MYTHOR Die Kundschafter von Hans Kneifel Band 09
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MYTHOR Die Kundschafter von Hans Kneifel Band 09
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Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, der vorliegende Band dürfte der düsterste sein, der bisher in der MYTHOR-Buchreihe erschienen ist. Düster deshalb, weil sich das Verhängnis über die nördlichen Länder der Lichtwelt auszubreiten scheint. Die Dämonenpriester der Caer rüsten sich zur Endschlacht, ebenso die Krieger der Lichtwelt, und die große Schlacht zwischen Zigtausenden von Männern ist nur eine Frage der Zeit. Schwarze Magie und eisige Kälte, ein blinder alter Mann mit wirren Träumen und Mythors Sehnsucht nach der geheimnisvollen Fronja – das sind wichtige Bestandteile der Romane, die diesem Buch zugrunde liegen. Nach der manchmal durchaus heiteren Grundstimmung des letzten Buches ist dies eine Abwechslung, die nicht unbedingt jedem liegen mag. Hans Kneifel steuerte zum vorliegenden Buch die Romane »Die Kundschafter« und »Im Niemandsland« bei. Ernst Vlceks Roman »Kämpfer der Lichtwelt« bildet den Abschluß der Abenteuer im Vorfeld der Schlacht im Hochmoor von Dhuannin. Klaus N. Frick
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Der Schatten des gleißenden Ringes aus kosmischen Trümmern, der die Welt in zwei Hälften teilt, beherbergt die Mächte der Finsternis. Aus dieser Dunkelzone greifen die gierigen Finger des Bösen nach der Welt der Menschen. Unter dem Befehl von Dämonenpriestern machen sie sich daran, den Norden der Welt zu erobern. Zu lange schon ist es her, daß der Bote des Lichts mit seinem strahlenden Kometentier den Menschen den Frieden brachte. Und der »Sohn des Kometen«, der möglicherweise dem Bösen standhalten kann, ist noch immer nicht aufgetaucht. Die uralte Nomadenstadt Churkuuhl, die auf dem Rücken gewaltiger Tiere über die nördliche Welt getragen wird, geht an der Küste des Meeres der Spinnen in einer furchtbaren Katastrophe unter. Aus ihren Trümmern retten sich nur wenige, darunter ein junger Mann namens Mythor, dessen Herkunft unbekannt ist. Nyala, die Tochter des Herzogs von Elvinon, bewahrt Mythors Leben, denn sie glaubt daran, daß er jener Sohn des Kometen sei, dessen Kommen vorausgesagt wurde. In einem unterirdischen Tempel erfährt er, daß er sich diesen Titel erst erkämpfen muß. Nachdem Mythor vor einer Invasion durch das von Dämonenpriestern geführte Kriegervolk der Caer fliehen konnte, erfüllt er die erste der Aufgaben, die ihm gestellt wurden: In Xanadas Lichtburg kann er das Gläserne Schwert Alton für sich gewinnen. Durch lange unterirdische Gänge entkommt er mit seinen Gefährten, ohne zu wissen, wohin ihr Weg führt. Die Freunde erreichen in Nyrngor das Tageslicht. Die Stadt wird von den Caer belagert. Obwohl Mythor der jungen Königin Elivara zur Seite steht, läßt sich der Sieg der Caer nicht verhindern. Mythor macht sich auf den Weg zu Althars Wolkenhort, wo der Helm der Gerechten auf ihn wartet. Über einen Weg, der vor langer Zeit von den mittlerweile 4
ausgestorbenen Titanen angelegt wurde, gelangt Mythor zum Wolkenhort, der von zauberischen Pflanzen beschützt wird. In diesem himmelhohen Turm muß sich Mythor mit den Geistern früherer Eindringlinge auseinandersetzen, bis er schließlich Althar selbst antrifft und von diesem den Helm der Gerechten erhält. Dieser soll ihn künftig schützen und ihm den Weg zu anderen Stützpunkten des Lichtboten weisen. Auf dem weiteren Weg zu der Piratenstadt Thormain wird Mythor mit seinen Freunden von dem mächtigen Ritter Coerl O’Marn gefangengenommen, dem Oberbefehlshaber der CaerTruppen. Der Sohn des Kometen merkt bald, daß er keinen dämonischen Feind vor sich hat, sondern einen klugen und tapferen Menschen, der sich unter Mythors Einfluß von den Dämonenpriestern abwendet und zu seinem Freund wird. Der Ritter zeigt auf der Ebene der Krieger Mythor die geballte Macht der Caer, um ihn davon abzubringen, gegen dieses Reich anzukämpfen. Dabei gerät Coerl O’Marn selbst unter den zauberischen Einfluß der Dämonenpriester und wird zu Mythors Feind. So muß sich der Sohn des Kometen auf die Suche nach weiteren Verbündeten machen, die er im Bereich der Zaubertiere zu finden hofft: ein Einhorn, einen Schneefalken und den Bitterwolf, der angeblich bei seiner Geburt geheult haben soll. Doch zuerst scheint sich das Schicksal gegen ihn verschworen zu haben. Hester, der Bruder Elivaras von Nyrngor, gewinnt die Zaubertiere für sich. Erst nachdem Hester und Mythor erkannt haben, daß sie Verbündete und keine Gegner sind, überläßt der junge Prinz die Zaubertiere dem Kometensohn. Gemeinsam mit den Tieren erreicht Mythor schließlich das Land Ugalien, das von schweren Unruhen erschüttert wird. Ein Großangriff der Caer steht auch hier bevor, und die Verantwortlichen des bedrohten Gebietes können sich nicht auf 5
eine gemeinsame Strategie einigen. Jetzt also ist nicht der junge Kämpfer Mythor gefordert, sondern sein politisches Geschick… Das jedoch fällt ihm nicht leicht, denn er lernt schnell, die aufgeputzten, selbstgefälligen Adligen mit ihren Ränkespielen zu verachten, deren ehrlichster noch ein hinterhältiger Attentäter ist. Dazu kommt die Erkenntnis, daß die Dämonenpriester unter den Magiern am Hof seines Gastgebers einen mächtigen Verbündeten haben, der im Auftrag des obersten der schwarzen Priester handelt. Es gelingt Mythor immerhin, diesen mit Hilfe des ehrlichen Lichtmagiers Thonensen zu besiegen, und er erlebt sogar die Einigung der Politiker auf einen gemeinsamen Kriegszug gegen die Caer…
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Hans Kneifel
DIE KUNDSCHAFTER Jener Wanderer, der das Landschiff sah, fragte: »Warum drehen sich die Räder? Warum erzeugen sie nutzlose Wellen und Geräusche?« Der Mautner hob seine schwieligen Hände und sagte: »Es sind Sinnbilder des Wachsens und Vergehens. Es ist viel Sinn in diesem Rhythmus.« Der Wanderer war verwirrt: »Was sagt dir jenes Klappern und Rauschen?« Die Antwort des Mautners klang sicher. Seine Stimme war voll Sorge und der Kenntnis kommenden Elends. Er sagte: »Die Mächte des Bösen wachsen in der Schwärze. Bald bläst das Große Schaurige Horn. Dann geht alles unter.« Der Wanderer erschrak und fragte mit zitternden Knien: »Alles geht unter? Warum flüchtest du nicht?« Der Mautner raufte seinen Bart und sprach: »Ich bin hilflos wie alle, die guten Willens sind und die Mächte der Schattenzone hassen und fürchten.« Der Wanderer hielt sein scheuendes Pferd fest und schwang sich in den Sattel. Obwohl der Mann kraftvoll und mutig zu sein schien, stieß er hervor: »Ich jedenfalls werde flüchten! Ich will nicht Sklave der Dunklen Mächte werden!« Dem Davongaloppierenden rief der Mautner prophetisch nach: »Kein Weg ist lang genug, keine Entfernung so groß! Du wirst ihnen nicht entkommen. Niemand entkommt ihnen! Nicht einmal ich, der die Zeichen deuten kann.« (Legende im Land Darain) * 7
Mythors Blicke verfolgten einen Reiter, der auf ihn und die Gruppe seiner Begleiter zuzukommen schien. Es war eine groteske Gestalt. Hoch über dem Geschehen kreiste Horus. Der Schneefalke zeigte keine Unruhe, und auch Hark ließ sich nicht sehen. Also bestand wohl keine ernsthafte Gefahr. Der Reiter kam näher. Buruna hob die Hand über die Augen und sagte verwundert: »Alles ist weiß, Mythor! Das Pferd, die Kleidung oder Rüstung und auch die Haut des Reiters!« Der Reiter kauerte auf einer schneeweißen Mähre. Er schwenkte auffordernd seine weiße Lanze, an der ein zerrissener weißer Wimpel flatterte. In holprigem Galopp stob er auf Buruna und Mythor zu, die den kleinen Zug anführten. Hinter ihnen, nicht sehr weit entfernt, lag die Grenze zwischen Ugalien und Tainnia. Mythor legte die Hand an den Griff des Gläsernen Schwertes, beruhigte das Einhorn mit einem leisen Zuruf und einem schwachen Schenkeldruck. Fünfzehn Schritt vor ihnen parierte der weiße Reiter sein keuchendes Tier durch. »Wohin des Weges, Fremder?« rief der Reiter. Seine Stimme klang seltsam hell, als habe er sie seinem Aussehen angleichen wollen. Er war ein großer, hagerer Mann, in weißes Leinen gekleidet. Viele Risse und Löcher ließen unter der Kleidung die Haut eines Albinos erkennen. »Ein Verrückter!« knurrte Gapolo ze Chianez hinter Mythor. Der Reiter drängte seinen klapprigen Gaul weiter heran. Mythor sagte ruhig, aber einigermaßen verwundert: »Nach Süden. Wir sind eine kleine, harmlose Gruppe, die sich wohl zu wehren vermag.« An Knien und Ellbogen des weißen Reiters saßen kugelige Panzerteile mit langen Stacheln. Auch dieses Metall war weiß, ebenso wie ein zerbeulter Brustpanzer und ein Helm, dessen Aussehen den phantastischen Eindruck verstärkte. 8
»Nicht nach der Stadt Darain? Ich weiß, daß ein gigantisches Heer der Caer die Stadt belagert.« Buruna bestätigte: »Wir haben Flüchtlinge gesehen. Große und kleine Gruppen ziehen kreuz und quer durch das Land.« Der weiße Helm des Reiters umschloß das kalkige Gesicht und endete über bleichen Augenbrauen. In Stirnhöhe zog sich ein ausladendes Gestrüpp metallener Haken, Dornen und Winkel um den Helm, eine Art weißer Strahlenkranz, in dem sich Geschosse oder Waffen des Gegners verfangen und verhaken mochten. Selbst die Haare seines buschigen Schnurrbarts waren schlohweiß. Der Reiter trug Stiefel aus weißem Leder mit Metallbeschlägen derselben Färbung. »Das Land ist in Aufruhr«, bekräftigte der Reiter. Als er seine stechenden Augen auf Burunas Hemd richtete, das über den Brüsten weit geöffnet war, bekam sein Blick etwas Träumerisches. »Ich ritt tagelang. Überall sah ich, wie sich unbeschreibliche Dinge abspielten. Es sind Vorboten eines unfaßbaren Geschehens. Geht ihr nicht nach Darain? Ich reite, um die Caer zu vertreiben!« Mythor beabsichtigte nicht, dem Fremden zu erzählen, daß er sich in zwei Monden mit Sadagar und dem bemitleidenswerten Nottr beim Koloß von Tillorn verabredet hatte. Auch von seinem Versuch, das Orakel von Theran zu besuchen, würde er nichts sagen. So antwortete er unverbindlich: »Das Hochmoor von Dhuannin wollen wir sehen. Und wohin reitest du, schwer bewaffnet, entschlossen und auf einem kräftigen Hengst?« Der Weiße schien wenig Spaß zu verstehen, denn er sagte säuerlich: »Ich reite einen Schimmelwallach, Fremder. Meine Waffen mögen schwach erscheinen, aber ich nutze sie mit Erfahrung. Wo du einen dürren Mann zu sehen glaubst, sind Muskeln, Sehnen und Knochen. Ich bin von Mut und Haß gegen die Caer erfüllt, denn ihre Gegenwart ruiniert die Men9
schen und das Land. Schmeckt ihr den Rauch verbrennender Bauernhöfe? Habt ihr die Not der belagerten Städte geschaut?« Cesano winkte ab und rief: »Das alles kennen wir zur Genüge. Wer sind wir, daß wir es ändern könnten? Aber wir wünschen dir bei deinem Kampf viel Glück – du wirst es brauchen.« »Nicht weniger als ihr alle!« rief der Schimmelreiter. »Ich warne euch! Das Land ist in chaotischem Zustand. Den Fluß werdet ihr nicht überqueren können. Ihr reitet zwischen den Fronten!« Raimor hob den Arm mit dem Schild und sagte beschwichtigend: »Danke für die Warnung, Fremder. Wir werden uns vorsehen!« Mit altersschwachem Wiehern hob sich der Schimmel auf die Hinterbeine, warf sich herum und galoppierte an. Noch einige Augenblicke lang geisterte er als weißer Schatten zwischen den Baumstämmen. Dann war er verschwunden, und die Salamiter blickten sich und Mythor etwas verwundert an. Mit einem knappen Lächeln bemerkte Mythor: »Er mag ein wenig irre sein. Aber was er sagte, war richtig. Reiten wir weiter?« »So schnell wie möglich!« stimmte Buruna zu. Irgendwo vor ihnen lagen das Hoch-Moor, der breite Pfad der Yarl-Linie und der Fluß, von dem der Reiter gesprochen hatte. In etwa einem halben Mond würde die Schlacht zwischen den Caer und den Verteidigern stattfinden. Deren Truppen, Verbündete der Lichtwelt und Söldner, strömten aus allen Richtungen der Windrose auf das Hochmoor zu, und ihre Züge verwüsteten das Land nicht weniger, als die Heerscharen der Caer dies taten. Die acht Personen ritten hintereinander weiter und dachten schweigend darüber nach, was sie eben erfahren hatten. Sie wußten, daß sie von zahllosen Gefahren umgeben waren. Aber 10
während der letzten Tage seit dem Verlassen von Burg Anbur hatten sie jeder größeren Gefährdung ausweichen können. Noch hatten Mythor und die fünf salamitischen Stammesangehörigen denselben Weg. Mythors Gedanken kreisten immer wieder um dieselben Dinge. Obwohl er keinen Augenblick lang aufhörte, wachsam die Umgebung zu durchforschen, dachte er an den Rat des Sterndeuters Thonensen und an den fünften Fixpunkt des Lichtboten, das Theransche Orakel. Immer wieder flüsterte er lautlos den Namen Fronja und sah die Gesichtszüge der wunderschönen Frau vor sich, dachte an das Pergament mit Fronjas Bild, das er im Wams trug und das Burunas Eifersucht schürte. Sein Schweigen schien die freigelassene Liebessklavin unruhig zu machen. Sie ritt an Mythor heran und packte ihn am Unterarm. Zornig stieß Buruna hervor: »Du denkst schon wieder an diese Fronja? Ich verlasse dich, wenn du nichts anderes mehr im Sinn hast!« Mythor lachte sie kopfschüttelnd an. »Sicher, Graf Corian hat dir die Freiheit gegeben, aber wenn du uns hier verläßt, werden dich die Söldner schnell wieder gefangen und versklavt haben.« Sie senkte den Kopf, blitzte Mythor aber mit ihren großen Augen an. »Du hast recht. Leider!« rief sie. »Ich reite zum nächsten Bauerngehöft. Dort habe ich es bestimmt besser.« »Ab und zu überforderst du meinen Sinn für Humor«, sagte er zu ihr. Burunas Pferd und Pandor, das Einhorn, trabten auf einem schmalen Pfad. Tief eingeschnittene Räderspuren waren zu sehen. Rechts und links lagen schweigende Waldstücke, zwischen denen sich bearbeitete Äcker und Felder erstreckten. In unterschiedlichen Abständen waren Bauernhöfe in diese Landschaft verteilt. Ihre Kamine rauchten, wenige Tiere befanden sich auf den Weiden. 11
Immer wieder sahen die acht Reiter lange Elendszüge, die von West nach Ost krochen. Hauptsächlich Kinder, Frauen und Greise bildeten diese Karawanen; die kampffähigen Männer mußten sich freiwillig oder unter Zwang am Feldzug gegen die Caer beteiligen. »Du und Humor? Dafür lachst du viel zuwenig«, sagte Buruna. »Seit unserer ersten Nacht in der Burg weiß ich das.« »Für mich gibt es nicht allzuviel zu lachen«, sagte Mythor. »Aber ich lächle, wenn ich dich ansehe.« Sie schien halbwegs versöhnt. Dann zeigte sie auf den Schneefalken, der rüttelnd über einer Stelle stand und etwas Auffallendes zu sehen schien. »Rauch!« stieß sie hervor. »Dort vorn brennt es!« Im gleichen Moment roch auch Mythor, daß der Wind dünne Schwaden Rauch herbeitrug. Der Barde Lamir schrie: »Ich sehe hinter den Findlingen vermummte Gestalten.« Sofort fiel Pandor in schnellen Galopp. Die Pferde der sieben Reiter folgten augenblicklich. Die kleine Kavalkade bewegte sich die letzten Windungen des Pfades entlang, umrundete eine Handvoll großer, weißlicher Steine und etliche knorrige Bäume, dann befanden sie sich am Rand einer größeren Feldzone. Gestalten kauerten, Dreschwerkzeuge und Knüppel in den Händen, hinter einer dichten Buschreihe. Sie wandten Mythor und dessen Freunden den Rücken zu und merkten noch nicht, daß sich ihnen die Reiter näherten. Die ersten Vermummten tauchten gerade in der Menge der Büsche, Bäumchen und Rankengewächse unter. Die Teilnehmer der Prozession, die sich ziemlich schnell bewegte, summten und sangen in einem schauerlichen Chor. In ihren Händen befanden sich Peitschen mit kurzen Griffen. Einer der Bauern schwenkte eine Fackel. Gegenüber, aber hinter einem Wall halb grüner, halb welker Pflanzen, brannten die trockenen Blätter und erzeugten einen dünnen, hellen Rauch. Die ver12
mummten Gestalten sangen und schlugen sich gegenseitig mit den Geißeln. Sie waren derart tief in ihre makabre Tätigkeit versunken, daß sie weder die Bauern noch das Feuer sahen. Auch nicht die Reiter, die jetzt auf die Männer in den groben Kitteln losritten. Buruna schrie gellend: »Die vermummten Geißler! Sie werden in die Falle gelockt!« Keiner der kapuzentragenden Geißler bemerkte etwas anderes als den eigenen Schmerz. Die Bauern sprangen auf und sahen erschrocken den herandonnernden Reitern entgegen. Mythor zog das Schwert und schrie einen Bauern an: »Ihr wollt den Wald anzünden?« Mit allen Zeichen des Schreckens und Abscheus rief der Landmann zurück: »Sie sind ansteckend. Sie müssen brennen!« Mythor ritt scharf an ihn heran und holte mit dem Schwert aus. Der Bauer duckte sich. Das Schwert traf die in Abwehr hochgerissene Fackel und schleuderte sie in die Furchen eines frisch aufgebrochenen Ackers. Auf der gegenüberliegenden Seite des Feldweges steckte ein anderer Bauer rennend dürre Sträucher an. Flammen züngelten knatternd hoch. Rauch kam auf und bewegte sich den Reitern entgegen. Gapolo sprengte schreiend mitten durch den Zug der Geißler, die ihn sahen, erschraken und stehenblieben. »Zurück! Ihr verbrennt im Wald!« schrie er und trieb sie mit dem Pferd, das er im Kreis drehen ließ, auseinander. Die anderen Reiter bildeten in scharfem Galopp ein Spalier zwischen den Bauern und Büschen und den seltsamen Pilgern. Der Barde zwang sein Reittier durch den dichter und schwärzer werdenden Rauch auf den Bauern zu, der seine knisternde Fackel schwang. Zwischen zwei brennenden Büschen sprengte Lamir auf den einzelnen Mann los, der zwischen Angst und Wut schwankte, aber noch immer die Flammen an dürre Äste 13
hielt. »Sie tragen das gelbe Fieber!« brüllte einer der Bauern mit sich überschlagender Stimme. Aus dem Wald schoß Hark hervor und schnappte heulend nach der Peitsche des Anführers. Der Pilger drehte sich um und rannte zwischen den verkrüppelten, knotigen Baumstämmen hervor und in die Richtung, aus der er gekommen war. Mythor lenkte das Einhorn zwischen Rauch und Flammen hindurch und trieb mit geschwungenem Schwert Bauern und Pilger gleichermaßen aus dem Bereich des Feuers. Engor und Raimor hackten mit ihren Beilen den einzelnen Busch nieder, der sich vor den ersten Ästen des Waldes befand und an einer Seite bereits hellauf brannte. »Zurück! Sonst gebrauche ich mein Schwert!« tobte Mythor. Die Reiter trieben die Bauern und die Geißler in die Flucht. Aber nach hundert Schritten blieben beide Parteien stehen. Die Bauern scharten sich in einer Gruppe zusammen, die großen Abstand von den Geißlern hielt. Neben dem Mann, der offenbar der Anführer war, sprang Mythor von Pandors Rücken. Die Kapuze war vom Nacken des Pilgers gefallen. Mythor starrte in ein schweißbedecktes, blutverkrustetes und bärtiges Gesicht. Viele kleine Geschwüre und Eiterbeulen zeichneten die Wangen und die Stirn des Fremden. »Wer seid ihr? Warum geißelt ihr euch?« fragte Mythor streng. Die dunkelhäutige Frau mit der üppigen Figur hielt ihr Pferd neben Mythor an. Der Geißelschwinger ließ die schmutzigen, geröteten Schnüre gedankenlos aus seiner Hand herunterhängen und warf einen, wie es schien, angsterfüllten Blick auf Buruna. »Wir kommen aus Ugalos. Wir sind Bußgänger«, sagte der Mann fast trotzig. »Noch lange kein Grund, sich gegenseitig blutig zu schla14
gen«, bemerkte Mythor finster. »Wir geißeln uns, um das Böse zu vertreiben. Wir gehen zu den Caer-Priestern. Ich bin Anid Levere, und meine Schwären schmerzen.« »Mich schmerzt, wenn ich daran denke, daß ihr jetzt beinahe in einem brennenden Wald umgekommen wäret«, sagte Buruna vorwurfsvoll. »Könnt ihr mit den Peitschen auch noch etwas anderes bewirken als blutige Striemen?« »Wir haben das gelbe Fieber. Es kam über uns. Die Bauern…«, begann Levere. Mythor schnitt ihm mit einer Handbewegung die Rede ab. »Die Bauern fürchten sich vor euch. Vor dem Fieber und vor eurem selbstquälerischen Aufzug. Wir kamen noch rechtzeitig. Ist Ugalos vom gelben Fieber betroffen?« Anid stieß hervor: »Wir warteten nicht, bis alle gestorben waren. Wir sind schon lange unterwegs. Wir hungern und haben lange nicht geschlafen.« »Ihr werdet die Caer nicht erreichen«, sagte Mythor und erkannte, daß sich die Bauern abermals drohend zusammenrotteten. Es waren etwa zwei Dutzend, mit abenteuerlichen Geräten bewaffnet. Der junge Mann wies auf die Bauern und sagte entschieden: »Sie werden euch etwas zu essen geben. Sicher nicht gern. Ihr werdet versprechen müssen, daß ihr euch dem Vieh und den Höfen nicht nähert.« Mit dem Wolf an seiner Seite ritt er auf die Bauern zu und an der Kette seiner Freunde vorbei, die sich schützend zwischen den beiden Gruppen aufgestellt hatten. Hinter ihm galoppierte die Frau mit den wippenden dünnen Zöpfen. Die Bauern starrten die Ankommenden schweigend an. »Hört zu, Landleute«, sagte Mythor schroff, »es ist nicht gut, wenn besonnene Männer arme Kreaturen töten. Sie sind krank. Sie haben versprochen, sich euch nicht zu nähern. Gebt ihnen etwas zu essen! Legt es weit von ihnen entfernt nieder, 15
dann steckt ihr euch nicht an.« »Herr«, sagte der Bauer trotzig mit rauher Stimme. »Wir wissen nicht, wer du bist. Deine Worte klingen, als wüßtest du etwas. Wir alle sterben, wenn wir einen solchen Aussätzigen anfassen.« »Sie ziehen nach Darain, den Caer entgegen«, sagte Mythor. »Vermutlich werden sie die Caer eher anstecken als euch! Sie haben versprochen, nichts zu berühren, was euch gehört. Gebt ihnen Brot, etwas Milch und ein paar Früchte! Einer von euch soll es irgendwo dort hinlegen. Einverstanden?« Ein jüngerer Mann im Fellwams knurrte halblaut: »Gut. Ich sammle etwas und bringe es ihnen. Hinter den Wald. Aber sie sollen von der Quelle wegbleiben. Waschen kann sich das Gesindel am Bach.« Mythor setzte ein dankbares Lachen auf und versicherte: »Du bist ein Edelmann, mein Freund. Ich danke dir im Namen von denen dort, die übler dran sind als ihr und wir zusammen.« Die anderen Bauern nickten sich zu, warfen immer wieder verstohlene Blicke auf Buruna, dann musterten sie das Gläserne Schwert und gingen langsam davon. Mythor ritt zu den wartenden Pilgern zurück und berichtete, was er erreicht hatte. Anid Levere blickte ihn an, als sei ihm eine rettende Fee erschienen. »Wie ist dein Name? Ich werde dich und euch alle niemals vergessen können!« »Ich bin Mythor. Ich hoffe, daß ihr geheilt seid, wenn wir uns wieder treffen«, sagte der junge Krieger. »Setzt euren Marsch unauffällig fort und meidet die Gehöfte! Dann gelangt ihr lebend zu den Caer. Und, wer weiß, vielleicht vergeht das Fieber, wenn ihr in einem sauberen Bach badet? Nötig hätte es jeder von euch.« Anid tat etwas Seltsames. Er packte seine Geißelschnüre und 16
schlang sie sich wie einen Gurt um die Hüften. »Ich werde dir ewig dankbar sein!« versicherte er. »Herr Mythor!« Mythor winkte ab. »Zieht weiter! Und hört auf, euch zu geißeln. Der Blutverlust und die Erschöpfung töten euch eher als die gelbe Pest.« Levere winkte. Die anderen hinkten hinter ihrem Anführer her. Im Acker schwelten die verlöschenden Fackeln. Langsam und nachdenklich ritt Mythor zu seinen Freunden zurück. »Wir werden keinen leichten Weg haben«, sagte er zu den Salamitern. »Das Land ist tatsächlich vom Krieg überzogen.« »Es wird noch viel schlimmer kommen«, warf Lamir ein. »Diesmal darfst du die Spitze übernehmen, ze Chianez!« schlug Mythor vor. »Deine Augen sind schärfer als die des Schneefalken!« Sie ritten in der gewählten Richtung weiter. Immer wieder sahen sie in der Entfernung einzelne Bauernhöfe. Noch waren die meisten Äcker und Felder gut bewirtschaftet und teilweise abgeerntet. Wenn erst die Mehrzahl der Krieger und Söldner Corians auf ihrem Marsch zum Hochmoor hier vorbeigekommen waren, würde es anders aussehen. Einmal sagte der Barde: »Mir fällt kein Lied ein. Und schon gar kein fröhliches.« »Es ist die verdammte Stimmung«, meinte Cesano grämlich. »Nun, vielleicht gibt uns heute ein Bauer etwas von seinem Bier.« Mythor sah weit voraus, anscheinend an einem dreieckigen, hellen Felsen angelehnt, eine geduckte Gruppe strohgedeckter Häuser. Aus einigen Kaminen stiegen dünne Rauchsäulen auf. »Der Hof liegt auf unserem Weg!« meinte Buruna. »Endlich einmal wieder ruhig schlafen.« Wenn es ein größerer Bauernhof war, würde es dort mehr Männer geben. Also würden sie vor den acht Wanderern keine 17
Angst haben. Dieser Umstand und die Tatsache, daß sie mit Silber und Gold zahlen konnten, waren hilfreich und versprachen tatsächlich eine ruhige Nacht. Auch die Tiere hatten Ruhe nötig. »Sieht gut aus!« bemerkte Lamir. »Sehr friedlich!« »Hoffen wir’s!« Die Pferde und selbst das schwarze Einhorn schienen den Stall, das Heu und die Nähe friedlicher Menschen zu wittern. Sie wurden ohne Zutun der Reiter schneller und streckten die Hälse. Die Reiter sahen hinter Zäunen, Gattern und dichten Reihen beschnittener Büsche hektische Bewegungen. Einige Frauen trieben Getier in die Ställe. Männer spähten in die Richtung der kleinen Gruppe. Undeutliche Schreie ertönten. Viele schmale Pfade vereinigten sich und bildeten schließlich einen breiten, schlammigen Weg, der über die schmale Bohlenbrücke bis zu dem Viereck zwischen den Hausfronten führte. Die Hufe erzeugten einen harten, dröhnenden Wirbel auf den Holzbalken. Mythor sprang ab und ging auf die drei Männer zu, die sich vor dem breitesten Eingang mit Äxten in den Händen aufgestellt hatten. Die Bauern starrten ihn finster an. Mythor breitete die Arme aus, zeigte den Männern die Handflächen und sagte höflich: »Wir bitten um ein Nachtlager, und vielleicht dürfen wir an euren Tischen essen. Wir bezahlen mit Silbermünzen, und zwar vorher. Und wenn euch Söldner überfallen, kämpfen wir mit euch gegen sie. Wir…« »Ihr seid keine Söldner? Woher kommt ihr?« »Von Burg Anbur, von Graf Corian. Wir hassen die Caer und ihre Dämonenpriester nicht weniger als ihr. Wir kämpfen auch gegen sie. Aber wir kämpfen für uns selbst, nicht im Lohn anderer.« Der älteste Bauer trug einen weißen Bart, in den er schwarze Steine eingeflochten hatte. Er stellte die blitzende Axt mit ei18
nem krachenden Geräusch auf die Steinschwelle des Hauses, hielt Mythor die geöffnete Hand entgegen und sagte: »Wenn eure Worte die Wahrheit sind, so waren sie gut gesprochen. Drei kleine Silbermünzen, und ihr könnt alles haben, was ihr braucht.« In dem Augenblick, als Mythor die Münzen in die Hand des Ältesten legte, veränderte sich die Szene vor den Gehöften. Knechte und Mägde erschienen und kümmerten sich um die Tiere, ebenso wie um die Gäste. Mythor schnippte mit den Fingern und schrie zum Schneefalken hinauf: »Laß die Tauben in Ruhe! Und du…«, er wandte sich an Hark, der seinen Hinterlauf an einem Zaunpfahl hob, »… erschreckst weder die Menschen noch die Hunde. Nur wenn Söldner kommen, heulst du. Verstanden?« Hark hob den Kopf, stieß ein schauerliches Heulen aus und verschwand im Gebüsch. Die Knechte schirrten die Pferde aus, aber beim Anblick des Einhorns wußten sie nicht, was zu tun war. Mythor führte Pandor in die große Scheune, in der letzte Sonnenstrahlen die tanzenden Staubkörner auffunkeln ließen. * Daren, so hieß der Älteste der Bauernsippe, war auf seine Weise ein Mann voller Erfahrung und Klugheit. Er stützte die Ellbogen schwer auf den mächtigen, weißgescheuerten Tisch und sagte: »Es ist so bei allen Bauern seit Anbeginn der Geschichte. Wir wären reich wie die Fürsten und wohlgenährt wie die Herrscher, wenn…« »Wenn?« fragte Gapolo ruhig. Jeder von ihnen hatte einen großen Becher bitteres, fast schwarzes Bier vor sich stehen. In den Holzschalen dampfte eine braune Suppe, die nach geschmortem Fleisch und zahlreichen frischen Würzkräutern 19
roch. Lamir zog seinen spitzen Dolch und rammte ihn vor sich in die Tischplatte. »Wenn nicht ein einzelner Mann, ein einfacher Bauer, immer das Spielzeug wäre. Für jeden anderen: Krieger, Söldner, Caer, Räuber, für die Fürsten und sogar für das Schicksal. Waldbrand, früher Frost, Regen, Mißernten.« »Was ich hier gesehen habe, Freund Daren«, schränkte Mythor ein, »zeugt von gewissem Wohlstand.« An dem langen Tisch saßen sechsundzwanzig Personen. Die Gruppe Mythors, sieben Kinder verschiedenen Alters, die Frauen der beiden Söhne, Mägde und Knechte. Nur die Söhne waren in dem Alter, in dem sie noch kämpfen konnten, so schien es. »Wir werden arm sein«, seufzte eine Frau und riß ihren Blick von Burunas Zöpfen los, die die junge Frau zu einem Turm über ihrem Kopf hochgebunden hatte, »wenn die Heere kommen. Und die Sieger werden nach der Schlacht sengen und brandschatzen.« Cesano hob seinen Becher und machte einen Vorschlag: »Warum versteckt ihr nicht euren Besitz? Das Korn, einen Teil des Viehs, die Früchte?« Daren grinste breit. »Das haben wir! Es gibt versteckte Gänge und Höhlen in den Felsen. Und ein paar Löcher unter den Steinen. Dort haben wir solche Sachen wie geräucherten Schinken, Wurst und Mehl. Und Säcke mit Fressen für das Vieh. Aber das heißt nicht, daß wir alles überstehen.« Sein Sohn bekräftigte die Worte seines Vaters: »Die Söldner waren zweimal hier. Sie haben gesagt, sie kommen im Namen der Verbündeten der Lichtwelt. Wir glauben es ihnen sogar!« »Aber sie sind schlimmer als die Truppen der Caer!« stieß eine Frau aus. »Bisher haben wir stets flüchten können.« Daren hielt seiner Frau den leeren Becher hin und brummte: »Leer. Weißt du, Mythor, jeder von uns Bauern bewirtet die 20
Söldner. Nicht gern, aber sie bekommen etwas. Auch ihre Tiere. Sie können saufen und auf den Feldern fressen. Sie kriegen auch Heu und Stroh. Die Söldner sagen immer, daß sie einen Befehl von Graf Corian hätten.« »Welchen Befehl?« wollte Buruna wissen. Sie genoß die Szene am Tisch. Unschlittkerzen und kleine Öllampen mit langen, tönernen Hälsen brannten und verbreiteten ein beruhigendes Licht. Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen blickten immer wieder bewundernd auf den exotischen Gast. »Corian soll gesagt haben, daß seine Krieger und Söldner alles haben können, was sie brauchen. Es ist Krieg, soll er gesagt haben. Und Krieg rechtfertigt seinen Befehl.« »Auch darin liegt eine bestimmte Wahrheit und Richtigkeit«, bestätigte Mythor. »Ihr solltet trotzdem bis nach der Sonnenwende alles tun, um euren Besitz und euch zu verstecken. Niemand weiß, wie der verdammte Krieg zwischen den Mächten der Schattenzone und den Kriegern der Lichtwelt ausgeht. Aber eines ist sicher: Das Land hier wird nach der Schlacht leer sein. So oder so.« Die Frauen brachten krustenreichen Braten, eine Art Salat aus heißen Fruchtstücken und eine fette, mit Mehl gebundene Soße und teilten sie aus. Der Älteste wandte sich an Mythor und fragte: »Deine Worte verraten Klugheit, Mythor. Und was ist euer Ziel?« Gapolo, auf den Mythor mit der Spitze seines Dolches deutete, sagte es den Bauern. Sie hörten schweigend zu und nickten immer wieder. Alle, die am Tisch saßen, zeigten deutlich, daß ihnen das Essen schmeckte. Schließlich, als die Erwachsenen aus der dunklen Stube ins Freie hinaustraten und am frühlingshaft klaren Himmel die Sterne und die haardünne Sichel des neuen Mondes betrachteten, murmelte der Anführer der Wüstenkrieger: »Dies war ein feiner Abend. Trotzdem bin ich müde.« 21
Der Barde, der in der Bauernstube einige Takte geträllert und bei den Kindern Kichern hervorgerufen hatte, breitete die Arme aus und flüsterte Mythor ins Ohr: »Ich weiß nicht, wo und wann ich Valida wieder treffen werde. Aber ich bin höllisch froh, ihrer brodelnden Leidenschaft entronnen zu sein. Nicht zuletzt dank dir, Freund.« Mythor nickte und genoß die Stille des Landes zwischen der kalten und warmen Jahreszeit. »Erinnere dich an alles, was du erlebst. Lerne daraus.« »Um diese Zeit«, entgegnete der Barde, »bin ich lediglich müde und irgendwelchen guten Ratschlägen nur bedingt zugänglich. Sei nicht böse.« Er gähnte. »Ich werfe mich ins Heu und versuche zu schlafen.« Mythor legte einen Arm um Burunas Hüfte und sagte: »Ich glaube oder ahne, daß auch diese Nacht nicht ohne schlimme Überraschung vergehen wird. Behaltet die Waffen in eurer Nähe! Seid wachsam! Horus und Hark werden uns vielleicht warnen. Ich weiß, was ich zu tun habe.« »Ich auch!« dröhnte Daren und schlug Mythor schwer zwischen die Schulterblätter. »Wie schön«, knurrte der braunhaarige junge Mann. »Dann weiß ja jeder von uns, daß unsere Ruhe fraglich ist. Wo dürfen wir schlafen, Großvater der Bauern?« Daren deutete nach rechts. »Dort drüben. Es ist ein Teil des Stalles. Die anderen sollen in den Höhlen des Felsens schlafen. Einverstanden?« Binnen einer halben Stunde sahen die Fremden nach ihren Pferden, holten ihre Waffen, verteilten sich nach den Anweisungen des Ältesten, und mit einer gewissen Fröhlichkeit bemerkte Mythor, daß Buruna und er das beste Quartier bekommen hatten. Felle und dicke Decken lagen über einem Strohpolster. Mythor holte einen Leuchter mit einer heruntergebrannten und einer neuen Kerze, dankte Daren und ging 22
mit Buruna hinüber in die Scheune. Vor Wohlbehagen brummend, streckte er sich neben der dunkelhäutigen Frau aus. »Rechne nicht damit«, sagte er ein wenig später und achtete darauf, daß der Helm der Gerechten und das Gläserne Schwert griffbereit an seiner rechten Seite lagen, »daß diese Nacht ruhig bleiben wird.« »Ich rechne damit«, sagte sie und schmiegte sich an seine breite Brust, »daß du mich in dieser Nacht in den Armen hältst.« »Damit kannst du allerdings rechnen«, versicherte er, rutschte auf den Knien bis zu einer Luke und stieß sie auf. Frische Nachtluft flutete herein. Die Tiere im Stall erzeugten beruhigende Geräusche. Die Zärtlichkeiten und die Leidenschaft Burunas schwemmten seine Gedanken hinweg. Die Stille der Nacht half ihm, einzuschlafen und seine Sorgen zu vergessen. Aber in einem Winkel seines Verstandes nistete der Gedanke an die Gefahren und die zu erwartenden Überfälle. * Mitten in der Nacht wachte er auf. Er drehte seinen Kopf und blickte im letzten Zucken der Kerzenflamme Buruna an. Einer ihrer Zöpfe hatten sich in der Stunde der Leidenschaft gelöst, und das schwarze Haar ringelte sich über den Hals und eine Schulter. Langsam und leise richtete sich Mythor auf und ahnte, daß ihn das Heulen des Bitterwolfs geweckt hatte. Er rollte sich zur Seite, griff nach dem Schwert und schlüpfte, noch immer im zitternden Kerzenlicht, in die Stiefel. Wieder heulte Hark irgendwo draußen in den Büschen. Mythor huschte, während er sich den Helm aufsetzte, durch die dunkle Scheune und zum schmalen Eingang hinaus. Die Dunkelheit war vom Leuchten der Sterne, der schmalen 23
Sichel des Mondes und einem fernen, undeutlichen Geräusch erfüllt. Als sich Mythor zu Boden gleiten ließ und sein Ohr auf eine harte Stelle preßte, glitt Gapolo ze Chianez aus einem anderen Teil der Scheune hervor und flüsterte: »Dein Wolf hat geheult. Eine Warnung?« »Durchaus möglich«, antwortete Mythor. Der Boden übertrug das dumpfe Poltern von Pferdehufen und das Trappen von schweren Kampfstiefeln. Söldner oder Krieger waren in der Nähe. Ein Hund begann hinter den Felsen zu kläffen. »Es muß eine große Gruppe sein«, sagte Mythor. »Wenn wir uns ihnen entgegenstellen, schlagen sie uns mühelos in Stücke.« »Also in die Verstecke? Zusammen mit den Bauern?« »Vermutlich die beste Lösung, Gapolo. Weck deine Leute! Ich warne Daren.« Es war nicht mehr nötig. Daren stürzte aus der aufspringenden Tür des Wohnhauses. Rasch verständigten sich die drei Männer, und augenblicklich begannen sie mit den Vorbereitungen. Daren weckte seine Leute. Sie trieben das Vieh aus dem Stall in mehrere Felshöhlen und tarnten die Eingänge. Die Kinder und die Frauen rannten in andere, kleinere Höhlen. Falltüren öffneten sich, und als die Mitglieder von Mythors Gruppe wach, bewaffnet und ebenfalls in großer Eile die eigenen Tiere wegtrieben, standen nur noch der Älteste, Gapolo und Mythor auf dem dunklen Hof. »Hoffentlich geht dein Plan auf«, wandte sich Mythor an den Bauern, der grimmig ein riesiges Beil festhielt. »Nunmehr ist es auch unser Plan.« »Wir haben uns in den letzten Jahren viermal versteckt«, gab Daren zurück. »Es war jedesmal richtig. Sie zerstörten immer Teile der Häuser und…« 24
»Still!« sagte Gapolo und packte Mythor und Daren an den Armen. »Ich höre sie!« murmelte der Bauer. Zahllose Hufe trampelten. Undeutliche Flüche und Gesprächsfetzten hallten durch die stille Nacht. Pferde wieherten grell. Hinter den Baumstämmen loderten schwach einzelne Fackeln auf. »Und wenn sie die Eingänge zu den Höhlen finden, was dann?« wollte Mythor wissen. »Dann müssen wir kämpfen«, antwortete Daren mit Entschiedenheit. Sie hofften, während sie zum Haus zurückliefen, die große Kammer durchquerten und hinter sich die Falltür zuklappen ließen, daß sie nicht würden kämpfen müssen. In einem kleinen, feuchten Kellergelaß brannte eine Öllampe. Daren nahm sie auf, deutete auf ein Loch dicht über dem festgestampften Lehm des Bodens und nahm ein Stück Seil in die Hand. Die Krieger krochen durch den Durchlaß im Fels, und als sie sich umdrehten, sahen sie, daß der Bauer eine Art Holzregal vor den Eingang zog. Er wälzte von innen einen Steinblock vor das Loch, der genau hineinpaßte. Dann eilten sie weiter, kamen durch die größere Höhle voller Kühe, Hühner und anderer Tiere, zwischen denen sich die übrigen Angehörigen drängten, um das Vieh zu beruhigen. Mythor begriff, daß Daren tatsächlich voll kluger Voraussicht gehandelt hatte. »Sehr gut!« knurrte er, aber er folgte zusammen mit Gapolo dem Sippenältesten. Sie kletterten an der Wand über zackige Trittsteine hoch und robbten in einem schmalen und niedrigen Gang wieder zurück zur Vorderseite des Felsens. Schließlich warfen sie sich vor einem schmalen Schlitz im Felsen auf ein Polster aus trockenem Moos hin. Sie sahen schräg über die Dächer hinweg auf die Brücke und das Wasser des Baches, das im Sternenlicht schwach funkelte 25
und blitzte. Die ersten Reiter bogen auf den Hof ein. Das Donnern der Hufe war so laut wie ein Signal. Knisternde Fackeln versprühten lange Funkenregen. Hinter den etwa drei Dutzend Reitern rannten Söldner zu Fuß auf die Bauernhäuser zu und vollführten eine Menge Lärm. »Noch sieht es so aus, als hätten wir Glück!« wisperte Mythor und horchte nach hinten. Aber weder die Menschen noch das Vieh gaben verräterische Laute von sich. Noch mehr Reiter, noch mehr Soldaten zu Fuß kamen über die Brücke und schwärmten aus. Sie rannten in die Scheune, polterten durch den großen Raum des Wohnhauses, warfen Teller hinunter und fluchten, als sie merkten, daß der Hof verlassen und leer war. Mythor fühlte beinahe körperlich das breite, zufriedene Grinsen Darens, aber dahinter spürte er auch die Unsicherheit des Bauern. Einige Zeit später flüsterte Gapolo: »Ich habe ungefähr zweihundertfünfzig Männer gezählt. Davon rund hundert Reiter.« »Sie werden morgen wohl weiterziehen«, sagte Mythor leise. Daren hob die Schultern und bemerkte wütend: »Nachdem sie alles verwüstet haben. Gut, daß mich das Heulen deines Wolfes geweckt hat.« »Er ist recht zuverlässig«, sagte Mythor. »Er treibt sich wohl irgendwo draußen herum.« »Vielleicht beißt er das Pferd des Anführers«, versuchte Gapolo zu scherzen. Sie schwiegen und warteten. Die Soldaten waren hungrig, müde und durstig. Trotzdem sorgten ihre Anführer dafür, daß sie wenigstens in geringem Maß Disziplin hielten. Nacheinander führte man Gruppen von Pferden zum Trog und an den Bach. Die Männer rissen Heu aus der Scheune und entdeckten die Leuchter und die Felle 26
und Decken. Geschrei hub an, Männer rannten hin und her und fanden Milchkrüge und trockene Brote. Jemand brüllte voller Wut: »Sie sind geflüchtet!« »Schickt Gruppen mit Pferden und Fackeln aus. Sie sollen die Bauern suchen.« Ein Anführer schrie: »Nichts da! Wir sind nicht zum Plündern hier!« Die Pferde soffen und fraßen, dann wurden sie rund um den Hof angeleint. Die Männer durchsuchten mit Fackeln und den brennenden Öllampen Darens die Stallungen, Scheunen und das Wohnhaus. Sie fanden viel, aber nichts, was sich mitzunehmen lohnte. Binnen weniger Stunden war alles Eßbare gegessen, waren alle Krüge geleert. Überall lagen schnarchende Männer. Ein Krieger wurde, als er den Stall betreten wollte, von einem Hund angefallen. Er erschlug ihn mit dem Streitkolben. Im nahen Wald heulte schaurig ein Wolf. Einige Pferde rissen sich los und wurden mit viel Geschrei wieder eingefangen, ehe sie über die Balkenbrücke davongaloppieren konnten. »Noch eine Stunde, dann sind sie unschädlich. Sie schlafen. Wenn sie das Bier finden, sind einige von ihnen betrunken!« sagte Daren und versuchte, seinen Kopf durch den Felsenschlitz zu schieben. Es mißlang. Die Flut der Geräusche, die ihren Höhepunkt überschritten hatte, nahm ab. Viele Männer waren so müde, daß sie sich irgendwo hinwarfen und schliefen. Jeder Raum des Hofes war durchsucht. Die Dunkelheit schützte die Verstecke, denn es war unmöglich, Falltüren zu sehen oder Unterschiede in den Steinen oder der Felswand zu entdecken. Eine Gruppe von Söldnern entdeckte zwei Bierkrüge. Sofort rissen die Männer die Verschlüsse auf, aber ehe sie mehr als zwei Schluck daraus getrunken hatten, wurden ihnen die Krüge aus den Händen gerissen. Jeder versuchte, einen Schluck zu 27
ergattern. »Und diese Hundesöhne«, sagte Gapolo, »sollen gegen die Caer eine Schlacht gewinnen? Undenkbar!« »In diesen Zeiten ist alles möglich«, gab Mythor zu bedenken. Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis alles ruhig war. Daren brummte: »Sie schlafen.« »Noch«, schränkte Mythor ein. »Wenn sie aufwachen, geht alles wieder von vorn los!« Kurz darauf herrschte trügerische Ruhe. Mythor, der wußte, daß seine Freunde in scheinbarer Sicherheit waren, drehte sich um und schloß die Augen. Er murmelte: »Weckt mich, wenn es Streit gibt!« »Ja«, knurrte Daren. Mythor wußte, daß er vielleicht zwei Stunden Schlaf vor sich hatte. Der Bauer und der Krieger schienen zu warten. Nach einiger Zeit sank auch Daren in Schlummer. Immer wenn er zu laut schnarchte, hielt ihm Gapolo die Nase zu. Die Stunden vergingen. Das erste Grau am Himmel, das die Sterne verblassen ließ, färbte sich rosarot und schließlich gelb; längst war die schimmernde Barke des nächtlichen Gestirns hinter dem Horizont versunken. Die ersten Sonnenstrahlen glitten über das Land. Gapolo hob den Dolch, packte ihn an der Spitze der Schneide und ließ den Knauf auf Mythors Schienbein herunterfallen. Als der braunhaarige Krieger hochfuhr, hielt Gapolo ihm die Hand auf die Lippen. »Seht!« machte er. »Keine Aufregung. Noch ist alles ruhig.« »Mmm!« Unruhe und Aufregung kamen in kleinen Schritten. Zuerst heulte der Wolf, dann fingen einige Hunde zu kläffen an, schließlich wachten einige Söldner auf und schossen mit Pfeil und Bogen auf die Tauben, die aus ihrem Schlag aufflatterten. 28
Einige torkelten getroffen zu Boden. Die Pferde fingen zu scharren und unruhig zu wiehern an. Die Hauptleute schrien Kommandos und jagten ihre Männer mit Flüchen und Fußtritten in die Höhe. An zwei Stellen brannten die Krieger Feuer an und zerrten aus Satteltaschen Fleischbrocken. Immer wieder ertönten polternde und klirrende Geräusche aus dem Inneren der Häuser. Die Söldner schienen eher zu verschmerzen, daß es hier kein Essen gab, als daß sie in dieser Nacht keine Frauen gefunden hatten. Eine erste Gruppe sattelte und zäumte ihre Pferde und schwang sich auf deren Rücken. Ein Befehl gellte über den Hof: »Los! Weiter! Zum Hochmoor!« An anderen Stellen, in anderen Bauernhöfen mochte es Mädchen oder Frauen geben, die den Kriegern mehr oder weniger freiwillig ihre Gunst schenkten. Nicht so hier. Kleine Gruppen von Söldnern streiften zum zweiten- oder drittenmal durch jeden Teil der Gebäude. Bei ihrer Suche nach Gold, Essen, Bier und Wein oder nach irgendwelchen anderen Habseligkeiten warfen sie Möbel um, zerschlugen Näpfe und Krüge, stopften Heu in Säcke und luden sie den Pferden auf. Die drei Männer blickten schweigend und starr aus dem winzigen Schlitz im gewachsenen Fels. Eine zweite Gruppe Reiter stob aus dem Hof. Etwa fünfzig Männer schulterten ihre Waffen und machten sich in leidlicher Ordnung hinter den Reitern auf den Weg. »Die Krieger der Lichtwelt«, murmelte der Bauer spöttisch. »Sie sind zum Kampf unterwegs.« »Krieg und Kampf sind eine Sache«, sagte Mythor und sah zu, wie einige Männer die Feuer austraten. »Und eine andere ist der Versuch, zu essen und ruhig zu schlafen. Dein Schaden, Daren, ist nicht groß.« »Du hast recht, Mythor!« brummte der Sippenälteste. 29
Krachend flogen die Trümmer eines Fensters in den Hof. Einige Fäuste rissen die Spieße mit halbgar gebratenen Tauben von den Feuern. Eine dritte Gruppe verließ den Bauernhof. Ihnen schloß sich der Rest der berittenen Söldner an. Schließlich befanden sich nur noch ein Dutzend Bewaffnete mit ihren Pferden vor den Mauern. »Der Schaden ist nicht sehr groß«, bestätigte Daren und wartete, bis auch der letzte Reiter seinen Besitz verlassen hatte. Eine Stunde später wagten es die Versteckten, die Höhlen und Gänge zu verlassen. * Lamir von der Lerchenkehle wies senkrecht in den Himmel. Über dem Bauernhof zog der Schneefalke seine Kreise. Mythor hob den Kopf und versuchte, das Verhalten des Vogels zu deuten. Schließlich sagte er: »Die Söldner sind weitergezogen und in sicherer Entfernung.« Die Familie des Bauern versuchte, unterstützt von den Gästen, ein wenig Ordnung zu schaffen. Das Vieh wurde in die Ställe zurückgetrieben. In der großen Stube kehrte eine junge Frau die Scherben zusammen. Der Rauch eines neu angefachten Feuers zog über den Hof. »Nach einem guten Essen reitet ihr weiter? Wohin?« fragte Daren, der mit einer Kanne frischer Milch aus dem Stall kam. »Zum Kampfplatz im Hochmoor. Und dann vielleicht weiter nach Süden.« »Du mußt überall bekannt sein mit deinem Einhorn!« sagte der Bauer. »So ist es leider«, bekannte Mythor. »Dafür entschädigt mich Pandor durch Kraft und Schnelligkeit.« Während sich Gapolo Arm- und Beinschienen anlegte, rüste30
ten die anderen ihre ausgeruhten Reittiere aus. Die Bauernfamilie brachte Becher mit warmer Milch, dicke Brotscheiben mit Butter und Wurst und sah zu, wie sich die Reiter fertigmachten. Die schwarze Lilie ze Chianez’ glänzte im ersten Sonnenlicht. »Iß und trink, Lamir!« forderte die Bäuerin den Sänger auf. »Dann wirst du groß und verlierst deine bleiche Gesichtsfarbe. Und deine Stimme wird mächtig wie der Sturm.« Sie gab ihm ein Paket mit Nahrungsmitteln, die er in einer Satteltasche verstaute. Er dankte und wies auf seine Laute. »Soll ich euch…?« fragte er. Fast gleichzeitig schrien seine Kameraden entsetzt auf: »Nein! Verdirb uns nicht den Morgen! Willst du Darens Familie verärgern… schon wieder?« Überrascht hörten die Bauern die Rufe und das Lachen. Schließlich, als sie Lamirs beleidigtes Gesicht sahen, stimmten sie in das herzhafte Gelächter ein. Der gekränkte Barde stieg in den Sattel und schwieg. Nur die Glöckchen an seiner Kleidung bimmelten leise. Mythor und Gapolo traten auf den weißbärtigen Bauern zu. »Wir danken dir, Daren«, sagte Mythor. »Du hast gesehen, daß es in dieser schlimmen Zeit noch einige Männer und Frauen gibt, die sich nicht wie wilde Tiere benehmen.« »Der Name Mythor und der seiner Freunde wird bei uns geachtet werden. Wenn euch der Ritt wieder hierherführt…« »… kehren wir gern wieder ein!« bekräftigte Gapolo. »Wenn dann noch einer von uns lebt!« meinte die Bäuerin leise. Mythor schüttelte ihre Hände und half Buruna in den Sattel. Dann ritten sie über die aufdröhnende Brücke und verließen diese kleine Oase der Ruhe und Geborgenheit. In leichtem Trab ritten sie nach Südwest. Zunächst folgten 31
sie den Spuren der nächtlichen Krieger, die aus dem Osten Ugaliens gekommen sein mußten. Dann verließen sie den Weg, der durch zertrampelte Äcker und am Wald vorbeiführte. Der Wolf stieß zu ihnen und rannte vor den Pferden her. Stundenlang ritten sie schweigend dahin, ohne jemanden zu sehen oder zu treffen. Die Bauernhöfe schienen verwaist zu sein. Es gab keine Rauchsäulen, die in den kühlen Morgen stiegen. Das Land änderte unmerklich langsam sein Aussehen. Immer mehr Hügel tauchten auf, von dunklen Waldresten bedeckt. Mehr und mehr Spuren von kleineren und größeren Heeresgruppen kreuzten den Weg der acht Reiter. Mythor zog den Mantel enger an seinen Körper, und plötzlich, kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Stand durchlaufen hatte, entdeckte er Horus wieder. Der Falke stand, fast nicht mehr sichtbar, über einem Hügel und schlug mit den Flügeln, als habe er unter sich eine Beute entdeckt. Dies konnte zutreffen, aber Mythor sah in dem Verhalten eine Warnung. Er hielt Pandor an und hob den Arm. Die Reiter versammelten sich um ihn. Nervös legte Lamir die Hand auf den Griff seines Kurzschwerts. »Wir müssen damit rechnen«, sagte Mythor, »daß wir bald Kriegerhaufen und Söldnergruppen treffen. Es werden mehr und mehr, je näher wir dem Moor kommen. Vermutlich zieht dort eine Gruppe durch.« Er zeigte auf den Falken. Weit vor ihnen, am Eingang eines Hohlwegs, stand der Wolf und äugte zu ihnen zurück. »Wir kämpfen alle für eine gemeinsame Sache«, bestätigte Cesano. »Warum sollten wir die Heere fürchten?« »Nur deswegen, weil sie unsere Pläne stören«, beschied ihm Raimor finster. »Das ist der einzige Grund«, sagte Mythor. »Versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen? Dann treffen wir sicher ein an32
deres Heer an anderer Stelle.« »Geradeaus weiter!« brummte Gapolo und spannte bedächtig seine kleine ugalische Armbrust, die er im Ärmel verborgen trug. »Los!« Obwohl sie nicht die geringste Lust verspürten, am Entscheidungskampf mitzuwirken, wußten sie, daß sie der großen Auseinandersetzung nicht entkommen konnten. Sie ritten im Galopp in den Hohlweg hinein. Die Krieger, auf die sie unzweifelhaft stoßen würden, waren die letzte Hoffnung der Lichtwelt. An dieser Gewißheit änderte auch ihr Versuch, eigene Wege zu gehen, nicht das geringste. Büsche und Schneereste, angehäuftes Laub vom letzten Herbst, die schwarzen Unterseiten der Nadeln und Blätter und die ineinander verflochtenen Kronen der Bäume machten den Hohlweg zu einem fast nachtdunklen Tunnel. Unwillkürlich beschleunigten die Reiter ihr Tempo. Die Pferde keuchten und spürten die Unruhe der Reiter. Hinter jedem Busch oder Stamm konnte sich ein Feind verbergen. Die Reiter duckten sich tief neben die Hälse der Pferde. Das lange Horn Pandors bohrte sich in das Dunkel wie ein schimmernder Speer. Schräg hinter Mythor ritt der Salamiter. Die Hufe seines Pferdes warfen dicke Brocken Lehm und Erde in die Höhe. Buruna stieß einen wimmernden Schrei aus. »Ich habe Angst, Mythor! Es ist dunkel wie die Nacht!« Mythor wandte sich halb um und rief nach hinten: »Keine Furcht, Liebste! Ich sehe vor uns schon das Ende des Weges.« Auch er wurde von der Verlassenheit des Landes, von der schwarzen Stille des Durchstichs und von der allgemeinen Unsicherheit angesteckt. Aber tatsächlich erblickte er vor sich eine Öffnung in der feuchten Mauer des Waldes. Pandors Hufe schlugen einen schnellen, dumpfen Wirbel. Mythor unterdrückte seine Gefühle und ritt schweigend weiter, eine Hand 33
am Schwertgriff, die andere in der Mähne des Einhorns. Die Lücke in der dunklen Wand wurde größer, und endlich ritt Mythor als erster durch den jenseitigen Bogen des Hohlweges hindurch und ins Freie. Der Sonnenschein traf ihn wie ein Faustschlag. Er richtete sich auf und ließ Pandor durch Schenkeldruck langsamer werden. Hinter ihm donnerte der Rest seiner Gruppe aus dem Tunnel im Wald. Und vor ihm ritt eine riesige Schar von Kriegern von rechts nach links. Es waren kaum weniger als tausend Männer. Während die Spitze des Heerwurms bereits wieder zwischen den Büschen einer waldigen Zone verschwand und das Ende der Reiterschar noch nicht zu sehen war, wandten die Krieger direkt vor Mythor und seinen sieben Freunden die Köpfe, hielten ihre Pferde an und galoppierten plötzlich in breiter Front auf das Waldende zu. Gapolo rief unterdrückt von hinten: »Sie haben uns entdeckt.« Noch einhundertfünfzig Schritt trennten die Linie der Reiter von den Ankömmlingen. Engor stieß aufgeregt hervor: »Ihre Wimpel zeigen, daß sie zu Corian gehören.« »Wir haben nichts anderes erwartet«, rief Buruna. »Aber sie werden uns zu etwas zwingen, was wir nicht wollten.« »Zweifellos!« stimmte Jesson zu. Die Krieger Corians bildeten zunächst eine lang auseinandergezogene Reihe. Sie spornten ihre Pferde und galoppierten scharf auf die acht Reiter zu, wobei sich die beiden Enden der Linie nach vorn krümmten und eine Zangenbewegung einleiteten. Noch schienen sie die Fremden als mögliche Feinde anzusehen. Aber in der Mitte der breiten Linie sammelten sich um Mythor herum die anderen Reiter und hielten an. Sie warteten und zeigten durch die erhobenen Arme an, daß sie keine Gegner waren. Ein Anführer ritt scharf auf sie zu, parierte sein Pferd vor 34
Mythor und Gapolo durch und stieß heiser hervor: »Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Wo liegt euer Ziel?« Gapolo gab nicht sofort Antwort. Die Männer hinter dem Anführer waren nervös und hielten die Hände an den Griffen der Waffen. Mythor rief: »Ihr seid ugalische Krieger? Wir sind Freunde von Graf Corian!« »Und warum seid ihr nicht bei ihm auf dem Eulenberg?« Mythor und Gapolo versuchten dem Anführer laut zu erklären, warum sie hier und nirgendwo anders waren. Nachdem sie es geschafft hatten, das erste Mißtrauen der Krieger zu zerstreuen, sagte der Anführer schroff: »Ich habe dich nie gesehen, Mythor. Aber deinen Namen kenne ich. Jeder weiß, daß du ein schwarzes Einhorn reitest! Du mußt mit uns zum Eulenberg kommen. Corian entscheidet, wer an welcher Front kämpfen wird.« »Wir sträuben uns nicht dagegen«, schränkte Mythor ein. »Dann kommt mit!« begehrte der Anführer. »Wir sind auf dem Weg zum Eulenberg. Dort hat Graf Corian sein Hauptquartier eingerichtet.« Es war sinnlos, einen Ausbruchsversuch wagen zu wollen. Die Anzahl der Krieger war zu groß, als daß eine Flucht auch nur die geringste Chance gehabt hätte. »Kommt mit uns!« forderte sie der Anführer erneut auf und wußte, daß seine Leute seiner Aufforderung Nachdruck verleihen konnten. Lamir flüsterte erschrocken: »Graf Corian! Er wird mich vierteilen lassen! Seine Töchter… Valida… sie hat ihm sicher alles gesagt.« »Unfug!« brummte Mythor. Der Anführer winkte und deutete zur Spitze des Heerwurms, der im Wald verschwand. Er riß sein Pferd herum und rief: »Folgt mir zum Eulenberg! Es ist nicht weit. Vor Anbruch 35
der Nacht sind wir dort.« Mythor blickte seine Freunde schweigend an. Sie begriffen, was er ihnen wortlos sagen wollte. Sie folgten widerwillig und wichen der Gewalt. Vermutlich würde Corian mehr als erstaunt sein, sie so bald wiederzusehen. Der Eulenberg schien etwa in halber Entfernung zwischen ihrem jetzigen Standort und dem Fluß Lorana zu liegen, nicht weit entfernt von Darain. * Hinter langgezogenen Wolken versank die Sonne. Sie zeigte sich als riesengroße, flachgedrückte Scheibe von blutroter Farbe. Ihr Licht übergoß die Landschaft mit einem gespenstisch gefärbten Licht. Der Eulenberg stellte sich als runde Hügelkuppe dar, nicht sonderlich hoch, gekrönt von den Ruinen uralter Türme und halb zerfallenen Steinen einer alten Kultstätte. Rund um den Hügel befanden sich Zelte und Fahnenmasten. Es waren wohl hundert Feuer, die überall brannten. Pferde weideten in großen Herden inmitten der Pferche. Ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Überall waren Krieger zu sehen. Das Land unterhalb des Hügels summte förmlich vor Geschäftigkeit. Einzelne Gruppen fochten Scheinkämpfe gegeneinander aus. In den Ohren der Ankömmlinge waren das unablässige Klirren von Schwertern und die aufgeregten Schreie der Kämpfenden. Ein stechender Geruch nach Schweiß und den Ausdünstungen der Tiere erfüllte die träge Luft des Abends. Riesige Bäume mit kahlen Ästen, die sich wie verdorrte Knochenfinger gegen den feuerroten Himmel reckten, umgaben die Ruinen der Eulenberg-Bauwerke. Neun Zehntel der Reiter verteilten sich zu den einzelnen Zelten und Feldzeichen, ehe 36
sie den Fuß des Hügels erreichten. Lamir von der Lerchenkehle stieß hervor: »Leichenfresser! Überall sind die schwarzen Vrod-Krähen!« Tatsächlich kreisten Schwärme von Krähen über den gezackten schwarzen Mauern und Turmstümpfen. Und auf jedem Ast der Bäume hockten sie schwarz und schweigend nebeneinander, Tausende dieser gräßlichen Aasvögel. »Es sind Werkzeuge des Bösen!« brummte Cesano. »Noch haben sie uns nicht angegriffen!« schränkte Jesson ein. »Trotzdem. Welch ein unappetitlicher Eindruck.« Ein Teil der Reiter stob in hartem Galopp den Hügel aufwärts und sprang vor der ersten Barriere aus den Sätteln. Mythor und seine Freunde stiegen ebenfalls ab, aber sie übergaben die Zügel ihrer Tiere dem jungen Barden, der sich aus gutem Grund zu verstecken versuchte. Die Ruinen, durch Fackeln, Feuer, Lampen und Kerzen halbwegs erhellt, waren das Zentrum einer auffallenden Betriebsamkeit. Hölzerne Abdeckungen waren aufgeschlagen worden. Leinen, Speere und Segeltuch bildeten zeltartige Dächer. Glattgehobelte Scheunentore, auf Böcke und Steinquadern aufgestellt, wurden als Tische benutzt. Pergamentene Karten, deren Enden mit Steinen beschwert oder mit Dolchen im Holz festgehalten wurden, breiteten sich aus. Über andere Quader hatte man Felle und Decken geworfen. Anführer kamen und gingen, schnarrten Meldungen und rannten den Hügel wieder abwärts. Schnauzbärtige Krieger schleppten Krüge und Becher hin und her. Es roch durchdringend nach stark gewürztem, heißem Rotwein. Ein Krähenschwarm taumelte in wirren Kurven über der Kante eines halb zusammengestürzten Turmes hin und her. Hinter einer Palisadenwand lachte kreischend eine junge Frau. Ein kräftiger Fluch erscholl aus einer anderen Ecke. 37
Graf Corian saß hinter einem Tisch. Dicke schwarze Felle bedeckten seinen Feldstuhl. Rechts und links von ihm standen schwere eiserne Becken voller dunkelroter Holzkohlen, die durchdringende Hitze verbreiteten. In der Hand hielt Corian einen mächtigen Becher, halb gefüllt mit dem heißen Würzwein. Seine Augen weiteten sich, sein Mund stand offen, als er Mythor und Gapolo entdeckte. Er sprang auf und verschüttete Wein auf das Pergament. Sein wehender Mantel brachte die Flammen der Kerzen zum Flackern. »Du, Mythor?« rief er verwundert aus. »Kein anderer«, bestätigte Mythor. »Meine Freunde und ich. Deine Leute bestanden darauf, uns herzubringen.« Heerführer und Abgesandte aller Völker im weiten Umkreis waren gekommen und gegangen. Auch jetzt umstanden mindestens zwei Dutzend Männer den Tisch. Man sah ihnen auf den ersten Blick an, daß sie zum Kampf entschlossen waren. Jeder von ihnen war der Anführer von Hunderten oder Tausenden von Kriegern. »Woher kommt ihr?« begehrte Corian zu wissen. Sein Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß er nicht nur überrascht, sondern auch betroffen oder wütend war. »Wir waren auf dem Weg zum Hochmoor«, sagte Gapolo. Corian warf ihm einen durchdringenden Blick zu. Es war, als sehe er ihn zum erstenmal in seinem Leben. Langsam und fassungslos schüttelte Graf Corian den Kopf. »Zum Hochmoor?« »So ist es«, sagte Mythor. »Wir versuchten, das Land und die Bedingungen zu erkunden, die uns erwarten, bevor uns deine Krieger anhielten und mitnahmen.« »Du… ihr… wolltet der Schlacht aus dem Wege gehen, wie?« Alle anderen Anwesenden, die auf Quadern saßen oder die Landkarten umstanden, warteten schweigend den Ausgang 38
dieses Gesprächs ab. Gapolo trat vor. Corian kannte ihn als ehrlichen und stolzen Mann, der zu seinem Wort stand. Mit der Faust im eisernen Kettenhandschuh schlug ze Chianez gegen seinen Brustpanzer und sagte hart: »Nein, Graf Corian! Wir wollten einen Weg finden, der uns allen hilft. Wir wollten wie gute Späher die Möglichkeiten erkunden, die das Hochmoor den Kriegern der Lichtwelt bietet. Du weißt, daß ein Heer von salamitischen Kriegern, mehr als achttausend Männer, hierher unterwegs ist? Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, daß wir in keine Falle laufen und keine Überraschungen erleben.« Corians Gesichtsausdruck verlor etwas von seiner Schärfe. In versöhnlicherem Ton sagte er: »Ihr könnt nicht so handeln, als wärt ihr allein auf der Welt. Natürlich weiß ich, daß ihr auf unserer Seite kämpfen werdet. Aber ihr müßt euch wie alle meiner Befehlsgewalt unterordnen!« Mythor hob die Hand und bekräftigte in festem Ton: »Gut. Also denn: Wie können wir dir helfen?« Seine Enttäuschung, nicht mehr länger unabhängig zu sein, war nicht sonderlich groß. Während der letzten Stunden hatte er sich an diese Gedanken und Überlegungen gewöhnen können. Schweigend und voller Spannung wohnten die Heerführer und Späher, die Abgeordneten und Abgesandten der Auseinandersetzung bei. »Überschreitet die Yarl-Linie!« sagte Corian. Gapolo und Mythor blickten sich überrascht an. Corian fuhr scheinbar ungerührt fort: »Kundschaftet aus, wie die Lage bei den Caer am Vorabend der schweren Auseinandersetzung ist!« »Du weißt also im Grunde nichts über die Caer, ihre Kampfstärke und ihre Pläne. Ist es so?« fragte Gapolo. Corian nickte mehrmals. »Du hast recht, ze Chianez!« 39
Ein schwarzhaariger Mann, breitschultrig und in rostiges Eisen gekleidet, stand schräg hinter Corian. Zum erstenmal öffnete er seinen Mund, um zu sagen: »Es gibt Gerüchte. Der Großteil des Caer-Heeres soll bei den Städten gebunden sein.« »Also bei Darain, Akinlay und Aspira?« schaltete sich Cesano ein. »Das sagt man. Aber nichts ist gewiß«, antwortete der Riese und zupfte an den Enden seines Schnurrbarts. »Das würde bedeuten«, sagte Mythor nach kurzem Überlegen, »daß wir beim Hochmoor von Dhuannin nur auf geringen Widerstand stoßen würden?« Corian lachte kurz und voller Sarkasmus. »Wenn es stimmt, Mythor. Allerdings gibt es Gerüchte, und auch diese sind nicht von der Hand zu weisen, daß es jenseits der Yarl-Linie von diesen verdammten Caer-Priestern nur so wimmelt. Auch wenn es nur die halbe Wahrheit ist, stimmt es mich mehr als nachdenklich. Deswegen sollst du mit einigen wenigen Mutigen dorthin aufbrechen und uns Gewißheit bringen.« Hinter dem breitschultrigen Heerführer stand ein dünner Mann in roter Kleidung. Er flüsterte: »Es wird sich Unheimliches dort tun!« Er war einer der vielen Magier, mit denen sich der abergläubische Graf umgab. Mythor zog die Schultern hoch und wartete darauf, daß Corian weitersprach. »Ich will genau wissen, was hinter der Linie, jenseits des Flusses und am Hochmoor vor sich geht!« sagte Corian entschlossen. »Wir müssen es wissen! Wie sollten wir uns vorbereiten, wenn wir kein klares Bild haben?« »Du hast keine Kundschafter ausgeschickt?« wollte Gapolo wissen. »Viele sind ausgeschickt worden!« sagte Corian wütend. »Bisher ist nicht einer zurückgekommen.« »Die Priester haben sie gefangen und dämonisiert!« rief der 40
Magier beschwörend. Gapolo machte eine wegwerfende Handbewegung, aber er schwieg. »Finde du heraus, Mythor«, sagte Corian ernst, »was dort geschieht.« Mythor nickte. Ze Chianez kündigte spontan an: »Ich komme mit dir!« »Auch gut«, brummte der Graf. »Vier Augen sehen mehr als zwei.« Gapolo sagte leise zu Mythor: »Ich werde meine vier Begleiter dem Heer entgegenschicken. Sie können die Krieger in meinem Namen ins Kampfgebiet führen. Ich stoße dann zu ihnen, wenn wir unseren Auftrag erledigt haben.« Irgendwo außerhalb der feuchten, dunklen Mauern entstand Aufregung. Männer sprangen zur Seite, laute Stimmen ertönten. Dann schleppten zwei Krieger einen Mann heran und trugen ihn die letzten Schritte bis zu einem Sessel direkt vor Corians Tisch. Als die Umstehenden den Ankömmling genau sahen, erschraken sie. Er war von Helm bis zu den Stiefeln von dicken Schmutzspritzern bedeckt. Überall waren die Kleidungsstücke von geronnenem Blut getränkt. Blut sickerte auch unter den Platten der zerbeulten Rüstung hervor. Das Gesicht des Spähers, der röchelnd Luft holte und gierig den Wein aus einem Becher trank, war verfallen. Er stieß gurgelnd hervor: »… konnte mich durchschlagen… Es ist furchtbar, Graf Corian… hinter der Yarl-Linie… mehr Priester als Krieger.« Die Hälfte des tiefroten, dampfenden Weines lief über seinen Brustharnisch und auf die Knie, die vor Schwäche zitterten. »Woher kommst du?« fragte Corian den schwerverletzten Kurier. »Von Elvinon… sind mehr als fünftausend Widerstands41
kämpfer dort.« Der Späher schwieg und griff mit zitternden Fingern nach dem Becher, den man ihm hinhielt. Mythor erkannte, daß der Mann zu Tode verwundet war. Trotzdem sprach er, stockend und von tiefem Stöhnen unterbrochen, weiter. »Die Widerstandskämpfer… sie warten auf Herzog Krude. Er soll der Gefangenschaft der Caer entronnen sein, sagen sie. Sie warten, daß er sein Volk in den letzten Kampf führt. Es tut sich Unheimliches hinter der Yarl-Linie… viele Priester, wenige Krieger…« Er ließ den Becher fallen, griff mit beiden Händen an seinen Hals. Dann hustete er lange und qualvoll. Er stieß einen Schrei aus, versuchte sich an dem Tischbrett festzuhalten und zerrte, als er sterbend umfiel, die Karten von der Platte. Graf Corian sprang auf und versuchte den Kurier zu stützen. Es war zu spät. Ein letztes Zucken durchlief den verkrampften Körper. »Er ist tot«, sagte der Mann im rostigen Harnisch und richtete sich wieder auf. Corian starrte schweigend Mythor in die Augen. Dann wandte er sich ab und sagte mit hohler Stimme: »Tot. Wieder ein Späher, den sie umgebracht haben. Fünftausend Krieger bei Elvinon warten auf Krude. Mythor! Du mußt auskundschaften, wie es in Wahrheit um das alles steht. Nur du kannst es schaffen!« Gapolo knurrte: »Ich sage meinen Freunden, was zu tun ist. Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir alle auf, ja?« Er und Gapolo, Buruna und der krächzende Barde: die beste Gruppe von Spionen und Kundschaftern, sagte sich Mythor, die Graf Corian finden konnte. »Ja, morgen bei Sonnenaufgang!« stimmte er zu. Sie fanden in einem leeren Winkel der Eulenberg-Ruinen Platz für die Tiere und für sich. Mit Hilfe der Fackeln und ei42
nes Busches, den sie in Flammen setzten, vertrieben sie die Vrod-Krähen. Lamir klimperte leise auf seinem Instrument, während Gapolo seine vier Begleiter genau unterwies. Mythor und Buruna versuchten, mit Hilfe der Sättel, Decken und trockenem Laub einigermaßen bequeme Lagerstätten herzurichten. Raimor und Engor schleppten ein Becken voll glühender Holzkohle heran. Ständig kamen und gingen Melder und Kuriere. Unterhalb des Hügels wurde das Lärmen im Lager der vielen Krieger bis spät nach Mitternacht nicht leiser. Bevor sie einschliefen, verabschiedeten sich die vier salamitischen Krieger von Mythor. Sie drückten in leisen Worten die Hoffnung aus, daß sie zu den Siegern gehören und irgendwann nach der Schlacht wieder Mythor treffen würden. Als Mythor von Buruna geweckt wurde, waren die vier stolzen, kühnen Männer mit den scharfgeschnittenen Gesichtern bereits unterwegs zu ihren Stammesgenossen. Gapolo ze Chianez sagte: »Freund Mythor! Ich weiß, daß wir nur eine Handvoll Männer«, er lächelte Buruna entschuldigend an, »inmitten eines riesigen Heeres sind. Trotzdem sagt mir dieser Ort nicht zu. Verlassen wir ihn so schnell wie nur möglich.« Lamir fütterte die Pferde mit den letzten Resten von Heu und Hafer, die sie von Daren geschenkt bekommen hatten. »Ich fühle dasselbe wie du«, meinte Buruna. »Die Magier um Corian, die vielen polternden Männer in ihren Rüstungen… es ist, als seien sie alle krank, als gehe ein Fieber um.« »Ich verstehe euch«, fügte Mythor hinzu. Hark war nicht in ihrer Nähe, und auch die Krähenschwärme schienen zuviel für Horus zu sein. Er zog nicht wie gewöhnlich im ersten Morgengrauen seine Kreise. »Mir ist nicht anders zumute. He, Lamir, finden sich noch einige Brösel in deinen Satteltaschen?« »Es wird gerade für uns vier reichen!« sagte der junge Mann 43
und nickte eifrig. »Ich bringe es euch sofort.« Er schwatzte einem Diener Graf Corians auch einen Krug Würzwein ab. Sie aßen und tranken in Eile. Als sich im Osten ein breiter, schwefliggelber Streifen Licht abzeichnete, saßen sie auf und ritten nach Südwest, dem Fluß Lorana entgegen. Sie waren froh, den Eulenberg hinter sich zu wissen. * Das leichte und trügerische Gefühl der Trunkenheit – der heiße, starke Wein hatte sie zuversichtlich gestimmt – ließ nach. Buruna zügelte ihr Pferd und wartete darauf, daß Gapolo und Mythor aufholten. »Irgendwo vor uns ist der Fluß. Dort. Hinter dem Wall«, sagte sie und zeigte auf einen langgezogenen Hügel, der mit schwärzlichen Nadelgewächsen bestanden war. »Du bist noch immer der Meinung, daß die Schlacht im Hochmoor nicht geschlagen werden sollte?« Ferner Lärm war zu hören, es schienen menschliche Stimmen zu sein. Der Bitterwolf stand witternd da. Von Horus war jetzt nichts zu sehen. Pandor kam neben Burunas Pferd zum Stehen und warf den Kopf mit dem langen Horn wiehernd in die Höhe. »Noch immer!« bekräftigte Mythor. Auch er spürte noch ein wenig die Wirkung des Weines, des einzigen Getränks, das die Heerführer und Unterführer auf ihrem Befehlshügel zu sich zu nehmen schienen. »Vielleicht finden wir etwas heraus. Damit könnten wir Corian möglicherweise umstimmen. Sehen wir weiter… Ich rieche Flußwasser.« »Ich höre Stimmen«, meinte Buruna. »Dort muß der Fluß sein.« »Gleich werden wir ihn sehen«, bestätigte Gapolo. »Jedenfalls stimmt die Richtung. Die Lorana läuft von Ost nach West 44
und führt an Elvinon vorbei. Weiter, Freunde.« Dreimal hatten sie bisher mittelgroße Heeresteile getroffen, sich rasch mit den Anführern verständigt und ihnen aufgetragen, Graf Corian zu berichten. Aber keiner der Männer, die in ein undurchschaubares Abenteuer zogen, hatte etwas von den Caer-Priestern oder anderen Merkwürdigkeiten gesehen oder gehört. Die vier Reiter galoppierten über ein Stück flaches Land, den Hang des Hügels zwischen dichter stehenden Bäumen hinauf und standen dann übergangslos auf dem Kamm des Ufers. Hier war die Lorana nicht breiter als einen knappen Bogenschuß. Mythor beugte sich überrascht nach vorn, als er die Wasseroberfläche in größerer Länge sehen konnte, dann lachte er kurz auf. »Betrunkene Ugalier auf Flößen. Sie singen Kampflieder.« »Du hast recht«, rief Gapolo neben ihm aus. »Es tut wohl, fröhliche Kämpfer zu sehen und vor allem zu hören!« Etwa hundert Schritt unter ihnen trieben hastig und grob zusammengefügte Flöße nach rechts. Die Strömung des Flusses war kräftig, aber nicht reißend schnell. Auf den Holzstämmen saßen, lagen und kauerten Männer in allen Stadien der Bewaffnung. Einige schienen zu schlafen, andere grölten Lieder, in denen die Worte »Kampf, Sieg, Schwerter, Blut und Rache« immer wieder, gereimt oder nicht, vorkamen. Andere Männer stachen mit Speeren ins Wasser und zogen tatsächlich den einen oder anderen Fisch heraus. Wieder andere versuchten, mit langen Paddeln die Flöße in einer bestimmten Richtung zu halten. Der Klang der Lieder aus rauhen Kehlen schallte durch die Bäume und machte die Reittiere unruhig. Schläuche voller Wein gingen auf den Flößen von Mund zu Mund. Die Stimmung war geradezu ausgelassen, obwohl vom Wasser leichter Nebel aufstieg. Es mußte bitter kalt dicht über der Wasseroberfläche sein. 45
Buruna sagte, halb staunend und halb unsicher: »Ihr habt recht. Der Kleidung und den Rüstungen nach sind es Leute aus Ugalien. Sie ziehen tatsächlich in den Kampf und trinken sich Mut an.« Langsam ritten die Kundschafter Graf Corians am rechten Ufer des Flusses neben den Flößen flußabwärts. Immer wieder schoben sich Baumstämme und die Büsche des Uferbewuchses zwischen sie und die Männer auf den dahinschaukelnden Flößen. »Sie singen zu laut. Sie fürchten sich also«, bemerkte zutreffenderweise der Barde. Der Schneefalke erschien plötzlich in der Luft, raste flügelschlagend zwischen den Baumwipfeln hindurch und jagte über den etwa zehn Flößen hin und her. Der Wolf lief einige Schritte vor Mythors Reittier. Einen Augenblick lang dachte Mythor daran, daß sie sich als vier Silhouetten scharf gegen den hellen Himmel abheben mußten, als auch schon einer der halb trunkenen Männer schrie: »Dort oben sind Caer! Zeigt es ihnen, Brüder!« »Wo sind die unfehlbaren Bogenschützen?« grölte ein anderer. Die Echos hallten schaurig zwischen den Ufern. Der Gesang riß bis auf wenige Fetzen ab. »Hier!« Einige Männer, wohl noch einigermaßen nüchtern, zogen Pfeile aus den Köchern und legten sie auf die Sehnen ihrer Bogen. Sie visierten die vier Kundschafter an, konnten sie aber nur undeutlich wahrnehmen, weil sich immer wieder Stämme zwischen die Reiter und den Fluß schoben. Dann pfiffen die ersten Pfeile von den Flößen herauf. Anfeuernde Rufe und Schreie begleiteten jeden Schuß. Die Pfeile heulten durch die Luft und bohrten sich mit trockenem Krachen in Baumstämme, jaulten zwischen den Ästen hindurch und verloren sich irgendwo. 46
Mythor, der angesichts der Betrunkenen keine sonderlich große Angst empfand, wandte sich an Gapolo. »Natürlich ist Pandor bekannt. Ich bin der Einhornreiter. Wir hätten die Tiere bei Corian lassen sollen!« »Wo sie sehr schnell«, bemerkte Gapolo in berechtigtem Spott, »den Besitzer gewechselt hätten, Mythor. Bist du von Sinnen?« »Noch nicht«, scherzte der Krieger und duckte sich unwillkürlich, als ein Pfeil bedrohlich nahe an ihm vorbeiheulte. »Du hast recht. Noch sind wir hier sicherer als an sonst einer Stelle.« Etwa zwei Dutzend Pfeile waren auf die Reiter abgefeuert worden. Inzwischen hatte die Geschwindigkeit der Reiter zugenommen. Sie bewegten sich gleichmäßig schnell und parallel zu den Männern auf den Flößen. Ab und zu schoben sich mächtige Felsbrocken zwischen die Bogenschützen und die Reiter. Aber wenn sich der Wald wieder lichtete, bildeten erneut Mythor und sein pechschwarzes Einhorn die Zielscheibe für die übermütigen Schützen. »Kampflieder singen sie!« entsetzte sich Lamir. »Ist es vorstellbar, daß die Floßfahrt zum Kampfplatz sie fröhlich macht?« »Es wird der reichlich getrunkene Wein gewesen sein«, schwächte Mythor ab. Der Fluß machte jetzt eine weite Schleife. Die Ufer wurden flacher, und die vier Reiter folgten dem Bitterwolf. Er trabte geradeaus auf einen langen, gewundenen Waldstreifen zu. Die Gewächse schienen das Ufer eines Baches zu kennzeichnen. Ein letzter Pfeil flog in hohem Bogen zwischen den Baumwipfeln hindurch und bohrte sich matt in eine Ackerfurche. Buruna setzte sich im Sattel zurecht und rief: »Es wird leichter sein, den Bach zu durchqueren als die Lorana.« Hinter den dürren Zweigen der Bäume sahen die Reiter 47
Wasser aufblinken und undeutlich die Umrisse und Wände eines Hauses. Sie galoppierten bis an den erhöhten Rand des Zuflusses, wichen nach rechts aus und erblickten auf der rechten Uferseite der Lorana, aber jenseits des seichten Baches, tatsächlich ein Haus. »Es scheint eine Mühle zu sein!« stellte Mythor fest. »Vielleicht bekommen wir eine warme Mahlzeit.« In der Lorana drehten sich zwei mächtige Mühlräder. Das Wasser des Baches, der durch ein hölzernes Wehr aufgestaut war, trieb ein drittes unterschlächtiges Wasserrad an. Auf ein Zeichen Gapolos trieben die Freunde ihre Pferde durch den Bach. Das Wasser reichte den Tieren an dieser Stelle nicht einmal bis an den Bauch. Auf dem gegenüberliegenden Ufer brachte sie ein Pfad bis knapp an das auffallend lang gebaute Holzhaus. »Das Haus wirkt auf mich wie ein gestrandetes Schiff«, murmelte Mythor. »Ich kann erkennen, daß auch die Planken und Bretter mit Harz oder Pech versiegelt sind wie bei einem Schiff oder Boot«, stimmte Buruna zu. »Sehen wir doch nach!« »Nur zu.« Gapolo sprang aus dem Sattel, packte sein Pferd am Zügel und führte es auf eine Art große Kanzel zu. Auch dieser Vorsprung war ungewöhnlich und wirkte nicht wie die Verzierung eines Gebäudes. Eine breite Planke führte schräg aufwärts. »Dort treiben sie vorbei, unsere singenden und bogenschießenden Freunde«, sagte Lamir und deutete an der Hausecke vorbei auf den schnell dahinströmenden Fluß. Die Flöße schossen vorbei, ohne ihre Richtung zu ändern. Diesmal beschossen die Ugalier die Mühlenräder mit den Pfeilen und freuten sich über jeden Treffer, als ob sie einen Caer-Priester gespickt hätten. 48
Die Mühle entpuppte sich aus der Nähe als ein riesiges Langhaus. Es stand auf dicken Bohlen, die ihrerseits wieder auf wuchtigen Steinquadern ruhten. Die Wände wölbten sich teilweise wie die einer Barke nach außen. Überall sickerte Pech durch die Planken. Im Inneren dieser merkwürdigen Konstruktion ertönte ein andauerndes Rumpeln und Knacken, Knistern und Surren, das plötzlich lauter wurde, als sich die Tür vor Gapolo öffnete. »Wer seid ihr?« fragte ein alter Mann, der sich mit der linken Hand am Holzrahmen festhielt. Er blickte an Gapolo vorbei, und als sich der Salamiter umdrehte, erkannte er, daß der Alte seine Augen auf einen Punkt richtete, an dem keiner der anderen Reiter stand. »Wir sind vier friedliche Reiter. Aber wo sind wir hier in Wirklichkeit? Deine Mühle sieht aus wie ein Schiff, das auf der Lorana gestrandet ist.« »Ich bin Vercin, der blinde Mautner«, sagte der Alte mit seltsam flacher Stimme. »Ich nehme Maut von jeder Welle. Braucht ihr meine Hilfe?« Mythor rief von hinten: »Vielleicht eine Mahlzeit? Und ich möchte mein Tier in deine Obhut geben!« »Kommt näher! Hier herein; es wird für euch keine Heldentat sein, einen blinden Greis zu erschlagen und die Mühle zu plündern.« Buruna antwortete mit weicher Stimme: »Wir plündern nicht. Meine Kameraden und ich reiten zum Hochmoor. Wir wollen deine Wasserräder nicht anhalten.« »Meine Mühlen mahlen langsam«, sagte der Alte und gab den Weg frei, ohne die Wand und das Geländer loszulassen, »aber kommt nur näher. Lorana wird euch führen.« Sie stiegen ab und führten Pandor und die Pferde die Schrägfläche hinauf. Der Schneefalke ließ sich auf dem Giebel des Mühlenschiffs nieder, der Wolf blieb wachsam am Ufer 49
des Baches. Was hatte er gesagt? »Lorana wird euch führen.« Der Fluß? »Eine merkwürdige Umgebung«, brummte Lamir. »Ich werde die Szenerie durch ein paar muntere Lieder auflockern.« Gapolo antwortete in grimmigem Spott: »Wir sollten unser Gastrecht nicht zu sehr strapazieren. Warte, Lamir, bis der alte Mann deine Lerchenstimme zu hören begehrt.« Beleidigt senkte Lamir den Kopf. Aber seine Augen leuchteten auf, als er ein blutjunges Mädchen aus der Dämmerung der überraschend leeren Räume auftauchen sah. Sie musterte die Reiter und sagte dann: »Vercin ist blind. Ich bin seine Augen. Beschädigt nichts! Es ist sein Lebenswerk.« Die schräge Rampe führte in eine würfelförmige Kanzel und von dort durch einen breiten Korridor in den flußabwärts gelegenen Bereich der Mühle. Hier kam durch schmale Schlitze unter der pechgetränkten Holzdecke das Tageslicht und zeigte Ställe und abgeteilte Käfige in allen Größen. Lautlos war Vercin herangekommen, hielt sich an einem Stück Geländer fest und sagte: »Mein Lebenswerk ist die Mühle. Das Böse wird das Übergewicht erringen. Die Schattenzone breitet sich täglich mehr und mehr aus. Dann wird das Große Schaurige Horn ertönen. Meere und Flüsse treten über ihre Ufer. Ich bin gerüstet.« »Ich verstehe«, sagte Mythor langsam und dachte daran, daß die Beobachtungen plötzlich einen Sinn bekamen. Die Ställe und Käfige der Mühlenarche waren fast alle leer, aber rund um die Mühle hatten die Reiter auffallend viele Tiere gesehen. »Und dann wirst du dich retten können, Vercin.« »Meine Mühlen mahlen langsam, aber seit ich Lorana aus dem Fluß gezogen habe, ist viel Leben in der Arche. Ich spüre, daß das Reittier des Mannes, der eben spricht, etwas ganz Besonderes ist.« Das Mädchen Lorana sagte halblaut: »Es ist ein schwarzes 50
Einhorn, Vercin. Es sieht dich an.« »Ich fühle es. Wollt ihr einen Imbiß mit uns nehmen? Es ist spät nach Mittag«, fragte der Alte. Er schien auf gutartige Weise ein wenig wirr im Kopf zu sein, aber seine Fähigkeit, irgendwie auf Tiere zu wirken, war offenbar geworden. »Ja, gern!« antwortete Buruna und warf Lorana einen Blick voller Eifersucht zu. »Dann laßt eure Tiere hier und kommt mit uns!« Trotz der fast unheimlichen Geräusche, die aus dem unteren Teil der Mühlenarche kamen, blieben die drei Pferde und Pandor ruhig. Vercin drängte sich zwischen sie, murmelte beschwichtigend und streichelte ihr Fell. Pandor ließ es sich gefallen, als der Alte immer wieder über das Horn strich und rätselhafte Bemerkungen machte. Die Reiter hoben die Packtaschen von den Sätteln und folgten Lorana und Vercin, der sich an der Schulter des Mädchens festhielt und führen ließ. »Meine Mühlen drehen sich so lange, wie die Lichtwelt besteht!« sagte Vercin übergangslos. »Auch wenn sie in Bedrängnis gerät.« »Was in kurzer Zeit der Fall sein wird«, bekräftigte Mythor, »denn wir sind Kundschafter für das große Heer gegen die Caer und deren Priester.« In der eindringlichen Art eines eifernden Propheten fuhr der Blinde fort, beängstigende Dinge zu sagen. »Zu mir kommt nächtens El Saut, das ist die Stimme«, verkündete er, und das Echo seiner schauerlichen Visionen wurde vom Holz eines verwinkelten Ganges verschluckt. »Sie sagt mir alles, was ich wissen muß. Eines Tages ertönt das Horn, dann wird das Meer zu Land, und das Land hebt sich aus dem Wasser. Dann hole ich meine Tiere in die Käfige; willig werden sie mir folgen. Ich und meine Ziehtochter bleiben allein übrig, mit all den gehorsamen Tieren. Wer ist dieser Mann, der auf dem Rücken des Einhorns reitet?« 51
»Das bin ich«, sagte der Angesprochene. »Mein Name ist Mythor.« »Es wartet Bier auf euch. Wundert ihr euch nicht, daß es in der Mühlenarche Bier gibt? Nein? Aber ich heile die Tiere der Bauern, und dafür bringen sie mir von weit her Essen und Bier, Wein und Gemüse.« Buruna, Gapolo und Mythor sahen sich lange an. Ihre Gesichter drückten Einverständnis aus. Vercin war harmlos, aber alles, was er trotz seiner Blindheit hier geschaffen hatte, ergab in seinem skurrilen Universum einen Sinn. Der Mautner, der Maut vom Wasser verlangte, El Saut, die Stimme, die langsam mahlenden Mühlen, der besessene Bau dieser Arche, irgendwelche Visionen und die Erzählungen der Bauern, dies alles ergab sein Bild der Wirklichkeit. In dieses Bild paßten sogar die geräuschvollen Tiere in dem Dreieck zwischen den Wasserläufen. Die Fremden wurden in einer vergleichsweise winzigen Stube an den Tisch gebeten. Neben ihren Köpfen befand sich in der Außenwand ein schmaler, aber über zwei Wände laufender Schlitz, der einen hervorragend abgeschirmten Blick über den Fluß Lorana und den Bach mit dem Stauwehr gestattete. Bäume und Büsche und Uferböschung begrenzten das Blickfeld. Als habe Vercin die Gedanken der Fremden erraten, begann er wieder: »Ihr müßt wissen, ich war nicht immer blind. Als ich Lorana aus dem Fluß fischte, hatte ich noch mein Augenlicht. Nun ist mein Tag dunkler als eure Nacht. Dankt der Lichtwelt, daß ihr die Dinge so erkennt, wie sie sind. Lorana, beste Ziehtochter, holst du uns etwas zum Essen und ein paar Becher dunkles, schäumendes Bier? Wir haben nur Platz für Lorana und mich. Aber eben hat mit großer Klarheit El Saut zu mir gesprochen!« Buruna schoß immer wieder blitzende Blicke auf Lorana ab. 52
Diese lächelte freundlich und fröhlich zurück und ahnte nichts von den schwarzen Empfindungen der Eifersucht, die in der dunkelhäutigen Schönheit tobten. »Was sagt die Stimme?« fragte Lamir und strich mit der Hand über die Saiten der Laute. Ein überraschend wohlklingender Akkord unterbrach das Hämmern, Rauschen und Klappern der unsichtbaren Geräte. »Zwei Dinge sagt sie«, sagte der Blinde. Er hatte einen runden Kopf mit wenig Haupthaar und einem kantigen Bart. Die Haut war braun und wettergegerbt. Die Augen wirkten wie die eines Sehenden und lagen in einem Netz tiefer Falten. Nur der ständig abirrende Blick ließ erkennen, daß der Alte wirklich blind war. Andere Sinne und Empfindungen aber hatten sich seit dem Verlust des Augenlichts geschärft. »Ja? Wir sind gespannt!« meinte Gapolo nervös und entsicherte die Armbrust, als das Mädchen lächelnd die vollen Becher abstellte. »Dieser Mythor, der Einhornreiter, hat noch andere magische Tiere. Ein räuberischer Wolf bringt Unruhe in meine Zöglinge dort draußen. Und auch ein Falke oder Adler kreist über dem Dach der Mühlenarche.« »Stimmt. Mir stehen Hark, der Bitterwolf, und Horus, der Schneefalke, zur Seite«, gab Mythor zu. »Aber es sind kräftige, schnelle Tiere, keine Fabelwesen. Vermutlich reißt der Wolf einen deiner Hasen, und Horus macht sich über Mäuse oder junge Enten her.« »Ich habe genug davon«, sagte Vercin mit wegwerfender Handbewegung. »Aber du, Mythor, würdest mit Lorana ein gutes Gespann abgeben. Ihr beide! Du, der Stammvater von Menschen, die sich nach der Flut über die Welt ausbreiten und das Land besiedeln, das nicht mehr in Schattenzone und Lichtwelt geteilt ist. Sieh dir Lorana an! Ihre Hüften sind noch schmal, und doch wird sie dir viele Söhne gebären!« 53
Mythor legte eine Hand auf Burunas Arm und drückte ihn auf die Tischplatte. Die Finger der Frau spielten mit dem Messer. Ihr Gesicht drückte aus, daß sie Mythor bereits als Vater vieler Söhne in dieser Arche sah. »Ich werde ihr die Augen…«, flüsterte Buruna zischend. Mythor unterbrach sie: »Du wirst gar nichts! Vercin, Mautner des Flusses, ich glaube, ich passe nicht in deinen Plan. Lorana ist noch ein Kind. Und ich reite sofort weiter, weil ich für die Heere der Lichtwelt kundschaften muß.« »Ihre Eltern, die keiner kennt, haben sie ertränken wollen«, sagte Vercin unbeirrbar und versuchte seine Augen auf Mythor zu richten. »Du wirst dich entscheiden, wenn du die Räder und die sich drehenden Gestalten siehst!« »Dürfen wir das Einhorn hierlassen?« fragte Lamir. »Und es gegen ein gutes Pferd eintauschen?« fügte Mythor hinzu. Der Alte kicherte. »Auch der Wolf und der Raubvogel werden sich hier wohl fühlen. Euch sind die Tiere hinderlich beim Kundschaften?« »So ist es.« »Weil nämlich«, stieß Vercin hervor, als das Mädchen mit einem Brett voller lecker aussehender Speisen hereinkam, »Mythor zurückkommen wird wegen der Tiere, habe ich diese seltsamen Tiere gern in meinen Stallungen. Sie sind ein willkommenes Pfand.« »Ich habe nur das Einhorn gesehen«, sagte Lorana. Buruna wurde unsicher, als sie sah, daß Lorana gleichermaßen Gapolo und Lamir ihr Lächeln schenkte. Abermals versuchte Mythor sie zu beruhigen, indem er sagte: »Dein Bier ist kalt und gut, Vercin. Aber schlage dir die Idee aus dem Kopf, mich mit Lorana zusammenzubringen.« Der Blinde winkte ab. Er hatte breite Hände mit kurzen, ungewöhnlich kräftigen Fingern. Dicke Hornhaut bedeckte die 54
Ballen des Handtellers. »Was heute nicht geht, wird sich später zusammenfügen. Wenn wir drei die letzten Überlebenden sind, Mythor… Glaub mir!« »Es fällt mir schwer.« »Geh ruhig deinem Vorhaben nach und komm zurück! Deine Tiere sind gut aufgehoben. In einem Gatter habe ich drei Pferde. Ich weiß, daß es gute Tiere sind. Nimm dir eines von ihnen!« »Danke«, antwortete Mythor und kaute mit vollen Backen. Unablässig rauschte der Fluß vorbei. Ununterbrochen drehten sich die drei Wasserräder um ihre Achsen aus wuchtigen Balken. Die Enden der Holzgestelle liefen in bronzene Achsen aus, deren Lager vor Fett troffen. Die Achsen verschwanden durch eckige Löcher an drei Stellen im Gebäude, so daß das Langhaus aussah wie ein Schiff, das durch drei sich drehende Wasserräder angetrieben wurde. Die Reiter aßen sich satt und bekamen noch einen Becher Bier. Dann sprang der Alte auf, klammerte sich am Geländer fest und winkte den Fremden. »Ich zeige euch die Räder der Ewigkeit«, sagte er und humpelte hinaus. Neugierig sahen die Kundschafter zu, wie er eine Tür aufriß. Augenblicklich drang der Lärm in den hölzernen Korridor heraus. Das Licht in diesem Raum kam aus einer Doppelreihe kleiner Dachgauben. Eine atemberaubende Konstruktion bewegte sich im Inneren eines Raumes, der fast so lang und breit war wie die Arche. Drei riesige Doppelräder drehten sich. Zwischen ihren hölzernen Felgen befanden sich Stäbe, in die viele andere Stäbe von anderen, kleineren Rädern eingriffen. Um eine Achse gekippt, drehten sich wiederum andere, kleinere und größere Räder, deren Zähne in die Speichen anderer Kreise griffen. Mindestens fünf Dutzend Räder waren es, deren Achsen an allen nur denkbaren Stellen in Boden, Decke und Wände 55
mündeten und sich dort in fettigen Bronzelagern drehten, knarrend schnurrten, in diese oder die entgegengesetzte Richtung. »Es ist geheimnisvoll und mitreißend«, sagte Gapolo, aber nicht einmal Mythor wußte, ob er es ehrlich meinte. »Ich werde davon ganz verwirrt«, bekannte Buruna. »Was soll das, Alter?« »Alles ist in ständiger Drehung«, erläuterte Vercin. »Solange es sich dreht, herrscht die Lichtwelt.« Quer durch die Achsen waren kürzere und längere Stämme getrieben worden. An einigen hingen Steine als Ausgleichsgewichte. An anderen waren geschnitzte und bemalte Gestalten festgemacht oder drehbar gelagert. Sie versinnbildlichten schwarze und weiße Krieger, Tiere und Fabelwesen. Da sie sich senkrecht oder waagrecht im Kreis bewegten und von kleinen Stößeln angehalten oder beschleunigt wurden, sah es so aus, als kämpfe jeder gegen jeden. Ihre Waffen glitten stets haarscharf aneinander vorbei. Die schnell beweglichen Gestalten an den Armen der kleinen Räder zuckten hin und her. Majestätisch langsam drehten sich die schwereren Tiere oder Krieger, die an den langsamer laufenden Teilen der Anlage befestigt waren. Das Sonnenlicht, das in vielen schrägen Bahnen durch die Luken einfiel, ließ die gleichförmigen Bewegungen der Gestalten zu ruckartigen Aktionen werden, wenn die Figuren das Licht kreuzten. »Wie lange hast du gebraucht, dies alles zu ersinnen und zu schaffen?« erkundigte sich Mythor und erschrak über das Maß der Besessenheit dieses Mannes. »Es waren viele Sommer und Winter. Allein an den Figuren schnitzte ich viele Monde. Und das Fällen der Bäume dauerte lange. Aber jetzt drehen sich die Räder wie die Sterne am Himmel.« »Die Räder der Welt!« murmelte Buruna. »Und was ge56
schieht, wenn ein Teil bricht?« »Dann brechen auch andere Teile«, versuchte Lamir zu scherzen, »und wenn alles zerbrochen ist, geht die Lichtwelt unter.« »Nichts kann brechen. Alles ist solide und schwer. Ich kontrolliere jeden Tag die Räder und Zähne!« beschwor ihn Vercin. Eines Tages würde es durch das Dach regnen, dann quoll das Holz an verschiedenen Stellen auf, und die Zerstörung begann schrittweise, sagte sich Mythor. Sicherlich nicht, solange dieser alte Eiferer lebte, denn seine Ohren würden die winzigste Veränderung der Geräusche hören. Und dann würde ihn Lorana, das Flußkind, zum Schaden führen und ihm die Werkzeuge in die Finger drücken. Mit einem leichten Schauder warf Mythor einen letzten Blick auf das kreiselnde und rotierende Universum eines kranken Verstandes und verließ die kleine Plattform. »Wohin gehst du?« wollte der Blinde wissen. »Ich trinke mein Bier aus. Dann gehe ich zu den Pferden auf die Koppel«, entgegnete Mythor. »Wie nanntest du deine Tiere? Bitterwolf und Schneefalke?« »Ja. Hark und Horus.« »Ich werde sie behüten wie meine Augäpfel… nein, besser«, kicherte der Greis. »Ich denke, daß sie mich lieben werden. Ich komme mit, aber du mußt mich führen.« »Sie können gut für sich selbst sorgen«, schwächte Mythor ab und gab Buruna mit dem Kopf ein Zeichen. Sie gingen durch das Holzlabyrinth bis zur Ausstiegskanzel und hinaus vor die Arche. Einerseits war Mythor froh, das auffallende Einhorn in guter Obhut zu wissen, andererseits traute er Vercin nicht sehr. Als Mythor, Buruna und Vercin den Pfad verließen und auf den flußabwärts gelegenen Wald zugingen, mischten sich aber57
mals andere Geräusche in das Plätschern des Wassers und das Rumpeln der geheimnisvollen Räder: dumpfe Schritte, ein chaotisch brummender Gesang und unregelmäßig klatschende Geräusche, ab und zu tiefe, stöhnende Schreie. Zuerst dachten sie, es seien Flöße mit Kriegern. Aber je mehr die drei Personen den Grund des Tales verließen und zum Waldrand hochkletterten, desto deutlicher wurden die beängstigenden Laute. Eine Vogelschar flog aus den Zweigen und zwitscherte aufgeregt. Vercins Kopf fuhr in die Höhe, er lauschte und flüsterte dann: »Unruhe, Angst und Flucht! Noch schärfer als meine sind die Sinne meiner gefiederten Freunde.« Die Geräusche kamen Mythor nur wenige Augenblicke lang unbekannt vor. Dann wußte er genau, von wem sie stammten. »Es sind Bußgänger und Geißler. Leute aus Ugalos, die von der gelben Pest befallen sind.« »Viele? Und jetzt flüchten auch die Hasen und Schlangen!« rief der Blinde anklagend. »Bei Erain!« sagte Mythor. »Du hast recht. Rings um uns flüchten die Tiere.« Rehe und Hasen rotteten sich zusammen und sprangen dann in langen Fluchten oder hakenschlagend davon. Der dumpfe Gesang und das Klatschen der Peitschen wurden lauter. Gleichzeitig merkten Buruna und Mythor, daß über dem Land eine merkwürdige Luft hing. Sie war gleichermaßen warm und feucht, ihre Stimmung drückte nieder und ließ die Herzen schneller schlagen. Aber es war kein Regenwind, der mit dem schwachen Südwind kam. Ein warmer, ungesunder Wind, der viele böse Ahnungen weckte und den Kopf schmerzen ließ. Wieder sprang eine Gruppe rotbrauner Tiere durch das Gestrüpp. Unmittelbar vor den Kundschaftern wieherten grell mehrere Pferde. »Kannst du etwas sehen, Mythor? Woher kommen sie? Sind 58
es viele?« Mythor kletterte auf die Querbalken der Umfriedung und spähte langsam zwischen den Baumstämmen hindurch. Nach einem langen Rundblick sah er die Bußgänger. Sie kamen aus derselben Richtung, in der er sie – oder jedenfalls einen Zug aus der beklagenswerten Stadt – vor Tagen zuletzt gesehen hatte. »Es sind etwa drei Dutzend«, sagte er. »Sie kommen auf die Arche zu.« »Sie sind auf ihre Art gefährlich«, erinnerte ihn Buruna. »Vielleicht solltest du versuchen…« »Ich bin schon auf dem Weg.« Mythor zog das Gläserne Schwert, rannte zum Langhaus zurück und über Steinplatten an den Rand des Dammes. Im selben Augenblick kamen die Bußgänger auf der anderen Seite der schmalen Brücke an, die über das strudelnde und rauschende Wehr führte. Mythor eilte an dem riesigen Wasserrad vorbei, das ihn mit einem Tropfenschauer übersprühte, und blieb drei Schritt vor dem Ende des Steges stehen. »Halt! Nicht weiter!« rief er scharf. Der finstere Gesang der Geißler hörte nicht abrupt auf. Die ausgemergelten Gestalten unter den dunklen Mänteln und Kapuzen prallten gegeneinander, als sie anhielten. Langsam hob der erste Mann in der langen Reihe der schwankenden Elendsfiguren den Kopf und schob mit einer matten Bewegung die schmutzstarrende Kapuze in den Nacken. Ein schmerzlicher Blick traf Mythor. Mythor starrte in das von Schwären bedeckte Gesicht und rief: »Anid Levere! Haltet an!« Die Geißler schienen zu erschöpft, als daß sie sich an eine Auseinandersetzung mit dem dunkelhaarigen Krieger gewagt hätten. »Herr Mythor«, stammelte Anid. Er sah furchtbar aus. An 59
seinem Gesicht war fast nichts Menschenähnliches mehr. Er ließ seine Stricke mit den verkrusteten Knoten sinken und sagte krächzend: »Warum stellst du dich gegen uns?« »Der Wald und das Gebüsch sind voller Tiere. Sie gehören dem Herrn dieser Mühle. Ihr jagt die Tiere in alle Richtungen davon. Macht einen Bogen um die Mühle!« »Wir sind erschöpft!« gab Anid zurück. Hinter ihm schwankte ein Ugalier und kippte zur Seite. Ein anderer Geißler streckte schlaff einen Arm aus und versuchte zu helfen, aber er erhaschte nur den Saum eines Ärmels, der knirschend abriß. Der Geißler schlug schwer in den schlammigen Boden. »Das sehe ich. Würdet ihr euch weniger geißeln, wäret ihr besser bei Kräften«, gab Mythor zurück. »Bei Erain! Krankheit bekämpft man nicht mit Auspeitschung.« »Was sollen wir tun?« »Dasselbe wie bei den Bauern, die euch verbrennen wollten«, rief Mythor durch das Rauschen des Wassers. »Geht dort entlang, durchquert den Bach, und dann bringt euch jemand etwas Essen. Aber hört mit eurem schauerlichen Singen auf.« Anid Levere starrte ihn an, als sei er der einzige, der ihn vor der gelben Pest retten könne. »Das werden wir tun. Du hast uns schon einmal geholfen, Mythor!« »Ich helfe euch auch jetzt, wenn ich kann!« Anid drehte sich schwankend um und rief einige Anordnungen. Die anderen Männer schwiegen und gehorchten langsam, als seien sie halb erstarrt. Die Karawane des Elends setzte sich wieder in Bewegung, diesmal noch langsamer und fast lautlos. Und wieder schaute ihr Mythor kopfschüttelnd und ein wenig ratlos nach. Als er sich umdrehte und zu Vercin und Buruna zurückgehen wollte, merkte er, daß noch mehr Tiere flüchteten. Schwarmweise rasten kreischende Vögel flußabwärts. Aus 60
dem dürren Uferschilf flüchteten weiße und farbige Schwimmvögel. Im Gebüsch krachten splitternde Äste, wenn größere Tiere davonsprangen. Die Pferde in der Koppel keilten aus und wieherten, als ob sie in panischer Furcht wären. Mythor begann zu rennen und sagte atemlos, nachdem er Buruna und Vercin erreicht hatte: »Es sind die Leute aus Ugalos. Wir haben sie schon einmal getroffen. Anid Levere ist ihr Anführer.« Buruna bewies wieder einmal, daß sie schnell denken und richtig handeln konnte. Sie wandte sich an Vercin und sagte ihm, daß er sich mit einigen einfachen Nahrungsmitteln sozusagen freikaufen konnte. »Wie viele sind es?« fragte er verzweifelt, denn er hörte und fühlte die Panik, die seine Tiere ergriffen hatte. »Über dreißig!« sagte Mythor. »Aber trockenes Brot und etwas zu trinken genügt ihnen!« »Ich hole es«, entgegnete Vercin. »Hilfst du mir, schöne Frau?« Buruna lief mit ihm zurück ins Haus. Mythor wandte sich nach rechts und rannte den Bachlauf aufwärts, bis er an die Furt kam. Der Zug der Bußgänger schwankte und torkelte näher. Mythor deutete den Bach weiter hinauf und schrie: »Anid! Geht noch etwas weiter! Die Tiere flüchten noch immer vor euch!« »Es geht nicht schneller! Wir sind erschöpft!« »Es ist schon Essen unterwegs.« Was es war, das die Tiere zu solch panischer Flucht trieb, wußte Mythor nicht. Aber er verstand jetzt die Furcht der Bauern, als die Geißler an deren Höfen vorbeigezogen waren. Auch die Tiere der Bauern waren geflüchtet und hatten Schaden genommen. Jene krankhafte Inbrunst, die Besessenheit und die Ausweglosigkeit ihres blinden und falschen Glaubens, 61
die Caer würden ihnen helfen – das umgab die pilgernden Geißler wie eine abstoßende Aura. Davor flüchteten die Wesen des Waldes instinktiv. Mythor hätte nicht erwartet, daß Vercin so sehr um seine Tiere besorgt war; er schleppte einige Brote mit sich. Lorana hielt zwei Krüge an den Henkeln. Auch Gapolo und Buruna trugen Bratenstücke und Würste. Sie liefen auf Mythor zu, der mit gezogenem Schwert das Land um die Mühle verteidigte, als stünde er in einem Burgtor. Die Pilger stapften durch das Wasser und schienen nicht einmal zu merken, wie kalt es war: Einige schöpften Wasser mit den hohlen Händen hoch, wuschen sich flüchtig die Lippen und die Gesichter und tranken Bachwasser. Jeder Blick zeigte Mythor mehr und mehr den fast hoffnungslosen Zustand der Bußgänger. »Schauerlich!« brummte Gapolo, als er neben Mythor stehenblieb. »Zu allen Verrücktheiten, zu allem Elend, das über das Land kam, auch noch diese Gestalten! Sie sind alle auf besondere Weise krank!« Mythor antwortete so leise, daß es außer Gapolo niemand hören konnte: »Aber in ihrem Schutz könnten wir ungesehen die Yarl-Linie überqueren. Vielleicht gefällt dir mein Plan?« »Darüber denke ich erst nach, wenn das Chaos vorbei ist. Sogar die Fische im Wasser verhalten sich wie verrückt!« Die Abendsonne überschüttete das Land mit ihrem blutroten, staubigen Licht. Die Bäume warfen lange Schatten. Anid Levere blieb stehen, bevor er aus dem Wasser ans Ufer watete. Er blickte die Gruppe um Vercin und Mythor lange an, dann wusch er sein verunstaltetes Gesicht. Die Bewegungen wirkten wie eine rituelle Handlung. Danach kam er langsam auf die Wartenden zu. Seine Augen leuchteten förmlich auf, als er Brote, Fleisch und Krüge erblickte. Auch in die schleppenden Schritte seiner Geißler und Büßer strömte neue Kraft. 62
Mythor deutete auf einige Baumstämme, die kreuz und quer in einer Senke neben dem Ufer lagen. »Dort, meine armen Freunde, sollt ihr euer Lager aufschlagen. Wie viele Männer sind unterwegs gestorben?« Mit sichtlicher Vorsicht und immer bemüht, nicht in die Nähe eines Pestkranken zu kommen, stellten Buruna und Lorana das Essen ab. Wortlos stürzten sich die Geißler darauf. »Niemand ist gestorben!« sagte Anid stöhnend und riß einen Brocken aus einem Brot. Gierig kaute er darauf. »Niemand.« »Dann ist euer Fieber nicht tödlich!« sagte Vercin. »Hoffentlich«, meinte ein offensichtlich jüngerer Mann, dessen Haut unter der Einwirkung des Wassers unnatürlich weiß wirkte. Die Bartstoppeln und die zahlreichen Geschwüre ergaben ein unbeschreibliches Bild. Lorana wandte sich ab und klammerte sich an Burunas Schulter. »Aber wir glauben es nicht. Das gelbe Fieber ist in uns. Die Pest wird uns umbringen.« »Geht und seht nach, ob die Tiere noch unruhig sind«, wandte sich Mythor an Lorana und Vercin. »Die Geißler werden nicht näher herankommen. Nicht wahr, Anid?« Lamir kam Vercin und Lorana entgegen und brachte sie zurück zur Mühle. »Hör zu, Anid«, sagte Mythor plötzlich. »Hör gut zu! Wir werden mit euch gehen. Wir kundschaften für die Lichtwelt aus, wie es am Hochmoor und jenseits der Yarl-Linie aussieht. Ihr werdet gemieden wegen eurer Krankheit. Ihr könnt euch, wenn auch langsamer, ungehinderter bewegen als vier Reiter. Wir gehen mit euch, aber wir werden uns nicht geißeln.« Anid hörte zu kauen auf und starrte Mythor verblüfft an. Dann nickte er schweigend. Endlich sprach er: »Du hast uns zweimal gerettet. Vor den Flammen und vor dem Verhungern. Wie könnte ich dir einen Wunsch abschlagen?« »Richtig. Wie könntest du?« brummte Gapolo. Er konnte sich 63
mit Mythors Einfall noch nicht anfreunden. »Hast du schon einmal daran gedacht, daß die gelbe Pest so tödlich nicht sein kann? Ich weiß, daß die Pest die Menschen binnen eines Viertelmondes tötet, und zwar unter solch gräßlichen Qualen, daß sie schwerlich noch Tagesmärsche weit gehen, singen und sich halb bewußtlos geißeln können! Ihr seid meiner Meinung nach vom Schrecken verrückt gemacht worden. Also, wir gehen mit euch, morgen beim ersten Licht, bis zu den Caer. Aber…« Er machte eine Pause und fuhr in schneidender Schärfe fort: »Keiner von euch berührt einen von uns!« Anid schlang die Hälfte einer Wurst in sich hinein und versprach schwer verständlich: »Wir tun, was ihr wollt. Wir fühlen uns beschützt, wenn ihr mit uns reitet.« »Wer spricht von Reiten, du Narr!« schrie Lamir wütend. Es war die Aussicht, zu Fuß gehen zu müssen, die ihn zu diesem Ausbruch trieb. »Wir gehen mit euch. Langsam und unerkannt.« Bei seinen Worten zuckten die Geißler zusammen wie unter Peitschenhieben. Mythor schob das Schwert in den Gürtel und sagte zu Anid: »Wir werden uns Mäntel beschaffen und brechen zusammen mit euch auf. Einverstanden, Brüder der Pest?« »Wir tun, was du willst, Herr Mythor!« bekräftigte Anid. Von den Nahrungsmitteln waren nur noch wenige Reste zu sehen. Als die Kundschafter zur Mühle zurückgingen, konnten sie feststellen, daß die Panik unter den Tieren aufgehört hatte. Vielleicht war der Umstand, daß sie in alle Himmelsrichtungen geflohen waren, der Grund dafür. Die Pferde hinter den Bretterverschlägen jedenfalls hatten sich beruhigt. »Und zu unserer Freude kommt noch eine Nacht in der knarrenden, rumpelnden Mühlenarche«, sagte Gapolo. Mythor lachte kurz und schlug ihm kameradschaftlich auf 64
die Schulter. »Vercin wird dir reichlich Bier einschenken. Bier macht müde.« »Immerhin ein besseres Nachtlager als in der Ruine des Eulenbergs«, sagte Lamir. »Ich werde unseren Marsch mit Liedern verschönern.« »Welch eine Aussicht!« stöhnte Buruna. »Alles geht vorüber. Auch dieser Marsch. Wir können nicht mehr weit von der Yarl-Linie entfernt sein«, sagte Mythor. Buruna legte ihren Arm um seine Hüften und zischte in sein Ohr: »Und wenn du Lorana noch ein einziges Mal so verliebt ansiehst wie in der Arche, kratze ich ihr und dir die Augen aus!« Mythor entgegnete mit einem letzten Anflug von guter Stimmung: »Was nützt ein blinder Liebhaber? Ich könnte deine Schönheit nur ertasten aber nicht mehr sehen, Geliebte!« Sie flüsterte: »Dann würdest du mir ganz gehören. Ich müßte dich führen. Du würdest gehen, wohin ich will.« »Deine Gutmütigkeit«, schloß Mythor, »wird nur noch von deiner Leidenschaft übertroffen.« Sie fanden den Weg in das kleine Zimmer der Mühlenarche allein. Die untergehende Sonne tauchte das Wasser des Flusses und die Hänge in geheimnisvolles Licht und tiefe Schatten. Noch einige Bissen, einige Becher Bier, und die Menschen legten sich schlafen. Lorana versuchte, für jeden von ihnen einen ruhigen und bequemen Platz zu finden. Die lauten, aber eintönigen Geräusche der Wasserräder und der endlos miteinander kämpfenden Gestalten des verblüffenden Mechanismus schläferten die Kundschafter bald ein. * Lamir sprang über einen verfaulenden Baumstamm, blieb stehen und betrachtete seine drei Freunde halb lachend, halb ver65
zweifelt. »Ihr seht wirklich wie Geißler aus!« staunte er. »Wenigstens bei Nacht oder aus zwei Bogenschuß Entfernung.« Buruna lachte hell auf. Eine leidenschaftliche Nacht an der Seite Mythors und die Tatsache, daß Lorana im Langhaus zurückgeblieben war, hatten ihren launenhaften Unmut vertrieben. Aus ihrem Reitermantel hatte sie mit wenigen Griffen und Stichen ein Gewand gemacht, das den Mänteln und Kapuzen der Geißler täuschend ähnlich war. »Ein Tag im Schmutz, ein Regen und die Dunkelheit werden uns in echte Bußgänger verwandeln«, knurrte Gapolo. Er fand sich mit seiner Rolle nicht ab. Trotzdem sah er ein, daß sie weniger gefährdet sein würden. Die Pilger waren schon wach. Einige versuchten, sich mit Sand und Bachwasser zu säubern. Sie sahen noch hungriger und müder aus als gestern; ihre Gesichter waren vom Schlaf auf dem feuchten Laub geschwollen. »Los, Anid!« schrie Lamir. »Ich werde singen! Ein heiterer Pilgerzug wird die Caer zu Tode erschrecken!« Mythor, Buruna, Gapolo und Lamir hatten ein Seil zerschnitten, Knoten hineingeschlagen und die Tauenden beschmutzt. Auch die Köpfe waren unter großen Kapuzen verborgen. Etwas dunkle Erde im Gesicht machte sie den Bußgängern ähnlich. Lamir zog unter dem Mantel die Laute hervor, griff ein paar schrille Akkorde und sang: »Wir wandern durch totes Land… Die gelbe Pest zerfrißt uns… nicht zittert unsre blut’ge Hand… zu leiden und sterben ist unser Wunsch…«
Zusammen mit den Akkorden erweckte der Text seines Stegreifliedes einen schauerlichen Eindruck. Die echten Bußgänger formierten sich hinter dem Rücken Anid Leveres, der bei der 66
zweiten Zeile stehenblieb und sich ängstlich umsah. Gapolo knirschte mit den Zähnen und ächzte: »Dein Krächzen wird uns tatsächlich krank machen, Lamir von der Krähenkehle.« Lamir gab gekränkt, aber heiter zurück: »Du verstehst etwas vom Reiten und Kämpfen, aber nichts von der Kunst ätherischen Gesanges.« Mythor vergewisserte sich, daß der Helm der Gerechten und das Gläserne Schwert sicher an seinem Gürtel befestigt waren, und deutete auf Anid. »Geh nach vorn, Lamir!« rief er. »Sing und spiel laut! Dann sind die Pfade leer, denn Schlangen und Raubvögel werden geflüchtet sein.« Lamir wartete keine zweite Aufforderung ab und griff jedesmal, wenn sich Anid oder einer seiner Gefolgsleute die klatschenden Stricke über die gekrümmten Rücken zogen, in die Saiten. Sein Lied hallte schauerlich durch den unschuldigen Morgen. Immerhin, fand Mythor, wurden sie abgelenkt. Er konnte nur hoffen, daß Hark und Horus seine Zeichen verstanden hatten; sie sollten auf ihn warten und bis zu seiner Rückkehr Vercin gehorchen. »Die Geißel schindet unsre Rücken…«, sang Lamir weit vor ihnen. Von den Gewändern und den Körpern der Bußpilger ging ein stechender Geruch aus. Falls sie angehalten wurden, mußten sich die Kundschafter unter die Pestkranken mischen, denn man würde sie schon allein am fehlenden Gestank erkennen. »… das Leid bereitet uns Entzücken…« »Dieser Pestbarde!« knirschte Buruna empört. »Ich werde Alpträume bekommen.« Gapolo murmelte einen unverständlichen, aber langen salamitischen Fluch und meinte dann: »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Lachen, vor Wut in den Schwertgriff beißen oder nach vorn rennen und Lamir so lange treten, bis sein furchtbares 67
Instrument in Trümmer geht?« Mythor lachte laut auf. »Nimm’s nicht allzu schwer, Gapolo. Wer immer diesen Gesang hört, wird davon Abstand nehmen, uns anzugreifen.« »Auch wieder wahr!« knurrte ze Chianez und schwieg die nächsten Stunden. Anid Levere schien Richtung und Wege genau zu kennen, denn relativ geradlinig näherten sie sich der Yarl-Linie, ohne jemanden zu sehen. »Siechtum und Fieber, nichts ist uns lieber…«, hallten abgehackt die Zeilen des ungewöhnlichen Gesanges über die leeren Äcker und die verwaisten Weiden. Inzwischen hatten sich die Pilger gefaßt und sangen mit, ohne zu wissen, wie die nächsten Worte lauteten. Es herrschte Verwirrung, aber ununterbrochen schlugen die Geißeln und Knotenschnüre einen falschen Takt. Summend, knurrend und stöhnend begleiteten die Bußgänger Lamirs Gesang auf ihre Weise. Die Prozession der Narren, Todmüden, Hungrigen und abenteuerlich gewandeten Kundschafter kam gut voran. Das Land war wie ausgestorben. Der erste Bauernhof tauchte links auf, zwischen zwei Hügel geduckt. »… und hoffnungslos setzt Schritt um Schritt und Hieb um Schlag…« »Eines Tages, und dieser schreckliche Tag«, versicherte Gapolo grimmig, »ist nicht fern, werde ich Lamir für diesen Gesang die Zunge abschneiden. Oder ihn erwürgen. Warum hat er sich nicht in Lorana vergafft und ist in der Mühle geblieben?« »Valida hat ihm die Liebe ausgetrieben!« sagte Buruna kichernd. »Habt ihr gesehen«, fragte Mythor plötzlich, »daß es unter den Figuren, Zahnrädern und Stangen schwere Steine und Kegel gibt, in denen tatsächlich Korn gemahlen werden kann? 68
Oder etwas anderes?« »Ich habe die runden Mühlsteine gesehen. Ich hielt sie für Ballast für das Mühlenarche-Schiff!« sagte Gapolo voller Spott. »Denkbar«, murmelte Mythor. »Aber ich bin sicher, daß Vercin auch Korn von den Bauern bekommt und zu Mehl vermahlt.« »Meinetwegen.« Wieder erschallten Wortfetzen einer neuen Zeile Lamirs, dessen Kehle mehr die eines Ochsenfrosches denn die einer Lerche war: »… Pestilenz packt unser Leben, die bald’ge Heilung wir erstreben…« Mythor und Gapolo sahen sich an und hoben die Schultern. Gegen Lamir waren sie machtlos. So zynisch dies auch klang, aber angesichts der leeren, ausgestorbenen Landschaft war die unfreiwillige Komik des Gesanges ein willkommenes Mittel der Ablenkung. Stunden um Stunden vergingen. Die Sonne kletterte höher. Der warme, triefendfeuchte Wind aus dem Süden hielt an und erzeugte hinter den Schläfen stechenden Schmerz. Für die herrschende Jahreszeit war es ungewöhnlich mild. Ein Scheinfrühling ließ erste Blüten aus dem welken Gras sprießen. Mythor ignorierte hartnäckig den Gesang oder besser das ächzende Stöhnen der Geißler und die nur selten melodiösen musikalischen Untermalungen, die Lamir von der Lerchenkehle verursachte. Das Land, durch das sich der Geißlerzug bewegte, war Mythor einigermaßen vertraut, aber nun sah es leer aus. Ausgestorben lagen die Häuser da, nicht einmal Vögel oder kleine Tiere zwitscherten oder raschelten im trockenen Laub. »Der Hauch des Todes liegt über allem«, sagte Buruna und schauderte. Sie zog das Gewand vor der Brust zusammen. »Wie kann ein Land so trostlos aussehen?« bekräftigte Gapo69
lo. »Ich hätte nicht gedacht, daß sich Tainnia so verändern kann.« Seit Stunden hatten sie keine lebende Seele getroffen, obwohl große Teile der Landschaft Bauern gehörten. Vor etwa vierundzwanzig Monden, entsann sich Mythor, hatte Churkuuhl, die Nomadenstadt, irgendwo dort vorn die Lorana überquert. Fast ein ganzes Jahr lang lagerten die Yarls damals am Hochmoor von Dhuannin. Er selbst hatte versucht, das Umland kennenzulernen. Aber die berittenen Streifen der Tainnianer hatten ihn immer wieder zur Nomadenstadt zurückgetrieben. Aus dieser Zeit besaß er deutliche Erinnerungen an das Land. Aber diese Erinnerungen stimmten nicht mehr mit der Wirklichkeit überein! Zwar rief er sich die Lage einzelner Berge oder Waldgebiete ins Gedächtnis zurück, und er fand sie wieder, ebenso wie die Ausläufer des festen Bodens, die tief in das Moorgebiet hineinreichten. »Es ist wie ein Alptraum!« murmelte Mythor. Gapolo blickte ihn fragend an, und der Kundschafter sagte dem Freund, woran er dachte. Ze Chianez rückte den Schild zurecht, den er unter dem Mantel auf dem Rücken trug, und hörte schweigend zu. »Dazu kommt dieser Wind, diese Schwüle«, sagte Gapolo. »Sie macht uns krank und läßt unsere Kräfte erlahmen.« Vor ihnen, am Horizont, breitete sich ein dunkler Streifen aus. Es war, als habe eine riesige Egge quer durch das sumpfige Gelände eine breite Spur gezogen. Nach einem weiteren Stück Wanderung tauchten die ersten typischen Sumpfgewächse auf; kleine Inseln aus Rohrgewächsen und schwarzen Bäumen, die ihre langen Zweige traurig herunterhängen ließen. Auch der Boden wurde schwarz. Das Gras machte faulig riechendem Moos Platz. Und über allem wölbte sich ein makellos blauer Frühlingshimmel. Unfruchtba70
res Land umgab die Wanderer. Der Eindruck paßte zu dem schauerlichen Gesang, den schwarzen Kutten und den schwirrenden und klatschenden Peitschen und Schnüren. Selbst Lamirs Gesang klang bedrückter. »Die Schwüle hätte die Geißler schon längst umbringen müssen«, meinte Buruna erbittert. »Ich bin sicher, daß die gelbe Pest eine lästige und schlimme, aber keine tödliche Krankheit ist.« »Wir werden es erfahren«, versprach Mythor. Seit dem Durchmarsch der Nomadenstadt hatte sich das Gesicht des Landes verändert. Dürre und Mißwuchs breiteten sich langsam aus. Die Yarls hatten eine Spur der Verwüstung gezogen. Die Spitze der Prozession hatte den Rand einer langgestreckten Zone erreicht, die etwa zweihundert Schritt breit war. »Das ist, sagst du, die Spur der Yarls?« fragte Buruna. Die Elendskarawane war stehengeblieben. Einige Bußgänger ließen sich einfach in den Morast fallen. »Ja. Ich erkenne erst jetzt, was die Nomadenstadt wirklich angerichtet hat.« Schweigend betrachteten sie die Spur der Yarls. In der schwarzen Straße wuchs nicht einmal mehr Moos. Der Boden war aufgerissen und umgeackert, das Unterste war nach oben gerissen, tiefe Furchen zogen sich kreuz und quer durch die aufgebrochene Fläche. An einigen Stellen breiteten sich Flecken aus, die wie verbrannt oder von großer Hitze in glasartige Substanz verwandelt schienen. Mythor deutete auf kleine Würmer, Schlangen und dunkle, echsenartige Tiere in allen Größen, die in den Löchern und Furchen umherkrabbelten und miteinander um rätselhafte Beute kämpften. »Was immer die Yarls der Stadt Churkuuhl auf ihrem Weg durch Tainnia lenkte, war nicht das Leben«, murmelte Mythor 71
und fuhr nach einer Weile fort: »Sie kamen aus der Düsterzone. Sie waren Schattengeschöpfe. Wie die Marn auch…« Gapolo fragte scharf: »Die Marn auch? Das würde heißen, daß du von den Schattenmächten erzogen worden bist?« »Ja, vielleicht… Aber sie wußten es nicht. Sie wußten nicht, was sie waren. Doch wir hatten Erinnerungen…« Er seufzte. »Vielleicht waren es auch nur Träume.« »Glaubst du jetzt, was wir so oft gehört haben? Daß die Marn mit ihrer Stadt verhaßt waren, wohin immer sie kamen?« Nun sahen sie deutlich, was die Yarls wirklich angerichtet hatten. Die Landschaft schien für alle Zeiten Wunden zu haben. »Vermutlich«, meinte er mehr zu sich selbst, »ziehen sich solche Spuren von hier bis zurück zur Düsterzone. He, Anid! Halt! Nicht weitergehen! Halte sie zurück, Lamir!« Anid machte Anstalten, einen kleinen Erdwall zu überklettern, der die breite Spur vom feuchten Moorland trennte. »Wie? Warum?« Mythor deutete nach links und rief: »Wir warten ab, bis es dunkel wird. Wenn wir jetzt den Streifen durchqueren, werden uns die kleinen Bestien binnen weniger Schritte töten. Seht genau hin!« »Wir verstecken uns zwischen den Stämmen!« schlug Gapolo vor. »Meinetwegen«, gab der Anführer der Geißler zurück und führte seine Männer bis zu einer inselartigen Ansammlung von traurigen Bäumen und düster aussehenden Büschen. Hier war es einigermaßen trocken. Als Mythor und Gapolo mit Buruna den Pilgern folgten, packte Gapolo den jungen Mann am Arm und stieß hervor: »Dort! Leute arbeiten. Sie bringen etwas von der Lorana heran.« Mythor warf einen langen Blick nach Südosten und nickte. 72
»Verschwinden wir. Es sind Caer-Krieger!« Auch Mythor und Gapolo kauerten sich in die Deckung. Von hier aus beobachteten sie das Gewimmel der kleinen schwarzen Tiere in den Rissen und Furchen der Yarl-Linie. Und schräg dahinter, dem Ufer der Lorana zu, konnten sie einzelne Bewaffnete erkennen, in der typischen Rüstung der düsteren Caer-Soldaten, die einzelne Gruppen von Arbeitern beaufsichtigten. »Kannst du erkennen, was sie tun?« erkundigte sich Anid Levere und blinzelte mit müden und rot unterlaufenen Augen. Mythor und Gapolo starrten schweigend über die verwüstete Furche hinweg und versuchten das, was sie sehen konnten, auch zu verstehen. Zwei Priester in dem typischen Aufzug stapften durch das niedrige Gebüsch am Uferrand. Hinter ihnen zerrten und zogen andere Gestalten irgendwelche hölzernen Geräte, die wie Schlitten aussahen. Im schwindenden Licht des Tages erkannten die Kundschafter, daß auf den Gestellen große, lange Steine lagen, mit dicken Stricken festgebunden. Die Männer, vermutlich die Bauern der Umgebung und Sklaven der Caer, hatten die Zugseile in den Händen, stemmten ihre Schultern gegen die Taue und schleppten die hellen, frisch gebrochenen Steine an den jenseitigen Rand der YarlSpur. Es war eindeutig, daß die langen, säulenähnlichen, mehr als eineinhalb Mannslängen hohen Steine auf irgendeine Weise auf dem Wasser der Lorana herangeschafft worden waren. Von dort aus zerrten die Arbeiter der Caer sie über die Böschung hinauf und hierher an die breite Fläche der zerstörten Erdschicht. »Ich kann mir nicht helfen«, sagte Mythor nach einer Weile. »Alles, was die Caer dort drüben treiben, sieht gefährlich und bedrohlich aus. Sicher haben sie vor, etwas mit ihrer verdammten Magie zu bewirken.« 73
»Es paßt nicht zusammen«, murmelte Gapolo. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Die Caer und ihre Priester…« »Die Caer und ihre Priester werden uns helfen müssen«, keuchte Anid Levere. »Sie müssen uns von der gelben Pest heilen. Sie haben die Krankheit über uns gebracht.« »Ausgerechnet du mit deinen hinfälligen Geißlern!« sagte Lamir aufgeregt. »Du willst die Priester dazu zwingen! Wenn es nicht so lachhaft wäre, müßte ich weinen.« Die Caer, ihre Dämonenpriester und die Sklaven rissen die Schlitten am jenseitigen Graben entlang und hielten einige Schritt vom höchsten Punkt des Hanges an. Sie stellten drei dicke Balken hochkant auf und banden sie, zeltförmig an der Spitze zusammengefaßt, aneinander fest. Dann wirbelten Seile durch die Luft, und der schwere Stein wurde von dem Gestell hochgehoben. Andere Männer benutzten Hacken und Schaufeln und hoben ein tiefes Loch aus. Der lange, unregelmäßig geschlagene Stein wurde hochgehoben, in das Loch gesenkt und mit dem ausgehobenen Erdreich und den Steinen festgestampft. Ein erster Pfahl, eine Art Säule, sicherlich die erste in einer langen Reihe, stand da. Buruna flüsterte: »Ich verstehe es jetzt besser. Die Caer ziehen einen Zaun entlang der Yarl-Linie. Einen magischen Zaun.« Gleichzeitig glaubten die Geißler und die vier Kundschafter zu erkennen, daß die kleinen, häßlichen Tiere sich schneller bewegten. War es der erste Stein, in großer Entfernung in die Erde gerammt, der sie rasend werden ließ? »Es hängt alles zusammen!« meinte Mythor schließlich, als der dritte Steinpfahl aus dem Boden ragte. Die Entfernung zwischen den Steinen war nicht sonderlich groß, schätzungsweise dreißig Schritt. Tatsächlich hatte sich der kleinen Wesen, die wie Käfer mit großen Zangen, wie Skorpione und Schlan74
gen aussahen, eine Art Irrsinn bemächtigt. Sie krabbelten übereinander, summten böse und griffen einander an. Mythor sagte: »Anid! Befiehl deinen Männern, ihre Beine bis zu den Knien dick mit Stoff oder Leder oder euren dicken Geißelstricken zu umwickeln. Sonst ist jeder von uns nach einigen Schritten tot.« Levere schüttelte den Kopf. Er war offensichtlich zu müde, um zu begreifen, in welcher Gefahr er und seine Geißler sich befanden. Mythor packte ihn an der Schulter, drehte ihn halb herum und zeigte auf das durcheinanderwirbelnde Leben in den Spalten und auf den Brocken und Steinen der Spur. Die Sonne war zu drei Vierteln hinter dem Fluß versunken. Die Caer schafften von irgendwoher Fackeln herbei und zündeten sie an. In ihren Lichtstrahlen glänzten die Schuppen, Panzer und Scheren der Biester. Je dunkler es wurde, desto schneller und bösartiger bewegten sie sich. Selbst die Geißler mit ihrem von Auszehrung und Müdigkeit verwirrten Verstand begriffen jetzt, daß sie in Todesgefahr schwebten. »Du… du hast recht«, keuchte Levere überrascht. »Leider habe ich recht«, knurrte Mythor. »Ich habe immer recht, wenn ich deine Leute und dich retten will. Macht jetzt, was ich euch sage! Sonst bleiben wir bis in alle Ewigkeit hier zwischen den Trauerweiden.« »Ich spüre, abgesehen von dem krankmachenden Südwind, noch etwas anderes. Es ist«, sagte Buruna und schüttelte sich, »als entdecke ich tief in mir eine Besessenheit.« Mythor war mißtrauisch genug, und solche Erklärungen ließen ihn hellwach werden. Er wußte, daß in diesem Land fast alles möglich und wahrscheinlich war. Er blickte Buruna lange in die Augen und erwiderte: »Ich fühle nichts. Noch nicht. Aber ich bin sicher, daß sich hier mehr tut, als wir mit unseren 75
Augen sehen können.« »Du willst im Schutz der Dunkelheit den Streifen überqueren?« erkundigte sich Lamir. Er hatte mit dem Dolch breite Streifen seines Umhangs abgetrennt und wickelte sie sich um die Knöchel und die Waden. »Genau das habe ich vor!« bestätigte Mythor. »Ich denke gerade an meine Jugend. Damals befand ich mich in der Stadt auf dem Rücken der Yarls. Hier sind wir mit Churkuuhl vor langer Zeit hindurchgezogen.« »Wann brechen wir auf?« fragte einer der Männer aus Leveres Begleitung. »Sobald wir uns alle gegen die Tiere geschützt haben. Oder ist einer von euch aus Schwäche liegengeblieben?« »Niemand, bis jetzt.« Auch Mythor und Gapolo versuchten, ihre Stiefel so gut wie möglich zu schützen. Sie wußten es nicht genau, aber sie ahnten es: Diese winzigen Tiere waren ebenfalls Werkzeuge der Mächte der Düsterzone. Schließlich, als die Caer und ihre Hilfsmannschaften den zehnten Stein aufgerichtet hatten, stand Mythor auf. Ein Impuls, dessen Grund und Herkunft er nicht ahnte, bewog ihn, den Helm der Gerechten aufzusetzen und festzubinden. Die Arbeit der Caer und der Dämonenpriester verlief fast völlig lautlos. Man hörte nur knappe Kommandos und einige knallende Peitschenhiebe, das Knirschen der hölzernen Gerätschaften und das Klirren von Metall auf Stein. »Seid ihr bereit?« wollte Mythor wissen. »Bereit!« bestätigten Gapolo und der junge Lamir. Buruna schob ihre Finger in Mythors Hand. »Wir sollten so schnell wie möglich hinüberrennen. Es ist ein furchtbares Stück Land!« »Dein Rat ist sicher gut«, murmelte Anid, »aber meine erschöpften Männer werden nicht mehr rennen können.« 76
Mythor rief wütend aus: »Dann benütze die Peitschen, um sie anzutreiben! Es geht nicht mehr um die Geschwüre, sondern ums nackte Leben!« »Ich versuche es.« Nacheinander standen die Teilnehmer an diesem verrückten Zug auf. Mythor zog Alton und berührte mit der nadelfeinen Spitze den Boden. Wo sich das Material der Waffe in die Schollen senkte, krabbelten und schlichen die Tiere auseinander. Der Sohn des Kometen hob das Schwert und zischte durch die Zähne: »Seht ihr alle den Baum dort drüben?« Zustimmende Äußerungen kamen aus allen Richtungen. »Das ist unser Ziel. Los! Bleibt dicht hinter mir und Buruna! Rennt, was die Beine hergeben!« Er packte Burunas Hand und rannte los. Schon nach drei Schritten merkte er, daß die Männer hinter ihm unruhig wurden, aufstöhnten und merkwürdige Schreie ausstießen. Mythor und die junge Frau rannten etwa zwanzig Schritt geradeaus, dann drehten sie sich um und versuchten, hinter sich etwas zu erkennen. Lamir und Gapolo stolperten neben ihnen her, rissen die Knie auffallend hoch und griffen sich mit beiden Händen an die Köpfe. Sie stießen ein langgezogenes Stöhnen und Wimmern aus. Auch Mythor spürte unter dem Material des gehörnten Helmes einen stechenden Druck, der nicht nur seinen Schädel und seine Schläfen schmerzen ließ, sondern sich auch in den Verstand zu bohren schien. »Schwarze Magie! Ich spüre sie deutlich. Aber ich leide nicht darunter«, stieß Buruna hervor. Mythor blieb stehen, während Lamir und Gapolo herbeistolperten, und packte Gapolo am Gürtel. Er riß ihn mit sich, als er weiterrannte. Da sich Lamir seinerseits an dem Salamiter festklammerte, schleppte Mythor beide Männer hinter sich her. »Ihr Götter seid gnädig! Geister und Spukgestalten überall! Sie fassen mich an…«, ächzte Gapolo. Der Barde wimmerte 77
nur leise vor sich hin, aber er lief tapfer weiter. Die Geißler und Bußgänger folgten schweigend, aber ihre Hände und Arme, mit denen sie seltsame Bewegungen vollführten, ließen deutlich erkennen, daß auch sie unter der Ausstrahlung des verwüsteten Geländestreifens litten. Immer wieder stocherte Mythor mit der Schwertspitze rund um die Gruppe, die er zusammen mit Lamir, Buruna und Gapolo bildete. Immer wieder schüttelten sie die Schlangen, Würmer und Skorpione ab, die an den Stiefeln und an den Stoff- und Lederstreifen hochzuklettern versuchten. Eine wilde Raserei ergriff nicht nur die winzigen Tiere. Zwei Geißler schrien leise auf und kippten aus der langen Reihe. Sie zuckten ein paarmal, dann lagen sie still. Die anderen hasteten mit allen Zeichen des Wahnsinns in ihren verwüsteten Gesichtern weiter. Mythor war durch den Helm der Gerechten vor den Visionen geschützt. Er wußte nicht, was Buruna schützte. Noch fünfzig Schritte, dann hatten sie den gegenüberliegenden Wall erreicht. Aber in der Aufregung achteten sie nicht auf die Caer. Die Soldaten hatten die Bußgänger in dem schwachen Licht der Fackeln gesehen und erwarteten sie. Wieder starb ein Geißler, der sich nicht entschlossen genug bewegte, durch den Biß einer winzigen Natter. Ein anderer fühlte, wie sich zwei Skorpionstacheln wie weißglühende Nadeln in seine Waden bohrten. Mit einem gurgelnden Schrei, gemartert von tödlichen Visionen und einer gräßlichen Angst, brach er zusammen und starb. Von seinen eigenen Furien gepeitscht, rannte Anid Levere weiter. Mythor knirschte: »Noch zehn Schritte!« Sie sprangen und stolperten auf schwankende Fackeln zu. Hinter ihnen starben ein fünfter und ein sechster Geißler unter unmenschlichen Schreien. Dann berührten die Sohlen der 78
Kundschafter den nachgiebigen weichen Erdwall, und mit einem letzten Schwung zerrte Mythor seine beiden Freunde über die Steine und die schwarze Erde. In einem letzten Reflex zog er sich selbst die Kapuze über den Helm und riß das dicke, feuchte Tuch auch tief ins Gesicht Burunas. Ein Halbkreis aus Caer-Soldaten erwartete die Bußgänger. Mythor bemerkte erleichtert, daß auch Lamir und Gapolo ihre Gesichter im Schatten der Kapuzenränder verborgen hatten. Anid stolperte an ihnen vorbei und schwang drohend seine Hand gegen einen der Caer-Soldaten. Hinter einigen Felsen und Baumstämmen kamen noch mehr Bewaffnete in den Lichtkreis der Fackeln. Der Geißler bog die Hand und ballte sie zur Faust. »Ihr seid schuld an unserem Unglück!« schrie er, während die letzten Überlebenden der Prozession auf das rettende Stück Land hinausstolperten, keuchend und wirre Schreie ausstoßend. Die Caer traten näher heran und musterten die Ankommenden schweigend. Der Geißler aus Ugalos schrie weiter: »Ihr Caer habt die gelbe Pest über uns gebracht! Ihr seid die Urheber des Elends. Meine Männer sterben, und ihr steht da und grinst. Ich fordere euch auf, ich rufe eure dämonischen Priester auf…!« Ein Soldat trat vor und hob seine Axt. Mit einem blitzschnellen Hieb schlug er Anid Levere nieder und wandte sich an die Bußgänger: »Ihr seid Spione! Ihr seid festgenommen und werdet den Arbeitsgruppen zugeteilt. Dort, in diese Richtung!« Die Caer schienen nicht gewillt, mit den Fremden zu diskutieren, erkannte Mythor. Sie waren nichts anderes als Soldaten mit festumrissenem Auftrag. Sie taten, finster und entschlossen, was man ihnen befohlen hatte. Mythor wußte jetzt genauer, warum keiner der Kundschafter von Graf Corian zurückgekommen war. Entweder hatte man sie erschlagen oder in die Knechtschaft verschleppt. Oder sie 79
waren direkt auf der Yarl-Linie gestorben, von den bissigen Kreaturen umgebracht. Er sagte in einem Tonfall, der die Caer aufhorchen ließ: »Wir kommen aus dem verwüsteten, verfluchten Land. Unsere Körper sind mit Schwären bedeckt. Wir schwitzen Blut und Eiter aus. Wer uns anrührt, hat sich angesteckt!« »Ugalos ist von den Dämonenpriestern vernichtet worden. Wir sind durch das Land gepilgert und haben uns gegeißelt. Wir sind unberührbar!« rief einer der schwankenden und stöhnenden Geißler. Die Caer hoben die Schwerter und die Fackeln. Ein Soldat streckte die Hand aus und riß die Kapuze vom Gesicht eines Geißlers. Buruna schob sich unmerklich hinter Mythor. Ein Schrei des Entsetzens und lästerliche Flüche erschollen. Den Caer zeigte sich ein verwüstetes Gesicht, voller Blutgerinnsel, offener Geschwüre, Schmutz und verfilzten Barthaars. Die Augen glühten im Fieber. »Die gelbe Pest!« schrie ein Soldat und rannte davon. Ein anderer schob vorsichtig und mit zitternder Schwertspitze drei weitere Kapuzen aus den Gesichtern der Bußgänger. Der Alpdruck war von den Kundschaftern gewichen, aber Mythor hoffte, daß die Caer nicht gerade seine Kameraden und ihn demaskieren würden. Wieder beleuchteten die knisternden Fackeln mit zitternden roten Flammen die entstellten Gesichter der Bußgänger. »Wir werden alle Heere der Caer mit dem gelben Fieber und der Pest anstecken!« sagte Lamir mit verstellter Stimme. »Die Pest ist mitten unter euch!« röchelte ein anderer. »Nehmt die Pest von uns, und wir werden euch gern helfen und dienen!« versprach ein anderer. Die Caer standen wie erstarrt da. Sie blickten auf die Zeichen der gelben Pest und erkannten, daß sie in höchster Gefahr waren. Von den aufgerichteten Steinen kam ein Dämonenpriester 80
mit schnellen Schritten heran. Sein langer, mit Silberornamenten bestickter Umhang bauschte sich bei jeder Bewegung. Die Soldaten rissen wie in Abwehr vor dem Fieber die Schilde hoch und wichen entsetzt Schritt um Schritt zurück. Ein langgezogener, trompetender Schrei hallte zwischen den Ufern der Lorana auf und setzte sich als rollendes Echo über das verdammte Land hinweg fort. Der Priester breitete die Arme aus und wollte die Soldaten aufhalten. Die gläserne Haut unter der Maske und den Knochenfortsätzen des Helmes schimmerte. Seine Stimme war dumpf und schneidend: »Feiglinge!« schrie er. Das Schimpfwort wirkte wie ein Signal. Die Soldaten drehten sich um und fingen zu rennen an. Die Bußgänger rafften ihre letzten Kräfte zusammen und folgten ihnen etwas langsamer. Der Priester sprang zwischen die Krieger und schrie: »Das ist nicht die gelbe Pest, ihr feigen Narren. Es ist eine schlimme, wenn auch harmlose Krankheit. Sie steckt nicht an.« »Die gelbe Pest!« schrien gurgelnd die Bußgänger und schwangen ihre Geißeln. Die Soldaten flüchteten in heilloser Panik. Der Priester blieb stehen, schrie ihnen Befehle und Verwünschungen nach, aber die Bußgänger und Mythor und seine Begleiter rannten an der schauerlichen Gestalt vorbei und folgten dem Licht der Fackeln. Mythor flüsterte Buruna zu: »Ich meine, der Dämonenpriester spricht die Wahrheit.« »Daß die gelbe Pest in Wirklichkeit eine nicht ansteckende Geschwürkrankheit ist?« »Er sollte es am besten wissen!« Sie liefen hinter den Fackeln und hinter der Masse der schwarzgekleideten Körper her, wandten sich langsam nach 81
rechts und vergrößerten bei jedem Schritt die Distanz zwischen sich und den Bußgängern. »Ausgezeichnet«, brummte Gapolo und stolperte über einen knorrigen Ast. »Wir hatten Glück. Jetzt brauchen wir nur noch ein gemütliches Plätzchen für die Nacht.« Wieder ertönte vom Wasser her dieser furchtbare Schrei. Keiner von ihnen hatte jemals einen solchen Schrei gehört. War es das Große Horn, von dem Vercin gesprochen hatte? Oder ein riesiges Raubtier, das die Caer gegen ihren Gegner einsetzen wollten? Keiner wußte es. Das Licht der Fackeln zog sich weit auseinander. Winzige Leuchtpünktchen schwankten und taumelten in westlicher Richtung davon. Die Bußgänger waren nicht mehr zu sehen. Ihre dunklen Gewänder verschmolzen mit der Dunkelheit. Nur noch die Schreie der Angst, der Wut und die Geräusche der hastenden Schritte waren zu hören. Aber auch sie wurden immer schwächer und verloren sich schließlich. Am Rand einer kargen Weide blieben Mythor und seine drei keuchenden Freunde stehen. »Nach Nordwesten!« sagte Mythor und versuchte die Richtung gut zu schätzen. Die Mondsichel war zu einer schmalen Barke geworden, die zwischen den ersten flackernden Sternen schwebte. Noch lange würde das Mondlicht nicht stark genug sein, um die Landschaft und ihre Hindernisse gut erkennen zu lassen. »Ja. Nach Nordwesten«, stimmte Gapolo zu. »Schließlich haben wir einen Auftrag.« »Den wir nicht erfüllen können. Noch nicht«, meinte Lamir. »Wir wissen im Grunde nicht viel.« »Doch. Eines wissen wir«, sagte Mythor. »Die Caer errichten eine magische Sperre. Noch sind es nur zehn Steinpfähle. Aber alles, was die Dämonenpriester tun, endet schließlich in 82
Schwarzer Magie. Soviel können wir Corian berichten. Dies ist sicher.« »Aber da wir nur einzelne Teile des Ganzen kennen, müssen wir noch weiter durch dieses tote Land wandern.« Sie wickelten die Lederriemen und die Lumpen von ihren Beinen und schüttelten sich vor Ekel, als sie undeutlich die schleimigen Spuren der kleinen Bestien aus der Yarl-Furche bemerkten. »Das wird uns nicht erspart bleiben!« »Gehen wir weiter?« fragte Buruna und hielt sich an Mythors Schultern fest. »Ja, natürlich.« »Also…« Gapolo stieß ein heiseres Lachen voller Sarkasmus aus und sagte: »Ab morgen früh gelten wir als Geißler und Bußgänger. Falls wir diese an sich wirksame Verkleidung beibehalten wollen.« »Wir müssen sie beibehalten«, unterstrich Lamir das Gesagte. »Denn inzwischen wird sich das Gerücht von den Trägern der gelben Pest unter den Caer-Kriegern herumgesprochen haben. Ein perfekte Tarnung, Freunde.« Der Salamiter lachte noch immer und meinte: »Bisher sind wir in der Menge der verrückten Geißler nicht aufgefallen. Aber ab dem ersten Sonnenstrahl werden wir uns geißeln und dumpfe Gesänge anstimmen müssen.« »Für die Gesänge bin ich zuständig!« kicherte Lamir. »Ich könnte schon jetzt, nur zur Kurzweil…« »Eher bitte ich Mythor, dich an einen Baumstamm zu binden!« begehrte Buruna auf. »Du magst mich nicht!« tat Lamir beleidigt. Buruna beugte sich zu ihm hinüber und küßte ihn schmatzend auf die Wange. »Ich mag dich, Kleiner«, sagte sie lachend, »aber dein schauerlicher Gesang vertreibt die Wölfe. 83
Ich habe in der Burg schönere Gesänge gehört. Ich kann es beurteilen. Wenn du noch zehn Jahre übst und lernst, wirst du einen passablen Barden abgeben.« »Gut«, versprach der Künstler. »Ich schweige vorübergehend. Aber man wird mich irgendwo zum Hofsänger berufen. Dann werde ich euch zeigen, was in meinen Fingern und meiner Kehle steckt.« Mythor warf angewidert den letzten Lappen ins Gebüsch und knurrte: »Zeig uns lieber den Braten, der in deinen Taschen steckt.« »Kein Braten«, trällerte Lamir halbwegs vergnügt. »Nur ein paar Kanten Brot und drei faulende, saure Früchte von der Ernte des letzten Herbstes. Besser als gar nichts, aber nicht gut genug für unsere fürstlichen Zähne.« »Das würgen wir morgen hinunter«, bestimmte Gapolo. »Heute stolpern wir mit knurrenden Mägen weiter.« »Nach Nordwesten!« Sie gingen weiter und bewegten sich entlang dem Rand eines dürftigen Waldes. Mehr und mehr Sterne erschienen am wolkenarmen Himmel. Noch immer herrschte dieser feuchte, schwer lastende Südwind mit seiner trügerischen Wärme. Schweigend, Buruna neben Mythor und Lamir neben Gapolo, tappten sie vorwärts. Sie suchten nach einzelnen Lichtern oder nach der roten Glut eines Lagerfeuers. Ihre Ohren fingen zahllose Geräusche auf. Aber es waren nicht die Laute, die in einem nächtlichen Wald herrschten. Nur hin und wieder rief schauerlich eine Eule. Keine Hasen oder Laufvögel huschten durch das Gebüsch. Kein hungriges Vieh brüllte auf den Weiden, die das erste Grün zeigten. In der Luft kreisten keine nachtjagenden Vögel. Es war tatsächlich ein totes, verfluchtes Stück Land, das sich beiderseits der Yarl-Linie ausbreitete. Nach etwa zwei Stunden sagte Mythor: »Ich fange an, mich 84
zu fürchten. Die schlimmsten Ahnungen scheinen gerechtfertigt zu sein. Die Caer als Vertreter der Mächte der Dunkelheit verhalten sich, als wüßten sie genau, daß sie wichtige Figuren in einem gigantischen Spiel sind. Es wird tatsächlich zu einer Entscheidung von größter Tragweite werden.« Zwei Stunden weiter durch feuchtes Gras und zähe, abgestorbene Ranken zog Gapolo ze Chianez die Luft scharf ein. »Noch ist alles voller Geheimnisse. Aber spätestens nach der großen Schlacht werden wir wissen, woran wir sind. Die Menge der Menschen wird leiden, einzelne werden sich retten können. Ich rechne fest damit, daß wir zu denen gehören, die sich retten können, denn wir haben die größte Erfahrung. Was geschieht dann mit uns, Mythor?« Mythor ließ die vielen Bilder der Kämpfe, der Schlachten und der Abenteuer an sich vorüberziehen, die er hinter sich gebracht hatte, seit Churkuuhl jenes fürchterliche Ende genommen hatte. »Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich kann es mir nicht einmal in groben Umrissen vorstellen. Ich weiß nur, daß ich unablässig weiterhin versuchen werde, meine Aufgaben zu erfüllen und zunächst das Orakel von Theran zu finden.« Daß er noch immer trotz der sinnenbetörenden Gegenwart Burunas an Fronja dachte, an die bezaubernde Frau, deren Bild er unter dem Wams auf dem zusammengefalteten Pergament bei sich trug, sagte er nicht. Buruna flüsterte: »Jemand wie ihr kann das Schwert gebrauchen und kann sich durchschlagen. Aber was wird aus mir?« Unter dem Mantel schlug Lamir einige wohlklingende Akkorde und sagte stockend: »Niemand kann dir auf diese Frage eine Antwort geben, Schwester.« »Ich ahnte es, Bruder«, sagte sie, schwach spottend. »Ich weiß, daß es so ist.« Abermals eine Weile später hatten sie nasse Weiden über85
quert, waren entlang einer unregelmäßigen Reihe von Bäumen einem unsichtbaren Pfad durch das beginnende Moorgebiet gefolgt, hatten mehrere kleine Waldinseln durchquert und befanden sich jetzt auf einer weiten, leicht hügeligen Lichtung. Gapolo sagte: »Keine Frage kann jetzt wirklich beantwortet werden. Alles ist unsicher. Alles ist offen. Eines hingegen erscheint mir sicher: Es wird ein großes Sterben geben. Welch ein grauenvoller Ausblick.« Mythor gähnte, schüttelte sich und entgegnete: »Wahrscheinlich hast du recht, Gapolo. Trotzdem sollten wir hier nicht Wurzeln schlagen.« Sie setzten ihre Wanderung fort. Das Land blieb einsam und leer. Nirgendwo war ein Licht oder ein Feuer zu sehen. Nur das Schwert Alton leuchtete in Mythors Hand. * Auf seinen zerschundenen Lippen spürte er feuchte, bitter schmeckende Erde. Jeder Nerv und jeder Muskel seines Körpers schmerzte. In seinem Nacken fühlte er warm das Blut aus einer Kopfwunde. In seinem Schädel dröhnte es; jeder Herzschlag ließ eine neue, stechende Schmerzwelle über ihm zusammenschlagen. Er öffnete die Augen und sah nichts. Dunkelheit. Die Stille tat ihm wohl, aber er spürte, wie er hungerte, daß der Durst ihn halb umbrachte und daß er Glück hatte, noch am Leben zu sein. »Verfluchte Caer«, stöhnte er, zog die Hände und die Unterarme unter dem Körper hervor und versuchte, sich aufzustützen. Dreimal glitt er im weichen Erdreich ab, dann erhob er sich auf die Knie und die Hände. Er schüttelte den Kopf und blinzelte. Dann sah er weit vor sich verschwimmende, schaukelnde Lichtpunkte. Anid Levere versuchte sich zu erinnern. Da war ein gräßlicher Schrei gewesen. Dann entsann er sich eines Caer86
Soldaten, der ihm eine Axt auf den Schädel geschmettert hatte. Stöhnend richtete er seine Augen auf die Lichter und versuchte sie zu fixieren, aber sie schwankten und taumelten noch immer. Eine zweite Erinnerung. Er glaubte gehört zu haben, daß eine Stimme gesagt hatte: »Die gelbe Pest ist eigentlich keine tödliche Krankheit.« Er stemmte sich auf die Knie hoch. Jetzt schwankten die Lichter etwas weniger. Er sah genauer hin. Wieder kam ein Schwung Erinnerungen zurück. Dort drüben waren Menschen. Sie arbeiteten. Inzwischen hörte er außer dem Rauschen und Dröhnen auch dünne Stimmen. Kommandos ertönten, Holz knirschte, und Metall schlug klirrend grell auf Stein. Anid versuchte zu zählen. Er kam bis zweiundzwanzig. Zweiundzwanzig hohe, schlanke Steine waren in gleichmäßigem Abstand in den Boden gerammt worden. Gerade errichteten undeutliche Gestalten einen dreiundzwanzigsten Stein. Er kam auf die Beine und erkannte, daß er richtig beobachtet hatte. Und er erkannte, daß er völlig allein war. Mythor war verschwunden, die Bußgänger hatte ebenfalls die Nacht verschluckt. Er setzte einen Fuß vor den anderen und schwankte in irgendeine Richtung davon. Anid war völlig ratlos. Er wußte nicht, wo er war. Irgendwo westlich der Yarl-Linie, das war einigermaßen klar. Er wußte noch nicht, wohin er gehen sollte, was er tun konnte… er wußte gar nichts. Beim zweiten Schrei des riesigen Tieres sprang Vercin auf, klammerte sich an der Tischplatte fest und stieß hervor: »Das Große Schaurige Horn, Lorana!« Zwischen dem jungen Mädchen und seinem Ziehvater stand auf dem Tisch eine winzige Öllampe. Aus dem Inneren der 87
Mühle ertönten die gewohnten schnarrenden und rasselnden Geräusche der Räder und Gestalten. »Es ist irgendein Tier, Vercin!« rief Lorana. »Nicht das Horn!« »Es ist das Horn!« beharrte er. »Es ist das letzte Signal.« »Ziehvater!« rief Lorana. »Nein! Es ist nicht das Horn. Ich habe es deutlich gehört. Es muß ein Tier gewesen sein. Vielleicht schreit es noch einmal. Hör genau hin.« »Ich warte.« Vercin setzte sich wieder. Seine blinden Augen irrten durch den Raum. Er tastete nach der Hand des Mädchens und murmelte undeutliche Worte. Dann, ganz plötzlich, sagte er hart: »Du hast recht, Lorana. Es war doch nicht das Horn. Hast du in den Ställen nachgesehen? Ist das Einhorn noch da?« »Ich habe es gefüttert. Es ist ruhig.« »Und Bitterwolf Hark? Schneefalke Horus?« Das Mädchen antwortete: »Ich habe den Schneefalken am Nachmittag gesehen. Und einige Male hat der Bitterwolf im Uferwald geheult.« »Gut, gut. Meinst du, daß wir ruhig schlafen können? Ich spüre, daß sich etwas auf dem Fluß abspielt. Düstere, böse Dinge!« »Nicht mehr in dieser Nacht, Ziehvater Vercin«, sagte das Mädchen eindringlich. »Du magst ruhig schlafen.« Unverändert strömte das Wasser des namenlosen Baches und der Lorana. Die mächtigen Räder drehten sich und bewegten die kämpfenden, einander umschwirrenden Rätselgestalten. Hunderte von hölzernen Zähnen griffen ineinander, die Lager knirschten, und der alte Mann wußte, daß erst nach dem Zerfall seiner alptraumhaften Mechanismen die Lichtwelt zugrunde gehen würde. * 88
Es mochte eine Stunde nach Mitternacht sein oder vielleicht auch zwei Stunden. Die Schritte der vier Wanderer wurden langsamer; die Kundschafter im toten Land waren müde geworden. Immer wieder stolperten sie und schlugen sich Arme und Knie an Steinen und Ästen wund. »Entweder fange ich zu träumen an«, sagte Mythor, als sie sich einen Weg durch dürres Gebüsch gebahnt hatten, »oder dort vorn ist Licht.« Gapolo, Buruna und Lamir schoben sich zwischen den zurückschnellenden Zweigen durch und blieben schwer atmend neben Mythor stehen. »Tatsächlich. Licht und Flammen. Es sieht wie ein Feuer hinter einer Mauer oder einem Felsen aus!« gab Gapolo zurück. »Ein Lager der Caer?« murmelte Lamir und gähnte. »Wenn es ein Caer-Lager ist«, meinte Buruna, »dann werden die Soldaten vor uns und der ansteckenden gelben Pest ebenso davonrennen wie die anderen. Vielleicht lassen sie uns dabei etwas von dem Braten zurück, der sich über der Glut dreht.« Mythor schob das leuchtende Schwert Alton wieder unter seinen Mantel und sagte sarkastisch: »Darauf würde ich nicht hoffen. Aber es ist durchaus denkbar, daß wir dort etwas Eßbares finden. Wenn es zu viele sind, können wir noch immer flüchten!« Er ging weiter auf die Lichtung hinaus. Nach einer endlos erscheinenden Reihe von Schritten sahen sie deutlicher, was vor ihnen lag. Sie hatten teilweise bearbeitete Felder und frisch gepflügte Äcker durchquert. An ihren Stiefeln hingen dicke Klumpen aus Lehm und Erde. Einige Grenzpfähle waren aufgebraucht, in den Furchen steckten seltsam verloren Ackergeräte. Aus der Finsternis schälte sich der Umriß eines kleineren Bauernhauses. Zwischen dem Haus und einer niedrigen Scheune mit geducktem Dach brannte das Feuer. Drei oder 89
vier Gestalten bewegten sich vor und hinter den Flammen. »Ich sehe drei Pferde ohne Sättel!« flüsterte Gapolo, während sie versuchten, näher heranzukommen. »Wagen wir es?« »Ich meine, wir sollten es riskieren!« knurrte Mythor. Sie zogen sich die Kapuzen über die Köpfe und schlossen die Mäntel. In ihre Hände nahmen sie die Stricke und die Peitschen. Lamir griff ein paar leise Akkorde, und je näher die vier Pilger an den Bauernhof herankamen, desto lauter stöhnten und summten sie. Die Täuschung schien zu glücken. Auf diese Weise entstand der Eindruck, daß sie aus größerer Entfernung kämen. Immer wieder hielten sie an und starrten unter den Rändern der Kapuzen hervor auf die Männer am Feuer. Helme, Rüstungen und Bewaffnung schienen darauf hinzudeuten, daß es sich um Caer handelte. Schließlich kamen die Kundschafter, sich sehr vorsichtig geißelnd, aber um so lauter stöhnend, in den Bereich des roten, flackernden Lichtes. Drei Soldaten waren aufgestanden und schauten ihnen mit den Fäusten an den Schwertgriffen schweigend entgegen. Ihre Rücken waren dem Feuer zugewandt. Die Kundschafter konnten die Gesichter ebensowenig sehen wie die Soldaten die Waffen und die Gesichter der Bußgänger. »Wer seid ihr?« fragte eine barsche Stimme. Der vierte Mann stand voll im Licht des Feuers, über dem sich tatsächlich ein Braten gedreht hatte. Die Flammen ließen ein bärtiges Antlitz erkennen. »Wir kommen von der vernichteten Stadt Ugalos, zwischen deren Mauern die gelbe Pest gewütet hat!« röchelte Mythor und machte, während er sich die Stricke um die Schultern schlagen ließ, wirkungsvolle Pausen der Erschöpfung zwischen den Worten. »Wir sind von der Pest befallen. Gebt uns Platz an eurem 90
Feuer, Caer! Seid barmherzig!« wimmerte Lamir und hörte auf, die Saiten zu zupfen. »Oder sollen wir euch berühren und anstecken?« fragte Gapolo stöhnend und schüttelte sich unwillig, als Buruna seine Schultern verfehlte und das Ende der Peitsche seine Oberarme traf. »Kommt näher!« forderte einer der Caer sie auf. Sie gehorchten mit schleppenden Schritten. Wohlweislich hielten sie sich im Bereich der Schatten, die von den drei Soldaten geworfen wurden. Schließlich mußten sie stehenbleiben und streckten ihre zitternden Hände mit den Peitschen und Schnüren den Caer entgegen. Die Geste war halb flehend, halb drohend. »Rührt uns nicht an. Wir sind todkrank!« warnte Lamir mit zitternder Stimme. »Keine Sorge. Wir sind vorsichtig«, antwortete der Caer. Er trat zur Seite und streifte mit der Kampfaxt die Kapuze von Mythors Stirn. Noch bevor der Kundschafter zurückspringen konnte, hatte der daneben stehende Caer einen brennenden Ast aus dem Feuer gerissen und hielt ihn in die Höhe. Die Flammen beleuchteten Mythors geschwärztes, schweißnasses, erschöpftes Gesicht. Aber es war frei von den Spuren der Pest. »Ich sehe, daß dich die Pest fast umbringt!« sagte er mit einem kurzen Auflachen. »Du irrst«, fing Mythor an, aber da hörte er hinter sich Rascheln und das Knarren von Leder. Er drehte sich blitzschnell um. Mindestens zwei Dutzend Caer waren lautlos aus dem Hintergrund aufgetaucht und richteten die Waffen auf die überraschten Kundschafter. Mythor und seine Freunde waren vom Feuer ein wenig geblendet und von den vier Caer abgelenkt worden. Die Soldaten traten hinter sie und rissen ihnen die Kapuzen herunter, dann die 91
Mäntel, und deutlich sahen sie zweierlei: Die Bußgänger waren weder von der gelben Pest angesteckt, noch waren sie blutend und wehrlos. Ehe sich die Kundschafter wehren konnten, stürzten die Caer von allen Seiten auf sie zu und entwaffneten sie mit geübten Griffen. Den Fremden wurden die Hände auf den Rücken gefesselt. »Ihr seid also keine Geißler und Bußgänger. Ihr seht reichlich gesund aus«, sagte der Mann, der jetzt statt des Astes eine brennende Fackel in die Höhe hielt. »Wer seid ihr?« »Bußgänger aus Ugalos!« behauptete Gapolo. Die Caer stimmten ein rüdes Lachen an. Einer zerrte Buruna in den Bereich des Lichtes zwischen den Mauern und schrie: »Und eine schöne, dralle Bußgängerin! Ich habe derlei noch nie in Ugalien gesehen!« »Ihr seid Caer!« Buruna spuckte ins Feuer. »Was wollt ihr hier im Land? Ihr seid in Tainnia.« »Richtig. Wir sind hier. Bringt sie in die Scheune!« sagte der Anführer. »Später werden wir sie verhören!« Gapolo, auf dessen Brust die schwarze Lilie verräterisch leuchtete, sagte ärgerlich, aber scheinbar ohne Angst: »Bevor ihr uns in die Gefangenschaft führt, könntet ihr uns eigentlich einen Becher Wein geben. Wir sind am Verdursten!« Der Caer zerrte ihn zur Seite und knurrte: »Halt’s Maul! Gefangene haben bei uns nichts zu sagen.« Man brachte sie in die Scheune und stieß sie in der Nähe mehrerer angebundener Pferde in feuchtes Stroh. Ihre Waffen wurden außerhalb des schief in den Angeln hängenden Tores klirrend zu Boden geworfen. Schnell beruhigten sich die Pferde, und die Caer lagerten sich wieder um das Feuer. »Sie waren hinter den Häusern versteckt und haben auf uns gewartet«, sagte Gapolo mit deutlicher Wut in der Stimme. Mythor zerrte an den Lederriemen um seine Handgelenke. 92
Er keuchte: »Sie haben uns kommen sehen und erwartet.« »Zweifellos. Wir sind in ihre Falle gestolpert.« »Noch leben wir«, murmelte der Sohn des Kometen und fühlte sich ungewöhnlich schlecht. Ihre List war fehlgeschlagen; die Müdigkeit hatte sie zum Leichtsinn verleitet. Jetzt mußten sie versuchen, aus dieser Lage wieder herauszukommen. »Für Caer«, stieß Buruna hervor, »scheinen sie ungewöhnlich friedlich zu sein!« »Friedlich?« knirschte Lamir, der halb auf seiner Laute lag und sich herumwälzte. Er hatte modrig schmeckendes Stroh zwischen den Zähnen. »Du träumst!« »Sie haben uns nicht getreten, nicht mit flachen Schwertern geschlagen.« »Das reicht schon aus, um die Milde der Caer begreifen zu lassen«, murmelte Gapolo. »Kannst du meine Fesseln mit den Zähnen erreichen, Mythor?« »Es ist Leder«, sagte Mythor. »Ich müßte stundenlang beißen.« Gapolo spottete: »Der Geschmack des Leders würde den Hunger vertreiben, Mythor.« »Mir ist wenig nach Scherzen zumute«, schoß der Kundschafter zurück. »Aber die Nacht ist noch nicht vorbei. Es kann noch viel passieren. Versucht euch zu entspannen.« Sie warteten in steigender Unruhe. Die Caer teilten sich den Braten und tranken, unterhielten sich leise und klirrten ab und zu mit den Messern. Mythor lauschte und versuchte zu erkennen, wie viele Krieger es wirklich waren. Er schätzte ihre Anzahl auf mindestens zwanzig, aber es gab seiner Meinung nach nicht so viele Pferde hier. Und am meisten wunderte es ihn, daß bei der Truppe kein Dämonenpriester war. Sowohl das Gläserne Schwert als auch sein Helm hätten wohl bei einem Priester einiges Aufsehen erregt. Er war gerade bei diesen 93
Gedanken, als einige Soldaten mit Fackeln in die Scheune kamen. Wortlos näherten sie sich den Gefangenen, zogen sie hoch und schleppten sie hinaus. Mythor und seine Freunde wurden in einer Reihe an die Wand der Scheune gelehnt. Neues Holz war auf die Glut geworfen worden. Die Flammen schlugen hoch und gestatteten es den Caer, die Gefangenen genau zu sehen. »Es ist erwiesen«, begann ein Caer das Verhör, »daß ihr keine kranken Ugalier seid. Eure Haut ist rein.« »Das ist schwer zu leugnen«, antwortete Gapolo. Die anderen schwiegen. Die Caer hielten sich fast zwischen den Gefangenen und den Flammen auf, so daß ihre Gesichter schwer zu erkennen waren. Auch ein nicht erwartetes Verhalten, sagte sich Mythor, doch schon wurde die nächste Frage an sie gerichtet. »Ihr seid gut bewaffnet. Ihr habt eine Frau bei euch. Was wollt ihr hier?« Nur drei oder vier Caer schienen zu fragen. Die anderen verhielten sich ruhig, aber aus der Dunkelheit heraus durchbohrten ihre Blicke die Gefangenen. »Wir kommen aus der Stadt…«, begann Lamir. »Aus welcher Stadt?« »Aus der Stadt nahe der Eulenburg.« »Ihr lügt. Dort gibt es keine Stadt. Darain ist die nächste größere Siedlung. Und ich sage euch, ihr kommt nicht aus Ugalos. Denn sonst würdet ihr die Pest in euch tragen.« »Nicht alles, was man nicht sieht, ist nicht vorhanden!« gab Buruna diplomatisch zu bedenken. »Möglich. Nochmals: Woher kommt ihr?« »Aus dem Osten!« sagte Mythor. »Das ist die Wahrheit. Was wollt ihr von uns?« Der Caer sagte schlecht gelaunt: »Das wird davon abhängen, welche Antworten ihr gebt. Wie die Wahrheit ist.« »Die Wahrheit ist, daß wir Hunger haben, dürsten und die 94
Fesseln ins Fleisch schneiden. Die Wahrheit ist weiterhin«, brachte Lamir hervor, »daß wir versuchen, uns zurechtzufinden in diesem leeren, toten Land, das ihr Caer und eure Priester verdorben habt.« Sie waren alle verblüfft, daß sich aus den Reihen der Caer kein Widerspruch regte, daß keiner aufstand und sie schlug. »Wohin wollt ihr?« »Zum Hochmoor von Dhuannin!« sagte Mythor. »Was wollt ihr dort?« »Die Heere der Caer zählen und herausfinden, wie wir mit dem Leben davonkommen können, ohne unsere Ehre dabei zu verlieren.« »Wollt ihr gegen die Caer kämpfen? Vielleicht auch die halbnackte Frau?« erkundigte sich spöttisch der Sprecher. »Wir müssen gegen euch kämpfen«, sagte Gapolo. »Nicht, daß wir Todessehnsucht hätten! Ihr wollt die Wahrheit hören?« »Ja.« »Wir haben die Soldaten des Herzogtums Caer kennengelernt. Sie sind mutig und des Kriegshandwerks kundig. Es sind Kämpfer wie wir. Wir aber kämpfen gegen die Dämonenpriester, von denen ihr eure sinnlosen und grausamen Befehle bekommt.« »Kampf wird es zweifellos geben«, entgegnete einer der Angesprochenen. »Ganz sicher dann, wenn wir unsere Fesseln nicht mehr haben«, versicherte Mythor wütend. »Was soll diese Fragerei?« »Wenn jemand Fragen stellt, sind wir es. Habt ihr viele Widerstandskämpfer gesehen?« »Nein«, sagte Lamir verstockt. »Sie ziehen es vor, angenehmere Gegenden zu durchstreifen. Aber Caer sahen wir. Sie stellen Steine entlang der Yarl-Linie auf.« »Steine? Ja… es werden verschiedene Arbeiten durchge95
führt«, brummte einer der Caer. Mythor und Gapolo glaubten, Unsicherheit aus der Stimme heraushören zu können. »Ihr habt keine Spione und Widerständler gesehen?« Er hielt Mythor die Schwertspitze an die Kehle. »Nein. Nur die Geißler aus der vernichteten Stadt!« beharrte Gapolo. Die Caer fragten eine Weile lang nicht weiter. Auf einen Wink des Anführers brachten zwei Männer gefüllte Becher und hielten sie den Gefangenen an die Lippen. Die Kundschafter tranken voller Gier. Es war Wein, mit kaltem Wasser verdünnt. Er schmeckte abscheulich, aber er löschte den Durst. »Was würdet ihr tun, wenn ihr Widerständler trefft?« lautete die nächste Frage. Mythor zögerte mit der Antwort und meinte dann: »Das wissen wir nicht. Vermutlich würden wir ihnen berichten, was wir gesehen und erlebt haben. Mir scheint, daß sich mehr Truppen und Heere versammelt haben, als euch lieb sein kann.« Sicherlich hatten auch die Caer Spione und Kundschafter. »Tausende von Widerstandskämpfern sollen sich allein aus Elvinon sammeln und auf ihren Feldherrn warten«, sagte Gapolo. »Der Wein war herrlich. Gibt es auch noch etwas Fleisch an den heißen Knochen?« Er bewegte das Kinn und deutete auf die Bratspieße und die Reste des Essens. »Später. Vielleicht. Und, solltet ihr das Hochmoor erreichen, was wolltet ihr dort tun? Was nachher?« herrschte ein Caer die Gefangenen an. Mythor sah an ihm vorbei. Ein Mann hatte seinen Platz verlassen. Hinter ihm lehnte ein Wappenschild voller Kerben und mit glänzender Oberfläche an einigen aufrecht gestellten Speeren. Mythor betrachtete das Wappen so lange, bis ihm die Augen tränten und er sicher sein konnte. Er kannte diese Zeichen. Schließlich grinste er breit und hoff96
te, daß er sich nicht irren möge, denn ebenso konnte dieser Schild eine Kriegsbeute der Caer sein. Dann sagte er: »Gut also, die Wahrheit. Wir sind keine ugalischen Bußgänger und Geißler, und ihr seid alles andere, nur keine Caer-Soldaten. Ich bin sicher, daß ihr zu denen gehört, die sich gegen die Caer stellen. Löst uns die Fesseln! Wir sind Verbündete!« Erschrockene und verwunderte Ausrufe waren zu hören. Dann zog ein Krieger den Dolch und näherte sich vorsichtig Mythor und den Freunden.
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Hans Kneifel
IM NIEMANDSLAND Der Ugalier, der sich triefend naß ans Ufer gerettet hatte, spuckte Wasser und fragte dann: »Warum drehen sich die Räder? Warum erzeugen sie nutzlose Wellen und Geräusche?« Lorana lächelte den nassen Krieger an. Sie fürchtete ihn nicht und antwortete: »Mein Ziehvater Vercin, der mich aus der Lorana rettete, weiß es. Die Lichtwelt wird untergehen, wenn die Wasserräder der Mühlenarche stehenbleiben.« Der Mann blickte unschlüssig auf das Langhaus, das wie ein Schiff aussah, das am Ufer gestrandet war. Verwundert fragte er: »Ich weiß, daß eine große Schlacht bevorsteht zwischen den Mächten aus der Dunkelwelt und der Lichtwelt. Deswegen ziehen wir Ugalier mit Flößen zum Hochmoor. Wer bist du? Was tust du hier?« Lorana entgegnete: »Ich bin Lorana. Ich heiße wie der Fluß. Ich füttere das Einhorn meines späteren Geliebten.« Der Ugalier starrte Lorana an, als sei er überzeugt, eine Wahnsinnige vor sich zu haben. Vom Süden kam ein warmer Wind. Seine Feuchtigkeit schien jedes Lebewesen zu lähmen und verrückt zu machen. Wieder fragte er: »Späterer Geliebter? Einhorn? Ein Name für den Fluß und für dich? Und was ist dein Ziehvater, daß er mit drei Wasserrädern den Untergang der Lichtwelt verhindern kann?« Lorana sagte mit Nachdruck: »Mythor wird mich mit sich nehmen, wenn er aus der Großen Schlacht kommt. Er reitet das schwarze Einhorn mit den feurigen Augen. Ich heiße so, weil ich dort…«, sie deutete auf den schnell dahinströmenden Fluß, dessen Wasser rot wie Blut schien,»… geboren bin. Mein Ziehvater, der Mautner, ist ohne sehende Augen. Aber in seinem Verstand schaut er die Dinge und weiß mehr als alle anderen. Er sagt, daß niemand entkommt, wenn das Große Schaurige Horn ertönt. Willst du ein warmes Bier?« Der Ugalier stieß einen gurgelnden Laut des Schreckens aus, warf Lorana einen wirren Blick zu und wandte sich zum Fluß. Als ein Baum dahertrieb, dessen Stamm und Aststummel weiß und aller Rinde entkleidet wa98
ren, sprang er in die Lorana und klammerte sich an das Holz. Er schrie gellend, daß es über den Fluß hallte: »Lieber ertrunken als bei zwei Wahnsinnigen wie euch!« Noch hörte man das Große Schaurige Horn nicht. Lorana ging zurück ins Haus, streichelte das Fell des Bitterwolfs und fütterte das Einhorn.
(Geschehen im Land Darain) * Der Mann in der Rüstung eines Caer-Anführers beugte sich über Mythor. Die feingeschliffene Schneide des Dolches funkelte im Licht des Lagerfeuers. Die vier Gefangenen hielten den Atem an. Nur scheinbar ruhig fragte der Anführer: »Was macht dich so sicher, daß wir keine Caer sind?« »Das Wappen von Elvinon auf dem Schild dort hinten.« »Das kann nicht alles sein, Mann! Wie ist dein Name?« »Ich bin Mythor. Und…« »Halt! Wir sollen eure Verbündeten sein? Woher kommt ihr wirklich?« Mythor wagte das Äußerste und sagte die Wahrheit. Unruhig bewegten sich Lamir, Buruna und Gapolo ze Chianez. »Wir kommen von Graf Corian, aus seinem Hauptquartier auf dem Eulenberg. Er schickte uns, auszukundschaften, was die Caer planen und wie es am Hochmoor aussieht. Wir haben furchtbare Dinge gesehen und zweimal einen Zug von Geißlern und Bußgängern getroffen, die die Caer mit der gelben Pest in die Flucht jagten.« Noch immer drohte der Dolch. »Du hast uns jetzt die vierte Wahrheit erzählt, und alle sind sie verschieden, deine Wahrheiten. Wir wollen Beweise.« Buruna mischte sich ein und sagte herausfordernd: »Jeder, der Graf Corian kennt, kennt auch seine Burg. Dort war ich die 99
begehrteste Liebessklavin, ehe ich frei wurde und mich Mythor anschloß, den sie den Sohn des Kometen nennen und der auf einem schwarzen Einhorn reitet. Zufrieden? Schneide uns endlich los, Mann!« »Ich riskiere es. Vier gegen vierzig. Ihr habt keine Chance. Selbst wenn ihr nicht das seid, was ihr zu sein vorgebt.« »Wir geben nicht vor, hungrig zu sein, wir sind es!« rief Lamir. »Ich, Lamir von der Lerchenkehle, werde die Nacht für alle zum Dank mit Klängen und Gesängen würzen, wenn erst wieder das Blut durch meine Handgelenke strömt.« »Meinetwegen!« sagte der Mann und durchschnitt die Lederriemen an den gekreuzten Handgelenken. Die Gefangenen standen auf und massierten sich die Gelenke. Ein Krieger kam mit einem Krug in den Händen auf die Gefangenen zu. Der Krug enthielt starken, dunklen Wein. Seit sie die Mühle mit Vercin und Lorana verlassen hatten, war ihr Essen ungewöhnlich dürftig gewesen. Jeder von ihnen nahm mehrere tiefe Schlucke. Als Mythor den Krug absetzte, fragte er: »Wer seid ihr nun wirklich, ihr Männer in den Rüstungen der Caer?« »Wir sind Widerstandskämpfer aus Elvinon, nur einige von rund fünftausend, die einen Tagesritt entfernt warten.« »Es beruhigt mich, dies zu hören«, sagte Gapolo ze Chianez und stellte sich vor. »Ihr wußtet auch nicht, daß die Caer, zusammen mit Bauern und Kriegssklaven, entlang der Yarl-Linie Steine aufstellen. Es wird ein Zingel daraus, eine lange Reihe wie ein Zaun. Und da wir Dämonenpriester sahen, wissen wir, daß der Zingel eine schwarze, magische Bedeutung erlangen wird.« Er suchte sich aus den achtlos aufeinandergeworfenen Waffen die Teile seiner Ausrüstung hervor und legte sie an. Mythor band den Helm der Gerechten an seinen Gürtel und schob das Gläserne Schwert neben seinen Oberschenkel. 100
»Wir sind tatsächlich ebensowenig Caer wie ihr«, sagte er und grinste breit. »Schon allein aus diesem Grund bitten wir um die Reste des Bratens.« »Gern! Dort drüben!« Während die vier Kundschafter aßen und die vierzig Männer immer wieder die begehrenswerte Figur der Liebessklavin musterten, fragte Lamir: »Fünftausend Kämpfer? Worauf warten sie? Auf Vercins Schauriges Horn?« »Auf die Ankunft von Herzog Krude. Er wird uns alle in die Schlacht führen!« sagte ein Mann aus Elvinon. »Dein Helm ist unvergleichlich kostbar!« murmelte ein anderer, an Mythor gewandt. »Hast du keine Angst, daß man ihn dir stiehlt?« Mythor hob den Helm der Gerechten hoch und sagte: »Natürlich sind die Edelsteine echt. Selbstverständlich habe ich bisweilen die Angst, daß mir jemand den Helm stiehlt. Aber jeder andere, der ihn aufsetzt, leidet darunter. Meist wird er wahnsinnig.« Er hielt den Helm ins Licht des Feuers. »Ist jemand da, der ihn aufsetzen will? Wenn der Wahnsinn einsetzt, reiße ich den Helm von seinem Kopf.« Einige Männer lachten. »Auf diesen magischen Unsinn verzichten wir gern«, sagte einer. »Behalte dein kostbares Monstrum«, meinte ein anderer. »Gern«, sagte Mythor zufrieden. Gapolo deutete mit der Hand, die den Krug hielt, auf Mythor und sagte: »Dieser Mann hat mir mehrmals das Leben gerettet. Unterschätzt ihn nicht! Er ist ein gewaltiger Kämpfer.« »Dann kann er ja mit uns und Herzog Krude zusehen, wenn Graf Codgin unsere Kriegserklärung übergibt. Die Caer werden zittern, wenn wir ihnen gegenüberstehen.« Mythor mußte lachen. Das Selbstbewußtsein der elvinonischen Rebellen schien ungebrochen zu sein. 101
»Ich komme gern mit!« bestätigte er. »Ich weiß aber nicht recht, was ich von eurer Zuversicht zu halten habe. Der Tag des vollen Mondes ist nicht mehr sehr fern, auch nicht der Tag der Wintersonnenwende, an dem die große Schlacht geschlagen werden soll. Ich sage euch, daß es mehr als nur ein Gemetzel geben wird, denn die Caer und ihre Dämonenpriester werden alles tun, um mit Schwarzer Magie ihr Reich zu vergrößern. Ich fürchte den Kampf nicht. Ich fürchte diese Magie und ihre Folgen!« »Wahr gesprochen!« stimmte Gapolo zu. Wieder erhob sich lautes Gelächter in dem Kreis der Männer. Einer rief: »Wir gehen in den Lagern der Caer ungehindert ein und aus. Wir reiten hin, sehen alles und kommen ungeschoren zurück.« »Daher auch eure Verkleidung!« »Ja. Auch für euch hätten wir Rüstungen und Waffen und alles andere. Selbst Caer-Pferde haben wir!« »Das ist ein Wort. Eine bessere Tarnung könnten wir uns nicht wünschen«, antwortete Buruna. Der Anführer stierte ihre kaum verhüllte Brust an, dann murmelte er: »Du hättest große Schwierigkeiten, in einem Caer-Harnisch unterzukommen. Aber ganz Elvinon wartet auf die Zeichen. Das ganze Land wird sich gegen die Caer erheben, wenn es nötig ist.« »Drudin, ihr Oberster Dämonenpriester, ist auf der Insel geblieben und mischt sich nicht in den Kampf!« rief ein Mann und warf einen Kloben ins Feuer. Ein anderer lachte. »Wir fürchten die Schwarze Magie nicht. Sie kann nicht wirken, wenn sich Tausende und aber Tausende zum Kampf versammeln!« »Ohne Drudins Erscheinen haben wir nicht viel zu befürchten!« »Die Heere der Caer lagern vor den Städten!« 102
»Sie werden nicht rechtzeitig zum Hochmoor von Dhuannin kommen können!« Jeder rief etwas anderes. Aus der Menge der Antworten entnahmen die vier Kundschafter, daß zumindest die Männer aus Elvinon sich nicht fürchteten. Aber Mythors Meinung änderte sich dadurch nicht: Er hatte zuviel gesehen und wußte, über welche Kräfte die Dämonenpriester verfügten. Hatte er durch die magischen Linsen des Wahrsagers nicht glühende und schattenhafte Linien dort gesehen, wo sich die Düsterzone ausbreitete? Hatte nicht der Name Luxor, den ihm der hinterlistige Junge zugerufen hatte, in ihm düstere Empfindungen hervorgerufen? Waren nicht die nächsten Monde seines Lebens von merkwürdigen Aussagen und Prophezeiungen vorbestimmt? Die Tage, in denen der sichelförmige Mond sich füllte, würden nicht so leicht und angenehm sein, wie diese rauhen Männer glaubten. Und sein Weg zum Koloß von Tillorn? Würde er jemals seine Ziele erreichen? Er lehnte sich zurück und sagte müde: »Habt ihr Wachen aufgestellt, Männer?« »Hätten wir euch in der Maske der Geißler sonst so frühzeitig bemerkt?« »Gut. Dann können wir also sicher schlafen.« »Seid unbesorgt«, sagte der Anführer. »Schlaft euch jetzt aus! Sucht euch einen Platz! Morgen zeigen wir euch, wie die Widerstandskämpfer von Elvinon ein Dorf besuchen, das voller Caer steckt.« Mythor und die anderen waren mehr als müde. Sie fanden einige Decken, nahmen noch einen Schluck Wein und warfen sich in der Scheune auf das feuchte Stroh. * In den Tagen des zunehmenden Mondes änderte sich der 103
schwüle Südwind nicht. Aber am Himmel zogen schon bei Sonnenaufgang Wolken auf. Mythor und seine Freunde wuschen sich am Brunnen des Bauernhofs, der von seinen Besitzern verlassen war. Nach einem kurzen Imbiß brach rund um den Hof fieberhafte Tätigkeit aus. Pferde wurden gezäumt und gesattelt. Die Krieger vervollkommneten ihre Ausrüstung und sahen die Waffen nach. Ein erster Trupp brach auf, um den Weg zu erkunden. Mythor verpackte den Helm der Gerechten in eine Satteltasche. Gapolo ze Chianez kam gähnend herbei und führte ein Caer-Pferd hinter sich. »Glaubst du an das, was diese Männer denken? Daß die Caer nur ein riesengroßes Täuschungsmanöver aufbauen?« Gapolo war kaum noch zu erkennen unter dem Caer-Helm, dem Halbpanzer, der die schwarze Lilie auf weißem Grund verdeckte, mit seinen Schwertern, die in Caer-Schwertscheiden steckten. Er drehte die Spitzen des Bartes, seine grünen Augen funkelten zuversichtlich. »Es ist etwas Wahres dran. Sonst wären wir in der Nacht von Caer-Patrouillen belästigt worden. Es sind wenige Caer in diesem Teil des Landes.« »Warten wir ab!« sagte Mythor. »Ich habe kein gutes Gefühl. Die Krieger haben einen Hang zum Prahlen!« »Wir werden sehen, wenn wir an Ort und Stelle sind«, tröstete ihn Gapolo. »Kann ich dir helfen?« Der schwarzhaarige Mann aus dem Stamm Worsungen sah tatsächlich aus wie ein Caer. Die eigenen Waffen steckten in den schweren, ausgebeulten Satteltaschen. Mythor schnallte sich eine lederne Schwertscheide an und schob das leuchtende Gläserne Schwert hinein. Dann mußte er trotz seiner üblen Laune grinsen. Gapolo folgte dem Blick von Mythors Augen und lachte hell auf. »So tragen wir auch zur Unterhaltung vor der Schlacht bei. Deine Freundin, Mythor!« sagte er. 104
Buruna versuchte sich mit Lamirs Hilfe als Caer-Krieger zu verkleiden. Der Vorgang war sehenswert. Ihre hochgedrehten Zöpfe paßten in das Schwammfutter des Helmes, aber beim Versuch, ein Lederhemd, darüber ein leichtes Kettenhemd und darüber einen Brustharnisch anzuziehen, bildete sie den Mittelpunkt eines Kreises von zehn oder mehr Kriegern. Es herrschte ausgelassene Stimmung, und Burunas pralle Brust verschwand schließlich unter drei Schichten Kleidung und Rüstung. Sie schüttelte sich und schrie wütend: »Ihr braucht nicht zu lachen! Wenigstens sieht man, daß ich eine Frau bin!« »Welch eine Frau!« rief Mythor und unterdrückte ein Schmunzeln. »Aber du wirst einem Mann immer ähnlicher!« Buruna sprang auf ihn los und zischte ihn an: »Du mit deinem Pergament! Zuerst Lorana, und jetzt lachst du über mich! Ein schöner Liebhaber!« Mythor sprang zur Seite. Die Krieger stießen grölendes Gelächter aus. Mythors Lächeln besänftigte Buruna nur teilweise. Schließlich legte die junge Frau die restlichen Stücke der Ausrüstung an. Auch der Barde versuchte, mit Hilfe von Waffen und Ausrüstung einen Caer zu imitieren, aber er wirkte nicht überzeugend. Gapolo winkte ab und brummte: »Reiten wir. Schließlich wird es wohl nicht ernst werden.« »Und ich sage dir«, bekräftigte Mythor seine eigenen Überlegungen, »daß diese Männer eine grimmige Überraschung erleben werden… und wir mit ihnen.« Gapolo hob die Schultern und ritt an. Mythor folgte ihm, und sie waren fast die letzten von rund vier Dutzend Reitern mit einigen zusätzlichen Packpferden. Erst jetzt, nachdem sie den ausgestorbenen Bauernhof hinter sich gelassen hatten, sahen die Kundschafter genau, wie das Land aussah, durch das sie in der Nacht gekommen waren. An 105
vielen Stellen, wo keine Sonnenstrahlen hinfanden, lagen Verwehungen schmutzigen, körnigen Schnees. Die Pferde hatten es nicht leicht, voranzukommen, denn der Boden unter ihren Hufen war schwer und tief. Die Sonne stieg höher, aber immer wieder trieb der Südwind graues Gewölk nach Norden vor der leuchtenden Scheibe vorbei. Kein Vogel sang, kein Tier sprang aus den krummen Ackerfurchen auf. Schweigend schlossen Gapolo und Mythor auf und ritten neben Lamir und Buruna fast an der Spitze der zweiten Gruppe. »Wie weit ist es noch?« fragte Gapolo nach einer Weile. Der falsche Caer drehte sich halb um und antwortete knapp: »Morgen, gegen Mittag!« So erstaunlich es auch war, aber die Widerstandskämpfer sahen nicht einen einzigen Caer. Ohne Pause ritten sie weiter, bis die Sonne tief in den Nachmittag sank. Als Mythor den Kopf hob, erblickte er den ersten Wagen einer langen Kolonne. »Gapolo! Caer!« stieß er hervor. Die falschen Caer handelten völlig überlegt. Sie verhielten sich so, wie sich eine Patrouille echter Caer benehmen würde. Einige Arme hoben sich und deuteten einen Gruß an. Einige Bogenschüsse weit kreuzte eine breitere Straße den Weg der Männer aus Elvinon, auf der sich die vierrädrigen Wagen knarrend nach Südost bewegten. Sie wurden von stämmigen Pferden gezogen, und auf beiden Seiten der Kolonne ritten Caer in geringem Abstand. Etwa dreißig Gespanne wurden von schätzungsweise der doppelten Menge Caer bewacht. Auch die Vorhut der Kolonne grüßte uninteressiert zurück. »Ich sehe, was du meinst«, brummte Gapolo. Er wurde eine Spur unsicher, denn er mußte erkennen, daß hier Nachschub oder Ausrüstung transportiert wurde. »Vielleicht gibt es doch Heere der Caer in diesem Gebiet?« »Unsinn!« gab der Reiter neben ihm zurück. Die Gruppe 106
schwenkte nach rechts, um den Zug zu umgehen und die Ordnung nicht zu stören. Während sie einen Bogen ritten, zog die Wagenkarawane in guter Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Die Felgen der Räder, sah der Kundschafter, sanken nicht tief ein, und auch die Zugtiere machten keinen erschöpften Eindruck. Also waren die Lasten nicht sonderlich schwer. »Was wird dort transportiert?« fragte sich Mythor laut und dachte nichts Gutes. »Keine Ahnung!« knurrte sein Nebenmann. »Wird wohl nichts Wichtiges sein. Sonst hätten unsere Truppen es besser bewacht!« »Ich bin neugierig«, antwortete Mythor. An keinem Wagen flatterten die Planen, sie waren allesamt festgezurrt. Das Ende der Kolonne und die Spitze der Reiterei näherten sich einander bis auf kurze Entfernung. Als Mythor den Arm ausstreckte und Gapolo an der Schulter packte, gab es vor ihnen ein helles, knackendes Geräusch, dann ein Krachen. Zugtiere wieherten erschrocken, einige Männer stießen Flüche aus. »Es hätte nicht besser kommen können«, sagte Mythor voller Spannung. »Ein Rad ist gebrochen. Los, kommt! Wir wollen unseren Kriegskameraden helfen!« Er riß sein Pferd herum und sprengte quer über eine verwilderte Weide auf den Wagen zu. Die Tiere standen, der Wagenlenker war vom Bock gesprungen und stand da. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und überlegte, was er zuerst tun mußte. Der letzte Wächter der Kolonne, einige Steinwürfe weit entfernt, wendete sein Pferd und ritt langsam zurück. Hinter Mythor galoppierten Gapolo und fünf andere Reiter. Sie erreichten den Wagen, und Gapolo schrie freundlich: »Laßt euch helfen, Freunde! Wir haben es nicht eilig.« »Starke Männer werden immer gebraucht!« unterstützte ihn Mythor und näherte sich dem Wagen von hinten. Aber der Lenker griff zum Schwert, zog es und stellte sich zwischen das 107
zertrümmerte Rad und die Reiter. Es gelang Mythor, während ihn Gapolo abschirmte, seinen Dolch zu ziehen und blitzschnell ein Seil zu durchtrennen. Seine Hand riß die Plane an einer Stelle zur Seite. »Bei Erain!« entfuhr es ihm. Ein einziger langer Blick genügte, um ihn erkennen zu lassen, womit der Wagen beladen war. In seine überraschten Gedanken mischten sich Flüche, Schreie, das Klirren von Schwertern und das Hufgetrappel mehrerer näher kommender Caer. Ein bärtiges Gesicht tauchte neben Mythor auf. Der Mann aus Elvinon warf ebenfalls einen Blick auf die hölzernen Gerätschaften und knurrte: »Ich wußte es. Runengabeln!« sagte er abschätzig und zog sein Schwert, dann ritt er um das Heck des Wagens herum, um dem Lenker das Schwert aus der Hand zu schlagen. Mythor sah einen großen Haufen ineinander verkeilte Stangen, die in mehreren Spitzen endeten und entfernte Ähnlichkeit mit dürren Knochenfingern hatten. Dann riß er den Hals des Pferdes zur Seite und schrie aufgeregt: »He! Seid ihr von Sinnen? Warum wehrt ihr euch gegen unsere Hilfe?« Wieder preschten einige echte Caer-Reiter heran. Eine Stimme dröhnte und schrie hallend: »Weg von den Wagen! Ihr braucht nicht zu helfen. Niemand rührt die Ladung an!« Gapolo und Mythor verständigten sich mit einem raschen Blick, und der Salamiter schrie in grobem Tonfall zurück: »Dann helft euch selbst! Ihr seid aus dem Süden des Herzogtums. Dort leben die ungehobelten Bauernreiter! Kommt, Freunde, kümmert euch nicht um die Undankbaren.« Die Reiter schrien ein paar Beleidigungen und spornten ihre Pferde. Sie ritten in scharfem Galopp zurück zu ihrer Gruppe. Die anderen waren nur unmerklich langsamer geworden, hatten aber nicht eingegriffen, als ihre Kameraden und die fremden Kundschafter vertrieben wurden. Ihre Gesichter waren 108
jedoch angespannt und wachsam. Als sei nichts gewesen, ritten sie weiter. Mythor strich sein dunkelbraunes Haar in den Nacken und fragte den Reiter: »Was sind Runengabeln? Wozu braucht man sie? Ich habe noch nie etwas davon gehört.« Die Stangen sahen aus, als seien sie so gewachsen und man habe sie der Rinde beraubt und stellenweise mit Schnitzereien versehen. Sie waren mannslang oder sogar doppelt mannslang. Die Verzweigungen mochten bis zu drei Ellen Länge erreichen und waren unglaublich knorrig und häßlich. »Holz«, knurrte der Reiter und spuckte verächtlich aus. »Einen Krieg gewinnt man nicht damit. Oder kennst du einen Weg, mit kahlen Ästen zu kämpfen?« Mythor schüttelte den Kopf. Er vermochte sich nur vorzustellen, daß die sogenannten Runengabeln Zutaten für einen schwarzen Zauber darstellten. »Ich weiß zuwenig, um dir eine Antwort zu geben«, entgegnete er schließlich. »Aber ich ahne, daß sie mehr als nur totes, trockenes Holz sind.« Der andere lachte und rief spöttisch: »Der Geist erschlagener Caer ist in ihnen. Bei der Wintersonnenwende werden sie lebendig und stechen mit ihren Dornen.« Mythor verzichtete auf eine Antwort. Er war von der Harmlosigkeit der Gabeln nicht überzeugt. * Eine unübersehbar große Ebene erstreckte sich rund um ihn. Nebel oder Rauch stieg aus geheimnisvollen Öffnungen im Boden auf. Ein riesiger, schwefelgelber Mond hing über der Fläche. Das Bild strahlte grauenhafte Einsamkeit aus; das böse Licht des Mondes ließ den Dunst aufleuchten. Zwischen den Schwaden bewegten sich dunkle Gestalten völlig lautlos hin und her. Ab und zu glänzten metallene Rüstungen oder Hel109
me auf, hin und wieder schimmerte das Mondlicht auf einem blanken Schwert. Die Ebene war völlig still. Alles ging lautlos vor sich. Dürre, besenartige Gebilde standen zwischen den Kriegern. Es waren die kahlen, knorrigen Runengabeln. Tausende von Gabeln, die ihre Finger dem Mond entgegenstreckten, bildeten lange Reihen und kleine Anhäufungen. Ein wirres Muster zeichnete sich ab. Eine zweite Darstellung schob sich in dieses drohende Bild: die Ebene der Krieger, die unermeßlich großen Mengen von Zelten und Soldaten des Herzogtums. Furcht und Angst ergriffen ihn; die Nebel, die Runengabeln und das schweigende Heer zeigten ihm die ungeheuerliche Kraft der Schwarzen Magie, verbunden mit der kämpferischen Macht der Krieger. Er schrie vor Angst auf. Jemand ergriff und rüttelte ihn. Blinzelnd, stöhnend und schwitzend wachte er auf. Undeutlich sah er im roten Glanz des heruntergebrannten Feuers das dunkle Gesicht Burunas über sich. »Du hast geschrien und geknurrt wie Hark!« flüsterte sie. Mythor schüttelte sich und holte tief Luft. Die drohenden Fetzen des Traumes schwanden aus seinen Gedanken. »Ich habe gräßliche Dinge geträumt.« »Wovon hast du geträumt? Ich bin von deinen Schreien aufgewacht.« »Mein Traum war voll von schaurigem Mondlicht, von Runengabeln und schweigenden Kriegern.« »Wie gut, daß es nur ein Traum war. Schlaf weiter!« Ihre Hand strich über seine Stirn und seinen Nacken. Mythor wischte den Schweiß ab und stöhnte: »Ich weiß nicht, ob ich noch einschlafen kann. Ich spüre den Traum in jedem Nerv.« Er legte sich zurück. Er sah über sich ein paar Sterne. Immer wieder jagte der feuchte, warme Wind schwarze 110
Wolken über den Nachthimmel. Die falschen Caer rasteten unweit eines Dorfes, das vollständig von den echten CaerTruppen besetzt war. Unruhig wartete Mythor auf den Morgen. Er fühlte sich wie gerädert, als es endlich hell wurde und die Gruppe nach den notwendigen Vorbereitungen in den Sätteln saß. »Heute werdet ihr erleben, wie das große Zittern über die Caer kommt«, plärrte ein übermütiger Reiter in Mythors Richtung. Die Hufe der Pferde erzeugten ein gleichmäßig trommelndes Geräusch. Naß und schwer hing dunkelgrauer Nebel zwischen den Bäumen. Mythor fror; er war nicht ausgeschlafen, die Reste des Traumes zitterten in ihm nach, und das Gefühl kommenden Unheils verstärkte sich in seinem Inneren. Trotzdem rief er zurück: »Wie das?« »Heute wird den Caer die Kriegserklärung übergeben! Sie werden sich fürchten, weil sie wissen, daß das ganze Land gegen sie kämpfen wird!« Soweit Mythor und Gapolo feststellen konnten, war die Tarnung der etwa vierzig Reiter ziemlich perfekt. Sie wirkten tatsächlich wie eine starke Caer-Patrouille. Trotzdem fühlten sie sich alles andere als sicher. Mythors Meinung unterschied sich allerdings von derjenigen seines schwarzlockigen Freundes; er wußte genau, daß nach der Kriegserklärung das Unheil erst wirklich ausbrechen würde. »Hinter dem Hügel ist das Dorf. Es hat keinen Namen!« rief ein Reiter. Sie hielten darauf zu und folgten einer ausgetretenen Straße. Erste Zelte schoben sich aus dem dürren Gestrüpp. Es roch nach Abfällen und kaltem Rauch. Soldaten gingen hin und her und schärften Schwerter, besserten Schilde aus und arbeiteten mit einer mürrischen Gelassenheit. Überall standen Pferde, mit ihren Zügeln angebunden. Neben einem Feuer beschlug ein 111
Schmied die Hufe eines schwarzen Hengstes, und in der Mitte des kleinen Dorfes befanden sich besonders große und einigermaßen neue Zelte, deren Eingänge nicht zurückgeschlagen waren. Von den Reitern nahm niemand Notiz. Sie gehörten dazu, und nur wenige Blicke trafen sie, als die Pferde an den Brunnen geführt wurden. Gapolo sprang aus dem Sattel und sagte zu Mythor: »Ein wenig Kriegsstimmung scheint hier zu herrschen. Sie arbeiten an ihren Waffen.« »Ich werde mich umsehen«, versprach Mythor. »Sie warten wahrscheinlich auf Graf Codgin.« Ein Reiter band neben Mythor sein Pferd an einen Pfosten und raunte dem Sohn des Kometen zu: »Herzog Murdon von Caer erwartet die Kriegserklärung. Er ist hier.« Neben einigen Zelten standen lange Lanzen, an denen Feldzeichen angeheftet waren. Mythor und Gapolo gingen durch eine breite Zeltgasse auf das Zentrum des namenlosen Dorfes zu. An jeder Stelle entdeckten sie genau die Zeichen, die sie erwarteten: Eine Menge von mehr als tausend Soldaten bereitete sich ruhig und entschlossen auf einen bevorstehenden Kampf vor. Rüstungen und Waffen waren tadellos gepflegt. Wie auch in der Ebene der Krieger atmete das Bild eine stumme Drohung aus. Die zwei Kundschafter näherten sich den in mehreren Kreisen aufgestellten Zelten. Mythor stieß Gapolo mit dem Ellbogen an und raunte: »Da! Ein Dämonenpriester!« Mythor, einige Reiter und Gapolo warfen beunruhigte Blicke in die Richtung eines großen, geöffneten Zeltes. Dort hantierte ein maskierter Dämonenpriester an einem Tisch, auf dem sich unbekannte Gegenstände befanden. Sechs Helfer standen um ihn herum und starrten schweigend auf sein Tun. »Auch die Caer beobachten den Priester!« sagt Mythor schließlich. Fast körperlich fühlte er die Gefahr, die der Dä112
monenpriester verkörperte. Im Zelt standen schwere Kohlenbecken, aus denen wohlriechender Rauch aufstieg. Mythor und Gapolo gingen hin und her und gaben sich den Anschein, daß sie einen festen Auftrag hätten. Deuteten sie die Stimmung in dem kriegerischen Lager richtig, so schöpften die Caer ihr Selbstvertrauen weitaus weniger aus dem guten Zustand ihrer Ausrüstung als aus der Anwesenheit des Dämonenpriesters. Einige Schritte weiter wurde sie von einem ihrer eigenen Männer aufgehalten. »Habt ihr alles gesehen?« Am Rand des Dorfes stieß ein Posten in ein Horn. Ein langgezogener dumpfer Laut hallte durch die Zeltgassen. »Noch lange nicht«, entgegnete Gapolo. »Wo ist Herzog Murdon?« »In dem Zelt mit den Feldzeichen«, lautete die Antwort. »Die Caer sind ahnungslos! Sie werden von ihren Priestern ausgenutzt und belogen. Sie ahnen noch nichts von ihrem gräßlichen Schicksal.« Mythor schüttelte unter seinem Caer-Helm zweifelnd den Kopf und sagte verwundert: »Ihr seid die Verblendeten! Die Caer sind hervorragende Kämpfer. Sie werden auch ohne Dämonenpriester gut die Klingen kreuzen. Ich habe gegen sie gekämpft.« »Du hast einfach nicht recht, Mythor!« Einige Häusertüren flogen auf. Soldaten schleppten Tische, Stühle und Bänke herbei und stellten sie zwischen den Zelten im Viereck auf. Mythor beobachtete auch diese Vorbereitungen und, sagte, als sich ein Zelteingang öffnete: »Wir werden sehen müssen, wer recht behält. Leider erst dann, wenn alles zu ‘ spät sein wird.« »Schwarzseher!« fauchte der andere und ging schweigend weg. 113
Die Caer streiften Tücher über die Tische und zerrten Glutpfannen herbei. Die eisernen Körbe wurden mit Glut, Holz und Holzkohle gefüllt. Man warf Kräuter in die Glut. Becher und Krüge wurden gebracht. Ein Zelt wurde geöffnet, die Leinwand flog knatternd zur Seite. Gapolo murmelte voller Unruhe: »Das muß Herzog Murdon sein. Er wurde mir als ein Mann ohne Stärke geschildert. Er soll alt und meinungslos sein.« »Wo siehst du ihn?« »Er kommt aus dem offenen Zelt.« Falsche und echte Caer sahen zu, wie Murdon in die Mitte des Tischvierecks ging. Er trug schwere Stiefel mit hochgeschlagenen Stulpen und breiten, silberfarbenen Schnallen. Ein Kettenhemd mit feinen, glänzenden Maschen klirrte bei jedem Schritt. Ein auffallend breiter Gürtel mit einem glänzenden Schwertgehänge umspannte seinen Bauch, dessen Wulst sich über dem Leder wölbte. Ein hageres Gesicht mit tiefen Längsfalten blickte unsicher in die Runde. Er war vielleicht fünfzig Sommer alt, aber er wirkte wie ein Greis. Er stützte sich schwer auf eine Tischplatte und rief: »Wann wird der Graf erwartet?« Ein Caer schrie vom Dach eines Hauses herunter: »Der Posten gibt uns Nachricht. Die Wimpel sind schon gesichtet worden. Es dauert nicht mehr lange.« »Gut so.« Herzog Murdon erwartete Graf Codgin mit der Kriegserklärung, die er im Namen der Verbündeten der Lichtwelt überreichen würde. Der Herzog raffte mit fahrigen Bewegungen den schweren Mantel um seine Schultern und bewegte sich, als liege eine gewaltige Last auf seinen hängenden Schultern. Sein Gesicht strahlte Unzufriedenheit und Unschlüssigkeit aus. Mit einem überraschten Zwinkern nahm er die Krüge und Becher wahr. Er hob die Hand und zeigte auf einen Becher. 114
Ein Caer goß den Becher voll und reichte ihn dem Herzog. Nach einiger Zeit merkten Gapolo und Mythor, daß die Caer-Soldaten, die Gehilfen des Dämonenpriesters und der Herzog die Eckpunkte eines Dreiecks bildeten. Unsichtbare Kraftlinien spannten sich zwischen ihnen. »Fällt dir etwas auf?« fragte Mythor. Der Herzog schüttete den Wein wie klares Wasser hinunter. »Unnatürlich ist alles. Sie warten nicht nur auf die Kriegserklä…« Der nächste Hornruf unterbrach ihn. Aus der Ferne war dumpfes Hufgetrappel zu hören. Mythor gab Gapolo und einigen anderen Männern einen unauffälligen Wink. Sie zogen sich zu ihren Pferden zurück, die zwischen zwei Scheunen angepflockt waren. Ungeduldig ging Herzog Murdon zwischen den Tischen hin und her und trank schon den dritten Becher. Verglichen mit der ruhigen Sicherheit der einfachen Caer-Soldaten und deren Hauptleuten flatterte er vor Aufregung. »Graf Codgin und sein Gefolge!« riefen die Soldaten und stellten sich zögernd vor ihren Zelten auf. Eine merkwürdige Stimmung ergriff das Lager und auch die Kundschafter. Mythor sagte zu einem Anführer, der zufällig in seiner Nähe stand: »Wir sollten uns darauf vorbereiten, schnell von hier wegzukommen.« »Damit hast du sicher recht«, grinste der Verkleidete. Mythor hatte nicht die geringste Ahnung, woher seine Gedanken kamen, aber er ahnte in immer stärkerem Maß, daß die Kriegserklärung anders verlaufen würde, als es sich die Beteiligten vorstellten. Gapolo spannte unbemerkt die kleine Armbrust in seinem Ärmel und sah sich nach Buruna und den Pferden um. »Alles in Ordnung«, flüsterte er. Ein Novize kam aus dem Zelt des Dämonenpriesters, sah 115
sich aufmerksam um und schloß dann von innen den Eingang. Immer mehr Caer stellten sich in mehrfachen Reihen auf. Das Hufgetrappel wurde lauter, dann bog an der Spitze einer Kavalkade von etwa drei Dutzend lanzenbewehrter Reiter Graf Codgin um die Biegung der Straße. Er wirkte wie alle seine Krieger entschlossen und kalt. Seine Entschlossenheit war sicherlich gespielt; unter dem Puder auf seinem Gesicht wirkte Graf Codgin Poly Nerchond angespannt. Unter seinem prächtigen Helm ringelte sich eine auffallende Perücke hervor. Eitelkeit sprach aus jeder Geste, als er auf den Herzog der Caer zuritt und vor ihm das Pferd parierte. Mit gezierten Bewegungen stieg der Mann, der stets jünger auszusehen trachtete als seine fünfundsechzig Herbste, aus dem Sattel. »Welch ein Stutzer!« flüsterte Gapolo und verzog angewidert das Gesicht. Mythor bemerkte, daß in der Wand des Zeltes, in dem der Dämonenpriester seine seltsamen Handlungen vornahm, einige Klappen geöffnet worden waren. Wieder gab er Gapolo ein Zeichen und ging festen Schrittes, als habe er eine Botschaft zu überbringen, entlang den Häusern auf die gegenüberliegende Seite des Dorfplatzes. Er hörte, wie Graf Codgin mit näselnder Stimme fragte: »Ich stehe vor Herzog Murdon von… äh, Caer?« »So ist es«, antwortete Murdon. Seine Stimme war gepreßt. Codgin legte seine Hände, die in kostbaren Handschuhen steckten, an seinen Gürtel. Er berührte den Knauf des funkelnden Dolches und zog unter der bestickten Schärpe eine Pergamentrolle hervor. Seine Reiterei war nicht abgesessen. Mit ausdruckslosen Gesichtern beobachteten die Parlamentäre die Caer und die Tische. Mythor spähte zwischen zwei Zelten hindurch und sah ei116
nen Teil des Zeltinneren und den Rücken des Dämonenpriesters. Seine Arme vollführten schwungvolle Bewegungen. In der Hand blitzte ein schmales Stilett. »Ich bin der Abgesandte jener gewaltigen Mächte«, sagte Graf Codgin spitz, »die entschlossen sind, nicht mehr länger dem landnehmerischen und schändlichen Handeln der Caer zuzusehen!« Er hob geziert die Füße, als er durch die Pfützen und die tief eingedrückten Spuren auf Murdon zuging. Murdon hielt zwei Becher in den Händen und hielt einen davon dem Grafen entgegen. »Ich entnehme deinen Worten, Graf Codgin, daß du mir als Abgesandter die Kriegserklärung überbringst?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Codgin legte den Kopf schräg und entgegnete: »In allen Ehren und kraft der Entschlossenheit aller Stämme, Herzogtümer und Länder, die zu den Verbündeten der Lichtwelt zählen«, sprach er. »Wann soll der Kampf beginnen?« Codgin ignorierte den Becher und warf das zusammengerollte Pergament auf den Tisch. »Bei Sonnenaufgang der winterlichen Sonnenwende, und der Kampfplatz sei das Hochmoor von Dhuannin!« »Darauf bereitet sich Caer vor!« kam die Stimme des Herzogs. Mythors Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er näher heranglitt und durch die Zeltöffnung sehen konnte, daß der Dämonenpriester einen Zauber vorbereitete. Die Novizen umstanden den Tisch, auf dem zwei einfache Figuren standen, aus Lehm geknetet und getrocknet. Jede der etwa eine Elle langen Lehmpuppen hatte ein Zeichen auf Brust und Rücken. Eines war das heraldische Zeichen Ugaliens, der feuerspeiende Drache, das andere entpuppte sich als das Hoheitszeichen des Herzogtums Caer. 117
Ein dumpfes Murmeln kam aus dem Zelt. Mythor sah sich lauernd um und glitt noch näher heran. Alle Caer achteten nur auf die beiden alten Männer, die sich gegenüberstanden und leise miteinander sprachen. Voll Unsicherheit der eine, voll Arroganz der andere. Jetzt war das Murmeln und Summen um den Tisch und die beiden Lehmklötze schärfer und konzentrierter geworden. Der Dämonenpriester senkte den Dolch und bestrich die Figur, die wohl Graf Codgin darstellen sollte, mit der Spitze und der Klinge seines Dolches. Dann beugte er sich hinunter und hob die Figur hoch. Seine Finger, die in den Handschuhen wie Knochen aussahen, führten mit dem Dolch und der Codgin-Lehmfigur seltsame Bewegungen aus. Sie schien die andere Gestalt angreifen zu sollen. Immer wieder zuckte der Dolch nach vorn und berührte die Brust der Murdon-Figur. Mythor sah diese Stoßbewegungen etwa fünfzehnmal. »Nein! Nicht dies!« sagte er zu sich selbst. Er hatte begriffen, was der Dämonenpriester wollte. Mythor drehte sich um und versuchte, nicht zu laufen. Dadurch hätte er sich vielleicht verraten. Aber er ging so schnell wie möglich auf die Tische und die Gruppe um Gapolo zu. Gerade als er zwischen den Zelten auftauchte, hörte er Graf Codgin mit seiner affektierten Stimme sagen: »Dies wird zweifellos der Kriegserklärung genügenden Nachdruck verleihen.« Seine Stimme war seltsam flach. Seine Bewegungen waren steif, aber schnell genug. Er stand unter dem Zauber des Dämonenpriesters. Mit einem heftigen Ruck riß Graf Codgin Poly Nerchond, während ringsherum alle Männer erstarrt waren, seinen Dolch aus der Hüftscheide. Er holte mit der rechten Hand aus und grub das aufblinkende Metall dicht unterhalb des Herzens in Herzog Murdons Körper. Die Spitze durchschnitt die Maschen des Kettenhemdes, als seien sie dünne Stricke. Murdon stieß 118
einen würgenden Seufzer aus und krümmte sich nach vorn. Der rote Wein aus seinem Becher überschüttete die Schenkel und die prächtigen Stiefel. Graf Codgin riß den Dolch mit Anstrengung aus der Wunde, machte drei schnelle Schritte und schwang sich in den Sattel seines Pferdes. Das Tier bäumte sich auf, und gleichzeitig rissen die Begleiter ihre Reittiere herum. Die Lanzen senkten sich, die weißen Wimpel flatterten, als die Kavalkade schnell aus dem Zentrum des Dorfes hinaussprengte. Keiner der Caer rührte sich! Niemand zog eine Waffe. Mythor blieb stehen und murmelte: »Die Caer lassen sie entkommen!« Als er wieder neben Gapolo stand, der alles mit schreckgeweiteten Augen mit angesehen hatte, öffnete sich die Stoffverkleidung des Zeltes, in dem der Dämonenpriester seinen Zauber ausgeführt hatte. Das Gesicht wie aus schwarzem Glas unter der Maske schien sich zu einem breiten, zufriedenen Lächeln zu verziehen. Dann rief der Priester mit hallender Stimme: »Ganz Caer hat diese furchtbare Bluttat gesehen! Herzog Murdon von Caer wurde von der feigen Hand eines Meuchelmörders getötet.« Der rasend schnelle Hufschlag der flüchtenden Abordnung verlor sich zwischen den Bäumen und Zeltreihen. Die Caer stießen vereinzelt Schreie der Wut aus. Der Priester fuhr fort, die Arme wie flehend erhoben: »Alle Sitten sind verletzt worden! Ruchloser Frevel traf unser Heer. Der Anführer der Caer ist einem feigen Attentat zum Opfer gefallen. Überall werden wir es verkünden. Landaufund landab soll es jeder erfahren, wie abgefeimt die Mittel derjenigen sind, die sich uns entgegenstellen. Uns, den tapferen Männern von Caer.« Wieder machte er eine Pause. Der Anführer hinter Mythor gab seinen Männern vorsichtige Zeichen. Sie zogen sich so ruhig und selbstverständlich zu119
rück, wie sie gekommen waren. »Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen!« stammelte Gapolo ze Chianez völlig fassungslos. »Graf Codgin stach Murdon nieder.« Mythor sagte zwischen zusammengepreßten Zähnen: »Die Caer-Priester haben Herzog Murdon geopfert. Schon lange hatte er keine Macht mehr, und jetzt wurde er zum Instrument ihrer Pläne.« Gapolo sah zu, wie Buruna und Lamir in ihre Sättel kletterten. Der Dämonenpriester drehte sich langsam um und rief in alle Richtungen des Dorfes: »Berichtet von dieser Untat, wo immer ihr einen Menschen seht! Auf die Pferde! Setzt den Ruchlosen nach und fangt die Mörder, ehe sie von ihrem feigen Sieg berichten können.« »Los!« rief Mythor, der die beste Chance erkannte. »Wir verfolgen sie!« Die Elvinon-Rebellen saßen fast alle in den Sätteln. Auch Mythor und Gapolo schwangen sich auf ihre Pferde. Als sie losritten, konnten sie sehen, wie Caer den toten Herzog aufhoben und langsam in sein Zelt zurücktrugen. »So viele Zeugen! Was ist in Codgin gefahren?« fragte Buruna tonlos. Mythor ritt neben ihr aus dem Dorf hinaus. Sie wurden nicht aufgehalten, denn auch die echten Caer schleppten die Sättel aus den Zelten und machten sich fertig. »Die Schwarze Magie fuhr in ihn!« sagte Lamir der staunenden Buruna. »Nicht wahr, Mythor?« »Ja. Woran hast du es erkannt?« »Als der Priester aus dem Zelt kam, wußte er schon alles und hatte seine Rede fertig auf der Zunge«, sagte Lamir und zupfte an Mythors Arm. »Ich habe zugesehen«, sagte Mythor düster und wandte sich im Sattel um. Es sah so aus, als seien alle Elvinon-Rebellen hin120
ter ihm. Ein Anführer preschte an seine Seite und stieß hervor: »Wir reiten zum Sammelplatz. Kennst du den Weg?« Mythor deutete nach vorn. »Nein. Führ du den Zug an! Hast du begriffen, warum ich die Caer fürchte? Was du dort gesehen hast, war nichts anderes als ein kleines Beispiel ihrer Macht.« »Noch ist der Abend der großen Schlacht nicht da!« sagte der andere, aber seine Miene war nachdenklich. Ein anderer sagte: »Es ist Mittag. Unsere Pferde sind frisch. Wir werden im Morgengrauen bei dem Sammelplatz eintreffen.« Hinter ihnen stoben einzelne Gruppen berittener Caer aus dem Dorf und galoppierten mit verhängten Zügeln fächerförmig in alle Richtungen auseinander. Immerhin, sagte sich Mythor, war die Verkleidung nicht durchschaut worden. Eine rasche Zählung ergab, daß die Widerständler vollständig waren. Das Tempo nahm zu, je weiter sie vom Dorf der Caer entfernt waren. Die Männer um den Anführer Meystral wußten, daß Herzog Krude sie anführen würde und inmitten der fünftausend Rebellen auch Cannon Boll sein würde, der legendäre Kommandant einer Küstenfestung, ein wackerer Kämpfer und draufgängerischer Haudegen. * Zunächst sah es so aus, als stünden zwischen den vielen Feuern vierhundert bis fünfhundert Zelte. Aber als die Rebellen nahe genug herangekommen waren, veränderten sich die spitzen Konstruktionen. Es waren nur wenige Zelte. Die anderen Behausungen bestanden aus Stangen, Stoffetzen, Rinden und anderen geflochtenen Waldabfällen. Fünftausend Männer la121
gerten hier, und nicht viele waren so gut ausgerüstet wie Mythor, seine Freunde und deren Begleiter. Ein Mann mit einer hoch erhobenen Fackel rief ihnen zu: »Boll wartet auf euch! Er will mit euch reden. Das weiße Zelt in der Mitte!« Im Vergleich mit dem Dorf der Caer machte dieses Lager einen kläglichen Eindruck. Die Männer hier waren schlecht ausgerüstet und schliefen in überfüllten Notzelten. »Hierher, Wanderer!« dröhnte eine dunkle, fordernde Stimme. Hinter einem Lagerfeuer standen Bänke und Tische. Ein auffallend breitschultriger Mann, nicht größer als fünf Fuß und zwei Handspannen, stand auf und stellte einen Holzbecher krachend auf den Tisch. »Woher kommt ihr? Setzt euch und berichtet! Aber nur die Anführer! Die anderen sollen sich ausschlafen!« »Bist du Cannon Boll?« fragte Mythor und sah die schweren eisernen Bein- und Armschienen, deren Nieten und Ränder verrostet waren. »Du kennst mich nicht?« war die Gegenfrage. Der Anführer war ein Muskelpaket mit einem so breiten Brustkorb, wie ihn Mythor noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Sein gerötetes Gesicht sprach von Kraft, Ausdauer und Jähzorn. »Ich kenne nur deinen berühmten Namen«, antwortete der Sohn des Kometen und nahm den Caer-Helm ab. »Ich traf mit meinen Freunden auf deine verkleideten Caer aus Elvinon. Wir sind Kundschafter von Graf Corian.« »Setzt euch. Berichtet! Wie sieht es aus?« Gapolo nahm ebenfalls die Caer-Rüstung und den Helm ab. Als Cannon Boll die verkleidete Buruna sah und merkte, daß sich eine dunkelhäutige Frau unter der kriegerischen Hülle befand, begann er schallend zu lachen. Etwas mürrisch, weil er kurz vor Morgengrauen müde war, sagte Mythor: »Du und deine fünftausend schlecht bewaffne122
ten Männer, ihr werdet es schwer haben. Die Caer haben Dämonenpriester bei sich. Ich habe zusehen müssen… alle haben zugesehen, wie Graf Codgin den Anführer der Caer, Herzog Murdon, mit seinem Dolch niederstach. Sie alle standen im Bann der Schwarzen Magie. Stimmt es, was ich sagte, Meystral?« »Wir haben es gesehen. Es sah so aus. Aber die Wahrheit ist, daß der Graf den Herzog ohne Kampf ermordet hat. Blitzschnell.« »Das ist eine schändliche Tat, fürwahr!« schrie Boll. »Das war der schlechteste Dienst, den dieser gepuderte Narr der Lichtwelt erweisen konnte!« »Zweifellos. Aber er tat es nicht aus freien Stücken. Er stand unter dem Bann des Dämonenpriesters.« »Unsinn! Priester oder nicht. Es ändert nichts an der schaurigen Tat. Ausgerechnet bei der Übergabe der Kriegserklärung!« Die Männer aus Elvinon sattelten die Pferde ab und verteilten sich über das Lager. Sie warfen sich neben den Zelten und Hütten für die letzten Stunden der Nacht auf Stroh und wickelten sich in Decken und Mäntel. »Also. Ich werde dir jetzt erzählen, was im Lager der Caer vorgefallen ist«, sagte Gapolo, nachdem er sich vorgestellt hatte. Als er erzählte, daß die Caer in alle Richtungen davongeritten waren, schrie Cannon wutentbrannt: »Ich, der ehemalige Kommandant von Drachennest, sage es euch allen: Das war ein Schlag, den die Lichtwelt nicht leicht wird verdauen können. Dieser Codgin! Jetzt werden die Caer verschlagen und heimtückisch kämpfen.« »Andere werden es bald erfahren!« gab Buruna zu bedenken. Dann gähnte sie und warf Mythor einen Blick zu. »Das ist es eben! Das ist die Folge. Alle werden unsicher. Und das ein paar Tage vor dem Kampf, der alles entscheiden 123
wird!« »Das war die Absicht der Dämonenpriester. Es ist ein Plan des Großen Drudin, zweifellos!« sagte Lamir, der einzuschlafen drohte. Boll deutete auf ein kleines Zelt zu seiner Rechten und rief: »Ihr mit eurer Angst vor Schwarzer Magie! Dieses Zelt ist leer. Für Gäste. Dort könnt ihr schlafen.« Noch standen die Sterne hell in der warmen Nacht des trügerischen Frühlings. Noch gab es keinen hellen Streifen am Horizont. Lamir und Buruna gingen zum Zelt und verschwanden darin. Mythor schien der einzige zu sein, der die drohenden Gefahren einigermaßen klar sah. Er stand auf, leerte den Becher und sah in die schmalen Augen des Rebellenführers. »Und angenommen, die Caer planen einen Schlag gegen Herzog Krude?« »Wie sollten sie das? Es gibt keine Caer in dem Gebiet, durch das Krude reitet«, grollte Boll. »Die Caer wollen Unsicherheit. Und sie wollen, daß die Herzen aller Krieger voller Furcht und böser Ahnungen sind, wenn der Kampf beginnt. Und dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Ohne die Schwarze Magie sind Caer ebenso besiegbar wie jeder andere. Denk darüber nach, Cannon Boll! Und laß mich wecken, wenn du Nachricht von Herzog Krudes Kommen hast. Gehst du mit mir, Gapolo?« Sie schüttelten Bolls Hand. Der Mann hatte einen mörderisch harten Händedruck. Die Geschichte stimmte wohl: Meystral hatte erzählt, daß ein Heer von Caer erfolglos jene Küstenfestung belagert habe, die auf einer hohen Meeresklippe stand und heldenhaft Widerstand leistete. Erst als durch magische Vorkommnisse die Festung fiel, sprengte Cannon Boll auf seinem braunen Pferd mit weißer Mähne durch die Angreifer, tötete viele und entkam. 124
»Schlaft gut. Ich sorge dafür, daß ihr nicht gestört werdet!« schrie ihnen Boll nach. Mythor zog das Gläserne Schwert und legte es neben sich, ehe er sich in seinen Mantel einrollte und auf das dünne Lager warf. Er schlief augenblicklich ein. * Gegen Mittag war die Sonne durch die Nebelschichten gedrungen. Sie brannte verräterisch heiß. Reges Leben erfüllte das große Lager. Zwei Gespanne voller Heu waren angekommen und wurden abgeladen; zwischen den Heuballen steckten Schwerter und andere Waffen. Die Männer schlugen sich förmlich darum. Überall brannten heiße Feuer, an denen rußige Schmiede hantierten und Sensen, Pflugscharen und andere Gegenstände zu Waffen und Harnischen, Helmen und Schildverkleidungen hämmerten. Ein hinkender alter Mann kam heran und schleppte einen klapprigen Tisch und ein Bündel Essen heran. »Cannon Boll zeigt den anderen, wie man kämpft. Laßt es euch schmecken. Der Brunnen ist dort beim Zeichen!« Er ließ das Tuch mit dem Essen auf die Bretter fallen, grinste Buruna zahnlos an und hinkte davon. Lamir rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte und murmelte verschlafen: »Dieser warme Wind! Der Boden ist ganz feucht. Gut geschlafen?« »Mäßig«, antwortete Gapolo. »Zu kurz.« »Ebenso«, brummte Mythor. »Aha. Essen. Cannon Boll bewirtet die Kundschafter immerhin.« »Ab und zu«, flüsterte Buruna und versenkte ihre Finger in Mythors Haar, »wünsche ich mir die Zeit in der Burg zurück. Dort waren die Betten weicher.« Mythor hob die Schultern und schaute sich prüfend um. 125
Aus jedem Winkel des großen Lagers kamen Geräusche. Die Männer wußten nichts von den magischen Kräften der Dämonenpriester und hatten keine Angst. Sie bereiteten sich auf die Schlacht am Hochmoor vor. Sie rüsteten sich aus, führten Scheinkämpfe gegeneinander, schliffen die Schneiden ihrer Schwerter. Dabei herrschte eine fast unnatürliche Entschlossenheit, sich in den Kampf zu stürzen. Selbst die einfachen Bauern, die zu diesem Heer gestoßen waren, wußten mit Gewißheit, daß dieser Kampf, diese Schlacht aller Schlachten, die Entscheidung für ihr Leben bringen würde. Lamir versuchte, das Essen in vier gleiche Stücke aufzuteilen, und strich das Tuch über dem Tischchen glatt. »Freut euch am Sonnenschein«, sagte Mythor grämlich. »Noch ist es hell und warm.« »Ich hätte mich lieber an der dunklen Nacht erfreut«, flüsterte Buruna in Mythors Ohr und zischte nach einer kleinen Pause: »Aber du hast ja die ganze Nacht an dieses fade Weib auf deinem Pergament gedacht! Du hast mich nicht angerührt!« »Ich habe zuviel mit den spitzen Steinen in meinem Rücken zu tun gehabt«, bekannte Mythor leise. Er zog seinen Dolch und spießte ein Stück gelben Käses auf. Die vier ungleichen Kundschafter hockten sich um den Tisch und aßen schweigend und grämlich trockenes Brot, fetten Käse, knorpeliges Bratenfleisch zweifelhafter Herkunft und verschrumpelte Früchte. Während sie aßen, erhob sich am anderen Ende des Lagers undeutlicher Lärm. Die Männer hörten auf zu kämpfen und warteten. Jemand schrie laut: »Der Bote! Er hat Kunde von Herzog Krude!« »Die Ereignisse werfen ihre Schatten voraus«, sagte Gapolo und schnitt die verkrustete Rinde vom letzten Stück Käse. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Vor dem Einschlafen habe ich nachgedacht. Hat Mythor recht mit seiner Furcht vor Dämo126
nenzauber? Oder hat Cannon Boll recht, wenn er ihn ablehnt? Jedenfalls sollten wir, schon der Gewißheit halber, Herzog Krude entgegenreiten.« »Natürlich zusammen mit einer gut bewaffneten Gruppe«, forderte Lamir. »Natürlich! Nicht anders, du Hasenfuß!« brummte Gapolo. »Hören wir, was der Bote zu sagen hat.« »Es wird kein Bericht sein, der uns und die andern fröhlich stimmt«, sagte Mythor unwillig. »Ich meine, daß es unmöglich ist, die Anführer zu überzeugen. Sie sind so verdammt sicher, daß die Magie nichts bewirkt oder jedenfalls die Schlacht nicht entscheidet. So wie du, Gapolo. Ich weiß, daß du klug, schnell und kampferprobt bist. Wir werden noch Dinge erleben, die wir uns nicht einmal erträumen können… Aber genug davon. Sehen wir nach dem Boten.« Sie wuschen sich flüchtig am Brunnen und ließen die Teile der Caer-Verkleidung in ihrem Zelt zurück. Als sie die breite Gasse zwischen den Zelten entlangschritten, stieg gerade der übermüdete Reiter von seinem dampfenden Pferd. Cannon Boll lief auf ihn zu und schob sein schartig geschlagenes Schwert in die Scheide. »Sprich!« befahl er. Der Schweiß rann in breiten Bahnen über seine Stirn und in den Nacken. »Was weißt du von Herzog Krude?« Der Bote lehnte sich an die Kuppe des zitternden Pferdes und sprudelte hervor: »Herzog Krude ist hierher unterwegs. Er soll nur drei Männer bei sich haben. Er kommt erst in drei Tagen. Er muß vorsichtig sein. Caer-Patrouillen sind überall.« Boll stemmte seine dicken Fäuste in die Seiten und brüllte: »Hast du sie gesehen?« »Ich bin ihnen ausgewichen«, keuchte der erschöpfte Bote. »Immer wieder. Ich wäre gestern abend schon hiergewesen. Kleine Gruppen, große Gruppen. Immer tauchen sie auf. Überraschend. Krude muß sich auf Schleichwegen hierherbe127
wegen.« »Sahst du Dämonenpriester?« »Nicht einen einzigen. Aber die Caer… Herr! Sie reiten, als würde das Land schon ihnen gehören.« »Wir werden das ändern. Es ist nicht mehr viel Zeit bis zur winterlichen Sonnenwende. Dann fegen wir die Caer hinweg. Endlich sind alle Herzogtümer einig. Du, Bote, du sollst dich erholen. Kümmert euch um sein Pferd! Gebt ihm zu essen. Einen großen Becher Wein! Schlafe dich aus. Und wenn dir noch etwas einfällt… ich bin in der Mitte des Lagers zu finden.« Der Bote war so tief erschöpft, daß er kaum noch klar denken konnte. Er nickte und murmelte nur noch: »Ich bin froh, daß du hier bist, Boll. Jetzt kann ich ruhig schlafen.« Zwei Männer packten ihn unter den Achseln und schleppten ihn in ein nahes Zelt. Mythor sagte bitter und zweifelnd zu Gapolo ze Chianez: »Wie lange wird er ruhig schlafen können?« »Länger als die letzte Nacht«, knurrte der Salamiter. »Wolltest du nicht mit Cannon Boll sprechen?« »Ich wollte«, antwortete Mythor entschlossen. »Und ich werde.« Er ging hinüber zum Anführer und schlug ihm auf die Schulter. Es war, als habe er einen Felsen getroffen. Boll fuhr herum und starrte Mythor an. »Ja?« »Herzog Krude ist für das riesige Lager der LichtweltVerbündeten wichtiger als die Sonne am Tag. Er reitet mit nur drei Begleitern. Wir sollten ihm entgegenreiten und ihn hierher eskortieren. Gib uns einige gute Kämpfer mit. Wir bringen ihn hierher. Jeder wichtige Mann, der allein reitet, ist in Gefahr.« »Ihr seid Kundschafter!« meinte Cannon Boll. »Kundschafter sollen alles sehen und hören und darüber berichten. Wann erwartet Graf Corian euren Bericht?« 128
»Irgendwann vor der Entscheidung«, entgegnete Mythor unbestimmt. »Aber er will alles wissen.« »Dann solltet ihr soviel wie möglich sehen und hören«, brummte Boll ein wenig freundlicher. »Ich werde einige Männer aussuchen.« »Einige deiner besten nach Möglichkeit… mit Schwertern anstatt mit Sensen und Sicheln.« »Unbesorgt. Meystral reitet mit euch. Er ist einer meiner besten Männer.« »Ich weiß. Er erzählte uns, wie du aus der brennender Küstenfestung hinausgesprengt bist. Wir werden uns bemühen, so heldenhaft zu handeln wie du.« »Alles übertrieben«, lachte Cannon Boll geschmeichelt. »Nicht die Hälfte ist wahr davon. Nur, als ich wie ein Rasender zwischen den brennenden Mauern hindurchsprengte, als mein Schwert die Caer niedermähte wie reifes Korn, als ich…« »Es ist heldenhaft, was du getan hast«, lachte ihn Mythor an. »Deswegen führst du diese fünftausend Männer an. Wieviel Mann reiten mit uns?« Der Breitschultrige strahlte förmlich auf. »Zwei Dutzend reiten mit euch. Macht euch fertig! Nur Mut, ihr überlebt es, auch wenn ich nicht mit euch reite. Los! In den Sattel!« Gapolo, Lamir und Mythor sahen sich schweigend an. Buruna fing zu kichern an. Mythor winkte, und sie gingen durch die Gasse des Lagers, um ihre Pferde zu suchen. Eine Stunde später, gegen Mittag, saßen siebenundzwanzig Männer und eine Frau, die aus größerer Entfernung wie ein dunkelhäutiger Caer aussah, in den Sätteln und galoppierten auf frischen Pferden in jene Richtung, aus der sich Herzog Krude dem Lager näherte. *
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Die Kundschafter sahen die ersten Caer in der Zeit zwischen Mittag und Sonnenuntergang. Es war ein langer schweigender Zug von Fußsoldaten, Gespannen und wenigen Reitern, die dem Hochmoor zustrebten. Zumindest bewegten sie sich in zügigem Tempo nach Südwesten, der Lorana oder Dhuannin entgegen. »Nach links ausweichen!« ordnete Meystral an. Die Kavalkade änderte ohne Eile ihre Richtung und sprengte über eine Lichtung auf den Waldrand zu. Die Caer blickten aufmerksam herüber. Von dem langen Zug dunkel gekleideter, bewaffneter Männer ging eine deutliche Drohung aus. Selbst die Wagen wirkten unheimlich. Entschlossen, wie eine riesige Schlange, kroch das kleine Heer durch das Land. Die Wolken, die über den Himmel trieben, warfen tiefe Schatten auf die Helme, Schilde und Klingen der Soldaten. Die wenigen Reiter, die den Zug anführten und eskortierten, saßen wie Statuen auf den kräftigen Pferden. Einige undeutliche Rufe erschollen aus den dahinmarschierenden Reihen der Caer. Mythor und Meystral ignorierten die Schreie. Das Knarren der riesigen Räder mit den breiten Felgen und die unrhythmischen Geräusche von Tausenden Stiefeln verhallten langsam, als die Pferde zwischen den dunklen Bäumen wieder hervorkamen und die Reiter sich einem neuen, unbekannten Stück Gelände gegenübersahen. Mythor bohrte die Hacken in die Seite des Tieres und sprengte an die Seite des Anführers. »Was tun wir, wenn uns die Caer kontrollieren?« »Warum sollten sie?« »Weil wir in entgegengesetzter Richtung reiten. Sie alle kommen uns entgegen.« Meystral überlegte eine Weile, während sie weiterritten und sich als nächstes Ziel einen niedrigen Hügel aussuchten. Dann sagte er: »Wir haben einen festen Auftrag von Herzog Mur130
don. Sie werden uns nicht widersprechen, weil sie davon nichts wissen können.« »Möglicherweise glauben sie uns.« Die Pferde fielen in einen kräfteschonenden Trab, als die Kundschafter und die Begleiter die Flanke des Hügels in Angriff nahmen. Die Gefahr, daß sie entdeckt wurden, wuchs von Stunde zu Stunde. Schweigend versammelten sich die Reiter auf der Kuppe des Hügels und blickten sich um. »Unser nächstes Ziel? Bald setzt die Dunkelheit ein«, wollte Gapolo wissen. Der Anführer deutete auf den Rand eines fernen Waldes. Übergangslos wuchsen die schwarzen, bemoosten Stämme wie eine Palisadenfront in die Höhe. Die kleinen Wipfel schüttelten sich leicht hin und her. Zwischen dem Wald und dem jenseitigen Hang des Hügels war der Boden von Gräben, Böschungen und Kieszungen durchzogen. Ein schwarzer Vogel flatterte unruhig über die leere Zone. »Wenn wir den Wald vor Anbruch der Nacht erreichen, sollten wir in Sicherheit sein«, sagte Gapolo. »Vorwärts, Freunde.« Sie ritten den Hang abwärts, formierten sich zu einer langen Reihe und drangen in das seltsam aussehende Gelände vor. Als der erste Reiter eine Stelle zwischen Hügel und Wald erreicht hatte und durch rutschenden Kies schräg über eine Böschung hinaufritt, rief Gapolo von hinten: »Eine CaerPatrouille kommt rechts aus dem Wald!« Die Reiter aus Elvinon handelten schnell. Noch ehe die rund fünfzehn Caer-Reiter die Kundschafter sehen konnten, rissen sie ihre Pferde herum und sprengten im Schutz der Böschung nach rechts, auf eine Gruppe Felsen und blattloser Bäume zu. Die Reiter duckten sich tief auf die Rücken der Pferde und senkten die Lanzen. Mythor warf die Zügel Gapolo zu, nachdem er aus dem Sattel geglitten war, und kroch über den feuchten Lehm und das dürre Gras des Hanges, bis er über 131
den Rand blicken konnte. »Bei Erain!« stöhnte er auf, als die Caer ihre Richtung beibehielten und fast geradewegs auf das Versteck zuritten. »Sie haben uns gesehen.« Er hatte einen schlimmen Verdacht, der sich auf die Ereignisse der letzten Tage gründete. Waren die Caer-Reiter ausgeschickt worden, um Herzog Krudes Zusammentreffen mit den fünftausend Kämpfern aus Elvinon zu verhindern? Der Anführer der fremden Patrouille hielt sein Pferd an, keine fünf Bogenschußweiten vom Versteck entfernt. Die Rebellen hielten den Pferden die Mäuler zu und versuchten, die schwitzenden Tiere zu beruhigen. Dann wechselte der Caer mit seinen Reitern ein paar Worte, drehte das Pferd und ritt wieder an. Die Reiter folgten ihm und blickten immer wieder zurück zum Wald. »Es ist die Vorhut eines größeren Heeres«, sagte Meystral unterdrückt. »Beim Feueratem des Drachen! Sie reiten von uns fort!« »Diesmal haben wir noch Glück gehabt«, antwortete Mythor. »Wir sollten nicht damit rechnen, daß uns das Glück weiterhin treu bleibt.« »Bisweilen«, grollte Meystral, aber er meinte es wohl nicht ernst, »denke ich, du bist ein Freund der Caer.« »Ich wünschte, ich hätte niemals einen Caer gesehen«, versetzte Mythor voller Grimm. »Auch diese Reiter dort nicht.« Die Caer ritten etwa in jene Richtung, in der zuletzt der langgezogene Heerwurm verschwunden war. Wieder saßen die Rebellen auf, zwangen ihre Pferde den Hang hinauf und ritten entlang einem feuchten, von fast mannshohem Unkraut umwucherten Graben auf eine Art Loch im finsteren Wald zu. Eine Stunde lang trieben sie die Pferde, die immer größere Anzeichen der Erschöpfung erkennen ließen, auf verschlungenen Pfaden weiter. Ununterbrochen sicherten die Männer nach 132
allen Richtungen. Weit und breit zeigte sich kein anderer Reiter, aber auch kein Vogel, überhaupt kein Tier. Gerade diese Stille, dieses ausgestorbene Land war es, was Menschen und Reittiere gleichermaßen unruhig machte. Hinter einen dunklen Wolkenbank sank unsichtbar die Sonne. Einige Strahlenbündel schossen wie gigantische Blitze aus Öffnungen der dräuenden Wolkenfront, trafen auf andersfarbige Wolken und ließen am Himmel unwirkliche Farben aufblühen. Immer wieder drehten sich die Reiter im Sattel und warfen angstvolle Blicke auf das Schauspiel. Das unwirkliche Licht ließ die Stämme her* vortreten. Die Hufe der Pferde schlugen dumpfe, stolpernde Wirbel. Aus der Höhle zwischen den Bäumen kam ein fauchendes Brausen, untermalt vom Knacken trockener Zweige. »Wollen wir den Wald nicht umgehen?« rief Lamir. »Da hätten wir zwei Tage zu reiten!« gab Meystral zurück. »Wir müssen hindurch. Haltet eure Waffen bereit!« Das Keuchen der Pferde, das Knarren der Sättel und das schwere Atmen der müden Reiter wurden förmlich durchschnitten von den schleifenden, metallischen Geräuschen, mit denen die Schwerter aus den Scheiden glitten. Schilde wurden abgeschnallt und hochgerissen. Mythor und Gapolo, zwischen sich Meystral, ließen die ersten Bäume hinter sich. Quer über dem Sattel Mythors lag das Schwert Alton. Ein Pfad führte in wirren Windungen durch den Hochwald. Frische Spuren waren nicht zu sehen. Modernde Stämme, die sich unter den Tritten der Hufe in braunen Staub auflösten, lagen umgestürzt quer über dem Weg, der keiner war. Tödliches Schweigen herrschte rundum, nichts rührte sich. Die Pferde schnaubten, weil ihnen der Moderstaub in die Nüstern wehte. Mit einem kurzen Satz sprang ein Pferd über einen Haufen trockener Äste, zerstampfte einen Baumstumpf und schrammte sich die Kruppe an der Rinde auf. Es wieherte vol133
ler Schmerz, aber der Reiter zwang es geradeaus weiter. Das flammende Schauspiel des Sonnenuntergangs endete, die Düsternis griff wie mit qualligen Fingern zwischen den Stämmen hindurch. Mythors Schwert gab ein schwaches Leuchten von sich. »Weiter, Männer!« ächzte Meystral. »Habt keine Furcht!« Mythor verbiß sich ein kaltes Lächeln. Aus der Stimme des Anführers klang mehr als bloße Beklemmung. »Niemand hat Furcht!« rief Mythor und konnte sich eines ebenso düsteren Gefühls nicht erwehren. »Aber es wird dunkler und finsterer.« »Das ist«, versuchte Buruna zu scherzen, die ebenso ängstlich wie Lamir war und hinter Mythor ritt, »nachts meist nicht anders.« »Dieses Weib! Hast du sie unbedingt mitnehmen müssen?« knurrte der Anführer. »Sie ist mit ihren Fingernägeln fürchterlicher als einer deiner Männer mit dem Dolch! Glaub mir!« antwortete Mythor. Der Pfad, nichts anderes als ein etwas größerer Abstand zwischen den Baumriesen, wurde um einige Handbreit breiter. Jetzt fanden zwei Pferde nebeneinander Platz. Sofort drängten sich die Reiter aneinander. Sie fühlten in der Nähe der Kameraden mehr Schutz. Mythor ritt neben Buruna, Lamir sprach mit Gapolo und blickte unsicher in alle Richtungen. Eine Lichtung lag vor den Reitern. Obwohl sie von Bäumen umsäumt war, schien es dort mehr Helligkeit zu geben. Einige Bäume lagen kreuz und quer am Ende des Weges. Sie waren nicht vermodert, und die Reiter an der Spitze des Zuges ritten um sie herum. Mythor musterte jeden Winkel der Lichtung. Zwischen dem Holz am anderen Ende blinkte ein heller Schimmer. Augenblicklich erwachte sein Mißtrauen. Sein Pferd machte einen Satz, hob sich auf die Hinterläufe und galoppierte in die Mitte 134
der freien Fläche. Dort, woher das Blitzen gekommen war, erscholl ein leiser Fluch, gleichzeitig wieherte ein Pferd grell auf. Einer der Rebellen schrie wütend: »Dort sind Caer!« Hinter Mythor brachen Buruna, Gapolo, Lamir und Meystral durch die krachenden Büsche. Schwerter pfiffen durch die Luft. Plötzlich standen etwa zwanzig Männer wie hingezaubert zwischen den Stämmen. Auch sie waren bewaffnet und wachsam. Sie schienen die andere Gruppe erkannt zu haben. Caer standen gegen Caer. Eine Stimme schrie: »Wer seid ihr? Woher kommt ihr?« Geräusche und Bewegungen bewiesen, daß der Wald vor den Rebellen voller Krieger war. Nun roch Mythor auch schwach den Rauch eines Lagerfeuers. Die Rebellen drängten auf die Lichtung hinaus. Einige Pfeile heulten über die Sträucher und bohrten sich krachend in die Stämme. Jemand rief unterdrückt: »Diese verdammten Caer! Ich reite sie nieder.« Meystral drehte sich im Sattel um, versetzte dem Reiter einen Schlag und knurrte: »Maul halten! Du verrätst uns!« Mythor und seine drei Begleiter rissen ihre Pferde herum und galoppierten nach links. Dorthin, wo keine Gegner zu sehen waren. Schräg hinter ihnen prallten die ersten Schwertschläge auf die gegnerischen Schilde. Wilde Flüche erschollen. Die echten Caer waren mißtrauisch geworden. Mit einem harten Schlag traf ein Pfeil des unsichtbaren Schützen auf die Klinge des Gläsernen Schwertes und surrte davon. Die Pferde fanden eine schmale Lücke in dem eng stehenden Gehölz und warfen sich in panischer Flucht in den schmalen Korridor. Mythor bückte sich und wich einem Ast aus, der hart seinen Rücken streifte. Hinter ihm keuchte Lamir: »Wir fliehen? Warum kämpfen wir nicht?« »Weil wir nicht wissen, ob ein Dutzend oder fünfhundert 135
Caer im Wald versteckt sind«, gab Mythor zurück, blickte wild um sich und erkannte die Glut eines Feuers und einen Pfad, der dadurch entstanden war, daß die Caer Bäume und Sträucher geschlagen hatten. Er ritt darauf zu und hoffte, auf dem richtigen Weg zu sein. Vor dem Feuer taumelten zwei Soldaten auf die Beine und hoben die Schilde in die Höhe. Mythor zwang sein Reittier geradeaus. Das Schwert stieß klagende Laute aus, als er es nach rechts und links schwang und einen Schild zur Seite schlug. Die Hufe des Pferdes, das sich wiehernd aufstellte, schmetterten den zweiten Soldaten zu Boden. »Weiter!« Zwanzig, dreißig Sprünge ging es ungehindert geradeaus. Flammen und Funken stoben aus dem Feuer, als Mythors Begleiter folgten. Der Barde schlug wild mit seinem kurzen Schwert um sich, aber er traf nur Geäst und zerfetzte einige Schlingpflanzen. Hinter sich ließen sie die Geräusche eines wilden Kampfes in der beginnenden Dunkelheit zurück. Meystral und seine Leute beabsichtigten wohl, die Caer niederzukämpfen. Es schienen nicht mehr als drei Dutzend zu sein, denn entlang dem Weg standen nur wenige angepflockte Pferde. Seile waren gespannt worden, über die Zeltleinwand herunterhing. Gapolo und Mythor ritten nach rechts und links auseinander, lösten die Knoten an den Zügeln der Pferde und zerrten die auskeilenden Tiere hinter sich her. Schnüre und Tauwerk rissen. Eine Fackel fiel um und setzte ein Zelt in Brand. Mythor zügelte sein Pferd und schrie in die Richtung der kämpfenden Gruppen: »Feuer! Die Zelte verbrennen! Helft uns!« Sein Kampfgenosse verstand augenblicklich und handelte richtig. Mit umschlagender Stimme kreischte er: »Sie stehlen unsere Pferde! Die Vorräte! Hört auf zu kämpfen! Zurück zum 136
Lager! Schützt das Feuer!« Buruna riß die Zügel von vier Pferden aus Gapolos Hand und spornte ihr Pferd. Überall entlang dem Pfad führten breite Spuren frisch geschlagener, heller Späne die vier Kundschafter durch die immer dichter werdende Dunkelheit. Schließlich, zehn Pferde hinter sich, preschten sie in einem schnellen Trab zwischen den Stämmen hervor und entdeckten vor sich eine weite Fläche, die sich in ihrer Mitte absenkte und eine Art flachen Trichter ergab. Helles Mondlicht lag auf dem sandigen Boden. Die Spuren vieler Pferdehufe und Stiefel führten von dem Trichter bis hierher. Mythor sagte scharf: »Wir wechseln die Pferde. Durchsucht die Satteltaschen!« »Die Caer sind gut ausgerüstet. Wir werden Essen finden!« Nach einem kurzen Galopp im kalten Licht des Mondes hielten sie am Rand der Schlucht an. Sie sprangen aus den Sätteln und vertraten sich die Füße. »Keine allzu große Hast«, brummte Gapolo und löste die Schnallen der Satteltaschen. »Sie werden uns schwerlich folgen ohne Pferde!« »Trau keinem Caer!« trällerte Lamir in plötzlich ausbrechender Heiterkeit. Sie suchten die vier stärksten Pferde aus; braunfellige Tiere mit muskulösem Bug und breitem Rücken. Mythor wechselte die Satteltaschen, in denen sein kostbarer Helm untergebracht war, gegen die des unbekannten Caer aus. Sie fanden zwei volle Weinschläuche, große Beutel voll Haferkörnern für die Pferde, eine genügend große Menge Nahrungsmittel und allerlei anderes Nützliche. Aber auch sie hatten auf dem sandigen Boden deutliche Spuren hinterlassen. Rasch ließ Gapolo den Wein herumgehen. Jeder von ihnen 137
bekam zwei tiefe Schlucke, dann band der Salamiter die wertvolle Beute an seinen Sattel. Er schwang sich auf den Rücken eines starken, knochigen Hengstes, nachdem er Buruna in den Steigbügel geholfen hatte. »Nichts vergessen, Freunde?« fragte er. Mythor wußte, wie schnell eine ungenügende Ausrüstung über das Schicksal eines Kriegers entscheiden konnte. Er hatte vier Sättel geplündert und mit dem Proviant für Mensch und Tier und den Waffen ein Saumpferd beladen. »Ich bin bereit«, sagte er. »Aber noch immer überlege ich, ob wir nicht zurückreiten und Meystrals Leuten helfen sollen.« Lamirs Antwort war die eines erfahrenen Kämpfers, denn er sagte trocken: »In der Dunkelheit werden sie kaum kämpfen können. Und bis morgen früh hat sich vieles verändert. Seht dorthin!« Aus der Öffnung im Wald, die wie ein Felsentunnel wirkte, flackerte Helligkeit. Das brennende Zelt schien andere Vorräte und trockenes Holz in Brand gesetzt zu haben. Hastig überprüften die Reiter ihre Beute. Mythors Schwert steckte in der Caer-Scheide, der Helm war sicher am fremden Sattel versteckt. »Wir reiten weiter«, entschied er. »Herzog Krude entgegen. Schimpft mich meinethalben ein altes, geistergläubiges Weib. Aber ich ahne neue Teufeleien der Dämonenpriester. Warum sollten sie ausgerechnet Krude verschonen?« »Auch Meystral wird unsere Spuren deuten können!« pflichtete ihm Buruna bei. »Du hast recht. Dieser Hohlweg ist breit und ungefährlich! Hoffentlich.« Sie verließen die freie Fläche. Die Pferde rutschten und stolperten den Hang hinunter. Nach fünfzig Schritten trieben Gapolo und Lamir die erbeuteten und ausgetauschten Tiere in den Wald hinein. An dieser Stelle bestand das Gehölz aus 138
niedrigen Bäumen und verfilztem Gebüsch, und es wirkte keineswegs drohend wie der Hochwald in ihrem Rücken. Der Weg war gut zu reiten, obwohl er sich zu schlängeln begann, unter überhängenden Felsen verschwand und zwischen gewaltigen Formen wieder auftauchte, die wie versteinerte Wurzeln aussahen. Die Pferde gingen langsam und folgten mehr ihrem Instinkt, die Reiter hatten die Zügel ganz locker in den Händen. In der Finsternis der Nacht gab es nur einen etwas helleren Streifen vor den Kundschaftern und hin und wieder hellere Flecken aus Mondlicht. »Wir haben den Hohlweg bald hinter uns!« flüsterte jemand von ihnen. »Siehst du etwas?« »Es wird heller.« Noch zwanzig Schritt, dann ging es wieder aufwärts. Der Hohlweg führte durch eine winzige Schlucht mit Felswänden. Wasser rieselte entlang dem Stein, und die Hufe erzeugten platschende Laute. Unwillig schnaubten die Pferde, aber als das Tier Gapolos das Ende des Weges mehr witterte als sah, wurde es schneller und galoppierte schließlich wieder in die Helligkeit des Mondlichts hinaus. Die anderen Reiter folgten und versuchten, Einzelheiten des Geländes zu erkennen. Sie brauchten einen einigermaßen sicheren Platz für die Nacht. Vor ihnen erstreckten sich Felsen, zwischen denen einzelne Bäume in skurrilen Formen wuchsen. In der Nacht verwandelten sie sich in drohende Fabelwesen. Runde kleine Hügel, wie die Rücken eingegrabener Tiere, erstreckten sich zwischen den Steinbrocken. Wolken trieben darüber hinweg, ab und zu blinkte ein Stern, und die unvollkommene Scheibe des Mondes schien durch die schwarzen Wolkenfelder dahinzujagen wie der Nächtliche Schütze. »Ich meine, daß dort zwischen den Felsen ein guter Platz wäre«, entschied Gapolo nach einer Weile. »Wir werden wohl 139
nicht so leichtsinnig sein und ein Feuer machen?« »Ganz sicher nicht«, antwortete Mythor und lenkte < langsam sein Pferd an die bezeichnete Stelle. Die Hufe, knirschten auf fauligem Laub. »Hinter uns höre ich Hufschlag«, rief Lamir unterdrückt und drängte sich an Mythors Seite. Buruna stieß ein verzweifeltes Stöhnen aus und sagte ärgerlich: »Entweder ist es Meystral mit seinen Männern, oder es sind die Caer.« »Warten wir es im Versteck ab!« sagte der Sohn des Kometen, glitt zu Boden und führte sein Pferd am kurzgefaßten Zügel zwischen den Felsen hindurch auf einen freien Platz. Es war eine kleine, runde Fläche, umgeben von glatten Felswänden, mit nur einem Eingang. Die Pferde wurden hereingebracht, und Gapolo sagte, wobei er den Tieren die Trensen aus den Mäulern nahm und die Sattelgurte lockerte: »Der Hohlweg, den wir passierten, ist offensichtlich eine Art Paß. Jeder, der in die Richtung des Lagers von Cannon Boll will, reitet hier hindurch.« Er und Mythor gingen wieder ins Freie hinaus und horchten in die Richtung des Hohlweges. Tatsächlich! Durch den Trichter, der die Geräusche verstärkte wie der Schlund einer Fanfare, drangen eindeutige Laute an ihre Ohren. »Also wohl auch Herzog Krude«, murmelte Mythor. »Und jetzt ein Mann mit einer Fackel, gefolgt von anderen Reitern…« Sie kauerten sich hinter einen kleineren Felswall und spähten hinüber. Immer wieder wechselten Mondlicht und völlige Dunkelheit mit dem winzigen Lichtschein, den man indirekt erkennen konnte. Der erste Reiter, der mit einem holprigen Galopp ins Freie hinausstob, schwenkte die Fackel und rief mit dunkler Stimme: »Mythor! Gapolo ze Chianez! Ihr müßt irgendwo hier sein.« 140
Mythor sprang auf, schwenkte sein schwach leuchtendes Schwert und rief zurück: »Ich erkenne deine Stimme, Meystral. Wir sind hier versteckt, rechts von dir.« Einige Augenblicke später versammelten sich zehn Reiter um die Kundschafter. Der Anführer berichtete, daß sie die Caer überrumpelt hatten. Mit einiger Beute war es ihnen gelungen, den Zeichen zu folgen. Die andere Hälfte der Kundschaftertruppe befand sich am anderen Ende des Hohlweges und legte dort einen Hinterhalt für die Caer. »Aber wir sind sicher, daß sie uns in dieser Nacht nicht verfolgen. Habt ihr ein Feuer? Gibt es Wein?« Mythor lachte kurz und antwortete: »Wein gibt es nur wenig. Feuer zu machen wäre zu riskant. Aber unser Versteck ist gut.« Abermals hatten sie einen Tag überlebt. Nur einige Risse in der Kleidung, einige Prellungen und viel Schmutz waren die Zeichen des erschöpfenden Rittes. Als der Anführer den Kriegern bestätigte, daß weit und breit der Hohlweg und einige andere paßähnliche Unterbrechungen vor ihnen die einzigen Wege durch das Land seien, wußten sie, daß sie Herzog Krude treffen würden. Die Nacht verging ohne jeden Zwischenfall, und Mythor hatte die letzte Wache. Burunas Kopf lag in seinem Schoß. Mythor saß auf dem Schild und hatte sich in seinen Mantel gehüllt. Alton steckte nahe seiner Rechten im Boden. Obwohl das Licht des Morgengrauens die Schreckenslandschaft der Nacht verwandelte und harmlos erscheinen ließ, waren seine Gedanken finster und voller Sorgen. Er vermißte seine Tiere, er dachte an Fronja und seinen Auftrag, und er fürchtete, daß die Niederlage der Lichtwelt nicht fern sei. *
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»Caer! Überall sind Caer! Woher kommt diese Menge von Soldaten?« stöhnte Meystral und scheuchte seine Leute mit einer zornigen Handbewegung zurück in das Versteck. »Ihr wollt mir noch immer nicht glauben, wie?« brummte Mythor. »Caer ist mächtig und gefährlich.« »Ich und zwei Männer reiten mit euch. Ich kenne den Weg durch die Schlucht, den Krude nehmen muß.« »Einverstanden.« Das erste Tageslicht hatte ihnen abermals kleine, berittene Gruppen gezeigt, die jeden Winkel des Geländes zu untersuchen schienen. Am Horizont waren lange Marschkolonnen aufgetaucht. Sie verhinderten einen Rückweg nach Osten, falls sie nicht abrissen. »Ihr bleibt hier und wartet auf uns!« befahl der Anführer seinen Leuten. »Seid wachsam und zeigt euch nicht. Ich denke, wir sind in zwei Tagen wieder zurück.« Die Pferde waren ausgeruht, satt und waren abgerieben worden. Nacheinander saßen die sieben Reiter auf. Sie ritten nach Westen. Bis zur Dunkelheit wichen sie den Patrouillen aus, verbargen sich in Waldstücken, wenn ein caerischer Heerwurm vorbeimarschierte, und erreichten die Schlucht noch bei Tageslicht. Eine nicht sehr hohe, aber aus undurchdringlichem Wald und schroffen Felsen gebildete natürliche Barriere erstreckte sich vor ihnen weit nach rechts und links. »Zieht eure Waffen!« sagte Meystral unruhig. »Die Schlucht ist nicht lang, aber voller Verstecke. Wir müssen mit einem Hinterhalt rechnen.« Die Schwerter glitten aus den Scheiden. Buruna schwang ein leichtes Kampfbeil; die beste Waffe für eine Frau. Dünne Rinnsale und scharfkantige Steine, herunterhängende Wurzeln und Moospolster, ein gewundener Weg, zwei bis drei Ellen breit, Äste und vertrocknete Früchte der Bäume, deren Kronen über der Schlucht ineinander verflochten waren. Die tiefe Schlucht 142
endete, nachdem die Pferde den letzten Hang hinaufgekeucht waren, in einem Wald. Zwischen den beiden Waldrändern hier und in einem halben Tagesritt Entfernung lagen leere Felder, niedergebrannte Bauernhöfe und ein winziger See, mehr ein Tümpel. An einem Bachlauf, der quer durch die Schlucht rauschte, hatten die Reiter und die Pferde getrunken. Die Wassersäcke waren wieder aufgefüllt. »Hier warten wir!« entschied Meystral und drängte sein Reittier seitlich durch die Büsche. »Du kennst das Land sehr gut. Bist du hier zu Hause gewesen?« fragte Mythor. Der Anführer spuckte aus und knurrte: »Ich bin jahrelang für unsere Fürsten als Bote geritten. Ich kenne jeden größeren Baum.« »Und du bist sicher, daß Herzog Krude diese Schlucht passiert?« »Wie du gesehen hast, Frau, ist es der gerade Weg zu unserem Lager.« Der Tag ähnelte vielen anderen. Trügerische Wärme, leichter Wind, treibende Wolken und stechende Sonnenstrahlen. An einigen Sträuchern zeigten sich die ersten Knospen. Das Gras bekam eine Farbe, die nicht die des Frühlings war. Die Pferde waren schneller erschöpft, und die Menschen litten unter der unzeitgemäßen Wärme. In aller Ruhe suchten die Kundschafter ein Versteck, und ein Mann kletterte auf einen Felsen und von dort auf die starken Äste eines knarrenden Baumes. »Kannst du etwas sehen?« rief der Anführer hinauf. »Ich überblicke die Felder bis zum Wald.« Wieder wagten sie nicht, ein Feuer anzufachen. Ruhig fraßen die Pferde aus den umgehängten Beuteln. Die sieben Späher warteten und suchten immer wieder die Gegend nach einem einzelnen Reiter ab oder nach einer kleinen Gruppe, denn der Bote hatte berichtet, Krude habe einige Begleiter. 143
Irgendwann fragte Buruna ungeduldig: »Woher wissen wir, daß Krude heute diese Stelle passieren wird?« »Wir wissen es nicht. Aber es sollte bald sein«, antwortete Meystral. »Kommt er nicht bei Anbruch der Nacht, kommt er später. Er wird sich ebenso vor den Caer verstecken müssen.« »Also warten wir weiter!« meinte Gapolo und breitete die Satteldecke auf einem Lager von trockenem Laub aus. »Weckt mich, wenn die Caer angreifen.« Einige Atemzüge später ertönte aus der Ferne Hufgetrappel, das rasch näher kam. Die Köpfe der Kundschafter schoben sich aus der Deckung. Eine Gruppe Caer ritt in schärfstem Galopp in südliche Richtung und verschwand an einer Stelle, die nicht einzusehen war. Die Unruhe griff wieder nach den wartenden Kundschaftern. Jeder von ihnen war Gefahr gewohnt, aber hier ging es um weitaus mehr. Herzog Krude, das wußte Mythor aus eigener Erfahrung, ein mürrischer Mann von mehr als sechzig Sommern, galt unter seinen Leuten als fähiger und entschlossener Anführer. Beliebt war er nicht, aber geachtet und von seinen Vasallen geschätzt. Seine Sorgen waren ihre Sorgen und Ängste. Die Nacht kam. Wieder wechselten Schatten mit Mondlicht. Das narbige Antlitz des bleichen Gestirns war abermals angewachsen. Der Mann kletterte aus seinem Ausguck herunter. Gapolo wachte auf und fing an, Sättel, Gurte und Zaumzeug zu überprüfen. Der Wind zwischen den Felsen und das Knarren der Bäume waren die einzigen Geräusche ringsum. Doch die Nacht schien voller lauernder Gefahren und magischer Strömungen. Sie legten sich erstickend wie giftige Dämpfe um die Wartenden. Die Kundschafter vermeinten, ihren eigenen Herzschlag zu hören, als Lamir erschreckt aufsprang und flüsterte: »Hufschlag! Hört ihr es nicht?« Ohne Zweifel. Ein schweres, kräftiges Pferd galoppierte her144
an. Mythor vergegenwärtigte sich die Gestalt des untersetzten Mannes, der zur Fettleibigkeit neigte, zusammen mit einer schweren Rüstung und den Waffen. Herzog Krude war offensichtlich allein und mußte ein besonders kräftiges Pferd reiten. »Kannst du etwas sehen?« fragte Mythor und tastete sich zwischen den Felsen hervor. Vor dem dunklen Hintergrund sah er auf der helleren Fläche der Weide deutlicher einen langen Schatten als den Reiter selbst. »Nicht besonders gut.« »Macht euch fertig, Krude entgegenzureiten!« befahl Meystral unschlüssig. »Wahrscheinlich ist er es.« Im gleichen Augenblick tauchte der Mond zwischen den Wolken auf. Kalte Strahlen fluteten über das Land. Der Reiter galoppierte ins Licht hinein. Sein Helm, die Arm- und Beinschienen, der Schild und der Harnisch funkelten und blitzten. Er trug eine prunkvolle Kampfausrüstung, und einen kurzen Moment später fiel Mondlicht auch auf das Gesicht und zeigte den weißgrauen Vollbart, der ein Kennzeichen Herzog Krudes war. »Ich habe ihn erkannt!« sagte Meystral voller Erleichterung und griff nach dem Sattelhorn. »Männer! Wir reiten ihm entgegen!« »Wartet lieber noch ein wenig!« sagte Mythor. »Wartet, bis er am Eingang der Schlucht ist!« Eine Wolke schob sich vor den Mond. Die drei Rebellen saßen auf und trieben die Pferde zwischen den Bäumen hinaus auf die freie Fläche. Auch Mythors Freunde stiegen in die Sättel. Das Pferd, das den Herzog trug, wieherte dumpf. Oder kam das Wiehern aus einer anderen Richtung? »Hierher, Herzog Krude!« rief der Anführer, als er auf der Höhe des Schluchteingangs war. Nebeneinander sprengten er und seine beiden Männer auf den einsamen Reiter zu. Etwas warnte Mythor, und er legte seine Hand hart auf Ga145
polos Arm. »Halt! Warte!« sagte er drängend. Herzog Krude zügelte sein Pferd. Erneut rissen die Wolken auf. Die drei Reiter waren noch einen halben Bogenschuß weit von ihm entfernt. Sie galoppierten geradlinig auf ihn zu. Krude hob abwehrend den Schild, denn im ungewissen Licht sah er vor sich drei Männer in Caer-Rüstung. Meystral stellte sich in die Steigbügel und rief unterdrückt: »Wir sind von Elvinon, Herzog Krude. Wir sollen dich zu unserem Lager eskortieren!« Zwei Reiter drehten ihre Pferde herum und warteten auf Krude und den Anführer. Wieder wieherte ein Pferd, und Mythor, der eben die Sporen einsetzen wollte, um zu der Gruppe zu stoßen, hielt abermals an. Aus dem Gebüsch, das jenseits des Schluchteingangs wucherte, brachen drei vermummte Reiter hervor. Ihre Pferde galoppierten in einem rasenden Ansturm geradeaus. Mondlicht blinkte auf den Schneiden langer Schwerter. Die Hufe schlugen schnelle Wirbel. Die Reiter trugen dunkle, wallende Gewänder. Auch ihre Pferde waren dunkel. Zwei der Reiter rissen die Schwerter hoch und schlugen, als sie nahe genug heran waren, die überraschten Rebellen nieder. Klirrend traf Stahl auf Stahl. Ein Pferd schrie grell. Der dritte Vermummte galoppierte auf Meystral zu, das Schwert wie einen Speer ausgestreckt im waagrecht gehaltenen Arm. Noch ehe der Anführer sein Pferd gewendet, den Schild hochgerissen und das Schwert schlagbereit halten konnte, durchbohrte ihn das Schwert des Unbekannten. Röchelnd sank Meystral aus dem Sattel des hochsteigenden Pferdes. Herzog Krude senkte den Schildarm und spornte sein Pferd. Er schien im Dunkeln sehen zu können, denn er fand den Eingang zur Schlucht ohne Zögern. Die durchgehenden Pferde der drei Männer, die blitzschnell hingemetzelt worden waren, zerrten die Körper der Toten oder Sterbenden durch Gestrüpp 146
und über Felsen. Mythor fühlte eisigen Schrecken, als er zusehen mußte, wie die drei vermummten Boten des Todes ihre Pferde herumrissen und wieder in den Wald zurückritten. Herzog Krude, dessen Gesicht vom Widerschein des Mondlichts erhellt wurde, ritt nahe an Mythor vorbei. Bewegungslos wartete dieser im Sattel. Herzog Krudes Gesicht! Es glänzte und war maskenhaft unbewegt. Eine Schicht, gläsern-spröde wie der Spiegel eines geheimnisvollen Sees, überzog die Gesichtszüge. Herzog Krude war von einem Dämon besessen. »Nein«, stieß Mythor hervor und hielt Gapolo auf, der an ihm vorbei wollte. Im selben Moment sah auch Gapolo das Gesicht des Herzogs und schrie leise vor Schreck auf. Dann verschwand der Mond hinter Wolken, und die eindringliche Schwärze des Hohlwegs nahm den rasend schnell reitenden Herzog auf. »Haben wir geträumt, Mythor?« fragte der Salamiter tonlos und schüttelte sich. Mythors Gedanken waren bei Ritter Coerl O’Marn, der das Schicksal Krudes teilte. Der Sohn des Kometen schüttelte langsam den Kopf und entgegnete: »Wir haben nicht geträumt, mein Freund. Herzog Krude, der Anführer der fünftausend Rebellen, ist von einem Dämon besessen.« »Ein teuflischer Plan von Drudin«, knurrte Gapolo niedergeschlagen. »Das also ist der Grund, warum es hiervon CaerPatrouillen wimmelt.« »Herzog Krude wird erst im letzten Moment in Erscheinung treten, also kurz vor der Schlacht«, sagte Mythor. »Das Entsetzen wird die Rebellen packen«, sagte Buruna. »Sie werden kopflos durcheinanderrennen, wenn sie Krude sehen. So werden die Kämpfer der Lichtwelt leichte Gegner für die Caer sein.« 147
»Genauso ist es«, antwortete Mythor. »Und, Kundschafter oder nicht, wir haben eine neue Aufgabe.« »Zurück ins Lager von Cannon Boll?« fragte Lamir. »Wir müssen die Rebellen warnen und dafür sorgen, daß es jedermann erfährt. Sie werden es uns wieder nicht glauben«, Mythor hob die Schultern und sah nach dem Mondlicht, »aber wir werden sie diesmal überzeugen müssen. Wenn die Wahrheit sie unvorbereitet trifft, sinkt ihr Mut.« »Du hast recht, Mythor«, gab Buruna zu. »Reiten wir jetzt?« »Keiner von uns wird schlafen können. Die Pferde sind ausgeruht. Die Dunkelheit wird uns vor den Caer-Truppen, verbergen«, sagte Gapolo fast ein wenig mutlos. »Für dieses Land brauchten wir geflügelte Pferde oder fliegende Drachen.« »Für dieses Land brauchen wir die Kraft von vielen Männern und den Mut eines Verrückten«, bestätigte Mythor. »Eines weiß ich: Der Weg nach Osten zurück wird schwer sein. Wir wissen, daß es von Caer wimmelt.« »Wir versuchen es!« Langsam ritten sie in die Schlucht hinein, alle Sinne angespannt, die Waffen in den Händen. Ohne einen Zwischenfall gelangten sie in dieser Nacht durch die Schlucht, über das zerrissene Gelände und durch den Hohlweg. Im Morgengrauen versperrten ihnen berittene Caer und ein kleines, lagerndes Heer den Weg nach Osten. Sie wichen nach Süden aus und verbargen sich die Hälfte des Tages in einem kleinen Wald. * Zweieinhalb Tage lang ritten sie im Zickzack weiter. Immer wieder versuchten sie, einen Weg nach Osten zu finden. Zwar hatten sie keinen Geländekundigen mehr, aber sie erinnerten sich an die Merkmale des Landes, das sie bisher passiert hatten. Von den Rebellen fehlte jede Spur. 148
Immer wieder stießen sie auf Caer und verbargen sich. Sie wurden nicht gesehen und hatten sehr viel Glück. Und gegen Mittag des letzten Tages, ohne daß die vier Kundschafter auf einen Bewohner dieses verödeten Landes gestoßen wären, breitete sich vor ihnen die typische Uferlandschaft aus. Der Salamiter zügelte sein Pferd, wies geradeaus und sagte: »Ein breiter Fluß. Es ist die Lorana, Freunde.« »Dann finden wir wenigstens ohne Mühe zurück zu der Arche des Mautners und zu meinen Tieren«, entgegnete Mythor, der nun einzusehen begann, daß sie den Auftrag von Graf Corian schwerlich erledigen konnten. »Reiten wir also geradeaus weiter. Nicht nur wir brauchen Ruhe, auch die Pferde. Weiter, Freunde!« Voller Erstaunen stellten sie fest, daß bis zum dürftigen Uferwald der Lorana kein einziger Caer zu sehen war. Aber als sie auf dem oberen Ende des Hanges anhielten und auf das ruhig dahinströmende Wasser hinuntersahen, entdeckten sie Vorgänge, die sie zunächst nicht verstanden. Dann aber wurde ihnen bewußt, daß sich wahrhaft unglaubliche Dinge abspielten. Am nördlichen Ufer der Lorana war nicht zu erkennen, ob der Ozean zwischen Tainnia, der Insel, und dem Festland zwischen Elvinon und Akinlay Ebbe oder Flut zeigte. Aber es schien tatsächlich Flut zu sein, die das Wasser weit die Lorana hinauftrieb und den Fluß halbwegs staute. Unter dem Einfluß des Ozeanwassers und eines nicht ungünstigen Windes schoben sich Schiffe den Flußlauf aufwärts. Nach einem tiefem Atemzug und einer Pause, in der seine verblüfften Gedanken wild durcheinanderwirbelten, sagte Mythor rauh: »Ich erkenne die Schiffe der Caer, wenn ich sie sehe. Dort unten segeln und rudern tatsächlich Caer-Schiffe!« »Nicht wenige«, bestätigte Gapolo ze Chianez wütend, »und sie liegen verdammt tief im Wasser. Das sehe sogar ich, und 149
ich bin kein Seefahrer.« »Also sind sie schwer beladen und nützen den hohen Wasserstand aus«, sagte Lamir. »Die Frage ist, womit sie beladen sind.« Buruna zeigte nach links. Die Kette von etwa drei Dutzend Schiffen setzte sich bis zur Biegung der Lorana fort. »Sehen wir nach, was sie treiben. Es wird nichts sein, was uns erfreut«, schlug Mythor vor. »Und solange wir uns nicht vordrängen und selbst gefährden, werden uns die Caer für ihresgleichen halten.« »Einverstanden!« In leichtem Trab wandten sie sich nach Osten und ritten auf dem obersten Teil des Hanges flußaufwärts. Die langen Riemen der Schiffe hoben und senkten sich und trieben sie langsam vorwärts. Mühelos überholten die Kundschafter die Schiffe; die Tiere waren trotz des geringen Tempos schneller als die Caer und ihre Rudersklaven. »Wie weit mag es bis zum Mautner sein?« fragte Lamir nach einigen Stunden. Die Biegung des Flusses lag vor ihnen. Auch dort schwammen Schiffe, aber sie hatten die Segel gestrichen und wurden nur noch gerudert. Gapolo meinte: »Ich glaube, ich kenne die Gegend. Zwei Tagesritte sollten es bis zu dem Mädchen sein, das Vercin dir zur Braut bestimmt hat.« Buruna stieß einen spitzen Schrei aus und ritt auf Mythor zu, als wolle sie ihn über den Abhang hinunterstoßen. Mythor hob beide Arme und rief: »Hör nicht auf diesen verleumderischen Salamiter, Geliebte! Wir haben ganz andere Sorgen als deine dumme Eifersucht.« »Welche Sorgen?« »Eine Wagenladung voll«, brummte Mythor verärgert. »Die drei Reiter, die Meystral und seine Männer niedermachten, waren keine gewöhnlichen Caer. Sie könnten uns auf 150
den Fersen sein…« »Und… weiter?« Buruna wollte zweifellos Mythor reizen, aber er ging nicht darauf ein. »Unser Auftrag. Wir sollten Graf Corian und alle Heerführer auf dem Eulenberg warnen. Wir müssen unbedingt die Rebellen und Boll warnen und ihnen berichten, was sie von Krude zu erwarten haben. Ich brauche Pandor, den Schneefalken und den Bitterwolf.« »Und genug Zeit, um dein zerschlissenes Pergament mit dem Bild der weißhaarigen Hexe anzustarren!« schrillte Buruna. Nicht einmal Mythor wußte, ob ihre scheinbar rasende Eifersucht gespielt oder echt war. Sie wirkte jedenfalls ebenso echt, wie es ihre Leidenschaft war. Er fuhr beschwichtigend fort: »Schon gut, Buruna! Sei nicht auf ein Bild eifersüchtig. Versuche lieber, uns zu helfen. Wir müssen uns diesseits der Lorana irgendwie durchschlagen und unsere Pflicht erfüllen, koste es, was es wolle.« Zu seiner Überraschung sagte Gapolo mit unerwarteter Härte: »Das gilt nicht für mich, mein Freund!« Überrascht zuckte Mythor zusammen. »Wie? Habe ich dich richtig verstanden?« Mit einem Blick, der um Verständnis bat, antwortete der Salamiter: »Ich möchte versuchen, über die Lorana zu kommen. Nach Nugamor. Dort können sich die Caer nicht so festgesetzt haben wie hier. Ich muß mich zu meinem Heer durchschlagen, das sicher auf mich wartet, wie du weißt, Mythor.« »In wenigen Tagen ist Wintersonnenwende!« gab My thor zu bedenken. »Ich bin nicht deiner Meinung, Gapolo. Aber du mußt tun, was du für richtig hältst.« Wieder schwiegen sie und ritten weiter. Jeder von ihnen überlegte und war allein mit seinen Gedanken. Die Menge der schwer beladenen Schiffe deutete darauf hin, daß die Caer 151
große Dinge vorhatten. Magie? Der Plan stammte mit Sicherheit von Drudin, und worauf er abzielte, war selbst Lamir mit seinem sonnigen Gemüt klar. »Du willst also deine Pflicht als Kundschafter tun? Habe ich dich richtig verstanden?« erkundigte sich Gapolo schließlich bei Mythor. »Du hast.« »Dann, so ungern ich es sage, Mythor, trennen sich unsere Wege.« Das war die unausbleibliche Folge. Wieder würde er allein sein. Er wandte sich an den Freund und Gefährten so vieler Abenteuer und sagte: »Nimm Buruna und Lamir mir dir, Gapolo! Ich kann nicht für sie sorgen, und wir bringen uns gegenseitig in Gefahr. Ich weiß, daß mein Versuch ein großes Wagnis ist. Vielleicht gewinnen wir etwas Zeit. In der Mitte deines Heeres sind Buruna und der klimpernde Barde gut aufgehoben.« Lamir zuckte mit den Achseln. Gapolo dachte sichtlich über den Vorschlag nach. Die dunkelhäutige Frau schwankte zwischen Beherrschung und beginnender Raserei aus Eifersucht. In ihrem Gesicht unter dem Caer-Helm arbeitete es, ihre Gefühle spiegelten sich wider und brachen sich schließlich Bahn. »Du willst mich loswerden!« schrie sie. »Je kürzer unser Abschied ist«, sagte Mythor, und sein Tonfall sagte Lamir, Gapolo und sogar Buruna, daß er es unverrückbar ernst meinte, »desto leidenschaftlicher wird unser Wiedersehen werden! Ich finde euch, oder ihr werdet mich finden. Ich werde tun, was ich versprochen habe, so schwer es mir auch fällt. Ihr habt mich verstanden?« »Ich habe verstanden«, sagte Gapolo. Sie waren während der Unterhaltung immer weiter geritten, und da der Fluß mehrere Windungen machte, kürzten sie die Strecke ab. »Aber die Art, 152
wie wir uns trennen, gefällt mir nicht.« »Harte Zeiten verlangen harte Entscheidungen. Wo willst du über die Lorana? Die Caer werden euch sicher keine Passage anbieten.« »Weiter flußaufwärts.« An diesem Tag herrschte Nebel. Die Sonne schwamm als riesiger Lichtkreis im Westen darin. Noch besaßen die Pferde genügend Kraft, um ihre Reiter langsam nach Osten und flußaufwärts zu tragen. An einigen Stellen waren Caer an Land gegangen und hatten große Flächen verbranntes Gras zurückgelassen. Das Gerüst eines Schiffes war an einer anderen Stelle zu sehen, es moderte halb im Unkraut verborgen. In wenigen Stunden würde es wieder Nacht sein. Die Zeit verstrich rasend schnell. Die Scheibe des Mondes, auch tagsüber am Himmel und verschwunden nach dem letzten Drittel der Dunkelheit, rundete sich mehr und mehr von Nacht zu Nacht. Der Morgen der Schlacht stand vor den Menschen wie ein drohender schwarzer Wolkenturm. Im letzten Licht des Tages hielt Gapolo das Pferd an und deutete hinunter zum Ufer. »Halt. Hier trennen sich unsere Wege. Ihr seht den großen, flach gehenden Kahn. Er trägt uns und die Pferde. Mythor?« »Es muß wohl sein.« Sie glitten aus den Sätteln. Im Nu war jeder Spott verflogen. Selbst Buruna schwieg, denn sie wußte, daß Mythors Entschluß unverrückbar feststand. Mythor umarmte Lamir und sagte dem Barden, daß er beim Wiedersehen singen und spielen dürfe, soviel er wolle. Buruna hingegen flüsterte er alle nur denkbaren Dummheiten und Versprechungen ins Ohr, und schließlich wechselte er mit Gapolo einen langen Händedruck. »Sorge gut für sie, mein Freund«, sagte er leise. »Und sorge ebenso gut für dich. Ich will dich gesund wiedersehen. Und erfolgreich. Wir treffen uns früher, als wir denken! Und 153
jetzt nütze das letzte Tageslicht aus!« »Ich trenne mich schweren Herzens von dir. Aber es ist wohl der richtige Entschluß. Sieh zu, daß du ein gutes Nachtlager findest!« »Ich finde es, und ich finde heraus, was diese verdammten Dämonenpriester planen. Und wenn ich es weiß, dann hat die Lichtwelt mehr Gewicht und wird siegen… hoffentlich.« »Richtig. Schneller Abschied. Viel Glück, Sohn des Kometen!« sagte Gapolo, drückte noch einmal Mythors Schulter und wartete geduldig, bis sich Mythor von Buruna getrennt hatte. Dann führten sie ihre Pferde den Hang hinunter und warteten, ehe sie das Fährboot benutzten, bis sich eine größere Lücke in der Kette der Caer-Schiffe zeigte. Mythor lehnte sich gegen den Sattel und sah zu. Das Pferd stand ruhig und rupfte die winzigen grünen Triebe von einem Strauch. Gapolo und Lamir brachten das Boot schnell über den ruhigen Fluß. Als die drei Reiter das gegenüberliegende Ufer erklommen, wandte sich Mythor ab und ritt weiter. * Schwarze Gedanken tobten in ihm, als er endlich sah, was die Caer unternahmen. Schlagartig rasten seine Erlebnisse seit der Vernichtung der Nomadenstadt Churkuuhl an ihm vorbei. Seine Überlegungen waren nicht klar. Zweifel peinigten ihn. Er hielt das Pferd an und blickte zwischen den dürren Bäumen den flachen Hang abwärts. Was bedeutete der trompetende Schrei, den er vor einer Stunde gehört hatte? Er war sicher, auch dieses Rätsel bald zu ergründen. Die Caer hatten die geschwungenen Bugsteven der Schiffe weit auf das flache Land hinaufgezogen. Taue und schräg hängende Balken waren auf den Decksplatten befestigt und drehten sich hierhin und dorthin. Seile wanden sich um Stein154
brocken, deren Form Mythor genau kannte. Es waren jene Steinpfähle, die er entlang der Yarl-Linie gesehen hatte. Arbeitskommandos, von mürrisch dreinblickenden Soldaten beaufsichtigt, entluden zwei verschiedene Arten von steinernen Säulen oder Pfählen aus den Schiffen. Die Steine wurden auf einfachen Flößen abgesetzt. Es waren schwere, meist säulenförmige Brocken, die kreiselnd an den Bündeln von Seilen hingen. Diese Seile liefen durch klobige Holzstücke, in denen sich mehrere Räder drehten. Mythor hatte solche Geräte bereits gesehen. Sie waren gebaut, um eine bestimmte Last mit nur wenig Kraftaufwand heben oder senken zu können. Ein Teil der Stelen war unbehauen. Magische Zeichen waren tief hineingemeißelt. Langsteine lagen übereinandergestapelt auf den Flößen, über deren dicke Stämme immer wieder das Wasser schwappte. Eine neue Bewegung lenkte Mythor von der Betrachtung der einfachen Teile des Zingels und derjenigen ab, die magische Bedeutung erlangt hatten. Eine riesige Menge dieser hell schimmernden Bruchsteine war schon hier auf die Flöße verladen worden, und in den Bäuchen der tief gehenden Schiffe waren noch viel mehr verborgen. Ein riesiges Mammut mit hoch aufgebogenen Stoßzähnnen, dicke Seile hinter sich herschleifend, wurde herangebracht. Die Seile wurden am Floß befestigt. Die Arbeiter schlangen starke Knoten hinein. Das Mammut, ein grauer Riese mit zottigem, dreckverklebtem Haarkleid, gehorchte den leisen Kommandos eines jungen Mannes aufs Wort. Das Floß schwang langsam herum, ein Mann packte einen Stab und führte das Mammut. Das Tier riß den langen Rüssel in die Höhe, seine Seiten hoben und senkten sich, und der dröhnende Schrei, den Mythor gehört hatte, wiederholte sich. Das Mammut begann, das Floß mit den unregelmäßig geformten 155
Steinsäulen flußaufwärts zu ziehen. Flöße, Steine, Schiffe und Arbeitskommandos! Eine Menge verwirrender Beobachtungen. Die Caer machten sich eine unendliche Mühe mit diesen Steinen. Die Steine würden dazu dienen, den Zingel zu verlängern. Davon war Mythor überzeugt. Hinter den Steinen und dem Zingel lauerten geheimnisvolle Vorgänge und Vorhaben. Die Schwarze Magie der Dämonenpriester beruhte auf solchen Dingen, oder nicht? Mythor sah schweigend und gebannt zu, wie der schmale Mann das gigantische Tier am Ufer entlangführte und wie das Mammut das schwere Floß anscheinend mühelos flußaufwärts zog. Das Pferd legte die Ohren an und stellte sie wieder auf, als Mythor sich vorbeugte und die Zügel freigab. Einige Stunden lang ritt Mythor ungestört flußaufwärts. Er wich in weitem Bogen den Caer-Arbeiterkommandos aus. Zerlumpte Männer, deren Körper die Spuren von Hunger und Peitschenhieben trugen, entluden die Schiffe und sorgten dafür, daß die Steine sicher aufgeschichtet wurden. Mammuts zogen die Flöße gegen die Strömung der Lorana. Der Fluß lief, je mehr sich Mythor der Stadt Ugalos näherte, immer schneller, da die Stauwirkung der Flut nachließ. Aber die Gruppen der Caer schienen sich auf wunderbare Weise zu vermehren. Die trompetenden Schreie der Tiergiganten wurden häufiger. Mythors Unruhe wuchs, und er war froh, eine Stelle am Ufer zu erreichen, die ihm ein mehr oder weniger sicheres Versteck bot. * Das leise Plätschern des Wassers hatte ihn schnell einschlafen lassen. Das Pferd fraß den Rest des erbeuteten Futters. Mythor hatte den Sattel abgeschnallt und seine Schultern auf den Ta156
schen abgestützt. Bewußt kümmerte er sich nicht um den Schein der vielen Fackeln, in denen auch mitten in der Nacht die Schiffe entladen und ihre Lasten auf die Flöße gestapelt wurden. Er brauchte einige Stunden Schlaf, auch wenn Vercin und Lorana mit ihren Wasserrädern nicht mehr fern waren. Er hatte schon mehrmals geglaubt, hoch über sich die sichelförmigen Flügel von Horus, dem Schneefalken, zu sehen, aber es war immer wieder eine Täuschung der überreizten Augen gewesen, nicht mehr. Mythor öffnete die Augen und sah sich um. Tiefe Dunkelheit umgab ihn. Er sah nichts, aber er spürte eine leichte Erschütterung des Bodens. Verwirrt sprang er auf die Füße und drehte den Kopf. Vor sich hörte er, wie das Pferd unruhig den Schweif peitschte, nervös zu tänzeln anfing und schließlich den Kopf hin und her warf. Der Zügel löste sich vom Ast, der Knoten brach auf. Das leichte Zittern des Bodens verstärkte sich. Mythors Hand fuhr an den Griff des Schwertes, und noch immer wußte er nicht, was ihn wirklich aufgeweckt hatte. Dem Stand des Mondes zufolge, der über dem Horizont schwebte und rötlichgelb strahlte, war das Ende der Nacht nicht mehr fern. Es fehlte nicht viel am vollen Mond. Das Pferd wieherte voller Angst auf, der Zügel löste sich, das Tier galoppierte davon. Mit einem Poltern und Krachen, das Mythor zusätzlich erschreckte, brach eine gewaltige dunkle Masse aus der Mauer der Büsche und Krüppelbäume. Ein Orkan aus Knistern und prasselnden Geräuschen wurde entfesselt. Mythor sprang hinter den Baumstamm und sah zwei gekrümmte Stoßzähne schimmernd durch die Pflanzenreste stoßen. Ein Zahn bohrte sich in die Flanke des Pferdes, warf das Tier um, und krachend sauste der schlangengleiche Rüssel des Mammuts herunter. Unter den Fußtritten des Tierriesen brachen die Knochen des Pferdes. Das Mammut beachtete Mythor nicht im geringsten 157
und stürmte weiter durch die Nacht, auf seinem Weg dicke Baumstämme umlegend und Büsche zermalmend. Das Pferd zuckte einige Male mit den Hinterläufen und starb lautlos. Mythors Finger lösten den Griff um das Gläserne Schwert. Er stand starr da und lauschte in die Dunkelheit hinein. Wasser plätscherte leise. Ebenso undeutlich waren die Arbeitsgeräusche zu hören. Das einzig laute Geräusch war das rasende Trampeln des wildgewordenen Mammuts, das flußaufwärts davonstürmte. Nicht weit entfernt ertönte Gelächter. Mythor bückte sich und hob die Tasche auf. Der Helm der Gerechten war unversehrt, und der zusammengeschmolzene Vorrat an Essen und der fast leere Weinschlauch waren ebenso vorhanden. Mythor seufzte erleichtert und überlegte eine Weile, dann zuckte er die Schultern und legte sich wieder auf die Satteldecke. »Ein zweites Mammut wird mich wohl nicht zertrampeln«, meinte er gleichmütig und wickelte den Mantel wieder um seine Schultern. Er schlief bis zum Morgengrauen, ohne daß ihn jemand störte. Dafür war sein Erschrecken größer, als er die aufgeregten Stimmen und die Schritte hörte, mit denen sich ein halbes Dutzend junger Männer den Weg entlang dem Ufer bahnte. Sie liefen auf der breiten Spur der Zerstörung, die das Mammut erzeugt hatte. Mythor raffte Mantel und Decke an sich und griff nach den Satteltaschen. Er rutschte dreißig Ellen weit den nassen Uferhang abwärts und sprang kopfüber in eine Gruppe kleiner Büsche. Über ihm verstummten die Schreie und Rufe. Sie haben das tote Pferd und den Caer-Sattel gefunden, dachte Mythor. Er spähte zwischen den Zweigen und den Blättern, die der Herbststurm an den Ranken gelassen hatte, hinauf. Zwei junge Männer kamen hervor und blickten sich um. Sie 158
sahen genauso aus wie die Novizen des Dämonenpriesters aus dem Lager der Caer, wo Herzog Murdon erstochen worden war. »Und sie waren es, die das Mammut lenkten. Schon wieder Schwarze Magie! Diesmal geringeren Grades!« murmelte er und wartete schweigend und bewegungslos. Er hatte nichts anderes erwartet: Die Novizen suchten ihr entlaufenes Mammut und folgten seiner Spur. Bald hörten die Geräusche der Schritte und die Rufe der Männer auf. »Vom Reiter zum Fußsoldaten!« sagte sich Mythor und dachte nach. Seine Augen betrachteten jede Einzelheit der Vorgänge unter sich. Noch immer entluden die Caer ihre Schiffe und ließen die Flöße von Mammuts ziehen. Als Mythor weiter aufwärts, an einem steileren Stück Ufer, den einzelnen Baum sah, mußte er grinsen. Der Baum hätte nicht günstiger stehen können. Über seine Wurzeln führten die Spuren der ungewöhnlichen Zugtiere, die Eindrücke waren halb voll Sickerwasser gelaufen. Und die Äste und Zweige des immergrünen Baumriesen hingen weit über das Wasser der Lorana. Noch etwas erkannte Mythor: Von dieser Stelle aus war der Fluß mit den Schiffen der Caer nicht mehr zu befahren. Das Wasser war zu flach, die Strömung war eher stärker als an der Stelle, an der sie die drei riesigen Mühlräder der seltsamen Arche antrieb. Hastig verschlang Mythor sein Essen. Er rollte die Decke und den Mantel eng zusammen und band sie mit den Satteltaschen zu einem Bündel. Dieses Bündel warf er über seine Schultern und schlich unbemerkt bis zu dem einzeln stehenden Baum. Rasch war er den Stamm aufwärts geklettert. Er tastete sich auf einigen breiten Ästen weit nach vorn. Die Äste bogen sich immer tiefer, und die traurig hinunterhängenden Zweige, die Peitschenschnüren glichen, berührten das Wasser. 159
Mythor wartete, so gut wie unsichtbar. Er brauchte nicht lange auf seinem schwankenden Sitz auszuharren, dann kam seine Gelegenheit. * Das Mammut war riesengroß und stank nach faulendem Schlamm. Die hochgewölbten Stoßzähne waren stumpfgelb, ihre Spitzen liefen in zahllose Splitter aus. Der Rücken des Tieres, das schwankend und stöhnend heranstapfte, zeigte dunkles Grau, das in den zottigen, schmutzverklebten Haaren des Körpers und der stämmigen Beine heller wurde. Die kleinen, bösartig funkelnden Augen lagen in tiefen, geäderten Höhlen. Heißer Atem drang aus dem Maul und dem herunterhängenden, nach unten gekrümmten Rüssel. Schenkeldicke Seile lagen um die kantigen Schultern und die mächtige Brust des Tieres. An einigen Stellen war das dichte Haarkleid durchgescheuert, und eine graue Lederhaut kam zum Vorschein. Vier lange Seile strafften sich entlang dem vorwärts drängenden Körper. Sie waren an einem schmalen, aber langen Floß befestigt. Die Holzstämme, ebenfalls mit Tauwerk umwickelt und zusammengehalten, verschwanden fast unter der Last der langen Steine. Drei ruderartige Bretter tauchten tief ins Wasser ein und hielten das Floß von den Steinen des Ufers ab. Mythor kauerte atemlos und völlig starr auf dem Ast. Der federte leicht auf und ab. Die langen dünnen Ästchen tauchten ins Wasser und erzeugten keilförmige Wellen. Mythor blickte über seine Schulter und sah links von sich das Mammut immer näher kommen. Das Floß würde direkt unter ihm vorbeigleiten. Ein junger Mann mit starrem Gesicht und großen, glühenden Augen lief neben dem Mammut her. Er hielt eine lange Stange 160
in der Hand, deren hakenbewehrtes Ende im Maul des Tiergiganten steckte. Das Mammut folgte dem DämonenpriesterNovizen gehorsam wie ein Hündchen. Ganz langsam hob der junge Krieger die zusammengerollten Decken und die Satteltaschen von der Astgabel und hängte sich die breiten Riemen über die Schulter. Die schweren Tritte des Mammuts übertönten jedes Geräusch. Das Tier und der Novize, der zweifellos das Mammut gleichermaßen mit Schwarzer Magie und mit seinem Hakenstock vorwärts trieb und dirigierte, kamen dicht am Baumstamm vorbei. Mythor blickte nach unten. Von den Schultern und dem Rücken des Mammuts, das eine betäubende Wolke von Gestank bis zu Mythors Hochsitz schickte, gingen die Taue schräg abwärts. Mythor kletterte nach rechts und spürte, wie sich der Ast unter seinem Gewicht tiefer hinunterbog. Das Rauschen und Plätschern wurde lauter. Mythor hoffte, daß ihn das Floß dorthin bringen würde, wo sein nächstes Ziel lag. Er faßte hinauf und packte den nächsthöheren Ast, ließ sich fallen und merkte, wie die Zweige und Äste nach oben schnellten. Er landete auf einem Stapel kantiger Steine. Sein Bündel schlug ihm schwer ins Genick. Er kletterte im Inneren des Stapels bis auf den nassen Boden und kauerte sich hin. Er wartete und rührte sich nicht, aber das kaum merkliche Schwanken des fast überladenen Floßes entging dem Novizen. »Ich werde doch nicht etwa Glück gehabt haben?« murmelte Mythor und setzte sich, da zwischen den Stämmen Wasser hochsprudelte, auf die Satteltaschen. Er lehnte sich an die scharfkantigen Steine und atmete tief durch. Das Mammut machte etwa hundert krachende Schritte. Das Floß glitt ruhig dahin, schwankte ein wenig, beruhigte sich wieder. Es war nur eines von vielen, die im flachen Wasser des Flusses aufwärts gezogen wurden und eine riesige Menge die161
ser Steinsäulen transportierten. »Zu faul zum Laufen?« fragte eine männliche Stimme sarkastisch hinter ihm. Sofort griff Mythor zum Schwert und richtete sich halb auf. »Keine Aufregung!« sagte die Stimme. Ein kurzes Lachen ertönte. Mythor spähte durch die Zwischenräume des Steinstapels und erkannte einen Mann mit bronzefarbener Haut und einem breiten Brustkorb. Der Mann, der auf einem Langstein hockte, grinste Mythor breit an und sagte: »Ich bin Arruf, ein Arbeitssklave in mißlicher Lage. Ich sehe, du bist kein Caer! Laß dein Schwert stecken. Wir können uns bestenfalls mit einem toten Fisch prügeln.« »Ich bin Mythor«, sagte der Sohn des Kometen. »Wie kommst du auf dieses Floß?« »So ähnlich wie du. Ich bin in der Nacht des wahnsinnigen Mammuts zwischen die Steine geflüchtet.« Arruf verzog sein ebenmäßiges Gesicht zu einem Lächeln von überwältigender Herzlichkeit. Langsam stand er auf und trat zwei Schritte näher. Sein Körper befand sich unmittelbar vor den Steinbrocken. Er war mindestens so groß wie Mythor, eher größer. Eine Handbreit mehr als sechs Fuß, schätzte Mythor. Die Haut des Mannes war auffallend makellos. Seine braunen Augen zwinkerten unverschämt. »Was hast du vor?« fragte Mythor unsicher. Sein stets waches Mißtrauen schwand ein wenig. »Das ist schwer zu erklären«, war die Antwort. »Die Umstände sind ungünstig und stimmen den Beschützer der Prinzessin mürrisch.« »Prinzessin?« fragte Mythor und musterte die zerschlissene und schmutzige Arbeitskutte des jungen Mannes, der jetzt eine gezierte Handbewegung machte. »Ich beschützte eine wunderschöne, überaus reiche und lei162
denschaftliche Prinzessin aus Sarphand. Leider gab es mehr Caer, als mein zischendes Schwert besiegen konnte, und so geriet ich in Gefangenschaft. Vorübergehend nur, versteht sich.« »Versteht sich«, sagte Mythor und mußte lachen. »Und deine Herrin? Auch in Gefangenschaft?« »Weit gefehlt!« antwortete Arruf. »Während meine Waffen eine unübersehbare Schar von Caer in Schach hielten, konnte sie entfliehen. Sie ist in Sicherheit. Ich folge ihr nur vorübergehend auf diesem wenig standesgemäßen Weg.« Mythor hob den Kopf zwischen den Steinen hoch, sah sich suchend um und bemerkte, daß niemand auf die beiden Männer aufmerksam geworden war. Einerseits fand er die Redensarten des angeblichen Arbeitssklaven erheiternd und humorvoll, andererseits konnte er ihm nicht allzuviel glauben. Er entschied, dieses Spiel eine Weile lang mitzumachen. »Jeder von uns Fürsten reist unstandesgemäß«, sagte er. »Nicht nur du.« »Hast du gesehen, wie das Mammut ausbrach?« »Es hat mein Pferd aufgespießt und niedergetrampelt«, sagte Mythor. »Was weißt du davon?« »Nicht viel. Ich wäre schon längst geflüchtet. Aber ich bin unter der Wirkung eines Zaubertranks gelähmt gewesen.« »Jetzt stehst du nicht mehr unter seiner Wirkung?« fragte Mythor und war ziemlich sicher, daß ihn Arruf belog. »Nein. Sehe ich so aus? Mein Auge funkelt klar, mein Verstand ersinnt ständig neue Dinge. Sie haben vergessen, mir diesen gräßliche Trank wieder einzuflößen.« »Ich glaube«, sagte Mythor nach einer Weile, »du lügst mir etwas vor.« »Eine gute Lüge ersetzt zwei bis drei schlechte Wahrheiten«, entgegnete Arruf grinsend. »Ich als Eunuch muß es schließlich wissen.« 163
Mythors Grinsen wurde breiter. Er musterte die Erscheinung des anderen. Sie wirkte weder wie die eines Eunuchen noch wie die eines Arbeitssklaven. Edel war ein zutreffender Ausdruck dafür. »Du und ein Eunuch!« spottete er. »Mit der dunklen Stimme?« »Zu jeder zweiten Mahlzeit esse ich schwarze Kreide«, antwortete Arruf. »Daher die dunkle Stimme. Du glaubst mir nicht?« Mythor erinnerte sich an das Gelächter, das er vergangene Nacht gehört hatte. Es hätte von Arruf stammen können. »Ich glaube dir nicht viel«, sagte er leise. »Aber du könntest derjenige gewesen sein, der in der Nacht das Mammut gereizt hat.« »Genau dieser Mann war ich. Es reizte mich, das Mammut zu reizen. Die Caer handelten daraufhin sehr gereizt.« Mythor konnte sich nicht helfen. Er fand seinen neuen Reisebegleiter höchst angenehm und witzig. Die Muskeln schienen zu beweisen, daß Arruf kräftig und ein guter Kämpfer war. Zudem sprach Arruf ein ausdrucksvolles Gorgan. »Verständlich, daß sie sich nicht freuten. Das schimmernde Schloß, auf das deine Sarphand-Prinzessin geflüchtet ist, steht am Oberlauf der Lorana? So und nicht anders muß es sein, denn sonst würdest du nicht diese unkommode Reise auf dem Steinfloß auf dich nehmen, großer Arruf!« Arruf schien etwa so alt zu sein wie Mythor. Sein fast weißblondes Haar war im Nacken zusammengebunden und verschmutzt. Er schien unbewaffnet zu sein. Trotz seiner heiteren Reden wirkte er, als könne er sich wehren und durchsetzen. Jetzt lachte er lautlos und antwortete: »So ähnlich ist es. Die Zeiten wechseln, und man ist einmal oben, einmal unten. Ich werde bald wieder oben sein.« »Dazu«, spottete Mythor, »bietet unsere Floßfahrt zweifellos 164
die beste Gelegenheit. Was weißt du von dem Vorhaben der Caer?« »Nicht sehr viel. Sie schleppen ungeheure Mengen Steine flußaufwärts. Vermutlich wollen sie eine Mauer bauen.« »Oder eine Treppe zum Schloß deiner Prinzessin. Du weißt nichts vom bevorstehenden Kampf der Lichtwelt gegen die Dunkelzone?« »Ich beabsichtige nicht, daran teilzuhaben. Womit? Soll ich mit toten Fischen werfen?« Arruf schien sich über Mythor immer dann lustig machen zu wollen, wenn es Mythor ernst meinte. »Du solltest das tun, was alle Verbündeten der Lichtwelt zu tun versuchen. Sie rüsten sich zu einem Kampf, der das Schicksal dieser Welt entscheidet. Auch du lebst in dieser Welt. Also ist es auch dein Schicksal. Du magst ein freiheitsliebender Abenteurer sein, aber in den nächsten Tagen geht es um weitaus mehr. Du wirst wenig Grund zum Lachen haben, wenn die Dunkelzone siegt, denn dann werden die Dämonenpriester mit ihrer Schwarzen Magie alles beherrschen. Du solltest die Caer schon gut genug kennen, auch wenn deine Gedanken bei dem Liebreiz der Prinzessin aus Sarphand weilen. Wie ist eigentlich ihr Name? Vielleicht habe ich schon von ihr gehört?« Arruf hob die Schultern, schüttelte den Kopf und antwortete: »Sie will nicht, daß man ihren Namen nennt. In ihrem Land kennt man sie als die ›Unendlich Begehrenswerte‹. Zu dir, Mythor… du willst also für die Lichtwelt dein Leben wagen, oder ist dies dein Fluchtweg?« »Ich habe eine Pflicht zu erfüllen«, bestätigte Mythor grimmig. »Ob ich es will oder nicht. Du könntest an meiner Seite kämpfen.« »Warum nicht? Was weißt du von dem bevorstehenden Kampf?« 165
Mythor hatte immer wieder den Eindruck, daß Arruf ihn kenne oder zumindest sehr viel von ihm wisse. Er zermarterte seine Gedanken, aber er erinnerte sich nicht, jemals etwas von Arruf gehört zu haben. Gesehen hatte er diesen auffallenden Mann bestimmt noch nicht. Er berichtete in groben Zügen, was er wußte und erfahren hatte. Einige Dinge ließ er aus, andere schwächte er ab, aber grundsätzlich sprach er die Wahrheit. Er war sicher, daß Arruf kein Caer und auch kein Novize war und schon gar nicht ein Mann, der von einem Dämon besessen war. Dämonen pflegten weder zu scherzen noch so zu übertreiben, wie Arruf es ununterbrochen tat. »Verspricht«, meinte Arruf trocken, nachdem Mythor geendet hatte, »eine leidlich spannende Sache zu werden. Warum sollten wir nicht Seite an Seite gegen die böse Welt der Dämonen kämpfen? Reiche Beute und Anerkennung wären ein gerechter Lohn für zwei Edelleute wie uns!« »Wenn nicht mehr«, gab Mythor zu. »Dein Humor ist eine erfrischende Abwechslung. Aber wenn die Verbündeten der Lichtwelt nicht siegen, hilft er dir auch nicht.« Eine Spur nachdenklicher sagte Arruf: »In der Tat. Dann erst werde ich Humor notwendig brauchen. Warum bist du eigentlich als Caer verkleidet? Es stünden dir ein weißes Gewand und ein Schimmelgespann weit mehr!« Mythor berichtete, wie er und seine Freunde sich als Kundschafter durchgeschlagen hatten. Wieder versuchte er, jemanden vor den magischen Vorbereitungen der Dämonenpriester zu warnen. Aber auch Arruf schien die Wirkung der Schwarzen Magie geringzuachten. Er brummte schließlich: »Dein Vorschlag ist nicht verlockend. Aber er ist der einzige, den man mir in den letzten Stunden machte. Wenn es um das Schicksal der Welt geht, werde ich natürlich kämpfen. Vorausgesetzt, ich finde ein paar standesgemäße Waffen. Einen 166
Helm beispielsweise, ein Schwert und so weiter. Wie weit lassen wir uns schleppen?« Mythor dachte an die Karte des Landes, so, wie er sie unvollkommen in seiner Erinnerung hatte. Sie befanden sich ohne Zweifel zwischen der Mündung der Lorana und der Stelle, an der sie von der Yarl-Linie geschnitten wurde. Sein Weg hatte demnach im Kreis herumgeführt. Östlich des ChurkuuhlPfades befand sich Vercins Mühle mit seinen Tieren. Er fragte sich, ob er Arruf etwas vom Einhorn erzählen sollte, unterdrückte aber diesen Wunsch. »Auf alle Fälle bis über die Yarl-Linie!« sagte er nachdrücklich. »Hast du sie schon überquert?« »Mehrmals. Nichts leichter als das!« prahlte Arruf. »Das Land ist leer, und nur die Besten und Schnellsten vermögen zu überleben.« »Nicht anders ist es«, mußte ihm Mythor beipflichten. »Zu denen zählst du dich. Kann es sein, daß du nur Glück hattest?« »Auf die Dauer hat hier im Norden nur der Tüchtige Glück.« »Und die Caer, zweifellos. Es wird uns nicht schwerfallen, uns auf dem Floß zu vertragen.« »Es gibt keinen Schatz, um den wir streiten«, stimmte Arruf zu. »Aber vielleicht springt mich der Wunsch an, das Mammut zu besitzen? Wer weiß?« »Von mir aus kannst du damit bis zur Schattenzone reiten.« »Das wäre gar keine so üble Idee«, sagte Arruf und verzog das Gesicht, als der Wind ihnen wieder eine Wolke Gestank in die Nase wehte. Im Gedärm des Riesentieres polterte und kollerte es unaufhörlich. Aber das Tier zog unverändert das Floß entlang den Windungen und den geraden Uferstrecken, und nur selten schrammten die Baumstämme am Ufer. Als sich Arruf sicher glaubte, kletterte er über den Wall der Steine und ließ sich neben Mythor fallen. Er setzte sich auf das Deckenbündel und zeigte auf die beiden prall gefüllten Sattel167
taschen. »Ich habe vergessen, die Caer um einige Brotlaibe zu bestehlen. Hast du etwas Nahrhaftes in deinem Schnappsack?« »Nicht viel. Aber ich teile es gern mit dem großen Krieger, der mit mir Rücken an Rücken gegen das Böse kämpft«, versprach Mythor lachend. Hatte er einmal die Yarl-Linie hinter sich und war wieder im Besitz seiner Tiere, würde er auf Pandor zu Graf Corian reiten, und zwar in rasendem Galopp. Er mußte Corian davon abbringen, die Schlacht zu beginnen und seine Männer zu opfern. * Sicher würde es Mythor gelingen, den abergläubischen Ugalier zu überzeugen. Jede einzelne Beobachtung von magischen Beschwörungen war geeignet, Graf Corian schwankend zu machen: angefangen vom Zingel über Murdons Tod und den dämonenbesessenen Krude. Mythor schüttelte sich schaudernd. »Was hast du?« fragte Arruf. »Friert dich etwa in diesem warmen Frühlingslüftchen?« Das Wasser des Flusses strömte eisige Kälte aus. Von Frühjahrswärme war hier nichts zu spüren. »Ich denke an Graf Corian und daran, daß unzählige Männer sterben müssen«, sagte er und schüttelte den schlaffen Weinschlauch. »Wir trinken die letzten Schlucke auf uns, denn wir werden überleben.« Mythor war von diesem Spruch ebenso überrascht wie von einigen anderen Wendungen des Gespräches. Arruf wurde noch ein wenig undurchsichtiger. »Du bist davon überzeugt?« fragte Mythor knapp. Arruf schenkte ihm ein strahlendes, offenes Grinsen, das al168
len Verdacht hinwegwischte. »Natürlich. Ich vergesse niemals meinen eigenen Vorteil. Schließlich lebe ich nur einmal. Und da lohnt es sich, ein wenig darauf zu achten, wohin man seinen Fuß setzt!« war die Antwort. Mythor dachte über das Gehörte nach, zog den Verschluß aus dem Mundstück des Weinschlauchs und nahm einen Schluck. Dann sagte er: »Dies war ein kluger Ausspruch. Ich bin sicher, du meinst es ehrlich.« »Männer wie dich belügt man nicht unbestraft«, sagte Arruf leichthin. »Her mit dem Schlauch!« Auch seine Fähigkeit, Wein zu trinken, war keineswegs unterentwickelt, sagte sich der Sohn des Kometen. Er hatte schon mit schlechteren Kameraden getrunken. Trotzdem war seine Vorsicht nicht eingeschläfert. Er würde wachsam bleiben und schlug vor: »Erstens: Laß mir noch etwas übrig. Zweitens: Hast du geschlafen? Drittens: Ich bin müde… Hältst du die erste Wache?« Leere Ufer zogen an ihnen vorbei. Weit hinter dem Floß sahen sie jetzt in unterschiedlichen Abständen zwei beladene Flöße, ebenfalls von Mammuts gezogen. Ein leeres Floß trieb am anderen Ufer rasch flußabwärts. Immer wieder schrie eines der zottigen Tiere und rief mit seinem Schrei vielfache Echos hervor. Es gab weder ein Zeichen, daß sich die Yarl-Linie näherte, noch davon, daß der Schneefalke seine Kreise zog. »Warum nicht?« Arruf sah zu, wie Mythor bedächtig das letzte Stück Käse in zwei Teile zerschnitt. »Denkst du, daß du in deiner Caer-Verkleidung leichter davonkommst?« »Vielleicht. Hier wimmelt es von Caer.« »Gut. Versuch zu schlafen. Ich werde Wache halten!« sagte Arruf. Und diesmal lachte er nicht. Mythor fühlte sich sicher, obwohl er das Aufblitzen in Arrufs Augen gesehen hatte. Beim Teilen des Essens hatte sich das Tuch um die Hörner und Bänder des Helms der Gerechten 169
gelockert. Ein merkwürdiger Weggenosse, dachte Mythor. Durch einen Spalt der geschlossenen Lider beobachtete er Arruf. Jede Bewegung des anderen war, ähnlich wie bei Gapolo ze Chianez, schnell und sicher, zeigte Selbstvertrauen und eine hervorragende Ausbildung von Verstand und Körper. Seit einem Tag und einer halben Nacht waren sie unterwegs. In zwei Tagen war Wintersonnenwende, in zwei Tagen strahlte der volle Mond. Die Frauen verfallen ihm, meinte Mythor erkannt zu haben, und den Männern ist er ein guter Kumpan, dessen heitere Sprüche jedermann schätzt. Falls es zum Kampf kam, davon war er überzeugt, wütete Arruf wie ein rasender Teufel. Die Ähnlichkeit mit Mythor war verwirrend; weniger die des Aussehens als der Art, in der Arruf handelte. Jetzt schnitzte er im schwachen Mondlicht mit Mythors Dolch an einem Knüppel herum, dessen knolligem Ende er das Aussehen eines Streitkolbens gab. Sie hatten abwechselnd gewacht und geschlafen. Es war feucht, aber sie konnten sich ausstrecken. Mythor bewegte sich, streckte die Arme aus und gähnte. »Endlich wach?« fragte Arruf. Mythor nickte, brummte etwas und kletterte, die waagrecht geschichteten Steine als Leiter benutzend, zum höchsten Punkt des Stapels. Er schaute dorthin, wo der stechende Geruch herantrieb. Unverändert zerrte das Mammut das Floß hinter sich her. Es hatte nicht ein einziges Mal angehalten! Der Fluß war in beträchtlicher Länge zu überblicken. Auf den kleinen Wellen tanzte das Mondlicht. Nicht allzuweit vor ihnen brannten Feuer. Fackeln bewegten sich. »Bald haben wir das Ende der Fahrt erreicht«, sagte Mythor leise. »Ich sehe vor uns die Stelle, an der die Steine für den Zingel abgeladen werden.« 170
»Ich glaube nicht, daß uns die Caer freundlich bewirten werden«, gab Arruf zurück und schnitzte weiter an seiner Waffe. »Schwerlich! Du kennst meinen Plan?« »Du hast ihn oft genug erklärt. Ich weiß nicht, ob er gut ist – es wird sich an Ort und Stelle zeigen.« Mythor hatte Arruf vorgeschlagen, das Floß zu verlassen und entlang dem Ufer zu Vercins Mühle zu rennen. Dort gab es Wärme, ein heißes Bad, Bier und Essen und Pferde. Ab der Mühle waren sie schneller beweglich und würden sich zu Corian durchschlagen. »Hast du eigene Pläne?« »Das weiß ich noch nicht. Sei nicht so ungeduldig«, brummte Arruf und schnitt gekreuzte Linien in den Handgriff der Keule. »Es dauert noch Stunden, bis wir bei deinen Freunden sind.« Der Wein war ausgetrunken, es gab nichts mehr zu essen. Nicht nur Mythors Magen knurrte wie Hark, der Bitterwolf. Die scheinbare Ruhe des Weggenossen regte ihn auf. Die zweite Hälfte der Nacht war längst angebrochen, als das Mammut einen weithin hallenden Schrei ausstieß, der tatsächlich zwischen den ansteigenden Ufern wie das Große Schaurige Horn aus den Phantastereien des Mautners klang. Arruf nickte Mythor zu, schwang sich nach links über Steine und turnte, fast unsichtbar, zum Vorderteil des Floßes. Mythor rief unterdrückt: »Was hast du vor?« »Etwas, wobei ich mir ungern zusehen lasse«, gab Arruf ebenso zurück. Mythor lauschte unruhig, aber er hörte nichts als das immerwährende Knarren der Zugseile und die anderen vertrauten Geräusche. Und dann überschlugen sich die Ereignisse. Die ersten Feuer lagen bereits hinter dem Floß. Am Uferhang waren Stangen, zerbrochene Steinsäulen und lange Bretter zu sehen. Nur wenige Menschen bewegten sich hier. Undeutlich 171
hoben sich die massigen Gestalten einiger Mammuts ab. Das Floß begann ganz plötzlich zu schaukeln, die gestapelten Steinklötze knirschten und splitterten ab. Dann gab es einen peitschenden Knall, und ein Teil des Zugseils flog klatschend über Mythors Kopf. Das Floß scherte aus und stellte sich stärker in die Strömung. »Bist du wahnsinnig?« ächzte Mythor. Neben ihm bewegte sich ein Stapel Steine. Er sprang nach unten und riß sein Bündel an sich. Keinen Augenblick zu früh, denn das zweite Seil zerriß. Mythor begriff erst einige Herzschläge später, daß Arruf über das Ende der Floßfahrt seine eigenen Vorstellungen hatte. Die Seile waren nicht gerissen! Sie waren von Arruf mit Mythors Dolch durchgeschnitten worden. Das Floß schlingerte, die Baumstämme bewegten sich wellenförmig gegeneinander. Die ersten Steine stürzten polternd ins Wasser. Das Floß trieb noch mehr ab und stand jetzt quer zur Strömung. Mythor sprang und kletterte um sein Leben und arbeitete sich zum Vorderteil des Floßes durch. Hinter ihm brachen die nächsten Stapel zusammen. Einige Steine klatschten schwer ins aufschäumende Wasser, die anderen ließen das Floß halb eintauchen und kippen. Mythor holte tief Luft, bereitete sich auf die Kälte vor und sprang von der vordersten linken Ecke des Floßes ins Wasser. Die eisige Kälte der Lorana schlug über ihm zusammen. Mit beiden Beinen und dem rechten Arm versuchte er so schnell wie möglich zu schwimmen, tauchte auf und sah den tanzenden Lichtschein der Feuer und Fackeln vor sich. Er schwamm weiter und zwang sich, die Kälte zu vergessen. Jetzt stellte sich hinter ihm das Floß fast hochkant, und die Steine versanken. Das Mammut drehte sich am Ufer, wurde halb ins Wasser zurückgerissen und peitschte mit dem langen Rüssel in pani172
scher Furcht das Wasser. Mythor sah aus dem Augenwinkel, wie ein Rüsselhieb den Novizen fünfzehn Mannslängen weit vom Ufer ins Wasser schleuderte wie eine Stoffpuppe. Vor Mythor, der schon festen Grund unter seinen Füßen zu spüren glaubte, tauchte Arruf auf. Er hielt die Keule und schwang mit der anderen Hand den blitzenden Dolch. Wortlos warf er sich Mythor entgegen und schlug mit der Keule zu. Jetzt war Mythor nicht mehr überrascht. Mit einem ähnlichen Überfall hatte er gerechnet, seit das erste Seil gerissen war. Er duckte sich tief ins Wasser, schluckte und fühlte den Schlag fast wirkungslos tief im Rücken. Aber unter Wasser merkte er, wie Arruf nach dem Bündel der Satteltaschen griff und wie der falsche Freund versuchte, mit der Klinge den Riemen zu durchtrennen. Der Helm der Gerechten sollte nicht seine Beute werden! Mythor warf sich hin und her, riß die Beine an den Körper und trat wild um sich. Einmal traf er und merkte, wie er den Körper Arrufs weit von sich stieß. Er tauchte auf und schnappte gurgelnd nach Luft. Es gelang ihm, einige Schwimmstöße zu machen, und während die Gestalten am Ufer zusammenliefen, rutschten seine Sohlen auf den glatten Flußkieseln aus. »Eines Tages, eines fernen Tages…«, keuchte Mythor, bückte sich und packte einen Kiesel. Er riß ihn hoch und schleuderte ihn nach Arruf. »… treffe ich dich wieder…« Der Stein streifte die Holzkeule Arrufs, der eben aus dem Wasser auftauchte, und traf schwer die Schulter des Mannes. Mit einem ächzenden Laut wurde der andere zurück ins Wasser geschleudert und schwamm mit der Strömung. »… und dann rechne ich mit dir ab, mein braunäugiger Freund und Meisterlügner!« sagte Mythor voller Grimm. »Warte nur!« 173
Während Mythor halb schwimmend, halb watend auf das Ufer zustrebte und den heranrennenden Gestalten auswich, wandte sich Arruf ab und schwamm schräg zum anderen Ufer der Lorana. Nach einigen Schwimmstößen verschwand er aus dem vagen Licht der Feuer und Fackeln. Mythors Sohlen berührten festen Grund. Er rannte sofort los. Er befand sich auf dem nördlichen Ufer; nicht weit entfernt weiter flußaufwärts lag die Mühle. Einige Pfeile heulten durch die Dunkelheit und verfehlten ihn. Sie schlugen mit kurzem Klatschen ins Wasser. Er rannte keuchend und frierend um sein Leben. Die meisten Arbeitssklaven der Caer liefen auf die Stelle zu, an der sich das Mammut drehte und gegen die langen Taue kämpfte. Mythor huschte aus dem Licht hinaus und sprang auf das feste Ufer. Er versuchte, etwas vor sich deutlicher zu erkennen. Seine Kleidung troff, trotzdem fror er noch nicht, denn er bewegte sich schnell. Die Caer hinter ihm schrien und fluchten. Peitschen knallten, und immer wieder stieß das Mammut seine fürchterlichen Schreie aus. Die anderen Zugtiere am Uferdamm antworteten und gebärdeten sich wie rasend, denn in Mythors Ohren ertönte ein andauerndes Bersten und Krachen. Einige Zeit später kletterte Mythor rutschend den Hang aufwärts und lehnte sich keuchend und fröstelnd an einen Baumstamm. Die Caer hatten nicht genau erkannt, wie es zu dem folgenschweren Zwischenfall gekommen war. Die Pfeile hatten ihm gegolten, aber er war nicht als Urheber des kenternden Floßes angesehen worden. Er sah sich um. Er hatte es geschafft, die Yarl-Linie zu überschreiten. Der breite Geländeeinschnitt war dort, wo die Feuer brannten und die Langsteine entladen wurden. Der durchnäßte, frierende Kundschafter setzte sich wieder in Bewegung und 174
hoffte, bald das Rauschen des Baches und das mahlende Dauergeräusch der drei Mühlräder hören zu können. Während Mythor flußaufwärts hastete und zu seiner Erleichterung das Lärmen hinter sich undeutlicher und schwächer wurde, vergingen die letzten Stunden der Nacht. Dicke Nebelschwaden stiegen vom Fluß und aus den Wäldern auf. Nur die Trompetenschreie der Mammuts hallten durch das Flußtal. Schemenhaft tauchten vor Mythor die schwarzen Äste der kahlen Bäume auf, die den Bachlauf säumten. Ein Gatter lag zerbrochen am Boden. Überall waren Hufspuren sichtbar. Mythor schob sich seitwärts in die Deckung der Büsche, aber voller Erleichterung sah er, daß der Nebel sich verdichtete. Langsam ging er weiter, die schweren Satteltaschen und die Decken über den Schultern. Aus dem Mantel und dem anderen Stoff liefen noch immer dünne Wasserfäden. Wieder packten Unsicherheit und Verzweiflung den jungen Mann. Es war fast zuviel, was auf ihn eindrang. Jetzt war es die Sorge um seinen wertvollen Besitz: die drei Tiere. Vorübergehend mußte er das Hochmoor und die kommende Schlacht der gigantischen Heere vergessen. Behutsam pirschte weiter auf den Bachlauf zu. »Einhornreiter ohne Einhorn!« murmelte er. Der Nebel verschluckte das erste Tageslicht und jedes Geräusch. Fast jedes Geräusch, denn nach einer kurzen Wanderung hörte er tatsächlich das Knarren der Räder und das Rauschen des Wassers. Die Laute sagten ihm, daß die Mühle nicht zerstört war. Aber die vielen Spuren schienen zu beweisen, daß er auch hier plötzlich vor einer Caer-Wache stehen mochte. Er blieb stehen und zog bedächtig sein Schwert. Im Gebüsch, das halb in dem gespenstisch treibenden Nebel verborgen war, gab es knackende Geräusche. Plötzlich ein heiseres Knurren, dann ein jaulender, bellender Laut. Ein schlan175
ker Körper schoß wie ein grauweißes, großes Etwas auf Mythor zu und sprang ihn mit gefletschten Zähnen und angelegten Ohren an. »Hark!« Mythor schrie es fast. Der Bitterwolf drehte sich mitten im Angriffssprung und landete mit den Vorderpfoten an Mythors Brust. Er heulte leise vor Freude auf und fing an, Mythor wie rasend mit der langen Zunge zu lecken. Mythor tätschelte den Wolf, griff in das dicke Nackenfell und schüttelte das hechelnde Raubtier hin und her. Spielerisch schnappte Hark nach Mythors Fingern und gebärdete sich wie verrückt. »Ist schon gut, mein Freund«, murmelte Mythor. »Du siehst gut aus. Keine Wunden, glattes Fell. Hoffentlich geht es den anderen beiden auch gut?« Der Wolf schmiegte sich an Mythors Knie, lief zwischen seinen Beinen hindurch und umsprang den Kundschafter. Dann blieb er stehen, riß den schlanken Kopf in die Höhe und stieß ein leises, langgezogenes Knurren aus. Es war ein Laut der Warnung; seine Körperhaltung besagte genau dasselbe. Mythor kauerte sich, ohne das Schwert loszulassen, zu Boden und vollführte einige Gesten. Er wußte, daß der Wolf die Handbewegungen und die Körperhaltung einigermaßen verstand. Das Tier funkelte ihn aus den hellen Raubtieraugen an und grollte tief in der Kehle. »Also los!« sagte Mythor knapp. »Hilf mir!« Hark senkte den Schädel, warf sich herum und sprang in langgestreckten Sätzen davon. Der Nebel verschluckte ihn. Mythor hielt das Schwert quer vor sich und lief hinterher. Er lauschte aufmerksam, aber er hörte keine verdächtigen Geräusche. Plötzlich stand er am Rand des Baches. Auch hier war der feuchte Boden von Hufspuren und Fußabdrücken aufgewühlt. Mythor wandte sich nach rechts und ging dem Rauschen und 176
Knarren der Wasserräder nach. Vor ihm erscholl ein lautes Wiehern. Nach einigen Schritten schob sich ein schwarzer, feuchter Körper aus dem Nebel hervor. Kaum hatte Pandor seinen Herrn gesehen, sprang er im Galopp auf ihn zu und hob den Schädel, um mit dem langen Horn Mythor nicht zu verletzen. »Pandor!« rief Mythor. »Verdammt! An deinem Horn…« Der schwarze Einhornhengst stemmte dicht vor Mythor die Vorderhufe in den Boden und stieg dann plötzlich hoch. Wieder wieherte Pandor. Sein Schweif peitschte die klamme Luft, seine Mähne schwang hin und her. Mythor senkte das Schwert und legte seinen Arm um den Hals des Tieres. Das weiße Horn, das aus Pandors Pferdeschädel hervorwuchs, war voller Blutspritzer. Die Spitze sah aus, als habe man sie in Blut getaucht. »Es hat also hier Kämpfe gegeben!« murmelte Mythor, und seine Beklemmung wuchs. Schnell untersuchte er den Körper seines Reittieres und warf, als er weder einen Riß noch eine Wunde sehen konnte, die Satteltaschen hinter der Mähne über den Hals des Tieres. »Auch dich hat Vercin gut versorgt!« sagte er voller Staunen. »Wie Hark. Du stehst gut im Futter, Pandor!« Wahrscheinlich hatte die junge Lorana das Fell gebürstet und das Tier wie Hark gut gefüttert. Aber die Blutspuren deuteten darauf hin, daß die Arche mitsamt ihren rätselhaften Figuren Schauplatz einer Auseinandersetzung gewesen war. Mythor lief neben Pandor her, den linken Arm über dem Hals des Rappen. Der breite Pfad führte direkt auf die Stelle zu, an der der Bach in die Lorana mündete. Ringsum herrschte, abgesehen von den dauernden Geräuschen der Räder und dem Knirschen, Klappern und Klirren aus dem Inneren der Mühle, äußerste Ruhe. 177
»Das alles ist sehr rätselhaft und behagt mir keineswegs«, sagte sich Mythor und versuchte, mit seinen Blicken den dichten Nebel zu durchdringen. »Horus fehlt mir, aber er wird sich wohl bald einstellen.« Caer! Überall waren Caer. Er vermutete sie auch hier. Als er weiter auf dem bekannten Pfad auf die seltsame Mühle des Mautners zuschritt, schob ein erster Wind der Morgendämmerung die Nebelschwaden zur Seite. Mehr Bäume, Äste und Sträucher tauchten aus dem diffusen Nebel auf. Über Mythor war plötzlich ein anderes, aber ebenso vertrautes Geräusch: das Schwirren von Flügeln und ein scharfer, krächzender Laut. »Und das ist, zu guter Letzt, Horus, mein Schneefalke«, stöhnte Mythor voller Erleichterung auf. Der Schneefalke kam aus dem Nebel, wirbelte mit einer Serie von schnellen Schwingenschlägen die Luft durcheinander und schlug seine Krallen, als er landete, in den Stoff des CaerWamses über Mythors Schultern. »Auch du, mein Kleiner«, sagte der Sohn des Kometen und war erleichtert. »Du hast also auch überlebt. Und wenn ich jetzt ein heißes Bad bei Vercin und Lorana bekomme, überlebe womöglich sogar ich.« Seine Tiere waren gesund und in Sicherheit. Der Griff Altons schmiegte sich warm und zuverlässig in seine Finger. Die Geräusche, die er wiedererkannt hatte, wurden lauter. Der nächste warme Windstoß wirbelte den letzten Nebel zur Seite, und Mythor stand direkt vor zwei Caer, die nicht weniger überrascht und erschrocken waren als er selbst. Sie starrten ihn an. Dann, ohne ein Wort, fuhren ihre Hände an die Schwertgriffe. Sie rissen die Waffen aus den Scheiden und drangen sofort auf Mythor ein. Der Sohn des Kometen stieß sich von Pandor ab. Das Einhorn sprang auf einen der Caer los und drehte sich halb im 178
Sprung. Der Rappe keilte blitzschnell aus und traf den Mann an der Brust. Der Caer wurde, indem er sich mehrmals in der Luft überschlug, wie eine Puppe in die Büsche geschleudert. Mythor erwartete den Angriff des anderen. Obwohl er wußte, daß er in Wirklichkeit tatsächlich nicht anders als ein CaerSoldat aussah, erkannte ihn der andere als Gegner. Klirrend prallten die Breitseiten der Schwerter gegeneinander. Mythor wich aus und schlug zu. Er parierte die schnellen und heftigen Schläge mit dem Schwert, denn er besaß keinen Schild mehr. Durch die Stille des Morgens hallten die klirrenden Schläge, und das Gläserne Schwert schlug tiefe Kerben in das Metall der anderen Waffe. Gleichzeitig trieb der wütende Wirbel, mit dem Mythor den plötzlichen Angriff beantwortete, den Caer rückwärts auf den Rand der Uferböschung zu. Der Krieger war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, aber schon nach zwei Dutzend Schlagwechseln befand er sich in der Verteidigung, wich Schritt um Schritt zurück und versuchte, den Schlaghagel Mythors zu parieren. Seltsam war, daß keine anderen Soldaten auftauchten. Der Schneefalke war nach dem zweiten Schwerthieb von seiner Schulter hochgeflattert. Der Wolf kämpfte irgendwo nahe dem Eingang zu Vercins gestrandetem Mühlenschiff mit einem menschlichen Wesen laut, aber unsichtbar. Und Pandor schien zwischen Mythor und der Mühle hin und her zu galoppieren. Mit einem wütenden Hieb, fast waagrecht geführt, wollte Mythor den Kampf beenden. Der Caer bog seinen Körper nach hinten. Die Spitze des Schwertes, das bei jedem Hieb ein klagendes Summen ausstieß, pfiff einen Fingerbreit an seinem Magen vorbei. Der Mann stolperte und riß beide Arme hoch. Dann kippte er nach hinten in den Bach und wurde von der reißenden Strömung gepackt. 179
Mythor sah, wie ihn das Wasser gegen die Gefachungen des Mühlrads schleuderte. Das riesige Rad drehte sich knirschend weiter, wirbelte den Körper mit sich und warf ihn wieder in das Wasser jenseits des Rades. Die Strömung riß den Caer mit sich und schleuderte ihn einige Mannslängen tiefer in das Wasser der Lorana. Stille breitete sich aus. Binnen weniger Atemzüge versammelten sich Pandor, Hark und Horus wieder um ihren Herrn. Mythor lief auf die kanzelartige Eingangstür zu. Seine Schritte polterten dumpf auf der schrägen Holzfläche. Neben dem Aufgang standen große Säcke. Sie waren nur zum Teil zugebunden. Mythor machte einen Satz und griff hinein. Grobkörniges Mehl rieselte durch seine Finger. Die winzigen Körner fühlten sich ungewohnt hart an. Mythor erinnerte sich an eine Bemerkung, die Gapolo oder Lamir gemacht hatten… Unterhalb des verwirrenden Universums aus Figuren und Gestalten befanden sich Mühlsteine, mit denen man auch Korn mahlen konnte. »Mehl… Mehl aus Körnern ist das nicht!« brummte er verwirrt. Dann schrie er: »He! Vercin! Lorana! Der Herr des schwarzen Einhorns ist hier. Öffnet eure Burg und laßt mich ein!« Aber dabei spähte er wachsam um sich. Auf der Holzplatte, zwischen den einzelnen Stufen, entdeckte er ganze und zersplitterte Knochen. Sie sahen aus wie Teile von Skeletten, die man aus der dunklen Ruhe ihrer Gräber herausgerissen hatte. Caer! Dämonenpriester! Wieder erwachte sein Mißtrauen! Dies waren nach seiner Ansicht Menschenknochen, die mit Hilfe des granitenen Mahlwerks zu Knochenmehl zermahlen werden sollten. »Deshalb also die Caer-Wächter!« murmelte er, und im gleichen Augenblick öffnete sich das massive Holztor. 180
Lorana stand darin und starrte ihn verwirrt an. Sie wirkte, als habe man sie geschlagen. Abgezehrt, hohläugig und voller Schrecken. Ihre Kleidung war zum Teil zerrissen und verschmutzt. Sie konnte nur noch stammeln: »Mythor!« »Kein anderer!« sagte der Einhornreiter und breitete die Arme aus. »Ich bin hier und brauche Essen, guten Zuspruch und ein heißes Bad.« »Aber…«, begann das junge Mädchen, das in den vergangenen Tagen um Jahre gealtert schien. »Die Caer sind überall.« »Zwei Caer weniger«, sagte Mythor. »Du kannst mir berichten, was geschehen ist. Aber zuerst laß mich hinein.« Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Binnen kurzer Zeit brachte Lorana trockene Kleidungsstücke. Mythor wusch sich in einem Kessel voll warmen Wassers und streifte sich die Kleider über. Er aß und trank, während er sich reinigte. In der gesamten Zeit saß Vercin schweigend am Tisch und stierte mit blinden Augen vor sich hin. Vor dem Eingang, den sie geöffnet zurückgelassen hatten, standen Pandor und Hark und würden die ersten Eindringlinge vertreiben. Schreckensbleich stotterte Lorana: »Die Caer brachten Wagenladungen voll Knochen. Sie mahlen die Knochen in unserer Mühle!« »Entweiht… geschändet… das Große Schaurige Horn hat geblasen…«, lallte ihr Ziehvater. Der Mann schien den schmalen Grad zwischen Vernunft und Wahnsinn überschritten zu haben. »Sie haben die Knochen gemahlen?« fragte Mythor, aß und trank dünnes Bier. Er wartete darauf, daß seine hochschäftigen Stiefel am Herdfeuer trockneten. »Sie zerkleinerten die Knochen zu Mehl. Du hast die Säcke gesehen. Und sie kommen wieder.« »Was wollen sie mit dem Mehl aus Menschenknochen?« fragte Mythor kauend und daher undeutlich. 181
»Das weiß ich nicht. Die Tiere meines Ziehvaters«, klagte das Mädchen, »sind alle geflohen.« »Wann?« fragte der junge Krieger. »Drei Tage ist es her. Oder vier, fünf Tage. Ich weiß es nicht mehr.« »Alles vergebens«, brummte Vercin. »Das Universum wird zusammenbrechen. Die Lichtwelt stirbt. In ganz, ganz kurzer Zeit wird meine Arche zerstört werden.« Vercin wandte Mythor sein bärtiges Gesicht zu. Die Haut war grau und verfallen. »Meine Tiere stöhnen, wimmern und schreien!« sagte er mit einer verrostet klingenden Stimme. »Geh hinaus, Lorana, mein Lieb, und füttere sie.« Das Mädchen und Mythor wechselten einen langen Blick des Einverständnisses und der tiefen Trauer. Die Gedanken Vercins waren endgültig verwirrt. Mythor rieb seine Zehen mit einem Tuch trocken und faßte in die Schäfte der Stiefel. Sie waren noch nicht trocken. Er packte die Reste des Essens ein und sagte leise: »Wir müssen von hier weg. Ich bringe dich zu Graf Corian in Sicherheit. Es gibt zu viele Caer hier.« »Ich komme mit dir, Mythor«, flüsterte Lorana und warf einen ratlosen Blick auf Vercin, der sein verwittertes Gesicht in seinen hornigen Handflächen verbarg und langgezogen aufstöhnte. Draußen stimmte der Bitterwolf ein aufgeregtes Heulen an. Witterte er kommendes Unheil? Mythor wickelte einen Brotlaib in ein festes Tuch und schob ihn in die feuchte Satteltasche. Seine Haut, frisch gewaschen, prickelte und juckte. Er blickte in Loranas Gesicht und deutete in Richtung des Ausgangs. »Versuch«, sagte er entschlossen, obwohl er wußte, welche Last er sich mit seiner Gutmütigkeit auflud, »deinen Ziehvater zu mir hinauszubringen. Ich sehe nach dem Rechten.« 182
»Ich versuche es, Mythor!« versprach Lorana. Mythor fuhr in seine feuchten Stiefel, vergewisserte sich, daß er all sein Gepäck bei sich hatte, und sprang nach draußen. Die ersten Sonnenstrahlen zuckten wie gleißende Speere über das Land. Pandor trabte heran. Das Horn war von frischem Blut gerötet. In den Büschen hing ein Caer, der von dem Einhorn aufgespießt worden war. Der Bitterwolf stand unbeweglich neben dem Pfad und starrte Mythor aus glühenden Augen an. Mythor führte Pandor von der Arche mit den nach außen gebogenen Wänden weg. Der Nebel war verschwunden. Er hob den Kopf und blickte in den Himmel hinauf. Die Wärme des südlichen Windes kündigte sich an. Zwischen den großen Flächen aus hellem Blau trieben langgezogene Wolken nach Norden. Die Sonne hatte diesen Bereich des Flußtals noch nicht erreicht. Die Nebelschwaden zogen sich zurück, aber sie füllten den Raum zwischen den Ufern teilweise noch aus. Ein Mammut schrie aus der Richtung des Yarl-Pfades. Schauerlich hallte das Echo zwischen den Uferhängen. Im ersten Blau des neuen Tages zog der Schneefalke ruhig seine Kreise und flatterte ab und zu in einem warmen Höhenstrom der Luft. Ein letzter Stern funkelte am Himmel. Ein Stern? Mythor wurde abgelenkt. Er band gerade die Riemen seiner Satteltaschen, in denen sich der Helm der Gerechten befand, um Pandors Hals und wollte sich auf den Rücken des Einhorns schwingen. Im selben Moment kam Lorana aus dem Eingang und rief klagend: »Mythor! Vercin will nicht mit mir kommen!« »Verdammt«, murmelte der Kundschafter und rief, etwas lauter: »Ich komme und hole ihn!« »Ja. Ich warte!« Der Stern blinkte lebhaft und grell, ehe er unsichtbar wurde. Am nächsten Tag war Wintersonnenwende. Er würde Graf 183
Corian nicht mehr verständigen können. Nur ein Wunder vermochte ihm zu helfen. Er lief auf den Eingang zur Mühle zu und blieb auf halbem Weg stehen. Der Stern blinkte plötzlich nicht mehr! Er wurde größer und größer und schien direkt auf Mythor zuzufallen. »Undenkbar!« stöhnte der Sohn des Kometen auf, aber gleichzeitig scheute Pandor. Hark gebärdete sich wie rasend, sprang auf das Einhorn zu und zerrte das kräftige Tier, indem er es in die Vorderläufe biß und es, ohne es zu verletzen, mit sich zog, von der Mühle weg. Der Stern wurde größer, heller, dehnte sich aus, strahlte auf, und er zielte noch immer auf Mythor. Verwirrt schüttelte dieser den Kopf. »Lorana!« schrie er aus Leibeskräften. »Komm heraus! Wo ist Vercin?« Aus dem gleißenden Stern wurde eine kleine Sonne. Hinter der Lichterscheinung zeigte sich im dunstigen Blau des Morgenhimmels ein langer Streifen blendender Helligkeit. Es war kein Stern. Der Punkt wurde größer und größer. Vor ihm bildete sich ein hellrotes Glühen. Hark stieß ein schauriges Geheul aus und floh, die Rute zwischen die Hinterbeine geklemmt, bachaufwärts. Pandor wieherte, keilte aus und peitschte mit seinem prächtigen Schweif. Er bäumte sich auf und überschlug sich fast. Dann berührten seine Vorderhufe wieder den Boden. Das Tier warf sich herum und galoppierte in panischer Furcht in dieselbe Richtung, in die sich Hark geflüchtet hatte. Mythor rannte fünf Schritte weit auf die Mühlenarche zu und erstarrte, als er wieder nach oben blickte. Der Stern war riesengroß geworden. Vor ihm schien das Firmament zu brennen. Hinter ihm zeichnete sich ein gewaltiger Schweif aus kalkweißem Licht ab. Es war rundum totenstill geworden. Ein Stern fiel aus dem Himmel direkt auf Mythor zu. 184
Knarrend bewegten sich die Mühlräder. Lorana erschien am oberen Ende der Treppe. Sie zog und zerrte den, alten blinden Mann hinter sich her. Vercin wehrte sich und versuchte, sich an Griffen und Geländern festzuklammern. Er sagte nichts, aber das Stöhnen und Ächzen des Mädchens drang bis an Mythors Ohren. Mythor gebärdete sich plötzlich, als wisse er nicht aus noch ein. Ein Instinkt warnte ihn. Er wußte nicht, was er tat. Er warf sich herum, rannte auf Pandor zu und riß die Schnallen der Satteltasche auf. Mit einem Fluch schleuderte er den CaerHelm, nachdem er sich ihn vom Kopf gerissen hatte, weit zur Seite. Mit zitternden Fingern setzte er den Helm der Gerechten auf und hob wieder den Kopf. Heulen, Kreischen und Jaulen erfüllten die Luft. Der Stern war zu einem glühenden Etwas geworden, so hell, daß Mythor zwinkerte und blinzeln mußte. Mit einem Geräusch, das unbeschreiblich war, traf die winzige Sonne – ein Stein aus dem Himmel, dessen Erscheinen Wahnsinn und Furcht verbreitete – die Mühle. Ein kreischendes Pfeifen ertönte und brach ab. Mitten darin gab es ein ohrenbetäubendes Krachen, das lauter als hundert Donnerschläge war. Die Mühle wurde von der grellen Helligkeit getroffen und zersprang in Tausende und aber Tausende einzelner Teile, die in der Luft zu brennen begannen. Mythor fühlte, wie ihn eine wilde Kraft von den Beinen riß, in die Luft warf, umherwirbelte und dicht neben Pandor durch das Gebüsch schleuderte, dessen Ranken und Zweige seinen Fall dämpften. In seinen Ohren klirrte, pfiff und klingelte es. Dort, wo die Mühle eben noch gestanden hatte, war ein Krater. Alles brannte. Teile der drei Wasserräder wurden nach allen Seiten geschleudert. Ein ungeheuerliches Krachen ertönte, als die Helligkeit aufhörte, als die Brände ausbrachen, als riesige Fontänen aus Steinen, Wasser, Erde und brennendem Holz in den 185
Himmel wuchsen. Die Räder der Welt standen nicht nur still, sondern sie waren zertrümmert und zermahlen worden. Mythor kam, halb taub und mit blutender Nase, wieder auf die Beine. Er sah, daß Vercin von einer zerfetzten Astgabel, in die ihn der Luftdruck geschleudert hatte, aufgespießt worden war. Der blinde Greis war tot. Sein Lebenswerk war vernichtet. Mythor vermochte keinen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Eine Aura des Wahnsinns schlug ihm zugleich mit der Hitze von fünfhundert Feuern entgegen. Das riesige trichterförmige Loch im Ufer, das sich mit verdampfendem Wasser zu füllen begann, war für ihn ein Symbol für den kommenden Untergang. Alle die brennenden Bretter und Sparren, Balken und Schindeln, die Reste der Figuren und der Zahnräder, die Sträucher und einige Bäume – ihre Flammen verbanden sich zu einer heulenden und kreiselnden Zunge aus Feuer und Rauch, die sich in den Himmel drehte. Der Kundschafter handelte, ohne zu empfinden und ohne zu denken. Er kämpfte sich gegen den feurigen Sturm vorwärts und fand nach zwanzig tastenden Schritten den regungslosen Körper von Lorana, der ebenso wie seiner in einen federnden Busch geschleudert worden war. Mythor glaubte, daß ihn der Helm der Gerechten schützte, als er die Wellen des Irrsinns und der Verzweiflung vage spürte, die sich ausbreiteten. Schwarze Magie! dachte er, schob seine Arme unter Loranas Körper und hob ihn auf. Er lief zu Pandor zurück. Der Kometensohn warf den regungslosen Körper über seine Satteltaschen und kletterte auf den Rücken Pandors. Er mußte fort von hier. Als habe Pandor seine Gedanken gespürt, verfiel das Einhorn in einen schnellen Galopp und sprengte von der Stelle fort, an der ein fallender Himmelsstein die Mühle zerstört hatte. Hark lief neben Pandor nach Norden. Mythor warf 186
einen Blick über die Schulter und begann sich zu wundern: Trotz der Flammen und der Hitze, die aus dem Krater strömten, begann er zu frieren. Aus seinem Mund, aus den Nüstern Pandors und dem Rachen des Bitterwolfs fauchten plötzlich weiße Dampfwolken. Es war eisig kalt geworden. Vercin war von dem fallenden Sonnenstein getötet worden. Seine »Räder der Welt« gab es nicht mehr. Lorana war ohne Bewußtsein. Mythor floh mit dem Instinkt eines verwirrten Tieres in die Richtung zu Corians Hauptquartier. Obwohl Pandor wie rasend galoppierte, ließen die Wellen des Schmerzes und des Irrsinns nicht nach. Die Lichtwelt stirbt, wenn die Räder stillstehen, hatte Vercin immer wieder gesagt. Jetzt standen die Räder still… es gab sie nicht mehr. Hörte die Lichtwelt zu existieren auf? In eisiger Kälte, die von Herzschlag zu Herzschlag bitterer und beißender wurde, ritten Lorana und Mythor nach Norden. Hark rannte hechelnd neben ihnen, und über dem Einhornreiter flatterte der Schneefalke. Mythors Absicht war, Graf Corian zu erreichen und mit seinem Wissen die Lichtwelt zu retten. Jetzt ahnte er nicht einmal, ob es ihm gelingen konnte. Er wußte nur, daß er dem Zentrum der Flammen, der Hitze und des Wahnsinns entkommen mußte. Sein Ritt führte über bekanntes Land und durch beißende Kälte. Der Irrsinn saß in seinem Nacken. Und aus dem Morgenhimmel fielen die ersten Schneeflocken. Später verwandelten sie sich in kleine, nadelscharfe Hagelkörner.
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Ernst Vlcek
KÄMPFER DER LICHTWELT Aisanagh Lange nach der Geburt der Lichtwelt geschah dies: Die Schatten begannen sich wieder zu sammeln und brachen aus ihrem Gefängnis aus, um zurückzuerobern, was einst ihr Reich gewesen war. Und die Schatten wurden größer, das Dunkel kam und wollte herrschen; es schlich sich in die Herzen der Menschen, es führte ihre Waffenarme, und es verwirrte ihren Verstand. Doch die Lichtwelt war gewarnt und hatte sich gewappnet. Ihre Kämpfer griffen zu den Waffen und stellten sich dem Ansturm der Mächte der Finsternis entgegen. Und daraufhin folgten die Tage der großen Schlachten, der ruhmreichen Siege und der bitteren Niederlagen. Unzählige aufrechte Kämpfer der Lichtwelt gaben ihr Leben. Ihre Namen sind vergessen für die Sterblichen, aber sie sind unsterblich geworden, denn sie haben sich mit ihren Taten in das Buch der Welt eingetragen. Und in diesen Tagen trug es sich zu, daß Aisanagh auf der Flucht vor seinen Verfolgern in das Moor geriet. Er hatte alles verloren, sein gesamtes Heer, den Willen zum Kämpfen und seinen Glauben an die Macht des Guten. Aller Mut hatte ihn verlassen, als ihn die Schatten umringten und ihn im Moor in die Enge trieben. Er stand nur da; der Arm mit dem schartigen Schwert hing kraftlos herab. Und während ihn die Schatten umtanzten, kroch der Schlamm des Moores seine Beine hinauf. Er ließ es geschehen und dachte an Kanwall, den Träger des Helmes der Gerechten, der in der Schlacht von Kinweir einen großen Sieg über die Horden der Dunklen Mächte errungen hatte und der dann das Opfer eines heimtückischen Dämons geworden war… Und er sank tiefer in das Moor 188
ein… Vor seinem schrecklichen Ende hatte Kanwall den Helm der Gerechten an seinen Bruder Althar weitergereicht, der versprach, mit ihm für die Werte der Lichtwelt zu kämpfen. Erst da besann sich Aisanagh und stimmte das Hohelied der Menschlichkeit an. Doch tat er dies zu spät. Der zähe Schlamm verschloß ihm den Mund, und das Moor zerrte ihn unerbittlich in die Tiefe. Aisanagh sollte von nun an für lange Zeit ruhen… * Steine, die so alt wie die Welt waren, säumten Drudins Weg. Es gab nichts Unvergänglicheres als Stein, nichts, was Macht und Ewigkeit besser darstellen konnte. Stein war das Sinnbild für das Absolute. Drudin kam von Gianton, wo er die vier Todesreiter verabschiedet hatte. Er ging auf der unvollendeten Straße, die die Titanen vorgezeichnet hatten. Steine markierten den Pfad, den einst die Titanen legen wollten. Doch das Schicksal hatte verhindert, daß sie ihr Werk weiterführen konnten. Nun wurden wieder Straßen gebaut. Aus den Bergen des Karsh-Landes kam die Kunde, daß die Hohe Straße rasch ihrer Vollendung entgegenschritt, und am Fuß der Karsh-Berge verlief die Straße, die die Yarls gezogen hatten, durch das Land bis hin zur Küste von Elvinon. Diese sogenannte Yarl-Linie teilte das einst vereinte Land wie eine tiefe Kluft. Und seine Priesterschar war unermüdlich am Werk, diese Straße der dämonischen Macht weiter auszubauen. Ein ahnungsloser Beobachter hätte Drudin für einen einsamen Wanderer halten mögen, wenn er ihn entlang der Linie von Langsteinen einhergehen sah; für einen Wanderer, der seine Gestalt mit einem silberbestickten Umhang verhüllte 189
und den Kopf unter seiner Kapuze verbarg. Jedem Uneingeweihten wäre es wohl ähnlich ergangen wie dem einzelnen Soldaten, der Drudins Weg kreuzte. Der Krieger saß auf einem der Langsteine, die sich in langer, gerader Linie durch das Land zogen, ließ sein Gesicht von der Sonne bescheinen und genoß den trügerischen Frühling. Er wurde des Wanderers erst gewahr, als dieser genau vor ihm stand. Der Krieger zog sein Schwert und hielt es Drudin an die Brust. »Wohin in dieser Vermummung, Väterchen?« fragte er und lüftete mit der Schwertspitze Drudins Kapuze. Darunter kam ein ganz alltägliches Gesicht zum Vorschein. »Mein Ziel liegt südlich von hier«, antwortete Drudin und wechselte das Gesicht. Er hatte tausend Gesichter und mehr, und alle hatte er sie seinen Opfern gestohlen. Dem Krieger fiel es nicht auf, daß er ihm nun schon das dritte Gesicht zeigte, denn er wählte welche, die einander ähnlich waren. »Ich werde es gegen Sonnenuntergang erreichen.« »Du willst doch nicht sagen, daß du zu den Steinkreisen der Finsternis willst?« fragte der Krieger argwöhnisch. »Doch«, bestätigte Drudin, »mein Ziel ist stong-nil-lu-men. Ich werde dort erwartet.« »Von den Caer-Priestern?« wunderte sich der Krieger. »Dann haben sie dich mit ihrem unheimlichen Gesang gerufen und wollen dich ihren Dämonen opfern. Du hast Glück, daß du mich getroffen hast. Ich werde dich von diesem Weg abbringen, wenn nötig mit Gewalt. Ich hasse dieses Pack, das unser Land in einen Vernichtungsfeldzug gegen…« Der Krieger verstummte, als Drudin ihm das Antlitz einer Frau zeigte. »Du irrst«, sagte Drudin mit trügerisch sanfter Stimme, »wenn du glaubst, ich stünde unter einem fremden Zwang. Ich gehöre zu denen, welche jene Macht ausüben, die die Welt 190
beherrschen wird.« Der Krieger sprang mit einem heiseren Aufschrei von dem Langstein und hob sein Schwert zum Schlag. »Und wenn du Drudin selbst sein solltest, so bist du doch nur ein Sklave des Dämons, der dich beherrscht!« schrie er und wollte zustoßen. Aber dazu kam er nicht mehr. Ein schwarzer Blitz schlug in sein Gesicht ein und raubte ihm die Persönlichkeit. Zurück blieb ein glasiges Etwas, eine starre Maske ohne Ausdrucksmöglichkeit. »So ergeht es allen jenen, die nicht an die wahren Kräfte der Welt glauben«, sagte Drudin und ging weiter. Er trug jetzt das gestohlene Gesicht des Kriegers zur Schau. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal nach seinem Opfer um. Er sagte: »Eigentlich bist du mir zu nichts nütze!« Und mit diesen Worten entzog er ihm alles Leben und speicherte es für seinen Dämon in sich selbst. An das verdorrte Etwas, das von dem Krieger verblieben war, verschwendete er keinen Blick mehr. Ringsum erwachte die Natur in dem falschen Frühling, der aus der Schattenzone kam. Überall regte und reckte sich das Leben und sonnte sich in der unnatürlichen Wärme. Die Pflanzen trieben aus, und die Winterschläfer krochen aus ihren Höhlen, die Vögel erfüllten die Luft mit ihrem Gesang, und Insektenschwärme tanzten. Es war ihr allerletzter Tanz, bevor sie auf dem Altar der Schwarzen Magie geopfert werden sollten. Die Natur war nur zu dem Zweck geweckt worden, damit sie abgetötet werden konnte. Denn Leben in dieser Form hatte in der neuen Weltordnung, die mit dem Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende beginnen würde, keine Berechtigung. Die neue Weltordnung hieß Chaos, und sie würde morgen in Kraft treten. Morgen begann ein neues Zeitalter. Die Zeichen standen richtig. Drudin erreichte stong-nil-lumen.
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* Der äußerste Kreis bestand aus doppelt mannshohen Langsteinen und besaß einen Durchmesser von zweihundert Schritt. Die Steine waren schlank und liefen oben spitz zusammen. Es war Stein, der in der Abgeschiedenheit von Höhlen gewachsen war, geschliffener Stein, dessen Oberfläche die Altersschichten deutlich zeigte. Jede Schicht stand für mehrere Menschenalter. Und in die glatte Oberfläche waren Runen eingeschnitten, die jede für sich und alle zusammen eine besondere magische Bedeutung ergaben. Noch eine Besonderheit wiesen diese Langsteine des Außenrings auf: Sie waren im obersten Drittel durchlöchert, und auch auf der Innenseite dieser Löcher waren Runen zu sehen. Drudin durchschritt den Ring der Lochsteine und ließ dabei seinen Umhang fallen. Die Kälte, die ihn umfing, merkte er gar nicht. Sein Körper war dagegen unempfindlich. Der falsche Frühling war nicht bis stong-nil-lumen vorgedrungen. Diese Steinkreise aus Nicht-Licht waren in eine Wolke aus eisiger Luft gehüllt. Hier erstarrte das Wasser zu Eis und schlug sich in dicken Schichten auf den Steinen nieder. Drudin erreichte, nackt, wie er war, den mittleren Steinkreis. Seine tausend und mehr Gesichter hielt er hinter der schwarzwogenden Maske seines Nicht-Gesichts versteckt. So trat er dem Rat der obersten zwölf Priester entgegen, die ihn an den dreimannhohen Steinsäulen des zweiten Steinkreises erwarteten. Diese klobigen Steinriesen waren wie die nadelschlanken Tropfsteine über die gesamte Fläche mit Runenzeichen bedeckt. Diese Schriftzeichen waren zusammen mit dem Stein, in den sie gehauen waren, die Träger der Schwarzen Magie. In ihnen wohnte eine Kraft, die, richtig angewandt, Berge versetzen und Meere über die Ufer treten lassen konnte. 192
Wie schwach waren dagegen die Kräfte des Lichtes, zumal es kaum mehr Kundige gab, die mit ihnen umgehen konnten. Die wenigen, die die Weiße Magie noch beherrschten, würden bald vom Orkan der Dunkelmächte hinweggefegt werden. Parthan, der Oberpriester, der die Turniere in der Ebene der Krieger geleitet hatte, trat vor Drudin hin und wickelte ihn in das Untergewand. Nachdem dies geschehen war, kam Caiphor zu Drudin und legte ihm das Lederzeug an. Auf ihn folgten Ghannel, der ihm das Oberhemd anzog, und Rhongor, der ihm in die Beinkleider half. Donahin, Foghard und Amorat brachten ihm Umhang, Helm und Gesichtsmaske. Während der zeremoniellen Einkleidung hatte Drudin seinen Weg fortgesetzt und erreichte nun den innersten Steinkreis. Die viermannhohen Steine waren kantig und so dick, daß fünf Priester sie mit ausgestreckten Armen nicht umspannen konnten. Es handelte sich durchwegs um Steine, die vom Himmel gefallen waren. Sie waren härter als das beste Eisen, und dennoch waren auch in sie Runenzeichen geritzt. Jeder Stein war mit Runen so eng beschrieben, daß es keinen Zwischenraum gab. Und auf den aufrecht stehenden Meteorsteinen lagen gleichartige der Länge nach, die sie bedeckten und miteinander verbanden und so den Eindruck von Torbögen erweckten. Auch diese obenauf querliegenden Meteorsteine wiesen Runen auf. In ihnen wohnte eine Macht, die Drudin geradezu körperlich spürte, als er durch den innersten Ring ins Zentrum von stongnil-lumen trat. Hier standen noch fünf Dreisteine in hufeisenförmiger Anordnung. Jeder von ihnen maß in der Höhe fünf Mannslängen, und auch sie waren mit Runenzeichen übersät. Die offene Seite des aus Urgestein gebildeten Hufeisens wies nach Süden, in die Richtung, in der die Schattenzone lag. Diese Öffnung war zugleich ein magisches Tor und eine Brücke ins Reich der Finsternis. Dieses steinerne Monument war mehr als 193
nur eine Opferstätte. In seiner Gesamtheit war stong-nil-lumen das wichtigste Instrument der caerischen Dämonenmagie und gleichbedeutend mit dem EMPIR NILLUMEN. Das EMPIR NILLUMEN war in stong-nil-lumen verewigt. Es war das legendäre Zauberbuch der Schwarzen Magie – in Stein! In die Steine der drei Ringe und des Hufeisens waren alle magischen Gesetze, sämtliche Zauberformeln und Beschwörungszeichen eingemeißelt, die die Schwarze Magie kannte. Doch ihre Macht offenbarte sich nur dem Eingeweihten, der sie in der richtigen Reihenfolge zu lesen vermochte und die Zusammenhänge verstand. Das Studium der Runen allein genügte nicht. Viele waren gekommen, um der Macht der Schwarzen Magie teilhaftig zu werden, doch sie waren gescheitert. Entweder waren sie von den dämonischen Mächten, die sie freisetzten, ins Verderben gerissen worden, oder sie hatten sich mit einem Teilwissen begnügt und dieses als der Weisheit letzten Schluß in Umlauf gebracht. Auf diese Weise waren Abschriften des EMPIR NILLUMEN entstanden, aber sie waren alle verfälscht und unvollständig. Und es waren Abschriften gemacht worden, die noch mehr Fehler aufwiesen, und ein Gebrauch dieser Zauberbücher brachte für die Handhabenden mehr Gefahren als Nutzen. Es gab nur ein stong-nil-lumen, und es stand schon seit urdenklichen Zeiten. Es war eine Bastion der Dunklen Mächte in der Welt des Lichtes, von der aus sich die Finsternis über diesen Teil der Welt ausbreiten würde. Den Mittelpunkt von stong-nil-lumen aber bildete ein mächtiger Opferstein, der innerhalb der hufeisenförmig angeordneten Dreisteine stand. Es war ein mächtiger Block mit abgerundeten Kanten und einer glatten Oberfläche, die Vertiefungen und kleine Löcher hatte, die wie Poren von Menschenhaut 194
aussahen. Dieser Stein war von einer Dunkelheit, wie sie nur noch von der Schattenzone selbst übertroffen werden konnte. Dieser Steinblock war das Herz von stong-nil-lumen. Drudin bestieg ihn und legte sich darauf. Während sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne in den dicken Eisgebilden spiegelten, die die Runensteine bedeckten, ging Drudin in sich. Es galt, den letzten Streich gegen die Verbündeten der Lichtwelt einzuleiten. Bis jetzt war alles so gekommen, wie er es mit seinem Dämon geplant hatte. Die sogenannten Verbündeten der Lichtwelt waren in Sicherheit gewiegt worden und glaubten, gegen ein kleines Heer von Caer-Kriegern leichtes Spiel zu haben. Sie hatten das Hochmoor von Dhuannin als Schlachtfeld ebenso gebilligt wie den Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende als Zeitpunkt. Ahnten sie wirklich nicht, daß gerade an diesem Tag die Kräfte des Lichtes denen der Finsternis hoffnungslos unterlegen waren? Wußten sie nicht, was sich seit geraumer Zeit im Hochmoor zutrug? Ihre Kundschafter mochten ihnen über seltsame Vorgänge berichtet haben, berufene Magier mußten sie gewarnt haben, und doch wollten sie nicht wahrhaben, daß ihre Niederlage schon lange vor der Schlacht besiegelt war. Die Vorzeichen waren untrüglich. Während Drudin die Kraft aus dem Opferstein in sich aufnahm, starrte er in den sternenklaren Himmel. Dort oben braute sich etwas zusammen, was die Menschen bald zu spüren bekommen würden. Schichten kalter Luft sanken auf die Welt und verdrängten die Wärme, die die Natur in Frühlingsstimmung versetzt hatte. Eine Eiseskälte würde die Lichtwelt heimsuchen und den Boden für die Kräfte der Finsternis vorbereiten. Die Omen standen günstig. Das Hochmoor von Dhuannin trug die schwarzmagische 195
Saat in sich. Morgen war Wintersonnenwende. Bei Sonnenaufgang würde sich das Schicksal der Lichtwelt erfüllen.
Loranas Geschichte Sie war noch jung und stand erst im Frühling ihres Lebens. Sie lebte an der Seite ihres blinden Ziehvaters, der sie als Neugeborenes aus den Fluten des Flusses Lorana gefischt hatte. Und diesem Umstand verdankte sie ihren Namen. Als Vercin, wie der Name ihres Ziehvaters lautete, sein Augenlicht verlor, da ersetzte sie es ihm. Sie lebte mit ihm in seinem Landschiff, das er an den Ufern der Lorana gebaut hatte für den Fall, daß die Lichtwelt unter dem Einfluß der finsteren Mächte in den Fluten der Meere versinken würde. Vercin glaubte, daß die Lichtwelt bestehen konnte, solange sich die Räder seiner Mühlenarche drehten, die für ihn die Räder der Welt waren. Lorana war sicher, daß Vercin in seiner Blindheit einen Sinn entwickelte, mit dem er mehr sehen und hören konnte als andere Menschen mit Ohren und Augen. Und so glaubte sie an seine Prophezeiung vom bevorstehenden Untergang der Welt, und sie sah diesen gekommen, als ein Stern vom Himmel auf die Mühlenarche fiel und die Räder des Landschiffs zum Stillstand brachte. Lorana versank in einen Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachte. Ihr Lebenslicht, das nur so kurz gebrannt hatte, glomm noch, als Mythor sie auf den Rücken seines Einhorns legte und mit ihr in die Richtung von Graf Corians Heerlager ritt. Er verlangte Pandor das Letzte ab, um noch rechtzeitig einen Heilkundigen oder Magier in Graf Corians Diensten zu erreichen, der Lorana hätte retten können. Doch schon auf halbem Wege traf er die Nachhut von Corians Heer und erfuhr, daß dieser mit seinem Gefolge längst am Hochmoor von Dhuannin stand, um dort den Tag der größten Schlacht in der neueren Geschichte der Lichtwelt zu erwarten. So machte Mythor kehrt, überquerte die Lorana und erreichte den nördlichen Rand des Hochmoors. Und irgendwann zu dieser Zeit mußte es geschehen sein, daß das Lebenslicht des Mädchens endgül196
tig erlosch. Mythor blieb nur noch die traurige Pflicht, Lorana im Moor beizusetzen. Aber bald schon würde ein Funke in ihr eine Flamme entzünden, die kurz und heftig brennen sollte, bevor sie endgültig erlosch. * »Leb wohl, Lorana«, war alles, was ihm über die blaugefrorenen Lippen kam. Dabei hatte er die Arme vor der Brust verschränkt, um die klammen Hände in seinen Achselhöhlen zu wärmen. Er beobachtete, wie ihr Körper langsam im Moor versank. Es war klirrend kalt, sein Körper war wie steif gefroren. Vor Mythor bildeten sich Wolken, als er ausatmete. Er blickte ein letztes Mal zu der Stelle, wo der Körper des toten Mädchens im Moor versunken war, und dabei ging ihm einiges durch den Kopf. Vercin, der blinde Mautner der Mühlenarche, der Lorana großgezogen hatte, hatte einige Pläne mit ihnen gehabt. Er hatte ihn dazu ausersehen, zusammen mit Lorana ein neues Geschlecht zu begründen, falls die übrige Menschheit mitsamt der Lichtwelt unterging. Und nun waren Vercins Hoffnungen begraben: die Mühlenarche unter einem glühenden Stein, der vom Himmel gefallen war, Lorana im Moor. Aber es wäre auch so nichts geworden. Mythor dachte nicht daran, für die Zeit nach dem Untergang der Welt vorzubauen, er wollte ihn lieber verhindern. Und darum mußte er auf dem schnellsten Weg zu Graf Corian, dem Heerführer der Verbündeten der Lichtwelt, und ihn warnen. Mythor hatte jenseits der Yarl-Linie Dinge gesehen, die ihn zutiefst beunruhigten. Er mußte sich fragen, ob es ihm zu197
stand, um ein einzelnes Wesen zu trauern, das er dazu noch kaum gekannt hatte, wo so viele Menschenleben – ein Heer von ungefähr fünfzehnhundert Hundertschaften – auf dem Spiel standen. Und dazu noch der Fortbestand der Lichtwelt! Er war recht zuversichtlich, daß Graf Corian auf ihn hören würde, denn dieser fürchtete die Schwarze Magie wie sonst nichts auf dieser Welt. Es kam nur darauf an, ihn rechtzeitig zu erreichen. Die Sonne versank hinter den aufsteigenden Nebeln, der Himmel war klar. Keine Wolke trübte ihn, aber die sich zusammenballenden Nebel begannen ihn allmählich zu verhüllen. Unter Mythors Schritten knirschte das Eis. Bald würde der Boden hart gefroren sein, die Wasserstellen würden zu blankem Eis werden. Mythor zog sein Wams fester um den Körper, aber das half kaum gegen die Kälte. Sein Körper war fast schon ohne Gefühl. Gelegentlich wärmte er sich die Hände an seinem Gläsernen Schwert. Den Helm der Gerechten hatte er aufgesetzt, denn auch er bot ihm einen guten Schutz gegen die Kälte. Gerade als er Pandor erreichte und sich auf seinen Rücken schwang, klang ein langgezogenes Wolfsgeheul durch die Moorlandschaft, das vom trockenen Rascheln kahler Sträucher begleitet wurde. Das konnte nur Hark sein! Aber der Bitterwolf gab auf diese Weise nur Laut, wenn Gefahr im Anzug war. Caer! dachte Mythor und zückte das Gläserne Schwert, das sich angenehm warm in seiner Hand anfühlte. Er hatte beim Vordringen ins Moor einige Krieger des Feindes gesehen, doch war er einem Kampf mit ihnen ausgewichen. Hark heulte wieder, und gleich darauf brach er aus den Büschen. Hinter ihm folgten einige Gestalten. Sie waren in Lumpen gekleidet und schwangen Knüppel. »Pandor!« befahl Mythor und verlagerte sein Gewicht auf 198
dem Rücken des Einhorns. Pandor bäumte sich wiehernd auf und reckte den Verfolgern des Bitterwolfes sein weißes Horn entgegen. Die zerlumpten Gestalten blieben überrascht stehen, die Knüppel wie zur Abwehr erhoben. Es handelte sich um fünf Männer, und einer war noch ein halbes Kind. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich grenzenloses Staunen, gepaart mit Furcht, ab. Nur der Junge blieb beim Anblick des Einhornreiters fast unbeeindruckt. »Das ist der Fremde, der die Tote im Moor versenkt hat«, sagte er und wies auf Mythor. »Warum hast du uns nichts von diesem verhexten Pferd erzählt?« fuhr ihn der bärtige Mann an seiner Seite an, der der Anführer der kleinen Gruppe zu sein schien. »Sicher ist er auch mit dieser zottigen Bestie im Bunde.« »Es stimmt, daß der Bitterwolf mein Gefährte ist«, sagte Mythor, der etwas Mühe hatte, Pandor zu bändigen. »Warum macht ihr Jagd auf ihn?« Die Männer funkelten ihn aus ihren Augen feindselig an, sagten jedoch nichts. Der Junge gab ihm die Antwort: »Was für eine Frage! Der Wolf hat ein prächtiges Fell. Es würde meinem Vater oder einem meiner Brüder gut stehen.« »Das schlagt euch nur aus dem Kopf«, sagte Mythor warnend und stieg vom Einhorn. Er fuhr, an den Bärtigen gewandt, fort: »Ich will die Angelegenheit vergessen, wenn ihr meinen Tieren nicht mehr nachstellt. Ich heiße Mythor und bin ein Kundschafter in Graf Corians Diensten, der das Heer der Verbündeten der Lichtwelt anführt. Und wer seid ihr?« »Verflucht sollt ihr sein, die ihr im Namen des Lichtes Unheil über friedfertige Menschen bringt!« rief der Bärtige und spuckte aus. »Vater!« ermahnte ihn der Junge und mußte dafür von einem seiner Brüder einen Stoß in den Rücken einstecken. Doch 199
er fuhr respektlos fort: »Ich heiße Bendik und bin Vater Rebels jüngster Sohn. Wir sind Torfstecher, das Moor ist unsere Heimat. Vaters Zorn ist berechtigt, aber ich finde, er entlädt ihn gegen den falschen Mann.« Bendik bekam diesmal einen Schlag von einem seiner Brüder. »Vorlauter Bengel, laß Vater reden!« sagte ein anderer. Er war größer und kräftiger als die anderen und hatte ein verwegenes Gesicht. Er reckte Mythor das kantige Kinn entgegen, als er anklagend zu ihm sagte: »Ihr hättet euch einen anderen Platz aussuchen sollen, um euch gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Warum tragen die Edelleute ihre Händel immer auf dem Rücken der Ärmsten aus?« »Du scheinst nicht zu wissen, worum es bei dieser Schlacht geht«, antwortete Mythor. »Ich kann euch nur den Rat geben, das Hochmoor vorübergehend zu räumen. Wenn ihr hierbleibt, bringt ihr euch alle in große Gefahr.« »Ach wirklich?« rief Rebel abfällig und spuckte wieder aus. »Glauben der kluge Herr, wir würden freiwillig hierbleiben?« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Mythor. Rebeis verkniffener Mund blieb stumm, und als Bendik an seiner Statt antwortete, mußte er diesmal keinen Knuff einstecken. Er sagte: »Die Caer haben entlang dem Moor Posten bezogen und wachen darüber, daß es niemand verläßt. Einige von uns haben es versucht und wurden niedergemacht. Jetzt haben die anderen Angst, daß ihnen dasselbe Schicksal blüht. Also harren sie lieber aus und warten, was auf sie zukommt. Auf mich hört ja niemand.« »Genug! Maul halten!« herrschte Rebel ihn an und sagte dann zu Mythor: »Dich werden sie auch nicht durchlassen. Die Wächter werden dich erschlagen, wenn du ihre Sperre zu durchbrechen versuchst. Ins Moor kommt man leicht, aber zurück führt kein Weg. Ich weiß, warum.« 200
»Dann nenn mir den Grund!« bat Mythor. Bendik wurde von seinem Vater durch einen Rippenstoß zum Sprechen aufgefordert. »Im Moor tut sich Unheimliches«, begann der Junge und rollte mit den Augen. »Die Krieger haben überall eigenartige Figuren aufgestellt, die wie solche Vogelscheuchen aussehen, die die Bauern auf ihren Feldern errichten. Nur sind die Moorscheuchen viel abstoßender und viel größer. Mit den Kriegern kamen auch andere, furchterregend anzusehende Männer, die seltsam aufgeputzt und den Moorscheuchen nicht unähnlich sind. Sie brachten schwere Säcke mit sich. Ihr Inhalt sah aus wie Mehl. Aber wer sät denn Mehl aus? Und wozu? Diese Maskierten mit den Helmen aus Knochen verstreuten jedenfalls das Mehl über das ganze Moor, und dabei sangen sie so unheimlich, daß man vom Zuhören eine Gänsehaut bekam. Von uns kann niemand sagen, was das zu bedeuten hat. Und an die Moorscheuchen traut sich keiner heran.« Bendik bekam von seinem Vater einen Backenstreich und verstummte. Mythor rief sich wieder ins Gedächtnis, daß die Caer in Vercins Mühle Menschenknochen gemahlen hatten. Viele der Säcke mit dem Knochenmehl waren mit der Mühlenarche vernichtet worden. Aber offenbar hatten die Caer-Priester vorher schon reichlich mahlen lassen. Mythor konnte sich allerdings nicht vorstellen, was mit dieser eigenartigen Aussaat bezweckt wurde. Es konnte nur so sein, daß damit irgendeine magische Handlung vorbereitet wurde. Aber wenn er die Hintergründe auch nicht durchschaute, so wurde er in seinem Entschluß, Graf Corian dazu zu bringen, die Schlacht abzublasen und an einen anderen Ort zu verlegen, nur noch mehr bekräftigt. »Ich bin gewillt, dafür zu sorgen, daß die kommende Schlacht nicht im Hochmoor ausgetragen wird«, sagte Mythor 201
zu den Torfstechern. »Aber da müßte ich den Heerführer lange vor Sonnenaufgang erreichen. Und dazu brauche ich eure Hilfe. Wollt ihr mich aus dem Moor führen?« »Das ist zu gefährlich«, sagte Rebel entschieden und fügte abweisend hinzu: »Außerdem geben wir nichts auf dein Wort. Du willst bloß deine Haut retten. Wir bleiben hier. Sieh selbst zu, wie du zurechtkommst!« Damit wandte er sich ab. Bendik wollte noch etwas zu Mythor sagen, wurde aber von einem seiner Brüder am Kragen fortgezogen. Wenig später waren die Torfstecher verschwunden. Mythor schwang sich auf Pandors Rücken und ritt in östlicher Richtung los. Der Nebel hatte sich verdichtet, die Sicht betrug nur noch wenige Schritt. Dazu kam noch, daß das Dämmerlicht des schwindenden Tages allmählich der Nacht zu weichen begann. Mythor hatte geglaubt, daß mit dem Nebel auch wärmere Luft einfallen würde, aber es schien nur noch kälter zu werden. Handelte es sich hier um einen magischen Nebel der CaerPriester, mit dem sie allzu Neugierigen den Blick ins Moor verwehren wollten? Unter Pandors Hufen brach knirschend das Eis. Einmal rutschte das Einhorn aus und wäre fast gestürzt. Plötzlich sah Mythor vor sich im Nebel eine Bewegung, aber bevor er Alton ziehen konnte, meldete sich eine Jungenstimme: »Ich bin es!« Im selben Moment erkannte Mythor den Sohn des Torfstechers. Bendik hielt Mythor ein Bündel eines zerschlissenen Wollstoffs hin und meinte dazu: »Nimm diesen Umhang, Mythor, bessere Kleidung konnte ich dir leider nicht verschaffen. Ich hoffe, du bist nicht zu stolz, meine Hilfe anzunehmen. Ich bin bereit, dich aus dem Moor zu führen.« »Wie kommt das?« fragte Mythor, während er sich in den löchrigen Umhang hüllte. 202
»Ich bin abgehauen, ich mußte dich doch warnen«, sagte Bendik grinsend. »Vater Rebel und meine Brüder haben es immer noch auf das Fell deines Wolfes abgesehen, und dein Einhorn käme ihnen auch gelegen. Wenn sie je erfahren, was ich mache, dann setzt es eine gehörige Tracht Prügel. Aber wahrscheinlich gehe ich nicht mehr zurück.« Er sah zu Mythor auf und meinte: »Du steigst besser ab und gehst. Wenn du dich bewegst, frierst du nicht so leicht.« »Danke für den guten Rat«, sagte Mythor und schwang sich vom Einhorn. »Du hast mir aber noch nicht verraten, welchem Umstand ich deine Unterstützung verdanke.« »Ich glaube dir und hoffe, daß du etwas tun kannst, um die Schlacht zu verhindern«, meinte Bendik leichthin und hob die Schultern. Aber er wollte über seine Beweggründe offenbar nicht sprechen und fügte schnell hinzu: »So still, daß die Lautlosigkeit einem förmlich in den Ohren weh tut, ist es sonst nie im Moor. Das Moor lebt, aber jetzt ist es wie tot. Diese Kälte mordet das Leben.« Mythor dachte, daß dafür eher die Schwarze Magie der Caer-Priester verantwortlich zu machen wäre. Aber er sprach seine Gedanken nicht aus, um den Jungen nicht noch mehr zu beunruhigen. »Hast du sie geliebt?« fragte Bendik unvermittelt. Als Mythor nicht sofort Antwort gab, fuhr er fort: »Ich meine das Mädchen, das du dem Moor übergeben hast. Wir begraben unsere Toten nur in fester Erde. Es sei denn, wir wollen, daß sie zu uns zurückkehren.« »Hat dieser Glaube eine tiefere Ursache?« fragte Mythor. »Wußtest du es nicht?« Bendik sah ihn überrascht an. »Das Moor hält die Körper der Verstorbenen frisch. Sie sehen nach vielen Menschenaltern noch so aus wie am Tage ihres Todes. Und wäre es da nicht möglich, daß sie zu uns zurückkehren? Stell dir vor…« 203
Bendik verstummte, als Mythor ihm ein Zeichen gab. Er hatte unweit vor sich ein Geräusch gehört. Pandors Flanke begann zu beben, ein untrügliches Zeichen für die Annäherung einer Gefahr. Hark sträubte die Nackenhaare und huschte mit geducktem Kopf lautlos davon. Mythor merkte, wie Bendik ihn am Umhang zupfte, und folgte ihm mit dem Einhorn hinter einen von Buschwerk verwachsenen Baum. Sie waren kaum in dem Versteck, als aus dem Nebel eine vierköpfige Gruppe von Männern in Rüstungen auftauchte. Es waren Caer-Krieger. »Da war doch jemand, ich habe es ganz genau gesehen«, behauptete einer der Krieger. Der Nebel war so dicht geworden, daß Mythor sie nur gelegentlich als Schemen , erkennen konnte. »Du bist einer Täuschung erlegen, Kadron«, sagte ein anderer Krieger. »Die Nebelschwaden gaukeln einem manchmal etwas vor.« »Ich habe jemanden gesehen«, beharrte der erste. »Unsinn«, sagte ein dritter. »Unser Sperrgürtel ist so dicht, daß niemand durchkommt. Weder hinaus noch hinein. Wir sind zwanzig Hundertschaften.« Die Caer-Krieger beabsichtigten offenbar, hier ihr Lager aufzuschlagen, denn sie rührten sich nicht von der Stelle. »Wir sind stark genug, das Moor gegen kleinere Einheiten abzusichern«, meldete sich der vierte Krieger. »Aber wir sind von einem Heer umzingelt, das die fünfzigfache Stärke haben soll.« »Das sind Gerüchte, Marlor«, sagte der Krieger, der auch schon Kadron beschwichtigt hatte. »Außerdem kommt Verstärkung. Wir werden den Feinden überlegen sein, auch wenn auf jeden von uns vier Gegner kommen.« »Das reden uns die Priester ein«, sagte der Krieger, der Marlor hieß. »Aber warum sind unsere Streitkräfte noch nicht ein204
getroffen? Vor den Toren Darains steht ein riesiges Heer. Warum ist es nicht längst auf dem Schlachtfeld aufmarschiert? Akinlay ist angeblich genommen worden. Warum sind die Krieger, die die Hauptstadt dieses Herzogtums erobert haben, nicht zu uns gestoßen? Warum belagert man Aspira mit einem riesigen Heer, wenn hier die Entscheidungsschlacht stattfinden soll?« Niemand gab auf diese Fragen Antwort. Mythor vernahm das Geräusch von aufeinanderschlagenden Steinen. Er sah Funken sprühen und dann ein Feuer aufflammen. »Diese Kälte bringt uns noch um«, sagte einer der CaerKrieger. »Meine Hände bleiben am Eisen meiner Waffen kleben.« »Den Verbündeten der Lichtwelt geht es schlimmer, Bonnan«, wurde ihm geantwortet. »Für sie kam der Kälteeinbruch völlig überraschend. Wir wurden wenigstens von unseren Priestern gewarnt.« »Du gibst zuviel auf die Priester, Calavan«, sagte Bonnan. »Ich traue ihnen nicht, und ich baue nicht auf ihre Magie. Sie verfolgen ihre eigenen Ziele, wir sind ihnen dabei egal. Du glaubst doch nicht, daß sie das tainnianische Festland für unser Volk erobern…« »Jetzt ist es genug!« rief Galavan zornig. »Wenn ein Priester deine frevlerischen Worte hört, dann wirst du bald so aussehen wie eine dieser Runengabel-Scheuchen.« Bendik stieß Mythor an, und der nickte wissend. Er erinnerte sich gut an das, was der Junge ihm über die Moorscheuchen erzählt hatte. »Diese Dinger sind mir selbst unheimlich«, sagte Marlor. »Was stellen sie eigentlich dar?« »Wenn du es wissen willst, dann frage Langruin.« »Ich werde mich hüten, das Wort an einen Priester zu…« Mythor verstand nicht sofort, warum der Krieger so plötz205
lich verstummte. Aber dann sah er durch den Nebel eine hoch aufgerichtete Gestalt auf der Lichtung auftauchen. Im Schein des aufflammenden Lagerfeuers erkannte er einen CaerPriester in seinem schwarzen, silberverzierten Mantel mit dem spitzen Knochenhelm. Er trug eine der bekannten roten, mit silbernen Zeichen verzierten Gesichtsmasken. Mythor wußte, daß sich dahinter ein wie mit Glas überzogenes Gesicht verbarg. Die Caer-Krieger erhoben sich vom Feuer und wichen vor der wie aus dem Nichts aufgetauchten Gestalt zurück. »Ihr sollt wachen, nicht träumen«, kam es zischend hinter der silbrigroten Maske hervor. »Spürt ihr nicht die Nähe eines Feindes? In eurem Rücken wird ein spitzes Horn zum Todesstoß erhoben.« »Ich habe gleich gesagt, daß da jemand ist«, rief Kadron. »An die Waffen, Männer!« befahl Calavan. »Ausschwärmen!« Bendik hatte die Situation schnell erfaßt und zog Mythor mit sich fort. Der Bitterwolf tauchte vor ihnen auf, blickte hechelnd zu seinem Herrn und machte sofort kehrt, um ihnen vorauszueilen. Das Einhorn trabte hinter Mythor her. Mythor mußte sich fragen, wie der Caer-Priester gewußt haben konnte, daß sich ein so seltenes Tier wie ein Einhorn in der Nähe aufhielt. Hatte er sie zuvor insgeheim beobachtet, oder hatte er es mit Hilfe seiner Magie herausgefunden? »Komm, wir müssen nach links!« rief Bendik verhalten und bog auf einen schmalen Pfad zwischen übermannshohen Sumpfgewächsen ein. Im Vorbeilaufen stellte Mythor fest, daß die Pflanzen Blüten trugen, die jedoch inzwischen erfroren waren. Aus den Worten der Caer-Krieger ging hervor, daß die Magie ihrer Priester für diese plötzliche Kälte verantwortlich zu machen war. Wenn das stimmte, waren sie viel mächtiger, als Mythor ver206
mutet hatte. Aber es durfte ihn nicht verwundern. Er war Zeuge geworden, wie Drundyr die Goldene Galeere beschworen hatte, war in dem verwaisten Lockwergen gewesen, das durch Schwarze Magie entvölkert worden war, und er hatte in Thormain erlebt, wie die Macht eines Caer-Priesters Seedrachen dazu brachte, die Flöße mit seinen Kriegern zu ziehen. Aber er hatte auch die Gegenkräfte zur Schwarzen Magie kennengelernt – die Weiße Magie. Diese wohnte schließlich auch seinem Gläsernen Schwert Alton und dem Helm der Gerechten inne. »Ein Licht!« hörte er einen Caer-Krieger links von sich rufen. Mythor merkte zu spät, daß das verräterische Leuchten von seinem Gläsernen Schwert kam, das er gezückt hatte. Ein Schatten tauchte aus dem Nebel auf. Etwas schwirrte durch die Luft auf Mythor zu. Es war die schwere, dornenbesetzte Kugel eines Morgensterns. Mythor versuchte, der tödlichen Waffe durch einen Sprung auszuweichen, doch wußte er, daß er nicht rechtzeitig genug handelte. Da schoß ein zweiter, langgestreckter Schatten durch die Luft. Es war ein zottiger, tierischer Körper – Hark. Der Bitterwolf verbiß sich im Waffenarm des Caer-Kriegers und brachte so die Kugel des Morgensterns aus der Flugrichtung. Das tödliche Geschoß fuhr knapp an Mythors Helm vorbei. Hark hatte den Gegner zu Boden gerungen und biß nach ihm. Ein gurgelnder Schrei klang schaurig durch das neblige Moor. Der Bitterwolf ließ von seinem Opfer ab und schoß auf Mythor zu. »Wir müssen tiefer ins Moor«, sagte Bendik keuchend, der so rasch lief, daß Mythor ihm kaum folgen konnte. Der Junge schlug einen Haken nach rechts. Mythor folgte ihm einige Schritte. Hinter ihm wieherte Pandor, und Hark stieß ein klagendes Heulen aus. Als Mythor sich umdrehte, sah er, daß die Tiere zurückgefallen waren, und er blieb ste207
hen. »Bendik!« rief er in den Nebel. »Meine Tiere folgen mir nicht ins Moor. Wir können diesen Weg nicht gehen.« »Ich…«, hörte Mythor Bendik sagen, dann brachte ihn ein dumpfer Schlag zum Verstummen. Ein Schmerzensschrei folgte. Mythor lief in die Richtung, aus der die Kampfgeräusche kamen. Nach einigen Schritten sah er den Schemen zweier miteinander ringender Gestalten. Als er sie erreichte, hatte der Caer-Krieger gerade die Oberhand gewonnen und setzte zum Todesstoß gegen den benommen am Boden liegenden Bendik an. Mythor sprang dem Caer auf den Rücken und riß ihn zu Boden. Als er den Gegner unter sich hatte, schlug er mit dem Schwertknauf auf ihn ein. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Krieger in sich zusammen. Mythor wandte sich dem Jungen zu, der gerade torkelnd auf die Beine kam. »Alles in Ordnung?« fragte Mythor und stützte ihn. »Ja«, sagte Bendik und schüttelte heftig den Kopf. »Der Caer hat mich nur mit der Breitseite seiner Klinge auf den Hinterkopf getroffen. Aber was ist mit deinen Tieren?« »Es scheint, als würden sie sich sträuben, tiefer in den Einflußbereich der Schwarzen Magie vorzudringen«, sagte Mythor. »Wir müssen sehen, daß wir so rasch wie möglich das Moor verlassen.« Bendik nickte. »Früher oder später müssen wir es doch versuchen. Warum also nicht gleich?« »Aber Vorsicht«, ermahnte Mythor. »Wir haben es zumindest noch mit zwei Kriegern und dem Dämonenpriester zu tun.« Sie gingen den Weg zurück und stießen zu Pandor und Hark. Das weiße Horn Pandors hatte eine blutige Spitze. Auf dem Boden lag die gekrümmte, leblose Gestalt eines Caer208
Kriegers. »Bleibt nur noch ein Gegner«, berichtigte Mythor. Bendik ging wieder voran. Gelegentlich hielt er an, um auf Geräusche zu lauern. Aber über das Moor hatte sich eine unheimliche Stille gesenkt. Längst war die Nacht hereingebrochen, doch schien der Nebel schwach von sich selbst aus zu leuchten. Allerdings trug dieses Leuchten nicht zu einer besseren Sicht bei. Es blendete höchstens. »Bist du sicher, daß du den Weg kennst, Bendik?« erkundigte sich Mythor. Er hielt das Gläserne Schwert gesenkt, damit sein schwacher Schein ihn nicht verriet. Doch im Augenblick war Alton erloschen. Es würde erst wieder glühen, wenn… Etwas fuhr mit schlagenden Schwingen über Mythor hinweg. Er hörte das Geräusch und spürte den Luftzug des Flügelschlags. Als er hochblickte, erkannte er seinen Schneefalken, der in einer weiten Schleife dem Geäst eines knorrigen Baumes auswich. Und da entdeckte Mythor den Krieger im Geäst. Er breitete die Arme aus, in jeder Hand hielt er ein Kurzschwert und zielte mit den Klingen auf Mythor. Er stieß sich mit den Beinen kraftvoll ab und sprang. Mythor wich zur Seite aus und streckte dem Angreifer sein Gläsernes Schwert entgegen. Die Wucht des aufprallenden Körpers schleuderte ihm den Arm zurück, und seine Schultern durchzuckte ein flammender Schmerz. Es riß ihn von den Beinen, und er fiel auf den Rücken. Wie aus weiter Ferne vernahm er den Todesschrei des Kriegers. Mythor mußte beide Hände zu Hilfe nehmen, um Alton freizubekommen. »Da vorne war ein Schatten«, meldete Bendik. »Das wird der fliehende Dämonenpriester sein.« »Dann sind wir ihn wenigstens los«, meinte Mythor erleichtert. »Wie weit ist es noch bis zum Ende des Moores?« »Wir haben es gleich geschafft«, sagte Bendik. 209
Irgendwo vor ihnen erklangen Schritte. Waffen klirrten, und dann geisterte eine zischende, unmenschlich klingende Stimme durch den Nebel: »Eindringlinge, ihr dürft sie nicht entkommen lassen. Durchsucht jeden Fußbreit im Moor. Bringt sie mir tot oder lebendig, aber laßt sie nicht entkommen!« Die Geräusche näherten sich von verschiedenen Seiten. Bald darauf tauchte im Nebel der blakende Schein von Fackeln auf. »Es gibt nur eine Möglichkeit, durch die Reihen der Caer zu brechen«, stellte Mythor leise fest. Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und erläuterte ihm seinen Plan: »Ich werde Pandor und Hark vorausschicken, damit sie die Krieger ablenken. Auf mein Zeichen brechen wir dann durch die Lücke.« Bendik hob ein Kurzschwert, das er einem Caer abgenommen hatte, und meinte: »Wenn es sein muß, werde ich mir den Weg freikämpfen.« »Besser nicht!« riet Mythor. Er wandte sich dem Einhorn und dem Bitterwolf zu, tätschelte ersterem die Flanke und griff dem anderen in den Nackenpelz, und dann raunte er: »Pandor! Hark!« Er gab den Tieren einen Klaps. Das Einhorn und der Bitterwolf setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Sie preschten Seite an Seite los und wurden gleich darauf vom Nebel verschluckt. »Was ist das?« hörte Mythor eine Stimme rufen. »Achtung! Die Eindringlinge versuchen einen Durchbruch!« »Und jetzt wir«, sagte Mythor zu Bendik und rannte los. »Bleib dicht bei mir, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren!« Irgendwo vor ihnen erklang das wütende Knurren des Bitterwolfes. Jemand schrie vor Schmerz. Pandors Hufgetrappel hallte laut durch die Nacht. Wieder ein Schrei, ein Wiehern. Waffen klirrten. 210
»Hierher!« Trampelnde Schritte durchdrangen die Nacht, ein schwerer Körper krachte auf Eis und ließ es bersten. Mythor bewegte sich bei aller Schnelligkeit so leichtfüßig und vorsichtig wie nur möglich weiter. »He, Kamerad, hilf mir. Ich bin eingebrochen!« Mythor sprang über den Caer hinweg, dessen Körper halb durch das aufgebrochene Eis ragte. Er schlug heftig um sich und versuchte, mit dem Schwert nach Bendik zu angeln, als er die beiden als seine Feinde erkannte. Aber der Junge wehrte den verzweifelten Angriff geschickt mit seinem Kurzschwert ab. »Da sind sie!« schrie der Eingebrochene. »Hierher! Ich habe sie!« Aber Mythor und Bendik hatten ihn bereits weit hinter sich gelassen. Auf einmal lichtete sich der Nebel. Die Krüppelsträucher verschwanden, der Boden wurde ebener. Vor ihnen tauchte ein dunkler Wall auf, der sich als Wald aus immergrünen Bäumen entpuppte. Und zwischen den Bäumen stand das Einhorn und scharrte ungeduldig mit dem Huf. Von links hechelte der Bitterwolf heran. »Wir haben das Moor verlassen«, sagte Bendik keuchend. »Der Nebel ist hier wie abgeschnitten. Jetzt haben wir von den Caer nichts mehr zu befürchten.« »Nun gilt es, auf dem schnellsten Weg zu Graf Corians Lager zu gelangen, damit er rechtzeitig gewarnt werden kann«, sagte Mythor. Er blickte Bendik an. »Es wäre sehr gefährlich für dich, ins Moor zurückzukehren.« »Daran habe ich sowieso nicht gedacht«, sagte Bendik. »Ich bleibe an deiner Seite, Mythor.«
211
*
Ärnd-Kerrong Vergehen und Werden, das ist der Lauf der Welt. Völker gehen, andere kommen. Kulturen vergehen, neue werden auf ihren Ruinen erbaut. Die Welt bleibt die gleiche. Es bleibt immer etwas zurück. Keine neue Zeit ist wirklich neu, denn sie trägt immer die Spuren der Vergangenheit in sich. Neue Werte werden auf den alten aufgebaut. Das Alte, Sterbende trägt das Neue bereits in sich, und das Neue, Werdende kann das Alte nicht verleugnen. Die Frage nach dem, was am Anfang der Welt gestanden hat, das Gute oder das Böse, Licht oder Schatten, wird wohl immer unbeantwortet bleiben. Ämd-Kerrong hat sich solche Fragen nie gestellt. Er wurde in eine Zeit geboren, da die großen Schlachten geschlagen waren. Der Kampf zwischen Licht und Schatten war längst nicht entschieden, aber die Kräfte auf beiden Seiten hatten sich erschöpft. Sie mußten sich sammeln, um erneut den Kampf um die Vorherrschaft antreten zu können. Und in dieser Ruhepause entstand eine glaubenslose Kultur. Es wurden Menschen in eine Welt geboren, die den Atem anhielt, in eine Welt mit einem zernarbten Gesicht. Das Volk, von dem hier die Rede ist und dem Ärnd-Kerrong angehörte, lebt in keiner Legende weiter. Arnd-Ker-rongs Name ist weder mit Flamme noch mit Schwert oder Blut ins Buch der Welt geschrieben worden. Er ist gestorben, wie er gelebt hat. Er war ein Meuchelmörder, Dieb und Intrigant. Durch den hinterrücks geführten Dolch war er zum Schwertwächter König Rangams geworden. Durch Intrigen hatte er sich seine Stellung bewahrt. Und durch den Diebstahl des Schwertes, das er hätte bewachen sollen, war er zum Dieb geworden. Er floh und wurde gejagt, von König Rangams Getreuen bis zum Großen Moor gejagt und in dieses hinein. Ärnd-Kerrong war von dort nicht wiedergekehrt. Das Moor hatte 212
ihn sich geholt, und dort ruhte er noch heute. Und noch hielt das Moor ihn fest… * »Es ist eine Schinderei«, sagte Befor mit steifgefrorenen Lippen und schlug sich dabei die Arme um den Körper. »Ich bin im Tal der Lorana aufgewachsen, aber so eine Kälte habe ich in vierzig Wintern noch nicht erlebt. Ja, die edlen Herren, die uns in diese Schlacht führen, die haben es gut. Die laben ihre Kehlen mit heißem Wein, wärmen sich an Lagerfeuern oder an Weibern. Und wir, die wir unsere Köpfe hinhalten müssen, haben keine Möglichkeit, uns gegen diese Kälte zu schützen.« Befor zog die Pferdedecke fester um sich, trat mit den Füßen auf der Stelle und ging dann im Kreis immer um seinen schweigsamen Kameraden herum, der zusammengekauert dahockte. Er hatte sich in seinen ledernen Umhang gewickelt und seinen Kopf so mit einem wollenen Tuch vermummt, daß nur die blaugefrorene Nase hervorsah. »Wozu überhaupt Wachposten?« schimpfte Befor und entließ mit jedem Wort eine dichte Atemwolke. Er blickte hoch und sah durch die Kronen der immergrünen Bäume ein Stück des mondhellen Himmels. Vollmond am Vorabend der Wintersonnenwende. Er schüttelte den Kopf und setzte seinen Marsch im Kreise fort. »Die Caer greifen bestimmt nicht an«, sagte er. »Die wagen sich nicht auf die östliche Seite des Moores. Wozu also Wachen?« Er blickte herausfordernd zu dem anderen Wachposten, aber der rührte sich nicht. »Paß auf, daß du nicht einschläfst«, riet er ihm. »Ich bin sonst auch nicht sehr gesprächig, aber ich rede, um mich wach zu halten. Dabei bin ich hundemüde. Den ganzen Tag über marschieren und dann noch Wache halten. Ich frage mich, wozu 213
das gut sein soll.« Er blieb kurz stehen, sah auf seinen schweigsamen Kameraden hinunter und ging dann weiter mit trippelnden Schritten um ihn herum. Dabei ließ er ihn nicht aus den Augen. »Du bist kein Nordländer«, stellte er fest. »Du stammst weder aus Tainnia noch aus Dandamar. Du kommst aus dem Süden, habe ich recht? Aus dem südlichen Salamos, jenseits der Wüste. Das erkenne ich an deinem seltsamen Ledergewand. Felle sind gut gegen die Kälte, aber blankes Leder nützt überhaupt nichts. Kannst du mir etwas über Sarphand erzählen? Ich war nie dort. Es heißt, daß die Leute dort unten ihren eigenen Krieg gegen die Dunklen Mächte führen. Wie kommt es, daß du dich an unserem Feldzug gegen die Caer beteiligst?« Befor bekam keine Antwort. »He, Kamerad, nicht einschlafen!« rief er ihm zu. »Wenn du dich nicht bewegst, dann dringt dir die Kälte in die Knochen und macht dich ganz steif. Ich bin zum Umfallen müde, aber…« Befor verstummte. Der Söldner, der offenbar aus dem südlichsten Salamos stammte und den es aus unerfindlichen Gründen zu Graf Corians Heer verschlagen hatte, schien tatsächlich eingeschlafen zu sein. Befor ging zu ihm und stieß ihn an. »Du, aufwachen!« Als sich der Söldner noch immer nicht rührte, stieß er ihn neuerlich an, diesmal etwas fester. Die zusammengekauerte Gestalt des Söldners neigte sich zur Seite und kippte um. »Bei Villia!« stieß Befor aus. Der Mann war tatsächlich erfroren. »Ich habe ihn gewarnt, aber…« Befor hob die Schultern. »Du wirst es mir verzeihen, Kamerad, aber Tote frieren ohnehin nicht. Mich dagegen werden deine Kleider wärmen.« Befor entledigte die steife Gestalt des Lederumhangs. Dann zog er dem Steifgefrorenen die Pelzstiefel von den Füßen und nahm ihm letztlich noch die Handschuhe ab. »Jetzt kann ich wenigstens wieder mein Schwert halten«, sagte Befor, nach214
dem er in die Stiefel geschlüpft war und sich die Handschuhe übergestreift hatte. Den Lederumhang zog er sich über die Schulter und warf dann die Pferdedecke darüber. Er war gerade damit fertig, als er aus Richtung des Moores Geräusche hörte. Sofort vergaß er die Kälte und wurde sich seiner Aufgabe als Wache bewußt. Er durfte niemanden an sich vorbeilassen, der das Losungswort nicht kannte. »Halt! Im Namen der Lichtwelt, gebt euch zu erkennen!« rief er in den vom fahlen Mondlicht seltsam erhellten Wald. Die Bäume warfen unheimliche Schatten, die alle zu gespenstischem Leben zu erwachen schienen. »Im Namen der Lichtwelt!« rief Befor wieder. Er hielt sein Schwert in der einen und hatte die Lanze des toten Söldners in die andere Hand genommen. »Wir sind Freunde«, erscholl eine männliche Stimme aus dem Wald. Gleich darauf tauchte ein Reiter auf, neben ihm ein Begleiter zu Fuß. Aber da war noch jemand, der geduckt schlich und einen langgestreckten Körper hatte. Der Reiter hob eine Hand zum Gruß und fuhr fort: »Ich bin Mythor und habe im Auftrag von Graf Corian das Feindgebiet ausgekundschaftet. Ich habe wichtige Nachrichten für den Heerführer der Lichtwelt. Bring mich sofort zu ihm!« »Nenn mir zuerst die Losung!« verlangte Befor. Als der Reiter hinter einer Buschgruppe hervorkam, verschlug es Befor die Sprache. Jetzt erst erkannte er, daß er kein normales Pferd ritt, sondern eines mit einem unterarmlangen geraden Horn auf der Stirn… ein Einhorn! »Ich kenne die Losung nicht«, sagte Mythor, in dessen Begleitung sich ein junger, in Lumpen gehüllter Bursche und ein Wolf befanden. »Aber ich sollte dir kein Unbekannter sein. Graf Corian wird Anweisung gegeben haben, mich passieren zu lassen.« »Halt!« rief Befor unsicher und hielt dem Einhornreiter die 215
Lanze hin. »Ich habe von einem gehört, der ein Einhorn reitet. Aber niemand hat mir aufgetragen, diesen durchzulassen.« Mythor beugte sich zu dem Wachposten hinunter und sagte freundschaftlich: »Was ich zu melden habe, das ist ungemein wichtig, Kamerad. Ich muß Graf Corian Bericht erstatten, noch ehe der Sand durchs Stundenglas geronnen ist. Bring mich also zu deinem Vorgesetzten.« Befor wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Er dachte an Graf Codgin, der ausgesandt worden war, den Caer die Kriegserklärung der Verbündeten der Lichtwelt zu überbringen. Der Graf von Nerchond war tags zuvor wie von Dämonen gehetzt ins Heerlager eingeritten, und auf ihm lag der Fluch einer schändlichen Tat. Er hatte Herzog Murdon von Caer auf dem Gewissen, den Mann, dem er die Kriegserklärung hätte überbringen sollen. Und dem alternden Grafen haftete noch ein anderer Makel an: der der Besessenheit. »Ich muß dich Gorelle übergeben«, sagte Befor und war erleichtert, daß ihm diese Lösung eingefallen war. »Das ist der Magier aus der Grafschaft Arlond, der unsere Truppe betreut. Er soll entscheiden.« »Einverstanden«, sagte Mythor. »Führe mich diesem Magier vor! Das dürfte unter diesen Umständen der rascheste Weg sein, um zu Graf Corian zu gelangen. Für meinen Begleiter verbürge ich mich. Er heißt Bendik und hat mich durch das Moor geführt.« Befor dachte daran, den Einhornreiter um seine Waffen zu bitten, wagte es dann aber doch nicht. Wenn der andere beabsichtigte, ihn niederzuschlagen, hätte er es längst getan. Er sah ganz so aus, als könne er sich auch gegen mehr als einen einzelnen Gegner durchsetzen. »Folge mir!« sagte Befor. Als er sah, wie Mythor das Einhorn vor dem toten Söldner zügelte, sagte er: »Er ist einfach erfroren. Es werden noch mehr am Morgen nicht mehr aufstehen, 216
die sich abends zum Schlafen gelegt haben.« Mythor sagte nichts. Sein Wolf verschwand im Unterholz, während er mit seinem jugendlichen Begleiter dem Wachposten folgte. Schon nach kurzer Zeit erreichten sie das Lager. Die Krieger und Söldner lagen oder saßen dicht gedrängt beisammen. Sie hüllten sich gruppenweise in Decken oder Zeltplanen, und viele von ihnen schützten sich mit Satteldecken gegen die Kälte. Nirgendwo brannte ein Lagerfeuer. »Halt! Wer da?« fragte eine rauhe Stimme. »Das Licht der Welt wird ewig leuchten«, sagte Befor das Losungswort. Dann machte er dem anderen Wachposten klar, wen er bei sich hatte. »Mythor?« fragte der Wachposten, der sie aufgehalten hatte. »Den Namen kenne ich. Gorelle hat uns gewarnt, daß der Einhornreiter versuchen könnte, durch unsere Linien zu schlüpfen.« »Was soll das!« rief Mythor zornig. »Ich bin im Auftrag von Graf Corian unterwegs.« »Das kannst du unserem Magier erzählen«, sagte der Wachposten. Einige Krieger hatten sich herangedrängt, die um Mythor und Bendik einen Kreis bildeten. »Mach keine Dummheiten und folge uns zu seinem Zelt! Es ist nicht weit.« Befor kehrte wieder auf seinen Posten zurück. Mythor und Bendik wurden von den Soldaten in die Mitte genommen und abgeführt. Die Krieger lagen hier so dicht beisammen, daß es recht mühevoll war, sich in der Dunkelheit einen Weg durch ihre Reihen zu suchen. Mythor hörte, wie sie sich murmelnd unterhielten. Vermutlich hielten sie sich künstlich wach, weil sie Angst hatten, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Sie hatten sich in den Wald zurückgezogen, weil sie hier Schutz vor der Kälte zu finden hofften. Aber hier war es nicht wärmer als im Moor oder im freien Gelände. Diese Kälte, diese 217
magische Kälte, war überall gleich stark zu spüren. Die Reihen der Krieger lichteten sich erst, als sie das andere Ende des Waldes erreichten. Hier standen einige Zelte, die den Edelleuten und Offizieren vorbehalten waren. Ein Zelt war höher als die anderen und stach auch durch die fremdartigen Zeichen, die auf die Lederplane gemalt waren, besonders hervor. Während aus den anderen Zelten Gegröle und Kichern kamen, lag das Magierzelt in einer Oase der Stille. »Du brauchst keine Angst zu haben, Bendik«, sagte Mythor zu dem Jungen, der neben Pandor ging, als er seine Beklemmung merkte. »Wir haben nichts zu befürchten.« Der Eingang des Magierzeltes tat sich auf, und eine massige Gestalt erschien darin. Sie trug einen hohen Spitzhut mit schmaler, weicher Krempe. Der kegelförmige Hut wies eine Vielzahl magischer Zeichen auf, die, wie Mythor aus Erfahrung wußte, dem Kenner Einblick in das Wirken des Trägers gaben. Für ihn waren diese Symbole jedoch nichtssagend. Der Magier, der vor ihm stand, erinnerte ihn sofort an den eitlen Erzmagier Vassander, obwohl Gorelle keine Ähnlichkeit mit ihm hatte. Der Magier aus Arlond war schwergewichtig, hatte ein feistes Gesicht und fleischige Hände. Der versteifte Umhang, der ebenfalls durch magische Zeichen verziert war, ließ ihn nur noch unförmiger erscheinen. Wenn Gorelle auch von ganz anderer Erscheinung war, war er ebenso modisch und geckenhaft gekleidet wie Vassander und darum in gewisser Weise ein Abbild von ihm. Auch an Gorelle war alles gezierte Eitelkeit. »Was stört ihr meine Ruhe?« sagte Gorelle näselnd, und dabei sah er Mythor kurz an. Er ließ seine Augen jedoch schnell weiterwandern und starrte auf Pandors weißes Horn. Der Wachposten, der Mythor begleitet hatte, erstattete Bericht und wurde, kaum daß er ausgesprochen hatte, mit einer herrischen Handbewegung von Gorelle verscheucht. Nach218
dem sich der Wachposten mit den anderen Kriegern bis zum Rand des Zeltlagers zurückgezogen hatte, sagte Gorelle zu Mythor: »Steig ab und komm in mein Zelt! Ich möchte hören, was du zu berichten hast.« »Dafür reicht die Zeit nicht«, sagte Mythor. »Ich muß sofort zu Graf Corian, damit er rechtzeitig erfährt, welche Vorbereitungen die Dämonenpriester der Caer treffen. Die Caer wollen die Entscheidung nicht im Kampf suchen, sondern sie mit Hilfe von Schwarzer Magie herbeiführen. Corian muß dagegen unbedingt etwas tun.« »Und was soll er tun?« erkundigte sich Gorelle näselnd, ohne den Blick von Pandors Horn zu lassen. »Graf Corian ist der Feldherr, er wird es selbst wissen«, sagte Mythor ausweichend. »Aber er muß schnellstens erfahren, was gespielt wird. Darum bitte ich dich um einen Passierschein und eine Eskorte, die mich sicher zu ihm geleitet.« »Du warst also in der Nähe von Dämonenpriestern«, sagte der Magier von Arlond, als habe er Mythors letzte Worte gar nicht gehört. »So muß es doch sein, andernfalls wüßtest du nichts über ihre Machenschaften. Wie nahe bist du ihnen gekommen?« »Ich habe jedenfalls genug gesehen, um mir eine umfassende Meinung bilden zu können«, antwortete Mythor ungehalten. »Aber hörst du mir überhaupt zu? Ich habe es eilig, Gorelle!« »So viel Zeit hast du noch, um mir Rede und Antwort zu stehen«, sagte der Magier. Jetzt richtete er seine Augen auf Mythor. »Warst du den Dämonenpriestern so nahe, daß sie Einfluß auf dich nehmen konnten?« »Worauf willst du hinaus?« fragte Mythor zornig zurück. »Weisen mich mein Reittier und meine Ausrüstung nicht eindeutig als Graf Corians Kundschafter aus? Ich sollte dir kein Unbekannter sein.« »Es stimmt, ich habe viel von dir gehört«, bestätigte Gorelle. 219
»Ich kenne auch deine Mission. Aber das genügt mir nicht. Graf Codgin Poly Nerchond war mir sogar persönlich bekannt, und doch war er nicht mehr der, für den er sich ausgab.« »Ich war dabei, als er dem Herzog der Caer den Dolchstoß versetzte«, sagte Mythor. »Er hat die Tat nicht von sich aus begangen, sondern stand dabei unter dem Einfluß der Schwarzen Magie. Graf Codgin war besessen; die CaerPriester haben ihn für ihre dunklen Zwecke mißbraucht. Es sollte allen eine Warnung sein, denn diese Machenschaft zeigt deutlich, wozu die Dämonenpriester fähig sind.« »Eben«, stimmte Gorelle zu. »Aber was mit Graf Codgin geschehen ist, könnte auch auf dich zutreffen. Ich will nicht bezweifeln, daß du wirklich Mythor und Graf Corians Kundschafter bist. Aber wer kann sagen, ob du nicht wie Graf Codgin von den Caer-Priestern schwarzmagisch beeinflußt bist? Dein Wort allein genügt mir nicht. Ich muß mich selbst davon überzeugen.« »Und wie denkst du dir das?« fragte Mythor. »Wenn du ein reines Gewissen hast, dann steig ab und komm in mein Zelt«, verlangte Gorelle. »Ich werde dich einer Dämonenprobe unterziehen. Dabei wird sich herausstellen, ob du noch auf der Seite des Lichtes stehst oder ein Sklave der Dämonen bist.« »Dafür reicht die Zeit nicht«, knurrte Mythor. Er bezweifelte, daß der Magier ein gerechtes Urteil über ihn fällen würde, sondern war vielmehr überzeugt, daß er irgend etwas gegen ihn im Schilde führe. Darum entschloß er sich zum Handeln. »Bendik!« rief er und wies vor sich auf Pandors Rücken. Der Junge verstand sofort und sprang auf. Als er auf Pandor zu sitzen kam, durchlief das Einhorn ein leichtes Zittern. Mythor befürchtete schon, daß das Tier wegen der ungewohnten Last 220
auch ihn abwerfen könne. Doch Pandor beruhigte sich wieder. »Wenn du dich der Probe nicht unterziehst, gibst du dich als Besessener zu erkennen!« zeterte Gorelle. »Zu den Schatten mit dir, du Scharlatan!« rief Mythor zornig und drückte dem Einhorn die Fersen in die Weichen. Bendik klammerte sich an der Mähne des Einhorns fest, als es aus dem Stand zum Sprung ansetzte. Der Magier brachte sich durch einen Satz in Sicherheit. Dabei rief er verzweifelt: »Wachen! Wachen, zu Hilfe! Der Einhornreiter ist besessen. Er steht im Dienst der dämonischen Mächte. Ergreift ihn! Nehmt ihn gefangen! Er darf nicht entkommen.« Die letzten Worte hörte Mythor nur noch aus der Ferne, denn Pandor hatte ihn mit Bendik bereits außerhalb des Lagers gebracht. Als Mythor zurückblickte, sah er, daß das Geschrei des Magiers das Zeltlager in Aufruhr versetzt hatte. Das Wiehern von Pferden vermischte sich mit dem Fluchen der aus dem Schlaf Gerissenen. Einige Bogenschützen gingen vor den Zelten in Stellung, und Mythor beugte sich weit nach vorne. Aber diese Vorsichtsmaßnahme war überflüssig, denn es wurde kein Pfeil von der Sehne gelassen. Mythor wandte sich im Reiten um, damit er den Grund für das Zögern der Bogenschützen herausfinden konnte. Da sah er im hellen Schein des vollen Mondes einen langgestreckten Schatten entlang dem Zeltlager huschen. Mythor lächelte. Guter Hark! Der Bitterwolf war wie ein Wirbelwind durch die Reihen der Bogenschützen gefegt und hatte sie zu Tode erschreckt. Jetzt schlug Hark einen Haken und folgte dem Einhorn. An die zwanzig Reiter tauchten am Waldrand auf und machten sich an die Verfolgung. Hark schloß zu Pandor auf, und als Mythor hochblickte, entdeckte er den Schneefalken über sich in ruhigem Flug. Er drehte sich nach den Verfolgern um und 221
stellte fest, daß sie immer weiter zurückfielen. Pandor war schneller als jedes Pferd, obwohl er die doppelte Last zu tragen hatte. »Da ist schon wieder ein Heerlager!« rief Bendik. Er war tief über den Hals des Einhorns gebeugt, um sich gegen die schneidend kalte Luft, die ihnen entgegenschlug, zu schützen. »Wir reiten mitten hindurch«, sagte Mythor. »Wir kennen jetzt die Losung.« Drei Wachposten, die über ihrer Kriegerrüstung dicke Felle trugen, stellten sich ihnen in den Weg. »Das Licht der Welt wird ewig leuchten!« rief Mythor ihnen im Vorbeireden zu. »Wo finde ich Graf Corian?« Er sah einen der Wachposten in die Richtung deuten, in die er ritt, quer durch das Lager hindurch. Auch hier drängten sich die Krieger dicht zusammen und suchten vor der beißenden Kälte Schutz unter allem, was irgendwie wärmte. Mythor mußte wieder die Losung rufen, als am anderen Ende des Heerlagers einige Krieger mit aufgepflanzten Lanzen auftauchten. Sie ließen sie passieren. Links tauchte ein Wald auf, und Mythor wich ihm nach rechts aus. Dabei kamen sie ziemlich nahe an das Nebelfeld, das das Hochmoor von Dhuannin einhüllte. Mythor mußte sich wieder fragen, welche Gefahren dort auf die Krieger der Lichtwelt warteten. Jedenfalls kam die wirkliche Bedrohung nicht von den paar Hundertschaften von Caer-Kriegern. Nachdem sie die Ausläufer des Waldes erreicht hatten, hielt sich Mythor weiter links. Hinter einem Hügel tauchte eine Wagenkolonne auf, die sich quer über das flache Heideland erstreckte. Die Pferde waren ausgespannt und in einer Senke zusammengetrieben. Keine Menschenseele war zu sehen. Als sie jedoch auf Rufweite herangekommen waren, sprangen einige Krieger von den Wagen und bedrohten sie mit vorgehaltenen Lanzen und gespannten Armbrüsten. 222
Mythor rief ihnen entgegen: »Das Licht der Welt wird ewig leuchten! Ich habe wichtige Nachrichten für Graf Corian. Wo ist sein Lager?« »Am Ende des Trosses steht der Schandpfahl!« rief einer der Wachposten, aber seine Stimme verlor sich in der Ferne, als Mythor mit Pandor abschwenkte und entlang der Wagenkolonne ritt. Ein anderer Posten in der Reihe schloß an: »Keine fünf Steinwürfe hinter dem Schandpfahl!« Mythor war zufrieden. Jetzt war es nicht mehr weit. Er würde Graf Corian noch rechtzeitig erreichen, um ihn dazu zu veranlassen, die Schlacht abzublasen. Sie durfte nicht im Hochmoor von Dhuannin geschlagen werden und schon gar nicht zur Wintersonnenwende. Sie erreichten das Ende der Wagenkolonne. Bendik wies nach rechts. Mythor hob den Kopf und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die gezeigte Richtung. Der eisige Luftzug brachte seine Augen zum Tränen, und so erkannte er nur verschwommen den gabelförmigen Pfahl, der von der Kuppe eines Hügels aufragte. Daran hing der leblose Körper eines Menschen, und er war mit Dutzenden von Pfeilen gespickt. Mythor ließ Pandor näher heranreiten, um erkennen zu können, wer der Bedauernswerte war, der auf so unwürdige Weise einen vielfachen gefiederten Tod gestorben war. Er hatte eine Ahnung, und sie wurde bestätigt, als er an dem Schandpfahl vorbeiritt. Bei dem Hingerichteten handelte es sich um keinen anderen als um Graf Codgin Poly Nerchond. Bendik würgte bei seinem Anblick. Vor ihnen lag das große Heerlager. Es erstreckte sich bis weit in die Ebene hinein. Hier brannten viele Lagerfeuer. Es herrschte ein geschäftiges Treiben, niemand schien an Schlaf zu denken. Was für ein gewaltiges Heer! In diesem Lager mochten hundert oder zweihundert Hundertschaften zusammen gezogen 223
sein. Und doch war dies nur ein Teil der Streitmacht, die gegen die Caer aufgeboten wurde. Entlang dem Hochmoor waren noch zehnmal so viele Krieger in Stellung gegangen. Krieger aus allen Ländern der Lichtwelt, aus Ugalien, dem wilden Karsh-Land, dem nördlichen Salamos. Söldner aus den weiten Steppen Dandamars; Flüchtlinge aus den tainnianischen Herzogtümern Akinlay, Nugamor und Darain; Bauern, Handwerker, Edelleute und Abenteurer – sie alle hatten sich gegen die Macht der Caer verbündet. Noch nie in der neueren Geschichte der nördlichen Lichtwelt hatte es eine solche Einigkeit unter den Völkern gegeben. Konnten die Caer, auch wenn sie im Sold der Dunklen Mächte aus der Schattenzone standen, dieser Streitmacht überhaupt etwas Gleichwertiges entgegensetzen? Ja, davon war Mythor überzeugt, nämlich die Magie ihrer Dämonenpriester! Mythor brachte Pandor vor den Wachen zum Stillstand und nannte die Losung. Dann verlangte er, zu Graf Corian gebracht zu werden. Offenbar war er bereits erwartet worden, denn ein Offizier erschien, der eine wertvolle Kriegsausrüstung und einen Helm mit einem bunten Federbusch trug. »Ich bin Graf Arlios von Viscond«, stellte sich der ugalische Edelmann vor. »Graf Corian hat angeordnet, daß du ihm sofort vorgeführt wirst, wenn du erscheinst. Komm, ich führe dich zu ihm!« *
Chewaw Chewaw war in den Götterbergen geboren worden, aber er hatte keine Erinnerung mehr an die Heimat, denn sein Stamm war schon vor vielen Gezeitenwechseln ins Flachland gezogen und Chewaw war damals noch ein kleiner Junge gewesen. Nun war er der Häuptling 224
seines Stammes. Über ihm stand nur der Schamane Abwar, dessen Jagdzauber stark war, der aber damals nicht hatte verhindern können, daß ihr Stamm aus den Götterbergen vertrieben worden war. Und das kam so: Chewaws Stamm verehrte viele Götter, so viele, wie die Götterberge Gipfel hatten, und jeder Gipfel war nach jenem Gott benannt, der dort seinen Sitz hatte. Eines Tages jedoch tauchte ein neuer Gott auf, der sich Großer Alb nannte und alle anderen Götter verbot. Wer sich ihm nicht unterwerfen wollte, wurde getötet oder verjagt. Chewaws Stamm blieb seinen Göttern treu und mußte ins Flachland fliehen. Von hier aus konnte Chewaw an klaren Tagen einige der Berggipfel sehen, und dann murmelte er die dazugehörigen Namen der Götter, die ihm Abwar genannt hatte. Das Leben im Tiefland war hart, denn die hier ansässigen Stämme wollten ihr Land nicht freiwillig den Eindringlingen überlassen. Chewaw kämpfte mit seinem Stamm verbissen um jeden Fußbreit des eroberten Jagdreviers, und er errang so manchen heldenhaften Sieg, obwohl die Tieflandstämme besser bewaffnet waren. Ihre Beile und Messer waren nicht aus Stein, sondern aus einem viel härteren Stoff, aus dem sich auch schärfere Klingen schleifen ließen. Dennoch konnte sich Chewaw mit seinem Stamm behaupten. Man lebte am Rande des Großen Moores, und wenn der Gegner mit einer übermächtigen Streitmacht an griff, zog man sich ins Moor zurück. Aber dazu entschloß man sich nur in äußerster Not, denn das Moor war trügerisch und hatte sich schon viele Opfer geholt. Manchmal war das Moor aber auch nützlich. So etwa, wenn der Stamm eine Mammutherde in diese Landschaft treiben konnte. Die großen Tiere waren in dem sumpfigen Gelände hilflos und versanken ihres Gewichtes wegen bald bis über die Beine im weichen Boden. Dann waren sie eine leichte Beute für Chewaws Stamm, der anschließend wieder für viele Monde zu essen hatte. Eines Tages jedoch wurde das Moor Chewaw und seinem ganzen Stamm zum Verhängnis. Wieder griffen die Tiefländer in solcher Überzahl an, daß Abwar dazu riet, das Versteck im Moor aufzusu225
chen. Die Angreifer blieben diesmal hartnäckiger als sonst. Sie drangen immer tiefer ins Moor ein und stöberten schließlich das Versteck auf Chewaw und den Seinen blieb keine andere Wahl, als sich noch tiefer ins Moor zurückzuziehen, in ein selbst ihnen unbekanntes Gebiet. Und hier erfüllte sich ihr Schicksal. Hinter ihnen rückten die Angreifer bedrohlich näher, und vor ihnen erstreckte sich ein endlos bodenloser Sumpf, durch den kein Pfad führte. Das Ende kam, zuerst über die Frauen, Kinder und Alten und dann über die Jäger, die sie vor dem Feind beschützen wollten. Chewaw focht als einer der letzten einen aussichtslosen Kampf gegen seinen unheimlichsten Feind. Das Moor war stärker als jedes Tier, mit dem er es je zu tun gehabt hatte, stärker als jede Zauberkraft, die er je zu spüren bekommen hatte. Das Moor ließ sich nicht bekämpfen, man konnte es nicht treffen, nicht verwunden. Es zerrte Chewaw wie mit tausend Armen zu sich herab, bis es ihn völlig eingeschlossen hatte. Und dort unten erstarrte er in Kampfstellung und behielt sie bei. Es war, als ruhe er nur vor dem nächsten Kampf eine kleine Ewigkeit aus… * Graf Corians Prunkzelt war noch geräumiger, als es von außen erkennbar gewesen war, dennoch konnte man sich darin kaum rühren, denn es hatte sich alles eingefunden, was im ugalischen Heer Rang und Namen hatte. Mythor entdeckte auch einige bekannte Gesichter, die ihm noch von seinem Aufenthalt auf Burg Anbur in Erinnerung waren. Von der Kälte war im Zelt nichts zu merken. Die Ausdünstung der vielen Menschen, so unangenehm sie in die Nase stach, sorgte auch für angenehme Wärme. Zudem wurde inmitten des Zeltes ein Feuer in einer Grube unterhalten. 226
Daneben war ein Platz freigehalten worden. Man hatte darauf feinen Sand ausgeschüttet und diesen glattgestrichen. Corian kniete davor in voller Kriegsausrüstung und zeichnete mit dem Zeigefinger einen Lageplan in den Sand. »Du mußt warten, bis die Besprechung zu Ende ist«, flüsterte Graf Arlios Mythor zu. »Aber wenn ich Corian sage, was ich weiß, wird diese Lagebesprechung hinfällig«, versetzte Mythor ebenso leise. »Dann wird die Schlacht nämlich gar nicht stattfinden.« »Du wirst dich gedulden müssen«, sagte der Graf von Viscond abschließend. Da Mythor zum Warten verurteilt war, hörte er Corians Ausführungen zu. Der ungalische Heerführer hatte im Sand das Hochmoor von Dhuannin in groben Umrissen skizziert. Jetzt machte er östlich davon ein sternförmiges Zeichen und sagte dazu: »Hier stehen wir mit zweihundert Hundertschaften gut gerüsteter Krieger. Dazu kommen die rund hundert mal hundert Söldner. Da es sich mehrheitlich um Flüchtlinge aus Darain und Dandamar handelt, werden sie ihr Bestes geben. Etwas weiter südlich steht das zweite starke Heer aus Ugalien unter der Führung von Graf Helvion von Quinlor. Insgesamt nochmals fünfzehntausend Mann.« Corian umriß einen zweiten Stern. »Wenn wir zum Angriff blasen, kann Graf Helvion uns hören und gleichzeitig zum Sturm aufs Hochmoor ansetzen«, fuhr Corian fort. »Grundsätzlich aber gilt, daß die Verbündeten der Lichtwelt mit Sonnenaufgang in die Schlacht ziehen.« Er setzte ein L-förmiges Zeichen in den Sand: »Das ist die Burg des Jamis von Dhuannin. Von dieser Seite kommt das stärkste Heer, die fünfhundert mal hundert Krieger aus Nugamor. Zugegeben, es ist das letzte Aufgebot Herzog Horvands, aber für diese Leute geht es um so viel, daß sie mit letztem Einsatz kämpfen werden. Sie bangen um eine Besetzung 227
ihrer Hauptstadt durch die Caer, das wird sie anspornen. An die westliche Flanke des Nugamor-Heeres werden die tausend Karsh-Krieger und die achttausend Salamiter unter Gapolo ze Chianez anschließen. Weiter können wir mit fünfzig Hundertschaften von verschiedenen anderen Salamiter-Stämmen rechnen. Dazu kommen noch etwa tausend Leoniter, wie mir meine Kuriere versichert haben. König Lerreigen hat sich mit seinem Wort verpflichtet.« Corian zog um die Zeichnung, die das Hochmoor darstellte, einen Halbkreis, der von Süden nach Osten reichte. »Hier sind unsere Streitkräfte massiert«, führte er dazu aus und tippte daraufhin mit dem Zeigefinger auf die westliche Seite des Hochmoors. »Aber auch vom Westen dürfen wir Verstärkung erwarten. Bekanntlich ist die Stadt Akinlay vor kurzem von den Caer genommen worden. Aber schon vor dem Fall der Stadt sind hundertfünfzig Hundertschaften in Richtung Yarl-Linie marschiert. Sie werden ebenfalls in die Schlacht eingreifen. Von Elvinon stehen, wie wir wissen, fünftausend Widerstandskämpfer bereit, die bei Sonnenaufgang zur Stelle sein werden. Einzig die Lage nördlich des Hochmoors ist ungewiß. Die Stadt Darain wird von starken CaerVerbänden belagert, die sich jedoch abwartend verhalten. Wenn man in Darain meinen Vorschlag annimmt und die Truppen vorübergehend aus der Stadt abzieht, dann können wir auch von dort mit fünfzehn- bis zwanzigtausend Mann rechnen. Ihr seht, meine Freude, ich habe keineswegs übertrieben, als ich voraussagte, daß die Verbündeten der Lichtwelt gegen die Caer ein Heer von ungefähr fünfzehnhundert Hundertschaften auf die Beine stellen würden. Damit müssen wir diese entscheidende Schlacht gewinnen können. Denn die Caer haben ihre Streitkräfte über ganz Tainnia verteilt. Sie können sie unmöglich am Hochmoor zusammenziehen, sondern müssen damit die eroberten Gebiete besetzt halten. Ich 228
danke euch, meine Freunde. Haltet euch bereit für den Fall, daß sich Änderungen im Aufmarschplan ergeben.« Die Versammlung begann sich aufzulösen. Da trat Mythor vor und rief: »Halt! Ich komme aus dem Feindgebiet, und ich glaube, daß es euch alle angeht, was ich zu berichten habe.« Die Männer zögerten und betrachteten Mythor neugierig. Die ihn bereits kannten, flüsterten den anderen zu, wer er war und in welcher Mission er für Graf Corian unterwegs gewesen war. »Halt deine Zunge im Zaum, Mythor!« rief Corian aufgebracht. An seine Unterführer gewandt, fügte er ruhiger hinzu: »Vergeßt den Zwischenfall, er ändert nichts an meinen Befehlen. Ihr könnt euch getrost zurückziehen. Wenn Mythor mir etwas von Bedeutung zu berichten hat, werde ich es euch wissen lassen.« Mythor verstand Corians Verhalten nicht, aber er sagte nichts mehr, um den Heerführer nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Als sie sich allein im Zelt gegenüberstanden, winkte ihn Corian zu sich an die Feuergrube. Mythor ging zu ihm. Graf Corian umarmte ihn und drückte ihn kurz an sich. Sein Gesichtsausdruck blieb jedoch ernst, und Mythor glaubte darin eine leise Besorgnis zu lesen. »Ich hätte nicht geglaubt, dich noch einmal wiederzusehen, Mythor«, sagte Corian. »Und nun berichte. Ich möchte dir nicht verheimlichen, warum ich die anderen weggeschickt habe. Ich ahne, daß du schlechte Nachrichten bringst, und möchte vermeiden, daß sie sich herumsprechen.« »Das glaube ich nicht«, sagte Mythor fest. »Was ich nämlich in Erfahrung gebracht habe, muß dich dazu veranlassen, die Schlacht zu verschieben, sowohl örtlich wie auch zeitlich.« »Erzähl endlich!« verlangte Corian mit ausdruckslosem Gesicht. 229
Mythor schilderte seine Eindrücke in knappen Worten. Er ließ nichts aus, was ihm wichtig erschien, verzichtete jedoch auf jegliche Ausschmückungen. Allerdings hielt er mit seinen persönlichen Schlußfolgerungen nicht hinter dem Berg. Er erzählte, wie er über die Yarl-Linie nach Elvinon gelangt war, und er wies besonders auf den magischen Zingel hin, den die Caer-Priester dort von Arbeitssklaven errichten ließen. Als Mythor auf die Ereignisse in dem namenlosen Ort zu sprechen kam, wo Graf Codgin den Herzog der Caer erdolcht hatte, warf Corian ein: »Ich nehme an, du hast den Schandpfahl gesehen.« »Ja«, antwortete Mythor, »aber ich verstehe nicht, warum du Graf Codgin richten ließest. Er ist für seine Tat nicht verantwortlich zu machen, denn er wurde schwarzmagisch beeinflußt.« »Ich weiß, dennoch blieb mir keine andere Wahl«, sagte Graf Corian. »Das Kriegshandwerk ist ein blutiges, die Diplomatie dagegen ist schmutzig. Wir stellen den Schandpfahl für die Caer im Hochmoor auf. Als Geste des guten Willens, denn sie sollen sehen, daß wir die ruchlos scheinende Tat gesühnt haben. Weiter!« Mythor berichtete von dem Zusammentreffen mit dem Rebellenführer Cannon Boll, und Corian war sehr zufrieden, als er hörte, daß wirklich fünftausend Rebellen bereitstanden. Als er jedoch erfuhr, welches Schicksal Herzog Krude widerfahren war, zeichnete sich auf seinem Gesicht Entsetzen ab, und er rief erschrocken: »Das ist furchtbar! Bist du sicher, daß du dich nicht irrst, Mythor?« »Ich habe mich bestimmt nicht getäuscht«, antwortete Mythor. »Inzwischen weiß ich, wie Dämonisierte aussehen. Aber ist dir klar, Corian, was das in weiterer Folge zu bedeuten hat? Wenn die Rebellen…« »Erzähl weiter!« sagte Graf Corian ungeduldig. 230
Mythor fuhr mit der Schilderung seiner Erlebnisse auf der Lorana fort, wo Mammuts Flöße mit magischen Langsteinen gezogen hatten, die für den Zingel entlang der Yarl-Linie verwendet wurden. Den Zwischenfall bei Vercins Mühlenarche, die von einem glühenden Stein, der aus dem Himmel fiel, zerstört worden war, streifte er nur und ging dafür auf sein jüngstes Erlebnis im Randgebiet des Hochmoores ein. Er wies auf die Berichte der Moorbewohner hin, die von den abstoßend häßlichen Moorscheuchen und seltsamen Riten der Caer-Priester auf dem Schlachtfeld kündeten, und Mythor gab Bendik als Augenzeugen an. Aber Graf Corian winkte nur ab. »Diese Torfstecher sind ungebildete und abergläubische Leute«, sagte er. »Von denen lasse ich meine Krieger nicht kopfscheu machen. Nein, auf deren haarsträubende Geschichten gebe ich nichts.« »Aber mir traust du doch wohl genügend Urteilskraft zu«, beharrte Mythor. »Alles deutet darauf hin, daß die Caer in der Schlacht nicht ihre Krieger zum Einsatz bringen, sondern die Schwarze Magie ihrer Dämonenpriester. Und erinnere dich des Vorfalls auf deiner Burg. Als der Erzmagier Vassander den Tag der Wintersonnenwende als Schlachttermin nannte, da sprach Drudins Wille aus ihm. Und hat dein Sterndeuter Thonensen, dem du vertraust, nicht gesagt, daß gerade an diesem Tag mit der längsten Nacht die Einflüsse der Schatten vorherrschen? Gab er nicht deutlich bekannt, daß zu diesem Zeitpunkt die Kräfte des Lichtes am schwächsten sein würden? Und alle Vorzeichen deuten darauf hin, daß er recht behalten wird. Allein diese Kälte, die über Nacht hereingebrochen ist, sollte dir die Augen öffnen. Diese Kälte ist unnatürlich, sie nimmt den Kriegern die Kraft, lähmt sie förmlich, bringt sie um.« »Genug«, sagte Corian. Er hatte sich abgewandt, jetzt drehte 231
er sein Gesicht wieder Mythor zu. Er legte dem jungen Recken beide Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Du kannst dir deinen flammenden Mahnruf ersparen. Ich habe die Wahrheit auch so erkannt. Ich glaube dir jedes Wort, und ich habe immer gefühlt, daß Thonensen mit seinen Warnungen recht hatte. Dein Bericht bestätigt, daß das Hochmoor von Dhuannin eine einzige große magische Falle ist. Es ist für mich eindeutig, ich durchschaue den Plan der Caer-Priester im großen und ganzen, wenn ich auch nicht die Einzelheiten kenne.« »Dann wirst du dich entsprechend verhalten?« fragte Mythor. »Wie soll ich mich denn verhalten?« erkundigte sich Graf Corian. »Es gibt doch wohl nur eines zu tun«, sagte Mythor, »nämlich diese Schlacht zu verhindern.« »Wie stellst du dir das vor?« Graf Corian lachte rauh. »Nun, du brauchst deinen Leuten nur zu befehlen, nicht in die Schlacht zu ziehen«, sagte Mythor. »Du bist der Heerführer, dir wird man gehorchen.« Corian schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, das geht nicht, die Schlacht wird stattfinden. An dem vorbestimmten Ort und zur festgesetzten Zeit. Wußte ich doch gleich, daß es besser ist, mir deinen Bericht allein anzuhören. Du wirst zu niemandem ein Sterbenswort sagen, Mythor. Das ist ein Befehl!« »Aber…« Mythor war fassungslos, er verstand Corians Verhalten in keiner Weise. »Ich begreife deine Haltung nicht, Corian. Wieso willst du so viele tausend Krieger ins Verderben rennen lassen?« »Sprich nicht so, das Verderben ist uns keineswegs gewiß«, sagte Graf Corian barsch. »Die Lichtwelt hat eine Chance, und zwar nur diese eine! Ich will dir ausnahmsweise erklären, wel232
che Beweggründe ich habe, trotz allem in die Schlacht zu ziehen. Es ist eigentlich nur ein einziger Grund: die Verantwortung, die ich als Heerführer habe! Und jetzt hör gut zu, mein junger Eiferer.« Er holte tief Luft, dann fuhr er eindringlich fort: »Ich könnte mein Heer zurückhalten und möglicherweise auch noch Graf Helvion mit einem Kurier verständigen. Aber was ist mit den anderen Heeren? Mit den Karsh und den Salamitern, den Leonitern und den Kriegern aus Akinlay? Mit den Rebellen unter Cannon Boll? Wie soll ich Herzog Horvand rechtzeitig erreichen, wie das Heer aus Darain? Ja, ich könnte die Krieger aus meinem Volk zurückhalten. Aber die restlichen hunderttausend würden in gutem Glauben an ihre Verbündeten in die Schlacht ziehen. Und sie würden durch unseren Verrat so geschwächt sein, daß ihre Aussichten auf einen Sieg verschwindend gering wären. Hätte ich noch einige Tage Zeit, dann würde ich die Sache verschieben. Da mir die benötigte Zeit nicht zur Verfügung steht, muß die Schlacht geschlagen werden. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.« »Aber ich«, sagte Mythor. »Du vergißt, daß auch Gapolo die Verhältnisse kennt und seine Krieger zurückhalten wird. Er läßt seine Salamiter bestimmt nicht ins Hochmoor ziehen.« »Die Salamiter können wir gerade noch entbehren«, sagte Corian. »Deine Kriegerehre!« sagte Mythor bitter. »Du weißt, daß die Schlacht verloren ist, noch ehe sie begonnen hat. Du wirfst unzählige Menschenleben einfach fort, weil du dich vor dem Vorwurf der Feigheit fürchtest. Aber wäre es nicht menschlicher, wenigstens einen Teil der Krieger zu retten, anstatt alle zu opfern?« »Schweig!« schrie Corian und schlug Mythor ins Gesicht. Im ersten Moment griff Mythor nach dem Gläsernen Schwert, ließ es jedoch sofort wieder los. 233
»Ich werde nicht schweigen«, sagte er dann. »Ich werde allen sagen, was sie im Hochmoor von Dhuannin erwartet. Sollen sie selbst entscheiden, was unter diesen Umständen zu tun ist.« Mythor wandte sich zum Gehen. Nach zwei Schritten hörte er Corian seinen Namen rufen. Ihm entging der gefährliche Unterton nicht, und ihm war klar, daß der ugalische Heerführer ihn nicht so ohne weiteres würde ziehen lassen. Als er sich nun umdrehte, war er sogar darauf gefaßt, mit Graf Corian die Klinge kreuzen zu müssen. Aber mit einem feigen Angriff rechnete er nicht. Als er Corian das Gesicht zugewandt hatte, sah er noch, wie der mit dem Knüppel zum Schlag ausholte. Für eine Gegenwehr war es bereits zu spät. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit, einen Laut von sich zu geben. Der Knüppel traf Mythor gegen die Schläfe und fällte ihn wie einen Baum. Corian stand breitbeinig da und blickte bedauernd auf ihn hinab. »Junger Narr«, sagte er ohne Groll. »Du glaubst doch nicht, daß ich zulasse, wie du mit deinen Unkenrufen meine Krieger scheu machst? Sie werden es so schon schwer genug haben, gegen die Magie der Caer-Priester zu bestehen.« Corian warf den Knüppel achtlos fort. Er rief nach den Wachen und befahl ihnen, Mythor zu fesseln und zu knebeln und gut zu bewachen. »Er ist ein Besessener«, fügte er dann als Erklärung für seine Handlungsweise hinzu. * »Cesano!« Gapolo ze Chianez reichte dem riesenhaften Ilkerer die Hand zum Gruß und schlug ihm die andere vor die gepanzerte Brust, wo eine Möwe im Flug prangte. »Sind deine Mannen bereit?« »Die zehn mal hundert Ilkerer frieren, aber morgen werden 234
sie sich im Kampf wärmen«, antwortete Cesano. »Was bringst du aus dem Feindesland mit, Gapolo?« »Darüber reden wir später«, sagte der Salamiter-Führer aus dem Stamm der Worsungen. Er wandte sich dem nächsten seiner vier Gefährten zu, die mit ihm bei den Verhandlungen auf Burg Anbur gewesen waren und sich in Darain von ihm getrennt hatten. »Jesson!« Er begrüßte den schlanken Espaner auf die gleiche Weise wie Cesano und fragte dabei: »Wie ist die Stimmung unter den Stämmen?« »Ich habe Andaler, Skipen und Geronen noch nie so einig gesehen«, antwortete Jesson. »Aber der Fuchs wird bei Sonnenaufgang an vorderster Front kämpfen.« Das Stammeszeichen der Espaner war ein Fuchs. Gapolo wandte sich dem eleganten Engor vom Stamm der Vendusen zu, der selbst in der Kriegerrüstung aussah, als reite er zu einem Turnier und nicht in einen Kampf auf Leben und Tod. Sechs Regentropfen in Form einer nach unten gerichteten Pyramide schimmerten golden auf seinem Brustharnisch. Auch er wurde von Gapolo herzlich begrüßt. »Deine Worsungen können es kaum mehr erwarten, bis du vor sie hintrittst«, sagte Engor und fuhr sich über den Kinnbart. »Ich hoffe, du hast gute Nachrichten, Gapolo.« »Warum sagst du ihnen nicht endlich, was los ist?« meldete sich da Buruna aus dem Hintergrund, die ganz gegen ihre Gewohnheit in ein grobes Gewand gehüllt war; die Kälte hatte sie dazu getrieben. »Spann deine Freunde nicht unnötig auf die Folter, das kostet nur wertvolle Zeit.« »Misch dich da nicht ein, Buruna!« raunte Lamir, der Barde, der ehemaligen Liebessklavin zu. »Gapolo wird es seinen Kriegern schon auf seine Weise beibringen, daß sie wieder unverrichteter Dinge heimkehren müssen.« »Ich bin da nicht so sicher«, meinte Buruna zweifelnd. 235
»Raimor!« Gapolo schüttelte auch dem Mescalo die Hand. »Hast du die Liebessklavin zu deinem Sprachrohr gemacht?« erkundigte sich der schwarzhaarige Hüne grinsend. »Du hättest ihr beibringen sollen, daß Frauen zu schweigen haben, wenn Männer reden.« »Das könntest du für mich machen, Raimor«, sagte Gapolo so leise, daß Buruna und Lamir es nicht hören konnten. »Sie hat sich im Feindesland überraschend gut gehalten. Aber jetzt braucht sie ebenso wie der Barde etwas Erholung. Sorge dafür, daß es den beiden an nichts fehlt! Und achte darauf, daß sie ihre losen Mäuler nicht zuviel gebrauchen können.« Raimor nickte grinsend, ging zu Lamir und Buruna und führte ihre Pferde an den Zügeln ab. Gapolo hörte nicht hin, als die Liebessklavin aufbegehrte und von ihm Erklärungen verlangte. Er war froh, als Raimor mit ihr und dem Barden zwischen den Zelten verschwand. »Wo ist Mythor?« fragte Jesson. »Bei Graf Corian, um ihm Bericht zu erstatten«, antwortete Gapolo. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Die Lage im Feindgebiet ist nicht besorgniserregend. Wir haben kaum CaerHeere gesehen.« »Wir würden sie auch schlagen, wenn sie ihre gesamten Streitmächte aufböten«, sagte Cesano. »Ich möchte mich in einem Zelt bei einem Krug Wein aufwärmen und dabei die Gesellschaft aller Stammesführer genießen«, sagte Gapolo. »Ich habe euch etwas zu sagen. Erst danach werde ich vor meinen Stamm hintreten.« Gapolo suchte das Zelt auf, das man für ihn bereitgestellt hatte. Er beachtete die Hochrufe nicht, mit denen ihn die umstehenden Krieger begrüßten. Im Zelt war es warm. Ein Bottich und zwei Diener standen bereit. Als sie Gapolo fragten, ob sie heißes Wasser für ein Bad einfüllen sollten, verscheuchte er sie mit einer Handbewe236
gung. Er ging zu dem Hocker, auf dem seine Prunkrüstung bereitlag. Im Augenblick wußte er noch nicht, ob er sie überhaupt anlegen würde. Wenn es nach ihm allein gegangen wäre, dann hätte er es ohne Zögern getan. Aber er wollte sich zuerst mit den anderen Stammesführern besprechen. Es dauerte nicht lange, bis Cesano, Jesson, Engor und Raimor mit den Vertretern der Andaler, Skipen und Geronen ins Zelt kamen. Gapolo holte die Begrüßung der restlichen drei Stammesführer nach. »Pakon!« »Wir legen unser Leben in deine Hand, Gapolo.« »Der Bussard steht in deinen Diensten.« »Dalingo!« »Sei willkommen, Gapolo.« Sie setzten sich auf Kissen im Kreis zusammen und warteten in höflichem Schweigen, bis Gapolo das Gespräch eröffnete. »Wir haben eine schwere Entscheidung zu treffen«, begann der Stammesfürst der Worsungen. »Ich habe bei den Caer Dinge gesehen, die mich im Hochmoor von Dhuannin Schreckliches für die Verbündeten der Lichtwelt ahnen lassen. Morgen wird es zu keinem Kampf Mann gegen Mann kommen, denn unserem riesigen Aufgebot stehen nur wenige Caer gegenüber. Es wird ein Kampf gegen die Schwarze Magie werden. Darum stelle ich euch die Frage, ob wir in die Schlacht ziehen oder besser heimkehren sollen.« Nach dieser Einleitung schilderte Gapolo seine Erlebnisse in dem von den Caer besetzten Elvinon. Als er geendet hatte, richtete er die erste Frage an Engor. »Was meint der Stammesfürst der Vendusen?« »Mein Stamm fürchtet die Schwarze Magie ebensowenig wie das Schwert. Wir kämpfen.« »Marcon?« »Die Skipen kämpfen.« Als nächster war Jesson an der Reihe. Er meldete sich etwas 237
ausführlicher zu Wort und sagte: »Der Fuchs läßt keinen Verbündeten im Stich. Hätten wird die Zeit, die anderen Heere zu warnen, dann würde ich mich dafür aussprechen, die Schlacht auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Aber dem ist nicht so. Darum werden meine Krieger eher sterben als in Feigheit leben.« »Viele Andaler sind bereits erfroren«, sagte Pakon. »Ihr Opfer soll nicht umsonst gewesen sein. Für jeden von ihnen soll zumindest ein Caer-Priester dran glauben.« So und ähnlich beantworteten auch die anderen Stammesfürsten Gapolos Frage. Raimor sagte abschließend: »Wenn ich diese Schlacht meide, dann müßte ich den Lilienhügel aufsuchen und mein Leben beenden.« Gapolo nickte in die Runde und sagte: »Die Lilie dankt euch, Freunde. Laßt mich jetzt bitte allein. Ich muß mich für den Kampf rüsten.« * Herzog Horvand von Nugamor war müde, dennoch konnte er keinen Schlaf finden. Es schien, daß niemand auf Burg Dhuannin an Nachtruhe dachte. Das Gesinde schlich herum und wartete den Gästen mit Speise und Trank auf. Die Heerführer, sofern sie sich nicht zu ihren Truppen begeben hatten, um sie für den bevorstehenden Kampf zu wappnen, wanderten unruhig umher oder standen in Gruppen zusammen. Sie flüsterten nur miteinander, aber das genügte, um für ein stetes Raunen zu sorgen, das durch die Säle und Korridore von Burg Dhuannin geisterte. Der Herzog von Nugamor hatte sich die ganze Nacht mit seinen Feldherren beraten. Er hatte sie angehalten, genau nach jenem Schlachtplan vorzugehen, den Graf Corian ausgearbeitet hatte. Corian war ein überaus fähiger Stratege, seine An238
ordnungen hatten Hand und Fuß. Das war Horvand auch von seinem Gesandten Jamis bestätigt worden, dem Herrn von Burg Dhuannin, der auf Burg Anbur das Herzogtum Nugamor vertreten hatte. Jamis hatte den Auftrag gehabt, die besten Bedingungen für sein Herzogtum herauszuholen, die in dieser Lage zu erreichen waren. Und Horvand war mit seinem Gesandten zufrieden. Irgendwo gingen ständig Türen, verhaltene Schritte waren zu hören, das Klappern von Geräten, gelegentliches Waffenklirren. Über die steinernen Wände geisterten Schatten, die die Männer warfen, die unterwegs waren. Auf Burg Dhuannin war in dieser Nacht jedermann auf den Beinen. Nur die Frauen hatten sich hinter verschlossenen Türen zu halten, darauf bestand der Herzog. Es war nie gut, wenn die Männer vor der Schlacht abgelenkt wurden. Der Herzog stieg die Wendeltreppe zum Bergfried hinauf. Die Burgwachen, die auf seinem Weg standen, verneigten sich schweigend. Auf der letzten Plattform wurde der Herzog von einem Hauptmann der Burggarde erwartet. Er hatte sechs Männer bei sich. »Herr«, sagte der Hauptmann und verneigte sich ehrerbietig, »du solltest nicht auf den Wehrgang hinausgehen. Es herrscht eine Kälte, die imstande ist, selbst Eisen zu brechen.« »Jamis von Dhuannin ist dein Herr, ich bin dein Herzog«, sagte Horvand zurechtweisend und trat auf die Wehrplattform des Bergfrieds hinaus. Es war eine klare Vollmondnacht, keine Wolke trübte den fahl erhellten Himmel. Von hier oben konnte man im Süden bis zur Stadt Nugamor blicken. Im Westen zog sich die YarlStraße als dunkles Band dahin und kreuzte die von Osten sich heranschlängelnde Lorana. Im Osten waren als dunkle Flecken Corians Heerlager zu erkennen, und im Südosten erhoben sich die Karsh-Berge hoch über das Land. Nur der Norden war 239
nicht einzusehen. Dort, wo sich das riesige Hochmoor erstreckte, wurde alles von einem undurchdringlichen Nebelmeer verhüllt. Was verbarg der Nebel? Horvand zuckte leicht zusammen, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Er blickte sich um und erkannte den roten Haarschopf des Burgherrn Jamis von Dhuannin. »Du schleichst mir nach?« wunderte sich Horvand. »Zu deinen Diensten, mein Herzog«, sagte Jamis höflich und verneigte sich wieder. »Ich hörte, daß du keine Ruhe finden konntest, und suchte dich auf, um dir Gesellschaft zu leisten.« »Wer kann in dieser Nacht schon an Schlaf denken?« sagte Horvand. »Wir stehen vor der größten Entscheidungsschlacht in der Geschichte der Lichtwelt.« »In den Mythen heißt es, daß alle paar Menschenalter solche Entscheidungsschlachten zwischen dem Licht und dem Dunkel stattfinden«, sagte Jamis. »Und doch ist weder für die eine noch für die andere Seite bis jetzt eine Entscheidung gefallen.« »Die Schatten breiten sich aus, Jamis, das wird jeder Weise bestätigen«, sagte Horvand. Er legte die Hand auf eine Zinne, zog sie aber sofort wieder zurück, als die Kälte des Steins auf ihn übergriff. »Diese Kälte ist nicht natürlich. Sie durchdringt alles, selbst Stein und Holz, und sie schleicht sich in unsere Herzen.« Jamis sagte darauf nichts, und Horvand dachte an den vergangenen Tag zurück, als er, von Nugamor kommend, in das Heerlager eingeritten war. In Nugamor hatte es noch geschneit, der Himmel war von dichten Wolken verhangen gewesen. Dann, auf halbem Weg zum Hochmoor, hatte es sich plötzlich aufgeklärt, und es war bitter kalt geworden. , »Kann man die Werte des Lichtes umkehren?« fragte Horvand. »Mit Magie vermag man viel zu erreichen«, antwortete Jamis, »besonders mit Schwarzer. Aber selbst die Caer-Priester vermögen nicht Licht in Finsternis zu verwandeln. Doch ist zu 240
bedenken, daß Licht blenden kann. Andererseits kann Dunkelheit manchen Makel verhüllen. Licht wirft Schatten, und Schatten kann in der Gluthitze der Wüste ein Labsal sein. Gut und Böse, das sind keine feststehenden Werte.« »Genug!« sagte Horvand. »Du brauchst mir gegenüber keine Haarspaltereien zu betreiben, ich möchte klare Antworten haben. Wenn du keine geben kannst, dann schweige.« Und Jamis schwieg. Horvand begab sich auf die südliche Seite der Wehrplattform, von wo man an manchen Tagen die Schattenzone als dunkles Band sehen konnte und in den Nächten als leuchtenden Gürtel. Aber in dieser klaren Nacht war der Süden von Wolken verhangen. Horvand blickte in die Ebene hinab, wo seine fünfzigtausend Krieger lagerten. Die Lagerfeuer erstreckten sich nach Osten und Westen weit ins Land hinein. »Du hättest den Rat der ugalischen Magier beherzigen sollen, mein Herzog, die sagten, daß es nicht klug sei, in dieser Nacht Feuer zu entzünden«, sagte Jamis. »Kommt dieser Rat nicht vom Erzmagier Vassander?« meinte der Herzog von Nugamor. »Und stand dieser auf Burg Anbur nicht in sehr zweifelhaftem Licht? Er endete schließlich als Xandor, wurde zu einem Geschöpf, das weder Mensch noch Dämon ist.« »Die Ugalier verehren ihn nun mehr denn je«, warf Jamis ein. »Sie sehen sein Schicksal so, daß er im Kampf gegen die Mächte der Finsternis ein Opfer dieser Mächte wurde. Allem, was er als Erzmagier gesagt oder getan hat, kommt nun doppelte Bedeutung zu. Und Vassander sagte, daß Feuer in der Nacht vor der Entscheidung die Kräfte des Lichtes verzehrt.« »Soll ich meine Krieger erfrieren lassen?« fragte Horvand. »Als ich durch das Lager ritt, mußte ich mit ansehen, wie die Krieger am Eisen ihrer Waffen förmlich klebenblieben. Sie rissen sich ihre Kettenhemden vom Leibe, weil deren Kälte ihnen 241
Erfrierungen verursachte. Wenn ich könnte, würde ich ihnen mehr geben als nur wärmende Feuer.« Horvand unterbrach sich und blickte in südöstliche Richtung, wo das gebirgige Karsh-Land lag. »Täusche ich mich, oder ist es über den Götterbergen heller geworden?« »Du täuschst dich nicht, mein Herzog«, sagte Jamis. »Es ist nicht mehr lang bis Sonnenaufgang.« »Dann sputen wir uns«, sagte Horvand. »Sind deine Krieger zum Ausritt bereit, Jamis?« »Wie meinen?« fragte Jamis von Dhuannin verdattert. »Ich dachte… ich wollte… Wir brauchen einen gesicherten Stützpunkt, mein Herzog, in den wir uns notfalls zurückziehen können. Darum habe ich befohlen, daß meine Krieger auf Burg Dhuannin zurückbleiben. Ich hoffte, das sei auch in deinem Sinn.« »Sag es offen, Jamis, du wolltest dich vor dem Kampf drücken«, sagte Horvand abfällig. »Aber diesmal nicht. Wir werden alle zu den Waffen greifen, auch du. Und keine Winkelzüge, das rate ich dir, Jamis. Du wirst an der Spitze deiner Leute in die Schlacht ziehen.« »Aber ich bin Diplomat, kein Krieger«, wandte Jamis ein, und seine Stimme klang auf einmal kläglich. »Dann kannst du meinetwegen mit dem Wort gegen die Caer kämpfen, aber kämpfen wirst du, Jamis«, sagte Horvand streng. »Ich werde entsprechende Order geben und meine Offiziere darüber wachen lassen, daß kein kampffähiger Mann auf Burg Dhuannin zurückbleibt.« Damit wandte sich Herzog Horvand von Nugamor ab und verließ die Wehrplattform. Er ließ einen völlig verzweifelten Burgherrn zurück. Über den Karsh-Bergen wurde es hell. Die Nacht wich allmählich der Morgendämmerung am Tag der Wintersonnenwende. 242
* »Herzog Krude stößt zu uns!« Der Ruf pflanzte sich wie ein Lauffeuer fort. Einer rief es dem anderen zu, und wer es hörte, dessen düstere Miene erhellte sich. Die Widerstandskämpfer aus Elvinon fielen einander in die Arme und vollführten Freudentänze. Vergessen waren die vielen Entbehrungen der letzten Tage, die Scharmützel mit kleineren Caer-Einheiten, die man einfach hinweggefegt hatte. Die Niedergeschlagenheit und die Verzweiflung darüber, daß ihr Herzog nicht wie angekündigt eintraf, waren auf einmal wie weggeblasen. Vergessen war auch die Kälte, der man fast schutzlos ausgeliefert war. »Herzog Krude ist eingetroffen! Er wird uns anführen!« Fünftausend teilweise nur mangelhaft ausgerüstete Krieger, von den Strapazen des langen Marsches gezeichnet, erwachten wie aus einem tagelangen Dämmerschlaf. Es war, als springe ein belebender Funke auf sie über, der ein Feuer in ihren Herzen entfachte. »Herzog Krude ist da!« Cannon Boll hörte es und gestattete sich ein Lächeln. Er ließ es geschehen, daß Krieger ihre Pferde an seine Seite drängten und ihn umarmten. Er war ihnen bis jetzt ein guter Führer gewesen, aber ihren Herzog hatte auch er nicht ersetzen können. Er spornte seinen stämmigen Braunen an und lotste ihn in wildem Galopp durch die Reihen der Widerstandskämpfer. »Tapfere Männer aus Elvinon, jetzt ist der Sieg unser!« rief Cannon Boll, während er sich an die Spitze des in Aufruhr befindlichen Heerwurms kämpfte. Die Morgendämmerung war bereits so weit fortgeschritten, daß die Sterne am klaren Himmel verblaßt waren. Bald würde 243
die Sonne aufgehen, die Kriegshörner würden zum Angriff blasen. Dann würde man die Lorana an jener Furt überqueren, wo vor zwei Wintern die Churkuuhl-Yarls ihre Straße gezogen hatten. Und Herzog Krude von Elvinon würde seine Getreuen anführen. Cannon Boll erreichte die Spitze des Heereszugs. Die Krieger umringten einen Kundschafter und rissen ihn vor Begeisterung fast in Stücke. Als sie Bolls ansichtig wurden, ließen sie von dem Kundschafter ab und gaben den Weg frei. Und sie redeten alle durcheinander, denn jeder wollte ihm die frohe Botschaft vermelden. »Er hat Herzog Krude gesehen.« »Wo ist er?« fragte Cannon Boll. »Da!« rief der Kundschafter und wies in Richtung Sonnenaufgang. »Er wird mit seinen drei Begleitern jeden Augenblick auf dem Hügel auftauchen. Ich habe unseren Herzog an der Rüstung erkannt.« Cannon Boll wandte sich dem Hügel zu. Die Männer brachen in ein Jubelgeschrei aus, das weit über das Land hallte, als auf dem Hügel vier Reiter auftauchten. Drei von ihnen waren ganz in Schwarz gekleidet, ihre Gesichter waren vermummt. Sie ließen sich etwas zurückfallen und übergaben die Spitze dem vierten Reiter. »Herzog Krude!« entfuhr es Cannon Boll überwältigt. Er hatte bis zuletzt nicht daran glauben können, daß ihr Landesherr den Weg zu ihnen doch noch finden würde. Aber jetzt konnte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Cannon Boll hatte ein scharfes Auge, und er konnte selbst auf diese Entfernung und gegen den sich erhellenden Himmel die Gesichtszüge des Herzogs deutlich erkennen. Aber irgend etwas an ihm kam ihm seltsam vor. Als Herzog Krude beide Arme zur Begrüßung erhob, brandete wieder Jubel auf, der kein Ende nehmen wollte. 244
Der Herzog ritt langsam näher, als wolle er sein neu formiertes Heer in aller Ruhe in Augenschein nehmen und die Krieger umgekehrt seinen Anblick genießen lassen. Etwas stimmte Cannon Boll nachdenklich. Der Reiter vor ihm war Herzog Krude, unverkennbar. Aber sein Gesicht drückte keine Freude aus, überhaupt keine Regung. Es war maskenhaft starr, wie… aus Glas! Diese Erkenntnis traf Cannon Boll wie ein Blitz, und eisiges Entsetzen nahm von ihm Besitz. Das war Herzog Krude, jawohl, aber er war nicht mehr er selbst. Er hatte keinen eigenen Willen, sondern stand im Bann dämonischer Mächte. Sein starres, gläsernes Gesicht machte es deutlich. Cannon Boll war für einen Moment vor Schreck wie gelähmt; er vernahm nichts als das dumpfe Pochen im Kopf, sah nur das maskenhafte, ausdruckslose Gesicht des Herzogs, auf dem die Hoffnungen der Rebellen aus Elvinon geruht hatten. Und wie ihm mußte es auch seinen Leuten ergangen sein. Denn als er wieder im Vollbesitz seiner Sinne war, da merkte er, daß die Jubelschreie und Hochrufe verstummt waren. Statt dessen waren in den vordersten Reihen besorgte Rufe zu hören, die rasch die Runde machten und sich schnell bis zum Ende des Heereszugs fortpflanzten. »Herzog Krude ist von einem Dämon besessen!« Ein Schreien hob an. Die Krieger verloren ihre Beherrschung, rannten und ritten wie kopflos durcheinander. Einige hatten Tränen in den Augen, sie waren schon jetzt, noch bevor die Schlacht begonnen hatte, Geschlagene. Und vom Hügel her erscholl ein vierstimmiges höhnisches Gelächter. Cannon Boll wurde von rasender Wut gepackt. Er trieb seinen Braunen durch Schreie und Hiebe an und sprengte den Hügel hinauf, von wo das Spottgelächter der vier Dämonenreiter erklang. 245
»Ich erweise dir einen letzten Dienst, mein Herzog!« schrie Cannon Boll und zückte sein Schwert. Er hielt in vollem Ritt geradewegs auf den Reiter zu, der einst Herzog Krude von Elvinon gewesen und nun ein Werkzeug der Dämonen war. Aber da schlossen die anderen drei Dämonenreiter auf. Sie kamen von den Flanken auf ihn zu und schnitten ihm den Weg ab. Noch bevor Cannon Boll an Herzog Krude heran war, stieß eine Lanze nach ihm. Er konnte den tödlichen Stoß mit dem Schild abwehren, doch war er mit solcher Wucht geführt, daß es Cannon Boll aus dem Sattel hob. Unter dem dämonischen Gelächter der schwarzen Reiter schlug er mit der Rüstung schwer auf dem Boden auf. Obwohl er sich trotz seiner Benommenheit sofort wieder aufrichtete, konnte er nur noch das sich entfernende Hufgetrappel hören. »Verdammte Caer!« schrie er den Dämonenreitern nach. »Jetzt werden wir erst recht kämpfen… und mit doppelter Kraft.« Aber als er sich seinem Heer zuwandte, da wußte er, daß dieser Schwur nur ein leeres Wort war. Der Anblick ihres dämonisierten Herzogs hatte die Rebellen aller Hoffnungen beraubt. Ihr Widerstandsgeist war gebrochen, das Feuer in ihren Herzen erloschen. Etliche von ihnen würden die Waffen strecken, umkehren und sich in alle Winde zerstreuen. Aber selbst jene, die mit ins Hochmoor von Dhuannin zogen, würden nun nicht mehr mit ganzer Kraft kämpfen können. Was für ein grausamer Winkelzug der Caer: Ohne auch nur die Waffen erhoben zu haben, hatten sie bereits den ersten Teilsieg über die Streiter der Lichtwelt errungen. Und jeden Augenblick mußte die Sonne aufgehen. Es war der Tag der Wintersonnenwende im 38. Jahr Arwyns.
* 246
Reilhan Bevor er zu ihrem Oberhaupt geworden war, waren die Moormenschen Ausgestoßene gewesen, die von den Menschen außerhalb des Moores verachtet und gejagt wurden, Verdammte, die mit dem Tod auf du und du lebten. Man sagte ihnen nach, daß sie von jenen abstammten, die das Moor zu sich herabgeholt hatte. Der Aberglaube, daß sie Kinder jener seien, die nicht sterben und nicht leben konnten, weil sie von den Moorgeistern beherrscht wurden, war in den angrenzenden Ländern weit verbreitet. Erst Reilhan war es gelungen, den Bauern, Hirten und Jägern die Angst vor den Moormenschen zu nehmen. Er war es gewesen, der die Landmenschen den Wert des Torfs zum Heizen und Bauen erkennen ließ, so daß sie im Austausch dafür Korn, Fleisch und Felle gaben und seit kurzem auch Waffen. So kamen die Moormenschen zu einigem Wohlstand und Ansehen. Doch dann wurde Reilhan von einer giftigen Schlange gebissen und mußte sterben. Seine sterblichen Überreste wurden in einem feierlichen Trauerzug aus dem Moor getragen und in fester Erde beigesetzt. Die Grabbeigaben, die man ihm auf den letzten Weg mitgab, wären eines Königs würdig gewesen. Am tiefsten trauerte wohl Reilhans Lieblingsfrau Orla um den weisen Kämpfer. Sie wollte sich mit seinem Dahinscheiden nicht abfinden. Also schlich sie bei Nacht und Nebel zu seiner Grabstätte und stahl den Leichnam. Sie trug Reilhan ins Moor zurück und setzte ihn dort bei, denn sie glaubte fest daran, daß das Moor seine Toten nach Jahr und Tag unversehrt freilasse. Und von den Grabbeigaben überließ sie dem Geliebten nur die kostbaren Waffen, auf daß er sich gegen all jene wehren könne, die einst gegen seine Wiederkehr sein mochten. Orla lebte längst nicht mehr, ihr Körper war vor vielen Menschenaltern zu Staub verfallen. Reilhans Körper jedoch ruhte noch im Moor und war fast so gut erhalten wie am Tage seines Todes. Nie247
mand gedachte mehr seiner, denn die Legenden von seiner Rückkehr ins Reich der Lebenden waren schon lange vergessen… * Der Tag der Entscheidung dämmerte. Drudin hatte die Nacht auf dem Schwarzstein liegend verbracht. Seine gemurmelten Befehle hatten stong-nil-lumen deutlicher durchdrungen als ein Ruf aus tausend Kehlen. Die zwölf Priester des Obersten Rates hatten sie gehört und waren ihnen nachgekommen. Jetzt erhob sich Drudin von dem schwarzen Opferstein, der inmitten der hufeisenförmig angeordneten fünf Dreisteine stand. Seine Priester waren tief in sich gekehrt, in magischer Besinnlichkeit versunken. Doch so abwesend sie schienen, waren sie doch emsig am Werk. Ihre schwarz verhüllten Hände fuhren über die Runen auf den Langsteinen, und wo sie welche berührten, da schmolz das Eis und gab diese bedeutungsvollen Runen frei. Es waren die Runen des Verwandelns und Umkehrens. Runen, die in bestimmter Anordnung die Kraft hatten, aus dem die Schwärze verdrängenden Licht ein alles verzehrendes Feuer zu machen. Es waren Runen, die wie schwarze Risse aus den vereisten Steinsäulen brannten, dunkle, alles Licht aufsaugende Löcher von verschlungener Form. Und indem die Priester diese Runen vom Eis befreiten, setzten sie ihre geheimen Kräfte frei. Und mit jeder enteisten Rune wurden diese Kräfte stärker und stärker. Die Priester waren so in ihre Tätigkeit versunken, daß sie es gar nicht merkten, wenn ihre Füße den Boden verließen und sie emporschwebten zu Runenzeichen, die anders nicht für sie erreichbar gewesen waren. Sie brauchten sich nur zu strecken, und schon glitten sie hinauf zu den entlegensten Zei248
chen. Und wo ihre Finger das Eis berührten, da schmolz es und gab Symbole aus Schwärze frei. Die Runen des Umkehrens und Verwandelns waren imstande, die Ordnung der Welt und des Himmels zu stören. Sie verkehrten die Kräfte, die die Welt in der Waage hielten. Und sie waren imstande, Tore in fremdartige Bereiche aufzustoßen, die durch die Mächte des Lichtes verschlossen und versiegelt waren. Wenn diese Tore erst offenstanden, konnte das Dunkel in diese Welt eindringen und sich hier festsetzen. Und im Sog des Dunkels würde Hiesiges in andere Bereiche entführt werden. Man konnte auf diesen Runen spielen wie auf einem Instrument, Farben und Töne erzeugen und diese zu unglaublichen Bildern vereinen. Drudin gedachte, auf den Steinen von stongnil-lumen das Lied der Finsternis zu spielen, das eine Entstellung der Lichtmelodie war. Der Beginn war gemacht. Die Einleitung wurde von den Priestern gemurmelt, die entlang den drei Steinkreisen glitten und diese hinauf- und hinabschwebten und um diese herum. Sie bedienten sich einer uralten, nur noch von wenigen Eingeweihten beherrschten Sprache. Sie nannten damit die Dinge beim wahren Namen und durchbrachen so deren Schutz. Und sie gaben den so enthüllten Dingen Spottnamen, mit denen sie sie schwächten. Und indem sie schließlich die Namen der Dinge von hinten nach vorne sprachen, verkehrten sie sie und konnten sie nach Belieben formen oder auch zerstören. Die Priester verspotteten alle Werte des Lichtes und opferten sie am Altar der Finsternis. Drudin verließ den Schwarzstein nicht. Er stand nur hoch aufgerichtet da und drehte sich langsam in Richtung Sonnenaufgang. Er konnte von hier durch eine Lücke zwischen den Steinen der beiden inneren Ringe und durch ein Loch in einem Stein des äußersten Ringes genau zu jener Stelle blicken, wo 249
am Tag der Wintersonnenwende die Sonne hinter den Bergen des Karsh-Landes und der Schattenzone aufgehen würde. Und in dieser Linie lag das Hochmoor von Dhuannin. Es befand sich genau im Brennpunkt dieses geraden und doch so verschlungenen Weges zwischen stong-nil-lumen und der Schattenzone, so daß die Kräfte der Schwarzen Magie dort am stärksten wirken würden. Das Gemurmel der Priester war in einen schrillen Singsang übergegangen. Der Gesang war eine Beschwörung, die ihren Höhepunkt dann erreichen würde, wenn die Sonne an diesem Morgen ihre ersten Strahlen über die Schattenzone auf diesen Teil der Welt schickte. Schon waren fast alle Runen des Umkehrens und Verwandelns, des Verdammens und des Wiedererweckens freigelegt. Ja, auch das Wiedererwecken von vergangenem Leben war für diesen Tag bedeutungsvoll. Und kein anderer Ort auf dieser Welt eignete sich dafür so gut wie das Hochmoor von Dhuannin, denn was sich im Moor an Vergänglichem in vielen Menschenaltern angesammelt hatte, das war nicht wirklich vergangen. Die Ekstase der Priester steigerte sich, sie verfielen in Raserei. Sie näherten sich dem Ende des Rituals mit zuckenden Gliedern, ihre Körper waren wie Vulkane, die das in sich gespeicherte Feuer nicht mehr halten konnten, ihre Kehlen waren Fanfaren, die Töne wie das legendäre Große Schaurige Horn von sich gaben. Gleich war die Brücke ins Hochmoor geschlagen, es bedurfte nur noch der ersten leitenden Strahlen der Sonne. Dann würde das unmenschliche Trompeten aus den Kehlen der entfesselten Priester über das Schlachtfeld hallen und unter den Kriegern der Lichtwelt Angst und Entsetzen verbreiten. Doch das war erst der Beginn der sich ins Unermeßliche steigernden Schrecken. 250
Drudin würde es miterleben. Durch jenes einzigartige Loch in dem Stein des äußersten Kreises konnte er nicht nur die aufgehende Sonne betrachten, sondern er konnte auch geradewegs zum Hochmoor blicken und seine Sinne dorthin auf die Reise schicken. Er war am Geschehen selbst beteiligt und konnte die Niederlage der Verbündeten der Lichtwelt miterleben. Er war in der Lage, von seinem Standort die von seinen Priestern freigesetzten Kräfte zu lenken und sie nach Belieben einzusetzen. Er war an diesem Tag der Mittler zwischen Diesseits und Jenseits. Die Fleischwerdung der dämonischen Mächte. Der Herr der Welt. Er war die Macht. Und dann war es endlich soweit. Seine Priester hatten den Höhepunkt der Ekstase erreicht und fielen wie tot zu Boden. Es würde lange Zeit dauern, bis sie wieder erwachten. Die Sonne ging auf. Aber ihre Strahlen brachten nicht Wärme und Leben, denn diese Kräfte waren umgekehrt worden. Sie brachten Tod und Verderben für die Kämpfer der Lichtwelt. Drudin erlebte es mit, als befinde er sich am Ort des Geschehens. Der unheimliche Klang war in Mythors Kopf, noch bevor er völlig wach wurde. Er war besitzergreifend und so durchdringend, daß Mythor sich ihm nicht entziehen konnte. Es war eine Mischung aus allen möglichen Geräuschen, die in ihrer Gesamtheit diesen abscheulichen Klang ergaben. Mythor glaubte wieder das Brüllen der Churkuuhl-Yarls zu hören, als sie über die Steilklippen von Elvinon ins Meer der Spinnen stürzten, das Schreien der in den Tod gerissenen Marn und das Bersten und Krachen der zerbrechenden Nomadenstadt. Aber dann verschmolzen all diese Geräusche miteinander, so daß es viel schauriger und grauenvoller klang. 251
Es war wie der Urschrei des Todes selbst. Es klang wie das Toben der Elemente am Ende aller Tage. Und dann wußte Mythor, woran ihn der Geräuschorkan erinnerte: an das Große Schaurige Horn, von dem Vercin, der Mautner der Mühlenarche, gesagt hatte, daß es den Untergang der Lichtwelt verkünden werde. Es ist alles nur ein schrecklicher Traum! sagte sich Mythor und bemühte sich krampfhaft, daraus zu erwachen. Als er die Augen aufriß, stellte er fest, daß er sich nicht bewegen konnte. Er erinnerte sich wieder des hinterhältig geführten Schlages von Graf Corian und wußte, welchem Umstand er seine Bewegungsunfähigkeit verdankte. Er war gefesselt. Und er fand sich allein in Corians Zelt wieder. Durch die Zeltwände drang heller, flackernder Schein, als brenne es ringsum. Nun war er endgültig wach, aber das Große Schaurige Hörn drang ihm immer noch schmerzhaft ins Gehör. Es klang noch lauter und unheimlicher als in seinem Traum. Was für ein abstoßender Klang! Wollte dieses Heulen, Tuten, Kreischen, Rauschen, Klirren, Trompeten und Poltern, dieses gespenstische Wehklagen denn kein Ende nehmen? Das Heerlager stand in Flammen! Mythor wollte schreien, aber da merkte er, daß etwas seinen Mund verschloß. Er war auch geknebelt. Er konnte sich nicht bewegen, denn er war an die Zeltstange gebunden. Und er konnte nicht auf sich aufmerksam machen, denn eine Lederkugel stopfte ihm den Mund. Endlich wurde das Große Schaurige Horn leiser. Von draußen war ein Stampfen zu hören, als würde eine Mammutherde durch das Heerlager trampeln. Dazwischen erklangen Trommelwirbel und Fanfarenstöße. Pferde wieherten, Hufgetrappel zog vorbei. Ein Lied brandete auf. Ein Kampflied aus vielen tausend Kehlen. Die Heere der Lichtwelt marschierten. Es war der Tag der Wintersonnenwende. Mythor zerrte verzweifelt an seinen Fesseln. Er blickte ge252
hetzt um sich. Ein Windstoß fuhr durch den Zelteingang und hob den Vorhang. Mythor erkannte einige Krieger, die achtlos vorbeigingen. Ihre Augen waren nach vorne gerichtet, dem Feind entgegen. Ihre Mienen drückten Entschlossenheit aus. Links von sich sah er sein Gläsernes Schwert und den Helm der Gerechten. Alton war außerhalb seiner Reichweite, und er entdeckte nichts in seiner Nähe, mit dem er seine Fesseln hätte durchschneiden können. Wieder teilte sich der Vorhang am Zelteingang. Reiter zogen im Widerschein eines lodernden Feuers vorbei. Ein Geräusch auf der anderen Seite ließ Mythor herumfahren. Es hörte sich an, als würde gespanntes Leinen reißen. Tatsächlich zeigte sich in der Zeltplane in Kopfhöhe ein klaffender Spalt, der von einer scharfen Klinge erweitert wurde. Gleich darauf streckte jemand seinen Kopf durch. Es war Bendik, der Junge aus dem Moor. Hinter ihm schien der Himmel zu brennen. »Ich bin gleich bei dir, Mythor!« rief Bendik, ergriff die Schnittränder der Zeltplane und zog sie kraftvoll auseinander, so daß ein übermannshoher Riß entstand. Er sprang hindurch und kam zu Mythor gelaufen. Er nahm ihm zuerst den Lederklumpen aus dem Mund und begann dann, seine Fesseln zu durchschneiden. Mythor merkte erst jetzt, wie gefühllos seine untere Gesichtshälfte durch die gesperrten Kiefer geworden war. Er hatte noch Mühe beim Sprechen. Er wollte fragen, was passiert war, brachte aber nur ein paar unverständliche Laute zustande. Bendik schien ihn dennoch zu verstehen, denn er antwortete: »Die Schlacht hat begonnen, aber der Kampflärm wird von dem unheimlichen Klang der caerischen Kriegshörner übertönt. Und dann… das Weltendach steht wie in Flammen. Siehst du den Schein? Er kommt aus dem lodernden Himmel. 253
Es sieht aus, als würde es bald Feuer regnen.« Mythor streifte die letzten Fesseln ab und massierte seine Arme und Beine, damit die Kraft in sie zurückfließen konnte. Dann holte er sich die Ausrüstung, setzte den Helm der Gerechten auf und steckte das Gläserne Schwert in den Gürtel. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, Bendik«, sagte er zu dem Jungen. »Solange die Sonne Licht spendet, schwächt das die Kräfte der Finsternis. Schlimmer wäre es, wenn sich eine dunkle Wolke auf uns herabsenken würde.« Bendik schüttelte den Kopf, seine Augen waren groß vor Furcht. »Du mußt es selbst sehen, dann wirst du meine Angst vor diesem Sonnenfeuer verstehen«, sagte er. »Ich habe bemerkt, daß es vielen Kriegern ebenso geht. Das flammende Licht erschüttert ihren Mut, noch ehe sie das Moor erreichen.« Mythor eilte zum Ausgang des Zeltes und fragte dabei: »Hast du meine Tiere gesehen?« »Das Einhorn steht draußen«, antwortete Bendik. Mythor erreichte den Ausgang und trat ins Freie. Im ersten Moment mußte er geblendet die Augen schließen, so grell war das Leuchten des Himmels. Er gewöhnte sich erst nach und nach daran, aber selbst dann vermochte er es mit dem Geist kaum zu erfassen, was seine Augen ihm zeigten. Es war ein schier unglaubliches Schauspiel, das über der Welt abrollte. Die Sonne, die knapp über den Karsh-Bergen stand, schickte feurige Bahnen über den Himmel. Es war, als breche ein Vulkan aus, dessen Lava über das Weltendach floß. Die Sonne war der Glutkern. Sie verschoß einen Strahlenkranz blendend weißen Lichtes, das mit verästelten Fingern weit hinausgriff. Das Weiß verlor seine Leuchtkraft und verfärbte sich gelblich, wurde rötlich, ballte sich zu purpurnen Wolken, die verblaßten und sich auflösten und Platz für neue Farbmischungen machten. In einem wildbewegten Meer aus verschiedenen Rottönen 254
erschien ein winziger gelber Punkt wie das Licht einer Kerze. Auf einmal barst dieser gelbe Kern und ergoß sich blitzartig in alle Himmelsrichtungen. Gleichzeitig bildete sich im Mittelpunkt des gelben Farbsees ein violettes Pünktchen, das kaum merklich größer wurde. Während das Gelb am Verblassen war, brach der violette Punkt auseinander und ergoß sich über den Himmel. Und gerade als das Violett seine größte Ausdehnung hatte, ergossen sich aus seinem Mittelpunkt orangefarbene Kaskaden, weiteten sich aus und wurden von Purpur verdrängt. Mythor wurde von diesem Anblick ganz schwindelig, und er mußte sich abwenden. Er hatte noch nie einen solchen Sonnenaufgang erlebt, und er hatte noch von keinem Menschen gehört, der Zeuge eines solchen Schauspiels gewesen war. Es war, als hätten überirdische Mächte alle Farben der Welt in unzähligen Topfen gesammelt und würden sie nun willkürlich über das Weltendach ausschütten. Mythor erinnerte sich in diesem Augenblick unwillkürlich eines Zwischenfalls auf hoher See. Er war mit seinen Kameraden Nottr, Kalathee und dem Steinmann Sadagar von der Insel der Caer zum Festland unterwegs gewesen. Damals hatten sie am nördlichen Himmel ein Lichterund Farbenspiel beobachtet, das Sadagar als die Lichtmelodie bezeichnete, ohne jedoch etwas über die Ursache oder Bedeutung aussagen zu können. Mythor war von dieser Erscheinung sehr beeindruckt gewesen, doch wie bescheiden war diese Lichtmelodie gegen den Sonnenaufgang am Tag der Wintersonnenwende. Dieses Ereignis übertraf alles, was ein Sterblicher sich vorstellen konnte. Als Mythor versuchsweise den Helm der Gerechten abnahm, spürte er, wie der Anblick der ineinanderfließenden, sprudelnden und überschäumenden Farben seinen Geist zu verwirren begann. Seltsame Gedanken schlichen sich in seinen 255
Kopf. Er hatte das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren und nach oben zu fallen, und die Farbgebilde begannen sich zu häßlichen Dämonenfratzen zu verformen. Schnell setzte er wieder den Helm der Gerechten auf. An ihnen vorbei zogen die Krieger der Lichtwelt in endlosen Kolonnen und breiter Front in Richtung des Hochmoors. Sie gingen aufrecht, und ihre Gesichter drückten Entschlossenheit aus. Die Blicke hatten sie angestrengt nach vorne oder zu Boden gerichtet, aus Angst davor, in den Bann des unheimlichen Farbgebräus über ihnen zu geraten. Manche hatten die Visiere ihrer Helme geschlossen, andere deckten die Augen mit den Schilden oder mit bloßen Händen ab. Die Reiter hatten ihren Pferden Scheuklappen angelegt, damit auch sie von dem verderblichen Einfluß des über ihnen lodernden Farbenfeuers verschont blieben. Jene Krieger, die keine Schutzvorkehrungen getroffen hatten, erkannte man sofort an ihrer Haltung und am Ausdruck ihrer Gesichter. Sie wirkten unsicher, scheu und manchmal verängstigt. Aber selbst jene, die noch gefestigter waren und frischen Mutes, zuckten beim Klang der caerischen Kriegshörner zusammen. »Das Große Schaurige Horn bläst wieder zum Untergang«, stellte Mythor verbittert fest. »Darf ich an deiner Seite bleiben?« fragte Bendik. »Wo ist Pandor?« wollte Mythor wissen. Als habe ihn das Einhorn gehört, kam es hinter dem Zelt hervor getrabt. Hark war nicht bei ihm, und auch den Schneefalken konnte er nirgends erblicken. Mythor schwang sich auf Pandors Rücken, Bendik griff zu und klammerte sich an der Mähne des Einhorns fest. »Du darfst mich nicht allein zurücklassen, Mythor«, sagte Bendik fast flehentlich. »Ich muß aufs Schlachtfeld«, sagte Mythor. »Und dort ist es 256
noch gefährlicher als hier. Versteck dich in einem Zelt, bis ich zurückkomme!« Mythor trieb das Einhorn an, um von hier fortzukommen. Er sah noch, wie Bendik mit weinerlichem Gesicht den Kopf schüttelte, dann war er an dem Jungen vorbei. Er trieb Pandor zu größter Eile an, obwohl er dafür keinen triftigen Grund hatte. Er allein konnte an der Situation auch nichts ändern, und es war zu spät, um irgend etwas zu verhindern. Aber er fühlte sich verpflichtet, sich in den Dienst der Lichtwelt zu stellen. Und er konnte nur mit Graf Corian hoffen, daß sie mit vereinten Kräften doch eine Chance gegen die Mächte der Finsternis hatten. Das Große Schaurige Horn hallte noch immer aus Richtung des Hochmoors. Das Trompeten schien kein Ende nehmen zu wollen. Mythor sah vor sich die Nebelwand, die das Schlachtfeld einhüllte. Niemand schenkte ihm, dem Einhornreiter, Beachtung. Endlich brach der schaurige Klang ab, der alle anderen Geräusche übertönt hatte. Aber das unglaubliche Farbenspiel am Himmel über dem Hochmoor ging weiter. Aus der Nebelwand drang jetzt Schlachtenlärm. Mythor fragte sich, gegen wen die Verbündeten der Lichtwelt denn kämpften, da die Caer ihre Streitkräfte nicht in die Schlacht geworfen hatten. Ihn fröstelte bei diesem Gedanken; er verursachte ihm eine Gänsehaut. Bei aller Ungewißheit konnte er sich denken, daß die CaerPriester mit ihrer Schwarzen Magie Gegner heraufbeschworen hatten, die ein Heer von fünfzehnhundert Hundertschaften aufwogen. Was das für Gegner waren, würde er bald erfahren, denn er erreichte die Nebelwand, die das Hochmoor verbarg. Da begann Pandor auf einmal zu scheuen. Mythor kannte den Grund. Er wußte, daß es die schwarzmagische Ausstrah257
lung war, die sein Einhorn abschreckte. »Weiter, Pandor, weiter!« drängte Mythor das Einhorn, das tänzelnd vor den Nebelschleiern zurückwich. Als Mythor den Fersendruck verstärkte, bäumte sich Pandor unvermutet auf und warf ihn ab. Mythor flog durch die Luft und landete auf dem hartgefrorenen Boden. Pandor galoppierte davon. Mythor kam wieder auf die Beine. Er nahm den Helm der Gerechten an sich, den er beim Sturz vom Einhorn verloren hatte. Bevor er ihn sich wieder überstülpte, ließ er für einen Moment das unglaubliche Farbenspiel auf sich einwirken. Schleier eines giftigen Grüns hingen über dem Hochmoor, der Himmel dahinter wirkte düster und wie verwaschen. Und aus diesem unbestimmbaren Farbengemisch schien ihn eine abstoßende Fratze anzugrinsen. Schnell setzte er den Helm auf und drang in den Nebel ein. Von dort kam das Schreien von Verwundeten und Sterbenden, vermischt mit dem Klirren von Waffen und anderen fremdartigen Geräuschen. Es schien, als breche sich jeder Laut in einem vielfachen Echo – und mit jedem Mal mehr und mehr verzerrt. Nur das Große Schaurige Horn ertönte nicht mehr. * »Seht nicht hinauf! Laßt euch nicht vom Farbenspiel der Sonnenstrahlen blenden! Blickt nach vorne, dem Gegner ins Angesicht.« Es kostete selbst Corian viel Überwindung, sich nicht von dem am Himmel stattfindenden Schauspiel ablenken zu lassen, und er hatte am eigenen Geist zu spüren bekommen, wie sehr es verwirrte. Aber nach einiger Zeit gewöhnte man sich daran. Man durfte sich nur nicht einschüchtern lassen von den fratzenhaften Grimassen, die man zu sehen glaubte. »Es ist alles nur fauler Zauber!« verkündete er und mußte es 258
sich selbst immer wieder vorsagen. Er hatte eine Abordnung Magier vorgeschickt, damit sie alle dämonischen Einflüsse bannten. Aber davon versprach er sich nicht viel. Wie sollte er an diese Scharlatane auch glauben können, wenn sie selbst so wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten hatten, daß sie sich weigerten, das Hochmoor von Dhuannin zu betreten! Er hatte sie dazu erst gewaltsam zwingen müssen, und er tat es nur, damit seine Krieger den Eindruck hatten, daß etwas gegen die dämonischen Kräfte unternommen wurde. »Die Kälte kommt uns sehr gelegen«, redete Corian seinen frierenden Männern ein. »Wenn das Moor gefroren ist, verliert es seine Tücken. Unsere Reiter können nicht einbrechen.« Auf diese Weise machte er seinen Kriegern Mut. Doch wurde dieser erneut erschüttert, als aus dem nebligen Moor schaurige Laute klangen, die nicht von dieser Welt zu stammen schienen. Corian hatte den Eindruck, als verursache der Nebel selbst diesen unheimlichen Ton, denn er kam von überall gleichzeitig. Er mußte dabei an das Klagen ruheloser Geister denken, an das hungrige Röhren eines riesigen Ungeheuers, an ein Rumoren, das aus den tiefsten Tiefen der Unterwelt kam. »Das sind Caer, die euch mit ihrem Schreien schrecken wollen!« sagte er seinen Leuten. »Schreit zurück! Zum Angriff!« Seine Krieger stimmten ein Kriegsgeheul an und rasselten mit ihren Waffen. Die Trommler rührten ihre Trommeln, und die Herolde bliesen die Kriegshörner. Auf diese Weise betäubten sich die Krieger wenigstens selbst, so daß sie den unheimlichen Klagelauten aus dem Moor nicht mehr in vollem Ausmaß ausgesetzt waren. Die Vorhut von zehn Hundertschaften setzte zum Sturm auf das Hochmoor an. Dreihundert berittene Krieger preschten voran, gefolgt von dem Fußvolk der Bogenschützen und Lanzenträger. 259
Wer nur war in der Lage, ein solches Horn zu blasen, dessen Töne selbst den tapfersten Mann erschüttern konnten? Corian spürte, wie selbst ihm der Mut zu schwinden begann, und stimmte darum in das Kriegsgeschrei seiner Männer ein, um diesen unheimlichen Laut zu übertönen. Endlich verstummte das Horn. Aus dem Hochmoor war Kampflärm zu hören, der wie Musik in Corians Ohren klang. Diese Geräusche zeigten wenigstens, daß man es mit einem wirklichen Feind zu tun hatte, den man mit der Waffe in der Hand bekämpfen konnte. Corian hatte nach Mythors Bericht daran bereits zu zweifeln begonnen. Nun wollte auch er nicht mehr länger warten. Denn aus Erfahrung wußte er, daß die Wartezeit vor der Schlacht für jeden Krieger schlimmer war als der Kampf selbst. Egal, wie stark der Gegner war und welcher Waffen er sich bediente: Wenn man um sein Leben focht, dachte man nicht an die eigenen Schwächen. Und seine Krieger würden an diesem Tag endlich nicht mehr über die Macht und die Möglichkeiten der Schwarzen Magie grübeln. Sie würden genug damit zu tun haben, sich ihrer Haut zu wehren und den Gegner zu schlagen. Er gab seiner Hauptstreitmacht das Zeichen zum Angriff und ritt an ihrer Spitze in die Nebelwand ein. Endlich war es soweit – der Kampf würde auch ihm Vergessen bringen. Aus dem Nebel schälten sich schemenhaft seltsam geformte Gebilde heraus. Corian hielt sie zuerst für vielarmige Dämonen, die ihre Klauen nach ihm reckten. Aber dann erkannte er, daß es sich um kahle Sträucher und knorrige Krüppelbäume handelte. Er setzte mit dem Pferd über diese Hindernisse hinweg. »Narr, der du bist!« stieß er hervor, über seine eigenen Ängste verärgert. »Sei ein Mann!« Unweit vor ihm wurde gekämpft. Er war dem Kampflärm 260
schon ganz nahe. Dort war der Feind: auf ihn! Wieder glaubte er, im Nebel eigenartig verrenkte Gestalten auftauchen zu sehen. »Es sind Bäume und Sträucher!« sagte er sich. Doch beim Näherkommen erkannte er, daß dem nicht so war. Und dann riß der Nebel auf einmal auf und gab den Blick auf gut hundert Schritt Entfernung frei. Als Corian erkannte, um was für Gebilde es sich handelte, die da in größeren Abständen aus dem vereisten Moor aufragten, entfuhr ihm ein Laut des Entsetzens. Er hatte noch nichts Derartiges gesehen, nichts so abstoßend Häßliches, und doch wußte er augenblicklich, daß es sich um jene Moorscheuchen handeln mußte, die Mythor in seinem Bericht erwähnt hatte. Jede Scheuche war mindestens doppelt mannshoch und bestand aus insgesamt drei Runengabeln, die in zwei bis vier Zacken endeten. Diese Gabelzacken hatten zusätzlich noch verschieden viele Auswüchse. Eine dieser Runengabeln war im Boden verankert und trug den Kopf und den Körper. Der Kopf war aus Fetzen gebildet, mit Stroh und Laub ausgestopft. Stoffstreifen und Schnüre hielten ihn zusammen, Bemalungen und Nähte waren so angeordnet, daß sie den Eindruck eines fremdartig anmutenden Gesichts vermittelten. Der Körper war sackförmig, bestand aus einem löchrigen und zerschlissenen Gewebe und hing von einer Querstange. Gefüllt war dieser Sack mit Abfällen und Steinen, die durch die Öffnungen zu sehen waren. Verschnürungen, Bindungen und Nähte verliehen auch dem Körper dieser häßlichen Scheuche furchteinflößende Eigenheiten. Unten war der Sackkörper abgebunden. An den Enden der Schulterstange waren die beiden anderen Runengabeln befestigt, und zwar so, daß es aussah, als schwängen die Scheuchen sie wie Waffen. In der Tat, diese Runengabeln bewegten sich im Wind, pendelten hin und her. 261
Oder wurden sie von einer anderen, stärkeren Kraft als der des Windes in Bewegung gehalten? Als Corian im Vorbeireiten zum Fuß einer Scheuche blickte, sah er dort drei ugalische Krieger in ihrem Blut liegen, die aus seiner Vorhut stammen mußten. Auch bei der nächsten Scheuche lagen zwei Tote, und die Enden der pendelnden Runengabeln waren blutgetränkt. Mußten seine Krieger gegen solche ausgestopften Gegner kämpfen? Corian wich einer jeden Scheuche in weitem Bogen aus. Doch auf einmal gehorchte ihm sein Pferd nicht mehr und hielt geradewegs auf die nächste Scheuche zu. Sie war besonders groß, der ausgestopfte, verschnürte Stoffschädel schien ihn anzugrinsen. Die beiden beweglichen Runengabeln begannen auf einmal heftig zu schaukeln. Und dann richteten sich die Zacken der Gabeln geradewegs auf ihn. Corian sah, wie er den mörderischen Gabeln unaufhaltsam näher kam, aber er war wie gelähmt, konnte nichts tun, um die Gefahr abzuwenden. Die Scheuche schien zu ächzen und zu stöhnen… Da strauchelte sein Pferd. Es glitt auf dem eisigen Boden aus und stürzte. Im Fallen dachte Corian noch, daß das vermutlich seine Rettung sei. Diese verfluchten Scheuchen hatten eine magische Anziehungskraft, die die Krieger in die gezackten Gabelspieße laufen ließ. Corian überrollte sich, ohne das Schwert und seinen Schild loszulassen, und kam wieder auf die Beine. Er stand nun mit dem Gesicht zu seiner heranrückenden Streitmacht. Noch war der Reitertrupp nicht zu sehen, und Corian wunderte sich, daß er so weit vorausgeritten war. Aber das Donnern der Hufe drang deutlich aus dem Nebel, Schreie wurden laut. Corian sah im Geiste vor sich, wie einige der Reiter von den Runengabeln der Scheuchen aufgespießt wurden. 262
Mit einemmal riß der Nebel noch weiter auf. Corian sah seine Reiter in breiter Front heranrücken. Er winkte ihnen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber sie schienen ihn nicht zu sehen und hielten weiterhin geradewegs auf ihn zu. Sie würden ihn noch über den Haufen reiten! Corian duckte sich und blickte sich verzweifelt nach einer Deckung um. Die Reiter waren schon bedrohlich nahe, das Donnern der Hufe dröhnte in Corians Ohren. Und er stand in ohnmächtiger Hilflosigkeit da, schutzlos den wirbelnden Hufen ausgeliefert. Er stellte noch fest, daß sich die Reiter im Eis des gefrorenen Moores spiegelten. Jetzt, dachte er, jetzt kommt das Ende. Was für ein unwürdiger Tod! Corian schloß ergeben die Augen. Die Reiter preschten über ihn hinweg, und das Hufgetrappel verflog hinter ihm in der Ferne. Verständnislos öffnete er die Augen und blickte hinter sich. Von der Reitertruppe war nichts mehr zu sehen. Da waren nur die abscheulichen Scheuchen, die ihre Runengabeln schwenkten. Corian wandte wieder den Kopf, als erneut Hufgetrappel erklang. Eine Schwadron tauchte vor ihm auf, und wieder hielten die Reiter geradewegs auf ihn zu. Und er sah, wie sie sich im Eis spiegelten und unerbittlich näher kamen. Auf einmal waren nur noch die Spiegelbilder der Reiter im Eis zu sehen. Corian konnte es nicht fassen. Er zwinkerte, und als er wieder die Augen öffnete, da waren auch die Spiegelbilder der Reiter verschwunden. Nur noch das Donnern der Hufe war zu hören. Es fegte über ihn hinweg, ohne daß er auch nur einen Luftzug spürte. Er meinte, den Verstand verloren zu haben. Corian schrie, als der nächste Reitertrupp heranpreschte. Er rief seinen Kriegern zu, daß sie umkehren sollten, wollte sie 263
darauf aufmerksam machen, daß sie in eine magische Falle ritten. Doch es war bereits zu spät. Seine Warnung erreichte nur noch die Spiegelbilder seiner Reiter. Kurz darauf verblaßten auch diese, und nur noch das Hufgedonner der Geisterreiter war zu hören. Geisterreiter! Dieser Ausdruck drückte das Schicksal seiner Krieger treffend aus. Würde seine gesamte Reiterei zu solchen Geisterreitern werden? Wohin entschwanden sie? Corian schloß die Augen und wandte sich schluchzend ab, als die nächste Reitergruppe heranpreschte. Das Donnern der Hufe passierte Corian und entschwand. Dann kehrte Stille ein. Eine ganze Abteilung seiner Reiterei, seine besten Krieger, war zu Geisterreitern geworden! In seiner ohnmächtigen Wut hieb Corian auf die nächststehende Runengabel-Scheuche ein, bis er sie in Trümmer geschlagen hatte. Ihm blieb als einziger Trost nur die Erkenntnis, daß diese magischen Scheuchen wenigstens nicht unverwundbar waren. »Lamir!« Buruna versuchte sich gegen den Strom der Krieger zu stemmen, der sich auf das neblige Hochmoor zuwälzte. Es war alles so überraschend gekommen, daß sie keine Gelegenheit fand, den Barden und sich in Sicherheit zu bringen. Als die Sonne aufgegangen war und das Weltendach in ein flammendes Inferno hüllte, da hatte sich das gewaltige Heer der Salamiter auf einmal wie ein Mann erhoben und war in die Schlacht gestürmt. Buruna verstand nicht, was in die sonst so besonnenen Salamiter gefahren war. Sie konnte nur ahnen, daß das Lichterspiel des Sonnenaufgangs sie kopflos machte. Sie konnte an sich selbst keine solche Wirkung feststellen. Aber das hatte nichts zu besagen, denn sie wußte, daß sie seit der phantastischen Geschehnisse auf Burg Anbur eine Unempfindlichkeit 264
gegen gewisse magische Einflüsse besaß. Seit der Erzmagier Vassander sie beeinflußt und sie den Helm der Gerechten aufgesetzt hatte, war sie ein wenig gegen Schwarze Magie gefeit. Vermutlich blieb sie auch jetzt nur darum verschont. »Lamir!« Sie sah den Barden zwischen den Kriegern auftauchen, konnte sich jedoch nicht zu ihm durchschlagen. Die Krieger marschierten unbeirrbar voran und schwemmten sie mit. Und auf einmal fand sie sich in Nebel gehüllt. Ein schauriger, durchdringender Laut erklang und wollte kein Ende nehmen. Er übertönte alle anderen Geräusche und ging durch Mark und Bein. Buruna mußte an Vercins Worte denken, der vom Großen Schaurigen Horn gesprochen hatte, das zum Untergang der Lichtwelt blasen würde. War es nun soweit? Würde im Hochmoor von Dhuannin ein Quell aufbrechen, der nie versiegte und dessen Wasser das Land überflutete? Der Nebel ringsum erglühte im Schein der Farben des Sonnenfeuers, das sich über das Weltendach ergoß. Das Große Schaurige Horn verstummte für einige Atemzüge, setzte dann jedoch wieder ein. Schemenhafte Gestalten huschten an Buruna vorbei durch den Nebel. Sie machten entschlossene Gesichter, doch aus ihren Augen sprachen fast durchwegs Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Einige schrien, Buruna erkannte es an ihren aufgerissenen Mündern, um das unwirkliche Heulen des Großen Schaurigen Horns zu übertönen. Endlich verstummte der unheimliche Ton. Die Schlacht hatte begonnen. Buruna sah, wie ein Krieger auf ein unglaubliches Gebilde zurannte. Es sah aus wie eine Vogelscheuche, war jedoch größer und fremdartiger. Die häßliche Scheuche schwang zwei Gabeln, die von jener Art waren, wie Mythor im Niemands265
land eine ganze Wagenladung entdeckt hatte. Es waren Runengabeln, vorne mit drei oder vier Spitzen, die dornenbewehrt waren. Der Krieger rannte genau darauf zu und wurde davon aufgespießt. Buruna sah, wie das nächste Opfer auf diese Scheuche zurannte. Die beiden blutgetränkten Runengabeln schwangen hoch und richteten sich dem Angreifer entgegen. Aber Buruna erreichte die Scheuche vor dem Krieger und hieb die Runengabeln mit zwei Streichen ihres Schwertes entzwei. Der Krieger kam zum Stillstand und blickte sich verständnislos um. »Bekämpfe lieber die wirklichen Feinde!« sagte Buruna zu ihm und eilte weiter. Durch den Nebel erklang plötzlich ein seltsamer Gesang. Dies ist ein neuer Morgen. Sein Licht verheißt uns Glück… Buruna folgte der Stimme und stieß schließlich auf Lamir. Er blutete aus verschiedenen kleineren Wunden, aber sein Gesicht hatte einen verklärten Ausdruck. Er merkte nichts von der Gefahr um ihn und war so verblendet, daß er diesen unheilvollen Tag mit seinem Gesang lobte. Vorbei sind Not und Harm und Sorgen. Der Lichtbote kehrt zurück… Er ging wie ein Tagträumer an Buruna vorbei, ohne sie wahrzunehmen. Auf einmal stieß er ein wütendes Knurren aus und stürzte nach vorne geradewegs auf eine Scheuche zu, die ihre Runengabeln hochschwenkte. Ohne zu zögern, hieb Buruna dem Barden mit der Breitseite des Schwertes über den Kopf und fing dann seinen schlaffen Körper auf. Sie zog Lamir in ein kahles Gebüsch, wo er einigermaßen in Sicherheit war. Krieger marschierten an ihnen vorbei, Reiter preschten in vollem Galopp aufs Schlachtfeld. Was für ein einseitiger Kampf! 266
Hier ein gigantisches Heer aus wackeren Männern, die zum größten Opfer bereit waren und es vermutlich auch würden bringen müssen – und dort die zerstörerische Schwarze Magie der Caer. Buruna ballte die Hände. Sie dachte an Mythor, und Wehmut beschlich sie. Was wohl aus diesem aufrechten Recken geworden war, dem sie mehr sein wollte als bloß eine untertänige Liebesdienerin? In Burunas Gedanken drang ein seltsames Geräusch. Es klang, als berste der eisige Boden. Sie blickte sich um, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Rings um sie brach das Eis auf. Es sank nicht unter dem auf ihm lastenden Gewicht in sich zusammen, sondern türmte sich auf, als befreie sich etwas, das bislang von ihm eingeschlossen gewesen war. Und dann kam dieses Etwas aus dem hartgefrorenen Moor zum Vorschein. Buruna schrie gellend. * Mythor duckte sich unwillkürlich, als sich ihm das Geräusch donnernder Hufe näherte, obwohl er wußte, daß es sich nur um eine Abteilung handelte, die durch die Magie der Dämonenpriester zu Geisterreitern geworden war. Er hatte mit eigenen Augen angesehen, wie es dazu kam, und er nannte es den Spiegeltod. Er hatte keine Ahnung, wohin die Krieger entschwanden; sie waren nicht zu sehen, aber man konnte sie noch lange hören. Und er ahnte, daß etwas Ähnliches auch in Lockwergen geschehen sein mußte, wo die Einwohner der ganzen Stadt spurlos verschwunden waren. Die paar Leute, die diesem unheimlichen Sog entkommen waren, hatten davon berichtet, daß die Magie der Caer-Priester dafür 267
verantwortlich sei. Hatten die Caer damals in Lockwergen diese magische Waffe erprobt, die sie nun im Hochmoor von Dhuannin einsetzten? Wenn es so war, hatten sie sich schon lange auf diese Schlacht vorbereitet und mußten überzeugt gewesen sein, daß sie an diesem Tage stattfinden würde. Mythor kam zu einer Runengabel-Scheuche. Es sah aus, als ob ein Windstoß ihre beiden Runengabeln hebe und sie sich wie zufällig auf Mythor richteten. Aber er wußte es besser. Das war Schwarze Magie. Er hieb mit Alton auf die Scheuche ein, bis nur noch Fetzen, Strohbündel und Kleinholz von ihr übrigblieben. Hufgetrappel eines einzelnen Pferdes erklang. Mythor drehte sich um und stellte überrascht fest, daß er den Reiter sehen konnte. Und er war noch überraschter, als er in ihm Bendik erkannte. Der Junge schien ihn jedoch nicht zu sehen. Er ritt gerade über einen gefrorenen Tümpel, aus dem vereinzelte Grasnarben ragten. Als Bendik Mythor schon fast erreicht hatte, erklang ein Knirschen. Das Eis bekam Sprünge, die sich rasend schnell ausweiteten. Bevor Mythor noch eine Warnung von sich geben konnte, barst das Eis und türmte sich auf. Ganze Schollen wurden in die Luft geschleudert, Moorerde spritzte in Klumpen davon, und dann tauchten aus den so geschlagenen Öffnungen formlose Gebilde auf. Zuerst schien es Mythor, als quelle das Moor auf. Aber als die Torfbrocken abfielen, erkannte er, daß es sich um menschliche Gestalten handelte. »Moortote!« schrie Bendik in einem lichten Augenblick. Denselben Gedanken hatte auch Mythor gehabt. Doch ehe er ihn zu Ende denken konnte, strauchelte Bendiks Pferd, und der Junge stürzte auf eine der von unwirklichem Leben beseelten Gestalten. 268
Es war ein behaarter, gebückt gehender Geselle, der mit einem Steinbeil bewaffnet war. Er ging etwas in die Knie, als Bendik auf ihn fiel, schüttelte ihn jedoch sogleich ab und erhob das Steinbeil gegen ihn. Mythor stürzte mit einem Schrei zu ihm und fällte ihn mit einem einzigen Hieb des Gläsernen Schwertes. Bendik kam zitternd auf die Beine. Sein Gesicht war von Entsetzen gezeichnet, aber wenigstens hatten sich seine Sinne geklärt. »Weißt du, wie alt dieses Moor ist?« fragte Bendik mit bebenden Lippen. »Und weißt du, wie viele Opfer es sich in dieser langen Zeit geholt hat? Sie stehen nun alle auf und wenden sich gegen uns.« »Wir werden Seite an Seite gegen sie kämpfen«, sagte Mythor und klopfte Bendik auf die Schulter. Der Junge lächelte und zeigte stolz ein Schwert. »Ich habe mir eine Waffe besorgt und werde sie auch gebrauchen«, versicherte er. »Der lange Schlaf hat die Moortoten unbeweglich gemacht. Wenn man sich nicht von ihrem Anblick lähmen läßt, kann man sie besiegen.« Mythor wußte, daß der Junge, der aus dem Moor stammte und schon immer daran geglaubt hatte, daß die Moortoten eines Tages zurückkommen würden, den Kriegern aus den anderen Ländern einiges voraushatte. Jetzt knirschte überall Eis, der Boden brach rings um sie auf. Es gab kaum einen Flecken, der verschont blieb. Die Moortoten kamen zu Dutzenden aus der Versenkung, stiegen aus ihren Gräbern, die ihre Körper erhalten hatten. Vor Mythor tauchte ein Krieger in einer Rüstung auf. Unter dem verschmutzten Helm war ein knöchernes Gesicht zu sehen. Außer einigen Fleischresten waren in dem Totenschädel nur die Augen erhalten. Sie wirkten wie zwei getrocknete Beeren und starrten Mythor blicklos an. Der Krieger gab keinen 269
Laut von sich, als er das Krummschwert gegen Mythor hob. Mythor schlug mit dem Gläsernen Schwert die Waffe des Moortoten beiseite, dann trennte er ihm mit einem zweiten Hieb den Knochenschädel vom Rumpf. Die Rüstung fiel in sich zusammen, als das magische Leben aus dem mumifizierten Körper wich und dieser zu Staub zerfiel. Bendik hatte inzwischen einen zweiten Moortoten gefällt, der aus einer ganz anderen Zeit stammen mußte als Mythors Gegner. Denn sein vertrockneter Körper war nur mit einem Lendenschurz bekleidet und er ging mit bloßen, knöchernen Händen auf den Jungen los. »Ich habe vorher noch nie getötet«, sagte Bendik atemlos und wandte sich ab. »Das hast du auch jetzt nicht getan«, sprach Mythor ihm zu. »Tote kann man nicht töten. Du hast nur einen unheimlichen Zauber zunichte gemacht.« »Ich habe einmal einen Freund an das Moor verloren«, sagte Bendik und stierte vor sich hin. »Was ist, wenn er mir begegnet?« »Komm, wir müssen weiter«, sagte Mythor statt einer Antwort. »Du darfst nicht grübeln, sonst…« Mythor verstummte, denn aus dem Nebel tauchte eine weibliche Gestalt auf. Es war Lorana, und sie sah genauso aus wie an jenem Tag, als er sie an der Mühlenarche zum erstenmal gesehen hatte. Nur ihre Bewegungen waren etwas ungelenk, aber das konnte ihrer übernatürlichen Schönheit nichts anhaben. Und auch, daß sie den gebrochenen Blick einer Toten hatte, machte Mythor nichts aus. Er konnte das Gläserne Schwert nicht gegen sie erheben und wartete regungslos, bis sie ihn erreicht hatte. Er wehrte sich nicht, als sie nach dem Helm der Gerechten griff und ihn ihm abnehmen wollte. Mythor hätte auch das mit sich geschehen lassen. 270
Doch als sie den Helm berührte, durchfuhr ihren Körper ein Zucken, und sie wurde von einer unsichtbaren Kraft zurückgeschleudert. Bendik nahm Mythor am Arm und zog ihn schnell mit sich fort. »Jetzt weißt du, was ich gemeint habe«, sagte der Junge zu ihm, während sie davonliefen. Mythor nickte. Er hätte sich gegen Lorana nicht zu wehren vermocht, obwohl er wußte, daß die Schwarze Magie ihr nur zu einem Scheinleben verholfen hatte. Sie stießen auf weitere Moortote. Sie wichen den meisten aus, nur wenn es nicht anders ging, kämpften sie sich den Weg mit den Waffen frei. Der Nebel lichtete sich immer mehr. Am Himmel ging das verwirrende Farbenspiel weiter. Nur waren die Farben nicht mehr so grell, sondern geradezu düster. Und die Sonne war darin ein verwaschener gelblicher Fleck. Sie stand schon hoch, und Mythor schritt ihr entgegen. Einmal stießen sie auf vier tote Caer-Krieger. Sie wiesen keine äußeren Verletzungen auf, dafür waren ihre Gesichter auf den Rücken gedreht. Das konnte nur das Werk von Moortoten gewesen sein. Für Mythor war das die Bestätigung, daß die Caer-Priester nicht einmal auf ihre eigenen Leute Rücksicht nahmen und sie den Mächten der Finsternis opferten. Konnte es noch einen deutlicheren Beweis dafür geben, daß die Caer-Priester ein Werkzeug der Dämonen waren? »Da!« rief Bendik und wies in den Himmel. »Eine Sternschnuppe.« »Sieh nicht hinauf!« verlangte Mythor. »Das bringt dich um den Verstand.« Er folgte mit den Augen der Richtung, die ihm Bendiks ausgestreckte Hand wies. Ein leuchtender Streif zog durch die sich am Himmel zusammenbrauenden und auseinanderflie271
ßenden Farben eine gerade Bahn. Er wurde größer und größer und zeigte sich bald als glühender Ball, der einen Feuerschweif hinter sich nachzog. Bald leuchtete er so hell, daß er die Sonne und den flammenden Himmel überstrahlte, und er war nun so groß wie ein Haus. Ein solcher Himmelsstein hatte auch in Vercins Mühlenarche eingeschlagen. Daran mußte Mythor denken, als der Glutball hinter den Bäumen verschwand und mit lautem Krachen irgendwo vor ihm ins Moor einschlug. Mythor spürte den Boden unter seinen Füßen erbeben. Als er sich wieder gefaßt hatte, stellte er fest, daß Bendik sich von ihm entfernt hatte und weit vor ihm in jene Richtung lief, in der der Himmelsstein eingeschlagen hatte. Er folgte ihm. Dabei fragte er sich, ob dieses Ereignis Zufall sei oder ob die Caer den Stein mit ihrer Schwarzen Magie vom Himmel geholt hatten. Ein Pfeifen in der Luft ließ ihn aufblicken, und er sah, daß ein weiterer Meteor seine feurige Bahn durch die Luft zog. Jetzt glaubte er an keinen Zufall mehr. Er war sicher, daß die Dämonenpriester nun einen neuen Schrecken gegen ihre Feinde auf dem Schlachtfeld losließen. Wer den Anblick des flammenden Himmels, die Attacken der Moortoten, die Runengabel-Scheuchen, den Spiegeltod und die eisige Kälte überstanden hatte, dem schickten die Caer-Priester nun diese glühenden Himmelsgeschosse. * Cannon Bolls Lehrer Dhunbar, ein Weiser und Magier aus dem Land Yartomen, hatte ihm einmal gesagt, daß jeder Mensch mehr leisten und ertragen könne, als er sich in Zeiten der Muße zutraute. Das hatte Cannon Boll später oftmals bestätigt bekommen. Er hatte gesehen, wie Leute, die zeitlebens in 272
Völlerei gelebt hatten, die größten Entbehrungen auf sich genommen hatten. Und Männer, die sich im süßen Nichtstun gefallen hatten, vollbrachten bei Bewährungsproben die unglaublichsten Taten. Doch an diesem Tag der Wintersonnenwende im 38. Jahr Arwyns erkannte Cannon Boll, daß alles seine Grenzen hatte. Einem Teil seiner Männer war der Anblick Herzog Krudes zuviel gewesen, und sie waren geflohen. Es war nicht schade um sie, hatte sich Cannon Ball gesagt, denn nur die Besten konnten sich bei der Schlacht im Hochmoor von Dhuannin bewähren. Dann waren sie ins Moor vorgedrungen. Beim Klang der schaurigen Kriegshörner war manchem das Herz in die Hosen gefallen. Und der Anblick der unheimlichen Scheuchen hatte etliche gelähmt und willenlos gemacht, so daß sie sich in die Spitzen der tödlichen Runengabeln stürzten. Die Kälte hatte ein übriges getan und die Schwachen von den Starken geschieden. Der flammende Himmel hatte jene verwirrt, die leicht beeinflußbaren Geistes waren. Auch das konnte Cannon Boll noch als eine gewisse Art von Auslese ansehen. Ebenso konnte er es gerade nach ertragen, mit anzusehen, wie viele seiner Rebellen im spiegelnden Moor gefangen wurden und dann auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Der Kampf gegen die zu unwirklichem Leben erweckten Moortoten hatte ihm schließlich auch selbst sehr zugesetzt. Doch als sich zeigte, daß man diese Scheinlebenden leicht besiegen konnte, hatte er wieder Mut geschöpft. Aber alles zusammengenommen war selbst er bis ins tiefste Innere erschüttert worden. Mit dem Mut der Verzweiflung zu kämpfen und doch keinen greifbaren Erfolg zu sehen, das konnte den stärksten Mann ins Wanken bringen. Es gab nur noch ein kleines Häufchen Rebellen unter seiner 273
Führung. Die anderen waren gefallen oder geflohen. Wer konnte es ihnen verübeln? Als ihnen eine Gruppe von neun Caer-Kriegern über den Weg lief, machten die Rebellen sie kurzerhand nieder. Sie töteten die Krieger anstelle der Caer-Priester, die ihre wirklichen Gegner waren. Dies alles hatten Cannon Boll und der verlorene Haufe von etwa fünf Hundertschaften ertragen, ohne an Geist und Körper wirklichen Schaden zu nehmen. Aber ein steter Tropfen höhlt den Stein, auch wenn es in der Magie heißt, daß die Ablagerungen aus einem Tropfen den Stein wachsen lassen. Als nun die ersten feurigen Steine vom Himmel fielen, war es selbst Cannon Boll zuviel. Er mußte sehen, wie einer dieser glühenden Meteorsteine seine letzte Schwadron unter sich begrub. Und da brach etwas in ihm. Er gab seinem stämmigen Braunen die Fersen und ritt los – in ein schöneres Land, wo Milch und Honig flossen, es keine Kriege gab und das Leben abenteuerlich, aber nicht hoffnungslos war. Er ritt auf einer Straße, die zur Felsenfestung Drachennest führte. Und er kam an jenem Tag vor wenigen Monden an, da Drachennest noch nicht gefallen war und auch noch nicht die Hauptstadt Elvinon. Cannon Boll ritt durch die Reihen der Belagerer, preschte mit seinem Braunen über die Zugbrücke und das offene Tor, das seine Männer wieder hinter ihm schlossen. Gleich darauf versammelte er die Krieger im Burghof und sprach zu ihnen. Er sagte, daß die Schlacht im Hochmoor von Dhuannin nie stattfinden dürfe, daß der Fall von Elvinon verhindert werden müsse und es wichtig sei, die Nomadenstadt Churkuuhl vor dem Untergang zu bewahren, denn sonst stünde das Ende der Lichtwelt bevor. Und Cannon Boll sammelte seine Leute um sich, und sie bra274
chen aus der von Caer belagerten Festung aus. Die Hälfte von ihnen fiel, der Rest erreichte Elvinon gerade, als sich die Churkuuhl-Yarls für ihren letzten Gang in Bewegung setzten. Cannon Boll ließ im letzten Augenblick Sperren errichten, die die Yarls daran hinderten, sich über die Klippen zu stürzen. So wurde die Nomadenstadt gerettet, und einer der Marn, kein richtiger Marn, sondern ein Findelkind mit Namen Mythor, dankte ihm für die Rettung, indem er versprach, die Yarls den Weg zurückzuführen und so zu verhindern, daß auf dieser Straße die Saat des Bösen sprießen konnte. Dann kam die Flotte der Caer. Aber kein Schiff aus Elvinon stellte sich ihr entgegen. Man empfing die Schiffe an der Steilküste und versenkte sie. Damit war die Lichtwelt gerettet. Als Dank dafür bekam Cannon Boll das Herzogtum Caer zugeteilt und Nyala von Elvinon zur Frau. Alle Völker des Nordens schickten ihre Vertreter zu der großen Feierlichkeit, bei der Cannon Boll zum Ritter geschlagen werden sollte. Es waren auch Caer-Priester anwesend, doch hatten sich diese in die Dienste der Lichtwelt gestellt. Drudin war zu einem Geächteten geworden und befand sich auf der Flucht in die Schattenzone. Cannon Boll erwartete den Ritterschlag. Diese Ehre fiel dreien seiner Leute zu. Sie hoben alle drei gleichzeitig ihre Waffen… … und da erwachte Cannon Boll aus diesem trügerischen Traum. Er erkannte die Wirklichkeit und erfaßte die Situation augenblicklich. Er duckte den Schlag des ersten Angreifers ab, brachte sich durch einen Sprung außer Reichweite des zweiten und rammte dem dritten im Laufen seine Klinge bis zum Heft in die Brust. Die anderen erledigte er mit einem einzigen Streich, noch ehe sie erneut zum Angriff übergehen konnten. Dann sank Cannon Boll in sich zusammen. Er war ein gebro275
chener Mann. Die Magie der Caer-Priester hatte ihm ein schönes, aber unwahres Erlebnis beschert. Drei seiner besten Leute hatten es mit dem Leben bezahlen müssen. Er hatte sie mit eigener Hand getötet. Jetzt konnte er nicht mehr kämpfen. Wofür auch? Die Lichtwelt lag in Schutt und Asche. Die Toten waren vielleicht noch besser dran als die Lebenden, denn für sie gab es keine Zukunft mehr. Die Lebenden jedoch erwartete ein bitteres Los. Cannon Boll hätte sich am liebsten in sein Schwert gestürzt. Aber er war für eine solche Tat nicht mehr Manns genug. * Mythor holte Bendik einen Steinwurf vor dem rauchenden Krater ein, den der vom Himmel gefallene Stein geschlagen hatte. Ein Pfeifen in der Luft kündete davon, daß ein weiterer Meteor fiel. Mythor erwischte den Fliehenden am Kragen und zog ihn zu sich. »Laß mich, Ranol!« schrie Bendik und schlug um sich. »Das Moor bekommt mich nicht.« »Ich bin nicht Ranol, ich bin Mythor«, versuchte ihm Mythor begreiflich zu machen. Aber der Junge kam nicht zur Vernunft. Er trat um sich, bohrte Mythor die Fingernägel ins Fleisch und schnappte wie ein Tier mit den Zähnen nach ihm. »Mich kann keine Magie blenden!« kreischte Bendik. »Es gibt keinen Mythor! Alles nur Lug und Trug!« Mythor bekam ihn von hinten zu fassen, drückte ihm die Arme an den Körper und stemmte ihn hoch. Auf diese Weise schleppte er ihn fort. Einige Schritte ging alles gut, aber dann trat Bendik ihm so schmerzhaft gegen das Schienbein, daß Mythor einknickte. Der Junge kam los, schlug ihm den Ellbogen 276
in den Unterleib und lief davon. Mythor krümmte sich vor Schmerz. Dabei fiel ihm der Helm der Gerechten vom Kopf, ohne daß er es merkte. Mythor wurde es schwarz vor Augen, aber er kämpfte mit aller Kraft gegen eine Ohnmacht an. Er durfte jetzt nicht die Besinnung verlieren! Der Schmerz in seinen Eingeweiden ließ nach, und er öffnete die Augen. Seine Sehkraft war noch nicht völlig zurückgekehrt, denn er sah alles wie durch einen Schleier. Dennoch konnte er erkennen, daß sich die Umgebung gewandelt hatte. Das war nicht das Hochmoor von Dhuannin. Denn da gab es keine knorrigen Krüppelbäume, keine kahlen Sträucher und vor allem keine Moorscheuchen und keine Moortoten. Der Himmel brannte nicht. Die Welt, in die er blickte, hatte einen düsteren, grünlichblauen Schimmer. Staub tanzte in der Luft und trübte die Sicht. Im Hintergrund trieben mächtige, unförmige Gebilde wie Felsen durch den Staubschleier. Einige funkelten, als seien sie aus Kristall oder Eis. Mythor stellte entsetzt fest, daß er keinen Boden unter den Füßen hatte. Wo war er? Jedenfalls befand er sich in einer grenzenlosen Weite, durch die mächtige Eisberge trieben. Einer trieb sogar über ihn hinweg. Er sah alles wie durch einen Nebel getrübt, obwohl es keinen Nebel gab, nur feinen Staub, der sich zumeist gleichmäßig verteilte und sich gegen den Hintergrund verdichtete. Und da erkannte er die Wahrheit. Er befand sich in einem grenzenlosen Meer. Es war das grünlich schimmernde Wasser, das seine Sicht trübte. Und die felsenartigen Gebilde waren wirklich Eisberge, die in der Strömung trieben. Er hatte davon gehört, daß im hohen Norden viele solcher Eisberge im Meer schwammen und nach harten Wintern sogar von der Küste Yortomens aus zu sehen waren. Aber wie kam 277
er hierher? Was hatte ihn nach Eislanden und vielleicht nach weiter nördlich verschlagen? Zwischen den schwebenden Eisbergen tauchte etwas auf, das ebenmäßiger war und hier wie ein Fremdkörper wirkte. Es war ein Schiff! Aber was für ein seltsames Schiff! Sein Rumpf hatte weder einen Kiel noch ein erkennbares Heck. Und erst das Segel! Es war rund und gebauscht, prall vor Wind, obwohl kein Lüftchen ging. Es trieb rasch an Mythor heran. An der Brüstung stand eine einsame Gestalt. Es war eine Frau, ein Mädchen noch. Obwohl das Wasser die Sicht trübte, erkannte Mythor sie schon von weitem. Es war seine Traumfrau, deren Bildnis er am Herzen trug. Fronja, wie Thonensen sie genannt hatte, ohne ihm jedoch mehr über sie zu verraten. Fronja! Sie war es, wahrhaftig und wirklich. Sie war nicht nur ein lebloses Bild auf totem Pergament, sie war es, wie sie leibte und lebte. Und sie kam ihm so nahe, daß er sie hätte berühren können. Aber er konnte sich nicht rühren, konnte keinen Ton über die Lippen bringen, obwohl er so viel zu sagen gehabt hätte. Sie streckte einen schlanken Arm nach ihm aus. Ihr Haar wurde in der Strömung mal hierhin und mal dorthin geschwemmt. Alles ging so langsam, jede Bewegung kostete eine Ewigkeit. Endlich berührte sie ihn mit der Fingerspitze an der Brust, und in Mythor schlug es ein wie ein Blitz. Er wußte auf einmal Dinge, die er vorher nicht einmal hätte ahnen können. Ihm war klar, daß Fronja über die Kluft, die sie voneinander trennte, eine Lichtbrücke zu ihm geschlagen hatte. Sie nutzte die Macht ihrer dämonischen Wächter, um sich ihm zu zeigen und ihm ein Zeichen zu geben. Sie war eine Gefangene der Dämonen! Anders konnte es gar nicht sein. Sie wurde von den Mächten aus der Schattenzone 278
auf dem Grund irgendeines Meeres festgehalten! Vermutlich befand sich ihr Gefängnis sogar nahe der Schattenzone. Und die Eisberge? Fronja, sprich zu mir! Gib mir einen Fingerzeig, einen kleinen Hinweis darauf, wo ich dich finden kann! Aber Fronjas Hände waren leer. Als sie ihn nun wieder berührte, da erhielt er einen schmerzhaften Schlag vor die Brust. Ein Brennen machte sich bemerkbar, als ob jemand siedendes Öl über ihn gegossen habe. Entsetzen ergriff von ihm Besitz, als er an das Pergament dachte. Er befürchtete, daß es in Flammen aufgehen könne. Als seine Hand jedoch unter das Wams fuhr, spürte er das Pergament und stellte fest, daß es unversehrt war. Aber war das vielleicht der Fingerzeig, den ihm Fronja hatte geben wollen? Gab sie ihm auf diese Weise zu verstehen, wie leicht ihr Bildnis zerstört werden konnte? Es war entflammbar, man konnte es zerreißen und die Fetzen in alle Winde zerstreuen, das Bild konnte bleichen, vom Wasser gelöscht werden – was für schreckliche Gedanken! Mythor hatte sich das alles bis jetzt noch nie so recht überlegt. Um so fester ergriff ihn nun die Angst um das Bildnis. Er beschloß in diesem Augenblick, schleunigst etwas zu unternehmen, um das Bildnis zu schützen. Er wußte noch nicht, was zu tun war, aber ihm würde schon etwas einfallen, um es zu erhalten und zu verhindern, daß es ihm jemand stahl. Das war ihm wichtiger als sein Leben! Fronja machte plötzlich ein kummervolles Gesicht, und Mythor wußte, daß der Abschied gekommen war. Geh nicht! Wann werde ich dich wiedersehen? Wo bist du? Aber sie hörte seine Gedanken nicht, konnte nicht antworten. Dies war eine Welt der völligen Stille, in der es noch nie einen Laut gegeben hatte. Das Schiff mit Fronja entglitt. Das Meer fiel ins Dunkel zu279
rück, um Mythor wurde es schwarz. Die heilige Stille zerbrach lärmend. Ein Donnergrollen erhob sich und raste auf Mythor zu. Er riß erschrocken die Augen auf und fand sich im Hochmoor wieder. Vor ihm schritt Bendik. Er hatte sich den Helm der Gerechten unter den Arm geklemmt und führte Mythor an der Hand. Mythor erkannte, daß das Donnern von unzähligen Pferdehufen kam. Es hatte sie erreicht, ohne daß die Reiter zu sehen gewesen waren. Die Geisterreiter fegten über sie hinweg. »Bist du endlich aufgewacht?« fragte Bendik. »Wie lange war ich nicht bei mir?« fragte Mythor zurück und nahm den Helm der Gerechten an sich, den Bendik ihm hinhielt. »Blick zum Himmel«, sagte Bendik mit ausdrucksloser Stimme. »Der Spuk ist vorbei, die Schlacht geschlagen.« Mythor brauchte nicht zu fragen, wie der Kampf ausgegangen war. Er hatte das Ende längst vorausgesehen. Der Himmel brannte nicht mehr. Im Osten wurde es dunkel. Über ihnen hingen nur nach vereinzelte farbenprächtige Schleier aus Licht. Die Sonne fiel langsam dem Rand der Welt entgegen und wurde am unteren Rand bereits von einem dunklen Streifen berührt, der eine Handbreit über den Horizont reichte. Es hätte eine Wolkenbank sein können, aber Mythor glaubte, daß es sich um den Wall der Schattenzone handelte. Noch einmal flammte der Himmel in einem überwältigenden Farbenspiel auf, dann kam die Dämmerung. Über das Moor legte sich wieder Nebel, aber es war lange nicht mehr so kalt wie bei Sonnenaufgang. »Ist das das Ende der Lichtwelt?« fragte Bendik. Mythor blickte sich um. Er sah nur vereinzelt tote Krieger liegen. Er blickte auf einen hinab und erkannte an seiner Rüstung, daß es sich um einen Salamiter handelte. Auf der Brust 280
trug er das Zeichen der Lilie. Die Lilie war das Wappen der Worsungen, des Stammes, dessen Oberhaupt Gapolo ze Chianez war. Also hatte Gapolo seine Krieger nicht davor bewahrt, in die magische Falle der Dämonenpriester zu rennen. Mythor hätte es sich denken können, denn Gapolo war durch und durch ein Ehrenmann. Bis über den Tod hinaus! Was war aus dem Freund geworden? Wie war es Lamir und Buruna ergangen? Graf Corian? Und den vielen namenlosen Kriegern? Tausende von ihnen mochten den Tod gefunden haben, auf diese oder jene Weise. Ebenso viele würden zu Geisterreitern geworden sein, was nur eine andere Art des Sterbens war. Aber alle Kämpfer der Lichtwelt, auch wenn sie körperlich unversehrt geblieben waren, hatten im Herzen und im Geist Wunden davongetragen, Wunden, die ihnen die Schwarze Magie geschlagen hatte. Nach dieser schweren Niederlage würden die Verbündeten der Lichtwelt nie mehr geschlossen gegen die Caer vorgehen. Die Dämonenpriester würden leichtes Spiel haben, die Geschlagenen zu unterdrücken. Mythor ließ sich lange Zeit, bevor er Bendiks Frage beantwortete. Er sagte: »Noch ist nicht alles Licht erloschen. Ich werde weiterkämpfen. Jetzt erst recht und mit verstärkter Kraft. Und wie ich, so werden auch viele andere denken. Ich bin zuversichtlich. Laß die geschlagenen Krieger erst einige Nächte schlafen. Ihre Lebensgeister werden bestimmt wieder geweckt.« »Auf mich kannst du zählen«, sagte Bendik fest. »Tapferer Junge!« Mythor legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hätten wir nur viele wie dich. Aber mit mir kannst du nicht kommen. Ich gehe meinen Weg, und du wirst deinen eigenen finden.« Sie erreichten die Ausläufer des Moores. Hier hatten sich ei281
nige Gruppen von Überlebenden zusammengeschart. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Ugalier saßen mit Salamitern und Karsh-Kriegern zusammen. Einige der Krieger trugen Waffen und Kleider, wie sie Mythor zuvor noch nie gesehen hatte. Nur sie selbst mochten wissen, woher sie gekommen waren – oder es auch während der Schrecken im Hochmoor vergessen haben. Unter den versprengten Kriegern waren auch Männer und Frauen, die wie Bewohner des Hochmoors gekleidet waren. »Kennst du sie, Bendik?« fragte er den Jungen. Der schwieg trotzig. Aber Mythor sagte: »Geh zu ihnen, bei ihnen bist du besser aufgehoben. Nicht lange, dann wirst du sie anführen.« Er reichte Bendik die Hand, drückte sie kurz und schickte ihn mit einem Klaps zu den Moorbewohnern. Er wandte sich schnell ab und schritt kräftig aus. Ein schrecklicher Tag war zu Ende und mit ihm die unheimlichste Schlacht in der Geschichte der Lichtwelt. Ein Wiehern ließ Mythor aufblicken. Da stand das schwarze Einhorn. Pandor! Ein zottiger Schatten huschte hechelnd heran, aus der Luft erscholl das Krächzen des Schneefalken. Hark und Horus! Treue Tiere, sie hatten ihn nicht wirklich im Stich gelassen. Mythor schwang sich auf das Einhorn und ritt gemächlich in südlicher Richtung davon. Morgen war ein neuer Tag. * »Ah!« Drudin erwachte wie aus einem schönen Traum. Er hatte an dem Sieg über die Verbündeten der Lichtwelt teilgenommen und fühlte sich am Ende dieses erfolgreichen Tages wie neu geboren. Aber etwas fehlte ihm, da war eine Leere… Cherzoon? fragte er in Gedanken und lauschte in sich, aber 282
sein Dämon gab ihm keine Antwort. Drudin suchte den Mittelpunkt von stong-nil-lumen auf und begab sich zum Schwarzen Stein. Als er davorstand, bildete sich auf der glatten, jedoch von Poren durchsetzten Fläche ein Gesicht. Es war das Gesicht des Alptraumritters Coerl O’Marn, den Drudin seinem Dämon unterworfen und dessen Gesicht er geraubt hatte. Dieser mächtige Steinblock war das wirkliche Zuhause von Cherzoon, Drudins Dämon. Nur in dem Opferstein von stongnil-lumen konnte er, so fern der Schattenzone, auf Dauer existieren. Hier hauste er schon seit urdenklichen Zeiten; der Schwarzstein war zu seiner zweiten Heimat geworden. Und aus diesem Stein war er auf Drudin übergesprungen, ohne jedoch völlig von ihm Besitz zu ergreifen. »Wir haben gesiegt, Cherzoon«, sagte Drudin zu dem Dämon im Stein. »Jetzt steht uns beiden nichts mehr im Wege, die Lichtwelt zu erobern. Unsere Saat ist aufgegangen.« »Nimm dich nicht zu wichtig«, sagte der Stein mit säuselnder Stimme. »Du bist niemand, Drudin, nichts als mein Handlanger. Aber solange du mir ergeben bist, solange dein Körper mich trägt, bleiben wir Partner. Du darfst jedoch nie vergessen, daß du sterblich bist. Ich dagegen werde so alt wie dieser Stein, in dem ich wohne.« Drudin spürte Zorn in sich aufsteigen. Die offensichtliche Verachtung, die ihm Cherzoon, dem er immerhin gute Dienste leistete, entgegenbrachte, ärgerte ihn. Darum sagte er: »Manchmal bezweifle ich, ob du wirklich so mächtig bist, wie du tust, Cherzoon. Du hast keine Allmacht, wo du nicht einmal imstande bist, einen Emporkömmling wie diesen Mythor einfach wie einen Wurm zu zerdrücken. Ich kann mir vorstellen, daß es Dämonen gibt, die weit über dir stehen.« »Du wirst nie einen mächtigeren als mich kennenlernen«, 283
sagte der Stein heftig. Das Gesicht verschwand, und gleich darauf spürte Drudin, wie Cherzoon wieder in ihn fuhr, um seinen Körper zu übernehmen. Jetzt war er mit dem Dämon wieder eins. Eine Zweiwesenheit mit tausend Gesichtern in einem Körper. »Mythor stellt kein wirkliches Problem dar«, sagte Drudin einsichtig. »Wir haben ihm die vier Todesreiter nachgeschickt, die dafür sorgen werden, daß er seinem Schicksal nicht entgeht.« Drudin verschwendete keinen Gedanken mehr an diesen Emporkömmling, der sich berufen fühlte, das Erbe des Lichtboten anzutreten. Er wandte sich seinen zwölf Oberpriestern zu, die fast zu Tode erschöpft waren. Die Schlacht war gewonnen, die Länder jenseits der YarlLinie waren für die Eroberung reif, und auf seine Priesterschaft wartete viel Arbeit. ENDE
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Der nächste MYTHOR-Band Die große Schlacht der Heere des Lichts gegen die Mächte der Dunkelheit ging verloren. Die Länder der nördlichen Welt stehen den Eroberern offen: den Dämonenpriestern unter ihrem Anführer Drudin und den Kriegern der Caer, ihren Werkzeugen. Doch Mythor wird den Kampf gegen das Böse nicht aufgeben. Schließlich gibt es weitere Stützpunkte des Lichtboten; er muß sie nur erreichen, um Hilfe zu erhalten. Auch unter den Menschen der Länder, die der Kometensohn kennengelernt hat, machen sich Trotz und Widerstandsgeist bemerkbar. Sadagar und Nottr, Mythors Freunde, streben derweil dem Treffpunkt mit dem »Sohn des Kometen« entgegen. Doch bevor sie ihrem Freund zu Hilfe eilen können, müssen sie die Götterberge überqueren. Dort wartet das Unheil auf sie. Auch Mythor selbst wird der Weg zum Treffpunkt schwergemacht. Mit seinen Gefährten zieht er über eine Straße, die ihn von einer dämonischen Gefahr in die nächste zu führen scheint. Doch am Ende dieser Straße wartet in der Stadt Leone eine große Überraschung auf den jungen Helden… Welche Art von Überraschung das ist und wie Mythor die Gefahren auf diesem Weg überwindet, erfahren Sie im nächsten farbenprächtigen Band der MYTHOR-Serie:
DER KLEINE NADOMIR
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