Anke Kerschgens Die widersprüchliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung
Anke Kerschgens
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Anke Kerschgens Die widersprüchliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung
Anke Kerschgens
Die widersprüchliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung Alltagspraxis, Deutungsmuster und Familienkonstellation in Familien mit Kleinkindern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D.30
. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Anke Vogel, Ober-Olm Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16368-0
Danksagung
Zum Gelingen der Arbeit haben mehrere Personen in unterschiedlicher Weise beigetragen. So möchte ich insbesondere meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Hans Bosse für seine vielfältigen Inspirationen, die langjährige Förderung, den eröffneten Diskussionszusammenhang und seine wohlwollende Haltung Dank sagen. Mein Dank gilt auch meinen Zweitgutachter Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl, der ein offenes Ohr hatte und mir mit seinen reflektierten Antworten an entscheidenden Stellen weiterhelfen konnte. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Karin Flaake, die kurzfristig bereit war ein weiteres Gutachten zu übernehmen. Besonders Bedanken möchte ich mich weiterhin bei den Frauen meiner Arbeitsgruppe und der Methoden-AG Dr. Marga Günther, Julia Jancso, Brigitte Kesseler, Sylvia Mosler und Dr. Inge Schubert für die langjährige Zusammenarbeit, ihre Verlässlichkeit und die fruchtbaren Diskussionen. Mein Dank gilt darüber hinaus auch den Teilnehmern des Forschungskolloquiums in der Anfangsphase der Arbeit und hier insbesondere Prof. Dr. Vera King. Auch bei Prof. Dr. Annelinde EggertSchmid Noerr möchte ich mich sehr bedanken dafür, dass sie mit kluger Gelassenheit und Humor den Abschluss der Arbeit begleitet hat. Nicht zuletzt möchte ich Jan Jacobsen für seine Beständigkeit danken, die nicht nur das Zusammenleben als Familie mit trägt, sondern auch den Kopf für die Arbeit freimacht. Danken möchte ich auch allen Teilnehmern der Forschungsgespräche, die mir einen Einblick in ihr Leben als Paar und Familie gewährt haben, mir von dessen schönen, anstrengenden, bereichernden, leichten und komplizierten Seiten erzählt haben und ohne die diese Forschungsarbeit nicht möglich gewesen wäre.
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ............................................................................................. 11
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.5
Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung ................. 15 Zum Verhältnis von Beruf und Familie................................................. 16 Kontinuität und Wandel der Arbeitsteilung........................................... 16 Zur weiblichen Doppelorientierung ...................................................... 19 Männer zwischen Beruf und Familie .................................................... 23 Verhandlungsspielräume und -probleme............................................... 27 Fallrekonstruktive Untersuchungen zur Arbeitsteilung......................... 30 Psychoanalytische Ansätze zur Arbeitsteilung...................................... 40 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen.. 45 Triangulierungsthemen und -konflikte von Eltern ................................ 47 Diskussion und Zusammenfassung ....................................................... 56
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.3
Der Forschungsansatz......................................................................... 57 Deutungsmuster..................................................................................... 57 Theorie des Deutungsmusterkonzepts................................................... 57 Deutungsmuster als Untersuchungskategorie........................................ 60 Deutungsmuster der elterlichen Arbeitsteilung ..................................... 62 Unbewusste Beziehungsmuster............................................................. 68 Repräsentanzen und Identifikationen .................................................... 69 Diskussion und Verbindung: Individualität und Sozialität des nicht bewussten und unbewussten Entwurfes ................................................ 73
4 4.1 4.2 4.3
Forschungsmethode ............................................................................ 77 Situierung der Ethnohermeneutik.......................................................... 77 Die Forschungssituation........................................................................ 78 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion: Differenzierung und Integration verschiedener Rekonstruktionsdimensionen....................... 79 Situation der Forschung und Modifikation der Gesprächsmethode ...... 84
4.4
8 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 5.4.5.1 5.4.5.2 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5 5.5.5.1 5.5.5.2 5.5.5.3 5.5.5.4
Inhaltsverzeichnis
Fallrekonstruktionen .......................................................................... 87 Forschungssituation und Situierung der Forschungsteilnehmer............ 87 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung........................................................................................ 89 Zum Gesprächsinhalt............................................................................. 89 Rekonstruktion der Initialszene............................................................. 92 Rekonstruktion der Szene „Vaterrolle“ ............................................... 101 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Lehmann ................................................................................ 112 Familie Bruckner: Ein Entwurf mit egalitärer und familienzentrierter Arbeitsteilung ....................................................... 116 Zum Gesprächsinhalt........................................................................... 116 Rekonstruktion der Initialszene........................................................... 119 Erweiterte Initialszene: „Alltag und Entscheidung für die Arbeitsteilung“ .................................................................................... 128 Szenische Rekonstruktion ................................................................... 137 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Bruckner................................................................................. 142 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis .................................................................................................... 145 Zum Gesprächsinhalt........................................................................... 146 Rekonstruktion der Initialszene........................................................... 147 Rekonstruktion der Szene „Eltern von kleinen Kindern sein“ ............ 158 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Hansen.................................................................................... 171 Ähnliche Muster.................................................................................. 175 Kurzportrait: Familie Berg .................................................................. 175 Kurzportrait: Familie Gerhards ........................................................... 178 Familie Baumeister/Schneiders: Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung...................................... 181 Zum Gesprächsinhalt........................................................................... 181 Rekonstruktion der Initialszene........................................................... 184 Rekonstruktion der Szene „Arbeitsteilung“ ........................................ 192 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Baumeister/Schneiders........................................................... 206 Ähnliche Muster.................................................................................. 210 Kurzportrait: Familie Moser................................................................ 210 Kurzportrait: Familie Diel-Frey/Frey .................................................. 213 Kurzportrait: Familie Andel ................................................................ 216 Kurzportrait: Familie Elzenheimer/Koch ............................................ 218
Inhaltsverzeichnis
6
9
6.3
Zur Widersprüchlichkeit der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung .................................................................................... 223 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster................................... 223 Ergebnisse ........................................................................................... 236 Die Modernisierung der gesellschaftlichen Deutungsmuster elterlicher Arbeitsteilung..................................................................... 237 Die Bedeutung des unbewussten Entwurfs ......................................... 239 Die triadische Balance und Zuweisung von Autonomie und Bindung............................................................................................... 240 Schluss: Altes und Neues .................................................................... 243
7
Literatur............................................................................................. 245
6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3
1 Einleitung
Über die Arbeitsteilung in Familien wurde bereits vieles geschrieben und veröffentlicht. Es besteht jedoch eine entscheidende Forschungslücke, die die vorliegende Arbeit füllen möchte: In den vorwiegend soziologischen Analysen bleibt die Arbeitsteilung als ein Thema des Paares und dessen Beziehung definiert und es wird nicht die familiale Konstellation als Ganzes in den Blick genommen. Es gilt jedoch, um das Phänomen der Arbeitsteilung zu verstehen, eine Perspektiventriangulation vorzunehmen dahingehend, dass das Paar auch als Elternpaar gesehen wird, dass nicht nur die Praxis, sondern auch die unbewusst verankerte Beziehungskonstellation untersucht wird und dass in diesem Sinne Arbeitsteilung als elterliche Arbeitsteilung mit einer gesamtfamilialen Zuweisung bestimmter Positionen verstanden werden kann. Dabei gilt es, neben soziologischen Erkenntnissen und Untersuchungsperspektiven auch psychoanalytische Verstehensweisen einzubeziehen. Dies möchte ich im Folgenden näher erläutern. Die elterliche Arbeitsteilung ist Teil des institutionell wie auch in Deutungen und Bildern verankerten gesellschaftlichen und historisch gewachsenen, sich wandelnden Geschlechterverhältnisses. Dieses bietet einen Handlungsrahmen für die interaktive Aushandlung der Frage „Wer macht was?“ zwischen Mann und Frau in einer Paarbeziehung. Die Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung geht jedoch über die Betrachtung der Organisation von Erwerbsarbeitszeiten und Hausarbeitsanteilen hinaus, denn neben dem Beziehungsverhältnis von Mann und Frau werden auch die Positionen als Vater und Mutter gegenüber den Kindern in der Familie als relevant für die Form der Arbeitsteilung erachtet. Es sind also nicht nur kognitive Vorstellungen und innere Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit entscheidend dafür, wie die Erwerbs- und Familienarbeit im Rahmen der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich bestimmten Handlungsmöglichkeiten zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wird. Vielmehr gilt es auch, Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit und vor allem auch die lebensgeschichtlich verankerte innere Haltung gegenüber dem Kind wie auch gegenüber dem Beruf zu betrachten. Dabei geht es nicht allein um die Position der Einzelnen oder des Paares, sondern diese Positionen sind im Sinne eines gemeinsamen elterlichen Familienentwurfes zu betrachten, der sowohl die bewussten Einstellungen und Situationsdeutungen als auch die unbewusste familiale Konstellation umfasst. Diese Konstellation ist triadisch zu verstehen in dem Sinne,
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1 Einleitung
dass die Bindung und Beziehung zwischen zweien immer auch in Abhängigkeit zur Position des Dritten steht, konkreter gefasst, der unbewusste Entwurf einer Familie allen Familienmitgliedern eine spezifische Position zuweist und Bindung und Autonomie dabei für alle Beteiligten in einer besonderen Weise konstruiert und zugewiesen werden. Die Organisation der Alltagspraxis in einer Familie kann somit nicht unabhängig von der inneren triadischen Beziehungsfigur bzw., auf das Paar bezogen, der elterlichen Beziehungskonstellation betrachtet werden. Die Aufteilung und Gewichtung der Erwerbsarbeit und Familienarbeit ist vielmehr durch die inneren Bindungsmuster von Vater und Mutter an das gemeinsame Kind mitbestimmt. Um das Zustandekommen einer bestimmten Lebens- und Arbeitsteilungsform eines Elternpaares zu verstehen, gilt es somit verschiedene Untersuchungsebenen zu eröffnen und die unterschiedlichen Bedingungsfaktoren in ihrem Zusammenwirken zu untersuchen: In welcher Form wirken gesellschaftliche Strukturen und deren Deutung auf den familialen Entwurf? Wie sieht das Paar sich selbst und seine Praxis und auf welchen Deutungen und Interpretationen beruht diese Sicht? Welche inneren Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit, Mütterlichkeit und Väterlichkeit entfalten ihre Wirkung? Welcher unbewusste triadische Bindungs- und Autonomieentwurf bzw. welche familiale Konstellation liegt dem zugrunde? Über den Einzelfall hinausgehend, stellt sich die Frage, welche inneren und äußeren Handlungsspielräume Paare bzw. Familien heute im Kontext widersprüchlicher Modernisierungsprozesse des Geschlechterverhältnisses bei der Gestaltung ihres alltagspraktisch verankerten Lebensentwurfes haben. Dabei ist von entscheidendem Interesse, wie äußere – gesellschaftliche – und innere – lebensgeschichtlich bestimmte – Modernisierungs- und/oder Retraditionalisierungsprozesse zusammenwirken oder gegenläufig sind und wie das gerade in Bezug auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung oft konstatierte ambivalente Verhältnis von Wandel und Reproduktion alter Verhältnisse zustande kommt. Gesellschaftliche Modernisierungsprozesse können grundsätzlich einerseits individuelle Entwicklungsräume eröffnen, andererseits können die oftmals widersprüchlichen Strukturen des gesellschaftlichen Wandels individuelle Neubildungsprozesse verhindern. Es geht somit um die auf die Arbeitsteilung bezogene Untersuchung der Verwobenheit von individuellen, familialen und kollektiven Sinnbildungsprozessen. Ausgehend von einem solchermaßen differenzierten Blick auf Modernisierungsprozesse, sollen äußere, gesellschaftliche Modernisierungsprozesse gleichzeitig mit der Möglichkeit innerer Modernisierung, d.h. der Starrheit oder Entwicklungsfähigkeit von die Arbeitsteilung ebenso bestimmenden unbewussten Familienentwürfen untersucht werden.
1 Einleitung
13
Die hier aufgeworfenen Fragen sind Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit. In deren Mittelpunkt steht die ethnohermeneutische Rekonstruktion von zehn Einzelfällen der in Forschungsgesprächen festgehaltenen Lebensentwürfe von Familien mit jeweils einem Kind im Kleinkindalter. Alle Familien stammen aus einem gebildeten Mittelschichtsmilieu und können als Gruppe insofern prinzipiell zunächst als Befürworter von modernisierten Gleichheitsvorstellungen wie auch einer partnerschaftlich verstandenen Arbeitsteilung gelten. Von daher sind diese Familien für die Untersuchung des komplexen Verhältnisses von Stagnation und Wandel besonders interessant. Eltern eines Kleinkindes zu sein, bringt zudem besondere Betreuungsnotwendigkeiten wie auch Bindungsanforderungen mit sich, dies verschärft die Frage der Arbeitsteilung zwischen den Eltern, weswegen auch dieses Merkmal der Forschungsteilnehmer sie für eine Untersuchung besonders interessant macht. Die Alltagspraxen der befragten Familien reichen von der parallelen Elternzeit, bei der beide Eltern in Teilzeit berufstätig sind, bis zum klassischen Modell mit einem männlichen Ernährer und einer Hausfrau. Dabei kann gerade in der mehrdimensionalen Rekonstruktion die jeweilige Doppelsinnigkeit und Vielschichtigkeit der einzelnen Entwürfe deutlich werden und, damit verbunden, können auch latente Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den zunächst ähnlich oder auch unterschiedlich erscheinenden Entwürfen zum Vorschein kommen. Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: In Teil 2 erfolgt zunächst eine Zusammenstellung von Forschungsergebnissen zur Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, die vor allem die gesellschaftliche wie subjektive Konstitution des Verhältnisses der Bereiche Beruf und Familie herausstellt. Dieser Überblick geht der Frage nach, in welcher Weise das Verhältnis von Wandel und Stagnation, bezogen auf die gesellschaftliche Organisation von Beruf und Familie, heute bestimmt ist und welche Möglichkeiten oder gar Notwendigkeiten sich für Männer und Frauen in Hinblick auf die alltagspraktische und innerlich verankerte Vermittlung beider Bereiche bieten. Daran schließt sich eine kritische Diskussion relevanter, vor allem fallrekonstruktiver Forschungsarbeiten zum Thema an, anhand derer Forschungslücken und Anknüpfungspunkte für die interdisziplinäre Herangehensweise der vorliegenden Untersuchung erkennbar werden. Insbesondere geht es um die Frage, wie unterschiedliche gesellschaftliche und subjektbezogene Untersuchungsebenen differenziert und aufeinander bezogen werden. Es folgt eine Sichtung der psychoanalytischen Literatur zur elterlichen Arbeitsteilung und insbesondere auch zur Triangulierung, um ein Verständnis für die in der soziologischen Forschung weitgehend vernachlässigte Sicht auf die familiale, unbewusste Beziehungskonstellation zu eröffnen.
14
1 Einleitung
In Teil 3 werden, auf die Literaturdiskussion aufbauend, grundlegende theoretische Prämissen der Forschungsarbeit dargelegt. Hier geht es um eine theoretische Bestimmung der Untersuchungsebenen: der gesellschaftlich angelegten Deutungsmuster wie auch der unbewussten Familienkonstellation. Die Forschungs- und Rekonstruktionsmethode Ethnohermeneutik mit ihrer hohen gegenstandsbezogenen Relevanz wird in Teil 4 vorgestellt und der Rahmen der vorliegenden Untersuchung dargelegt. In Teil 5 folgen die Fallrekonstruktionen. Vier Fallrekonstruktionen, die als typische Muster in besonderer Weise für das Gesamt der untersuchten Fälle beispielhaft sind, werden detailliert und ausführlich wiedergegeben. Die übrigen sechs Rekonstruktionen werden jeweils stark verdichtet und ergebnisorientiert in Form von Fallportraits präsentiert. Schließlich werden in Teil 6 die Ergebnisse der Forschungsarbeit festgehalten. Es werden zunächst die typischen Muster gegeneinander diskutiert, um daran anschließend Resultate in Hinblick auf die Modernisierungsmöglichkeiten und Grenzen der elterlichen Arbeitsteilungsentwürfe darzulegen.
2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
Die soziologische Forschung zur familialen oder auch geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hat einerseits eine mehrere Jahrzehnte umfassende Tradition1 und andererseits auch heute noch Konjunktur2, was neben der gesellschaftlichen Relevanz des Themas auch mit der in Wellen auftretenden öffentliche und politischen Aufmerksamkeit für die Arbeitsteilung in Verbindung steht. Als soziologisches „Schnittstellenthema“ (Notz 2004, 13) ist die Untersuchung der Arbeitsteilung zudem offen für verschiedene theoretische und methodische Konzeptionen und die Verortung in verschiedenen Forschungsbereichen. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt, der die Breite der Forschung wie auch die Bedeutung der Frage nach der Arbeitsteilung ausmacht, liegt im Thema selbst begründet: Es geht um das alle in spezifischer Weise betreffende Geschlechterverhältnis und zudem um das Verhältnis der Bereiche Familie und Beruf und damit um zwei grundlegende Lebensbereiche mit zentraler gesellschaftlicher Bedeutung. Die folgende Zusammenstellung des Standes der soziologischen Forschung berücksichtigt Forschungsergebnisse, die einen Beitrag zum Verständnis des Vermittlungsverhältnisses von Beruf und Familie als einer gesellschaftlichen Konstruktion leisten, die im Zuge gesellschaftlichen Wandels auch zunehmend familien- und subjektspezifische Fragen der Vereinbarkeit und Vermittlung aufwirft. Damit wird die Vermittlung von Beruf und Familie auch zu einem inneren Thema der Subjekte. Im Interesse der vorliegenden Arbeit mit ihrem interdisziplinären Ansatz3 hinsichtlich der elterlichen Arbeitsteilung liegt es dabei, aus den soziologischen Forschungsergebnissen zum einen die gesellschaftliche Konstruktion von Beruf und Familie im aktuellen Wandlungsprozess zu erschließen und andererseits 1
2
3
Vergleiche frühe Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren, so z.B. Pross (1975), BennholdtThomsen (1983), Becker-Schmidt u.a. (1984), Metz-Göckel/Müller (1987) oder Busch/HessDiebäcker/Stein-Hilbers (1988). Aktuelle Einblicke aus verschiedenen Perspektiven geben beispielsweise Mühling u.a. (2006), Kassner/Rüling (2005), Notz (2004), Walter (2002) Röhler u.a. (2000) oder auch Mischau/ Blättel-Mink/Kramer (1998). Zu Chancen und Problemen einer interdisziplinären Herangehensweise vgl. Liebsch (1994), Schülein (1990), auch Jäger (2006).
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
auch Ergebnisse zur inneren Modernisierung der Subjekte und zu den dabei wichtig werdenden Ressourcen und Konfliktthemen festzuhalten. Letztere stammen oftmals aus Arbeiten, die bereits psychoanalytische Perspektiven einbeziehen.
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie Die elterliche Arbeitsteilung betrifft, wie bereits benannt, das Verhältnis zweier zentraler Lebensbereiche: Beruf und Familie. Damit ist einerseits die kulturelle und gesellschaftliche Organisation des Verhältnisses von Erwerbsarbeit bzw. materieller Sicherung des Lebensunterhalts und dem Bereich der Familie als Ort der Sorge um den alltäglichen Lebenserhalt und das Aufziehen der nächsten Generation bezeichnet. Andererseits stellt sich das Thema der Vermittlung beider Bereiche auch auf intersubjektiver Ebene für Paare bzw. Familien, dies jedoch erst in dem Maße, wie die gesellschaftliche Organisation dies notwendig macht bzw. Freiräume dazu lässt. Damit wird die Vermittlung von Berufsarbeit und Familienarbeit auch für jeden Einzelnen akut und zu einem psychosozialen Projekt, bei dem unterschiedliche, mit Beruf und Familie lebensgeschichtlich verbundene innere Bilder, Wünsche und Bedürfnisse integriert oder bearbeitet werden müssen. Im Folgenden möchte ich das Verhältnis von Beruf und Familie zunächst in Hinblick auf dessen gesellschaftliche und kulturelle Konstitution darstellen und im Anschluss die Vermittlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten für die einzelnen Männer und Frauen bzw. Väter und Mütter und für Paare abwägen.
2.1.1 Kontinuität und Wandel der Arbeitsteilung Die Trennung der Bereiche von außerhäusiger Erwerbsarbeit und familialer Reproduktionsarbeit ist historisch einerseits mit der Industrialisierung verbunden, bei der die Wirtschaftsweise des ganzen Hauses bzw. das sogenannte familienökonomische Modell (Pfau-Effinger 1998) bzw. die Familienwirtschaft (Mitterauer 1992) zugunsten außerhäusiger Arbeit in der industriellen Produktion und in der Verwaltung abgelöst wurde. Wesentlich für die geschlechtsgebundene Zuweisung der Erwerbsarbeit an Männer und der Haus- und Familienarbeit an Frauen ist jedoch die Etablierung des bürgerlichen Familienideals mit der darin verankerten Zuweisung der polaren Geschlechtscharaktere (Hausen 1978). Die Vermittlung von Haus- und Erwerbsarbeit erfolgt im Sinne der Ernährer- bzw. Versorgerehe, bei der die materielle Versorgung der Frau und der Familie einsei-
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
17
tig durch den Mann gesichert wird und zugleich die Reproduktionsaufgaben einseitig durch die Frau erbracht werden. Die Bedeutung der Ebene des kulturellen bzw. ideellen Wandels für die gesellschaftliche Durchsetzung dieser Lebensform betont Pfau-Effinger (1998), die funktionalistische Theorieperspektiven auf die familiale Arbeitsteilung, wie z.B. frühe feministische Ansätze von Hausen (1978), Bennholdt-Thomsen (1983) oder später Beer (1990), wie auch die strukturfunktionalistische Argumentation von Parsons und anderen kritisiert. Gegen die Annahme einer Funktionalität der Arbeitsteilung für moderne Gesellschaften oder das Patriarchat setzt sie eine Untersuchung der im internationalen Vergleich erkennbar divergierenden Entwicklungspfade. So zeigt Pfau-Effinger, dass sich die bürgerliche Familie in den Niederlanden bereits vor der Industrialisierung durchsetzen konnte, während sie z.B. in Finnland nie eine hohe Bedeutung erlangt hat. Erkennbar ist, dass auf gesellschaftlicher Ebene das je spezifische historische Zusammenspiel von ökonomischer Entwicklung, sozialen Akteuren, gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen sowie kulturellen Leitbildern für die Ausgestaltung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit und Familie, auch im Sinne einer bestimmten vorherrschenden Familienform, entscheidend ist. In Deutschland verlief dieser Entwicklungsprozess seit den 1950er Jahren vom Modell der Versorgerehe hin zu einer modernisierten Versorgerehe, bei der in der Praxis die männliche Hauptverantwortung für die Ernährung der Familie fortbesteht, aber für Frauen die Orientierung an Vereinbarkeit von Familie und Beruf handlungsleitend geworden ist, die über zeitweise Berufspausen und Teilzeitarbeit realisiert wird (Pfau-Effinger, 1998). Somit bezieht sich der gesellschaftliche Wandel, die sogenannte Erosion des Ernährermodells (z.B. Lewis 2003), vorwiegend auf das veränderte weibliche Erwerbsverhalten und weniger auf eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung der Organisation von Erwerbsarbeit und Familie. Dies bilanziert auch Beck-Gernsheim (1992, 273) in einer Zusammenfassung der Forschungsergebnisse der 1980er und beginnenden 1990er Jahre4, wonach immer mehr Frauen erwerbstätig sind, aber die Beteiligung der Männer an Haushalt und Familie nicht in demselben Maße zugenommen, bzw. sich der weibliche Lebensentwurf hin zu einem Versuch der Integration entwickelt hat, wohingegen männliche Lebensentwürfe immer noch auf der Delegation des Familienbereichs an die Frau basieren. Auch heute ist die Situation der Arbeitsteilung in Familien durch ein Nebeneinander von Kontinuität und Wandel gekennzeichnet, wie Titel von neueren Forschungsarbeiten zur familialen Arbeitsteilung nahe legen: „Der unentdeckte Wandel“ (Born/Krüger 1996), „Vom Wandel keine Spur“ (Schneider/Rost 1998) 4
Im Verweis auf u.a. Metz-Göckel/Müller (1985, 1987), Nave-Herz (1988), Bertram/BormannMüller (1988), Keddi/Seidenspinner (1991), Künzel (1991), Rerrich (1991).
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
„Mehr Kontinuität als Wandel“ (Sommerkorn/Liebsch 2002) oder auch „Kontinuität trotz Wandel“ (Mühling u.a. 2006)5. Mühling u.a. (2006) konstatieren in ihrer Analyse aktueller statistischer Daten, dass die Geburt eines Kindes in den meisten Fällen nach wie vor für Frauen zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit führt und nur rund ein Drittel der Mütter von Babys und Kleinkindern in unterschiedlichem Maße aktiv erwerbstätig ist (ebd. 106). Damit ist zugleich die Übernahme wesentlicher Anteile der Hausarbeit verbunden – unabhängig davon, wie die Aufteilung dieser Arbeit vor der Geburt des Kindes aussah (Künzler 1994). Erreicht das jüngste Kind das Kindergartenalter, ist dagegen die Mehrheit der Mütter wieder – zumeist in Teilzeit – berufstätig (Mühling u.a. 2006, 140; Paetzold 1996). Hingegen berührt das Elternwerden die Erwerbsbiographie von Männern kaum bzw. führt eher zu einem verstärkten Engagement im Beruf (Mühling u.a. 2006, 136). Dieser bereits in den 1990er Jahren erfasste Traditionalisierungseffekt (Reichle 1996, Böhnisch 1997) verweist auf die Konstanz der traditionellen Arbeitsteilungsformen in Familien – gegenüber einer stärkeren Egalisierung in Partnerschaften ohne Kinder –, d.h. auf ein besonderes Moment der Aktivierung alter Muster mit dem Elternwerden. Dabei spielen traditionelle Leitbilder von Familie, wie von Mühling u.a. (2006) untersuchen, ebenso eine Rolle wie sozialpolitische Instrumente (Leitner u.a. 2004) wie die Elternzeit, das ab 2007 eingeführte Elterngeld oder die Steuergesetzgebung, aber auch wesentlich die institutionellen Rahmenbedingungen, wie die Möglichkeit öffentlicher Kinderbetreuung6 oder die trotz allem fortbestehende Orientierung des Arbeitsmarktes am (männlichen) Normalarbeitsverhältnis (vgl. auch Sommerkorn/ Liebsch 2002, Gesterkamp 2005). Die Orientierung an einem traditionell männlichen Modell von Erwerbsarbeit ist mit der Unterstellung einer sogenannten Single-Earner-Familie im Bereich der Erwerbsarbeit verbunden, der Männer und Frauen zunächst gleichermaßen unterliegen (Hausen 1993, Kreimer 1999). Während Männer dieses Modell im Zuge der oben genannten Traditionalisierung jedoch eher übererfüllen, wirkt es sich im Kontext weiblicher Neuorientierung mit der Geburt eines Kindes negativ aus. Die Unterbrechung der Erwerbsarbeit und/oder deren Fortsetzung im Sinne einer Doppelorientierung mit unterschiedlichen Modellen von sequentieller oder reduzierter Erwerbstätigkeit, dies auch abhängig von schichtspezifisch differierenden Ressourcen, Notwendigkeiten und Möglichkeiten (vgl. Seehausen 1995, Posch 1985), wirken sich vor dem Hintergrund des traditionell 5 6
vgl. z. B. auch v. Throtha (1990), Burkart (1995) vgl. z. B. auch Pfau-Effinger (1996), Seehausen (1995). Die deutsche Situation stellt dabei insofern eine Besonderheit im internationalen Vergleich dar, als (West-)Deutschland (gemeinsam mit Österreich) bisher ein Schlusslicht bei der institutionellen Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt (z. B. Budde 1997).
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
19
männlichen Berufsverständnisses (z.B. Geissler 1998, Paul-Kohlhoff 2004) für Frauen nachteilig aus, da sie – potentiell mit Familienverpflichtungen behaftet – als unternehmerischer Unsicherheitsfaktor und weniger leistungsfähig und karriereorientiert angesehen werden. Diese Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, die sich dann z.B. in einem geringeren Einkommen, das den Familienunterhalt nicht sichern könnte, ausdrücken, verweisen Frauen wiederum in die Familie. Zudem führt eine nur durch Frauen erbrachte Integrationsleistung von Beruf und Familie leicht zu einer Doppelbelastung. So zeigen Arn/Walter (2003) auf, dass ein Zuwachs an weiblicher Erwerbsbeteiligung (auch international) nicht mit einer proportionalen Reduktion der Haus- und Familienarbeit einhergeht, sondern eher zu einer „Verstärkung der Zweifachbelastung“ führt (ebd., 150). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der statistischen Meta-Analyse von Künzler (1994), dass die Hausarbeitsbeteiligung von Männern weitgehend gleich bleibt, unabhängig davon, ob ihre Partnerin berufstätig ist oder nicht. So kann man von einer weitgehenden Delegation der Vereinbarkeitsproblematik in den privaten Bereich und dort an die Frau bzw. Frauen sprechen (vgl. z. B. Diezinger/Rerrich 1998)7. Mit Arn/Walter (2003) wird deutlich, dass allein eine ökonomische Orientierung an der prinzipiellen Ermöglichung der Erwerbsbeteiligung von Müttern nicht zu einer Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit führt, sondern hierzu gesellschaftliche und auf den Arbeitsmarkt bezogene Modelle notwendig sind, die eine Integration von Beruf und Familie für beide Geschlechter nahelegen, eine neue „Solidarität und Kultur“ zwischen den Geschlechtern (Gerhard 2003, 84). Ähnlich argumentieren auch Schneider/Rost (1998), die von Mühling u.a. (2006) zum Verhältnis gesellschaftlicher und privater Organisationsformen einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie zitiert werden. Sie konstatieren, solange diese Vereinbarkeit „gesellschaftspolitisch als privat und nicht als strukturell zu lösendes Problem betrachtet und damit einer grundsätzlichen Lösung zugeführt wird, wird sich prinzipiell an der jetzigen Situation wenig ändern“ (Schneider/Rost 1998, 235, zit. n. Mühling u.a. 2006, 143).
2.1.2 Zur weiblichen Doppelorientierung Diese gesellschaftlich angelegte Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie wird von Frauen – wie bereits beschrieben – zumeist im Sinne einer Doppel-
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Es bestehen auch arbeitsmarktbezogene Initiativen, Vereinbarkeitslösungen zu etablieren (z.B. Klenner 2005), z.B. unter dem Stichwort der „work-life-balance“, wobei trotz guter Absichten betriebliche Interessen Vorrang behalten (Gesterkamp 2005).
20
2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
orientierung zu integrieren versucht.8 Die meisten Frauen wollen zumindest auf der Ebene des Entwurfs beides, wie bereits von Becker-Schmidt (1984)9 für Industriearbeiterinnen festgestellt. Die Situation von Frauen ist demnach durch den je spezifischen, im Verlauf des Lebens unterschiedliche Schwerpunkte setzenden Versuch bestimmt, zwei gesellschaftlich als gegensätzlich bzw. ambivalent (Becker-Schmidt 1980) konzipierte Bereiche zu integrieren – im Gegensatz zu einer männlichen Gleichsinnigkeit von Familie und Erwerbstätigkeit im Modell des Familienernährers (vgl. Becker-Schmidt 1995, 224). Historisch ist diese Doppelorientierung bzw. doppelte Vergesellschaftung (Becker-Schmidt 1987) von Frauen, wie beispielsweise Sommerkorn/Liebsch (2002) für Westdeutschland ausführen, seit den 1950er Jahren anzutreffen, ruft aber bis in die1980er Jahre gesellschaftliche Kontroversen hervor. Die bestenfalls ambivalente Haltung gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern spiegelt sich auch in Forschungsarbeiten und vor allem in psychologischen Studien der Zeit wider und kommt in Begrifflichkeiten wie Schlüsselkind zum Ausdruck. Erst ab Ende der 1980er Jahre beginnt die weibliche Doppelorientierung zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit zu werden, jedoch befürworten westdeutsche Frauen eine Erwerbstätigkeit von Müttern nach wie vor nicht uneingeschränkt (vgl. ebd., 121).10 Das Verhältnis von Beruf und Familie in weiblichen Lebensentwürfen ist komplex und kann nicht getrennt von den Geschlechterverhältnissen betrachtet werden – auch wenn dies ein vorherrschendes Muster bei den Betroffenen ist. Dies beschreibt Geissler (1998), die den Wandel des subjektiven Bezugs von Frauen zur Arbeit untersucht. Während der Beruf generell als Quelle von Autonomie angesehen werden kann, da er materielle und immaterielle Ressourcen wie Einkommen, Mobilitätschancen, Kommunikationsmöglichkeiten und nicht zuletzt Anerkennung liefert, zeigen junge Frauen mit einer Doppelorientierung eine spezifische Berufsorientierung, bei der Einkommen und Aufstiegschancen etc. gegenüber dem Wunsch nach einer sinnvollen und inhaltlich anspruchsvollen Arbeit nachrangig sind. Dies lässt sich mit den Annahmen Cyprians (2004) in Verbindung bringen, wonach die Verwobenheit von Männlichkeit mit Beruf und Weiblichkeit mit Privatheit für Frauen zu einem moralischen Konflikt führt, wenn sie sich, wie heute üblich, in beiden Bereichen entwerfen. Die Gegensätzlichkeit der Moral der Berufswelt (im Sinne einer Orientierung an Macht, Hie8
9 10
Zu weiteren Typen von Lebensentwürfen vor allem junger Frauen vgl. Geissler/Oechsle (1996). Formen der Integration dominieren jedoch und sind für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse. Als eine frühe und im Diskurs zentrale Arbeit zur Situation von erwerbstätigen, in der Fabrik arbeitenden Müttern. Vgl. hierzu auch Siemers/Pretzsch (2005). Zum Vergleich mit der hiervon deutlich unterschiedenen Situation im Osten Deutschlands z.B. Merkel (1994), Gerhard (1994), Schneider (1994), Keiser (1997), Budde (Hg. 1997).
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
21
rarchie, Entscheidung, Bewertung und Kontrolle) und der Moral des Privatbereichs (mit der Orientierung an Fürsorge, Hilfsbereitschaft bis hin zu Selbstaufgabe und Aufopferung) versuchen Frauen nach Cyprian dabei bereits bei der Berufswahl zu integrieren. Mit der Geburt eines Kindes ändert sich bei den meisten Müttern die Gewichtung zwischen Beruf und Familie zugunsten der Familie und im Sinne einer Unterbrechung und Reduktion der Erwerbsarbeit. Dabei wird nach Geissler (1998) zwar einerseits die Berufskontinuität innerlich über ein fortdauerndes Interesse am Beruf aufrechterhalten, auch Frauen in der Familienphase nehmen sich selbst nicht als Hausfrau, sondern als Frau mit einem Beruf wahr (ebd., 123). Andererseits erscheint den betroffenen Frauen ein Verzicht auf eine Erwerbsunterbrechung als Verzicht auf eine wichtige Erfahrung – die Beziehung zum Kind –, die ihnen als Frau zusteht. Im Gegensatz dazu wird der Erfahrungsverlust für den Mann als nicht so gravierend konzipiert (ebd., 124). Der Ort der Selbstverwirklichung verlagert sich so zumindest vorübergehend vom Beruf weg hin zur Selbstverwirklichung über die Beziehung zu Kindern. Dies steht auch im Kontext von Leitbildern zu Familienleben und Kindeswohl, jedoch setzen sich äußere Normalitätsvorstellungen gerade nicht gegen die Erwartungen der jungen Frauen durch, sondern sind in deren Identität verankert. „Weibliche Identität erfüllt sich für sie nur dann, wenn eine biographische Balance von beziehungsorientierten und berufsorientierten Lebensphasen möglich ist“ (ebd.). Dabei konzipieren die doppelorientierten Frauen das Geschlechterverhältnis als eines, in dessen Rahmen Frauen verschiedene Wahlmöglichkeiten offen stehen. Auf subjektiver Ebene erwarten die Frauen, dass sie in der Partnerschaft als Gleiche akzeptiert werden, auch wenn sie ihre materielle Unabhängigkeit aufgeben. Ebenso nehmen sie an, nach der Unterbrechung ihre Erwerbsarbeit an demselben Punkt wieder aufnehmen zu können. Implizit werden dabei jedoch Abhängigkeit und Ungleichheit im privaten Bereich wie auch in Öffentlichkeit und Beruf ausgeblendet und dadurch bestärkt. Die betroffenen Frauen selbst sehen „keinen Zusammenhang zwischen der im ´privaten` gelebten Geschlechterdifferenz und der gesellschaftlichen Hierarchisierung der Frauenarbeit“ (ebd., 125).11 Hinweise auf die Konstitutionsbedingungen und die Genese der Doppelorientierung von Frauen liefern Untersuchungen zu Lebensentwürfen junger Frauen. So stellt King (2002) die Integrationsleistung heraus, die die aktive Doppelorientierung junger Frauen bedeutet. Jedoch wird diese Integrationsleistung zu einem (beruflichen) Nachteil, wenn sie nur von ihnen allein erbracht wird und nicht auch von jungen Männern. Zudem bremst die Antizipation von Vereinbar11
Gleichermaßen ausgeblendet scheint dabei die Hausarbeit jenseits der Beschäftigung mit Kindern, die ein weiteres bedeutsames Moment der Ungleichheitserfahrungen durch mangelnde Handlungsautonomie, Raumnutzung und Zeitdisposition enthält (Rerrich 1991).
22
2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
keit auch berufliche Entwürfe der jungen Frauen, die oft von vorneherein auf das mit einer Familie potentiell Vereinbare begrenzt werden. Dabei bestehen Ambivalenzen in der Orientierung auf Beruf und Familie bei den jungen Frauen, die – neben den äußeren Hindernissen – auch innerlich eine Vereinbarkeit beider Lebensbereiche jenseits traditioneller Weiblichkeitsvorstellungen erschweren. Flaake (1998) macht einerseits den Wunsch junger Frauen nach Selbstständigkeit und der Entwicklung eigener Fähigkeiten und Kompetenzen aus und andererseits eine starke Orientierung auf eine Partnerschaft und spätere Familie, bei der es zu „Phantasien über ein glückliches Leben [kommt], in dem Eigenständigkeit und Unabhängigkeit Wünschen nach Gemeinsamkeit und Harmonie nachgeordnet sind“ (ebd., 45). Dies ist für Flaake z.B. symbolisiert in der Aufgabe des eigenen Namens bei einer Eheschließung. Zudem gibt es eine innere Vorwegnahme traditioneller Aufgabenteilung trotz der aktiven Doppelorientierung und eine Bereitschaft, bei Konflikten schnell Kompromisse zum eigenen Ungunsten einzugehen (vgl. hierzu auch Beck-Gernsheim 1992). Flaake konstatiert: „So scheint das Selbstbewusstsein junger Frauen fragil zu sein und gefährdet durch Tendenzen zur Selbstzurücknahme und Selbstbeschränkung.“ (ebd., 46) Diese Widersprüche in den Lebensentwürfen junger Frauen sind einerseits Ausdruck der gesellschaftlichen Brüche, „zugleich sind [...] [sie] aber auch Ausdruck einer inneren Dynamik, in der Wünsche nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung durch eine psychische, dem zuwiderlaufende Unterströmung die Kraft verlieren, die notwendig ist, um sie zu lebensgestaltenden Potenzen werden zu lassen“ (ebd.). Die Kraft der „Unterströmung“ aus z.T. verführerischen Weiblichkeitsbildern im Sinne eines Daseins für andere mit regressivem Verzicht auf Autonomie (dies gerade auch im Kontext gesellschaftlicher Hindernisse) hängt mit der Frage zusammen, inwieweit diese mit einer aktiven Handlungsfähigkeit in Einklang gebracht werden können, d.h. ob es für eine Frau möglich ist, „Frau zu werden und dennoch autonom zu sein“ (Musfeld 1997, 264; zit. n. Flaake, ebd.)12. Dies thematisiert auch Hagemann-White (1998) als zentralen Punkt und hebt die Bedeutung von psychosozialen Prozessen im Dreieck aus „Identität, Beruf und Geschlecht“, so auch der Titel ihres Aufsatzes, hervor und geht der Frage nach, in welchem Verhältnis die Verortungen als „Selbst-in-Beziehung, Selbst-in-derWelt und [die] Verortung in der Zweigeschlechtlichkeit“ (ebd., 29) zueinander stehen. Vor dem Hintergrund der weiblichen adoleszenten Entwicklung lassen sich dabei drei Komplexe ausmachen, die für die Möglichkeit der Integration von weiblicher Beziehungs- und Autonomiefähigkeit ausschlaggebend scheinen: die weibliche Körperlichkeit im Kontext unerreichbarer Ideale mit der Problematik der körperlichen Verankerung eigenen Begehrens, die Bedeutung und Prob12
Vgl. zu dieser Problematik auch Benjamin (1988/1990, v.a. Kap. 5), Musfeld (1997, 124ff), King (2002, 39).
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
23
lematik der Mutter-Tochter-Beziehung für die Entwicklung von Autonomie und Handlungsfähigkeit, die Fallen und Chancen der Identifikation mit dem Vater und die Probleme der Vater-Tochter-Beziehung (vgl. Flaake/King 1992, Flaake 2001, King 2002). Für die Frage der Handlungsfähigkeit von Frauen bei dem Versuch der Integration von Beruf und Familie ist somit die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Verwiesenheit von äußeren und inneren Hindernissen, von gesellschaftlichen Konstruktionen und psychosozialen Prozessen entscheidend, demgegenüber erscheint eine Reduktion auf vermeintliche Wahl- und Planungsprozesse verkürzt.
2.1.3 Männer zwischen Beruf und Familie Im Kontext der traditionellen Muster weitgehend einseitiger Erwerbsorientierung stellt sich im Hinblick auf Männer die Frage, inwieweit sie sich eine aktive Anteilnahme und Verantwortung für das Familienleben praktisch und innerlich angeeignet haben bzw. aneignen können, auch wenn gesellschaftliche Strukturen und solche des Arbeitsmarktes dies nicht fördern.13 Es wurde bereits deutlich, dass bisher nicht von einer aktiven Doppelorientierung junger Männer bzw. von Vätern ausgegangen werden kann. Dennoch ist auch der männliche Lebensentwurf durch ein komplexes Verhältnis von Stagnation und Wandlungstendenzen im Hinblick auf die Integration beider Bereiche gekennzeichnet.14 Zwar hat sich nach Diezinger/Rerrich (1998) „trotz der Erschütterung der Arbeitsgesellschaft (oder vielleicht gerade deshalb?) [...] auf der Ebene gesellschaftlicher Normen keine Alternative zum lebenslänglichen Berufsmenschentum für Männer entwickelt“ (ebd.,182). Forschungsergebnisse der 1990er Jahre zeigen, dass sich junge Männer zwar auch ein Leben mit Beruf und Familie wünschen, sie jedoch das Problem der Vereinbarkeit und damit mögliche eigene Einschränkungen und Unterbrechungen der Erwerbsarbeit nicht antizipieren (King 2002, 129). Dies deckt sich mit neueren Ergebnissen von Kühn (2005), wonach für einen Großteil der Männer die Familiengründung antizipatorisch mit der Übernahme der Ernährerposition verbunden ist (ebd. 137). Dennoch gibt es auch ein Vereinbarkeitsproblem der jungen Männer, das jedoch anders gelagert 13
14
Für junge Männer gilt dabei jedoch Ähnliches wie für die jungen Frauen: „Dass sich jedoch die lebenslaufstrukturierenden Effekte in diesem Bereich ausschließlich gegen die Intention der Betroffenen durchsetzen, kann schwerlich angenommen werden“ (King 2002, 130). Es gilt also, das Zusammenwirken äußerer Strukturierungen und innerer Prozesse zu differenzieren. Gegen das „voluntaristische Missverständnis“ von Individualisierungstheoretikern und in Theorien der Geschlechterkonstruktion wendet sich auch Behnke (2000, 125), die vielmehr die soziale Verortung in ihrer Bedeutung für die Hervorhebung bestimmter Aspekte von Männlichkeit benennt.
24
2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
ist als das der Frauen. Es drückt sich in der Problematisierung bzw. dem Aufschub einer Familiengründung aus, wenn Männer in den ersten Jahren des Berufslebens ihre berufliche Entwicklung mit hohem zeitlichen Engagement betreiben und besonderen Erfolg haben, ihre Perspektiven dabei offen und unsicher erscheinen, sie eine hohe Bereitschaft zu Mobilität und Flexibilität haben oder sie andererseits unzufrieden mit ihrer beruflichen Entwicklung sind. Dabei spielen Vaterschaftsideale und die Antizipation einer aktiven Vaterschaft eine Rolle, die mit dem beruflichen Engagement etc. nicht vereinbar scheinen (ebd., 139). Junge Männer entscheiden sich also im Zweifelsfall eher für einen Aufschub der Familiengründung und vermeiden so reale Vereinbarungskonflikte zugunsten einer ungeminderten Erwerbstätigkeit. Dennoch deuten die Ergebnisse von Kühn darauf hin, dass die Gleichsinnigkeit von Beruf und Familie, vermittelt über das Konzept des männlichen Ernährers, zumindest brüchig geworden ist und neue Konzepte von Vaterschaft stärkeres Gewicht bekommen haben. Eine einseitige Erwerbsorientierung wird jedoch auch institutionell unterstützt und nahegelegt und ist meist mit beruflichen und gesellschaftlichen Gratifikationen verbunden, auch wenn die berufliche Entwicklung heute mit stärkerer Unsicherheit und potentiellen Brüchen einhergeht.15 Seit den 1980er Jahren sind Väter und väterliches Verhalten verstärkt in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der Wissenschaft gerückt, dies vor allem unter dem Stichwort neue Väter16. Rost/Oberndorfer (2005) kritisieren jedoch mit Blick auf die Forschungslage, dass trotz der Konjunktur des Vaterthemas (Nave-Herz 1985) erst in jüngerer Zeit der Wandel der Geschlechterrollen explizit auch für Männer und Väter empirisch untersucht wurde und dieses Thema nicht mehr allein eine Domäne der Frauenforschung ist17. Die Autoren zitieren empirische Studien der Väterforschung (Werneck 1998, Zulehner/Volz 1999, Rost 2001), die auf einen zunehmend größeren Anteil von Männern hindeuten, die traditionelle Geschlechterrollen ablehnen. Dies zeigt sich jedoch charakteristischerweise nicht in demselben Maß auf der Verhaltensebene. So können zwischen knapp 16% bzw. 23% der Väter den neuen Vätern zugeordnet werden in dem Sinne, dass sie ein egalitäres Rollenkonzept befürworten, jedoch nur 2-5% 15
16
17
Welche Auswirkungen die Wandlungsprozesse mit zunehmenden Diskontinuitäten der Arbeitsverhältnisse für die auf Erwerbsarbeit zentral bezogenen Männlichkeitskonstruktionen hat oder haben wird, ist noch offen, auch wenn optimistische Einschätzungen, wie von Meuser (2005), von einer Zersetzung des bisherigen Kerns der männlichen Hegemonie und männlichen Geschlechtsidentität ausgehen. Dokumente der „neuen“ Väter der 1980er und interdisziplinäre Reaktionen, wissenschaftliche Auseinandersetzungen und Differenzierungen z.B. in Bullinger (1983), Bopp (1984), Canitz (1982), Batoszyk/Nickel (1986), Pruett (1987), Fthenakis (1988), Benard/Schlaffer (1990), Bisinger (1992), Böhnisch (1997). Aktuelle Zusammenstellungen z.B. in Walter (2002), Tölke/Hank (2005), Bereswill u.a. (2006).
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
25
der Väter setzen dies tatsächlich nach der Geburt eines Kindes in eine nicht traditionelle elterliche Praxis um, wenn man dies an Teilzeitarbeit oder Elternzeit misst.18 Als mögliche Ursachen hierfür ermitteln Oberndorfer/Rost vor allem finanzielle Überlegungen und Angst um die beruflich Zukunft. Ausschlaggebend für eine nicht traditionelle Aufgabenteilung scheint den Autoren zufolge ein Zusammenspiel von Einstellungen und spezifischen Lebenssituationen zu sein, dass etwa die Mutter im Gegensatz zum Vater beruflich etabliert ist bzw. sich dieser gerade in einer beruflichen Umbruchsituation befindet. Auch ausschlaggebend kann sein, dass der Vater seiner Frau explizit den Berufseinstieg bzw. Wiedereinstieg ermöglichen will. Auf Ähnliches deutet auch die Untersuchung zum Erziehungsurlaub von Vätern von Schneider/Rost (1998) hin. Väter gehen demnach vor allem dann in Erziehungsurlaub, wenn sie neben einer starken Orientierung an der Elternrolle auch ein geringeres Einkommen oder einen niedrigeren Berufsstatus (als ihre Frauen) haben, was z.T. auch mit einer geringeren Freude an der Berufsarbeit verbunden ist (ebd., 132). Cyprian (2005, 77) kritisiert das Messen der Väterlichkeit allein an Teilzeitarbeit oder Elternzeit und befürwortet auch andere Kategorien väterlichen Engagements einzubeziehen jenseits dieser als extrem bezeichneten neue Kategorien. Es muss demnach unterschieden werden, ob neue Väterlichkeit als Ausdruck gewandelter Beziehungen von Vätern zu ihren Kindern verstanden wird oder ob damit auch ein Wandel des Geschlechterverhältnisses und der alltäglichen Arbeitsteilung zwischen den Eltern impliziert ist. So sieht Kallenbach (1996) zwar neue Väter, die eine aktive Vaterrolle einnehmen, aber kaum neue Männer. Im Haushalt werden die Väter eher als Mithelfende tätig denn als Mitverantwortliche, Selbstwertgefühl und Ansehen beziehen sie nach wie vor primär über den Beruf (ebd., 83). Zudem thematisiert Kallenbach die Frage, worin sich das väterliche Engagement ausdrückt. So bevorzugen Väter bestimmte spielerische Freizeitbeschäftigungen mit ihren Kindern (ebd., 86), was ebenfalls auf einen Wandel allein in Bezug auf das Kind hinweist. Auch Aigner (2002) zeigt auf, dass Väter zwar intensivere Beziehungen zu ihren Kindern haben (mit Verweis auf Petzold 1994, 72), die Erziehungsarbeit von Männern aber auf „hedonistische Fähigkeiten“ (Hollstein 1992, 96) beschränkt bleibt, was z.B. von Schenk (1996) auch mit den Bezeichnungen Freizeitassistent und Spielvater kritisiert wird. Auch wenn man dies positiv wendet und als Indiz für ein gewandeltes männliches Selbstverständnis als Vater deutet (Matzner 1998), so wird trotzdem deutlich, dass Väter bei ungemindertem beruflichem Engagement mit den subjektiv wichtigen familiären Bereichen im Gegensatz zu ihren Frauen doch nur am Wochenende in Berührung kommen und ein umfassenderes 18
Zur z.T. unklaren Datenlage vgl. Bericht zu Erziehungsgeld und Elternzeit des Dortmunder AKJ (2003, 37).
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
Verständnis neuer Väterlichkeit auch einen Wandel des Geschlechterverhältnisses implizieren muss. Auf der diskursiven Ebene sehen Born/Krüger (2002) in einem intergenerationellen Vergleich jedoch eine Veränderung. Wenn sich auch an der Praxis der Arbeitsteilung wenig geändert hat, beziehen sich Väter doch in anderer Weise auf ihre Kinder und die berufliche und familiäre Position ihrer Frauen. Dabei zeigt sich gerade aufgrund einer von Vätern empfundenen Begründungs- und Erklärungspflicht (ebd., 133) in Bezug auf ihre Berufstätigkeit ein gewandeltes Verständnis von väterlicher und familiärer Verantwortung. Es wird deutlich, dass die Arbeitsteilung ihre fraglose Selbstverständlichkeit verloren hat.19 Auf psychosozialer Ebene stellt die Forderung bzw. der Wunsch nach einer neuen Väterlichkeit und Männlichkeit Väter vor das Problem mangelnder Vorbilder und fehlender Vorbereitung in der eigenen Sozialisation (Aigner 2002, 54) und führt zu Verunsicherung. Auch King (2002, 146 f) weist darauf hin, dass väterliche Generativität eine historisch neu zu entwickelnde Ressource ist bzw. Teil einer offenen und unsicheren Genealogie, die durch ein „Spannungsverhältnis zwischen normativen Implikationen von väterlicher Generativität und der gesellschaftlichen Konstruktion von Männlichkeit“ (ebd., 146) gekennzeichnet ist.20 Das heißt, für Männer besteht ein unaufgelöster Widerspruch zwischen der Identifikation mit (traditioneller) Männlichkeit und den gleichzeitig wirksam werdenden Ansprüchen an neue Väterlichkeit im Sinne familiärer Fürsorge und Bindung. Dabei stellen sich auch für Männer neue Anforderungen einer Integrationsleistung, sie müssen nun im Sinne postkonventioneller Geschlechterbeziehungen Autonomie und Selbstbezogenheit mit Fürsorge verbinden (ebd., 148; Knijn 1995; Böhnisch 1997)21. Auch neue und Fürsorge potentiell integrierende Entwürfe von Männlichkeit können subtile Verbindungen mit hegemonialen Männlichkeitsentwürfen und dabei Vorstellungen männlicher Macht gegen19 20
21
Ähnliches können auch Behnke/Liebold (2001) zeigen, die diskursive Strategien erfolgreicher Manager gegenüber ihren Ehefrauen in Bezug auf die eheliche Arbeitsteilung beschreiben. Ostner (2005, 47) weist zudem auf Ambivalenzen des Vaterbildes in Politik und Wissenschaft hin, das immer noch zwischen „Versagen und Krise“ der Väterlichkeit, väterlicher Abwesenheit und gleichzeitig dem Wunsch nach „aktiven, neuen“ Vätern oszilliert. Eine diskursanalytische Kritik der Vaterforschung und der dabei herangezogenen Vaterbilder leistet Drinck (2005). Dabei weist sie auf ein Merkmal der Konstruktion von Väterlichkeit hin: „Ein Vater ist das, was eine Mutter nicht ist.“ (ebd. 223) – dies auch als ein Hinweis für die Problematik einer Integration von berufsbezogenen und familienbezogenen Motiven vor allem für Männer. Die Identitätsproblematik besteht auch in Bezug auf die Hausarbeit, da viele Haushaltstätigkeiten weiblich konnotiert sind (Koppetsch/Burkart 1999, Kaufmann 1992) und im Sinne des „doing gender“ Vermännlichungsstrategien, wie etwas die Definition als Marathon-Bügeln, notwendig werden, um die männliche Identität nicht zu gefährden. Auch kann gerade die Verweigerung der (abgewerteten) Hausarbeit vonseiten des Mannes zur Kompensation bei einer partnerschaftlichen Statusangleichung genutzt werden.
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
27
über Frauen eingehen, wie Eggert-Schmid Noerr (2005) zeigt22. Für die Fähigkeit, auch aus der Fürsorge für andere Befriedigung zu ziehen, sind Identifikationsmöglichkeiten mit väterlicher Fürsorge eine Grundlage, und gesellschaftliche Anerkennung wirkt unterstützend (King 2002, 147f). Ebenso notwenig scheint die Einsicht in die mitunter schmerzlichen Verluste an Kontakt und Bindung bei einer mütterlichen Alleinverantwortlichkeit, wie sie Männer der Väterbewegung thematisiert haben. Wenn Väter sich stärker alltäglich in der Familie engagieren, wirken auch für sie Beruf und Familie nicht mehr gleichsinnig im Sinne des Familienernährers, sondern eine männliche Doppelorientierung ist – über der Problematik der Vermittlung mit männlicher Identität hinaus – ähnlichen Spannungen unterworfen wie die weibliche Doppelorientierung. Hinzu kommt, neben dem Verlust an traditionellen Privilegien wie Status und Geld, das Eingebundenwerden in die auch negativen Seiten von Familienarbeit, vor allem auch im Bereich der Hausarbeit (Hellbrecht-Jordan/Gonser 1993, Boeven 1988, Boeven/Strümpel 1988). Auch werden unter anderem von Aigner (2002, 55) neue Konkurrenzverhältnisse zwischen Müttern und Vätern im traditionell weiblichen Bereich thematisiert.
2.1.4 Verhandlungsspielräume und -probleme In Bezug auf beide Geschlechter wurde deutlich, dass gesellschaftliche Strukturen und solche des Arbeitsmarktes eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum fördern oder dem sogar entgegenstehen. Während für Frauen bereits von einer Etablierung der Doppelorientierung, wie problematisch diese in ihrer Einseitigkeit auch immer sein mag, gesprochen werden kann, steht eine männliche Doppelorientierung vor größeren Identifikationshindernissen und potentiellen Widersprüchen zu Konzepten von Männlichkeit. Die Frage nach einer gemeinsamen Integrationsleistung, bezogen auf Beruf und Familie, stellt sich für ein konkretes Paar daher in unterschiedlich starkem Maße bzw. nicht in jedem Fall und kann auf verschiedene Weise gelöst werden. Die Integration von Beruf und Familie für beide Elternteile basiert auf einer Integrationsleistung jedes Einzelnen und einer gemeinsamen Gewichtung beider Bereiche. Dabei kann sich sowohl die Qualität der Berufsarbeit als auch der Qualität der Fürsorge und häuslichen Reproduktion verändern.23 22
23
In ihrer Studie zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Geschlechtsrollenbilder zeigt Eggert-Schmid Noerr (1991) zudem die enge Verbindung von Beruflichkeit und Männlichkeit bzw. die Bedrohung der männlichen Geschlechtsidentität im Falle der Arbeitslosigkeit. So beschreibt Dierks (2005) die Marginalisierung der häuslichen Reproduktionsarbeit bei Doppelverdienerpaaren, die mit einem Absinken der häuslichen Lebensqualität verbunden ist,
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
Es zeigt sich für beide Geschlechter, dass auch im Spannungsverhältnis von äußerem und innerem Wandel Handlungsmöglichkeiten bestehen. So konstatieren Hellbrecht-Jordan/Gonser (1993, 182), dass „auch strukturelle Zwänge stets individuell zu interpretieren und aktiv anzueignen“ sind und dass „ohne die gezielte Bearbeitung auch der subjektiven, intrapsychischen sowie der sozialen Barrieren [...] die gleichverantwortliche Zuständigkeit und Partizipation der Väter an der Familienarbeit selbst dann noch die Ausnahme darstellen [wird], wenn die strukturellen Voraussetzungen verbessert wären“ (ebd.,187). Auch Kassner/Rüling (2005, 254) definieren das traditionelle Geschlechterarrangement mit seiner Arbeitsteilung als „hegemoniales Muster“, das zwar kulturelle Dominanz beansprucht, jedoch gleichzeitig auch andere Arrangements zulässt, die aber ein besonderes (subjektives) Engagement erfordern. Unklar und zu überprüfen ist dabei, in welcher Weise das Muster der Arbeitsteilung noch als hegemoniales Muster wirkt und welchen Stellenwert die gewandelten Lebensentwürfe und neuen Deutungsmuster ihm gegenüber haben. Die subjektiven Handlungsspielräume unterliegen jedoch auch Grenzen, worauf Kudera (2002) hinweist. Er kritisiert das „voluntaristische Missverständnis“ (ebd., 145), wenn angesichts erweiterter Options-Horizonte infolge von Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen angenommen wird, jeder könne sich für bestimmte Lebensformen beliebig entscheiden. Dass die These einer zunehmenden Individualisierung und damit Entscheidungs- und Verhandlungsnotwendigkeit oder -möglichkeit relativiert werden muss, zeigt auch Burkart (1993 a und b, 1994, 1995). Er widerspricht einem generellen Autonomiezuwachs, den z.B. Beck-Gernsheim24 vor allem für Frauen postuliert, und verweist auf dessen Abhängigkeit von Bildung und sozialen Privilegien, ebenso wie er Prozesse neuer Standardisierungen für Männer und Frauen und gesellschaftliche Segmentierungsprozesse (wie stärker milieuspezifische Definitionen) aufzeigt. Dies wird auch von Koppetsch/Burkart (1999) empirisch nachgewiesen, die zeigen, dass Individualisierung zunächst nur den Status eines milieuspezifischen Deutungsmusters akademisch gebildeter und städtisch lebender Mittelschichtsangehöriger beanspruchen kann. Eine wichtige Rolle in diesem komplexen Verhältnis spielen auch die Aushandlungsprozesse des Paares, für die mit Kassner/Rüling (2005, 154) gilt: „... Wünsche müssen in einem gemeinsamen Lebensentwurf [...] miteinander abgeglichen, ausgehandelt und koordiniert werden.“ Auch müssen faktische Gegebenheiten, wie das jeweilige und gemeinsame Einkommen, die einen wichtigen Rahmen bilden, stets interpretiert werden, was zu ganz „unterschiedlichen Er-
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und verweist auf ein Überschwappen des Berufsbereichs in das Familieleben im Sinne zunehmender Orientierung an Zeitdruck und Rationalisierung. Prominente Veröffentlichungen zum Thema von Beck-Gernsheim (1992, 1983, 1998) und Beck/Beck-Gernsheim (z.B. 1990, 1993).
2.1 Zum Verhältnis von Beruf und Familie
29
gebnissen“ (ebd.) führen kann. So kann ein Paar die Tatsache einer festen Anstellung eines Partners sowohl dahingehend interpretieren, dass dieser Partner die berufliche Sicherheit nutzt, um Erziehungsurlaub zu nehmen, als auch dahingehend, dass der Partner mit der festen Stelle aufgrund der Einkommenssicherung gerade keinen Erziehungsurlaub nehmen sollte (vgl. ebd.). Die gesellschaftlich angelegten Brüche lassen nicht nur gewisse Handlungsspielräume, sondern bergen in Paarbeziehungen auch Konfliktpotentiale und neue Konkurrenzverhältnisse um Teilhabe und Verwirklichungsmöglichkeiten (Aigner 2002, Kallenbach 1996, Schülein 1990). Ohne dies im Sinne BeckGernsheims (1998) einseitig als durch den Modernisierungsvorsprung der Frauen angefachten Geschlechterkonflikt zu deuten, verdient doch ihr Hinweis auf die verschiedenen präventiven und akuten Strategien in einer Paarbeziehung Erwähnung, die dabei helfen, Konflikte entweder zu vermeiden, konstruktiv auszufechten oder auszublenden und durch Umdefinitionen der Realität der Arbeitsteilung und eigener Gefühle zu entschärfen (vgl. auch Hochschild/Machung 1989). Diese sind nicht nur als Strategien von Frauen zu betrachten, sondern generell als Maßnahmen, um mit Konflikten in einer Partnerschaft umzugehen. Eine differenzierte Definition des Lebensentwurfes eines Paares sollte dabei nicht auf kognitive Prozesse beschränkt bleiben, sondern dessen bewusste und unbewusste biographische Fundierung und Orientierung ebenso enthalten wie bewusste und unbewusste Aushandlungsprozesse als Teil der sozialen Identität wie auch die konstanten individuellen und kollektiven (unbewussten) Abwehrstrukturen.25 Im Hinblick auf die Aushandlungsprozesse in Paarbeziehungen sind dabei auch Modifikationen der einflussreichen Überlegungen von Berger/Kellner (1965) zur Konstruktion der Wirklichkeit in ehelichen Beziehungen von Bedeutung, wie sie z.B. in den Arbeiten Kaufmanns (1994, 1999, 2000, 2004) angelegt sind. Dabei steht nicht, wie bei Berger/Kellner, das Gespräch des Paares im Vordergrund, sondern die unbemerkte Sedimentierung der häuslichen Gewohnheiten, die viel mehr als explizite Verhandlungen zu einer gemeinsamen Alltagspraxis beitragen. Damit entwickelt Kaufmann nach Meuser (2004) auch eine andere Position als Giddens (1993) und Beck/Beck-Gernsheim (z.B. 1990) und deren Annahmen zum Beziehungsdiskurs in modernen Paarbeziehungen. Die Annahme einer hinter dem Rücken der Beteiligten ablaufenden interaktiven Konstitution der Beziehungspraxis ist dabei anschlussfähig an ein psychoanalytisches Verständnis von Interaktionen in Paarbeziehungen, das auch den unbewussten 25
Dieses gilt für die von Beck-Gernsheim (1998, 279) in Erweiterung des Ansatzes von Hochschild beschriebenen „Strategien der Konfliktreduktion“, die, wie auch das Konzept der Gefühlsarbeit, um eine unbewusste Dimension zu erweitern sind, zumal sie unter dem Stichwort „verdrängen“ (ebd., 280) in hohem Maße anschlussfähig an das psychoanalytische Verständnis psychischen und interaktiven Geschehens sind.
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
Teil der Interaktionen und Aushandlungsprozesse des Lebensentwurfs einbezieht.
2.2 Fallrekonstruktive Untersuchungen zur Arbeitsteilung Im vorangegangen Teil wurden Forschungsergebnisse zur gesellschaftlichen Organisation von Familie und Beruf und daran anschließend auch zur Situation von Frauen und Männern hinsichtlich der äußerlich wie innerlich zu bearbeitenden Möglichkeit, beide Bereiche zu verbinden, zusammengetragen. Diese Ergebnisse bieten einen Hintergrund und Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit zur elterlichen Arbeitsteilung. Einen anderen Ausgangspunkt bieten einige vor allem fallrekonstruktive Arbeiten zur Arbeitsteilung im Hinblick auf die Frage, wie die für das Verstehen des Phänomens Arbeitsteilung als notwendig erachtete Differenzierung verschiedener Untersuchungsebenen umgesetzt ist. Inwieweit gibt es bereits eine differenzierte Betrachtung der Dimensionen gesellschaftlicher und milieuspezifischer Vorgaben und subjektiver und paarspezifischer psychosozialer Ressourcen? Werden Handlungsspielräume und Grenzen auszuloten versucht auch mit Blick auf jenseits des Bewusstseins der Beteiligten ablaufende familiale Konstruktionsprozesse? Die im Folgenden diskutierten Forschungsarbeiten von Koppetsch/Burkart (1999), Hochschild (1989/1993), Liebold (2001)/Notz (2004), Kaufmann (1992), Klees (1992) und Schülein (1990) sind hinsichtlich dieser Fragen relevant, weil sie bereits den Versuch unternehmen, Analyseebenen zu differenzieren und verschiedene Bedingungszusammenhänge für die Konstitution von familiären Arbeitsteilungsformen auszumachen. Dabei wird jedoch deutlich, dass deren differenzierte Sichtweise stets vor bestimmten Punkten halt macht. Eine Integration auch unbewusster und lebensgeschichtlich fundierter Entwürfe im Sinne der elterlichen Arbeitsteilung ist in soziologischen Arbeiten bisher nicht gelungen, andererseits bleibt auch in psychoanalytisch orientierten Arbeiten die Integration der Sicht auf Gesellschaft problematisch. In ihrer fallrekonstruktiven Forschungsarbeit zur „Illusion der Emanzipation“ untersuchen Koppetsch und Burkart (1999) anhand von Paar- und Einzelgesprächen, welche latenten und den Akteuren in ihrem Wirken nicht bewussten normativen Kodes bedeutsam für die Konstruktion des familialen Alltags, der Arbeitsteilung, Geschlechter- und Generationenbeziehungen sind. Dabei lassen sich im untersuchten Sample drei Milieus anhand dieser latenten Kodes unterscheiden: ein traditionales Milieu ländlicher Arbeiter und Handwerker, ein familistisches Milieu mittlerer Angestellter, zum Teil mit Hochschulabschlüssen, und ein individualisiertes Milieu städtisch lebender Akademiker.
2.2 Fallrekonstruktive Untersuchungen zur Arbeitsteilung
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Die Illusion partnerschaftlicher Gleichheitsvorstellungen, die die Autoren aufdecken, ist eine mehrfache: Die untersuchte alltägliche Praxis der Arbeitsteilung und Beziehungskonstruktion ist in keinem der untersuchten und definierten drei Milieus eine gleichberechtigte. Zudem gilt die Idee partnerschaftlicher Gleichheit als Kode auch nur für das individualisierte Milieu und wird von den anderen Milieus nicht geteilt. Darüber hinaus besteht in diesem Milieu die Illusion der Emanzipation auch darin, dass vor allem weibliche Angehörige des Milieus durch die Annahme individualisierter Partnerschaftlichkeit und Gleichheit zwischen den Geschlechtern an der Wahrnehmung der traditionalen Arbeitsteilungs- und Geschlechterkonstruktionen in ihren Familien gehindert sind. Diese erscheinen vielmehr, wenn sie erkannt werden, als Ergebnisse eigener Entscheidungen und werden dadurch „ursächlich in die eigene Person hereingenommen und dem eigenen Selbstbewusstsein einverleibt“ (ebd., 317). Im Kontext des individualisierten Milieus findet sich als ein interessantes Moment, dass die im Partnerschaftsmodell enthaltene Zurücknahme der Rollenanforderungen in den Einzelnen und die Auflösung der Geschlechtsunterschiede in der für alle geltenden individualisierten Integration in die Gesellschaft unter der Prämisse einer nun ebenfalls vordergründig für alle geltenden, historisch betrachtet männlichen Konzeption von Individualität, Autonomie und Wahlfreiheit stattfindet. Diese steht jedoch dem Konzept der Bindung entgegen (vgl. ebd., 190/191). In Kontrast dazu steht das von den Autoren definierte familistische Milieu, das sich von Gesellschaft und Institutionen abgrenzt, Familie wird zum zentralen Wert. Dabei sind Frauen als Gestalterinnen der familiären Atmosphäre und der anspruchsvollen Erziehung der Kinder aufgewertet, wobei sich auch die Männer der milieutypischen Dominanz familiärer Bindungen nicht entziehen können. Das Geschlechterverhältnis wird im Sinne von für selbstverständlich gehaltenen psychologischen Wesensunterschieden interpretiert (vgl. ebd., 121). Neben ihrem inhaltlichen Erkenntnisgewinn in Hinblick auf die komplexe Situation der Arbeitsteilung in den definierten Milieus, ist die Studie von Koppetsch und Burkart vor allem deshalb zu würdigen, da sie zeigt, dass einfache Annahmen einer zunehmenden Individualisierung und Gleichberechtigung in Partnerschaften zu kurz greifen26 und daher eine alleinige Abfrage von bewusstseinsfähigen Einstellungen irreführend ist, es vielmehr der rekonstruktiven Untersuchung der latenten Sinnkonstruktionen bedarf. Zudem zeigen die Autoren, dass diese Konstruktionen als unbemerkt diskursiv ablaufende Paarkonstruktionen zu begreifen sind. Dabei bleibt deren Sicht auf das Paar jedoch auf die Ebene des Diskurses beschränkt, und die Sicht auf die Paarbeziehung wird nicht um die Perspektive einer unbewusst und lebensgeschichtlich fundierten Paarkonstellati26
Dies auch als Kritik an den Perspektiven von Kaufmann (1994), Beck-Gernsheim (1992) und Röhler/Steinbach/Huinink (2000).
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on erweitert. Hierdurch bleibt jedoch einerseits die von den Autoren angesprochene Weitergabe und Wirksamkeit der „automatisierten“, „eingefleischten“ und „vorreflexiven“ (ebd. 196ff) Normen im Unklaren, da sie nicht an ein Psychisches verstehendes Sozialisationsmodell rückgebunden werden kann. Andererseits kann das Paar auch nicht als Eltern mit einer spezifischen Elternschaftskonstellation und die Konstellation der Familie als Ganzes in den Blick genommen werden. Hierdurch bleibt die von den Autoren angesprochene „Auslöser“-Situation (ebd., 158) für die Arbeitsteilung im Moment des Elternwerdens unverstanden. Ein wichtiger Teil der Arbeitsteilung, der in der jeweiligen Bindung an die Kinder angelegt ist, kann so nicht berücksichtigt werden, wodurch die kindbezogene Familienarbeit als ein Anhängsel der Hausarbeit erscheint. Mit Blick auf die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse von Koppetsch und Burkart lassen sich deren Gedanken jedoch z.B. dahingehend weiterführen, dass das individualisierte Modell mit seiner Orientierung an (traditionell männlicher) Autonomie und Entscheidungs- und Handlungsfreiheit in einer Partnerschaft ohne Kinder für beide Geschlechter lebbar ist, es jedoch bei der Geburt von Kindern im Sinne einer „Auslöser“-Situation zwangsläufig konflikthaft wird, da neue Bindungsanforderungen mit den damit verbundenen Einschränkungen von Autonomie und individueller Handlungsfreiheit entstehen. Zudem ist kritisch anzumerken, dass die Untersuchungsebenen der Studie mehrdeutig bleiben. So sind beispielsweise die untersuchten „Kodes“ einerseits im Sinne überindividueller und Wahrnehmung unbemerkt strukturierender Deutungsmuster bestimmt und andererseits im Sinne von diskursiv und bewusst vertretenen Ideologien, die gegenüber einem gesellschaftlich wirksamen Normsystem abgegrenzt werden. Hochschild (1990 und Hochschild/Machung 1989/1993) untersucht die Arbeitsteilung in Familien und, analog zu ihrem Konzept der Gefühlsarbeit, die Wirkungsweise von Geschlechtsrollenstereotypen, die bestimmte Gefühlsnormen enthalten, d.h. Vorgaben von bestimmten familiären Arbeitsteilungs- und Beziehungskonstellationen und damit normativ verbundenen Gefühlszuständen. Sie unterscheidet dabei zwischen einem „traditionalen“, einem „egalitären“ und einem „transitionalen“ Stereotyp, die sie auch als Geschlechterideologien bezeichnet, wobei vor allem letzteres Ausdruck der widersprüchlichen gesellschaftlichern Modernisierungsprozesse in Bezug auf das Geschlechterverhältnis und die Arbeitsteilung ist (vgl. 1990, 208). Für die Subjekte folgt aus den Geschlechterideologien eine je spezifische „Geschlechterstrategie“ (1993, 39), „eine Art Handlungsplan, mit dem eine Mensch versucht aktuelle Probleme vor dem Hintergrund der gesellschaftlich gültigen Rollenbilder zu lösen“ (ebd.). Dieser enthält Annahmen über beide Geschlechter, ist aufgrund seiner Entstehung „in frühester Jugend“ (ebd.) an tiefliegende Gefühle gebunden und verbindet Vorstellungen der eigenen geschlechtlichen Identität mit Gefühlen und Handeln.
2.2 Fallrekonstruktive Untersuchungen zur Arbeitsteilung
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Die bereits ältere Untersuchung von Hochschild/Machung verdient Erwähnung, weil sie versucht, die Ebene der verbal vertretenen „Ideologie“ von einer Innenperspektive zu trennen, auf der Gefühle, Praxen und unbewusste Motivationen eine Rolle spielen und die nicht in Übereinstimmung mit den nach außen vertretenen Ideologien der Arbeitsteilung stehen muss. Insbesondere auch die von ihr unter anderem berücksichtigte „Rolle biographischer Erfahrungen für die gefühlsmäßige Verankerung von Geschlechtsrollenstereotypen“ (1990, 211) ist als eine neue und im Übrigen kaum verfolgte Perspektive von Interesse. Allerdings stellt diese auch bei Hochschild/Machung keine systematisch untersuchte Kategorie dar und wird unvermittelt gemeinsam mit voluntaristischen Konzeptionen der selbsttätigen Entwicklung einer Geschlechterideologie dargestellt im Sinne einer situationsgemäßen rationalen Anpassungsleistung der Subjekte (vgl. 1992, 41). Dies steht im Kontext des Konzeptes der Gefühlsarbeit, das in Bezug auf berufliche Kontexte eher schlüssig scheint als bezogen auf den privaten Bereich, in dem stärker unbewusste biographische Bezüge in Wechselwirkung zu den gesellschaftlichen Einflussnahmen und Deutungsvorgaben treten. Eine psychoanalytische Betrachtung der in den von Hochschild/Machung beschriebenen familialen Konfliktsituationen ablaufenden inneren Prozesse der Beteiligten und die gemeinsamen Konstruktionen der Beziehungspartner, z.B. in Form von „Mythenbildung“ (1992, 43ff), drängt sich zudem auf. Hier kann das differenzierte Instrumentarium der Psychoanalyse zur Analyse und Beschreibung der individuellen und interaktiven Abwehrprozesse besser zum Verstehen beitragen als das immer auch voluntaristisch und bewusstseinsnah angelegte Konzept der Gefühlsarbeit. Zu würdigen ist, dass Hochschild trotz des im Konzept der Geschlechtrollenstereotype angelegten Bezuges auf die Rollentheorie versucht, einen eigenen Bereich der Handlungsfähigkeit der Subjekte abzugrenzen, und dabei neben der bewusstseins- und willensnah konzipierten Gefühlsarbeit auch Anschlusspunkte für eine sozialpsychologische Sicht auf die Verarbeitungs- und Beziehungsprozesse von Frauen und Männer in Paarbeziehungen anbietet. Zwei aktuelle fallrekonstruktive Untersuchungen von Liebold (2001) und Notz (2004) beschäftigen sich mit Familienkonstruktionen bei Managern als einem besonderen Milieu der wohlhabenden Mittelschicht. Dieses ist durch eine zumeist traditionelle Arbeitsteilung mit einer besonderen Zuspitzung des Widerspruches zwischen Beruf und Familie durch das extreme Berufsengagement der männlichen Manager gekennzeichnet. Zugleich besteht eine besondere Begründungsnotwendigkeit dieser Arbeitsteilung aufgrund des hohen Bildungsgrades und des Status als Träger von (wirtschaftlichem) Fortschritt. Beide Autorinnen untersuchen Muster der familialen und paarspezifischen Realitätskonstruktion,
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die zwischen gesellschaftlichen Gleichheitsvorstellungen und tradierten Geschlechterarrangements stehen. Liebold fasst in ihrer Untersuchung Modernisierung als Gleichzeitigkeit und Ambivalenz des Fortbestands der tradierten Geschlechtsnormen mit der Ungleichheit der Geschlechter und der Arbeitsteilungspraxis einerseits und deren gleichzeitigem Reflexivwerden und einer Distanziertheit ihnen gegenüber andererseits. Sie hat somit ein differenziertes Verständnis von Modernisierung. Für die Individuen, die die Diskrepanz erleben, stellt sich dabei nach Liebold die Aufgabe, diese auszuhalten und mithilfe verschiedener Strategien zu deuten und umzudeuten. Für die untersuchten Manager wirken die von ihnen wahrgenommenen neuen Leitbilder der Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses als ein Legitimationsdruck, der unter anderem dazu führt, die Arbeitsteilung und ihre eigene Karrierezentrierung als ein partnerschaftlich ausgehandeltes Arrangement zu präsentieren und gerade durch die scheinbare Optionalität auch ihre Ehefrauen auf das traditionale Lebensmodell als Ergebnis einer (scheinbar) gemeinsamen Entscheidung festzulegen, dies um so mehr angesichts eigener Lebensinteressen der Ehefrauen und daraus resultierender familialer Konflikte. Dem steht eine ungebrochene Orientierung am beruflichen Engagement gegenüber, die eine stärkere familiäre Einbindung zur „qualvollen Vision“ (ebd., 166) werden lässt. Forderungen der Ehepartnerinnen nach einer stärkeren familiären Präsenz der Manager werden als Enttäuschungen und Aufkündigungen der unterstellten Interessenidentität am männlichen beruflichen Erfolg empfunden. Liebold untersucht somit, ähnlich wie Koppetsch und Burkart (1999), das Wirken der modernisierten Gleichheitsvorstellungen als Gleichheitsrhetorik, die sogar einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Geschlechterungleichheit in den Familien leisten kann. Dabei differenziert sie die Untersuchungsebenen Leitbilder und deren Wirken einerseits und (auch lebensgeschichtlich fundierte) Selbstund Situationsdeutungen andererseits, bei denen zwischen Leitbildern vermittelt wird und eigene Bedürfnisse und Interessen untergebracht werden. Jedoch fehlt auch hier ein weitergehendes Verständnis der unbewussten Motivierung der Selbst- und Situationsdeutungen, auch wenn diese biographieanalytisch untersucht werden. Gleiches gilt für die Sicht auf die Paarbeziehung: Die Perspektive auf die Manager vermeidet einen differenzierten Blick auf die Konstruktion eines gemeinsamen Entwurfes durch das Paar. Dies führt dazu, dass Liebold den Ehefrauen der Manager einen Modernisierungsvorsprung attestiert (ebd., 176) und die Gemeinsamkeit des durchaus widersprüchlichen Entwurfes im Sinne einer Paarkonstellation nicht betrachtet. Ebensowenig werden die familialen Bindungsprozesse auch gegenüber den Kindern einbezogen. Auch Notz untersucht die gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktionen der Managerpaare und unterscheidet drei unterschiedliche binnenstrukturelle Bezie-
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hungskonzepte: einen dualen Typ mit partnerschaftlichem Liebescode, einen integralen Paartyp mit romantischem Liebescode im Sinne einer Betonung der Einheit des Paares und einen komplementär asymmetrischen Typ mit einem romantischen Liebescode im Sinne einer Ergänzung zweier Hälften, der jedoch einseitig (hierarchisch) definiert ist. Anders als bei Liebold sind für Notz die traditionellen Arbeitsteilungsarrangements durchaus von beiden Partnern getragen: Gleichberechtigungsansprüche können auch über symbolische Gesten innerhalb der Paarbeziehung befriedigt werden. Auch Notz erkennt eine Widersprüchlichkeit der Modernisierung, bei der alte und neue Deutungsmuster nebeneinander bestehen und Muster wie das der Mutterliebe noch hohe Relevanz besitzen. Auch wenn Notz dabei von „emotionalen (Abwehr)-Reaktionen“ (ebd., 237) im Kontext unterschiedlicher Deutungsangebote spricht und auch das doing gender als alltägliche, affektiv gebundene Identitätsarbeit als Mann bzw. als Frau versteht und zudem die Bedeutung der Sozialisation, die Entstehung dieser geschlechtlichen Identität in der Kindheit, hervorhebt, so fehlt ihr doch ein weitergehendes Verständnis dieser Prozesse, deren Untersuchung bleibt an der Oberfläche. Eine weitere Rekonstruktion ist auch aufgrund der von Notz gewählten Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nicht umgesetzt bzw. umsetzbar. Somit bietet Notz in ihrer Untersuchung der Beziehungskonzepte der Manager zwar eine Untersuchungsperspektive, die auch auf innerlich und biographisch fundierte Beziehungsmuster eingeht und diese von den gesellschaftlichen Deutungsangeboten ebenso unterscheidet wie von der Praxis, dieses wird jedoch nicht in ausreichendem Maße umgesetzt und zu Ende gedacht. Dies führt ebenfalls zu einer unterkomplexen Sicht auf die Paarbeziehung und die Familienbeziehungen als auch auf die unbewusst motivierte Konstellation. Ähnlich wie die bereits genannten Autoren untersucht der französische Soziologe Kaufmann (vgl. Kaufmann 1994, 1999, 2000 und Meuser 2004) das Wirken der Idee der Gleichheit auf die Arbeitsteilung und Beziehungskonstruktion in Paarbeziehungen. Auch wenn seine Annahme der gesamtgesellschaftlichen Universalität des Gleichheitsgedankens angesichts der bisher zitierten Untersuchungen zu hinterfragen ist, so ist doch im Sinne der Doppeldeutigkeit der Modernisierung dessen Wirken in den von ihm untersuchten Paarbeziehungen trotz des „erstaunlichen Beharrungsvermögens tradierter Verhältnisse der Ungleichheit“ (Meuser 2004, 282) zu beobachten. Für die Männer macht sich die Idee der Gleichheit in Versuchen der Rechtfertigung bemerkbar, für die Frauen in Schuldgefühlen darüber, trotz der eigenen Ansprüche an Gleichheit die überwiegende Hausarbeit zu übernehmen. Das Paar gemeinsam wendet darüber hinaus Strategien an, um die praktische Ungleichheit nicht offensichtlich werden zu lassen, und diese Kompromissbildungen im Sinne einer „vernünftigen Ungleichheit“ (Kaufmann 1994, 181) erscheinen als das eigentliche Ziel. Die kognitiv
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wirkende Gleichheitsidee wird dabei für Kaufmann vor allem durch inkorporierte und automatisierte Gewohnheiten unterlaufen, die sich, gerade weil sie als solche kaum reflexiv sind, gegenüber dem Gleichheitsdiskurs durchsetzen können. In den kleinen Routinen des Alltags, der Hausarbeit etc., findet eine Produktion und Reproduktion sozialen Sinns statt, kommen kulturelle, biographisch und körperlich verankerte kulturelle Traditionen und Geschlechterverhältnisse zum Ausdruck. Auch Kaufmann untersucht somit die Hausarbeit im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel und berücksichtigt das Wirken latenter Sinnkonstruktionen. Er definiert das familiale Handeln bezogen auf die Paarbeziehung und den Haushalt jenseits einer Reduktion auf das Bewusstsein und lotet den Einflussbereich der Reflexivität zwischen Denken, den körperlich verankerten Gewohnheiten und den Gefühlen aus. Leider bleibt Kaufmanns Untersuchung auf die körperlichen Routinen bezogen und wird daher nicht mit anderen Perspektiven auf die hinter dem Rücken der beteiligten ablaufenden Konstruktionsprozesse vermittelt. So ist seine Sichtweise unter anderem auch mit einem psychoanalytischen Verständnis unverbunden, weswegen der Bereich der körperlich verankerten Gewohnheiten auch nicht mit dem Konzept eines unbewussten Bereichs des Handelns in Bezug gesetzt ist. Die intergenerationale Weitergabe wie auch die Aktualisierungsprozesse der traditionalen Arbeitsteilungsformen im Kontext des Zusammenlebens als Familie bleiben so ein Stück weit rätselhaft. Zwei soziologische Arbeiten, die sich im Gegensatz zu den bisher diskutierten um eine Integration soziologischer und psychoanalytischer Perspektiven bemühen, sind die Untersuchungen von Klees (1992) und Schülein (1990, 1995). Dabei ist die Arbeit von Schülein keine empirische, sondern basiert auf Material- und Literaturbearbeitungen. Sie ist jedoch der vorliegenden Untersuchung inhaltlich nahe und verdient daher Erwähnung. Klees untersucht die Verbindung zwischen Arbeitsteilung, Machtverhältnis innerhalb der Beziehung und Sexualität des Paares in sich als partnerschaftlich verstehenden Familien aus der Generation der in den 1950er und 1960er Jahren Aufgewachsenen. Dabei lotet sie neben den spezifischen Familienideologien und Rollenerwartungen und den für die Beteiligten bewussten Bedingungen und Einflussfaktoren auch das Wirken latenter innerer Widerstände aus, die die bewusst getroffene Entscheidung zu einer partnerschaftlichen und symmetrischen Arbeitsteilung und Beziehung unterlaufen. Diese inneren Widerstände liegen vor allem in verinnerlichten Beziehungsmustern und Konflikten aus der eigenen Kindheit. Klees geht von der Frage aus, „welche Auswirkungen [...] geschlechtsspezifische Sozialisationsbedingungen auf die psychische Entwicklung und die Herausbildung einer Geschlechtsidentität [haben] unter Berücksichtigung prägender Einflüsse der Vater-Kind-, Mutter-Kind-Erfahrungen und der Beziehung
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der Eltern zueinander“ (ebd., 11). In ihrer die Herkunftsfamilien der Befragten einbeziehenden Perspektive stellen somit die innerfamiliale Sozialisation, das Fortwirken familienspezifischer Beziehungsmuster und die Möglichkeit von deren Veränderung den Untersuchungsschwerpunkt dar. Demgegenüber bleibt der Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, auf direkte gesellschaftliche Einflüsse und die aktuelle Situation für die befragten Familien und damit auf den im engeren Sinne soziologischen Anteil des Integrationsversuchs von sozialen und psychischen Bedingungsfaktoren vernachlässigt. Dies führt auch dazu, dass die Ergebnisse von Klees wenig verallgemeinerbar sind. Entscheidend für eine Partnerschaftlichkeit der Arbeitsteilung ist für Klees somit auch vorwiegend die Möglichkeit der Bearbeitung der inneren Prägungen und weniger eine spezifische familiale Konstellation. Ein weiteres Problem der Arbeit von Klees ist, dass die Partnerschaftlichkeit eines Paares und deren tatsächliche Umsetzung in den verschiedenen eröffneten Bereichen undeutlich bleibt und schwer definierbar ist und somit auch der Untersuchungsgegenstand, die partnerschaftlichen Familien, verschwimmt. Der Einbezug der Psychoanalyse in die Untersuchung elterlicher Arbeitsteilung, wie Klees ihn unternimmt, ermöglicht den Blick auf familiale Konstellationen, und zwar nicht nur auf die Paarbeziehung, sondern auch auf Elternschaft und mehrgenerationale Eltern-Kind-Bindungen. Problematisch ist hier jedoch, dass mit dem Blick in die lebensgeschichtliche Tiefe des Einzelfalles der soziologische Blick auf übergreifende gesellschaftliche Zusammenhänge und ein fallübergreifend aussagekräftiges Ergebnis aus dem Blick geraten. Demgegenüber wäre der systematische Bezug auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, über eine Verortung der Herkunftsfamilien hinausgehend, notwendig, um das Wechselverhältnis zwischen inneren und äußeren Handlungsspielräumen und begrenzungen deutlicher zu fassen. Daraus folgt auch die Notwendigkeit einer stärkeren methodischen Präzisierung und Differenzierung, die über die eher unspezifische Anwendung einer qualitativen Inhaltsanalyse, die zudem auch für die Untersuchung psychischer/unbewusster Prozesse und Prägungen problematisch erscheint, hinausgeht. Schülein beschreibt anhand von Sekundäranalysen und Materialuntersuchungen die Auswirkungen der Modernisierung der Eltern-Kind-Beziehung und versucht hierbei die soziologische Sicht auf Modernisierung mit dem psychoanalytischen Blick auf Beziehungsmuster in jungen Familien zu verbinden. Dabei unterscheidet er zwischen drei als Exposés bezeichneten Entwürfen von Elternschaft, einem traditionalen, einem modernisierten und einem avantgardistischen, die sich durch ihren Bezug zur Moderne unterscheiden lassen. Die Eltern-Kind-Beziehung wirkt dabei generell als „Nadelöhr“ (1995, 118) gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, da sie zwar einerseits zur Entwick-
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lung und generativen Weitergabe neuer Väter- und Mütterbilder beitragen kann, andererseits aber im Kontext moderner Lebensweltstrukturen Kinder als demgegenüber widerständiges Element, zum „Medium der Verschärfung von Ungleichheit“ (ebd., 117) werden und so eine Regression von Beziehungsarrangements und den Rückgriff auf „vereinfachende, hierarchische Arrangements“ (ebd.) fördern. Generell hat die Modernisierung der Eltern-Kind-Beziehungen nach Schülein zu einem neuen Leitbild geführt, nach dem das Kind zu einem emotional stabilen, sozial verantwortlichen und autonomen Menschen heranwachsen und dafür von seinen Eltern umfassend versorgt, geliebt und gefördert werden soll (vgl. 1990, 136). Im Idealbild liegt auf psychosozialer Ebene die Idealisierung des eigenen Beitrags der Eltern zu Entwicklung ihres Kindes und die Idealisierung des Kindes, das zu einem „perfekten Ergebnis“ (ebd., 135) heranwachsen soll. Dabei ist die Bedeutung der regressiven Einfühlung und symbiotischen Bindung an das Kind vor allem in der Kleinkindphase gestiegen und gilt als Anforderung tendenziell an beide Elternteile bzw. kann auch von beiden Elternteilen zur Verankerung von eigenen Regressions- und Verschmelzungswünschen genutzt werden (vgl. ebd, 99). Das Kind wird zum „psychosozialen Projekt“ (ebd, 138) seiner Eltern in der kindzentrierten Familie. Im traditionalen Exposé, das hauptsächlich in über- bzw. unterprivilegierten Milieus vertreten wird, werden Einflüsse der Modernisierung abgeschwächt und die Eltern-Kind-Beziehung orientiert sich an traditionalen Mustern. Diese kommen in einer Versachlichung und/oder stärkeren Strukturierung der Eltern-KindBeziehung zum Ausdruck, die mit einer stärkeren Funktionalität und Distanz und einer Einpassung des Kindes in den bisherigen Lebensrhythmus verbunden ist und einer weniger ausgeprägten Einfühlung und regressiven Verschmelzung. Es wird auf traditionelle Orientierungen des jeweiligen Umfeldes zurückgegriffen, die „gerade weil bestimmte Formen selbstverständlich gelten [...], als Organisator von Alltagsroutinen – inklusive der Begründungsstrategien – fungieren“ (1990, 126). Damit verbunden ist auch eine strikte Rollenteilung, unabhängig davon, ob die Frau ihre Arbeit aufgibt oder überhaupt aufgeben kann, was eine relativ gefestigte, arbeitsteilige und hierarchische Triade mit stabilen Beziehungsmustern mit sich bringt (vgl. 1995, 109). Auftretende Brüche beinhalten Modernisierungstendenzen: Die Beziehungen werden symbiotischer und weniger abgegrenzt, und dadurch ergeben sich Machtzuwächse für die Mütter, die ihre vorrangige Position gegenüber dem Kind qualitativ ausbauen. Das modernisierte, als durch die Modernisierung am stärksten geprägtes Exposé ist vor allem in Mittelschichtmilieus vertreten, seine Konzeption der Eltern-Kind-Beziehung entspricht der für die Moderne kennzeichnenden. Brüche innerhalb des Exposés weisen von daher in eine andere Richtung: In der Paarbe-
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ziehung kommt es beim Elternwerden häufig zu Traditionalisierungen, bei denen in der Praxis ein egalitäres bzw. symmetrisches Beziehungsmodell der Eltern zueinander und gegenüber dem Kind nicht durchgehalten wird. Vielmehr setzen sich eine traditionale Arbeitsteilung und damit verbundene traditionale Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder durch, die dann legitimiert und rational begründet werden müssen. Für die Frauen, die meist ihre Berufstätigkeit zumindest verübergehend aufgeben, bedeutet das Mutterwerden so neben der Bestätigung ihrer Weiblichkeit gleichzeitig einen massiven Statusverlust. Zudem ist auch die phantasierte symbiotische Beziehung zum Kind einer mitunter schmerzhaften Realitätsprüfung ausgesetzt, wenn dieses sich mit seinen Bedürfnissen als eigensinnig und anspruchsvoller als erwartet zeigt. Die hohe Reflexivität kann zudem zu einer Dauerproblematisierung beitragen, verbunden mit Schuldgefühlen und Wiedergutmachungsversuchen. Beim Versuch, eine stärker gleichberechtigte Arbeitsteilung umzusetzen, kommt es für die Männer und Frauen zu anderen psychosozialen Themen. Frauen, die als Mutter ihre Berufstätigkeit aufrechterhalten, müssen im Kontext gestiegener Erwartungen an die Berufs- wie auch an die Mutterrolle und deren Widersprüchlichkeiten in besonderem Maße um eine Identitätsbalance ringen und in beiden Bereichen stärker eigene, innere Konstruktionsleistungen erbringen. Väter bekommen einerseits besondere Anerkennung bereits für ein geringes Engagement in der Familie und sind andererseits ebenfalls von beruflichem Statusverlust bedroht. Auch sie müssen somit in stärkerem Maße eine psychosoziale Identitätsbalance zwischen den Bereichen Beruf und Familie leisten und dabei als neue Anforderung auch stärker Verantwortung für die familiären Beziehungen übernehmen. Psychosoziale Qualitäten sind somit in einer gleichberechtigteren Arbeitsteilung auch von beiden Eltern gefordert und potentiell weniger geschlechtsspezifisch gebunden (vgl. 210). Schülein thematisiert in diesem Kontext „die Gefahr, dass die einseitige Betonung „verschmelzender“ Interaktion Probleme im Bereich von Trennung und Distanzierung mit sich bringen kann“ (ebd., 210) Das avantgardistische Exposé, vertreten durch alternative Aussteiger oder Angehörige sozialer Berufe, spitzt die Modernisierung der Eltern-KindBeziehungen zu oder entwickelt sie weiter. Die Kindzentrierung wird zum Entwurf einer kindgerechten Gegenwelt, der das übrige Leben untergeordnet und die gegen störende Einflüsse abgegrenzt wird. Es besteht idealiter eine weitgehende Identität der Interessen von Eltern und Kindern, wobei sich die Eltern mit den Kindern narzisstisch identifizieren. Die enge Bindung an das Kind gilt auch hier als Anspruch für beide Eltern und wird von den Vätern eher als im modernisierten Exposé umgesetzt – auch wenn die Orientierung an der scheinbar natürlichen Eltern-Kind-Beziehung der Mutter besondere Bedeutung verleihen kann. Zudem
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ergeben sich neue Konflikte, wenn beide Elternteile als gleichermaßen kompetente Experten aufeinandertreffen. Brüche ergeben sich innerhalb dieses Exposés weniger, sondern Veränderungen wirken stärker als Realitätsanpassungen, ohne notwenig ein Abweichen von den spezifischen Definitionen des Exposés zu beinhalten. Die Arbeit von Schülein ist vor allem deshalb von Interesse, da sie die Frage der elterlichen Arbeitsteilung im Kontext der exposéspezifischen familialen Beziehungsstrukturen und der damit verbundenen Dynamik behandelt. Dabei werden gesellschaftliche Kontinuität und Wandel über die Exposés, ähnlich wie bei Koppetsch und Burkart, an gesellschaftliche Milieus zurückgebunden, Schülein macht zudem auf Wandlungstendenzen innerhalb der definierten Exposés aufmerksam. Für die Frage nach der Definition der verschiedenen Untersuchungsebenen und Verbindungsmöglichkeiten zwischen soziologischen und psychoanalytischen Zugängen zur Frage der Arbeitsteilung sind die Betrachtungen Schüleins also zunächst wegen des Beitrages zum Verständnis der elterlichen Arbeitsteilung vor dem Hintergrund der Beziehungsmuster in einer Familie von Bedeutung. Zudem richtet Schülein seinen Blick nicht primär auf die Sozialisationsbedingungen der Eltern, wie Klees dies tut, sondern versucht, bestimmten milieutypischen Praxen psychische Dynamiken zuzuordnen, die durch sie nahegelegt werden oder in ihnen verankert werden können. Die Betrachtungen Schüleins sind jedoch nicht oder nur sehr vermittelt empirisch fundiert und können von daher nur Anhaltspunkte für eine Untersuchung milieuspezifisch typischer Psychodynamiken von Eltern innerhalb der Ausgestaltung der Bindung an das Kind und der damit verbundenen familialen Praxen sein. Zudem ist die Frage der elterlichen Arbeitsteilung nicht das Hauptinteresse Schüleins, so dass die Verbindungslinien zwischen Arbeitsteilungspraxis und damit verbundenen Konflikten und Beziehungsdynamiken in einer Familie nur angedeutet sind und weiterer Klärung bedürfen.
2.3 Psychoanalytische Ansätze zur Arbeitsteilung Die Diskussion der soziologischen Fallrekonstruktionen hat gezeigt, dass Ansätze, die familialen und vor allem elterlichen Konstellationen in den Blick zu nehmen, bisher empirisch nur unvollständig bzw. nicht verwirklicht sind. Es erweist sich jedoch als notwendig, rein soziologische Konzepte um den Zugang zu den dynamischen Prozessen in einer Familie zu ergänzen. Wie sieht es nun andererseits auf Seiten der Psychoanalyse aus? Welche Ansätze zum Verständnis elterlicher Arbeitsteilung lassen sich hier ausmachen?
2.3 Psychoanalytische Ansätze zur Arbeitsteilung
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Ein zentraler Gegenstandsbereich der Psychoanalyse von Anfang an ist der Versuch, die Genese von Geschlechtsidentitäten zu verstehen und modellhaft zu erklären. Dabei waren und sind vor allen die Theorien zur Weiblichkeit Gegenstand von Diskussionen, mit einer Hochphase feministischer Neukonzeptionen in den 1970er und 1980er Jahren (vgl. Liebsch 1994 a und b, 1997, Mertens 1992). Diese versuchen eine weibliche Realität innerhalb der gesellschaftlichen, patriarchalen Verhältnisse in die Theoriekonstruktion einzubeziehen und dabei kritisch zu reflektieren. Liebsch (1994) unterteilt diese Ansätze in drei Argumentationszusammenhänge: von der psychosexuellen Entwicklung ausgehende, vor dem Hintergrund der Objektbeziehungstheorie bzw. der frühen Eltern-Kind-Beziehungen argumentierende und diskurstheoretisch-poststrukturalistische. Hier sind vor allem die Autorinnen von Interesse, die Bezug auf die frühe Eltern-Kind-Beziehung nehmen (Dinnerstein 1976, Chodorow 1978, Benjamin 1988), da bei ihnen die Entstehung der Geschlechtscharaktere mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung der Eltern in Verbindung gebracht wird. Die unterschiedlichen Beziehungen der Eltern zum Kind, vor allem die hauptsächliche Versorgung durch die Mutter in der präödipalen Phase, führt zur Spaltung in ein männliches Subjekt und weibliches Objekt. Objektbeziehungstheoretisch formuliert z.B. Chodorow (1978, vgl. Liebsch 1994 b, 127f und ausführlicher 1994a, 86ff), dass die Dominanz der Mutter in der frühen Kindheit für Töchter aufgrund der Gleichgeschlechtlichkeit mit der Mutter und den zwischen beiden ablaufenden Identifikationsprozessen zur Fähigkeit der Einfühlung und Verbundenheit und so zu einer höheren Beziehungsfähigkeit führt, die mit weniger starken Ich-Grenzen verbunden ist. Söhne hingegen müssen sich aufgrund ihres anderen Geschlechts stärker abgrenzen und können sich stärker desidentifizieren von den auch mit Ohnmacht verbundenen Abhängigkeitsgefühlen in der Bindung an die Mutter. Hier spielen auch die unterschiedlichen Identifikationsmöglichkeiten für Kinder beiderlei Geschlechts in der Beziehung zum primär abwesenden Vater eine Rolle. Die elterliche Arbeitsteilung wird als zentrale Ursache für die Reproduktion des Geschlechterverhältnisses und der damit verbundenen polaren männlichen und weiblichen Identitäten angesehen, es kommt zu einer „Reproduktion des Mutterns“ (so der amerikanische Originaltitel) in der folgenden Generation, wenn es nicht gelingt, Väter in die primäre Fürsorge einzubinden. Die Reiz des Modells von Chodorow liegt im Versuch, die gesellschaftlich dominante Realität der Arbeitsteilung mit der Psychogenese der Geschlechtsidentitäten zu verbinden. Mit dem Versuch der Erklärung der Stabilität und zirkulären Reproduktion der Arbeitsteilung hat sie aktuelle Fragestellungen vorweggenommen. Hieran sind zugleich jedoch mehrere Punkte problematisch, auf die bereits Liebsch (1994) hingewiesen hat: Zum einen ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft bei Chodorow tendenziell funktionalistisch und
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psychologisierend reduziert, wenn psychogenetische Bereitschaften und Dispositionen als Begründung für gesellschaftliche Zustände herangezogen werden. Auch wenn Chodorow zwischen Individuum und Gesellschaft eine zirkuläre Wechselwirkung beschreibt, führt das Herausgreifen eines Faktors zur Vernachlässigung des Systemzusammenhangs. Dies hat Chodorow (1989) teilweise revidiert dahingehend, dass die Psychologie gleichzeitig konstitutiv und determiniert ist. Sie vertritt jedoch weiterhin – und dies ist ja auch Thema der vorliegenden Arbeit –, dass familiale Erfahrungen eine eigene Bedeutung haben, die nicht in der gesellschaftlichen und kulturellen Prägung aufgeht (vgl. Liebsch 1994, 89). Ein weiterer Kritikpunkt ist Chodorows mangelnde Definition dessen, was sie unter Mütterlichkeit versteht und die fehlende Differenzierung historischer, kultureller und individueller Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität und auf Organisationsformen der Kinderbetreuung. Statt Mütterlichkeit mit Weiblichkeit auch theoretisch gleichzusetzen, müsste vielmehr gefragt werden, unter welchen Bedingungen es dazu kommt, dass beides gleichgesetzt wird. Dass das Muttern zentrales Moment weiblicher Geschlechtsidentität darstellt, muss hinterfragt werden auch angesichts der Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit parallel zur „Kontinuität des Mutterns“. Die Kontinuität ist keine ungebrochene, die gesellschaftliche Situation verweist vielmehr auf ein differenziertes Verhältnis von Kontinuität und Wandel. Von daher müsste auch die Frage nach Veränderungsmöglichkeiten stärker gestellt werden, auch da die männliche Fähigkeit zu „muttern“ bei Chodorow zwar als Utopie erscheint, aber theoretisch nicht hergeleitet wird. Darüber hinaus weist auch Bosse (1994, 301) anhand der Ergebnisse seiner Langzeitstudie zum Zusammenhang von Männlichkeit und Macht bei Adoleszenten in Papua Neuguinea darauf hin, dass „eine ,mutternde´ Kultur [...] nicht zwangsläufig männliche oder weibliche Bereitschaft zu Annahme und Übernahme männlicher Herrschaft“ erzeugt. Vielmehr gilt es, die spezifischen kulturellen Konstruktionen des (frühen) Mutterns ebenso zu berücksichtigen wie deren weitere, ebenfalls kulturell fundierte Bearbeitung in der Entwicklung des Kindes und jungen Erwachsenen. Für eine soziologische Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung bietet der Blick auf die familialen Identifikationsprozesse einen Zugang zu den bisher undeutlich bleibenden Bereichen biographischer Prägung und Weitergabe. Dabei kann zum ersten Mal auch die Arbeitsteilung als elterliche in ihrer Verbindung mit den dabei ablaufenden Bindungs- und Autonomiekonstruktionen zwischen den Eltern und gegenüber dem Kind wahrgenommen und untersucht werden. Lebensgeschichtlich entstandene (auch geschlechtsspezifische) Abwehr- und Ausschlussprozesse können so besser und differenzierter verstanden werden und müssen nicht soziologisch als rationale Konstruktionen definiert werden.
2.3 Psychoanalytische Ansätze zur Arbeitsteilung
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Jedoch ist der Bezug auf psychoanalytische Theorien zur Genese von Geschlechtsidentitäten, für die Chodorow hier als ein bedeutendes Beispiel vorgestellt wurde, neben ihrem Erkenntnisgewinn für die vorliegende Arbeit – über die Kritik von Liebsch und anderen hinausgehend – nicht unproblematisch. Zum einen ist der Ansatz von Chodorow zwar an der Objektbeziehungstheorie orientiert, vernachlässigt aber die Beziehungsprozesse zwischen den Eltern und damit die Familie als Beziehungssystem. Trotz seiner kritischen Absicht wiederholt dieser Ansatz mit seiner Annahme der mütterlichen Mutter und eines abwesenden Vaters die gesellschaftlichen Polarisierungen, ohne sie als Teil triadischer Verhältnisse in der Familie zu begreifen. Dies wurde in ähnlicher Weise auch von Rohde-Dachser (1991, 263f) in einer hermeneutischen Rekonstruktion als in den Ansätzen von Chodorow Ausgeblendetes herausgearbeitet, wie auch von King (2002) in Bezug auf die psychoanalytischen Adoleszenztheorien kritisiert, die „eine historisch vorfindliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern normativ aufladen, indem der traditionell nur randständig an der alltäglichen Fürsorge beteiligte Vater zugleich zum Ritter, Retter und Befreier stilisiert wird“ (King 2002, 142), weil er als Gegenpol der Mutter und als Repräsentant von Autonomie und der Fähigkeit zur Individuierung verstanden bzw. bei Chodorow allein durch seine An- oder Abwesenheit zum Entscheidungsfaktor wird. Hier bietet sich der Bezug auf Triangulierungstheorien als objektbeziehungstheoretische Weiterentwicklung an, die Familie von Anfang an als Triade und in Bezug auf ihre Trianguliertheit fassen und daher eine prinzipielle theoretische Offenheit für konventionelle wie auch neuere familiäre Beziehungs- und Arbeitsteilungsformen beinhalten. Hierfür plädiert auch King, die den Begriff der „Elternschaftskonstellation“ (King 2002, 140) vorschlägt, der beinhaltet, dass beide Geschlechter für Fürsorge und Abgrenzung stehen, die sie in unterschiedlichen möglichen Konstellationen miteinander aushandeln und balancieren müssen. Für die vorliegende Arbeit ist auch der Hinweis von von Klitzing bedeutsam, dass „rigide Geschlechtsstereotypisierungen seitens der Eltern [...] eher dazu [dienen], trianguläre Beziehungskonflikte zu vermeiden“ (von Klitzing 1998, 107). Vor dem gesellschaftlichen Hintergrund sind diese Balancevorstellungen auf theoretischer und als Notwendigkeiten auf lebensgeschichtlicher und alltagspraktischer Ebene als etwas relativ Neues anzusehen. So stellt sich soziologisch die Frage nach Aushandlungsprozessen des Paares erst dann und nur in dem Maße, wie nicht nur Frauen neben der Fürsorge für die Familie beruflich tätig sind, sondern auch Männer stärker Aufgaben familiärer Fürsorge übernehmen (vgl. Kap.2). Eine innere und triadische Balancenotwendigkeit tritt dann erst aufgrund der äußeren Veränderungen und Möglichkeiten in Kraft, wohingegen in traditionellen Arbeitsteilungsformen diese Balance sozial und psychisch vorzeitig einseitig aufgelöst und als auch elterliche Entwicklungsaufgabe ausgeblendet ist.
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Im Kontext der Arbeitsteilung stellt sich daher erst vor dem Hintergrund des Wandels die Frage, wie mit den Spannungen zwischen dyadischen und triadischen Interaktionsformen und zwischen Autonomie und Bindung umgegangen wird oder ob diese einseitig aufgelöst werden müssen. Für eine empirische Untersuchung der Arbeitsteilung ist eine Bezugnahme auf die frühkindliche Genese der Geschlechtsidentität als Begründungszusammenhang für die elterliche Arbeitsteilung aus weiteren Gründen problematisch. Zum einen vernachlässigt dieses Hervorheben der präödipalen Phase eine Perspektive lebenslanger Entwicklung, bei der sowohl der Adoleszenz eine neukonstituierende Bedeutung zukommt (vgl. King 2006) als auch vor allem im Kontext der elterlichen Arbeitsteilung das Moment des Elternwerdens als erneute Entwicklungschance zentral ist. Denn dort werden innere Bedingungen der Einzelnen aktualisiert und das Paar wird zur Triade erweitert, was mit neuen Notwendigkeiten der Balance und Aushandlung verbunden ist und im Kontext der äußeren Bedingungen in eine Praxis umgesetzt werden muss. Zudem stellen sich für eine soziologische Fallrekonstruktion Fragen des Erkenntnisinteresses und der methodischen Zugänglichkeit, die eine Untersuchung der kindlichen Genese der Geschlechtsidentitäten der Eltern nicht nahelegen. Für die Untersuchung der bewussten und unbewussten Alltags- und Beziehungskonstruktionen in einer Familie sind die kindlichen Entwicklungsprozesse zwar ein Hintergrund, der in die triadischen Konstrukte einfließt. Für eine soziologische Rekonstruktion ist jedoch vor allem eine Untersuchung von Interesse, die von der aktuellen Gestalt mit ihren bewussten und unbewussten Themen und Dynamiken der Familie ausgeht, wobei die Frage nach deren psychischer Genese in der Kindheit in den Hintergrund tritt. Eine genauere Untersuchung der Psychogenese im Sinne der Geschlechtsidentitäten würde zu weit führen und den Blick auf die Konstruktionsprozesse des Paares verstellen. Auch wenn z.B. Liebsch (1997) in Hinblick auf das doing gender die Perspektive auf die Geschlechtsidentität hin zur alltäglichen Praxis erweitert, so bleibt doch die Perspektive auf das Paar auch von ihr unberücksichtigt. Eltern handeln und verhalten sich jedoch nicht nur als Mann oder Frau, sondern dies steht auch im Kontext ihrer Beziehungskonstellation. Es wurde auch bei der Arbeit von Klees deutlich, dass sich einfache kausale Verbindungen zwischen bestimmten frühkindlichen bzw. kindlichen Konstellationen und der gewählten bzw. gewünschten Praxis in einer Familie nicht herstellen lassen, es leicht zu Pathologisierungen kommen kann und die Perspektive auf Gesellschaft aus dem Blick gerät. Auch die von Klees gewählten (soziologischen) Untersuchungs- und Rekonstruktionsmethoden erscheinen für die weitreichenden Aussagen zur psychischen Situation der Befragten nicht angemessen.
2.4 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen
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Die Frage nach der individuellen Psychogenese hat daher eher in Hinblick auf die inneren Ressourcen der Eltern Bedeutung, im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen an innerpsychische Kompetenzen für Väter/Männer und Mütter/Frauen und mit Blick auf die inner- und interpsychische Verhandlung in der Familie in Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Deutungsvorgaben. 2.4 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen Theorien, die die in einer Familie ablaufenden unbewussten Beziehungsprozesse triadisch erfassen, ermöglichen einen Blick auf Verflechtungen und Wechselwirkungen von Eltern-Kind-Beziehungen und der Paarbeziehung der Eltern. Für die Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung sind sie von daher ein besonderer Gewinn, weil sie es ermöglichen, die Beziehungskonstellation des Paares mit den jeweiligen Beziehungen zu dem gemeinsamen Kind in Verbindung zu setzen. Die unterschiedlichen Konstruktionen der Beziehung zwischen Mutter und Kind und Vater und Kind sind dabei auch Ausdruck der psychischen Arbeitsteilung des Paares, bei der im Sinne verinnerlichter Beziehungsbilder den Einzelnen unterschiedliche Positionen im familialen Beziehungsgefüge zugewiesen werden. Die Rekonstruktion, in welcher Weise diese unbewusste triadische Familienkonstellation mit der alltagspraktischen Arbeitsteilung im Kontext von Beruf und Familienarbeit in Verbindung steht, ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei ist weniger der Blick auf die Triangulierung als psychischer Entwicklungsprozess des Kindes von Interesse, sondern der Blick auf die primär durch die Eltern etablierte triadische Struktur steht im Vordergrund, deren Dynamik durch die Trianguliertheit der Eltern als Ausdruck ihrer verinnerlichten Erfahrungen und Familienbilder bestimmt wird. Triangulierungstheorien sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die theoretische Reduktion auf die Mutter-Kind-Beziehung überschreiten, indem sie nach der bereits präödipalen Bedeutung des Vaters als dem Dritten fragen. Wie früh jedoch die frühe Triangulierung angesetzt wird, differiert, und es bestehen zugleich auch unterschiedliche Konzeptionen dessen, was als Vater verstanden wird. Letzteres liegt in der Aufschlüsselung der Vaterrepräsentanz begründet, die sich „aus Anteilen des Trieblebens des Kindes, aus Erfahrungen mit dem realen Vater, aus Phantasien von beidem und schließlich aus Erfahrungen mit Vatersymbolen persönlicher oder institutioneller Art“ (Bürgin 1998, 194) zusammensetzt. Dementsprechend wird in Triangulierungstheorien nicht immer der reale Vater als für sein Kind alltäglich emotional präsenter oder nicht präsenter berücksichtigt, sondern es sind auch Vaterphantasien und der symbolisch vermittelte Vater gemeint.
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Die Fragen, was unter früher Triangulierung verstanden wird und wie dabei der Vater definiert wird, hängen miteinander zusammen. Hier spiegelt sich meines Erachtens auch ein Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Hintergründen wider. Je stärker die dominante traditionelle Alleinzuständigkeit der Mutter für die primäre Fürsorge gegenüber dem Kind reflektiert werden kann, desto eher kann auch dem Vater als real An- oder Abwesendem eine Bedeutung zugemessen werden und desto früher kann diese Bedeutung für das Kind angenommen werden.27 Buchholz (1993) thematisiert die Ambivalenz psychoanalytischer Autoren in dieser Frage und zitiert Bauriedl (1988), die darauf hinweist, dass der Ausschluss des Vaters in der Theoriebildung auch als eine Analogie zur Störung von Triaden im Sinne des Ausschlusses des Dritten gedeutet werden kann. Schon (1995) vermutet für die z.T. fortbestehende „Zweidimensionalität“ psychoanalytischer Theorien im Sinne der Tendenz zur Reduktion auf die Mutter-KindBeziehung Ursachen „sozialpsychologischer Natur“ (ebd., 15) im Kontext der Geschichte psychischer und physischer Abwesenheit von Vätern und sieht zudem eine konservative Familienideologie (vgl. ebd., 24) am Werk.28 Die elterliche
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Ein Blick in die Literatur zeigt in Triangulierungstheorien unterschiedliche Definitionen der Bedeutung des (präödipalen) Vaters und eine mehr oder minder starke Reflexion der dahinterstehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und somit auch unterschiedliche Fassungen des Verhältnisses von äußeren Familienstrukturen und innerer Triangulierung (vgl. Schon 1995, auch im Folgenden). So entdeckt Abelin (1971) in seiner Grundlegung des Konzepts der frühen Triangulierung einerseits die Bedeutung der präödipalen Vater-Kind-Beziehung und macht die für die Frage der Arbeitsteilung bedeutsame Entdeckung, dass die Qualität der Bindung zwischen Vater und Kind, deren Beginn und Intensität, mit der Quantitiät von Interaktionen zwischen Vater und Kind in Bezug steht (vgl. auch Schon 1995, 49). Andererseits erscheint für Abelin der Vater in Bezug auf das Kind immer noch vorwiegend als symbolischer Vertreter der Außenwelt und tritt in einer späteren Fassung seiner Theorie als Bindungspartner gegenüber der Mutter wieder in den Hintergrund (vgl. Abelin 1986) – eine Widersprüchlichkeit, die, wie auch Schon in Hinblick auf die Bedeutung des Vaters herausstellt (Schon 1995, 55f), selbst traditionellen Familien nicht gerecht wird. Auch bei jüngeren Ansätzen, die Schon zitiert, findet der Vater als realer Interaktionspartner nicht durchgängig Berücksichtigung. So thematisiert Lazar (1988) das Dritte vorwiegend als symbolisches Objekt, das in der Beziehung zwischen Mutter und Kind phantasmatisch verankert ist. Stork (1983/1986) hebt die frühe Wahrnehmung der Andersartigkeit des Vaters hervor und auch Buchholz (1990, 1991 und 1993) versteht die Position des Vaters als Dritten zunächst als symbolische. die Dyade von Mutter und Kind haltende, wohingegen der Vater als Interaktionspartner erst später Bedeutung gewinnt. Die Position des Vaters bleibt jedoch in der bisherigen Forschung aufgrund der psychoanalytischen Tradition der Betrachtung der Mutter-Kind-Dyade, insbesondere auch in der Bindungsund Objektbeziehungstheorie, im Gegensatz zu der der Mutter theoretisch weniger klar definiert (Dammasch 2000). Seine (An-) Teilnahme an der Schwangerschaft und in der ersten Zeit mit dem Kind scheint, da ihm die körperliche Basis fehlt (abgesehen von seinem Beitrag zur Zeugung), nur eine vermittelte sein zu können (Kallenbach 1996, Bonorden 1989). Während die Phantasien der werdenden Mutter, das von ihr „phantasierte Kind“ und das durch ihre eigene kindliche Entwicklung geprägte „phantasmatische Kind“ (vgl. z. B. Schleske 1998, 2007),
2.4 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen
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Arbeitsteilung stellt somit einen bedeutenden Hintergrund für die Konzeption familialer Triangulierung dar, auch wenn die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse hinsichtlich Macht, Arbeitsteilung und Teilhabemöglichkeiten in den Theorien selbst nicht explizit reflektiert werden. Dies gilt auch weitgehend für die Autoren, die sich, wie z.B. Buchholz, Bauriedl und Schon, engagiert um den Einbezug des theoretisch vernachlässigten präödipalen Vaters bemühen. Auch aus diesem Grunde stellt die explizite Berücksichtigung der Verbindung von Arbeitsteilung und familialer Triangulierung eine wichtige Erweiterung dar. Andererseits sind die traditionalen Arbeitsteilungsstrukturen auch heute noch relativ intakt, so dass die klassischen Theorien auch ein Stück Realität erfassen, wenn man sie als Aussagen über die Entwicklung bei weitgehender physischer Abwesenheit des Vaters im alltäglichen Geschehen liest. Aktuelle Arbeiten zur Triangulierung, wie von Schon (1995), von Klitzing (1998) und anderen, ermöglichen jedoch einen offeneren Blick, der konventionelle wie auch nicht-konventionelle triadische Familienformen theoretisch erfassen kann. Dabei kann auch zunehmend das Verhältnis zwischen Mutter und Vater in seiner Bedeutung für die familiale Beziehungskonstellation und gegenüber dem Kind wahrgenommen werden, verbunden mit den unbewussten Einigungen, Balanceakten und Konflikten zwischen den Eltern, die dabei stattfinden. Dies geht über die Untersuchung von Familienkonflikten (Richter 1970) und Abwehrkonstellationen (Mentzos 1976) hinaus, wobei diese früheren Ansätze durchaus in triadische Perspektiven wie die familientherapeutische Sicht von Buchholz (1993) eingebunden werden können.
2.4.1 Triangulierungsthemen und -konflikte von Eltern Unabhängig davon, ob man die Dyade des Paares als primäre Struktur setzt (vgl. Allert 1998) oder bereits in der Dyade deren triadische Prägung betont, wie z.B. im Sinne eines triadischen Hintergrundes der Partnerwahl (Schon 1995, 16), besteht Einigkeit darüber, dass der Übergang von der Paarbeziehung zur Familie als Entstehung einer neuen Triade eine besondere Qualität hat. Schon (1995, 15f) hebt die Bedeutung von Triangulierungserfahrungen für das Elternwerden und die Übernahme der Elternposition in der Familie hervor. Denn es treffen für die Eltern „drei Dreiecke aufeinander: die inneren Beziehungsdreiecke, die die Eltern aus ihren jeweiligen Herkunftsfamilien mitbringen, und das neu entstehende Dreieck, das sich als äußere familiäre Beziehungskonstellation und als innere psychische Struktur des Kindes allmählich herausbilden intensiv untersucht sind, wie auch die Auswirkungen ihrer Persönlichkeit auf die Interaktion mit dem realen Kind, gilt dies noch nicht in dem Maße für die väterliche Position.
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wird. Alle drei Dreiecke beeinflussen einander. Dem Kind stellt sich Triangulierung erst mal als Entwicklungsaufgabe, doch auch die Eltern sind aufgefordert, sich mit Mutter- und Vaterimagines sowie dem eigenen Selbstbild als Sohn oder Tochter, Mann oder Frau, Vater oder Mutter auseinanderzusetzen.“ Alle Eltern sind dabei mehr oder minder von Triangulierungskonflikten betroffen, die sich sowohl aus der Situation des Übergangs als auch aus der generellen Dynamik von Triaden mit ihrem charakteristischen Spannungsverhältnis zwischen Zweier- und Dreierbeziehung (vgl. Allert 1998, 244ff) mit den Möglichkeiten von Ein- und Ausschluss ergeben. Hinzu kommt, dass sich die innere Struktur des Kindes erst entwickelt und die Familie durch diese Entwicklung stets mit neuen Anforderungen und Triangulierungsthemen konfrontiert ist. Schon (1995, 120) unterscheidet zwischen adäquaten und inadäquaten Triangulierungskonflikten der Eltern. Adäquate Triangulierungskonflikte der Eltern sind solche, die durch die Entwicklung des Kindes thematisch und angestoßen werden, während inadäquate Konflikte durch die Eltern in das familiale System eingebracht werden, wenn sie in ihrer eigenen (früh-)kindlichen Triangulierung gravierende Defizite aufweisen.29 Das Elternwerden als Entstehung einer neuen familiären Triade und auch die Entwicklung des Kindes bieten starke Anreize, sich mit der eigenen Lebensgeschichte und dabei vor allem dem eigenen Gewordensein in der Triade der Herkunftsfamilie und den eigenen als gut und schlecht erlebten Anteilen so wie denen der Eltern auseinanderzusetzen. Im positiven Sinne ermöglicht das Elternwerden also eine Chance zu weiterer Persönlichkeitsentwicklung, worauf auch Mertens (1996, 179) hinweist. Auf die Bedeutung der Trianguliertheit der Eltern für die familiale Triade wurde bereits von Ermann (1985) hingewiesen (vgl. Schon 1995, 164 ff), der betont, dass diese die Fähigkeit erworben haben müssen, Loyalitätskonflikte ebenso wie Neid und Ausschlusserfahrungen aushalten und bearbeiten zu können. Auch die grundlegende Definition von Rohde-Dachser (1987) beinhaltet, dass eine gelungene Triangulierung in der Fähigkeit zu Toleranz gegenüber der Beziehung der anderen beiden zueinander zum Ausdruck kommt. Zudem sollten sowohl Beziehungsaufnahme als auch Abgrenzung möglich und die Dreiecksbeziehungen überwiegend positiv getönt und mental repräsentiert sein. Diese triadische Fähigkeit, das Kind als Drittes in die eigene Beziehungswelt zu integrieren, ohne sich selbst oder den Partner von der Beziehung zum Kind auszuschließen, wurzelt nach von Klitzing (2002, 792ff) nicht nur in den Beziehungserfahrungen der Kindheit der Eltern, sondern auch in der aktuellen elterlichen Partnerschaft. Deren Qualität bemisst sich daran, inwieweit sie durch 29
Schon (ebd.) relativiert dies jedoch zugleich dahingehend, dass in der Praxis zumeist eine Mischung aus beiden Arten von Triangulierungskonflikten besteht und auch gesellschaftliche Normalität nicht mit psychischer Gesundheit übereinstimmen muss.
2.4 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen
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Flexibilität und Ambivalenztoleranz oder durch Aufspaltungen, Projektionen und Wahrnehmungsverzerrungen gekennzeichnet ist. Dies kommt auch in der unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeit zum kognitiven, dynamischen und affektiven Austausch zum Ausdruck. Auch die Flexibilität der inneren Bilder vom Kind und von der entstehenden Familie sind Maßstab der triadischen Fähigkeit, wobei die Entwicklungsautonomie des Kindes ebenso wie dessen Gewordensein als Kind zweier Eltern akzeptiert wird. Im Hintergrund stehen die elterlichen Repräsentanzen als in der Kindheit fundierte Bilder der Beziehung zu den Elternteilen und der Beziehung der Eltern zueinander. Für die Frage der Weitergabe und Inszenierung ist jedoch nicht nur die Qualität der Kindheitserfahrungen, sondern wesentlich die Möglichkeit zu deren Bearbeitung entscheidend. Schleske (1998, 77) verweist in diesem Kontext auf Erkenntnisse von Fraiberg (1975), nach denen der Grad der Verdrängung von Affekten aus eigenen problematischen Kindheitserfahrungen entscheidend für deren Wiederholung oder die Möglichkeit zu Neuem ist. Im negativen Fall können schon während der Schwangerschaft Konflikte aus allen Phasen der Entwicklung manifest und in der neuentstehenden/entstandenen Triade agiert werden. Die triadische Struktur und die Entwicklung der Einzelnen in ihr sind also von den psychischen Ressourcen der Eltern abhängig und davon, dass deren innere Themen auch bearbeitbar sind und sich nicht als Reinszenierung von Konflikten in den Vordergrund drängen. Das Elternwerden konfrontiert ein Paar mit einem konkreten Dritten, der die bisherige, vorwiegend dyadische Struktur der Paarbeziehung in Frage stellt. Während zwar bisher auch Drittes in der Beziehung bestand, wie z.B. gemeinsame Freunde und Interessen, so bedeutet das Kind doch einen qualitativen Unterschied durch seine hohe Bedeutung und permanente Anwesenheit. Es kann nicht ohne Weiteres wieder ausgeschlossen werden. Das Kind zieht eine besondere libidinöse Besetzung auf sich, wodurch die Besetzung der Zweierbeziehung nicht mehr allein im Vordergrund stehen kann. Dies wird durch die hohen Anforderungen, die das Kind vor allem in der ersten Zeit an seine Eltern stellt, verstärkt, was dahin führen kann, dass die Liebesbeziehung vorübergehend den leidenschaftslosen Charakter einer „Versorgungsgemeinschaft“ (Schon 1995, 107) einnimmt. Zentral für alle Paare ist jedoch, dass in Bezug auf die emotionale und praktische Versorgung nun das Kind im Mittelpunkt steht und beide Eltern weniger psychische und tatkräftige Ressourcen füreinander übrig haben. Die bisher in der Paarbeziehung befriedigten Bedürfnisse können als Ansprüche an den Partner nun zu neuen Überforderungssituationen führen (vgl. Schon 1995, 108).30 30
Hier lässt sich die von Erikson (1973) definierte Entwicklungsaufgabe Generativität vs. Pseudointimität des Paares triadisch verorten. Die gegen Selbstabsorbtion und Stagnation abgegrenzte Generativität beinhaltet in Bezug auf eigene Kinder vor allem die Fähigkeit, diesen ge-
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Die Entstehung der neuen Triade, in der Mann und Frau nun selbst die Elternposition einnehmen, wirkt als ein krisenhafter Umbruchprozess und beinhaltet neben und während der Aktivierung der verinnerlichen Triaden auch regressive Prozesse mit einer erhöhten Sensibilität.31 Die Unwiderrufbarkeit des Positionswechsels und das hohe emotionale Engagement verstärken die Reaktualisierung von Gefühlen und Besorgnissen, die um Kontrolle, Autonomie, Intimität, Sexualität und Aggression kreisen (vgl. Bürgin 1998, 182). Dies um so mehr, als Eltern in der Situation mit einem Neugeborenen, „wie stets in Situationen mit unvollständiger Information, ihren Erfahrungs- und Erlebnishorizont als Medium der Verarbeitung dessen, was das Neugeborene äußert, ein[setzen]. Es kommt daher von Seiten der Erwachsenen sowohl durch die ungewöhnlichen Anforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, als auch durch die Unvollständigkeit der Informationen zu einem intensiven Übertragungsgeschehen“ (Schülein 1990, 121f). Anpassung und Wachstumsvorgänge beim Übergang zur Elternschaft können unter dem Aspekt des anhaltenden Ausbalancierens und Aushandelns der Positionen im Spannungsfeld zwischen Getrenntheit und Bezogenheit gesehen werden. Typische Triangulierungskonflikte der frühen Phase der Elternschaft, die neben einer flexiblen Bearbeitung auch bedrohliche Anteile enthalten können, kreisen daher um die An- und Abwesenheit des Dritten und die Intensität der Bindung zwischen zweien. Inadäquate Konflikte kommen im dauerhaften Ausschluss des Dritten, sei es ein Partner oder das Kind, zum Ausdruck und gehen mit einer geschlossenen Symbiose zwischen zweien einher (vgl. Schon 1995, 117). Die Wiederherstellung einer intra- und interpsychischen Balance ist eine Aufgabe bereits für die werdenden Eltern (Bürgin 1998, 183). Auch in der Beziehung zum Kind sind Einigungsprozesse notwendig, gemeinsam entsteht ein spezifisches Interaktionssystem auf Basis einer bewussten und unbewussten Einigung zwischen Eltern und Kind.32
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genüber Verantwortung übernehmen zu können und in Fürsorge und einem Interesse an deren Entwicklung die eigenen (egoistischen) Interessen und Bedürfnisse auch zurückstellen zu können. Das Paar muss seine Dezentrierung und die Einzelnen müssen ihren partiellen Ausschluss verkraften, und dies beinhaltet, die Intimität und wechselseitige Fürsorge des Paares zu öffnen und das Dritte (zunächst zentral) daran teilhaben zu lassen. Zugleich stellt sich auch die Frage des Raumes, der werdenden Vätern und Müttern jeweils für regressive Prozesse zugestanden wird, auch im Sinne eines Moratoriums für diesen Entwicklungsschritt. Dieser spielt eine wichtige Rolle für die Möglichkeit der einfühlenden Beziehungsaufnahme zum Kind. Vgl. hierzu Böhnisch (1997), Petzold (1994), Nickel (1987, 1993), Kübber (1987), Kühler (1989), Schon (1995), Roeder (1997), auch Forschungen zu Couvade, wie Bleibtreu-Ehrenberg (1994), die auch den Gebärneid des Mannes thematisieren, hierzu auch Bräutigam (1976), Benz (1984). Auch im Sinne der Einigung auf bestimmte Interaktionsformen nach Lorenzer (1972) (vgl. Schülein 1990, 122). „Über viele Einzelsituationen [...] entwickelt sich also Struktur“ (ebd., 156).
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Die regressiven Prozesse sind von einer auch bewussten Auseinandersetzung begleitet, die an bereits in der Adoleszenz erfolgte Individuationsprozesse anknüpft. Die erneute Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern kreist angesichts des eigenen Kindes und der Identifikation mit ihm vor allem um Entbehrungen und unerfüllt gebliebene Wünsche der eigenen Kindheit, die jetzt erneut betrauert werden müssen und können. Projektionen auf das Kind und Identifikationen mit den Eltern müssen relativiert werden. „An die Stelle von Vater und Mutter muss jetzt die eigene Väterlichkeit bzw. Mütterlichkeit treten, die Fähigkeit, sein Kind und auch sich selbst zu bevatern bzw. zu bemuttern.“ (Schon 1995, 112; vgl auch Mertens 1996, 179ff).33 Für die Möglichkeit einer engagierten und alltäglich teilhabenden Väterlichkeit ist in der ersten Zeit vor allem auch entscheidend, ob Gefühle von Neid und Eifersucht und der narzisstischen Kränkung aufgrund der zwischen Vater und Kind weniger starken körperlichen Begründung der Beziehung vom Vater bearbeitet werden können (Schon 2000, Böhnisch 1997). Eine im Kontext der Arbeitsteilung bedeutsame Abwehr wäre demgegenüber die Sichtweise, dass Frauen von Natur aus die besseren Versorger von Kleinkindern seien, mit dem daraus folgenden Rückzug des Vaters aus der triadischen Beziehung (Schon 2000, 38) Die Fähigkeit und die psychosozialen Freiräume für einen Trauer- und Bearbeitungsprozess (vgl. Bosse 2000) entscheiden an dieser Stelle darüber, ob alte Beziehungsmuster der Herkunftsfamilien wiederhergestellt werden oder es zu einer weiteren Individuierung kommt. Schülein weist hier darauf hin, dass mit zunehmender Modernisierung und der Auflösung starrer Familienstrukturen auch die Ansprüche an eine stärkere Differenzierung, Intensität und Reziprozität der ElternKind-Beziehung entstanden sind, und konstatiert: „Je komplexer die Verhältnisse 33
Als eine weitere Untersuchungsperspektive besteht die Frage nach Identitätsveränderungen angesichts des Übergangs zur Elternschaft (Gauda 1990). Zur Entwicklung der Elternidentität, die einen neuen Baustein der bereits ausgeprägten Identität als Mann oder Frau darstellt, ist die Identifikation mit den eigenen Eltern und der Elternposition, die bereits in der Kindheit begonnen hat und in der Adoleszenz modifiziert wurde, notwendig. Es geht auch beim Elternwerden um Identifikation mit und Abgrenzung von insbesondere dem gleichgeschlechtlichen Elternteil (Pines 1997). Auch die reale Beziehung zu den eigenen Eltern erfährt hierbei oft eine Neudefinition. Zugleich sind die in der weiteren kindlichen und adoleszenten Entwicklung möglich gewordenen Identifikationen mit anderen Vorbildern thematisch; es spielen so auch gesellschaftliche Modelle und Bilder von Elternschaft eine Rolle (s. o.). Im Sinne der Entscheidung geht es auch um die Struktur der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau, die sich gemeinsam einigen müssen, in der differierende Selbstbilder, Wunschbilder und Lebensentwürfe aufeinandertreffen (z. B. Beck-Gernsheim 1992). Diese müssen in einem Konflikt ausgehandelt bzw., um die Beziehung nicht in Frage zu stellen, verschwiegen werden (Huwiler 1996), oder sie werden durch verschiedene „Strategien“ bearbeitet (vgl. Huinik 2000). Das Elternwerden kann aus dieser Perspektive auch als Krise der Paarbeziehung betrachtet werden (Bullinger 1986), was mit der entwicklungspsychologisch erforschten Verschlechterung der Paarbeziehung nach der Geburt eines Kindes in Einklang steht (z. B. Reichle/Werneck 1999).
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sind, desto bedeutsamer für die Entwicklung von Eltern-Kind-Beziehungen sind die impliziten und expliziten Entwürfe, die Eltern einbringen (und die sie in der Auseinandersetzung mit Umweltvorgaben, Selbst-Repräsentanzen und -kompetenzen sowie Vorstellungen von Kindern und Beziehungen mit ihnen entwickeln).“ (Schülein 1990, 123) Nach der Phase des Umbruchs, die sich vor allem auf die erste Zeit gemeinsam mit dem Kind bezieht, stabilisieren sich die psychischen Strukturen wieder, die triadische Struktur der neuentstandenen Familie festigt sich auf Basis der möglich gewordenen Bearbeitungsprozesse bzw. der fortbestehenden inneren Repräsentanzen der Eltern.34 Damit verbunden hat sich auch eine äußere Struktur etabliert mit klareren Einstellungen und Handlungsstrategien und einer eindeutigeren Außendarstellung als Familie. Jedoch bietet auch und vor allem die Entwicklung des Kindes weitere Anreize und Notwendigkeiten der Auseinandersetzung mit der Triade und deren Weiterentwicklung. Insofern entwickelt sich nicht nur das Kind in der Triade, sondern diese selbst entwickelt sich. Spätere adäquate Triangulierungskonflikte der Eltern stammen aus deren eigener kindlicher Phase der Wiederannäherung und kreisen dann um Nähe und Distanz. Als inadäquate können solche Konflikte dazu führen, dass intensive Bindungen an den Partner und/oder das Kind aus Angst vor Autonomieverlust vermieden werden. Dies geht mit einer unflexiblen triadischen Struktur einher, bei der Nähe zum einen als Verrat am anderen erlebt wird (vgl Schon 1995, 118). Aus der ödipalen Phase rühren Konflikte, bei denen zum anderen noch Sexualisierungen eine Rolle spielen. Während generell die Anerkennung von Geschlechter- und Generationengrenzen neu bearbeitet werden muss, können pathologisch zugespitzte Konflikte dazu führen, dass der Dritte dauerhaft und einseitig als sexueller Rivale oder als Partner phantasiert wird und die Themen Ausschluss und Bindung in diesem Sinne als bedrohlich erlebt werden. In der Untersuchung zur Entstehung der Eltern-Kind-Beziehung von Bürgin, von Klitzing und anderen (vgl. von Klitzing 1998, 2000) wurde der Zusammenhang von lebensgeschichtlichen triadischen Erfahrungen in den Herkunftsfamilien von Vätern und Müttern und der Interaktion zu dritt mit dem gemeinsamen Kind erforscht. In den mit werdenden Eltern und später in Anwesenheit des Kindes geführten Interviews wurden verschiedene interpersonale und intrapsychische Parameter erhoben: Persönlichkeit und Partnerschaft der Eltern, deren Kindheitserfahrungen, ihre Vorstellungen und Phantasien über das Kind und später die Wahrnehmung des Kindes, der Dialog zwischen den Eltern und der Austausch zu dritt mit dem Kind (vgl. 1998, 105). Dabei wurden zwischen der (triadischen) 34
Vergleiche hierzu ausführlich z.B. Schülein (1990, 157 ff).
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Innenwelt der Eltern und der Eltern-Kind-Beziehung viele Zusammenhänge gefunden. Bereits das Erleben der Geburt wurde durch die vorgeburtlich erfassten Beziehungscharakteristika der Eltern beeinflusst ebenso wie funktionelle Symptome beim Kind und die Einschätzung des Kindes durch die Mutter. Vor allem aber die Dreierinteraktion wurde durch die innere triadische Szene der Eltern bestimmt und auch die Triangulierung des Kindes (vgl. ebd. 113). Das von von Klitzing vorgestellte Fallbeispiel eines (werdenden) Elternpaares bebildert dies. Es zeigt, wie Eltern trotz starrer Geschlechteraufteilungen zur Vermeidung triangulärer Beziehungskonflikte in ihren Herkunftsfamilien zu einer Integrations- und Entwicklungsleistung mit dem Elternwerden in der Lage sein können und eine überwiegend gelingende Triade mit dem Kind herstellen. Anhand der von von Klitzing vorgestellten Interpretation kann man an diesem Fall zudem erkennen, dass die triadische Interaktionspraxis des Paares mit dem Kind immer auch eine Kompromissbildung darstellt zwischen den problematischen Herkunftsgeschichten und dem Wunsch, zu dritt zu sein. In Bezug auf diese Kompromissbildungen ist auch der von von Klitzing nur implizit angedeutete Bezug auf die Arbeitsteilung interessant. So wird betont, dass beide Eltern vor der Schwangerschaft beruflich erfolgreich waren, die Mutter jedoch bereits während der Schwangerschaft ihren Beruf aufgegeben hatte, um sich ganz dem Kind zu widmen, und die Eltern diese klassische Arbeitsteilung später auch umsetzten. Während die werdende Mutter ausdrückt: „Ich möchte es nicht genauso haben in meiner Familie wie meine Eltern, vor allem nicht die strenge Rollenaufteilung, hier die passiven Frauen, dort die aktiven Männer“ (ebd., 107), so liegt doch in der bereits in der Schwangerschaft erfolgten Berufsaufgabe – die ja über eine Inanspruchnahme von Elternzeit hinausgeht – genau diese Geschlechteraufteilung auf der praktischen Ebene. Zugleich zeigt sich jedoch in diesem Fallbeispiel, wie beide Eltern gemeinsam versuchen, dem Vater eine Beziehung zum Kind zu ermöglichen, auch wenn dies für sie innerlich nicht selbstverständlich ist. Die Arbeitsteilung erscheint in diesem Fall als Teil der Abwehr und als Schutz vor verschärften triadischen Konflikten, wohingegen innerhalb dieser etablierten Struktur dann eine gelingende Vater-Kind-Beziehung ermöglicht wird, wie auch die Beschreibung der Interaktion zu dritt nach der Geburt des Kindes durch von Klitzing zeigt.35 Weitere Hinweise auf Verknüpfungen von Triangulierung und Arbeitsteilung finden sich im Kontext der von Schon (1995, 108f) beschriebenen Situation der Eltern in der ersten Zeit nach der Geburt ihres ersten Kindes. Die Beschreibung der vorübergehenden Reduktion der Partnerschaft auf eine „Versorgungsgemeinschaft“ (ebd., 107) wird dabei von Bullinger (1986), den Schon zitiert, 35
Zu einem ähnlichen Ergebnis kann man auch angesichts des interessanten Fallbeispiels von Gaertner/Kothe (1988) kommen.
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
noch zugespitzt hin zu einer Entfremdung zwischen Mann und Frau, bei der „weniger das Gemeinsame als vielmehr die Verschiedenheit des Erlebens und das Trennende in den Vordergrund rückt“ (ebd., 55f). Der ebenfalls zitierte Beitrag von Seitz (1990) weist in eine ähnliche Richtung. Sie spricht von einem Zerfall „in Männer und Frauenwelten“, der „wechselseitige Einfühlen und Verständnis erschwert“, was beide Elternteile „durch Solidarität in gleichgeschlechtlichen Gruppen auszugleichen“ versuchen (ebd., 109). Diese Beschreibungen scheinen einerseits unhinterfragt die Situation von Eltern mit einer ganz traditionellen, auch psychischen Arbeitsteilung widerzuspiegeln, bei der der Vater vorwiegend im Berufsleben engagiert ist und die Mutter die Fürsorge für das Kind übernimmt. In einer solchen Situation zerfallen Männer- und Frauenwelten tatsächlich, die alltäglichen Erfahrungen im Beruf und mit Kollegen unterscheiden sich gravierend von denen mit einem Säugling zu Hause und in den zahlreichen Müttertreffs. Der über eine vorübergehende Unterbesetzung der Liebesbeziehung (vgl. Schon 1995, 108) hinausgehende Graben zwischen den Eltern scheint also eng mit der elterlichen Arbeitsteilung verbunden. Es scheint weniger per se die Situation zu dritt mit dem Kind, die das Trennende zwischen den Eltern in dieser zugespitzten Weise hervorbringt, sondern der gesellschaftliche Kontext der Arbeitsteilung greift Triangulierungskonflikte in einer spezifischen Weise auf und begünstigt eine Lösung im Sinne der beschriebenen Weltentrennung, was jedoch zu neuen Konflikten für die Paarbeziehung führt.36 Mertens (1996, 182) liefert weitere Hinweise auf psychische Auswirkungen einer traditionellen Arbeitsteilung. Diese kann man so deuten, dass für Mütter eine finanzielle Abhängigkeit vom Partner eigene ungelöste Abhängigkeits- und Autonomiekonflikte verstärken kann, die, wie beschrieben, ja ohnehin durch die Umbruchsprozesse angesichts des Elternwerdens aktualisiert sind. Bei Männern spricht diese Situation demgegenüber stärker eigene ungelöste ödipale Konflikte an. Auf dadurch verstärkte Neid- und Eifersuchtsgefühle und das Gefühl des Ausgeschlossenseins aus der Beziehung zwischen Mutter und Kind können sie in Einklang mit ihrer Rolle als Familienernährer mit Kontroll- und Machtphantasien gegenüber Frau und Kind reagieren. Mütter wiederum können ihre eigenen Neid und Ausschlussphantasien agieren, indem sie eine eigene Beziehung ihres Partners zum Kind verhindern wollen (Bernstein 1991, vgl. Mertens 1996, 185). Dabei können Wünsche, dass der Vater sich an der Kinderbetreuung beteiligen sollte, und der Wunsch, für das Kind die wichtigste Bezugsperson zu sein, 36
Man könnte demgegenüber zumindest theoretisch auch von Möglichkeiten der Identifikation zwischen den Eltern und der identifikatorischen Teilhabe an der jeweiligen Alltags- und Beziehungspraxis ausgehen bzw. nach deren Bedingungen suchen.
2.4 Triadische Theorien der Familie und familiale Beziehungsstrukturen
55
durchaus gleichzeitig existieren. Im Widerspruch zwischen bewussten und unbewussten Wünschen drückt sich auch die gesellschaftliche Umbruchsituation für Frauen aus. Die für Frauen problematischen, widersprüchlichen und abwertenden gesellschaftlichen Bilder von berufstätigen Frauen und Hausfrauen gleichermaßen spiegeln nach Mertens möglicherweise auch verborgene männliche Konflikte wider. Diese müssen unterhalb ihrer eindeutig scheinender Berufsorientierung die „schmerzlichen Einbussen ihres mitmenschlichen Bezogenseins“ abwehren und können daher auch Frauen kein „sicheres und wertvolles Identitätsgefühl zugestehen“ (ebd.). Triadische Theorien ermöglichen somit einen Blick auf die in einer Familie ablaufenden Beziehungsprozesse und können für die Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung nutzbar gemacht werden. Dabei gilt es einen offenen Blick auf die Verbindung zwischen familialer Beziehungsstruktur und darin verankerter familialer Dynamik mit Organisation des Alltags und der Arbeitsteilung zu werfen, wie er bisher nur in ersten Ansätzen unternommen wurde. Für die vorliegende Untersuchung erschließen die Triangulierungstheorien den Zugang zur unbewussten Familiendynamik, die mit Beziehungs- und Arbeitsteilungsstrukturen in Bezug gesetzt werden soll. Für die leitende Frage nach Kontinuität und Wandel im Kontext der Arbeitsteilung wird anhand der diskutierten Theorien deutlich, dass auch das Verhältnis von Kontinuität und Wandel auf psychischer Ebene komplex ist. So bedeutet die Konstitution einer neuen familialen Triade für die Eltern einen Umbruchprozess, der Neubildungsprozesse nicht nur erfordert, sondern in der gleichzeitigen Reaktualisierung verinnerlichter Beziehungsmuster auch eine erneute Individuation und psychisches Wachstum ermöglichen kann. Dies gilt auch noch, wenn die familiale Struktur sich nach der Umbruchsphase wieder verfestigt und neu etabliert hat, denn dann bietet die Triangulierungsentwicklung des Kindes immer wieder auch für die Eltern und deren geteilte und verinnerlichte Beziehung neue Herausforderungen zur Entwicklung. Für eine egalitäre Elternschaft ist dabei auch die Diskussion um Väterlichkeit und Mütterlichkeit als Prinzipien von empathischer Bindung bzw. Abgrenzung zu beachten (vgl. Schon 2000, 36), wobei es für beide Eltern zu der neuen Anforderung kommt, sowohl Abgrenzung als auch empathische Nähe zu ermöglichen. Dabei ist die psychische Flexibilität der Eltern entscheidend dafür, dass es nicht etwa zu verfestigten Konkurrenzverhältnissen zwischen „zwei Müttern“ oder „zwei Vätern“ kommt. Es wurde deutlich, dass die familiale Struktur auch in unterschiedlichem Maße durch inadäquate Konflikte der Eltern bestimmt sein kann und dabei Abwehrprozesse und agierende Neuinszenierungen zum Tragen kommen. Die äußerlich etablierte Arbeitsteilung, die ja gesellschaftlichen Strukturierungen und
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2 Arbeitsteilung in Familien – Zum Stand der Forschung
Deutungen unterliegt, wirkt dabei einerseits auf die psychische Konfliktsituation zurück und bietet einen spezifischen äußeren Rahmen für die innerlich verankerten Konflikte. Gleichzeitig deutet sich aber in der Re-Analyse des Fallbeispiels von von Klitzing an, dass auch die gewählte Arbeitsteilungsform durch die inneren Beziehungsmuster des Paares beeinflusst sein und als eine Abwehrverankerung in der äußeren Realität und alltäglichen Praxis wirken kann. Auch im Sinne des komplexen Verhältnisses von Kontinuität und Wandel auf psychischer Ebene scheint die Arbeitsteilung eines Paares eine Kompromissbildung darzustellen.37
2.5 Diskussion und Zusammenfassung Die vorgestellten soziologischen und psychoanalytischen Untersuchungen und theoretischen Ansätze zeigen, dass es einerseits bereits wichtige Hinweise auf die gesellschaftlichen und psychischen Bedingungsmomente der elterlichen Arbeitsteilung gibt. Andererseits stellt das Thema elterliche Arbeitsteilung mit der expliziten Berücksichtigung der Beziehungsstrukturen in einer Familie noch immer eine Leerstelle dar. Die Verbindung soziologischer und psychoanalytischer Erkenntnisse wurde bisher in diesem Bereich im Wesentlichen, vor allem durch eine empirische Studie, noch nicht geleistet. Im Folgenden sollen von daher noch einmal im Sinne der eigenen Forschungsperspektive die Untersuchungsebenen näher bestimmt und ausgeführt werden.
37
Schülein (1990, 143): Die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung hängt wesentlich von den sozialen und psychischen Rahmenbedingungen und Vorgaben ab. Dabei spielen die Entwürfe, die kognitiv wie emotional ausgeprägten Vorstellungen , die durch die Umstände nahegelegt, von den Eltern aufgegriffen und in ihren Lebensstil übersetzt bzw. integriert werden, eine besondere Rolle.
3 Der Forschungsansatz
Wie bereits mehrfach angesprochen, geht es in der vorliegenden Arbeit um eine Verbindung soziologischer und psychoanalytischer Perspektiven, um dem Thema der elterlichen Arbeitsteilung als sowohl durch gesellschaftliche Strukturen und Deutungen bestimmtem Praxisentwurf als auch dynamisch bestimmtem Beziehungsentwurf gerecht zu werden. Die familialen Entwürfe müssen demnach auch in der empirischen Untersuchung der Fälle aus beiden Perspektiven rekonstruiert werden. In der bisherigen Zusammenstellung von Forschungsergebnissen wurde der soziologische Blick auf die Arbeitsteilung in Familien und ein psychoanalytischer Blick auf die Beziehungsmuster in Familien erkennbar, deren Erkenntnisstand und bisherige Integrationsansätze ebenso wie die noch ausstehende Verknüpfung in einer empirischen Untersuchung. Die in soziologischen Fallstudien deutlich werdende Untersuchungskategorie gesellschaftlicher Deutungen und Handlungsvorgaben, dort als Leitbilder, Kodes, Rollenbilder etc. bezeichnet, soll im Folgenden im Rückgriff auf das Konzept der Deutungsmuster zunächst theoretisch gefasst und in der Fallrekonstruktion umgesetzt werden. Die Untersuchung der unbewussten familialen Beziehungsmuster greift auf die im vorangegangenen Kapitel dargestellte Sicht auf Familie als triadisches Interaktionssystem zurück, dergemäß es bei der Frage der Arbeitsteilung nicht allein um die Beziehung des Paares geht, sondern um ein triadisch ausgehandeltes, etabliertes und alltäglich umgesetztes Muster elterlicher Arbeitsteilung. 3.1 Deutungsmuster 3.1.1 Theorie des Deutungsmusterkonzepts Das theoretische Konzept der Deutungsmuster, auf das hier Bezug genommen wird, wurde in einem lange Zeit unveröffentlichten Manuskript von Oevermann aus dem Jahr 1973 geprägt, welches 2001 erstmals veröffentlicht und zugleich vom Autor aktualisiert wurde38. Trotz dieser späten Veröffentlichung entstanden 38
Interessanterweise steht der Ursprung des Deutungsmusteransatzes im Kontext einer Untersuchung, in der es darum ging „Erziehungsziele und -stile von Eltern in ihrer Verzahnung mit
58
3 Der Forschungsansatz
seit den 1970er Jahren diverse Arbeiten, die das Deutungsmusterkonzept empirisch nutzen, deren mangelnde theoretische Bestimmung des Konzepts jedoch unter anderem von Plaß/Schetsche (2001) kritisiert wird. Zudem gab es auch mehrere Ansätze der theoretischen Begriffsbestimmung39, die jedoch, wie verschiedene Autoren (vgl. Plaß/Schetsche 2001) resümieren, ebenfalls nicht zu einem konsistenten Theoriegebäude geführt haben. Im Folgenden wird von daher vorrangig auf die (aktualisierten) Ausführungen von Oevermann selbst Bezug genommen, ehe im Kontext der Diskussion auch andere Perspektiven der langjährigen Begriffsdiskussion aufgegriffen werden. Charakteristisch für Deutungsmuster ist, dass sie überindividuelle Antworten auf gesellschaftliche Handlungsprobleme darstellen, die den Einzelnen routinisierte Handlungsmöglichkeiten nahelegen und sie von alltäglichen komplexen Entscheidungsnotwendigkeiten entlasten (vgl. Oevermann 2001, 37). Dabei argumentieren Deutungsmuster intern konsistent und verbürgen die Gültigkeit der in ihnen liegenden Überzeugungen (vgl. ebd., 38), auch weil sie mit der Logik ihrer strukturierten Argumentation Widersprüche auflösen oder ausschließen und „Kriterien der Vernünftigkeit“ (Oevermann 1973, 3) beinhalten40. Mit den Deutungsmustern ist also eine Betrachtungsebene bezeichnet, die zwischen gesellschaftlichen Strukturen und den Subjekten vermittelt. Wie Oevermann (2001b) betont, ist gerade deren Doppelsinnigkeit als „kollektive Bewusstseinsstrukturen“ (ebd. 539) bzw. als „objektive kognitive Strukturen“ (2001a, 36) charakteristisch, eine Bestimmung, die sowohl deren Charakter als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen wie auch ihr Wirken „im Kopf“ des Einzelnen umfasst.41 Deutungsmuster stehen den handelnden Subjekten als überindividuelle, gesellschaftlich verankerte Sinnzusammenhänge gegenüber, die „soziale Tatsachen“ darstellen (1973, 4; 2001b, 539). Zugleich sind sie auch Ausdruck von Vergemeinschaftung und konstituieren die Milieus mit, in die sie die Subjekte aufgrund ihrer „verbindlichen Interpretation von Welt“ einbinden (2001a, 43). Andererseits sind sie jedoch auch „auf der Ebene des je individuellen Handelns und in der Strukturierung der personalen Lebenspraxis“ (2001a,
39 40 41
allgemeineren Wertorientierungen zu erfassen“ (1973. 35). Bereits hier lässt sich das Thema der vorliegenden Arbeit verankern, bzw. es drängt sich eine Betrachtungsweise auf, die neben der Sicht auf Deutungsmuster (damals in Abgrenzung zur Variablen isolierenden Meinungsforschung) auch den Blick auf das lebensgeschichtlich verankerte dynamische Unbewusste und die dynamischen Familienfiguren einbezieht. So von Lüders/Meuser (1997), Dewe/Ferchhoff (1991), Meuser/Sackmann (1992), Arnold (1983), Allert (1976), Plaß/Schetsche (2001), Pensé (1994), Neuendorff/Sabel (1976) und Menne (1980). Zur Abgrenzung gegenüber Ideologien vgl. Oevermann (2001, 38) Zur theoriegeschichtlichen Fundierung und Motivierung dieser Konzeptualisierung vgl. Oevermann 2001, 35ff). Zur Abgrenzung gegenüber einer Reduktion der Deutungsmuster auf eine „Formkategorie sozialen Wissens“ die Kontroverse zwischen Plaß/Schetsche (2001, 511ff) und Oevermann (2001b).
3.1 Deutungsmuster
59
43) angesiedelt und bedingen die „konkrete Kognition und Motivation“ (2001b, 539) eines Individuums. Dies steht nicht in Widerspruch dazu, dass Deutungsmuster nicht mental repräsentiert sind. Sie wirken vielmehr als implizites Wissen, das in seiner Regelhaftigkeit und Strukturiertheit der Argumentation nicht expliziert werden kann, jedoch zu sicheren Angemessenheitsurteilen befähigt (vgl. 2001b, 537). Als solche strukturieren sie die konkrete alltägliche Praxis der Subjekte. Subjekte und Gesellschaft stehen sich also nicht als abgegrenzt gegenüber, sondern Deutungsmuster sind sowohl gesellschaftliche Konstrukte als auch von den Individuen verinnerlichte Dispositionen (vgl. 2001b, 539). Aufgrund dieser Implizitheit kann über Deutungsmuster auch nicht strategisch verfügt werden, sondern die Deutungsmuster verfügen gewissermaßen über die Subjekte (vgl. ebd.). Sie wirken wie ein soziales Unbewusstes, das subjektiv nicht willentlich kontrollierbar ist (2001a, 36.). In Abgrenzung zum dynamisch Unbewussten der Psychoanalyse handelt es sich um ein kollektives Unbewusstes in dem Sinne, dass sein Inhalt ein soziales Regelwissen ist. Dieses in Anlehnung an Chomsky ebenfalls als „tacid knowledge“ bzw. „schweigendes Wissen“ bezeichnete Regelwissen ist jedoch nicht ein universalgrammatisches, sondern ein „historisch je spezifisches, variables Muster von inhaltlichen Weltinterpretationen“ (ebd.). „Deutungsmuster sind [...] krisenbewältigende Routinen, die sich in langer Bewährung eingeschliffen haben und wie implizite Theorien verselbständigt operieren, ohne dass jeweils ihre Geltung neu bedacht werden muss.“ (ebd. 38) Die begriffliche Fassung des impliziten Wirkens der lebensgeschichtlich angeeigneten Deutungsmuster bleibt schwierig. So grenzt Oevermann (2001a, 39ff) diesen Status gegenüber dem Begriff der Latenz bzw. den latenten Sinnstrukturen ab, der als eigentlich methodologischer Begriff die rekonstruierbare (objektive) Bedeutung von Ausdrucksgestalten bezeichnet, wohingegen sich der Begriff Deutungsmuster auf spezifische Strukturen der sozialen Welt bezieht. Als latent wurden sie von Oevermann daher vorwiegend bezeichnet, um sie von einem subjektiv gemeinten, das heißt dem Bewusstsein zumindest grundsätzlich verfügbaren Sinn abzugrenzen (vgl. 2001a, 41). Auch die Bezeichnung als unbewusst birgt das Problem der Abgrenzung gegenüber dem dynamisch Unbewussten der Psychoanalyse, wie auch gegenüber einer „habituellen Absedimentierung ins Routinehafte“ (2001a, 56). Für Oevermann drückt der Begriff des tacit knowledge, eines schweigenden Wissens, von daher am ehesten aus, was mit dem impliziten Wissen der Deutungsmuster gemeint ist, auch wenn das durch sie vermittelte Regelbewusstsein kein „universalgrammatisches“ ist. Als schweigendes Wissen haben die Deutungsmuster eine psychische Repräsentanz „in welcher Weise auch immer“ (ebd., 41), jedoch keine bewusstseinsmäßige. Deutungsmuster haben zudem eine enge Verbindung zum Bourdieuschen Begriff des Habitus, insofern auch dieser zwischen Struktur und Praxis vermittelt und
60
3 Der Forschungsansatz
lebensgeschichtlich angeeignete und „außerhalb der bewussten Kontrollierbarkeit operierende und ablaufende Handlungsprogrammierungen“ (vgl. 2001a, 45) bezeichnet. Begrifflich abgrenzbar vom Habitus sind Deutungsmuster, da sie als auf subjektiver Ebene weniger stark in die Persönlichkeit eingehend verstanden werden und daher stärker kognitive Muster darstellen, die in entsprechenden krisenhaften (gesellschaftlichen) Umbruchprozessen auch eher bewusst werden und sich verändern können (vgl. ebd., 45ff).
3.1.2 Deutungsmuster als Untersuchungskategorie Das Konzept der Deutungsmuster bietet für die vorliegende Untersuchung eine theoretische Fassung der Wirkungsweise gesellschaftlicher Strukturen auf das individuelle Handeln, die auf der Ebene von Fallrekonstruktionen, d.h. in der Rekonstruktion von Einzelfällen, erschließbar ist. Da Deutungsmuster als eine Kategorie angelegt sind, die zwischen Struktur und Subjekt vermittelnden Charakter hat, ermöglicht dieser Ansatz, aus den Äußerungen der einzelnen Familien die darin wirksam werdenden milieuspezifischen, sinnhaften Deutungen zu rekonstruieren und die hinter Meinungen logisch wirksam werdende Argumentationsstruktur als Teil gesellschaftlicher Realität zu erfassen.42 In dieser Differenzierung zwischen Meinungen und Deutungsmustern und gleichzeitiger Fassung als unbewusste kognitive Strukturen liegt gerade auch die Möglichkeit, das Deutungsmusterkonzept mit einer psychoanalytisch fundierten Rekonstruktion der subjektiven Motivationen im Sinne des dynamisch Unbewussten und der unbewussten Familienfiguren zu verbinden. Die z.B. im Gegensatz zum Habitusbegriff so erreichte stärkere Trennbarkeit zwischen zunächst subjektiven, psychischen Figuren und milieuspezifischen gesellschaftlichen Strukturen ermöglicht es, beide Ebenen nicht nur getrennt zu rekonstruieren, sondern vor allem auch Überformungen, Wechselwirkungen, Doppelungen und Differenzen genauer in den Blick zu nehmen (vgl. auch Dewe/Ferchhoff 1991, 79). Gegenüber den in der Diskussion der empirischen Untersuchungen zur Arbeitsteilung bereits diskutierten Begrifflichkeiten Kode und Exposé bietet das Deutungsmusterkonzept trotz möglicher theoretischer Schwächen den Vorteil eines immerhin ausgearbeiteten theoretischen Konzepts. Gemeinsamkeiten mit der Kategorie der Kodes von Koppetsch/Burkart bestehen dahingehend, dass auch Kodes als milieustabilisierende Konzepte verstanden werden und auch hier 42
Zur Abgrenzung von der Meinungsforschung vgl. Oevermann (2001, 4). Hier zeigt sich die Parallele, die zwischen der theoretischen Annahme und Konzeptualisierung der Deutungsmuster einerseits und dem methodischen Interesse und methodologischen Konzeption der Latenz bzw. der latenten Sinnstrukturen andererseits besteht.
3.1 Deutungsmuster
61
die motivationale Besetzung bisher nicht berücksichtigt wurde. Wie bereits gezeigt wurde, ist die Definition der Kodes jedoch keine eindeutige, und damit verbunden ist deren kognitiver Status bzw. deren mentale Repräsentation ungeklärt. Die Exposés nach Schülein sind ebenfalls, ähnlich wie die Deutungsmuster, so konzipiert, dass sie als kognitiv-praktische Entwürfe verstanden werden. Darüber hinaus werden sie jedoch von Schülein als subjektiv angeeignete verstanden, die auch den inneren Bedürfnissen entsprechen müssen und zwischen diesen und dem gesellschaftlichen Rahmen vermitteln. Der in der Familiensoziologie gebräuchliche Begriff der Familienleitbilder, wie er beispielsweise aktuell von Mühling u.a. (2006, vgl. auch Oechsle 1998) definiert wird, hat ebenfalls bestimmte Gemeinsamkeiten mit den Deutungsmustern. So beziehen sich beide Konzepte auf dasselbe Thema, wenn auch Mühling u.a. die Mutterliebe als „traditionales Mutterideal“ (Textor 2004; zit. n. Mühling u.a. 2006, 45) mit den charakteristischen Eigenschaften der Einmaligkeit, permanenten Verfügbarkeit etc. thematisieren. Auch die Bestimmung als strukturierte, werthafte und sinngebende gesellschaftliche Konstrukte mit bildhaftem Charakter weist Gemeinsamkeiten auf. Eine gravierende Differenz besteht jedoch darin, dass Familienleitbilder als „Sollens- oder Wunschvorstellungen in den Köpfen der Individuen“ (ebd., 43) und nicht als ein schweigendes Wissen konzipiert sind, sondern vielmehr als in abfragbaren Meinungen und Einstellungen zum Ausdruck kommend verstanden werden. Das Konzept der Leitbilder bleibt mit dieser Definition an das Oberflächenphänomen der Meinungsabfrage gebunden und im Sinne der vorliegenden rekonstruktiven Untersuchung unterkomplex.43 In der vorliegenden Untersuchung ist das Ziel nicht die Rekonstruktion von Deutungsmustern an sich (z.B. Schütze 1986), sondern die empirische Rekonstruktion von deren Wirksamwerden in den Lebensentwürfen der befragten jungen Familien. Aus diesem Grunde sollen auch bereits rekonstruierte Muster der Deutung familialer Beziehungen und des Geschlechterverhältnisses vor allem im Hinblick auf die Arbeitsteilung herangezogen werden. Dabei soll anhand der Rekonstruktion überprüft werden, inwieweit diese Spuren hinterlassen oder durch neue Muster abgelöst oder modifiziert werden. Hinweise auf neue Muster können dabei in den Fallrekonstruktionen auftauchen, wobei jedoch keine vollständige Rekonstruktion eines Musters geleistet werden kann, was z.B. die Untersuchung von Kulturgütern etc. ebenso beinhalten würde.
43
Auch der Rollen- bzw. Geschlechtsrollenbegriff hat Gemeinsamkeiten mit dem Deutungsmusterbegriff, insofern er ebenfalls mit der Verschränkung von Individuum und Kultur auf Ebene des Handelns befasst ist. Stärker akzentuiert wird m. E. durch die Deutungsmuster jedoch der Aspekt der Deutung und damit Konstitution von Realität und die dabei stattfindende Vergemeinschaftung in Milieus.
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3 Der Forschungsansatz
3.1.3 Deutungsmuster der elterlichen Arbeitsteilung Es gibt keine Deutungsmuster, die konkret die elterliche Arbeitsteilung zum Inhalt haben. Gemäß ihres Status als schweigendes Wissen und ihrer charakteristischen Funktion der sinnhaften und logisch strukturierten Deutung von Handlungsproblemen haben die betreffenden Deutungsmuster vielmehr Beziehungsbilder zum Inhalt, die bestimmte Praxisformen nahelegen, ohne diese dabei explizit zu machen. Im Sinne ihrer Leistung, einer bestimmten Deutung Gültigkeit zu verleihen, werden dabei andere Deutungen aus der internen Argumentation ausgeschlossen. Was dies bedeutet, wird im Folgenden zunächst in der Darstellung des Musters der Mutterliebe deutlich.
Mutterliebe Die Mutterliebe ist ein Deutungsmuster, das der Beziehung und Bindung zwischen einer Mutter und ihren Kindern besondere Bedeutung zuspricht. Die Mutter-Kind-Beziehung ist dabei durch die Einzigartigkeit der Liebe einer Mutter zu ihren Kindern bestimmt. Diese Liebe erscheint als natürlich und bedingungslos und dem Wesen einer Frau als Mutter entsprechend. Sie kann durch nichts anderes erreicht oder ersetzt werden. Als Deutungsmuster wurde die Mutterliebe explizit zunächst von Schütze (1986, 1991) mithilfe einer umfangreichen Materialsammlung im Hinblick auf die Situation in Deutschland rekonstruiert. Dabei geht es nicht um die Frage, ob und inwieweit Mütter ihre Kinder lieben, sondern darum, die Etablierung eines kulturellen Musters zu untersuchen, das neben der Mutter-Kind-Beziehung auch die Binnenstruktur der Familie und das Geschlechterverhältnis normativ deutet (vgl. ebd., 7). Schütze beschreibt Hintergrund und Funktion des Deutungsmusters, die darin besteht, „die im Gefolge der neuen Einsichten über die Natur des Kindes entstehenden Handlungsprobleme in Einklang zu bringen mit der sich gleichzeitig herausbildenden Struktur der bürgerlichen Familie, gemäß der die Frau weitgehend für die Belange der Familie freigesetzt wird“ (ebd.). Durch die Naturalisierung der Einzigartigkeit der Mutter-Kind Beziehung wird die Mutterliebe für Frauen zur exklusiven Verpflichtung auf die Fürsorge für ihre Kinder (vgl. Drerup 1997) und hat daher eine wichtige Bedeutung für das Ideal der bürgerlichen Familie, wie es sich in Deutschland in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Veränderung im Zuge der Industrialisierung gesamtgesellschaftlich etablieren konnte (vgl. Pfau-Effinger 1998). Die Mutterliebe ist historisch daher auch eng mit dem Familienmodell der Ernährerehe verbunden, bei der mit ihrer Etablierung auch die den Geschlechtern zugeschriebenen unterschiedlichen We-
3.1 Deutungsmuster
63
senheiten gesellschaftlich verankert wurden. Die Mutterliebe stellt dabei einen wechselnd zentralen Teil der Konzeption von Weiblichkeit dar (vgl. Schütze 1986, 147). Durch die Mutterliebe werden Frauen einerseits von außerhäusiger Erwerbstätigkeit abgehalten und andererseits aber auch von dahin gehenden Ansprüchen geschützt, was in Einklang mit dem zugeschriebenen Geschlechtscharakter im Sinne von Emotionalität und Passivität (vgl. Hausen 1976) steht. Historisch hat dies dazu geführt, dass (vor allem die bürgerlichen) Frauen bei ihrem Weg aus der Familie in die Erwerbstätigkeit stets dem Bild weiblicher Mütterlichkeit Genüge tun mussten – so bei der Neudefinition des Lehrberufs oder von Pflegetätigkeiten im Sinne geistiger Mütterlichkeit gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts (vgl. Drerup 1997, 87ff). Für Frauen aus Arbeitermilieus konnte sich das Muster dagegen erst mit zunehmendem Wohlstand durchsetzten, der es überhaupt erst erlaubte, Mütter von der Erwerbsarbeit freizustellen. Im Deutungsmuster selbst bleibt dessen historische Gebundenheit ausgeblendet, die sich jedoch in der Rekonstruktion von Schütze deutlich anhand der wechselnden konkreten Inhalte zeigt, die in unterschiedlichen Phasen mit Mütterlichkeit verknüpft wurden. Gleichbleibend ist jedoch die Logik des Musters und die damit verbundene Affektregulierung (Meuser/Sackmann 1991, 19). Ebenso aus der Argumentation des Musters ausgeschlossen bleibt die Möglichkeit anderer Lebens- und Weiblichkeitsentwürfe jenseits von Mütterlichkeit in Sinne der Mutterliebe, die durch deren Naturalisierung und ihren Einzigartigkeitsstatus nicht thematisch werden können. Dies gilt auch für die Möglichkeit väterlicher Beteiligung bei der Kinderbetreuung, für die mit väterlicher Fürsorge jenseits der Ernährerrolle verknüpfte Vaterliebe. Dies um so mehr, als das Muster Mutterliebe weder den Vater noch die Arbeitsteilung des Paares explizit thematisiert. Das Muster Mutterliebe ist nicht nur rekonstruiert, sondern vor allem in den letzten 30 Jahren auch demontiert worden. Während Protagonistinnen der ersten Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts Freiräume noch mithilfe der Ausweitung der Mutterliebe auf die geistige Mutterliebe erringen konnten, haben vor allem Frauen der Bewegung ab den 1970er Jahren versucht, das Deutungsmuster zu reflektieren und sich von seiner Wirkung zu befreien. Dies nicht nur durch die Entwicklung neuer weiblicher Lebensentwürfe, sondern auch in expliziter Abgrenzung von Mutterliebe. So gibt es bis heute mehrere Ratgeber und Erfahrungsberichte, die sich mit dem Thema „Rabenmütter“44 auseinandersetzen als dem Gegenbild zu Mutterliebe im polemischen Aufgreifen des Vorwurf gegenüber Müttern, die der Mutterliebe nicht genügen. Häufig wird in der Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterliebe dabei jedoch die Differenz zwischen 44
So z.B. Fellner (1992), von Lenthe (1993)
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3 Der Forschungsansatz
der Analyse des gesellschaftlichen Musters und der Erfahrung von Bindung zwischen Müttern und Kindern nicht gewahrt. Hierauf weist auch Schütze (1986, 5f) hin, die einige klassische Arbeiten zur Mütterlichkeit, wie von de Mause (1977) und Badinter (1981), in dieser Hinsicht kritisiert. Inwieweit das Deutungsmuster Mutterliebe in der Krise ist (Schütze 1991, 47) oder trotz seines Reflexivwerdens, das auch durch mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema45 belegt wird, und des Wandels weiblicher Lebenspraxis noch gesellschaftlich wirksam ist, gilt es differenziert zu überprüfen, vor allem da Deutungsmuster ja gerade durch ihr schweigendes Wirken gekennzeichnet sind und individuell im Lebensentwurf verankert werden. Hinweise auf ein Fortwirken der Mutterliebe lassen sich jedoch im Sinne der Kontinuität im gesellschaftlichen Wandel finden, so zum Beispiel in der bisher vorwiegend auf Frauen bezogenen Problematisierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der ungebrochenen Präferenz für die modernisierte Versorgerehe (vgl. Pfau-Effinger 1998).
Väterlichkeit und Männlichkeit Im Gegensatz zur Mutterliebe ist kein vergleichbares Deutungsmuster für Männer bzw. Väter explizit wissenschaftlich rekonstruiert. Dies kann als Hinweis darauf gelten, dass entsprechende Muster noch weit stärker im Bereich des gesellschaftlichen Unbewussten verankert sind und höhere Geltungskraft besitzen. Mit Blick auf die Entstehungsbedingungen und die Funktion des Musters Mutterliebe lässt sich vermuten, dass für Männer Muster bestehen, die den reziproken Handlungsbereich der bürgerlichen Familie, den männlicher Ernährer, betreffen. Hier ist kennzeichnend, dass die väterliche Fürsorge primär durch die finanzielle Absicherung der Familie durch die Erwerbsarbeit bestimmt ist. Dabei gilt es auch hier, zunächst von väterlichen Erfahrungen abzusehen und den Ernährer als kulturelles/gesellschaftliches Deutungsmuster von Väterlichkeit zu betrachten. Während eine umfassende Rekonstruktion des Deutungsmusters männlicher Ernährer noch aussteht, gibt es in der Literatur der Geschlechterforschung an mehreren Stellen Hinweise auf die spezifische Verbindung von Männlichkeit und Erwerbsarbeit, dies jedoch selten in Bezug auf die Bedeutung für das Verständnis von Väterlichkeit. Gesterkamp (2004) behandelt diese Frage in seiner Einleitung und verweist darauf, dass die Erwerbstätigkeit an sich erst seit ca. 200 Jahren als ein Leitmotiv des (männlichen) vor allem protestantischen Bürgertums gilt, welches seinen neugewonnenen Status gegenüber der Aristokratie auch über 45
So Oechsle (1998), Herwarts-Emden (1995) und andere.
3.1 Deutungsmuster
65
die Deutung und Wertung der Arbeit als „heilige Aufgabe“ abgrenzte (vgl. ebd., 15). Dass der Familie im Bürgertum gleichzeitig auch ein hoher Wert zugemessen wird, stellt, wie bereits angedeutet, keinen Widerspruch zur männlichen Erwerbsorientierung dar, da der Gelderwerb als männliche Form der Fürsorge für die Familie gilt. „Ein sicheres Einkommen soll es dem Mann ermöglichen, das Ideal des fürsorglichen Familienvaters zu erfüllen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll sich der männliche Ernährer mit Priorität der Berufswelt verpflichten.“ (ebd., 17) Dies gilt nach Gesterkamp auch heute noch, denn: „Im Laufe des zuende gegangenen Jahrhunderts hat sich die elementare Bedeutung des Berufes eher noch verstärkt, gerade weil andere Eckpfeiler männlicher Identität und Selbstdarstellung ins Wanken gerieten. Der starke Mann, der die Natur besiegt; der mutige Beschützer von Frauen und Kindern; der Erfinder, Eroberer und Erbauer; der Bestimmer in Gemeinde und Verwandtschaft, der Wertvorstellungen vorgibt und diese interpretiert – all diese einstigen Funktionen des ,Paterfamilias´ sind heute nicht mehr selbstverständlich. [...] Je schwieriger der Rückgriff auf alte Muster von Männlichkeit wird, desto hilfreicher erscheint es, sich über seinen Beruf und die damit verbundenen Möglichkeiten zu definieren.“ (ebd, 14).46 Dabei besteht zwischen Beruf und Männlichkeit ein Wechselverhältnis, wie es z.B. Ummel (2001) thematisiert: Berufsarbeit ist einerseits „ein latent auf die Lebensbedingungen von Männern zugeschnittenes Konzept“, und andererseits ist auch „berufsförmig organisierte, erfolgreiche Erwerbsarbeit [...] eine der zentralen Stützen der Identität von Männern“ (ebd, 159).47 Auch Meuser (1998, 188f) thematisiert dies kurz anhand der Interviewäußerung eines Mannes aus bürgerlichem Milieu: „...warum muss ich überhaupt nachdenken dass ich Mann bin ich existiere äh ich bin in meinem Beruf erfolgreich...“ (Original in Transkriptform), und stellt fest, dass das Bestehen einer selbstgewissen Existenz als Mann auf der beruflichen Karriere beruht. Bei der Betrachtung des Familienernährers als Deutungsmuster väterlicher Fürsorge lassen sich auch Ausblendungen in der Argumentationsstruktur des Musters ausmachen. So wird durch die Einseitigkeit der Thematisierung männlicher Erwerbsarbeit deren mögliche Instabilität (z.B. durch drohende Arbeitslosigkeit) nicht thematisiert, ebenso wenig wie die Möglichkeit, dass das Familieneinkommen durch die Mutter gesichert werden kann oder muss. Dadurch bleibt auch verborgen, was an väterlicher Fürsorge außerhalb der Unterhaltssicherung 46
47
Gesterkamp verweist an dieser Stelle auch auf Döge (2001). Dieser weist auf die Hintergründe von Forschungslücken bei der Erforschung hegemonialer Männlichkeit hin, die vor allem in Bereichen bestehen, wo das Geschlechterverhältnis nicht explizit thematisiert wird und eine Integration verschiedener theoretischer Ansätze notwendig wird. Dies kann neben dem von Döge untersuchten Bereich Technik und Staat auch für die Untersuchung des Berufs an sich gelten. Zum Thema Geschlechterverhältnis und Beruf aus Sicht der Frauenforschung vgl. z.B. PaufKohlhoff (2004) oder Wetterer (2002).
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3 Der Forschungsansatz
besteht oder möglich ist48 und welche Verluste an emotionalem Kontakt und Erleben und damit an Väterlichkeit mit einer einseitigen Erwerbsorientierung für Männer verbunden sind. Inwieweit sich das Deutungsmuster Familienernährer als Teil traditioneller (hegemonialer) Männlichkeit in der Krise befindet (Connell 2000 u.a.) oder trotz partieller Verunsicherungen noch Bestand hat, gilt es zu überprüfen.49 Auch wenn dieses Muster nur sehr bedingt z.B. durch eine veränderte Erwerbspraxis infrage gestellt wird, so gibt es doch einen breiten Diskurs um Väterlichkeit und neue Väter, der zumindest den Bereich väterlicher Fürsorge für die Kinder (weitgehend unabhängig von der Erwerbstätigkeit) neu zu bestimmen versucht.
Der neue Vater Ein weiteres Deutungsmuster ist das des aktiven, neuen Vaters. Dieser hat ein aktives Interesse an der Entwicklung seiner Kinder, an der er stärker teilhaben und die er mitgestalten möchte. Er ist nicht autoritär oder eine ferne Figur, sondern ein empathischer und fürsorglicher, alltäglicher Interaktionspartner seiner Kinder. Auch dieses Muster von Väterlichkeit ist als Deutungsmuster nicht explizit rekonstruiert. Der neue Vater ist jedoch ein gesellschaftliches Thema seit den ausgehenden 1970er Jahren und wurde zunächst von einer Avantgarde reflexiv die eigene Männlichkeit thematisierender Väter gelebt und in den bereits durch die Emanzipationsbewegung der Frauen vorbereiteten gesellschaftlichen Diskurs eingebracht (z.B. Canitz 1982, Bullinger 1983, Fthenakis 1988, Wolfgang Walter 2002). Auch hier gilt es zwischen der Erfahrung und Praxis von Vätern und dem gesellschaftlichen Diskurs bzw. dem Deutungsmuster zu unterscheiden. Dies um so mehr, als Väter heute auch (und nicht nur) in der Soziologie ein differenziert beforschtes und diskutiertes Thema sind (zusammenfassend Heinz Walter 2002). Als Deutungsmuster könnte der neue Vater eine Antwort auf das Handlungs- und vor allem Legitimationsproblem der Rolle des Vaters in der Familie darstellen, das durch die Emanzipationsbewegung der Frauen und deren zunehmende Erwerbstätigkeit entstanden ist. Wenn Mütter in stärkerem Maße zum Familienunterhalt beitragen bzw. die Wesenszuschreibungen der 48
49
Dass dies auch für die psychische Situation und die Identität als Mann prekär sein kann, zeigen Eggert-Schmid Noerr (1991) für männliche Arbeitslose und King (2002) für die männliche Adoleszenz. So hinterfragt Meuser (1998) die These von der Krise der Männlichkeit dahingehend, dass der Wandel der Frauenrolle nicht notwendigerweise einen Wandel der Männerrolle bedingt, sondern „lebensweltliche Einbindungen“ von Männern vor allem auch in homosozialen Gemeinschaften „das Vertrauen in die Effektivität tradierter Habitualisierungen“ sichern (Meuser 1998, 306) und sie gegen die Irritationen der Geschlechtermodernisierungen immunisieren (vgl. ebd., 308).
3.1 Deutungsmuster
67
bürgerlichen Familie für Frauen nicht mehr greifen, entsteht im Bereich männlicher Fürsorge ein Vakuum, das durch die Argumentationsfigur des neuen Vaters als engagiertem und fürsorglichem Vater gefüllt wird. Auch wenn die klassische Arbeitsteilung in der Praxis von Teilen der Väterbewegung bei der Suche nach einem neuen männlichen Selbstverständnis in Frage gestellt wurde, so kann der neue Vater als Deutungsmuster auch zur Ausblendung der Frage der Arbeitsteilung beitragen. Dies liegt darin begründet, dass die veränderte Qualität der Vater-Kind-Beziehung im Vordergrund steht, was nicht mit einer Veränderung der Alltagspraxis einhergehen muss, sondern sich auch als Wochenendvater realisieren lässt. Auch bleibt die Frage nach der Beziehung des Vaters zur Mutter seiner Kinder weitgehend ungestellt, so dass die Verteilung der alltäglichen Arbeit und damit das Geschlechterverhältnis nicht zum Thema werden muss.
Partnerschaftlichkeit Ein neueres Muster der Deutung von Familienbeziehungen ist das der Partnerschaftlichkeit, wie es bereits in der Rekonstruktion von Koppetsch/Burkart (1999) thematisiert wurde (vgl. Kap. 2.2). Hierbei steht die Sicht auf Mann und Frau als zwei autonome Subjekte im Vordergrund, deren individuelle Interessen und Bedürfnisse handlungsleitend sind. Das Handeln von Männern und Frauen erscheint als frei von der Prägung durch Geschlechterrollen und die gemeinsame Praxis allein als Resultat der partnerschaftlichen Aushandlungsprozesse (vgl. ebd.). Bei diesem Muster der Wahrnehmung und Deutung erscheint die Arbeitsteilung als subjektiviert und individualisiert, die Möglichkeit, Praxisformen auch auf Geschlechtertraditionen und Ungleichheitsverhältnisse zurückzuführen, wird ausgeblendet. So können mit der Partnerschaftlichkeit auch Ungleichheit und Machtverhältnisse verdeckt werden. Hier ist auch der Hinweis von Opielka (1988) interessant, der die Partnerschaftlichkeit als eine „zwar polare, doch nicht-hierarchische Sicht auf das Geschlechterverhältnis“ (ebd., 44) definiert und vom Konzept der Gleichheit abgrenzt. Wenn Partnerschaftlichkeit also untergründig keinen Anspruch auf Gleichheit erhebt, so kann dies zusammen mit der individualisierten Sicht auf die Beziehungspartner ebenfalls den Blick auf Ungleichheit und (partnerschaftliche) Machtverhältnisse verstellen. Als Deutungsmuster familialer Praxis ist die Partnerschaftlichkeit Resultat veränderter Geschlechterverhältnisse und diskursiver Modernisierung und beinhaltet zugleich spezifische Möglichkeiten der Ausblendung einer unveränderten und geschlechtshierarchischen Praxis, wie dies Koppetsch/Burkart – wenn auch nicht als Deutungsmuster bezeichnet – eindrucksvoll untersucht haben.
68
3 Der Forschungsansatz
Weitere Muster Neben den genannten sind weitere Deutungsmuster anzunehmen, so möglicherweise ein Muster weibliche Doppelorientierung, das Frauen eine Praxis mit Beruf und Familie zuschreibt. Angesichts der für Männer und Frauen in Bezug auf die Doppelorientierung verschiedenen faktischen Situation kann man auch Ausblendungen eines solchen Musters annehmen. Diese können darin liegen, dass auch Frauen, die aktuell nicht berufstätig sondern mit einem Kind zu Hause sind, sich als doppelorientierte Berufstätige und nicht als Hausfrauen begreifen können. Ähnliches gilt für ein denkbares Muster emanzipierte Berufsfrau, das sowohl als einer faktischen Realität weiblicher Beruflichkeit entsprechend verstanden werden kann als auch als Deutung, die die geschlechterungleiche Praxis mit Idealen der Gleichberechtigung versöhnt. In der komplexen Situation gesellschaftlichen Wandels der arbeitsteiligen Geschlechterverhältnisse stellt sich generell die Frage, inwieweit Deutungsmuster reflexiv und damit veränderlich werden oder ob sie in möglicherweise modifizierter Gestalt ihre Geltungskraft behalten. Werden sie aufgeweicht und abgelöst, oder verändern sie nur ihre Erscheinungsform und den Grad ihrer Implizitheit? Zudem stellt sich die Frage, ob im Sinne einer Pluralisierung gesamtgesellschaftlich mehrere Deutungsmuster in je verschiedenen Milieus parallel bestehen, wobei jedes Muster seine Gültigkeit für ein Milieu bewahrt, oder ob es zu einer Zunahme von Deutungsmöglichkeiten auch innerhalb eines Milieus kommt – und dies nicht nur für Randphänomene eines Milieus gilt oder für Familien mit unterschiedlichen Herkunftsmilieus beider Elternteile. Wie können dabei widersprechende Deutungen miteinander in Einklang gebracht werden? Inwieweit dienen Deutungsmuster noch dazu, sich selbst und die eigene Lebensweise gesellschaftlich zu verorten und abzugrenzen? Was sind dabei jeweils die verleugneten und überdeckten Inkonsistenzen und Brüche?
3.2 Unbewusste Beziehungsmuster Die Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung als triadisches Thema in einer Familie beschäftigt sich mit den Fragen, welche Position Mutter und Vater in der Familie zugewiesen wird, welche Bindung beide jeweils an das gemeinsame Kind haben und wie die Teilhabe an beiden Bereichen, Beruf und Familie, für beide Eltern gewichtet wird. Dabei geht es inhaltlich um Zuweisungen weiblicher und männlicher Beruflichkeit und Fürsorge. Diese Themen sind dabei sowohl innere Themen und Entwürfe der Einzelnen als auch Ergebnis eines gemeinsamen dynamischen Entwurfes im Sinne einer Elternschaftskonstellation
3.2 Unbewusste Beziehungsmuster
69
(King 2006) und mit einer bestimmten familialen Figur zu dritt verbunden, bei der auch die Position und Persönlichkeit des Kindes in der Familie von den Eltern in einer bestimmten Weise interpretiert und zugewiesen wird.
3.2.1 Repräsentanzen und Identifikationen Wie bereits im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, sind für den elterlichen Aushandlungsprozess deren familiäre Identifikationen und Repräsentanzen von Bedeutung, die bereits bei der Partnerwahl eine Rolle spielen und auf die im Folgenden noch einmal eingegangen werden soll. Sie sind nicht nur Ergebnis kindlicher Entwicklungsprozesse, sondern werden – zumindest potentiell – bereits in der Adoleszenz modifiziert und im Sinne eines Individuationsprozesses neu gebildet.50 Das Elternwerden stellt somit einen darauf aufbauenden Entwicklungsschritt dar, bei dem eine weitere, sozusagen dritte Chance zu einem Neubildungsprozess und damit auch zu den genannten Aushandlungsprozessen des Paares besteht. Bei der Frage nach der Konstitution der elterlichen Arbeitsteilung in einer Familie sind dabei weniger die möglichen inadäquaten Konfliktkonstellationen von Interesse, die zu einem Misslingen der Eltern-Kind-Beziehung im Sinne eines nicht gut genug oder auch zum Scheitern der Paarbeziehung führen. Vielmehr sind einerseits insbesondere die möglichen Kompromissbildungen zu untersuchen, deren Ausdruck eine relativ strikte alltägliche Arbeitsteilung sein kann, wie dies das Fallbeispiel von Klitzings und die Reflexion anderer Beiträge gezeigt haben. Die traditionelle Arbeitsteilung kann zu einem Vermeiden verschärfter triangulärer Konflikte beitragen wie auch Ausdruck misslingender elterlicher Triangulierung mit einer Trennung der Lebenswelten sein. Hierbei muss allerdings die Gefahr vereinseitigender Gleichsetzungen berücksichtigt werden, und auch die Möglichkeit vielfältiger anderer Verknüpfungen zwischen einer Praxisform und der familialen Figur bleibt offen. Andererseits gilt auch den Triangulierungsthemen der Eltern ein besonderes Interesse, wobei insbesondere die für eine historisch neu zu leistende Integration von Beruf und der Beziehung zum Kind relevanten inneren Themen Beachtung finden. Dabei geht es um eine Balance im doppelten Sinne, einerseits um das innerpsychische Ausbalancieren der mit dem Beruf verknüpften Motive mit denen, die in Bezug auf das Kind wirksam werden, und gleichzeitig um den interpsychischen Balanceprozess des Paares. Dabei möchte ich im Folgenden noch einmal auf die Ausführungen von King (2002, 2006) zurückgreifen, die diese in Bezug auf die Problematik der Integration von Beruf und Familie in der 50
Die Entwicklung von Repräsentanzen und Identifikationen bei Jungen und Mädchen in Hinblick auf Beruf und Familie fasst z.B. Becker-Schmidt (1995) zusammen.
70
3 Der Forschungsansatz
Adoleszenz gemacht und später noch einmal stärker auf die Situation von Eltern bezogen hat. Zudem sind Hinweise von Bosse (2000) von Interesse für die Frage nach der Möglichkeit einer Neukonstitution von Väterlichkeit. Im Rückgriff auf die Adoleszenz als bedeutendem Neubildungsprozess vor dem Elternwerden zeigt auch King (2002)51 mit einer triangulären Perspektive auf, „dass die Entwürfe der eigenen `Weiblichkeit` und `Männlichkeit` und das Maß der kreativen Ausgestaltung der Geschlechtsidentität in vieler Hinsicht eine Funktion der Bilder über die Qualität der elterlichen Beziehung im Besonderen und der Geschlechterbeziehungen im Allgemeinen sind, die sich noch bis in das Körper-Selbst-Verhältnis hinein auswirken“ (ebd. 144). Für die Integration von Familie und Beruf in einen Lebensentwurf auf Basis der inneren Geschlechterund Elternbilder aus familialen Erfahrungen und Identifikationen ergeben sich ein differenziertes Verhältnis von Kontinuität und Wandel und z.T. unterschiedliche Bedingungen für eine Integration beider Bereiche für junge Männer und junge Frauen. Die eigenen Väter fungieren zunächst für beide Geschlechter vor allem als Vorbilder für eine Auseinandersetzung und Identifikation mit Beruf und weniger als Vorbilder für eine fürsorgliche und versorgende Väterlichkeit, wohingegen Mütter zum Teil für bereits erfolgte oder gescheiterte Integrationsversuche beider Bereiche stehen können. Hieraus rührt eine stärkere identifikatorische Auseinandersetzung junger Frauen mit der Beziehung der Eltern und im Hinblick auf die Erfahrungen der Mutter mit der Integration von Beruf und Familie. Jugendliche beiderlei Geschlechts haben jedoch zugleich das Bild der guten Mutter verinnerlicht, weswegen die jungen Frauen darum ringen, dies innerlich mit den eigenen Ansprüchen an Autonomie zu verbinden – ein Konfliktpotential, das vor allem mit der Geburt des Kindes besondere Dynamik entfaltet. Die eher einseitige Verbindung der Väter mit dem Beruflichen führt zu Problemen für Söhne und Töchter zugleich. Für die Tochter kann berufliche Identität als schuldbeladene Abwendung von der Welt der Mutter erlebt werden und zu einer bedrohlichen Rivalität mit dem Vater führen, und dies um so mehr, wenn seine Identität als Berufstätiger das Einzige ist, was ihn auszumachen scheint. Hier knüpft die Frage an, inwieweit gesellschaftliche Bilder weiblicher Berufstätigkeit vorhanden sind, die dies auffangen könnten, oder inwieweit deren Fehlen die Problematik verstärkt. Auch Becker-Schmidt (1995) thematisiert im Rückgriff auf Hagemann-White (1992) die Frage, ob weibliches Autonomiestreben („nach gesellschaftlicher Bedeutung und Größe“ (ebd., 241)) immer noch gesellschaftlich anstößig ist und in welcher Weise sich junge Frauen mit Selbstbestimmung und Selbsterweiterung identifizieren können. 51
(vgl. im Folgenden Kapitel V.3 aus King 2002)
3.2 Unbewusste Beziehungsmuster
71
Für den Sohn ergibt sich in Bezug auf den Vater eine ähnliche Situation wie für die Tochter, mit der zusätzlichen Schwierigkeit der Identifikation mit der Männlichkeit des Vaters, die durch die Dominanz des Beruflichen um emotionalgenerative Anteile entleert scheint. Männlichkeit muss sich dann für den Sohn auch über berufliche Identität ausdrücken, Vergleiche zwischen Vater und Sohn bleiben auf der beruflichen Ebene angesiedelt und kreisen dort um Anerkennung und Erfolg. So verschärft eine mangelnde Erfahrung mit alltäglicher und selbstverständlicher Väterlichkeit die Bedeutung des Beruflichen und die damit verbundenen Anerkennungsfragen und verringert dabei die Freiräume für eine Auseinandersetzung mit der möglichen Integration von Liebe und Arbeit (vgl. auch Flaake 2005). Kommen äußere berufliche Krisen hinzu, kann es zur kompensatorischen Inszenierung von Männlichkeitsklischees kommen. King (2006) beschreibt, dass mit dem Elternwerden vor allem auch (adoleszente) narzisstische Größenphantasien – trotz deren Bestätigung durch die Geburt des Kindes – durch die Erfahrung des Lebens mit einem Kind relativiert werden müssen, dadurch dass die psychischen und faktischen Ressourcen auf neue Weise in ihrer Begrenzung erfahren werden (vgl. ebd., 3). Dabei werden zugleich die Selbstbilder als Mutter oder Vater mitunter ebenfalls schmerzlich modifiziert, was auch Abwehrbewegungen wie Verleugnung oder Idealisierung zur Folge haben kann (ebd.). Es gilt jedoch, eine „neue Balance von Selbst- und Objektbezug, von Narzissmus und Hingabe“ (ebd.), von Autonomie und Bindung zu finden. Auf Ebene der familiären Triade bedeutet dies, wie bereits angesprochen, die Beziehungen zum Kind und des Paares zueinander auszubalancieren. In Bezug auf die alltägliche Praxis finden die psychischen Balancenotwendigkeiten ihren Ausdruck in der Neukonstitution des Verhältnisses von Beruf und entstandener Familie bzw. von beruflicher und elterlicher Identität (vgl. ebd., 5). Beide Bereiche stehen dabei nach King auch in einem Spannungsverhältnis zueinander, was durch den Mangel an gesellschaftlichen Integrationsmodellen und -ressourcen verschärft werden dürfte. Konflikte in einem Bereich wirken auf den anderen zurück. So können Konflikte und Ambivalenzen im Bezug auf das eigene Elternsein verstärkt werden, wenn die berufliche Identität ebenfalls unsicher und bedroht ist oder erlebt wird, wie auch die Balance von Narzissmus und Fürsorge erschwert ist, wenn der Narzissmus frühzeitig (in der Adoleszenz) beschnitten wurde (ebd., 8). Somit kann, positiv gewendet, auch die Stärkung der beruflichen Identität von Frauen zu einer größeren Sicherheit im Bereich der Fürsorge führen, ohne dass beide Bereiche als einander ausschließend erlebt werden müssen (vgl., ebd., 9). Hier wirkt auch das Geschlechterverhältnis im Sinne eines gesellschaftlichen wie privaten Machtverhältnisses einschränkend auf Integrationsmöglichkeiten (ebd.), und dies m.E. nicht nur für Frauen, auch wenn Männer vordergründig von einer einseitigen Zuweisung der Fürsorge an Frauen profitieren. Becker-Schmidt (1995)
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3 Der Forschungsansatz
geht von einer größeren Flexibilität der Identifikationen bei Mädchen aus, die aufgrund der immer noch gegebenen schlechteren Chancen auf Anerkennung und Aneignung jenseits traditioneller Rollenzuweisungen (vgl. ebd., 222) stärker auch für gegengeschlechtliche Identifikationen offen sind bzw. diese für Mädchen attraktiv sind. Für Jungen ist eine einseitig männliche Identifikation dagegen (unter gegebenen Machtverhältnissen) zunächst ein Vorteil, der für sie mit Gratifikationen verbunden ist und gleichzeitig die Ungleichbehandlung der Geschlechter affirmiert (vgl. ebd., 221). Für die Frage der Neukonstitution von Väterlichkeit, für die gesellschaftlich wie intergenerational nicht viele Erfahrungsräume vorhanden sind52, und im Kontext der möglicherweise immer noch einseitig traditionell männlichen Identifikationsprozesse sind auch die Hinweise von Bosse (2000) interessant. Dieser untersucht anhand einer Fallstudie mit jungen Männern aus Papua Neuguinea und in Auseinandersetzung mit zentralen psychoanalytische Thesen den Konstitutionsprozess von Männlichkeit im kulturellen Wandel. Dabei ist gerade vor dem Hintergrund des interkulturellen Vergleichs auffallend und entscheidend, dass die Differenz zwischen den Geschlechtern nicht notwendigerweise mit Hierarchie gleichgesetzt werden muss. Ausschlaggebend ist vielmehr der Raum, der für eine Bearbeitung von Erfahrungen des Getrenntseins, die sich für Jungen aus der Geschlechterdifferenz zur primären Bindungsfigur Mutter ergeben, zur Verfügung steht. Die von Bosse als eine Hauptaufgabe männlicher Adoleszenter beschriebene Trennung vom Weiblichen beinhaltet dabei im Kontext der sexuellen Reifung und der Aneignung einer eindeutigen Geschlechtsidentität als zeugungsfähiger Mann auch den Verzicht auf Phantasien von Gebärfähigkeit und eigener Identifikationen mit der fürsorglichen Mutter. Neben der Erweiterung steht so die Begrenzung. Für die Gestaltung männlicher Identität ist nun entscheidend, inwieweit ein kreativer Trauerprozess, der zu einer Sublimierung führt, möglich ist. Bei einer regressiven Verarbeitung ist die männliche Fürsorglichkeit nur noch passiv in der Identifikation mit der Mutter präsent, in der regressiven Ungetrenntheit mit der Mutter“ (ebd., 68), und es „wird die eigene männliche Fürsorglichkeit vom Selbst abgespalten und in einer ansprüchlichen Geste an Frauen delegiert“ (ebd., 70). Aus den Überlegungen Bosses ergibt sich für moderne Väter im Übergang zum Elternsein, dass diese erneut mit der Trennung vom Weiblichen konfrontiert werden und angesichts der Schwangerschaft und Gebär- und Stillfähigkeit ihrer Frauen wie auch der dadurch bedingten primären Verbundenheit zwischen Mutter und Kind parallel zur Erfahrung der Zeugungsfähigkeit auch ihre eigene Begrenzung bearbeiten müssen. Hier spielen auch die bereits angesprochenen Reg52
z. B. Ohlmeier 1992, Bude 1997 oder Mitscherlich 1973
3.3 Individualität und Sozialität des nicht bewussten und unbewussten Entwurfes
73
ressionsräume eine Rolle, die mit darüber entscheiden, ob Väter einen Trauerprozess erneut durchleben und sich dabei männliche Fürsorge aneignen können oder ob diese regressiv an die Frau und Mutter delegiert werden muss. Dies ist dabei mit der von Becker-Schmidt thematisierten Frage der gesellschaftlichen Gratifikationen verbunden, d.h. die Gewährung von Moratorien für werdende Väter müsste mit einer Umbewertung des familialen Raumes und mit dem Entzug der Gratifikationen für traditionell männliche Identifizierungen einhergehen.
3.3 Diskussion und Verbindung: Individualität und Sozialität des nicht bewussten und unbewussten Entwurfes 3.3 Individualität und Sozialität des nicht bewussten und unbewussten Entwurfes
Das Unbewusste in Familien ist zunächst ein subjektives Unbewusstes, das Unbewusste der betreffenden Väter und Mütter. In dieses sind in seiner lebensgeschichtlichen Entstehung und Prägung nicht nur familiale, sondern auch gesellschaftliche Bilder, Ge- und Verbote eingegangen. Im Kontext der Familie ist das Unbewusste auch ein familiäres und damit überindividuelles, gemeinsames Unbewusstes, das sich im Sinne eines gemeinsamen familialen Entwurfes bzw. eines familialen Wir aus den einzelnen inneren Entwürfen konstelliert. Dies entspricht der Entstehung des Ich, die immer im Kontext eines (zunächst familialen) Wir stattfindet, worauf Bosse (1999) im Kontext gruppenanalytischer Theoriebildung hingewiesen hat. Danach existiert das Wir der Familie bereits vor der Geburt des Kindes – wie es auch beispielsweise von Klitzing (1998) im Sinne der triadischen Repräsentanzen der Eltern bereits vor der Geburt des Kindes untersucht hat. Im Zuge der Entwicklung des Kindes wird die „äußere und erfahrbare Realität des Wir vom Individuum allmählich in einer bestimmten Strukturbildung des Ich aufgenommen“ (Bosse 1999, 11)53. So stehen auch individuelle Abwehrmuster stets im Kontext einer „Gruppenabwehrdienlichkeit“ (ebd., 12). Übertragen auf die Familie bedeutet dies, dass die individuellen, biographisch entstandenen Abwehrstrukturen auch in einer neuen Familiengründung dazu bestimmt sind, Teil eines gesamtfamilialen Abwehrmusters zu werden. Ähnliches gilt für die Repräsentanzen, die ebenfalls als Wir-Repräsentanzen zu verstehen sind (ebd.). Das heißt, bezogen auf die Frage der familialen Arbeitsteilung, dass auch die inneren Bilder von Väterlichkeit und Mütterlichkeit bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit stets Beziehungsbilder sind und im Zusammen53
Zur Entstehung des Wir vgl. auch Bosse (2005), der im Rückgriff auf Triangulierungstheorien und die von Dornes zugespitzten Ergebnisse der Entwicklungspsychologie diese zu einem Konzept triadischer Wir-Bildung weiterentwickelt und dabei die Phasen einer primären Wirhaftigkeit, der reflexiven Wir-Empfindung und eines auch sprachlich vermittelten Wir-Bewusstseins unterscheidet.
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3 Der Forschungsansatz
hang eines Wir-Entwurfes bzw. eines familialen Entwurfes stehen, wie es auch kompatibel mit triadischen Familientheorien ist. Für die empirische Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung folgt daraus, die familialen Entwürfe auch als solche gemeinsamen Entwürfe eines familialen Wir zu begreifen, bei dem die Eltern gemeinsam ein Wir entwerfen, in dem allen Familienmitgliedern bestimmte Positionen zugewiesen sind, die von diesen auch gemäß dem individuellen inneren Entwurf übernommen werden. Der innere Entwurf ist dabei auch gesellschaftlich auf eine spezifische Weise geprägt, verortet und eingebunden. Welche Stellung haben die Deutungsmuster dabei und wie vermitteln sich beide Ebenen miteinander? Im Gegensatz zur Definition des Unbewussten in der Psychoanalyse ist die Unbewusstheit der Deutungsmuster weniger geklärt. Zwar wird deren Status von Oevermann (2001) in der oben dargestellten Weise als schweigendes Wissen definiert und gegenüber einem methodischen Begriff von Latenz abgegrenzt. Jedoch bleibt trotz dieser Klärung der Status einer bewusstseinsmäßigen Repräsentanz und deren Bezug zum dynamisch Unbewussten undeutlich bzw. stets neu zu definieren. Dies problematisieren und diskutieren verschiedene Autoren im Verlauf der mehrjährigen Diskussion des Begriffs (vgl. auch Meuser/Sackmann 1991). So bestimmt Allert (1976, 237): „Gesellschaftliche Deutungsmuster sind von ihrem strukturellen Ursprungskontext gelöste Wissensbestände, die das Handeln leiten, häufig auch gerade gegen die subjektive Repräsentanz im eigenen Bewusstsein.“ Allert spricht in diesem Zusammenhang von „Motivierungen“ (ebd.) des Handelns durch die Deutungsmuster, denen unbewusste Motivierungen gegenübergestellt werden: „Die wichtige Unterscheidung ist in dem hier diskutierten Ansatz nicht die zwischen Einstellung und Verhalten – beides ist in Begriffen einer Konzeption des regelgeleiteten Handelns ein- und dasselbe – sondern die zwischen kollektivem generativem Deutungsmuster und deren individuellen Konkretionen in Einstellungen [sic!] einerseits [...] und davon unabhängiger Determination (beispielsweise unbewussten Motiven) andererseits“ (Oevermann 1972, 23/24, zit. nach Allert 1976, 238) Hilfreich erscheinen in diesem Kontext die Ergebnisse von Menne (1980), der den Zusammenhang zwischen Deutungsmustern und Unbewusstem im Kontext der psychoanalytischen Therapie untersucht hat. Dabei bringen Deutungsmuster der Krankheit und der Beziehung zwischen Arzt und Patient den Patienten und seine „inneren Vorgänge, körperlicher und seelischer Art, in einen Zusammenhang mit den allgemeinen Strukturen der Welt“ (ebd., 80). Menne zeigt anhand von Ausschnitten aus psychoanalytischen Behandlungen, wie die soziale Differenz und Distanz zwischen Analytiker und Patient aus bildungsfernem Milieu, die als eine äußere und objektive Realität bestehen, von den Patien-
3.3 Individualität und Sozialität des nicht bewussten und unbewussten Entwurfes
75
ten als Folie für Konflikte in ihrer inneren Realität verwendet werden. Dabei greifen diese auf schichtspezifische Deutungsmuster zurück – die in Aussagen wie „es soll schnell eine Ursache gefunden werden“, „ich bin dem „Herrn Doktor“ unterlegen“, „es ist doch eine körperliche Krankheit“, „ich bin verrückt“ zum Ausdruck kommen – die sowohl als Teil ihrer Abwehr fungieren als auch unbewusste Gehalte transportieren. „Die vertrauten Muster seiner sozialen Schicht gestatten dem Patienten, darin auszudrücken, was er selbst bewusst nicht aussprechen würde, und sie gestatten ihm zugleich, zu verdecken, was er äußert“ (ebd., 100). Der objektive Sinn der Deutungsmuster verknüpft sich dabei mit einem spezifisch subjektiven Sinn für den Patienten, anknüpfend an und belebt durch seine innere Erlebniswelt. Es kommt zu einer „Verschiebung in die Realität“ (ebd., 103). Man kann somit von einer doppelten Motivierung des Handelns sprechen, bei der einem Subjekt milieuspezifische Deutungsmuster als ein Ordnungsrahmen zur Verfügung stehen, die mit subjektivem Sinn verknüpft werden. Die elterliche Arbeitsteilung soll also untersucht werden in Hinsicht auf die unbewusste Motivierung einer Alltagspraxis und deren gleichzeitiger Prägung durch und Vermittlung mit den gesellschaftlichen Deutungsmustern. Dabei können die Deutungsleistungen der gesellschaftlichen Muster, die, wie beschrieben, ebenfalls mit einer Konstruktion von Realität und bestimmten Ausblendungen verbunden sind, einerseits den inneren Entwurf zum Ausdruck bringen, andererseits aber auch dazu dienen, ihn zu verbergen.
4 Forschungsmethode
Die vorliegende Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung basiert auf der Rekonstruktion von zehn gruppenanalytisch orientierten Forschungsgesprächen mit Eltern bzw. Familien und deren ethnohermeutischer Rekonstruktionen. Die Forschungs- und vor allem die Rekonstruktionsmethode sollen im Folgenden dargelegt und begründet werden.
4.1 Situierung der Ethnohermeneutik Die Methode der Ethnoanalyse bzw. Ethnohermeneutik geht auf den Soziologen, Religionswissenschaftler und Gruppenanalytiker Hans Bosse zurück. Dieser begann ab den 1970er Jahren im Kontext seiner Langzeitstudien zunächst in Kamerun (Bosse 1979) und später in Papua Neu Guinea (Bosse 1981 und folgende), in Anknüpfung an und in Auseinandersetzung mit der Ethnopsychoanalyse, wie sie von Parin (1961) und Parin/Morgenthaler/Parin-Mathey (1963) entwickelt wurde, und im Rückgriff auf die gruppenanalytische Theorie und Praxis nach Foulkes (1974, 1978) gruppenanalytische Gespräche als Forschungsmethode einzusetzen. Die als Ethnoanalyse bezeichnete Gesprächsmethode ermöglicht in stärkerem Maße und unmittelbarer als die Transposition klassisch psychoanalytischer Verfahren, nicht nur den Einzelnen, sondern auch dessen Verortung in der kulturellen Gemeinschaft und der Gesellschaft in den Blick zu nehmen und die Verknüpfung von individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen zu untersuchen (Bosse z.B. 1979, 1991, 1994, 1999a). In diesem Kontext steht auch die Entwicklung der Ethnohermeneutik als soziologische Rekonstruktionsmethode zur Analyse der in den Gesprächen gewonnenen Forschungstexte. Diese Methode ist darauf ausgerichtet, die verschiedenen subjektiven, lebensphasentypischen, kulturellen und gesellschaftlichen Dimensionen der in der Forschungssituation zum Ausdruck kommenden Lebensentwürfe zu erfassen. Wie sich auch in der folgenden Darstellung zeigt, ist die Ethnohermeneutik als Rekonstruktionsmethode auf Basis gruppenanalytisch orientierter
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4 Forschungsmethode
Gespräche aus diesem Grunde in besonderem Maße gegenstandsangemessen für die mehrdimensional konzipierte Untersuchung der elterlichen Arbeitsteilung.54
4.2 Die Forschungssituation Zentrales Moment der Ethnohermeneutik ist der Blick auf die Gesprächssituation als Ort einer gemeinsamen Praxis und Beziehung von Forscher und Teilnehmern, in der die Lebensentwürfe der Beteiligten interaktiv im Moment der Forschung ausgehandelt werden (Bosse 1994, 1998, Bosse/King 1998). Als zunächst unbekannte und nicht alltägliche Situation wirkt sie für die Teilnehmer einerseits als institutionell und gesellschaftlich strukturierte Realsituation, die im Sinne ihrer Interessen, Ziele, Konventionen und Zwänge als Resultat eingespielter sozialer Praxen gedeutet wird. Gleichzeitig fungiert die Forschungssituation auch als ein Übertragungsraum, in den kulturell-gesellschaftliche und individuellbiographische verinnerlichte Erfahrungen der Teilnehmer einfließen (vgl. Bosse 1998, 52). Auch Rolle und Person des Forschers, seine objektiven und subjektiven Interessen, Zwänge und Möglichkeiten, wie auch das Machtverhältnis zwischen Forscher und Teilnehmern wirken konstituierend für die Forschungssituation (vgl. Bosse 1994, 71ff, King 2004). Dabei vertritt die Ethnohermeneutik ein zugespitztes Verständnis von Übertragung. Diese wird nicht als pathologischer Prozess verstanden, sondern als ein ubiquitäres Phänomen, wie dies auch Horn u.a. (1983) beschrieben haben. Beim Eintragen des Bekannten in die unbekannte Situation Forschung geht es auch um die Hoffnung, verstanden zu werden (Bosse 1994, 76 f) und dabei die Möglichkeit auch potentiell neue Selbstentwürfe, die noch nicht vollständig bewusstseinsfähig sind, auszuprobieren55. Es werden dabei lebensgeschichtliche und aktuelle Beziehungsbilder im Sinne des Lebensentwurfs eingebracht, die sowohl aus familiären wie auch aus unterschiedlichen öffentlichen und institutionellen Situationen stammen. Hierzu gehören auch die institutionellen Normen, Regeln, Ge- und Verbote, Ziele, latenten Bedrohungen und geheimen Befürchtungen (vgl. Bosse 2005).
54 55
Zu gruppenanalytischen Grundbegriffen und -annahmen vgl. das Standardwerk von Haubl/ Lamott (1994). Bosse verweist hier auf das Modell von Sampson/Weiss, wie von Dornes (1993) zusammengefasst. Dabei geht es darum, dass das stärkste unbewusste Motiv eines Patienten nicht die Suche nach infantiler Triebbefriedigung ist, sondern der Wunsch, seine Probleme zu lösen – was ihn wiederum zur Präsentation konflikthaften Materials in einer Therapie bringt, dies mit der Hoffnung, nun verstanden zu werden (vgl. Bosse, ebd.).
4.3 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion
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4.3 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion: Differenzierung und Integration verschiedener Rekonstruktionsdimensionen 4.3 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion Der zu rekonstruierende Forschungstext wird, dem Verständnis der zentralen Bedeutung der Forschungssituation entsprechend, auf allen Ebenen der Rekonstruktion als Produkt der sozialen Praxis Forschung mit ihrer je spezifischen Struktur und Dynamik betrachtet, die die alltagspraktischen und biographischen Deutungen und Übertragungen der Forschungsteilnehmer figuriert.56 Diese Sichtweise auf die Forschungssituation geht über die Bestimmung des Status oder Rahmens eines Protokolls bzw. die Bestimmung eines Handlungstyps und dessen Abweichung hinaus, denn die Ethnohermeneutik geht nicht von impliziten Normalitätsannahmen in Bezug auf das Forscher- und Teilnehmerhandeln im Sinne eines verkürzt verstandenen professionssoziologischen Ansatzes aus (vgl. Bosse 2006)57. Im Sinne einer „reflexiven soziologischen Hermeneutik“ (King 2004, 51) gilt es vielmehr, jeden „Fall konsequent als Fall in der Forschung“ zu reflektieren, wobei die „Art und Weise, wie sich ein Fall in der Forschung konturiert, zentralen Aufschluss über den Gegenstand“ gibt (vgl. auch Bosse 2003). „Die Bedingung für die Möglichkeit der Erkenntnis über das Objekt liegt weder vor allem im erkennenden Subjekt des Forschers noch im Daten entäußernden Forschungsobjekt. Sie liegt vielmehr in der Reflexion auf die gemeinsame Forschungspraxis als praktischer Ausgestaltung einer konkreten institutionellen und einer personalen und damit wirhaften Forschungssituation, die als Ursprungsort aller Daten zu gelten hat“ (Bosse 2006, 12). Die Forschungssituation als Realsituation ist dabei auch geprägt durch ihren institutionellen Kontext, die Person des Forschers etc.. Eine besondere Bedeutung kommt der Initialszene als erster Szene eines Gesprächs zu, da sich im Anfang jeweils eine grundlegende Figur des Gesprächs zeigt (vgl. Bosse 2007, Argelander 1970, Eckstaedt 1991). Gemäß dem Erkenntnisinteresse der Ethnohermeneutik, Wandlungsprozesse sowohl kulturell und institutionell-gesellschaftlich zu verstehen als auch in ihren Verankerungen und widersprüchlichen Wirkungen in Gruppenprozessen und den Subjekten, entwirft die Ethnohermeneutik verschiedene Sinnebenen, die in der Rekonstruktion gemeinsam ein plastisches Bild der untersuchten Lebensentwürfe ermöglichen. Aus der differenzierten Sichtweise auf subjektiv, kulturell und gesellschaftlich geprägte, bewusstseinsfähige und unbewusste Anteile des Lebens56
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Mit der Rekonstruktion von Texten, die keine Forschungsdokumente sind – wie z.B. politische Reden oder Kulturgüter –, ergeben sich notwendige methodische Modifikationen (vgl. Bosse 2001a, 2004). In diesem Sinne gilt auch ein Nichtverstehen nicht als Ausdruck einer Neurose oder Inkompetenz, sondern vielmehr als Ausdruck einer von der Forschungssituation abhängigen Störung, deren Bearbeitung zum Sinnverstehen beiträgt (vgl. Bosse ebd., Bosse 1982).
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4 Forschungsmethode
entwurfes ergeben sich die verschiedenen Interpretationshorizonte einer ethnographischen, soziologischen und gruppenanalytischen bzw. psychoanalytischen Rekonstruktion des Forschungstextes (z.B. Bosse 1994, 80ff). Dabei geht es darum, die Gestalt der von Forscher und Teilnehmern gemeinsam konstellierten Forschungssituation in Beziehung zu setzen zu den darin liegenden und erkennbar werdenden Dimensionen der Lebensentwürfe der Beteiligten etwa mittels folgender Fragen: Ist die Übertragung Ausdruck eine kulturellen Situationsdeutung? Gibt es beispielsweise kulturelle Gepflogenheiten beim Umgang mit dem Forscher als jemandem, der spezifische Eigenschaften hat (ein Mann/eine Frau ist etc.)? Inwieweit ist die Forschungssituation institutionell-gesellschaftlich geprägt? Begegnen sich die Beteiligten z.B. als Professionelle? Inwieweit ist sie Ausdruck einer lebensgeschichtlich fundierten unbewussten Interpretation? Interpretieren die Beteiligten die Situation z.B. als Adoleszente, im Sinne einer ödipalen Verführung etc.? Die Betrachtung der Forschungssituation als eine dynamische und prozesshafte Interaktionssituation im Sinne einer gruppenanalytischen Rekonstruktion hat also eine besondere Bedeutung und fokussiert das Sinnverstehen im Kontext der anderen Dimensionen. Dabei gilt auch der Untersuchung der darin zutage tretenden Abwehrmuster Aufmerksamkeit, die Aufschluss gibt über die Flexibilität oder Starrheit des Lebensentwurfes. Die Untersuchungsebenen der Rekonstruktion können je nach Forschungsgegenstand modifiziert werden: So definiert Keval (1999) in ihrer Untersuchung der Sinnkonstruktionen von NS-Gegnern statt der ethnographischen eine historische Dimension, und Schubert (2005) ist in ihrer Untersuchung der Ablösungskonstellation von Angehörigen der 68er Generation und ihren Kindern in besonderem Maße auf die Generationslagerung eingegangen. In der vorliegenden Untersuchung gehen die ethnographische und soziologische Rekonstruktion in die Analyse der gesellschaftlichen Deutungsmuster ein, die psychoanalytische Rekonstruktion wird vorwiegend als Untersuchung der triadischen Beziehungskonstellation in einer Familie umgesetzt. Die gruppenanalytische Rekonstruktion der Forschungssituation ermöglicht das Verstehen der Inszenierung und Aushandlung des mehrdimensionalen familialen Entwurfes in der gemeinsamen dynamischen Interaktion des Paares mit der Forscherin58. Die Ethnohermeneutik geht in der Rekonstruktion von einer durchgängigen Verbindung der Analyse von Inhalt, sprachlicher Form und darin verankerter Dynamik aus, wobei Form und Inhalt in einem dialektischen Verhältnis stehen. Dabei gehen in das ethnohermeneutische Rekonstruktionsvorgehen nicht nur Einflüsse der Tiefenhermeneutik (Lorenzer z.B. 2002), sondern auch Auseinandersetzungen
58
Es gibt nur wenig Literatur zur Methode von Paar bzw. Familiengesprächen. Hinweise aus Sicht der Soziologie von Behnke/Meuser (2002).
4.3 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion
81
mit der Sequenzanalyse der objektiven Hermeneutik (Oevermann z.B. 1993) und Ergebnisse der neueren Affektforschung ein (Bosse 2007, Krause 1998). Die Besonderheit der Ethnohermeneutik ist hierbei, dass sie in der Analyse der Gesprächstexte psychoanalytische und soziologische Herangehensweisen mit Blick auf die Forschungssituation verbindet. Mit der Objektiven Hermeneutik teilt sie grundsätzlich das Ziel, soziale Strukturen in der Rekonstruktion der Interaktion sichtbar zu machen. Sie nutzt jedoch zugleich die Analyse von Übertragung und Gegenübertragung im Sinne eines gruppenanalytisch verstandenen szenischen Verstehens59 zur Entschlüsselung des individuell und kollektiv (dynamischen) Unbewussten. Somit unterscheidet sie zwischen einer latenten Sinnfigur und deren dynamischer Motivierung, die von der objektiven bzw. strukturalen Hermeneutik nicht erfasst werden kann. Von beiden Methoden unterscheidet sie die systematische Reflexion der Forschungssituation und der Subjektivität des Forschers, die bereits in der Phase der Forschungsvorbereitung einsetzt. Man kann generell den verschiedenen methodischen Ansätzen hermeneutischer Sozialforschung ein gemeinsames Interesse an der Rekonstruktion der zugrundeliegenden Bedeutung des manifesten, sich der Beobachtung darbietenden und den Handlungsakteuren bewusst zugänglichen Sinns zuschreiben. Dieser latente Sinn mit seiner sozialen Bedeutung steht dabei in einem Spannungsverhältnis zu dem von den Handelnden erkannten und subjektiv gemeinten Sinn. Wie der latente Sinn verstanden und definiert wird, differiert jedoch je nach Methodologie und Erkenntnisinteresse. Während z.B. für die Objektive Hermeneutik die fallspezifisch rekonstruierbare Sinnstruktur mit ihrer objektiven Bedeutung die Ebene des Latenten ausmacht, richtet die Tiefenhermeneutik ihr Augenmerk auf die im psychoanalytischen Sinne unbewusste Sinn- und Erlebnisstruktur eines Textes. Damit hängt auch die Entwicklung der sich unterscheidenden methodischen Verfahren der Sequenzanalyse bzw. des szenischen Verstehens zur Rekonstruktion des je als latent verstandenen Sinns zusammen. Jung und Müller-Doohm thematisieren in der Einleitung zu ihrem Band zum Thema „Verstehen und Methoden“, ob sich die Differenzen der unterschiedlichen hermeneutischen Methoden möglicherweise darauf reduzieren lassen, dass diese „sich jeweils um die Analyse spezifischer Dimensionen, um die Analyse von Einzelaspekten sozialer Phänomene und von Wirklichkeitsausschnitten bemühen“ (1993, 24). Für die Wahl einer Rekonstruktionsmethode ist die Frage nach dem Gegenstand zentral. Wenn, wie im Sinne der Ethnohermeneutik beschrieben, Lebensentwürfe mit ihren verschiedenen bewussten, unbewussten und abwehrgeprägten Anteilen in den Blick genommen werden sollen, ist es notwendig, sowohl den 59
Vergl. hierzu auch im gruppenanalytischen Kontext Haubl (1999).
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4 Forschungsmethode
manifesten wie auch den latent-strukturalen und den latent-unbewussten Sinn in den Blick zu nehmen bzw. zu rekonstruieren und dabei hilfreich methodentriangulierend die spezialisierten Zugänge eines sequenzanalytischen Vorgehens und des szenischen Verstehens zu nutzen. Dabei wird die methodologische Kontroverse zwischen Objektiver- und Tiefenhermeneutik, die Diskussion der „erkenntnistheoretisch begründeten Ausschließlichkeitsansprüche“ (Jung/Müller-Doohm 1993, 26) von der Ethnohermeneutik vernachlässigt zugunsten eines potentiell fruchtbaren Ergänzungsverhältnisses in der empirischen Praxis. Der manifeste und direkt beobachtbare bzw. den Handelnden bewusste Sinn stellt die erste Untersuchungsebene einer ethnohermeneutischen Fallanalyse anhand eines Forschungstextes dar. Durch die Zusammenfassung des absichtsvoll und in Form von objektiven und subjektiven Informationen, Deutungen, Darstellungen und im Sinne des Aushandlungsprozesses der Forschungssituation Mitgeteilten lässt sich mit Hilfe soziologischen Fachwissens ein Bild über Personendaten, die soziale Situation, milieuspezifische Verortung etc. der Forschungsteilnehmer gewinnen. Diese Ebene der Beobachtung und soziologischen Interpretation ist auch insofern interessant, als sie sich im Verlauf der weiteren Rekonstruktion in Beziehung und Spannung zum latenten Sinn als untergründiger Struktur und Bedeutung des Manifesten betrachten lässt. Die variierenden Grade von Differenz geben dabei Aufschluss über gesellschaftliche und subjektive Brüche und Konfliktkonstellationen und die Widersprüchlichkeit gesellschaftlichen Wandels. Die ethnohermeneutische Fallrekonstruktion analysiert den Forschungstext somit in einem zweiten Schritt, Wort für Wort sequentiell vorgehend. Die wichtigste Differenz zu einer Sequenzanalyse im Sinne der Objektiven Hermeneutik ist dabei, dass gemäß dem methodologischen Hintergrund der Ethnohermeneutik die Perspektive auf die Forschungssituation auch bei einer sequenzanalytischen Rekonstruktion zentral ist und die Rekonstruktion des Falles als Fall in der Forschung als eine Grundvoraussetzung für die Möglichkeit, zu einer gültigen Aussage über den Fall zu gelangen, definiert ist. Des Weiteren geht die Ethnohermeneutik nicht von der mit dem Begriff einer „Fallstrukturgesetzlichkeit“ (vgl. Oevermann 1993, 252) tendenziell verbundenen Eindeutigkeit der latenten Strukturen aus. Diese werden vielmehr als latente Sinnfiguren verstanden und als grundsätzlich dynamische und Widersprüche enthaltende gefasst (vgl. Bosse 2000, 2004, Bosse u.a. 2004).60
60
Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang auch die unangemessen scheinende Abgrenzung der Objektiven Hermeneutik gegenüber „Operationen der Introspektion und des Verstehens von fremdpsychischen Realitäten“ (Oevermann 1993, 251) als einem unterstellten Interesse der Tiefenhermeneutik, die dem Bereich des subjektiv gemeinten Sinns zugeordnet werden (vgl. ebd.).
4.3 Ethnohermeneutische Fallrekonstruktion
83
Eine sequenzanalytische Rekonstruktion stößt an ihre Grenzen, wenn das Latente des Textes im Sinne der unbewussten Bedeutungsebene in den Blick genommen wird. Das Unbewusste zeichnet sich generell dadurch aus, dass es sprachlich nicht voll repräsentiert ist. Es ist vielmehr leiblich-unmittelbar, nicht auf Ebene der Symbolik und der Sprache organisiert, prinzipiell unorganisierbar (vgl. Görlich 2002), und gerade hieraus ergibt sich seine Durchsetzungskraft. In seiner Qualität als noch nicht bewusster Anteil des Lebensentwurfes stellt es eine „Organisationsebene unterhalb des Bewusstseins und d.h. unterhalb der ‚Wortvorstellungen‘“ dar (Lorenzer 2002, 156). In seiner Qualität als abgewehrter Anteil des Lebensentwurfes ist es auf sprachlicher Ebene nur noch vermittelt über emotional überbesetzte „Klischees“ und emotionsentleerte „Zeichen“ (Görlich 2002, 19) repräsentiert. Zu seiner Rekonstruktion bedarf es von daher einer Methode psychoanalytischen, szenischen Verstehens, die zwar ebenfalls vom Text ausgeht, aber die Person des Interpreten als Verstehensinstrument der bildhaften Szenen des Unbewussten einsetzt, gerade um nicht „subsumptionslogisch“ zu verfahren.61 In Erweiterung der Tiefenhermeneutik erschließt die Ethnohermeneutik mithilfe des szenischen Verstehens nicht allein oder vorwiegend die kindlichen szenischen Praxisfiguren, sondern sie geht davon aus, dass im Sinne des Lebensentwurfes, der in verschiedenen Lebensphasen und sozialen Interaktionen immer wieder ausgehandelt wird, auch unbewusste Anteile aus späteren Lebensphasen relevant sein können. Auch wird mittels eines gruppenanalytischen Verständnisses der Rekonstruktionsarbeit und durch das Führen von Protokollen versucht, Kriterien der intersubjektiven Überprüfbarkeit in besonderem Maße zu berücksichtigen. Die kollegiale Interpretationsgruppe62 übernimmt in diesem gruppenanalytischen Verständnis ihrer Arbeit unbewusst die Aufgabe, die unterschiedlichen Facetten des Fallspezifischen auszudrücken und zu präsentieren. Aufgrund ihrer je eigenen Biographie und Bildungsgeschichte, sind die einzelnen Interpreten sensibilisiert für bestimmte Bedeutungen und erst die Gesamtheit der Reaktionen, aus der Vielfalt der Resonanz der einzelnen Sprecher herrührend, setzt im Interpretationsprozess das fallspezifische Muster zusammen. Es ergibt sich so eine in der Gruppe ausgedrückte und reflektierte szenische Evidenz nicht sich nicht nur auf die Person des Interviewers oder eines einzelnen Interpreten verlassen muss. Mit 61
62
Hier ist kritisch der Versuch von Oevermann/Leber (1994) anzuführen, bei deren objektivhermeneutischer Rekonstruktion eines Therapieprotokolls an entscheidenden Stellen das methodische Vorgehen verlassen und stattdessen psychoanalytische Modelle implementiert werden. Neben die Rekonstruktion durch den Forscher selbst sind in der Rekonstruktion auch gruppale Auseinandersetzungen mit Forschungsgesprächen und Protokollen hilfreich und wünschenswert.
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4 Forschungsmethode
einer solchermaßen gruppenanalytisch verstandenen Interpretation – die zudem protokolliert wird – kann die Gültigkeit und Intersubjektivität der Rekonstruktion gestärkt werden, gerade weil diese nicht in demselben Maße wie die latente Sinnfigur am Text geprüft werden kann. Gleiches gilt auch für das von Bosse entwickelte und an die Affektforschung (vgl. Krause 1998) und Lorenzer (vgl. Leuzinger-Bohleber 2002, 29f) anknüpfende Führen von Affektprotokollen. Dabei werden vom Forscher und den Rekonstruktionsgruppenteilnehmern Protokelle ihrer leiblichen Empfindungen während des Lesens eines Transkriptes angefertigt. Diese dienen in der Rekonstruktion dem Aufspüren der im Gespräch abgewehrten Affekte bzw. der im Gesprächstext ausgeschlossenen Bedeutungen. Die Verbindung der verschiedenen methodischen Zugangsweisen ist auch aufgrund der Problematik der Möglichkeit, Aussagen über das Unbewusste in einer Fallrekonstruktion zu machen, sinnvoll (vgl. z.B. Bosse 2001b). Zu der notwendigen Einfühlung und dem Sicheinlassen auf den Text im Sinne der Irritationswahrnehmung und -analyse hinzutretend, unterstützt ein stärker formalisiertes Vorgehen die Bearbeitung von Verstehenswiderständen und kann dabei helfen, die Interpretation intersubjektiv nachvollziehbar zu machen und abzusichern (ebd). Das In-Bezug-Setzen der Ergebnisse der Rekonstruktion auf beiden Ebenen latenten Sinns und deren kritische Gegenüberstellung und Diskussion kann als methodentriangulierendes Verfahren (z.B. Flick 2004) die Gültigkeit der Rekonstruktion erhöhen.
4.4 Situation der Forschung und Modifikation der Gesprächsmethode Ethnoanalytische Gruppengespräche sind relativ nahe der Praxis der Gruppenanalyse konzipiert. Das heißt, der Forscher geht ein längerfristiges Arbeitsbündnis mit einer Gruppe ein, das mehrere Gespräche umfasst. In den Gesprächen gibt es einen explizit eröffneten Raum für Selbsterfahrungsprozesse der Teilnehmer, was auch mit Erlebnis und Reflexivität eröffnenden Beiträgen des Forschers im Sinne von Deutungen verbunden ist.63 In Abweichung hierzu sind die für die vorliegende Forschung geführten Gespräche Familiengespräche, die nur die familiäre Kleingruppe einbeziehen. Diese umfasst neben der Forscherin Eltern und Kind bzw. in manchen Fällen nur die Eltern, die über sich und das Kind sprechen. Die Gespräche sind jedoch gruppenanalytisch orientierte Gespräche, insofern sie ebenfalls den Gesprächsteilnehmern einen nur geringfügig struktu63
In ethnohermeneutischen bzw. ethnoanalytischen Forschungsarbeiten der letzten Jahre finden sich auch gruppenanalytische Forschungen in der eigenen Kultur (z.B. Bosse 1995, Bosse/King 1998, Keval 1999, Sauter 2000) und ethnoanalytisch orientierte Einzelgespräche (Günther 2001 und 2008, Schubert 2005).
4.4 Situation der Forschung und Modifikation der Gesprächsmethode
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rierten Raum für das Einbringen lebensgeschichtlicher und aktueller Entwürfe bieten. Der Blick der Forscherin richtet sich auf das Wir der Familie, das in der Forschungssituation hergestellte Wir der Forscherin und der Teilnehmer sowie auf das darin zum Ausdruck kommende kulturelle und gesellschaftliche Wir.64 Dabei ist jedoch die anfängliche Strukturierungsleistung der Forscherin zumeist stärker gegeben als in den klassischen ethnoanalytischen Forschungsgesprächen. Während diese nicht „durch Arbeits-, Themen- oder Fragevorgaben vorstrukturiert“ sind (Bosse 1994, 19) und daher Identitätskrisen und deren Bearbeitung herausfordern, sind die Familiengespräche zumeist durch eine einleitende Frage gekennzeichnet. Dies entspricht einem modifizierten Arbeitsbündnis zwischen Forscherin und Teilnehmern, das stärker einen Raum zu einer zwar potentiell auch selbstreflexiven Darstellung des eigenen Entwurfes eröffnet, dabei jedoch eine weitergehende Infragestellung vermeidet. Die befragten Eltern erklären sich bereit, einen Einblick in ihre Praxis und ihre Empfindungen und Sichtweisen zu geben, aber der eigene familiale Entwurf soll zumeist nicht hinterfragt werden. Somit ist eine Einleitung und die zugewandte und grundsätzlich bejahende Haltung der Forscherin, die nur vorsichtige Spiegelungen und keine Deutungen gibt, hilfreich für die Teilnehmenden, da sie eine Minderung von deren Verunsicherung bewirken. Diese Haltung der Forscherin, die von den befragten Eltern zudem zumeist als kinderlos wahrgenommenen wurde, ermöglicht ein weitgehendes Präsentieren der eigene Familienpraxis aufgrund der Sicherheit, vor einer Hinterfragung durch das Gegenüber geschützt zu sein. Dennoch ist auch in dieser Form der Familiengespräche die grundsätzliche Prämisse der ethnoanalytischen Gespräche gegeben, dass die Gesprächsteilnehmer einen nur geringfügig durch die Forscherin strukturierten Raum gemäß ihren eingespielten Praxen wie auch gemäß den verinnerlichten Entwürfen deuten und gestalten und dabei sich selbst und die eigene bewusste und unbewusste Praxis zum Ausdruck bringen und sinnlich inszenieren (vgl. Bosse 1994, 20). Die Forschungsgespräche werden generell vollständig aufgezeichnet und verbatim transkribiert, so dass die Rekonstruktion familialer Entwürfe anhand wortgetreuer Texte erfolgen kann und die Gültigkeitsüberprüfung der Rekonstruktionen möglich ist. Zudem finden auch subjektive Protokolle, die anhand eines Leitfadens erstellt werden (Bosse 1986, 1989, 2004b), Berücksichtigung. In diesen werden die spezifischen Rahmen- und Randbedingungen jedes Gespräches festgehalten sowie die Gesprächsdynamik und die Empfindungen und Irritationen der Forscherin. Dies dient der erweiterten Rekonstruktion der Forschungssituation und bietet einen ersten schriftlich fixierten und damit einem 64
Die im Vorangegangenen hergeleitete Sicht auf die Gemeinsamkeit des familialen Entwurfes als eines Wir-Entwurfes bedingt das Führen von Familiengesprächen im Gegensatz zu Einzelgesprächen mit Männern und Frauen.
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4 Forschungsmethode
späteren Abgleich offenen Zugang zu Affekten des Forschers. Hinzu kommen die Protokolle der gemeinsamen Interpretation in der kollegialen Arbeitsgruppe und die dabei eingebrachten Affektprotokolle der Beteiligten. Diese finden zum Teil implizit und immer wieder auch explizit Eingang in die Rekonstruktion der verschrifteten Gespräche. Die folgende Darstellung der ausführlichen Rekonstruktion der Gespräche mit vier Familien geht jeweils insbesondere auf die Initialszene ein – gemäß der oben dargelegten Annahme, dass sich hier die Struktur und Dynamik der Familie in der Forschungssituation in einer besonders zugespitzten Weise zum ersten Mal entfaltet. Dem wird jeweils eine zweite Szene gegenübergestellt, was zur Erweiterung und Vertiefung der ersten Ergebnisse wie auch zu deren Überprüfung beiträgt.
5 Fallrekonstruktionen
5.1 Forschungssituation und Situierung der Forschungsteilnehmer Im Kontext der vorliegenden Arbeit habe ich zehn Forschungsgespräche mit Elternpaaren von Kleinkindern geführt: mit den Familien Andel, Baumeister/Schneiders, Berg, Bruckner, Diel-Frey/Frey, Elzenheimer/Koch, Gerhards, Hansen, Lehmann und Moser. Der Kontakt zu den Familien kam über eine Kinderbetreuungseinrichtung, über kollegiale Kontakte und im Schneeballsystem über die Forschungsteilnehmer selbst zustande. Zu allen Familien bestand zunächst ein telefonischer Kontakt, in dem das Forschungsanliegen, über das Erleben und die Praxis von Eltern zu sprechen, und die Rahmenbedingungen der Forschung kurz besprochen und ein Gesprächstermin vereinbart wurde. Vor dem Beginn der Aufzeichnung mithilfe eines Aufnahmegerätes stand jeweils noch ein weiteres kurzes Gespräch, in dem es um die Forscherin selbst, ihre Arbeit und institutionelle Einbindung sowie die Verschwiegenheit und spätere Anonymisierung und Transkription des Gesprächs ging. Alle Gespräche fanden bei den Eltern zu Hause, zumeist im Wohnzimmer oder in der Küche statt. Bei den Gesprächen mit Familie Berg, Bruckner, Gerhards und Moser waren die Kinder beim Gespräch anwesend, bei den Gesprächen mit Familie Elzenheimer/Koch und Diel-Frey/Frey waren die Kinder noch kurz wach und wurden dann ins Bett gebracht. Bei den übrigen Familien schliefen die Kinder während des Gesprächs. Alle Familien stammen aus einem ähnlichen Milieu, das durch eine hohes Ausbildungsniveau, die kleinfamiliäre Lebensform in der kindgerechten Kleinstadt und einen mehr oder weniger gehobenen Lebensstandard gekennzeichnet ist. Die Familien wohnen, bis auf Familie Hansen, alle im Speckgürtel einer Großstadt, in kleinen und wohlhabenden Städten. Familie Hansen wohnt in Stadtrandlage in der Großstadt. Vier Familien leben im eigenen Haus, die anderen in zumeist geräumigen Wohnungen zur Miete. Bei vier der Familien sind beide Eltern Akademiker, bei weiteren vier Familien der Vater, in einer Familie die Mutter und in einer Familie keiner der Eltern. Alle Familien haben jeweils ein gemeinsames Kind, mit Ausnahme von Familie Andel, die Drillinge hat. Bei Familie Diel-Frey/Frey wohnen zudem die beiden Söhne aus der ersten Ehe von Frau Diel-Frey in der Familie. Drei der Frauen, Frau Moser, Frau Schneiders und Frau Bruckner, sind schwanger mit dem zweiten Kind. Die gemeinsamen Kinder sind alle zwischen 18 Monaten und
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5 Fallrekonstruktionen
2 ½ Jahren alt, die Elterpaare sind alle zwischen dreißig und Anfang vierzig. Alle Eltern leben in festen und größtenteils langjährigen Partnerschaften, bis auf Familie Elzenheimer/Koch und Familie Baumeister/Schneiders sind alle verheiratet, wobei bei Herrn Baumeister und Frau Schneiders die Hochzeit unmittelbar bevorsteht. Die Gespräche mit den Elternpaaren bzw. Familien dauerten je zwischen einer und zwei Stunden. Alle Angaben, wie Namen, Berufe und Ortsnamen, wurden anonymisiert. Im Folgenden werden alle Familien vorgestellt. Dabei werden die Gespräche mit Familie Lehmann, Familie Bruckner, Familie Hansen und Familie Baumeister/Schneiders in ihrer Rekonstruktion detailliert dargestellt. Die übrigen Familien werden mit ihrer je spezifischen Praxis und Familiendynamik in zusammenfassenden Fallportraits eingebracht. Auch wenn die vorliegende Arbeit nicht explizit im Kontext der grounded theory verortet ist, so folgt doch die Darstellung der Fälle der Idee der Fallkontrastierung: mit Familie Lehmann als traditionellster Familie der Untersuchten und Familie Bruckner als egalitärster, Familie Hansen als gegenüber den Bruckners berufszentrierter Familie und Familie Baumeister als Stellvertreter für die gegenüber den drei anderen diffus und uneindeutig scheinenden Familien. Dies dient Gegenüberstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Familien, bei der sich ein dahinterstehender Sinnzusammenhang herausarbeiten lässt. Die zunächst auf Kontrasten aufbauende Darstellung hebt sich jedoch in der weiteren Rekonstruktion und Analyse in vielen Punkten inhaltlich wieder auf: so ist bei einer hermeneutischen Analyse davon auszugehen, dass zunächst auf Ebene der Alltagspraxis gefundene Unterscheidungsmerkmale möglicherweise durch die Untersuchung der Paardiskurse und vor allem auch der unbewussten Entwürfe und deren Zusammenwirken wieder in Frage gestellt werden. Die vier umfassend rekonstruierten Gespräche werden anhand einer einheitlichen Struktur dargestellt: Nach der Vorstellung der personenbezogenen Daten folgen zunächst eine zusammenfassende Wiedergabe des Gesprächsinhaltes und der subjektiven Deutungen des Elternpaares sowie eine kurze Interpretation. Daran schließt sich die ausführliche Analyse von je zwei Szenen des Gesprächs an, die mit einer sequenzanalytischen und szenischen Rekonstruktion jeweils auf Praxis, Struktur und unbewusste Dynamik der Familie eingeht. Abgeschlossen wird die Fallrekonstruktion durch eine Zuspitzung und Zusammenfassung der Ergebnisse.
5.2 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung
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5.2 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung Peter und Astrid Lehmann sind verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter, Michelle, die zum Zeitpunkt des Gesprächs 18 Monate alt ist. Herr Lehmann ist Anfang vierzig und als Betriebswirt in einem großen Unternehmen tätig. Er ist voll berufstätig und zur Zeit der Ernährer der Familie. Seine Frau Astrid Lehmann ist Anfang dreißig und war bis zur Geburt der Tochter als Sachbearbeiterin tätig. Sie ist jetzt in Elternzeit. Das Gespräch mit dem Ehepaar findet abends in der Wohnung der Familie statt, als die Tochter bereits im Bett ist.
5.2.1 Zum Gesprächsinhalt Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zum Thema Beruf und Familie Herr und Frau Lehmann leben eine weitgehend klassische Arbeitsteilung, bei der Frau Lehmann mit der Geburt der Tochter in Elternzeit gegangen ist und Herr Lehmann das Einkommen der Familie bestreitet. Dies hat für das Ehepaar Lehmann einerseits finanzielle Gründe, da Peter Lehmann wesentlich mehr verdient als seine Frau und diese den gemeinsamen Lebensunterhalt und Lebensstandard nicht hätte sichern können. Zudem war Frau Lehmann in ihrem Beruf nicht glücklich, sie empfand die Arbeit als oberflächlich, wenig selbstbestimmt, repetitiv und nicht ihren Kenntnissen entsprechend. Aus diesem Grunde möchte sie – wenn die Tochter in den Kindergarten kommt – nicht unbedingt in ihren Beruf als Sachbearbeiterin zurückkehren, sondern kann sich vorstellen, als Übungsleiterin im örtlichen Sportverein zu arbeiten, wo sie bereits zur Zeit am Wochenende einen Kurs gibt. Hier schätzt sie das Feedback und den persönlichen Kontakt zu den Kursteilnehmern. Herr Lehmann thematisiert zudem, dass das Berufsleben dem Wesen seiner Frau nicht entsprochen habe, da diese „unheimlich sensibel“ gegenüber allen Menschen sei und daher oft unzufrieden und frustriert mit dem „pragmatischen Beruf“ gewesen sei, bei dem menschlich nichts zurückgekommen sei. Beide sind sich darin einig, dass demgegenüber bei einem Kind viel Zuneigung zurückkommt und das Leben mit einem Kind eine sehr große Bereicherung darstellt. Außerdem spricht Herr Lehmann gleich zu Beginn des Gesprächs Erfahrungen aus seiner gescheiterten ersten Ehe an, aus der er ebenfalls eine Tochter hat, zu der jedoch kein Kontakt mehr besteht. Dieses Kind wurde als Kleinkind durch Großeltern und eine Tagesmutter betreut, da seine erste Frau
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5 Fallrekonstruktionen
damals ihr Studium abgeschlossen hat. Darin, dass seine erste Frau ihrer Berufsausbildung Priorität eingeräumt habe, liegt für Herrn Lehmann die Ursache für die problematische Entwicklung des Kindes, das zu wenig Liebe bekommen habe. Er macht deutlich, dass ihm an der augenblicklichen Arbeitsteilung sehr viel gelegen ist und er darin eine Grundbedingung für das glückliche Aufwachsen des Kindes und die Zufriedenheit in der Partnerschaft sieht. Aber auch Frau Lehmann findet eine (halbtägige) Berufstätigkeit bei Müttern von Kleinkindern problematisch, da dies zu Stress und Konflikten für Mutter und Kind führe. Demgegenüber ist für sie ihr Alltag mit dem Kind ausgefüllt und erfüllend, und sie bemüht sich, ihn so zu gestalten, dass die Entwicklung und Förderung des Kindes und die Haushaltsorganisation koordiniert ablaufen können. Beide Eltern betonen jedoch, dass Herr Lehmann der (beruflichen) Entwicklung seiner Frau nicht im Wege stehen würde, sondern diese auch einen einwöchigen SportFortbildungskurs besuchen kann. Zentral dabei ist aber, dass die Tochter nicht öffentlich betreut werden muss. Für Herrn Lehmann selbst sind seine Berufstätigkeit und sein beruflicher Erfolg sowohl das Ergebnis seiner vorherigen Leistungen und Quelle von Anerkennung als auch eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Im Beruf kommen für ihn männliche Eigenschaften wie Pragmatik, analytisches Denken und Durchsetzungsvermögen zum Ausdruck. Ein berufliches Scheitern antizipiert er dabei nur aufgrund möglicher widriger Umstände. Zugleich betont Herr Lehmann jedoch den Stellenwert, den das private Glück für ihn hat. Er misst der Tatsache, dass er der Familieernährer ist, keine besondere Bedeutung zu und fühlt sich angesichts seiner Verantwortung dabei weder besonders stolz noch belastet.
Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zu den familiären Beziehungen Herr und Frau Lehmann sehen sich als ein glückliches Paar mit einer erfüllten Beziehung, die durch das gemeinsame Kind noch zusätzlich bereichert wurde. Gleichzeitig war jedoch die erste Zeit mit Kind für Frau Lehmann durch hohe Belastungen und viel Unsicherheit geprägt, die aus ihrer Sicht auch die Paarbeziehung belastet haben. Beide Eltern betonen jedoch, dass das gemeinsame Durchstehen schwieriger Phasen die Beziehung bestärke und sie als Paar durch das Elternwerden noch vieles hinzugewonnen hätten. Bezüglich der Tochter ist für Frau Lehmann vor allem die Erziehung und Ermutigung zu Selbstvertrauen wichtig, was sie im Alltag zu vermitteln sucht. Herrn Lehmann ist ein kommunikativer Erziehungsstil wichtig, damit auch Aus-
5.2 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung
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einandersetzungen im Sinne einer „Streitkultur“ möglich seien. Auch wenn sie eine öffentliche Fremdbetreuung ablehnen, ist für beide Eltern zudem das „Loslassen“ gegenüber der Tochter wichtig. Sie wird regelmäßig durch eine Großmutter und die Nachbarn betreut, damit die Eltern auch ohne Kind ausgehen können. Dies kommt auch in einem einwöchigen Urlaub ohne die Tochter zum Ausdruck. Peter und Astrid Lehmann betonen die Bedeutung von Peter Lehmann als Vater, der in schwierigen Situationen, wie beim Zähneputzen, Einschlafen oder nächtlichem Wachwerden, besser mit der Tochter umgehen könne. Er sieht sich dabei als konsequenter als seine Frau, die Tochter habe mehr Respekt vor ihm, wohingegen für Astrid Lehmann eher ihre emotionale Bindung an die Tochter im Vordergrund steht, wegen der sich die Tochter ihr gegenüber mehr erlaube. Auch wenn Peter Lehmann durch seinen Beruf viel abwesend ist, so nimmt er abends und am Wochenende doch intensiven Anteil am Familienleben und hat einen Teil seiner Freizeitaktivitäten eingeschränkt. Herr Lehmann spielt mit seiner Tochter und wickelt sie und nimmt die Entwicklung seiner Tochter wahr. Den Sonntag bezeichnet er als seinen „Tochter-Tag“, an dem er nachmittags die Tochter allein betreut, wenn seine Frau ihren Sportkurs gibt. Die Qualität von Herrn Lehmann als engagiertem Vater und die mütterlichen Qualitäten von Frau Lehmann sind dabei für das Ehepaar Lehmann auch Teil ihrer Paarbeziehung und wirken auf diese bestärkend und beflügelnd.
Interpretation der Gesprächsinhalte: Es lässt sich festhalten, dass bei der Familie Lehmann die klassische Arbeitsteilung, die perspektivisch auch über die Elternzeit von Frau Lehmann hinaus angelegt ist, von ebenfalls klassischen Geschlechterzuschreibungen begleitet ist. Demnach ist Weiblichkeit durch Sensibilität und Fürsorglichkeit und die Suche nach einem persönlichen Sinn gekennzeichnet, was für Frau Lehmann (in der Deutung ihres Mannes) in der nüchternen Arbeitswelt zu Frustrationen geführt hat. Demgegenüber kann sie sich zu Hause als Mutter stärker selbst verwirklichen, ihre Präsenz als Mutter ist zudem besonders wichtig für eine gelingende Entwicklung des Kindes wie auch für die Stabilität der Paarbeziehung. Männlichkeit ist hingegen durch Pragmatik, analytisches Denken und Durchsetzungsfähigkeit gekennzeichnet und daher gleichsinnig und erfolgreich im Beruf zu verwirklichen. Dies weist – gemeinsam mit dem hohen Stellenwert, den auch Herr Lehmann der Familie einräumt – auf einen familistischen Lebensentwurf hin. Dieser ist durch eine auch emotional verankerte Familienzentrierung gekennzeichnet, bei der der Familie von Mann und Frau eine besondere Wertigkeit
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5 Fallrekonstruktionen
zugemessen wird. Dabei ist die Frau wesensgemäß die Hüterin des Hauses und hat im Sinne der Familienzentrierung eine hohe Bedeutung. Dies ist mit einer Abschirmung von der Gesellschaft verbunden, wie sie sich bei Familie Lehmann an der Ablehnung von öffentlicher Fremdbetreuung festmachen lässt. Interessant und von der Konzeption komplementärer Geschlechtsrollen abweichend ist die Positionierung von Herrn Lehmann als engagiertem Vater, der in manchen Bereichen sogar kompetenter erscheint als die Mutter – auch wenn dies z.T. mit den klassischen Geschlechtszuschreibungen von Weichheit vs. Härte verbunden wird. Er ist jedoch als Vater nicht nur im Sinne der Autoritätsfigur präsent, sondern engagiert sich auch in den traditionell weiblichen pflegerischen Bereichen, wie Zähneputzen und Wickeln. Auch die Beziehung der Eltern zur gemeinsamen Tochter erscheint doppelsinnig. So steht der Ablehnung der öffentlichen Betreuung die regelmäßige und im Sinne des einwöchigen Urlaubes auch längere Fremdbetreuung durch Familienangehörige und Nachbarn gegenüber. Dabei werden auch Abgrenzung (das „Loslassen“) seitens der Eltern und Autonomie und Selbstbewusstsein seitens des Kindes befürwortet, was auch im Kontext der von Herrn Lehmann gewünschten „Streitkultur“ auf ein anderes Konzept von familiären Beziehungen verweist als der an Harmonie und Bindung orientierte familistische Lebensentwurf.
5.2.2 Rekonstruktion der Initialszene AK65: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.:
AK:
65
Könnt ihr...// Was? // gerne damit anfangen, was sich für euch verändert hat. Wenn das n Einstieg ist. Ehhhh, was sich für uns verändert hat, gegenüber.... Mhm. Oder wie es war für euch Eltern zu werden, vielleicht ist das auch der Anfang// //Haaaaaa abendfüllend.// // vom Elternsein (Lachen). Ahm, ja, also. Ja, ja die die Michelle wurde ja in S. (Ort in der Nähe) geboren, ne. Mhm. Und ehm, es fing dann damit an, dass Peter hier, also die Geburt und alles war ganz prima und ich hatte einen super tollen, tollen Krankenhausaufenthalt. Und es war Weihnachten, Weihnachtszeit// Mhm.
Namenskürzel der Forscherin, Anke Kerschgens.
5.2 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung
Astrid L.:
AK: Astrid L.:
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// und Peter hatte hier ganz toll einen Weihnachtsbaum aufgestellt und alles war ganz schön zu Hause, wurd ich super empfangen und so, und dann gings aber natürlich gleich in die Vollen, weil, joh, ehm... jetzt stand man halt plötzlich dann doch alleine, obwohl wir ne ganz tolle Hebamme hatten und so. Und es hat im Prinzip auch alles super funktioniert ehm, bis auf die Tatsache, dass sie nicht so toll schlief. Mhm. Und dann waren die Nächte wirklich dermaßen anstrengend, weil sie nicht gleich wieder eingeschlafen ist und so weiter und so fort, dass ich morgens ziemlich gerädert war und halt immer dachte, jetzt mach ich nen Fehler, und dann mit andern Muttis korrespondiert hab und so, und das zog sich wirklich bis fast zum ersten Lebensjahr.
Inhalt der Szene In dieser ersten Szene des Gesprächs wird die Initialszene des Elternseins von Astrid und Peter Lehmann geschildert. Frau Lehmann erzählt, dass die Geburt der Tochter im Nachbarort gelungen und der folgende Krankenhausaufenthalt ebenfalls „toll“ war. Die Rückkehr aus dem Krankenhaus wurde von Herrn Lehmann durch ein weihnachtlich geschmücktes Haus gestaltet. Die Realität mit dem nachts wenig schlafenden Säugling war demgegenüber für Frau Lehmann sehr anstrengend, und sie fühlte sich als Mutter verunsichert.
Sequenzanalytische Rekonstruktion Die Forscherin beginnt das Gespräch mit den Worten „könnt ihr“. Damit werden zwei Ebenen angesprochen: zum einen eine Ebene der Intimität, die im Duzen des Gegenübers zum Ausdruck kommt, und zum Anderen eine Ebene der Handlungsfähigkeit der Forschungsteilnehmer, die potentiell etwas „können“. Das Paar wird dabei gemeinsam angesprochen, und während die Forscherin das Gespräch beginnt, eröffnet sie einen Raum für das Handeln der Gesprächspartner als Paar. Nach diesen ersten beiden Worten wird die Forscherin von Frau Lehmann mit der Frage „Was?“ unterbrochen, noch ehe deutlich werden kann, worauf die Forscherin hinauswill, d.h. was das Ehepaar Lehmann „kann“. Die Frage „Was?“ drückt dabei potentiell Überraschung und Unverständnis aus an einer Stelle, an der die Forscherin noch dabei ist, ein Anliegen bzw. einen Gesprächsanfang zu formulieren, und bisher nur das Wir das Paares und ein unbestimmtes „Können“ angesprochen sind.
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Die Forscherin fährt fort mit ihrem Satz und macht einen thematischen Vorschlag, anzufangen mit dem, was sich für das Ehepaar Lehmann verändert hat. Dies bestärkt sie noch einmal durch ihren Nachsatz „Wenn das ein Einstieg ist.“. Die Forscherin spricht damit das subjektive Empfinden des Paares an („für euch“), signalisiert wohlwollende Aufmerksamkeit durch „gerne“ und lässt dem Ehepaar Lehmann gleichzeitig Handlungsspielraum durch die offene Formulierung „Wenn das ein Einstieg ist“. Sie spricht dabei erneut das Paar an, duzt die Gesprächspartner, versucht ihnen eine Hilfestellung für den Gesprächsanfang zu geben und lässt ihnen gleichzeitig Autonomie, diesen zu gestalten. Erneut reagiert Frau Lehmann. Sie zögert zunächst („Ehhh“) und wiederholt dann fragend die Formulierung der Forscherin, der sie ein „gegenüber“ anhängt, das in der Schwebe gelassen wird, als Frau Lehmann nicht weiterspricht. Frau Lehmann drückt dadurch ein Nichtverstehen aus – das Thema „Veränderung“ ist für sie kein Einstieg, denn sie kann spontan kein Moment ausmachen, an dem Veränderung stattgefunden hat. Deshalb bleibt für sie die Frage des Vorher – Nachher im Sinne des von ihr formulierten „gegenüber“ offen und unklar. Die Forscherin setzt erneut an, sie schafft sich zunächst eine kleine Bedenkpause („Mhm“) und eröffnet darauf eine Alternative mit „oder“. Sie schlägt vor, darüber zu sprechen, wie es war, Eltern zu werden, und spricht damit das Moment der Veränderung noch einmal deutlicher an. Somit eröffnet sie einerseits eine Alternative und bleibt andererseits doch bei ihrem Thema. „Vielleicht“ hier ist ihre Formulierung wieder durch Offenheit gekennzeichnet – sei dies der Anfang vom Elternsein. Auch hier spricht die Forscherin das Empfinden des Paares an („für euch“). In ihrem Satz wird sie erneut von Frau Lehmann unterbrochen, die sich mit „haaa abendfüllend“ einerseits ironisch distanziert und andererseits deutlich macht, dass dies ein umfassendes und dadurch wichtiges und zugleich sehr allgemeines Thema ist. Am Ende des Satzes lachen alle gemeinsam über die Formulierung der Forscherin, dass das gemeinsame Elternwerden „vielleicht“ der Anfang vom Elternsein sei. Diese Formulierung der Forscherin ist einerseits eine Fehlleistung und setzt doch zugleich den Anfang des Elternseins und den Anfang des Gesprächs in einen Kontext. Auf einer dritten Ebene trifft die Äußerung – unbemerkt von der Forscherin – einen familiengeschichtlich wichtigen Punkt, denn im weiteren Gespräch wird deutlich, dass Herr Lehmann bereits Vater war, bevor die gemeinsame Tochter geboren wurde. Der Gesprächsanfang beinhaltet somit einen Einigungsprozess zwischen der Forscherin und dem Ehepaar Lehmann über das Gesprächsthema, der mit dem gemeinsamen Lachen abgeschlossen wird. Gekennzeichnet wird dieser Prozess dadurch, dass die Forscherin zunächst in ihrem sowohl Zugewandtheit als auch Handlungsfreiheit ausdrückenden Anfang nicht verstanden und zwei Mal unter-
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brochen wird. Die erste Unterbrechung durch „Was?“ bedeutet eine gewisse Aggression, da an dieser frühen Stelle die Forscherin noch gar keine Gelegenheit hatte, sich auszudrücken. Andererseits wird von Frau Lehmann damit auch ein Verhältnis der Überforderung durch die Forscherin herausgestellt: Die Forscherin scheint nicht auf Frau Lehmanns Vorverständnis einzugehen, sondern überrascht und überrumpelt sie vielmehr. Bereits der Satzanfang „Könnt ihr“ erscheint dann als Zumutung für Frau Lehmann. Ähnliches kommt darin zum Ausdruck, dass Frau Lehmann mit dem Thema Veränderung nichts anfangen kann. Man kann auch hier annehmen, die Forscherin habe ohne thematischen Kontext gefragt, so dass das Thema „Veränderung“ für Frau Lehmann zu allgemein und unspezifisch ist und daher für sie keinen Sinn ergibt. Auch die zweite Unterbrechung („abendfüllend“) beinhaltet eine weitere Aggression, die jedoch statt des vorher ausgedrückten Überforderungsverhältnisses eine aktive und auf die Formulierung der Forscherin antwortende ironische Distanzierung enthält. Während einerseits damit auf das Thema „Veränderungen des Elternwerdens“ eingegangen und es gewürdigt wird, werden andererseits Thema und Forscherin auch ferngehalten. Das Beziehungsverhältnis zwischen Forscherin und Frau Lehmann ist demnach dadurch bestimmt, dass zunächst die Einleitung der Forscherin durch Frau Lehmanns Reaktion als unempathische Überrumpelung dargestellt wird und sie selbst zugleich der Forscherin aggressiv gegenübertritt. Angesichts der (im Forschungsprotokoll festgehaltenen) Tatsache, dass sowohl telefonisch als auch noch einmal unmittelbar vor dem Gespräch ein Austausch über das Thema und das Anliegen der Forscherin stattgefunden hat, ergeben sich in Bezug auf das Nichtverstehen zudem zwei weitere, möglicherweise miteinander zusammenhängende Bedeutungen: Einerseits kann es sein, dass Frau Lehmann tatsächlich nichts mit dem Thema „Veränderungen“ anfangen kann, weil sich für sie durch das Elternwerden nichts verändert hat, oder es kann sein, dass die Veränderungen ein problematisches Moment sind, das nicht offen deutlich werden darf. Dabei kann es zudem sein, dass sich das Ehepaar Lehmann in seiner spezifischen Geschichte – dies ist die zweite Ehe von Herrn Lehmann und er hat bereits eine Tochter – unangenehm erkannt fühlt, auch wenn die Forscherin dieses Hintergrundwissen zu Beginn des Gesprächs nicht hat. Eine weitere mögliche Bedeutung liegt darin, dass das „Elternwerden“ und die Formulierung „wie es war“ explizit die Perspektive des Paares im Sinne des gemeinsamen Übergangs anspricht, wohingegen „Veränderung“ in seiner Offenheit auch interne Veränderungen der Paarbeziehung und Veränderungen für den Einzelnen beinhalten kann. Während für Frau Lehmann letzteres kein Thema darstellt, geht sie auf den gemeinsamen Schwerpunkt Elternwerden bereitwillig ein.
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Hier erhält auch das Lachen über die nicht ganz glückliche Formulierung der Forscherin, vielleicht sei das Elternwerden der Anfang des Elternseins, weitere Bedeutungsebenen. In ihm können aggressive Affekte gegenüber der Forscherin und ihrem vielleicht zu nahe tretenden Thema auf eine sozial akzeptable Weise ausgedrückt werden und zugleich kann im Lachen über die Fehlleistung deren Wahrheitsgehalt verborgen bleiben. Im Lachen verbinden sich somit Distanzierung und Gemeinschaft zwischen Forscherin und Teilnehmern. Nach diesem Einigungsprozess beginnt Frau Lehmann, zunächst stockend, mit der inhaltlichen Schilderung zum Thema „Elternwerden“, wobei sie zwischen drei thematischen Erzählebenen wechselt. Sie benennt zunächst sachlich den Ort, an dem die Tochter Michelle geboren wurde, wobei sie weder von sich noch aus der Perspektive des Paares spricht. Dann jedoch folgt – erst nach der Geburt der Tochter – der eigentliche Anfang, den sie als solchen benennt. Frau Lehmann schildert, „es fing damit an“, dass ihr Mann Peter „hier“ etwas gemacht hat. Diesen zweiten Erzählstrang bricht sie dann jedoch wieder ab, um erneut auf die Geburt zu sprechen zu kommen. Sie betont, dass „die Geburt und alles“ prima und auch ihr Aufenthalt im Krankenhaus „super toll“ war. Darauf kehrt sie erneut zum zweiten Erzählstrang zurück und schildert, was ihr Mann gemacht hat. Es war Weihnachten, was durch dreimalige Erwähnung betont wird und Peter Lehmann hatte einen Baum aufgestellt. Der Anfang liegt also nicht bei der zunächst angesprochenen Geburt, sondern im Aufstellen des Weihnachtsbaumes durch Herrn Lehmann, in seinem Handeln. Frau Lehmann lobt ihren Mann, er habe dies „ganz toll“ gemacht. Gleichzeitig war auch zu Hause alles „ganz schön“ und sie selbst wurde „super empfangen“. Kontrastierend dazu steht, als ein dritter Erzählstrang, dass es „in die Vollen“ ging, „natürlich gleich“ und „man“ doch alleine dastand. Wieder positiv und dem ersten Erzählstrang folgend schildert sie, dass auch die Hebamme „ganz toll“ war und alles „super funktioniert“ hat. Davon abgegrenzt wird dann wiederum im Sinne des dritten Erzählstrangs, dass das Kind „nicht so toll“ schlief. Dies wird dann weiter ausgeführt: Die Nächte waren anstrengend, sie selbst war „gerädert“, verunsichert und fühlte sich als Mutter unfähig („mach ich nen Fehler“) – und dies das ganze erste Jahr hindurch. Hilfreich erscheint in Frau Lehmanns Erzählung die Müttergemeinschaft, die Korrespondenz mit anderen „Muttis“. Betrachtet man die drei Erzählstränge, so zeigt sich zunächst die nüchterne und unpersönliche Erwähnung des Geburtsortes der Tochter, auf die die Erzählung zum eigentlichen Anfang folgt. Es erscheint also nicht die Geburt der Tochter als das eigentlich Erzählenswerte, sondern die Situation des Paares, der Empfang, den Herr Lehmann seiner Frau zu Hause bereitet. Sein Aufstellen eines Weihnachtsbaumes wird sprachlich höher bewertet als die Geburt. Der Einschub, dass Geburt und Krankenhaus „prima“ und „toll“ waren wirkt demgegenüber als
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Konzession an die Konventionen und bleibt trotz oder gerade wegen seiner Superlative eher emotionslos, auch das Kind als Person taucht hier nicht mehr auf, sondern wird unter das zusammenfassende „und alles“ mit eingefasst. Authentische Emotionen lassen sich erst im Ausdruck „dann gings in die Vollen“ verorten, wobei unklar bleibt, wen dies betraf, denn Frau Lehmann verschleiert das, indem sie neutral formuliert, dass „man“ alleine dastand. Im Gegensatz zur „tollen“ institutionellen Versorgung im Krankenhaus zeigt sie die Situation mit Kind zu dritt zu Hause als eher ernüchternd. In auffälligem Kontrast zum vorher formulierten allgemeinen „man“ steht das „Wir“ des Paares in Bezug auf die Hebamme, die sprachlich beide unterschiedslos gemeinsam gehabt haben66. Daran anschließend stellt Frau Lehmann der Feststellung, dass „alles super funktioniert“ hat, als pauschaler, technischer Äußerung zum Leben mit dem Säugling die Aussage gegenüber, dass die Tochter nicht gut geschlafen hat, nachts wach war und sie selbst dadurch verunsichert und erschöpft. Ausgehend von den Erzählwechseln, zeigt sich hier eine Abgrenzung dreier Szenen. Zum einen gibt es das eigentliche Elternwerden, den Moment der Geburt der Tochter durch Frau Lehmann. Die Geburt wird weder personell noch emotional besetzt. Ihre Darstellung wird zunächst als formale Angabe des Geburtsortes gestaltet und dann werden Geburt und die ersten Tage mit dem Neugeborenen unter Verwendung von – den Konventionen geschuldeten – Superlativen abgehakt. Hervorgehoben als eigentlicher Anfang wird von Frau Lehmann die zweite Szene, in der sie – hier fehlt das Kind sprachlich – von ihrem Mann zu Hause empfangen wird. Auch diese Szene wird mit Superlativen bezeichnet. Demgegenüber steht die dritte Szene, in der die Tochter Michelle zum erstem Mal als Person mit Eigenschaften auftaucht, die jedoch negativ konnotiert sind: sie schläft nicht und schläft nicht wieder ein. Hier rückt auch Frau Lehmann selbst in den Vordergrund. Ihre langanhaltende Einsamkeit, Verunsicherung und Erschöpfung in der Beziehung zur Tochter werden deutlich. Es zeigt sich somit ein Bruch zwischen dem sprachlichen Überschwang von „toll“ und „super“, der auch durch die Betonung der Tatsche, dass es Weihnachten war, nahegelegten „heiligen“ Familie und der familialen Realität, die durch Superlative und die Erzählwechsel verborgen wird. Die Familie taucht dabei nicht als Dreieck auf, sondern übrig bleibt am Ende der Initialszene eine alleingelassene und überforderte Mutter. Diese Kernsituation wird von Frau Lehmann jedoch durch die Schilderung der erfüllten Paarbeziehung verdeckt. Dabei ist auffällig, dass rein sprachlich nur sie nach Hause zu ihrem Mann kommt und empfangen wird. Auch nach der Geburt des gemeinsa66
Dass hier nicht das „Wir“ aus Mutter und Tochter gemeint sein kann ergibt sich aus dem Satz vorher – „man stand alleine da“, bei dem logisch eine Realität unter Erwachsenen angesprochen ist, weswegen sich auch das folgende Wir auf eine Realität unter Erwachsenen bezieht.
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men Kindes zeigt sich das Paar ohne Kind. Zudem bestehen mit den Ausdrücken „Weihnachtsbaum aufstellen“ und „empfangen“ zwei auch sexuelle Anspielungen, die das Paar als sexuelles Paar thematisieren. Aus der sexuellen Szene des Paares fällt Frau Lehmann als Frau und Mutter dann jedoch überraschend heraus, sie muss den Preis der sexuellen Vereinigung – das Kind – alleine versorgen und ertragen. Herr Lehmann taucht in der Initialszene nicht als Vater in seiner Beziehung zur Tochter auf, auch wenn Frau Lehmann einerseits das neutrale „man“ verwendet und ihr Alleinsein damit nicht direkt ausdrückt und andererseits im anschließenden Teilsatz „wir hatten eine tolle Hebamme“ eine moderne Konvention gleichberechtigter Teilhabe an der Verantwortung für das Kind wieder herstellt. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind wird hier vor allem durch die negativen Eigenschaften der Tochter gekennzeichnet, die zu wenig schläft, somit ihre Anwesenheit mehr als gewollt deutlich macht und ihre Mutter überfordert und verunsichert. Auch hier taucht Herr Lehmann als Vater nicht auf, sondern Frau Lehmann konstruiert eine virtuelle Gemeinschaft von Müttern, bei der sie sich Rat holt. Die familiäre Triade der Familie Lehmann besteht so aus einem sexuellen Paar nach Maßgabe des Ehemannes und einer zunächst nicht gelingenden Mutter-Kind-Dyade, die durch Überforderung und Erschöpfung gekennzeichnet ist. Die Position des Kindes ist dabei eine negative. Die Superlative von Frau Lehmann überdecken den Mangel an Empfinden und positiven Gefühlen, die nicht deutlich werden dürfen. Bezieht man den Anfang der Szene mit ein, mit seinen Aggressionen, der Überforderung und der Ablehnung des Themas Veränderung, ergeben sich folgende Verbindungslinien: Veränderung ist für Familie Lehmann ein doppeldeutiges Thema. Einerseits hat sich nichts verändert, wenn man auf den Versuch blickt, die Realität des intimen Paares aufrechtzuerhalten. Auch für Herrn Lehmann scheint sich nichts verändert zu haben, wenn er, außer als Partner und Liebhaber seiner Frau, nicht als Vater der Tochter geschildert wird. Andererseits hat sich alles verändert, denn Frau Lehmann ist als Mutter zunächst extrem beansprucht und in ihrer Kompetenz verunsichert. Diese zunächst nur negativ erscheinende Realität soll jedoch verborgen bleiben und wird nicht zum Teil der Paarbeziehung, sondern ausgelagert in den Austausch mit anderen Müttern. Die Aggression gegenüber der Forscherin und ihrer Frage wird somit verständlich, da diese zwei wunde Punkte der familialen Konstruktion anspricht: Das Moment von Veränderung gegenüber Kontinuität und dabei die Konstitution der Triade gegenüber der fortdauernden Realität des Liebespaares. Das Thema „Elternwerden“ ist demnach eher zu besprechen, da in ihm die bestehenden Ambivalenzen weniger angesprochen werden und eine entsprechende Schilderung möglich wird. Die Frage der Forscherin nach dem Anfang vom Elternsein bleibt dabei mehrdeutig, denn in der Initialszene scheint nur für Frau Lehmann das Elternsein
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praktisch begonnen zu haben (wenn auch mit den geschilderten Schwierigkeiten), wohingegen das Elternwerden des Liebespaares und die Integration des Kindes in die Realität der Paarbeziehung noch aussteht. Kontrastierend dazu war die Geburt der Tochter für Peter Lehmann nicht der Anfang des Elternseins, denn zum einen war er ja bereits Vater einer Tochter und zum anderen ist er als Vater emotional noch nicht präsent. Dies hat eine Parallele in der Gesprächssituation, in der zunächst nur Frau Lehmann und die Forscherin miteinander sprechen und Herr Lehmann schweigt. Frau Lehmann übernimmt somit einerseits die Aufgabe, den Kontakt und die Gesprächssituation herzustellen, und andererseits kann man darin auch ein Moment der Müttergemeinschaft sehen, in der Frauen sich miteinander über die Probleme in der Familie austauschen.
Szenische Rekonstruktion In der szenischen Rekonstruktion mithilfe von protokollierten Gegenübertragungsaffekten aus dem Forschungsprotokoll und der Rekonstruktionsgruppe zeigen sich folgende Reaktionen auf die erste Szene des Gesprächs mit dem Ehepaar Lehmann:
Ärger über Astrid Lehmann, die die Forscherin nicht ausreden lässt; Ekel angesichts einer als geheuchelt wahrgenommenen familialen Harmonie; Mitleid und Mitgefühl für Astrid Lehmann, ihre Erschöpfung und Einsamkeit; Ärger über die sprachlichen Dramatisierungen, das Gefühl „verarscht“ zu werden; Angst und Grauen angesichts von etwas Grausamem und Schrecklichem, über das nicht gesprochen wird und das in Vergangenheit oder Zukunft lauert.
Bereits in der sequenzanalytischen Rekonstruktion wurden Aggressionen deutlich, die an der Unterbrechung der Forscherin durch Frau Lehmann und für die Lehmanns in der Frage der Forscherin an sie festgemacht werden können. Insofern stellt der Ärger zunächst sowohl eine mit der Forscherin als auch mit dem Ehepaar Lehmann mitfühlende Reaktion dar. Der Ärger angesichts des Gefühls der „Verarschung“ lässt sich mit dem Ekel angesichts der als geheuchelt wahrgenommenen familialen Harmonie verbinden: Beide Gefühle beziehen sich auf körperliche Aufnahme- bzw. Ausscheidungsvorgänge und treten hier im Kontext dessen auf, dass eine idealisierte Realität dem Gegenüber aufgedrängt werden soll, die dieser nicht schlucken möchte. Hierauf lassen sich sowohl die unterstell-
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te Heuchelei als auch die absichtsvolle Täuschung des „verarschen“ beziehen. Das Mitleid ist dagegen eine empathische Reaktion in Identifikation mit Frau Lehmann, deren Erschöpfung und Einsamkeit sich trotz der und als Kehrseite der dem Gegenüber übergestülpten „tollen“ Realität vermittelt. Angst und Grauen gehen hierüber hinaus und verweisen auf etwas Zusätzliches, eine affektive Realität, die eher mit der Heftigkeit der Reaktionen auf die vorgetäuscht scheinende Harmonie korrespondiert. Ekel und Grauen lassen sich dabei als Hinweis darauf deuten, dass die Brüche der Initialszene, die ja in den Erzählwechseln bereits deutlich wurden, affektiv wirksam und bedeutsam sind, dass das Misslingen der Triade, das von Frau Lehmann mit Superlativen fröhlich überspielt wird, mit Verletzungen und Zerstörungen verbunden ist. Dabei ist für das Kind, als am wenigsten in positiver Weise präsenter Beziehungspartner, am meisten zu befürchten, auch wenn sich die doch ausgeprägten affektiven Reaktionen auf die Initialszene zunächst nicht direkt auf das Kind beziehen und es auch hier ausgeschlossen bleibt.
Hinweise auf Deutungsmuster: In der Initialszene lassen sich Hinweise auf zwei konträre Deutungsmuster finden. Zum einen kann man anhand der alleinzuständigen Mütterlichkeit von Frau Lehmann, die sich in der Müttergemeinschaft austauscht und verortet („mit anderen Muttis“), einen Ausdruck des Deutungsmusters Mutterliebe festmachen. Dabei ist die Kommunikation mit dem Ehemann und Vater des gemeinsamen Kindes nicht naheliegend, da Kompetenz im Umgang mit einem Neugeborenen nur Frauen vorbehalten ist und daher auch nur sie der jungen Mutter eine Hilfe sein und ihr mütterliche Kompetenz vermitteln können. Gleichzeitig taucht in dem Satz „Wir hatten eine ganz tolle Hebamme“ eine anderes Deutungsmuster auf, bei dem Vater und Mutter in einer besonders zugespitzten Weise als Gleiche dargestellt werden. Eine Nachsorgehebamme, die nach der Geburt Hausbesuche bei der jungen Familie macht, vermittelt in der Realität zwar beiden Elternteilen Kenntnisse im Umgang mit dem Säugling, ihr Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der körperbasierten Betreuung des Neugeborenen und der Mutter nach der Entbindung. „Wir hatten eine tolle Hebamme“ verweist somit gleichermaßen auf Deutungsmuster partnerschaftlicher und elterlicher Gleichheit und auf neue Väterlichkeit. Im Kontext der bisherigen Rekonstruktion zeigt sich, dass beide Muster zur Harmonisierung und zum Verbergen der aufscheinenden Realität der Familie gegenüber der Forscherin beitragen. Die scheinbare Gleichheit der Eltern verdeckt, dass beide gerade nicht gleichermaßen als Eltern handeln und dass zudem
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die triadische Integration des Kindes, das innere Elternwerden, der äußeren Veränderung noch nicht entspricht. Zugleich ist auch das Muster Mutterliebe ein Realität verdeckendes; zwar entspricht es auf Ebene der Arbeitsteilung der Realität, aber es verbirgt diese auch, da der Vater nicht thematisch wird. Zugleich unterstützt der rekonstruierbare Verweis auf die Mutterliebe gegenüber der Forscherin auch, im Gespräch auf der Oberfläche der Mutter-Tochter-Beziehung zu bleiben und nicht thematisch werden zu lassen, inwieweit das von der Mutter als problematisch empfundene Schlafverhalten in der prekären Bindung der Mutter an das Kind begründet liegen könnten bzw. wie die Verunsicherung der Mütterlichkeit von Astrid Lehmann zustande kommt.
5.2.3 Rekonstruktion der Szene „Vaterrolle“ AK: Astrid L.: AK: Peter L.: AK: Astrid L.:
AK: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: AK: Peter L.:
AK: Peter L.: AK: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: AK:
Also is schon nicht die traditionelle Vaterrolle, wo man abends nur die Zeitung liest, oder so was, sondern// Neee. // du bist da schon viel mehr beteilig, als// Die les ich morgens im Zug. Ja (lacht). Ich muss sagen, das hat sich total geändert. Also ich kenn kein Vater jetzt von vom Umfeld, der sich nicht richtig kümmert um um das Kleine. Mhm. Also das hat sich geändert gegenüber früher// (gleichzeitig) früher, total, total. // früheren Generationen. Na ja. Also is wirklich n Trend, absolut. Mhm. Ne... Ja, ich denk der eh kommt aber offensichtlich weil, durch die Emanzipation der Frau. Ja, die Frauen haben irgendwann den Männern gesagt, hört mal zu, so läuft das nicht mehr, ja,// Mhm. // also Dankeschön ehm, ja, wie heißt die? Alice Schwarzer und Konsorten, ne. Mhm. Mhm. Nee, doch. Mhm. Das ist toll. Also das ist soo schön, wenn man sieht, wie die Väter.. auch wickeln und so weiter, ne. Mhm.
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Astrid L.:
Peter L.: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: AK: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.: AK: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: AK: Astrid L.:
Und sich mit den Kindern beschäftigen und auch genau wissen, also bei manchen Vätern wüßt ich’s genau, wenn man die jetzt fragen würde, was isst das Kind gerne, wann geht’s ins Bett, ehm// wenn’s müd is //was, was was spielts gerne, was kanns für Wörter sagen// Mhm. // jetzt im Moment und so, das wüssten die alles genauso wie die Mütter. Mhm... Das ist eigentlich bei allen, die ich kenne. Ja, ich hatts letztens noch gemerkt, da wo wir in O. (kleiner Kurort in der Nähe) waren, ne// Ja. //wie ich mit der Kleinen da im Kurhaus verschwunden bin, unten auf der Toilette, um die zu wickeln// Ja. //dann, kam ne Frau, die war Ende 50 Anfang 60, sieht das, und sagt, ja so nen Mann hätt ich auch mal gern gehabt. (lacht lauthals). Hab ich so gedacht, ja klar. Das macht auch mir, also es freut mich auch so, dass Peter so ist// Mhm. // das ist so schön.. das find ich ganz besonders schön. Aber wie du sagst, heutzutage normal. Es ist, ja, normal, ich mein du bist jetzt ehm, noch noch ehm besonders klasse in der Sache mit allem... (Kussgeräusch, er bläst ihr einen Kuss zu) Ich weiß nicht, ob jeder Mann jetzt auch noch in ne öffentliche Toilette und da das Kleine wickelt, weiß ich jetzt nicht. Mhm. Also du bist schon da echt super, wirklich in der Hinsicht. Aber sonst zu Hause und so, ne// Mhm. //alles, also das ist echt...das ist richtig schön das zu erleben. Mhm. Is unheimlich gewandelt (...) Das is alles eigentlich. Ja. Genau. (...) Ham wir noch was? (lacht) Frag noch mal was. (dazwischen) Gibt’s noch was, das euch wichtig ist, das ihr noch festhalten wollt ehm, über euer Elternsein? Nachher fällt mir bestimmt was ein, ich fax dir dann noch, wenn mir was einfällt (lacht). Nachher fällt mir bestimmt noch was ein...
5.2 Familie Lehmann: Ein Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung
Peter L.:
Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.: Peter L.: Astrid L.:
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Ja, also was in der Beziehung noch wichtig ist, also für mich als Mann, eben zu sehen, dass du eben auch als Mutter richtig weltklasse bist, als Mutter ganz toll, das steigert auch noch mal die mhm Liebe, ne. Respekt, ich meine eh// Vor mir? Ja, ich mein eh (lacht), ja ne Beziehung ist ja nicht nur Liebe// Ja. // ja, einfach nicht nur Liebe, Herzklopfen und// (gleichzeitig) Nee, ne, nee, nee, nee, nee, neenee. //ich weiß nicht, ab und zu mal ins Bettchen steigen// Ja, ja. // sondern lieber n bisschen mehr, nich. Ja. Das ist ja auf Dauer gesehen auch, dass man den andern auch, ich sag mal, als gleichwertig ansieht// Mhm, das stimmt. //ja, dass man wirklich Respekt, Anerkennung hat// Ja. //ne, für den andern, für die Leistung, die er erbringt// Ja. //und wenn eben noch so ne Mammutaufgabe dazukommt, und du siehst das wird gut bewältigt// Mhm. // eh ich mein, das ist natürlich nicht bewusst, dass ich jeden Tag sage oh, was hab ich ne tolle Frau, die kann das auch als Mutter da// (lacht) // aber ich denk das is n ganz wichtiger Faktor im Unterbewusstsein// Mhm.
Inhalt der Szene Auf der Ebene des manifesten Gehalts der Szene kann man zunächst festhalten, dass das Ehepaar Lehmann eine neue Väterlichkeit befürwortet, bei der die Väter sich „richtig kümmern“, über den Alltag ihrer Kinder Bescheid wissen und an Pflegetätigkeiten beteiligt sind. Damit sehen die Lehmanns sich als Teil eines gesellschaftlichen Trends der Modernisierung von Eltern-Kind-Beziehungen und des Geschlechterverhältnisses. Die Beziehung und Liebe des Paares wird durch diese modernisierte Väterlichkeit bestärkt. Gleichzeitig wird die Paarbeziehung aber auch durch die Anerkennung der Mütterlichkeit Frau Lehmanns durch Herrn Lehmann bestärkt. Dies steht für ihn im Kontext der partnerschaftlichen Gleichberechtigung und Anerkennung in einer Beziehung, die nicht nur auf romantischer Hingabe basiert.
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Die Arbeitsteilung des Ehepaares Lehmann und die neue Väterlichkeit von Herrn Lehmann werden mit einer Szene bebildert, in der er die Tochter auf einer öffentlichen Toilette gewickelt hat. Sequenzanalytische Rekonstruktion Zur Rekonstruktion des latenten Sinns möchte ich im Folgenden den Anfang und Schluss der Szene detailliert sequentiell untersuchen und den Mittelteil stärker zusammenfassend. Zu Beginn der Szene spiegelt die Forscherin, dass Herr Lehmann ein moderner Vater sei. Bei der Äußerung der Forscherin fällt die zweimalige Verwendung von „schon“ auf: „schon nicht die traditionelle Vaterrolle“ und „schon viel mehr beteiligt“. Das „schon“ bedeutet eine Einschränkung, es klingen eine vorherige Infragestellung und Zweifel an. Neben dem positiv gemeinten Bezug „mehr beteiligt sein“ zeigt sich, dass dies nur vor dem Hintergrund traditioneller Klischees von Väterlichkeit gemeint ist, nämlich einem abendlichen Zeitungslesen. In der Formulierung der Forscherin ist zudem ein blinder Fleck erkennbar, da sie sich mit dem Zeitungslesen auf eine abendliche Freizeitgestaltung bezieht. Ausgespart bleibt dadurch die eigentliche Arbeitsteilung tagsüber, hier mit einem vollerwerbstätigen Vater und einer Mutter als Hausfrau. Das väterliche Engagement wird bereits von vorneherein auf den Abend beschränkt. Die Äußerungen der Forscherin zu Beginn der Szene werden von Frau Lehmann durch „Nee“ unterbrochen und von Herrn Lehmann durch seinen Scherz, die Zeitung lese er morgens im Zug. Es irritiert, dass Frau Lehmann in das Sprechen der Forscherin hinein die moderne Rolle ihres Mannes noch bestärken muss. Sie zeigt ein drängendes Interesse daran, dass ihr Mann auf keinen Fall als traditioneller Vater erscheint. Auch ihr Mann unterbricht die Forscherin mit seinem Witz, der ihr Eingehen auf die Väterlichkeit verkehrt. Er sagt – inhaltlich ernst genommen – aus, dass er abends nur deswegen nicht die Zeitung liest, weil er am Tag schon vorher dazu Gelegenheit hatte. Väterliches Engagement erscheint so als zufällige Beschäftigung, wenn alles andere schon erledigt ist. Dass Herr Lehmann hier einen Scherz macht, statt inhaltlich zu reagieren, verweist zudem auf eine zugrundeliegende Bruchstelle und Ambivalenz des Vaterthemas für ihn. Die Unterbrechung der Forscherin durch beide Ehepartner, die die Forscherin ihren Satz nicht zu Ende führen lässt, stellt eine Aggression gegenüber ihr als dem Dritten dar. In diesem Anfang der Szene soll somit Herr Lehmann als fortschrittlicher Vater erscheinen, wobei sich gleichzeitig eine zugrundeliegende Ambivalenz bemerkbar macht. Es wird vermieden, die reale Arbeitsteilung der Familie zu thematisieren, Väterlichkeit bleibt auf ein Klischee bezogen.
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In den folgenden Abschnitten der Szene schildern Herr und Frau Lehmann auf einer allgemeinen und unpersönlichen Ebene das gewandelte väterliche Engagement. Damit setzen sie das Bild des Anfangs fort. Weiterhin kann die familiale Ausgestaltung der Arbeitsteilung nicht thematisiert werden. Möglichkeiten, den vermeintlichen Trend väterlichen Engagements zu differenzieren und zu hinterfragen, werden vor allem von Frau Lehmann sprachlich weitgehend ausgeschlossen. In seiner Schilderung der Emanzipation der Frau wertet Herr Lehmann, hinter der vordergründigen Anerkennung, emanzipierte Frauen in aggressiver Weise als „Konsorten“, als halbseidene Bande ab. Seine Ambivalenz wird auch darin deutlich, dass er Väterlichkeit dabei als von Frauen ausgehenden Zwang und weniger als Interesse der Männer selbst darstellt. Diese Aggressivität und Ambivalenz Peter Lehmanns in Bezug auf die Väterlichkeit und eine modernisierte Weiblichkeit wird von seiner Frau übergangen und verdeckt durch eine glättende Darstellung des begeisternswerten Wandels der Väter allgemein. Die folgende Wickelszene dient der affektiv hoch besetzten Schilderung der besonderen Qualität Peter Lehmanns als Vater und Mann, der sogar anderen Frauen auffällt. Dies ruft die Begeisterung von Frau Lehmann über ihren Mann hervor. Im Kontext der geschilderten Situation und angesichts der Alltäglichkeit des Wickelns an sich erscheint die öffentliche Aufmerksamkeit als das, was so „besonders schön“ in diesem Fall ist. Sie lässt Peter als besonders tollen Vater und damit Ehemann erscheinen und wertet auch Astrid als seine Frau mit auf. Dabei wird Frau Lehmann durch ihren Mann dazu gebracht das Lob an ihn mehrfach zu wiederholen, während er sich selbst als bescheiden und zurückhaltend präsentiert. Ihr Lob wird jedoch sprachlich immer mehr gebrochen und eine verdeckte Seite der Väterlichkeit von Herrn Lehmann wird auch in ihrer Schilderung erkennbar. Szenisch und sprachlich kommunizieren Herr und Frau Lehmann an dieser Stelle in einem exklusiven Paardialog. Dabei wird das gemeinsame Kind sprachlich zum Objekt, und auch aus der Forscherin als Gesprächspartnerin wir eine Zeugin des Paares und seiner Liebeserklärungen gemacht. Auf die routinehafte Schlussfrage der Forscherin hin thematisiert Peter Lehmann etwas, das in Bezug auf das Elternsein für ihn noch wichtig ist. Herr Lehmann lobt seine Frau mit Superlativen für ihre Mütterlichkeit. Er stellt dies sprachlich in den Kontext seiner Männlichkeit und Geschlechtlichkeit wodurch auch die sexuelle Beziehung des Paares angesprochen ist. Eine gute Mutter ist demnach attraktiv für ihren Mann. Gleichzeitig tritt er als Beobachter auf, der die Qualitäten seiner Frau als Mutter aufnimmt. Die sprachlich eröffneten Beziehungen sind nicht die äquivalenten von Vater und Mutter, sondern der Mann äußert sich über die Mutter. Dieser Teil der Szene, das Lob von Herrn Lehman für seine Frau, korrespondiert mit dem vorangegangenen Lob seiner Frau für ihn. Wieder findet ein intimer Paardialog statt zu dessen Beobachterin die Forscherin gemacht wird.
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Die Liebe des Paares bewegt sich nach Herrn Lehmann auf einem hohen Niveau, das „noch einmal“ gesteigert wurde. Nach dem Bezug auf Liebe spricht Herr Lehmann darauf von Respekt, wobei er stockt und von seiner Frau unterbrochen wird. Ihre Rückfrage, „Respekt vor mir“ signalisiert, analog zu ihm im vorangegangenen Teil, Bescheidenheit, spricht jedoch auch eheliche Machtverhältnisse an. Hierauf reagiert Herr Lehmann mit einer vehementen Darstellung dessen, was für ihn eine Beziehung bedeutet, womit er seiner Frau implizit ein falsches und läppisches Verständnis von Beziehung unterstellt und sie ins Unrecht setzt. Sie wiederum stimmt seiner Schilderung nun zahllose Male zu. Diese Art, seine Unterstellung nicht auszuräumen, sondern sich durch Zustimmung seiner Anerkennung zu versichern, bestärkt den Eindruck einer hierarchischen Struktur. In dieser hat Herr Lehmann die Definitionsmacht. Im weiteren Fortgang erklärt Herr Lehmann, inwiefern sich gute Beziehungen von schlechten unterscheiden, wobei die des Ehepaares Lehmann als gute Beziehung definiert wird. In einer dauerhaften Beziehung soll man den anderen als gleichwertig ansehen und Respekt und Anerkennung für die Leistung des anderen aufbringen. Die Gleichwertigkeit wird jedoch sprachlich eingeschränkt, es geht nicht um die Anerkennung der ganzen Person des anderen, stattdessen wird hier wird ein Leistungsaspekt eingeführt. Dabei spricht Peter Lehmann von „Anerkennung [...] für den anderen, für die Leistung, die er erbringt“. Der andere, hier seine Frau, muss also für den Bestand einer dauerhaften Beziehung (auch) eine bestimmte Leistung erbringen, um als Person Anerkennung und Respekt entgegengebracht zu bekommen und als gleichwertig angesehen zu werden. Zugespitzt und konkretisiert bedeutet dies: Was die Beziehung ausmacht, ist die Arbeitsteilung des Paares. Herr Lehmann als Mann beobachtet dabei, ob seine Frau als Mutter den von ihm gestellten Leistungsanforderungen gerecht wird, und droht implizit mit Liebesentzug. Diese Struktur zeigt sich auch im Weiteren mit Bezug auf die angesprochene „Mammutaufgabe“ Mutter zu sein. Der Mann und Vater taucht hier erneut in einer Beobachterposition auf: „und du siehst, das wird gut bewältigt“. Er scheint nicht an der Mammutaufgabe beteiligt zu sein. Irritierend ist auch, dass die Mammutaufgabe „dazukommt“, denn dies verweist auf den Zustand vor der Geburt der Tochter, in dem anscheinend ebenfalls die Arbeitsteilung die Beziehung ausgemacht hat. Abschließend thematisiert Herr Lehmann die implizite Bewertung seiner Frau, die er als einen unbewusst und gefühlshaft ablaufenden Prozess verstanden wissen will. Zudem wird jedoch auch die Zentrierung auf das eigene Selbst und dessen Aufwertung erneut deutlich. Es geht nicht um eine Anerkennung der Frau, wie etwa „Was bist du eine tolle Frau“, sondern der Besitz einer tollen Frau ist zentral („Was hab ich ne tolle Frau“). Mit seiner Betonung der Mütterlichkeit von Frau Lehmann wird erkennbar auch Herr Lehmann zum Adressaten
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ihrer Fürsorge. Die innere Notwendigkeit hierzu wird bei Peter Lehmann auch daran deutlich, dass er unter Androhung von Liebesentzug seine Frau auf die Mutterrolle fixiert. Dabei wird bei Familie Lehmann das Kind als ursprünglich zentrales Objekt der Fürsorge randständig, stattdessen steht Herr Lehmann im Mittelpunkt der Familie.
Zusammenfassung Aus der Rekonstruktion des latenten Sinns der Szene lässt sich festhalten, dass bezogen auf die Beziehung von Astrid und Peter Lehmann, deren Selbstdarstellung als hervorragendes Elternpaar dominant ist. Die Darstellung der Ehepartner als „toller“ Vater bzw. „weltklasse“ Mutter und als besonders glückliches Paar dient der Selbstaufwertung und der Glanz des Paares strahlt auf die beiden Einzelnen zurück. Zudem wird eine Hierarchie in der Paarbeziehung erkennbar, bei der Herrn Lehmann die Definitionsmacht über die gemeinsame Situation und Beziehung zukommt. Vor allem um ihn ist die familiäre Aufmerksamkeit zentriert. Die Existenz des Kindes konstitutiert zwar einerseits das Elternpaar, als Person tritt es jedoch wenig in Erscheinung. Analog hierzu fällt auch der Forscherin im Gespräch die Rolle einer Beobachterin des intimen Paardialoges zu. Sie soll das Paar in seiner Selbstdarstellung als besonderes Paar bestätigen. Die im Gespräch demonstrierte Liebe dient dabei zugleich dem Verbergen der Aggression und Beziehungslosigkeit, die in der Dominanz der wechselseitigen Aufwertung der Eltern innerhalb der familialen Beziehungsstruktur liegt. Die reale Arbeitsteilung und Beziehungsrealität zu thematisieren, wird vom Ehepaar Lehmann in dieser Szene vermieden. Stattdessen wird eine scheinbare Gleichheit von Mutter und Vater vorgestellt, die harmonisiert und widerspruchsfrei geglättet ist. Dahinter wird erkennbar, dass Herr Lehmann nur eingeschränkt die propagierte engagierte Väterlichkeit vertritt und seine Rolle ambivalent ist. Zentral für ihn ist vielmehr die Mütterlichkeit von Astrid Lehmann, die eine ganz traditionelle ist und sein soll. Der Bezug auf eine modernisierte Väterlichkeit dient jedoch dem Selbstwert-Projekt des Paares und es wird bereits erkennbar, dass gerade die dahinterstehende traditionelle und hierarchische Arbeitsteilung essentieller Teil der Beziehung und ihrer Dynamik ist.
Deutungsmuster und (Liebes-)Beziehung Die Schilderungen des Ehepaares Lehmann sprechen thematisch die Bereiche Väterlichkeit, Mütterlichkeit und die Beziehung des Paares zueinander an. Die
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auf der latenten Ebene erkennbar werdende Art, wie diese Themen verhandelt und mit Sinn belegt werden, verweist auf die dahinterstehenden Deutungsmuster. Diese zeichnen sich, wie beschrieben, gerade durch ihre den Subjekten verborgen bleibende und Realität formende Wirkungsweise aus, die bestimmte Bereiche aus der gesellschaftlichen und auch subjektiven Wahrnehmung ausschließen und so zur Vereinfachung der komplexen Handlungsmöglichkeiten führen und diese legitim und schlüssig erscheinen lassen. Sich als Teil eines Trends modernisierter Väterlichkeit zu begreifen, dient für das Ehepaar Lehmann durch die Verortung in vermeintlich gesellschaftlichem Konsens und Innovation, der Selbstbestätigung und einem narzisstischen Gewinn. Die Beschreibung von Herrn Lehmann als Erster unter Gleichen, als besonders engagierter und zugleich normaler Vater spiegelt dies wieder. Zugleich trägt der Bezug auf die engagierte Väterlichkeit auch im Sinne der Struktur als Deutungsmuster zur Verschleierung der Frage der elterlichen Arbeitsteilung bei. Paarkonflikte um die Arbeitsteilung und die ehelichen Machtverhältnisse als Teil des Geschlechterverhältnisses können verborgen und vermieden werden. Die Fragen was Herrn Lehmann als neuen Vater ausmacht und ob sich seine modernisierte Väterlichkeit auch im Alltag niederschlägt, bleiben offen. Die Aufwertung der väterlichen Position ermöglicht es zudem, auch das Bild der partnerschaftlichen Beziehung der Eheleute aufrechtzuerhalten, und verdeckt im Sinne der Verankerung in „Respekt“ und „Anerkennung“ ebenfalls die klassisch-traditionelle Aufteilung. Auch strukturell trägt das Muster der partnerschaftlichen Gleichheit zur Verleugnung der hierarchischen Struktur der Partnerschaft bei. Es legt auch hier nahe, dass die Praxis und Beziehung Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen den gleichermaßen väterlich und mütterlich kompetenten Ehepartnern Lehmann sind und somit frei von ontologischen Zuschreibungen, strukturellen Benachteiligungen, hierarchischen Geschlechterverhältnissen etc. In diesem Kontext kann auch das Muster der guten Mutter zu Geltung kommen. Seine Implikation alleiniger Sorge der Mutter kann im Verborgenen bleiben, weil ihr der engagierte Vater gegenübergestellt wird. Zusammen mit der vordergründigen Partnerschaftlichkeit kann die hierarchische Struktur der Beziehung so im Lob der guten Mutter verankert werden, ohne dass sie offensichtlich wird. Dabei wird vor dem Hintergrund der mit der Mütterlichkeit verknüpften Hausfrauenrolle auch die „kompensatorische Funktion“ der Zuschreibung der Hausarbeit an die Frau bei der „Restitution männlicher Überlegenheit“ (vgl. Koppetsch/Burkart 1999, 319) verborgen. Der Profit für Herrn Lehmann ist dabei naheliegend. Aber auch Frau Lehmann profitiert, geschützt vor der Frage nach ihren eigenen Lebensinteressen, von der Anerkennung als Mutter und muss die traditionelle Mütterlichkeit nicht rechtfertigen. Sie kann sich zudem mit der patriarchalen Aufwertung ihres Mannes identifizieren.
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Szenische Rekonstruktion Die rekonstruierte latente Beziehungsstruktur zeichnet sich durch die Zentrierung um die Ansprüche an Macht und Bestätigung von Herrn Lehmann aus, dem es gegenüber seiner Frau und im Sinne einer Beziehungskonstellation auch gemeinsam mit seiner Frau gelingt, eine hierarchische Beziehung zu führen, die hinter der vordergründigen Partnerschaftlichkeit der Eheleute besteht. Gleichzeitig findet sich eine auffällig im Vordergrund stehende narzisstische Aufwertung der beiden Einzelnen und des Paares. Demgegenüber ist in der Forschungssituation die Forscherin in die Rolle gedrängt, das Paar sowohl in seiner manifesten Darstellung als besonderes Elternpaar und Liebespaar als auch in der darin liegenden Aufwertung anzuerkennen und zu bestätigen. In der Forschungsszene als einer Situation zu dritt zeigt sich eine Struktur, in der die Forscherin aus dem Dialog des Paares ausgeschlossen und als Dritte zum Objekt der Bedürfnisse des Paares nach Anerkennung gemacht wird. Bezogen auf die familiale Triade zeigt sich einerseits, dass das Kind als Person mit eigenen Bedürfnissen in den Schilderungen des Paares in der Szene nicht auftaucht. In Verbindung mit der Struktur der Forschungssituation lässt sich andererseits erschließen, dass auch das Kind primär die Funktion erfüllen soll, die Eltern als Eltern zu bestätigen und aufzuwerten. Die latente Sinnfigur verweist so auf eine misslungene elterliche Triangulierung, bei der das Beziehungsdreieck stärker um die Bedürfnisse eines Teils bzw. des Paares kreist und das Kind funktionalisiert wird. Wenn Elternschaft eine erneute Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern und gleichzeitig das Aufgeben und Betrauern unerfüllter kindlicher Wünsche bedeutet, so ist hier von einem Fortbestand solcher kindlichen Wünsche gerade bei Herrn Lehmann auszugehen. Zu vermuten ist, dass vor allem Frau Lehmann einem stärkeren Entwicklungsdruck unterliegt als ihr Mann, da sie als Hausfrau und Mutter im Alltag die Balance des Zu-dritt-Seins trägt und dabei mit den Bedürfnissen ihrer Tochter und denen ihres Mannes gleichermaßen konfrontiert ist. Als häufigste Reaktion in der gruppalen Rekonstruktion dieser Szene zeigt sich eine heftige Aggression vor allem Herrn Lehmann aber auch seiner Frau gegenüber. Mehrere Affektprotokolle aus der Interpretationegruppe beinhalten darüber hinaus körperlich spürbare Gefühle des „Vernebeltseins“, „Schwindel“, „Übelkeit“, „Ekel“ und „Angst“. Diese affektiven Reaktionen verweisen, gemeinsam mit der dominanten Aggression, auf drei Bereiche: zum einen auf eine Täuschung der Wahrnehmung, die sich in Gefühlen von Benebelung und Schwindel ausdrückt – wobei der „Schwindel“ in seinem doppelten Wortsinn auch auf einen Betrug verweist. Weiterhin weisen Übelkeit und Ekel in eine ähnliche Richtung und sind Ausdruck der körperlichen Aufnahme von etwas Ungenießbarem und
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Unverdaulichem, das wieder ausgestoßen werden soll. Angst und Aggression bilden ein drittes Paar und verweisen auf eine Bedrohung und Gegenwehr bzw. Angriff und Verteidigung. In Verbindung mit der bisherigen Rekonstruktion der Szene verweisen die Affekte einerseits auf die Vehemenz der Selbstdarstellung des Ehepaares Lehmann, dessen Präsentation als besonders glückliches Liebespaar und besonders sympathisches Elternpaar auf Misstrauen stößt und als Betrug und Benebelung wahrgenommen wird bzw. als solches nicht wahrgenommen werden soll und nicht verdaulich ist. Die Empfindung im polaren Modus von Angriff und Verteidigung verweist ebenfalls auf die darin liegende Aggression, bei der die Bestätigung der Selbstaufwertung dem Gegenüber aufgezwungen werden soll und dessen Wahrnehmung und Bedürfnisse missachtet werden. Hier überträgt sich die zerstörerische Aggression innerhalb der Inszenierung des familiären Arrangements. Diese richtet sich gegen den Dritten und liegt zudem in der egoistischen Durchsetzung eigener innerer Ansprüche auf Kosten der Beziehung. Verborgen bleiben muss dabei der Missbrauch des Kindes für den narzisstischen Gewinn beider Eltern, insbesondere des Vaters, was sich auch in der Reaktion der Benebelung niederschlägt. Für Peter Lehmann ist seine Frau als Mutter ebenso für sein Selbstwertprojekt instrumentalisiert. In der durchgängigen Aggression der Leser und Interpreten des Gesprächs gegenüber dem Ehepaar Lehmann liegt jedoch andererseits auch eine Spiegelung der mangelnden Empathie der Lehmanns für ihr Gegenüber und darüber hinausgehend des Paares füreinander und vor allem gegenüber dem gemeinsamen Kind. Eine wirkliche Beziehungsaufnahme wird hier, wie bei den Lehmanns selbst, auch vom Leser aus unmöglich. Mit der mangelnden Möglichkeit zur Empathie auch gegenüber dem Ehepaar Lehmann bleiben die typischerweise hinter der Dominanz der Bedürfnisse nach narzisstischer Aufwertung und Spiegelung stehende kindliche Bedürftigkeit und der Mangel des Selbst, der darin zum Ausdruck kommt, verborgen und werden analog zum Entwurf der Lehmanns aus der emotionalen Wahrnehmung ausgeschlossen. In Hinblick auf das generationelle Alter und die Verortung in der Lebenszeit als Themen der elterlichen Triangulierung kann man so darauf schließen, wie die ungelöste Fortdauer der kindlichen Entbehrungen und der daraus resultierenden Bedürfnisse die Entwicklung der elterlichen Triangulierung behindern. Nicht anerkannt wird dabei vom Ehepaar Lehmann die Dezentrierung des Paares durch das gemeinsame Kind, die Notwendigkeit, sich für den Dritten zu öffnen und ihn zu integrieren. Dies wird, neben der Abwehr durch die narzisstische Selbstbespiegelung des Paares, in Teilen einseitig auch an Frau Lehmann delegiert, die als „weltklasse Mutter“ mit der Bewältigung der alltäglichen Triangulierung betraut ist. Hier dient die starre Zementierung der Mütterlichkeit der Abwehr. Verleugnet wird dabei zudem die Notwendigkeit, die eigenen Begrenzungen anzuerkennen und zu betrauern, um sich für die weitere
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Entwicklung angesichts der Bedürfnisse des Kindes zu öffnen. Dieses wird in seiner Position als Kind, das der Fürsorge, Anerkennung und Aufmerksamkeit beider Eltern bedarf, nicht wahrgenommen. Vielmehr wird die eigene generationelle Ablösung durch das geborene Kind und die damit verbundene Kränkung, nun nicht mehr das zu bekommen, was man entbehrt hat, verleugnet, der partielle Abschied von der eigenen Kindheit vermieden. Die familiale Inszenierung hat zugleich auch den Charakter einer Wiedergutmachung, in der die lebensgeschichtlichen Kränkungen und die Kränkung, die auch das Elternwerden als Entwicklungsschritt mit sich bringt, aufgehoben werden.67 Die den inneren Bedürfnissen entsprechenden und einen Anker für sie bietenden traditionellen Muster ermöglichen es Herrn Lehmann, sich im Sinne des patriarchalen Vaters in den Mittelpunkt der Familie zu stellen. Seine Frau profitiert dabei ohne (berufliche) Verantwortung an seiner Seite von der Aufwertung – auch wenn sie an anderer Stelle deren Lasten tragen muss. Das Elternpaar versucht, in seiner Aufwertung die Dezentrierung durch das Kind partiell rückgängig machen, auch wenn das Kind durch seine Präsenz und in seiner Entwicklung hier generell eine Widerständigkeit besitzt und seinen Eltern fortwährend Entwicklungsanstöße gibt. Von diesen kann wiederum, angesichts ihrer gemeinsamen Praxis mit der Tochter, stärker Frau Lehmann profitieren. Zudem besteht im traditionellen Arrangement – und dies gerade auch im Kontext der vordergründigen Bezugnahmen auf modernisierte Geschlechterrollen – eine Wiedergutmachung der Kränkung der traditionellen Männlichkeit und Weiblichkeit durch die modernisierte Väterlichkeit und Mütterlichkeit bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit. Die neuen Anforderungen an Autonomie für die Frau und Mutter sowie Bindungsfähigkeit und Fürsorge des Mannes und Vaters gegenüber seiner Familie werden vielmehr ausgesetzt. Der Rückzug auf das traditionelle Arrangement verspricht demgegenüber die Realisierung der nicht mehr zeit- und vor allem lebenszeitgemäßen Wünsche um den Preis der Stagnation der inneren Entwicklung.
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Das Forschungsgespräch ist für das Ehepaar Lehmann so zum einen eine Gelegenheit der Stabilisierung der lebensgeschichtlichen Abwehr, da nun eine quasi offizielle Prüfung und Legitimation des „tollen“ Elternpaares erfolgen kann und soll. Andererseits birgt es die Gefahr der Bewusstwerdung und Infragestellung des von Abwehr geprägten Arrangements, was verhindert werden muss. Eine prekäre Situation für ein Forschungsgespräch, das nach „Wahrheit“ forschen will und zudem auch für die Teilnehmenden auf Reflexivität angelegt ist. Auch inszeniert sich angesichts der Forscherin als arbeitender und kinderlos scheinender Frau eine Krise, in der sich die Familie Lehmann mit ihrem familiären Lebensentwurf gesellschaftlich befindet.
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5.2.4 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Lehmann Auf der bewussten Ebene hat das Ehepaar Lehmann einerseits einen klassischen Arbeitsteilungsentwurf, bei dem die Erwerbsarbeit primäre Aufgabe des Mannes ist und die Sorge für das gemeinsame Kind wie auch das familiäre Wohl Aufgabe der Frau. Dabei wird Beruflichkeit mit Männlichkeit verbunden und Fürsorge mit Weiblichkeit. Zugleich entwerfen sich Herr und Frau Lehmann jedoch als modernes Paar, bei dem beide Partner einen Anspruch auf die Verwirklichung ihrer (beruflichen) Interessen haben und im Bereich der Familie auch der Vater eine hohe Bedeutung hat und ein gleichberechtigter Elternteil gegenüber dem Kind ist. Auf Ebene der Beziehungskonstruktion sehen sie sich als eine glückliche und zufriedene Familie, bei der die Paarbeziehung mit dem Elternwerden durch die besonderen Erfahrungen mit dem Kind bereichert wurde. Familie hat für die Lehmanns einen hohen Stellenwert, die Väterlichkeit von Herrn Lehmann und die Mütterlichkeit von Frau Lehmann haben zudem besondere Bedeutung für die Paarbeziehung. Die Tochter ist für sie dabei einerseits zentral, eine öffentliche Fremdbetreuung wird abgelehnt, und andererseits nehmen die Eltern sich auch die Freiheit, eine Woche Urlaub ohne die Tochter zu machen. Die Eltern wollen die Tochter „loslassen“ und diese soll selbstbewusst und autonom werden. Dieser bewusste Lebensentwurf ist mit einer spezifischen familialen Struktur und Dynamik verbunden und erhält durch diese einen besonderen Sinn. So zeigt sich in der Rekonstruktion, dass die familiale Triade einseitig auf die Bedürfnisse des Elternpaares und dessen narzisstische Aufwertung zentriert ist und dabei vor allem die Bedürfnisse von Herrn Lehmann befriedigt werden. Seine Frau wird mit aufgewertet und profitiert zudem von der narzisstischen Aufwertung ihres Mannes. Die Tochter als eigene Persönlichkeit ist dabei nicht in die Paarbeziehung integriert, sondern wird vorwiegend als Kind zur Aufwertung des Elternpaares benutzt. Die Tochter ist zwar hoch besetzt, aber eben wesentlich im Sinne des narzisstischen Projekts der Eltern. Die bisher nicht gelungene Triangulierung führt zu drei bindungslosen und im Fall der Eltern voneinander profitierenden Einzelnen, wobei auch die Liebesbeziehung zwischen den Eltern diesem Muster folgt und zur gemeinsamen Instrumentalisierung des Kindes führt. Dieses wiederum scheint als schwächster Partner das hauptsächliche Opfer des familialen Szenarios zu sein und ist am wenigsten integriert. Darin liegt eine aggressive, die personale Realität des Gegenübers nicht achtende, manipulative Vereinnahmung, die sich im Gespräch überträgt. Eine Möglichkeit der Veränderung liegt jedoch in der Entwicklung des Kindes und dabei vor allem in der Mutter-Kind-Bindung, die nach einem schwierigen
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Anfang in der alltäglichen gemeinsamen Praxis von Mutter und Kind zu gelingen scheint. Der bewusste Entwurf der traditionalen Arbeitsteilung ermöglicht dabei die größtmögliche narzisstische Aufwertung von Herrn Lehmann in der Rolle des Familienernährers und die Zentrierung um seine Bedürfnisse. Seine Frau kann dabei ebenfalls in klassischer Weise von seiner Aufwertung profitieren, auch wenn sie die Last des Alltags mit dem Kind weitgehend alleine tragen muss und nur vermittelt über ihren Mann an der narzisstischen Befriedigung teilhat. Die gleichzeitig Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung als modernes Paar mit einem engagierten Vater verdeckt dabei einerseits die im traditionalen Arrangement bei Familie Lehmann verankerte Geschlechterhierarchie und einseitige Dominanz der Bedürfnisse von Herrn Lehmann. Andererseits trägt dies über die Verankerung in einem gesellschaftlichen Trend zur weiteren Selbstaufwertung vor allem des modernen Vaters bei. Die alltägliche und pädagogisch umgesetzte Sicht auf die Entwicklung des Kindes lässt sich in ähnlicher Weise verankern. Während einerseits die Ablehnung der Fremdbetreuung Teil des traditionalen Arrangements ist und sichert, dass Frau Lehmann auch zu Hause zur Verfügung steht, so steht die gesellschaftlich legitimierte erzieherische Orientierung an Autonomie, Selbstbewusstsein und Abgrenzung in Einklang mit der familiären Position des Kindes. So können die Eltern die Bedeutung des Kindes für ihre Beziehung betonen und es gleichzeitig im Sinne der legitimierten Abgrenzung ausschließen. Die rein subjektive Seite dieses familialen Arrangements ist durch die Bedürfnisse der Eltern und vor allem Herrn Lehmanns nach narzisstischer Aufwertung gekennzeichnet, die im bewussten und alltagspraktischen Entwurf verankert werden. Narzisstische Strukturen lassen sich generell dadurch charakterisieren, dass Grandiosität zur Abwehr von Unterlegenheitsgefühlen eingesetzt wird und darin ein außerordentliches Bedürfnis nach Anerkennung durch andere zum Ausdruck kommt. Neid auf andere wird durch deren Entwertung und Kontrolle abgewehrt, wobei Angst vor Abhängigkeit besteht. Weiterhin kennzeichnend sind emotionale Flachheit, eingeschränkte Empathie, extreme Widersprüche im Selbstkonzept und Unfähigkeit zu Sehnsucht und Trauer angesichts von Verlusten. Es gibt eine besondere Leistung zur Selbstdarstellung, um die Bewunderung anderer herauszufordern, und banale Geschichten persönlichen Ruhmes dienen dem Schutz vor einem Verlust des Selbstwertgefühls. Es besteht eine Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen, der dominierende Abwehrmechanismus ist Spaltung (vgl. z.B. Kernberg 1988). Während diese Definitionen an mehreren Stellen dem familiären Entwurf nahe scheinen, so ist doch eine Persönlichkeitsdiagnose nicht Ziel dieser Arbeit. Die lebensgeschichtlichen Hintergründe des Ehepaares Lehmann waren im Gespräch nur andeutungsweise und sind in der vorliegenden
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Darstellung gar nicht mehr enthalten. Dennoch ist es vielleicht gerade aufgrund der affektiven Dominanz der unbewussten Beziehungskonstellation und deren massiver Abweichung vom bewussten Selbstbild des Ehepaares Lehmann wichtig, deutlich zu machen, dass das gemeinsame Arrangement das Resultat eigener lebensgeschichtlicher Kränkungen ist und gerade auch Ausdruck von Angst, Einsamkeit und mangelnder Anerkennung, die nicht mehr zum Vorschein kommen dürfen. Insofern stellt die Familienkonstellation der Lehmanns auch den Versuch einer lebensgeschichtlichen Wiedergutmachung dar. Für die Frage nach der Vermittlung von Autonomie und Bindung im Kontext der elterlichen Arbeitsteilung zeigt sich bei Familie Lehmann eine Gleichsinnigkeit der klassischen Arbeitsteilung von Familienernährer und Hausfrau und Mutter, den bewussten Zuschreibungen von Geschlechtscharakteren und der unbewussten Konstellation, bei der vor allem Herr Lehmann seine Bedürfnisse durchsetzen kann. Herr Lehmann kann dabei berufliche Anerkennung und Selbstbestätigung erlangen, in der hierarchischen Beziehung zu seiner Frau die Reziprozität von Anerkennung tendenziell einseitig umgewichten und zudem als vordergründig neuer Vater auch die Anerkennung in diesem Bereich bekommen, ohne dabei jedoch eine innere Haltung der Fürsorge für die Tochter und seine Frau entwickeln zu müssen. Auch für Frau Lehmann gibt es keine Integration von Autonomie und Bindung. Sie übernimmt einseitig den Anteil der Fürsorge und verzichtet, vermutlich über die Elternzeit hinaus, auf Ansprüche auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Vielmehr begibt sie sich in eine Abhängigkeit von ihrem Mann, die sowohl eine finanzielle ist als auch eine emotionale, da sie im Kontext der hierarchischen Beziehung den schwächeren Part hat. Dennoch hat auch Frau Lehmann mit dem Sport einen eigenen, von ihrem Mann und ihrer eigenen familiären Fürsorge unabhängigen Bereich der Anerkennung, auch wenn dieser nur indirekt beruflich und eher dem Bereich der Freizeit zuzuordnen ist. Für Familie Lehmann ergibt sich zudem, wie beschrieben, eine spezifische Autonomie- und Bindungsproblematik, die in der narzisstischen Nutzung der Beziehungen liegt und eine persönliche Bindung ebenso wie eine Bindung anerkennende Autonomie erschwert, was auch für die Beziehung zur Tochter gilt. So kann man für das Ehepaar Lehmann festhalten, dass für sie eine Integration von Autonomiebedürfnissen und Fürsorge für andere innerlich wenig thematisch ist, sondern vielmehr im Sinne einer traditionellen Aufteilung auf die Geschlechter gelöst ist. Dennoch gibt es auch hier Tendenzen, beide inneren Entwürfe zu integrieren, die für Frau Lehmann an ihrer Leitung eines Sportkurses und für Herrn Lehmann zumindest auf der diskursiven Ebene und auch zum Teil in alltäglicher Beteiligung als väterlicher Mann festgemacht werden können. Bedeutsam erscheint in diesem Kontext auch die äußere Gestalt der Paarbeziehung, in der die Aufteilung von männlicher Autonomie und Handlungsfähigkeit
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und weiblicher Emotionalität und Fürsorge angelegt sind. So ist eine hierarchische Beziehung mit der beschriebenen Aufteilung auch in der äußeren Form verankert, indem Peter Lehmann wesentlich älter ist als seine Frau und im Gegensatz zu ihr eine akademische Ausbildung und den bedeutend höheren beruflichen Status hat. Die aus dem Gespräch erschließbaren Deutungsmuster, die hinter den Selbstdefinitionen und Darstellungen des Ehepaares Lehmann als gesellschaftliche und milieuspezifische Muster stehen, zeigen, dass gleichzeitig modernisierte und traditionelle Muster wirksam werden. Die eigene familiäre Praxis wird dabei sowohl im Sinne der Mutterliebe gedeutet und wahrgenommen als auch gleichzeitig im Sinne neuer Väterlichkeit und einer gleichberechtigten Partnerschaftlichkeit interpretiert. Dies dient einerseits der gesellschaftlichen Verortung. Vor allem die Selbstwahrnehmung und -darstellung als modernes Paar und Elternpaar mit einem engagierten Vater ermöglicht dabei die milieuspezifische Integration und positive Selbstbestimmung als Teil eines progressiven gesellschaftlichen Konsenses. Die Mutterliebe ist jedoch der familialen Alltags- und Beziehungskonstruktion näher und entspricht damit stärker der Realität der Familie Lehmann. Beide Deutungsmuster, progressives und traditionales, erfüllen zugleich Abwehrfunktion und haben eine subjektive Bedeutung. So kann unterhalb der Darstellung und Wahrnehmung als neuer Vater und Teil des gleichheitsorientierten Paares die hierarchische und einseitige Beziehung gelebt werden, ohne bewusst und öffentlich zu werden. Die Position Herrn Lehmanns und die komplementäre seiner Frau müssen so weder äußerlich legitimiert noch innerlich in Frage gestellt werden. Die Mutterliebe ermöglicht noch unterhalb der progressiven Muster ein Verbergen der narzisstischen Familienkonstellation, bei der auch die Mutter zum Teil ein instrumentelles Verhältnis zur Tochter hat. Im Kontext der Deutung als engagierter Vater wird zudem eine Reziprozität nahegelegt, durch die die Mutterliebe modernisiert scheint, ihre traditionalen Implikationen weniger problematisch sind und der reale Widerspruch zwischen den modernisierten und traditionalen Mustern aufgelöst wird. Der Entwurf der Familie Lehman ist somit unterhalb von modernisierten Gleichheits- und Partnerschaftlichkeitsdeutungen durch eine traditionelle Arbeitsteilung gekennzeichnet, die zudem hierarchisch aufgeladen ist. Dabei findet eine Aufspaltung von Bindung und Autonomie auf Mutter und Vater statt. Die Triade ist im Fall von Familie Lehmann darüber hinaus durch eine narzisstische Zentrierung um Herrn Lehmann und in Erweiterung um das Elterpaar gekennzeichnet, wobei die Tochter eingespannt und instrumentalisiert wird.
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5.3 Familie Bruckner: Ein Entwurf mit egalitärer und familienzentrierter Arbeitsteilung Markus Bruckner ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 41 Jahre alt und hat als Diplomingenieur eine Gruppenleiterstelle in der Industrie. Stefanie Bruckner ist Mitte dreißig und arbeitet als Angestellte in einer Bank. Zudem gibt sie Kurse in einer örtlichen Bildungseinrichtung. Beide haben einen gemeinsamen Sohn, Jonas, der 21 Monate alt ist, und Stefanie Bruckner ist im neunten Monat schwanger mit dem zweiten Kind. Das Ehepaar Bruckner hat eine partnerschaftliche Arbeitsteilung in der Form, dass beide zur Zeit in Elternzeit sind. Herr Bruckner arbeitet an drei Tagen mit der maximal erlaubten Arbeitszeit von 30 Stunden und Frau Bruckner arbeitet 19 Stunden an zwei Vormittagen und gelegentlich an Nachmittagen. Das Gespräch mit Familie Bruckner findet Samstagnachmittags in der Wohnung der Familie statt. Auch der Sohn Jonas ist mit dabei.
5.3.1 Zum Gesprächsinhalt Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zum Thema Beruf und Familie Seit der Geburt des Sohnes Jonas leben die Bruckners mit der beschriebenen Form der Arbeitsteilung, die sie auch beim zweiten Kind im Rahmen der Elternzeit von drei Jahren weiter fortführen wollen. Als Begründung für die gewählte Lebensform heben sie einerseits hervor, dass beide Eltern etwas vom Kind haben und mitbekommen sollen und Jonas auch gleichermaßen an beide Eltern gebunden sein soll. Auch thematisiert Frau Bruckner, dass es für die Ausgeglichenheit der Eltern von Vorteil ist, sich Erwerbs- und Familienarbeit zu teilen, weil so Herr Bruckner weniger abgespannt durch den Beruf sei und sie durch die außerhäusige Arbeit nicht auf die Hausfrauen- und Mutterrolle reduziert und von Kind und Hausarbeit weniger genervt sei. Außerdem heben Herr und Frau Bruckner als Grund ihrer Entscheidung die gesetzliche Basis hervor, die erst im Geburtsjahr von Jonas geschaffen wurde und ohne die sie ein traditionelles Modell gewählt hätten. Erst durch die Ermöglichung der parallelen Elternzeit für beide Eltern sei es für sie finanziell und unter beruflichen Gesichtspunkten möglich, sich Berufs- und Familienarbeit zu teilen. Als negatives Moment heben sie die beruflichen Beeinträchtigungen für Herrn Bruckner hervor. Dieser argumentiert jedoch für sich, dass er mit seiner beruflichen Position relativ zufrieden sei und keine weitere Karriere anstrebe, da
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das Verhältnis von Einkommen und zu leistendem Arbeitsaufwand dann eher schlechter würde. Zudem ist beiden wichtig, dass sie wesentliche Erziehungsleistungen für ihre Kinder selbst erbringen. Sie lehnen eine Fremdbetreuung von Kleinkindern wie auch älterer Kinder, z.B. in Ganztagsschulen, ab, weil sie darin eine psychische Gefährdung der Kinder sehen. Sie grenzen sich zudem von einer Orientierung an beruflicher Selbstverwirklichung ab und legen Wert auf die Familie und die Erziehung der Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen. Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zu den familiären Beziehungen Herr und Frau Bruckner sind seit acht Jahren ein Paar, leben seit sechs Jahren in der gemeinsamen Wohnung zusammen und sind seit mehreren Jahren verheiratet. Ihre Beziehung wird momentan bestimmt durch die mangelnde gemeinsame Zeit als Paar, da ihr Sohn immer anwesend sei und z.B. am Wochenende nicht zu den Großeltern gegeben werden könne, die in anderen Städten leben. Bruckners wollen sich gegenseitig jedoch auch Freiräume für Hobbys ermöglichen – so gehen beide an je zwei Abenden pro Woche zum Sport. Frau Bruckner thematisiert, dass sie und ihr Mann aufgrund ihrer familiären Herkunft unterschiedliche Erziehungsstile hätten, was zu vermehrten Konflikten führe. Auch deswegen halten sie Absprachen für wichtig, denn sie wollen gegenüber Jonas einig auftreten, damit dieser sie nicht gegeneinander ausspielen könne. Beide sprechen davon, dass viele Ehen an der Geburt eines Kindes zerbrechen und man aufpassen müsse, sich nicht auseinander zu entwickeln. Jedoch empfindet es Frau Bruckner auch als verbindend, dass beide durch ihre Form der Arbeitsteilung direkten Anteil an der Entwicklung von Jonas haben. Das Gelingen seiner Entwicklung sehen sie als Bestätigung ihrer Lebensform an. Das Elternwerden war für die Bruckners nicht unproblematisch. Sie hatten jahrelang erfolglos versucht, ein Kind zu bekommen, wobei diverse medizinische Untersuchungen beider und Versuche künstlicher Befruchtung erfolglos blieben. Frau Bruckner wurde dann nach einer letzten, von den Ärzten aber ebenfalls als erfolglos eingeschätzten gynäkologischen Operation überraschend doch schwanger. Die Schwangerschaft wurde von ihr jedoch über Monate hinweg nicht bemerkt, sondern der dicker werdende Bauch wurde zunächst als Krankheit gedeutet und sogar ärztlich behandelt. Herr und Frau Bruckner hatten beide nicht mehr mit einem Kind gerechnet und brauchten einige Zeit, sich innerlich auf das Elternwerden einzustellen. Jonas wurde 18 Monate gestillt, 15 davon voll, und während der Stillzeit trat die zweite Schwangerschaft ebenfalls unerwartet und überraschend ein.
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Im Gespräch steht immer wieder die detailliert strukturierte Alltagsorganisation im Vordergrund, die durch den Rhythmus von Jonas bestimmt wird. Stefanie und Markus Bruckner erachten regelmäßige Abläufe als wichtig. Es gibt einen steten Wechsel von Essen, Spielen, Spazierengehen und Schlafen, wobei die Sauberkeitserziehung in Form von regelmäßigen Toilettengängen großen Raum einnimmt. Für Markus Bruckner ist gemeinsames Toben mit Jonas wichtig, Stefanie Bruckner legt Wert auf gemeinsames Singen und Bücherlesen wie auch auf gemeinsame Mahlzeiten und familiäre Festtage. Alle schlafen im gemeinsamen Schlafzimmer der zwar geräumigen, aber nur aus Küche, Bad und zwei Zimmern bestehenden Wohnung der Familie.
Interpretation der Gesprächsinhalte Als äußere Hintergründe für die Möglichkeit der partnerschaftlichen Arbeitsteilung der Familie Bruckner werden die Gesetzeslage, die relativ gesicherten beruflichen Positionen mit entsprechenden Einkommen, die geringe Karriereorientierung von Herrn Bruckner und die Bereitschaft der Familie, auf einen höheren Lebensstandard zu verzichten, deutlich. Weitere stärker innerlich verankerte Gründe liegen in der hohen Bewertung der Familie gegenüber der Erwerbsarbeit. Damit verbunden ist der Wunsch, dass beide Eltern etwas von Kind haben sollen – auch vor dem Hintergrund der problematischen Familiengründung, die das gemeinsame Kind zu etwas besonders Wertvollem macht. Für die Frage der Arbeitsteilung lässt sich weiterhin festhalten, dass die Bruckners eine moderne Lebensform gewählt haben, in der beide Partner Anteil an den Bereichen Beruf und Familie haben können und sollen. Hierbei gibt es nur geringfügige geschlechterbezogene Unterschiede, die darin liegen, dass der Erwerbsarbeit von Herrn Bruckner höhere Bedeutung beigemessen wird und Karriereprobleme nur in Bezug auf ihn thematisiert werden. Das Beziehungskonzept sieht zudem ein Recht auf eigene Interessen beider Partner vor, sei es im Beruf oder in der Freizeit, und einen Ausgleich der Lasten, die beide jeweils tragen. Andererseits ist Familie Bruckner in starkem Maße familienzentriert. Eine (vor allem berufliche) Selbstverwirklichung der Eltern wird als Wert ebenso abgelehnt wie eine Fremdbetreuung der Kinder. Es sollen vielmehr ausschließlich die Eltern Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder nehmen. Diese Vorstellung ist mit besonderer Bedeutung belegt, wie die Befürchtung psychischer Störungen bei Fremdbetreuung zeigt. Neben der Zentrierung ihres Lebens um den Sohn, die auch mit großer Nähe verbunden ist, worauf die lange Stillzeit und das gemeinsame Schlafzimmer schließen lassen, gibt es jedoch auch Befürchtungen der Fragmentierung der
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Paarbeziehung bei Herrn und Frau Bruckner, die sich in der Phantasie ausdrücken, der Sohn könne sie trennen und gegeneinander ausspielen. Auch verbringen sie aufgrund ihrer Ablehnung einer Fremdbetreuung zwar potentiell viel Zeit als Familie miteinander, gleichzeitig sind die Partner aufgrund der beiderseitigen Erwerbsarbeit und der abendlichen Hobbys jedoch real oft mit Unterschiedlichem beschäftigt. Dies wird auch durch die fast völlig fehlende Zeit zu zweit ohne Kind verstärkt. Das Ehepaar Bruckner hat einerseits einen in hohem Maße progressiven Lebensentwurf, der mit den Vorstellungen partnerschaftlicher Gleichheit und der väterlichen Reduktion der Erwerbsarbeit zugunsten der Kinderbetreuung eine gesellschaftliche Avantgardeposition einnimmt. Der familiale Lebensentwurf kann jedoch nur bedingt als individualisiert bezeichnet werden, denn dem steht die hohe Familienzentrierung entgegen, zu der auch eine Ablehnung von beruflicher Selbstverwirklichung gehört. Familie hat vielmehr einen hohen Wert und wird auch gegenüber der Gesellschaft dahingehend abgeschirmt, dass eine Fremdbetreuung abgelehnt wird und primär die Eltern Einfluss auf die Entwicklung des Sohnes nehmen sollen. Einem klassischen familistischen Lebensentwurf mit seiner Komplementarität der Rollen und Charaktere von Mann und Frau steht jedoch bei den Bruckners das egalitäre Partnerschaftskonzept und die Form elterlicher Arbeitsteilung gegenüber. Weitere Widersprüche im Kontext der hohen Bedeutung von Familie sind die Sicht auf Jonas als die Eltern potentiell Trennender und die alltagspraktische Separierung der Eltern durch ihre unterschiedlichen Tätigkeiten und wechselnden Abwesenheiten. Es lässt sich also zunächst festhalten, dass der Lebensentwurf der Familie Bruckner kein eindeutig zuzuordnender ist, sondern sich aus verschiedenen progressiven und eher traditionellen Elementen zusammensetzt, die in einer spezifischen Weise integriert sind.
5.3.2 Rekonstruktion der Initialszene Initialszene (1,4-1,10) A.K.: Stefanie B.: Jonas: Stefanie B.:
Ihr könnt einfach anfangen, oder ehm, vielleicht, wenn ihr möchtet, mit eurem Alltag, wie ihr das so regelt... Mhm, ja, gut, Alltag. Der Lütte ist jetzt ein drei viertel und wir haben eigentlich ne recht ungewöhnliche Alltagsform// Ah! // wie die meisten, wir haben, (zu Jonas) ja jetzt ist bitte mal Ruhe, ist jetzt zu spät, (Lachen) und zwar haben wir geteilte Elternzeit auf Tage.
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AK: Stefanie B.:
AK: Stefanie B.:
Jonas: Stefanie B.:
Mhm. Ja, es ist ja oft so, dass jemand am Block nimmt, was weiß ich erst mal halbes Jahr die Mutter oder paar Monate der Vater. Er bleibt zwei Tage zu Hause und an den zwei Tagen geh ich vormittags und manchmal halt auch nachmittags arbeiten. Mhm. Dadurch hat er halt, e sehr viel mehr (Poltern) vom Tag mit dem Kind, als Väter normal. Kriegt viel mehr mit, ja. Und der Kleine ist auch // Da! // genauso auf ihn fixiert wie auf mich, jetzt, ist absolut kein MamaKind.
Inhalt der Szene Familie Bruckner hat eine besondere alltägliche Lebensgestaltung, die darin besteht dass beide Eltern parallel in Elternzeit sind und sich tageweise mit der Berufstätigkeit wie mit der Betreuung des Kindes abwechseln. Dabei arbeitet Herr Bruckner an drei Tagen und Frau Bruckner an zwei Tagen. Der Vorteil für Familie Bruckner liegt dabei einerseits beim Vater, der mehr von seinem Sohn miterlebt, und andererseits beim Sohn, der eine gleichermaßen enge Bindung an beide Eltern hat.
Sequenzanalytische Rekonstruktion Die Forscherin eröffnet das Gespräch mit „Ihr könnt einfach anfangen“. Diese Einleitung ist mehrdeutig: Einerseits signalisiert sie den Gesprächsteilnehmern, dass der Raum für das Gespräch nun eröffnet ist und sie ihn nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. Dem gemeinsam angesprochenen Ehepaar Bruckner wird so Handlungsfähigkeit zugesprochen, diesen Raum nun auch „einfach“ auszufüllen. Im Gebrauch des „ihr“ kommt dabei eine persönliche und informelle Gesprächsebene zum Ausdruck. Zugleich liegt im Ansprechen des Anfangens auch eine Hilfestellung und Ermutigung. Diese Gestaltung durch die Forscherin ist jedoch zugleich technisch und unpersönlich, da sie weder sich selbst noch ihr Interesse thematisiert, etwa im Sinne von „mich interessiert“ o.ä.. Auch leugnet der Ausdruck „einfach“ anfangen die emotionale Bedeutung, die das Sprechen über die eigene Lebenssituation haben kann, und die Tatsache, dass die Gesprächsbeziehung zur Forscherin erst hergestellt werden muss. Die Forscherin fährt dann fort, indem sie, durch „oder“ eingeleitet, einen Richtungswechsel vornimmt und entgegen ihrem Vorschlag „einfach anfangen“
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nun ein Thema vorgibt: „vielleicht, wenn ihr möchtet, mit eurem Alltag“. Der eröffnete Raum, den das Ehepaar Bruckner mit seinem eigenen Anfangen ausfüllen könnte, wird dadurch wieder eingeschränkt und der Charakter der Eröffnung als Hilfestellung durch den Vorschlag einer Handlungsmöglichkeit verstärkt. Der anfängliche Anteil der Offenheit schwingt jedoch weiter in den Formulierungen „vielleicht“ und „wenn ihr möchtet“ mit, die immer noch Spielraum für die Selbstständigkeit der Bruckners lassen. Inhaltlich wird mit dem Thema „Alltag“ die alltägliche praktische Organisation der familiären Abläufe bzw. des Paares angesprochen. Es geht weniger um Selbstreflexivität bzw. um ein Sprechen über emotionale Erfahrungen und mögliche Konflikte des Elternseins, stattdessen wird zu einer Darstellung der Alltagsorganisation eingeladen. Dies wird durch die anschließende Formulierung der Forscherin „wie ihr das so regelt“ noch verstärkt. Das Wort „regeln“ bedeutet zudem eine weitere thematische Einschränkung, denn „regeln“ rückt ein technisches und unpersönliches Organisieren durch einen Rückgriff auf handlungsleitende abstrakte Regeln in den Mittelpunkt, die Beziehungen des Alltags werden geregelt und reguliert. In der Eröffnung der Forscherin wird demnach zum einen das Ehepaar Bruckner gemeinsam angesprochen und es werden zunächst Autonomie und Handlungsfähigkeit in einer zugewandten Weise zugesprochen und darin liegt verankert, dass Handlungsautonomie zunächst nicht in einem Widerspruch zur zugewandten Bindung steht. Gleichzeitig geht es dabei jedoch nicht um Gefühle, sondern um ein abstraktes Regeln der gemeinsamen Praxis der Familie. Dies lässt sich in Hinblick auf die Themen Autonomie und Bindung so zuspitzen, dass von der Forscherin Handlungsautonomie auf einer ganz pragmatischen Ebene angesprochen wird, und dies sogar zu einem instrumentellen und technischen Regulieren der Familienbeziehungen hin tendiert. Autonomie und Bindung werden in der Einleitung der Forscherin somit in einer instrumentellen Weise miteinander verknüpft, wobei emotionale Nähe zugunsten des Regelns in den Hintergrund rückt. Der thematisierte „Alltag“ bietet dabei den Anker im Konkreten, so dass statt reflexiver Betrachtung eine unhinterfragte Wiedergabe der geregelten Abläufe nahe gelegt wird. Frau Bruckner reagiert hierauf, indem sie den thematischen Vorschlag mit „mhm, ja gut, Alltag“ aufgreift. Sie benennt daraufhin zunächst auf das Alter des Sohnes: „der Lütte ist jetzt ein drei viertel“. Zentral für die Alltagsorganisation ist demnach das Alter des Kindes, sei es aufgrund der alltäglichen Erfordernisse, die dieses spezielle Alter mit sich bringt, oder aufgrund der Angabe einer genauen Dauer, seit der der gemeinsame Alltag in seiner aktuellen Form besteht. Über den Sohn wird dabei statt mit seinem Namen mit einer zwar durchaus liebevollen, aber unpersönlichen Bezeichnung seiner familiären Position als „Kleiner“ gesprochen. Er erscheint so zunächst weniger als Person denn als Stelle im fami-
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liären System und Auslöser der familiären Praxis. Daran schließt sich logisch an, dass Stefanie Bruckner nun auch weiter von der „Alltagsform“ der Familie spricht, die sie als „recht ungewöhnlich“ kennzeichnet. Die spezifische Struktur des Alltags wird dadurch einerseits hervorgehoben als etwas Besonderes und andererseits wird dies durch die Einfügung „eigentlich“ wieder eingeschränkt. Es eröffnet sich so ein Spannungsfeld zwischen dem Gewöhnlichen und dem Ungewöhnlichen und Besonderen, wobei die Position der Familie Bruckner sprachlich doppeldeutig angelegt ist. Verstärkt wird dies durch die im Anschluss an die „ungewöhnliche Alltagsform“ und nach dem Zwischenruf von Jonas fortgeführte Formulierung „wie die meisten“, die im sprachlichen Bruch gegensätzliche Sinnmöglichkeiten von „anders als die meisten“ bis zu „Alltagsform wie die meisten“ eröffnet. Irritierend ist, dass an dieser Stelle auch das von Frau Bruckner verwendete „wir“ unklar wird. Einerseits liegt vom sprachlichen Ablauf her nahe, dass damit sie und der Sohn, von dem unmittelbar zuvor die Rede ist, gemeint sind. Andererseits erscheint es inhaltlich offensichtlich, dass das „wir“ sie und ihren Mann meint bzw. die gesamte Familie, die die „Alltagsform“ ja gemeinsam betrifft. Ihr Mann wird jedoch im Gegensatz zum Sohn an dieser Stelle nicht angesprochen, so dass es sich auch um ein alleiniges Mutter-Sohn-Wir handeln könnte. Dies wird verstärkt durch das sich anschließende „Ah“-Rufen von Jonas. Auf diesen Zwischenruf von Jonas reagiert Frau Bruckner umgehend, indem sie ihren Satz mit geringer Zeitverzögerung unterbricht. Dieses Wahrnehmen des Kindes ist jedoch mit dessen Ermahnung zur Ruhe verbunden, Jonas wird aus dem Gespräch wieder ausgeschlossen. Frau Bruckner lässt sich so zwar einerseits von Jonas unterbrechen und spricht kurz zu ihm, andererseits will sie jedoch ihr Interesse – der Forscherin „jetzt“ von ihrem Alltag zu erzählen – gegen die möglichen Anliegen des Kindes durchsetzen. Dies geschieht im Rückgriff auf abstrakte, von Frau Bruckner gegenüber Jonas festgelegte Regeln: „jetzt ist bitte mal Ruhe“ und „jetzt ist zu spät“. Der Sohn soll passende und unpassende Zeiten des Sprechens bzw. der Ruhe akzeptieren. Im „zu spät“ und „jetzt bitte mal“ schwingt ein Vorwurf gegenüber den noch maßlosen kindlichen Ansprüchen mit. Auch wird Jonas erneut nicht als Person angesprochen, sondern im „ja jetzt ist bitte mal Ruhe“ anstelle von z.B. „sei bitte mal ruhig“ liegt ein Sprechen zum Kind statt ein Sprechen mit dem Kind. Das anschließende Lachen als Kommentar zur Interaktion von Frau Bruckner und Jonas ist doppelsinnig, insofern es einerseits ein Lachen über Jonas mit seinem unpassenden Anliegen ist und andererseits Frau Bruckners Zurückweisung ihres Sohnes abgeschwächt wird. Frau Bruckner schließt mit der Konkretisierung der Praxis: „und zwar haben wir geteilte Elternzeit auf Tage“. Damit wird durch das Wort „Elternzeit“ das
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„wir“ auf das elterliche Wir festgelegt, es geht um die Alltagsform der Eltern. Diese wird durch „und zwar“ besonders hervorgehoben. Die Benennung der Praxis als „geteilte Elternzeit auf Tage“ ist durch die Nachstellung des „auf Tage“ zugleich formelhaft. Im weiteren Fortgang der Initialszene konkretisiert und erläutert Stefanie Bruckner die von ihr benannte familiale Arbeitsteilung. Im anfangs deutlich gewordenen Spannungsfeld zwischen dem Normalen und dem Besonderen stellt Frau Bruckner nun den Bezug zu einem Rahmen angenommener Normalität her: „ja, es ist ja oft so, dass jemand am Block nimmt, was weiß ich erst mal halbes Jahr die Mutter oder paar Monate der Vater“. Bezugsgruppe sind hier die Eltern, bei denen sich Vater und Mutter mit der Elternzeit abwechseln, dies sei „oft“ der Fall – wobei die objektive Realität, dass insgesamt nur wenige Väter an der Elternzeit beteiligt sind, ausgeblendet wird. Die unkonkrete Formulierung „jemand“ verdeckt ebenfalls die Tatsache, dass fast ausschließlich Frauen Elternzeit nehmen und dies „am Block“ tun. In der Bezugnahme auf Väter und Mütter stellt Frau Bruckner einerseits eine Gleichheit her, indem sie beide benennt, andererseits wird die Position der Mutter doch hervorgehoben durch „erst mal halbes Jahr“ im Gegensatz zu „paar Monate“, die der Vater in Elternzeit sei. Frau Bruckner setzt ihre Praxis in den Kontext einer großen Gruppe von Eltern mit gemeinsamer Elternzeit, von denen sie sich im Wesentlichen durch die gewählte Form unterscheiden – sie nehmen nicht abwechselnd „am Block“ Elternzeit, sondern parallel. Übergangslos kommt Frau Bruckner nun zur eigenen Praxis, wobei sie ihren Mann unpersönlich mit „er“ bezeichnet und über ihn spricht statt mit ihm. Wie der Sohn wird auch ihr Mann nicht persönlich mit seinem Namen angesprochen und trotz seiner Thematisierung nicht mit ins Gespräch eingebunden. Beide Eltern arbeiten also Teilzeit, Herr Bruckner drei Tage und Frau Bruckner zwischen zwei halben und zwei ganzen Tagen pro Woche. Bezugspunkt bleibt trotz dieser innovativen Lösung die väterliche Vollerwerbstätigkeit, denn sein Zuhausebleiben an zwei Tagen wird als Besonderes benannt ebenso wie das entsprechende Arbeitengehen von Frau Bruckner, wenn er zu Hause ist – was jedoch umgekehrt nicht entsprechend formuliert wird. Ihre berufliche Arbeit wird zudem sehr eingeschränkt dargestellt, die zwei halben Tage „vormittags“ werden nur „manchmal halt auch“ zu vollen Arbeitstagen.68 Trotz der gleichberechtigten Arbeitsteilung des Ehepaares Bruckner wird hier ein starker Bezug auf die traditionellen Normen des Geschlechterverhältnisses deutlich, bei denen der Vater Vollzeit arbeitet und die Mutter ganz zu Hause ist.
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Diese Darstellung widerspricht den an anderer Stelle im Gespräch genannten 19 Stunden Wochenarbeitszeit von Frau Bruckner, die sich nicht an zwei Vormittagen leisten lassen.
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Im Folgenden kommt Frau Bruckner auf die Auswirkungen, die dies auf die Eltern-Kind-Beziehungen hat zu sprechen. Wieder spricht sie mit „er“ über ihren Mann, der „halt, e sehr viel mehr vom Tag mit dem Kind [hat] als Väter normal“ und er „kriegt viel mehr mit, ja“. Die Begründung für die gewählte Form der Arbeitsteilung ist die Beziehung des Vaters zu seinem Kind, die durch seine stärkere alltägliche Beteiligung im Gegensatz zu normalen Vätern eine höhere Qualität hat. Was genau dies ausmacht, ist jedoch nicht eindeutig. Etwas „mitbekommen“ setzt Herrn Bruckner in eine Zuschauerposition und gesteht ihm sprachlich zunächst nicht ein eigenes Handlungsfeld mit dem Kind gemeinsam zu. Auch bekommt er nicht direkt mehr vom Kind mit, sondern „mehr vom Tag mit dem Kind“, also mehr von den alltäglichen Abläufen und dem oben bereits angesprochenen Regelungen des Tageablaufes als vom Kind als Persönlichkeit und Interaktions- und Beziehungspartner. Im Ausdruck „etwas davon haben“ wird jedoch auch ein Profit für Herrn Bruckner angedeutet, der über eine bloße Zuschauerposition hinausweisen könnte, jedoch nicht näher konkretisiert wird. Frau Bruckner fährt dann fort, indem sie über den Sohn spricht, der wieder in seiner Position als „der Kleine“ angesprochen wird und sich auch prompt mit einem „da“ zu Wort meldet. Frau Bruckner hebt hervor, dass der Sohn zu beiden Eltern eine gleichwertige Beziehung hat. Sie spricht dabei vom „fixiert“-Sein und benutzt als Abgrenzung das „Mama-Kind“, das Jonas jedoch „absolut“ nicht ist. Irritierend ist daran, dass Frau Bruckner so einerseits für ein Aufbrechen einer engen Mutter-Kind-Bindung plädiert und von Ihrem Sohn Unabhängigkeit fordert im Gegensatz zu einem Kind, das nur an seiner Mutter hängt. Andererseits soll der Sohn aber dennoch „fixiert“ sein, auch wenn er nun gleichermaßen Bindungen zu beiden Elternteilen hat. Auch wenn es keine exklusive und enge Mutter-Kind-Bindung geben soll, so soll der Sohn doch starr an seine Eltern gebunden sein, diese haben als ausschließliche Beziehungspartner für das Kind hohe Bedeutung. Anstelle einer zunehmenden Autonomie soll Jonas an die Eltern fixiert bleiben. In Verbindung mit der Bedeutung der vorherigen Aussagen ergeben sich Widersprüche und Doppeldeutigkeiten. Einerseits sollen die elterlichen Beziehungen zum Kind eine Gleichwertigkeit haben, andererseits gibt es zugleich auch einen traditionellen Bezugsrahmen, eine stärkere Abwesenheit des Vaters und eine Hervorhebung der Bindung zwischen Mutter und Sohn. Für den Sohn ergibt sich das double bind zwischen der stärkeren Nähe zur Mutter und der Aufforderung, kein „Mama-Kind“ zu sein, für Herrn Bruckner die Unentschlossenheit zwischen seiner familiären Integration oder seinem Ausschluss aus der Nähe zwischen Mutter und Sohn und dem Verweis auf eine ausschließliche Erwerbsarbeit. Dies lässt sich auch im Schweigen Herrn Bruckners in dieser Initialszene verorten. Frau Bruckner hingegen steht als sprechende und regelnde in
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einer zentralen Handlungs- und Beziehungsposition gegenüber der Forscherin wie auch gegenüber Mann und Sohn, auch wenn sie zugleich distanziert bleibt und über Mann und Sohn und nicht mit ihnen spricht. Der Anfang der Initialszene zeichnet sich durch die Einengung der zunächst offener gestalteten Einleitung der Forscherin aus. Daraus entsteht der Entwurf einer pragmatischen oder auch technischen bzw. funktionalen Autonomie, in der die Gefühle und Beziehungen alltagspraktisch reguliert werden und nicht reflexiv sind. Diese Konstruktion findet sich auch im weiteren Verlauf der Initialszene in den Konstruktionen von Frau Bruckner wieder, die als Einzige des Paares spricht. Die gewählte Lebensform „geteilte Elternzeit“ erscheint im sprachlichen Oszillieren zunächst als Ausdruck eines individuierten Lebensentwurfs in dem Sinne, dass sie von Familie Bruckner auch gegen das Gewöhnliche gewählt wurde und beiden Eltern gleichermaßen eine Bindung an den Sohn ermöglichen soll. Gleichzeitig wird die Unkonventionalität des eigenen Entwurf jedoch geleugnet, Frau Bruckner verortet sich in einem spezifischen Kontext, in dem nur noch die Parallelität der Elternzeit das Besondere ist und nicht die geteilte Elternzeit an sich. Neben der eigentlich innovativen eigenen Lösung gibt es zudem den Bezug auf das konventionelle Geschlechterverhältnis mit unterschiedlichen Rollen für berufstätige Männer und fürsorgliche Frauen. Dabei bleibt auch Herr Bruckner in der Darstellung seiner Frau z.T. in einer familialen Zuschauerposition In der Interaktion von Frau Bruckner mit ihrem Sohn zeigt sich, dass Jonas einerseits beim Gespräch anwesend sein kann, andererseits jedoch durch unpersönliche und regelhafte Vorgaben bezüglich der Zeiten des Sprechens und Zeiten des Schweigens wieder ausgeschlossen wird. Auch erscheint er weniger als Person mit einem Namen und eigenen Bedürfnissen, sondern als Kleiner, als Kind in seiner familialen Position, was sich auch darin ausdrückt, dass sie zu ihm statt mit ihm spricht. Ebenso soll er einerseits nicht ausschließlich eng an seine Mutter gebunden sein, andererseits aber auch nicht autonomieorientiert aufwachsen, sondern an seine Eltern „fixiert“ sein. Die Beziehung zwischen Frau Bruckner und ihrem Mann bleibt undeutlich. Herr Bruckner schweigt in der Initialszene, was auch als Ausdruck der Definitionsmacht von Frau Bruckner für die Beziehung und im Gespräch mit der Forscherin gedeutet werden kann. Frau Bruckner spricht über ihren Mann Markus unpersönlich als „er“, analog zum Umgang mit dem Sohn. Auch hier erscheint die Beziehung distanziert. Wenn man dies auf die spezifische Konstruktion einer funktionalen Autonomie bzw. alltagspraktischen Regulierung von Beziehung rückbezieht, dann wird deutlich, dass die Alltagsorganisation mit abwechselnd anwesenden Eltern tatsächlich die Beziehung zum Sohn reguliert, damit dieser einerseits nicht zu
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eng an die Mutter gebunden wird und andererseits doch gleichermaßen eng auf beide Eltern bezogen sein soll. Die Beziehung zum Sohn ist dabei jedoch weniger als eine empathische und persönlich-spezifische, sondern als stärker durch die Positionen und Rollen „Eltern“ und „Kind in der Familie“ bestimmt. Auch die Beziehung des Paares wird so konstruiert, wenn Herr Bruckner zu einem schweigenden „Er“ wird und in die Gesprächsbeziehungen nicht eingebunden ist. Die funktionale Autonomie ist insoweit ein Familienmotiv, als Herr Bruckner ebenfalls ihm zustehende Zeiten des Sprechens bzw. des Schweigens annimmt und an dieser Stelle seine Frau sprechen lässt, ohne sich in das Gespräch einzubinden und emotional zu engagieren. Die geteilte Elternzeit dient Familie Bruckner somit dazu, Nähe und Distanz zu regulieren und den Eltern eine organisierte Bindung an den Sohn zu ermöglichen. 69 Hinsichtlich der familialen Triade zeigen sich zunächst miteinander unverbundene Dyaden – entweder Herr Bruckner ist mit dem Sohn zusammen oder Frau Bruckner, und dementsprechend kann Jonas nicht in das Wir von Forscherin und sprechender Frau Bruckner integriert werden, ebenso wie auch Herr Bruckner entsubjektiviert wird und schweigt. Auch das Wir des Paares bleibt in der Initialszene undeutlich und unklar neben dem stärker interaktiv präsenten Wir von Mutter und Kind. Die familiale Triade wird als ein Beziehungsverhältnis deutlich, das nach wie vor stärker durch voneinander getrennt bleibende Dyaden gekennzeichnet ist – das Wir von Forscherin und Frau Bruckner bzw. Frau Bruckner und Jonas und sprachlich auch das Wir des Paares Herr und Frau Bruckner. Dabei besteht einerseits insofern Flexibilität, als die Dyaden abwechselnd im Vordergrund stehen können, wenn auch Frau Bruckner stets zentrale Figur bleibt. Auch erscheint dies vordergründig konfliktfrei, wenn man die Zurückhaltung von Herrn Bruckner und das relativ ruhige Sich-Beschäftigen des kleinen Jonas berücksichtigt. Andererseits geben das ausschließende Handeln von Frau Bruckner gegenüber Jonas und das Schweigen von Herrn Bruckner
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Man kann der Interpretation kritisch entgegenhalten, dass die funktionale Autonomie ein Entwurf der Forscherin ist und von ihr aufgrund ihrer Machtposition in die Gesprächssituation eingebracht wird. Dem ist entgegenzusetzen, dass es sich bei der Forschungssituation um einen beiderseitigen Aushandlungsprozess handelt, in dem die Beziehungssituation zwischen Forscherin und Familie Bruckner mit Fragen der Nähe oder Abgrenzung gemeinsam ausgehandelt wird. Dabei gibt es auf Seiten der Forscherin neben der Einengung auf das Thema funktionaler Autonomie auf der Ebene von Alltagspraxis zugleich eine primäre Zugewandtheit mit gleichzeitiger Offenheit für die Autonomie der Bruckners in der Gestaltung des Gesprächs. Von den widersprüchlichen Angeboten wird jedoch nur die funktionale Figur aufgegriffen, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Interaktion wiederfindet, was gegen ein Handeln außerhalb des eigenen Familienentwurfes spricht. Die eingeengte Eröffnung der Forscherin wird vielmehr als ein Angebot deutlich, das den inneren Bedürfnissen der Bruckners entspricht bzw. diese anspricht.
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Hinweise darauf, dass die Integration des Dritten noch nicht gelungen ist und die Dyaden jeweils vorwiegend ausschließliche bzw. ausschließende sind. Gemäß des die Beziehung regulierenden alltäglichen Handelns als Entwurf einer funktionalen Autonomie ist das Elternwerden zunächst vorwiegend durch Hinzutreten des Kindes gekennzeichnet. Die Familie konstituiert sich als ein Verhältnis von Eltern und Kindern mit spezifischen Positionen und ist weniger durch einen inneren Wandlungsprozess mit den dazugehörigen emotionalen und beziehungsstrukturellen Veränderungen gekennzeichnet. Die entstandene Triade ist nur teilweise trianguliert. Unter Einbezug der Interpretationsergebnisse auf der manifesten Ebene ergibt sich folgendes Bild: Die Doppelorientierung der Familie Bruckner zwischen individualisiert und individuiert erscheinender partnerschaftlicher Arbeitsteilung und dem zugehörigen Beziehungskonzept und der gleichzeitig eher traditionellen Familienzentrierung und den dabei auftretenden Widersprüchen lässt sich mit der latenten Sinnfigur funktionaler Autonomie und der spezifischen Struktur der Triade in Bezug setzen. Die Widersprüche der Familienzentrierung – die Sicht auf Jonas als Trennenden und die alltägliche Trennung der Eltern – werden vor dem Hintergrund der Struktur der Triade mit getrennt bleibenden Dyaden verständlich. Familienzentrierung heißt demnach für Familie Bruckner, dass das Kind im Zentrum und zwischen den Eltern steht – im doppelten Wortsinn als Verbindendes und Trennendes. Als Person kann Jonas nicht in die Beziehung der Eltern integriert werden, wie an seinem interaktiven Ausschluss und dem fehlenden Bezug auf ihn als Persönlichkeit erkennbar wird. Bei Bindung zwischen zweien scheint der Dritte vielmehr mit dem Ausschluss bedroht, wie das Undeutlichwerden der verschiedenen Wir von Mutter und Sohn bzw. Mutter und Vater zeigt. Das dritte Wir von Vater und Sohn ist zwar alltäglich präsent, aber sprachlich und interaktiv in der Initialszene nicht – wodurch es bedroht scheint bzw. angesichts des Wir aus Mutter und Sohn nachrangig wird. Die „geteilte Elternzeit“ wird so ebenfalls als doppeldeutige verstehbar. Sie verbindet die Eltern, weil diese etwas miteinander teilen, aber sie teilt und trennt sie zugleich, da sie vor allem voneinander getrennt mit dem Kind verbunden sind und die Paarbeziehung demgegenüber unterrepräsentiert bleibt. In der Familienzentrierung liegt aber auch der starke Wunsch nach familiärer Bindung zu dritt verankert, auch wenn diese letztlich mit der funktionalen Autonomie reguliert wird. Die funktionale Autonomie ist demnach eine Konstruktion, bei der nicht Beziehung im Moment der Autonomie anerkannt und repräsentiert ist bzw. die Autonomie im Moment der engen Bindung. Enge Bindung wird vielmehr vermieden und die Autonomie wird genutzt, um dies durchzuhalten. Auch die Autonomie des Regelns von Beziehungen leugnet so die Bindung, macht sie aber gleichzeitig als spezifisch begrenzte Beziehung lebbar.
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5.3.3 Erweiterte Initialszene: „Alltag und Entscheidung für die Arbeitsteilung“ Die Szene „Alltag und Entscheidung für die Arbeitsteilung“ schließt unmittelbar an die Initialszene an und soll im Folgenden rekonstruiert werden, da zum einen hier auch Herr Bruckner spricht und es zum anderen inhaltlich um das auch dynamisch bedeutsame familiale Alltagsarrangement und die elterliche Entscheidung für die spezifische Arbeitsteilungsform geht. Im Anschluss an die sequenzanalytische Rekonstruktion erfolgt dann eine szenische Untersuchung für die vollständige Initialszene bzw. auf das gesamte Gespräch bezogen. Szene „Alltag und Entscheidung für die Arbeitsteilung“ (1,22-3,3) Stefanie B.: Jonas: Stefanie B.:
AK: Jonas: Stefanie B.:
AK: Stefanie B.:
Jonas: Stefanie B.: Jonas: Stefanie B.: Markus B.: Stefanie B.:
Jonas: Stefanie B.: Jonas: (laut)
Aa, Alltag, ph Aufstehen// Da! //richtet sich neuerdings danach, wann das Kind anfängt zu schreien. Ausschlafen gibt’s seitdem nicht mehr. Seit der Vater um sechs die Augen in der Woche aufschlägt, schlägt er immer um sechs die Augen auf. Mhm. (leise) Da. Und... dann ja, Kind als erstes aufs Klo, Frühstück machen, teilweise will er gar nicht aufs Klo, will sofort frühstücken. Und dann Riesengebrüll, wenns nicht sofort fertig ist. Mhm. Dann mit dem Kleinen raus, damit der sich austobt, Mittagessen machen, füttern, Kind ins Bett stecken, zwischendurch immer wieder zur Toilette, mal wieder was zu essen, was zu trinken anhalten, joh, wieder umziehen, wenn alles wieder pitschenass ist, oder einige (uv). (leise) Da! Und nach m Mittagsschlaf wieder raus toben, oder bei ganz schlechtem Wetter dann auch hier drin. Zwischendurch einkaufen gehen// mhmmhm (weiter im Hintergrund, zeigt dabei Stefanie ein Bilderbuch). // putzen, bügeln, waschen, (lacht) waschen im Moment am meisten. Waschen oft ja. Waschen am meisten. Wer weiß wie oft aufräumen, das haben wir mittlerweile auch auf die Schneeschieber-Methode abends verlegt. Das das bringt einfach nichts. Da. Ja, der winkt, der winkt (zu Jonas). Und, ja abends dann auch wieder// Ahahah!
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Stefanie B.:
Jonas: Stefanie B.: AK: Jonas: AK: Stefanie B.: Jonas: Stefanie B.:
AK: Markus B.: Stefanie B.: Markus B.:
AK: Markus B.: Jonas: Stefanie B.: Jonas: Stefanie B.:
AK: Stefanie: Markus B.: AK: Jonas:
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// (lacht) ja auf Toilette, baden, Schlafanzug, ab ins Bett. Und dann hat man, wenn wir Glück haben, und er schläft dann wirklich so kurz vor acht ein, dann haben wir noch mal so n bisschen Ruhe für uns, eh wir selber ins Bett gehen. (sehr laut) Daaaa! (zu Jonas) Ja, das Kind hat Essen geschmissen, igittigitt. Und wie ist das bei euch// (laut) Da! // entstanden, eure, eure Arbeitsteilung, wie ihr das so macht? Ehm // (uv) // ja eigentlich aus, ja praktisch daraus, dass es erst geheißen hat, wir können überhaupt keine Kinder kriegen und dann kam er doch. Nach ziemlich langer Zeit und dann haben wir gedacht, ok, wenn wir schon eh nur eins haben dann wollen wir das auch irgendwie so genießen und er soll da auch was von haben und nicht nur son paar Stunden am Wochenende// Mhm. Ja gut, hinzu kam auch, dass es überhaupt in dem Jahr erstmals möglich war// genau! //bisher war das ja gesetzlich gar nicht möglich und das war in dem Jahr wo er geboren wurde, war es das erste Jahr, wo es überhaupt möglich war, dass beide Elternteile parallel in die Elternzeit gehen können. Mhm. Und trotzdem aber auch (lautes Scheppern) dann Teilzeit aber noch arbeiten können. Mama mhm. Kriegen zwar dann auch klar n Viertel weniger Geld, und // Dadada! //und bei mir dann halt ja, noch viel weniger. Aber ham wir dann gesagt, ok, wir hatten vorher eigentlich alles, waren ständig im Urlaub und all so Sachen, und dann können wir das jetzt auch so machen. Hat man auch einfach mehr vom Kind. Und wir wollten auch, dass er wirklich nur von uns erzogen wird und nicht dann irgendwie Tagesmutter oder fremde Personen, wo man gar nicht weiß, was eigentlich tagsüber läuft. Mhm. Das war uns schon wichtig. (...) Und ich denk, ja, dir gefällts auch gut, ne. Joh. Gut, es is n bisschen stressig im Beruf, mal ist es unge-, ungewöhnlich, wie wie// Mhm. Da! Da! Da!
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Markus B.: AK: Markus B.: Jonas: Markus B.:
AK: Markus B.:
Jonas: Markus B.:
//sag mal wie, grade so was es so es soziale Umfeld, die Arbeitswelt, das is das is einfach noch zu neu, als dass// Mhm. // eh// Da! Da! Da! // sich andere das eh ganz selbstverständlich hinnehmen würden. Eh, teilweise erfährt man in der Berufswelt Zustimmung, dass eh die Leute sagen, ja, das hätt ich auch gern gemacht. Mir hat n anderer n anderer Kollege, der n bisschen jünger ist als ich, der auch n Kind gekriegt hat, der hat mir schon n paar mal gesagt, er würd das sofort machen, nur bei ihm ist halt der finanzielle Aspekt dass er sich// Mhmn. //eh, eh, aus dem Gesichtspunkt her nicht leisten kann, und das ist jetzt vielleicht die, der Vorteil der spätgebärenden Väter, sag ich mal, ich bin schon eh etwas über das übliche Alter vielleicht hinaus und dadurch, eh im Beruf auch nicht mehr ganz so, eh wie soll ich sagen// kuhkuh // unbedingt auf die Karriere nur fixiert, sondern ich hab mir gesagt o.k., das was ich jetzt erreicht habe, das ist o.k., eh viel mehr Stress wollt ich mir da eigentlich gar nicht machen, und eh insofern kann man auch n Experiment mal eingehen. Man muss ganz klar, das muss man sich im Vorfeld klar machen, dass son Schritt ist nicht karrierefördernd.
Inhalt der Szene Frau Bruckner schildert zunächst detailliert den Alltag mit Kind, der aus einer Reihung von kindbezogenen und haushaltlichen Aktivitäten besteht. Auf die Frage der Forscherin hin, wie die gemeinsame Arbeitsteilung entstanden sei, beteiligt sich auch Herr Bruckner stärker am Gespräch. Als Ursachen der Arbeitsteilung benennt Frau Bruckner die besondere Situation, dass Jonas geboren wurde, als sie nicht mehr mit einem Kind gerechnet hatten, und Herr Bruckner deswegen auch besonderen Anteil am Leben mit Jonas haben sollte. Außerdem wurde das familiale Arrangement erst durch eine neue Gesetzgebung ermöglicht. Weiterhin lehnen die Bruckners eine Fremdbetreuung ab. Herr Bruckner spricht über seine berufliche Situation, in der das Nehmen von Elternzeit mit beruflichen Nachteilen verbunden ist, auch wenn manche Kollegen gerne Ähnliches machen würden. Herr Bruckner ist jedoch aufgrund seines Alters nicht mehr sehr an Karriere interessiert und mit der erreichten beruflichen Situation zufrieden.
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Sequenzanalytische Rekonstruktion Die vorliegende Szene hat inhaltlich zwei Teile. Zum einen schildert Frau Bruckner den Alltag mit Kind zu Hause. Hier ist Herr Bruckner bis auf einen kurzen Einwurf erneut nicht beteiligt. Auf die Frage nach der Entstehung ihrer Arbeitsteilung hin beteiligen sich dann beide Eltern und vor allem Herr Bruckner spricht über seine berufliche Situation und Motivation. Im ersten Teil der Szene, der als eine Bebilderung der initialen Schilderung von Frau Bruckner verstanden werden kann, listet diese die alltäglichen Aktivitäten auf, beginnend mit dem Aufstehen und endend mit dem Schlafengehen des Sohnes. Frau Bruckner beginnt mit „Aa-, Alltag, ph Aufstehen richtet sich neuerdings danach, wann das Kind anfängt zu schreien“. Sie leitet ihre Schilderung zum Alltag mit einem „ph“- Laut ein, der generell etwas wie Entrüstung und Überforderung bedeutet. Die folgende Erzählung steht also unter dem Vorzeichen einer gewissen Zumutung für Frau Bruckner. Sie beginnt dann mit dem Aufstehen, erzählt also chronologisch einen typischen Tagesablauf. Erstaunlich ist die Kennzeichnung mit „neuerdings“, da der Sohn ja bereits 21 Monate alt ist. Entweder der Sohn ist überraschend zum Frühaufsteher geworden oder die Veränderung hat für Frau Bruckner noch eine deutliche Präsenz und ist nicht verarbeitet. Der zweite Teil des Satzes ist dabei sehr distanzierend, insofern der Sohn nicht mit Namen genannt wird, sondern unpersönlich als „das Kind“ bezeichnet ist und sein Wachwerden allein als ein Anfangen-zu-schreien beschrieben wird. Diese Reaktion scheint einem kleinen Säugling eher angemessen als einem 21 Monate alten Kind. Für Frau Bruckner erscheint das morgendliche Wachwerden als Zumutung, die in ihrer Schilderung weder durch eine besondere Bindung an den Sohn Jonas noch durch eine freudige Begrüßungsreaktion gemildert wird. Dies wird bestärkt durch den Nachsatz „Ausschlafen gibt’s seitdem nicht mehr“. Hier wird erneut hervorgehoben, dass das Kind Frau Bruckner etwas wegnimmt: die Möglichkeit auszuschlafen. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der folgende Satz: „Seit der Vater um sechs die Augen aufschlägt, schlägt er auch immer um sechs die Augen auf“. Hier wiederholt sich die zeitliche Unklarheit, insofern Herr Bruckner seine Berufstätigkeit seit der Geburt des Sohnes nicht ausgeweitet hat und somit bereits im gesamten Zeitraum „um sechs die Augen aufschlägt“. Was also bleibt ist die hergestellte Verbindung zwischen Vater und Sohn, die beide gleichermaßen für das erzwungene Frühaufstehen von Frau Bruckner verantwortlich gemacht werden. Somit wird auch die Identifikation des Sohnes mit dem Vater als eine Zumutung dargestellt. Beide werden dabei erneut nicht persönlich genannt, sondern bleiben – obwohl ja im Gespräch anwesend – „der Vater“ und „er“.
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Dies zieht sich auch durch die folgende Aufzählung. Auch hier wird keinmal der Sohn mit Namen genannt, sondern bleibt „der Kleine“, „das Kind“ oder „er“. Auch taucht keine handelnde Person auf, sondern die beschriebenen Tätigkeiten werden unpersönlich aneinandergereiht, wie z.B. „Mittagessen machen, füttern, Kind ins Bett stecken“ oder „was zu trinken anhalten“. Es wird keine Kommunikation geschildert, von einem Verweis auf das Gebrüll des Sohnes, wenn das Frühstück nicht schnell genug fertig ist, abgesehen. Zwei Mal taucht ein handelndes Wir auf, das sich beide Male auf das Elternpaar bezieht, das eine spezifische Aufräummethode angesichts der vom Kind verursachten Unordnung anwendet und „Ruhe für uns, eh wir selber ins Bett gehen“ wünscht. Der Alltag mit Kind wird so als eine unkommunikative, recht unpersönliche und zudem schematisch und getrieben ablaufende Handlungsfolge dargestellt, wobei die meisten der Tätigkeiten kindzentriert sind. Der einzig ruhige Moment ist dagegen die Zeit nach dem Zu-Bett-gehen des Sohnes und vor dem Zu-Bett-gehen des Elternpaares. Der Alltag mit Kind ist für Familie Bruckner und vor allem für Frau Bruckner ein Abhandeln notwendiger Tätigkeiten und kein gemeinsames Erleben mit dem Kind. Angesichts des Kontrasts der Ruhe, wenn der Sohn schläft, steht gerade die Kindzentrierung der Tagesaktivitäten mit der anstrengenden Reihung von Tätigkeiten in Verbindung. Ein ähnlicher Umgang zeigt sich auch mit dem Sohn im Gespräch – er ist zwar sehr präsent, äußert sich regelmäßig und Frau Bruckner geht auch zwei Mal auf ihn ein, dennoch werden die Reaktionen auf ihn (und das Bilderbuch) nahtlos in den Erzählfluss integriert und werden zu eingeschobenen Sätzen, die den Ablauf der Erzählung nicht unterbrechen. Der zweite Teil der Szene wird durch die Frage der Forscherin nach der persönlichen Entstehungsgeschichte der Arbeitsteilung eingeleitet. Diese vermeidet damit eine Reaktion auf die Alltagsgestaltung und kehrt zum Anfang der Erzählung von Frau Bruckner, zu der ungewöhnlichen Alttagsform zurück. Sie blickt dabei auf das Elternpaar und nicht die auf die Eltern-Kind-Beziehungen, so spricht sie das Paar sie in ihrem Satz viermal mit „euch/ihr“ an. Erneut beginnt Frau Bruckner zu sprechen, sie stellt die Wahl der parallelen Elternzeit in den Kontext der vorher diagnostizierten Unfruchtbarkeit des Paares: „dass es erst geheißen hat, wir können überhaupt keine Kinder kriegen und dann kam er doch“. Hierin liegt einerseits ein Moment der Überraschung und andererseits eine hohe Wertigkeit des Sohnes, der „doch“ gekommen ist. Frau Bruckner fährt fort, die Wertigkeit des Sohnes als einziges Kind zu benennen: „wenn wir eh schon nur eins haben, dann wollen wir das auch irgendwie so genießen“. Die parallele Elternzeit wird also mit der Möglichkeit, das Kind zu genießen in Verbindung gebracht – wobei zunächst noch offen ist, warum dies bei geteilter Elternzeit in besonderem Maße möglich ist. Dies wird im zweiten Teil des Satzes
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erläutert, „er soll da auch was von haben und nicht nur son paar Stunden am Wochenende“. Parallele Elternzeit ermöglicht demnach auch dem Vater ein Genießen des Kindes und eine innere Befriedigung durch das Zusammensein mit dem Kind. In diesen Zusammenhang passt es jedoch nicht, dass Frau Bruckner sagt „er soll da auch was von haben“, und damit neben einem Teilen auch ein Verhältnis der Zuweisung an ihren Mann anspricht. Damit – gerade auch im Kontext ihrer überforderten und angestrengten Alltagsschilderung – erscheint es nicht nur als ein gemeinsames Genießen, sondern Stefanie Bruckner will ihren Mann auch verpflichten, eine Last mit ihr zu teilen. Im Kontext der besonderen Entstehungsgeschichte des Sohnes, der überraschend doch noch kam, steht somit nicht nur die besondere Wertigkeit des Sohnes, sondern es wird auch eine Belastung angedeutet, die dies bedeutet hat. Die Verben „dachten“, „wollen“ und „sollte“ drücken weniger ein eigenes Erleben aus, sondern bringen zunächst nur die auf der kognitiven Ebene verankerten Absichten zum Ausdruck. Nun meldet sich zum ersten Mal auch Herr Bruckner länger zu Wort, der die Zuweisung seiner Frau zwar mit „ja gut“ bejaht, aber gleichzeitig abhakt und auf einen anderen für ihn entscheidenden Punkt zu sprechen kommt, die gesetzliche Basis für parallele Elternzeit mit gleichzeitiger Teilzeitarbeit liegt. Er wechselt somit von den inneren zu den äußeren Motiven. Frau Bruckner greift dies auf und spricht an, dass sie aufgrund der gemeinsamen Elternzeit auch beide auf Einkommen verzichten. Sie wechselt dann aber wieder zu den inneren Gründen für die geteilte Elternzeit, denn der Verzicht auf Konsummöglichkeiten wie Urlaub sei für beide Eltern nicht so schlimm, da sie diese in der Zeit vor der Geburt des Sohnes ausgeschöpft hätten, „wir hatten vorher eigentlich alles, waren ständig im Urlaub“. Sie betont noch einmal die Wertigkeit des Zusammenseins mit dem Kind: „hat man auch einfach mehr vom Kind“, auch wenn dies erneut unpersönlich, sowohl in Bezug auf die Eltern als „man“ als auch in Bezug auf den Sohn als „das Kind“, ausgedrückt ist. Sie benennt zudem den gemeinsamen Wunsch beider Eltern, „dass er wirklich nur von uns erzogen wird“, der auch mit einer Kontrolle des Alltags des Kindes verbunden wird, zu wissen „was eigentlich tagsüber läuft“. Das Zusammensein mit dem Kind als Begründung für die parallele Elternzeit ist also mit dem unspezifischen Profit der Eltern – „etwas davon zu haben“ – gleichermaßen verbunden wie mit bestimmten Vorstellungen über den Tagesablauf. Wissen, „was eigentlich tagsüber läuft“, spricht wie die Eingangsschilderung ein kognitives Moment von Handlungsabläufen an und nicht ein gemeinsames Erleben als primäres Moment, wie z.B. zu erleben, was das Kind macht. Darauf spricht Frau Bruckner ihren Mann nach einer kurzen Pause direkt an und sagt: „und ich denk, ja, dir gefällts auch gut, ne“. Damit spricht sie nicht ein weiteres Motiv an, sondern die Zufriedenheit ihres Mannes mit der getroffenen
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Entscheidung. „Gut gefallen“ bleibt dabei eher auf einer Betrachtungsebene und spricht nicht unmittelbar ein tiefes Empfinden an. Die Einseitigkeit der Aussage, die nur Herrn Bruckners Gefallen thematisiert, stellt gerade in der Bestätigung, dass auch Herr Bruckner mit dem gemeinsamen Arrangement zufrieden ist, diese Zufriedenheit in Frage. Dies insofern als eben Frau Bruckner das Gefallen seitens ihres Mannes thematisiert und dadurch die gemeinsame Praxis als von ihr ausgehend erscheint, wohingegen ihr Mann nur noch sagen kann, ob es ihm gefällt oder nicht. Markus Bruckner antwortet recht unenthusiastisch mit „joh“, womit er zustimmt, aber nicht weiter auf sein eigenes Empfinden eingeht, sondern auf seinen Beruf zu sprechen kommt – also von der privaten und emotionalen auf eine professionelle Ebene wechselt und über sich nicht als Vater, sondern als Berufstätigen spricht. Er benennt nun Nachteile des getroffenen Arrangements mit „gut, es is n bisschen stressig“. Er spricht zunächst auch nicht von sich selbst, sondern vom beruflichen Umfeld, das als sein eigentliches „soziales Umfeld“ benannt wird, und dessen Reaktionen. Dabei scheint er unentschlossen, ob er die negativen Reaktionen und damit seine eigenen Nachteile hervorheben oder doch lieber über Neid und Anerkennung sprechen soll. So entschuldigt er das Stressige im Beruf damit, dass die parallele Elternzeit „ungewöhnlich“ und „einfach noch zu neu“ sei und wechselt dann zur Anerkennung, die er durch einen jüngeren Kollegen erfahrenen hat. Herr Bruckner scheint somit nicht von den Bewertungsmaßstäben seines beruflichen Umfeldes getrennt, sondern er legitimiert einerseits die erfahrene Ablehnung und blendet sie andererseits auch aus. Dann verortet er sich selbst im beruflichen Bereich – aufgrund seines fortgeschrittenen Alters sei er nicht mehr „auf die Karriere nur fixiert“, sondern von sich aus bereit, auf weitere Karrieremöglichkeiten zu verzichten, er wolle sich auch ohnehin nicht mehr „viel mehr Stress“ im Beruf machen. Herr Bruckner positioniert sich gegenüber dem erwähnten jüngeren Kollegen als erfahrener, gereifter und finanziell potenter Mann, für den Karriere aufgrund seines Alters an Reiz verloren hat und der deswegen auch keine weiteren beruflichen Anstrengungen unternehmen möchte. Mögliche Nachteile sollen als selbstgewählt und unbedeutend erscheinen. Die Elternzeit, die er nimmt, wird dadurch weniger zu einem Opfer, das er bringt, oder zu etwas, das er gegenüber der Karriere legitimieren muss, sondern erscheint als Beschäftigung eines ohnehin karrieregesättigten Mannes. Dementsprechend charakterisiert er die Elternzeit auch als ein „Experiment“, das man „insofern auch mal eingehen kann“. Hiermit nimmt Markus Bruckner gegenüber der Schilderung seiner Frau Umwertungen vor. Die Elternzeit scheint weniger aus dem Wunsch nach Zeit mit dem Kind motiviert, sondern als Ersatzbeschäftigung, für die angesichts der abgeschlossenen Karriereplanung auch keine weitere innere Motivation notwendig ist. Ausgangspunkt der Bewertung bleibt der Beruf, Herr Bruckner stellt sich im
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Kontext beruflicher Nachteile als erfahrener Mann dar, der beruflich bereits alles erreicht hat und sich daher „Experimente“ leisten kann. Der zweite Teil der Initialszene bebildert einerseits noch einmal den Alltag mit dem Sohn Jonas und die Gestalt der Familienbeziehungen. Zudem wird die elterliche Arbeitsteilung in ihrer Entstehung deutlich und die Position von Herr Bruckner zwischen Familie und Beruf erkennbar. Die Ergebnisse des zweiten Teils wiederholen dabei Strukturen des Anfangs der Szene und erweitern und verdichten die familiale Figur. Die Funktionalität der Familienbeziehungen, bei denen die Triade stärker durch die Positionen von Eltern und Kind als durch eine Integration des Sohnes als Persönlichkeit bestimmt bleibt, lässt sich in ihren Ursprungskontext zurückbinden. So erscheint die Geburt des Sohnes Jonas zwar einerseits als etwas besonders Wertvolles, wird zugleich jedoch auch als eine Überforderung erkennbar, die beide Eltern gemeinsam tragen sollen. Trotz der Zentrierung um das Kind, bleibt der gemeinsame Alltag eher ein getriebenes Abhandeln notwendiger Tätigkeiten als ein gemeinsames Erleben, woraus sich das Paar nur abends in wenige Stunden der Zweisamkeit vor dem Schlafengehen retten kann. Vor allem für Frau Bruckner bleibt der Wunsch nach Gemeinsamkeit mit dem Kind überfordernd und das permanente (Ab-)Handeln im Tagesablauf bringt dies ebenso zum Ausdruck, wie auch die mangelnde innere Verankerung der Beziehung darin erkennbar wird. Vater und Sohn erscheinen gemeinsam als äußerlich bleibende Zumutung und die familiäre Arbeitsteilung daher als von Frau Bruckner ausgehender Versuch, durch ihren Mann innerlich entlastet zu werden und ihn in die alltägliche Regulierung von Beziehung praktisch einzubinden. Herr Bruckner trägt dies zwar mit, aber in seiner Selbstdarstellung ist es für ihn wichtig, sich als beruflich erfolgreichen und erfahrenen Mann zu positionieren. Die parallele Elternzeit, als ein zunächst im gesellschaftlichen Kontext in hohem Maße avantgardistisches und individuiert erscheinendes Arrangement, ist bei Familie Bruckner nicht Ausdruck einer besonderen inneren Autonomie und eines integrierenden Entwurfs von Autonomie und Bindung für beide Eltern. Familie Bruckner sieht sich auch nicht als gesellschaftliche Avantgarde, sondern versucht, sich in einem peer-Kontext zu verorten, und verweist zugleich als Ursache für die eigene Lebensform auf die geänderte Gesetzeslage. In der Rekonstruktion wird deutlich, dass durch die Arbeitsteilung weniger Bindung und Autonomie integriert, sondern primär Bindung reguliert wird. Die regelmäßige Anund Abwesenheit beider Eltern vermeidet eine zu starke Bindung zwischen Eltern und Kind und vor allem zwischen Mutter und Kind, soll zugleich aber auch eine zu starke Autonomisierung des Kindes verhindern. Diese wird ebenfalls durch die wechselnde An- und Abwesenheit beider Eltern kontrolliert. Autonomie und Bindung werden im familialen Entwurf zu gegensätzlichen Konzepten,
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wobei beide Eltern hier gleiche Positionen einnehmen, d.h. Autonomie und Bindung sind in der spezifischen inneren Konstruktion nicht auf die Geschlechter aufgeteilt. Zugleich scheint eine starke Motivation für dieses Arrangement von Frau Bruckner auszugehen, wohingegen Herr Bruckner seine Männlichkeit nach wie vor in beruflicher Handlungsfähigkeit verankert.
Deutungsmuster In Bezug auf die Deutungsmuster, die im familialen Entwurf zum Ausdruck kommen, bietet sich ein komplexes Bild. So kann man zum einen auf ein modernisiertes Muster partnerschaftlich geteilter Elternschaft schließen, das in der Praxis der parallelen Elternzeit wie auch in deren selbstverständlicher Schilderung zum Ausdruck kommt. Dies entspricht einem Muster neuer Väter wie auch neuer Mütter, wobei beide alltäglichen Anteil an der Entwicklung des Kindes haben, aber auch ins Arbeitsleben integriert bleiben. Insofern taucht bei Familie Bruckner auch kein Bezug auf das traditionelle Muster der guten Mutter auf, sondern es wird vielmehr betont, dass der Sohn Jonas gerade kein Mutter-Kind ist. Dennoch wirken Normen der traditionellen Mütterlichkeit im Lebensentwurf der Familie Bruckner fort. So wird eine Fremdbetreuung abgelehnt, der gemeinsame Sohn soll unter permanenter elterlicher Aufsicht stehen. Man kann darin eine Ausweitung der normativen Mutterliebe auch auf den Vater sehen, auch wenn die permanente Verantwortung für die Fürsorge nun auf zwei Personen aufgeteilt wird und diese dadurch auch berufstätig sein können. Die hohe Kindzentrierung des Arrangements verweist dabei auf neuere Deutungsmuster von Kindheit, die auch durch den besonderen Status und Wert des Sohnes Jonas, als einem Kind das „doch“ kam, nahegelegt wird. Auf der anderen Seite lässt sich zumindest in Bezug auf Herrn Bruckner auch ein Niederschlag des Musters des männlichen Ernährers festhalten. Dieses ist modifiziert dahingehend, dass nicht primär die Ernährerrolle von Herrn Bruckner hervorgehoben wird. Jedoch bleibt seine Männlichkeit mit Beruflichkeit verbunden, trotz seiner ausgeweiteten familiären Rolle als alltäglich präsenter Vater bleibt das berufliche Umfeld sein eigentlicher Kontext. Männlichkeit wird dabei mit Seniorität, finanzieller Potenz, beruflicher Orientiertheit und Sicherheit im beruflichen Feld und einer den eigenen Bedürfnissen entsprechenden Karriereplanung verbunden.
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5.3.4 Szenische Rekonstruktion Zur szenischen Rekonstruktion des Gesprächs greife ich im Folgenden auf einen Auszug aus dem Forschungsprotokoll, die Gruppeninterpretationsprotokolle und die Untersuchung einer weiteren Gesprächsszene zurück. Aus dem Protokoll der Forscherin zur Forschungssituation: „Als ich zur vereinbarten Zeit bei der Familie ankomme, reagiert auf mein erstes Klingeln am Gartentor zunächst niemand, beim zweiten Klingeln wird der Summer betätigt. Die mit dem zweiten Kind hochschwangere Stefanie Bruckner öffnet mir zusammen mit Jonas die Tür der Wohnung. Im Hintergrund staubsaugt Markus Bruckner, wir nicken uns zu. Direkt im Anschluss geht Frau Bruckner mit Jonas ins Bad, das neben der Eingangstür liegt. Jonas soll noch einmal Pipi machen bzw. „drücken“, bevor das Gespräch losgeht, und dann eine Windel anziehen. Eine ihrer ersten Fragen lautet, wie viele Gespräche ich bereits geführt habe und warum es erst so wenige sind. Sie hat gleich mehrere Ideen, wie ich weitere Forschungsteilnehmer finden kann. Markus kommt kurz hinzu und stellt sich mit seinem Vornamen vor. Während Jonas mit einem Aufsatz auf dem Klo sitzt und von Stefanie zum „drücken“/Pipimachen aufgefordert wird, unterhalten wir uns. Ich erfahre, dass Jonas fast sauber ist und nur noch manchmal, z.B. im Wohnzimmer, eine Windel anzieht. Ich bemerke, dass das ja schon früh ist, und Stefanie erzählt mir, wie sie ihn dazu erziehen (Stoffwindeln seien den Kindern eher unangenehm) und ihn notfalls auch mal mit einer nassen Hose herumlaufen lassen. Markus und sie würden dies unterschiedlich handhaben, er sei strenger und zwinge Jonas eher, eine Windel anzuziehen. Jonas zeigt mir währenddessen alle möglichen Dinge im Bad mit „da“- Rufen und Fingerzeigen, ich spreche mit ihm, aber Jonas selbst „spricht noch nicht“. Jonas macht kein Pipi, er bekommt eine Windel angezogen und wir gehen rüber ins Wohnzimmer. Stefanie Bruckner fragt, ob ich einen Tee mittrinke und geht hinüber in die Küche, um ihn zu holen. Währenddessen zeigt Jonas mir seine Spielsachen, die in einer Ecke des Wohnzimmers liegen. Stefanie kommt mit dem Tee zurück (es ist ein Rest Tee in einer Kanne) und auch Markus, der mit dem Staubsaugen fertig geworden ist, kommt hinzu.“
Aus dieser protokollierten Szene vor dem eigentlichen Forschungsgespräch und anhand der von der Forscherin hierzu protokollierten Affekte lassen sich folgende Anteile der Beziehungsszene zwischen Forscherin und Familie Bruckner herausarbeiten:
Die Forscherin bekommt das Gefühl, zur falschen Zeit gekommen zu sein bzw. nicht erwartet zu werden, dadurch dass sie vor der Tür warten gelassen wird und die Familie noch nicht für das Gespräch bereit ist, als die Forscherin in die Wohnung kommt.
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Sie wird zur Zeugin der demonstrierten familiären Alltagspraxis gemacht, als Herr Bruckner noch Hausarbeit erledigt und Frau Bruckner sich um die Sauberkeitserziehung des Sohnes kümmert. Dabei ist vor allem der sofortige Toilettenbesuch mit Jonas, im intimen Bereich des Badezimmers, irritierend. Die Forscherin ist erschrocken über die eher strikte Sauberkeitserziehung, die die Bedürfnisse des Kindes missversteht und nicht empathisch ist. Sie wird beschämt und ihrer Potenz als Forscherin beraubt, als sie unvermittelt von Frau Bruckner auf die geringe Zahl der bisher geführten Forschungsgespräche angesprochen wird und von ihr ein Hilfsangebot (die Vermittlung weiterer potentieller Gesprächspartner) erhält. Die Forscherin wird enttäuscht dadurch, dass ihr ein Tee angeboten wird, der sich als lauwarmer Rest herausstellt. Gleichzeitig fühlt sich die Forscherin aber auch freundlich aufgenommen, erlebt das Ehepaar Bruckner als sympathisch und aufgeschlossen, kooperativ und interessiert und auch Jonas als ein freundliches und liebenswürdiges Kind, das Kontakt aufnimmt.
Es ergibt sich hier also auf affektiver Ebene ein Bruch zwischen der vordergründigen Sympathie und Verständigung zwischen dem Ehepaar Bruckner, ihrem kleinen Sohn und der Forscherin und der gleichzeitigen Inszenierung von Nichtwillkommen-Sein, Beschämung und Enttäuschung sowie der Demonstrativität der familiären Praxis, die über Intimitätsgrenzen hinweggeht. In der Interpretationsgruppe traten weitere Affekte anhand des Gespräches mit Familie Bruckner auf:
Ablehnung und Aggression gegenüber dem Elternpaar, dem die elterliche Kompetenz abgesprochen wird, und gleichzeitig Sorge um den Sohn Jonas; Mitgefühl und Anteilnahme gegenüber einem kindlich und bedürftig scheinenden Elternpaar und Ablehnung gegenüber der als nicht empathisch wahrgenommenen Forscherin; Angst und Beunruhigung, Phantasien über Tod und etwas Schreckliches, das geschehen ist Gefühle der Ohnmacht und Entmenschlichung angesichts eines maschinenartigen Ablaufs.
Diese Affekte kreisten in besonderer Weise um eine Szene, die aus diesem Grunde im Folgenden wiedergegeben wird. Die Szene „schwanger werden“ stammt aus der Gesprächsmitte und zeichnet sich neben ihrem besonderen affektiven Gehalt auch durch die Darstellung der Urszene der Familie als Szene der Familiengründung aus.
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Szene „schwanger werden“ (15,27-16,6) A.K.: Jonas: Stefanie B.: A.K.: Stefanie B.: Markus B.: Stefanie B.: A.K.: Stefanie B.: A.K.: Stefanie B.:
A.K.: Stefanie B.: A.K.: Stefanie B.:
A.K.: Stefanie B.:
A.K.: Stefanie B.: [...] A.K.: Stefanie B.:
Und wie kam das dann, dass ihr doch Eltern geworden seid? Da da (und weiter laut dazwischen)! Tja, wir hatten Befruchtung und alles abgeschlossen, (uv) wir machen nix mehr. Ihr habt das Ganze also wirklich ausprobiert? Jah, es gab dann noch diese ICSI-Methode // Joh, joh, // und da die ist ja so umstritten in punkto Gen-Schäden, und da haben wir gesagt// Mhm. // das machen wir nicht. War ja auch, ja gut, im Freundeskreis eine, die haben Drillinge dadurch bekommen// Mhm. // und eh hab ich gesagt, nee also Drillinge, das wirklich nicht [...] und, haben wir gesagt also, phh für Drillinge können wir uns nicht entscheiden und dafür n Kind abzutöten// Mhm. // gezielt eins davon auch nicht// Mhm. // also lassen wir das ganz. Ja und vierzehn Monate später war ich dann, ja bin ich in in eigentlich in internistische Behandlung gekommen, weil der Bauch immer dicker wurde und keiner wusste warum. Und dann wurd ich gegen dicken Bauch behandelt, mit allem möglichen Dingen und war schwanger, ja. Es hat keiner gemerkt. Ja, da hat auch keiner mehr mit gerechnet. Das Thema war doch einfach klar, dass da nichts kommen kann und da bin ich dann von einem Arzt zum nächsten gejagt worden, habe sogar Lymphdrainagen gekriegt, wo eigentlich normalerweise ne Abtreibung durch stattfindet. Hat er alles überlebt und // Das is ja (uv) (uv) gekommen ja. Mhm. Und wie war das für euch dann? (atmet aus) Ja, es ja, das war dann erst mal wieder...total anders, wir haben uns schon gefreut, aber es war...doch erst mal erstaunlich, warum überhaupt, ja ...und joh, dann haben wir das halt alles soweit darauf eingerichtet ..dann war das ok.
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Der Inhalt der Szene lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das Ehepaar Bruckner hat verschiedene Befruchtungsmethoden in Anspruch genommen, als diese Versuche jedoch erfolglos bleiben, ist für die beiden und die behandelnden Ärzte klar, dass sie definitiv kein Kind bekommen können. Nachdem Herr und Frau Bruckner verschiedene Argumente abgewägt haben, entscheiden sie sich gegen einen weiteren Versuch mit der ICSI-Methode, die bisher noch nicht angewendet wurde. Ehe sie womöglich Drillinge bekommen bzw. eine Abtreibung vornehmen müssten, verzichten sie lieber auf einen weitere Chance für eine Schwangerschaft und bleiben kinderlos. Diese Klarheit, dass sie kinderlos bleiben werden, führt dazu, dass die ein Jahr später eingetretene Schwangerschaft als solche weder von den Bruckners selbst noch von den Ärzten wahrgenommen werden kann. Der sich rundende Bauch wird deshalb als medizinisches Problem interpretiert, das von mehreren Ärzten behandelt wird. Retrospektiv ist klar, dass diese Behandlungen die Schwangerschaft gefährdet haben, real haben sie dem Sohn jedoch keinen Schaden zugefügt. Als das Ehepaar Bruckner wahrnimmt, dass es Eltern wird, fällt ihm ein Verstehen zunächst schwer. Beide freuen sich zwar, aber damit sie die Situation, Eltern zu werden, annehmen können, müssen sie ihr Leben zunächst neu darauf einrichten. Auffällig und irritierend ist an dieser Szene – und das wird in ihrer inhaltlichen Zusammenfassung noch einmal besonders deutlich –, dass sie weitgehend leer von emotionalen Gehalten ist, und Frau Bruckners Schilderungen bleiben sachlich, sie gleichen einem scheinbar rationalen und vernunftgesteuerten Prozess. Davon ausgenommen ist lediglich die Empörung angesichts des Fehlverhaltens der Ärzte, die im Sprechen von Frau Bruckner erkennbar wird. Diese lenkt jedoch zugleich von den eigenen Anteilen am Geschehen und den damit verbundenen Gefühlen ab. Es ergibt sich somit ein Bruch zwischen dem Inhalt der Szene und der Form der Kommunikation: Die emotionslose Schilderung steht in eklatantem Widerspruch zu den darin enthaltenen brisanten Themen und deren zu vermutender emotionaler Bedeutung. Welche Gefühle haben z.B. die erfolglosen Versuche der assistierten Befruchtung ausgelöst, welche Gefühle die Aussicht, als Paar keine gemeinsamen Kinder bekommen zu können? Was bedeutet es, die Schwangerschaft mit dem eigentlich langersehnten Kind nicht gespürt bzw. bemerkt zu haben? Was löst es aus, das eigene Kind unbemerkt fast abgetrieben zu haben? Die im Gespräch nicht auftauchenden Gefühle lassen sich mit Hilfe der affektiven Reaktionen der Forscherin angesichts der Szene vor dem Gespräch und anhand der affektiven Reaktionen der Teilnehmer der Interpretationsgruppe rekonstruieren. Übertragungen und Gegenübertragungen in der direkten Interaktion bzw. als Reaktionen der Lesenden können in die affektive Leerstelle der
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Szene zurückgeführt oder als Reaktionen auf die verborgen bleibenden Gefühle übersetzt werden. Als Abgewehrtes kann man so rekonstruieren:
die Kränkung des Paares, als (un-)fruchtbares Paar auf assistierte Befruchtung angewiesen zu sein und nicht aus der liebenden Vereinigung heraus selbst prokreativ sein zu können; die Enttäuschung und Traumatisierung durch die erfolglosen Versuche technischer, medizinischer Befruchtung, die das Liebespaar zu einem zunächst unfruchtbaren Paar machen ohne die Aussicht, sich als Elternpaar zu verwirklichen, wodurch das Paar in einer Weise verletzt und beschädigt wird, die eine Bearbeitung zunächst unmöglich macht; die Beschämung, die Schwangerschaft nicht gespürt bzw. wahrgenommen zu haben und das Leben des Kindes gefährdet zu haben die Aggression gegen das Kind als dem hinzutretenden Dritten, das mit dem Tode bedroht wird, obwohl es eigentlich herbeigesehnt wurde.
Dies fällt zusammen in der „Behandlung gegen dicken Bauch“, die einerseits als Teil der Abwehr der Kränkung und Traumatisierung deutlich wird und andererseits einen medizinisch legitimierten und inszenierten Rahmen für das Ausagieren der unbewussten Aggression gegenüber dem Kind bietet. Das Jagen von Arzt zu Arzt unterstützt die Verleugnung der Schwangerschaft. Dabei wird die mangelnde Verankerung der Handlungsfähigkeit und Kreativität des Paares in ihrer Leiblichkeit und Körperlichkeit deutlich, die zur medizinisch-technischen Sicht auf die Schwangerschaft führt und die äußerliche Anerkennung der Schwangerschaft durch Ärzte notwendig macht. Die mangelnde Möglichkeit, das gemeinsame Kind als Produkt des Liebespaares, der Vereinigung des fruchtbaren Paares zu empfinden, lässt die Schwangerschaft unpersönlich bleiben. In beidem liegt auch etwas Kindliches, insofern als die eigene Körperlichkeit von Sexualität und Prokreativität getrennt und unangeeignet scheint, auch als Ausdruck der Verletztheit und Bedürftigkeit des Paares. Das nun doch überraschend nachträglich durch die Schwangerschaft bestätigte fruchtbare Paar und werdende Elternpaar muss daher der für sie neuen Situation mit einem ebenso äußerlich bleibenden Sich-Einrichten begegnen, wohingegen die eigene Freude und das ebenso notwendige Sich-innerlich-Einrichten zu kurz kommen.
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5.3.5 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Bruckner Auf der bewussten Ebene des Entwurfs steht die weitgehend gleichberechtigte Arbeitsteilung zwischen Herrn und Frau Bruckner im Vordergrund, die alltagspraktisch mithilfe der geteilten bzw. parallelen Elternzeit umgesetzt wird. Dabei sollen beiden Eltern Freiräume für die Erwerbsarbeit und für Freizeitaktivitäten zur Verfügung stehen. Die Erwerbsarbeit wird dabei hauptsächlich unter der Perspektive der Einkommenssicherung betrachtet und nicht als Ort der Selbstverwirklichung. Diese Gewichtung zwischen Erwerbsarbeit und Familie, bei der die Familie einen hohen Stellenwert hat, gilt zunächst für beide Eltern. Erziehungsleistungen sollen nur durch die Eltern erbracht werden, und Vater und Mutter sollen gegenüber dem gemeinsamen Sohn eine gleich wichtige Beziehung haben. Aufgrund der aufwändigen Alltagsorganisation in der Zentrierung auf den Sohn Jonas bleibt dem Elternpaar wenig Zeit für Gemeinsamkeit. Der familiale Entwurf verbindet traditionale Familienbilder im Sinne einer Familienzentrierung mit partieller Abschirmung von der Gesellschaft mit modernisierten, egalitären Partnerschaftsentwürfen. Dieser bewusste Entwurf ist mit einer spezifischen familiären Struktur und Dynamik verbunden und erhält durch diese eine besondere Bedeutung. In der Rekonstruktion wurde deutlich, dass die familiale Triade durch eine noch nicht bzw. nur in einer spezifischen Form gelungene Integration des Kindes gekennzeichnet ist und darüber hinaus auch die Beziehung der Eltern durch eine Distanz gekennzeichnet ist. So wie die Regelung des Alltags mit dem Kind eine emotionale und persönlich-spezifische Kontaktaufnahme und Nähe verhindert und die Beziehung zwischen Eltern und Kind nur organisiert, so sind die Eltern auch durch ihre Arbeitsteilung faktisch meist mit Unterschiedlichem beschäftigt und die gemeinsame Zeit ist stark reduziert. Auch die Beziehung zwischen den Eltern ist durch die Alltagsorganisation in spezifischer Weise reguliert. Insofern herrscht eine gewisse Flexibilität der Dyaden in der Triade, da alle gleichermaßen durch diese Beziehungsregulierung gekennzeichnet sind. Eine besondere Position hat dabei jedoch Frau Bruckner, die unterhalb der egalitären Konstruktion doch einerseits eine alltäglich intensivere Beziehung zum Sohn hat und auch gegenüber ihrem Mann ein Verhältnis der Zuweisung der väterlichen Position besteht. Das egalitäre Konzept ist jedoch verbunden mit gleichzeitig, aber hintergründig wirkenden traditionellen Konzeptionen des Geschlechterverhältnisses, in denen Herr Bruckner als Mann wesentlich auf seinen Beruf bezogen bleibt und familiär nur eine Zuschauerrolle einnimmt. Seine Väterlichkeit wird nicht zu einem bestimmenden Moment seiner Persönlichkeit. Demgegenüber spielt der Beruf in den Darstellungen von Frau Bruckner keine große Rolle, sie ist innerlich stärker durch ihre Position als Mutter in der Familie bestimmt.
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Die rein subjektive Seite des Entwurfs liegt in der spezifischen Geschichte des Ehepaares Markus und Stefanie Bruckner begründet. Es wurde erkennbar, dass das Paar die traumatisierende Erfahrung gemeinsamer Unfruchtbarkeit und erfolgloser Versuche reproduktionsmedizinischer Hilfe noch nicht verarbeiten konnte, sondern Kränkung und Enttäuschung aneinander als Paar noch fortwirken. Dadurch konnte die gemeinsame Fruchtbarkeit zunächst weder wahrgenommen noch körperlich und in die Paarbeziehung integriert werden, das werdende Kind war von aggressivem Ausschluss bedroht. Die Geburt des Sohnes wirkte deshalb als überfordernde Überraschung, die noch andauert. Dies stellt den Hintergrund für die spezifische Struktur und Dynamik der Triade dar, wobei die Alltagsorganisation mit paralleler Elternzeit sowohl den Wunsch nach gemeinsamer Beziehung zum langersehnten Kind ausdrückt als auch eine Bearbeitung der erlittenen Traumatisierungen und damit eine innerliche Beziehungsaufnahme erschwert, da der Tag mit Kind durch permanentes, getriebenes Handeln gekennzeichnet ist. Im Sinne der Abwehr drückt die spezifische Alltagsorganisation somit einerseits den Beziehungswunsch aus, verhindert aber andererseits die Konfrontation mit der eigenen Aggression und Enttäuschung und macht somit die Familienbeziehungen für beide Eltern erträglich und lebbar trotz der fortwirkenden Traumatisierungen. In Hinblick auf die Frage nach der Vermittlung von Autonomie und Bindung liegt im Entwurf der Familie Bruckner eine besondere Konstruktion dieses Verhältnisses begründet. Dabei wird in der Alltagsorganisation des Paares und gemeinsam mit dem Kind verankert, dass Beziehungen zueinander aufgenommen und Bindung aufrecht erhalten werden kann ohne dass diese zu nahe werden müssen bzw. ohne dass Aggression und Enttäuschung zum Auseinanderfallen der Familie führen. Die Arbeitsteilung der Eltern verbindet die Familie und hält in der Bindung eine gewisse Distanz aufrecht, wie dies alltäglich in der wechselnden An- und Abwesenheit der Eltern und in der zwar kindzentrierten, aber zugleich Nähe vermeidenden Alltagsorganisation zum Ausdruck kommt. Das familiale Motiv einer funktionalen Autonomie reguliert die Beziehung und Bindung zwischen den Ehepartnern ebenso wie zum Sohn. Dieser soll an beide Eltern fixiert und zugleich an keinen eng gebunden sein. Die familiale Triade ist in diesem Sinne eine, in der enge Bindung vermieden und mithilfe einer spezifischen Form von Autonomie erträglich gemacht und stabilisiert wird. Autonomie und Bindung sind bei Familie Bruckner zunächst nicht traditionell geschlechtsspezifisch aufgeteilt, sondern die spezifische familiäre Konstruktion steht im Vordergrund. Damit überwiegt die Sicherung des familialen Zusammenhalts, das gemeinsam durch beide Eltern erfolgende Tragen und Ertragen der erlittenen Traumatisierung und Überforderung durch die nicht rückgängig zu machende Präsenz des Kindes, gegenüber den ebenfalls latent erkennbaren traditionellen Entwürfen mit stärker
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männlich definierter beruflicher Autonomie und weiblicher familiärer Bindungsfähigkeit. So sind einerseits Autonomie und Bindung gleichermaßen für Herrn und Frau Bruckner möglich, andererseits werden Autonomie und Bindung aber auch für beide verhindert, da sie an das beschriebene abwehrgeprägte Arrangement gebunden bleiben. Auch wenn beides zur wechselseitigen Stabilisierung miteinander in spezifischer Weise vermittelt ist, bleiben Autonomie und Bindung dennoch in einem ambivalenten Spannungsverhältnis, das im Kontext des bisherigen Entwurfes noch nicht progressiv aufgelöst werden kann. Dabei bleiben innere und äußere Spannungen zwischen der tendenziell egalitären väterlichen und mütterlichen Praxis und den gleichzeitig fortbestehenden stärker traditionellen inneren Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit. So scheint insbesondere die väterliche Praxis die Männlichkeit von Herrn Bruckner in Frage zu stellen, die er durch seinen expliziten Bezug auf die berufliche Peergroup und die Abwertung seiner Elternzeit als Experiment stabilisiert. Die im gesellschaftlichen Kontext progressive elterliche Arbeitsteilung ist hier nicht primär Ausdruck der innerlich angelegten Vermittlung von Autonomie und Bindung für beide Geschlechter, sondern eine Beziehungsform, die dem Paar hilft, die notwendige Abwehr von Nähe und Autonomie im Alltag zu regulieren. Mit Blick auf die Deutungsmuster zeigt sich ein komplexes Bild. So bestehen vordergründig Bezüge zum Muster partnerschaftlicher Gleichheit und neuer Väterlichkeit, die jedoch, wie beschrieben, vor allem an die inneren abwehrgeprägten Entwürfe der familienspezifischen Konstruktion von Autonomie und Bindung anknüpfen. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen ihrem Entwurf partnerschaftlicher Gleichheit und engagierter Väterlichkeit, wie ihn nur wenige Elternpaare haben, und ihrem Wunsch nach Normalität und normativem Rückhalt in einer Gruppe von Gleichen, da sie subjektiv nicht zu einer gesellschaftlichen Avantgarde gehören wollen. Die Verankerung in einer solchen Normalität dient der Beruhigung der inneren, lebensgeschichtlich angelegten Entwürfe von Weiblichkeit und Männlichkeit. Der unbewusst motivierte Entwurf in seiner Kindzentrierung hat vor allem das gemeinsame Tragen der Last angesichts der Traumatisierung zum Inhalt hat und weniger Leiden oder Konflikte hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses und der eigenen Lebensperspektiven. Insofern ist die Verortung im gesellschaftlichen Konsens über neue Väter für die Bruckners erträglich, eine darüber hinausgehende Betonung der Neuerung durch die egalitäre Praxis jedoch nicht. Auf der anderen Seite beziehen sie sich auf das traditionelle Muster der guten Mutter in einer modifizierten Form, bei der beide Eltern nun in die mütterliche Position eintreten und abwechselnd die vollständige Kontrolle und Verantwortung für die Entwicklung des Kindes übernehmen. Damit grenzen sie sich
5.4 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis
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von einem Muster beruflicher Selbstverwirklichung ab. Auch dies steht in Zusammenhang mit dem unbewussten Entwurf der Familie Bruckner. Mit den beiden anderen Mustern konfligierend und diese zugleich ausgleichend, wirkt vor allem für Herrn Bruckner das modifizierte Muster des männlichen Ernährers, das zur Stabilisierung der durch neue Väterlichkeit und egalitäre Partnerschaft bedrohten Männlichkeit von Herrn Bruckner beiträgt, indem es ihm das Berufsfeld als hauptsächlichen Bezugsbereich bewahrt. Zusammenfassend kann man sagen, dass der familiale Entwurf von Familie Bruckner ist durch eine weitgehend egalitäre elterliche Arbeitsteilung gekennzeichnet ist, bei der beide Elterteile Anteil an der Fürsorge für das Kind und am Berufsleben haben. Dabei wird die Familie deutlich höher gewichtet als der Berufsbereich. Daneben bestehen traditionelle Zuweisungen der Bereiche Beruf als männlich und Familie als weiblich fort, auch wenn diese Zuweisungen in der Praxis vergleichsweise wenig zum Tragen kommen. Dahinter steht ein ebenfalls relativ egalitärer triadischer Entwurf, der jedoch durch eine noch nicht geglückte triadische Integration des Kindes und die Gestaltung aller Familienbeziehungen im Sinne der funktionalen Autonomie gekennzeichnet ist. Der äußerlich weitgehend progressive Familien- und Arbeitsteilungsentwurf ist zugleich das Produkt lebensgeschichtlich fundierter Abwehrprozesse. 5.4 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis Carola und Michael Hansen sind beide Mitte dreißig und der gemeinsame Sohn Paul ist zweieinhalb Jahre alt. Beide Eltern sind Akademiker und in großen Unternehmen beschäftigt, Herr Hansen als Informatiker und Frau Hansen als Betriebswirtin. Nach der Geburt von Paul war Frau Hansen zunächst ein Jahr in Elternzeit und arbeitet seitdem mit 19 Stunden pro Woche an zwei bzw. drei Tagen pro Woche wieder in ihrem Beruf. Während dieser Zeit wird Paul durch ihre Eltern oder, wenn diese im Urlaub sind, in einem Betriebskindergarten betreut. Das Gespräch mit Familie Hansen findet abends im Haus der Familie statt, als Paul bereits im Bett ist.
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5 Fallrekonstruktionen
5.4.1 Zum Gesprächsinhalt Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zum Thema Beruf und Familie Für Herrn Hansen hat sich in beruflicher Hinsicht durch die Geburt des Sohnes nichts geändert, er kann weiterhin den Anforderungen seiner anspruchsvollen Stelle gerecht werden. Hingegen hat für Frau Hansen die vorübergehende Aufgabe der Erwerbstätigkeit mit der Geburt von Paul einen tiefen Einschnitt bedeutet. Der Alltag mit einem Säugling hat sie nach ca. einem halben Jahr nicht mehr ausgefüllt, vor allem auch die damit verbundene Hausarbeit hat sie unzufrieden gemacht. Dennoch ist sie erst als Paul ein Jahr alt war wieder berufstätig geworden, da beide Eltern Paul vorher noch zu jung für eine Betreuung durch andere fanden. Für Frau Hansen bedeutet ihr Beruf Anerkennung und eine Bestätigung ihrer Kompetenzen, und auch wenn sie keine Karriere im Sinne einer Leitungsfunktion anstrebt, so hat sie doch einen inhaltlichen Anspruch an ihre Arbeit. Im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen an ihrem Arbeitsplatz bedauert sie einerseits ihren unsicheren Status als Teilzeitkraft, andererseits ist sie froh über die innere Umwertung, wodurch die Familie bzw. das Zu-Hause-Sein mit Paul neues Gewicht gegenüber dem Beruf bekommen hat. Eine Reduktion der Erwerbsarbeit von Michael Hansen kam für beide aus finanziellen Gründen nicht in Frage, vor allem jedoch aufgrund der geringen Anerkennung, die männlicher Teilzeitarbeit im Berufsleben entgegengebracht wird. Auch für Frau Hansen bedeutet die Teilzeitarbeit einen Verzicht auf interessante Projekte und ist in ihrem Arbeitsumfeld ebenfalls nicht selbstverständlich gewesen. Frau Hansen beabsichtigt ihre Arbeitszeit auf 25 Stunden pro Woche zu erhöhen, wenn Paul drei Jahre alt wird.
Lebensentwurf, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zu den familiären Beziehungen Für das Ehepaar Hansen sind gemeinsame Freizeitaktivitäten wie das Besuchen von Kulturveranstaltungen oder Wanderungen sehr wichtig, die Geburt von Paul hat insofern für beide zunächst eine wesentliche Veränderung bedeutet. Beide Eltern bedauern den Verlust an Ungebundenheit, versuchen jedoch auch mit Paul weiterhin Dinge zu unternehmen. Dabei nehmen sie nicht immer Rücksicht darauf, ob Ausflüge auch kindgerecht sind, sondern versuchen vielmehr eher, Paul für das zu begeistern, was ihnen gefällt. Beiden Eltern ist es wichtig, Paul Werte zu vermitteln, die es ihm ermöglichen sollen, das Gute und Richtige im Leben zu erkennen und eigene Entscheidungen treffen zu können. In der Erziehung sieht
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sich Herr Hansen als konsequenter, Konsequenz ist ihm sehr wichtig, auch wenn er generell so viel Freiheit wie möglich befürwortet. Er sieht sich als Vater gefordert, immer wieder eine Beziehung zum Kind aufzubauen, und empfindet gleichzeitig seine Vorbildfunktion als besondere Aufgabe. Für Frau Hansen ist es wichtig, dem Kind Geborgenheit in einer intakten Familie zu geben. Paul kann mit beiden Eltern gleichermaßen schmusen und diese merken, dass er sich freut, wenn sie zu dritt zusammen sind.
Interpretation der Gesprächsinhalte Der Lebensentwurf des Ehepaares Hansen ist an beruflicher Selbstverwirklichung orientiert, der im privaten Bereich eine ähnlich gelagerte Ausrichtung auf Aktivität und Unternehmungen zugeordnet ist. Trotz der beiderseitigen Berufsorientierung hat jedoch die männliche Erwerbsarbeit im gemeinsamen Entwurf Vorrang, nur hier werden die beruflichen Nachteile einer Teilzeiterwerbstätigkeit als Argumente gegen eine Reduktion der Arbeitszeit angeführt. Es scheint dem Paar vielmehr selbstverständlich, dass sich die Mutter stärker um das gemeinsame Kind kümmert, auch wenn Herr Hansen ebenfalls ein interessierter Vater ist. Dabei wollen die Eltern Paul auch einen familiären Entwicklungsraum bieten, weswegen Frau Hansen trotz ihrer Unzufriedenheit mit der Situation ein Jahr zu Hause bleibt. Dennoch ist das familiale Arrangement nur bedingt kindzentriert, denn das Ehepaar versucht, seine Freizeitgestaltung aus der Zeit als Paar auch mit dem Sohn aufrechtzuerhalten. Dabei gehen sie hauptsächlich insofern auf den Sohn ein, als sie versuchen, ihn für ihre Interessen zu begeistern. Der Lebensentwurf der Familie Hansen lässt sich somit als eine modernisierte Variante der klassischen elterlichen Arbeitsteilung kennzeichnen. Dabei gilt einerseits nun für beide Eltern eine hohe Berufsorientierung. Andererseits erbringt die Mutter jedoch stärker Integrationsleistungen von Beruf und Familie als der Vater, der aber in seiner Freizeit ebenfalls an der Entwicklung des Kindes aktiven Anteil nimmt.
5.4.2 Rekonstruktion der Initialszene Initialszene (1,4-1,35) AK: Michael H.: AK:
Genau. (uv) Babyphon an. Ja. Und vielleicht möchten Sie einfach anfangen zu erzählen, oder ehm, Sie können auch anfangen, wie es für Sie war Eltern zu wer-
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5 Fallrekonstruktionen
Carola H.: AK: Carola H.:
AK: Michael H.:
AK: Carola H.:
den, oder mit dem Ihrem Alltag als Eltern heute, oder...wie Sie möchten. Mhm. Was Sie am meisten beschäftigt vielleicht. (lacht) Was uns am meisten beschäftigt... was meinen Sie jetzt damit, wie es für uns war Eltern zu werden, also ich mein, was jetzt speziell? Also die die Umstellung, von sagen wir mal, ohne Kinder zu mit Kind, oder..// Mhm, gerne (Lachen). Ja, für uns wars eigentlich ne relativ große Umstellung, weil wir ja bevor wir Paule hatten, ehm ziemlich viel rumgereist sind, ehm nach... auch viel gesellschaftlich gemacht haben, viel in der Oper, im Konzert und wenn sonst irgendwas war, und eigentlich nie danach fragen mussten, ob wir da gehen können oder... ne Weile, ne Zeit lang haben wir es dann auch gemacht, und das ging natürlich erst mal gar nicht mehr. Solang Babys halt so klein sind, da kann man sie nicht weggeben, will sie auch manchmal nicht weggeben. Und somit ist der radikale Übergang, ehm, schon sehr deutlich. Mhm. Das war irgendwie die Sp-, die Spon-, also, was ich empfunden hab, die Spontaneität eh fällt halt völlig flach. Jetzt wenn man es im Privaten sieht, also dieses ehm, man überlegt sich nachmittags, och, man könnt doch, man hat Lust heute Abend irgendwas zu unternehmen. Sei es jetzt, dass man ehm mit irgendwelchen Freunden weggeht, mit Kollegen kurz, weiß nicht sozusagen weggeht, oder sich überlegt, man hat Lust in irgend nen Kinofilm zu gehen, also dass die Zeit überhaupt, was heißt, dass es eigent-, was mir jetzt, was mich am Anfang sag mal besonders gestört hat, dieses immer alles, also vorherplanen und organisieren müssen. Also ich mein, es ging, er eh is eigentlich schon noch relativ pflegeleicht gewesen, da kann man nichts sagen, also man kann ihn bei meinen Eltern, hat er sich immer wohlgefühlt, und auch wenn ne Freundin ihn eh mal betreut, das hat also immer super geklappt.
Inhalt der Szene Was das Ehepaar Hansen beim Elternwerden am meisten beschäftigt hat, waren die Einschränkungen ihrer vorher sehr aktiven und spontanen Freizeitgestaltung. Das Elternwerden war insofern ein „radikaler Übergang“, als das Baby diese Lebensgestaltung zunächst unmöglich gemacht hat und trotz der später auch vorhandenen Babysitter ein erhöhter Planungsaufwand geblieben ist.
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Sequenzanalytische Rekonstruktion Die Äußerung der Forscherin „genau“ und das Satzfragment „Babyphon an“ von Michael Hansen verweisen auf die Kommunikation zwischen Forscherin und Familie Hansen vor Beginn des aufgezeichneten Gesprächs. Die Forscherin scheint dabei etwas zu bestätigen, es wird eine Absprache, ein Einigungsprozess vor dem offiziellen Gesprächsbeginn erkennbar. Das von Michael Hansen angesprochene „Babyphon“ gibt dabei einen ersten Hinweis auf das folgende Gesprächsthema „Elternsein“, der Sohn wird symbolisch im Gespräch präsent. Zudem gibt sich Herr Hansen hier bereits als Vater zu erkennen, der über den Schlaf seines Sohnes, vermittelt über ein technisches Gerät, wacht. Mit einem abschließenden und anknüpfenden „Ja“ leitet die Forscherin den Anfang des Forschungsgespräches ein. Sie formuliert zunächst eine offene Einstiegshilfe „vielleicht möchten Sie einfach anfangen zu erzählen“, der sie drei mit „oder“ eingeleitete Vorschläge folgen lässt. Darin zeigt sich die Zurückhaltung, eine klare Frage zu formulieren und ihrem eigenen Interesse deutlicher Ausdruck zu verleihen, sowie gleichzeitig die Bereitschaft, dem eigenen Thema der Eltern Raum zu geben. Carola und Michael Hansen sollen am besten „einfach anfangen zu erzählen“, und wenn dies nicht „einfach“ möglich ist, bestehen verschiedene Alternativen: Sie können gemeinsam damit beginnen, von den emotionalen Erfahrungen der Vergangenheit zu erzähle, „wie es für Sie war, Eltern zu werden“, oder sie können anfangen, von ihrer alltäglichen Praxis als Eltern heute zu sprechen, oder selbst ein weiteres Thema für den Gesprächsanfang auswählen. Die Forscherin eröffnet damit eine Raum von Handlungsmöglichkeiten für das gemeinsam angesprochene Ehepaar Hansen und signalisiert neben der Unterstützung, die in den Hilfe für den Anfang gebenden Themenvorschlägen liegt, zugleich ihre Zuwendung und Offenheit für die Gestaltung durch das Ehepaar selbst. Im Siezen liegt dabei eine gewisse Distanz – Forscherin und Teilnehmer begegnen sich eher als Fremde bzw. Professionelle, die die Umgangsformen wahren, während auf thematischer Ebene sowohl die Alltagspraxis als auch die Ebene inneren Erlebens angesprochen sind. In das nachdenkliche Zögern von Carola Hansen („Mhm“) gibt die Forscherin eine Entscheidungshilfe, über das zu sprechen, was das Ehepaar Hansen „am meisten beschäftigt“. Dies wird ebenfalls durch „vielleicht“ offen gehalten, zugleich wird hier die Ebene des emotionalen Erlebens noch einmal besonders angesprochen und hervorgehoben. Frau Hansen lacht zunächst und distanziert sich dadurch von der Thematisierung ihres inneren Erlebens, auch wenn sie dann die Worte der Forscherin „was uns am meisten beschäftigt“ noch einmal wiederholt. Distanz schafft auch die Nachfrage „was meinen Sie jetzt damit“, die zwar direkten Kontakt auf-
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nimmt, dabei aber deutlich macht, dass es ein fragloses Verstehen an dieser Stelle zwischen Forscherin und Frau Hansen nicht gibt. Frau Hansen bezieht sich dann auf den ersten thematischen Vorschlag der Forscherin, „wie es war Eltern zu werden“, und fordert gegenüber den offenen und zögernden Formulierungen der Forscherin eine stärkere Klarheit und eine eindeutigere Spezifizierung des Themas durch die Frage „was jetzt speziell“ ein. Sie geht damit zwar einerseits auf den Vorschlag, über das eigene Erleben zu sprechen, ein, andererseits distanziert sie sich hiervon jedoch, indem sie eine Strukturierung und Spezifizierung einfordert, die der Qualität von emotionalem Erleben nicht unbedingt entspricht. Carola Hansens anschließende Deutung und Spezifizierung „also Umstellung von sagen wir mal, ohne Kinder zu mit Kind, oder...“ folgt dieser Argumentation formal, ist jedoch inhaltlich redundant – denn nichts anders ist das genannte Elternwerden. Interessant ist die Definition als „Umstellung“ von einem Zustand „ohne Kinder“ zu einem Zustand „mit Kind“ jedoch, da hier ein Umschalten zwischen zwei Formen angesprochen wird, das einen inneren emotionalen Prozess eher nicht anspricht. Doppeldeutig bleibt demnach auch der Bezug auf den Vorschlag der Forscherin, über das zu sprechen, was das Ehepaar Hansen am meisten beschäftigt – denn einerseits scheint die „Umstellung“ dieses innere, emotionale Thema zu sein, andererseits definiert Frau Hansen das Sprechen über das eigene Erleben neu, als eine Zustandsbeschreibung. Die Forscherin stimmt dem mit „gerne“ zu und verweigert sich gleichzeitig der Aufforderung durch Frau Hansen, ihre Frage eindeutiger zu stellen – was Lachen hervorruft. Nun greift Herr Hansen den Gesprächsfaden und die thematische Definition seiner Frau auf und bestätigt für beide („für uns“) die „eigentlich .. relativ große Umstellung“ des Elternwerdens. Die „große Umstellung“ wird durch „relativ“ und „eigentlich“ eingeschränkt, was nahelegt, dass die Größe der Umstellung so nicht erwartet war. Im Folgenden erläutert Michael Hansen die Umstellung, indem er das Leben, das sie vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes Paul geführt haben, schildert. Dieses war durch viele Aktivitäten und flexible Unabhängigkeit bestimmt („und wenn sonst irgendwas war“), und, so hebt Herr Hansen hervor, das Ehepaar musste „eigentlich nie danach fragen [...], ob wir da gehen können“. Es wird deutlich, dass das Elternwerden als Beschneidung der Autonomie erlebt wird, als Eltern muss man plötzlich „fragen“, wenn man abends weggehen möchte, als ob man selbst wieder Kind wäre. Mit dem Satz „ne Weile, ne Zeit lang haben wir es dann auch gemacht“ blickt er auf die Zeit als Paar vor Pauls Geburt zurück, wobei der genauere Kontext offen bleibt. Einerseits wird hier die Zeit vor dem Elternsein rückblickend als Phase bezeichnet, andererseits bleibt der Zeitraum, in dem „es gemacht“ wurde, auch unbeschrieben und könnte auch die Zeit nach der Geburt betreffen, in der das Paar möglicherweise gerne noch weiterge-
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lebt hätten wie davor. Der Ausdruck „es machen“ verstärkt dabei noch einmal den Eindruck von Autonomie und Handlungsfähigkeit des Paares vor dem Elternwerden und weckt zugleich Assoziationen an die gemeinsame Sexualität. Die Phase der Unabhängigkeit ist mit der Geburt von Paul jedoch vorbei, denn „das ging natürlich erst mal gar nicht mehr“. Darin verweisen „natürlich“ und „das ging nicht mehr“ auf äußere Grenzen, die den Eltern gesetzt waren und die sie akzeptieren mussten. Es folgt eine Begründung und Erläuterung, die ebenfalls zunächst dem Muster äußerer Grenzen folgt: „Solang Babys halt so klein sind, da kann man sie nicht weggeben“. Dies wird durch den Gebrauch des unpersönlichen „man“ verstärkt. Erst daran anschließend thematisiert Herr Hansen eigene Bedürfnissen und Gefühle der Eltern gegenüber dem Säugling: „will sie auch manchmal nicht weggeben“. Obwohl die eigenen Wünsche herangezogen werden, bleiben sie distanziert, denn immer noch gibt es kein persönliches Subjekt, der Satz bleibt auf das „man“ bezogen. Zudem besteht ein Widerspruch zwischen der zunächst uneingeschränkt formulierten Aussage, dass man Babys nicht weggeben kann, und der Einschränkung „manchmal“, die auf das eigene Wollen bezogen, die Geltung des Nicht-Weggeben-Wollens einschränkt. „Weggeben“ als Verb ist in diesem Kontext ein extremes Wort um eine vorübergehende Betreuung durch andere zu kennzeichnen, denn es legt eher eine grundsätzliche Trennung nahe. Abschließend verschärft Herr Hansen die anfangs benannte „Umstellung“ zum „radikalen Übergang“, der „schon sehr deutlich“ ist und betont damit noch stärker die Unwiederbringlichkeit der ungebundenen Lebensgestaltung des Paares und die damit unverbunden scheinende Neuheit der Situation als Eltern. „Übergang“ thematisiert dabei jedoch stärker als die „Umstellung“ einen Prozess, wohingegen die angesprochene Radikalität eher einem abrupten Umschalten entspricht. Frau Hansen knüpft hieran mit „Das war irgendwie“ direkt an und thematisiert, was für sie die Radikalität des Übergangs ausgemacht hat: „die Spontaneität eh fällt halt völlig flach“. Dabei stockt sie, setzt mehrmals an und führt ihren Satz erst dann aus, nachdem sie deutlich gemacht hat, dass es nun um ihr eigenes Empfinden geht: „also, was ich empfunden hab“. Damit löst sie sich aus dem Wir mit ihrem Mann und betont ihre Individualität. Dann benennt sie den Bereich, über den sie spricht, mit „wenn man es im Privaten sieht“. So macht Carola Hansen deutlich, dass sie einerseits an das von ihrem Mann eröffnete Thema der Freizeitgestaltung anknüpfen kann und dies auch ihr Thema ist. Andererseits verweist sie indirekt darauf, dass es auch noch den öffentlichen bzw. beruflichen Bereich gibt, der hier zwar zunächst außer Acht gelassen wird, in dem es aber ebenfalls zu Veränderungen gekommen ist, die für sie wichtig sind. Darauf beginnt sie eine Schilderung, die den Wegfall der Spontaneität bei verschiedenen möglichen Aktivitäten der Abendgestaltung bebildert. Dies konstruiert hinter-
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gründig den Tagesablauf einer voll berufstätigen Person, denn der Abend erscheint als der Bereich, an dem Freizeitaktivitäten, wie eben mit Freunden noch etwas zu unternehmen, möglich sind. Hierzu trägt auch der Verweis auf das „mit Kollegen kurz, weiß nicht sozusagen weggeht“ bei, denn es wird die Situation angesprochen, mit Kollegen im Anschluss an die Arbeit abends noch kurz etwas trinken zu gehen. Dabei benutzt Carola Hansen das unpersönliche „man“. Im Abschluss dieser Schilderung stockt sie erneut und setzt ähnlich wie am Anfang mehrmals an, um dann erst nach einer erneuten Betonung, dass es sich um ihr Erleben handelt zu schließen: „was mich am Anfang sag mal besonders gestört hat, dieses immer alles, also vorherplanen und organisieren müssen“. Die negative Seite des Elternwerdens lag also für Frau Hansen im Verlust der personalen Unabhängigkeit und darin, dass Unternehmungen ohne Baby, wie die von ihr angeführten Abendgestaltungen, als Trennungen und Betreuung durch andere geplant und organisiert werden mussten. Dabei wird die Unabhängigkeit mit dem Erwerbsleben verbunden. Carola Hansen fährt fort, nun über den Sohn selbst zu sprechen „Also ich mein, es ging, er eh ist eigentlich schon noch relativ pflegeleicht gewesen, da kann man nichts sagen“. Am Sohn als Persönlichkeit hat es somit weniger gelegen, störend war eher seine Existenz als zu organisierendes Kind an sich, das bestimmte Bedürfnisse hat. Er bleibt dementsprechend auch lediglich als „er“ bezeichnet. Frau Hansen erklärt daran anschließend: „also man kann ihn bei meinen Eltern, hat er sich immer wohlgefühlt, und auch wenn ne Freundin ihn eh mal betreut, das hat also immer super geklappt“. Damit überlappen sich zwei nicht integriert scheinende Perspektiven, einerseits die der Mutter bzw. Eltern, die das Kind „pflegeleicht“ zu den Großeltern bzw. „super klappend“ zur Freundin geben können, und andererseits die Perspektive des Kindes, das Sich-wohlfühlen des Sohnes selbst. Die Initialszene als Beziehungsszene zwischen der Forscherin und dem Ehepaar Hansen lässt sich in drei Abschnitte gliedern. Am Anfang stehen die Äußerungen von Herrn Hansen und der Forscherin vor dem eigentlichen Beginn des Forschungsgespräches, es folgt ein Einigungsprozess zwischen Frau Hansen und der Forscherin über das Thema des Gesprächs und daran anschließend äußern sich Herr und Frau Hansen nacheinander inhaltlich zu der erzielten Einigung. Am Anfang steht also eine Verständigung zwischen der Forscherin und Herrn Hansen. Die anschließenden Vorschläge der Forscherin sind ein relativ offenes Beziehungsangebot, mit dem die Forscherin sich als Person zurücknimmt und Herr und Frau Hansen mit ihrer Praxis und ihren Gefühlen in den Mittelpunkt stellt. Im Sinne der Forschungssituation gewährt die Forscherin dem Ehepaar Hansen zwar eine zugewandte Hilfestellung für den Anfang, spricht ihm jedoch zugleich Autonomie über das Angebot des Erzählens und die Wahl der Schwerpunkte und Themen zu und signalisiert ihre Bereitschaft, sich auf das
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Erzählte einzulassen. Frau Hansen reagiert hierauf zunächst mit einem Zögern, die Forscherin geht darauf mit einer erneuten Hilfestellung ein. Diese bleibt jedoch ebenfalls offen und an den Interessen des Paares orientiert und legt zugleich den Schwerpunkt nun deutlicher im Bereich des Empfindens des Ehepaares Hansen. Erneut reagiert Frau Hansen, die sich, wie beschrieben, vom Thema der Forscherin zunächst distanziert und dann versucht, dieses formal zu spezifizieren. Auf der Ebene der Beziehung zwischen den beiden Frauen, der Forscherin und Frau Hansen, lässt sich also festhalten, dass die Forscherin mit ihren Formulierungen bei Frau Hansen auf Distanz stößt, da diese zwar in direkte Kommunikation mit der Forscherin eintritt, aber Forderungen nach Konkretisierung und Spezifizierung der Forschungsfrage stellt. Bezogen auf das Autonomieangebot der Forscherin in ihrer offenen Frage bedeutet dies den Wunsch nach einer Eingrenzung und klareren Anleitung. Mit Bezug auf die Frage nach dem inneren Erleben nimmt Frau Hansen dabei eine Eingrenzung vor, auf eine eher strukturierte Zustandbeschreibung. Frau Hansen interpretiert das Forschungsgespräch somit als eine professionelle Situation, in der gemäß beruflicher Standards auch von der Forscherin ein klareres Sprechen und eine stärkere Präzision und Spezifizierung hinsichtlich des Themas und der Frage im Sinne einer Aufgabenstellung zu erwarten sind. Autonomie, Beziehungsaufnahme und das innere Erleben werden dadurch in beruflich-professioneller Weise interpretiert und verstanden. Dem widersetzt sich jedoch die Forscherin in paradoxer Weise, indem sie einerseits bestätigend antwortet, dabei jedoch gerade keine Klärung vornimmt. Die dabei auftauchenden Aggressionen und Widerstände angesichts der zunächst schwierig scheinenden Einigung kommen im gemeinsamen Lachen zum Ausdruck. Herr Hansen klärt darauf hin die Situation, indem er anfängt zu erzählen. Dabei greift die Definition „Umstellung“ seiner Frau auf und folgt der beruflichprofessionellen Interpretation der Situation, indem er in seiner Schilderung auf einer Handlungsebene bleibt und im Sinne der Zustandsbeschreibung nicht auf inneres Erleben eingeht. In der anknüpfenden Äußerung seiner Frau bleibt diese ebenfalls auf einer eher unpersönlichen Handlungsebene, indem sie überwiegend in der „man“-Form spricht. Auch wenn sie zweimal explizit macht, dass es sich bei dem Beschriebenen um ihr eigenes Empfinden handelt, so bezieht sich dieses jedoch ebenfalls auf Probleme des Handelns und nicht Probleme der Beziehung oder innere Konflikte. Es lässt sich also festhalten, dass Herr und Frau Hansen beide zunächst nichts mit dem offenen Angebot der Autonomie und dem Thema inneren Erlebens anfangen können und dieses durch Frau Hansen neu interpretiert werden muss, ehe Herr Hansen und daraufhin auch seine Frau mit einer Erzählung beginnen können. Dem Ehepaar Hansen ist so ein spezifisch geformtes und im Sinne einer beruflichen Interpretation definiertes Autonomie- und Bindungsver-
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ständnis gemeinsam, bei dem Autonomie als Handlungsautonomie klarer und präziser Rahmengebungen bedarf und Empathie und Selbstreflexion zugunsten eines sachlichen und handlungsorientierten Umgangs in den Hintergrund treten, bzw. auf diesen Umgang bezogen bleiben. In Bezug auf die elterliche Arbeitsteilung lässt sich in der Rekonstruktion der Initialszene erkennen, dass Herr Hansen sich einerseits als aufmerksamer Vater, der über den Schlaf des Sohnes wacht, darstellt. Andererseits beinhaltet seine Schilderung der Umstellung des Elternwerdens nur die Seite der Einschränkungen der vielfältigen Freizeitaktivitäten des Paares und ist somit allein auf die Veränderungen im Bereich der Freizeit bezogen. Auch wenn er als aktiver Vater mit einer eigenen spezifischen Beziehung zum Sohn, den er liebevoll „Paule“ nennt, auftritt, wird Herr Hansen hier als „Freizeitvater“ erkennbar, der in seiner beruflichen Entwicklung durch die Geburt des Kindes nicht eingeschränkt wurde. Indem sich Frau Hansen der Schilderung ihres Mannes anschließt und sie fortführt, vermittelt sie, dass es neben den Umstellungen im Privatbereich noch Veränderungen in beruflicher Hinsicht gegeben hat, auch wenn sie diese nicht benennt. Andererseits erfolgt ihre Schilderung der Veränderungen der Freizeitgestaltung aus der Perspektive einer Vollzeitberufstätigen und negiert dadurch die gewandelte berufliche Situation. Dies deutet auf eine Problematik der damit verbundenen inneren Verschiebungen hin und verweist darauf, was die eigene innere und alltägliche Veränderung für Frau Hansen in Verhältnis zu ihrem uneingeschränkt berufstätigen Mann bedeutet. Dabei ist sie einerseits nach wie vor ganz mit der Vollerwerbstätigkeit identifiziert und somit ihrem Mann gleich bzw. denselben Veränderungen unterworfen wie er. Andererseits betrifft die Hauptumstellung für Frau Hansen die Reduktion der Erwerbstätigkeit und den neu entstandenen Alltag mit Kind zu Hause an den übrigen Tagen, worauf sie auch indirekt verweist. Dies wird auf der Ebene der Beruflichkeit zu einem Nachteil und unterscheidet sie von ihrem Mann. Es fehlt die Sicht auf die neu gewonnene private Flexibilität, die in der Teilzeiterwerbstätigkeit ebenfalls liegt, Unabhängigkeit wird einseitig mit dem Beruf verbunden. Auch in Bezug zur Forscherin zeigt Frau Hansen ihre professionelle Seite als kritisch denkende und von der Forscherin distanzierte wie auch von der Paarbeziehung unabhängige Frau, die Klarheit und Struktur möchte, gewohnt ist zu hinterfragen und zu differenzieren. Gegenüber der Forscherin stellt sie damit ein Verhältnis zweier berufstätiger Frauen her, worin ein Wunsch nach Anerkennung dieser beruflichen Seite durch die Forscherin liegt. Dies ist jedoch aufgrund der anderen Berufspraxis der Forscherin im Forschungsgespräch zunächst erschwert und statt Einvernehmen wird Differenz herstellt. Im Wunsch wechselseitiger Anerkennung ist der mütterliche Anteil an dieser Stelle nicht integrierbar, sondern Anerkennung bleibt bezogen auf berufliche Kompetenz.
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In Hinblick auf die Arbeitsteilung des Paares ergibt sich in der Initialszene somit ein mehrdimensionales Bild. Indem beide Eltern über Veränderungen im Freizeitbereich sprechen, scheint die Veränderung des Elternwerdens auch für beide zunächst nur dort stattgefunden zu haben. Herr Hansens ungebrochene Identifikation mit der Vollzeiterwerbstätigkeit erschließt sich gerade dadurch, dass sie keiner Erwähnung bedarf und Veränderungen von ihm selbstverständlich auf die Freizeit bezogen bleiben. Seine Frau trägt diesen Entwurf einerseits mit und stellt sich selbst damit implizit als vollzeiterwerbstätig dar. Auch für sie scheint die eigentliche private Veränderung nicht integriert. Andererseits verweist Carola Hansen auch auf die Differenz zwischen sich und ihrem Mann und deutet einen eigenen neuen Erfahrungsbereich an. Jedoch muss sich Frau Hansen um so mehr auf die Berufswelt beziehen als sie als sie im Gegensatz zu ihrem Mann dort stärker ausgeschlossen ist. Herr Hansen kann dagegen seine väterliche Seite in der beschriebenen Form ausdrücken, gerade weil sein beruflicher Status nicht angegriffen ist. Beide Eltern sind jedoch nur eingeschränkt als Eltern präsent. Herr Hansen präsentiert sich im Gespräch einerseits als engagierter Vater, andererseits erscheint die emotionale Bindung gegenüber den Aktivitäten nachrangig. Auch bei Frau Hansen stehen die Interessen der Eltern teilweise noch in Widerspruch zu den Bedürfnissen des Kindes. Bei beiden ist die Interpretation der Forschungssituation als beruflichprofessionelle mit dem daran gebundenen Autonomie- und Bindungsverständnis bestimmend. Es lässt sich eine Höherbewertung des beruflichen Bereichs gegenüber dem familiären Bereich festhalten und die Interpretation der familiären Beziehungen nach dem beruflich-konventionellen Autonomieverständnis. So sind auch die durch beide Eltern beschriebenen Freizeitaktivitäten ein Ausdruck dieser Form der Autonomie, die im „Machen“ liegt. In diesem Sinne werden auch die familiären Beziehungen gestaltet. Die Verbindung des Paares liegt im gemeinsamen Handeln und in gemeinsamer Aktivität in der Freizeit, beide sind zunächst gleichermaßen in berufliche Selbstverwirklichung und berufliches Handeln eingebunden, das für sie Autonomie ausmacht. Die Geburt des Sohnes bedeutet für beide einen Einschnitt und ein neues Erleben von Abhängigkeit. Dies geht für Frau Hansen weiter als für ihren Mann, da sie neben dem Verlust von Autonomie im Privatleben auch den Verlust von Autonomie im Beruf zunächst völlig und dann teilweise verkraften muss. Dabei gibt es für sie keine Umwertung der Autonomie, die auch gerade im Mehr an Freizeit und selbstbestimmter Tagesgestaltung gegenüber der beruflichen Einbindung liegen könnte, sondern die berufliche Definition der Autonomie steht weiter im Vordergrund. Dementsprechend gibt es auch einen stärkeren Bezug auf äußere Grenzen als auf die eigene emotionale Bindung an den Sohn.
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Autonomie ist somit im „Machen“ verankert, d.h. sie muss stärker durch äußere Aktivität ausgedrückt und gewahrt werden und ist dementsprechend weniger als inneres Bild verankert. In Bezug auf den Bindungsentwurf bedeutet dies eine stärkere Orientierung an äußeren Vorgaben als an den inneren Empfindungen, entsprechend der Definition in der Gesprächssituation. Die Bindung liegt im gemeinsamen Handeln. Die familiale Triade ist, auch im Forschungsgespräch sichtbar, durch das den Eltern gemeinsame Autonomie- und Bindungsverständnis geprägt und dementsprechend handlungsorientiert. Im Kontext der Forschungssituation ist es Frau Hansen, die die Beziehungsklärung übernimmt, wohingegen Herr Hansen, daran anknüpfend, ein stärker kooperatives Verhältnis zur Forscherin aufnimmt. Als Paar haben beide somit eine emotionale Arbeitsteilung – Frau Hansen klärt und deutet die Forschungssituation, Herr Hansen setzt dieses dann um. Während Frau Hansen kritische Distanzierung riskiert, wahrt ihr Mann die Beziehung. Auf der Ebene des Paares ist es Frau Hansen, die gegenüber der Forscherin ihre Unabhängigkeit von der Paarbeziehung betont und damit Angst vor Abhängigkeit und ein besonderes Bedürfnis nach Autonomie zum Ausdruck bringt. Die Geburt des Sohnes wirkt zunächst als Beschneidung der Paarbeziehung, da sie das gemeinsame autonome Handeln einschränkt, und konfrontiert die Eltern mit ihrer eigenen kindlichen Abhängigkeit. Als Bild der Familie steht jedoch auch „wir haben Paule“, wobei der Sohn als Individuum mit liebevollem Kosenamen auftaucht und zugleich als Gemeinsames des elterlichen Paares. In Bezug auf das Thema „weggeben“ erscheint er nicht mehr als Person, sondern es geht um Babys allgemein. Phantasien, das Kind wegzugeben, kommen zum Vorschein. In beiden Äußerungen werden Gefühle jedoch nicht thematisiert. Auch als Orientierung in Bezug auf das Weggeben wird primär äußere Moral (festzumachen am zuerst genannten „man kann nicht“) anstelle der Gefühlsbindung ausschlaggebend, diese macht sich jedoch ebenfalls bemerkbar. Eine ähnliche Struktur zeigt sich auch in Carola Hansens Schilderung der Betreuung durch Babysitter, in der neben den Interessen nach vorübergehendem Ausschluss des Kindes aus der Paarbeziehung auch ein Hineinversetzen in die Bedürfnisse des Kindes auftaucht. So führen das beschriebene Autonomieverständnis und die damit verbundenen Wünsche nach Selbstbehauptung des Einzelnen und des Paares im Prozess des Elternwerdens zu Ausschlusswünschen gegenüber dem Kind. Dieses kann jedoch trotzdem liebevoll als Gemeinsames des Paares angenommen werden, seine Bedürfnisse werden wahrgenommen und in die Paarbeziehung integriert. Dennoch bleiben das beruflich-professionelle Autonomieverständnis und die damit verbundenen Bindungsdefinition im gemeinsamen autonomen Handeln prägend für die Triade. Die Entwicklung der Triade besteht in dem Versuch, den
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Sohn in das gemeinsame Handeln einzubinden, und findet weniger ihren Ausdruck in inneren Umbildungsprozessen. Szenische Rekonstruktion Im Folgenden greife ich auf Auszüge aus dem Forschungsprotokoll zurück. „Ich rufe die Familie montags an und spreche mit Carola Hansen, die sich kurz mit ihrem Mann abspricht und dann einen Termin mit mir gleich für den nächsten Tag vereinbart. Sie gibt mir noch eine detaillierte Wegbeschreibung, die ich jedoch nicht unbedingt brauche, da sich herausstellt, dass ich eine Zeit lang in der Nähe gewohnt habe und die Gegend daher kenne. Ich fahre mit dem Auto zu Familie Hansen und komme dort pünktlich an.“ „Am Telefon finde ich Frau Hansen heiter, sympathisch und souverän. Im Nachhinein denke ich, dass wir auf der professionellen und freundlichen Ebene souverän einen Termin vereinbaren und uns gegenseitig so auch wertschätzen. Auch ausgehend von der Einschätzung der Vermittlungsperson „BWLer“, finde ich es wichtig, souverän und professionell zu wirken. Ich ziehe mich extra vor dem Gespräch noch um und einen Rock an, um nicht schlampig auszusehen. Ich freue mich auf das Gespräch und darauf, die Familie kennen zu lernen.“
In der Vorbereitung auf das Gespräch erscheint Frau Hansen in den Phantasien der Forscherin als „heiter, sympathisch und souverän“ und die Terminvereinbarung als auf einer „professionellen und freundlichen Ebene“ liegend. Dies beinhaltet die latente Aufforderung, sich auf dieser Ebene auch im Gespräch zu begegnen, als professionelle und souveräne Frauen. Mögliche Differenzen in Habitus, Lebensentwurf etc. zwischen der Forscherin und den vorab als „BWLer“ eingeordneten Hansens bleiben so zunächst verdeckt. Es geht stattdessen um gegenseitiges „Wertschätzen“, d.h. um Selbstwert, der in der Anerkennung durch ein Gegenüber zugesprochen und empfunden wird, bezogen auf einen beruflichen, souveränen und professionellen Umgang miteinander, wie er als Ideal im Berufsleben herrscht. Dies kann man auch in der prompten Vereinbarung des Termins für den nächsten Tag verorten, die als nicht an Bedürfnissen orientiert, sondern im Sinne einer effizienten berufsmäßigen Erledigung anstehender Termine verstanden werden kann, wie auch in der detaillierten Wegbeschreibung. Demgegenüber befürchtet die Forscherin Nichtanerkennung, bei einem allzu privaten und freizeitgemäßen „schlampigen“ Auftreten. Schlampigkeit stellt dabei ein affektiv aufgeladenes Gegenbild zum professionellen, souveränen Auftreten dar und steht für mangelnde Selbstkontrolle, für Unklarheit, Unordnung und diffuse Emotionalität. Diese können als ein Ausdruck von Privatheit und der Gestalt privater Beziehungen verstanden werden.
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5 Fallrekonstruktionen
Es zeigt sich hier die Dominanz eines spezifischen Berufsverständnisses mit einer Aufwertung von Selbstkontrolle und professioneller Handlungsfähigkeit und einer Abwertung von Emotionalität und Unstrukturiertheit. Dieses Verständnis ist für eine Reihe von Berufen adäquat, so für akademische, aber nicht freiberufliche Arbeitsverhältnisse, es ragt hier jedoch über den Berufsbereich hinaus auch in das Privatleben hinein. Die affektive Szene zwischen Familie Hansen und der Forscherin verweist auf die ausgeschlossene und abgewertete Seite der in der Initialszene deutlich werdenden beruflichen Autonomievorstellung. Dabei wird Emotionalität als Widerspruch zu Professionalität konstruiert und mit Angst vor Verlust von Anerkennung und Kontrollverlust verbunden. Familiäre Bindung erscheint somit nicht als Ort von Autonomie und Selbstbestimmung, sondern als bedrohlicher Ort der Regression. Anerkennung und Wertschätzung bleiben demgegenüber allein an die spezifisch konstruierte Unabhängigkeit gebunden, wofür das der Familie eigene Autonomie- und Bindungsverständnis funktional zu sein scheint.
5.4.3 Rekonstruktion der Szene „Eltern von kleinen Kindern sein“ Die Szene liegt am Ende des ersten Drittels des Gesprächs. Unmittelbar vorher spricht das Ehepaar Hansen mit der Forscherin über die Betreuungssituation des Sohnes. Szene „Eltern von kleinen Kindern sein“ (8,19 – 9,49) AK: Carola H.:
Michael H.: Carola H.: Michael H.: Carola H.: Michael H.: Carola H.: AK: Carola H.:
Ist ja auch schwierig gerade diese, wenn die noch nicht drei Jahre alt sind, ist auch schon schwierig. Wir haben, also ne äh, Freundin von uns, die haben die Kleine mit nem halben Jahr schon, ne, ja halb, nee, war se noch nicht mal ganz n halbes Jahr// Vier Monate // na ja, dann zu ner, zu ner Tagesmutter gegeben, aber// die hat dann ja wieder angefangen voll zu arbeiten, ja // nein, nicht mehr voll!// Och, ja, ein Tag hat sie nicht gearbeitet, also ich mein //Jaaa, gut, die andern Tage aber auch nur bis, bis drei, also, aber trotzdem ehm, das ist ehm// Mhm. //finden wir also zu früh, und das find ich auch nicht so gut. (...) Also ich hab ja auch n halbes Jahr gestillt, also ich mein, das war ja noch mal, oder fünf Monate zumindest, hab ich ehm gestillt. Und ehm das ist ja auch immer verbunden
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AK: Carola H.: AK: Carola H.:
AK: Carola H.: Michael H.: AK: Michael H.: Carola H.:
AK: Carola H.: Michael H.: Carola H.: Michel H.: Carola H.:
AK: Carola H.: AK:
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Mhm. (leise) dann nicht arbeiten zu gehn. Oder es wird sehr kompliziert ( Lachen). Ja, eine Kollegin von mir, die hat das echt gemacht, die ist dann irgendwie mittags also die hat, war, wurde dann auch nicht mehr voll gestillt, dann mittags zu ihrer Mutter gefahren und hat das Kind gestillt und ist dann wieder zurückgefahren. Also ich mein son Zirkus hätt ich echt nicht gemacht. Mhm. Ich glaub das ist für alle Beteiligten dann nur eh, nur Stress und… Zumal dann auch bei bei vielen eh frischen Eltern, dass die sich eigentlich das Leben selbst möglichst schwer machen, ja. Mhm. Weil sie irgendwie, ich weiß nicht, es einfach viel zu kompliziert alles machen. Ehm ja gut, es ist halt ehm, und es war jetzt halt auch so, genau wie, bei mir, wenn man, das ist, nein!, das is is schon n Problem, ich mein, die Männer habens dann einfach schon von der Stellung her einfach leichter. Ich mein, man muss zwar seine ganze Freizeit organisieren, aber im Prinzip im Berufsleben ändert sich nichts. Außer dass du vielleicht manchmal n bisschen unausgeschlafener morgens aufstehst (lacht) weil, mit allem der Kleine zweimal nachts gekräht hat, aber ansonsten ändert sich ja nicht viel. Und ehm, gut ich hatte jetzt für mich, eh also ich hatte vorher schon beschlossen, ok, wenn ich n Kind kriege, dann will ich mich auch darum kümmern. Und ehm, ich weiß nicht, wenn ich nicht, also ich war mit, ja, mitten im Studium ehm in Paris als Au-pair-Mädchen und wenn ich die Erfahrung da nicht gemacht hätte, wüsst ich nicht, ob ich die Entscheidung so arg leicht getroffen hätte. Am Anfang, also anfangs zu sagen, ok, es ist für mich klar, dass ich n Jahr lang nicht arbeite. Mhm. Weil ich da (setzt an) Bitte? Das entscheidet sich dann schon. (lacht) Ja, das ist mir schon klar (lacht) aber wir hatten hier eigentlich keine Diskussionen, damals. Ehm, weil ich halt gesehen hab, eh, gut beide hohe Positionen und ehm, die Kinder werden halt vom Aupair-Mädchen dann betreut// Mhm. //und ehm, weiß, wie unglücklich die da eigentlich damit sind, die Kinder in der Situation. Mhm.
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Carola H.:
AK: Carola H.:
Michael H.:
AK: Michael H.:
AK: Carola H.:
Auch ehm wenn die ne gute Beziehung zu einem aufbauen und alles prima, aber das ist eh trotzdem, die hängen halt einfach an den an den Eltern. Mhm. Man sieht ja auch, sag mal, wie viel ehm Zuneigung und Zärtlichkeit sie halt auch einfach brauchen und ehm die kann halt nicht ehm, jemand, ja, eben n Betreuer kann, kann diese eh Art von Geborgenheit, denk ich, nicht geben, vor allem auch nicht am Anfang. Deswegen ist das sehr problematisch, wenn man eben n Kind den ganzen Tag lang wirklich, also wenn man fünf Tage die Woche den ganzen Tag weggeht, das find ich (sehr leise, uv) traurig. Nja, was weiß ich, gut, die leben dann auch irgendwie damit, aber man merkt schon dass sie das eh sehr stark, schon teilweise beeinflusst. Ja ich glaub viele, oder einige Eltern unterliegen auch dem Trugschluss man könne so weiterleben mit Kindern wie bisher und es schon irgendwie organisieren. Das funktioniert einfach nicht. Is eh n völlig falsches eh Denkgebäude, was die sich da aufbauen. Es sind zwei verschiedene Wege, man kann ohne Kinder leben, und man kann mit Kindern leben, aber man kann nicht beides, ja. Man muss sich schon entscheiden, und wenn man sich für das eine entschieden hat, dann muss man auch irgendwie diesen Weg gehen. Man is dann halt auch in der Pflicht gegenüber seinen Kindern. Wenn man auf sowas keine Lust hat kann man sich das ja vorher überlegen. (leises Lachen) Muss man schon auch danach handeln, ja. Und, da führt kein Weg dran vorbei. Und das seh ich immer, ehm die Leute, die das probieren und die der Meinung sind, das wird funktionieren, wie schief das geht. Es kann meiner Meinung nach nur schief gehen. Mhm. Das wird nämlich keinem gerecht. Die Eltern haben n Riesenstress und ich glaub nicht, dass die Kinder, ehm es dadurch leichter im Leben haben. Mhm. Ja man teilt den Stress ja dann auch mit, also ich mein, es is halt, es ist ja schon, irgendwo ist es ja n Kind auch ne gewisse an, Anstrengung bzw. man merkt ja, ich merk an den Tagen, an denen ich arbeite eh, schon, dann man, es ist dann schon schön, noch ne Stunde dann abends zu haben oder zu spielen und so, aber wenn ich das jetzt jeden Tag auf die Tour machen müsste, glaub ich, ginge das schon an die Substanz. Weil ehm, was weiß ich, morgens früh aufstehen und dann erst dann wegbringen und dann arbeiten und dann wieder abholen, ich mein da ist ja, ehm das ist ja kein Spiel halt irgendwo.
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Inhalt der Szene In der Szene „Eltern von kleinen Kindern sein“ sprechen Carola und Michael Hansen über die Situation von Eltern von Kleinkindern. Frau Hansen spricht dabei über ihre Einstellung zum Elternsein und ihre Vorstellung von der guten Betreuung, die durch ein Au-pair-Mädchen nicht gewährleistet werden kann. Wichtig für sie ist, dass die notwendige Geborgenheit nur durch die Eltern gegeben werden kann. Demgegenüber führt eine frühe und weitgehende Erwerbstätigkeit der Mutter zu Stress für das Kind und die Mutter selbst. Für Männer hingegen stellt sich eine solche Problematik nicht. Herr Hansen plädiert ebenfalls gegen eine ausgedehnte Berufstätigkeit der Mutter und für die generelle Akzeptanz dessen, dass die Entscheidung für Kinder auch die Pflicht, sein Leben zu ändern, mit sich bringt.
Sequenzanalytische Rekonstruktion Die Forscherin spricht zu Beginn der Szene Schwierigkeiten mit Kindern oder von Kindern unter drei Jahren in einer generalisierenden Form an. Im Kontext der Szene wird deutlich, dass es um die Betreuung von Kleinkindern geht. Dabei bleibt jedoch offen, ob es sich um ein empathisches Eingehen auf Probleme der Eltern oder des Kindes handelt, um praktische Probleme der Unterbringung oder emotionale Themen der frühen Trennung. Carola Hansen greift dies auf indem sie das Beispiel einer Freundin erzählt, von der sie sich jedoch mit „also ne, äh Freundin“ gleichzeitig auch distanziert. Frau Hansen spricht dann im Plural weiter („die haben“) und bezieht sich somit auf das Elternpaar, das die Tochter zu einer Tagesmutter gegeben hat. Dabei stellt sie durch die Aussage „mit nem halben Jahr schon“ und der Korrektur „nee, war se noch nicht mal ganz n halbes Jahr“ heraus, dass sie dies für sehr früh hält. Ihr Mann fällt ihr ins Wort, benennt das Alter des Kindes mit vier Monaten und setzt somit den Zeitpunkt der Fremdbetreuung noch früher an. Im Weitersprechen wertet Frau Hansen auch die Form der Betreuung ein Stück weit ab, die sie als „na ja, dann zu ner, zu ner Tagesmutter“ anspricht. Hier unterbricht erneut Herr Hansen, der nun wieder die Freundin allein betrachtet und einwirft: „die hat dann ja wieder angefangen voll zu arbeiten, ja“, was durch die Verwendung des „die“ einen vorwurfsvollen Ton erhält. Seine Frau wiederspricht ihm mit „nein nicht mehr voll!“, worauf Herr Hansen polemisch mit „och ja, ein Tag hat se nicht gearbeitet, also ich mein“ reagiert. Seine Frau muss ihm hier zwar widerwillig zustimmen, präzisiert aber die reduzierten Arbeitszeiten der Freundin, die „nur bis drei“ arbeitet. Bei diesem kurzen Disput vertritt somit
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Frau Hansen zunächst eine kritische Sicht auf eine frühe Betreuung durch eine Tagesmutter mit Blick auf beide Eltern des Kindes. In Bezug auf ihren Mann jedoch, der dies allein mit Blick auf die arbeitende Frau abwertet, gerät sie in eine Verteidigungsposition hinsichtlich der Praxis ihrer Freundin. Gegenüber dieser Auseinandersetzung stellt Frau Hansen im Anschluss mit der gemeinsamen Meinung des „finden wir also“ wieder einen Konsens des Paares dar, das die Fremdbetreuung mit vier Monaten „zu früh“ findet. Dass sie hier mit ihrem Mann einer Meinung ist und sich seiner Meinung nicht einfach untergeordnet hat, bestärkt sie durch die Wiederholung „das find ich auch nicht so gut“. Dies belegt sie durch ihre eigene Praxis, dass sie den Sohn ein halbes Jahr gestillt hat. Die andere Qualität die diese Stillzeit ausgemacht hat klingt in dem abgebrochenen Satz an: „also ich mein, das war ja noch mal“. Bei der Länge der Stillzeit muss sie sich allerdings auf „fünf Monate zumindest“ nach unten korrigieren. Damit verortet sie sich im Bereich der Konventionen guter Mütterlichkeit, zu denen eine sechsmonatige Zeit des vollen Stillens gehört, wobei ungewollt auch deren Nichterfüllung deutlich wird. Das Stillen wird von Frau Hansen dabei als das Moment, das Berufstätigkeit in dieser Zeit ausschließt, definiert. Dies ist mit traurigen Gefühlen verbunden, die im leise Sprechen an dieser Stelle verortet werden können. Diese definitorische Sicht greift die Forscherin mit der Äußerung „oder es wird sehr kompliziert“ auf, was ein einvernehmliches Lachen zur Folge hat. Hieran anknüpfend erzählt Frau Hansen ein weiteres Beispiel von einer Kollegin, die ihr Kind in der Mittagspause gestillt hat. Diese Praxis wird dabei durch die Formulierungen „die hat das echt gemacht“ als unglaublich, durch die Andeutung „die ist dann irgendwie“ als unpraktikabel und durch die Reihung der Handlungsabläufe „dann...gefahren, und hat...gestillt, und ist...gefahren“ als hektisch gekennzeichnet. Frau Hansen macht dies auch explizit, als sie sagt: „so nen Zirkus hätt ich echt nicht gemacht“, und macht klar, dass sie dies als ausschließlich negativ, als „nur Stress“ für Eltern und Kind ansieht. Hier übernimmt Herr Hansen die Erzählung. Er generalisiert das Thema zu einem Problem „frischer“, d.h. unerfahrener Eltern, die sich das Leben selbst unnötig schwer und kompliziert machen. Damit greift er einerseits das „kompliziert“ der Forscherin auf, bezieht es nun aber – nachdem seine Frau zwei Beispiele von weiblichen Vereinbarungsversuchen, wenn auch zum Teil als gemeinsame elterliche Praxis erzählt hat – ganz allgemein auf „Eltern“. In diesem Kontext werden unterhalb der neutralen Formulierung „Eltern“ die weiblichen Vereinbarungsversuche als selbstproduzierte Probleme diskreditiert. Das scheint Frau Hansen nicht so stehen lassen zu wollen, denn sie schaltet sich ein und widerspricht ihrem Mann. Dabei setzt sie mehrfach mit Erklärungsversuchen neu an, ihre Identifikation mit der Problematik wird durch das „genau
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wie bei mir“ erkennbar. Erst nachdem sie ihrem Mann erneut mit „nein!“ widersprochen hat, kann sie ihre Argumentation ausführen. Sie grenzt sich von der Definition ihres Mannes, dies seien hausgemachte Probleme, ab und setzt dem das Geschlechterverhältnis entgegen, in dem es „Männer... einfach schon von der Stellung her einfach leichter haben“. Damit setzt sie den selbst verursachten Problemen ein scheinbar natürliches, „einfaches“ Verhältnis von „Stellungen“ entgegen, die das Handeln vorbestimmen. Diesen Unterschied erläutert Frau Hansen: „Man“, hier aus dem Kontext heraus als „Mann“ verstehbar, muss lediglich seine „ganze Freizeit organisieren“ aber im wesentlicheren „Prinzip“ – Berufsleben – ändert sich nichts. Die familiären Veränderungen für den Mann als Vater reduziert Frau Hansen daran anschließend auf gelegentliches Unausgeschlafensein, worüber Frau Hansen auch noch lacht, und sie scheint selbst die Ursache dafür nicht ernst zu nehmen, denn der Sohn schreit nachts nicht, sondern „kräht“ nur, und dies auch nur „mit allem...zweimal“. Und „ansonsten ändert sich ja nicht viel“ für den Vater. Damit definiert Frau Hansen die elterliche Arbeitsteilung als Teil der „Stellung“ der Geschlechter, in der es Männer leichter haben als Frauen, und reduziert den väterlichen Anteil am Leben mit dem Kind auf ein lächerlich scheinendes Maß, auch den Anteil ihres direkt mit „du“ angesprochenen Mannes. Diesem wird somit ein Urteilsvermögen über die schwer erscheinende Situation von Frauen und über das Leben mit einem Kind abgesprochen. Frau Hansen spricht weiter über sich und ihre eigene Situation. Sie hatte „für sich“ „vorher schon“ beschlossen, „wenn ich n Kind kriege, dann will ich mich auch darum kümmern“. Damit spitzt sie den Ausschluss des Vaters zu, jetzt bekommt – sprachlich – auch sie als Frau allein das Kind und trifft dementsprechend auch bereits vorab allein die Entscheidungen. Trotz der Stellung der Geschlechter will Frau Hansen die Arbeitsteilung als Produkt ihrer eigenen Entscheidungen verstanden wissen und minimiert den Anteil ihres Mannes daran und am Leben mit dem Kind. Frau Hansen argumentiert weiter, indem sie von ihren Erfahrungen als Aupair in Paris berichtet, die dazu geführt haben, dass sie ihre Entscheidung so getroffen hat, die ihr andernfalls „nicht... so arg leicht“, d.h. schwer gefallen wäre. Auch so wird durch die Verwendung von „arg leicht“ die eigene Entscheidung, „n Jahr lang nicht“ zu arbeiten, als eine schwierige und unsichere Entscheidung dargestellt, wozu auch der zweimalige Bezug auf den Anfang beiträgt („Am Anfang, also anfangs“). Der Bezugsrahmen bleibt dabei die Berufstätigkeit durch das „nicht arbeiten gehen“. Während Frau Hansen zu einer weiteren Erklärung der von ihr gefällten Entscheidung ansetzt, wird sie durch eine Äußerung ihres Mannes unterbrochen, die er auf ihre Bitte hin wiederholt. Herr Hansen stellt mit seinem scherzhaften Kommentar ihrer Darstellung ein „Das entscheidet
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sich“ gegenüber, das Frau Hansens Selbstdarstellung in Frage stellt und auf äußeren Druck wie auch auf seine eigene Entscheidungsmacht in dieser Frage verweist. Frau Hansen lacht und weist den Scherz ironisch mit der Äußerung „ist mir schon klar“ zurück, um dann durch den Verweis auf den Konsens des Paares „wir hatten hier eigentlich keine Diskussionen“ erneut eine Fremdbestimmung durch ihren Mann zurückzuweisen. Daran anschließend kehrt sie zu ihrer Argumentation zurück, indem sie mit der Begründung „weil ich halt gesehen hab... und ehm weiß“ sich selbst als Entscheidende hervorhebt. Nun wird die Entscheidung auch inhaltlich begründet mit dem Unglück der Kinder, die von einem Aupair betreut werden, das auch bei einer guten Beziehung zu den Kindern die Bindung an die Eltern nicht ersetzen kann. „Zuneigung und Zärtlichkeit“ und „diese eh Art von Geborgenheit“ kann ein Betreuer vor allem bei kleinen Kindern nicht geben, weswegen es problematisch und für Frau Hansen traurig ist, „wenn man fünf Tage die Woche den ganzen Tag weggeht“. Nach dem für beide geltenden Ausdruck „Eltern“ benutzt Frau Hansen das unbestimmte „man“, wodurch verdeckt wird, dass ihre Argumentation sich an dieser Stelle auf die Mütter bezieht, da die Väter in ihrer Konzeption ja ohnehin zu denen gehören, die jeden Tag weggehen. Es bleibt dabei offen, ob Väter aus der Verantwortung entlassen sind oder ob sie durch ihre Abwesenheit zu den fehlenden und für die Kinder problematischen Elternteilen werden, deren Kinder zwar „auch irgendwie damit“ leben können, jedoch in ihrer Entwicklung dann „sehr beeinflusst“ sind. Nun knüpft Michael Hansen an die Argumentation seiner Frau an und stellt vehement fest, dass das Elternwerden eine grundlegende Entscheidung ist, die die Konsequenz einer Lebensumstellung nach sich zieht oder „es geht schief“. Diese Grundaussage wiederholt er in unterschiedlichen Formulierungen mehrfach. Auch wenn Herr Hansen hier allgemein von „Eltern“ spricht, so betrifft seine Argumentation der Lebensumstellung im Gesprächskontext erneut latent die Frauen, deren „irgendwie organisieren“ von Vereinbarkeitslösungen er damit als „Trugschluss“ und „falsches Denkgebäude“ abkanzelt. In diesem Sinne legt Herr Hansen auch mit dem Gegensatzpaar „Pflicht gegenüber seinen Kindern“ versus „auf so was keine Lust“ Frauen auf die Übernahme der Verantwortung gegenüber den Kindern fest und diskreditiert weibliche Erwerbstätigkeit als eine Frage, „Lust“ bzw. „keine Lust“ auf Verantwortung zu haben. Dabei greift Michael Hansen hier auch die von seiner Frau dargelegte „Entscheidung“ indirekt auf, wertet sie jedoch zu einer Selbstverpflichtung um. Gerade im Schatten der neutralen Formulierungen legt Herr Hansen Frauen auf die familiären Aufgaben fest und droht andernfalls ein Scheitern, das „Schiefgehen“ an. Abschließend wechselt Herr Hansen zu einer Argumentation zum Wohl des Kindes und der Familie, der zufolge es darum geht, allen gerecht zu werden, was – den latenten
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Diskurs weiter mitgedacht – eine Berufstätigkeit der Mutter negativ besetzt. Beide Seiten haben nur Stress und – hier argumentiert er ähnlich wie seine Frau – die Kinder erleiden Entwicklungsschäden, haben es schwerer „im Leben“. An dieser Stelle übernimmt wieder Frau Hansen das Gespräch. Sie folgt der Sichtweise, dass man allen gerecht werden sollte, was sie, zunächst auf sich selbst bezogen, bei einer vollen Berufstätigkeit nicht gewährleistet sieht. Das Kind als „gewisse An-Anstrengung“, der Beruf und die Notwendigkeit der alltäglichen Betreuungsorganisation sind für sie „kein Spiel“. Damit nimmt sie gegenüber ihrem Mann Umdeutungen vor, sie argumentiert mit der Praxis der Alltagsorganisation gegen seine Gegenüberstellung von „Pflicht“ und „Lust“. Auch wenn nicht explizit gemacht, bleibt jedoch auch in Frau Hansens Schilderung die Organisation des Alltags mit Kind Sache der Frau ohne eine potentielle väterliche Beteiligung. In der Rekonstruktion der Szene „Eltern von kleinen Kindern sein“ zeigt sich ein zum Teil lebhafter Aushandlungsprozess zwischen Herrn und Frau Hansen, die beide der Forscherin ihre Ansichten darlegen und zeigen, wie sie miteinander um die Deutung der Rollen und Positionen von Mutter und Vater in der Familie und Frau und Mann im Beruf ringen. Dabei wird die Forschungssituation, neben der Darstellung der Einigkeit des Paares hinsichtlich der Wertung unterschiedlicher Familiepraxen, von Herrn und Frau Hansen inhaltlich zunächst auch unterschiedlich interpretiert. Herr Hansen bezieht sich auf eine allgemeine Ablehnung und Wertung der Praxis anderer, anknüpfend an den Begriffen „schwierig“ und „kompliziert“ und seine Frau versteht die Äußerungen der Forscherin als eine Wertung weiblicher Praxis auf der Basis eines weiblichen Einverständnisses über die Problematik der Situation. Carola Hansen entwirft sich gegenüber der Forscherin als unabhängige Frau, die für sich selbst Entscheidungen trifft. Herr Hansen entwirft sich als vernünftigen und pflichtbewussten Vater. Herr und Frau Hansen interpretieren die Zugewandtheit der Forscherin unterschiedlich und suchen jeweils für unterschiedliche Anteile – weibliche Unabhängigkeit und väterliches Engagement – Anerkennung. Dabei gibt es vordergründig ein Sprechen über Eltern allgemein, Männer und Frauen betreffend, und gleichzeitig einen Kontext geschlechtsspezifischer Zuweisungen. Darin entzieht Herr Hansen Frauen die Anerkennung für mögliche Vereinbarkeitsentwürfe und versucht sie latent auf die Fürsorge für das Kind zu verpflichten, was einen Verzicht auf berufliche Selbstverwirklichung einschließt. Wie weitgehend dies ist, bleibt offen; damit ist auch seine Frau mit ihrer eigenen Vereinbarkeitslösung angesprochen. Frau Hansen vertritt in Bezug auf die Fremdbetreuung von Kleinkindern bzw. die frühe Rückkehr von Frauen ins Berufsleben zunächst ähnliche Ansichten wie ihr Mann. Dabei spricht sie jedoch latent Männern eine Veränderung als Vater und eine väterliche Beteiligung an
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der emotionalen Bindung und Entwicklung des Kindes ab. Herr und Frau Hansen konstruieren so einen reziproken Ausschluss von Müttern aus dem Berufsleben und Vätern aus der Familie und treten dabei als Mann und Frau in Familie und Beruf in Konkurrenz zueinander. Wie auch gegenüber der Forscherin geht es um um Teilhabe und Anerkennung. In der Interaktion miteinander und gegenüber der Forscherin wiederholt sich zweimal eine Struktur aus Disput zwischen den Eheleuten und anschließender Darstellung des gemeinsamen Konsens durch Frau Hansen. Dies dient beide Male zur Behauptung ihrer Selbstbestimmung, zum Beweis dessen, dass ihr Mann ihr seine Meinung nicht aufgezwungen habe. Vielmehr betont sie ihre eigene Entscheidungskraft und die gewählte Lebensform als Ergebnis ihrer Überlegungen. Andererseits verweist Frau Hansen an zentraler Stelle unhinterfragt auf ein naturgegeben scheinendes Geschlechterverhältnis, das die gesellschaftlichen Stellungen von Männern und Frauen bedingt. Herr Hansen thematisiert das Elternwerden ebenfalls als Entscheidung, aus der er dann jedoch Verpflichtungen ableitet. Die Entscheidung wird dann zu einem Sich-entscheiden-Müssen und Handeln zu einem Handeln-müssen. Die von beiden Eltern angesprochene Handlungsautonomie wird so – ebenfalls bei beiden – zu einer durch äußere Vorgaben angeleiteten Autonomie, zu einem autonomen Handeln aufgrund und im Rahmen von moralischen oder strukturellen Bedingungen. Dabei entstehen argumentativ scheinbar einfache und natürliche Handlungswege, die zugleich als selbstbestimmt nachvollzogen dargestellt werden. In Bezug auf diesen Autonomieentwurf zeigen sich jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede. So betont Frau Hansen ihre Unabhängigkeit von ihrem Mann, wohingegen ihr Mann Ähnliches nicht macht. Darin zeigt sich ihr besonderes Bedürfnis gegenüber der Forscherin Unabhängigkeit zu demonstrieren, was eine weibliche Angst vor Abhängigkeit verweist sowie auf die Machtfrage zwischen Herrn und Frau Hansen. Carola und Michael Hansen gemeinsam ist wiederum die sich durch die Szene ziehende Bewertung der Praxis anderer, die durchgängig die Form einer Abwertung annimmt. Während Frau Hansen hier noch zum Teil reflektiert erscheint, reagiert Herr Hansen mit Affekten, die sich in polemischen und aufgebrachten Äußerungen zeigen. Die Abwertung des Anderen zeigt sich auch zwischen Herrn und Frau Hansen selbst. Er wird als Vater abgewertet, dadurch dass Frau Hansen seine Erfahrungen gering schätzt, und Frau Hansen wird als Frau und Mutter mit Problemen der Vereinbarkeit beruflicher Interessen durch die einseitige Sicht ihres Mannes missachtet. Bezogen auf die jeweilige Beziehung zur Forscherin stellen damit beide durch die Abwertung des Anderen auch dessen Selbstdarstellung und die Beziehungsaufnahme als Werben um Zustimmung in Frage. Obwohl beide einerseits als einiges Paar auftreten, so auch in der Un-
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terdrückung der aufkommenden Konflikte, wird andererseits um die Anerkennung der Forscherin konkurrierend gerungen, eine gleichzeitige Anerkennung scheint unmöglich. Die real erkennbare Differenz zwischen den Sichtweisen und Lebenspraxen von Herrn und Frau Hansen wird unterdrückt, aber gleichzeitig über die wechselseitige Abwertung auch ausgedrückt. Insofern findet keine Anerkennung auch gerade in der Differenz statt, sondern Konkurrenz und Abwertung dominieren. Die Abwertung des Anderen, die zur Aufwertung der eigenen Person und Sichtweise führt, lässt die Differenz hier auch als Macht- und Hierarchiefrage erkennbar werden. Dabei konkurrieren Michael und Carola Hansen um Anerkennung und Teilhabe in den Bereichen Beruf und Familie: Frau Hansen droht die Missachtung und Abwertung im Sinne der berufliche Marginalisierung, Herrn Hansen droht der familiäre Ausschluss. Dies wird jedoch durch den von beiden in Bezug auf die Bereiche Beruf und Familie erweckten Anschein eigener Vollständigkeit wie auch den vorgeblichen Konsens des Paares verborgen. Angesichts der Konkurrenzsituation des Paares findet so ein Rückzug auf die geschlechtsspezifischen Hoheitsbereiche statt, der im Gegensatz steht zu der auch auf der manifesten Ebene im Gespräch nicht möglich scheinenden Ausrichtung auf eine Gleichverteilung der Arbeit in Beruf und Familie im Sinne gemeinsamer beruflicher Erfolge und Einschränkungen bzw. gemeinsamer Bindung und Belastung durch das Kind. Dies scheint gerade im Kontext der inneren Bilder des Geschlechterverhältnisses als eines Verhältnisses von Macht und Ohnmacht nicht möglich zu sein, da die Differenz des Paares wie auch die Thematisierung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit in den beiden Bereichen in die Dichotomie von Macht und Ohnmacht hineingeraten. Dabei verweisen sowohl die besondere Betonung der Autonomie bei Frau Hansen als auch die Affekte Herrn Hansens auf den Kampf zwischen den Geschlechtern. In der wechselseitigen Abwertung als Vater und als Frau mit eigenen Interessen zeigt sich zudem bei beiden eine Abwehr der eigenen Enttäuschung und Angst, die dadurch dem anderen zugemutet wird. Gleichzeitig bleibt der Wunsch nach Anerkennung als beruflich kompetente Frau und als väterlich präsenter Mann vor allem gegenüber der Forscherin deutlich und repräsentiert den Wunsch nach Integration und innerer Vollständigkeit. Die emotionalen Gewinne und Verluste der Eltern angesichts des eigenen Lebensentwurfes können nicht thematisiert werden. In Bezug auf Herrn Hansen bleibt unausgesprochen welche Konsequenzen sich für ihn aus der postulierten Entscheidung für Kinder ergeben, da hinter den neutralen Formulierungen seine Einbindung als Vater in die Familie verborgen bleibt. Jedoch ist angesichts des väterlichen Ausschlusses, den seine Frau entwirft, zu erschließen, dass Herr Hansen aufgrund seiner Berufstätigkeit in geringerem Maße familiär präsent und für den gemeinsamen Sohn wichtig ist und seine Frau ihn auch aktiv mit dem
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Ausschluss bedroht. Die Verluste an Bindung an den Sohn und familiärer Teilhabe tauchen jedoch im Gespräch nicht auf. Vielmehr engagiert sich Herr Hansen emotional darin, Frauen latent auf ihre familiale Rolle festzulegen. Frau Hansen lässt an zwei Stellen indirekt Gefühle von Trauer und Verlust erkennen, wenn sie im Sprechen leise wird, zum einen in Bezug auf die vorübergehende Aufgabe der Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr des Sohnes und zum anderen auch angesichts der Perspektive, jeden Tag „wegzugehen“. Dies bringt die Verluste an beruflicher Teilhabe zum Ausdruck wie auch den emotionalen Zwiespalt angesichts der angenommenen Bindungsbedürfnisse des Kindes. Im Kontext des Weggehens wird möglicherweise auch die Vollzeitberufstätigkeit ihres Mannes und die dadurch bedingte familiäre Abwesenheit angesprochen, die für Frau Hansen ein weitgehendes Alleinzuständigsein für den gemeinsamen Sohn bedeutet, sowie ein alleiniges Tragen der Lasten der eigenen Vereinbarkeitslösung. Dennoch reagiert auch sie mit Ausschlusstendenzen gegenüber ihrem Mann. Dem eingeschränkten Autonomieverständnis im Sinne der äußeren Anleitung entsprechend bleibt auch die Beziehung zum gemeinsamen Sohn bzw. die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern in dieser Szene durch kognitive Prozesse bestimmt. So „beschließt“ Frau Hansen vorab, dass sie sich um das Kind kümmern „will“. Auch in ihren Überlegungen zur Situation der durch ein Au-pair-Mädchen betreuten Kinder kann sie sich zwar in die Situation der Kinder einfühlen, die Seite der emotionalen Bindung der Eltern an ein Kind bleibt jedoch im Dunkeln. Auch Herr Hansen nimmt nur sehr eingeschränkt Bezug auf die emotionale Bindung von Eltern an ein Kind, sondern bleibt in seiner Argumentation auf der Ebene der Verpflichtung gegenüber den Kindern bzw. der Handlungskonsequenzen der Entscheidung, ein Kind zu bekommen. Hierbei entsteht somit ebenfalls ein moralischer Anspruch an das mütterliche bzw. väterliche Verhalten, gegenüber dem die eigene emotionale Situation der Eltern in den Hintergrund tritt. Im Kontext der elterlichen Auseinandersetzung um Teilhabe wird die Triade aus Mutter, Vater und Kind brüchig. Einerseits besteht ein Paar aus Mutter und Kind, wobei die Mutter als unabhängig vom Vater erscheint, und zwar über seinen Ausschluss, wie auch durch die Betonung ihrer Unabhängigkeit. Andererseits kann der Vater die Beziehung zwischen Mutter und Kind dominieren oder in seinem Sinne zementieren. Unter Einbezug der bisherigen Betrachtungen ringen Herr und Frau Hansen beide um Anerkennung und beider Positionen werden durch den je anderen bedroht. Differenz und Anerkennung als wichtige Momente der Triade werden als für sie problematisch erkennbar. Die Anerkennung des einen bedeutet vielmehr die Abwertung und den Ausschluss des anderen. Es taucht zudem der weibliche Körper über das Stillen als archaische Basis der Mütterlichkeit auf, wobei es um bei beiden Elternteilen um Bilder der guten Mutter (die zum Wohl des Kindes sechs Monate stillt) und der schlechten Mutter
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(die egoistisch ist und arbeitet und ihr Kind bei irgendjemandem lässt) geht. Die stets gleichzeitig bestehenden Wünsche nach Bindung und Beziehung auch zum Kind und nach Selbstverwirklichung und Durchsetzung eigener Interessen werden von beiden nicht in ihrer gleichberechtigten Ambivalenz anerkannt, sondern als Widerspruch polarisiert erlebt und zwischen den Geschlechtern konkurrierend verhandelt. Damit zusammenhängend wird eine innere und äußere Umwertung von Autonomie und Bindung angesichts der Geburt eines Kindes und der auch emotional neu zu organisierenden Bereiche Familie und Beruf noch nicht erkennbar. Es ist eine Abwehr von eigener Angst, Neid, Enttäuschung, Sehnsucht und Traurigkeit anzunehmen, der auch die wechselseitige Abwertung und die Abwertung anderer dient. Ein unbewusst wirksames Thema ist Angst vor dem Ausschluss des Dritten, die nicht verhandel- und bearbeitbar scheint, sondern abgewehrt und zugleich inszeniert wird. Die Triade scheint, bei ansonsten positiv getönten Beziehungen, in dieser Hinsicht brüchig. Die inneren Bilder als Bilder des familiären Wir sind fragmentiert, ausgehend vom drohenden Ausschluss des Dritten, durch die geschlechtsspezifischen Zuweisungen von Kompetenz und durch die Problematik der Paarbeziehung als Machtbeziehung. Die Fragmentierung verläuft entlang der Geschlechtergrenze und der Grenze zwischen erwachsen und kindlich. Sie manifestiert sich in der Angst des Elternpaares vor Abhängigkeit und Ohnmacht als Verlust der Autonomie. Szenische Rekonstruktion Im Folgenden werden Affekte und Phantasien zur Szene aus dem Protokoll der Gruppeninterpretation des Gesprächs herangezogen. Als Affekte zeigen sich:
Aggression gegenüber den Hansens, verbunden mit der Phantasie „glatte Oberfläche und darunter geht der Punk ab“; Besorgnis um Frau Hansen und Frauen allgemein; Besorgnis um Herrn Hansen; Genervtsein.
Phantasierte Bilder zur Familie sind:
eine vernünftige und mütterliche Carola Hansen und ein jungenhafter Michael Hansen; Michael Hansen als Macho und Carola Hansen als Opfer seines Chauvinismus;
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es findet ein Kampf der Geschlechter statt, der auch eine lustvolle Komponente enthält.
Diese Affekte und Phantasien verweisen im Kontext der Szene mit ihrer vernunftorientierten und vordergründig sachlichen und konsensuellen Argumentation auf die Affekte und Themen, die der Situation zwischen Herr und Frau Hansen wie auch mit der Forscherin zugrunde liegen. Es konstelliert sich eine Szene aus hierarchischen Beziehungen und aggressiver Auseinandersetzung. Dabei sind Gewinner und Verlierer offen und trotz bzw. in ihrer aggressiven Auseinandersetzung auch lustvoll verbunden. Während sowohl Carola als auch Michael Hansen in einer machtvollen bzw. ohnmächtigen Position phantasiert werden, verweist die Besorgnis beiden gegenüber auch darauf, dass beide in einer abhängigen Position wahrgenommen werden, in der sie auf Sorge durch andere angewiesen scheinen. Die vermeintliche Einigkeit des Paares Hansen wie auch die jeweilige Einigkeit mit der Forscherin wirken schützend und kompensierend. Die phantasierten Bilder sind zudem traditionell geschlechtsspezifische von weiblicher Macht als Mutter und männlicher Macht über Frauen. Es finden in der Phantasie identifikatorische Paarbildungen, entweder mit Herrn Hansen oder mit Frau Hansen statt, so dass es auch auf dieser Ebene keine Möglichkeit zu geben scheint, beide gleichzeitig in ihrem Bedürfnis nach Anerkennung zu sehen. Gegenüber der bisherigen Rekonstruktion werden die Aggression und Zerstörungswünsche in der Konkurrenz und zugleich die beiderseitige Bedürftigkeit und Abhängigkeit von der Anerkennung des Anderen erkennbar. Im Kontext des professionell-beruflichen bzw. angeleiteten Autonomieentwurfes mit innerer Abhängigkeit von äußerer Anleitung verweist dies auf unbefriedigt gebliebene kindliche Nähewünsche und auf kindliche Abhängigkeit von elterlicher Anerkennung. Dies lässt sich, wie gesehen, auch in dem einander ausschließenden Wunsch nach Anerkennung in der Szene mit der Forscherin verorten und wird zugleich durch den spezifischen Autonomieentwurf bearbeitet und abgewehrt.
Deutungsmuster In der Szene Eltern werden verschiedene Entwürfe von Beziehungsverhältnissen zwischen den Eltern erkennbar. Zum einen erscheinen Eltern als Gleiche und Vater und Mutter als undifferenzierte Einheit in der Verwendung des Wortes „Eltern“ oder „man“ – für beide Partner gelten hier gleichermaßen Entscheidungsfreiheit und Vernunft als maßgeblich. Andererseits erscheinen Mann und Frau als Verschiedene und das Geschlechterverhältnis als Differenzkonstrukt – so in der Bezugnahme von Frau Hansen auf die „Stellung“ des Mannes und im
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Kontext der geschilderten Arbeitsteilung. Zudem taucht indirekt das Bild der guten oder schlechten Mutter im Thema Stillen und Betreuung des Säuglings in der ersten Zeit auf. Die verschiedenen Deutungen familiärer Beziehungen können auf gesellschaftlich verankerte Deutungsmuster rückbezogen werden. So lässt sich im Gleichheitsdiskurs das Muster partnerschaftlicher Gleichheit verorten. In dessen Kontext steht auch die Selbstdarstellung Herrn Hansens als engagierter Vater im Sinne des Deutungsmuster „neuer Vater“ und von Frau Hansen als modernisierte und emanzipierte Frau. Andererseits lassen sich die Thematisierung des Stillens und der Betreuungslösungen auch auf das Muster der guten Mutter zurückführen. Bezogen auf die Frage der Arbeitsteilung, die hier real als die eines Familienernährers und einer primär sorgenden und später teilzeitberufstätigen Mutter erkennbar wird, zeigt sich eine gleichzeitige Thematisierung und Nichtthematisierung der Arbeitsteilung. Denn die Deutungsmuster in dieser Szene überlagern sich und werden gemischt wie auch gegeneinander eingesetzt. Während vordergründig Eltern als Gleiche angesprochen werden, werden darunter liegend Zuweisungen im Sinne der geschlechtsspezifischen Differenz getroffen – so wenn Herr Hansen von allgemeinen „Eltern“ spricht im Anschluss an die Schilderungen seiner Frau, die auf weibliche Vereinbarungsversuche bezogen waren. Hinzu kommt, dass das Muster der Mutterliebe die Diskussion der Vaterschaft und realen Arbeitsteilung auch bei Familie Hansen vermeidet. Verbunden ist dies wie bereits gezeigt einerseits mit einer Abwertung von Herrn Hansen als Vater und Frau Hansen als berufstätiger Frau. Festgehalten werden kann dabei, dass die verschiedenen Deutungsmuster als Patchwork dazu beitragen, eine Konfrontation mit der Differenz zwischen Herrn und Frau Hansen und mit den geschlechtsspezifischen Gewinnen, Verlusten und Ängsten zu vermeiden. Sie verbergen den drohenden Ausschluss von Herrn Hansen aus der Familie und von Frau Hansen aus dem Berufsleben, ebenso wie sie einen unbemerkten Ausdruck dieser Ausschlusstendenzen ermöglichen. Damit eröffnen sie einen Rahmen für die Abwehr der inneren Integrationsproblematik von Autonomie und Bindung angesichts des Elternwerdens für beide Elternteile.
5.4.4 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Hansen Auf der bewussten Ebene des Entwurfs stellt sich das Ehepaar Hansen als ein modernes Paar mit einer gleichberechtigten Beziehung dar, bei der beide Partner neben vergleichbaren Bildungsabschlüssen und einem ähnlichen Berufsstatus
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auch eine hohe Berufsorientierung und den Wunsch nach einer aktiven und unabhängigen Lebensgestaltung gemeinsam haben. In Bezug auf den gemeinsamen Sohn sind beide interessierte Eltern. Herr Hansen hat ausgesprochene Vorstellungen von der Erziehung des Sohnes und ist als Vater engagiert. Ebenso haben beide Eltern eine zärtliche Beziehung zum Sohn. Die Eltern sind sich in ihren Erziehungs- und Wertvorstellungen dabei weitgehend einig. Dass Frau Hansen mit der Geburt des Sohnes in Elternzeit gegangen ist und im Anschluss daran ihre Berufstätigkeit deutlich reduziert hat, ist für Herrn und Frau Hansen das Resultat gesellschaftlicher bzw. arbeitsmarktbezogener Bedingungen wie auch in der körperlichen Beziehung zwischen Mutter und Kind im Stillen angelegt. Das Ehepaar vertritt somit in ausgesprochener Weise Gleichheitsvorstellungen und eine gemeinsame hohe Berufsorientierung, wobei die bestehenden Unterschiede zwischen Carola und Michael Hansen durch die körperlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nahegelegt scheinen. Dieser bewusste Entwurf ist mit einer spezifischen familiären Struktur und Dynamik verknüpft. Dabei zeigt sich unterhalb der Gleichheit der Eltern ein Konkurrenzverhältnis um Teilhabe an den Bereichen Beruf und Familie, das mit Abwertung und Ausschluss sowie einem jeweiligen Rückzug auf die traditionell geschlechtsspezifischen Bereiche verbunden ist. Dabei kommt es zu einer Leugnung von geschlechtsspezifischen Gewinnen und Verlusten im bestehenden Arrangement und zu einer Abwehr von Neid und Angst. Gleichzeitig besteht der Wunsch nach Anerkennung gerade der Väterlichkeit von Herrn Hansen bzw. der professionellen Kompetenzen von Frau Hansen und der Wunsch nach innerer Vollständigkeit und Integration. Eine gemeinsame und wechselseitige Anerkennung scheint jedoch in einem mit Macht- und Hierarchiethemen aufgeladenen Geschlechterverhältnis erschwert, weswegen die Differenz verborgen bleiben muss. Dieses Verhältnis des Elternpaares bestimmt gemeinsam mit der hohen Berufsorientierung die familiären Beziehungen. Dabei dominiert der Berufsbereich mit seinen Handlungsstandards auch den Bereich der Familie, der für beide Eltern einen geringeren Wert hat. In der Konstitution der Beziehungen sind dabei weniger innere Bedürfnisse ausschlaggebend, sondern stärker externe, moralische Handlungsaufforderungen, dies auch im Kontext der wahrgenommenen kindlichen Bedürfnisse. Das Paar, das durch das gemeinsame Handeln bestimmt ist, versucht den Sohn daher im Sinne der familiären Integration in dieses Handeln einzubinden. Für die familiale Triade bedeutet dies einerseits eine Handlungszentrierung, die die familiäre Bindung aneinander ausmacht. Aufgrund der Konkurrenz des Paares und aufgrund des von beiden einander angedrohten Ausschlusses bestehen jedoch auch Brüche der Triade, die im Ausschluss des Vaters aus der Mutter-Kind-Dyade und in deren Reduktion auf eine abgewertete und ausschließliche Beziehung ihr Bild finden. Das Gegenbild hierzu liegt in der gemeinsamen Integration des Sohnes in die Paarbeziehung und
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gemeinsamen Integration des Sohnes in die Paarbeziehung und die gemeinsame Aktivität als „wir haben Paule“. Bezüglich der Frage nach der Vermittlung von Autonomie und Bindung liegt in der Handlungsorientierung des Paares und der Orientierung an äußeren moralischen und sachlichen Vorgaben ein Entwurf von Autonomie im Sinne einer angeleiteten oder beruflich-professionellen Autonomie, die sich in beiden Szenen in der Rekonstruktion zeigt. Dabei muss Autonomie durch ein äußeres Machen bestätigt werden und ist demgegenüber weniger innerlich verankert. Maßgeblich für das Erleben von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ist das Handeln in Beruf und Freizeit und die Erfüllung der gesetzten Rahmenbedingungen. Die Geburt des Sohnes bedeutet für beide Eltern daher einen Einschnitt und ein neues Erleben von Abhängigkeit, das für Frau Hansen aufgrund ihrer Reduzierung der Erwerbsarbeit weitergehend ist als für ihren Mann. Für beide Eltern kommt es jedoch nicht zu einer inneren Umbildung des Autonomieentwurfs, der auf das Handeln und die berufliche Anerkennung festgelegt bleibt. Bindung gerät demgegenüber in den Kontext von Abhängigkeit, und so wird auch der Sohn in das gemeinsame Handeln frühzeitig eingebunden und die Beziehung zu ihm im Kontext der äußeren moralischen Rahmungen stärker als durch innere Bindungsbedürfnisse gestaltet. Mit dem Elternwerden ist dementsprechend auch das Gleichgewicht des Paares aus den Fugen geraten, beide geraten in ein neues bzw. verschärftes Konkurrenzverhältnis um Teilhabe und Anerkennung, um Bindungschancen und Autonomiechancen in Familie und Beruf. Dabei verschiebt sich das Machtgleichgewicht zu Ungunsten von Frau Hansen, die zwar mit dem familiären Ausschluss ihres Mannes kontern kann, aber aufgrund der gemeinsamen beruflichen Autonomiekonstruktion und Höherbewertung des beruflichen Bereiches dabei schlechter gestellt ist. Im Kontext der neuen Abhängigkeit von ihrem Mann betont Frau Hansen demgegenüber in besonderem Maße ihre Unabhängigkeit. Trotz der gemeinsamen Orientierung an einem traditionell männlichen Autonomieverständnis kommt es dann zum Rückzug auf die traditionell geschlechtsspezifischen Bereiche mit kompensatorischem Ausschluss des anderen – zu einer Rückbesinnung auf männliche und weibliche Machtbereiche mit männlicher beruflicher Autonomie und weiblicher familiärer Bindung und einer Interpretation des Geschlechterverhältnisses als Machtverhältnis. Eine rein subjektive Seite des Entwurfs im Sinn einer ausgemachten unbewussten Konfliktdynamik der Familie Hansen lässt sich in den beiden rekonstruierten Szenen nicht ausmachen. Vielmehr erscheint die spezifische Autonomiekonstruktion als möglicherweise typisch für akademische Berufe mit einer Arbeitstätigkeit in nichtselbstständigen und vor allem betriebswirtschaftlichen Bereichen, wo sie in hohem Maße funktional ist. Bedeutsam scheinen in diesem
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Zusammenhang jedoch gleichzeitig die Hinweise auf unbefriedigt gebliebene kindliche Wünsche nach Nähe und Anerkennung. Diese führen zu einer Fortdauer der Abhängigkeit von äußerer Anleitung und elterlicher Anerkennung und der Interpretation von Bindung als ebenfalls handlungsbetont und äußerlich strukturiert, wie sie im Entwurf der professionell-beruflichen Autonomie zum Ausdruck kommen. Mit Blick auf die Deutungsmuster zeigt sich die gleichzeitige Präsenz traditioneller und modernisierter Muster: einerseits das Muster partnerschaftlicher Gleichheit, des neuer Vaters und der reziproken emanzipierten Frau und andererseits der guten Mutter verbunden mit einem Ernährervater und einem klassischen Geschlechterverhältnis. Diese Muster leisten in ihrem Zusammenwirken für die Familie Hansen einen Beitrag zum Ausdruck ihres eigenen Lebensentwurfes wie auch zu der dabei erfolgenden Abwehr und Dethematisierung der Konflikte und der Auseinandersetzung um Macht, Anerkennung und Teilhabe in den Bereichen Beruf und Familie zwischen Mann und Frau. Dabei verweist das für die Familie Hansen spezifische Aufgreifen der Muster neben der allgemeinen Problematik der gesellschaftlichen Modernisierung des Geschlechterverhältnisses auch auf die besondere Problematik für ein akademisch gebildetes, betriebswirtschaftlich und an konservativen Werten orientiertes Paar, bei dem beide einen gleichermaßen hohen Bildungsabschluss und eine zunächst gleichermaßen hohe Berufsorientierung haben. Hier kommt es zu einer besonderen inneren und paarbezogenen Spannung zwischen den modernisierten Gleichheitsvorstellungen und der gemeinsamen Autonomieorientierung im Sinne der bisher männlich konnotierten beruflichen Autonomie einerseits und den bei der Geburt eines Kindes neu auftretenden Bindungsanforderungen. Diese werden wie bei Familie Hansen erkennbar leicht als einseitige Einschränkung der beruflichen Autonomie empfunden, die zwar zunächst beide Partner betrifft, vor allem im wertkonservativen Rahmen jedoch stärker von der Mutter getragen werden muss. Darüber hinaus ist die Familie Hansen jedoch zugleich als typische Familie anzusehen, deren praktizierte Form der Arbeitsteilung mit einer eingeschränkten Berufstätigkeit der Frau und einer erweiterte Väterlichkeit des Mannes, bei ansonsten gleichbleibender Verteilung der Verantwortung, gesellschaftlich am häufigsten vorkommt. Der Entwurf von Familie Hansen ist durch die Berufszentrierung beider Elternteile gekennzeichnet, die mit einem handlungsbasierten Autonomieentwurf im Sinne einer traditionell männlichen Berufsorientierung einhergeht. Dabei besteht jedoch die traditionelle Arbeitsteilung weiter fort, was zu spezifischen Konflikten führt.
5.4 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis
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5.4.5 Ähnliche Muster 5.4.5.1
Kurzportrait: Familie Berg
Julia und Volker Berg sind beide Ende dreißig und haben einen Sohn, Lukas, der knapp zwei Jahre alt ist. Beide Eltern sind Juristen, wobei Herr Berg Vollzeit berufstätig ist und Frau Berg mit 25 Stunden pro Woche in Teilzeit arbeitet. Nach der Geburt von Lukas war Julia Berg ein halbes Jahr zu Hause, seit sie wieder an drei Tagen arbeitet, wird Lukas in einem Betriebskindergarten sowie von den Großeltern betreut. Das Ehepaar Berg hatte vor der Geburt von Lukas eine gleichberechtigte Arbeitsteilung im Haushalt und beide waren gleichermaßen beruflich engagiert. Seit dem Elternwerden hat sich dieses Konzept dahingehend verändert, dass neben der Unterstützung durch eine Putzkraft Julia Berg die Verantwortung für die Hausarbeit weitgehend übernommen hat und an den beiden Tagen, an denen sie zu Hause ist, die meisten Dinge erledigt. Dies ist zwischen Julia und Volker Berg gelegentlich ein Streitthema, wobei sie, darauf angesprochen, Konflikte stärker im Berufsleben als in der Partnerschaft verorten. An den Tagen, an denen Julia Berg arbeiten geht, verlässt sie bereits früh das Haus und Volker Berg macht den Sohn morgens fertig und bringt ihn in die Betreuung in der Stadt. Frau Berg schätzt dies, auch da beide dann alleine klarkommen müssen und sie selbst daran gehindert ist, sich als Mutter für alles verantwortlich zu fühlen. Für Herrn Berg hat sich in seiner Berufstätigkeit nichts geändert, denn er arbeitet weiterhin 40 Stunden pro Woche. Auch wenn er gelegentlich darüber nachdenkt, seine Arbeitszeit zugunsten des Sohnes zu reduzieren, so erscheint ihm dies aufgrund der unsicheren Arbeitsmarktlage als zu riskant und er empfindet sich auch momentan als zu stark beruflich eingebunden. Auch Frau Berg ist gegen eine Teilzeiterwerbstätigkeit beider Eltern, da sie dies ebenfalls als beruflichen Risikofaktor einschätzt. Sie selbst wollte ursprünglich mehr Stunden arbeiten, da sie Aussicht auf eine Beförderung hatte, die dann jedoch aufgrund von Umstrukturierungen am Arbeitsplatz nicht stattfand. Die Teilzeiterwerbstätigkeit ist für sie mit Vorurteilen am Arbeitsplatz und mit beruflichen Nachteilen verbunden. Beide Eltern beschreiben die Veränderung durch das Elternwerden, wobei für Herrn Berg wesentlich ist, dass er jetzt als Vater noch besser vom Beruf „abschalten“ kann, während Julia Berg ihre Probleme beim „Umschalten“ zwischen Familie und Beruf anspricht. Beide bemerken, dass sie am Arbeitsplatz nicht an Lukas denken. In der Rekonstruktion wird deutlich, dass Julia und Volker Berg beide eine hohe berufliche Identifikation haben und für sie die Bereiche Beruf und Familie weitgehend getrennt und nur schwer zu integrieren sind. Herr Berg definiert sich
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5 Fallrekonstruktionen
über den Beruf und aus dieser Perspektive nimmt der Sohn Lukas bzw. die Familie die Rolle ein, ihm beim „Abschalten“ vom Beruf zu helfen, beide gehören in den Bereich der Freizeitbeschäftigung. Für Frau Berg hat sich in Bezug auf Beruf und Familie hingegen eine stärkere Perspektivverschiebung ergeben, denn für sie ist immerhin das „Umschalten“ zwischen beiden Bereichen mit eigenem Recht ein Thema, wobei die Identität als Mutter und die als Berufstätige für sie schwer zu integrieren sind. Auch wenn beide Eltern eine fürsorgliche und liebevolle Bindung an den Sohn haben und z.B. Herr Berg auch unter den morgendlichen Abschieden in der Kinderbetreuung leidet, so ist es doch vor allem Frau Berg, für die sich mit der Geburt des Sohnes ein neuer Bereich der Bindung und familiären Bezogenheit eröffnet hat. Dies wird in ihrer Beschreibung daran erkennbar, dass sie es sich vorher fest vorgenommen hatte, nach einem halben Jahr wieder zu arbeiten und darüber im Nachhinein froh war, da sie sonst vermutlich nicht so früh wieder berufstätig geworden wäre. Die beruflich verankerte Autonomie ist dabei ein lebensgeschichtlich fundiertes Bedürfnis, das aus der eigenen MutterTochter Beziehung mit einer Mutter als Hausfrau herrührt. Demgegenüber ist die Erfahrung der Bindung an den Sohn ein sich neu eröffnender Bereich, der zunächst in Widerspruch zur beruflichen Autonomieorientierung gerät und der präventiv durch Selbstdisziplinierung (im Sinne der Festlegung einer kurzen Elternzeit) begrenzt und alltäglich im mühsamen „Umschalten“ neu bearbeitet werden muss. Dabei gibt es Frustrationen gegenüber ihrem Mann, dessen berufliche Einbindung nicht beeinträchtigt wurde und der zudem auch vom Haushalt weitgehend entlastet ist. Andererseits besteht aber auch eine vereinnahmende und den Vater ausschließende Bindung an das Kind, der sie jedoch ebenfalls intellektuell entgegenwirkt, wie es in ihrer Schilderung der morgendlichen Interaktion von Vater und Sohn ohne sie selbst zum Ausdruck kommt. Herr Berg hält sich gegenüber seiner Frau und in der Beziehung zum Sohn eher im Hintergrund und lässt sie die Verantwortung übernehmen, was zu einer Beschränkung seiner väterlichen Position in der Familie gegenüber der mütterlichen seiner Frau führt. Dies drückt sich auch in der Forschungssituation darin aus, dass er am Anfang des Gesprächs zu seiner Frau sagt „willst du mal lieber anfangen“, was diese übernimmt und ihn dann zweimal nicht zu Wort kommen lässt. Für beide Eltern bleibt die Frage, wie viel Raum dem inneren Erleben zukommt und wie viel davon durch ein Organisieren des Alltags reguliert werden kann und muss. Dies drückt sich auch in der Gestaltung Forschungssituation aus, die zwischen der Frage nach der „Bedeutung“ des Elternseins und der Frage, was es organisatorisch „ausmacht“, pendelt. Auch im Gespräch über die unterschiedliche Bindung, die der Sohn an beide hat, und der unterschiedlichen Bindungen beider Eltern an den Sohn definieren die Eltern dies im Sinne einer unterschiedlichen alltäglichen Gewöhnung des Sohnes bzw. der Eltern, die nicht mit der
5.4 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis
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jeweiligen Bindungsqualität zusammenhängt. So liegt die Tatsache, dass Julia Berg nicht Vollzeit arbeiten möchte, da sie den Sohn sonst zu sehr vermissen würde für die Eltern darin begründet, dass sie die alltägliche Gemeinsamkeit mit ihm stärker gewöhnt ist, während Herr Berg eben zwei Wochen nach der Geburt wieder voll arbeiten gegangen ist. So sind beide im Gespräch miteinander auch offen für andere Arbeitsteilungsformen, während auf affektiver Ebene deutlich wird, dass keine andere Form in Frage kommt. Die familiale Triangulierung ist zunächst eine Triangulierung von Lebensbereichen, bei denen die Arbeit, die Paarbeziehung und das Kind balanciert werden müssen. Während beide Eltern eine fürsorgliche Bindung an das Kind eingegangen sind, so bleibt doch für beide auch eine Ambivalenz zwischen Familie und Beruf bestehen. Für Herrn Berg ist dies weniger problematisch, da bei ihm der Beruf und die beruflich verankerte Autonomie der innere Definitionspunkt bleiben und der Sohn und die Bindung an ihn als Bereicherung des Freizeitbereiches hinzutritt. Für Julia Berg stellt die Bindung an den Sohn die beruflich verankerte Autonomieorientierung einerseits in Frage und eröffnet neue Erlebensbereiche und andererseits bleibt ihre Angst vor Abhängigkeit und beruflicher Marginalisierung bzw. Einschränkung der beruflichen Autonomiequellen bestehen. Dabei kontrolliert sie die eigene Affektivität rational und sichert sich gegen ein Versinken in der Bindung an den Sohn auch durch äußere Sicherungsmaßnahmen, wie die begrenzte Elternzeit, ab. Zwischen den Eltern besteht dabei neben einem Verhältnis wechselseitiger Einfühlung und Kommunikation und neben der Gemeinsamkeit in Bezug auf die berufliche verankerte Autonomieorientierung und die Widersprüchlichkeit von Beruf und Familie zugleich eine klassische Zuweisung von Autonomie und Bindung. Für die Familie Berg ist das Muster elterlicher Gleichheit und Partnerschaftlichkeit von besonderer Bedeutung hinter dem die klassische Arbeitsteilung mit weiblicher Teilzeittätigkeit zum Teil verborgen bleibt. So grenzen sich die Eltern auch explizit von einer besonderen Gewichtung der Mütterlichkeit ab, die real unterschiedlichen Bindungsqualitäten und Alltagspraxen beider Eltern erscheinen als Resultat von Gewöhnungsprozessen. Die Arbeitsteilung erscheint weitgehend frei verhandelbar und wesentlich durch die arbeitsmarktliche Situation bedingt. Auch im Verweis auf andere Familien mit ähnlicher Aufteilung wird verdeckt, dass weniger Herr und Frau Berg sich etwas aufteilen, sondern vielmehr das Leben von Frau Berg seit Geburt des Sohnes zwischen zwei Bereichen aufgeteilt ist. Die Eltern nehmen zudem Bezug auf eine neue Väterlichkeit, in der sich Herr Berg verortet.
178 5.4.5.2
5 Fallrekonstruktionen
Kurzportrait: Familie Gerhards
Eva und Martin Gerhards sind beide Anfang dreißig und haben eine gemeinsame Tochter Lena, die 18 Monate alt ist. Beide Eltern sind bei einem Reiseunternehmen beschäftigt, wo Martin Gerhards Vollzeit tätig ist und wechselnd ins Ausland reist und im Büro arbeitet. Eva Gerhards ist Reiseleiterin und seit der Geburt von Lena in Elternzeit. Sie arbeitet jedoch, seit die Tochter ein halbes Jahr alt, ist bei einer Tochterfirma des Reiseunternehmens, wo sie in Teilzeit mit ca. 15 Stunden pro Woche Personal vermittelt. Während dieser Zeit wird die Tochter in einem Betriebskindergarten betreut. Die Arbeitsteilung der Familie Gerhards ist dadurch gekennzeichnet, dass einerseits beide Eltern klassische Rollen übernommen haben, wobei Martin Gerhards der Ernährer ist und Eva sich als Mutter „zur Glucke entwickelt“ hat. Dabei empfindet sie die Bindung einer Mutter an ihr Kind als stärker als die des Vaters an das Kind und formuliert: „ne Mutter ohne ihr Kind, das is als ob dir der rechte Arm fehlt“. Demgegenüber ist Martin Gerhards zwar auch der Tochter zugewandt, aber berufsbedingt häufig abwesend und er genießt auch seine Auslandsreisen. Andererseits empfinden beide Eltern Ähnliches in Bezug auf Beruf und Familie. Dabei ist die Erwerbsarbeit der Ort der Entspannung und Erholung vom Kind, Martin Gerhards kann den Wunsch seiner Frau, wieder zu arbeiten, sehr gut nachempfinden, wodurch diese sich von ihm unterstützt und verstanden fühlt. Er bewertet zudem die Fremdbetreuung mit anderen Kindern als sehr positiv für die Tochter und deren Sozialverhalten. Die Berufstätigkeit von Eva Gerhards ist dabei auch entlastend für die Paarbeziehung. Als sie anfangs nur zu Hause bei der Tochter war, kam Eva sich wie „der Idiot vom Dienst“ vor, war neidisch auf die Berufstätigkeit ihres Mannes und verärgert über seine mangelnde Unterstützung, wenn er z.B. später nach Hause kam, wie auch über die eigene finanzielle Abhängigkeit. Auch die sexuelle Beziehung des Paares hatte unter ihrer abendlichen Gereiztheit nach dem Tag mit dem Kind und der auch an ihren Mann gerichteten Verärgerung gelitten. Die eigenen beruflichen Aufgaben und die Fahrten zur Arbeit in die nahegelegene Großstadt geben ihr hingegen eine innere Unabhängigkeit und mehr Gelassenheit im Umgang mit der Tochter und dem Ehemann. Die Tochter wachse nun mit zwei berufstätigen Eltern auf. Frau Gerhards charakterisiert sich selbst als „hundertprozentig“ und nervös und ihrem Mann als „Ungeduldsperson“. Für Eva und Martin Gerhards war die Veränderung des Elternwerdens ein „einschneidendes Erlebnis“, bei dem sie mit der Situation zu dritt überfordert waren. Die Schwangerschaft trat ungeplant ein, und auch wenn Eva Gerhards sagt, die Tochter sei eine „nette Überraschung“ gewesen und sie habe sich gefreut und alles vorbereitet, so wird im Gespräch doch deutlich, dass sie sich auf
5.4 Familie Hansen: Berufszentrierte Arbeitsteilung auf traditioneller Basis
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das Elternsein innerlich und äußerlich wenig eingestellt hat. So ist auch die Geburtsszene zu verstehen, bei der Eva Gerhards vom Krankenhaus mit Wehen wieder nach Hause geschickt wurde und dann noch mit ihrem Mann und ihren Eltern essen gegangen ist. Nach dem Bestellen brach sie dann in Tränen aus, sie und ihr Mann fuhren dann erneut zum Krankenhaus, wo die Tochter kurz darauf zur Welt kam. Die permanente Präsenz des Kindes nach der Geburt führte bei beiden zu Aggressionen gegenüber dem Kind und auch im Umgang miteinander. Dabei entwickelte Eva Gerhards eine postpartale Depressivität und war mit dem Alleinsein mit Kind tagsüber überfordert. Martin Gerhards reagierte abends und nachts ebenfalls schnell ungeduldig und gereizt und konnte sie wenig unterstützen. Frau Gerhards thematisiert die Problematik des Zu-dritt-Seins für sich selbst. Sie hat die Tochter als einen „Eindringling“ erlebt, der nun statt ihr selbst im Mittelpunkt steht und auch der Paarbeziehung wenig Raum lässt. Dadurch konnte sie sich nur wenig freuen und lehnte die Tochter ab. Andererseits berichten beide Eltern von den Ängsten und Sorgen um die kleine Tochter, z.B. angesichts des Themas plötzlicher Kindstod, und auch heute noch kann Martin Gerhards keine Krimis sehen, in denen es um kleine Kinder geht. Eva und Martin Gerhards haben sich heute an das Leben mit der Tochter „gewöhnt“ und haben sie sehr vermisst, als sie einmal eine Woche Urlaub ohne sie verbracht haben. Ein halbes Jahr nach Lenas Geburt haben die Eltern geheiratet und ein Haus gebaut. Mittlerweile können sie sich auch vorstellen, ein weiteres Kind zu bekommen. Die familiale Triade ist durch die zunächst unzureichende Triangulierung der Eltern gekennzeichnet, wobei vor allem Eva Gerhards von den Veränderungen durch die tägliche Präsenz der Tochter betroffen ist. Sie ist zunächst noch nicht in einer Position, in der sie die eigene Dezentrierung und generationelle Ablösung durch die Tochter aushalten kann, sondern hat selbst noch den vermutlich in der Kindheit unbefriedigt gebliebenen Wunsch, in der Mitte zu stehen und selbst Adressat von elterlicher Fürsorge zu sein. Die Ambivalenz gegenüber der in die Paarbeziehung eindringenden Tochter drückt sich in Aggressionen ihr und dem Partner gegenüber aus, die zugleich in Depressionen und Ängste umschlagen. Dies gilt in abgeschwächter Form auch für Martin Gerhards, der ebenfalls aggressiv reagiert und besondere Ängste thematisiert, aber aufgrund der Arbeitsteilung alltäglich weitgehend von der Situation zu dritt entlastet ist. Dass die Triangulierungsproblematik nur zum Teil bearbeitet werden konnte und die elterliche Ambivalenz auch fortbesteht, zeigt sich an mehreren Punkten. So betont Frau Gerhards, wie wichtig es ihr ist, dass ihr Mann und sie zuerst da waren und genauso im Mittelpunkt stehen wie das Kind und dass für sie die Priorität in der Paarbeziehung liegt. Auch angesichts eines Fernsehfilms über Babyklappen, den Martin Gerhards nicht sehen konnte, weil er laut seiner Frau assoziiert, „dass wir
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5 Fallrekonstruktionen
hätten Lena ehm abschieben können, müssen, hätten, sollen“. Auch spricht Eva Gerhards davon, dass die Tochter ein Unfall war und sich eingeschlichen hat, was aber „im Endeffekt so was Schönes“ sei, was ihr Mann aufgreift und schmunzelnd zur Tochter sagt: „du bist halt n kleiner Totalschaden Lena, aber du bist ein schöner Totalschaden“. Was für die Eltern bewusstseinsnah als Entspannung vom Kind im Erwerbsleben erlebt wird, lässt sich im Kontext der Gestaltung von Autonomie und Bindung so verstehen, dass der Beruf für beide Eltern einen Ausweg aus der ambivalenten Bindung an das Kind bietet und somit nicht nur äußerlich entspannt, sondern auch eine Pause von der inneren Anstrengung bedeutet. Dabei kann Martin Gerhards seine Autonomieinteressen im Beruf besser als seine Frau verwirklichen, da er Vollzeit arbeitet und zudem mehrtägige Auslandsreisen unternimmt. Aber auch für seine Frau bedeuten die Fahrten zur Arbeit in die Großstadt eine Rettung aus der verstrickten Bindung an die Tochter, was über den Autonomiegewinn durch die Arbeit an sich hinausgeht. Auch wenn in der Triangulierung die Dominanz der elterlichen Paarbeziehung gewahrt bleibt bzw. wieder hergestellt wird, so sind die Eltern doch auch angesichts der wachsenden Selbstständigkeit der Tochter dieser gegenüber weniger ambivalent. Mit der Abnahme der Abhängigkeit der Tochter und auch von Frau Gerhards überwiegt bei beiden Eltern die Bindung gegenüber der aggressiven Distanzierung. Die Situation zu dritt bleibt jedoch schwierig, so droht z.B. Eva Gerhards im Forschungsgespräch der Tochter mit dem strafenden Vater. Auch eine erzählte Episode, bei der Eva Gerhards über die zunächst erfolglosen Erziehungsbemühungen ihres Mannes gegenüber der 18 Monate alten Tochter gelacht hat, bleibt doppeldeutig – einerseits nimmt sie die Bindung zwischen Vater und Tochter nicht ernst, andererseits können aber auch beide Eltern über die gemeinsame Situation zu dritt mit dem Kleinkind schmunzeln. Hier zeigen sich auch die traditionellen Geschlechtszuweisungen, bei denen Frau Gerhards stärker als ihr Mann die alltägliche Bindung an die Tochter trägt und sich als Mutter trotz der mit der Ambivalenz verbundenen starken Distanzierungswünsche auch in besonderer Weise mit der Tochter als Teil von sich selbst identifiziert. Dies hat einerseits den Charakter einer Aufteilung zwischen den Eltern, andererseits verbindet es sich auch mit Triangulierungskonflikten, bei denen die Bindung zwischen Vater und Tochter für Eva Gerhards schwer auszuhalten ist. Trotz der Negation durch die postpartalen Depressionen von Eva Gerhards und die eigene Ablehnung der Tochter beziehen sich die Eltern auch auf das Deutungsmuster der Mutterliebe, das dieser eine besondere Position gegenüber dem Kind zuweist. So wird zum Beispiel die Problematik des „Loslassens“ nur in Bezug auf Eva Gerhards thematisiert. Die gleichzeitige Interpretation im Sin-
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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ne einer elterlichen Gleichheit ermöglicht die Identifikation der Ehepartner miteinander in ihrer Berufsbezogenheit und nimmt dadurch Konfliktstoff aus der ungleich gewordenen Paarbeziehung und der für beide Eltern ambivalenten Bindung an die Tochter.
5.5 Familie Baumeister/Schneiders: Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung 5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
Ole Baumeister und Petra Schneiders sind beide Mitte dreißig und der gemeinsame Sohn Daniel ist zwei Jahre alt. Herr Baumeister und Frau Schneiders sind seit zehn Jahren als Paar zusammen und leben seit ca. neun Jahren in der gemeinsamen Wohnung. Sie waren bisher nicht verheiratet, stecken jedoch zum Zeitpunkt des Gesprächs in Vorbereitungen für ihre Hochzeit, die in wenigen Wochen stattfinden soll. Petra Schneiders ist im sechsten Monat schwanger mit dem zweiten Kind. Beide Eltern sind Akademiker. Herr Baumeister arbeitet als Ingenieur in einem großen Unternehmen und ist Vollzeit berufstätig. Petra Schneiders ist Juristin und seit der Geburt von Daniel in Elternzeit. Sie studiert jedoch seit einem Semester in einem viersemestrigen Lehramts-Aufbaustudium. Das Gespräch mit der Familie Baumeister/Schneiders findet abends in deren Wohnung statt, als der Sohn Daniel bereits im Bett ist.
5.5.1 Zum Gesprächsinhalt Lebensentwürfe, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zum Thema Beruf und Familie Herr Baumeister hat nach einer Phase beruflicher Unsicherheit mit Stellenwechseln, vorübergehender Arbeitslosigkeit und gescheiterter Selbstständigkeit seit einem Jahr wieder eine feste Stelle mit regelmäßigen Arbeitszeiten in einer Nachbarstadt. Zum Zeitpunkt der Geburt von Daniel war er halbtags beschäftigt und hatte dadurch viel Zeit für die Familie, was ihm sehr gut gefallen hat. Daran schloss sich eine Phase der Arbeitslosigkeit an. Als Daniel neun Monate alt war, hatte Herr Baumeister drei Monate lang eine Stelle in einer anderen Stadt und konnte seine Frau und seinen Sohn nur am Wochenende sehen, was ihm sehr schwer gefallen ist. Frau Schneiders hat keine Ambitionen, auf ihre alte Stelle zurückzukehren, die mit langen Arbeitszeiten und einem langen Anfahrtsweg verbunden war. Als
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5 Fallrekonstruktionen
Daniel ein Jahr alt war und anfing, nachts besser zu schlafen, wollte sie jedoch wieder stärker eigene, berufliche Interessen verfolgen. Da an ihrem bisherigen Arbeitsplatz keine Teilzeitarbeit möglich war, hat sie die Gelegenheit eines Aufbaustudiums ergriffen. Damit verbindet sie auch die Perspektive familienfreundlicher Arbeitszeiten und unproblematischer Teilzeittätigkeit. An den Tagen, an denen sie an der Universität ist, wird Daniel durch eine Tagesmutter bzw. die Großeltern betreut. Wenn das zweite Kind auf die Welt kommt, plant Frau Schneiders, in der weiterbestehenden Elternzeit ihr Studium weiter zu verfolgen und hoffentlich auch mit zwei kleinen Kinder abschließen zu können. Die Teilzeitarbeit von Müttern ist für Frau Schneiders dabei eine Normalität, viele Mütter in ihrem Umfeld sind berufstätig. Die gemeinsame Arbeitsteilung stellt das Paar Petra Schneiders und Ole Baumeister als relativ flexibel dar. Dass Petra in Elternzeit ging, war kein Diskussionsthema, sondern lag für beide aufgrund des Stillens und auch aufgrund ihrer beruflichen Sicherheit nahe. Angesichts des zweiten Kindes kann sich Ole Baumeister vorstellen, nach der Stillzeit einen Teil der Elternzeit zu übernehmen, auch wenn er dieses Thema im Forschungsgespräch zum ersten Mal anspricht und das Paar darüber bisher nicht gesprochen hat. Die Arbeitsteilung im Haushalt unterliegt keinen festen Regeln, und bis auf das Kochen, das eher in Petras Zuständigkeitsbereich liegt, beteiligt sich Ole an den anfallenden Haushaltstätigkeiten. Die Arbeitsteilung zwischen ihnen ist kein Gegenstand von Diskussionen, sondern beide empfinden sie als automatisch und stillschweigend.
Lebensentwürfe, Selbstdarstellung und subjektive Deutungen zu den familiären Beziehungen Aufgrund der elterlichen Arbeitsteilung ist tagsüber vor allem Frau Schneiders mit dem Sohn Daniel zusammen und mit der Alltagsorganisation des Lebens mit Kleinkind beschäftigt. So macht sie sich viele Gedanken über die Trennungssituation im Kontext der Betreuung durch die Tagesmutter, wenn sie aufgrund ihres Studiums abwesend ist. Auch Herr Baumeister kümmert sich jedoch engagiert um den Sohn und freut sich, abends etwas mit Daniel gemeinsam zu machen oder ihn ins Bett zu bringen. Jedoch ist es Frau Schneiders, die stärker gedanklich und praktisch mit der Entwicklung des Sohnes beschäftigt ist. So war sie es, die sich während der Schwangerschaft informiert hat, und auch heute interessiert sie sich eher für Erziehungsfragen und Fragen wie Impfungen oder die Ernährung des Sohnes. Herr Baumeister hat demgegenüber kein eigenes Interesse, sondern vertraut auf die Meinungsbildung seiner Frau. Er ist stärker bei handwerklichen Arbeiten wie dem Bauen eines Wickeltisches engagiert.
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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Herr Baumeister hatte als junger Mann keinen Kinderwunsch, sondern stand eigenen Kindern aus gesellschaftskritischen Gründen eher ablehnend gegenüber. Im Zusammenleben mit seiner Frau und angesichts ihres Kinderwunsches konnte er sich ein eigenes Kind dann jedoch vorstellen, für beide war die Geburt von Daniel eine Erfüllung ihrer Beziehung. Im ersten Lebensjahr schlief Daniel nachts unruhig und Petra Schneiders war ständig müde und benebelt. Erst als Daniel mit einem Jahr ein eigenes Kinderzimmer bekam, besserte sich diese Situation. Während der Sohn sich als Säugling noch in die Lebensgestaltung der Eltern integrieren ließ, hat er als Zweijähriger seinen eigenen Kopf und die Eltern versuchen, damit im Alltag wie auch im Urlaub umzugehen und Kompromisse zu schließen, mit denen alle zufrieden sind. Auch wenn dies gelegentlich eine Einschränkung für sie ist, haben die Eltern jedoch kein Bedürfnis, z.B. alleine in den Urlaub zu fahren. Die Familie Baumeister/Schneiders sieht sich in einen sehr unterstützenden Zusammenhang der weiteren Familie eingebunden, da die Eltern und mehrere Geschwister von Ole Baumeister, zum Teil mit Kindern, alle in unmittelbarer Nähe wohnen.
Interpretation der Gesprächsinhalte Das Paar Baumeister/Schneiders hat eine klassische Arbeitsteilung insofern, als Ole Baumeister der Ernährer der Familie ist und Petra Schneiders sich in Elternzeit um den gemeinsamen Sohn kümmert. Petra Schneiders nutzt die Auszeit jedoch für eine berufliche Weiterentwicklung und hat ein Aufbaustudium begonnen. Dabei liegt die Organisation der Betreuung des Sohnes durch eine Tagesmutter und die Großeltern bei ihr. Auch wenn Herr Baumeister in der klassischen Ernährerposition ist, so beschäftigt er sich doch als engagierter Vater täglich mit dem Sohn, vor allem abends nach seiner Arbeit. Die Familie Baumeister/Schneiders lebt somit ein (teil-)modernisiertes traditionelles Arrangement, bei dem die Mutter neben der Familienarbeit beruflich aktiv ist und sich der Vater trotz seiner Ernährerposition auch als zuständig für familiäre Aufgaben empfindet. Dabei bleiben die traditionellen Zuständigkeitsbereiche jedoch trotz der Einbindung des jeweils anderen bestehen. Die Eltern haben eine langjährige Beziehung und heiraten nun im zeitlichen Zusammenhang mit der zweiten Schwangerschaft. Die gemeinsamen Kinder und das Familie-Sein sind Teil der Entwicklung der Paarbeziehung, die im übrigen stillschweigend eingespielt und kooperativ ist.
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5 Fallrekonstruktionen
5.5.2 Rekonstruktion der Initialszene Initialszene (1,1-2,2) Ole B.:
AK: Ole B.:
AK: Ole B.:
Petra S.: AK: Ole B.:
AK: Ole B.:
(spricht langsam und suchend) Nja, ich kann ja vielleicht mal von, von unserem Kind, äh letzten Urlaub n bisschen erzählen, den wir eigentlich so mit dem Kind äh schon ganz anders erlebt haben, wie wies früher war. Wir komm jetzt grad, vor ner Woche komm wer von La Palma zurück... Mhm. ... auf den Kanaren warn wer halt 2 Wochen gewesen und haben uns im vorhinein dann schon überlegt, äh ja wie machen wirs jetzt diesmal, wir gehen halt ganz gern wandern und mhm sind eigentlich eher so individuell unterwegs .... äh, planen die Sachen halt net so konkret, ne.... Mhm. ...und das ging dann so (nuschelt) bei den Vorbereitungen schon los, dass wir diesmal uns überlegt haben, ähm, dass wir auf jeden Fall natürlich ne ganz andere vernünftige Unterkunft brauchen, und dass wir...äh... da net so spontan auch da hinfliegen können, wie wir das sonst früher gemacht haben (lacht), wir haben halt das erste Mal da auch halt Angst gehabt, dass, wir kriegen keinen richtigen Flug, haben wir so richtig gebucht und haben...äh, insofern so die ganzen Randbedingungen (nuschelt) ziemlich fest schon gemacht, ne. Und das war es zweite, nee es dritte Mal, seitdem der Daniel (nuschelt) hier bei uns ist. Mhm. Mhm. Das haben wir vorher noch nie gemacht, das einzige was wir...im Urlaub mal gemacht haben, war eben, dass wir ehhh, für die Ankunft, eh in unserem Reiseziel hatten wir auch mal ein Hotel gebucht, das haben wir dann nicht gekriegt, dann haben wir uns gedacht, das war aber dann kein Problem damals für uns, sondern wir wollten halt so (räuspert sich) schon, n bisschen mehr Sicherheit haben, dass es dann auch problemlos funktioniert.... Mhm. ...mit m Daniel. Und das hat eigentlich auch ganz gut geklappt. Man...wir haben uns dann überlegt, dass wir da vielleicht doch (räuspert sich) son bisschen rumwandern können. Wir waren es zweite Mal da gewesen, das erste Mal hat es, war auch der Daniel schon dabei gewesen, da äh ging das eigentlich relativ unkompliziert, aber äh dieses Mal, da haben wir dann schon n bisschen Schwierigkeiten gehabt. Der is jetzt mittlerweile knapp zwo, der wird also nächste Woche wird er zwo, und ...äh, da konnten wir, mussten wir da schon ziemlich Rücksicht auf ihn nehmen.
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
AK: Ole B.:
AK: Ole B.: Petra S.: AK: Petra: Ole B.: Petra S.:
AK: Petra S.:
AK: Petra S.:
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Mhm. Haben wir halt dann unser, unsere Idee, dass wir so wandern konnten so, wie wirs erste Mal gemacht haben, das ging irgendwie nicht mehr Mhm. ...äh... Rückentrage, zum Tragen dabei// Mhm. //also das war// //genau// //unkomplizierter, als er klein war. Da konnt man den da halt reinstecken, und dann wenn er Hunger gehabt hat, hat er halt geschrieen und sonst hat er geschlafen. Und das ging jetzt in dem Alter halt nicht mehr, der hat halt echt seinen Kopf, also bei allen Sachen. Mhm. Also man kann halt nich einfach sagen, ja der läuft halt so nebenher, der muss halt machen, was wir wollen, eh das also da macht man sich eigentlich nur Stress, ne. Also wir mussten uns eigentlich immer überlegen, wie mer ihn dann halt da noch mitorganisieren. Mhm. Das is schon son Faktor, der eigentlich bei allen Abläufen ins Gewicht fällt. Also schon beim Schlafen angefangen, ne, dass man sich überlegt, neja, wo schläft er halt wahrscheinlich am besten, im eigenen Zimmer, oder bei uns, und...dann schläft er hoffentlich überhaupt gut, das is sowieso immer so es zentrale Thema, mit dem Schlafen (hustet) und ehem, ja dann guckt man natürlich dann auch immer die Umgebung an, ob was passieren kann, wo halt so Gefahrenquellen sind, also man geht, also ich zumindest, so in der Wohnung, so so die ersten Sachen, die ich da gesehen hab, stand ne Blumenvase auf dem Tisch mit Blumen, die haben wer gleich mal auf den Schrank gestellt...
Inhalt der Szene Das Gespräch beginnt Ole Baumeister mit einer Schilderung des letzten Urlaubes. In diesem konnte das Paar Baumeister/Schneiders nicht mehr wie gewohnt gemeinsam wandern gehen, sondern angesichts der eigenen Interessen des fast zweijährigen Sohnes Daniel musste die Urlaubsgestaltung angepasst werden. Als Daniel noch kleiner war, konnte man ihn hingegen problemlos in der Rückentrage mitnehmen. Die Bedürfnisse des Sohnes und die Sorge um ihn sind für Frau Schneiders zu einem bei allen Abläufen mitgedachten Thema geworden.
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5 Fallrekonstruktionen
Sequenzanalytische Rekonstruktion Das aufgezeichnete Gespräch beginnt mit einer Äußerung von Ole Baumeister, der mit einer Schilderung des gerade beendeten gemeinsamen Urlaubes anfängt: „Nja, ich kann ja vielleicht mal von, von unserem Kind, äh letzten Urlaub n bisschen erzählen, den wir eigentlich so mit dem Kind äh schon ganz anders erlebt haben, wie wies früher war.“ In diesem Gespräch beginnt somit nicht die Forscherin mit einer Frage, sondern Herr Baumeister fängt, zwar zögernd, damit an, vom Urlaub zu erzählen. Das eher konventionelle Thema Urlaub scheint im Kontext des Gesprächs somit eine Bedeutung für das Elternsein des Paares zu haben und wird der Forscherin als Beispiel für das Familienleben präsentiert. Auffallend ist der Versprecher, dass Herr Baumeister zunächst „von unserem Kind“ sagt, dann jedoch das Thema hin zum Urlaub wechselt. Unklar bleibt, ob die Urlaubserzählung eine Erzählung über das Kind ist, ob Herr Baumeister eigentlich lieber vom Kind erzählen wollte oder ob er gerade nicht vom Kind erzählen will. Deutlich wird das Thema Veränderung, denn das Erleben mit Kind ist „ganz anders“ als früher. Die Erzählperspektive ist die des „wir“ des Paares, das etwas anders als früher erlebt hat. Offen bleibt die zeitliche Bestimmung, denn der Sohn ist, wie man aus dem Kontext weiß, bereits fast zwei Jahre alt, und die Veränderungen des Elternwerdens sind eigentlich nicht mehr frisch. Dennoch wird die Veränderung als das für das Paar Besondere an der Schilderung des letzten Urlaubes herausgestellt. Herr Baumeister schildert im Folgenden ausführlich die Vorbereitungen der gemeinsamen Urlaubsreise. Auch in dieser Schilderung ist die Erzählperspektive das Wir des Paares, das gerne wandert und „individuell unterwegs“ ist und dieses – am Präsenz erkennbar – als „eigentliche“ Identität behalten hat. Dem wird von Ole Baumeister eine veränderte Realität gegenüber gestellt, in der das Paar nach Überlegungen „von vorneherein“ etwas „festmachen“ und „konkret planen“ muss, „vernünftig“ sein muss und nicht mehr „spontan“ sein kann, sondern sogar „Angst“ vor der Ungewissheit hat. Auslöser hierfür ist der Sohn Daniel. Der Sohn bedeutet für das Elternpaar somit im Kontext des Urlaubes und als Gegenbild zum vorher benannten „Individuell-unterwegs“-Sein vor allem Fremdbestimmung und Anpassung, sie können nicht mehr wie sie wollen. Diese Berücksichtigung des Sohnes ist mit Sorge, sogar „Angst“ verbunden. Erneut bleibt der zeitliche Bezug unklar, denn Herr Baumeister schließt mit „das war es zweite nee es dritte Mal, seitdem der Daniel hier bei uns ist“. Er stellt damit eine paradoxe Situation her, zwischen dem bereits dritten Urlaub mit Kind und der dargestellten Neuheit der Veränderungen. Die Formulierung „seitdem der Daniel hier bei uns ist“ ist ungewöhnlich und gegenüber einer Äußerung wie „seit wir Daniel haben“ wird ein eher unabhängiges Hinzutreten des Kindes von außen nahege-
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legt (wie z.B. bei einer Adoption), als dass der Sohn das gemeinsam gezeugte Kind des Paares ist. Im Anschluss an diese Schilderung stimmt Frau Schneiders mit „Mhm“ zu und äußert sich damit zum erstem Mal. Es wird damit deutlich, dass sie die Schilderung ihres Mannes ebenfalls vertritt. Darauf erzählt Ole Baumeister weiter von der Gestaltung des Urlaubes mit Kind. Es wird nun im Folgenden deutlich, dass, obwohl es bereits der dritte Urlaub mit Kind und der zweite am selben Ort war, dieser jedoch der erste Urlaub war, in dem das Elternpaar in der beschriebenen Weise durch den Sohn bestimmt war und Rücksicht nehmen musste. Im Anschluss an die Erzählung im Abschnitt vorher wird zunächst noch einmal die Differenz erläutert. Während es für das Paar vorher kein Problem war, wenn Hotelbuchungen nicht machbar waren, braucht die Familie nun Sicherheit, Ziel dabei ist, dass es mit dem Sohn „problemlos funktioniert“. Es steht in der Schilderung von Herrn Baumeister also der reibungslose Ablauf im Vordergrund und nicht das Erleben des Kindes oder das Wohlfühlen von Eltern und Kind. Dies wird durch die sich anschließende Bilanz, dass es „ganz gut geklappt“ hat, wiederholt. Darauf wechselt die Sicht noch einmal hin zu den Bedürfnissen des Paares, das dennoch, auch im Kontext der vorher angeklungenen Heteronomie, versucht hat, sein Interesse zu wandern „vielleicht doch... son bisschen“ umzusetzen. Erneut verweist Herr Baumeister auf einen vorangegangenen Urlaub, in dem es auch mit Daniel noch „eigentlich relativ unkompliziert“ war, wohingegen es im aktuellen Urlaub „schon n bisschen Schwierigkeiten“ gab. Das Paar musste seine Idee zu wandern aufgeben und sich der Realität („das ging nicht mehr“) beugen. Ein „Können“ wird sprachlich zu einem „Müssen“, und dies steht im Kontext des Alters des Sohnes, der fast zwei Jahre alt ist. In der Eingangserzählung von Ole Baumeister wird so die Autonomie des Paares und deren Eingrenzung für die Eltern durch den gemeinsamen Sohn geschildert, die zu einer Fremdbestimmung und Anpassung führt. Hiergegen versucht das Paar noch einmal das eigene Interesse zu setzen, muss aber die geänderte Realität im Zusammensein mit dem zweijährigen Sohnes akzeptieren. Dabei stehen Organisation und Ablauf statt einem gemeinsamen Wohlfühlen im Vordergrund, der Sohn wird eher als fremd hinzugetreten vorgestellt, auch wenn der Vater ihn mit seinem Namen persönlich benennt und ganz zu Anfang auch von „unserem Kind“ spricht. Die Erzählung von Ole Baumeister wird als gemeinsame des Paares in der Zustimmung seiner Frau erkennbar. Hieran anschließend übernimmt Frau Schneiders die Erzählung, zunächst mit einem Verweis auf die Rückentrage, die als Mittel des Transports für den Sohn ein gemeinsames Wandern hätte möglich machen können und in der Vergangenheit möglich gemacht hat. Hier stimmt Ole Baumeister in das Sprechen
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von Petra Schneiders hinein, zu. Diese führt im Folgenden die Problematik des Reisens mit dem Zweijährigen aus. Sie schließt damit an die Erzählung ihres Mannes an und erläutert, warum die Veränderung nicht mit dem Elternwerden, sondern erst mit dem Älterwerden des Sohnes akut geworden ist. Dieser scheint früher keine eigenen Bedürfnisse jenseits von Essen und Schlafen gehabt zu haben, sondern war „unkompliziert“, „lief so nebenher“ und musste machen, was die Eltern wollten. Hingegen hat er jetzt einen „Kopf“ mit eigenen Vorstellungen, die sich nicht mehr den Vorstellungen der Eltern unterordnen lassen. Angesichts der Erkenntnis „da macht man sich eigentlich nur Stress“ mussten Petra Schneiders und Ole Baumeister nun den Sohn mitorganisieren. Es scheint in der Erzählung von Petra Schneiders, als ob der Sohn erst mit fast zwei Jahren zu einem wirklichen Gegenüber für seine Eltern geworden ist, wohingegen vorher nur seine Grundbedürfnisse befriedigt werden mussten und man ihn einfach irgendwo hineinstecken konnte. In dem Satz „da macht man sich nur Stress“, klingt dabei eher eine Kapitulation angesichts der Widerständigkeit des Kindes an, als eine auch in der Beziehung zum Kind liegende Veränderung der Eltern, deren möglicher Wunsch, auf die Interessen des Kindes Rücksicht zu nehmen. Dies lässt sich auch mit der Definition „einen Kopf haben“ in Verbindung setzen, die auf den Willen des Kindes verweist und nicht auf dessen Gefühle und somit eher einen Machtkampf anspricht. Auch bei Petra Schneiders liegt die Betonung auf Organisation und Ablauf, denn die Veränderung liegt darin, dass nun auch der Sohn „mitorganisiert“ werden muss. Es folgt eine Schilderung, wie sich das Mitorganisieren praktisch auswirkt und Petra Schneiders macht darin die Tragweite des „Mitorganisierens“ deutlich, denn „das ist schon son Faktor, der eigentlich bei allen Abläufen ins Gewicht fällt“. Hier ist erneut der Blick auf Abläufe anstelle eines Erlebens gerichtet. Es wird zudem erkennbar, dass die neue Präsenz des Kindes sehr weitreichend ist, denn sie ist „eigentlich“ permanent von Bedeutung. Dies ist mit fortlaufenden Überlegungen verbunden, die z.B. um das Schlafen des Sohnes kreisen, das als ein zentrales Thema der Familie benannt wird. Dabei hat das Schlafen generell verschiedene Bedeutungsebenen, es geht nicht nur um die Ruhe des Kindes, sondern auch um die Ruhe der Eltern und dabei um die Frage von Nähe und Distanz und Abschied, die sich auch am Schlafplatz – bei den Eltern oder nicht – festmachen lässt. Für Frau Schneiders spielt zudem die Sorge um mögliche Verletzungen des Sohnes eine Rolle, wobei sie Gefahrenquellen aus dem Weg räumt. An dieser Stelle des Gesprächs spricht Petra Schneiders zunächst in der Wir-Form, dann benutzt sie das unpersönlich „Man“, wodurch einerseits eine Generalisierung der eigenen Überlegungen und Sorgen hergestellt wird und dieses zugleich als Handeln des Paares dargestellt wird. Demgegenüber stellt Frau Schneiders die permanente Sorge um mögliche Gefahrenquellen als ihre
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eigene innere Beschäftigung heraus („also ich zumindest“), was jedoch im letzten Teil des Satzes durch „haben wer“ wieder zurückgenommen wird. In der Initialszene wird somit von Ole Baumeister und Petra Schneiders gemeinsam die aktuelle Familienszene aus Sicht der Eltern präsentiert. Diese ist für die Eltern durch den Verlust an Autonomie gekennzeichnet, der bei Familie Baumeister/Schneiders nicht unmittelbar mit der Geburt des Sohnes Daniel seine Wirkung entfaltet hat, sondern erst jetzt, als Daniel zwei Jahre als ist, bedeutsam wird. Während das Paar vorher durch gemeinsame Individualität und selbstbestimmtes Handeln gekennzeichnet war, sind die Eltern nun mit dem eigenen Willen des Kindes konfrontiert und erleben dies als Fremdbestimmung und Verlust von Autonomie. Dem steht die Darstellung der vorher möglichen völligen Fremdbestimmung des Kindes gegenüber, das sich allein mit seinen Grundbedürfnissen bemerkbar gemacht hat und ansonsten dem Willen der Eltern unterworfen war. An die Stelle dieser Fremdbestimmung des Kindes, tritt nun eine weitreichende und permanente, zum Teil angstvolle Beschäftigung der Eltern mit der Organisation des Alltags mit und für das Kind, wobei mit dem Schlafen Themen von Nähe und Distanz bzw. Trennung als zentral benannt werden. Dies gilt vor allem für Frau Schneiders, die zudem mit der permanenten Sorge um mögliche Gefahrenquellen für den Sohn befasst ist. Bezogen auf das Elternpaar, erscheinen Mutter und Vater in dieser Szene zunächst gleichermaßen von den erlebten Veränderungen betroffen, wobei die ständige innere Beschäftigung mit dem Wohlergehen des Sohnes vor allem für Frau Schneiders als Mutter gilt. Auch wenn der Vater den Sohn mit seinem Namen benennt, so sind die Familienbeziehungen doch vor allem im Sinne einer Organisation von Abläufen entworfen. Der Sohn erscheint als jemand, der von außen zum Paar hinzugetreten ist. Rückbezogen auf den Anfang der Szene, sprechen beide tatsächlich eher über sich als Paar in Konfrontation mit dem gemeinsamen Sohn als über diesen selbst. Es gibt noch kein gemeinsames triadisches Wir mit gemeinsamen Interessen, dieser Veränderungsprozess arbeitet noch immer in den Eltern. Bezogen auf die Vermittlung von Beruf und Familie, erscheinen die Eltern in der Urlaubssituation zunächst als Gleiche und von der Veränderung und dem Verlust an Selbstbestimmung gleichermaßen betroffen, was auch im Sprechen („wir“ und „man“) durchgängig zum Ausdruck kommt. Jedoch ist es vor allem Frau Schneiders, die innerlich fortwährend mit der Sorge um das Wohlergehen des Sohnes beschäftigt ist. Die triadische Situation ist durch ein mit dem Verlust von Autonomie und Selbstbestimmung beschäftigtes Elternpaar gekennzeichnet, das hierauf mit der Organisation von Abläufen reagiert, die auf ein Funktionieren des familiären Zusammenlebens ausgerichtet sind. Es gibt noch keine Perspektive auf gemein-
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same Interessen von Eltern und Kind. Es zeigt sich in der Wahrnehmung der Eltern ein Gegensatzpaar von Autonomie und Heteronomie: zunächst konnte das Kind fremdbestimmt werden und nun werden die Eltern fremdbestimmt. Dies ist innerlich noch nicht über die Bindung miteinander vermittelt in dem Sinne, dass in der Nähe zum Kind die Autonomieinteressen der Eltern auch in den Hintergrund treten können und gemeinsame Interessen überwiegen. Das Organisieren der Abläufe soll vielmehr äußerlich Konflikte vermeiden. Dem steht die bei allen Abläufen stattfindende innere Beschäftigung mit dem Kind gegenüber, die beide Eltern und vor allem Frau Schneiders betrifft. Dies kann als ein Ausdruck der inneren Heteronomie gedeutet werden und verweist auf die darin liegende Nähe zum Kind und dessen innere Präsenz im Erleben der Eltern und vor allem der Mutter. Bemerkenswert ist hier dass die innere Beschäftigung mit Sorge und Angst verbunden ist. Bei den verwendeten Begrifflichkeiten lässt sich mit dem Ausdruck „Organisieren von Abläufen“ ein Bezug auf das Berufsleben ausmachen, der bei beiden Eltern auftaucht. Auch darüber hinaus erscheinen die Eltern als Gleiche, deren mögliche arbeitsteilige Differenz im Kontext der Urlaubssituation im Verborgenen bleibt. Hingegen löst sich Frau Schneiders an einer Stelle aus dem Wir des Paares und bezieht die Sorge um die Unversehrtheit des Sohnes explizit auf sich selbst. An dieser Stelle scheint eine Differenz der Eltern auf.
Szenische Rekonstruktion Die Forschungssituation in der Initialszene des Gesprächs ist dadurch gekennzeichnet, dass die Forscherin dem Paar Baumeister/Schneiders keine Eingangsfrage stellt und auch im Übrigen nur durch ihr zuhörendes „Mhm“ präsent ist. Das Paar schildert, miteinander kooperierend und ohne auf Unterstützung durch die Forscherin angewiesen zu sein, sein Erleben des Elternseins. In Verbindung mit und im Sinne des manifesten Textes der Szene kann man sagen, dass beide auch in der Beziehungssituation zur Forscherin „individuell unterwegs“ sind, d.h. die Situation gemeinsam autonomieorientiert gestalten können. Dabei übernimmt zunächst Ole Baumeister für das Paar und gegenüber der Forscherin die Initiative, indem er auf den gemeinsamen Urlaub zu sprechen kommt. Weitere Hinweise auf die Forschungsszene können aus dem Protokoll der Forscherin herangezogen werden. Aus diesem geht hervor, dass die Forscherin zwar im Gespräch vor dem aufgezeichneten Forschungsgespräch als mögliche Themen den Alltag und das eigene Erleben als Eltern benannt hat, aber sich im Folgenden dennoch aus dem Gespräch ausgeschlossen gefühlt hat:
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„Ich bin im Nachhinein irritiert, dass ich gar keine Frage mehr gestellt habe am Anfang und beide das so unter sich ausgemacht haben.“ „Beide sprechen die meiste Zeit abwechselnd. Es entstehen kaum Gesprächspausen, über weite Strecken gibt es keinen Anlass, aber auch keine Gelegenheit für mich, etwas zu fragen.“ „Ich habe den Eindruck, sie kommen gut ohne mich zurecht, und beschränke mich weitgehend darauf, mich zurückzuhalten und aufmunternd und verständnisvoll zuzuhören.“ „Im Nachhinein denke ich, dass ich auch das Gefühl hatte, ich darf ihnen nicht zu nahe treten.“
Ausgehend von diesen Gefühlen und Gedanken der Forscherin, lässt sich das gemeinsame Organisieren des Gesprächs auch so verstehen, dass die Forscherin auf Abstand gehalten und ihr gegenüber keine Bedürftigkeit gezeigt werden soll. Das Paar ist selbstgenügsam. Gegenüber der Forscherin zeigt sich das Paar damit zunächst als völlig unabhängig und nimmt dabei auch keine Beziehung auf. Gleichzeitig bringen Ole Baumeister und Petra Schneiders auf inhaltlicher Ebene die von ihnen erlebte Fremdbestimmung durch den Sohn zum Ausdruck. Es zeigt sich somit auch in der Szene mit der Forscherin in der Forschungssituation eine ähnliche Struktur wie in den familiären Beziehungen, wie sie sequenzanalytisch rekonstruiert wurden. Dabei ist das Paar autonom und selbstbestimmt gerade angesichts der Situation Forschung, in der die Forscherin eine gewissen Machtposition hat und möglicherweise über das Gespräch bestimmen und dem Paar Baumeister/Schneiders zu nahe kommen könnte. Hierauf reagieren beide mit dem selbstständigen Organisieren des Gesprächs ohne die Forscherin, der das weitgehend schweigende Aufnehmen und Zuhören zugewiesen wird. Dass dies auch mit Aggressionen auf beiden Seiten verbunden ist, darauf verweist eine exemplarische Affektreaktion aus der gemeinsamen Gruppeninterpretation des Gesprächs. Ein Teilnehmer: „Ich empfinde Wut auf das Interview und die Forscherin und frage mich, warum sie so lange durchgehalten hat. Das Gespräch hat sein eigenes Gesetz, es kommt so dumpf heraus.“
Die empfundene Heteronomie der Forscherin, deren „Durchhalten“ anstelle eines aktiven Handelns im Gespräch, erzeugt dabei Wut. Diese kann sowohl als Reaktion auf die Fremdbestimmung, auf das Unterwerfen unter ein fremdes „Gesetz“, als auch als Wut, die im Fremdbestimmen selbst liegt, im Durchsetzen eigener Bedürfnisse auf Kosten eines Anderen, verstanden werden. Die Charakterisie-
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rung als „dumpf“ verweist dabei auf eine Dämpfung von Affekten, auf etwas, das tief und unklar ist, undeutlich und nicht bewusst. Die szenische Rekonstruktion vertieft somit die sequentielle Rekonstruktion in Hinblick auf die familientypische dichotome Gegenüberstellung von Autonomie und Heteronomie und verweist darüber hinaus auf eine darin liegende unbewusste Aggression. Als Hypothese kann man diese Aggression in Verbindung zu der in der Rekonstruktion auffallenden Angst und permanenten Sorge bringen. Dies wäre dann im Sinne einer Abwehr der im empfundenen Verlust der Autonomie liegenden Aggression zu verstehen, die in der Nähe zum Sohn als Angst und Sorge um dessen Wohlergehen ihren Ausdruck findet. Dies in dem Sinne, dass er vor nun außen liegenden Verletzungsgefahren und anderen Störungen geschützt werden muss, die Aggression bekommt also eine bewusstseinsfähige Wendung, die eher in Einklang mit der elterlichen Liebe zum Sohn steht und den Konventionen von elterlicher und vor allem mütterlicher Sorge genügt.
5.5.3 Rekonstruktion der Szene „Arbeitsteilung“ Unmittelbar vor der Szene „Arbeitsteilung“, die im ersten Drittel des Gesprächs liegt, sprechen die Eltern darüber, dass sie kein Bedürfnis nach einem Urlaub ohne das Kind haben. Szene „Arbeitsteilung (6,13- 7,14) Ole B.:
AK: Ole B.: AK: Ole B.: AK: Ole B.:
Petra S.: Ole B.: Petra S.:
Ja gut, also, so was, was unsere Arb-, unsere Arbeitszeiten angeht, ich geh halt tagsüber normalerweise arbeiten, hab halt n Vollzeitjob, und// //Was machst du so beruflich genau? Ich arbeite bei nem großen Unternehmen und mach da so, bin als Planer da// Mhm. // als Ingenieur, und ehm, etwa seit einem Jahr, vorher war ich, war ich etwa n Vierteljahr in Kassel gewesen// Mhm. //das war son, und davor war ich arbeitslos, und das war n bisschen, mhm äh, schon n bisschen ne Schwierigkeit, so, erzähl ich vielleicht kurz nachher noch mal, also das, was die Arbeitsaufteilung angeht, bist du (zu Petra) halt jetzt in Mutterschaftsurlaub. Mhm. Und ehm zwei Jahre// //Seit zwei Jahren.//
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AK: Ole B.: Petra S.: Ole B.:
AK: Ole B.:
Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.:
AK: Petra S.:
AK: Petra S.:
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//Mhm.// //und// //(uv)// //ich bin halt n ganzen, in der Woche n ganzen Tag, eigentlich, also von morgens bis abends, bin ich eben auf der Arbeit und, eh insofern hab ich halt, schon meinen Spaß dran, wenn ich, wenn ich dann mit m Daniel was zusammen machen kann. Also ob das jetzt im Urlaub is, oder am Wochenende, oder abends, also da freu ich mich dann schon drauf. Und... manchmal, je nach dem, wie er halt auch morgens aufsteht, dann treff ich ihn halt noch kurz bevor, bevor ich weg geh, kriegt der von mir noch mal n Fläschchen, und wenn ich abends dann nach Haus komm, und also wenns k-, wenns schönes Wetter is, dann sind die halt oft im Garten und dann guck ich halt aus dem Fenster raus und dann ruf ich dann runter und dann jaaah hallo (lacht). Mhm. Dann begrüßen wir uns irgendwie eben schon über die Ferne ganz (atmet ein) nett und das is einfach schön dann. Aber sonst so den ganzen organisatorischen Ablauf, den eh den, der tagsüber halt mit m Daniel abläuft das machst du ja eigentlich alles. (unverständlich, gleichzeitig) //joooh// //ich weiß jetzt nicht, ob das Krabbelgruppe ist, oder// //nee ja klar// //oder... dann die Geschichte jetzt mit deinem Studium, dass du das// //Mhm// //dass de eben dann ... organisierst, dass das dann mit den Tagesmüttern an zwei, drei Tagen zur Verfügung steht....das machst du eben, ne. Ja phh, das geht ja nicht anders. Also ich denk, du hast noch im Vergleich zu vielen anderen schon noch den Vorteil, dass das von der Arbeit her nicht so extrem mit Überstunden belastet is. Also ich weiß von vielen (atmet aus) Männern, also von von Männern eben (atmet aus) also von Frauen, mit denen ich in so Krabbelkreisen bin, dass die mehr oder weniger ihre Kinder die ganze Woche nicht sehen. Mhm. So, grob mal vielleicht fünf Minuten, zehn Minuten, oder dass eh, bei denen dann der Tagesablauf halt sich so extrem nach hinten verlagert. Also dass die Kinder dann bis neun oder zehn wach sind, weil damit se den Vater überhaupt noch sehen. Mhm. Und das is bei uns nicht der Fall, das find ich eigentlich auch echt ganz, ganz schön, weil ich denk wenn man so drei, vier Tage oder fünf Tage dann die Kinder gar nicht sieht, oder kaum was mitkriegt, also da fehlt dann schon auch viel. Und das dann alles aufs Wochenende...joh, find ich so eigentlich ganz gut.
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Inhalt der Szene Ole Baumeister erzählt von der Arbeitsteilung des Paares. Er selbst ist als Ingenieur seit einem Jahr Vollzeit berufstätig, nach einer Phase mit Arbeitslosigkeit und beruflichem Wechsel. Er freut sich angesichts seiner täglichen Abwesenheit besonders, darauf, abends, am Wochenende und im Urlaub etwas mit dem Sohn zusammen zu machen. Seine Frau Petra Schneiders ist in Elternzeit und übernimmt die hauptsächliche Organisation des Alltags mit Kind. Petra Schneiders ist froh darüber, dass ihr Mann im Vergleich zu anderen Männern regelmäßige Arbeitszeiten hat und daher täglich Zeit mit dem Sohn verbringen kann.
Sequenzanalytische Rekonstruktion Ole Baumeister wechselt – aus dem Kontext der Szene ersichtlich – das Thema und spricht die Arbeitszeiten des Paares an: „Ja gut, also, so was, was unsere Arb-, unsere Arbeitszeiten angeht, ich geh halt tagsüber normalerweise arbeiten, hab halt n Vollzeitjob, und//“. Damit thematisiert er die Arbeitsteilung des Paares unter dem Stichwort „Arbeitszeit“, das im engeren Sinne ja nur auf ihn selbst zutrifft. Dabei stockt er und bricht die im ersten Ansatz „Arb-“ ab. Nach dem das Paar gemeinsam betreffenden „unsere Arbeitszeiten“ spricht er dann jedoch zunächst über sich selbst, indem er die Arbeit als seine Beschäftigung tagsüber beschreibt und im zweiten Teil als „Vollzeitjob“ kennzeichnet. Dabei benutzt er zweimal „halt“, was auf die Beschreibung von Tatsachen im Sinne von „es ist halt so“ verweist. Hierzu trägt auch das „normalerweise“ bei. Festzuhalten ist an diesem Anfang, dass es Ole Baumeister ist, der die Arbeitsteilung anspricht, dass er dies zunächst unter dem Thema Arbeitszeiten macht und dass er seine berufsbedingte Abwesenheit von der Familie als tägliche Normalität kennzeichnet. Ehe er weitersprechen kann, wird er von der Forscherin mit der Frage nach einer genaueren Beschreibung seiner Berufstätigkeit unterbrochen: „Was machst du so beruflich genau“. Ole Baumeister berichtet, dass er seit einem Jahr als Planer bzw. Ingenieur bei großen Unternehmen arbeitet und davor ein Vierteljahr in einer anderen Stadt gearbeitet hat, nachdem er eine Zeitlang arbeitslos war. An dieser Stelle stockt er und verweist mit den Sätzen „und das war n bisschen, mhm äh, schon n bisschen ne Schwierigkeit, so, erzähl ich vielleicht kurz nachher noch mal“ auf Probleme, die ihm dies bereitet hat, und macht klar, dass er ein Sprechen über seine Arbeitslosigkeit zumindest an dieser Stelle nicht möchte. Ole Baumeister kommt dann auf sein Thema, die Arbeitsteilung, zurück, die er nun auch als solche benennt und spricht seine Frau und deren „Arbeitszeit“ an: „also das, was die Arbeitsaufteilung angeht, bist du (zu Petra) halt jetzt in Mut-
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terschaftsurlaub“. Gegenüber der Forscherin strukturiert Ole Baumeister somit das Gespräch und verfolgt sein Thema konsequent weiter. Er spricht dabei nicht nur seine eigene Praxis an, sondern auch die seiner Frau, die er hier ins Gespräch hineinzieht. Petra Schneiders stimmt ihm mit „Mhm“ zu und korrigiert sein folgendes „und ehm zwei Jahre“ zu einem „seit zwei Jahren“ und spricht daran anschließend noch etwas Unverständliches in seinen Sprechfluss hinein. Während Ole Baumeister seine Frau einerseits ins Gespräch einbindet, so spricht dann doch er selbst weiter, so dass das Ansprechen seiner Frau zu einem Vorführen wird. Petra Schneiders lässt Ole Baumeister dabei einerseits gewähren, andererseits bewahrt sie eine eigene Position, indem sie ihn in Bezug auf die Formulierung korrigiert. Wenn man die erste Thematisierung unter dem Stichwort der „Arbeitszeit“ heranzieht, wird durch Ole Baumeisters kontrastierende und veraltete umgangssprachliche Formulierung „Mutterschaftsurlaub“ die Familientätigkeit seiner Frau als etwas spezifisch Weibliches, wie auch als Urlaub gekennzeichnet.70 Es schließt sich eine längere Erzählung seines väterlichen Alltags mit dem Sohn an. Noch einmal in Bezug und Kontrast zum „Mutterschaftsurlaub“ seiner Frau spricht Herr Baumeister zunächst über seine Arbeitszeit, die damit als notwendige andere Seite zum Urlaub seiner Frau erklärt wird. Dabei betont er die Dauer seiner Abwesenheit mit „ich bin halt n ganzen“, was dann beschränkt wird auf die Woche „in der Woche n ganzen Tag eigentlich“ und dann wieder verstärkt durch „von morgens bis abends“. Diese ausgedehnte Abwesenheit wird dann mit „insofern hab ich halt schon“ von Herrn Baumeister kausal mit seinem „Spaß“ verknüpft, den er hat, wenn er mit dem Sohn „was zusammen machen“ kann. Damit werden die ausgedehnten Abwesenheitszeiten zu einer Bedingung dafür, Spaß mit dem Sohn zu haben, was auch durch die Einschränkung, die im „schon“ liegt verstärkt wird. Dies wiederholt sich im folgenden Satz, in dem Ole Baumeister die Zeiten benennt, an denen er überhaupt etwas mit dem Sohn machen kann, im Urlaub, am Wochenende oder abends. Hier das „schon“ in „also da freu ich mich dann schon drauf“ erneut einschränkend. Auf diese Weise wird der Wunsch, zum Ausdruck zu bringen, dass trotz der langen Abwesenheitszeiten Herr Baumeister eine befriedigende Beziehung zum Sohn hat, doppelbödig. Die Beziehung bleibt zudem durch „meinen Spaß dran“ auf die Perspektive und den Profit von Herrn Baumeister beschränkt und im Sinne gemeinsamer Aktivität bestimmt. Die Beziehung zum Sohn wird daran anschließend jedoch um fürsorgliche Elemente erweitert, als Ole Baumeister erzählt, dass er dem Sohn morgens ein „Fläschchen“ gibt, auch wenn dies zeitlich nur „kurze“ Momente sind 70
Der Begriff „Mutterschaftsurlaub“ war bis 1986 im Gesetzestext verankert und wurde dann im offiziellen Sprachgebrauch zunächst durch „Erziehungsurlaub“ und 2001 durch das neutralere „Elternzeit“ abgelöst.
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und nicht so häufig vorkommt („manchmal, je nach dem“). Zudem legt das Verb „treffen“ im Ausdruck „dann treff ich ihn halt noch kurz“ ein eigenständiges aufeinander zugehen, ein unabhängiges Zusammentreffen z.B. in der Küche nahe, anders als z.B. sich sehen oder zusammen sein. Weiter geht Ole Baumeister dann auf den Abend ein, wenn er nach Hause kommt und erzählt die Szene: „und also wenns k-, wenns schönes Wetter is, dann sind die halt oft im Garten und dann guck ich halt aus dem Fenster raus und dann ruf ich dann runter und dann jaaah hallo (lacht).// Dann begrüßen wir uns irgendwie eben schon über die Ferne ganz (atmet ein) nett und das is einfach schön dann.“ Hier wird die Freude des Vaters bei der Begrüßung des Sohnes beim nach Hause kommen deutlich gemacht, die auch beim Sohn mit „jaaa hallo“ eine freudige Reaktion hervorruft und angesichts des Lachens von Ole Baumeister und des auffälligen Atmens beim Erzählen als „einfach schön“ sichtbar wird. Eigentümlich bleibt die Begrüßungsszene jedoch dadurch, dass der Vater seinen Sohn „über die Ferne“ begrüßt und nicht, was auch naheliegend wäre, gleich in den Garten geht und die schöne Begrüßung dann dort stattfindet. Vielmehr wirkt gerade die Begrüßung mit Abstand als ein von Ole Baumeister konstruiertes Bild der Vater-Sohn-Beziehung, das seinen inneren Bedürfnissen entspricht und für ihn „einfach schön“ ist. Damit wiederholt diese Schilderung die Struktur der vorangegangenen Beschreibung der Arbeitszeiten, in der ebenfalls die berufsbedingte Entfernung tagsüber als untergründige Bedingung für die Nähe und Gemeinsamkeit mit den Sohn deutlich wurde. Daran anschließend spricht Ole Baumeister erneut seine Frau an: „Aber sonst so den ganzen organisatorischen Ablauf, den eh den, der tagsüber halt mit m Daniel abläuft, das machst du ja eigentlich alles.“ Er wiederholt damit die Struktur der Mitte der Szene, indem er erneut seine Frau in das Gespräch hineinzieht und etwas, das sie betrifft, direkt anspricht. Wie auch dort spricht aber Ole Baumeister zunächst selbst weiter: „ich weiß nicht, ob das jetzt Krabbelgruppe ist, oder// oder ... dann die Geschichte jetzt mit deinem Studium, dass du das// dass de eben dann ... organisierst, dass das dann mit den Tagesmüttern an zwei, drei Tagen zur Verfügung steht....das machst du eben, ne.“ Dadurch benennt er nicht nur die Situation von Petra Schneiders, sondern zählt auch auf, woraus ihr Alltag besteht, und lässt sich dabei durch ihre Zwischenkommentare nicht ablenken. Erneut wird sein Sprechen über die anwesende Petra Schneiders zu einem Vorführen, auch wenn Ole Baumeister zugleich ein Wissen um den Alltag seiner Frau zeigt und damit eine Anerkennung ihrer Leistung und Tätigkeit als Mutter. Inhaltlich wird das Zusammensein mit dem Kind wieder im Sinne des „organisatorischen Ablaufs“ angesprochen. Dies wird durch die Wiederholung („der tagsüber halt mit m Daniel abläuft“) verstärkt und auch im Kontext der Betreuung durch die Tagesmütter erneut angesprochen. Dabei stehen die Tagesmütter „zur
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Verfügung“, er blendet die emotionalen Fragen der Betreuung des Sohnes, wie die seine Frau beschäftigende Trennungssituation für Eltern und Kind, dabei aus. Es wird zudem deutlich, dass Frau Schneiders die Betreuung des Sohnes, wenn auch sie tagsüber abwesend ist, selbst organisieren muss und dies nicht Aufgabe des Paares ist. Das Studium benennt Ole Baumeister zudem als „Geschichte jetzt mit deinem Studium“, wodurch es zwar einerseits gewürdigt wird, aber zugleich den Charakter einer besonderen Ausnahmesituation bekommt und als seiner Arbeitstätigkeit nicht gleichberechtigte Beschäftigung entworfen wird. Frau Schneiders reagiert auf die Ansprache ihres Mannes, dass die Organisation tagsüber ganz bei ihr liege, zunächst mit einem abwiegelnden „joooh“ und dann mit einem ebenso die Normalität betonenden „nee ja klar“ und dem Zustimmenden „Mhm“. Dass Petra Schneiders die ganze Organisation übernimmt, wird durch ihre kurzen Kommentare zu etwas Alltäglichem und nicht Bemerkenswerten. Damit bekommt das Vorführen ihrer Praxis durch Ole Baumeister den Charakter von etwas, dass so nicht benannt werden soll bzw. nicht als bemerkenswert erscheinen soll. Wenn er betont, dass sie tagsüber voll für das Kind zuständig ist, so wird dies durch ihre Normalisierungsstrategien zu einem Vorführen von etwas negativem, das für Frau Schneiders nicht hervortreten soll. Im Folgenden übernimmt Petra Schneiders die weitere Schilderung und reagiert auf die Thematisierung der Arbeitsteilung und zweimalige Ansprache durch ihren Mann. Ihre erste Äußerung „ja phh, das geht ja nicht anders“ betont, wie ihre kurzen Kommentare vorher, noch einmal die Normalität und Unausweichlichkeit der Arbeitsteilung, bei der sie die komplette Organisation des Lebens mit Kind übernimmt. Zudem wird die klassische Arbeitsteilung als einzig mögliche festgeschrieben. Dies kann man in den Kontext des bisher erarbeiteten Sinns setzen, dass Petra Schneiders von Ole Baumeister mit etwas Negativem vorgeführt wird, das so nicht deutlich werden soll. Das Negative scheint dabei die Position von Petra Schneiders in der Arbeitsteilung zu sein, die Herr Baumeister hervorhebt und die Frau Schneiders legitimiert. Gegenüber der Forscherin, die als solche im Forschungsgespräch als Professionelle präsent ist, präsentiert Ole Baumeister seine Frau gerade nicht als berufstätige, sondern als Frau, die im „Mutterschaftsurlaub“ und für das Kind alleinzuständig ist und außer der „Geschichte“ Studium keine anderen Interessen hat, als das Leben mit Kind zu organisieren. Demgegenüber hat er sich selbst als zwar voll arbeitender, aber zugleich väterlicher Vater vorgestellt, der auch über den Tagesablauf seiner Frau informiert ist. Die Rechtfertigung der Arbeitsteilung durch Frau Schneiders, die zugleich ihr selbst und ihrer eigenen Position gegenüber der Forscherin gilt, erbringt für Ole Baumeister dann eine Legitimation seiner Position als Ernährer und der gemeinsam getragenen klassischen Arbeitsteilung. Diese Legitimation ist um so effektiver ist, als sie nicht von ihm selbst vorgebracht werden musste.
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Die sich anschliessende Aussage von Frau Schneiders „du hast noch im Vergleich zu vielen anderen schon noch den Vorteil, dass das von der Arbeit her nicht so extrem mit Überstunden belastet is“ ist dabei mehrdeutig. „Du hast den Vorteil“ kann zunächst auf ihren Mann direkt bezogen sein, der selbst den Vorteil von relativ regelmäßigen Arbeitszeiten hat. Gleichzeitig schwingt jedoch auch der Sinn mit, dass Herr Baumeister im Vergleich mit anderen Männern für Frau Schneiders den Vorteil hat, dass er immerhin nicht viele zusätzliche Überstunden leisten muss. Dabei ist die Anerkennung recht abgeschwächt durch „schon noch“. Der Doppelsinn zieht sich auch durch die folgenden Äußerungen, in denen Frau Schneiders über die Situation von vollberufstätigen Männern spricht. Dabei geht es einerseits um die Situation der Männer, die ihre Kinder die ganze Woche kaum sehen können. Andererseits berichtet Frau Schneiders dies nicht aus Sicht der Männer selbst, sondern aus Sicht der Frauen, nämlich der Mütter aus den „Krabbelkreisen“. Dabei wiederholt Frau Schneider zwei mal angestrengt, wie am betonten Ausatmen erkennbar, „Männer“, um dann doch auf den Austausch unter Frauen über die abwesenden Männer zu verweisen. Diese Müttersicht scheint auch in der negativ eingeschätzten Verlagerung des Tagesablaufes nach hinten auf. Dem stellt Frau Schneiders die eigene Situation erneut vergleichend entgegen – „das ist bei uns nicht der Fall“, und das findet sie selbst „auch echt ganz, ganz schön“. Beim negativen Gegenbild, dass der Vater die ganze Woche die Kinder nicht sieht und alle Interaktion am Wochenende ablaufen muss, fehlt hingegen „dann schon auch viel“. Hier ist erneut unklar, ob der Vater in der Familie und für seine Frau fehlt oder ob es primär um etwas geht, das dem Vater selbst fehlt und das er als Mangel erlebt. Petra Schneiders schließt mit einem etwas abgeschwächteren „joh, find ich so eigentlich ganz gut“. In der Interaktion ist es somit Frau Schneiders, die von ihrem Mann subtil dazu gebracht, die Arbeitsteilung des Paares rechtfertigt und dabei die berufliche Situation ihres Mannes als positiv im Vergleich zu anderen Männern hervorhebt. Die Formulierung „du hast noch im Vergleich zu vielen anderen schon noch den Vorteil“ geht jedoch von einem negativen Vergleichskontext aus und birgt in ihrer abgeschwächten Form auch eine Abwertung. Im Kontext des dabei interaktiv aufscheinenden Machtkampfes und Ringens um Anerkennung zeigt sich – auch angesichts der Vergleichsbeispiele – eine gleichzeitige abschätzige Bewertung von Herr Baumeister als Mann und Vater und ein möglicher Ausschluss aus dem familiären Alltag. Als Vergleichsrahmen wird zudem keine stärkere Gleichverteilung der Arbeit herangezogen, sondern Frau Schneiders setzt ihren Mann in den Kontext von noch stärker berufsbedingt abwesenden Männern, gegenüber deren Praxis Herrn Baumeisters Zeit in der Familie wie auch ihre eigene Position noch als „so eigentlich ganz gut“ erscheinen. Dies entspricht der gleichzeitigen Anerkennung und Abwertung der Praxis Frau Schneiders als Mutter zu Hause durch Herrn Baumeister.
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In dieser zweiten rekonstruierten Szene des Gesprächs werden neben der beruflichen Situation von Herrn Baumeister seine Väterlichkeit und die Arbeitsteilung des Paares verhandelt. In Bezug auf Beruf und Familie zeigt sich die klassische Arbeitsteilung mit der weitgehenden väterlichen Abwesenheit und der weitgehenden mütterlichen Alleinzuständigkeit für das alltägliche Leben mit dem Kind. Diese Arbeitsteilung wird grundsätzlich von beiden Eltern getragen. Zugleich finden jedoch neben der Anerkennung der mütterlichen bzw. väterlichen Praxis auch Abwertungsbewegungen statt, bei denen Herr Baumeister als aus der Familie ausgeschlossen und Frau Schneiders allein auf die Rolle als Mutter zu Hause beschränkt scheint. Dabei ist es Herr Baumeister, der zuerst und mehrfach die familiale Arbeitsteilung anspricht und sich gegenüber der (in der Forschungssituation berufstätigen) Forscherin als Mann und Vater positioniert und seiner Frau die Legitimation der gemeinsamen Praxis zuweist. Die familiale Triade zeigt somit ein in der elterlichen Arbeitsteilung weitgehend einiges Elternpaar. Der väterlichen Beitrag ist zwar wichtig, aber zugleich zeitlich eingeschränkt und besteht ohne Perspektive auf eine stärkere Gleichverteilung der Beschäftigung mit dem Sohn. Dabei gibt es einerseits von beiden Seiten eine Anerkennung für die alltägliche Organisation des Lebens mit dem Kind bzw. für den zwar eingeschränkten, aber durchaus lustvollen und fürsorglichen Beitrag des Vaters. Andererseits drohen dem Vater Abwertung und Ausschluss aufgrund seiner Abwesenheit und der Mutter die Reduktion auf die häusliche und mütterliche Position. Während Frau Schneiders in dieser Szene nicht über ihre Beziehung zum Sohn spricht, wird die Beziehung von Herrn Baumeister zu seinem Sohn in seinen Schilderungen erkennbar. Die Beziehung zwischen Ole Baumeister und Daniel ist dabei durch eine Distanz gekennzeichnet, die die auch innige Nähe zwischen beiden erst ermöglicht. Für Herrn Baumeister bleibt der Sohn dabei weitgehend getrennt von der eigenen Person, und dies entspricht der Konzeption der morgendlichen fürsorglichen Interaktion als ein Treffen zweier Leute. Dabei werden Vater und Sohn als innerlich unabhängig voneinander entworfen. Die eigene, alltäglich vor allem im Beruf verankerte Autonomie wird somit als Grundbedingung für die Bindung Herrn Baumeisters an den Sohn erkennbar. Begegnung und Nähe bedürfen dabei der Distanzierung und erneuten Annäherung, wie sie im abendlichen Nach-Hause-Kommen und im Treffen morgens angelegt sind. Demgegenüber ist es Frau Schneiders, die die alltägliche Nähe zum Sohn tragen muss und auch die Trennungen bei der Fremdbetreuung durch Tagesmutter und Großeltern organisiert. Dabei ist sie in eine Müttergemeinschaft eingebunden, die die männliche Präsenz in den Familien begutachtet. Die berufsbedingte Abwesenheit von Herrn Baumeister bedeutet für Frau Schneiders einerseits sein Fehlen in der Familie, andererseits erscheint dies jedoch auch als
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Normalität und die geringen Präsenz von Herrn Baumeister als ausreichend und im Vergleich zu anderen Männern noch als recht ausgedehnt. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn erscheint aus ihrer Perspektive als angemessen. Die familiale Triade ist somit wesentlich durch die Arbeitsteilung gekennzeichnet, bei der Herr Baumeister aufgrund seiner Entfernung nah sein kann und Frau Schneiders die Organisation des Tagesablaufs und damit der alltäglichen Nähe zum Kind übernimmt. In Bezug auf die in dieser Szene liegenden Deutungsmuster zeigt sich einerseits die Legitimation der traditionellen Arbeitsteilung mit einem männlichen Familienernährer und einer täglich sorgenden Mutter. Die „gute Mutter“ ist dabei jedoch eine, die vor allem durch die Organisation des Tagesablaufs charakterisiert wird und Aktivitäten mit und ohne Kind plant und umsetzt. Ihr wird auch ein „neuer Vater“ gegenübergestellt, der nicht in der Ernährerrolle aufgeht, sondern trotz seiner beruflich verankerten Begrenztheit als väterlich engagiert erscheint. Neben dieser zunächst von beiden getragenen Arbeitsteilung zeigt sich ein darüber hinausgehendes Moment der Modernisierung jedoch darin, dass die Praxis beider auch untergründig abgewertet wird. Es wird erkennbar, dass die arbeitsteilige Praxis auch hinterfragt wird bzw. deren gesellschaftliche Hinterfragung aufgenommen wird. Gleiches liegt auch in der durch Ole Baumeister angeregten Legitimation der Arbeitsteilung, deren Notwendigkeit darauf verweist, dass die Arbeitsteilung nicht fraglos und ambivalenzfrei ist. In Verbindung mit den Ergebnissen der Rekonstruktion der ersten Szene zeigt sich ein Entwurf der Eltern-Kind-Beziehungen, bei denen das Elternpaar zunächst gleichermaßen durch ein Erleben im Sinne der Dichotomie von Autonomie und Heteronomie bestimmt ist. Beide Eltern reagieren einerseits mit einem organisatorischen Bewältigen der entstandenen Spannung zwischen dem Eigeninteresse und den wahrgenommenen Ansprüchen des Kindes und andererseits wird ein Teil der entstehenden Aggressionen im Sinne der Bindung an das gemeinsame Kind auch in Sorge um den Sohn und eine als permanent auffallende Beschäftigung integriert. Differenzen zeigen sich jedoch darin, dass diese permanente Sorge in besonderem Maße für Frau Schneiders bestimmend ist. Dies zeigt sich auch im Kontext der zweiten Szene und der Rekonstruktion der elterlichen Arbeitsteilung. Es wird deutlich, dass die berufsbedingte Abwesenheit bei Herrn Baumeister mit einem inneren Entwurf der Vater-Sohn Beziehung in Einklang steht, bei dem die Distanz Bedingung für die Nähe ist und der Sohn als innerlich getrennt und selbstständig wahrgenommen wird. Die alltägliche Fürsorge und dabei auch die Organisation von Bindung und Trennung wird von Petra Schneiders arbeitsteilig übernommen. Diese Arbeitsteilung wird von den Eltern dabei einerseits als legitimationsbedürftig wahrgenommen und deren Rechtfertigung von Petra Schneiders übernommen. Andererseits sind die Bezie-
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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hungen der Eltern zum Sohn im Sinne der elterlichen Arbeitsteilung auch zwischen den Eltern konfliktfrei und Teil eines gemeinsamen äußeren wie inneren Entwurfes.
Ergänzung um eine weitere Szene Die Thematisierung der elterlichen Arbeitsteilung durch Ole Baumeister im Sinne der im Vorangegangenen rekonstruierten Szene wiederholt sich mehrmals und lässt sich nicht allein an einer szenischen Verdichtung festmachen. Vielmehr folgen der obigen Szene, drei weitere mit einer ähnlichen Struktur. Um dieser Besonderheit des Gesprächs Ausdruck zu verleihen und sie in die Rekonstruktion einzubeziehen, möchte ich im Folgenden eine weitere Szene dieses Typs vorstellen und sie nach einer zusammenfassenden Untersuchung zum Ausgangspunkt der szenischen Rekonstruktion machen. Es handelt sich um eine wegen des Vorschlages des Rollentauschs durch Ole Baumeister besonders herausragende Szene, die vierte und letzte mit der oben genannten gemeinsamen Struktur. Unmittelbar vorher dreht sich das Gespräch um die Situation der Vorbereitung auf die Geburt des Sohnes, in der Ole Baumeister sich noch nicht richtig auf das Thema Kind eingelassen hatte und seine Frau sich aus verschiedenen Informationsquellen ein Bild zu anstehenden Untersuchungen etc. gemacht hatte. Szene „Erziehungsurlaub“ (24,7-26,11) Ole B.:
Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.:
(dazwischen) Ja, was ich aber, was ich jetzt damit auch so sagen wollte, war die Geschichte so n bisschen vielleicht mit, mit der Aufteilung der Verantwortung oder oder ehm, ja Aufgaben. Das // Mhm. //hast du eigentlich so federführend übernommen. Mhm. Automatisch. Und ich hab dann (...) ja, hab einfach dann (...) das so mit übernommen, was was du so gesagt hast// Mhm. //und fand das dann vollkommen ok, aber ich hab mich da net aktiv drum gekümmert Mhm. ....ne. Also wenn du dich jetzt net aktiv drum gekümmert hättest, dann// (dazwischen) // hätt mers anders gemacht, vielleicht. Hätt mers vielleicht anders gemacht, aber wir hätt, dann hätt ich das machen müssen, ne. Aber ich hab mit von mir aus net das ureigenste Interessen gehabt//
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5 Fallrekonstruktionen
Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.:
Petra S.: Ole B: Petra S.:
AK: Petra S.:
AK: Petra S.:
AK: Ole B.: Petra S.:
Ole B.: Petra S.: AK: Ole B.:
Petra S.: Ole B.:
Mhm. //mich jetzt aktiv drum zu kümmern. Ich hätt mich ja auch// Mhm. //aktiv drum kümmern können, und hätte jetzt net sagen können, ok, nee also, eeh aufgrund eh, meiner Informationen // Mhm. //die ich jetzt rausgekriegt hab, machen wirs jetzt lieber doch ganz anders. Mhm. //Aber dann hab ich mich lieber auf dich verlassen, und hab eh vielleicht n bisschen faul oder so was, hab mich dann son bisschen zurückgelehnt, und hab grad dich die Sachen da erarbeiten lassen (lacht)// //(dazwischen) Du hast stattdessen n Wickeltisch gebaut. (lacht) Genau// //(dazwischen) Also ich denk des des war halt, ehm, ja da is es auch so son bisschen ne automatische Aufgabenteilung gewesen. Das hat sich so ergeben. Mhm. Also ich denk jetzt auch von den Interessen raus. Da hat er dann halt eh, so ne Wickelvorrichtung gebaut, die eben in unser Bad da halt mit den Schrägen reinpasst. Mhm Also so halt wirklich so diese diese praktischen Sachen, oder (...) ja, eher, eher soo Sachen, ja. Oder du montierst dann halt einfach den den Fahrradsitz auf, den Kindersitz aufs Rad, da bräucht ich wahrscheinlich dann eh Wochen dazu bis ich mich erstmal da dran traun würd es überhaupt anzugucken, oder wie, mhm. Also da eh, fällt es mir halt leichter mich um um, andere Fragen zu kümmern, weil mir das halt naheliegender ist, vielleicht in dem Moment. Mhm. Mhm. Und ehm du übernimmst halt dann einfach so diese, diese, sagen wir mal so eher so technisch-handwerklich praktischen Sachen, also das ist dann halt so. Mja, das ist dann einfach irgendwie sone stillschweigende Teilung, so. Ja. Mhm. Was sich automatisch sowieso ergibt, dass dann in der einen Richtung brech ich mir keinen ab und in der andern Richtung hast du halt irgendwie// Mhm. //mehr so deine Interessen. Und von daher passts eigentlich, find ich//
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
Petra S.: Ole B.: Petra S.:
AK: Petra S.:
Ole B.:
Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.:
Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.: Petra S.: Ole B.:
Petra S.:
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Mhm. //ganz gut zusammen. Joa, das ergibt sich irgendwie immer so. Also (...) es, eigentlich, mir fällt jetzt grad kein Beispiel ein, wo wo wo wir uns beide irgendwie versucht haben zu drücken. Oder uns das irgendwie so zuzuschieben (lacht), also weiß auch nicht, das ist dann irgendwie so (...) (leise) immer eigentlich // // Passt so ganz gut.// //automatisch halt (unverständlich), ja. Also so Grundsatzdiskussionen um irgendwelche Sachen, was weiß ich, um Müll runterbringen (lacht) oder mit dies oder jenem, gibt eigentlich bei uns nich. (...) Es ergibt sich eigentlich so. Ich weiß jetzt auch nicht, wie es anders sein könnte, oder wie des bei anderen is (Lachen). Also// //(dazwischen)... wobei ich mir halt wo ich, worüber ich mir ab und zu mal schon mal Gedanken gemacht hab, da ham wir also noch net drüber gesprochen, is halt so die Geschichte, wenn jetzt es zweite Kind käme, kommt, ne. Mhm Und dann, ehm, gäbs ja vielleicht auch die Möglichkeit, dass ich eben den ehm (...)// //Erziehungsurlaub oder was? Erziehungsurlaub nehm, ja. Mhm (...) Ich mein, da könnt mer uns mal drüber unterhalten (lacht). (lacht laut) Ob das vielleicht (lachend) ne Option wär. (lacht) Das is halt immer n bisschen schwierig, also auf der einen Seite hast du natürlich so das ganze berufliche, die berufliche Geschichte, und dann du kannst ...net bei jeden Arbeitgeber so ohne Weiteres sowas machen, ne. Wobei ich bei mir schon glaub dass es einigermaßen k-, eh akzeptiert wäre. Aber ehm, das müsst ich halt erst da abklopfen. (...) Und dann (atmet aus) müsst mer halt mal überlegen, ob das eh ne sinnvolle Lösung wär für uns. Mhm (...) Aber so konkret// Ja. //is halt das Problem momentan noch net, und des, von daher// Mhm //haben wir uns auch noch net irgendwie da groß irgendwie mit auseinandergesetzt. Ab und zu war mir das schon mal im Kopf. Und n Freund von mir, die ham das halt so gemacht, die ham halt ehm (...) der Arthur und die Astrid. Ach so ja, hmhm.
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5 Fallrekonstruktionen
Ole B.: AK: Ole B.:
AK: Ole:
Petra S.: Ole B.:
Petra S.: AK: Petra S.: Ole B.:
Und die ham ja Erziehungsurlaub ham se sich geteilt. Die hatten dann je jeweils ne halbe Stelle... Mhm (...) und das war eigentlich für die ganz gut, ne. Die fanden das total klasse. Sind halt jetzt mittlerweile isn-, eh, an die Grenze geraten, weil das finanziell halt net mehr so ganz schaffen. Mhm Aber, das, das wär bei und glaub ich net so sehr es Problem. Sondern nur, ob mans irgendwann, vom beruflichen überhaupt organisatorisch einigermaßen geregelt kriegt. Mhm Aber, wenn wenn dann so erstmal die die Phase abgeschlossen ist, dass eben das Kind eben wegen Stillen so noch an der Mutter hängt, dann wär das ja schon mal irgendwie ne Überlegung wert, das man guckt, wie mans macht, ne Mhm. Könntet ihr euch so vorstellen, oder (...) Also phh, sagen wir mal insofern (...), also ich hab mir das jetzt bis jetzt noch gar nicht überlegt. (lacht)
Zunächst zeigt sich in dieser Szene dieselbe Struktur wie in den vorangegangenen. Ole Baumeister spricht die Arbeitsteilung des Paares an und seine Frau übernimmt die Erklärung und Legitimation. So ist sie es, die seiner Problematisierung und Darstellung eigener „Faulheit“ nicht folgt, sondern auf die Dinge verweist, die Ole Baumeister im Sinne eines familiären Gleichgewichtsverhältnisses übernimmt. Die Arbeitsteilung erscheint dadurch als eine „stillschweigende“, „automatische“ und „interessengeleitete“ Gleichverteilung anstehender Aufgaben. Dabei werden zwei Dinge nicht mehr erkennbar: Zum einen dass es in Bezug auf den Haushalt und den Sohn bereits aufgrund der unterschiedlichen Präsenz der Eltern keine Gleichverteilung geben kann. Dies wird auch an den nur mühsam von Frau Schneiders gefundenen Beispielen der Tätigkeiten von Ole Baumeister deutlich. Zum anderen bedeutet das aktive sich Kümmern auch ein sich Einlassen auf die Bindung an das Kind. Dieses Thema, inwieweit beide unterschiedliche Bindungen an den Sohn entwickelt haben, bleibt ebenfalls hinter der diskursiv hergestellten Gleichheit versteckt. Dieses zweite Thema wird dann durch den Vorschlag Ole Baumeisters angesprochen, nach der Geburt des zweiten Kindes einen grundsätzlichen Rollentausch zu überlegen. Gerade angesichts des Vorschlages einer Veränderung wird die Festigkeit des familialen Entwurfes erkennbar. Dass dieser Vorschlag hypothetisch ist, wird zunächst darin erkennbar, dass sprachlich sogar die Geburt des zweiten Kindes durch die Konjunktivierung erfasst wird und zudem anschließend Ole Baumeis-
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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ter auch das Wort „Erziehungsurlaub“ entfallen ist. Kommunikativ wird dieser Vorstoß Ole Baumeisters zu einem guten Witz, über den das Paar gemeinsam und vor allem Petra Schneiders lauthals lacht. Ole Baumeister versucht dem Ganzen darauf wieder einen ersteren Anstrich zu geben und argumentiert sachlich mit der Möglichkeit, nach der Stillzeit die Elternzeit zu teilen. Dabei zieht er die Idee, die Hauptbetreuung zu übernehmen, wieder zurück und ein Teilen der Elternzeit wird weiter auf „gucken, wie mans macht“ reduziert. Angesichts des Klärungsversuches der Forscherin, ob es sich um einen gemeinsamen Entwurf des Paares handelt, wird dann noch einmal deutlich, dass der Rollentausch vor allem für Petra Schneiders („bis jetzt“) kein Thema ist – auch wenn sie eine klare Absage vermeidet – worauf auch Ole Baumeister erneut lacht.
Szenische Rekonstruktion In beiden Szenen zur Arbeitsteilung ist die Forschungssituation erneut durch den weitgehenden Ausschluss der Forscherin bzw. die Autonomie des Paares Baumeister/Schneiders gekennzeichnet. Dies zeigt sich gerade an der Stelle zu Anfang der ersten der beiden Szenen, in der die Forscherin eine konkrete Nachfrage zur Arbeitssituation Ole Baumeisters stellt. Dieser antwortet zwar, kehrt jedoch umgehend zu seinem Erzählstrang zurück und strukturiert die Erzählung ausdrücklich mit seinem Verweis, über die Arbeitslosigkeit gegebenenfalls zu einem anderen Zeitpunkt zu sprechen. An den beiden Szenen, wie auch an den weiteren nicht vorgestellten, ist die Thematisierung der elterlichen Arbeitsteilung durch Ole Baumeister bedeutsam und auffällig, die im Vorschlag eines Rollentausches eine besondere Zuspitzung erfährt. Gegenüber der Forscherin ist es Ole Baumeister, der sich in besonderem Maße als kritisch gegenüber der Arbeitsteilung präsentiert und mit der besonderen Zuspitzung im Vorschlag des Rollentausches auch als moderner Vater und reflektierter Mann darstellt, der sogar zu einem völligen Rollentausch bereit wäre. Irritierend ist hierbei jedoch, dass Ole Baumeister dieses Thema im Forschungsgespräch und damit gegenüber der Forscherin zum ersten Mal anspricht und gleichzeitig die bisherige Arbeitsteilung des Paares als widerspruchsfrei und inneren Bedürfnissen entsprechend erscheint. Hinsichtlich der Beziehung des Paares können hieraus vordergründig eine Unzufriedenheit und Veränderungswünsche Ole Baumeisters abgeleitet werden. Hiergegen spricht jedoch die erkennbare innere Konzeption der Beziehung zum Sohn ebenso wie die Tatsache, dass der Vorschlag zwischen den Eltern sonst nie Thema war. Im Kontext der Forschungssituation zu dritt mit der Forscherin und aufgrund der mehrmaligen Wiederholung der Thematisierung der Arbeitsteilung, bei der Ole Baumeister
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5 Fallrekonstruktionen
eine Legitimation des Status Quo durch Petra Schneiders anregt, liegt eine andere Deutung nahe. Hier ist es Ole Baumeister, der gegenüber der Forscherin Innovationen vorschlagen und die gemeinsame Praxis in Frage stellen kann, gerade weil dabei die Sicherheit besteht, dass Petra Schneider den gemeinsamen Entwurf trägt und rechtfertigt. Ole Baumeister festigt somit den gemeinsamen arbeitsteiligen Entwurf, auch wenn er ihn scheinbar hinterfragt bzw. zugleich hinterfragt. So erweist sich zum Beispiel im gemeinsamen Lachen des Paares wie auch im Vergessen des Wortes „Erziehungsurlaub“ und in der Form „käme“ in Bezug auf das zweite Kind durch Ole Baumeister der Status seines Vorschlages als zunächst real indiskutable Provokation bzw. als Witz. Vielleicht hegt Ole Baumeister angesichts seiner partiellen Exklusion aus der Familie auch den Wunsch nach einer stärkeren Integration und alltäglicheren Beziehung zum zweiten Kind. Gleichzeitig ist es jedoch augrund seiner inneren Konzeption der Bindung offensichtlich, dass Petra Schneiders die primäre Sorge insbesondere für das noch kleine Kind übernimmt. Es handelt sich um einen gemeinsamen stillschweigenden Entwurf, der von beiden nicht hinterfragt werden kann und soll, denn beide profitieren davon. Petra Schneiders profitiert, weil sie sich in die Bindung an das Kind begeben hat und zugleich eine neue berufliche Perspektive erarbeiten kann. Ole Baumeister profitiert, denn er kann mit seinem Beruf Distanz und Nähe regulieren, dem Sohn gerade aufgrund der Distanz nahe sein. Angesichts des kleinen Kindes hat sie einen Vorsprung und übernimmt das sich Einlassen, während er noch unwissend vor dem Neugeborenen steht und der Zeit zunächst hinterher ist. Damit zeigt sich eine Parallelität zwischen dem familialen Beziehungsentwurf und dem gemeinsamen Entwurf in der Forschungssituation. In beiden Szenen ist es Petra Schneiders, die für das Paar die Kontinuität des Entwurfes wahrt, während Ole Baumeister sich als flexibel und dynamisch präsentiert. Dies entspricht dem rekonstruierten Entwurf der Eltern-Kind-Beziehungen, in dem Ole Baumeister ein inniger und zugleich aber weitgehend abwesender Vater ist und Petra Schneiders die alltägliche Fürsorge im Sinne der inneren und äußeren Kontinuität der Beziehung wahrt. Im Sinne der elterlichen Arbeitsteilung ist sie die Haltende, er kann eine dynamische Position einnehmen.
5.5.4 Zusammenfassung und Diskussion: Der Lebensentwurf von Familie Baumeister/Schneiders Auf der bewussten Ebene des Entwurfs zeigt sich das Paar Ole Baumeister und Petra Schneiders als ein beruflich und privat gleichermaßen eingespieltes wie entwicklungsoffenes Paar. Dabei geht Petra Schneiders auch aufgrund ihrer be-
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ruflichen Sicherheit in Elternzeit und nutzt diese Zeit dann für eine berufliche Neuorientierung auch in Hinblick auf eine zukünftige Kompatibilität mit der Familie. Ole Baumeister hat sich parallel dazu nach einer Phase beruflicher Unsicherheit wieder auf einer festen Stelle etabliert und ist der Familienernährer. Auch wenn die Arbeitsteilung in Familie und Haushalt als automatisch, stillschweigend und konfliktfrei präsentiert wird, so ist das Paar doch prinzipiell offen für Veränderungen, wie einen Rollentausch. Auch Herr Baumeister hat eine fürsorgliche Beziehung zum Sohn, jedoch ist es alltäglich wie auch emotional Petra Schneiders, die sich stärker mit dem Sohn beschäftigt und das Leben mit Kleinkind organisiert. Ole Baumeisters Beitrag liegt demgegenüber eher in handwerklichen Tätigkeiten. Das Paar Baumeister-Schneiders hat so zunächst eine klassische Arbeitsteilung, die sich auch in einer unterschiedlichen inneren Beschäftigung mit dem Sohn niederschlägt. Andererseits verfolgt Petra Schneiders auch in der Elternzeit eine berufliche Entwicklung und studiert in Teilzeit, während der Sohn fremdbetreut wird. Ole Baumeister ist als Vater engagiert und kann sich sogar prinzipiell einen Rollentausch vorstellen. Hinzu kommt, dass beide Eltern zwar berufliche Interessen und Ziele aber keinen besonders ausgeprägten beruflichen Ehrgeiz haben und vor allem Ole Baumeister stark von beruflicher Diskontinuität betroffen war. Dieser bewusste Entwurf ist mit einer spezifischen familiären Struktur und Dynamik verknüpft. Das Paar Baumeister-Schneiders ist als Paar gemeinsam „individuell unterwegs“, d.h. an einer gemeinsamen unkonventionellen und flexiblen Lebensgestaltung orientiert, wohingegen der Sohn für beide eine Bewegung hin zu Konventionalität, Verbindlichkeit und Planung bedeutet. Dem Sohn wird dabei mit zwei Jahren eine Eigenständigkeit zugeschrieben, er erscheint als unabhängig hinzutretender Dritter, der nun ebenfalls und in besonderem Maße organisiert werden muss. Die elterliche Arbeitsteilung, bei der Frau Schneiders die Hauptsorge für den Sohn übernimmt, ist ein Entwurf des Paares und wird von beiden gemeinsam getragen. Neben der wechselseitigen Anerkennung des jeweiligen Beitrages zur beruflichen und familialen Entwicklung besteht jedoch auch ein Ringen um Anerkennung, das sich aufgrund des arbeitsteiligen Entwurfes aus der Tendenz zur beruflichen Marginalisierung von Frau Schneiders und der familialen Marginalisierung von Herrn Baumeister ergibt. Dabei ist es zugleich so, dass Ole Baumeister den gemeinsamen Entwurf als solchen anspricht bzw. provokant in Frage stellt, während Petra Schneiders für die Kontinuität und das Halten des Entwurfes verantwortlich ist. Als gemeinsame Praxis des Paares verwirklicht sich so gerade in der Provokation und Infragestellung des Entwurfes dessen Rechtfertigung und Stabilisierung.
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5 Fallrekonstruktionen
Dies ist eng verknüpft mit der familialen Konstruktion von Autonomie, die einerseits als Gegenpol von Bindung und andererseits als Gegenpol von Heteronomie gesetzt wird. Dabei erlebt das Paar den zweijährigen Sohn wie eine Gegenmacht, die nicht nur zu einer drastischen Reduktion der Autonomie des Paares führt, sondern dies wird im Sinne der Heteronomie der Eltern gedeutet. Diese haben noch keine innere Vermittlung der Interessen von Eltern und Kind entworfen, sondern das gemeinsame Leben scheint durch Interessengegensätze geprägt, die als Gegensatz Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung erlebt werden. Während zunächst der Sohn als Baby durch die Eltern fremdbestimmt werden konnte, so empfinden diese nun den Sohn als fremdbestimmend. Die in dieser polarisierenden Gegenüberstellung liegende Aggression seitens der Eltern gegenüber dem Sohn, der fremdbestimmt werden kann bzw. die Eltern fremdbestimmt, wird von beiden Eltern in Sorge und eine permanente Beschäftigung mit dem Kind umgewandelt. Dies gilt insbesondere für Frau Schneiders, die dem Sohn innerlich näher ist. In der betonten Autonomie des Paares liegt dabei auch eine Abwehr und ein Schutz vor Nähe und emotionaler Bedürftigkeit, die auch in der partiellen Sicht auf den Sohn als autonome Persönlichkeit – vor allem durch Ole Baumeister – zum Tragen kommt. Für Ole Baumeister bietet die Berufstätigkeit eine äußere Konstruktion, die zu seiner inneren Bindungskonstruktion passt, dergemäß er seinem Sohn vor allem aus der Distanz nahe sein kann. Die berufsbedingte Abwesenheit ermöglicht somit gerade die auch fürsorgliche Nähe zwischen Vater und Sohn. Demgegenüber ist es vor allem Petra Schneiders, die gemäß der arbeitsteiligen Konstruktion die alltägliche Nähe und Fürsorge gewährleistet. In der ersten Zeit nach der Geburt des Sohnes hat sich dies – wenn man die Aussagen des manifesten Textes mit einbezieht – in einem Gefühl der Benebelung niedergeschlagen. Das Schlafen des Sohnes, das als Dauerthema der Familie benannt wird, verweist dabei erneut auf die Thematik von Nähe und Distanzierung. Die Benebelung weist auf eine in der besonderen Nähe zum Säugling im ersten Lebensjahr für Frau Schneiders liegende Überforderung, die erst mit dem Übergang zum Kleinkindalter abgenommen hat. Zu diesem Zeitpunkt schlief der Sohn nach den Schilderungen der Eltern besser, und Frau Schneiders hat auch äußerlich eine neue Balance von Nähe und Distanz etabliert, als sie Aufbaustudium und die partielle Fremdbetreuung des Sohnes organisiert hat. Auch wenn beide Eltern angesichts der Bindungsanforderungen durch das Kind und der erlebten Heteronomie zu einem Organisieren von Abläufen neigen, so ist vor allem Frau Schneiders auch innerlich mit dem Kind und in der Nähe zu ihm beschäftigt. Dementsprechend ist die familiale Triade einerseits durch den Entwurf von drei autonomen Individuen vonseiten der Eltern gekennzeichnet. Da dieses Konzept mit einem Säugling nicht tragbar ist, hat sich Frau Schneiders im arbeitstei-
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ligen Arrangement in die Nähe des Kindes begeben – um den Preis vorübergehender Handlungsunfähigkeit, die sich in der Benebelung ausdrückt. Auch für Frau Schneiders ist die erneute Stabilisierung einer Balance von Nähe und Distanz durch die äußerlich verankerte zeitliche Distanzierung vom Kind möglich. Dies ist auch der innere Entwurf ihres Mannes, der jedoch in wesentlich stärkerem Maße und über die Berufstätigkeit auch in stärkerem Maße äußerlich verankert gilt. Angesichts des Zweijährigen werden für die Eltern Themen der polarisierten Autonomie–Heteronomie bedeutsam, auf die beide wie beschrieben mit permanenter Sorge reagieren, was jedoch im besonderen für Frau Schneiders im Kontext ihrer stärker möglichen Nähe zum Sohn gilt. Die elterliche Arbeitsteilung ist somit ein von beiden Eltern auch innerlich getragener Entwurf, bei dem Frau Schneiders und Herr Baumeister trotz der auch gemeinsamen inneren Entwürfe von Autonomie und Bindung bzw. Autonomie und Heteronomie, arbeitsteilig Nähe und Distanz zum Sohn äußerlich verankern. Die Bewegung zwischen Nähe und Distanz von seiten Herrn Baumeisters wird dabei durch die Kontinuität und haltende Nähe von Frau Schneiders zum Sohn ermöglicht – wie es sich auch in der Forschungssituation spiegelt. Die Triangulierung des zunächst autonomen und aktiven elterlichen Wir durch den gemeinsamen Sohn ist dabei noch nicht abgeschlossen, wie die fortwährende Konzeption in polarisierten Gegensätzen zeigt. Die rein subjektive Seite des Entwurfs liegt in der spezifischen Konzeption des Gegensatzes von Autonomie und Heteronomie, die über die häufig anzutreffende Gegenüberstellung von Autonomie und Bindung im Sinne der Schwierigkeit der Integration und Vermittlung von beidem hinausgeht. Diese Tendenz des Elternpaares Baumeister/Schneiders tritt als spezifischer innerer Entwurf zu der typischen Arbeitsteilung mit der geschlechtsspezifischen Übernahme von Autonomie und Bindung hinzu. Mit Blick auf die Deutungsmuster zeigt sich zunächst mit dem Organisieren von Abläufen ein Bezug auf das Berufsleben, der bei beiden Eltern auftaucht. Auch darüber hinaus erscheinen die Eltern als Gleiche, deren mögliche arbeitsteilige Differenz – zunächst im Kontext der Urlaubssituation – im Verborgenen bleibt. Dies gilt gleichermaßen, wenn Differenzen der Beteiligung an der Fürsorge für den Sohn oder auch der Hausarbeit im Sinne einer Gleichverteilung umgedeutet werden. Gleichzeitig bestehen mit der Thematisierung der besonderen Sorge und inneren Beschäftigung von Frau Schneiders mit den Sohn auch Verweise auf das Wirken des Musters Mutterliebe mit einer besonderen Bindung an das Kind. Dies bliebt jedoch durch den expliziten Ausdruck der elterlichen Gleichheit verborgen. Beide Muster ermöglichen in ihrem Zusammenwirken die Legitimation
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der traditionellen Arbeitsteilung mit einem männlichen Familienernährer und einer täglich sorgenden Mutter. Hierzu trägt auch das Muster des neuen Vaters bei, dass die Berufsbezogenheit Ole Baumeisters dethematisiert und dadurch die Verankerung des inneren Entwurfes des in der Ferne nahen Vaters ermöglicht. Dass die traditionellen Muster nicht mehr ganz fraglos sind, kommt sowohl in der Legitimation wie auch der abwertenden Hinterfragung der Arbeitsteilung wie auch dem provokanten Ansprechen durch Ole Baumeister zum Ausdruck. Dabei wird jedoch gerade in der Provokation die traditionelle Arbeitsteilung auch arbeitsteilig zwischen beiden Partnern gefestigt.
5.5.5 Ähnliche Muster 5.5.5.1
Kurzportrait: Familie Moser
Annette und Sebastian Moser sind beide um die dreißig, der gemeinsame Sohn Samuel ist 18 Monate alt. Annette Moser hat nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht und bis zur Geburt von Samuel in verschiedenen Bereichen im Marketing engagiert gearbeitet. Sie ist seitdem in Elternzeit und zum Zeitpunkt des Gesprächs im siebten Monat schwanger mit dem zweiten Kind. Sebastian Moser ist als Akademiker in der freien Wirtschaft tätig und zur Zeit der Ernährer der wachsenden Familie. Die Entscheidung für die klassische Arbeitsteilung war für das Ehepaar Moser kein Diskussionsgegenstand, sondern aus vielerlei Motiven eindeutig. Zum einen sollte der Sohn von einem Elternteil betreut werden, und auch wenn Annette Moser eine Fremdbetreuung nicht prinzipiell ablehnt, so gibt es doch viel Misstrauen demgegenüber und den Wunsch nach eigener Einflussnahme auf die Entwicklung des Sohnes. Für Sebastian Moser kam eine Übernahme von Elternzeit prinzipiell nicht in Frage, er ist „total begeistert“ davon, dass seine Frau diese Aufgabe mit Kreativität und Geduld übernimmt und dabei zufrieden ist. Annette Moser bezeichnet die Elternzeit als „angenehme Pause“ vom Beruf, sie hat im Gegensatz zu ihrem Mann bereits viele Jahre Berufspraxis und eine gewisse Berufsmüdigkeit erreicht. Hingegen befindet sich seine Karriere noch in der Aufbauphase und auch aus diesem Grund, wie auch aus finanziellen Erwägungen, lag es für beide auf der Hand, dass Frau Moser die Betreuung des Sohns übernimmt. Frau Moser macht im Gespräch jedoch auch klar, dass sie sich die Option, weiter berufstätig zu sein, vor der Geburt offen gehalten hat, da sie Angst vor der Situation zu Hause mit Kind hatte und unsicher war, ob sie „damit zurecht kommt“, „nicht zu wissen, wie man die Tage gestaltet“. Perspektivisch möchte sie stundenweise wieder berufstätig sein, wenn das zweite Kind ungefähr
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18 Monate alt ist. Im Moment schätzt sie die „Kosten“ für die Familie als zu hoch ein, wenn sie berufstätig wäre. In der Rekonstruktion zeigt sich, dass das Elternpaar noch mit den Veränderungen des Elternwerdens beschäftigt ist, die wie ein Schock angesichts der nun permanenten Anwesenheit des Sohnes, der eigenen emotionalen Ambivalenz ihm gegenüber und den triebhaften Bindungsanforderungen des Säuglings gewirkt haben. Dabei waren beide Eltern, vor allem aber Annette Moser, überfordert durch die Präsenz des Sohnes, der ein Spei- und Schreikind war und zudem noch aufgrund von gesundheitlichen Problemen eine besondere Sorge um ihn hervorgerufen hat. Der elterliche Wunsch, das Kind auch wieder loszuwerden und aus der Paarbeziehung auszuschließen angesichts der emotionalen Überforderung der ersten Zeit und des angstvollen Verlustes an Autonomie und Handlungsfähigkeit in der Nähe zum Kind, wird auf zwei Weisen bearbeitet. So ist es der Sohn Samuel, der Gefühle in seinen Eltern auslösen kann und muss und dadurch seine Eltern für die Anstrengung und emotionale Erschöpfung entschädigt und für sich einnimmt. Darin liegt einerseits eine emotionale Nähe zwischen Kind und Eltern, die sich gewinnen lassen, und andererseits eine Distanz vonseiten der Eltern, die durch den Sohn überbrückt werden muss. Zum anderen schaffen sich die Eltern Moser angesichts des eigenen emotionalen Chaos Sicherheit über den Rückgriff auf strikte Erziehungsprinzipien, die über eine äußere Ordnung die Beziehung zwischen Eltern und Kind klären und einen emotional regulierenden Handlungsrahmen schaffen. So betonen sie die Bedeutung von „Regelmäßigkeit“, „Ordnung“ und „Sauberkeit“ und beziehen sich unter anderem auf Trainingsmethoden zum Einschlafen und regelmäßige Spielintervalle zwischen der Hausarbeit. Der Wunsch, es in der Erziehung besonders gut zu machen, schützt dabei vor der Ambivalenz gegenüber dem Kind und vor der emotionalen Überforderung, auch wenn dabei Bedürfnisse der Eltern in das Kind bzw. in die Erziehung hinein verlagert werden. Über die Gemeinsamkeiten im unbewussten Entwurf der Eltern-KindBeziehung hinaus zeigen sich bei den Eltern aber auch Differenzen dahingehend, dass Sebastian Moser eine stärkere Distanz zum Sohn einnimmt und sich weniger emotional auf ihn einlässt. So ist für ihn, parallel zu seiner auch äußerlichen berufsbedingten Abwesenheit tagsüber, die innere Beschäftigung mit dem Sohn auf ein Konzept partieller Aufmerksamkeit reduziert, das für ihn jedoch ebenfalls anstrengend ist. So betont er zwar seine Freude über das regelmäßige abendliche Spielen mit dem Sohn, dies hält ihn jedoch zugleich von anderen Tätigkeiten, die ihn „direkt betreffen“ ab. Noch stärker als seine Frau interpretiert er die Beziehung zum Kind darüber hinaus betriebswirtschaftlich im Sinne eines emotionalen und alltäglichen Investments, dass sich angesichts der Entwicklung des Sohnes und seiner emotionalen Reaktionen auf den Vater bzw. die Eltern emotional
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5 Fallrekonstruktionen
rentiert. Demgemäß deutet er die Anstrengung als „Herausforderung“. Obwohl Frau Moser vor der Geburt des Sohnes nicht prinzipiell bindungsoffener erscheint als ihr Mann, erfolgt die Übernahme der Sorge doch durch sie, da sich ihr Mann hierzu nicht bereit sieht. Im Sinne konventioneller Geschlechterbilder wird ihr dabei von Sebastian Moser eine größere Eignung für den alltäglichen Umgang mit dem Sohn zugeschrieben, was, als Anerkennung ausgedrückt, das gemeinsame Arrangement bestärkt. Sie selbst trägt dies mit und übernimmt persönliche Verantwortung für die gesamte Familie, empfindet jedoch auch Neid, wenn sie die alltägliche Last der Betreuung trägt und ihr Mann vom Alltag entlastet mit dem Sohn umgehen kann. Generell besteht zwischen beiden ein Verhältnis der Anerkennung seiner Leistung als Ernährer und ihrer Leistung als Sorgender, wobei mögliche Einflüsse auf die Paarbeziehung, wie eine Ungleichverteilung von beruflichen Chancen, entstehende Abhängigkeiten etc., verborgen bleiben. Dabei wird sein Profit im überschwänglichen Lob ihrer Erziehungstätigkeit – worauf sie folgerichtig mit dem Verweis auf eine mögliche Berufstätigkeit reagiert – deutlicher als ihr Profit in der Bindung zum Sohn. Dieser Profit bleibt hinter elterlicher Gleichheit wie auch den zusätzlichen Belastungen durch die größere Nähe, z.B. Nachts, verborgen. Die familiale Triade ist durch ein Elternpaar gekennzeichnet, bei dem Vater und Mutter im Sinne der Triangulierungsnotwendigkeit zunächst gleichermaßen emotional durch das gemeinsame Kind bedrängt und herausgefordert sind. Die Integration des Kindes und der eigenen Ambivalenz ihm gegenüber wird dabei vor allem von Annette Moser alltäglich übernommen, wohingegen Sebastian Moser sich zu keiner Zeit ganz auf das Kind einlassen kann und dies über seine berufliche Abwesenheit auch äußerlich verankert ist. Beide Eltern regulieren ihre emotionale Verunsicherung zudem durch die Verankerung in äußerlichen Erziehungsprinzipien und der Zuweisung (des Bedürfnisses nach Ordnung etc.) an den Sohn. Dabei werden lustvolle und aggressive Affekte durch äußeres Handeln reguliert, in der Kontrolle des Kindes kontrollieren auch die Eltern sich selbst vor Triebdurchbrüchen. Auf der bewusste Ebene spiegelt sich dies in einem liberalen Lebensentwurf der Eltern wider, der am Leistungsprinzip, an Handlungsfähigkeit, Eigenverantwortung und Selbstkontrolle orientiert ist, sowie in einer Paarbeziehung, die durch einen „gepflegten Umgangston“ gekennzeichnet ist. In der Inszenierung der Forschungssituation zeigt sich zudem, dass Affektivität, Kontrollverlust und Schwäche mit Scham, Beschämung und Ekel verbunden sind. Der Sohn steht im familialen Arrangement dabei für die abgewehrten Affekte. Während er einerseits in den gemeinsamen Entwurf im Sinne der Regulierung und Affektkontrolle einbezogen wird, provoziert er andererseits die elterlichen Entwürfe und konfrontiert die Eltern mit Themen von Nähe und Distanz, Abhängigkeit und Autonomie, Affektivität und Kontrolle. Die die familialen Lösungen
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können zumindest prinzipiell auch entwicklungsfähig sein, wobei es vor allem Frau Moser ist, die eine stärkere Nähe zum Sohn Samuel entwickelt hat. Das Ehepaar Moser verortet sich in seiner Selbstdarstellung in einem Diskurs partnerschaftlicher Gleichheit, in dem die Arbeitsteilung ein Ergebnis äußerer Notwendigkeit und der beruflichen Rahmenbedingungen zu sein scheint und zudem Auswirkungen auf die Partnerschaft und die elterlichen Beziehungen zum Kind weitgehend geleugnet bleiben. Dies steht in Einklang mit der als liberal zu bezeichnenden Konzeption von Selbstverantwortung und Handlungsfähigkeit, die über die Anwendung von Erziehungsprinzipien umgesetzt wird und zur Abwehr und Regulierung der affektiven Ambivalenzen und Überforderungen hilfreich ist.
5.5.5.2
Kurzportrait: Familie Diel-Frey/Frey
Das Ehepaar Ute Diel-Frey und Christian Frey, beide Ende dreißig, hat einen gemeinsamen Sohn Julian, der zwei Jahre alt ist. In der Familie leben zudem noch die beiden zwölf und fünfzehn Jahre alten Söhne von Frau Diel-Frey aus erster Ehe. Das Ehepaar hat eine klassische Arbeitsteilung, bei der Christian Frey als Selbständiger im Gesundheitsbereich eine Wochenarbeitszeit von 50 Stunden und mehr hat und der Ernährer der Familie ist, während Ute Diel-Frey sich Vollzeit um die Familie kümmert. Frau Diel-Frey hat nach einer Ausbildung und Berufstätigkeit ein Lehramtsstudium erfolgreich abgeschlossen. Sie hat jedoch kurz vor Ende des Referendariats ihre Stelle gekündigt, als die familiäre Situation mit damals zwei Kindern ihr angesichts langer und konfliktreicher Arbeitszeiten über den Kopf wuchs und zudem ihre Mutter schwer erkrankte und vorübergehend pflegebedürftig wurde. Kurz nach der Kündigung wurde sie dann (nach Jahren des erfolglosen Versuchens) schwanger mit dem gemeinsamen Sohn und sieht sich seitdem als Hausfrau und Mutter. Christian Frey hat eine hohe Berufsmotivation und zieht viel Befriedigung daraus, seinen Patienten zu helfen. Es ist Frau Diel-Frey, die versucht, seine Arbeitszeiten einzugrenzen und gegen die hilfsbedürftigen Patienten einen Bereich für die Familie zu sichern. Sie selbst ist einerseits entschlossen, ihre Aufgabe als Hausfrau und Mutter zu erfüllen, und findet dies eine richtige und wichtige Aufgabe. Andererseits ist dies auch Ausdruck einer Kapitulation vor den Gegebenheiten: der beruflichen Einbindung ihres Manne, den Anforderungen, alleine für den Haushalt und nun drei Kinder verantwortlich zu sein und der beruflichen wie privaten Überforderung durch das Referendariat. Gleichzeitig ist sie jedoch auch auf der Suche nach einer Entwicklungsperspektive für sich selbst, um nicht langfristig von der Familienrolle abhängig zu sein, sondern wieder einen eigenen Bereich zu haben. Frau Diel-Frey
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5 Fallrekonstruktionen
hat außer einer täglichen halben Stunde zum Joggen keine regelmäßigen Hobbys mehr. Herr Frey versucht seine Frau zu entlasten, wenn er zu Hause ist und ist auch als Vater engagiert, soweit es die ausufernde Berufstätigkeit und der in der Freizeit betriebene Hochleistungssport erlauben. So ist z.B. er es, der falls nötig nachts aufsteht. Die Arbeitsteilung der Familie Diel-Frey/Frey ist dadurch gekennzeichnet, dass Frau Diel-Frey eine Rolle für sich angenommen hat und auch argumentativ vertritt, die zugleich nicht ihren Wünschen entspricht. Zum Erhalt der Familie und der Paarbeziehung hat sie eigene Interessen weitgehend aufgegeben, weil sie sich als Frau und Mutter in der Verantwortung sieht. Dabei ist die Berufstätigkeit von Christian Frey ein monolithischer Block, an dem sie sich abarbeitet. So musste sie bereits früh Vorstellungen einer stärkeren Gleichverteilung der familiären Arbeit resignativ aufgeben und kämpft auch heute noch gegen das Übergreifen seines Berufes an. Auch diskursiv ist sein Beruf ein unverrückbares Faktum. Einerseits macht Christan Frey klar, dass er die „vage Idee“ einer stärkeren Gleichverteilung selbst nie hatte und andererseits diskutieren beide auch nur noch Delegationsmöglichkeiten der Familienarbeit an andere und lagern die Aushandlung zwischen beiden damit aus. Dies wird auch in der Gestaltung der Forschungssituation deutlich, in der zunächst die Forscherin mit Ute Diel-Frey und dann mit Christian Frey alleine spricht und zudem dieser Anfang des Gesprächs nicht aufgezeichnet wird. Währenddessen erzählt Ute Diel-Frey davon, dass sie angesichts seiner mangelnden Bereitschaft in der Familie mitzuhelfen, entschieden hat, mit ihrem Mann kein weiteres Kind zu bekommen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs verortet Herr Frey die Ursache dafür, dass seine Frau kein weiteres Kind mehr möchte, eher beim Sohn selbst, der sehr quirlig und anstrengend sei. Die familiale Triade ist dadurch gekennzeichnet, dass Frau Diel-Frey bereits zwei Kinder (mit einem anderen Mann) hat, als sie ihren Mann kennen lernt. Dies bedeutet nicht nur, dass sie mit diesen beiden Söhnen grundsätzlich allein erziehend ist, sondern auch dass sie eine Verantwortung und innere Bindung an die Kinder hat, die ihr Mann nicht teilt. Die neu entstehende Triangulierung mit dem gemeinsamen Kind folgt jedoch diesem Ausgangsbild, d.h. die familiale Integration bzw. der triadische Ausschluss von Christian Frey bleibt für die Familie auch mit dem gemeinsamen Kind thematisch. Dies lässt sich mit der besonderen Bedeutung der Berufsarbeit für Christian Frey und damit auch mit der elterlichen Arbeitsteilung in Verbindung bringen. Die Herkunftsfamilie von Christian Frey war durch eine schwere chronische Erkrankung der Mutter gekennzeichnet, die mit einer besonderen Dominanz der Paarbindung zwischen den Eltern verbunden war. Während die Mutter krankheitsbedingt weitgehend mit sich selbst beschäftigt war, kam für den Vater an erster Stelle seine Frau. Der
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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gemeinsame Sohn war dadurch in der Familie randständig. Man kann rekonstruieren, dass der Beruf im Gesundheitsbereich für Christian Frey in besonderem Maße ein Gesehen-werden, eine Anerkennung und Wiedergutmachung seiner kindlichen Ausschluss- und Missachtungserfahrung bedeutet. Zugleich wiederholt sich jedoch der erfahrene Ausschluss in seiner aktuellen familiären Situation, da er aufgrund seiner intensiven Berufstätigkeit faktisch und emotional weitgehend abwesend ist. Während die Arbeitsteilung in einer Familie mit zwei Kindern aus erster Ehe noch äußerlich legitimiert scheint, wird die Arbeitsteilung angesichts der auch in einer inneren Bindung angelegten Triangulierung mit dem gemeinsamen Kind in neuer Weise virulent. Interessanterweise ist Frau Diel-Frey erst schwanger geworden, nachdem sie sich äußerlich und vermutlich auch innerlich in die Alleinzuständigkeit für die Familie ergeben hat. Autonomie und Bindung sind dabei zwischen den Ehepartnern in besonderer Weise aufgeteilt. Ute Diel-Frey übernimmt, äußerlich und auch im Kontext der spezifischen triadischen Struktur die Bindung in der Familie zu sichern, zunächst gegenüber den beiden eigenen Söhnen und dann auch in der Situation mit dem dritten, gemeinsamen Kind. Dies ist für sie ab einem Punkt besonderer Belastung nicht mehr vermittelbar mit dem Verfolgen eigener Autonomieinteressen, was durch die Bindung an den kleinen dritten Sohn verstärkt wird. Autonomieinteressen bestehen dabei momentan nur noch teilbewusst, in Phantasien. Herr Frey kann in besonderer Weise Bindungs- und Autonomiewünsche in seiner Berufstätigkeit verankern, weswegen diese auch ausgesprochen befriedigend für ihn ist. In Bezug auf die Familie inszeniert er dagegen die Frage nach Bindung oder Ausschluss und delegiert das Bindungsmoment an seine Frau, während er selbst seine Befriedigung aus dem Beruf zieht und emotional weitgehend unabhängig scheint. Gemäß ihrer inneren Widersprüchlichkeit ringt Frau Diel-Frey auch argumentativ mit verschiedenen legitimierenden Deutungen ihrer augenblicklichen Situation als Hausfrau und Mutter. Einerseits greift sie explizit auf ein Muster der guten Mutter wie auch eine konservative Weiblichkeits- und Familienideologie zurück, um die Unausweichlichkeit ihrer eigenen Situation herauszustellen und diese auch vor sich selbst zu rechtfertigen. Andererseits wird jedoch der innere Rechtfertigungsaufwand deutlich und Ute Diel-Frey verortet sich zugleich in Deutungsmustern modernisierter Weiblichkeit, die ihre Situation als lebensgeschichtlichen Ausnahmezustand kennzeichnen. Herr Frey verortet sich im Muster des männlichen Ernährers, der wesentlich auf finanzieller Ebene für seine Familie sorgt. Gleichzeitig und damit unvermittelt bezieht er sich jedoch auch auf die neue Väterlichkeit, was neben dem Ausdruck seines Wunsches nach einer die eigenen Erfahrungen wiedergutmachenden Väterlichkeit zugleich auch zur
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5 Fallrekonstruktionen
Dethematisierung seines geringen väterlichen Engagements beiträgt. Gemäß seiner lebensgeschichtlichen Bindungserfahrungen vertritt er ein Muster guter Mütterlichkeit in ambivalenter Weise: Während einerseits die Mütterlichkeit die familiale Bindung sichert, so ist sie andererseits jedoch in beliebiger Weise durch Dienstleister, wie Kindermädchen, zu ersetzen. 5.5.5.3
Kurzportrait: Familie Andel
Ilona und Uwe Andel sind beide Ende dreißig und Eltern von Drillingen. Lisa, Nina und Niklas sind zwei Jahre alt. Das Ehepaar Andel hat eine klassische Arbeitsteilung, bei der Uwe Andel als Selbstständiger der Ernährer der Familie ist und Ilona Andel, die vorher als Projektmanagerin gearbeitet hat, seit der Geburt der Kinder in Elternzeit ist. Für die Familie ist die Situation, Eltern von Drillingen geworden zu sein, zentral und hat Konsequenzen für die elterliche Arbeitsteilung. Dabei ist aus Sicht von Ilona und Uwe Andel der Betreuungsaufwand bei drei Säuglingen bzw. Kleinkindern so hoch, dass, auch wenn Ilona Andel tagsüber zu Hause ist, grundsätzlich beide Eltern gefordert sind bzw. Uwe Andel mithelfen muss. Dies bedeutet, dass Uwe Andel seine Arbeitszeiten ein Stück weit flexibel schiebt und zudem versucht, so früh wie möglich von der Arbeit nach Hause zu kommen. Wenn er zu Hause ist, kümmert er sich im gleichen Maße wie seine Frau um die Kinder und den Haushalt. Zudem übernimmt er generell das Einkaufen. Für Uwe und insbesondere Ilona Andel ist dies eine Grundbedingung ihrer Paarbeziehung, dass sie die Arbeitslast gemeinsam tragen und Herr Andel sich nicht auf seine Berufsarbeit oder abendliche Ruhebedürfnisse zurückzieht wie andere Männer. Herr Andel möchte zudem auch Zeit mit seinen Kindern verbringen, zumal aus seiner Sicht die Zeit für jedes einzelne bei drei Kindern ohnehin schon begrenzt ist. Auch wenn er als Vater engagiert ist, so sind die Kinder doch stärker „auf die Mama fixiert“, und Uwe Andel thematisiert, dass er manchmal „durchhalten und die Zähne zusammenbeißen“ muss, wenn sich ein Kind nicht von ihm beruhigen lassen will. Er sieht sich als konsequenter in der Erziehung als seine Frau. Für Ilona Andel hat sich mit der Geburt der Kinder ein Perspektivwechsel in Bezug auf ihre Erwerbsarbeit ergeben. Während sie vorher dachte, dass sie nach einem halben Jahr wieder arbeiten geht, wurde dieses Konzept nicht nur durch die Tatsache dreier Kinder erschwert, sondern sie wollte auch gerne mit den Kindern zu Hause sein und hat ihre Erwerbsarbeit bisher nicht vermisst. Sie möchte jedoch demnächst wieder in ihren Beruf einsteigen, zunächst stundenweise und, wenn möglich, von zu Hause aus arbeitend. Als Eltern sind Ilona und Uwe Andel relativ entspannt bzw. auch in ihrer Fürsorge ein Stück weit „abgestumpft“ in dem Sinne, dass sie bei drei Kindern
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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nicht soviel Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Kind richten können, sondern stärker auf die sich entwickelnde Selbstständigkeit der Kinder vertrauen. Die familiale Triade ist ebenfalls durch die besondere Situation gekennzeichnet, Eltern von drei Kindern gleichzeitig zu werden. Dabei sind die Eltern nicht um ein einzelnes Kind zentriert, sondern von Anfang an mit einer Dominanz der Kinder als Gruppe konfrontiert. Im Gespräch in auffälliger Weise verborgen bleibt die Urszene der Familie, die Frage, ob die Drillinge das Ergebnis eines reproduktionsmedizinischen Eingriffs sind. Die Eltern machen an einer Stelle sogar explizit, dass sie hierüber mit Fremden nicht sprechen wollen. Diese Nichtbesprechbarkeit verweist einerseits darauf, dass es sich bei der Zeugung der Drillinge nicht um ein zufälliges Ereignis gehandelt hat, sondern um das Ergebnis einer reproduktionsmedizinischen Behandlung. Andererseits verweist das Verschweigen auch darauf, dass dieses Thema für die Eltern noch nicht verarbeitet ist und einen noch bestehenden wunden Punkt berührt. Es zeigt sich dadurch eine Doppeldeutigkeit: Zum einen werden Ilona und Uwe Andel Eltern von gleich drei Kindern auf einmal, was eine besondere prokreative Potenz bedeutet, die möglicherweise überwältigend ist. Andererseits steht im Hintergrund die vorangegangene Unfruchtbarkeit des Paares, das aus sich heraus kein Kind zeugen konnte, sondern auf medizinische Hilfe angewiesen war. Im Gespräch war ebenfalls nicht thematisierbar, ob für Ilona und Uwe Andel auch eine andere Arbeitsteilungsform denkbar gewesen wäre bzw. warum Ilona Andel in Elternzeit gegangen und Uwe der Ernährer der Familie ist. Die besondere Situation mit Drillingen verbirgt eine Infragestellung der elterlichen Arbeitsteilung und lässt sich mit der Körperlichkeit der Eltern und der unthematisierten Urszene in Verbindung bringen. Dabei hat Ilona Andel einen über das normale Maß der Geschlechterdifferenz hinausgehend stärkeren körperlich fundierten Bezug zu den Kindern als ihr Mann, da sie nach der für beide Eltern zunächst distanzierenden medizinisch-technischen Befruchtung die Kinder ausgetragen hat. Eine zentrale Szene der Familie ist die drohende Frühgeburt der Kinder: dass Ilona Andel es nach vorzeitigen Wehen in der 23. Schwangerschaftswoche noch 14 Wochen im Krankenhaus ausgehalten hat, so dass alle drei Kinder dann „reif“ geboren wurden und ohne Beeinträchtigungen nach zehn Tagen das Krankenhaus mit ihr verlassen konnten. Die Stärke und „Leistung“ des Körpers bzw. eine leibliche Scham und Krankheit inszeniert sich dabei auch in der Forschungssituation. Das Gespräch musste zunächst wegen Erkrankungen zweimal abgesagt werden und ist vonseiten der Forscherin zudem durch irrationale Schamgefühle angesichts einer starken Erkältung gekennzeichnet, wobei sie die Andels nicht um Taschentücher bitten möchte. Auch sprechen Ilona und vor allem Uwe Andel sehr leise und sind oftmals kaum zu verstehen.
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5 Fallrekonstruktionen
Trotz der fortbestehenden Verletzungen der Unfruchtbarkeit in der Geschichte des Paares und der körperlichen Scham und Kränkung, die wohl vor allem Uwe Andel betrifft, kann man die familiale Triade als in gelingender Weise trianguliert bezeichnen. Dabei gibt es eine von den Eltern ausgehende Orientierung an der Autonomieentwicklung aller Familienmitglieder, die in Bezug auf die Kinder nicht nur von der Notwendigkeit des Umgangs mit Drillingen gekennzeichnet ist. Dabei kann Uwe Andel zwar im beruflichen Sinne am stärksten Autonomieinteressen verfolgen, innerlich verankert gilt dies jedoch nicht nur für ihn, sondern Autonomie und Bindung werden von beiden Eltern getragen. Während Ilona Andel eine von der Körperlichkeit wie von ihrer Anwesenheit ausgehende engere Bindung an die Kinder hat, so tragen doch beide Eltern gemeinsam ein die Bedürfnisse aller fünf Familienmitglieder balancierendes Bindungsmodell. Dieses ist durch eine gelassene bzw. zurückhaltende Bindung gekennzeichnet, die sich z.B. in einer auf die jeweils akuten Bedürfnisse der Kinder eingehenden und dabei langfristig ausgeglichenen Fürsorge festmachen lässt, wie auch an dem Fürsorge zurücknehmenden Vertrauen darauf, dass auch den jeweils nicht intensiv beaufsichtigten Kindern nichts Schlimmes passieren wird. Ilona und Uwe Andel beziehen sich weniger auf legitimierte Deutungsmuster, sondern ihre familiäre Praxis wird in wesentlichen Punkten auf die Situation als Eltern von Drillingen bezogen. Dies gilt sowohl latent für die elterliche Arbeiteilung im Sinne der klassischen Aufteilung als auch für die partnerschaftliche Solidarität dahingehend, dass Uwe Andel stärker als andere voll berufstätige Männer in Familie und Haushalt eingebunden ist. Im Hintergrund steht dabei auch das Deutungsmuster partnerschaftlicher Gleichheit, das hier jedoch angesichts der drei Kleinkinder eine für die Beziehung der Eltern existentielle Qualität hat und die Familien- und Hausarbeit stärker als gewöhnlich zu einer Frage der Verlässlichkeit der Liebesbeziehung werden lässt.
5.5.5.4
Kurzportrait: Familie Elzenheimer/Koch
Kerstin Elzenheimer und Jens Koch sind beide Ende dreißig, die gemeinsame Tochter Emma ist zweieinhalb Jahre alt. Die Eltern haben eine klassische Arbeitsteilung, bei der Jens Koch als Betriebswirt Vollzeit erwerbstätig ist und Kerstin Elzenheimer, die vorher in einer Versicherung gearbeitet hat, in Elternzeit zu Hause ist. Beide sind seit zehn Jahren ein Paar und nicht verheiratet. Die Arbeitsteilung ist in der Familie Elzenheimer/Koch kein Diskussionsthema, sondern es war fraglos, dass Kerstin Elzenheimer mit der Geburt von Emma in Elternzeit gegangen ist. Dabei hat sie eine dreijährige Elternzeit mit ihrem Arbeitgeber vereinbart mit der Option, auch früher wieder in den Beruf
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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einsteigen zu können. Als sie jedoch, als Emma ungefähr 21 Monate alt war, wieder in Teilzeit arbeiten wollte, war dies vonseiten des Arbeitgebers nicht möglich. Auch wenn sie eine Vollzeitberufstätigkeit von Müttern ablehnt, so würde Frau Elzenheimer doch gerne wieder arbeiten und ist froh über die (ehrenamtliche) Tätigkeit im Vorstand ihres Sportvereins und über gelegentliche Honorartätigkeiten für einen befreundeten Journalisten. Emma wird einen Tag pro Woche im Betriebskindergarten ihres ehemaligen Arbeitgebers betreut. Für Jens Koch ist seine Berufstätigkeit im Gespräch kein Thema. Aufgrund seiner eher langen Arbeitszeiten ist er jedoch in der Familie, d.h. wenn Emma wach ist, unter der Woche nur morgens und abends für ca. eine Dreiviertelstunde präsent. Für die Situation der Familie Elzenheimer/Koch ist die Beziehungsgeschichte des Paares von besonderer Bedeutung. Kerstin Elzenheimer und Jens Koch waren vor Emmas Geburt für ein halbes Jahr getrennt, und Kerstin Elzenheimer ist unmittelbar nach einer Phase der erneuten Annäherung schwanger geworden, was sie bereits damals als zu früh empfunden hat. Aktuell ist die Beziehung des Paares durch erneute tiefgreifende Spannungen gekennzeichnet, was auch in der Inszenierung der Forschungssituation zum Ausdruck kommt. So hat Kerstin Elzenheimer die Forscherin bei der telefonischen Gesprächsvereinbarung dahingehend missverstanden, dass es um ein Einzelgespräch mit ihr allein gehen sollte, und sie hat Jens Koch dementsprechend nicht mit eingebunden. So findet zunächst ein Gespräch mit Kerstin Elzenheimer allein statt, in dem sie mehrfach ihre Überforderung und Unzufriedenheit mit sich selbst thematisiert. Erst im Anschluss daran und nachdem Kerstin Elzenheimer ihren Mann dreimal im Nebenzimmer darauf angesprochen hat, findet ein improvisiertes Gespräch mit beiden zusammen statt, bei dem jedoch das Arbeitsbündnis mit Jens Koch unsicher bleibt und die Forscherin in eine diffuse Position zwischen beiden kommt. Dabei bleibt ungeklärt, welche unbewussten Absichten Kerstin Elzenheimer mit ihrer Inszenierung verfolgt: Soll die Forscherin das Paar zum Miteinandersprechen bringen? Wird ihre Anwesenheit zum Überrumpeln und als Druckmittel für die Aufmerksamkeit von Jens Koch genutzt? Soll die Forscherin Kerstin Elzenheimer gegenüber ihrem Mann unterstützen und zwischen beiden vermitteln? Zudem hat das Einzelgespräch mit Frau Elzenheimer den Charakter eines Beratungs- oder Therapiegesprächs, in dem sie sich der Forscherin in ihrer Schwäche und Problembelastetheit präsentiert. Die Arbeitsteilung des Paares ist dadurch gekennzeichnet, dass Kerstin Elzenheimer tagsüber allein mit der Tochter ist und durch ihrem Mann nur abends und morgens kurz entlastet wird. Dabei hat sie den Eindruck, dass sie abendliche Termine mit ihm absprechen muss, er jedoch auch ohne ihr Bescheid zu sagen abends nicht oder erst später nach Hause kommt. Jens Koch ist einerseits ein
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5 Fallrekonstruktionen
engagierter Vater, der sich auch über Erziehungsthemen informiert und gerne mit seiner Tochter zusammen ist, auf die er auch stolz ist. Andererseits hat er nicht das Gefühl, aufgrund seiner Berufstätigkeit etwas zu verpassen, und findet seinen zeitlich reduzierten Kontakt zur Tochter als unproblematisch. Aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte mit getrennten Eltern und ohne Kontakt zum Vater ist für ihn nur wesentlich, dass es überhaupt eine Beziehung zwischen Vater und Tochter gibt. So gibt es einerseits eine starke Bindung zwischen Vater und Tochter und andererseits eine von Jens Koch ausgehende Distanz, wobei seine mangelnde Verbindlichkeit seiner Frau gegenüber auch seine Tochter betrifft. Die Beziehung zwischen Kerstin Elzenheimer und der Tochter ist ambivalent. Dies kommt sowohl in der Schilderung des als zu früh empfundenen Schwangerwerdens ebenso zum Ausdruck wie in der Schilderung der Geburt, bei der Kerstin Elzenheimer keinen unmittelbaren Kontakt zur Tochter aufnehmen konnte, als auch im Empfinden, die Tochter sei mit ihrer permanenten Anwesenheit ein „Klotz am Bein“. Die Ambivalenz zeigt sich auch im Forschungsgespräch, als Emma kurz hinzukommt und von Kerstin Elzenheimer unmittelbar hintereinander „geh weg“ und „komm her“ vermittelt bekommt. Kerstin Elzenheimer charakterisiert sich selbst als jemanden, der nichts alleine machen und der keine Grenzen setzen könne. Sie sei im Wesentlichen keine gute Mutter und mit der Erziehung von Emma überfordert und erwägt, eine Psychotherapie anzufangen. Jens Koch hingegen sieht sich als konsequent und gradlinig und hat weniger Probleme mit der Tochter. Die Erziehung ist jedoch ein Konfliktthema zwischen den Eltern, wobei es um die Verantwortung von Kerstin Elzenheimer für die Entwicklung der Tochter geht. Die Tochter Emma wird von beiden Eltern als besonders wild und unerschrocken, kontaktfreudig, zum Teil aggressiv gegenüber anderen Kindern und motorisch und körperlich ihrem Alter voraus beschrieben. Beide problematisieren und befürworten dies gleichermaßen. In der Rekonstruktion zeigt sich, dass dies eng mit der familialen Triade verknüpft ist, in der die Tochter das vitale Element der Familie mit innerlich weitgehend getrennten Eltern in einer scheiternden Paarbeziehung ist. Gegenüber Kerstin Elzenheimer hat Emma zudem die ambivalente Position, die Mutter einerseits vor dem Alleinsein zu schützen, andererseits flüchtet sich Kerstin Elzenheimer aus der überfordernden Nähe zur Tochter in permanente gemeinsame Aktivitäten mit anderen Müttern. In ihrer klagend vorgebrachten Ohnmacht gegenüber der Tochter: „ich kann nicht konsequent sein“, wie auch in ihrer Inszenierung von Hilfsbedürftigkeit und Kleinsein gegenüber der Forscherin stehen Schwäche und Abhängigkeit im Vordergrund. Dass diese eher depressive Position auch mit Aggressionen verbunden ist, zeigt sich in Gegenübertragungsreaktionen der Affektprotokolle der Gruppeninterpretation des Forschungsgesprächs, wie auch in der mangelnden Übernahme der elterlichen
5.5 Integrationsbewegungen auf Basis traditioneller elterlicher Arbeitsteilung
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Position gegenüber der Tochter, der selbst die Aktivität und Aggressivität zugesprochen werden. Dabei wird Emma in eine ähnliche Position gebracht wie Kerstins Eltern und auch Jens Koch, die das Leben von Kerstin Elzenheimer strukturieren und ihr Verantwortung abnehmen sollen. Die Verlagerung der eigenen Aggression in die anderen zeigt sich dabei auch im Forschungsgespräch, als Kerstin Elzenheimer an einer Stelle anfängt zu weinen. Die Forscherin realisiert das Weinen zunächst nicht und wird dadurch ohne es zu wollen unsensibel und rücksichtslos. Jens Koch hingegen lässt sich nur unwillig auf das Gespräch ein und bleibt seiner Frau wie auch der Forscherin gegenüber weitgehend abweisend und unversöhnlich. Rückbezogen auf die familiale Triade zeigt sich eine Familie mit wenig triangulierten Eltern und getrennten Dyaden, in der die Tochter die Bindung an beide Eltern halten und diese affektiv beleben muss. Dabei dominiert die ambivalente Mutter-Kind-Dyade, wohingegen der Vater eine eher distanzierte und die Familie potentiell verlassende Position einnimmt. Die mangelnde elterliche Solidarität und drohende Trennung betrifft dabei ganz konkret und alltäglich auch die Tochter, auch im Sinne einer unberechenbaren Präsenz des Vaters. Die arbeitsteilige Organisation von Autonomie und Bindung in der Familie Elzenheimer/Koch weist vorwiegende der Mutter die Übernahme der Bindung an die Tochter zu, die sich jedoch als eine verstrickte Bindung rekonstruieren lässt. Dabei werden die Bedürfnisse der Mutter auch an die Tochter gerichtet, so dass sie nur zum Teil eine haltende Position einnehmen kann. Gegenüber ihrem Mann macht sich Kerstin Elzenheimer ebenfalls in der Bindung abhängig und verlagert eigene Aggressionen nach außen. Auch wenn die Nichtberufstätigkeit von Kerstin Elzenheimer nicht mehr selbstgewählt ist, so entwickelt sie doch keine Initiative, die Situation zu ändern. Dies verweist gleichfalls auf die ambivalente Bindung zur Tochter, bei der die Teilzeitberufstätigkeit einerseits ein Ausweg aus der überfordernden Bindung darstellen, andererseits jedoch auch ein Heraustreten aus der Abhängigkeit vom Kind wie auch der vom Mann bedeuten würde. Die unhinterfragte Berufstätigkeit von Jens Koch entspricht seinem inneren Bild einer engen, aber begrenzten Bindung an die Tochter, bei der keine alltägliche Gemeinsamkeit notwendig ist, um die basale Bindung aufrecht zu erhalten. Innerhalb dieser Grenzen ist der Vater jedoch weniger ambivalent als die Mutter, sondern er setzt auch äußerlich klarere Grenzen, innerhalb derer er dann jedoch der Tochter authentisch zugewandt und mit ihr identifiziert ist. Gegenüber Kerstin Elzenheimer übernimmt er jedoch die angebotene Position der Distanzierung und Aggression, die zu seinem inneren Bild der begrenzten Bindung und einer getrennten Familie passt.
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5 Fallrekonstruktionen
Gemäß der wesentlich durch die gemeinsame Tochter bestehenden Verbindung des Elternpaares Elzenheimer/Koch beziehen sich beide auch in großem Maße auf Deutungsmuster zur Kindererziehung modernisierter Eltern, die auf klare Grenzen achten, das Kind zu Autonomie und sozialem Verhalten erziehen und in seiner Bildung fördern. Die Paarbeziehung selbst tritt dahinter zurück. Deutungsmuster der Paarbeziehung sind dementsprechend nicht an einer elterlichen Gleichheit und Partnerschaftlichkeit orientiert, sondern der Individualisierungsaspekt steht im Vordergrund, der sich auch an der Ablehnung des Modells der konventionellen Familie mit Heirat und Eigenheim festmachen lässt. Die Individualisierung erscheint als Deutungsmuster, das die geringe Bindung des Elterpaares und die potentielle Trennung aufgreift und mit einem Bild von Familie aus getrennten Individuen vermittelt werden kann. Für beide Eltern ist jedoch das Muster der guten Mutter – auch in der Negation Frau Elzenheimers, die sich als schlechte Mutter sieht – Hintergrund der Argumentation, in der die Position des Vaters und die Arbeitsteilung des Paares zudem dethematisiert wird. Väterlichkeit bleibt demgegenüber unterrepräsentiert und eher in Abgrenzung zur Nicht-Väterlichkeit angesprochen.
6 Zur Widersprüchlichkeit der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung71
Welche Ergebnisse lassen sich anhand der Fallrekonstruktionen zur elterlichen Arbeitsteilung festhalten? Hierzu möchte ich zunächst die vorgestellten Einzelfälle zueinander in Beziehung setzen und anhand des Vergleichs Verallgemeinerbares wie auch Besonderheiten herausstellen.
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster Für Familie Lehmann ist die traditionelle und hierarchische Arbeitsteilung kennzeichnend, die in der Rekonstruktion erkennbar wird. Im Kontext der Gesamtheit der Fälle ist Familie Lehmann die Familie mit dem traditionellsten Entwurf, was nicht ausschließlich in der Form der familialen Praxis verankert ist, die auch andere Familien teilen, sondern sich vor allem an der Hierarchisierung der Paarbeziehung festmachen lässt. Dabei kommt Herrn Lehmann eine patriarchale Dominanz in der Familie zu, die nicht nur äußerlich in seiner Position als Familienernährer, sondern insbesondere in der affektiven Zentrierung um seine Bedürfnisse verankert ist. Die wechselseitige Anerkennung zwischen den Ehepartnern wird dabei einseitig umgewichtet, Herr Lehmann verfügt allein über die familiale Definitionsmacht. Während sich das Paar explizit als Paar mit hoher wechselseitiger Anerkennung entwirft, die insbesondere auf die väterlichen und mütterlichen Qualitäten von Herrn und Frau Lehmann bezogen wird, finden gleichzeitig latent Zuweisungen klassischer Geschlechterrollen im Sinne weiblicher Fürsorge und männlicher Beruflichkeit statt. Diese Doppelsinnigkeit findet eine Parallele in der gesellschaftlichen Verankerung des familialen Entwurfs im Kontext von sowohl modernisierten als auch traditionalen Deutungsmustern. Dabei deutet die Familie Lehmann die eigene Praxis trotz der traditionalen Arbeitsteilung und der latenten Hierarchisierung im Sinne gleichberechtigter Partnerschaftlichkeit wie auch mit 71
Diese auch im Titel auftauchende Formulierung der „Widersprüchlichkeit von Modernisierung“ rekurriert unter anderem auf eine Formulierung von Oechsle/Geissler (1998) über die „widersprüchliche Modernisierung“ des Geschlechterverhältnisses.
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6 Zur Widersprüchlichkeit der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung
Bezug auf ein modernisiertes Selbstverständnis von Vätern. Dies dient subjektiv sowohl der milieuspezifischen Verortung als auch dem Selbstwert und der Aufwertung des Paares in der Vergesellschaftung. Andersherum betrachtet zeigt es zugleich, dass das Ehepaar Lehmann gesellschaftliche Modernisierungsprozesse wahrgenommen hat und die betreffenden Deutungsmuster der Gleichberechtigung und vor allem auch der beiderseitigen elterlichen Fürsorge und Anteilnahme an der Entwicklung des Kindes Eingang in ihre Selbstwahrnehmung und Situationsdeutung gefunden haben. Die modernisierten Muster stehen jedoch zunächst unvermittelt neben den Deutungen im Sinne der Mutterliebe, bei denen Frau Lehmann aufgrund ihrer Weiblichkeit besonders für die Fürsorge für die Tochter geeignet ist – und darauf auch exklusiv verpflichtet wird – und der traditionellen männlichen Fürsorge für die Familie als einkommensstarker Ernährer. Diese traditionalen Deutungsmuster sind der familialen Praxis deutlich näher als die modernisierten. Alte und neue Muster wirken jedoch in spezifischer Weise zusammen, denn in der Parallelisierung von neuer Väterlichkeit und traditioneller Mütterlichkeit erscheinen beide Deutungen in einem egalitären Zusammenhang und verbinden sich mit der Deutung der Beziehung als gleichberechtigter Partnerschaft zu einem modernisiert scheinenden Konglomerat, das die traditionellen Deutungen der veränderten gesellschaftlichen Bewertung und Realität anpasst. Auf subjektiver Ebene erfüllt die familienspezifische Pluralisierung der Deutungsmuster eine Abwehrfunktion. Dabei kann mit der diskursiven Modernisierung des eigenen Entwurfes die Hierarchie der Paarbeziehung und die damit verbundene Zuweisung traditioneller Geschlechterrollen nicht nur in der Außendarstellung verborgen, sondern gleichzeitig auch vom eigenen Bewusstsein ferngehalten werden. Das traditionelle Deutungsmuster der Mutterliebe wie auch die neue Väterlichkeit erfüllen zudem die Funktion, vor dem Paar selbst und vor anderen zu verbergen, dass im Kontext des narzisstischen Arrangements und dessen Zentrierung um Herrn Lehmann und in der Erweiterung auch um die mit aufgewertete Frau Lehmann die gemeinsame Tochter in aggressiver Weise instrumentalisiert wird und der elterlichen Aufwertung dient. Eine weitere gesellschaftliche Verankerung dieser spezifischen Eltern-Kind-Bindung findet sich in der elterlichen Bezugnahme auf moderne Deutungsmuster zur kindlichen Entwicklung bzw. zur Erziehung. Dabei soll die Tochter autonom und selbstständig werden, die Eltern sollen das Kind auch loslassen. Dies dient der Verankerung der Funktionalisierung der Tochter, die ihre Eltern einerseits als herausragende Eltern, und andererseits – insbesondere im Kontext der genannten Deutungen – als moderne und aufgeklärte Erzieher aufwertet. Mit Bezug auf die Selbstständigkeit und das Loslassen können zudem die Eltern eigene Interessen verfolgen. Trotz der hohen Bedeutungszuschreibung an Familie und die damit verbundene Verpflich-
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
225
tung von Frau Lehmann auf die Mutterliebe, die auch mit Fürsorge für ihren Mann verbunden ist, können die Eltern, ohne die dafür wesentliche Ablehnung der Fremdbetreuung in Frage zu stellen, gleichzeitig die Tochter durch Nachbarn betreuen lassen und als Paar alleine ausgehen bzw. in den Urlaub fahren. Mit der traditionellen Arbeitsteilung verbunden ist eine spaltende Zuweisung von Autonomie, Männlichkeit und Beruf an Herrn Lehmann bzw. Bindung, Weiblichkeit und familiärer Fürsorge an Frau Lehmann. Dabei bleiben Beruf und Familie getrennte Bereiche, die weder äußerlich noch innerlich integriert werden. Mit Blick auf die Triade zeigen sich einerseits im Kontext des narzisstischen Arrangements drei beziehungslose Einzelne, die vorwiegend instrumentelle Bindungen miteinander eingegangen sind. Dabei gibt es neben der Zentrierung um die Bedürftigkeit von Herrn Lehmann zugleich eine Dominanz der Paarbeziehung mit der wechselseitigen Aufwertung der Eltern und einen triadischen Ausschluss der benutzten Tochter. Andererseits gibt es die in der gemeinsamen alltäglichen Praxis belebte Bindung zwischen Mutter und Tochter, der auch angesichts der Entwicklung des Kindes ein größeres Entwicklungspotential und eine vom narzisstischen Konstrukt auch unabhängige Qualität zugetraut werden kann. Neben der Subjektivität dieses narzisstischen Entwurfes lässt sich jedoch verallgemeinernd festhalten, dass ein traditionell-hierarchischer Entwurf besondere Anknüpfungspunkte für ein unbewusstes, vereinseitigendes triadisches Arrangement bietet. Die herausgehobene Position des Ehemannes und Vaters in dieser Konstellation bietet dabei Anknüpfungspunkte für die Zentrierung um die bewussten und unbewussten Bedürfnisse des Mannes. Dies legt eine Konstruktion von Autonomie und Bindung nahe, die ihm den größten unbewussten Profit bietet durch die Unabhängigkeit von Reziprozität und die einseitige Autonomisierung auf Kosten der Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder und um den Preis einer ausbeutenden und das Gegenüber funktionalisierenden Bindung. Anhand des Lebensentwurfes der Familie Lehmann lässt sich zeigen, dass selbst ein Paar mit einem äußerst traditionellen Beziehungs- und Arbeitsteilungsentwurf von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen erfasst wird. Die neuen Deutungsmuster werden übernommen und in den eigenen Entwurf integriert. Sie blieben dabei jedoch äußerlich, insofern sie nicht primär eine Veränderung der Alltagspraxis bewirken, sondern vielmehr helfen, diese in einer anderen Weise zu interpretieren und zu legitimieren, und zugleich den unbewussten Teil des Entwurfes nicht berühren. Auch wenn es bei Familie Lehmann erste auch alltagspraktische Wandlungstendenzen gibt, so die väterliche Kinderbetreuung und weibliche Arbeit am Wochenende, so ist doch die eigentlich kreative Leistung die Versöhnung der wahrgenommenen Modernisierung mit den eigenen traditionalen bzw. nicht wandlungsfähigen Bedürfnissen und Praxen.
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6 Zur Widersprüchlichkeit der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung
Der Lebensentwurf von Familie Bruckner ist durch eine egalitäre und familienzentrierte Arbeitsteilung gekennzeichnet. Dies stellt, kontrastierend zum traditionell-hierarchischen Entwurf der Familie Lehmann, den progressivsten Entwurf im Gesamt der untersuchten Fälle dar. Beide Eltern haben Anteil an den Bereichen Beruf und Familie, und dies ist darin verankert, dass Vater und Mutter nach der Geburt des Sohnes in Elternzeit gegangen sind und sich die Kinderbetreuung, Hausarbeit und Erwerbsarbeit weitgehend gleichberechtigt teilen. Damit hängt der Wunsch zusammen, dass beide Eltern eine gleiche Bindung an den Sohn haben und beide auch berufliche und freizeitbezogene Interessen gleichermaßen verfolgen können. Die familiale Praxis und der bewusste Entwurf sind gleichsinnig verbunden mit einer Verortung in Deutungsmustern partnerschaftlicher Gleichheit der Eltern und der neuen Väterlichkeit, so dass Mann und Frau in der Partnerschaft und die Positionen von Vater und Mutter gegenüber dem Kind als gleichartig wahrgenommen und gedeutet werden. Im Kontext der Familien- und Kindzentrierung des Entwurfes hat auch die Deutung der Eltern-Kind-Beziehung im Sinne der Mutterliebe eine hohe Bedeutung, wird aber hier zunächst nicht auf die Mutter allein bezogen, sondern beide Eltern werden auf eine exklusive Fürsorge für das Kind verpflichtet. Dies geht einher mit Deutungen der Eltern-Kind-Beziehung im Sinne einer Familienzentrierung, nach denen z.B. eine Fremdbetreuung des Kindes zu psychischen Schäden führt und Kind und Familie gegenüber schlechten gesellschaftlichen Einflüssen abgeschirmt werden müssen. Trotz der ausgeprägten Gleichheitskonzeptionen wollen sich Herr und Frau Bruckner jedoch nicht in einer gesellschaftlichen Avantgarde verorten, sondern der Bezug auf eine gesamtgesellschaftliche Normalität des eigenen Entwurfes ist von hoher Bedeutung. Diese deutende Einbindung des progressiven Lebensentwurfes in eine stärker konventionelle milieuspezifische Praxis liegt in der unbewussten Motivierung des egalitären Entwurfes begründet. Dabei steht das gemeinsame Tragen der inneren Anstrengung im Vordergrund, die die Präsenz des Kindes im Kontext der erlittenen Traumatisierungen des Elternpaares bedeutet und dies sichert den Familienerhalt. Demgegenüber ist der egalitäre Lebensentwurf nicht mit einer grundsätzlichen Problematisierung des Geschlechterverhältnisses bzw. einer ausgeprägten inneren Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden, traditionelle Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit im Sinne der Mutterliebe und reziproker Ernährerposition bestehen trotz und innerhalb der progressiven Praxis fort. Dabei nimmt die Mutter eine besondere familiale Position ein und vermittelt Bindung zwischen Vater und Sohn, während der Vater trotz seines alltäglichen Engagements in eine Zuschauerposition gerät. Andererseits bleibt auch Männlichkeit mit Beruflichkeit verbunden und wird durch die Väterlichkeit in Frage gestellt bzw. Männlichkeit wird durch die Beruflichkeit gegen eine Infragestellung abgesichert.
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
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Es lässt sich in Bezug auf die Deutungsmuster festhalten, dass ein progressiver Praxisentwurf einerseits mit modernisierten Mustern partnerschaftlicher Gleichheit und besonderer Väterlichkeit verbunden sein kann, andererseits aber zugleich auch mit traditionellen Deutungen des Geschlechterverhältnisses. Diese eigentlich widersprüchlichen Deutungen der elterlichen Arbeitsteilung müssen zudem nicht in Konflikte münden, sondern können auf den Ebenen von alltäglicher Praxis und darin eingenommenen Positionen vermittelt sein. So ist die Praxis der Familie Bruckner zwar weitgehend egalitär, ermöglicht jedoch zugleich traditionell-geschlechtsspezifische Rückzüge im Sinne klassischer Geschlechterbilder. Parallel zur gleichzeitigen Wirksamkeit alter und neuer Deutungsmuster ist auch die familiale Triade der Familie Bruckner einerseits gleichgewichtig und andererseits abwehrgeprägt konstelliert. Dabei sind die Dyaden balanciert in dem Sinne, dass alle gleich stark besetzt sind und wechselnd im Vordergrund stehen können. Zugleich ist dieser unbewusste Beziehungsentwurf jedoch nicht durch eine vermittelnde Integration von Bindung und Autonomie gekennzeichnet, sondern steht im Zeichen einer Ambivalenz von Bindung und Autonomie, die mithilfe der Konstruktion einer funktionalen Autonomie, die Bindung reguliert, bearbeitet wird. Dabei sind Autonomie und Bindung nicht primär geschlechtsspezifisch aufgeteilt, wie dies im traditionellen Entwurf der Fall ist, sondern Mann und Frau stehen beide gleichermaßen für die funktionale Konstruktion des Verhältnisses von Autonomie und Bindung. Dabei sind, ausgehend vom traumatisierten Elternpaar und der Problematik der triadischen Integration des Kindes, sowohl die Bindung zwischen den Eltern wie auch die jeweiligen Bindungen an das Kind betroffen. Die analog zu den konventionellen Geschlechterbildern auch innerlich vorhandene Verbindung von Männlichkeit mit Autonomie und Weiblichkeit mit Bindung tritt hinter dem familienspezifischen Entwurf zurück und ist in geringerem Maße bestimmend für die familiale Praxis wie auch für die elterlichen Bindungen an den Sohn. Anhand dieses progressiven und weitgehend egalitären Arbeitsteilungsentwurfes zeigt sich erneut, wie wenig gleichsinnig äußere und innere Modernisierung verlaufen. Hier ist die progressive Lebensform sowohl mit modernisierten wie auch mit traditionellen Deutungsmustern verbunden, die nicht in Widerspruch zueinander geraten, sondern miteinander vermittelt werden. Dabei findet zudem eine Verortung in gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen statt, der progressive Gehalt des Entwurfes wird diskursiv ausgeblendet. Zugleich ist der progressive Entwurf auch Ausdruck einer abwehrgeprägten Familienkonstellation und die elterliche Gleichheit ist notwendig zur alltäglichen Bewältigung des familialen Traumas. Die Abwehrnotwenigkeit überlagert zudem die innerlich vorhandenen konventionellen Geschlechterbilder. Dabei ist der egalitäre Praxis-
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6 Zur Widersprüchlichkeit der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung
entwurf zwar nur mit einer teilweisen Triangulierung verbunden, aber die eingeschränkte Vermittlung von Bindung und Autonomie ist ebenfalls egalitär und betrifft alle Dyaden. Der Lebensentwurf der Familie Bruckner stellt einen Gegenentwurf zu dem der Familie Lehmann dar, auch wenn beide Arbeitsteilungs- und Beziehungsentwürfe in besonderer Weise durch eine unbewusste Dynamik motiviert sind. Die Entwürfe unterscheiden sich insbesondere in Hinblick auf die arbeitsteilige Praxis, die Beziehung zwischen dem Elternpaar und die Konstellation der Triade. Ähnlich sind jedoch die zum Ausdruck kommenden Deutungsmuster, auch wenn diese sich in unterschiedlicher Weise mit dem jeweiligen Entwurf verbinden. Stellt man die beiden konträren Lebensentwürfe der Familien Lehmann und Bruckner einander gegenüber, so zeigt sich, dass zunächst die Deutung im Sinne partnerschaftlicher Gleichheit verschiedene Bedeutungen hat. Während bei Familie Bruckner partnerschaftliche Gleichheit und neue Väterlichkeit auch mit einer real entsprechenden Praxis verbunden sind, dient die entsprechende Verortung der Familie Lehmann zur Vermeidung der Bewusstwerdung der narzisstisch-manipulativen Familienkonstellation. Bei beiden Familien finden sich zudem die konventionellen Geschlechterbilder und traditionellen Deutungsmuster der Arbeitsteilung neben den modernisierten Mustern. Während diese bei Familie Bruckner nebeneinander existieren und Widersprüche durch die egalitäre Praxis als Ausdruck der unbewussten Konstellation dieser Familie überlagert werden, stehen die traditionalen Muster bei Familie Lehmann einerseits im Zusammenhang mit der realen Praxis, werden jedoch andererseits auch in ihrem Zusammenwirken mit den modernisierten Mustern zur Dethematisierung der Traditionalität und Hierarchie der eigenen Arbeitsteilung genutzt. Bei beiden Familien spiegeln die aufgegriffenen Deutungsmuster den Wunsch nach gesellschaftlicher Verortung und Einbindung und nach einer Legitimation der eigenen Praxis wider. Dabei geht es der Familie Lehmann jedoch um die Integration der traditional-hierarchischen Praxis in den Kontext gesellschaftlichern Modernisierung, während die Familie Bruckner mit ihrem progressiven Entwurf bemüht ist, den Anschluss an gesellschaftliche Konventionalität nicht zu verlieren. Die Lebensentwürfe der Familien sind in beiden Fällen durch die besondere Vermittlung der unbewussten Familienkonstellation mit der arbeitsteiligen elterlichen Praxis gekennzeichnet, die zudem der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Rückkopplung und Verortung gerecht werden muss. Im Diskurs über die eigene Praxis kommt sowohl eine angemessene Wahrnehmung der eigenen Realität als auch eine die Realität deutende und umdeutende Handlung zum Ausdruck, die sowohl auf die Anpassung an gesellschaftliche Deutungsvorgaben als auch deren nicht bewusste kreative Nutzung verweist. Dies ist dabei zugleich
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
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durch die unbewussten Entwürfe von Familie motiviert, die in der familialen Praxis einen alltäglichen Ausdruck und eine Umsetzung in Handeln erfahren. Der Lebensentwurf von Familie Hansen kontrastiert mit dem familienzentrierten Entwurf der Familie Bruckner dahingehend, dass hier eine hohe Berufsorientierung für beide Eltern gilt. Die Berufsorientierung beider Eltern steht auch in Kontrast zum traditionell-hierarchischen Entwurf der Familie Lehmann, in dem die Berufsorientierung männlich bestimmt ist, auch wenn bei Familie Hansen ebenfalls eine tendenziell traditionale Arbeitsteilung besteht, die jedoch wiederum nicht mit einem hierarchischen Beziehungsverhältnis verbunden ist. Das prägnante Merkmal des Entwurfes der Familie Hansen ist somit die Berufszentrierung, die sowohl in einer Praxis zum Ausdruck kommt, bei der beide Eltern Anteil am Berufsbereich haben, als auch im gemeinsam von beiden Eltern vertretenen handlungsorientierten Autonomieentwurf, der zugleich berufstypisch ein äußerlich normierter und angeleiteter ist. Dabei arbeitet jedoch Herr Hansen in Vollzeit und Frau Hansen arbeitet Teilzeit, sie kümmert sich zudem im Wesentlichen um den Sohn und die Alltagsorganisation. Zugleich ist auch Herr Hansen in den beruflich bestimmten Grenzen ein engagierter Vater. Dieser teilmodernisierte Lebensentwurf der Familie Hansen ist mit einem gleichzeitigen Rückgriff auf traditionale und modernisierte Deutungsmuster verbunden, d.h. Deutungen im Sinne partnerschaftlicher Gleichheit und einer Gleichheit von Mutter und Vater sowie auch der neuen Väterlichkeit und weiblicher Emanzipation bestehen neben Deutungen im Sinne der Mutterliebe und des Ernährervaters. Dieses Deutungsmusterpatchwork bietet in besonderen Maße die Möglichkeit, den eigenen Entwurf zum Ausdruck zu bringen und dabei sowohl die Anteile der Modernisierung und gleichartigen Teilhabe beider Eltern an den Bereichen Beruf und Familie als auch die Anteile der geschlechtlichen Arbeitsteilung gesellschaftlich zu verorten. Gleichzeitig ermöglicht die Koexistenz der Deutungsmuster jedoch auch eine Dethematisierung der im familialen Entwurf liegenden Konfliktpunkte, die weder in der Außendarstellung noch im internen Paardiskurs offen werden sollen. Dabei können Zuweisungen konventioneller Geschlechterrollen durch den gleichzeitigen Rückbezug auf eine partnerschaftliche und elterliche Gleichheit verborgen werden. Zugleich kann auch paradoxerweise mithilfe der Mutterliebe die entstandene arbeitsteilige Differenz des Paares legitimiert und der Anspruch der Gleichheit mit dem Verweis auf die Natürlichkeit der Arbeitsteilung aufrechterhalten werden. Dies gelingt um so mehr, wenn der Mutterliebe auch die modernisierte Väterlichkeit als Ausdruck eines scheinbar gleichsinnigen Verhältnisses gegenübergestellt wird. Im Zusammenwirken bleiben die Implikationen der klassischen Arbeitsteilung für ein akademisch gebildetes Paar mit beiderseitig hoher Berufsorientierung und ähnlichen Karrierechancen im Verborgenen. Die Konfrontation mit der durch die Arbeitsteilung
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entstandenen Differenz wie auch mit den geschlechtsspezifischen Gewinnen, Verlusten und Ängsten kann vermieden werden. Diese Problematik zieht sich jedoch durch die Beziehungsverhältnisse des Paares und der Familie. Dabei besteht unterhalb der vertretenen Gleichheitsvorstellungen und der partiellen Gleichheit der Eltern ein Konkurrenzverhältnis um Teilhabe an den Bereichen Beruf und Familie. Dies ist mit einem drohenden wechselseitigen Ausschluss aus Familie bzw. Beruf und einem Absprechen weiblicher Beruflichkeit und männlicher Väterlichkeit verbunden. Zudem kommt es zu einem kompensatorischen Rückzug auf die traditionell geschlechtsspezifischen Bereiche weiblicher Fürsorge und männlicher Beruflichkeit. Dabei wird das Geschlechterverhältnis im Verhältnis des Paares mit Macht- und Hierarchiethemen aufgeladen, und die wechselseitige Anerkennung, gerade der ebenfalls rekonstruierbaren Integrationswünsche von Familie und Beruf, d.h. vor allem der Väterlichkeit und weiblichen Beruflichkeit, wird erschwert. Dies steht auch in Kontext der Aushandlungsprozesse um Autonomie und Bindung. Zunächst steht für beide Eltern der Entwurf einer angeleiteten, berufsmäßigen und handlungsgebundenen Autonomie im Vordergrund, der jedoch durch die Geburt des Kindes in Frage gestellt wird. Die Bindung an das Kind wird als Abhängigkeit empfunden und dies betrifft in besonderem Maße Frau Hansen, für die durch die Reduktion der Erwerbsarbeit die bisherigen Autonomiemöglichkeiten beschnitten werden. Beide Eltern binden das Kind frühzeitig in den handlungsorientierten Autonomieentwurf ein, es kommt nicht zu einer neuen Vermittlung von Autonomie und Bindung oder einer neuen Gewichtung von Beruf und Familie. Bindung entsteht vielmehr wesentlich im gemeinsamen Machen, wird im Sinne des angeleiteten Autonomiekonzeptes gestaltet, der Berufsbereich dominiert gegenüber dem Familienbereich. Jedoch muss vor allem Frau Hansen ihre Professionalität und Unabhängigkeit betonen, da sie nicht nur in der Bindung an den Sohn, sondern auch von ihrem Mann in neuer Weise abhängig ist. Da die berufsbezogene Autonomieorientierung weiter dominiert, gerät sie in der Machtbalance des Paares in eine nachteilige Position, und im entstehenden Geschlechtermachtkampf kommt es zu den beschriebenen wechselseitigen traditionellen Rückzügen und Ausschlüssen. Während die Triade so zunächst auf Basis des spezifischen AutonomieBindungs-Entwurfes trianguliert erscheint und, damit verbunden, auch beide Eltern an Autonomie und Bindung teilhaben sollen, besteht im Kontext der latenten elterlichen Auseinandersetzung ein drohender Ausschluss des Dritten und eine reziproke Abwertung der Mutter-Kind-Dyade. Der familiale Entwurf der Familie Hansen ist von besonderer Bedeutung, da hier beide Eltern eine hohe Berufsorientierung haben und damit auch für die Frau ein traditionell männlicher, beruflich bestimmter Autonomieentwurf verbunden ist. In seiner Zuspitzung als angeleitete Autonomie mit der Orientierung an äuße-
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
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ren (konventionellen) Rahmungen liegt für die Eltern mit der Geburt des Kindes eine klassische Arbeitsteilung nahe bzw. eine unkonventionellere Form nicht nahe. Daran anschließend kommt es jedoch zu einer zirkulären Konflikthaftigkeit des familialen Entwurfes, bei der die beiderseitige berufliche Autonomieorientierung zu neuen Konkurrenzverhältnissen beiträgt. Diese bestehen gerade auch in Zusammenhang mit der traditionellen Aufteilung wie auch den Integrationsversuchen, es kommt zu einem Verweis auf die traditionellen Hoheitsbereiche. Somit kann die besondere Modernisierung des weiblichen Entwurfes in Hinblick auf Beruflichkeit traditionelle Aufteilungen sogar fördern, wenn dies nicht für beide Eltern mit inneren Umwertungen beider Bereiche bzw. einer Bearbeitung der Entwürfe von Autonomie und Bindung verbunden ist. Dies ist, abweichend vom Entwurf der Familie Hansen, bei der nur im Kurzportrait vorgestellten Familie Berg stärker der Fall. Auch hier besteht die hohe Berufsorientierung beider Eltern und gleichzeitig grundsätzlich traditionelle Arbeitsteilung, jedoch ist Herr Berg stärker in die alltägliche Betreuung eingebunden und Frau Berg war nach der Geburt früher und in größerem Umfang wieder berufstätig. Die Frage nach der Gewichtung von Erleben als Ausdruck der Bindung und Handeln als Ausdruck von Autonomie ist ein Thema für beide Eltern. Während jedoch Herr Berg wesentlich auf den Berufsbereich bezogen bleibt, haben bei Frau Berg stärker innere Umwertungsprozesse stattgefunden. Im Gegensatz zur Dominanz des Beruflichen über Familie bei Familie Hansen steht bei Frau Berg eine Ambivalenz zweier tendenziell gleichwertig gewordener Bereiche. Bindung eröffnet dabei neue Erlebensbereiche, gerät jedoch zugleich in den Sog von Abhängigkeit und muss daher mit der Beruflichkeit kontrolliert werden. Gleichzeitig beschränkt auch die Bindung die beruflichen Autonomiequellen. Parallel dazu bleiben klassische Zuweisungen von Autonomie und Bindung bestehen, die der faktischen elterlichen Arbeitsteilung affektiv entsprechen. Im Fall der Familie Berg gibt es jedoch eine im Vergleich zur Familie Hansen eher abgeschwächte Drohung mit Ausschluss und geschlechtsspezifischen Rückzügen, die mit der zumindest partiellen inneren wie auch alltagspraktischen Integrationsarbeit zusammenhängt. Für die ebenfalls in ihrem Entwurf eine hohe elterliche Berufsorientierung und grundsätzlich traditionelle Arbeitsteilung verbindende Familie Gerhards bietet die Berufstätigkeit beiden Eltern einen Ausweg aus der ambivalenten Bindung an das Kind. Die Ambivalenz ist für Herrn Gerhards dabei weniger ausgeprägt, da er im Kontext der Arbeitsteilung und seines Berufes weitgehend von der alltäglichen Bindung entlastet ist und Autonomieinteressen in besonderer Weise befriedigen kann. Frau Gerhards ist einerseits identifiziert mit der Tochter und konkurriert zugleich mit ihr um die elterliche Fürsorge, woraus die Ambivalenz zwischen dem Wunsch, die Tochter wieder loszuwerden, und einer besonde-
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ren Bindung an sie resultiert. In diesem Kontext bietet die Berufstätigkeit einen ambivalenzfreien Raum, der über den Autonomiegewinn der Berufstätigkeit hinaus entlastend wirkt. Die Berufstätigkeit von Frau Gerhards dient auch dem Erhalt der Paarbeziehung, da nun beide Eltern in ähnlicher Weise Autonomie und Bindung bearbeiten können, auch das Älterwerden des Kindes reduziert die Ambivalenz, da die Abhängigkeit abnimmt. Der Lebensentwurf der Familie Baumeister/Schneiders ist im Gegensatz zu den drei anderen zentralen Entwürfen der Familien Lehmann, Bruckner und Hansen nicht durch ein einzelnes herausragendes Merkmal gekennzeichnet. Diesen Entwurf macht vielmehr gerade sein eher diffuses Verhältnis aus, zwischen einer klassischen, aber nicht hierarchischen Arbeitsteilung ohne weibliche Berufstätigkeit und gleichzeitigen, darüber hinausweisenden Versuchen der Mutter oder beider Eltern, Beruf und Familie zu integrieren. Dabei ist diese Form des Entwurfes, für die das Paar Baumeister/Schneiders stellvertretend vorgestellt wird, mit fünf Fällen unter den zehn untersuchten Familien am häufigsten vertreten und verdient auch aus diesem Grunde eine besondere und eigene Würdigung. Diese Häufung zeigt, dass ein Herausarbeiten von typischen Mustern72 in der vorangegangenen Darstellung nicht als absolut anzusehen ist, sondern die je spezifischen Merkmale – Hierarchie, Egalität und Berufszentrierung – als Teil eines mehrdimensionalen Modells verstanden werden müssen. In diesem gibt es unterschiedliche und in den hier untersuchten Fällen nicht vollständig repräsentierte Abstufungen und Kontinua: zwischen hierarchisch-traditioneller und egalitärer Arbeitsteilung; zwischen Berufszentrierung und Familienzentrierung und dabei praktisch dem Ausmaß der Erwerbsarbeit von Mutter und Vater; im Ausmaß der Trennung der Bereiche Familie und Beruf im Erleben der Eltern und dabei dem Grad der Aufspaltung von Autonomie und Bindung oder dem Versuch der Integration von Autonomie und Bindung für beide Eltern; im Grad der Integration von Beruf und Familie bzw. Autonomie und Bindung aufseiten der Mutter wie auch im Grad der Integration von Beruf und Familie bzw. Autonomie und Bindung aufseiten des Vaters. Die herausgearbeiteten typischen Muster stellen wesentliche Eckpunkte des denkbaren Koordinatensystems dar: eine ganz 72
Der Begriff „typische Muster“ ist m.E. bisher nicht definiert, bringt jedoch die Problematik zum Ausdruck, als typisch anzusehende Besonderheiten verschiedener Lebensentwürfe herauszustellen, wenn gleichzeitig eine Typenbildung im engeren Sinne aufgrund des Materials nicht nahe liegt. So sind die Forschungsteilnehmer einerseits Angehörige eines relativ homogenen Milieus und prinzipiell denselben Bedingungen bzw. „Erlebniszusammenhängen“ (Bohnsack 2000) unterworfen. Zudem erscheint angesichts der differenzierten Rekonstruktion, die das Zusammenwirken bewusster und unbewusster, subjektiver und gesellschaftlicher Entwürfe in den Vordergrund stellt, eine klassische Typenbildung nicht naheliegend. Der Begriff Muster beinhaltet zudem eher eine Orientierung an einem psychoanalytischen Verständnis von Verarbeitungsmustern (vg. Z.B. Flaake 2005).
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
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traditionelle und in hohem Maße legitimationsbedürftig gewordene hierarchische Arbeitsteilung, eine modernisierte und egalitäre Arbeitsteilung als Gegenpol und das berufszentrierte Arrangement als einseitige Interpretation des Widerspruchs zwischen Beruf und Familie mit spezifischen Konsequenzen. Diese besonders herausgestellten Muster können jedoch durch weitere Muster ergänzt werden. Bei der Familie Baumeister/Schneiders ist der Alltag in klassischer Weise gestaltet, Frau Schneiders ist in Elternzeit und arbeitet nicht, während Ole Baumeister der Ernährer der Familie ist. Damit ist ein innerer Entwurf verbunden, bei dem Frau Schneiders Bindung hält und Herr Baumeister aus der Distanz gebunden ist. Zugleich verfolgt jedoch auch Frau Schneiders mit ihrem Studium berufliche und daran gebundene Autonomieinteressen, Herr Baumeister ist fürsorglich und kann sich einen Rollentausch mit seiner Frau vorstellen. Beide Eltern teilen zudem einen gleichen Autonomie-Bindungs-Entwurf. Die im elterlichen Diskurs zum Ausdruck kommenden Deutungsmuster werden in ähnlicher Weise kombiniert wie bei den anderen bisher diskutierten Familien. So deutet das Paar die eigene Praxis im Sinne partnerschaftlicher und auch elterlicher Gleichheit, dahinter bleiben Differenzen zwischen Vater und Mutter wie auch die durch die Arbeitsteilung entstandenen Differenzen, z.B. in Zusammenhang mit der Hausarbeit, und die neuen Abhängigkeiten verborgen. Gleichzeitig entfaltet jedoch auch das Muster der Mutterliebe seine Wirkung, denn es ist Frau Schneiders, die sich in besonderer Weise praktisch und innerlich mit dem Kind beschäftigt, wohingegen die Väterlichkeit Ole Baumeisters in handwerklichen Tätigkeiten zum Ausdruck kommt. Dies wird im Zusammenwirken mit den Gleichheitsdeutungen einerseits als natürliche mütterliche bzw. väterliche Kompetenz erklärt und andererseits auch als gleichgewichtige elterliche Fürsorge gewichtet und umgedeutet. Hierdurch erfährt auch die traditionelle Arbeitsteilung eine Legitimation. Wie tiefgreifend – neben den inneren Entwürfen – auch das Muster des männlichen Ernährers wirksam ist, zeigt sich auch an der Interpretation der beruflichen Situation beider Eltern bei Geburt des Kindes. Hierbei wird ihre feste Vollzeitstelle als gute Voraussetzung für eine Elternzeit gedeutet und seine prekäre Berufssituation im Sinne der Notwendigkeit, weiter berufstätig zu sein. Die Wahrnehmung und Darstellung Herrn Baumeisters als „neuer Vater“ wirkt mit dem Gleichheitsmuster zusammen und dethematisiert seine real geringere praktische und väterliche Anteilnahme am Familienleben. Dass der traditionelle Arbeitsteilungsentwurf legitimationsbedürftig ist, kommt auch in dessen demonstrativer Infragestellung durch den vorgeschlagenen Rollentausch zum Ausdruck, wobei paradoxerweise gerade die Infragestellung den traditionellen Entwurf legitimiert und festigt, da er einerseits von Frau Schneiders gehalten wird und andererseits frei verhandelbar bzw. als Ergebnis freier Verhandlung erscheint.
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Verbunden mit der traditionellen Arbeitsteilung ist einerseits ein unbewusster Entwurf, in dem Mutter und Vater für unterschiedliche Bindungsmuster stehen: Frau Schneiders hält die Bindung, Herr Baumeister ist aus der Distanz an das Kind gebunden. Dahinter steht jedoch der gemeinsame Entwurf mit hoher Autonomieorientierung, in dem das Sicheinlassen auf die Bindung an den Sohn für Frau Schneiders zunächst zur Handlungsunfähigkeit führt. Erst als sie wieder äußerlich Autonomiebestrebungen in ihrem Studium verankern kann und mit dem Älterwerden des Kindes die Bindungsanforderungen nachlassen, ändert sich dies. Nun ist auch sie, ähnlich wie ihr Mann, in der beruflich fundierten Autonomie gegen die Bindungsanstrengung besser gesichert. Auch wenn es Frau Schneiders ist, die die Bindung hält, so steht im Hintergrund die von beiden Eltern entworfene Polarisierung von Autonomie und Heteronomie, deren Aggressivität in elterliche Sorge umgewandelt wird. Die Polarisierung bewirkt und verweist auf eine noch zu bearbeitende triadische Integration des Kindes, mit Entwicklung gemeinsamer Interessen anstelle der Gegensätzlichkeiten. Die triadische Integration wird jedoch mit zunehmendem Alter des Kindes auch für die Familie unproblematischer, da es stärker in den elterlichen Autonomieentwurf eingebunden werden kann. Der Entwurf der Familie Baumeister/Schneiders verweist – im Kontext der drei anderen Entwürfe – auf die oben bereits angesprochenen Kontiunua, die zwischen den Entwürfen insgesamt bestehen. So gibt es in dieser Familie einerseits eine traditionelle Arbeitsteilung, die jedoch nicht hierarchisch ist. Frau Schneiders ist nicht berufstätig, verfolgt jedoch eine berufliche Weiterentwicklung. Sie trägt zugleich die elterliche Bindung an das Kind und hat sich dabei stärker darauf eingelassen als z.B. Frau Hansen oder auch Frau Berg. Beide Eltern haben keine besondere Berufsorientierung, aber dennoch einen an Autonomie orientierten inneren Entwurf, bei dem Bindung zu Heteronomie wird. Sie entsprechen somit keinem der vorangegangenen Muster, weisen jedoch zugleich gemeinsame Merkmale mit ihnen auf. Ähnliches gilt für die Entwürfe der übrigen hier zuzuordnenden Familien. Auch wenn eine eindeutige Abgrenzung gegenüber den anderen Entwürfen somit nicht möglich ist, lässt sich der Entwurf der Familie auch nicht auf ein Muster allein zurückführen. Gerade in seiner Uneindeutigkeit beansprucht er einen eigenen Status im Kontext der Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung bzw. der inneren Arbeit an einer Integration von Autonomie und Bindung. Die Familien Moser, Diel-Frey/Frey, Andel und Elzenheimer/Koch haben insofern auch je spezifische Bezüge zu den übrigen drei Mustern, so kann beispielsweise der Praxisentwurf der Familie Moser auch als Form einer weitgehend traditionellen Arbeitsteilung, die jedoch nicht hierarchisch ist, angesehen werden.
6.1 Diskussion der Einzelfälle als typische Muster
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Familie Moser hat eine traditionelle Arbeitsteilung, jedoch ist, im Vergleich zur Familie Baumeister/Schneiders, Herr Moser noch eindeutiger auf eine berufliche Karriere bezogen, und Frau Moser verfolgt zunächst keine beruflichen Interessen. Aber auch hier findet sich eine gemeinsame elterliche Autonomieorientierung, bei der die Bindung an das Kind zu Überforderung und dem drohenden Verlust von Autonomie und Handlungsfähigkeit führt. Die Übernahme der Bindung durch Frau Moser bedeutet angesichts des Autonomieentwurfes zunächst eine Überforderung. Die anstrengenden Bindungsanforderungen des Kindes wie auch die eigenen Affekte werden dann durch beide Eltern mithilfe von Erziehungsregeln organisiert und reguliert. Bei Familie Moser findet sich ebenfalls das Zusammenwirken von Gleichheitsdeutungen und Deutungen im Sinne der Mutterliebe und neuen Väterlichkeit, durch die die entstandenen Differenzen und die Bedeutung der elterlichen Arbeitsteilung verborgen bleiben. Bei Familie Diel-Frey/Frey besteht ebenfalls eine klassische Arbeitsteilung, deren Motivation jedoch komplexer ist. So konnte Frau Diel-Frey in einer Situation besonderer Belastung die von ihr jahrelang getragene äußere und innere Balance von Beruf und Familie nicht mehr halten, sie hat sich resignativ und hadernd in die Hausfrauen- und Mutterrolle ergeben. Sie vertritt dabei gleichermaßen diese Situation legitimierende Deutungen wie auch solche einer weiblichen Beruflichkeit und Emanzipation. Innerlich sind die Autonomiestrebungen momentan unterdrückt und kommen nur noch in Phantasien zum Ausdruck. Deren grundlegender Integration liegt das aktuell immer noch wirksame Bild des Alleinerziehens zugrunde. Ihr Mann hingegen ist in hohem Maße berufsbezogen, da er sowohl Autonomie als auch Bindungsbestrebungen innerhalb seines Berufes vereinbaren kann. In Bezug auf seine Familie ist jedoch die Frage nach Integration oder Ausschluss für ihn unbewusst thematisch, so dass er nur innerhalb dieser Prämissen eine fürsorgliche Bindung an den Sohn halten kann. Die traditionale Arbeitsteilung erscheint notwendig zum Erhalt der Familie. Der Fall von Frau Diel-Frey zeigt, wie eine eigentlich gelungene innere und alltagspraktische Integration von Beruf und Familie bzw. Autonomie und Bindung, wenn auch auf Basis des Alleinerziehens, regressiv aufgegeben werden kann, wenn eine besondere Belastungssituation eintritt. Die Familie Andel ist zunächst insofern ein Sonderfall, als zur Familie drei Kleinkinder gehören. Auch Familie Andel hat eine traditionelle Arbeitsteilung, bei der jedoch Herr Andel, in den Grenzen seiner Berufstätigkeit, in hohem Maße familiär engagiert ist. Auch wenn die Drillinge als subjektive Deutung für die Arbeitsteilung und das Partnerschaftskonzept herangezogen werden, so zeigt sich nicht nur eine weitgehende Egalität der Arbeitsteilung im Rahmen der Traditionalität, sondern auch eine weitgehende Integration von Autonomie und Bindung für beide Eltern. Diese wird im Sinne einer zurückhaltenden Bindung mit der
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Autonomieorientierung der Eltern versöhnt und gilt prinzipiell für alle Familienmitglieder. Der Fall von Familie Andel zeigt so die Möglichkeit, auch im Rahmen einer traditionellen Arbeitsteilung eine Integration von Familie und Beruf auch innerlich zu leisten. Bedeutsam hierfür scheint die Anerkennung vor allem der geschlechtsspezifischen Verluste, des Verlustes an beruflicher Teilhabe aufseiten der Mutter und an Bindungsintensität aufseiten des Vaters. Familie Elzenheimer/Koch hat ebenfalls eine traditionelle Arbeitsteilung. Hier ist die Zerrüttung der Paarbeziehung das dominante Moment, in der Themen von Autonomie und Bindung polarisiert verhandelt werden, so dass Bindung als Abhängigkeit bei Frau Elzenheimer zum Ausdruck kommt und Autonomie als Verlassen und Trennung an Herrn Koch delegiert ist. Gegenüber dem Kind ist Herr Koch bindungsfähig, jedoch auf Basis einer Distanzierung, wobei sein Beruf diesem inneren Konzept entspricht und seine häufige Abwesenheit und Unzuverlässigkeit äußerlich dazu beitragen. Frau Elzenheimer ist ambivalent verstrickt zwischen der eigenen Abhängigkeit vom Kind und dem Wunsch einer Distanzierung, wobei Aggression an die Tochter delegiert wird. Auch wenn sie gerne wieder arbeiten würde, so kann sie doch keine Initiative entwickeln, sich aus der ambivalenten Verstrickung zu befreien.
6.2 Ergebnisse Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist, dass alle Familien in Bezug auf die elterliche Arbeitsteilung von einer Modernisierung des Geschlechterverhältnisses erfasst werden, was sich vor allem in der Verortung in modernisierten Deutungsmustern ausdrückt, wie z.B. in Deutungen der Partnerschaftlichkeit von Beziehungen, gewandelter Väterlichkeit und weiblicher Berufstätigkeit. Gleichzeitig, und das ist ebenso wesentlich, entspricht jedoch keine Familie einem gesellschaftlichen Ideal modernisierter Elternschaft, sondern bei allen Familien zeigen sich mehr oder minder gravierende Brüche und Inkonsistenzen innerhalb des mehrdimensionalen und mehrfach motivierten Arbeitsteilungsentwurfes. Während einerseits für alle Familien und für beide Geschlechter grundsätzlich die Vermittlung von Beruf und Familie in irgendeiner Form thematisch ist, so unterscheidet sich andererseits die Art und Weise, wie sich diese zunächst ideellen Wandlungsprozesse in den familialen Entwürfen bemerkbar machen, zum Teil gravierend. Dies betrifft vor allem auch die Frage, wie weit in die Tiefe des Entwurfs die Integrationsversuche von Beruf und Familie reichen – sei es nur als Legitimation der traditionellen Praxis mithilfe modernisierter Deutungen
6.2 Ergebnisse
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oder sei es als ein weitgehender innerlicher Bearbeitungsprozess, bei dem es um die Balance von Bindung und Autonomie auf Seiten der Mutter oder sogar für beide Eltern geht. Dabei gibt es je nach Fall unterschiedliche Verhältnisse von Altem und Neuem. Es lassen sich – und dies ist ein weiteres Ergebnis – zunächst keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen bestimmten Deutungsmustern und einer bestimmten familialen Alltagspraxis festmachen, und auch die Zusammenhänge zwischen einer Alltagspraxis und einer bestimmten unbewussten Familienkonstellation sind nicht notwendigerweise eindeutig. Es wird jedoch ebenfalls deutlich, dass die differenzierbaren gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen gemeinsam den familialen Entwurf in unterschiedlichem Maße und auf verschiedenen Ebenen prägen. Hierauf möchte ich im Folgenden eingehen.
6.2.1 Die Modernisierung der gesellschaftlichen Deutungsmuster elterlicher Arbeitsteilung Die gesellschaftliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung zeigt sich zunächst im Wesentlichen auf Ebene der Deutungsmuster. Alle Familien beziehen sich unabhängig von ihrer Alltagpraxis auf modernisierte Deutungsmuster der Familienbeziehungen. Bemerkenswert ist dabei, dass Modernisierung auf Ebene der Deutungsmuster nicht im Sinne einer Ablösung alter Muster durch neue Muster erfolgt, sondern dass diese im Diskurs der Familien gleichzeitig nebeneinander existieren und nachweisbar in Wechselwirkung zueinander treten. Für alle Familien hat das Deutungsmuster des neuen Vaters eine hohe Bedeutung, was die zumindest diskursiv ablaufende Veränderung von Väterlichkeit hin zu einer zugewandten, interessierten und fürsorglichen Beziehung von Vätern zu ihren Kindern bestätigt. Auch dem Muster selbst kommt somit eine hohe gesellschaftliche Relevanz zu, was sich an der durchgängigen Verortung der Familien im Kontext modernisierter Väterlichkeit festmachen lässt. Ebenso verorten alle Familien sich und ihre Paarbeziehung in einem Muster von Partnerschaftlichkeit, wovon nur Familie Elzenheimer/Koch eine Ausnahme bildet, was in der zerrütteten Paarbeziehung begründet liegt. Auch dies ist ein Hinweis auf die zumindest diskursive Modernisierung des Geschlechterverhältnisses, die für Paare in einem gebildeten Mittelschichtsmilieu die Orientierung an partnerschaftlichen Gleichheitsvorstellungen verbindlich macht. Dies lässt sich insbesondere auch am Fall der Familie Lehmann zeigen, deren traditionell-hierarchischer Beziehungsentwurf ebenfalls im Sinne gleichberechtigter Partnerschaft gedeutet wird. Gleichermaßen ziehen sich jedoch auch Verortungen im Sinne des Deutungsmusters Mutterliebe durch alle Paargespräche, die zunächst objektiv im Widerspruch zu den modernisierten Mustern neuer Väterlichkeit und partnerschaftlicher Gleichheit stehen.
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Somit zeigt sich, dass auch dieses Muster – wie auch das Muster eines männlichen Ernährers – nicht an Bedeutung verloren hat und immer noch hohen Orientierungswert für junge Eltern hat. Dies verweist jedoch zugleich auf die sich ebenfalls durchgängig zeigende komplexe Vermittlung alter und neuer Deutungsmuster. Die Vermittlung reproduziert nicht durchgängig alte Sinngebungen, sondern die Verknüpfung der Muster ist ein Zeichen der Modernisierung, eröffnet verschiedene, auch neue Sinnhorizonte und kann verschiedene Funktionen erfüllen. So ermöglicht die häufig anzutreffende Gegenüberstellung von neuer Väterlichkeit und Mutterliebe einerseits, Neues und Altes gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, sich gleichermaßen in traditioneller Mütterlichkeit wie auch in modernisierter Väterlichkeit zu verorten. Andererseits wird so durch die Gleichzeitigkeit beider Muster eine scheinbare Egalität hergestellt, die sich auch mit der Partnerschaftlichkeit verbindet. Diese hergestellte Egalität zwischen Mutterliebe und Väterlichkeit blendet Ambivalenzen zwischen den Mustern aus, vor allem auch solche, die in der Frage nach dem zugrundeliegenden Geschlechterverhältnis bzw. im Konkreten der Arbeitsteilung des Paares liegen. In ihrer egalitär erscheinenden Verbindung dienen die Muster gemeinsam so auch der Dethematisierung der Frage der Arbeitsteilung wie auch der damit für beide Geschlechter verbundenen Gewinne, Verluste und Ängste. Die Gegenüberstellung von Väterlichkeit und Mutterliebe kann, wie am Fall der Familie Hansen erkennbar, auch gerade im Kontext der Naturalisierung der Mutter-Kind-Beziehung zum Erhalt des Erlebens von Gleichheit beitragen, da die arbeitsteilige Differenz einerseits legitimiert und andererseits diskursiv abgeschwächt wird. Eine andere Verknüpfungsmöglichkeit mit ähnlicher Wirkung liegt im gleichzeitigen Bezug auf den männlichen Ernährer und die Mutterliebe sowie auf modernisierte Muster. Die Wirkung dieser Verknüpfung liegt darin, dass einerseits die alten Muster Verunsicherungen der traditionellen Männlichkeit und Weiblichkeit beruhigen, andererseits jedoch die alten Muster durch die neuen abgeschwächt und als traditionelle verdeckt werden. So können gleichzeitig real traditionelle wie modernisierte Anteile der eigenen Praxis ausgedrückt und legitimiert werden und dabei zugleich die traditionellen Implikationen verborgen und modernisiert werden. Eine andere mögliche Form der Modernisierung zeigt sich am Fall der Familie Bruckner, in deren Entwurf die Mutterliebe als Prinzip einer exklusiven Verpflichtung auf die Fürsorge für das Kind zumindest teilweise von ihrer Bindung an Weiblichkeit gelöst wird und sich prinzipiell zu einer Verpflichtung beider Eltern ausweitet, auch wenn gleichzeitig traditionelle Deutungen und Praxen fortbestehen. Die Verknüpfung der alten mit den neuen Deutungsmustern ermöglicht deren Anpassung an eine veränderte gesellschaftliche Realität und ihren Fortbestand. Sie verweist jedoch zugleich darauf, dass die alten Muster, wie das der
6.2 Ergebnisse
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Mutterliebe, und die dahinterstehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auch legitimationsbedürftig geworden sind und einer Umdeutung im Sinne des unterstellten gesellschaftlichen Wandels bedürfen. Die Pluralisierung der Deutungsmuster und deren Modernisierung durch Verknüpfung ermöglichen somit sowohl den Transport des Alten in das Neue hinein als auch eine diskursive Modernisierung. Für die Familie Bruckner mit der progressivsten Form der Arbeitsteilung besteht hingegen ein umgekehrtes Deutungsproblem: Sie muss ihren innovativen Entwurf konventionalisieren, um sich gesellschaftlich weiterhin im Kontext des eigenen Milieus zu verorten, was durch die diskursive Normalisierung des Entwurfes wie auch durch den Bezug auf traditionelle Mutterliebe und eine männliche Ernährerposition geschieht, die der familialen Praxis nur teilweise entsprechen. Hieran lassen sich auch die Grenzen gesellschaftlichen Wandels erkennen, denn es gibt eben kaum eine praktisch umgesetzte Realität gleichberechtigter modernisierter Elternschaft, sondern dies wird als (propagiertes) Ideal erkennbar, dem die milieuspezifischen praktischen Konventionen nicht entsprechen. Die Deutungsmuster erfüllen neben ihrer gesellschaftlich fundierten Realitätskonstruktion, die ebenfalls spezifische Ausblendungen enthält, auch auf subjektiver Ebene eine Abwehrfunktion. So wird deutlich, dass nicht nur in der gesellschaftlichen Verortung und in der Außendarstellung eine Problematisierung der Arbeitsteilung vermieden werden kann. Sondern auch in der Wahrnehmung der betroffenen Paare selbst werden die mit einer in unterschiedlichem Maße immer noch durchweg traditionellen Arbeitsteilung verbundenen Machtund Abhängigkeitsverhältnisse weitgehend ausgeblendet und in ihrem Konfliktpotential für die (teilmodernisierte) Paarbeziehung entschärft.
6.2.2 Die Bedeutung des unbewussten Entwurfs Auch wenn die untersuchten Familien durchweg Deutungsmuster in ähnlicher Weise aufgreifen und nutzen und man die traditionelle Arbeitsteilung als mehr oder weniger untergründige gemeinsame Ausgangsbasis der familialen Entwürfe ausmachen kann, so haben die untersuchten Familien doch unterschiedliche Praxen, die sich als egalitäre, traditionell-hierarchische, berufszentrierte oder auch eher diffus-gemischte zeigen. Dies verweist darauf, dass nicht von einer grundsätzlichen Prägung der Entwürfe durch die zumindest milieutypische Verinnerlichung und Einbindung in die Deutungsmuster ausgegangen werden kann. Die Differenz von ähnlicher Deutungsmusterverortung und unterschiedlicher Alltagspraxis verweist vielmehr auf die hohe Bedeutung, die auch dem unbewussten familialen Entwurf für das Zustandekommen einer bestimmten Praxis zukommt.
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So zeigt sich, dass das Muster einer traditionalen und hierarchisch aufgeladenen Arbeitsteilung einen besonderen Anker in der Realität bietet für den inneren Entwurf eines vereinseitigenden triadischen Arrangements, bei dem die Familie um die (narzisstischen) Bedürfnisse des Ehemannes zentriert ist wie bei Familie Lehmann. Ebenso bietet der hierzu konträre egalitäre Arbeitsteilungsentwurf ebenfalls einen alltagspraktischen Rahmen für einen unbewussten Entwurf, innerhalb dessen beide Eltern eine ähnliche Position einnehmen – so wie bei Familie Bruckner das gemeinsame Tragen der erlittenen Traumatisierung die vorläufige Basis für den Familienerhalt bildet. Ähnliches gilt auch für die übrigen, weniger pointierten Muster der Arbeitsteilung, wobei jedoch anzunehmen ist, dass die unbewusste Motivierung eine stärker prägende Bedeutung für den praktischen Entwurf hat, wenn sie besonders abwehrgeprägt bzw. eine starre und für den Erhalt der Familie lebensnotwendige Motivierung ist. Anhand der polaren Beispiele der Familien Lehmann und Bruckner lässt sich erschließen, dass diese besonders abwehrgeprägten Entwürfe auch besonders stark eine bestimmte äußere Realität bedingen, während ein flexiblerer innerer Entwurf möglicherweise auch flexibler in einer variablen äußeren Realität untergebracht werden kann. Diese Anknüpfungspunkte in der Praxis bzw. deren Motivierung durch einen inneren Entwurf werden auch im Folgenden mit Blick auf die Möglichkeit der Balance von Autonomie und Bindung bzw. deren einseitiger Zuweisung noch einmal deutlich.
6.2.3 Die triadische Balance und Zuweisung von Autonomie und Bindung In der Untersuchung wurde erkennbar, dass im Kontext der Arbeitsteilung als Praxisentwurf innere Themen die Autonomie- und Bindungsentwürfe angesprochen werden, die sich als hintergründige Motivationen mit den Bereichen Beruf und Familie verknüpfen bzw. verknüpft sind. Dieses Ergebnis schließt an Überlegungen der anfangs vorgestellten Adoleszenztheorien an. In der Untersuchung des unbewussten Anteils der familialen Entwürfe zur Arbeitsteilung wird jedoch deutlich, dass es sich immer um triadische Konstellationen handelt, in denen Autonomie und Bindung balanciert und ausgehandelt werden, um Wir-Entwürfe und Beziehungsbilder. Dabei lassen sich zwei Ebenen der unbewussten triadischen Entwürfe differenzieren. Einerseits geht es um einen gemeinsamen Autonomie-Bindungs-Entwurf, bei dem das Verhältnis bzw. die Vermittlung beider menschlichen Grundstrebungen in einer spezifischen Weise für alle Familienmitglieder gelöst wird. Als Entwürfe auf dieser Ebene lassen sich beispielsweise der Entwurf funktionaler Autonomie der Familie Bruckner oder auch die angeleitete Autonomie der Familie Hansen bestimmen. Zugleich besteht jedoch auch ein
6.2 Ergebnisse
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Beziehungsentwurf des Elternpaares, in dem Autonomie und Bindung zwischen beiden im Sinne der Beziehungs- bzw. Elternschaftskonstellation zugewiesen oder balanciert werden. Beide Ebenen stehen in Bezug zueinander. So geht z.B. bei Familie Bruckner der Autonomie und Bindung geschlechtsspezifisch zuweisende Entwurf weitgehend im egalitären Entwurf der funktionalen Autonomie auf bzw. steht hinter diesem und seiner grundlegenden familialen Bedeutung zurück. Bei Familie Baumeister/Schneiders hingegen gibt es einerseits einen gemeinsamen Entwurf handlungsorientierter Autonomie beider Eltern, in den auch der Sohn eingebunden wird, und zugleich, vor allem in der frühen Phase mit dem Säugling dominierend, auch einen geschlechtsspezifisch differenten Entwurf mit der aufteilenden Zuweisung von Bindung an die Mutter und Autonomie an den Vater. So begibt sich Frau Schneiders trotz des gemeinsamen Ausgangsentwurfes stärker in die Bindung an den gemeinsamen Sohn hinein und stellt Autonomieinteressen zurück, während Herr Baumeister aus der Distanz gebunden bleibt und dabei Autonomieinteressen nicht beschneiden muss. Bezogen auf die Arbeitsteilungsformen zeigt sich dabei folgendes Ergebnis: Mit einer traditionell-hierarchischen Arbeitsteilung und dem entsprechenden Entwurf der Paarbeziehung ist eine spaltende Zuweisung verbunden, bei der Autonomie einseitig an Männlichkeit und Beruflichkeit gebunden bleibt und Bindung als einseitig weibliche familiale Fürsorge – tendenziell auch gegenüber dem Ehemann – definiert wird. Die Triade ist in diesem Sinne ungleichgewichtig, was in der Zuspitzung im konkreten Fall der Familie Lehmann zu einem Zerfall der narzisstisch ausgebeuteten Triade führt. Mit dem an Egalität orientierten Praxisentwurf einer eher gemeinschaftlichen Arbeitsteilung ist hingegen auch innerlich eine weitgehende Balance von Autonomie und Bindung für beide Eltern verbunden. Diese Balance kommt allerdings im Fall der hierfür stehenden Familie Bruckner aufgrund einer spezifischen abwehrgeprägten Autonomie-Bindungs-Konstruktion zustande, die sowohl Autonomie als auch Bindung beschneidet und nicht einer idealtypischen Balance entspricht, bei der sowohl Bindung in der Autonomie als auch Autonomie im Moment der Bindung anerkannt werden können. Der in seiner Begrenzung dennoch balancierte triadische Entwurf dominiert dabei über die zugleich vorhandenen geschlechtsspezifischen Zuweisungen. Was für eine stärker auch qualitativ gelingende Balance notwendig wäre, zeigt der Fall der Familie Andel. Hier wird deutlich, dass ein Anerkennen und Betrauern der spezifischen Gewinne und Verluste beider Geschlechter in einer traditionellen Arbeitsteilung – an Autonomiemöglichkeiten für Frauen und Bindungsmöglichkeiten für Männer – ein wichtiger Schritt ist hin zur Möglichkeit einer innerlich verankerten Integration von Bindung und Autonomie für beide Elternteile. Dabei ist der Fall der Familie Andel von besonderem Interesse, da die Eltern als äußeren Praxisentwurf eine weitge-
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hend traditionelle Arbeitsteilung haben, deren äußeren Rahmen der innere Entwurf jedoch überschreitet, da beide Eltern die damit verbundenen Begrenzungen erleben und wahrnehmen können. Dies kann auch als Hinweis darauf gelten, dass auch im Rahmen eines stärker traditionalen Arbeitsteilungsentwurfes eine weitergehende Integration von Autonomie und Bindung verankert werden kann. Im Kontext der berufszentrierten Arbeitsteilung, bei der neben dem Vater auch die Mutter in ausgesprochenem Maße berufsorientiert ist, kommt es zu einer spezifischen Problematik. Hier ist zunächst der innere Entwurf beider Eltern an vor allem beruflich verankerter Autonomie orientiert. Demgegenüber ist die Bindung wenig repräsentiert, und statt einer Zuweisung von Autonomie und Bindung an die Geschlechter besteht eine weibliche Orientierung am traditionell männlichen berufszentrierten Entwurf. Dieser Paarentwurf von zwei sich gleich Entwerfenden gerät jedoch mit dem Elternwerden in eine Krise, da sich nicht nur Anforderungen der Alltagspraxis ändern, sondern sich das Modell der eher einseitigen Autonomieorientierung angesichts der Bindungsanforderungen des Kindes nicht länger halten lässt. Thematisch wird vielmehr eine neue innere Gewichtung von Autonomie und Bindung, die potentiell mit verschiedenen gemeinsamen äußeren Gewichtungen von Beruf und Familie einhergehen kann. Wie anhand der untersuchten Familien deutlich wurde, gibt es jedoch innerhalb des berufszentrierten Entwurfes mit der Geburt eines Kindes einerseits auf Ebene der Praxis einen Rückgriff auf traditionelle Arbeitsteilungsformen mit weiblicher Teilzeittätigkeit, andererseits kommt es innerlich dabei nicht zu einer gemeinsamen Integrationsleistung von Autonomie und Bindung, sondern die beruflich gebundene Autonomieorientierung dominiert weiterhin. Dies führt jedoch, wie beschrieben, zu einer Konfliktualisierung des familialen Entwurfes, bei der es bemerkenswerterweise gerade angesichts der auch für die Frau weiterhin geltenden hohen beruflichen Autonomieorientierung, die als Zeichen einer Modernisierung von Weiblichkeit gelten kann, zu einem konkurrenten Geschlechterkampf und damit verbundenen Retraditionalisierungsprozessen kommt. Diese finden im Rückzug auf traditionell geschlechtsspezifische Hoheitsbereiche mit wechselseitigen Ausschlüssen der Mutter aus der Beruflichkeit und des Vaters aus der Familie statt. Die Ausschlüsse sind stärker oder schwächer ausgeprägt in Abhängigkeit davon, in welchem Maße für die Frau oder für beide Eltern innere Umwertungsprozesse – die auf einer Anerkennung von Verlusten basieren – gelingen und damit auch die Berufszentrierung hin zu einem stärker integrativen Arrangement aufgelöst werden kann. Zu einem ähnlich gelagerten Retraditionalisierungsprozess im Sinne eines Rückgriffes auf traditionell geschlechtsspezifische Bereiche kann es auch im Kontext des modernisierten egalitären Entwurfes der Arbeitsteilung kommen, wenn die innovative Praxis innere, eher traditionelle Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit und damit die eigene Identität zu stark in Frage stellt. Dies gilt
6.3 Schluss: Altes und Neues
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vor allem für Väter, wie sich am Beispiel der Familie Bruckner zeigen lässt, für die die Integration von Männlichkeit und familialer Fürsorge prekär ist. So kann eine Verunsicherung der eigenen Männlichkeit durch den expliziten Bezug auf die eigene Beruflichkeit abgesichert und durch eine weitergehende Abwertung des familialen Bereiches und familialer Bindung stabilisiert werden, gerade auch angesichts der eigenen modernisierten Praxis. Beruflichkeit und berufliches Autonomieerleben können darüber hinaus auch generell, d.h. auch für Frauen zu einer Entlastung von Bindungsanforderungen genutzt werden und vor allem – aber nicht nur – im Kontext konflikthafter Eltern-Kind-Bindungen zu einer Entlastung und Reduzierung elterlicher Ambivalenz beitragen. Festzuhalten ist in diesem Kontext auch die Möglichkeit einer interaktiven Stabilisierung der grundsätzlich eher traditionellen Alltagspraxis mit einer Zuweisung von Autonomie und Bindung gerade durch deren Infragestellung, wie im Fall der Familie Baumeister/Schneiders erkennbar. Dabei können äußere Infragestellungen, die nicht mit einer inneren Balance korrespondieren, zum Anschein einer freien Verhandelbarkeit der elterlichen Arbeitsteilung führen und diese somit legitimieren und absichern. Auf Basis der traditionellen Zuweisung von Autonomie und Bindung ist es dann sogar die stärker eine innere Integrationsleistung erbringende Frau, die gegenüber einer Veränderung der Alltagspraxis weniger offen scheint.
6.3 Schluss: Altes und Neues Die Untersuchung der Praxis elterlicher Arbeitsteilung in ihrer mehrdimensionalen Bedingtheit hat gezeigt, dass eine gleichberechtigte und egalitäre elterliche Arbeitsteilung, bei der Männer und Frauen gleichermaßen an beiden wesentlichen Lebensbereichen – Beruf und Familie – teilhaben können, zunächst den Status einer (teil-)gesellschaftlichen Idealbildung hat. Zugleich sind alle Familien jedoch erkennbar von einer Modernisierung der Elternschaft als Teil des Geschlechterverhältnisses erfasst, auch wenn sich dies nur bedingt in einer veränderten Praxis ausdrückt. Um das Verhältnis von Wandel und Kontinuität in diesem Bereich und die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten erfassen und verstehen zu können bedarf es, wie deutlich wurde, einer Analyse, die den familialen Entwurf in seinen verschiedenen Dimensionen als alltagpraktischen, diskursiven, gesellschaftlich geprägten wie auch unbewusst bestimmten berücksichtigt. Dabei wurde erkennbar, in welcher Weise das Alte mit dem Neuen vermittelt werden kann und in ihm weiterbesteht, wie Neues auch durch das lebensgeschichtlich Alte bestimmt sein kann und wie auch
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im Alten verankert Wandlungsprozesse stattfinden können, die zu einer Konstellation des Neuen im Alten führen. Dabei sind die Wandlungsprozesse bereits auf gesellschaftlicher Ebene, wie an den Deutungsmustern erkennbar, keineswegs eindeutig. Jedoch eröffnet das Ensemble der gleichzeitig existierenden Deutungsmuster für die Familien auch neue, zunächst diskursive Optionshorizonte und die Möglichkeit spezifischer Kombinationen und eigener Sinnbildungsprozesse, vor allem in der Möglichkeit, den eigenen Entwurf zu verankern und zu legitimieren. Auch auf subjektiver Ebene gibt es einen jeweils individuell und paarspezifisch begrenzten Handlungsraum, der zu den gesellschaftlichen Deutungsvorgaben in Wechselwirkung tritt. Dieser unbewusste Anteil des mit dem Elternwerden als auslösender Situation aktualisierten Entwurfes erweist sich als in starkem Maße prägend für die Ausgestaltung der familialen Praxis, dies auch in Abhängigkeit vom Grad der Abwehrgeprägtheit oder inneren Flexibilität. Es zeigt sich, dass auch der innere Prozess einer Modernisierung im Sinne der Möglichkeit, die traditionell spaltenden Zuweisungen von Autonomie und Bindung zu integrieren, widersprüchlich ist. Es ist nach wie vor schwierig, väterliche Generativität mit Männlichkeit innerlich in Einklang zu bringen, weibliche Autonomie und Handlungsfähigkeit mit Bindungs- und Abhängigkeitswünschen zu versöhnen und dabei für beide Geschlechter in einer Paarbeziehung einen gemeinsamen Entwurf zu entwickeln, der allen Beteiligten gerecht wird. Jedoch ist ein Charakteristikum familialer Beziehungsprozesse und sich entwickelnder familialer Triade, dass sie nicht zuletzt aufgrund der Entwicklung der Kinder in Bewegung sind und so zumindest prinzipiell die elterliche Arbeitsteilung in einer Familie entwicklungsoffen ist. So zeigt sich gerade durch die Betrachtung der verschiedenen bewussten und nicht bewussten oder unbewussten Anteile der familialen Lebensentwürfe, wie die widersprüchliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung vonstatten geht und wie sehr voneinander abhängig und zugleich potentiell ambivalent individuelle, familiale und kollektive Wandlungsprozesse ablaufen.
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