Nr. 346
Diener des Tyrannen Atlan in der Maske eines Spercoiden von Hans Kneifel
Die Erde ist wieder einmal davongeko...
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Nr. 346
Diener des Tyrannen Atlan in der Maske eines Spercoiden von Hans Kneifel
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans Ein greifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kon tinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wie der auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte da zu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nach dem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezo gen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Dar auf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden. Das heißt, er wagt sich unter die DIENER DES TYRANNEN …
Diener des Tyrannen
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide auf einem Raumschiff der Spercoiden.
Dacoon - Kommandant der BEHUTSAMKEIT.
Gaccurt - Waffenmeister der BEHUTSAMKEIT.
Brytthan - Ein Spercoide mit Gefühlen.
Laccied - Ein Spürer von Apharon.
1. Atlan preßte sich gegen die zitternde Wand. Vibrationen erschütterten das Raum schiff, das mit unbekanntem Ziel durch den Weltraum raste. Der hohle Pflanzenstengel fühlte sich in der Hand des Arkoniden warm und klebrig an. Ein Faden des halluzinoge nen Nektars lief über die Finger. Hinter At lan befand sich eine Tür oder ein Schott, denn er spürte schmerzhaft den Druck einer Klinke. Die Vibrationen wurden schwächer, aus den unbekannten Tiefen des Schiffes ertön ten verschiedene Signale; Brummen, sum mende Geräusche und aufgeregtes Heulen. Dann breitete sich wieder die Stille aus. Der Flug ins Unbekannte ging weiter. Wirkte der Nektar der Unsichtbarkeit noch? Jener Pflanzentau, mit dem Proscut ter-Lop und Atlan experimentiert hatten? Gewaltige Steigerung der körperlichen Kräfte und die Fähigkeit, sich gegenüber der Wahrnehmungsmöglichkeit anderer Wesen zu entstofflichen, waren die Folgen der Ein nahme des Nektars. Während ProscutterLop die Roboter der rätselhaften Spercoiden ablenkte, war Atlan als blinder Passagier zu nächst im Gleiter versteckt gewesen, und dann hatte er sich aus dem Gleiterhangar des Spercoiden-Raumschiffes bis hierher vorge wagt. »Ich muß diesen Sperco finden!« flüsterte er im Halbdunkel, das hier herrschte. Er drehte sich herum und packte den Griff. Es gab für Atlan keine andere Möglich keit mehr, als sich zu verstecken. Er mußte den Tyrannen finden, den Meister der rätsel haften Krieger und Raumfahrer in ihren Pan zern. Was immer Atlan, allein und ohne jede
Hilfe, auf dem Weg dorthin erleben würde – er mußte zurück nach Pthor oder Atlantis. Er schloß seine Finger um den kantigen Griff. Die Tür glitt leise auf. Der Arkonide merkte, daß er bei dem Versuch, das Schott zu öffnen, eine normale Menge an Muskelkraft aufwenden mußte! Die Wirkung des halluzinogenen Nektars läßt offensichtlich nach, flüsterte warnend der Extrasinn. »Verdammt!« Atlan kam aus dem dunklen Teil des Raumschiffs in einen fremdartig aussehenden Raum voller Helligkeit und angefüllt mit phantastischen Geräten. Er ging hinein, zog sich zwischen zwei halbdurchsichtige Spiralen zurück und nahm einen langen Schluck des stark riechenden Nektars. Er blickte in den röhrenförmigen Stengel hin ein; der Vorrat nahm schnell ab. Er war oh nehin nicht groß gewesen. Und tatsächlich schienen im Bereich des Weltraums, also fern von dem Tal der Blü ten und des Nektars, ganz andere Verhältnis se zu herrschen. Sie schienen die Wirkung des Nektars drastisch herabzusetzen. Dies mal wirkte der Nektar noch, kurzzeitig und noch immer stark. Trotzdem mußt du auf unangenehme Zwi schenfälle gefaßt sein, flüsterte der Logik sektor. Der Raum wirkte wie ein Labor oder die Werkstatt eines Wissenschaftlers. Atlan, der sich im Schutz der Unsichtbarkeit sicher fühlen konnte, ging bis zur Mitte des großen Labors und blieb stehen. Er merkte, daß er sich wieder entstofflichte und daß seine Kör perkräfte wuchsen. Der Pflanzenstengel war fast leer. Also mußte der Arkonide wieder damit rechnen, daß er binnen kurzer Zeit nichts an
4 deres als ein Mann mit einfachen Kräften und Fähigkeiten sein würde. Zwar glaubte er daran, daß er als einzelner Eindringling in nerhalb des komplizierten Gefüges eines Raumschiffes sich letztlich behaupten und überleben konnte. Aber als er sich ganz her umgedreht hatte, hörte und sah er bereits die nächste Gefahr. Ein Spercoide in seinem blaßgrauen Pan zeranzug arbeitete an einem klappernden Gerät, das einen nicht endenwollenden Strom faustgroßer gelber Kugeln ausstieß. Sie verschwanden in einer Öffnung des Bo dens. Noch sah der Spercoide den Arkoni den nicht, und Atlan hatte einige Sekunden Zeit, das seltsame Wesen genau anzusehen. Die Ähnlichkeiten mit einem Roboter dräng ten sich auf – aber es war kein Robot! Atlan war überzeugt davon, sich völlig lautlos bewegt zu haben. Trotzdem wurde der Unbekannte vor ihm, keine sieben Meter entfernt, unruhig. Obwohl Atlan einige Stunden ungestört geschlafen hatte, fühlte er sich gegenüber diesem Ding in der raumfe sten Ritterrüstung wehrlos. Er sah die dun kel schimmernden Waffen an den Hüftteilen des Anzugs, der so groß und breitschultrig war, daß er ihm selbst gepaßt hätte. Unruhe ergriff ihn. Er wich zwanzig Schritte nach rechts aus und duckte sich hinter einer Maschine oder einem Schrank. Seine Vorräte an Früchten waren zu Ende. Und der unsichtbar machen de Nektar war so gut wie erschöpft. Gab es hinter der Sichtscheibe des Anzu ges, die wie ein dunkles Mineral wirkte, tat sächlich lebende Augen, die ihn erkennen konnten? Ich weiß, sagte sich Atlan verzweifelt, daß ich als Fremder innerhalb dieses Schif fes innerhalb kurzer Zeit gehetzt und ver folgt werde. Betroffen merkte er, daß die Wirkung des Nektars schon wieder nachließ. Du bist schätzungsweise einen Tag lang innerhalb des Raumschiffs, warf der Logik sektor ein. Atlan begriff, daß sich eine Ent scheidung in kürzester Zeit anbahnte. Er hob den Stengel und trank den letzten Schluck
Hans Kneifel Nektar. Als er den Stengel fallen ließ, schal tete der Spercoide die Maschine ab. Die Bäl le verschwanden im Loch des Bodens, Ruhe breitete sich innerhalb des Labors aus. Vor sichtig trat Atlan aus seiner Deckung hervor und war ratlos: Was konnte er tun? Er suchte etwas, das sich als Waffe ver wenden ließ. Auf einer Werkbank schräg ge genüber lagen armlange Dinge, die wie schwere Rohrenden aussahen. Er ging schnell darauf zu, und genau in dem Augen blick, an dem er die Hand um das Rohr legte und damit gegen die anderen Abschnitte stieß, sah ihn der Spercoide. Die Rohre klap perten metallisch. Atlan wirbelte herum, und wenn er die Bewegung des Spercoiden rich tig deutete, dann griff ihn dieser an oder ver suchte, Alarm zu geben. Der Arkonide wurde langsam wieder sichtbar. Als der Spercoide ihn ganz sah, zuckte seine Hand hinunter zur Waffe. Atlan holte kurz aus und schlug hart auf das Gelenk. Der Spercoide versuchte auszuweichen, aber die Waffe flog in hohem Bogen durch die Luft und schlug auf einem Labortisch glä serne Gegenstände in Scherben. Mit einem Satz sprang der Spercoide über seine Ma schine hinweg und streckte die Arme nach Atlan aus. Atlan wehrte den Griff ab und stolperte rückwärts. Er schob eine Arbeits platte zur Seite, die voller rätselhafter Ge genstände war. Mit einem höllischen Getöse krachte die Platte auf den stählernen Boden und zerbrach. Wieder schlug der Arkonide mit dem Rohrende zu, aber der Schutzanzug wirkte offensichtlich wie eine massive Rü stung. Diese Beobachtungen deckten sich mit dem, was Proscutter und er auf dem Pla neten Karoque erlebt hatten. Der Spercoide schien den Schlag nicht gespürt zu haben. Noch besaß er die zweite Waffe. Als er da nach greifen wollte, machte Atlan einen blitzschnellen Ausfall, schlug auf das Arm gelenk und trat mit dem Fuß die strahlerähn liche Waffe zur Seite. Mit einem krachenden Geräusch riß ein riesiger Schrank sich aus den Verankerun
Diener des Tyrannen gen und kippte um. Aus seinem Innern er tönten schnarrende und klirrende Laute. Der Zweikampf wurde schneller, heftiger und er barmungsloser. Atlan merkte, daß der Spercoide auf eine Anlage zusteuerte, die offensichtlich so et was wie ein Interkom darstellte. Er mußte dies verhindern. Achtung! Er setzt seine Beine ein, wisper te der Extrasinn. Der Spercoide hatte bisher kein einziges Wort in seiner knarrenden Sprache hervor gestoßen. Atlan sprang zur Seite, als einer der langen Arme heransauste. Der Schlag hätte ihm den Kopf von den Schultern geris sen. Wieder wehrte er mit einer Serie schneller Kreuzschläge den Angriff ab. Das Metall erzeugte auf den blaßblauen Metall auswüchsen des Anzugs krachende und schmetternde Geräusche. Ein wilder Hieb auf ein Ellenbogengelenk ließ den Spercoi den aufschreien und zusammenzucken. At lan holte aus und führte einen Hieb gegen die Halskrause des Anzugs. Sein Gegner wurde langsamer. Dann donnerte das Rohr mitten über der rechteckigen Visierfläche der Helmmaske. Ein langer Schrei drang aus dem schwe ren Anzug. Der Gegner stolperte und wankte, aber er gab nicht auf. Wieder wurde ein Teil des La bors verwüstet. Der Lärm würde binnen kür zester Zeit andere Spercoiden herbeilocken. Atlan wich zurück, glitt zur Seite und griff wieder an. Diesmal war er entschlossen, mit seiner primitiven Waffe ganze Arbeit zu lei sten. Er konzentrierte die Wucht seiner Hie be auf die flexiblen, schwarzen Gelenke des ungefügen Anzugs. Immer wieder traf er die empfindlichen Stellen, und fast jedesmal be wies ein knarrender Schrei oder Schmer zenslaut, daß seine Taktik Erfolg hatte. Ein mäßiger Fußtritt des Spercoiden warf ihn rückwärts über eine Tischplatte. Er räumte mit seinem Körper eine Batterie von Dosen und Flaschen, Kolben und anderen Gefäßen aus einem rauchfarbigen Glas ab. Die Scherben knirschten, als der Spercoide
5 die Platte mit den Hüften zur Seite rammte und auf Atlan zustapfte. Der Arkonide sah an den immer langsameren Bewegungen, daß sein Gegner entscheidend getroffen war. Nochmals hieb er mit aller Kraft auf das Zentrum der Helmmaske. Ein hämmerndes Dröhnen war zu hören, der Hieb prellte in Atlans Fingern. Der Schlag riß den Spercoiden von den Beinen. Er kippte nach vorn und zerriß ein System von dicken Kabeln oder Schläuchen, die zwischen einem bankähnlichen Gerät und der Decke baumelten. Atlan sprang zur Seite und ließ das Rohrende sinken. Sein Gegner rührte sich nicht mehr. »Er mag kampfunfähig sein«, murmelte er keuchend, »aber er lebt noch.« Er hatte zwei Gründe für sein Vorgehen. Er brauchte den Anzug, um an Bord uner kannt zu bleiben. Und er wollte die wahre Natur des Spercoiden herausfinden! Was steckte in diesen Anzügen? Vielleicht war das Wesen mit den Bildern aus seinen traumartigen Erlebnissen auf dem Planeten Karoque identisch? »Gleich werde ich es wissen«, sagte er grimmig, kauerte sich nieder und ließ das Rohr zu Boden klappern. Einen Tag lang hatte er sich verbergen können. Einen zweiten Tag würde er nicht mehr durchstehen können. Die Zeit drängte. Er packte die Helmmaske, spürte die Metall buckel unter den Fingern und löste die brei ten Verschlüsse aus schwarzem Metall. Vor sichtig drehte er den schweren Helm und versuchte, hinter dem knapp handgroßen Rechteck der vermeintlichen Sichtfläche et was zu erkennen. Als zwischen Halsringen und Helm ein nur fingerbreiter Spalt erschien, warf sich Atlan zurück. Kaltes, flackerndes Feuer schoß aus dem Spalt hervor und breitete sich nach allen Seiten aus. Zwischen den langen Stichflammen erkannte er deutlich Dinge, die wie schwarze Adern oder Muskeln aus sahen. Es wirkte alles wie fauchendes Gas, das aus dem Anzug hervorströmte und mit rasender Geschwindigkeit, ohne Hitze zu
6 entwickeln, verbrannte. Es dauerte nur einige Sekunden lang. Atlan stand langsam und erschüttert auf. Das hatte er nicht gewollt. Eine Selbstver nichtungsanlage hatte das Wesen im Anzug getötet und verbrennen lassen. Mit einem prasselnden Geräusch erlosch die letzte Stichflamme aus dem Anzugsspalt. »Eine Katastrophe!« sagte Atlan leise. Er war erschrocken, und er hatte den Spercoi den nicht töten wollen. Lege den Anzug an! Schnell! drängte der Logiksektor. Atlan nahm den Helm ab; er fühlte sich leicht an und war leer. Aber unverkennbar war der feuchte, dumpfige Eindruck inner halb des Anzugs. Er kannte ihn bereits und erinnerte sich perfekt an die Schwierigkeiten im Stützpunkt Sarccoth. Die Überlegung, daß die Spercoiden um jeden Preis ihre Identität verheimlichen wollten, war sicher lich richtig – oder verbot es Sperco, der Ty rann, seinen Raumfahrern, sich anderen Le bewesen zu zeigen? Atlan jedenfalls war der Notwendigkeit enthoben, einen Gefangenen zu versorgen und verstecken zu müssen. In rasender Eile legte der Arkonide den Anzug an und hand habte die Verschlüsse, aber wieder mußte er seinen Ekel in dem feuchten und schweren Anzug überwinden. Er schüttelte sich in der plötzlichen Kälte und stülpte sich den Helm über den Kopf. Die Versorgungseinrichtun gen funktionierten ausgezeichnet, aber als er durch die Sichtscheibe die verzerrte und ver fälschte Außenwelt sah, glaubte er zu wis sen, daß seine Mission keinen Erfolg haben konnte. Noch immer trug er die Schnürstiefel, die lederne Kombination und den breiten Hüft gürtel. Er bückte sich schwerfällig, suchte die zwei Strahlwaffen und steckte sie in die Schutztaschen. Mit dem letzten Schluck des halluzinoge nen Nektars waren die vorangegangenen Abenteuer bedeutungslos geworden. Der Wahrheit war er dadurch nicht sonderlich näher gekommen. Er straffte entschlossen
Hans Kneifel seine Schultern und ging auf das Schott zu, durch das er hereingekommen war. Erkunde das Schiff. Versuche, dir größte Sicherheit zu verschaffen! sagte beschwö rend der Logiksektor. Er schloß das Schott und wandte sich zum Korridor. Am rechts gelegenen Ende sah er eine Gruppe von vier Spercoiden, die lang sam näherkamen. Jetzt würde sich der Wert seiner Verklei dung schnell herausstellen müssen, sagte er sich fatalistisch.
2. Er versuchte, sich in die Mentalität eines Spercoiden zu versetzen. Wesen, die in die sen schauerlichen feuchtkalten Anzügen leb ten, bewegten sich gemessen und plump. Sie sprachen – auch das hatte er bereits erfahren – nicht sehr viel. Das, was Atlan als mensch liche oder freundschaftliche Regungen defi nierte, schien es bei ihnen nicht zu geben. Es herrschte eine kalte hierarchische Befehls struktur. Jeder schien seinen Platz und Zweck genau zu erkennen. Aber wie stand es mit Namen, mit all den anderen Dingen, die Raumschiffsmannschaften voneinander wußten. »Dacoon will nicht nur den Kommandan ten rächen!« sagte einer der vier Spercoiden, als Atlan nahe genug herangekommen war. Atlan zuckte zusammen, aber die anderen bewegten nicht einmal verblüfft ihre Panzer. Es herrschte, von ausholender Gestik ab gesehen, ein völliges Fehlen von Mimik und Blickkontakten. Sie verhielten sich alle wie Roboter. Atlan hatte verstanden, was ein an derer Spercoide gesagt hatte. Er bemühte sich, langsam an den vier Raumfahrern vor beizugehen. »Nein. Die BEHUTSAMKEIT soll auch Laccied holen!« setzte ein anderer hinzu. Die Membrane verzerrte seine Stimme. Aber Atlan erkannte blitzschnell, daß er jetzt in der Lage war, die Sprache nicht nur zu hö ren, sondern auch zu verstehen. Ein Effekt des Anzugs?
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»Diese verdammten Borgs. Sie haben Tocco getötet und die Frau entführt. Wahr scheinlich soll sie untersucht werden.« Atlan war an der Gruppe vorbei und wandte sich unbeholfen nach links. Dort sah er eine Rampe, die nach oben führte. Er kannte also die Sprache der Spercoiden. Aber konnte er sie auch sprechen? Auch dazu werde ich leider bald Gelegen heit bekommen, sagte er sich und ging wei ter. Er wußte jetzt, daß die Spercoiden zwei geschlechtlich waren. Wie immer sich dies mit der Unfähigkeit vertrug, außerhalb der Anzüge existieren zu können. Eine weitere Überraschung war, daß er den Zweck des Raumfluges erfahren hatte. Die Borgs waren offensichtlich Gegner der Spercoiden oder des tyrannischen Sperco. Sie hatten einen Raumschiffkommandanten getötet und eine Spercoidenfrau entführt. Vermutlich waren sie ebenso von brennender Neugierde erfüllt wie Atlan selbst. Sie wollten offensichtlich auch herausfinden, was sich in den Anzügen befand. Atlan sah eine Masse von Problemen auf sich zukommen, während er versuchte, sich in dem dahinrasenden Schiff zurechtzufin den. Aufmerksam studierte er jeden Hin weis, jede Schrift und jede Durchsage, die über die Lautsprecher kam. Die Nahrungs mittel, die Unterbringung, das Ziel des Raumflugs. Seine »neue Identität«. Und zahlloses andere. Er zwang sich dazu, nicht erst an seine Lage zu denken. Er mußte noch mehr als vorsichtig sein.
* Kommandant Dacoon, der die riesenhafte BEHUTSAMKEIT führte, stand breitbeinig in der Zentrale des Schiffes und blickte auf die Bildschirme. Elf andere Schiffe waren zugleich mit der BEHUTSAMKEIT unterwegs. Das Ziel der Aktion war, den Tod des Kommandanten Tocco zu rächen und die Borgs zu vernich ten oder zumindest so zu bestrafen, daß ih nen ein für alle Mal die Lust verging, sich
gegen Sperco zu stellen. »Selbst Sperco hat Gegner«, sagte Dacoon kalt. »Aber, so lange wir für ihn kämpfen, werden sie uns nur winzige Stiche versetzen können.« Er wußte natürlich, daß die Borgs erbitter te Gegner und von großer Schnelligkeit und Gewandtheit waren. Dacoon dachte nicht an die einzelnen Wesen, sondern nur daran, daß er mit allen seinen Besatzungen und seinem Schiff ein zuverlässiger Teil der furchtbaren Armee Spercos war. Es war wichtig, zu han deln und präzise zu funktionieren. Trühlor war das Ziel ihres Anflugs. Die Sicherheitsabteilungen hatten ver bindlich erklärt, daß in den Stützpunkten der Borgs auf Trühlor die Frau Laccied festge halten wurde. Dacoon konnte sich nicht vor stellen, wie es die Borgs geschafft hatten, ausgerechnet Laccied herauszugreifen. Für Fremde sahen die Gestalten in den Schutz anzügen alle gleich aus; es war nur einem Spercoiden möglich, eine Frau von einem Mann zu unterscheiden. Dacoon betrachtete die Energieechos der anderen Raumschiffe dieses Verbandes und die Sterne auf den Bildschirmen. Ohne jedes Gefühl schritt er dann zu einer Sprechanla ge, drückte einen Schalter und knarrte: »Wir werden, ehe wir unsere Kommandos ausschicken können, sicherlich in ein Ge fecht mit den Kastenschiffen der Borgs ver wickelt werden. Äußerste Alarmbereitschaft an den Geschützen. Unsere Kanonen werden es ihnen zeigen und den Widerstand des Gegners brechen. Die BEHUTSAMKEIT ist nicht als Landungsschiff vorgesehen, aber dennoch kann es sein, daß wir die feindli chen Linien durchstoßen müssen. Der Befehl Spercos lautet, den Tod unse res Kommandanten zu sühnen und die Ver schleppte aus den Klauen der Borgs zu be freien. Wir sind direkt auf dem Kurs nach Trühlor.« In allen Räumen des Schiffes dröhnte sei ne Stimme. Ein fremdes Wesen wäre er schrocken über die Gefühlskälte und die Rücksichtslosigkeit, die aus der Stimme
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Hans Kneifel
sprachen. Nicht so ein Spercoide. Diese Be griffe waren ihm fremd; sie benutzten die Stimme als Informationsträger ohne jede an dere Bedeutung. Aber Atlan, der auf seinem Weg durch die BEHUTSAMKEIT den Kommandanten hörte, schauderte. Sämtliche Regungen eines Wesens, die es anziehend und verständlich machten, waren ausgelöscht. War es tatsächlich von den Spercoiden in die Pflanzen übergegangen, so wie es Atlan beobachtet hatte? Alles war möglich, absolut alles schien denkbar. Atlan wußte jetzt immerhin ein paar Namen und Begriffe, und er wußte auch, daß ein Kampf bevorstand.
* Etwa drei Stunden später stellte sich Atlan die Frage, aus welchem Grund es innerhalb des Raumschiffs überhaupt Luft gab. Und zwar Atemluft, die derjenigen identisch schien, die er selbst einatmete. Eines stand fest: Auch in diesem Schutzanzug der Sper coiden brauchte er keine Luftversorgung. Du kennst das Schiff noch lange nicht! sagte der Logiksektor. Atlan hatte immerhin drei verschiedene Möglichkeiten herausfinden können, die ihm zu überleben halfen. Drei Verstecke, klein und unauffällig. Es waren eine ungenutzte Kabine, die von geradezu auffallender Karg heit ausgerüstet war, eine Ecke in einem La deraum und eine Kammer, in der es nur Re gale mit Ersatzteilen gab. Atlan setzte seine Suche fort. In der Nähe der Zentrale rief ihn ein Spercoide an. Atlan wollte ausweichen, aber er beherrschte sich und zwang sich da zu, stehenzubleiben und sich halb zu dem anderen umzudrehen. Er zwang den ersten Anflug der Panik nieder. Die fremde Stim me knarrte und ächzte durch unbekannte Membranen der Anzüge. »Wohin willst du?« Atlan dachte an die beiden Waffen in den Taschen des Anzugs und erwiderte halb deutlich, halb bewußt verzerrt:
»Ich suche meine Aufgabe. Ich bin neu an Bord der BEHUTSAMKEIT.« Überrascht registrierte er, daß der andere ihn verstand. »Dein Name?« Der Spercoide wurde getäuscht. Also ver zerrte der Anzug Atlans Stimme derart, daß sie sich kaum von einer anderen SpercoidenStimme unterschied. Atlan merkte, daß ihm der Schweiß ausgebrochen war. »Ich bin … Brooc«, erfand der Arkonide blitzschnell und tat so, als wolle er sich zum Gehen wenden. Der andere hob den Arm. »Du brauchst Arbeit?« »Nach Möglichkeit eine sinnvolle Arbeit. Ich bin zuverlässig und schnell«, erklärte Atlan und wußte, daß er unter Umständen die falschen Worte gebrauchte. In seinem Bemühen, keinerlei Empfindungen auszu sprechen, machte er vermutlich ärgere Feh ler als wünschenswert. Aber der Spercoide vor ihm ließ nicht erkennen, ob er etwas ge merkt hatte. »Das ist jeder von uns. Nimm die Kabine sieben auf dem zwölften Deck. Und melde dich beim nächsten Ruf beim Waffenmei ster.« »Alles klar«, sagte der Arkonide, drehte sich um und ging in die Richtung, in der die Rampen und Lifts zum zwölften Deck zu finden waren. Gab es eindeutige Merkmale, durch die sich die Spercoiden unterschie den? Jedenfalls war er jetzt ein Spercoide namens Brooc. Er beeilte sich, aus der ge fährlichen Nähe der Zentrale fortzukommen.
* Die Stimmung, in der sich Brytthan be fand, war im Sinn des Begriffs unbeschreib lich. Brytthan, der weibliche Spürer von der Welt Apharon, war kein Gefangener der Spercoiden. Sie war vielmehr eine Art Gast, ein dienstverpflichtetes Wesen, das von Zeit zu Zeit gebraucht wurde. Brytthan hatte eine geräumige Kabine auf dem dreizehnten Deck. Sie bekam genügend Nahrungsmittel und durfte sich ungehindert
Diener des Tyrannen bewegen. Trotzdem fühlte sie sich wie eine Gefangene. Sie war allein. Sie konnte, obwohl sie die Sprache der Spercoiden perfekt beherrschte, mit den Gastgebern lediglich Informationen austau schen, aber nicht sprechen. Die Kälte, Rück sichtslosigkeit und das Fehlen einer jegli chen Gemütsbewegung erschreckte sie und machte sie mutlos. Sie litt unter dieser eisi gen Isolation. Brytthan von Apharon war ein naives, gutmütiges Geschöpf, das über eine spezielle Begabung verfügte, und sie bedau erte jede Sekunde, die sie an Bord dieses Schiffes verbrachte. Man hatte weder sie noch die anderen Mitglieder des Stammes gefragt – also waren sie doch Gefangene der Spercoiden. »Wenn es bloß noch etwas anderes gäbe!« sagte Brytthan. Das Wesen von Apharon sah keine Chan ce, diesem kalten, langweiligen, trostlosen Zirkel zu entkommen. Gegen einen Spercoi den hatte Brytthan keine Chance, und wohin sollte sie fliehen? Und wie? Brytthan war, selbst für die anscheinend nicht vorhandene Phantasie der Spercoiden, eine bemerkenswert seltsame Gestalt. Etwa eineinhalb Meter groß und würfel förmig. Die acht Kanten des hellrosa Wür fels mit den purpurnen und gelben Streifen und Punkten waren stark gerundet und tru gen verschiedene Sinnesorgane. Das fröhli che und farbenfreudige Aussehen des Apha ron-Bewohners entsprach absolut nicht des sen Stimmung. Augen, Gehörorgane und Riechlöcher, die Infrarotsensoren und viele andere erstaunli che Rezeptoren zitterten, spiegelten oder drehten sich an den Kanten. Einige Hundert Füße wuchsen aus der untersten Ebene des Würfels hervor, und an jeder Seite gab es je einen andersgeformten Arm voller Finger, Klauen und Saugnäpfe. Brytthan war nicht nur traurig; sie lang weilte sich zudem bis zur Selbstentäuße rung. Der Versuch, sich mit einem Spercoi den zu unterhalten, glich dem Dialog mit ei
9 nem Lesebildwürfel: sinnlos und entwürdi gend. Brytthan entschloß sich, durch ständig ge steigerte Versuche die Situation zu verän dern. Vielleicht gelang es. Sie stand auf, wobei sich Hunderte schwarzer Riesenborsten strafften und ver härteten, dann rauschte der Würfel – es sah aus, als schwebe er über den grauen Belag des Bodens – zum Schott. Mit zweien seiner vier Hände öffnete Brytthan das Schott, klinkte es in der Aufstellung fest und rauschte wieder zurück an den Platz zwi schen drei niedrigen Beistelltischen und ei ner handlichen Matte. Drei Bildschirme flimmerten und zuckten mit drei verschiede nen Programmen. Mit den normalen optischen Wahrneh mungsfähigkeiten, den Ultraviolettaugen und den Infrarotsensoren starrte Brytthan hinaus auf den Schiffskorridor. Es kam im mer jemand vorbei. Vielleicht gab es inner halb des Schiffes noch andere … Gefange ne. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, dann erschütterten kaum wahrnehmbare, rhythmi sche Vibrationen den Boden. Brytthans Auf merksamkeit stieg um einen minimalen Fak tor. Es war logischerweise eindeutig das Schrittmuster eines dieser unsichtbaren We sen in ihren kaum zu durchdringenden An zügen. Aber – es gab winzige Unterschiede. Dieser Spercoide ging nicht richtig. Etwas störte. Es war ein kaum feststellbares Flirren in dem harten Rhythmus der Schritte. »Heh! Halte an, du Kämpfer ohne Gefühl und Herzlichkeit!« schrie Brytthan provozie rend mit hoher, aber klangvoller Stimme. Sie sprach Spercoidisch, aber die Klangfülle ihrer Stimme war viel größer und harmoni scher. Es gab kein Knarren oder Poltern in dieser Stimme. Der Spercoide kam näher, die Schritte wurden lauter, und dann stockten sie. Seine Antwort kam halblaut und knarrend zurück: »Was ist los? Wer ruft mich?« »Ich bin es. Brytthan«, rief sie verblüfft. Jeder an Bord sollte über den weiblichen
10 Spürer von Apharon Bescheid wissen. »Moment!« antwortete der Spercoide und kam näher. In dem schmalen Ausschnitt des Schottrahmens sah er fröhliche Farben. Sie strahlten einen starken Eindruck von Unbe schwertheit aus. »Brytthan?« fragte er, etwas leiser. »Ich kenne dich nicht. Was tust du hier an Bord?« Brytthan, für Beobachtungen aller Art und den zutreffenden Schlußfolgerungen beson ders empfindlich, war sicher, daß sich in dem Anzug ein sehr untypischer Spercoide verbarg. Vielleicht ein weibliches Exem plar? Oder möglicherweise ein leicht gei stesgestörter Diener des Tyrannen. Brytthan entschloß sich, noch nicht alle Kanäle ihres Wahrnehmungsvermögens zu öffnen. Die Überraschung war auf diese Art größer, und es würde ihr gegen die eisige Langeweile der Ereignislosigkeit helfen. »Du weißt nicht, was ich bin?« fragte sie hoffnungsvoll. Sicher war es ein Test. Der Kommandant war berüchtigt für seine gele gentlichen Einfälle, die Bereitschaft der Be satzung zu testen. Der Spercoide kam herein und blieb ge nau auf der Linie stehen, die das geschlosse ne Schott einnehmen würde. Er drehte den Oberkörper leicht von einer Seite zur ande ren. Also sah er sich um und versuchte, die Einrichtung zu deuten. »Nein. Was bist du?« »Der Spürer. Der weibliche Spürer der BEHUTSAMKEIT.« Der Spercoide schwieg, aber sie regi strierte wachsames Mißtrauen. »Ich bin Brooc«, sagte er. »Du bist auch nichts anderes als ein Sper coide. Ihr alle mit eurer verfluchten NullEmpfindsamkeit. Selbst die Roboter der Borgs sind phantasievoller!« rief sie. »Jede Regel kennt auch Ausnahmen«, er klärte er zu ihrer Verwunderung der Sper coide ihr gegenüber. Es klang, als meinte er es ernst. Innerhalb eines noch nicht genau geprüften Rahmens durfte sich Brytthan Frechheiten und Ungehorsam erlauben. Sie
Hans Kneifel war auf gewisse Weise unentbehrlich. Aber man würde sie ebenso töten wie einen an greifenden Borg, wenn sie es übertrieb und gegen ein Gebot des Tyrannen verstieß. Al so nahm sie sich zusammen und antwortete ruhig: »Wer sagt mir, ob ausgerechnet du die po sitive Ausnahme bist. Ich kann mit keinem von euch über etwas anderes reden als über nüchterne Fakten.« »Vielleicht bin ich wirklich die positive Ausnahme. Aber zuerst mußt du mir erklä ren, wer du wirklich bist.« Sie standen sich gegenüber und bildeten auffallende Gegensätze. Ein farbenfroh wir kender Würfel von mehr als einem Meter Kantenlänge auf einem borstenartigen Wald von Fußdornen stehend, und der bucklige, blaue Anzug mit der kleinen Sichtplatte. Beide waren voller Mißtrauen, und keiner konnte eigentlich den Ausdruck des Miß trauens definieren. Schließlich sagte der weibliche Spürer: »Mein Name ist Brytthan. Ich komme vom herrlichen, bunten Planeten Apharon. Ich gehöre zu den wenigen Hilfstruppen der Spercoiden. Nicht in allen Schiffen leben Spürer. Sicher sind einige von uns bereits tot. Wir waren einmal vierunddreißig. Ich habe keine Verbindung mehr zu den ande ren.« »Das ist mehr als ein Grund, uns zu has sen«, warf der Spercoide ein. »Haß ist weder eine Lösung noch ein Ausweg«, sagte Brytthan nach einigem Zö gern. »Ihr versteht nicht, was ich denke und meine. Ihr seid weniger flexibel als einfache Roboter. Ihr seid nichts anderes als wesenlo se Werkzeuge von Sperco. Ich habe schon hundertmal versucht, mit euch über etwas anderes als Rache, Gehorsam, Schlagkraft, Kampfkraft, Drill oder Angriff zu sprechen. Keiner von euch ist in der Lage, die Bedeu tung des Schiffsnamens BEHUTSAMKEIT zu erkennen. Und wenn es einer dennoch tut, dann schweigt er darüber.« »Vielleicht begibt er sich dann in Ge fahr?« warf der Spercoide als Frage auf.
Diener des Tyrannen Brytthan schaltete nacheinander die drei laufenden Programme aus, rauschte rasselnd hin und her durch den Raum und versuchte, ihre Verwirrung loszuwerden. Natürlich hat te dieser gefühllose Klotz nicht erkennen können, daß sie seit Jahren wieder einmal verblüfft war. Aber sie selbst registrierte bei sich Empfindungen, die sie vergessen hatte. Sie aktivierte ihre gesamten Wahrneh mungseinrichtungen. Auf ihre Weise waren die Sensoren besser als die entsprechenden technischen Geräte. Darüber hinaus besaß der Spürer ein analyti sches und kombinierendes Gehirn und einen einmaligen Verstand. Aber der Anzug gab keines der Geheim nisse preis, die sie in seinem Schutz vermu ten konnte. Sie mußte also annehmen, daß der Spercoide sie testete und sich ihrer Loyalität versichern wollte. Größte Vorsicht war zu beachten. Es konnte eine Falle sein, die sich am Ende als tödlich herausstellen konnte. »Mir ist es gleichgültig«, meinte die un freiwillige Mitarbeiterin des Kommandanten nach einiger Zeit, »ob sich einer von euch in Gefahr begibt. Ich wurde nicht gefragt, ob ich mit euch zusammenarbeiten möchte. Auch keiner meiner Artgenossen wurde, so weit ich mich erinnern kann, gefragt. Trotz dem arbeiten wir für euch und Sperco. Du kannst mich zwar in eine Falle locken, aber ich werde trotzdem tun, was zu tun ist.« »Vermutlich, nach dem informativen Rundspruch des Kommandanten Dacoon, wird der nächste Einsatz auf Trühlor stattfin den.« »Dort werde ich versuchen, zu entflie hen«, sagte der Spercoide. »Wenn du dich mir anschließen willst?« Schweigen. Brytthan fühlte mehr als Überraschung. Entweder war es eine deutli che Aufforderung zur Meuterei, oder es war tatsächlich das ersehnte Wunder der langen grauen Jahre im Dienst Spercos. Was auch immer – dieser Spercoide war alles andere als »normal.« Brytthan überlegte, versuchte abermals,
11 mit allen möglichen Sensoren die undurch dringbare Maskierung zu durchbrechen, und wie immer mit demselben Mißerfolg. Sie sagte endlich: »Beweise mir, daß du die einzige Ausnah me in einem riesenhaften Heer von befehls abhängigen Spercoiden bist, und ich werde weiter mit dir sprechen. Los! Zeige es mir, du Anzug ohne Gesicht!« Die Borsten unterhalb des Würfels wur den weich; der Körper senkte sich auf die helle Matte und verharrte lautlos, regungslos und abwartend. Eines der handtellergroßen Augen zwinkerte nervös.
3. Atlan blieb starr stehen. Er war versucht, nicht zu glauben, was er erlebt hatte. Die Farben und Umrisse der Brytthan vor ihm waren ziemlich genau zu sehen. Ein bizarrer Fremdling inmitten der blaßblau-schwarzen Heere Spercos! Für ihn war das Risiko groß, denn Brytthan konnte ihn vernichten, wenn er sich zu erkennen gab. »Was soll ich tun?« wisperte er in das modrige Dunkel des Anzughelms. Sie ist tödlich gelangweilt und frustriert, sagte der Logiksektor. Du solltest ihr ver trauen. Konnte er Brytthan vertrauen? Natürlich gab es ein schnelles und einfa ches Zeichen, mit dem er alles erklären konnte. Mit Sicherheit würde ihm Brytthan von Apharon glauben. Aber sie brauchte nur dem nächsten Spercoiden diesen Vorfall melden, dann begann die Hetzjagd auf ihn. »Du wirst mich an die anderen Spercoi den verraten«, sagte er laut. Die Farben ver zerrten sich, als sich Brytthan unschlüssig auf der Matte bewegte. »Ich werde dich nicht verraten«, erwiderte sie. »Wie kann ich sicher sein?« »Wenn du ein Fremder bist, dann sind wir in derselben Situation. Warum sollten wir nicht zusammenarbeiten? Uns unterhalten? Miteinander sprechen?«
12 »Ich bin ein Fremder. Und ich bin ver nichtet, wenn du mich verrätst«, entgegnete er. Sie waren zwei Gefangene und zwei Fremde, allein auf sich gestellt. Er wußte nicht, was ein Spürer war, aber zweifellos deutete das Wort einschlägig darauf hin. Ein Wesen, das irgend etwas aufspürte oder ähn lich. »Ich verrate dich nicht. Ich bin froh, nach so langer Zeit jemanden zu haben, der nicht zu den gesichtslosen Spercoiden gehört.« »Geht in Ordnung«, murmelte Atlan fata listisch und nahm den Helm ab. Aus dem breiten schwarzen Kragen blickte sein Kopf auf das Würfelwesen. Sämtliche Sensoren von Brytthan gerieten für einige Sekunden in wilde Aufregung. Dann sprang der farbi ge Würfel einen halben Meter hoch und schrie: »Tatsächlich! Wirklich ein Fremder und kein Spercoide! Ich bin nicht mehr allein in diesem gräßlichen Schiff!« Atlan befestigte die Helmmaske augen blicklich wieder. Der Umstand, daß diese Öffnung des Anzugs jeden Spercoiden au genblicklich getötet hätte, schien Brytthan vollkommen überrascht zu haben. Zitternd vor Aufregung und mit allen Sensoren be bend sank sie wieder auf die Unterlage zu rück. Atlan ließ den letzten Spannhebel klickend einrasten und sagte: »Du bist überzeugt, Brytthan?« »Völlig. Du brauchst keine Angst zu ha ben. Ich werde dich nicht verraten, aber ich werde auch nicht mit dir zusammen gegen die Spercoiden kämpfen, falls du das jemals vorgehabt haben solltest.« »Ich habe es nicht vor. Ich will nur Sper co treffen und mit ihm reden«, sagte er. »Bis zu diesem Zeitpunkt muß ich mich verber gen und führe das Leben eines Gehetzten.« »Verständlich. Wie bist du an Bord ge kommen?« fragte Brytthan. »Das berichte ich dir später. Zuerst muß ich meine Kabine finden. Ich bin wohl … in welchem Deck sind wir jetzt?« »Dreizehn!« »Ich komme wieder!« versprach Atlan
Hans Kneifel und verließ die Kabine. Sehr nachdenklich ging er den Korridor entlang und fand schließlich seine Kabine. Es war nicht viel mehr als ein großer Schrank, und die Ausrü stung ließ erkennen, daß die Spercoiden in ihren Anzügen tatsächlich so gut wie nichts brauchten. Nicht einmal Farben, und schon gar nicht eine Dusche. Immerhin befand sich ein genügend großes Lager darin. Atlan ver schloß das Schott, suchte erfolglos nach Spioneinrichtungen und streckte sich schließlich aus, den Helm geöffnet. Er dach te nach.
* Luft gab es genug, Wasser und Nahrungs mittel bekam er vermutlich von Brytthan. Zwölf Schiffe waren es, die den BorgStützpunkt anflogen, um dort die Strafaktion durchzuführen. Atlan hoffte, daß es nicht mehr lange dauern möge. Die Zeit zwischen den Erlebnissen auf Karoque und dem An griff auf Trühlor war keineswegs schön; At lan erwartete von der Rache für den Kom mandanten und dem Versuch, die Spercoi denfrau Laccied zu befreien, weitere schreckliche Vorfälle. Und wie sollte er sich verhalten? Nicht anders als bisher. Er durfte nicht auffallen. Aber andererseits konnte der weibliche Späher ihm sicher eine riesige Menge an Informationen liefern. Er mußte wieder zurück zu ihr. Ausgerechnet, dachte er, ein weiblicher Späher, von irgendeinem unbekannten Planeten geraubt oder einfach mitgenommen. Oder vielleicht ging sie frei willig mit? Er würde es erfahren, wenn es ihm gelang, mit ihr zu sprechen. Sie sah nicht erstaunlicher oder phantastischer aus als viele andere Wesen, die er kennengelernt hatte. Atlan schlief eine Stunde, dann fühlte er trotz des Anzugs Durst und Hunger. Er schlich auf den Korridor hinaus und hoffte, niemand würde ihn treffen und aufhalten. Er erreichte die Rampe, die zum nächsten Deck hinunterführte. Drei Spercoiden standen dort und sahen in
Diener des Tyrannen seine Richtung. Inzwischen war sein Selbst vertrauen etwas gestiegen. Er war sicher, un behelligt an ihnen vorbeizukommen. Der rechts Stehende sprach ihn an. »Du bist Brooc? Der Neue, der nicht weiß, an welchen Platz er gehört?« »Das bin ich. Und wie nennt man dich?« antwortete Atlan und bemühte sich, ohne be sondere Betonung zu sprechen. »Ich bin Gaccurt. Waffenmeister. Du wirst an den Geschützen eingesetzt. Melde dich beim Alarm bei mir.« »Selbstverständlich. Wann erreichen wir das Ziel?« »In etwa einem Tag. Wohin willst du, Brooc?« »Man sagte mir, ich sollte nachsehen, ob der Späher sich wohl fühlt.« »Wir werden ihn vielleicht brauchen, den Fremden von Apharon. Geh.« Atlan ging an den Spercoiden vorbei und begann sich zu fragen, wie man ein spercoi disches Schiffsgeschütz bediente. Seine Taktik, sich dumm zu stellen, würde bald ih re Grenzen zu erkennen geben. Er fand ohne Schwierigkeiten die Kabine des Spürers und hämmerte mit der Faust an das Schott. »Öffne von außen, Gesichtsloser!« rief Brytthan. »Komm herein.« Atlan, noch immer mißtrauisch, öffnete das Schott und trat ein. Wieder hob er die Helmmaske an und zeigte sein Gesicht. Er ließ die Verbindung zwischen Helm und Raumanzug etwas offen und atmete die ste rile Luft des Schiffes gierig ein. Sie roch nicht so klamm und modrig wie die Luft im Anzuginnern. »Hier bin ich«, sagte er und setzte sich auf ein aus der Wand herausgeklapptes Brett. »Kannst du mir erklären, wie man ein Geschütz bedient?« Brytthan gab einen langgezogenen Triller von sich, hob sich in die Höhe und schaltete mit einem langen, dünnen Arm den Ton von zwei Bildschirmen ab. Nur noch die zucken den Bilder waren zu erkennen. »Auf keinen Fall. Wie kann ich diese Fra ge auffassen?«
13 Atlan hatte längst begriffen, wie sich ein fremdes Wesen in den Diensten der Spercoi den fühlen mußte. Wie er selbst spürte, de primierten die Umgebung und das stereoty pe Verhalten der männlichen und weiblichen Spercoiden erheblich. Er selbst war ziemlich belastbar und beherrscht, aber wenn das Ge müt von Brytthan ebenso farbig war wie ihr Aussehen, dann mußte Brytthan sehr leiden. »Man hat mich dem Waffenmeister Gac curt zugeteilt. Vielmehr hat er mich sich selbst zugeteilt«, antwortete Atlan. »Du hast versprochen, mir zu erzählen, wie du an Bord kamst!« »Man überfiel unseren Planeten. Die Gruppe, zu der ich gehöre, wurde gefangen genommen. Die Spercoiden wußten, was wir können. Wir sind schnelle und stolze Jäger.« »Deine Kameraden oder Gruppenangehö rigen – wo sind sie?« fragte der Arkonide. »Tot. Oder auf anderen Schiffen. Wir sind die Suchroboter und die Spürer. Wir finden jede Spur, wenn sie vorhanden ist. Sollte die BEHUTSAMKEIT auf dem Stützpunkt der Borgs landen, bin ich sicherlich in einem der ersten Landeboote oder bei der ersten Grup pe. Ich werde Laccied finden, wenn sie sich auf Trühlor befindet.« »Ich verstehe. Jetzt weiß ich, warum du dich als Spürer bezeichnest.« »Eigentlich heiße ich Brytthan Hundert siebenunddreißig. Aber der Zweitname hat wohl keine Bedeutung mehr.« Die oberste Fläche des würfelförmigen Körpers war nicht glatt wie die vier Seiten, sondern sah aus wie eine plastische Land karte. Dem Arkoniden fiel kein zutreffende rer Vergleich ein; selbst die Farben trugen zu diesem Eindruck noch bei. Es gab ange deutete Wasseradern, kreisrunde Seen und braune Gebirge. Sicherlich waren auch dies irgendwelche besonderen Sinnesorgane. »In der Umgebung von Spercos merkwür digen Untertanen verlieren sich die meisten Begriffe ihre Bedeutung«, erklärte Atlan bit ter. Brytthan 137 vollführte auf ihren Borsten füßen eine Art langsamen Tanz, dann fragte
14 sie zurück: »Glaubst du, daß alle Spercoiden so sind wie schlechte Maschinen?« »Ich glaube es. Ich bin ziemlich sicher, daß all das, was wir an ihnen vermissen, aus ihnen herausgesaugt und als Nährstoff für Blumen und Blüten verwendet wird. So oder ähnlich muß es sein.« Atlan berichtete über seine Beobachtun gen und seine Erinnerungen an die traumar tigen Vorgänge. Schweigend hörte Brytthan 137 zu. »Ich habe zwar nicht erlebt, was du erfah ren hast, aber ich bin derselben Ansicht«, er klärte sie. »Wie sind deine Pläne?« Atlan wußte, daß sie im Augenblick nicht gefährdet waren. Aber es gab noch eine Menge Informationen, die er zum Überleben brauchte. »Unauffällig bleiben«, entgegnete er. »Und auf alle Anstöße richtig reagieren. Ich will bis zu Sperco vorstoßen. Das ist mein Plan. Kennst du den Weg im Schiff zu den Geschützabteilungen?« »Selbstverständlich«, sagte sie und be schrieb ihn genau. Die meisten Strahlge schütze lagen oberhalb der Düsenöffnungen im »oberen« Teil des zusammengesteckt wirkenden Schiffes. »Danke. Weißt du, wie man weibliche und männliche Spercoiden unterscheiden kann? Du weißt aber sicher nicht, daß sie sterben müssen, wenn sie die Anzüge öff nen.« Der Spürer von Apharon überlegte eine Weile. Atlan betrachtete unausgesetzt den merkwürdigen, aber nicht im mindesten ab stoßenden Organismus. Die Farben und For men brachten tatsächlich eine fröhliche Note in die triste Kabine. »Ich weiß, daß es viele weibliche Spercoi den an Bord gibt. Das ist sicher«, lautete die Auskunft. »Ich verlasse mich hierbei auf mein Gefühl. Auch ich irre mich sehr oft. Nein. Ich kann dir keine besonderen Merk male nennen. Zu der zweiten Frage: Ich schloß daraus, daß ich, so lange ich unter den Spercoiden
Hans Kneifel lebe – und das ist inzwischen eine recht lan ge Zeit –, noch niemals gesehen habe, was in diesen Anzügen enthalten ist, daß so et was Ähnliches geschehen müsse. Ich habe allerdings noch nie den Tod eines Spercoi den miterlebt, der seinen Anzug öffnete.« Nach einigen Sekunden sagte Atlan: »Aber ich.« Er dachte an das verwüstete Labor und an einen Spercoiden, dessen Fehlen irgendwann bemerkt werden würde. Wenn es für die Spercoiden untereinander eine Erken nungsmöglichkeit gab, dann würde man se hen, daß er den Anzug des namenlosen Toten trug. Deine bisherigen Erfahrungen sprechen exakt dagegen, sagte der Logiksektor deut lich. »Wer bist du wirklich, Fremder? Wie ist dein Name?« Atlan hatte bisher bereits eine derart große Menge Vertrauen bewiesen, daß es für ihn auf diese Kleinigkeit nicht mehr ankam. Er nannte seinen Namen und umriß kurz den Weg, der ihn bis hierher in die BEHUT SAMKEIT geführt hatte. Allerdings ver schwieg er, daß er von Arkon kommend auf der Erde eine wichtige Stellung bekleidete, und daß er eines Tages eines der ältesten Wesen der Galaxis war. »Atlan von Atlantis«, sagte endlich der Spürer, »wenn du nicht so bist wie die Sper coiden, sondern mir und meinem Volk ähn lich, dann wirst du essen und trinken müs sen. Kann ich dir helfen?« Atlan lachte kurz; der Helm verzerrte das Geräusch bis zur Unerträglichkeit. »Dies wäre meine nächste Bitte gewe sen«, gestand er leicht verlegen. »Warte.« Im selben Augenblick durchzuckte Atlan eine geradezu schmerzliche Einsicht. Bisher hatte er sie vergessen oder verdrängt. Pthor raste nicht nur durch die Dimen sionen, legte nicht nur ungeheure Strecken zurück, sondern bewegte sich auch noch durch die Zeit. Die neue, dringende Frage lautete also, wo, in welcher Ebene und WANN sich Pthor wirklich befand!
Diener des Tyrannen Er versuchte, sich zu beruhigen und sah zu, wie Brytthan hantierte. Sie bewegte sich rasend schnell. Auf ihren Beinen glitt sie rauschend wie ein rechteckiger Tausendfüß ler, nur zwanzigmal schneller und behender, von der Matte herunter und auf eine niedri ge, breite Tür zu. Sie öffnete die Stahlplatte, Licht schaltete sich ein. Dann nahm sie aus einem Fach längliche Dinge, die wie Brot aus mehreren verschiedenfarbigen Schichten aussahen. Dazu Kugeln, aus denen finger lange Rohrstücke hervorragten. Mit jeweils zwei Kugeln, einer gelben und einer grünen, und zwei Rationen in den vier Armen kam sie zurück und gab Atlan eine Kugel und ei nes dieser Spercoiden-Sandwiches. »Hier. Ich denke, wir haben denselben Metabolismus. Wenigstens in den Grundzü gen. Es wird dich nicht umbringen.« »Danke.« Abermals verbrachte Atlan aus zwei Gründen Minuten voller Furcht und Nerven anspannung. Er war darauf gefaßt, daß ein Spercoide das Schott öffnete und herein schaute. Und er mußte damit rechnen, daß diese Nahrungsmittel für ihn so etwas wie Gift waren. Vorsichtig versuchte er einen Schluck aus der Saugkugel. Das Getränk war kühl, prickelte auf der Zunge und schmeckte wie eine delikate Mischung zwi schen Sekt, Kaffee und Rotwein. Der zweite Schluck und die ausbleibende schmerzhafte Reaktion seines Magens machten ihn muti ger. Er biß in das längliche Gebilde. Es schmeckte wie Brot mit Schinken und Käse, aber es war weich und zerging leicht auf der Zunge. Einige Minuten später streck te Atlan die Hände aus und sagte: »Bisher hat es mich nicht umgebracht. Bekomme ich auch noch eine zweite Rati on?« Noch immer stand der Helm vor ihm auf der Matte. So schnell wie möglich trank und verzehrte er den Rest und setzte den Helm wieder auf. Verschiebe die gedankliche Erörterung über Pthor. Stelle dich den nächstliegenden Fragen, empfahl der Logiksektor.
15 »Ich sehe, daß wir offensichtlich mehr Ähnlichkeit miteinander als mit Spercos Truppen haben«, sagte Brytthan. »Ich habe genügend Vorräte. Du kannst kommen, wann immer du Hunger hast.« »Viel Zeit dazu werden wir nicht mehr haben«, sagte der Arkonide unruhig. »Angeblich befinden sich die Schiffe bereits kurz vor dem Stützpunkt der Borgs.« »Ich werde daran denken, etwas für dich mitzunehmen, falls wir das Schiff verlas sen«, versicherte ihm Brytthan. »Ich freue mich, daß wir uns getroffen ha ben«, sagte Atlan wahrheitsgetreu. Er dachte an Galeerensträflinge, die man nebeneinan der an ein Ruder geschmiedet hatte. »Mir geht es nicht anders.« Brytthan erzählte ihm, wie ihr kleiner Stamm gelebt hatte. Apharon war eine karge Welt, die keine Großtiere hervorbrachte. Die Evolution zwang die intelligentesten Wesen dazu, komplizierte Überlegungen anzustel len und eine Menge von Sensoren zu ent wickeln, um die Beute schneller zu finden und vor allem, um die Spuren von Nah rungstieren und Raubtieren zu unterschei den. Im Lauf von Jahrtausenden und Jahr zehntausenden waren daraus die würfelför migen Späher geworden, die einen Großteil ihrer Möglichkeiten zum Überleben und zum Entwickeln einer hochmodernen Jäger kultur benutzen mußten. Und dann, in einer Nacht, als alle drei Monde am Himmel standen, landeten die Spercoiden. Sie entführten und untersuchten einige Exemplare der Wesen von Apharon. Als sie feststellten, daß sie brauchbare Spu rensucher und – finder waren, kamen sie in bestimmten Abständen wieder und holten sich, was sie brauchten. Dem vorläufig letzten Überfall – jeden falls nach ihrer Kenntnis – fiel Brytthan 137 zum Opfer. Ihr Stamm wurde sozusagen de zimiert. »Hast du jemals Sperco selbst gesehen?« fragte Atlan am Schluß ihrer Schilderung. »Nein. Aber vermutlich ist er ebenso ge sichtslos wie seine Kreaturen.«
16
Hans Kneifel
»Weißt du, wo ich ihn suchen muß?« »Auch darauf kann ich dir keine Antwort geben. Ich weiß es nicht. Du bist nur ein ein zelner Fremder.« »Richtig«, gab der Arkonide zu. »Und wie willst du inmitten einer unüber sehbaren großen Menge Spercoiden es schaffen, bis zum Tyrannen selbst vorzu dringen?« »Wenn ich überlebe, fällt mir dazu immer wieder etwas Neues ein. Not und Bedräng nis machen sehr erfinderisch«, erklärte At lan. »Das mag sein. Aber viele Spercoiden sind der Tod des Fremden«, schränkte Brytt han ein. »Auch wahr. Vielleicht habe ich ein we nig Glück.« »Ich wünsche es dir.« Nach einer Weile verabschiedete sich der Arkonide, befestigte den Helm und zog sich in seine Kammer zurück. Er fühlte sich in diesem Schiff auf merkwürdige Weise ein geschlossen und von jedem realen Gesche hen ausgesperrt. Verglichen mit dem Schiff der Spercoiden war Pthor geradezu eine pa radiesische Welt. Und außerdem warteten Thalia und Razamon auf ihn. Und was geschieht, wenn Pthor weiter fliegt? Ohne dich? fragte kurz vor dem Ein schlafen sein Logiksektor. Atlan wußte kei ne Antwort. Die Lage war ziemlich hoff nungslos.
* Ein ungeheurer Lärm riß ihn aus dem Schlaf. Die Wände seiner winzigen Kabine schie nen zu schwingen wie eine Glocke. Von al len Seiten drang das heulende Kreischen ei ner Sirene an seine Ohren. Vibrationen schüttelten den schweren Anzug. Durch die Sichtscheibe schossen blendende Lichtblit ze. Er fuhr hoch und schloß mit zitternden Fingern den Spalt zwischen Helm und An zug. Dann flammte der Bildschirm auf. Dröhnende Gongschläge schienen das ge-
samte Schiff zu erschüttern. Das Lärmen riß ganz plötzlich ab. Aus den Lautsprechern kam die knarrende und autoritäre Stimme des Kommandanten Dacoon. »Hier spricht die Zentrale. Alarm wird für den Flottenverband gegeben. Wir stehen kurz vor der Begegnung mit den Schiffen der Borgs. Alle Besatzungen haben sich so fort an ihre Plätze zu begeben, alle Geschüt ze sind zu bemannen!« Atlan riß das Schott auf und sah Spercoi den in großer Menge an sich vorbeirennen. Er wußte, in welche Richtung er sich zu be wegen hatte. Der Kommandant sprach wei ter. »Es ist sicher, daß die Borgs uns mit kon zentriertem Widerstand entgegenkommen. Ihre Schiffe sind, wie wir wissen, gefährlich, ebenso ihre Strahlgeschütze. Aber sie kämp fen gegen Sperco, und somit ist ihr Unter gang eine beschlossene Sache. Wir kämpfen für Sperco. Wir werden sie vernichten und dann ihre Stützpunkte auf Trühlor untersu chen. Die Flotte zieht sich zur Kampfposition auseinander. In kurzer Zeit werden die er sten Schüsse abgegeben. Wir werden sie gen.« Atlan lief hinter einer Gruppe von schät zungsweise zwei Dutzend Spercoiden auf die nächstgelegene Geschützkammer zu. Je näher er dem Außenbereich des Schiffes kam, desto weniger Raumfahrer und Krieger sah er. Sie wußten genau, wohin sie gehör ten. Er wußte es nicht so genau und blieb stehen, als er vor sich einige offene Metall schotte sah und dahinter Geräte, die Strah lengeschütze, Zielgeräte oder etwas ganz an deres sein konnten. Er wandte sich an einen Spercoiden, der an ihm vorbeirannte. »Wo ist Gaccurt?« Der Spercoide deutete nach links auf einen Raumfahrer, der sich über einen Bild schirm beugte oder ein ähnlich aussehendes Schirmgerät. »Dort ist der Waffenmeister.« Atlan ging schnell auf Gaccurt zu. Der
Diener des Tyrannen Waffenmeister sah ebenso aus wie jeder an dere Spercoide. Atlan erkannte nicht den ge ringsten Unterschied, und überdies verzerrte das verengende Sichtfeld des transparenten Maskenteils die Bilder. »Hier bin ich. Weise mir meine Arbeit zu«, sagte Atlan voller Kühnheit. Er gedach te, durch das genaue Nachahmen seiner Ne benmänner bestimmte Handlungen durchzu führen. Überdies besaßen sämtliche Waffen dieser Art, die er in seinem Leben schon kennengelernt hatte, annähernd dieselbe Technik. »Projektor sechs«, sagte Gaccurt und wies auf ein unbesetztes Gerät an der äußersten Flanke dieses Raumes. Hinter ihnen schoben sich jetzt die schweren Verschlußplatten in die Lager. Innerhalb des Raumes herrschte ein bronzefarbenes Dämmerlicht. Die ein zelnen Bildschirme und verwirrend viele, runde, eckige und spiralige Skalen zeichne ten sich durch das hellgrüne Leuchten scharf und deutlich ab. Atlan ging etwas langsamer an der Reihe der schweigend arbeitenden Spercoiden vor bei. Die Raumfahrer saßen in einfachen, aber großen Sesseln. Er merkte sich, wo die Finger ihrer Anzüge lagen. Als er sich vor seinem zugewiesenen Gerät setzte, flammte direkt vor ihm ein gekrümmter Bildschirm auf. Er war stark konkav, und auf ihm sah Atlan Sterne und die Formen der Schiffe. Sie waren durch einen optischen Trick so deutlich sichtbar gemacht, als wären sie von allen Seiten angeleuchtet. Er konnte zehn Spercoidenschiffe ausma chen, die sich zu einer langen, gekrümmten Linie auseinanderzogen. Aus der Richtung einer fernen Sonne näherten sich eine Masse würfelförmiger Schiffe. Die Sonne war mehr als hundert Astronomische Einheiten ent fernt und schien das Zentralfeuer des BorgSystems zu sein oder auch nur die Sonne des Planeten Trühlor. Die Menge der gegneri schen Schiffe erschien unübersehbar groß. Atlan vertiefte sich in das großartige, aber gefährliche Bild. Vor den Schiffen und der grandiosen Ku
17 lisse der fremden Sterne befanden sich iri sierende Linien auf dem Schirm. Sie beweg ten sich und tauchten in die Tiefe des Bildes, verschoben sich gegeneinander und kamen wieder auf Atlans Augen zu. Die zahlenmäßige Übermacht liegt bei den Verteidigern, stellte der Logiksektor fest. Während die Abstände der Spercoiden schiffe wuchsen und die Geschwindigkeit abnahm, veränderte sich auch der Aufbau der gegnerischen Flotte. Atlan konnte erken nen, daß die Schiffe der Borgs plump aussa hen. Sie wirkten wie Kastenelemente ver schiedener Größe. Also war auch ihre Feuer kraft höchst unterschiedlich, folgerte er. Sie bildeten mehrere verschiedene Pulks, die ihrerseits aus Schiffen verschiedener Größe bestanden. Offensichtlich waren die Entfernungen noch zu groß. Nicht ein einzi ger Schuß war bisher gefallen. »Die Trennwände sind geschlossen. Die Schutzschirme werden eingeschaltet«, dröhnte eine Stimme durch den langge streckten, dunklen Raum. »Wir gehen in An griffsposition.« Die Entfernungen zwischen den zwei Flotten verringerten sich schnell. Atlan er kannte, wie sich rund um das nächste Schiff der Spercoiden ein transparenter Schutz schirm aufbaute. Auf die Wirkung des eige nen Bildschirms schien es keinerlei Wirkung zu haben. Ein einzelnes, kleines Schiff der Borgs beschleunigte und raste zwischen zwei sich formierenden Verbänden hervor. Das Ziel war eindeutig eines der Spercoi denschiffe. Ununterbrochen zuckten lange Lichtstrahlen aus winzigen Kanzeln zwi schen Bug und Heck des plumpen Würfels. Atlan riß seinen Blick kurz von dem Bild der beginnenden Raumschlacht und versuch te, Einzelheiten der Bedienung des Zielge räts zu erkennen. Er sah Hebel, Schieberegler und eine ver wirrend große Anzahl von Schaltern. Er fing damit an, einige Schalter zu kippen. Sie wa ren für die relativ plumpen Handschuhe die ses verdammten Anzugs gemacht worden.
18 Wieder blickte er auf den Bildschirm. Aus einem Spercoidenschiff zuckte ein langer, feuerroter Strahl und mündete im Bug des kleinen Schiffes. Es gab eine lautlo se, grelle Explosion. Eine winzige Sonne dehnte sich aus und raste mit der Energie und Geschwindigkeit des getroffenen Schif fes weiter. Abermals hatte sich die Distanz verkleinert, die feindlichen Schiffe wurden deutlicher. Die Vernichtung des Borgschif fes war wie ein Signal gewesen. »Angriff! Feuer frei. Verständigung über die Ziele erfolgt über die jeweils verantwort lichen Waffenmeister!« lautete die nächste Durchsage. Der Arkonide vermochte nicht einmal gesteigerte Erregung in der Stimme festzustellen. Probeweise bewegte er ein Handrad und sah verblüfft, wie sich die Schärfe des Bildschirms zu verändern be gann. Neben ihm drückte ein Spercoide auf einen wuchtigen Schalter. Atlan sah, wie aus einem bestimmten Winkel unterhalb des Bildschirms ein Strahl ins All hinausschoß. Er war hervorragend gezielt und traf eines der größeren Schiffe der Borgs, mitten in dem Verband, der sich der BEHUTSAMKEIT entgegenstellte. Bündel von Blitzen zuckten von der Auf schlagstelle nach allen Seiten. »Zielt und feuert!« schrie Gaccurt von links. Ein schwerer Ruck ging durch die gewal tige Masse der BEHUTSAMKEIT. Das Schiff wurde schneller und änderte die Rich tung. Zwei lange, glühende Strahlen fuhren aus anderen Geschützen und wurden auf dem Bildschirm sichtbar. Inzwischen hatte sich der Verband der Borgs abermals näher geschoben. Die kastanienartigen Schiffe bil deten eine Art Scheibe vor der BEHUT SAMKEIT. Auch sie begannen jetzt zu feu ern. Das Weltall füllte sich mit leuchtenden Erscheinungen in sämtlichen Farben des Spektrums. Bis auf das Summen der Geräte, die hallenden Kommandos und das Brum men der schweren Maschinen tobte die Raumschlacht in völliger Lautlosigkeit.
Hans Kneifel »Schneller! Ihr müßt mehr und schneller schießen!« rief der Waffenmeister. Atlan riß seinen Blick von dem Panorama der Zerstörung los und versuchte jetzt ernst haft, sein Gerät zu bedienen. Die Wahrheit war, daß er nicht die geringste Ahnung hat te. Er drückte Schalter, zog an Hebeln und drückte immer wieder auf den Auslöser, aber er sah und merkte keinerlei Verände rungen. Ziellos fuhren seine Finger über das Schaltpult, aber immerhin schaffte er es, den Eindruck zu ermitteln, er sei beschäftigt. Das kann nicht lange gut gehen! rief war nend der Logiksektor. Die Trühlorflotte driftete heran. Hunderte von Strahlen zuckten und rasten blitzschnell kreuz und quer durch den Raum. Wo sie auftraten, flammte Zerstörung. Der Schutz schirm der BEHUTSAMKEIT hielt stand, aber immer wieder fluteten gewaltige Far berscheinungen grell entlang der Feldlinien. Wieder barst ein Schiff der Borgs ausein ander und verstreute wirbelnd glühende Trümmerstücke ins Weltall. Die Feuerleitzentrale, in der sich Atlan befand, arbeitete auf Hochtouren. Ununter brochen schwenkten verborgene Projektoren herum. An beiden Seiten, oberhalb und un terhalb des Ausschnitts, den der Arkonide auf seinem Bildschirm erkennen konnte, zuckten die Strahlen aus der Schiffswand und bohrten sich lautlos in die gegnerischen Schiffe. Die Borgs antworteten mit einem wahren Hagel aus vielfarbigen Strahlen, de ren Balken dünner oder dicker war. Zwi schen den heranrasenden Schiffen, die alle ihren Kurs änderten und unaufhörlich von einer Seite auf die andere rollten, abtauchten und auswichen, gab es immer wieder kleine Sonnen. Jede von ihnen kennzeichnete ein detoniertes feindliches Schiff. Atlan probier te, von der allgemeinen Aufregung ange steckt, sämtliche Hebel und Schalter aus. Aufgeregt blinkten verschiedenfarbige Lich ter. Farbflächen huschten über die Skalen. Atlan blickte von einem Instrument zum an deren und versuchte, dieses verdammte Ge rät dazu zu bewegen, einen Schuß abzuge
Diener des Tyrannen ben. »Verdammt«, sagte er deutlich. »Das Ge rät ist ausgefallen. Es funktioniert nicht so, wie es arbeiten sollte.« Niemand beachtete ihn. Wieder lösten sich zwei Schiffe der Borgs in Trümmer und weißglühenden Gaswolken auf. Ein harter Schlag erschütterte das Schiff, das sich lang sam auf der Geraden des Fluges um die Po lachse drehte. Ein langanhaltendes Klirren ging durch sämtliche Räume und war auch hier in der Feuerleitstelle zu hören. »Wir sind getroffen worden!« sagte laut einer der Spercoiden. Ein Bündel von einan der ablösenden Projektorstrahlen fuhr aus den Geschützen dieser Batterie. Atlan roch im feuchten Dunkel des Anzugs weder das Schmoren von Kabeln, noch hörte er etwas anderes als die gewohnten Geräusche seit der letzten halben Stunde. Die BEHUTSAMKEIT flog ein gewagtes Ausweichmanöver, das sie aus dem Zentrum der dezimierten Flotte von Trühlor brachte. Nach wie vor feuerte jedes einzelne intakte Geschütz an Bord sämtlicher Raumschiffe. Die Geräusche nahmen zu und gingen in ein brodelndes Donnern über. Zwei kleine Kastenschiffe kollidierten, nachdem sie aus der Bahn geworfen wurden. Sie schleppten lange Rauchwolken und Fun kenregen hinter sich her wie seltsame Feuer werkskörper. Zwei Strahlen wurden aus den Projekto ren des Spercoidenschiffes geschleudert und ließen die Wracks aufglühen und detonieren. Atlan drehte sich halb herum. Vielleicht hatte Gaccurt ihn beobachtet und gemerkt, daß er das Geschütz nicht be dienen konnte. Aber jetzt, mitten in der Auf regung des gefährlichen Gefechtes, sah ihn der Waffenmeister nicht einmal mehr an. Er hatte genug mit seiner eigenen Feuerleitstel le zu tun. Der Kampf näherte sich dem Hö hepunkt. Die anderen Schiffe der Spercoiden waren hinter einem dichten Vorhang aus Wracks, Trümmerstücken, brennenden Gaseruptio nen und den sich kreuzenden Balken der
19 Projektorengeschütze verborgen. So weit Atlan sehen konnte, hatte sich die BEHUTSAMKEIT durch den Pulk der Ver teidigerflotte gebohrt und befand sich, offen sichtlich unbeschädigt, auf dem Anflug in Richtung Sonne oder des Planeten Trühlor. Die Lichtblitze und die feurigen Strahlen der vielen Geschützprojektoren, die zuerst in Flugrichtung und dann rechtwinklig zur Po lachse gefeuert hatten, vereinigten sich jetzt und zielten nach achtern. Unablässig feuer ten die Geschütze und trafen die kleineren Schiffe der Borgs. »Hier spricht der Kommandant. Wir sind durchgebrochen und haben, wie die Or tungsabteilung feststellte, einen großen Teil der Gegner vernichtet oder kampfunfähig gemacht. Wir werden versuchen, uns durch die Linien des Gegners zu bewegen und den Planeten anzufliegen.« »Feuert! Sie dürfen uns nicht verfolgen!« schrie der Waffenmeister. Abermals fing der Arkonide an, die verschiedenen Schalter zu drücken. Zu seiner Verblüffung leuchtete nach etwa zwei Minuten der Hauptschalter auf. Atlan suchte mit der Bewegungsauto matik der Netzlinien über dem Bildschirm ein Ziel und fand, ziemlich weit entfernt und im Kampf mit einem anderen Spercoiden raumer, ein Ziel. Es war ein riesiges, plum pes Gebilde in mehrfacher Kastenform. Atlan drückte den Hauptschalter. In der Mitte »seines« Bildschirms, am un teren Rand, schlug ein Blitz aus einem un sichtbaren Projektor und traf das Ziel. Ein Teil des gegnerischen Schiffes flammte auf und verglühte. Trümmerstücke drehten sich langsam durch das All. Eine Gaswolke brei tete sich aus, in deren Innern es zuckte und wetterleuchtete. Getroffen! Der Zufall hat dir geholfen, Arkonide! rief triumphierend der Extrasinn. Als Atlan den Kopf hob oder vielmehr den Oberkörper des schweren Anzugs be wegte, sah er am Rand des Blickfeldes, daß ihn Gaccurt anstarrte. Nicht anders war die Bewegung des Waffenmeisters zu deuten. Als sich der Spercoide wieder bewegte, traf
20 abermals ein harter Schlag das Schiff. Eine wahnwitzige Hoffnung kam in Atlan hoch. Vielleicht hatte ein Kampfstrahl der Borgschiffe zufällig das verwüstete Labor getroffen. Dann waren wieder einige Proble me gelöst worden. Aber … soviel Glück hat te er erfahrungsgemäß nicht. Atlan grinste innerlich. Mit diesem Treffer hatte er seine Unfähig keit, sich der spercoidischen Technik richtig zu bedienen, hervorragend getarnt. Er ver suchte, die Handgriffe von eben in derselben Reihenfolge zu wiederholen und ließ sich Zeit dabei. Mit heulenden Maschinen, deren starke Vibrationen den riesigen Schiffskör per erschütterten, raste die BEHUTSAM KEIT davon und entfernte sich mit jeder Se kunde mehr und mehr von dem Ort der Schlacht. Die Chancen, daß sie unversehrt auf Trühlor landen konnten, wuchsen mit denselben Zeitabständen. Die BEHUTSAMKEIT schickte denjeni gen Schiffen des Gegners, die noch übrig waren und sich im Kielwasser der Trieb werksemissionen sammelten, aus den Heck geschützen einen Feuerhagel nach. Die Pro jektoren an Bug und in den Mittschiffs-Kan zeln versuchten, den anderen Schiffen der Spercoiden zu helfen, so gut es ging. Dann war das Schiff, in dem sich Atlan versteckte, außer Gefahr. Der Kommandant meldete sich wieder. »Wir fliegen Trühlor an. Es ist der ermit telte Stützpunkt der verbrecherischen Borgs. Bis zur Landung bleiben sämtliche Feuer leitstellen besetzt, anschließend sammeln sich die Landekommandos. Wir sind dem Planeten am nächsten von allen anderen Schiffen – die Taktik der Strafaktion schreibt uns die Landung sozusagen vor. Wir werden auch gegen den erbitterten Wi derstand der Borgs im Stützpunkt kämpfen müssen.« Wieder führte das Schiff eine Kursände rung durch und beschleunigte einige Minu ten lang. Die Sonne, deren Namen Atlan nicht kannte, schob sich in den Erfassungsbereich
Hans Kneifel seiner Zieloptik und wuchs in atemberau bendem Tempo. Die Bildschirme zeigten aber den Planeten nicht. Schließlich, nach etwa einer Stunde, in der sich keine einzige Kampfhandlung mehr abspielte, schaltete die Ortungsabteilung ihre Bilder auf die Bildschirme in allen Räumen des Schiffes. Trühlor tauchte auf. Die Kugel des unbekannten Planeten war grau, blau und weiß, durchsetzt von hell braunen Schlieren und Schleiern. Auf dem Bild war sie von rechts angestrahlt. Vergrö ßerungen erschienen und zeigten auf dem Gebiet einer halbgebirgigen Landschaft mehrere ringförmige Anlagen, in deren Mit te kuppelförmige Gebäude zu erkennen wa ren, ebenfalls von einer gelben Sonne hart ausgeleuchtet. Du solltest versuchen, einem Landekom mando anzugehören. Es bringt dich mit Brytthan 137 zusammen und vermittelt mehr und aktuelle Informationen, sagte drängend der Extrasinn. Das war die Frage, sagte sich Atlan. Er konnte die Auswahl, die jemand treffen wür de, kaum beeinflussen. Und ob er außerhalb des Schiffes nicht viel gefährdeter war als hier im Innern – auch das war fragwürdig. Er beschloß, das einzige zu tun, was er in zwischen hier einigermaßen gut beherrschte: sich unauffällig zu verhalten und abzuwar ten.
4. Die Spercoiden warteten mit der un menschlichen Ruhe von abgeschalteten Ro botern. Ob es Disziplin war oder der Aus druck ihrer absoluten Gefühllosigkeit – kei ner von ihnen sprach ein einziges Wort der Erleichterung oder Zufriedenheit. Wieder einmal wurde Atlan gezwungen, sich zu be herrschen. Ein einziges unbedachtes Wort konnte tödlich sein. Er lehnte sich gegen die harte Lehne und schwieg ebenfalls. Seine Augen lagen auf dem Bildschirm, der jetzt noch immer den näherkommenden Planeten zeigte.
Diener des Tyrannen Außerdem glaubte Atlan noch etwas deut lich zu spüren: Der Anzug veränderte sein Denken. Je länger er in ihm steckte, desto seltener wa ren Gedanken und Empfindungen, die er als moralisch oder ethisch einstufen konnte. Er beschäftigte sich in seinen Überlegungen nur noch mit der Wirksamkeit seiner Ver kleidung und seinen Überlebenschancen. Andere Lebewesen interessierten ihn nicht. Die Erinnerungen an seine Freunde auf Pthor und auf Terra wurden schwächer und tauchten nur hin und wieder vor seinem in neren Auge auf. Es wurde Zeit, daß er den Anzug verließ oder wenigstens öffnete. Zwar war der Anzug für ihn inzwischen ein halbes Wunder: Er spürte weder Durst noch Hunger, noch hatte er andere Stoffwechsel probleme. Aber eindeutig stand fest, daß der Anzug oder irgend etwas in ihm Atlans Empfindsamkeit fühlbar herabsetzte. Die Kugel des Planeten dehnte sich aus und überflutete die Ränder des Bildschirms. Die Wolkenstrukturen wurden deutlicher. Eine Sauerstoffwelt? Atlan wußte nichts über die Borgs. Die Wolken wurden dichter, und zwischen ihnen erkannte er die Forma tionen der Landschaft. Das Bergland, in dem mächtige Lichtblitze sich auf Wasserflächen brachen, wurde deutlicher. Die Stellungen der Borgs waren hervorragend getarnt: Mit den einfachen optischen Geräten waren sie nicht zu entdecken. Die BEHUTSAMKEIT tauchte in die Atmosphäre von Trühlor ein und raste schließlich parallel zur Planeteno berfläche dahin, wurde mehrmals stark ab gebremst und flog, den Bildern nach zu ur teilen, eine starke Kurve. »Die Landekommandos sollen zusam mengestellt werden. Befehl an die Beiboot mannschaften: Macht die Maschinen und die Hangars klar!« Die Stimme das Kommandanten verhall te. »Brooc!« Atlan stand auf. Der Waffenmeister hatte ihn angesprochen. »Ich höre, Waffenmeister?«
21 »Ich führe das Geschütz des Beiboots. Du hast Gelegenheit, dich zu bewähren. Du kommst mit mir.« »Ich komme mit dir, Gaccurt!« bestätigte der Arkonide. Das Schott öffnete sich, als die BEHUTSAMKEIT die Kurve beendete, mit der Bodenplatte nach unten deutete und die stumpfe Spitze in die treibenden Wolken hob. Dann setzte sie zur Senkrechtlandung an. Regungslos wartete Atlan neben dem of fenen Schott. Das Schiff setzte schwer auf. Atlan warf einen langen Blick auf die verschiedenen Bildschirme, aber er konnte die Stützpunkt bauten der Borgs nicht sehen. Das Schiff schien nicht beschossen zu werden; es hatte sich für die Landung einen strategisch her vorragenden Platz ausgesucht. Die BEHUTSAMKEIT stand auf einer Savanne. Sandiger Boden war von kleinen, struppigen Büschen und Bäumen bedeckt. Hinter dem Schiff, das rund fünfhundert Meter hoch war, erhoben sich scharfzackige Berggipfel. Sie waren nicht kleiner als fünf zehnhundert Meter und beschrieben einen fast vollkommenen Dreiviertelkreis. Das Schiff war von drei Seiten gegen Sicht ge schützt, und selbst wenn es beschossen oder angegriffen wurde, boten die Berggipfel ei nigen Schutz. Auf der anderen Seite, genau in der Rich tung, in der die Stützpunktbauten der Borgs lagen, sprangen die Felsmassen zurück und gaben einen breiten Einschnitt frei. Dort hin aus setzte sich die Savanne fort. Über Schiff und Gebirge wölbte sich ein dunkelblauer Himmel mit weißgelben Wol ken, die blaue, scharfe Ränder hatten. Das Licht der Sonne rief, in weiter Entfer nung, schimmernde Reflexe auf den Kuppel bauten hervor. Die Geräusche der Maschinen des Schif fes wurden leiser, die Vibrationen ließen nach. Der Waffenmeister hob die Hand und winkte Atlan heran. »Du kommst mit. Schnell.« Er verließ den Raum. Schweigend folgte Atlan. Sie liefen durch ein System von Ring
22 korridoren, die sich entlang der inneren Schiffswandung erstreckten. Einige andere Spercoiden schlossen sich ihnen an. Endlich sah Atlan vor sich den Eingang zu einer Hangarschleuse. Der Raum dahinter war hell ausgeleuchtet, viele Spercoiden versammel ten sich um ein riesiges Beiboot. Atlan hatte es fast erwartet. Brytthan 137 kam, von vier Spercoiden begleitet, aus einem Nebenkorridor. Der far bensprühende Würfel raschelte auf seinen dunklen Borsten heran und bog in geschmei digen Bewegungen in die Schleusenkammer des verhältnismäßig riesigen Hangars ein. Atlan blieb, während der Waffenmeister in den großen, hallenartigen Raum hinein ging, jenseits der Schleuse im Innenraum stehen. Schätzungsweise fünfundsechzig Spercoiden befanden sich innerhalb des Hangars. Es ist klar! Das Beiboot und vermutlich andere Boote werden den Stützpunkt über fallen, sagte der Logiksektor. Das allerdings hatte Atlan bereits gedacht. Er betrachtete die Vorgänge um ihn herum mit leidenschaftslosem Interesse. Ein Sper coide verteilte aus einem riesigen Schrank verschiedene Waffen. Er gab ganz einfach jedem, der an ihm vorbeikam, einen anderen Typ einer langläufigen, karabinerähnlichen Waffe. Die Spercoiden verschwanden im Beiboot. Das Raumboot war, mit den natur bedingten Unterschieden, eine kleinere Aus gabe der BEHUTSAMKEIT. »Hier kommt Brytthan, der Spürer. Sie soll in die Kommandokapsel gebracht wer den«, rief eine anonyme Stimme. Brytthan ließ nicht erkennen, ob sie hinter einem der maskenhaften Schutzanzüge den Fremden erkannte. Sie bewegte sich mit der verschwimmenden Schnelligkeit der vielen Füße durch den Hangar, glitt die Rampe auf wärts und verschwand im Beiboot. Atlan war einer der letzten in der Reihe der war tenden Raumfahrer und erhielt ebenfalls ei ne bizarr aussehende Waffe. Da sie, wie er blitzschnell feststellte, nur wenige bewegli che Teile besaß, würde er sie unschwer an-
Hans Kneifel wenden können. »Schneller an Bord. Der Einsatz steht un mittelbar bevor!« Früher, sagte sich Atlan, vor nur unwe sentlich kurz zurückliegender Zeit, hatte er solche Kommandos gegeben, und zwar in einem weitaus liebenswürdigeren Tonfall. Er reihte sich in die Schlange derjenigen Spercoiden ein, die dem Spürer von Apha ron folgten. Seit der Landung waren keine fünf Minuten vergangen, als er das Beiboot über die Rampe betrat und sich, wie die an deren, in einem schmucklosen Raum an ei nem harten Sessel festschnallte. Mehrere Bildschirme und winzige Sicht öffnungen zeigten, daß sich das Portal des Hangars öffnete. Mit donnernden Maschinen schwebte das Beiboot in die Höhe, bewegte sich langsam vorwärts und schoß dann mit einem langen Satz aus der Öffnung. Helles Tageslicht kam auf dem Umweg über die Bildschirme und flutete durch den Raum. Auf der Kopfseite führten mehrere Trep pen und schräge Flächen zu der Kanzel hin auf. Dort saßen ein halbes Dutzend Spercoi den vor den Kontrollen. Die zerklüfteten Felswände rasten undeutlich auf den Bild schirmen vorbei, das Beiboot nahm schnell Fahrt auf und flog in geringer Höhe auf das Ziel los. Zwei andere Beiboote konnte der Arkoni de auf den Bildschirmen ausmachen. Also nahmen rund zweihundert »Mann« an dieser Strafexpedition gegen die Borgs teil. Atlan wußte allerdings nicht, ob diese beiden Boote die einzigen waren. Außerdem glaubte er mit Sicherheit zu wissen, daß die Borgs sich keineswegs ohne Gegenwehr er geben würden – aus dem Stützpunkt würde in Kürze ebenso wütendes Feuer den Kom mandos entgegenschlagen wie vor wenigen Stunden den zwölf Raumschiffen des Tyran nen. Mit dröhnenden und jaulenden Triebwer ken rasten die Boote los. Der Arkonide, setzte er terranische Maßstäbe ein, würde sa gen, sie flogen nach Süden, denn die Sonne
Diener des Tyrannen stand rechts von ihnen. Nach kurzer Zeit meldete sich der Pilot oder Kommandant des Beiboots. »Wir haben ab jetzt mit Beschuß der ver dammten Borgs zu rechnen. Es besteht die Möglichkeit, daß wir in eine großangelegte Falle hineinfliegen. Aus diesem Grund wer den sich jeweils drei Kämpfer zu einer Gruppe vereinigen und vordringen. Unser Ziel ist es, den Tod eines der Unse ren zu rächen und, falls Laccied noch lebt, sie zu finden und zurückzubringen. Die Anführer der Gruppen verfügen über Kommunikationsgeräte und werden Erfolg oder Mißerfolg melden. Hier ist das stark vergrößerte Bild der Station, die das Ziel un seres Bootes ist.« Es war wirklich nicht mehr als eine Un terweisung für Maschinen, sagte sich der Arkonide. Nur Informationen wurden wei tergegeben, nicht einmal eine hohle Phrase oder Parole im Hinblick auf den sicheren Sieg oder etwas Ähnliches kam über die Lautsprecher. Ein in jeder Hinsicht bemer kenswerter Tyrann mit ebensolchen Ge folgsleuten. Die Vergrößerungen des Zielgebiets er schienen auf den großen Bildschirmen des Beiboots. Inmitten der dunkelgrünen Hügel und der glitzernden Wasserläufe erhoben sich sehr gut getarnte ringförmige Anlagen. Wenn sie aus Stein bestanden, dann war es eine Art glänzendes Gestein. Hatte man sie aus Me tall erbaut, dann war die Oberfläche entspre chend bearbeitet worden, denn sie spiegelte nicht und paßte sich optisch der Umgebung an. In der Mitte von drei Ringen erhob sich eine Kuppel, die ebenso aussah wie alle Kuppelbauten der Galaxis; eine Kugelkalot te, etwa ein drittel einer Kugel, die aus der ebenen Fläche hervorsah und schwach im Licht der Sonne schimmerte. »Die Landung steht unmittelbar bevor. Bisher wurde keinerlei Gegenwehr festge stellt«, erklärte die Stimme des Piloten. Interessante Momente stehen euch allen bevor, bemerkte der Logiksektor düster.
23 Im Weltraum draußen schien noch immer die Raumschlacht zu toben. Es war denkbar, daß die Überzahl der Borg-Raumschiffe den Spercoiden einige Verluste zugefügt hatte. Aber bis hierher drang vom Verlauf des Kampfes nichts durch. Atlan saß in seinem harten Sessel und blickte die Bilder an, über legte und wartete. »Wir landen. Bereitmachen zur Gruppen bildung und zum Angreifen.« Tatsächlich hatte niemand aus dem Stütz punkt der Borgs bisher angegriffen oder zu rückgeschossen. Das Beiboot verzögerte mit brüllenden Düsen, beschrieb hundert Meter vor dem flachen Stück Land eine kurze Auf wärtsbewegung und landete. Die schmale, kreisringartige Ebene erstreckte sich vor den glatten Außenmauern des äußeren Ringes. Dahinter drohte unbeweglich eine Kuppel. Das Boot setzte federleicht auf, das Dröh nen der Maschinen ließ nach. Einer der Spercoiden in der ersten Reihe stand auf und rief: »Brooc! Wir begleiten den Spürer!« »Verstanden. Wir begleiten den Spürer«, gab Atlan ruhig zurück. Schotte öffneten sich. Rampen schoben sich dem Boden entgegen. Das Bordge schütz gab drei Feuerstöße ab, die an der Kante zwischen Boden und Mauer auftrafen und gewaltige Lücken in die Außenfront des Ringes rissen. Schwarzer Rauch breitete sich aus und zog schwerfällig nach oben. Atlan folgte Gaccurt, der dem nächsten Ausgang entgegenlief, die schwere Waffe quer vor der Brust in beiden Armen. Hinter ihm glitt rasselnd Brytthan 137 die Schräge herunter und blieb stehen, als sie die Stelle erreichte, an der das Metall des Bootes sie nicht mehr schützte. Mit einer Handbewegung deutete Gac curt, stehenzubleiben. Atlan hielt sich dicht hinter ihm und bewegte probeweise die drei Griffe und Schrauben der Waffe. Brytthan schien sich zu orientieren. Zweifellos wußte sie, worauf sie zu ach ten und wen sie zu finden hatte. Hinter den drei ungleichen Wesen schwärmten die
24 Dreiergruppen der blauen Spercoiden aus und rannten schnell auf die Stelle zu, an der das Schiffsgeschütz einige Haufen von gla sierten und rauchenden Trümmern hinterlas sen hatte. Plötzlich rief Brytthan: »Die Wahrscheinlichkeit, daß die Sper coidenfrau Laccied nicht sehr weit gefan gengehalten wird, ist groß.« »Woher kannst du das erkennen?« fragte der Waffenmeister. »Ich spüre sie.« Atlan beobachtete seine neueste Verbün dete. Ihre Sinnesorgane waren in reger Be wegung. Dünne Antennen, die wie die Füh ler seltsamer Rieseninsekten aussahen, be wegten sich und schnellten vor und zurück und in verschiedene Richtungen. Die großen, augenähnlichen Organe blinkten förmlich in heller Aufregung. Fächerartige Sensoren schaukelten hin und her wie Blü tenblätter. Die Oberfläche des farbigen Wür fels veränderte sich unaufhörlich; es entstan den in schneller Folge neue Landschaften und änderten ihre Farben und Strukturen. »Geradeaus. Dorthin. Haltet euch hinter mir!« sagte der Späher. Der Würfel schien zu schweben. Die vie len Beine verliehen ihm einen gespensti schen Anblick; Brytthan schien förmlich zu schweben und rannte sehr schnell auf den Durchbruch zu. Atlan und Gaccurt folgten schweigend und bemühten sich, das Tempo zu halten. Atlan registrierte überrascht, daß der schwere Anzug tatsächlich keinerlei Be lästigung darstellte. Unter ihren Füßen war Gras oder Moos; fingerdicke Gewächse oder Halme, rund und dunkelgrün. Sie bildeten einen weichen Tep pich. Schnell liefen die drei Mitglieder der Gruppe auf den rauchenden Haufen von Trümmern zu. Atlan sah, daß es Steine wa ren, die jeweils an einer Seite eine Metall schicht trugen. Gaccurt wich nach links aus und feuerte aus seiner Waffe mehrere Schüs se ab, die einen weiteren Teil aus der Wand heraussprengten. »Bemerkenswert!« rief er. »Die Anlage
Hans Kneifel scheint verlassen zu sein. Warne uns vor Fallen, Spürer!« »Mit Sicherheit. Aber ich spüre keinerlei Fallen. Ein Loch ist ein Loch. Ungefähr lich«, gab Brytthan zurück. Sie erreichten die Öffnung und sprangen in einen dunklen Raum hinein. Es war tat sächlich nichts darinnen. Nur ein ebener Bo den und mehrere kastenförmige Dinge in der staub- und raucherfüllten Fläche – das war alles. Brytthan schob sich wie ein Gleiter vor ihnen auf eine undeutlich zu sehende Öffnung zu und hielt an, als sie den Rahmen erreichte. Sie rief: »Hier ist niemand. Über und unter uns ist niemand, auch nicht rechts und links.« Hinter sich hörten sie das peitschende Dröhnen anderer Schüsse. Die Kanoniere des Beiboots versuchten, anderen Gruppen Öffnungen zum Eindringen zu schaffen. Gaccurts Gruppe hastete weiter. Sie kamen an riesigen Maschinen vorbei. Sie sprangen über dicke Kabel oder flexible Röhren, die auf dem staubigen Boden lagen. Treppen, Rampen, Öffnungen, kleinere und größere Säle, Kammern und viele Türen in einer gespenstischen Prozession an ihnen vorbei. »Wo sind wir?« fragte Gaccurt. Er drehte den Körper nach rechts und links und suchte einen Gegner. Aber niemand stellte sich ih nen entgegen. Nicht einmal Roboter! Gib acht! rief war nend der Logiksektor. Dies war ein neuer Gesichtspunkt. Bisher hatte sich Atlan, gefangengenommen von seinen persönlichen Problemen, mit diesem Gedanken nicht beschäftigt. Aber es war durchaus ein logischer Einwand. Vorausge setzt, alle Borgs hatten sich in die Schiffe geflüchtet und versuchten, die Flotte der Spercoiden zu vernichten und zu fliehen – ihre Roboter oder zumindest viele davon – falls sie solche besaßen, würden sie dazu be nutzen, die Invasoren anzugreifen. Atlan beschloß, sich in den Augen seines Waffenmeisters zu qualifizieren. Er hob den Arm und rief:
Diener des Tyrannen »Spürer!« Augenblicklich drehte sich Brytthan auf der Stelle und hielt an. »Ich höre.« »Es mag denkbar sein, daß die Borgs Ma schinen oder technische Sklaven zurückge lassen haben. Kannst du diese Dinge auch aufspüren?« »Selbstverständlich. Ich erkenne jede Art von mechanischer Aktivität – und vieles an dere.« »Ich bin sicher, daß die Borgs auf teufli sche Gedanken gekommen sind. Vielleicht wollen sie uns in Sicherheit wiegen. Das würde bedeuten, daß wir angegriffen wer den, wenn wir es am wenigsten erwarten. Deine Meinung, Waffenmeister Gaccurt?« »Sie korrespondiert mit deiner Meinung, Brooc! Hast du etwas gesehen?« »Nein«, sagte Atlan, vom Erfolg seines Einwands einigermaßen überrascht, »aber ich habe daran gedacht.« »Das wird dir eine Belobigung vom Kom mandanten einbringen. Wir brauchen Kämp fer wie dich, Brooc.« »Ich habe nur ausgesprochen, was mir in den Sinn kam«, sagte Atlan in geheuchelter Bescheidenheit. »Trotzdem und gerade des wegen sollten wir bereit sein, eine Überra schung zu erleben.« »Ich bin bereit, Spürer?« »Ich bin ebenfalls bereit«, sagte Brytthan laut. »Aber wir sollten diesen ersten Ring schnell hinter uns bringen.« »Niemand hindert uns daran. Vorwärts!« rief Gaccurt. Er deutete nach vorn und sagte scharf: »Weiter! Vielleicht sind wir es, die Lac cied finden.« »Noch habe ich keine deutliche Spur von ihr«, erklärte der Spürer. Er drehte sich wie der herum und rannte weiter, wobei immer wieder der Eindruck entstand, der Würfel schwebe waagerecht durch die Luft. Die vie len Beine wirbelten eine fahle Staubwolke auf, als sie durch die halbe Dämmerung der verlassenen Räume geradeaus rannten.
25
* Kurze Zeit später sahen sie stärkere Hel ligkeit vor sich. Gleichzeitig kamen die Be wegungen aller drei Wesen zum Stillstand. Sie näherten sich mit größter Wahrschein lichkeit dem inneren Abschluß des äußersten Ringes, denn vor ihnen verstärkte sich die Helligkeit, die durch Staub und Rauch hin durchstrahlte. »Ich spüre jetzt Bewegungen«, erklärte Brytthan. »Welcher Art?« wollte der Waffenmeister wissen. »Undeutlich. Indifferent. Zuerst einmal: Es ist mechanisch. Und dann glaube ich hin ter einer Bewegung eine schwache Spur von Intelligenz zu erkennen. Etwas nähert sich uns. Gehen wir weiter, aber dennoch ist Vorsicht zu empfehlen.« Makaber! sagte der Logiksektor. Atlan als gesichtsloser Söldner eines unbekannten Ty rannen! Atlan grinste in der feuchten Dunkelheit seines Schutzanzugs. Er wünschte sich zu rück in die FESTUNG von Pthor und in die schlanken Arme von Thalia. Aber er ahnte, daß er erst die ersten Schritte eines gewalti gen Kreises durch Zeit und Raum zurückge legt hatte. Vielleicht stand Thalia am Ende, vielleicht nicht. Er setzte sich wieder in Be wegung und folgte dem Waffenmeister und dem farbigen Würfel. Minuten später befanden sie sich auf einer Art Terrasse im hellen Sonnenlicht. Und vor sich sahen sie die Gefahr, von der Brytthan 137 gesprochen hatte.
* Zwischen zwei Hügeln kam ein dunkel blau schimmerndes Gerät hervor. Es war mindestens fünfzig Meter hoch und sah aus wie ein gewaltiges Rad, an dessen Nabe an beiden Seiten wulstige, gepanzerte Kapseln hingen. Die Lauffläche bestand aus schwar zen, federnden Platten von erheblicher Grö
26 ße. Rasselnd und dröhnend kam das Rad nä her. »Ein robotischer Mechanismus. Aber un glaublich kompliziert«, erklärte der Spürer. »Die Steuerzentrale sitzt rechts im Zentrum der Kuppel und in der Nabe.« »Dorthin werden wir unser Feuer konzen trieren müssen. Vorwärts, Brooc!« rief der Waffenmeister. »Ich sehe einen Vorteil durch eine Verän derung des Vorgehens«, schränkte Atlan ein und fragte sich, ob der Widerspruch den an deren reizen würde. »Wie?« »Warten wir, bis das Rad uns angreift. Wir sind verloren, außerdem verlieren wir den unersetzlichen Spürer, denn die Ver nichtungskraft des Rades ist gewaltiger als die unserer Waffen.« »Das mag richtig sein. Warten wir also«, entschied Gaccurt. Das Rad kam ratternd heran und be schrieb eine leichte Zickzacklinie. Nicht nur an den Kanzeln, sondern auch innerhalb der Scheibe des Laufrades waren Waffenläufe und Projektoren deutlich zu erkennen. Hun derte kleiner Zieleinrichtungen drehten sich nach allen Seiten und suchten den freien Raum zwischen dem äußersten und inneren Verteidigungsring ab. Bis jetzt hatte sich noch nicht ein einziger Borg gezeigt. Das Rad schwenkte nach rechts und riß eine gewaltige Furche in den Boden. Stein brocken und Pflanzenteile flogen durch die Luft; zwischen den Laufplatten fielen schwere, nasse Erdbrocken heraus. Ein Schuß löste sich aus einem Kanzelge schütz und traf vor den Spercoiden und dem Spürer in die Terrasse. »Wir sind entdeckt worden!« schrie Gac curt und rannte nach rechts in Deckung. At lan bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung, und der Spürer rauschte zwischen ihnen hindurch rückwärts in den Schutz des Ringbauwerks. Die Seiten des Rades bestanden aus ein zelnen Elementen verschiedener Größe. In jedem Element befand sich eine Waffe.
Hans Kneifel Wippende Antennen streckten sich aus, wur den eingezogen und drehten sich. Das Rad schien sich orientieren zu müssen, denn es drehte sich hin und her und rollte schließlich knirschend und mit unheilvollem Summen auf die Stelle zu, an der das Pflaster zerfetzt war. Wieder hämmerten mehrere Schüsse rings um dieselbe Stelle und verwandelten den Boden in ein Trümmerfeld. Atlan lag im Schutz einer massigen Stein mauer, schob den Lauf seiner Waffe um die Kante und zielte. Er wartete, bis sich das Rad wieder in einer günstigen Position be fand. Dann drückte er auf den Auslöser. Aufheulend brach ein unterarmstarker Feu erstrahl aus dem Lauf und zerfetzte die brei ten Spalten zwischen den Radsegmenten. Atlan rollte zur Seite, rannte gebückt an eine andere Stelle und blieb hinter einem kleinen Ludo liegen. Zwei Sekunden, nachdem er seinen Platz verlassen hatte, hämmerte ein Feuerwerk von verschiedenfarbenen und verschieden dicken Strahlen an die betreffende Stelle. Felsen und Steine barsten knallend. Das Dröhnen und Heulen der Strahlen mischte sich in das Brausen, mit dem die freigewor denen Gasmassen loderten. Wieder schoß der Arkonide und zerfetzte einen großen Teil des metallenen Kanzel werks der Nabe. Lange Blitze zuckten zwi schen den Projektoren aus dem schwarzen Qualm hervor und schlugen in den Boden ein. Jetzt nahm Gaccurt von der anderen Sei te aus das robotische Rad unter Feuer. An drei Stellen kam grauer Rauch zwischen den Panzerplatten hervor. Als Atlan abermals abdrückte, bemerkte er, daß die Kanoniere des Beiboots schossen. Sie zielten über den Rand des Ringes hinweg und zerfetzten das Rad mit sechs schweren Schüssen. Brennend und mit heulenden Maschinen rollte das Rad nach links zurück und ver schwand, eine riesige Wolke hinter sich her schleppend und weißglühende Trümmer nach allen Seiten schleudernd, in der Ferne. Eine Detonation hinter einem kleinen Hügel zeigte den Angreifern, daß diese Gefahr be
Diener des Tyrannen seitigt war. Atlan stand auf und hob seine schwere Waffe. »Die Gefahr ist vorbei!« schrie er. Hinter ihm kam der Spürer herangerauscht. Auch Gaccurt kam aus seinem Versteck und deu tete in die Richtung der fernen Kuppel. »Dringen wir weiter vor! Die Borgs sind zurückgewichen und schicken ihre Maschi nen, um mit uns zu kämpfen!« Wieder führte Brytthan an. Sie umgingen die zerstörten Teile und kamen über trüm merbedeckte Rampen hinunter in die grüne, von dem Roboterrad zerwühlte Ebene. Auch an anderen Stellen drangen jetzt Spercoiden durch den äußersten Ringbau. Mit Brytthan als Führung pirschten Atlan und Gaccurt schweigend und schnell durch schulterhohes Gebüsch und scharfe Grashalme. »Hast du Spuren von Laccied?« erkundig te sich Gaccurt und hielt seine schwere Waf fe wachsam hoch. Unaufhörlich drehte er seinen Körper, um die Gegend zu beobach ten. Sie folgten dem breiten niedergewalzten Band knisternder Pflanzen, die Brytthan hin terlassen hatte. Atlan bildete den Abschluß der kleinen Gruppe. Der Spürer rief zurück: »Eine schwache Spur. Sie weist in die Nä he des Zentrums.« Es ging etwa eine halbe Stunde fast gera deaus. Der Spürer von Apharon hatte tat sächlich ein hervorragendes Geschick, den besten Teil des Geländes zu finden. Der Pfad war ausgesprochen bequem, obwohl dicht daneben Felsstücke, modernde Bäume und ausgebleichte Holzstücke lagen. Die beiden Berghänge lagen jetzt neben ihnen. In dem sanften Spalt – die Erhebun gen waren lediglich einige Dutzend Meter hoch – tauchte die Barriere des zweiten Rin ges auf. Der Spürer blieb stehen und drehte sich auf der Stelle um hundertachtzig Grad. »Ich habe bisher keinen einzigen Borg spüren können. Vielleicht sind sie alle ge flüchtet.« Gaccurt fragte grob: »Kannst du sie auch spüren, wenn sie sich verstecken?«
27 »Auch dann. Ich verwende alle meine Fä higkeiten, um Spuren zu finden. Keine Borgs. Vielleicht an anderen Stellen des Pla neten – aber nicht in der Nähe.« »Ganz sicher?« Atlan hörte den Dialog mit steigender Verwunderung. Aus welchem Grund war der Spercoide, der Brytthan immerhin schon länger kannte, derart mißtrauisch und unsi cher? »Ich bin absolut sicher.« An anderen Stellen der freien Zone zwi schen Hügeln, Wasserläufen und den beiden Ringwällen bewegten sich Sträucher und Gräser. Dort waren andere Kommandos, die sich auf das Zentrum vorarbeiteten. Nach Atlans Schätzung waren es sechzig oder mehr kleine Gruppen. Er wunderte sich dar über, daß dieser Angriff durch das rollende Fort bisher der einzige gewesen war – die Borgs verhielten sich nicht so, wie er es nach seinen Erfahrungen gedacht hatte. Warte die nächsten Minuten ab. Vielleicht ändert sich das Vorgehen der Borgs noch sehr drastisch, sagte der Logiksektor. Es war durchaus möglich, daß die Borgs ihre Niederlage vorausgesehen und sich ab gesetzt hatten. In diesem Fall würde zwar der Stützpunkt verlassen sein, aber jeder Ro bot würde bis zur Zerstörung gegen die In vasoren kämpfen. Besaßen die Borgs viele Robots? Bisher war Gaccurt jedenfalls nicht miß trauisch geworden. Er war derjenige Sper coide, mit dem Atlan in seiner Maske am längsten Kontakt gehabt hatte. Ein Beiboot näherte sich von Süden her und jagte dicht über die Ringwälle dahin. Es landete mit erheblichem Lärm zwischen den beiden Ringen. Brytthan, Gaccurt und Atlan liefen jetzt dem nächsten Wall entgegen. Nach hundert Schritten erfolgte der näch ste Überfall. Wieder setzten die Borgs Ro boter ein. Es waren schildkrötengroße Kon struktionen, die sich durch das hohe Ge strüpp bewegten, als könnten sie schweben. Vor Brytthan tauchte ein scheibenförmiges, schwarzes Gerät auf.
28 »Achtung! Sie umzingeln uns!« schrie der Spürer. Auch Brytthan schien sich auf unbekannte Weise bewaffnet zu haben. Das Wesen von Apharon feuerte aus zwei kleinen Waffen bereits über eine weite Distanz. Ein Schuß setzte das Gestrüpp in Brand, der andere ließ eine Maschine zerbersten. Atlan blieb stehen und suchte hinter sich nach Gräsern, die sich bewegten. Er war sich klar darüber, daß sie einen Flächenbrand entfachen konnten, aber als er fünfzig Meter seitlich Bewegungen sah, zielte er tiefer und feuerte. Auch Gac curt schoß. Wieder detonierte eine kleine Maschine. »Vorwärts! Wir verbrennen sonst!« schrie der Spürer. Sie setzten sich wieder in Bewegung. Auch an anderen Stellen des Kreisrings wur de jetzt wieder gekämpft. Aber keiner aus dieser Gruppe kümmerte sich um die ande ren. Überall dort, wo es zwischen den Zwei gen und Halmen schnelle Bewegungen gab, fuhren dröhnend die Feuerstrahlen aus den Waffen der Spercoiden hinein. Zwei schwar ze Scheiben mit blitzenden Antennen und scherenförmigen Projektoren rasten in eine Flammenwand hinein, verloren die Orientie rung und krachten in voller Fahrt gegenein ander. Eine harte Doppelexplosion entwur zelte einen großen Busch und schleuderte ihn meterhoch in die Luft. Atlan zielte hierhin und dorthin, drehte sich, rannte vorwärts und feuerte wieder. Er traf mit der schweren Waffe ziemlich häu fig, und nach einigen Minuten schienen sie den Schwarm der metallenen Schildkröten passiert zu haben. Die Warnung des Spürers war früh genug erfolgt. Vor ihnen tauchte, unmittelbar angren zend an den schrägen Wall des zweitinneren Ringes, eine Sandfläche auf. Brytthan hob, als ihre vielen Beine den Sand erreicht hat ten, einen schlanken Arm mit der Waffe und rief: »Halt. Ich spüre Fallen unter dem Sand.« Donnernd raste eine Formation von drei Beibooten in entgegengesetzter Richtung
Hans Kneifel über die Anlage hinweg. Ein viertes Beiboot verlangsamte seinen Flug und begann, keine zweihundert Meter von Gaccurts Gruppe entfernt, systematisch den zweiten Kreisring in einer breiten Fläche zu beschießen. Un aufhörlich zuckten die Kampfstrahlen hinun ter und rissen die Steinblöcke, die Metall konstruktionen und den Boden auf. Gewalti ge Explosionen jagten riesige Fontänen aus Schutt in die Luft. Flammen prasselten, Rauch verdunkelte die Sonne. Als das Boot wieder weiterflog, verhallte der Lärm nur langsam. Gaccurt drehte sich herum und deutete auf Atlan. »Du bist geschickt im Kampf, Brooc.« »Ich versuche, mein Bestes für Sperco zu geben«, erwiderte der Arkonide unbetont. »Obwohl ich in der BEHUTSAMKEIT keinen Spercoiden kenne, der Brooc heißt«, erklärte der Waffenmeister. »Ich wurde auf dieses Schiff eingewiesen. Etwas anderes kann ich dir nicht sagen.« Atlan sah an Gaccurt vorbei auf den Spü rer. Aufgeregt spielten wieder sämtliche Sensoren. Die Situation wurde außerordent lich unbehaglich; jetzt war Gaccurts Miß trauen deutlich geworden. »Folgt mir. Ich habe den Weg durch den Sand gefunden«, rief Brytthan, und Atlan war ihr für die Unterbrechung mehr als dankbar. »Nach Abschluß der Kämpfe, an Bord der BEHUTSAMKEIT, werden wir deine Her kunft nachprüfen«, versicherte Gaccurt. »Niemand kennt einen Brooc. Ich habe mich erkundigt. Du bist auch nicht im Schiffsregi ster.« Atlan erwiderte zögernd: »Das kann nicht meine Schuld sein, Waf fenmeister. Ich habe nur getan, was mir be fohlen wurde.« »Wir werden es später sehen. Los, wei ter!« Wieder zeigte Brytthan 137 ihnen den be sten Weg. Die kleinen Füße wirbelten Sand auf, aber sie trampelten auch einen deutli chen, etwa einen Meter breiten Pfad in den lockeren Boden. Schweigend folgten die
Diener des Tyrannen zwei Männer in den Anzügen. Ab und zu deutete Brytthan mit der Waffe auf einen be stimmten Fleck im Sand, feuerte kurz dar auf, und dann detonierte etwas und über schüttete sie mit hartem Donner und mit peitschenden Sandkörnern. Der Boden war tatsächlich voller Fallen. Hin und wieder öffneten sich tiefe Trichter, die einen Mann mühelos verschlungen hätten. Der Pfad ver lief in einem wilden Zickzackmuster bis zum Rand der rauchenden Trümmer des Durchbruchs. Atlan schätzte, daß rund zwölf Beiboote inzwischen an verschiedenen Punkten dieser riesigen Anlage gelandet waren. Von allen Richtungen kämpften sich Spercoiden auf die Kuppel zu. Weit rechts erkannte Atlan einen Trupp, der in Todesverachtung über den Sand raste. Der erste Spercoide trat auf eine Mine und wurde auf der Stelle zerfetzt. Ein anderer, der sich an die Spitze setzte, stolperte und wurde nach weiteren zwanzig Schritten von einem Trichter verschlungen. Wieder peitschten Energieschüsse auf und säuberten das Gelände vor den Heranstür menden. Die Vibrationen der Schritte ließen an anderen Stellen unterirdische Löcher auf brechen und verborgene Minen detonieren. Der Spürer erreichte die ersten Trümmer stücke und suchte den besten Weg durch die zerstörten Fundamente des Walles. »Auch hier sind keine Borgs!« schrie Brytthan und walzte weiter über den heißen Schutt. »Wo ist Laccied?« brüllte der Waffenmei ster und sprang mit riesigen Sätzen über die schwelenden Brocken. Atlan trat einen Me tallfetzen zur Seite und drehte sich um, als sie zehn Meter tief in das Gewirr aus Trüm mern eingedrungen waren. Rechts und links gähnten dunkle, leere Räume. »Ich bin sicher, daß sie am Rand der Kup pel zu finden sein wird«, gab der Spürer zu rück. »Wir haben den Befehl, überlebende Borgs zu töten«, sagte Gaccurt und feuerte ziellos in die aufgebrochenen Kammern hin
29 ein. Das Feuer der Schüsse zeigte lediglich Kanten und Mauerwerk, technisches Gerät und Möbelstücke, aber keinerlei Bewegung. Der Beschuß hatte auch sämtliche Robotein richtungen dieses Abschnittes zerstört. »Es gibt keine Borgs. Warum glaubst du mir nicht?« antwortete Brytthan ungeduldig. »Ich glaube dir. Aber ich traue diesen Borgs alles zu. Ich bin sicher, daß noch viele von uns sterben werden, ehe wir die Mission abgeschlossen haben«, sagte der Waffen meister. »Das ist häufig der Fall bei Aktionen wie dieser!« Wieder nahmen sie zerstörte, halbzerstör te oder erhaltene Durchgänge, Bögen und Räumlichkeiten auf. Vorsichtig pirschten sie sich hindurch. Sie kletterten Treppen mit breiten und flachen Stufen hoch. Ab und zu blieb der Spürer stehen und warnte vor Ro boteinrichtungen. Dann feuerten Atlan und Gaccurt auf die bezeichneten Stellen und setzten die Geräte außer Gefecht. Sie brauchten etwa eine knappe Stunde, um sich durch diesen Teil der Station hin durchzukämpfen. In jedem Raum, den sie betraten, suchten sie nach Spuren von Borgs. Aber es gab tatsächlich keine Überlebenden. Auch vermochte es Atlan nicht, von dem aufgefundenen Mobiliar und den techni schen Einrichtungen auf das Aussehen die ser unsichtbaren Gegner zu schließen. »Dort vorn scheint ein Ausgang zu sein«, sagte Gaccurt, als sie am oberen Ende einer breiten Treppe standen. Sie führte offen sichtlich zu einem großen, glaserfüllten Aus gang in den innersten Bezirk der Station. »Es ist ein Ausgang!« pflichtete ihm Bryt than bei. »Aber ich spüre eine große Anzahl von Kampfmaschinen in diesem Teil der Anlage.« »Wo sind sie?« erkundigte sich Atlan und versuchte, durch das einengende Gesichts feld Einzelheiten zu erkennen. Die Treppe wurde dreimal von breiten Gängen unterbro chen, die sich zu beiden Seiten ins Gebäu deinnere fortsetzten. Es war ziemlich hell hier; aus großen Öffnungen in der Decke fiel
30 Sonnenlicht herein und ließ die unzähligen Staubteilchen tanzen. »Überall, sozusagen.« Atlan fragte vorsichtig: »Ob es klüger ist, hindurchzustürmen? Oder sollen wir warten, bis andere Gruppen zu uns gestoßen sind und unsere Feuerkraft verstärken?« Noch immer dachte er daran, daß die Spercoiden versuchen würden, in einigen Stunden seine Verkleidung aufzudecken. Dies bedeutete mit einiger Sicherheit seinen Tod. »Wir gehorchen Spercos Befehlen«, meinte der Waffenmeister laut. »Zögernde Zurückhaltung gehört nicht zu seinen Befeh len. Wir stürmen hindurch und werden die Roboter vernichten, wenn sie uns angrei fen.« Und angreifen werden sie mit Sicherheit, sagte lakonisch der Logiksektor. Atlan antwortete nichts. Gaccurt kontrollierte seine Waffe. Atlan folgte dem Beispiel und hoffte, daß das Ge rät ein möglichst großes Energiemagazin ha ben möge. Der Spürer bewegte sich un schlüssig hin und her; Brytthan schien unsi cher zu sein, aus welcher Richtung die grö ßere Gefahr drohte. Dann aber richtete sie sich nach dem Kommando des Waffenmeisters und raste förmlich die Treppe hinunter. Sie entwickel te eine verblüffende Geschwindigkeit. Atlan und Gaccurt folgten augenblicklich, und sie reagierten richtig. Atlan sah den ersten Quergang auftauchen und schoß ununterbro chen hinein. Brytthan und der Waffenmei ster nahmen die andere Seite unter Beschuß. Ein Inferno aus Feuer und Lärm breitete sich aus, die drei Wesen sprangen und rannten die Stufen abwärts und versuchten, durch schnelle Bewegungen den Robotern zu ent gehen. Die Maschinen waren nicht sehr gut pro grammiert. Sie kamen aus den dunklen Seitengängen hervor, aber sie kamen zu spät. Als sie die Trennlinien zwischen der Treppe und den
Hans Kneifel Korridoren erreichten, trafen sie die Feuer strahlen aus den schweren Waffen. Die Ma schinen schossen zurück, aber die Blitze und die Flammen schienen ihre Zieloptiken zu verwirren. Aus beiden Richtungen brach ei ne Wand aus Feuer aus den Korridoren, aber keiner der Schüsse traf einen der vorbeira senden Gruppe. Der Schwung trug sie bis zur nächsten Plattform, und dort wiederholte sich der Vorgang – womöglich durchbra chen sie noch schneller und geschickter die se gefährliche Zone. »Weiter! Sie sind unbeweglich und zu langsam!« donnerte die Stimme des Waffen meisters durch den nachlassenden Lärm. Hinter ihnen versperrte eine doppelte Wand aus Flammen und pechschwarzem Qualm die Sicht. Die Stimme war sehr laut, aber völlig emotionslos gewesen. Gaccurt schien sich nicht einmal darüber freuen zu können, daß er noch lebte. Noch etwa fünfzig Stufen trennten sie von den großen, milchigen Glastüren, die ins Freie führten. Wieder warfen sie sich vorwärts. Der Spürer war der schnellste der Gruppe. Brytthan bewegte sich in ihrem merkwürdi gen Gang blitzschnell die Stufen hinunter, feuerte gleichzeitig nach beiden Seiten und blieb stehen, als sie die Glastür erreichte. Gaccurt und Atlan versuchten, ihr Tempo abermals zu beschleunigen. Ein drittesmal entfaltete sich das Feuer von beiden Seiten. Atlan befand sich einige Sekunden lang zwi schen zahlreichen sich kreuzenden Feuer bahnen, die selbst durch das transparente Feld der Helmmaske blendeten. Unentwegt drückte er den Auslöser der Waffe und ba dete den Korridor mit der vernichtenden Glut. Der Waffenmeister kreuzte Atlans Weg, sprang hin und her und hatte fast die unter sten Stufen erreicht, als zwei Schüsse seinen Anzug trafen. Atlan wirbelte an ihm vorbei und nahm die Ereignisse aus den Augenwin keln flüchtig wahr. Die beiden stehenden Glutbalken verei
Diener des Tyrannen nigten sich unterhalb der Halsblende im Rücken des Waffenmeisters. Die Energie riß ein tiefes Loch in das schwere Material des Anzugs. Die Wucht der Treffer schleuderte den Waffenmeister vorwärts. Seine Füße be wegten sich koordiniert. Atlan und Brytthan vernichteten die Ro boter mit einigen schnellen, perfekt geziel ten Schüssen. Gaccurt stolperte, der Schwung trug sei nen Körper weiter, und er durchbrach mit ei nem grauenhaften Schrei die Glasflächen. Gleichzeitig sah der Arkonide, wie sich der Körper auflöste. Er verging im kalten, bläu lichen Feuer, das aus dem runden Loch im Rückenteil hervorschlug. Atlan sprang durch den Rahmen. Brytthan folgte ihm etwas langsamer und vorsichti ger. Neben dem Anzug blieb Atlan stehen. Die Ränder des Loches glühten und rauchten schwach. »Was ist geschehen?« fragte der Spürer. »Gaccurt, der Waffenmeister, ist tot. Sein Körper löste sich auf, als der Anzug geöffnet wurde«, Atlan deutete mit dem Projektor der Waffe auf die Öffnung. »Warum löste sich der Körper auf?« »Das weiß ich nicht. Es ist so. Offensicht lich muß ein Spercoide sterben, wenn der Anzug geöffnet wird. Bei mir ist dies nicht der Fall, denn ich bin Brooc oder Atlan, dein Freund, der deine Verpflegung gegessen hat.« Mehrere Augen des Spürers richteten sich auf den Arkoniden. »Du bist der Fremde? Dann hat uns ein unglaublicher Zufall zusammengeführt«, be merkte der andere Fremde. »Weniger ein Zufall. Der Waffenmeister wurde mißtrauisch. Im Schiff hätte sich mein Schicksal besiegelt. Gaccurt wollte mich prüfen.« Atlan verzichtete darauf, den Helm abzu nehmen und die unbekannte Luft des Plane ten einzuatmen. Es waren zuviele Spercoi den in der Nähe. »Ich verstehe jetzt, warum er solch seltsa me Fragen gestellt hat«, antwortete das
31 Würfelwesen von Apharon. »Die Fragen sind unbeantwortet geblie ben. Mich haben die borgischen Roboter ge rettet. Trotzdem werden wir so tun, als such ten wir nach Laccied.« Brytthan 137 deutete auf die Kuppel, die dicht vor ihnen aufragte. Kein anderer Sper coide war im Augenblick zu sehen. »Das wird nicht schwer sein. Ich spüre Laccied ziemlich nahe. Sie ist in einer be dauernswerten Lage.«
5. Einst war dieses Gelände voller Leben und Bewegung gewesen. Zwar hatten weder Brytthan noch Atlan eine Ahnung, wie die Borgs aussahen. Auch die Form der Robo ter, die sie kurz gesehen hatten, ließen kei nen Schluß zu: Es gab mindestens vier Ma schinentypen, die einander nicht im entfern testen glichen. Aber hier, auf dem etwa drei hundert Meter breiten Kreisring zwischen dem innersten Wall und der Kuppelwandung hatte man die Natur des Planeten manipu liert. Dicker, dunkelgrüner Rasen wechselten sich mit sandigen Wegen und schmalen Plat tenpfaden ab. Es standen mächtige Bäume hier, denen anzusehen war, daß sie gärtne risch betreut worden waren. Kleinere Bäume trugen noch die Stützelemente, die verhin derten, daß ein Sturm sie abbrach. Felsen oder Steine, die wie Bruchstücke antiker Säulen aussahen, lagen unregelmä ßig verteilt, sowohl im Gras als auch im Sand, im Schatten oder im Sonnenlicht. Ru hebänke für die Borgs? Viereckige Beleuch tungskörper befanden sich entlang der We ge. Atlan und der Spürer näherten sich lang sam der Kuppelwand. Hier herrschten Ruhe und eine gewisse Schönheit; der Kampf schien völlig vergessen zu sein. »Was auch immer die Borgs sein mögen, sie haben einen Sinn für Schönheit gehabt«, sagte Brytthan nach einer Weile. »Einen Sinn für Schönheit, Gefühl und Empfindungen, der unseren gesichtslosen
32 Freunden völlig fehlt. Wenigstens in jener Inkarnation, die wir erleben müssen«, fügte Atlan hinzu. »Das läßt den Schluß zu, daß sie nicht so verabscheuungswürdig sind, wie die Sper coiden es darstellen.« »So etwas dachte ich mir auch schon«, sagte Atlan. »Jedenfalls sind die Borgs Geg ner von Sperco, und das allein ist entschei dend.« »Du hast recht, Atlan.« Sie ließen sich Zeit und wanderten etwas entspannt unter den ausragenden Baumkro nen dahin. Atlan freute sich über die Unter brechung, die niemand sehen und kontrollie ren konnte. Es gab in diesem Teil des Stütz punkts noch keine Spercoiden. Jedenfalls sa hen und merkten sie nichts davon. Der Ex trasinn meldete sich: Auch der Umstand, daß die Borgs Lac cied entführt haben, wird unter diesen Vor aussetzungen eine andere Bedeutung erlan gen. Wieder mußte Atlan registrieren, daß ihn die erkennbare Ruhe und Schönheit dieser Zone schon nach kurzer Zeit nicht mehr be rührte und interessierte. Also wirkte der An zug doch im Sinn der Spercoiden und unter drückte Emotionen und moralisch-ethische Überlegungen. Immer wieder, wenn er an das Schicksal der Laccied dachte, schoben sich Gedanken an Kampf gegen die Borgs und an die Notwendigkeit, sie zu vernichten, in den Vordergrund. Wenn er noch lange in dieser Schutzhülle steckte, wurde er zum spercoidischen Roboter! Er mußte den Zu stand ändern, solange er es noch konnte. Aber wie? »Hast du schon eine deutlichere Spur von dieser unglücklichen Laccied?« fragte Atlan, als vor ihnen die Wand der Kuppel und eini ge kleine Eingänge auftauchten. Immer wie der schoben sich die großen Büsche und sorgfältig gestutzte Bäume ins Blickfeld. »Ja, wir werden die betreffenden Räume bald erreichen. Aber ich werde dich, wenn du den Weg allein finden kannst, verlassen.« »Wie das?« fragte Atlan und schaute sich
Hans Kneifel um. Noch waren keine anderen Spercoiden ihnen gefolgt. »In den anderen Beibooten sind mit Si cherheit andere Spürer von meinem Stamm. Es gibt keine bessere Möglichkeit, sie zu treffen.« »Ich verstehe«, meinte Atlan zustimmend. »Ich würde es nicht anders machen. Ich kann dich verstehen.« »Einverstanden, Fremder?« »Völlig, Fremde!« sagte er. Ein milder Wind schüttelte die runden Baumkronen. Welke Blätter segelten lautlos auf den Rasen und die seltsamen Steinfigu ren. Die Wand der Kuppel war aus einer halb durchscheinenden Art von Kunststoff, der hervorragend mit der Umgebung harmo nierte. Trotzdem hatten die Ortungsgeräte der BEHUTSAMKEIT nicht die geringsten Schwierigkeiten gehabt, die Station zu ent decken. Atlan sah sich unaufhörlich um, aber er entdeckte nicht die geringste Spur je ner Borgs. Kein Bild, keine Plastik, keine Toten oder Roboter, die aussahen, als wären sie optische Kopien ihrer Herren, waren bis her zu sehen gewesen. Zwischen einer Doppelreihe von kugel förmig gestutzten dunkelgrünen Büschen mit rosa Blüten näherten sich der Spürer und Atlan dem nächsten Eingang in die Kuppel. Es war ein einfacher, runder Einstieg, der von einem weit vorspringenden Röhren dachstück abgedeckt war. Die Tür versank lautlos im Boden; eine dicke, schwere Scheibe, die aussah, als sei sie aus massivem Glas. »Du gehst etwa vierzig Schritte gerade aus«, begann Brytthan und deutete mit ei nem waffenhaltenden Arm nach links, »dann muß dort ein breiter Gang sein, von dem mehrere Zimmer oder Untersuchungsräume abgehen. In einem der Labors ist Laccied bewegungsunfähig auf einem Untersu chungstisch festgeschnallt.« »Ich habe verstanden«, antwortete der Ar konide. »Und, falls ich befragt werden soll te? Was soll ich sagen? Warum haben wir uns getrennt?«
Diener des Tyrannen »Sage das, was wir eben besprochen ha ben. So viel Freiheit besitzen wir, ich und meine unglücklichen Kameraden. Die Sper coiden brauchen uns noch.« Atlan hob grüßend die Hand. »Alles Glück, Brytthan Hundertsiebenunddreißig!« rief er. »Dir dasselbe, Fremder!« Brytthan drehte sich herum und schwebte raschelnd den letzten Teil des Weges zurück und bog dann nach links ab, wo sie zwi schen Büschen, Gräsern und dunkelbraunen Baumstämmen verschwand. Der Arkonide blieb allein zurück. Er überquerte den Schlitz im Boden und sah sich einer Halle gegenüber, die eindeutig nur die Funktion einer Schutzkuppel hatte. Im Innern der Kuppel erhoben sich würfelförmige Gebäu de, die ebenfalls sehr viele durchsichtige Wände und Decken hatten. Atlan folgte der Anweisung von Brytthan und zählte vierzig Schritte ab. Er befand sich jetzt an einer Stelle, wo ein Würfel über zwei großen, fla chen Gebäuden eine Art Tor bildete. Rechts und links zweigten beleuchtete, niedrige Gänge ab. Atlan wandte sich nach links, stieg eine kurze Treppe hinauf und wunderte sich abermals über die präzise Vorausschil derung des Spürers. Tatsächlich stand er in einem Korridor, von dem an beiden Seiten eine Unzahl von Türen abzweigten. Unverständliche, leuch tende Ziffern oder Zeichen befanden sich auf den Türen, die breite Griffe hatten. Atlan öffnete die erste Tür und sah sich in dem Raum um. Er war, wie es schien, ein Labor, aber nichts bewegte sich darin. Alle Geräte waren ausgeschaltet, keine Spur von Lac cied. Nicht einmal der geschilderte Untersu chungstisch. Atlan verließ den Raum und öffnete die nächste Tür. Dasselbe Ergebnis, sagte er sich nach einigen Sekunden. Du kannst sicher sein, Laccied hier zu fin den, flüsterte der Logiksektor. »Falls sie noch lebt«, murmelte Atlan und fragte sich, ob es ihm diesmal gelingen wür de, die Unterschiede zwischen weiblichen
33 und männlichen Spercoiden festzustellen. Die zehnte Tür, die er in ständig steigender Unruhe aufriß, zeigte ihm einen hellen Raum voller lindgrüner und weißer Möbel. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger weißer Tisch. Dort war mit breiten Bändern ein Spercoide beziehungsweise der Anzug festgehalten. Licht glänzte auf den vielen Metallbuckeln. Als Atlan zögernd näher kam, hörte er von außen schwach das Echo von Energieschüssen. Also näherten sich an dere Spercoidenkommandos. Er schüttelte sich und ging schnell bis zum Tisch. Er blieb neben dem bewegungslos ausgestreck ten Anzug stehen. Schließlich fragte er: »Du bist Laccied, die von den Borgs ent führt wurde?« »Sperco ist die Macht«, war die leise, stockende Antwort. »Und die Spercotisier ten sind seine Diener.« Atlan holte Luft und entgegnete: »So ist es. Ich bin … Gaccurt. Wir sind hier, um dich zu befreien.« Nach einigen Sekunden sagte Laccied in derselben knarrenden und harten Stimme, wie er sie von allen Spercoiden her kannte: »Töte mich, Gaccurt.« Laccied lebte, unzweifelhaft. Die Borgs hatten also nicht versucht, den Anzug zu öff nen. Offensichtlich hatte ein winziger Zufall ihr Leben gerettet. Atlan suchte den Mecha nismus, der die elf breiten Metallbänder öff nete. »Mit Sicherheit töte ich dich nicht. Ein Dutzend Beiboote sind gelandet, um dich zu befreien«, sagte er. »Warum willst du nicht mehr leben?« Sie zeigt Gefühle! schrie der Extrasinn. Ihre Stimme klang nicht anders, aber schon der nächste Satz überzeugte Atlan, daß er es hier nicht mit einem »normalen« Spercoiden zu tun hatte. War es denkbar, daß sie ihre positiven Bewußtseinsinhalte nicht an eine Pflanze abgegeben hatte? »Ich will nicht mehr leben. Töte mich, bitte! Sofort! Ehe die anderen kommen.« Atlan entdeckte eine Anzahl Knöpfe und
34 probierte sie nacheinander aus. Die Tisch platte hob und senkte sich, stellte sich schräg und kippte wieder zurück. Schließlich ertön ten klickende Geräusche, und die breiten Fesseln zogen sich in die Platte zurück. »Warum soll ich dich töten?« fragte er. Der Stimme fehlten Bösartigkeit und Här te, die alle anderen Artgenossen auszeichne ten. »Ich bin vernichtet. Ich bin über die Ver fassung meines Ichs zu Tode entsetzt!« sagte sie. Atlan drückte den Knopf, der die Tisch platte dergestalt kippte, daß Laccied lang sam auf die Füße rutschte. »Hat sich deine Verfassung geändert?« fragte er und blieb vor ihr stehen. Sie war ei ne Handbreit kleiner als er. »Drastisch. Die Borgs haben mit mir ex perimentiert.« »Was taten sie?« fragte er neugierig. Ir gendein Geheimnis umgab diese Spercoi denfrau. Es war ihm trotz langer, intensiver Suche unmöglich, abgesehen von dem Grö ßenunterschied, eine Veränderung zu erken nen. Laccied konnte ebenso ein etwas klei nerer männliche Spercoide sein. »Sie manipulierten mich. Die erstrebens werten Ideale sind Funktionsbereitschaft, absoluter Gehorsam, Kälte und Schnellig keit. Ich beginne, seit ich hier bin und unter ihren Maschinen liege, daran zu zweifeln. Ich erinnere mich an bedeutungslose Dinge, an Sommerwind, an Freundschaft, an ande re, höchst unzweckmäßige Begriffe. Und, was noch entsetzlicher ist – die Begriffe fül len sich mit Bedeutungen. Ich schäme mich, aber ich mag diese Bedeutungen. Sie eröff nen ein reiches, breites Spektrum von Lust gefühlen. Aber das alles steht einem Sperco tisierten nicht an, und deshalb bin ich wert los. Bitte, töte mich. Öffne den Anzug.« »Ich werde verhindern, daß du deinen An zug öffnest«, sagte Atlan mit Nachdruck. »Ich sage dir ein Geheimnis, das keineswegs furchtbar ist: Ich bin wie du. Alles, worüber du sprichst, betrifft auch mich. Also werde ich weder mich noch dich töten, Laccied. Du
Hans Kneifel bist doch Laccied?« »Ja. So ist mein Name. Aber ich bin ver ändert worden.« Ihr Tonfall klang hoffnungslos. Sie war über ihre Verfassung entsetzt, weil ihr die Gebote Spercos suggerierten, daß nur Kälte und rohe Gefühllosigkeit wichtig waren. Atlan hatte sich schnell ent schlossen, den Namen Gaccurts zu verwen den – ein toter Brooc interessierte nieman den mehr. Der Arkonide versuchte, durch die Sichtplatte Laccieds etwas zu erkennen. Aber er blickte nur ins Dunkel. »Die Borgs sind Schuld daran«, fragte At lan, »daß du jetzt anders konditioniert bist? Ist das richtig?« »Ja. Und du? Du sagst, du bist so wie ich?« »Wir müssen verschweigen, was mit uns geschehen ist. Ich weiß, daß ich anders als die anderen Spercoiden bin. Wir beide sind einzigartig. Ich weiß nicht, wie ich zu der falschen Konditionierung gekommen bin. Aber wir werden uns nicht töten. Wir müs sen leben! Das Leben ist viel angenehmer, weil wir mehr wissen!« Wieder hörte er Lärm, Kommandos und einen wütenden Schußwechsel. Diesmal wa ren die eindringenden Spercoiden viel näher. »Die Roboter …«, begann Laccied zö gernd. Sie schien sich mit Atlans Argumen ten nicht anfreunden zu können. »Sie haben Geräte auf mich gerichtet. Ich merkte, wie sie mich untersuchten. Ihre Strahlen verän derten mich. Immer mehr Dinge, Begriffe und Ideen waren nach und nach in meinem Gehirn. Kannst du das verstehen, Gaccurt?« »Ich kann es verstehen, weil es mir eben so erging«, sagte Atlan drängend. »Wir sind auf eine bestimmte Art wertvoller gewor den.« »Sie werden uns ins Schiff zurückbrin gen!« rief Laccied. »Das ist ganz sicher. Gleich kommen die nächsten Kommandos in die Schutzkuppel«, erwiderte Atlan. Abermals hatte er sich der Gefahr ausgesetzt. Wenn Laccied dasselbe zu den anderen sagte, wie sie es ihm eröffnet
Diener des Tyrannen hatte, waren sie beide verloren. Sie ist noch immer unentschlossen! Rede auf sie ein, drängte der Logiksektor. »Und im Schiff wird man uns untersu chen. Man wird herausfinden, wie wir sind. Die Spercoiden erwarten förmlich, daß die Borgs mit mir experimentiert haben und mit dieser neuen Waffe die Macht Spercos zer setzen wollen.« »Unsinn!« sagte Atlan. »Sage ihnen, daß du einiges über die Borgs erfahren hast. Wie sehen sie eigentlich aus?« Nach einigem Zögern, das Atlans Unruhe steigerte, entgegnete Laccied klagend: »Ich weiß es nicht. Sie haben sich stets verborgen gehalten. Ich hörte nur dann und wann ihre Stimmen, aber ich habe kein Wort verstanden.« »Jedenfalls müssen wir verschweigen, was wir wirklich sind. Kein Wort zu den an deren, hörst du? Sonst bist du Schuld an meinem Tod.« Die Schüsse hörten auf. Aber jetzt war das Trappeln schwerer Füße und kurze Rufe so deutlich geworden, daß Atlan wußte: Jede Sekunde konnte die nächste Gruppe Sper coiden in dieses Labor eindringen. Er ver suchte es ein letztesmal. »Du schweigst, Laccied! Ich werde eben falls schweigen. Und im Schiff sehen wir weiter. Es gibt immer einen Ausweg.« »Gut«, sagte sie plötzlich. »Ich schweige. Aber du mußt mir helfen.« »Einverstanden.« Zuerst rauschte auf vielen Beinen Brytt han 137, der Spürer, herein. Dann folgten sechs Spercoiden, in den Händen die lang läufigen Waffen, aus deren Projektoren leichter Rauch aufstieg. Die Anzüge der Wesen waren schmutzbedeckt und von Rauch geschwärzt. »Brytthan?« fragte Atlan, denn es konnte sich um einen anderen Spürer von Apharon handeln. »Ich bin Brytthan. Ich sehe, du hast Lac cied gefunden.« Glücklicherweise, so registrierte der Ar konide, schwieg die Spercoidenfrau. Er hob
35 knapp die Hand und erklärte: »Ich habe sie eben von den Fesseln der Borgs befreit. Sie ist unversehrt.« »Ich habe die Gefangenschaft ohne Re gung ertragen. Die Spercotisierten sind Spercos Diener!« erwiderte die Frau wie ein Automat. Atlan entspannte sich ein wenig, blieb aber weiterhin wachsam. »Ich bin Gaccurt«, sagte er und deutete zum Ausgang. »Gehen wir zurück zu den Beibooten. Ihr seid aus der BEHUTSAM KEIT?« »Jawohl, Waffenmeister!« lautete die Antwort. »Brytthan führte uns hierher. Wir garantieren für eure Sicherheit.« »Gehen wir also.« »Sperco ist die Macht!« Nacheinander verließen sie das Labor. Wieder führte Brytthan an. Sie kamen an derselben Stelle aus der Kuppel heraus. Aber entlang der verschiedenen Wege und Pfade des inneren Kreisrings lagen viele rau chende und glühende Maschinenreste aller Größen. »Ich sehe, die Gegenwehr der Borgs ist niedergekämpft worden«, sagte Atlan und versuchte, ein kaltes Lob auszusprechen. »Es waren nur die Roboter dieser Aggres soren.« Sie schienen nicht nur verschiedene Grö ßen, sondern die abenteuerlichsten Formen gehabt zu haben. Überall hatten sich blin kende Scheren in den Boden gebohrt, lagen Projektoren rauchend da, hatten sich röhren förmige Gliedmaßen ineinander verkrallt. Bäume und Rasen trugen die Brandspuren schwerer Zerstörungen. In schnellen Schrit ten bewegte sich die Karawane der Spercoi den hinter dem Spürer durch den Park und drang in den zerstörten Durchlaß des Ringes ein. »Das Beiboot der BEHUTSAMKEIT wurde von mir verständigt. Es ist hier drau ßen gelandet«, sagte Brytthan schrill und wies mit dem Waffenlauf auf die lange, trümmerübersäte Treppe hinauf. »Es erspart uns eine große Menge Zeit«, antwortete der falsche Waffenmeister.
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Hans Kneifel
Als sie die Treppe hinaufstiegen, stießen aus den verschiedenen Korridoren und Gän gen andere Spercoiden zu ihnen. Sie waren nicht im mindesten neugierig, obwohl sie zu wissen schienen, daß Laccied unversehrt ge funden worden war. Das Beiboot stand dicht neben der Außen mauer des Ringwallgebäudes. Die Rampe war ausgefahren. Schnell und schweigend gingen einundfünfzig Spercoiden und der Spürer an Bord. Also hatte es rund zehn Ausfälle gegeben, überlegte der Arkonide. Der Pilot wartete nicht mehr, sondern gab mit einem unheimlichen brüllenden Gerät akustische Signale. Die Rampe wurde einge zogen, und bald darauf startete das Beiboot zurück in den Weltraum zu den wartenden Schiffen der Flotte. Genau in dem Moment, als Atlan, Brytt han und Laccied den Boden der Han garschleuse betraten, kam der Text einer Durchsage aus den Lautsprechern. »Kommandant Dacoon will Waffenmei ster Gaccurt und Laccied sofort in der Zen trale sprechen.« Atlan unterdrückte blitzschnell den Im puls, Laccied am Arm des Anzugs zu packen. Er erklärte kühl: »Worauf warten wir noch? Gehen wir in die Zentrale.« Obwohl er sich gut an den Weg durch das Schiff erinnerte, blieb er stets einen Schritt hinter der Frau. Man hatte ihm die schwere Waffe abgenommen, aber noch immer trug er die beiden kleineren Strahler des Spercoi den, gegen den er gekämpft und dessen An zug er geöffnet hatte.
6. Auch die Zentrale der BEHUTSAMKEIT war Ausdruck des spartanisch-kargen Stiles der Spercoiden. Sämtliche Instrumente und Bildschirme aller Art waren vorhanden, aber der Raum selbst wirkte kahl, ungemütlich und nicht einmal von der Schönheit techni scher Perfektion beeinflußt. Das Schiff be fand sich wieder in Fahrt; auf den Schirmen,
die Atlan sah, waren allerdings nur Sterne, die sich schnell verkleinernde Sonne und das winzige Pünktchen des Planeten zu erken nen. Ein breitschultriger, gedrungener Spercoi de kam auf sie zu, als sie einige Schritte in den Raum hinein gewagt hatten. »Laccied und Waffenmeister Gaccurt!« Es war eine Feststellung, keine Frage, al so erübrigte sich eine Antwort. Atlan blieb wartend stehen und fühlte neues Unheil auf sich zukommen. »Ich habe Laccied gefunden und befreit«, sagte er ausdruckslos. »Brytthan Hundertsie benunddreißg hat mich sozusagen direkt hingeführt. Wir hatten schwere Kämpfe zu bestehen. Brooc aus meiner Gruppe wurde getötet.« »Nicht zum erstenmal ist deine Tapferkeit aufgefallen, Waffenmeister«, wandte sich der Kommandant an ihn. »Sperco ist die Macht«, antwortete Atlan. »Und die Spercotisierten sind seine Diener.« »Das ist die Einstellung, die allgemein gilt«, bestätigte der Kommandant und deute te auf Laccied. »Deine Gefangenschaft war lange und muß qualvoll gewesen sein. Was weißt du über die verdammten Borgs, die wir ver nichten werden?« Atlan hielt den Atem an. Trotz der immer deutlicher werdenden Gefühlskälte, die er in sich spürte, griff die Angst nach ihm. Die nächsten Worte Laccieds würden alles ent scheiden … »Ich habe niemals einen Borg gesehen. Sie schickten ihre Roboter. Ich habe nur Stimmen gehört«, sagte Laccied wahrheits gemäß. »Der Anzug wurde nicht einmal hart angefaßt; keiner der Roboter versuchte je mals, ihn zu öffnen. Daraus entnehme ich, daß die Borgs bereits einiges über uns wis sen.« »Im Hauptstützpunkt wirst du alles be richten, Laccied. Die BEHUTSAMKEIT ist bereits in Fahrt und hat Marsocc zum Ziel. Der Waffenmeister wird dich begleiten und sein Wissen über die Roboter der Borgs zur
Diener des Tyrannen Verfügung stellen.« Wenn Laccied auf einem großen Stütz punkt der Spercoiden verhört und mit spezi ellen Verfahren untersucht werden würde, mußte ihr Anderssein schnell aufgedeckt werden. Er selbst war weniger gefährdet. Trotzdem erfüllte ihn die Mitteilung mit Är ger und Furcht. Aber er antwortete: »Selbstverständlich werde ich alles, was ich weiß, auf Marsocc weitergeben. Es ist allerdings nicht sehr viel. Wenn ich Zeit ge nug gehabt hätte, die Roboter lange anzuse hen, wäre ich getötet worden.« »Verständlich«, erklärte der Komman dant, »deswegen sprach ich vorurteilsfrei von deinem Mut und deiner Einsatzfreudig keit für Sperco. Wir werden euch nach Mar socc bringen, und das innerhalb kürzester Zeit.« Also war sein Identitätswechsel nicht auf gefallen. Die Spercoiden schienen sich des halb auf die bloße Behauptung, man habe diesen oder jenen Namen, zu verlassen. »Wir verstehen uns«, faßte der Komman dant zusammen. »Die BEHUTSAMKEIT wird Laccied und den Waffenmeister Gac curt nach Marsocc bringen. Auf dem Stütz punkt werdet ihr bereits erwartet. Sperco will so viel wie nur gerade möglich über die Borgs erfahren.« Atlan fragte: »Die BEHUTSAMKEIT durchbrach die Schlachtformation des Gegners. Haben wir, wie erwartet, auf der ganzen Linie gesiegt?« »Es gab leichte Verluste. Wir haben den Gegner drastisch in die Schranken gewiesen. Das Weltall ist voller ausgeglühter Wracks«, antwortete der Kommandant ohne hörbare Zufriedenheit. »Wie erwartet. Können wir gehen?« »Ja. Wir holen euch, wenn Marsocc in der Nähe ist und das Ausschleusmanöver unmit telbar bevorsteht.« Wortlos drehten sich Laccied und Atlan um und verließen die Zentrale. Laccied schi en genau zu wissen, welche Kabine sie be wohnte, und daß diese Kabine noch frei war. Atlan hatte seine Schwierigkeiten; inzwi
37 schen kannte er die Kabine Broocs, aber noch nicht die des Waffenmeisters. Er über legte sich, ob es ihm glückte, mit einem kal ten Bluff durchzukommen. Versuche es! riet der Extrasinn. Auf einer der Ebenen, in denen sich die Mannschaftskabinen befanden, schwang sich Laccied aus dem Liftschacht und rief: »Ich bin Nummer sechsundfünfzig auf der elften Ebene.« »Ich werde dich besuchen«, gab Atlan zu rück und verließ den Schacht auf der drei zehnten Ebene. Er spürte, als er durch die Korridore ging und einen Spercoide zu tref fen hoffte, wieder die starken Vibrationen des Schiffes. Vermutlich glitt die BEHUT SAMKEIT in den Hyperraum. Schließlich, nach langer Suche, fragte er einen Raumfah rer nach der Kabine des Waffenmeisters. »Deck zehn. Kabine Vier!« lautete die Auskunft. Lautlos fluchend machte sich Atlan wie der auf den Weg und fand tatsächlich die an gegebene Kabine leer. Er schloß das Schott, zog den Helm herunter und streckte sich, ob wohl er dank der Wirkung des Anzugs auch keine Müdigkeit spürte, auf der Liege aus. Er fühlte, daß der mentale Druck des An zugs nachließ, sobald er den Helm abge nommen hatte. Keiner von ihnen hatte viele Chancen, den Verhören auf Marsocc lange standzuhal ten. Die Verhöre würden hart und qualvoll sein. Würde er, Atlan, jemals wieder nach Pthor und vielleicht später sogar nach Terra zurückkehren können? Er mußte versuchen, wie bisher das Beste aus seiner Lage zu machen.
* Brytthan drehte sich in offensichtlicher Nervosität mehrmals um die eigene Achse und ließ sich dann mit einem flüsternden Stöhnen auf der Matte nieder. Atlan stand vor ihr, mit dem Rücken an die Metallplatte
38 des Schotts gelehnt. Nachdenklich sagte er: »Warum bist du derartig verblüfft, Brytt han? Du hättest diese Entwicklung doch spüren müssen!« »Ich habe mich nicht darauf konzentriert. Aber … die Sache ist logisch. Sie werden euch auf Marsocc förmlich auseinanderneh men.« »Das befürchtet Laccied.« »Und du?« »Ich befürchte es auch«, sagte der Arko nide. »Aber ich bin erstens nicht automa tisch tot, wenn der Anzug geöffnet wird, und zweitens habe ich verglichen mit einem phantasielos reagierenden Spercoiden immer noch einige Möglichkeiten mehr.« Das Schiff raste dem Stützpunkt entge gen. Brytthan wollte erfahren haben, daß nur drei Tage vergehen würden, bis sie Marsocc erreichten. So lange mußten Atlan und Lac cied sich perfekt verstellen. Aber bisher hat te niemand Atlan besucht und mit ihm ge sprochen. Er war zu seinem ersten Versuch aufgebrochen, um mit Brytthan zu sprechen. »Was wirst du auf Marsocc tun?« fragte der Spürer. »Bist du hungrig? Durstig?« »Was ich tun werde, hängt von den Um ständen ab. Ich weiß es jetzt noch nicht. Und rätselhafterweise habe ich weder Durst noch Hunger; der Anzug versorgt mich mit allem, was ich brauche.« »Keiner von uns Apharon hat es ge schafft, die Spercoiden zu begreifen. Warum bist du hier?« Atlan hatte diese Frage erwartet. »Ich muß mit jemandem reden, der anders als diese gesichtslosen Maschinenwesen ist. Zwar reduziert der Anzug meine Gedanken und Empfindungen auf das Niveau dieser verdammten Diener des Sperco, aber trotz dem wollte ich mir bei dir, falls möglich, einen Rat holen.« »Ich bin eine Gefangene, wie du auch«, antwortete der Spürer. »Ich weiß. Ich kenne sonst niemanden, mit dem ich offen und frei reden kann.« Brytthan saß oder lag auf der Matte wie ein seltsamer Würfel. Die Farben der Ober-
Hans Kneifel fläche des Würfels änderten sich ganz lang sam. Aus einem großen, milchigen Auge starrte der Spürer den Arkoniden an, der es wieder einmal gewagt hatte, die Helmmaske abzunehmen. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich in der kleinen Kabine aus. »Du kannst offen reden, gewiß. Aber es hilft weder dir noch mir. Wir bleiben, was wir sind, Fremder.« »Du hast recht«, bemerkte Atlan und setz te den Helm wieder auf. Nachdem er die Verschlüsse heruntergeklappt hatte, fragte er dennoch: »Darf ich wiederkommen und mit dir sprechen?« »Wann immer du willst. Seid vorsichtig – Laccied mehr als du. Sie ist eine verwirrte und hilflose Spercoidenfrau.« »Ich weiß.« Atlan hob grüßend die Hand und verließ traurig und ein wenig desillusioniert die Ka bine, in der drei Bildschirme lautlos arbeite ten. Er ging mit den Bewegungen eines Ro boters durch Korridore und Gänge und such te die Kabine von Laccied auf.
* Er trat ein. Laccied saß auf der Liege, ihr Rücken lehnte gegen die Wand. Der starre Anzug wirkte wie eine abgeschaltete Maschine. At lan schloß die Tür und fragte zögernd: »Laccied?« »Ich bin es.« »Waffenmeister Gaccurt. Du wirkst im Moment auf mich so, als hättest du mit dei nem Leben abgeschlossen.« »Es ist so ähnlich. Wenn ich … wenn wir befragt werden, dann wird sich herausstel len, daß die neue Technik der Borgs eine entscheidende Waffe ist. Sie werden errei chen, daß Spercos Diener verändert werden und keine Diener mehr sind. Keine willigen Diener, so wie ich und du.« Atlan zwang sich zu einer harten, aber problematischen Antwort. »Sperco ist ein Tyrann. Er gründete seine
Diener des Tyrannen Macht auf bedingungslos gehorchende We sen ohne eigenen Willen und eigene Gedan ken. Dieser Zustand wird eines Tages zu En de gehen. Die Borgs mit ihren Versuchen beschleunigen die Entwicklung nur.« Laccied sagte zu seiner Verblüffung: »Wenn du mich gleich getötet hättest, wä re ich dir dankbar gewesen, denn jetzt fürch te ich mich vor dem Tod. Jetzt besitze ich nämlich genügend Phantasie, um mich mit Grund vor dem Tod zu fürchten.« »Damals wärest du gern gestorben?« »Ohne lange und qualvolle Gedanken, ja.« Sie hatte innerhalb bestimmter Grenzen natürlich recht. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der »unsichtbaren« Borgs wa ren in Wirklichkeit eine Waffe gegen den Tyrannen. Eine Waffe, gebührend intensiv gegen Sperco angewendet, war eine Chance für die Spercoiden. Sie würden sozusagen menschlich werden. Aber natürlich kannten die Spercoiden ih ren Zustand als die Norm. Jede Veränderung würde sie ebenso schockieren und verunsi chern wie jetzt Laccied. Da die Borgs im Augenblick keinerlei Gefahr mehr darstell ten, war es bis zur richtigen Anwendung der Waffe noch ein weiter Weg. Das alles wußte Atlan, aber es war immerhin eine schwache Hoffnung. Er sagte langsam: »Wie kann ich dir helfen, Laccied?« Was ihn noch immer entnervte, war das Gefühl, einen abgeschalteten Roboter als Gesprächspartner zu haben. Keine Gesichts bewegung, keine Gestik, nur rein akustische Verständigung – das war alles. »Ich glaube nicht, daß du mir helfen kannst. Ich versuche, mich so zu verhalten, wie ich vorher war. Wenn sie entdecken, daß ich anders bin, sterbe ich noch innerhalb der BEHUTSAMKEIT.« »Ebenso ergeht es mir«, antwortete er. »Und ich zittere bei dem Gedanken, daß ich … lassen wir das.« Daß du als Waffenmeister auf die Probe gestellt wirst, erklärte zutreffend der Logik sektor.
39 Verwirrt verließ Atlan die Kabine der un glücklichen Spercoidenfrau und zog sich in sein eigenes Verlies zurück.
* Atlans Traum war intensiv, bösartig und voller Überraschungen. Er entsann sich, als er aufgewacht war, nicht mehr in allen Ein zelheiten, aber bestimmte Erlebnisse, Ge danken und Erscheinungen schälten sich dennoch heraus. So, wie es in vielen Kulturen der alten Er de einen stark ausgeprägten Glauben an das Leben nach dem Tode gab, so bewegten sich in seinem Alptraum auch die toten, im kal ten Feuer verbrannten Spercoiden zu ihren Ursprüngen zurück. Sie kamen alle in einer geisterhaften, end losen Prozession in das Tal der Pflanzen auf Karoque zurück. Jeder Leichnam, jedes der wesenlosen Gespenster – nicht ein einzigesmal zeigte sich im Traum die wahre Gestalt eines der rätselhaften Geschöpfe – kehrte zu einer der zahllosen Blüten zurück und versenkte sich in sie. Die Blütenblätter bebten gierig, wenn sich die Plasmaerscheinungen näherten. War dies eine Reinkarnation? Glaubten diese robothaften Wesen an ein Leben außerhalb des Anzugs und nach dem Ablauf ihrer physischen Existenz? Atlan warf sich dem lautlosen Zug der Gestorbe nen entgegen und versuchte, hundertmal er folglos, einen der Schemen aufzuhalten. Endlich, als die Sonne schon fast versunken war, gelang es ihm, einen einzelnen Spercoi den aufzuhalten. Du kehrst zurück? Ich werde, was ich einst war! Die Pflanzen? Die Blüten mit dem wun derbaren Nektar? Ihr seid diese Blüten? Wir werden von Sperco hierhergeschickt und, nachdem die Pflanze neue Wurzeln schlug, leben wir wieder. An diesem Punkt brach der Traum ab. Der Alarm dröhnte und heulte durch den riesigen Körper der BEHUTSAMKEIT. Atlan
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kämpfte sich aus dem Schlaf hoch, als die Tür zu seiner Kabine aufgerissen wurde. Es war dunkel, trotzdem erkannte der Spercoi de, daß Atlan ohne Helm auf seinem Lager ausgestreckt war. In der gleichen Sekunde war der Arkonide hellwach und merkte, welche tödliche Ge fahr sich anbahnte. Etwa zwei Sekunden lang geschah nichts. Der Spercoide stand völlig starr da, den schweren Griff der Schottür in der Hand. Die Sichtplatte inmitten der Helmmaske schien grünlich zu glühen. Jedenfalls starrte er Atlan an. Atlan brauchte nicht so lange, um zu ent scheiden und zu handeln. Der Extrasinn schrie Warnungen, die er nicht beachtete. Im schwachen Licht, das aus dem Korridor her einfiel, sah der Spercoide einen kompletten Anzug ohne Helm. Der Helm stand dicht ne ben dem Lager. Statt des Helms mußte der Spercoide einen Kopf sehen, mit schweiß nassem weißem Haar. Es mochte alles sein – aber in diesem geöffneten Anzug steckte kein Spercoide. Durch den kalten, lähmenden Impuls der kreatürlichen Angst hindurch bemühte sich der Arkonide, schnell zu entscheiden. Es ging um sein Leben. Innerhalb von Sekun denbruchteilen würde, trotz des heulenden und klirrenden Alarms, der Spercoide seine wahre Natur aufdecken.
7. Kommandant Dacoon hatte sich entschie den, kurz den normalen Raum der Galaxis anzufliegen und sich neu zu orientieren. Er mißtraute weder seinen Untergebenen noch den Rechenmaschinen, aber er fühlte sich unsicher. Also schwang die BEHUTSAM KEIT für kurze Zeit inmitten der Flut von Sternen und Sternbildern in den dreidimen sionalen Raum der Milchstraße zurück und verringerte die Fluggeschwindigkeit gering fügig. Die Ortungszentrale holte in rasender Schnelligkeit ihre Daten und Koordinaten
ein. Die Rechner stellten fest, daß sie sich tatsächlich um einen geringen Wert von der errechneten Route entfernt hatten. Mit rasen der Geschwindigkeit verarbeiteten die Rech ner die neuen Daten, und plötzlich … … tauchten genau in Flugrichtung, genü gend weit entfernt, um noch reagieren zu können, vier Borg-Raumschiffe auf. Zufällig befand sich Kommandant Dacoon in der Zentrale. Er hatte zu entscheiden, ob die BEHUT SAMKEIT blitzschnell wieder in den Hyperraum zurückschwang, oder ob sie die Feinde Spercos angriff und zu vernichten versuchte. »Wir zerstören ihre Schiffe!« schrie er. »Alarm!« Das Schiff änderte seine Flugrichtung. Der Alarm gellte durch das Schiff. Jener Spercoide, der die Aufgabe hatte, den Waf fenmeister des betreffenden Sektors zu fin den und ihm zu helfen, wachte sofort auf und rannte zu der Kabine von Gaccurt. Und dort sah er Atlan.
* Atlans Hand griff in einem gezielten, schnellen Reflex nach der Hüfte. Der Kol ben der Strahlwaffe sprang förmlich in seine Hand, der Finger krümmte sich um den Ab zug. Mit einem einzigen Satz kam Atlan, während er die erste Waffe herausriß und nach der anderen tastete, auf die Beine. Ein blendendweißer Strahl fauchte dröh nend aus der Waffe und bohrte sich in die Sichtscheibe des anderen Anzugs. Als Atlan sah, daß das quarzähnliche Ma terial schlagartig zerbarst, ließ er die Waffe fallen. Er bückte sich schnell, hob den Helm auf und setzte ihn auf. Als seine Augen durch die verzerrende Scheibe blickten, sah er den brennenden Spercoiden. Er sprang vorwärts und packte die Schul tern des Sperco-Dieners. Die kalten Flammen des sich auflösenden Körpers – oder besser: dessen, was sich in nerhalb des Anzugs befand – schlugen wa
Diener des Tyrannen bernd und prasselnd gegen seinen eigenen Helm. Er roch absolut nichts, obwohl die Halsblende nicht geschlossen war. Mit dem Fuß trat Atlan das Schott zu. Noch immer gellte der Alarm. Auf dem Kor ridor erscholl das Trappeln zahlloser Füße. Atlan sprang wieder zurück und schloß, so ruhig er konnte, seinen eigenen Anzug. Dann hob er die Waffe auf. Im selben Augenblick verlor der Anzug vor ihm den Halt. Mit einem leichten Puffen verbrannte der letzte Rest der Körpersub stanz und fauchte aus dem leeren Rechteck der Sichtplatte hervor. Atlan stemmte seine Schulter nach vorn und fing den schweren Anzug ab. Das Ding krachte schwer zu Bo den und blieb, seltsam verrenkt, liegen. »Verdammt!« murmelte Atlan. Er sicherte die Waffen. Hätte man sie ihm abgenommen – seine Lage wäre unausdenk bar schwierig gewesen. Er versuchte, den schweren Anzug unter die Liege zu schieben. Dann öffnete er das Schott und rannte in die Richtung der klei nen Waffenleitzentrale, für die Waffenmei ster Gaccurt verantwortlich war. Er kam als letzter an. Alle anderen Sitze waren bereits von Feu erleit-Spercoiden besetzt. Direkt vor ihm war ein Gerät eingeschaltet, aber unbesetzt. Er schwang sich auf den Sitz und sagte laut: »Hier bin ich. Führt die notwendigen Handgriffe durch. Ziel erfaßt? Ihr wartet auf meine Kommandos.« Er erinnerte sich dank seines photographi schen Gedächtnisses an die einzelnen Hand griffe und führte sie aus. Noch immer liefen die Bilder dieser wahnwitzigen Notwehrre aktion vor seinem Auge ab. Er konzentrierte sich auf die Schirme, bemerkte unbewußt, daß der akustische Alarm aufhörte, und im gleichen Augenblick, als er die Schiffe der Borgs auf dem Spezialschirm erkannte, mel dete sich der Lautsprecher. »Es spricht der Kommandant.« »Wir verließen den Hyperraum, um die Flugroute zu prüfen. Dabei stießen wir auf die Schiffe des Gegners. Ich befehle euch,
41 sie zu vernichten. Spart nicht mit Energie – wir sind mächtiger, schneller und stärker. Sie werden uns nicht lange aufhalten.« »Verstanden«, murmelte Atlan und drehte an seinen Schaltern. Langsam wanderten die großen, kastenförmigen Schiffe in die Vi sierlinien. Auch die Borgs hatten erkannt, daß sie ein gegnerisches Schiff in rasend schnellem Flug vor sich hatten. Sie formier ten die vier Schiffe in einer geschickt ange ordneten Kampfreihe. »Feuer frei!« schrie Dacoon. Die Ereignisse wiederholten sich … Atlan zielte und drückte den Auslöser. Mindestens dreißig andere Geschützbedienungen taten nahezu im selben Moment dasselbe. Die mächtigen Strahlen durchstießen die Schutz schirme der BEHUTSAMKEIT und trafen zum größten Teil das erste, nächste Kasten schiff. Aber noch bevor die vernichtenden Ener giesäulen dort einschlugen, eröffneten alle vier Schiffe der Borgs das Feuer. Sie kon zentrierten sich auf die Flanke der BEHUT SAMKEIT und waren verteufelt schnell. Atlan, der sorgfältig zielte und immer nur dann den Auslöser drückte, wenn er sicher war, auch zu treffen, sagte sich, daß diese verdammten Schiffe vermutlich mit Borgs besetzt waren, die ihr mörderisches Geschäft besser verstanden als die Verteidiger von Trühlor. Sie schossen auch nur, wenn sie sicher waren, zu treffen. Außerdem schienen sich die Geschützbedienungen aller vier Raum schiffe perfekt zu verständigen. Mindestens fünf Strahlen aus allen Schiffen vereinigten sich auf einer Stelle des Schutzschirms und durchschlugen ihn. Nur die rasende Geschwindigkeit der BE HUTSAMKEIT rettete sie. Obwohl ein wahrer Hagel von Strahlen aus ihrer Breite hervorzuckte und das erste der vier Schiffe traf, aufriß, zerstörte und verbrannte, wurde die BEHUTSAMKEIT immer wieder schwer getroffen. Kommandant Dacoon begriff, daß er sich in einen fatalen Kampf eingelassen hatte,
42 der für sein Schiff tödlich ausgehen konnte. Er ließ das Schiff mit unveränderter Ge schwindigkeit wilde Ausweichmanöver flie gen und drehte es langsam entlang der Längsachse. Auf diese Weise wurden auch die Zielschützen anderer Sektoren in den schnellen Kampf eingeschaltet. Gleichzeitig beschleunigte er. Die BEHUTSAMKEIT wurde schneller und würde in wenigen Augenblicken wieder den normalen Raum verlassen. Aber jetzt zeigte es sich, daß auch das zweite Schiff der Borgs schwer getroffen wurde. Mächtige Explosionen rissen Teile der Wandungen auseinander und endeten in langen, vielfar bigen Blitzen und Lichterscheinungen. Wieder donnerten die Lautsprecher in al len Teilen des Spercoidenschiffes. »Hier spricht der Kommandant. Wir ver lassen in wenigen Augenblicken wieder den normalen Raum. An alle Geschützbedienun gen und Waffenmeister ergeht der Befehl, ununterbrochen bis zum letzten Augenblick zu versuchen, auch die unversehrten Schiffe der Borgs zu vernichten.« Mindestens ein Dutzend harter, dröhnender Schläge hatten die BEHUTSAMKEIT getroffen. Das bedeutete, daß schwere Schä den zu erwarten waren. Atlan dachte an den Anzug in seiner Kabine und sagte sich, daß es ihm vielleicht im allgemeinen Durchein ander gelingen würde, ihn irgendwo an an derer Stelle zu verstecken. Die nächsten Sekunden gestalteten sich dramatisch. Langsam drehte sich das Schiff. Ununter brochen feuerten sämtliche Spercoiden, die auf ihren Zielschirmen die Kastenschiffe der Borgs erkennen konnten. Eine mächtige Glutmenge ergoß sich, jetzt nach achtern zielend, auf die gegnerischen Schiffe. Nur noch zwei Schiffe der Borgs feuerten zu rück. Die Entfernung war zuerst ge schrumpft, jetzt vergrößerten sich die Ab stände zwischen den Gegnern wieder. Noch einmal wurde das Schiff der Sper coiden hart getroffen. Und noch einmal mündeten zahllose
Hans Kneifel Kampfstrahlen in die beiden übriggebliebe nen, rasch kleiner werdenden Borgschiffe. Dann verschwanden die Schiffe, die Deto nationen und die Sterne. Das Spercoiden schiff war wieder aus dem normalen Raum hinausgeschwungen auf seinem kurzen Flug nach Marsocc. Atlan kippte den Hauptschalter um und sagte: »Wir haben ausgezeichnet gekämpft. Geht jetzt in eure Kabinen zurück. Die Pio nierkommandos kümmern sich um die Be schädigungen.« Er stand auf und blieb regungslos neben dem Schott stehen. Nacheinander verließen die Spercoiden diese Feuerleitzentrale. »Sperco ist die Macht«, sagte Atlan laut, als der letzte an ihm vorbeiging, »und die Spercotisierten sind seine Diener.« Er schloß die schwere Metallplatte und ging langsam zurück in die Richtung seiner Kabine. In seinem Kopf tanzten die Gedan ken einen wirren Reigen. Er dachte an die Wirkung des Zellschwingungsaktivators, an Thalia und Pthor, und er fürchtete sich be reits vor dem Moment, an dem er in seiner Kabine den leeren Anzug finden würde. Sorgfältig las er die Hinweisschilder und Nummern, und schließlich öffnete er das Schott zu seinem Raum. Er schaltete das grelle Licht ein. Er hatte es halb bereits erwartet; seine Ahnung für Gefahren und schlimme Wendungen funk tionierten noch immer. Verschwunden! bemerkte überflüssiger weise der Logiksektor. Der Anzug war tatsächlich verschwunden. Der Arkonide verließ den Raum, blickte prüfend die Nummer am Schott an und fluchte lautlos. Die richtige Nummer, die richtige Kabine. Der Anzug war verschwun den! Atlan brauchte einige Minuten, um alle denkbaren Verstecke zu kontrollieren. Es waren so wenige, daß der Versuch allein schon widersinnig war. Er riß auch die Tü ren zu den beiden Räumen rechts und links von seiner Kabine auf, aber auch diese Räu
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me waren leer und offensichtlich sogar un Versuchte der Spürer jetzt, seine sonder bewohnt. bare Fähigkeit einzusetzen? Die Bildschirme »Wo ist der Anzug?« fragte sich Atlan. waren mittlerweile abgeschaltet, es war still Wenn man die leere Hülse gefunden hat in diesem Raum. Atlan war ungeduldig und voller Furcht, aber er beherrschte sich ei te, würde er in kurzer Zeit vor dem Kom mandanten stehen und alles erklären müs sern. Vielleicht wirkte die Spürerfähigkeit sen. Wer hatte den Anzug gefunden und ab auch jetzt und innerhalb des Schiffes. Atlan transportiert? Wo war er? wußte es nicht, und er konnte sich auch Warte es ab! riet der Extrasinn. nicht im entferntesten vorstellen, wie dieses Gräßliche Visionen tauchten auf. Es stand Wesen arbeitete. Qualvolle Minuten vergin fest: Ein anderer Spercoide hatte den leeren gen, bis Brytthan sagte: Anzug, als die »Leiche« eines Spercoiden »Du und ich und Laccied wissen von der gefunden und den Anzug davongeschleppt. Gefährdung, in der wir uns bewegen. Ich se Atlan fiel nichts anderes ein, als das einzige he keine Spuren. Aber ich verwende Logik Wesen um Rat zu fragen, von dem er sich, und Vernunft: Ist es denkbar, daß Laccied mit dir sprechen wollte und deine Kabine wenn auch geringe, Hilfe versprach. Brytthan 137 von Apharon! deswegen aufsuchte?« Er bemühte sich, schnell aber unauffällig Atlan ächzte: »Denkbar ist es, Brytthan!« in ihre Kammer zu kommen. Immer wieder »Dann geh zu ihr und frage sie.« begegnete er Gruppen von Spercoiden und »Und wenn sie es nicht war? Was dann?« Robotern, die in die verschiedenen Richtun fragte er kleinlaut. gen davonstrebten und mit schweren Platten »Dann war es, logischerweise, ein Sper und umfangreichem Werkzeug beladen wa coide. In diesem Fall wirst du es bald erfah ren. Sie versuchten, sagte er sich, die Schä ren. Lasse dir für diesen Fall eine gute Aus den des kurzen Gefechts auszubessern. Nie rede oder eine kalte Erklärung einfallen.« mand beachtete ihn sonderlich, aber alle wi chen ihm aus. Atlan bemerkte stockend: Seine Faust hämmerte ans Schott der Spü »Es geschah, nachdem ich bereits in der rer-Kabine. Feuerleitzentrale war, würde das als Erklä »Herein, du gesichtsloser Halbmaschinen-Sper-rung reichen?« coide!« schrie Brytthan von innen. Atlan trat »Vielleicht. Geh jetzt zu Laccied.« Atlan ein und schloß das Schott sofort hinter sich. nickte und schlug mit der Stirn gegen die In »Ich brauche deinen Rat. Vielleicht auch nenseite des Helmvisiers. deine Hilfe, Brytthan!« rief er. Aufgeregt »Ich gehe. Danke, Brytthan!« begannen alle Sensoren des Spürers zu vi »Schon gut. Viel Glück bei deinem Ver such, deine Unschuld abermals zu bewei brieren. sen!« »Was ist geschehen, Fremder?« Atlan berichtete von dem Zwischenfall Verwirrt ging er durch Korridore, über und von seiner Sorge. Schweigend, aber mit Rampen und Nebenausgänge bis zu der Ka immer schnelleren und aufgeregteren Anten bine, in der er Laccied wußte. Er schlug wie nen, Linsen und Fächern hörte der Späher der mit der gepanzerten Faust ans Schott, zu. Er überlegte lange, schließlich sagte er: und als er keine Antwort hörte und kein Si »Weiß jemand von diesem … Zusammen gnal sah, öffnete er die Platte und sah sich stoß?« ebenfalls einer leeren Kabine gegenüber. »Nein. Nur du und ich. Der Spercoide Abermals erschrak er bis ins Mark. starb durch meine Waffe. Es gab für ihn kei ne von mir erkennbare Möglichkeit, jeman * den zu benachrichtigen.«
44 Atlan begann den Augenblick zu verflu chen, an dem er Pthor verlassen hatte. Er suchte mit den Augen jeden Quadratzenti meter der Kabine ab, aber sie blieb leer. Abermals ging er wieder hinaus und kontrol lierte die Ziffern. Es stimmte! Es war Lac cieds Kabine. Was sollte er tun? Was konnte er unternehmen? Jede Sekunde erwartete er die Lautspre cherdurchsage, die ihn in die Zentrale und vor das Schnellgericht des Kommandanten befahl. Die Sekunden verstrichen ereignis los, und er stand da und überlegte in rasen der Schnelligkeit. Aber er kam zu keiner vernünftigen Überlegung. Suche Laccied! befahl der Extrasinn. Viel leicht klärt sich dann das Geheimnis des verschwundenen Anzugs! Atlan wirbelte herum, schlug das Schott zu und fing sich wieder. Scheinbar ruhig und zielbewußt ging er nach kurzer Überlegung in die Richtung, in der er reichlich vage eine der Zonen vermutete, die durch den Beschuß der Borgschiffe zerstört oder beschädigt worden waren. Die Annahme, daß Laccied den Anzug in diese Richtung geschleppt ha ben könnte, lag nicht allzu fern. Auch jetzt traf er immer wieder auf Grup pen von Spercoiden und schwerfälligen, aber gut ausgestatteten Maschinen, die sich in dieselbe Richtung bewegten. Er schloß sich scheinbar einer solchen Gruppe an und gelangte unangesprochen bis an eine Stelle, an der viele Robots und Spercoiden arbeite ten. Laccied hatte auf seine Bitten ein Stück helles Klebeband am Arm ihres Anzugs be festigt. Auf diese Weise gelang es ihm leich ter, sie zwischen anderen Spercoiden zu er kennen. Er suchte jetzt hier in der Nähe der Unglücksstelle nach einem Anzug mit die sem Kennzeichen. Dabei schwieg er und be wegte sich so schwerfällig wie ein Spercoi de. Minuten später erkannte er, daß sich die Frau nicht hier befand. Aber es erfolgte auch keine Aktion, die ihn gefährdet hätte. Laccied und der Anzug
Hans Kneifel blieben verschwunden. »Was kann ich jetzt tun? Weitersuchen?« flüsterte er in seinem muffigen Anzug. Es bleibt nichts anderes übrig, meldete sich der Logiksektor. Das Schiff verschwand wieder im Linear raum oder Hyperraum; er wußte nicht, wel chen Prinzips sich die Spercoidenschiffe be dienten. Die Gefahr eines weiteren Zusam menstoßes schien gebannt zu sein. Atlan sagte sich, daß er keine andere Wahl hatte und begann einen langen Marsch durch die BEHUTSAMKEIT. Er suchte Laccied. Jeder Spercoiden, den er traf, musterte er unauffällig. Keiner von ihnen trug dieses Stück Band am Arm. Atlans Verzweiflung wuchs von Deck zu Deck. Schließlich fand er sich wieder in der Nähe der Kabine, in der Brytthan hauste. Er trat ein. »Ich bin es, der Fremde«, sagte er er schöpft. »Mehr oder weniger habe ich dich erwar tet«, antwortete der Spürer. »Was hast du er reicht?« Verschwimmende Geräusche zeigten an, daß an vielen Stellen des Schiffes die Repa raturen ausgeführt wurden, die nach den Treffern der Borgschiffe dringend nötig ge worden waren. Die Aufregung und das Durcheinander konnten dem falschen Waf fenmeister nur helfen. »Nichts. Der leere Anzug und die Sper coidenfrau sind verschwunden. Bitte, versu che, sie für mich aufzuspüren.« »Das wird nicht einfach sein.« Der Würfelkörper erhob sich von der Matte. Während Atlan wartete und immer ungeduldiger wurde, schaltete Brytthan 137 mehrere Beleuchtungskörper ab. Halbdunkel herrschte jetzt in der Kabine. »Findest du sie?« fragte der Arkonide ängstlich. »Still!« Der Spürer schien sich zu konzentrieren. Wieder bewegten sich die vielen Sensoren hin und her. Das große Auge schloß sich, und auf der Oberseite des Würfels veränder ten die landkartenähnlichen Strukturen ihre
Diener des Tyrannen Farben und Formen. Langsam sank das er staunliche Wesen zurück auf die Matte, die Beine verloren ihre Steifheit und wurden un sichtbar. Kein Laut war zu hören, die Stille und die wachsende Unsicherheit marterten Atlans Nerven. Der Spürer sagte plötzlich: »Ich sehe Laccied. Sie irrt auf der Suche nach dir durch das Schiff.« »Siehst du den Anzug?« »Nein. Sie ist allein. Ich sehe auch nir gendwo einen leeren Anzug – aber das Schiff ist so groß und hat unzählige Ver steckmöglichkeiten, die ich nicht kenne.« »Die Folge?« »Warte.« Abermals konzentrierte sich der Fremde. Nach einiger Zeit öffnete sich das große Au ge an der Kante des Würfels und strahlte den Arkoniden an. »Laccied ist jetzt in deiner Kabine. Sie wartet. Ich habe den Anzug nirgendwo fin den können. Aber solange ihn kein Spercoi de findet, bist du nicht gefährdet, nicht wahr?« »So scheint es«, sagte Atlan. »Ich danke dir abermals, Brytthan. Ich werde jetzt zu Laccied gehen.« Er ging so schnell, wie er es verantworten konnte, zurück in seine Kabine, wo auch tat sächlich Laccied auf der Liege saß. Deutlich sah Atlan den Streifen. Er trat ein und sagte: »Ich bin es, der veränderte Waffenmei ster. Laccied, ganz sicher?« Atlan setzte sich erschöpft und verzwei felt neben sie. Ihre Schultern berührten sich leicht. »Ja. Ich war vor dem Kampf oder besser bei Ausbruch der Raumschlacht in deiner Kabine. Ich wollte mit dir sprechen.« »Du hast einen toten Spercoiden hier ge funden, ja?« Atlan deutete auf den Boden neben der schmalen Liege. »Ja. Zuerst dachte ich, daß du es wärst. Dann sah ich die Kerbungen, die zu einem anderen als Gaccurt gehörten. Ihr habt ge kämpft?« Atlan sagte schnell:
45 »Er fand heraus, daß ich verändert sei. Er drohte, diese Veränderung dem Komman danten zu melden. Ich mußte ihn töten, denn sonst wären wir beide inzwischen als Spione der Borgs hingerichtet. Der Kommandant hätte denken müssen, daß eines der Schiffe, mit denen wir kämpften, uns beide hätte ab holen sollen. Wo ist der Anzug?« »Ich packte ihn und schleppte ihn aus der Kabine, als alle Männer auf ihre Posten wa ren.« »Wo ist der Anzug jetzt!« fragte Atlan lauter und schärfer. »Ich hatte Angst, entdeckt zu werden. Ich schleppte ihn zum nächsten Lift und stieß ihn hinein. Er verschwand sofort.« »In den Aufwärts- oder Abwärtsschacht?« »Abwärts.« Atlan atmete erleichtert auf. Ihm war der Tote gleichgültig; eine der negativen Wir kungen des Spercoidenanzugs. Aber er merkte, daß sich die unmittelbare Gefahr für ihn und Laccied drastisch verkleinert hatte. Falls der Anzug jemals gefunden würde, konnte daraus kaum auf den Täter geschlos sen werden. Bei der Gleichgültigkeit, mit der die Sper coiden über Leben und Tod von ihresglei chen verfügten, war eine lange Untersu chung vermutlich ohnehin ausgeschlossen. Atlan stand auf und sagte: »Du hast uns beiden sehr geholfen. Ich danke dir. Es wäre das beste, wenn du jetzt wieder in deine Kabine zurückgehen wür dest. Ich beseitige den Anzug endgültig, und dann reden wir darüber. Ich komme zu dir. Einverstanden?« Laccied zögerte. Atlan überlegte, ob trotz der speziellen Behandlung durch die Borgs ihr Anzug auf ihre moralischen Werte einen ähnlich abbauenden Einfluß hatte wie seiner, aber dies würde später festzustellen sein. So, wie sich Laccied verhielt, war dies nicht der Fall. Sie stand auf und ging zum Schott. »Ich warte auf dich, Gaccurt«, sagte sie und schlüpfte in den leeren Korridor hinaus. Atlan folgte ihr und schwang sich in den Abwärtsschacht des Lifts. Er verlagerte sei
46 nen Körper und spähte in der dämmerigen Röhre nach unten. Undeutlich sah er auf der untersten, dunklen Prallfläche einen kreuzförmigen Schatten. Es mußte der Anzug sein. Langsam sank er nach unten. Die Ziffern und Hinweise und die breiten Haltebügel glitten an ihm vorbei nach oben. Er ließ sich von dem Kraftfeld ganz hinuntertragen und packte, als er fast den Boden erreicht hatte, einen Bügel, um sich an den Rand der Röhre zu schwingen. Mit einem dumpfen Dröhnen schlug sein Anzug gegen das rohe Metall. Er drehte sich herum. Keine zwei Meter vor ihm lag der Anzug. Vielmehr schwebte er rund zwanzig Zentimeter über dem gitter förmigen Projektor. Atlan hielt sich fest und wandte den Kopf nach oben. Er kontrollierte die vielen Eingänge des Schachtes, aber nie mand hielt sich im Augenblick hier auf. At lans Körper bedeckte sich mit kaltem Schweiß, jede Bewegung rief rasend schnel len Pulsschlag hervor. Das Feld hier war am Rand der Röhre fast neutral geworden, der nächste Ausgang lag keine drei Meter über ihm. Atlan sah, daß unter dem Gitter und der Bodenfläche ein Abstand von mehr als ei nem halben Meter war; Stahlträger, riesige Nieten und Verbindungselemente kreuzten sich dort. Wieder ein schneller, prüfender Blick nach oben. Niemand! Atlan sprang nach vorn, packte den Fuß des Anzugs und zog mit aller Kraft daran. Der Anzug glitt schnell aus der Fessel des Feldes hervor, Atlan prallte wieder an das Metall der Röhre. Er duckte sich, zog und zerrte den schwe ren Anzug hinter sich her und tauchte am Rand durch den Spalt. Vorsichtig, um kei nen überflüssigen Lärm zu erzeugen, zog er den starren Anzug heran und versuchte, ihn durch den Spalt zu schieben. Er sah im schwachen Licht, daß auf dem untersten Bo den des Schachtes eine Menge Gerümpel und eine dicke Staubschicht lagen. Wieder hielt er inne und blickte nach oben.
Hans Kneifel Weiter. Da ist niemand, flüsterte der Lo giksektor. Atlan arbeitete so schnell wie möglich. Endlich verschwand der Arm in dem Spalt. Atlan kroch hinterher, wand sich zwischen den Trägern hindurch und bugsierte den An zug auf dem gleichen Weg unter die schwe re Metallplatte. Jetzt war auch er optisch si cher und geschützt – er versuchte, sich zu beruhigen. Erleichtert merkte er, daß der Anzug noch nicht alle Gefühle abgetötet oder nachhaltig unterdrückt hatte: Zumin dest das Gefühl von Angst und Unsicherheit war lebendig geblieben. Ein letzter Ruck, der Anzug verschwand zwischen den kanti gen, staubbedeckten Trägern. »O verdammt! Mühsam ist der Weg zu Sperco«, stellte er leise fest und kroch flu chend wieder bis zum Rand der Röhre. Er spähte noch einmal hinauf. Zwei Spercoiden schwebten weiter oben, kamen langsam näher und schwangen sich zwei Decks über ihm wieder aus dem Schacht. Noch jemand? Nein. Atlan griff nach den Haltebügeln und kletterte, so schnell er konnte, bis zum nächsten Aus gang. Er landete in einem mäßig durch bern steingelbe Lampen erhellten großen Raum. Es war eindeutig die Bodenschleuse der BE HUTSAMKEIT. Rings um ihn dröhnten un sichtbare Antriebsmaschinen. Atlan schwang sich sofort in den nächsten Aufwärtsschacht und schwebte zurück auf diejenige Ebene, in der sich Laccieds Kam mer befand. Er trat ein und versuchte, mit den Hand schuhen den Staub von seinem Anzug zu entfernen. »Der Anzug ist so gut versteckt, daß er erst in einigen Jahren gefunden werden wird«, versicherte er grimmig. »Es gibt einen Vermißten mehr an Bord dieses Schif fes. Und worüber willst du mit mir sprechen, Laccied?« Wäre sie ein Mensch oder selbst ein frem des Wesen wie beispielsweise Brytthan ge wesen, hätte der Arkonide bereits an ihrem
Diener des Tyrannen Gesichtsausdruck ihren Zustand erkennen können. Aber der Anzug gestattete nicht ein mal die deutliche Sprache der Gebärden. At lan wartete einige Zeit, und schließlich sagte Laccied: »Ich spüre, wie ich mich mehr und mehr verändere, Gaccurt. Ich träume sogar! Ich habe fremdartige Visionen von einem Le ben, das ganz anders ist als das, das die Spercotisierten führen.« »Führen müssen, auf Geheiß des Tyran nen Sperco. Er ist die Macht. Er bestimmt dies alles.« Sie fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung einzugehen: »Ich suche Freundschaft und Freunde, aber ich bin nur von Marionetten Spercos umgeben. Niemand würde mich verstehen. Ich darf mit niemandem reden außer mit dir. Ich bekomme Angstzustände, wenn ich al lein hier sitze und die glatten Metallwände anstarren muß. Ich erinnere mich, vor langer Zeit ein ganz anderes Ding gewesen zu sein. Ich träume auch davon, Gaccurt. Geht es dir ebenso?« Atlan dachte an zehn Jahrtausende, voll gepfercht mit Erinnerungen, an die Erde und an Thalia, an Razamon und an die Söhne Odins. Und an seinen Freund Perry Rhodan, von dem ihn abermals nicht identifizierbare Entfernungen in Raum und Zeit trennten. »Mir ergeht es nicht anders«, sagte er. »Lange dauert es nicht mehr, bis wir den Stützpunkt erreichen. Und von dort können wir vielleicht flüchten. Dann werden alle deine Träume wahr werden. Vielleicht ge lingt es uns mit Hilfe der Borgs, den Tyran nen zu stürzen. Dann haben sich alle Mühen gelohnt.« Die negativen Überzeugungen waren ihm verblieben. Hoffnungslosigkeit und die Er kenntnis, daß es ihm als einzelnem vermut lich niemals glücken würde, bis zu Sperco vorzustoßen, wurden durch die Wirkung des Anzugs nicht neutralisiert. »Wir brauchen noch etwa einen Tag bis Marsocc. Ich erfuhr es von einem Ortungs mann.«
47 »Dann haben wir dieses Schiff und viele Schrecknisse hinter uns«, antwortete Atlan mechanisch. Was interessierten ihn die Pro bleme dieser anonymen, unbekannten Sper coidenfrau? Er war erleichtert, daß die Ge fahr ihn persönlich nicht mehr betraf. Lac cied mit ihrem unwesentlichen Problem! Er zwang sich, fortzufahren: »Du hast Angst, Laccied. Ich habe auch Angst. Aber meine Veränderung ist schon länger wirksam als deine. Ich habe mich dar an gewöhnt, darin einen Vorteil zu sehen. Es hilft uns weiter, denn wir besitzen Phantasie und Entschlußkraft. Bleibe ruhig. Sie werden uns holen, wenn es soweit ist. Ich gehe zurück in meine Ka bine und warte. Auch ich werde von anderen Zeiten und einer freundlicheren Welt träu men. Wir werden einen Teil davon schon auf Marsocc erleben, wie immer der Haupt stützpunkt aussieht.« Er hob den Arm zu einer flüchtigen Ab schiedsgeste. »Es fällt auf, wenn wir zu oft miteinander sprechen«, sagte er. »Lebe wohl. Bis bald.« »Sperco ist die Macht …«, sagte sie bit ter, als sich das Schott geschlossen hatte. At lan ging zurück in seine Kabine und dachte über das Problem nach. Schlagartig ver drängte er Laccied und die eigentümliche Verwandlung ihrer Psyche. Er selbst war wichtig; seine Ziele und seine Entschlossen heit. Er würde diesen Weg kalt und emoti onslos gehen. Noch hatte er etwas Zeit, sich auszuruhen und vorzubereiten. Nichts ande res als sein Weg interessierte ihn. Er ver wandelte sich mehr und mehr in eines der gefühllosen Geschöpfe des Tyrannen. Als er die Kabine erreichte, sich aus streckte und, nachdem er das Schott verrie gelt hatte, den Helm abnahm und die staubi ge Luft des Schiffes einatmete, begann er sich zu schämen: je länger er sich in diesem Anzug aufhielt, desto mehr verlor er von sich selbst. Er wartete auf den Moment, an dem er dem Machtbereich der Spercoiden entkommen konnte. Mit einiger Sicherheit gab es auf Marsocc eine solche Gelegenheit.
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Hans Kneifel
Die Vorstellung, zu einem Spercotisierten zu werden, erschreckte ihn und jagte Schauder über seinen Rücken. ENDE
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