffsättigung Auskunft über die Ventilation geben, haben der pH-Wert, das Standardbikarbonat und der »base excess« sowie das mittlerweile in fast allen Blutgasmessgeräten etablierte Laktat einen hohen Stellenwert in der Beurteilung der Kreislaufsituation.
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> Das erhöhte Laktat und der erniedrigte pH-Wert deuten auf ein nicht ausreichendes Herzzeitvolumen hin.
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Ihnen kommt auch bei der Therapiesteuerung ein hoher Stellenwert zu. Nach Anlage eines zentralen Venenkatheters ist bei richtiger Lage und ruhiggestelltem Patienten die zentralvenöse Sauerstoffsättigung ein zuverlässiger Parameter zur Beurteilung der Perfusion. Ist sie erniedrigt, kann von einer verminderten Zirkulation mit vermehrter Ausschöpfung des arteriellen Sauerstoffs ausgegangen werden. Ebenso können mit der Blutgasanalysenprobe der Blutzucker, die wichtigsten Serumelektrolyte sowie der Hb-Wert in kürzester Zeit bestimmt werden. Zur Abschätzung der Krankheitsschwere sind Bestimmungen der Organparameter wie Kreatinin, Harnstoff, GOT, Amylase, die Quantifizierung von Entzündungsparametern sowie ein Gerinnungsstatus mit Fibrinspaltprodukten und einem Blutbild unerlässlich. Urinosmolarität und spezifisches Gewicht geben gute Hinweise auf die Konzentrationsfähigkeit der Niere bzw. auf eine evtl. vorliegende Störung im Haushalt des antidiuretischen Hormons. Herzinsuffizienzparameter wie das pro-BNP können hilfreich sein, sind bei Kindern allerdings noch nicht ausreichend validiert.
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> Ziel sollte eine Urinproduktion von mindestens 2 ml/ kg KG/h sein.
Aus dem Urin kann ein Drogen- und Medikamenten-Screening bei Verdacht auf Intoxikationen durchgeführt werden. Die oben genannten klinischen Zeichen sind regelmäßig zu überprüfen.
Weitere Untersuchungen
Behandlungsziel
Neben einer Röntgenuntersuchung des Thorax ist eine sofortige Echokardiographie beim Kreislaufversagen obligat. Sie gibt wichtige Informationen zur myokardialen Funktion und ist für den differenzierten Einsatz von Katecholaminen unerlässlich. Sie muss auf Intensivstationen jederzeit verfügbar sein und ist integraler Bestandteil in der Ausbildung des Intensivmediziners. Um eventuelle Blutungsquellen nach Traumata als Ursache für das Kreislaufversagen zu identifizieren, können die Sonographie der Körperhöhlen und auch eine Computertomographie des Kopfes oder des Stammes notwendig sein.
Das Ziel der Behandlung muss eine ausreichende Versorgung aller Kompartimente mit energiereichen Substraten sein, vornehmlich mit Sauerstoff und Glukose. Dies kann nur gelingen, wenn die auslösende Grundkrankheit beseitigt, das intrazelluläre Milieu stabilisiert und ein adäquates Herzzeitvolumen wiederhergestellt werden kann.
88.5.4
Therapie und Monitoring
Der Kreislaufschock erfordert ein vorausschauendes Vorgehen. Um sowohl ein ausreichendes Monitoring als auch eine adäquate Therapie durchführen zu können, bedarf es auch technischer Fertigkeiten des Notfallmediziners (7 Übersicht).
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Für die weitere Therapie bedarf es großlumiger intravenöser Zugänge. Ist von einer schweren Erkrankung des Patienten auszugehen, sind die Anlage einer invasiven arteriellen Blutdruckmessung und die eines zentralen Venenkatheters (ZVK) unerlässlich. Kontinuierliche optische Messungen der zentralvenösen Sättigung über spezielle zentralvenöse Katheter sind auch im Kindesalter möglich. Vorsicht ist bei der Messung des zentralvenösen Drucks (ZVD) als Parameter des intravasalen Volumens geboten. Der ZVD ist stark abhängig von der Funktion des rechten Ventrikels und spiegelt daher u. U. nur dessen Funktion wieder. Zur Messung des Herzzeitvolumens stehen zunehmend mehr invasive und nichtinvasive Methoden zur Verfügung. Durch ihre teils kontinuierlich abrufbaren Messwerte( Herzzeitvolumen, Lungenwasser, peripherer Widerstand) können sie wichtige Informationen über den Krankheitsverlauf und die Effektivität der Therapie geben. Überlegungen zum Volumen- und medikamentösen Management bestimmen im Weiteren die Versorgung des Patienten mit intravenösen Zugängen oder Lumina. Sie müssen in ausreichender Zahl vorhanden sein, um Inkompatibilitätsreaktionen lebensnotwendiger Medikamenten zu vermeiden. Die kontinuierliche Messung der Urinausscheidung über einen Blasenkatheter ist ein wichtiger Parameter zur Flüssigkeitsbilanzierung. Sie sollte mit einem übersichtlichen Bilanzbogen stündlich dokumentiert werden.
Kontinuierliches Standardmonitoring beim Kreislaufversagen 4 4 4 4
EKG Perkutane O2-Sättigung (pulsxoxymetrisch) Atemfrequenz Körpertemperatur
Zuführung energiereicher Substrate An erster Stelle steht die kontinuierliche Zufuhr von Sauerstoff. Sie dient sowohl der Vermeidung weiterer Hypoxien als auch der Reduktion der Atemarbeit und somit auch einer Entlastung des Kreislaufs. > Als Zielgrößen gelten eine Sauerstoffsättigung von > 95% und ein paO2 von 100–120 mm Hg.
Sind bei einer Anämie nicht genug Sauerstoffträger vorhanden, sollte eine Transfusion von Erythrozyten erwogen werden. Besonderes Augenmerk muss auf die rasche Entwicklung einer Hypoglykämie im Kindesalter gelegt werden. Eine dauerhafte Stabilisierung des Kreislaufs ohne ausreichende Blutzuckerkonzentration ist unmöglich. Die akute Gabe von 1 g Glukose/kg KG ist bei der Hypoglykämie indiziert.
Reduktion des Energieverbrauchs Kann v. a. bei Beginn der Therapie kein ausreichendes Herzzeitvolumen aufgebaut werden oder droht eine muskuläre Erschöpfung des Patienten, muss der Energieverbrauch gesenkt werden.
1167 88.5 · Kreislaufversagen
Beatmung. Durch die Initiierung einer maschinellen Beatmung mit
Reduktion der Atemarbeit, Analgesie und Sedierung wird der Energiebedarf erheblich gesenkt und der Kreislauf entlastet. Vorsicht ist geboten bei der Narkoseeinleitung zur Intubation mit Abfall des peripheren Widerstandes und nachfolgendem Blutdruckabfall. Für diesen Fall sollten genügend Personal und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Eine ausreichende Anzahl großlumiger intravenöser Zugänge und ein intensives Monitoring sind im Vorfeld der Intubation zu implementieren. Durch die Senkung eines erhöhten paCO2 und der Normalisierung des pH-Wertes kann eine Reduktion des pulmonalarteriellen Widerstands mit Verbesserung der rechtsventrikulären Funktion erreicht werden. Hat die Kreislaufinsuffizienz, wie im Kindesalter häufig, eine respiratorische Ursache, kann sie allein mit der Respiratortherapie oft ausreichend behandelt werden.
te die Indikation zur Gabe dieser Lösungen sehr kritisch überprüft werden. Blutprodukte. Aufgrund ihres Infektionsrisikos, der Möglichkeit
von immunologischer Unverträglichkeit, der begrenzten Verfügbarkeit und der hohen Kosten sind Blutprodukte wie gefrorenes Frischplasma, Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate nur nach strenger Indikationsstellung als Volumenersatz zu verabreichen. Besteht parallel zum Volumenmangel eine schwere Anämie, eine zu korrigierende Gerinnungsstörung oder eine persistierende Blutung, ist ihr Einsatz zu erwägen. Sollte die initiale Gabe von 20 ml/kg KG Volumen keinen ausreichenden Effekt auf den Kreislauf erzielen, kann die Gabe wiederholt werden. Sollte nach insgesamt 60 ml/kg KG noch immer keine Besserung eintreten, muss nach einem nicht erkannten Flüssigkeitsverlust gesucht werden. Bei persistierenden Blutungen ist eine chirurgische Intervention erforderlich.
Flüssigkeitstherapie Wichtiges Ziel der Kreislauftherapie ist die Bereitstellung eines ausreichenden intravasalen Volumens. Mit Ausnahme des kardiogenen Schocks stellt die Flüssigkeitszufuhr die Grundlage der Therapie dar. > Kein Kreislauf ohne ausreichendes intravasales Volumen!
Begonnen wird die Volumengabe mit einem Bolus von 20 ml/ kg KG. Die Art des Volumens ist für das Kindesalter bisher nicht ausreichend geklärt. Eine eindeutige Überlegenheit von kristalloiden oder kolloidalen Lösungen ist nicht durch große Studien belegt. Der theoretisch längeren Verweildauer kolloidaler Lösungen im Gefäßbett stehen Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber. Blutprodukte sind nur nach strenger Indikation, bei entsprechendem Verlust, indiziert. Kristalloide Lösungen. Diese Lösungen sind leicht verfügbar und ausgesprochen kostengünstig. Angewendet werden Vollelektrolytlösungen wie Ringer-Lösung. Bei bereits bestehender Laktatazidose ist die Gabe von Ringer-Laktatlösung zu vermeiden. Alternativ steht hier Ringer-Acetatlösung zur Verfügung. Da kristalloide Lösungen rasch das Gefäßbett verlassen, sind im Vergleich zu kolloidalen Lösungen theoretisch größere Infusionsmengen notwendig. Bei der Gabe von großen Mengen isotoner Kochsalzlösung kann eine hyperchlorämische Azidose entstehen. Bei bestehender Niereninsuffizienz ist auf den Kaliumgehalt der Lösungen zu achten, um eine Hyperkaliämie zu vermeiden. Glukosehaltige Lösungen sind bei der Volumensubstitution nicht indiziert, da sie einerseits zu einer Hyperglykämie führen und andererseits durch die Verstoffwechslung der zugeführten Glukose die Osmolarität der Lösung herabgesetzt wird. Kolloidale Lösungen. Kolloidale Lösungen verbleiben länger im Gefäßbett und erhöhen theoretisch effektiver das intravasale Volumen. Sie sind teurer als kristalloide Lösungen Zur Verfügung stehen Präparate auf Basis von Gelatine, modifizierter Stärke und Dextranen. Allen gemeinsam ist die Möglichkeit einer anaphylaktischen Reaktion des Empfängers auf die Präparate. Bei Produkten aus Stärke und Dextranen wird eine Tageshöchstdosis von 20 ml/kg KG empfohlen, da sie im RES abgelagert werden und bei Überdosierung zu Hautjucken führen. Bei bestimmten Stärkepräparaten wurde eine Häufung von Nierenversagen im Erwachsenenalter beobachtet. Inwieweit Albuminlösungen bei der Volumensubstitution ein Stellenwert zukommt, ist ungeklärt. Auch aufgrund der Kosten soll-
Medikamentöse Beeinflussung der Myokardfunktion und Regulierung des peripheren Gefäßwiderstandes Zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Herzzeitvolumens ist eine adäquate Myokardfunktion notwendig. Ist diese durch einen lebensbedrohlichen Zustand oder eine myokardiale Erkrankung beeinträchtigt, besteht die Möglichkeit, das Herz medikamentös zu entlasten und die Funktion mit positiv inotropen Substanzen zu verbessern. Hierzu gehören folgende Substanzen: Adrenalin. Adrenalin führt zu einer generalisierten Sympathi-
kusstimulation mit Steigerung der Myokardkontraktilität und der Herzfrequenz sowie peripherer Vasokonstriktion mit Anstieg des Blutdrucks. Unter Reanimationsbedingungen verbessert der Anstieg des diastolischen Blutdrucks den koronaren Blutfluss. Adrenalin ist das Mittel der 1. Wahl bei der kardiopulmonalen Reanimationen und beim anaphylaktischen Schock. Nachteilig wirken sich der erhöhte myokardiale Sauerstoffverbrauch und eine Proarryhthmogenität aus.
Dosierung von Adrenalin 4 0,05–1 μg/kg KG/min über Perfusor, 4 als Bolus 0,01 μg/kg KG, repetitiv alle 3 min.
Noradrenalin. Der Effekt von Noradrenalin beruht mehr auf sei-
ner Fähigkeit zur peripheren Widerstandserhöhung als auf seiner schwächer ausgeprägten positiven Inotropie. Die Herz- und Nierendurchblutung werden durch die Erhöhung des Blutdrucks verbessert. Die Hauptindikation für Noradrenalin ist der distributive Schock mit erniedrigtem peripherem Widerstand. Vor der Gabe muss unbedingt die Herzfunktion eingeschätzt werden. Ist die myokardiale Kontraktilität bereits eingeschränkt, kann sich die Pumpfunktion durch die Erhöhung der Nachlast und die nicht ausreichende positiv inotrope Wirkung des Noradrenalins weiter verschlechtern. Dosierung von Noradrenalin 4 0,05–1 μg/kg KG/min über Perfusor.
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88 88
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
Dobutamin. Dieses Katecholamin wirkt positiv inotrop; in niedriger Dosierung steigt der periphere Gefäßwiderstand nicht an; der pulmonalarterielle Widerstand wird gesenkt. In niedriger Dosierung kann es zu einem Blutdruckabfall kommen. Die Substanz wird daher oft mit Noradrenalin kombiniert.
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Medikamente mit Wirkung auf die peripheren Widerstandsgefäße Zur Reduktion der Nachlast und zur Verbesserung der peripheren Durchblutung werden Medikamente mit Wirkung auf die peripheren Widerstandsgefäße eingesetzt. Allen gemeinsam ist eine mögliche Reduktion des systemarteriellen Blutdrucks, der mit einer Volumengabe adäquat entgegengewirkt werden kann.
Dosierung von Dobutamin
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4 1–10 μg/kg KG/min über Perfusor.
Dopamin. Dieses Katecholamin wirkt positiv inotrop; der periphere und pulmonalarterielle Widerstand werden erhöht. Die Wirkung ist schwächer ausgeprägt als die der anderen Katecholamine. Ferner kommt es durch Dopamin zu einer verminderten Produktion von Schilddrüsenhormonen. Der Stellenwert von Dopamin, auch vor dem Hintergrund eines erhöhten pulmonalarteriellen Drucks, ist daher umstritten. Die niedrig dosierte Gabe von Dopamin zur Verbesserung der Nierendurchblutung (Nierendosis) ist verlassen worden.
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Natriumnitroprussid. Das Medikament wirkt direkt relaxierend auf
die Arteriolen bzw. arteriellen Widerstandsgefäße. Aufgrund einer Zyanidakkumulation wird parallel die Gabe von Natriumthiosulfat in 10-facher Dosierung des Natriumnitroprussids empfohlen. Die Zufuhr erfolgt lichtgeschützt.
Dosierung von Natriumnitroprussid 4 0,5–8 μg/kg KG/min als Dauerinfusion.
Nitroglyzerin. In niedriger Dosierung wirkt Nitroglyzerin vornehmlich auf venöse Kapazitätsgefäße und in höherer Dosierung auch auf die arteriellen Widerstandgefäße.
Dosierung von Dopamin
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4 1–10 (20) μg/kg KG/min über Perfusor.
Dosierung von Nitroglyzerin 4 2–20 μg/kg KG/min als Dauerinfusion.
Phosphodiesterasehemmer. Milrinon, Enoximone und Amrinon
wirken positiv inotrop und senken den systemarteriellen Widerstand. Sie wirken additiv zu den Katecholaminen. Ihre Effektivität ist belegt für die perioperative Gabe bei herzchirurgischen Eingriffen und in der Behandlung der Sepsis. An Nebenwirkungen sind Thrombozytopenie und Leberfunktionsstörung sowie Abfall des systemarteriellen Blutdrucks zu nennen.
Dosierung von Phosphodiesterasehemmern Enoximone: 4 Initialer Bolus von 0,25 mg/kg KG über 10 min und 4 Dauerinfusion von 10–20 μg/kg KG/min.
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Milrinone:
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Amrinon:
4 0,1–1 μg/kg KG/min über Dauerperfusor. 4 Initialer Bolus von 750 μg/kg KG über 3 min und 4 Dauerinfusion von 1–20 μg/kg KG/min
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Levosimendan. Dieser Kalzium-Sensitizer wirkt positiv inotrop ohne Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs und senkt den peripheren Gefäßwiderstand. Ein weiterer Vorteil ist der fehlende proarrhythmogene Effekt. Aus der geringen Datenlage bei Kindern kann eine Therapieempfehlung noch nicht abgeleitet werden. Als Rescue-Therapie ist die Gabe zu erwägen.
Dosierung von Levosimendan 4 0,1 μg/kg KG/min als Dauerinfusion über total 24 h. 4 Ein Loading ist möglich.
Nifedipin. Die Substanz wirkt direkt relaxierend auf die arteriellen Widerstandgefäße. Die Zufuhr erfolgt lichtgeschützt.
Dosierung von Nifedipin 4 0,2–0,8 μg/kg KG/min als Dauerinfusion.
Medikamente zur Steigerung des peripheren Widerstandes ohne positiv inotrope Wirkung wie Vasopressin und Terlipressin sind in der Kinderheilkunde nicht ausreichend untersucht. Sie sollten als Rescue-Therapie bei Versagen der Wirkung von Katecholaminen aber erwogen werden.
Medikamente zur Senkung des pulmonalarteriellen Widerstandes Beruht das Kreislaufversagen auf einer Rechtsherzinsuffizienz mit Erhöhung des pulmonalarteriellen Widerstandes, muss dieser gesenkt werden. Durch eine Verbesserung der alveolären Belüftung kann dieses Ziel in vielen Fällen bereits erreicht werden. Gelingt dies nicht, ist die medikamentöse Senkung indiziert. Dies kann entweder durch den Einsatz von inhalativem NO oder durch Prostazyklin bzw. deren Derivaten wie Iloprostadil erreicht werden.
1169 88.5 · Kreislaufversagen
Dosierungen NO bei Therapiebeginn: 4 5–40 (100) ppm inhal. Cave: Rebound-Phänomen beim Abstellen auch nach sehr geringer Dosierung.
Prostazyklin: 4 2–20 ng/kg KG/min i.v. Cave: Blutdruckabfall und Thrombozytenaggregationshemmung.
nen des kritisch kranken Kindes kann eine Reanimation verhindert werden. Dies ist oberstes Primat auch in der pädiatrischen Intensivmedizin. Auf jeder Kinderintensivstation sollte eine Wiederbelebung ein seltenes Ereignis sein. Für den Fall der Reanimation wird dem Algorithmus der internationalen Leitlinien gefolgt (. Abb. 88.2). Der hier geschilderte Ablauf bezieht sich auf Kinder nach Verlegung aus dem Kreißsaal bis zum Auftreten von äußeren Pubertätszeichen. Im Kreißsaal wird der Algorithmus für Neugeborene angewandt (7 Kap. 87), und mit dem Ausbilden der Pubertät werden die Jugendlichen nach dem Schema für Erwachsene behandelt (7 Kap. 30).
Iloprostadil: 4 0,5–2,5 μg/kg KG, 6–9× tgl. inhal. Cave bei Linksherzdekompensation, einschleichend dosieren.
Sildenafil: 4 0,5–2 mg/kg KG/Tag in 4–6 Dosen p.o. Cave: Blutdruckabfall, einschleichend dosieren.
Weitere Medikamente Zur Unterstützung der oben genannten Maßnahmen können auch Stresshormone wie Hydrocortison (2 mg/kg KG/Tag in 2 Dosen) und Thyreotardin (1 μg/kg KG/Tag) eingesetzt werden. In seltenen Fällen lässt sich eine Laktatazidose durch die Gabe von Vitamin B1 verbessern. Beruht die Kreislaufinsuffizienz auf einer Volumenbelastung, z. B. bei chronischer Niereninsuffizienz, ist die Gabe von Diuretika angezeigt. Die Gabe von Furosemid mit maximal 10 mg/kg KG/Tag stellt in diesem Fall eine effektive Therapie dar. Eine Dauerinfusion kann starken Volumenschwankungen durch Bolusgaben entgegenwirken. Besteht ein Volumenmangel, darf die Diurese nicht medikamentös verstärkt werden, nur um eine Urinproduktion zu erzwingen. Erst bei einem ausgeglichenen Volumenstatus ist eine forcierte Diurese indiziert.
Mechanische Therapie des Kreislaufversagens Sollte durch alle oben genannten Maßnahmen kein ausreichendes Herzzeitvolumen erreicht werden, ist die Kreislaufunterstützung mit einer extrakorporalen Membranoxygenierung oder durch kardiale Assistsysteme zu erwägen. Diese Verfahren sind an wenige spezialisierte Kinderintensivzentren gebunden und erfordern einen hohen Arbeitsaufwand. Die Zentren sollten frühzeitig über den eventuellen Bedarf an solchen Therapien in Kenntnis gesetzt werden.
88.5.5
Reanimation im Kindesalter
Die Ursachen des Atem- und Kreislaufstillstandes im Kindesalter unterscheiden sich aufgrund physiologischer, anatomischer und pathophysiologischer Besonderheiten von denen bei Erwachsenen. Der primär kardial bedingte Herzstillstand kommt in nur 10% der Fälle vor. Häufigste Ursachen eines reanimationspflichtigen Ereignisses sind respiratorische Probleme wie Pneumonie, bronchiale Obstruktion, Hypoxien und Flüssigkeitsverluste bei Gastroenteritis, Trauma oder Sepsis. Sieht man von Unfällen oder prolongierten Krampfanfällen ab, haben die meisten Notfälle aufgrund ihrer Grundkrankheit eine mehr oder weniger lange Vorgeschichte. Bei rechtzeitigem Erken-
Algorithmus der Wiederbelebung im Kindesalter Nach Auffinden des Patienten wird zuerst auf die Sicherheit des Behandlers geachtet und dann das Bewusstsein des Patienten durch laute Ansprache und, falls nötig, durch Setzen eines Schmerzreizes an der oberen Thoraxapertur überprüft. Reagiert der Patient nicht, erfolgt ein ungezielter Hilferuf, der Umstehende aktivieren soll (»call fast«). Falls eine bekannte kardiale Grunderkrankung vorliegt, wird primär ein gezielter Hilferuf durchgeführt, da hier von einer komplizierten Reanimation auszugehen ist. Dieser Patient benötigt den sofortigen Einsatz eines Defibrillators oder bedarf einer Punktion des Perikards (»call first«). Anschließend wird der Brustkorb des Patienten entkleidet, um Thoraxexkursionen besser beurteilen zu können. Dann werden die Atemwege überprüft und geöffnet. Nach kurzer Inspektion der Mundhöhle zum Ausschluss von Fremdkörpern wird das Kinn angehoben und der Kopf überstreckt. Säuglinge werden als Ausnahme in Neutralposition gelagert, da es bei einem Überstrecken des Kopfes in diesem Alter aufgrund anatomischer Besonderheiten zur Verlegung der Atemwege kommt. Liegt ein mögliches Trauma der Halswirbelsäule vor, wird achsenneutral gelagert und das Kinn mit dem Esmarch-Handgriff angehoben. Für wenige Sekunden kann nun überprüft werden, ob das Kind atmet. Ist ein Atemstillstand offensichtlich, wird sofort beatmet. 4 Atmet das Kind nicht ausreichend, werden nun 5 Beatmungshübe appliziert, von denen mindestens 2 effektiv sein müssen. Die Beatmungshübe erfolgen auf der Intensivstation mit Beatmungsbeutel und Maske oder über den liegenden Tubus. Stehen keine Hilfsmittel zur Verfügung, ist die Mund-zu-Mund/-NaseBeatmung nach wie vor Methode der Wahl beim Kreislaufstillstand. Der Thorax sollte sich dabei altersentsprechend und symmetrisch heben. Beatmet wird mit 100% Sauerstoff und maximalem Flow der Sauerstoffquelle. 4 Nach den 5 Atemhüben wird der Kreislauf überprüft. Es wird auf Vitalzeichen wie Körperbewegungen und Hautkolorit geachtet. Der Puls bei Säuglingen wird an der A. brachialis und bei Kindern an der A. carotis getastet. Auch hier kann dieser Schritt bei offensichtlichem Kreislaufstillstand übergangen werden. 4 Bei Pulslosigkeit oder einem Puls von <60/min werden nun 15 Thoraxkompressionen durchgeführt, gefolgt von 2 Atemhüben. Komprimiert wird mit einer Frequenz von 100/min und einer Kompressionstiefe von 1/3 bis 1/2 des Thorax. Aufgrund emotionaler Hemmungen wird sehr häufig nicht ausreichend tief gedrückt. Der Druckpunkt liegt in der unteren Sternumhälfte. Beatmung und Kompressionen sollten alternierend erfolgen.
88
1170
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
Erweiterte lebensrettende Maßnahmen beim Kind
88
Sicherheit? Keine Reaktion?Keine Atmung bzw. Schnappatmung?
88
CPR (5 initiale Beatmungen, dann 15 : 2) Defibrillator/EKG-Monitor anschließen Unterbrechungen minimieren
88 Schrei nach Hilfe
88
Stimulation Stripping Bewusstlos?
EKG-Rhythmus beurteilen
88 88
Defibrillierbar (Kammerflimmern/pulslose Kammertachykardie)
Atemwege öffnen Sehen, Hören, Fühlen
88 1 Schock mit 4 J/kgKG
88
Beatmung 5 Atemhübe Sofort weiter mit CPR für 2 min, Unterbrechungen minimieren
88 88
Circulation
88 CPR 15:2 Rhythmusmonitoring, Defibrillation (AED)
88
88 88
a
Nichtdefibrillierbar (PEA/Asystolie)
»Wiederherstellung eines Spontankreislaufs« Sofortiger Beginn mit der Reanimationsnachsorge • Verwenden Sie das ABCDESchema • Kontrollierte Sauerstoffgabe und Beatmung • Diagnostik • Behandeln Sie die zugrunde liegende Ursache • Temperaturkontrolle • Therapeutische Hypothermie?
Während der CPR:
• Sorgen Sie für eine optimale CPR (Frequenz, Tiefe, Entlastung) • Geben Sie alle 3–5 min Adrenalin • Planen Sie Ihre Maßnahmen, bevor Sie die CPR unterbrechen • Geben Sie Sauerstoff • Gefäßzugang (intravenös oder intraossär) • Erwägen Sie invasive Atemwegssicherung und Kapnographie • Erwägen Sie invasive Atemwegssicherung und Kapnographie • Durchgehende Herzdruckmassage, sobald der Atemweg gesichert ist • Beheben Sie reversible Ursachen
88 Reevaluation Sicherung Hilfe Fortsetzung Reanimation
Reanimationsteam/Rettungsdienst verständigen(Falls allein: zunächst 1 min CPR))
b
Sofort weiter mit CPR für 2 min, Unterbrechungen minimieren
Reversible Ursachen: • Hypoxie • Hypovolämie • Hypo-/Hyperkalämie/metabolische Störungen • Hypothermie • Herzbeuteltamponade • Intoxikationen • Thromboembolie • Spannungspneumothorax
. Abb. 88.2 Algorithmus nach den ILCOR-Leitlinien. a Basic Life Support (BLS). b Advanced Life Support (ALS). (AED=automatischer externer Defibrillator, CPR=kardiopulmonale Reanimation)
88 88 88 88 88 88 88 88 88 88
Komplikationen der Reanimation wie Rippenbrüche treten wegen der Elastizität des kindlichen Thorax sehr selten auf. 4 Obiges Procedere wird nun im Verhältnis 15/2 Kompressionen zu Beatmung 5-mal wiederholt. Dies entspricht der Dauer von 1 min. Nun wird eine kurze Reevaluierung durchgeführt, ein gezielter Hilferuf abgesetzt bzw. überprüft, ob weitere Hilfe kommt. Danach wird im gleichen Verhältnis wie oben beschrieben weiter reanimiert und ein adäquates Monitoring etabliert. Bleibt trotz korrekt durchgeführter Reanimation der Erfolg aus, sollte an Komplikationen, die unter den Fachbegriff HITS fallen gedacht werden. > Eine persistierende Hypoxie, Hypovolämie, Hyper/ Hypokaliämie, Hypothermie, Perikardtamponade, Pneumothorax, Intoxikation oder eine Thrombembolie können, unerkannt, die Reanimation scheitern lassen.
Das Arbeiten nach einem solch strikten Schema dient der Automatisierung des eigenen Handels und setzt mentale Ressourcen während der Reanimation frei, die sonst durch den Handlungsablauf selbst gebunden sind.
Die Überlebensraten nach standardisierter Reanimation sind bei Kindern hoch: so überleben 60% aller Kinder, die aufgrund respiratorischer Ursachen reanimiert werden mussten, ohne neurologische Defizite. Auf Intensivstationen sollten regelmäßige Übungen zur Reanimation stattfinden, die das gesamte medizinische Personal einbeziehen müssen. Ein konsequentes Simulationstraining kann v. a. die Teamarbeit noch weiter intensivieren. Die in 7 Abschn. 88.2.1 beschriebenen Notfallkurse sind in vielen Kliniken für die Mitarbeiter von Intensivstationen obligat. Die Frage, ob Eltern bei Reanimationen anwesend sein sollen, wird sehr kontrovers diskutiert. Traditionell ist dies in Deutschland noch nicht tief verankert, während in den Niederlanden dieses Vorgehen teilweise selbstverständlich ist. Unter der Prämisse einer kommentierenden und empathischen Betreuung der Eltern während der Reanimation sind die Erfahrungen auch im eigenen Patientengut sehr positiv, da die Eltern miterleben können, dass für ihr Kind alles getan wurde. Dies deckt sich auch mit wissenschaftlichen Untersuchungen aus anderen europäischen Arbeitsgruppen.
1171 88.7 · Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom und Sepsis
. Tab. 88.6 Altersentsprechender Bedarf an Flüssigkeit, Energie und Nahrungsbestandteilen Flüssigkeit
Energiemenge
Glukose
Protein
Fett
[ml/kg KG/Tag]
[kcal/kg KG/Tag]
[g/kg KG/Tag]
[g/kg KG/Tag]
[g/kg KG/Tag]
1. Lebenstag
50–70
30–40
5–7
2. Lebenstag
70–90
50–60
7–9
0,5
0,5
3. Lebenstag
90–110
60–80
10–12
1
1
4. Lebenstag
110–130
80–100
10–15
1,5
1,5
5. Lebenstag
130–150
120–140
10–18
2–3
2
6. Lebenstag
130–170
120–140
10–18
2–3
2
0–4 Monate
130–170
110–120
10–15
2–2,5
2,5–3
4–12 Monate
100–120
90–100
10–15
1,5–2
2–3
1–4 Jahre
80–100
90–110
8–12
1–1,3
2–2,5
4–7 Jahre
70–90
80–100
8–12
1–1,3
1,5–2
7–10 Jahre
60–80
70–90
8–10
1
1,5–2
10–14 Jahre
40–60
50–60
8–10
1
1–1,5
14–19 Jahre
35–45
40–50
8–10
1
1–1,5
Der Flüssigkeitsbedarf vermindert sich unter Beatmung aufgrund der angefeuchteten Atemluft um 10 ml/kg. Bei Fieber erhöht sich der Bedarf um 10–15 ml/kg pro 1°C.
88.6
Ernährung
Der Bedarf von schwer kranken Kindern an Nährstoffen auf der Intensivstation ist stark altersabhängig (. Tab. 88.6). Weiterhin wird er beeinflusst vom Phasenverlauf des Postaggressionsstoffwechsels und der Grunderkrankung. In der Akutphase des Postaggressionsstoffwechsels sollten mindestens 3–5 g Glukose/kg KG/Tag zugeführt werden. Entsteht dabei eine Hyperglykämie, kann diese mit Insulin gesenkt werden. Um Hypoglykämien zu vermeiden, muss der Blutzucker engmaschig kontrolliert werden, zumal die reduzierten Glykogenreserven von Kindern leicht Senkungen des Blutzuckerspiegels zulassen. Grundsätzlich ist die enterale Ernährung der parenteralen vorzuziehen. Nebenwirkungen der parenteralen Ernährung wie Cholestase, Zottenatrophie oder die Abhängigkeit von zentralvenösen Kathetern lassen sie nur nach strenger Indikationsstellung zu. Besonders die Obstipation bei einer Therapie mit Opioiden oder ein Pylorospasmus unter Stress erschweren eine enterale Therapie. Die Obstipation lässt sich mit der Gabe von Naloxon per os wie in 7 Abschn. 20.4.1 beschrieben mildern. Dem mangelhaften Nahrungstransport über den Pylorus kann man mit der Anlage einer Duodenalsonde entgegenwirken. Beide Methoden müssen früh in die Therapie integriert werden, um eine persistierende Darmatonie und eine Zottenatrophie zu vermeiden. Anderenfalls wird der enterale Kostaufbau erschwert und zeitintensiv. Auch kleinste Mengen Nahrung, die für eine komplette enterale Ernährung nicht ausreichen, können zumindest die Zottenatrophie verhindern. Für die Ernährung steht eine ausreichende Anzahl von Fertigprodukten zur Verfügung. > In der Postaggressionsphase besteht bei Kindern ein erhöhter Proteinkatabolismus im Vergleich zu Erwachsenen. In der Regenerationsphase werden hingegen mehr Kalorien und mehr Proteine benötigt.
Die Indikation zu einer parenteralen Ernährung unterscheidet sich nicht von der bei Erwachsenen (7 Abschn. 20.3). Da die Nierenfunktion besonders bei Säuglingen und Kleinkindern noch nicht voll ausgereift ist, muss auf ein stringentes Monitoring der Elektrolyte geachtet werden, um, z. B. eine Hyperkaliämie durch eine parenterale Zufuhr zu vermeiden. Es empfiehlt sich, bei Patienten mit einer Langzeit-parenteralen Ernährung in wöchentlichen Abständen Spurenelemente, Aminosäuren und Blutfette laborchemisch zu bestimmen, um eventuelle Fehlernährungen zu vermeiden. Für die Berechnung der parenteralen Ernährung stehen entsprechende computergestützte Programme zur Verfügung. Die Verwendung von parenteralen Fertiggemischen bei Kindern ist stark abhängig von deren Organfunktion. Aus Gründen der Patientensicherheit sind sie bei schwerst kranken Kindern im Multiorganversagen oft nicht anwendbar. Für Säuglinge sind keine Fertiggemische verfügbar. Die Ernährung muss an begleitende Fehlfunktionen von Organen, wie ein akutes Leberversagen, angepasst werden. Der Nahrungsaufbau erfolgt nach einem Stufenschema (. Tab. 88.7).
88.7
Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom und Sepsis
Das nichtinfektiöse systemische inflammatorische Response-Syndrom (NISIRS) und die Sepsis stellen ein häufiges und schwerwiegendes Problem auf Intensivstationen dar. Das NISIRS ist eine entzündliche Reaktion auf ein in den Körper eingreifendes Ereignis, wie z. B. Trauma, Verbrennung, Hypoxie oder ein operativer Eingriff.
88
1172
88 88 88 88 88 88
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
. Tab. 88.7 Steigerung einer parenteralen Ernährung Infusionstag
Glucose
Aminosäuren
Fette
Energiemenge
[g/kg KG/Tag]
[g/kg KG/Tag]
[g/kg KG/Tag]
[kcal]
1
5
1
1
35
2
6
1,5
1,5
46
3
7
2
2
58
4
8
2
2,5
67
5
10
2
3
81
6
12
2
3
89
>6
15
2
3
108
88
Steigerung der Energieträger einer parenteralen Ernährung nach deren Beginn.
88
Definition der Sepsis und Organdysfunktion bei Kindern
88
Infektion/ Trauma
SIRS
Sepsis
Schwere Sepsis
88 88 88 88 88 88 88
Eine systemische Reaktion auf eine nicht spezifische Schädigung, die mindestens 2 der folgenden Symptome verursacht: Kerntemperatur < 36°C oder > 38,5°C Herzfrequenz <10. oder >90. Perzentile Atemfrequenz > 90th Perzentile, schwere Apnoe Leukozyten <5000/mm 3 oder >20 000/mm3 oder >10 % unreife neutrophile Granulozyten oder >25 % I/T-Ratio in 1. Lebenswoche
SIRS mit vermuteter oder nachgewiesener Infektion
Sepsis mit ≥1 Organdysfunktion Schock Kardiovaskulär (volumenrefraktäre Hypotension > 40 ml/kg KG/h) IRDS, ARDS (paO2 /FiO2≤ 200) Renal (<0,5 ml/kg KG/h) Respiratorisch (paO2 /FiO2≤ 300 mm Hg) Hepatisch (INR > 2) Hämatologisch (Thrombozytenabfall 50%) ZNS Metabolische Azidose (BE >–5) ohne erkennbare Ursache
. Abb. 88.3 Definition von SIRS und Sepsis nach den Kriterien 2005 und 2008 der Surviving Sepsis Campaign. Sind mindestens 2 der aufgeführten Symptome bei einem Patienten nachzuweisen, erfüllt er die Kriterien für ein SIRS. Ist eine Infektion nachgewiesen oder angenommen, spricht man von Sepsis, mit Organversagen von einem schweren SIRS oder Sepsis und bei persistierender Depression des Systemkreislaufs von Schock
88 88 88
Definition Die Sepsis ist definiert als ein systemisches inflammatorisches Response Syndrom (SIRS) mit bewiesener oder angenommener Infektion (. Abb. 88.3).
88 88 88 88 88 88
Sowohl das NISIRS als auch die Sepsis können zu Organversagen und einer erhöhten Mortalität führen. Dies wiederum erhöht Arbeits- und Diagnostikaufwand. Während die Sepsis durch die Bemühungen der letzten Jahre gut untersucht ist, gibt es nur wenige Untersuchungen zum NISIRS. Es konnte in einer großen australischen Studie nachgewiesen werden, dass die Prävalenz von NISIRS und Sepsis auf Intensivstationen bei Erwachsenen gleich häufig ist und auch bei der Mortalität keine signifikanten Unterschiede bestehen. Bei Kindern liegen die Prävalenzen für SIRS in der Gesamtklinik bei 7% und für eine Sepsis bei 1%. Auf Kinderintensivstationen beträgt die Prävalenz des SIRS bis zu 68% der Patienten, wobei sich in Untersuchungen zeigte, dass 2/3 der SIRS-Fälle infektiös und der Rest nichtinfektiös bedingt
sind. Dies hängt allerdings stark von dem Patientengut der Intensivstation ab. Ist der Anteil von Trauma- und postoperativen Patienten hoch, liegen im Verhältnis mehr nichtinfektiöse SIRS vor. > Das Auftreten systemischer Infektionen auf Kinderintensivstationen lässt sich durch die Einführung von Sepsismelderegistern und Trainingsprogrammen zur Händedesinfektion und z. B. der sterilen Anlage von zentralen Venenkathetern signifikant reduzieren.
Die Sepsis stellt eine der häufigsten Todesursachen auf Kinderintensivstationen dar. Die Letalität liegt je nach Grunderkrankung bei ca. 10%. Zentren mit speziell ausgebildeten Behandlungsteams und etablierten Standardtherapien konnten die Mortalität auf 2% senken. Die Behandlung muss früh einsetzen, da es bei einer zeitlichen Verzögerung der Standardbehandlung pro Stunde zu einer 1,4-fachen Erhöhung der Mortalität kommt. Die Pathophysiologie unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Erwachsenen (7 Kap. 63). Wie bereits oben ausgeführt, ist die rasche Behandlung des Patienten essenziell, da es bei Kindern
1173 88.8 · Analgesie und Sedierung
schnell zu einer kardiorespiratorischen Dekompensation kommen kann und die Prognose bei frühem Beginn der Therapie exzellent ist. Die Intubationspflicht bei der schweren Sepsis ist hoch, und auch eine myokardiale Minderfunktion tritt bereits sehr früh im Krankheitsprozess auf. Insbesondere bei der Sepsis ist auf eine Hypoglykämie zu achten.
88.7.1
Therapie
Kinder entwickeln bei SIRS und Sepsis einen außerordentlich hohen Flüssigkeitsbedarf, der in Einzelfallbeschreibungen bis zu mehr als 400 ml/kg KG in den ersten 24 h betragen kann. Als Standard wird die Gabe von bis zu 60 ml Volumen/kg KG in den ersten 15 min nach Aufnahme gefordert (. Abb. 88.4). Dies ist schon allein aufgrund der begrenzten und schwierig anzulegenden intravenösen Zugänge eine große Herausforderung. Da parallel meist auch eine Sicherung der Atemwege erfolgen muss, ist der initiale Personalaufwand groß. Anhand des Therapieschemas (. Abb. 88.4) wird deutlich, dass die Therapie am Beginn der Erkrankung äußerst aggressiv und konsequent durchgeführt werden muss. Die großen Volumenmengen werden von Kindern meist besser vertragen als von erwachsenen Patienten, da keine Vorerkrankungen wie COPD oder eine koronare Herzerkrankung vorliegen. Auf die Medikamente und die Art des Volumens wurde in 7 Abschn. 88.5 eingegangen. Reine Vasopressoren werden nur bei Versagen der vorhergehenden Therapieversuche erwogen. Frühzeitig während der Initialtherapie muss Kontakt mit einem Zentrum für Organersatzverfahren aufgenommen werden, da es im septischen Schock häufig zum Organversagen kommt und die Prognose bei dem Einsatz einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) in der Sepsis bei Kindern gut ist. Die Vorbereitung der ECMO und die Anfahrtszeit aus den wenigen ECMO-Zentren muss in die Strategie der Therapie einbezogen werden. Kann die Behandlung nach dem in . Abb. 88.4 dargestellten Schema erfolgen, sind sowohl Morbidität als auch Mortalität ausgesprochen gering.
0 min Erkennen des kritisch kranken Kindes Körperliche Untersuchung mit mentalem + Perfusionsstatus Anlage eines venösen Zugangs Atemwegssicherung Diagnostik Entscheidung CPR ja/nein 5 min Applikation 20–60 ml/kg KG isotone kristalloide oder kolloidale Lösung Korrektur Hypoglykämie und Hypokalziämie Echokardiographie
15 min
Flüssigkeitsresistenter Schock Anlage eines zentralen Venenkatheters + Arterie Weiter Volumengabe Start Katecholamintherapie nach Echokardiographie und Klinik
60 min
Katecholaminresistenter Schock Hydrokortison erwägen Titrieren der Katecholamine Bei zentralvenöser O2 -Sättigung <70% Phosphodiesterasehemmer Weitere Volumengabe erwägen: 8 ..*')1'-,7+*)%'0-1-,#)/'01**-'"#-"#/ kolloidale Lösung Korrektur Hypoglykämie und Hypokalziämie Echokardiographie
Persistierender Schock Reine Vasopressoren erwägen
88.8
ECMO erwägen
Analgesie und Sedierung
Kinder auf Intensivstationen bedürfen einer intensiven Schmerztherapie, auch um Traumatisierungen für künftig durchzuführende medizinische Prozeduren zu vermeiden. Die Therapie muss bedarfsgerecht und altersentsprechend gesteuert werden. Benötigen Säuglinge aufgrund ihrer verminderten hepatischen Clearence noch relativ geringe Dosen an Schmerzmedikamenten, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen, so benötigen v. a. Kleinkinder wegen ihrer relativ großen Leberzellmasse hohe Dosierungen bezogen auf ihr Körpergewicht. > Unerwünschte Nebenwirkungen wie eine Atem- oder Kreislaufdepression treten oft unkalkulierbar auf. Auf ein adäquates Monitoring der Vitalparameter zur Wahrung der Patientensicherheit ist daher streng zu achten.
Die mangelnde Kommunikationsfähigkeit besonders von jungen Patienten erschwert auch hier die Therapie und führt neben Unterdosierungen nicht selten zu übermäßig häufigen Applikationen von Schmerzmitteln mit der Folge schwerer Entzugssyndrome und einer Verlängerung der Liegedauer auf der Intensivstation.
. Abb. 88.4 Schematische Darstellung des Therapieablaufs bei schwerer Sepsis oder SIRS
4 4 4 4
Als die 4 Säulen der Schmerztherapie gelten nichtpharmakologische Strategien, Nichtopiodanalgetika, Regionalverfahren und Opioidanalgetika.
88.8.1
Nichtpharmakologische Strategien
Die fehlende gewohnte Umgebung, die reduzierte Anwesenheit von bekannten Kontaktpersonen, die störenden und bedrohlichen akustischen und optischen Reize der Intensivstation und die medizinischen Prozeduren verschlimmern die bestehenden Schmerzen und führen zu angstvoller Unruhe.
88
1174
88 88
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
. Tab. 88.8 Nichtopiodanalgetika mit Angaben zur Dosis, Wirkeintritt und Kommentaren Pharmakon
Dosis
Wirkeintritt [min]
Kommentar
Paracetamol
p.o./rect.: 15 mg/kg KG i.v.: 7,5 mg/kg KG <10 kg i.v.: 15 mg/kg KG >10 kg
30 (p.o./rect.) 5–10 (i.v.)
Als Analgetikum erst ab 1 Monat
Metamizol
p.o.: 10 mg/kg KG/4–6 h Kurzinfusion: 10 mg/kg KG/4–6 h (über 30 min)
15–30
Ab 3 Monaten, bis 1 Jahr nur p.o.
Ibuprofen
p.o./rect.: 10 mg/kg KG/4–6 h
30
Als Analgetikum erst ab 1 Monat
S-Ketamin
Bolus: 0,5–2 mg/kg KG Dauerinfusion: (0,03–) 0,1–2 mg/kg KG/h
1
Akute schmerzhafte Interventionen
88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88 88
Nichtpharmakologische Therapien haben besonders bei Kindern einen starken Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung. Allein eine Lockerung von Besuchszeiten und die häufige Anwesenheit der Eltern können den Schmerzmittelbedarf signifikant senken. Pflegekonzepte mit »minimal handling«, zeitliche Zusammenlegung von pflegerischen Maßnahmen mit Gewährung ausreichender Ruhephasen des Patienten, basale Stimulation und die frühzeitige Rhythmisierung eines normalen Schlaf-Wach-Zyklusses wirken präventiv. Die Möglichkeit der Separierung von Patienten in Einzelzimmer sollte bereits bei der baulichen Planung einer pädiatrischen Intensivstation berücksichtigt werden. Langliegenden Patienten wie auch Kindern, die die besonders kritische Phase der Intensivzeit gerade überstanden haben, sollten damit Rückzugsmöglichkeiten aus dem hektischen Betrieb größerer Intensivzimmer gewährt werden. Physikalische Techniken wie Akupressur und psychologische Verfahren mit Herstellung einer gewohnten Umgebung, z. B. das Mitbringen von Kuscheltieren oder Hören von Kinderliedern, senken ebenfalls den Bedarf an Schmerzmitteln. Bei Säuglingen werden das nichtnutritive Säugen, die Gabe von Saccharose und beispielsweise das Einwickeln in Embryonalstellung eingesetzt.
88.8.2
Nichtopiodanalgetika
Nichtopiodanalgetika können bei leichteren Schmerzen allein oder bei stärkerer Schmerzintensität in Kombination mit Opioiden eingesetzt werden. Für Früh- und Neugeborene ist die Datenlage bezüglich der Wirkungen derzeit nicht ausreichend. In den ersten 48 h nach einem schmerzhaften Ereignis können die Nichtopiodanalgetika in regelmäßigen Abständen verabreicht werden, um Opioide zu sparen und deren Nebenwirkungen zu reduzieren. Anschließend sollten nach Bedarf Einzelgaben erfolgen. > Insbesondere bei der Gabe von Paracetamol muss an die Induktion eines Leberversagens bei zu häufiger Anwendung gedacht werden. Besteht bereits eine Leberinsuffizienz, ist die Verabreichung von Paracetamol unzulässig. Tageshöchstdosen sind zu beachten.
Gebräuchliche Alternativen sind Ibuprofen und Metamizol (. Tab. 88.8). Auch bei ihnen sind die schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Niereninsuffizienz oder die Entstehung einer Agranulozytose zu beachten. Paracetamol und Metamizol können auch parenteral verabreicht werden. Alternierende Gaben verschiedener Nichtopioidanalgetika in Kombination sind möglich.
S-Ketamin stellt eine gute Alternative zu Opioiden dar. Vor allem die fehlende Kreislaufdepression aufgrund einer zentralen Aktivierung des Sympathikus rechtfertigt seinen Einsatz bei Patienten mit Kreislaufschock oder in der Kardiochirurgie. Bei Dauergaben kann eine durch Ketamin ausgelöste Hypersalivation die Therapie erschweren.
88.8.3
Regionalverfahren
Rückenmarknahe, regional periphere und lokale Verfahren zur Schmerztherapie können bei entsprechender Erfahrung und Kenntnis von altersentsprechenden Besonderheiten auch bei Kindern angewandt werden. Sie dienen als Ergänzung zur herkömmlichen Schmerztherapie und können ebenfalls den Bedarf an systemisch verabreichten Opioiden reduzieren. Die benötigten Punktionen werden, wenn möglich, in eine perioperative Allgemeinanästhesie integriert. Regionalverfahren sind allerdings in vielen Zentren, die sich der Betreuung schwer kranker Kinder widmen, noch kein fest implementiertes Standardverfahren.
88.8.4
Opioide
Fentanyl und Morphin sind die am häufigsten verwendeten Opioide in der Pädiatrie (. Tab. 88.9). Bei wachen Patienten und in der patientenkontrollierten Analgesie (PCA) wird Piritramid eingesetzt. Besonders bei Neugeborenen ist die Elimination verzögert. Morphin hat die geringste Fettlöslichkeit der Opioide. Bei Niereninsuffizienz kumulieren wirksame Metabolite. Morphin kann Histamin freisetzen und durch die Hemmung sympathoadrenerger Mechanismen einen Blutdruckabfall auslösen. Dieser Effekt ist besonders bei Patienten mit instabilen Kreislaufverhältnissen zu berücksichtigen. Die Wirkung tritt nach ungefähr 20 min ein und hält ca. 2 h an. Fentanyl ist ausgesprochen lipophil und 100-fach stärker analgetisch wirksam als Morphin. Arterielle Blutdruckabfälle werden bei der Anwendung seltener beobachtet. Die Wirkung tritt innerhalb von 2 min. ein. Bei Daueranwendung kann die Entwöhnung aufgrund der starken Lipophilie schlecht kalkulierbar sein. Eine Toleranz kann sich rasch entwickeln. Fentanyl kann auch in Form von Pflastern oder Lollis appliziert werden. Sie dienen v. a. der Behandlung von chronischen Schmerzen oder zur Entwöhnung von einer lang anhaltenden Schmerztherapie.
1175 88.8 · Analgesie und Sedierung
. Tab. 88.9 Opioide mit Angaben zur Dosis und Wirkeintritt Pharmakon
Dosis
Wirkeintritt [min]
Morphin
Bolus: 0,1–0,2 mg/kg KG/4–6 h Dauerinfusion: 10–40 μg/kg KG/h
20
Fentanyl
Bolus: 1–3 μg/kg KG Dauerinfusion: 1–10 μg/kg KG/h
1–2
Bolus: 50–100 μg/kg KG Dauerinfusion: 20–60 μg/kg KG/h
1–2
Piritramid
Remifentanil besitzt die gleiche Wirksamkeit wie Fentanyl. Die Datenlage in der Pädiatrie ist bisher nicht ausreichend. Wegen des kleinen Verteilungsvolumens und der kurzen Halbwertszeit eignet es sich gut für zeitlich klar begrenzte Therapien, da die Wirkung bereits nach einigen Minuten deutlich abnimmt. Piritramid wird v. a. bei nicht intubierten Patienten und in der PCA angewandt. Atemdepression und sedierende Effekte sind nicht so stark ausgeprägt wie bei Fentanyl.
88.8.5
Sedierung
Die stark angstbesetzte Umgebung einer Intensivstation und die oft noch fehlende Einsichtsfähigkeit in die Sinnhaftigkeit medizinischer Prozeduren erfordert bei intensivpflichtigen Kindern häufig eine Sedierung. Sie sollte leitliniengetreu durchgeführt werden. Eine an dem Patienten orientierte optimale Sedierung erfordert ein ausreichendes Maß an Personal. Bei Überlastung der Pflegekräfte und der Ärzte kann es zu einer Vertiefung der Sedierung kommen, da eine zeitintensive individuelle Betreuung dann nicht mehr gewährleistet ist. Die Sedierungstiefe ist abhängig von der Compliance des pädiatrischen Patienten und vom Gefährdungspotenzial der ihm zugeführten Therapie, wie z. B. einer extrakorporalen Membranoxygenierung, einer Beatmung mit massiven Beatmungsdrücken oder einer instabilen Kreislaufsituation nach schwierigen Herzoperationen. Die Sedierung sollte ausreichend sein, um eine Selbstgefährdung des Patienten zu minimieren. Sie sollte aber möglichst so niedrig dosiert sein, dass ein Entzugssyndrom vermieden wird. Die gebräuchlichsten Medikamente zur Sedierung von Kindern sind Benzodiazepine und Chloralhydrat (. Tab. 88.10).
Benzodiazepine Das am häufigsten verwendete Benzodiazepin auf Kinderintensivstationen ist Midazolam. Wie bei allen Medikamenten dieser Stoffgruppe kann es bei der Anwendung zur Entwicklung einer Toleranz, Abhängigkeit und zu Entzugssyndromen kommen. Bei Bolusinjektionen muss mit einem Blutdruckabfall gerechnet werden. Da dies meist Folge einer bis dahin nicht erkannten Hypovolämie ist, gilt die Gabe von Volumen als Therapeutikum der 1. Wahl. Midazolam eignet sich gut zu einer intravenösen Dauersedierung. Lorazepam ist geeignet für die Therapie von Angstzuständen und kann zu einer Rhythmisierung des Schlafverhaltens beitragen. Diazepam wird aufgrund seiner langen Halbwertszeit zunehmend weniger eingesetzt. In Tropfenform ist es aber gut über die Mundschleimhaut zu applizieren.
. Tab. 88.10 Medikamente zur Sedierung mit Angaben zur Dosis und Kommentaren Pharmakon
Dosis
Altersbeschränkung
Midazolam
Bolus: 0,1–0,2 mg/kg KG Dauerinfusion: 0,1–0,6 mg/ kg KG/h
Lorazepam
p.o.: 0,05 mg/kg KG/Dosis 2–3×/Tag
Nicht unter 6 Jahren
Diazepam
p.o.: 0,1 mg/kg KG/Dosis
Nicht unter 6 Monaten
Clonidin
Dauerinfusion: 0,1–2 μg/ kg KG/h
Phenobarbital
p.o./i.v.: 3–5 mg/kg KG/Dosis 2×/Tag
Chloralhydrat
p.o./rect.: 25–50 mg/ kg KG/4–6 h maximal 200 mg/kg KG/Tag
Promethazin
p.o./rect./i.v.: 1–2 mg/ kg KG/6 h maximale Dosis: 50 mg
Nicht unter 2 Jahren (SIDS)
Chloralhydrat Chloralhydrat eignet sich v. a. im Kleinkindesalter zur Sedierung. Es kann per os, aber auch rektal verabreicht werden. In Kombination mit Midazolam kann es zur Einsparung bei der Dosis des Benzodiazepins führen. Bei einer bestehenden Leberinsuffizienz sollte die Indikation für Chloralhydrat streng überdacht werden.
Sonstige Medikamente Weiter stehen Barbiturate, Clonidin, Hydroxybuttersäure und Promethazin für die Sedierung von Kindern zur Verfügung. Die Datenlage zur Wirksamkeit und Anwendung ist allerdings nicht ausreichend. Propofol als kontinuierliche Dauerinfusion zur Langzeitsedierung ist im Kindesalter wegen des Propofolinfusionssyndroms nicht zugelassen.
88.8.6
Relaxierung
Eine dauerhafte Relaxierung von pädiatrischen Patienten wird nur noch in Ausnahmefällen auf einer Kinderintensivstation durchgeführt (. Tab. 88.11). Meist beschränkt sich dies auf die Narkoseeinleitung. In seltenen Fällen wird die Relaxierung bei Patienten mit kritischen Beatmungs- und Kreislaufproblemen, wie nach Trachealchirurgie oder pulmonaler Hypertonie, angewendet.
88.8.7
Behandlung häufiger Nebenwirkungen
Naloxon kann bei Kindern unter 5 Jahren mit einer Opioidintoxi-
kation in einer Dosis von 100 μg/kg KG zur Antagonisierung des Opioideffektes verabreicht werden. Bei Kindern, die älter als 5 Jahre sind, werden mindestens 2 mg titriert verabreicht. Die Gabe kann alle 3 min wiederholt werden. Bei kontinuierlicher Zufuhr wird eine Dosis von 10–160 mg/ kg KG/h infundiert.
88
1176
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
88
. Tab. 88.11 Medikamente zur Relaxierung mit Angaben zur Dosis und Kommentaren
88
Pharmakon
Dosis
Kommentar
88
Atracurium
Bolus: 0,5 mg/kg KG Dauerinfusion: 0,3–1,7 mg/ kg KG/h
Relativ sicher bei hepatischer oder renaler Insuffizienz
Rocuronium
Bolus: 0,5 mg/kg KG
Schneller Wirkungseintritt (60–90 s)
Succinylcholin
Bolus 1–2 mg/kg KG
Schneller Wirkungseintritt (45 s)
Vecuronium
Bolus: 0,1 mg/kg KG Dauerinfusion: 0,1–0,5mg/ kg KG/h
Kaum Histaminfreisetzung, kaum kardiovaskuläre Effekte
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Die Menge des zugeführten Naloxons richtet sich nach dem klinischen Effekt der Antagonisierung. Die Halbwertszeit von Naloxon ist auch bei Kindern kürzer als die der Opiate. Daher müssen die Kinder während der Therapie gut überwacht werden, um ein erneutes Einsetzen der Sedierung/ Atemdepression durch noch wirksame Opioide zu erkennen. Die Dosis zur Aufhebung der postoperativen Atemdepression beginnt bei 0,005–0,01 mg/kg. Flumazenil als Antagonist der dämpfenden zentralen Wirkung von Benzodiazepinen wird bei Kindern über einem Jahr mit 0,01 mg/kg KG bis zu insgesamt 0,2 mg verabreicht. Bleibt der Effekt nach 45 s aus, kann die Gabe repetetiv bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 0,05 mg/kg KG wiederholt werden. Zur Therapie einer Obstipation unter Opioidgaben kann Naloxon oral gegeben werden. Patienten <15 kg KG erhalten 4×0,1 mg/ Tag, Patienten >15 kg KG 4× 0,2–0,3 mg/Tag. ! Cave Bei allen oben genannten Maßnahmen muss mit Entzugssyndromen gerechnet werden.
88.8.8
Monitoring der Sedierung
Das Überwachung von Analgesie, Sedierung, Relaxierung und des Entzugsdelirs ist essenziell für die Therapiesteuerung. Es erfordert trainierte Teams, um das optimale Maß der Therapie zu finden und andererseits die Folgen des Medikamentenentzugs möglichst gering zu halten. Standardisierte Ausbildungen, z. B. zur »Pain Nurse« sind zu empfehlen. Zur Einschätzung des Medikamentenbedarfs dienen apparative Messverfahren, Messskalen, subjektive Kriterien und physiologische Parameter.
Als apparative Messverfahren dienen das EEG mit Beurteilung von Burst-suppression-Mustern oder die Relaxometrie. Messskalen müssen altersspezifische Entwicklungsstufen berücksichtigen, da besonders Kleinkinder in ihrer Fähigkeit zur Kommunikation eingeschränkt oder mit numerischen Skalierungen zur Selbsteinschätzung ihres Schmerzes überfordert sind. Des Weiteren reduziert der sedierende Effekt der Medikation den Schmerzausdruck der Kinder, was die Fremdeinschätzung des Schmerzes erheblich erschweren kann. An Messskalen zur Eigeneinschätzung stehen, z. B. die Faces Pain Scale (. Abb. 88.5) und die Numerische Rating-Skala zur Verfügung. Zur Fremdeinschätzung dienen die Kindliche Unbehagensund Schmerzskala (KUSS) und die Comfort-B-Scale. Letztere kann zur Beurteilung der Sedierungstiefe wie auch zur Einschätzung von Schmerzen genutzt werden. Skalen für das kindliche Delir sind nicht ausreichend validiert. Es werden Modifikationen des Finnegan-Score, des Green’s Neonatal Narcotic Withdrawal Index oder die Delirium Rating Scale empfohlen.
88.9
Therapie des Schädel-Hirn-Traumas
Traumata sind die häufigste Todesursache im Kindes- und Jugendalter. Führend für den Verlauf und das Outcome der Patienten ist dabei eindeutig das Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Die akute Versorgung eines Kindes nach Trauma erfordert ein streng interdisziplinäres Arbeiten. Neben den operativen Fächern Unfall-, Neuro-, Kiefer-, Kinderchirurgie, HNO, Augenheilkunde und evtl. plastischer Chirurgie bedarf das verunfallte Kind der Betreuung durch pädiatrisch erfahrene Anästhesiologen, Radiologen, Neuropädiater, Kinderphysiotherapeuten, einer in der Behandlung von Traumapatienten versierten Kinderintensivstation und von Psychologen. Dies stellt an Zentren, die Kinder nach einem Trauma versorgen, höchste logistische Anforderungen. Besonderheiten, z. B. die erhöhte Neigung zu Hirnschwellungen nach Trauma bei Säuglingen und Kleinkindern, lassen nicht immer einen direkten Vergleich mit der Therapie von erwachsenen Patienten zu. Spezielle Erfahrung im Umgang mit diesen Kindern ist daher dringend notwendig. Entscheidend ist auch eine enge interdisziplinäre Verzahnung von der prä- zur innerklinischen Behandlung und der anschließenden Maßnahmen zur Rehabilitation. Standardisierte Algorithmen und Anforderungsprofile sind in diesem Kontext wünschenswert. Große Studien über die Behandlung des SHT im Kindesalter liegen nur in begrenztem Umfang vor.
88.9.1
Definition
Die klinische Schweregradeinteilung richtet sich nach dem niedrigsten Wert der Glasgow Coma Scale (GCS) im Verlauf der Erkrankung (. Tab. 88.12).
. Abb. 88.5 Faces Pain Scale-Revised (FPS-R) zur Selbsteinschätzung der Schmerzintensität. (Aus [17] mit frdl. Genehmigung der International Association for the Study of Pain – IASP)
1177 88.9 · Therapie des Schädel-Hirn-Traumas
. Tab. 88.12 Children’s Coma Scale (Kinder-GCS) Augenöffnen Score
>1 Jahr
<1 Jahr
4 Punkte
Spontan
Spontan
3 Punkte
Auf Anruf
Auf Schreien
2 Punkte
Auf Schmerz
Auf Schmerz
1 Punkt
Keine
Keine
Score
>1 Jahr
<1 Jahr
6 Punkte
Befolgt Aufforderungen
Spontane Bewegungen
5 Punkte
Gezielte Abwehr
Gezielte Abwehr
4 Punkte
Zurückziehen auf Schmerzen
Zurückziehen auf Schmerzen
3 Punkte
Flexion auf Schmerzen
Flexion auf Schmerzen
2 Punkte
Extension auf Schmerzen
Extension auf Schmerzen
1 Punkt
Keine
Keine
>5 Jahre
2–5 Jahre
Beste motorische Antwort
Beste verbale Antwort Score
0–23 Monate
5 Punkte
Orientiert
Verständliche Worte
Plappernde Sprache
4 Punkte
Verwirrt
Unverständliche Worte
Schreien, aber tröstbar
3 Punkte
Unzusammenhängende Worte
Persistierendes, untröstbares Schreien
Persistierendes, untröstbares Schreien
2 Punkte
Unverständlich
Stöhnen oder unverständliche Laute
Stöhnen oder unverständliche Laute
1 Punkt
Keine
Keine
Keine
Auswertung 7 Übersicht.
Auswertung der GCS Die Einteilung der Verletzungsschwere richtet sich nach der schlechtesten innerhalb von 48 h erreichten Punktzahl und wird wie folgt vorgenommen: 4 3–8 Punkte = Schweres Schädel-Hirn-Trauma 4 9–12 Punkte = Mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma 4 13–15 Punkte = Leichtes Schädel-Hirn-Trauma
Die Intensivstation betreut vorwiegend Patienten mit einem schweren SHT oder begleitenden Risikofaktoren wie angeborene Gerinnungsstörungen oder Begleitverletzungen. Auf diese Patienten wird im Folgenden eingegangen. Bewusstlose Patienten mit einem GCS≤9 sollten intubiert und beatmet werden. Sie sollten so bald wie möglich in ein Zentrum der Maximalversorgung verlegt werden. Vor Aufnahme auf die Intensivstation wird ein Traumascan mit kranieller, thorakaler und abdomineller Computertomographie durchgeführt. Bereits hier fällt die Entscheidung über ein sofortiges operatives Vorgehen oder der Anlage einer Hirndrucksonde. Die Behandlungsstrategie wird interdisziplinär für die nächsten Stunden festgelegt.
88.9.2
Intensivmedizinische Therapie
Das Ziel der intensivmedizinischen Therapie ist, neben der Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen, die Vermeidung von sekundären Hirnschäden. Dies bedeutet im Wesentlichen eine permanent zu erhaltende ausreichende Durchblutung des gesamten Gehirns. Sie ist gefährdet durch einen erhöhten intrakraniellen Druck oder eine Minderung des zerebralen Blutflusses aufgrund extrazerebraler Ursachen.
Als Zielgröße dient der zerebrale Perfusionsdruck (CPP). Er wird bestimmt durch den intrazerebralen Druck (ICP) und den mittleren arteriellen Druck (MAD). 4 CPP=MAD–ICP Der zerebrale Perfusionsdruck sollte bei Säuglingen >40 mm Hg und bei Kindern >1 Jahr >50–65 mm Hg sein. Der intrakranielle Druck sollte 20 mm Hg nicht übersteigen, da dann eine Herniation des Stammhirns in den Wirbelkanal droht.
Arterielle Sauerstoffsättigung und paO2 sollen im Normbereich liegen, da das vorgeschädigte Gehirn auch kurze Mangelzustände an Sauerstoff nicht toleriert.
88
1178
Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
88
Eine Hyperventilation als Dauertherapie ist obsolet, da durch sie eine Minderdurchblutung des Gehirns bewirkt wird.
88
Management des intrakraniellen Druckes
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Um den intrakraniellen Druck zuverlässig und kontinuierlich beurteilen zu können, bedarf es einer Hirndrucksonde. Der Patient wird positioniert in einer Hochlagerung des Oberkörpers um 30° und Kopfmittelstellung, um einen ungehinderten venösen Abfluss des Gehirns zu gewährleisten. Die Anlage eines zentralen Venenkatheters sollte aus gleichem Grund nicht in der V. jugularis erfolgen. Um Hirndruckspitzen durch Aufregung zu vermeiden, sollte der Patient in der akuten Phase sediert werden. Eine Normothermie ist anzustreben. Eine Hypothermie kann aufgrund der derzeitigen Datenlage nur bei Zuständen nach Reanimation empfohlen werden. Eine Hyperthermie ist zu vermeiden. Dies kann oft nur durch die Anwendung effektiver Kühlmatten erreicht werden. Treten zu hohe Hirndrücke auf, können folgende Therapien eingesetzt werden: > Zuerst muss der Wachheitsgrad des Patienten überprüft werden. Eine tiefere Sedierung senkt bei wachen Patienten häufig effektiv und leicht den Hirndruck.
4 Osmotische Therapie 5 Mannitol 20% (0,5–1 g/kg KG/KG über 30 min). 5 NaCl 5% (0,5 ml/kg KG/KG als Bolus). Die Serumosmolarität sollte dabei 320 mosmol nicht überschreiten. 4 Hyperventilation nur bei Hirndruckkrisen, die sonst akut nicht anderweitig beherrschbar sind. Sie darf nur für kurze Zeit angewandt werden. 4 Barbituratnarkose mit Thiopental 3–6 mg/kg KG/h. Sie sollte bis zu einem Burst-suppression-Muster im EEG führen. Der Serumspiegel muss regelmäßig überwacht werden. 4 Die Gabe von Tris-Puffer kann zu einem raschen Abfall des ICP führen, häufig aber direkt bei der Gabe auch zu einer Reduktion des mittleren arteriellen Drucks. Diese ist aber meist schnell reversibel. 4 Drainage von Liquor, um intrazerebralen Raum zu schaffen. 4 Eine dekompressive Kraniotomie ist zwar ein invasives Verfahren mit hohem Blutungsrisiko, sollte aber bei schlecht therapierbarem Hirndruck frühzeitig in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden.
Management des zerebralen Blutflusses Oberstes Gebot ist ein optimaler Volumenstatus. Eine Hypovolämie ist unbedingt zu vermeiden. Sollte trotz ausreichender Volumengabe der angestrebte CCP nicht erreicht werden, muss die Therapie durch die Gabe von Katecholaminen erweitert werden. Es sollte unbedingt davor eine Echokardiographie durchgeführt werden, da bei akuten Hirnschädigungen häufig auch myokardiale Funktionseinschränkungen auftreten. Dies muss bei der Wahl des Katecholamins berücksichtigt werden. Kommt es rezidivierend zu Blutdruckabfällen, muss eine persistierende Blutung ausgeschlossen werden. Sonographien der Körperhöhlen sind daher in den ersten 24 h nach Aufnahme des Patienten mehrfach durchzuführen, um z. B. Blutungen der parenchymatösen Bauchorgane zu erkennen. Der Hämoglobinwert sollte nicht zu stark absinken. Gegebenenfalls muss ein Erythrozytenkonzentrat verabreicht werden. Der optimale Hb-Wert ist bei einem SHT nicht ausreichend untersucht. Aufgrund rheologischer Gesichtspunkte scheint ein Hb von 9 g/dl ausreichend zu sein (. Tab. 88.13).
. Tab. 88.13 Altersentsprechende Hämoglobinnormwerte Alter
Normwert [g/dl]
Neugeborene
14,5–22,5
2,5 Monate
9,5–14,0
1 Jahr
10,5–15,5
10 Jahre
11,5–16,0
Sollten im Verlauf große Urinportionen ausgeschieden werden, muss an einen sich entwickelnden Diabetes insipidus gedacht werden. Bei Kindern entsteht in diesem Fall ausgesprochen schnell eine schwere Hypernatriämie und Hypovolämie. Durch engmaschiges Monitoring und die Gabe von Desmopressin muss dem frühzeitig entgegengesteuert werden.
Weitere Überlegungen Durch die traumatische Freisetzung von Hirnsubstanz in das Blut kann es zu einem schweren SIRS mit disseminierter intravasaler Gerinnungsstörung und Multiorganversagen kommen. Dies erfordert in der Akutphase ein intensives Monitoring von Organ- und Gerinnungsparametern. Am Unfallort wird der Patient regelhaft oral intubiert. Auf eine nasale Umintubation sollte in den ersten Tagen des Intensivaufenthaltes verzichtet werden, um dem Risiko auch nur kurzfristiger Hypoxien aus dem Wege zu gehen. Ist die Akutphase abgeschlossen, kann nach nasal umintubiert oder tracheotomiert werden.
88.9.3
Rehabilitation
Die Rehabilitation beginnt auf der Intensivstation. Sie schließt sich als Frührehabilitation direkt an die Akutphase des SHT an. Ist der Patient noch beatmungspflichtig, sollte er zur besseren Mobilisierung trachotomiert werden. Das behandelnde Zentrum hat dafür zu sorgen, dass in der Kinderheilkunde versierte Therapeuten die Maßnahmen zur Rehabilitation intensiv betreiben. Dies stellt Akutkliniken oft vor große Probleme, da ihr Stellenplan nicht auf eine Rehabilitation ausgelegt ist. Noch in der Akutphase sollte daher von der Intensivstation aus ein Kontakt zu einer Einrichtung für Kinderrehabilitation hergestellt werden. Bürokratische Hürden oder ein mangelhaftes Bettenangebot in den Rehabilitationskliniken können bei späterer Kontaktaufnahme die Maßnahme erheblich verzögern. Beatmungsplätze in Rehakliniken sind rar und bedürfen in Bezug auf die Verlegung intensiver Vorplanung. Die Bildung von bedarfsgerechten kooperierenden Versorgungseinheiten mit definierten Anforderungen an die Qualität der Behandlung ist wünschenswert. Die Einbindung der Familien in die Therapie ist unabdingbar. Sie müssen letztlich die Rehabilitation u. U. lebenslang zu Hause fortsetzen. Neben der psychologischen muss frühzeitig auch eine psychosoziale Betreuung initiiert werden. Bei bleibender Behinderung des Kindes kommen auf die Familien hohe Kosten wie ein Umbau der Wohnung, Anschaffung eines behindertengerechten Fahrzeuges oder das Engagement eines ambulanten Pflegedienstes zu. Diese Folgen müssen abgemildert werden.
1179 Literatur
> Es ist originäre Aufgabe der Kinderintensivstation, die Familien in der Akutphase in dieser Hinsicht zu unterstützen.
Sollte das Kind sterben, muss die Intensiveinheit den Angehörigen Betreuungsangebote anbieten, wie z. B. die Anbindung an Psychologen oder Elternvereine.
Literatur 88.10
Gesprächsführung und ethische Überlegungen
Eine lebensbedrohliche Erkrankung, drohende bleibende Behinderungen oder das Sterben von Kindern sind mit einer hohen emotionalen Belastung sowohl der Patienten und deren Familien als auch des betreuenden Personals verbunden. Besonders unvorhersehbare Ereignisse wie Traumata stellen die Angehörigen vor ein bis dahin nicht einkalkuliertes Problem. Der Wunsch nach Unversehrtheit des eigenen Kindes und der elterliche Anspruch auf den Schutz ihrer Kinder vor krisenhaften Situationen lässt Gedanken an schwere Erkrankungen und Sterben im Vorfeld meist nicht zu. Die Angehörigen sind auf die Notfallsituation nicht vorbereitet. An das intensivmedizinische Team müssen für die Gespräche mit den Patienten und Angehörigen in diesem Fall hohe Ansprüche gestellt werden. Ein erfahrener Intensivmediziner, die betreuende Pflegekraft, auszubildende Kollegen und eine psychologisch geschulte Fachkraft, die die Familien auch außerhalb der Station betreuen kann, sollten bei diesen Gesprächen anwesend sein. Den Angehörigen muss die Möglichkeit gegeben werden, Vertraute ihrer Wahl hinzuzuziehen. Von Beginn an sollten mitfühlend alle Varianten der Prognose, inkl. des Sterbens des Kindes, offen erörtert werden. Allzu oft kommt es zum Zusammenbruch der Kommunikation, wenn, für den Behandelnden zwar absehbar, aber für die Eltern nicht frühzeitig transparent gemacht, eine ungünstige Prognose für die Angehörigen offen zutage tritt. Durch die emotional stark belastete Situation sind oft mehrere Gespräche notwendig, um in das Bewusstsein der Eltern vorzudringen. Phasen des Abschiednehmens wie Depression und Aggression, auch bei den Angehörigen, müssen in die Gesprächsführung einbezogen werden. Den Familien ist ein ausreichendes Maß an Nähe zu ihrem Kind auf der Intensivstation zu gewähren, auch wenn dies im hektischen Alltag bisweilen schwerfällt. Bei infauster Prognose ist wie bei Erwachsenen die Einstellung der therapeutischen Maßnahmen zulässig. Dies sollte in einem würdevollen Rahmen, wenn möglich in einem gesonderten, für die Familie reservierten Raum, geschehen. Die rechtliche Seite von Patientenverfügungen insbesondere für junge Kinder ist nicht eindeutig geklärt. Bei schwerst chronisch kranken Kindern wird sie aber zunehmend gängige Praxis. Sie sollte im Kontext mit allen das Kind behandelnden Einrichtungen im Vorfeld abgesprochen werden. Kinder selbst zeigen meist eine erstaunlich reife Einsicht in ihr Krankheitsgeschehen. Vor allem Patienten mit langer Vorgeschichte, wie bei malignen Erkrankungen, müssen bei deletärem Verlauf in die Diskussionen mit einbezogen werden. Falls ihr Wunsch nach Beendigung der Therapie im Kontext einer nicht zu heilenden Grundkrankheit besteht, sollte er in die Therapieplanung integriert werden. Kinderhospize und ambulante pädiatrische Pflegedienste gewähren in zunehmendem Maße am Lebensende auch eine Pflege in häuslicher Umgebung.
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Kapitel 88 · Kinderintensivmedizin
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Stichwortverzeichnis
A AB0-Erythroblastose 1142 AB0-Inkompatibilität 1143 »Abbreviated Burn Severity Index« (ABSI) 919 Abdomen, akutes 958 – Hohlorganperforation 962 – Weichteilinfektion 959 Abdomenaufnahme, am Krankenbett 195 Abdominalchirurgie – Abszess, intraabdomineller 963 – Cholezystitis 960 – Hohlorganperforation 962 – Kompartment, abdominelles 963 – Leber 956 – Magenulkus, perforiertes 962 – Ösophagus 948 – Pankreas 954 – Pankreatitis 961 – Platzbauch 963 – septische 958 – Sigmadivertikulitis 962 – Wundinfektion, postoperative; Erreger 815 Abdominaltrauma – Bauchdeckenrekonstruktion 908 – Blutungskontrolle 901 – Damage-control-Konzept 902 – Diagnostik 894, 895 – Duodenum 906 – Erstversorgung 894 – Ileum 906 – Jejunum 906 – Klassifikation nach »Abdominal Trauma Index« 901 – Kolon 907 – Kompartmentsyndrom, abdominelles 902 – Kontamination 902 – Kostaufbau 908 – Leber 903 – Magen 905 – Niere 905 – Organerhalt 902 – Pankreas 904 – perforierendes 895, 901 – Rektum/Anorektum 907 – Schockraumalgorithmus 901 – stumpfes 895 – Therapie 899, 900 – postoperative 908 – Strategie 853 – Zwerchfell 907 Absence 672 ABSI (»Abbreviated Burn Severity Index«) 919 Abstandquadratgesetz 196 Abstillen 1065 Abstoßungsreaktion 1038 – Herztransplantation 1054 – Lebertransplantation 1051 – Lungentransplantation 1056
– Nieren-Pankreas-Transplantation 1048 – Nierentransplantation 1047 Abszess, intraabdomineller 963 – CT 229 Abszess, intrakranieller 689 Abulie 649 ACE-Inhibitoren 426, 460, 972 Acetylcystein, Paracetamol-Intoxikation 573 Acetylsalicylsäure 311 – Antikoagulation 314 ACLS (»Advanced Cardiac Life Support«) 380 Actilyse (Apoplex/Blutung, intrazerebrale) 660 »acute lung injury« (ALI), Lungenresektion 990 »Acute Physiology And Chronic Health Evaluation« (APACHE) 118 »acute respiratory distress syndrome« (ARDS) 480 – Beatmungseinstellung 528 – CT-Befunde 211 – Definition 207 – Diagnostik 209 – Glukokortikosteroide 747 – Kardiochirurgie 977 – Kriterien 495 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 – Lungenresektion 990 – Lungentransplantation 1055 – radiologische Befunde 209 – Therapie – Thoraxtrauma 883 – Verbrennung 925 ADAM-TS13 824 Addison, Morbus 744 Addison-Krise 650, 747, 748 Adenom, Neurochirurgie 1012 Adenosinmonophosphat (AMP) 297 – zyklisches (cAMP) 297 Adenylatcyclase 296 ADHERE-Register 401 Adipositas, Pharmakokinetik 259 Adrenalin – Anaphylaxie 1083 – Kardiochirurgie 968, 972 – Kind 1167 – Reanimation, kardiopulmonale 383 – Neugeborenes 1121 – Schock, hämorrhagischer 285 – Wirkweise 297 adrenokortikotropes Hormon (ACTH) 746 »Advanced Cardiac Life Support« (ACLS) 380 – Erwachsener 380 – Kind 1169 Affinität (Pharmaka) 252 Aggressivität, Angehörige 22 Aids (7 auch HIV) 836
– Pneumonie 552 »airway closure« 550 Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), Frührehabilitation 131 Aktivität, pulslose elektrische 378 Aktivität, intrinsische 252 Aktivkohle 1106–1108 Akut-Phase-Proteine – C-reaktives Protein (CRP) 791 – Pankreatitis, akute 583 ALAT 239 Albumin 310, 757 – Albumindialyse 576 – Albuminquotient 629 – Anaphylaxie 1081 Aldosteron 746 – Agonisten 426 Algorithmus (7 auch »standard operating procedure«) – evidenzbasierter 107 ALI (»acute lung injury«) 480 Alkalose 752, 754 – chloridresistente/-sensitive 755 – metabolische 753 – respiratorische 753, 759 Alkoholabusus 19 – Abhängigkeit 336 – Alkoholentzugsdelir 678 – Alkoholentzugssyndrom (AES) 336, 337 – Intoxikation 1102 – Dialyse 777 – Mangelernährung 270 – Pankreatits 961 – Pankreatitis, akute 580 – Polyneuropathie 702 – präoperativ 676 – Wernicke-Enzephalopathie 270 Allen-Test 151 Allergie – Anaphylaxie 1080 – Kontrastmittel 1085 – Kristalloide 289 – Prophylaxe 1085 – Zytostatika 1098 Allopurinol 1097 α2-Agonisten 333 ALS (»Advanced Life Support«) s. dort Alteplase 660 alter Patient 261 – Analgosedierung 324 – Rehabilitationsprognose 722 – Schock, hämorrhagischer 279 – Störung, kognitive 676 – Verbrennung 929 Alterseinteilung Kinder und Jugendliche 261 Amanitin 1105 Amaurosis fugax 994 Ambulanz-Jet 52 Aminoglykosid – Nierenversagen, akutes 770 – Sepsis, neonatale 1152
Amiodaron 973 – Reanimation, kardiopulmonale 383 AMP (Adenosinmonophosphat) 297 Amphetaminintoxikation 1108 Ampicillin; Sepsis, neonatale 1152 Amputationstrauma 856 Amrinon, Kind 1168 Amylase – Labordiagnostik 239 – Pankreatitis 581 Amyloidangiopathie, zerebrale 661 Analgesie – Arzneimittelinteraktionen 262 – Früh-/Neugeborenes 1155 – Kind/Säugling 1173 – Palliativmedizin 138 – Pankreatitis, akute 584 – patientenkontrollierte (PCA) 989 – Periduralanalgesie (PDA) 989 – Schwangerschaft 1065 – Thoraxchirurgie 989 – Thoraxtrauma 885 – Verbrennung 918, 924 Analgosedierung – α2-Agonisten 333 – alter Patient 324 – Barbiturate 327 – Benzodiazepinantagonisten 326 – Benzodiazepine 325, 326 – Clonidin 333 – DGAI 323 – Diazepam 326 – Fentanyl 331 – γ-Hydroxybuttersäure (GHB) 328 – Herzinsuffizienz, akute 395 – Hirntod 1026 – Indikationen 325, 334 – Inhalationsanästhetika 330 – Ketamin 329 – Kind 1175 – Leitlinien 323 – Lorazepam 326 – Metabolisierung 324 – Methohexital 327 – Midazolam 326 – Monitoring 324 – Morphin 331 – Muskelrelaxanzien 334 – Neuroleptika 329 – Neuromonitoring 325 – Nichtopioide 332 – Objektivierung 324 – Opioide 330, 331 – Opioidentzugssyndrom 339 – Pharmaka (Anforderungen, Applikationstechniken, Auswahl) 322, 323, 325 – Piritramid 332 – Propofol 327 – Regionalanästhesie 332, 333 – Remifentanil 331 – Schädel-Hirn-Trauma 1009 – Schemata 334
H. Burchardi et al. (Hrsg.), Die Intensivmedizin, DOI 10.1007/978-3-642-16929-8, © Springer Medizin Verlag Berlin Heidelberg 2011,
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Stichwortverzeichnis
Analgosedierung (Forts.) – Schmerzscore 325 – Sedierungsscore 324 – Sufentanil 331 – Therapiekonzepte/-ziele 322 – Verbrennung 924 – Weaning 536 Anämie – autoimmunhämolytische (AHA) 309 – fetale, Rh-Erythroblastose 1143 – Labordiagnostik 241 – neonatale 1141 – Ursachen 241 anaphylaktoide Reaktion 1080 Anaphylaxie 1080, 1082 – β-Blockertherapie 1085 – β-Laktamantibiotika 1080 – idiopathische 1080 – IgE-unabhängige 1082 – Klinik 1082, 1083 – Penicillin 1080 – Prophylaxe 1085 – Risiko 1080 – Therapie 1083, 1084 Anaphylaxis factitia 1080 Anästhesie – anaphylaktoider Narkosezwischenfall 1081 – Arzneimittelinteraktionen 262 – Blutdruck 1167 – Blutung, gastrointestinale 592 – Herzinsuffizienz 1052 – ZNS-Wirkung 1009 Anastomoseninsuffizienz, Thoraxchirurgie 990 Aneurysma – intrazerebrales 626 – linksventrikuläres, Postinfarktphase 429 – zerebrales 661, 1015 Anfall, epileptischer (7 Epilepsie) Angehörige – Aggressivität 22 – Angst 22 – Betreuung/Gesprächsführung 8, 23 – Informationsblatt 23 – Intensivmedizin, pädiatrische 1160 – Intubation 21 – Organspende, Zustimmung 1033 – posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 22 – Reanimation, kardiopulmonale (Kind) 1170 – Transplantationsgesetz 1026 – Trauer 23 angepasstes Gewicht (ABW) 260 Angina pectoris – Diagnostik 413 – Echokardiographie 416 – Einteilung 412 – Labordiagnostik 415 – Monitoring 423 – Postinfarktphase 428 – Risikostratifizierung 416 – Schmerzcharakteristik 414 – stabile, Pathophysiologie 412
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Therapie 416, 421 Angina pectoris, instabile Braunwald-Klassifikation 416 Formen 412 mit ST-Hebung (STEMI) 415 ohne ST-Hebung (NSTEMI) 414, 421 – Therapie 421 Angiodysplasie 597 Angiographie – Blutung, gastrointestinale 593 – Ischämie, mesenteriale 605 Angiom 661 – arteriovenöses 626 Angioödem 1082 Angiopathie, obliterierende 1089 Angst 18 – Angehörige 22 – Angstminderung 129 – Angststörung 678 – Entspannungsverfahren 21 – Entzugssyndrom 678 Anionenlücke 755, 756, 1105 Anisokorie 1011, 1018 Anophelesmücke 832 Anorektum, Abdominaltrauma 907 Anschlussheilbehandlung, neurologische 715 Anthrazykline 1098 Antibiotika – Antibiotic-lock-Technik 808 – Auswahl 782 – Biofilm 812 – Blutkultur 803 – Cycling 784 – Darmdekontamination, selektive 810 – Diarrhö, Clostridium-difficileinduzierte 817 – Dosierung 783 – Harnwegsinfektion 813 – Immunsuppression 1045 – Leitlinien 784 – Meningitis 1013 – Mono- vs. Kombinationstherapie 782 – Multiresistenz 782, 784 – Nephrotoxizität 770 – Nierenersatzverfahren, extrakorporales 775 – Nierenversagen, akutes 772 – Prophylaxe, perioperative 784, 794 – Resistenz 40, 782, 794 – Restriktion 784 – Schädelbasisfraktur 868 – Schwangerschaft 1064 – Sepsis 793 – Substanzauswahl 785 – Tarragona-Strategie 794 – Therapie 782ff – Verbrennung 926 – Weichteilinfektion, abdominelle 959 – Wundinfektionsprophylaxe 816 Antidekubitusbett 127 Antidepressiva, trizyklische; Katecholamine 1085 Anti-D-Immunglobulin 1144
antidiuretisches Hormon (ADH) 298 Antidota 1109 Antiemetika 139 Antifibrinolytika 314 – Schock, hämorrhagischer 284 Antigen-Shift 826 Antihypertensiva 460 – ACE-Inhibitoren 460 – β-Blocker 460 – Clonidin 462 – Diuretika 460 – Kalziumantagonisten 461 – Nitroglyzerin 461 – Phentolamin 461 – Rebound-Phänomen 462 – Uradipil 461 – Vasodilatatoren, direkte 462 Antikoagulation – Absetzen 307 – Acetylsalicylsäure 314 – Antidot 1110 – Beinvenenthrombose, tiefe 319 – Danaparoid (Orgaran) 313 – Desmopressin (Minirin) 313 – Dialyse 776 – Fondaparinux 314 – Heparine 311 – Hirudin 312 – HIT Typ 2 320 – Monitoring 307 – Neurochirurgie 1009 – Nierenersatzverfahren, kontinuierliche 315 – orale 312 – Pneumonie, schwere ambulant erworbene 492 – Protamin 313 – Protein C, aktiviertes 313 – Revaskularisationsoperation 998 – Schwangerschaft 1063 – Thromboseprophylaxe 314 – Thrombozytenaggregationshemmer 311 – Vitamin K 310, 313 Antikörperindex (AI) 631 Antikörper, mono-/polyklonaler 1043 Antilymphozyten-Antikörper 1043 Antimykotika 786 – Prophylaxe 786 – Schwangerschaft 1065 Antiphospholipidantikörpersyndrom, katastrophales (APS) 308, 1090 Antithrombin III (AT III) 304 Anurie; Nierenversagen, akutes 768 Anus praeter 907 – Rückverlagerung 908 Aortenaneurysma 996 Aortendissektion 996 – akute, Therapie 460 – Typ A 458 Aortenimpedanz 166 Aortenruptur 854, 887, 997 APACHE (»Acute Physiology And Chronic Health Evaluation«) 118 apallisches Syndrom 716 Apgar-Score 1117 Apneusis 1005
Apnoe – Frühgeborenes 1131 – Apnoe-Hypopnoe-Index 986 – Apnoetest 652 – Hirntoddiagnostik 1027 Apoplex – Aufnahme auf die Intensivstation 656 – Blutung, intrazerebrale (ICB) 660 – Diagnostik, Differenzialdiagnosen 656, 657 – Formen 656 – Frührehabilitation 714 – hämorrhagischer 1014 – Frühgeborenes 1129 – Hemisphäreninfarkt 659 – Hypertonie 657 – ischämischer 656, 658 – Kardiochirurgie 978 – Karotisstenose 994 – Rehabilitationsprognose 722 – Therapie 656, 657, 660 – Triple-H-Therapie 660 Approbationsordnung; Aus-/Weiterbildung 106 Aprotinin-Tranexamsäure 284 aPTT (Thromboplastinzeit, aktivierte partielle) 243, 303, 306 Äquieffektivität von Pharmaka 252 Äquilibrierungshalbwertszeit 256 Äquipotenz von Pharmaka 252 ARDS (7 »acute respiratory distress syndrome«) »area under the curve« (AUC) 64, 254 Arenaviridae 831 Arginin (Reanimation, kardiopulmonale) 383 Arginin-Vasopressin 298 Armplexusparese 628 Arteriitis temporalis 1088 Arteriographie 623 Arthritis, rheumatoide (RA) 1088 Arthritis, septische 1092 Arzneimittelinteraktionen 261, 262 (7 auch Pharmakaeffekte) Arzneimittelintoxikation 1105 – Antidota 1109 Arzt-Patient-Beziehung, schwierige 25 ASAT 239 ASIA-Klassifikation 694 Asphyxie, perinatale 1121 – Anästhetika 1122 – weiße 1142 – Zielorgane 1122 Aspiration – Atemspende 380 – Bronchoskopie, flexible 374 – radiologische Befunde 217 – Reflux 558, 560 Aspirationsgefahr 347 – Kind 1163 Aspirationspneumonie 560 – Ösophaguschirurgie 953 »assist device« (Kunstherz) 396 – Kind 1169 – Transport 51 Asterixis 649
1183 Analgosedierung – Beatmung
Asthma bronchiale 508–517 – Beatmung 516, 517 – Differenzialdiagnose 508 – Entlassungskriterien 518 – Schwangerschaft 512 – Schweregrade 509 – Tracheotomie 517 AT1-Rezeptorantagonisten 426 Atelektase 346, 987 – Bronchoskopie, flexible 374 – Diagnostik, radiologische 213, 216 – Lungenversagen, akutes 528 Atemantrieb, zentraler 474 Atemarbeit 532 – Atembemühung 525 – Atemmuskulatur, erschöpfte 531, 532 – Sauerstoffverbrauch 536 – Tubus, liegender 534 – Weaning 534 – zusätzliche, Weaningprotokolle 537 Atemdepression, postoperative; Kind 1176 Atemfrequenz, Kind 1164 Atemfunktion – Ateminsuffizienz, schlaffe 703 – Koma 646 – Lagerung zur Verbesserung 124 – Monitoring 171 – Ursachen eines Versagens 476 Atemhub, augmentierter 525 Atemmuster, ataktisches 1005 Atemnot – Palliativmedizin 138 – Atemnotsyndrom bei Frühgeborenen 1124 – Beatmungsbeispiel 1134 – Atemnotsyndrom bei Neugeborenen 1134 – Atemnotsyndrom bei Erwachsenen (7 »acute respiratory distress syndrome«) Atempumpe, Versagen 522 Atemspende 379 Atemstillstand 378 – Hirntoddiagnostik 1027 – Kind 1165, 1169 Atemstörung, Pathophysiologie 544 Atemtherapie 128, 721 – Frührehabilitation 128 Atemweg – Brandgasvergiftung 917 – Freihalten/freimachen 379 – Kind 1169 – Fremdkörperaspiration 379 – Inhalationstrauma 916 – Kind, Verbrennung 929 – oberer – Absaugen 372 – Anatomie 342 – Frühgeborenenapnoe 1132 – Früh-/Neugeborenes 1140 – Kind 1162 – Säugling 1162, 1169 Atemweg, schwieriger – Bronchoskopie, flexible 373 – Cormack-Einteilung 346
– Diagnostik 345 – Handlungsalgorithmus 348 – Intubation, fiberoptische 347 – Mallampati-Klassifikation 345 Atemwegserkrankung, akute obstruktive – Anaphylaxie 1082 – Aufnahme 510 – Beatmungseinstellung 514, 530 – Diagnostik 509 – PEEP 530 – Therapie – leitlinienbasierte 510 – nichtpharmakologische 514 – Sauerstoff 514 Atemwegsstenose (Bronchoskopie, starre/flexible) 372, 374 Atemwegsverletzung (Bronchoskopie, flexible) 374 Atemwegswiderstand 476 Atemzentrum 1003 Atherosklerose 412, 622 AT III 304, 307 Atmung – Formen, pathologische 646 – Koma 646 – paradoxe 533 – Rasseln, terminales 139 – Regulationsstörung, zentrale 1003 – Schock 277 – Thoraxtrauma 882 Atropin; Reanimation, kardiopulmonale 384 AUC (»area under the curve«) 64 Aufklärung (7 Patientenaufklärung) Aufwachraum – Intermediate-Care-Station 95 – Wirtschaftlichkeit 87 Auge – Arteriitis temporalis 1089 – Chemikalienverbrennung 917 – Intoxikation 1104, 1108 – Orbitabodenfraktur/Blow-outFraktur 876, 879 – Retinopathia praematurorum 1128 – Untersuchung, neurologische 647 4-Augen-Prinzip 70 Ausscheidungskapazität, individuelle 258 Aus-/Weiterbildung – Crew Ressource Management (CRM) 107, 114 – Curriculum 108 – DRG-System 106 – Ereignis, kritisches 114 – Evaluation 109 – Falldiskussion 108 – Fehlerkultur 107 – Geräteeinweisung 115 – Intensivmedizin, pädiatrische 1160 – Intensivpflege 29 – Kompetenzziel 108 – Leitlinien 111 – Master of Medical Education (MME-D) 106
– Mitarbeiterrekrutierung 112 – Musterweiterbildungsordnung 108 – Palliativmedizin 136 – posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 25 – Scores 62 – Skills-Trainer 113 – »standard operating procedure« (SOP) 114 – Stufen 113 – Supervision 106 – Visite 108 Autoantikörper, Plasmapherese/ Plasmaseparation 775 Autoimmunerkrankung – Infektionen 833 – Sklerose, systemische/Sklerodermie 1089 Autoklavieren 43 Automatismus, spinaler 652 AV-Block 437 – totaler 415 AV-Knoten-Reentry-Tachykardie 435 AWMF-Leitlinien 12 Azidose 752ff – Dilutionsazidose 759 – hyperchloräme 754 – Ketoazidose 754 – Laktatazidose 754 – metabolische 753, 758 – Hämodialyse 773 – Intoxikation 1104 – Nierenversagen, akutes 770 – renale 754 – respiratorische 753, 759 – Schock, hämorrhagischer 284
B Babinski-Zeichen 623 »baby lung« 482, 528 Bakteriämie, sekundäre 806 Balint-Gruppe 25 Ballondilatation 418 – nach Zgoda 358 Ballongegenpulsation 969 Ballonokklusionskatheter 161 Ballonpumpe, intraaortale (IABP) – Fehllage 201 – Komplikationen 201 – Patiententransport 51 BANFF-Kriterien 1038 Barbiturate 327 – Druck, intrakranieller (ICP) 641 – Intoxikation 1109 Barotrauma 527 – pulmonales 933 Barthel-Index, Frührehabilitation 715 »base excess« (Basenüberschuss) 238, 756, 756 »Basic Life Support« (BLS) – Erwachsener 379 – Kind 1169 Basilararterienverschluss 623 »battle’s sign« 868 Bauchaortenaneurysma 996
A–B
Bauchdecke – Bauchwanddefekt 1148 – Leber-Packing 904 – Rekonstruktion 908 – Verschluss, temporärer 902 Bauchlage 126 Bauchtuch 901, 904 Beatmung 522 – Apnoetest 652 – »assist controll« 523 – assistierte maschinelle 523 – assistierte, Trigger 525 – Atemnotsyndrom bei Frühgeborenen 1125 – Atemspende 380 – Atemwege freimachen/-halten (7 dort) – Atemwegsobstruktion 514 – Beatmungshelm 531, 545 – Beatmungsbeutel, Präoxygenierung 346 – Beatmungspneumonie 493, 496 – Bewusstseinsstörung 1008 – BIPAP 524 – Bronchoskopie, flexible 370–372 – COPD 514 – CPAP; Lungenödem, kardiales 549 – Cuff-Leckage. 373 – Dauer – Analgosedierung 536 – Sedierungsscore 324 – Druck, intrakranieller (ICP) 640 – druckkontrollierte 522 – druckunterstützte 524, 531, 537 – Einstellung 528 – Atemstörung, obstruktive 530 – COPD 530 – Lungenversagen, akutes 482, 528 – Energieverbrauch 1167 – Ernährung 810 – extrakorporale 883 – Extubation 129 – bronchoskopische 373 – Fistel, bronchopleurale 890 – Formen 522 – Frühgeborenes 1134 – Dysplasie, bronchopulmonale/ neonatale chronische Lungenkrankheit 1128 – Frühgeborenenapnoe 1133 – Pneumothorax 1136 – Gasaustauschverfahren, extrakorporales 883 – Geräte 545, 811 – High-flow-CPAP-System 534 – Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV) 529, 1163 – Hyperventilation 640, 1003 – Indikationen 522 – Infektion, nosokomiale 810 – Inhalationstrauma 916 – Intensivpflege, aktivierende 719 – intermittierende maschinelle (IMV) 538 – Intubation, endotracheale (7 auch dort) 342 – invasive; Vor- und Nachteile 544
1184
Stichwortverzeichnis
Beatmung (Forts.) – »inversed ratio ventilation« 523 – Karotisrekonstruktion 995 – Kind 1162, 1163 – Kompartment, abdominelles 963 – Komplikationen, infektiöse 527 – Lagerung 126, 810, 811 – Langzeitbeatmung – Tracheotomie 352, 353 – Leberversagen, akutes 572 – Lunge als Spenderorgan 1033 – lungenprotektive 482, 527, 883 – Kind 1163 – Lungenschaden, vorbestehender 527 – Lungentransplantation 1055 – Lungenversagen, akutes 482, 483 – maschinelle 522, 526 – Mittelgesichtsfraktur 878 – Mund-zu-Mund-/ Mund-zu-NaseBeatmung 379 – Neugeborenes 1133, 1134 – Pneumothorax 1136 – Beutel-Masken-Beatmung 1120 – Neurochirurgie 1011 – nichtinvasive – Abbruchkriterien 517, 548 – AWMF-Leitlinie 987 – Beatmungshelm 531, 545 – COPD-Exazerbation 514, 531 – Differenzialtherapie 548 – »do not intubate« 552 – Durchführung 544, 547 – Formen 986 – Gastrostomie, perkutane endoskopische 552 – Geräte/Verfahren 545, 546 – Hyperkapnie 547, 548 – Immunsuppression 552 – Indikationen 531, 547 – Interface 545 – Kind 1163 – Kontraindikationen 516, 547 – Oxygenierungsstörung, postoperative 987 – perioparativ 550 – Postextubationsphase 551 – respiratorische Insuffizienz 549 – Stellenwert 528, 532 – Weaning 538, 550 – Organschäden (Lunge, Niere, ZNS) 526, 527 – Organspender 1031 – Ösophaguschirurgie 950, 953 – Oxygenierung, hyperbare 960 – Patiententransport 48 – PEEP 530 – Pneumonie – beatmungsassoziierte 527 – Erreger 809 – Formen 808 – Kostendruck 87 – Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie bei HIV 839 – Prävention 810 – Risikofaktoren 810
– schwere ambulant erworbene 492 – ventilatorassoziierte 374 – Pneumothorax 363 – Polytrauma 854 – positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) 528 – Postextubationsstridor 349 – »pressure support ventilation« (PSV) 524, 545 – prolongierte 373 – »proportional assist ventilation« (PAV) 525, 545 – Reanimation, kardiopulmonale 379, 382 – Kind 1169 – Reintubation, schwierige 373 – Retinopathia praematurorum 1129 – Schädel-Hirn-Trauma 863 – Schlaf-Apnoe-Syndrom 986 – Schmerzevaluierung 325 – Schwangerschaft 1063 – seitengetrennte 990 – Sepsis 793 – Sinusitis 527 – Spontanatmung, assistierte 534 – Stressulkusprophylaxe 595 – synchronisierte intermittierende (SIMV) 524 – Thoraxchirurgie 985 – Tidalvolumen, ultraprotektives 528 – TISS-28-Score 60 – Tracheotomie 352, 353 – Trauma, spinales 1020 – Tuberkulose 822 – Ventilator, portabler 545 – Verbrennung 925 – alter Patient 929 – Verfahren, Wahl 528 – Weaning 538 – volumenkontrollierte 522 – Weaning (7 dort) Beckenbodentrauma 897 Beckentrauma 854 – Begleitverletzungen 855 Bedarfstachykardie Säugling 1164 Bedienfehler, technisches Gerät 115 »bedside radiology« 191 Behandlungsabbruch – Angehörige 22 – Intensivmedizin, pädiatrische 1179 Behandlungsfehler 10, 11, 12, 69 (7 auch Fehler) Behandlungspflicht, Grenzen 5, 15 »Behavioural Pain Scale« 325 Beinahe-Ereignis 68, 69 Beinahe-Ertrinken 936 – Handlungsalgorithmus 938 Beinvenenthrombose, tiefe 318 Beißkeil 670 Belastungsstörung, posttraumatische; Kardiochirurgie 979 Benchmarking 80, 83 – Aus-/Weiterbildung 106 Benzodiazepine 325
– Abusus, Entzugssyndrom 339, 678 – Alkoholentzugssyndrom 337 – Arzneimittelinteraktionen 262 – Kind 1175 – paradoxe Effekte 678, 680 – Stellenwert 327 Bergetod 940 Betamethason, Lungenreifungsbehandlung 1126 Betreuungsgericht 7, 14 Betreuungsrecht/-verfügung 6, 7, 14, 141 Betriebskultur 70 Bevorratung – Antidota 1109 – Material 93 – Medikamente 93 Bewegungstherapie 126 Beweislast – Patientenaufklärung 15 – Beweislastumkehr 15 Bewusstsein, gestörtes – Anfall, epileptischer 670 – Angststörung 678 – Atemwegsobstruktion 516 – Basistherapie 1008 – Beinahe-Ertrinken 937 – Coma vigile 648 – Diagnostik 646, 647, 1007 – Einschätzung 646 – falsche 19 – Eintrübung 656 – Frührehabilitation 714 – »Glasgow Coma Scale« (GCS) 57 – Children´s Coma Scale 862 – Hirntod 652 – Hypersomnie 649 – Hypothermie 937, 940 – Intoxikation 1104 – Kind 862, 1176 – Koma 646 – Meningitis 685 – metabolische Störung 649 – »minimally conscious state« 648 – Mutismus, akinetischer 648 – »persistent«/»permanent vegetative state« 648 – Psychosyndrom – nichtorganisches 678 – organisches 676 – delirantes 335 – Schädel-Hirn-Trauma 862, 865 – Schockraum 895 – Somnolenz 646 – Sopor 646 – Stupor 646 – Subarachnoidalblutung (SAB) 1007 – Therapie 648 – wiederkehrendes 18 – zerebrovaskulärer Notfall 656 – Zirkulation, extrakorporale (EKZ) 1054 Bifurkationsstent 372 Bikarbonat 238 Bildgebungsverfahren (7 jeweils dort) Biliom 958
Bilirubin – Labordiagnostik 239 – Neugeborenes 1142 Bilirubinenzephalopathie 1144 Bilobektomie 984, 991 Biobrane 921 Biofilm – Beatmungspneumonie 810 – Blasenkatheter 812 – Harnwegsinfektion 813 – Katheterinfektion 804 Bioimpedanz, thorakale 170 Biopsie, endo-/transbronchiale 371 Bioverfügbarkeit 253 BIPAP (»biphasic positive airway pressure«) 524 – Weaning 538 Bispektralindex 325 Bisphosphonate 1099 Blähung 908 Blasendruck 963 Blasenkatheter – Infektion, nosokomiale 812 – Schwangerschaft, Infektionsgefahr 1063 – Trauma, spinales 1020 Blasenruptur 855 β-Blocker 1085 – Anaphylaxie 1085 – Antidot 1110 – Indikationen 426, 460 – Kontraindikationen 426 – Vorhofflimmern 973 Blockierung, atrioventrikuläre/sinuatriale 437 BLS (»Basic Life Support«) – Erwachsener 379 – Kind 1169 Blutabnahme, Fehlermöglichkeiten 245 Blutdruck (7 auch Hypertonie) – Anästhesieeinleitung 1167 – Apoplex 657 – Dringlichkeit, hypertensive 456 – Entgleisung, postoperative 456 – Karotisrekonstruktion 995 – Messung 150, 151 – Notfall, hypertensiver 456 – Phäochromozytomkrise 748 – Präeklampsie 1070 – Schwangerschaft 1068 – systolischer – Kind, Säugling, Neugeborenes 1164 – Schock, hämorrhagischer 280 – Thoraxtrauma 889 Blutfluss – Geschwindigkeit 622 – myokardialer 297 – zerebraler (CBF) 1002 – Kind 1178 Blutgase – Analyse 238 – arterielle 174, 153 – Normalwerte 175 Blutgerinnung 283 – Aortenaneurysma 997 – Koagulopathie, Neugeborenes 1145
1185 Beatmung – Computertomographie
– Massivtransfusionen 283 – Schädel-Hirn-Trauma 1018 – Schock 277 – hämorrhagischer 283 Blutgruppe, kompatible (zur Transfusion) 308 Blut-Hirn-Schranke, Pharmakokinetik 254 Blutkultur 803 Blut-Liquor-Schranke 629 Blutstillung, Thoraxtrauma 889 Bluttransfusion – Neugeborenes 1142 – Schock 282 Blutung – Fieber, virales hämorrhagisches 831 – Hämostase, physiologischer Ablauf 302 Blutung, gastrointestinale – Blutverlust, Abschätzung 592 – chronische 590 – Darmerkrankung, chronisch entzündliche 598 – Diagnostik 590 – Erosionsblutung 595 – Forrest-Klassifikation 592 – Helicobacter pylori 596 – Kardiochirurgie 978 – klinisch bedeutsame 594 – Lokalisation 590, 597 – okkulte 590 – Ösophagusvarizenblutung 596 – Prognose 592 – Rezidivblutung 596 – Risikofaktoren 591, 594 – Stressblutungsprophylaxe 594 – Therapie 594, 595 – Ulkusblutung 592, 595 – Ursachen 590, 597 Blutung, hypertensive 661 Blutung, intraabdominelle – Blutungskontrolle 901 – CT 230 – Kontamination 902 – Pankreaschirurgie, Komplikationen 956 Blutung, intrakranielle – Diagnostik 626, 865 – Neurochirurgie 1014 Blutung, intrazerebrale (ICB) 869, 656 – Angiom, arteriovenöses 626 – Blutdruck 1014 – Diagnostik 661 – Frühgeborenes 1129 – Nachblutung 661 – Neurochirurgie 1014 – Pathophysiologie 661 – spontane 658, 661 – Therapie – Hämatomausräumung 662 – Ventrikeldrainage, externe 663 Blutung, postoperative; Thoraxchirurgie 990 Blutung, retroperitoneale; CT 231 Blutung, subarachnoidale 656, 663 Blutungsrisiko – NSTEMI 422
– Thrombolyse 420 Blutungsstillung (7 Hämostase) Blutungszeit 305 Blutverlust – Blutung, gastrointestinale 592 – Frakturen 278 – Polytrauma 848 – Thoraxtrauma 889 Blutviskosität, Neugeborenes 1142 Blutvolumen – intrathorakales (ITBV) 168 – Kardiochirurgie 967 – thermales (ITTV) 168 – Neugeborenes 1141 – Volumenersatz 288 Blutzucker – Entgleisung 649 – Hyperglykämie (7 auch dort) 269 – Hypoglykämie (7 auch dort) 270 – Insulinresistenz 269 – Kind 1171 – Krampfanfall, neonataler 1150 – Leitlinien 797 – Monitoring 246 – Myokardinfarkt, Prävention 425 – Pankreaschirurgie 954 – postoperativ 797 – Sepsis 271, 793 Bobath 130 Body-Mass-Index (BMI) 260 »bone injection gun« 1161 Botulismus; Blockade, neuromuskuläre 708 Bradyarrhythmie, Katecholamine 296 Bradykardie – Frühgeborenes 1131 – Isoproterenol 297 – Katecholamine 296 – Neugeborenes 1120 – Pathophysiologie 434 – Sinusbradykardie 436 Brandgasvergiftung 917 Brandverletzung (7 auch Verbrennung) 912 Braunwald-Klassifikation 416 Breite, therapeutische 253 Brennwert 247 Brescia-Cimino-Fistel 773 Brillenhämatom 868 Bronchialarterienembolisation 374 Bronchialsekret, Gewinnung 371 Bronchialtoilette; Intubation, endotracheale 342 Bronchiolitis-obliterans-Syndrom (BOS) 1056 Bronchitis, chronische; akute Exazerbation 508 Bronchodilatatoren – Asthmaanfall 512 – COPD-Exazerbation 513 Bronchoskopie – flexible 370–374 – Infektion, nosokomiale 811 – Intubation, endotracheale 342 – Pneumonie, nosokomiale 495 – Sekretmobilisation 988 – starre 372
Bronchospasmus, Anaphylaxie 1080 Bronchusverletzung 854 Brustschmerz, akuter 414 Budd-Chiari-Syndrom 224, 571 Bulbusdivergenz 647 Bulbus, schwimmender 647 Bunyaviridae 831 Burkitt-Lymphom 1097 Burn-out-Syndrom 24 – Prävention 97, 99 Bypass, kardiopulmonaler 974 Bypass, koronarer 968 – Langzeiterfolg 979 – Minimalinvasivität 979 – Myokardinfarkt als Operationskomplikation 976 – Thrombozytenaggregationshemmung 977 – Transfusion 976 Bypassoperation, notfallmäßige 421
C Caisson-Krankheit 933 Calcineurin-Inhibitoren – Ciclosporin A 1040 – Tacrolimus 1042 cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat, »cyclic adenosine monophosphate«) 297 CA-MRSA, Pneumonie 492 Candida – Abszess, intrakranieller 689 – Candidurie 813 – Diagnostik 785 – Epidemiologie 785 – Katheterinfektion 808 – Therapie 786 »capillary leak syndrome« – Verbrennung 914 – Kind 928 – Kompartmentsyndrom, abdominelles 902 – Fieber, virales hämorrhagisches 831 Captopril 658 Carbamazepin – Alkoholentzugsyndrom 338 – Dosierung 338 – Intoxikation 1106, 1108, 1109 Carbo medicinalis 1106–1108 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel 871 Castillo Morales (Frührehabilitation) 130 »Centers for Disease Control and Prevention« (CDC) 40 Cephalosporin, Kreuzreaktionen 1080 Charlson-Index 119 »Chest Pain Unit« 415 Cheyne-Stokes-Atmung 647, 1004 Children‘s Coma Scale 862 Child-Score zur Leberfunktionsbeurteilung 259 Chinin, Intoxikation 1108 Chinolone, Anaphylaxie 1080 Chloralhydrat, Kind 1175 Chlorid, Labordiagnostik 237 Choanalatresie 1140
B–C
Cholangiopankreatikographie (ERCP) 898 Cholangitis – lenta 569 – sekundär sklerosierende 121, 565, 569 Choledocholithiasis, Sonographie 223 Cholestase 568–570 Cholesterin 426 Cholesterinemboliesyndrom 766, 769 Cholezystektomie 961 Cholezystitis 960 – akalkulöse 565, 570, 604 – akute 222 – CT 231 – Sonographie 223 – gangränöse 223, 231 Cholezystolithiasis, Sonographie 222 Cholinesterase (CHE) 239 Choreoathetose 338 »chronic obstructive pulmonary disease« (7 COPD) Chylothorax, Früh-/Neugeborenes 1140 Ciaglia, Dilatationstracheotomie, perkutane 355 Ciclosporin A 1041 Cilostazol (Pletal) 311 Cincinnati-Formel 918 Cincinnati-Shriners-Burns-HospitalFormel 928 Circulus Willisi 623 Circus-movement-Tachykardie 435 CIRS (»Critical Incident Reporting System«) 92, 107 Citrat, Antikoagulation, regionale 776 CK (Kreatinkinase) 239, 416 CK-MB 976 Claudicatio intermittens 997 Clearance, totale 255 Clichy-Kriterien 574 »Clinical Pulmonary Infection Score« (CPIS) 494 Clomethiazol 338 – Alkoholentzugssyndrom 338 Clonidin 333, 462, 657 – Arzneimittelinteraktionen 262 – Dosierung 334 – Kardiochirurgie 972 Clopidogrel 311 Clostridium-difficile-Diarrhö/Kolitis 817 CMV-Infektion/-Pneumonie 500 Cobatrice 8 Cockroft u. Gault, Berechnung der Kreatininclearance nach 257 Colchicin 1105 Colitis ulcerosa 598 Coma vigile 648, 716 »Comfort-B-Scale« 1176 »compensatory antiinflammatory response syndrome« (CARS) 846 Compliance, intrakranielle (C) 476 Computertomographie 193 – abdominelle 562
1186
Stichwortverzeichnis
Computertomographie (Forts.) – Blutung, gastrointestinale 594 – Ischämie, mesenteriale 605 – kraniale, bei Apoplex 659 »Confusion Assessment Method« (CAM-ICU) 336 Continuous-flow-Gerät, Druck-Zeitgesteuertes 1134 Coombs-Test 1143 COPD (»chronic obstructive pulmonary disease«) – Beatmung – Einstellung 530 – nichtinvasive 517, 531, 549 – Parameter, initiale 514 – Postextubationsphase 517 – Weaning 517 – Differenzialdiagnose 508 – Entlassungskriterien 518 – Epidemiologie 508 – Exazerbation – Beatmung 514–517, 547 – Bronchodilatatoren 513 – Glukokortikosteroide 512 – Prognose 509 – Sekretmobilisation 517 – Tracheotomie 517 – Klassifikation 508 – Lippenbremse 530 – Schlafapnoe 986 – Symptomatik 508 – Therapie 512–517 – Weaning 531 – NIV 538 »Coronary Care Unit« 413 »corticotropine releasing hormone« (CRH) 746 Coumarin-Nekrose 320 CPAP (»continuous positive airway pressure«) 986 – Frühgeborenenapnoe 1133 – Frühgeborenes 1120 – Lungenödem, kardiales 549 – Maske 986 – Säugling 1163 CRB-65-Score 489 C-reaktives Protein (CRP) – Pankreatitis, akute 583 – Sepsis 791 Crescendo-TIA 994 »Crew Ressource Management« (CRM) 107, 112, 114 – Kernkompetenzen 114 Crigler-Najjar-Syndrom 1143 Critical-illness-Myopathie (CIM) 702, 709 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 Critical-illness-Polyneuropathie (CIP) 477, 702, 709 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 »Critical Incident« 68 »Critical Incident Reporting System« (CIRS) 92 – Aus-/Weiterbildung 107 – SOP 92 Crohn, Morbus; Ulkusblutung 590, 598
Crush-Einleitung 347 Crush-Niere 999 Crush-Syndrom 766, 849 »CT-Severity-Index« 233 Cumarin; Blutung, intrazerebrale (ICB) 661 Curreri-Formel 927 Curreri-Junior-Formel 929 Curriculum – Entwicklung 111 – Evaluation 112 Cushing, Morbus; Neurochirurgie 1012 Cushing-Trias 638 Cystatin C 764, 768 Cz-Modell von Wesseling 166
D Damage-control-Konzept 850 – Abdominaltrauma 902 – Definition 902 – Second-look-Operation 904 – Thoraxtrauma 888 Danaparoid 313 Dapson, Intoxikation 1108 Darm – Dekontamination, selektive 810, 811 – Erkrankung, chronisch entzündliche 598 – Ischämie 997 – CT 228 – Ruptur 855 – Schock 277 – Spülung 907, 1106, 1107 »day 1 surgery« 850, 852 D-Dimer 307, 466 »death rattle« 139 »Debriefing« 25 Defibrillation 381 – Kammerflimmern 445 Dehydratation (7 auch Flüssigkeitshaushalt) 650 Dehydrobenzperidol (DHBP) 330 Dekompressionskrankheit 932 Dekompressionstherapie, abdominelle 561, 564 Dekompressionstrepanation 641, 660, 869 Dekontamination (Noxen) 1106 Dekubitus – Antidekubitusbett 127 – Körperstellen, gefährdete 124 – Prophylaxe 124 – Rückenmarkverletzung 1021 Delegationsprinzip 33 Delir – Alkoholentzugssyndrom (AES) 336 – Definition 335 – Diagnostik 336, 676, 677 – Durchgangssyndrom 676 – Kind 1176 – Therapie 336, 676 – Ursachen/Folgen 335 »Delirium Detection Score« (DDS) 336 Demenz 677
Denguevirus 831 Depression 19 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 De-Ritis-Quotient 240 Desinfektion (7 Hygienemaßnahmen) Desmopressin 313, 1031 Dettli, Proportionalitätsregel 257 »déviation conjugée« 647 Dexamethason 1013 – Frühgeborenes 1128 Dextran – Anaphylaxie 1081 – Promitprophylaxe 1085 Diabetes insipidus – Neurochirurgie 1006 – Organspender 1031 Diabetes mellitus – Ketoazidose, diabetische 728 – Koma, diabetisches 728 – Myokardinfarkt, Prävention 425 – Neuropathie, diabetische 707 – Organspende 1032 – Pankreastransplantation 1047 »Diagnose-Related-Group-System« (DRG-System) 85 Diagnostik, rationelle 93 Diagnostik, radiologische – Abdominaltrauma 896 – Henkeltopfaufnahme 876 – Pleuraerguss 362 – Schwangerschaft 1063 Dialysatfluss 774 Dialyse – Antikoagulation 776 – kontinuierliche 315 – Dosisanpassung 258 – Ernährung 271, 772 – Indikationen 773 – kontinuierliche 315 – Leberversagen, akutes 573 – Polytrauma 849 – Siebkoeffizient 773 – Verfahren 772–776 – Zugänge 773 Dialysepflichtigkeit – Nierentransplantation 1046 – RIFLE-Kriterien 764 Diarrhö – Clostridium-difficile-assoziierte 817 – Ernährung 266 – Kurzdarmsyndrom 908 – Zytostatika 1098 Diazepam 326 – Kind 1175 DIC-Algorithmus 317 Dickdarm – Abdominaltrauma 906 – Blutung 597 Dieulafoy-Ulkus 593 Diffusion 773 – Störung 475 Dihydralacin 657 Dihydralazin 1073 Dihydroxyphenylalanin 294 Dilatationstracheotomie, perkutane, nach Ciaglia 355
Dip-und-Plateau-Phänomen 405 Dipyridamol 314 »dish face« 877 Diurese/Diuretika 460 – forcierte, Intoxikationstherapie 1108 – Frühgeborenes 1128 – Kind 1169 – Verbrennung 918 – Kind 929 Divertikelblutung 593, 597 Dobutamin 968 – Kardiochirurgie 972 – Kind 1168 – Sepsis 795 – Wirkweise 297 Dokumentation – Arzt bzw. Krankenhaus 15 – Fixierung 679 – Mangel 11, 15 – Patientendatenmanagementsystem (PDMS) 101 – Scoresysteme 59 »do not intubate« (DNI) 552 »do not resuscitate« (DNR) 552 Dopamin 968 – Kardiochirurgie 972 – Kind 1168 – Nierenversagen, akutes 772 – Wirkweise 297 Dopplersonographie – Apoplex 659 – Durafistel 626 – Hirntoddiagnostik 625, 1029 – Karotis-Sinus-cavernosusFistel 626 – Monitoring 625, 627 – Neurodiagnostik 621 Dosierung(sempfehlungen) – Gewicht, angepasstes (ABW) 260 – Katheterperiduralanästhesie 333 Dosis-Wirkungs-Kurve 253 Double-bubble-Phänomen 1147 Doxapram 1133 Drainage – Lagerung 128 – Fehllage 218 Dreigefäßerkrankung 412 DRG-System 84, 94 – Aus-/Weiterbildung 106, 112 – Frührehabilitation 714 – Komplexbehandlung 94, 96 Druck, epiduraler; Messung 638 Druckgradient (pTP) 476 Druck, intraabdomineller – Kind 1164 – Kompartment 963 Druck, intrakranieller (ICP) – Basismonitoring 182, 870 – Blutung, intrazerebrale 1014 – Druckkurve 636 – Druck-Volumen-Beziehung 651 – erhöhter 1003 – Herniation 651 – Hirndruckkrise 656 – Hirntod 651 – Hyperventilation 640 – Kind 1176, 1177 – Lagerung 125
1187 Computertomographie – Ernährung
– Messung 867 – Patiententransport 51 – Monitoring, erweitertes 870 – Munro-Kellie-Doktrin 636, 651, 1003 – Neurosonographie 625 – Normalwerte 636, 1002 – Säugling 1176 – Schädel-Hirn-Trauma 866 – Steigerung 637 – Therapie 870 – Trepanation 869 – Volumenverschiebung 636 Druckkammerbehandlung 936 Druck, kolloidosmotischer (Verbrennung) 915 Druck, subduraler; Messung 638 Druck, zentralvenöser (ZVD) 164, 985 Druck-Reaktions-Index, zerebrovaskulärer (PRx) 636 Druckunfallkrankheit 933 Dubois-Formel 928 Ductus arteriosus, persistierender 1126 Duke-Kriterien 449 Dünndarm – Abdominaltrauma 906 – Blähung 221 – Blutung 597 – Dünndarmatresie, Neugeborenes 1147 – Obstruktion – CT 228 – Neugeborenes 1147 Duodenum – Abdominaltrauma 906 – Atresie 1147 – Blähung 221 Duplexsonographie – Durafistel 626 – hepatische 224 – Karotis-Sinus-cavernosusFistel 626 – Neurodiagnostik 622 – transkranielle 625 Duraerweiterungsplastik 641 Durafistel 626 Durchblutungsstörung – intestinale 602 – mesenteriale 602, 604, 607 Durchflussraten, Venenkatheter 153 Durchgangssyndrom 18, 322, 335, 676 Durst, fehlender 236 Dynaxität 34 Dysphagie(management) 129 – Kanülenmanagement 130 Dysplasie, bronchopulmonale 1126 Dyspnoe – Palliativmedizin 138 – Panikattacke 138 Dystelektase 213, 987
E »early goal directed therapy« 87 »early onset pneumonia« 497 »early total care« 850
Ebolavirus 831 Echokardiographie 416, 985 – Endokarditis 449 – Kind 1164 – Lungenarterienembolie 467 – transösophageale, bei Perikardtamponade 405 – transthorakale, bei Perikarderguss/Perikardtamponade 404 ECMO (exktrakorporale Membranoxygenierung) – Früh-/Neugeborenes 1139 – Kind 1169 – Lungenversagen, akutes 483 – Prinzip 483 – Thoraxtrauma 883 effektive Dosis (ED50, ED95) 253 Effektivität, Definition 107 Effizienz, Definition 107 Eigenhauttransplantation 924 Einflussstauung, obere; bei hämatologisch-onkologischer Erkrankung 1099 Eingefäßerkrankung 412 Einmalrasierer 816 Einsichtsfähigkeit 14 Einwilligung, mutmaßliche 14 Einwilligungserfordernis 14 Einwilligungsfähigkeit/-unfähigkeit 6, 141 Einzelfaktorenkonzentrat 309 EKG – Angina pectoris 414 – Belastungs-EKG 415 – Bewusstseinsstörung 647 – FBI-EKG 441 – Herzrhythmusstörungen 435 – Hyperkaliämie 770 – Infarktlokalisation 415 – Kammerflattern 445 – Kammerflimmern 445 – Kardiochirurgie 967 – Koronarsyndrom, akutes 414 – Monitoring – Ableitungssysteme 149 – Störungen 150 – Myokardinfarkt 414 – Perikarderguss 404 – Postinfarktperikarditis 429 – Rechtsherzversagen 970 – ST-Hebungen 415 – transösophageales 967 – transthorakales 967 Eklampsie 1068 – Diagnose 1074 – Therapie 459, 1074 Elastance, intrakranielle 525 Elektrizität/Stromunfall 917 Elektrobohrer EZ-IO 1161 Elektroenzephalographie (EEG), Hirntoddiagnostik 1028 Elektrolytstoffwechsel 1006 – Monitoring 236 Elektrolytstörung 728 – Mangelernährung 270 – Paralyse 702 – Regulationsstörung, zentrale 1006 – Schädel-Hirn-Trauma 866
– Weaning 533 Elimination 254 – hepatische 254, 259 – Intensivpatienten 255 – Noxe 1103 – renale 256 Eliminationshalbwertszeit 256 Embolie 998 – intrakranielle 627 EMLA 1156 »emotional bank account« 99 Emphysem – interstitielles 205 – lobäres (Früh-/Neugeborenes) 1137 Empyem – Pleuradrainage 363 – subdurales 689 Enalapril 972 Endokarditis – bakterielle; Nierenversagen, akutes 767 – Diagnostik 448, 449, 803 – Duke-Kriterien 449 – Echokardiographie 449 – Erregerspektrum 448 – infektiöse 448 – Klinik 448 endokrine Störungen – diabetische 728 – Geschlechtshormone 749 – Hypoyphysenvorderlappen 749 – Nebenniere 746 – Schilddrüse 742 Endoskopie – Blutung, gastrointestinale 592 – Kapselendoskopie 593 Endotrachealtubus, Lagekontrolle 196 Energieäquivalent 247 Energiebedarf 248, 266 – Energiebilanz 248 – Kind 1171 – Säugling 1171 Energiestoffwechsel, Labordiagnostik 247 Enoximone, Kind 1168 Enterokokken – Enterococcus faecalis/faecium 42 – Vancomycin-resistente 782 Enterokolitis, nekrotisierende (Früh-/ Neugeborenes) 1148 Enterothorax, Früh-/Neugeborenes 1138 Entgiftung 1103 Entlastungstrepanation 660 Entspannung(sverfahren) 21, 129 Entzugserscheinungen 19 – Alkoholabhängigkeit 336 – Benzodiazepine 339 – Opiat-/Opioidabhängigkeit 339 Entzugssyndrom 676 Entzündungsreaktion, systemische 846 (7 auch Infektion, Sepsis) Enzephalitis 684 – Varizella-zoster-Virus 828 – virale 629, 687, 688
C–E
Enzephalomyelitis – akute disseminierte 688 – Tollwut 830 Enzephalopathie – hepatische 571, 572, 575, 1049 – hypertensive 458 – hypoxisch-ischämische (HIE) 1122 – Leberversagen, akutes 571 – postinfektiöse 688 – septische 649, 650 Enzyme, Labordiagnostik 238 Enzyminduktion 253 Epilepsie – Anfall, epileptischer 670 – Anfallsprophylaxe 1011 – fokaler 670 – generalisierter 670 – Grand-mal-Anfall 670, 672 – Neugeborenes 1150 – posttraumatischer, nach SHT 1018 – tonisch-klonischer 670 – Grand-mal-Status 674 – Neurochirurgie 1012 – Notfallausweis 672 – posttraumatische, nach SHT 1018 – Status epilepticus 672 Epsilon-Aminocapronsäure 284 Erbrechen – Blutung, gastrointestinale 590 – galliges, Neugeborenes 1147 – induziertes 1106, 1107 – Terminalphase 139 Ereignis – kritisches 68 – (vermeidbares) unerwünschtes 69 Ergebnisqualität 80 Erguss, abgekapselter 206 Erlöse – DRG-System/G-DRG-System 86 – Fallpauschalensystem 84 Ernährung 266 – Abdominaltrauma, postoperativ 908 – Aufbau 267, 273 – Beatmung 811 – chirurgischer Patient 272 – Energiebedarf 248, 266 – Kind 1171 – enterale 266 – Motilität, intestinale 561 – Pankreatitis, akute 584 – Translokation, bakterielle 565 – Ernährungslösung, bilanzierte 266 – Esstraining/-therapie 128, 130 – Frührehabilitation 128 – Grundumsatz nach Harris und Benedikt 266 – immunmodulierende 272 – Kind 1171 – Laborparameter 270 – Leberchirurgie 957 – Leberversagen 272 – Lungenversagen, akutes 271, 484 – Makro- und Makronährstoffe 266, 267
1188
Stichwortverzeichnis
Ernährung (Forts.) – Monitoring 246 – Nierenversagen 271, 772 – Obstipation 268 – Ösophagusatresie 1146 – Ösophaguschirurgie 950 – Pankreaschirurgie 955 – parenterale 267 – Komplikationen, biliäre 570 – Verbrennung 927 – perioperative 272 – Postinfarktphase 424 – Re-Feeding-Syndrom 270 – Säugling 1171 – Schädel-Hirn-Trauma 866 – Sepsis 271 – Unterernährung – präoperative 272 – Re-Feeding-Syndrom 270 – Verbrennung 925, 927 – Weaning 533 Ernährungssonde – Anlage, Auswahl 269, 272 – Fehllage 202 – Komplikationen 202 – Medikamentenapplikation 269 – Pneumonie 491 – Reflux 558 Erreger – Diarrhö, nosokomiale 817 – Harnwegsinfektion 813 – Infektion, gefäßkatheterassoziierte 804 – Infektion, nosokomiale 803 – Kolitis, nosokomiale 817 – multiresistenter 782 – XDR-Tuberkulose 822 – Pneumonie, beatmungsassoziierte 809 – Resistenztestung 794 – Sepsis – Diagnostik 794 – neonatale 1151 – Transplantationsmedizin 1044 – Wundinfektion, postoperative 815 Erregungszustand 679 Ersatzhaut 921 Erschöpfung, respiratorische 530 Ertrinken 936, 937 Erythem, Anaphylaxie 1080 Erythropoese, fetale 1141 Erythropoietin, Frühgeborenes 1142 Erythrozyten, fetale 1141 Erythrozytenkonzentrat 308 – Blutgruppe, kompatible 308 – Kardiochirurgie 976 ESBL (Extended-spectrum-βLaktamase) 42 Escharotomie 920 Esmarch-Handgriff 379 – Kind 1169 Esmolol 657 Essigsäure, Verbrennungstherapie 921 Esstraining/-therapie 128, 130 Ethanol, Intoxikation 1102 Ethicus-Studie 7 ethische Aspekte
– – – – –
Ethikberatung 141 ethisches Fallgespräch 142 Kinderintensivmedizin 1179 Lebenserhaltungsprinzip 141 Patientenverfügung/-vollmacht 140 – Schwangerschaft, Abwägung fetaler vs. maternaler Interessen 1062 – Therapieabbruch/-verzicht 142 – Würde 137 Etomidate 657 Euler-Liljestrand-Reflex 395, 397 »European Resuscitation Council« (ERC), Intensivmedizin, pädiatrische 1160 »European Stroke Initative« (EUSI) 661 Eurotransplant – Spenderorgan, Anforderungen 1032 – Warteliste 1038 »euthyroid sick syndrome« (ESS) 742 Everolimus 1042 EVLW (extravaskuläres Lungenwasser) 168 Exfoliativzytologie 371 Extended-spectrum-β-Laktamase (ESBL) 42 Extremitäten, Trauma 856 Extubation – Angstminderung 129 – NIV 532
F Faces Pain Scale 1176 Facharztanwesenheit 96 Facharztstandard 11 Facharztweiterbildung (7 Aus-/ Weiterbildung) Fachdisziplin, Integration 94 Fachkräftemangel 106 – Pflegepersonal 96 Faculty-developmentProgramm 112 Faktor VII – Blutung, intrazerebrale (ICB) 662 – Mangel 284 Faktor VIIa; Schock, hämorrhagischer 284 Faktor VIII 304 Falldiskussion 108 Fallpauschalensystem 84 Fantoni; Tracheotomie, translaryngeale 356 Farbdoppleruntersuchung, hepatische 224 Fast-track-Konzept, Analgosedierung 332 Fasziitis, nekrotisierende 825 – Abdominalchirurgie 960 Fasziotomie 920 Favistan 744 FBI-EKG 442 Fehler – Bedienfehler, technisches Gerät 115
– – – – – – – – – –
Irrtum 69 juristische Aspekte 76, 77 Klassifizierung 69 Labordiagnostik 245 Near-miss-Ereignis 68, 69, 74 Plausibilitätsprüfung 245 Probenverwechslung 245 Qualitätsmanagement 77 Risikomanagement 10, 75 Schweizer-Käse-Modell nach Reason 71 – Übernahmeverschulden 13 – Vermeidung, Intensivpflege 34 Fehlerkultur 70 – Aus-/Weiterbildung 107 – Erfassungsbogen 73 – Führungsaufgaben 97 Fehlermonitoring 70, 71 Fentanyl 331 – Früh-/Neugeborenes 1157 – Kind 1175 Fette 246 Fetus – Biometrie 1062 – Lungenreifeinduktion 1063 – Strahlenbelastung 1064 Feuchtverband 920 Fiberbronchoskop, flexibles 370 Fibrinogen (Faktor I) 304, 307 – Gerinnung, disseminierte intravasale (DIC) 1096 – Mangel 307 – Präparate 310 – Schock, hämorrhagischer 284 Fibrinolyse/Fibrinolytika 305, 421 Fick’sches Prinzip 166 Fieber – hämorrhagisches virales 830 – neurogenes 1006 Fifth-day-fits 1151 Filoviridae 831 Filtrationsrate, glomeruläre – Cockroft-Gault-Formel 768 – MDRD-Formel 768 FIO2, erhöhte 173 »first hit« 846 – Frühgeborenes 1123 First-pass-Effekt, hepatischer/pulmonaler 253 Fistel, bronchopleurale 890 »flapping tremor« 649 Flaviviridae 831 »fluid lung« 1134 Flumazenil, Kind 1176 5-Fluorouracil 1098 Flussgeschwindigkeit, mittlere 624 Flüssigkeitsansammlung – Pleura 362 – Verbrennung 914 Flüssigkeitshaushalt – gestörter 728 – Kind 1161, 1171 – Kreislaufinsuffizienz 1167 – SIRS, Sepsis 1173 – Verbrennung 928 – Monitoring 236 – Regulationsstörung, zentrale 1006 – Säugling 1171
– Sepsis, Kind 1173 – Überwässerung; Nierenversagen, akutes 769 – Vasopressin 298 – Verbrennung 925 – Volumenersatz 288 Flüssigkeitssequestration 560 Flussrichtung 623 Foetor ex ore, bei Intoxikation 1104 Folienverband 921 follikelstimulierendes Hormon (FSH) 749 Fomepizol 1109 Fondaparinux 314 Fontaine, Schweregradeinteilung der pAVK nach 997 Forensik (7 auch juristische Aspekte) – Behandlungsrisikoaffinität 10 – Leitlinien 12 – Patientenaufklärung 13 – Psychosyndrome 680 – Sterbehilfe, aktive 136 – Therapieabbruch/-verzicht 142 – Übernahmeverschulden 13 Formeldiät 247 Forrest-Klassifikation 592 Fortbildung (7 Aus-/Weiterbildung) Fournier-Gangrän 960 Fraktur, Blutverluste 278 Frank-Starling-Kurve Kind 929 Frank-Starling-Mechanismus 968 Fremdkörperaspiration; Bronchoskopie, flexible 374 »fresh frozen plasma« (FFP) 310 – Blutung, intrazerebrale (ICB) 662 – Leberversagen, akutes 572 – Schock, hämorrhagischer 283 Frontobasisfraktur 879 Froschzeichen 435 Frova; perkutane Tracheotomie nach 358 Fruchtwasser, mekoniumhaltiges 1135 Frühgeborenes – Altersangabe 261 – Analgesie 1155 – Atemwege, obere; Obstruktion 1140 – Austauschtransfusion 1144 – Beatmung 1134 – Blutung, intrazerebrale 1129 – Ductus arteriosus, persistierender 1126 – Dysplasie, bronchopulmonale/ neonatale chronische Lungenkrankheit 1126 – Enterokolitis, nekrotisierende 1148 – Enterothorax 1138 – Frühgeborenenapnoe 1131 – Hydrozephalus, posthämorrhagischer 1130 – Hypoglykämie 1153 – Leukomalazie, periventrikuläre 1131 – Lungenblutung 1140 – Lungenhypoplasie 1137
1189 Ernährung – Gestationsalter, Bestimmung
– Lungenreifungsbehandlung 1124, 1126 – Pharmakokinetik 261 – Pneumonie 1138 – Pneumothorax 1136 – Präeklampsie 1077 – Prognose 1123 – Reanimation, kardiopulmonale 1117 – Retinopathia praematurorum 1128 – Risikofrühgeborenes 1124 – Schmerzmessung, -therapie 1155, 1156 – Sepsis 1151 – Temperaturregulation, Wärmeschutz 1118 – Zirkulation, persistierende fetale 1138 Frühmobilisation 127 – Verbrennung 924 Frührehabilitation – Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) 131 – Barthel-Index 715 – Bewegungstherapie 126 – Extubation 129 – Frühreha-Index 715 – Intensivpflege 31, 719 – Kind 1178 – Krankenhausnetzwerk der Rehabilitationszentren 95 – Lagerungstechnik 719 – Maßnahmen 124, 715 – neurochirurgische 714 – neurologische 714, 718 – Mobilisation 721 – Physiotherapie 720 – Prognose 715, 721 – Ossifikation 133 – Phasenmodell 714 – Physiotherapie 132, 720 – Prinzipien, Therapieziele 127 – Querschnittslähmung 721 – Stimulation, akustische/ taktile 132 – Weaning 128 – Wirtschaftlichkeit 87 Führungsaufgaben 76, 97 – Aus-/Weiterbildung 107 – Feedback-Kultur 100 – Intensivpflege 32 – Kommunikation 100 – Konfliktmanagement 102 – Leitung Intensivstation 97 – Leitung, interne 99 – Mitarbeiter, neuer 101 – Motivation 99 – Personalmanagement Intensivpflege 33 – Qualitätsmanagement 80, 107 – Qualitifikation, persönliche 98 – »relationship behavior« 98 – Repräsentanz, externe 98 – SOP 98 – Sozialkompetenz 99 – »task behavior« 98 – Zielvereinbarungsgespräch 99 Führungskreislauf 98
Führungsstab (endotracheale Intubation) 344 Fungämie 803 Furosemid, pharmazeutische Interaktionen 263
G Gallefilz 569 Gallefistel 904 Gallenblase – Cholezystitis 565, 960 – Gallenblasen-Sludge 570 – Karzinom 957 – Konkrement 231 – Pankreatitis, akute 580 Gallenwege – Cholangitis, sekundär sklerosierende 565 – Cholezystitis 960 – Karzinom 957 – Leckage 957 – Perlschnurmuster 566 – Trauma 898 Galveston-Shriners-Burns-HospitalFormel 928 Galveston-Shriners-Formel 929 γ-GT, Labordiagnostik 239 γ-Hydroxybuttersäure (GHB) 329 – Alkoholenzugssyndrom 338 Gammopathie, polyklonale; HIV 836 Ganzgesichtsmaske 546 Ganzkörperwaschung 720 Gasansammlungen, intraabdominelle 898 Gasaustausch, pulmonaler; Versagen 522 Gasaustauschstörung bei Thoraxtrauma 883 Gasaustauschverfahren, extrakorporales – »interventional lung assist« (iLA) 483 – Membranoxygenierung, extrakorporale (ECMO) 483 – Thoraxtrauma 883 Gasblasen, Tauchunfall 932 Gasbrand 825 – Abdominalchirurgie 960 Gasembolie, arterielle 932, 934 Gastritis, hämorrhagische 595 Gastrointestinaltrakt – Abdominalchirurgie 948 – Blutung, gastrointestinale 590 – Darmerkrankung, chronisch entzündliche 598 – Dünndarm/Dickdarm, Abdominaltrauma 906 – Durchblutungsstörung, intestinale 602 – Fehlbildungen 1146 – Gastroparese 558 – H2-Rezeptorantagonisten 594 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Ileus, paralytischer 559 – Intoxikation 1104, 1106 – Kardiochirurgie 978 – Kolon, Abdominaltrauma 907
– Kompartmentsyndrom, abdominelles 563, 902 – Labordiagnostik 240 – Magen, Abdominaltrauma 905 – Magenulkus, perforiertes 962 – Mesenterialischämie 997 – Motilitätsstörung 268 – Notfalllaparotomie 900 – Ösophagusvarizenblutung 596 – Perfusion 602 – Präalbumin 270 – Pseudoobstruktion 561 – Reflux 268, 558 – Rektum/Anorektum, Abdominaltrauma 907 – Schock 277 – Sigmadivertikulitis 962 – Stressblutungsprophylaxe 594 – Translokation, bakterielle 565 – Verbrennung 915 Gastroparese 558 Gastroschisis 1148 Gastrostomie, perkutane endoskopische 269 – Beatmung, nichtinasive 552 Gasverteilung im Dünn- und Dickdarm 220 GCS (7 Glasgow Coma Scale – GCS) G-DRG-System 86 Geburtshilfe – Abstillen 1065 – Intensivmedizin, neonatologische 1117 – Wundinfektion, postoperative; Erreger 815 Gefäßchirurgie – Aortenaneurysma/-dissektion 996 – »debranching operation« 996 – periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) 997 – Revaskularisation 997 – Wundinfektion, postoperative; Erreger 815 Gefäßdilatation 207 Gefäßdissektion 622 – Aorta 996 Gefäße – Angiopathie, obliterierende 1089 – Arteriitis temporalis 1088 – Diagnostik 622 – Hyperviskositätssyndrom 1096 – Lupuskrise 1091 – Stenose, Diagnostik 622, 623 – Verletzung 856 Gefäßveränderung, atherosklerotische 413 – Gefäßchirurgie 994 Gefäßwiderstand, peripherer (Kind) 1168 gefrorenes Frischplasma (7 »fresh frozen plasma«– FFP) Gegenpulsation, intraaortale 399, 969 Gehirn – Abszess, intrakranieller 689 – Anfall, epileptischer 670 – Empyem, subdurales 689 – Hirntod(feststellung) 651, 1026
E–G
– Infektion, postoperative 1012 – Koma 646 – Mittellinienverlagerung 626 – Perfusionsdefizit 652, 658 – Status epilepticus 672 – ZNS-Infektion 684 Gelatine 290 – Anaphylaxie 1081 – Schock, hämorrhagischer 282 Gelbfiebervirus 831 Gentamicin 258 Geräteeinweisung 115 Gerinnung – Anamnese 305 – Antikoagulation, Monitoring 307 – Blutungszeit 305 – Coumarin-Nekrose 320 – Diagnostik 306, 307 – disseminierte intravasale (DIC) 316, 317 – Antiphospholipidantikörpersyndrom, katastrophales (APS) 1090 – Diagnose 317 – DIC-Algorithmus 317 – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1096 – Einzelfaktorenbestimmung 307 – Hämotherapie, Zielwerte 283 – Inhibition 302 – Labordiagnostik 241, 243, 305 – physiologischer Ablauf 242, 302 – plasmatische 243, 303, 306 – »bedside test« 243 – Inhibitoren 304 – Polytrauma 849 – Schock 277 – hämorrhagischer 283 – Thrombolyse 312 – Thrombopenie, Heparin-induzierte (HIT) 319 – Thromboseprophylaxe 314 – thrombozytäre 303, 305 Gerinnungsfaktorsubstitution 572 Gerinnungsfaktorenkonzentrat 309 Gerinnungsstörung – Apoplex 657 – Beinvenenthrombose, tiefe 318 – Blutung, intrazerebrale (ICB) 661 – Hämophilie 315 – Organspender 1032 – Plasmapherese/Plasmaseparation 775 – Präeklampsie 1076 – Schädel-Hirn-Trauma 866, 1018 – Stressulkusprophylaxe 595 – Thrombophilie 316 Gesamtkörperclearance 254 – Pharmaka 254 Geschlechtshormone 749 Gesicht(sschädel) – Fraktur(klassifikation) 875 – Rekonstruktion 880 – Trajektoriensystem 875 – Weichteil-Knochen-Trauma 880 – Weichteiltrauma 874 Gesichtsmaske 342 Gesprächsführung Angehörige 23 Gestationsalter, Bestimmung 1062
1190
Stichwortverzeichnis
Gesundheit, Definition 119 Gewebethromboplastin 303, 662 Gewebsplasminogenaktivator (t-PA) 305 Gewicht, angepasstes (ABW) 260 Giftentfernung, primäre/sekundäre 1103, 1106, 1108 Giftindex 777 Giftinformationszentrum – Aufgaben 1109 – Kontaktdaten 1109 – Noxe (Identifikation, Bewertung) 1104 – Suchtstoffsuchanalytik 1105 Giftnotrufzentrale 777 Giftung 1103 Gilbert-MeulengrachtSyndrom 1143 Glasgow-Blatchford-Score 591 Glasgow Coma Scale (GCS) 646 – Beinahe-Ertrinken 937 – Children’s Coma Scale/Kind 862, 1176 – Hypothermie 937 – Schädel-Hirn-Trauma 862 Glasgow Outcome Scale 871 Glomerulonephritis, GoodpastureSyndrom 1090 Glukokortikosteroide 747 – COPD-Exazerbation 512 – Druck, intrakranieller (ICP), erhöhter 642 – Sepsis 795 – Tumorlysesyndrom 1097 Glukosemetabolismus, Postagressionsstoffwechsel 246 Glutamin 268 Gonadotropin, Labordiagnostik 244 »gonadotropine releasing hormone« (GnRH) 749 Goodpasture-Syndrom 1090 – Therapie 775 GOT 239 G-Protein 296 GPT 239 Grand-mal-Anfall 670 Grand-mal-Status 674 Griggs, Tracheotomie, perkutane 355 »growth hormone releasing hormone« (GH-RH) 749 Grundumsatz nach Harris und Benedikt 266 Guanaritovirus 831 Guedel-Tubus 343 Guillain-Barré-Syndrom 630, 702–705 – Diagnostik 704 – Hirntoddiagnostik 1026 – Klinik 703 – Komplikationen 705 – Therapie 705, 775 Gummibauch 961
H H2-Rezeptorantagonisten 594 Haarentfernung, präoperative 816 Haftpflichtversicherung 10
Halbseitensymptomatik, Lagerung 125 Halbwertszeit – kontextsensitive 326 – terminale 256 Halluzinationen 678 Hämatemesis 590, 593 Hämatochezie 590, 593 Hämatokrit – Neugeborenes 1142 – Schock, hämorrhagischer 280 – Verbrennung 925 hämatologisch-onkologische Erkrankung – Einflussstauung, obere 1099 – Gerinnung, disseminierte intravasale (DIC) 1096 – Hyperviskositätssyndrom 1096 – Neutropenie 1100 – Notfall 1098 – Perikarderguss, maligner 1099 – respiratorische Insuffizienz 1097 – Therapienebenwirkungen 1097 – Tumorlysesyndrom 1097, 1100 – V.-cava-superior-Syndrom 1099 Hämatom – epidurales 626, 868 – intrazerebrales 869, 1011 – periaortales 888 – subdurales 626, 868, 1011 Hämatopoese, Labordiagnostik 241 Hämatothorax – Pleuradrainage 363 – Therapie 364, 854 – Thoraxtrauma 883 Hämbiosynthese, gestörte 706 Hämoclip 595 Hämodiafiltration 774 Hämodialyse 774 – Intoxikationstherapie 777, 1108, 1109 – Transport 51 Hämofiltration 773, 774 – Intoxikation 777 – Kardiochirurgie 977 – Sepsis 857 – Transport 51 Hämoglobin – Kind 1178 – Normalwerte in der Intensivtherapie 308 – Polytrauma 848 – Puffersystem 753 – Transfusion 241 Hämoglobinurie, paroxysmale nächtliche (PNH) 316 Hämolyse 1071 hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 823 Hämoperfusion 775 – Intoxikationstherapie 777, 1108, 1109 Hämophilie 315 Hämoptyse – Akutmaßnahmen 1090 – Bronchoskopie, flexible 374 – Goodpasture-Syndrom 1090 Hämorrhagie, subependymale/ intraventrikuläre/intraparenchymatöse 1129
hämorrhagisches Fieber, virales 830 Hämostase – Antikoagulanzien 311 – Antikoagulationsmanagement 307 – Gefäßwand 303 – Gerinnungsanamnese 305 – Gerinnungslabor 305 – Heparine 311 – Komplikation – Coumarin-Nekrose 320 – Thrombopenie, Heparin-induzierte 319 – physiologischer Ablauf 302 – sekundäre 303 – Thrombolytika 312 – Thromboseprophylaxe 314 Hämostasestörung 306 – erworbene 316 – Hämophilie 315 – Leberversagen, akutes 572 – Sepsis 316 – Thrombophilie 316 – Verbrauchskoagulopathie 316 Hämotherapie 308 – Albumin 310 – Anämie, autoimmunhämolytische 309 – Bestandteile, zelluläre 308 – Erythrozytenkonzentrat 308 – FFP (»fresh frozen plasma«) 283, 310 – Fibrinogenpräparat 310 – Gerinnungsfaktorenkonzentrat 309 – hämolytische Reaktion vom Soforttyp 309 – Hämotherapeutika 308–311 – Kälteagglutinine 309 – kardiovaskulär vorgeschädigter Patient 308 – Kind 1167 – Leukozytenkonzentrat 309 – Lungeninsuffizienz, transfusionsassoziierte akute (TRALI) 309 – Prothrombinkomplexpräparation 310 – rekombinanter aktivierter Faktor VII 310 – Schock, hämorrhagischer 283 – Thrombozytenkonzentrat 309 – Transfusionsgesetz 310 – Transfusionsreaktion, allergische/ nichthämolytische 309 – Verunreinigung, bakterielle 309 Händehygiene – Beatmung 811 – Desinfektion – chirurgische 43 – hygienische 39 – Infektion, nosokomiale 802 – Prävention device-assoziierter Infektionen 818 – Reinigung 43 – WHO 39 Handlungsalgorithmus (7 standard operating procedure – SOP) Hantavirus 831 Harnblasenruptur 897
Harnröhrenruptur 897 Harnstoff – Labordiagnostik 240, 247 – Nierenfunktion 764 Harnwegsinfektion 812, 814 – Schwangerschaft 1063 – Labordiagnostik 240 Harris-Benedict-Formel, Ermittlung des Grundumsatzes 266, 927 Hashimoto-Thyreoiditis 745 Haut – Anaphylaxie 1082 – Chemikalienverbrennung 917 – Funktion 914 – Intoxikation 1104, 1107 – Transplantat 923 – Verbrennung 916 Hawthorne-Effekt 83 HBDH, Labordiagnostik 239 hCG 1062 »health care-asscociated pneumonia« 492 Heimlich-Manöver 379 Helicobacter pylori 596 HELLP-Syndrom 1068 – Diagnostik 1071 – Symptomatik 1074 – Therapie 460 Hemihepatektomie 956 Hemisphäreninfarkt 642 Hemmkörperhämophilie 284, 310 Henderson-Hasselbalch-Gleichung 238, 752, 753, 755 Heparine 311 – Angina pectoris 422 – Antagonisierung 313 – Antidota 1110 – Beinvenenthrombose, tiefe 319 – Dialyse 776 – primäre 302 – Schwangerschaft 1063 – Thrombopenie, Heparin-induzierte (HIT) 319 Hepatitis – Antibiotikanebenwirkungen 823 – HIV 840 – hypoxische 569 – ischämische 569 – Serologie 571 – Virushepatitis, fulminante 571 hepatorenales Syndrom (HRS) 574, 765, 771, 1049 Hepatosplenomegalie 1143 Herniation – Abdominaltrauma 908 – Herz 989 – intrakranielle 651 – subfalxiale 651 Herpesvirusenzephalitis 688 Herz – Arrhythmie, Kind 1165 – Herniation 989 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Kardiochirurgie 966 – kardiovaskuläre Komplikationen nach Neurochirurgie 1020 – Katheterlabor 398 – Kind 1164, 1167
1191 Gesundheit, Definition – Hyperkapnie
– – – –
Kunstherz 396 Organspende 1033 Plaqueruptur 412 Rhythmus, pulsloser idioventrikulärer 378 – Schlagvolumen Kind 1164 – Stromunfall 917 – Thoraxtrauma 885 – Transplantion 396 – Trauma 854, 885 – Damage-control-Konzept 889 – Verbrennung 915 Herzchirurgie; Wundinfektion, postoperative 815 Herzdruckmassage, externe 380 Herzfrequenz (Kind, Säugling) 1164 Herzfunktion – EKG-Monitoring 414 – linksventrikuläre 968 Herzinfarkt (7 Myokardinfarkt) Herzinsuffizienz – akute (7 dort) – Antihypertensiva 460 – chronische (7 dort) – dekompensierte; Phosphodiesterasehemmer 296 – Definition, Einteilung 392 – diastolische 397 – High-output-Herzinsuffizienz 400 – Myokardinfarkt, KardioverterDefibrillator 427 – Rechtsherzinsuffizienz, akute 400 Herzinsuffizienz, akute – Behandlungsziele 394 – Diagnostik 393 – Entlastung des Herzens 394 – hypertensive 397 – Killip-Klassifikation 416 – Komorbidität, auslösende 394 – Monitoring 401, 424 – Pathophysiologie 392 – Prognose 401 – Rechtsherz 991 – Stimulation, positiv-inotrope 396 – Therapie 394–396 Herzinsuffizienz, chronische – Dekompensation, aktue 394 – Therapie, kausale 394 – Transplantation 1051 Herzkathetermessplatz 418 Herzkontusion 885 Herzkrankheit, koronare (KHK) – Angina pectoris 412 – Herztod, plötzlicher 412 – Kardioverter-Defibrillator, prophylaktischer 427 – Koronarsyndrom, akutes 412 – Spektrum 412 Herz-Kreislauf-System – Anaphylaxie 1082 – Basismonitoring 148 – Parameter 165 Herzlappenverletzungen 886 Herz-Lungen-Transplantation 1051 Herzmarker 415 Herzmassage, Neugeborenes 1121 Herzminutenvolumen 166 Herzminutenvolumenkatheter 161 Herzrhythmusstörungen 392
– Aktivität, getriggerte 434 – Automatie, abnorme 434 – AV-Knoten-Reentry-Tachykardie 439 – Blockierung, atrioventrikuläre/ sinuatriale 437 – bradykarde 434–436, 974 – Diagnostik, Differenzialdiagnostik 434, 435 – Erregung, kreisende (Reentry) 434 – Kardiochirurgie 973 – Klinik 434 – Monitoring 423 – Myokardischämie 415 – Oberflächen-EKG 435 – Organspender 1031 – Postinfarktphase 428 – Sinusbradykardie 436 – Sinustachykardie 439 – Tachyarrhythmie 434 – tachykarde 434–437 – atriale 440 – Kammertachykardie, ventrikuläre 443 – Reentry-Tachykardie 434 – Thorakotomie 991 – Vorhofflattern 438 – Vorhofflimmern 438, 973 Herzruptur 886 Herzschrittmacher, Fehllage/Komplikationen 202 Herztamponade 886 Herztod, plötzlicher 378, 412, 418 – Genese 443 Herztransplantation (HTX) 396 – Indikationen 1051 – Isoproterenol 297 – Komplikationen 1052, 1054 Herzzeitvolumen (HZV) – Definition 1164 – Formel 166 – Katecholamine 294 – Kind, Säugling 1164 – Vasopressoren 294, 298 HES 288, 290 »hibernating myocardium« 969 »HICPAC-Guidelines« 40 High-Fidelity-Simulator 112, 114 High-flow-CPAP-System 534 Hinterhauptkopfschmerzen 663 Hinterwandinfarkt, EKG 415 Hirnabszess 689 Hirnatrophie 627 Hirndruck (7 Druck, intrakranieller) Hirngewebe-pO2 184 Hirninfarkt – hämodynamischer 625 – ischämischer 656–660 – Sonographie 622 – sekundärer 624 – Vasospasmus 1016 Hirnnervenausfall, postoperativer 1012 Hirnödem 870 – Blutung, intrazerebrale 1014 – Leberversagen, akutes 573 – Neurochirurgie 1011 – vasogenes 637
– zytotoxisches 637 Hirnparenchym, Proteine 630 Hirnperfusion 624, 1002 Hirnschaden – fokaler/diffuser 862 – Hirntod (diagnostik) 1026, 1028 Hirnschwellung 656 – posttraumatische 637, 638 Hirnstammkompression 1012 Hirntod – Analgosedierung 1026 – Definition/Feststellung 652, 1026 – Diagnostik 386, 652, 1026, 1028 – Neurosonographie 625 – Handlungsalgorithmus, diagnostischer 1026 – Irreversibilität 1027 – Kind 1026 – Meldepflicht, Transplantationsgesetz 1007 – Organspende 1030 – Pathophysiologie 651, 1030 – Reanimation, kardiopulmonale 386 – schwangere Patientin 1062 Hirntodsyndrom 652 Hirudin 312 Histamin 1080, 1082 HITS, Kind 1170 HIV – Abszess, intrakranieller 689 – Aids 836 – Pneumonie 552 – CMV-Infektion 828 – Diagnostik 836 – Enzephalitis, virale 688 – gastrointestinale Manifestationen 840 – Immunrekonstitutionssyndrom, inflammatorisches (IRIS) 828, 838 – Klassifikation 836 – Manifestationsorte 838 – Meningitis, bakterielle 687 – Organtransplantation 1046 – Pneumonie 499, 838 – Postexpositionsprophylaxe 838 – Schwangerschaft, Transmission 1065 – Therapie 836 – Toxoplasmose, zerebrale 840 – Tuberkulose 836 Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV) 529, 1163 Hochrisikoorganisation (HRO) 107 Hochspannungsunfall 917 Höhenödem 209 Hohlorganperforation, Senkungsabszess 959 Homöostase; Schock, hämorrhagischer 281 Hormonhaushalt, Labordiagnostik 244 Hospizbewegung 137 – Kind 1179 »host defence failure disease« 847 »host defence response« 846 Humanalbumin 289, 925 Hunt-u.-Hess-Skala 1007 Hydrocephalus aresorptivus 665
G–H
Hydrokortison 747 – Kardiochirurgie 975 – Sepsis/Schock, septischer 795 Hydrophobie 830 Hydrops fetalis 1143 Hydroxybutyrat-Dehydrogenase (HBDH) 239 Hydroxyethylstärke (HES) 288, 290 – Anaphylaxie 1081 – Schock, hämorrhagischer 282 Hydrozephalus – Aneurysma 1016 – Meningitis 686 – Neurodiagnostik 626 – posthämorrhagischer 1130 – posttraumatischer 870 – Subarachnoidalblutung (SAB) 665 Hygiene(maßnahmen) 38 – »extended-spectrum-βLaktamase« (ESBL) 42 – Beatmungszubehör, Wiederaufbereitung 811 – Bett 42 – Clostridium-difficile-Diarrhö/Kolitis 818 – Desinfektionsplan 43 – Empfehlungen 40 – Fieber, virales hämorrhagisches 831 – Flächendesinfektion 42 – HIV 838 – Intensivmedizin, pädiatrische 1172 – Isolierung 40, 41 – MRSA-Aufnahme-Screening 41 – Prävention device-assoziierter Infektionen 804 – Raumdesinfektion 42 – unnötige 43 – Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) 42 – Wasserhygiene 42 Hygrom, subdurales 1011 Hypalbuminämie; Alkalose, metabolische 758 Hyperbilirubinämie – konjugierte 568 – Neugeborenes 1142 Hyperchloridämie; Azidose, metabolische 758 Hyperglykämie 269, 649 – ketoazidotisches/hyperosmolares Koma 649 – Neugeborenes 1153 – Subarachnoidalblutung (SAB) 1017 Hyperinsulinismus, Neugeborenes 1153 Hyperkaliämie – Labordiagnostik 237 – Neugeborenes 1155 – Nierenversagen, akutes 769 Hyperkalzämie 237, 650 – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1098 Hyperkapnie – Beatmung, lungenprotektive 482 – Beatmung, nichtinvasive 547
1192
Stichwortverzeichnis
Hyperkapnie (Forts.) – Hirntoddiagnostik 1027 – permissive 482 – Säure-Basen-Haushalt 759 Hyperleukozytose 1096 Hypernatriämie 236, 650 – Neugeborenes 1154 Hyperoxygenierung, Früh-/Neugeborenes 1120 Hyperphosphatämie 237 Hyperpolarisation 296 Hyperreflexie, autonome 1021 Hypersomnie 649 Hyperthyreose 742 – Kontrastmittel 743 – thyreotoxische Krise 743 Hypertonie – Antihypertensiva 460 – Diagnostik 457 – Dringlichkeit, hypertensive 456 – Entgleisung, postoperative 456 – Lagerung 125 – Nierenversagen, akutes 460 – Notfall, hypertensiver 456–460 – portopulmonale 1049 – Schwangerschaft 1068, 1073 – Eklampsie, Präeklampsie 459 – HELLP-Syndrom 460 – Sklerose, systemische 1089 – Thermoregulation 972 Hypertonie, arterielle 456 – Apoplex 656, 657 – Blutung, intrazerebrale (ICB) 661 – Cushing-Trias 638 – Druck, intrakranieller (ICP) 638 – hypertensiver Notfall 456 Hypertonie, chronische; in der Schwangerschaft 1068, 1073 Hypertonie, intraabdominelle 560 – Abdominaltrauma 897 – Dekompression 561, 564 – Diagnostik 563 – Kompartmentsyndrom, abdominelles 563 – Normalwerte 563 – Therapie 564 Hypertonie, intrakranielle 637, 638 Hypertonie, maligne 456, 460 Hypertonie, schwangerschaftsinduzierte 459, 460, 1068, 1073 Hypertonie, pulmonalarterielle – Lungenembolie 470 – Rechtsherzkatheter 483 Hypertonie, pulmonale – Frühgeborenes 1138 – Neugeborenes 1134, 1138 Hypertonie, sekundäre 456 Hypertonuslagerung 125 Hyperurikämie 766 Hyperventilation 379, 647 – Angststörung 679 – Blutvolumen, zerebrales (CBV) 1003 – Druck, intrakranieller (ICP) 640 – kontrollierte, Intoxikationstherapie 1109 – zentrale 1005 Hyperventilationstherapie 640 Hyperviskositätssyndrom
– hämatologisch-onkologische Erkrankung 1096 – Neugeborenes 1142 Hypervolämie 288 Hypnotika, Arzneimittelinteraktionen 262 Hypoaldosteronismus 747 Hypofibrinogenämie 312 Hypoglykämie 270, 648, 650 – Insulintherapie, postoperative 797 – Kind 1166 – Labordiagnostik 246 – Neugeborenes 1152 – Therapie 648 Hypokaliämie 650, 706 – Labordiagnostik 237 – Neugeborenes 1155 Hypokalzämie 650 – Neugeborenes 1154 Hypokapnie; Druck, intrakranieller (ICP) 640 Hypokortisolismus 747 Hypomagnesiämie 238 Hyponatriämie 236, 650 – Kochsalzlösung, hypertone 641 – Neugeborenes 1154 Hypoproteinämie 915 Hypotonie – Anaphylaxie 1083 – intradialytische 776 – Kardiochirurgie 971 – Lagerung 125 – Nierenversagen, akutes 765 – Organspender 1031 – sepsisbedingte 794 – Verbrennung 915 Hypothermie 936 – Bergetod 940 – Definition 939 – Druck, intrakranieller (ICP), erhöhter 642 – Früh-/Neugeborenes 1118 – Hirntod 1031 – Notfallmaßnahmen/ Therapie 940, 942 – Pathophysiologie 939 – Postreanimationsphase 385 – Prognose 942 – Reanimation, kardiopulmonale (CPR) 386, 938, 942 – Stadieneinteilung 940 – therapeutische 1006 – Druck, intrakranieller 573 – Hinrinfarkt, ischämischer 660 – Neugeborenenenzephalopathie 1123 – Zirkulation, extrakorporale 972 Hypothyreose 650, 742 – Myxödemkoma 744 Hypoventilation 475 – chronische 707 Hypovolämie 288 – Ileus 560 – Kind 929 – Nierenversagen, akutes 765 – Verbrennung 915 Hypoxämie – Formen 177
– – – –
Frühgeborenes 1131 lebensbedrohliche 378 Mechanismen 474 Neugeborenes 1134 – Mekoniumaspirationssyndrom 1136 – primäre 1132 – Schädel-Hirn-Trauma 861 – Therapie (Rescue-Therapie) 483 Hypoxie 475 – Anaphylaxie 1083 – Gehirn 649 – perinatale 1139 – zerebrale – Normalwert 184 – Status epilepticus 672 HZVPC 167 HZV-Pulskontur 167
I IABP (7 Ballonpumpe, intraortale – IABP) ICP (7 Druck, intrakranieller – ICP) Icterus praecox 1143 ICU-Syndrom 18, 322, 335, 676 Idealgewicht (IBW) 260 I:E-Verhältnis, Beatmung 523, 529 Ifosfamid 1098 Ikterus 1071 – cholestatischer 569 – Differenzialdiagnose 568 – Leberversagen, akutes 571 – neonataler 1143 ILCOR-Leitlinie Basic-Life-Support, Kind 1170 Ileum, Abdominaltrauma 906 Ileus – Ätiologie 559 – Auswirkungen 559 – Clostridium difficile 817 – Definition 559 – Komplikationen 559 – Neugeborenes 1148 – paralytischer 963 – CT 228, 229 – Kompartmentsyndrom, abdominelles 560, 563 – Pathophysiologie 559 – Ursachen 559 Ileuseinleitung 347 Imaginationsverfahren 21 IMC (Intermediate-Care-Station); Empfehlungen der DGAI 95 Immobilisation – Auswirkungen 133 – Thrombophlebitiden 316 Immunglobuline 1043 – Erkrankungen des Nervensystems 631 – Sepsis 797 Immunrekonstitutionssyndrom, inflammatorisches (IRIS) 828, 838 Immunsuppression – Abszess, intrakranieller 689 – Aussetzung 1045 – Autoimmunerkrankung 833 – Beatmung, nichtinvasive 552 – Definition 499
– Enzephalitis, virale 688 – gastrointestinale Manifestationen 840 – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1096 – HIV (7 auch dort) 499, 836, – iatrogene 833, 844 – Immunrekonstitutionssyndrom, inflammatorisches (IRIS) 838 – Impfung 1045 – Infektion 833 – Anfälligkeit 1043 – pulmonale 374 – intrinsische, Tuberkulose 822 – Lupuskrise 1091 – Meningitis, bakterielle 687 – pathologische 750 – Pneumonie 499, 838 – Polytrauma 856 – posttraumatische 916 – Rheumatherapie 833, 1092 – Sepsis 1045 – Steroidtherapie 490 – Transplantation – Grundsätze 1038 – Herz 1054 – Knochenmarktransplantation 834 – Leber 1051 – Lunge 1054 – Niere 1042, 1047 – Pneumonie 500 – Tuberkulose 822, 836 – Tumorerkrankung 1045 – Varizella-zoster-Virus 828 – ZNS-Manifestationen 840 – Zytomegalovirus (CMV) 828, 829 – Zytostatika 1096 Immunsuppressiva 1038 – Antilymphozyten-Antikörper 1043 – Antiproliferativa 1042 – Calcineurin-Inhibitoren 1040 – Dosierung 1038 – Herztransplantation 1054 – Kortikoide 1038 – Lebertransplantation 1051 – Lungentransplantation 1056 – Nebenwirkungen 1040 – Nierentransplantation 1042, 1047 Immunsystem, Verbrennung 915 Impfung – Immunsuppression 1045 – Splenektomie 903, 908 Impressionsfraktur, offene/geschlossene 867 Indocyaningrün (ICG)-Clearance 259 Indometacin; Druck, intrakranieller (ICP) 641 Infarktlokalisation 415 Infektion – Abszess, intraabdomineller 963 – Abszess, intrakranieller 689 – Antibiotika 782 – Arthritis, septische 1092 – bakterielle 822 – Beatmung als Stimulus 528 – Candida 785 – Cholezystitis 960
1193 Hyperkapnie – Intubation
– Clostridien 960 – Diagnostik 791 – Blutkultur 803 – Empyem, subdurales 689 – Entzündungsmarker Polytrauma 847 – Entzündungsreaktion, posttraumatische 846 – Ernährungstherapie 266 – Fasziitis, nekrotisierende 825 – Fieber, hämorrhagisches virales 830 – Gasbrand 825 – gefäßkatheterassoziierte 804, 807 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 823 – Immunsuppression 1043 – iatrogene 833 – Infektionsschutzgesetz – Erreger, meldepflichtiger 1013 – Influenza 827 – Tuberkulose 822 – Influenza 826, 827 – intrakranielle 1012 – Kardiochirurgie 974, 979 – Kolonverletzung 907 – Kompartment, abdominelles 963 – Leberchirurgie 958 – Malaria 831 – Neugeborenes 1151 – Neutropenie 1100 – nosokomiale 38, 804 – Definition 802 – device-assoziierte 804 – Diagnostik 803 – Gasbrand 825 – Harnwegsinfekt 811 – Kostendruck 87 – Leitlinien 804 – Pathophysiologie 802 – Pneumonie 809 – Prävention 804 – Wundinfektion, postoperative 815 – Ösophaguschirurgie 950 – Pankreatitis 961 – Platzbauch 963 – Pneumonie, ventilatorassoziierte 374, 527 – Polytrauma – »first«/»second hit« 846 – Therapie 849 – Prävention (Hygienemaßnahmen) 38 – Sepsis 790 – Kind 1171 – Schock 278 – Sigmadivertikulitis 962 – Splenektomie 903, 908 – systemische 846 – systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS), Kind 1171 – Therapie 792, 793 – Tollwut 830 – Translokation, bakterielle intestinale 565 – Tuberkulose 822
– – – –
Varizella-zoster-Virus 827 Verbrennung 914, 925 virale 826 Weichteilinfektion, abdominale 959 – ZNS 632, 684 – Zytomegalovirus (CMV) 828 Infektionsschutzgesetz – Erreger, meldepflichtiger 1013 – Influenza 827 – Tuberkulose 822 Inflammation – Diagnostik 791 – Kardiochirurgie 974, 978 – Sepsis 790 – systemische (SIRS), Polytrauma 846 – Therapie 792 – Verbrennung 914 – »whole body inflammation« 847 Influenza 826 – Infektionsschutzgesetz 827 – Varianten 826 »informed consent«, Palliativmedizin 137 Infusion – Ernährung 267 – Polytrauma 848 – Säure-Basen-Haushalt, Beeinflussung 759 – Transport 49 – Wechsel des Infusionssystems 809 Infusionslösung – kolloidale 1081 – plasmaadaptierte 289 – balancierte 759 – Inhalationsanästhetika 330 – Dosierung 330 Inhalationstrauma 916 – alter Patient 929 – Dekontamination 1108 – Kind 929 – Reizgas 1103 Inkarzeration, CT 228 Inodilatator 297 Inotropika 294 – Komplikationen 298 – Substanzen 296 – Therapieprinzipien 298 Insekten, Anaphylaxie 1081 Inselzelltransplantation 1047 Instrumentenaufbereitung 43 Insuffizienz, respiratorische 522 – Beatmung, nichtinvasive (NIV) 532 Insulin – Pankreatitis, akute 584 – postoperativ 797 »insulin-like growth factor 1« (IGF-1) 749 Insulinresistenz 246, 269 – Sepsis 271 Insult, hämorrhagischer 459 Insult, ischämischer 457 Insult, zerebraler 458 Intensivbehandlungssyndrom (ICU-Syndrom)/Durchgangssyndrom 18, 322, 335, 676
Intensivmedizin – Behandlungspflicht 15 – Definition 29 – ethische Aspekte 140 – Grenzen 15, 136, 141 – Grundausstattung bildgebende Verfahren 191 – Hirntoddiagnostik 1026 – Intensivpflege 28 – Labordiagnostik 236 – Leistungserfassung 84 – neonatologische 1117 – Ökonomie 80, 84 – Organspender 1030 – pädiatrische 1160 – Pharmakokinetik 261 – Palliativmedizin 136 – Qualitätsmanagement 80 – Scores 56 – Therapieabbruch/-verzicht 136, 142 – Transplantationsmedizin 1037 Intensivpflege – aktivierende 719 – Aufgaben 28 – Aus-/Weiterbildung 29 – Blasendauerkatheter 814 – Empfehlung DKG, DGA 28 – Frührehabilitation, neurologische 715, 719 – Haarentfernung, präoperative 816 – Komapatient 717 – Kompetenz 30 – Lagerungstherapie bei akutem Lungenversagen 482 – Leistungserfassung in der Pflege (LEP) 85 – »minimal handling« 1125, 1174 – Monitoring, neurologisches 1007 – NANDA-Klassifizierung 29 – pädiatrische 1160, 1174 – palliative 140 – Pflegepersonal – Anhaltszahlen 96 – Mangel 96 – Personalmanagement 32 – Personalschlüssel 85, 95 – Pflegeverständnis 29 – Pflegevisite 33 – Pflegezeiterfassungsmodell 85 – Qualität 96 – Schlüsselqualifikation 30 – Schmerztherapie, prophylaktische 139 – TISS-Score 57 Intensivtherapie – A-Phase 124 – Beendigung 94 – B-Phase 124 – Damage-control-Konzept 850 – Frührehabilitation 124 – Intermediate-Care-Station (IMC) 95 – Langzeitfolgen 119, 121 – Lebensqualität 120 – patientenzentrierte 107 – unverzügliche 92
H–I
Intensivtransportprotokoll der DIVI 52 Interhospitaltransfer (7 Transport) Interleukin-6 (IL-6), Sepsis 791 Interlobärerguss 206 Intermediate-Care-Station (IMC) 95 – DGAI-Empfehlungen 95 »interventional lung assist« (iLA) 483 Intoxikation – Antidota 1109 – Azidose, Ätiopathologie 754 – Brandgasvergiftung 917 – Dekontamination 1106 – Diagnostik 1103 – Dialyseverfahren 777 – Drogen 678, 1175 – Elimination 1108 – Giftindex 777 – Giftinformationszentrum 1109 – Giftnotrufzentrale 777 – Grundlagen, toxikologische 1102 – Hämodialyse 1108, 1109 – Hämoperfusion 1109 – Kohlenstoffmonoxid 917 – Nachabsorption 1106 – Noxe (Identifikation, Bewertung) 1104 – Opioide, Kind 1175 – Personalgefährdung 1105 – Schweregradeinteilung (»Poisoning Severity Score«) 1102 – Screening, toxikologisches 1105 – Sedativa 1028 – Therapie 1105 – Zyanwasserstoff 917 intrinsische Aktivität 252 Intubation – Angehörige 21 – endotracheale – alternativer Zugang bei CPR 382 – Apoplex 657 – Atemweg, oberer (Anatomie) 342 – Atemweg, schwieriger 343, 345 – Beinahe-Ertrinken 938 – Blutung, gastrointestinale 592 – bronchoskopische 370, 373 – Cormack-Einteilung 346 – »do not intubate« 552 – Doppellumentubusintubation 374 – fiberoptische 347 – Früh-/Neugeborenes 1120 – Führungsstab 344 – GCS Kind 1177 – Gesichtsschädelfraktur 880 – Hilfsmittel, technische 342–344 – Ileuseinleitung 347 – Inhalationstrauma 916 – Intubationszange 344 – Kind 1162, 1178 – Komplikationen 348 – Lagerung 345 – Laryngoskope 343
1194
Stichwortverzeichnis
Intubation, endotracheale (Forts.) – Larynxödem, anaphylaktoides 1083 – Mallampati-Klassifikation 345 – Maske 342 – nasale 373 – nasotracheale 346, 880 – NIV-Abbruchkriterien 548 – orale 373 – Pneumonie 810, 811 – Postextubationsphase 551 – Präoxygenierung 346 – Reanimation, kardiopulmonale 382 – Schädel-Hirn-Trauma 863 – Spatel 343 – Tuben 343 – Weaning 534 – Indikationen – Anfall, epileptischer 670 – Asthmaanfall 517 – COPD 517 – Intubationsschaden 348 – Kommunikation 20 – Notintubation, Tracheotomie 355 – orotracheale 346 – Pneumonie, schwere ambulant erworbene 492 – prolongierte 373 »inversed ratio ventilation« 523 Ioniogramm, normales 757 Ipecacuanha-Sirup 1107 Ischämie – Extremitäten 998 – Gefäßchirurgie 999 – mesenteriale 602, 997 – Diagnostik 604 – Prognose 609 – Therapie 607 – nichtokklusive mesenteriale (NOMI) 602–608 – Rutherford-Klassifikation 999 – zerebrale 458, 995 Ischämie-ReperfusionsSyndrom 847 Isolierung, Patient 40 – Fieber, hämorrhagisches virales 830 – Kohortenisolierung 40 – MRSA 41 Isoproterenol 297 ITBV (intrathorakales Blutvolumen) 168 ITTV (intrathorakales thermales Volumen) 168
J Jacobson, progressive Relaxation nach 21 Jacobson-Formel zur Berechnung der Körperoberfläche 928 Jehovas Zeugen, Hämotherapie 308 Jejunostomie 269 Jejunum, Abdominaltrauma 906 Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom 445 JET-PEG 269 Jochbeinfraktur 876 Juckreiz 135, 140
Juninvirus 831 juristische Aspekte – Patientenverfügung/-vollmacht, Betreuungsverfügung/-vollmacht 140 – Sterbehilfe, aktive 136 – Strafverfahren 11 – Therapieverzicht/-abbruch 141 – Zivilverfahren 10, 11
K Kaffeesatzerbrechen 590 Kalium, Labordiagnostik 237 Kalorienbedarf 246 – Leberversagen 272 – Nierenversagen, akutes 772 – Säugling, Kind 1171 – Sepsis 271 Kalorimetrie, indirekte 247, 266 Kalottenfraktur 867 Kälteagglutination 775 Kalzium – Labordiagnostik 237 – Reanimation, kardiopulmonale 384 Kalziumantagonisten 461 Kalzium-Sensitizer 295, 297 – Kind 1168 Kammerflattern – Definition 378, 445 – Therapie 445 Kammerflimmern 418 – Definition 378, 445 – Postinfarktphase 428 – primäres 415 – Therapie 445 Kammertachykardie, ventrikuläre 443 Kapillarblut, arterialisiertes; Entnahme 175 Kapillarleck (7 »capillary leak syndrome«) Kapnometrie, Messprobleme 173 Kaposi-Sarkom 840 Kardiochirurgie – Herz-Kreislauf-Therapie 967 – Herzrhythmusstörung 973 – Komplikationen 976 – minimalinvasive 979 – Monitoring 966 – Psychosyndrom, delirantes/ Durchgangssyndrom 978 – »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) 974, 978 – Transfusion 976 Kardiomyopathie, septische; Katecholamine 296 Kardiotokographie 1062 Kardioversion 443, 974 – Indikationen 382 – Reanimation, kardiopulmonale 382 Kardioverter-Defibrillator, prophylaktischer 427 Karotisrekonstruktion 995 Karotis-Sinus-cavernosus-Fistel 626 Karotis-Sinus-Massage 441 Katecholamine
– Druck, intrakranieller erhöhter 641 – Hypersekretion 748 – Indikationen 296 – Kind 1168 – Pharmakologie 294, 295 – Rezeptoren 296 – Sepsis 795 – Substanzen 296, 297 Katecholaminexzess 460 Katechol-O-Methyltransferase 295 Katheter – Anlage 809 – antibiotikabeschichteter 808 – arterieller, Komplikationen 805 – Dialyseverfahren, Katheterpflege 774 – Embolie 160 – Hickman-Katheter 805 – intravasaler, Maßeinheiten 153 – Katheterinfekt, Risikofaktoren 160 – Katheterlabor 398 – Kathetersepsis 803, 806, 807 – Komplikationsrisiken 804 – Lagekontrolle 196 – linksatrialer, Kardiochirurgie 967 – Pulmonalarterienkatheter (PAK) 805 – Schädel-Hirn-Trauma 866 – Sepsis, nosokomiale 804 – Venenkatheter, peripherer 805 – Venenkatheter, zentraler – Fehllage 197 – Infektionen 804 – Kardiochirurgie 966 – Komplikationen 157, 197 – nicht getunnelter 805 – peripher inserierter 805 – Wechsel 809 Katheterperiduralanästhesie 333 Katheterplexusanästhesie, Dosierung 333 Katheterthrombembolektomie nach Forgarty 999 Kavernom 626 Keratinozytensuspension 924 Kerley-Linien 208 Kernikterus 1144 Ketamin 329, 1009 Ketoazidose 754 Killip-Klassifikation; Schock, kardiogener 416 Kind – Altersstufen 261, 1160 – Analgesie 1173 – Atemwegsmanagement 1162 – Beatmung 1162, 1163 – Bewusstsein, gestörtes 862, 1176 – Blutdruck, systolischer 1164 – Bluttransfusion 1167 – Children´s Coma Scale 862, 1176 – Diarrhö, hämorrhagische 823 – Ernährung 1171 – Verbrennung 927, 929 – Flüssigkeitshaushalt, Verbrennung 928 – Frührehabilitation 1178 – Gewichtsabschätzung 1161
– Hämoglobin, Normalwerte 1178 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 823 – Hirntodfeststellung 1026 – Inhalationstrauma 929 – Intoxikation 1104 – Ipecacuanha-Sirup 1107 – Körperoberfläche 928 – Kreislaufinsuffizienz 1164 – Lebertransplantation 1048 – Monitoring 1164 – Organisationsstruktur der pädiatrischen Intensivstation (PICU) 1160 – Pharmakokinetik 261 – physiologische Besonderheiten 1161 – Reanimation, kardiopulmonale (CPR) 1169 – Relaxierung 1175 – Schädel-Hirn-Trauma 1176 – Schmerzmessung 1176 – Schmerztherapie 1173 – Schock, hämorrhagischer 279 – Sedierung 1175, 1176 – systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) 1171 – Verbrennung 928 – Ernährung 927 – Körpertemperaturmanagement 925 – Neuner-Regel 914 – Verbrühung 928 – Volumentherapie 1161, 1167 – Zugang 1161 – intraossärer 383 Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS) 1176 King´s-College-Kriterien 574 KISS (Krankenhausinfektions-Surveillance-System) 40, 83 – Wuninfektion, postoperative 816 Kleinkind, Altersangabe 261 Klimatisierung 39 Knochenkanüle Kind 1161 Knochenmarktransplantation 1098 – Infektion 834 – Komplikationen, pulmonale 374 Knollenblätterpilz 1105 Koagulopathie – Leberversagen, akutes 571 – Neugeborenes 1145 – septische 316 Kocher-Manöver 900 Kochsalzlösung 289 – hypertone; Druck, intrakranieller (ICP) 641 Kohlendioxidelimination Neugeborenes 1133 Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) 238, 757 Kohlenhydrate 246 Kohlensäure-Bikarbonat-Puffersystem 752 Kohlenstoffmonoxid, Intoxikation 917 Kohortenisolierung 40 Kolitis – fulminante 817
1195 Intubation, endotracheale – L-Carnitin
– Infektionsweg 817 – neutropenische, CT 229 – pseudomembranöse 817 – CT 229 Kollagenose, Lupuskrise 1091 Kolloide – Gelatine 290 – Humanalbumin 289 – Hydroxyethylstärke (HES) 290 – Kind 1167 Kolon – Abdominaltrauma 907 – Blähung 221 – Perforation 907 Kolonkontrastmitteleinlauf 562 Koloskopie 562 – Vorbereitung bei vorgeschädigter Niere 771 Koma – Coma vigile 648 – Definition 646 – Diagnostik 646 – Differenzialdiagnosen 718 – hepatisches 650 – Hirntod 652 – Hypersomnie 649 – Kommunikation 132 – Meningitis 685 – »minimally conscious state« 648 – Mutismus, akinetischer 648 – Myxödemkoma 743, 744 – Neurosonographie 623 – Pathogenese 646 – »persistent«/»permanent vegetative state« 648 – Schädel-Hirn-Trauma 852 – Störung, metabolische 649 – Therapie 648 – Tollwut 830 – unklares, Diagnostik 622 – urämisches 650 – Wachkoma 648 – Frührehabilitation 716 Kommunikation – Angehörige 22, 23, 1178 – Aus-/Weiterbildung 107, 108 – Balint-Gruppe 25 – Beatmung, nichtinvasive 552 – Blickkontakt 20 – Debriefing 25 – ethisches Fallgespräch 142 – Feedback 100, 108 – Ich-Botschaft 100 – Intensivmedizin, pädiatrische 1179 – Intubation 20 – Kind 1160 – Koma 126, 132, 720 – M&M-Konferenz 99 – Palliativmedizin 136 – Patient 19 – aggressiver 679 – Aufklärung 13 – Sprachstörung 134 – Patientendatenmanagementsystem (PDMS) 101 – Pflege 28 – Reiz, taktiler 20 – Scoresysteme 62
– Supervision 25 – Technik 101 – Todesnachricht 23 – Verhandlung 102 – Zielvereinbarungsgespräch 99 – Zuhören, aktives 99, 100 Kompartimentmodell 255 Kompartmentsyndrom – abdominelles 560, 563, 854, 897 – Operationskomplikation 963 – Trauma 902 – Diagnostik 628 – Revaskularisationsoperation 998 Komplikationsvermeidung 92 Konflikt(management) 101, 102 Koniotomie 352 Konsildienst, psychosomatischer 25 Kontrastmittel – Nephrotoxizität 771 – iodhaltiges – Anaphylaxie 1080 – bekannter Allergie 1085 Konvektion 773 Kopfschwarte, Trauma 867 Koproporphyrie, hereditäre 706 Kornealreflex 647 – Fehlen 1027 Koronarangiographie, Angina pectoris 423 Koronararterien, Verletzung 886 Koronarintervention, perkutane 418, 419 Koronarstenose 413 Koronarsyndrom, akutes 412–418 – Sekundärprävention 425 – Sofortmaßnahmen 418 – Therapie 416 Körperoberfläche (KOF) 260 – Kind 928 Körpertemperatur – Hirntoddiagnostik 652 – Schädel-Hirn-Trauma 866 – Temperaturregulationsstörung 1006 Körperverletzung 13 – fahrlässige 11 Körperwahrnehmung 133 – Lagerung 131 Kortikosteroide – Allergie 1085 – Immunsuppression 1038 – Lungenreifeinduktion, fetale 1063 – Schock, hämorrhagischer 285 – Trauma, spinales 1019 Kortisol 244, 746 Kosten 84–86 – Budget 84 – Erstattung 85 – Fallpauschalensystem 84 – Kostendruck 86, 92 – Aus-/Weiterbildung 112 – Personal 95 – Liegedauer 86 – NUB-Leistung 86 – Personal 85, 87 – Sonderentgelt 84 – Tageskosten 85 – Zusatzentgelt (ZE) 86
Kostenartenrechnung 84 Kostenstellenrechnung 84 Kostenträgerrechnung 84 Krampfanfall 1150, (7 auch Epilepsie) Kraniotomie 1010 Krankenhaushygiene (7 Hygienemaßnahmen) Krankenhausinfektion 38 Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) 40, 83 – Wuninfektion, postoperative 816 Krankenhausmortalität 119 – Sepsis 793 Krankenhausnetzwerk der Rehabilitationszentren 95 Krankenpflege (7 Intensivpflege) Kreatinin 768 – Labordiagnostik 240 – Nierenfunktion 764 Kreatininclearance – Cockroft u. Gault, Berechnung nach 257 – Konzept der totalen 258 – Schätzung 257 Kreatinkinase (CK) – herzmuskelspezifische 416 – Labordiagnostik 239 Krebs – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1096 – Tumor, solider 1098 Kreislaufinsuffizienz Kind 1164, 1165 Kreislaufstillstand – Beatmung 379 – Diagnostik, Formen, Ursachen 378 – kardiozirkulatorische Störungen 378 – Kind 1165, 1169 – respiratorische Störungen 378 – Schlag, präkordialer 380 Kreislaufunterstützung, mechanische 399 Krikoiddruck 380 Krim-Kongo-Fieber 831 Kristalloide 289 – Kind 1167 Kryopräzipitat; Schock, hämorrhagischer 284 Kryotherapie, Postreanimationsphase 385 Kryptokokkenmeningitis 840 Kunin, Halbierungsregel nach 257 Kunstherz 396 – Kind 1169 Kurzdarmsyndrom 908 – Neugeborenes 1150 Kussmaul-Atmung 647
L Labetalol 657 Labordiagnostik 236 – Abdominaltrauma 895 – Antikoagulationsmanagement 307 – Bewusstseinsstörung 647
– – – – – – – – – – – – – –
Blutkultur 803 Endokarditis 448 Fehlermöglichkeiten 245 Gerinnung 241, 305 Harnwegsinfektion 812 Intoxikation 1104 Koronarsyndrom, akutes 415 Kreatinin 768 Liquordiagnostik 684, 688 Perikarderguss 407 Plausibilitätsprüfung 245 Postaggressionsstoffwechsel 245 Schock 281 Schwangerschaftsfeststellung 1062 – Sepsis 794 – Stufendiagnostik 245 – Systematische Toxikologische Analytik (STA) 1105 – Toxikologie 1105 Lagerung(stechnik) 127, 719 – Antidekubitusbett 127 – Bauchlage 126 – Frührehabilitation 719 – Halbseitensymptomatik 125 – Ossifikation 133 – Pneumonie – beatmungsassoziierte 527 – schwere ambulant erworbene 492 – Rückenmarkverletzung 1020 – Superweichlagerung 124 – Thoraxchirurgie, postoperativ 990 β-Laktamantibiotika 783 – Anaphylaxie 1080 Laktat, Polytrauma 848 Laktatazidose 754 Laktatclearance, Sepsis 792 Laktatdehydrogenase (LDH) 239, 416 – HIV 836 – Labordiagnostik 239 Laktat/Pyruvat-Quotient 186 Lambert-Eaton-Syndrom 708 Landouzy-Sepsis 822, 834 Langzeitfolge der Intensivtherapie – Score, prognostischer 118 – Sekundärkomplikationen 127 Langzeitmortalität, Einflussfaktoren 118 Lappenatelektase 214 Laryngoskopie 343 – Cormack-Einteilung 346 – Videolaryngoskop 343 Larynxmaske 344 Larynxödem, Anaphylaxie 1080– 1083 Lassavirus 831 »late onset pneumonia« 497 Lateralsklerose, amyotrophe (ALS) 703 Latexallergie, Anaphylaxie 1081 Lauge 752 Lavage, bronchoalveoläre (BAL) 371 Laxanzien 139, 268 – Intoxikation 1106, 1107 L-Carnitin 744
I–L
1196
Stichwortverzeichnis
LDH (7 Laktatdehydrogenase – LDH) LDL-Cholesterin; Myokardinfarktprävention 426 »lean body weight« (LBW) 260 »Leapfrog Group« 83 Lebenserhaltungsprinzip 141 Lebensqualität 119–121 – Palliativmedizin 137 – Patientenwille 141 – Testinstrument 119 Leber – Abdominalchirurgie 956 – Abdominaltrauma 902, 903 – Antibiotika 823 – Arzneimitteldosierung 259 – Arzneimittelmetabolisierung 254 – Neugeborenes 261 – Bilirubinenzephalopathie 1144 – Child-Score 259 – Cholestase, sepsisinduzierte 568 – Funktionsstörung nach Leberchirurgie 957 – Hämatom 224 – Hepatitis 569 – hepatorenales Syndrom (HRS) 574 – Hyperbilirubinämie Neugeborenes 1142 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Ikterus 568 – neonataler 1143 – Kernikterus 1144 – Intoxikation 1103 – Labordiagnostik 240 – Leberchirurgie 956, 957 – Midazolam 326 – Notfalllaparotomie 901 – Organspende 1032 – Regenerationspotenzial 573 – Ruptur 855, 896, 903 – Schock 277 Leberabszess, Sonographie 224 Leberfunktion – Abschätzung 259 – Child-Score zur Leberfunktionsbeurteilung 259 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 – Schock 277 – Störung, Dosisanpassung 260 Leberinsuffizienz – chronische 574 – Pharmakokinetik 259 Lebertransplantation 575 – Cholangitis, sekundär sklerosierende 566 – Clichy-Kriterien 574 – King´s-College-Kriterien 574 – Komplikationen 1050 – Leberversagen, akutes 573 – MELD-System 1048 – Monitoring 1050 – Organvergabe 1048 – Splitlebertransplantation 1048 Leberunterstützung, extrakorporale 576, 577 Lebervenenthrombose 224
Leberversagen – akutes 570–572 – hepatorenales Syndrom 765, 771 – Inzidenz 259 – Multiorganversagen 571 – Therapie 572 – Ursachen 570 – akut-auf-chronisches 574, 575 – beginnendes 573 – Ernährung 272 Leberzirrhose, Pharmakokinetik 259 Le Fort I–III 877 – Polytrauma 853 Lehrkonzept 112 Leidensverlängerung 136 Leistungserfassung in der Pflege (LEP) 85 Leiter einer Intensivstation (7 Führungsaufgaben) Leitlinien – Analgosedierung 323 – Aus-/Weiterbildung 111 – AWMF-Leitlinien 12 – Sorgfaltspflicht 12 Leitungsanästhesie 332 – rückenmarknahe 332 Lernen, motorisches 133 Leukämie – akute 1096 – Therapienebenwirkungen 1097 – Tumorlysesyndrom 1097, 1100 Leukenzephalopathie, reversible posteriore 458 Leukomalazie, periventrikuläre 1131 Leukotriene 1080 Leukozytenkonzentrat 309 Levosimendan 297, 969 – Kind 1168 Liaisondienst 25 LiDCO-System 169 Liegedauer 86, 87 – Verkürzung 92 Linksschenkelblock 415 Lipase – Labordiagnostik 239 – Pankreatitis 581 Lippenbremse 530 Liquordiagnostik 684, 688 Liquordrainage – Aortenaneurysma 997 – Druck, intrakranieller (ICP) 640 – Meningitis 1017 Liquorentstehung 630 Liquorfistel 868 Liquorpunktion, zur Meningitisdiagnostik 685 Liquorrhö 868 Liquor/Serum-Quotient 629, 684 Liquorzellzahl, Liquorzellzytologie 632 Liquorzirkulationsstörung 656, 665 Listerienmeningitis 686 Lobektomie 991 Locked-in-Syndrom 648 – Frührehabilitation, neurologische 718 Logopädie 134
Lokalanästhetika, topische Applikation 1156 Lorazepam 326 – Kind 1175 Lordoseaufnahme 194 Lose-lose-Situation 102 Low-fidelity-Simulator 114 Low-output-Syndrom – Kardiochirurgie 968 – Katecholamine 296 – Phosphodiesterasehemmer 296 Low-T3-Syndrom 244 Low-tidal-volume-Beatmung 1163 Luftansammlung – Abdominaltrauma 898 – freie intraperitoneale 896 – freie retroperitoneale 896 – Pleura 362 Luftembolie 152, 160 Lumbalpunktion 628 – Indikationen 632 Lumineszenzradiographie 192 Lundberg-Welle 636 Lunge – alter Patient 929 – Anschoppung 1098 – Barotrauma 527 – pulmonales 933 – Blutung, Früh-/Neugeborenes 1140 – Brandgasvergiftung 917 – Bronchoskopie, flexible 370 – Compliance 1133 – Emphysem, lobäres; Früh-/Neugeborenes 1137 – Frühgeborenes 1123 – Gasaustausch, pulmonaler 475 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Hypoplasie, Früh-/Neugeborenes 1137 – Infiltrat 374 – Inhalationstrauma 916 – Insuffizienz, respiratorische 522 – Lungenreifeinduktion, Frühgeburt 1063 – Lungenversagen, akutes 480 – Malignom, pulmonales 371 – Neugeborenes 1133, 1134 – Organspende 1033 – Pneumonie, ventilatorassoziierte 374 – Pneumothorax 362 – Resistance 1134 – respiratorische Insuffizienz 474 – Scherkräfte 527 – Tauchunfall 932 – Torsion von Lungenlappen 989 – Trauma 854 – Tuberkulose 822 – Verbrennung 916 – weiße 1125 Lungenembolie 466 – Kreislaufstillstand 378 – Malignom, ursächliches 470 – Thrombose 466 Lungenfunktion – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121
– Regulationsstörung, zentrale 1005 Lungeninfarkt 163 Lungenkontusion 883 Lungenkrankheit, neonatale chronische 1126 Lungenödem – akutes kardiogenes – Stimulation, positivinotrope 398 – Therapie 397, 389 – Therapiealgorithmus 395 – ARDS 482 – Beatmung 526 – Definition 207 – hämorrhagisches 1126 – hydrostatisches 207 – kardiales – Beatmung 549 – Diuretika 460 – Koronarsyndrom, akutes 414 – neurogenes 209, 1005 – Nierenversagen, akutes 769 – postobstruktives 209 – Reexpansionsödem 367 Lungenreifeinduktion 1063, 1124, 1126 – Präeklampsie 1074 Lungentransplantation 1054, 1055 – Abstoßung 374, 1056 – Pneumoniediagnostik 499 Lungenversagen, akutes 209 – Atemzugvolumen, Berechnung 528 – Beatmung, lungenprotektive 482 – Beatmungseinstellung/verfahren 528, 529 – CPAP 550 – Diagnostik 481 – Ernährung 271 – Hochfrequenz-Oszillations-Ventilation (HFOV) 1163 – Hyperkapnie 550 – Inhalationstrauma 916 – Kardiochirurgie 977 – Kind 1163 – Klinik 481 – Lagerungstherapie 810 – Pathophysiologie 480 – Schweregrade 480 – Therapie 481–484 – Ursachen 480 – Zwerchfellexkursion 529 Lungenwasser, extravaskuläres (EVLW) 168 Lupus erythematodes 1092 – Lupuskrise 1091 luteinisierendes Hormon (LH) 749 Lymphozytose, HIV 836 Lyseblutung 312 Lysetherapie pAVK 999
M Machupovirus 831 Mafenid 920 Magen – Abdominaltrauma 905 – Stressblutungsprophylaxe 594
1197 LDH – Moyamoya-Wundernetz
– Stressläsion 594 Magenbeatmung 380 Magen-Darm-Passage, verzögerte – Gastroparese 558 – Ileus, paralytischer 559 – Pseudoobstruktion 561 – Reflux 558 – Stimulation 561 Magen-Darm-Trakt – Diarrhö, Clostridium-difficileinduzierte 817 – Kolitis 817 Magensonde – Intoxikation 1106 – Schädel-Hirn-Trauma 866 Magenspülung 1106 Magenulkus, perforiertes 962 Magill-Zange 344 Magnesium 1073 – Asthma bronchiale 512 – Labordiagnostik 238 – Präeklampsie 1075 – Reanimation, kardiopulmonale 384 – Überdosierung 1075 Mainz-Marburg-Studie 1081 Malabsorption, Ernährung 266 Malaria 831 – Leitlinien 833 Malformation, zerebrovaskuläre 656 Malignom, als Ursache für Intensivpflichtigkeit 1096 Mallampati-Klassifikation 345 Mallory-Weiss-Läsion 592, 597 Malrotation 1147 Mannit 640 – Reboundphänomen 640 Mantelpneumothorax 363 MAO 295 Marburg-Virus 831 Marcumar 312 – Marcumar-Nekrose 320 MARS-System 576 Massenverschiebung, intrakranielle 651 Massivtransfusion 308 – Polytrauma 282 »Master of Medical Education« (MME-D) 106 Mastzelltryptase 1082 Materialbeschaffung 93 Meckel-Divertikel 590 Mediainfarkt, maligner 642 Medianus-SEP 1028 Mediastinalerweiterung 218 Mediastinitis, Ösophaguschirurgie 951 »Medical Emergency Team« (MET) 94 »Medical Outcome Survey Short Form-36« (SF-36) 120 Medikamente – Bevorratung 93 – Gesamtclearance 258 – Top-fifty-Liste 93 – Top-ten-Liste 93 Medikamentenabusus 19 – Entzugssyndrom 678
Medikamentenapplikation, Sondenernährung 269 Medikamentenausstattung Notfallkoffer 49 Medikamentenvernebler 811 Medizinethik 6 Medizintechnik, Bedienfehler 115 Meek-Technik 923 Megakolon, toxisches 561, 817 Mekoniumaspirationssyndrom 1135 Mekoniumileus/-obstruktion/pfropfsyndrom 1148 Meläna 590, 593 MELD-Score 1048 Membranoxygenierung, extrakorporale (ECMO) – Früh-/Neugeborenes 1139 – Kind 1169 – Lungenversagen, akutes 483 – Prinzip 483 – Thoraxtrauma 883 Membransyndrom, hyalines 1124 Mendelsson-Manöver 130 Meningeosis carcinomatosa/blastomatosa 630 Meningismus 685 Meningitis 684 – Antibiotika 1013 – bakterielle 629, 684 – Diagnostik, Therapie 685 – tuberkulöse 823 – Meningokokkenmeningitis 686 – neonatale 1152 – Neurochirurgie 1013 – postoperative 870 – posttraumatische 870 – Subarachnoidalblutung 1017 – tuberkulöse 629 – virale 629, 687 Meningoenzephalitis 684 – bakterielle 1013 Meningokokkenmeningitis 686 Meniskuszeichen 605 Merendino-Operation 950 Mesenterialarterienembolie, akute 603 Mesenterialarterienthrombose 603 Mesenterialischämie 997 Mesenterialvenenthrombose 602–604 – Therapie 608 Mesh-Graft 923 Metabolismus – Adaptation 245 – Energiestoffwechsel 247 – Labordiagnostik 245 – Neugeborenes 1152 – Postaggressionsstoffwechsel 245 – Störung 649 – Auswirkungen, zerebrale 649 – Stoffwechseldefekt, kongenitaler 1153 Meteorismus; Ischämie, mesenteriale 605 Methacetin-Atemtest 259 Methicillin-resistente Staphylococcus aureus. (7 MRSA) Methimazol 744
Methodenfreiheit 12 Methohexital 327 Methotrexat 1098 – MTX-Pneumonitis 1093 Methylxanthine 1133 MET (»Medical Emergency Team«) 94 Midazolam 326 – Kind 1175 Mikroaspiration 810 Mikrodialyse – bettseitige 186 – Schädel-Hirn-Trauma 867 – zerebrale 185, 186 Mikronährstoffe 266, 267 – Atemarbeit 533 – Mangel 270 – Weaning 533 Mikrozirkulation 792 Miliartuberkulose 823 Miller-Fisher-Syndrom 704 Milrinon 297 – Kardiochirurgie 972 – Kind 1168 Milz – Abdominaltrauma 902, 903 – Ruptur 227, 896 – Trauma 232, 854 Minilaparotomie, Abdominaltrauma 898 »minimal handling« 1125 – Früh-/Neugeborenes 1156 »minimally conscious state« 648 Minithorakotomie 364 Missgeschick 69 Mitteldruck, systemischer arterieller (MAP) 636 Mittelgesichtsfraktur 876 – geschlossene 877 – laterale 876 – Le Fort I–III 877 – Orbitafraktur 876, 879 – panfaziale 879 – Polytrauma 853 Mittelmeerkost 424 M&M-Konferenz 97 – Antibiotika, Umgang mit 784 Mobilisation 127 – Frührehabilitation 127 – neurologisch geschädigter Patient 721 – Postinfarktphase 424 Monitoring – Abdominalchirurgie 948 – Analgosedierung 324 – Anaphylaxie 1084 – Aortenaneurysma 997 – Basismonitoring 148 – Beinahe-Ertrinken 938 – blutbildendes System 241 – Blutzucker 246, 269 – Bronchoskopie, flexible 373 – Elektrolytstoffwechsel 236 – Endokarditis, infektiöse 451 – Enzyme 239 – Ernährung(stherapie) 246, 270 – erweitertes 148 – Flüssigkeitshaushalt 236 – Frührehabilitation 128
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
L–M
Gerinnung 241 Heparin-Therapie 319 Herzinsuffizienz, akute 401 Hormonhaushalt 244 Intoxikation 1106 Kardiochirurgie 966 Karotisrekonstruktion 995 Kind 1164 Kompartmentssyndrom 999 Koronarsyndrom, akutes 423 Kreislaufversagen Kind 1166 Leberchirurgie 956 metabolisches 247 Muskelrelaxanzien 334 Myokardinfarkt 423 Neurochirurgie 1010 neurologisches 1007 Ösophaguschirurgie 950 Pankreaschirurgie 954 pAVK 998 Pneumonie, schwere ambulant erworbene 489 – Postinfarktphase 429 – Präalbumin 270 – Reperfusionssyndrom 999 – Revaskularisationsoperation 998 – Säugling 1164 – Säure-Basen-Haushalt 238 – Schädel-Hirn-Trauma 866 – Sedierung Kind 1176 – Stoffwechsel 245, 247 – Thermodilution, transpulmonale 929 – Thoraxchirurgie 984 – Thoraxtrauma 885 – thyreotoxische Krise 744 – Triglyzeride 270 – Venenkatheter Kind 1161 – Verbrennung 919 – zerebrales 182 – Basismonitoring 866, 870 – erweitertes 870 Monoaminoxidase 295 Monro-Kellie-Doktrin 636, 651, 1003 Morbus Addison 744 Morbus Crohn, Ulkusblutung 590, 598 Morbus Cushing, Neurochirurgie 1012 Morbus Waldenström 1096 Morphin 331 – Abhängigkeit 1157 – Dosierung 331 – Früh-/Neugeborenes 1157 – Kind 1175 – Toleranzentwicklung 1157 – Transformation 255 Mortalität/Krankenhausüberleben 118 »Mortality Prediction Model« (MPM) 118 Moschkowitz-Syndrom 318 Motivation 99 Motoneuron – Erkrankung 703 – unteres; Schädigung 133 Moyamoya-Wundernetz 626
1198
Stichwortverzeichnis
MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) – Aufnahme-Screening 41 – Besiedlung 41 – Hygienemaßnahmen 40, 41 – Meningitis, bakterielle 686 – MRSA-Pneumonie 498 – Pneumonie, nosokomiale 498 – Tuberkulose 822 mTOR-Inhibitoren 1042 Multidisziplinarität 97, 98 Multiorganversagen – Druck, intraabdomineller 897 – Gasbrand 826 – Gastrointestinaltrakt 268 – Hypertension, intraabdominelle 563 – Kardiochirurgie 966 – Polytrauma 847 – Risikofaktoren 847 – Therapie 851 – thrombozytopenieassoziiertes (TAMOF) 318 – Ursachen 851 – Verbrennung 916 multiple Sklerose 630 multiresistente Erreger (7 auch MRSA) 42 Multislice-CT 193 Münchhausen-Syndrom 1080 Mund-Nasen-Maske 546 Mund-zu-Mund-/Mund-zu-NaseBeatmung 379 Murphy-Zeichen 222 Muskelrelaxanzien 334 Muskelschaden, Sonographie 628 Muskeltonus – erhöhter 131, 133 – erniedrigter 125 – Lagerung zur Regulation 125 Mutismus, akinetischer 648, 718 Myasthenia gravis 702, 707, 708 – exazerbationsinduzierende Substanzen 707 – myasthene Krise 707, 708 Mycobacterium tuberculosis 822 Myelom, multiples 1096 »myocardial stunning« 967 Myokardinfarkt – akuter 399 – atypischer Verlauf 414 – Blutfluss, Graduierung nach TIMI 418 – Bypass, Operationskomplikation 976 – Diagnostik 413 – durchgemachter 412 – Echokardiographie 416 – Epidemiologie 413 – Hämodynamik 424 – Hinterwandinfarkt 415 – Infarktlokalisation 415 – Infarktvorläufer 417 – Ischämiedauer 413 – Kardioverter-Defibrillator, prophylaktischer 427 – Karotisrekonstruktion 995 – Komplikationen 427 – Labordiagnostik 415
– Marker, enzymatischer 976 – Monitoring 423 – Myokardruptur 428 – Pathophysiologie 412 – Postmyokardinfarktsyndrom 408 – postoperativer 423 – Reischämie 428 – Reperfusion 418 – Rhythmik, zirkadiane 413 – Risikostratifizierung 416 – Sekundärprävention 425 – stummer 414 – Therapie 416–424 – Thoraxtrauma 886 – Vorderwandinfarkt 415 Myokardprotektion 967 Myokardruptur, Postinfarktphase 428 Myopathie 702 – Critical-illness-Myopathie 709 – primäre 708 Myxödemkoma 743–745
N Nachblutung, extrakranielle 1011 Nachbrennen 915 Nackenkopfschmerzen 663 Nackensteifigkeit 663, 685 NaCl-Lösung 289 Nadelaspiration, transbronchiale 372 Nahe-Infrarot-Spektroskopie 183 Nährstoffe 248 Nahrungsmittel, Anaphylaxie 1081 Naloxon – Kind 1175 – Neugeborenes 1120, 1157 NANDA-Klassifizierung 29 Narkosezwischenfall, anaphylaktoider 1081 Nase, feuchte 537 Nasenmaske 546 Nasenskelettfraktur 876 Nationales Register zur Qualitätssicherung in der Intensivmedizin der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) 83 Natrium – Exkretion, fraktionelle 769 – Regulation 236 – Wasser- und Elektrolytstoffwechsel 236 Natriumbikarbonat – Dosierung 759 – pharmazeutische Interaktionen 263 – Reanimation, kardiopulmonale 384 – Neugeborenenreanimation 1121 Natriumnitroprussid, Kind 1168 Near-miss-Ereignis 68, 69, 74 Nebenniere – Phäochromozytom 460, 748 – Phäochromozytomkrise 748
Nebenniereninsuffizienz 571, 650, 746 – hypothalamisch/hypophysär bedingte adrenokortikotrope 746 – Hypothyreose 744 – Labordiagnostik 244 – Pathophysiologie 746 – primäre (Addison-Krise) 747 – relative 746 – Therapie 747 Neostigmin 563 Nephrektomie 905 Nephritis, tubulointerstitielle 767, 768, 771 Nephropathie, kristallinduzierte 770 Nephrosklerose, maligne 456, 460 Nervenanalgesie 333 Nervensonographie 628 Nervenverletzung 628 Neue Grippe 826 Neugeborenes – Altersangabe 261 – Analgesie 1155 – Apgar-Score 1117 – Atemwege, obere, Obstruktion 1140 – Bauchwanddefekt 1148 – Beatmung 1133, 1134 – Bilirubinenzephalopathie 1144 – Blutdruck, systolischer 1164 – Bluterkrankungen 1141 – Blutgruppeninkompatibilität 1143 – Choanalatresie 1140 – Chylothorax 1140 – Ductus arteriosus, persistierender 1126 – Enterokolitis, nekrotisierende 1148 – Enterothorax 1138 – Frühgeburtlichkeit 1063 – Gastrointestinaltrakt, Fehlbildungen 1146 – Glukosezufuhr, unzureichende 1153 – Hydrops fetalis 1143 – Kernikterus 1144 – Krampfanfall 1150 – Kurzdarmsyndrom 1150 – Lungenblutung 1140 – Lungenerkrankungen 1134 – Lungenhypoplasie 1137 – Lungenmechanik 1133 – Mekoniumaspirationssyndrom 1135 – Meningitis, neonatale 1152 – metabolische Störungen 1152 – Naloxon 1120, 1157 – Nestschutz 1065 – Pharmakokinetik 261 – Pierre-Robin-Sequenz 1140 – Pneumonie 1138 – Pneumothorax 1136 – Präeklampsie 1077 – Reanimation, kardiopulmonale 1117, 1119 – Sauerstoffgabe 1119
– Schmerzmessung/therapie 1155, 1156 – Sepsis 1151 – Sinusvenenthrombose 626 – Temperaturregulation 1117, 1118 – Zirkulation, persistierende fetale 1138 Neuner-Regel 914 Neuroborreliose, akute 630 Neurochirurgie 1010 – Aneurysma 1015 – Anfallsprophylaxe 1011 – Beatmung, postoperative 1011 – Blutung, intrazerebrale 1014 – Epilepsie 1012 – Hydrocephalus obstructivus 1014 – Infektion, postoperative 1012 – infratentorielle Operation 1011 – Komplikationen, postoperative 1011 – Mittellinie 1012 – Monitoring 1010 – Rückenmarkverletzung 1018, 1020 – Schädel-Hirn-Trauma 1018 – Subarachnoidalblutung (SAB) 1015 – supratentorielle Operation 1011 Neurodiagnostik – Blutung, intrakranielle 626 – Embolie, intrakranielle 627 – Hirntoddiagnostik 625 – Hydrozephalus 626 – Liquordiagnostik 628 – Nervensonographie 628 – radiologische 614 – Sonographie 621 Neuroleptika 329 – Alkoholentzugssyndrom 337 – Antidot 1110 – Dosierung 330, 338 Neuromonitoring 625 neuromuskuläres System, Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 Neuropathie 702 – akute motorische (und sensorische) axonale 704 Neuroprotektion 1009 Neuropsychologie, Frührehabilitation 134 Neurosonographie 621 – Blutung, intrakranielle 626 – Druck, intrakranieller 625 – Embolie, intrakranielle 627 – Gefäßmissbildung 626 – Hydrozephalus 626 – Nervensonographie 628 Neutropenie 1100 – Pneumonie 501 N. facialis, Trauma 874 N.-femoralis-Blockade, Analgosedierung 333 Nichtopioide 332 Niederdruckgefäßsystem 363 Nieder-T3-Syndrom 742 Niedrigflusssyndrom 603 Niere – Abdominaltrauma 905
1199 MRSA – Österreichisches Zentrum für Dokumentation und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin
– Arzneimittelmetabolisierung – Neugeborenes 261 – Elimination 256 – Crush-Niere 849, 999 – Dialyseverfahren 773 – Erkrankung – infektiöse 767 – Systemerkrankung mit Nierenbeteiligung 769 – vaskuläre 766 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 823 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Labordiagnostik 240 – Myelomniere 771 – Nephrosklerose, maligne 456, 460 – Organspende 1032 – physiologische Grundlagen 764 – Polytrauma 849 – Pyelonephritis 813 – renale Krise; Sklerose, systemische 1089 – RIFLE-Kriterien 764 – Säugling 1171 – Schockniere 277 – Stromunfall 917 – Verbrennung 915 – alter Patient 929 – Kind 928 – Zirkulation, extrakorporale 977 – Zytostatika 1098 Nierenarterienstenose 766 Nierenersatztherapie (7 Dialyse) Nierenfunktion 764 – Diagnostik 240, 257, 768 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 – Schock 277 – Störung, Dosisanpassung 259 Niereninfarkt 769, 771 Niereninfektion 226 Niereninsuffizienz – chronische – Ernährung 772 – Funktionsaufnahme nach Dialyse 770 – Kind 1169 – Nierentransplantation 1046 – Dosisanpassung 257 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 824 – Sklerodermie/Sklerose, systemische 1089 Nieren-Pankreas-Transplantation 1046, 1047 Nierentransplantation – Sonographie 226 – Abstoßungsreaktion 1047 Nierentrauma, Sonographie 226 Nierenversagen – akutes (ANV) – Auswirkungen 769 – Crush-Niere 849 – Diagnostik 768 – Ernährung 271, 772 – Goodpasture-Syndrom 1090, 1091
– hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 824 – hepatorenales Syndrom 765, 771 – Herztransplantation 1054 – Hypertension 460, 564 – Infektabwehr, gestörte 770 – intrarenales 765 – intrinsisches 765 – Kardiochirurgie 977 – Kind 823 – Klassifikation 764 – Komplikationen 769 – Langzeitprognose 121 – Multiorganversagen 571 – Pharmakadosierung, Berechnung 772 – Pharmakaelimination 257, 771 – physiologische Grundlagen 764 – Polytrauma 849 – postrenales 768 – prärenales 765 – Prävention 770 – Prognose 770 – RIFLE-Kriterien 764 – Sonographie 225 – Therapie 771–773 – toxisches 766 – Urinvolumen 769 – Ursachen 764 – Verlauf 769 – Zirkulation, extrakorporale 977 – chronisches, Ernährung 271 – HELLP-Syndrom 1076 – Präeklampsie 1076 – Stromunfall 917 Nifedipin 658 – Kind 1168 Nikotinabusus, Myokardinfarktprävention 425 Nimodipin 664 – Subarachnoidalblutung (SAB) 664 N.-ischiadicus-Blockade, Analgosedierung 333 Nitritteststreifen 813 Nitroglyzerin 461 – Kind 1168 No-blame-Kultur 70 Non-Hodgkin-Lymphom, HIV 841 »nonthyroidal illness syndrome« 244 »non-thyroidal illness syndrome« (NTIS) 742 Noradrenalin – Kardiochirurgie 972 – Kind 1167 – Pharmakologie 295 – Schock, hämorrhagischer 285 – Sepsis 795 – Wirkweise 296 Normalgewicht, vorhergesagtes 260 Normalwerte – Atemfrequenz (Kind) 1164 – Blutdruck, systolischer (Kind, Säugling, Neugeborenes) 1164
– Blutvolumen (Neugeborenes) 1141 – Druck, intrakranieller (ICP) 1002 – Flüssigkeitsbedarf (Kind) 1161 – Hämoglobin (Kind) 1178 – Herzfrequenz (Kind, Säugling) 1164 – Liquordiagnostik 628 – Organspender 1032 Northway-Stadien 1127 Notfallkoffer 49 Notfalllaparotomie 900 Notfallteam 94 Notfallthorakotomie 853 Notfall-TIPS 596, 597 »Nottingham Health Profile« 120 NovoSeven 284, 310 – Blutung, intrazerebrale (ICB) 662 Noxe – Definition 1102 – Elimination 1106 – Identifikation, Bewertung 1104 – Nachabsorption 1106 – Suchtstoffsuchanalytik 1105 – Toxikokinetik 1102 Numerische Rating-Skala, zur Schmerzmessung beim Kind 1176
O O2 (7 Sauerstoff ) Oberkörperhochlagerung; Druck, intrakranieller (ICP) 639 Obstipation – Laxanzien 268 – Opioide, Kind 1176 – postoperative, Abdominaltrauma 908 – Prokinetika 268 – Prophylaxe 139 – Pseudodivertikel 962 – Terminalphase 139 Obstruktion, intestinale; Neugeborenes 1146 Octreotid, Ösophagusvarizenblutung 596 »ocular bobbing« 647 »ocular dipping« 647 Ödem – alveoläres 208 – Anaphylaxie 1082 – Atemwege, bei Verbrennung 929 – interstitielles 208 – postischämisches 660 – Quincke-Ödem 1082 – Verbrennung 914 »off pump coronary artery bypass« 975, 979 Ogilvie-Syndrom 561 – Kardiochirurgie 978 Ohm´sches Gesetz, Stromunfall 917 Okklusivhydrozephalus 665 Ökonomie, DRG-System 62 Oligurie, Nierenversagen, akutes 768 Omentoplastik 904 Omphalozele 1148
M–O
»on-pump coronary artery bypass« 979 Opioide 330 – Antidot 1110 – Auswahl 331 – Dyspnoe 138 – Frühgeborenes 1156 – Geburtshilfe 1065 – Kind 1174 – Nausea/Emesis 139 – Nebenwirkungen 139 – Neugeborenes 1156 – Obstipation 139 – Kind 1176 – Palliativmedizin 138 – Pseudoobstruktion, intestinale 563 – Wirkmechanismus 331 Opioidentzugssyndrom 339 Orbitabodenfraktur/Blow-outFraktur 876, 879 Orbitafraktur 879 Organisation 92 Organisationsverschulden 13 Organspendeausweis 1026 Organspender – Altersgrenze 1030 – Ausschlusskriterien 1032 – Handlungsalgorithmus 1033 – Herz 1033 – Hirntoddiagnostik 1026 – intensivmedizinische Behandlung 1030 – Leber 1032 – Lunge 1033, 1054 – Niere 1032 – Pankreas 1032 – Therapieziele 1032 – Versorgung 1030 Organtransplantation (7 Transplantation) Organversagen – posttraumatisches 847 – Prävention 857 – Scores 57, 59 orthopädischer Eingriff; Wundinfektion, postoperative 815 Osmodiuretika; Druck, intrakranieller (ICP) 640 Osmolalität 236 Osmoregulation 236 osmotische Lücke 1105 Ösophagektomie 949 Ösophagitisblutung 597 Ösophagusatresie 1146 Ösophaguschirurgie 948 Ösophaguskarzinom 948 Ösophagusmotilität, verminderte; Ursachen 558 Ösophagusstent 596 Ösophagusvarizen – Blutung 596 – Ernährung 272 Ösophagusverletzung 854 Ossifikation, Mobilisation 133 Österreichisches Zentrum für Dokumentation und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin (ASDI) 83
1200
Stichwortverzeichnis
Oszillationsmethode 150 Outcome – Akutphase 118 – Langzeitfolgen der Intensivtherapie 121 – (Lebens-)qualität 80, 120 – Mortalität 118, 119 – Score, prognostischer 118 Overlap-Syndrom 986 »overwhelming post-splenectomy infection« 903 Oxacillin-Resistenz (MRSA); Meningitis, bakterielle 686 Oxygenierung – Neugeborenes 1133 – hyperbare, Gasbrand 960 – Störung – Lungenversagen, akutes 481 – Thoraxchirurgie 986 – zerebrale – Algorithmus 183 – Monitoring 182 Oxygraphie 174 Oxymetrie, jugularvenöse 182
P Packing – Kompartmentsyndrom, abdominelles 902 – Leber 854, 904 – Notfalllaparotomie 901 – Thoraxtrauma 888 Pädiatrie (7 Kind) Palliativmedizin 136–142 – Beatmung, nichtinvasive 552 – Definition 137 – Dyspnoe 138 – ethische Aspekte 140 – ethisches Fallgespräch 142 – Intensivpflege 140 – Obstipation 139 – Pruritus 140 – Schmerzen 138 – Symptomkontrolle 137 – Therapieabbruch/-verzicht 142 Panikattacke 678 Pankreas – Abdominaltrauma 904 – Ernährung 266 – Malignom 954 – Nieren-Pankreas-Transplantation 1046–1048 – Organspende 1032 – Sekretionshemmung 585 Pankreaschirurgie 954 Pankreasgangverletzung 898 Pankreatitis – akute 580, 581, 961 – biliäre 585 – Computertomographie 582 – CT 232 – Diagnostik 581 – hämorrhagisch-nekrotisierende 580 – Insulin 584 – intersitiell ödematöse 580 – Komplikationen 581, 585 – Monitoring 586
– Prognose 582, 586 – chronische 954 – ödematöse 226 Pankreatojejunostomie 955 PAOP, PCWP (pulmonalarterieller Okklusionsdruck ) 164 PAP (pulmonalarterieller Druck) 164 Paracetamol – Antdidot 1110 – Nephrotoxizität 571 – Schmerztherapie Kind 1174 Paralyse, wache 334 Paraplegie 692 Paraverbrennung 912 Parenchymdruckmessung 638 Parese – akute schlaffe 702 – Frührehabilitation 133 – schlaffe 703 Parkland-Formel nach Baxter 918 PaSOS (Patienten-Sicherheits-Optimierungssystem) 74 »patient controlled analgesia« (PCA), postoperative Schmerzen 332 »patient data management system« (PDMS) 85 Patientenaufklärung 13 – Arzt bzw. Krankenhaus 15 – Aufklärungspflichtverletzungen 11 – Palliativmedizin 137 – Pharmakaeffekte in der Schwangerschaft 1064 – Psychosyndrom 680 – Zivilprozess 13 Patientenbetreuung 8 Patientendatenmanagementsystem (PDMS) 84, 101 Patientenmanager 93 Patientensicherheit 69 – Patienten-Sicherheits-Optimierungssystem (PsSOS) 74 Patiententestament 14 Patiententransport (7 Transport) Patientenverfügung 6, 14, 140 – Definition 14, 15 – Kind 1179 Patientenwille 6 – Einwilligungsfähigkeit 142 – Kind 1179 – mündlicher 15 – mutmaßlicher 15 – juristische Aspekte 141 – Organspende 1026 – Palliativmedizin 137 – Patientenverfügung/-vollmacht, Betreuungsvollmacht 140 Patil-Test 345 pCO2 (7 Kohlendioxidpartialdruck) PCR, Herpes-simplex-Virusenzephalitis 633 PEEP 528 – ARDS 528 – Atelektasen 528 – Lungenversagen, akutes 528 PEG 269 PEJ 269 Pendelluft 882 Penicillin – Allergie 1080
– Anaphylaxie 1080 – Kreuzreaktionen 1080 – pharmazeutische Interaktionen 263 Penumbra 658 »Perceived Quality of Life Scale« 120 Perfusionsdruck – Kardiochirurgie 971 – arterieller, Nierenfunktion 772 – zerebraler (CPP) 636 – Basismonitoring 182 – Druck, intrakranieller (ICP) 641, 1002 – Kind 1177 – Lund-Konzept 1003 – Management 641 – Schädel-Hirn-Trauma 863, 867 Perfusionsszintigraphie (SPECT), zerebrale; Hirntoddiagnostik 1029 Perikard – Perikarditis, exsudative 403 – Pneumohydroperikard 403 – Spannungspneumoperikard 403 Perikardempyem 407 Perikarderguss 401–408 – Herzinsuffizienz 401 – maligner 1099 Perikardiozentese 405, 408, 1099 Perikarditis 403 – exsudativ-konstriktive 403 – Postinfarktphase 429 Perikardpunktion 405, 406 Perikardreiben 429 Perikardtamponade 401–408, 888, 890 – Niederdrucktamponade 402, 408 – Pulsus paradoxus 403 Perinatalzentrum, Verlegungsindikationen 1117 periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), Gefäßchirurgie 997 Peritonealdialyse 774 Peritoneallavage 897 Peritonitis – bakterielle; Nierenfunktion, eingeschränkte 771 – Ischämie, nichtokklusive mesenteriale 608 – kotige 962 »permanent vegetative state« 648 Permeabilitätsödem 209 »persistent vegetative state« 648 Personalbesetzung, Anhaltszahlen 95 Personal(management) – Arbeitsaufwand 96 – Arbeitsbedingungen 96 – Aus-/Weiterbildung 108, 112 – Beschäftigung, langfristige 96 – DRG-System 96 – Führungsaufgaben 97 – Intensivpflege 33 – Kostenerfassung/-senkung 85, 87 – Mitarbeiter, neuer 101 – Personal, sonstiges 96 – posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 24 – Qualitätsmanagement 96
Personalschleuse 39 Personalschlüssel Pflegekraft 95 petCO2 173 – erhöhter 174 Petechien 303 Pflege (7 Intensivpflege) Phäochromozytom 460 Phäochromozytomkrise 461, 748 Pharmaka – Analgosedierung 325 – »area under the curve« (AUC) 254 – Breite, therapeutische 253 – Dosierung bei Leberfunktionsstörung 260 – Dosierung bei Nierenfunktionsstörung 258 – hirnprotektive 385 – Interaktionen 262 – Antikoagulanzien 311 – Psychopharmaka 680 – Metabolisierung, Analgosedierung 324 Pharmakaeffekte – Analgosedierung 322 – Antidota 1109 – Arzneimittelinteraktion 262, 311, 680 – Ceiling-Effekt 326 – Dosisfraktion, extrarenale 772 – Dosis-Wirkungs-Beziehung 252 – Embryotoxizität 1064 – Fetotoxizität 1064 – Synergismus 253 – Terminologie 252 – Toxikokinetik, Toxikologie 1102 – Wirkungspotenzierung 253 Pharmakodynamik 252 – Interaktionen 262, 311, 680 Pharmakokinetik – Absorptionsreduktion 1106 – Adipositas 259 – Analgosedierung 324 – Dettli, Proportionalitätsregel nach 257 – Halbierungsregel nach Kunin 257 – Heparin, subkutanes 314 – Interaktionen 262 – Antikoagulanzien 311 – Psychopharmaka 680 – Kind 261 – Kunin, Halbierungsregel 257 – Nachabsorption 1106 – Näherungsformel nach Cockroft u. Gault 257 – Säugling 261 Phenobarbital, Intoxikation 1108 Phenprocoumon (Marcumar) 312 Phentolamin 461 Phlebographie 318 Phlebothrombose 466 Phlegamasie 319 Phosphat 757 – Labordiagnostik 237 Phosphatnephropathie, akute 766 Phosphodiesterasehemmer 969 – Kind 1168 – Milrinon 297 – Wirkweise 296, 297
1201 Oszillationsmethode – Prometheus-Verfahren
Phototherapie, Rh-Inkompatibilität 1144 pH-Wert 238, 752 Physiotherapie – Frührehabilitation, neurologische 720 – Manualtherapie 133 – Parese 133 – psychische Unterstützung 20 – Stimulation 131 – Thoraxchirurgie 988 – Thoraxtrauma 885 – Weichteilbehandlung 133 Physostigmin, Alkoholentzugssyndrom 338 PiCCO 985 Pierre-Robin-Sequenz 1140 Piritramid 332 – Dosierungsrichtlinien 332 – Kind 1175 Plasmaersatz – Anforderungen 288 – balancierte Lösung 289 – Kolloide 289 – Hydroxyethylstärke 288 – Kristalloide 289 Plasmahalbwertszeit 256 Plasmapherese 317, 775 Plasmaseparation 775 – Intoxikation 777 Plasminogen, thrombusassoziiertes 421 Plasmodiuminfektion 831 Plasmozytom 775 Plateauwelle 636 Plattenatelektase 213 Platzbauch 899, 963 Plazentalösung, vorzeitige 1073 Pleuradrainage – Drainagesysteme 365, 366 – Empyem 363 – Entfernen der Drainagen 366 – Exsudat 363 – Fehllage 201 – Hämatothorax 363 – Indikationen 363 – Infektion 367 – Komplikationen 201, 367 – Pneumothorax 363 – Reexpansionslungenödem 367 – Technik 364 – Transsudat 363 – Trouble-Shooting 366 – Verletzungen 367 Pleuraempyem, Ösophaguschirurgie 952 Pleuraerguss – Diagnostik 362 – Exsudat, Transsudat 362 – radiologische Befunde 205 – Therapie 363 – Thorakozentese 364 Pleurafistel 990 Pleurareizerguss 950 Plexusanästhesie, axilläre; Analgosedierung 333 Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PCP) 500 – Rheumatherapie (Nebenwirkung) 1092
Pneumohydroperikard 403 Pneumokokkenmeningitis 686 Pneumomediastinum, radiologische Befunde 204 Pneumonektomie 984 – ALI, postoperativ 990 – ARDS, postoperativ 990 – Thoraxröntgenaufnahme 990 Pneumonie 214, 488 – ambulant erworbene 488–491 – schwere 488 – Intensivbehandlungsindikationen 490 – Antibiotikatherapie 502 – Aspirationspneumonie 492, 560 – atypische 488 – beatmungsassoziierte 493, 527, 808 – Diagnostik 374 – Erreger 809 – Prävention 810 – CA-MRSA 492 – »clinical pulmonary infection score« 494 – CMV 500 – CRB-65-Score 489 – Definition 488 – »early onset pneumonia« 493 – »health care-asscociated pneumonia« 492 – HIV 838 – Immunsuppression 488, 499 – HIV-Infektion 499 – Organtransplantation 500 – Influenzapneumonie 826 – Kriterien 489 – »late onset pneumonia« 493 – neonatale 1138 – Neutropenie 501 – nicht beatmungsassoziierte 808 – NIV-Indikationen 549 – nosokomiale 488, 808 – Acinetobacter baumannii 498 – Definition 493 – Diagnostik, Differenzialdiagnosen 494, 496 – Erregerspektrum 494 – ESBL-bildende GNEB 498 – MRSA 498 – P. aeruginosa, multiresistente 498 – Pathogenese 493 – Pilze 498 – Prognose 497 – Risikofaktoren 494 – Stenotrophomonas maltophilia 498 – Therapie 496, 497 – Therapieversagen 498 – Organtransplantation 500 – Ösophaguschirurgie 951, 953 – P. aeruginosa, Risikofaktoren 491 – Pathophysiologie 488 – Pneumocystis jiroveci 834 – Rheumatherapie (Nebenwirkung) 1092 – Prophylaxe 721 – radiologische Befunde 215 – Schweregrade 488
– Sepsis 493, 794 – Stammzelltransplantation 502 – Therapie – Sepsis, schwere 493 – Wirkstoffe, antimikrobielle 502 – Thoraxchirurgie 988 – typische 488 – Varizellen 827, 828 Pneumonitis, Methotrexatpneumonitis 1093 Pneumoperikard 401 Pneumoretroperitoneum 219 Pneumothorax 362 – anteromedialer 204 – Früh-/Neugeborenes 1136 – radiologische Befunde 202, 203 – respiratorische Insuffizienz 477 – Spannungspneumothorax 362, 884 – Therapie 363 – chirurgische 854 – Thoraxtrauma 883 – Untersuchungstechnik 204 – Ursachen 202 pO2 (7 Sauerstoffpartialdruck) pO2/FIO2-Verhältnis, Ernährung 271 »point of care testing« 246 »Poisoning Severity Score« 1102 Polyglobulie 1153 Polyhexanid 920 Polyneuritis, akute 703 Polyneuropathie – chronische 707 – inflammatorische demyelinisierende (CIPD) 707 – Critical-illness-Polyneuropathie 709 Polyradikuloneuropathie 828 – akute inflammatorische demyelinisierende (AIDP) 704, 705 Polytrauma 846 – Abdominaltrauma 853, 894 – Becken/Azetabulum 854 – Behandlungsphasen 851 – Damage-control-Konzept 902 – Definition 846 – Diagnostik, radiologische 896 – Entzündungsmarker 847 – Entzündungsreaktion, posttraumatische 846 – Extremitäten 856 – Gefäßverletzung 856 – Gesichtsverletzung 874 – Hämotherapie, Massivtransfusion 282 – Ischämie-ReperfusionsSyndrom 847 – Kopfverletzung 852 – Massivtransfusion 282 – Pathophysiologie 846 – Primärversorgung 852 – Prognosefaktoren 282 – Rückenmarkverletzung 1018 – Schädel-Hirn-Trauma 849 – SIRS 846 – Therapie 847 – antiinfektiöse 849 – immunmodulierende 856 – operative 849
O–P
– Stufenkonzept der operativen Versorgung 851 – Thoraxtrauma 853 – Übersehen von Verletzungen 856 – Wirbelsäule 853 Polyurie, Organspender 1031 Polyzythämie, Neugeborenes 1142 Poolplasma, inaktiviertes; bei hämorrhagischem Schock 283 Porphyria variegata 706 Porphyrie 706 Portinfektion 805 Portalvenenthrombose 224 positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) 528 Postaggressionsstoffwechsel 245 – Glukosemetabolismus 246 – Insulinresistenz 246 – Kind 1171 Postextubationsphase; Beatmung, nichtinvasive 551 Postextubationsstridor 349 Postinfarktperikarditis 429 Postkardiotomieschock 296 Postmyokardinfarktsyndrom 408 postoperatives delirantes Syndrom 322 Postreanimationsphase – Hypothermie/Wiedererwärmung 385 – Pharmaka 385 posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – Angehörige 22 – Mitarbeiter 24 – Prävention 25 Potenziale – akustisch evozierte (AEP) 1028 – somatosensibel evozierte (SEP) 1028 PPV (Pulsdruckvariation) 167 Präalbumin 270 Präeklampsie – Definition 1068 – Diagnostik 1070 – Einfluss auf Fetus/Neugeborenes 1077 – Geburtsmodus 1076 – Handlungsalgorithmus 1072 – Neugeborenes 1077 – Risikofaktoren 1068 – Therapie 459, 1073 Präoxygenierung für endotracheale Intubation 346 Pratt, 6 Ps der Ischämie 998 »pressure support« 537 Pressure-volume-Index (PVI) 637 Primärurin 764 Pringle-Manöver 901, 904 Probenverwechslung 245 Procalcitonin, Sepsis 791 Prognose (Einschätzung, kurzfristige/langfristige) 118 progressive Relaxation nach Jacobson 21 Prokinetika 268 Proktorektoskopie 897 Prolaktin 749 Prometheus-Verfahren 577
1202
Stichwortverzeichnis
Promitprophylaxe 1085 Propofol 327, 1009 – Dosierung 328 – Kind 1175 – Propofol-Infusionssyndrom 328 »proportional assist ventilation« (PAV) 525 Proportionalitätsregel nach Dettli 257 Propranolol, thyreotoxische Krise 744 Propylthiouracil 744 Prostaglandine, Anaphylaxie 1080 Protamin 313, 1082 – Anaphylaxie 1082 Proteinbedarf 247 Proteinbindung 254 Protein C, aktiviertes 304, 313 Proteinurie – Labordiagnostik 241 – Schwangerschaft 1071 Prothrombin (Faktor II) 304, 310 – Schock, hämorrhagischer 284 Prothrombinzeit (PTZ) 306 Protonenpumpenhemmer 594 Prozessanalyse 76 Prozessqualität 80, 82 Prupura, idiopatische thrombozytopenische 1145 Pruritus 140 Pseudoinfarkt (Herz) 415 Pseudoobstruktion, intestinale 561 – Ogilvie-Syndrom 561 Pseudothrombopenie, EDTA-assoziierte 306 psychiatrische Vorerkrankung 19 – Münchhausen-Syndrom 1080 psychische Belastung – Angehörige 22 – Kardiochirurgie 979 – Konsildienst, psychosomatischer 25 – Mitarbeiter 24 – Patient 18 psychische Erkrankung; als Langzeitfolge der Intensivtherapie 121 Psychopharmaka 680 Psychose 678 psychosoziale Unterstützung 137 – Kind 1178 Psychosyndrom – delirantes 322, 335 – Alkoholentzugssyndrom (AES) 336 – Benzodiazepin-Entzugssyndrom 339 – Durchgangssyndrom 18, 335, 676 – Kardiochirurgie 978 – Opioidentzugssyndrom 339 – organisches 18 – postoperatives 322 – Forensik, Aufklärung 680 – hirnorganisches 649 – Intensivbehandlungssyndrom (ICU-Syndrom) 335 – nichtorganisches – Aggression 679 – Angststörung 678
– Erregung 679 – Schlafstörung 679 – Suizidalität 680 – organisches akutes 676 – Psychopharmaka 680 Psychotherapie 21 Pulmonalarterie, Perforation 163 pulmonalarterielle O2-Sättigung 165 pulmonalarterieller Druck (PAP) 164 pulmonalarterieller Okklusionsdruck (PAOP, PCWP) 164 Pulmonalarterienkatheter (PAK) 160, 966 – Ballonruptur 162 – Einlage 162 – Fehllage 201 – Infektion 805 – Kardiochirurgie 966 – Komplikationen 162, 201 – Transport 51 pulmonales thermales Blutvolumen (PTV) 168 Pulmonaliskatheter 424, 985 – Kind 1164 Pulsatilitätsindex 625 Pulsdruckvariation (PPV) 167 Pulskonturanalyse, arterielle 166, 167 – Kardiochirurgie 966 Pulskontur-HZV 167 Pulskurve 622 Pulsoxymetrie 171 Pulsus paradoxus 403 Pumpversagen, myokardiales 378 Punktion – arterielle; versehentliche 158 – intraossäre, Kind 928 Pupillenreaktion – Fehlen, Hirntoddiagnostik 1027 – Intoxikation 1104 Purinsynthesehemmer 1042 Purpura, thrombotisch-thrombozytopenische 318 Pychosyndrom, delirantes 335 Pyelonephritis 813 – Sonographie 226
Q Q0 772 Qualität – Definition 80 – Dimensionen 80 – RUMBA-Regel 81 Qualitätsmanagement 80 – Aus-/Weiterbildung 106, 107 – Benchmarking 62, 83 – Donabedian-Modell 80 – Effektivität 107 – Facharztanwesenheit 96 – Führungsaufgaben 97 – Implementierung 80 – Intensivpflege 31, 33 – Krankenhausinfektions-Surveillance-System (KISS) – Wuninfektion, postoperative 816 – M&M-Konferenz 99
– Antibiotika, Umgang mit 784 – Pflege 96 – Qualitätssicherung – externe 82 – Hygienemaßnahmen 38 – Programme 83 – Sepsis 793 – »standard operating procedure« (SOP) – Antibiotika, Umgang mit 784 Qualitätszirkel 72 Querschnittslähmung – Frührehabilitation 721 – Hirntoddiagnostik 1026 – Neurochirurgie 1018, 1020 – Physiotherapie 721 – Querschnittgelähmtenzentren, Kontaktdaten 699, 1019 – rheumatoide Arthritis (RA) 1088 – Schweregradeinteilung nach Frankel 1019 – Tonuserhöhung 721 Quick-Wert 243, 303, 306 Quincke-Ödem 1082 Quotient, respiratorischer 247
R Rabiesvirus 830 Rachenreflex (Fehlen, Hirntoddiagnostik) 1027 Ramsay-Score 324 »rapid sequence induction« 347 »rapid shallow breathing« 533 RAP (rechter Vorhofdruck) 164 Rasburicase 1097 Rastereffekt 194 Rasur, präoperative 816 Raumdesinfektion 42 Raynaud-Syndrom, renales 1089 Reanimation, kardiopulmonale (CPR) – Abbruch der Reanimationsmaßnahmen 386 – Adrenalin 383 – »Advanced Life Support« (ALS) – Erwachsener 380 – Kind 1169 – Amiodaron 383 – Angehörige 1170 – Arginin 383 – Atemspende 380 – Atemwege freimachen/freihalten 379 – Kind 1169 – Atemwegsmanagement Kind 1162 – Atropin 384 – Aus-/Weiterbildung 1160 – »Basic Life Support« (BLS) – Erwachsener 379 – Kind 1169 – Beatmung Kind 1163 – Beatmungsbeutel-MaskenSystem 379 – Defibrillation 381 – »do not resuscitate« 552 – Effektivitätskontrolle 380
– erweiterte Maßnahmen (»Advanced Cardiac Life Support« – ACLS) 380 – Fremdkörperaspiration 379 – Früh-/Neugeborenes 1117 – Herzdruckmassage, externe 380 – Hyperventilation 379 – Hypothermie 938, 942 – innerklinische 385 – Intubation, endotracheale (7 dort) – Kalzium 384 – Kammerflimmern 446 – Kardioversion 382 – Katecholamine 296 – Kind 1169 – Koordinierung der Maßnahmen 384 – Leitlinien 378, 386 – Magenbeatmung 380 – Magnesium 384 – Medikamente 383 – Blindpufferung 385 – hirnprotektive 385 – Mund-zu-Mund-/Mund-zu-NaseBeatmung 379 – Natriumbikarbonat 384 – Neuroprotektion 385 – Pharmakotherapie 382 – Postreanimationsphase 385 – Prognose 386 – Sauerstoff 383 – Schlag, präkordialer 380 – Sotalol 383 – »standard operating procedure« (SOP) 114 – Theophyllin 384 – Thoraxkompression 379 – Kind 1169 – TISS-28-Score 60 – Vasopressin 296, 383 – Zugang – intraossärer 383 – Kind 1161 – venöser 382 Rebound-Phänomen 462 ReCell-Verfahren 924 rechter Ventrikeldruck (RVP) 164 rechter Vorhofdruck (RAP) 164 Rechtsherzinsuffizienz – Herztransplantation 1052 – Kind 1168 – Thoraxchirurgie 991 Rechtsherzversagen – Katecholamine 296 – Therapie 970 Rechts-links-Shunt – intrapulmonaler 475 – Lungenversagen, akutes 481 Reentry-Tachykardie 434 Reexpansionslungenödem 209, 367 Re-Feeding-Syndrom 270 Reflexe – Beißreflex 130 – Frührehabilitation 130 – Hirntoddiagnostik 1027 – Kopfstellung 125 – okulokardialer 1027 – okulozephaler 1027
1203 Promitprophylaxe – Schlaf
– vestibulookulärer 1027 Reflux – gastroduodenaler 560 – gastroösophagealer 558 – ösophagealer 558 Regionalanästhesie 332 – Kind 1174 Regurgitation, bei Atemspende 380 Rehabilitation – berufliche 722 – Myokardinfarkt 425 – neurologische – Medikamente 718 – Phase A+B 714 – Phase ≥C 715 – Prognose 721 – Phasen 124, 714 Rehabilitationszentrum 95 – Krankenhausnetzwerk der Rehabilitationszentren 95 – Verlegung 95 Reiz, taktiler (Berührung, Schmerz) 132 – Verarbeitung, verlangsamte 126 Rekapillarisierungszeit, Kind 1165 rekombinanter, aktivierter Faktor VII 310 rekombinantes humanes aktiviertes Protein C (rhAPC) 793, 796 Rektum, Abdominaltrauma 897, 907 Relaxierung Kind 1175 Religiosität 137 Remifentanil 331, 332 – Kind 1175 REM-Schlaf 680 Renin-Angiotensin-AldosteronSystem (RAAS) 236 Renin-Angiotensin-System 746 Reproduktionsfunktion, gestörte 749 Residualkapazität, funktionelle 550 Resistance (R) 476, 525 Resistenzraten 40 Resistogramm 803 Resorption 253 Respirator – Intensivrespirator 545 – portabler 545 respiratorische Insuffizienz – Beatmung, nichtinvasive (NIV) 547, 549 – Blutung, gastrointestinale 594 – Formen 985 – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1097 – hyperkapnische 476 – Behinderung der Atemexkursion 476 – Hypoxämie, Beatmung, nichtinvasive 549 – hypoxische 474 – Intoxikation 1104 – Neugeborenes, Präeklampsie 1076 – Pathophysiologie 544 – Pneumonie, schwere ambulant erworbene 489 – schwere 522 – Terminalphase 552
– Therapie 985 – Thoraxchirurgie 985 – Ursachen, extrapulmonale 477 respiratorischer Quotient; Ernährung, parenterale 267 Retinopathia praematurorum 1128 Retinopathie, hypertensive 456 Retroperitoneum, Trauma 853 Revaskularisation 997 – Angina pectoris 423 – perkutane 418 Rezeptortheorie 252 rFVIIa; Schock, hämorrhagischer 284 Rhabdomyolyse 1108 Rh-Erythroblastose 1143 Rhesus-Merkmal 308 rheumatoide Arthritis (RA) 1088 – Arthritis, septische 1092 – Immunsuppression 833 rheumatologische Erkrankung – Labordiagnostik 241 – Nebenwirkungen der Rheumatherapie 1092 – rheumatologischer Notfall 1088 Rh-Inkompatibilität 1143 »Richmond Agitation Sedation Scale« (RASS) 324, 978 RIFLE-Kriterien 764 Rigor 338 Ringer-Laktat 289 Rippenfraktur 882 Risiko – Abschätzung, Score 118 – Aufklärung 13 – Forensik 10 Risikomanagement 10, 75 – Near-miss-Ereignis 74 Ritztest 913 Robert Koch-Institut (RKI) 40 Romano-Ward-Syndrom 445 Röntgenaufnahmegeräte 191 Röntgendiagnostik – »bedside radiology« 193 – Endokarditis 449 – Koronarsyndrom, akutes 416 – Perikardtamponade 405 – Rasteraufnahmetechnik 193 – Schwangerschaft 1064 – Thoraxorgane 195 Rückenmarkverletzung 1018, 1020 – Atemimpuls 477 – Frührehabilitation 721 RUMBA-Regel 81 Ruptur, tracheobronchiale 989 Rutherford-Klassifikation 999 RVP (rechter Ventrikeldruck) 164
S S3-Galopp 414 Sabiavirus 831 Sakrumfraktur 855 Salzverlustsyndrom, zerebrales 1007 Salzwasserertrinken 936 SAPS-Score (»Simplyfied Acute Physiology Score«) 118 – SAPS-II-Score 58 – SAPS-III-Score 83
Sauerstoff – Angebot 986 – Asthma bronchiale 510 – COPD 514 – Flaschenvorrat, Berechnung 50 – Frühgeborenenapnoe 1133 – Früh-/Neugeborenes 1119 – Hypothermie 940 – Reanimation, kardiopulmonale 383 Sauerstoffbindungskurve 176 Sauerstoffbrille 986 Sauerstoffgehalt im Blut 176, 986 Sauerstoffmaske 986 Sauerstoffpartialdruck 175, 177, 238 Sauerstoffsättigung 175 – gemischtvenöse 967 – Kind 1166 – Normalwerte 175 – partielle 172 – pulmonalarterielle 165 – zentralvenöse 967 Sauerstoffsonde 986 Säugling – Analgetika 1173 – Atemwege 1169 – Blutdruck, systolischer 1164 – Ernährung 1171 – Flüssigkeitshaushalt 1171 – Herzzeitvolumen 1164 – Monitoring 1164 – Pharmakokinetik 261 – Zugang 1161 Säure, Definition 752 Säure-Basen-Haushalt – Blutung, gastrointestinale 594 – gestörter 728 – Intoxikation 1104 – Kompensationsmechanismen 752 – pulmonale 753 – renale 753 – Labordiagnostik 238 – Pathophysiologie 754 – Puffersysteme 752, 760 – Schock 277 – Stewart-Modell 756 – Störungen – Anionenlücke 755 – »base excess« 756 – Henderson-Hasselbalch-Gleichung 755 – Therapie 759 – Verschiebungen 752 – Volumenersatz 289 Säure-Basen-Status 752 – intrazellulärer 760 – physiologische Grundlagen 752 Schädelbasisfraktur 868 – Carotis-Sinus-cavernosusFistel 871 Schädel-Hirn-Trauma 852 – Aggression 679 – Beatmung 640 – lungenprotektive 883 – Bewusstseinslage 862 – Definition 860 – Delir 677 – Diagnostik 863
P–S
– neurologische 864 – Dopplersonographie 621 – Einteilung 861 – Fieber, neurogenes 1006 – Gerinnungsstörung 1018 – Glasgow Coma Scale (GCS) 57 – Glasgow Outcome Scale 871 – Infektion, intrakranielle 1012 – Kind 1176 – Klassifikation/Einteilung 861 – Komplikationen, extrakranielle 861 – leichtes 864 – Monitoring 625, 866 – zerebrales 870 – Neurochirurgie 1002, 1018 – Notarzt, Übergabe 864 – Pathophysiologie 860 – Perfusionsdruck, zerebraler (CPP) 641 – Plasmaersatz 290 – Polytrauma 849 – Prognose 871 – Regulationsstörung, zentrale 1006 – Rehabilitation, neurologische 714 – Schussverletzung 867 – schweres 865, 870 – Spätfolgen 870 – Therapie – Dekompressionstrepanation 869 – Erstversorgung im Krankenhaus 864, 865 – Erstversorgung, präklinische 863 – medikamentöse 863 – operative 867 – Stabilisierung der Vitalfunktionen 863 – Strategie 852 – Wundversorgung/Wundbehandlung 864 – Thromboseprophylaxe 1009 – Ursachen 860 – Verweilkatheter 866 Schilddrüse – Funktionsparameter, Verlauf 742 – Funktionsstörung, primäre 742 – Hormondiagnostik 244 – Hyperthyreose, thyreotoxische Krise 743 – Hypothyreose 650 – Myxödemkoma 744 – Low-T3-Syndrom 244, 742 – Thyreotoxikose 650 – TSH 742 Schlaf – Defizit 680 – Phasen 680 – Schlafregulation nach Analgosedierung 335, 322 – Schlaf-Wach-Rhythmus 19, 322, 680 – Analgosedierung 322 – gestörter 18 – Weaning 533 – Störung 679
1204
Stichwortverzeichnis
Schlaf-Apnoe-Syndrom 986 Schlag, präkordialer 380 Schlagvolumen 169, 170 – Variation 167 Schlangen – Anaphylaxie 1081 – Kreuzotter, Biss 1110 Schlucken, supraglottisches 130 Schlucktherapie 128 Schmerzen – Analgosedierung 322 – Frühgeborenes 1155 – Kind 1173 – Messung 325 – Neugeborenes 1155 – Palliativmedizin 138 – postoperative – Analgosedierung 332 – »patient controlled analgesia« (PCA) 332 – Schmerzscore 325 – Thoraxchirurgie 989 – Verbrennung 924 – Weaning 533 – WHO-Stufenschema 138 Schmerzscore Kind 1176 Schmerztherapie – Früh-/Neugeborenes 1156 – Kind 1173 Schmetterlingserythem 1091 Schnappatmung 378 Schock – anaphylaktischer 276, 1080 – Blutung, gastrointestinale 595 – Einteilung/Formen 276, 278 – hämorrhagischer – Azidosetherapie 284 – Blutgerinnung 283 – Blutverlust 278 – Differenzialdiagnose 281 – Hämotherapie 282 – Neugeborenes 1142 – Pathophysiologie 276 – Schweregrad 280 – Therapie 281 – Zugang, venöser 281 – hypovolämischer 276–280 – Azidosetherapie 284 – Blutgerinnung 283 – Blutverlust 278 – Differenzialdiagnose 281 – Neugeborenes 1142 – Pathophysiologie 276 – Schweregrad 280 – Therapie 281, 282 – Zugang, venöser 281 – kardiogener 276, 281, 392, 427 – Assist Device 400 – Definition 276 – Gegenpulsation, intraaortale 399 – Impellaturbine 399 – Katecholamine 296 – Killip-Klassifikation 416 – Kreislaufunterstützung, mechanische 399 – Mikroaxialturbine 399 – Monitoring 423
– Phosphodiesterasehemmer 296 – Stimulation, positivinotrope 399 – Symptomatik 414 – Therapie 399 – Therapiealgorithmus 395 – Katecholamine 296 – Kompensation 288 – Labordiagnostik 281, 895 – Mikrozirkulation 277 – neurogener 276, 281 – Pankreatitis 962 – Schweregrad 279 – septischer – Definition 276, 791, 1172 – Diagnostik 791 – Gasbrand 826 – Katecholamine 296 – katheterassoziierter, Therapie 806 – Pneumonie, schwere ambulant erworbene 489 – Therapie 792–796 – Volumenersatz 291, 794 – spinaler 1020 – Frührehabilitation 721 – Toxic-shock-Syndrom 568 – toxischer; Fasziitis, nekrotisierende 825 – Volumenersatz 288 – Zeichen 278 Schockgallenblase 960 Schockindex 280 Schockkategorien 276 Schockleber 568 Schockraumalgorithmus 901 Schocksyndrome 276 Schrittmacherkatheter 161 Schussverletzung 901 schwangere Patientin – Asphyxie, perinatale 1121 – Asthma bronchiale 512 – Bluterkrankungen, fetale/neonatale 1141 – Blutgruppeninkompatibilität 1143 – Chorioamnionitis 1123 – Eklampsie 459 – ethische Aspekte 1062 – Fruchtwasser, mekoniumhaltiges 1135 – Frühgeburtlichkeit 1063, 1123 – HELLP-Syndrom 460 – Hydrops fetalis 1143 – Hypertonie 459 – Kardiotokographie 1062 – Lungenembolie 468 – Lungenreifungsbehandlung 1124, 1126 – Malaria 833 – Perinatalzentrum, Verlegung 1117 – Pharmakaeffekte 1064 – Präeklampsie 459 Schwangerschaftsfeststellung 1062 Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation 1063
Schwangerschaftshypertonie 459, 460, 1068 Schwartz-Bartter-Syndrom (SIADH) 1006 Schweinegrippe 826 Schwellendosis 253 Schweregradbeschreibung, risikoadjustierte 83 Score(system) – Auswahl 57 – Benchmarking 62 – Definition 62 – Einmalerhebung 59 – Entwicklung, Bewertung 62 – Grenzen 64 – Gütekriterien 62 – Organversagen 57, 59 – physiologischer 56 – Prognose 61 – Qualitätsmerkmale 62, 63 – Therapieentscheidung 64 – Verlaufsdokumentation 59 – Ziele 61 Screening, toxikologisches 1105 Secalealkaloide; Druck, intrakranieller erhöhter 642 »second hit« 846, 847 »Sedation-Agitation Scale« 324 Sedativaabusus, Entzugssyndrom 678 Sedierung – Früh-/Neugeborenes 1157 – inhalative 1009 – Kind 1175, 1176 – Leberversagen, akutes 572 – Rehabilitationsergebnis 719 – Schädel-Hirn-Trauma 1009 – Score 324, 537 – terminale 139 – Verbrennung 924 – Weaning 537 Seelsorge 22, 137 Seitlagerung 125, 719 Sekretmanagement – Physiotherapie 988 – Thoraxchirurgie, postoperativ 987 Selbstbestimmungsrecht 141 Selbstmordversuch-/gefährdung 680 Selbstwirksamkeit 20 Seldinger-J-Draht 355 Selen 742 – Sepsis 798 Sellick-Handgriff 380 Senkungsabszess, abdominaler 959 Sepsis 790 – Abdomen, akutes 958 – Abdominalchirurgie 958 – Abszess, intraabdomineller 963 – Arthritis, septische 1092 – Blasenkatheter 812 – Cholestase, sepsisinduzierte 568 – Darmdekontamination, selektive 810 – Definition 790, 1172 – Diagnostik 791–793 – Leitlinie 793 – »early goal directed therapy« 87
– Enzephalopathie, septische 649 – Epidemiologie 790 – Ernährung 271 – enterale 565 – Leitlinie 271 – Fasziitis, nekrotisierende 960 – Frühgeborenes 1151 – Gasbrand 960 – gefäßkatheterassoziierte 804 – Prävention 819 – Hämofiltration 857 – Hämostasestörung 316 – Hyperglykämie 269 – Immunsuppression 1045 – Kalorienbedarf 271 – Kind 1171 – Kolloide 290 – Kolonverletzung 907 – Kompartment, abdominelles 963 – Landouzy-Sepsis 822, 834 – Lebensqualität 120, 790 – Leberchirurgie 958 – Nebenniereninsuffizienz/Waterhouse-Fridrichsen-Syndrom 748 – Neugeborenes 1151 – Ösophaguschirurgie 951 – Pankreatitis 582, 961 – PIRO-Konzept 791 – Platzbauch 963 – Pneumonie 493 – schwere ambulant erworbene 489 – Polytrauma 849 – Prävention 1172 – schwere 790 – Sepsis-Bundle 87 – Sigmadivertikulitis 962 – »surviving sepsis campaign« 793 – Therapie 792 – adjunktive 795 – Antikoagulation 316 – Glukokortikosteroide 747 – Infektionsherdsanierung 793 – Leitlinien 793, 795 – Protein C, aktiviertes 313 – supportive 794 – Tarragona-Strategie 794 – Tuberkulose 822, 834 – Urosepsis 813 – Verbrennung 915, 926 – Volumenersatz 291, 794 – Weichteilinfektion, abdominale 959 Shaldon-Katheter 773 »Shiga-like« Toxin 823 Short-cycle-improvementVerfahren 87 Shunt, ventrikuloperitonealer 686 Shuntperfusion, intrapulmonale 481 »Sickness Impact/Functional Limitation Profile« 120 Sigmadivertikulitis 962 Silbersulfadiazin 920 »Simplyfied Acute Physiology Score« (SAPS-Score) 118 – SAPS-II-Score 58 – SAPS-III-Score 83 Sinusarrest 437
1205 Schlaf-Apnoe-Syndrom – Therapieabbruch
Sinusbradykardie 436 Sinus-cavernosus-Thrombophlebitis 689 Sinusitis, als Beatmungskomplikation 527 Sinusvenenthrombose 626, 656, 689 Sirolimus 1042 SIRS 847 Sirupus ipecacuanha 1107 Skills-Trainer 113 Sklerodermie 1089 Sklerose, systemische 1089 Sludge-Phänomen 277 »small-volume-resuscitation« 282 – Druck, intrakranieller (ICP) 641 Somatostatin 597 – Ösophagusvarizenblutung 596 somatotrope Dysregulation 749 Somnolenz 646 Sondenernährung 269 – Medikamentenapplikation 269 Sonderentgelt 84 Sonographie – Abdominaltrauma 895 – B-Bild-Untersuchung 626 – Beinvenenthrombose, tiefe 318 – Duodenalatresie 1147 – »focused assessment sonography for trauma« (FAST) 895 – Fremdkörper 628 – Geräte 192 – Ischämie, mesenteriale 605 – Kind 1164 – Kompartmentsyndrom 628 – Muskulatur 628 – Nervensonographie 628 – Schockraum 895 – Schwangerschaft – Feststellung 1062 – Strahlenbelastung 1064 – transösophageale 170 Sopor 646 SOP (7 »standard operating procedure« – SOP) Sorgfallspflicht 11 – Leitlinien 12 Sotalol; Reanimation, kardiopulmonale 383 Spalthaut 923 Spannungspneumoperikard 403 Spannungspneumothorax 204, 362, 363 – Früh-/Neugeborenes 1136 – Therapie 854 – Thoraxtrauma 883 Spastik – Physiotherapie 133 – Tetraspastik 125 – Trauma, spinales 1021 Spenderorgan (7 auch Transplantation, Organspender) – Eignung 1032 – Infektionstransmission 1044 – Mangel 1030 – marginales 1030 Spiritualität 137 Spitzenumkehrtachykardie 445 Spitzfußprophylaxe 131
Splenektomie 903 – postoperativ 908 Splenomegalie 226 Splitlebertransplantation 1048 Spontanatmung, assistierte 534 Spontanatmungsversuch 535 – T-Stück-Versuch 537 – Weaningprotokolle 536 Sprachstörung, Akutphase/Frührehabilitation/Logopädie 134 Spurenelemente 266, 267 – Verbrennung 927 Stabilität, hämodynamische; Risikostratifizierung 469 Stammganglienblutung 626 Stammzelltransplantation – hämatopoetische 1096 – CMV-Infektion 828 – Pneumonie 502 Standardbikarbonat 756 »standardized mortality ratio« (SMR) 83 »standard operating procedure (SOP)« 93 – Antibiotikatherapie, Umgang mit 784 – Aus-/Weiterbildung 107, 114 – Erstellung 92 – Hirntodalgorithmus 1026 – Kommunikationsformen 115 – Kostenreduktion 87 – Organspender 1033 – Outcome 114 – Sepsis 793 Stanford-Klassifikation 996 Staphylococcus aureus 38 Staphylokokkenmeningitis 686 Starkstrom 917 Statine 425 – Kardiochirurgie 975 Status epilepticus 672–674 – Neugeborenes 1150 Stauungspapille 638 Steal-Phänomen 462 Stenose – A. carotis 995 – subglottische (Früh-/Neugeborenes) 1141 Stentimplantation – Angina pectoris 423 – Myokardinfarkt 418 Stentthrombose 422, 423 Sterbebegleitung – ärztliche 141 – Stellungnahme der BÄK 5 Sterbehilfe 5 – aktive 136 sterbender Patient – Menschenrechte 32 – Palliativmedizin 136 – Therapieverzicht 142 – Verlängerung des Sterbeprozesses 141 Stichverletzung 901 – Diagnostik 898 Stickoxidtherapie 1139 Stickstoffhaushalt, Monitoring 247 Stickstoffmonoxid (NO) 975 Stimmbandparese 950
Stimulation(sverfahren) – akustische 132 – basale 130, 720 – gustatorische, olfaktorische 132 – taktile 132 – thermale 130 – visuelle 132 Stoffmengenkonzentration 755 Stoffwechsel (7 Metabolismus) Stoma – Abdominaltrauma 907 – Kostaufbau 908 – Rückverlagerung 908 Strahlenschutz, Richtlinien 196 Strangulationsobstruktion 228 Streptokinase 312 Stressblutungsprophylaxe 594 Stressechokardiographie 415 Stressreaktion, physiologische 746 Stressulkusprophylaxe 810, 811 – Trauma, spinales 1020 Streustrahlung, Schwangerschaft 1063 »string of sausage sign« 606 »Stroke Unit« 1014 Strömungsgeschwindigkeit, mittlere 625 Stromverletzung 917 Strukturqualität 80, 82 Stufendiagnostik 245 Stuhlregulation, Abdominaltrauma 908 Stumpfinsuffizienz; Thoraxchirurgie 990 »stunned myocardium« 969 Stupor 646 Subarachnoidalblutung (SAB) 862 – Diagnostik 622 – Hunt-u.-Hess-Skala 663, 1007 – Komplikationen 664, 1015, 1017 – Meningitis 1017 – Neurochirurgie 1015 – Therapie 664 – Vasospasmus 623, 1016 – WFNS-Skala 1007 Subileus; Trauma, spinales 1020 subpulmonaler Erguss 205 Subtraktionsangiographie, digitale; Apoplex 659 Suchtstoffsuchanalytik 1105 Sufentanil 331 Suizidalität 680 – Intoxikation 1104 Supervision 25, 70, 106 Superweichlagerung 124 Suprathel 921 Surfactant-Substitution, Atemnotsyndrom bei Frühgeborenen 1124, 1125 Süßwasserertrinken 936 SVV (Schlagvolumenvariation) 167 β-Symphatikomimetika, Sepsis 795 Symphysenruptur 855 Synergismus von Arzneimitteln 253 »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) 790 – Critical-illness-Polyneuropathie 709 – Definition 1172
S–T
– Kardiochirurgie 974 – Kind 1171 – nichtinfektiöses 1171 – Prävention 1172 – Verbrennung 914, 926 – Zirkulation, extrakorporale 978 Systolikum 414
T Tachyarrhythmie – Formen 434, 437, 443 – Leitungsbahn, akzessorische 441 – supraventrikuläre 438 – Therapie 437 – Vorhofflimmern 438 Tachykardie – atriale 441 – Differenzialdiagnostik 435, 436 – Formen 434–436, 443 – Kammerflattern 445 – Kammerflimmern 445 – Kardiochirurgie 973, 974 – Reentry-Tachykardie 434 – Therapie 441, 443 – Torsade-de-pointes-Tachykardie 445 – unaufhörliche 444 – ventrikuläre 415, 443–445, 974 Tachyphylaxie 253 Tachypnoe, transitorische 1134 Tag-Nacht-Rhythmus (7 auch Schlaf ) 19 »talking down« 679 Task Management 107 Tauchmedizin 932 Tauchunfall – Definition 932 – Leitlinien 934 – Symptomatik 932 – Therapie 934, 935 Teerstuhl 590 Tensilontest 707 Terlipressin 597 – Ösophagusvarizenblutung 596 Terminalphase (7 auch Palliativmedizin) 136 – Hospizbewegung 137 – Leidensverlängerung 136 – respiratorische Insuffizienz 552 – Symptomkontrolle 137 – Therapieabbruch/-verzicht 136, 142 Testosteron 749 Tetraplegie 692 Tetraspastik, Lagerung 125 α-Thalassämie 1145 THAM (Trispuffer) – Dosierung 760 – Druck, intrakranieller (ICP) 641 Theophyllin – Intoxikation 1108, 1109 – Reanimation, kardiopulmonale 384 therapeutische Breite 253 Therapie, rationelle 93 Therapieabbruch 136, 142 – Entscheidung, scorebasierte 64
1206
Stichwortverzeichnis
Therapieverweigerung (»do not intubate«, »do not resuscitate«) 552 Therapieverzicht 136, 142 Thermodilution 166, 985 – transkardiopulmonale 966 – transpulmonale 929 Thermodilutionskatheter 161 Thermoregulation, gestörte, bei SHT 1006 Thiamazol 744 Thiopental 657 Thorakozentese 364 Thoraxaufnahme – Aufnahmefehler 194 – Bedside-Aufnahme 194 Thoraxchirurgie – Beatmung, postoperative 985 – Komplikationen 984, 989 – respiratorische Insuffizienz 985 Thoraxdrainage, Ösophaguschirurgie 952 Thoraxkompression – Beatmung, Verhältnis 379 – Defibrillation 381 – Kind 1169 – Leitlinie 379 – Qualität 386 Thoraxschmerz, akuter – Differenzialdiagnostik 416 – Echokardiographie 416 – Monitoring 423 – Therapie 416 Thoraxtrauma – Aorta, Verletzung 887 – Damage-control-Konzept 888 – Herzverletzung 885 – Lungenkontusion 883 – Myokardinfarkt 886 – Packing 888 – penetrierendes 885 – Pneumothorax 884 – Polytrauma 853 – Rippenfraktur 882 – Spannungspneumothorax 884 – stumpfes 882, 885 – Therapie 853 – Wandinstabilität 882 – Wundverschluss 889 – Zwerchfellruptur 884 Thrombasthenie Glanzmann 310 Thrombelastogramm 976 Thrombembolektomie 999 Thrombembolie – Neurochirurgie 1009 – Komplikationen, thromboembolische 164 – Schwangerschaft 1063 Thrombendarteriektomie (TEA) 995 Thrombin, aktiviertes (Faktor IIa) 304 Thrombinzeit (TZ) 306 Thrombolyse/Thrombolytika 420 – Alteplase (Actilyse) 312 – Apoplex/Hirninfarkt, ischämischer 659 – Ischämie, mesenteriale 607 – Kontraindikationen 421 – Koronarsyndrom, akutes 418
– lokale 999 – Streptokinase 312 – Tenecteplase (Metalyse) 312 – Urokinase 312 »Thrombolysis in Myocardial Infarction« (TIMI) 419 Thrombopenie 306, 1071 – Diagnostik 309 – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) 824 – Heparin-induzierte (HIT) 319 – HIV 836 Thrombophilie 307 – Antikoagulation 316 Thrombophlebitiden 316 Thromboplastinzeit, aktivierte partielle (aPTT) 243, 303, 306 Thrombose – Antiphospholipidantikörpersyndrom, katastrophales (APS) 1090 – Basilaristhrombose 648 – Einflussstauung, obere 1099 – Hämostase, physiologischer Ablauf 302 – Malignom, ursächliches 470 – Mesenterialvenenthrombose 602 – Phlebothrombose 466 – Prophylaxe 314 – Angina pectoris 422 – Frührehabilitation 125 – Revaskularisationsoperation 998 – Thrombophilie 316 – Thrombosestrümpfe 315 – Risikofaktoren 314 Thrombozyten(konzentrat) 303, 305, 309 – Leberversagen, akutes 572 – Schock, hämorrhagischer 283 Thrombozytenaggregation 303 Thrombozytenaggregationshemmung 311, 977 Thrombozyteninkompatibilität, fetomaternale 1145 Thrombozytenzahl, Einflussfaktoren 306 Thrombozytopenie 242 – Heparin-induzierte, Dialyse 777 – idiopathische (ITP) 318 – medikamenteninduzierte 242 – neonatale 1145 Thrombozytose 306 Thrombus, intraventrikulärer 429 »thyreoidea stimulating hormone« (TSH) 742 Thyreostat 744 Thyreotoxikose 650 thyreotoxische Krise 743, 744 Thyreotropin 742 Thyroxin 742 Ticlopidin 311 TIMI-Fluss 419 TISS-28-Score von Reis Miranda 60 TISS-Punkt 62 »tissue at risk« 659 »tissue factor« 303, 662 Todesnachricht 23 Todeszeitpunkt, Definition 1029 Tollwut 830
Top-fifty-Liste 93 »torsade des pointes« – Katecholamine 296 – Torsade-de-pointes-Tachykardie 445 Totalatelektase 214, 987 Tötung auf Verlangen 5 Tötung, fahrlässige 11 Toxikokinetik, Definition 1102 Toxikologie – Analytik 1105 – Definition 1102 Toxizität – Definition 1102 – Zytostatika 1098 Toxoplasmose 834 – zerebrale, bei HIV 840 Trachea – Identifikation 353 – Ruptur 885, 989 – Stenose 359 – Stent 372 Trachealkanüle 130 – Lagerung 126 Trachealreflex, fehlender (Hirntoddiagnostik) 1027 Tracheobronchialbaum, Trauma 884 Tracheoskopie, fiberoptische; Dilatationstracheotomie 358 Tracheostomie – kraniale 359 – prolongierte; Extubation, bronchoskopische 373 – Trauma, spinales 1020 – Verbrennung 924, 925 Tracheotomie 352 – Asthmaanfall 517 – Ballondilatation, nach Zgoda 358 – Beatmung 355 – COPD 517 – Dilatationstracheotomie, perkutane – Ciaglia-Verfahren 355 – Kontraindikation 352 – Drucknekrosen 354 – frühzeitige, Stellenwert 527 – Indikationen 352 – Komplikationen 358 – Management 355 – Methoden 352 – Ösophaguschirurgie 953 – perkutane, nach Frova 358 – perkutane, nach Griggs 355 – Punktionsort 354 – Technik 353–358 – Trachealstenose 359 – translaryngeale, nach Fantoni 356 – Weaning 534 – Zeitpunkt 353 Tranexamsäure 976 Transaminasen 239, 240, 1071 – HIV 836 Transfusion(stherapie) – Austauschtransfusion Frühgeborener 1144 – intrauterine 1144 – Kardiochirurgie 976 – Organspender 1031
– – – –
Polytrauma 848 Schock, hämorrhagischer 282 Verbrennung 925 Volumenersatz 288 – Kolloide 289 – Kristalloide 289 – Zielkriterien 283 Transfusionsgesetz 310 transitorische ischämische Attacke (TIA) 994 Translokation, bakterielle 560, 565 – Darmbakterien 849 – Prävention/Therapie 565 Transplantation(smedizin) 1037 – Abstoßungsreaktion 1038 – CMV-Infektion 828 – Herz 396, 1051 – Abstoßungsreaktion 1054 – HIV 1046 – Immunsuppression 833, 1038 – Infektion 1043 – Knochenmark 834 – Kontraindikationen 1038 – Leber 574, 575 – Abstoßungsreaktion 1051 – Splitlebertransplantation 1048 – Lunge 374, 1054 – Abstoßungsreaktion 1056 – Nieren-Pankreas-Transplantation 1046–1048 – Niere 1046 – Dialysepflichtigkeit 1046 – Sonographie 226 – Abstoßungsreaktion 1047 – Organspender, intensivmedizinische Behandlung 1030 – Pankreas 1047 – Pneumonie 500 – Stammzelltransplantation, CMVInfektion 828 Transplantationsgesetz – Hirntodfeststellung 1026 – Koordinierung 1037 – Meldepflicht für Organspender 1007 – Zustimmung, erweiterte 1026 Transport – Abdominaltrauma 894 – IABP 51 – Identitätssicherung 49 – innerklinischer 49, 94 – Interhospitaltransport 52, 94, 95, 714 – Monitoring 50 – Nierenersatzverfahren 51 – Personal 49 – Pleuradrainage 366 – Polytrauma 850 – Pulmonalarterienkatheter 51 – Rehabilitation 95 – Risikoschwangerschaft 1117 – Schädel-Hirn-Trauma 864 – Tauchunfall 935 – Transportmittel/-ausrüstung 48, 52 Transsudat, Pleuraerguss 362, 363 Trauer 23, 137 Traumaregister – Abdominaltrauma 894
1207 Therapieverweigerung – VRE
– Polytrauma 846 TREM-1/sTREM-1 791 Trepanation 1011 – Abszess, intrakranieller 689 – Druck, intrakranieller (ICP) 641 – Empyem, subdurales 690 – Ödem, postischämisches 660 – Ventrikeldrainage, externe 663 TRH-Test 742 Triage 888 »triangle of safety« 364 Triglyzeride, lang-/mittelkettige 246 Triiodthyronin 742 Triple-H-Therapie 665, 1016 Troponin I 977 Troponin T 415 TSH 742 T-Stück-Versuch 535, 537 Tuberkulose 822 – HIV 836 – offene 822 Tubus (7 auch Intubation) Tubus, endotrachealer 343 – Lagekontrolle 196 – Kind 1162 – Neugeborenes, Säugling 1163 Tubuskompensation, automatische 537 Tumorlysesyndrom 1097, 1100 – Nierenversagen, akutes 766 Tumorpatient – Ernährung 272 – hämatologisch-onkologische Erkrankung 1096 – Tumor, solider 1098 Two-hit-Konzept 916 Tyrosin 294 Tyrosinhydroxylase 294 T-Zell-Reaktion 1038
U Übelkeit, Terminalphase 139 Überempfindlichkeitsreaktion 1080 Übernahmeverschulden 12, 13 Übertherapie, antimikrobielle 496 Überwachung (7 Monitoring) Überwässerung 650 Ulkusblutung, gastrointestinale 595 – Forrest-Klassifikation 592 – Rezidivblutung 596 Ultrafiltration 773, 775 Ultraschall (7 Sonographie) Umweltschutz, Intensivstation 43 Undine-Syndrom 647, 1005 Unterernährung 270 Unterkieferfraktur 875 Unterkühlung 939 Unverträglichkeitsreaktion (7 Anaphylaxie) Urämie 770 Urapidil 461, 657 Urea – Labordiagnostik 240 – Nierenfunktion 764 Urethraruptur 897 Urethritis 813 Urethrozystographie, retrograde 897
Urinalkalisierung/-ansäuerung 1108 Urinkultur 813 – Nierenversagen, akutes 769 Urinausscheidung/-menge 764 – Kind 1166 – Schock, hämorrhagischer 280 Urokinase 312 Urosepsis 813 – Sonographie 226 Urtikaria, Anaphylaxie 1080 Uvulaödem, Anaphylaxie 1082
V V. basilica, Punktion 156 V.-cava-Schirm 469 V.-cava-superior-Syndrom; hämatologisch-onkologische Erkrankung 1099 V. jugularis – Infektionsprävention 808 – Punktion 157 V. subclavia – Infektionsprävention 808 – Punktion 158 Vagusmanöver 440 Varizella-zoster-Virus 827 – Varizella-zoster-Enzephalitis 688 Vaskulitis – Lupuskrise 1091 – nekrotisierende 1088 Vasodilatation 462 – selektive pulmonale 971 Vasokonstriktion – hypoxisch pulmonale 475 – mesenteriale 608 – periphere 1167 Vasopressin – Kardiochirurgie 972 – Reanimation, kardiopulmonale 383 – Schock, hämorrhagischer 285 Vasopressoren – Komplikationen 298 – Sepsis 795 – Substanzübersicht 296 – Therapieprinzpien 298 Vasospasmus – Diagnostik 623 – Subarachnoidalblutung (SAB) 1016 »vegetative state« 717 Venendruck, zentraler 153 Venenkatheter (7 auch Katheter) 153 – peripherer 805 – zentraler 154 – Kardiochirurgie 966 – Kind 1161 – Techniken 155 Venenthrombose, Wahrscheinlichkeit 466 venöse Beimischung (QVA/QT) 475 Ventilation (7 Beatmung) Ventilations-PerfusionsVerhältnis 475 Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörung 475
»ventilator-associated pneumonia« 493 Ventilator, portabler 545 Ventrikeldrainage, externe (EVD) 663 Ventrikeldruckmessung 638 Ventrikelfunktionsstörung, diastolische/systolische 392 Ventrikelkatheter; Druck, intrakranieller (ICP) 640 Ventrikelseptumruptur 886 Venturi-Maske 986 Verätzung 912 Verbandswechsel 809 Verbrauchskoagulopathie 316 Verbrennung 912 – ABSI (»Abbreviated Burn Severity Index«) 919 – alter Patient 929 – Analgesie, Analgosedierung 918, 924 – Auswirkungen, systemische 915 – Beatmung 925 – Begleitverletzungen 916 – Brandgasvergiftung 917 – chemische 917 – Definition 912 – Elektrizität, Stromunfall 917 – Elektrolyte 927 – Ernährung 925, 927 – Flächenausdehnung 914 – Immunsystem 915 – Infektion 925 – Inhalationstrauma 916 – Klassifikation 912 – Multiorganversagen 916 – Nachbrennen 912, 915, 918 – Neuner-Regel 914 – Pathophysiologie 912 – Prognose 914, 919 – Ritztest 913 – Schock, hypovolämischer 914 – Sepsis 916 – »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) 914, 916 – Therapie 918, 925 – Verbrennungskrankheit 916 – Verbrennungszentrum, Zuweisungskriterien 918 – Volumentherapie 925 – Bedarf 918 – Kind 928 Verbrühung 912 Verdünnungshyponatriämie 1154 Verhaltensstörung 677 Verlegung (7 Transport) Vernichtungskopfschmerz 1015 Versorgungskette 93 Verteilungshalbwertszeit 256 Verteilungsraum 254 Verteilungsvolumen, virtuelles 1103 »video-assisted thoracoscopic surgery« (VATS) 984 Videolaryngoskop 343 Vigilanz (7 auch Bewusstsein) 656 Virostatika 573 – Schwangerschaft 1065 Virusenzephalitis, Herpes simplex 629
T–V
Visite 20 – Aus-/Weiterbildung 108 visuelle Analogskala (VAS), zur Messung der Schmerzintensität 325 Vitamine 266, 267 – Verbrennung 927 Vitamin K 310 Vitamin-K-Antagonisten 310, 312 – Angina pectoris 422 Vogelgrippe 826 Vollelektrolytlösung 289 – Kind 1167 Volumenregulation 236 Volumenersatz/-therapie 288 – Abdominaltrauma 894 – Fieber, virales hämorrhagisches 831 – Hyperkalzämie 1099 – Hypertension, intraabdominelle 564 – Kind 1161 – Kreislaufinsuffizienz 1167 – Kolloide 281 – Kompartmentsyndrom, abdominelles 902 – Koronarsyndrom, akutes 418 – Kristalloide 281 – Lungenversagen, akutes 482 – Organspender 1031 – Ösophaguschirurgie 950 – Pankreaschirurgie 955 – Pankreatitis, akute 584 – perioperativ 290 – Polytrauma 848 – Präeklampsie 1073 – Schädel-Hirn-Trauma 863 – Sepsis/septischer Schock 794 – Verbrennung 914, 925 – alter Patient 929 – Bedarf 918, 929 – Kind 928 – verzögerte 282 – Zielkriterien 283 Volumenmangelschock, Abdominaltrauma 902 Volumentoleranz 288 Volvulus 1147 v.-Willebrand-Erkrankung 313, 315 v.-Willebrand-Faktor 304, 307 Vorerkrankung, psychiatrische 19 vorhergesagtes Normalgewicht 260 Vorhersagewert, positiver/negativer 63 Vorhofflattern 438 Vorhofflimmern 442, 973 – Prävention 973 – Therapie 973 Vorhofstimulation 974 Vorlast, kardiale 967 Vorlastvolumen 168 Vormundschaftsgericht 141 Vorsorgevollmacht 7, 140 VRE (7 Vancomycin-resistente Enterokokken)
1208
Stichwortverzeichnis
W Wachkoma 648 – Frührehabilitation 717 – Remissionszeichen 717 Wachstumshormone 244, 749 Wachstumsrestriktion, intrauterine 1077 Wahnvorstellungen 678 Wahrnehmungsstörungen 133 Wahrscheinlichkeit 64 Waldenström, Morbus 1096 Warfarin-Natrium (Coumadin) 312 Wasserhammerpuls 638 Wasserhaushalt (7 Flüssigkeitshaushalt) Wasserhygiene 42 Waterhouse-FriderichsenSyndrom 317, 748 Weaning 128, 532–536 – Analgosedierung 322 – Atemarbeit 533, 534, 537 – BIPAP 538 – COPD 517 – Critical-illness-Polyneuropathie 709 – Endotrachealtubus 534 – Ernährungsregime 533 – Frührehabilitation 128 – Mechanik des respiratorischen Systems 533 – metabolisches Gleichgewicht 533 – nichtinvasive Beatmung (NIV) 531 – Ösophaguschirurgie 953 – Prognose 536 – schwieriges 535 – Spontanatmungsversuch 535–537 – Synchronisation 534 – technische Einflüsse 534 – T-Stück-Versuch 537 – Verbrennung 924 – Weaningprotokolle 536 Weiterbildung (7 Aus-/Weiterbildung) Wendl-Tubus 343 Wernicke-Enzephalopathie 270, 678 – Therapie 648 Whipple-Operation 954 Widerstand, pumonalarterieller (Kind) 1168 Wiedererwärmungsmethoden 942 Win-lose-Situation 102 Win-win-Situation 99 Wirbelsäule – Abschertrauma 894 – Badeunfall 937 – Neurochirurgie 1019 – Polytrauma 853 – Querschnittslähmung 1018 – rheumatoide Arthritis (RA) 1088 – Rückenmarkverletzung 1018, 1020 – Schädel-Hirn-Trauma 865 Wiskott-Aldrich-Syndrom 1145 Wolff-Parkinson-WhiteSyndrom 434, 442
Wunddrainage 816 Wundinfektion – Wundkontaminationsklasse 815 – postoperative 815 – Leitlinien 816 Wundverband, synthetischer 921 Wundversorgung – postoperative 816 – Verbandswechsel 809 – Verbrennung 920
Z Zäkostomie 563 zentraler Venenkatheter. (7 Venenkatheter, zentraler) Zentralisation 276 zentralvenöser Druck (ZVD) 164, 985 zerebraler Perfusionsdruck 182 Zertifizierung – Basisreanimation 112 – Psychotherapie (Spezialzentrum) 21 Zeugen Jehovas, Hämotherapie 308 Zgoda, Ballondilatation nach 358 Zirkulation, extrakorporale – Auswirkungen 1054 – Gerinnungssystem 975 – Hydrokortison 975 – Kardiochirurgie 971 – »systemic inflammatory response syndrome« (SIRS) 974, 978 – Vasopressin 972 – Wiedererwärmung 972 Zirkulation, persistierende fetale 1138 Zirrhose, biliäre 566 ZNS – Abszess, intrakranieller 689 – Anästhetikaeffekte 1009 – Blut-Liquor-Schranke 684 – Diagnostik (Liquorpunktion) 631 – Empyem, subdurales 689 – Infektion 632, 684 – postoperative 1012 – Neurochirurgie 1002 – Regulationsstörungen, zentrale 1003 Zoonose – Fieber, virales hämorrhagisches 830 – Malaria 831 Zottenatrophie 1171 Zugang, arterieller; Kardiochirurgie 966 Zugang, intraossärer – Kind 1161 – Reanimation, kardiopulmonale 383 Zugang, venöser – Analgosedierung 323 – Dialyseverfahren 773 – Katheterinfektion 804 – Kind 1161, 1162 – Reanimation, kardiopulmonale 382 Zuhören, aktives 99
Zusammenarbeit, interdisziplinäre 94 Zweigefäßerkrankung 412 Zwerchfell – Abdominaltrauma 907 – Defekt, beidseitiger 1138 – Hernie 1138 – Innervation 1020 – Notfalllaparotomie 900 – Ruptur 854, 896, 907 – Thoraxtrauma 888 Zwiebelschalenangiopathie 1089 Zwischenfall 11, 69 Zyanwasserstoff, Intoxikation 917 Zystitis 813 Zytokine; Pankreatitis, akute 583 Zytokinfreisetzungssyndrom 1043 Zytokinsturm 580 Zytomegalovirus (CMV) 828 Zytostatika – Nebenwirkungen, intensivpflichtige 1098 – Neutropenie 1100 – Tumorlysesyndrom 1097 – Vorphasetherapie 1097