Nr. 315
Diener der Vollkommenheit Das Ende der Menschheit wird vorbereitet von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen...
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Nr. 315
Diener der Vollkommenheit Das Ende der Menschheit wird vorbereitet von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Leiter der Invasion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Und so landen Atlan und Razamon an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, ist, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nahmen, haben Atlan und Razamon zusammen mit ihrem neuen Weggefährten, dem Fenriswolf, den Ort in der Wüste Fylln erreicht, an dem mittels des Kartaperators der Energieschirm, der Terra vor den Invasoren schützt, durchbrochen werden soll. Um den Angriffsplan zu durchkreuzen, benötigen Atlan und Razamon Hilfe – und diese Hilfe bietet ihnen der DIENER DER VOLLKOMMENHEIT …
Diener der Vollkommenheit
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Razamon - Die beiden widmen sich einer gefährlichen Waffe. Fenrir - Atlans und Razamons vierbeiniger Kampfgefährte. Artol Forpan - Bauleiter der Kartaperators. Teerträger - Ein Techno aus Zbahn. Manziel - Würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer.
1. Manziel war ein würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer. Als er den Befehl bekam, als Verbindungsglied zwischen dem »Werkzeugschöpfer« und der Baustelle in der Wüste Fylln zu fungieren, wäre er vor Stolz beinahe geplatzt. Er gehörte zu den Auserwählten. Nur die wichtigsten Robotbürger waren aufgefordert worden, die Technos beim Bau des Kartaperators zu unterstützen. Diese wichtigsten Robotbürger hatten selbstverständlich auch nur ihre zuverlässigsten Arbeiter ausgeschickt. So war also Manziel mit anderen Arbeitern anderer Herren in die Wüste Fylln gereist, und er hatte nicht im geringsten daran gezweifelt, daß seine Zukunft mit Erfolgen und angenehmen Dingen aller Art angefüllt sein würde. Diese Überzeugung war ins Wanken geraten und schließlich ganz zerbrochen. Von Stolz und Glück gab es keine Spur mehr, und die Zukunft bot sich als eine Versammlung düsterer Schatten dar. Manziel war das personifizierte schlechte Gewissen. Das durfte natürlich niemand merken. Für einen Roboter war ein Doppelspiel dieser Art ein aufreibendes Geschäft. Nach seiner Ankunft in der Wüste Fylln hatte Manziel entsetzt bemerkt, daß beim Bau des Kartaperators die Vorschriften der Vollkommenheit restlos außer acht gelassen wurden. Das Durcheinander auf der Baustelle war eine Zumutung für die Linsensysteme eines jeden anständigen Roboters. Und beim Kartaperator selbst sah es noch schlimmer aus. Manziel litt so sehr unter den entstehenden Disharmonien, daß er fürchtete, seiner Aufgabe nicht gerecht werden zu können.
Gegen die störenden Einflüsse konnte Manziel sich nur auf eine Art und Weise wehren. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer wurde zum Dieb. Selbstverständlich wußte Manziel, daß seine Aktivitäten nicht dazu beitrugen, den Auftrag, den die Herren der FESTUNG ihm und allen anderen Arbeitern erteilt hatten, schnell und konsequent zu erfüllen. Er wußte auch, daß man ihn einfangen und zurückschicken würde, sobald man dahinter kam, wer an den unmöglichsten Stellen wertvolle Bauteile heimlich entfernte. An das, was Manziel sich vom Herrn Vortimer höchstpersönlich würde anhören müssen, dachte er lieber erst gar nicht. Zum Glück war Manziel ein vielseitig begabter Roboter. Man durfte einen würdigen Arbeiter aus Wolterhaven nicht mit einem normalen Roboter terranischer Bauart verwechseln. Manziel war zu einer ganzen Reihe von Gefühlen befähigt. Er konnte sogar nervös werden oder Angst bekommen. Letzterer Zustand war alles andere als angenehm. Manziel wurde jedesmal von dieser Angst befallen, wenn er zu einem neuen Beutezug aufbrach. Er schwebte zwischen den Kuppelbauten der Unterkunftszone hindurch und fühlte sich miserabel. Es war so, als könnte er ein paar Dutzend gelockerte Kontakte in sich fühlen, die in jedem Augenblick zu verheerenden Kurzschlüssen führen mochten. Er wich den Technos aus, die jetzt, am frühen Morgen, in Scharen an ihre Arbeit eilten. Manchmal hatte Manziel Mühe, schnell genug zu reagieren, weil die Angst ihn zu sehr in Anspruch nahm. Die Technos hatten sich schnell daran gewöhnt, daß die Arbeiter aus Wolterhaven dank ihrer ungeheuer schnellen
4 Reaktionen keine Störfaktoren bildeten und man sie eigentlich nicht zu beachten brauchte – es sei denn, man wollte ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Die Technos achteten nicht darauf, ob ihnen eine Maschine im Weg stand oder nicht. Es war undenkbar, daß es zu Zusammenstößen kam, denn die Roboter wichen immer schnell genug aus. Diese Sorglosigkeit der Technos war für Manziel ein großes Problem. Er war sehr erleichtert, als er die engen Straßen der Wohnzone hinter sich gelassen hatte. Auch diesmal war es ihm gelungen, sich durch das Gewimmel der Technos zu bewegen, ohne Aufsehen zu erregen. Ein paarmal allerdings war er nur sehr knapp an einem verräterischen Zusammenprall vorbeigekommen. Er hoffte, daß die Betroffenen nichts gemerkt hatten. In einem robotischen Äquivalent zu tiefer Erschöpfung blieb Manziel sekundenlang stehen, um erst einmal die Lage zu sondieren, ehe er sich weiter vorwagte. In seiner Erleichterung darüber, daß er ungeschoren aus dem Wohnbezirk gekommen war, vergaß er jedoch, daß ihm auch hier, in unmittelbarer Nähe des Kartaperators, Gefahr drohte. Im buchstäblich letzten Augenblick bemerkte er eine Gruppe von Technos, die – in ein Gespräch vertieft – direkt auf ihn zukam. Manziel katapultierte sich mit Hilfe seiner Flugdüsen nach oben. Die Vibration der Angst wurde so heftig, daß Manziel zu spüren glaubte, wie sich etliche Schrauben in seinem Körper lösten. Er zwang sich zur Ruhe und justierte seine optischen Systeme neu ein. Beinahe trotzig entschloß er sich, der Gefahr ins Auge zu sehen. Als er dann erkannte, daß Artol Forpan persönlich unter ihm im Sand stand, hätte er fast vor Schrecken die Kontrolle über die Flügeldüsen verloren. Artol Forpan war der Leiter dieser Baustelle. Er stand mit den Herren der FESTUNG in ständiger Verbindung, und es hieß, daß er – wie auch andere Mitglieder der mächtigen Familie Gordy – sogar schon den Herren persönlich begegnet war. Das
Marianne Sydow klang sehr unwahrscheinlich, weil die Herren der FESTUNG sich nur dann mit ihren Untertanen beschäftigten, wenn sie etwas von diesen verlangten. Und in diesen Fällen genügte es, wenn sie ihre Anordnungen über das Kommunikationssystem erteilten oder in einer jener Formen, die für Pthor charakteristisch waren. Manziel hatte noch niemals davon gehört, daß die Herrscher von Pthor die FESTUNG verließen oder jemanden dorthin einluden. Man konnte über die Gerüchte, die die Familie Gordy betrafen, denken, wie man wollte, Artol Forpan jedenfalls war ein sehr mächtiger Techno. Er war ungefähr dreißig Jahre alt. Er hatte große, blaue Augen, aber sein Gesicht wirkte hart und kalt. Es gab keinen einzigen Techno auf der Baustelle, der nicht zu zittern begann, wenn Forpan sich mit ihm befaßte. Manziel konnte aus verschiedenen Gründen nicht zittern. Er konnte auch nicht schlicht und einfach in Ohnmacht fallen. Zum erstenmal war er sich der Tatsache bewußt, daß auch der perfekteste Roboter organischen Wesen gegenüber in bestimmten Bereichen benachteiligt war. »Was tust du hier?« fragte Artol Forpan und starrte den fliegenden Roboter durchdringend an. »Ich rechne«, behauptete Manziel. Forpan lächelte kalt und deutete auf die Wohnkuppeln. »Bist du wegen ihrer Stabilität besorgt?« fragte er spöttisch. »Als wir kamen, waren deine Linsen auf die Kuppeln gerichtet.« Forpan wußte zwar recht gut über die Arbeiter aus Wolterhaven Bescheid, aber einige Kleinigkeiten waren ihm noch unbekannt. »Ich stand mit Herrn Vortimer in Verbindung«, antwortete Manziel würdevoll. »Er wünschte für seine Berechnungen ein speziell gefiltertes Bild des Kartaperators im augenblicklichen Zustand. Dieses Bild konnte ich nur liefern, indem ich ein optisches System einsetzte, das bedauerlicherweise als Einzelteil in meinem Körper integriert wurde. Dieses System …«
Diener der Vollkommenheit Artol Forpan winkte hastig ab. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß die Robotdiener außerordentlich gerne über ihre Fähigkeiten und die Teile ihres Körpers sprachen. Manchmal war es nahezu unmöglich, eine solche Maschine zum Schweigen zu bringen, wenn sie sich erst einmal in Schwung geredet hatte. »Was haben die Berechnungen ergeben?« wollte Forpan wissen. »Der Kartaperator wird genauso arbeiten, wie die Herren der FESTUNG es wünschen«, behauptete Manziel und hoffte, daß der Herr Vortimer sich an die Spielregeln hielt und nicht heimlich eine Subverbindung zu seinem würdigen Arbeiter hergestellt hatte. In diesem Fall nämlich wußte der Herr Vortimer schon jetzt, daß sein Diener Dinge tat, die ein Roboter gefälligst zu unterlassen hatte. Manziel war bereit, das Blaue vom Himmel herunterzuschwindeln, wenn er Forpan damit loswerden konnte. »Das will ich hoffen«, sagte der Techno nüchtern. »Da du diesen Auftrag erfüllt hast, ist es dir sicher möglich, mich zu begleiten.« Manziel schwieg vorsichtshalber. Vielleicht konnte er Forpan zu dem Trugschluß verleiten, daß gerade eine neue Verbindung zu dem Herrn Vortimer bestand. Entweder dachte Forpan gar nicht an eine solche Möglichkeit, oder er hatte Manziel durchschaut. »Komm jetzt!« befahl er, und Manziel schwebte betrübt neben den Technos auf den Kartaperator zu. Unter normalen Umständen hätte er Forpans Befehl ignorieren können, denn er schuldete nur dem Herrn Vortimer Gehorsam. Aber dieser hatte seinen Diener für die Dauer des Einsatzes ausdrücklich dem Techno Artol Forpan unterstellt. Sie erreichten das gewaltige Gebilde, mit dessen Hilfe endlich der freie Zugang zur Außenwelt geschaffen werden sollte. Etliche hundert Technos und ein Dutzend Robotdiener – die auch Bürgern von Wolterhaven unterstanden – waren emsig damit beschäftigt, die drei Projektionsstrahler zu montieren. Das war eine heikle Angelegenheit. Die
5 Projektoren waren zwar beweglich und ließen sich auch nach der Montage noch justieren, aber beim Kartaperator konnte man nie wissen, was bei solchen nachträglichen Manipulationen herauskam. Darum bemühte man sich, die Projektoren so genau wie nur irgend möglich auf die Zielrichtung einzustellen. Manziel hielt sich im Hintergrund. Er fühlte sich gräßlich schlecht. Der Anblick des halbfertigen Kartaperators schmerzte ihn geradezu. »Wo ist es?« fragte Forpan einen seiner Begleiter. »Dort, in der Schaltkuppel für die Projektorsteuerung«, sagte der andere Techno unterwürfig. Manziel wäre vor Schreck fast schon wieder in die Luft geschossen, denn die genannte Schaltkuppel hatte er in der letzten Nacht heimgesucht. Es gab dort eine Tafel mit zahlreichen Hebeln, die wohltuend regelmäßig angeordnet waren. Und dann hatte man diesen ordentlichen Eindruck brutal durchbrochen, indem man die Hebel mit farbigen Knöpfen versah! Die Knöpfe hätten Manziel noch nicht einmal gestört. Die willkürliche Verteilung von Farben, die weder zueinander noch zu ihrer Umgebung paßten, stellte jedoch einen kaum erträglichen Verstoß gegen die Vorschrift der Vollkommenheit dar. Manziel hatte lange über dieses Problem nachgedacht – mindestens drei Sekunden hatte er gebraucht, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Er hätte die Knöpfe vertauschen können, damit wenigstens eine scheinbare Harmonie der Farben gewahrt wurde. Aber diese Lösung war unvollkommen. Darum hatte Manziel in der Nacht zuvor sämtliche Knöpfe abgebaut und sie – mit einigen anderen störenden Kleinigkeiten – in sein Versteck gebracht. Voller Angst folgte er Forpan und den anderen. Die Technos kletterten über metallene Leitern bis zur Kuppel hinauf. Manziel schwebte unglücklich neben ihnen her. Er
6 wünschte, Forpan würde ihn von seinem Befehl entbinden. Aber wie alle Technos hatte Forpan wenig Erfahrung im Umgang mit den Robotdienern. Wahrscheinlich wußte er nicht einmal, daß es Manziel unmöglich war, sich zu entfernen, ehe Forpan es ihm ausdrücklich erlaubte. Unterwegs bemerkte Manziel einen neuen Verstoß gegen die Vorschrift der Vollkommenheit. Forpan trug einen merkwürdig aussehenden Kasten am Gürtel. Das Ding hatte geradezu eine beleidigende Form und eine ganz und gar unmögliche Farbe. Manziel überlegte, was er gegen diesen störenden Anblick unternehmen konnte. Dadurch wurde er von seiner Angst ein wenig abgelenkt. Die Tür zur Kuppel gelangte in den Erfassungsbereich seiner Linsensysteme. Manziel erschrak erneut. Auch die Tür hatte einige unerträgliche Fehler enthalten, die er selbstverständlich beseitigt hatte. Er kämpfte mit sich selbst. Ein Teil von ihm bestand darauf, daß Forpan gewarnt werden müßte. Der andere Teil wehrte entsetzt ab, denn in diesem Fall würde Forpan wissen, daß Manziel nicht so funktionierte, wie er es wünschte. Und das bedeutete das Ende für Manziel. Wenn man ihn jedoch nach Wolterhaven zurückschickte, gab es niemanden mehr, der hier dafür sorgte, daß die Vorschriften der Vollkommenheit eingehalten wurden. Ehe Manziel mit seinem inneren Zwiespalt fertig wurde, hatten die Technos die kleine Plattform erreicht. Einer von Forpans Begleitern drehte an dem Knopf, mit dessen Hilfe sich die schwere Metalltür öffnen ließ. Der Knopf funktionierte einwandfrei. Der Riegel schnappte zurück – und die Tür kippte mit Getöse um. Die klobigen Scharniere hatten wirklich nicht den Vorschriften der Vollkommenheit entsprochen! Für einen Moment empfand Manziel tiefe Befriedigung über die glatte, makellose Öffnung, die in der Kuppelwand klaffte. Forpan war anderer Meinung. »Was soll diese Schlamperei!« fuhr er den
Marianne Sydow erschrockenen Techno an. Der Mann zitterte wie Espenlaub. Ihm fiel erst nachträglich ein, daß die Tür auch zur anderen Seite hätte fallen können. Dann wäre von dem Techno Hoster aus Zbahn nur wenig übriggeblieben. »Ich verstehe das nicht«, stotterte er. »Gestern war die Tür noch in Ordnung!« »Gestern?« fragte Forpan schneidend scharf. »Du hast bei deiner heutigen Kontrolle den Diebstahl bemerkt. Dabei hätte dir dieser Fehler ebenfalls auffallen müssen.« »Mein Kontrollgang führt mich fast über den ganzen Kartaperator«, verteidigte der Techno sich. »Diese Kuppel habe ich von der Montagefläche her betreten.« Forpan sah Hoster mißtrauisch an und stieg dann vorsichtig über die Tür hinweg ins Innere der Kuppel. Manziel folgte ihm notgedrungen. Artol Forpan achtete gar nicht mehr auf den Roboter. Er ließ Manziel ganz dicht an sich heran – zu dicht! Der Kasten an Forpans Gürtel hing an einer einfachen Schnalle, die weder technisch noch durch magische Einflüsse gesichert war. Ein Mitglied der Familie Gordy hatte es nicht nötig, sich vor Diebstahl zu schützen. Niemand wagte es, einen Angehörigen dieser hohen Kaste zu bestehlen. Besser gesagt: Kein Techno traute sich an ihn heran. Aber Manziel war kein Techno. Und deshalb galt das Tabu für ihn nicht. Ihm war es absolut gleichgültig, wen er vor sich hatte. Wer immer auch die Vorschrift der Vollkommenheit mißachtete, mußte die Folgen in Kauf nehmen. Artol Forpan wußte nichts von diesen Vorschriften. Er hätte Manziels Motive niemals verstanden. Darum zog der Roboter es vor, den Kasten ganz unauffällig zu beseitigen. »Seltsam«, murmelte Forpan gerade. »Wer kann das getan haben? Mit diesen Knöpfen läßt sich doch gar nichts anfangen!« »Der Diebstahl ist so sinnlos wie alle anderen vorher«, bemerkte Hoster vorsichtig. Die anderen Technos nickten beifällig. Manziel stellte fest, daß alle die Schalttafel an-
Diener der Vollkommenheit starrten und streckte vorsichtig einen dünnen Metalltentakel aus. Forpan merkte nichts, als die Schnalle sich öffnete. »Der Dieb nimmt einfach wahllos alles mit, was ihm gerade gefällt«, behauptete ein Techno aus Forpans Gruppe. Manziel verstaute den störenden Kasten in einem Frachtfach seines Metallkörpers. »Vielleicht hat einer der Parias sich ins Lager geschlichen«, überlegte Hoster. »Wir wissen, daß diese Kerle sich draußen in der Wüste herumtreiben.« »Wir hätten einen Fremden längst bemerken müssen«, sagte Forpan ärgerlich. »Es gibt genug Kontrollen. Außerdem paßt es nicht zusammen. Die Parias brauchen Wasser und Proviant, Kleidung, Schuhe, Waffen – aber nicht ein paar bunte Schaltknöpfe, die bestenfalls ein Spielzeug darstellen.« »Viele Parias sollen nach kurzer Zeit in der Wüste den Verstand verlieren«, erklärte Hoster. »Nur ein Wahnsinniger könnte diese Diebstähle ausführen.« Manziel hörte zu und hielt gleichzeitig nach anderen Dingen Ausschau, die er verschwinden lassen konnte. Zum dritten beschäftigte er sich mit der sehr unerfreulichen Aussicht, daß Forpan ihm wider Erwarten doch noch auf die Schliche kam. Die Gefahr war geringer geworden. Bis jetzt verfolgte der Techno eine völlig falsche Spur. »Mir ist es gleichgültig«, sagte Forpan, »ob der Dieb wahnsinnig ist oder nicht. Ich will den Kerl haben, und zwar schnell. Wenn er so weitermacht, verzögert sich die Fertigstellung des Kartaperators. Die Herren der FESTUNG werden ungeduldig.« »Bis jetzt handelt es sich nur um Kleinigkeiten«, murmelte Hoster bedrückt, denn er ahnte, daß Forpan ihm die Schuld in die Schuhe schieben würde, wenn es nicht gelang, den Dieb dingfest zu machen. »Die Knöpfe lassen sich leicht wieder anbringen, und die Scharniere für die Tür …« »Wir verlieren Zeit mit solchen Basteleien!« schrie Forpan wütend. »Jede Sekunde zählt.« »Wir haben Wachen aufgestellt«, sagte je-
7 mand. »Es hat nichts genützt. Die Lage ist unübersichtlich. Es wird Tag und Nacht gearbeitet. Wir können nicht jeden überprüfen, der hier herumläuft.« »Dann stellt dem Dieb eine Falle«, empfahl Forpan eisig. »Er hat es auf Kleinigkeiten abgesehen, und die entwendeten Gegenstände waren meistens bunt gefärbt. Baut etwas auf, was der kindlichen Mentalität dieses Kerls entspricht.« Die Technos schwiegen betreten. Sie hielten nicht viel von Forpans Vorschlag, denn der Dieb schien überall und nirgends zu gleicher Zeit zu sein – überall auf der Baustelle, die eine Fläche von rund zehn Quadratkilometern bedeckte, verschwanden Gegenstände aller Art. Wie sollte man da eine Falle errichten? Und vor allen Dingen: Wo sollte das Ganze stattfinden? Manziels Überlegungen galten anderen Fragen. Erstens ärgerte er sich darüber, daß Forpan von kindlicher Mentalität sprach. Zweitens fragte er sich ernsthaft, ob er nicht Artol Forpan selbst beseitigen sollte. Der Bauleiter störte zweifellos die Vorschriften der Vollkommenheit noch stärker als alle Apparaturen zusammen. In diesem Augenblick begann der Boden unter ihren Füßen zu vibrieren. »Was ist das?« fragte Forpan erschrocken. Niemand antwortete, aber von draußen drang Geschrei herein. Der Bauleiter faßte nach dem Kasten, der an seinem Gürtel gehangen hatte. Manziel sah es und drehte hastig die Geräuschempfindlichkeit seiner akustischen Systeme auf einen niedrigeren Wert. Forpan öffnete den Mund zu einem wütenden Schrei, aber ein starker Stoß, der den ganzen Kartaperator erschütterte, ließ ihn verstummen. Wie von Furien gehetzt, rannte er auf die Plattform hinaus. »Was ist passiert?« brüllte er zu dem nächstbesten Techno hinauf, der über ihm im Anschlußsystem für den dritten Projektor hing und fassungslos auf etwas starrte, was Forpan von der Plattform aus nicht sehen konnte.
8 »Ein Ungeheuer!« schrie der Techno zurück. »Es kommt aus dem Sand, auf der anderen Seite!« Forpan winkte seinen Begleitern. Manziel, immer noch nicht von dem Befehl entbunden, dem Techno zu folgen, schwebte ärgerlich hinterher. Ein plötzlich auftauchendes Ungeheuer stellte eine Störung dar, gegen die er nahezu machtlos war. Die Technos hatten Mühe, sich auf den stählernen Leitern zu halten. Neue, stärkere Erschütterungen durchliefen den Kartaperator. Manziel dachte darüber nach, ob Forpan wirklich so furchtlos war, oder ob er sich nur besonders gut beherrschte. Der Bauleiter schien lediglich wütend über den Zwischenfall zu sein, der den Bau des Kartaperators nicht gerade beschleunigte. Aber er mußte sich auch der Gefahr bewußt sein, in der alle hier auf der Baustelle schwebten. Diese Gefahr ging nicht so sehr von dem Ungeheuer aus – mit dem konnte man kämpfen, und selbst die Bestien aus der Ebene Kalmlech waren nicht unverwundbar –, sondern der Kartaperator selbst war unter diesen Umständen ein sehr bedrohliches Instrument. In seinem unförmigen Innern waren gewaltige Energien gefangen. Die Konstruktion war nicht ausgereift – Manziel konnte ein Lied davon singen. Die Erschütterungen konnten ohne weiteres zu einer verheerenden Explosion führen. Forpan und seine Leute klebten an den Leitern, während der Kartaperator sich schüttelte wie ein von Stechfliegen verfolgtes Yassel. Manziel schwebte ungerührt in der Luft. Sekunden vergingen, dann fiel Hoster wie eine reife Nuß von der Leiter. Er wirbelte schreiend durch die Luft und schlug dreißig Meter tief im Sand auf. Ein terranischer Roboter hätte eingreifen und den Technos helfen müssen. Manziel kannte solche Komplexe nicht. Die Technos gingen ihn nichts an. Sie durften ihm technische Anweisungen geben, aber auf ihre Gesundheit mochten sie gefälligst selbst achten. »Verdammtes Blechei!« schrie Forpan
Marianne Sydow und krallte sich noch fester an die wackelnden Sprossen. »Bring mich nach unten!« Das war ein handfester Befehl. Manziel schwebte näher, streckte einen Tentakel aus und packte Forpan am Kragen. Der Techno schrie und zappelte, als er von dem Roboter durch die Luft geschwenkt wurde, aber Manziel ließ sich dadurch nicht beirren. Er wußte schließlich nicht, daß diese Transportmethode nicht viel angenehmer als der Aufenthalt auf der wackeligen Leiter war. Forpan wurde vom Kragen seiner eigenen Kombination fast erdrosselt. Blaurot im Gesicht kam er unten an. Manziel verharrte schwebend und wartete auf neue Befehle – folgen konnte er dem Techno vorerst nicht, denn dieser war zur Fortbewegung noch nicht wieder fähig. Bis Forpan wieder zu Atem kam, plumpsten die restlichen Technos aus seiner Gruppe herab. Forpan richtete sich keuchend auf, warf Manziel einen vernichtenden Blick zu und eilte zu seinen Leuten. Dabei bockte der Boden unter seinen Füßen fünfmal so heftig, daß Forpan sehr würdelos auf die Nase fiel. Erleichtert stellte er fest, daß es nur einen Toten zu beklagen gab. Technos waren im allgemeinen sehr robust, und der Sand war weich genug, um den Aufprall etwas von seiner Wucht zu nehmen. Manziel folgte befehlsgemäß. Forpan hatte damit nicht gerechnet. Nachdem er die Bewußtlosen, die sich für einige Zeit mit etlichen Knochenbrüchen im Krankenrevier würden aufhalten müssen, untersucht hatte, drehte er sich hastig herum. Er wußte immer noch nicht, was es mit dem Ungeheuer auf sich hatte. Leider ging er zu hastig vor und knallte infolgedessen mit dem Schädel gegen Manziels Transportfach. Forpan fiel auf der Stelle um, und Manziel packte erschrocken den komischen Kasten wieder ein. Er hoffte, daß Forpan nichts bemerkt hatte. Aber allmählich fragte er sich allen Ernstes, wie er von diesem verflixten Techno loskommen sollte. Forpan rappelte sich allmählich wieder auf. Auf seiner Stirn entwickelte sich eine
Diener der Vollkommenheit kapitale Beule. Forpan spuckte fluchend den Sand aus, den er unfreiwillig in den Mund bekommen hatte. Drohend musterte er Manziel, der regungslos vor ihm in der Luft schwebte. »Du hast für heute genug Unheil angerichtet«, stieß er hervor. »Hast du nichts anderes zu tun, als dauernd im Weg zu stehen?« »Du gabst mir den Befehl, dir zu folgen«, antwortete Manziel ungerührt. »Dann gebe ich dir hiermit den Befehl, aus meiner Nähe zu verschwinden«, brüllte Forpan. Manziel tat nichts lieber als das. Er schwirrte davon. »Laß dich ja nicht noch einmal blicken!« schrie Forpan hinter ihm her. Manziel bog bereits um die Ecke. Und dann sah er das Ungeheuer.
2. Auf seinen Reisen durch Raum und Zeit berührte Pthor viele Welten, und oft blieb etwas von denen in dem seltsamen Land hängen. Vielleicht waren auch die Robotbürger von Wolterhaven nichts als das Strandgut einer inzwischen zerstörten Zivilisation. Manziel wußte es nicht, denn es gab darüber keine Überlieferungen. Wenn es aber so war, dann hatten die Herren der FESTUNG mit den Robotbürgern einen guten Griff getan. Von den Dorgonen konnte man das nicht sagen. Manziel fragte sich wirklich, was die Herren der FESTUNG dazu bewogen haben mochte, diese Monstren nach Pthor zu holen. Er erinnerte sich nicht daran, daß die Dorgonen jemals eine nützliche Funktion erfüllt hatten. Seiner Meinung nach stellten die Riesenwürmer alle miteinander einen einzigen Störfaktor dar, den man schnell und gründlich hätte beseitigen sollen. Nun hieß es, daß die Dorgonen schon vor langer Zeit ausgestorben waren. Offensichtlich beruhte dieses Gerücht auf einem bedauerlichen Irrtum. Das Exemplar, das ne-
9 ben dem Kartaperator aus dem Boden kroch, wirkte jedenfalls recht lebendig. Es war noch nicht in seiner vollen Größe sichtbar. Schon jetzt ließ sich aber sagen, daß sein runder Leib sieben Meter hoch war. Der bis jetzt sichtbare Teil des Körpers war vierzig Meter lang. Und die Schneidezangen, die den Mund des Monstrums flankierten, maßen bestimmt je vier Meter und glänzten wie polierter Stahl. Manziel, der nicht ahnen konnte, wie nahe am Kartaperator sich diese Kreatur aus dem Boden schob, prallte erschrocken zurück. Der Dorgone starrte mit seinen großen Augen die Technos an, die entsetzt zurückwichen, und ließ seinen Kopf dabei drohend hin und her pendeln. Dabei hätte er Manziel beinahe erwischt. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer flog ein Ausweichmanöver und stieg dann rasch höher, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Technos, die am Kartaperator arbeiteten, trugen keine Waffen bei sich. Am Rand des Lagers gab es ein paar Wächter, die aber eigentlich nur ein Zugeständnis an das Sicherheitsbedürfnis organischer Kreaturen waren. Sie befanden sich auf jeden Fall zu weit weg vom Ort des Geschehens, als daß sie sofort etwas unternehmen konnten. Die Arbeiter – viele waren verletzt oder hingen immer noch an dem wackelnden Kartaperator – hatten dem Gegner nur ein paar Schraubenschlüssel und Ähnliches entgegenzusetzen. Der Dorgone war davon nicht beeindruckt. Manziel bemerkte, daß der Riesenwurm jetzt schneller vorankam. Der vordere Teil seines Körpers hatte eine Fahrspur erreicht, und die kleinen, zahllosen Beine fanden dort besseren Halt. Die Technos wandten sich schreiend ab, sofern sie nicht vor Schreck gelähmt waren. Der Dorgone schnaubte und klapperte mit seinen Schneidezangen, während er den Rest seines Leibes – es handelte sich um lächerliche zwanzig Meter – aus dem Sand zog und dann zur Verfolgung ansetzte.
10 Der Dorgone hatte sich gerade in Marsch gesetzt, als Forpan endlich die Ecke erreichte, die Manziel umflogen hatte. Der Techno starrte das, was für ihn wie eine Panzerwand mit Stummelfüßen aussah, schweigend und erschrocken an. Manziel tat nichts, um Forpan zu warnen oder in Sicherheit zu bringen. Daran war der Techno selbst schuld. Sein letzter Befehl veranlaßte Manziel dazu, sich noch weiter zurückzuziehen, damit er nicht in Sichtweite des Bauleiters geriet. Der Dorgone walzte an Forpan vorbei und streifte ihn nur versehentlich mit einem Beinchen. Forpan flog in einem doppelten Salto durch die Luft und landete schon wieder im Sand. Manziel überlegte fieberhaft, wie sich das Monstrum aufhalten ließ. Der Dorgone bewegte sich nämlich genau auf ein Gebäude zu, dem Manziel eine besonders intensive Behandlung hatte angedeihen lassen. Eine volle Nacht hatte er gebraucht, um die Außenwände der Werkstatt radikal zu verändern. Jetzt endlich entsprach dieses Gebäude – wenigstens von außen – den Vorschriften der Vollkommenheit. Und dieses dumme Monstrum krabbelte genau darauf zu! Manziel konnte es nicht länger mitansehen. Er schoß im Sturzflug auf den Dorgonen zu und schlug dem Ungeheuer seine stählernen Tentakel um die Ohren – sofern der Dorgone Ohren besaß, zu sehen waren sie jedenfalls nicht. Der Riesenwurm unterbrach seinen Vormarsch für einen Augenblick, verdrehte ein Auge und starrte Manziel vorwurfsvoll an. Der Roboter stieg hastig ein Stück höher. »Geh weg, du Biest!« brüllte er den Dorgonen an. »Du hast hier nichts zu suchen!« Der Dorgone wackelte abfällig mit den Schneidezangen und marschierte weiter. Manziel folgte ihm fliegend, hielt sich dabei aber aus der Reichweite der Zangen heraus. »Wenn du schon etwas kaputt machen mußt«, schrie er, »dann nimm eine andere Kuppel! Die hier jedenfalls bekommst du nicht, und wenn ich mich in Stücke reißen lasse!«
Marianne Sydow Der Dorgone verdrehte abermals ein Auge, um Manziel sehen zu können. Er zeigte mit der Schneidezange auf die Werkstattkuppel, dann auf das Nebengebäude. »Ganz recht«, rief Manziel. »Weg damit, es stört den Gesamteindruck! Du darfst es umwalzen, verstanden? Aber das andere gehört mir!« Manziel war nicht weiter erstaunt darüber, daß der Dorgone ihn tatsächlich zu verstehen schien. Es gab kaum einen Bewohner von Pthor, der nicht Pthora reden konnte. Der Dorgone wechselte seinen Kurs, und Manziel folgte ihm – jetzt nicht mehr ängstlich oder wütend, sondern mit ehrlicher Begeisterung. Er sah eine Chance, etliche Störfaktoren schneller und gründlicher zu beseitigen, als es ihm sonst jemals möglich gewesen wäre. Er vergaß vor lauter Begeisterung jene Technos, die sich noch auf dem Kartaperator gehalten hatten oder von anderen sicheren Orten aus die Vorgänge auf der Baustelle genau beobachten konnten.
* Artol Forpan hatte für kurze Zeit das Bewußtsein verloren. Sein armer Schädel war an diesem Tag arg strapaziert worden, und so war es kein Wunder, daß der Techno einige Zeit brauchte, um sich die Situation ins Gedächtnis zurückzurufen. Er setzte sich stöhnend auf und sah sich um. Glücklicherweise war niemand in der Nähe. Forpan hatte bei den letzten Ereignissen keine gute Figur gemacht. Er war sehr besorgt um den guten Ruf der Familie Gordy, und natürlich um die Autorität, die er sehr schnell verlieren konnte, wenn er Fehler beging. Es war ein Fehler, sich von diesem dahergelaufenen Robotdiener in diesem Maße blamieren zu lassen. Forpan schwor sich, bittere Rache an Manziel zu verüben. In seinem Gedächtnis war eine verschwommene Erinnerung an etwas, das mit Manziel zusammenhing und
Diener der Vollkommenheit von großer Bedeutung war. Leider war diese Erinnerung nicht gewillt, sich aus der Nähe betrachten zu lassen. Immer, wenn Forpan dachte, jetzt hätte er das richtige Bild erwischt, entglitt ihm die Kontrolle über sein Gedächtnis, und er sah irgend etwas anderes, völlig Unbedeutendes. An den Dorgonen erinnerte er sich erst, als er einen ohrenbetäubenden Krach hörte. Er stand zu heftig auf und fand sich auf dem Boden wieder. In seinem Kopf summte und brummte es wie von tausend zornigen Insekten. Ächzend wälzte er sich herum. Der Dorgone hatte eine Montagekuppel erreicht und zertrümmerte sie systematisch. Dazu benutzte er nicht nur seine Schneidezangen. Der Riesenwurm bäumte sich auf und ließ sich einfach auf die Kuppel plumpsen. Das Gebäude zerplatzte wie eine reife Melone. Werkzeuge, Ersatzteile und Maschinenbänke flogen durch die Luft. Der Dorgone marschierte weiter und zerstörte mit seinen zahllosen Beinen ganz nebenbei das, was von der Kuppel noch übriggeblieben war. Forpan kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er über dem Dorgonen einen grellen Lichtreflex sah. Wieder griff er nach seiner Gürteltasche – er konnte noch immer nicht begreifen, wo und auf welche Weise sie ihm abhanden gekommen sein mochte. Einen Augenblick später waren die Lichtverhältnisse günstiger. Forpan erkannte mit dem bloßen Auge, daß ein Robotdiener über dem Kopf des Riesenwurmes schwebte. Er ballte die Hände zu Fäusten und murmelte einen Fluch. Wenn das nicht dieses ungeschickte Blechei von vorhin war … Durch das Bersten metallener Wände und das Klirren zersplitternder Glasscheiben glaubte er undeutlich die Stimme des Roboters zu hören. Der Dorgone änderte seine Marschrichtung. Forpan schlug die Hände vor die Augen, als der Riesenwurm sich vor einer zweiten Kuppel aufbäumte. Als er wieder hinsah, existierte das Konstruktionszentrum nur noch in der Form umherfliegender
11 Fetzen. Tausende von Papierblättern wirbelten wie Schnee über dem gepanzerten Rücken des Dorgonen. »Tut doch endlich etwas«, schrie Forpan, ohne daran zu denken, daß ihn bei diesem Krach sowieso niemand hören konnte. Er raffte seine Kräfte zusammen und kam taumelnd auf die Beine. Er brauchte eine Waffe, und er wußte auch, woher er sie zu holen hatte. Während der Dorgone munter weitermarschierte und sich die nächste Kuppel aussuchte, stolperte Forpan vom Kartaperator weg in die Richtung, in der es ein Materiallager gab. In der Nähe des langgestreckten Schuppens traf er zum erstenmal wieder auf andere Technos. Sie rannten sinnlos umher oder starrten mit schreckgeweiteten Augen das Ungeheuer an. »Mitkommen!« brüllte Forpan. Die Technos zuckten zusammen und warfen sich unsichere Blicke zu. Dann siegte die Disziplin über die Furcht vor dem Dorgonen. Forpan stürmte an der Spitze seiner kleinen Truppe in das Lager. Der Mann, der hier für Ordnung sorgen sollte, hatte sich angesichts des drohenden Unheils unter seinem Arbeitstisch verkrochen. Forpan zerrte ihn eigenhändig aus seinem Versteck. Der alte Mann zitterte am ganzen Körper. »Wir brauchen Waffen!« fauchte Forpan ihn an. »Du mußt uns zeigen, wo sie liegen.« Der Alte stammelte ein paar sinnlose Silben, verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig. Forpan ließ ihn verächtlich los. Er sah sich um – es gab unzählige Reihen von Regalen. Viele waren schon leer. Der Kartaperator hatte kurz vor seiner Vollendung gestanden, als der Dorgone sich ausgerechnet den Bauplatz dazu aussuchte, die Existenz seiner Rasse zu demonstrieren. Forpan schickte seine Leute aus. Er selbst bezog an der Tür Stellung. Der Dorgone war immer noch auf der anderen Seite des Lagers beschäftigt. Forpan ärgerte sich darüber, daß offensichtlich niemand daran
12 dachte, das Monstrum zurückzutreiben. Im Lager herrschte – bis auf die Geräusche der Zerstörung – eine geradezu unnatürliche Ruhe. Alle Technos und Robotdiener schienen sich in aller Stille in den Dünen verkrochen zu haben. Endlich kehrten ein paar Technos von ihrer Suche zurück. Sie schleppten Kisten mit Waffen und Energiezellen heran. Ein paar Minuten später machten sich Forpan und seine Getreuen auf den Weg. So mancher Techno hätte es vorgezogen, schleunigst die Flucht zu ergreifen. Zwei schwerwiegende Gründe zwangen selbst die Feiglinge der Gruppe zum Handeln: Ersten würden die Herren der FESTUNG sehr großzügig im Verteilen von Strafen sein, wenn das Ungeheuer nicht endlich ausgeschaltet würde. Zweitens verloren die Technos, die alle aus Zbahn und Zbohr kamen, normalerweise sofort das Bewußtsein, wenn sie sich aus den ihnen zugewiesenen Bereichen entfernten. Die Wüste Fylln war verbotenes Terrain. Nur eine echte Zwangslage hatte die Herren der FESTUNG veranlaßt, das Tabu kurzfristig aufzuheben. Die Herren von Pthor pflegten sich gegen allerlei Zufälle gründlich abzusichern. Niemand wußte, welche Teufeleien sie sich für die Technos ausgedacht hatten, die sich gegen jeden Befehl von der Baustelle entfernten. Für Forpan galten andere Bedingungen, denn er kam aus Donkmoon. Die Gruppe blieb nicht unbeobachtet. Ein paar Leute, die bis jetzt angsterfüllt auf dem Kartaperator gehockt hatten, schlossen sich Forpan an. Sie folgten der breiten Spur der Zerstörung. Unter den Trümmern der Kuppeln krochen weitere Technos hervor, die wegen des gerade überstandenen Schreckens geradezu darauf brannten, dem Dorgonen das Lebenslicht auszupusten. Und schließlich erreichten sie eine breite Transportschneise, von der aus sie den Gegner in seiner ganzen Größe bewundern konnten. Das war der Moment, in dem neun Zehntel der tapferen Großwildjäger sich wünschten, eine der legendären Tarnkappen in der
Marianne Sydow Tasche zu haben.
* Manziel hatte den Dorgonen mit immer neuen Hinweisen an die Stellen gelockt, die sich am wenigsten mit der Vorschrift der Vollkommenheit in Einklang bringen ließen. Ein wahrer Rausch hatte den Roboter erfaßt, als er sah, wie ein Störfaktor nach dem anderen in sich zusammenfiel. Dann stellte er mit Ernüchterung fest, daß höchst unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. Trümmerstücke wirbelten davon und beschädigten andere Kuppeln. Seltsamerweise wurden fast ausnahmslos Gebäude getroffen, an denen Manziel bis dahin nichts auszusetzen hatte. Waren sie erst beschädigt, änderte sich das Bild, die vorher beruhigend ordentlichen Kuppeln wurden zu neuen Störfaktoren, vergingen in einem Hagel von neuen Trümmern, die ihrerseits Kuppeln beschädigten. Dem würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer wurde sehr bald klar, wohin das führen mußte. Bald würde kein Gebäude mehr übrig sein, das irgendwelchen Vorschriften entsprach. Abgesehen von der angestrebten Vollkommenheit bedeutete das, daß Manziel sich von seinem ursprünglichen Auftrag total abgewandt hatte, um seinen egoistischen Zielen zu frönen. So weit durfte es nicht kommen! Manziel dachte an das geheime Versteck und die Schätze, die dort lagerten. Nachdem sie der Ordnung halber abmontiert waren, betrachtete Manziel sie automatisch als privates Eigentum des Herrn Vortimer, dem er sie überbringen mußte, um seinen Lohn zu erhalten. Der Dorgone walzte ungerührt durch das Lager. Es war nur eine Frage der Zeit, dann war auch Manziels Versteck an der Reihe. Von den Technos war immer noch so gut wie nichts zu sehen. Schon beim ersten Auftauchen des Riesenwurms waren sie in hellen Scharen geflohen. Manziel überlegte
Diener der Vollkommenheit verzweifelt, wie er den Dorgonen aufhalten könnte. Dabei vernachlässigte er den Kontakt zu dem Riesenwurm. Ehe er es recht bemerkte, war der Dorgone Manziels Kontrolle entglitten. Der Roboter schwebte hilflos in der Luft und beobachtete das Ungeheuer. Plötzlich kam ihm die rettende Idee. Der Dorgone selbst stellte einen Störfaktor dar! Manziel wunderte sich darüber, daß er nicht eher daran gedacht hatte. Wahrscheinlich lag es daran, daß er ständig mit den Technos in Berührung kam. In Wolterhaven verstießen normalerweise alle organischen Wesen gegen die Vorschrift der Vollkommenheit. Ausnahmen wurden nur gemacht, wenn die Robotbürger es selbst beschlossen. Er analysierte in aller Eile den Riesenwurm. Das Biest war durch und durch organisch. Der Gedanke, daß zur Erstellung der Vollkommenheit logischerweise auch die Vernichtung der Technos gehörte, wurde von Manziel hastig gelöscht. Er war über sich selbst entsetzt. Wäre er in Wolterhaven gewesen, hätte er seinen Herrn um sofortige Generalkontrolle gebeten. Manziel verfügte über keine Waffe im eigentlichen Sinn. Aber da er für den »Werkzeugschöpfer« arbeitete, enthielt sein eiförmiger Körper einige Geräte, die für einen Organischen recht gefährlich werden konnten. Und Not macht selbst einen Roboter erfinderisch – und vor allem dann, wenn es sich um eine Maschine aus Wolterhaven handelt. Manziel beschloß, den Glutatmer und den Lochschießer zum Einsatz zu bringen. Der Glutatmer erzeugte Hitze, mit deren Hilfe sich Metallteile verbinden oder trennen ließen. Der Lochschießer zauberte mit atemberaubender Geschwindigkeit Löcher in meterdicke Metallplatten. Einziger Nachteil war, daß Manziel sich seinem Opfer auf weniger als einen Meter nähern mußte. Der Dorgone würde sich das nicht ohne weiteres gefallen lassen. Aber der Roboter war klug genug, nicht blind auf seinen Gegner loszugehen. Er wartete, bis der Riesenwurm sich aufbäumte,
13 um die nächste Kuppel unter sich zu begraben. Während der Dorgone sich auf sein Ziel konzentrierte, ließ Manziel sich blitzschnell fallen, setzte direkt hinter den Augen gleichzeitig den Glutatmer und den Lochschießer ein, ließ beides eine halbe Sekunde lang wirken und schoß dann mit höchster Beschleunigung nach oben. Der Dorgone schnappte wütend mit seinen Zangen nach dem Roboter, verfehlte ihn jedoch. Manziel wartete ab und hoffte auf die nächste Chance. Mit Hilfe seiner optischen Systeme konnte er die beiden Wunden deutlich erkennen. Sie sahen schrecklich aus, schienen aber den Wurm nicht sehr zu beeindrucken. Der Dorgone stand immer noch aufgebäumt über der Kuppel, aber seine beiden riesigen Augen waren jetzt auf den Roboter gerichtet, und seine Schneidezangen vibrierten wütend. Wahrscheinlich war er restlos verwirrt durch die Tatsache, daß sein Verbündeter ihn angegriffen hatte. Manziel zuckte in der Luft unruhig hin und her. Sein Selbsterhaltungstrieb verbot es ihm, auf den Riesenwurm hinabzustoßen, solange der Dorgone die Zangen nicht senkte. In diesem Augenblick erschien Forpan mit seiner Kampfgruppe. Während die meisten Technos vor dem aufgebäumten Ungeheuer zurückschraken, begriff Forpan sofort, daß etwas nicht stimmte. Der Dorgone verhielt regungslos, anstatt die Kuppel unter sich zu begraben. Forpan sah auch den Roboter, der knapp über den erhobenen Zangen schwebte. Artol Forpan hatte die Lage schon durchschaut, als seine Begleiter noch dabei waren, den schrecklichen Anblick zu verdauen. Er hob den Strahler und versengte das Hinterteil des Riesenwurms. Der Dorgone explodierte förmlich. Der Roboter war vergessen. Der gewaltige Kugelkopf schwenkte herum, der ganze, sechzig Meter lange Körper krümmte sich und zertrümmerte dabei die Außenwände von mehreren kleinen Kuppeln. Forpan drückte auf den Auslöser der Waffe und ließ nicht mehr los, denn er ahnte, daß es mit ihm aus
14 war, wenn der Wurm den Kopf weit genug herumgebracht hatte. Die Gefahr zwang auch die anderen Technos zum Handeln. Dutzende von zerstörerischen Energiestrahlen schlugen dem Wurm entgegen. Zu Forpans Entsetzen vermochten sie jedoch die gepanzerte Haut des Ungetüms nicht zu durchdringen. Während die Technos in ihrer Todesangst ziel und planlos den Riesenwurm unter Feuer nahmen, handelte Manziel eiskalt und berechnend. Die Technos konnten den Dorgonen nicht töten – jedenfalls nicht in so kurzer Zeit, daß die kleine Gruppe dabei mit dem Leben davonkam. Aber sie lenkten den Wurm ab. Die heißen Strahlen waren dem Dorgonen also doch nicht ganz gleichgültig. Und inzwischen glaubte Manziel die Achillesferse des Dorgonen gefunden zu haben. Der erste Angriff galt der Stelle, an der zwischen Kopf und Rumpf ein dünner Spalt zwischen den beiden Panzerteilen erkennbar war. Der Glutatmer versengte das Fleisch, und der Lochschießer legte eine Art Knochen frei. Für einen Augenblick vergaß der Dorgone die Technos und bäumte sich vor Schmerzen auf. Manziel brachte sich hastig in Sicherheit. Forpan und seine Leute glaubten ihre letzte Stunde gekommen und feuerten auf Bauch und Beine des Riesenwurms. Das zwang den Dorgonen auf den Boden zurück. Beim zweiten Durchstoß durchtrennte Manziel den Knochen, und fortan bewegte sich nur noch der Kopf mit den Schneidezangen und dem unteren Teil des ersten Panzerglieds. Der würdige Arbeiter des Herrn Vortimer stellte zufrieden fast, daß der Störfaktor damit nahezu hilflos war. Ungehindert flog er eine weitere Attacke und raubte dem Dorgonen die rechte Schneidezange. Als er auch die Linke abgetrennt hatte, wagten sich die Technos aus ihren Verstecken. Sie standen stumm, noch ganz im Einfluß der gerade überstandenen Gefahr, vor einer Kuppel und betrachteten die verstümmelten Dorgonen.
Marianne Sydow Nicht einmal Forpan merkte, daß in dem riesigen Leib immer noch ein Rest von Leben steckte. Manziel wuchs über sich selbst und seine Programmierung hinaus, als er plötzlich vorwärtsschoß und Forpan sowie drei andere Technos am Kragen packte und mit ihnen hastig aufstieg. Er hätte noch mehr Leute mitgenommen, aber er besaß nur vier Tentakel, die sich für diese Arbeit eigneten. Forpan kannte diese Transportweise und setzte zum Fluchen an. Die Schimpfworte blieben ihm im Halse stecken, als unter ihm der Körper des Dorgonen im Todeskampf zuckte und sich zu einem Ring zusammenzog. Keiner aus Forpans Gruppe – außer denen, die Manziel gerettet hatte – überlebte diesen Vorgang. »Danke«, keuchte Forpan, als er nach der Landung wieder halbwegs atmen konnte. »Du hast mich zwar halb umgebracht, aber trotzdem verdanke ich dir mein Leben.« Er rieb sich den schmerzenden Hals. »Es war notwendig«, antwortete Manziel würdevoll. Im nächsten Moment traf ihn der Schock, und er hatte Mühe, überhaupt noch zu reagieren. Während des Kampfes war das Luk zum Transportfach beschädigt worden. Wenn Forpan den Blick senkte, würde er den häßlichen Kasten sehen … »Mein Herr wünscht eine Verbindung mit dir«, brachte er mit letzter Kraft über die Lautsprecher, dann kippte er unauffällig seinen Körper seitwärts und ließ den Kasten einen Meter neben Forpan in den Sand fallen. Der Techno sah dem eilig davonschwebenden Roboter verwundert nach.
3. Die Düne aus goldgelbem Sand war fast dreihundert Meter hoch, und ihr Fuß reichte bis an den Rand der kleinen Kuppelstadt, die rings um den Kartaperator entstanden war. Zwei Männer und ein riesiger grauer Wolf lagen dicht unter dem Kamm der Düne und zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie
Diener der Vollkommenheit an die gewaltige Waffe herankamen, mit deren Hilfe die Herren der FESTUNG Tod und Verderben über die Erde zu bringen gedachten. Das heißt – die beiden Männer überlegten sich das. Was der graue Wolf tat, konnte niemand so genau sagen. Aber Fenrir war ein seltsames Tier, man durfte ihm durchaus zutrauen, daß auch er die Lage halbwegs begriff. »Da unten leben meiner Schätzung nach rund eineinhalbtausend Technos«, sagte Atlan nachdenklich. »Nach dem Auftauchen des Riesenwurms dürften sie bedeutend wachsamer geworden sein. Ohne das Biest hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Aber jetzt …« Razamon war ziemlich schweigsam, seitdem Stormock ihn verlassen hatte. Atlan hatte es aufgegeben, mit dem Pthorer über den weißen Geier sprechen zu wollen. Der Arkonide schwankte zwischen Ärger und Verständnis, wenn er an den Vogel dachte. Ärger, weil es schließlich ausgesprochen undankbar von Stormock war, den Pthorer zu verlassen, der ihn so aufopfernd gepflegt hatte. Verständnis, weil diese goldgelbe Wüste sicher nicht der richtige Lebensraum für Stormock war. Vermutlich kehrte der Geier zu seinen Artgenossen am Taamberg zurück. Atlan wartete vergebens darauf, daß Razamon einen Kommentar abgab. Der Pthorer starrte über den Sand hinweg mit düster glühenden Augen den Kartaperator an. Die »Geheimwaffe« aus der FESTUNG erinnerte entfernt an einen gewaltigen, plumpen Raupenschlepper. Von hier oben konnte man den Kartaperator und das Lager recht gut überblicken. Atlan schätzte, daß der Kartaperator etwas über hundert Meter lang, rund sechzig Meter breit und vierzig Meter hoch war. Bevor der Riesenwurm sich aus dem Boden schob, war man damit beschäftigt gewesen, drei röhrenförmige Gebilde am hinteren Ende des Kartaperators zu montieren – Projektionsstrahler vermutlich. Eines von diesen Dingen befand sich inzwischen an seinem Platz. Er ragte schräg in den Himmel und wies in die Richtung, in
15 der die TechnoStädte Zbahn und Zbohr lagen. Während der Wurm durch das Lager tobte, waren die Arbeiten unterbrochen worden. Aber es dauerte erstaunlich kurze Zeit, dann herrschte rund um den Kartaperator wieder Ordnung. Während ein paar hundert Technos sich mit der toten Bestie beschäftigten, nahmen die anderen ihre Arbeit am Kartaperator wieder auf. Mit beängstigender Geschwindigkeit veränderte sich die riesige Waffe. »Wenn die Burschen so weitermachen«, murmelte Atlan, »sind sie noch vor Einbruch der Dunkelheit fertig. Dann ist die letzte Chance für Terra vertan.« »Noch ist nichts verloren«, wehrte Razamon ab. »Das da betrifft eine Art Technik, mit der man sich in Pthor schwertut. Mit der Montage allein ist es nicht getan.« Atlan holte die Siarta hervor und betrachtete die scherenähnliche Waffe nachdenklich. »Entweder hatte die Schattenkullja keine Ahnung, was ein Kartaperator wirklich ist«, sagte er, »oder das Ding kann mehr, als ich angenommen habe.« Die Siarta stammte von einer der Welten, die Pthor auf seiner Wanderung berührt hatte. Die Waffe bestand aus rotem Metall und hatte zwei Griffe und zwei Läufe. Wenn man den Abzug betätigte, wurden Energien aus verschiedenen Dimensionen auf das anvisierte Objekt geschleudert. Der Effekt bestand darin, daß alles, was in diese energetische Hölle geriet, total verformt wurde. Aber der Haken war, daß man die Siarta nur einmal auf ein und denselben Gegenstand richten durfte. Das hatte die Schattenkullja gesagt, die ihnen die Waffe extra für die Vernichtung des Kartaperators zur Verfügung gestellt hatte. Atlan fragte sich, wie man das riesige Gerät im Tal mit nur einem Schuß vernichten sollte. Es reichte nicht, irgendeinen Schaden anzurichten und sich dann zurückzuziehen. Damit gewann man ein wenig Zeit – und das war nicht der Sinn der Sache.
16 In der Ebene Kalmlech warteten die Horden der Nacht. Sie wurden von Tag zu Tag unruhiger. Das Wasser aus dem Dämmersee steigerte ihre Zerstörungswut. Wenn durch den Kartaperator der Schutzschirm vor der Bucht der Zwillinge zusammenbrach, würden die alptraumhaften Bestien wie ein Orkan über die ahnungslosen Menschen herfallen. »Wir werden Pthor von der Erde entfernen müssen«, sagte Atlan aus diesem Gedanken heraus. »Alles andere ist nur eine Notlösung.« Razamon lächelte düster. »Eine großartige Idee, Arkonide. Weißt du was? Wir rufen uns einen Gleiter, segeln mal kurz zur FESTUNG hinüber und klauen den Herrschern von Pthor den Startschlüssel zu diesem komischen Gefährt. Und dann geht die Post ab, gleich über den Regenbogen nach Wolkenkuckucksheim!« »Verulken kann ich mich alleine«, knurrte Atlan ärgerlich. »Trotzdem meine ich es ernst. Solange dieses verdammte Land auf Terra Station macht, bleibt die Gefahr für die Menschheit bestehen.« »Schon gut«, lenkte Razamon ein. »Aber bevor wir die Herren der FESTUNG mit unserem Besuch beehren, müssen wir dieses kleine Problem aus der Welt schaffen.« Er deutete auf den Kartaperator, dessen zweiter Projektionsstrahler eben befestigt wurde. Atlan wünschte sich ein gutes Fernglas, denn die winzig kleinen Gestalten der Technos ließen sich kaum ausmachen. Irrte er sich, oder verschwanden einige von ihnen unterhalb der Projektors im Innern des Kartaperators? Wenn ja, dann blieb ihnen noch eine Galgenfrist. Atlan hoffte, daß es möglichst viele und komplizierte Verbindungen gab, die nach der Montage noch hergestellt werden mußten. »Sie haben Wachen aufgestellt«, überlegte er. »Und sie haben die Möglichkeit, das ganze Lager samt dem Kartaperator gegen jede Bedrohung von außen zu schützen, indem sie die Feldprojektoren da unten aktivieren. Die Dinger sind wahrscheinlich nur
Marianne Sydow für den Fall gedacht, daß ein Sturm losbricht, aber wenn die Technos annehmen müssen, daß jemand Sabotagepläne wälzt, werden sie schnell auf die richtige Idee kommen.« »Mit anderen Worten: Wir müssen sie überraschen.« »Ja, ohne von jemanden bemerkt zu werden. Sonst ergeht es uns nicht besser als diesem Riesenwurm.« Der Dorgone wurde jetzt von den Technos zerstückelt. Plumpe Transportfahrzeuge rumpelten mit den Einzelteilen des Wurmes aus dem Bereich der Wohnkuppeln. Die Überreste des Dorgonen wurden zwischen den Dünen abgeladen und mit Sand bedeckt. Es war sehr heiß, und die Technos hatten es eilig, diese unappetitliche Arbeit hinter sich zu bringen. Das war auch notwendig, denn sonst hätte man es schon am Abend vor Verwesungsgestank kaum noch ausgehalten. »Soweit, so gut«, murmelte Razamon. »Wir wissen, daß nachts weitergearbeitet wird, und daß dann überall Scheinwerfer brennen. Trotzdem sind die Technos nicht so wachsam, daß sie jeden Eindringling sofort erwischen müßten. Was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist die Siarta. Wir haben nur den einen Schuß – wir müssen den Kartaperator an der Stelle treffen, die diese Waffe unweigerlich aus dem Verkehr zieht. Ich glaube nicht, daß die Herren der FESTUNG solche Riesendinger am laufenden Band produzieren.« »Nach den Äußerungen der Schattenkullja zu schließen, handelt es sich um eine Art Prototyp.« »Das denke ich auch«, nickte Razamon. »Darum bin ich auch überzeugt davon, daß der Kartaperator eine schwache Stelle hat. Man müßte nur wissen, wo sie liegt.« »Also werden wir uns einen Techno einfangen.« »Logisch. Hoffentlich erwischen wir nicht ausgerechnet einen Hilfsarbeiter.« »Schade, daß die Burschen das Tal nicht verlassen. Das vergrößert die Gefahr.« »Die Technos sind bei weitem nicht so ar-
Diener der Vollkommenheit beitswütig, wie sie sich präsentieren«, sagte Razamon nachdenklich. »Sie haben sogar allerhand für bestimmte Vergnügungen übrig. Für die Jagd, zum Beispiel. Ich glaube nicht, daß es hier Scharen von Wölfen gibt – und Fenrir ist ein außergewöhnliches Exemplar.« Fenrir sah Razamon aufmerksam an. »Das ist zu riskant«, murmelte der Arkonide. »Wir brauchen einen einzelnen Techno, nicht gleich eine ganze Jagdgesellschaft!« »Fenrir wird es schon so einrichten, daß nur ein Mann ihn sieht, oder nicht?« Der Wolf schien zu lachen. »Die Herren der FESTUNG lieben es nicht, wenn jemand ihre Befehle mißachtet«, fuhr Razamon fort. »Aber sie können auch nicht jeden einzelnen Techno ständig unter Kontrolle halten. Wäre das der Fall, dann hätten sie uns schon kurz nach der Landung auf Pthor erwischt.« »Landung?« murmelte Atlan spöttisch, aber Razamon ging nicht darauf ein. »Ein kleiner, nächtlicher Jagdausflug«, überlegte er weiter. »Ganz exklusiv, für eine Person. Fenrir braucht ihn nur hinter die nächste Düne locken. Da fangen wir ihn ab.« »Das kommt nicht in Frage«, sagte der Arkonide energisch. »Fenrir müßte an den Wachen vorbei ins Lager, den richtigen Techno suchen, und wieder an den Wachen vorbei nach draußen kommen. Die Wachen tragen Waggus. Ein Schuß genügt, und niemand braucht eine anstrengende Jagd zu veranstalten, um dem Grauen ans Fell zu gehen. Das Risiko ist zu hoch. Ich gehe selbst.« »Und wenn man auf dich mit der Waggu schießt?« Atlan drehte sich demonstrativ um und starrte wieder ins Tal hinunter. Seine Entscheidung war gefallen. Vielleicht handelte er unvernünftig, aber es war nicht unvernünftiger als die Sturheit, mit der Razamon den weißen Geier gesucht hatte. Außerdem gab es auch ganz vernünftige Argumente für seine Entscheidung. Fenrir
17 mochte noch so klug sein, aber er war eben ein Tier. Es war höchst unwahrscheinlich, daß es ihm gelang, wirklich den richtigen Techno herbeizuschaffen. Ungeduldig verfolgte er die wandernden Schatten, die allmählich immer länger wurden und die Täler zwischen den Dünen in dunkelviolette Schluchten verwandelten.
* Sobald es dunkel war, machte Atlan sich auf den Weg. Razamon hatte noch einmal versucht, ihn von seinem Entschluß abzubringen, aber der Arkonide blieb stur. Er lehnte es auch ab, sich von dem Pthorer oder von Fenrir begleiten zu lassen, worüber der Wolf sehr bekümmert war. Auf der Baustelle war es fast taghell. Riesige Scheinwerfer brannten überall. An Energie schien es den Herren der FESTUNG jedenfalls nicht zu fehlen. Die Scheinwerfer hatten aber auch ihren Vorteil. Ihr Licht erzeugte tiefschwarze Schattenzonen zwischen den Kuppeln. Atlan lief an der dem Lager abgewandten Seite den Hang der Düne hinunter und ging dann zwischen den sandigen Wällen parallel zur Baustelle weiter, bis ihm der Abstand groß genug zu sein schien. Wenn man ihn erwischte, sollten seine Spuren wenigstens nicht direkt zu Razamon und Fenrir führen. Im Schutz einer Sandverwehung direkt neben einem Feldprojektor blieb der Arkonide liegen und beobachtete den Techno, der fünfzig Meter weiter Wache hielt. Der Mann lehnte bequem an einem Gittermast, der mindestens achtzig Meter hoch war und mehrere, in verschiedenen Höhen angebrachte Scheinwerfer trug. Der Arkonide wunderte sich darüber, daß der Wächter sich so sorglos an den Platz stellte, an dem man ihn auf den ersten Blick sehen mußte. War das eine Falle? Hatte man gemerkt, daß sich Fremde an der Baustelle herumtrieben? Nein, dachte Atlan. Wir waren vorsichtig. Und keiner der Technos hat das Lager ver-
18 lassen. Also haben sie auch unsere Spuren nicht gefunden. Sie haben einfach keine Erfahrung in solchen Dingen. Die Händler von Orxeya würden es geschickter machen. Er tastete nach der Waggu. Die Siarta trug er ebenfalls bei sich. Razamon sollte gemeinsam mit Fenrir sofort und mit all den bescheidenen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, einen Angriff auf das Lager starten, wenn er merkte, daß man den Arkoniden gefangen hatte. Atlan würde das hoffentlich entstehende Durcheinander ausnutzen und versuchen, an den Kartaperator heranzukommen. Aber das war nur ein verzweifelter Plan für einen Notfall, der hoffentlich nicht eintreffen würde. Der Wachtposten bewegte sich kaum. Atlan kroch auf dem Bauch ein Stück zur Seite. Der nächste Posten stand ebenfalls an einem Gittermast. Zwischen den Lichtkreisen, die zwei Scheinwerfer erzeugten, gab es einen schmalen Streifen Dunkelheit. Der mißtrauische Arkonide konnte sich nicht vorstellen, daß man an einer solchen Stelle nicht auch einen Wächter aufgestellt hatte. Aber als er nahe genug heran war, erwies sich gerade das Unwahrscheinliche als Tatsache. Ein paar Minuten später hatte er die erste Kuppel erreicht. Er drückte sich gegen die Wand und lauschte gespannt. Drinnen unterhielten sich ein paar Technos. Atlan nickte zufrieden. Die Männer sprachen über den Kartaperator – und sie schienen eine Menge von dieser Waffe zu verstehen. »Die Robotrechner sagen, daß es funktionieren wird«, behauptete ein Techno. »Die Barriere wird fallen.« »Für die Herren der FESTUNG mag das ausreichen«, knurrte ein anderer. »Aber was wird aus uns? Ihr wißt genau, daß die Strahlen auf einer großen Fläche einschlagen werden.« »Die Projektoren wurden auf Intensivbeschuß justiert«, fuhr ein anderer dazwischen. »Die Strahlen werden unsere Städte nicht berühren.«
Marianne Sydow »Wie du meinst. Und was ist mit der Barriere? Von den Robotdienern wissen wir, daß das Ding tödlich wirkt, wenn man ihm zu nahe kommt. Ich war dabei, als Forpan sich mit so einem Blechding unterhielt. Der Roboter benutzte einen interessanten Vergleich. Er meinte, die Barriere müßte man sich als ein kuppelförmiges Zelt vorstellen, das in sich selbst stabil bleibt, solange es nicht beschädigt wird. Wenn man auch nur ein kleines Loch hineinschneidet, fällt die ganze Geschichte in sich zusammen.« »Das ist doch kompletter Unsinn!« regte ein Techno sich auf. »In diesem Fall würden die Herren der FESTUNG die Zerstörung von ganz Pthor riskieren.« »Vielleicht wissen sie, daß der Vergleich nur zum Teil stimmt. Aber an der Stelle, an der die Barriere durchbrochen wird, gibt es bestimmt Ärger. Außerdem sehe ich nicht ein, warum man ausgerechnet diese Stelle ausgesucht hat. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß die Horden der Nacht zwischen Zbahn und Zbohr hindurchtrampeln. Gab es denn wirklich keinen anderen Weg?« Atlan stellte mit Verwunderung fest, daß die Technos höchst ketzerische Bedenken entwickelten. Sie hatten Angst um ihre Städte – waren sie am Ende sogar bereit, um ihrer eigenen Sicherheit willen das Projekt zu sabotieren? »Teerträger muß jeden Augenblick eintreffen«, hörte er von drinnen. »Er kennt sich von unserer Gruppe mit der ganzen Sache am besten aus. Rede mit ihm. Ich bin sicher, daß du dir unnötige Sorgen machst. Wir haben den Herren immer treu gedient, und sie werden uns auch in Zukunft brauchen. Das allein ist Grund genug, unsere Städte nicht mutwillig der Zerstörung preiszugeben.« Teerträger! Das war ein merkwürdiger Name, aber in dieser Beziehung war Atlan von den Technos allerhand gewöhnt. Auf jeden Fall mußte er diesen Mann kriegen. Von ihm würde man alles erfahren, was zur Zerstörung des Kartaperators nötig war – hoffentlich.
Diener der Vollkommenheit Atlan kroch an der Wand weiter und behielt die Umgebung im Auge. Wenn er wenigstens gewußt hätte, aus welcher Richtung sein Opfer zu erwarten war! Er stellte fest, daß die Kuppel nur eine Tür besaß, und die lag auf der dem Kartaperator abgelegenen Seite. Das war gut, denn dort war es ziemlich dunkel. Und da Teerträger wohl zu den technischen Spezialisten auf dieser Baustelle gehörte, würde er auf keinen Fall aus der Richtung kommen, in der die schlafmützigen Wachen vor sich hin dösten. Atlan legte sich auf die Lauer. Die Waggu hatte er am Lauf gepackt. Hier im Lager konnte er keinen Schuß riskieren. Nach etwa zehn Minuten näherte sich ein einzelner Techno der Kuppel. Atlan hielt den Atem an und duckte sich noch tiefer auf den sandigen Boden. Teerträger – wenigstens hoffte der Arkonide, daß er es war – pfiff leise vor sich hin. Er machte ganz den Eindruck eines Mannes, der mit sich und der Welt zufrieden war und sich nach einem Tag voller Arbeit auf einen gemütlichen Abend freute. Atlan erinnerte sich bei diesem Gedanken daran, daß er und Razamon bisher nur männliche Technos gesehen hatten, und daß dieses rätselhafte Volk anscheinend nur aus Erwachsenen bestand. Er schob diese Überlegungen beiseite und konzentrierte sich auf den Techno. Der Mann war völlig arglos, er achtete überhaupt nicht darauf, was um ihn herum vorging. Atlan ließ den Techno an sich vorbei, kam lautlos hoch und schlug seinem Opfer die Waggu über den Kopf. Teerträger brach zusammen. Atlan vergewisserte sich, daß der Vorfall unbeobachtet geblieben war, zog Teerträger an eine finstere Stelle und durchsuchte ihn schnell und gründlich. Er förderte eine Waggu zutage, dazu ein paar kleine Werkzeuge, ein Messer und allerlei wertlosen Kram. Er fesselte den Techno mit dessen eigenem Gürtel, lud ihn sich auf die Schultern und trug ihn bis an den Rand der beleuchteten Zone, in der die Wächter herumstanden. Hier begannen die Schwierigkeiten. Wenn er aufrecht, mit dem Techno auf
19 den Schultern, den Ring durchbrach, mußten die Wachen ihn bemerken, es sei denn, sie wären im Stehen eingeschlafen. Atlan dachte daran, die Wächter mit einem Trick abzulenken, kam aber zu dem Entschluß, daß er sich damit selbst einen schlechten Gefallen erweisen würde. Nichts durfte darauf hindeuten, daß jemand ins Lager eingedrungen war oder es wenigstens versucht hatte. Sonst hatten sie es beim nächstenmal mit Gegnern zu tun, die gewarnt waren. Eben entschloß er sich dazu, den Techno hinter sich herzuziehen und den dadurch entstehenden Zeitverlust in Kauf zu nehmen, da gab es rechts von ihm etwas, das die Technos aus ihrem Halbschlaf riß. Es schepperte und krachte, als würden mehrere Wohnkuppeln gleichzeitig zusammenbrechen. Atlan duckte sich gerade noch rechtzeitig. Einer der Wächter rannte kaum zwei Meter an ihm vorbei. Auch die anderen verließen ihre Posten unter den Gittermasten. Atlan dachte nicht lange darüber nach, was nun schon wieder auf der Baustelle schiefgegangen sein mochte. Er packte die günstige Gelegenheit beim Schopf, lud sich den Techno wieder auf und rannte, so schnell er konnte, davon. Erst als er die nächste Düne erreicht hatte, fiel ihm Razamon ein. Hoffentlich kam der Pthorer nicht zu dem Schluß, daß das Spektakel im Lager etwas mit Atlan zu tun hatte! Der Arkonide schleppte Teerträger an einen Ort, den man vom Lager aus nicht sehen konnte. Da es auf der Baustelle immer noch sehr geräuschvoll zuging, wagte er es, die Waggu zu benutzen. Er tat es nicht gerne, denn nun konnten sie Teerträger erst ausfragen, wenn die Lähmung abklang. Andererseits verlor er Zeit, wenn er sich mit dem schweren Kerl abschleppte, und einfach liegen lassen konnte er ihn auch nicht, sonst schrie der Techno bei der erstbesten Gelegenheit seine Artgenossen zusammen. Nachdem er sicher sein konnte, daß Teerträger für einige Stunden gezwungenerweise den Mund halten würde, rannte er los. Der lockere Sand war für diese Art der Fortbe-
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wegung nicht besonders gut geeignet, und der Arkonide fiel etliche Male hin, ehe er in die Nähe des Beobachtungsplatzes gelangte. Dort stellte sich heraus, daß er sich umsonst abgeplagt hatte, denn Razamon und Fenrir hatten den Ort gar nicht verlassen. Der Wolf kam Atlan entgegen, und der Arkonide setzte sich keuchend hin. »Die Technos scheinen Ärger mit einem Roboter zu haben«, sagte Razamon. »Da unten ist der Teufel los. Ich habe gesehen, wie so eine Maschine um einen Gittermast herumschnüffelte. Kurz darauf fiel der Mast um. Drei oder vier Kuppeln wurden teilweise zertrümmert. Der Roboter ist inzwischen verschwunden, und die Technos suchen ihn überall.« »Um so besser«, kommentierte Atlan erschöpft. »Jede Störung, die es auf der Baustelle gibt, ist für uns ein Pluspunkt. Hoffentlich führt der Roboter die Technos noch lange an der Nase herum. Übrigens habe ich jemanden gefunden, der uns eine Menge über den Kartaperator erzählen kann.« »Ich hole ihn«, bot Razamon an. Der Arkonide beschrieb ihm, wo er Teerträger finden konnte. Als Razamon davonstapfte, ließ Atlan sich neben dem Wolf am gewohnten Platz unter dem Dünenkamm nieder. In ein paar Stunden, so hoffte er, würden sie mehr wissen. »Warte nur«, sagte er in Richtung Kartaperator. »Du bist zwar ein Stück größer als wir und sicher eine ganz teuflische Maschine. Aber wir werden dich kleinkriegen, das verspreche ich dir.« Fenrir sah den Arkoniden verwundert an.
4. Nachdem Manziel die Flucht ergriffen hatte, versteckte er sich oben auf einer hohen Kuppel, um Artol Forpan zu beobachten. Der Techno erholte sich erstaunlich schnell von seinem Schock und erteilte sofort verschiedene Befehle. Seine drei Begleiter brauchten mehr Zeit, um sich zu erholen. Manziel schloß aus den Gesten des Technos,
daß Forpan sie mehrmals anschrie. Endlich begriffen sie, was ihr Bauleiter von ihnen verlangte. Sie trabten in verschiedenen Richtungen davon. Forpan musterte noch einmal den toten Dorgonen, dann sah er sich um. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er den häßlichen Kasten, den Manziel seiner Sicherheit wegen hatte opfern müssen. Der Techno wunderte sich darüber, daß das Ding ausgerechnet an dieser Stelle wieder auftauchte. Er sah sich nach allen Seiten um, aber kein lebender Techno war in der Nähe. Forpans Leute glaubten offensichtlich noch nicht daran, daß die Gefahr gebannt war. Keiner von ihnen steckte auch nur die Nase aus seinem Versteck. Forpan hob den Kasten auf, untersuchte ihn flüchtig, dann sah er nachdenklich in die Richtung, in die der Roboter geflohen war. Manziel versuchte, sich in seinem Versteck ganz klein zu machen. Hatte der Techno das Spiel durchschaut? Plötzlich hob Forpan den Kasten hoch, und gleich darauf dröhnte direkt neben Manziel ein Lautsprecher los. Der Roboter hatte sein akustisches System auf eine hohe Empfindlichkeit eingestellt, weil er hoffte, trotz der großen Entfernung etwas von dem aufzuschnappen, was Forpan sagte. Die Quittung für dieses leichtsinnige Verhalten erhielt er jetzt – um ein Haar hätte es ihm die Mikrophone zerschmettert. Manziels Reaktion kam für ihn selbst überraschend: Er setzte den Glutatmer ein. Der Lautsprecher auf dem Kuppeldach zerschmolz sofort. Erschrocken wich Manziel zurück und sah sich um, aber niemand hatte sein Mißgeschick bemerkt. Außerdem gab es so viele Lautsprecher, daß die Zerstörung eines einzelnen kaum eine Rolle spielte. »Der Dorgone ist tot«, verkündete Forpan seinen Leuten. Manziel begriff, warum der Techno den häßlichen Kasten ständig mit sich herumschleppte. Damit konnte er jederzeit Verbindung zu seiner Zentralstelle aufnehmen. Manziel verachtete solche Methoden, die nur für die Organischen taugten, die
Diener der Vollkommenheit nun einmal mit mancherlei Fehlern behaftet waren. »Die Arbeiten am Kartaperator werden sofort wieder aufgenommen«, fuhr Forpan fort. »Wir haben durch den Zwischenfall viel Zeit verloren. Ich erwarte von jedem einzelnen den vollen Einsatz aller Kräfte, um unseren Auftrag dennoch termingerecht zu erfüllen! Alle, die jetzt eine Freischicht haben, werden sich um den Dorgonen kümmern. Er muß zerstückelt und im Sand begraben werden, ehe das Fleisch zu stinken beginnt. Das war alles. Ende!« Manziel sah von oben, daß bereits die ersten Gruppen von Technos anrückten. Vom Kartaperator drangen wieder die typischen Arbeitsgeräusche herüber. Die Organischen mochten noch so viele Fehler haben, sie waren jedenfalls sehr folgsam, wenn Forpan ihnen Befehle erteilte. Vorsichtig glitt Manziel dicht an der Kuppelwand nach unten. Er mußte unbedingt herausfinden, ob Forpan Verdacht geschöpft hatte. Über das, was danach kam, machte Manziel sich vorerst keine Gedanken. Er traute es sich durchaus zu, Forpan zu überlisten und auch gegen dessen Willen weiterhin dafür zu sorgen, daß den Vorschriften der Vollkommenheit wenigstens in bescheidenem Rahmen Rechnung getragen wurde. Ab und zu lauschte er in sich hinein. Der Herr Vortimer konnte zu seinem Diener Kontakt aufnehmen, ohne daß dieser es sofort bemerkte. Vor einem solchen Kontakt hatte Manziel Angst. Der Herr Vortimer war der einzige, der den würdigen Arbeiter von seinem Vorhaben abhalten konnte. Aber es schien, als hätte auch der Her Vortimer noch nicht gemerkt, auf welch gefährlichen Wegen Manziel zu wandeln beliebte. Als er unten ankam, strömten die Technos bereits von allen Seiten zusammen. Auch ein paar Robotdiener schwirrten herum, um zu helfen, wo immer man sie brauchte. Manziel verlor sich in diesem Gewimmel völlig. Falls Forpan ihn suchen ließ, würde es schwer sein, die Spur des Roboters wieder-
21 zufinden. Manziel segelte unbekümmert dahin und zerbrach sich den nicht vorhandenen Kopf darüber, wie er an Forpan herankam, ohne sich in Gefahr zu begeben. Er fand die Lösung völlig überraschend, als er sicherheitshalber die Verbindung zu den anderen Robotdienern für einen Augenblick öffnete, um über allgemeine Pläne informiert zu sein, damit er nicht durch einen dummen Zufall Aufsehen erregte. Forpan benutzte seinen häßlichen Kasten immer noch, obwohl die Lautsprecher schwiegen. Und der Kasten funktionierte auf dieselbe Weise wie die Verständigungssysteme der Robotdiener. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Roboter sich mit sehr kurzen Signalen begnügten, während Forpan darauf angewiesen war, alles in seiner umständlichen Sprache zu formulieren. »Wir stellen die Suche nach dem Dieb vorerst ein«, sagte er gerade. »Ich weiß jetzt, wer der Täter ist, und damit ist die Gefahr im wesentlichen gebannt. Die Aufräumungsarbeiten und die Fertigstellung des Kartaperators haben Vorrang. Mit dem Dieb beschäftigen wir uns, wenn wir Zeit dazu haben.« »Wie hast du den Mann gefunden?« fragte eine andere Stimme neugierig. »Es ist kein Mann«, antwortete Forpan gleichgültig. »Bei dem Dieb handelt es sich um den Robotdiener, der mich vor dem Auftauchen des Dorgonen in die Schaltkuppel begleitete.« »Aber es hieß, auf die Robotbürger wäre Verlaß!« »Ich weiß. Aber erstens haben wir es nicht mit einem Bürger zu tun, sondern mit einer untergeordneten Maschine. Zweitens nehme ich an, daß das Blechding einen Defekt hat. Wir werden die Angelegenheit klären, sobald die Arbeiten hier abgeschlossen sind. Ich komme jetzt in die Einsatzzentrale. Paßt inzwischen auf, daß nirgends getrödelt wird!« Die Verbindung brach ab. Manziel war zutiefst empört über das, was
22 Forpan gesagt hatte. Erstens war er keine untergeordnete Maschine, sondern ein würdiger Arbeiter – und das bedeutete eine ganze Menge. Zweitens war es eine Unverschämtheit, ihn als Blechding zu bezeichnen, und drittens hatte er keinen Defekt! Am liebsten hätte er Forpan sofort aufgesucht, um ihm zu zeigen, wie klar und logisch er zu denken vermochte – da kam der Techno noch lange nicht mit. Und wenn man hier die einzelnen Regeln der Vollkommenheit außer acht ließ, so war das höchstens ein Defekt, der die Technos betraf. Diese Organischen hatten einfach keine Ahnung von den wahren Werten der Existenz. Es mußte wohl in ihrer Natur liegen. Sonst würden sie schließlich auch nicht so unordentlich vor sich hinwachsen, sondern dafür sorgen, daß sie eine vernünftige, zweckmäßige Gestalt annahmen! Vor lauter Ärger achtete Manziel kaum darauf, wohin er flog, und plötzlich fand er sich dicht neben dem Kartaperator wieder. Ein widerlicher Apparat war das. Seinen Formen fehlte die Harmonie. Die Anordnung der Kuppeln und Projektorstrahler war geradezu chaotisch. Flüchtig dachte Manziel daran, daß es am besten wäre, diese Maschine zu zerstören. Dann würde sich sowieso einiges ändern. Vielleicht konnte er sogar nach Wolterhaven zurückkehren, wo alles so ungemein ordentlich war. Der Glutatmer und der Lochschießer hatten zwar den Dorgonen unschädlich gemacht, gegen den riesigen Kartaperator dagegen konnten sie leider gar nichts ausrichten. In diesem ganzen riesigen Lager gab es keine Waffe, die das verflixte Ding vernichten konnte. Es sei denn, man verwendete die Kräfte des Kartaperators selbst. Die Verbindungen zwischen Energiespeichern und Projektorstrahlern waren die schwächsten Punkte an diesem Gebilde. Da genügte ein falscher Handgriff, um den ganzen Apparat in die Luft zu jagen. Manziel kannte den Kartaperator in und auswendig. Es wäre ihm leicht gefallen, die entspre-
Marianne Sydow chende Schaltung vorzunehmen. Aber Manziel war auch kein Selbstmörder. Er nahm die Vorschrift der Vollkommenheit sehr ernst, aber sie war ihm auch wieder nicht so wichtig, daß er ihretwegen seine elektronische Existenz aufgegeben hätte. Er schwebte weiter und stieß fast mit einem Techno zusammen. »He!« schrie der Mann prompt. »Du bist doch das Ei, das mit Forpan die Schaltkuppel besucht hat. Komm …« Mehr hörte Manziel nicht, denn er hatte auf Höchstgeschwindigkeit umgeschaltet, ehe der Techno ihm verhängnisvolle Anweisungen geben konnte. Wie ein silbriges Geschoß raste er schräg in den Himmel, schlug einen verzweifelten Haken, um den plötzlich vor ihm auftauchenden Projektor nicht zu rammen, und flog hastig in die Kuppelzone zurück. Dort fand er ein gutes Versteck zwischen den geparkten Lastfahrzeugen. Entnervte Roboter kommen sicher selten vor. Manziel stellte eine solche Rarität dar. Ihm wurde allmählich klar, daß sich doch einiges geändert hatte. Es gab viele Robotdiener, die ebenfalls eiförmig gestaltet waren. Aber nur drei davon befanden sich – außer Manziel – in der Wüste Fylln. Noch wurde er nicht eigentlich gejagt. Es war Zufall, daß der Techno über den Dieb Bescheid wußte. Aber die Sache würde sich herumsprechen, und dann war Manziel nirgends mehr sicher. Die Technos wußten, daß die Robotdiener ihnen zu gehorchen hatten. Ein einfacher Befehl konnte Manziel lahmlegen. Er durfte sich draußen nicht mehr blicken lassen, oder es war vorbei mit der Vorschrift der Vollkommenheit – wenigstens hier auf der Baustelle. Seltsamerweise fiel es dem würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer gar nicht auf, daß alle anderen Robotdiener an den Verhältnissen rund um den Kartaperator nichts auszusetzen hatten. Offensichtlich war Manziel der einzige, der sich an der Unordnung stieß. Er verließ unter Wahrung aller Vorsichts-
Diener der Vollkommenheit maßnahmen sein Versteck und schwebte durch eine leere Kuppel, in der vorher Teile des Kartaperators gestanden hatten. Nach einer Weile entdeckte er eine Aussparung ganz oben in der Kuppel, die gerade groß genug war, um ihn aufzunehmen. Er flog hinauf, klammerte sich mit zwei Tentakeln an den seitlichen Streben fest und wartete ungeduldig auf den Abend.
* Bei Einbruch der Dunkelheit verließ er die Kuppel. Die Zeit des Wartens war ihm unerträglich lang vorgekommen. Desto größer war sein Tatendrang. Ein unbefangener Beobachter hätte festgestellt, daß Manziel immer weniger dem entsprach, was ein Robotdiener aus Wolterhaven darstellen sollte. Seine robotische Moral war einer Art Schwindsucht verfallen. Bis vor kurzem hatte Manziel immerhin noch seine eigentliche Funktion erfüllt und seine »Korrekturen« nebenbei erledigt. Inzwischen interessierte ihn die Arbeit überhaupt nicht mehr, und nur seine Sucht nach einer höchst zweifelhaften Ordnung trieb ihn vorwärts. An seinen Herrn Vortimer dachte er kaum noch – und wenn, dann machte er sich höchstens Sorgen darüber, daß er ihm auf die Schliche kommen könnte. Auch die Herren der FESTUNG und deren Auftrag tauchten in Manziels Überlegungen nicht mehr auf. Kaum war er draußen, da entdeckte Manziel etwas, das er entfernen konnte. Es handelte sich um einen von Gittern umgebenen Steg, der seine Kuppel mit der nächsten verband. Das Gebilde sah so häßlich aus, daß Manziel sich sofort ans Werk machte. Er brauchte nur ein paar Verbindungen zu lösen, dann würde der Steg nach unten fallen. Manziel hielt sich nicht mit den klobigen Schrauben auf. Er setzte den Glutatmer ein und hatte schon nach wenigen Minuten den ersten Erfolg dieses sonst so trüben Tages zu verbuchen. Der Steg rutschte an den Kuppelwandun-
23 gen herab und landete als verbogenes Etwas auf dem Boden. Manziel tanzte zufrieden in der Luft auf und ab. Er überlegte, ob er den Steg wegräumen sollte, entschied dann aber, daß er diesen Teil der Arbeit getrost den Technos überlassen könne – ein paar davon waren sowieso im Anmarsch. Sie hatten den Lärm gehört. Ehe sie ihn mit lästigen Fragen bombardieren konnten, huschte Manziel seinem nächsten Ziel entgegen. Er fand ein verlassenes Fahrzeug, auf dessen Ladefläche sich allerhand Dinge stapelten. Manziel beschloß, ein wenig aufzuräumen. Er stöberte eine Anzahl von kleinen Maschinen auf, die sicher keinen Zweck zu erfüllen vermochten, weil sie total falsch konstruiert waren. Manziel trug das wertlose Zeug kurz entschlossen zu einem Haufen zusammen, schaltete den Glutatmer ein und schmolz alles zusammen. In dieser Kiste lagen hübsche graue Kugeln. Das war eine bessere Beute. Manziel wurde sie in Wolterhaven im Rahmen der Vorschrift sehr gut verwenden können. Er flog dreimal zu seinem Versteck und wieder zurück, dann war die Kiste leer. Der Behälter ging denselben Weg wie ein paar verschnürte Ballen, in denen sich ein krümeliges, stinkendes Zeug befand – der Glutatmer wurde leicht damit fertig. Dann war die Ladefläche leer, und Manziel entdeckte, daß das Fahrzeug selbst auch ein paar Fehler aufwies. Am vorderen Ende der Ladefläche befanden sich vier Löcher – hinten gab es kein einziges. Manziel justierte den Lochschießer auf die richtige Größe. Leider hatte er die Widerstandskraft des Materials, aus dem die Ladefläche bestand, zu hoch eingeschätzt. Die Löcher, die er bohrte, wurden zu groß. Aber das ließ sich leicht ausgleichen. Beim dritten Anpassungsmanöver hatte Manziel Pech. Direkt unter dem Loch befand sich die Energiezelle des Transporters. Als würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer hatte Manziel genug technische Erfahrungen, um die verräterischen Streustrahlungen
24 rechtzeitig richtig einzustufen. Manziel schaltete auf Vollschub. Trotzdem wirbelten ein paar Fetzen des explodierenden Transporters sehr dicht an ihm vorbei. Manziel war über diesen Erfolg nicht besonders glücklich. Die Anpassung war mißlungen. Außerdem rasten von allen Seiten Technos herbei. Die Explosion hatte wie ein Alarmsignal gewirkt. Notgedrungen zog er sich auf die andere Seite des Lagers zurück. Aber auch dort waren Scharen von Technos unterwegs. Forpan hatte die Geduld verloren. Sämtliche Freischichten waren gestrichen worden. Die Technos, die von der Arbeit erschöpft waren, verfluchten Forpans Befehle, wagten es aber nicht, sich offen dagegen aufzulehnen. Im Grunde war diese Suche sinnlos. Das wußte auch Forpan. Dem Robotdiener standen zu viele Mittel zur Verfügung. Theoretisch konnte er sich tagelang verborgen halten. Forpans Hoffnung, dieser Episode ein schnelles Ende zu bereiten, beruhte nur auf dem Verdacht, daß Manziel den Verstand verloren hatte – oder das, was man bei einem Roboter so bezeichnen konnte. Manziel verlegte seine Aktivitäten in den Luftraum, schwirrte um die Pole der Kuppeln herum und demolierte dort ungestört ein paar Lautsprecher und Scheinwerfer, die gerade nicht in Betrieb waren. Die Technos wurden der Sache überdrüssig. Gegen Mitternacht blies Forpan die Aktion ab. Er hoffte, den Roboter soweit eingeschüchtert zu haben, daß wenigstens für den Rest der Nacht Ruhe herrschte. Damit gab er Manziel ungewollt eine großartige Chance. Überall auf der Baustelle gab es Gittermasten mit Scheinwerfern. Bisher hatte Manziel sich an diese häßlichen Gestelle nicht herangewagt. Aber mit dem Ende der Suchaktion wurden auch etliche Scheinwerfer ausgeschaltet. Nur in der Nähe des Kartaperators und am Rand des Lagers, wo die Wachen standen, war es immer noch hell. Und die Wachen hatten einen Fehler: Sie warteten auf etwas oder jemanden, der aus der
Marianne Sydow Wüste kam. Die Vorgänge im Lager gingen sie nichts an – jedenfalls dachten sie das. Manziel suchte sich einen Mast aus, der am äußeren Rand der Unterkunftszone lag, gerade weit genug vom nächsten Posten entfernt, um dem Roboter ein ungestörtes Vergnügen zu garantieren. Zuerst entfernte er alles, was sich im Sinne der Vorschriften verwenden ließ. Meistens handelte es sich um kugel oder eiförmige Gegenstände, denn die sagten dem Roboter besonders zu. Die Bedeutung oder der Verwendungszweck dieser Gegenstände interessierten Manziel nicht. Er schaffte sie in sein Versteck und war entzückt über die Vielfalt der Schätze, die er jetzt schon gesammelt hatte. Dann kam der Mast an die Reihe. Manziel fand eine Anzahl von straff gespannten Drähten. Er streckte einen Tentakel aus und zupfte an einem Draht. Ein tiefer Ton erklang, der in dem Robotdiener eine Art Echo wachrief. Der Ton erinnerte ihn an Wolterhaven, an den Herrn Vortimer und an die stets vorhandenen Grundschwingungen der Kommunikationssysteme. Die Wirkung dieser Erinnerung war zwiespältig. Manziel empfand so etwas wie Heimweh. Gleichzeitig entstand in ihm die Angst, erkannt zu werden. Plötzlich wurde ihm klar, daß der Herr Vortimer es nicht mit ein paar strengen Anweisungen an seinen würdigen Arbeiter bewenden lassen konnte. Manziel begriff, daß seine Existenz gefährdet war. Diese Erkenntnis war bitter und versetzte ihm einen Schock. Der Wunsch entstand, diese Dinger, die ihn an Wolterhaven erinnert hatten, zu vernichten. Manziel machte den Glutatmer betriebsbereit. Die Drahtseile rissen mit lautem Knall. Natürlich wäre der Gittermast auch ohne diese Verspannungen noch eine Weile stehengeblieben, wenn nicht vorher der Dorgone für schwere Erschütterungen gesorgt hätte. Der Mast neigte sich und krachte zu Boden. Dabei berührte er ein paar Wohnkuppeln.
Diener der Vollkommenheit Manziel stob erschrocken davon. Er hatte nicht damit gerechnet, daß er eine so auffällige Wirkung erzielen würde. Von allen Seiten kamen Technos angelaufen, der Alarmzustand wurde wieder hergestellt. Manziel schlug, um möglichst schnell den Ort des Geschehens zu verlassen, die Richtung zur anderen Seite des Lagers ein und fand sich unversehens wieder vor der Kuppel, in der er den Tag verbracht hatte. Er beschloß, sich hier zu verbergen. Es war kein gutes Versteck, aber das spielte kaum noch eine Rolle. Solange Forpan nach ihm suchen ließ, war er nirgends sicher.
* Artol Forpan war sehr ungehalten. Der Dorgone hatte beträchtlichen Schaden angerichtet. Verzögerungen in der Fertigstellung des Kartaperators waren kaum noch zu umgehen. Und nun kam dieser verrückte Roboter dazwischen. Erst gegen Morgen fiel ihm ein, daß er sich die mühsame Suche sparen konnte. Schließlich war Manziel nur ein Werkzeug. Forpan war besser als die meisten anderen Technos über die Verhältnisse von Wolterhaven informiert. Einige Dinge jedoch verstand er immer noch nicht, was er aber nicht bemerkte, weil die komplizierte Ordnung in der Roboterstadt für ihn einfach nicht faßbar war. So unterlag er nach wie vor dem Trugschluß, daß alle auf der Baustelle anwesenden Robotdiener nichts anderes als bewegliche Ableger ihrer Herren darstellten. Er wäre nicht im Traum darauf gekommen, daß diese Maschinen eigene Entschlüsse zu fassen vermochten, daß sie Gefühle hatten und sogar an ihrer Existenz hingen. Für ihn war der Fall klar. Nicht Manziel war der eigentlich Schuldige, sondern der Robotbürger, der sich als Herr Vortimer bezeichnete. Manziel konnte nicht stehlen und die Arbeiten sabotieren, ohne aus Wolterhaven den Befehl dazu erhalten zu haben. Wenn Forpan endlich Ruhe auf der Baustelle haben wollte, mußte er das
25 Übel an der Wurzel packen. Und das hieß nichts anderes, als daß er den Robotbürgern klarzumachen hatte, was sie sich mit dem Herrn Vortimer in ihre Gemeinschaft geholt hatten. Forpan rief Instrumentedenker, einen seiner besten Leute, nachdem die bis dahin treuesten Anhänger des Bauleiters infolge ihrer schweren Verletzungen im Krankenrevier gelandet waren. Instrumentedenker war wesentlich älter als Forpan, und sein rotbraunes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Instrumentedenker erledigte rein gedankliche Arbeit. Darum hatte er sich auch keine der zweckmäßigen Kombinationen aushändigen lassen, die die anderen Technos während der Bauarbeiten trugen. Mit seiner zweiteiligen Lederrüstung, den Stiefeln und dem Waffengurt wirkte Instrumentedenker in dieser Umgebung wie ein Anachronismus. »Ich brauche eine Verbindung zu den Robotbürgern von Wolterhaven«, erklärte Forpan. »Welche gibt es?« »Die Verbindung läßt sich am einfachsten über die Herren der FESTUNG herstellen«, antwortete Instrumentedenker prompt und schielte nach dem verschrobenen Gerät, von dem Forpan täglich seine Anweisungen empfing. Forpan biß die Zähne zusammen. Instrumentedenker gehörte nicht zum Clan der Familie Gordy. Natürlich war er neidisch auf die bevorzugte Stellung, die Forpan einnahm. »Ich möchte die Herren der FESTUNG nicht mit einer so unwichtigen Angelegenheit behelligen«, sagte er hochmütig. »Dann empfiehlt es sich, einen der Robotdiener zu rufen. Er kann über den Umweg zu seinem eigenen Herrn alle anderen Robotbürger erreichen.« Forpan atmete auf. Er hatte nicht die geringste Lust, die Herren der FESTUNG über seine Schwierigkeiten aufzuklären. Sie hätten zu dem Schluß kommen können, daß Artol Forpan mit dieser Aufgabe nicht fertig wurde. Es hatte meistens üble Folgen, wenn
26 die Herren einen Techno als ungeeignet einstuften. »Ein würdiger Arbeiter des Herrn Moonkay befindet sich bei den Montagegruppen«, sagte Instrumentedenker. »Der Herr Moonkay gilt als der Rangoberste aller Robotbürger. Sein Diener ist für eine Kontaktaufnahme daher besonders gut geeignet.« Forpan nickte gnädig und rief einen Techno niederen Ranges. Er hätte den würdigen Arbeiter über das Kommunikationsnetz zu sich beordern können, aber er fürchtete, Manziel – und damit Herrn Vortimer – zu warnen. Er durfte sich weitere Fehler einfach nicht mehr leisten. Während sie auf das Erscheinen des Robotdieners warteten, bot Forpan Instrumentedenker ein paar Früchte an. Frisches Obst war hier, mitten in der Wüste, eine Delikatesse. Aber Forpan hatte gute Gründe, diese Kostbarkeiten an einen Gast zu verschwenden. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß er in der nächsten Zeit viel Freunde gebrauchen konnte. Instrumentedenker ließ sich nicht anmerken, ob er den Schachzug des Bauleiters durchschaute. Nur einmal machte er eine Bemerkung, die Forpan zusammenzucken ließ. »Ich habe den Zustand des Kartaperators mit den Plänen verglichen, die wir aus der FESTUNG erhalten haben. Wir verlieren einen vollen Tag. Davon gehen vier Fünftel auf das Konto des Dorgonen. Den Rest haben wir dem Roboter zu verdanken.« Forpan dachte an den Funkspruch, den er nach dem Tod des Ungeheuers abgesetzt hatte. Darin hatte er betont, daß die Suche nach Manziel zweitrangig war. Es gab Zeugen, vielleicht sogar Aufzeichnungen. Spielte Instrumentedenker darauf an? Und wenn – was bezweckte er mit dieser Bemerkung? War es eine freundschaftliche Warnung, oder erhoffte der andere sich Vorteile, wenn Forpan tatsächlich scheiterte? Instrumentedenker schwieg, und sein Gesicht blieb ausdruckslos. Endlich traf der Robotdiener ein. Im Gegensatz zu Manziel war er unregelmäßig ge-
Marianne Sydow formt. Bis auf die klobigen Linsensysteme hatten die beiden Maschinen kaum etwas gemeinsam. »Du bist ein würdiger Arbeiter des Herrn Moonkay?« fragte Forpan. »Ja«, antwortete die Maschine. »Mein Eigenname ist Harjanan. Du mußt schwerwiegende Gründe haben, mich von der Arbeit abzuhalten. Wir sind bei der Montage des Kartaperators in einem sehr kritischen Stadium angelangt.« Forpan biß die Zähne zusammen und zählte in Gedanken bis zehn. Dann hatte er den Wunsch, dem vorlauten Blechding die gebührende Antwort zu erteilen, erfolgreich verdrängt. »Es geht um einen deiner Kollegen«, sagte er so ruhig, wie es ihm gerade möglich war. »Er heißt Manziel und bezeichnet sich als würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer. Kennst du ihn?« »Ich habe seit geraumer Zeit die Verbindung zu ihm verloren«, antwortete Harjanan ungerührt. »Manziel hat sich schwerer Vergehen schuldig gemacht«, eröffnete Forpan. »Er hat gestohlen und die Arbeit am Kartaperator sabotiert. Ich habe den Grund zur Annahme, daß diese unerfreulichen Aktivitäten vom Herrn Vortimer ausgingen. Ich bitte dich, mit deinem Herrn Verbindung aufzunehmen. Vielleicht ist in Wolterhaven schon etwas über Manziel und den Herrn Vortimer bekannt.« Eine Maschine kann nicht überrascht aussehen, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie aus einem abstrakt wirkenden Sammelsurium von Bauteilen besteht. Instrumentedenker, der sich besonders intensiv mit den Robotdienern befaßt hatte, stellte dennoch eine Reaktion fest, die auf Unglauben schließen ließ. »Die Beweise sind eindeutig«, sagte er darum. »Manziel wurde von Forpan selbst entlarvt.« »Wurde er auch identifiziert?« »Wir haben alle eiförmig geformten Robotdiener befragt«, antwortete Forpan ärger-
Diener der Vollkommenheit lich. »Sie funktionieren einwandfrei. Einer von ihnen ist allerdings unauffindbar – und dieser eine heißt Manziel.« »Ich werde den Herrn Moonkay zu dem Problem befragen«, entschied Harjanan. Forpan nickte verbissen. Seiner Meinung nach wurde mit diesem Geplänkel nur Zeit verschwendet. Das Blechding hatte zu gehorchen. Das Denken sollte es getrost Leuten überlassen, die etwas davon verstanden. »Dem Herrn Moonkay ist bekannt«, meldete sich der Robotdiener einen Augenblick später, »daß der würdige Arbeiter Manziel der Kontrolle des Herrn Vortimer entglitten ist. Der Herr Vortimer kam aufgrund der vorliegenden Fakten zu dem Schluß, daß die Existenz Manziels durch äußere Einwirkungen beendet wurde. Da die Verbindung im selben Augenblick abbrach, in dem der Dorgone getötet wurde, nahm der Herr Vortimer an, daß Manziel im Kampf mit dem Ungeheuer zerstört wurde. Manziel war kurz vor diesem Ereignis einer einseitigen Kontrolle durch den Herrn Vortimer unterzogen worden. Dabei stellte sich heraus, daß Manziel in einem gewagten Einsatz versuchte, den Dorgonen aufzuhalten. Um den würdigen Arbeiter nicht abzulenken, verzichtete Herr Vortimer auf einen offenen Dialog mit Manziel. Ein Einsatz für den würdigen Arbeiter wird in wenigen Stunden einsatzbereit sein.« »Was um alles in der Welt heißt das im Klartext?« fragte Forpan wütend. »Kannst du dich nicht verständlicher ausdrücken?« »Es ist doch ganz einfach«, mischte Instrumentedenker sich ein. »Manziel hat sich selbständig gemacht, und sein Herr kann ihn nicht mehr beeinflussen. Offensichtlich ist so etwas noch nie passiert, und darum hält man Manziel für tot.« »Wir haben es mit einer Maschine zu tun.« »Das sind Spitzfindigkeiten«, wehrte Instrumentedenker ab. »Immerhin – wir wissen, daß der Robotdiener gegen den Dorgonen gekämpft hat. Ohne Manziel wären wir nicht so glimpflich davongekommen. Dir, Forpan, hat er sogar das Leben gerettet.«
27 »Hier geht es lediglich um die Diebstähle und die Sabotageakte«, knurrte Forpan. Was bildete Instrumentedenker sich eigentlich ein? Sollte er, Forpan, als Mitglied der Familie Gordy etwa auch noch Dankbarkeit für diesen Blechkasten empfinden? Forpan ärgerte sich bereits darüber, daß er den anderen hinzugezogen hatte. Mit etwas Nachdenken wäre er auch alleine darauf gekommen, einen Robotdiener als Vermittler zu benutzen. »Der Zusammenstoß mit dem Dorgonen hatte offenbar schwere Folgen für Manziel«, sagte Instrumentedenker gedehnt. »Ich halte es für möglich, daß dabei auch die Motivierung des Robotdieners verändert wurde.« »Er hat schon vorher gestohlen«, sagte Forpan. »Aber nur Kleinigkeiten«, gab Instrumentedenker zu bedenken. »Und er hat trotz allem seine Pflichten erfüllt.« »Ein würdiger Arbeiter ist außerstande, die Dinge zu tun, von denen du gesprochen hast«, sagte Harjanan zu Forpan. »Der Herr Moonkay ist entsetzt über die Vorwürfe, die gegen Manziel erhoben werden. Er ist davon überzeugt, daß du einem Irrtum zum Opfer gefallen bist. Das ist typisch für organische Wesen.« Forpan sprang wutentbrannt auf. »Ich verlange, daß Manziel und sein komischer Herr Vortimer sofort lahmgelegt werden!« schrie er. »Und wenn du und dein Herr versuchen, diese Verbrecher auch noch zu decken, sehe ich mich gezwungen, die Herren der FESTUNG von den Vorfällen zu verständigen!« »Der Herr Moonkay zieht die Möglichkeit in Erwägung«, konterte Harjanan ungerührt, »selbst die Herren zu befragen. Es ist schlimm genug, wenn man Manziel verdächtigt, sich als Dieb zu betätigen. Der Herr Vortimer jedoch steht weit über seinem würdigen Arbeiter. Er hat bestätigt, daß alle seine Systeme fehlerfrei arbeiten. Deine Vorwürfe sind ungerechtfertigt.« Forpan schnappte nach Luft. Harjanan kümmerte sich nicht darum und schwebte
28 zum Ausgang. »Halt«, sagte Instrumentedenker hastig. Harjanan blieb stehen. »Wir sind durch die Vorfälle dieses Tages alle etwas durcheinander«, fuhr der ältere der beiden Technos fort. »Es hat keinen Sinn, sich in überflüssige Beschuldigungen zu stürzen. Ich nehme an, die Robotbürger können eher darüber entscheiden, ob einer von ihnen Fehler begeht oder nicht. Lassen wir daher Herrn Vortimer aus dem Spiel. Aber dann bleibt immer noch Manziel übrig. Harjanan, ob du und die anderen es nun glauben wollen oder nicht, Manziel existiert. Und er richtet eine Menge Schaden an. Ist es nicht möglich, daß – zum Beispiel beim Kampf mit dem Dorgonen – etwas in ihm durcheinandergeriet?« »Es ist möglich«, gab Harjanan zögernd zu. »Wenn wir das annehmen und unser Wissen dazutun, dann ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, Manziel zu suchen und ihm – falls das möglich ist – zu helfen.« »Helfen?« fuhr Forpan auf, aber Instrumentedenker brachte ihn mit einem mörderischen Blick zum Schweigen. »Es wäre eine denkbare Lösung des Problems«, antwortete Harjanan, der nun nicht mehr so sicher wirkte. Instrumentedenker stellte sich vor, wie jetzt in Wolterhaven fieberhaft nach einem Ausweg gesucht wurde. Zweifellos lag den Robotbürgern nichts daran, ihren defekten Diener zu finden, denn Manziel hätte den Beweis dafür geliefert, daß das System eben doch nicht fehlerfrei arbeitete. Dabei konnte Instrumentedenker nicht wissen, daß die Selbstsicherheit der Robotbürger bereits kurze Zeit vorher bis in ihre Grundfesten erschüttert worden war – damals, als Atlan und Razamon die Illusionssteine der Händler in die Stadt brachten und damit ungewollt ganz Wolterhaven in ein Narrenhaus verwandelten. »Ihr werdet uns also bei der Suche nach Manziel helfen?« fragte Instrumentedenker gespannt. »Ja.«
Marianne Sydow »Kann der Herr Vortimer seinen Diener nicht auf anderen, normalerweise nicht benutzten Weg erreichen?« »Der Herr Vortimer hat alle Möglichkeiten ausgeschöpft«, erwiderte Harjanan gleichmütig. »Manziel ist seinem Zugriff entglitten.« »Dann müßt ihr Robotdiener euch bemühen, Manziel zur Vernunft zu bringen«, forderte Instrumentedenker. Harjanan schwieg eine Weile. »Ich habe die anderen Arbeiter verständigt«, teilte er mit. »Wir haben einen Verbund gebildet und nach Manziel gesucht. Leider hatten wir keinen Erfolg.« Instrumentedenker nickte resignierend. Harjanan schwebte hoheitsvoll von dannen. Forpan sprang wütend auf. »Was soll das Ganze?« fragte er. »Wir müssen Manziel selbst suchen«, erwiderte Instrumentedenker gelassen. »Die Robotdiener haben alles getan, was in ihrer Macht steht.« »Der Kerl hat diesen Raum nicht einmal verlassen«, schnaubte Forpan. »Wie kann er da behaupten, überhaupt gesucht zu haben?« »Mir scheint, du hast gar nicht zugehört. Harjanan und alle anderen Robotdiener hier im Lager haben eine totale Kommunikation untereinander aufgestellt. Sie haben ganz andere Mittel als wir, einen der Ihren zu entdecken, und wenn sie Manziel trotzdem nicht gefunden haben, kann das nur eines bedeuten: Manziel hat sich total verändert. Er ist weder für den Herrn Vortimer, noch für seine Kollegen greifbar.« Forpan stützte den Kopf in die Hände. Ihm wurde schwindelig vor diesen merkwürdigen Herren und ihren seltsamen Dienern. Warum mußten die Maschinen überhaupt beim Bau des Kartaperators beteiligt werden? Man hatte doch nichts als Ärger mit ihnen. Forpan wünschte sich, er hätte den Mut, den Herren der FESTUNG das zu sagen.
5.
Diener der Vollkommenheit Atlan und Razamon schliefen abwechselnd. Sie hätten es getrost dem Wolf überlassen können, über ihre Gesundheit zu wachen. Aber sie wollten sich nichts von dem entgehen lassen, was unten im Tal geschah. Jede Kleinigkeit konnte sich später als wichtig erweisen. Bei Tagesanbruch, als im Osten der Himmel über den Dünen heller wurde und die Sterne verblaßten, erwachte der Techno aus seiner Lähmung. Razamon weckte den Arkoniden, denn es war besser, wenn sie beide hörten, was Teerträger ihnen sagen konnte. »Wer seid ihr?« fragte der Techno, sobald er sprechen konnte. »Was habt ihr hier zu suchen?« »Unsere Namen sind für dich unwichtig«, antwortete Razamon. »Was uns an diesen Ort führt, wirst du schnell genug erraten. Wir hörten, daß du viel von der Waffe verstehst, die ihr Kartaperator nennt. Erzähl uns etwas darüber.« Teerträger starrte Razamon wie hypnotisiert an. »Ich habe Bilder gesehen«, stotterte er. »Bilder von Leuten, vor denen Welten zitterten.« »Mein Freund entstammt der Familie Knyr, die am Taamberg lebte«, sagte Atlan, um die zwangsläufig entstehende Diskussion abzukürzen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Er wird dich freundlich behandeln. Es sei denn, du versuchst, ein falsches Spiel mit uns zu treiben.« Teerträger war herumgefahren, soweit ihm das möglich war, denn er war immer noch an Händen und Füßen gefesselt. »Ein Berserker und ein Sohn der Götter«, stieß er hervor. »Was hat das zu bedeuten?« »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber«, empfahl Razamon düster. »Was ist mit dem Kartaperator? Wo muß man ansetzen, wenn man ihn zerstören will?« »Zerstören?« ächzte Teerträger und zerrte an seinen Fesseln. »Habt ihr den Verstand verloren?« »Vielleicht«, murmelte Atlan trocken. »Aber du hast die Frage nicht beantwortet.«
29 »Den Kartaperator kann man nicht zerstören«, sagte Teerträger nach einer kurzen Pause. »Er wurde zusammengebaut«, meinte Atlan freundlich. »Hier, mitten in der Wüste. Was zusammengebaut ist, kann man auch wieder auseinandernehmen – notfalls mit Gewalt.« »Du hast recht. Aber der Kartaperator ist etwas Besonderes. Jede Veränderung bringt Gefahr mit sich. Die Zerstörung würde sich nicht auf eine Waffe beschränken, sondern das ganze Tal betreffen.« »Das hört sich nach einer Selbstvernichtungsanlage an«, murmelte Razamon. »Ich weiß nicht, was dieses Wort bedeutet«, sagte Teerträger hastig, »aber es hört sich so an, als würde es zu dem Kartaperator passen. Wenn jemand daran herumhantiert, fliegt alles in die Luft.« Fenrir hatte sich neben Teerträger gesetzt. Dem Techno war es gar nicht recht, daß er sich den grauen Wolf aus dieser Nähe ansehen durfte. Fenrir blickte zwischen Atlan und Teerträger hin und her. Der Arkonide gab dem Wolf mit einer unauffälligen Geste zu verstehen, daß er begriffen hatte. Fenrir witterte die Angst, die den Techno beherrschte. Atlan glaubte nicht daran, daß Teerträger sich nur wegen der ungewohnten Situation fürchtete. »Das ist eine Lüge«, sagte er bedächtig. Teerträger starrte ihn entsetzt an. »Wenn der Kartaperator so gefährlich wäre, wie du ihn uns schilderst«, erklärte der Arkonide, »könnt ihr gar nichts mit ihm anfangen. Die Herren der FESTUNG mögen skrupellos sein, aber sie sind nicht dumm. Sie setzen nicht eineinhalbtausend Fachleute, eine Anzahl von Robotdienern und eine Menge technischer Geräte einer so sinnlosen Gefahr aus. Sie wissen, daß der Kartaperator montiert und bedient werden kann, wenn niemand einen ganz großen Fehler macht. Man kann also an der Waffe herumbauen, ohne gleich in die Luft gesprengt zu werden.« »Es gibt Sicherheitsschaltungen«, behauptete Teerträger bockig. »Sie erkennen, ob ein
30 erlaubter Eingriff erfolgt, oder ob jemand den Kartaperator berührt, der gar nichts daran zu suchen hat.« »Jetzt kommen wir der Sache schon näher«, lächelte Atlan zufrieden. »Angenommen, jemand aus dem Kreis der Eingeweihten beschließt, allen Befehlen zum Trotz dieses Monstrums von einer Waffe aus dem Verkehr zu ziehen – wo wird er damit anfangen?« »Eine solche Person gibt es nicht!« »Was macht das schon? Betrachte das Ganze als ein Gedankenspiel. Sicher hat eine so große Maschine einen wunden Punkt. Eine zentrale Schaltstelle, zum Beispiel, die sich kaum ersetzen ließe. Also, wo geht es los?« Teerträger schloß verzweifelt die Augen. Noch am Abend zuvor hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, absichtlich einen Fehler zu machen – er wußte, daß es bei dem Gedanken geblieben wäre. Nach wie vor hatte er Angst vor dem, was beim Einsatz des Kartaperators geschehen konnte. Die beiden Städte Zbahn und Zbohr waren auf jeden Fall in Gefahr. Aber seine Angst vor den Herren der FESTUNG war größer als die Treue zu seinen Artgenossen. Abgesehen davon hätten wahrscheinlich alle Technos in irgendeiner Form dafür büßen müssen, wenn Teerträger sich gegen die Herren auflehnte. »Ich kann es euch nicht sagen«, flüsterte er erschöpft. »Tötet mich, wenn ihr wollt, aber fragt mich nicht mehr.« Atlan und Razamon sahen sich schweigend an. Fenrir entblößte kurz die Zähne und legte sich neben Teerträger in den Sand. Selbst der Wolf hatte begriffen, daß hier mit Drohungen nichts mehr auszurichten war. Keiner hatte auf die plötzlich zunehmende Helligkeit geachtet. Nur Teerträger wurde unruhig und starrte in den Himmel hinauf. Als Fenrir plötzlich leise knurrte, wurden auch Atlan und Razamon aufmerksam. »Die Sonne ist es nicht«, murmelte der Pthorer. Direkt über ihnen war etwas wie eine
Marianne Sydow kleine, leuchtende Wolke. Innerhalb weniger Sekunden dehnte das Gebilde sich aus und wurde dabei immer heller, bis es schließlich unmöglich war, es mit ungeschützten Augen anzusehen. Gegen ihren Willen sanken Razamon und Atlan zu Boden. Es war, als würde die Lichtflut sie in den Sand pressen. »Die Herren der FESTUNG«, keuchte Razamon mühsam. »Sie kontrollieren die Baustelle!« Atlan war nicht dazu fähig, dem Pthorer zu antworten. Er konnte kaum atmen. Unwillkürlich dachte er an technische Einrichtungen, die einen so unerträglichen Druck auf ihn ausübten, Schwerkraftprojektoren oder etwas Ähnliches. Aber dann hätte sich der Kamm der Düne verformen müssen, von den verheerenden Folgen, die ein Schwerefeld auf der Baustelle anrichten mußte, ganz zu schweigen. Er kam zu dem Schluß, daß es sich um einen psychischen Druck handelte, den er sich – auf Befehl dessen, was in der leuchtenden Wolke war – einzubilden hatte. Die Erkenntnis war alles andere als beruhigend. Der Arkonide versuchte sich zu wehren, aber das half nicht. Verzweifelt dachte er daran, daß sie – um das Problem »Pthor« zu lösen – früher oder später in die FESTUNG eindringen mußten. Wenn sie nicht einmal mit dem Druck, der von der Wolke ausging, fertig wurden, wie sollten sie dann jemals gegen die Herren der FESTUNG bestehen? Neben ihm winselte Fenrir. Auch er war an den Boden gefesselt. Wirkte die geheimnisvolle Kraft auf alle Lebewesen, oder reagierte Fenrir, weil er eben doch mehr als nur ein Tier war? Es dauerte mehrere Minuten, bis das Licht schwächer wurde. Der Druck wich von den Männern, und als Atlan in die Richtung der Erscheinung zu blicken wagte, sah er nur noch einen rasch verblassenden Fleck im Morgenhimmel. Augenblicke später schob sich die Sonne über den Horizont und übergoß die Wüste mit rötlichem Licht. Razamon richtete sich auf und rieb sich
Diener der Vollkommenheit den Nacken. Auch Atlan fühlte einen leichten, ziehenden Schmerz im Hinterkopf. Fenrir schüttelte sich, als wäre er gerade aus dem Wasser gestiegen. Nur Teerträger lag ganz still da. »Was hatte das Licht zu bedeuten?« fragte Atlan, der immer noch hoffte, etwas aus dem Techno herauszuholen. »Jemand aus der FESTUNG war da«, sagte Teerträger gleichmütig. »Nach den Vorfällen von gestern war es logisch, daß eine Kontrolle stattfand.« Razamon nickte, aber Atlan war nicht recht zufrieden. »Was wird nun geschehen?« fragte er. »Der Kartaperator ist fast fertig. Die Herren werden nicht viel an ihm auszusetzen haben. Vielleicht geben sie Artol Forpan noch ein paar Anweisungen.« »Wer ist Artol Forpan?« »Ein Mitglied der Familie Gordy aus Donkmoon. Er leitet die Arbeiten.« Atlan spielte mit dem Gedanken, Teerträger zu weiteren Informationen über Forpan zu verleiten. Wenn es gelang, diesen Techno zu entführen – aber das war hoffnungslos. Selbst wenn sie an Forpan herankamen, hatten sie kaum etwas gewonnen. Die Herren der FESTUNG würden auf das Leben eines einzelnen Technos keine Rücksicht nehmen. Immerhin wußten sie jetzt, daß sie sich beeilen mußten. »Wann wird der Kartaperator einsatzfähig sein?« wollte Razamon wissen. »Noch in der nächsten Nacht«, sagte Teerträger gelassen, »wird die Barriere von Pthor zerbrechen. Dann haben die Horden der Nacht endlich freie Bahn.« »Sie werden sich trotzdem etwas gedulden müssen«, murmelte Atlan. »Pthor ist mitten im Meer aufgetaucht.« Teerträger lächelte höhnisch. »Die Horden der Nacht werden mit jedem Hindernis fertig«, versicherte er. »Das Wasser kann sie nicht aufhalten.« Atlan dachte an seine Begegnung zurück, bei der sie ein Mitglied der Horden der Nacht kennengelernt hatten. Genaugenom-
31 men waren es zwei dieser Fabelwesen gewesen, aber der eine war der treue Diener Thalias, die als Göttersohn Honir ihren Abschnitt der Straße der Mächtigen bewachte. Vor Honirs Schloß hatten sie gegen ein drachenähnliches Wesen gekämpft. Es war nicht leicht gewesen, die Bestie zu besiegen. Aber sie hatten ja auch keine modernen Waffen gehabt. Zum erstenmal dachte er darüber nach, ob die Horden der Nacht wirklich so furchtbare Verwüstungen anzurichten vermochten. Wenn man ihnen mit Impulsstrahlern und ähnlichen Mitteln zu Leibe rückte, waren sie kaum eine große Gefahr. Er fragte Teerträger danach. »Ich kenne die Waffen nicht, die du mir nennst«, antwortete der Techno. »Aber ich weiß, daß die Horden der Nacht unüberwindlich sind. Ihr stammt von der Welt jenseits des Wölbmantels, wie ich deinen Fragen entnehme. Seltsam, ich hielt dich wirklich für einen Göttersohn. Jetzt verstehe ich, warum ihr den Kartaperator zerstören wollt. Es wird euch nicht gelingen. Selbst wenn ihr es schaffen könntet, würdet ihr eurer Welt nur eine Galgenfrist verschaffen. Die Herren der FESTUNG haben ihr Ziel immer erreicht!« Atlan warf einen Blick auf die Siarta. Auch das Volk, das diese furchtbare Waffe erfunden hatte, war bei einem Besuch dieses reisenden Landes untergegangen. Wir konnten die Horden der Nacht einem so vernichtenden Mordwerkzeug entgehen? Atlan kam im Augenblick nur auf eine denkbare Lösung. Sie hielten sich schon seit Wochen auf Pthor auf. Es war undenkbar, daß Perry Rhodan und all die anderen Menschen auf der Erde Pthor so lange duldeten, ohne wenigstens einen Versuch zu unternehmen, die Gefahr zu beseitigen. Atlan wußte, wie schwer es war, diesem eigenartigen Land beizukommen. Wer sich ihm näherte, verlor das Bewußtsein. Atlan und Razamon hatten ihr Boot und die gesamte Ausrüstung, sogar ihre Kleidung verloren, nachdem sie die Be-
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Marianne Sydow
wußtseinssperre durchbrochen hatten. Alles hatte sich aufgelöst – nur Atlans Zellaktivator nicht. Man konnte also nicht einmal Roboter oder Sonden nach Pthor schicken. Trotzdem hätte Rhodan es wenigstens versucht. Und diese Versuche hätte man auch innerhalb des Wölbmantels bemerken müssen. Atlan und Razamon nahmen daher an, daß auf Pthor die Zeit langsamer verging, als auf der Erde. Daß nicht Wochen, sondern vielleicht nur Stunden vergangen waren, seit sie zu ihrer abenteuerlichen Reise aufgebrochen waren. Wenn das stimmte, waren die Horden der Nacht allerdings viel gefährlicher, als Atlan bisher angenommen hatte. Dann waren sie fähig, sich so schnell zu bewegen, daß die Menschen die Bedrohung viel zu spät wahrnahmen, um sich noch retten zu können. Andererseits ergaben sich sofort neue, schier unlösbare Fragen. Zum Beispiel unterschieden sich die scheinbaren Bewegungen von Sonne, Mond und Sternen auf Pthor nicht von dem, was Atlan von der Erde gewöhnt war. Wie ertrug sich das mit der Theorie vom anderen Zeitablauf? »Was werdet ihr mit mir tun?« fragte Teerträger. Atlan zuckte zusammen. Er hatte den Techno schon beinahe vergessen. Er warf Razamon einen fragenden Blick zu. »Du bleibst noch bei uns«, sagte der Pthorer. »Vielleicht fällt dir im Lauf des Tages noch etwas ein, was du uns mitteilen willst.«
6. Der Feuerball am Himmel verdammte auch die Technos im Tal zur Reglosigkeit. Artol Forpan erlebte diese Art von Inspektion nicht zum erstenmal, dennoch hatte er Angst. Er stand mit der FESTUNG in ständiger Verbindung. Die Herren waren genau darüber informiert, welche Fortschritte und Rückschläge es gegeben hatte. Warum wollten sie sich selbst vom Stand der Dinge
überzeugen? Trauten sie Forpan etwa nicht mehr? Für den Techno hätte das der Tod bedeutet. Als die Leuchterscheinung verblaßte, dauerte es eine Weile, bis sich alle erholt hatten. Forpan registrierte mit einigem Groll den Tod von fünf Technos, die während der Inspektion vom Kartaperator und einigen Montagegeräten abgestürzt waren. Sie hatten sich nicht mehr in Sicherheit bringen können. Er nahm sich vor, den Herren der FESTUNG seine Meinung zu ihrem überraschenden Besuch zu sagen, falls jemand etwas an seiner Arbeit auszusetzen hatte. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Herren sich meldeten. Forpan zuckte zusammen, als er das laute Summen des Funkgeräts hörte. Er hatte den Apparat samt Bedienungsanweisung erst vor kurzer Zeit bekommen. Er hätte es niemals zugegeben, aber insgeheim hatte er höllische Angst vor diesem Gerät. Und er hatte jetzt auch Angst vor den Herren der FESTUNG. Die Stimme, die aus dem kleinen Lautsprecher drang, klang düster und monoton. »Der Kartaperator ist noch nicht fertiggestellt. Du hast von den Ursachen für diese Verzögerung berichtet. Es darf zu keinen weiteren Zwischenfällen kommen.« »Das Erscheinen des Dorgonen konnte ich nicht vorhersehen«, erwiderte Forpan beinahe trotzig. »Gegen diese Schwierigkeiten gibt es keine Absicherung.« »Das ist richtig. Aber es ist nicht anzunehmen, daß derart seltene Ereignisse sich kurz hintereinander wiederholen.« »Ich habe die Leute an die Arbeit zurückgeschickt.« »Das ist nicht genug. Sie arbeiten zu langsam.« Forpan begann zu schwitzen. Er verstand das nicht. Sie waren schon so lange auf dieser Welt, daß es auf einen Tag mehr oder weniger kaum noch ankam. Gingen sie dagegen überhastet vor, dann riskierten sie Fehler, die den Kartaperator zerstörten. Das war sicher nicht im Sinn der Herren. »Sie geben ihr Bestes«, versuchte er es
Diener der Vollkommenheit noch einmal. »Wir müssen vorsichtig sein. So lauten jedenfalls die Befehle.« »Wir wollen nichts daran ändern. Trotzdem muß der Kartaperator noch am Abend dieses Tages fertiggestellt werden.« »Das ist unmöglich!« stieß Forpan hervor. Einen Augenblick später wurde er bleich. Er hatte das, was ihm aus der FESTUNG mitgeteilt wurde, in Frage gestellt. Er hatte – wenn auch indirekt – die Herren kritisiert und den Verdacht geäußert, sie könnten einen Fehler gemacht haben. Ein solches Vergehen war nicht gerade förderlich für einen ehrgeizigen Techno! Zum Glück schien man es in der FESTUNG diesmal nicht so genau zu nehmen. »Unsere Berechnungen zeigen, daß es möglich ist«, leierte die düstere Stimme. »Du wirst alle Kräfte auf den Kartaperator konzentrieren. Die Jagd nach dem Robotbürger hat zu unterbleiben. Er kann jetzt höchstens noch Zerstörungen im Wohn und Lagerbereich anrichten, und das ist unwichtig.« »Ich werde dafür sorgen …« »Du wirst sofort die entsprechenden Befehle geben«, wurde er unterbrochen. »Wir erwarten von dir, daß du deinen Auftrag voll und ganz erfüllst. Am Abend wirst du uns die Erfolgsmeldung erteilen.« »Ja, aber wenn …« »Schluß.« Forpan hörte das Knacken, mit dem die Verbindung unterbrochen wurde. Er stützte den Kopf in die Hände und dachte verzweifelt darüber nach, wie er im Lauf eines einzelnen Tages ein mittleres Wunder vollbringen sollte. Dann setzte er sich mit der Zentrale in Verbindung. Wenige Minuten später herrschte wilde Hektik auf der Baustelle. Die Wohnkuppeln waren leer. Die Technos, die in der vorigen Nacht gearbeitet hatten, erhielten aufmunternde Medikamente und wurden anschließend an die Arbeit gehetzt, obwohl manche sich kaum auf den Beinen halten konnten. Im Kartaperator, auf ihm und um ihn herum herrschte ein solches Gedränge, daß die
33 Technos sich gegenseitig auf die Füße traten. Aber sie arbeiteten tatsächlich wie wildgewordene Ameisen.
* Manziel hatte gemerkt, daß jemand aus der FESTUNG gekommen war. Es hatte ihm nicht viel ausgemacht. Anders war es mit der anschließend ausbrechenden Hektik. Zuerst hegte er den Verdacht, daß die Jagd auf ihn nun erst richtig losging. Aber die Technos rannten so schnell sie konnten zum Kartaperator, und niemand kam in die leere Halle. Zögernd wagte Manziel sich ins Freie. Kein Techno war in der Nähe. Auch kein anderer Robotdiener. Die wenigen Fahrzeuge, die Manziel entdeckte, waren verlassen. Nur am Kartaperator war allerhand los. Manziel schloß daraus, daß der Besuch aus der FESTUNG nicht ihm gegolten hatte, wie er zuerst befürchtete, sondern der riesigen Waffe. Die Herren hatten es eilig. Um so besser, denn jetzt war Manziel ungestört. Zwar mußte er weiterhin vorsichtig sein, aber er brauchte wenigstens nicht den ganzen Tag in dem Versteck verbringen. Auch Roboter können sich langweilen. Als er losschwebte, dachte er kurz an den Herrn Vortimer. Ihm war klar, daß etwas nicht stimmte. Der Herr Vortimer mußte inzwischen längst gemerkt haben, daß Manziel Dinge tat, die er einfach nicht tun dürfte. Der Herr Vortimer hatte die Möglichkeit, seinen würdigen Arbeiter zu tadeln, ebensogut aber konnte er ihn notfalls desaktivieren. Da nichts dergleichen geschah, kam Manziel zu der Auffassung, daß der Herr Vortimer mit dem Vorgehen seines würdigen Arbeiters zufrieden war. Warum auch nicht, denn der Herr Vortimer gehorchte ebenfalls den Vorschriften der Vollkommenheit. Manziel nahm sich vor, das Vertrauen seines Herrn nicht zu enttäuschen. Von nun an wollte er sich noch intensiver seiner Aufgabe widmen.
34 Manziel ahnte nicht, daß er längst nicht mehr als würdiger Arbeiter galt, und daß der Herr Vortimer sich seinetwegen eine ganze Menge Gedanken machte. Er ahnte auch nicht, daß ganz Wolterhaven fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, Manziel schnell und gründlich aus dem Verkehr zu ziehen. Leider war Manziel durch seinen Defekt unangreifbar geworden. Der Roboter vergnügte sich zunächst damit, aus den Behausungen der Technos alles zusammenzutragen, was sich im Sinn der Vorschriften nutzbringend verwenden ließ. Damit hatte er mehrere Stunden zu tun, und auch dann gab es noch viel Kuppeln, die er noch nicht heimgesucht hatte. Aber allmählich wurde ihm die Sammelei zu eintönig. Er sah sich nach einer besseren Beschäftigung um und fand auch schnell etwas. Während am Kartaperator mit Hochdruck gearbeitet wurde, demolierte Manziel mit wachsender Begeisterung verschiedene Arten von Fahrzeugen. Da gab es ein paar Zugors – für die Technos waren sie besonders wichtig, denn sie garantierten im Notfall die schnelle Verbindung mit ihren Städten. Normalerweise hatten Zugors in der Wüste Fylln ebenso wenig zu suchen, wie die Technos selbst. Aber die Herren der FESTUNG hatten vorübergehend eine zusätzliche Flugschneise geschaffen. Es lag ihnen viel daran, daß die Technos sich auf der Baustelle wohl fühlten, denn das hob die Arbeitsmoral. Nachdem Manziel mit den Zugors fertig war, würden sie sich um keinen Millimeter mehr vom Boden erheben. Dann kam ein Lastfahrzeug mit Rollketten an die Reihe. Manziel fand in seinem Innern viele wunderschöne Schrauben und bunte Drähte, die er umgehend in sein Versteck brachte. Leider tauchte wenig später ein Techno in der Nähe der Fahrzeuge auf. Manziel versteckte sich auf einer Kuppel und wartete, in der Hoffnung, der Störenfried möge bald verschwinden. Aber der Techno blieb. Er durchsuchte mehrere Fahrzeuge, entdeckte
Marianne Sydow dann ein paar von den netten grauen Kugeln, die Manziel bereits kannte, setzte sich zufrieden hin und begann zu essen. Manziel verließ enttäuscht sein Versteck und schwebte lautlos davon, ohne daß der Techno ihn bemerkte. Er mußte feststellen, daß der größte Teil des Vergnügens schon wieder vorbei war. Die Sonne stand bereits tief, und immer mehr Technos kamen vom Kartaperator zurück. Manziel zog daraus den Schluß, daß die häßliche Maschine bald ihre Arbeit aufnehmen würde. Das war bedauerlich, denn sobald die Barriere durchbrochen war, würden die Technos dieses Lager verlassen. Der Robotdiener blieb vor Schrecken in der Luft stehen, als er die Konsequenzen erkannte. Seine Schätze! Jetzt, da es – nach seiner Meinung – sicher war, daß der Herr Vortimer an Manziels Sammelobjekten interessiert war, hielt Manziel es für seine Pflicht, das ganze Zeug nach Wolterhaven zu bringen und bei seinem Herrn abzuliefern. Aber wie sollte er das anstellen? In seinem Transportfach fand nicht einmal ein Hundertstel der Beute Platz. Auch wenn es Manziel gelungen wäre, einen Behälter zu finden, in den er seine Schätze stecken konnte, hätte er ihn nicht transportieren können. Die würdigen Arbeiter von Wolterhaven waren nicht für grobe Arbeiten geschaffen. Dazu benutzte man die Handlanger. Manziel fürchtete außerdem, daß andere Robotbürger seine Ansichten – und die Herren des Herrn Vortimer – nicht teilen könnten. Mit seiner Beute mußte er den Dienern auffallen, mit denen er nach Wolterhaven zurückkehrte. Zutiefst beunruhigt flog Manziel zu seinem Versteck. Er hatte seine Beute im Fundament eines Gittermastes untergebracht. Der Hohlraum, den es dort gab, war so mit Beutestücken vollgestopft, daß Manziel sich kaum noch darin bewegen konnte. Traurig betrachtete er seine Sammlung.
Diener der Vollkommenheit Er hatte keine Ahnung, was die Technos nach dem Einsatz des Kartaperators mit dem Lager anstellen würden. Vielleicht gingen sie einfach weg und überließen die Baustelle dem Sand. Dann brauchte Manziel nur abzuwarten. Dem Herrn Vortimer würde schon etwas einfallen. Er konnte ein paar Handlanger unter Manziels Leitung beauftragen, die Schätze abzuholen. Wurden die Kuppeln und Masten jedoch abgebaut, dann mußte man Manziels Beute finden. Der Robotdiener war ratlos. Er sah keinen Weg, seine Schätze weiterhin sicher aufzubewahren. Er dachte daran, alles in die Wüste hinauszuschaffen. Aber dabei konnte er zu leicht entdeckt werden, und wenn ein Sturm ausbrach, war die Beute erst recht verloren. Er verschloß das Versteck von außen und schwebte lautlos kreuz und quer durch das Lager, immer in der Hoffnung, irgendeine Lösung zu finden. Plötzlich hatte er Erfolg.
* Teerträger hatte den ganzen Tag über eisern geschwiegen. Selbst als Atlan und Razamon ihrem Gefangenen etwas von dem kostbaren Wasser und dem Proviant abgaben, hielt er es nicht für nötig, auch nur ein Wort zu sagen. Erst als Atlan ihm befahl, die Oberkleidung abzulegen, wurde Teerträger nervös. Er trug längst keine Fesseln mehr – Fenrir bewachte ihn mit großer Aufmerksamkeit. »Warum?« fragte Teerträger mißtrauisch. »Das geht dich nichts an«, wehrte Atlan ab. Teerträger zog die Kombination aus, die er aus Gründen der Vernunft während der Arbeit getragen hatte – es war glatter Wahnsinn, in den üblichen Lederrüstungen am Kartaperator herumzuklettern. Erstens war man nicht beweglich genug, und zweitens würde man bei dieser Hitze regelrecht gekocht in den schweren Rüstungen. Atlan nahm das Kleiderbündel an sich
35 und zog sich um. »Man wird dich trotzdem als einen Fremden erkennen«, meinte Teerträger skeptisch. »Damit wirst du nicht durchkommen.« »Laß das meine Sorge sein«, empfahl ihm der Arkonide. »Du solltest besser darüber nachdenken, was du mit deiner Zukunft anstellen willst. Wir können dich unmöglich zu deinen Leuten zurückkehren lassen, denn du weißt zu viel.« »Ich käme nicht dazu, auch nur ein Wort zu verraten«, antwortete Teerträger bedrückt. »Sie werden mich töten, sobald sie mich sehen.« »Warum denn das?« fragte Atlan verwundert. »Weil ich mich habe fangen lassen.« »Was ist daran so schlimm?« »Ich war nicht wachsam genug. Ich habe versagt.« »Du lieber Himmel«, stöhnte Atlan. »Wenn das ein todeswürdiges Verbrechen ist, dann habe ich schon ganze Völkerscharen auf dem Gewissen.« »Du kennst unsere Bräuche nicht«, murmelte Teerträger deprimiert. »Auf die Baustelle darf ich mich nicht mehr wagen, auch nicht nach Zbahn oder an einen anderen Ort, an dem Technos leben.« Atlan schwieg. Er fragte sich, ob Teerträger die Wahrheit sagte, oder ob er nur einen Trick ausprobierte. Vielleicht legte er es darauf an, daß man ihn laufen ließ – und dann warnte er die Leute auf der Baustelle doch. »In dieser Wüste gibt es auch Technos«, sagte Razamon plötzlich. »Das weiß ich. Es sind Parias, ein unnützes Gesindel.« »Einmal waren sie genauso nützlich wie du«, korrigierte Razamon trocken. »Fleißige Technos, die hübsch brav nach der Pfeife ihrer Herren tanzten. Bis sie einen Fehler machten. Du glaubst es mir jetzt sicher nicht, aber ich bin der Meinung, daß sie einen guten Tausch gemacht haben. In der Wüste lebt es sich bequemer als in euren Städten. Dafür sind die Parias frei. Mit den Herren der FESTUNG haben sie nichts mehr
36 zu tun.« Teerträger dachte darüber nach. »Das stimmt«, sagte er schließlich. »Und ich habe nichts mehr zu verlieren. Alleine kann man in dieser Umgebung nicht überleben. Ich werde versuchen, die Parias zu finden. Sie sind meine einzige Chance.« Atlan steckte längst in der Kombination des Technos. »Wenn du es ernst meinst, mache ich dir ein Angebot«, murmelte er nachdenklich. »Du verhältst dich still, bis wir unser Vorhaben erledigt haben. Dann gebe ich dir das Zeug hier zurück, und du bist frei. Wenn du willst, kannst du mit uns weitergehen.« »Ich werde es mir überlegen«, versprach Teerträger. »Wir müssen diesen Platz für kurze Zeit verlassen«, sagte Razamon. »Der Wolf geht mit mir. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn wir dich fesseln. Dann können wir ganz sicher sein, daß du nicht doch ins Lager läufst.« »Ich bin nicht lebensmüde«, versicherte Teerträger. »Wenn es euch beruhigt, dann legt mir die Fesseln an.« Atlan beobachtete Fenrir, der den Gefangenen immer noch bewachte. Der Wolf bemerkte den Blick und bewegte die Schwanzspitze. Der Arkonide verließ sich auf den Instinkt des Tieres. »Ich denke, wir können es wagen«, sagte er. »Teerträger wird bleiben und auf uns warten.« Der Techno nahm die Entscheidung gelassen hin. »Ich werde warten«, bestätigte er. »Aber ich fürchte, wir werden uns trotzdem nicht wiedersehen. Man wird euch töten, sobald ihr im Tal auftaucht.« »Dazu muß man uns erst einmal bemerken«, gab Atlan zu bedenken. Sie verzichteten wirklich darauf, den Techno zu fesseln, und als sie durch den Sand davonstapften, blieb Teerträger regungslos sitzen und sah ihnen nach. Etwas später trennten sie sich. Razamon und Fenrir sollten die Technos ablenken, so-
Marianne Sydow bald Atlan die Kuppeln erreichte. Der Arkonide lief im Schutz der Dünen ein gehöriges Stück um das Lager herum. Dann robbte er vorsichtig durch den Sand und beobachtete die Posten. Sie waren genauso verschlafen, wie er sie am vorigen Abend in Erinnerung hatte. Es schien beinahe, als hätten sie ihre Posten gar nicht verlassen. Der Arkonide suchte sich eine günstige Stelle und gelangte unbehelligt durch den Kreis der höchst überflüssigen Wächter hindurch. Geduckt lief er in den Schatten einer Wohnkuppel, suchte den Boden ab und fand eine Pfütze. Das Zeug, mit dem er seine Haare einschmierte, stank erbärmlich, aber es war dunkel, und nur darauf kam es an. Mit seinen weißen Haaren mußte Atlan auf jeden wachsamen Techno wie ein Leuchtturm wirken. Die Kerle konnten ja nicht alle so verschlafen sein wie die Wächter bei den Gittermasten. Als es weiterging, fühlte er sich bereits etwas sicherer. Zwischen den Kuppeln war es ziemlich still. Die Technos hatten sich bei der Arbeit völlig verausgabt. Wer nichts mehr zu tun hatte, lag wahrscheinlich längst im Bett und schlief. Am Kartaperator gab es immer noch etwas zu tun, aber wahrscheinlich handelte es sich um Dinge, die nur von einigen Spezialisten bewältigt werden konnten. Atlan lächelte böse bei diesem Gedanken. Er hatte einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Eine Minute später geriet er dennoch in Gefahr. Er ging um eine Kuppel herum und sah plötzlich eine Gruppe von Technos. Die Männer kamen direkt auf ihn zu. Es war zu spät, um Hals über Kopf in das erstbeste Versteck zu springen. Er hatte die Technos nicht früher bemerken können, weil sie sich im tiefen Schweigen bewegten. Atlan biß die Zähne zusammen und ging hochaufgerichtet weiter. In jedem Augenblick erwartete er, daß einer der Technos ihn ansprach. Jede noch so harmlose Bemerkung konnte ihn verraten. Aber die Gruppe trottete an ihm vorbei,
Diener der Vollkommenheit ohne ihn überhaupt zu beachten. Die Männer waren so übermüdet, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Erleichtert sah Atlan die Technos in einer Kuppel verschwinden. Er nahm sich vor, in Zukunft besser auf den Weg zu achten. Um so entsetzter war er, als kaum eine Minute später ein metallenes Ei vor ihm auftauchte und ihm den Weg versperrte. »Wohin führt dich dein Weg, Fremder?« fragte das Ei.
* Zuerst war Atlan entsetzt, aber dann sagte er sich, daß der Robotdiener vorerst halbwegs friedlich gestimmt sein mußte. Sonst hätte dieses Ei gar keine Fragen gestellt, sondern den Eindringling auf der Stelle umgebracht. Er wußte, daß die Maschinen aus Wolterhaven ohne jeden Skrupel Menschen töten konnten. Darin unterschieden sie sich von ihren terranischen Kollegen. »Woher weißt du, daß ich ein Fremder bin?« fragte Atlan mißtrauisch. »Ich habe dich schon einmal gesehen«, antwortete das Ei. »In Wolterhaven. Ich bin Manziel, ein würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer. Du hast uns schon einmal geholfen. Ich hoffe, daß du auch diesmal zur Zusammenarbeit bereit bist.« »Was soll ich für dich tun?« fragte Atlan verblüfft. »Ich werde es dir erklären«, versprach Manziel. »Aber nicht hier. Wir brauchen ein Versteck, sonst finden die Technos uns doch noch.« Atlan begriff sofort, daß Manziel in Schwierigkeiten steckte. Aus irgendeinem Grund war der Roboter in Gefahr. Er brauchte Hilfe. Vielleicht ließ sich daraus ein Geschäft machen. Er lief hinter Manziel her, der mit beträchtlicher Geschwindigkeit zwischen den Kuppeln hindurchschwebte und darauf achtete, keinem Techno zu nahe zu kommen. Als Manziel an der Wand einer ziemlich großen Kuppel hinaufzuschweben begann,
37 sah Atlan ihm ratlos nach. Die Wand war glatt, und es gab weder eine Leiter noch sonst etwas, mit dessen Hilfe er dem Roboter folgen konnte. »Warum bleibst du stehen?« fragte Manziel verwundert. »Ich kann nicht fliegen«, antwortete Atlan trocken. Der Roboter schwebte wieder nach unten und streckte einen metallenen Tentakel aus. Er wollte Atlan am Kragen packen, wie er es vorher schon mit Forpan getan hatte. Der Arkonide erkannte rechtzeitig, was da auf ihn zukam und sprang zurück. »Nicht so!« sagte er scharf. »Du mußt zwei Arme benutzen und eine Schlinge daraus bilden.« Es dauerte mehrere Sekunden, bis der Roboter einen Sitz improvisiert hatte, den Atlan akzeptierte. Dann ging es zur Kuppel hinauf, wo Manziel den Arkoniden an einer sicheren Stelle absetzte. Atlan sah sich mißtrauisch um. Wenn Manziel aus irgendeinem Grund das Interesse an ihm verlor, wollte er nicht ausgerechnet auf dieser Kuppel festsitzen. Erleichtert sah er eine Leiter, die auf der entgegengesetzten Seite bis auf den Boden hinabführte. »Du hast in Wolterhaven erfahren, daß wir den Vorschriften der Vollkommenheit gehorchen«, begann der Roboter ohne lange Vorrede. »Diese Vorschriften werden hier regelmäßig durchbrochen. Das durfte ich nicht zulassen. Darum habe ich mich bemüht, möglichst viele Störfaktoren auszuschalten.« Atlan erinnerte sich daran, daß zum Beispiel ungeladene Gäste in Wolterhaven zu den Störfaktoren gerechnet wurden. Entsetzt fragte er sich, ob Manziel sich als modernes Ungeheuer betätigt hatte. Aber der Roboter sprach weiter, und da wurde schnell klar, in welcher Weise Manziel zur Vollkommnung dieser Baustelle beigetragen hatte. Atlan war mehrmals nahe daran, in schadenfrohes Gelächter auszubrechen. Da hatten die Herren der FESTUNG sich eine schöne Laus in den Pelz gesetzt!
38 Was Manziel sich geleistet hatte, war nichts anderes als Sabotage – allerdings eine von sehr feinsinniger Art. Es war kein Wunder, daß die Technos so lange gebraucht hatten, um ihm auf die Schliche zu kommen. Die einzelnen Diebstähle mußten ihnen völlig sinnlos erscheinen. »Du mußt einsehen«, sagte Manziel, »daß ich meine Schätze nicht einfach zurücklassen kann. Der Herr Vortimer gibt mir durch sein Schweigen zu verstehen, wie sehr er mit meiner Arbeit zufrieden ist.« Atlan zählte zwei und zwei zusammen und kam zu dem Schluß, daß der Herr Vortimer seinen würdigen Arbeiter höchstpersönlich bis zur letzten Niete auseinandergenommen hätte, wäre es ihm nur möglich gewesen. Manziel hatte einen schweren Defekt, von dem er logischerweise nichts ahnte. Aber das konnte dem Arkoniden nur recht sein. Er hatte sogar schon eine Idee, wie er den Vollkommenheitsfimmel dieses Roboters für seine Zwecke ausnutzen konnte. Und er hütete sich, dem würdigen Arbeiter die Wahrheit über den Herrn Vortimer auch nur andeutungsweise zu erklären. »Es gibt viele Fahrzeuge hier«, fuhr Manziel fort. »Leider kann ich nicht mit ihnen umgehen. Ich weiß aber, daß du und dein Begleiter in Wolterhaven großes Geschick in solchen Dingen bewiesen haben.« »Mit anderen Worten: Ich soll deine Beute auf einen gestohlenen Wagen verfrachten und nach Wolterhaven fahren.« »Du hast es schnell begriffen«, sagte Manziel erleichtert. »Es ist ein sehr weiter Weg«, gab Atlan zu bedenken. »Und unterwegs gibt es viele Gefahren. Abgesehen davon brauche ich Wasser, Proviant, wahrscheinlich auch Treibstoff, das kommt darauf an, was für ein Fahrzeug ich erwische. Und dann wird man mich nicht einfach losfahren lassen.« »Ich werde für alles sorgen«, versprach Manziel. »Du brauchst es nur zu sagen. Die Wagen fahren schnell genug, um uns in wenigen Tagen nach Wolterhaven zu bringen. Wasser und Proviant gibt es hier genug. Von
Marianne Sydow dem, was du Treibstoff nennst, verstehe ich nichts, aber wenn die Technos es brauchen, ist es auch bei den Vorräten zu finden. Vor den Gefahren brauchst du dich nicht zu fürchten, denn ich werde dich begleiten.« »Bleibt der Punkt übrig«, sagte Atlan ruhig. »Wie komme ich mit einem schwerbeladenen Fahrzeug aus dem Lager heraus?« »Wir könnten die Technos ablenken«, meinte Manziel hoffnungsvoll. »Die denken nur an ihren Kartaperator«, murmelte Atlan. »Dieses häßliche Ding!« »Es stört mich ebenfalls«, stimmte Manziel sofort zu. »Er stellt schon in seiner Gesamtheit einen so schweren Verstoß gegen die Vorschriften der Vollkommenheit dar, daß ich ihn kaum anzusehen wage.« »Warum vernichtest du ihn nicht einfach?« fragte Atlan harmlos. »Ich habe daran gedacht«, gestand Manziel ein. »Leider ist es mir nicht möglich, es sei denn, ich wäre bereit, meine Existenz aufzugeben.« »Ich wüßte eine Möglichkeit«, sagte Atlan gedehnt. Er wußte, daß er sich auf einem gefährlichen Gebiet bewegte. Manziel mochte verrückt sein, aber er hatte sich noch nicht vergessen, in wessen Auftrag der Kartaperator gebaut wurde. Der defekte Roboter war unberechenbar. Ein falsches Wort konnte ausreichen, um ihm seine eigene Aufgabe ins Gedächtnis zu rufen. Und dann war Atlans Leben keinen Pfennig mehr wert. »Es gibt keine Möglichkeit, den Kartaperator zu vernichten«, sagte Manziel traurig. »Vielleicht doch«, meinte der Arkonide vorsichtig und löste die Siarta aus dem Gürtel. »Kennst du diese Waffe?« »Ich habe sie noch nie gesehen. Auch nichts, was ihr ähnlich wäre.« »Eine rätselhafte Frau gab sie mir«, erklärte Atlan. »Sie lebte in einer Oase südlich von dieser Baustelle. Sie befürchtete, daß Teimabor zerstört würde, wenn der Kartaperator zu arbeiten beginnt. Darum gab sie mir den Auftrag, die riesige Waffe mit der Siarta zu vernichten. Die Siarta sieht klein und
Diener der Vollkommenheit harmlos aus, aber ihre Wirkung ist schrecklich. Sie läßt Energien aus fremden Dimensionen auf den Gegenstand prallen, den man unter Feuer nimmt. Nicht einmal der Kartaperator ist imstande, das zu verkraften.« Manziel hockte regungslos da. Atlan wartete unruhig darauf, daß der Roboter seinen Kommentar abgab. Er fand es schwierig, mit diesen Maschinen aus Wolterhaven umzugehen. Sie waren anders als alle Roboter, die er kannte. Die Posbis hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Arbeitern aus der Robotstadt. Aber selbst sie waren leichter zu durchschauen. »Du willst den Kartaperator vernichten«, stellte Manziel endlich fest. »Da du dich wohl kaum nach den Vorschriften der Vollkommenheit richtest, hast du andere Gründe. Willst du sie mir nennen?« Atlan zögerte. Er wollte natürlich nicht, denn wenn er dieser durchgedrehten Maschine erklärte, worum es ihm ging, erinnerte er sich vielleicht doch wieder an ihren Auftrag. »Ich handle nur im Auftrag der Schattenkullja«, behauptete er. »Sie hat magische Kräfte. Sie würde mich bestrafen, wenn ich ihre Befehle nicht ausführe.« Das war etwas, was Manziel verstehen konnte. Er fand sogar ganz von selbst den logischen Ausweg aus dem ganzen Dilemma. »Damit haben wir die Möglichkeit, die Technos abzulenken«, stellte er fest. »Und außerdem verschwindet dieser Schandfleck aus der Wüste. Ich werde die Vernichtung des Kartaperators übernehmen. Während die Technos sich um ihre Waffe kümmern, wirst du mit dem Fahrzeug die Kette der Wächter durchbrechen.« Atlan gab sich Mühe, ganz ruhig zu bleiben. Manziel sollte nicht auf die Idee kommen, daß der Arkonide genau dieses Ziel angesteuert hatte. »Gut«, sagte er. »Dann sollst du mir jetzt den Ort zeigen, an dem du deine Schätze versteckt hast.« Manziel ließ Atlan in die aus Tentakeln
39 gebildete Schlinge steigen und flog mit ihm los.
7. Artol Forpan war zufrieden. Seine Technos hatten buchstäblich bis zum Umfallen gearbeitet. Jetzt war der Kartaperator fast fertig. Ein Bote kam und teilte mit, daß nur noch einige Verbindungselemente durchgeprüft werden mußten. In spätestens einer Stunde konnte man damit beginnen, die Schutzschirm vor der Bucht der Zwillinge zu knacken. Forpan hatte den verständlichen Wunsch, diese erfreuliche Nachricht sofort weiterzuleiten. Insgeheim hoffte er auf ein Lob aus der FESTUNG. Sein leicht angeschlagenes Selbstbewußtsein hatte es wirklich nötig. Er drückte den entsprechenden Knopf an dem Funkgerät und wartete geduldig. Nach einer halben Minute meldete sich die typische, monotone Stimme. »Warum rufst du uns?« fragte sie düster. Forpan war überzeugt davon, daß die Herren der FESTUNG längst wußten, was er ihnen zu sagen hatte. Aber sie trieben ihr eigenes Spiel, und Forpan mußte sich anpassen, ob es ihm gefiel oder nicht. »Wir haben unseren Auftrag erfüllt«, sagte er. »Der Kartaperator ist einsatzbereit.« Einen Augenblick lang blieb es still. »Diese Meldung ist nicht korrekt«, leierte die düstere Stimme dann. Forpan erschrak. Hatte er etwas übersehen? »Die Barriere existiert immer noch«, fuhr die Geisterstimme fort. »Erst wenn sie aufgebrochen ist, habt ihr unseren Befehl ausgeführt.« »Es sind noch ein paar technische Kontrollen nötig«, murmelte Forpan hastig. Er ahnte, daß es ein Fehler gewesen war, die Herren so voreilig zu benachrichtigen. »In einer Stunde geht es los. Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir den Horden der Nacht den Weg ebnen können.« »Melde dich wieder, wenn der Einsatz be-
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Marianne Sydow
endet ist!« befahl der Sprecher der FESTUNG. Es knackte, und die Verbindung war weg. Forpan starrte das Funkgerät ärgerlich an. Er fand es ungerecht, daß man ihn so kühl abgefertigt hatte. Die Herren der FESTUNG machten es sich wieder einmal leicht. Sie gaben die Befehle – die Technos mußten zusehen, wie sie mit den daraus entstehenden Schwierigkeiten fertig wurden. Forpan verbannte den ketzerischen Gedanken und widmete sich der Gegenwart. Er konnte jetzt nicht mehr viel tun. Das, was am Kartaperator noch zu erledigen war, fiel in den Zuständigkeitsbereich einiger Spezialisten. Er trat vor die Kuppel, von der aus er die Arbeiten geleitet hatte. Es wurde Abend, und beim Kartaperator flammten die ersten Scheinwerfer auf. Sonst war es sehr ruhig. Die Arbeiter hatten sich erschöpft in ihre Quartiere zurückgezogen. Nur die Technos, die dem Oberkommando angehörten, hielten sich noch mit Mühe auf den Beinen. Forpan sah einige von ihnen auf dem freien Platz zwischen dem Kartaperator und den Kuppeln herumlaufen. Der Anblick der riesigen Waffe, die jetzt mit allen drei Projektorstrahlern in den schnell dunkel werdenden Himmel zielte, hätte Forpan begeistern können. Leider gab es rundherum eine Reihe von Schönheitsfehlern: Die zertrümmerten Kuppeln, die dem Dorgonen zum Opfer gefallen waren. Man hatte noch keine Zeit gefunden, die Trümmer wegzuräumen. Forpan wandte sich ab, um in die Kuppel zurückzukehren. Seine Gedanken beschäftigten sich mit der Zukunft, die mit Sicherheit weitere Erfolge für ihn bereithielt. Forpan warf einen letzten Blick auf den Kartaperator, dann schloß er die Tür und überlegte, wie er den feierlichen Moment gestalten sollte.
* Razamon hatte sich mit Fenrir dicht an der Grenze hinter einer Sandverwehung verborgen gehalten. Niemand hatte sie kommen
sehen. Geduldig wartete Razamon, bis die Sonne unterging. Die beginnende Dunkelheit war das verabredete Zeichen. Bis dahin wollte Atlan auf der Baustelle angekommen sein. Gelang es ihm früher, die Postenkette zu durchbrechen, würde er sich entweder verstecken, oder die Zeit nutzen, um sich so dicht wie möglich an den Kartaperator heranzuarbeiten. Razamon ging kein Risiko ein. Er hob die Waggu und lähmte mit wohldosierten Schüssen zuerst die nächsten Wächter. Fenrir blieb ruhig neben ihm liegen. »Komm, Alter«, flüsterte Razamon. »Wir müssen näher heran.« Der Wolf brauchte keine weiteren Anweisungen. Genau wie Razamon robbte er auf dem Bauch durch den Sand, bis sie die beleuchtete Zone erreicht hatten. Razamon betrachtete den Gittermast. Irgendwo mußte es etwas geben, womit man die Scheinwerfer ausschalten konnte. Er entdeckte da, wo der Wächter gestanden hatte, einige Hebel und nickte zufrieden. »Paß auf mich auf!« befahl er dem Wolf, dann raste er mit langen Schritten davon. Er erreichte den Mast und schlug mit der Faust wahllos gegen die Schalter. Die Scheinwerfer über ihm erloschen. Gleichzeitig hörte Razamon schräg vor sich einen Ruf und das Klirren von aufeinanderschlagenden Metallteilen. Er warf sich nach hinten, rollte ein Stück über den Boden und entging einem lähmenden Strahl. Neben ihm huschte etwas Graues vorbei, dann stieß jemand einen gurgelnden Laut aus, und ein dumpfer Aufprall folgte. »Gut gemacht«, lobte Razamon, als Fenrir zurückkehrte. Sie verließen den dunklen Abschnitt der Grenze hastig. Die Technos würden zuerst hier nach ihnen suchen. Im Schutz der Düne rannten sie weiter, stießen wieder vor und schalteten abermals ein paar Wächter aus. Auch diesmal gelang es Razamon, die Scheinwerfer zu löschen. Von der Stelle, an der sie zuerst zugeschlagen hatten, hörten sie aufgeregtes Rufen.
Diener der Vollkommenheit Waggus zischten, aber sie konnten höchstens den Gegner selbst treffen. »Weiter«, murmelte Razamon. »Wenn die Kerle sich weiterhin so dumm anstellen, wird Atlan es leicht haben.« Er legte es darauf an, die Technos vom Kartaperator weg an die Grenze zu locken. Es war sinnlos, wenn er selbst auf die Baustelle vordrang. Als sie den dritten Vorstoß hinter sich hatten, dröhnten bei den Kuppeln ein paar Lautsprecher auf. »Wir werden aus der Wüste angegriffen«, sagte jemand. »Es dürfte sich um Parias handeln. Die Feinde besitzen Lähmwaffen. Sie dürften uns zahlenmäßig weit unterlegen sein. Alle Wächter werden aufgefordert, sofort zu schießen, wenn sich jenseits der Lichtzone etwas rührt.« »Gar nicht so dumm überlegt«, murmelte Razamon, zielte sorgfältig und sah zu, wie abermals ein Wächter im Sand landete. »Nur in einem hat er sich verrechnet. Die Parias würden an einem Punkt durchbrechen, um möglichst schnell an die erste Kuppel heranzukommen. Wir dagegen wollen nur die Grenze ein bißchen durchlöchern.« Fenrir knurrte leise. Er starrte auf etwas, was in der halben Dunkelheit nicht deutlich zu erkennen war. Razamon kniff die Augen zusammen. Etwas Großes, Dunkles schob sich zwischen den Kuppeln hervor. Ein Geschütz? Er wartete nicht erst ab, bis sein Verdacht bestätigt wurde. Das dunkle Ding befand sich gerade noch im Wirkungsbereich seiner Waggu. Sicherheitshalber kroch er ein Stück weiter, ehe er das Feuer eröffnete. Rings um das düstere Etwas fielen Technos in den Sand. Dann entstand ein kleiner Lichtpunkt. Das Etwas begann zu rumpeln. Razamon ahnte nichts Gutes und zog sich hastig zurück. Fenrir schnappte nach dem Ärmel des Pthorers und zog ihn nach links. Der Pthorer rannte geduckt neben dem Wolf her, während das Rumpeln immer lauter wurde. Endlich blieb Fenrir stehen. Razamon sah
41 sich um und entdeckte ein panzerähnliches Fahrzeug. Es schien außer Kontrolle geraten zu sein, denn der Kurs, den es jetzt einhielt, gefiel den Technos bestimmt nicht. Das Ding schlingerte nämlich genau auf den nächsten Scheinwerfermast zu. Der Posten dort gehörte zu denen, die noch nicht mit dem lähmenden Strahl aus Razamons Waggu Bekanntschaft gemacht hatten. Der Techno wandte sich schreiend zur Flucht. Das Fahrzeug rumpelte unbeirrbar hinter ihm her. Razamon schloß vorsichtshalber die Augen, als das schwere Gefährt in das Gewirr metallener Streben und Schaltelemente hineinkrachte. Es gab einen Blitz, den er durch die Augenlider hindurch wahrnahm. Dann krachte es unheilverkündend. »Volltreffer«, murmelte Razamon zufrieden. Das Fahrzeug war beim Aufprall explodiert. Der Gittermast war zur Seite gekippt und hatte sich im oberen Teil an ein paar Leitungen verfangen, die zwei große Kuppeln miteinander verbanden. Die Scheinwerfer brannten – noch, denn im nächsten Moment huschten blaue Flämmchen durch den Mast, es knatterte und knallte wie bei einem Feuerwerk, und dann war es finster. Nicht nur an dieser Stelle, sondern auch gleich bei drei weiteren Masten. Razamon und Fenrir rannten weiter. Die Technos wurden allmählich munter. Noch drängten sie zu den Stellen, die Razamon und der Wolf längst hinter sich gelassen hatten. Aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie das simple Schema der Angriffe durchschauten. Dann würden sie auch wissen, daß sie es nicht mit einer ganzen Gruppe von Feinden zu tun hatten. Wieder gab die Waggu zischend ihre lähmende Energie ab. Zwei Wächter brachen zusammen. Aber fast gleichzeitig wurde auf der anderen Seite der Grenze ein Schuß abgegeben. Razamon zog den Kopf ein und hastete weiter. Er ahnte, daß er von jetzt an nicht mehr viel tun konnte. Und er behielt recht.
42 Forpan hatte endlich bemerkt, was sich draußen abspielte. Er kam zu dem Schluß, es mit nur einem Mann zu tun zu haben. Der Paria mußte verrückt geworden sein, denn seine Angriffe waren völlig sinnlos. Mit seinen Vorstößen lockte er nur immer mehr Technos an die Grenze. Damit verbaute er sich selbst den Weg ins Lager. Artol Forpan ließ sich die Punkte benennen, an denen der Fremde bisher aufgetaucht war. Er lächelte verächtlich und schickte eine Gruppe bewaffneter Technos an die Stelle, an der mit großer Wahrscheinlichkeit der Paria beim nächstenmal in Aktion treten würde. Die Technos erreichten den Punkt termingerecht, aber der Fremde war gerissen und schnell – er lähmte den Fahrer des Kettenfahrzeugs, mit dem die Technos den Fremden notfalls bis in die Wüste verfolgen sollten. Das Fahrzeug rammte einen Gittermast, explodierte und richtete dabei großen Schaden an. Dieses Vorgehen sorgte für Verwirrung. Beim nächsten Vorstoß wurde nur ein schlecht gezielter Schuß auf den Paria abgegeben. Beim nächsten Punkt jedoch wartete eine erfahrene Kampfgruppe unter der Leitung von Feindschläger, dem besten Mann, den Forpan für solche Aufgaben einsetzen konnte. Feindschläger machte seinem Ruf alle Ehre. Als Razamon sich vorsichtig durch den Sand nach oben schob, um die Lage zu sondieren, flammten helle Scheinwerfer auf. Sie hingen nicht oben an den Masten, sondern waren auf kleine, wendige Fahrzeuge montiert. Razamon ließ sich nach hinten fallen. Es war keinen Augenblick zu früh. Zum Glück setzten die Technos immer noch nur lähmende Waffen ein – sie wollten den verrückten Kerl, der ihr Lager angriff, lebendig in die Hände bekommen. Der Sand schirmte Razamon ab. Er kroch auf allen Vieren davon und hielt sich im Schutz einer Verwehung, die sich am Fuß einer riesigen Düne gebildet hatte. Hinter ihm summten die kleinen Motoren
Marianne Sydow der Fahrzeuge auf. »Jetzt wird es gefährlich«, flüsterte Razamon dem grauen Wolf zu. »Hoffentlich hat Atlan inzwischen den Kartaperator erreicht. Wir können nicht mehr viel für ihn tun.« Fenrir betrachtete den Pthorer aufmerksam, dann schnappte er plötzlich nach der Waggu. »He!« wisperte Razamon überrascht. »Was soll das?« Der Wolf lief schwanzwedelnd ein Stück voraus. Razamon entdeckte einen tiefen Einschnitt in der Düne – eine Schneise, wie sie sie schon früher gefunden hatten. Angeblich hatte der Dorgone diese »Straßen« geschaffen. Die Schneise war noch in Ordnung. Sie führte quer durch die Düne hindurch. Razamon verstand noch nicht ganz, was der Wolf vorhatte, aber er nickte zufrieden. Der Boden auf diesen Schneisen war hart. Er hinterließ auf ihm keine Spuren, denen die Technos hätten folgen können. »Das ist eine gute Idee«, flüsterte er. »Aber was willst du mit der Waffe anfangen?« Fenrir stieß ein kurzes, tiefes Knurren aus und wandte sich in die Richtung, aus der das Summen der Motoren kam. Die Fahrzeuge näherten sich bereits der Verwehung. Es war höchste Zeit, von hier zu verschwinden. »Also gut«, murmelte Razamon. »Ich hoffe, du weißt, was du dir da vorgenommen hast.« Er rannte los, mitten zwischen die hochaufragenden Wände aus losem Sand, die sich zu beiden Seiten der DorgonenStraße erhoben. Er wußte, daß diese Wände verletzlich waren. Ein Schuß aus der Waggu konnte dazu führen, daß die Sandmassen herabstürzten und ihn unter sich begruben. Auf dem harten Boden hallten seine Schritte viel zu laut. Hinter ihm erzeugten die drehbaren Scheinwerfer ein wirres Netz von grellen Lichtbahnen. Einmal warf er sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Der Lichtkegel rannte über ihn hinweg. Und dann war er auf der anderen Seite. Er wandte sich in die Richtung des provisori-
Diener der Vollkommenheit schen Lagers, in dem Teerträger wartete. Er hatte jetzt nicht einmal mehr eine Waffe, nur das Messer steckte noch in seinem Gürtel. Er bedauerte seinen voreiligen Entschluß, dem Wolf die Initiative zu überlassen. Fenrir hatte mehrmals bewiesen, daß er auch verzwickte Situationen zu meistern vermochte. Aber Razamon fürchtete, der Wolf könnte die Technos unterschätzen. In ausreichender Entfernung vom Ausgang der Schneise stieg er nach oben, um sich nach Fenrir umzusehen. Der Wolf war verschwunden. Die kleinen Wagen befanden sich allerdings auch nicht mehr in Sichtweite.
* Fenrirs Trick – soweit er überhaupt fähig war, sich einen auszudenken – funktionierte wunderbar. Als Razamon in der Schneise verschwunden war, lief der Wolf, mit der Waggu in der Schnauze, den Technos entgegen. Ein Lichtstrahl streifte ihn. Fenrir verhielt für einen Augenblick, gerade lange genug, um die Technos sehen zu lassen, mit wem sie es zu tun hatten. Die Männer auf den Fahrzeugen waren so überrascht, daß sie zu spät zur Waffe griffen. Fenrir verschwand mit einem gewaltigen Satz in der Dunkelheit. »Ein Wolf!« schrie ein Techno überrascht. »Sogar einer, der eine Waffe durch die Gegend schleppt«, knurrte ein anderer. »Den holen wir uns!« bestimmte Feindschläger und gab damit das Signal für die Verfolgung des Fenrirs. Die Wagen folgten den Spuren des Wolfes. Im schrägen Licht aus den Scheinwerfern waren sie deutlich zu erkennen. Fenrir war die Düne hinaufgelaufen, und die Wagen krochen ihm nach. Die kleinen Fahrzeuge waren hier, auf dem lockeren Sand, gegenüber dem Wolf im Nachteil. Noch dazu dann, wenn es bergauf ging. Fenrir hatte den Kamm längst hinter sich gelassen, als
43 sich der erste Wagen brummend darüber hinweg schob. Fenrir konnte inzwischen ziemlich genau abschätzen, wie lange Razamon brauchen würde, um sich in Sicherheit zu bringen. Er lenkte die Technos von dem Pthorer ab, indem er im unteren Teil des Hanges, wo zahlreiche, zum Teil quer zur sonst üblichen Richtung verlaufene Verwehungen einen wahren Irrgarten bildeten, scheinbar ziellos hin und her lief. Die Technos würden einige Zeit brauchen, um sich da hindurch zu finden. Hätten sie Fluggeräte besessen, so wären Fenrirs Chancen rapide gesunken. Aber die Technos hatten keine andere Wahl, als stur den Abdrücken der großen Pfoten zu folgen. Nachdem er seine Gegner auf so erfreuliche Weise beschäftigt wußte, trabte Fenrir dahin zurück, wo die Schneise auf dieser Seite der Düne endete. Er war zwar noch niemals an diesem Ort gewesen, aber seine Instinkte führten ihn haargenau an sein Ziel. Und Fenrir erinnerte sich sogar an das, was vor mehreren Tagen in einer solchen Schneise geschehen war. Atlan hatte auf die Entführer des weißen Geiers geschossen, und daraufhin waren die Wände zusammengebrochen. Der Wolf wußte sehr genau, daß er die Technos nicht direkt angreifen konnte. Ihre Waffen wirkten über weite Entfernungen. Er würde niemals nahe genug an die Wagen kommen, um von seinen Zähnen Gebrauch zu machen. Aber er hielt es für seine Pflicht, Atlan und Razamon vor diesen schießwütigen Gegnern zu schützen. Er mußte sie loswerden. Am Eingang zur Schneise hielt er kurz an. Er schnüffelte an mehreren Stellen des Bodens und knurrte leise. Razamon war hier vorbeigelaufen. Er hatte die »Straße« jedoch erst ein Stück weiter verlassen, sonst hätte man seine Spuren im Sand sehen müssen. Fenrir war zufrieden. Alles lief so, wie es richtig war. Seine scharfen Ohren fingen die ganze Zeit über das Summen der Motoren und die
44 aufgeregten Rufe der Technos auf. Er bemerkte auch die Veränderung in diesen Geräuschen, als die Technos endlich den Irrgarten verließen. Im schnellen Trab lief er ein kurzes Stück in die Schneise hinein, drückte sich am Rand der »Straße« auf den Boden und wälzte sich im Sand, bis die goldgelben Körner ihn fast bedeckten. Von da an rührte er sich nicht. Er vertraute darauf, daß die vergleichsweise unerfahrenen Technos die wenigen Spuren Jagdeifer übersehen würden. Sie kamen kurz darauf angefahren. Als sie die Schneise erreichten, hielten sie an. Einige Männer sprangen von den Wagen und untersuchten die nähere Umgebung. »Nichts zu finden«, berichtete einer von ihnen schließlich. »Entweder hat das Biest sich in Luft aufgelöst, oder es kann fliegen.« »Unsinn!« widersprach Feindschläger energisch. »Es ist durch die Schneise gelaufen.« »Das wäre sehr dumm von ihm.« »Es ist ein Tier und will seine Beute«, behauptete Feindschläger ärgerlich. »An einer Stelle wurde ein Wächter aufgefunden. Das muß dieser Wolf gewesen sein.« »Und die Schüsse?« »Es gibt seltsame Dinge in der Wüste Fylln«, knurrte Feindschläger. »Warum also nicht auch ein Wolf, der mit einer Waggu umgehen kann? Vielleicht hat er die Waffe einem Paria abgenommen. Aber es kann auch sein, daß ein Magier ihn ausgeschickt hat. Auf jeden Fall bin ich überzeugt davon, daß er ins Lager zurückkehrt. Natürlich wird man ihn dort schnell erwischen, aber inzwischen holt er sich ein paar von unseren Leuten. Also, worauf warten wir noch?« Fenrir lag reglos fast im Sand begraben und wartete mit der Geduld des Raubtiers auf den richtigen Moment. Nur seine Augen und die Nase ragten aus dem Sand hervor. Als die Technos auf die Wagen kletterten und auf die »Straße« rumpelten, wußte er, daß er es fast geschafft hatte. Und damit fing der gefährlichste Teil des Unternehmens an. Die Technos kamen näher, Sie beeilten
Marianne Sydow sich. Fenrir schloß die Augen, damit sie ihn nicht verraten konnten, wenn sie das Licht der Scheinwerfer zurückwarfen. Die Wagen ratterten so dicht an ihm vorbei, daß er die Vibrationen unter seinem Bauch spürte. Sechsmal schwoll das Rumpeln an, wurde fast unerträglich laut und verschmolz dann mit den Motorgeräuschen der schon weiter entfernten Wagen. Dann war vor dem Wolf kein Techno mehr. Es wurde höchste Zeit, denn wenn die Wagen sich zu weit entfernten, bemerkten die Technos ihn vielleicht gar nicht. Fenrir erhob sich, packte die Waggu fester, um sie auf keinen Fall zu verlieren, schüttelte den Sand aus dem Fell und sprang auf die »Straße« hinaus. Er warf den Kopf zurück und stieß ein scharfes, lautes Jaulen aus. Dann stob er davon. Hinter ihm schrien die Technos durcheinander. Die Fahrzeuge hielten an. Fenrir lief im Zickzack. Eine Waggu zischte, aber der Schütze hatte schlecht gezielt. Die Ohren des Wolfes fingen das charakteristische Rauschen von herabfallendem Sand auf. Fenrir verzichtete auf weitere Täuschungsmanöver und setzte all seine Kräfte ein, um so schnell wie möglich aus der Schlucht herauszukommen. Er schaffte es gerade noch. Hinter ihm brach die Schlucht zusammen. Immer schneller floß der lockere Sand nach unten. Die Technos hatten die Gefahr inzwischen erkannt und dachten gar nicht mehr an den geheimnisvollen Wolf, der einen so sinnlosen Angriff auf die Baustelle verübt haben sollte. Sie überanspruchten die Motoren ihrer Fahrzeuge bei dem Versuch, noch rechtzeitig aus der Schlucht zu kommen. Manche sprangen, von der Panik getrieben, aus den Wagen und versuchten es auf eigene Faust. Vielleicht dachten sie, daß sie zu Fuß schneller vorankamen. In den meisten Fällen stellte sich das als Trugschluß mit tödlicher Konsequenz heraus. Als Feindschläger schließlich seine verwirrten, verängstigten Kämpfer einsammelte, stellte er fest, daß von dreißig Technos
Diener der Vollkommenheit nur vierzehn die Jagd auf den grauen Wolf überlebt hatten. Er benachrichtigte sofort Forpan. Allerdings nahm er sich die Freiheit, seine Schilderung ein bißchen zu frisieren, was seinen Leuten nur recht war. Laut Feindschläger hatte der Wolf ungewöhnliche Fähigkeiten, er hatte – dafür gab es angeblich Augenzeugen – mit der Waggu auf die tapferen Jäger geschossen und sie zum Teil mit den bloßen Blicken seiner tellergroßen Augen gelähmt. Da Forpan den Wolf nicht gesehen hatte, schluckte er diesen Unsinn widerstandslos. Fenrir trabte inzwischen zufrieden den Spuren Razamons nach. Für heute dürften die Technos ihren Jagdeifer gestillt haben. Bis zum nächsten Tag würde der Wind, der sich in dieser Wüste niemals legte, sämtliche Spuren beseitigt haben. Als er Razamon endlich einholte und dem Pthorer die Waggu zurückgab, war er fest davon überzeugt, etwas ganz Großes geleistet zu haben. Razamon hatte von seinem Aussichtspunkt gesehen, wie die Technos voller Panik zwischen den Dünen hervorrasten, aber er hatte natürlich keine Ahnung, was Fenrir im einzelnen alles angestellt hatte. Er fand jedoch das Ergebnis so zufriedenstellend, daß er den Wolf einfach loben mußte. »Das hast du großartig gemacht«, sagte er zu dem Wolf. Und im nächsten Augenblick fand er sich im Sand wieder. Fenrir mochte noch so klug und beherrscht handeln können, in diesem Augenblick ging sein Temperament mit ihm durch. Er leckte den Pthorer voller Dankbarkeit und Freude so lange ab, bis Razamon halb erstickt um Gnade flehte.
8. Als der überfall begann, waren Atlan und Manziel gerade bei der Schatzkammer des Robotdieners angelangt. Manziel öffnete eine Tür im Fundament eines Gittermasts und wies mit fast stolzer Gebärde auf das, was er
45 im Dienst der Vollkommenheit angehäuft hatte. Atlan mußte sich Mühe geben, den gebührenden Ernst zu bewahren. Manziel hatte wahllos alles gesammelt, was nicht niet und nagelfest war. Dabei bevorzugte der Robotdiener runde Gegenstände. So war es gekommen, daß Manziel auch etliche Früchte, die seinem Schönheitsideal entsprachen, zu seinen Schätzen zählte. Manche davon waren infolge ihrer Überreife aus den Fugen geraten und verbreiteten einen wenig angenehmen Geruch. Dazwischen lagen Schrauben, Lampen, Drahtrollen, Knöpfe, Schaltelemente und vieles andere. »Wir brauchen ein Fahrzeug«, erinnerte er den Roboter, der ganz in den Anblick dieser Pracht versunken war. »Ich werde eines besorgen«, versprach Manziel. »Warte hier auf mich.« Atlan setzte sich neben die Wand und fragte sich, ob die Idee, Manziel für seine Ziele einzuspannen, wirklich so gut war. Der Roboter schien noch verrückter zu sein, als er bisher geglaubt hatte. Ein paar Minuten später war Manziel zurück. »Ich habe es gefunden«, teilte er seinem neuen Verbündeten mit. »Komm.« Atlan ließ sich zu einem Transporter führen. Manziel wartete gespannt auf das Urteil des Arkoniden, der das Fahrzeug einer schnellen Inspektion unterzog. »Wir haben Glück«, meinte Atlan. »Mit den Kontrollen werde ich keine Schwierigkeiten haben. Sie sind sehr einfach. Die Energiezellen sind voll aufgeladen: Ich denke, es reicht, um damit bis nach Wolterhaven zu kommen.« Dabei überlegte er krampfhaft, wie er dem Roboter später, nach der Vernichtung des Kartaperators, erklären sollte, daß es keinen Sinn hatte, in die Stadt der Robotbürger zurückzukehren. »Dann wollen wir mit dem Beladen beginnen«, schlug Manziel begeistert vor. Atlan schwitzte Blut und Wasser, als er das schwere Gefährt im niedrigsten Tempo
46 zwischen den Kuppeln voller schlafender Technos hindurchmanövrierte. Kaum hielt er neben dem Fundament, da entstand an einer Stelle der Grenze Lärm. Das mußten Razamon und Fenrir sein. Die Sonne war untergegangen, der Scheinangriff begann. »Paß auf«, wandte der Arkonide sich an Manziel. »Was immer an der Grenze auch los sein mag, es lenkt die Technos ab. Eine so gute Gelegenheit kommt nicht wieder. Das hier schaffe ich auch alleine. Geh du jetzt zum Kartaperator.« Manziel zögerte. »Es sind schwere Gegenstände dabei«, wandte er ein. »Du wirst sie kaum bewegen können.« »Unterschätze mich nicht«, warnte Atlan. »Selbstverständlich bin ich nicht so stark wie du, aber mit dem Zeug hier werde ich schon fertig.« »Zeug?« fragte Manziel empört. »Es war nicht so gemeint«, entschuldigte der Arkonide sich hastig. Manziel schwebte ratlos auf der Stelle. Er hatte Zweifel daran, daß dieser Organische den Wert seiner Sammlung richtig einschätzte. Vielleicht war es doch besser, wenn Manziel den Kartaperator in Ruhe ließ und sich selbst um seine Schätze kümmerte. Wenn der Organische das Fahrzeug zu steuern vermochte, sollte ein würdiger Arbeiter aus Wolterhaven erst recht damit fertig werden. Atlan merkte, daß es eine Krise gab. Um seinen guten Willen und seine Kraft zu demonstrieren, lud er sich einen Geräteblock auf und schleppte ihn auf die Ladefläche. Das Zischen der Waggus kam jetzt von mehreren Stellen am Rand der Baufläche. Über Lautsprecher wurde bekanntgegeben, daß eine Gruppe von Parias für den Überfall verantwortlich gemacht wurde. Manziel schwebte kurz nach oben und sah Scharen von Technos, die den gefährdeten Stellen zueilten. Das und die Tatsache, daß der Organische mit Feuereifer die Kammer leerräumte, bewogen ihn, nun doch dem ur-
Marianne Sydow sprünglichen Plan zu folgen. »Gib mir die Waffe«, forderte er. »Wirst du den Kartaperator vernichten?« fragte Atlan und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ja«, sagte Manziel nur, nahm die Siarta an sich und schwebte davon. Atlan arbeitete verbissen weiter. Später konnte er sich immer noch den Kopf darüber zerbrechen, wie er diesen übergeschnappten Roboter loswerden sollte. Nach einer Weile wurde es an der Lagergrenze ruhiger. Atlan stapelte die letzten Reste von Manziels Sammlung auf die Ladefläche, hockte sich neben das Fahrzeug und wartete nervös auf ein Zeichen, das das Ende des Kartaperators ankündigte.
* Die große Maschine war fertig, das Werk vollbracht. Forpan war jetzt wirklich stolz auf sich. Zwar hatte er selbst nicht an der eigentlichen Montage des Kartaperators teilgenommen, aber er trug die Verantwortung dafür, daß alles seinen richtigen Gang nahm. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten hatte er es geschafft. Forpan hätte über das Kommunikationsnetz den verantwortlichen Leuten den schlichten Befehl geben können, nunmehr die Projektionsstrahler in Betrieb zu setzen. Das erschien ihm jedoch als würdelos. Mit Sicherheit geschahen so große Dinge nur einmal in seinem Leben. Eine solche Gelegenheit durfte man nicht ungenutzt verstreichen lassen. Forpan legte gerade die traditionelle Kleidung aller Technos an. Damit wollte er demonstrieren, daß die Plackerei mit der riesigen Maschine ein Ende gefunden hatte. Im selben Augenblick, in dem er seinen Gürtel schloß, erfolgte der erste Angriff auf die Baustelle. Artol Forpan war schockiert. Ausgerechnet jetzt, im Augenblick seines größten Triumphes, mußte es geschehen! Er hörte sich die Meldungen an und traf
Diener der Vollkommenheit dann eine Entscheidung, die sich als schlimmer Fehler herausstellen sollte. Forpan gelangte nämlich zu der Ansicht, daß es würdelos war, den Kartaperator in Betrieb zu nehmen, während ein großer Teil der Technos einem Gegner entgegentrat, den man ohnehin in kürzester Zeit besiegen würde. Was konnten ein paar Parias, die schlecht ausgerüstet und wahrscheinlich halb verhungert waren, gegen das Lager schon ausrichten? Er übernahm selbst die Leitung der Abwehrmaßnahmen. Er schickte Feindschläger los und verlor ihn aus den Augen. Die Schießerei hörte auf, aber auch Feindschlägers Truppe, die dem Gegner auf den Fersen sein sollte, meldete sich nicht. Bis dann endlich die aufgeregte Stimme aus dem Lautsprecher drang. Mit wachsender Verwunderung hörte Forpan die Geschichte von dem riesigen grauen Wolf. »Es war ein schwerer Kampf«, schloß Feindschläger erschöpft. »Wir haben viele Opfer zu beklagen. Aber es steht ohne jeden Zweifel fest, daß der Wolf seiner eigenen Falle zum Opfer fiel. Er lockte uns in die Schlucht, um uns vollzählig zu vernichten. Dabei kam er selbst ums Leben.« »Bist du sicher?« fragte Forpan beunruhigt. »Ganz sicher«, sagte Feindschläger. »Zweifellos war dieses Tier mit magischen Kräften ausgestattet. Sie dürften ihm in diesem Fall jedoch nicht geholfen haben. Kein Lebewesen kann eine so große Strecke rechtzeitig zurückgelegt haben.« Forpan stimmte Feindschläger zu – wobei er nicht wissen konnte, daß dieser, um den guten Ruf seiner Leute besorgt, ein paar Daten frisiert hatte. Forpan kam auch nicht auf den Gedanken, daß der Wolf etwa in Begleitung anderer Wesen zur Baustelle gekommen war. Wer sollte es auch wagen, etwas anzugreifen, das den Herren der FESTUNG gehörte? Forpan zerbrach sich nicht einmal den Kopf über die Motive, die den Wolf zu seiner selbstmörderischen Aktion getrieben haben mochten. Er nahm es dankbar zur
47 Kenntnis, daß endlich alle Hindernisse überwunden waren. Der größte Augenblick in Forpans Leben war da. Mit gemessenen Schritten trat er aus der Kuppel und ging auf den Kartaperator zu, um selbst an Ort und Stelle zu erleben, wie die riesige Waffe ihre Arbeit aufnahm.
* Inzwischen näherte sich Manziel dem Kartaperator, und er stellte sich dabei sehr geschickt an. Kein einziger Techno bekam ihn zu sehen. Um andere Robotdiener machte Manziel einen großen Bogen. Er spürte sie immer rechtzeitig auf – daß sie ihn nicht mehr wahrzunehmen vermochten, ahnte er nicht einmal. Am Rand der freien Fläche verharrte Manziel kurze Zeit. Fast andächtig betrachtete der Robotdiener das häßliche Gebilde, das nun bald verschwunden sein sollte. Manziel gedachte der Vollkommenheit, die sich damit automatisch einstellen würde, und Freude durchrieselte seinen metallenen Körper wie die beruhigenden Energieschauer, die jeder Robotdiener in Wolterhaven zwecks Instandhaltung ab und zu über sich ergehen lassen durfte. Ungesehen schwebte Manziel weiter. Ein Teil der Technos hielt sich noch immer in den Grenzbereichen auf, um das Lager vor weiteren Überfällen zu schützen. Im Kartaperator befanden sich ein paar Fachleute, die die Waffe bedienen sollten. Alle anderen Technos hatten sich wohlweislich vor dem unberechenbaren Ding zurückgezogen. Atlan hatte dem Robotdiener genaue Anweisungen für den Gebrauch der Siarta gegeben. Manziel maß die Warnung, den Auslöser nur einmal zu betätigen, wenig Bedeutung bei. Die Auswirkungen mochten für die Organischen verheerend sein, aber ihm – so meinte er – würde das bißchen Energie nichts anhaben. Immerhin begab er sich zunächst zu der Stelle, die den wunden Punkt des Kartapera-
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tors bildete. Er wollte kein Risiko eingehen. Wenn er die Waffe nicht lahmlegte, weigerte sich am Ende der Organische, die Schätze nach Wolterhaven zu bringen. Manziel verzichtete darauf, in den Schaltraum einzudringen. Die wichtigen Elemente lagen dicht unter der metallenen Hülle. Manziel richtete die beiden Läufe der Siarta aus und drückte auf den Knopf zwischen den Griffen. Vor ihm entstand etwas, das seinen Körper in angenehme Schwingungen versetzte. Eine Leuchterscheinung, wie er sie nicht einmal im Rausch der Illusionssteine wahrgenommen hatte, schlug ihn in ihren Bann. Nur nebenbei bemerkte er, daß sich gleichzeitig die Oberfläche des Kartaperators veränderte. Bunte Blitze zuckten von allen Seiten herbei, verwandelten sich zu Mustern von vollkommener Harmonie und verblaßten dann allmählich. Manziel bemerkte es enttäuscht. Er war nicht gewillt, sich diese Vollkommenheit entgehen zu lassen. Hastig schwebte er weiter, drückte abermals auf den Knopf, dann noch einmal – er konnte gar nicht damit aufhören …
* Artol Forpan begriff im ersten Augenblick gar nichts. Er sah, daß am Kartaperator etwas glühte. Sein erster Gedanke galt den Spezialisten. Sollten diese Tölpel es gewagt haben, die Waffe zu aktivieren, ohne den Befehl Forpans äbzuwarten? Das war eine Unverschämtheit! Forpan ging schneller. Er würde diesen Narren schon klarmachen, wer hier das Sagen hatte. Dann glühte es abermals auf, und diesmal begriff Forpan, daß etwas nicht in Ordnung war. Er blieb stehen. Irgend jemand in der Kuppel richtete einen Scheinwerfer an der Seitenwand des Kartaperators. Forpan sah voller Entsetzen die Veränderung, die das Metall mitmachte. Es wurde zerbeult und
verdreht, krümmte sich wie unter Schmerzen, glühte auf und zerfloß förmlich zu einem unförmigen Klumpen. Und die Veränderung betraf nicht nur die Außenhülle. Ein regelrechter Krater entstand, dessen Wände, nachdem das Glühen nachließ, bunt gescheckt von eingeschmolzenen Kabeln, Schaltelementen und anderen Dingen war. Forpan rannte entsetzt los. Vielleicht war noch etwas zu retten – wenigstens hoffte er das. Wenn der Kartaperator zerstört wurde, konnte die Barriere nicht geknackt werden, und wenn die Barriere nicht geknackt wurde, würden die Herren der FESTUNG sehr ungehalten sein – Forpan wagte es kaum, über die weiteren Konsequenzen nachzudenken. Als er nahe genug war, entdeckte er den Roboter. Zuerst kam er nicht auf die Idee, daß es sich um das diebische Blechding handelte, das sich als würdigen Arbeiter des Herrn Vortimer zu bezeichnen pflegte. Manziel hatte sich nämlich sehr verändert. Sein Körper besaß nunmehr eine Form, die sich beim besten Willen nicht beschreiben ließ. Trotzdem funktionierte die Maschine noch – gerade richtete sie eine seltsame, rote Waffe auf den Kartaperator. »Aufhören!« brüllte Forpan entsetzt. »Geh da weg, du Biest! Laß den Kartaperator in Ruhe! Sofort aufhören, hast du gehört?« Manziel hatte offenbar nichts vernommen, denn er drückte ungerührt auf den Auslöser. Unter wabernden Lichterscheinungen schmolz ein weiterer Teil des Kartaperators zusammen. Forpan sah rot. Er raste auf den Roboter zu, ohne daran zu denken, daß er die schwere Maschine unmöglich von dem kostbaren Kartaperator wegzuziehen vermochte. Noch weniger überlegte er sich, in welche Gefahr er sich begab. Unter wilden Flüchen stolperte er genau in dem Augenblick über ein im Sand liegendes Werkzeug, als Manziel sich die Projektorstrahler vornahm.
Diener der Vollkommenheit »Nein«, wimmerte Forpan. »Das darf nicht sein. Kann denn niemand dieses Ding zur Vernunft bringen?« Forpans Mitarbeiter hatten sich voller Entsetzen zurückgezogen. Die Technos, die sich im Kartaperator aufgehalten hatten, waren Manziels Anschlägen zum Opfer gefallen. Forpan war alleine auf weiter Flur – niemand hörte ihn auch nur. Immerhin bewahrte ihn der Sturz in den Sand vor dem Schicksal, ebenfalls verdreht und zerbeult aus dem Wabern aufzutauchen. Das Werkzeug war so hart gewesen, daß Forpan sich ernsthaft verletzt hatte. Er konnte nicht aufstehen. Hilflos hockte er da und sah zu, wie Manziel die riesige Waffe systematisch vernichtete. Schließlich blieb von dem Kartaperator, auf den Forpan so stolz gewesen war, nur noch ein kolossales Gebilde total verzerrter Metallmassen übrig. Manziel, der gar nicht begreifen konnte, daß das wunderschöne Spiel ein Ende haben mußte, drückte noch immer auf den Auslöser der Siarta. Aber die Leuchterscheinungen blieben aus. Vielleicht war die Kraft der Waffe erschöpft, oder es war einfach nichts mehr da, was den Einsatz von so viel Energie aus fremden Dimensionen rechtfertigte. Betrübt ließ Manziel die Waffe fallen. Langsam schwebte er auf den Boden zurück. Dort angekommen, justierte er sein optisches System, was ziemlich kompliziert war, da die einzelnen Linsen sich willkürlich über seinen deformierten Körper verteilt hatten. Viele Linsen verdienten außerdem die Bezeichnung nicht mehr. Trotz allem schaffte es Manziel, sich einen Eindruck vom derzeitigen Aussehen des Kartaperators zu vermitteln. Das Ergebnis war niederschmetternd. Manziel hatte noch niemals etwas so widerwärtiges gesehen, wie diesen verschrobenen Metallberg. Keine der zahlreichen Spitzen, Krater, Dellen und Auswüchse ließ sich auch nur entfernt mit der Vorschrift der Vollkommenheit in Verbindung bringen. Und das war sein Werk! Manziel schämte sich in Grund und Bo-
49 den. Verschwommen tauchte die Erinnerung an den Herrn Vortimer in ihm auf. Er erkannte, daß er die Grenze endgültig überschritten hatte. Auch wenn der Herr Vortimer – wie Manziel immer noch fest glaubte – seine bisherigen Aktivitäten gebilligt hatte, das würde er ihm niemals verzeihen. Der Robotdiener verharrte regungslos. Er war völlig damit beschäftigt, eine Lösung für das Problem zu suchen, das sich ihm aufdrängte. Er merkte nicht, daß endlich ein paar Technos näherkamen. Sie trugen Forpan in eine Kuppel, wo man sich um den Bauleiter kümmern würde, dann wagten sie sich an den Roboter heran. Sie streiften den Kartaperator mit ängstlichen Blicken und wagten es kaum, überhaupt in diese Richtung zu sehen. Als sie Manziel erreichten, war dieser zu einem Entschluß gekommen. Die Technos zuckten zurück, als aus dem chaotischen Gewirr von Metall und Linsen eine dumpfe Stimme drang. »Manziel, würdiger Arbeiter des Herrn Vortimer in Wolterhaven, beendet seine Existenz«, erklärte die Maschine. Und von da an sagte sie nie mehr auch nur ein Wort. Ein paar Minuten später kamen zwei andere Roboter. »Er hat sich ausgeschaltet«, erklärte einer der Technos. »Wir bringen ihn weg.« Sie schwebten mit Manziel davon, und keiner der Technos interessierte sich dafür, wohin sie den demolierten Diener der Vollkommenheit brachten.
* Willenlos ließ Forpan es über sich ergehen, daß man seinen Fuß untersuchte und einen Verband anlegte, ihm ein gallebitteres Medikament einflößte, das die Schmerzen betäubte, und ihn anschließend in sein Bett trug. Dort lag er dann, die Augen in unbekannte Weiten gerichtet, und sein Gehirn war so
50 leer wie eine Stachelgurke nach der Samenexplosion. Er fühlte sich unfähig, etwas zu denken, zu sagen oder zu unternehmen. Er hatte nicht einmal gefragt, was mit Manziel geschehen war, und die Technos, denen ihr schweigsamer Bauleiter geradezu unheimlich war, hatten wohlweislich den Mund gehalten. Manziel spielte schließlich auch keine Rolle mehr. Es gab nichts mehr, was er hätte vernichten können. Alles, was hier auf der Baustelle existierte, war absolut entbehrlich im Vergleich zum Kartaperator. Neben Forpans Kopf summte es. Der Techno achtete nicht auf das Geräusch. Er fühlte sich durch nichts und niemanden mehr angesprochen. Sogar die Herren der FESTUNG waren ihm gleichgültig geworden. Er wußte, daß er versagt hatte. Natürlich war es nicht ausschließlich Forpans Schuld, daß Manziel an den Kartaperator hatte herankommen können. Schließlich hatte man ihm aus der FESTUNG den Befehl erteilt, nicht länger nach dem Robotdiener zu suchen, sondern sich voll und ganz der Fertigstellung der Riesenwaffe zu widmen. Forpan hätte sich durchaus herausreden können. Nicht nur das: Forpan war und blieb ein sehr wertvoller Arbeiter für die Herren der FESTUNG. Sie würden ihn nicht vernichten, sondern ihm eine zeitlich begrenzte Strafe auferlegen. Kein Grund zur Verzweiflung also. Aber da war die Familie Gordy. Der Begriff an sich war irreführend, denn selbstverständlich handelte es sich um keine Familie im üblichen Sinn. Die Familie Gordy bestand nur aus Männern unterschiedlichen Alters. Aber die Technos dieses Clans gehörten in jeder Beziehung zur Oberschicht ihres Volkes. Sie galten als die Lieblinge der Herren der FESTUNG. Bei ihnen gab es keine Versager. Artol Forpan hatte seinen Platz in dieser bevorzugten Gemeinschaft verspielt. Die Herren der FESTUNG dachten zweckgebunden – das war der Grund, warum Forpan von ihnen nicht viel zu befürchten hatte. Bei der Familie Gordy
Marianne Sydow stand die Ehre der Gemeinschaft an erstem Stelle bei allen Überlegungen. Forpan wußte sehr genau, daß er weder Gnade noch Verständnis erhoffen durfte. Man würde ihn mit Schimpf und Schande davonjagen, und das hieß, daß er sein weiteres Leben als Paria fristen mußte. Der Gedanke war unerträglich. Er hatte die Ausgestoßenen immer verachtet. Vielleicht wäre es besser gewesen, einmal daran zu denken, daß auch ein Artol Forpan durch gewisse Umstände zum Versager abgestempelt werden könnte. Das Summen neben seinem Kopf hörte nicht auf. Forpan sah sich träge um und starrte das Funkgerät verständnislos an. Dann kam ihm die Erleuchtung. Die Herren der FESTUNG! Sie würden noch früh genug erfahren, was mit dem Kartaperator geschehen war. Aber sie sollten die Nachricht nicht aus dem Mund eines Technos hören, der der Familie Gordy angehörte! Artol Forpan zog sein Schwert, betrachtete es einen Augenblick lang mit ausdrucksloser Miene und stieß es sich dann in die Brust. Nicht einmal ein Stöhnen kam über seine Lippen. Er starb schweigend, wie die ungeschriebenen Gesetze seines Clans es verlangten.
* Atlan hatte sich einen Platz gesucht, von dem aus er den Kartaperator einigermaßen gut sehen konnte. Als bei der riesigen Waffe eine wabernde Energiewolke auftauchte, zuckte er zusammen. Einen furchtbaren Augenblick lang dachte er, Manziel war zu spät gekommen und der Angriff auf die Erde hätte bereits begonnen. Dann erkannte er die charakteristischen Begleiterscheinungen, wie sie nur beim Einsatz der Siarta auftraten. Er trat hastig den Rückzug an. Hoffentlich beeilte sich der Robotdiener, damit sie die Verwirrung der Technos für ihre Flucht ausnutzen konnten. Er kam zehn Schritte weit, dann waberte
Diener der Vollkommenheit es hinter ihm schon wieder. Das Problem Manziel ist gelöst, bemerkte der Extrasinn trocken. Atlan dachte eine Verwünschung. Ihm war zwar klar gewesen, daß sie auf keinen Fall mit Manziel nach Wolterhaven fahren konnten, denn sie hatten schon genug Zeit verloren, und die Stadt der Robotbürger lag in der entgegengesetzten Richtung zu ihrem eigenen Ziel. Trotzdem hatte ihm der Roboter irgendwie leid getan. Manziel konnte nichts dafür, daß die Unordnung auf dieser Baustelle ihn verwirrte. Der Fehler lag bei den Herren der FESTUNG. Sie hätten die Robotdiener in ihrer Stadt lassen sollen, wo sie sich wohl fühlten. Seitdem Atlan den furchtbar zugerichteten Körper der Schattenkullja gesehen hatte, behandelte er die Siarta mit großer Zurückhaltung. Das Schicksal, in die zurückschlagenden Energiefluten zu geraten, hätte er nicht einmal seinem ärgsten Feind gewünscht. Das änderte jedoch nichts an den Tatsachen. Manziel schoß immer wieder auf den Kartaperator. Schon mit dem zweiten Schuß hatte der Roboter sein Schicksal besiegelt. Atlan hatte keine Veranlassung mehr, sich um den Wagen mit den »Schätzen« des Robotdieners zu kümmern. Manziel würde sich kaum noch für seine Sammlung interessieren, geschweige denn nach Wolterhaven zurückkehren. Wenn die Siarta sein positronisches Leben nicht auslöschte, würden die Technos es nachholen. Der Arkonide rannte zwischen den Kuppeln hindurch auf die Grenze des Lagers zu. Es blieb erstaunlich ruhig auf der Baustelle. Atlan fragte sich, ob die Technos überhaupt schon gemerkt hatten, was mit ihrem Kartaperator geschah. Er konnte nicht ahnen, daß die meisten Technos annahmen, der Angriff auf die Barriere hätte begonnen, und sich aus Furcht vor den Nebenwirkungen in den Kuppeln verkrochen. Ungehindert erreichte er die Grenze. Die Wächter waren verschwunden. Die ganze Situation kam dem Arkoniden unwirklich vor. Hinter ihm verging der Kartaperator in
51 wabernder Glut, und man hätte annehmen sollen, daß die Technos bis zum letzten Blutstropfen um die Maschine kämpften, die sie unter so harten Bedingungen zusammengebaut hatten. Statt dessen herrschte gespenstische Stille. Nur das ewige Singen, mit dem die Sandkörner sich im Wind bewegten, war zu hören. Er rannte auf den nächsten Einschnitt zwischen zwei Dünen zu und verlor die Baustelle aus den Augen. Eine halbe Stunde später erreichte er den Platz, an dem sie sich wieder treffen wollten. Teerträger saß immer noch im Sand. Es schien, als hätte er sich während ihrer Abwesenheit nicht vom Fleck gerührt. Razamon und Fenrir lagen knapp unter dem Kamm der Düne und beobachteten die Baustelle. »Geschafft«, sagte Razamon nüchtern, als Atlan neben ihm auftauchte. »Laß dich anschauen. Du siehst doch noch ganz normal aus?« Atlan erklärte, wie er auf Manziel gestoßen war. »Ich habe ihn gewarnt«, murmelte er nachdenklich. »Er wußte, daß er nur einmal auf den Knopf drücken durfte.« »Wenn bei ihm sowieso schon ein paar Schrauben locker waren, hat ihm die Siarta wohl den Rest gegeben. Sieh dir das an! Vom Kartaperator ist nichts übriggeblieben, das sich noch verwenden ließe. Er hat mindestens zwanzigmal auf die Maschine geschossen.« Atlan starrte das an, was von der gewaltigen Waffe noch zu sehen war. Inzwischen waren die Technos aus ihren Kuppeln gekommen. Scharen von ihnen gingen um den Kartaperator herum. Selbst aus dieser Entfernung konnte man erkennen, daß die Leute im Tal ratlos und betroffen waren. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor den Herren der FESTUNG. Ganz bestimmt zerbrachen sie sich den Kopf darüber, wer den Kartaperator zerstört hatte. Ob sie Manziel schon gefunden hatten? Wenn sie die Siarta sahen, mußten sie erkennen, daß jemand sich auf die Baustelle
52 geschlichen hatte. »Wir müssen weg von hier«, sagte Atlan. »Wenn sie den Schock verdaut haben, werden sie nach uns suchen.« »Sie werden nicht viel finden. Der Wind frischt auf. Hoffentlich gibt es keinen Sturm.« Atlan dachte an die wandernden Dünen zurück und schüttelte sich. Er ging zu Teerträger, zog dessen Kleidung aus und warf sie dem Techno zu. Er war froh, als er wieder in der leichten, bunten Stoffkleidung steckte, die sie auf der DEEHDRA gefunden hatten. »Darf ich?« fragte Teerträger. Atlan nickte. Er sah die Vorräte durch und zog dann die Karte hervor, die sie in Teimabor an sich genommen hatten. »Zwischen diesem Ort und Moondrag liegen fünf Oasen«, sagte er zu Razamon, der sich neben ihm gesetzt hatte. »Zantorgan ist uns am nächsten, und die Entfernung stimmt ungefähr mit der zu Teimabor überein. Wenn wir mit dem Wasser sparsam umgehen, können wir es schaffen.« »Du willst nicht nach Teimabor zurück?« »Was sollen wir da? Die Schattenkullja ist tot, und von den Parias haben wir nur Schlechtes zu erwarten.« »Wir könnten versuchen, von Teimabor aus die Senke der verlorenen Seelen zu erreichen und sie im Nordosten zu umgehen. Dann kommen wir an den Taamberg, und von dort ist es nicht mehr weit bis zur FESTUNG. Im Norden dagegen geraten wir in die Nähe der Eisküste und der Dunklen Region. Wer weiß, was uns da erwartet!« »Nichts Gutes«, stimmte Atlan zu. »In diesem verdammten Land gibt es wohl keinen Flecken Erde, der keine Gefahren birgt. Aber erstens müssen wir damit rechnen, daß wir mit der Vernichtung des Kartaperators die Herren der FESTUNG mißtrauisch gemacht haben. Sie werden – wenn sie uns mit dem Überfall in Verbindung bringen – damit rechnen, daß wir auf die FESTUNG zumarschieren. Der kürzeste Weg führt am Taamberg vorbei. Sie werden dort zuerst nach uns suchen.«
Marianne Sydow »Und zweitens?« »Moondrag«, sagte Atlan. »Die Stadt liegt am Rand von Pthor. Wir können von dort aus sehen, ob die Schirme immer noch stehen. Vielleicht gelingt es uns sogar, eine Verbindung zur Außenwelt herzustellen.« »Du gibst es nie auf, wie?« Atlan lächelte bitter. Er wußte selbst, wie gering die Aussicht auf einen Erfolg war. Aber er wollte einfach nicht glauben, daß Rhodan überhaupt nichts unternahm. Selbst wenn man einen veränderten Zeitablauf berücksichtigte, mußte es doch irgendeine Verständigungsmöglichkeit geben! »Also gut«, murmelte Razamon. »Gehen wir nach Moondrag. Hoffentlich sind die Leute dort nicht noch unfreundlicher als in den Städten, die wir schon hinter uns haben. Teerträger, was ist mit dir? Gehst du mit uns? Sicher treffen wir in einer Oase auf Parias, denen du dich anschließen kannst.« »Ihr habt von Teimabor gesprochen«, sagte der Techno. »Ist das auch eine Oase?« »Ja«, antwortete Razamon überrascht. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Eine Gruppe von Technos hat sie erobert.« »Wie weit ist es bis dort hin?« »Wenn du dich beeilst, kannst du morgen mittag schon da sein.« »Dann gehe ich nach Teimabor«, beschloß Teerträger. »Könnt ihr mir die Richtung sagen?« »Du mußt genau nach Süden gehen«, erklärte Atlan. »Dann kannst du Teimabor kaum verfehlen – es sei denn, du gerätst in einen Sandsturm.« »In dem Fall bin ich sowieso verloren«, stellte Teerträger fatalistisch fest. »Aber wo ist Süden? Jetzt in den Nacht gibt es doch keinen Anhaltspunkt.« Atlan war zunächst verblüfft, dann erinnerte er sich daran, daß Pthor ja nur vorübergehend den Planeten Terra besuchte. Die Technos hatten keine Beziehung zu den Sternbildern des ihnen fremden Firmaments. Unwillkürlich fragte sich der Arkonide, ob Pthor auf allen Planeten eine Position einnahm, die es den Technos erlaubte, sich ex-
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akt nach der jeweiligen Sonne zu orientieren. Es mußte wohl so sein, sonst hätten die Bewohner von Pthor gar keine Beziehung zu den verschiedenen Himmelsrichtungen entwickeln können. Er schob diese Überlegungen beiseite und zeigte Teerträger den Polarstern. Er erklärte ihm auch die Sternbilder, mit deren Hilfe der Techno diesen einen Stern immer wieder finden konnte. »Gut«, sagte Teerträger schließlich. »Ich glaube, so werde ich meinen Weg finden. Es ist besser, wenn ich mich gleich auf die Reise begebe, denn die Kühle der Nacht ist leichter zu ertragen als die Hitze des Tages.« Damit drehte er sich um und marschierte los. »Die Höflichkeit hat der Kerl auch nicht gerade mit Löffeln in sich hineingeschaufelt«, murmelte Razamon. »Nicht einmal verabschiedet hat er sich!« »Wir haben ihn immerhin in eine üble Lage gebracht«, murmelte Atlan. Keiner der Männer ahnte, daß Teerträger in den sicheren Tod lief, denn Teimabor existierte nicht mehr, und die Parias hatten sich längst von dem unheimlichen Tal zurückgezogen, nachdem alles, was es in der Oase gab, in geisterhaften Leuchterscheinungen vergangen war. »Ich hätte Lust«, sagte Razamon gedehnt, »noch einmal nach unten zu gehen und den Technos zu zeigen, was ein wirklicher Kampf ist. Mich kribbelt's in den Fingerspitzen. Ich könnte eine ganze Kuppel kurz und klein schlagen.«
Atlan hörte den drohenden Unterton und holte hastig eine Phiole aus der Tasche. Der kleine Behälter enthielt ein grünes Gebräu. Die Schattenkullja hatte mit diesem Zeug einen gefangenen Berserker lammfromm gemacht. Schon einmal hatte das Medikament geholfen, als Razamon auf einen seiner unheilvollen Anfälle zutrieb. »Nimm lieber das hier«, empfahl der Arkonide. Der Pthorer sah Atlan düster an. Für einen Augenblick schien es, als würde Razamon einen Anfall dem scheußlich schmeckenden Medikament vorziehen, aber dann besann er sich eines Besseren. Gespannt wartete Atlan darauf, daß die Wirkung einsetzte. Nach wenigen Minuten entspannte Razamon sich. Er wandte sich verlegen ab, nahm sein Bündel auf und nickte Fenrir zu. »Komm, Grauer«, murmelte er. »Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.« Atlan folgte den beiden zufrieden. Sie umgingen die Baustelle, bis es Zeit war, nach Westen abzubiegen. Von den Technos sahen und hörten sie fast nichts mehr. Die Vernichtung des Kartaperators schien alles Leben auf der Baustelle vorübergehend gelähmt zu haben. Nach wenigen Stunden waren sie wieder allein mit dem Sand und dem Wind.
ENDE
ENDE