Fischer Weltgeschichte Band 3
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Fischer Weltgeschichte Band 3
Die Altorientalischen Reiche II Das Ende des 2. Jahrtausends Herausgegeben von Elena Cassin Jean Bottéro Jean Vercoutter
Dieser Band ist der zweite von drei Bänden über die altorientalischen Reiche im Rahmen der Fischer Weltgeschichte. Er behandelt in chronologischer Folge die ältesten Kulturen der Menschheit im Vorderen Orient und im Nilland in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. Neben den politischen Ereignissen werden die geistigen und religiösen Strömungen sowie die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse dargestellt und als wirksame Kräfte geschichtlichen Lebens beschrieben. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Jean Bollack verfaßten namhafte Gelehrte des Inund Auslandes die einzelnen Kapitel über die Geschichte Mesopotamiens, Kleinasiens, des syrisch-palästinensischen Raumes, des Pharaonenreiches und der ägäischen Welt. Elena Cassin (Centre National de la Recherche Scientifique, Paris) schrieb den einleitenden Abschnitt über Babylonien und Assyrien. Prof. Heinrich Otten (Universität Marburg/Lahn) ist der Autor des Kapitels über die Hethiter, Hurriter und Mitanni. Prof. Abraham Malamat (The Hebrew University, Jerusalem) Zeichnet für die Geschichte Syrien- Palästinas. M.I. Finley (Universität Cambridge) ist für den Beitrag über die Anfänge der griechischen Geschichte verantwortlich. Die Schilderung des Neuen Reiches in Ägypten stammt aus der Feder der Professoren Jaroslav Černy (Universität Oxford) und Jean Yoyotte (École Pratique des Hautes Études, Paris). Der Band ist in sich abgeschlossen und mit Abbildungen, Kartenskizzen und einem Literaturverzeichnis ausgestattet. Ein Personen- und Sachregister erleichtert dem Leser die rasche Orientierung. – Die Geschichte des Alten Orients findet in Band 4 der Fischer Weltgeschichte ihre chronologische Fortsetzung. Die Herausgeber dieses Bandes Elena Cassin,
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geb. 1909 in Italien, studierte an der Universität Rom Religionsgeschichte und erwarb dort 1933 den Doktortitel. In Paris beschäftigt sie sich heute mit dem Recht und mit der Wirtschaft des alten Babylonien, vor allem in Nuzi (›L’Adoption à Nuzi‹, Paris 1939; ›Symboles de cession immobilière dans l’ancien droit mésopotamien‹, Paris 1954). Madame Cassin ist Mitarbeiterin der ›Revue d’Assyriologie‹ und der ›Annales‹. Gegenwärtig arbeitet sie als Maître de recherche am Centre National de la Recherche Scientifique.
Jean Bottéro, geb. 1914, war von 1947–1958 Charge de recherches am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris; seit 1958 Professor für altorientalische Geschichte an der École Pratique des Hautes Études in Paris; Prof. Bottéro beschäftigt sich seit 1949, zusammen mit französischen und belgischen Gelehrten, mit der Entzifferung der königlichen Archivalien von Mari. Seine bekannteste Publikation erschien 1952 unter dem Titel ›La Religion Babylonienne‹.
Jean Vercoutter, geb. 1911, war von 1939–1950 Mitglied des Institut Français d’Archéologie Orientale in Kairo; 1953 Promotion zum Docteur-ès Lettres; 1956 ›L’Égypte et le Monde Egéen Préhellenique‹; 1958 Ernennung zum ordentlichen Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin; 1955–1960 Directeur de Service des Antiquités de la République du Soudan in Khartum und Herausgeber des ›Kush‹ Journal of the Sudan Antiquities Service; ab 1960 Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Lille; Leiter der französischen Ausgrabungen in Mirgissa (Sudan). Professor Vercoutters Hauptwerk ›L’Égypte Ancienne‹ erschien 1947. Es wurde inzwischen auch in Italien, Spanien und Japan veröffentlicht. Mitarbeiter dieses Bandes
Dr. Elena Cassin (Centre National de la Recherche Scientifique, Paris) Kapitel 1 Prof. Dr. Jaroslav Černy (Universität Oxford) Kapitel 4 II Dr. M. I. Finley (1912–1986) (Universität Cambridge) Kapitel 5 Prof. Dr. Abraham Malamat (The Hebrew University of Jerusalem) Kapitel 3
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Prof. Dr. Heinrich Otten (Universität Marburg/Lahn) Kapitel 2 Prof. Jean Yoyotte (École Pratique des Hautes Études, Paris) Kapitel 41
Margalith Amir (Jerusalem) und der Verfasser übersetzten Kapitel 3 aus dem Hebräischen. D. Rudolf Pfisterer (Schwäbisch Hall) übersetzte Kapitel 1 aus dem Französischen. Christoph Schneider (Köln) übersetzte Kapitel 5 aus dem Englischen. Dr. Renate Voretzsch-v. Schaewen (Tübingen) übersetzte Kapitel 4 I aus dem Englischen. Dieter Wildung (München) übersetzte Kapitel 41 aus dem Französischen. 1. Babylonien unter den Kassiten und das mittlere assyrische Reich I. Babylonien Einleitung Im Jahr 1594 bemächtigen sich die hethitischen Truppen Babylons und bereiten so der schon schwankenden I. babylonischen Dynastie ein Ende. Dies ist zwar an und für sich kein Vorgang von besonderer Bedeutung – Babylon mußte schon seit langer Zeit Angriffe von verschiedenen Seiten hinnehmen und konnte sie nur mit immer größerer Mühe zurückweisen –, doch wird durch dieses Ereignis trotzdem das Ende einer Epoche bezeichnet. Denn die politischen Zustände, die im Bereich des »Fruchtbaren Halbmonds« herrschten, hatten sich geändert. Die »neuen« Völker, die Ḫurriter, Hethiter und Kassiten, waren schon seit Jahrhunderten gegen die Grenzen dieses Gebietes vorgestoßen. Mit mehr oder weniger Erfolg waren sie hier und dort eingedrungen, hatten gebietsweise kleine Fürstentümer gebildet und verschiedenen Zonen ein neues »Gepräge« gegeben. Von jetzt ab aber gelang es ihnen, sich zu politischen Einheiten zu verschmelzen und Staaten zu bilden, die entscheidend in die Geschichte eingriffen. Eine der wichtigsten Konsequenzen davon war, daß Babylonien nicht mehr den zentralen Faktor der Politik im Gebiet des »Fruchtbaren Halbmonds« darstellte. Seine politische Rolle blieb sicher beträchtlich, stand aber zu seinem kulturellen Einfluß in keinem Verhältnis mehr. Die orientalische Welt hatte ihren Mittelpunkt zwar nicht mehr in Babylon, aber sie bediente sich des Babylonischen, das die Sprache der Verwaltung und der Kanzleien war. Hier drängt sich ein Vergleich mit dem Lateinischen im Mittelalter auf, wobei auch
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eine Ähnlichkeit zwischen der Rolle der verschiedenen Schreiberschulen und der Skriptorien der Klöster offenkundig wird. Doch blieb die babylonische Sprache nicht auf diesen Bereich beschränkt; sie war auch eine technische Sprache, eine Art »lingua franca«, die der Sachkultur einen großen Teil ihres Wortschatzes lieferte.
Abb. 1: Babylonien und Assyrien in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
In dem so hergestellten neuen Gleichgewicht der Kräfte traten einige Staaten – wie etwa Assyrien – zeitweilig in den Hintergrund. (Assyrien war von dem Königreich umschlossen, das die Ḫurriter in dem Raum zwischen dem Zagrosgebirge und dem Mittelmeer gebildet hatten.) Deshalb kann man davon sprechen, daß Mesopotamien in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends zwei vorherrschenden Einflüssen unterworfen war; der eine, kassitische erstreckte sich auf das Kerngebiet des alten Königreiches Ḫammurabis und die daran angrenzenden Länder, der andere, ḫurritische reichte vom Mittellauf des Euphrat nach Norden, schloß Assyrien und die Gebiete des Zagros ein und drang schließlich bis nach Elam vor, wo die ḫurritische Schicht, durch die Eigennamen deutlich erkennbar, sich über die noch älteren Substrate und das kassitische Element schob. Erster Teil Die Ereignisse
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a) Die Festigung der Kassiten-Dynastie Die Kassiten, auf akkadisch Kaššû, deren Einfluß im Süden des Zweistromtales nach dem Fall der I. babylonischen Dynastie dominierend wurde, waren in Mesopotamien zweifellos sehr lange vor diesem Zeitpunkt in Erscheinung getreten. Wahrscheinlich hatten die Kassiten schon in den ersten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends damit begonnen, von den im Osten gelegenen Gebirgen in die Ebenen herunterzusteigen, wobei der Reichtum des Landes und die ihnen hier gebotenen Arbeitsmöglichkeiten eine starke Anziehungskraft auf sie ausübten. Aber das Fehlen kassitischer Eigennamen in den Dokumenten aus der Zeit vor der I. babylonischen Dynastie legt die Vermutung nahe, daß es sich dabei mehr um ein langsam fortschreitendes Einsickern verstreuter Elemente als um den Einfall organisierter Gruppen gehandelt haben muß. Die erste Erwähnung einer kassitischen Streitmacht findet sich in der Benennung des neunten Regierungsjahres des Königs Samsuiluna von Babylon (1749–1712); es wurde als »Jahr des Kassitenheeres« bezeichnet. In einer recht knappen Weise sollte dadurch zweifellos betont werden, daß das denkwürdige Ereignis des vorausgegangenen1 oder des laufenden Jahres die siegreiche Zurückweisung eines Angriffs kassitischer Eindringlinge war. Man weiß andererseits, daß auch eines der ersten Regierungsjahre des Königs Abi-ešuḫ (1711–1684), des Nachfolgers Samsuilunas, nach einer Niederlage des kassitischen Heeres datiert wurde, ähnlich wie dies schon bei seinem Vater der Fall gewesen war. Derselbe Samsuiluna erbaute auch eine Festung mit Namen Dūr-Samsuiluna, die in der Nähe des heutigen Ḫafāğī am Zusammenfluß der Dijāla und des Tigris lag. Es ist nun möglich, daß die Kassiten gerade entlang dem Flußlauf der Dijāla auf deren linkem Ufer nach Babylon gelangt sind. Diese Hypothese wird durch die Tatsache glaubwürdig, daß einer der ersten kassitischen Könige Babylons, Agum II. (um 1580), auf einer Inschrift unter anderem auch den Titel eines Königs von Alman und von Padan trägt. Alman muß mit dem heutigen Gebiet von Ḫolwān im Iran, einer Landschaft in der Nähe der Dijāla-Quellen, gleichgesetzt werden. So wären also die Kassiten entlang einer von Ḫolwān über Ḫānaquīn und Samarra führenden Straße auf ihrem Weg vom Gebirge herab nach Babylon gelangt. Es könnte auch sein, daß der Name Ḫūzistān, mit dem heute diese ganze im Iran gelegene Gegend, südöstlich dieser Linie, bezeichnet wird, eine Erinnerung an den Namen des kassitischen Volkes bewahrt hat, das dort im 2. Jahrtausend wohnte. Wir wollen übrigens darauf aufmerksam machen, daß die ›Kissioi‹ nach Strabo die Bewohner der Susiana waren. Es erscheint im übrigen unbestreitbar, daß ein Gebiet mit der Bezeichnung »Land der Kassiten« während und nach der Beherrschung Babyloniens durch die Kassiten weiterbestand (siehe S. 74).
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Nachdem die Kassiten durch Samsuiluna zurückgeschlagen worden waren, müssen sie versucht haben, sich ihren Weg anderswo zu bahnen; wir wissen aber nicht, wo das geschah. Einen einzigen, auffallenden Hinweis scheint ein Wirtschaftsdokument aus Terqa, dem Mittelpunkt des Königreiches Ḫana, zu bieten, aus dem wir erfahren, daß der König dieses Landes, Kaštiliašu, seinem Namen nach sicher ein Kassite gewesen ist. Auf jeden Fall hatten die Kassiten zu der Zeit, als sich Muršili um 1594 Babylons (siehe S. 120) bemächtigte, sicher eine so einheitliche und starke Macht gebildet, daß sie nach einer Zwischenperiode die Hethiter ablösen konnten, nämlich dann, als Muršili mit seinen Truppen wieder in sein Land zurückgekehrt war. Es ist schließlich nicht ausgeschlossen, daß kassitische Gruppen sich schon zur Zeit Samsuditanas (1625–1594) in verschiedenen Stellungen (als Militärbeamte, als auf die Pferdezucht spezialisiertes Personal?) in Babylonien niedergelassen haben. Als die Hethiter vorrückten, haben sie wohl für diese Eindringlinge Partei ergriffen und sie bei ihren von Erfolg gekrönten Angriffen auf die Hauptstadt tatkräftig unterstützt. In Nippur kann man in Verträgen aus dem 16. Jahr dieses Königs unter den Erwerbern von Tempelpfründen Personen feststellen, die unleugbar kassitische Namen wie Enlil-galzu und Damu-galzu trugen. Zudem haben sich gegen Ende der I. Dynastie Nachrichten aus Babylon selbst erhalten, die in die gleiche Richtung zu weisen scheinen. Hier beherbergte ein gewisser Agum in seinen Häusern die Botschafter, die der König von Aleppo an den König von Babylon gesandt hatte. Daß dieser Agum eine bedeutende Persönlichkeit war, wird durch den von ihm geführten Titel »Graf« (bukāšum) bezeugt. Seine Beziehungen zum König von Aleppo, der Hauptstadt eines unter starkem hethitischen Einfluß stehenden Gebietes, könnten genau genommen einen weiteren Beweis für die Verbindung zwischen in Babylonien wohnenden kassitischen Gruppen und den Hethitern bilden. Will man sich nicht auf Hypothesen verlassen, so wird es schwierig, die Herkunft der Kassiten-Dynastie historisch einzuordnen: einer Dynastie, die sich mit König Agum II. (der auf kassitisch Agum kakrime heißt) endgültig zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Babylon festsetzte und sich dort mehr als vier Jahrhunderte hielt. Nach den babylonischen Königslisten sollen mehrere Könige Agum II. vorausgegangen sein. Wenn man die Dauer der Regierungszeiten, die diese Königslisten den Vorgängern Agums zuschreiben, addiert, dann erscheint Gandaš, der erste der kassitischen Könige, als Zeitgenosse Samsuilunas. In einem aus der neubabylonischen Epoche stammenden und in schlechtem Akkadisch geschriebenen Dokument bezeichnet sich dieser Gandaš als »König der vier Weltgegenden«, als »König von Sumer und Akkad« und schließlich als »König von Babylon«. Man kann dieses Dokument sicher als Fälschung ansehen; man kann auch der Meinung sein, daß es sich auf einen anderen König als Gandaš bezieht. Jedoch halten einige Gelehrte (H. Lewy, S. Smith) dieses Dokument für echt; sie stellten die Hypothese auf, daß die Kassiten in der Zeit Samsuilunas mehrere Streifzüge gegen Babylon unternommen hätten, von denen zumindest
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einer erfolgreich gewesen sei. Dieser Sieg habe Gandaš dazu berechtigt, sich mit den gleichen Titeln wie der von ihm geschlagene König von Babylon zu schmücken. Eine vierte Lösung bestünde darin, in diesem Schriftstück ein Dokument zu sehen, das von einem späteren kassitischen König zu Ehren des Mannes verfaßt worden ist, den er als den Ahnherrn seiner Dynastie betrachtete; diese Deutung würde zwar die hochtrabenden, nur als Ehrentitel zu verstehenden Bezeichnungen wie »König der vier Weltgegenden« und »König von Sumer und Akkad« erklären, aber die sprachlichen Fehler des Textes nicht berücksichtigen. Von den Nachfolgern des Gandaš, nämlich von Agum I. (handelt es sich hier um jenen Agum, der den Titel bukāšum trug?), von Kaštiliaš I. (ist es der gleiche, der auch König von Ḫana war?), von Kaštiliaš II. Abirattaš, UR-zigurumaš, Ḫarbašiḫu und Tiptakzi wissen wir außer ihren Namen fast nichts. Bessere Informationen erhalten wir erst über Agum II. und vor allem über seine Nachfolger; sie beziehen sich zwar nicht auf die Umwälzungen, die der Festsetzung einer ausländischen Dynastie in Babylonien vorausgegangen sind, sie geben aber zumindest über die Herkunft der Eindringlinge Auskunft. Agum II. erklärte in der Tat, er »sei aus dem reinen Samen Šuqamunas entsprossen« (dieser war einer der bedeutendsten kassitischen Götter); weiterhin führte er aus, daß er durch die großen Götter Anum und Enlil, Ea und Marduk, Sîn und Šamaš berufen worden sei. Diese Äußerung ist in gewisser Hinsicht ein Glaubensbekenntnis, denn die Bezeichnung »von den Göttern berufen« taucht hier als ganz neues Merkmal auf. Der König gesteht völlig seine fremde Herkunft auf babylonischem Boden ein, stellt sich jedoch als Herrscher vor, der von den großen Göttern des Landes, von denen er seine Beglaubigung und seine Legitimierung erhalten habe, ernannt sei. Er erfüllte seine Pflicht gegenüber den babylonischen Göttern, indem er »aus dem fernen Land Ḫana« die Standbilder Marduks und Ṣarpanitus, des göttlichen Schutzpaares von Babylon, zurückholen ließ und dieselben erneut in ihrem renovierten Heiligtum, dem Esagil, aufstellte. Diese Anspielung auf die Rückführung der göttlichen Standbilder ist ein Problem, das eng mit den Ereignissen verknüpft ist, die dem Fall der I. babylonischen Dynastie vorausgegangen sind. Es ist offensichtlich, daß der Raub und die Deportation der Standbilder Marduks und Ṣarpanitus ohne eine, wenn auch nur vorübergehende, Eroberung Babylons nicht erfolgt sein können. Wer war unter diesen Voraussetzungen der fremde Eroberer, der die Götterstandbilder nach Ḫana entführt hatte? War es Muršili I. selbst, der Sieger über Babylon? Wenn dies der Fall sein sollte, warum wird dann Ḫana erwähnt? Oder ist der Eroberer Babylons vielmehr ein kassitischer König gewesen, der in der Zeit Samsuilunas der Beherrscher Ḫanas war, wie dies H. Lewy vermutet? Diese Hypothese, die die Erwähnung Ḫanas in der Inschrift Agums II. als der Stätte, von wo aus die göttlichen Standbilder wieder zurückgeführt wurden, berücksichtigen würde, nötigt uns, auch eine Anzahl anderer Hypothesen als
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gültig anzuerkennen. Wie dem auch sei, die Bezeichnung »fern«, die Ḫana im Vergleich zu Babylon beigefügt wurde, bleibt in beiden Fällen rätselhaft. Die Titel, mit denen sich Agum II. schmückte, sind erwähnenswert. Er bezeichnete sich als König der Kassiten und der Akkader und auch als König von Babylon. Nachdem er sich damit gerühmt hatte, dem Land Ešnunna eine dichte Bevölkerung gegeben zu haben, bezeichnete er sich als König von Alman – dieses Gebiet war vielleicht, wie wir gesehen haben, das richtige und eigentliche Kassiten-Land – und als König von Padan, einer an der Nordostgrenze Babyloniens (s. weiter unten S. 33) gelegenen Stadt, auf die die Elamiter fortgesetzt Ansprüche erhoben. Außerdem bezeichnete er sich als König des Landes Gutium, womit zu dieser Zeit jenes Gebiet gemeint ist, das im großen und ganzen dem heutigen Kurdistan entsprach.2 Sein Herrschaftsbereich hätte sich also nach Osten und nicht nur entlang der Dijāla erstreckt; er hätte aber auch über das eigentliche Kassiten-Land hinaus ein Gebiet umfaßt, das nach Norden bis zum Urmia-See reichte. Natürlich kann man dieser Aufzählung nur unter dem Vorbehalt näherer Prüfung zustimmen. Man muß auch noch hervorheben, daß sich diese Inschrift über den Süden Mesopotamiens ausschweigt; dieser Landesteil mußte sich in jener Epoche ganz in den Händen Gulkišars, des Königs des Meerlandes, oder eines seiner unmittelbaren Nachfolger befunden haben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der letztgenannte aus dem siegreichen Vormarsch der Hethiter auf Babylon und aus dem Fall der Stadt Nutzen gezogen hat, um sich des weiter im Norden gelegenen Gebietes zu bemächtigen. So erklärt sich die Tatsache, daß Gulkišar in einem so nördlich gelegenen Gebiet wie Der (dem heutigen Bedre) eine Landschenkung gewähren konnte. Immer noch in der gleichen Inschrift erklärt Agum II., er habe den Thron seines Vaters gestärkt. Es hat ganz den Anschein, als habe dieser UR-zigurumaš geheißen. Agum ist ihm dann wohl nicht unmittelbar nachgefolgt, sondern hat erst nach Ḫarbašiḫu und Tiptakzi, die vielleicht seine Onkel waren, den Thron bestiegen. Wir wollen hier übrigens noch einmal wiederholen, daß ein Ausdruck wie König (šarru) mit einer gewissen Skepsis aufgenommen werden muß, wenn der damit bezeichnete ein Kassite gewesen ist. Es handelt sich dabei mehr um einen Führer, der über eine in einem bestimmten Gebiet wohnende Gruppe von Kriegern die Befehlsgewalt ausübte, als um einen wirklichen Monarchen; in einem derartigen Bereich hatte ein solcher Führer zeitweise die Regierungsgewalt inne. Man versteht, daß Agum II., der sich in Babylon als Nachfolger Ḫammurabis festgesetzt hatte, glauben mußte, die von seinem Vater ererbte Befehlsgewalt und Machtstellung seien dadurch in einzigartiger Weise verstärkt und erweitert worden. Die genannte Inschrift ist in mehr als einer Hinsicht bezeichnend und lehrreich. Wir erfahren aus ihr in der Tat, daß die Kassiten seit ihrer Festsetzung in Babylon als treue Eiferer für die babylonische Religion auftraten. Die Rückführung Marduks und Ṣarpanitus wurde mit all dem üblichen Zeremoniell umgeben und erfolgte im babylonischen Stil. Man kennt die religiöse Bedeutung,
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die die Babylonier dem Raub ihres Schutzgottes zuschrieben. Obwohl dieser Gott vom Feind entführt worden war, war man doch davon überzeugt, er habe die Stadt freiwillig verlassen, um die Bewohner für mangelnde Verehrung oder wegen einer an ihm begangenen Sünde zu bestrafen. Die Rückführung des Marduk aus einem vierundzwanzigjährigen Exil bei den Hethitern3 konnte also nur mit allen Zeichen der Ehrerbietung erfolgen, die dieser Gott von seinen Gläubigen forderte. Die Verschönerung und Erneuerung des Tempels wurden von Agum II. peinlich genau beschrieben. Jedoch ruft die Erwähnung Šuqamunas den Gedanken wach, daß für die Kassiten, die keine in ihrer Sprache verfaßte religiöse Literatur zurückgelassen haben, eine religiöse Organisation charakteristisch war, auf die sie in keiner Weise zugunsten der babylonischen Götter verzichtet hatten. Vom Nachfolger Agums II., Burnaburiaš I., ist außer seinem Namen nur wenig oder nichts bekannt. Nach der synchronistischen Geschichte4 sollen Puzur-Aššur, der König von Assyrien, und Burnaburiaš, der König von Babylonien, »einen Bündnisschwur geleistet und ihre Grenze und ihr Gebiet durch starke Befestigungen verstärkt haben«. Über die Identität des assyrischen Partners kann es keine Zweifel geben. Es kann sich hier nur um Puzur-Aššur III. (vgl. weiter unten S. 71) handeln, der nach der assyrischen Königsliste der fünfzehnte aus der Dynastie Adasi ist und um 1540 regiert haben soll.5 Dieser Synchronismus ist für uns sehr wertvoll, und zwar in doppelter Hinsicht: einmal erlaubt er uns, die Regierungszeit Burnaburiaš’ I. mit etwas größerer Genauigkeit zu bestimmen, zum anderen liefert er uns für den Beginn der kassitischen Herrschaft in Babylon einen zeitlichen Hinweis, der ungefähr mit uns durch andere Quellen (Marduks Exil bei den Hethitern dauerte 24 Jahre) bekannten Tatsachen übereinstimmt. Einer von Burnaburiaš Söhnen, Kaštiliaš III., folgte ihm auf dem Thron; ein anderer Sohn, Ulamburiaš, konnte den Zeitpunkt ausnützen, in dem der König des Meerlandes, Ea-gamil, mit einem bewaffneten Einfall in Elam beschäftigt war, um das südliche Babylonien zu unterwerfen. Eine babylonische Chronik berichtet diese Ereignisse folgendermaßen: »Ea-gamil der König des Meerlandes, zog nach Elam; gegen seine Truppen hob Ulamburiaš, der Bruder des Kaštiliaš, seine Truppen aus. Nachdem er das Meerland unterworfen hatte, legte er diesem Gebiet seine Herrschaft auf.« Ulamburiaš schmückte sich mit dem Titel eines Königs des Meerlandes (šar māt tamtim) und wurde nach Kaštiliaš König von Babylonien. Babylonien fand so eine Zeitlang wieder zu seiner alten Einheit zurück. Diese Einheit war jedoch ständig bedroht. Schon der Neffe des Ulamburiaš, Agum III., der seinem Onkel nachgefolgt war, mußte einen so heftigen Aufruhr des Meerlandes niederwerfen, daß er nicht zögerte – diese Information stammt gleichfalls aus der babylonischen Chronik –, Egarauruna, den Tempel des Ea, zu zerstören. Es handelte sich hier um ein äußerst radikales Vorgehen. Man wollte wahrscheinlich dadurch, daß man den Tempel der
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Schutzgottheit des Landes dem Erdboden gleichmachte, den Widerstand des rebellischen Volkes brechen. b) Die Öffnung zur Umwelt: Assyrien und Ägypten Der bewaffnete Einfall der hethitischen Truppen in Babylon, die Machtentfaltung der Ḫurriter auf Kosten des Niedergangs Assyriens und das Interesse, das Ägypten für Nordsyrien zeigte, waren die ausschlaggebenden Faktoren, die das traditionelle Gleichgewicht der Kräfte in Mesopotamien verändert hatten. Aber eher noch als von einem Zusammenbruch des Gleichgewichtes sollte man vielleicht von einem Ausbrechen aus der traditionellen Situation sprechen. Man erlebt in der Tat den Übergang von einer Politik, die sich in einem eng umgrenzten Raum, höchstens unter Einschluß benachbarter Gebiete, abspielte, zu einer allgemeinen imperialistischen Expansionspolitik, die sich nicht mehr mit der Einverleibung von angrenzenden Städten und Gebieten begnügte, sondern auf die Besitzergreifung entfernter Territorien abzielte. Denn es handelte sich nicht mehr nur um in die Ferne führende und in die Augen stechende, aber doch zeitlich begrenzte Unternehmungen nach Art der Expeditionen eines Sargon von Akkade, die mehr ein wirtschaftliches als ein strategisches Ziel verfolgten; es ging hier vielmehr um eine dauernde Okkupation fremder Gebiete. Die zentripetale Tendenz der Politik hörte auf und machte nun einer zentrifugalen Ausrichtung Platz. Ägypten schlug unter Thutmosis III. siebzehn Kampagnen in Asien und stieß bis zum Euphrat vor; es prägte den eroberten Territorien, zu denen schon Thutmosis I. vorgedrungen war, den Stempel der Stabilität auf. Am Euphrat begegnete Thutmosis III. dem König von Babylon; in dieser Begegnung bezeichnete der Austausch von Geschenken die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern. Aber auch die politischen Bestrebungen der Hethiter und der Mitanni richteten sich auf Nordsyrien. Deshalb kann man sagen, daß in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends nicht mehr Mesopotamien die Begehrlichkeit anreizte, sondern daß das Mittelmeer, die Küstenstädte Syriens und die Handelsstädte im Inneren des Landes, vor allem Aleppo, Zielpunkt ehrgeiziger Pläne wurden. Welche Rolle spielte Babylonien in dieser Periode der Expansionspolitik? Es ist wahrscheinlich, daß unter Agum II. und seinen unmittelbaren Nachfolgern die Notwendigkeit, ihre Macht zu festigen, die Könige dazu gezwungen hat, sich vor allem mit der Neuordnung der Verwaltung des Landes zu befassen, in dem sie sich festgesetzt hatten. Wie jede neue und obendrein noch fremde Dynastie mußte auch die Agums II. sich auf einen Teil der einheimischen Bevölkerung stützen. Die Schaffung einer Neuordnung des Gebietes ermöglichte es ihnen – wir werden darauf weiter unten noch zurückkommen (S. 45 f.) –, die einflußreichen Familien, deren Treue sie sich durch Landschenkungen gesichert hatten, fest in der Hand zu behalten. So sehr die Notwendigkeiten der Innenpolitik einen Vorrang beanspruchen mußten, so tauchten doch auch unverzüglich die Expansionsabsichten auf. Wie wir schon gesehen haben,
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organisierte Ulamburiaš einen Feldzug gegen das Meerland; zudem war noch nicht die Rede von den Grenzstreitigkeiten, in denen sich Babylonier und Assyrer seit der Regierung des Burnaburiaš gegenüberstanden. Diese Konflikte machten den Bau von Befestigungsanlagen entlang der ganzen Grenze zwischen Babylonien und Assyrien notwendig. Die Feindseligkeiten lebten schließlich wieder auf, wie der Chronist der synchronistischen Geschichte berichtet, und führten unter den Regierungen von Karaindaš und Aššur-bēl- nišēšu zu neuen Grenzberichtigungen. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß der König von Babylon, den Thutmosis III. aus Anlaß seiner siebzehnten Kampagne in Nordsyrien nach dem Bericht seiner Annalen an den Ufern des Euphrat traf und von dem er Geschenke erhielt, Karaindaš war. Diese Begegnung – es war die erste zwischen einem Pharao Ägyptens und einem babylonischen Monarchen – war bedeutsam, weil sie den Willen Babylons zum Ausdruck brachte, als Faktor in der großen internationalen Politik in dem Augenblick in Erscheinung zu treten, in dem Mitanni durch den Verlust Aleppos einen harten Schlag hatte hinnehmen müssen. Es hat den Anschein, als könne man auf Grund ägyptischer Quellen diese Zusammenkunft auf die Zeit um das Jahr 1457 ansetzen. Sie eröffnete, wie es scheint, eine Zeit freundschaftlicher Beziehungen zwischen diesen beiden Höfen. Der Austausch von Botschaften vermehrte sich; die Briefe von Amarna, die von den Nachfolgern des Karaindaš auf dem Thron Babylons stammen, scheinen von den Jahren seiner Regierung als von einer Zeit zu sprechen, in der die Freundschaft dieser beiden Herrscher ungeschwächt blieb. Die Dokumente, die auf uns gekommen sind und Karaindaš direkt betreffen, nehmen vor allem auf seine Tätigkeit als Erbauer von Tempeln und als Schutzherr von Uruk Bezug. Im Eanna in Uruk ließ der König, der sich als »Geliebter Hirte« der Ištar bezeichnete, einen der Inanna (sum. Ištar) geweihten Tempel erbauen, der sicher zu den originellsten Bauten der kassitischen Architektur gehört. Die längliche Form der Cella weist eine sonderbare Ähnlichkeit mit dem frühgeschichtlichen Tempel in Tepe Gaura auf (s. Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 54). Bezeichnenderweise trägt schon ein Sohn des Karaindaš einen ganz und gar semitischen und babylonischen Namen: IzkarMarduk. Aus Dokumenten der Regierungszeit des Karaindaš erfährt man zum erstenmal, daß Babylonien als »Land Karduniaš« bezeichnet wurde. In einer Inschrift über den Bau des Tempels der Inanna bezeichnete sich Karaindaš als »König der Stadt Babylon, König von Sumer und Akkad, König der Kassiten und König von Karduniaš«.
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Abb. 2: Fassade des Inanna-Tempels in Uruk
Mit diesem sicher kassitischen Namen6, mit dem Babylonien wahrscheinlich schon lange vor der Zeit des Karaindaš benannt wurde, wurde in Zukunft Babylonien in einigen Inschriften der Könige der kassitischen Dynastie bezeichnet; dies geschah aber vor allem im Ausland, wie ägyptische, hethitische und syrische Quellen bezeugen. Was die Assyrer anlangt, so meinten sie mit »Karduniaš« den südlich ihrer Grenzen gelegenen Teil Mesopotamiens, der sich unter kassito-babylonischer Herrschaft befand. c) Die Entfaltung Babyloniens unter Kadašman-Ḫarbe und Kurigalzu Der auf Karaindaš folgende Sohn, Kadašman-Ḫarbe7, kämpfte gegen die Sutäer (Sutû); dies geht aus einer babylonischen Chronik hervor, in der jedoch Kadašman-Ḫarbe als Enkel des Königs Aššur-uballiṭ von Assyrien bezeichnet wird, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren war. Es ist möglich, daß es sich hier um die Sutäer aus der syrischen Wüste handelte, wie H. Lewy meint; Kadašman-Ḫarbe ordnete ihre Ausrottung »von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang« an. Gleichzeitig baute er auf dem Berg ḪI-ḪI eine Festung, ließ einen Brunnen graben und siedelte an dieser Stätte einen Militärposten an, um dieses Gebiet gegen die Einfälle der Nomaden zu schützen. H. Lewy glaubt, daß der Feldzug gegen die Sutäer im Rahmen der freundschaftlichen
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Beziehungen zwischen Ägypten und Babylon gesehen werden muß und vielleicht unternommen wurde, um dem Nachfolger Thutmosis’ III., Amenophis II., bei der Befriedung Syriens zu helfen. Der Nachfolger Kadašman-Ḫarbes, Kurigalzu I., setzte diese Politik fort. Mit ihm gelangte Babylon wieder zum Rang einer Großmacht. Sein Name bleibt mit der Erbauung von Dūr-Kurigalzu verbunden; diese Stadt lag etwa 17 km nordwestlich von Bagdad, wo sich heute Aqarqūf befindet. Im Norden waren die Berge des Ğebel Ḫamrīn ihre natürliche Befestigung. Die Errichtung eines Palastes und zahlreicher Tempel läßt darauf schließen, daß Kurigalzu mit der Erbauung dieser Stadt sich nicht darauf beschränkte, das Beispiel von Samsuiluna zu befolgen, der beabsichtigt hatte, mit der Erbauung von DūrSamsuiluna vor allem die Nordwestgrenze gegen die Streifzüge der Bergräuber zu verstärken. Es ist möglich, daß Kurigalzu mit der Verlegung seiner Residenz an einen durch die Natur geschützten Ort nicht einzig und allein ein strategisches Ziel im Auge hatte, sondern vielleicht auch plante, sich von Babylon und der Priesterschaft von Esagil freizumachen. Er zeigte großen Eifer in der Verehrung des Enlil – zwei seiner Söhne trugen theophore Namen, die mit Enlil zusammengesetzt waren –, er legte sich Titel wie »König der gleichen unter seinen Vorgängern« und »König der Gesamtheit« zu. Daraus geht unmißverständlich hervor, welche Absichten dieser König hatte; er wollte sich auf eine von einem kassitischen König noch nie erreichte Höhe schwingen und sich als einen Herrscher anerkannt wissen, der mit der Macht über die Erde ausgestattet sei, die Enlil im Kreis der Götter innehabe. Andere Faktoren stärken noch diese Hypothese. Vor allem machte sich Kurigalzu das Gottesdeterminativ8, das seit der III. Dynastie von Ur kein König mehr seinem Namen vorangestellt hatte, aufs neue zu eigen. Zudem zeigt der Umstand, daß er sich auf einer Inschrift9 von den Göttern mit den nur ihnen zustehenden Eigenschaften geschmückt erwähnt, ohne jeden Zweifel seinen Willen, seine Königsherrschaft mit den alten Vorbildern und vor allem mit den Königen der Dynastie von Akkade zu verbinden (siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 109). »In Babylon, der Residenz der kassitischen Könige, der ewigen Stadt, haben die großen Götter im Tempel der Šumaliya und des Šuqamuna das Amt des Kurigalzu erhöht; sie haben ihn mit dem Schmuck des ›göttlichen Glanzes‹ geziert (melammū) und haben ihn mit den Abzeichen der Königsherrschaft geschmückt.« Diese Zeilen einer Inschrift, deren Original uns überliefert ist10, spielen ganz offenkundig auf die Weihe des Königs an. Es ist bezeichnend, daß die persönlichen Götter der kassitischen Dynastie, die Göttin Šumaliya und der Gott Šuqamuna, in der vordersten Reihe in Erscheinung traten; dagegen scheint im Augenblick der Thronbesteigung weder vom Esagil, dem Tempel Marduks in Babylon, noch vom Gott selbst die Rede zu sein. Während der Gott Šamaš, das heißt die Sonne, die sich anscheinend einer immer größer werdenden Verehrung in der kassitischen Epoche erfreute, und die Dreiheit der großen Götter, nämlich Anu, Enlil und Ea, sofort danach erwähnt werden, wird erst viel später im Text
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auf die Gunst angespielt, die Marduk Kurigalzu bezeugte. Es ist übrigens möglich, daß die Gründung einer Stadt wie Dūr-Kurigalzu mittelbar den Prozeß beschleunigt hat, in dessen Verlauf Babylon zu einer mit Vorrechten ausgestatteten Stadt wurde, deren Einwohner sich bestimmter Privilegien, vor allem der Befreiung von der Steuer erfreuten. Kurigalzu war »derjenige, der die Befreiung der Einwohner Babylons durchgeführt hat, der sein Volk von den Lasten um dessentwillen befreit hat, der seine (des Königs) Regierung liebt, um des Gottes Marduk willen ... der die Einwohner von Babylon auf einer grünen Wiese ruhen läßt«. d) Die Beziehungen zwischen Babylonien und Ägypten in der Amarnazeit. Der Goldhandel In der Außenpolitik scheint man die seit drei Generationen eingeschlagene Linie nicht verlassen zu haben. Es sieht so aus, als ob das Bündnis mit Ägypten durch die Entsendung einer kassitischen Prinzessin (einer Tochter Kurigalzus?) zum Pharao Amenophis II. (1438–1412) noch fester geknüpft wurde. Diese von Kurigalzu verfolgte Politik wird auch in der Weigerung deutlich, die er dem Angebot einiger Kleinkönige Syriens, Ägypten in diesem Gebiet abzulösen, entgegengestellt haben soll. Dies ist einerseits sicher das Zeichen einer gewissen Kontinuität, aber auch ein Zeugnis dafür, daß Babylonien zu diesem Zeitpunkt, wie dies H. Lewy sehr scharf beobachtet hat, seine Stellung im Inneren gefestigt und, international gesehen, sich eine feste Position erworben hat, die es einen Ägypten und dem hethitischen Königreich ebenbürtigen Rang einnehmen ließ. Diesen Erfolg verdankte es zum großen Teil dem prekären Charakter der ägyptischen Herrschaft über Syrien und den inneren Schwierigkeiten Mitannis, aber auch der Persönlichkeit Kurigalzus. Was seinen Sohn Kadašman- Enlil anlangt, so ist uns sein Charakter viel besser bekannt als seine politische Tätigkeit. Die wenigen Briefe, die die Korrespondenz zwischen Kadašman- Enlil und Amenophis III. (1492–1364) bilden und die durch die Archive von Amarna uns aufbewahrt wurden, sind voller Vorwürfe familiärer Natur. Es ging hier vor allem um das Schicksal der Schwester Kadašman-Enlils, die die Gemahlin Amenophis’ geworden war, die aber niemand aus dem Kreis der Gesandten des babylonischen Königs mehr bei Hof gesehen hatte, sowie um eine ägyptische Prinzessin, die Kadašman-Enlil zur Frau haben wollte. Die Antwort Amenophis’ ist es wert, daß wir sie zitieren: »Früher wurde eine ägyptische Königstochter nie irgend jemand zur Ehe gegeben.« Darauf erwiderte Kadašman- Enlil: »Bist du nicht König? Handle doch darum, wie es dir gut dünkt. Wenn du (deine Tochter) zur Ehe gibst, wer kann dir widersprechen?« Aber Amenophis antwortete nicht. Dagegen scheint er sehr darauf bedacht gewesen zu sein, seinen Harem noch um eine weitere kassitische Prinzessin zu bereichern, die ihm Kadašman-Enlil schließlich auch sandte. Die ausländischen Frauen königlichen Geblüts, die an den Hof Ägyptens strömten – kassitische Prinzessinnen aus Babylon und ḫurritische Prinzessinnen aus Mitanni –
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erscheinen demnach als ein entscheidender Faktor des königlichen Handels, der in dieser Zeit der einzige Handel überhaupt ist. Denn es ging hier um ein Handelsgeschäft im eigentlichen Sinn, ohne daß sich mit diesem Ausdruck ein pejorativer Sinn verbindet. Die asiatischen Könige schickten ihre Töchter an den ägyptischen Hof, wo sie dem Pharao Kinder schenkten. So wurde ein Gewebe, dessen einzelne Fäden durch die Blutsbande gebildet wurden, zwischen dem Hof Ägyptens und den Höfen von Babylon, Mitanni und denen anderer Länder geknüpft. Der ägyptische Hof war zwar darauf bedacht, in den Besitz ausländischer Prinzessinnen zu gelangen; dagegen »stellte« er selbst im allgemeinen keine Ehegattinnen für ausländische Herrscher. Als Gegenleistung für diese jungen Frauen bot aber Ägypten eine ebenso wertvolle Substanz wie das Blut, nämlich Gold, an, dessen die kassitischen Könige in ständig zunehmendem Maß bedurften, um ihr Verlangen, Paläste und Tempel zu bauen, befriedigen zu können. Diese Bauten weihten sie vor allem einheimischen Göttern. Alle Briefe Kadašman-Enlils hallen von der Klage wider: »Wenn du kein Gold schickst, dann kann ich die Arbeiten, die ich angefangen habe, nicht weiterführen. Das Gold ist noch nicht angekommen; wie soll ich den von mir begonnenen Bau fortsetzen? Das Gold ist endlich angelangt; aber es war von schlechter Qualität. Nachdem man es in den Schmelzofen gelegt hatte, erhielt man nur eine recht geringe Menge.« Dies ging so weit, daß wir in den Äußerungen, die Burnaburiaš II. (1375 bis um 1347), der Sohn Kadašman-Enlils, in einem Brief Amenophis IV. (1364–1347) entgegenhielt, auf Aussagen von sprichwörtlichem Charakter stoßen: »Zwischen den Königen bestehen Brüderlichkeit, Freundschaft, Bündnis und gutes Einvernehmen (nur) solange, als gewichtige Gaben von wertvollen Steinen, Silber und Gold gespendet werden.« Das Gold, das seinen Charakter als schlechthin wertvolle und sonnenstrahlende Materie unverändert beibehält und dadurch ein Symbol stolzen Reichtums der Könige bleibt, ein Gut, das Göttern und Königen vorbehalten ist, wurde in dieser Zeit auch zu einem in der Wirtschaft gültigen Wert. Wir finden das Gold – die dahinführende Entwicklung bleibt in Dunkel gehüllt –, von einem bestimmten Zeitpunkt an (Burnaburiaš II.) in Babylonien und noch früher in Nuzi als Zahlungsmittel bezeugt, als »Geld« neben Silber und anderen weniger wertvollen Metallarten wie Zink und Bronze. In Nuzi war ein Gold-Schekel der Preis, der für 19 Homer Gerste (etwa 160 kg) bezahlt wurde, die nach der Ernte angeliefert wurden. Seltsam, daß das Verhältnis 1: 9 von Gold und Silber unverändert blieb. e) Burnaburiaš und die Bestätigung der Unabhängigkeit Assyriens Der Nachfolger Kadašman-Enlils, Burnaburiaš II., regierte sehr lange. Sein Briefwechsel mit den Pharaonen erstreckte sich in der Tat über einen Zeitraum, der mit den letzten Jahren der Regierungszeit Amenophis’ III., mit der Regierungszeit Amenophis’ IV. und mit dem ersten oder zweiten Jahr derjenigen
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Tutanchamuns (1348 bis 1338) zusammenfiel. Wie sein Großvater und sein Vater so führte auch er den Titel »König der Gesamtheit« (šar kiššati); diese Bezeichnung erscheint uns vor allem gegen Ende seiner Regierungszeit ein wenig abgewertet. Seine Briefe zeigen ihn als guten Politiker und seinem Vater an Klugheit unendlich überlegen. Gerade durch die Unbeständigkeit der internationalen Lage wurde deutlich, daß sich in diesem Teil der Welt ein neues Gleichgewicht der Kräfte zu bilden begann. Mitanni war nach dem Tod Šuttarnas und der Ermordung seines Nachfolgers schweren inneren Spaltungen ausgesetzt; es hatte an seiner Spitze einen König namens Tušratta, der noch ein Kind war. Die Assyrer zogen aus den Unruhen, in denen sich die Mitanni befanden, ihren Nutzen und begannen sich zu rühren. Es herrscht aber in allen unseren Kenntnissen über Assyrien während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts große Verwirrung. Es ist wahrscheinlich, daß die Herrschaft Mitannis über Assyrien nicht auf einen Schlag von Aššuruballiṭ beseitigt werden konnte. Man muß vielmehr die Ansicht gelten lassen, daß Zeiten nationaler Unabhängigkeit die lange Fremdherrschaft unterbrochen haben. Muß man zudem an der Meinung festhalten, daß Mitanni in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die einzige Macht war, die zu ihrem Vorteil die Hand auf die assyrische Unabhängigkeit gelegt haben konnte? Oder muß man sich vorstellen, wie man dies schon getan hat, daß Babylonien schon in der Zeit Kurigalzus I. Mitanni in Assyrien abgelöst hat: H. Lewy, die sich auf einige Tatsachen stützte, glaubte, dies beweisen zu können. Es stimmt, daß Burnaburiaš II. in einem an den Pharao gerichteten Brief die Assyrer als seine »Untertanen« bezeichnete und sich darüber entrüstete, daß eine assyrische Gesandtschaft es gewagt hätte, sich am Hof von Ägypten so vorzustellen, als ob sie vom König von Babylonien gesandt worden wäre. Die ganze Stelle könnte den Gedanken wachrufen, Babylonien habe zu diesem Zeitpunkt seine Hand auf den Norden Mesopotamiens gelegt; von dieser Okkupation versuchten sich die Assyrer aber gerade dadurch zu befreien, daß sie Beziehungen mit Ägypten anknüpften. Wie kann man aber eine babylonische Herrschaft über den Norden Assyriens mit der von Tušratta befohlenen Entsendung des allerheiligsten Standbildes der Ištar von Ninive an den Hof von Ägypten, durch die man dem kranken Pharao Linderung verschaffen wollte, vereinbaren? Um in dieser Weise über das Standbild der Göttin verfügen und auch darin den Spuren seines Vaters Šuttarna, der schon einmal die Göttin nach Ägypten entsandt hatte, folgen zu können, mußte Tušratta allem Anschein nach noch zu dieser Zeit die entscheidende Gewalt über diesen Teil Assyriens ausüben. Man könnte auch noch über die Bedeutung streiten, die in diesem Zusammenhang einige Ereignisse gewinnen, wie zum Beispiel die von Aššuruballiṭ veranlaßte Entsendung einer seiner Töchter an den Hof von Babylon, damit sie dort einen Sohn des Burnaburiaš oder Burnaburiaš selbst heirate. Es ist möglich, daß man darin einen Beweis für die Unterlegenheit der Stellung des Königs von Assyrien verglichen mit der des Königs von Babylon sehen muß.
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Dies würde dem Sachverhalt entsprechen, den wir weiter oben in bezug auf die Prinzessinnen Asiens, die an den Hof von Ägypten strömten, aufzeigten. Oder fädelte Aššur-uballiṭ so ein politisches Spiel mit weitgesteckten Zielen ein, rechnete er schon damit, eines Tages durch die Vermittlung seiner Tochter eine Kontrolle über Babylon ausüben zu können? Es ist schwierig, hier die richtige Antwort zu geben. Der Sohn der assyrischen Prinzessin Muballiṭat-šerua und unmittelbare Nachfolger Burnaburiaš’ auf dem Thron hieß Karaḫardaš. Seine Regierung war aber nur von kurzer Dauer. Die Geschichte dieser Zeit berichtet uns, daß sich die kassitischen Adligen gegen ihn empörten und ihn töteten. Diese kurze Erwähnung eines blutigen Ereignisses stand zu einem bedeutenden, uns interessierenden geschichtlichen Hintergrund in Beziehung. Es handelte sich nicht nur um eine chauvinistisch geprägte Feindseligkeit einiger kassitischer Elemente gegen den Sohn einer Assyrerin, zu der sich die Unzufriedenheit der Untertanen des jungen Königs entwickelt hatte, sondern auch Folgendes ist noch zu bedenken: zwischen der Heirat Muballiṭatšeruas und der Thronbesteigung Karaḫardaš’ stand eine Reihe von Ereignissen, in deren Folge sich die Lage Assyriens vollkommen änderte. Hier muß vor allem das erneute Vorrücken Šuppiluliumas im Norden Mesopotamiens bis nach Waššukanni (siehe S. 143) erwähnt werden, durch das in unheilvoller Weise der staatliche Zusammenhang Mitannis zerstört wurde; dieses Ereignis bot gleichzeitig Aššur-uballiṭ die schon seit langem erhoffte Gelegenheit, unabhängig zu werden. Wie wir schon gesehen haben, konnte Burnaburiaš ein in vollem Aufstieg begriffenes Assyrien nur als eine ständige und unmittelbare Bedrohung Babyloniens empfinden. Sein politischer Scharfsinn mußte es ihm wünschenswert erscheinen lassen, das aus den Trümmern erstandene Mitanni-Königreich möchte noch stark genug sein, ein Gegengewicht gegen Assyrien bilden zu können. Deshalb vielleicht verfolgte er einen konkreten Plan, der darauf abzielte, die Regierung des Usurpators Artatamas, des Nachfolgers Tušrattas auf dem Thron Mitannis, nicht zu schwächen, wenn er Mattiwaza, dem rechtmäßigen Sohn Tušrattas, das Asylrecht verweigerte. Dieser hatte sich mit 200 von einem Offizier namens Aki-Tešup befehligten Kampfwagen aus seinem Land geflüchtet und versuchte, sich Hilfstruppen zu verschaffen, um seinen Thron wiederzuerobern. Wir haben auch gesehen, daß die Absicht Burnaburiaš’, Assyrien in einer Art politischer Vormundschaft zu halten, zum Scheitern verurteilt war. Die Unabhängigkeit Assyriens wurde vom Pharao verbürgt. Der Umstand, daß Aššur-uballiṭ sich in einem Brief (siehe S. 78) auf die gleiche Ebene wie der Pharao stellte, zeigt dies gut. Als Burnaburiaš starb, hatte Aššur- uballiṭ die Möglichkeit, die babylonische Politik mit Hilfe seines Enkels zu kontrollieren. Diese Situation wollten die Fürsten Babylons auf alle Fälle ändern; darum brachten sie Karaḫardaš um und setzten an seiner Stelle einen echten Kassiten, nämlich Nazibugaš, ein.
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Die folgenden Ereignisse haben gezeigt, daß die Befürchtungen der Aufrührer nicht unbegründet waren. Aššur-uballiṭ reagierte sofort auf die Ermordung seines Enkels. Unter dem Vorwand einer Rache für Karaḫardaš drang er in Babylonien ein, tötete Nazibugaš, den »Sohn eines niemand« – ihn hatten ja die Babylonier auf den Thron erhoben – und weihte König Kurigalzu II. (1345–1324), einen Sohn Burnaburiaš’. Die Regierung von Nazibugaš kann also kaum länger als einige Monate gedauert haben. f) Kurigalzu II.: Die Eroberung Elams Der König, den Aššur-uballiṭ in gewisser Weise den Babyloniern aufgedrängt hatte, ging als Kurigalzu ṣiḫru, der Junge, als zweiter Träger dieses Namens, in die Geschichte ein; dieser Umstand – dies sei angedeutet – scheint von vornherein jedes Recht auf die Annahme eines hypothetischen Königs Kurigalzu, der im 16. Jahrhundert regiert haben und den beiden anderen Königen dieses Namens vorausgegangen sein soll, zu zerstören. In diesem Fall hätte Kurigalzu, der Sohn des Burnaburiaš, der letzte dieser drei Könige, sich nicht als den zweiten dieses Namens bezeichnet. An einer Übersetzung von ṣiḫru durch »klein, jung«, die besagen würde, daß Kurigalzu noch ein Kind war, als er durch den energischen Aššur-uballiṭ auf den Thron erhoben wurde, wird man kaum festhalten dürfen. Man kennt keine Zeugnisse über die Assyrienpolitik Kurigalzus während der letzten Lebensjahre Aššur-uballiṭs. Sobald der Nachfolger dieses Königs, Enlilnarāri, den Thron Assyriens bestiegen hatte, soll sich nach der synchronistischen Geschichte Kurigalzu erhoben und die Assyrer angegriffen haben. »Enlil-narāri, der König von Assyrien, kämpfte in der Nähe von Sugagi, das am Idiglat-Fluß (Tigris) liegt. Er brachte ihm (nämlich Kurigalzu) eine Niederlage bei. Er tötete seine Soldaten. Er führte sein ganzes Lager fort.« Nach dieser Niederlage nahm man eine neue Grenzberichtigung zwischen diesen beiden Ländern vor, indem man das Gebiet, das an der von Subaru nach Babylonien führenden Straße lag, in zwei Hälften teilte. Daß sich diese kriegerische Operation für Assyrien durch die Angliederung einiger neuer Gebiete auszahlte, wurde durch Adad-narāri I. (1307–1275) bestätigt, als er seinen Großvater Enlil-narāri folgendermaßen bezeichnete: »Er ist derjenige Fürst, der die kassitische Armee vernichtete und dessen Hand alle seine Feinde niederschlug; derjenige, der die Grenzen und die Gebiete erweitert hat.« Durch diese Niederlage wurden jedoch für eine geraume Zeit die Verhältnisse Assyrien gegenüber in Ordnung gebracht. Kurigalzu wandte seine Aufmerksamkeit dem anderen traditionellen Feind Babyloniens, Elam, zu, für das sich die kassitischen Könige seit mehreren Generationen nicht mehr interessiert zu haben scheinen. Man muß betonen, daß dieses Mal die Initiative wahrscheinlich nicht von Kurigalzu, sondern vom König Elams mit dem stark ḫurritischen Namen Ḫurpatila ausgegangen ist. Nachdem er seine Truppen bei Dūr-Šulgi jenseits des Meerlandes versammelt hatte, forderte er seinen Gegner
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zum Angriff heraus. Als er in der von ihm selbst provozierten Schlacht besiegt worden war, wurde er bis nach Elam, wohin er sich zurückgezogen hatte, verfolgt. Kurigalzu rückte bis nach Susa vor. Er besetzte diese Stadt und verwüstete beim Durchmarsch Baraḫše und Elam. Durch die Ausgrabungen in Susa wurden viele Denkmäler freigelegt, die an den Sieg Kurigalzus über Ḫurpatila erinnern sollten; unter anderem handelt es sich um ein Bruchstück eines Standbildes aus Kalkstein, das auf der Akropolis gefunden wurde und das Kurigalzu darstellen soll. Es trägt an der linken Schulter folgende Inschrift: »Kurigalzu, der König der Gesamtheit, der Susa und Elam geschlagen und Marḫaši11 vernichtet hat.« Der König versäumte nicht, seine Verehrung für die Ortsgötter dadurch zu zeigen, daß er dem Gott Saḫaran einen Skarabäus aus Achat und dem Gott Enlil einen Szepterknauf weihte. Unter den Beutestücken, die er aus der eroberten Stadt mitführte, befand sich auch ein Täfelchen aus Achat, das einst der Inanna »für das Leben von Šulgi« geweiht worden war (vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 1378.). Kurigalzu widmete dieses Stück Enlil in dem großen Tempel dieses Gottes in Nippur und fügte noch eine Inschrift von mehreren Zeilen hinzu, in denen er die Einnahme des Palastes von Susa berichtete. So total der Sieg Kurigalzus auch gewesen sein mag, er konnte jedoch keine dauerhafte babylonische Herrschaft über Elam herbeiführen. Unter einer lokalen Dynastie konnte dieses Land recht schnell wieder zu seiner Einheit finden. Die Dynastie wurde durch Ike-ḫalki, der vielleicht aus Malamir, dem heutigen Izah, 180 km südlich von Susa, stammte, begründet. g) Die Beziehungen zwischen Babylonien und dem hethitischen Großreich zur Zeit Kadašman-Turgus und Kadašman-Enlils II. Der Nachfolger Kurigalzus, sein Sohn Nazimaruttaš (1323 bis 1298), scheint auch auf militärische Erfolge in östlicher Richtung bedacht gewesen zu sein, aber in Gebieten, die nördlicher als Elam lagen. Wahrscheinlich rückte er dem Flußlauf der Dijāla entlang in Richtung auf das Gebiet von Namri vor, das bei dieser Gelegenheit zum erstenmal genannt wird. Es könnte so aussehen, als sei die babylonische Armee mindestens anfangs nicht auf ernsthaften Widerstand der einheimischen Bevölkerung gestoßen, und es hat den Anschein, als seien etwa zehn in ihre Hand gefallene Marktflecken zum Gebiet von Nippur geschlagen worden. Aber diese Erfolge riefen bei den Assyrern nur das Gefühl wach, die Babylonier könnten ihnen jetzt in den Gebieten, auf die sie es selbst abgesehen hatten, den Rang ablaufen. Die Reaktion der Assyrer erfolgte darum außerordentlich rasch und das babylonische Heer mußte eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Wir wissen, daß auch dieser Konflikt noch einmal durch eine Grenzberichtigung und durch einen Vertrag zwischen Nazimaruttaš und Adad-narāri seinen Abschluß finden konnte; vielleicht besitzen wir ein Bruchstück dieses Vertrages. Ein anderes, noch nicht publiziertes Fragment aus Aššur scheint auch die herzlichen Beziehungen zwischen dem Nachfolger Nazimaruttaš’, Kadašman-Turgu (1297–1280), und Adad-narāri hervorzuheben.
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Aber die im Norden von Adad-narāri errungenen Siege und vor allem die Einnahme Ḫanigalbats mußten zu einer Verstärkung der diplomatischen Beziehungen zwischen Babylon und dem Hethiterreich führen. Dieses sah mit wachsender Unruhe die nach den Schlägen, die die assyrischen Heere Mitanni seit Aššur-uballiṭ beigebracht hatten, immer stärker bedrohte Existenz dieses Pufferstaates. Schon die Ehe Šuppiluliumas mit einer babylonischen Prinzessin, von der wir nur ihren hethitischen königlichen Titel, nämlich Tawananna, kennen, war in dieser Absicht geschlossen worden. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten wurden in der Regierungszeit Nazimaruttaš’ und Muwatallis noch enger. Aber erst unter der Regierung Ḫattušilis wandelten sich diese freundschaftlichen Verbindungen zu einem richtigen gegenseitigen Bündnis- und Beistandspakt; dadurch wurden zwischen diesen beiden Ländern Beziehungen geschaffen, bei denen humane Gesichtspunkte anscheinend nicht gefehlt haben. Eine der Vertragsklauseln sah in der Tat vor, daß im Fall des Todes eines der beiden Vertragspartner der Überlebende den Kindern des Abgeschiedenen zur Seite stehen und ihnen bei der Erhaltung ihrer Macht behilflich sein sollte. Obwohl Ḫattušili vielleicht derjenige der beiden Könige war, der auf Grund seiner Stellung als Thronusurpator ein Bündnis mit Babylon am nötigsten brauchte, so hat doch wahrscheinlich Kadašman-Turgu letzten Endes den größeren Nutzen aus diesem Bündnis gezogen. Als dieser König nach einer Regierungszeit von 15 Jahren starb, hinterließ er einen noch sehr jungen Sohn, für den ein allmächtiger Minister mit einem gut babylonischen Namen, der rēš šarri Itti-Marduk-balāṭu, die Regierung führte. Ḫattušili kam seinem Versprechen nach, indem er an die Vornehmen Babylons schrieb und sie bat, den Thron des jungen Königs Kadašman-Enlil II. (1279–1265) zu schützen. Aber Itti-Marduk-balāṭu hatte seine eigenen persönlichen Ansichten in dieser Frage. Es gelang ihm, Ḫattušili zu hintergehen und auf den jungen König Einfluß zu gewinnen. Darauf folgte eine Periode der Abkühlung in den Beziehungen zwischen beiden Höfen. Ḫattušili führte Klage darüber, daß Babylon keine Gesandten mehr nach Ḫattuša schicke – unter dem Vorwand, sie liefen dabei Gefahr, in die Hände der Aḫlamū-Räuber zu fallen. Darauf antwortet Ḫattušili: »Im Lande meines Bruders gibt es mehr Pferde als Stroh. Soll ich vielleicht auch noch tausend Kampfwagen zur Verfügung stellen, damit die Botschafter bis nach Tuttul gelangen können?« Bei dieser Gelegenheit hört man von den Scharen der Aḫlamū, d.h. von jenen Nomaden, die später nach der Bezeichnung einer ihrer Sippen, nämlich der Aramū, den Namen Aramäer führen sollten. Obwohl die Worte von Ḫattušili sicher ironisch gemeint waren, bestand doch eine wirkliche Gefahr. Die entlang dem Euphrat von Babylon nach Ḫattuša führende Straße wurde vom Mittellauf dieses Flusses an sehr unsicher. Denn in dieser Zeit tauchten die Aḫlamū auf, die bald als bewaffnete Söldnerhaufen im Dienst einer Macht – zum Beispiel der Hethiter – auftraten, bald aber ihre Streifzüge auf eigene Faust durchführten. So kann man unter den Soldaten, die die Tore in Nippur bewachen, auch eine
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Gruppe der Aḫlamū feststellen. Es sieht aber übrigens so aus, als hätten die Aḫlamū auch eine ganz und gar friedliche Tätigkeit ausgeübt und sich in Gruppen oder einzeln als Arbeiter in den landwirtschaftlichen Betrieben verdingt. Ihre große Kenntnis der Wüste machte auf der anderen Seite die Nomadenstämme der Aḫlamū, der Sutû und auch andere bei der Durchquerung der weiten Wüstenstrecken zu wertvollen Führern. Diese Führer waren gewiß wertvoll, aber nicht immer zuverlässig, wenn man der bitteren Erfahrung Glauben schenken darf, die ein Emissär des Königs von Assyrien, als er sich nach Ägypten begab, mit einem Sutû- Führer machte. Man hat oft auf diese Nomaden für den Warentransport zurückgegriffen. Zweimal, so erfährt man, geleiteten Aḫlamū mit Gold beladene Karawanen. Man erwartete sie stündlich in Nippur, wo sie eintreffen sollten. Einmal scheinen sie einen ungewohnten, weiter südlich in Richtung auf das Meer verlaufenden Weg eingeschlagen zu haben. Andererseits werden in mehreren aus Tilmun (dem heutigen Bahrain) stammenden und von einem babylonischen Beamten an den Gouverneur von Nippur gerichteten Briefen große Mengen von Datteln erwähnt, die die Aḫlamū geraubt haben. Es hat den Anschein, daß es sich auch in diesem Fall um Aḫlamū gehandelt habe, die als Führer eines Geleits angestellt waren, obwohl derselbe Beamte in einem anderen Brief über die Aḫlamū Klage führte, weil sie ihm gegenüber »unaufhörlich die Sprache von Feinden und Räubern redeten«. Die Regierungszeit Kadašman-Enlils II. dauerte fünfzehn Jahre. Letztlich können ihm nur sehr wenige Denkmäler mit Sicherheit zugeschrieben werden. So ist es wahrscheinlich, daß eine Stele, durch die man eine durch den großen Kurigalzu, »den König ohngleichen«, den Sohn des Kadašman-Ḫarbe, an einen Priester Enlils erfolgte Schenkung erneuerte, eher Kadašman-Enlil I. zugeschrieben werden muß.12 Seine Persönlichkeit zeichnet sich für uns, wie aus einem Spiegel zurückgestrahlt, in den Worten ab, die sein »Beschützer« Ḫattušili III. in seinen Briefen an ihn richtet. Dieser spielte auf das Mannesalter an, in das KadašmanEnlil gekommen sei; er gäbe sich jetzt dem edlen Sport der Jagd hin. Daß sofort nachher der Krieg erwähnt wird, zeigt, welch enge Verbindung für die damalige Zeit zwischen diesen beiden Tätigkeiten bestand. Die Worte Ḫattušilis waren nicht aus der Luft gegriffen; sie werden im allgemeinen in dem Sinn gedeutet, daß sie seinem »Schützling« den Weg zur Eroberung Assyriens nahelegen sollten. Wir wissen nicht, ob der kassitische König dem Rat folgte, sich mit einem Feind zu messen, den er nach den Angaben Ḫattušilis »zwei- bis vierfach« an Zahl übertraf. Wenn der dem Gott Marduk für das Akîtu-Fest dargebrachte Paradekampfwagen – dies geschah nach einem Sieg, den ein König dieser Epoche errungen hatte; von seinem Namen ist nur noch die zweite Hälfte, nämlich Enlil, erhalten – von Kadašman-Enlil II. geopfert worden wäre, dann könnte man daraus vielleicht schließen, daß er den Rat des hethitischen Königs befolgte und daß seine Unternehmung von Erfolg gekrönt war. Aber auch hier
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ist durch nichts erwiesen, daß es sich nicht um den ersten König dieses Namens handelte. h) Politischer Verfall und Wirtschaftskrise Von der Außenpolitik der beiden Nachfolger Kadašman-Enlils II., Kudur-Enlils I., der neun (1264–1255), und seines Sohnes Šagarakti-Šuriaš, der dreizehn Jahre (1255–1242) regierte, wissen wir so gut wie nichts. Dagegen wurden zahlreiche Texte, die aus der Zeit ihrer Regierung stammen, teils in Nippur, teils in DūrKurigalzu ausgegraben. Die Archive einer Bankiersfamilie sind teilweise erhalten; diese Familie scheint in jener Zeit ihre größte Blüte erreicht zu haben. Die große Zahl von Anleihen, die uns durch diese Archive bezeugt werden, zeigt, daß der Aufschwung dieser Familie vielleicht in Zusammenhang mit einer schwierigen Wirtschaftslage dieses Landes stand. Die zahlreichen Fälle von Inhaftierungen, auf Grund von Schulden, die man in dieser Epoche beobachtet, scheinen in die gleiche Richtung zu weisen. Von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zeugt auch die große Zahl von Personen, die wegen ihrer Schulden oder einfach von der Notwendigkeit des Weiterlebens getrieben in gewisse Formen der Selbstverknechtung einwilligten, die einer Versklavung nahekamen. Zahlreiche Dokumente dieser Epoche bezeugen, daß ganze Familien von einem Ort zum anderen, je nach den Erfordernissen der Arbeit, verschickt wurden. Diese Umsiedlung erfolgte unter der Bürgschaft eines Staatsbeamten, der für die Flucht, ja sogar für die Arbeitsunfähigkeit eines dieser Zwangsarbeiter verantwortlich gemacht wurde und dafür durch den Verlust seiner eigenen Freiheit einzustehen hatte. Es ist möglich, daß ein Freistellungsdekret von Abgaben (zakûtu), das den Einwohnern von Nippur durch Šagarakti-Šuriaš gewährt wurde – es wird in einem noch unveröffentlichten Text erwähnt –, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Situation stand, deren drückende Last derartige großzügige Maßnahmen erforderte. Die Flucht ganzer Familien in Gebiete, die wirtschaftlich besser gestellt waren und außerhalb der Grenzen Babyloniens lagen, war allerdings eine Erscheinung, die sich während dieser ganzen Zeit oft zeigte und auch schon früher häufig eingetreten war. Wir stoßen auf die Ḫabiru, eine aus Akkad, das heißt Babylonien, stammende Volksgruppe, die sich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts in Nuzi befanden und dort als freiwillige Sklaven lebten. Zeugnisse über die Bautätigkeit des Königs Šagarakti-Šuriaš fehlen nicht. Nabonid (555–539) schreibt ihm die Errichtung des Eulmaš-Tempels in Sippar zu. Seine Tätigkeit erstreckte sich auch auf die Tempel von Dūr-Kurigalzu. Er zeigte seine Verehrung gegenüber den Göttern von Nippur, indem er ihnen agalmata aus wertvollem Material weihte; es handelt sich hier um einen Block aus Lapislazuli für Nusku und um einen Phallus aus Meerschaum für Enlil. Wir wollen noch auf einen Gegenstand hinweisen, der diesem König gehörte; es ist eine Perle aus Karneol, auf der man seinen Namen lesen kann. Diese Perle wurde
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in Kalḫu (dem heutigen Nimrūd) in Assyrien gefunden, wohin sie vielleicht von einem der babylonischen Untertanen, die König Tukulti-Ninurta von Assyrien einige Jahre später nach Kalḫu deportierte, gebracht wurde. i) Der Fall Babylons: die »assyrische Gefangenschaft« des Marduk Der eherne Ring um Babylonien wurde immer enger. Als Kaštiliaš IV. (1242– 1235) die Nachfolge seines Vaters antrat, sah die Lage folgendermaßen aus: Im Südwesten, in Elam, regierte Untaš-GAL, der mächtigste und tatkräftigste Nachkomme aus der Dynastie, die von Ike-ḫalki begründet worden war. Trotz seiner unermüdlichen Tätigkeit als Erbauer von Tempeln – sein Name bleibt unter anderem mit der Errichtung der Ziqqurat Tchoga-Zanbil, 42 km südöstlich von Susa, verbunden – verlor er die schwierige politische Situation, in der sich Babylonien befand, nicht aus den Augen. Im Norden und im Nordwesten wartete Tukulti-Ninurta auf seine Stunde. Wir wissen nicht, wann Untaš-GAL seinen Vormarsch gegen Babylonien begann. Ein wichtiges Dokument für diese Frage ist sicher eine in Susa gefundene Stele. Auf ihr wies Kaštiliaš dem Agaptaḫa, einem Flüchtling aus Ḫanigalbat, ein in der Umgebung der Stadt Padan liegendes Gebiet zu; diese Stadt befindet sich an der Nordostgrenze in der gleichen Gegend wie Lupti und Zaban.13 Den Anspruch auf dieses Gebiet hatte schon zu Beginn der KassitenDynastie Agum II. begründet, indem er sich als König von Alman und Padan bezeichnete. Dadurch wird auf jeden Fall bewiesen, daß sich zur Zeit des Kaštiliaš diese Gebiete noch innerhalb der Nordostgrenzen Babyloniens befanden. Eine andere Quelle, auf Grund derer man die Datierung Untaš-GALs vornehmen kann, ist die verstümmelte Statue eines Gottes, die ebenfalls in Susa gefunden wurde. Nach der hier eingravierten akkadischen Inschrift soll diese Statue, die als Beute von Untaš-GAL heimgebracht wurde, die Gottheit Immeria darstellen, die man sonst nicht kennt. Nur eines steht fest: der Angriff UntašGALs lag zeitlich vor dem Angriff der Assyrer. Man darf außerdem auch nicht außer acht lassen, daß die Regierungszeit des Kaštiliaš nicht länger als acht Jahre gedauert hat. Nun wissen wir aber, daß sich während der ersten fünf Jahre im Palast von Dūr-Kurigalzu eine normale Tätigkeit entfaltet hat; davon zeugen die Mengen von Gold und Halbedelsteinen, die den Handwerkern zur Herstellung wertvoller Gegenstände ausgehändigt worden sind. Es ist also möglich, daß der Angriff der Elamiter in den letzten Jahren der Regierungszeit des Kaštiliaš kurz vor dem Beginn der Feindseligkeiten mit den Assyrern erfolgte. Der Einfall Tukulti-Ninurtas (1244–1208) in Babylonien fand nach der Eroberung des Gebietes von Gutium, das zwischen den Bezirken von Sukus und Lallar lag, statt. Hören wir, in welchen Wendungen der Sieger diese Ereignisse berichtete: »Mit der Hilfe von Aššur, Enlil und Šamaš, den großen Göttern, meinen Herren, und mit Unterstützung von Ištar, der Herrin des Himmels und der Erde, die vor meinen Heeren gingen, traf ich auf Kaštiliaš, den König von
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Karduniaš, um den Kampf zu beginnen. Ich erzwang die Niederlage seiner Truppen und ließ seine Krieger ins Gras beißen. Mitten im Handgemenge konnte ich mit meiner eigenen Hand Kaštiliaš, den König der Kassiten, fassen. Auf seinen adligen Nacken trat ich mit meinen Füßen wie auf einen Schemel. Als Gefangenen zog ich ihn in Ketten vor Aššur, meinen Herrn. Ich bemächtigte mich des ganzen Landes von Sumer und Akkad bis zu seinen Grenzen; an dem Unteren Meer (Persischer Golf), da wo die Sonne sich erhebt, setzte ich die Grenze meines Staates fest.« Hier wird kurz, in einem knappen Stil und ohne rhetorische Umschweife das Ereignis berichtet. Kaštiliaš, der zu Beginn noch als König von Karduniaš bezeichnet wird, ist sechs Zeilen weiter nur noch der König der Kassiten. Man kann das Echo, das diese Eroberung in Assyrien hervorrief, daran abschätzen, daß sie den Stoff für ein Heldengedicht lieferte, in dessen Mittelpunkt Tukulti-Ninurta und Kaštiliaš stehen. Man ist im Besitz verschiedener Berichte über die Niederlage, die die Assyrer Kaštiliaš beibrachten. Was auf dieses Ereignis folgte, ist leider weniger klar. Einer Chronik zufolge soll Tukulti-Ninurta aufs neue gegen Babylon marschiert sein und dieses Mal die Mauern der Stadt dem Erdboden gleichgemacht haben, nachdem er zuvor den König zum Gefangenen gemacht und nach Assyrien zurückgebracht hatte. Der König brachte dadurch zum Ausdruck, daß die Stadt ihre Unabhängigkeit verloren habe. Eine große Anzahl der Einwohner wurde hingerichtet, andere wurden nach Assyrien deportiert. Tukulti-Ninurta plünderte die Schätze des Haupttempels, des Esagil, und die Paläste. Er ließ dann den großen Gott Marduk von seinem Thron »aufstehen« und ließ ihn den Weg nach Assyrien einschlagen. Für ganz Babylonien wurde ein Vizekönig ernannt. »Sieben Jahre lang regierte Tukulti-Ninurta auf diese Weise Karduniaš. Danach erhoben sich die Großen des Landes und setzten Adad-šūma-uṣur auf den Thron seines Vaters.« Dieser Text steht im Widerspruch zur babylonischen Königsliste, die als unmittelbare Nachfolger des Kaštiliaš vor Adad-šūma- uṣur Enlil-nādin-šūmi und Kadašman-Ḫarbe II., von denen jeder anderthalb Jahre regiert haben soll, und Adad-šūma-iddina, der die Regierungsgewalt sechs Jahre ausgeübt haben soll, erwähnt. Wer waren diese drei Könige? Handelte es sich um von Tukulti-Ninurta ernannte Vizekönige? Man hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Frage schwierig zu sein scheint, wenn eine babylonische Königsliste die Gouverneure der Besatzungsmacht als rechtmäßige Könige angesehen hätte. Dies gilt vor allem, wenn man dem unbedeutenden Widerspruch zwischen den sieben Jahren, während derer Babylonien vollkommen dem Reich Tukulti-Ninurtas einverleibt war, wovon die Chronik berichtet, und zwischen den neun Jahren, die die babylonische Königsliste den unmittelbar anschließenden drei Nachfolgern zuschreibt, kein zu großes Gewicht beimißt. Dieses Problem ist im Augenblick unlösbar. Nur eine einzige neue Tatsache ist in der letzten Zeit in Erscheinung getreten. Es handelt sich hier um eine Inschrift auf einem Schwert, die kürzlich veröffentlicht wurde.14 Sie
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beweist, daß Adad-šūma-uṣur wirklich der Sohn des Kaštiliaš war. Andererseits wird uns durch eine Stele ein bedeutungsvolles Detail vermittelt. Auf dieser Stele erklären die Könige Adad- šūma-uṣur (1218 bis 1189) und Melišiḫu (1188–1174), die Nachfolger Adad-šūma-iddinas, eine von dem letztgenannten bewilligte Landschenkung für gültig. Dies wäre ein seltsamer Vorgang, wenn Adad-šūmaiddina nur ein Vizekönig gewesen wäre, den die Assyrer an diese Stelle gesetzt hätten. Ob nun die genannten Männer rechtmäßige Könige oder Stellvertreter des Königs von Assyrien gewesen sind, Babylonien scheint auf jeden Fall unter ihrer Regierung eine Periode der Schwäche und der politischen Unsicherheit durchgemacht zu haben. Die Elamiter versäumten nicht, aus dieser Situation ihren Vorteil zu ziehen. Sie hatten in ihrer Ohnmacht schon eine ganze Zeit mit ansehen müssen, wie Tukulti-Ninurta sich Städte einverleibte, die sie den Babyloniern seit langem wieder abzunehmen gehofft hatten. In Südbabylonien muß die Schwäche der Zentralgewalt noch offenkundiger gewesen sein als im Norden des Landes in der Nähe der assyrischen Grenze. Der elamitische König Kiten-Ḫutran rechnete mit dieser Schwäche und begann zum erstenmal einen Angriff auf Niedermesopotamien. Nachdem er den Tigris überschritten hatte, bemächtigte er sich der Stadt Isin und setzte seinen Marsch ins Zentrum des Landes fort, wobei er Nippur unterwarf. Nachdem er aufs neue den Tigris überschritten hatte, verwüstete er Dēr; dabei verschonte er nicht einmal den Tempel Edimgalkalamma und führte außerdem zahlreiche Gefangene weg. Der Fall von Enlil-nādin-šūmi (1225) folgte. Einige Jahre später lehnten sich die Großen Babylons gegen die assyrische Staatsgewalt auf; dies nützten die Elamiter aus und ergriffen die günstige Gelegenheit zu einer zweiten Intervention. Nachdem sie wiederum den Tigris überschritten und sich Isins bemächtigt hatten, gelangten sie nach Marad, wo sie auf die babylonischen Truppen stießen. Trotz eines militärischen Erfolgs mußten sie aber offenbar wieder umkehren. j) Das Erwachen Adad-sūma-uṣurs und der babylonische Einfall in Assyrien In Babylonien änderten sich die Verhältnisse rasch. Die Macht Assyriens, die mit Tukulti-Ninurta einen Höhepunkt erreicht hatte, brach noch einmal zusammen. Tukulti-Ninurta wurde wahnsinnig oder für wahnsinnig erklärt und mußte von der politischen Bühne verschwinden; er wurde von einem seiner Söhne, der sich an die Spitze eines von den assyrischen Adligen geschürten Aufstands gestellt hatte, getötet. Auf dem Thron »dieses Herrn des Krieges« folgten einander drei seiner Söhne (1207 bis 1193); einer wie der andere scheint recht unbedeutend gewesen zu sein. Der letzte dieser Könige, Enlil-kudur- uṣur, mußte noch den Einfall babylonischer Truppen in Assyrien unter dem Befehl Adad-šūma-uṣurs, des Sohnes des Kaštiliaš, erleben. Die sicher romanhaft gestaltete Chronik berichtet: nachdem die beiden Könige die Schlacht begonnen hätten, sei der Prinz Ninurta-apil-Ekur, ein Nachkomme Erība-Adads I. (siehe S. 77), der in
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Babylonien in der Verbannung lebte, nach Assyrien zurückgekehrt; dort sei es ihm gelungen, das Vertrauen des assyrischen Heeres zu gewinnen und an seiner Spitze auf Aššur zu marschieren, das er eroberte. Dagegen habe der babylonische König sein Lager abgebrochen und sei in sein Land heimgekehrt. Die historische Wahrheit, die in diesem ausgeschmückten Bericht enthalten ist, ist wohl zu rekonstruieren. Auch Adad-šūma-uṣur hegte den Wunsch, auf den Thron Assyriens möchte ein Mann gesetzt werden, dem er mehr Vertrauen entgegenbringen könnte als dem Sohn des ehemaligen Eroberers von Babylon. Sein Schützling Ninurta-apil-Ekur, der wirklich von einem legitimen assyrischen König abstammte, war der Mann, den er brauchte. Deshalb hatte das Eindringen der babylonischen Armeen nach Assyrien den Zweck, den Erfolg eines solchen politischen Vorgehens sicherzustellen. Adad-šūma-uṣur – seine Titel zeigen dies – nahm die traditionelle Haltung der kassitischen Könige gegenüber dem Gott Enlil, dessen »Geliebter Hirte« (oder »Pfleger«) er war, und gegenüber der heiligen Stadt Nippur, deren »Kurator« er war, wieder ein. Es ist jedoch überraschend, daß dieser Befreiungskönig seine überlegene Stellung gegenüber den assyrischen Königen, seinen Zeitgenossen – von dieser Überlegenheit zeugen unter anderem die Formulierungen in seinem Brief an Aššur-narāri III. (1203–1198) und an Iluḫaddā – nicht ausgenutzt hat, um die Rückführung des Marduk-Standbildes zu erreichen. So seltsam dies auch erscheinen mag, die Marduk-Statue wurde ihrer Stadt und ihrem Volk auch nicht während der Regierungszeit Ninurta-apil-Ekurs zurückgegeben, obwohl dieser seine Thronbesteigung zum großen Teil der Hilfe der Babylonier zu verdanken hatte. Diese Rückführung erfolgte erst in der Zeit seines Enkels Ninurta-tukulti-Aššur. Bei Melišiḫu, dem Nachfolger Adad-šūma-uṣurs in Babylonien, taucht eine Frage auf. Handelte es sich um jenen Melišiḫu, der sich auf einer Inschrift als »Sohn« des Kurigalzu bezeichnete? Diese Inschrift ist auf einem Keulenknauf eingraviert, der in Babylon in einem Gebäude aus der Partherzeit gefunden wurde.15 Das Fehlen jedes königlichen Titels hindert uns nicht, diese Inschrift auf einen König zu beziehen. Man könnte vielleicht den Gedanken erwägen, ob er der Nachfolger Adad-šūma-uṣurs war. Dann hätte der Ausdruck māru hier nicht die richtige und eigentliche Bedeutung »Sohn«, sondern »Nachkomme«. Die Regierungszeit Melišiḫus, und auch die seines Sohnes Marduk-apla-iddins (Merodach-Baladan; 1173–1161) – er war der erste König aus der Kassitendynastie, der einen mit »Marduk« zusammengesetzten Namen trug – muß eine Periode der Ruhe gewesen sein; dies bezeugen zahlreiche Landschenkungen. Eine dieser Schenkungen kam einer Tochter des Melišiḫu zugute, die den anmutigen und sprechenden Namen Ḫunnubat-Nanā trug, d.h. »Die Göttin Nanā ist von üppiger Blüte«. Der kudurru, auf dem die königliche Schenkung eingetragen wurde, spricht von Trockenlegungsarbeiten, um ein am Ufer des Königskanals gelegenes Gebiet anbaufähig zu machen. Ländereien und Orte wurden von jeder Steuer befreit. Weder der leitende Beamte des Distrikts
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noch der Gouverneur durften eindringen oder den Bewohnern Fronarbeit auferlegen. Marduk-apla-iddin war ein Zeitgenosse Aššurdans von Assyrien. Erst unter Zababa-šūma-iddina (1160) verschlechterte sich die Lage Babyloniens und wurde schließlich sehr kritisch. Aššurdan überschritt den Unterlauf des Zab und bemächtigte sich verschiedener Städte, wie Zaban und Irria, und der Ebene von Ṣallu. Ṣallu, ein Grenzgebiet, war Gegenstand fortgesetzter Streitigkeiten gewesen (siehe S. 43). Irria wird ebenfalls mehrfach in den Landschenkungsurkunden erwähnt. Diese recht bedeutende Stadt war der Hauptort einer Provinz. Da Marduk-apla-iddin die drohende Gefahr nahen fühlte, setzte er dort einen Mann seines Vertrauens ein. Zaban, dessen Name an den Zab-Fluß erinnert, befand sich wohl in derselben Gegend, nicht weit von Lupti, das vielleicht dem heutigen Taza- Khurmatu im Süden von Nuzi entspricht. Letztlich war die militärische Operation Aššurdans nur ein Streifzug; Assyrien war noch nicht stark genug, um einen längeren Krieg gegen Babylonien wagen zu können. k) Der elamitische Blitzkrieg Unvergleichlich folgenschwerer war dagegen der lange Zeit vorher geplante Angriff der Elamiter. Die Erinnerung daran setzte sich wie ein Alpdruck im Bewußtsein der künftigen Generationen fest. Der siegreiche König von Elam, Šutruk-Naḫḫunte, ließ den Bericht über seinen Sieg auf mehreren Stelen einmeißeln. Nachdem die feindliche Armee den Ulaī (den heutigen Karun) überschritten hatte, ergoß sie sich von Süden her über Babylonien; sie eroberte Städte und Marktflecken und legte den Einwohnern schwere Tributzahlungen in Silber, manchmal sogar in Gold auf. Ešnunna, Dūr-Kurigalzu, Sippar und Opi wurden erobert. Dieser Feldzug führte außerdem zu einem ungeheuren Raub von Kunstwerken, die der König nach Susa brachte; dort haben die Archäologen unserer Tage sie ausgegraben. Indem der elamitische König alle diese Zeugnisse einer glanzvollen Vergangenheit aus den Tempeln riß, versuchte er in gewisser Weise, zusammen mit dem Land, auch die Grundlagen seiner Kultur zu erobern, welcher er und sein Volk seit Jahrhunderten verpflichtet waren. Alles, was an die einstige Macht Babylons erinnerte, befand sich von jetzt ab in Susa: in Ešnunna war es ein Standbild des Maništusu, in Sippar die Stele des Narāmsîn, die an seinen Sieg über Lullubi erinnerte, und gleichfalls vielleicht die aus Diorit gefertigte Stele, auf der die Gesetze Ḫammurabis eingraviert sind; in einem anderen Distrikt (Kiš?) war es der Obelisk des Maništusu, und in Akkad waren es zwei andere Standbilder dieses Königs. Aber auch die jüngste Vergangenheit wurde nicht vernachlässigt; dies bezeugt die Statue des Melišiḫu, deren sich Šutruk-Naḫḫunte in Karintaš (dem heutigen Karend an der nach Kermānšāh führenden Karawanenstraße) bemächtigte. Indem er von dort das Standbild des kassitischen Königs wegführte, wollte er ohne Zweifel jede Spur einer babylonischen Präsenz in diesem Gebiet, das er als ihm gehörig betrachtete,
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auslöschen. Wenn man den Weg der elamitischen Heere der Reihenfolge der eroberten Städte nach untersucht, kann man sehen, daß der König nach der Überwältigung der am Unterlauf der Dijāla gelegenen Städte in westlicher Richtung auf den Euphrat zu vorstieß und Sippar eroberte. Nachdem er dadurch Babylonien in zwei Hälften gespalten hatte, rückte er unmittelbar gegen den Süden, gegen Kiš, vor. So mußte Babylon, vom übrigen Lande abgeschnitten, fast ohne Widerstand in seine Hand fallen. »Šutruk- Naḫḫunte verjagte Zababašūma-iddina und ließ seine Regierung abtreten«, berichtet eine etwas später verfaßte Chronik. Dann übergab er die Staatsgewalt seinem ältesten Sohn Kudur-Naḫḫunte, »dessen Verbrechen noch größer war als das seiner Väter und dessen schwerwiegende Sünde noch verhängnisvoller war als die seiner Väter«. In der Tat organisierte der neue König eine Art permanenter Okkupation Babyloniens; dies rief die Bildung von Widerstandszentren um einen Führer namens Enlil-nādin-aḫi (1159 bis 1157) hervor. Dieser »König behandelte Elam als ein feindliches Land«. Das Volk, das sich ohne allzu große Anstrengungen hatte unterwerfen lassen, setzte von jetzt ab diesem König einen Widerstand entgegen, der den Zorn Kudur-Naḫḫuntes hervorrief. »Er fegte die ganze Bevölkerung Akkads wie eine Sintflut weg. Er verwandelte Babylon und die berühmten Kultstätten in einen Trümmerhaufen.« Enlil-nādin-aḫi, der letzte König der Kassiten-Dynastie, wurde als Gefangener nach Elam geführt, und der Gott Marduk mußte einmal mehr den Weg ins Exil antreten. Ein Gouverneur, der nicht-babylonischer Herkunft war, wurde in dem Land eingesetzt. Auf einer sehr stark beschädigten Stele wird von einer von Enlil-nadin-aḫi gewährten Landschenkung berichtet; dabei bezeichnet sich dieser als »König von Sumer und Akkad«. Das scheint zu beweisen, daß dieser Mann wirklich König war und seine Königsgewalt trotz der außerordentlichen Umstände ausübte. l) Ablösung durch Isin Die Ausdrücke, deren sich der Chronist bediente, um den Umfang dieses Unheils mit Worten wie »Sintflut« und »Trümmerhaufen« zu beschreiben, scheinen darauf hinzuweisen, daß die von Kudur-Naḫḫunte durchgeführte Strafaktion für die Babylonier das Ende einer Epoche bedeutete, ein endgültiges, unerbittliches und alles zunichte machendes Unheil. Dennoch scheinen mit dem Tod des letzten Kassiten-Königs in der Deportation und mit der vollendeten Eroberung Babyloniens für Elam noch nicht alle Fragen geregelt zu sein. Schon Šilḫak-in-Šušinak, der als Nachfolger seines Bruders Kudur-Naḫḫunte kurz nach der Eroberung Babyloniens an die Macht gekommen war, mußte gegen Ende seiner Regierung eine Reihe von Feldzügen in den nordöstlichen Grenzgebieten Babyloniens führen. Dort hatten sich in der Tat für die Sicherheit Elams bedrohliche Widerstandsherde gebildet. Einige auf der Stele, auf der uns der erste dieser Feldzüge berichtet wird, erhaltene Ortsnamen sind uns auch anderswoher bekannt. Es handelt sich um Bīt-nappāhē (Haus der Schmiede) und um einen Ša-barbarē (Ort »der Wölfe«) genannten Ort. Diese Orte müssen sich
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an der Grenze zwischen dem Gebiet von Nuzi und Assyrien befunden haben. Der erstgenannte Ort muß mit ḫalṣu nappāḫē (Bezirk der Schmiede) und der zweite mit der Stadt Barbara identisch gewesen sein; beide werden mehrfach in den Dokumenten von Nuzi erwähnt. Die Kriegshandlungen haben sich also in Richtung auf das Gebiet am Unterlauf des Zab abgespielt. Weiter ist dann die Rede von einem Gebiet namens Ukar-silla-Epeḫ, das heißt von ugar Ṣallu (Ebene von Ṣallu), in das Aššurdan kaum einige Jahre zuvor eingefallen war; auch auf den Berg Ebeḫ (den heutigen Ğebel Ḫamrīn) kommt die Sprache. Die Namen der uns teilweise bekannten Orte wie Matqa (vermutlich im Ğebel Kumar gelegen), Kibrat (wahrscheinlich Kibri im Nuzi-Text) ermöglichen uns die Feststellung, daß diese Feldzüge sich an der Grenze zwischen Babylonien und Assyrien abspielten; mit unterschiedlichem Glück, müssen wir hinzufügen, weil die gleichen Städtenamen mehrfach wiederkehren. Das bedeutet, daß derselbe Ort mehr als einmal erobert und wieder aufgegeben werden mußte. Ein anderer Einfall in das Gebiet von Nuzi wird uns schließlich in einem anderen Abschnitt berichtet. Die Städte Nuzi, Arrapḫa (das heutige Kirkūk), Anzugalli, wahrscheinlich ganz in der Nähe von Nuzi, Ḫanbati (anderswo Ḫabati) und Šaniše (im NuziText: Šannaš?) werden hier erwähnt. Der elamitische König nahm ein Gebiet, das sich im Norden der Dijāla befand, zum Ausgangspunkt seiner Operationen und rückte dann in das Gebiet zwischen Tigris und Zagrosgebirge bis auf einige Meilen vor Erbil vor. Er hoffte, sich mit seinem Angriff auf die Grenzgebiete die Kontrolle über die natürlichen, von Osten nach Westen verlaufenden Straßen, die vom Oberlauf der Dijāla in Richtung auf die babylonische Ebene herabführen, zu sichern. Aber schon während dieser Zeit hatte sich in Babylonien eine neue Macht gebildet. Einem lokalen Führer mit Namen Marduk-kabit- aḫḫēšu gelang es fast sogleich nach der Eroberung des Landes durch die Elamiter, in Isin alle Kräfte um sich zu scharen, die die Abhängigkeit von Elam ablehnten. Der in Isin zum Ausdruck gekommene Wille zur Unabhängigkeit wurde offensichtlich durch die geographische Lage dieser Stadt, die jetzt im Verhältnis zu den lebenswichtigen Zentren Babyloniens ganz am Rande des Landes lag, begünstigt. Von Isin griff diese Aufstandsbewegung auf andere, mehr im Norden gelegene Zentren über. Beim Tod des Königs Aššurdan von Assyrien hatten sich Mardukkabit-aḫḫēšu (1156–1139) und dann auch sein Sohn Itti-Marduk- balāṭu (1139– 1131) eine so starke Stellung gesichert, daß sie in die inneren Angelegenheiten Assyriens in der Weise eingreifen konnten, daß sie einen der beiden Thronbewerber, nämlich Ninurta-tukulti-Aššur, gegen seinen Bruder MutakkilNusku unterstützten. Wahrscheinlich ist durch die kurze Regierungszeit (etwa ein Jahr?) des Ninurta-tukulti-Aššur der babylonische Einfluß auf Assyrien noch verstärkt worden. So konnte Marduk endlich nach einem langen, mehr als ein Jahrhundert dauernden Exil wieder in seinen Tempel nach Babylon zurückkehren. Babylon verdankte es der Dynastie von Isin, die sich aus der von
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Feuer und Asche geprägten Katastrophe erhoben hatte, daß es dreißig Jahre danach von neuem Herr seines Geschickes war. m) Nabû-kudurri-uṣur I. Die Gefahr von Seiten Elams war in der Tat für den Augenblick beseitigt. Šilḫakin-Šušinak hatte wohl versucht, noch einmal gegen Babylon zu marschieren, aber sein Versuch scheiterte nach einem ersten Anfangserfolg; er mußte schleunigst wieder umkehren. Diese Handlungsfreiheit ermöglichte es vielleicht den Nachfolgern Itti-Marduk-balāṭus, auch auf anderen Gebieten eine wiedergewonnene Aktivität zu zeigen. Man kann beobachten, daß Ninurtanādin-šūmi (1130–1125) die Nordgrenze überschritt und in die Nähe von Erbil gelangte. Nabû-kudurri-uṣur (Nebukadnezar I.; 1124–1103) versuchte seinerseits, an anderen Stellen in Assyrien einzudringen. Die Anspielung auf die Stadt Zanqu (oder Zaqqu) scheint auf einen Vormarsch der Babylonier gegen die im Nordosten gelegenen Gebirge hinzuweisen, während der Angriff auf die Stadt Id – wenn die Identifizierung mit Ḫit stimmt – den Versuch, in die Gebiete des mittleren Euphrat vorzudringen, bezeugen würde. Obwohl die assyrischen Quellen diese Angriffe als harmlos hinstellen und von einer Zurückweisung dieser Angriffe sprechen, würde die Titulatur Nabû-kudurri- uṣurs, der sich als Sieger über Lullubi und Amurru (d.h. im Osten und Westen gelegene Gebiete) bezeichnete, beweisen, daß die Babylonier über diese Ereignisse eine ganze andere Meinung vertraten. Ob die Babylonier nun zurückgeschlagen wurden oder Sieger blieben, in jedem Fall bleibt die Tatsache bestehen, daß zu diesem Zeitpunkt die Initiative auf ihrer Seite lag. Diese zunehmende Aktivität stellte Nabû-kudurri- uṣur unverzüglich erneut unter Beweis, als er einen schweren Angriff gegen Elam durchführte; er wollte dadurch den Vorteil ausnützen, der ihm durch die Schwäche und die Unentschlossenheit des neuen Königs Ḫutelutuš-in-Šušinak in die Hand gespielt wurde. Es fanden hier anscheinend zwei Feldzüge statt. Der erste Feldzug wurde zumindest im Prinzip mit der Absicht begründet, zwei Flüchtlingen einer elamitischen Stadt mit Namen Dīn-šarri zu Hilfe zu eilen; diese hatten um den Schutz Nabû-kudurri-uṣurs gebeten und denselben auch erhalten. Die aus dem Ende der kassitischen Zeit stammenden Dokumente bezeugen mehrfach die Ankunft von Flüchtlingen aus Elam oder aus anderen Gebieten; aber im allgemeinen ging es hier um Leute, die ihr Land aus wirtschaftlichen oder strafrechtlichen Gründen verlassen hatten. Es ist aber viel wahrscheinlicher, daß es sich im Fall von Šamuas und seines Sohnes Šamaia um politische Flüchtlinge handelte. Vater und Sohn, die dem Priesterstand angehörten – Šamaia war Priester des Gottes Ria – flüchteten »vor dem König von Elam«. Der von Nabûkudurri-uṣur unternommene Feldzug wurde von einem Erfolg gekrönt, der das ursprüngliche Ziel übertraf; das Standbild Bels (Marduk) wurde befreit und nach Babylon zurückgebracht. Dem Gott Ria wurde in der Gegend von Opi eine große Domäne verliehen. Diese Domäne wurde den elamitischen Schützlingen des
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babylonischen Königs anvertraut. Ein anderer Feldzug, über den wir einen genaueren Bericht besitzen, wurde von jenem Fürsten unternommen, »den der König der Götter, Marduk, die Waffen zur Rache für Akkad erheben ließ«. Er fand mitten im Sommer im Monat Tammuz statt. Die babylonischen Kampfwagen folgten der Karawanenstraße, die noch jetzt von Dēr in einem Bogen über Pušt-i-kuh bis zum heutigen Dizful am Ulaī führt; dort stießen die Babylonier mit den Truppen Ḫutelutuš-in-Šušinaks zusammen. »Auf Befehl von Ištar und Adad, den Herren über den Kampf« wandte sich das Waffenglück den Babyloniern zu. »Der König von Elam machte kehrt und verschwand; dagegen hielt sich der König Nabû- kudurri-uṣur aufrecht in seinem Siege.« Er besetzte das Land Elam und plünderte seine Reichtümer. Nach seiner Rückkehr nach Babylon belohnte der König den Befehlshaber der Kampfwagen des Rechten Flügels, Laktišiḫu, dem anscheinend ein nicht unwichtiger Anteil an diesem Sieg zukam. Die Berichte über diese beiden elamitischen Feldzüge sind uns auf zwei Stelen erhalten. Es ist aber immerhin möglich, daß die militärischen Operationen, die einmal die Schenkung an den Gott Ria und dann die Freigebigkeit gegenüber Laktišiḫu, dem Kommandanten der Kampfwagen, rechtfertigten, sich tatsächlich nur auf einen einzigen siegreichen Feldzug Nabû-kudurri-uṣurs beziehen. n) Der Druck der Nomaden und das Ende der II. Dynastie von Isin. Die II. Meerland-Dynastie Es ist möglich, daß dieser Sieg auch eine lange Verdunkelung der elamitischen Macht hervorrief. Drei Jahrhunderte lang war von Elam keine Rede mehr. Auch verfügen wir über keine elamitischen Quellen mehr. Die mesopotamischen Dokumente erwähnten ebenfalls Elam bis zum Jahr 821 nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Elamiter als Verbündete der Aramäer von den Assyrern geschlagen. Nach einer kurzen Regierungszeit Enlil-nādin-aplis (1102 bis 1099), des Sohnes Nabû-kudurri-uṣurs – das einzige Dokument, das ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann, ist ein Urteil über den Besitz einer Länderei – folgte Marduk-nādin-aḫḫē (1098–1081). Mit Tiglat-Pileser I. (1115–1077) hatte Assyrien aufs neue einen der Höhepunkte seiner überschäumenden kriegerischen Lebenskraft erreicht. Aber auch die seit Jahrhunderten beständige, nicht auf bestimmte Punkte festzulegende Bedrohung Mesopotamiens von Seiten der Nomaden wurde plötzlich akut. Diese durch den Einfall der »Seevölker« von Westen nach Osten getriebenen Wüsten-Nomaden schlossen sich, um weiterleben zu können, zu einer fest umrissenen politischen Einheit – zu der der Aramäer – zusammen. Das gleiche Phänomen der Vereinigung, das man schon bei den Kassiten und bei den Ḫurritern erlebt hatte, vollzog sich hier erneut. Es ist möglich, daß man schon zwei Jahrhunderte vorher Aramäer in einem in Dūr-Kurigalzu gefundenen Brief in den darin genannten Ḫirana wiedererkennen muß. Dort wird erwähnt, daß diese Ḫirana sich teils im Norden in den von assyrischem Territorium umschlossenen Städten Subartus niedergelassen und
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teils am Mittellauf des Euphrat im Land von Suḫi und Mari gewohnt hätten. Aber vom Ende des 12. Jahrhunderts an scheint der Euphrat keinen ausreichenden Damm gegen sie gebildet zu haben; Tiglat-Pileser mußte deshalb vierzehn Feldzüge unternehmen, durch die er sie zu vertreiben und jenseits des Flusses zu halten versuchte. Man weiß, daß Marduk-nādin-aḫḫē im zehnten Jahr seiner Regierung einen Sieg über Assyrien errang. Eine Stele informiert uns, daß Marduk-nādin- aḫḫē einem seiner Adligen zur Belohnung für sein tapferes Verhalten während eines Krieges gegen die Assyrer Ländereien schenkte. Der Nachdruck, mit dem man den siegreichen Charakter dieses Krieges unterstrich – der königliche Prinz, der unter den Zeugen der Schenkung aufgeführt wird, wird als »Sohn des Königs von Babylon, der Assyrien geschlagen hat«, bezeichnet – nötigt uns, dieses Zeugnis ernst zu nehmen, ohne jedoch seine Bedeutung zu übertreiben. Auf assyrischer Seite werden zwei Feldzüge gegen Babylonien zur Zeit Marduk-nādin-aḫḫēs sicher bezeugt; es ist aber darüber hinaus möglich, daß die Verfolgung der Aramäer im Gebiet des Euphrat Tiglat-Pileser dazu führte, häufige Überfälle auf babylonisches Gebiet zu unternehmen, wie jenen nach Rapiqu, den er nebenbei erwähnt. Während des ersten Feldzuges überschritten die Assyrer die Nordgrenze Babyloniens, das heißt den Unterlauf des Zab, und stießen bis nach Lupti vor; dabei bemächtigten sie sich der in der Ebene von Ṣallu gelegenen Stadt Arman. Diese Stadt hatten sie den Babyloniern in der Zeit Adadnarāris I. schon einmal weggenommen; sie wurde aber seitdem zurückerobert. Dieser Feldzug hatte also eine Grenzberichtigung zum Ergebnis. Der zweite sehr viel ernster zu nehmende Feldzug endete mit der Eroberung von Dūr-Kurigalzu, Sippar des Šamaš, Sippar der Anunītum, Babylon und Opi. Babylon wurde der Plünderung preisgegeben und der königliche Palast in Brand gesteckt. Anscheinend setzten die Babylonier aber ihren Widerstand fort. Die Assyrer konnten erst später in einer geordneten Feldschlacht, in der die Kampfwagen Tiglat-Pilesers die Oberhand behielten, den Sieg erringen. Es ist möglich, daß diese Ereignisse ein wenig vor der katastrophalen Hungersnot anzusetzen sind, die nach einer Chronik über den Norden Mesopotamiens in einer Weise hereinbrach, daß »die Leute sich gegenseitig auffraßen«. Die »Zelt«Aramäer brachen auf und fielen in Assyrien ein. Um ihr Leben zu retten, flüchteten die Einwohner in die Gebirge im Norden des Landes und gaben ihre Städte den Plünderungen durch die Nomaden preis. Die Chronik fügt diesem Bericht noch hinzu, daß Marduk-nādin-aḫḫē für immer abtrat und auf den Thron von Babylonien durch seinen Sohn Marduk-šapik-zēri-māti (1080–1068) abgelöst wurde. Zumindest während eines Teils der Regierungszeit dieses Herrschers wurden freundschaftliche Beziehungen zwischen Babylonien und Assyrien angeknüpft. Aber die Freundschaft zwischen diesen beiden Ländern, die die synchronistische Geschichte mit Wohlgefallen hervorhebt, kam zu spät. Die Niederlage, die Tiglat-Pileser Marduk-nādin-aḫḫe beigebracht und dadurch die Zentralgewalt geschwächt hatte, konnte sich für die Aramäer nur günstig
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auswirken. Denn dieser bedeutende Soldat war – wie dies oft der Fall ist – leider nur ein mittelmäßiger, kurzsichtiger Politiker. Das geschwächte Babylonien brach als erstes Land unter den Angriffen der Aramäer zusammen. Ein König aramäischer Herkunft, der aber wie sein Vater einen babylonischen Namen, nämlich Adad-apla-iddina (1067–1046), trug, ersetzte den letzten König der Dynastie von Isin. Man weiß nicht, welchen Glauben man einer neubabylonischen Quelle schenken darf, die uns berichtet, daß der Aramäer nach dem Tod Marduk-šapik-zēri-mātis den Thron mit Hilfe Aššur-bēl-kalas (1074– 1057), des Nachfolgers Tiglat-Pilesers, besteigen konnte. Die synchronistische Geschichte berichtet ebenfalls, daß der assyrische König mit Adad-apla-iddina, nachdem dieser König von Babylon geworden war, ein Bündnis abschloß und dessen mit einer reichen Mitgift ausgestattete Tochter heiratete. Aššur-bēl-kala begünstigte zwar den Plan des Aramäers, sich die Macht in Babylonien anzueignen, nicht, doch erkannte er auf jeden Fall diese vollendete Tatsache an. Vielleicht hoffte er, die Herrschaft der Aramäer in Babylonien würde zumindest für eine kurze Zeit den Druck der Nomadenbanden auf Assyrien abschwächen. Aber genau das Gegenteil trat ein. Die Sutäer fielen in Babylonien ein. »Der Sutäer ... führte in sein Land die Beute aus Sumer und aus Akkad weg.« Eine Stele aus Sippar – sie stammt aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts – erwähnt diesen schrecklichen Einfall der Sutû, durch den Babylonien zusammenbrach. Das Heiligtum des Šamaš in Sippar, der berühmte Ebabbar-Tempel, wurde verwüstet und die Verehrung dieses Gottes unterbrochen. Daß der Sonnenkult während der Regierungszeit der drei Nachfolger Marduk- apla-iddinas nicht wiederaufgenommen wurde, ist ein Beweis für ihre schwache Machtstellung. Erst zwanzig Jahre später ließ der erste König der II. Dynastie des Meerlandes, Šimmaš-šiḫu (1024–1007), in den Tempelruinen das Standbild des Gottes suchen, »aber er offenbarte sich ihm nicht«. Nachdem er jedoch die Umfassungsmauer um die cella wiedererbaut hatte, richtete er die regelmäßigen Opfer wieder ein und setzte im Tempel einen bārû-Priester ein. Während der Hungersnot, die unter der Regierung Kaššû-nādin- aḫḫēs (1006–1004) ausbrach, wurden die Opfer erneut eingestellt. Die typisch kassitischen Namen der beiden Könige können den Gedanken wachrufen, es handelte sich bei ihnen um Nachkommen der Kassiten, die sich in den äußersten Süden geflüchtet hatten, als jeder Widerstand gegen die Elamiter sinnlos geworden war. Zweiter Teil Die Gesellschaft a) Soziale Strukturen α) Grundherrschaft und Landverwaltung. Die Dokumente, die uns über das wirtschaftliche Leben Babyloniens in der kassitischen Zeit Auskunft geben, zeigen zwei Haupttypen. Es handelt sich hier einmal um die Wirtschaftsarchive des Tempels von Nippur – zum Teil noch unveröffentlicht – und des Palastes
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von Dūr-Kurigalzu, zum anderen um die kudurru, die nach der Bedeutung des Wortes Grenzsteine waren. Sowohl die schon publizierten Archive als auch die kudurru schweigen sich im allgemeinen über das 16. und 15. Jahrhundert aus. Erst von der Zeit Burnaburiaš’ II. an können wir uns allmählich ein Bild von den wirtschaftlichen Wandlungen machen, die sich in Babylonien vollzogen. Ist unter diesen Umständen die Meinung berechtigt, daß die Veränderungen, die wir in diesem Augenblick erleben, schon in der vor dem 14. Jahrhundert liegenden Zeit sich bemerkbar machten, in einer Zeit also, über die fast keine Nachricht zu uns gelangt ist? Wahrscheinlich haben gewisse Wandlungen schon vorher stattgefunden; sie müssen von dem Zeitpunkt an eingetreten sein, als die Kassiten-Dynastie ihre Stellung im Land gestärkt hatte. Man muß sich vorstellen, daß Babylonien, in dem sich die Kassiten als Herren niedergelassen hatten, nur noch ein matter Abglanz des Königreichs war, über das Ḫammurabi geherrscht hatte. Die Souveränität Babyloniens war schon im Süden, im Gebiet von Ur und von Larsa, und auch im Zentrum von Nippur und Isin unter dem unmittelbaren Nachfolger Ḫammurabis, dem König Samsuiluna, ernsthaft erschüttert worden. Sie umfaßte zur Zeit der hethitischen Invasion nur noch die Gebiete von Babylon und Sippar. Dies erleichterte eine Änderung der alten Verwaltungs- und Territorialstrukturen, als diese Gebiete, die ehemals zum Königreich Babylon gehört hatten, allmählich wiedererobert wurden. Diese Umwandlungen wirkten sich vor allem auf die Regelung des Grundbesitzes aus. In den Eroberungskriegen – dies ist ein allgemeines Gesetz – mußte man vor allem die Männer belohnen, die hier gute Dienste geleistet hatten; dies geschah, indem man ihnen Funktionen in der Verwaltungshierarchie übertrug und ihnen darum ein Landgebiet gab, in dem sie sich aller Rechte eines Herren erfreuten. So wird auf einer Stele von einer Landschenkung Kurigalzus (II.) an einen Krieger auf Grund seines mutigen Verhaltens im Krieg gegen »Subartu«, das heißt gegen Assyrien, berichtet. Dieses Vorgehen schuf eine neue, mit Vorrechten ausgestattete Klasse von Grundbesitzern, die zusammen mit ihren Familien dem König durch Bande der Abhängigkeit und der Treue verpflichtet waren. Hier erhebt sich die Frage: zu welchen sozialen Gruppen gehörten diese Krieger, die sich in den Kämpfen ausgezeichnet hatten? Man tut der Wahrheit wahrscheinlich keine Gewalt an, wenn man vermutet, daß es sich hier vor allem um Elitetruppen, wie die Soldaten in den Kampfwagen, gehandelt hat; man kann sagen, daß der Landbesitz zu diesem Zeitpunkt mit bestimmten Arten militärischer Technik verbunden gewesen zu sein scheint, die damals auftauchten und die durch Ḫurriter und Kassiten in Mesopotamien eingeführt worden waren. Auch die Tempel zogen in einem beträchtlichen Umfang aus den Landschenkungen des Königs16 Nutzen; ihre Domänen wurden dadurch erweitert. All dies geschah zum Nachteil der ehemaligen Grundbesitzer; diese nützten oft eine gute Gelegenheit oder das Fernbleiben der neuen Besitzer aus, um wieder auf ihrem alten Landbesitz Fuß zu fassen oder die königlichen Schenkungen in Frage zu stellen. Diese Situation
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gab zu Prozessen Anlaß, die sich manchmal über drei Generationen und noch länger hinzogen. Über sie wurde zusammen mit dem Urteilsspruch, der dem Rückforderungsprozeß ein (vorläufiges) Ende setzte, auf einem kudurru berichtet. Obwohl der Brauch, Liegenschaftsverträge auf einem auf dem betreffenden Boden errichteten oder aufgestellten Stein festzuhalten, sehr alt ist (siehe zum Beispiel den Obelisk des Maništūšu), so haben doch die Kassiten dieser Gewohnheit den allgemeingültigen Charakter gegeben. Dies geschah dadurch, daß sie diesen Grenzstein, dessen Kopie im Tempel aufbewahrt werden mußte, zu einem Dokument machten, in dem die Rechte, die eine Einzelperson und ihre Erben auf ein Grundstück hatten, greifbare Gestalt annahmen. Indem man die Inschrift unter den Schutz der Gottheiten stellte, die darauf manchmal durch eines ihrer Symbole dargestellt wurden, verbürgten diese sich für die Unwiderruflichkeit der Rechtsentscheidung, die der König getroffen hatte. Die Ermahnung, man solle den Stein nicht an einem dunklen oder geheimen Ort verbergen, die man in diesem Zusammenhang oft liest, sollte vermeiden, daß dem Stein »das Ansagen des Rechtes« des Grundbesitzers unmöglich gemacht würde. Man sieht, wie hier wechselseitig mehrere Denkweisen zum Ausdruck kamen, von denen einige recht grob, ja archaisch waren. Es konnte ja tatsächlich durch nichts verhindert werden, daß man den Stein wegnahm oder die Inschrift unleserlich machte. Wenn man einem solchen Stein darum die Publizität des Rechtsaktes anvertraute, so konnte dies recht kindisch erscheinen. Es hat den Anschein, daß in der Vorstellung der Babylonier, wie dies auch bei anderen Völkern der Fall war, zumindest ursprünglich der Stein seine Kraft nicht nur von den Göttern, die darauf abgebildet waren, erhielt, sondern daß er – vielleicht in einem noch viel größeren Umfang – seine Kraft daraus zog, daß seine Wurzeln sich sozusagen mitten in die Erde senkten. Zusätzlich vermitteln uns die kudurru die Kenntnis des dafür zuständigen Verwaltungspersonals und geben uns über die Rechtsverhältnisse der damaligen Zeit Aufschluß. Wir können auch beobachten, daß der ḫazannu, dessen Name, wenn nicht gar seine Funktion, unter der I. Dynastie von Babylon selten geworden war, wieder in Erscheinung trat. Unter der I. Dynastie war er vielleicht durch den rabiānum ersetzt worden. Man übersetzt diesen Ausdruck am besten wohl mit »Bürgermeister«. In Wirklichkeit gingen aber seine Funktionen weit über die Befugnisse hinaus, die heutzutage einem Bürgermeister übertragen sind, und erstreckten sich auf die verschiedensten Bereiche. Sie waren also verwaltungsmäßiger, polizeilicher, gerichtlicher und fiskalischer Art. Man trifft ständig auf diese Persönlichkeit, und zwar nicht nur in Babylonien, sondern auch in den benachbarten Gebieten, wie etwa in Nuzi und bis nach Syrien (Alalaḫ) hin. Wie auch die Vorteile seines Amtes gewesen sein mögen, die Verantwortung des »Bürgermeisters« lastete schwer auf seinen Schultern. Man kann dies auf Grund eines in Nuzi gefundenen Dokuments annehmen, in dem dem Bürgermeister der Stadt Tašuḫḫe Anweisungen erteilt wurden. Er mußte nicht
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nur auf den Zustand der von ihm verwalteten Stadt ein wachsames Auge haben, sondern er war auch für alles verantwortlich, was sich in dem benachbarten Landgebiet ereignete. Ob ein Raub durchgeführt wurde oder ob der Feind eine Razzia machte, bei der er sich einiger Leute bemächtigte oder sie tötete, immer war es der unglückliche ḫazannu, der dafür die Verantwortung tragen mußte. Wenn ein Bürger von Arrapḫa aus seiner Stadt floh und sich nach Tašuḫḫe flüchtete, wenn dieser dann seinen Zufluchtsort verließ und sich in ein anderes Land begab, dann mußte sich wieder der Bürgermeister wegen seines Mangels an Wachsamkeit verantworten. Eine seiner Hauptaufgaben bestand außerdem darin, dafür zu sorgen, daß die Frondienste pünktlich von den Einwohnern der von ihm verwalteten Stadt geleistet und daß die von den Bauern in Naturalien erhobenen Steuern zur rechten Zeit abgeführt wurden. Der ḫazannu mußte sich auch mit der Verarbeitung befassen, die bei manchen so eingesammelten Lebensmitteln nötig war, ehe sie in die Speicher eingelagert werden konnten. So mußte zum Beispiel der Bürgermeister die Sesamkörner zur Ölgewinnung auspressen lassen und die Einlagerung des Öles in versiegelten Kammern (bītkunukki) überwachen. Der ḫazannu hatte über sich den bēl piḫāti, den Gouverneur einer Provinz, und den šākin-māti, den Präfekten, der die Verwaltung der Provinz oder des Gebietes überwachte, in dem er residierte. Die wichtigsten Städte hatten über den ḫazannu hinaus noch einen Präfekten. Der Gouverneur von Nippur führte weiterhin die Bezeichnung eines guennakku. Es ist schwierig festzustellen, welche Befugnisse mit den zahlreichen Ausdrücken, auf die wir in den kudurru stoßen, verbunden waren. Einige dieser Titel beziehen sich auf die Verwaltung des Gebietes. Wir wissen zum Beispiel, daß der laputtu, der aklu und vielleicht auch der šākin ṭemi in der bürokratischen Hierarchie niedrigere Rangstufen einnahmen als der ḫazannu. Aber abgesehen davon ist uns nur wenig über ihre wirkliche Tätigkeit in dieser Zeit bekannt. Besonders erwähnt muß der zazakku werden. In seiner Gegenwart wurden damals in Babylonien wie in Nuzi die Ländereien vermessen, die Gegenstand einer königlichen Schenkung waren, oder der Landbesitz, der gerade der Domäne des Königs einverleibt werden sollte (Nuzi). In der Umgebung des Königs hielten sich verschiedene Beamte auf, die rēš šarri genannt wurden. Einige Angehörige dieser Gruppe sind uns bekannt, zum Beispiel Kidin-Marduk, der unter König Burnaburiaš II. diente und von dem wir zwei Siegel besitzen. Er war auch ein bedeutender Grundbesitzer, denn man kennt einen Marktflecken, der seinen Namen trug. Sukallu scheint keinen »Wesir« im eigentlichen Sinn bezeichnet zu haben. Es handelte sich sicher um einen sehr bedeutenden Beamten. Aber daß dieser Grad manchmal erst nach mehreren anderen Titeln genannt wird, zeigt, daß der sukallu in dieser Zeit, mindestens in Babylonien, nicht an der Spitze der Hierarchie stand. In Nuzi wurde diese Funktion manchmal von einem Prinzen wahrgenommen (mār šarri). Die Verwaltung des Palastes und des Tempels gehörte in die Befugnis des šatammu. Es hat den Anschein, daß dieser Terminus einen Beamten bezeichnete,
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der die Güter des Palastes oder des Tempels zu überwachen und jeden in die Lager aus- oder eingehenden Gegenstand zu buchen hatte. Ein Dokument aus Dūr-Kurigalzu zeigt uns in der Tat einen Tempel-šatammu, der bei seinem Amtsantritt darauf aufmerksam machte, daß eine Menge Bronze, die von dort zweifellos nur vorübergehend weggeschafft worden war, noch nicht wieder in den Tempel zurückgebracht worden sei.
Abb. 3: Rollsiegel aus Theben
Ein anderer Tempel-šatammu wurde durch den Bürgermeister von Babylon beauftragt, einem elamitischen Flüchtling eine kupferne Kette auf Rechnung auszuhändigen. Andere šatammu standen Magazinen vor, in denen man Lebensmittel (Öl, Gerste usw.) aufbewahrte, und Lagern mit Ausrüstungsgegenständen (bīt unāti). Einige Ausdrücke, die die Kuriere bezeichneten, waren ganz und gar neu und zeigen vielleicht, daß auf dem Gebiet des Postwesens von den Kassiten Neuerungen eingeführt wurden. Die kallē nāri u tābāli, die Boten zu Wasser und zu Land, werden neben den gewöhnlichen Kurieren (lāsimu) auf den kudurru unter den Beamten erwähnt, denen die Durchquerung von Landgebieten, die sich bestimmter Freiheitsrechte erfreuten, verboten war. Man hat den Eindruck, daß der vom Palast bestimmte Charakter, den die kassitischen Könige der Wirtschaft aufprägten, sich auch auf die Tempel
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erstreckte. Der Prozeß ihrer Verweltlichung wurde vielleicht weiter vorangetrieben als in der vorherigen Epoche. Nippur ist unsere Hauptquelle für Auskünfte über die Wirtschaft. Es scheint über zahlreiche Beamte des Königs vollkommen vom Hof abhängig gewesen zu sein. Wenn sich die königlichen Beamten in der Ausübung ihrer Funktionen übertrieben autoritär gebärdeten, mußte dies dem König berichtet werden. Die kassitischen Könige erscheinen als die Wohltäter der Tempelstädte Nippur, Ur und Sippar, und sie waren es auch in der Tat. Dafür waren diese Städte aber vollständig in ein System einbezogen, das ihnen kaum noch Freiheit ließ. Für Nippur galt dies derart, daß der König selbst manchmal den Titel eines guennakku, eines Gouverneurs von Nippur, annahm. β) Die sozialen Schichten und der Krieg. Man hat den Eindruck, daß in der sozialen Struktur Babyloniens noch mehr als unter der I. Dynastie der Nachdruck auf eine dualistische Organisation gelegt wurde. Sie wurde durch eine Klasse von Beamten und Offizieren, den »Kampfwagenleuten«, und durch eine Klasse von Bauern und Handwerkern, die durch Steuern und vor allem durch Frondienste aller Art ausgesaugt wurde, charakterisiert. Diese Klasse trug die Last beim Bau und beim Unterhalt der Deiche und der Kanäle. Diese Dorfbewohner wurden in mehr oder weniger zahlreiche Kolonnen eingereiht, die von Vorgesetzten angeführt wurden. So mußten sie Wasserreservoire und Kanäle ausgraben und die Gärten bebauen. Dabei waren sie oft einer schlechten Behandlung von Seiten der königlichen Beamten ausgesetzt, wie man aus verschiedenen Dokumenten erfährt. Über diese Zwangsarbeit hinaus (iškaru, tupšikku, ilku) schuldeten sie dem Tempel oder dem König in Naturalien zu leistende Steuern. Die Befreiung von der Zwangsarbeit und vom Frondienst hatte deshalb ganz offenkundig eine entscheidende Bedeutung. Der Ausdruck zakûtu, Abgabenfreiheit, wurde in dieser Zeit so häufig wie nie zuvor gebraucht. Er bedeutete, daß der Landbesitz, dem diese Abgabenfreiheit zugute kam, von bestimmten oder den meisten Steuern und vom Frondienst für die Zentralgewalt befreit war. Die königlichen Beamten, ganz gleich, welchen Rang sie einnahmen, hatten nicht das Recht, solche Besitzungen zu betreten, die in dem Sinn »frei« waren, daß ihre Bewohner sich aller ihrer Rechte erfreuten. Nun wurde aber wie durch Zufall gerade jener »freie« Landbesitz, der sich ähnlicher Vorrechte erfreute, den Vertretern der »adligen« Klassen von den Königen zugestanden. Selbstverständlich ist das von uns gezeichnete Bild der sozialen Struktur schematisch. In seinen großen Linien trifft es aber wahrscheinlich zu. Wir wollen zur Organisation der Verwaltung zurückkehren. Man konnte dort die Beobachtung machen, daß sich die Terminologie im Vergleich mit den früheren Epochen relativ wenig geändert hatte. Diese Tatsache schließt aber in keiner Weise aus, daß die mit diesen Termini bezeichneten Funktionen sich nicht entwickelt hätten. Die neuen führenden Klassen bedienten sich wahrscheinlich
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zum großen Teil der Namen, die schon unter ihren Vorgängern üblich waren. Sie bezeichneten damit aber sehr verschiedene Funktionen. Dagegen stammten die meisten neuen Termini anscheinend, soweit man dies beurteilen kann, aus dem militärischen Bereich: Heer und Bewaffnung. So ist es zum Beispiel mehr als wahrscheinlich, daß mit dem Ausdruck šakrumaš ein Beamter mit militärischen Aufgaben bezeichnet wurde. Ein solcher Charakter dieses Amtes geht auch aus Dokumenten hervor, die aus einer späteren Zeit als der der kassitischen Dynastie stammen. In der Zeit der II. Dynastie von Isin belohnte König Marduk-nādin-aḫḫē einen šakrumaš, der sich während des Krieges gegen Assyrien ausgezeichnet hatte (siehe S. 43), mit einer Landschenkung. Aus einigen älteren Stellen scheint außerdem hervorzugehen, daß der šakrumaš »motorisierte« Einheiten, das heißt Kampfwagen, befehligte. Dadurch erklärt es sich, daß der gebrauchte Ausdruck nicht babylonisch, sondern kassitisch ist. Wenn man das Hauptelement dieser Einheiten, den Kriegswagen, einer Überprüfung unterzieht, dann muß man feststellen, daß dieser zwar noch immer mit dem alten akkadischen Ausdruck narkabtu bezeichnet wurde, daß aber die Namen mehrerer Bestandteile dieser Wagen nicht akkadisch, sondern kassitisch sind. In diesem Gegensatz schlägt sich im Bereich der Sprache eine geschichtliche Realität nieder. Der Kampfwagen war zwar seit mehreren Jahrhunderten bei den Akkadern bekannt, man verdankte es aber den aus dem Osten vorgedrungenen Völkern, die große Pferdezüchter waren, daß er zu jenem verhältnismäßig schnellen und soliden Instrument wurde, durch das die Grundlagen des Bewegungskrieges verändert werden konnten. Gleichzeitig trat der Unterschied zwischen dem Kampf- und dem Transportwagen deutlich hervor. Die von den Neuankömmlingen in Babylonien eingeführten Veränderungen am Kriegswagen betrafen großenteils die Räder. Sowohl die Reifen (allak) als auch die Speichen (anakandaš, akkandaš) trugen kassitische Bezeichnungen. Der recht dünnwandige Oberbau des Kampfwagens ruhte nur noch auf zwei Rädern. Dagegen saß der Transportwagen (eriqqu) sehr oft weiterhin auf vier Rädern und wurde von Ochsen, Maultieren oder Eseln gezogen. Die Räder waren nicht mehr massiv, sondern bestanden aus Ringen, die durch vier oder sechs Speichen zusammengehalten wurden. Leder und Holz bildeten zwar bei der Herstellung der Kampfwagen noch das Hauptmaterial, aber immer mehr wurde auch Bronze verwandt. Sie wurde vor allem für die Bereifung der Räder gebraucht. Doch mußten auch einige Ausrüstungsstücke aus Bronze sein, wie der šaḫumaš, der vielleicht zur Befestigung der Zügel diente, oder der kamusaš, ein ebenfalls aus Bronze hergestellter Gegenstand, der vielleicht eine Verwicklung der Zügel verhinderte. Der Kampfwagen wies schon eine solch komplizierte Technik auf, die die Zusammenarbeit mehrerer Handwerker erforderte. Es waren dies der Schreiner, der Gerber, der Sattler und der Schmied. Die Herstellung des Kampfwagens ermöglicht es uns also, einen der bezeichnendsten Vorgänge des damaligen wirtschaftlichen Lebens zu erfassen. Nur eine zentralisierte Wirtschaft, wie etwa
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die vom Königspalast bestimmte, konnte die für den Bau der Kampfwagen notwendigen Stoffe und Handwerker zusammenfassen. Es ging dabei nicht nur um die Einfuhr der Rohstoffe, wie etwa der für Konstruktion und Räder nötigen Harthölzer und der Bronze, sondern auch um die an Ort und Stelle erzeugten Rohmaterialien, wie Leder und Wolle. Es ging aber vor allem – dies ist ganz entscheidend – um die qualifizierten Facharbeiter, die durch die Konstruktion des Kampfwagens erforderlich wurden. Die von uns aufgezählten wirtschaftlichen Gründe rechtfertigten aber nur zum Teil die enge Beziehung, die zwischen dem Kampfwagen und der durch den Königspalast geprägten Gesellschaft bestand, die in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends in Babylonien und im ganzen Mittleren Osten die Oberhand hatte. Auch andere Gründe stempelten den Kampfwagen zum typischen Erzeugnis dieser Gesellschaft. Einer dieser Gründe war vor allem ihre enge Verbindung mit dem Pferd. Das Pferd war zwar schon seit mehreren Jahrhunderten im Süden Mesopotamiens bekannt gewesen, aber man hatte es nur recht wenig gebraucht. Es wurde jetzt zur Personifizierung des Krieges und der Jagd, die als Betätigungsfeld einer Klasse, besser noch einer Kaste, anzusehen sind. Dies geht auch aus dem hervor, was dem Pferd in der Fabel in den Mund gelegt wurde17: »Ich bin mit starkem Kupfer wie mit einem Gewand bekleidet ... ohne mich können weder König noch Gouverneur, weder Priester noch Fürst ihre Wege durcheilen ... Mein Stall hat seinen Platz ganz in der Nähe des Königs und (seines) Ratgebers.« Kampfwagen und Pferde waren in der Tat derart wichtige Faktoren der Lebensweise geworden, daß die Könige in ihrem gegenseitigen Briefwechsel es niemals vergaßen, die Pferde in den Grußformeln, die sie gegenseitig an sich richteten, zu erwähnen. Die Pferde gehörten in der gleichen Weise zu den Königspalästen wie die Prinzen und Prinzessinnen, die Frauen des Harems und die Offiziere des Königs. Die Pferde gehörten außerdem noch zum wertvollen und geschätzten Reichtum Babyloniens. Sie bildeten deshalb in der Form des Geschenks und Gegengeschenks ein Objekt jenes königlichen Handels, der sich auf der einen Seite zwischen Babylonien und Ägypten ergeben hatte, seitdem diplomatische Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern in der Zeit Thutmosis’ III. angeknüpft worden waren, und der auf der anderen Seite zwischen Babyloniern und Hethitern eröffnet worden war. Hören wir, wie Ḫattušili III. in einem Brief an Kadašman-Enlil seine Bitte um Pferde formulierte: »Schicke mir Pferde; es müssen aber junge Zuchthengste von großem Wuchs sein. (Denn) die Zuchthengste, die mir dein Vater geschickt hatte, wie auch die Pferde, die du mir selbst gesandt hattest, waren gut, aber kleinwüchsig und sind jetzt alte Pferde geworden ... Im Lande Ḫatti ist es sehr kalt, und die alten Pferde können dort nicht leben. Möchten doch die Pferde, die mir mein Bruder schickt, junge Zuchthengste (von großem Wuchs) sein, denn mein Land ist voller kleinwüchsiger Pferde.« Oft mußten Städte und Marktflecken Kampfwagen als Zwangsleistungen für den Palast herstellen (iškaru). Diese Kampfwagen wurden dann durch Beamte
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wie die sonstigen Fertigwaren abgenommen und je nach den Bedürfnissen auf die verschiedenen Körperschaften (Heer, Polizei) verteilt. Eine so geartete Wirtschaft konnte nur auf Grund eines sehr ausgedehnten bürokratischen Verwaltungsapparates bestehen. Dieser Apparat umfaßte in einem eng gezogenen Netz die ganze Produktion des Landes. Er schleuste die fertigen Erzeugnisse in den Kreislauf der Wirtschaft ein. Dieses Wirtschaftssystem, das an eine Pumpe mit Ansaug- und Ausstoßwirkung erinnert, funktionierte in dieser Zeit in der gleichen Weise auch in den kleinen Randstaaten, die sich unter der mehr oder weniger direkten Abhängigkeit von Mitanni befanden. In Nuzi ermöglichen es die reichhaltigen Dokumente, den Mechanismus dieser Produktions- und Verteilungswege noch besser als in Babylonien zu erfassen. Für ein ordentliches Funktionieren dieses Systems war es nötig, daß das auf der untersten Stufe amtierende Verwaltungspersonal, das heißt vor allem die Bürgermeister der Städte und Marktflecken, zuverlässig war und die Erzeugnisse nicht ihrem eigentlichen Zweck entfremdete. Sie waren nämlich beauftragt, diese als Steuer einzuziehen. Einige Protokolle über der Unterschlagung schuldige »Bürgermeister« (ḫazannu), von denen einer den gut kassitischen Namen Kušši-Ḫarbe trug, geben uns darüber Auskunft, unter welchen Umständen und auf welche Weise sich die vox populi auch in einer so totalitären Gesellschaft Gehör verschaffen konnte. Wenn man im Palast erfuhr, daß ein pflichtvergessener Bürgermeister das fragile Gleichgewicht des wirtschaftlichen Kreislaufs, dessen Mittelpunkt der Palast war, gefährden konnte, erhob man gegen ihn Anklage. Dann konnten die einfachen Bürger ihren Klagen freien Lauf lassen. Einem dieser Bürger hatte Kušši-Ḫarbe den Mist gestohlen, einem anderen die Türen seines Hauses, so daß dieses unverzüglich ausgeplündert worden war, einem dritten die Strohmatten, mit denen er gerade sein Dach wieder neu deckte. Einmal hatte er Hirten geschlagen oder ins Gefängnis geworfen, um von friedlichen Dorfbewohnern, deren Frauen er in seine eigene Wohnung entführt hatte, ein Lösegeld zu erpressen. Die schlimmste Tat war jedoch folgende: Kušši-Ḫarbe hatte gegen ein ziemlich hohes Bestechungsgeld eine zur Zwangsarbeit verpflichtete Person vom Frondienst befreit und hatte für den Palast bestimmtes Holz zur Anfertigung einer Tür für seine eigene Wohnung verwandt. Die außerordentliche Gefahr dieses ganzen Systems lag gerade in der Schwierigkeit, solches Personal anzustellen, das sich damit begnügte, die von ihm Verwalteten zu seinem eigenen Vorteil ein wenig auszusaugen, ohne sich jedoch über Gebühr an dem für den Palast bestimmten Gut zu vergreifen. Die Einführung von Kampfwageneinheiten im Heer mußte zudem die Voraussetzungen des Krieges umgestalten. Auch darin erweist sich die Dokumentation der an der Peripherie gelegenen Städte als wertvoll. Wir erhalten für eine schon verhältnismäßig frühe Zeit (15. bis erste Hälfte des 14. Jahrhunderts) Auskünfte über die Bewaffnung dieser Einheiten und über die Männer, aus denen sich diese Truppe zusammensetzte. Die Einteilung der
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Armee in zwei Flügel, die schon für die altbabylonische Periode bezeugt zu sein scheint, gewann wegen der Kampfwagen eine neue Bedeutung. Die Dokumente über die Heeresverwaltung spielen dauernd auf die Verpflegung der Männer und der Pferde »der Rechten« und »der Linken« an. Der Verpflegungsnachschub war in der Tat ein Problem, das den Ablauf der militärischen Operationen beeinflußt haben muß. Es handelte sich nicht mehr nur darum, die Männer zu ernähren, sondern auch die Pferde; derartige Überlegungen müssen sich auf die Wahl des Zeitraumes ausgewirkt haben, während dessen man militärische Unternehmungen beginnen konnte. Jedes Gespann bestand im allgemeinen aus zwei Pferden; dazu kam ein Ersatzpferd. Die Bemannung eines Kampfwagens (rakib narkabti) umfaßte, so scheint es, den Fahrer, den Kämpfer (Bogenschützen) und gelegentlich einen Reitknecht (kizû). Die Hauptausrüstung der Männer eines Kampfwagens bestand aus einem Panzerhemd (ṣiriam oder ṣariam; dies ist vielleicht ein ḫurritisches Fremdwort), auf dem man einen Brustharnisch (dutiwa, ein Ausdruck, der vielleicht mit dudittu verwandt ist, was im Akkadischen Brustschild bedeutet) trug, und schließlich aus einem Lederhelm (qurbiṣu). Alle drei Ausrüstungsgegenstände wurden durch Bronzeplättchen verstärkt. Außerdem schützte eine kurze lose ärmellose Jacke (naḫlaptu) Schultern und Brust. Die Pferde waren ebenfalls mit einem Panzerhemd, einem Brustharnisch und einem naḫlaptu der gleichen Art und derselben Bezeichnung bekleidet, als ob man dadurch die kriegerische Solidarität unterstreichen wollte, die die Männer mit ihren Tieren verband. Gruppen von Spezialhandwerkern wurden dauernd zur Unterhaltung der Kriegsausrüstung aufgestellt; diese wurde in einem Arsenal gelagert, das an den Palast angrenzte und einem Haushofmeister unterstellt war, der in Nuzi den Titel eines šākin bīti führte. In einer peinlich genauen Buchführung wurden die Aus- und Eingänge des Kriegsmaterials dieses Arsenals aufgezeichnet; ebenso wurde der Zustand der Angriffswaffen, vor allem der Bogen und der Pfeile, schriftlich festgehalten. Die meisten »Urkunden« erwähnen, ob es sich um Ausrüstungsgegenstände des linken oder des rechten Flügels der Armee handelte. Von dieser gewöhnlichen militärischen Ausrüstung unterschied sich das für den König und die Prinzen bestimmte Kriegsmaterial einmal durch den Wert des teureren Rohstoffs, aus dem es hergestellt war, zum anderen durch die handwerkliche Geschicklichkeit des Meisters, der es angefertigt hatte; es gab hier Peitschen, deren Griff einen Entenkopf darstellte und deren Stiel mit Gold und Silber eingefaßt war, und mit Edelmetall überzogene Köcher. Diese Feinarbeit fand auch beim Kampfwagen selbst Anwendung, der manchmal mit aus Gold gefertigten Motiven bedeckt war. Diese Gegenstände, die oft Geschenke ausländischer Fürsten waren, wurden in den »Schatzkammern« eingeschlossen; sie wurden daraus erst entnommen, wenn der König sie brauchte. Mit Zuchtpferden war Babylonien so reichlich versehen, daß man sie mit der Zahl der Strohhalme zu vergleichen pflegte. Ihre Zucht beruhte auf den gleichen
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Grundsätzen, denen man in dieser Zeit im Nahen Osten fast überall folgte; diese Vorschriften sind in einem Lehrbuch zusammengestellt, als dessen Verfasser der Mitanni Kikkuli gilt. Verschiedene Gebiete hatten sich sozusagen das Monopol für die Zucht einer besonderen Pferderasse verschafft. So ließ man zum Beispiel die für die Prunkgespanne sehr geschätzten weißen Pferde aus Ḫarsamnâ in Anatolien kommen. Vor allem aber lieferten die Gebiete um den Zagros weiterhin große Mengen an Zuchthengsten (dort rühmten noch im letzten Jahrhundert die Reisenden das wunderbare Schauspiel, das die Gestüte der halbwilden Pferde, die in aller Freiheit auf üppigen Wiesen weideten, boten). Diese Zuchthengste verstärkten die Herden der Ebene, die zwar wohlgenährt und gut gepflegt, aber durch das warme und feuchte Klima geschwächt waren. Auch hier kommen uns die Dokumente aus Nuzi zu Hilfe. Der Palast dieser Stadt führte Kleidungsstücke, eines der wichtigsten Wirtschaftsgüter dieses Gebietes, in andere Länder aus und erhielt dafür Pferde. Außer dem König besaßen noch andere Persönlichkeiten von hochgestelltem Rang ihren eigenen Pferdestall. Dazu gehörten etwa die Prinzen und die Prinzessinnen, die hohen Beamten und die hohe Geistlichkeit, z.B. die Hohenpriesterinnen (entu) der bedeutendsten Götter (Adad, Ištar). Vor allem aber hatte das Heer einen erheblichen Bedarf an Pferden. Man mußte hier ständig die Pferde ersetzen, die durch Erschöpfung, Krankheit oder einfach wegen ihres Alters verwendungsunfähig geworden waren. Unsere Kenntnis der militärischen Organisation wirft eine wichtige Frage auf: Gab es zu dieser Zeit in Babylonien Ansätze zu einem stehenden Heer, das bereit war, sich unverzüglich in den Kampf zu stürzen und schnell an den Punkten einzugreifen, wo es nötig war? Oder haben wir es mit einem Heer zu tun, das aus Männern gebildet wurde, die je nach den Erfordernissen des Augenblicks in aller Eile zum Heeresdienst eingezogen wurden? Bis jetzt weisen wohl nur die Archive von Nuzi ein reichhaltiges Material über diese Frage auf, durch das uns eine Antwort gegeben werden kann. Aber auch für Nuzi beziehen sich die das Heer betreffenden Dokumente fast ausschließlich auf die »motorisierten« Formationen, das heißt auf die Kampfwagen, und schweigen sich fast ganz über die Infanterie aus (bedeutet ERÌN.GER: ṣābū šēpi »Fußtruppen«?). Obwohl die Auskünfte dieser Dokumente nur bruchstückhaft: sind, so kann doch aus ihnen zumindest auf die Menschengruppen geschlossen werden, die die Kampfwagentruppen bildeten. Man kann daraus zum Beispiel den Schluß ziehen, daß die Kader anscheinend aus Berufssoldaten bestanden. Ihre Namen kehren regelmäßig in einer großen Anzahl von Texten wieder. Unter ihrer Befehlsgewalt standen Männer, die auch als rakib narkabti bezeichnet wurden. Einige Abteilungen dieser Truppen bildeten in der Schlacht die Garde des Königs oder der königlichen Prinzen oder aber sie zogen als Wache an den Pforten des Palastes und anderer Amtsgebäude auf oder sie wurden zur Überwachung der Getreideernte, die durch Räuber bedroht war, ausgesandt. Ihre Vorgesetzten konnten außerdem eine mehr oder weniger wichtige
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Verwaltungsfunktion als sukallu, ḫazannu, šākin māti, Arzt oder Mundschenk einnehmen. Man muß ferner zwischen den rakib-narkabti und den als aḫḫē, das heißt Brüder, bezeichneten Männern unterscheiden; wir sollten sie besser »Kameraden« nennen. Es handelte sich dabei vielleicht um junge Männer, die zur Instandhaltung der Kampfwagen und zur Pflege der Pferde angestellt waren und darauf warteten, selbst Kampfwagenführer zu werden. Diese Tätigkeit erforderte Geschicklichkeit und Übung. Unter den Fußsoldaten trifft man häufig auf Handwerker. Es gab hier Schmiede, Töpfer, Wäscher, manchmal Ärzte und sogar Priester. Die Einteilung des Heeres in zwei Flügel, die für die altbabylonische Periode ebenfalls bezeugt zu sein scheint, gewann damals wegen der für den kriegerischen Einsatz bestimmten Kampfwagen eine neue Bedeutung. Was war nun eigentlich der Sinn der Aufteilung der Kampfwagentruppe in Kampfwagen des rechten und des linken Flügels? Darauf beziehen sich ständig sowohl die Dokumente der Heeresverwaltung, die die Verteilung des Getreides und des Futters an die verschiedenen Einheiten erwähnen, als auch die Aufzeichnungen über den Zustand ihrer aus Waffen und Pferden bestehenden Ausrüstung. Wir besitzen noch kein Mittel, um zu erkennen, ob die Bezeichnung »linker« und »rechter Flügel« einer bestimmten Schlachtordnung entsprach oder ob sie einfach der für den militärischen Führer bestehenden Notwendigkeit, bei den aufeinanderfolgenden Feldzügen die gleichen Einheiten und die gleichen Männer zu seiner Linken und zu seiner Rechten zu haben, Rechnung trug. Vielleicht wurde durch diese Zweiteilung des Heeres auch eine allgemeine Einteilung des Raumes nachgeahmt. Wir stoßen auf diese Einteilung übrigens wieder bei der Bezeichnung von Städten innerhalb eines Distrikts und auch bei den für den Zehnten bestimmten Feldern. Von diesen drei Hypothesen, die sich übrigens gegenseitig nicht ausschließen, kommt wahrscheinlich die letzte der Wirklichkeit am nächsten. Aber welcher Hypothese man auch die größte Wahrscheinlichkeit zuspricht, es erscheint unbestreitbar, daß die Aufteilung der Kampfwagentruppe in Einheiten von rechts und von links eine klar umrissene Verwendung der Männer dieser Einheiten voraussetzt. Das Lesen dieser Dokumente ruft noch eine andere Frage, nämlich die nach den Reservisten, wach. Mehrfach ist in den Listen, die anscheinend das Heer betrafen, der Name einer oder mehrerer Personen von dem Ausdruck šinamunu gefolgt, der oft »2-mu-nu« geschrieben wird; dieser Ausdruck bedeutete der zweite, doppelt. Der gleiche Ausdruck fand ebenfalls auf Personen, die einen Frondienst ausführen mußten, Anwendung. Man hat in allen diesen Fällen daran gedacht, šinamunu bedeute Ersatz und man müsse in Erwägung ziehen – vor allem wenn es sich um Soldaten handelte –, daß mit diesem Ausdruck ein Hilfssoldat oder ein »Reservist« bezeichnet würde. Neben den šinamunu gab es auch kikamunu, das heißt eine dritte Kategorie. Daß man zumindest auch einmal auf ḫamišmunu (geschrieben »5-mu-nu«; d.h. eine fünfte Kategorie) stößt, versetzt uns jedoch im Hinblick auf die Richtigkeit dieser Hypothese in Verlegenheit.
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Der für den Krieg gewählte Zeitpunkt verdient hervorgehoben zu werden. Im Vorwort des Berichtes, den Sargon II. von Assyrien dem Gott Aššur über seinen achten Kriegszug erstattete, wurde ausgeführt: »Im Monat Tammuz, in dem die Beschlüsse der Völker festgelegt werden, im Monat des tapferen ältesten Sohnes Enlils, des Starken unter den Göttern, Anušat, den der hervorragende Gelehrte Nin-igi-kù als Zeit der Heeresversammlung und des Aufbaus der Lager auf einem alten Täfelchen aufgezeichnet hatte.«18 Um sich zumindest im Prinzip einem ehrwürdigen Brauch anzupassen, begann also der assyrische König seinen Feldzug im Sommer. Der Monat Tammuz war nämlich der vierte Monat des babylonischen Jahres, das im Monat März/April begann. In der gleichen Weise begann Nabû-kudurri-uṣur I. – wir kennen ihn schon (siehe S. 41) – mitten im Monat Tammuz seinen Blitzkrieg gegen den König Ḫultelutuš-in-Šušinak von Elam. Es ist möglich, daß wirtschaftliche und strategische Erwägungen die Wahl des Sommers als günstige Jahreszeit für den Beginn der militärischen Operationen19 beeinflußt haben: einmal waren die Männer nach Beendigung der landwirtschaftlichen Arbeiten verfügbar, andererseits hatte man reichlich Verpflegung in den Silos gelagert, und vor allem konnte man mit den Kampfwagen auf einem trockenen Boden, in den die Räder nicht einsanken, manövrieren. Gerade dieser letzte Gesichtspunkt mußte bei solchen mit Kampfwagen durchgeführten Blitzkriegen in den oft überschwemmten Ebenen des Südens von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein. b) Familienstrukturen α) Beziehungen zwischen Familienstruktur und Grundbesitz. Jedoch wäre es wohl falsch anzunehmen, daß die staatliche Struktur der babylonischen Wirtschaft, deren Umrisse wir in aller Eile gezeichnet haben, es den verschiedenen sozialen Gruppen nicht gestattet habe, die Selbständigkeit aufrechtzuerhalten, deren sie sich in der vorangegangenen Epoche erfreuten. Es könnte, zumindest in bestimmten Fällen, möglich gewesen sein, daß die Bedeutung dieser Gruppen sich sogar noch steigerte. Der Grundsatz, von dem sich Ḫammurabi – und in einem geringeren Umfang auch die ihm vorangegangenen Gesetzgeber – im Bereich des Straf rechts, und hier ganz besonders in den Fällen von Körperverletzung, leiten ließen, bestand in der Umwandlung der Rache in Strafe. Es handelte sich darum, den Familien das Recht, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen, zu entziehen und die von der Ehre geforderte »unbegrenzte« Rache durch eine genau bestimmte Strafe zu ersetzen, die vielleicht die Zentralgewalt über den Schuldigen verhängte. Die Wiedervergeltung (talion) war ein beschränkter Rechtsgrundsatz, der sich auf die Menschen erstreckte, die ihrer Stellung und ihrer Altersklasse nach ebenbürtig waren; sie bestand in einer durch Gesetz bestimmten Festsetzung der Rache. Dadurch wurde es möglich, zwischen den Forderungen der »Ehre«, an denen die amorritischen Schichten der babylonischen Bevölkerung, wie alle Beduinen, unerbittlich festhielten, und zwischen den Forderungen der Zentralgewalt einen
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Ausgleich zu schaffen. Denn die Zentralgewalt konnte die beträchtlichen Verluste an Menschenleben und Energie nicht hinnehmen, die ihr durch die maßlose Befriedigung der durch die Ehre gebotenen Forderungen zugefügt wurden. Mit einem derartigen Vorgehen erreichte Ḫammurabi schließlich noch ein anderes Ziel. Er zerbrach damit den Zusammenhalt der Großfamilie, deren Solidarität durch die Blutrache immer wieder gestärkt wurde. Die Großfamilie verlor durch die Kommerzialisierung des Landbesitzes auf der einen Seite ihre territoriale Grundlage, auf der anderen Seite wurde ihr verwehrt, sich durch die Ausübung der Blutrache als Gesamtverband zu behaupten. Dadurch wurde sie zu einem aufgespaltenen Organismus, der auf seine Urzelle, die Kleinfamilie, beschränkt blieb. Auf diese konnte die Staatsgewalt viel wirksamer nach ihrem Gutdünken Einfluß nehmen. Dagegen waren die auf den Fall der I. Dynastie folgenden Ereignisse dazu angetan, aufs neue den Aufschwung der Großfamilien zu begünstigen. Dazu trug vor allem das Fehlen einer starken Staatsgewalt bei, wodurch zumindest das erste Jahrhundert der kassitischen Herrschaft gekennzeichnet war. Hinzukam, daß die auf dem Land gelegenen Marktflecken im Verhältnis zu den babylonischen Städten, die eine Periode des Niedergangs durchgemacht haben müssen, an Bedeutung gewannen. Diese beiden Faktoren haben die Festigung der »joint families« unterstützt. In der Tat lassen sich Ausdrücke, die eine gebietsmäßige Ausdehnung bezeichnen, ebenfalls auf eine Gruppe von Menschen anwenden, die untereinander durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden waren und manchmal von einem gemeinsamen Ahnherrn abstammten. Worte wie dimtu, das, ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung »Turm«, schließlich zugleich die Bedeutung »befestigtes Dorf« und »Distrikt, der sich unter der Kontrolle oder im Besitz eines königlichen Beamten (bēl dimti) befindet«, haben konnte, oder wie bītu, »Haus«, »Familiengemeinschaft« und ebenso »Ort«, »Territorium«, kommen häufig in den Dokumenten dieser Zeit vor. So belohnte auf dem kudurru, auf den weiter oben hingewiesen worden ist (siehe S. 43), der König Marduk- nādin-aḫḫē einen Offizier durch Zuweisung eines Landbesitzes, der in Bīt-Ada, das heißt im »Haus des Ada«, lag; der Beschenkte brachte dem Oberhaupt von Bīt-Ada Pferde als Gabe dar. Dabei handelte es sich um den Mann, der auf Grund von Blutsbanden das Oberhaupt der Bevölkerung dieses Gebietes war. Hier deckte sich die Ortsbezeichnung mit einer menschlichen Realität, dem Clan. Der Landbesitz selbst war in ein engmaschiges Netz von manchmal widersprüchlichen Interessen eingezwängt. Er hatte seine Elastizität, die er früher unter der I. babylonischen Dynastie gewonnen hatte, eingebüßt. Damals war er praktisch zum Handelsobjekt geworden. Der Umstand, daß man unter den uns überlieferten Handelsgeschäften tatsächlich nicht auf Grundstücksverkäufe stößt, beweist, in welchem Umfang Grund und Boden ein unveräußerliches Gut geworden waren, die nur noch durch Erbgang oder königliche Schenkung übertragen wurden.
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β)) Vater-Sohn-Erbfolge und »Bruderschaften«. Zu der vom Vater her bestimmten Erbfolge, in der die Besitztümer in vertikaler Richtung, das heißt in der Abfolge Vater-Sohn-Enkel, übertragen wurden, gesellte sich manchmal auch noch eine andere Erbfolge, die sich horizontal entfaltete. Hier erfolgte die Übertragung der Güter von Bruder zu Bruder. Die Adoptionen an Bruders statt bezeugen unzweideutig diese Tendenz. Man trifft auf diese zu jener Zeit sehr zahlreichen Adoptionen nicht nur in Babylonien, sondern auch in den Nachbarländern wie etwa in Nuzi, einm sehr stark von ḫurritischen Einflüssen beherrschten Gebiet, und in Elam oder sogar in weiter entfernten Territorien wie Ugarit am Ufer des Mittelmeers. Die Adoptionen an Bruders statt wurden zum Beispiel in Nuzi überwiegend von dem kassitischen Milieu verbundenen Teilen der Bevölkerung vollzogen; dies bezeugen die Namen der Adoptierten und der Adoptierenden. Wie die Annahme an Sohnes Statt sollte die Adoption zur Bruderschaft dazu dienen, Familienfremden Zugang zum Besitz des Adoptierten zu verschaffen. Aber der Umstand, daß es sich hier um eine fiktive Bruderschaft an Stelle einer Abstammung handelte, beweist, daß die Übertragung auch auf Grund einer horizontalen »Erbfolge« geschehen konnte. In Nuzi wurde die Adoption an Bruders statt zwischen Personen durchgeführt, die blutsmäßig schon Brüder waren; sie erfolgte wahrscheinlich deshalb, um einem der Brüder über sein Erbteil hinaus noch einen Teil des Erbes des anderen Bruders zu vererben. Diese Familienorganisation, deren eigenständigen Charakter wir auf Grund ihrer in den uns hinterlassenen Dokumenten erwähnten Gegebenheiten würdigen konnten, beweist auf jeden Fall, daß das kassitische Volk, das man lange Zeit als ein Gesindel von Barbaren angesehen hatte, seine eigenen sozialen Strukturen besaß. Auf Grund eines zu stark vereinfachenden Schemas hat man die Meinung geäußert, die Führer der Kassiten hätten sich sofort nach ihrer Niederlassung in Babylonien bemüht, so gut wie möglich die Babylonische Kultur zu assimilieren, um ihre rauhe Herkunft vergessen zu machen. Wir können dagegen jedenfalls geltend machen, daß sie auf ihre Familienorganisation nicht verzichtet haben. c) Das Recht α) Juristischer Formalismus bei der Inbesitznahme des Bodens. Auch noch viele andere Gebiete bezeugen eine gewisse Originalität. Wir haben weiter oben die Form hervorgehoben, unter der die Übertragung von Grund und Boden in dieser Epoche erfolgte. Wir müssen jetzt noch hinzufügen, daß eine neue Terminologie auf den kudurru in Erscheinung trat. Sie zeigt uns, daß die Abtretung von Liegenschaften mit einem juristischen Formalismus umgeben war, der sich stark von dem unter der I. Dynastie geltenden Recht unterschied. Der König sandte seine Beamten zu den Ländereien, die jemandem übertragen werden sollten, um ihre Grenzen markieren und von amtswegen dem Beschenkten seinen Besitz bestätigen zu lassen. Die Publizität, von der dieser Vertrag umgeben war, schlug
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sich in drei Verben nieder: šapāru, mašāḫu, kunnû, daß heißt: entsenden, abgrenzen, bestätigen.20 Die Beamten, die die Vermessung des Gutes vornahmen, waren der Gouverneur der Stadt und der Schreiber des Königs. Manchmal teilte man ihnen noch andere königliche Beamte zu. Der Bürgermeister (ḫazannu) konnte den Gouverneur der Stadt vertreten. β)) Die Bürgschaft. Man kann sagen, daß diese ganze Epoche durch eine Erneuerung des juristischen Formalismus gekennzeichnet ist. Das Aufdrücken eines Nagels oder eines Stückes aus der Kleidung des Schuldners auf die Urkunde an Stelle eines Siegels – eine Praxis, die auf das alte babylonische Recht zurückging – erfreute sich großer Beliebtheit. Gleichzeitig wurden Bürgschaften mit einem seltsamen Ausdruck belegt. Derjenige, der als Bürge für den Schuldner auftrat, wurde als jemand bezeichnet, der die Stirne des Schuldners schlägt (māhiṣ pūti). Um diesen Ausdruck wirklich zu begreifen, muß man sich den Vorgang vergegenwärtigen, der zur Stellung eines Bürgen führte: Dieser griff manchmal nicht schon in dem Augenblick ein, in dem der Schuldner seine Schulden machte, sondern erst dann, wenn der zahlungsunfähige Schuldner schon durch den Gläubiger ergriffen worden war. Der Bürge schlug also auf die Stirn des Schuldners und ließ ihn aus dem Gefängnis gehen (bīt kīli), in das ihn der Gläubiger gesperrt hatte und wo er ihn festhielt. Das Gefängnis mag zu dieser Zeit eine Art Arbeitshaus gewesen sein. Doch in anderen Fällen scheint die Verantwortung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger darauf beschränkt gewesen zu sein, darüber zu wachen, daß der Schuldner nicht das Weite suchte und am Verfallstag der Schuld dem Gläubiger tatsächlich vorgestellt werden konnte. Der gleiche Ausdruck zur Bezeichnung eines Bürgen findet sich auch in einem Nachbarland Babyloniens, nämlich in Nuzi. Hier aber griff der māhiṣ pūti erst in dem Augenblick, da die Verpflichtung entstand, in die Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner ein, um zu garantieren, daß der Letztgenannte seine Verpflichtung, für die er sich verbürgt hatte, zum festgesetzten Zeitpunkt erfüllte. Manchmal war der Schuldner ein Handwerker, der eine Bestellung zur Herstellung eines Gegenstandes erhalten und dafür den Macherlohn im voraus bekommen hatte. In diesem Fall verpflichtete sich der Bürge dazu, daß die Arbeit zur rechten Zeit geliefert wurde. Bei anderen Anlässen handelte es sich um eine gemeinschaftliche Anleihe, die mehreren Personen, die miteinander genossenschaftlich verbunden waren (vielleicht arbeiteten sie auf den gleichen Höfen?), gewährt wurde. Dadurch kam dann eine Art Solidaritätsbürgschaft zustande, so daß der Gläubiger die Bezahlung der ganzen Schuld von dem einen oder anderen dieser Schuldner einfordern konnte. Man sprach in diesem Fall davon, daß die Schuldner gegenseitig füreinander Bürge (māhiṣ pūti) waren. d) Die Religion
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α) Die Götter der Kassiten-Dynastie. So wenig die Kassiten bestimmte soziale Strukturen aufgegeben haben, so wenig haben sie auch auf ihre Götter verzichtet. Diese beiden Verhaltensweisen – man muß das ausdrücklich sagen – waren ganz eng miteinander verbunden. Zweifellos bestand eine der Hauptsorgen Agums II. darin – wir haben dies schon angedeutet (siehe weiter oben S. 15) –, die Standbilder Marduks und Ṣarpanitus zurückzuholen, die anläßlich eines Einfalls der Hethiter weit von Babylon weggebracht worden waren. Die Rückkehr des göttlichen Paares in ihre Stadt bedeutete die Wiederherstellung der Ordnung, die durch den feindlichen Einfall und durch den Sturz des letzten Königs aus der I. babylonischen Dynastie gestört worden war. Wenn man der Meinung ist, daß alles Geschehen in der Welt der Menschen unmerklich dem Willen der Götter entspringt, dann bewies die Rückführung Marduks in seinen Tempel, daß trotz des Wechsels in der Dynastie die Kontinuität Babylons sichergestellt sei. Es wäre jedoch nicht richtig, wenn man durch diese Rückkehr Marduks nachweisen wollte, daß die kassitischen Könige in ihrer Frömmigkeit sich von jetzt an ausschließlich den babylonischen Göttern auf Kosten ihrer eigenen zugewandt hätten. So zeigt beispielsweise das Verhalten Kurigalzus I., daß eine solche Deutung unbegründet ist. Als er sich im Augenblick seiner Krönung mit dem Titel »König der Gesamtheit« (šar kiššati) schmückte und dadurch, über die I. Dynastie hinausgreifend, eine Verbindung zu den Königen von Akkad und vor allem zu Sargon herzustellen vorgab, wandte er sich nicht an Marduk, sondern an die Götter seiner Dynastie, nämlich an Šuqamuna und Šumaliya. Sie umgaben zusammen mit der höchsten Dreiheit, nämlich mit Anu, Enlil und Ea, den König mit »göttlichem Glanz«, dem Hauptmerkmal der »Welt«-Herrscher. Außerdem traten Šuqamuna und Šumaliya bis zum Ende der Dynastie – und sogar noch nachher – in den Inschriften als Schutzgötter des Königs auf. Unsere geringe Kenntnis vom kassitischen Pantheon stammt zum größten Teil aus zwei Quellen. Die eine ist ein kassitisch-akkadisches Wörterbuch, das eine bestimmte Anzahl göttlicher Namen enthält, die andere eine Liste kassitischer Eigennamen, die Wort für Wort ins Akkadische übersetzt wurden. Wir erfahren daraus auf der einen Seite, daß Šuqamuna als eine Gottheit angesehen wurde, die mit einer anderen nicht-akkadischen Gottheit – Šugab – identisch war; auf der anderen Seite wurden die beiden Gottheiten bald mit dem akkadischen Gott Nergal, bald mit dem akkadischen Gott Nusku identifiziert. Dagegen wurde Šumaliya – »die auf den Höhen wohnt«, »die Herrin der reinen Berge«, »die die reißenden Bergströme durchschreitet« – mit einer anderen, der akkadischen Welt fremden Gottheit, nämlich mit Šigurra-Šiburra, in Beziehung gesetzt. Obwohl verschiedene dieser Götternamen, wie zum Beispiel Šumaliya, mit den indoeuropäischen Sprachen in Verbindung gebracht werden können, so weist doch die Vorsilbe šu-, mit der alle diese Namen beginnen, darauf hin, daß sie eine Einheit bildeten und daß unter ihnen eine sprachliche Verwandtschaft bestand. Das Problem scheint sich also in folgender Weise zu stellen: zu dem Zeitpunkt, als die Kassiten eine beherrschende Rolle in Babylonien spielten, scheinen diese
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Gottheiten unbestreitbar mit dem Zagrosgebiet verbunden gewesen zu sein. Wurden sie dorthin durch die Kassiten gebracht oder gehörten sie einer noch vor dem Auftreten der Kassiten liegenden Zeit an? Noch andere Götternamen werden in der Liste und im Wörterbuch, auf das wir eben hingewiesen haben, aufgeführt. Ḫarbe wird mit Enlil, Marattaš mit Ninurta, Saḫ mit Šamaš, Šiḫu mit Marduk (so die Namensliste; dagegen im Wörterbuch Šiḫu = Šīn), Ḫala/i mit Gula, Kamulla mit Ea, die Göttin Mizir mit Gašam und Buriaš, der auch der »kassitische Gott« genannt wird, bald mit Adad, bald mit Bēl-mātāti (dem »Herren der Länder«) in Zusammenhang gebracht. Es erscheint unzweifelhaft, daß für Šuqamuna und Šumaliya als Götter der Dynastie ein Gottesdienst gefeiert werden mußte. Da jedoch in keinem Text von einem diesem göttlichen Paar geweihten Tempel die Rede ist, würde dies bedeuten, daß seine Verehrung wahrscheinlich in einer Kapelle erfolgte, die sich im Inneren des Königspalastes befand. Noch später, das heißt im 1. Jahrtausend, stoßen wir noch einmal auf einen Kult, der der Šumaliya in Assyrien von Šamši-Adad V. und von Asarhaddon gewidmet war. Auf den kudurru werden Šuqamuna und Šumaliya mehrfach neben Nusku, dem Gott des Feuers, und neben Bēlit-ekalli, der »Herrin des Palastes«, erwähnt. Der Inhalt dieser Fluchsprüche, für den diese Götter bürgten, zeigt, in welchem Bereich sie ihre göttlichen Funktionen ausübten: »Šuqamuna und Šumaliya mögen Unheil über den künden, der das auf dieser Stele vereinbarte übertritt«; »sie mögen in ihrem Zorn denselben dem Palast verabscheuungswürdig machen« oder »sie sollen den Gott in seinen Feind, den König in seinen ›Hasser‹ umwandeln« und so weiter. In diesem Zusammenhang taucht eine andere Frage auf: Muß man in der auf den kudurru häufigen Erwähnung der »Götter des Königs« (ilāni ša šarri) eine deutliche Beziehung zu Šuqamuna und Šumaliya sehen? Wenn Burnaburiaš in seinem Schreiben an Amenophis IV. den Wunsch aussprach, die »Götter des Burnaburiaš« möchten seinem Briefpartner zur Seite stehen, so wünschte er damit möglicherweise, der wohltätige Schatten der Götter der Kassiten-Dynastie möchte auch auf den König von Ägypten fallen. Auch ganz deutliche Hinweise auf Šuqamuna und Šumaliya als »Götter des Königs« fehlen nicht. Dabei muß man sich aber vergegenwärtigen, daß der Ausdruck »Götter des Königs« nicht das besondere Kennzeichen einer bestimmten Kultur war, sondern einem ganzen Kulturbereich eigen sein konnte. Daß man auf diese Bezeichnung zunächst an einem Ort wie Qatna stößt, zeigt ganz deutlich, daß die Ḫurriter in einer vielleicht indirekten Weise an der Einführung und Verbreitung des Begriffs »Götter des Königs« in Babylonien und auch an anderen Orten beteiligt waren. Aus der Sicht der Religionsgeschichte ist die Existenz von »Göttern des Königs« nicht ohne Bedeutung; denn trotz der recht hohen sozialen Stufe, auf der sie standen, zeigen sie doch eine gewisse Verwandtschaft mit jenen »Göttern«, einer Art von Laren, denen man zur gleichen Zeit in stark von den Ḫurritern geprägten Kreisen einen Familienkult widmete. Wir wissen, daß diese Götter in Bildern, die sich vom
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Vater auf den erstgeborenen Sohn vererbten, sichtbar dargestellt wurden. Dieser Sachverhalt wird in Nuzi ausführlich bezeugt. Er war sehr weit verbreitet und reichte bis zu den biblischen Patriarchen-Berichten mit den teraphim des Jakob. Was die anderen kassitischen Götter betrifft, die sehr häufig in Eigennamen auftauchen, so haben wir keinen Beweis dafür, daß man sie in einem Gottesdienst verehrte. Dies schließt nicht aus, daß die eine oder andere dieser Gottheiten unter dem Deckmantel des Namens eines babylonischen Gottes, dem man sie angeglichen hatte, eine gewisse Rolle spielen konnte. Auch die Grüße am Anfang der Briefe können hier manchmal instruktiv sein. Im allgemeinen wünschte der Absender seinem Briefpartner den Schutz der Götter, die am Herkunftsort des Briefes heimisch waren, wie etwa Gula, Šamaš und Marduk. Auch der »mächtige Gott« (wörtlich: der lastende), das heißt Adad, kam vor. Manchmal rief der Briefschreiber auf den Empfänger den kollektiven Schutz der Götter dieses oder jenes Ortes herab. Man trifft in diesem Zusammenhang auf »die Götter des Euphrat«. Dieser Ausdruck erinnert uns daran, welche Bedeutung in dieser Zeit dem Gottesurteil, vor allem dem durch den Fluß vollzogenen, in der juristischen und religiösen Literatur zukam. Man hat das Empfinden, daß dieses Beweismittel, welches damals auch auf Streitigkeiten wegen Grundbesitz Anwendung fand, in der kassitischen Zeit eine Erscheinung war, die dem gesamten Kulturbereich, der sich von Mari über Nuzi und Babylonien bis nach Elam erstreckte, eigentümlich war und nicht so sehr als charakteristisches Merkmal eines einzigen Volkes zu gelten hat. β)) Skeptizismus und persönlicher Schutzgott. Die kassitischen Schreiber sparten gegenüber dem umfangreichen, ihnen zugefallenen Erbe an religiöser Literatur weder mit Anstrengung noch mit Energie. Eine ungeheuer große Abschreibarbeit altbabylonischer und sumerischer Texte wurde in dieser Zeit in den ehrwürdigen Kulturzentren Uruk, Nippur, Sippar und Babylon geleistet. Dem Stil des kassitischen Schreibers fehlte zwar oft die Eleganz seiner Vorgänger; dagegen stand er dem Geist dieser Texte voller Ehrfurcht gegenüber und trieb die Bewunderung der Vergangenheit bis an die Grenze des Möglichen. Diese Vorliebe für den Archaismus ist bei den königlichen wie auch bei den auf die Siegel gravierten Inschriften offenkundig. Von jetzt ab traten die Familien der Schreiber in den alten Zentren an die Stelle der alten é.dub.ba, die verschwunden waren (Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 90). In diesen Familien wurde der Nachwuchs an Schülern wahrscheinlich in der Form einer Adoption ins Lehrverhältnis gewonnen. Die Schreiber traten immer häufiger als die Bewahrer der Tradition auf, und dies um so mehr, als sich der Abstand zwischen der geschriebenen und gesprochenen Sprache vergrößerte. Die Schreiber gingen von der typischen Mundart ihrer Epoche aus und schufen so in der Tat eine Literatursprache, in der verschiedene Formen des Altbabylonischen erhalten blieben.
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Ihre Arbeit beschränkte sich nicht auf das Abschreiben. Die Abfassung literarischer Werke legt von einer Erneuerung des Denkens Zeugnis ab. Eine neue Auffassung der Beziehungen zwischen Menschen und Göttern und eine andere Einstellung des Menschen gegenüber der Sünde tauchten in diesen Werken auf. In einem dieser Werke, Ludlul bēl nēmeqi, das zweifellos das bedeutendste ist, geht es um einen Helden, der den für diese Epoche kennzeichnenden Namen Šubši-mešrū-Šakkan trägt. Dieser ist ein frommer Mann, über den sich der göttliche Zorn entlädt. Wir erfahren jedoch schon von der dritten Tafel an, daß der Gott Marduk dem Helden Leben und leibliches Wohlbefinden wieder zurückgibt. Hier wird also folgendes Problem aufgeworfen: Wie kann ein Mensch, dessen Verhalten mit den durch die Riten festgesetzten Normen übereinstimmte und der seine Umgebung zur Frömmigkeit gegenüber den Göttern und zur Ehrfurcht gegenüber dem König aufforderte, das Schicksal erleiden müssen, das eigentlich nur den Sündern vorbehalten ist? Daher kommt jene von Enttäuschung erfüllte Bemerkung: »Wer kennt den Willen der Götter im Himmel? Wer kennt die Pläne der Götter der Unterwelt? Wie können sterbliche Menschen die Wege eines Gottes kennenlernen? Wer heute noch am Leben ist, ist morgen tot. Wer noch kurz zuvor niedergeschlagen war, rührt sich plötzlich wieder ... Die Lebensumstände (der Menschen) ändern sich so rasch, wie man seine Beine auftut und zusammenpreßt.« Wenn auch dieses Gedicht mit einem »happy end« abschließt, so ist doch der pessimistische Grundton ein Hinweis auf die Unruhe, von der die denkenden Menschen dieser Zeit ergriffen waren. Es ist wahr, daß die Zeitverhältnisse ihren Einfluß auf diese Art der Weltbetrachtung ausgeübt haben können. Die schreckliche Erfahrung, daß eine Stadt wie Babylon der Plünderung preisgegeben wurde, die Verarmung des Landes und die Machtergreifung einer ausländischen Dynastie können bei den denkenden Babyloniern Zweifel an der Richtigkeit des Glaubenssatzes, daß das Unheil nur die Folgeerscheinung einer Sünde sei, die man absichtlich oder unabsichtlich begangen habe, wachgerufen haben. Ein anderes interessantes Beispiel für die in dieser Zeit herrschende Denkweise ist ein Text, der ganz und gar pietistisch geprägt ist; er stellt vielleicht die Reaktion auf die Enttäuschung und Skepsis dar, von der die Schrift Ludlul bēl nēmeqi Zeugnis ablegt. Dieser Text will jedes über die Menschen niedergehende Unheil dadurch erklären, daß die Menschen irgendeiner rituellen Handlung nicht nachgekommen seien. Beim Gang durch die Geschichte gelingt dem Verfasser sogar das Kunststück, die Niederlage Narāmsîns (vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 106) durch den Hinweis zu erläutern, daß der König das Opfern eines Fisches im Esagil, dem Tempel Babylons, vergessen habe; dabei existierte dieser Tempel zur Zeit des genannten Herrschers noch nicht. Aber diese Versuche einer ritualistischen Geschichtsdeutung konnten die Zweifel kaum zur Ruhe bringen. Babylonien wurde von neuen Schicksalsschlägen getroffen. Dazu gehörte die Entfernung seines Gottes, der zunächst nach
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Assyrien, dann nach Elam gebracht wurde. Obwohl die Theologen den Versuch unternahmen, die Abwesenheit Marduks mit seiner Unzufriedenheit mit seinem Volk zu rechtfertigen (wie etwa in dem Irra-Gedicht), mußten derartige Ereignisse den Skeptizismus verstärken; man zweifelte daran, daß die großen Götter der Welt zugunsten ihrer Schutzbefohlenen wirksam eingreifen könnten. Daraus ergaben sich verschiedene Konsequenzen. Auf der einen Seite stellte sich in zunehmendem Maß das Bedürfnis ein, sich auf einen persönlichen Gott stützen zu können, der den Menschen näher stehe als die großen Götter. Immer mehr verwandte man in dieser Zeit das Wort ilu, Gott, in der Bedeutung von Chance und Glück für einen Menschen. Auf der anderen Seite begann die Magie eine immer bedeutendere Rolle zu spielen. Man griff auf sie zurück, um dem überwältigenden Einfluß dämonischer Mächte zu entgehen, durch die Krankheit und Unheil hervorgerufen werden. Gleichzeitig kann man seltsamerweise beobachten, daß in dem ehrwürdigen Zentrum von Nippur die medizinische Forschung wiederbelebt wurde. Briefe aus Nippur bezeugen in der Tat die Existenz einer Art von Klinik, in der Sänger und Sängerinnen des Tempels untergebracht und gepflegt wurden, von denen eine bestimmte Anzahl aus dem Ausland gekommen war. Unter diesen Kranken findet man eine königliche Prinzessin. Der Arzt, der sich um diese Menschen auf eine ganz und gar vernünftige Weise kümmerte, gab regelmäßig Auskünfte über die Entwicklung der Krankheiten, unter denen sie litten. Er selbst gehörte, wie das sein mußte, der Priesterschaft der Göttin Gula, der »großen Heilenden« an. Das bedeutet, daß er Mitglied der berühmtesten medizinischen Fakultät dieser Zeit war. γ) Der Triumph des Marduk. Auch die offizielle Religion hat eine Entwicklung durchgemacht. Die kassitische Dynastie hatte versucht, auf dem Weg über den Enlil geweihten Gottesdienst wieder an die große akkadische Tradition anzuknüpfen. Einer der Titel, den diese Könige sich zulegten, war insbesondere der eines »Vizekönigs des Enlil« (šagin denlil-la) gewesen. Dieser Beiname ging auf Narāmsîn zurück. Sie nannten sich »Günstlinge des Anu und des Enlil« (Kurigalzu II.), einen »fürsorglichen Fürsten, der Enlil fürchtet« (KadašmanTurgu), und »ernannt durch den Herrn der Götter« – das heißt durch Enlil – (Kurigalzu II.). Diese ganze kassitische Titulatur spiegelt die Verehrung für Enlil wider. Man kann unmöglich wissen, in welchem Umfang diese Verehrung über die amtlichen Kreise hinausgriff. Die Eigennamen hätten uns einen nützlichen Hinweis beibringen können. Da aber der größte Teil unserer Dokumentation aus Nippur, der heiligen Stadt Enlils, stammt, ist zu bedenken, daß hier auch sonst die überwiegende Zahl der theophoren Namen gerade mit diesem Gott zusammengesetzt ist.
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Abb. 4: Terrakotta-Löwe aus Dūr-Kurigalzu, Iraq Museum, Bagdad
Der Sturz der Kassiten-Dynastie und die Machtergreifung der II. Dynastie von Isin, die sich unter den uns bekannten Umständen vollzog, mußte Babylon und seinem Gott eine erstrangige Rolle verleihen, und zwar gerade deshalb, weil sich die Könige von Isin von den Königen der zu Fall gebrachten Dynastie unterscheiden wollten. Diese hatten Enlil und seine Stadt Nippur verehrt und hatten Dūr-Kurigalzu zu ihrer Residenz gemacht. Die Neuankömmlinge legten gegenüber Babylon und seinem Gott Marduk einen Eifer und eine Verehrung ohne jeden Tadel an den Tag. Um die Verbindung zwischen dem Babylon der Zeit Ḫammurabis und dem Nabû-kudurri-uṣurs I. hervorzuheben, trug dieser König manchmal den Titel »Sonne seines Landes«. Damit ahmte er Ḫammurabi selbst nach, der sich im Vorwort zu seiner Gesetzessammlung »Sonne Babylons« genannt hatte. Nabû- kudurri-uṣur I. wurde als »der erhöhte Fürst, als der Sproß aus der Blüte Babylons« bezeichnet; er wurde nicht nur für den »geliebten Fürsten Marduks« gehalten, sondern auch für den Herrscher, »dem Marduk, der Held unter den Göttern, ein Schicksal ohnegleichen bereitet hat« oder »dem Marduk, der Götterkönig, die Waffen in die Hand drückte, um Akkad zu rächen«. In welchem Umfang konnten bestimmte Namen für Babylon, die sich in dieser Zeit abzuzeichnen scheinen – es handelt sich hier um Ausdrücke wie »ewige Stadt« und »heilige Stadt« –, den Aufstieg Marduks zur göttlichen
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Herrscherwürde begünstigen? Oder sind diese Namen etwa Folgeerscheinungen der Mardukverehrung? Die einzige Tatsache, die allem Anschein nach bewiesen werden kann, ist, daß der Persönlichkeit Marduks zu diesem Zeitpunkt neue Aspekte zuwuchsen und daß seine Machtfülle weit über die eines numen der Stadt hinausgriff und in gewisser Weise die eines großen Gottes über die gesamte Welt wurde: Das heißt mit anderen Worten, daß ihm ab jetzt bestimmte Eigenschaften Enlils zugeschrieben wurden. Wie man ganz richtig beobachtet hat21, ergab sich aber aus der Hinzufügung dieser Eigenschaften zur alten Persönlichkeit Marduks eine von Enlil sehr verschiedene Gottheit. Diese Gottheit war in gewissem Sinn viel mächtiger und weltumspannender, als es Enlil je gewesen war. Während so Babylon immer mehr zum Mikrokosmos und Zentrum der Welt wurde, bestätigt der letzte Gesang des Schöpfungsgedichts von Enūma eliš den Triumph Marduks, indem es ihn als den Herrn zeigt, der das Weltall ordnet und der den anderen Göttern ihre Eigenschaften und Aufgaben zuweist. Wir haben versucht, so gut wir konnten, ein Bild der gewundenen Wege zu zeichnen, auf denen sich das Denken und Fühlen dieser Zeit vollzog. Skeptizismus und Zurückgreifen auf die Magie machten sich bemerkbar. Es zeigte sich das Bedürfnis, Verbindungslinien von der Ursache zur Wirkung zu ziehen. Dabei handelte es sich um die ersten Andeutungen eines rationalistischen Denkens. Wir wissen, daß diese Wege in Zukunft von den babylonischen Gelehrten nicht mehr aufgegeben werden sollten. Wenn man in theologischen Kreisen die großen Götter des Weltalls lautstark rühmte, wurde von jetzt ab immer eine diese Harmonie störende Stimme mit der Frage laut: Wofür ist das alles nützlich? Man sieht auch, inwieweit die gleichen Probleme für die Gelehrten in Israel auftauchten. Der Held der Theodizee warf um das Jahr 1000 ähnlich wie Hiob – in einem gedämpfteren Ton zwar, aber nichtsdestoweniger in bewegender Weise – das Problem vom unsicheren Schwanken der göttlichen Gerechtigkeit auf, die dem Übeltäter ein glückliches Leben ermöglicht und umgekehrt den Unschuldigen zu Boden drückt. Er findet keine andere Lösung, als die Barmherzigkeit dieser im Grund unbeständigen Wesen, nämlich der Götter, anzurufen. II. Assyrien a) Der Niedergang Assyriens und die Ausbreitung Mitannis Die Geschichte Babyloniens im 16. Jahrhundert nach dem hethitischen Streifzug gegen Babylonien erweckt nur zu oft den enttäuschenden Eindruck einer Zusammenhanglosigkeit und Leere, innerhalb derer sich die durch die oft widersprüchlichen Königslisten vermittelten Daten tummeln. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn es um Assyrien geht. Infolge einer seltsamen Umkehrung der Verhältnisse sind unsere Kenntnisse über das Assyrien der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends von denen, die wir über das Land im 19. und
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18. Jahrhundert haben, grundverschieden. Wir verdanken es Dokumenten über die assyrische Kolonie Kaniš, daß wir das wirtschaftliche Leben einer Kaufmannsgesellschaft und das peinlich genaue Räderwerk des Kreislaufs von Ausfuhr und Einfuhr erfassen können. Unser Wissen über die Tätigkeit der Familienbetriebe, die Kleidungsstücke als Tauschobjekte für die Rohstoffe aus Anatolien herstellten, und die Auskünfte, die wir über Handel und Bankwesen erhalten, vermitteln uns einen Eindruck von dieser Handel treibenden Gesellschaft. Dagegen wissen wir nur sehr wenig über die Könige, die an der Spitze des Landes aufeinanderfolgten. Im 16. Jahrhundert aber sind alle Quellen über das Wirtschaftsleben schon seit langem verstummt. Wenn man von einigen Königsinschriften und den berühmten Königslisten absieht, wissen wir über Assyrien überhaupt nichts. Obwohl in den späteren Jahrhunderten die Quellen sehr zunahmen, bezogen sie sich von da an vor allem auf den König, den Hof und seine Umgebung. Von dem Zeitpunkt an, als der berühmte Šamši-Adad I. (1815–1782) und seine Söhne von der politischen Bühne abtraten und in den tiefgreifenden Unruhen dieser Epoche ein gewisser Adasi (um 1700) – »Sohn eines niemand« – sich erfolgreich durchsetzte und eine Dynastie begründen konnte, bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts, wo die Texte wieder zu sprechen anfangen, sehen wir einem Theaterstück zu, das von schattenhaften und stummen Schauspielern hinter einem fast undurchsichtigen Vorhang, auf dem nur die Namen der Könige stehen, aufgeführt wird. Tatsächlich glaubt man zu wissen, daß Assyrien schon früh zum Machtbereich Mitannis gehörte. Die Machtergreifung durch den »Usurpator« Šu-ninua, der auf den Listen als der zehnte König nach Adasi genannt wird, könnte wohl den Beginn der totalen Oberhoheit Mitannis über dieses Land bedeutet haben. Die seltenen, kurzen, die religiösen Gebäude betreffenden Inschriften, die uns die Könige hinterlassen haben, geben uns wenigstens über einen Punkt Auskunft, nämlich darüber, daß die assyrische Titulatur weiterhin benutzt wurde. Der König bezeichnete sich als »Priester« (iššiakku) des Gottes Aššur. Damit ist nicht gesagt, daß die Herrschaft Mitannis über Assyrien immer in der gleichen Stärke fühlbar gewesen ist. Es gab sicher Augenblicke der Auflockerung, in denen die assyrischen Fürsten einen Drang zur Unabhängigkeit zeigten. Die synchronistische Geschichte – wir haben darauf schon hingewiesen – erinnert uns an einige dieser Augenblicke. Dies war zum Beispiel der Fall, als Puzur-Aššur III. von Assyrien und der kassitische König Burnaburiaš (siehe S. 17) aufs neue ihre Grenzen festlegten, oder als Aššur-bēl- nīšēšu (1419–1411) und der kassitische König Karaindaš sich durch einen Vertrag verbanden und die bestehenden Grenzen ihres Staates durch einen Eidschwur bestätigten (siehe S. 19). Daß die Assyrer einen Vertrag unterzeichnet und internationale Abkommen abgeschlossen haben, beweist, daß es ihnen gelang, während mehr oder weniger langer Perioden ihre nationale Unabhängigkeit wiederzuerlangen. Es ist bezeichnend, daß gerade diese Perioden der Unabhängigkeit innerhalb der
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Grenzen mit bestimmten Phänomenen der königlichen Aktivität zusammenzufallen scheinen. So errichtete Aššur-bēl-nīšēšu, der einen Vertrag mit Karaindaš unterzeichnete, wieder die befestigten Mauern, die die Neue Stadt, das heißt jenen Teil Assurs mit trapezförmigem Grundriß, umgeben, der sich ganz im Süden befand. Der Erbauer dieser Mauer war aber Puzur-Aššur III. gewesen, der, wie wir beobachten konnten, als gleichberechtigter Partner ebenfalls einen Vertrag mit einem König von Babylon abgeschlossen hatte. Da die Zerstörung der Mauern einer Stadt eine der ersten Taten eines Eroberers war, durch die er eine Machtergreifung zu bekunden pflegte, ist es ganz selbstverständlich, daß der Wiederaufbau der gleichen Mauer die Wiedererlangung der Unabhängigkeit bedeutete und demonstrierte. Nur wenn wir von solchen indirekten Hinweisen ausgehen, können wir versuchen, mit einigen dünnen Strichen die Situation Assyriens während des 16. Jahrhunderts zu zeichnen. Daß Saušsatar von Mitanni aus Aššur eine wertvolle, aus Gold und Silber angefertigte Tür wegschaffen ließ, die er dann in seiner Hauptstadt Waššukanni als Siegeszeichen aufstellte, scheint zu beweisen, daß er gegen eine rasch unterdrückte Aufstandsbewegung Vergeltungsmaßnahmen ergriffen hat. Vergessen wir nicht, daß Mitanni in dieser Zeit Herr über das ganze Gebiet war, das sich von Nuzi bis nach Alalaḫ am Mittelmeer erstreckte. Aššur, das von diesem Reich umschlossen war, wurde mehr oder weniger von örtlichen Fürsten regiert, die Vasallen Saušsatars waren. Dagegen hatten andere kleine Staaten, in denen die ḫurritische Herrschaft unmittelbarer zu spüren war, ḫurritische Fürsten an ihrer Spitze. Dies war beim Fürstentum von Arrapḫa (dem heutigen Kirkūk) der Fall, dessen reiches und fruchtbares Gebiet zwischen Assyrien und Babylonien lag und sich an niedrigen Bergen südlich des unteren Zab hinzog. Mehrere »städtische« Zentren gehörten dazu, unter anderen auch Nuzi, das auf dem Platz des ehemaligen Glasur (siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 141) ganz in der Nähe von Yorghan-Tepe erbaut worden war. Dort grub man ungefähr fünftausend akkadisch geschriebene Täfelchen aus, die zum Teil aus den Archiven der einflußreichen Familien dieser Stadt stammten. Diese Privatarchive1 ermöglichen es, die Geschichte ein und derselben Familie über mehrere Generationen hin zu verfolgen. Dadurch liefern sie uns wertvolle chronologische Auskünfte einer Periode, die sonst noch im Dunkeln liegt. Arrapḫa war der Sitz der Zentralregierung. Der Name einiger dieser lokalen Könige, den uns diese Texte zur Kenntnis bringen, läßt gar keinen Zweifel an deren ḫurritischer Herkunft. Diese Namen sind Kibi-Tešup und ItḫiTešup. Das gleiche gilt für die Namen der Prinzen (mâr šarri), die in den Palästen der bedeutendsten Städte wie Nuzi, Zizza und Apenaš residierten; diese Herrscher hießen Ḫišmi-Tešup, Šilwe-Tešup, Akija usw. Die Namen der Familien, die in der Umgebung des Palastes anzutreffen sind, zeigen außer der ḫurritischen Sprache keine anderen Substrate, auf die sie zurückgehen. Daraus muß man den Schluß ziehen, daß sich zum politischen Druck ein ebenso starker demographischer Druck von Seiten des ḫurritischen Elements gesellte. Oft sind
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zwar die Namen der Schreiber der ältesten Dokumente akkadisch, die von ihnen verwandte Schreibweise ist jedoch typisch ḫurritisch. Waren etwa Nuzi und Arrapḫa ḫurritische Gründungen? Man weiß, daß Arrapḫa in den Dokumenten der I. babylonischen Dynastie und in denen aus Šušarrā (siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 189) und Nuzi in den Briefen aus Mari erwähnt werden. Jedoch gehen die ältesten Dokumente, die man in Nuzi ausgegraben hat, kaum viel weiter als bis in das zweite Viertel des 15. Jahrhunderts zurück. Man muß also annehmen, daß auf die Niederlassung einer ersten Welle ḫurritischer Eindringlinge in diesem Gebiet noch weitere gefolgt sein müssen. Die Einfälle der Germanen liefern uns Beispiele für diese ohne Ordnung erfolgenden Bewegungen solcher »Wellen«, die sich hintereinander über das gleiche Gebiet ergießen, und für die Kämpfe, die derartige Bewegungen zwischen den ersten und zweiten Okkupanten hervorrufen. Wahrscheinlich geht auf die letzte dieser ḫurritischen Wellen die Vervollkommnung und Verbreitung jener originalen Art des Landerwerbs zurück, die darin bestand, daß der Käufer durch den Verkäufer adoptiert wurde. Die ältesten Dokumente stammen von Baratarna, dem König von Mitanni. In Arrapḫa hieß der König zu diesem Zeitpunkt Kibi-Tešup. Sein Nachfolger, ItḫiTešup, muß ein Zeitgenosse Saušsatars, des Königs von Mitanni, gewesen sein. Eine Landübertragung, die das Siegel dieses Königs trug, betraf eben gerade die Prinzessin Amminaia, die wahrscheinlich eine Schwiegertochter Itḫi-Tešups war. Zu diesem Zeitpunkt erweiterte Teḫiptilla, dessen Mutter schon mit dem Landerwerb begonnen hatte, seinen Grundbesitz ganz beträchtlich. Wir verdanken es diesen Texten, daß wir den aufblühenden Wohlstand und den Verfall dieser Familie Schritt für Schritt verfolgen können. Die Söhne traten in die Fußstapfen des Vaters und vergrößerten ihren Landbesitz, aber schon in geringerem Ausmaß. Die Enkel waren häufig damit beschäftigt, sich gegen die Ansprüche der ehemaligen Besitzer zu wehren. Diese versuchten, die Güter wieder an sich zu bringen, da sie dieselben immer noch als ihr Eigentum betrachteten. Daher fand ein Prozeß nach dem anderen statt. Durch solche Prozesse wurden diese Angelegenheiten wenigstens vorläufig geregelt. Die Wirtschaft Nuzis war vom Palast geprägt. Wir haben darüber schon anläßlich der babylonischen Wirtschaftsordnung berichtet (siehe S. 47 ff.)- Die Verwaltungsbeamten wurden zum größten Teil mit den gleichen Namen wie in Babylonien bezeichnet. Jedoch scheinen bestimmte Beamte, wie die nagīru in Nuzi, besondere Aufgaben wahrgenommen zu haben. Man kann beobachten, daß sie zum Beispiel im Krieg oder im Fall einer Teuerung mit dem Transport von Gerste und Futter von einer Stadt zur anderen beauftragt waren. In gleicher Weise muß man im mâr šipri – die allgemeine Bedeutung ist Bote – gelegentlich eine Art von Sonderbotschafter sehen, der mit der Verbindung zwischen den Städten betraut war. Der ḫalzuḫlu war eine zwar in Babylonien fremde, in der assyrischen Bürokratie dagegen vertraute Erscheinung (siehe z.B. die Texte aus Šibaniba, heute Tell-Billa, etwas mehr als 20 km nordöstlich von Mossul). So
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wurde der maßgebende Mann eines Bezirkes bezeichnet, der in der Hauptstadt residierte und mit Aufgaben der Verwaltung, der Rechtsprechung und der Heerführung betraut war. Das Personal des Palastes wurde von einer beträchtlichen Zahl von Dienern beiderlei Geschlechtes gebildet. Jede Haremsdame hatte eine bestimmte Anzahl von Dienerinnen. Die Kinder wurden im Säuglingsalter Ammen anvertraut. Zum Palast gehörten außerdem viele Sängerinnen, von denen einige zu den Frauen des Fürsten gehörten. In Kriegszeiten war der Fürst von einer Spezialgarde umgeben. Milizsoldaten hielten an den Toren der Stadt und den wichtigsten Gebäuden Wache. Der ḫurritische Ausdruck emantuḫlu, mit dem der Kommandant dieser Wachmannschaften bezeichnet wurde, bedeutete »Führer einer Zehntschaft«. Abgesehen von den Leuten mit der Bezeichnung ardu, Diener – dieser Ausdruck hat eine sehr weitgehende Bedeutung – gab es noch andere Personengruppen wie die taluḫlu und die ubbutu, Unfreie, die verschiedene Handwerke ausübten. Ganz anders sah dagegen der Status des ḫabiru aus. Da er sich als Verbannter allein oder manchmal auch mit seiner Familie aus seiner Heimat entfernt hatte, zwang ihn sein Stand als Ausländer, der keine Verbindung mit seinem Gastland hatte, dazu, den Schutz eines Herren zu suchen. Wenn sein Herkunftsland angegeben wurde, dann kam er aus Assyrien, aus Inzalti – dieses Land konnte noch nicht identifiziert werden – oder aus Babylonien. Es ist bemerkenswert, daß Babylonien in Nuzi niemals als Karduniaš, sondern immer als Akkad bezeichnet wurde. Das Land der Kassiten (Kunzuḫḫe, Kuššuḫḫe), das mehrfach als Herkunftsland einzelner oder in Gruppen auftretender Flüchtlinge – in diesem Fall handelte es sich vor allem um Frauen – erwähnt wird, muß dem wahren und eigentlichen Kassiten-Land, einem Gebiet, das östlich im Zagrosgebirge lag, entsprochen haben. Das Land Lullu/Nullu, ein Reservoir für Sklavenarbeitskräfte, wird in diesen Texten oft erwähnt und ist mit Lullube/Lullume identisch (siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 106). Die Dokumentation über das wirtschaftliche Leben Nuzis ist so reichhaltig und vielfältig, daß wir durch sie besonders gut über die Gesellschaft dieses kleinen Staates informiert werden. Dagegen ist es noch schwierig, seine Geschichte in die der diesen Staat umgebenden Länder einzuordnen. Stellen wir in aller Kürze das Wesentliche zusammen. Außer in dem Siegel des Saušsatar wurde Mitanni immer als Ḫanigalbat bezeichnet. Seine Verbindung mit Arrapḫa war sehr eng. Militärische oder halbmilitärische Abteilungen aus Mitanni scheinen fast dauernd, zumindest von einer bestimmten Zeit an, im Gebiet von Arrapḫa- Nuzi in Garnison gelegen zu haben. Man wies ihnen Kampfwagen, Pferde, Verpflegung und Kleidung zu. Auf der anderen Seite wurden die Beziehungen von Arrapḫa-Nuzi zu Babylonien von einem bestimmten Zeitpunkt an sehr herzlich. Ein Fürst unternahm mit reichen Geschenken eine Reise nach Babylon und kehrte von dort
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mit babylonischen Gesandten zurück. Man kann unmöglich den Zeitpunkt dieser Reise festlegen. Man erfährt außerdem ein anderes Mal, daß Babylonier auf dem Gebiet von Nuzi getötet worden sind. Von Assyrien ist in den Dokumenten von Nuzi nicht die Rede. Die Assyrer treten erst mit der letzten Generation der Familie Teḫiptilla in den Gesichtskreis Nuzis. In einem Bericht erwähnt der Enkel dieses Mannes eine bestimmte Anzahl von Personen, die von den Assyrern bei einem bewaffneten Einfall in das am Südufer des unteren Zab gelegene Gebiet von Turša verschleppt wurden und sich dann in assyrischen Städten befanden. Diese verstreuten Daten ermöglichen es uns nicht, die Geschichte der auswärtigen Beziehungen Nuzis zu verstehen und vor allem zu erfahren, wer Nuzi um die Mitte des 14. Jahrhunderts zerstört hat. Man weiß nur mit Gewißheit, daß Arrapḫa in der Zeit Tukulti-Ninurtas als babylonischer Besitz galt. b) Kontinuität und Wandel in Assyrien Kehren wir nach Assyrien zurück. Als die inneren Schwierigkeiten Mitannis sich immer mehr verschärften und die Einheit dieses weiträumigen Staatsgebildes gefährdeten, versuchte Assyrien mehrfach, seine Unabhängigkeit wiederzugewinnen. So wollte zum Beispiel der Neffe Aššur-bēl-nīšēšus, Aššurnādin- aḫḫē II. (1402–1393), aus der durch die Ermordung Šuttarnas II. entstandenen Unordnung Nutzen ziehen und diplomatische Beziehungen mit Ägypten anknüpfen. Damit hatte er Erfolg und wurde sogar vom Pharao als gleichberechtigter Partner wie Mitanni behandelt.2 Er erhielt nämlich die gleiche Menge Gold wie diese Macht. Bevor aber Assyrien wieder ein ganz unabhängiges Land wurde, mußten erst die Hethiter die Macht Mitannis brechen. Man verdankt es einigen in Aššur ausgegrabenen juristischen Dokumenten, daß unsere Kenntnisse über die assyrische Gesellschaft schon vom Beginn des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts an fundierter werden. Es handelte sich dabei vor allem um Anleihen, die durch! Pfänder verbürgt wurden, und um Kaufverträge, die Sklaven und Grundstücke betrafen. Durch sie wird bewiesen, daß man in Assyrien im Gegensatz zu der zur gleichen Zeit in Babylonien üblichen Praxis die Beweglichkeit des Grundbesitzes beibehalten hat. Der Grundbesitz war ein Gut, das veräußert werden konnte. Jedoch war die Besitzübertragung eines Grundstückes von gewissen rechtlichen Formalitäten abhängig, die als neu anzusprechen sind, z.B. von der Bestätigung des Verkaufes durch den König. Erst dadurch kam es zur Bildung einer sogenannten tuppu dannatu, das heißt – wörtlich übersetzt – zu einer gültigen Tafel. Ein Gesetz3, das einige Zeit später abgefaßt wurde, bestimmte die Formalitäten, denen der Grundstücksverkauf in Aššur und in den anderen Provinzstädten unterworfen war. Der öffentliche Ausrufer mußte dreimal während eines Monats sowohl den Namen des Käufers und Verkäufers als auch die besonderen Kennzeichen des zum Verkauf angebotenen Grundstückes bekanntmachen, damit alle, die
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irgendein Recht geltend machen konnten, ihren Eigentumsanspruch vor den Grundbuchbeamten (qīpūtu) vorbringen konnten. Erst nach dieser dreifachen Bekanntmachung konnte der Kaufvertrag in drei Exemplaren ausgefertigt werden. Dabei mußten ein Minister des Königs, der Stadtschreiber und königliche Grundbuchbeamte zugegen sein, wenn das Grundstück in der Hauptstadt lag. Wenn der Verkauf aber ein Grundstück in einer anderen Stadt betraf, dann war die Anwesenheit des Bürgermeisters und dreier Ältester erforderlich. In dieses Gesetz sind auch Bestimmungen eingeschlossen, die die Beziehungen von »ungeteilten Brüdern« hinsichtlich eines Gutes regelten, das sie gemeinsam besaßen. Der Zweck dieses Gesetzes bestand wohl darin, zu verhindern, daß die Übertragung eines ungeteilten Gutes ohne Wissen eines der Mitbesitzer erfolgte. Die Datierung der Verträge auf Grund des Eponyms (līmu)4 bezeugt uns eine gewisse Stabilität und Kontinuität der Institutionen. Diese Praxis war das Gegenteil von dem, was sich in Babylonien ereignete, wo durch die Kassiten die alte Gewohnheit, die Verträge nach einem bedeutenden Ereignis des vorangegangenen oder gegenwärtigen Jahres zu datieren, aufgegeben und durch das Regierungsjahr des Königs ersetzt wurde. Wie in alten Zeiten diente noch Zinn als Zahlungsmittel. Die Felder wurden nach ikû, einem Längenmaß, vermessen. Das kumānu, auf das man auch in Nuzi in Alalaḫ stößt, war eine Unterteilung des ikû. Gewisse Teile eines zusammenhängenden Grundstücks trugen noch den alten Namen »Los« (pūru). Die Maße, mit denen man das Getreide wog, wurden am »Speicher« des Palastes (bīt ḫiburni) geeicht. Aus den erwähnten Kontrakten gewinnt man den Eindruck, daß die assyrische Gesellschaft sich in ihren rechtlichen und Verwaltungsstrukturen noch nicht beträchtlich geändert hat. Wenn man aber die Eigennamen der Personen untersucht, die teils als Zeugen, teils als Vertragsschließende auftraten, dann muß man feststellen, daß mehrere Personen dieses Kreises nicht-akkadischer und wahrscheinlich ḫurritischer Herkunft waren. Dies beweist, daß die assyrische Gesellschaft schon zu diesem Zeitpunkt mit ḫurritischen Elementen durchsetzt war. Die Mischehen mit ḫurritischen Frauen hatten zur Folge, daß die Kinder aus einer solchen Ehe oft nach dem Namen eines der Verwandten der Frau benannt wurden. Die Eigennamen sind vielleicht ein weiteres Zeugnis für die Ḫurritisierung der assyrischen Gesellschaft. Daß in den Dokumenten des 15. und des 14. Jahrhunderts mit Adad gebildete theophore Namen vorkommen – Adad war das akkadische Äquivalent des großen ḫurritischen Gottes Tešup –, macht das Eindringen ausländischer Gottheiten in das assyrische Pantheon deutlich. c) Politische Wiedergeburt Assyriens. Aššur-uballiṭ und seine Nachfolger Nach einer Periode relativer Unabhängigkeit – man kann dafür ein Zeichen in dem Titel »Regent« (šākin) Enlils, den Erība-Adad (1392–1366) als erster nach Šamši-Adad führte, sehen – scheint Assyrien wieder von einer fremden Macht
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abhängig geworden zu sein. Es war das Verdienst Aššur-uballiṭs (1365–1330), des Sohnes Erība-Adads, sich endgültig vom Joch Mitannis zu befreien. Dies wäre wahrscheinlich ohne die schwere Niederlage unmöglich gewesen, die Šuppiluliuma Tušratta (siehe S. 133) beigebracht hatte. Diese Niederlage hatte zum Zusammenbruch der Macht Mitannis geführt. Für die Könige Assyriens wurde in den künftigen Jahrhunderten der Name Aššur-uballiṭ zum Symbol für Mut und Autonomie. Es ist kein Zufall, daß der letzte assyrische König nach der Katastrophe von 612 v. Chr. diesen schicksalhaften Namen annahm. Das erste Anzeichen der wiedergewonnenen Unabhängigkeit äußerte sich in dem Wunsch, internationale Beziehungen anzuknüpfen. In diesem Zusammenhang ist es symptomatisch, daß der Titel »König« (šarru) oder »Großkönig« (šarru rabū), mit dem sich Aššur-uballiṭ in seinen Briefen an den Pharao Amenophis IV. und in seinem Siegel schmückte – dieser Titel stellte eine Neuerung im Vergleich mit dem von seinen Vorgängern geübten Brauch dar –, fast ausschließlich in seinen Beziehungen mit dem Ausland verwandt wurde. Assyrien, das zu diesem Zeitpunkt im Konzert der Mächte wieder mitspielte, war ein selbständiges Staatsgebilde und glich sich den anderen Ländern, die an ihrer Spitze einen König hatten, an. Aber im Bereich der Innenpolitik, das heißt im Verhältnis zu seinem Volk, wollte Aššur-uballiṭ durch die alten Titel »iššiakkum« (das bald als »ensi«, bald als »sangu« geschrieben wurde), Priester des Gottes Aššur, und »uklum«, das heißt Führer, die Kontinuität mit der Vergangenheit zum Ausdruck bringen. Seine beiden an den Pharao gerichteten Briefe zeigen durch ihren verschiedenen Ton, daß die Macht des assyrischen Königs sich mehr und mehr durchsetzte. Mit dem ersten Brief schickte er nur Geschenke, äußerte aber keine Bitte. Er wußte nämlich, daß eine Gabe um so zwingender ist, wenn sie nicht erwidert werden muß. Dagegen fügte er im zweiten Brief den wertvollen Geschenken die dringende Bitte um Gold hinzu, das ihm den Abschluß der Arbeiten am Palast, den er gerade in seiner Hauptstadt baute, ermöglichen sollte. Von jetzt ab standen der Pharao und Aššur- uballiṭ miteinander auf gleichem Fuß, sie waren »Brüder«, und unter Brüdern haben ja Geschenke gerade den Zweck, die Fäden der schon bestehenden Freundschaft enger zu knüpfen. In diesen Briefen kommt eine ausgesprochene Dialektik des Geschenks zum Vorschein. Bei den Geschenken, die der assyrische König schickte, handelte es sich vor allem um PrestigeGegenstände. Es waren weiße Gespannpferde, ein Kampfwagen und ein Edelstein, außerdem eine »Perle« aus Lapislazuli in Form einer Dattel. Handelte es sich dabei, wie man schon scharfsinnig gemeint hat, um die kleine, aus Lapislazuli bestehende Perle eines Halsbandes, das in der Nähe der Mumie des Pharao Psusennes I. von französischen Ausgräbern in Tanis gefunden wurde? Nach der auf der Perle eingravierten keilschriftlichen Legende war dieser Edelstein eine Votivgabe, die der höchsten Dreiheit von Baltil (dies ist ein anderer Name für die Stadt Aššur), nämlich Aššur, Enlil und Ninlil, vom Minister Ibaššîlu für das Leben seiner ältesten Tochter gestiftet worden war.
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Tatsächlich beweist schon die Form dieses Gegenstandes, die Kugel, abgesehen von den Eigentümlichkeiten der Schreibweise dieser Inschrift, daß nicht Aššuruballiṭ, sondern ein späterer assyrischer König diesen Edelstein nach Ägypten sandte. Dieses Geschenk ist jedoch dafür bezeichnend, daß bei dem als wertvoll anerkannten Gegenstand noch andere Aspekte als der rein wirtschaftliche Wert in Betracht gezogen wurden. Der große Wert und in gewissem Sinn einzigartige Charakter dieser einfachen, aus Lapis verfertigten Perle rührte daher, daß sie den göttlichen Mächten der Stadt geweiht war, deren Namen in sie eingraviert wurden. Sie war also mehr wegen ihres religiösen Wertes als wegen ihres Kaufpreises ein königliches Geschenk. Die wiedergewonnene Unabhängigkeit befriedigte Aššur-uballiṭ keineswegs ganz. Er hatte den Wunsch, einige Grenzgebiete Assyriens zu annektieren, die zum Staat von Mitanni gehört hatten. Dies beweist sein Angriff auf Musri (das heutige Ğebel Maklûb) im Nordwesten von Ninive. Dort wohnten Stämme, gegen die die Assyrer in der Folgezeit noch kämpfen mußten. »Der die Armeen des weiten Landes von Subari besiegt hat« – so nannte ihn sein Enkel – wandte sich wahrscheinlich in der Folgezeit an den gleichen Burnaburiaš, den König von Babylon, der ihn noch einige Jahre zuvor als zweitrangige Macht und in gewissem Sinne als Vasallen betrachtet hatte, um zu versuchen, mit ihm einen Ausgleich zu finden (siehe S. 25). Die Entsendung seiner Tochter Muballiṭatšerua an den Hof von Babylon sollte diesem Plan dienen. Sie sollte dort die Gattin eines Sohnes (?) des Burnaburiaš oder des Königs selbst werden. Wie auch die Ziele, die Aššur-uballiṭ Babylonien gegenüber verfolgte, ausgesehen haben mögen, es ist wahrscheinlich, daß in dieser Zeit der Einfluß der babylonischen Kultur sich aufs neue in Aššur bemerkbar machte. Wir haben dafür mehrere Beweise, so etwa die Anwesenheit eines babylonischen Schreibers beim König, das Vorhandensein eines Mardukkultes, der in Aššur durch einen Tempel belegt ist, und die Tatsache, daß zahlreiche Eigennamen, die mit dem göttlichen Bestandteil »Marduk« zusammengesetzt sind, in dieser Zeit auftauchten. Der Aufruhr der kassitischen Adligen gegen den Sohn der Muballiṭat-šerua, auf den die kurze Regierung Nazibugaš’ folgte, zwang den König, eine Politik der Stärke zu betreiben und mit Waffengewalt einzugreifen, wobei er seinen Schützling Kurigalzu auf den Thron von Babylon erhob. Die von Aššur-uballiṭ eingeschlagene Politik machten sich auch seine Nachfolger zu eigen. Sein Sohn Enlil-narāri (1329–1320)5 mußte sich – man weiß nicht genau mit welchem Erfolg – mit Kurigalzu (siehe S. 27) messen. Dies gilt vor allem auch von Arik-dēn-ilu (1319–1308), der sich von jetzt ab in allen Inschriften den Titel »König« und »mächtiger König« zulegte. Eine Chronik seiner Regierungszeit beschreibt verschiedene, mehr oder weniger wichtige militärische Streifzüge, die von ihm in die angrenzenden Gebiete unternommen wurden. Ein mit Kampfwagen vorgetragener Angriff gegen das Land von Nitgimḫi, das vielleicht im Osten Assyriens lag, wurde mit der Plünderung der
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Erntevorräte und des Viehbestandes der Besiegten abgeschlossen. Der König mußte auch gegen die Turukku kämpfen. Man findet teilweise die gleichen Angaben in der Inschrift Adad- narāris (1307–1275), des Sohnes Arik-dēn-ilus, der seinen Vater als den Sieger über verschiedene Gebirgsvölker des Ostens (unter anderem die Turukku und Kadmuḫi) und auch über Nomadenstämme, wie die Aḫlamū, Sutû und Iauru, feierte. Das Gebiet dieser Nomaden, die hier gemeinsam erwähnt werden, muß sich zu dieser Zeit unmittelbar im Westen Assyriens befunden haben. Erst der Nachfolger Arik-dēn- ilus, nämlich Adadnarāri I., stieß bis zum Euphrat vor. Von jetzt ab tauchten diese räuberischen Nomadenstämme regelmäßig in den königlichen Annalen Assyriens auf. Obwohl man nach jedem Angriff behauptete, sie besiegt zu haben, wurden ihre Streitkräfte in Wirklichkeit ständig größer. d) Die großen Eroberer Es kann sein, daß die militärischen Operationen Adad-narāris gegen Nazimaruttaš, den König von Babylon (siehe S. 29), nach seiner Thronbesteigung stattgefunden haben. Die Besetzung der in der Ebene von Ṣallu gelegenen kleinen Marktflecken, die ein Gegenstand dauernden Streites zwischen Assyrern und Babyloniern waren, endete mit einer neuen Grenzberichtigung. Gegen 1300 konnte Adad-narāri daraus Nutzen ziehen, daß die Hethiter, die Schutzherren des neuen Staates von Ḫanigalbat, mit Ägypten im Streit lagen. Er rückte nach Norden vor, besetzte erfolgreich die Hauptstadt Waššukanni, führte König Šattuara als Gefangenen nach Aššur und sandte ihn später gegen Entrichtung eines Tributs wieder in seine Staaten zurück. Nach dem Tod Šattuaras zwang der Aufstand von dessen Sohne Adad-narāri zu einem erneuten Einfall in dieses Land und zu seiner Unterwerfung. Die auf einer großen Inschrift aufgezählten Städte liegen in einem weiträumigen Trapez, dessen äußerste Punkte im Westen den Euphrat berühren, im Norden an Karkemiš und im Süden an Rapiqu (dessen genauer Standort noch nicht identifiziert werden konnte) stoßen, während Lupti im Süden (das heutige Taza- Khurmatu) und Eluḫat (vielleicht das heutige Salah ein wenig östlich von Ṭūr–’Abdīn) im Norden seine östliche Begrenzung bilden. Diese Eroberungen machten den König »zu dem Herrn, der alle seine Feinde oben und unten verjagt und alle ihre Länder unter seine Füße tritt«. Sie erleichterten die Schaffung eines »Glacis« rings um Assyrien, durch das seine strategische Stellung verstärkt wurde und das es zumindest für den Augenblick gegen Einfälle abschirmte. Wahrscheinlich rechtfertigten diese Erfolge den Titel »König der Gesamtheit« (šar kiššati), mit dem sich Adad-narāri – übrigens als erster6 nach Šamši-Adad – schmückte. Nach seinem Sieg über Mitanni trachtete Adad-narāri im internationalen Bereich nach Anerkennung durch die Großmächte. Wahrscheinlich hat er infolge solcher Annäherungsversuche vom hethitischen König Muwatalli jene hochmütige und ironische Antwort bekommen, deren gereizter Ton jedoch eine
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gewisse Unruhe verrät. Sie wurde uns in einem Brief erhalten: »Du hast mit den Waffen gewonnen ... und du bist ein großer König geworden; aber warum redest du immer von Bruderschaft – sind wir denn, du und ich, von der gleichen Mutter geboren worden?« Ein neuer Typus des historischen Berichts scheint mit Adad-narāri zu beginnen. In einer großen Inschrift, in der er über seinen Kampf gegen Ḫanigalbat berichtete, bemühte er sich – manchmal recht ungeschickt –, die Ereignisse in einem logischen Zusammenhang zu beschreiben. Die meisten Haupteigenschaften dieser für assyrische Könige typischen Persönlichkeit erscheinen schon vollkommen ausgeprägt, wenn auch gewisse Züge von »Wildheit« noch fehlen, die später deutlich hervortraten. Der König ist der »erste Mann seiner Truppen« und der »tapfere Bevollmächtigte der Götter« im Krieg. Zum erstenmal wurde hier der Gedanke eines von den Göttern gewollten Krieges ausgesprochen, der später Allgemeingut wurde. Adad-narāris Nachfolger, Šalmanassar I. (1274–1245), mußte von seinem ersten Regierungsjahr an einem Feind entgegentreten, von dem erstmalig die Rede war. Es handelte sich um Uaratru, das heißt Urartu. Dem König gelang es, in drei Tagen den Gegner niederzuwerfen und sich einer bedeutenden Anzahl von Orten zu bemächtigen. Arinna, »die auf solidem Fundament gelegene Stadt, die Bergfestung« wurde zerstört. Unter den Kindern der Besiegten wählte sich der König diejenigen aus, die ihm am besten gefielen, und machte sie zu seinen Dienern.7 Selbstverständlich muß man hier unter Urartu ein viel kleineres Gebiet verstehen als das gleichnamige Land, gegen das die Assyrer später kämpfen mußten. Die Schnelligkeit, mit der Šalmanassar diese Macht besiegte, zeigt, daß es sich nur um einige Stämme handeln konnte, die sich nicht weit von der assyrischen Grenze niedergelassen hatten. Nach Urartu kam Ḫanigalbat an die Reihe, das sich noch zu Lebzeiten Adadnarāris aus dem Machtbereich der Assyrer gelöst hatte. Da man diesen Angriff vorausgesehen hatte, war das Heer Šattuaras II. durch Truppen aus Ḫatti und der Aḫlamū verstärkt worden. »Sie rückten voller Eifer in eindrucksvoller Anzahl gegen meine von Müdigkeit erschöpften und von Durst geplagten Truppen vor. Ich nahm den Kampf an und brachte ihnen eine entscheidende Niederlage bei. Ich dezimierte ihre zahllosen, mächtigen Truppen und verfolgte den König mit der Spitze meines Pfeils bis zum Sonnenuntergang.« Das eroberte Gebiet war genau das gleiche, das schon Adad-narāri unterworfen hatte. Es erstreckte sich von der Stadt Taidi (die später der Provinz von Amedi, dem heutigen Dijarbekir, eingegliedert wurde) bis nach Irridi (heute Ordī im Nordosten von Ḫarran?) und umfaßte das ganze Gebiet der Kašijari-Berge bis nach Eluḫat, den Distrikt von Sudi (das heutige Sada, 31 km nördlich von Nesībīn) wie auch denjenigen von Ḫarran bis nach Karkemiš. Dieses Mal wurden diese Städte und das sie umgebende Gebiet vom König mit Assyrien vereinigt. Wenn man den Stil Šalmanassars mit dem seines Vaters Adad-narāri vergleicht, so wird deutlich, daß der Ton wesentlich schwülstiger geworden ist. Vor allem
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wurde jetzt der Begriff des Krieges als eines religiösen Kreuzzuges mit allem Nachdruck vertreten. Der König zog in den Krieg gegen Urartu »mit Hilfe Aššurs und der großen Götter«. Er war ein Fürst »ohnegleichen, vor dem Aššur und die großen Götter alle Könige und Fürsten in die Knie zwingen«. »Auf Befehl der großen Götter und durch die starke Macht Aššurs« eroberte Šalmanassar Ḫanigalbat zurück. Mit Hilfe eines sehr alten Wahrsagerituals befragte man diesen Gott, ehe man eine Schlacht lieferte. Außerdem wurde ein ganzes Ritual für den Krieg und die Eroberung festgelegt. Von den späteren Königen fügte jeder diesem Gemälde einen eigenen Pinselstrich hinzu. Der Rahmen dafür war aber von jetzt ab festgelegt. Man nahm wie in Arinna Staub von der zerstörten Stadt, um ihn vor dem Tor der Hauptstadt als Denkmal für die künftigen Generationen aufzuschichten. Der Hof bevölkerte sich mit jungen Pagen. Sie waren die auf assyrische Weise erzogenen Kinder der Besiegten, die vielleicht eines Tages dem König von Assyrien als ergebene Beamte zur Verfügung stehen würden. Bei Šalmanassar bemerkt man eine gewisse Freude an der Darstellung der begangenen Greueltaten: »Ich habe die hethitischen Truppen und ihre Verbündeten, die Aḫlamū, wie Schafe abgeschlachtet.« Man merkt auch immer mehr das Bedürfnis, Zahlen anzugeben. Im Krieg gegen Ḫanigalbat wurden 14000 feindliche Soldaten geblendet und 180 Marktflecken8 zerstört und in Ruinen verwandelt. War diese öffentliche Bekanntgabe von Massakern dazu bestimmt, eine Panik hervorzurufen, und kann man deshalb von einer »psychologischen Kriegführung« sprechen, wie man dies in der letzten Zeit getan hat? Zweifellos beabsichtigte man mit der den Besiegten zugefügten Behandlung, die nicht das Monopol der Assyrer war, bei den besiegten Völkern einen Schrecken hervorzurufen, der ihren Widerstandsgeist endgültig brechen sollte. Aber der in den Annalen aufgezeichnete, ins einzelne gehende Bericht über das Schicksal der Besiegten hatte nicht den Zweck, auf sie psychologisch einzuwirken. Die geschriebenen Annalen konnten ja nur von einer verschwindend kleinen Anzahl von Gebildeten gelesen werden. Was bestimmte Verstümmelungen anlangt, die schon in der Zeit Šalmanassars I. die Kriegsgefangenen über sich ergehen lassen mußten, wie zum Beispiel die Blendung, die hier zum ersten Male bezeugt ist, so hatten diese Maßnahmen vor allem den Sinn, die militärische Kapazität des feindlichen Volkes zu verringern. Deshalb ist ein Vergleich mit der Stelle 1 Sam. 11, 8, den man gelegentlich anstellt, in keiner Weise gerechtfertigt. Denn in diesem Fall beabsichtigen die Ammoniter durch ihre Drohung, die Einwohner von Jabes ihres rechten Auges zu berauben, vor allem, ihnen ein schändliches Merkmal aufzuprägen. Dagegen darf man nicht vergessen, daß man in Nuzi, einem Gebiet in der Nähe Assyriens, manchmal denjenigen Personen die Augen ausriß, die sich eines Vertragsbruchs schuldig gemacht hatten, und daß dieselben Maßnahmen gegen einen Diener ergriffen wurden, der sich weigerte, die Abhängigkeit anzuerkennen, die ihn an seinen Herrn band.
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Seltsamerweise scheint diese Zurschaustellung der Grausamkeit bei den Assyrern mit einer immer deutlicher sich abzeichnenden Formulierung des religiösen Charakters des Krieges zusammenzugehen. Der Gott Aššur marschierte an der Spitze der assyrischen Truppen. Er war von jetzt ab ein Kriegsgott geworden, obwohl er ursprünglich in keiner Weise zu dieser Funktion bestimmt gewesen zu sein scheint. Bald hat er sich auch dem großen Gott Enlil vollkommen angeglichen. Schon zur Zeit Šalmanassars brachte man eine wichtige Etappe dieser Entwicklung hinter sich. Ninlil, die Gefährtin Enlils, erschien auf den Inschriften als die Gattin Aššurs. Der Gott, die Stadt und jetzt auch das ganze Land, die alle den gleichen Namen, nämlich Aššur, trugen, bildeten eine vollkommene Einheit. Dadurch wurde der Gegensatz zwischen dem assyrischen Volk und der übrigen Welt noch weiter verschärft. Der Begriff »Barbar« umfaßte alles, was nicht assyrisch war. Babylonien war die einzige Ausnahme. Zur gleichen Zeit, in der das assyrische Volk als kriegerische Macht in Erscheinung trat, machte sich auch ein Minderwertigkeitskomplex gegenüber Babylonien bemerkbar. Wie hätte dies auch anders sein können? Alles, was mit der Kultur verbunden war, stammte aus Babylonien. Auf babylonischem Gebiet befanden sich auch die heiligen Städte wie Nippur, Sippar und Uruk, ganz zu schweigen von Babylon selbst mit seinem Gott Marduk, der schon seit langer Zeit eine Faszination auf die oberen Schichten der assyrischen Bevölkerung ausübte. Dieses Gefühl der Unterlegenheit wurde durch das Hinzutreten eines Schuldgefühls gegenüber Babylonien sofort noch stärker, als Tukulti-Ninurta I. (1244–1208) einige Jahre später seinen Machtbereich auch über das Bruderland ausdehnte, Babylon zerstörte und eine große Anzahl von Einwohnern deportierte. Man versuchte darum, den Angriff dadurch zu rechtfertigen, daß man den Babyloniern am Beginn der Feindseligkeiten die Schuld gab. e) Tukulti-Ninurta I. Vor diesem Angriff auf Babylonien mußte sich aber dieser unermüdliche Kriegsherr Gebiete unterwerfen, die sich aufs neue von der assyrischen Vorherrschaft befreit hatten. Er mußte noch andere hinzuerobern. TukultiNinurta krönte so ein Werk, dessen Grundlagen seine Vorgänger seit Aššuruballiṭ gelegt hatten. Aber das schwierige Gleichgewicht dieses Baues, dessen Errichtung man einer gut entwickelten militärischen Organisation und dem Mut und der Ausdauer der assyrischen Truppen verdankte, wurde unaufhörlich in Frage gestellt. Sobald nämlich das Heer die von ihm eroberten Stätten, in denen es eine Zeitlang eine Terrorherrschaft ausgeübt hatte, verlassen hatte, schmolz der assyrische Einfluß wie Schnee in der Sonne, und alles wurde wieder wie zuvor. Selbstverständlich waren die Militärs der Assyrer dazu übergegangen, in dieser Zeit eine geschulte Armee aufzustellen. Die Assyrer waren aber nicht in der Lage, die eroberten Gebiete dauernd mit Strenge zu verwalten. Die einzige Hoffnung, die sie hegen konnten, bestand in einer zeitweisen Unterwerfung eines Gebietes zur Leistung eines Tributs.
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Wenn auch die Siegeskundgebungen in begeistertem Ton abgefaßt waren, der den Bericht über die militärischen Operationen in ein episches Gedicht umwandelte, so war die Wirklichkeit doch davon recht weit entfernt. Wenn es dem assyrischen Heer gelang, sich manchmal unter Überwindung beträchtlicher Schwierigkeiten einen Weg durch die Gebirgspässe zu bahnen, so hatten sich sehr oft die Bewohner der Dörfer schon auf die Höhen geflüchtet, denn sie hatten kaum Lust zu einem Kampf. Den Soldaten blieb nichts anderes übrig, als die wenigen Dorfbewohner, die nicht geflüchtet waren, zu töten und die armseligen Hütten oder die Zelte der Lagerplätze niederzubrennen. Nachdem sie sich einige Rinder mitgenommen hatten, zogen sie als Sieger wieder zurück. Die Bewohner stiegen sofort aus ihren Verstecken hinunter, und das Leben nahm wieder seinen gewohnten Verlauf. Trotz der Änderungen in der Bewaffnung und militärischen Ausrüstung hat der Krieg der in der Ebene wohnenden Völker – ganz neue Beispiele beweisen das – gegen die Bewohner der sie umgebenden Gebirge kaum seinen Charakter gewandelt. Trotzdem war dieser Krieg für das assyrische Volk zu mehr als zu einem bloßen Bedürfnis, er war zu einer Notwendigkeit geworden. Die Sicherheit des eigentlichen Assyrien, das jetzt ganz Obermesopotamien umfaßte, war auf ein immer ausgedehnteres Glacis angewiesen. Assyrien wurde noch durch eine vielleicht viel ernstere, weil heimtückischere Gefahr bedroht, als es diejenige war, die von den festgefügten Staaten ausging, gegen die es zu kämpfen hatte. Die Nomaden, die lange Zeit ihren Wohnsitz jenseits des Euphrat gehabt hatten, hatten den Fluß überschritten und lebten nunmehr zerstreut und umherschweifend in dem weiten Niemandsland zwischen Euphrat und Tigris. Wir haben gesehen, wie die Aḫlamū als Verbündete Mitannis gegen Šalmanassar kämpften. Wir stoßen auf die Sutû, die dieses Mal Tukulti-Ninurta, dem sie Schafe anboten, tributpflichtig waren. Die Inschriften lassen die mit Schrecken gemischten Gefühle ahnen, die diese Völkerschaften ohne feste Grenzen bei den Assyrern erweckten. Ihre Taktik bestand darin, den Feind zu beunruhigen, ihm sich dann sofort wieder zu entziehen, vor allem aber sich nie mit ihm im regelrechten Kampf zu messen, da sie in einer geordneten Feldschlacht sicher unterlegen wären. Ihre ständig sich erneuernde Zahl flößte den assyrischen Königen Furcht ein. Man spürt, wie die großsprecherischen Sätze und Siegesnachrichten von einer gewissen Angst durchdrungen sind. Šalmanassar sagte von den Gutî, dem Erbfeind der in der Ebene wohnenden Völker, sie seien »zahllos wie die Sterne am Himmel«. Trotzdem rühmte er sich, sie besiegt zu haben. Er habe ihr Leben wie Wasser ausrinnen lassen und habe die weite Steppe mit ihren Leichnamen bedeckt. Kaum zehn Jahre später mußte Tukulti-Ninurta aufs neue gegen sie in den Kampf ziehen. Er konnte ihnen dadurch, daß er ihre Truppen in einem Sumpfgelände einschloß, eine schwere Niederlage zufügen. Das unter den feindlichen Kriegern angerichtete Blutbad nahm einen derartigen Umfang an,
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daß die tiefen Täler und die Bäche von den aufgeschichteten Leichen angefüllt waren. Schon zu Beginn seiner Regierungszeit rühmte sich Tukulti-Ninurta, die Sintflut über das Land der Uqumeni im Gebiet der Gutî gebracht zu haben. Den Geländeschwierigkeiten zum Trotz täuschte er sich in seinem Vertrauen zum Gott Aššur nicht, denn seine Soldaten bezwangen die feindlichen Truppen erfolgreich. Ihr König Abulli wurde bis nach Aššur geschleift. Dann kamen die Länder Elḫulia, Sarnida und Meḫri an die Reihe. Dort ließ Tukulti-Ninurta durch die Gutî, die er seinen Truppen eingegliedert hatte, Bäume fällen, die dem neuen Palast, den er in Aššur bauen wollte, als Mittelbalken dienen sollten. Vielleicht führten die Gutî diese Arbeit durch, weil sie gute Holzfäller waren, aber vielleicht auch zogen es die Assyrer wohl auf Grund der fast religiösen Ehrfurcht, die sie vor großen Bäumen hatten, vor, diese von Einheimischen fällen zu lassen. Dann wandte sich der König gegen die Kudmuḫi, die einen Teil des assyrischen Gebietes ausgeplündert hatten. Er eroberte fünf befestigte Städte. Sein Zug durch dieses Land wurde mit einem Erdbeben verglichen. Das Gebiet, das sich von den Kašijari-Bergen bis nach Alzi erstreckte, hatte schon zu Lebzeiten Šalmanassars das assyrische Joch abgeschüttelt. Nachdem TukultiNinurta seine Hände zu seinem Gott Aššur erhoben hatte, brach er in dieses Gebiet zum Kampf auf. Die Dörfer wurden mit ihren Bewohnern verbrannt. Die Überlebenden wurden zu Gefangenen gemacht. Eḫli-Tešup, der König von Alzi, floh mit den Seinen durch das Gebiet der Nairi in ein unbekanntes Land. Aus diesem Anlaß erwähnt man zum erstenmal bei einem assyrischen König die puluḫtu des Königs. Mit diesem Ausdruck wollte man die Ausstrahlung von Lichtenergie bezeichnen, die von der Person des Herrschers auf dem Höhepunkt seiner kriegerischen Macht ausging. Assyrien erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt von den Ufern des unteren Zab bis zum Euphrat und umfaßte damit jenen ganzen Teil des ehemaligen Mitanni, wozu noch Gebiete im Osten und im Norden kamen. Einige Jahre später annektierte Tukulti-Ninurta noch einen großen Teil des Landes von Nairi, dessen vierzig Könige sich ihm unterwarfen. Man muß jedoch von neuem darauf hinweisen, daß die Grenzen seines ansehnlichen Staates recht unbeständig waren und jeden Augenblick wieder in Frage gestellt werden konnten. Tukulti-Ninurta griff etwa im elften Jahr seiner Regierung Babylonien an, unterwarf es und führte König Kaštiliaš IV. gefangen fort (siehe S. 33 f.). Kassiten wurden nach Kalḫu (heute Nimrūd) in Assyrien umgesiedelt. Wir wissen, daß die Sterblichkeit unter ihnen aus Mangel an Lebensmitteln sehr hoch war. Schon Šalmanassar betrieb die »Entwurzelung« der Einwohner von Naḫur im Osten von Ḫarran. Deportationen gehörten offenbar zum damals herrschenden Stil des Krieges. Das bezeugt die Ansiedlung von 28000 Hethitern innerhalb des assyrischen Gebiets, von der zwei späte Inschriften Tukulti-Ninurtas berichten. Obwohl diese Zahl offensichtlich übertrieben ist, zeigt sie trotzdem, daß eine
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solche Bevölkerungsumsiedlung als eines der wirkungsvollsten Mittel zur Befriedung eines unruhigen Gebietes galt. Der Fall Babylons hatte TukultiNinurta die Ausdehnung seines Machtbereichs bis zum Euphrat ermöglicht. Mari, Ḫana, Rapiqu und die »Gebirge der Aḫlamū« wurden annektiert. Andere Städte im Südosten Assyriens, darunter Arrapḫa, gerieten unter die Oberhoheit der Assyrer und wurden einer Tributpflicht unterworfen. Die Eroberungen Tukulti-Ninurtas zielten nicht nur darauf ab, ein immer breiteres Glacis um Assyrien zu schaffen. Sie waren auch in wirtschaftlicher Hinsicht gewinnbringende Unternehmungen. Wenn man Völkerschaften unterwarf, die in Gebieten wohnten, deren Rohstoffe der mesopotamischen Ebene vollkommen fehlten, so bedeutete diese Unterwerfung infolge der Plünderung eine unmittelbare Bereicherung. Außerdem schuf sie eine gute Geldquelle, da man den Besiegten jährliche Tributzahlungen auferlegte. An der Höhe dieser Tributzahlungen wurde die Macht eines Königs gemessen. TukultiNinurta war ein »Herrscher, der Tributzahlungen von Ländern empfängt, die sich vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang erstreckten«. Über die Nairi sagte der König: »Ich lege ihnen Tributzahlungen und ›freiwillige Gaben‹ für alle künftigen Tage auf.« Die Lieferungen, vor allem von Holz und Metall, ermöglichten den Bau der Paläste und Tempel, mit denen Aššur schon unter dem unmittelbaren Vorgänger Tukulti-Ninurtas geschmückt worden war. König Tukulti-Ninurta scheint als Bauherr und als Soldat gleich bedeutend gewesen zu sein. Der König errichtete zwei neue Paläste, von denen der eine, der im Osten der großen Ziqurrat des Tempels des Gottes Aššur lag, schon von Šalmanassar begonnen worden war. Außerdem wurde der vollständige Neubau des ehrwürdigen Tempels der Ištar in Aššur durchgeführt, der sich trotz so mancher Restaurationen und Vergrößerungen in einem schlechten Zustand befand. An der Stelle des alten Tempels wurde ein neues, viel größeres Gebäude mit zusätzlichen Räumen errichtet. Ihm wurde eine kleine, der Ištar KUD.nitu geweihte cella angeschlossen. Die Ausgrabungen und die Inschriften haben deutlich gezeigt, daß Aššur in der Zeit Tukulti-Ninurtas eine bedeutende Stadt geworden war. Der großartige Plan Tukulti- Ninurtas war, seinen Namen mit einem Komplex von religiösen und weltlichen Gebäuden zu verbinden. Er nannte ihn Kar-Tukulti-Ninurta. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Residenz für ihn und seinen Hof, die drei Kilometer nördlich von Aššur (am heutigen Ort Tulûl Āqir) lag. Wahrscheinlich maß der alte König dem Bau seines außerhalb der Stadtmauern gelegenen Palastes eine große Bedeutung bei, denn er zögerte nicht, für dessen Verschönerung aus Zedernholz angefertigte Säulen aus dem Neuen Palast wegzunehmen. Diese Säulen hatten schon eine lange Geschichte hinter sich. Sie waren die Beute, die Adad- narāri I. in der im Osten von Ḫarran gelegenen Stadt Naḫur während eines Kampfes gegen Ḫanigalbat gemacht hatte. Dieser König stellte sie in seinem Palast auf. Sie hatten aber schon
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einmal ihren Standort wechseln müssen, als Tukulti-Ninurta sie in den Neuen Palast gebracht hatte. Diese dauernden Reparatur- und Verschönerungsarbeiten am königlichen Palast erfolgten nicht nur aus Prestigegründen. Je mehr das Wesen des Staates von der Person des Königs als dessen Mittelpunkt bestimmt wurde, eine desto größere Bedeutung gewann auch der Palast, der seine Wohnung und zugleich der Sitz seiner Macht war. Oft war der Palast auch der Schauplatz der religiösen Rolle, die der König als Regent des Gottes Aššur spielte. Schon Adad-narāri I. wies auf die im Inneren des Palastes gelegene Kapelle hin, »in der sich der Thron befindet, auf den sich der Gott Aššur jedes Jahr setzt«. Eine Inschrift TukultiNinurtas über die Errichtung eines neuen Palastes ist in dieser Hinsicht recht bezeichnend; der König bedroht denjenigen aus dem Kreis seiner Nachfolger mit schrecklichen Verwünschungen, »der die in der Stadt Aššur wohnenden Götter daran hindern sollte, das Innere des Palastes während eines Festes zu betreten (oder) der sie in einen anderen Palast einladen würde«. Es gab also Feste, während derer die Götter die geladenen Gäste des Königs waren. Das berühmteste Fest hieß nach der Mahlzeit, die der König den Göttern oft in der Form eines Opfers darbot, tākultu. Die erste Erwähnung der Feier dieses Festes stammte aus der Zeit Adad-narāris I. und Šalmanassars I. Anspielungen auf das Zeremoniell des tākultu in anderen Städten Assyriens finden sich in den Dokumenten aus der Zeit Tukulti-Ninurtas in Šibaniba (dem heutigen Tell-Billa) und in Ninive aus der Regierungszeit Ninurta-tukulti-Aššurs. Das tākultu dauerte mehrere Tage. Der König war eine der Hauptpersonen. Am Morgen und am Abend opferte er persönlich den Göttern, während ein zammeru-Priester die Liturgie rezitierte, die die vom König durchgeführten Riten deutete. Nachdem der Priester die Götter, zu deren Ehre diese Opfer dargebracht wurden, genannt hatte, sprach er den Segen über die Stadt, das Land und den König von Aššur. Der Hauptzweck dieses Ritus bestand darin, die Segnungen der Gottheiten auf den König zu lenken, der demnach die Achse war, um welche das ganze Leben des Landes kreiste. Alle seine Siege und die unermüdliche kriegerische Tätigkeit machten aus Tukulti-Ninurta einen außergewöhnlichen Menschen und eine HeldenliedPersönlichkeit. »Der Gott Enlil hat ihn wie ein Väter nach seinem Erstgeborenen erhöht.« Er ist »der Herrscher, der mit der Hilfe Aššurs und der großen Götter die vier Erdteile durcheilt«. Sein Herannahen ist unwiderstehlich, die Könige fliehen vor ihm; »er ist die Sonne aller Völker«, »derjenige, der nächst Šamaš die vier Erdteile regiert«. Man muß in diesem Vergleich des Königs mit der Sonne vielleicht gar keinen Rückgriff auf hethitische Vorbilder sehen. Schon Ḫammurabi hatte sich im Vorwort zu einem Codex als »Sonne Babylons« bezeichnet.9 Die Verehrung der assyrischen Könige für Šamaš kam fast derjenigen gleich, mit der sie dem Nationalgott Aššur dienten. Aber während man in Babylonien mit Vorliebe die Sonne als moralische Macht pries, deren Wachsamkeit sich auf das Denken und Handeln des Menschen auswirkte und
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deren Rolle deshalb für das Wirtschafts- und Rechtsleben10 wesentlich war, sahen die Assyrer in der Sonne vor allem ihre überschäumende und kriegerische Lebenskraft und ihre, dem Feuer gleichende, verzehrende Macht. Das Feuer blieb in dieser Zeit das wirkungsvollste Mittel der Zerstörung, über das die Heere verfügten. Möglicherweise hat sich in der kurzen Periode, während der Sippar unter die Oberhoheit der Assyrer geriet11, der Einfluß des Šamaš auf dieses Volk noch verstärkt. Als der Nachfolger Tukulti-Ninurtas, Aššur-nādin- apli (1207 bis 1204), ein Hochwasser des Tigris, das seine Hauptstadt bedrohte, eindämmen mußte, wußte er sich keinen anderen Rat, als seine Hände zu Aššur, dem Gott der Stadt, und zu Šamaš zu erheben, damit sie den Fluß in sein Bett zurückfließen ließen. Bei den Assyrern war die Sonne auch der Garant für die Verträge und die Eidesleistungen. In dem epischen Gedicht, dessen Hauptpersonen TukultiNinurta und Kaštiliaš sind – der Propagandazweck dieses Gedichtes ist offenkundig –, geben die Götter Babylon deshalb preis, weil sein König angeblich den Eid gebrochen hat. Die allerhöchste göttliche Macht (enlillūtu) wendet sich von den babylonischen Städten ab, und Marduk verläßt seinen Tempel. Die Männer Tukulti- Ninurtas halten babylonische Kaufleute, die einen Brief von Kaštiliaš mit sich führen, an. Tukulti-Ninurta bringt diesen Brief vor Šamaš und beklagt sich darüber, daß der babylonische König seinen Eid nicht gehalten habe. Er wendet sich an Šamaš wie an einen Richter, von dem man sich sein gutes Recht bestätigen lassen will. Dieses Gedicht erweckt vom Anfang bis zum Ende den Anschein, als könnte sich Tukulti- Ninurta nur deshalb zu einem offenen Kampf gegen Kaštiliaš entschließen, weil er durch dessen dauernde Unehrlichkeit dazu gedrängt worden sei. Die Krieger in der Umgebung des assyrischen Königs stachelten diesen an, doch mit dem babylonischen König Schluß zu machen, ehe es zu spät sei. Als der Endkampf stattfand, konnte er für die Assyrer nur günstig ausgehen, denn die Götter kämpften an der Spitze des Heeres. Deshalb wurden auch die Schätze Babylons unter die Götter Assurs verteilt. Die letzten Jahre Tukulti-Ninurtas bleiben von einem Geheimnis umhüllt. Die Gründe für die feindselige Haltung, die Vertreter der führenden assyrischen Schicht gegen den König einnahmen, sind ebenfalls nicht faßbar. Alle Hypothesen, die man in dieser Hinsicht geäußert hat, sind sehr schwer nachzuweisen. Es kann sich um den Zorn der hohen Geistlichkeit gehandelt haben, der durch die Begünstigung des Marduk-Kults und der babylonischen Kultur seitens des Königs hervorgerufen wurde. Vielleicht waren es aber auch Beschwerden der Staatsverwaltung gegen den König, da dieser in seinem Größenwahnsinn sich von jetzt an genauso starrsinnig dem Bauen zuwandte, wie er vorher Krieg geführt hatte. Tukulti-Ninurta verschwand von der politischen Bühne. Er wurde wahrscheinlich von einem seiner Söhne, dem Haupt einer Verschwörung, in seiner Residenz Kar-Tukulti-Ninurta ermordet. Schon
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vor dem Tod des Königs konnte sich Babylonien von der Abhängigkeit befreien, in der es sich einige Jahre lang befunden hatte (siehe S. 34). f) Erneuter Niedergang Assyriens Während der ganzen Regierungszeit Tukulti-Ninurtas stand Assyrien in der Fülle seiner Macht. Dadurch wird sein fast ein Jahrhundert dauerndes Untertauchen noch unerklärlicher. Aus den nur dürftigen, verstreuten und sich oft widersprechenden Angaben der Quellen lassen sich die auf das Abtreten Tukulti-Ninurtas folgenden Ereignisse nur schwer erschließen. Soviel scheint jedoch sicher zu sein, daß der energische Sohn des Kaštiliaš, Adad-šūma-uṣur (siehe S. 34), der König von Babylon, mehrere Jahre lang die politische Bühne beherrschte. Allerdings war diese Bühne von jetzt ab außerordentlich begrenzt; sie umfaßte nur noch Mittel- und Nordmesopotamien. Wenn man die Ereignisse fast eines Jahrhunderts in einigen Zügen zusammenfassen will, dann ergibt sich folgendes Bild: Wir sehen, daß nach der kurzen Regierung Aššur-nādin (oder nāṣir)-aplis, eines der Söhne Tukulti-Ninurtas – wahrscheinlich war er der gleiche, der seinen Vater getötet hatte – Adad-šūma-uṣur in einem Brief die beiden späteren assyrischen Könige Aššur-narāri III. und Iluḫaddā, die vielleicht zusammen regierten12, so behandelt, als wären es seine Vasallen. Einige Jahre später begann Adad-šūma-uṣur militärische Operationen gegen Assyrien. Die Söhne des Besiegten und des Siegers von ehedem standen sich gegenüber, aber ihre Rollen waren vertauscht. Dieser Feldzug endete damit, daß in Assyrien ein Schützling Adad-šūma-uṣurs, nämlich der Prinz Ninurta-apil-Ekur (1192–1180) (siehe S. 36) aus der Nachkommenschaft Erība-Adads I., an die Macht kam. Er war wahrscheinlich ein Nachkomme von Aššur-uballiṭs Bruder. Von Aššurdan (1179–1134), dem Sohn Ninurta- apil-Ekurs, der sehr lange, nämlich 46 Jahre, regierte, ist uns fast nichts bekannt. Es hat jedoch den Anschein, daß von seiner Regierungszeit an die assyrische Politik gegenüber Babylonien wieder unabhängiger geworden ist. Ein Beweis dafür ist vielleicht ein Streifzug gegen babylonische Städte, die an der Grenze zwischen den beiden Staaten lagen. Babylonien ging kurz darauf in der militärischen Katastrophe, die ihm durch die elamitischen Heere bereitet wurde, unter. Von Assyrien wissen wir aus dieser Zeit überhaupt nichts. Erst als Babylonien auf Grund der Dynamik der II. Dynastie von Isin in normalere Verhältnisse zurückfand, wurden zwischen diesen beiden Ländern wieder Beziehungen angeknüpft. Ninurta-tukulti-Aššur, der Sohn Aššurdans, gab den Babyloniern das Standbild des Gottes Marduk zurück, das Tukulti-Ninurta ihnen vor fast einem Jahrhundert geraubt hatte. Obwohl die Regierung dieses Königs vielleicht nicht mehr als ein Jahr dauerte, sind wir durch einen seltsamen Zufall über die weltliche und religiöse Verwaltung, die während dieser kurzen Zeitspanne ihren Mittelpunkt im Palast hatte, gut unterrichtet. Wir verdanken das der Entdeckung einer Archivabteilung von mehr als hundert Tafeln. Daß jedoch dem Namen Ninurta-tukulti-Aššurs in
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diesen Tafeln niemals der Titel folgt, der ihn als König (uklum) ausweist, hat dazu geführt, daß man dieses Archiv in die Zeit der Regierung Aššurdans I. datierte, als Ninurta-tukulti- Aššur nur der Sohn dieses Königs war. Wie dem auch sei, diese Nachrichten über das Leben des Palastes aus einer Zeit, in der unsere Informationen so spärlich sind, bringen uns eine große Anzahl konkreter und genauer Angaben über das Funktionieren des Hofes zur Kenntnis. In diesen Dokumenten geht es vor allem um Abgaben an Kleinvieh, aber auch um Rinder, die dem Palast von verschiedenen Beamten angeboten wurden, nämlich von den obersten Viehzüchtern (rāb niqidāte), den Distriktsvorstehern (bēl paḫīti), den Bürgermeistern (ḫaziannu) – unter anderem von Ninive –, den Stadtoberhäuptern (rāb ālāni) und den Haushofmeistern der Städte oder sonstiger bedeutender Persönlichkeiten. Außerdem wurde dem Palast Vieh von den Regenten (Königen) der kleinen Fürstentümer, von den Sutû-Nomaden und von den Einwohnern von Suḫi gebracht. Alle diese Lieferungen erhielten die allgemeine Bezeichnung namartu, Gabe, während mit »freundlichem Geschenk« (rimūtu, wörtlich: Liebenswürdigkeit) die Weitergabe des erhaltenen Viehs an Personen, die der König in besonderer Weise ehren wollte, bezeichnet wurde. Jedoch wurde der allergrößte Teil des an den Palast abgelieferten Viehs für folgende Zwecke bestimmt: Es wurde für die Mahlzeiten Ninurta-tukulti-Aššurs verwandt, oder es wurde an Personen verteilt, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Palast befanden – man kann in diesem Zusammenhang auf eine Lieferung an Muttakil-Nusku, den Bruder Ninurtatukulti-Aššurs, aufmerksam machen, der den König bald darauf vom Thron verjagte – oder es wurde zur Fütterung der Löwen und ihrer Jungen im Zoo des Königs oder aber zum Opfer, das bei religiösen Zeremonien dargebracht wurde, benutzt. Das Vieh, das nicht sofort verwandt wurde, übernahm ein Beamter, der »Mäster« (ša kurušti). Dieser vertraute das Vieh seinerseits wieder Angestellten wie Gärtnern, Müllern und Bierbrauern an, die es für den Palast fütterten. Die religiösen Zeremonien verdienen Erwähnung. Der Reinigungspriester (mašmašu) erhielt Schafe und Hammel für die »Reinigung« der einen oder anderen Frau des Königs und außerdem für die an gewissen Tagen des Monats stattfindenden Sühneriten. Die Opferung eines Schafes sollte manchmal Segen herabflehen, so zum Beispiel, wenn man den neuen Harem einweihte.
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Abb. 5: Wandrelief aus Susa, um 1170–1151 v. Chr., heute Louvre, Paris
Man opferte am 10. des Monats kuzallu (dies ist der dritte Monat des assyrischen Kalenders) ein Rind vor der »Herrin des Palastes« (dBēlit-ekallim). Diese war eine Gottheit, die in einem Gebiet verehrt wurde, das von Mari über Assyrien bis nach Nuzi reichte. Erst mit Aššur-rēš-iši (1133–1116) nahm Assyrien einen neuen Aufschwung. In einer Inschrift über die Wiederherstellung des Ištar-Tempels in Ninive – dieser Tempel war durch ein Erdbeben stark beschädigt worden – spielte der König in der Aufzählung seiner Titel auf siegreiche Operationen gegen die Aḫlamū, gegen die Lullume und gegen die Gutî an. Er wird dort als der Herrscher bezeichnet, »der die unermeßlichen Horden der Aḫlamū ausgerottet und ihre Truppen versprengt hat«; er ist der Mann, »der das Land ... der Lullume, alle Gutî und alle ihre Berge besiegt hat und sie vor sich in die Knie zwang«. Alle diese Titel sind nicht besonders originell. Es muß sich in beiden Fällen um die üblichen militärischen Operationen der assyrischen Könige mit dem Zweck, die in der Nähe der Westgrenze umherschweifenden Beduinengruppen so weit als möglich zurückzuschlagen und das Land im Osten von dem Druck der Gebirgsvölker zu befreien, gehandelt haben. Die Ausrottung der Aḫlamūhorden kann kaum eine entscheidende Wirkung gehabt haben, wenn man weiß, mit welcher Erbitterung der Nachfolger Aššur-rēš-išis sie bekämpft hat. Der letzte Teil der Titulatur Aššur-rēš-išis spielt vielleicht auf seine Politik gegenüber den
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Babyloniern an. Er bezeichnete sich als »Rächer Aššurs«. Nannte er sich so, weil er von einem Land unabhängig war, dem die assyrischen Könige, seine Vorgänger, bis dahin mehr oder weniger unterworfen waren? Jedenfalls erfahren wir aus den Chroniken, daß Aššur- rēš-iši zum erstenmal gegen die babylonischen Truppen Ninurta-nādin-šūmis (siehe S. 40), die Erbil belagert hatten, kämpfen mußte; ein zweites Mal kämpfte er gegen dessen Sohn und Nachfolger, Nabû-kudurri- uṣur I. (Nebukadnezar I.), der auf assyrisches Gebiet eingedrungen war und sich einer Festung mit Namen Zanku bemächtigen wollte. Obwohl es den Anschein hat, als hätten die Assyrer in beiden Fällen die feindlichen Angriffe zurückgeschlagen, lag doch die Initiative bei den Babyloniern. g) Die Herrschaft Tiglat-Pilesers I. Unter Tiglat-Pileser I. (1117–1077) standen die Kräfteverhältnisse aufs neue für Assyrien günstig. Als sich dieses Land erneut auf eine Expansionspolitik einstellte, hatte sich die internationale Lage, in deren Rahmen sich seine Aktion einfügte, ganz und gar gewandelt. An die Stelle des hethitischen Reiches, das schon seit fast einem Jahrhundert verschwunden war, traten Völkerschaften thrako-phrygischer Herkunft. Ihr Erscheinen rief deshalb eine so große Unruhe hervor, weil sie sich in den Gebieten, in die sie eingefallen waren, nicht endgültig niedergelassen hatten. Schon im ersten Jahr nach seiner Machtübernahme marschierte Tiglat-Pileser gegen die Muški, die zu diesen Völkerschaften gehörten. Diese Muški, die »im Vertrauen auf ihre Stärke« schon fünfzig Jahre lang das Land von Alzi und Purulumzi besetzt gehalten hatten, hatten sich im Land von Kummuḫi ausgebreitet. Nachdem Tiglat-Pileser seine Kampfwagen und seine Truppen neu geordnet hatte, marschierte er über die Kašijari-Berge vor, gelangte in das Land von Kummuḫi und brachte den Truppen der Muški eine Niederlage bei. Diese bestanden aus zwanzigtausend Mann unter dem Befehl von fünf Führern. Der König erinnerte mit Wohlgefallen an das Blut der getöteten Feinde, das nach einer Formulierung, die er oft in seinen Inschriften verwandte, »von den Höhen der Berge und in den Tälern fließt«. Außerhalb der feindlichen Städte schichtete er die abgeschlagenen Köpfe der Soldaten »wie Kornhaufen« auf. Nachdem er sich der Beute und der Götter der Feinde bemächtigt hatte, gliederte er sechstausend Muški-Soldaten in seine Truppen ein. Diese waren vor dem Kampf geflohen und hatten sich ihm unterworfen. Offensichtlich sah sich Tiglat-Pileser gleich von Anfang an gezwungen, fremde Truppen auszuheben, um die Verluste seines Heeres auszugleichen. Der Umstand, daß diese Kriege immer mehr Menschenleben kosteten, war wahrscheinlich einer der Gründe für das jähe Absinken der assyrischen Macht nach Tukulti-Ninurta. Man kann beobachten, wie sich in den folgenden Jahren die Eroberungszüge Tiglat-Pilesers noch weiter nach Norden und Nordwesten auf das Gebiet des alten hethitischen Reiches ausdehnten. Vor dem assyrischen Vormarsch zerstreuten sich die feindlichen Truppen »wie die Vögel auf den
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Gipfeln ihrer hohen Gebirge«. Vergeblich. Die assyrischen Kampfwagen wurden zu ihrer Verfolgung eingesetzt und umzingelten sie. Sie mußten sich ergeben. Als die Kampfwagen infolge der Unebenheiten des Geländes nicht mehr weiter vorfahren konnten, setzte der König zu Fuß den Krieg gegen jeden sich regenden Widerstand fort. Dabei zündete er Städte und Marktflecken an, tötete, plünderte und verhängte Tributzahlungen. Dann kamen die Gebiete des ehemaligen Königreiches Mitanni an die Reihe. Tiglat-Pileser deportierte viertausend Soldaten von Kaški und Urume in das Innere des assyrischen Gebietes, aber trotz der Siegesmeldungen leistete der Feind weiterhin Widerstand. Selbst wenn der König erklärte, daß er den Feind endgültig geschlagen habe, erfährt man einige Zeilen weiter unten, daß das erst kürzlich in Asche gelegte Gebiet wiedererobert werden mußte. Auch wenn ein schärferer Ton angeschlagen wurde und eine immer größere Erregung um sich griff, wissen wir von jetzt an, woran wir uns zu halten haben. Die Logik des Eroberungskrieges bestand darin, daß Tiglat-Pileser sein Aktionsfeld auf immer entferntere Gebiete ausdehnen mußte, damit er auf diese Weise die Gebiete, die seiner Meinung nach für Assyrien von lebenswichtiger Bedeutung waren, halten konnte. Bei diesem Vormarsch in Gebiete, die zuvor noch kein assyrischer König betreten hatte, gelangte er schließlich an das »Obere Meer«, das Meer von Nairi (den Van-See). Von da aus rückte er weiter nach Nordwesten vor und bahnte sich einen Weg über die hohen, schwer überschreitbaren Gebirge dieses Gebietes. Aus Bäumen baute er eine feste Brücke über den Euphrat, auf der seine Truppen den Fluß überqueren konnten. Dort erwarteten ihn neue Schlachten. Die Könige von Nairi versuchten zusammen mit ihren Verbündeten vergeblich, ihn aufzuhalten. Das Heer, mit dem er zusammentraf, war zwar mit Kampfwagen ausgerüstet, es wurde aber vernichtet und von den assyrischen Streitkräften bis zum Van-See verfolgt. Die Beute muß beträchtlich gewesen sein; man spricht von 120 Kampfwagen, was jedoch übertrieben zu sein scheint. Die Führer des Heeres wurden als Geiseln an den Hof von Aššur gebracht. Eine entscheidende Auswirkung des Sieges über die Konföderation von Nairi scheint gewesen zu sein, daß er die ohne einen Schwertstreich erfolgte Unterwerfung des Gebietes von Malatya nach sich zog. Der Stadt wurde gegen die Stellung von Geiseln Schonung gewährt. Ein Bleiklotz von 100 Kilogramm Gewicht wurde ihr als jährlicher Tribut auferlegt. Der Weg zum Mittelmeer stand nun offen. Der König erreichte aber erst später das Meer von Amurru (Mittelmeer): »Auf Befehl von Anu und Adad, den großen Göttern, meinen Gebietern, rückte ich gegen die Berge des Libanon vor; ich fällte Balken aus Zedernholz für die Tempel von Anu und Adad und ließ dieselben nach Hause wegschaffen.« Wir wollen nebenbei darauf aufmerksam machen, daß der König die Autorität der Götter anrief, die ihm das Fällen der Zedern befohlen hätten. Die Zedern waren heilige Bäume eines Gebirges, das in Mesopotamien von jeher als unzugänglich und mythisch angesehen worden war. Der König erwähnte ebenfalls die Tributzahlungen, die er von Byblos, Sidon und Arwad erhielt, wie auch die exotischen Tiere, die er
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von seinem Feldzug heimbrachte. Es handelte sich hier um Affen, um ein »Meerpferd« und um ein naḫiru (vielleicht ist dies ein Walfisch oder ein Seehund), den er während einer Überfahrt mit der Harpune gefangen hatte. Neben diesen schwierigen und grausamen Kriegen, die den Assyrern den Weg nach Syrien und an die Ufer des Mittelmeers öffneten, wurde ein anderer, weniger in die Augen fallender Krieg fortgesetzt, der aber in seinem Risiko und seiner Bedeutung nicht hinter den anderen Unternehmungen zurückstand. Die Aḫlamū, von denen des Königs Vater Aššur-rēš-iši erklärt hatte, sie seien für immer besiegt, wurden zur Zeit Tiglat-Pilesers eine drohendere Gefahr denn je. Der König verfolgte sie in der Wüste vom Land von Suḫi über den mittleren Euphrat bis nach Karkemiš. Der Fluß bildete für Tiglat-Pileser kein Hindernis. Er überquerte den Euphrat hinter den fliehenden Nomaden, die auf dem anderen Ufer Zuflucht suchten. Aber obwohl es ihm gelang, sich in den Besitz von sechs Städten zu setzen, zerstreute sich der Feind in dem weiten Gebiet zwischen Tadmor (dem heutigen Palmyra) und dem Ğebel Bišrī, ohne eine Schlacht zu liefern. Achtundzwanzigmal überschritt der König den Fluß, das heißt je einmal auf dem Hin- und Rückweg zu jeder Schlacht. Also lieferte er insgesamt vierzehn Schlachten gegen die Aḫlamū. Diese waren bei den Assyrern auch unter dem Namen »Aramäer« bekannt. Ihr Land wurde tatsächlich in den Inschriften Tiglat- Pilesers als Aḫlamū (Aramaia) bezeichnet. Der Angriff gegen Babylonien muß ungefähr im dreißigsten Regierungsjahr Tiglat-Pilesers erfolgt sein. Der König hinterließ uns die Marschroute, die er das erstemal eingeschlagen hatte: er überquerte den unteren Zab, der zu dieser Zeit die Grenze zwischen beiden Staaten gebildet haben muß, und bemächtigte sich des Gebietes um die Stadt Turša, die früher zum Staat von Arrapḫa gehört hatte, und außerdem der Stadt Arman und der Ebene von Ṣallu bis nach Lupti. Nachdem er den Radana-Fluß (heute Tauq Chāi) überschritten hatte, setzte er sich in den Besitz der Städte am Fuß des Berges Kamulla, eines Teiles des heutigen Ğebel Ḫamrīn. Dort traf er auf die babylonischen Truppen und vernichtete sie. Er führte die Bewohner der Städte und eine reiche Beute mit sich nach Assyrien. Fast in die gleiche Zeit muß man die Eroberung mehrerer Städte von Suḫi am Mittellauf des Euphrat datieren. Durch diesen Angriff wurde die babylonische Macht noch nicht endgültig erschüttert. Erst nach einem zweiten Feldzug wurde Babylonien ins Herz getroffen. Die großen Heiligtümer wie Dūr-Kurigalzu, Sippar des Šamaš, Sippar der Annunītum, Babylon und Opi wurden erobert. Der Palast des Königs Marduk-nādin-aḫḫē wurde niedergebrannt. Aber es hat nicht den Anschein, als bedeutete diese Niederlage schon das Ende der Kämpfe. Noch zweimal mußte Tiglat-Pileser unter verschiedenen Eponymen seine Kampfwagen in die Schlacht gegen den König von Babylon senden, um ihn endgültig zu schlagen. Die Annalen Tiglat-Pilesers stellen, was den Stil angeht, eine beachtliche Entwicklung im Vergleich mit all dem dar, was bisher auf diesem Gebiet geleistet worden war. Wollte man diese Entwicklung auf einen einzigen Mann,
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etwa den König, oder auf seine Schreiber zurückführen, dann würde dies von allzu großer Kühnheit oder übertriebener Naivität zeugen. In Wirklichkeit zeigt uns diese Entwicklung, wie bedeutend die Wandlung gewesen sein muß, die sich in Assyrien im Verlauf von mehr als einem Jahrhundert vollzogen hatte. Es handelt sich dabei um einen Zeitraum, in dem unsere Kenntnisse auf einzelne Ereignisse beschränkt bleiben. Tiglat-Pileser war nicht nur ein unermüdlicher Krieger, sein Name ist auch mit der bedeutenden Arbeit des Abschreibens und Ordnens literarischer und juristischer Texte verbunden. Ihm verdanken wir Gesetzessammlungen wie die »assyrischen Gesetze« und Sammlungen von Erlassen wie die »Haremsedikte«. Diese auf Tafeln geschriebenen Gesetze der Assyrer – nur drei davon sind in gutem Zustand erhalten – muß man im großen und ganzen als Sammlungen von Rechtsnormen ansehen, die Personen und Sachbesitz betreffen. Da ein genaues Datum ihrer Abfassung fehlt, ist man übereingekommen, diese Gesetze als Dokumente anzusehen, die zu verschiedenen Zeiten zwischen dem 15. und 12. Jahrhundert niedergeschrieben wurden. Die Tafeln C und G sind wahrscheinlich die ältesten, A und B die jüngsten. Obwohl man nur mit Mühe feststellen kann, welche rechtliche Bedeutung diese Gesetzessammlungen hatten, besteht ihr wesentlicher Nutzen für uns darin, daß sie hier und da ein recht helles Licht auf die assyrische Gesellschaft werfen. Nehmen wir zum Beispiel die Tafel A, die bei weitem am vollständigsten erhalten ist; eine ganze Reihe von Fällen befaßt sich mit Delikten, die von Frauen begangen wurden, die sich im Stand der Freiheit befanden. Wir sehen hier: wenn sich eine Frau einer Handlung schuldig machte, deren Bestrafung in der Zuständigkeit einer Autorität außerhalb der Familie lag – dazu gehörte zum Beispiel der Diebstahl eines Gegenstandes aus einem Tempel oder Gotteslästerungen oder auch das Schlagen und Verwunden eines nicht zur Familie gehörigen Mannes –, dann trug sie für ihre Handlungsweise allein die Verantwortung. Wenn dagegen eine freie und verheiratete Frau einen Gegenstand in einem fremden Hause stahl, dann fiel sie nur dann unter den Strafanspruch des Opfers, wenn ihr Mann nicht in einen Vergleich einwilligte, d.h. wenn er den gestohlenen Gegenstand nicht zurückgab und kein Sühnegeld zahlte und wenn er sich weigerte, selbst ihre Bestrafung durchzuführen. Der Ehegatte konnte jedoch auf Grund von zwei anderen Paragraphen (§ 57–58) nur dann die Strafe der Verstümmelung über seine Frau verhängen, wenn dies in Gegenwart einer Instanz außerhalb der Familie erfolgte. In zahlreichen Paragraphen geht es um Ehebruch und Vergewaltigung. Mit der Verleumdung, einem Delikt, das so alt ist wie die Menschheit, befaßte man sich in vier Paragraphen. Besonders wichtig sind für die Erforschung der Familienstruktur dieser Zeit mehrere Artikel, die sich auf die Frau beziehen, die trotz ihrer Verheiratung noch im väterlichen Haus wohnte. Einige Artikel geben uns über die Formalitäten der Eheschließung Auskunft. Wenn ein Mann, der mit einer Frau zusammen lebte, sie zu seiner rechtmäßigen Gattin machen wollte,
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dann brauchte er nur in Gegenwart von fünf oder sechs Nachbarn einen Schleier über das Haupt der Frau zu breiten und zu erklären: »Sie ist meine Gattin.« Solange er diesen Ritus nicht vollzog, blieb diese Frau seine Konkubine, und die aus dieser Vereinigung hervorgegangenen Kinder konnten ihren Vater nur dann beerben, wenn keine rechtmäßigen Kinder vorhanden waren. Das Tragen des Schleiers scheint für die verheiratete Frau oder Witwe und im allgemeinen für alle Assyrerinnen Pflicht gewesen zu sein. Wenn eine Konkubine in der Öffentlichkeit die an erster Stelle stehende Ehegattin (des Mannes, mit dem sie zusammen lebte, Anm. d. Übers.) begleitete, mußte auch sie ihr Haupt verschleiern. Dagegen konnten die Hierodulen (Tempelprostituierten) sich auf der Straße mit enthülltem Haupt frei bewegen. Den Prostituierten und den Sklavinnen war das Tragen des Schleiers in der Öffentlichkeit verboten. Das Gesetz verpflichtete jedermann, der einer verschleierten Prostituierten oder Sklavin begegnete, dieselbe festzunehmen. Nachdem Zeugen beigebracht worden waren, wurde sie zu fünfzig Stockhieben verurteilt. Dann goß man über ihr Haupt Pech aus. Der Ankläger erhielt mit Ausnahme des Schmucks ihre Kleider. Jeder wurde mit schweren Strafen bedroht, der sich dieser Anzeigepflicht entzog und eine solche Schuldige laufen ließ. Andere Paragraphen scheinen für die Eheschließung zwei Handlungen die gleiche Bedeutung zuzuschreiben, die jedoch ganz verschiedener Art waren. Die eine war das Salben des Hauptes der Ehegattin, die andere das Einbringen der Hochzeitsgeschenke (ḫuruppāte) in das Haus des Schwiegervaters durch den Ehegatten. Schon der Vollzug einer dieser beiden Akte konnte der Ehe einen endgültigen Charakter verleihen. Auch wenn infolge Tod oder Abwesenheit des Ehegatten die Ehe nicht vollzogen werden konnte, so konnte von jetzt ab das junge Mädchen von seinem Schwiegervater irgendeinem aus dem Kreis der Brüder oder Söhne des Abwesenden zur Ehe gegeben werden, wenn dieser über zehn Jahre alt war. Nur in dem Fall, in dem sich in der Familie kein mehr als zehn Jahre altes Kind befand, konnte der Vater das junge Mädchen wieder zu sich nehmen. Dann mußte er aber die Geschenke zurückgeben, die er für seine Tochter erhalten hatte. Einige Paragraphen sahen sehr strenge Strafen – Leben um Leben – für denjenigen vor, der bei einer verheirateten Frau oder einer Prostituierten durch Schläge eine Fehlgeburt verursacht hatte. Wenn es sich um eine Frau handelte, die ihrem Mann noch kein Kind männlichen Geschlechtes geboren hatte, sollte der Schuldige mit dem Tode bestraft: werden. Er mußte es ebenfalls mit seinem Leben sühnen, wenn die Frau an den Folgen der Frühgeburt gestorben war. Eine Frau, die durch Eingriffe an sich selbst eine Abtreibung verursachte, sollte gepfählt und ihrem Leichnam das Begräbnis verweigert werden. Die Tafel B befaßt sich vor allem mit der Gesetzgebung, die Grundstücke betraf. Einige Artikel beziehen sich auf Fälle, in denen Brüder das gemeinsame Besitztum ungeteilt innehatten. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein Paragraph, über den wir schon ausführlich gesprochen haben (siehe weiter oben
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S. 46 f.). Er regelte die Frage der Publizität eines Grundstücksverkaufs. Die Versetzung von Grenzsteinen (taḫumu) wurde streng bestraft. Darauf stand das Abschneiden des Fingers des Schuldigen, 100 Stockhiebe und eine Zeit der Zwangsarbeit. In diesem Zusammenhang unterschied man zwischen dem großen und dem kleinen Grenzstein. Der kleine Grenzstein war vielleicht der Grenzstein, der die Parzellen des gleichen Landbesitzes voneinander trennte, während der große Grenzstein den Landbesitz zu einem fremden Grundstück hin begrenzte. Die Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner in Bezug auf Pfänder werden auf der Tafel C erörtert. Der Verkauf von Personen oder Tieren, die ein Gläubiger bei sich festhalten und aus denen er Nutzen ziehen durfte, war ausdrücklich verboten. Ein Gläubiger, der eine Person, die bei ihm als Pfand war, verkaufte, mußte den Betrag der Schuld einbüßen, außerdem die aus dem Verkauf des Pfandes erlöste Summe dem Schuldner bezahlen und die Stockhiebe und 40 Tage Zwangsarbeit auf sich nehmen. Wenn die von ihm ins Ausland verkaufte Person dort starb, mußte der Gläubiger nach dem Grundsatz »Leben um Leben« dafür bezahlen. Andere Paragraphen der gleichen Tafel befassen sich mit dem sicher häufigen Fall des Tierdiebstahls. Wenn der Beweis für die Schuld des Angeklagten erbracht worden war, boten sich ihm zwei Möglichkeiten. Entweder mußte er die Strafe auf sich nehmen, die durch das Gesetz für sein Delikt festgelegt worden war, oder aber er mußte beim König erscheinen. Nach der Rückerstattung des gestohlenen Gegenstandes mußte er die Strafe auf sich nehmen, die der König über ihn zu verhängen geruhte. Mit den Haremsedikten wollten die assyrischen Könige – von Aššur-uballiṭ bis zu Tiglat-Pileser – die sehr heiklen Beziehungen zwischen dem immer zahlreicher werdenden und recht differenzierten Hofpersonal und den Frauen des Königs regeln, die in einer besonderen Abteilung des königlichen Palastes wohnten. Darin liegt für uns die eigentliche Bedeutung dieser Erlasse, denn sie ermöglichen es uns, die Tätigkeit des assyrischen Hofes zumindest während der beiden letzten Jahrhunderte des 2. Jahrtausends zu erfassen. Eine Verallgemeinerung wäre allerdings unklug. Die Ämter änderten ihren Namen von einem Jahrhundert zum anderen, und es ist auch nicht gesagt, daß ein und derselbe Ausdruck, wenn er von einer Epoche an die andere weitergegeben wurde, auch weiterhin genau die gleiche Funktion bezeichnete. Man weiß zum Beispiel nicht, ob der akil ekalli (der leitende Mann im Palast) des 14. Jahrhunderts die gleichen Funktionen auszuüben hatte wie der ša muḫḫi ekalli (»derjenige, der an der Spitze des Palastes steht«) des 13., und wie der rāb ekalli (der Große im Palast) des 12. Jahrhunderts. Es steht fest: je mehr sich der assyrische Staat vergrößerte, um so mehr differenzierte sich die Rolle der Beamten. Der akil ekalli erscheint in der Zeit Aššur-uballiṭs als der Mittelsmann zwischen dem König und der Außenwelt. Nur durch diesen Beamten durfte der König den Tod einer Person erfahren, auch wenn es sich um einen nahen Verwandten handelte, damit seine Reinheit nicht in Mitleidenschaft gezogen würde. Die Edikte heben auch die Rolle des nagīr ekalli hervor, dessen
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Funktionen weit über die des Palastherolds hinausgegangen sein müssen. Er hatte den Auftrag, die königlichen Entscheidungen an den vier Ecken des Palastes zu proklamieren, damit jeder über sie in Kenntnis gesetzt wurde. Er nahm gewiß den zweiten oder dritten Rang nach dem König ein. Die Eunuchen (ša rēši) waren selbstverständlich unter dem männlichen Personal des Hofes diejenigen, die sich am leichtesten den Frauen des Harems nähern konnten; sie mußten dabei aber ein peinlich genaues Zeremoniell beachten. Kein Eunuch durfte allein in diesen geschlossenen Wohnbezirk eindringen. Wenn er einer der »Frauen des Königs« (sinnišāti ša šarri), das heißt einer der Frauen, die zum Harem gehörten, ohne den Titel einer Gattin des Königs zu führen, begegnete, mußte er in einem Abstand von sieben Schritten stehen bleiben. Wenn ein Eunuch von einer dieser Frauen gerufen wurde und sah, daß diese nicht anständig bekleidet war, d.h. ohne notdürftiges Lendentuch oder mit entblößten Schenkeln angetroffen wurde, durfte er sie nicht ansprechen. Bei einer Zuwiderhandlung gegen diese Vorschriften wurden ihm hundert Stockhiebe versetzt, und sein Denunziant erhielt seine Kleider als Belohnung. Die Eunuchen durften auch nicht Zeugen eines Streites oder der Schimpfworte von Frauen werden. Es ist übrigens bemerkenswert, daß diese Vorschriften keinen absoluten Unterschied zwischen Eunuchen und männlichen Höflingen machten. Unter den Frauen des königlichen Harems kam der Mutter des Königs der erste Platz zu. Man weiß von der Bedeutung, die Bathseba, die Mutter des Königs Salomon, im Königreich Juda gehabt hat, ganz zu schweigen von der Rolle, die später in Assyrien die berühmte Naqi’a, die Witwe Sanheribs, während der Regierungszeit ihres Sohnes Asarhaddon spielte. Dann kamen die Ehefrau oder die Ehefrauen des Königs. Nach der Zeremonialordnung folgten die Mutter des Königs und seine Ehefrau unmittelbar hinter dem Sohn und dem Bruder des Königs. Die Gattin des Königs wurde in der hierarchischen Rangordnung von der dichten Schar der »Königsfrauen« gefolgt, von denen schon weiter oben die Rede war. Zu den »Königsfrauen« gehörten junge Assyrerinnen aus sehr guter Familie und ausländische Königstöchter. Zu ihrer Bedienung hatten sie Sklavinnen zur Verfügung, die ihnen unbedingten Gehorsam schuldeten. Sie durften aber mit ihren Dienerinnen nicht zu streng verfahren. Wenn eine Sklavin gegenüber ihrer Herrin ungehorsam war, hatte diese nicht das Recht, jener mehr als dreißig Stockhiebe zu verabreichen; wenn das Mädchen unter den Schlägen starb, so war die Herrin dafür verantwortlich. Nach Tiglat-Pileser ist die Macht der Assyrer aufs neue durch eine größere Stagnation gekennzeichnet, auf die ihr unvermeidliches Absinken folgte. Von seinen Söhnen besaßen weder Aššur-bēl-kala (1074–1057) noch Šamši-Adad IV. (1054 bis 1051) sein kriegerisches Temperament. Jener unternahm den nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönten Versuch, Urartu unter der Herrschaft Assyriens zu halten. Man kann daran denken, daß auch die Verluste an Menschenleben aus mehr als dreißig Jahren fast ununterbrochener Kriege mit zu der Erschöpfung beigetragen haben, die die Nachfolger Tiglat-Pilesers zeigten.
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Die vielfachen Bindungen, die dieser König zwischen Assyrien und den besiegten Völkern dadurch zu knüpfen gesucht hatte, daß er ihnen Tributleistungen auferlegte und junge ausländische Prinzen bei sich als Geiseln behielt, lösten sich nacheinander auf. Während dieser Zeit bestimmten in der Ebene die Aramäer, von denen einer ihrer Führer König von Babylon geworden war, das Gesetz des Handelns. 2. Hethiter, Hurriter und Mitanni I. Frühe hethitische Staatengründung Der Name der Hethiter war bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts lediglich aus dem Alten Testament bekannt, wo er allem Anschein nach eines der eingesessenen Völker Palästinas bezeichnete. Am instruktivsten schien jene Stelle 1. Buch Mose 23, nach der Abraham als Fremdling rechtskräftig von den Hethitern ein Erbbegräbnis bei Hebron im Land Kanaan erwarb. In Wirklichkeit ist Kleinasien der historische Raum, in dem sich die Geschichte der Hethiter gestaltet hat, zu Anfang bedingt durch die geographischen Gegebenheiten dieser Halbinsel, wenn auch ihre politische Leistung sich später in der Großmachtstellung ihres Reiches nach Südosten weit über diesen Raum Kleinasiens zu bewähren hatte. Kleinasien ist Bindeglied zwischen dem Vorderen Orient und der Welt der Ägäis. Das zeigt sich für die wissenschaftliche Forschung durch den Nachweis enger kultureller Beziehungen bereits in der Zeit der Vor- und Frühgeschichte. Überraschende Erkenntnisse dieser Art boten neuerdings die Grabungen von J. Mellaart im Çatal-Hüyük (Konya-Ebene), wo zum erstenmal eine kleinasiatische neolithische Stadtkultur aufgezeigt wurde, die engste Beziehung zu Kilikien und dem Euphratgebiet hatte.1 Ebenso eindrucksvoll ist der Nachweis einer großen metallurgischen Kulturprovinz zu Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends, die die Troas und das nördliche Kappadokien (Fundorte Alaca-Hüyük, Horoztepe) umfaßte.2 Für die historische Zeit sind diese Verbindungen des innerklein-asiatischen Hethiterreiches nach Westen nur sehr ungenügend aufgehellt. Schuld daran trägt z.T. der Umstand, daß Westkleinasien und die Ägäis nach unserem heutigen Wissen damals noch schriftlos waren, so daß in hethitischen Texten genannte Landschaften und Orte im Westen der Halbinsel kaum zu lokalisieren sind, Staatswesen und Herrscher für uns keine greifbare Gestalt aus eigener Beurkundung gewinnen. So ist unser Bild der hethitischen Kultur und Geschichte weitgehend durch ihre Beziehung zum Südosten bestimmt. Hier lag der Schwerpunkt der durch die Keilschrift geprägten babylonischen Stadtkultur (vgl. deren Ausstrahlungen bis Ḫalpa, Karkemiš, Ugarit), hier verliefen in Nordsyrien aber auch die Schnittlinien der großen kommerziellen und politischen Interessen, die die Geschichte des Vorderen Orients bestimmten.
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Abb. 6: Vorderasien unter der Herrschaft der Hethiter
Kleinasien war in früher Zeit zunächst in diese vorderasiatische Gemeinschaft als Rohstoffquelle für Bauholz, für Kupfer und Silber eingegliedert. Diese frühesten Nachrichten sind in einem Epos enthalten, das sich an den Namen Sargons von Akkad (2340–2284) knüpft.3 In diesem historischen Roman »König der Schlacht« drängen Kaufleute den mesopotamischen Herrscher zum Zug gegen die Stadt Buršaḫanda, sicher identisch mit Burušḫanda, das wir aus den späteren Kültepetexten als einen der Vororte des alten Kleinasien kennenlernen und das man südlich des heutigen Salzsees lokalisieren möchte.4 In dem schlecht erhaltenen Text spricht der Obmann der Kaufleute: »Sargon, den König der Welt, haben wir bei Namen gerufen. Er soll zu uns herabsteigen, wir wollen Macht empfangen, denn wir sind keine Krieger.« Aber dem stehen entgegen: »arge Pfade, eine beschwerliche Straße, der Weg nach Buršaḫanda, den du wünschst zu gehen, ist ein Weg, über den ich mich beklage, ... von sieben Doppelstunden ... Der Berg Galašu, ... Apfelbaum, Feigenbaum, Buchsbaum ...«5 Die Schwierigkeiten des Marsches, die sich aus dem gebirgigen Gelände und der Weite des Weges ergeben, sind damit ungefähr angedeutet. Wohl führen Paßstraßen für wandernde Nomaden oder gewinnsuchende Händler durch das Gebirge: das eindrucksvolle Kalykadnos-Defilé (der heutige Göksu) von der Südküste zur Konya-Ebene – von Tarsus und Adana durch die kilikische Pforte nach Tyana-Bor und schließlich mehrere Gebirgsübergänge, die vom Euphrattal
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über Malatya das Hochland um Kayseri und damit den Oberlauf des Halys erreichen. Trotzdem bildet das kleinasiatische Hochland als geographischer Raum eine weitgehend geschlossene Einheit, auch wenn es, nach Osten in seinen Gebirgszügen sich öffnend, ohne eigentliche Grenzmarkierung in das armenischkurdische Bergland übergeht. Eingeschlossen vom Pontischen Gebirge im Norden, vom Bogen des Taurus im Süden, dehnt sich ein weites, reich gegliedertes Hochland von durchschnittlich 800 m Höhe aus. Ohne einen natürlichen Mittelpunkt, ohne einen gemeinsamen großen Flußlauf als Lebensader des Landes, wie Nil und Euphrat, die zu politisch großräumiger Ordnung drängten, neigten die einzelnen Talgaue zu einem politischen Sonderdasein. Das Schwarze Meer ist durch drei parallel verlaufende Gebirgsketten mit Höhen im Osten von über 3000 m, die nur über schwierige, steile Paßstraßen zu überwinden sind, weitgehend vom Hochland abgeschnitten. Nur zwei Flüsse (der Halys-Kizil Irmak und der Lykos-Yeşil Irmak) schaffen sich in engen Felstälern einen Durchbruch von der Hochfläche. Beide Flüsse bieten der Schiffahrt keine Möglichkeit, ins Landesinnere zu gelangen. Im engen Felsdefilé gibt es auch keine Straße, die etwa einen leichten Verkehr vom Hochland zu den Siedlungen an der Meeresküste ermöglicht hätte. So beruht das aus späteren Zeiten bekannte Sonderdasein Paphlagoniens oder das Reich des Mithridates auf landschaftlichen Gegebenheiten; nicht viel anders dürfte es in älterer Zeit gewesen sein.6 Nach Westen zu treppt sich das Hochland allmählich ab und eröffnet in den Tälern des Sangarios-Sakarya, des Hermos-Gediz und des Mäander-Menderes bequeme Verkehrsmöglichkeiten in das reich gegliederte Küstengebiet. Im Norden insbesondere bietet die Propontis mit der bithynischen Halbinsel einen immer wieder von wandernden Scharen aus dem Balkanraum genutzten Einbruchweg in das Hochland. Im Süden schiebt sich trennend zwischen Hochland und die Zugänge zum ägäischen Küstengebiet die lykaonische Steppe, eben und abflußlos, die trockenste Landschaft Kleinasiens. Als kulturfeindlicher Sperrgürtel zwingt sie die beiden großen Verkehrswege zu einer nördlichen oder südlichen Umgehungsroute. Letztere führt über Ikonion-Konya. Das heute trockene Gebiet um den Salzsee dagegen deutet durch zahlreiche Hüyüks, alte Siedlungshügel, eine ehemals dichtbesiedelte Kulturprovinz an. Erst die zunehmende Versalzung hat die hier einstmals gegebenen Lebensmöglichkeiten weitgehend ausgelöscht. Ganz allgemein darf man auf Grund der Bodenfunde sagen, daß Vegetation und Fauna in alter Zeit nicht dem heutigen Bild entsprochen haben können. Denn Knochen von Hirsch und Wildschwein, deren bildliche Darstellung auf den Reliefs von Alaca-Hüyük7 und textliche Erwähnungen dieser Tiere machen deutlich, daß der entsprechende Lebensraum mit Waldbestand und feuchten Niederungen vorhanden gewesen sein muß.
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In diesem Gebiet des nachmaligen Galatien und Kappadokien entstanden seit Beginn des späteren Chalkolithikum, d.h. seit dem Beginn des 3. Jahrtausends, die ersten städtischen Zentren an durch Wasser und Boden begünstigten oder durch Wegeführung ausgezeichneten Punkten. Seither sind also die allgemeinen Siedlungsbedingungen Anatoliens durch die Jahrtausende bis in klassische Zeit konstant geblieben. Die geschichtliche Periode in diesem Raum beginnt – wenn man von den legendären Berichten um Sargon und Narāmsîn von Akkad8 absieht – mit der Zeit der altassyrischen Handelstätigkeit und dem Fund der umfassenden Kaufmannsarchive von Kaniš, beim heutigen Kültepe nördlich von Kayseri9. Die beiden unteren Schichten IV und III dieser Siedlung sind zwar noch ohne schriftliche Hinterlassenschaft, und die wenigen publizierten archäologischen Funde lassen wohl lediglich eine allgemeine Beziehung zu Nordsyrien feststellen. Mit Schicht II dagegen und ihren Tausenden von Briefen, Urkunden usw. sind wir jedoch durch die Nennung der Namen Sargons von Aššur und seines Nachfolgers Puzur-Aššur10 auf historischem Boden, so daß wir (nach der mittleren Chronologie) die betreffende Schicht und ihre Schriftdokumente in das 19. Jahrhundert datieren können. Daß sich die Geschichte dieser Schicht über etwa ein Jahrhundert erstreckte, ergibt sich aus der Tatsache, daß bisher über 80 Jahreseponymen aus den so datierten Texten bekannt sind. Wir ersehen neben der engen Bindung an die Heimatstadt Aššur aus diesen Briefen aber auch den Umfang der Handelstätigkeit in Anatolien, deren Organisation mit einer Zentrale (kārum) in Kaniš und weit verstreuten Niederlassungen bis an den Rand des Pontischen Gebirges und in das Gebiet um Konya reichte. Jahrelang waren diese fremden Händler in Anatolien seßhaft; sie heirateten teilweise einheimische Frauen, hatten Landesbewohner als Bedienstete und Handelskontrahenten, fügten sich in ihren äußeren Lebensbedingungen, wie Siedlung und Hausgerät, in die anatolischen Gegebenheiten, so daß die materielle Hinterlassenschaft weitgehend als Zeugnis der anatolischen Kulturentwicklung gewertet werden kann.11 Daß es sich bei den Bewohnern dieser Siedlung, die außerhalb der Mauern der Stadt Kaniš selbst lag, aber um Landfremde handelte, zeigen Sprache, Schrift und Eigennamen. Für das Geschichtsbild dieser Zeit besonders wichtig ist die Bezeugung von einheimischen Personen- und Götternamen. Daraus kann man nämlich Schlüsse auf die ethnischen Verhältnisse des östlichen Kappadokien ziehen. Man kann besonders die Frage aufgreifen, wie weit lediglich einheimische Anatolier, bzw. bereits Einwanderer der indogermanisch-hethitischen Sprachgruppe in diesen Texten genannt sind. Die Diskussion dieser Frage hat noch zu keiner einheitlichen Meinungsbildung geführt: A. Goetze vertritt seit langem die Ansicht, daß zweifellos neben anatolischen (protoḫattischen) Namen auch eindeutige Zeugnisse indogermanischer Idiome festzustellen seien.12 Diese Wertung der Eigennamen scheint durch die Appellativa išḫiuli (heth. išḫiul
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»Vertrag«) und išpatalu (heth. išpant- »Nacht«) bestätigt13, wird aber neuerdings energisch unter Hinweis darauf, daß die beiden betreffenden hethitischen Wörter durchaus nicht in ihrer indogermanischen Etymologie gesichert seien und viel eher in beiden Fällen Entlehnungen aus einer einheimischen Sprache vorlägen, bestritten.14 Im ersten Fall wären die eingewanderten indogermanischen Stämme bereits vor dem 19. Jahrhundert in Anatolien ansässig, im anderen dürften sie erst nach der Periode der altassyrischen Handelstätigkeit, deren Ende sie vielleicht gar mit herbeiführten (Zerstörung von kārum Kaniš II), ins Hochland eingedrungen sein.15 Das Problem wird dadurch noch erschwert, daß keine Klarheit besteht, ob diese Einwanderung von Westen her, also etwa über Dardanellen und Hellespont hinweg erfolgte oder ob vielmehr ein Einbruch aus dem Osten, am wahrscheinlichsten dann durch den Kaukasus (Pforte von Derbent), anzunehmen ist. Das archäologische Material, insbesondere die Keramik in ihren wechselnden Formen und Dekorationen, bietet keinen Hinweis, und auch die seinerzeit ansprechenden Gesichtspunkte von F. Sommer16 gestatten keine Entscheidung. Zweifellos ist aber der gegenwärtige Forschungsstand das Haupthindernis für eine klare Antwort auf die oben angeschnittenen Fragen. Der archäologische Befund der seit 1948 laufenden türkischen Grabungen in der Handelsniederlassung von Kaniš ist erst zum kleinsten Teil adaequat veröffentlicht. Insbesondere die Tausende von Tontafeln harren noch der Publikation und wissenschaftlichen Verwertung. So ist es auch verständlich, daß neuerdings die beiden archäologischen Schichten II und Ib hinsichtlich der in ihnen gefundenen Schriftdokumente und damit in ihrer historischen Stellung überhaupt in Frage gezogen worden sind.17 Die ehemals wohl ebenfalls mit einem Wall umgebene Handelsniederlassung liegt vor den Toren der alten Stadt Kaniš (dem heutigen Kültepe). Archäologische Grabungen haben hier auf dem Stadthügel erst vor wenigen Jahren begonnen; die gewonnenen Ergebnisse einer Schichtfolge und ihre ebenso wesentliche Entsprechung zu den Schichten IV-Ia der Handelsniederlassung sind noch unpubliziert.18 Der Ausgräber Taḥsin Özgüç hat lediglich allgemein festgestellt, daß Kaufmannsniederlassung und Stadt jeweils gleichzeitig durch Brand vernichtet worden seien. Angesichts der noch in vollem Fluß befindlichen Grabungs- und Publikationstätigkeit muß eine historische Darstellung mit vielen Fehlerquellen rechnen, obgleich die einzelnen Daten aus den Grabungen von Kültepe, Alişar und Boğazköy ein einigermaßen übereinstimmendes Bild für diese Zeit des 19./18. Jahrhunderts v. Chr. zu vermitteln scheinen. Danach war Anatolien entsprechend seiner landschaftlichen Gliederung in Stadtstaaten aufgeteilt, die unter einem Fürsten oder einer Fürstin standen, wobei der Kronprinz jeweils eine hohe Verwaltungsfunktion einnahm (Titel »Großer der Treppe«). Daß derartige Herrschaften und Territorien sich gelegentlich befehdeten oder miteinander verbündeten, auch wie im Fall von
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Burušḫanda unter einem »Großfürsten« eine gewisse Suprematie erringen konnten, ist naheliegend. Ein klares Zeugnis der historischen Situation bietet jener 1955 in Kültepe gefundene Brief: »Folgendermaßen Anumḫirbi, der Fürst von Mama, zu Waršama, dem Fürsten von Kaniš, sprich: Du hast mir folgendermaßen geschrieben: Der (Mann) von Taišama ist mein Sklave, ich werde ihn zur Ruhe bringen. Aber bringst Du den (Mann) von Sibuḫa, Deinen Sklaven, zur Ruhe? Da der (Mann) von Taišama Dein (Hund) ist, wieso handelt er da (selbständig) gegenüber anderen Herrschern? Der (Mann) von Sibuḫa (ist) mein (Hund); handelt er etwa (eigenmächtig) gegen andere Herrscher? Soll etwa der Fürst von Taišama der dritte Fürst unter uns werden? Als mein Feind mich besiegt hatte, da ist der (Mann) von Taišama in mein Land eingefallen, hat zwölf meiner Städte zerstört und ihre Rinder und Schafe geraubt.«19 Aber auch auf friedliche Verhältnisse wurde im weiteren Text des Schreibens Bezug genommen, da zur Zeit von Inar, dem Vater des Waršama, ein Vertrag zwischen den beiden Staaten bestanden habe und ein regelmäßiger diplomatischer Botenverkehr angestrebt wurde. Mit dem Namen des Absenders dieses Briefes, Anumḫirbi, wird gleichzeitig ein neues Bevölkerungselement deutlich, die Ḫurriter, die seit Jahrhunderten in Obermesopotamien seßhaft waren und sich zu Beginn des zweiten Jahrtausends nach Nordsyrien und wohl im Zusammenhang mit dem assyrischen Handel auch nach Kleinasien ausdehnten. Der Ort Mama liegt dabei auf der südlichen Wegroute vom Euphratübergang nach Kaniš, also mitten im Taurus, wohl in der Gegend des heutigen Elbistan. Nach dem Zeugnis des etwa ein Jahrtausend jüngeren assyrischen Herrschers Šalmanassar III. stand ein Siegesdenkmal des Anumḫirbi im Gebirge Adalur (Amanus?) an einer Paßstraße. Ein althethitischer Text enthält eine historische Erzählung seiner Kämpfe mit der Stadt Zalpa. Beide Hinweise könnten darauf deuten, daß hier, vielleicht in einer Schwächeperiode des assyrischen Handels (etwa mit dem Ende von kārum Kaniš II)20, ein Stadtfürst mit ḫurritischem Namen und damit vielleicht selbst Angehöriger dieses expansiven Volkes für kürzere Zeit einen Staat geschaffen habe, der auf der einen Seite bis in das anatolische Hochland reichte, auf der anderen auch die Küstengebiete um den Golf von Issus mit gewinnen konnte. Für unser historisches Bild ist dabei auch die Frage von Bedeutung, ob Kaniš mit dem in den späteren hethitischen Texten genannten Neša (wobei ka- etwa ein protoḫattisches Bildungspräfix darstellt)21 identisch sei. Neša war nämlich, wie wir sehen werden, auf das engste mit den Anfängen der hethitischen Geschichte verbunden, da ein Fürst Pitḫana und sein Sohn Anitta sich in dem eroberten Neša ihre neue Residenz schufen. Unter den seinerzeit durch Raubgrabungen in den Handel gekommenen altassyrischen Tafeln, die alle mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Kaufmannsarchiven, und zwar aus Schicht II, stammen, findet sich eine Beurkundung: »durch die Hand des Fürsten Pitḫana und des Großen der Treppe
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Anitta«. Es begegnen uns also die Namen der beiden Fürsten in den altassyrischen Urkunden, womit sie als historische Persönlichkeiten und Zeitgenossen dieser assyrischen Handelsniederlassungen erwiesen werden. Ob die Urkunde dagegen am Ort, d.h. in Kaniš ausgestellt oder von einem anderen Platz hierher gebracht worden ist, läßt sich fürs erste nicht entscheiden. Aus Alişar (der alte Name ist unsicher, etwa Ankuwa) stammen zwei Tafeln, die einen ganz ähnlichen Beurkundungsvermerk tragen: »durch die Hand des Fürsten Anitta« und »durch die Hand des Großfürsten Anitta und des Großen der Treppe Beruwa«. Wir sehen damit eine Dynastie vor uns, der es gelungen war, Teile Kappadokiens zu gewinnen, und die mit dem Titel »Großfürst« Anspruch auf eine Vormachtstellung erhob.22 Den Aufstieg dieses Fürstengeschlechts zur führenden anatolischen Macht schildert auch eine historische Inschrift, die in mehreren Tontafeln, teils in jüngerer Abschrift, teils auch in alter Schriftform, überliefert ist. Diese Inschrift hat nicht mehr den Duktus der altassyrischen Zeit, sie ist aber doch Zeugnis genug für eine sehr frühe Entstehung der hethitischen Geschichtsdarstellung, deren Autoren in der Lage sind, Ereignisse in zeitlicher Folge und in sinnvollem Zusammenhang zu sehen. Sie ist nach allem, was wir wissen, das älteste Zeugnis hethitischer Sprache und zugleich das erste Beispiel einer Erzählweise, die von den Anfängen her aufbauend bis zum geschichtlichen und erzählerischen Höhepunkt die Geschehnisse gestaltet. Aus diesem Grund sei das Dokument hier in seinen wesentlichen Teilen zitiert: »Anitta, Sohn des Pitḫana, König von Kuššara, sprich: Er war dem Wettergotte des Himmels lieb, und als er dem Wettergotte lieb war, da [wurde] der König von Neša dem Könige von Kuššara G[efangener]. Der König von Kuššara [kam] aus der Stadt herab mit großer Macht und na[hm] die Stadt Neša während der Nacht im Sturme. Er ergriff den König von Neša, aber keinem der Einwohner von Neša fügte er [Bö]ses zu, [sondern] machte [sie] zu Müttern (und) Vätern. Nach [Pit]ḫana, meinem Vater, in demselben Jahre, kämpfte ich den Kampf ... Zum zweiten Male k[am] wiederum Pijušti, der König von Ḫatti, und wen von seinen Helfern er heranführte, diese bei der Stadt Šalampa [schlug ich]. Alle Länder von Zalpuwa am Binnen-Meere [...].
Abb. 7: Dolch des Anitta
Vordem hatte Uḫna, König von Zalpuwa, (die Statue des) Gottes Šiušummi von Neša nach Zalpuwa geführt; hinterher aber habe ich, Anitta, der Großkönig, den
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Šiušummi von Zalpuwa zurück nach Neša ge[führt]. Und[Ḫ]uzzija, den König von Zalpuwa, brachte ich le[bend] nach Neša her. Und die Stadt Ḫattuša [ben]agte [der] H[unger], da ließ ich sie. Als sie aber schließlich von Hunger schwer heimgesucht wurde, da übergab Šiušmi sie [dem] Gotte Ḫalmas[uitta]; und in der Nacht nahm ich sie im Sturm. An ihre Stelle aber säte ich Unkraut. Wer nach mir König wird und Ḫattuša wieder besiedelt, den [soll] der Wettergott des Himmels treffen! Und in Neša baute ich die Stadt(befestigung). Hinter der Stadt(befestigung) baute ich das Haus des Wettergottes des Himmels und den Tempel des Šiušummi. Das Haus des Gottes Ḫalmašuitta, das Haus des Wettergottes (meines Herrn) und das Haus des Šiunašummi baute ich. Was an Gut ich vom Feldzug heimgebracht hatte, damit schmückte ich sie. Ich hielt ein feierliches Gebet und []. Am gleichen Tage brachte ich zwei Löwen, 70 (Wild-) Schweine, drei Röhrichtschweine, 120 Bären, seien es Leoparden, seien es Löwen, seien es Wildschafe, seien es große Wildschafe, seien es [] nach der Stadt Neša zu meinen Göttern. Im nächsten Jahre zog ich aber [gegen den Fürsten von Šalatiw]ara zu Felde. Als ich nun [] zur Schlacht zog, da [kam] der Mann von Burušḫanda zu mir zur Huldigung, und er brachte mir Thron und Zepter aus Eisen als Huldigungsgeschenk. Wie ich aber zurück nach Neša zog, da führte ich den Mann von Burušḫanda mit mir. Sobald er aber in das Innere Gemach kommt, wird jener vor mir zur Rechten sitzen.« Staat und Königtum standen unter dem Schütze der Gottheit. Mit deren Hilfe gelang es Pitḫana von Kuššar(a), die Stadt Neša zu erobern. Ihr Fürst wurde entthront, im übrigen aber mit der Stadt und ihrer Bevölkerung glimpflich verfahren. Bedenkt man, daß Neša der von uns heute »Hethitisch« genannten Sprache den alten Namen gegeben hat, nämlich Nesisch, so ist man geneigt, in dieser Stadt den Vorort der indogermanischen Einwanderer zu sehen. Ist aber Neša = Kaniš zu setzen, so hätten wir eine feste Lokalisierung im Südosten des Hochlandes gewonnen, dürften aber gleichzeitig wohl auch den Hinweis verwerten, daß die Staatsgründung von der Zentrale des großen Überlandhandels ausging und so sicherlich deren kommerzielle Verbindungen nutzen konnte. Allerdings verlief dieser politische Weg zur Vormachtstellung im anatolischen Raum nicht ohne Rückschläge. Die Zerstörung von kārum Kaniš II und der zugehörigen Stadtanlage durch einen feindlichen Einbruch wäre dazuzurechnen. Jedoch scheint der Überlandhandel nach kürzerer Unterbrechung wieder in Gang gekommen zu sein. In Aššur stand die kraftvolle Persönlichkeit ŠamšiAdads (1815–1782)23 dahinter, in Anatolien war Anitta Zeitgenosse des Kārum Kaniš I b, wie die Funde der letzten Jahre eindeutig bezeugen: in Kaniš selbst, in Alişar und in Ḫattuš(a). Noch war Anatolien politisch weitgehend aufgespalten. Wir hören von bewaffneten Auseinandersetzungen mit vielen Städten. Insbesondere scheint aber im Norden Ḫattuš(a) ein mächtiger Gegner gewesen zu sein, dessen Niederwerfung erst nach längeren Bemühungen gelang. Eine Hungersnot hatte
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die Verteidigungskraft so geschwächt, daß ein nächtlicher Überfall nun zum Erfolg führte. Die Stadt wurde zerstört, ihre Wiederbesiedlung auf ewige Zeiten unter einen Fluch gelegt. Von Friedenstaten hören wir, daß Neša als Residenz ausgebaut und mit Tempeln geschmückt wurde, als Dank gegenüber den Göttern, die die bisherigen Kämpfe siegreich bestehen ließen. Alte, protoḫattische Götter waren darunter wie Ḫalmašuitta, aber auch Gottheiten mit indogermanischem Namen wie Šiušmi/Šiušummi »unser Gott«, der vom hethitischen Appellativum šiu- »Gott« gebildet ist und uns einen weiteren Hinweis bietet, wie hier in Neša die indogermanischen Einwanderer führend waren. Interessant der Einblick in die Vorstellung, daß mit dem Wegführen der Götterbilder die Stadt ihren Schutzherrn verliert. – Die Anlage eines Tierparks scheint den Ansprüchen einer königlichen Hofhaltung gedient zu haben. Ein weiterer Kampf schloß sich an (Z. 70 f., hier nicht ausgeschrieben). Die Stärke des Heeres wurde dabei mit 1400 Kriegern und 40 Gespannen Streitwagen angegeben. Wir sehen damit bereits in den frühesten Quellen jene Truppengattung genannt, die in der Folge durch ihre Schnelligkeit, taktische Wendigkeit und Durchschlagskraft kriegsentscheidend wurde. Insbesondere die Verwendung des Streitwagens in nächtlichen Überfällen setzte ein gründliches Training von Mann und Pferd voraus und damit so etwas wie den Berufsstand des Wagenkämpfers. Aus allen Auseinandersetzungen ging die Dynastie von Kuššara siegreich hervor. Am Ende stand die politische Anerkennung der erworbenen Vormachtstellung, indem der Herrscher von Burušḫanda, der bis dahin als einziger (neben der einmaligen entsprechenden Benennung in Kaniš) den Titel »Großfürst« geführt hatte, nun die Insignien der Herrschaft – aus dem neuen und wertvollen Material Eisen – übergab und dafür einen Ehrensitz im Palast zu Neša erhielt. Gleichzeitig ist aus der Überlieferung zu ersehen, daß die Suprematie einer Stadt der geschichtlichen Vorstellung von der politischen Einheit Anatoliens zu entsprechen schien. Die Zerstörung Ḫattušas durch Anitta dürfte sich in einer Brandschicht abzeichnen, die die Wohnviertel der altassyrischen Periode bedeckt; aber auch die Siedlung auf der Burg (Schicht IVd), also der Sitz des Fürsten Pijušti, zeigt die Spuren der gleichen Zerstörung. Eigene inschriftliche Zeugnisse der alten Fürsten von Ḫattuša liegen nicht vor. Wir sind also auch hinsichtlich ihrer Benennung als (Proto-) Ḫattier auf reine Vermutungen angewiesen.24 Die ethnische Herkunft der Dynastie von Kuššara ist ebenfalls unbekannt,25 auch wenn sie anscheinend den indogermanischen Einwanderern in Anatolien zum Durchbruch verholfen hat. Dabei bleibt es undurchsichtig, welche Gründe dazu geführt haben, daß gerade Ḫattuša nach kurzer Zeit, trotz Zerstörung und Fluch, wiederaufgebaut und Hauptstadt des nun erneut geeinten Anatoliens wurde. Zunächst allerdings scheint der Zusammenbruch der altassyrischen Machtsphäre nach dem Tod
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Šamši- Adads (1782) Anatolien in schwere Unruhen gestürzt zu haben: die Zerstörung der betreffenden Siedlung in Alişar und die von kārum Kaniš Ib markieren dieses Ende der altassyrischen Handelstätigkeit. Damit endete auch die Verwendung der altassyrischen Schrift in Anatolien, ja zunächst die Schriftlichkeit überhaupt, bis ein Jahrhundert später mit der Übernahme einer babylonischen Schriftform erneut die Keilschrift zum offiziellen Gebrauch in Anatolien Eingang fand. II. Das althethitische Reich Eigene Urkunden aus dem Beginn dieser Periode liegen nicht vor. Aber der aus der letzten Zeit dieses etwas mehr als ein Jahrhundert währenden althethitischen Reiches stammende sog. Telipinu-Erlaß gibt uns in seiner Einleitung eine Rekapitulation der Ereignisse unter dem Gesichtspunkt, wie Einigkeit in der herrschenden Familie dem Aufbau des Staates gedient habe. Der Bericht beginnt vier bis fünf Generationen vor der Zeit Telipinus: »Folgendermaßen (spricht) Tabarna (= Herrscher) Telipinu, der Großkönig: Ehemals war Labarna Großkönig. Da waren seine Söhne, seine Brüder und seine Verwandten, die Leute seiner Sippe und seine Truppen vereinigt. Land war wenig. Wohin er aber zu Felde zog, da hielt er das feindliche Land mit starkem Arm besiegt. Er vernichtete (immer wieder) das Land; er machte das Land ohnmächtig. Er machte sie zu Grenzen (Grenznachbarn?) des Meeres. Wenn er vom Feldzug aber zurückkommt, geht jeder seiner Söhne in irgendein Land. (Die Städte) Ḫupišna, Tuwanuwa, Nenašša, Landa, Zallara, Paršuḫanta, Lušna, (diese) Länder verwalteten sie; die großen Städte waren (in ihre Hand) gelegt. Danach herrschte Ḫattušili als König. Da waren seine Söhne, seine Brüder, seine Verwandten, die Leute seiner Sippe und seine Truppen vereinigt. Wohin er aber zu Felde zieht, da hielt er auch jenes feindliche Land mit starkem Arm besiegt. Er vernichtete (immer wieder) das Land; er machte das Land ohnmächtig. Er machte sie zu Grenzen (Grenznachbarn?) des Meeres. Wenn er vom Feldzug zurückkommt, geht jeder seiner Söhne in irgendein Land. In ihre Hand waren die großen Städte gelegt. Als aber hinterher die Knechte der Prinzen betrügerisch wurden, begannen sie ihre Häuser zu fressen (= verwirtschaften?), gegen ihre Herren (immer wieder) zu konspirieren und ihr Blut (immer wieder) zu vergießen.« Das Resümee ist knapp, was angesichts des Zweckes verständlich scheint. Auffälliger sind die Wiederholungen im Sachlichen, die auch durch eine Erklärung als formelhafte Wendungen kaum interpretiert werden können. Man hat so daran gedacht, daß erst seit Ḫattušili annalistische Unterlagen zur Verfügung standen, während die Periode des älteren Labarna klischeemäßig danach rekonstruiert worden sei.26 Eine andere Lösung27 drängt sich durch einen 1957 in Boğazköy gefundenen zweisprachigen Text auf, dessen akkadische Fassung folgende Einleitung hat: »Der Großkönig Tabarna übte in Ḫattuša die Königsherrschaft aus, der
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Tawananna Brudersohn«, während die hethitische Übersetzung, die sich stärker an ein bekanntes Formular hält, sagt: »[Folgendermaßen, Tabarn]a Ḫattušili, der Großkönig, [König von Ḫattuš]a, der Mann von Kuššar: ›Im Lande Ḫattuša [herrschte er als König] ‹.« Es wird hier klar ausgesprochen, daß die Dynastie des alten hethitischen Reiches auf die Herrscher von Kuššar (a) zurückgeht, auch wenn kein verwandtschaftliches Verhältnis zu Anitta angegeben wird.28 Zum zweiten wird aber deutlich, daß der in der akkadischen Version Tabarna genannte Herrscher im hethitischen Kontext als Ḫattušili erscheint und sein Thronfolgeanspruch lediglich aus seiner Stellung als Neffe zur Königin resultiert. Nehmen wir hinzu, daß auch die Opferlisten für hethitische Könige29 in Text B die Reihenfolge Tawananna und Labarna bieten (entsprechend oben Königin und Neffe), daß Text A mit Labarna beginnt, ohne aber im folgenden Ḫattušili zu erwähnen, so spricht alles dafür, in L/Tabarna den alten Namen des Herrschers zu sehen, in Ḫattušili dagegen den ihm zugelegten Beinamen, da er Ḫattuša wiederaufbaute und zur Residenz machte. Im Telipinu-Text hätte demnach der Verfasser die wahrscheinlich doch schriftlich vorliegende Überlieferung von Labarna und von Ḫattušili nicht auseinandergehalten und so zwei Herrschergestalten nacheinander genannt, die in Wirklichkeit identisch waren. Auch daß in seiner zweisprachigen Inschrift (s. sogleich) Ḫattušili von seinem Feldzug gegen Arzawa spricht, im späteren Alakšandu-Vertrag aber nur von einem Feldzug des Labarna gegen diese Länder die Rede ist, ohne daß ein zweiter Feldzug unter Ḫattušili Erwähnung fände, spricht wohl für eine Identität beider Gestalten. Daß daneben die Namen Labarna und Tawananna auch noch in älterer Zeit belegt sind, ebenso wie Kantuzili, Tutḫalija, Pu- šarruma, Pawaḫtelmaḫ: etwa in der Opferliste Text C, zeigt, daß die Dynastie mit ihrer Tradition weit ins 17. Jahrhundert zurückreichte, ohne daß aber eine geschichtliche Rekonstruktion der Zeit und ihrer Ereignisse möglich wäre. Wir werden eine politische Organisation von Kleinstaaten anzunehmen haben, und, dem Telipinu-Text folgend, den Beginn der großräumigen Staatsbildung erst mit Labarna-Ḫattušili (etwa 1650–1620) ansetzen. In diese Zeit zurück führt uns wohl die althethitische Erzählung von dem Stier, der mit seinen Hörnern dem König und seiner Armee einen Durchgang durch den Taurus bahnt, so daß dieser das Meer bezwingen kann und der Weg nach Ḫalpa-Aleppo offensteht. – Die Gewinnung der Meeresgrenzen war auch das hervorragende Ereignis im historischen Resümee des Telipinu-Textes, es ist Topos in einem althethitisch-protoḫattischen Gebet: »Der König möge wohlauf sein, die Königin, Prinzen, seine Truppen ebenso, und sein Land möge diesseits das Meer und jenseits das Meer als Grenze haben!« Die Erzählung schildert mythologisch verbrämt den für die spätere Großreichsbildung entscheidenden Schritt, indem nun der Herrscher des anatolischen Hochlandes Zutritt zur reichen, merkantilen Welt Vorderasiens erhielt und so mit der Gewinnung der Küstenstädte Kilikiens und der
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Handelsmetropolen Nordsyriens eine eindeutige Verschiebung der Machtverhältnisse eintrat.30 Auch das Schwergewicht der hethitischen Politik verlagerte sich nunmehr nach dem Südosten, was z.T. vielleicht auch eine Erklärung dafür bietet, daß im westlichen Anatolien Fundstellen wie Gordion, Ayaş, Bitik usw. stets nur althethitische Relikte fördert31, so als ob die kulturelle Durchdringung in späterer Zeit nicht mehr derart intensiv gewesen sei und man sich vielmehr mit formeller Unterwerfung begnügt habe, während in alter Zeit die eroberten Provinzen kulturell hethitisch überlagert wurden, indem Prinzen des Herrscherhauses die Verwaltung übernahmen, wie dies der Telipinu-Erlaß bezeugt. Im einzelnen gewinnen wir ein anschauliches Bild der politischen Aktivität der Zeit durch die oben bereits genannte Bilinguis Labarna-Ḫattušilis.32 Nach der Einleitung und der Schilderung der ersten Kriegszüge fährt der Text fort: »Im nächsten Jahre zog ich gegen Alalaḫ und zerstörte es ... Auf meinem Rückwege vernichtete ich das Land Uršu und füllte mein Haus mit Schätzen an. – Im nächsten Jahre zog ich gegen das Land Arzawi, Rinder und Schafe nahm ich (ihnen) fort. In meinem Rücken aber drang der Feind des Landes Ḫanigalbat in mein Land und die Länder insgesamt fielen von mir ab. Nur die Stadt Ḫattuša als einzige blieb übrig. Den Großkönig Tabarna, den Geliebten der Sonnengottheit: auf ihren Schoß setzte sie ihn, seine Hand ergriff sie und lief (im Kampfe) vor ihm her ... – Im folgenden Jahre zog ich gegen die Stadt Zaruna und vernichtete Zaruna. Gegen die Stadt Ḫaššu zog ich. Vor ihm (dem Großkönig) nahm der (Feind) Aufstellung und Truppen der Stadt Ḫalap (waren) bei ihm. Am Gebirge Adalur bereitete ich ihre Niederlage. In (jenen) Tagen zog er los, wie ein Löwe überschritt der Großkönig den Fluß Puran, die Stadt Ḫaššu(wa) überwältigte er wie ein Löwe mit seiner Pranke. Staub häufte er darauf und mit ihrem Besitz füllte er Ḫattuša. Das Silber und Gold hatte nicht Anfang (noch) Ende. Den Wettergott, Herrn von Armaruk, den Wettergott, Herrn von Ḫalap, Allatum, Adalur (und) Liluri, 2 Stiere aus Silber, 3 Statuen aus Silber und Gold brachte ich zur Sonnengöttin von Arinna hinauf. Die Tochter der Göttin Allatum, Ḫepat, 3 Statuen aus Silber, 2 Statuen aus Gold, die brachte ich in den Tempel der Mezulla hinauf. – Der Großkönig Tabarna, nach Zippašna marschierte ich und die Stadt Ḫaḫḫu wie ein Löwe [schlug ich nieder]. Die Stadt Zippašna vernichtete ich und ihre Götter brachte ich hinauf zur Sonnengöttin von Arinna. (Dann) zog ich gegen Ḫaḫḫu und gegen das Stadttor trug ich dreimal den Kampf und zerstörte (die Stadt). Ihr Hab und Gut brachte ich nach Ḫattuša, meiner Stadt ... – Der Großkönig Tabarna nahm die Hände ihrer Sklavinnen vom Mahlstein und nahm die Hände ihrer Sklaven von ihrem Tagewerk. Ihre Hüfte löste er. In den Tempel der Sonnengöttin von Arinna überstellte ich sie und unter dem Himmel setzte ich ihre Freiheit fest. – Den Euphrat hatte noch niemand überschritten. Ich, der Großkönig Tabarna, überschritt ihn zu Fuß und meine Truppen hinter mir überquerten ihn zu Fuß. Sargon hatte ihn ebenso
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überschritten, die Truppen von Ḫaḫḫu geschlagen. (Böses) aber hat er der Stadt Ḫaḫḫu nicht zugefügt, Feuer nicht (hinein) geworfen, Rauch zum Wettergott nicht aufsteigen lassen. – Aber ich, der Großkönig Tabarna habe den König von Ḫaššu, den König von Ḫaḫḫu geschlagen, Feuer (in die Städte) geworfen und den Rauch zur Sonnengottheit des Himmels und zum Wettergott aufsteigen lassen (?). Und den König von Ḫaḫḫu spannte ich vor den Lastwagen!« Diktion und annalenartige Gliederung erweisen den Text als eines der frühesten Beispiele hethitischer Geschichtsschreibung. Dieser ist kein Rechenschaftsbericht gegenüber den Göttern, wie es vielfach assyrische Königsinschriften sind. Vielmehr steht die Leistung des Königs im Vordergrund und ist Thema der Inschrift. Dies wird besonders aus dem Schlußabschnitt deutlich. Mit dem Zug bis zum Euphrat hatte Ḫattušili den jungen Staat in die Weltpolitik eingeführt. Die Nennung von Sargon beschwört gar die überragende Gestalt der historischen Tradition.33 Den Spuren dieses Kaisers von Akkad folgte nun der hethitische Großkönig. Die Brandruinen zweier mächtiger, bisher unbesiegter Städte, die ehemals wichtige Umschlagplätze des altassyrischen Handels gewesen waren, zeichneten den Siegesweg der hethitischen Armee, der König der vernichteten Stadt wurde als Zeichen äußerster Erniedrigung vor den Lastwagen gespannt. Aus kleinen Anfängen begann die Herrschaft des Königs. Der Telipinu-Erlaß nannte in der Aufzählung der Eroberungen Labarnas lediglich Städte des südöstlichen Kleinasiens, der späteren Landschaft Tyanitis. In seinem Annalentext spricht der König dagegen von ausgedehnten Feldzügen, aber in Krisenzeiten, wie bei dem Einfall der Ḫurri (so sagt der hethitische Text statt Ḫanigalbat), wo der König weit im Südwesten operierte, gingen alle Eroberungen ebenso schnell wieder verloren. Lediglich das Kernstück des Reiches blieb von feindlichen Einfällen verschont. Vielleicht hat eine solche militärpolitische Situation die Verteidigungslage des Zentralgebietes im Bogen des Delice Irmak mit dem Zentrum um Ḫattuša besonders augenfällig werden lassen und die Verlegung der Hauptstadt hierher veranlaßt. Die übliche Beute der Feldzüge in Anatolien bestand aus Vieh; erst die großen Eroberungen in Nordsyrien brachten reichlich Silber und Gold. Diese Metalle wie auch das Kultgerät wurden in die Tempel nach Ḫattuša überführt. So wurden sicher schon früh fremde, ḫurritische Einflüsse auf den einheimischen Kult, zumindest in der Form der Götterbilder, wirksam. Die Auseinandersetzung um Nordsyrien mit der dortigen Vormacht Ḫalpa-Aleppo bildet das Kernstück des Annalenberichtes. Wohl durch die Tauruspässe und durch Kilikien führte der Weg der hethitischen Armee gegen Alalaḫ, den durch die Grabungen unter Sir Leonard Woolley bekannten Teil Açana. Die Zerstörung dieser Stadt sollte sich im archäologischen Befund widerspiegeln und dürfte am ehesten dem Brandhorizont über Schicht VII entsprechen (s.u.), deren Ende man nach archäologischen Indizien und historischen Argumenten auf 1650–1630 v. Chr. datiert.34
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Weder bei der Eroberung von Alalaḫ noch bei dem anschließenden Zug gegen Uršu, das man nördlich von Karkemiš am rechten Euphratufer lokalisiert, wird im Text Ḫalpa genannt. Anscheinend nutzte der hethitische König eine politische Schwächeperiode des nordsyrischen Gegners zu seinem ersten Einmarsch. Erst auf einem zweiten Syrienzug gegen Ḫaššu in der Kommagene traten Hilfstruppen von Ḫalpa in Erscheinung, die aber bei dem schon genannten Berg Adalur (s.S. 108), wohl an einer nordsyrischen Paßstraße, geschlagen wurden. Das gleiche Ereignis wird in einer episch breit angelegten historischen Erzählung in althethitischer Schrift und Sprache geschildert, die demnach als authentisch gelten darf: »[Der Fürst] von Ḫaššu kam dem König zur Schlacht ... Zaludi, der Große der Manda-Krieger (und) Zukraši, der General [des Königs von] Ḫalpa kamen mitsamt ihren Truppen und Streitwagen aus der Stadt Ḫalpa [herbei].«35 Der General Zukraši ist auch in einer Urkunde aus Alalaḫ Schicht VII bezeugt. Damit ist ein wichtiger Synchronismus gewonnen, der es gestatten dürfte, den Zug Ḫattušilis gegen Alalaḫ mit dem Ende dieser Schicht gleichzusetzen. Wie stark gerade die Frühzeit der hethitischen Reichsbildung zu solchen historischen Erzählungen drängte, zeigt auch der akkadisch abgefaßte Bericht über die Belagerung von Uršu. Diese hat in den Annalentext keine Aufnahme gefunden, wohl weil sie in ein späteres Regierungsjahr fiel, in dem der Herrscher die Operation aus der Ferne leitete und sich von dem siegessicheren Waffenglück der hethitischen Armee kaum ein matter Abglanz widerspiegelte. Vielmehr beherrschten Nachlässigkeit und Verrat die Operationen vor der belagerten Stadt, die von Karkemiš, Ḫalpa und den Ḫurritern Unterstützung erhielt. Interessant ist die Erwähnung eines Sturmbockes und eines Belagerungsturmes im Kampf um die Festung. Den gleichen Ton findet die in mehreren Kopien erhaltene Sammlung von Vergehen ungetreuer Beamter und Offiziere, die harte Bestrafung erfuhren. Da anscheinend noch keine schriftlich fixierten Dienstanweisungen bestanden, ist der lehrhafte Zweck dieser Sammlung gegeben. Sie zeigt uns aber auch, daß das Idealbild des Telipinu-Erlasses von der »guten alten Zeit« weitgehend Fiktion war. Das beweist auch ein letzter Text dieses Herrschers, sein zweisprachiges politisches Testament, das er auf dem Krankenbett in Kuššar diktierte. Zwei Söhne hatten gegen den Vater rebelliert, eine Tochter sich einer Intrige angeschlossen, die Designierung seines Neffen Labarna als Nachfolger wurde wegen dessen ungehörigen und gefühllosen Betragens rückgängig gemacht, die Adoption aufgehoben. Statt dessen heißt es: »Seht hier, Muršili ist nun mein Sohn! De[n müßt ihr anerkennen], den auf den Thron setzen! Sind ihm doch auch [von der Gottheit reichlich Gaben ins Herz] gelegt. [Nur einen Löwen wird die Gott]heit auf des Löwen Platz [stellen!]« Lebendig und persönlich ist der Stil dieses Dokumentes mit seinen einprägsamen Bildern: »Und Eure Sippe sei [eins] wie die des Wolfes.« Die für
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die prinzliche Erziehung verantwortlichen Männer sollen ihm auch als künftigem König nicht alles hingehen lassen. Weder dürfen die Großen einander beim Herrscher ausspielen noch die Bürger von Ḫatti und anderen Städten ihre lokalen Interessen verfolgen. Zu deutlich lehrt die Geschichte der letzten Ereignisse, wie Einflüsterungen gegenüber dem jungen Prinzen Ḫuzzija zu Abfall, Plünderung und Mord geführt haben (vgl. auch den entsprechenden Passus im Telipinu- Erlaß). Dennoch wird Ḫattušili nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; Verbannung der Schuldigen bei ausreichendem Lebensunterhalt scheint Strafe genug. Und trotz aller bisherigen Enttäuschungen spricht das Vertrauen aus seinen Worten: »Bis jetzt hat niemand [von meiner Familie] mein Willensgebot befolgt, [du aber bist mein Sohn] Muršili, tu du es! Bewahre des Vaters Worte! Solange du so tust, wirst du [Brot ess]en und Wasser trinken. Wenn die Zeit des reifen Mannes [kommt], so iß den Tag über zwei-, dreimal und pflege dich gut! [Wenn aber] auch noch das Greisenalter in dein Herz kommt, dann trinke dich satt! Ihr seid nun meine obersten Diener! Und meine, des Königs, Worte müßt ihr [bewahren]! Dann werdet ihr Brot essen und Wasser trinken. [So wird die Stadt Ḫatt]uša ragend dastehen wie auch mein Land [in Frieden ru]hen! Sobald ihr aber die Worte des Königs nicht bewahrt, werdet ihr [künftighin] nicht am Leben bleiben – ihr seid verloren!« Den Göttern soll man ihre täglichen Opfer geben, jegliches Versäumnis würde das alte Unheil wieder heraufbeschwören. Allmonatlich ist die Tafel dem jungen Fürsten vorzulesen, damit die Worte der Weisheit sich ihm ins Herz einprägen. Zum ersten Male erscheint hier der Begriff panku- »Adelsgemeinschaft«, die als Ratgeber in bestimmten Fällen neben dem Willen des Königs stand. Anscheinend hat man gerade in schwierigen Übergangszeiten der Thronfolge versucht, die Adelsgemeinschaft als stabilen Faktor heranzuziehen; so auch späterhin im Thronfolgeerlaß des Telipinu. Ob das Krankenbett in Kuššar gleichzeitig das Sterbelager des alternden Königs wurde, wissen wir nicht. Man hat seinen Tod auf eine im Krieg gegen Ḫalap erlittene Verwundung zurückgeführt, wofür zwei Texte heranzuziehen sind, die gleichzeitig zusammenfassend die hethitische Politik gegen den nordsyrischen Gegner darstellen: »Früher besaßen die Könige des Landes Ḫalap das Großkönigtum, aber ihr Königtum ›machte voll‹ der Großkönig Ḫattušili, König des Landes Ḫatti. Nach dem Tode des Ḫattušili, des Königs des Landes Ḫatti, hat der Großkönig Muršili, der Enkel des Großkönigs Ḫattušili, das Königtum des Landes Ḫalap und das Land Ḫalap zum Verschwinden gebracht« – und mit anderer Kausalverknüpfung: »Muršili zog nach Ḫalap und seines Vaters [Blut] rächte er; weil Ḫattušili [seinem Sohne] die Stadt Ḫalap zu besorgen gegeben hatte, büßte ihm der König von Ḫalap, der Ḫurriter [Städte], alle zerstörte er.«36 Klar wurde hier die Kontinuität einer politischen Aufgabe gesehen. Nach den ersten Auseinandersetzungen mit Ḫalpa (und vielleicht zunächst gütlicher
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Einigung) verlangte die Folgezeit eine Entscheidung in der Syrienpolitik, die zur Zerstörung von Ḫalpa und zur Beseitigung des lange mächtigen Königreiches von Jamḫad führte. Selbstverständlich war dies auch Thema der historischen Einleitung des Telipinu- Erlasses: »Wie Muršili in Ḫattuša als König herrschte, da waren seine Söhne, seine Brüder, seine Verwandten, die Leute seiner Sippe und seine Truppen vereinigt. Er hielt das feindliche Land mit starkem Arm besiegt. Er machte das Land ohnmächtig; er machte sie zu Grenzen (Grenznachbarn?) des Meeres. Dann zog er nach Ḫalpa. Er vernichtete Ḫalpa und brachte die Gefangenen und Güter Ḫalpas nach Ḫattuša. Danach zog er nach Babylon und vernichtete Babylon. Er schlug die Ḫurriter und hielt die Gefangenen und Güter Babylons in Ḫattuša. Und Ḫantili war Mundschenk. Er hatte Ḫarapšili, die Schwester Muršilis, zur Gemahlin. Nun machte sich Zidanta an Ḫantili heran und sie begingen eine Untat. Sie töteten Muršili und verrichteten eine Bluttat.« War somit, wie wir gesehen haben, die Nordsyrienpolitik des jungen Königs eindeutig Fortsetzung der Politik seines Vorgängers, so will uns kaum einleuchten, daß der Zug nach Babylon ein Abenteuer und Beuteunternehmen gewesen sei. Man wird sich vielmehr bemühen müssen, trotz des Schweigens der Texte Motiv und Begründung für dieses einzigartige Unternehmen im politischen Raum zu suchen. Mit der Eroberung von Ḫalpa hatte der hethitische König auch die Machtansprüche des alten Staatswesens zu übernehmen. Dazu gehörten, wie wir mit einem gewissen Erstaunen dem Mari-Archiv entnehmen können, auch machtpolitische Interessen in Babylonien selbst. In einem Brief des Königs von Aleppo heißt es37: »Zu Jašubjaḫad sprich, folgendermaßen Jarimlim, dein Bruder: Der Sonnengott möge meine und deine (Sache) untersuchen und entscheiden! Wie Vater und Bruder verhalte ich mich dir gegenüber. Du aber verhältst dich zu mir wie ein Bösewicht und Feind. Wozu noch eine Guttat (begehen), indem ich mit den Warfen Addus und Jarimlims die Stadt Babylon gerettet und das Leben deinem Lande und dir gegeben habe. Ohne Addu und Jarimlim wärest du seit 15 Jahren fortgeblasen worden (aus deiner) Stadt Der wie Spreu. Ich hätte es nicht einmal bemerkt, und du hättest derartiges mir nicht antun (können). Fürwahr, Singamil, König von Diniktum, hat (genau) wie du mit Feindschaft und Widerwärtigkeiten mir vergolten. (Dabei) habe ich 500 kleine Boote im Hafen von Diniktum anlegen lassen. Zwölf Jahre lang habe ich sein Land und ihn (selbst) ... Jetzt vergiltst du mir (genau) wie er mit Feindschaft und Widerwärtigkeiten. Geschworen habe ich dir bei Addu, dem Gott meiner Stadt, und bei Sin, dem Gott meines Hauptes: ›Verflucht will ich sein‹, wenn ich nachlasse, bis ich dein Land und dich vernichten werde! Jetzt, zu Frühlingsanfang, werde ich losziehen und in das Innere deines Stadttores eindringen. Und sehen lassen werde ich dich die scharfen Waffen des Addu und des Jarimlim.« Mit Waffengewalt droht hier der König von Aleppo seine Rechte in Babylonien zu vertreten, das auf der Euphratstraße anscheinend leicht erreichbar
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war, nicht nur für Handelskarawanen und politische Gesandtschaften, sondern auch für eine Armee, insbesondere wenn diese sich der Unterstützung der halbseßhaften Beduinenstämme versichern konnte. Diese Situation scheint in der Tat bei Muršilis Zug nach Babylon vorgelegen zu haben, indem sich im Gebiet von Mari und Ḫana, an der Ḫabur-Mündung, Kassitenfürsten festgesetzt hatten, die nun mit den Hethitern gemeinsame Sache machten.38 Und wenn es in der babylonischen Chronik heißt: »Zur Zeit des Samsuditana zog der Hethiter nach Akkad«, so waren doch die Kassiten in Babylonien Nutznießer des Unternehmens, indem sie die Nachfolge der Hammurabi- Dynastie antraten (1594 v. Chr.). Historizität verlangt auch die Nachricht, daß der kassitische König Agum (II.) die Götterbilder von Marduk und Ṣarpanitu aus dem Land der Ḫanäer nach Babylon zurückgebracht habe. Dabei dürfte es sich um Kultbilder handeln, die Muršili auf dem Rückmarsch mit sich geführt hatte, so wie Ḫattušili nach seinem Bericht die Götterbilder unterworfener Städte nach Ḫattuša zu bringen pflegte. Vielleicht waren es die im Telipinu-Text genannten Ḫurriter, die den Rückmarsch behinderten und den König veranlaßten, unhandliches Beutegut in der Etappenstation Ḫana zurückzulassen. Die Überlieferung seiner Zeit ist ausgesprochen dürftig. So ist es denn auch zu verstehen, daß in der historischen Rekonstruktion der Ereignisse sich die Phantasie seines Schicksals annahm, indem man damit rechnete, Ḫantili habe die Gattin des sich im Krieg befindenden Muršili verführt (die Zeichen für »Schwester« und »Gattin« sind in der Keilschrift fast identisch) und bei seiner Rückkehr von Babylon diesen – entsprechend der griechischen Sage von Aigisthos und Agamemnon – getötet. Diese Auffassung wird jedoch nicht zu halten sein, schon weil die Gemahlin des Muršili einen anderen Namen (Kali) geführt haben dürfte als die Gattin des Ḫantili (Ḫarapšili). Das Verwandtschaftsverhältnis wird im Telipinu-Erlaß lediglich angegeben, um die Thronansprüche des Usurpators zu begründen. Treibende Kraft war aber anscheinend Ḫantilis Schwiegersohn Zidanta. Seine Tat stürzte das Königtum in eine Folge von Gewalttat und Mord und führte den Staat, zumindest außenpolitisch, an den Rand des Zusammenbruchs (Beginn des 16. Jahrhunderts v. Chr.). Zwar versuchte Ḫantili, in seinen Syrienfeldzügen den Besitzstand dort zu wahren, aber ein Einbruch der Ḫurriter, der gewaltsame Tod der Königin Ḫarapšili und der Prinzen zeigte deutlich den Wandel des Schicksals als Zeichen göttlicher Strafe.39 Auf seine Zeit datieren die Texte des Neuen Reiches den Einfall der Kaška in den Norden des hethitischen Kerngebietes. Wichtige Kultorte, wie Nerik, gingen verloren, und erst Ḫattušili III. rühmte sich dreihundert Jahre später, sie dem Hethiterreich wiedergewonnen zu haben. Immerhin: Ḫantili errichtete hier und im ganzen Land befestigte Stellungen, um eine alte Grenzlinie zu halten. Denn Ḫattušili III. gibt dabei den kurzen Hinweis, daß »als erste Labarna (und)
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Ḫattušili (die Kaška) nicht über den Fluß Kumešmaḫa (etwa = Scylax – Çekerek?) gelassen haben.« Mit dem Einbruch der Kaška war das Hethiterreich von der Schwarzmeerküste abgeschnitten.40 Das Bild vom Besitz der beiden Meeresufer erscheint füglich nicht mehr. Daß gar Ḫattuša selbst vom Einfall der Kaška bedroht war, möchte man einem Text entnehmen, wo es heißt: »Im Ḫatti-Lande hat befestigte Städte niemand gebaut. Ich, Ḫantili, habe im ganzen Lande befestigte Städte angelegt und auch die Stadt Ḫattuša habe ich gebaut (= befestigt).« Jedenfalls gibt diese Stelle einen Hinweis auf die allgemeine Situation und die Aktivität des Königs. Schwieriger ist es, den archäologischen Befund der Grabung in Boğazköy mit dieser Nachricht zu verbinden.41 Zwar haben die Ausgrabungen auf der Königsburg mit der Schicht IVc Siedlungen freigelegt, die dem 17./16. Jahrhundert angehören können. Ob aber die Fortifikation von Büyükkale oder die sog. Poternenmauer, die im Anschluß daran in älterer Zeit die südliche Stadtbegrenzung bildete, mit Ḫantili verbunden und in den Beginn des 16. Jahrhunderts datiert werden kann, ist erst nach Vorliegen der GesamtGrabungspublikation zu beantworten.42 Die Regierung des alternden Königs fand ein gewaltsames Ende. Wieder war es Zidanta, der nunmehr dessen Sohn Pišeni (andere Lesung Kaššeni) und weitere Angehörige von Ḫantilis Sippe tötete, um selbst den Thron besteigen zu können. Aber die Götter rächten das vergossene Blut, indem sie seinen eigenen Sohn Ammuna zum Vatermörder werden ließen. Nun folgte eine Zeit von Mißernten, politischem Abfall und militärischen Niederlagen. Mit Zidantas Tod setzte sich das Morden innerhalb der königlichen Familie fort. Ḫuzzija wurde König, aber von seinem Schwager Telipinu beseitigt, als er versuchte, diesen aus dem Wege zu räumen. Soweit das Resümee des Telipinu-Erlasses. Unabhängig davon nennen die Opferlisten nur Muršili (mit Gemahlin Kali), Ḫantili (mit Ḫarapšeki/Ḫarapšili), und Ammuna (mit Tawananna), also nur diejenigen Könige, von denen der Telipinu-Text Herrschertaten bezeugt. Es fehlen augenscheinlich Zidanta und Ḫuzzija, die beide nach der geschilderten Situation vielleicht nur Tage regiert haben. Insofern sind die Daten in der am Schluß des Kapitels gegebenen Königsliste nur als allgemeine Hinweise zu verstehen, die den Zeitraum von der Zerstörung Babylons durch Muršili I. um 1595 bis zur Regierung Telipinus gegen Ende dieses 16. Jahrhunderts überbrücken sollen. Von diesen Königen zwischen Ḫantili und Telipinu lassen sich bis heute keine eigenen Urkunden nachweisen. Für Texte mit Nennung von Zidanta ist vielmehr auf Zidanta II. zu verweisen, entsprechend bei Ḫuzzija. Für den historischen Bericht eines Ammuna glaubten wir in Anm. 28 einen älteren Herrscher gleichen Namens wahrscheinlich gemacht zu haben. Der Regierungsantritt Telipinus sah das hethitische Territorium weitgehend auf Anatolien selbst beschränkt: Der Abfall von Adanija (Adana) bedeutete den Verlust Kilikiens, der Aufstand in den Arzawa- Ländern den Rückzug aus
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Südwestanatolien. Dagegen versuchte der neue König, von Lawazantija im nördlichen Taurus aus, mit einem Feldzug gegen Ḫaššu(wa) die hethitische Position im oberen Euphratgebiet zu halten. Telipinus Anspruch auf den Thron gründete sich zweifellos auf seine Ehe mit Ištaparija, der älteren Schwester des Ḫuzzija. Somit ist seine Formulierung: »Als ich mich auf den Thron meines Vaters setzte« allgemeine Wendung, mit einer Fiktion legaler Thronfolge. Denn die Wiedereinführung gesicherter Rechtsverhältnisse war das Hauptanliegen seines Erlasses. Wer gegen ihn gefehlt hatte, wurde verbannt. Blut durfte aber innerhalb der königlichen Familie nicht mehr vergossen werden. So war es der Wille der Götter. Wer sich in Zukunft dagegen verging, wurde der Gerichtsbarkeit der Adelsversammlung unterstellt. Selbst dem König drohte dann die Todesstrafe durch rechtmäßiges Urteil. Sippenhaftung gab es nicht. Die Unterstellung des Königs unter diese Adelsgerichtsbarkeit war eine Neuerung und auf den Mordfall innerhalb der königlichen Familie beschränkt. Ebenso neu war nun die Festsetzung der deszendenten Thronfolge anstatt der bisher geübten freien Designation des Würdigsten durch den Herrscher, wie wir sie bei Ḫattušili und Muršili gesehen hatten. In einer nach Ḫattuša einberufenen Ratsversammlung wurde festgesetzt: »König soll der erstgeborene Prinz werden. Ist ein erstgeborener Prinz nicht (am Leben), so soll ein Sohn zweiten Ranges König werden. Wenn ein männlicher Thronfolger nicht vorhanden ist, so soll man der ersten Tochter einen einheiratenden Ehemann geben und jener soll König werden!« Diese Thronfolgeordnung, die das Erbrecht auch der Tochter festlegte, wurde wohl durch ein Zugeständnis des Adels wirksam. Für Telipinu selbst hing der Bestand seiner Dynastie daran, denn Königin und Prinz (Ammuna) waren vor ihm verstorben. Nur durch die Prinzessin Ḫarapšili war die Thronfolge seiner Familie zu sichern. Der weitere Text befaßt sich mit der militärischen Sicherung des Landes durch Anlage von befestigten Städten und Verproviantierungsstationen, sowie mit Anweisungen für die Landwirtschaft, wobei zum erstenmal auch der Einsatz von NAM.RA, deportierten Bevölkerungsteilen der eroberten Gebiete, erwähnt wird. – Zum Schluß stehen zwei Bestimmungen, nach denen im Fall von Zauberei das Königsgericht, das im Tor des Palastes Recht sprach, zuständig war. Dagegen: »Wer eine Bluttat begeht, was immer der ›Herr des Blutes‹ (= nächster Anverwandter?) sagt; wenn er sagt: Er soll sterben, so wird er sterben, wenn er aber sagt: Er soll Ersatz leisten, so wird er Ersatz leisten. Dem König steht (ein Eingreifen) nicht zu.« So hat man daran gedacht, dem König Telipinu auch die Fixierung der hethitischen Gesetzessammlungen mit knapp 200 Paragraphen zuzuschreiben. Ein Verfasser ist darin nämlich nicht angegeben; lediglich eine Tafelunterschrift sagt »Vom Vater der Sonne« (Bezeichnung der königlichen Majestät). Der »Vater des Königs« erscheint aber auch in anekdotenhaften Erzählungen der Zeit Ḫattušilis-Muršilis. Es kommt hinzu, daß einige alte
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Exemplare der hethitischen Gesetze (etwa KBo VI 2) eine Schriftform aufweisen, die wir etwa auf die gleichen Könige datieren zu können glauben. Möglicherweise sind also die Gesetze in ihrer schriftlichen Fixierung älter als bisher angenommen wurde, wobei hinzukommt, daß neben einem jetzt gültigen des öfteren noch ein früheres Recht aufgeführt wird. Auch vom Inhaltlichen her läßt sich vielleicht ein Hinweis gewinnen, indem das soeben genannte alte Exemplar KBo VI 2 einen Paragraphen über einseitige Lösung eines Eheversprechens nach Übergabe des Brautpreises noch nicht kennt, während die jüngere Fassung, ganz ähnlich wie der Kodex Ḫammurabi, diese eherechtlichen Bestimmungen anführt. Wir können uns vorstellen, daß das Übergreifen des hethitischen Staates in die babylonische Welt unter Muršili I. auch Einflüsse der mesopotamischen Rechte auf das eigene kodifizierte Recht auslöste. Gerade Kenntnis und Übernahme eherechtlicher Bestimmungen werden verständlich, wenn wir damit rechnen, daß nun wohl in größerer Zahl Frauen aus den wohlhabenden syrischen und babylonischen Stadtstaaten nach Ḫattuša geholt wurden, wie wir dies aus der Zeit des Großreiches kennen. Man wird demnach die frühesten Fassungen und auch Niederschriften weit vor Telipinu ansetzen müssen und höchstens eine Neuredaktion unter seiner Regierung für möglich halten. Für die außenpolitisch-diplomatische Aktivität ist wahrscheinlich die Tatsache bezeichnend, daß von Telipinu der erste Staatsvertrag bezeugt ist, den er mit Išputaḫšu von Kizzuwatna geschlossen hat. Vom Text selbst, in hethitischer und akkadischer Sprache, ist kaum etwas erhalten; aber ein Tafelkatalog späterer Zeit führt unter den Beständen der Bibliothek auf: »Eine Tafel, Vertrag: Als Išputaḫšu, König von Kizzuwatna, und Telipinu, König von Ḫatti, einen Vertrag schlossen: Vollständig.« Der gleiche König ist auf einer gesiegelten Tonbulle genannt, die bei den amerikanischen Grabungen in Tarsus gefunden worden ist, was gleichzeitig die Lokalisierung von Kizzuwatna in das spätere Kilikien ermöglicht. Der Keilschriftring nennt Išputaḫšu, Großkönig, Sohn des Parijawatri und sichert durch seine Zeichenformen für das Siegel ein relativ hohes Alter, so daß wir es unbedenklich auf den Vertragspartner Telipinus beziehen können. Der Inhaber des Siegels betont durch die Titulatur seine unabhängige Stellung; auch der Vertrag dürfte eine Vereinbarung zweier selbständiger Staaten gewesen sein. Das Siegel selbst ist insofern von Bedeutung, als es neben den Symbolzeichen Kreuzschleife und Dreieck auch wirkliche Namensschreibung enthält. Es ist dies nach den Siegelfunden von Sedat Alp in Kara Hüyük bei Konya, die in den Ausgang der altassyrischen Handelstätigkeit zu datieren sein dürften, eines der frühesten Beispiele für die Verwendung der sog. hethitischen Bilderschrift43, die also, im Widerspruch zur heutigen Bezeichnung, ursprünglich nicht von den Hethitern geschaffen worden ist, sondern aus dem südlichen Teil Kleinasiens stammt, wo am ehesten auch Parallelen zu den ägyptischen Hieroglyphen und mediterranen Bilderschriftsystemen eine Erklärung finden. Soweit die
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hieroglyphenhethitischen Texte lesbar sind, sind sie in luwischer Sprache, einem vom Hethitischen verschiedenen, aber gleichfalls indogermanischen Idiom abgefaßt. Gleichaltrig mit jener Siegelbulle des Išputaḫšu dürften die frühesten Urkunden mit königlichem Siegel aus Boğazköy sein. Diese tragen im Keilschriftring die Inschrift: »Siegel des Tabarna, des Großkönigs; wer (es) vertauscht, wird sterben.« Der Abdruck erscheint in einem Fall sogar negativ; weder die beiden Schriftringe noch das Mittelfeld zeigen eine Umgrenzung, was man als archaische Merkmale werten möchte. Auch die Anordnung der Symbole Kreuzschleife, Dreieck und achtblättrige Rosette in der Mitte des Siegelfeldes wirkt unbeholfen. Das aus Kompositionsgründen als nächst-jüngeres Siegel zu bezeichnende Stück hat nur noch die achtblättrige Rosette im jetzt umrandeten Mittelfeld. Der doppelte Keilschriftring mit positiv erscheinender Schrift nennt auch den Namen des Königs, muß ihn jedoch aus Raumschwierigkeiten ungeschickt auf beide Kreise verteilen: »Siegel des Großkönigs Tabarna Alluwa/mana; wer (es) vertauscht, wird sterben.« Das aus den gleichen Gründen jüngste Siegel grenzt durch Kreislinien beide Schriftringe und das Mittelfeld gegeneinander ab. Die Textverteilung ist durch einen Zusatz im Innenring harmonisiert: »Siegel des Tabarna, des Großkönigs Ḫuzzija; wer die Worte vertauscht, wird sterben.« Demnach stehen typologisch die Siegel mit der allgemeinen Nennung Tabarnas am Anfang, während diejenigen mit der Angabe der Eigennamen Alluwamna und Ḫuzzija eine spätere Entwicklungsstufe zeigen. Die Texte sind in alter Schrift geschriebene und nach einem feststehenden Formular abgefaßte Landschenkungsurkunden. Sie dienen zur Beurkundung der vom König vergebenen Liegenschaften. Die Schenkungen sind z.T. in der Stadt Ḫanḫana ausgestellt, nennen Ländereien in Tuḫuppija und Šarišša, Ortschaften, die wir im nördlichen Grenzgebiet gegen die Kaška lokalisieren. Wie diese Tafeln dann nach Ḫattuša gekommen sind und warum sie Jahrhunderte später im Depot auf der Burg bzw. in den Tafelsammlungen beim Großen Tempel aufbewahrt worden sind, entzieht sich einer klaren Deutung. Diese Abschweifung war notwendig, um eine Textgruppe als Leitfaden der geschichtlichen Darstellung benutzen zu können, deren Wertung nicht unumstritten ist. Es handelt sich um die Opferlisten für verstorbene und damit vergöttlichte hethitische Könige, deren verschiedene Redaktionen uns schlecht erhalten überliefert sind, so daß zunächst nicht ersichtlich war, daß die Nennung der Königsnamen im großen ganzen eine zeitliche Abfolge wahrt. Eine dieser Opferzurüstungen nennt nun nacheinander: Alluwamna und Gemahlin Ḫarapšili, Ḫantili, Zidanta mit Ijaja, Ḫuzzija mit Šummiri (es folgen Tutḫalija und Arnuwanda als Vorfahren der Šuppiluliuma-Dynastie). Die Einordnung dieser Namen wird durch eine weitere Opferliste ermöglicht, die noch die Namensanfänge T[elipinu] – I[štaparija], Al[luwamna] – Ḫar[apšili] und Ḫan[tili] aufführt.
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Der Name Alluwamna ist in der Reihe der hethitischen Könige singulär, seine Einordnung nach Telipinu (um 1490) also gesichert. Er ist uns des weiteren, wie wir oben gesehen haben, durch zwei Originalurkunden mit seinem Siegel aus Boğazköy bezeugt. Das gleiche gilt für Ḫuzzija. Dieser dürfte nach der stilistischen Einordnung seines Siegels jünger als Alluwamna sein, kann dann also nicht mit Ḫuzzija I., der im Telipinu-Erlaß kurz und ohne Herrschertaten erwähnt war, identisch sein. Damit dürfte eine klare Bezeugung der Nachfolger Telipinus auf dem Königsthron von Ḫattuša gewonnen sein. Es besteht keinerlei Veranlassung, diese Könige des sog. »Mittleren Reiches« aus der Überlieferung zu streichen. Insbesondere muß der Gesichtspunkt, daß man in der Königsfamilie die Herrschernamen der Unglücksperiode vor Telipinu kaum wiedererwarten dürfe, fallengelassen werden. Denn Telipinus Sohn Ammuna, wie ihn der Thronfolgeerlaß nennt, hatte bereits den gleichen Namen getragen wie jener Unglücksherrscher, der als Mörder seines eigenen Vaters auf den Thron kam. Vielleicht war im Gegenteil die Wiederaufnahme der Namen geradezu als Art der Entsühnung gedacht. Für eine noch so knappe Darstellung der Geschichte reicht die Quellenlage keinesfalls aus. Die Landschenkungsurkunden scheinen im Innern eine Situation aufzuzeigen, in der die Herrscher bemüht waren, durch Schenkungen verdiente Persönlichkeiten an sich zu binden, auch wenn in den Urkunden keine Verpflichtung des Empfängers ausdrücklich genannt wird. Vielleicht war auch an eine stärkere wirtschaftliche Nutzung und damit politische Sicherung der Grenzgebiete gedacht. Die Form der gesiegelten Urkunde, die Nennung der Beamten als Zeugen der Ausfertigung erweisen jedenfalls bereits einen differenzierten Verwaltungsapparat. Das Wort des Königs galt als unverbrüchlich. Dahinter stand die alte Vorstellung, daß der jeweilige Herrscher im Auftrage seines Gottes waltet: »Das Land gehört dem Wettergott; Himmel und Erde (wie auch) die Leute gehören ebenfalls dem Wettergott. Er machte den Labarna, den König, zu seinem Regenten und gab ihm das ganze Ḫatti-Land. So soll der Labarna das ganze Land mit seiner Hand regieren!« Man wird wohl annehmen dürfen, daß mit der Thronfolgeregelung die Grundlage einer stabilen Neuordnung im Innern gelegt war. Über die Filiation der genannten Herrscher erfahren wir nichts. Da drei von ihnen mit dem Namen einer Tawananna (Titel der regierenden Königin entsprechend Tabarna) verbunden erscheinen, werden wir aber mit drei Generationen rechnen dürfen, so daß wir mit den letzten Königen bis in den Beginn des 15. Jahrhunderts kommen. Von der politischen Geschichte ist kaum ein Bild zu gewinnen. Deutlich hebt sich lediglich das Verhältnis zu Kizzuwatna ab, woraus wir sehen, daß mit stets erneuerten Verträgen dieses Staatswesen jenseits des Taurus in anscheinend gleichbleibend gutem Verhältnis zu Ḫatti stand, aber seine staatliche Selbständigkeit bewahrte. Der Vertrag zwischen Telipinu und Išputaḫšu wurde bereits genannt. Von dem zeitlich folgenden Abkommen sind wenigstens die einleitenden Sätze soweit erhalten, daß eine paritätische Respektierung des
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jeweiligen Rechts deutlich wird: »Die Majestät, der Großkönig Zidanta, König des Landes Ḫa[tti, und Pillija,] König des Landes Kizzuwatna, haben einen (Friedens-)Vertrag geschlossen. Folgendermaßen haben sie vereinbart: Die Städte, die [Pillija eingenommen hat,] die sollen wiederum der Majestät gehören; [diejenigen des] Pi[llija, die] ich genommen habe, die [sollen] wiederum dem Pillija gehö[ren.]« Dieses Vertragswerk ist in (alt)hethitischer Sprache erhalten; akkadisch formuliert liegt sodann ein Vertrag vor, den Eḫeja (von Kizzuwatna) wohl mit Ḫantili geschlossen hat, ebenso ein Vertrag des Paddatiššu mit einem ungenannten hethitischen König, wobei man etwa an Ḫuzzija oder einen frühen Vorfahren der Šuppiluliuma-Dynastie denken kann. In den erhaltenen Paragraphen wird auch der Austausch von Flüchtlingen behandelt. Man sieht aber aus dem Wortlaut, daß es sich dabei teilweise um halbnomadische Bevölkerungsteile der Grenzdistrikte handelte, die mit ihren Wohnungen, Familien und Vieh über die für sie gewiß künstliche Grenze wechselten. Auf Pallija/Pillija wird auch ein Ritual aus Kizzuwatna zurückgeführt, was zeigt, daß kulturelle Beziehungen bestanden haben. Bei der Erwähnung der sog. hethitischen Bilderschrift war dies bereits angedeutet worden, mit der Übernahme religiösen Schrifttums wird dieser Hinweis noch deutlicher. Eine gesiegelte Tafel des Vertrages zwischen Pillija und Idrimi von Alalaḫ ist bei den Grabungen in Teil Açana (Schicht IV) gefunden worden. Der Austausch von Flüchtlingen wurde vereinbart. Das Gebiet des Pillija grenzte also an Alalaḫ; Pillija wird demnach mit jenem oben genannten Könige Pillija von Kizzuwatna identisch sein, was einen Synchronismus Zidanta II. – Pillija – Idrimi gestattet. Die Tafel aus Alalaḫ nimmt zum Schluß noch auf eine Eidesleistung zwischen Idrimi und Paratarna von Ḫurri Bezug. Eine Datierung dieser Ereignisse auf den Beginn des 15. Jahrhunderts scheint gesichert. Mit diesem Land Ḫurri trat Ḫatti sehr bald in ernsthafte Auseinandersetzungen. Nach der Art unserer Überlieferung wird dies besonders deutlich in der Haltung des zwischen beiden Mächten liegenden Landes Kizzuwatna. Šuppiluliuma sagt nämlich im historischen Rückblick seines Vertrages mit Šunaššura: »Früher, zur Vorzeit meines Großvaters, wurde das Land Kizzuwatna ein Teil des Landes Ḫatti. Späterhin trennte sich das Land Kizzuwatna vom Lande Ḫatti und wandte sich dem Lande Ḫurri zu.« Auch unsere Darstellung wird an diesem Punkt zunächst die Geschichte von ḪurriMitanni aufgreifen müssen. III. Die Ḫurriter. Der Mitanni-Staat Obermesopotamien war unter der Dynastie von Akkad Teil dieses ersten vorderasiatischen Großreiches und durch starke Festungsanlagen gegen Einfälle aus dem Osten und Norden geschützt. Mit dem Ende dieser Periode fällt die früheste Konsolidierung ḫurritischer Staaten zusammen, deren Zeugnis eine Kalksteintafel mit ḫurritischer Inschrift: eines Königs Tišari (Tišatal) von Urkiš darstellt, sowie eine Weihinschrift in akkadischer Sprache von Arišen, dem
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König der gleichen Stadt.44 Da Urkiš auch in der religiösen Überlieferung erscheint, und zwar als Sitz des Götterkönigs Kumarbi, wird damit ein frühes Zentrum ḫurritischer Herrschaftsbildung im Osttigrisgebiet bzw. am oberen Ḫabur greifbar, dessen Entstehung wir in die zweite Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrtausends datieren dürfen. Ein ḫurritischer Text aus Boğazköy tradiert überdies die Idee eines Weltkönigtums, das sich an die Namen der Akkad-Dynastie knüpfte (Maništūšu, Sarkališarrī), ebenso wie es mit den Ländern Elam, Lullu und den Ḫurri selbst verbunden war. Die Ausdehnung der Ḫurriter in den folgenden Jahrhunderten ist auf Grund von Eigennamen für die Ur III-Zeit (um 2000) für das Osttigrisgebiet zu erschließen. In den Kültepetexten erscheinen sie als Beteiligte am Kleinasienhandel und als Träger einiger Stadtherrschaften (Anumḫirbi und vgl. Anm. 25). Aus Mari am mittleren Euphrat stammen religiöse ḫurritische Texte (um 1800), in Alalaḫ schließlich erscheinen bereits in Schicht VII (um 1650) ḫurritische Bezeichnungen für Monatsnamen und im Onomastikon nicht nur der einfachen Bevölkerung, sondern auch am Hofe. Das gleiche dürfte für Aleppo gelten (vgl. den Namen des Generals Zukraši) und für das nördlich davon gelegene Ḫaššu(wa). In der Folgezeit war die weitere Ausdehnung mit einer indoarischen Herrenschicht verbunden, die als marjannu den Kriegeradel bildete. Ihre indoarische Sprache bietet die Termini des Pferdetrainings und liegt den Farbbezeichnungen bei Pferden zugrunde (»Falber«). Sie erreichen auch Palästina. Der Hyksos-Einbruch nach Ägypten ist wohl durch ihren Druck mit ausgelöst worden. Unsicher bleibt dagegen eine eventuelle militärisch-politische Aktivität der Hethiter im syrisch-palästinensischen Raum. Einige Forscher beziehen u.a. eine historische Nachricht über den Zug von Tid’al, König der Heiden (i. Buch Mose 14) gemeinsam mit Amraphel von Sinear auf den frühen König Tutḫalija (vor Labarna). Syrien und Obermesopotamien bildeten zunächst lockere politische Herrschaften, für die in den Boğazköy-Texten allgemein die »Ḫurriter« oder die »Könige der Ḫurriter« erscheinen. Allerdings bietet statt dessen bereits die akkadische Fassung der Ḫattušili- Annalen die Bezeichnung »Feind des Landes Ḫanigalbat«. Falls diese Benennung nicht erst bei einer späteren Abschrift in den Text gelangt ist, hätten wir die vorläufig früheste Bezeichnung dieses Staatswesens vor uns und damit den Hinweis auf die Konsolidierung einer politischen Macht in Obermesopotamien bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die bisher ältesten Belege stammen aus dem 15. Jahrhundert und zwar sowohl aus Nuzi (in der Gegend von Kirkūk) als auch aus Alalaḫ (Schicht IV). Im Dokument aus Alalaḫ wird eine Rechtssache über ḫanigalbatûti (»Zugehörigkeit zu Ḫanigalbat«) behandelt. Hier aber, wie vor allem bei den Briefen Tušrattas (s.u.), wo neben der offiziellen Bezeichnung »König von Mitanni« auch der Name Ḫanigalbat erscheint, wird deutlich, daß beide etwa
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synonym gebraucht wurden, Ḫanigalbat aber die ältere Landes- und Staatsbezeichnung war. Das Nebeneinander der beiden so heterogenen Bevölkerungsteile – Ḫurriter und Indoarier – erscheint nach den Quellen so eng, daß man den Ausdruck Symbiose geprägt hat. Die politische Einigung im Mitanni-Staat erfolgte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; das älteste inschriftliche Zeugnis bietet das Dynastie-Siegel mit der Aufschrift »Šuttarna, Sohn des Kirta, König von Maitani«. Anscheinend wurde Šuttarna als Stammvater des Herrscherhauses angesehen und so sein Siegel bei einer Rechtsentscheidung vor Saušsatar weiter verwendet.45 Mit diesem Saušsatar, Sohn des Parsatatar, Königs von Maitani, wie seine Siegellegende in Nuzi lautet, gewinnen wir durch die Dokumentation aus Boğazköy und Alalaḫ das Bild einer historischen Persönlichkeit. Er residierte in Waššukanni, konnte Assur erobern und von dort eine kostbare, mit Silber und Gold beschlagene Tür in seinen Palast überführen.
Abb. 8: Siegel des Saušsatar
Wahrscheinlich eine Generation älter war Baratarna. In Nuzi wurde sein Tod zur Datierung herangezogen: »zur Zeit, da König Baratarna starb und verbrannt wurde«; gleichzeitig ist dies der älteste inschriftliche Beleg für die vorher in Vorderasien kaum geübte Leichenverbrennung. Im Westen nannte Idrimi von
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Alalaḫ ihn als seinen Oberherrn, mit dem Titel »mächtiger König, König der Ḫurri-Truppen«. Dabei hat man auf Grund der Titulatur Bedenken geäußert, Baratarna und Saušsatar dem gleichen Herrscherhaus zuzurechnen. Zwar führte Tušratta in seinen Briefen wechselnd beide Benennungen, aber sonst scheinen »König von Mitanni« und »König von Ḫurri« rivalisierende Partner zu bezeichnen, auch wenn ihre führende Schicht der gleichen indoarischen Sprachgruppe angehörte (s.u.). Der Wechsel zwischen der Selbsttitulatur »König von Mitanni« und der Bezeichnung im Mund des Fremden als »König der ḪurriTruppen« hat jedoch nichts Auffälliges. Somit ist auch Baratarna als König von Mitanni anzusehen. Seine Regierung mit einem Herrschaftsgebiet von Nuzi bis Alalaḫ muß in eine Zeit der Schwäche des Hethiterreiches gefallen sein. Idrimi von Alalaḫ rühmt sich in seiner Statueninschrift denn auch, sieben befestigte Städte, darunter das von Ḫattušili seinerzeit genannte Zaruna, erobert und geplündert zu haben, ohne ernsthaften Widerstand zu finden. Ebenfalls müßte die Machtausdehnung Mitannis vor die Feldzüge Thutmosis’ III. in Syrien fallen, denn die Züge des Pharao über Megiddo und Kadeš am Orontes bis nach Karkemiš, wo bereits sein Großvater Thutmosis I. eine Siegesstele errichten konnte, müssen zeitweise Rückschläge für Mitannis Position gebracht haben. Jedoch scheint es zu keiner entscheidenden Schlacht gekommen zu sein. Ebenso spricht der Feldzugsbericht vom 35. Jahr Thutmosis’ III. mit 10 Gefangenen, 60 Wagen und 180 Pferden eine deutliche Sprache. Mitanni wurde in seinem Kern nicht getroffen und begann nun seinerseits die Rückgewinnung Syriens. Unser Bild der Geschichte Mitannis ist außerordentlich vage, weil wir nur von außen, insbesondere aus dem Briefwechsel des Archivs von Teil el Amarna46 und den historischen Einleitungen mehrerer Staatsverträge aus Boğazköy, mühsam einige Daten gewinnen. Zwar sind mehrfach Anstrengungen unternommen worden, die alte Hauptstadt Waššukanni wiederzufinden – man hat dabei insbesondere an Fecherija im Quellgebiet des Ḫabur gedacht47 –, aber bis heute blieben sie ohne Erfolg. So fehlt weitgehend die eigene Beurkundung der Geschichte und Kulturgeschichte des Mitannireiches. Für die Hethiter stellte sich die Auseinandersetzung mit Mitanni während des 15. Jahrhunderts im Kampf um die Grenzgebiete Kizzuwatna und Ḫalpa dar, wie wir schon am Ende von Abschnitt II aus der historischen Einleitung eines Kizzuwatna-Vertrages entnehmen konnten. Für Ḫalpa bietet ein anderer Vertrag den Hinweis: »Als Tutḫalija, der große König, auf den Thron des Königtums sich erhob, da schloß der König des Landes Ḫalpa mit ihm einen Friedensvertrag, fiel dann aber ab. Und der König des Landes Ḫalpa ist mit dem König des Landes Ḫanigalbat in Verbindung getreten. Nunmehr hat er den König des Landes Ḫanigalbat sowie den König des Landes Ḫalpa aus diesem Grunde samt ihren Ländern vernichtet und die Stadt Ḫalpa zerstört.« Unter Ḫattušili II. war Ḫalpa wiederum abtrünnig und mußte erneut unterworfen werden; dabei wurde der Abschluß eines
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förmlichen Vertrages mit Ḫanigalbat der Stadt Ḫalpa als besondere »Sünde« angerechnet. Es spricht alles dafür, daß Mitanni in der Mitte des zweiten Jahrtausends die herrschende politische Macht im Vorderen Orient war, auch wenn seine Oberhoheit in Nordsyrien nur locker gehandhabt wurde. Groß war der kulturelle Einfluß, der sich über Kizzuwatna in der Folgezeit dann auch in Anatolien feststellen läßt. Groß war auch das Ansehen in der internationalen Politik. In den Amarna-Briefen heißt es nämlich, Artatama von Mitanni habe erst nach siebenmaliger Werbung Thutmosis’ IV. seine Tochter an den ägyptischen Hof geschickt, eine unüberhörbare Betonung der politischen Unabhängigkeit dieses obermesopotamischen Staates, der nun während dreier Generationen mit dem ägyptischen Hof in freundschaftlichem Austausch von Briefen und Geschenken stand.48 Ḫatti konnte in dieser Konstellation keine Großmachtstellung einnehmen. Geradezu kraftlos wird die hethitische Lage in einem späteren Brief Amenophis’ III. mit den Worten geschildert: »Und auch das Land Ḫattuša ist zersplittert.« Von Bedeutung ist dabei, daß dieser Brief an den König von Arzawa gerichtet war, jener Landschaft im Südwesten Kleinasiens, die unter Ammuna ihre Selbständigkeit errungen hatte und bis ins 13. Jahrhundert stetes bewaffnetes Eingreifen der hethitischen Könige herausforderte. In Syrien hatte sich nach dem Vordringen des ägyptischen Heeres unter Thutmosis III. die Lage zugunsten Mitannis konsolidiert. Die Grenze des jeweiligen Einflußgebietes ließ die phönikische Küste bis hinauf nach Ugarit unter ägyptischer Kontrolle, im Hinterland fiel das untere Orontestal wieder Mitanni zu, das Land Amurru (um Kadeš am oberen Orontes) blieb in ägyptischer Hand. Die Zeit militärischer Schwäche unter den Pharaonen Amenophis III. und IV. ließ die Besitzverhältnisse in Syrien gewissermaßen in der Schwebe, weil auch Mitanni internen Schwierigkeiten gegenüberstand. Nach dem Tod Šuttarnas wurde der Thronfolger ermordet, worauf sein noch unmündiger Bruder Tušratta den Thron bestieg. Diese Wirren hatten jedoch zu einer Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen mit Ägypten geführt. Die Wiederaufnahme mag allerdings durch den im gleichen Brief erwähnten Überfall Šuppiluliumas von Ḫatti mit bedingt worden sein. Aus der Beute schickte Tušratta dem Pharao einen Wagen mit zwei Pferden sowie einen Knaben und ein Mädchen. Da auch die ägyptischen Vasallen in Syrien häufig die Gefahr eines Einmarsches der Hethiter meldeten, ja insbesondere Abdi-aširta und Aziru, die Fürsten von Amurru, mit diesen konspirierten, so mag der engere Zusammenschluß der alten Großmächte gegen den neu aufsteigenden Staat gar im gemeinsamen Interesse gelegen haben. Undurchsichtiger waren die Verhältnisse im eigentlichen Obermesopotamien. Assyrien scheint zu Mitanni gehört zu haben, denn das Bild der Ištar von Ninive wurde zweimal an den Nil geschickt, um dem kranken Pharao Heilung zu
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bringen. Dieser war durch eine dynastische Heirat dem Königshaus von Mitanni verbunden. Grüße Tušrattas an seine Tochter Taduḫepa sind in den Briefen an Amenophis III. und IV. enthalten. Ein Text Šuppiluliumas nennt neben Tušratta, dem König von Mitanni, mit dem die bewaffnete Auseinandersetzung im Gang war, Artatama, den König des Ḫurriterlandes, den er durch Abschluß eines Vertrages für sich gewinnen konnte. Wir haben schon gesehen, wie nahe beide Begriffe einander stehen. Hier, in der Opposition von feindlichem Mitanni und verbündetem Ḫurri, scheint der Schluß auf zwei getrennte Staaten naheliegend, wahrscheinlicher ist aber vielleicht doch eine aus der Thronbesteigung Tušrattas resultierende dynastische Auseinandersetzung, die Šuppiluliuma durch Unterstützung des zunächst schwächeren Prätendenten politisch zu nutzen verstand. Durch einen weiteren Vertrag mit Kizzuwatna gelang es Šuppiluliuma, seinen Gegner auch hier in einem lange umstrittenen Grenzgebiet auszuschalten. Insbesondere führte aber sein Eingreifen in Syrien zu einer Isolierung der beiden Mächte Ägypten und Mitanni. Ein neuer militärischer Zug durch Obermesopotamien gegen Waššukanni brachte den Zusammenbruch des Mitannistaates; Tušratta floh und wurde später ermordet, das Land fiel Alše (am oberen Tigris) und Aššur zur Beute. Wahrscheinlich ist hier das Schreiben Aššur-uballiṭs an Amenophis IV. einzuordnen, mit dem die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern eingeleitet wurden. Zwar erhob Babylon sofort beim Pharao Protest, da Assyrien als babylonischer Untertan keine eigene Außenpolitik betreiben durfte, aber mit der Zerschlagung des Mitannistaates begann der Aufstieg des mittelassyrischen Reiches. So war die Regierung Artatamas, der nach Tušrattas Tod den Thron bestiegen hatte, trotz hethitischer Hilfe in allgemeiner Auflösung zu Ende gegangen. Die eroberten Schätze mußten aus Waššukanni zurückgegeben werden, selbst die Großen des Landes wurden ausgeliefert und vom Gegner gepfählt. Angesichts dieser Situation floh eine Gruppe von Adligen mit 200 Streitwagen nach Babylonien, wo sie allerdings nicht das erhoffte Asyl fanden. So begab sich Mattiwaza als Flüchtling zum hethitischen König und bat ihn, ihm unter voller rechtlicher Wahrung seines Vertrages mit Artatama das Thronfolgerecht in Mitanni zuzusprechen. Wieweit dabei der Wille des hethitischen Großkönigs allein maßgebend war oder die Entscheidung der marjanni herbeigeführt werden mußte, bleibt unklar.49 Šuppiluliuma nahm den Flüchtling wohlwollend auf, versprach ihm, ihn auf den »Thron seines Vaters« zurückzuführen, und gab ihm seine Tochter zur Frau. Im Zusammenhang mit den Kämpfen in Syrien erhielt dann Šuppiluliumas Sohn Pijaššili den Auftrag, Mattiwaza wieder nach Mitanni zurückzuführen. Das mußte mit Waffengewalt geschehen. Der Sohn Artatamas trat ihnen bei Ḫarran und Waššukanni, sogar mit assyrischer Waffenhilfe, entgegen.
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Die Wiederbelebung des Staates Mitanni wird im hethitischen Vertrag mit der Wendung »um meiner Tochter willen« begründet, mag sich für eine weitschauende hethitische Politik aber angeboten haben, um gegen das aufstrebende Aššur ein Gegengewicht in Obermesopotamien zu wahren. Alle Besitzansprüche in Nordsyrien gingen dagegen in hethitische Hand über, die Grenze im Westen war nunmehr der Euphrat.
Die Könige von Mitanni/Ḫanigalbat Ḫattušili I.(Staat (von Ḫatti)Ḫanigalbat?) 1600 1550(Ägypten) Kirta Šuttarna I. 1500IdrimiThutmosis I. (von Alalaḫ)Baratarna Thutmosis III. Parsatatar 1450Saušsatar ArtatamaThutmosis IV. 1400Šuttarna II. TušrattaAmenophis III. Šuppiluliuma I. (von Ḫatti)Amenophis IV. 1350Artatama Mattiwaza (Assur) 1300MuwatalliŠattuara I.Adad-narāri I. (von Ḫatti)Wašašatta Šattuara II.Šalmanassar I.
Der baldige Tod Šuppiluliumas sowie die aus den Feldzügen in Syrien resultierende Seuche, die zwanzig Jahre die hethitische Politik lähmte, führten dazu, daß Mattiwaza kaum ernsthafte weitere Hilfe von Ḫatti erhalten konnte. Wir wissen über den Gang der weiteren Ereignisse so gut wie nichts. Lediglich ein Hinweis mag ein gewisses Licht auf die internen Gegebenheiten werfen, indem wir nur bei diesem Mitanniherrscher die Sitte einer doppelten Namensführung wahrscheinlich machen können. Der Name, unter dem er am besten bekannt ist, gehört wie alle anderen Königsnamen der Dynastie dem Indoarischen an, ist jedoch durch die Mehrdeutigkeit der Keilschriftzeichen nicht sicher als Mattiwaza oder Kurtiwaza oder gar Šattiwaza zu bestimmen. Daneben kommt in der Titelei des Vertrages und auch in einem hethitischen Annalenfragment der Name Kili-Tešup vor, so daß man fragen kann, ob hier
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etwa mit dem zweiten Königsnamen in stärkerem Maße dem ḫurritischen Bevölkerungsteil Rechnung getragen wurde. Ohne nachhaltige Unterstützung durch die Hethiter war der Bestand des neu geschaffenen Staates nur von relativ kurzer Dauer. Um 1340 zog Aššur-uballiṭ auf einem großen Eroberungszug quer durch Obermesopotamien. Ein verbleibender Reststaat Ḫanigalbat unter Šattuara wurde um 1300 von Adadnarāri erobert, während dem hethitischen König in Syrien durch die Auseinandersetzung mit Ägypten die Hände gebunden waren. So wurde Šattuara assyrischer Vasall. Sein Sohn Wašašatta empörte sich erneut, sah sich aber in der erwarteten hethitischen Waffenhilfe enttäuscht. So fiel die Hauptstadt in die Hände des assyrischen Eroberers. Das Land zwischen Tūr–’Abdīn und Ḫarran wurde verwüstet. Unter Šattuara II. traf ein neuer assyrischer Vorstoß (um 1270) auf Ḫanigalbat. Dieses scheint sich nach den Worten Šalmanassars I. mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt zu haben: »Ein Heer der Hethiter und aramäischer Stämme war bei ihm. Es schnitt die Wegübergänge und meine Wasserstellen ab. Angesichts des Durstes und der Erschöpfung meines Heeres ... wagte ich den Kampf und bewirkte ihre Niederlage.« Damit wurde Ḫanigalbat assyrische Provinz. – Zu Anfang des 1. Jahrtausends residierten hier aramäische Dynasten (Tell ḤalafGuzana). Die Arier des Mitannistaates sind außer durch die Eigennamen ihrer herrschenden Schicht insbesondere durch die Nennung der Schwurgötter Mitra, Varuna, Indra und die Nasatjas im Staatsvertrag des Mattiwaza politisch als Komponente greifbar. Sie dürften sich von der großen indoarischen Wanderung abgesondert und ihren Weg im 16. Jahrhundert nach Obermesopotamien genommen haben. Die Ḫurriter dagegen standen in engem Zusammenhang mit den später im armenischen Bergland ansässigen Urartäern. Vielleicht war also Urartu zum Teil ḫurritisches Rückzugsgebiet. Die Sprache der Ḫurriter ist weder indogermanisch noch semitisch; die wissenschaftliche Erarbeitung des Ḫurritischen ist in vollem Fluß.50 Kulturhistorisch waren die Ḫurriter in der Tradierung alten, z.T. sumerischen, literarischen und religiösen Gutes von hervorragender Bedeutung. Genannt sei das Gilgameš-Epos und die Zyklen um den alten Götterkönig Kumarbi, die z.T. in den griechischen Kronosmythen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch ḫurritische Kulte und Feste haben in großem Umfang Aufnahme bei den Hethitern, insbesondere am Königshof und in der Hauptstadt, gefunden.51 Von ḫurritischer Kunst der Mitanni-Zeit sind bis heute lediglich Beispiele der Siegelschneidekunst bekannt; sie stammen vor allem aus Nuzi und Alalaḫ. Auch hier sind viele Motive aus dem Babylonischen übernommen worden. Besonders charakteristisch ist die Bevorzugung von Mischwesen. Daneben stehen etwa Jagd und Kampf zu Wagen oder zu Fuß gegen feindliche Krieger oder wilde
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Tiere und das Motiv des »Lebensbaumes«. Ein typisches Beispiel dieses Stils bietet etwa das Siegel des Saušsatar auf einer Tontafel aus Nuzi. IV. Das hethitische Großreich Mit der Aufzählung von Königsnamen in den Opferlisten und dürftiger eigener Beurkundung bot unser gegenwärtiges Quellenmaterial keine Möglichkeit, eine geschichtliche Darstellung vom Ende des althethitischen Reiches zu geben. Telipinu hatte in einem umfangreichen Thronfolgeerlaß für die kommenden Generationen die Grundlinien rechtlichen Verhaltens abgesteckt. Wir möchten entsprechend der überschaubaren Herrscherfolge im 14. und 13. Jahrhundert annehmen, daß auch die unmittelbaren Nachfolger Telipinus sich an die neu gesetzte Legalität gehalten haben. Die Königsnamen vom Ausgang des alten Reiches entsprechen denen der Vorgänger Telipinus auf dem Königsthron, ein Hinweis mehr auf die lebendige Tradition und wohl auch im wesentlichen ungebrochene dynastische Reihenfolge bis Ḫuzzija II. Dann jedoch treten in der Mitte des 15. Jahrhunderts anderslautende Namen auf: Tutḫalija mit Gemahlin Nikalmati, Arnuwanda-Ašmunikal, Ḫattušili, Tutḫalija (Vater des Šuppiluliuma). – Die Königinnen führten hier zum erstenmal in der uns überschaubaren hethitischen Geschichte Namen ḫurritischen Ursprungs. Dabei könnte Nikalmati eine ausländische Prinzessin gewesen sein, Ašmunikal stammte jedoch aus dem hethitischen Königshaus. Die Verleihung eines ḫurritischen Namens an eine hethitische Prinzessin läßt aber die Frage stellen, ob es sich dabei um eine Art Mode gehandelt habe oder ob vielmehr die Dynastie des Neuen Reiches selbst von ḫurritischer Herkunft gewesen sei. Bei den Herrschern wurden weitgehend die Königsnamen des Alten Reiches wiederaufgenommen, sicherlich eine bewußte Hinwendung zur Tradition der eigenen Geschichte. Jedoch wurde mit Arnuwanda (ebenso mit Šuppiluliuma) auch ein bisher in der Dynastie unüblicher Name eingeführt, wobei nicht das Protoḫattische der Autochthonen, sondern das indogermanische Idiom der Bildung zugrunde liegen könnte (bei Šuppi-luli-uma- = »Lauter-Brunn-er« gesichert). Dann wird es vielleicht kein Zufall sein, daß von diesem Arnuwanda das erste hethitische Königssiegel mit syllabischer Schreibung des Namens in Hieroglyphen bekannt ist.52 Das Siegel findet sich auf einer großen Tafel mit einer Landschenkung an die Hierodule Kuwatalla abgedrückt und lautet: »Siegel des Tabarna Arnuwanda, des Großkönigs, des Sohnes des Tut[ḫalija], Siegel der Tawananna Ašmunikal, der Großkönigin, [...] und Tochter des Tutḫalija.« – Ein anderes Siegel trägt die auffällige Legende: »Ašmunikal, Großkönigin, Tochter der Nikalmati.« Mit diesen Angaben findet die Aufzählung in den Königsopferlisten eine Bestätigung und eine Erweiterung hinsichtlich der Filiationsangabe. Diese bereitet allerdings Schwierigkeiten, indem sie den König als Sohn des Tutḫalija, ebenso aber die mit ihm amtierende Tawananna und Großkönigin als Tochter Tutḫalijas und der Nikalmati bezeichnet. Entweder möchte man die erste Angabe »Sohn« allgemeiner verstehen als adoptierten oder
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eingeheirateten Sohn, wofür es Parallelen gäbe (angesichts der ungewöhnlichen Nennung der Mutter bei der Abstammung der Ašmunikal kann man sehr wohl daran denken, daß nur sie aus der Hauptehe Tutḫalijas mit der Tawananna Nikalmati stammte), oder man sucht den Ausweg, das Nebeneinander der beiden als Tabarna-Großkönig und Tawananna-Großkönigin nicht als Ehe aufzufassen, da die Geschwisterehe, nach allem was wir wissen, bei den Hethitern verpönt war.53 Die Titulaturen für die somit nur »amtierende« Königin scheinen mir allerdings gegen diese Konstruktion zu sprechen. Vielmehr könnte die Notzeit unter diesem Herrscherpaar, wie sie in mehreren Texten zum Ausdruck kommt (s.u.), und die Angabe im sog. Telipinu-Mythus, der Gott sei, erzürnt über Ašmunikal, verschwunden und habe Wachstum und Gedeihen mit sich genommen, darauf deuten, daß in der Tat die öffentliche Meinung im Verhalten der Königin einen Makel gesehen habe. Die Tafel nennt, in Anlehnung an die älteren Landschenkungsurkunden, zum Schluß eine größere Zahl von Palastchargen, die die Urkunde bei der Ausstellung in Ḫattuša beglaubigten. Insbesondere wurde aber die Schenkung nicht nur vom Königspaar, sondern auch vom tuḫukanti Tutḫalija ausgesprochen. Wir haben es hier mit einem königlichen Prinzen zu tun, der eine hohe Stellung bekleidete, die ihn aber nicht als »Kronprinz« ausweist. Er erscheint auch in den Würdenträgereiden, die als eines der frühesten Beispiele von Eidesleistung und Treueverpflichtung überliefert sind. Darin wurde göttliche Strafe heraufbeschworen für den Fall: »Wenn uns jemand einen Boten zuschickt und uns irgendein böses Wort schreibt und wir ihn nicht festnehmen, ihn nicht blenden und ihn vor die Majestät bringen.« Diese eidlich beschworenen Verpflichtungen wurden auf bronzenen Tafeln festgehalten, die dann in den Tempeln von Ḫattuša und Arinna deponiert wurden. Wie in allen anderen Fällen, wo Texte auf silbernen oder eisernen Tafeln mit symbolischem Bezug auf ihre Dauerhaftigkeit niedergeschrieben worden waren, hat sich von derartigen Metalltafeln, im Gegensatz zu der auf Ton ausgefertigten Niederschrift, nichts erhalten. Diesen »Würdenträgern« (wie sie in der Erstpublikation irrtümlich bezeichnet wurden) unterstanden Ortschaften in den nördlichen Grenzbezirken. Es dürfte sich dabei, auch nach Ausweis des Onomastikons, um Anführer von KaškäerStämmen gehandelt haben, die mit dieser Eidesleistung in den Dienst des Königs traten, also um befriedete Volksteile, während die Masse der Kaskäer sicher frei blieb und mit steten Raubüberfällen das Land brandschatzte. Wir hätten damit soziologisch in den Bergen des Pontos ein ähnliches Element vor uns, wie es die Ḫapiru im syrischen Bereich darstellten.54 Die Schwierigkeit einer für das Ḫattireich befriedigenden Vereinbarung mit den Kaškäern ergab sich vor allem aus dem Fehlen einer Zentralgewalt, eines dynastischen Kontrahenten. So fühlte sich keine Gruppe und kein Gau durch die Abmachungen der Nachbarn gebunden – kein Wunder, daß die
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Auseinandersetzungen mit den Kaškäern die folgenden zwei Jahrhunderte andauerten. Vom Königspaar Arnuwanda und Ašmunikal – keine Königin ist außer der späteren Puduḫepa so stark im Urkundenmaterial bezeugt – sowie dem tuḫukanti stammt ein weiterer umfangreicher Text, in dem Klage über die Bedrückung des täglichen Lebens und des Kultes geführt wurde, und dies, obgleich den Göttern mehr Fürsorge erwiesen wurde als je zuvor. Die Feinde plünderten die Länder um Nerik, Ḫuršama, Kaštama, Zalpuwa usw. aus, stürzten die Tempel, zerstörten die Statuen und führten die Priesterschaft in die Sklaverei. In dieser Situation versuchte man, wenigstens den Kult für den Wettergott in Nerik aufrechtzuerhalten, indem man den Kaškäern Geschenke gab, damit diese die Durchführung der Opfer nicht weiter behinderten. Falls sie diese beschworenen Vereinbarungen nicht hielten, das Wort der Götter gering achteten, das Siegel des Eides des Wettergottes zerbrächen, fiele alle Schuld ihnen zu. Dies wurde vor einer großen Zahl von Ortschaften mit ihren Häuptlingen beschworen. In all diesen Dokumenten werden die Kaškäer als in bedrohlicher Nähe des hethitischen Kernlandes seßhaft angeführt. Ihre Einbrüche in diesen Bereich waren Raubzüge, die allerdings auch zu nicht unerheblichen Gebietsveränderungen führten. Ihre Häuptlinge trugen Namen, die dem autochthonen Onomastikon angehörten. Vielleicht handelte es sich demnach weniger um einen Einbruch neuer Wanderstämme als um eine wieder militärisch aktiv werdende, bis dahin in die Berge des Pontos zurückgedrängte anatolische Bevölkerungsschicht. In ganz ähnlicher Weise wurden mit einzelnen Großen im Südwesten Anatoliens im Vertrag mit den Leuten von Išmirikka Abmachungen getroffen, jedoch ist die Datierung der betreffenden Textstücke auf Arnuwanda I. nicht gesichert. Auch mit Kizzuwatna wurden die alten Abkommen jeweils erneuert (s.S. 127), ohne daß der hethitische Kontrahent in dem fragmentarischen Kontext mit Namen erscheint. Aus der historischen Einleitung eines jüngeren Vertrages erfahren wir dabei, daß Kizzuwatna unter Arnuwandas Nachfolger Ḫattušili Teil des Landes Ḫatti geworden sei. Ob damit mehr als ein solches Vertragsverhältnis anzunehmen ist, scheint zweifelhaft, vor allem da im Folgenden vom Abfall zu Ḫurri die Rede ist. Auch Ḫalpa ging unter Ḫattušili verloren (s.S. 131), die Macht des hethitischen Königtums war damit auf Zentralanatolien beschränkt. Eine eigene Beurkundung dieser Periode fehlt uns. Selbst in der Frage der Kontinuität der Dynastie tappen wir im Dunkeln. Die Redewendung bei Tutḫalija I., daß »er sich auf den Thron des Königtums erhob«, könnte man im Sinn einer Usurpation verstehen. Auch die Genealogie des Paares Arnuwanda-Ašmunikal ließ eine nicht ganz eindeutig deszendente Thronfolge vermuten. Die große Bedeutung des ḫurritischen Elementes am Hof, im Kult und in der Literatur, wie die Boğazköy-Funde sie bezeugen, wären dann nicht nur kultureller Einfluß der
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südöstlichen Provinzen des Ḫatti-Reiches, sondern als natürliches Ergebnis einer Herrschaftsschicht aus diesen Gebieten zu verstehen. Unter dem nachfolgenden Tutḫalija III. (Vater Šuppiluliumas) wurde die Situation des Landes später so geschildert: »Die Länder Ḫattis waren von Feinden fast völlig vernichtet. Von der einen Seite kam der kaškäische Feind, suchte die Ḫatti-Länder heim und machte Nenašša zur Grenze. Von der anderen Seite aus dem Unteren Lande kam der Feind von Arzawa. Und auch dieser suchte die Ḫatti-Länder heim und machte Tuwanuwa und Uda zur Grenze ... Weiter kam der Feind aus Azzi, suchte das gesamte Obere Land heim und machte Šamuḫa zur Grenze. Der Feind von Išuwa kam und suchte das Land Tegarama heim ... [machte] die Stadt Kizzuwatna [zur Grenze]. Auch die Stadt Ḫattuša war niedergebrannt, und ... (nur) das ḫešta-Haus war entkommen.« Von allen Seiten waren die Feinde eingedrungen. Aus der Nennung der einzelnen Grenzorte ist zu folgern, daß das Staatsgebilde bis auf den Kern im Halysbogen zerschlagen war. Selbst die Hauptstadt ging wahrscheinlich in Verbindung mit einem feindlichen Einfall in Flammen auf. Denn Muršili II. berichtet: »Der Kaškäer-Gau, der zu Zeiten meines Großvaters (Tutḫalija III.) das Bergland Tarikarimu mit Gewalt in Besitz genommen hatte, der wurde für Ḫattuša eine Gefahr. Sie kamen, überfielen Ḫattuša und bedrängten es sehr.« So war nach der allgemeinen historischen Überlieferung die Zeit Tutḫalijas III. eine Periode äußerster politischer Schwäche, die der ganzen militärischen Anstrengung bedurfte, um das Schlimmste abzuwenden. Davon erfahren wir insbesondere aus dem ausführlichen Bericht Muršilis II. über die Taten seines Vaters, wobei in den ersten Teilen der Tafelserie auch auf die Vorgeschichte eingegangen wird, da der Prinz Šuppiluliuma sich dabei die ersten militärischen Verdienste erwarb, besonders während häufiger Krankheiten seines Vaters: »Weil nun mein Großvater noch krank war, stellte mein Großvater die Frage: ›Wer will zu Felde ziehen?‹ Da sprach mein Vater: ›Ich will gehen!‹ So sandte mein Großvater meinen Vater ins Feld. – Als aber mein Vater ins offene Land gelangte, da hatte der kaškäische Feind, der ins Ḫatti- Land eingedrungen war, das Land sehr übel behandelt. Und der kaškäische Feind, den mein Vater inmitten des Landes antraf, bestand aus zwölf Stämmen. Die Götter aber halfen meinem Vater, und er schlug jene kaškäischen Feinde.« Zwanzig Jahre werden in einem anderen Text für diese Periode der Wiedergewinnung Anatoliens und der Neubesiedlung der verwüsteten Gebiete angesetzt. Erst dann konnte sich Šuppiluliuma, bereits im reiferen Alter, den außenpolitischen Aufgaben zuwenden. Ein jüngerer Text faßt die Ereignisse wie folgt zusammen: »Als mein Großvater Šuppiluliuma ins Ḫurri- Land zog, da besiegte er die Ḫurri-Länder insgesamt. Und auf jener Seite machte er Kadeš und Amurru zur Grenze. Den König von Ägypten besiegte er. Auf dieser Seite aber schlug der die Länder Irrite und Šuta und machte den Euphrat zur Grenze ... Seine Söhne machte er zu Königen und zwar im Lande Ḫalpa machte er den Telipinu zum König und im Lande Karkemiš machte er den Pijaššili zum König.«
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Für diese Feldzüge, die die Eroberung Nordsyriens, die Auseinandersetzung mit Ägypten und die Zerschlagung des Mitanni-Staates einschlossen, wird ein Zeitraum von sechs Jahren angegeben. Im einzelnen läßt sich aus der Überlieferung dazu folgendes weiter ausführen. Der Brief des Mitanniherrschers Tušratta an Amenophis III. aus dem Beginn seiner Regierung hatte von einem hethitischen Einfall gesprochen, den dieser aber abwehren konnte.55 Nunmehr dürfte Šuppiluliuma, beeindruckt durch den augenscheinlichen Hinweis auf seine noch unterlegene militärische Position, den Weg der diplomatischen Verhandlungen gegangen sein. Die Form des Staatsvertrages und seine Paragraphierung war im Laufe des 16./15. Jahrhunderts entwickelt worden, seine Bedeutung in der Konsolidierung der außenpolitischen Beziehungen hatte sich im Fall Kizzuwatna gezeigt.56 Den frühesten Vertrag dürften wir im Verhältnis zu Azzi-Ḫajaša in Hocharmenien erkennen, das unter Tutḫalija III. in hethitisches Territorium eingefallen war. Šuppiluliuma schloß nunmehr mit einem der Führer dieses Landes einen Vertrag, durch den er ihm die Herrschaft in Azzi übertrug und bei loyalem Verhalten diese auch für die Nachkommen zusicherte. Charakteristisch, daß diese Verleihung in Ḫattuša stattfand, der neue Vasall also vielleicht erst mit hethitischer Waffenhilfe auf den Thron gebracht werden mußte. Seine Pflichten bezogen sich auf Wahrung der Legalität im hethitischen Herrscherhaus, Waffenhilfe bei Krieg und Aufruhr, Meldung feindlicher Konspiration, Wahrung vertraulicher Mitteilungen von Seiten des hethitischen Großkönigs, Rückgabe der noch zurückgehaltenen Gefangenen. Um Ḫukkanā stärker an die Zentralgewalt zu binden, gab ihm Šuppiluliuma außerdem seine Schwester zur Frau. Diese dynastische Heirat veranlaßte den hethitischen Herrscher, kurz auf unterschiedliche Sitten in beiden Ländern einzugehen, wobei er zur Erläuterung einen Fall aus der jüngsten Vergangenheit anführte, der beweist, daß Azzi bereits unter Tutḫalija III., also kurz nach dem Aufstand, wieder an Ḫatti gebunden werden konnte. Der betreffende Passus lautet: »Was Marija war, um welchen Vergehens willen hat der den Tod gefunden? Kam da nicht eine Palastdame daher und jener schaute sie an? Der Vater der Majestät aber blickte gerade aus dem Fenster und ertappte ihn bei dem Vergehen, mit den Worten: Warum hast du jene angesehen?! Und er fand den Tod wegen jenes Vorfalles.« – Daraus ergab sich für den Schwiegersohn, sich bei einem Besuch am hethitischen Hof in diesen Fragen der Etikette aufs äußerste vorzusehen. Auch für Azzi selbst wurde ihm angesichts der dort herrschenden anderen Sitten eingeschärft: »Wenn nun einmal von deiner Gattin eine Schwester (oder andere weibliche Anverwandte) zu dir kommt, so gib ihr zu essen und zu trinken. Eßt, trinkt und seid fröhlich. Sie geschlechtlich zu nehmen aber laß dich nicht gelüsten. Das ist nicht erlaubt, darauf steht die Todesstrafe!« Von der weiteren Entwicklung der Dinge ist wenig bekannt; ein Orakeltext erwähnt die Anfrage an die Gottheit, ob »Ḫukkanā, der Mann von Azzi« dem
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Großkönig treu bleiben werde. In ähnlicher Weise suchte Šuppiluliuma durch einen Vertrag mit Šunaššura von Kizzuwatna dieses Land nach seinem Abfall zu Mitanni wieder auf die hethitische Seite zu ziehen. Der betreffende Vertrag wurde in hethitischer und akkadischer Sprache abgefaßt, wobei die Zweisprachigkeit einen Hinweis darauf gibt, daß Kizzuwatna zum südöstlichen Kulturbereich gehörte, der durch die babylonische Kultur seine besondere Prägung erfahren hatte. Das Onomastikon zeigt seit dem 15. Jahrhundert deutlich eine stärkere ḫurritische Besiedlung auf, wodurch der nahe Kontakt zu Ḫurri-Mitanni eine weitere Erklärung findet. Die Namen der herrschenden Schicht gehören teilweise gar dem Indoarischen an, wie man Šunaššura als solchen = ind. śunaśūra »Heils-Held« interpretiert hat. Der Formulierung des Vertrages ist deutlich das Bestreben des hethitischen Großkönigs abzulesen, seinem Kontrahenten bis zur Fiktion eines paritätischen Vertrages entgegenzukommen. »Die Ḫurri nannten den Šunaššura Diener, jetzt aber machte ihn die Majestät zu einem legitimen König ... Erscheint Šunaššura vor der Majestät, sollen die Großen der Majestät vor ihm (aufstehen), niemand soll sitzen bleiben.« Wie radikal die Wendung war, die Kizzuwatna mit diesem Vertrag einschlug, ergibt sich aus dem Paragraphen, in dem Šuppiluliuma sich verpflichtete: »Wenn der Ḫurriter hört, das Šunaššura sich vom Ḫurrikönig getrennt und der Majestät zugewandt hat, wenn dann der Ḫurrikönig um des Šunaššura willen ein Begrüßungsgeschenk macht, so will ich, die Majestät, um Šunaššuras willen vom Ḫurrikönig sein Begrüßungsgeschenk nicht annehmen.« Was die Stellung von Hilfstruppen im Kriegsfall betraf, so wurden bestimmte Kontingente festgesetzt, und zwar hundert Gespanne Pferde als Streitwagentruppen und tausend Krieger zu Fuß. Ihre Verproviantierung übernahm der hethitische Großkönig. Zur Sicherung des diplomatischen Verkehrs wurde festgelegt, daß keiner gegen des anderen Boten Böses unternehmen oder mit Zauberkraut gegen ihn vorgehen dürfe. Ferner: »Wenn ich, die Majestät, dir einen Brief auf einer Tontafel überbringen lasse, darauf die Worte niedergelegt sind, und die Worte, die der Bote aus seinem Munde dir sagt, wenn die Worte des Boten mit den Worten der Tafel übereinstimmen, diesem Boten, Šunaššura, kannst du vertrauen. Wenn aber die Worte aus dem Munde des Boten mit den Worten der Tafel nicht übereinstimmen, dem Boten, Šunaššura, mögest du nicht vertrauen. Und auf dieses Wort hin mögest du nichts Böses in deinem Herzen sinnen.« Es folgt die Festlegung der Grenze zwischen beiden Staaten und die Bestimmung über eine gegenseitige Auslieferung der Flüchtlinge. Dabei erscheint die sonst nicht übliche Strafbestimmung: »Wenn ein Flüchtling von Ḫattuša nach Kizzuwatna geht, soll Šunaššura ihn ergreifen und ihn der Majestät zurückgeben. Wenn aber den Flüchtling jemand verbirgt und man ihn in seinem Hause findet, gibt er zwölf Personen.« Wenn der Täter zahlungsunfähig ist, droht ihm die Todesstrafe. Mit diesen beiden Verträgen scheint der Weg zu einer weiter ausgreifenden Politik eröffnet. So möchte man hier zeitlich einen dritten Vertrag – nämlich den
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zwischen Šuppiluliuma und Artatama, dem König von Ḫurri – einordnen, von dem wir nur indirekt durch die feindliche Haltung, die Tušratta dagegen einnahm, erfahren. Möglicherweise liegt hier ein dynastischer Streit um die Thronfolge in Ḫurri-Mitanni solcherart zugrunde, daß Tušratta erst nach der Ermordung des Kronprinzen den Thron bestiegen hatte und daß Šuppiluliuma nunmehr mit der Unterstützung eines Gegenkandidaten in die innere Auseinandersetzung eingriff.57 Jetzt aber scheint Šuppiluliuma, politisch und militärisch stärker als bei seinem ersten Einfall in mitannisches Gebiet, größere Erfolge aufweisen zu können, indem er von einer Plünderung des nordsyrischen Gebietes und dessen Eroberung bis zum Libanon spricht. Wahrscheinlich wurde bei dieser Gelegenheit auch Šarrupši von Nuḫašše (Gebiet etwa zwischen Hamath und Euphrat) hethitischer Vasall, denn er konnte bei einem späteren Angriff Tušrattas den hethitischen König zu Hilfe rufen. Dieser Versuch Mitannis, das verlorene Terrain wiederzugewinnen, konnte sicherlich auch weitgehend bei den syrischen Stadtstaaten mit Sympathien rechnen, denn bis weit in den Süden nach Palästina waren Fürsten und Adlige mit arischem Namen Träger der Herrschaften. Das traf besonders für Kadeš unter Šuttarna (Šutatarra) und seinem Sohn Aitakama zu, bis letzterer hethitischer Vasall wurde und im Zusammenspiel mit Aziru von Amurru Stück für Stück aus dem ägyptisch beherrschten Syrien herausbrach. Die AmarnaKorrespondenz bietet ein anschauliches Bild dieser politischen Entwicklung etwa in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Inzwischen hatte aber Šuppiluliuma mit einer groß ausholenden Bewegung den Angriff ins Kerngebiet des Mitanni-Staates getragen. Er überschritt den Oberlauf des Euphrat und unterwarf Išuwa »zum zweiten Male«, denn dieses Gebiet hatte sich schon zur Zeit Tutḫalijas III. feindlich verhalten und hethitische Flüchtlinge aufgenommen. Nach den Worten des Großkönigs wurde also lediglich ein altes Unrecht wiedergutgemacht. Der Zug führte weiter nach Alše ins osttigridische Gebiet, die Feste Kutmar wurde erobert und dem Fürsten von Alše namens Antaratli »zum Geschenk gegeben«. Der Feldzug richtete sich nun gegen die Residenz Waššukanni. Tušratta vermied jedoch die offene Auseinandersetzung und setzte sich ab. Der hethitische Großkönig dagegen zog westwärts über den Euphrat, da wohl eine Aufstandsbewegung in Syrien seine Anwesenheit erforderte. Ḫalpa und die südlich davon gelegenen Staaten wurden unterworfen, während sich Niqmadu II. von Ugarit dem Großkönig anschloß. Allerdings sah die Situation zunächst wohl bedrohlich aus, denn in einem ersten Schreiben hob Šuppiluliuma das alte Treueverhältnis Ugarits hervor und sagte für den Fall von Feindseligkeiten der Gegenseite militärische Hilfe zu. Auch diese versuchte, Niqmadu als Bundesgenossen zu gewinnen, fiel dann allerdings in das Gebiet von Ugarit ein und konnte erst nach Eintreffen eines hethitischen Kontingentes von Fußtruppen und Streitwagen geworfen werden.
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Die Beute fiel Niqmadu zu, der aber die hethitischen Großen fürstlich entlohnte. Im benachbarten Alalaḫ traf er den hethitischen Großkönig, wobei ein Vertrag ihm eine günstige Grenzziehung für alle Zukunft zusicherte. Als Tribut an die Majestät wurden ihm 500 Sekel Gold, ein Becher aus Gold von einer Mine Gewicht sowie Kleider und kostbare Stoffe auferlegt; ebenso hatte er die Königin, Prinzen und hohen Würdenträger mit entsprechenden Gaben zu bedenken. So konnte Šuppiluliuma mit reicher Beute nach Ḫattuša heimkehren. Mit Stolz überlieferte er der Nachwelt die Vertreibung Tušrattas und die Unterwerfung Nordsyriens bis nach Kadeš am Orontes als die Taten eines einzigen Jahres. Wie alle anderen Herrscher der vorderasiatischen Welt hatte wohl Šuppiluliuma diplomatische Korrespondenz mit Ägypten gepflogen und auch von der Thronbesteigung Amenophis’ IV. Kenntnis genommen. Als Begrüßungsgeschenk sandte er ihm Tierrhyta aus Silber von drei bzw. fünf Pfund Gewicht sowie andere Gegenstände aus diesem in Anatolien reichlich vorhandenen Metall. Durch das militärische Eingreifen in Syrien geriet Šuppiluliuma allerdings mit jener Großmacht im Süden in Konflikt. Zu einem nicht genannten Zeitpunkt führte dies zu einem Abkommen, nach dem sogar kleinasiatische Bevölkerungsteile, und zwar aus der Stadt Kuruštama, nun im ägyptischen Herrschaftsgebiet siedeln durften. Aber anscheinend war diese Regelung nicht von langer Dauer. Ein späterer hethitischer König fühlte sich gar genötigt, die Schuld für den erneuten Kriegsausbruch auf der eigenen Seite, nämlich bei seinem Vater, zu suchen: »Als der Wettergott von Ḫatti die Leute von Kuruštama ins Land Ägypten brachte, und als der Wettergott von Ḫatti ihnen den Leuten von Ḫatti gegenüber einen Vertrag machte, da waren diese durch den Wettergott von Ḫatti in Eid genommen. Wie nun die Hethiter und die Ägypter durch den Wettergott von Ḫatti in Eid genommen waren, da geschah es (dennoch), daß die Ḫatti-Leute abtrünnig wurden; so brachen die Ḫatti-Leute den Göttereid alsbald. Mein Vater also entsandte Truppen und Wagenkämpfer; die überfielen das Grenzgebiet des Landes Ägypten, das Land Amka. Und wieder entsandte er und wieder überfielen sie ...« Dieses Eingreifen Ḫattis in Syrien stellte die dortigen Fürsten vor eine neue Situation. Um die eigene Stellung zu wahren, mußten sie eine Loyalität bzw. Vasallität gegenüber Ägypten vortäuschen, gleichzeitig aber den Hethitern entgegenkommen. Von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus ist insbesondere die Politik Amurrus unter Aziru zu verstehen. Nicht alle Klagen der Nachbarfürsten beim Pharao, Aziru treibe eine ägyptenfeindliche Politik, mögen sachlich korrekt gewesen sein, doch wurde er schließlich nach Ägypten zitiert, um sich persönlich zu rechtfertigen. Während er dort zurückgehalten wurde, erreichten Briefe seines Bruders den ägyptischen Hof, in denen auf seine Rückkehr gedrängt wurde, da die Hethiter unter dem General Lupakki in Nordsyrien, im Land Amka, operierten und so allgemeine Gefahr drohe. Die relative zeitliche Einordnung der einzelnen Nachrichten ist heute noch umstritten.58 So die Frage, wann die Übereinkunft Azirus mit Niqmadu II. von
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Ugarit anzusetzen sei, ob vor oder nach seinem Ägyptenaufenthalt. Darin garantierte er Ugarits Südgrenze, erklärte seine Bereitschaft, bei einem Angriff von dritter Seite Hilfstruppen zu schicken, ließ sich dafür allerdings durch eine Zahlung von 5000 Sekel Silber entschädigen. Ebenso ist die offizielle Unterwerfung Azirus unter Šuppiluliuma zeitlich schwer zu fixieren. Wohl hatte er viele Jahre mit den Hethitern paktiert. Doch erst eine eindeutige Machtverschiebung dürfte ihn veranlaßt haben, sich ganz auf die hethitische Seite zu stellen. Für einen relativ späten Zeitpunkt dieses Vertragsabschlusses spricht auch die Formulierung in der historischen Einleitung, wenn Šuppiluliuma sagt: »Ich fügte ihn zu seinen Brüdern«, d.h. zu den anderen, bereits vorher unterworfenen syrischen Fürsten. Die Entscheidung des Fürsten von Amurru war dauerhaft, so daß Muršili II. zusammenfassend in einem Vertrag feststellen konnte: »Aziru war dein, des Duppi-Tešup Großvater ... Mein Vater (Šuppiluliuma) hatte ihn zu seinem Dienertum zurückgebracht. Als nun die Könige von Nuḫašše und der König des Landes von Kadeš sich gegen meinen Vater empörten, da empörte sich Aziru, dein Großvater, gegen meinen Vater nicht ... (vielmehr) hat er gleichfalls gegen die Feinde meines Vaters gekämpft, hat [das Land Ḫatti] beschützt und meinen Vater in keiner Weise erzürnt. Und auch mein Vater hat Aziru nebst seinem Lande beschützt ... 300 Sekel geläutertes, erstklassiges Gold, den Tribut, den mein Vater deinem Großvater auferlegt hatte, hat er ihm Jahr für Jahr entrichtet.« Mit dieser Darstellung der Entwicklung in Amurru sind wir aber der Zeit vorausgeeilt. – Allerdings ist der Zeitraum nach Šuppiluliumas Syrienfeldzug (s.S. 143) urkundlich nur schlecht bezeugt. Die Amarnabriefe sind nicht eindeutig einzuordnen und schweigen seit der Verlegung der ägyptischen Residenz unter Tutanchamun bald ganz. Die auf mehreren Tafeln aufgezeichneten »Mannestaten« Šuppiluliumas sind für diese Periode nur bruchstückhaft erhalten, aber anscheinend ist der Großkönig währenddessen in Anatolien aktiv gewesen. Eine Seuche im hethitischen Heer veranlaßte die Kaškäer, die seit längerem Ruhe gehalten hatten, wieder zu Übergriffen, jedoch konnten sie auch mit nächtlichen Aktionen gegen die befestigten Militärstützpunkte nichts ausrichten. In Syrien dagegen operierte als Feldherr ein Sohn Šuppiluliumas namens Telipinu. Weite Teile des flachen Landes konnten unterworfen werden, die starke Festung Karkemiš am Euphrat dagegen widerstand. Wohl um sich weitere Instruktionen zu holen, begab sich Telipinu zum Großkönig, während Lupakki mit mehreren hundert Mann die Stellungen halten sollte. Diesen Moment augenscheinlicher Schwäche nutzten die Ḫurriter zu einem Angriff, und auch die Ägypter versuchten, in dem kürzlich verlorenen Gebiet von Kadeš wieder Fuß zu fassen. Das Erscheinen des Großkönigs selbst auf dem nordsyrischen Kriegsschauplatz stellte allerdings sofort die Handlungsfreiheit der Hethiter wieder her.
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Es ist wert, diesen Höhepunkt im Lebenswerk Šuppiluliumas in den Worten nachzulesen, die sein Sohn Muršili dafür gefunden hat: »Während mein Vater drunten im Lande Karkemiš war, sandte er aber den Lupakki und Tarḫuntazalma aus in das Land Amka. Diese zogen los, um Amka zu schlagen, und brachten Gefangene, Rinder und Schafe zurück zu meinem Vater. Als aber die Ägypter von diesem Angriff auf Amka hörten, fürchteten sie sich. Da überdies ihr Herr Tutanchamun gestorben war, sandte die Königin von Ägypten, die Hauptgemahlin, einen Boten zu meinem Vater und schrieb ihm folgendermaßen: ›Mein Gatte ist gestorben, einen Sohn habe ich nicht, aber dir sagt man viele Söhne nach. Wenn du mir einen deiner Söhne geben würdest, würde er mein Gatte werden. Niemals aber werde ich einen meiner Diener nehmen und ihn zu meinem Gatten machen. Das scheue ich zu sehr!‹ Als mein Vater dieses hörte, rief er einen Staatsrat ein, wobei er feststellte: ›Ein derartiger Fall ist mir in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen!‹ So geschah es, daß mein Vater nach Ägypten den Ḫattuša-ziti als seinen Vertrauten schickte, mit dem Auftrag: ›Geh und bring du mir wahre Nachricht zurück! Mag sein, sie wollen mich täuschen, vielleicht haben sie doch einen Sohn ihres Gatten! Bring du mir verläßliche Nachricht zurück!‹ (In der Zwischenzeit), bis Ḫattuša-ziti aus Ägypten zurückkam, eroberte mein Vater die Stadt Karkemiš endgültig. Er belagerte sie sieben Tage lang, am achten Tage aber lieferte er ihr eine Schlacht, die den ganzen Tag dauerte, und nahm sie nach einem blutigen Kampf am selbigen Tag. Wie aber mein Vater die Stadt eroberte, ließ er in Ehrfurcht vor den Göttern niemanden in die Oberstadt zu den Tempeln der Göttin (Kubaba) und des Schutzgottes ... Die Unterstadt aber mit den Einwohnern, Silber-, Gold- und Bronzegerät plünderte er aus und brachte sie nach Ḫattuša. Die Gefangenen aber, die er in den Königspalast brachte, das allein waren 3330.« Die gewonnene Macht in Syrien und die Stärke der hethitischen Waffen gegen Amka waren anscheinend so eindrucksvoll, daß die Königinwitwe von Ägypten in Šuppiluliuma den besten Garanten für ihre Pläne für die Besetzung des Pharaonenthrones sah. Die Eroberung von Karkemiš vollendete die Unterwerfung des nördlichen Syrien und schloß damit jeden weiteren Einfluß Mitannis aus. Der Euphrat wurde zur Grenze des hethitischen Großreiches. Ein Sohn des Großkönigs, Pijaššili, der vielleicht im Hinblick auf die Verhältnisse in Syrien einen zweiten ḫurritischen Namen, nämlich Šarrikušuḫ führte, wurde König von Karkemiš, so daß militärische Eroberung und Einsetzung einer neuen festen hethitischen Verwaltung ohne machtpolitisches Vakuum aufeinander folgen. Der Großkönig selbst konnte nach Ḫattuša zurückkehren und dort den Winter verbringen. Im Frühjahr kehrte der Bote, zusammen mit einem ägyptischen Abgesandten, der einen neuen Brief der Königinwitwe überbrachte, zurück. Nun entschied sich Šuppiluliuma, seinen Sohn Zannanza als Thronanwärter zu entsenden. Sein Zögern hatte jedoch dem ägyptischen Hof die Zeit gelassen, eigene Pläne zu
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realisieren. Der Höfling Ay, also einer der »verabscheuten Diener«, hatte den Thron bestiegen. Der hethitische Prinz erreichte sein Ziel nicht und wurde unterwegs ermordet. Die ägyptische Geschichte gestattet es, diese Ereignisse auf 1338/1337 zu datieren. Die Reaktion des hethitischen Herrschers ist verständlich, und doch wird sein Verhalten in einem der Pestgebete seines Sohnes Muršili als schuldhaft bezeichnet: »Mein Vater aber ergrimmte, und er zog nach dem Lande Ägypten aus und überfiel das Land Ägypten. Auch die Truppen (und) Wagenkämpfer des Landes Ägypten schlug er. Und auch damals machte der Wettergott von Ḫatti, mein Herr, meinen Vater durch (sein) Urteil zum Überlegenen. Und da besiegte er die Truppen (und) Wagenkämpfer des Landes Ägypten und schlug sie. Und die Gefangenen, die sie ergriffen, wie sie die nach dem Lande Ḫatti zurückbrachten, da entstand unter den Gefangenen eine Pest, und sie begannen dahinzusterben. Als sie aber nun die Gefangenen nach dem Ḫatti-Land hineinbrachten, da schleppten die Gefangenen die Pest ins Ḫatti-Land ein; und im Innern des Ḫatti-Landes herrscht seit diesem Tage ein Sterben.« Für den Nachfolger stellte sich angesichts dieser göttlichen Strafe die Frage nach Schuld und Sühne im Leben eines Menschen. Doch das Waffenglück blieb Šuppiluliuma in diesen wie auch anderen Unternehmungen hold. Denn mit der Ermordung Tušrattas begann die entscheidende Auseinandersetzung um die Thronfolge und den Besitzstand von Mitanni.59 Dabei floh Mattiwaza schließlich zum bisherigen Gegner seines Vaters: »Am Flusse Maraššantija (= Halys) bin ich der Majestät Šuppiluliuma, dem Großkönig, dem König des Landes Ḫatti, ... zu Füßen gefallen. Dieser hat mich mit seiner Hand aufgehoben und sich über mich gefreut. Nach allen Verhältnissen des Landes Mitanni hat er mich gefragt ... Und als ich, Mattiwaza, der Königssohn, zum Großkönig kam, da hatte ich drei Wagen, zwei Ḫurri-Leute und zwei Begleiter, eine einzige Garnitur Kleider, die ich auf mir hatte und weiter nichts. Und der Großkönig hat Mitleid mit mir gefaßt und Wagen, mit Gold überzogen, Pferde, Wagen, Geschirr, ein Zelt aus Linnen, Begleitpersonal, zwei Krüge aus Silber und Gold samt Bechern aus Silber und Gold, Geräte ... mir gegeben.« Außerdem band ihn Šuppiluliuma durch eine dynastische Heirat an das hethitische Königshaus und sicherte ihm die Rückführung auf den Thron von Mitanni zu. Diese erfolgte mit einer größeren Truppenmacht durch Pijaššili von Karkemiš aus, wobei sicherlich der Gedanke einer Restauration von Mitanni im Hinblick auf eine Sicherung Obermesopotamiens gegen den Zugriff Aššuruballiṭs eine Rolle spielte. Dynastische Heiraten hatten insbesondere in der Amarna-Zeit eine große Bedeutung. Šuppiluliuma gab nicht nur seine Schwester und Tochter an die Fürstenhöfe von Azzi und Mitanni, um die dortigen Vasallen stärker an sich zu binden, sondern auch er selbst verfolgte im Falle der drei Königinnen, die neben ihm erscheinen, zumindest bei der Ehe mit der letzteren, einer Prinzessin aus Babylon, eine solche dynastische Politik. An dieser Prinzessin können wir ein
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wenig das Geschick sehen, das eine derartige Heirat in die Fremde mit sich brachte. Sie war wohl jung an den hethitischen Königshof gekommen, überlebte ihren Gatten und war, unter dem Thronfolger Muršili II., eine der großen Intrigantinnen am Hof. Wir werden davon noch hören. Auf den Siegeln, die auf den diplomatischen Abmachungen mit Niqmadu II. von Ugarit abgedrückt sind, erscheint sie zusammen mit ihrem Gatten, wobei sie in der Keilschriftlegende den dynastischen Namen Tawananna führt, während in hethitischen Hieroglyphen ein anderer Name wiedergegeben ist, den man als Malnigala zu lesen versucht hat. Von der Zeichenform her ist noch keine Klarheit zu gewinnen. Der Name begegnet aber sowohl auf Siegeln Šuppiluliumas als auch Muršilis, wobei eines lediglich in keilschriftlicher Legende den Namen Malni(gal) bietet, eine völlig singuläre Komposition, was im eigenwilligen Verhalten der Tawananna, wie Muršili es ihr vorwirft, eine gute Erklärung fände. Schließlich würde damit auch diese Königin babylonischer Herkunft einen ḫurritischen Namen geführt haben, wie Nikal- mati, Ašmu-Nikal und die beiden älteren Gemahlinnen Šuppiluliumas namens Daduḫepa/Duduḫepa und Henti. Wie Šuppiluliuma selbst als Prinz einen großen Teil der militärischen Aufgaben im Feld übernommen hatte, so trat nun in seinem Alter der Kronprinz Arnuwanda bei den Auseinandersetzungen mit Ägypten und Ḫurri in Erscheinung. Er muß sich einen gewissen Namen gemacht haben, wofür wir mangels anderer, eigener Beurkundung die Einleitung der Muršili- Annalen zitieren können: »Bevor ich mich auf den Thron meines Vaters setzte, hatten die umliegenden Feindesländer alle Krieg mit mir angefangen. Sobald nun mein Vater Gott geworden (= gestorben) war, setzte sich Arnuwanda, mein Bruder, auf den Thron seines Vaters. Hernach aber erkrankte er ebenfalls. Als nun die Feinde hörten, daß Arnuwanda, mein Bruder, erkrankt war, da begannen die Feindesländer erst recht feindlich zu werden. Als aber Arnuwanda, mein Bruder, Gott geworden war, da begannen auch die Feindesländer, die bisher keinen Krieg angefangen hatten, offene Feindschaft. Und die umliegenden Feindesländer sprachen folgendermaßen: ›Sein Vater, der König von Ḫatti-Land war, der war ein heldenhafter König und hatte die Feindesländer unterworfen. Er ist nun Gott geworden. Sein Sohn aber, der sich auf den Thron seines Vaters gesetzt hat, auch der war früher ein Kriegsheld. Aber er erkrankte und auch er wurde Gott. Der sich jetzt aber auf den Thron seines Vaters gesetzt hat, ist klein. Und das Ḫatti-Land und die Grenzen des Ḫatti-Landes wird er nicht retten.‹« So begann die Regierung Muršilis II., eines jüngeren Sohnes Šuppiluliumas, um 1330 unter schweren äußeren Belastungen. Wie häufig beim Thronwechsel innerhalb orientalischer Königreiche, suchte der unterworfene Gegner eine Chance der Schwäche und Unsicherheit zu nützen. Und es kann auch nicht verwundern, daß nach der langen Abwesenheit Šuppiluliumas in Syrien nun gerade in Kleinasien ernsthafte Unruhen ausbrachen. In Syrien hatte der junge König dagegen in seinem Onkel Šarri-kušuḫ, dem Vizekönig von Karkemiš, eine
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starke Stütze. Erst das siebente Jahr scheint seine Anwesenheit in Syrien erforderlich gemacht zu haben. Wahrscheinlich waren es Nachrichten von einem drohenden ägyptischen Angriff (unter Haremhab), die auch den Abfall von Nuḫašše, südlich Ḫalpa, veranlaßten. Selbst Ugarit scheint zeitweise die engere Verbindung zu Ägypten wiederaufgenommen zu haben. Aber die Nachricht, die ägyptischen Truppen seien geschlagen worden und zögen heimwärts, löste die kriegerische Spannung. Bedrohlicher entwickelte sich die Situation im neunten Jahr. Der König hatte in Kummanni (Comana Cappadociae) Kultfeiern zu begehen, als Šarri-kušuḫ nach kurzer Krankheit verstarb. Ein neuerlicher Abfall von Nuḫašše, dem sich Aitakama von Kadeš anschloß, veranlaßte die sofortige Entsendung eines Generals mit dem Befehl: »Weil die Nuḫaššäer feindlich sind, so geh und vernichte ihnen das Getreide und setze ihnen zu!« – eine Kriegführung also, die durch Zerstörung der Felder und Gärten den Gegner wirtschaftlich in die Knie zu zwingen suchte. – Aitakama wurde sogar durch seinen eigenen Sohn getötet. Da sein Abfall die beschworenen Eide gebrochen hatte, konnte Muršili daran die Sentenz knüpfen: »Die Eidgötter sollen nur [ihre Rache] ausüben! Der Sohn soll seinen Vater töten, der Bruder aber soll den Bruder töten, und er soll sein eigenes [Fleisch und Blut] erledigen!« Auch mit Hilfe solcher Intrigen ließ sich häufig Politik treiben. Aber auch am eigenen Königshof in Ḫattuša müssen sich die Dinge zum Schlimmen gewandt haben. Die Königin Tawananna seines Vaters hatte auch nach dessen Ableben ihre Würde und Stellung beibehalten. Diese Institution bedeutete beim Thronwechsel einen Faktor der Kontinuität, brachte aber auch große Schwierigkeiten, wenn die Tawananna ihre eigenen Absichten durchzusetzen suchte. Was im einzelnen vor sich ging, wissen wir nicht, die Vorwürfe Muršilis II. lauten: »[Als mein Vater] Gott geworden war, da haben Arnuwanda [, mein Bruder und ich] der Tawananna keinerlei Böses zugefügt, noch sie herabgesetzt. Wie [sie den Palast] und das Land Ḫatti zur Zeit meines Vaters [verwaltet hatte], ebenso verwaltete sie [sie zur Zeit meines Bruders]. Als aber mein Bruder [Gott geworden war, da tat] auch ich der Tawananna keineswegs Böses an, [noch habe ich] sie irgendwie [herabgesetzt]. Wie sie den Palast und das Ḫatti-Land [zur Zeit meines Vaters und meines] Bruders verwaltet hatte, [verwaltete sie sie ebenso] auch dann. Und was als Sitte ihr [in Bezug auf] ihren Gatten [...] welche ihr nicht rechtens waren [...]« Anscheinend wird nun, im stark zerstörten Kontext, auf unterschiedliche Auffassungen Bezug genommen, besonders hinsichtlich der Ausstattung des Begräbnisses: »Ihr Götter, seht ihr nicht, wie sie das gesamte Hauswesen meines Vaters dem ›Totentempel‹ und dem ›Mausoleum‹ zugewendet hat? Und was sie aus Babylonien herbeibringen ließ, das verschenkte sie in Ḫattuša an die gesamte Bevölkerung, und nichts ließ sie übrig.« Ihre weiteren Machenschaften richteten sich insbesondere gegen Muršilis Gemahlin. »Tag und Nacht steht sie vor den Göttern«, um diese zu verfluchen.
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Allerdings scheint auch die Schwiegertochter mit unfeinen Mitteln gegen die Königin intrigiert zu haben, bis sie den Verwünschungen ihrer Widersacherin zum Opfer fiel. Die Situation wurde so gespannt, daß der Großkönig der Tawananna förmlich den Prozeß machte, ein Eingriff in geheiligte Satzungen, der auch der nachfolgenden Generation im Gedächtnis blieb: »Wie aber im Palast der Prozeß der Tawananna, eurer (göttlichen) Dienerin, aufkam, als mein Vater die Tawananna, die Königin, herabsetzte, ...« Vom Verfahren und Ausgang dieser Gerichtshandlung wissen wir nichts, denn es sind nur Gebete, die im Schuldgefühl meist von derartigen unliebsamen Vorkommnissen berichten. Die Annalen, unter Muršili voll als literarische Gattung ausgebildet, geben in der Hauptsache Nachricht von den kriegerischen Ereignissen. Demnach könnten die Berichte über die Feldzüge in Kleinasien uns ein anschauliches Bild vermitteln, wenn eine genauere Lokalisierung der Landschaften und Orte möglich wäre. Unter den gegenwärtigen Umständen erkennen wir nur ausgedehnte Feldzüge gegen die Kaškäer, in die Arzawaländer und von da aus in das ägäische Küstengebiet. So heißt es anläßlich eines Feldzuges gegen Arzawa: »Ich zog nach dem Gebirge Arinnanda. Besagtes Gebirge Arinnanda aber ist sehr steil, ins Meer geht es hinaus, ferner ist es sehr hoch, unzugänglich, felsig und mit Pferden hinaufzufahren ist unmöglich. Die Feinde aber hielten es insgesamt besetzt ... Und weil zu Pferde hinaufzufahren unmöglich war, ging meine Majestät zu Fuß vor dem Heere her und zog zu Fuß auf das Gebirge Arinnanda hinauf.« Von einem Kampf gegen die Kaškäer berichten die Annalen etwa folgende Epsiode: »Ferner herrschte Piḫḫunija nicht nach Kaškäer-Art. Sondern plötzlich – wo in Kaška nicht die Herrschaft eines einzelnen üblich war – herrschte besagter Piḫḫunija nach Art des Königtums. Da zog meine Majestät gegen ihn, und ich schickte ihm einen Boten und schrieb ihm: ›Meine Untertanen, welche du genommen und nach Kaška hinabgeführt hast, die schicke mir zurück!‹ Piḫḫunija aber antwortete mir folgendermaßen: ›Ich werde dir nichts zurückgeben. Und wenn du zum Kampfe gegen mich kommst, werde ich mich dir keineswegs auf meinem Gebiet zum Kampfe stellen. In dein Land werde ich dir entgegenkommen und werde mich dir in deinem Lande zum Kampfe stellen!‹« Derartige Botschaften gehörten zu den Gepflogenheiten vor Eintritt in den Krieg. Auch über einige Praktiken während des Feldzuges – Einholen von Orakel über den Ausgang des Unternehmens oder Überraschungsmanöver – hören wir: »Meine Majestät ließ das Heer gefechtsbereit marschieren. Und weil bei den Feinden Vorposten ausgestellt waren, wenn ich da ausgerechnet den Pittaggatalli hätte umzingeln wollen, weil mich da die Vorposten des Pittaggatalli gesehen hätten, hätte er mich nicht abgewartet und wäre vor mir auf und davon gegangen. Da wandte ich mich in entgegengesetzter Richtung gegen Pittapara. Sowie es aber Nacht wurde, machte ich kehrt und zog gegen Pittaggatalli. Und ich marschierte die ganze Nacht, und auf der Gemarkung von
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Šapidduwa tagte es mir. Sowie aber die Sonne aufging, marschierte ich in die Schlacht mit ihm. Und jene 9000 Mann, die Pittaggatalli herbeiführte, stellten sich mir zur Schlacht, und ich kämpfte mit ihnen. Die Götter aber standen mir bei.« Auch Azzi-Ḫajaša, das unter Šuppiluliuma in ein Vertragsverhältnis zu Ḫatti getreten war, befand sich im Aufstand: »Als aber die Leute von Azzi sahen, daß ich feste Städte im Kampfe einzunehmen mich anschickte, da fürchteten sich die Leute von Azzi, die feste Städte und hohe Felsenberge, steile Plätze, besetzt hielten. So kamen mir die Ältesten des Landes entgegen und fielen mir zu Füßen und sprachen zu mir: ›Unser Herr, vernichte uns keineswegs! Nimm uns, unser Herr, zur Untertanenschaft an, und wir wollen unserem Herrn Truppen und Wagenkämpfer von nun an regelmäßig stellen. Auch die ḫattischen Untertanen, die bei uns drin sind, die wollen wir ausliefern.‹ Da vernichtete ich, die Majestät, sie also nicht. Und ich nahm sie zur Untertanenschaft an und machte sie zu Untertanen. Und weil mir da das Jahr zu kurz geworden war, ordnete ich denn das Land Azzi nicht, aber ich vereidigte die Leute von Azzi. Dann kam ich nach Ḫattuša und überwinterte in Ḫattuša.« Somit lag die Hauptleistung des Königs in der abermaligen Ordnung der kleinasiatischen Verhältnisse durch Feldzüge, Vertragsregelungen, Einrichtung einer neuen Verwaltung sowie Erledigung seiner kultischen Pflichten. Zum erstenmal hören wir ausführlicher vom Westen Kleinasiens, insbesondere durch die Friedensschlüsse mit den Fürsten der Arzawa-Länder, die zur Treue gegenüber dem Großkönig, aber auch zur Loyalität untereinander verpflichtet werden. Einer von ihnen, Mašḫuiluwa, war seinerzeit zu Šuppiluliuma geflüchtet, der ihn aufgenommen und mit seiner Tochter Muwatti vermählt hatte. Die Bindung des Königs in Nordsyrien verbot aber, sich weiter für ihn einzusetzen. Erst Muršili konnte den Flüchtling auf den Thron seines Vaters zurückführen. Selbst diese völlige Abhängigkeit vermochte aber einen Abfall von Ḫatti, gegen den sich der Großkönig vor allem auch durch eine Garnison eigener Truppen im Land zu wappnen suchte, nicht zu verhindern. Da es sich meist, auch bei einem Bündnis mehrerer Gegner, nur um kleine Territorien handelte, bestand für den hethitischen König selten ernsthafte Gefahr, auch wenn er häufig durch Aufruhr und Überfall zu militärischem Eingreifen gezwungen war. In Syrien wurde mit Duppi-Tešup der seinerzeit mit Aziru geschlossene Vertrag erneuert. Die Grenzlage Amurrus und die politische Situation wird deutlich in dem Gebot: »Und richte deine Augen auf keinen anderen! Deine Väter haben Tribut nach dem Lande Ägypten entrichtet, du [aber entrichte ihn nicht!]« Wir dürfen daraus wohl entnehmen, daß die syrischen Fürsten nur allzu gerne in Form einer Rückversicherung auch mit der Großmacht am Nil in gutem Verhältnis zu bleiben sich bemühten, zumal dort mit dem Beginn der XIX. Dynastie (1309 v. Chr.) eine aktivere Syrienpolitik einsetzte. Aus dem reichen Archiv von Ugarit erhalten wir weiteren Einblick in die politische Situation der Zeit. In einem Vertrag wurde festgelegt, daß, wenn der
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Großkönig gegen Ḫanigalbat (Mitanni), Ägypten, Karduniaš (Babylonien), Alše oder ein anderes feindliches Land, welches mit seinem Gebiet an Ugarit grenzt, im Feld stehe, auch in diesem Fall Bündnistreue und Waffenhilfe des Vasallen oberstes Gebot seien. Dieser, Niqmepa, war anscheinend erst durch Eingreifen Muršilis auf den Thron gekommen. In dem mit ihm geschlossenen Vertrag wurden die alten Grenzen, wie Šuppiluliuma sie seinerzeit festgesetzt hatte, bestätigt. Kleinere Grenzveränderungen wurden allerdings dennoch in gesonderten Akten niedergelegt, wobei insbesondere dem hethitischen Unterkönig in Karkemiš eine gewisse Erweiterung seines Herrschaftsgebietes zugesprochen wurde. Damit ging Ugarit auch einiger Besitzrechte an Salinen verlustig. Deshalb bat Niqmepa um eine entsprechende Verminderung seines jährlichen Tributes, die ihm vom Großkönig auch zugestanden wurde. Aus diesen Textzeugnissen sehen wir, wie stark die hethitische Zentrale in die Belange der Vasallenstaaten eingriff. Wir sehen auch, was der Besitz einer vom Großkönig gesiegelten Urkunde in gewissen Situationen bedeuten konnte, und so dürfte der einzigartige Fund eines großköniglichen Siegels (nicht einer Urkunde mit Abdruck) in Ugarit seine Erklärung rinden. Denn alles spricht dafür, daß es sich dabei um eine Fälschung handelt, allerdings schon aus alter Zeit. Einen Hinweis auf derartiges bietet eine Urkunde Niqmepas, wonach drei Leute »ein großes Vergehen begangen haben, indem sie eine Nachbildung des großen königlichen Siegels herstellten und falsche Urkunden (damit) in Ugarit ausfertigten.« Vielleicht boten sich derartige Möglichkeiten gerade bei einem Herrscherwechsel, der auch in der Verwaltung eine gewisse Veränderung gebracht haben mag. Über das Ende von Muršilis langjähriger Regierung erfahren wir nichts; die Quellenlage über seinen Sohn und Nachfolger Muwatalli ist außerordentlich uneinheitlich. In Ugarit hat sich kein Text mit seinem Namen gefunden, und doch wissen wir aus den ägyptischen Berichten, daß in der Schlacht von Kadeš zwischen Muwatalli und Ramses II. auch ein Kontingent aus Ugarit mitgekämpft hat. In Ḫattuša ist seine Beurkundung dürftig, was sicherlich damit zusammenhängt, daß er seine Residenz zunächst in das »Untere Land«, dann an einen Ort, der üblicherweise Dattašša gelesen wird, verlegte. Über die Beweggründe sind wir völlig im Unklaren. Es mag sein, daß die Gefahr seitens der Kaškäer zu groß war oder daß es günstiger schien, den Kriegsschauplätzen in Westkleinasien und vor allem Syrien näher zu sein. Die alte Hauptstadt wurde einem getreuen Verwaltungsbeamten übergeben. Die zeitliche Folge der Ereignisse ist unklar. Jedoch dürften die Feldzüge im Westen und der Vertragsabschluß mit Alakšandu von Wiluša vor den Auseinandersetzungen in Syrien anzunehmen sein. Dieser Fürst Alakšandu, der in der sog. Aḫḫijawā- Frage wichtig geworden ist, da man darin die Entsprechung zu griech. Alexandros sah, war wohl erst durch Adoption zur Herrschaft gekommen. So spielte die Thronfolgegarantie eine bedeutsame Rolle.
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Der Paragraph über die Waffenhilfe gibt genauer an, auf welchen Kriegsschauplätzen und unter welchen Bedingungen der Vasall seine Kontingente an Fußtruppen und Wagenkämpfern zu stellen hatte, wobei insbesondere zwischen lokal begrenzten Kriegen und Auseinandersetzungen mit einer Großmacht (Ägypten, Babylonien, Ḫanigalbat, Assyrien) unterschieden wird. Die Möglichkeit eines kriegerischen Konfliktes mit allen Großmächten der Zeit wurde damit einkalkuliert. So hat sicherlich vor allem Nordsyrien mit den Schlüsselstellungen in Karkemiš und Ḫalpa das besondere Interesse des Großkönigs beansprucht. Ein Teil des Vertrages mit Talmi-Šarruma ist uns erhalten, dessen Neuausfertigung mit folgenden Worten begründet wird: »Eine Tafel des Vertrages für Talmi- Šarruma, den König des Landes Ḫalpa, hatte mein Vater Muršili ausgestellt. Die Tafel ist aber gestohlen worden. Ich, der Großkönig, habe ihm eine zweite Tafel geschrieben, mit meinem Siegel gesiegelt und ihm übergeben.« Wie stark das dynastische Zusammengehörigkeitsgefühl war, zeigt dann der Satz, der auf die Zeit anspielt, da Šuppiluliuma seine beiden Söhne in Ḫalpa und Karkemiš als Könige eingesetzt hatte: »Und wir, die Nachkommen Šuppiluliumas, des Großkönigs, wir allesamt und unser Haus seien eins! Dafür seien die Götter des Landes Ḫatti und die Götter des Landes Ḫalpa Zeugen!« Mit der Thronbesteigung Ramses’ II. (1290 v. Chr.) begann eine neue ägyptische Syrienpolitik. In seinem vierten Jahr wurde eine Stele am Nahr elKelb, südlich von Byblos, das als Küstenstadt sicher auch noch zum ägyptischen Einflußgebiet gehörte, errichtet. Aber das Ḫatti-Reich war, wie wir aus den Staatsverträgen und deren Bündnisverpflichtungen gesehen haben, auf diesen Waffengang vorbereitet. Lediglich das südlich an Ägypten grenzende Amurru sah sich in falscher Einschätzung des Kräfteverhältnisses zum Abfall veranlaßt: »Treue Diener sind wir gewesen, jetzt aber sind wir dir nicht mehr Diener.« So entbrannte nach hethitischer Sicht die Auseinandersetzung durch den Kampf um Amurru.
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Abb. 9: Ansatz der hethitischen Landschaften nach zwei Gewährsleuten 1. nach Götze; 2. nach Garstang- Gurney
Der hethitische Großkönig hatte dazu Hilfstruppen in großem Umfang zusammengezogen. Die ägyptischen Texte nennen u.a. Arzawa, Maša, Lukka, Kaška, Kizzuwatna, Karkemiš und alle syrischen Fürstentümer. Auch Ramses II. hatte eine erhebliche Streitmacht aufgeboten, als er über das Litani- und Orontestal nach Norden zog. Getäuscht aber über die Absichten seines Gegners und den Stand des feindlichen Heeres überhaupt, ließ der ägyptische König seine vier Divisionen weit auseinandergezogen auf Kadeš marschieren. Einige hethitische Späher, die der ägyptischen Aufklärung in die Hände fielen, enthüllten, daß Muwatalli sich nicht etwa weit im Norden im Lande Ḫalpa aufhalte, sondern mit seinem Heer in Deckung hinter Kadeš stehe. Bevor die Ägypter aber zum Kampf Stellung beziehen konnten, brach der Angriff der hethitischen Streitwagen, die in einem weit ausholenden Manöver Kadeš umfuhren und über die Furten des Flusses setzten, nun in die Flanke der marschierenden Kolonnen. Für diese erste Angriffswelle geben die ägyptischen Berichte 2500 Streitwagen an. Das ist sowohl hinsichtlich der numerischen Stärke des hethitischen Heeres, etwa 3500 Streitwagen und 35000 Mann Fußtruppen, als auch hinsichtlich ihres taktischen Einsatzes ein eindrucksvoller Hinweis. Das weitere Kampfgeschehen bleibt unklar. Hethitische Schilderungen kennen wir nicht.60 Lediglich aus den folgenden Ereignissen läßt sich das Ergebnis der Schlacht von Kadeš ablesen: Hethitische Truppen drangen bis Damaskus vor und verwüsteten das Land. Amurru kehrte in hethitische Vasallität zurück, der ungetreue Bentešina wurde abgesetzt. Weitere Syrienfeldzüge Ramses’ II. (bis in sein zehntes Regierungsjahr) scheinen mehr der Sicherung des ägyptischen Territoriums gedient zu haben. Zu Korrekturen im politischen Raum kam es nicht. Bedeutungsvoller war die Entwicklung im Innern des Ḫatti-Landes, die sich um das Verhältnis Muwatallis zu seinem jüngeren Bruder Ḫattušili kristallisierte. Dafür stehen uns als Quellen lediglich die späteren Berichte Ḫattušilis zur Verfügung, so daß wir bei dieser gewiß einseitigen Unterrichtung manches zwischen den Zeilen lesen müssen. In seiner umfangreichen Autobiographie sieht Ḫattušili seinen Lebensweg unter dem Willen seiner Gottheit, der Ištar von Šamuḫa. Seinem Vater Muršili gab sie in einem Traum den Auftrag: »Für Ḫattušili sind die Jahre (nur noch) kurz. Er ist nicht gesund. Gib ihn also mir, er soll mein Priester sein und wird leben.« Nach dem Tod seines Vaters warteten auf Ḫattušili Militär- und Verwaltungsaufgaben. Insbesondere übertrug ihm sein Bruder den Schutz der Kaškäer- Grenze und die Wiederbesiedlung dieser seit langem verwüsteten Provinzen. Damit lag, vor allem seit der Verlegung der Residenz nach Dattašša, die Sorge um Zentralanatolien weitgehend in der Hand Ḫattušilis. Es wäre
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verständlich, wenn sich aus dieser Sonderstellung eigene Ambitionen ableiteten; wir erfahren davon lediglich durch die Mitteilung: »Und gegen mich wurden Verleumdungen laut. Und mein Bruder Muwatalli leitete ein Verfahren gegen mich ein ... Ob es ein Wort des Feindes, ein Wort des Gegners vor Gericht, oder ein Wort vom königlichen Hofe war, Ištar, meine Herrin, hielt bei jeder Gelegenheit Schutz und Schirm über mich und rettete mich. Meine Feinde, meine Neider, gab mir meine Herrin Ištar in die Hand und ich erledigte sie. – Als aber mein Bruder Muwatalli die Sache prüfte, und nicht die geringste schlimme Sache an mir blieb, da nahm er mich wieder (in Gnade an), und Heerlager wie Wagenkämpfer des Landes Ḫatti legte er mir in die Hand.« In seiner Politik gegen die Kaškäer scheint Ḫattušili in jeder Weise Erfolg gehabt zu haben. Zum Teil konnte er sie Gebiet um Gebiet unterwerfen, vor allem die wichtige Kultstadt Nerik wiedergewinnen, zum Teil mit ihnen zu friedlichen vertraglichen Vereinbarungen kommen. So war er in der Lage, seinem Bruder in der Schlacht von Kadeš mit nennenswerten Kontingenten von Kaškäern zu Hilfe zu kommen: »Als es aber geschah, daß mein Bruder gegen das Land Ägypten auszog, da führte ich Fußtruppen und Wagenkämpfer jener Gebiete, die ich wieder besiedelt hatte, meinem Bruder für den Feldzug gegen Ägypten zu.« Auch daran knüpften sich aber Intrigen, die im Text mit Zauberei bezeichnet werden, und ein neuer Prozeß wurde anhängig. Dieser scheint sich länger hingezogen zu haben, denn in der Zwischenzeit konnte Ḫattušili im Norden Anatoliens wesentliche militärische Fortschritte erzielen und sich zum König von Ḫakmiš machen. Wir erfahren aber nichts Näheres über den Prozeßgegenstand und das Verfahren, nur zum Schluß das Ergebnis, daß beim Kläger, einem von Ḫattušili in der Verwaltung des Oberen Landes verdrängten Großen, Zauberei festgestellt wurde, so daß die Göttin ihn im Prozeß unterliegen ließ. Sucht man nach politischen Beweggründen in dieser Kontroverse, so bieten sich diese wohl aus dem eigenartigen Verhalten Ḫattušilis in der Angelegenheit des abgefallenen Fürsten von Amurru. Er berichtet darüber in der historischen Einleitung seines späteren Vertrages mit diesem: »Nach meinem Vater (Muršili) hat Muwatalli, mein Bruder, den Thron des Königtums ergriffen ... Muwatalli, mein Bruder, hat den Bentešina, den König des Landes Amurru, aus der Königsherrschaft des Landes Amurru entfernt, nach dem Lande Ḫatti ihn gefangen fortgeführt. Ich aber habe damals den Bentešina von Muwatalli, meinem Bruder, erbeten, und er gab ihn mir. Ins Land Ḫakmiš brachte ich ihn, ein Haus gab ich ihm. Nichts Böses sah er, (denn) ich habe ihn geschützt. – Als Muwatalli, der Großkönig, nach seinem Geschick gegangen war, habe ich, Ḫattušili, mich auf den Thron meines Vaters gesetzt. Den Bentešina, zum zweitenmal über das Land Amurru habe ich ihn eingesetzt, das Haus seines Vaters und den Thron der Königsherrschaft ihm zugesichert .... Mein Sohn Nerikkaili nahm die Tochter Bentešinas vom Lande Amurru sich zur Ehe. Ich
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habe die Königstochter Gaššulijawija im Lande Amurru im Königspalast dem Bentešina zur Ehe gegeben.« Es bedarf keiner großen Phantasie, in diesem Verhalten Ḫattušilis unmittelbar nach der großen Kontroverse mit Ägypten weitreichende eigene Pläne des Prinzen zu vermuten. Dies um so mehr, als anscheinend Muwatalli, der wenige Jahre darauf starb, keinen Thronfolger aus der Hauptehe hinterließ. Zwar galt für einen solchen Fall wohl immer noch die Thronfolgeordnung Telipinus, jedoch stellt Ḫattušili seine Haltung als persönliches Verdienst heraus, und wieder hat man Zweifel hinsichtlich der vollen Loyalität: »Wie aber zu diesem Zeitpunkt meinem Bruder ein legitimer Sohn [nicht vorhanden war, da] nahm ich den Urḫi-Tešup, den Sohn einer Haremsfrau, auf und [setzte ihn] im Lande Ḫatti zur Herrschaft ein [und legte ihm das Land Ḫatti] insgesamt in die Hand.«
Abb. 10: Umzeichnung des Siegels Muršilis III.
Die Stellung des Neffen neben seinem ehrgeizigen Onkel wird von Anfang an nicht leicht gewesen sein. Zwar behauptet Ḫattušili, in Wertschätzung seines verstorbenen Bruders sich dem jungen König gegenüber loyal verhalten zu haben. Und doch sehen wir, daß er ihn stets als Urḫi-Tešup benennt, ihm dagegen seinen Königsnamen vorenthält, den wir erst vor kurzem aus seinen Siegellegenden als Muršili (III.) wiedergewinnen konnten.
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In Ermangelung eigener Urkunden müssen diese Siegel mit dazu dienen, ein Bild des politischen Geschehens zu entwerfen. Anscheinend hat der junge Herrscher, gestützt auf die Autorität seines verstorbenen Vaters, demnach versucht, durch die Annahme des traditionsreichen Königsnamens Muršili seinem Wort Gewicht zu verleihen.61 Auch die Rückführung des Königshofes und insbesondere der Götterbilder und Kulte in die alte Hauptstadt wird man unter dem Gesichtspunkt einer Konsolidierung seiner Herrschaft sehen dürfen. Daß seine Maßnahmen dabei sich häufig direkt gegen seinen Onkel richteten, stellt dieser wortreich in seiner Autobiographie dar: »Auch die Länder, die ich leer wieder besiedelt hatte, nahm er mir alle weg und machte mich klein. Ḫakmiš dagegen nahm er mir auf Geheiß der Gottheit nicht weg; weil ich [dort] dem Wettergotte von Nerik Priester war, deshalb nahm er mir es nicht weg. Und beständig in der Wertschätzung meines Bruders tat ich nichts (Böses); und sieben Jahre lang fügte ich mich. Der aber trachtete mich auf Geheiß (seiner) Gottheit und auf Menschenrat hin zu verderben.« Anscheinend hatte Urḫi-Tešup, mit seinem späteren Königsnamen Muršili (III.), zunächst seinem Onkel die Verwaltung der ihm unterstellten Provinzen entzogen. Dann jedoch sollte ihm auch das aus eigener Kraft gewonnene Herrschaftsgebiet von Ḫakmiš und Nerik abgesprochen werden. Ḫattušili ist den Machenschaften seines Neffen mit Abwarten begegnet. Er nennt in diesem Zusammenhang sieben Jahre, sicherlich eher eine runde Zahl im Sinne von »unendlich lange« als eine klare historische Zeitangabe. Wir hatten ja bereits gesehen, daß er im Bentešina-Vertrag die Herrschaft seines Neffen überhaupt nicht erwähnt, sondern sich als unmittelbarer Nachfolger seines Bruders auf dem Königsthron von Ḫatti bezeichnet. Vielleicht war der Zeitraum, bis Ḫattušili sich zum Handeln entschloß, um vieles kürzer. Hauptquelle ist wiederum seine Autobiographie. Danach hat sich Ḫattušili in offener Empörung gegen den Großkönig gestellt. Dieser versuchte mit Hilfe der Sippe des seinerzeit zugunsten Ḫattušilis abgesetzten Statthalters des Oberen Landes, dieses gegen den Empörer aufzubieten. Aber Ḫattušili war mit seinen Konspirationen erfolgreicher. Die Großen des Landes traten auf seine Seite, wie die Autobiographie sagt: auf Geheiß der Gottheit. »Und auch da erfuhr ich der Ištar Walten in reichem Maße. Indem sie den Urḫi-Tešup sonst nirgendwohin ließ, sperrte sie ihn in der Stadt Šamuḫa ein, wie ein Schwein in seinen Kofen. Die Kaška- Leute, die mir feindlich gewesen waren, stellten sich hinter mich, auch ganz Ḫattuša trat hinter mich.« So fiel Urḫi-Tešup als Gefangener in die Hände Ḫattušilis, der ihn nach Nordsyrien verbannte, wenn wir dem Wortlaut der Autobiographie trauen können. Denn zwischen den Zeilen scheint sich anzudeuten, daß Urḫi-Tešup sich seinem Onkel entziehen und schließlich nach Ägypten fliehen konnte. Die Korrespondenz über seine Auslieferung ging lange Zeit erfolglos hin und her.
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Diese Entwicklung erfolgte so rasch, daß kaum außenpolitische Folgen eintraten. Im Innern des Landes müssen alle Voraussetzungen für einen Umsturz vorhanden gewesen sein. Erst eine spätere Zeit wurde sich der Illegalität dieses Schrittes voll bewußt. Ḫattušilis eigener Sohn mußte sich in einem Vertrag ausdrücklich davon distanzieren, indem er das Beispiel seines Vaters und der Großen, die ihm folgten, als Vergehen hinstellte. Nicht ohne Bezug auf die Entwicklung der Ereignisse könnte der Hinweis sein, daß Ḫattušili mit der Heirat Puduḫepas, einer Priestertochter aus Kizzuwatna, vielleicht weite Kreise der Priesterschaft hinter sich bringen konnte. In der Autobiographie wird lediglich die persönliche Seite dieser Eheschließung mit im höfischen Bereich ungewohnter Wärme erwähnt: »Und da nahm ich Puduḫepa, die Tochter des Pentipšarri, des Priesters, auf Geheiß der Gottheit zur Ehe. Und wir hielten eheliche Gemeinschaft, und uns schenkte die Gottheit die Liebe des Gatten und der Gattin, und wir zeugten uns Söhne und Töchter.« Mit reichen Schenkungen an den Tempel und fürstlicher Belohnung seiner Getreuen etablierte Ḫattušili seine Herrschaft. Dafür wurden Liegenschaften und Besitz der alten politischen Gegner eingezogen. Sicher datiert aus seiner Zeit auch nach dem Intervall der Residenzverlegung der großartige Neuaufbau der Hauptstadt, den die Ausgrabungen in Boğazköy ergeben haben. Insbesondere möchte man die Gestaltung des Doppeltempels für den Wettergott und die Sonnengöttin von Arinna (Tempel I der Unterstadt) sowie den Ausbau der königlichen Burg (Büyükkale) in seine Zeit verlegen. Im Bewußtsein seiner illegitimen Thronfolge verfaßte Ḫattušili, wie wir schon gehört haben, eine Rechtfertigung in Form einer Autobiographie. Danach war der Weg zum Königsthron von allem Anfang an durch die Gottheit vorgezeichnet, und hinter allem seinem Tun stand ihr Walten.62 Als Literaturdenkmal und als Zeugnis der Fähigkeit zu historischem Denken nimmt diese Autobiographie einen bedeutsamen Platz ein. Insbesondere ist sie neben den frühen Berichten Anittas und Ḫattušilis I., den »Mannestaten« des Šuppiluliuma, sowie den Annalen des Muršili ein eindrucksvolles Zeugnis einer im Alten Orient nicht gerade selbstverständlichen Gabe des historischen Verständnisses. Auch durch die Betonung seiner Genealogie in den Texteinleitungen versuchte Ḫattušili, den Makel eines Emporkömmlings zu verdecken, indem er seinen Stammbaum bis auf den ersten Ḫattušili zu Beginn des Alten Reiches zurückführt: »Folgendermaßen die Majestät, Ḫattušili, Großkönig, König des Landes Ḫatti, Sohn des Muršili, des Großkönigs, Königs des Landes Ḫatti, Enkel des Šuppiluliuma, des Großkönigs, Königs des Landes Ḫatti, Nachkomme des Ḫattušili, des Mannes aus der Stadt Kuššar.« Die Beurkundung für die Regierungszeit Ḫattušilis III. ist besonders reichhaltig, auch wenn die genaue zeitliche Festlegung der Ereignisse die üblichen Schwierigkeiten bietet.
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Gegenüber Aššur unter Šalmanassar I. hatte die hethitische Politik eine Form der Anerkennung gefunden, die allerdings nicht ganz frei von gelegentlichen diplomatischen Intrigen war (s.u.) – ein bemerkenswerter Wandel seit jenem Entwurf eines Schreibens an Adad-narāri, mit dem der hethitische König, wohl Muwatalli, auf die assyrische Eroberung von Mitanni reagierte: »[Von deinem Sieg] über Wašašatta und das Ḫurri-Land sprichst du immer wieder. Mit der Waffe hast du ja gesiegt. Auch mein [...] hast du besiegt und bist Großkönig geworden. Was aber sprichst du immer wieder von Bruderschaft? ... Du und ich, sind wir etwa von einer Mutter geboren?« – Jetzt gingen Boten hin und her. In der Zusendung von Geschenken versicherte man sich des gegenseitigen Wohlwollens. Mit Babylonien unter Kadašman-Turgu bestand ein Vertragsverhältnis, von dem Ḫattušili späterhin behauptete, der babylonische Herrscher habe auf Grund der Klausel über gegenseitige Waffenhilfe den diplomatischen Verkehr mit Ägypten abgebrochen und sogar militärische Unterstützung zugesichert, als die hethitische Politik im Zusammenhang mit der Flucht Urḫi-Tešups in Gegensatz zu Ägypten geriet. Unter dem nachfolgenden Kadašman-Enlil II. ging die babylonische Politik eigene Wege. Der Botenverkehr mit Ägypten wurde wieder aufgenommen, obgleich das einen Protest Ḫattušilis auslöste. Auch die »gute« Absicht einer hethitischen Intervention bei der Frage der Thronfolge wurde vom babylonischen Minister böswillig mißverstanden. Das Ausbleiben babylonischer Boten in Ḫattuša aber durch die Übergriffe der räuberischen Aḫlamū (Aramäer) bzw. das Eingreifen der Assyrer zu begründen, forderte den bitteren Hohn Ḫattušilis heraus: »Was ist der König von Assyrien, daß er deinen Boten zurückhalten könnte?« Ob der hethitische Briefschreiber bei dieser Einschätzung der Machtverhältnisse ganz bei der Wahrheit blieb, ist zweifelhaft, jedoch verfolgte er wohl eine bestimmte Absicht, wenn er weiterhin schrieb: »[Ich habe] gehört, mein Bruder sei zum Mann geworden und begebe sich auf die Jagd. [Ich freue mich] sehr, daß der Wettergott den Namen meines Bruders KadašmanTurgu erhöht. [Nun sage ich zu meinem Bruder:] Geh und plündere jetzt das Land des Feindes .... Ziehe gegen das Land des Feindes und schlage den Feind! [Denn wisse, daß] du gegen ein Land ziehst, dem du drei- bis vierfach an Zahl überlegen bist.« Der Feind wird nicht mit Namen genannt, kann aber nach der ganzen Situation nur Assyrien gewesen sein. Dies ist eine Schlußfolgerung, die sich nicht nur an dem naheliegenden hethitischen Interesse, die beiden Rivalen gegenseitig zu binden, orientiert, sondern auch auf eine Parallele verweisen kann, denn in einem späteren Brief an den assyrischen König Tukulti-Ninurta heißt es: er solle bei seinem ersten Feldzug gegen ein Land ziehen, dem er dreibis vierfach überlegen sei. Damit sollte also in Form eines Ablenkungsmanövers der Blick Tukulti-Ninurtas vom anstoßenden hethitisch- assyrischen Grenzgebiet nach Babylonien gerichtet werden.
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Im Verhältnis zu Ägypten war zunächst wohl die Frage einer Grenzregelung nach der Schlacht von Kadeš noch offen. Als Belastung kam hinzu, daß UrḫiTešup sich auf der Flucht vor seinem Onkel Ḫattušili nach Ägypten gewandt hatte, wohl um beim derzeit mächtigsten Gegner Unterstützung für seine Thronansprüche zu gewinnen. In der gegebenen Situation kam Ramses dem Auslieferungsantrag nicht nach; damit bestand für Ḫattušili die Gefahr einer Intervention, so daß er, wie wir gesehen haben, Anschluß an den Kassitenkönig Kadašman-Turgu suchte. Daß die Thronbesteigung Ḫattušilis zunächst durchaus nicht allgemein anerkannt wurde, zeigt ein Brief an einen unbekannten Adressaten, vielleicht den assyrischen König: »Als ich die Königsherrschaft antrat, hast du mir keinen Boten geschickt. Und doch ist es gute Sitte, daß wenn Könige die Herrschaft antreten, die ihnen gleichgestellten Könige gute Geschenke senden: ein königliches Gewand und Feinöl zur Salbung. Du aber hast bis heute derartiges nicht getan.« – Im Fall Ägyptens werden beide Mächte bestrebt gewesen sein, zu einer Anerkennung des Status quo zu kommen. So antwortete denn Ramses auf eine Beschwerde des hethitischen Königs, daß er wie ein Untergebener behandelt würde: »Fürwahr, du bist Großkönig der Ḫatti-Länder. Die Sonnengöttin von Arinna und der Wettergott haben dir gegeben, im Ḫatti-Lande auf dem Thron deines Großvaters zu sitzen.« Damit wurde auf Šuppiluliuma Bezug genommen und gewiß auch auf ein damals gutes Verhältnis zwischen beiden Staaten angespielt. Mit dieser Anerkennung war die Gefahr einer Intervention Ägyptens zugunsten Urḫi-Tešups gebannt. Man hatte nun sogar die Freiheit, im Briefwechsel mit dem ägyptischen Königshof diesen ohne Ressentiment als Gewährsmann zu zitieren: »Den Palast des Ḫatti-Landes, wie du mein Bruder ihn kennst, [kenne ich] den nicht etwa auch? [ ... ver]brannt ist der Palast. Was übrig blieb, gab Urḫi-Tešup der großen Gottheit. Da aber Urḫi- Tešup dort ist, so frage ihn, ob es sich so oder nicht so verhält.« Obgleich also Urḫi-Tešup zehn Jahre und mehr am ägyptischen Königshof Aufnahme fand, ging der Botenverkehr und der diplomatische Schriftwechsel um den Abschluß eines Friedensvertrages sowie um die Entendung einer hethitischen Prinzessin als große königliche Gemahlin hin und her. Der Vertrag wurde im 21. Jahr des Ramses (1270) ausgetauscht und zeigt alle Merkmale eines politischen Staatsvertrages, wie er sich in der hethitischen Diplomatie herausgebildet hat. Er legte einen Nichtangriffspakt fest, regelte die gegenseitige Unterstützung bei feindlichen Angriffen und Aufruhr, die Auslieferung von Flüchtlingen, die dann allerdings straflos ausgingen, und sicherte die Unterstützung der Thronfolgeansprüche zu. Dieses Abkommen wurde im Briefwechsel zwischen den beiden Königen und Königinnen – Puduḫepa stand staatsrechtlich als Tawananna gleichberechtigt neben ihrem Gemahl-lebhaft begrüßt. Man stellte fest, daß beide Länder nun »im Friedenszustand und Brüder für ewig«, ja geradezu »ein Land geworden« seien. Die Frage der Grenzfestsetzung ist im Vertrag nicht behandelt. Sie dürfte
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gesondert geregelt worden sein. Jedenfalls wurden Rades und Amurru im hethitischen Herrschaftsgebiet belassen, auch wenn die Küstenzone Ägypten zufiel. Zwar mag es zunächst noch Belastungen des Freundschaftsverhältnisses gegeben haben, aber im 34. Jahr wurde eine hethitische Prinzessin Ramses zugeführt und in Syrien von den ägyptischen Statthaltern feierlich übernommen. Die sog. Hochzeitsstele in Abu Simbel zeigt ihre Ankunft in Ägypten, zusammen mit dem »Großen von Ḫatti«, also ihrem Vater Ḫattušili. Ob dieser aber wirklich nach Ägypten gekommen ist, scheint zweifelhaft. Jedoch war eine dahingehende Einladung von Ramses, der seinen Gast an der syrischen Grenze zu einem Staatsbesuch empfangen wollte, wohl ausgesprochen worden. Der hethitische Herrscher zögerte aber anscheinend und stellte auch die Frage nach dem Zweck eines derartigen Besuches. Darauf entgegnete Ramses: »Der Sonnengott und der Wettergott [werden] meinen Bruder [seinen Bruder] sehen lassen, und mein Bruder [möge ausführen den] guten [Vorschlag] zu gehen um [mich] zu sehen, und einer möge dem anderen in sein Antlitz [schauen].« Ḫattušili hatte allerdings noch weitere Ausflüchte, wie man einem anderen Textzeugnis entnehmen möchte: »Wenn der Majestät jenes Brennen der Füße bald wieder gut wird«, worüber man verläßliche Nachricht nach Ägypten senden wollte. Jedenfalls scheint noch einmal eine zweite hethitische Prinzessin den Weg nach Ägypten in den Harem Ramses’ II. angetreten zu haben: »Der Fürst von Ḫatti ließ aber sehr viel Beute bringen aus Ḫatti, sehr viel Beute aus dem Kaškäerland, sehr viel Beute aus Arzawa, sehr viel Beute aus Kode, so daß man es nicht aufschreiben konnte; ferner viele Herden von Pferden, viele Herden von Rindern, viele Herden von Schafen, viele Herden von Kleinvieh vor seiner zweiten Tochter, die er Ramses II. bringen ließ nach Ägypten zum zweiten Mal.«63 Die hethitische Herrschaft in Syrien war somit gefestigt. Dies läßt sich auch den in Ugarit gefundenen Dokumenten entnehmen, durch die wir gleichzeitig Einblick in die Organisationsform der hethitischen Verwaltung gewinnen. So entschied Ḫattušili in einem Schreiben an Niqmepa von Ugarit: »Was betrifft, daß du so vor mir gesprochen hast: ›Die Einwohner von Ura, Kaufleute, sind auf dem Lande deines Dieners eine große Last‹, so habe ich, die Majestät, folgende Vereinbarung getroffen hinsichtlich der Einwohner von Ura und der Einwohner von Ugarit: Die Einwohner von Ura mögen in der guten Jahreszeit ihren Handelsgeschäften in Ugarit nachgehen. In der Winterzeit jedoch wird man sie aus Ugarit in ihr eigenes Land zurückkehren lassen. Somit dürfen Einwohner von Ura während des Winters nicht in Ugarit wohnen bleiben, Häuser und Grundbesitz dürfen sie käuflich nicht erwerben.« Die Kaufmannschaft genoß hier und in anderen Urkunden den Schutz des hethitischen Königs. Vielleicht war der große Überlandhandel allgemein in der Hand des Palastes konzentriert. Im Fall von Ura, das man mit dem klassischen
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Olba im rauhen Kilikien identifiziert, waren hethitische Untertanen betroffen, deren Bewegungsfreiheit im Vasallenstaat von Ugarit beschränkt wurde. Diese Verfügung wurde nach dem einleitenden Text vom Großkönig getroffen, gesiegelt ist die Urkunde mit dem Siegel von Ḫattušili und Puduḫepa. Im Falle einer Schiffshavarie heißt es ebenfalls: »Folgendermaßen meine Majestät«, die Beurkundung erfolgte aber einzig mit dem Siegel der Puduḫepa. Über keine hethitische Königin sind wir so gut unterrichtet wie über sie, die als Priesterin der Ištar vielleicht über eine gewisse Bildung verfügte und auf jeden Fall nicht nur als Großkönigin, sondern auch kraft ihrer Persönlichkeit in das Geschehen eingriff. So findet sich unter einem großen Tafelwerk über das Ḫišuwa-Fest der Vermerk: »Als die Königin Puduḫepa den UR.MAḪ-LÚ, den Obertafelschreiber, in der Stadt Ḫattuša nach Tontafeln aus Kizzuwatna (ihrem Heimatlande) zu suchen beauftragte, da hat er diese Tafeln über das Ḫišuwa-Fest an jenem Tage abgeschrieben.« Insbesondere erscheint Puduḫepa häufig als Bittstellerin in den Gebeten, mit denen sie für das Leben und Wohlergehen ihres Gatten und das Gedeihen des Ḫattireiches die Großen Götter anflehte. Die Fürsorge um deren Kult und das Bemühen um die Wiedergewinnung der heiligen Stadt Nerik werden als besondere Leistungen Ḫattušilis hervorgehoben. In einer Opferszene erscheint das Königspaar auch auf dem Felsrelief von Fraktin. Eine besondere Form der Bitte um das Leben und die Gesundheit des Königs liegt in dem Gelübde an die Unterweltsgöttin Lelwani vor. In jährlichen Stiftungen wollte sie der Gottheit Jahre, Monate und Tage aus Silber und Gold übergeben, ein Bildnis des Ḫattušili, sowie Kultgerät aus Edelmetall. Dazu wurde dem Tempel Dienstpersonal für die großen landwirtschaftlichen Besitzungen überantwortet, das aus Männern, Frauen und Kindern der deportierten Bevölkerung bestand. Wir erhalten so einen der ganz wenigen Einblicke in die soziale Struktur des Landes und die Bedeutung der Tempelwirtschaft. Puduḫepa blieb auch nach dem Tod ihres Gatten Großkönigin. Mehrere Urkunden ihres Sohnes Tutḫalijas IV. wurden mit in ihrem Namen ausgefertigt, darunter die umfangreichen Landschenkungen an einen Šaḫurunuwa und dessen Nachkommenschaft.
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Abb. 11: Yazılıkaya. König Tutḫalija IV. von Gott Šarruma beschützt. Relief an der Ostwand des Felsenraumes B
Ausgestellt wurde die Urkunde unter Zeugenschaft von Nerikkaili, dem Prinzen und tuḫukanti, [Ulmi- Tešup], König des Landes Dattašša, sowie IniTešup, König des Landes Karkemiš’. – Den ersten hatten wir als Sohn Ḫattušilis, der eine Tochter Bentešinas heimführte, kennengelernt. Beim zweiten Würdenträger sehen wir, daß Dattašša, seinerzeit Residenz unter Muwatalli, auch nach Rückführung des Hofes nach Ḫattuša eine bedeutsame Stellung behalten hat. Mit Ini-Tešup lernen wir den Enkel des Šarri-kušuḫ kennen. Die Dynastie des Šuppiluliuma ist also dort weiter in der Herrschaft geblieben. Dabei glaubt man den Urkunden entnehmen zu können, daß Karkemiš in zunehmendem Maß selbständig Funktionen ausübte, die bisher der Zentrale vorbehalten waren.64 So wurde eine Entscheidung gegen zwei Prinzen von Ugarit sowohl vom hethitischen König als auch von Ini-Tešup, dem König von Karkemiš, gefällt: Diese hatten sich, wohl durch Intrigen gegen den Herrscher, vergangen und wurden nun unter Mitgabe ihres Eigentums nach Alašia (= Zypern) verbannt. Auch die Scheidung Ammistamrus II. von einer Tochter des Bentešina, mit den Anweisungen zur Rückgabe ihrer Mitgift und der Stellung des Erbprinzen, wurde sowohl von Tutḫalija IV. als auch von Ini- Tešup in einem Erlaß festgelegt. Dabei ist ein Eingreifen des Oberherrn vor allem wegen der Frage der
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späteren Thronfolge als auch wegen der auftretenden Schwierigkeiten mit dem Bruder der Verstoßenen, dem König von Amurru, verständlich. Die syrischen Angelegenheiten dürften für die hethitische Politik aus wirtschaftlichen Erwägungen, insbesondere aber unter dem Druck der Entwicklung in Assyrien, neue Bedeutung gewonnen haben. In der dürftig bezeugten Korrespondenz mit Aššur, die zudem meist in hethitischen Konzepten vorliegt, läßt sich ein Brief Tutḫalijas anläßlich seiner Thronbesteigung an Šalmanassar feststellen. Dem Thronfolger Tukulti-Ninurta gegenüber wurde später das gegenseitige Verhältnis als außerordentlich freundschaftlich geschildert, so daß man sogar hören konnte: »Wie von einem Vater (und) einer Mutter (stammend) seid ihr geworden.« Wie bei dem geplanten Staatsbesuch seines Vaters in Ägypten heißt es dann: »Wäre er [in mein Land gekommen oder] wäre ich in sein Land gezogen, hätte einer des anderen Brot gegessen.« So galten auch dem jungen Tukulti-Ninurta die besten Wünsche zu seiner Thronbesteigung. Zum Schluß des Briefes kam Tutḫalija wohl auf sein wirkliches Anliegen. Der Assyrer wurde gewarnt, nicht gegen das Bergland Papanḫi zu ziehen, weil »die Berge sehr schlimm sind«. In Wahrheit wollte der hethitische Herrscher die assyrische Armee aus dem armenischen Grenzgebiet heraushalten, weil er damit eine Bedrohung seiner eigenen Position befürchtete. Tukulti-Ninurta jedoch folgte seinen eigenen Plänen und meldete dann auch die Deportation von »28 800 Einwohnern des Landes der Hethiter vom jenseitigen Ufer des Euphrat«. Damit war aus einer oft unbequemen Grenznachbarschaft offene Feindschaft geworden. Tutḫalija hatte einer neuen politischen Situation zu begegnen. Ob es von seiner Seite aus wirklich zu einem Feldzug gekommen ist, scheint zweifelhaft, auch wenn dahingehende Anfragen an das Orakel gestellt wurden. Greifbar aber sind seine politischen Gegenzüge. Gegenüber der bisherigen Politik eines Gleichgewichts der Großmächte sah sich nun auch der hethitische König veranlaßt, den selben Anspruch auf Vorherrschaft zu erheben wie sein assyrischer Gegner, besonders wohl auch angesichts seiner syrischen Vasallen. Ein Siegel mit der bis dahin ungewöhnlichen Aufschrift »Tutḫalija, Großkönig, König der Gesamtheit« gibt davon deutlich Kunde. Ebenso wurde im neu zu schließenden Vertrag mit Amurru dieser Situation Rechnung getragen, wenn Šaušga-muwa verpflichtet wurde: »Und die Könige, die mir gleichgestellt (sind), der König von Ägypten, der König von Babylon, der König von Assyrien; wenn der König von Ägypten meiner Majestät Freund (ist), soll er auch dir Freund sein! Wenn er aber meiner Majestät Feind (ist), soll er auch dir Feind sein! Und wenn der König von Babylon meiner Majestät Freund (ist), soll er auch dir Freund sein! Wenn er aber meiner Majestät Feind (ist), soll er auch dir Feind sein! Wie der König von Assyrien (aber) meiner Majestät Feind (ist), so soll er auch dir Feind sein! Ein Kaufmann von dir darf nicht ins Land Assyrien gehen, einen Kaufmann von ihm aber darfst du nicht in dein Land lassen, er darf (auch) nicht durch dein Land gehen! Falls er aber zu dir in dein
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Land kommt, so nimm ihn fest und schicke ihn fort zu meiner Majestät! Diese Sache soll dir unter Go[tteseid gestellt sein!]. Und da ich, meine Majestät, dem König von Assyrien Krieg erklärt habe, wie ich, meine Majestät, Heerhaufen und Gespanne aufbiete ..., so biete auch du Heerhaufen und Gespanne auf!« Auch in Syrien hatte man wohl in Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenstoßes mit Aššur mobilisiert und die vertraglich festgelegten Kontingente zusammengezogen. Die Dauer des Schwebezustandes ließ dann eine andere Regelung günstiger erscheinen. Man zog finanzielle Subsidien der jeweiligen Stellung von Truppen vor. Ein Dokument für eine solche Regelung ist erhalten: »[Vor] Ini-Tešup, [dem Sohn des Šaḫurunuwa,] König von Karkemiš, hat [die Majestät Tutḫali]ja, der Großkönig, König von Ḫatti, [den Ammistamru, König von] Ugarit, [hinsichtlich der Gestellung von Truppen und Wagenkämpfern] befreit. [Bis der Kriegszustand mit As-]sur beendet ist, werden [vom König von Ug]arit Truppen und Wagenkämpfer [zur Unterstützung] nicht marschieren .... Der König von Ugarit hat meiner Majestät 50 Minen Gold ... gegeben.« Die drohende Gefahr schwand jedoch, da Tukulti- Ninurta in der zweiten Hälfte seiner Regierung an der Euphratgrenze keine Aktionen mehr unternahm und schließlich gar in innenpolitischen Auseinandersetzungen mit seinem Sohn von der Gegenpartei ermordet wurde. Mit Ägypten dürfte das gute Einvernehmen auch unter Merenptah weiterbestanden haben. Dieser berichtet, daß er in den ersten Jahren seiner Regierung Getreide nach Ḫatti geschickt habe, da dort eine Hungersnot eingetreten sei. Es mag sein, daß es sich dabei um mehr als ein lokales Ereignis gehandelt hat, wenn wir die Texte aus Ugarit heranziehen (s.S. 172). Dort scheint die hethitische Herrschaft unter Ibiranu gewissen Schwierigkeiten zu begegnen. In einem Schreiben heißt es: »Seitdem du die Königsherrschaft in Ugarit angetreten hast, warum bist du nicht vor die Majestät gekommen? Und warum hast du deine Boten nicht hergeschickt? Jetzt, siehe, ist die Majestät über diese Angelegenheit sehr erzürnt.« In Briefen aus Karkemiš wurde eine Truppenbesichtigung angekündigt oder es wurde die Ankunft eines hethitischen Prinzen gemeldet, der sich in Ugarit aufhalten sollte. Versuchte die hethitische Politik hier angesichts einer drohenden Gefahr stärker durchzugreifen? Es muß bei der Frage bleiben, denn die militärische Tätigkeit Tutḫalijas IV. im Südwesten und Westen Kleinasiens brauchte keine Auswirkung auf die Reichspolitik gehabt zu haben. Es kann sich doch durchaus um lokale Auseinandersetzungen gehandelt haben. Lediglich der Zug in die AššuwaLänder (diese deckten sich teilweise wohl mit der späteren römischen Provinz Asia) scheint weiter über das bisherige hethitische Einflußgebiet hinausgeführt zu haben. Man hat daher daran gedacht, von den isoliert nach Westen vorgeschobenen hethitischen Denkmälern besonders die Kriegerfigur vom Karabel bei Nif an der Paßstraße vom Hermos- ins Kaystros-Tal als Grenz- oder Siegesdenkmal zu deuten, und sie Tutḫalija IV. zugeschrieben.65
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Tutḫalija vermochte die feindliche Gruppierung zu zerschlagen, setzte Kukkuli, einen Sohn des besiegten Fürsten, als Vasallen ein und entließ diesen in seine Heimat. Ein erneuter Aufstand zwang Tutḫalija zu einem zweiten Feldzug gegen Aššuwa. Ein Einfall der Kaškäer ins hethitische Kerngebiet gebot aber, die Operation abzubrechen. Über den Umfang der kriegerischen Auseinandersetzungen hier im Westen vermittelt die Angabe, der König habe im ersten Feldzug 10000 Soldaten und 600 mit Pferden bespannte Streitwagen erbeutet, einen Eindruck. Die Wertung dieser Kämpfe in Westanatolien hängt weitgehend davon ab, welche Bedeutung man der Nennung des Landes Aḫḫijawā/Aḫḫijā in diesem Zusammenhang beimißt. Gerade ein Text Tutḫalijas IV., und zwar sein Vertrag mit Šaušga-muwa, hatte in der Aufzählung der gleichgestellten Herrscher auch den König von Aḫḫijawā genannt; die Zitierung ist zwar sofort wieder getilgt worden, aber durch irgendeine Assoziation mußte dem Schreiber der Name in sein Konzept gekommen sein. Insbesondere ist aber die bekannte Anklageschrift gegen Madduwatta hier heranzuziehen, obgleich Zweifel hinsichtlich ihrer Datierung geäußert worden sind. Sprachlich scheint der Text doch eher aus einer früheren Zeit zu stammen (oder liegt eine bewußte Archaisierung in Sprache und Graphik vor?). Danach hatte Attariššija (oder Attaršija), der Mann von Aḫḫijā, in einem Überfall einen Fürsten Madduwatta vertrieben, der nun als Flüchtling beim hethitischen König erschien. Dieser setzte ihn im hethitischen Grenzgebiet als Vasallen ein, wo er erneut von Attariššija überfallen wurde, diesmal aber hethitische Waffenhilfe erhielt, so daß der Einfall abgeschlagen werden konnte. Sehr bald aber begann eine illoyale Konspiration gegen Ḫatti, so daß der ganze Südwesten Kleinasiens der hethitischen Oberhoheit entglitt, ja Madduwatta verbündete sich sogar mit Attariššija zu einem Überfall auf Alašia. Auf eine entsprechende Demarche wußte er zu erwidern, daß Tutḫalija ihm seinerzeit niemals offiziell mitgeteilt habe, daß es sich dabei um hethitisches Gebiet handele. Wir werden diesen Überfall auf Alašia zu gegebener Zeit wiederaufzugreifen haben. Hier sehen wir Attariššija zur See operieren. Ein früherer Briefwechsel mit dem König von Aḫḫijawā hatte einen Ort Millawanda genannt, von wo ein Flüchtling zu Schiff entkommen war. Die nähere Lokalisation des Landes bleibt leider unklar (Südwest- oder Westküste), ebenso wie die »Aḫḫijawā-Frage«, d.h. die Heranziehung der Achäer für das Verständnis der historischen Situation nach wie vor ungelöst ist.66 Tutḫalija hat zweifellos versucht, im Westen mit den üblichen Mitteln hethitischer Politik Ordnung zu schaffen. Ob darüber hinaus ein Eingreifen des Großkönigs notwendig wurde, weil sich eine neue Macht (Aḫḫijawā) hier auf Kosten der hethitischen Einflußsphäre auszudehnen versuchte, ist nicht zu sagen. In umfangreichen Opferlisten wird jedenfalls der gesamte Bereich der umliegenden Länder aufgezählt, von Ḫurri über Arzawa, Maša, Lukka bis zum Kaškäerland, in deren Bergen der König Krieg führte und jagte.
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Daneben war der König in erstaunlicher Weise viel in der zivilen Verwaltung und bei der Reorganisation der Kulte tätig. In umfangreichen Inventaren wurde der Zustand der Tempel, die Anwesenheit der Priester und des Personals und die Vollständigkeit des Kulturinventars überprüft. – Eine gleiche Bestandsaufnahme erfolgte in den Bibliotheken. Wichtiges religiöses Schrifttum wurde in großem Umfange kopiert. Insbesondere wurden die Festrituale von Holztafeln nun auf Ton tafeln übertragen. Auch im Rechtswesen wurden vom König neue Anordnungen getroffen. Die Ruinen von Boğazköy, insbesondere die königliche Burg, zeigen allenthalben Spuren seiner Bautätigkeit. Tore und Aufgänge wurden künstlerisch gestaltet, die Bauplanung mit gepflastertem Aufweg, Vorhof und umgebenden Hallen fand nun ihre endgültige Form. Auch die sog. Oberstadt dürfte weitgehend seinem Willen ihre Gestaltung verdanken, denn wir kennen aus der altorientalischen Geschichte genügend Beispiele (Kar-Tukulti-Ninurta), wie in kurzer Zeit eine imponierende Residenz geschaffen werden konnte. Von Tutḫalijas Sohn und Nachfolger Arnuwanda III. gewinnen wir aus dem dürftig überlieferten Material kaum eine plastische Vorstellung. Er zog noch gemeinsam mit seinem Vater gegen die Arzawa-Länder zu Felde, büßte aber dann den gesamten Südwesten ein, wenn man ihm die Anklageschrift gegen Madduwatta zuschreiben darf, auf deren massive Vorwürfe vielleicht keine wirkliche Aktion mehr erfolgte. Eine ähnliche Situation zeigt eine Überlieferung für den äußersten Osten Kleinasiens auf. Dort war ein Mann namens Mita aktiv, der den gleichen Namen trug wie jener Mita von Muški der assyrischen Annalen des 8. Jahrhunderts (bzw. Midas von Phrygien der griech. Tradition), so daß sich hier vielleicht neue Verschiebungen von Völkern, die an der späteren Eroberung Kleinasiens beteiligt waren, bereits ankündigten. Die Tatsache, daß die Grabungstätigkeit in der hethitischen Hauptstadt bei Boğazköy und die Edition der Tontafeln noch immer fortschreitet, gibt auch dem Historiker erfreulicherweise stets wieder neues Material an die Hand. So kennen wir erst seit zehn Jahren einen König Šuppilulijama, einen Bruder des Arnuwanda, den wir als letzten uns bisher bezeugten hethitischen König zu nennen haben.67 Daß es sich dabei um einen anderen Herrscher als den Großkönig zu Beginn des Neuen Reiches handelt, ergibt sich eindeutig aus einer Schwurformel: »Ich aber werde lediglich die Nachkommenschaft meines Herrn Šuppilulijama schützen. Einem anderen Manne, aus der Nachkommenschaft Šuppiluliumas des Ersten, Nachkommenschaft Muršilis, Nachkommenschaft des Muwatalli, [Nachkommenschaft] Tutḫalijas werde ich mich nicht anschließen.« Dem Inhalt nach handelt es sich bei der Tafel um den Treueschwur eines Oberholztafelschreibers [...]-Šarruma gegenüber Šuppilulijama. Als Vorgeschichte gibt der Beamte folgende Schilderung: »Mein Herr hat mich, keinen anderen Menschen, aufgenommen. Als die Majestät, mein Herr, die Einwohner von Ḫatti abtrünnig befand, da hat mein Herr mich Vater und Mutter als sehr kleines Kind weggenommen. Und mein Herr hat mich wie einen kleinen
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Hund aus seinem ... aufgezogen. – Während aber der Bruder der Majestät König war, war ich ein Großer und diesen schützte ich. Ihm gegenüber habe ich niemals gefehlt. Aber die Majestät, meinen Herrn, habe ich ... mit lauterem Herzen geschützt ... – Als dann die Einwohner von Ḫatti ihm von sich aus (weitere) Schwierigkeiten bereiteten, da habe ich dich dabei nicht im Stich gelassen.« Diese Hinweise auf allgemeine Unsicherheit, insbesondere in den Kreisen des Hofes, finden sich noch häufiger und kennzeichnen wohl die Situation: »[Die Einwohner] von Ḫatti aber [versündigten sich] ihm (= dem König) gegenüber: ich dagegen habe nicht gefehlt. Wäre [Nachkommenschaft von ihm vorhanden] gewesen, so hätte [ich] diese nicht überg[angen], ich hätte vielmehr diese Nachkommenschaft geschützt. (Weil) ihm Nachkommenschaft nicht vorhanden war, erkundigte ich mich hinsichtlich einer schwangeren Frau; (aber) auch eine schwangere Frau war nicht vorhanden. – Da nun Arnuwanda [keine Nachkommenschaft hinterlassen hat], hätte ich da sündigen können, (indem) ich seine Nachkommenschaft übergangen und [einen anderen] zum Herrn gemacht hätte?« Hier erfahren wir, daß Arnuwanda kinderlos verstorben ist, ja nicht einmal im Harem Nachwuchs erwartet wurde. Somit konnten nunmehr die Großen in aller Loyalität den Bruder des Verstorbenen namens Šuppilulijama zum König machen. Gerade dieses Herausstellen unbedingter Loyalität ist für die Texte dieser Epoche charakteristisch: »Wie du ein Gewand (am Körper) trägst, so sollst du auch diese Eide ebenso an dir tragen. – Wenn du ein Übel gegen Šuppilulijama oder den Sohn des Šuppilulijama unter der Himmelssonne anstiftest, so mögen dich zu jener Zeit die tausend Eidgötter und die Glut der Sonne vernichten! Wenn du dies aber zur Nacht unter dem Monde anzettelst, so möge dich der Mond ... samt deiner Gattin, deinen Nachkommen, deinem Lande ... vernichten!« An konkreten historischen Nachrichten erfahren wir: »Jener Feind des Landes Aššur, der sich seit vielen Jahren gegen mich erhoben hat, dann aber abwartete, wenn jener nun gegen mich mit der Waffe stark wird oder aber mir in (mein) Land kommt, ...« Das ist jene Situation, die nach dem ersten Feldzug TukultiNinurtas über den Euphrat mit der späteren Absonderung des assyrischen Königs, seiner Ermordung und der nachfolgenden Schwächeperiode Assyriens eingetreten war. Nordsyrien mit der starken Rückendeckung in der Festung Karkemiš blieb fest in hethitischer Hand, wie sich aus zwei Fragmenten von Staatsverträgen ergibt, die Šuppilulijama mit Talme-Tešup, dem Sohn des Ini-Tešup, schloß. Dieser König von Karkemiš namens Talme-Tešup ist auch in den Texten von Ugarit bezeugt, wo er über die Regelung von Besitztiteln entschied, nachdem anscheinend die Verbindung der hethitischen Prinzessin Eḫli-Nikkalu mit dem dortigen Thronfolger aufgehoben worden war.
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Der hethitische König erscheint nicht mit Namen, Eḫli-Nikkalu wird lediglich als »Tochter der Majestät« bezeichnet. Der ugaritische König ist Ammurapi, an den auch ein Brief der Majestät gerichtet ist, der über Hungersnot und einen feindlichen Einbruch handelt. Die Tafel wurde 1954 mit anderen in einem Brennofen gefunden, sollte also zur aktenkundigen Aufbewahrung gebrannt werden. Vor ihrer Aufnahme ins Archiv brach aber die Zerstörung über Ugarit herein.68 In den gleichen Zusammenhang möchte man einen Brief stellen, bei dem die Namen des Schreibers und des Empfängers zwar nicht erhalten sind, in dem aber der König von Ugarit beauftragt wurde, Schiffsraum für den Transport von Getreide nach Ura in Kilikien zu stellen. Die Dringlichkeit der Lage erhellt aus dem Schlußsatz: Es sei eine Angelegenheit auf Leben und Tod! – Und schließlich wird man an die Karnak-Inschrift des Merenptah erinnert: »Den Asiaten habe ich in Schiffen Getreide zu bringen veranlaßt, um am Leben zu erhalten dieses Land Ḫatti.« Denn Merenptah ist auch in Ugarit als der letzte in Syrien noch tätige ägyptische Herrscher der XIX. Dynastie durch den Fund eines Langschwertes mit seiner hieroglyphischen Namensaufschrift bezeugt (um 1220 v. Chr.). Zwei weitere Schreiben, die miteinander wohl zu verbinden sind, scheinen geeignet, über die Endphase der hethitischen Herrschaft in Nordsyrien Auskunft zu geben. Im ersten meldete der König von Alašia an Ammurapi das Herannahen feindlicher Schiffe mit der Warnung sich zu rüsten, die Festungswerke instand zu setzen sowie Truppen und Wagenkämpfer bereitzustellen. Darauf folgte wohl die Antwort des Königs von Ugarit: »Weiß mein Vater nicht, daß alle meine Truppen [...] im Ḫatti-Land stationiert sind und alle meine Schiffe sich im Lande Lukka befinden?« So war der König von Ugarit diesem Einfall gegenüber nahezu schutzlos. Deutlich zeichnete sich die enge Verbindung der syrischen und kilikischen Küste (mit Ura) zu Alašia ab, das mit größter Wahrscheinlichkeit als Zypern (oder Teil von Zypern) zu identifizieren ist; vielleicht kann man daraus gar die politische Einheit der Länder um den Golf von Issus ablesen. Der Madduwatta-Text hatte bereits einen Hinweis auf hethitische Ansprüche auf Alašia gegeben. Neuerdings haben sich auch Fragmente eines entsprechenden Vertrages gefunden69, der u.a. den Kontrahenten zur Überwachung von politischen Flüchtlingen und Verbannten verpflichtete. So gewinnen die einzelnen Textzeugnisse aus Boğazköy und Ugarit über derartige Exilaufenthalte in Alašia eine eindeutige Bestätigung. Vermutlich war es Tutḫalija IV., der die Insel erobern konnte und dem hethitischen Reich unter Auferlegung eines Tributes an Gold und Kupfer unterwarf. Als Verantwortlicher für die Einhaltung der Vertragsbestimmungen wird dabei neben dem König von Alašia auch ein »Stadtkommandant« als Verwaltungsinstanz genannt. Die enge Zugehörigkeit der Insel zu Ḫatti während der letzten Periode dürfte auch die Korrespondenz mit Ugarit über das Herannahen feindlicher Schiffe erklären.
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Auch Šuppilulijama mußte gegen sie zu Felde ziehen, wenigstens könnte man den entsprechenden Abschnitt seiner Inschrift so verstehen: »Ich machte mobil [] und das Meer [erreichte] ich schnell, ich, Šuppilulijama, der Großkönig. – Gegen mich aber stellten sich die Schiffe vor Alašia inmitten des Meeres dreimal zum Kampf. Ich vernichtete sie, (indem) ich die Schiffe ergriff und sie mitten im Meer in Brand steckte. – Als ich dann aber auf das trockene Land kam, traten mir die Feinde vor Alašia in Scharen zum Kampf entgegen.« Das Unternehmen richtete sich gegen die »Schiffe des Landes Alašia« und die »Feinde des Landes Alašia«. Ohne daß wir Näheres über die dazu führenden Ereignisse erfahren, müssen wir annehmen, daß sich die Lage auf Zypern gewandelt hat. Die in sehr allgemeinen Worten gehaltene Schilderung des hethitischen Unternehmens, die über teilnehmende Truppenkontingente und Herkunft der Flotte schweigt, läßt zunächst die ebenso allgemeine Bezeichnung des Feindes kaum bedeutsam erscheinen. Das Fehlen einer jeden Erwähnung des »König von Alašia« in diesem Textteil läßt jedoch die Vermutung aufkommen, es handele sich um eine nicht staatlich geeinte Macht. Dann könnten diese Feinde von Zypern aber sehr wohl in der Zwischenzeit eingefallene Scharen der Seevölker bezeichnen. Darauf führt insbesondere die Kombination dieser Darstellung hier mit den Briefen aus Ras Šamra, in denen der König von Alašia Warnungen vor den sich nahenden feindlichen Schiffen nach Ugarit schickte. Nichts deutete dort darauf hin, daß die Insel sich im Kriegszustand mit Ḫatti befände. Die Anklageschrift gegen Madduwatta gestattet wohl die Aussage, daß Alašia von auswärtigen Feinden genommen worden ist, von denen Madduwatta, Attariššija und der Mann von Piggaja mit Namen genannt werden. Über die Bedeutung dieses Kampfes schien sich der hethitische König im klaren zu sein. So wie Muršili in äußerster militärischer Notlage zunächst die Feste der Götter begangen hatte, bevor er das Waffenglück sprechen ließ, so errichtete hier Šuppilulijama erst eine Gedenkstätte in einem heiligen Felsen für seinen großen Vater. Damit und, so darf man folgern, mit der Ausrichtung der schuldigen Manen-Opfer fühlte er sich für die militärische Aktion frei. Diese Gedenkstätte, wo ein Bild des verstorbenen Königs aufgestellt, ein Bericht seiner Taten aufgezeichnet wurde (während seine Taten am Felsen Niṣantaṣ inmitten der Stadt in einer großen Hieroglypheninschrift verewigt wurden), hat einige auffällige Züge gemeinsam mit dem Felsheiligtum von Yazılıkaya, wenig außerhalb der Mauern der hethitischen Hauptstadt. In einer engen Nebenkammer mit provisorischem Zugang steht die Basis einer Statue, die heute verschwunden ist, aber durch eine Namensinschrift am Fels mit dem König Tutḫalija verbunden ist. In der gleichen Kammer findet sich ein Relief des Königs, der in voller Lebenskraft daherschreitet und von der größeren Gestalt seines Schutzgottes Šarruma umfaßt wird. Diese Vorstellung, daß der König von seinem Gott schützend umarmt wird, fand sich in Wort und Bild seit Muwatalli häufiger.
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Auch das Siegel auf dem Vertrag mit Ramses II. wird in der ägyptischen Version mit den Worten beschrieben: »Was in der Mitte der silbernen Tafel auf ihrer Vorderseite steht, das ist eine Figur mit dem Bildnis des Wettergottes, der ein Bildnis des großen Fürsten von Ḫatti umarmt ....« – So gibt uns am Ende des hethitischen Reiches jene Urkunde Šuppilulijamas II. Zeugnis davon, wie im Vertrauen zur bisherigen festen Ordnung, die auf religiös-kultischer Grundlage ruhte, hier der letzte uns bekannte hethitische König den Kampf gegen die Eindringlinge aufnahm, die nun zu Schiff an der kleinasiatischen Südküste operierten. Die weiteren Einzelheiten sind zwei nüchternen Begebenheiten zu entnehmen: Die letzten schriftlichen Anweisungen des hethitischen Großkönigs an den König von Ugarit waren kaum gelesen und für die Aufnahme im Archiv (in ugaritischer Schrift und Sprache) abgeschrieben worden, als die Katastrophe der Zerstörung über die Stadt hereinbrach. Aus Ägypten berichtete in seinem achten Jahr Ramses III.: »Die Fremdländer verschworen sich untereinander. So waren plötzlich die Staaten verschwunden und zerstreut. Kein Land konnte vor ihren Waffen bestehen: Ḫatti, Kode, Karkemiš, Arzawa, Alašia, auf einmal abgeschnitten.« Der ägyptische König konnte diese wandernden Scharen, die zu Land mit Ochsenkarren und zu Schiff auf Ägypten zukamen, mit Mühe schlagen. Aber die Länder Syriens und Kleinasiens waren dem plötzlichen Ansturm zum Opfer gefallen, den die Lockerung der hethitischen Herrschaft in Südwestanatolien, marodierende Söldnergruppen und eindringende Grenzstämme ausgelöst hatten. Damit kamen nun Bevölkerungsgruppen nach Syrien, insbesondere die Luwier aus Südanatolien, die für manches Jahrhundert nun das Bild der kleinen Stadtstaaten bis hinunter nach Hamath am Orontes prägten. Ob der Zusammenbruch auch des Kerngebietes von Ḫatti etwa gleichzeitig erfolgte oder ob Ḫattuša oder ein anderes Zentrum mit geminderter Bedeutung noch eine Zeitlang überdauern konnte, wissen wir nicht. Der Brandhorizont in den Ruinen von Boğazköy markiert eine allgemeine Zerstörung der Hauptstadt. Dabei ist auffällig, daß das nahegelegene Felsheiligtum von Yazılıkaya in seinen Götterreliefs kaum zerstört überliefert ist, so als ob fromme Scheu hier vor einem Sakrileg zurückgeschreckt sei. Waren es also schon länger in Anatolien ansässige Bevölkerungsgruppen, etwa jene von den Feldzügen deportierten bäuerlichen Kolonen, die hier in Inneranatolien die alte Ordnung zerbrachen? Der Einschnitt war tief und epochal, denn es endete ein von Zentralanatolien aus geleitetes Reich, das weite Teile Vorderasiens in seine Herrschaft mit einbezogen und auf der Grundlage der babylonischen Keilschrift und ihrer Tradition eine einheitliche Reichskultur geschaffen hatte. Von den historischen Kräften, die hier wirksam waren, sind nur wenige zu benennen. So mußte eine Darstellung der Geschichte dieses Volkes sich weitgehend an den offiziellen Berichten ihrer Könige orientieren, deren Folge mit Angabe der ungefähren Regierungszeit hier tabellarisch festgehalten sei:
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Königsliste der Hethiter Altes Reich Labarna-Ḫattušili I.um 1650 Muršili I.um 1620 Ḫantili I.um 1590 Zidanta I.um 1560 Ammunaum 1550 Ḫuzzija I.um 1530 Telipinuum 1525 Alluwamnaum 1500 Ḫantili II.um 1490 Zidanta II.um 1480 Ḫuzzija II.um 1470 Großreich: Tutḫalija II.um 1460 Arnuwanda I.um 1440 Ḫattušili II.um 1420 Tutḫalija III.um 1400 Šuppiluliuma I.um 1370 Arnuwanda II.um 1330 Muršili II.um 1329 Muwatallium 1300 Urḫi-Tešup (Muršili III.)um 1280 Ḫattušili III.um 1275 Tutḫalija IV.um 1250 Arnuwanda III.um 1220 Šuppilulijama II.um 1200 3. Syrien-Palästina in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends I. Einleitung: Zur Geopolitik und Kulturgeschichte Um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends traten erhebliche ethnographisch-kulturelle und politische Wandlungen in der Geschichte des Vorderen Orients ein, die einen starken Einfluß auf den syrischpalästinensischen Raum ausübten. Nach Syrien-Palästina, das in unzählige Kleinstaaten – eine Erbschaft des Feudalsystems der Hyksoszeit – aufgespalten war, strömten mehr und mehr ḫurritische und indoarische Elemente ein, die dank ihrer technologischen und militärischen Überlegenheit, insbesondere durch
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die Einführung des Pferdes als Kriegswagentier, sich in den meisten Stadtstaaten der Herrschaft bemächtigten1. Diese neue nichtsemitische Oberschicht trat in eine ethnische und kulturelle Symbiose mit der zahlenmäßig weit überlegenen westsemitischen Grundbevölkerung der Kanaanäer ein. Dabei dominierten die kanaanäische Sprache und die Religion, die materielle Kultur und die gesellschaftliche Ordnung waren dagegen stark von den neuen Völkerschaften beeinflußt. Was die tiefgreifenden politischen Umwälzungen betrifft, so wurde Ägypten mit der Gründung des Neuen Reiches im 16. Jahrhundert zum zentralen Faktor in Syrien-Palästina. Seine Oberhoheit über das Gebiet von der ägyptischen Grenze bis zum mittleren Syrien hin, also über die Sinaihalbinsel und das eigentliche Kanaan, dauerte mit kurzen Unterbrechungen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. Auf der anderen Seite dehnte das in Obermesopotamien gegründete Mitannireich, das den Gipfel seiner Macht im 15. Jahrhundert erreichte, seinen Einfluß immer mehr in südwestlicher Richtung aus, bis es in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Machtfaktor in Syrien von dem Hethiterreich abgelöst wurde, das seine Herrschaft über dieses Gebiet bis zu seinem Untergang um 1200 behauptete. Das wegen seiner geopolitischen Lage empfindliche Gebiet zwischen dem Euphrat und der Sinaihalbinsel wurde so zunächst zum Zankapfel zwischen Ägypten und dem Mitannireich, später zwischen dem Pharaonen- und dem Hethiterreich, weil jeder dieser Staaten seine Stellung als Großmacht nur durch die Oberhoheit in diesem Gebiet sicherstellen konnte.
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Abb. 12: Syrien-Palästina in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
Daher bildet die Geschichte Syrien-Palästinas in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends einerseits eine ununterbrochene Kette von Eroberungszügen und Unterdrückungsmaßnahmen der Großmächte gegen seine Einwohner, anderseits ein fortwährendes Ringen zwischen diesen Mächten selbst um die Behauptung ihrer Stellung. Dieses Ringen hinwiederum führte zu zusätzlichen Reibungen zwischen den vielen Kleinkönigen, deren Beziehungen untereinander ohnehin sehr gespannt waren. Erst der Zerfall des Hethiterreiches und der Niedergang der ägyptischen Macht schufen in den letzten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends günstige Bedingungen für die politische Selbständigkeit der Völker Syriens und Palästinas und die nationale Konsolidierung von neuen Gruppen, wie den Stämmen Israels im Süden und den Aramäern im Norden. Außerdem ermöglichten diese machtpolitischen Veränderungen den Seevölkern, sich im Küstenstreifen festzusetzen, und boten dem aufsteigenden As-syrerreich die Chance, um 1100 bis an das Mittelmeer vorzustoßen. Über die geschichtlichen Vorgänge in Syrien-Palästina steht uns nur sporadisches Quellenmaterial aus diesem Gebiet selbst zur Verfügung. Dieser Raum ist zwar die Wiege einer der größten kulturellen Errungenschaften aller Zeiten, des Buchstabenalphabets, das allerdings erst gegen die Jahrtausendwende in vollendeter Form auftritt, aber für frühere Zeiten finden sich nur spärlich verstreute Reste von linear alphabetischen
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(»protokanaanäischen«) Inschriften, die überdies wegen ihres lapidaren Charakters kaum für die Geschichtsforschung von Bedeutung sind. Wir sind also auch hier auf Keilschrifttafeln und Hieroglypheninschriften angewiesen, die jedoch für Palästina und die phönikische Küste äußerst selten sind. Der Hauptgrund dafür scheint zu sein, daß dieses Gebiet in der Sphäre der ägyptischen Art zu schreiben und damit der Verwendung des Papyrus lag, der sich im palästinensischen Klima nicht hält. In Syrien dagegen, das schon zum nördlichen Kulturkreis, wo die akkadische Keilschrift im alltäglichen Gebrauch war, gehörte, hat man aus dem 15. bis 13. Jahrhundert in Ugarit beträchtliche, in Alalaḫ und Qatna kleinere Reste von Archiven gefunden.2 Es sind fast ausschließlich diese Archive, die uns einen tieferen Einblick in die soziologische und innenpolitische Struktur, in die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie in das geistige Leben der syrischpalästinensischen Stadtstaaten gewähren. Den nach innen unbeschränkten Dynasten stand der zur indoiranischen Oberschicht gehörende Adel, die marjannu, die kriegstüchtigen Streitwagenkämpfer, zur Seite, die das militärische und administrative Rückgrat des Königtums bildeten. Diese erbliche Adelswürde wurde manchmal vom König einem Untertanen als Auszeichnung verliehen. Den Mittelstand bildeten die, eigenen Boden besitzenden, sogenannten eḫelena oder purina, die als Bauern und Handwerker lebten, während der niedrigste freie Stand, die ṣabē namē, die bodenlose Landbevölkerung, die wieder in die ḫaniaḫḫe und die oft erwähnten ḫupše zerfielen, als Leibeigene auf den königlichen Latifundien und in den Königspalästen arbeiteten. Alle diese Gesellschaftsgruppen, aus denen sich das Gros der Armee, die den marjannu als Offizieren unterstand, rekrutierte, sind uns hauptsächlich aus den Zensuslisten bekannt. Ferner besitzen wir lange Listen von Zünften, wie die der Bauarbeiter, Schmiede, Gerber, Töpfer, Weber, Bäcker, Wäscher, Salbenbereiter usw., deren Berufe im allgemeinen vom Vater auf den Sohn übergingen. Auch die Kaufleute (tamkāru) und das weitverzweigte Kultpersonal war in einer Art von Berufsgilden zusammengeschlossen, die dem König als oberstem Handelsmagnaten und Priester unterstellt waren. Die in alphabetischer Keilschrift und in einem besonderen altwestsemitischen Idiom verfaßten literarischen Werke aus Ugarit, die aus dem 14. und 13. Jahrhundert stammen, aber auf Jahrhunderte alte Überlieferungen zurückgehen, gewähren uns zum ersten Mal einen direkten Einblick in die syro-kanaanäische Götterwelt, Mythologie und Epik, die wir bis jetzt nur aus sekundären und späten Quellen kannten. An der Spitze des Pantheons stand als oberstes Götterpaar 11 und seine Hauptgemahlin Athirat, die uns aus der Bibel unter den Namen El und Aschera bekannt sind. Zu ihnen gesellten sich als zentrale Figuren ihre Söhne Baal (identisch mit dem syrischen Hadad), der mit der irdischen Fruchtbarkeit betraute Sturm- und Regengott, und sein Rivale Moth, der Gott des Todes und der Unterwelt. Daneben spielten in der Mythologie ihre kriegerische Tochter, die »Jungfrau« Anath, auch Gemahlin ihres Bruders Baal,
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und Kothar, der bisher unbekannte kanaanäische Hephaistos, eine hervorragende Rolle. Die reiche Literatur aus Ugarit, in deren Mittelpunkt der Vegetationsmythos des Baal-Moth-Anath-Zyklus steht, ist für das Verständnis von Ursprung und Wesen der biblischen Sprache und Poesie von größter Bedeutung.3 Wenn wir über gesellschaftliche und geistig-kulturelle Fragen trotzdem nur unzulänglich durch die sporadischen Funde von Archiven unterrichtet sind, so haben wir, dank der intensiven archäologischen Tätigkeit in Syrien und Palästina, von der materiellen Kultur ein viel vollkommeneres Bild. Neben den bereits genannten syrischen Städten Ugarit, Alalaḫ und Qatna sind für unsere Periode die jung-bronzezeitlichen Schichten in Byblos an der Mittelmeerküste, in Hazor, Megiddo und Betschan im nördlichen Palästina, in Sichern, Lachis und Teil Bet-Mirsim in Mittel- und Südpalästina – um nur die wichtigsten Ausgrabungen seit den dreißiger Jahren zu nennen – aufschlußreich. Dominierend im Stadtbild, wie wir es ja auch von den ägyptischen Reliefs kanaanäischer Städte her kennen, waren der Königspalast und die Burg sowie die Tempelanlagen, die öfters zu einem stattlichen Baukomplex, der Akropolis, vereinigt waren, und dazu auch der imposante Mauergürtel mit Torfestung, welche die prekäre Situation des Stadtstaates nötig machte. Die Ausgrabungsfunde, z.B. die wundervollen Elfenbeinschnitzereien aus Alalaḫ, Ugarit und Megiddo, liefern uns wertvolle Zeugnisse für die verschiedenen Zweige von Handwerk und Kunstgewerbe und vor allem für den Handel, die alle in der hier besprochenen Periode in hoher Blüte standen. Besonders zu nennen sind das Textilgewerbe und die Purpurfärberei der phönikischen Städte. Letzterer verdankte Phönikien, bzw. Kanaan, seinen Namen.4 Nebst dem vielgerühmten Libanonholz bildeten sie, kraft einer hochentwickelten Handelsschiffahrt, die Grundlage des Reichtums jener Hafenstädte, die einen regen Verkehr nicht nur mit Ägypten, sondern auch mit der ägäischen Welt unterhielten. So trat zu Mesopotamien, Anatolien und Ägypten auch der mediterrane und mykenische Kulturkreis als Einflußfaktor hinzu. Wie wichtig die erwähnten syrisch-palästinensischen Quellen für einzelne Perioden oder Regionen auch sein mögen, ein Gesamtbild oder gar eine zusammenhängende historische Darstellung läßt sich kaum aus ihnen rekonstruieren. Dafür sind wir vor allem auf die reichhaltigen und vielseitigen ägyptischen Quellen angewiesen und daneben auf das historische hethitische Schrifttum aus Boğazköy, das Dokumente sowohl in hethitischer als auch in akkadischer Sprache enthält. Für die Geschichte Palästinas in den letzten Jahrhunderten des 2. Jahrtausends kommen hier noch die biblischen Quellen hinzu, die zwar als eigentliches Thema das Volk Israel haben, aber nebenher manche Hinweise auf dessen Nachbarvölker und Reminiszenzen aus der älteren Welt Kanaans enthalten. II. Syrien-Palästina unter der Oberherrschaft der Großmächte
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a) Die ersten Vorstöße Ägyptens in Asien zur Zeit des Neuen Reiches Nach der Befreiung von der Hyksosherrschaft unternahmen schon die ersten Pharaonen der XVIII. Dynastie ausgedehnte Expeditionen nach Asien, um der Ägypten von den Stützpunkten der Hyksos in diesem Gebiete drohenden Gefahr zuvorzukommen und um ihre Machtstellung, die sie in diesem Raum zur Zeit des Mittleren Reiches innegehabt hatten, wiederherzustellen. Schon Amosis I., der Gründer der XVIII. Dynastie, führte Ägyptens Heerscharen, nach der Eroberung von Tanis, der Hauptstadt der Hyksos, gegen Scharuhen (in Jos. 19,6 erwähnt), das heutige Tell el- Far’ah, eine der Hyksosfestungen im westlichen Negeb, das den Weg von Palästina nach Ägypten beherrschte. Ähnlich wie andere längere Belagerungen von Kanaanäerstädten durch die Könige der XVIII. Dynastie zeigt die dreijährige Belagerung von Scharuhen, daß die Verteidigungstechnik dieser Städte der Belagerungskunst des ägyptischen Heeres weit überlegen war. Die Eroberung von Scharuhen gab dann aber den Ägyptern einen Brückenkopf auf kanaanäischem Boden, der ihnen wiederholt Vorstöße nach Asien ermöglichte. Eine großangelegte Expedition dieser Art unternahm gegen Ende des 16. Jahrhunderts Thutmosis I., der Enkel des Ahmose, der nicht nur in das Land Retenu, d.h. Kanaan, eindrang, sondern bis zum Lande Naharina (eine der Bezeichnungen des Mitannireiches5) und an den Euphrat gelangte. Nach dem Brauch der großen Eroberer des Alten Orients errichtete sich der Pharao auf dem linken Ufer des Flusses zur Markierung der äußersten Grenze seines Eroberungsgebietes und zur Verewigung seines kühnen Unternehmens, das erst sein Enkel Thutmosis III. zu wiederholen wagte, eine Siegesstele. (Auch Thutmosis III. errichtete sich an derselben Stelle einen Gedenkstein.) In Nordsyrien, im Land Nii, kämpfte allerdings auch Thutmosis II., der Sohn Thutmosis’ I. Möglicherweise beziehen sich auf diesen Feldzug die Nachrichten über seine Kämpfe gegen die Schasu oder Schosu, der hier zum ersten Mal urkundlich nachweisbaren Beduinenstämme, die im südlichen und östlichen Grenzgebiet von Kanaan umherwanderten und die ägyptische Herrschaft während des Neuen Reiches ständig bedrohten. Aber alle diese Expeditionen, die in erster Linie Beutezüge waren, führten nicht zur dauerhaften Eroberung Syrien-Palästinas, die Thutmosis III. in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vorbehalten blieb. b) Die Kriegszüge Thutmosis’ III. und die Errichtung der ägyptischen Provinz im vorderasiatischen Gebiet Thutmosis III., der Schöpfer des ägyptischen Imperiums, war sich bewußt, daß, um Ägypten zu einem politischen Faktor ersten Ranges zu machen, es unerläßlich sei, ihm Palästina-Syrien als einen integralen Teil einzuverleiben. Dieses Ziel erreichte er durch eine planmäßige Eroberung des asiatischen
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Raumes bis zum Euphrat und durch Errichtung einer ägyptischen Verwaltung in den eroberten Ländern. Die Stadtstaaten Syrien-Palästinas taten jedoch alles, um ihre Souveränität zu wahren, und schlossen sich unter Zurückstellung ihrer eigenen Differenzen zu umfassenden Koalitionen unter Führung des Staates Kadeš (Teil Nebi Mend) am Orontes zusammen, wobei ihnen das Mitannireich Rückendeckung bot. Thutmosis III. mußte, wie wir aus seinen Annalen entnehmen können, siebzehn Expeditionen nach Asien unternehmen, die zum Teil dazu dienten, seine Macht in nördlicher Richtung auszudehnen, aber überwiegend den Zweck hatten, die ununterbrochenen Aufstände der Kleinkönige dieses Gebietes niederzuwerfen. Die Grundlage aller weiteren Eroberungen war sein erster Feldzug (1469), über den wir in den Quellen ausführliche Berichte finden und der offenbar als Präventivmaßnahme gegen ein Offensivunternehmen der palästinensischen und syrischen Herrscher gegen Ägypten gedacht war.6 So wird uns die umfassende Koalition verständlich, die in Megiddo den Ägyptern gegenübertrat und an deren Spitze der König von Kadeš7 zusammen mit dem König von Megiddo stand, nachdem weniger als ein Monat vergangen war, seit sich das ägyptische Heer auf asiatischem Boden befand. Dies war die größte Koalition – nach der Inschrift in Ğebel Barkal sollen ihr 330 Fürsten angehört haben –, die sich gegen Ägypten zusammengeschlossen hatte, bevor dieses gelernt hatte, die Einheitsfront seiner Feinde zu sprengen. Nachdem das ägyptische Heer anfangs am Tag 25 km zurückgelegt hatte, rückte es nördlich von Gaza wohl wegen des Widerstandes der kanaanäischen Bevölkerung langsamer vor. Der Aufruhr der palästinensischen Städte begann in Jurza nördlich von Scharuhen, wo ein ägyptisches Besatzungsheer stationiert war, und setzte sich »bis an die Enden der Erde« fort. Im Verlauf des Feldzuges eroberte anscheinend einer der Offiziere des Thutmosis, Thuti mit Namen, die Hafenstadt Jaffa, was wir einer volkstümlichen Geschichte entnehmen können. Diese erzählt, wie man durch eine Kriegslist im Stil von Ali Baba Soldaten in die Stadt hineingeschmuggelt habe – ein Beispiel für die technische Überlegenheit der Befestigungswerke. Daß Jaffa in den ägyptischen geographischen Listen asiatischer Städte, die sich seinen Nachfolgern unterwarfen, nirgends erwähnt wird, beweist – ähnlich wie die Nichterwähnung von Gaza – die unangefochtene ägyptische Herrschaft über diesen Küstenabschnitt seit der Regierung Thutmosis’ III. Danach zog Thutmosis weiter durch die Küstenebene bis nach Jehem südlich des Eingangs zum Wadi Ära. Entgegen den Ratschlägen seiner Befehlshaber wählte Thutmosis, indem er das Prinzip der Überraschung ausnützte, diesen schmalen und gefährlichen Engpaß zwischen Karmel und Manassegebirge und griff Megiddo an, die Schlüsselfestung ganz Nordpalästinas, wo die kanaanäische Hauptmacht stand. Nach einer Belagerung von sieben Monaten ergab sich die Stadt, deren Einnahme, nach den Worten Thutmosis’, »die Einnahme von tausend Städten bedeutet«, und die eingeschlossenen Herrscher mußten die Oberherrschaft des Pharao akzeptieren.8
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Nach dem Fall von Megiddo, vielleicht auch schon während der Belagerung, eroberte das ägyptische Heer Jenoam beim Tiberiassee und weiter nördlich gelegene Orte. Ein Gesamtverzeichnis der vom Pharao auf seinem ersten Feldzug unterworfenen Städte liegt offenbar in seiner sogenannten »kurzen« geographischen Liste kanaanäischer Städte vor, die 119 Orte in Palästina und Südsyrien enthält9, darunter an erster Stelle, Rades am Orontes, das zwar vorläufig noch nicht erobert wurde, dessen König sich aber unterwarf – und Megiddo, das ein ägyptischer Stützpunkt wurde. Die meisten der in der Liste angeführten Städte lagen an der via maris – dem »Meeresweg«, der von Ägypten bis nach Mesopotamien führte – und an ihren mannigfaltigen Abzweigungen, also in dem Küstengebiet, der Jesreel- und Betschan-Ebene und der Libanonsenke, einige auch in Galiläa und Nordtransjordanien. Das waren die Gebiete, auf die sich in der Hauptsache die ägyptische Herrschaft erstreckte. Hingegen fehlen fast durchweg in dieser wie auch in den Listen der späteren Pharaonen das Binnenland Mittel- und Südpalästinas sowie das südliche Transjordanien, Gebiete, deren Bedeutung für die Ägypter gering war und in denen sie nur eine nominale Herrschaft ausübten. In den darauffolgenden Kriegszügen drang Thutmosis tiefer in Syrien ein und eroberte schließlich das Hauptwiderstandszentrum Kadeš sowie den ganzen phönikischen Küstenabschnitt mit den wichtigen Städten Byblos, Ullaza und Sumur, die für die Dauer der ägyptischen Herrschaft wichtige Stützpunkte blieben. Die Beherrschung dieser phönikischen Hafenstädte, in denen die Erträge der kanaanäischen Landwirtschaft aufgespeichert wurden und die als Verpflegungsbasen für das ägyptische Heer dienten, war für die Aufrechterhaltung der ägyptischen Verwaltung in Syrien von ausschlaggebender Bedeutung und stellte die Verbindung mit dem Mutterland sicher.10 Ihre Bedeutung für die weiteren Vorstöße Thutmosis’ in Nordsyrien und dem Euphratgebiet wuchs insbesondere während seines achten Feldzuges, der den Höhepunkt nicht nur der militärischen Unternehmungen dieses Herrschers, sondern sämtlicher Pharaonen bildete. Diesmal war sein Ziel das Mitannireich, Ägyptens Nebenbuhler im Kampf um die Herrschaft in Syrien. Das ägyptische Heer zog über Qatna in Mittelsyrien, drang in das Gebiet von Aleppo und Karkemiš ein und überquerte den Euphrat. Darauf wurde der König von Mitanni zum Rückzug gezwungen. Die Gebietserweiterung des ägyptischen Imperiums findet ihren Niederschlag in der sogenannten »langen« geographischen Liste von 350 Städten, hauptsächlich aus Nord- und Mittelsyrien, darunter Karkemiš, Emar und das biblische Pethor am Ufer des Euphrats. Ein großer Teil der Orte liegt zwischen dem unteren Orontestal und Aleppo und wird auch in den Dokumenten von Alalaḫ erwähnt, das ebenfalls von Thutmosis vorübergehend erobert wurde.11 Aber die ägyptische Position in diesen entlegenen Gebieten war nicht stabil. In den darauffolgenden Jahren errichtete der König von Mitanni wieder eine antiägyptische Front mit den Fürsten von Kadeš und Tunip.
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Thutmosis legte die Fundamente für die ägyptische Provinz Syrien-Palästina, die zwar in den nächsten Generationen an ihrer Nordgrenze wieder Terrain verlor, deren organisatorische und militärische Konstitution aber im Grund bis zum Untergang der ägyptischen Herrschaft in Asien erhalten blieb. Er schuf einen festen Apparat von Gouverneuren und Heereskommandanten, von Finanz- und Landwirtschaftsbeamten, die die Regierungsangelegenheiten und die Eintreibung des Tributs überwachten und von kleinen Garnisonen in den wichtigsten Städten unterstützt wurden. Außerdem errichtete er Festungen an Schlüsselpunkten, so in Megiddo und Betschan, wie die archäologischen Funde bezeugen, und im Libanongebiet, wie er mit Stolz in seinen Inschriften berichtet. Die zentrale Basis, von der aus die Ägypter die asiatischen Besitzungen überwachten, befand sich in Gaza, das anscheinend auch der Amtssitz eines Oberkommissars war. Im allgemeinen beließ Thutmosis die lokalen Dynasten, welche sich seiner Oberhoheit unterwarfen, in ihrer Würde und führte nur deren Brüder und Kinder nach Ägypten. Damit erreichte er nach seiner eigenen Aussage einen doppelten Zweck: einerseits dienten jene als Geiseln für den Fall, daß die Vasallen sich auflehnten, andererseits kehrten sie später als deren Nachfolger zurück, nachdem sie am Hof des Pharaos im Geist der ägyptischen Kultur und zur Loyalität gegenüber Ägypten erzogen worden waren. Auf diese Weise machten Palästina und Syrien einen intensiven Prozeß der Ägyptisierung durch. So entstand in den ägyptischen Besitzungen Asiens eine zielbewußte Kolonialherrschaft, die Ägypten maximale politische und wirtschaftliche Vorteile bot. Die Ägypter nützten das wirtschaftliche Potential dieser Gebiete in jeder Weise aus, was wir den Beutelisten Thutmosis’ und seiner Beamten entnehmen können, ebenso den Reliefs ägyptischer Tempel und den zahlreichen Wandmalereien der Gräber, die dafür eine unerschöpfliche Quelle bilden.12 Einerseits wurden erhebliche Arbeitskräfte zur Ausführung von Fronarbeiten in der Provinz selbst herangezogen und Sklaven und Sklavinnen als Besitztum der Tempel und des Königspalastes sowie zur Arbeit auf den Gütern der höheren Beamten nach Ägypten verschleppt. Andrerseits wurden jährliche Abgaben in Naturalien eingetrieben, die uns ein recht deutliches Bild von den Produkten Palästinas und Syriens geben. An erster Stelle mußten Agrarprodukte geliefert werden (Getreide, Öl, Gewürze), ferner Bauholz, wie etwa das berühmte Zedernholz des Libanon, allerhand Metalle, darunter vor allem große Mengen von Kupfer, Halbedelsteine, Kunstund Luxusgegenstände und selbstverständlich Waffen. Daneben wurde Vieh in erheblichen Mengen nach Ägypten gebracht, besonders auch Pferde, in deren Zucht sich die syrischpalästinensischen Randgebiete auszeichneten. Sogar exotische Tiere, die in diesen Ländern heimisch waren, wie der Bär und der nordsyrische Elefant, und ferner allerhand in Ägypten selbst unbekannte Pflanzenarten wurden in die königlichen zoologischen und botanischen Gärten geschafft, wohl um das
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Prestige der Pharaonen und die grenzenlose Weite ihres Machtgebietes zu betonen. c) Die asiatischen Feldzüge Amenophis’ II. und Thutmosis’ IV. Mit seinen kriegerischen Unternehmungen und Verwaltungsmethoden hat Thutmosis III. seinen Nachfolgern den Weg vorgezeichnet. Doch mußte die Last der Abgaben dazu führen, daß die Bevölkerung Syrien-Palästinas immer wieder versuchte, das Joch der ägyptischen Herrschaft abzuschütteln. Daher war schon sein Sohn, Amenophis II., genötigt, mehrere Züge, nämlich im dritten, siebten und neunten Jahr seiner Regierung, gegen Asien zu unternehmen.13 Der erste Feldzug hatte den Zweck, einen Aufstand im Lande Taḥsi, dem biblischen Tahas (Gen. 22,24), zu unterdrücken, ein Staatengebilde im oberen Orontestal, südlich von Kadeš, an dessen Spitze mindestens sieben Stammeshäupter standen. Später war er gezwungen, nach Nordsyrien zu ziehen, das, offenbar von Mitanni unterstützt, sich gegen Ägypten aufgelehnt hatte. Amenophis II. kam bis nach Nii, scheiterte aber wohl in einem Versuch, die ägyptische Herrschaft über Alalaḫ, Aleppo und das Euphratgebiet wiederherzustellen. Auf dem Rückweg nahm er die wichtige Hafenstadt Ugarit ein und zog durch Kadeš und die Wälder von Labu, dem biblischen LeboHamath am nördlichen Ausgang der Libanonsenke. Am Ende der Schilderung dieses Zuges kommt eine interessante Einzelheit vor: die Episode, wie Amenophis in der Saronebene, die sich der Küste entlang vom Karmel bis zum Jarkonfluß erstreckt, einen Sendboten des Königs von Mitanni abfing, der an seinem Hals einen in Keilschrift geschriebenen Brief trug. Wir entnehmen daraus, daß die umfangreiche diplomatische und konspirative Tätigkeit des Königs von Mitanni gegen Ägypten sich bis nach Südpalästina erstreckte. Amenophis’ letzter Feldzug war eine Strafexpedition gegen die aufsässige kanaanäische Bevölkerung in der Saron- und Jesreelebene. Die Saronebene war zum Teil von halbnomadischen Stämmen, die in Zeltdörfern lagerten, bewohnt. Auf dem Rückweg machte der Pharao in der »Umgebung von Megiddo« Rast, wo einer der aufständischen Vasallen aus dem Karmelgebiete vorgeladen und nach bewährter ägyptischer Methode durch einen anderen, dem Pharao treuen ersetzt wurde.14 Daß Megiddo in jener Zeit eine wichtige ägyptische Basis war, wird sowohl durch die dortigen archäologischen Funde bestätigt als auch durch die in Taanach, 7 km südöstlich von Megiddo, gefundenen Tontafeln15, unter denen sich ein Brief befindet, in dem der Fürst von Taanach den Befehl erhielt, unverzüglich Streitwagen nach Megiddo zu entsenden. Dieser Brief wurde von einer hochgestellten ägyptischen Persönlichkeit namens Amenḫatpa verfaßt. Dieser Ägypter schrieb noch einen anderen Brief, in dem dem Fürsten von Taanach Vorwürfe darüber gemacht werden, daß er dem ägyptischen Besatzungsheer keine Truppen zur Verfügung gestellt und sich nicht selbst bei ihm in Gaza gemeldet habe. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier der Pharao
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Amenophis II. in höchsteigener Person spricht, nachdem er während seines Feldzuges in Palästina von den Fürsten der in der Nähe seiner Marschroute gelegenen Städte Verstärkungen für seine Streitkräfte gefordert hat.16 Das in Taanach gefundene Archiv – der bisher umfangreichste Keilschriftfund Palästinas, obwohl er nur aus zwölf Tontafeln besteht – gibt ein interessantes Bild von den Alltagsproblemen der kanaanäischen Kleinkönige und ihren Beziehungen untereinander, die sich keineswegs auf ihre näheren Nachbarn beschränkten, wie z.B. der Kontakt des Fürsten von Taanach mit dem Gebiet von Betschan beweist. Ferner zeugen die vorkommenden Eigennamen von der komplizierten ethnischen Schichtung der Bevölkerung, in der die westsemitische Komponente vorherrschte, neben der es aber starke ḫurritische und indoarische Elemente gab. Auch mehrere soziale Stände werden erwähnt: die sogenannten »Brüder« des Fürsten, wahrscheinlich identisch mit der aus anderen Urkunden bekannten Streitwagenaristokratie der marjannu (s.S. 179), die militärischen Gefolgsmänner (ḫanaku), die Kriegsgefangenen (ašīru), die Frondienste zu leisten hatten, und die leibeigenen ḫupši. Verschiedene Bevölkerungsgruppen SyrienPalästinas lernen wir auch aus den Gefangenenlisten Amenophis’ II. kennen, von denen die eine hauptsächlich nach sozialen, die andere vorwiegend nach ethnischen Gesichtspunkten geordnet ist. Die erste Liste nennt 550 marjannu, 240 Frauen derselben, 640 Kanaanäer (hier eine Bezeichnung für die wirtschaftliche Oberschicht), 232 Fürstensöhne, 323 Fürstentöchter, 270 Hof Sängerinnen. Die zweite Liste nennt 127 Fürsten von Retenu, 179 »Brüder« der Fürsten, 3600 [Apiru] (identisch mit den Ḫapiru der Keilschrifttafeln, s.u.S. 206), 15200 SchasuBeduinen, 36300 Ḫurriter, 15 070 Nuḫašše-Leute (d.h. Nordsyrer) und 30 652 ihrer Angehörigen. Wenn wir auch über die asiatischen Feldzüge des Sohnes Amenophis’ II., Thutmosis’ IV., keine detaillierten Berichte besitzen, wie über die seiner Vorgänger, können wir über seine Eroberungen doch manches aus verstreuten Andeutungen in seinen Inschriften wie in denen seiner Beamten lernen.17 Er wurde sogar von seinen Zeitgenossen »Eroberer des Landes Ḫaru«, also SyrienPalästinas, genannt. Auf der Karosserie seines in seinem Grab in Theben gefundenen Wagens sind u.a. Szenen aus seinen Kriegen mit den Bewohnern Asiens abgebildet, denen eine Liste von eroberten Städten bis nach Naharina hin, darunter Tunip, Kadeš und Taḥsi, beigefügt ist; auch die Schasu-Stämme sind dort erwähnt, die der ägyptischen Herrschaft in wachsendem Maß zu schaffen machten. Auf einer Inschrift aus dem Grab Thutmosis’ IV. finden wir eine Anspielung auf die Eroberung der Stadt Gezer und die Wegführung ihrer Bewohner nach Ägypten, was zu dem Inhalt eines in jener Stadt gefundenen Briefes stimmen würde, der vielleicht vom Pharao zur Zeit seines Feldzuges an den Fürsten von Gezer geschickt worden ist und in dem er Gehorsam und Tributentrichtung an Ägypten forderte.18 Weitere Angaben über die asiatischen Feldzüge Thutmosis’ IV. lassen sich indirekt der Korrespondenz von El-Amarna entnehmen. Da erklärte z.B. der
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Fürst von Byblos in seinen Briefen an Amenophis III., daß dessen Vater Thutmosis IV. an der phönikischen Küste erschienen sei, um die Ordnung in den Ägypten unterstehenden Gebieten zu wahren. Diese Nachricht hinwiederum stimmt mit dem Bericht in einer der Inschriften Thutmosis’ IV., daß er im Land Retenu Zedern gefällt habe (zweifellos ist hier das Libanongebiet gemeint), überein. Auch der Fürst von Nuḫašše und die Oligarchen von Tunip in Nordsyrien bezeugten, einer der Pharaonen habe sie zur Unterwerfung gezwungen; aber es läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob hier Thutmosis III. oder IV. gemeint ist. Thutmosis IV. war der letzte der Pharaonen der XVIII. Dynastie, der einen Feldzug nach Asien unternahm. Seine Nachfolger, Amenophis III.19 Amenophis IV. und Tutanchamun, begnügten sich damit, die asiatischen Besitzungen aus der Ferne zu verwalten, bis schließlich die ägyptische Herrschaft in diesem Gebiet völlig zusammenbrach. d) Die Kleinstaaten in der Amarnazeit Für das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts besitzen wir dank der Auffindung eines umfangreichen Staatsarchives aus der Zeit Amenophis’ III. und des Ketzerkönigs Amenophis’ IV. in dem heutigen El-Amarna in Mittelägypten, nach dem jene Periode die Amarnazeit genannt wird20, ein weit vollständigeres Bild Syriens-Palästinas als für irgendeinen anderen Abschnitt des 2. Jahrtausends. Die mehr als 350 Briefe umfassende Regierungskorrespondenz ist durchweg in Keilschrift in der babylonischen Sprache geschrieben, die in ganz Vorderasien seit Jahrhunderten als lingua franca im internationalen Verkehr benützt wurde, wenn wir auch hie und da, und zwar hauptsächlich in den aus Palästina stammenden Schriftstücken, Spuren der kanaanäischen Umgangssprache antreffen. Ein Teil der Dokumente enthält den Briefwechsel der Pharaonen mit den Großmächten ihrer Zeit, nämlich Mitanni, Babylon, dem Hethiterreiche, Arzawa in Kleinasien und Alašia, d.h. Zypern, und gewährt uns einen Einblick in die regen internationalen Beziehungen und die hochentwickelte diplomatische Aktivität. Aber ihre Hauptmasse bildet die Korrespondenz mit den Vasallen oder Quasi-Vasallen der Pharaonen in Palästina und an der phönikischen Küste. Aus diesen Briefen erhalten wir den Eindruck, daß die Machtstellung Ägyptens in Asien erheblich geschwächt war. Das zeigt sich an den unstabilen Verhältnissen in der ägyptischen Provinz, den wiederholten Raubüberfällen auf Karawanen, der Hilflosigkeit gegenüber den Nomadenstämmen und insbesondere gegenüber den Räuberbanden der Ḫapiru, die sich zwischen den Stadtstaaten herumtrieben und sich deren Fürsten als Söldner verdingten. Obwohl gerade während der Regierung Amenophis’ III. Ägypten in vielen Beziehungen seinen Höhepunkt erreichte, hat sowohl dieser als auch in noch stärkerem Maße sein Nachfolger Amenophis IV., der seine Energie in erster Linie der innerägyptischen religiösen Reform widmete, die asiatischen Besitzungen vernachlässigt. Beide haben ihre Autorität hauptsächlich durch die bewährte
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Methode des »divide et impera« aufrechterhalten, indem sie durch ihre Agenten die Intrigen und Fehden der lokalen Fürsten gegeneinander schürten. Anderseits bringen die Briefe zahlreiche Einzelheiten über die Zustände in den verschiedenen Kleinstaaten Syriens und Palästinas und deren komplizierte Beziehungen untereinander, sowie über ihren Zusammenschluß zu neuen größeren Staatengebilden. Ein Vergleich der Amarna-Korrespondenz mit den gleichzeitigen Dokumenten aus dem hethitischen Staatsarchiv in Boğazköy, neuerdings auch aus dem Archiv in Ugarit, macht uns erst richtig klar, wie prekär die Stellung der syrischen Staatenwelt war, um die einerseits Mitanni und das aufsteigende Hethiterreich, andrerseits die Hethiter und Ägypten sich stritten. Diese Situation führte zu unausgesetzten militärischen Intrigen, zu politischem Doppelspiel und sogar zu Erpressungsversuchen den Großmächten gegenüber. Šuppiluliuma, der mächtige Hethiterkönig, durch dessen weitausgreifende Kriegsunternehmungen in Syrien bis nach Damaskus und dem Land Amqi in der Libanonsenke Mitanni aus Syrien verdrängt wurde21, wurde nun zum Gegenspieler Ägyptens. Viele der Kleinstaaten Syriens beugten sich jetzt lieber der hethitischen als der ägyptischen Oberherrschaft, weil die Hethiter größere Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit in ihren politischen Beziehungen zu den Vasallenstaaten zeigten und außerdem einen wirkungsvolleren militärischen Schutz versprachen. Ein beredtes Zeugnis jener Atmosphäre der Konspiration und der widerstreitenden politischen Orientierungen gibt uns z.B. die Beschwerde, mit der sich Akkizi, der Fürst von Qatna, gegen seinen Nachbarn, den Fürsten von Kadeš, an Amenophis IV. wandte: »Meinen Herrn liebe ich. Jetzt aber ist Aitakama, König von Kadeš, gegen mich ausgezogen und trachtet nach meinem Leben. Denn jetzt hat Aitakama zu mir geschickt und gesagt: ›Komm doch mit mir zu dem König von Ḫatti‹. Ich aber sprach: ›Selbst wenn ich sterben müßte, ginge ich nicht zu dem König von Ḫatti‹.« (EA 53, 8–14; Text teilweise ergänzt.) Darüber hinaus meldete Akkizi, daß der König von Kadeš und die Hethiter versuchten, das Gebiet von Damaskus (Upe genannt) auf ihre Seite zu ziehen. Daraus können wir entnehmen, daß sich der hethitische Einfluß bis nach Palästina hin bemerkbar machte.
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Abb. 13: Stele aus Ugarit, den Abschluß eines Vertrages darstellend
Andrerseits vereinigten sich auf Betreiben von Mitanni und Ägypten, der ehemaligen Rivalen, die jetzt aber mehr und mehr eine gemeinsame Sprache fanden, gegen das Hethiterreich die nordsyrischen Randstaaten, wie Alalaḫ, Nii und Nuḫašše, denen ja jetzt in erster Linie von diesem Reich Gefahr drohte. Der Fürst von Nuḫašše wandte sich sogar an Amenophis IV. mit der Begründung um Hilfe, seine Dynastie sei doch durch Ägypten eingesetzt worden, das daher die Verantwortung für seine Sicherheit trage. Der König von Ugarit dagegen weigerte sich, der anti-hethitischen Koalition beizutreten, und möglicherweise ist die teilweise Zerstörung der Stadt, über die der Fürst von Tyrus dem Pharao berichtet, durch eine Strafexpedition der Verbündeten verursacht worden. Überhaupt zeigt das Königreich Ugarit ein gutes Beispiel gelungenen Lavierens zwischen den beiden Blöcken durch eine Taktik doppelter Loyalität. Seine Könige sandten fast gleichlautende Loyalitätserklärungen an den Pharao und die Hethiterkönige. In Ugarit hat man auch die politischen Verträge gefunden, die Niqmadu II., sein bedeutendster Herrscher aus jener Epoche, mit Šuppiluliuma eingehen mußte, der ihm zwar militärische Hilfe- und Tributleistungen auferlegte, ihm aber Grenzkorrekturen auf Kosten von Ugarits Nachbarn gewährte. Gleichzeitig zeigt eine in Ugarit gefundene Alabastervase, die eine Hieroglypheninschrift trägt und auf der Niqmadu II. zusammen mit einer
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ägyptischen Prinzessin abgebildet ist, von den politischen Beziehungen dieses Königs zum fernen Ägypten. Dank dieses gelungenen Lavierens zwischen den Großmächten im 14. und 13. Jahrhundert und dank seiner günstigen Lage konnte Ugarit einen regen Mittelmeerverkehr mit Handelszentren wie Byblos, Tyrus, Akko, Asdod und Askalon im Süden22, Ura an der kilikischen Küste, Zypern und Kreta – um von den Großmächten selbst gar nicht zu reden – unterhalten, der ihm immense Reichtümer einbrachte und ihm einen kosmopolitischen Charakter verlieh. In einer heikleren Situation zwischen Ägypten und dem Hethiterreich befand sich der Staat Amurru, der sich kurz vor der Amarnazeit im nördlichen Libanongebiet konsolidiert hatte und viele Jahrzehnte lang ein Pufferstaat zwischen den beiden Großreichen blieb. Unter seinen Königen Abdi-aširta und Aziru und mit Unterstützung der Ḫapiru-Banden verfolgte er eine aggressive Politik gegen seine Nachbarn, auf deren Kosten er sich ausbreitete, und beherrschte speziell die Hafenstädte an der Mittelmeerküste – darunter die ägyptische Basis Sumur – von Byblos bis Ugarit. Letzteres wurde zu hohen Geldabgaben gezwungen. Nachdem zu Beginn der Amarnazeit Amurru im Einflußbereich Ägyptens gelegen hatte, untergrub es später dessen Herrschaft und knüpfte Beziehungen mit den Hethitern an, die zum Abschluß eines förmlichen Bündnisses und zur Anerkennung der hethitischen Oberhoheit führten.23 Die phönikische Küste nimmt in der Amarna-Korrespondenz einen besonders wichtigen Platz ein. Eine Reihe von Hafenstädten werden in ihr erwähnt, von Norden nach Süden: Arwad, Sumur, Ullaza, Byblos, Beirut, Sidon, die Insel Tyrus und das auf dem Festland gelegene Usu (Palaityros) und schließlich Akko. Im allgemeinen hielten die phönikischen Küstenstädte dem Pharao die Treue. Ihre Fürsten, die miteinander in Fehde lagen, wandten sich des öfteren an Ägypten um Hilfe gegen ihre Nachbarn, und insbesondere gegen das obenerwähnte Amurru-Reich und die gefürchteten Ḫapiru-Banden. Der unterwürfigste Vasall des Pharao war Rib-Addi von Byblos. In seinen über 60 Briefen spiegeln sich die Unbilden wider, denen er als ägyptischer Vasall ausgesetzt war, und die Ohnmacht seines Schutzherrn, der am Ende nicht verhindern konnte, daß Rib-Addi fliehen und seine Stadt preisgeben mußte. Ähnlich setzte auch Abimilki, der Fürst von Tyrus, sein ganzes Vertrauen auf Ägypten und bezeichnet sogar seine Stadt als »die Stadt der Majati«, der ägyptischen Prinzessin Meritaton, die die älteste Tochter Amenophis’ IV. und die Gattin seines Nachfolgers war.24 Wie die phönikische Küste blieb auch Palästina unter der Oberherrschaft Ägyptens, was ihm nicht nur Vorteile gewährte, sondern auch Verantwortung aufbürdete, wie aus den Worten Burnaburiaš’ II., des Königs von Babylon, an Amenophis IV. über die Plünderung seiner Handelskarawane in der Nähe von Akko hervorgeht: »Kanaan (hier Kinaḫḫi geschrieben) ist Dein Land, und seine Könige sind Deine Diener. In Deinem Land hat man mir Gewalt angetan.« Sogar
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die Hethiter erkannten das nördliche Ende der Libanonsenke als die Grenze des ägyptischen Herrschaftsbereiches in Asien an. Deshalb wird das Eindringen Šuppiluliumas in das Land Amqi, südlich dieser Grenze, sogar in der Geschichtsschreibung der Hethiter als Verletzung ägyptischen Territoriums dargestellt. Diese sieht darin die Ursache einer schweren Pest, die das Hethiterland heimsuchte.25 Aber das Wachsen der hethitischen Macht in Syrien und die Schwächung der ägyptischen Position hatten ihren Einfluß auch auf die Ereignisse in Palästina, insofern sie dort die Rivalität der Fürsten untereinander förderten und zu verstärkter Aktivität der Ḫapiru führten, mit denen einige dieser Fürsten, die sich dem Joch der ägyptischen Verwaltung zu entziehen suchten, gemeinsame Sache machten.
Abb. 14: Hazor. Kanaanäischer Altar aus jungbronzezeitlicher Schicht (14.–13. Jahrhundert v. Chr.) mit der Skulptur einer Gottheit und Masseben
So überwarfen sich im Norden die beiden wichtigsten Zentren, Astarot im Basan, dessen Einflußsphäre bis nach Pella im mittleren Jordantal reichte, und Hazor, das sowohl östlich über den Jordan als auch westlich nach der Meeresküste hin nach Gebietsgewinn strebte und dessen Herrscher sich als einziger unter allen Fürsten Kanaans erdreistete, auch dem Pharao gegenüber den Titel König (šarru) anzunehmen. In der Jesreelebene wurde die ägyptische Herrschaft kaum erschüttert, da sie sich dort auf die beiden Basen Betschan und Megiddo, dessen Fürst Biridija mit Hilfe von Fronarbeitern ausgedehnte landwirtschaftliche Projekte im Auftrag der ägyptischen Verwaltung ausführte, stützen konnte. Im zentralen Bergland südlich davon erstand den Ägyptern dagegen ein geschworener Feind, Labaja, der von seinem Sitz in Sichern aus
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beträchtliche Gebiete an sich riß, im Bund mit den Ḫapiru Megiddo belagerte und sogar in die Saronebene bis zum Jarkonfluß vorstieß. Zusammen mit MilkiIlu, dem Fürsten von Gezer, der früher ein Feind ihres Vaters war, bedrängten später Labajas Söhne sogar Jerusalem und südlicher gelegene Orte, wie Lachis und Askalon. Jerusalem blieb eine dem Pharao mehr oder weniger treue Insel. Sein Herrscher, Abdi-Ḫepa (vielleicht Puti-Ḫepa zu lesen), der sich den Titel eines ägyptischen Offiziers zulegte, drang in seinen Briefen an den Pharao darauf, dieser möge baldigst militärische Hilfe gegen die Angriffe seiner Feinde und die Räubereien der Ḫapiru entsenden, damit nicht das Land der ägyptischen Herrschaft verlorengehe. Über die weitverzweigten Verbindungen zwischen den Zwergstaaten Kanaans und die ephemeren Koalitionen belehrt uns z.B. die Entsendung eines Streitwagenkontingents aus Akko und Achsąph in Nordwestpalästina an Puti-Ḫepa von Jerusalem und Šuwardatta, der anscheinend der Fürst von Hebron war, zur Unterstützung ihres Kampfes gegen die Ḫapiru. Die Amarna-Korrespondenz ist auch die Hauptquelle für unsere Kenntnis der ägyptischen Herrschaftsordnung und Verwaltung in den unterworfenen Gebieten26, die sich in drei Provinzen gliederten: die nördliche Provinz Amurru mit der Hauptstadt Sumur, die östliche, die das Gebiet von Upe umfaßte, mit dem nicht sicher zu lokalisierenden Hauptsitz in Kumidi und schließlich die südliche, die ihren Hauptsitz von jeher in Gaza hatte und sich der Küste entlang nach Norden bis Tyrus erstreckte. Diese drei Provinzen unterstanden ägyptischen Kommissaren, die den akkadischen Titel rābiṣu, kanaanäisch sōkinu, führten und unmittelbar dem Pharao unterstellt waren. Diesen Kommissaren hinwiederum unterstanden die lokalen Fürsten, die des öfteren den aus Mesopotamien bekannten Titel ḫazannu (»Bürgermeister«) führten, d.h. ihre Gebiete als von den Ägyptern in ihrem Amt Bestätigte regierten. Um die ägyptische Oberherrschaft aufrechtzuerhalten, wurden ihnen Garnisonen zugeteilt, die aber äußerst klein waren. Für größere militärische Aktionen wurde aus Ägypten ein Expeditionsheer (ṣabē pidati, eigentlich Heer von Bogenschützen) entsandt, dessen Kern die Kriegswagen bildeten und das die Stadtfürsten des öfteren gegen ihre Feinde zu Hilfe riefen. e) Palästina und Syrien im 13. Jahrhundert Die Wirren in Ägypten und die Schwächung seiner Macht in Asien am Ende der XVIII. Dynastie ermöglichten es einerseits den Hethitern, ihre Herrschaft in Syrien zu konsolidieren, und andrerseits nomadischen und halbnomadischen Elementen, von Osten her in das Kulturland einzudringen und sich dort festzusetzen. Der Nachfolger Šuppiluliumas, Muršili II., versuchte, die nordsyrischen Staaten fester an den hethitischen Wagen zu spannen, wie uns die Bündnisse zeigen, die er mit Niqmepa II. von Ugarit und Duppi- Tešup von Amurru geschlossen hat. Er erscheint auch als oberster Schiedsrichter im Streit des Duppi-Tešup mit anderen Machthabern Nordsyriens.27 Sein Zeitgenosse
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Haremhab, der oberster Heerführer der letzten Pharaonen der XVIII. Dynastie gewesen war, dann aber die Herrschaft über Ägypten selbst an sich gerissen hatte, unternahm zwar den Versuch, den ägyptischen Einfluß in Asien mit Gewalt wiederherzustellen, scheiterte aber in Nordsyrien und anscheinend auch in Kanaan. Den Pharaonen der XIX. Dynastie, die eine politische Neuorientierung dem Osten gegenüber bekundeten und zu deren Zeit sogar der kanaanäische Einfluß in Ägypten selbst einen Höhepunkt erreichte, gelang es dann aber noch einmal, die ägyptische Herrschaft in Asien, wenn auch nicht in ihrem früheren Umfang, zu restaurieren.28 Schon Sethos I. (1308–1290) drang zu Beginn seiner Regierungszeit in Kanaan ein und unternahm noch weitere Feldzüge gegen dieses Land, um seine aufsässigen Fürsten und auch die nomadischen SchasuStämme, welche sich vor allem in den südlichen Randgebieten und in den Bergen herumtrieben, zur Unterwerfung zu zwingen. Gleichzeitig wußte er dem Vordringen der hethitischen Macht nach Südsyrien Einhalt zu gebieten. Über diese Züge, besonders über den im ersten Jahr seiner Regierung, belehren uns seine in Syrien und Palästina errichteten Stelen, die geographischen Listen eroberter kanaanäischer Städte und eine einmalige Serie von Reliefs mit Beischriften am Amun-Tempel in Karnak.29 Auf dem Teil der Reliefs, der erhalten geblieben ist, finden sich die detaillierten Abbildungen des ägyptischen Heerweges, der durch die nördliche Sinaihalbinsel nach Gaza führte, samt seinen 20 Burgen und befestigten Brunnen, der Einnahme der Stadt Jenoam (Tell ’Abidijeh oder Tell el-Naam) am Jordan nahe seinem Austritt aus dem Tiberiassee und der Eroberung der Stadt Kadeš (es ist zweifelhaft, ob hier Kadeš am Orontes gemeint ist oder nicht vielmehr eine wichtige Stadt desselben Namens in Obergaliläa). Neben Abbildungen von kanaanäischen Festungen mit ihrer typischen Umgebung bieten die Reliefs charakteristische Darstellungen der verschiedenen Volksgruppen, z.B. der wilden Schasu-Beduinen, der Kanaanäer, der »großen Fürsten des Libanon« und sogar der Hethiter, mit denen Sethos wohl zusammengestoßen sein mag. Aus den beigegebenen Listen eroberter Städte, die sich anscheinend auf Sethos’ ersten Feldzug beziehen, läßt sich entnehmen, daß er Betschan, Galiläa und den phönikischen Küstenstrich bis nach Ullaza hin wieder unter ägyptische Oberherrschaft gebracht hat. Über das Gebiet von Betschan und über die politische und militärische Konstellation, der der Pharao dort gegenüberstand, sind uns interessante Einzelheiten durch zwei dort gefundene Siegesstelen bekanntgeworden. Auf der sogenannten großen Stele aus seinem ersten Regierungsjahr berichtet Sethos über einen Aufstand des Fürsten des 15 km südlich von Betschan gelegenen Hamath, der Betschan angegriffen und mit Hilfe der Leute aus dem transjordanischen Pehel (dem späteren Pella) die Stadt Rehob (das südlich von Betschan gelegene Tell eṣ-Ṣarem) umzingelt habe. Die kleinere Stele ist zur Verewigung des Sieges über die Apiru errichtet worden, welche sich in den Hügeln Untergaliläas
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festsetzten und die eingesessene Bevölkerung bedrohten. Hier haben wir ein Zeugnis für die Einfälle umherschweifender Gruppen in Galiläa, die wir wohl als die Vorläufer israelitischer Stämme in Nordpalästina ansehen dürfen, zumal wir in den topographischen Listen Sethos’ eine erste Erwähnung des Namens Asser finden, mit dem ja später einer der Stämme Israels benannt wurde. Unter dem Nachfolger Sethos’ I., Ramses II. (1290–1224), erreichte der Kampf zwischen Ägypten und dem Hethiterreich um die Herrschaft in Syrien seinen Höhepunkt. Bald darauf trat aber eine allmähliche Besserung der Beziehungen zwischen den beiden Großmächten ein. Im vierten Jahr seiner Herrschaft unternahm Ramses, wie seine Stele an der Flußmündung des Nähr el-Kelb (zwischen Beirut und Byblos) bezeugt, einen Feldzug an die phönikische Küste, um die vorgeschobenen hethitischen Stellungen zurückzudrängen. Tatsächlich gelang es ihm, Bentešina, den König von Amurru, auf seine Seite zu ziehen. Die durch den Abfall Amurrus verursachte Erschütterung des labilen Gleichgewichts in Syrien bildete den Auftakt zur Schlacht um Rades am Orontes, die im fünften Regierungsjahr des Pharao (1285) stattfand. Sie war der schwerste Zusammenprall, den es zwischen Ägyptern und Hethitern je gegeben hat. Ramses rühmt wiederholt die Schlacht um Kadeš als den größten seiner Siege, sowohl in Inschriften als auch auf den zahlreichen Reliefs an den Wänden ägyptischer Tempel, die es uns ermöglichen, den Gang des Kampfes exakt zu rekonstruieren, und uns genau über die Verbündeten und die Stärke der Streitkräfte, die einander gegenüberstanden, informieren.30
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Abb. 15: Eroberung des Landes Moab durch Ramses II. Eroberte moabitische Festungsstadt und Gefangene. Relief am Tempel von Luksor
Trotzdem stellt sich heraus, daß Ägypten in Wirklichkeit eher eine Niederlage erlitten hat. Kadeš wurde nicht erobert, die Hethiter gewannen die Oberherrschaft über Amurru wieder und drangen sogar in das südlicher gelegene Gebiet von Damaskus (Upe) ein, das für kurze Zeit zum Sitz eines hethitischen Statthalters wurde. Dieses Versagen Ägyptens in der Schlacht um Kadeš brachte auch seine Herrschaft in Palästina ins Wanken. Schon im achten Jahr seiner Regierung sah sich Ramses gezwungen, einen Feldzug nach Obergaliläa zu unternehmen, um die aufsässigen Städte zu unterwerfen, darunter Merom, an dessen Wassern einige Jahrzehnte später auch Josua gekämpft haben soll (s.u.S. 210). Von weiteren Eroberungen im Norden legen seine Reliefs Zeugnis ab, wie etwa die Darstellung der Einnahme Akkos und anderer Städte im westlichen Galiläa, insbesondere aber seine Stelen in Byblos und Tyrus, in Scheich Sa’ad östlich des Tiberiassees und in Betschan.31 Außerdem mußte Ramses Aufstände im Süden des Landes unterdrücken, wie durch sein Relief von der Eroberung Askalons und die topographischen Listen, welche die palästinensische Küste erwähnen und auf Auseinandersetzungen mit den Schasu-Stämmen im Negeb und im Land Seir schließen lassen, bezeugt wird. Auch aus den Ausgrabungen in Jaffa erfahren wir von der Zerstörung und dem Wiederaufbau dieser Stadt zur Zeit Ramses’ II., dessen fragmentarische Inschrift auf den Bruchstücken der Pfeiler des Stadttores gefunden wurde.32 Reliefs mit Beischriften auf einer neuerdings in Luksor freigelegten Wand berichten von einem Feldzug Ramses’ II. gegen Moab, wo er unter anderen Städten die nördlich vom Arnonfluß gelegene Festung Dibon eroberte. Hier finden wir zum ersten Mal die Erwähnung eines ägyptischen Feldzuges nach dem südlichen Transjordanien und somit den Beweis ägyptischen Einflusses in diesem entlegenen Gebiet. Dadurch könnte der bisher befremdliche Fund einer Stele in Balu’a südlich von Dibon, die in typisch ägyptisierendem Stil das Relief eines von zwei Götterfiguren flankierten moabitischen Herrschers zeigt und eine hieroglyphenähnliche Inschrift trägt, seine Erklärung finden.32a Eine einzigartige Quelle für das Land Kanaan aus der zweiten Hälfte der Regierungszeit Ramses’ II. besitzen wir in dem Papyrus Anastasi I.33 Dieses Dokument enthält eine lebhafte Schilderung der Landschaft, der verschiedenen Bevölkerungsschichten, des Straßennetzes und der wichtigsten Städte von Sumur im Norden und Damaskus im Osten bis Jaffa im Süden. Alle drei genannten Städte waren persönlicher Besitz des Pharaos. Gleichzeitig erfahren wir aus dem Papyrus von den Schwierigkeiten, mit denen die ägyptische Herrschaft zu kämpfen hatte, und von der Unsicherheit im Bergland, die vor allem durch die Schasu- Banden verursacht wurde, welche allem Anschein nach schon die Stämme Israels mitumfaßten, die sich damals im Land anzusiedeln
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begannen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die beiläufige Erwähnung einer kühnen Tat des Stammeshäuptlings von Äser (ısr), das höchstwahrscheinlich mit dem israelitischen Stamme Asser identisch ist. Sie erinnert uns an die Heldentaten aus den biblischen Richtererzählungen. Der kalte Krieg zwischen Ägypten und den Hethitern, der nach der Schlacht um Kadeš noch einige Zeit fortdauerte, endete dann mit dem Abschluß eines Friedensvertrages und eines Nichtangriffspaktes zwischen Ramses II. und dem Hethiterkönig Ḫattušili III. (1269), deren Beziehungen durch die diplomatische Heirat des Pharao mit einer oder vielleicht sogar mit zwei Töchtern des Hethiterkönigs noch enger wurden. Der detaillierte Staatsvertrag, der uns in den Abschriften beider Vertragspartner vorliegt, erwähnt zwar nirgends ausdrücklich die zwischen den beiden Großmächten festgelegte Grenzlinie, aber sie fiel offenbar mit der nördlichen Grenze des Landes Kanaan zusammen, die in der Bibel angegeben wird (Num. 34) und die die Israeliten zur Zeit der Landnahme vorfanden.34 Sie lief also von der Mittelmeerküste nördlich von Byblos über Lebo-Hamath am Nordausgang der Libanonsenke weiter nach Osten. Somit stand das Gebiet von Damaskus noch unter ägyptischer Herrschaft, während Amurru schon zum hethitischen Herrschaftsbereich in Syrien gehörte, der sich nach einer biblischen Angabe (Jos. 1,4) vom Libanon bis an den Euphrat erstreckte. Diese Aufteilung Syrien-Palästinas, wie das friedliche Verhältnis zwischen Ägyptern und Hethitern überhaupt, blieb zur Zeit des Pharao Merenptah (1224– 1214) und des Hethiterkönigs Tutḫalija IV. (um 1250–1220) bis zum Zusammenbruch des Hethiterreiches weiterbestehen. Das Band zwischen den beiden Großmächten verstärkte sich besonders angesichts der gemeinsamen Gefahr von Seiten der Seevölker. Tutḫalija IV. gelang es, seine Herrschaft in Nordsyrien, die ihm dazu noch von einem anderen Rivalen, dem aufsteigenden Assyrerreich, streitig gemacht wurde, aufrechtzuerhalten, wie sein Siegel aus Boğazköy mit der Titulatur šar kiššati »König der Gesamtheit« (s.S. 167), die Urkunden aus Ugarit und sein Vasallenvertrag mit Šaušga-muwa, dem König von Amurru, beweisen. Demgegenüber unternahmen die Völker Kanaans beim Tod Ramses’ II. den Versuch, das ägyptische Joch abzuschütteln. Merenptah mußte am Anfang seiner Regierung einen allgemeinen Aufstand niederschlagen. In einem Siegeslied aus seinem fünften Regierungsjahr auf der sogenannten »Israel-Stele«, auf der wir die früheste Erwähnung des Volkes Israel in einer außerbiblischen Quelle finden, prahlt der Pharao: »Die Fürsten sind niedergeworfen und sagen: ›šalom‹ (Frieden)! – Kanaan ist mit allem Bösen erobert worden; Askalon ward fortgeführt und Gezer gepackt; Jenoam ist zunichte gemacht; Israel ist verwüstet und hat keinen Samen (mehr); Ḫaru ist zur Witwe geworden für Ägypten.« Die wiederhergestellte Herrschaft Merenptahs in Kanaan und die engen Beziehungen mit Zentren wie Gaza und Tyrus an der Küste und sogar mit Ortschaften im Gebirgsland wird in Fragmenten des
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Tagebuches eines ägyptischen Beamten (Papyrus Anastasi III), der an der Grenze zwischen Ägypten und der Sinaihalbinsel stationiert war, bezeugt. Auch nach Merenptahs Tod, als die ägyptische Herrschaft in Kanaan wieder erschlaffte, dauerte der Kontakt mit Ägypten fort, wie z.B. durch Funde in Teil el-Far’ah (Scharuhen) im westlichen Negeb und sogar in Deir ’Allah an der Jabbokmündung in Transjordanien, von denen der erste den Namen Sethos’ II. und der zweite den seiner Gemahlin Tausert erwähnt35, erwiesen wird. Auf dieselbe Zeit bezieht sich auch der Bericht eines ägyptischen Grenzbeamten (Papyrus Anastasi VI) über den aus Mangel an Nahrung erfolgten Grenzübertritt eines edomitischen Beduinenstammes, der uns ähnliche Erzählungen aus der Erzvätertradition des Volkes Israel in Erinnerung ruft. Um 1200 endete die XIX. Dynastie in völliger Anarchie, als anscheinend ein fremder, als Ḫaru bezeichneter Usurpator, der also ein Asiate gewesen sein muß, die Macht an sich riß. Möglicherweise ist dieses Eindringen eines asiatischen Herrschers in Ägypten mit der biblischen Überlieferung über den etwa gleichzeitigen Kusan Risathaim aus Aram Naharaim (Nordsyrien), den ersten Unterdrücker des Volkes Israel in der Richterzeit, in Verbindung zu bringen. Nach Ri. 3, 3 ff. soll dieser ins Land Juda eingedrungen sein. Doch ist anzunehmen, daß eine so großangelegte Expedition in Wirklichkeit der Eroberung Ägyptens galt und daß somit der Kampf mit dem Stamm Juda nur eine nebensächliche Episode war.36 f) Die Seevölker, das Ende der ägyptischen Herrschaft in Kanaan und das Auftreten Assyriens in Phönikien37 Zu Beginn des 12. Jahrhunderts verstärkte sich der Ansturm der Seevölker im ganzen östlichen Mittelmeerbecken. Sie brachten das Hethiterreich zu Fall und zogen sowohl zu Land über Syrien und Palästina als auch über das Meer gegen Ägypten. Spuren der völligen, durch die Seevölker verursachten Zerstörung lassen sich deutlich in den ausgegrabenen Städten erkennen, die der syrischpalästinensischen Küste entlang oder in ihrer Nähe liegen, von Alahaḫ und Ugarit im Norden bis Jaffa, Asdod und Askalon im Süden. Erstere haben sich nie wieder von der Katastrophe erholt, die letzteren dagegen wurden nach kurzer Zeit als Philisterzentren wiederaufgebaut, während die Hafenstadt Dor an der Karmelküste zum Zentrum der Zeker, eines Zweiges der Seevölker, wurde, wie wir aus dem Reisebericht des Wen-Amun (s.u.S. 202) erfahren. Auf die Zerstörung der phönikischen Städte bezieht sich wohl auch eine spätere Überlieferung, die bei Justin erhalten geblieben ist und nach der der König von Askalon (gemeint ist sicher schon ein Philisterfürst) die Stadt Sidon ein Jahr vor dem Troianischen Krieg zerstört habe. Darauf hätten deren Einwohner das damals anscheinend ebenfalls zerstörte Tyrus »gegründet«. Die Dramatik der über die Küstenstädte hereinbrechenden Katastrophe läßt sich dank der Korrespondenz aus dem Archiv von Ugarit, die kurz vor der Zerstörung der Stadt über das Herannahen und sogar noch über eine Landung feindlicher Invasionsschiffe berichtet, in einzigartiger Weise miterleben.
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Die Einfälle der Seevölker führten zu einer radikalen Veränderung der politischen und ethnographischen Landkarte Vorderasiens, nicht nur durch ihre Ansiedlung im Küstengebiet – und manchmal auch im Innern des Landes, wie in Megiddo (Schicht VI) und Orten im palästinensischen Gebirgsland (s.u.S. 220) –, sondern auch dadurch, daß sie eine Zuwanderung von anatolischen Elementen nach Syrien auslösten, die dort zur Entstehung der neo-hethitischen Kleinstaaten führte. In Ägypten selbst vermochten die Seevölker allerdings nicht einzudringen, weil dort Ramses III. aus der XX. Dynastie (1182–1151) gegen sie standhielt. Sein wichtigster Zusammenstoß mit ihnen erfolgte in seinem achten Regierungsjahr, als er fünf der Völker, welche sich zu einer Konföderation zusammengeschlossen hatten, in einer Seeschlacht im Nildelta zurückschlug und überdies einen Feldzug zu Lande bis nach dem von ihnen zerstörten Amurru unternahm. Die Seevölker aber, unter ihnen in erster Linie die Philister und Zeker, verstärkten ihren Druck nach Süden. Um die Ägypten bedrohende Gefahr abzuwenden, blieb Ramses anscheinend kein anderer Weg, als ihre Ansiedlung im Küstengebiet von Südpalästina zu genehmigen und sie zu einem Werkzeug der ägyptischen Herrschaft in Kanaan zu machen. Nach den biblischen Quellen wohnten die Philister gerade in den Zentren, die vorher unter ägyptischer Herrschaft gestanden hatten, wie etwa Gaza und Betschan, wo auch anthropoide Särge der Philister gefunden worden sind. Es ist anzunehmen, daß sie an jenen Orten im ägyptischen Heer als Söldnertruppe gedient haben, die bei der Unterdrückung von aufsässigen lokalen Elementen mitgewirkt hat. Bei dem Untergang der ägyptischen Herrschaft träten dann die Philister in ihrem Kampf mit dem Volk Israel als die Erben derselben auf (s.u.S. 219 ff.). Zur Zeit Ramses’ III. gelang es Ägypten zum letzten Mal in seiner Geschichte, die Herrschaft über Palästina zu gewinnen. Ramses kämpfte mit Erfolg gegen die Schasu in dem südlichen Randgebiet Seir, deren Druck auf die ägyptische Grenze immer stärker wurde, und befestigte etliche kanaanäische Städte, in erster Linie solche, die an der Hauptverkehrsstraße, der via maris, lagen, darunter eine, die seinen Namen trägt, »Migdol Ramses«. Ähnlich wie seine Vorgänger errichtete er in Betschan, wo auch eine Statue des Pharao gefunden worden ist, zwei Heiligtümer, die möglicherweise mit den aus der Bibel bekannten Dagonund Astaroth-Tempeln (i Sam. 31,10; 1 Chr. 10,10) identisch sind. Überhaupt hat keiner von den Pharaonen so viel Heiligtümer in Kanaan errichtet wie Ramses III. Diese dienten nicht nur dem Kult der ägyptischen, sondern weitgehend auch dem der einheimischen kanaanäischen Götter, offenbar um der ägyptischen Herrschaft über dieses Gebiet den Stempel der Legitimität aufzuprägen. Diese Heiligtümer besaßen große wirtschaftliche Bedeutung, da in ihnen die Spenden und Steuern der Bewohner Kanaans an Ägypten hinterlegt wurden. Als Besitztümer des ägyptischen Reichsgottes Amun nennt der Große Papyrus Harris u.a. neun Städte im Lande Ḫaru, d.h. Kanaan, die, ähnlich wie die Priester- und Levitenstädte, die wir aus späterer Zeit aus der Bibel kennen, Heiligtumsstädte waren.
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Nach dem Tod Ramses’ III. ging die ägyptische Herrschaft in Kanaan schnell ihrem völligen Zusammenbruch entgegen. Ein letztes Zeugnis ihrer Existenz ist die Stele Ramses’ VI. in Megiddo aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. In welchem Maß das Prestige Ägyptens sogar an der phönikischen Küste, die jahrhundertelang unter seiner Oberhoheit gestanden hatte, gesunken war, bezeugt mit großer Eindringlichkeit die Erzählung des ägyptischen Reisenden Wen- Amun, der zu Anfang der XXI. Dynastie (um 1080) eine Seefahrt nach Byblos unternahm. Das Schwinden des ägyptischen Einflusses wurde dort unter anderem auch durch den Aufstieg Assyriens und den Angriff seines eroberungslustigen Königs Tiglat-Pileser I. (1114–1076) auf das Libanongebiet und die phönikischen Hafenstädte, von denen er drei – Arwad, Byblos und Sidon – tributpflichtig machte, verursacht. Aus dieser Konstellation heraus sollten wir wohl jene geringschätzige Behandlung verstehen, die Wen- Amun und anderen ägyptischen Boten am Hof des Zakar-Baal, des Fürsten von Byblos, widerfuhr. Trotzdem haben die mächtigen Großkaufleute der phönikischen Küstenstädte auch in jener Zeit weiterhin ausgedehnte Handelsbeziehungen mit Ägypten unterhalten. In diesem Zusammenhang erwähnt der Bericht des WenAmun stattliche Handelssyndikate, die in Byblos nicht weniger als 20 Seeschiffe und in Sidon 50 Küstenboote besaßen, Zahlen, die allerdings im Vergleich mit denen der früheren Handelsflotte der Stadt Ugarit, von der einmal die Ausrüstung von nicht weniger als 150 Schiffen erwähnt wird, gering erscheinen. Ägypten hat offenbar auch versucht, Verbindungen mit der neu aufgekommenen assyrischen Macht anzuknüpfen, wie eine Sendung exotischer Tiere aus dem Nilland zeigt, die als freundschaftliche Geste an den assyrischen König gesandt worden sind. Der Feldzug Tiglat-Pilesers I. nach Westen ist aber einstweilen eine vorübergehende Episode. Assyrien hat noch etwa 200 Jahre warten müssen, bis es ihm gelang, an der Mittelmeerküste festen Fuß zu fassen. Das wichtigste Hindernis, das Tiglat-Pileser I. und seine Nachfolger im Westen zu überwinden hatten, bildeten die Stämme der Aramäer, die seit dem Ende des 12. Jahrhunderts Syrien und das Gebiet des Euphrats bis nach Balbylonien hin überschwemmten. Die Hartnäckigkeit dieses Feindes, der in den Inschriften Tiglat-Pilesers zum ersten Mal ausdrücklich erwähnt ist, wird aus den nicht weniger als 28 Feldzügen deutlich, die jener gegen die Aramäer unternehmen mußte, in denen er ihnen bis zur Karawanenstadt Tadmor, dem späteren Palmyra, und sogar bis zum Libanongebirge nachsetzte. Etwa ein Jahrhundert später finden wir die Aramäer, die sich inzwischen in Staaten organisiert hatten, in einen Kampf mit den Königen Saul und David um die Herrschaft im Libanongebiet und in Nordtransjordanien verwickelt. In Kanaan, wo die ägyptische Herrschaft untergegangen und Assyrien noch nicht zu einem entscheidenden Faktor geworden war, entbrannte um so heftiger der Kampf zwischen den lokalen Kräften, in welchem das Volk Israel eine Rolle ersten Ranges spielte. Bald hatte es mit der autochthonen kanaanäischen
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Bevölkerung zu ringen, bald mit den Randstaaten in Trans Jordanien, schließlich mit den Philistern. III. Die Frühgeschichte Israels a) Die Anfänge Israels Die biblische Überlieferung setzt vor dem Einbruch der Stämme Israels in Palästina und bevor Israel zu einer historisch faßbaren Größe im Kulturland wurde, eine längere Geschichte voraus. Sie hat ihren Niederschlag in den Erzvätererzählungen im Buch Genesis und in der Schilderung der Knechtschaft und dem darauffolgenden Auszug aus Ägypten in den weiteren Büchern des Pentateuchs gefunden. Das Hauptproblem, in dem die Meinungen der Forscher einander diametral entgegenstehen, bildet die historische Bewertung dieser Tradition und ihre chronologische Einordnung. Nach der hauptsächlich in deutschen Forscherkreisen verbreiteten, dieser Tradition ablehnend gegenüberstehenden Ansicht sei Israel als Volk erst auf kanaanäischem Boden, also nicht vor dem 12. Jahrhundert, durch die allmähliche Vereinigung von ursprünglich nicht verwandten Stämmen, die sich in einem Zwölfstämmesystem konstitutiert hätten, entstanden. In der israelitischen Organisationsform pflegt man dann, nach delphischem Muster, eine sogenannte »Amphiktyonie« zu sehen, d.h. einen sakralen Bund von Stämmen, die ihren gemeinsamen Gott, Jahwe, in einem zentralen Heiligtum verehrten, das sich erst in Sichern, später in Bethel und dann in Silo befand. Danach hätten also die Stämme Israels keine gemeinsame Vergangenheit vor ihrer Ansiedlung in Palästina besessen, und die Erzvätergestalten wären dann nur eine Art Häupter einzelner Stämme gewesen, die am Rand der Wüste umherwanderten und erst von der späteren biblischen Überlieferung »nationalisiert« und in ein genealogisches System hineingezwängt wurden. Damit würden die Traditionen über ein eigenes Patriarchenzeitalter, den Aufenthalt Israels in Ägypten und schließlich die Eroberung Palästinas, wie sie in der Bibel geschildert werden, hinfällig. Tatsächlich hat man jene Schilderungen einerseits als aitiologische Sagen, andrerseits als Widerspiegelung späterer Verhältnisse der Richter- und sogar der Königszeit abgetan.38 Aber auch ohne uns einer fundamentalistischen Einstellung zu verschreiben und im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß in der Tradition der Vorgeschichte Israels unzählige spätere Elemente und Anachronismen enthalten sind, können wir gewichtige Momente für eine positivere Einstellung zur biblischen Überlieferung geltend machen, zumal diese immer mehr durch neues archäologisches und urkundliches Material untermauert wird. Über den Auszug aus Ägypten und die Eroberung Palästinas wird noch ausführlich zu sprechen sein. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß auch in den Erzvätergeschichten sich heutzutage manches als altes und authentisches Gut entpuppt, u.a. die Eigennamen, die größtenteils in späteren biblischen Quellen nicht mehr vorkommen, aber häufig ihre Parallelen in den vorderasiatischen Dokumenten
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der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends haben, sowie manche Bräuche und das soziale Milieu überhaupt, welche weitgehende Übereinstimmung mit den Rechtsordnungen der aus dem 15. Jahrhundert stammenden Urkunden aus Nuzi aufweisen, jedoch nicht mit den Lebensformen einer späteren Zeit in Einklang stehen. Tatsächlich bewerten heute größere Forscherkreise, hauptsächlich in Amerika, wenn auch in verschiedenem Grad, das Zeugnis der Bibel positiver; doch während von diesen im allgemeinen der Auszug aus Ägypten und die Eroberung Palästinas in das 13. Jahrhundert datiert werden, gehen die Meinungen über die Ansetzung der Patriarchenzeit weit auseinander. Diejenigen, die zu einer Spätdatierung neigen, schlagen eine Gleichsetzung mit der Amarnazeit, also dem 14. Jahrhundert, vor, wobei sie sich u.a. auf die Geschlechtsregister in der Bibel stützen, nach denen Moses zum vierten Geschlecht nach Jakob gehörte (Ex. 6,13 ff.). Andere dagegen setzen die Zeit der Erzväter viel früher und zwar in der mittleren Bronzezeit, also in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends an.39 Es ist aber unzulässig, von einem Patriarchenzeitalter als einer konkreten und eindeutig festzulegenden Zeit zu sprechen. Vielmehr scheinen die biblischen Erzählungen einen jahrhundertelangen Prozeß, dessen Beginn mit der Einwanderungswelle der Westsemiten am Anfang des 2. Jahrtausends zusammenhängen mag, in eine kurze Zeitspanne von drei Generationen – die der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob – komprimiert zu haben. Jene werden einerseits als typische Halbnomaden geschildert, die zwischen den Kanaanäerstädten Sichern, Bethel, Hebron, Beerseba und Gerar (im nördlichen Negeb) umherwanderten und mit deren Einwohnern Kontakte hatten, andrerseits erscheinen sie als Kultstifter und Träger der Offenbarung eines anonymen Gottes, der ihnen das Land Kanaan und zahlreiche Nachkommenschaft verheißen hatte. Man darf also annehmen, daß der Landnahme ein längeres Nomadentum vorangegangen ist, während dessen sich das Geschlecht der Hebräer zu einer wirklichen Nation konsolidierte. Bei dieser Volkwerdung spielten Zentren wie Penuel an der Jabbokmündung in Transjordanien, von wo nach der biblischen Überlieferung der Name Israel stammt (Gen. 32, 29 ff.), und Kadeš Barnea auf der nordöstlichen Sinaihalbinsel, wo Moses Israel »Gesetz und Recht« gab (Ex. 15, 25), eine bedeutende Rolle. b) Der Auszug aus Ägypten Das Fehlen jeglicher direkten außerbiblischen Nachricht über den Auszug aus Ägypten und die Eroberung Palästinas bildet kein durchschlagendes Argument, die biblische Überlieferung abzulehnen, sondern beruht gewiß auf der Tatsache, daß diese Vorgänge, am internationalen Maßstab gemessen, zu belanglos waren, als daß sie in den zeitgenössischen Quellen unbedingt Spuren hätten hinterlassen müssen. Die Tradition über die Befreiung Israels »aus dem Hause der Knechtschaft« in Ägypten ist hinwiederum nicht nur einer der Grundpfeiler des
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Pentateuchs, sondern ist auch in den anderen biblischen Quellen tief verwurzelt, wie etwa bei den Propheten (z.B. Hos. 11,1; Am. 9,7; Jer. 2,6) und den Psalmdichtern (z.B. Ps. 78,12–13; 81,6).40 Nach der chronologischen Angabe in 1 Kön. 6,1 fand der Auszug aus Ägypten 480 Jahre vor dem Bau des salomonischen Tempels (etwa 970 v. Chr.) statt, wobei dem Autor offenbar zwölf Generationen vor Augen gestanden haben, da ja eine Generation in der Bibel auf 40 Jahre angesetzt wird. Wenn wir aber für eine Generation realistischer etwa 25 Jahre rechnen, ergeben sich anstatt 480 nur ungefähr 300 Jahre – und somit für den Auszug aus Ägypten die Mitte des 13. Jahrhunderts. Ungefähr zu derselben Datierung gelangen wir auch auf Grund der Bemerkung des Richters Jephta gegenüber dem König der Ammoniter (Ri. 11,26), die israelitische Ansiedlung bestünde (um 1100) in Südtransjordanien schon seit 300 Jahren. Diese Zahl würde nach der obenerwähnten Umrechnung etwas weniger als 200 Jahre, also für den Auszug die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts ergeben. Nun finden sich in mehreren außerbiblischen Quellen wie auch in den archäologischen Funden aus Palästina und Transjordanien Anhaltspunkte für eine Datierung der Hauptvorgänge des Auszuges aus Ägypten und der Eroberung Palästinas in das 13. Jahrhundert. Als eine indirekte Stütze für die Geschichtlichkeit des Aufenthaltes der Israeliten in Ägypten kann das Auftreten von Apiru im Nilland seit dem 15. Jahrhundert gelten, die mit den Ḫapiru der akkadischen Quellen identisch sind und höchstwahrscheinlich einen Zusammenhang mit den Hebräern (’ibri), an die ihr Name anklingt, haben. Dieser Name Apiru, der eigentlich wie der Terminus Ḫapiru eine niedrige soziale Schicht von Heimatlosen, die aus dem normalen gesellschaftlichen Rahmen herausfallen, bezeichnete, wurde für semitisch-kanaanäische Elemente, darunter die Israeliten, gebraucht, welche nach Ägypten gekommen waren und dort als Halbsklaven und Klienten der Regierung lebten.41 Interessant ist hier vor allem ein Dokument aus der Zeit Ramses’ II. (1290 bis 1224) über die Einsetzung von Apiru bei Bauarbeiten, was uns unmittelbar an die Fronarbeit der Israeliten bei der Errichtung der beiden Vorratsstädte Pithom und Raamses (Ex. 1,11) erinnert. Diese beiden im Ostdelta, dem von den Israeliten bewohnten biblischen Land Gosen, gelegenen Städte sind tatsächlich von Ramses wiederaufgebaut worden. Die erste ist Pi-Aton, »Haus des Gottes Aton«, die zweite, die neue Residenzstadt Ägyptens, die »Haus des Ramses, des Geliebten Amuns«, benannt wurde. Daraus ergibt sich, daß wir Ramses II. als den Pharao der Unterdrückung zu betrachten haben und annehmen müssen, daß die Israeliten entweder schon während seiner langen Regierung oder der seines Nachfolgers Merenptah aus Ägypten ausgezogen sind. Dazu paßt der Bericht der oben erwähnten Israel-Stele (s.o.S. 199), nach dem Merenptah mit dem Volk Israel höchstwahrscheinlich in Kanaan und nicht auf der Sinaihalbinsel zusammengestoßen sei. Dieses Ereignis, das um 1220 anzusetzen ist, hat für jede Rekonstruktion des Herganges der Eroberung Palästinas durch die Stämme Israels den festen Ausgangspunkt zu bilden.
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Die biblische Erzählung des Auszugs aus Ägypten trägt zwar das Gepräge volkstümlicher Dichtung und ist von Wundertaten durchzogen, zeigt aber nichtsdestoweniger entschieden historische Züge, wie etwa den ägyptischen Widerstand gegen den Abzug fremder Gruppen und die Ansetzung der Flucht auf die Nachtzeit, welche sehr wohl in Anbetracht der strengen Grenzbewachung, über die wir Näheres aus den Dokumenten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (s.o.S. 200) erfahren, einleuchtet. Auch das scheinbar ziellose Hin- und Herwandern Israels in der Sinaiwüste und die Tatsache, daß es nicht auf dem kürzesten Weg, dem sogenannten Philisterweg, nach Kanaan gezogen sei – »denn Gott sagte sich, das Volk möchte es bereuen, wenn sie Kampf zu erwarten hätten, und sie möchten nach Ägypten zurückkehren« (Ex. 13,17) –, wird angesichts der hochqualifizierten Verteidigung dieser internationalen Straße (s.o.S. 195), welche den Israeliten militärisch zur Falle hätte werden können, völlig verständlich. Dennoch können wir die Route der Israeliten auf der Sinaihalbinsel trotz der detaillierten Itinerarien, welche uns in Ex. und Num. vorliegen, nicht zuverlässig rekonstruieren, weil die Reisestationen größtenteils temporäre Lagerstätten gewesen sind, welche sich nicht genau identifizieren lassen. Dasselbe gilt für den Gottesberg Sinai, den wir nach einer späten Tradition aus der byzantinischen Zeit mit dem Ğebel Mussa im Süden der Sinaihalbinsel gleichzusetzen hätten, während wir ihn nach manchen neueren Auffassungen in der nördlichen Halbinsel in der Nähe von Kadeš Barnea lokalisieren müßten.42 Das Phänomen des Auszuges aus Ägypten und der Eroberung Kanaans paßt als solches in den allgemeinen historischen Prozeß jener Zeit hinein, einen Prozeß der Konsolidierung ethnischer Gruppen und ihrer Selbstbesinnung als nationale Einheiten, die nach einem territorial-staatlichen Rahmen strebten. So sind nach dem archäologischen Befund am Anfang des 13. Jahrhunderts die Staaten der Edomiter, Moabiter und Ammoniter entstanden, welche nach der biblischen Tradition noch von der Erzväterzeit her mit dem Geschlecht der Hebräer verknüpft waren.43 Im Gegensatz zu Israel, das erst am Ausgang des 11. Jahrhunderts ein Königreich wurde, haben jene Völker sich schon in einem frühen Stadium ihrer Ansiedlung als Königreiche konstituiert. Von der Landnahme der aramäischen Stämme und ihrer Staatenbildung im 12. und 11. Jahrhundert war schon oben die Rede (S. 203). Einen Ausdruck für die Transformation Israels von einem Stämmeverband zu einer wirklichen Nation finden wir auch in dem religiös-revolutionären Akt, welchen die Bibel an die Gestalt des Moses knüpft, wobei sie die Gottesoffenbarung am Sinai als integralen Bestandteil des Auszuges aus Ägypten betrachtet. Die monotheistische Religion, welche ein nicht aus der heidnischen Umwelt erwachsenes, originär-israelitisches Phänomen darstellt, stützt sich auf eine polare Auffassung Jahwes als einer zugleich nationalen und kosmisch-universalen Gottheit. Der monotheistische Glaube ist nicht, wie die in der Bibelkritik vorherrschende evolutionistische Auffassung will, Frucht
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späteren geistig-theologischen Denkens, sondern wirkte schon als entscheidender historischer Faktor, seit Israel in die Geschichte eintrat, und beseelte schon die in das verheißene Land Kanaan einbrechenden Stämme.44 c) Einbruch und Ansiedlung der Stämme Israels Die offizielle biblische Überlieferung der Landnahme ist vollkommen eindeutig: Palästina zu beiden Seiten des Jordan sei in einer einheitlichen militärischen Aktion von relativ kurzer Dauer, an der der gesamte Zwölfstämmebund, zunächst unter Moses’ und später unter Josuas Führung, teilnahm, erobert worden. Dabei habe jedes der einzelnen Stämmeglieder seinen Anteil am Grund und Boden entweder unmittelbar von Moses oder unter dessen Nachfolger durch das Los erhalten. Diese vereinfachende und tendenziöse Darstellung hält der Kritik nicht stand. Schon in den biblischen Quellen selbst treten manche Unstimmigkeiten und Widersprüche zutage. Es ist anzunehmen, daß der historische Verlauf viel komplizierter war und daß erst die spätere israelitische Geschichtsschreibung verschiedene und langwierige Eroberungsaktionen zu einem geschlossenen Vorgang verschmolzen hat, wobei sie die Gestalten des Moses und des Josua in den Mittelpunkt rückte. Aus den gesamten biblischen und außerbiblischen Daten läßt sich zumindest auf zwei Hauptphasen der Eroberung des Landes schließen, die allerdings durch eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne voneinander getrennt gewesen sein dürften.45 Als Basis für die verschiedenen Einwanderungswellen diente die üppigste Oase im Norden der Sinaihalbinsel, Kadeš Barnea, in der sich ein größerer Verband von Nomadenstämmen ernähren konnte. Es war den Israeliten nicht möglich, auf dem kürzesten Weg von Süden her in Kanaan einzudringen, da die Zugänge an den südlichen Bergabhängen durch einen Gürtel von befestigten Punkten, wie die Stadt Horma (östlich von Beerseba), wo die aus Ägypten Kommenden von dem König von Arad geschlagen wurden (Num. 14,45; Dtn. 1,44), gesichert waren. Deshalb waren sie gezwungen, weite Umgehungsmanöver durch Transjordanien zu veranstalten und über den Jordan in Westpalästina einzufallen. Die erste Einwanderungswelle ist, anscheinend ohne auf Widerstand zu stoßen, mitten durch das edomitische und moabitische Gebiet bis nach den Gefilden Moabs gegenüber von Jericho gelangt, was sich in erster Linie aus den Ortsangaben in Num. 33 entnehmen läßt. Dort überquerte sie den Jordan, eroberte Jericho, zog gegen das zentrale Bergland nach Bethel, das ebenfalls erobert wurde (Ri. 1,22–26), und setzte sich im späteren ephraimitischen Gebirge mit dem Zentrum Sichern fest. In den Erzvätererzählungen wird zwar über eine Zerstörung Sichems berichtet (Gen. 34), was einen historischen Kern haben mag, aber für unsere Epoche gibt es für eine militärische Aktion keinerlei Zeugnisse, weder biblische noch archäologische. Es darf also angenommen werden, daß die Israeliten dort eine ihnen freundlich gesinnte Bevölkerung angetroffen haben und daß Sichern auf friedlichem Weg in das israelitische Stämmesystem
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eingegliedert wurde. Es ist wohl kein Zufall, daß die biblische Überlieferung Josua gerade dort eine Bundeszeremonie mit Jahwe, die einen konstituierenden Akt ersten Ranges im Leben des israelitischen Stämmebundes darstellt, veranstalten läßt (Jos. 24). Von altersher war ja Sichern eine Stadt sakraler Traditionen und das Kultzentrum des Baal-Berith oder El-Berith, des »BundesGottes« (Ri. 9,4 und 46). Ein bei Ausgrabungen gefundener sakraler Bezirk mit Tempeln und Masseben veranschaulicht das aufs eindrucksvollste.46 Obwohl diese erste Einwanderungswelle, zu der anscheinend die RahelStämme (so nach der Stammesmutter Rahel benannt) unter Führung des »Hauses Joseph« gehörten, sicher vor der Errichtung der Königreiche von Edom und Moab in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vor sich gegangen ist, setzen fast alle biblischen Quellen schon die Existenz dieser Reiche, die den Israeliten das Eindringen in ihr Territorium verwehrt haben sollen, voraus. Der zweite Eroberungszug, an dem anscheinend die übrigen, die sogenannten Lea-Stämme mit Juda an der Spitze, teilnahmen, fiel demnach in eine spätere Zeit, etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Jetzt waren die israelitischen Stämme gezwungen, in weitem Bogen um Edom und Moab herumzuziehen (Num. 20,14– 21; 21,4 und 11–20; Dtn. 2,1–3, 9,13; Ri. 11,17–18). Sie stießen auch auf die befestigte Grenzlinie des Landes Ammon (Num. 21, 24), nämlich die Kette von Zitadellen (Ruğm el-Malfuf), welche Rabbat Ammon an der Süd- und Westseite umgaben. Zwischen Moab und Ammon war kurz vorher, zur Zeit des ersten Moabiterkönigs, der amoritische Pufferstaat des Königs Sihon, welcher in Hesbon residierte, entstanden. Die einbrechenden Israeliten erzwangen sich den Durchgang durch diesen Staat, indem sie Sihon zu Fall brachten, und setzten von dort aus ihren Marsch nach weiteren amoritischen Staaten, nach Jazer im Süden und dem Reich des Königs Og in Basan im Norden, fort. Ein Teil der Stämme, Rüben und Gad, und anscheinend erst in späterer Zeit die Hälfte des Stammes Manasse, besiedelten dieses ausgedehnte Gebiet, das sich vom Arnonfluß im Süden, der Grenze des Reiches Sihons, bis nach Nordtransjordanien erstreckte (Num. 21, 21 ff. und 32). Möglicherweise finden wir einen Niederschlag des weiteren Eroberungszuges im Westjordanland in Ri. 1, das Angaben über die Eroberung verschiedener Stämme, beziehungsweise die nicht von ihnen eingenommenen Städte enthält. Danach überquerte jener Teil der Stämme mit Juda an der Spitze an einer viel nördlicher als Jericho gelegenen Stelle den Jordan. Er zog in südlicher Richtung weiter, zerstörte den kanaanäischen Stadtstaat von Bezek (Hirbet Ibziq), eine strategische Basis östlich von Sichern, äscherte auf seinem Weg die Stadt Jerusalem, die anscheinend kurz nachher wiederaufgebaut wurde, ein und nahm dann die wichtigen Zentren Hebron und Debir und im äußersten Süden sogar Horma, das man, wie oben erwähnt, bei den Einbruchsversuchen von Süden her nicht hatte erobern können. Wie wir auch den Hergang der Besetzung Westpalästinas rekonstruieren – es ist eindeutig, daß viele der kanaanäischen Städte in die Hände der Israeliten fielen, während andere, wie die Reihe der Festungen von Megiddo bis Betschan
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in der nördlichen Ebene und die Linie Gezer-Jerusalem im Süden, sich noch auf Generationen als Keile zwischen die Stämmegruppen schoben. Das Buch Josua erzählt von zwei entscheidenden Zusammenstößen mit den Kanaanäern, einem im Süden und einem im Norden des Landes, wobei der eklatante Sieg in beiden Fällen Josua persönlich zugeschrieben wird. Der erste erfolgte bei Gibeon (elĞib) im späteren Land Benjamin und war eine Reaktion auf das Friedensbündnis der Israeliten mit der Konföderation der vier Gibeoniterstädte, die die nordwestliche Flanke des Königreichs Jerusalem entblößte. In dieser Schlacht wurde eine Koalition von fünf kanaanäischen Stadtstaaten unter Führung des Königs von Jerusalem entscheidend geschlagen. Darauf wurden die Städte Makkeda, Libna, Lachis und Eglon im westlichen Hügelland erobert (Jos. 10). Der Zusammenstoß mit der nördlichen Koalition unter Führung von Jabin, König von Hazor, fand an den Wassern von Merom im nordöstlichen Galiläa statt und führte zur Zerstörung von Hazor (Jos. 11, 1–13). Der archäologische Befund beweist in der Tat die Zerstörung mehrerer der in der biblischen Überlieferung erwähnten Städte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wie Debir (anscheinend Teil Bet-Mirsim) und Lachis (Teil edDuweir) im Süden und Hazor im Norden.47 In Hazor, das aus einer Ober- und einer Unterstadt bestand, eine Fläche von 820000 qm einnahm und die größte bisher ausgegrabene palästinensische Stadt ist (was vorzüglich zu der Bemerkung der Bibel [Jos. 11,10]: »denn vormals war Hazor das Haupt all dieser Königreiche« paßt), wurde jene Unterstadt völlig zerstört und nie wiederaufgebaut. In der Oberstadt dagegen und an anderen Orten entstanden ärmliche israelitische Siedlungen und allmählich auch Städte, die zwar mit Mauern umgeben waren, aber an Stärke und materieller Kultur den früheren kanaanäischen bei weitem nachstanden. So fand die jüngere Bronzezeit ihren Abschluß. Die ältere Eisenzeit setzte ein. Obwohl wir also, wie wir sahen, die biblische Darstellung der Landnahme sicherlich nicht kritiklos hinnehmen können, dürfen wir jedoch die Tatsache einer gewaltsamen Eroberung Kanaans durch die Stämme Israels auch nicht einfach leugnen oder, wie eine weit verbreitete These es heutzutage will48, die biblische Überlieferung auf den Kopf stellen und in der Besitzergreifung nur die letzte Phase eines längeren friedlichen Infiltrierungsprozesses im Verlauf eines gewöhnlichen Weidewechsels sehen. Daß die aus der Wüste eindringenden halbnomadischen Israelstämme den Kulturlandbewohnern mit ihrer langen militärischen Tradition, ihrem ausgeprägten technologischen Können und ihren starken Befestigungen gewachsen waren, wird verständlich, wenn wir etliche Faktoren, die eine verhältnismäßig schnelle israelitische Eroberung ermöglicht haben, ins Auge fassen, darunter in erster Linie die Verarmung Kanaans und die fortwährenden Zwistigkeiten zwischen seinen Kleinkönigen infolge der ausbeutenden ägyptischen Kolonialpolitik. Abgesehen von den beiden obenerwähnten Koalitionen, die auch nur von begrenztem Umfang waren, standen die kanaanäischen Stadtstaaten den hereinbrechenden Israelstämmen
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isoliert gegenüber, ohne sich zu einer gemeinsamen Aktion aufzuschwingen. Außerdem profitierte Israel von der Heterogenität der Kulturlandbevölkerung, die sich in der Bibel in der formelhaften Aufzählung von sieben oder gar zehn (Gen. 15, 19–21) Urvölkern Kanaans widerspiegelt, und vermochte den natürlichen Antagonismus zwischen den verschiedenen ethnischen und nationalen Gruppen auszunützen. Ein Beispiel dafür liefert uns die Schließung des separaten Friedensvertrages mit den Gibeoniten, die zum hivvitischhurritischen Element gehörten und sich auch in ihrer patriarchalischen Gesellschaftsordnung, an deren Spitze »Älteste« standen, von den eigentlichen Kanaanäern unterschieden. In diesem Zusammenhang mag hervorgehoben werden, daß auch für die Einwohner der Stadt Sichern, deren Übernahme durch die Israeliten sich ja friedlich vollzog, ein hivvitischer Ursprung angenommen wird (Gen. 34,2). Eine hervorragende Rolle bei der Brechung der kanaanäischen Macht spielten die besonderen Kriegstechniken, welche die Israeliten anwandten und die wir zwischen den Zeilen aus der biblischen Schilderung der Landnahme herauslesen können.49 Offenbar besaßen die Israeliten einen hochentwickelten Spionageund Nachrichtendienst, wie etwa die detaillierten Anweisungen an die zwölf Kundschafter, wirtschaftliche, demographische und militärische Faktoren auszuspionieren (Num. 13, 18–20), oder die Entsendung von Kundschaftern nach Jericho und Ai am Vorabend des Angriffes zeigen. Außerdem nützten sie logistische Momente aus, wie bei der Ansetzung der Invasion auf den Frühling, um ihre Mannschaften »von dem diesjährigen Getreide Kanaans« (Jos. 5,12) ernähren zu können. Aber mehr als alles andere zogen die Israeliten Vorteil aus der Anwendung der sogenannten »indirekten Taktik«, indem sie Frontalangriffe auf kanaanäische Festungen und offene Zusammenstöße mit Streitwagenkräften vermieden und ihre Operationen auf Kriegslisten und geschickte Manöver beschränkten. Wichtig war vor allem die Ausnützung des Überraschungsfaktors, z.B. in den Schlachten bei Gibeon und an den Wassern von Merom (beachte die wiederholte Formulierung: »da kam Josua ... plötzlich«, Jos. 10,9; 11,7), daneben das Legen von Hinterhalten und die Ausführung von Ablenkungsmanövern, wie wir sie im Kampf um Ai (Jos. 8) und auch später bei der Eroberung des benjaminitischen Gibea durch die anderen Stämme (Ri. 20,30–43) geschildert finden, oder das Eindringen in eine Stadt auf Schleichwegen, wie es bei der Eroberung von Bethel geschah (Ri. 1,22–25). Nächtliche Kriegführung ist für die Schlachten bei Ai und Gibeon und die späteren Kriege von Gideon und Saul bezeugt. Bei alledem beschränkten sich die Eroberungen auf das Gebirgsland, denn nur dort vermochten die Israeliten sich erfolgreich mit den Kanaanäern zu messen, während es ihnen nicht gelang, in die Ebene einzudringen, weil »alle Kanaaniter, die im Tal des Landes wohnten, eiserne Wagen haben« (Jos. 17,16; vgl. Ri. 1,19). Außerdem waren die bewaldeten Berge nur dünn bevölkert. So konzentrierte sich die israelitische Ansiedlung anfänglich in diesen »leeren« Gebieten, wo die
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Wälder eigens gerodet wurden, um eine Massenansiedlung möglich zu machen, wie es aus dem Rat, den Josua dem Haus Joseph gibt (Jos. 17, 14–18), hervorgeht. Die Urbarmachung ausgedehnter, bis dahin unbewohnter Gebirgsflächen, welche das Bild des Landes radikal änderte, wurde durch die Erweiterung des technischen Könnens, die den Anfang der Eisenzeit kennzeichnet, möglich. Die Gewinnung und Bearbeitung des Eisens war den Hethitern schon im 14. Jahrhundert bekannt. Seine Kenntnis verbreitete sich nach dem Untergang des Hethiterreiches im 12. und 11. Jahrhundert auch in andere Länder, darunter nach Syrien und Palästina, und machte sich vor allem auf dem Gebiet der Waffen und landwirtschaftlichen Geräte geltend. Von diesen Ansiedlungskernen in den Bergen dehnte sich im Lauf der Zeit die israelitische Bevölkerung in die dazwischen gelegenen Täler aus. Zentrifugale Bewegungen erfolgten nach den Randgebieten, entweder als Folge eines Bevölkerungszuwachses oder weil Stammeseinheiten sich nicht an ihren ursprünglichen Plätzen behaupten konnten. Symptomatisch ist hier die teilweise Abwanderung des Stammes Dan. Ihm gelang es auf die Dauer nicht, in seinem ursprünglichen Ansiedlungsgebiet am Rand des benjaminitisch-judäischen Gebirgslandes, wo er unter dem Druck der Amoriter stand (Ri. 1,34), festen Fuß zu fassen. Er war gezwungen, einen neuen Wohnsitz im äußersten Norden Palästinas zu suchen, nämlich in der alten Kanaanäerstadt Lais, die nach ihrer Eroberung in Dan umbenannt wurde (Ri. 17–18). Obwohl die vorliegenden biblischen Berichte uns nur ein statisches Bild von den Stammesgebieten und ein schematisches Grenzsystem zeichnen (Jos. 13–19), läßt sich doch bis zu einem gewissen Maß anhand von indirekten biblischen Angaben, vor allem anhand der genealogischen Listen der einzelnen Stämme, die Dynamik des Ansiedlungsprozesses rekonstruieren. Aus jenen Angaben geht hervor, daß speziell aus dem mittelpalästinensischen Gebirgsland eine Abwanderung von Stammeseinheiten sogar nach entlegenen Gebieten stattfand. So zogen zum Stamm Issachar gehörende Sippen in die Ebenen von Jesreel und Betschan und nach Untergaliläa, vom Stamm Asser später absorbierte nach Westgaliläa und in die angrenzende Küstenebene und wesentliche Teile des Stammes Manasse, an ihrer Spitze Machir, der nach dem Deboralied (Ri. 5, 14) noch im Westjordanland ansässig war, nach Transjordanien. Benjaminitische Familien wanderten sogar in das nördliche Gilead ab (vgl. Ob. 1,19), was die auffällige Abwesenheit der Leute von Jabes Gilead bei der gesamtisraelitischen Strafaktion gegen Benjamin (s.u.S. 219) und die Hilfe, die der Benjaminiter Saul dieser Stadt zukommen ließ, erklären mag. Andrerseits lassen die Geschlechtsregister erkennen, daß gewisse Teile der autochthonen Bevölkerung von den israelitischen Stämmen absorbiert worden sind, vor allem vom Haus Joseph und dem Stamm Juda, der nicht nur blutsverwandte Gruppen, wie die Kalibbiter, Jerachmeeliter und Kennizziter, sondern auch viele kanaanäische und ḫurritische Elemente in sich aufnahm. d) Die Richterzeit
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Für einen Überblick über die Vorgänge in der Richterzeit sind wir fast ausschließlich auf die Sammlung von Erzählungen, die uns im Richterbuch vorliegt, angewiesen. Dieses wurde aber im Sinn einer pragmatischtheologischen Konzeption eines immer wiederkehrenden geschichtlichen Kreislaufs redigiert. Dieser Zyklus beginnt mit der Abgötterei des Volkes, er führt zu einer Fremdherrschaft als Strafe für die Abgötterei, zur erneuten Hinwendung des Volkes zu Jahwe und zur Entsendung eines Retters, der es aus seiner Not befreit, wonach ihm eine längere Ruhepause gewährt wird.50 Diese Retter wurden irreführend »Richter« genannt, obwohl die hebräische Bezeichnung šopheṭīm hier eher ihre Führerrolle als ihre Aufgabe in der Rechtsprechung andeutet, ähnlich wie die Termini šāpiṭu der Mari-Texte aus dem 18. Jahrhundert sowie auch špṭ und suffetes den späteren phönikischen und punischen Inschriften. Das Richtertum ist mit Recht als ein charismatisches Führertum charakterisiert worden51, insofern ja in Zeiten einer Krise ein Retter auftrat, der von beliebiger Abstammung sein konnte und dessen Autorität nicht erblich wurde und der sich als von Gott Berufenen ansah und als solcher auch vom Volk, das sich aus freiem Antrieb und in national-religiöser Begeisterung um ihn scharte, anerkannt wurde. Neben diesen sporadisch auftretenden Richter-Retter- Gestalten, zu denen Othniel, Ehud, Gideon, Debora, Jephta, Simson (der allerdings ein Einzelgänger war) und anscheinend auch Samgar gehörten, kennt das Richterbuch einen anderen Typus, die sogenannten »kleinen Richter«, die charismatischer Züge entbehrten (Ri. 10, 1–5; 12,8–15). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß der Unterschied zwischen den beiden Richtertypen auf die literarische Verschiedenheit der Quellen zurückzuführen ist und daß in Wirklichkeit auch die kleinen Richter, über die nur aus einer Art von Familienchroniken geschöpft wird, Heldentaten vollbracht haben, wie z.B. der Gileadite Jair, der als Eroberer nordtransjordanischer Gebiete in den Überlieferungen außerhalb des Richterbuches erscheint (Num. 32,41; vgl. 1 Chron. 2,22). Zur Zeit der Richter hatte die israelitische Gesellschaft einen ausgesprochen stammesmäßig-patriarchalischen Charakter. Die Herrschaft innerhalb des Stammes lag in den Händen der verschiedenen Sippenhäupter, während als zentrales Organ die Institution der »Ältesten« fungierte. Aber infolge der Zunahme der Seßhaftigkeit und der teilweisen Assimilation an die kanaanäische Städtekultur wurde die patriarchalische Lebensordnung geschwächt. Das territoriale Prinzip gewann über das der Blutsverwandtschaft die Oberhand. Wenn somit die biblische Überlieferung zeigt, wie die stammesmäßige und nationale Geschlossenheit aus den frühen Eroberungsstadien immer mehr der für die Richterzeit typischen Zersplitterung Platz machte, brauchen wir darin nicht unbedingt das Resultat einer späten historiographischen Tendenz zu sehen. Im Gegenteil, hier spiegelt sich der geschichtliche Übergang vom Stadium des Nomadentums, in dem der Einzelne oder die kleine Gruppe sich unmöglich
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außerhalb der Gesamtheit behaupten konnte, zum Stadium der Seßhaftigkeit, die eine Lockerung der ursprünglich engen Verbindung zwischen den Sippen und Stämmen mit sich brachte, wenn auch andrerseits ein Prozeß erneuter Zusammenschließung von Familien und Sippen ausgelöst wurde. Jede einzelne Richtererzählung stellt den Kampf mit einer anderen Kategorie von Feinden dar und zeigt die spezifische Problematik des jeweiligen Zusammenstoßes. Die größte und schicksalhafteste Auseinandersetzung in der Richterzeit war der Krieg von Debora und Barak mit den Kanaanäern. Er stellt uns infolge der doppelten Überlieferung, der prosaischen und der poetischen, die im Richterbuch in Kap. 4 und 5 vorliegen, und durch seinen Zusammenhang mit dem aus dem Buch Josua Kap. 11 bekannten Kampf an den Wassern von Merom und der Zerstörung von Hazor (s.o.S. 210 f.) vor schwierige historische und chronologische Fragen.52 Die Hauptlast dieses Krieges trugen die galiläischen Stämme Naphtali und Sebulon (auch der Feldherr Barak war aus dem Stamm Naphtali). Diesen schlossen sich die Stämme Machir, Ephraim und Benjamin aus dem zentralen Gebirgsland an, wo Debora als »Richterin« wirksam war. Kraft ihrer charismatischen Persönlichkeit war es ihr gelungen, die Stämme zu einem gemeinsamen Befreiungskrieg aufzurütteln. Es ist kein Zufall, daß gerade die im Bergland ansässigen Stämme in besonderem Maße zur Auflehnung gegen den Fremdherrscher disponiert waren, da sie ja kaum unter dem Druck der Kanaanäer zu leiden hatten, während die Stämme, die in den Ebenen wohnten, nicht umhin konnten, sich weitgehend der kanaanäischen Macht zu beugen. Im Deboralied spiegelt sich das Höchstmaß an nationaler Solidarität wider, das in der Richterzeit gegen einen Fremdherrscher erreicht worden ist, aber doch noch nicht zu einer gesamtisraelitischen Aktion führte, wobei die Abwesenheit des Stammes Juda besonders auffällt.53 Für die israelitischen Streitkräfte, die ja kein stehendes Berufsheer bildeten, sondern nur jeweils in Zeiten einer Krise zur Führung des Jahwekrieges aufgeboten wurden, war das militärische Hauptproblem, wie man gegen die gewaltige Streitwagenmacht, die dem kanaanäischen Befehlshaber Sisera zur Verfügung stand, ankommen könnte. Diese Aufgabe wurde dann anscheinend durch Ausnützung topographischer und klimatologischer Faktoren gelöst. Die Israeliten wählten als Operationsbasis den Berg Tabor, der außerhalb des Angriffsbereiches der kanaanäischen Streitwagen lag, ihnen das Verfolgen der feindlichen Bewegungen ermöglichte und ihnen die Initiative ließ, den Zeitpunkt des Angriffs zu bestimmen. Aus mehreren Andeutungen in der biblischen Erzählung geht hervor, daß dieser beim Einsetzen des Regens, welcher den Boden des Tales in einen großen Sumpf verwandelte und die schweren Streitwagen ihrer Manövrierfähigkeit beraubte, so daß sie zum Rückzug gezwungen waren und größtenteils in dem angeschwollenen Kisonfluß zugrunde gingen, ausgeführt wurde. Sisera selbst mußte zu Fuß fliehen. Er fand den Tod im Zeltlager einer kenitischen Sippe, die sich von ihrem Stamm im südlichen Steppengebiet Palästinas abgespalten hatte und ins Jesreeltal gezogen
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war, wo sie gutnachbarliche Beziehungen sowohl mit der kanaanäischen Bevölkerung als auch mit den Israeliten unterhielt. Der Sieg von Debora und Barak stärkte die Position der Stämme Israels im Jesreeltal und seinen Ausläufern und sicherte die territoriale Kontinuität zwischen den Stämmen im Norden und im Zentrum des Landes. Aber die dadurch verursachte Schwächung der kanaanäischen Macht, die zur Lockerung der ägyptischen Oberherrschaft hinzukam, hatten einen verstärkten Zustrom von Wüstenstämmen in das Kulturland zur Folge, eine übliche Erscheinung in Zeiten der Instabilität des Regimes in Palästina. Aus den biblischen Quellen erfahren wir von mehreren Zusammenstößen mit Nomadenstämmen, wie den Amalek und den Hagaritern (Ps. 83,7; 1 Chr. 5,10 und 19–20), die erst die stabilere Herrschaft des israelitischen Königtums in Schach halten konnte. An der Spitze der Nomadenwelle in der Richterperiode standen die Midianiter, deren Invasion den historischen Hintergrund für die Gideon-Geschichte (Ri. 6–8) abgibt, die am Ende des 12. Jahrhunderts anzusetzen ist. Um jene Zeit war die Stammesorganisation der Midianiter infolge der Domestikation des Kamels, welches ihnen den Lebensunterhalt in der nordarabischen Wüste sicherte und auch zu Kriegszwecken verwendet wurde, zur Blüte gekommen. Nach Nomadenart fielen die Midianiter zur Zeit der Ernte in das Kulturland ein, um die Getreidebestände zu rauben. Deshalb wurde gerade die Ackerbau treibende israelitische Bevölkerung der Jesreelebene besonders schwer betroffen. Die Initiative zum Befreiungskampf ergriff Gideon, der aus der zum Stamm Manasse gehörenden Sippe des Abieser war und auch unter dem Namen Jerubbaal bekannt ist. Die Bibel bringt den Namen des Retters mit seinem religiösreformatorischen Akt der Ausrottung des Baal-Kultes in seinem Geburtsort Ophra in Zusammenhang. Der Hauptkampf wurde »nördlich von dem Hügel More im Tale« (Ri. 7,1), nämlich in einem nördlichen Ausläufer der Jesreelebene bei dem Orte Endor (Ps. 83,11) in der Nähe vom Berg Tabor geführt, wohin Gideon von seiner Basis auf den Abhängen des Gilboa-Gebirges oberhalb der Quelle Harod gelangt war. Diesmal bildete das militärische Problem nicht nur die zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes, sondern in erster Linie die Verwendung des Kamels als Kampftier, was auf die Israeliten eine lähmende Wirkung ausübte. Die klassische Lösung fand Gideon in einem Nachtangriff, bei dem, wie eine eingehende Analyse des biblischen Berichtes zeigt, die verschiedenen Regeln, die bis auf den heutigen Tag für einen solchen Angriff gelten, Beachtung fanden.54 Die Dunkelheit machte das Übergewicht der Midianiter gegenstandslos und ermöglichte es Gideon, eine große Macht vorzutäuschen und den Feind völlig zu demoralisieren, so daß dessen Reste sich fluchtartig in die Wüste zurückzogen, eine bei den Nomadenbanden übliche Taktik. Gideon aber versuchte, seinen Sieg bis aufs Letzte auszuwerten. Nach einer langen Hetzjagd in Transjordanien vernichtete er die midianitische Macht, wobei ihm sogar die feindlichen Könige Sebah und Zalmunna in die Hände fielen.
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Als Dank für seine Rettungstat boten die Israeliten Gideon die Königswürde an. Obwohl er diese ablehnte (Ri. 8,23), genoß er doch ein besonderes Prestige auch außerhalb seines eigenen Stammes. Sein Sohn Abimelech nützte nun die Familienverbindungen von der Seite seiner Mutter, die aus Sichern stammte und adliger Abstammung war, dazu aus, die Sonderstellung Gideons nach dessen Tod zu erben und seine Brüder, die ihm dabei im Wege standen, zu beseitigen (Ri. 9). Es ist nicht als Zufall anzusehen, daß Abimelechs Krönung gerade in der kanaanäischen Stadt Sichern stattfand, wo eine uralte monarchische Tradition zu Hause war und deren Notabein ihn aus politischen Erwägungen unterstützten. Nach kurzer Zeit verschärften sich die Gegensätze zwischen der lokalen Aristokratie Sichems und Abimelech. Darauf äscherte dieser die Stadt ein, was auch von den archäologischen Ausgrabungen treffend bestätigt wird.55 Nach der Zerstörung von Sichern setzte Abimelech seinen Zug zur Unterdrückung des Aufstandes, der sich auch auf andere Zentren im mittel-palästinensischen Gebirge ausgedehnt hatte, fort und fand bei der Belagerung der Stadt Thebez den Tod. Das Königtum Abimelechs, das sich auf fremde Tradition stützte, stellt eine vorübergehende Episode dar, weil die Zeit für die Errichtung einer Monarchie in Israel noch nicht reif war. Die Spannung zwischen den Stämmen Israels, die immer festeren Fuß faßten, und ihren Nachbarn wirkte sich nicht nur in Westpalästina, sondern auch in Transjordanien in kriegerischen Auseinandersetzungen aus. Dort fand eine Art rhythmischer Prozeß statt, in den der israelitische Stämmeverband und die einzelnen Nachbarstaaten verwickelt waren und in dem die Erstarkung eines Partners auf Kosten der anderen ging. So fand dort der große Aufstieg von Moab zur Zeit des Königs Eglon statt, der zuerst Terrain nördlich des Arnonflusses annektierte und von dort aus auch das westliche Jordanufer unterwarf und den Stamm Benjamin tributpflichtig machte (Ri. 3,12–30). Der benjaminitische Führer Ehud entfachte darauf, nachdem er Eglon in dessen Residenz ermordet hatte, den Aufstand und vertrieb das moabitische Besatzungsheer aus Westpalästina. In diesem Krieg fand eine in der Richterzeit geläufige Taktik Anwendung, nämlich die Besetzung der Jordanfurten und damit die Abschneidung des feindlichen Rückzugsweges nach Trans Jordanien, eine Taktik, die auch bei der Verfolgung der Midianiter durch die von Gideon herbeigerufenen Ephraimiter und im israelitischen Bruderkrieg zur Zeit Jephtas angewandt worden ist. Die Niederlage Moabs führte indirekt zur Erstarkung seines nördlichen Nachbarn, des Königreichs Ammon, das vorher den Moabitern militärische Hilfe leisten mußte (Ri. 3,13), jetzt aber anscheinend seinerseits sich auf Kosten Moabs ausdehnte, wie wir der Diskussion zwischen Jephta und dem Ammoniterkönig entnehmen können. Gleichzeitig drangen die Ammoniter in die fruchtbaren Gefilde Gileads südlich des unteren Jabbok ein, wo die Stämme Gad und HalbManasse sich angesiedelt hatten, und bedrohten sogar die Israeliten auf der westlichen Jordanseite (Ri. 10–12). In der Bedrängnis wandten sich die Ältesten Gileads an den Freischärlerführer Jephta, den sie früher vertrieben hatten, um
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Hilfe und ernannten ihn, seiner Bedingung gemäß, zum »Obersten und Anführer« über alle Bewohner Gileads (Ri. 11,11). Die Bibel bringt eine interessante, authentisch anmutende Tradition über eine diplomatische Verhandlung, die Jephta mit dem Ammoniterkönig geführt haben soll, bevor er sich zu militärischen Maßnahmen entschloß, und in der er die Behauptung aufstellt, die Israeliten hätten das umstrittene Gebiet südlich des Jabboks nicht von den Ammonitern und Moabitern, sondern von dem Amoriterkönig Sihon erobert und hätten auf Grund ihrer dortigen langjährigen Seßhaftigkeit ein Recht auf dasselbe (s.o.S. 206). Als die Verhandlungen scheiterten, ging Jephta zum Krieg über und eroberte zwanzig südwestlich von Rabbat Ammon gelegene Orte der Ammoniter. Jephtas Sieg zeitigte aber keine dauerhaften Resultate, denn schon nach etwa einem halben Jahrhundert, zur Zeit des Königs Saul, drangen die Ammoniter erneut und sogar bis Jabes Gilead, weit nördlich des Jabboks, vor. Im Gefolge des Ammoniterkrieges brach ein Bruderkrieg zwischen den einheimischen israelitischen Bewohnern Gileads und den dorthin gewanderten ephraimitischen Elementen aus, der als »Schibbolet«- Ereignis bekannt ist. Die ephraimitischen Flüchtlinge, die versuchten, über den Jordan zu ihren Stammesverwandten auf dem westlichen Ufer zu entkommen, wurden von ihren Verfolgern dadurch identifiziert, daß sie das Losungswort »Schibbolet« nicht richtig aussprechen konnten, was auf dialektische Unterschiede in der hebräischen Sprache der verschiedenen Stämme Israels schließen läßt, und wurden niedergemetzelt. Dies war nicht der einzige Zusammenstoß zwischen den Stämmen, in den die Ephraimiten verwickelt waren. Ihm ging schon ein Zwischenfall zur Zeit Gideons voran, als sie sich, ähnlich wie zur Zeit Jephtas, darüber beschwerten, daß man sie nicht in gebührendem Maß bei dem Kampf gegen die damaligen Feinde, die Midianiter, herangezogen habe. Auch waren sie offenbar die Urheber oder doch wenigstens die treibende Kraft in dem umfassendsten innerisraelitischen Krieg der Richterzeit, dessen Schilderung uns in der Erzählung über die Schandtat von Gibea vorliegt (Ri. 19–21).56 In dieser kriegerischen Auseinandersetzung stellte sich ein Bund aller übrigen Stämme dem Stamm Benjamin entgegen, nachdem in einer seiner Städte ein Kriminalverbrechen verübt worden war. Den wahren Hintergrund aber bildete der Wettkampf zwischen den Stämmen um die Hegemonie in Israel. Schon seit der Eroberung des Landes betrachtete sich der Stamm Ephraim als den rechtmäßigen Anwärter auf eine Vormachtstellung, was auch in der biblischen Tradition von der Übertragung des Erstgeborenenrechtes auf Ephraim (Gen. 48,17 ff.; 1 Chron. 5,1–2) zum Ausdruck kommt. Als nun die Macht der rings um ihn wohnenden Stämme infolge der Siege Gideons aus dem Stamm Manasse, des Gileaditers Jephta und des Benjaminiters Ehud über ihre Feinde wuchs, fürchtete Ephraim, seine führende Stellung zu verlieren. Daraus lassen sich wohl die ständig wiederkehrenden Zwistigkeiten erklären.
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Von allen Krisen, die Israel durchgemacht hat, wurde die schwerste durch die Philister verursacht, die mit ihm einen Kampf auf Leben und Tod geführt haben. Die Philister waren, wie oben erwähnt, eins der Seevölker, die die palästinensische Küste im Anfang des 12. Jahrhunderts besetzt hatten (s.o.S. 200 ff.)- Für ihre ethnische Herkunft, die bis zum heutigen Tag nicht eindeutig aufgeklärt ist, geben uns gewisse Hinweise einige philistäische Wörter, die in der Bibel erhalten geblieben sind, wie die Benennung ihrer Herrscher als seren, was anscheinend mit dem vor- griechischen Wort Tyrann (τύραννος) gleichzusetzen ist, und ebenso einige Eigennamen, wie der Name des Königs von Gath Achis (in der Septuaginta Anchus – Ἀγχούς), den wir mit dem homerischen Namen Anchises (Ἀγχίσης) vergleichen können. Es liegt die Vermutung nahe, daß sie Abkommen der illyrischen Völker gewesen sind, was zu der öfters geäußerten Meinung über ihre Verwandtschaft mit den Pelasgern nicht unbedingt in Widerspruch steht.57 Über die Ausdehnung des Siedlungsgebietes der Philister, dessen Hauptzentren in der südpalästinensischen Küstenebene lagen, belehren uns einerseits die Simson-Geschichte und die Erzählungen aus dem Ersten Samuelbuch, andrerseits die archäologischen Funde von Keramik, die für die Philister charakteristisch ist. Diese Keramik, ein Ausläufer der spätmykenischen (Epoche III B), deren Herstellungstechnik die Philister aus ihren Ursprungsländern mitgebracht hatten, ist massenhaft in den Städten der Küstenebene gefunden worden, aber auch in Gezer und Bet-Semes an den Gebirgsabhängen und sogar an Orten im judäisch-benjaminitischen Bergland, wie Teil Bet-Mirsim (Debir), Bet Zur und Teil en-Nasbeh (Mizpa).58 Die Funde in diesem Gebiet, die ein tiefes Eindringen der Philister in das Binnenland bezeugen, passen zu der Erwähnung philistäischer Statthalter und Garnisonen in benjaminitischen Städten am Ende des 11. Jahrhunderts (1 Sam. 10,5; 13,3; 2 Sam. 23,14). Im Lauf der Zeit organisierten sich die Philister in einer Pentapolis, an deren Spitze fünf Herrscher, seren genannt, standen. Drei ihrer Zentren lagen an oder nahe der Küste (Gaza, Askalon und Asdod), die weiteren, Gath und Ekron (Teil el-Muqanna), mehr landeinwärts (Jos. 13,2–3; Ri. 3,3; 1 Sam. 6). Die Pentapolis war aber keine starre Organisation, sondern ihr Schwerpunkt verschob sich von Mal zu Mal von einem Orte zum anderen, wenigstens was den Kampf gegen Israel betraf. Anfangs hatte anscheinend Gaza, der alte ägyptische Verwaltungssitz, die Hegemonie, wie wir aus den Simson-Erzählungen schließen können. Dann ging sie in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts auf Asdod über, das die treibende Kraft im Aphek-Krieg war (s.u.). Zum Dagon-Tempel dieser Stadt wurde denn auch die von den Israeliten erbeutete Bundeslade als Kriegstrophäe gebracht. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts fiel die Vorherrschaft dann schließlich Gath zu, das zur Zeit Sauls und Davids als wichtigstes philistäisches Zentrum auftrat.
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Die ersten Zusammenstöße zwischen den Philistern und Israel, deren Echo in den Simson-Erzählungen nachklingt, erfolgten mit dem Stamm Dan und vor allem mit Juda, von dem die Philister einige Gebiete besetzt hielten (Ri. 15,11). Aber die entscheidende Niederlage erlitt der israelitische Stämmebund, mit dem Haus Joseph an der Spitze, in der Mitte des 11. Jahrhunderts in der Schlacht bei Eben Ezer und der philistäischen Basis Aphek (Ras el-Ain; 1 Sam. 4). In der Folge dieser Schlacht wurde Silo im Gebirge Ephraim, das national-religiöse Zentrum der Stämme Israels, zerstört. Etwa ein halbes Jahrhundert lang beherrschten die Philister den größten Teil Westpalästinas. Die Überlegenheit der Philister über die Israeliten und sogar über die kanaanäischen Rumpfstaaten beruhte auf einer vorzüglichen militärischen Organisation, die von einer zahlenmäßig kleinen Kriegeraristokratie getragen wurde, und auf ihrem hochentwickelten technischen Können, vor allem in der Metallbearbeitung. Die Philister sicherten sich aufs nachdrücklichste das Monopol der Eisenbearbeitung und verhinderten so die Bewaffnung der Israeliten und die Entwicklung ihrer Industrie (1 Sam. 13,19–22), während sie ihre eigenen Streitkräfte aufs beste ausrüsten konnten, wie uns die Beschreibung der Rüstung und der Waffen Goliaths veranschaulicht. Aber trotz ihrer politischen und militärischen Überlegenheit haben sich die Philister binnen kurzem der kanaanäischen Kultur assimiliert, ihre eigene Sprache verloren und die lokalen Götter, wie z.B. den Gott Dagon, übernommen. Die Tatsache, daß das Volk Israel von den Philistern geradezu in seiner Existenz bedroht war, wurde die Ursache einer radikalen Umwälzung im Leben der Nation. Die Notwendigkeit, eine stabilere Staatsform zu finden, welche fähig wäre, dem Druck des Feindes standzuhalten, führte in Israel im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts zur Errichtung des Königtums. 4. Das Neue Reich in Ägypten I. Die XVIII. Dynastie (etwa 1550–1314) Die Thronfolge beim Übergang der XVII. zur XVIII. Dynastie Ägyptens scheint sich ohne Krisen vollzogen zu haben, ja selbst ohne Wechsel in der politischen Linie. König Amosis (Ahmose), den Manetho – jener ägyptische Priester, der eine Geschichte des Landes in griechischer Sprache schrieb – als den Begründer einer neuen Dynastie behandelt hat, war sicher ein enger Verwandter, vielleicht ein Bruder seines Vorgängers Kamose, der, vom Fürstentum von Theben ausgehend, die Hyksos bis an die Mauern ihrer Hauptstadt Auaris zurückgedrängt hatte. Die Einnahme dieser Hauptstadt durch Amosis (um 1560) erlaubt es, den Beginn eines neuen Zeitalters festzusetzen. Keineswegs hat die Herrschaft der Hyksos einen so tiefgreifenden Zusammenbruch verursacht, wie man es bei der Lektüre der schauerlichen Berichte des Manetho annehmen könnte. Dieser machte sich im gegebenen Augenblick zum Sprecher einer erdachten Vorstellung vom fremden Feind, einer Vorstellung, die größtenteils auf der antipersischen Propaganda beruhte und die
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darüber hinaus auf eine Thematik zurückging, die bereits von den Nachfolgern des Amosis eingeführt worden war, um ihre Herrschaft als Sieg der Ordnung über das Chaos zu charakterisieren. In Wirklichkeit war bis unter die letzten Hyksoskönige eine eigenständige ägyptische Literatur gepflegt worden. Aber im Norden wie im Süden hatte eine vielsagende Dekadenz die Hauptgebiete der Kunst befallen: das, was die Thebaner für Amun von Karnak, ihren DynastieGott, an Gebäuden und königlicher Plastik schufen, ist sehr dürftig, und obwohl die Armut Unter- und Mittelägyptens an archäologischen Spuren uns hindert, das Werk der Hyksos zu bewerten, muß man doch die mittelmäßige Qualität der monumentalen Inschriften und der Skarabäen betonen, die ihre Namen tragen. Zweifellos stellten die Könige von Theben und Auaris in ihren jeweiligen Gebieten wieder eine gewisse Ordnung und einen gewissen Wohlstand her, aber der lange Krieg, der in der Vertreibung der Hyksos gipfelte, führte binnen zwei oder drei Generationen zur weitgehenden Verwüstung eines großen Teiles des Landes. Außerdem hatten Mittel- und Unterägypten eine lange Zeit der Fremdherrschaft hinter sich. So stellte sich den Thebanern die Aufgabe, das Land im Inneren zu befrieden und Ägypten wieder seine Ordnung zu geben. Vom innenpolitischen Wirken der beiden ersten Könige des Neuen Reiches, Amosis (beg. um 1560) und Amenophis I. (1527–1506), wüßten wir gern mehr. Der Fortbestand der Dynastie wurde vielleicht von Amosis dadurch gesichert, daß er in den letzten Jahren seiner Regierung Amenophis vorzeitig zum König krönte (Stele von Gebelen). Die Ruhe im Inneren stellte sich zweifellos nicht auf einmal ein. Ahmose, der Sohn des Abana, ein Karriereoffizier, dessen Selbstbiographie praktisch unsere einzige Quelle über die Kriege des Amosis darstellt, spielt auf Strafexpeditionen an, deren eine, wenn nicht zwei, in Oberägypten stattgefunden haben müssen. Im übrigen sind die Materialien, auf Grund derer man schlecht und recht den bürokratischen Aufbau des Staates rekonstruieren kann, in bemerkenswerter Zahl erst seit der Regierung der Hatschepsut erhalten. Zumindest kann man den Bezwingern der Hyksos die Initiative zu Entscheidungen zuschreiben, die die Geschichte der ganzen Dynastie bestimmen werden, nämlich die Neuaufteilung der Ländereien zugunsten der Krone, des Militärs und vor allem des Gottes von Theben. Ein Papyrus aus Abusir deutet offenbar an, daß die Großmutter des Amosis und eine Tochter des Kamose Gutsbesitz in der Nähe von Memphis erhielten. Ein Prozeßprotokoll aus der XIX. Dynastie erinnert daran, wie Amosis seinen Flottenbefehlshaber Neschi mit Land belohnte, das im Süden des memphitischen Gaues im Bereich einer neuen Siedlung lag, deren Schutzgott Amun in einer kriegerischen Form als Löwe mit Widderkopf war. Es gibt kaum einen Zweifel, daß die verschiedenen Ansiedlungen in Mittelägypten, in denen Seth, der Schutzgott der Hyksos, geherrscht hatte und die solchen kriegerischen Erscheinungsformen des Amun geweiht waren (so »Amun, Verkünder des Sieges in der Stadt Saka«), auf die Zeit der Rückeroberung zurückgehen. Mit der XVIII. Dynastie werden bedeutende Städte des Deltas Zentren des Amun-Kultes,
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allen voran die alte Stadt des Thronsitzes (Behedet), die als Exponent der Nordgrenze Ägyptens den Namen »Vereinigung des Thrones« erhält. Noch zur Zeit der Sesostris- und Amenemhet-Könige war Amun hinter Monthu, dem Herrn von Hermonthis, lediglich der zweite Gott der Thebais. Mit der XVII. Dynastie hatte sich der Herr von Karnak als Hauptgott des Königtums des Südens durchgesetzt. Die Ausbreitung seines Kultes durch die Bezwinger der Hyksos wird von Schenkungen an Ackerland, Leibeigenen, Weideland und Vieh begleitet, so daß der Gott gleich hinter dem König, wenn nicht gar vor ihm, zum Herrn über einen beträchtlichen Teil der wirtschaftlichen Grundlagen Ägyptens wurde. Gegen Ende seiner Regierung ließ Amosis in Tura neue Kalksteinbrüche eröffnen, um unter seinem Namen in Heliopolis (?), Memphis und Luksor Tempel zu errichten; in Abydos baute er einen Kenotaph. Nach den Spuren der wiedergefundenen Bauwerke zu schließen, ließ Amenophis I. vor allem Arbeiten zur Verschönerung der Tempel der Thebais ausführen, so in El-Kab, Abydos und vor allem in Karnak. Die Reliefs, die die Bauten schmückten, waren manchmal direkt von Denkmälern des Mittleren Reiches inspiriert und fanden so wieder eine Qualität der Zeichnung, die man seit langem nicht mehr gesehen hatte. Dieser Amenophis I., der zwar einesteils keineswegs als hochberühmter Herrscher in der nationalen Geschichtsschreibung hervortritt, wurde andererseits von der thebanischen Bevölkerung als einer der heiligen Gründer ihrer Stadt angesehen. Er wurde zum Gott verschiedener Tempel und Kapellen auf beiden Ufern der Hauptstadt und wurde zusammen mit seiner Mutter Ahmose-Nefertari, seinem Vater Amosis, seiner Großmutter Ahhotep, seiner Schwester-Gemahlin Ahmose Meritamun und anderen Prinzen und Prinzessinnen angebetet. Man kennt allerdings nicht die Gründe, die zur Vergöttlichung dieser »zahlreichen Familie« – wie das »Amenophisritual« sagt – führten. Man könnte sich fragen, ob die Rolle, die die zauberhafte AhmoseNefertari und ihr Sohn im Gefüge von Theologie, Ritual und weltlichem Tempeldienst des führenden Amun spielten, nicht einen bestimmten Zweck hatte. Eines der Opferrituale von Karnak, das für den Opferdienst im Kult des Amenophis selbst abgefaßt war, könnte gut in seine Regierungszeit zurückreichen. In Karnak bildeten eine Reihe von Sakristeien und als Magazinräume dienender Nebengebäude, ein großartiger Alabasterschrein, der uns die erste Abbildung der Prozessionsbarke des Amun liefert, und ein hohes, monumentales Tor die ersten der aufeinanderfolgenden Erweiterungsbauten, mit denen die XVIII. Dynastie den bescheidenen Tempel des Mittleren Reiches in einen zauberhaften Götterpalast verwandeln sollte. Amenophis behält als Bestattungsort den Hügel von Dra Abul Nagga bei, zu dessen Füßen die Könige der XVII. Dynastie unter kleinen, von Pyramiden überragten Kapellen ruhten, genau gegenüber von Karnak. Er krönte die Anhöhe mit einer ansehnlichen Pyramide, aber im Unterschied zu seinen Vorgängern richtete er weiter unten, am Rand des Fruchtlandes, die Stätte seines Totenkultes
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ein. Dies war das erste der großen auf dem linken Ufer von Theben errichteten »Millionenjahrhäuser«, die man wenig treffend »Totentempel« genannt hat, denn für Amun, den höchsten Gott, mit dem der tote König sich ewig verbinden würde, gegründet, waren sie schon zu Lebzeiten des Herrschers in Funktion. Zahlreich sind die offiziellen Denkmäler vom Anfang der Dynastie, auf denen der Pharao in Begleitung seiner ersten Gemahlin, seiner Mutter oder auch seines Ahnherrn abgebildet ist. Der Königin Ahhotep wird nachgerühmt, sie habe in einem kritischen Augenblick die in wilder Auflösung begriffenen Truppen wieder zusammengeholt und eine Revolte im Volk verhindert. Es ist gut möglich, daß die Macht dieser Königin und nach ihr die der Ahmose-Nefertari ganz einfach darauf beruhte, daß sie zur Ausübung bestimmter Regierungsfunktionen berufen waren; denn die ägyptische Gesellschaft gestand im Gegensatz zu anderen antiken Gemeinwesen der Frau durchaus eine gewisse Teilnahme am öffentlichen Leben zu. Diese Stellung der Frau äußert sich auch in den Beziehungen, die sich zwischen dem Königtum und dem Gott Amun herausbilden. Eine der Ehrungen, die Amosis seiner Großen Gemahlin AhmoseNefertari angedeihen ließ, war die Zuerkennung des Ranges eines »zweiten Amunpriesters«. Diese Königin war auch schon Trägerin des Titels »Gottesgemahlin«. Dieser Titel bezeichnete eine besondere Priesterin, die eine wesentliche Rolle bei bestimmten Weihezeremonien und Beschwörungsriten, die im Amuntempel abgehalten wurden, spielte (und sie war nicht, wie man es oft wiederholt, eine vornehme Frau, die dazu bestimmt war, unter Mitwirkung des Gottes dem Thron einen Erben zu gebären). Seit dem Mittleren Reich von Frauen nichtköniglichen Ranges ausgeübt, war das Amt der »Gottesgemahlin« am Ende der XVII. Dynastie an eine gewisse Prinzessin Ahmose (vielleicht eine Schwester des Amosis) übergegangen, und für lange Zeit sollte es unter den Damen der nächsten Umgebung des Königs weitergereicht werden. Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit der königlichen Familie war am Ende der XVII. und zu Beginn der XVIII. Dynastie während drei oder vier Generationen der Brauch der Geschwisterehe. Nun waren aber ganz im Gegensatz zu einer in der großen Öffentlichkeit allgemein verbreiteten Vorstellung derartige Verbindungen selbst zwischen Halbschwestern und Halbbrüdern im ägyptischen Volk äußerst selten. Im Königshaus wurden sie ein dauernd geübter Brauch erst unter den Ptolemäern, die darin ohne Zweifel einer Anregung griechisch-mazedonischen Ursprungs folgten; beim gewöhnlichen Sterblichen wurden sie gar erst zur Römerzeit allgemein üblich. Sollte sich hier um die Zeit der Hyksosvertreibung eine Doktrin abzeichnen, die darauf abzielte, die Legitimität des Thrones auf einer strengen Zuchtwahl zu gründen, die bestrebt war, die Reinheit des königlich- göttlichen Blutes sicherzustellen, indem sie forderte, daß der Thronerbe von einer »Großen königlichen Gemahlin« geboren wurde, die ihrerseits selbst die Tochter einer »Großen königlichen Gemahlin« war? Die Existenz einer solchen Doktrin ist praktisch als eine Tatsache angenommen worden, die von Generationen von
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Historikern als solche aufrechterhalten wurde und die vor allem die Vorstellung nach sich zog, daß Könige, die von Nebenfrauen geboren waren, ihren Herrschaftsanspruch dadurch »legitimieren« mußten, daß sie eine Prinzessin zur Frau nahmen, die von einem vorhergehenden König und dessen SchwesterGemahlin geboren war. Diese Unterstellung schien zu beweisen, daß es in den ägyptischen Gesetzen mutterrechtliche Tendenzen, ja sogar Grundlagen gab. Und seltsamerweise paßte die Theorie der Reinheit königlich-göttlicher Linie, wie sie durch die Geschwisterehe garantiert wurde, gut zu der Vorstellung der »Theogamie«, die von berühmten Tempelreliefs von Deir el-Bahari und Luksor abgeleitet wurde: eine Reihe mit Inschriften versehener Darstellungen erzählt uns da, wie Amun selbst der jungen Königin gewahr wird und sich nach ihr erkundigt, wie er die Gestalt des jungen Königs annimmt, um sie zur Mutter des künftigen Herrschers zu machen, wie er den Gott Chnum, den »Töpfer der lebendigen Wesen«, beauftragt, dieses außergewöhnliche Kind zu formen, und den Gott Thot, der Mutter eine Art Verkündigung zukommen zu lassen. Diese Szenen, die nach alten Vorbildern ein mythisches Geschehen von universeller Bedeutung wiedergeben (und nicht, wie man geglaubt hat, Produkte zweckgebundener Propaganda sind), lassen nirgends vernehmen, daß Amun seine Wahl auf Grund der Herkunft des jungen Mädchens getroffen hat, und laufen einer rassischen oder matriarchalischen Auffassung der Legitimität völlig zuwider. Das heißt: Unsere Kenntnis der Prinzipien, die die Thronfolge in Ägypten bestimmten, erlaubt uns nicht anzunehmen, daß die Mutter an der Übermittlung irgendwelcher grundlegenden Rechte beteiligt war. Die tragenden Elemente der Legitimität des Pharao liegen woanders: Nach den damaligen theologischen Auffassungen ist es die von der Gottheit frei getroffene Wahl, die diesen oder jenen Prinzen vorherbestimmt, indem er schon »im Ei« dazu geschaffen ist, das Königtum zu übernehmen; auf politischem Gebiet ist es die fallweise Ernennung zum Erben, bisweilen sogar die Zuerkennung der Mitregentschaft an den einen oder anderen Prinzen seitens des regierenden Herrschers oder auch die Verkündung der vom Gott vorher getroffenen Wahl durch ein Orakel und die aktive Übernahme der Macht durch den Prätendenten, wie es die Krönungsliturgien immer wieder bestätigen; schließlich hat auch das Volk, das von Begeisterung gepackt die gottgewollte Zustimmung spendet, seine Bedeutung. (Der besondere Hofrang, den die »königlichen Mütter« einnehmen, die auf jeden Fall den Schritt zur »Großen königlichen Gemahlin« vorbereiten, erklärt sich vielleicht aus der nachträglich gewonnenen Erkenntnis der bedeutenden Rolle, die zu spielen ihnen die Vorsehung bestimmt hat.) Auf Amenophis I. folgt ein gewisser Thutmosis, geboren von einer Frau namens Senisonb. Man weiß nicht, ob dieser Thutmosis I. ein Sohn, ein Bruder oder irgendein Vetter seines Vorgängers war. Die Herkunft der Ahmose, seiner Großen Gemahlin, ist ebenso unbekannt. (Die Texte nennen sie »Schwester des Königs«, nicht aber »Königstochter«.) Man hat einen Hinweis, der erlaubt
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anzunehmen, daß Thutmosis zu Lebzeiten Amenophis’ zum Mitregenten gemacht wurde. Thutmosis I. (1506–1494) gab der jungen Dynastie ihre nationalen und internationalen Dimensionen. Auf dem linken Nilufer in Theben führt dieser Herrscher eine neue Form der königlichen Bestattung ein. Er ist der Erste, der sich in dem Wadi, das weltbekannt ist unter dem Namen »Tal der Könige«, ein Grab aushauen läßt. Er ist es auch, der beim heutigen Deir elMedineh das Dorf der »Diener des Platzes der Maat« anlegt, die damit beauftragt sind, die königlichen Gräber in den Fels zu treiben. In Karnak wird der Amuntempel um einen Vorhof und eine ausgedehnte Fassade, vor der ein Paar riesiger Obelisken steht, vergrößert. Indes – diese Obelisken zeugen davon – zeigt sich mit aller Deutlichkeit im thebanischen Dogma der Einfluß der Mythologie von Heliopolis, während in Wirtschaft und Verwaltung Memphis den Rang einer zweiten Hauptstadt annimmt. Thutmosis richtet sich dort eine bedeutende persönliche Residenz ein, und zum ersten Mal wird man einen Königssohn, seinen ephemeren Mitregenten Amenmose, beim Besuch der alten Sphinx von Giseh sehen, die das Volk unter dem Namen Harmachis verehrte und die man für ein besonderes Abbild des Sonnengottes hielt. Diese wachsende Bedeutung der Gegend von Memphis dürfte zweifellos nicht zu trennen sein von einer Verlagerung des Schwerpunkts der Monarchie. Man wird sehen, daß Thutmosis I. eine Expansionspolitik eröffnet, die seine Armeen nach Norden über den Euphrat führte. Auch Thutmosis II., der Sohn Thutmosis’ I., unternahm einige Kriegszüge, aber seine Regierung war von nur kurzer Dauer (1494–1490). Auch er war von einer Nebenfrau geboren, der Mutnofret; er nahm sich als Große Gemahlin die »Gottesgemahlin Hatschepsut«, seine Halbschwester, die älteste Tochter Thutmosis’ I. und der Ahmose. Trotz ihrer Abkunft sah sich Hatschepsut mit nicht größeren Ehren oder Machtbefugnissen begabt, als es zu dieser Zeit üblich war. Als der König starb – er ließ seinen Sarkophag und seinen kleinen Tempel von Medinet Habu unvollendet –, war der Sohn, der ihm folgte, Thutmosis III., wiederum das Kind einer Nebenfrau. Nach dem, was er später verkünden wird, wäre er durch ein Orakel des Amun öffentlich als Erbe bestätigt und vielleicht sogar formell zum Mitregenten ernannt worden. Das jugendliche Alter Thutmosis’ III. ließ der Witwe des Königs, die sich als »Gottesgemahlin« ihre älteste Tochter Nofrure zugesellte, freies Spiel. »Die Gottesgemahlin Hatschepsut«, erzählt Ineni, ein alter Diener Thutmosis’ I., »nahm sich der Angelegenheiten des Landes an. Man arbeitete in ihrem Auftrag, und Ägypten zollte ihr Verehrung.« Zunächst jedoch hielt sich die Regentin im Hintergrund: Sie überschritt nicht allzu sehr die Bräuche, wenn sie sich, durchaus Kleidung und Titel einer Königin beibehaltend, allein beim Opfer vor Amun darstellen oder sich für ihre Bestattung einen Sarkophag des königlichen Typus vorbereiten ließ, ihr Grab aber über dem Abhang von Deir elBahari, also außerhalb des Tals der Könige, graben ließ. Es war nicht das erste Mal, daß eine Frau regierte und sich deshalb die Titel eines Königs zulegte (so
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Sebekneferu am Ende der XII. Dynastie). Hatschepsut fühlte sich stark genug, es weiter zu bringen als ihre Vorgängerinnen. Im zweiten Jahr ihres Neffen (1489) forderte Amun sie auf, »ihre Insignien einer Gottesgemahlin abzulegen«, um die eines Pharao anzunehmen, indem er im Lauf von Festfeiern in Karnak eine Reihe von Orakeln gab. Vollgültig gekrönt, verkündete die Königin ihr von der Vorsehung vorbestimmtes Geschick, indem sie für sich den traditionellen Mythus der »Theogamie« in Anspruch nahm, und sie hielt das Andenken an ihre Jugend in einem jener Bildstreifen fest, deren Handlung sich an den Grenzen mythischen Traumes und historischen Ereignisses abspielt: ihr Vater Thutmosis I. hatte sie in einer feierlichen Sitzung vor dem versammelten Hof als seine Erbin vorgestellt und hatte im voraus die Titulatur verkünden lassen, die sie tragen sollte. In der Tat nahm Hatschepsut wie jeder Pharao jener Zeit eine offizielle Titulatur von fünf Titeln an, denen fünf Namen folgten; Titel und Namen waren in die weibliche Form gesetzt worden. Nunmehr hatte Ägypten offiziell zwei Herrscher. Die offizielle Zeitrechnung blieb die Thutmosis’ III., aber während mehr als zwanzig Jahren wurde der größte Teil der Gebäude dem Namen der Hatschepsut geweiht, und wenn man geruhte, den jungen Herrn in den Tempelreliefs und den Inschriften neben seine Tante zu stellen, stand gewöhnlich der König Thutmosis gegenüber dem »König« Hatschepsut im Hintergrund. Es ist bemerkenswert, daß ein neues Grab für die Herrscherin im »Tal der Könige« hergerichtet wurde. Von nun an wurde Hatschepsut auf den Reliefs und in den Statuen mit den Körperformen eines Mannes und dem traditionellen Königsornat, darunter auch dem künstlichen Bart, dargestellt. Es ist schwer, sich die Wirkung vorzustellen, die diese in unseren Augen so absonderliche Handlungsweise auf die Zeitgenossen ausgeübt haben mag. Man wird daran denken, daß die Königsbilder in den Tempeln keine persönlichen Porträts in dem Sinn waren, wie man sie heute versteht, sondern daß sie hauptsächlich das Idealbild der Funktion beinhalten, die der Herrscher erfüllte, dessen Identifizierung als individuelle Persönlichkeit sich auf stark idealisierte Gesichtszüge und auf die Inschriften beschränkte. Im entsprechenden Augenblick nahm Hatschepsut in vollem Umfang eine verbindliche rituelle Bildersprache für sich in Anspruch, ohne deswegen auf ihre Weiblichkeit zu verzichten (der Titel »starker Stier«, den ihre Vorgänger getragen hatten, wurde aus ihrem Protokoll gestrichen). Eine Statue indes, die einzig in ihrer Art ist, hat es vermocht, die wahre Persönlichkeit unseres weiblichen Königs auszudrücken, nicht mehr durch Nebeneinanderstellen, sondern durch eine wundervolle Synthese: die feinen Proportionen der Glieder, der Umriß von Brust und Taille lassen erkennen, daß dieser Pharao eine junge Frau ist. Das Gesicht, das an das der anderen Thutmosiden erinnert, ist ganz lieblich, doch sicher idealisiert, denn man kennt einen anderen, realistischeren Kopf der Königin, in dem sich die Kraft, nicht aber der Adel des Charakters besser ausdrückt. Das nahezu völlige Fehlen nichtoffizieller Zeugnisse in der ägyptologischen Dokumentation wird immer
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hinderlich sein, die Persönlichkeit der ägyptischen Könige genauer kennenzulernen. Man erahnt bei Hatschepsut ein Wesen voll Ehrgeiz und Energie, aber man kann nicht feststellen, wie groß der Einfluß ihrer Umgebung war, vor allem der des Senenmut. Güterverwalter der Gottesgemahlin, wurde dieser Mann, nachdem jene Königin geworden war, zum »Oberhaushofmeister« und zum »Haushofmeister der Amunsdomäne« und diente vor allem als Lehrer der jungen Nofrure. Seine Funktionen wiesen ihm eine wichtige Rolle bei der Verschönerung der thebanischen Denkmäler zu, und seine Beliebtheit verhalf ihm zu außergewöhnlichen Sonderrechten: »Durch königliche Gunst« durfte er sein Bild in den mehr als sechzig Nischen des berühmten Tempels der Königin in Deir el-Bahari anbringen und sich im Hof dieses Tempels ein unterirdisches Grab anlegen lassen, das dem der Königin ähnlich war. Dieses Grab blieb unvollendet, der Sarkophag darin wurde zerschlagen und der Zugang zum Grab wurde ein oder zwei Jahre vor dem Tod Hatschepsuts vermauert. Daß der Günstling so in Ungnade fiel, war sicher eine der Episoden im Intrigenspiel von einzelnen Persönlichkeiten und Parteien, das die Jahre der Mitregentschaft gekennzeichnet haben muß. Man weiß, daß nach dem natürlichen oder gewaltsamen Ende des außergewöhnlichen »Königs« Hatschepsut Thutmosis III., nachdem er Alleinherrscher geworden war, deren Andenken verfolgte: Ihre Statuen wurden zerschlagen, ihre Anhänger zur Bedeutungslosigkeit degradiert, Inschriften und Darstellungen, die die göttliche Legitimität der Königin dargestellt hatten, säuberlich ausgelöscht, ihre Namen in den Kartuschen getilgt, um durch die Namen Thutmosis’ I., Thutmosis’ II. oder Thutmosis’ III. ersetzt zu werden. Indes, während der gemeinsamen Regierung war ja die Würde des Königtums dem männlichen Nachfolger Tuthmosis’ II. zuerkannt worden, und zwei Königshäuser (zwei »Haushofmeister«, zwei »Schatzmeister« usw.) hatten, wie es scheint, nebeneinander bestanden. Wir schließen auf die Existenz einer Feindseligkeit zwischen den beiden Königen, aber keineswegs aus den zeitgenössischen Quellen der Mitregentschaft, sondern aus der späteren Rachsucht des Thutmosis. Es ist sehr zu bedauern, daß man von einer Welt, die reich war an Gelegenheiten zu schäbigem Verrat, einträglichen Bloßstellungen, unklugen Gesinnungsänderungen und Wechselfällen des Glücks, nicht mehr erfahren kann. Eine Einzelheit kann festgehalten werden, die die von der Monarchie in weniger als einem Jahrhundert nach der Vertreibung der Hyksos wiedererworbene innere Festigkeit verdeutlicht: Die Streitigkeiten der Thutmosiden beeinträchtigten, wie es scheint, kaum den Gang des öffentlichen Lebens. Der oberste Würdenträger, der Wesir Useramun, der von dem jungen Tuthmosis (im Jahr 5) zur Nachfolge seines Vaters gerufen worden war, sicherte fünfzehn Jahre lang die Oberleitung der Verwaltung unter der Koregentschaft der bösen Stiefmutter und des rachsüchtigen Neffen und verstand es, noch lange danach im Amt zu bleiben. Monumentale Bautätigkeit und künstlerische
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Produktivität, gewöhnlich der Spiegel der Gesundheit des Landes, nahmen auf Betreiben der Königin und ihrer Günstlinge ein beträchtliches Ausmaß an. Die Heiligtümer der Gegend von Hermopolis (von Cusae bis Hebenu) wurden systematisch restauriert, Tempel von Bedeutung entstanden in Nubien (Buhen, Semne), und die Hauptstadt wurde üppig ausgestattet (die großen ausgemalten oder reliefgeschmückten Kapellen der Vornehmen in der Nekropole von Kurna werden zahlreicher). In Karnak wurde eine neue Stationskapelle errichtet: die »rote Kapelle«, ein aus Quarzit und schwarzem Granit vorgefertigtes Gebäude, das mit Szenen geschmückt ist, die das tägliche Ritual und die jährlichen Prunkzüge des Amun zusammenfassend erzählen; außerdem wurden zwei Obeliskenpaare am östlichen und westlichen Ende des Tempels aufgerichtet. Man erbaute unter der hohen Felswand von Deir el-Bahari ein wunderbares »Millionenjahrhaus«, das sich auf den großen Säulenhöfen aufbaute. Dieses aus feinem Kalkstein aufgeführte Gebäude, dessen Baumeister neben anderen Senenmut war, bildete in seiner Anlage und in seiner Ausschmückung die neue und einzigartige Verbindung der besten Leistungen der ägyptischen Kunst, indem sich die Architekten in gewissen Details unmittelbare Anregungen bei Vorbildern des Alten und Mittleren Reiches holten. Die Regierung der Hatschepsut festigte die ägyptische Herrschaft in Nubien. Indes, dasjenige ausländische Unternehmen, das der Königin am meisten am Herzen lag, war eine Expedition zur See, die bis ins Land Punt (bei Kap Gardafui) vorstieß, um im Tauschhandel eine große Menge Anty (Myrrhen oder Weihrauchharz) und einige Weihrauchbäume zu erwerben, die in dem Tempel des Amun wieder eingepflanzt werden sollten. Die genaue Darstellung der fremden Fische des Roten Meeres, des Eingeborenendorfes, seiner Rinder und Palmen, der Königin des Landes, die vor Fettleibigkeit zusammenzubrechen droht, ihres Esels, der großen Schiffe, auf denen Affen herumturnen, begeistern noch immer die Besucher von Deir el-Bahari. Die Erzählungen, die diese Darstellungen begleiten, könnten uns zu der Anschauung verleiten, die Ägypter hätten damals ihren ersten Kontakt mit den Weihrauchländern hergestellt. In Wirklichkeit hatte seit dem Alten Reich eine Anzahl solcher Expeditionen stattgefunden, und man darf in Anbetracht der Bedeutung, die dem Ereignis von mehreren Zeitgenossen beigemessen wird, Hatschepsut höchstens das Verdienst zuerkennen, in bemerkenswertem Umfang eine althergebrachte Tradition wiederaufgenommen zu haben. Die Sorgfalt, die darauf verwandt wurde, ausführlich von dieser Leistung zu berichten, entsprang zunächst dem Wunsch, Amun, dem mystischen Herrn der Expedition, den für seinen Kult unerläßlichen Weihrauch von Punt zur Verfügung zu stellen. Sie spiegelt vielleicht auch das Bedürfnis wider, ein friedliches Thema den sonst kriegerischen Themen zur Seite zu stellen, um die Herrschaft des Gottes und der Königin über das Universum zu verkünden. Wenn man aber feststellt, daß Hatschepsut offensichtlich eine Abneigung gegen die Eroberungszüge hatte, die von den beiden ersten Thutmosiden in Asien aufgenommen worden waren, so hat man den Verdacht, daß sich darin eine der
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politischen Begleiterscheinungen äußert, die die Affäre Hatschepsut zeitigte. Mit der Behauptung, die Reaktion, die die Bildung des Schreibers auf Kosten der Treue des Kriegers bevorzugte, habe ihren Rückhalt in der Domäne des Amun gehabt und sich gegen das Militär gerichtet, würde man eine unannehmbare Hypothese aussprechen. Jedenfalls wird Tuthmosis III., wenn er im Jahr 22 seiner Regierung (1468) aus der Bevormundung heraustritt, den ersten seiner siebzehn Feldzüge nach Asien beginnen. Politisches Leben, Wirtschaft und Kultur der XVIII. Dynastie waren weitgehend durch den Imperialismus dieser Epoche bestimmt. Die Siege von Kamose und Amosis enthielten im Keim bereits diese Expansion: Nach und nach führte der Befreiungskrieg die Thebaner über die Grenzen des eigentlichen Ägypten hinaus. Die Erinnerung an das Reich der Sesostris-Könige blieb in ihrem Gedächtnis wach. Im Norden wie im Süden waren die Nachbarvölker nicht imstande, sich auf lange Zeit einem Staat zu widersetzen, der seine zentrale Königsmacht, seine gut funktionierende Verwaltung und ein ruhiges und hohes nationales Selbstbewußtsein wiedergefunden hatte, das noch durch jenen Grundgedanken der Theologie verstärkt wurde, der aus dem König den Repräsentanten des leitenden Allherrn machte. Eine Folge dieser kriegerischen Politik war es, daß am Ufer des Nils ein Berufsheer entstand. Die Eroberer des Mittleren Reiches hatten, so scheint es, ihre Angriffstruppen aufgestellt, indem sie die besten Leute ihrer unmittelbaren Umgebung und der Jugend in den Provinzen bewaffneten, wenn das Bedürfnis danach spürbar wurde. Die Widersacher der Hyksos mußten in einem bestimmten Ausmaß auf die gleiche Praxis zurückgreifen, aber es zeichnet sich unter ihren Regierungen die Herausbildung einer erblichen Soldatenklasse ab. Eine neue Waffe erscheint, der Kampfwagen, den die Hyksos von den ḫurritischen Fürstentümern in Palästina übernommen hatten. Die Notwendigkeit, einen festen Bestand an Pferden zu züchten und zu unterhalten und Techniker heranzubilden, die mit einem zerbrechlichen und kostspieligen Fahrzeug umgehen konnten, führte ebenfalls zur Bildung eines stehenden Heeres. Es ist wahrscheinlich, daß die Organisation der militärischen Abteilungen das Werk des großen Thutmosis I. war; jedenfalls sind sie unter Thutmosis III. bereits fest installiert. Man vererbte nun vom Vater auf den Sohn den Beruf des Fußsoldaten, des Matrosen auf den Transportschiffen, des Wagenlenkers oder Kampfgenossen auf dem Kampfwagen; man konnte nach einem klugen System der Rangfolge, das die verschiedensten Arten von Stellungen umfaßt, im Rang aufsteigen und »Standartenträger« einer Fußtruppe oder einer »Marine«-Einheit werden. Eine Abteilung von Schreibern kontrollierte die Einheiten und kümmerte sich um das Nachschubwesen, besonders um die Stallungen und Zeughäuser. Ein sehr hoher Aufstieg für einen Krieger war es, wenn er Zeugmeister der königlichen Waffen oder königlicher Stallmeister wurde. Die Aushebung der höheren Ränge fand weiterhin von Fall zu Fall statt: hohe Würdenträger, die an königlichen Kriegszügen teilgenommen hatten oder »Beauftragte des Königs für
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verschiedene Fremdländer« waren, verbrachten den größten Teil ihrer Laufbahn in zivilen Stellungen. Im Süden hatte sich zur Zeit der XVII. Dynastie das lokale Königreich des »Herrschers von Kusch«, dessen Hauptstadt Buhen am 2. Katarakt war, über einen Teil des Territoriums ausgedehnt, das einst fest in Händen der XII. Dynastie gewesen war. Während der Zweiten Zwischenzeit waren die Handelsbeziehungen zwischen Nubien und Ägypten aufrechterhalten worden, und seit der Hyksoszeit scheinen ägyptische Kolonisten feste Handelsniederlassungen in diesem engen Tal gegründet zu haben, wo die fortschreitende Abnahme der Hochwasser des Nils und eine wachsende Austrocknung die dürftigen Möglichkeiten landwirtschaftlicher Nutzung noch minderten und eine Abnahme der alteingesessenen Stammbevölkerung bewirkten. Neben einheimischen Friedhöfen, die von einer eigentlich sudanesischen archaischen Kultur zeugen (C-Gruppe, spätes Kerma), verraten manche Bestattungen die Einbürgerung von Gruppen rein pharaonischer Kultur. Ebenso sehr wie die Einheimischen stellten diese Gruppen die leitenden Männer des Fürstentums von Buhen, selbst wenn der »Herrscher von Kusch« wirklich ein Nubier war, wie es Kamose sagte (die Vornehmen von Buhen haben tatsächlich Inschriften und Stelen typisch ägyptischer Prägung hinterlassen). Die jüngst geäußerte Idee, die Thebaner hätten ohne Gewaltanwendung ein Land, das bereits von den Ihren besetzt war, einfach annektieren können – so wie es die USA mit Texas machten – ist unmöglich aufrechtzuerhalten. Amosis unternahm, als er einmal die Hyksos vertrieben und in Asien Fuß gefaßt hatte, mit Waffengewalt den Anschluß der südlichen Länder. Der erste Feldzug war nicht von entscheidendem Erfolg (Ein Stammesfürst, der seine Macht oberhalb des annektierten Gebietes ausdehnte, schritt zum Gegenangriff!), und Amenophis I. mußte seinerseits nach Kusch hinaufziehen. Amosis hatte bereits seine Verwaltung in Buhen eingerichtet und vielleicht seine Herrschaft bis zur Insel Sai ausgedehnt. Amenophis bemühte sich um die Goldabgaben der Wüsten der Etbaye (Stele von Ibrim) und hielt Sai, wo er Denkmäler hinterließ, in festen Händen. Thutmosis stieß dann weiter nach Süden vor als irgendein Pharao vor ihm. Eine groß angelegte Felsinschrift, nicht weit von dem Fort entfernt, das er in Tombos bauen ließ, verkündet seine Anwesenheit am 3. Katarakt; eine offizielle Inschrift und einige Sgraffiti von Leuten seiner Begleitung zeigen an, daß er seine Grenze bis nach Kurgus nördlich des 5. Katarakts ausdehnte. Seit der Zeit des Amosis lag die Verwaltung der eroberten Territorien in den Händen eines »Gouverneurs der Südländer«, der den Rang eines »Königssohnes« innehatte (man wird ihn von der Regierungszeit Thutmosis’ IV. an »Königssohn von Kusch« nennen). Diese Verwaltung vervollkommnete sich und wurde nach und nach immer differenzierter: das Land wurde in zwei Zonen eingeteilt (Uauat zwischen den beiden ersten Katarakten, Kusch südlich davon); Sonderabteilungen des Militärs wurden gebildet, die »Bogenschützen von Kusch«, und besondere Verwaltungsposten entstanden, die vor allem die
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Gewinnung des »Goldes von Kusch« leiteten und die Einkunft der jährlichen Tributleistungen garantierten. Die Ausgräber haben festgestellt, daß die einheimischen und die ägyptischen Gräber, die ihren jeweiligen Typus bewahrten, in der zweiten Hälfte der XVIII. Dynastie selten wurden. Die eingesessene Bevölkerung wäre demnach allmählich ausgestorben, während die Angehörigen der Besatzungstruppen sich vor ihrem Tode nach Ägypten zurückbegaben. Die Entvölkerung, die Verarmung, die Verschlechterung der Lebensbedingungen, die zunehmende Beschränkung der Kolonialherrschaft auf ein bloßes Ausbeuten des Landes, alles Folgen des andauernden Tiefstandes des Nils und eines Steuerwesens, das selbst das Getreide beanspruchte und zur Entwaldung beitrug, wären das Schicksal Nubiens und Dongolas unter den Nachfolgern des Amosis gewesen. Diese Entwicklung ging nicht ohne Krisen vonstatten. Unter Thutmosis II. mußte ein Expeditionskorps, das von Ägypten ausgeschickt worden war, eine Revolte niederschlagen, die nicht ohne zentrale Planung stattgefunden hatte. Ein Vasall, ein Kleinkönig von Unternubien, und zwei Söhne eines alten Prinzen von Kusch hatten Nubien in drei Abschnitte des Aufstandes eingeteilt. Hatschepsut – es ist dies der einzige Feldzug, den wir aus ihrer Regierung kennen – mußte ihrerseits hinaufziehen, um die nubischen Häuptlinge zu unterwerfen. Die Deportation mancher vornehmer Gefangener, die man am Hof erzog, erlaubte es, kleine treu ergebene Dynastien einzusetzen, wie jene drei Generationen der Könige von Debeira, Zeitgenossen der Thutmosiden, deren bemalte Felsengräber in gut thebanischem Stil ausgeführt sind. Die Einberufung der besten nubischen Soldaten in gewisse Elitetruppen der ägyptischen Armee außerhalb Nubiens, die Ausfuhr von Dienstpersonal und landwirtschaftlichen Arbeitern und, so glaubt man, eine Auswanderung aufgrund einer Rückkehr zum Nomadentum, sowie die Flucht kleiner Gruppen viehzüchtender Bauern in die südlichen Steppen verwandelten Kusch und Uauat in ein Niemandsland. Ein allerdings nur sehr schwacher Unsicherheitsfaktor waren die elenden Nomaden der wüstenhaften Randgebiete, arme Banden, die gerade fähig waren, die Goldsucher zu beunruhigen oder ein Stück Vieh zu stehlen. Auf dem Höhepunkt des Reiches mußten Thutmosis IV. und nach ihm Amenophis III. durch ihre Truppen die Angriffslust der Beduinen Unternubiens brechen. Im Süden des 3. Kataraktes in den steppenhaften Gegenden, wo die Ägypter mit negroiden Hirten und Jägern in Berührung kamen, wurden regelmäßige Kampagnen durchgeführt. Sie sorgten für Sklaven und hielten die unruhige Bevölkerung in Schach; so der Zug bis zum Land der Moui, während dessen Thutmosis III. ein Nashorn erlegte und eine neue Grenzinschrift auf den Felsen von Kurgus einmeißeln ließ. Es war im ganzen gesehen unbedeutend, daß die Länder des Südens entvölkert wurden, denn die Besetzung hatte ja vor allem den Zweck, die Handelsstationen zu beschützen, durch deren Vermittlung Holz für die Binnenschiffe, schwarze Sklaven und Vieh, verarbeitetes und rohes Leder, Halbedelsteine und verschiedene Luxusgüter (Pantherfelle, Straußenfedern und -eier,
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Giraffenschwänze, Affen und zoologische Raritäten) ins Land gelangten. Im übrigen erforderte es das Dogma, daß die Pharaonen durch ihre Bauten und ihre Waffen den allumfassenden Ruhm ihrer Herrschaft bekräftigten. Daraus erklärt sich ohne Zweifel, daß die Proklamationen, die Bilder und Völkerlisten, die von der Unterwerfung des armen Nubien berichten, die gleiche Schwülstigkeit und Großsprecherei zeigen wie die ganz ähnlichen Darstellungen, die sich auf die Ausdehnung Ägyptens nach Asien hin beziehen, wo man es ja mit einem viel stärkeren Gegner zu tun hatte. Die westlichen Grenzen stellten im Augenblick kaum Probleme. Seit der Regierung Amenophis’ I. waren die libyschen Oasen, ägyptischer Boden seit dem Alten Reich, unter ordnungsgemäßer Verwaltung; ihre Gärten lieferten regelmäßig jedes Jahr ihren Tribut an erlesenen Weinen. Die Tehenu genannten Stämme, die in der Marmarica wohnten, waren von geringer Bedeutung. Man hatte also in dieser Richtung die Hände völlig frei – dies wird sich unter den Ramessiden ändern –, um nach Osten und Norden aktiv zu werden. Nachdem einmal die arabischen Grenzgebiete des Deltas rigoros von aufständischen Elementen gesäubert waren, zog Amosis (etwa 1530?) nach Asien weiter. Dabei verfolgte er ohne Zweifel die führenden Gruppen der Hyksos (palästinensischen oder ḫurritischen Ursprungs), die sich wohl oder übel an die Wiege ihrer Väter zurückzogen. Man belagerte Scharuhen drei Jahre lang; seine Einnahme eröffnete Ägypten die Benützung der Küstenstraße, die, von Kantara ausgehend, den Zugang nach Palästina ermöglichte. Soviel man weiß, wurde dieser Erfolg kaum ausgenützt. Amosis, der um 1530 in den Steinbrüchen von Tura Rinder und Sklaven verwendete, die er in Asien erbeutet hatte, griff mindestens noch einmal auf palästinensischem Boden ein. Von dem einzigen Dokument, das Armenophis I. (1527–1506) in Beziehung zu Asien setzt – die Erwähnung des Landes Qedem (Transjordanien) auf einem Vasenbruchstück, das in seinem Grab gefunden wurde –, kann man kaum große Rückschlüsse ziehen. Die Verhältnisse wurden klarer mit Thutmosis I. Seine Stele von Tombos, in sein zweites Regierungsjahr (1505) datiert, berichtet, daß die Nordgrenze seines Reiches den Euphrat berührte. Mit seinem Feldzug anläßlich der glücklichen Thronbesteigung hatte Thutmosis praktisch die fernsten Grenzen erreicht, die jemals von den Armeen der Pharaonen berührt worden waren, und er war dabei weit in die Territorien vorgedrungen, die zum Königreich Mitanni gehörten. Unmittelbar nach seinem großen Nubienfeldzug unternahm er noch einen neuerlichen Vorstoß nach Asien, vernichtete den König von Mitanni und dessen Wagentruppe auf dessen eigenem Territorium und ging in der Gegend von Niya (Apamene) auf Elefantenjagd. In der politischen Konstellation Palästinas und Syriens zeichnete sich schon der Stand der Dinge ab, wie er unter Thutmosis III. und Amenophis III. sein würde. Einheimische Bevölkerungsgruppen stark vermischter Abstammung (Kanaanäer, Amoriter, ḫurritische Elemente) widmeten sich in der Umgebung der Häfen und der befestigten Städte im Landesinneren dem Ackerbau und den Gewerben und
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wurden dabei von lokalen Königen geleitet, die nach Selbständigkeit strebten, aber oft auch versuchten, ihre Nachbarn zu beherrschen. Als ständige Bedrohung der eingesessenen Bevölkerung belästigten schweifende Banden (die Apiru) und Beduinenstämme (die Schasu der ägyptischen Texte) die Wüstenzonen oder durchsetzten die bewaldeten Gebirge. Das syrisch-palästinensische Hinterland, fleißig und blühend, politisch jedoch labil und zerrissen, stellte für jeden großen Staat, der sich an dessen Grenzen bildete, eine verlockende Beute dar; die rassischen und kulturellen Gemeinsamkeiten galten, soweit man sich darüber Klarheit verschaffen kann, wenig bei diesen Machtkämpfen und Umtrieben ehrgeiziger Lokalfürsten. Die Unsicherheiten in der Chronologie verbieten es für den Augenblick, genau zu sagen, ob die fernen Unternehmungen Thutmosis’ I. durch das Fehlen ernstlicher Gegner erleichtert wurden – die Ḫurriter in Syrien und Mesopotamien waren eben durch einen Angriff des Hethiterkönigs Muršili außer Gefecht gesetzt worden –, oder ob sie einen Versuch darstellen, auf einen Anhieb die Bedrohung zu beseitigen, die das junge Mitanni für den ägyptischen Imperialismus bildete. Thutmosis II. (1494–1490) befriedete in Fortführung der Politik seines Vaters die Schasu-Beduinen. Diese Feldzüge der beiden Thutmosiden genügten, einen Teil des syrisch-palästinensischen Bodens in die Lehensherrschaft Ägyptens zu bringen. Ein in der Mitte der Regierung Hatschepsuts für Senenmut hergerichtetes Grab liefert uns die früheste Darstellung der feierlichen Darbringung der Tribute, und eine eingehende Untersuchung läßt den Schluß zu, daß das Thema in Wirklichkeit auf die Regierungszeit Thutmosis’ I. zurückgeht. Die Anwesenheit ägäischer Abgesandter unter den Tributpflichtigen zeigt, daß die Pharaonen über Asien mit den Handelskontoren von Kreta und den ägäischen Inseln in Verbindung standen. Hatschepsut verzichtete sicher nicht auf ihre de jure-Herrschaft über Asien, aber ganz offensichtlich zerbröckelte das Reich, während Mitanni seine Position verstärken konnte. Als Thutmosis III. die Bevormundung abschüttelte (1468), hatte sich Palästina vom ägyptischen Joch befreit, selbst Scharuhen war aufgegeben worden (?). Der ehrgeizige König von Kadeš hatte eine Koalition zusammengerufen, die mehr als dreihundert Lokalfürsten zählte und deren Truppen in Megiddo konzentriert waren. Thutmosis’ erster Versuch muß gleich ein Meisterstück gewesen sein: die Erzählung der »Annalen« und verschiedene Anspielungen nennen den Prestigeerfolg, den der König mit seiner ersten Waffentat erringen wollte. Auf einen Wink Amuns und gegen die Ansicht des Generalstabs führte er die Armee über einen ziemlich beschwerlichen Gebirgspfad und zog dabei seine vormarschierenden Truppen gefährlich in die Länge. Sein Erscheinen an einem Punkt, wo man ihn nicht erwartet hatte, verblüffte den Feind und erlaubte eine Konzentration der Streitkräfte. Tags darauf am frühen Morgen zerschlug der König die Koalitionstruppen, die sich zerstreuten; die Verzögerung, die durch die Plünderung des Lagers entstand, erlaubte es dem König von Megiddo, sich in seiner Stadt einzuschließen. Diese
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fiel nach siebenmonatiger Belagerung. Die Beute war riesengroß; die Koalierten und die Besiegten leisteten den Unterwerfungseid. Diese allgemeine Unterwerfung war aber natürlich nicht von Dauer. Von 1466 bis 1448 begab sich der König fast alljährlich nach Asien, um seine Macht zu manifestieren und mehr oder weniger umfangreiche Rebellionen, vor allem an den Grenzen seines Besitztums, einzudämmen. Ein rationeller Aufbau der Verkehrswege durch das Reich erhöhte die Schnelligkeit und Wirksamkeit der Interventionen. Ein mächtiges Arsenal war in Memphis geschaffen worden, eine bedeutende Flotte wurde unter Verwendung der Hölzer des Libanon und Sudan gebaut; ein Teil der jährlichen Tributzahlungen wurde in den Küstenstädten Phönikiens gelagert, dessen Bedeutung zur See sich damals abzuzeichnen beginnt. Im Inneren sind die strategisch bedeutsamen Punkte von ständigen Garnisonen besetzt. Nun blieb nur der Rivale Mitanni niederzukämpfen. 1457 erstürmte die königliche Armee Qatna, kämpfte, nachdem sie sich mit den Truppen, die Negeb befriedet hatten, vereint hatte, in der Nähe von Aleppo und nahm dann Karkemiš am Euphrat ein. Bei der Überschreitung des Libanon hatten speziell angefertigte Ochsenkarren in Einzelteile zerlegte Schiffe von der Küste mitgeführt. Der Euphrat wurde überschritten; nach den ersten Gefechtsberührungen zog sich der König von Mitanni ins Zentrum seines Reiches zurück. Auf dem Rückweg erledigte Thutmosis einige Rebellengruppen und jagte seinerseits die Elefanten von Niya. So strahlend der Vorstoß über den Euphrat auch war, er konnte Mitanni, das auch zum Gegenangriff schritt, nicht auf die Dauer zerschlagen. Zwei Jahre später vertrieb Thutmosis Mitanni ohne große Schwierigkeiten von Territorien, die unter ägyptischer Oberhoheit standen. Zehn Jahre danach, als er Tunip und befestigte Siedlungen, die zu Kadeš standen, erstürmte, besetzte er auch Garnisonen von Mitanni, was zeigt, daß der Feind noch einmal im Tal des Orontes hatte Fuß fassen können. Durch seine bemerkenswerte Hartnäckigkeit zwang Thutmosis III. der asiatischen Welt so viel Achtung ab, daß gegen 1448 endlich ein Vertrag geschlossen werden konnte, mit dem Mitanni anerkannte, daß Ägypten seinen Herrschaftsbereich bis zum mittleren Orontes und zu den Amoriterbergen ausdehnte. In den vorhergehenden Jahren hatten die Mächte, die von dem Machtschwund der Mitanni profitierten, nacheinander die ägyptische Vorherrschaft anerkannt: Assyrien (1468), das Hethiterreich und Babylon (1457), dann Azzi und Alalaḫ. Die Ägäer sandten regelmäßig Geschenke an den Pharao. Und dennoch mußte Amenophis II. (1438–1412), der Sohn und Nachfolger des Thutmosis, in der ersten Hälfte seiner Regierung von neuem ernstlich Krieg führen. 1428 zerschlug er eine Erhebung von sieben Häuptlingen, die er eigenhändig opferte. 1421 begab er sich nach Nordsyrien und stellte seine starke Persönlichkeit mehrmals unter Beweis. Zwei Jahre darauf mußte er im Norden Palästinas intervenieren. Diese großen Feldzüge erlaubten es, Tausende von Gefangenen nach Ägypten zu deportieren, die bei den Seßhaften wie bei den
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Nomaden aufgegriffen wurden, und sie führten Mitanni, die Hethiter und Babylon dazu, zur Versöhnung Gesandtschaften auszuschicken. Die Nordgrenze wurde »bis nach Naharina« (Mitanni) aufrechterhalten, aber nach der Ausdehnung der königlichen Züge zu schließen, scheint es, daß diese Grenze bereits gegenüber der von Thutmosis III. festgesetzten ein wenig zurückgenommen war. Von den militärischen Anstrengungen Thutmosis’ IV. (1412–1402), des Sohnes und Nachfolgers Amenophis’ II., sind nur wenige Zeugnisse erhalten; wir wissen, daß er im südlichen Palästina Gezer zurückerobern mußte und daß er sich mit Mitanni stritt. Eigentlich war seine Zeit eine Epoche allgemeiner Befriedung. Eine Mitanni-Prinzessin wurde in den Harem des Thutmosis aufgenommen, und ein neuer Vertrag wurde unterzeichnet, der ohne Zweifel einen Rückzug der Ägypter beinhaltete, so daß die Grenze der Gebiete zwischen Kadeš und Qatna verlief. Die Unternehmungen der Thutmosiden in Asien gleichen einer Sisyphus-Arbeit. Bis an die äußersten Grenzen Mesopotamiens vorstoßend, müssen sie doch mitten in Palästina mit Revolten fertig werden. Die Erklärung für dieses Fehlen einer geschlossenen Front, das Vorstöße und Rückzüge bei der Eroberung bestimmte, findet sich in der einzigartigen geographischen Lage des syrisch-palästinensischen Hinterlandes und in der Politik seiner Machthaber; die örtlichen Rivalitätskämpfe der Städte und die Begehrlichkeit bewaffneter Banden und Beduinenstämme boten rivalisierenden Staaten in ihrer Diplomatie unerschöpfliche Möglichkeiten zu Interventionen (es ist kennzeichnend zu erfahren, daß Amenophis II. bei der Rückkehr von seinem glorreichen Zug nach Syrien einen Mitanni- Geheimboten festnahm, der nach Palästina unterwegs war). Die verhältnismäßig große Macht der Stadtkönige und der Scheichs, die Bevölkerungsdichte und wirtschaftliche Potenz der Stämme brachten die Ägypter von einer direkten Ausübung ihrer Macht über ihre asiatischen Territorien ab. Die formellen Unterwerfungserklärungen der Fürsten wurden bereits als ausreichend erachtet, aber das war unsicher; der Tod eines Kleinkönigs, eine örtliche Thronstreitigkeit, ein Partisanenangriff, ein diplomatischer Schachzug von Mitanni, und schon war eine Stadt verloren. Aufgrund der Truppenstärke, der Anwesenheit der fähigsten Offiziere des Hofes und dank des persönlichen Ansehens des Königs konnten die königlichen Feldzüge die gefährdete Situation wieder in Ordnung bringen. Der Brief eines Generals aus Ugarit ist in dieser Beziehung kennzeichnend: »Der ägyptische König rüstet sich zum Kriegszug, und wenn er ankommt, werden wir nicht die Oberhand behalten; aber solange wir es nur mit der hiesigen Garnison zu tun haben, werden wir sie in Schach halten.« In den Zwischenräumen, die die Züge des Königs trennten, genügten die begrenzten Ausfälle der ägyptischen Garnisonen und das mehr oder weniger wirkungsvolle Eingreifen ägyptischer Kommissare vollauf, die Tribute einlaufen zu lassen und bestimmte Stellungen zu halten, aber die Festigkeit des Reiches beruhte letzten Endes auf dem häufigen persönlichen Eingreifen des Königs. Thutmosis III., an dessen Feldzüge
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zwei in der Ramessidenzeit verbreitete Romane das Andenken bewahren, sowie Amenophis II. waren die Männer gewesen, um sich mit Verbissenheit durchzusetzen. Sie schätzten körperliche Übungen (Jagd, Rudern, Bogenschießen, Wagenrennen) und liebten den Kampf, Amenophis nicht ohne eine Neigung zu gewollt offensichtlichen Grausamkeiten, ein für einen Pharao außergewöhnlicher Zug. Unter Thutmosis und Amenophis boten sich raffinierte Organisation und der Reichtum der XVIII. Dynastie in all ihrem Prunk dar. Die politische Macht war theoretisch allein in Händen des Königs, der selbständig die höchsten militärischen, priesterlichen und zivilen Würdenträger bestimmte. Die Verwaltung war eine reine Exekutivbehörde, nicht ein entscheidungsbefugtes Kabinett. Der König nahm sich als Ratgeber, wer ihm gerade gefiel; man ersieht aus verschiedenen Laufbahnen, daß der offizielle Rang und der wirklich ausgeübte Einfluß eines Einzelnen nicht unbedingt Hand in Hand gingen: Senenmut und Amenhotep, der Sohn des Hapu, berühmte Günstlinge, überließen anderen die Funktionen des Wesirs, das heißt, des Chefs des bürokratischen Apparates. Um ihrer Aufgabe genügen zu können, entwickelte sich diese Bürokratie in komplizierter Weise. Es gab nunmehr zwei Wesire, einen für Ober- und einen für Unterägypten. Außer dem Schatzmeister, der über dem persönlichen Besitz des Königs stand, und dem »Obergüterverwalter«, der die Ländereien verwaltete, koordinierten der »Oberschatzmeister« und die »Leiter der Kornkammern« Produktion und Abgabenwesen. Eine stark differenzierte Hierarchie kümmerte sich um die Haushaltung der Königinnen, der großen und kleinen Tempel und des allmächtigen Amun. Die indirekte Kontrolle der Krone über die Tempelgüter war dadurch gewährleistet, daß hohe Priesterämter den besten Gefährten des Königs verliehen wurden. Das heißt aber keineswegs, daß keine gefährlichen Spannungen existiert hätten: man kann dies aus posthumen Ächtungen gewisser Prinzen (z.B. eines Bruders Thutmosis’ IV.) und mehrerer hoher Funktionäre Thutmosis’ III. (Puiemre) oder Amenophis’ II. (Königssohn von Kusch Usersatet) schließen. Man kann sich leicht vorstellen, daß der Reichtum der Amunsdomäne die Eifersucht der Priesterschaften anderer Götter erregte, aber im ganzen gesehen bewirkte die Teilnahme nahezu aller führenden Verwaltungsleute an der Führung und am Gewinn dieser Domäne, daß diese letztere mit der Königsgewalt nach Art einer »unabhängigen Gesellschaft« zusammenzuarbeiten schien, ohne sich dem König widersetzen zu können. Eine intensive monumentale Baupolitik entsprach der wirtschaftlichen Blüte. Der König war der Bauherr schlechthin und nahm im Prinzip an der Ausführung der Bauvorhaben teil. Die Fachleute (Baumeister, Tempelschreiber) lieferten die Grundlagen, aber es war der König, der den verschiedenen Beamten, die er zu »Oberbaumeistern« ernannte, die Anweisungen gab, so wie er es auch war, der entschied, welche Götter verehrt werden sollten. Unter Thutmosis III. und Amenophis II. profitierten einige Provinztempel Oberägyptens, vor allem aber des Deltas vom Verschönerungsprogramm. Heliopolis und Memphis reihten sich
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hinter Theben ein, aber Karnak wurde immer noch größer. Unter Thutmosis wurde der Plan des Tempelinneren umgestaltet, die kleinen Pylone und die Tore wurden vervielfacht, ein neues Obeliskenpaar wurde vor der Fassade aufgerichtet; ein Granit-Sanktuar ersetzte die Hatschepsut-Kapellen. Ein »Millionenjahrhaus« von einzigartigem Typus wurde hinter dem Allerheiligsten errichtet; eine starke Umfassungsmauer umschloß nun den Tempel, und an der Westseite wurde ein Heiligtum »des Gottes, dessen Ohr hört« den Gebeten der Bevölkerung Thebens eröffnet. Gegen Süden wurde die Ausgestaltung der Triumph-Allee, die nach Luksor führte, fortgesetzt, vor allem durch die Fertigstellung und Errichtung von Kolossalfiguren verschiedener alter Könige. Zu beiden Seiten des Tempels wurden zwei heilige Seen angelegt. Amenophis II. errichtete seinerseits an der Fassade Obelisken, schmückte den Vorderteil des Tempels mit Granit-Reliefs, die von seinen brutalen Taten berichten, schmückte den Monthutempel mit feinen Säulen aus, baute ein Jubiläumstempelchen an der Südallee und errichtete aus Sandstein eine »Stätte des Vergnügens«. Thutmosis IV. gestaltete dann einen großen Vorhof aus, dessen Reliefs den pittoresken Zug fetter Rinder zeigten, und er baute im Osten eine neue öffentlich zugängliche Kapelle, in der »Amun, der die Gebete erhört« sich der Stadt in der Gestalt eines einzelnen Obelisken zeigte. Der Pracht der buntbemalten Gebäude, die an verschiedenen Stellen vergoldet waren und um die freundliche Gartenanlagen liefen, entsprach der Prunk der Kultgegenstände und Kultbilder, deren feierliche Überreichung am Neujahrstag in den Gräbern der hohen Beamten im Bild festgehalten ist. In Stein umgesetzt, belebten gewisse Gesten und rituelle Gewänder in großen steinernen Statuen mehr und mehr bereicherter Typen die Höfe und Säulenhallen. Im Westen von Karnak entwickelte sich an verschiedenen Stellen der Vorberge eine riesige Nekropole der Vornehmen, deren unterirdische Kapellen, die nur sehr lückenhaft erhalten sind, bis auf unsere Tage ein gewaltiges Museum altägyptischer Malerei bilden. Das morsche Gestein der thebanischen Hügel gestattete nur selten die Anfertigung von Reliefs, und so begnügten sich auch die ranghöchsten Höflinge mit einer auf Stuck gemalten Wanddekoration; aber die Künstler verstanden es, sich nach besten Kräften zu steigern, indem sie ihren Sinn für Zeichnung und Farbgebung verfeinerten und von einem etwas kühlen Klassizismus zu fast barocker Anmut übergingen. Die verschiedenen Tätigkeiten der Herren und der kleinen Leute beginnen vor unseren Augen wieder Leben zu gewinnen. Das Grab des Wesirs Rechmire, eines Ministers Thutmosis’ III., enthält eine Art Enzyklopädie der verschiedenen Berufe des Landes; die bescheideneren Kapellen des Nacht und des Menna berichten von deren Laufbahn als »Schreiber der Äcker«; das Grab des Nebamun erzählt einige Episoden vom Leben der Soldaten in der Garnison, um nur einige Beispiele zu nennen. Andere Bilder geben die geheimnisvollen Bestattungsrituale der früheren Könige wieder; andere, fröhlichere, zeigen Tote und Lebende beim
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Opfer und beim Festschmaus in der Kapelle an den Tagen, an denen die Barke des Amun auf das linke Ufer zum Besuch der »Millionenjahrhäuser« kam. Die Königsgräber, die in den Felsengrund des Tals der Könige hineingehen, entsprechen in gebührender Weise der unerreichbaren Stellung des Pharao. Die verschollenen Schätze, die diese in ihren feinen Qarzitsarkophagen ruhenden Könige umgaben, müssen den maßvollen Reichtum und die klassische Linie des Schmuckes gehabt haben, der uns von drei Günstlingen Thutmosis’ III. erhalten ist, und sie müssen an Menge die des jungen Tutanchamun übertroffen haben. Die Wände der Grabkammern trugen die vergrößerte Wiedergabe eines Papyrus, auf dem das Buch der Verborgenen Kammer (oder Amduat) aufgezeichnet war: eine Reihe durch Beischriften erklärter Bilder, die die Fahrt der Sonne während der zwölf Nachtstunden zeigen, offenbart die surrealistischen Wunderlichkeiten eines mystischen Traumes und enthüllt die Geheimnisse um die Wiedergeburt des Gestirns. Ein anderer Bildzyklus der Königsgräber, die »Sonnenlitanei«, erzählt vor allem anhand einzigartiger Bilder und einer Sammlung von 71 erklärenden Beischriften dasselbe göttliche Geheimnis. Durchaus heidnisch, waren Theologie und religiöse Übung nicht das Zeugnis von widersprüchlichen Naivitäten, wie man aufgrund einer oberflächlichen Prüfung zunächst glauben könnte. Die ägyptische Religion bietet wegen der Vielfalt der Schichten, in denen sie sich äußerte, ein Bild, das ein Mensch unserer Tage nur schwer erfassen kann. In jeder Stadt galt der oberste Ortsgott in seiner Gleichsetzung mit der Sonne als der Schöpfer und Beweger der Welt. Man mußte ihn hinter hohen Tempelmauern schützen und durch Opfer und fromme Stiftungen die unentbehrliche Bewegkraft der Welt nähren. Die dem höchsten Gott zugesellte Göttin personifizierte in der Regel die Strahlen der Sonne, die gleichzeitig furchtbar und wohltätig sein konnten. Die Priester wußten, daß der Gott derselbe war wie Re, die Sonne, und auch derselbe wie die anderen Götter, daß er also eine Erscheinungsform eines einzigen und unaussprechlichen göttlichen Wesens war. Die Ortsgötter wechselten mythische Attribute und bildnerische Züge; das Ritual der Hauptgöttinnen war überall das gleiche, ebenso wie das tägliche Ritual des Gottes. Die kleinen Leute des jeweiligen Ortes erkannten in dem traditionellen Bild ihres Schutzgottes einen vertrauten Helfer, zu dem man mittels einer kleinen Stele um Gesundheit und Erfolg betete. Der Abstand, der die Götter von den Menschen, den armen Sterblichen, trennte, wurde unter der XVIII. Dynastie geringer – ein erster Schritt zu persönlicher Frömmigkeit. In früherer Zeit fand sich kein Götterbild in Privatgräbern: jetzt betete der Tote ständig unmittelbar vor Osiris, Hathor und Anubis, den Herrschern des Jenseits. Es gab nun Statuen, die vornehme Leute abbildeten, wie sie das Bild der Schlangengöttin Ermuthis vor sich halten; andere Figuren stellen Schreiber unter dem Schutz des paviangestaltigen Thot dar. Gewisse alte Orte der Gegend von Memphis (die Große Sphinx, die Sachmetkapelle in Abusir) wurden Wallfahrtsorte, während die bekannte Verehrung bestimmter Tierarten, besonders die des Widders des Amun, die ersten Stufen jener naiven
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Tierverehrung bezeichnete, die bei den Ägyptern der Spätzeit auffallen sollte. Andererseits zeichneten sich Tendenzen einer Vergeistigung in der frommen Hingebung der gebildeten Kreise ab. Unter Amenophis III. erschienen Privatstatuen in der Haltung meditierender Weiser, während Hymnen und andere Inschriften auf den Denkmälern der Vornehmen (Stele des Suti und Hor) einen pantheistischen Ton annahmen, wenn sie von der Sonne sprachen. Dieses ägyptische Heidentum, eins in seinem Gehalt und vielschichtig in seinen Äußerungen, konnte also den Bedürfnissen aller Schichten genügen; es umfaßte einträgliche wirtschaftliche Institutionen, garantierte die Bündnistreue der Provinzen, stand dem Aberglauben ebenso offen wie der Mystik. Es äußert sich in all seinem Prunk unter der Regierung Amenophis’ III. (1402–1364). Friede herrschte im Reich von Karoy (in der Gegend von Napata) bis an die Grenze von Naharina (Mitanni). Beunruhigt durch seine assyrischen und hethitischen Nachbarn schickte letzteres nacheinander zwei Prinzessinnen (Giluḫepa und Taduḫepa) in den Harem von Amenophis und schloß sich dem ägyptischen Machtblock an. Man sah bereits im Syrischen Meer die Schirdana, jene Vorboten der »Seevölker«, die die »Festungen am Meer«, die zum Schutz der Küsten vor Piraten und zur Kontrolle des Handelsverkehrs erbaut worden waren, beunruhigten. Bei den Libyern fanden Beutezüge statt, und in den Texten erschien der Name der Maschwesch von Marmarica, deren Häuptlinge ein halbes Jahrtausend später Könige von Ägypten sein werden. Aber diese bedrohlichen Anzeichen, die den Ramessiden zusetzen sollten, waren noch zu schwach, um eine bewußte Reaktion des blühenden Ägypten zu veranlassen. Amenophis, der zwar dem Sport zugetan war, wie man aus den Gemetzeln schließen kann, die er unter Löwen und Wildstieren anrichtete, ist doch kaum kriegerisch zu nennen, wenn er auch sehr deutlich seine Berufung zum Herrscher der Welt verkündete. Die Ausbeutung Asiens war eine reine Routinearbeit. Wenn man einen Tempel mit Dörfern syrischer Bevölkerung umgab, wenn man die Arbeitshäuser der Götter mit Barbaren bevölkerte, die angeblich von Seiner Majestät gefangengenommen worden waren, dann handelte es sich um Deportierte, die von den ägyptischen Kommissaren oder von den tributpflichtigen Königen, ja sogar von dem verbündeten Mitanni oder dem hethitischen Partner gestellt wurden. Keine der zahlreichen Inschriften des Amenophis sprach in der Tat von einer königlichen Kampagne nach Asien. Der Reichtum Ägyptens an Gold, die diplomatischen Verflechtungen, die direkte oder indirekte Kontrolle über die phönikischen Häfen genügten, die Einkunft der asiatischen Produkte zu gewährleisten. Die innere Verwaltung stellte keine schwierigen Probleme. Das Gleichgewicht zwischen Theben und der Provinz war stabil. Memphis, in dem nun ein besonderer »Großer Haushofmeister« regierte und wo die Vornehmen die Nekropole von Sakkara mit schönen Gräbern wiedereröffneten, war eine zweite Hauptstadt. Die staatliche Macht lockerte vorsichtig die Beziehungen zur überhandnehmenden Oberherrschaft des Amun (das Amt der Gottesgemahlin beispielsweise wurde nicht mehr von
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einer Königin versehen). Der Gott von Karnak hielt sich majestätisch an der Spitze des Pantheons, aber die Allmacht seines Ansehens wurde durch die von Fall zu Fall vollzogene Berufung von zwei Königssöhnen in die Oberleitung der Priester von Memphis und Heliopolis und durch die Verleihung des Titels »Oberster Leiter der Propheten« an die Hohenpriester von Memphis ausgeglichen. Das Leben des Hofstaates, der in weiten, kunstvoll plissierten Gewändern einherging, war raffinierter denn je. Die Werkstätten fabrizierten eine Menge reizender Gebrauchsgegenstände, die Glas- und Fayenceindustrie erfuhr einen beispiellosen Aufschwung. Die weibliche Grazie der Kleinkunst kontrastierte mit der grenzenlosen Mächtigkeit der monumentalen Werke. Gewisse Bauten waren noch von jener zurückhaltenden Eleganz geprägt, die das Kennzeichen der thutmosidischen Kunst war, so zum Beispiel die wunderbaren Säulengänge, die den Tempelhof von Luksor säumten. Das Flachrelief, eine einzigartige Schöpfung der ägyptischen Kunst, erreichte einen seiner Höhepunkte in den Gräbern des Ramose und des Cheruef. Indessen verstärkte sich eine neue Tendenz: der Zug zur Kolossalarchitektur. In Luksor bildete eine gigantische Reihe von Pflanzensäulen einen stolzen Vorbau zum Tempel, der selbst mit zahlreichen Granitkolossen ausgestaltet war, die Ramses II. später usurpieren sollte. In Karnak bildete ein Pylon von beträchtlicher Höhe eine neue Fassade; vor der Südallee wurden neue Pylone errichtet, vor denen Kolossalfiguren aus Quarzit standen. Der Monthu-Tempel wird wiederhergestellt. Der südliche Abschnitt des linken Ufers von Theben wurde mit riesigen Monumentalbauten bedeckt. Das weitläufigste »Millionenjahrhaus«, das man je gefunden hat, wurde auf der rechten Seite des Hügels von Kurnet Murai angelegt, wo ein neuer Friedhof für die Beamtenschaft eröffnet wurde. Dieser Tempel, der dem Amun geweiht war und auch ein ausgedehntes Heiligtum des Sokaris, des Totengottes von Memphis, enthielt, war von großartiger Schönheit. Es gab dort hohe Stelen mit hymnischen Texten, Hunderte von Statuen der Löwengöttin Sachmet, um die vielgestaltigen Formen dieser gefährlichen Göttin zu beschwören, große Sphingen und riesige Statuen von Hunden, Königsstatuen und Kolossalfiguren zu Dutzenden. Zwei der Kolosse halten heute noch Wacht über der Stätte, und der eine von ihnen, dessen geborstene Steinmassen ein Knirschen hören ließen, wenn die Sonne den nächtlichen Tau verdampfen ließ, wurde später unter dem Namen Memnon bekannt. Siedlungen des gewöhnlichen Volkes und Werkstätten entstanden zwischen dem Tempel des Günstlings Amenhotep und dem kleinen Thutmosidentempel von Medinet Habu, der eine neue Umfassungsmauer erhielt. Die Fassade des Tempels Amenophis’ II. wurde anläßlich des Regierungsjubiläums Amenophis’ III. wiederhergestellt. Zwei Kilometer weiter südlich nahm eine Residenzstadt, »das Haus der glänzenden Sonnen-Scheibe«, neben der ein riesiger künstlicher See lag, der Birket Habu, den Palast des Königs und seiner Gemahlinnen auf, ferner die Verwaltungsgebäude, »das Haus des Jubelns«, wo sich die Regierungsjubiläen abspielten, und ein
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Heiligtum, wo eine Amunsfigur aus Diorit von viereinhalb Meter Höhe aufgestellt war. Der Prunk der Anlagen mußte besonders bei den königlichen Jubiläen zutage treten, mit denen zugleich unter großem Aufwand das Sokarisfest gefeiert wurde und das auch der Anlaß dazu war, in den grauen Granit große Bilder der großen und kleinen Götter des ganzen Landes einmeißeln zu lassen. Den phantastischen Ausmaßen der Bauten entspricht die erstaunliche Vermehrung der Kolossalfiguren, die das Verlangen ausdrückten, dem Volk greifbare Bilder der Göttlichkeit des Pharao vorzusetzen. Manche der Kolosse, die man von Assuan oder vom Ğebel Ahmar (bei Heliopolis) heranbrachte und unter Aufwendung höchster Erfindungsgabe aufstellte, stellen Hypostasen des königlichen Genius dar, besonderer Götter, deren Namen »Sonne der Herrscher«, »Herrscher der Herrscher«, »Monthu der Herrscher« ein ganzes Programm enthalten. Auch die Provinz profitierte von den großen Bauvorhaben (vor allem Bubastis im Delta), ebenso Nubien, wo sich in Soleb eine neue Stadt, deren Schutzgötter gleichzeitig Amun-Re und Amenophis in der Erscheinungsform einer Mondgottheit waren, mit einem nach manchen Erweiterungen riesigen Tempel ausgestattet fand. Man fände kein Ende, wollte man das Werk von 38 Regierungsjahren aufzählen. Das egozentrische Streben nach gigantischen Maßen und die ins Monumentale gehende Maßlosigkeit, die für Ramses II. kennzeichnend werden sollten, werden sich ihre Vorbilder direkt bei Amenophis III. entleihen. Zwei Persönlichkeiten am Hof hoben sich besonders ab. Das war einerseits die Königin Teje, die Tochter vornehmer Leute aus Achmim. Ihr Name war fast regelmäßig auf den kleinen Luxusgegenständen mit dem ihres Gemahls verbunden. Sie war oft auf den offiziellen Denkmälern abgebildet und ließ sich in Sedeinga, nördlich von Soleb, einen eigenen Verehrungstempel bauen, während ihre Eltern das Recht zur Bestattung im Tal der Könige erhielten. Andererseits war es Amenhotep, der Sohn des Hapu, aus dem spätere Generationen einen Heiligen und schließlich einen Gott machten. Dieser Rekrutenschreiber, der aus Athribis in Unterägypten stammte, spezialisierte sich auf die Herstellung und Errichtung von Kolossalstatuen aus Quarzit. Als Freund der vornehmsten Familien bei Hof war er ein viel gefragter Ratgeber, vielleicht sogar ein geheimer Rat für Kunst und Kult, und zu einer Zeit, in der sich die persönliche Frömmigkeit vertiefte, bot er sich als mystischer Mittler zwischen Amun und den Menschen an. Amenhotep war offenbar der erste, dem die außerordentliche Würde eines Erbprinzen (erpa) zugesprochen wurde, die nach der Amarnazeit für die mutmaßlichen Erben kennzeichnend sein wird. Sein Herr ließ ihm auch – ebenfalls eine einmalige Auszeichnung – einen Totentempel in der Nähe seines eigenen erbauen. Mit über achtzig Jahren starb der Sohn des Hapu nach dem ersten Regierungsjubiläum des Königs (1372), bei dem er noch den Festzug geleitet hatte. Er war Fachmann für alte Inschriften und Ritualbücher (eine Überlieferung sollte übrigens der Zeit Amenophis’ III. die Wiederentdeckung alter Totenrituale der Pyramiden in Abydos zuschreiben).
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Seine literarische Bildung spricht daraus, daß seine Denkmäler Zitate verschiedener Klassiker der ägyptischen Literatur enthalten (›Lehre für Merikare‹, ›Geschichte des Sinuhe‹). Die Verwendung der Sprache des Mittleren Reichs (»Mittelägyptisch«) war seit dem Beginn der Restauration der Amosiden für die Abfassung in Stein gehauener Inschriften gebräuchlich; sie wurde auch bei der Verwaltungs- und Privatkorrespondenz angestrebt (wenn auch die Briefe in Wirklichkeit eine Mischung aus klassischer Sprache und »Neuägyptisch«, der gesprochenen Sprache, darstellten). Alles an der beherrschenden Gestalt des Sohnes des Hapu bestätigt den Eindruck, der sich ergibt, wenn man die Gesamtheit der Denkmäler Amenophis’ III. und seiner Zeitgenossen betrachtet. Seine Regierungszeit bezeichnete den Höhepunkt der Religion, der Kultur und der Kunst Ägyptens in ihren traditionsgebundenen Formen. Nahezu nichts läßt den radikalen Umsturz vorhersehen, den der Sohn und Nachfolger Amenophis’ III., Amenophis IV.-Echnaton (1364–1347), auslösen sollte. Es gibt nur sehr wenige Ägyptologen, die die objektive Unvoreingenommenheit besitzen, die ein Historiker haben muß, um von diesem außerordentlichen Zeitabschnitt zu sprechen, den diese Häresie bildete, die nach dem Namen von Amarna, der Stätte, wo sich die Hauptstadt des ProphetenKönigs befindet, die »Amarnazeit« genannt wird. Ruhelose Feindseligkeit auf der einen Seite, Begeisterung auf der anderen, das Ungewohnte des Ereignisses, der einzigartige und fremde Charakter der Kunstwerke rufen innere Anteilnahme hervor. Der Charme der eigenartigen Büste der Nofretete, die ins Museum von Berlin gelangte, die Schätze des Tutanchamun haben die Berühmtheit von Persönlichkeiten begründet, von denen man unter Zuhilfenahme von Hypothesen gern viel mehr zu wissen vorgibt, als es die Dokumente erlauben.
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Abb. 16: Echnaton (Amenophis IV.) und seine Familie unter den Strahlenarmen des Gottes Aton. Reliefstudie zu einem Hausaltar, um 1370 v. Chr.
Das Wort Aton bezeichnete ursprünglich nicht einen Gott, eine Person, der man einen Kult weihte; es bezeichnete den Gegenstand »Sonne«, den man am Himmel in der Gestalt einer linsenförmigen flammenden Scheibe sah. Dieser Gegenstand, dessen sichtbarer Lauf die Gesamtheit der Welt umschrieb, ging offensichtlich aus der Gottheit hervor, und als pars pro toto konnte das Wort Aton bildlich statt des Namens Re verwendet werden, wenn man vom Tagesgestirn als ewiger und lebenspendender Kraft sprechen wollte. Nach alter Tradition »wohnt Re in seiner Sonnenscheibe«; nach dem »Buch der Verborgenen Kammer« ist die Sonnenscheibe das dauernde, aber passive Element des Sonnenwesens und wird bewegt durch den geheimnisvollen »fleischlichen Leib des Re«, der jede Nacht durch das Wirken ewiger kosmischer Mächte regeneriert wird. Das Wesen des Aton beschäftigte folglich die Theologen, und manche kamen offenbar zu einer Art von »Positivismus«; sie suchten das Wesen des Göttlichen zu erfassen, nicht durch Vertiefung der Geheimnisse der traditionellen mythologischen Bilderwelt, sondern durch Spekulationen über das Wesen der sichtbaren Sonnenscheibe, das sich unmittelbar aus der Erfahrung ergab und der mystischen Erkenntnis direkt zugänglich war. Für diese unbekannten Vorfahren der Leute von Amarna gab es keinen Grund mehr, in Amun den »verborgenen« Gott schlechthin zu erkennen,
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wie er sich in der Gestalt des Amun-Re manifestierte. Indessen scheinen das Ritual und die Frömmigkeit der XVIII. Dynastie, unter deutlicher Betonung der Umgestaltung des thebanischen Gottes zur Sonne hin, seiner Form als Aton keine besondere Bedeutung beizumessen, und sofern die allgemeine Religion gegenüber der Allmacht Amuns Abstand nahm, tut sie dies unter Bevorzugung anderer bedeutender Aspekte der Gottheit, zum Beispiel Re- Harachte-Atum von Heliopolis oder Ptah von Memphis. Der größte Teil der Fakten, in denen man direkte Vorläufer der Aton-Revolution zu erkennen glaubte, ist entweder erfunden oder ohne ausschlaggebende Bedeutung: Die Tatsache, daß sich Amenophis III. selbst »leuchtende Sonnenscheibe« genannt hat, sagt nicht mehr aus als sein Epithet »Sonne der Herrscher«. Indes verehrte Amenophis IV. in besonderer Weise seinen Vater und seinen Großvater, und er sprach in einem seiner Texte von »bösen Worten«, die jene vor ihm vernommen hätten. Trotz der Zerstörungen, die der Text aufweist, kann man annehmen, daß die umstrittenen Äußerungen der Religionspolitik dieser Könige in dem Interesse zu suchen sind, das jene einer Doktrin zuwandten, nach der Aton nicht mehr eine bloße Erscheinungsform, sondern eine Person war. Diese Doktrin mußte in den gelehrten Kreisen von Heliopolis entstanden sein. Von dieser Stadt sollte tatsächlich die Häresie den kennzeichnenden Titel ihres Hohenpriesters entlehnen, den Namen eines bestimmten Heiligtums (»Haus des Ursteins«) und selbst den Kult des Mnevisstiers, der tierischen Fleischwerdung der Sonne. Am Ende der Regierung Amenophis’ III. wurde neben anderen alten oder neuen Formen des Sonnengottes eine Gestalt verehrt, die »Re-Harachte, der im Horizont jauchzt in seinem Namen ›Licht‹, das in der Sonnenscheibe ist« heißt. Dieser neu hinzugekommene Gott hätte neben den traditionellen oder erst jüngst erfundenen Formen des Amun und des Re ohne weiteres Platz nehmen können. Als persönliche Gottheit des Prinzen Amenophis wurde er jedoch zu einem der wichtigen Götter ausgerufen und bald im Verlauf der neuen Regierung zum einzigen Gott. Nichts gestattet es, nach klaren Fakten festzustellen, was die Beschäftigungen des jungen Amenophis inmitten des völlig traditionsverhafteten Hofes seines Vaters sein konnten. Manche Historiker haben in der Königin Teje die Mitwisserin, ja sogar die treibende Kraft der Häresie gesehen; es ist richtig, daß diese Königin ihre Vorrechte unter der Regierung ihres Sohnes behielt und sich dem Atonkult anschloß, aber gleichzeitig weihte sie ihrem verstorbenen Gemahl Denkmäler orthodoxosirianischer Form; und als jeder Anstifter zur Ketzerei verflucht wurde, wurde ihr heiliges Andenken von den Zeitgenossen der Ramessiden hochgehalten. Eine Person zumindest teilte von Anfang an den Glauben des Prinzen: seine Gemahlin Nofretete. Eine große Zahl der Höflinge von Amarna rühmt so laut, wie hoch sie ihr Herr aus dem Nichts emporgehoben habe, daß man glauben kann, daß der Propheten-König die Elite seiner Leute aus Emporkömmlingen rekrutierte. Die absolute Ursprünglichkeit der Glaubenssätze, der Kunst und der Literatur von Amarna bestätigt andererseits eine weitere Aussage dieser
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Höflinge. Die Revolution war die Frucht der Gedanken des Herrschers ganz allein, sie trug folglich die Züge seiner Persönlichkeit. Diese Persönlichkeit versuchte man durch seine Porträts zu begreifen. Ganz am Anfang seiner Regierung bildeten die Reliefs Amenophis IV. in klassisch-idealisiertem Stil ab, den die klassische Kunst seinem Vater gab, aber schon bald verliehen Rundplastik und Reliefzeichnung seinem Körper ein befremdliches Aussehen. Er erhielt die Büste einer schwindsüchtigen Frau, ein ungewöhnlich großes Becken, einen schwellenden Bauch, dünne, zerbrechliche Beine. Auch die Gesichtszüge befremden: überlängter Schädel, Gesicht mit vorspringendem Kiefer, hohlen Wangen und hängendem Kinn, großer Mund, dessen Sinnlichkeit mit dem träumerischen Blick der lang ausgezogenen Augen kontrastierte. Amenophis IV. erbte von seinem Vater einen schmächtigen Bau der Glieder und eine gewisse Neigung zu einem fetten Bauch, auf keinen Fall aber darf man die Gestalt des grotesken Zwitters, die ihm die neue Kunst beilegte, als die realistische Wiedergabe einer Erkrankung des endokrinen Systems interpretieren, die den gottestrunkenen Herrscher angegriffen und notgedrungen steril gemacht hätte. Diese Ikonographie zeugt in ihrem erstaunlichen Charakter ohne Zweifel von einem überspitzten Symbolismus, der den, der »nach dem Bilde Atons« war, mit den Attributen des Allgottes darstellte, der »Vater und Mutter« aller Kreatur war. Das Gesicht, das manche plastische Bildnisse in wahrhaft realistischer Weise wiedergeben, ist zweifellos nicht das eines kerngesunden Burschen, aber die Degeneration, die es widerzuspiegeln scheint, kann von der Art sein, die Genies schafft. Dieser physisch krankhafte Zustand wurde begleitet von einer extremen Feinfühligkeit, von der Geistigkeit eines Mystikers, die wenig zum geduldigen Ausharren, das die Politik erfordert, geeignet war. So unabhängig die Autokratie der Pharaonen auch war, sie ging doch von einer allgemein anerkannten Tradition aus, die den persönlichen Willen eines jeden Königs transzendierte und aus eben diesem Grund die Verschiedenheit der Glaubensrichtungen respektierte und wohlerworbenen Wohlstand garantierte. Vom Absolutismus profitierend, ersetzt der ProphetenKönig diese traditionsgebundene Monarchie, die in ihren fundamentalen Gesetzen festgelegt ist, durch einen sanften persönlichen Totalitarismus. Hatte Amenophis IV. politische Absichten? Hatte er dem überheblichen Imperialismus seiner Väter entsagt und geglaubt, daß ein Monotheismus die Vereinigung aller Völker des Reiches zu einer einzigen Nation ermöglichen werde? In Wirklichkeit war die atonische Theologie in einer echt ägyptischen Komplexität weit von dieser doktrinären Einfachheit entfernt, die die Stärke des Islam wurde; andererseits wurde zu Beginn der Regierungszeit eine grausame Vergeltungsaktion in Unternubien durchgeführt, der Vorbeimarsch der Tributpflichtigen wurde in Amarna gefeiert, und die Dekorationsthemen, die den König zeigen, wie er Neger und Syrer unter seinen Füßen zertritt, bildeten einen Teil der Ornamente der Paläste von Amarna. Wollte Amenophis IV. die weltliche Macht Amuns zugunsten der Krone auslöschen? Tatsächlich duldete er
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vier oder fünf Jahre lang den Kult des Herrn von Theben, bekleidete den Posten eines ersten Propheten des Amun und vermied es, eine offene Kontroverse mit dem Gott und seinen Dienern heraufzubeschwören. Er vermied es sogar, seine neue Hauptstadt auf einem Territorium zu gründen, das bereits irgendeiner Gottheit gehörte. Man gewinnt schließlich den Eindruck, daß eine reine Vergeistigung, die zeitgebundenen Zufälligkeiten recht gleichgültig gegenüberstand, der Antrieb zu der Revolution von Amarna war. Eine Theologie, die sich im Denken eines Propheten, der in seinen Traum eingesponnen ist und abgeschieden in seinem Hofe lebt, immer mehr verfeinerte, legte eine Reihe von Offenbarungen einem erstaunten, aber passiven Land vor. Die Häresie entwickelte sich schrittweise. Bis zum Jahr 5 zeigen die Denkmäler Amenophis bei der Verehrung der klassischen Götter (Tempel von Soleb und Sesebi); man nennt ihn sogar – o Ironie! – »der, den Amun unter Unzähligen ausgewählt hat«. Die offiziellen Dienststellen haben folglich noch keine bindenden Weisungen erhalten, die ihnen vorschreiben, auf die Vielfalt der Kulte zu verzichten. Indes beschritt der Herrscher neue Wege, als er sich »erster Prophet des Re-Harachte, der im Horizont jubelt in seinem Namen ›Licht‹, das in; der Sonnenscheibe ist« nannte und sich ein besonderes Epitheton zulegte, das verkündete, daß er »groß während seiner Lebenszeit« sein werde. Eine neue Ära begann. Nach Art eines Königsnamens wurde der dogmatische Name des Gottes in Kartuschen eingeschrieben, und selbst in den kursiv geschriebenen Texten sollte das Wort Aton in gleicher Weise in einer Kartusche eingeschlossen sein. So wurde die irdische Thronbesteigung des Gottes proklamiert, an dessen Geist allein Amenophis teilhatte. Bald wurde das herkömmliche Bild des Re-Harachte – ein falkenköpfiger Mensch – durch eine stärker vom Positivismus geprägte Darstellungsweise ersetzt: die einer Sonnenscheibe, von der Strahlen niederfahren, die in Hände auslaufen, die das Lebenszeichen halten. In aller Eile errichtete man in Karnak ein »Haus des Aton«, einen Komplex von Tempeln eines neuen Typus; der Haupttempel hieß »Aton ist offenbar«. Ein neuer Stil trat unvermittelt auf: die Körperumrisse der Königin und der Untergebenen gaben stärker oder schwächer die bizarre Zeichnung wieder, die man zur Darstellung des Körpers des Königs angenommen hatte. Die Bildkompositionen, die auf den Wänden der der vollen Sonne geöffneten Höfe die Riten für Aton, die prunkvollen Aufmärsche des Hofes, die Fröhlichkeit der Treuen und das Leben der Natur zeigten, hatten viel von der feierlichen Kühle verloren, die der Kunst der Vorfahren eigen war, und sie ließen, eilends erfunden und von einer jungen Bildhauerschule ausgeführt, eine unbekümmerte Phantasie sprudeln. Maßnahmen werden ergriffen, um Domänen auszurüsten, die notwendig sind zur Beschaffung der Opfer für dieses »Haus des Aton«, das unverhohlen zusammen mit der alten Welt existiert, wie sie vom »Haus des Amun« verkörpert wird. In seinem vierten Jahr entschloß sich Amenophis, dieser verachteten Welt zu entfliehen. Nicht weit von Hermopolis legte er den Grundstein zu seiner
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Residenz Amarna, wo er sich in seinem sechsten Jahr niederlassen sollte. Dieser »Horizont des Aton« auf dem rechten Nilufer war mit verschiedenen Stadtteilen bebaut, mit prunkvollen Palästen, wo die Lebensfreude sich in den frischen Pflanzendekors, die auf die Bodenplatten gemalt waren, ausdrückte, mit schönen Villen von Höflingen, mit zum Himmel offenen Tempeln, deren Höfe Hunderte von Altären enthielten, auf denen der Sonne die Opfergaben des Königs und des Volkes dargebracht werden sollten und deren Wände lebhaft geschmückt waren wie die der Atonheiligtümer in Karnak. Die Kunst des Häretikers konsolidierte sich, indem sie viel von ihrem karikaturhaften Charakter verlor und bei verschiedenen Bildhauern jenes Zusammenspiel von echtem Realismus und Vergeistigung fand, das uns die berühmten Bildnisse der Nofretete geschenkt hat. Die für die Abfassung der offiziellen und privaten Inschriften benutzte Sprache war das Neuägyptische, das mit Eleganz und Klarheit gehandhabt wurde. In den Privatgräbern, die in die östlichen Berghänge gehauen waren, erweckten Bilder und Texte die geistige und materielle Welt dieses Gemeinwesens zum Leben, in dem Echnaton und Nofretete, die sich unter Mißachtung des früheren Formalismus in der familiären Ungezwungenheit ihres täglichen Lebens darstellen ließen, ihren Traum leben wollten. Wir haben »Echnaton« (wörtlich »Nützlich für die Sonnenscheibe«) gesagt, denn von seinem fünften Jahr an nannte sich der König mit diesem Namen und nicht mehr Amenophis, während Nofretete den Beinamen Nefer-nefru-Aton erhalten hatte, der die endgültige Verwirklichung der Offenbarung verkündete. Der Name Amenophis bedeutete »Amun ist zufrieden«. Nun aber war der Bruch mit dem Hauptkult der Dynastie als Reaktion auf die »bösen Worte« perfekt, die von dessen Priestern immer wieder geäußert wurden. Neue Maßnahmen wurden ergriffen, durch die Amun seiner ungeheuren Reichtümer enteignet wurde (Man kennt den Fall eines »Rinderverwalters des Amun«, der »Rinderverwalter des Aton« wurde). Im Prinzip herrschte nun allein die Doktrin, wie sie von schönen Hymnen, die vom König geprägt waren, und von den devot einstimmigen Äußerungen der Höflinge im Volk verbreitet wurde. Die Sonne Re in ihrer Gestalt als Aton schuf die Welt und gebar sie täglich wieder; sie brachte das Nilwasser und den Regen, sie ließ die Pflanzen sprießen und war so die Vorsehung; die Dahingeschiedenen genossen dank des Lebenshauches, den sie spendete, täglich in der Gestalt »lebender Seelen« die Annehmlichkeiten von Amarna. Die Sonne (Re), sichtbar allein in ihrer Sonnenscheibe (Aton), von der das Licht ausströmte, war am Himmel das einzige Objekt kultischer Verehrung und fand sich hier auf Erden wieder in der Person ihres einzigen Sohnes, ihrem wesensgleichen Bild, dessen Genius neben dem seiner Königin in der Kapelle eines jeden Hauses angebetet wurde. Es war nun die Verkündigung Echnatons, die Gesetz und Sitte begründete, nicht mehr die Tradition, die von einem Sohn des Re befragt wurde, der damit stillschweigend die Distanz anerkannte, die ihn von dem geheimnisvollen transzendenten Gott trennte. Nie zuvor hatte sich das Dogma von der Göttlichkeit des Pharao in solch unbedingter Gültigkeit
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ausgedrückt. Ein romantisches Vertrauen in die Güte Gottes, eine gefühlsbetonte Frömmigkeit, eine spontane Begeisterungsfähigkeit, die Abwendung von allem mythologischen Beiwerk im Lobpreis des Gottes verleihen noch in unseren Tagen der Aton-Religion eine starke Ausstrahlung. Ägyptische Abgesandte an den kanaanäischen Höfen verstanden es, die Ausländer diese Ausstrahlung fühlen zu lassen, so sehr, daß der Hymnus des Königs, ins Kanaanäische übertragen und im Lauf der Generationen umgestaltet, indirekt dem 104. Psalm der Bibel zum Vorbild wurde. Man sagt uns, daß sich die Macht des Königs gegen den wenden wird, der ihm nicht nachfolgen will, aber insgesamt ist selbst die Idee des Schlechten vom Dogma von Amarna vergessen: Es gibt keine ungeheuerliche Schlange mehr, die die Ordnung des Kosmos bedroht, keine Angst mehr vor den Gefahren, die die feuerspeiende Göttin der Flamme auf den Menschen losläßt, keine solch klug ersonnenen Beschwörungsformeln mehr, wie sie das Totenbuch verwendete, wenn es versuchte, das Leben jenseits des Grabes zu sichern. Auf die Gefahr hin, die Leute von Amarna nachzuahmen und zu vergessen, daß eine ehrwürdige Kultur, die Existenzgrundlage eines Volkes, verraten wurde und daß ein Reich zusammenbrach, ist man doch noch in unseren Tagen begeistert von der mitteilsamen Fröhlichkeit der Treuen des Königs, selbst wenn man von ihnen, wie von Ay, dem alten Erzieher der Nofretete, weiß, daß sie nach dem Tod des Herrn dessen Lehre abschworen. Auf der anderen Seite muß man zugeben, daß die Feinheiten der Theologie Echnatons uns nicht greifbar sind. Die Ägyptologen geben sich unter Beanspruchung philologischer Spitzfindigkeiten und ideologischer Spekulationen haarspalterischen Diskussionen hin, um zu ergründen, was der erste dogmatische Name des Re-Harachte-Aton eigentlich aussagen wollte, und um das zu erraten, was jenseits einer offensichtlichen Ausschaltung jeglicher »heidnischen« Terminologie das neue Dogma bedeutete, das im Jahr 9 verkündet wurde: »Der horizontische Herrscher, der im Horizont jubelt in seinem Namen Re, dem Vater, der als Aton kommt«. Gelehrte Gedankenspiele und frommer Enthusiasmus verhinderten es nicht, daß Amarna innere Schwierigkeiten kannte (Vielleicht riefen sie sie direkt hervor). Man weiß, daß nach dem Jahr 12 Nofretete in Ungnade fiel und daß die älteste Tochter des Königspaares, Meritaton, die erste Dame des Landes wurde. Echnaton hatte von seiner Großen Gemahlin nur Töchter. Eine Persönlichkeit noch ungeklärter Herkunft (vielleicht ein Sohn Amenophis’ III.?) mit Namen Semenchkare wurde zum Mitregenten ernannt (gegen 1350); er heiratete Meritaton, aber aufgrund einer der Absonderlichkeiten, an die wir uns in dieser Epoche gewöhnen müssen, sieht man ihn den Beinamen Nefer-nefru-Aton übernehmen, den Nofretete getragen hatte. Was wurde indes während der siebzehn Jahre einer »gottestrunkenen« Regierung aus Ägypten? Allem Anschein nach blieb die reguläre Verwaltung bestehen. Bis zum Ende der Regierung gelangten die Produkte des Deltas nach Amarna. Bedeutende Aton- Tempel wurden während der ganzen Regierungszeit
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in Memphis und Heliopolis unterhalten. Es gab kleine Aton-Heiligtümer in Nubien (Sedeinga, Kawa, Amada) und in bestimmten Provinzstädten (Elephantine). Überreste von dem Aton geweihten Bauten wurden in der Thebais wiedergefunden (Tod, Hermonthis, Medamud), außerdem in Mittelägypten (Matmar, Assiut, Tuna, Hermopolis, Antinoe, Scharuna, Herakleopolis) und in Unterägypten (Bubastis, Sebennytos), aber ein Teil dieser Fragmente wurde offensichtlich unter den Ramessiden aus den aufgelassenen Zentren der AtonReligion verschleppt, so daß es schwierig ist, eine Karte der Aton-Kultstätten in den einzelnen Gauen zu entwerfen. Name und Bild des Amun wurden in fast allen öffentlichen und privaten Gebäuden von Theben getilgt, desgleichen in den großen Tempeln des Landes und vereinzelt auf den Privatstelen, die an den heiligen Orten in der Provinz aufgestellt waren. Diese Zerstörungen, die entweder von vom König bestellten Arbeitern oder aus eigenem Antrieb von religiösen Fanatikern ausgeführt wurden, zielten zweifellos darauf ab, die geistige Realität eines »verborgenen« Gottes zu leugnen. Mut, die Gefährtin des Amun, und eine andere Geiergöttin, Nechbet, wurden gleichermaßen geächtet. Man löschte in gewissen Texten die Worte »die Götter« aus, aber die Figuren und Namen großer und kleiner Lokalgottheiten wurden im allgemeinen nicht von der Verfolgung betroffen. Die Anhänger Atons sahen klugerweise davon ab, die Provinzbewohner in ihren religiösen Eigenheiten vor den Kopf zu stoßen, und sie begnügten sich damit, sich nicht um sie zu kümmern. Die Tempel blieben dank des Eifers der Bevölkerung, die nicht auf ihren altgewohnten Glauben verzichten wollte, weiterhin schlecht und recht in Betrieb. Es ist amüsant, die Weinkrüge zu betrachten, die von einer Landbevölkerung nach Amarna geliefert wurden, deren Namen sie unter die Patenschaft von Ptah, Horus und sogar Amun stellte. Noch belustigender ist es, selbst in den Häusern von Amarna eine gewisse Anzahl von Gegenständen zu finden, die dafür sprechen, daß manche Bewohner des »Horizontes des Aton« in ihren eigenen vier Wänden noch den Affengott Thot oder den Krokodilgott Sobek verehrten. In den Provinzen fanden sich Privatleute, die neben dem einzigen Aton auch Osiris-Sokaris und den Chnumwidder anbeteten. Die geoffenbarte Religion lief fern von ihrem Propheten Gefahr, sich im Sumpf kultischer Vielschichtigkeit zu verstricken. In seinem dritten Regierungsjahr (1348) hatte Semenchkare, ohne auf seine AtonTitulatur zu verzichten, ein »Millionenjahrhaus in der Domäne des Amun« in Dienst gestellt. Zu diesem Zeitpunkt war Echnaton bereits tot (oder mußte in Kürze sterben). Der Prinz, der daraufhin (1348) den Thron bestieg, war ein gebrechlicher Knabe, dessen Herkunft umstritten bleibt. Unter dem Namen Tutanchaton war er unter der Häresie erzogen worden und fand sich mit Anchesenpaaton, der drittältesten Tochter Echnatons, verheiratet. Das junge Königspaar mußte, nachdem es in Tutanchamun und Anchesenpaamun umgetauft worden war, der Atonreligion abschwören, und im Jahr 4 wurde in Memphis ein Dekret beschlossen, das aufzeigte, welches Unheil Ägypten durch die Vernachlässigung der alten Götter geschehen war, das Ptah wieder
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aufwertete und feierlich den Kult des Amun wieder einführte. Die Restauration wurde großenteils von Militärs durchgeführt. Ein Abtrünniger, Ay, der in Amarna der Leiter des Marstalls gewesen war, übernahm ohne Zweifel die Führung des Südens; Haremhab, ein aus Mittelägypten stammender Soldat, wurde unter Tutanchamun zum Erbprinzen (erpa), »Großen Haushofmeister« und leitenden General befördert und nahm sich, nachdem er sich in Memphis niedergelassen hatte, des Nordens und der ausländischen Angelegenheiten an. Als der junge König nach zehn Regierungsjahren starb (1347 bis 1338), zeigte sich der Gegensatz zwischen der Geisteshaltung der Kreise um Aton und dem stolzen Nationalismus der Ägypter in einer einzigartigen Episode. Die Königswitwe bat den Hethiterkönig Šuppiluliuma, ihr einen seiner Söhne zu schicken, damit sie ihn zu ihrem Gemahl und zum König von Ägypten mache. Der hethitische Thronanwärter wurde ermordet. Ay (1338–1334) bestieg den Thron und machte den Totentempel Tutanchamuns zu seinem eigenen, nachdem er den jungen König mit dem wohlbekannten Prunk in einem winzigen Felsengrab bestattet hatte, das eilends im Tal der Könige angelegt worden war. Haremhab mußte den Tod des alten Abtrünnigen abwarten, um auf den Thron steigen zu können. Reich an Verdiensten, die er sich im Kampf und in der Verwaltung erworben hatte, dazu frei von jedem Makel der Aton-Religion, wurde dieser von Amun vorherbestimmte Thronfolger in Theben gekrönt. Er setzte auf den Denkmälern der Hauptstadt seinen Namen an die Stelle der Namen seiner beiden Vorgänger. Die offiziellen Königslisten der Ramessidenzeit werden dann Tutanchamun und Ay ebenso übergehen wie den »Feind von Amarna«, und Haremhab wird als der direkte Erbe des großen Amenophis III. angesehen. Als der eigentliche Gründer der XIX. Dynastie, da derjenige, den er als Wesir und Erbprinzen (erpa) wählte, der spätere Ramses I. war, veröffentlichte Haremhab (1334–1309) eine Gesetzesverordnung, um den Mißbrauch der Macht zu unterbinden, den die Steuerbeamten, die Leute in der Verwaltung und die Militärs unter Ausnützung der Krisenzeit ganz allgemein angefangen hatten. Die Tempelwirtschaft wurde von Grund auf neu organisiert, und die Priesterschaft wurde neu aufgestellt, indem man die Würdenträger »unter der Elite des Heeres« auswählte. Zur Ehre Amuns wurde auf dem Tempelvorplatz von Karnak ein hoher Pylon errichtet, der einen weiten Hof einschloß, und zwei weitere Pylone vervollständigten die südliche Allee. Blöcke, die aus verschiedenen Aton- Tempeln stammten, wurden gewohnheitsgemäß wiederverwendet, ebenso wie die Steine von Bauten, die unter Tutanchamun und Ay errichtet worden waren; aber man darf nicht glauben, daß die Wiedereinsetzung Amuns in seinen alten Ruhm von einer systematischen Verfolgung des Aton-Namens begleitet gewesen sei (Seine dogmatischen Ringnamen wurden nur selten ausgehackt). Das Ritualgerät der Bestattung des Tutanchamun enthielt Formeln, die auf Amarna zurückweisen, und die traditionellen Erwähnungen Atons kamen allenthalben in den Inschriften der
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Zeit Haremhabs und der Ramessiden vor. Das »Haus des Aton« in Memphis wird noch unter Sethos I. in Betrieb sein. Die offizielle Theologie begnügte sich damit, die ausgesprochen an Aton gebundenen Äußerungen der Religion zu vergessen. Ein »Pfortenbuch« erschien unter Haremhab neben dem »Buch der Verborgenen Kammer«; es bestand auf dem beliebigen Charakter der Sonnenscheibe und auf der sich jeder Erkenntnis entziehenden Tiefe des göttlichen Geheimnisses. Die Krise hatte ganz offenbar eine Generation gezwungen, ihren Glauben neu zu durchdenken. Das ausdrückliche Bestehen auf der Einheit Gottes und auf der ewigen Dauer seines Wirkens, die Zuweisung der Erschaffung aller Menschengattungen an die Sonne, die nachdrückliche Anerkennung ihrer Vorsehung und die persönliche Frömmigkeit finden sich in den Schriften der Nachamarnazeit wieder. Diese Vorstellungen waren früher nur ganz vereinzelt und sehr unauffällig ausgedrückt worden. Als Reaktion auf die Häresie lernten die Ägypter nun, sie zu formulieren. Das Regime der AtonAnhänger hatte mit der alten Gewohnheit einer an der Vergangenheit orientierten Literatur gebrochen und somit die Schreiberschulen lahmgelegt. Trotz der Wiedereinführung der alten Wissenschaften blieb das Neuägyptische die Sprache der Briefe und Inschriften. In den bildenden Künsten war die Reaktion verhältnismäßig rasch. In der Provinz waren die von Amarna beeinflußten Werkstätten mittelmäßig gewesen, und selbst in einem Zentrum wie Memphis war ihr Einfluß begrenzt geblieben. Die Künstler Tutanchamuns begannen, den menschlichen Gestalten weniger rundliche Bäuche und Gesichter mit weniger vorspringendem Kiefer zu geben, und sie schickten sich an, auf den Kanon der Zeit Amenophis’ III. zurückzukommen, wobei sie es aber verstanden, gelegentlich etwas von der eleganten Phantasie der Amarnakunst zu bewahren. Das Grab des Haremhab in Sakkara, das er sich anlegen ließ, als er noch General war, liefert eine vollkommene Illustration ihres Könnens. Ein neues Ägypten war geboren, aber in Asien mußte es nunmehr seine Stellungen verteidigen. Einige Jahre vor dem Tod Amenophis’ III. beginnen die Hethiter unter der Führung von Šuppiluliuma Anatolien zu einigen, um dann nach Nordsyrien überzugreifen, wo sie sich mit Mitanni auseinandersetzen sollten, das mit dem Pharao verbündet war. Sie ließen sich in einen langen Kampf mit diesem Königreich ein, das sie schließlich auf den Status eines unbedeutenden Vasallen reduzierten, und in einen beständigen Kriegszustand mit Ägypten, in dem sie sich aber so weit wie möglich aus jedem offenen Kampf mit ihm heraushalten wollten. Mithelfer unternehmen es, die Herrschaft Ägyptens im Tal des Orontes und in Phönikien zu unterminieren. In Kadeš widersetzte sich ein von den Hethitern unterstützter Fürst dem Schützling des Pharao, während Abdi-aširta und sein Sohn Aziru zwar nach außen hin dem fernen Ägypten hörig blieben, aber mit Gewalt und ihrem doppelten Spiel bemühten sie sich, ein Fürstentum in Amurru zu schaffen. Die Bevollmächtigten Amenophis’ III. reagierten kaum auf diese Bedrohungen. Hätte der alte König einen unternehmenden und kriegslustigen Nachfolger gehabt, einige Feldzüge
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des Königs hätten vielleicht das ägyptische Prestige wiederhergestellt. Siebzehn Jahre Theologie aber führten zum Zusammenbruch. Nachdem uns die diplomatische Korrespondenz der Archive von Amarna an der bedauerlichen Passivität der Kanzleien Amenophis’ III. hat teilnehmen lassen, führt sie uns den Zerfall eines Weltreiches vor Augen. Sicher malten die Schützlinge Ägyptens die Bedrohungen, die auf sie zukamen, in dunklen Farben und waren sich der Anwesenheit einiger ägyptischer Soldaten in ihrem Land bewußt, aber sie beklagten sich teils zu Recht und teils zu Unrecht über die Falschheit der Bevollmächtigten des Pharao und über das geringe Interesse, das man der Unterdrückung der Übergriffe umherziehender Banden und rebellischer Prinzen widmete. Palästina ging der Anarchie entgegen, und die Lage verschlechterte sich noch im Norden Galiläas. Schließlich nahm Šuppiluliuma den Hafen von Ugarit und das Orontestal endgültig unter seine Herrschaft. Aziru von Amurru bedrängte immer mehr den König Rib-Addi von Byblos, der einen Hilferuf um den anderen nach Amarna schickte, und die Stadt, die seit undenklichen Zeiten ein ägyptischer Flottenstützpunkt gewesen war, ging zum Feind über und vertrieb ihren König. Endlich reagierte Amarna, zitierte Aziru nach Ägypten und hielt ihn dort fest; es ließ ihn aber wieder frei. Sobald der Prinz von Amurru wieder auf freiem Fuß war, trat er offiziell in die hethitische Allianz ein. Allein Palästina, wo Haremhab unter Tutanchamun wieder die Ordnung herstellte, blieb Ägypten erhalten. Es war nun aber zurückgedrängt bis südlich der Linie Byblos-Damaskus, bis zu einer Grenze, die im gegebenen Augenblick ein Vertrag sanktionieren sollte, der in vollgültiger Form mit Šuppiluliuma geschlossen wurde.
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Abb. 17: Ägypten zur Zeit des Neuen Reiches
Als sich Ägypten wieder erholte, brach es schon bald den Frieden: ein Heer wurde vergebens gegen Kadeš zu einem Zeitpunkt geschickt, zu dem die Hethiter sich mit dem erbitterten Widerstand des sterbenden Mitanni herumschlugen. Der Ermordung des von der Witwe Tutanchamuns erbetenen Verlobten folgte ein hethitischer Angriff auf Palästina. Später schickte Haremhab Streitkräfte nach Syrien, als Muršili II., der Nachfolger Šuppiluliumas, Schwierigkeiten mit den von ihm unterworfenen Stämmen bekam. Aber am Ende konnten weder der Pharao, der weiterhin mit der Wiederherstellung seiner Hausmacht beschäftigt war, noch Muršili, dem die Kämpfe in Anatolien zu schaffen machten, einen nennenswerten militärischen Erfolg erzielen. Als Ramses I. König wurde, standen sich Ägypten und das Hethiterreich immer noch Auge in Auge gegenüber. II. Die Ramessiden (1309–1080) a) Der Anfang der XIX. Dynastie: Ramses I. und Sethos I. Als der ehemalige General Haremhab König wurde, schenkte er einem Kameraden sein Vertrauen, dem nur wenig jüngeren Offizier der Armee, Pramesse. Die Laufbahn dieses Pramesse kann bis ins einzelne aus den
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Inschriften der beiden Statuen rekonstruiert werden, die ihn sitzend und lesend zeigen und die er durch die Gunst des Königs vor dem zehnten Pylon des Tempels von Karnak errichten durfte, neben den Statuen des berühmten und weisen Wesirs Amenhotep, Hapus Sohn, aus der Zeit Amenophis’ III. Ebenso aufschlußreich für die Rekonstruktion seiner Laufbahn sind die Inschriften der beiden Sarkophage (der innere aus rotem, der äußere aus dunkelgrauem Granit), die Pramesse auf einem Friedhof in der Nähe des heutigen Gurob nahe dem Eingang des Fayum aufstellen ließ. Die Statuen zeigen weiter, daß Pramesse, ursprünglich nur ein Hauptmann der Bogenschützen, bereits über verschiedene militärische Ämter zu der Stellung des Wesirs befördert war, zum Wedelträger zur Rechten des Königs, zum Stellvertreter des Pharao in Ober- und Unterägypten und zum Erbprinzen des Landes. Später wurden auf beiden Sarkophagen Veränderungen angebracht, die zeigen, daß er schon zu dieser Zeit mit dem Titel des Königssohnes geehrt worden war und den allzu familiären bestimmten Artikel am Anfang seines Namens ablegte. Er nannte sich nun Ramses, hatte diesen Namen in die königliche Kartusche eingeschlossen und fügte ihm das Epitheton miamun, »Von (Gott) Amun Geliebter«, zu. Anstelle des gebräuchlichen Epitheton »einer, dessen Stimme wahr befunden wurde« stand nun hinter seinem Namen die einzigartige Bezeichnung »Herr der Menschheit«, die man sonst nur für den Gott Osiris selbst anwandte. Kurz, er war nächst Haremhab nicht nur der erste Mann in Ägypten, sondern auch der gesetzmäßige Thronerbe. So war also der zukünftige König wieder nicht von königlicher Geburt, denn der Titel »Sohn des Königs« war ihm ehrenhalber verliehen worden: Ramses war weder der Sohn Haremhabs noch eines anderen Königs, sondern der Sohn des Hauptmanns der Bogenschützen Seti, nach welchem er seinen eigenen Sohn nannte, der ihm von seiner Frau Tiu, einer einfachen Sängerin des Gottes Re, geboren wurde. Die Familie stammte aus der nordöstlichen Ecke des Deltas, denn diese Gegend gehört seit undenklichen Zeiten zu dem Kultgebiet des wenig beliebten Gottes Seth, des Bruders und Mörders von Osiris. Der Name Seti, den Vater und Sohn des Ramses tragen, ist nur eine Abkürzung von Seth. Die ägyptische Aussprache des Namens war wahrscheinlich Setoje, hiervon abgeleitet ist die griechische Form Sethos in der von Manetho geschriebenen Geschichte. Später hat die Familie anscheinend Seth als ihren ältesten Vorfahren betrachtet. Beide, Ramses sowie sein Sohn, waren eine Zeitlang Befehlshaber der Festung Tjel (Sile in griechischen Zeiten) und verteidigten Ägypten gegen den Nordosten. Man weiß von dem Sohn Sethos, daß er für verschiedene Gottheiten im Delta priesterliche Funktionen ausübte. Wie schon früher im Fall von Haremhab, so scheint auch hier der Grund dafür, daß man wieder einen soldatischen Thronerben haben wollte, klar zu sein: man brauchte einen energischen Führer, der mit den unruhigen östlichen Nachbarn Ägyptens in Palästina und Syrien fertig werden konnte. Als jedoch Haremhab nach einer ziemlich langen Regierungszeit starb, war Ramses (nun der Ramses I.
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der modernen Historiker) zu alt, um seinen vielen Verpflichtungen nachzukommen. Er mußte die Hilfe seines Sohnes in Anspruch nehmen, wie Sethos später in seiner Widmung zu dem Erlaß mit den Anordnungen für die Totenkapelle, die er seinem Vater in Abydos baute, berichtet. Man weiß nicht genau, wie groß das Territorium war, das Ramses I. in Palästina und Syrien wirklich beherrschte. Zwar ist in einem Tempel in Betschan, nicht weit vom See Genezareth, eine Grundsteinbeigabe aus Fayence mit der Kartusche von Ramses gefunden worden, aber es ist möglich, daß sie dorthin gebracht wurde, als der Ort unter Sethos zurückerobert wurde. Daß die Regierungszeit Ramses’ I. nur kurz war, schließt man aus seinem neuen Grab, welches er als König an der traditionellen Begräbnisstätte der Könige der XVIII. Dynastie, dem »Tal der Könige« in Theben, für sich zu errichten begann. Das Grab ist klein. Es besteht aus einem einzigen Raum. Mehrere andere Räume sind nicht vollendet. Die Ausschmückung der Grabkammer und des neuen Granitsarkophages ist zwar schön, aber nur gemalt und nicht in Relief ausgeführt. Das alte Grab in Gurob mit seinen beiden Sarkophagen war abgegeben worden; die Knochen, die in dem roten Granitsarkophag gefunden wurden, gehörten einem Buckligen von nicht einmal dreißig Jahren und können deshalb nicht die Ramses’ I., eines alten Mannes und früheren Offiziers, Vaters eines erwachsenen Sohnes, sein. Es bleibt ein Rätsel, warum der innerste Sarkophag nach Theben transportiert wurde, denn man fand ihn in einem Versteck außerhalb der nordwestlichen Ecke der Umfriedungsmauer von Medinet Habu begraben. Tatsächlich ist die einzige datierte Inschrift, die wir aus der Regierungszeit Ramses’ I. besitzen, auf der linken Seite der Tür des Pylons von Buhen (in der Nähe des heutigen Wadi Haifa) in einer Nische angebracht. Sie stammt aus seinem »Jahr 2, dem zweiten Monat der Winterzeit, dem zwanzigsten Tag« und berichtet über die Darbringung von Opfern im Tempel. Aus ihren letzten Zeilen scheint jedoch hervorzugehen, daß diese Stele erst von seinem Sohn und Nachfolger auf dem Thron, von Sethos I., wirklich aufgestellt wurde. Ihr Text ist praktisch mit dem einer anderen Stele auf der rechten Seite der Tür identisch. Diese ist symmetrisch zu ihr angeordnet, trägt aber das Datum »Jahr 1, vierter Sommermonat, letzter Tag« der Regierungszeit Sethos’ I. Es hat daher den Anschein, daß beide Tafeln etwa gleichzeitig errichtet wurden, daß also diese beiden Daten dicht beieinander liegen, höchstwahrscheinlich innerhalb desselben Kalenderjahres. Wenn dem so ist, starb Ramses I. im zweiten Jahr seiner Regierung. Die Bedeutung Ramses’ I. liegt weniger in den Taten seiner kurzen Regierungszeit als in der Tatsache, daß mit ihm eine neue Dynastie zur Macht gelangte. Diese Dynastie, die XIX. nach Manethos Zählung, machte kräftige Anstrengungen, das von ihren Vorgängern gegründete Reich wiederherzustellen und es vor Angriffen von außen her zu bewahren. Es ist möglich, daß der Vorname Menpehtire, der Name, den Ramses I. bei seiner Thronbesteigung
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annahm, die ursprüngliche Form von Menophres ist, mit dem der griechische Astronom Theon von Alexandrien eine neue Ära beginnen ließ, die er »apo Menophreos« nannte. Man ist sich darüber einig, daß diese Ära nichts anderes ist als die Sothisperiode, die 1320 v. Chr. begann. Wenn die Namen Menpehtire und Menophres tatsächlich identisch sind, würde man ein wertvolles astronomisches Datum erhalten haben und könnte die Regierungszeit Ramses’ I. mit Sicherheit in seine Nähe festlegen, während das Datum seines Todes auf andere Weise für das Jahr 1309 oder 1304 errechnet worden ist. Der etwaige Zusammenfall einer neuen Sothisperiode mit dem Beginn der Regierung Sethos’ I. würde auch erklären, warum die ersten beiden Regierungsjahre Sethos’ I. als das erste und das zweite Jahr der »Wiederholung der Geburt« bezeichnet wurden, und warum dieser König selbst den Namen »Wiederholer der Geburt« als den sogenannten »Herrinnen«-Namen annahm. Dies würde auf die neue Ära hinweisen, und mit der Regierungszeit Ramses’ I. würden wir die notwendigen vier Jahre erhalten, während derer am Anfang der Sothisperiode der Stern Sirius (Sothis) am Morgen zur selben Zeit aufging wie die Sonne. Aber selbst wenn sich die hier vorgeschlagene Möglichkeit schließlich als unannehmbar erwiese, müßte der Name »Wiederholer der Geburt« doch irgendwie den Entschluß des neuen Pharao verkünden, daß er seine Regierungszeit zu einer neuen Periode der ägyptischen Geschichte machen wollte und das Ziel verfolgte, die frühere Stärke und den Ruhm des Landes wiederherzustellen. Als er König wurde, war er Anfang fünfzig, hatte also die nötige Energie und Kraft, seinen Entschluß in die Tat umzusetzen. Bei seinem Tod, etwa fünfzehn Jahre später, hinterließ er seinem Nachfolger ein ebenso großes Reich, wie es schon vorher einmal ein ägyptischer König beherrscht hatte. Bevor jedoch dieses Ziel erreicht wurde, mußten an allen drei Grenzen des Landes ausgedehnte Kämpfe stattfinden. Die ergiebigste Nachrichtenquelle für die Kriege Sethos’ I. sind die Reliefs und Inschriften auf den nördlichen und den anschließenden östlichen äußeren Wänden des großen Säulensaales im Tempel von Karnak. Ihre in großem Maßstab ausgeführten Kampfszenen sind die frühesten Beispiele einer Darstellungsweise, wie sie später von einigen Nachfolgern Sethos’ I. nachgeahmt wurde. Diese Reliefs werden in willkommener Weise durch solche Listen eroberter Länder und Städte ergänzt, wie sie die Pharaonen seit der Zeit des großen Eroberers Thutmosis III. auf ihren Denkmälern zu verewigen pflegten. Schließlich tragen noch andere Stelen Sethos’ I., die in verschiedenen Gegenden Palästinas, Syriens und Nubiens gefunden wurden, zur Klärung bei. Sie werden noch besonders besprochen werden. Die Reliefs von Karnak sind nahezu wahllos auf den Wänden angebracht. Um ein Bild der Feldzüge zu geben, müssen sie erst in einer logisch scheinenden Reihenfolge geordnet werden. Sie bestehen jetzt aus zwanzig einzelnen Szenen; in der obersten Reihe fehlen einige Reliefs.
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Sofort nach der Thronbesteigung marschierte Sethos I. – oder vielmehr fuhr er in seinem Wagen – auf der Straße, die von der ägyptischen Grenzfestung Tjel aus (heute Teil Abu Sefah, in der Nähe von el-Kantara) durch die Wüste der Halbinsel Sinai am Mittelmeer entlang nach Raphia (heute Rafia) an der Grenze Palästinas führte. Zu beiden Seiten der Straße befanden sich Brunnen, die gegraben worden waren, um die Wasserversorgung beim Durchqueren der Wüste sicherzustellen. Sie waren alle befestigt, eine notwendige Vorsichtsmaßnahme gegen die Plünderungen der Schasu, semitischer Nomaden. Es ist nicht ganz klar, ob der Angriff auf die Schasu und deren Vernichtung schon auf dem Hinweg oder erst auf dem Rückmarsch erfolgte. Das letztere ist vielleicht eher anzunehmen; die Schasu waren wohl nicht gefährlich genug, den König am schnellen Vormarsch nach Palästina zu hindern, wenn sie auch Schwierigkeiten machen konnten. Drei weitere Szenen stellen den Feldzug dar. Die erste zeigt die Einnahme einer ungenannten befestigten Stadt von Kanaan. Anscheinend lag sie nicht weit vom Ende der Wüstenstraße und ist möglicherweise die bedeutende Stadt Gaza. Die zweite Szene schildert eine andere Schlacht und die Übergabe der Stadt Jenoam. Augenscheinlich folgte dann die Unterwerfung der Könige von Libanon in der dritten Szene: die Könige versuchen, die Eindringlinge durch das Fällen der Zedern, welche die Ägypter so dringend für größere Schiffe und Schiffsmasten benötigen, günstig zu stimmen. Die Stadt »Zeder des Landes von Hinnom« ist neben dem Nadelwald dargestellt. Weder diese Stadt noch das Land sind uns sonst bekannt. Jenoam ist mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit als das moderne Teil el-Naam identifiziert, neun Kilometer südwestlich des Sees Genezareth; schon dies würde beweisen, daß Sethos I. in dem ersten Jahr bis zur nördlichen Grenze Palästinas vordrang. Glücklicherweise werden die mageren geographischen Aussagen der Karnak-Reliefs durch zwei Stelen, die er bei Betschan errichten ließ, und durch andere Einzelheiten ergänzt. Die erste Stele, die auch in das Jahr 1 datiert und gut erhalten ist, berichtet davon, daß der Feind, der von Hamath aus eine große Streitmacht zusammengebracht, Betschan genommen und mit den Einwohnern von Pehel sich verbündet hatte, den König von Rehob nicht aus seiner Stadt herauskommen ließ. Der Pharao, dessen Hauptquartier nicht genannt ist, schickte drei Heeresgruppen seiner Armee gegen Hamath, Betschan und Jenoam; jede dieser drei Städte wurde innerhalb eines Tages eingenommen. Pehel (heute Fahl) liegt östlich des Jordans. Der obere Teil einer Stele Sethos’ I. im heutigen Teil esch-Schihab ziemlich weit östlich des Jordans gibt Zeugnis von den Eroberungen Sethos’ I. in diesen Gegenden. Rehob liegt gegenüber, nahe dem Westufer des Flusses, und der Fundort der Stele, Betschan (heute Beisan), etwas weiter nördlich. Also wurde südwestlich des Sees Genezareth gekämpft, und Betschan wurde nach seiner Rückeroberung wieder wie vorher zu einem Bollwerk der ägyptischen Besatzung in dieser Gegend. Die andere Stele von Beisan ist nur noch ein Fragment, deren Datum fehlt. Bemerkenswert an ihr ist,
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daß die Schrift nicht in der gewöhnlichen Richtung läuft, sondern von links nach rechts, so daß man sie als ein gegenüber aufgestelltes Gegenstück zu der ersten vollständigen Stele erklären und wie diese in das Jahr 1 datieren kann. Eine genaue Untersuchung der zerstörten Inschrift brachte die Schilderung des Zornes des Pharao zutage, der erfahren hatte, daß die Apiru des Berges Jarmutu zusammen mit den Tajara die Einwohner von Ruhma angriffen. Er sandte Fußtruppen und Reiter dorthin, die schnell den Frieden wiederherstellten und in zwei Tagen wieder zurückkehrten. Die Orte, die auf dieser zweiten Stele genannt werden, konnten bis jetzt noch nicht identifiziert werden, sie können aber nicht weit von Beisan entfernt sein. Die Apiru sind wohl die nomadischen und halbnomadischen Hebräer, die fünfzig Jahre zuvor von Osten her nach Palästina eingedrungen waren, sich dort niedergelassen hatten und mit der einheimischen Bevölkerung Krieg führten. Die beiden Stelen von Beisan zeigen, daß der Grund zu der ägyptischen Intervention eher die allgemeine Unruhe im Land verbunden mit lokalen Kämpfen als eine feindliche Haltung der Bevölkerung den Ägyptern gegenüber war. Man hat erkannt, daß Sethos I. in seinem asiatischen Krieg die Strategie übernahm, die früher schon Thutmosis III. bei seiner Eroberung Palästinas und Syriens anwandte. Dementsprechend sicherte Sethos I. nach der Eroberung Palästinas wahrscheinlich die Seehäfen, bevor er sich in das Innere Syriens wagte. Jedenfalls fand ein Feldzug entlang der Küste statt, wenn auch vielleicht noch nicht im ersten Regierungsjahr des Königs. Unglücklicherweise sind die Reliefs der oberen Reihe in Karnak zerstört, die vermutlich die Darstellungen dieses Abschnittes der Kriege Sethos’ I. enthalten haben. Aber in den Listen können viele Namen von den Ländern und Städten, die er eroberte, mit einiger Wahrscheinlichkeit als moderne Orte identifiziert werden, die ungefähr auf der Linie zwischen Beisan und der Küste bei Akko liegen, und ebenso andere, die eine Route nach Norden, entlang der Küste bis Tyrus und darüber hinaus bezeichnen. Von der Küste aus, ebenfalls vielleicht erst während seiner späteren Regierungsjahre, drang Sethos I. in das Innere Syriens ein, denn das einzig erhaltene Relief der oberen Reihe zur Rechten der in den Großen Säulensaal führenden Tür schildert die Eroberung des Landes Amurru und der Stadt Kadeš weiter nördlich am Orontes. Daß Sethos I. diese Stadt eingenommen hat, wird durch das Fragment einer Stele bestätigt, die seinen Namen trägt und in Teil Nebi Mend gefunden wurde, an der Stätte des ehemaligen Kadeš. Hier irgendwo muß es gewesen sein, wo Sethos mit den Hethitern zu kämpfen hatte, die von Norden her nach Syrien eindrangen. Natürlich stellt er den Kampf als seinen Sieg dar. Das mag zwar der Wahrheit entsprochen haben, aber die Ereignisse während der Regierung seines Sohnes und Nachfolgers beweisen, daß dieser Sieg keineswegs ein dauernder Erfolg war. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt kämpfte Sethos I. auch an der Westfront Ägyptens, und zwei siegreiche Schlachten gegen die Libyer sind auch auf den
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Reliefs von Karnak dargestellt. Eine Stele aus seinem vierten oder achten Regierungsjahr, die in Amara West im Sudan gefunden wurde, berichtet von seinem Feldzug gegen ein unbekanntes nubisches Land Irem. Die ägyptische Herrschaft in Nubien war jedoch niemals ernstlich bedroht. Eine Stele aus dem elften Jahr der Regierung Sethos’ I., die späteste, die aus seiner Regierungszeit bekannt ist, wurde in Ğebel Barkal gefunden, und obwohl sie schwer beschädigt ist, so beweist doch die Erwähnung des »Heiligen Berges«, des ägyptischen Namens für Ğebel Barkal, daß die Stele an ihrem ursprünglichen Platz gefunden wurde. Um die Reise durch die wasserlose Wüste zu den Goldminen nahe dem Roten Meer zu erleichtern, hatte Sethos I. ungefähr 50 km östlich von Edfu in Oberägypten einen Brunnen graben und dicht dabei einen kleinen Tempel in den Felsen hauen lassen. Eine Inschrift aus seinem neunten Jahr auf den Wänden dieses Tempels bezieht sich auf die Verpflichtung von »Goldwäschern« in Bergwerke, die Gold für seinen Tempel in Abydos fördern sollten. Dieser Tempel in Abydos mit seinen beiden Pylonen, seinen beiden Höfen, den beiden gedeckten Säulenhallen und den zahlreichen Heiligtümern der verschiedenen Götter auf der Rückseite ist ganz aus Kalkstein gebaut und mit Reliefs verziert, die zu den schönsten Beispielen ägyptischer Kunst gehören. Die Reliefs heben sich aus der Wandfläche hervor, sind also nicht »versenkte Reliefs«, wie sie zur Zeit der Nachfolger Sethos’ I. geschaffen wurden. Sie sind nicht so kraftvoll wie die Reliefs aus dem Alten und Mittleren Reich, zeichnen sich aber durch große Zartheit der Linienführung und feine Ausarbeitung der Einzelheiten aus. Hinter dem Tempel liegt ein seltsames unterirdisches Bauwerk, das man allgemein für einen Kenotaph Sethos’ I. hält. Weder der Tempel noch der Kenotaph wurden von Sethos vollendet, und vor allem der Wandschmuck wurde erst von seinen beiden Nachfolgern zu Ende geführt. Das wirkliche Grab Sethos’ I. im »Tal der Könige« in Theben ist das größte dort ausgegrabene Grab. Seine Gänge und Hallen erstrecken sich über hundert Meter weit in den Felsen hinein. Die Verzierung, die Inschriften und Darstellungen in der dünnen Gipsschicht auf den Wänden sind von der gleichen hervorragenden Qualität wie die im Tempel von Abydos, obgleich sie nicht alle in Relief ausgeführt sind; einige Wände sind nicht fertiggestellt, ihre Dekoration ist nur in Linienzeichnung ausgeführt. Der Totentempel in Theben, den Sethos I. für seinen Vater und sich in Kurna baute, ist zwar aus Sandstein, steht aber in seiner Ausführung dem Kalksteintempel in Abydos kaum nach. Der Sandstein für den Kurna-Tempel stammt ebenso wie der für die gewaltige Säulenhalle, die Sethos I. in Karnak zu bauen begann (auf ihren äußeren Wänden befinden sich die Schlachtreliefs), aus den Steinbrüchen von Ğebel Silsile, wie es die dort erhaltene Stele aus dem Jahr 6 beweist. Alle diese Bauten wurden in viel zu großem Maßstab geplant, als daß sie in der relativ kurzen Regierungszeit Sethos’ I. hätten fertiggestellt werden können. Als der Pharao im Alter von etwa 65 Jahren starb (er war noch ein
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starker und schöner Mann), blieb es seinem Sohn und Nachfolger Ramses II. überlassen, sie erfolgreich zu beenden. b) Ramses II. Ein wichtiges Problem, das der neue König gleich am Anfang seiner Regierung zu lösen hatte, war die Ernennung eines Hohenpriesters des Amun von Theben. Dieses einflußreichste Priesteramt des Landes wurde beim Tod des Hohenpriesters Nebenter vakant, dessen Sohn Paser seit Sethos I. Wesir war und als solcher nur dem König unterstand. Ramses war darauf bedacht, das Hohepriesteramt nicht wieder mit einem Mitglied dieser mächtigen thebanischen Familie zu besetzen. Es gelang ihm, einen neuen Mann, Nebunenef, der bis dahin Hoherpriester des Onuris in Thinis bei Abydos war, für dieses Amt wählen zu lassen. Die Ernennung fand während der Feier des Festes von Opet in Theben, dem Ramses II. selbst beiwohnte, statt. Nebunenef wurde offiziell als der von Amun selbst Erwählte vorgestellt. Der Statue des Gottes waren Namen verschiedener Personen aus der Reihe der Höflinge und Soldaten unterbreitet worden, als sie in einer Prozession in der Hauptstadt herumgetragen wurde. Der Gott gab aber erst ein Zeichen der Zustimmung, als der Name von Nebunenef erwähnt wurde. Man darf wohl nicht daran zweifeln, daß damit dem Wunsch des Königs entsprochen wurde, und Ramses II. benutzte seine Reise von Theben nach dem Norden, um die Nachricht Nebunenef persönlich zu verkünden und ihn mit den Insignien seines neuen Amtes zu bekleiden. Bei dieser Gelegenheit besuchte Ramses das in der Nähe gelegene Abydos und gab dort den Befehl, den Tempel seines Vaters, der durch den Tod Sethos’ I. unvollendet geblieben war, fertigzustellen.
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Abb. 18: Ramses II.
Es wird berichtet, daß Ramses von Abydos nordwärts nach »Pi-Ramesse, groß an Siegen« reiste, einer Stadt im Nordosten des Deltas, die er zu seiner neuen Residenz erwählt hatte. Sie lag in dem Teil Ägyptens, aus dem Ramses’ Vorfahren stammten. Ihre Nähe zu Palästina und Syrien, deren Besitz Ramses bald verteidigen mußte, machte sie weitaus besser zur Residenz und Hauptstadt geeignet als das abseits gelegene Theben. Wenn somit diese Stadt im allerersten Regierungsjahr des Königs erwähnt wird, so kann sie gewiß nicht eine ganz neue Gründung gewesen sein, sondern eine ältere Siedlung, die nun den unverkürzten Königsnamen Ramses’ II., »Ramesse-miamun«, erhielt, d.i. »Ramses, Geliebter des Amun«. Später, nach den asiatischen Feldzügen, wurde der Name der Stadt erweitert zu »Haus des Ramesse-miamun, groß an Siegen«. Unter den folgenden Königen hieß sie dann »Haus des Ramesse-miamun, der großen Seele des Re-Harachte (d.i. die Sonne Horus am Horizont)«. Obwohl kein Zweifel darüber bestehen kann, wo die Stadt ungefähr lag, ist ihre genaue Position der Gegenstand vieler Kontroversen gewesen und bis jetzt keineswegs geklärt. Man hat dafür eine Stadt in der Nähe des Meeres, direkt an der Grenze von Asien, vorgeschlagen, die später Pelusium hieß. Andere Gelehrte sind der Ansicht, daß sie etwas westlich von Pelusium lag und einfach das Auaris der Hyksos war, das später, von der XXI. Dynastie an, Tanis hieß. Es gibt auch die weniger gut begründete Auffassung, daß das heutige Qantir, ungefähr 20 km
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südlich von Tanis, die Lage der Stadt bezeichne. Die glaubwürdigste Identifizierung scheint jedoch Tanis zu sein wegen der dort, bei dem heutigen San-el-Hagar, vorhandenen Ruinen, die für eine nördliche Hauptstadt umfangreich und bedeutend genug sind und deren Platz selbst heute noch mit den Resten zahlreicher Monumente Ramses’ II. übersät ist. Bevor Ramses II. seine Aufmerksamkeit auf Asien richtete, mußte er einen Angriff plündernder Scharen von Schirdana abwehren, den späteren Einwohnern von Sardinien, dem sie den Namen gaben. Zu jener Zeit waren sie aber vermutlich auf den Inseln des ägäischen Meeres ansässig. Ramses gelang es, die gelandeten Schirdana zu vernichten. Er muß eine beträchtliche Anzahl Gefangener gemacht haben, die dann in die ägyptische Armee eingegliedert wurden. Der Sieg über sie wird in einer Inschrift des Jahres 2 erwähnt. Die Unterwerfung fand also sehr früh in seiner Regierungszeit statt. Ein paar Jahre später schon werden die kriegerischen Schirdana als eine verläßliche Leibwache des Königs betrachtet. Der Angriff der Schirdana von der See aus war wahrscheinlich verbunden oder erfolgte gleichzeitig mit einer Invasion der westlichen Nachbarn Ägyptens, der Libyer, wie es auch später während der Regierungszeit des Nachfolgers Rames’ II. geschehen sollte. Auf jeden Fall werden libysche Kriege auf dem Fragment einer Stele Ramses’ II. erwähnt, die bei El- Alamein gefunden wurde, wo Ramses zur Sicherung seiner Westgrenze eine Festung baute. Nachdem Ramses das Delta im Norden und Westen gesichert hatte, konnte er sich nun auf die weit ernstere Situation im Osten konzentrieren; denn die Hethiter, deren Vorrücken in Syrien zeitweise von Sethos I. aufgehalten worden war, begannen unter König Muwatalli erneut ihren Vormarsch nach dem Süden. Drei Felsenstelen Ramses’ II. an der Mündung des heutigen Flusses Nähr el-Kelb (nördlich von Beirut), von denen eine deutlich in sein viertes Regierungsjahr datiert ist, zeigen, daß die Ägypter zu jener Zeit die Küste von Amurru fest in Besitz hatten. Das war ein wichtiger Faktor, da der Fluß Nähr el-Kelb den schnellen Transport von Versorgungsgütern, die über das Meer kamen, nach dem Inland ermöglichte. Trotzdem setzte sich Ramses II. in seinem fünften Regierungsjahr von der Grenzfestung Tjel aus nordwärts nach Syrien in Marsch. Der Durchzug durch Palästina erfolgte vermutlich ohne Widerstand mit dem Ergebnis, daß sich die Ägypter einen Monat später im Tal des Flusses Orontes befanden, in Sichtweite der Stadt Kadeš, die mit den Hethitern verbündet war. Über die Schlacht, die dort stattfand, sind wir besser orientiert als über irgendein anderes Ereignis der Militärgeschichte Ägyptens. Der Bericht findet sich in einem literarischen Werk, das früher irrtümlich als Gedicht angesehen wurde, und in Reliefs mit Schlachtszenen und Begleitinschriften. Beides, das literarische Werk wie den Bildbericht, findet man auf den Wänden einer Anzahl von Tempeln in Ägypten und Nubien. Man kann so einen ziemlich klaren Eindruck der verschiedenen Stadien des Kampfes erhalten. Die ägyptische Armee, die auf etwa 20000 Mann geschätzt wird, war von der Küste aus durch den Libanon in das Tal des Orontes eingedrungen und in vier
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Heeresgruppen vorgerückt. Diese Heeresgruppen waren nach den Hauptgöttern Ägyptens benannt und sind als die Divisionen des Amun, Re, Ptah und Seth bekannt. In dieser Reihenfolge rückten sie vor, wobei sie zwischen jeder Gruppe einen Abstand ließen. Ramses marschierte mit seiner Leibgarde an der Spitze der Heeresgruppe des Amun. Kurz ehe er den Orontes vom rechten zum linken Ufer bei Šabtuna, dem heutigen Riblah, überquerte, kamen zwei Beduinen, die sich als Deserteure aus der hethitischen Armee bezeichneten und sich den Ägyptern anschlossen. Ihren Angaben nach befand sich die hethitische Armee ungefähr in Aleppo, also weit entfernt. Ramses überquerte den Orontes, durcheilte mit seiner Leibgarde die Ebene und hielt nordwestlich von Kadeš an, um dort ein Lager aufzuschlagen. Die Heeresgruppe des Amun marschierte noch durch die Ebene, die Heeresgruppe des Re begann den Orontes zu überschreiten, und die beiden anderen Divisionen waren noch weiter südlich, völlig außer Sicht. Um die Stadt zu erstürmen, mußte Ramses die Ankunft seiner Divisionen abwarten. Eben zu diesem Zeitpunkt, am frühen Nachmittag, wurden zwei hethitische Spione in der Nähe des Lagers gefaßt. Als man sie prügelte, verrieten sie die völlig überraschende Tatsache, daß der hethitische König sich in Wirklichkeit auf der nordöstlichen Seite von Kadeš mit einer großen Armee aus allen Teilen Kleinasiens verborgen hielt. Es nützte nun nichts mehr, daß Ramses seinen Offizieren Vorwürfe wegen ihres schlechten Nachrichtendienstes machte. Das Beste, was er tun konnte, war, seinen Wesir und einen anderen Botschafter im Wagen zu entsenden, um den Vormarsch seiner Divisionen zu beschleunigen. Inzwischen waren die Hethiter schnell nach Süden vorgerückt, hatten dort eine andere Furt überschritten und griffen sofort die Division des Re an, die sich noch auf dem Anmarsch befand und keineswegs auf eine Schlacht vorbereitet war. Die Division löste sich auf und begann in Richtung des Lagers, wo sich der Pharao befand, zu fliehen. Ramses stürzte sich in seinem Wagen in das Schlachtgetümmel, »allein, keiner war bei ihm«, wie er später immer behauptete. Das konnte kaum ganz wahr sein; die Leibgarde mußte ihm geholfen haben, die Wagenreihen der Hethiter zu durchbrechen. Nach seinen Angaben waren es etwa 2500 Wagen. Die Tatsache bleibt immerhin bestehen, daß Ramses große Tapferkeit bewies, aber die Situation wurde nur dadurch gerettet, daß die Hethiter sich mit der Plünderung des ägyptischen Lagers, in das sie eingebrochen waren, aufhielten. Sie wurden dabei von einem Trupp ägyptischer Rekruten, die vom Nordwesten her, von der Meeresküste des Landes Amurru, vorgerückt waren, überrascht und völlig aufgerieben. Der Kampf in der Ebene muß viele Stunden gedauert haben, aber schließlich wurde die hethitische Wagentruppe entweder getötet oder in den Orontes getrieben, wo viele Soldaten ertranken. Der hethitische König sah vom anderen Ufer des Flusses aus hilflos zu. In dem ägyptischen Bericht werden viele Namen von hervorragenden hethitischen Kriegern erwähnt, die in der Schlacht fielen; die ägyptischen Verluste waren aber nicht weniger schwer. Der beste Beweis dafür ist, daß von einer Rückeroberung von Kadeš keine Rede ist. Anscheinend zog sich Ramses
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nach Süden zurück, um seine Armee neu zu formieren. Wenigstens scheinen die folgenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Hethitern und den Leuten des Landes Amurru darauf hinzuweisen, obwohl die ägyptischen Quellen die Vorgänge anders darstellen. Ihren Berichten nach wurden am Morgen wieder siegreiche Kämpfe begonnen und fortgeführt, bis der König der Hethiter ein Schreiben sandte und seine Unterwerfung und den Frieden anbot. Ramses las das Schreiben seinen Offizieren vor, die nichts Nachteiliges in der Annahme des Angebotes sahen. Mit ihrem Einverständnis zog sich Ramses mit seiner Armee nach Ägypten und in seine Delta-Residenz zurück. Vielleicht können wir das als einen momentanen Waffenstillstand verstehen, aber es gab immer wieder Zusammenstöße mit den Hethitern, denn das Relief, das Ramses darstellt, wie er an der Spitze seiner Truppen gegen Dapur kämpft, eine »Stadt der Hethiter«, in der Nähe von Tunip, ungefähr auf halbem Wege zwischen Kadeš und Aleppo, muß sich auf eine spätere Zeit beziehen. Auch hier lieferte Ramses den Beweis persönlicher Tapferkeit, indem er seine Rüstung erst nach zweistündigem Kampf anlegte. Das Datum dieser Heldentat würde bestimmt werden können, wenn das hier erwähnte Dapur identisch wäre mit dem Dapur aus einer Liste von Städten im Land Amurru, die fast alle von Ramses II. in seinem achten Regierungsjahr erobert wurden. Andere Namen auf dieser Liste scheinen die von Städten weiter im Süden gewesen zu sein, darunter Kana in Galiläa. Auf jeden Fall ist es klar, daß drei Jahre nach der Schlacht von Kadeš noch immer im nördlichen Palästina Krieg herrschte. Erst im 21. Regierungsjahr Ramses’ II. wurde ein Friedensvertrag zwischen Ägypten und den Hethitern geschlossen. Zwei Botschafter des Königs Ḫattušili kamen in die Residenz im Delta und brachten eine Silbertafel mit dem Text des Vertrages in babylonischer Sprache, der in Keilschrift geschrieben war. Teile der babylonischen Version sind auf Fragmenten von zwei Tontafeln erhalten, die in der hethitischen Hauptstadt (dem heutigen Boğazköy) gefunden wurden. Zwei Kopien der ägyptischen Übersetzung, davon eine vollständige, sind uns auf zwei großen Stelen in zwei thebanischen Tempeln erhalten. Die beiden vertragschließenden Parteien, Ramses II. und Ḫattušili, gedenken zunächst des früheren Friedens und des letzten Krieges, erklären dann den neuen Vertrag als gültig für Gegenwart und Zukunft, verzichten auf jede weitere Eroberungsabsicht und versprechen sich sowohl gegenseitige Hilfe gegen äußere Feinde als auch die Auslieferung politischer Flüchtlinge und Emigranten. Ägyptische und hethitische Götter werden als Zeugen angerufen, Fluch wird auf den herabbeschworen, der den Vertrag bricht, und Segen auf den, der ihn halten wird. Leider wird keine genaue Grenze in dem Vertrag angegeben, so daß die räumliche Ausdehnung der ägyptischen Herrschaft in Syrien ungewiß bleibt. Palästina natürlich war niemals Streitobjekt gewesen. Es war fest in ägyptischer Hand, obgleich vereinzelte Interventionen ab und zu nötig gewesen zu sein scheinen.
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Der Friede wurde 13 Jahre später bekräftigt, als der hethitische König seine älteste Tochter in Begleitung eines großen Gefolges mit Gaben dem alternden Ramses II. zur Frau sandte. Dies alles weiß man aus einer langen Inschrift, die auch eine angemessene Lobrede auf Ramses enthält und von der vier Kopien erhalten sind; zwei wurden in Ägypten und zwei in Nubien gefunden. Auch später wurde – wieder mit vielen Gaben – eine jüngere Schwester der hethitischen Prinzessin nach Ägypten geschickt. Der Text, der von dieser Episode berichtet, ist nur in Bruchstücken erhalten, so daß es ungewiß bleibt, ob der Zweck ihrer Reise eine Heirat mit Ramses II. oder nur ein Besuch bei der Schwester war. Die Regierungszeit Ramses’ II. war mit ihren Sechsundsechzig Jahren ungewöhnlich lang. Der Pharao führte in dieser Zeit mit einer Aktivität, von der man sich kaum eine Vorstellung machen kann, Baupläne durch. Viele dieser Bauten, besonders die in der Delta-Residenz, sind fast vollkommen verschwunden, aber es gab auch weiter südlich, in Oberägypten und in Nubien, kaum eine Stadt, in der er nicht irgendein Monument errichtete. In Abydos und in Theben vollendete er nicht nur die Totentempel seines Vaters, sondern baute auch noch zwei für sich selbst. Der in Abydos ist dem Tempel seines Vaters hinsichtlich Qualität, Ausführung und Dekoration fast gleich, dagegen ist der Schmuck des Tempels in Theben (Ramesseum) ganz offensichtlich minderwertiger. Trotzdem beeindruckten seine Größe und sein Schmuck den griechischen Geschichtsschreiber Diodor (oder dessen Quelle), der das Gebäude als Grab von Osymandyas bezeichnet, wobei dieser Name nur eine entstellte Form des letzten Teils des Vornamens von Ramses, Usimare, ist. Die Darstellungen der Schlachten Ramses’ II. dort und auch anderswo trugen in hohem Maß zu der sagenhaften Mischfigur des Sesostris bei, des großen ägyptischen Erobererkönigs der klassischen Autoren. In Karnak vollendete Ramses den großen Säulensaal des Amuntempels, der jetzt eine Fläche von 5000 Quadratmetern einnahm und aus einem Wald von 134 in 16 Reihen angeordneten Säulen bestand. Die Säulen der beiden mittleren Reihen erreichen mit ihren Kapitellen eine Höhe von 21 m, die anderen von 13 m. In Nubien wurden sechs Felsentempel teilweise oder ganz aus den Sandsteinfelsen des schmalen Niltales herausgehauen, in der Nähe des heutigen Bet el- Wali, Gerf Husein, Wadi es-Sebua, Derr und Abu Simbel. Alle waren den drei großen Göttern Ägyptens, Amun-Re von Theben, Ptah von Memphis und Re-Harachte von Heliopolis geweiht, und nur der zweite, kleinere Tempel von Abu Simbel war der Göttin Hathor und der ersten Gemahlin Ramses’ II., Nofretere, gewidmet. Die beiden Tempel in Abu Simbel sind ganz in den Felsen eingehauen, der Eingang des größeren Tempels wird von zwei Paaren sitzender Kolossalstatuen Ramses’ II. flankiert, die ebenfalls aus dem Felsen gearbeitet sind. Jede ist ungefähr 20 m hoch. Da geeignete Felsen fehlten, wurden drei andere Tempel weiter südlich, bei Akscha, Amara und vermutlich auch bei
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Ğebel Barkal aus Steinblöcken gebaut. Von ihnen ist nicht viel erhalten geblieben. c) Merenptah und die libysche Invasion Die zwölf ältesten Söhne Ramses’ II. starben vor ihrem Vater. Der dreizehnte Sohn, Merenptah, bestieg im Jahr 1224 v. Chr. den Thron. Es kann kaum bloßer Zufall sein, daß keine Darstellungen seiner Schlachten erhalten sind, die man mit denen seines Vaters und Großvaters vergleichen könnte. Die Wahrscheinlichkeit liegt näher, daß er seine Armeen nicht selbst führte, sondern diese militärischen Operationen von seiner Delta-Residenz aus leitete, die er jetzt »Haus des Ramesse-miamun, der Großen Seele von Re-Harachte« nannte. Die Hethiter weit im Norden bedeuteten keine Gefahr mehr; ihre Macht war im Schwinden begriffen. Jahre voller Mißernten während der Regierungszeit Ramses’ II. hatten ihrem Land schwer zugesetzt. Jetzt mußte Merenptah ihnen wieder Schiffe mit Getreideladungen schicken. Die Gefahr, die dieses Mal Ägypten selbst bedrohte, kam von Westen. Generationenlang hatten die Libyer die westliche Grenze überschritten und waren in das Delta eingewandert, wo die Ägypter weite Gebiete an Weideland aufgegeben und den Neuankömmlingen überlassen hatten. Während der Regierungszeit Merenptahs drangen die Libyer bis zu dem Kanal vor, der in der Nähe von Heliopolis in nordöstlicher Richtung vom Nil ausgeht. Sie stellten ihre Zelte gegenüber der Stadt Bubastis auf. Heliopolis und Memphis waren in Gefahr, von den Scharen der Libyer überschwemmt zu werden. Ein Bericht aus Merenptahs fünftem Regierungsjahr ist erhalten, der von dem mächtigen Vordringen des Volkes der Libu erzählt, die später Libyen seinen Namen geben sollten und jetzt zum ersten Mal in der Geschichte erwähnt werden. Ihr Anführer war Maraye, der Sohn von Did, den seine zwölf Frauen und seine Kinder begleiteten, ein offensichtlicher Beweis für seine Absicht, sich dauernd in Ägypten niederzulassen. Mit ihm kamen nicht nur die Maschwesch, ein anderer libyscher Stamm, der den Ägyptern von vergangenen kriegerischen Auseinandersetzungen her wohl bekannt war, sondern auch andere Völker, die Lukka, Schirdana, Akawascha, Turscha und Scheklesch. Die Lukka und Schirdana waren schon Verbündete der Hethiter gegen Ramses II. in der Schlacht von Kadeš gewesen und müssen damals die südliche Küste von Kleinasien bewohnt haben. Wie die Akawascha, Turscha und Scheklesch kamen sie jetzt in westlicher Richtung über das Mittelmeer, um sich den Libyern bei der geplanten Invasion Ägyptens anzuschließen. Wegen der Ähnlichkeit der Namen glaubt man, daß die Luka die späteren Lykier sind; die Schirdana, Akawascha, Turscha und Scheklesch die Sardinier, Achäer, Tyrsener (d.i. die Etrusker) und Sizilier. Diese Identifizierung wird zwar von einigen Gelehrten bestritten, aber eine so große Ähnlichkeit der Namen kann kaum nur ein Zufall sein. Die erste Nachricht von der Bedrohung vom Westen her erreichte Merenptah im zweiten Monat der Sommerzeit. Er begann sofort, eine riesige Armee,
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bestehend aus Infanterie und Wagentruppen, aufzustellen. Am ersten Tag des dritten Sommermonats stand der Feind bereits an der Westgrenze Ägyptens, nahe der Stadt Pi-yer, deren genaue Lage bis jetzt noch nicht festgestellt werden konnte. Die ägyptische Armee griff zwei Tage später an und schlug den Feind nach einer sechsstündigen Schlacht in die Flucht. Der Anführer Maraye entkam, ließ aber seinen ganzen Besitz, sogar seine Sandalen, seinen Bogen und seinen Köcher, zurück. Seine Frauen wurden gefangengenommen, sechs seiner Kinder wurden in der Schlacht getötet. Er selbst entkam im Schutz der Nacht vorbei an der »Festung des Westens« in seine Heimat. Der Oberbefehlshaber der Festung berichtete aber später, daß die Libyer einen seiner Brüder an seiner Stelle zu ihrem Anführer gemacht hätten und daß es nicht sicher wäre, ob er lebe oder tot sei. Die Unzufriedenheit der Libyer mit Maraye ist sehr verständlich, wenn ihre von den Ägyptern angegebenen Verluste und die ihrer Verbündeten stimmen. Nach ihren Angaben verlor der Feind über 9000 Mann an Gefangenen und 6000 Tote. Die abgeschnittenen Hände oder Genitalien der Toten wurden zur Residenz gebracht und vor dem Fenster, an dem der Pharao zu erscheinen pflegte, als Beweis des Sieges aufgehäuft. Das bestätigt unsere Vermutung, daß der König nicht aktiv an der Schlacht teilnahm. Ein Jahr später ließ Mesui, der Vizekönig von Nubien, dessen offizieller Titel »Königssohn von Kusch« lautete, einen Lobpreis auf den Sieg Merenptahs verfassen und auf den Eingangswänden fast sämtlicher Tempel der ganzen Provinz eingravieren. Vier fragmentarische Versionen dieser Inschrift sind uns in den Tempeln von Wadi es-Sebua, Amada, Aksche und Amara erhalten. Fast der ganze Text kann rekonstruiert werden. Daraus gewinnen wir weitere Einzelheiten, besonders über das grausame Schicksal der Gefangenen. Sie wurden südlich von Memphis gepfählt. Da sie kaum nur zu diesem Zweck aus weiterer Entfernung hierhergebracht worden sein dürften, können wir annehmen, daß das Schlachtfeld Pi-yer nicht weit entfernt lag. Wenn das stimmt, erreichten die Libyer Ägypten nicht von der Westseite des Deltas aus, sondern kamen, indem sie die Grenzfestungen umgingen, quer durch die Wüste und erreichten Ägypten irgendwo zwischen dem Fayum und Memphis. Die unmenschliche Behandlung der Gefangenen hat keine Parallele in der ägyptischen Geschichte und kann nur als eine Vergeltung für die Verbrechen verstanden werden, die an den friedlichen Bauern verübt worden waren, »als sie«, wie Merenptahs Inschrift in Karnak berichtet, »ihre Zeit damit zubrachten, fechtend im Land umherzustreifen, um ihre hungrigen Mägen täglich zu füllen«. Mesuis Lobpreis enthält einige Hinweise auf Strafmaßnahmen, die in Nubien wahrscheinlich bei lokalen Aufständen ergriffen worden waren, aber weiteres wissen wir darüber nicht. Wichtiger ist dagegen der Beiname, den er Merenptah gibt: »Bezwinger von Gezer«, einer Stadt in Palästina. Merenptahs militärische Intervention in jenem Land wird auch durch die Granitstele des Königs bestätigt, die 1896 im Totentempel des Merenptah in Theben gefunden wurde. Während
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der Hauptzweck ihrer Inschrift der Lobpreis des königlichen Sieges über die Libyer ist – sie ist auf den Tag der Schlacht von Pi- yer datiert –, enthalten ihre letzten Sätze interessante Hinweise auf die Lage in Asien: »Kanaan ist mit jedem Übel verheert, Askalon und Gezer genommen, Jenoam dem Erdboden gleichgemacht worden, Israel ist verwüstet und hat keinen Samen mehr, Ḫaru (d.i. Palästina und Syrien) ist zu einer Witwe geworden für Ägypten.« Da diese Stele die früheste datierte Erwähnung des Namens Israel bringt, die einzige bis jetzt bekannte der ägyptischen Texte, wurde die Inschrift als die »Israel-Stele« berühmt, um so mehr, als Merenptah von vielen Gelehrten eben für den Pharao des Exodus gehalten worden war. Es sind verschiedene Versuche gemacht worden, um zu beweisen, daß Israel schon früher in Palästina war, zur Zeit eines Königs, von dem es in der Bibel heißt, daß er bei der Verfolgung der aus Ägypten fliehenden Israeliten mit seiner Armee umkam. Da anzunehmen ist, daß manche Leser die Einstellung der Ägyptologen zu der biblischen Erzählung kennenlernen möchten, sind einige Worte über diese Angelegenheit wohl angebracht. In den ägyptischen Quellen findet sich keine Erwähnung oder auch nur Andeutung eines Aufenthaltes der Israeliten in Ägypten oder ihres Auszugs. Aus der Tatsache, daß nach dem biblischen Bericht die Juden beim Bau der Stadt Ramses – augenscheinlich nach einem König Ramses so benannt – geholfen haben sollen, wurde allgemein geschlossen, daß der Pharao der Unterdrückung der große Bauherr Ramses II. und sein Nachfolger Merenptah der Pharao des Exodus gewesen sei. Als man aber 1898 Merenptahs Mumie im Grab Nr. 35 (dem von Amenophis II.) im »Tal der Könige« bei Theben fand, wurde es klar, daß er nicht im Meer umgekommen sein konnte. Der Name der Stadt Ramses, der offensichtlich mit dem der Delta- Hauptstadt Pi-Ramesse identisch ist, beweist nur, daß die biblische Erzählung nach der Regierung Ramses’ II. entstand. Andere ägyptische Namen, die in der Erzählung von Joseph vorkommen, stammen aus einer späteren Zeit und zeigen, daß die Geschichte nicht vor dem 10. oder 9. Jahrhundert v. Chr geschrieben sein kann. Die Ansichten der Alttestamentier und Ägyptologen schwanken daher je nach ihrem religiösen Bekenntnis zwischen einer buchstabengetreuen Annahme der biblischen Erzählung in allen Einzelheiten und der Ansicht, daß sie eine reine Erfindung sei. Hier scheint, wie so oft, die Wahrheit irgendwo in der Mitte zu liegen. Obwohl es nicht möglich ist, die Geschichte in vollem Umfang anzuerkennen, ist es ebenso unmöglich, sie deswegen völlig abzulehnen, weil sie historisch nicht begründet sei. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die Anwesenheit der Hyksos, eines Volkes von offensichtlich vorderasiatischer Herkunft, und ihre Vertreibung zu Beginn der XVIII. Dynastie eine ausreichende Grundlage für die spätere Erzählung von dem Aufenthalt und der Auswanderung der Israeliten geliefert haben. Von Merenptahs tatsächlicher Regierung bleibt in der Bibel nichts übrig als zwei Hinweise auf den Namen eines Platzes nordwestlich von Jerusalem »Wasserbrunnen Nephtoah«, in welchem lange Zeit vergessen und unverdächtig
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der »Brunnen von Mineptah« steckte. Zur Zeit Merenptahs wurde dieser von einer ägyptischen Garnison bewacht. Merenptah hat in Ägypten selbst außer einem Grab in Theben wenig hinterlassen; sein Totentempel ist verschwunden. Er begnügte sich meistens damit, seinen Namen auf ältere Monumente zu setzen. Seine Regierung dauerte nur wenig länger als zehn Jahre. d) Das Ende der XIX. Dynastie Nach der glänzenden Ära der früheren Könige endete die Dynastie in einem dunklen und urkundlich kaum belegten Zeitraum. Ihre Geschichte konnte erst nach ziemlichen Kontroversen und auch dann noch nicht völlig geklärt werden. Wie oft in Ägypten, so scheint auch hier das Fehlen von Dokumenten auf eine Fehde in der regierenden Dynastie hinzuweisen. Drei Königsgräber auf dem königlichen Friedhof im »Tal der Könige« können mit Bestimmtheit dieser Periode zugewiesen werden: das von Amenmesses, von Sethos II. und das von Merenptah-Siptah. Vermutlich regierten sie in dieser Reihenfolge. Außer ihnen durften noch zwei andere Persönlichkeiten ihre Gräber in dem Tal errichten: die Königin Twosre und der Kanzler Bai. Das ihnen gewährte Privileg zeigt, daß sie Persönlichkeiten von überragender Bedeutung gewesen sein müssen – wesentlich bedeutender als andere Personen ihres Ranges. Die Nachwelt erkannte nur Sethos II. als einen rechtmäßigen Pharao an und überging sowohl Amenmesses und Merenptah-Siptah als auch Twosre mit Stillschweigen. Sethos II. verdankte seine Anerkennung der Tatsache, daß er ein Sohn Merenptahs war. Er ist tatsächlich offenbar derselbe wie der »Erbprinz, des Königs Schreiber, der große Befehlshaber der Armee und der älteste Königssohn Seti-Merenptah«, der einige Male in dem Gefolge seines Vaters während dessen Regierung erscheint. Seine Mutter war augenscheinlich Merenptahs Frau, die »große Königsgemahlin«, Esenofre. Die Regierung Sethos’ II. währte nicht lange: es ist sicher, daß er im Verlauf seines sechsten Regierungsjahres starb. Seinen Namen findet man nicht selten auf den Denkmälern von Abu Simbel in Nubien bis hinab zum Delta. Aber nur eine Inschrift dieser Monumente, nämlich die bei Ğebel Silsile, ist datiert, und zwar in das zweite Regierungsjahr des Pharao. Man scheint dort Sandstein gebrochen zu haben, vielleicht für den kleinen Tempel, den Sethos II. im ersten Hof des Tempels des Amun-Re bei Karnak baute. Es wird berichtet, daß er sich in eben diesem zweiten Regierungsjahr in seinem Palast in Memphis aufgehalten habe. Notizen auf Kalksteinsplittern (Ostraka), die von den Aufsehern der Arbeit an seinem Grab im »Tal der Könige« niedergeschrieben und nach der Ablieferung ihrer Berichte an die Vorgesetzten weggeworfen wurden, lassen erkennen, daß diese Arbeit bald nach seiner Thronbesteigung begann und kurz vor und nach dem Zeitpunkt seines Todes im Jahr 6 noch im Gang war.
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Nichts in diesen Dokumenten weist auf irgendein Ereignis von Bedeutung während seiner Regierung hin, doch gibt es indirekte Hinweise darauf, daß seine Regierung für kürzere Zeit durch die Herrschaft des Usurpator-Königs Amenmesses unterbrochen worden sein muß. Berichte über zwei in sein 6. Jahr datierte Prozesse betreffen den Diebstahl einiger Kupfergeräte, die »nach dem Krieg« vergraben worden waren. Weiter war im ersten Regierungsjahr des Königs einer der beiden Aufseher der beim Bau des Königsgrabes beschäftigten Arbeiter ein Mann namens Neferhotep, und dieser wurde im Jahr 6 durch den Aufseher Pneb ersetzt; die Ursache des Wechsels war der Tod des Neferhotep, der, wie es heißt, vom »Feind« getötet wurde. Wir haben es hier offensichtlich nicht mit einem Feind außerhalb Ägyptens zu tun, sondern mit Gefechten in Theben, die wohl in die Zeit zwischen dem zweiten und fünften Jahr der Regierung Sethos’ II. fielen, das heißt in die Jahre, aus denen keine sicher datierten Dokumente erhalten sind. Die Arbeit an dem Grab Sethos’ II. wurde natürlich unterbrochen, und diese Tatsache würde erklären, warum noch im sechsten Jahr daran gearbeitet wurde: normalerweise nahm die Arbeit an einem königlichen Grab nicht mehr als die ersten beiden Jahre einer Regierungszeit in Anspruch. In dem Papyrus, der den gewaltsamen Tod des Aufsehers Neferhotep erwähnt, wird dessen Nachfolger, Pneb, von Neferhoteps Bruder angeklagt. Es werden verschiedene seiner Missetaten aufgezählt, unter anderen auch seine Drohungen, Neferhotep zu töten. Neferhotep hatte eine Klage bei dem Wesir Amenmose eingereicht, der Pneb mit einer Strafe belegte, aber Pneb brachte eine Klage über den Wesir vor Mose an, und Mose entließ den Wesir. Da der Wesir der höchste Beamte der Verwaltung war, kann über seine Entlassung nur vom König entschieden worden sein. Mit anderen Worten: Mose ist eine etwas respektlose Bezeichnung für den König jener Zeit, und die einzig mögliche Erklärung dafür scheint zu sein, daß Mose die Abkürzung des Namens des Königs Amenmesses ist. Verwunderlich ist das nicht, da dieser ein Usurpator war. Wenn er die ungerechtfertigte Klage eines einfachen Arbeiters gegen einen Wesir annahm, so benutzte er offensichtlich gern diesen Vorwand, einen widerspenstigen Wesir loszuwerden. Man findet Amenmesses Namen hier und da auf Monumenten in der Gegend von Theben, Erment und in Nubien, so daß sich seine Herrschaft bis zum Süden des Landes ausgedehnt zu haben scheint. Seine Herrschaft war kurz, aber lang genug für das Ausschachten und Dekorieren seines Grabes im »Tal der Könige«. Das Grab ist ziemlich groß, aber nicht vollendet worden. Seine Dekoration ist ziemlich einfach. Ob Amenmesses jemals darin begraben war, ist ungewiß, aber offenbar war es unter dem Geröll des Tales verborgen, so daß die Arbeiter, die nach etwa zwanzig Jahren das Grab für König Setnachte aushoben, nichts von seiner Existenz ahnten und geradewegs hineingerieten. Wahrscheinlich wurden die Dekorationen der Grabwände erst damals ausgehackt und die Wände überstrichen, allerdings nicht vollkommen, so daß die Abbildungen und der
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Name einer Königsmutter Tachat, offenbar der Mutter Amenmesses, erkennbar blieben. Eine Prinzessin dieses Namens ist als Tochter Ramses’ II. in seinen späteren Jahren bekannt. Vielleicht ist sie dieselbe Dame wie Amenmesses Mutter. Damit würde sein Anspruch auf den Thron als Enkel jenes großen Herrschers berechtigt erscheinen. Sethos’ II. Sohn Seti-Merenptah, der seinen Vater auf den Reliefs seines dreiteiligen Tempelchens in Karnak als Thronerbe begleitet, wurde niemals König. Entweder starb er vor seinem Vater oder wurde von Ramses-Siptah verdrängt, dessen Thronbesteigung friedlich vor sich ging. Ramses-Siptah kann nur ein zweiter, jüngerer Sohn Sethos’ II. gewesen sein. Eine gewisse Opposition mußte überwunden werden, sonst gäbe es für seinen Zeitgenossen, den Kanzler Bai, keinen Grund, sich prahlerisch das Beiwort »der den König auf den Thron seines Vaters hob« zuzulegen. Bai war während der Regierung Sethos’ II. »Schreiber und Truchseß des Königs« gewesen und wurde nun unter RamsesSiptah »Kanzler« oder »Großkanzler des ganzen Landes«. Unter den Grundsteinbeigaben des königlichen Totentempels in Theben befinden sich Fayencetäfelchen mit seinem Namen, die denen des Königs hinzugefügt wurden. Das war ein Privileg, das keine Parallele hat. Zwei Krüge, die in dem Tempel gefunden wurden, enthalten Wein aus dem »Landgut des Kanzlers des ganzen Landes«, obwohl Weinberge in der Regel zu den Landgütern der Tempel oder dem Königshaus gehörten. Oben ist schon gesagt worden, daß er ein Grab, wenn auch nur ein kleines, im »Tal der Könige« hatte. Auch dies ist ganz außergewöhnlich. Auf den Grundsteinbeigaben und auch sonst erscheint Ramses-Siptah unter seinem neuen Namen Merenptah-Siptah, den er aus unbekannten Gründen einige Zeit vor seinem dritten Regierungsjahr annahm. Ein Relief bei Assuan, auf dem Bai hinter dem König, der den Vizekönig von Nubien, Seti, empfängt, stehend dargestellt ist, liefert uns auch einen anderen Namen von Bai: RamsesChaementer, der ihm vermutlich erst kurz zuvor am Hof gegeben worden war. Der Typ dieses neuen Namens (»Ramses erscheint unter den Göttern«), der anderen Namen ähnelt, welche Hofbeamte dieser Zeit trugen, und die Tatsache, daß Bai selbst Truchseß des Königs unter Sethos II. war, lassen die Vermutung zu, daß er wie viele oder die meisten Truchsesse dieser Zeit von fremder, wahrscheinlich vorderasiatischer, Herkunft war. Merenptah-Siptah war noch ein Knabe, als er König wurde. Seine Mumie bezeugt, daß er sogar bei seinem Tod nach einer zehnjährigen Regierung noch sehr jung war. Daher ist es verständlich, daß er einen Beistand brauchte, den er in der Person des Bai fand. Ein Beistand war vor allem gegen eine andere mächtige Person dieser Zeit notwendig: die Königin Twosre, die »große Königsgemahlin« Sethos’ II. Auch sie hatte ein Grab im »Tal der Könige«, und einige frühere Gelehrte waren sicher, dort den ihr zugelegten Titel »Thronerbin« gesehen zu haben. Wenn dies stimmt, müßte sie entweder die Tochter Ramses’ II. gewesen sein oder, und das ist wahrscheinlicher, die Tochter Merenptahs und Schwester Sethos’ II. Als Witwe
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trägt sie doch noch den Titel »große Königsgemahlin« überall im Grab, und der König, in dessen Begleitung sie dort dargestellt wird, ist Merenptah- Siptah. Nach seinem Tod verändert sie seinen Namen an allen Stellen in den Namen ihres verstorbenen Gatten Sethos II. Merenptah-Siptahs Mutter war sie sicherlich nicht, denn sonst würde sie sich selbst »Königsmutter« genannt und seinen Namen nicht ausgelöscht haben. Merenptah-Siptah hinterließ keinen Erben. Twosre nahm selbst die Königswürde an und nannte sich »König von Ober- und Unterägypten«, »Herr der zwei Länder« und sogar »Sohn des Re«. Sie nahm auch eine zweite »Kartusche« mit dem Namen Sitre-meramun neben der alten Kartusche an, die den Namen Twosre enthielt. In dieser neuen Rolle erscheint sie auf den Grundsteinbeigaben ihres eigenen Grabtempels in Theben. Den Bau dieses Tempels begann man daher kurz nach der Vollendung ihres Grabes. Das Vorkommen ihres Namens bei Qantir im Delta zeigt, daß ihre Herrschaft sich über ganz Ägypten ausdehnte, und die Erinnerung daran hat sich sogar bis in die Zeit des Geschichtsschreibers Manetho hinein erhalten. Er nennt »Thuoris« (offensichtlich eine Verdrehung ihres Namens) als letzten König der XIX. Dynastie. Nichts ist über das Schicksal des Bai während Twosres Regierung bekannt. Wahrscheinlich gelang es ihr, seine Macht zu brechen. Die Geschichte der XIX. Dynastie nach Merenptahs Tod ist aus dem nur unzureichend verfügbaren Material sehr schwer zu rekonstruieren. Bestimmt war sie eine unrühmliche Periode innerer Kämpfe, wenn auch sicherlich nicht eine so lange Jahre währende Zeit totaler Anarchie, wie sie die Könige der XX. Dynastie später darstellten. Nach ihrer Behauptung folgte den Jahren der Anarchie die Regierung eines syrischen Usurpators, und erst die XX. Dynastie brachte wieder Ordnung in das Land. e) Setnachte und Ramses III. Aus der Übergangszeit von der XIX. zur XX. Dynastie ist uns nichts außer der einfachen Tatsache bekannt, daß auf die schwachen Regierungen von Merenptah-Siptah und Twosre unmittelbar oder sehr bald die von Setnachte folgte, dessen feste Hand die innere Ordnung im Land wiederherstellte. Da die Bedingungen damals jenen ähnelten, unter denen Haremhab am Ende der XVIII. Dynastie die Macht ergriffen hatte, darf man vielleicht vermuten, daß auch Setnachte ein Offizier des Heeres war, dessen Herrschaft akzeptiert wurde, als man allgemein erkannte, daß die Gefahr, die Ägypten von außen drohte, eine energische Persönlichkeit auf dem Thron erforderte. Seine Regierung kann kaum länger als zwei Jahre gedauert haben; das Jahr 2 ist das letzte, das für ihn bezeugt ist. Die Arbeiter, die bald nach seinem Regierungsantritt sein Grab im »Tal der Könige« ausschachteten, stießen dabei auf das frühere Grab des Amenmesses, so daß die Stelle verlassen werden mußte. Offensichtlich blieb keine Zeit, anderswo ein Grab herzustellen. Daher wurde Setnachte im Grab der Königin Twosre begraben, das man für diesen Zweck beschlagnahmte.
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Sein Sohn Ramses III. war entschlossen, mit seinem berühmten Namensvetter der XIX. Dynastie zu wetteifern, denn er trug nicht nur seinen Namen, sondern gab auch seinen Söhnen die Namen der Söhne Ramses’ II. Seine Bautätigkeit erstreckte sich über das ganze Land, doch ist wenig davon erhalten. Durch günstige Umstände aber ist sein Totentempel in Medinet Habu, am Südende der langen Reihe von Grabtempeln auf dem linken Nilufer in Theben, der besterhaltene ägyptische Tempel aus pharaonischer Zeit geworden, und er hat uns einen, wenn auch nur unzulänglichen, Einblick in die militärischen Taten der Regierungszeit Ramses’ III. bewahrt. Der Tempel, der fast nach demselben Plan wie der Totentempel Ramses’ II. gebaut ist, wurde in der Mitte eines rechtwinkligen Bezirks von 210 × 315 m errichtet. Er grenzt im Süden an einen königlichen Palast. Der Bezirk war von einer Backsteinmauer umschlossen, die den Platz zu einer mächtigen Festung machte, die dann bald zum Standort der Verwaltung der ganzen Gegend wurde, denn zwischen der Mauer und dem Tempel waren Diensträume und Häuser der Priester und des größten Teils der Einwohnerschaft aus dem Westen Thebens. Der größere Teil des Tempels wurde ziemlich früh in der Regierungszeit gebaut. Inschriften in den Sandsteinbrüchen von Ğebel Silsile, in das fünfte Jahr datiert, berichten von dreitausend Mann, die damit beschäftigt waren, Blöcke für den Tempel herauszustemmen und zu transportieren. Aus diesem Jahr stammt auch die früheste datierte Inschrift des Tempels. Seine Inschriften können kaum historisch genannt werden, da eine verhältnismäßig kleine Zahl von Tatsachen in den vielen Zeilen verschwindet, die hauptsächlich dem poetischen Lob des Königs und seiner Siege gewidmet sind. Glücklicherweise werden sie von einer Reihe monumentaler Reliefs ergänzt, die Schlacht- und Triumphszenen darstellen, mit deren Hilfe wir uns ein mageres Bild von den Ereignissen der Regierung zusammensetzen können. Die drei Szenen aus einem nubischen Krieg sind höchstwahrscheinlich nichts anderes als traditionelle symbolische Darstellungen und beziehen sich nicht auf ein aktuelles kriegerisches Ereignis, da Nubien schon seit mehreren Generationen in ägyptischer Hand war. Die anderen Reliefs jedoch mit ihren begleitenden Texten, datiert in die Jahre 5, 8 und 11, beziehen sich auf drei Feldzüge, die von beträchtlicher historischer Bedeutung sind. Die erste, aus dem Jahr 5, handelt von den Libyern, die seit der Niederlage, die Merenptah ihnen zugefügt hatte, wieder in das Delta eingedrungen waren, sogar seinen Mittelpunkt erreicht hatten und die Städte und das flache Land im XoisGau verwüsteten. Außer den Libu und den Maschwesch erscheint damals ein dritter Stamm, die Seped, von denen wir aber sonst keine Nachrichten besitzen. Der Kampf gegen den Feind, der diesmal nahe der Küste vordrang, fand bei der Stadt »Usimare-miamun auf der Höhe von Temehu« statt, wobei Temehu der Name eines anderen libyschen Volkes ist und Usimare-miamun der Vorname Ramses’ III. Die Schlacht, in der fremde Söldner, besonders Schirdana, auf ägyptischer Seite kämpften, war nur ein Vorläufer eines viel ernsteren Krieges
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sechs Jahre später, wenn auch die ägyptischen Quellen die Verluste des Feindes sehr genau mit der hohen Zahl von 12 535 Gefallenen angeben.
Abb. 19: Seeschlacht Ramses’ III. gegen die Seevölker
Diese Reliefs mit den Szenen aus dem libyschen Krieg müssen längere Zeit nach den Ereignissen in die Wände gemeißelt worden sein, denn die dazugehörende Inschrift enthält Anspielungen auf einen Feind, der sich der ägyptischen Grenze von Norden her näherte. Von anderer Seite wissen wir nämlich, daß der Konflikt mit diesem neuen Feind erst im achten Jahr der Regierung Ramses’ III. stattfand. Diese nördlichen Völker, die aus Kleinasien und von den ägäischen Inseln nach Syrien und Palästina vordrangen, bildeten einen Teil einer gewaltigen Wanderung von Völkern, von denen die Peleset mit ihrem Federkopfschmuck und die Zeker mit ihren gehörnten Helmen die zahlreichsten und auffälligsten waren. Sie verwüsteten und besetzten die Küste von Amurru und machten der ägyptischen Herrschaft in Syrien ein Ende. Obgleich berichtet wird, daß Ramses III. nach Palästina vordrang, um sie zu schlagen, kann es kaum einen Zweifel daran geben, daß in Wirklichkeit Ägypten ganz in der Defensive war und daß die entscheidenden Schlachten mit den Völkern aus dem Norden schließlich bedenklich nahe der ägyptischen Grenze stattfanden. Der Feind näherte sich Ägypten auf zwei Wegen: zu Land auf Streitwagen, die von Pferden gezogen wurden und denen Ochsenkarren mit
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ganzen Familien folgten, und zu Wasser mit einer Flotte, die auf die Nilmündungen zusteuerte. Beide Heere des Feindes wurden besiegt. Von der Landschlacht wird nicht viel berichtet, aber das Relief, das als erstes seiner Art in der Geschichte eine Schiffsschlacht darstellt, enthält einige interessante Einzelheiten. Die Ägypter, im voraus von dem Nahen des Feindes durch Palästina und längs der Küste gewarnt, hatten genügend Zeit, eine Flotte zu sammeln und auszurüsten, um sie als Falle für die Eindringlinge zu benutzen. Als die Feinde in eine der Nilmündungen gefahren waren, ihre Segel aufgerollt hatten und im Begriff waren, die Bevölkerung zu überrumpeln, wie sie es bei anderen seeräuberischen Überfällen zu tun pflegten, fanden sie ihren Rückweg plötzlich durch die ägyptische Flotte abgeschnitten, die in ordentlicher Formation zur Schlacht bereit dastand. Bei den feindlichen Schiffsmannschaften brach eine Panik aus, und die Ägypter, die ihre Enterhaken benutzten, um die Segel der Eindringlinge zu zerreißen, brachen die Masten der Feinde und machten ihre Schiffe, welche an beiden Enden mit einem Vogelkopf geschmückt waren, steuerlos. Die Schiffe waren bald zertrümmert; Waffen lagen verstreut im Wasser, und die Körper der erschlagenen Feinde wurden an das Ufer gespült. Wer zu Land entkam, wurde von dem wartenden ägyptischen Landheer niedergemetzelt oder gefangengenommen. Durch den Land- und Seesieg konnte Ramses III. die Peleset und Zeker von dem ägyptischen Gebiet selbst fernhalten, aber nicht aus Palästina und Syrien vertreiben. Die Peleset siedelten sich an der Küste des Landes an, dem sie seinen Namen gaben: Palästina. Unter dem Namen der Philister waren sie später eine ständige Bedrohung der Israeliten; Schiffe der Zeker wurden noch von WenAmun auf der Höhe von Syrien am Ende der XX. Dynastie angetroffen. Den gefangenen Peleset wurde der Name Ramses’ III. in die Haut gebrannt, sie wurden entweder als Sklaven weggegeben oder zum Dienst im ägyptischen Heer gezwungen. Im elften Jahr der Regierung des Königs finden wir sie Seite an Seite mit Schirdana und einheimischen ägyptischen Truppen bei dem Versuch, einen zweiten libyschen Angriff abzuwehren. Nach den angegebenen Zahlen zu urteilen, 2175 gefallene und 2052 gefangene Libyer, einschließlich Frauen und Kinder, war diese zweite Invasion bedeutend kleiner als die erste. Es gibt keinen Grund, diese Zahlen zu bezweifeln, nur scheint die Zahl von ungefähr 42 Stück Vieh, die als Beute in die Hände der Ägypter fielen, ziemlich klein. Das Hauptkontingent des libyschen Heeres scheint aus dem Stamm der Maschwesch bestanden zu haben. Angeführt von ihrem Häuptling Meschescher, Sohn des Keper, und fünf untergeordneten Häuptlingen, stießen sie aus dem fernen Westen vor und überfluteten zuerst das Gebiet eines anderen Stammes, der Tehen, bevor sie Ägypten erreichten. Sie werden auf Streitwagen gezeigt. Unter den Beutestücken sieht man ihre Schwerter, welche die beinahe unglaubliche Länge von anderthalb bis zwei Meter haben. Die Ägypter verfolgten die besiegten Feinde ungefähr 15 km weit zwischen der »Stadt Ramses’ III., die auf dem Berge von Up-ta liegt«, und der Stadt Nascho – »dem
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Herrensitz auf den Dünen« – irgendwo an der Küste westlich von Ägypten, und es gelang ihnen sogar, den Anführer Meschescher selbst gefangenzunehmen. Sein Vater Keper kam später, um den Frieden und das Leben seines Sohnes zu erbitten, aber das endgültige Schicksal des Meschescher ist nicht bekannt. Es ist ungewiß, in welche Zeit der Regierung Ramses’ III. wir die Reliefs von Medinet Habu datieren sollen, die den König an der Spitze seiner Truppen darstellen, wie sie die Städte Arzawa in Kilikien und Amurru und Tunip in Syrien erstürmen. Sie können einerseits tatsächlichen Ereignissen während eines Versuches entsprechen, durch den Ramses III. einen Teil des an die Peleset und Zeker verlorenen Landes zurückerobern wollte. Andererseits ist es jedoch möglich, daß sie ebenso wie einige andere Wandreliefs in Medinet Habu nur Kopien früherer Reliefs sind, die Ramses II. bei seinen Heldentaten an eben diesen Orten zeigten, zumal es nirgends eine klare Aussage gibt, daß Ramses III. in Person an irgendeiner der Schlachten während seiner Regierung teilnahm. Diese Kriege erstreckten sich über das ganze erste Drittel der Regierungszeit Ramses’ III. Wenn wir ihre Ergebnisse überblicken, können wir sagen, daß sie im Osten definitiv waren. Denn bis zum Angriff der Assyrer im 8. Jahrhundert wird keine Bedrohung von dieser Seite mehr berichtet, obgleich die asiatischen Besitzungen entweder unter Ramses III. oder seinen unmittelbaren Nachfolgern verlorengegangen waren. Im Westen jedoch war die Erleichterung nur vorübergehend, und die Anwesenheit der Libyer innerhalb Ägyptens wird später im Verlauf der XX. Dynastie wiederholt erwähnt. Auf die inneren Zustände des Landes unter Ramses III. und besonders die wirtschaftliche Lage wirft der sogenannte »Große Papyrus Harris« im Britischen Museum ein grelles Licht. Man hält dieses umfangreiche Dokument für eine Bekanntmachung, die vom Nachfolger Ramses’ III. am Tag seiner Thronbesteigung in Gegenwart der für diese Gelegenheit versammelten Priester vorgelesen wurde. Durch das Verlesen dieses Schriftstückes, in dem allen die Wohltaten vor Augen gehalten wurden, die Ramses III. während seiner Regierung den Göttern und ihren Tempeln erwiesen hatte, verfolgte der Pharao den Zweck, sich die Unterstützung der Priesterschaft zu sichern. Der Papyrus zählt die Schenkungen des Königs auf, die somit vom neuen König bestätigt wurden. Aus den Listen des Papyrus hat man geschätzt, daß Ramses III. den Tempeln ungefähr 6% der gesamten Bevölkerung und ungefähr 10% des Ackerlandes überließ. Das war nur eine Zugabe zu dem, was sie schon besaßen. Auf diese Weise hatten die Tempel nun ungefähr 30% des Ackerlandes und 20% der Einwohner des Landes erhalten. Neben den Tempeln von Memphis und Heliopolis war der Gott Amun-Re in Theben der Hauptnutznießer. Der König schuf damit in der Person des Hohenpriesters des Amun-Re einen gefährlichen Rivalen für die königliche Macht. Der Einfluß dieses hohen Würdenträgers wurde von allen Nachfolgern Ramses’ III. bis an das Ende der XX. Dynastie stark empfunden.
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Eine Gruppe von drei Papyri ist von besonderem Interesse, da sie uns Nachricht über eine Haremsverschwörung gegen Ramses III. gibt. Die Natur des Ereignisses war derart, daß die offiziellen Inschriften der Denkmäler es niemals erwähnten oder darauf anspielten. Auch in den Papyri ist das »Verbrechen« nicht näher bezeichnet, sondern nur erwähnt, daß die meisten der Hauptverschwörer Haushofmeister oder Haremsdamen waren. In einem der Dokumente wird Ramses III. der »große Gott« genannt, mit einem Beinamen also, der in dieser Periode niemals einem lebenden König gegeben wurde und aus dem man schließen kann, daß Ramses III. zur Zeit der Untersuchung des Komplotts schon tot war. Sein Tod war höchstwahrscheinlich die Folge eines Anschlages auf sein Leben durch die Verschwörer. Vor seinem Tod hatte er Zeit, ein Gericht von zwölf Beamten des obersten Gerichtshofes zu ernennen und seine Mitglieder anzuweisen, eine sorgfältige und unparteiische Untersuchung durchzuführen. Sechsundzwanzig Männer und sechs Frauen wurden verurteilt, und »ihre Strafe überwältigte sie«, d.h., sie wurden hingerichtet. Einigen wurde erlaubt, sich selbst das Leben zu nehmen. Einige hatten sich aktiv an der Verschwörung beteiligt, andere hatten davon gewußt, aber sie nicht angezeigt. Vier andere hatten sich während des Prozesses oder danach den Frauen angeschlossen und mit ihnen gezecht; diesen wurden die Nasen und Ohren abgeschnitten. Nur ein Mann wurde freigesprochen, aber er wurde gehörig gerügt. Ursache und Ziel dieses »Aufstandes« gegen ihren Herrn, den König, sind nicht geklärt. Nur eine Haremsdame, Tiji, wird mit Namen erwähnt, und ihr Sohn Pentawere war in heimlichem Einverständnis mit ihr; es wird allgemein angenommen, daß sie eine Nebenfrau des Königs war, die sich gegen den König verschwor, um ihren Sohn anstelle des rechtmäßigen Erben auf den Thron zu bringen. Das Ende des großen Königs im zweiunddreißigsten Jahr seiner Regierung war bedauernswert. f) Vom Tod Ramses’ III. bis zum Ende der XX. Dynastie Der letzte Abschnitt der XX. Dynastie besteht aus den Regierungen von acht Königen, die alle Ramses hießen. Jeder von ihnen besaß jedoch einen kennzeichnenden Vornamen. Der erste von ihnen, Ramses IV., der einzige, dessen ganze Regierungszeit festgelegt werden kann, regierte sechs Jahre; von den übrigen regierten Ramses IX. und XI. wenigstens 17 beziehungsweise 27 Jahre, während die Regierungen der anderen kurz waren. Die ganze Dauer der Dynastie, einschließlich Setnachte und Ramses III., wird auf ungefähr 105 Jahre geschätzt. Mit Ausnahme von Ramses VIII. hatten sie alle Gräber im »Tal der Könige«. Was Ramses VIII. anbetrifft, so ist es unwahrscheinlich, daß sein Grab der Aufmerksamkeit der Ausgräber entgangen sein sollte; offensichtlich hat dieser König nur sehr kurz regiert und wurde niemals hier begraben.
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Der Regierung Ramses’ IV. scheint es nicht an Glanz gefehlt zu haben. Seine Bautätigkeit wäre beträchtlich gewesen, wenn er Zeit genug gehabt hätte, seine Pläne auszuführen. Einen Eindruck davon haben wir durch mehrere große Expeditionen, die nach den Grauwacke-Steinbrüchen des Wadi Hammamat gesandt wurden, um Steine für die Monumente des Königs in Koptos, Theben und Armant zu brechen. Von diesen Denkmälern – falls sie jemals gebaut wurden – ist praktisch nichts erhalten. Der ungeheure Totentempel bei Deir elBahari, der sogar seines Vaters Tempel in Medinet Habu überragen sollte, war zur Zeit seines Todes wenig über die Fundamente und die ersten Schichten der Mauern hinausgekommen. Der Name des Königs wird in zahlreichen Gebäuden im ganzen Land gefunden, aber dann nur als Zusatz auf Denkmälern, die von seinen Vorgängern stammen. Diese Inschriften sagen ebenso wie die seiner unmittelbaren Nachfolger (Ramses V. bis VIII.) nichts über die Ereignisse dieser Regierungen aus, aber wo sie versagen, lassen einige Papyri aus dem Bereich der Verwaltung erkennen, daß die inneren Zustände des Landes durchaus nicht zufriedenstellend waren. So zählt ein Papyrus in Turin, der eine lange Anklageschrift gegen einen Priester von Elephantine enthält, eine lange Reihe von dessen Missetaten auf, die sich von der Zeit Ramses’ III. bis weit in die Regierungszeit Ramses’ V. hinein zutrugen. Die Tatsache, daß sein Treiben mehr als fünfzehn Jahre unbemerkt blieb, bezeugt die Schwäche der Verwaltung und der Rechtsprechung unter diesen Regierungen. Ein anderes Dokument, der sogenannte Wilbour Papyrus, einer der längsten Papyri, die uns aus dem alten Ägypten erhalten sind, ist das einzige Exemplar eines Typus, von dem Jahr für Jahr viele hergestellt worden sein müssen. Er berichtet über die Ergebnisse einer Landmessung und die Steuerveranlagungen in dem Landesteil, der sich vom Eingang der Oase Fayum bis nach el-Minja in Mittelägypten erstreckt. Der Text dieses in das vierte Jahr der Regierung Ramses’ V. datierten Papyrus bestätigt, daß ein großer Teil des Landes den Tempeln gehörte, besonders dem des Amun-Re in Theben. Die bedeutendsten Ämter innerhalb der Priesterschaft des Amun-Re waren in den Händen von Mitgliedern einer einzigen mächtigen Familie. Der Hohepriester während der Regierungen von Ramses IV. bis VI. hieß Ramessenachte; sein Vater war der höchste Steuerbeamte gewesen, und nun war sein Sohn nicht nur der höchste Steuerbeamte, sondern auch der Hausmeister des Gottes Amun für die Tempelgüter und der Verwalter eines großen Teils des königlichen Landbesitzes. Auf diese Weise war der Pharao finanziell in hohem Maß von dem Hohenpriester des Amun-Re abhängig. Es gibt Anzeichen für eine Fehde in der königlichen Familie. Ramses VI., von dem wir wissen, daß er ein Sohn Ramses’ III. war, sah mit Mißfallen auf die Regierungen seiner beiden Vorgänger. Auf einer Anzahl von Denkmälern ließ er seinen eigenen Namen anstelle des Namens Ramses’ IV. anbringen, und er usurpierte einfach das Grab Ramses’ V. Vielleicht setzte er sogar Ramses V. ab.
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Irgendwie in Verbindung damit mögen die Ereignisse stehen, die aus dem Jahr 1 eines ungenannten Königs berichtet werden: in Theben traf die Nachricht ein, daß ein feindliches Volk eine Stadt Pernebit erreicht, sie zerstört und ihre Einwohner verbrannt hätte. Infolgedessen wurde Polizei aus der Nachbarschaft in Theben zusammengezogen, um das Grab des Königs zu schützen. Die daran arbeitenden Männer wurden angewiesen, ihr Dorf nicht zu verlassen, bis die Gefahr vorüber wäre. Es liegt nahe, diese Feindseligkeiten mit der Übergangsperiode von Ramses V. zu Ramses VI. in Verbindung zu bringen. Aus anderen Anspielungen wird klar, daß der Sieg Ramses’ III. über die Libyer ihren Einfällen keineswegs ein Ende gesetzt hatte. Die Gegenwart von »Wüstenbewohnern«, manchmal genauer bezeichnet als Libu oder Maschwesch, wird immer wieder in der Gegend von Theben erwähnt. Das können nur streifende Horden von Libyern gewesen sein, und obgleich nie von Kämpfen die Rede ist, müssen sie doch für die Bevölkerung eine Quelle der Furcht gewesen sein. Die meisten dieser Einfälle fanden während der Regierung Ramses’ IX. und X. statt, bis sich die Eindringlinge schließlich in und um die Stadt Hnes, südlich des Fayum, ansiedelten, welche die Wiege der XXII. libyschen Dynastie wurde. Im 16. Jahr Ramses’ IX. entstand ein großer Skandal, als den Behörden Diebstähle in der thebanischen Totenstadt gemeldet wurden, oder besser, als die Behörden gezwungen wurden, die Diebstähle zu bemerken. Sie konnten nicht länger ihre Augen vor Ereignissen schließen, die sich in dem westlich des Nils liegenden Teil der Hauptstadt abspielten, wo sich ausgedehnte königliche und private Friedhöfe befanden. Mehrere ausführliche Berichte, voll von komplizierten Einzelheiten der Untersuchung, sind erhalten geblieben und geben interessante Auskünfte über das Leben und die Lage der unteren Klassen in Theben. Die ganze Affäre begann höchst seltsam. Das Theben jener Periode war in zwei Verwaltungsbezirke eingeteilt: die Stadt östlich des Flusses, Ne, welche die Tempel des Amun-Re und lokaler Gottheiten einschloß, und die Stadt westlich des Flusses, »Westseite von Ne« genannt, mit der Totenstadt, den königlichen Totentempeln und einer großen Zahl von Arbeitern, Handwerkern und niederer Geistlichkeit, die in den Tempeln und auf den Friedhöfen beschäftigt waren. Jede Flußseite wurde von einem Bürgermeister verwaltet, in dem oben genannten Jahr von Pesiur im Osten und Pwero im Westen. Die beiden waren eifersüchtig aufeinander, und es überrascht nicht, daß Pesiur zwei Schreiber aus der »Westseite von Ne« willkommen hieß, die in sein Arbeitszimmer kamen und von Diebstählen berichteten, die auf der anderen Flußseite begangen worden seien. Er war im Begriff, den Bericht an den Pharao weiterzuleiten, als Pwero ihm zuvorkam, der sich nun gezwungen gesehen hatte, selbst zu schreiben und auf dem Verwaltungsweg dem Wesir und zwei von des Königs Truchsessen zu berichten. Diese Würdenträger sandten sofort eine Kommission, die aus dem Schreiber des Wesirs, dem Schreiber des Schatzamtes des Pharao, Pwero selbst, einigen niedrigen Beamten und der Polizei bestand. Die Kommission untersuchte zehn königliche Gräber und fand alle unberührt
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außer einem, dem Grab und der Pyramide des Sebekemsaf, eines Königs der XVII. Dynastie. Man fand aber viele private Gräber, die aufgebrochen und von Dieben ausgeplündert waren. Ein Bericht wurde an den Wesir und die zwei Truchsesse des Königs geschickt, und eine Liste der Diebe, die man verhaftet und verhört hatte. Am nächsten Tag kamen der Wesir Chaemwese und Nesamun, einer der königlichen Truchsesse, um die Gräber der königlichen Damen im »Tal der Königinnen« zu untersuchen. Die Gräber waren unberührt, und der Kupferschmied, der wegen der Diebstähle angeklagt war, erwies sich als unschuldig. Nesamun und der Wesir sandten mehrere Arbeiter der Totenstadt nach Ne mit der Nachricht, daß das Ergebnis der Untersuchung befriedigend sei. Diese Leute demonstrierten vor dem Haus des Pesiur, der sich mit ihnen stritt: er wüßte von anderen Missetaten, die auf der anderen Seite des Flusses begangen worden wären, er würde es dem König melden. Als Pwero davon hörte, beklagte er sich schriftlich beim Wesir und bat um eine Untersuchung. Er bestand auch darauf, daß die Schreiber aus der Totenstadt nicht Pesiur, sondern direkt dem Wesir hätten berichten sollen, wie es üblich war. Der höhere Gerichtshof, der daraufhin in Theben tagte, entschied, daß Pesiurs Anklagen unbegründet waren, denn der Wesir, der an der Spitze des Gerichtshofs stand, erzählte von seiner Untersuchung der Gräber, die ihm von Pesiur bezeichnet waren, und berichtete, daß alle unberührt gefunden worden wären. Der Gerichtshof entließ auch den Kupferschmied, der des Diebstahls verdächtig gewesen war. Obgleich Pwero von dem Vorwurf der Nachlässigkeit freigesprochen wurde, konnte niemand leugnen, daß das Grab des Königs Sebekemsaf in der Tat ausgeraubt worden war, und der Dieb oder die Diebe mußten gefangen werden. Pwero gelang es, sie sofort zu entdecken und zu verhaften. Acht Männer waren in die Sache verwickelt, und die Aussage ihres Führers, des Steinmetzen Amenpnufe, vor dem Gericht ist uns auch erhalten. Sie gibt eine lebhafte Schilderung der Plünderung des Sebekemsaf-Grabes und des Grabes der Königin. Wir erfahren aber auch, daß dieses Ereignis schon drei Jahre zurücklag und daß Amenpnufe schon damals verhaftet, aber entlassen worden war, nachdem er einen Bezirksschreiber mit seinem Anteil an der Beute bestochen hatte. Ein Bericht des Verhörs wurde nun an den König gesandt, und die Diebe wurden Amenhotep, dem Hohenpriester des Amun-Re, zur Bestrafung übergeben. Amenhotep, dessen Name ständig in diesen Verhören vorkommt, war ein Sohn des Ramessenachte, dem er als Hoherpriester des Amun-Re nach einer kurzen Zwischenzeit, in der das Amt von seinem älteren Bruder, Nesamun, versehen wurde, folgte. In den Angelegenheiten Thebens hatte er entscheidend mitzureden, um so mehr, als der König die meiste Zeit in der Delta-Residenz lebte. Seit Ramessenachte hatte sich die Macht des Hohenpriesters ständig vergrößert. Als Ramses IX. im zehnten Jahr seiner Regierung dem Amenhotep eine reiche Gabe an Gold, Silber und Juwelen als Belohnung für das Gebäude,
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das der Hohepriester in des Königs Namen dem Amun-Re errichtet hatte, überwies, ließ Amenhotep die Szene der Geschenküberreichung als Relief an den Wänden des Tempels in Karnak einmeißeln. In der Wahl des Platzes für das Relief machte sich der Hohepriester das Vorrecht des Herrschers zu eigen, denn gewöhnlich war die einzige Person neben einem Gott, die auf Tempelwänden erscheinen durfte, der König. Nicht zufrieden damit, ließ sich Amenhotep in gleicher Größe wie den König darstellen, während die anderen Beamten, die der Zeremonie beiwohnten, nur halb so groß wie der König und der Hohepriester gezeigt werden. Die wachsende Macht Amenhoteps wurde etwa im 12. Jahr der Regierung Ramses’ XI. während des Krieges zwischen dem Hohenpriester und dem Vizekönig von Nubien, dem »Königssohn von Kusch«, Pinhasi, gebrochen. Wir können nur raten, was der Anlaß des Konfliktes war. Das zu jener Zeit völlig ägyptisierte Nubien hatte nicht nur deshalb große Bedeutung, weil es ein Gebiet war, durch das der gesamte Handel mit dem Sudan und den weiter südlich gelegenen Ländern gehen mußte, sondern auch deshalb, und das war noch wesentlicher, weil es große Mengen Gold aus seinen Goldbergwerken zwischen dem Nil und dem Roten Meer lieferte. Diese Bergwerke, die zwar in dem vom Vizekönig verwalteten Gebiet lagen, waren wenigstens theoretisch Jahrhunderte lang von den Hohenpriestern als »Goldländer des Amun« beansprucht worden. Es scheint, daß Amenhotep auf der Höhe seiner Macht Nubien und den Vizekönig seinem Befehl unterzuordnen versuchte und daß Pinhasi sich weigerte, diesen Wechsel anzuerkennen, und dem Hohenpriester nicht nur widerstand, sondern auch zum Angriff überging. Wir wissen nicht, auf welcher Seite die Sympathie Ramses’ XI. während des Krieges zwischen den beiden Würdenträgern lag; es ist vielleicht anzunehmen, daß er auf der Seite des energischen Vizekönigs stand, der es unternahm, die unbequeme Macht des Hohenpriesters einzuschränken. Wir hören nur ein schwaches Echo der Ereignisse in den Verhören von Räubern und Verdächtigen während eines neuen Grabräuberprozesses. Dieser fand etwa sieben oder acht Jahre später in Theben statt; wir erfahren, daß Pinhasi mit seinem nubischen Heer in Ägypten eingedrungen war. Seine Truppen erstürmten den befestigten Tempel von Medinet Habu, einem zu jener Zeit wichtigen Verwaltungsmittelpunkt des thebanischen Bezirks. Im 12. Jahr Ramses’ XI. hatte Pinhasi Theben in seiner Gewalt und bereitete sich vor, dort zu bleiben, denn er begann, seinen ausländischen Soldaten Land zuzuteilen. Amenhotep mußte nach Norden fliehen. Er wurde von Pinhasi verfolgt, dessen Truppen sogar die Stadt Hardai (Kynopolis) weit nördlich in Mittelägypten durch Feuer zerstörten. Nach diesem inneren Krieg hört man nichts mehr von Amenhotep. Wahrscheinlich starb er in dem Konflikt oder wurde getötet. Sein Nachfolger war Herihor, ein hoher Offizier des Heeres. Pinhasi kehrte in seine Provinz zurück, und im Jahr 17 schrieb ihm der König, empfahl ihm seinen Truchseß Jenes, der mit einem Auftrag ausgesandt war, und bat um Zusammenarbeit
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zwischen den beiden Männern. Aber zwei Jahre später wurde Pinhasi als Feind und sein früherer Krieg gegen Amenhotep als feindlicher Einfall bezeichnet. Ein neuer Krieg, dieses Mal zwischen Herihor und Pinhasi, hatte schon begonnen. Der Oberbefehl über das ägyptische Heer wurde Pianch anvertraut, Herihors Sohn, dem es gelang, Pinhasi daran zu hindern, in ägyptisches Gebiet einzudringen. Er war aber nicht imstande, Pinhasi abzusetzen, obgleich vorübergehende Einfälle in seine Provinz stattgefunden haben mögen. Nubien war von nun an für Ägypten als Provinz verloren. Herihors Ansprüche begannen, wo die Amenhoteps aufgehört hatten. Auf den Wänden des Chonstempels in Karnak, dem während Herihors Amtszeit eine überdachte Säulenhalle und ein Vorhof zugefügt wurden, ist Herihor in verschiedenen priesterlichen Amtshandlungen dargestellt, zuerst im selben Maßstab wie Ramses XI. und an seiner Seite; aber später (im Vorhof) allein. Da er sich schon vorher das Amt des Wesirs angemaßt hatte oder dazu ernannt worden war, hatte er auch die Zivilverwaltung in Händen. Wenn er am Ende königliche Titel benutzte und sich fünf Namen anmaßte, von denen zwei in Kartuschen eingeschlossen waren, tat er nichts anderes, als die Tatsache offen zu verkünden, daß er Herrscher von Theben war. Seinen Anspruch auf das Königtum begründete er offenbar damit, daß er Hoherpriester des Amun-Re war, denn er gab diesen Titel niemals auf. In einer Kartusche ist er als königlicher Vorname eingesetzt. Es muß jedoch betont werden, daß dieser Anspruch auf das Königtum nur auf den Wänden des Chonstempels vorkommt, nirgends sonst wird Herihor als König bezeichnet. Obgleich es in Tanis einen anderen Mann gab, der große Macht über das Delta hatte, nämlich Nesbanebded, blieb doch der wahrscheinlich in Memphis residierende Ramses XL nominell der Pharao. Es stimmt jedoch, daß Herihor in Theben eine neue Ära einführte, die »Wiederholung der Geburt«; dieser alte Ausdruck bedeutet ungefähr »Zunehmen des Wohlstands«, und die Jahre wurden danach datiert. Diese Sitte hörte auf, als Herihor starb. Ramses XI. regierte noch einige Zeit weiter, während der Priesterstaat des Hohenpriesters ebenfalls weiterbestand, ohne daß Herihors Nachfolger Pianch jemals Anspruch auf das formale Königtum erhob. Die große Stärke des thebanischen Priesterstaates lag allein in seiner religiösen Tradition. Er war der Mittelpunkt des Kultes des obersten Gottes Amun-Re und der Sitz seines Hohenpriesters. Wirtschaftlich war dieser Staat im Staat schwach, denn er hatte seine reiche Provinz Nubien verloren und war durch den übrigen Teil des Landes und besonders durch das Delta vom Mittelmeer und vom Außenhandel abgeschnitten. Die wahre Lage wird in dem Bericht Wen-Amuns lebhaft geschildert, einem Gesandten, den Herihor nach Byblos schickte, um Holz für die heilige Barke des Amun-Re zu kaufen. Wen-Amuns Geld wurde auf dem Weg gestohlen. Als er in Byblos ankam, versuchte er deshalb vergeblich, Holz ohne Bezahlung zu erhalten. Der König von Byblos gab gern zu, daß Amun ein mächtiger Gott und Ägypten der Mittelpunkt der Kultur sei, aber trotzdem
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mußte Wem-Amun einen Boten nach Ägypten schicken, um Geld von Nesbanebded von Tanis zu borgen. Er erhielt sein Holz erst, als das Geld ankam. Aus diesem Bericht wird klar, daß von ägyptischer Herrschaft und Ansehen in Palästina und Syrien nicht mehr die Rede war. Die vorteilhafte Lage des Deltas ermöglichte es Nesbanebded, einen lebhaften Handel mit den früher zu Ägypten gehörenden Ländern zu treiben. Als Ramses XL starb und als letzter König im »Tal der Könige« begraben wurde, war es nicht der Hohepriester von Theben, sondern Nesbanebded, der Pharao wurde. Er war der Gründer der tanitischen XXI. Dynastie.
Chronologische Übersicht über die Herrscher der XIX. und XX. Dynastie XIX. Dynastie (1309–1194) Ramses I.1309–1308 Sethos I.1308–1290 Ramses II.1290–1224 Merenptah1224–1214 Sethos II.1214–1208 Amenmesses1214–1208 Ramses-Siptah1208–1202 Twosre1202–1194 XX. Dynastie (1184–1080) Setnachte1184–1182 Ramses III.1182–1151 Ramses IV.1151–1145 Ramses V.1145–1141 Ramses VI.1141–1134 Ramses VII.1134–1127 Ramses VIII.1134–1127 Ramses IX.1127–1110 Ramses X.1110–1107 Ramses XI.1107–1080 5. Die ägäische Welt I. Einleitung Die ägäische Welt erweckt einen Eindruck von Einheitlichkeit. Das Ägäische Meer war schon in der Jungsteinzeit und zunehmend in der Bronzezeit und in
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den besser bekannten frühen geschichtlichen Epochen ein Reiseweg für Menschen und Ideen. Im Laufe der Zeit wurde das ganze Gebiet – das griechische Festland, die Inseln, darunter Kreta und Zypern, und die Westküste Kleinasiens – griechisch in seiner Kultur und entwickelte sich in Richtung auf politische Verbindungen und einen Zusammenschluß, der sich schließlich unter der Herrschaft des Römerreichs vollendete. In dem gesamten Gebiet sind das Klima, die Landschaftsformen, die Nutzbarkeit und damit die materielle Lebenshaltung weitgehend ähnlich. In dem Jahrtausend, mit dem sich dieses Kapitel hauptsächlich befaßt, bestehen jedoch große Unterschiede, die man nicht leichthin durch Verallgemeinerungen über die ägäische Welt verschleiern darf. So hatten Kreta und das griechische Festland eine ganz verschiedene Vorgeschichte, bis die beiden Kulturen um 1600 v. Chr. in besonders intensive Berührung kamen. Gleiches gilt für das griechische Festland im Verhältnis zur kleinasiatischen Küste, und auf der letzteren ist noch auf den Sonderfall hinzuweisen, den Troia bildet. Diese Stadt scheint außerhalb der hethitischen Einflußsphäre geblieben und völlig eigene Wege gegangen zu sein. Auf dem griechischen Festland begann die Bronzezeit um 3000 v. Chr. oder wenig später, nicht als Folge selbständiger Erfindungen, sondern unter dem Einfluß technischer und handwerklicher Entwicklungen östlich der Ägäis. Ob hierbei bedeutende Verschiebungen in der Bevölkerung eine Rolle spielten, ist noch ungewiß und umstritten. Jedenfalls liegen vor der ersten Verwendung des Metalls mehr als 3000 Jahre Besiedlung und Wachstum. In Nea Nikomedeia in Makedonien haben 1961 begonnene Ausgrabungen eine Siedlung aufgedeckt, in der Weizen, Gerste, Linsen und Erbsen angebaut, Schafe, Schweine, Ziegen und Rinder gehalten, Keramik von vier verschiedenen Stilen hergestellt und Körbe geflochten wurden, all dies vor 6000 v. Chr. (das Datum ist durch den 14C-Test gesichert). In Nea Nikomedeia sind noch keine Spuren einer vorkeramischen Phase gefunden worden, im Gegensatz zu Sesklo in Thessalien, einer Siedlung, die vielleicht 500 Jahre später zu datieren ist. Diese eine Divergenz zeigt hinlänglich, daß man die Frühgeschichte des griechischen Festlands (und um so mehr die des ganzen ägäischen Raums) als einen aus vielen örtlich verschiedenen Kulturen zusammengesetzten Komplex auffassen muß, ein Umstand, für den jede neue Ausgrabung weitere Beweise liefert.
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Abb. 20: Die ägäische Welt
Die Jahrtausende, die zwischen Nea Nikomedeia und der frühen Bronzezeit liegen, waren von vielfältigem Wachstum und Fortschritt erfüllt, die in der vermehrten Differenzierung der Ernährung und der Vervollkommnung und Spezialisierung von Waffen, Werkzeug, Keramik, Verkehr und Architektur am meisten sichtbar sind. Die Bevölkerung scheint sich, zumindest gegen Ende der Epoche, erheblich vermehrt zu haben. Es ist nicht leicht genau zu bestimmen, was die Einführung des Metalls am Anfang im einzelnen für Folgen hatte. Werkzeug und Waffen aus Metall blieben lange Zeit Seltenheiten und tauchten auch nicht überall zur gleichen Zeit auf. Stein, Knochen und Holz blieben weiterhin das Hauptarbeitsmaterial. Wenn das Metall stärkere gesellschaftliche und politische Auswirkungen hatte, so bleiben sie für uns dunkel. Das ergibt sich zwangsläufig aus der Natur der Zeugnisse, die uns erhalten sind. Auf dem griechischen Festland tauchte eine neue Siedlungsform auf: Es waren »Städte« (im Gegensatz zu »Dörfern«), in denen die Häuser in dichter Formation, bevorzugt auf Hügeln oder niederen Anhöhen in der Nähe des Meeres oder von Seen im Landesinneren gruppiert waren. Zwischen dieser neuen Siedlungsform und der ersten Verwendung des neuen, noch seltenen Rohstoffs Metall gibt es jedoch keinen augenfällig logischen Zusammenhang. Man ist natürlich versucht, Rückschlüsse aus den mehr oder weniger gleichzeitigen Entwicklungen in Ägypten und Mesopotamien zu ziehen. Dieser Versuchung muß man aber energisch Widerstand leisten. Ein flüchtiger Blick auf die Ausgrabungsfunde zeigt schon, in welchem Ausmaß und mit welcher Geschwindigkeit die Kulturen im Nahen Osten die des ägäischen Raums
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überflügelten, sowohl in der Größe der einzelnen Gemeinwesen und ihrer Bauten als auch wenig später im Umfang der Machtsphäre, die ein einzelner Staat in seinem Umkreis erlangen konnte. Hiervon machte nicht einmal Troia eine wirkliche Ausnahme. Man muß bis zu den großen kretischen Palästen nach 2000 v. Chr. heruntergehen, bis man in der ägäischen Welt auf Spuren tatsächlich kolossaler Anlagen stößt. Den weitaus wichtigsten Unterschiedsfaktor bildet aber das völlige Fehlen der Schrift, mit allem, was sich daraus ergibt. Selbst als etwa 1000 Jahre nach der Erfindung der Keilschrift und der ägyptischen Hieroglyphen eine Schrift auftauchte, war ihre Verbreitung schwerfällig und sehr unvollständig (sie gelangte zum Beispiel nie bis nach Troia), und ihre Anwendungsmöglichkeiten waren eng begrenzt. Die Folgen dieses Analphabetentums, sei es vollständig oder partiell, sind weder für die des Schreibens unkundige Gesellschaft selbst noch für diejenigen zu unterschätzen, die heute ihre Geschichte schreiben. Man kann die wenigen uns bekannten »Ereignisse« in der Vorgeschichte der ägäischen Welt an den Fingern abzählen. Die Nachrichten, die wir von ihnen haben, sind Mythen und Traditionen aus sehr viel späterer Zeit, deren Ausdeutung, wie wir noch sehen werden, selbst im günstigsten Fall noch sehr problematisch ist. Die Ausgrabungen zeugen von Katastrophen, die hier und da stattgefunden haben, aber der Archäologe kann weder über die näheren Umstände Auskunft geben, noch sagen, wer in solche Umwälzungen verwickelt war, selbst wenn man in einigen wichtigen Fällen weitreichende Schlüsse von größerer Wahrscheinlichkeit ziehen kann. Über Einzelpersönlichkeiten wissen wir absolut nichts, nicht nur wegen der Beschaffenheit der wenigen schriftlichen Zeugnisse, sondern auch wegen des ganz erstaunlichen Fehlens von Monumenten, die uns als Dokumentation dienen könnten. Es gibt keine individualisierten Statuen oder Wandmalereien, weder in Palästen noch in Gräbern, nichts, was sich in irgendeiner Weise mit den allgegenwärtigen Göttern, Herrschern, Adligen, Kriegern und Schreibern im Nahen Osten vergleichen ließe. Die Herrscher von Knossos, Mykene und Troia unterließen es, ihre Erinnerung zu verewigen; so kann man an Minos, Agamemnon oder Priamos glauben, wenn man will, aber niemand hat sie in irgendeiner Form bei einer Ausgrabung gefunden, sei es auch nur als Namen auf einer Steinplatte oder einem Siegel. Das Ergebnis all dieser negativen Feststellungen ist unter anderem große Enttäuschung und Unsicherheit über die Chronologie. Man kennt in der ägäischen Welt nicht einen einzigen datierten Gegenstand, der nicht importiert wäre, und selbst deren gibt es nur wenige. Alle Daten sind »archäologisch«, das heißt, sie sind aus der Folge verschiedener keramischer Stile und aus der Schichtung innerhalb der Ruinen an den einzelnen Fundorten errechnet. Dabei werden die Angelpunkte durch Synchronismen mit einigen wenigen, von außerhalb der ägäischen Welt bekannten Daten geliefert. Schematisch gesprochen, besteht diese Methode grundsätzlich darin, eine Anzahl von Keramikstilen (z.B. das sogenannte Mykenisch 3 A, B und C) über
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einen Zeitraum zu verteilen, der durch die Stratigraphie (Auswertung der Schichten) gegeben ist. Eine Kontrollmöglichkeit liefert die gleichzeitige Entwicklung der Bauten. Die bedenklichste und unvermeidliche Schwäche dieses Systems liegt in der Unmöglichkeit, das zeitliche Verhältnis von Dauer und Wechsel in Stilen oder Schichtung hinreichend genau zu bestimmen. Man muß ständig einen Spielraum für Irrtümer miteinrechnen, und wenn auch eine Verschiebung von etwa einem Jahrhundert bei der Betrachtung eines ganzen Jahrtausends oder mehr geringfügig erscheinen mag, so bedeuten 100 Jahre doch drei ganze Generationen von Menschen. Eine Fehlerbreite von dieser Größenordnung kann daher zu sehr falschen Vorstellungen über Wachstum, Veränderungen oder die Bewegung von Völkern führen, und die Unsicherheit wächst noch, sobald man zwei oder mehr Kulturen zueinander in Beziehung bringt. Es ist lehrreich, daß die seit 1960 mit großer Heftigkeit geführte Debatte über die Zerstörung von Knossos (die Meinungen über das Datum gehen um 200 bis 250 Jahre auseinander) bis heute zu keinem überzeugenden Abschluß gekommen ist, weil es einfach keine Kriterien gibt, die genügend sicher oder beweiskräftig wären. Man hat aus Knossos für die fragliche Zeit keine 14C-Daten gewinnen können, aber selbst dieser Test ergäbe, wenn man ihn anwenden könnte, kein genaueres Datum als mit einem Spielraum von ± 65 bis 75 Jahren. Deshalb überschreiten Archäologen, wenn sie Daten wie 1425 oder 1270 v. Chr. angeben, die Grenzen vernünftiger historischer Aussagen und umgeben ihre Schätzungen mit einem trügerischen Schein von Gewißheit. Wenn man sich der Begrenzungen einmal bewußt ist, sind geschätzte Daten nützlich und sogar unentbehrlich. Die Tabelle auf S. 299 gibt chronologische Entsprechungen für das griechische Festland, Kreta und Troia. Das Schema erhebt keinen größeren Anspruch als den, daß viele Archäologen es beim heutigen Stand unseres Wissens für annehmbar ansehen würden. Nach einer harmlosen Konvention nennt man die »Perioden« auf dem griechischen Festland Helladisch, in Kreta Minoisch und auf den mittleren Inseln in der Ägäis Kykladisch. Eine weitere, methodisch weit bedenklichere Konvention teilt die Perioden triadisch in eine frühe, mittlere und späte Zeit auf, deren jede noch in 1, 2 und 3 untergliedert ist. Das Schema mag ästhetische Vorzüge haben, aber die Entwicklung im helladischen, minoischen und kykladischen Bereich verläuft ungleichmäßig schnell, und die Aufteilung wird durch die Fundorte ungenügend gerechtfertigt. Vielmehr hat sie zu wahrhaft prokrusteischen Methoden geführt, mit denen das wachsende und widerstrebende Material in einen Rahmen gezwängt wird, der in den Gründer jähren der ägäischen Archäologie geschaffen wurde. Vorzuziehen ist die Methode, die bei den Ausgrabungen in Troia und andernorts angewandt wurde. Man numerierte dort die Schichten, bei der ältesten mit I beginnend, nach ihrer Reihenfolge. Zeittafel
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v. Chr.GriechischesKnossosTroia Festland 3000I –FH 1 – – – 2500FM 1II –FM 2 – –FH 3III –FM 3 2000MM 1IV –MH 1V –MM 2VI –MM 3 –SH 1SM 1 1500SH 2SM 2 –SH 3 ASM 3 –SH 3 BVII a 1200SH 3 CVII b III. Die »Ankunft der Griechen« Für den vorliegenden Beitrag zeigt sich die Schwäche der herkömmlichen und übermäßig symmetrisch angelegten Periodeneinteilung am deutlichsten gegen Beginn des 2. Jahrtausends. An vielen Fundorten ist zwischen Frühhelladisch (FH) und Mittelhelladisch (MH) kein entscheidender Bruch nachzuweisen, zumindest nichts, was sich mit dem viel verbreiteteren und sehr augenfälligen Bruch zwischen FH 2 und FH 3 vergleichen ließe. Zu einem Zeitpunkt, den die Sachverständigen auf etwa 2200 v. Chr. datieren, kann man an einer Reihe von größeren Fundorten in der Argolis (Lerna, Tiryns, Asine, Zyguries) und wahrscheinlich auch Korinth eine mehr oder weniger vollständige Zerstörung beobachten; auch Attika und die Kykladen scheinen betroffen gewesen zu sein. Wie viel ausgedehnter die Zerstörung auf dem Festland gewesen ist, ist zur Zeit noch unbekannt. Sie war mit Sicherheit nicht allumfassend. Es zeigt sich aber eine auffällige Parallele jenseits der Ägäis in Kleinasien. Etwa gleichzeitig ereigneten sich dort nämlich Katastrophen in Troia II und vielleicht auch weiter südlich in Beycesultan nahe am Oberlauf des Mäander.
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Abb. 21: Griechenland in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
Das Wort »Bruch« ist hier im wörtlichsten Sinn zu verstehen. Die archäologischen Zeugnisse melden Wechsel und Veränderungen jeder Art, aber nicht oft etwas so Einschneidendes und Unvorhergesehenes, wie es sich zu diesem Zeitpunkt ereignet zu haben scheint. Auf dem griechischen Festland geschah etwas Vergleichbares erst wieder gegen Ende der Bronzezeit 1000 Jahre später (und nicht etwa beim Übergang von MH nach SH). Zentren, die für ihre Zeit reich und mächtig waren und eine lange, stabile und gleichmäßige Entwicklung hinter sich hatten, brachen buchstäblich zusammen, und was folgte, unterschied sich unverkennbar in der Größenordnung wie in der Qualität. Die Archäologie kann im allgemeinen weder Völker mit Namen nennen noch über die Einzelheiten eines Umsturzes Auskunft geben. Bei den hier zusammentreffenden Ereignissen ist aber die Frage legitim: Besteht nicht ein direkter Zusammenhang mit der gleichzeitigen Ankunft von Völkern, die Griechisch (oder was später zu Griechisch wurde) sprachen, auf der einen, und von Völkern mit anderen, untereinander verwandten indo-europäischen Sprachen (Hethitisch, Luwisch, Palaisch) auf der anderen, östlichen Seite der Ägäis? Es ist verständlich, daß man zögert, die Frage in dieser unvermittelten Form zu stellen. Die Verwechslung von Rasse und Sprache hat ein Jahrhundert lang im Studium der Vorgeschichte wie der Geschichte ihr Unwesen getrieben. Die
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ernsthafte Forschung hat sich nun endlich von der romantischen (oder schlimmeren) Vorstellung eines »indo-europäischen Volkes« getrennt, das mit seinen typischen Charaktereigenschaften, Sitten und Einrichtungen über das Land herfiel und die Kulturen, die es vorfand, durch eine aus seinem hypothetischen Ursprungsland mitgebrachte Lebensform ersetzte. Weder in Griechenland noch in Kleinasien gibt es Zeugnisse, daß derlei vorgefallen wäre. Die große hethitische Machtausdehnung und Kultur der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends, von der wir in beträchtlichem Umfang Dokumente besitzen, und die vermutlich einheitliche Kultur weiter Teile des griechischen Festlands in der späthelladischen Periode (besonders der mykenischen, SH 3) sind fast mit Sicherheit die Ergebnisse von Entwicklungen, die sich in Kleinasien und Griechenland selbst abspielten, und nicht etwas vorher Bestehendes, das durch eine einzige Welle einwandernder Eroberer hätte eingeführt werden können. Wenn man dies festgestellt hat, bleibt jedoch ein klarer Bestand an Tatsachen, die noch gedeutet werden müssen. Es kam eine Zeit, in der das griechische Festland und die Inseln sprachlich eine völlige Einheit bildeten. Abweichungen bestehen in Dialektverschiedenheiten, die sich relativ spät entwickelten und leicht zu erklären sind. Die griechische Sprache gehört zur indo-europäischen Sprachfamilie, die selbst im Altertum von der Atlantikküste bis nach Armenien und Nordindien gesprochen wurde. Es gibt hinreichend Beweise, daß diese Sprachen im ägäischen Raum nicht immer heimisch waren, zumindest, daß sie innerhalb ihres Sprachgebiets während der ganzen Bronzezeit und zum Teil bis weit in die geschichtliche Periode hinein Rivalen hatten. Man entgeht schließlich nicht der Folgerung, daß hier Ortsveränderungen von Völkern eine Rolle spielten, d.h., nicht eine Wanderung, sondern mehrere, die von verschiedenen Zentren ausgingen und in verschiedene Richtungen vorgestoßen sind. Nichts erklärt sonst z.B. innerhalb der indo-europäischen Sprachfamilie die enge Verwandtschaft zwischen Sanskrit und Litauisch. Die Ausnahme, die wir hier vorschlagen, ist die, daß die ausgedehnten Zerstörungen in Griechenland, in Troia und möglicherweise an andern Orten in Kleinasien vor dem Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. auf eine Völkerbewegung der eben angedeuteten Art zurückgehen.1 Es gibt vorerst keine Möglichkeit, diese Annahme zu beweisen. Die archäologischen Zeugnisse werfen oft kein direktes Licht auf die Sprach- oder Dialektgeschichte oder selbst auf Wanderungen, die aus anderen Quellen oder sicheren Rückschlüssen bekannt sind. So gibt es keine unbezweifelbare archäologische Spur der Dorer, weder auf ihrer Wanderung noch eigentlich nach ihrer Ankunft auf dem griechischen Festland. Ebenso hat man, um ein viel späteres Beispiel anzuführen, die Hunnen in der Archäologie Zentraleuropas nicht deutlich nachweisen können. Wie aber an dem Verwüstungszug der Hunnen nach Europa keine historischen Zweifel bestehen können, so ist augenscheinlich, daß jemand den dorischen Dialekt eingeführt haben muß. Unsere Schwierigkeiten wachsen durch den Umstand, daß man über die Sprachentwicklung nach einer Eroberung keine allgemeinen
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Aussagen machen kann. Die Normannen haben trotz der Vollständigkeit ihrer Eroberung und darauffolgenden Herrschaft ihre Sprache auf den britischen Inseln nicht allgemein einführen können, dagegen hat sich das Ungarische, das zu den finnisch-ugrischen Sprachen gehört, bis heute als Sprachinsel in einer indo-europäischen Umgebung gehalten. Man muß deshalb näher bestimmen, was die Annahme, daß indo-europäisch sprechende Völker kurz vor 2000 v. Chr. in den ägäischen Raum eingewandert seien, bedeutet, und was nicht. Zunächst sind alle sich ergebenden Vorstellungen von »Rasse« (und synonymen Ausdrücken) energisch zu vermeiden. Es ist Unsinn, sich vorzustellen, die Einwanderer seien schon »Griechen« gewesen, die zu Sappho und Perikles über 1500 Jahre später in geheimnisvollen verwandtschaftlichen Beziehungen standen. Man braucht nicht einmal anzunehmen, daß sie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft Griechisch sprachen, das wir als solches erkannt hätten. Eher entwickelte sich die uns als Griechisch bekannte Sprache endgültig in Griechenland selbst, indem sich das Idiom der Neuankömmlinge unter dem Einfluß der Sprache der älteren, auf der Halbinsel ansässigen Bevölkerung veränderte. Griechisch in unserem Sinn sprach man spätestens, wie die Linear B-Tafeln zeigen, in der mykenischen Periode. Zu dieser Zeit scheinen zwei oder vielleicht drei eng verwandte griechische Dialekte auf der ganzen Halbinsel verbreitet gewesen zu sein, ausgenommen die isolierten Berggegenden im Nordwesten, wo sich der dorische Dialekt entwickelte. Die Dialektverteilung, wie sie in der klassischen Zeit gegliedert ist (in Ionisch, Äolisch, Dorisch mit Varianten und Unterkategorien wie Attisch), muß dann der Periode nach dem Zusammenbruch der mykenischen Welt, d.h. nach 1200 v. Chr., zugeschrieben werden. Ein solches Bild der Sprachentwicklung vermeidet die Notwendigkeit, eine Reihe von Einwandererwellen anzunehmen, deren jede einen verschiedenen griechischen Dialekt sprach, wie man verbreitet und naiv formuliert hat. Dabei schließt es die Möglichkeit weiterer Einwanderungen (z.B. von jenseits der Ägäis) nach 2200 oder 2100 nicht aus, muß sie aber wenigstens für die Geschichte der Sprache nicht postulieren. Wir stoßen hier auf ein Problem, das bei der Interpretation archäologischer Funde immer wieder Schwierigkeiten bereitet hat. Es ist überall deutlich, daß wichtige neue kulturelle Errungenschaften und Anregungen während des 2. Jahrtausends ständig nach Griechenland gelangten. Aber wie wurden sie eingeführt, durch Kaufleute, durch reisende Handwerker oder durch erobernde Einwanderer? Die letzte Erklärung ist naheliegend – zu naheliegend. Man denke an die sogenannte minyische Ware, radgefertigte Keramik von einem charakteristischen Stil und mit einer speckigen Oberfläche. Ihre Vorbilder scheinen Metallgefäße gewesen zu sein. Die minyische Ware war auf dem griechischen Festland, auf den Inseln und in Teilen Kleinasiens seit etwa 1900, das heißt seit Beginn von MH 1, außerordentlich weit verbreitet. Viele Gelehrte halten sie für das bezeichnende Merkmal einer neuen Kultur, welche Einwanderer, oft mit den Griechen identifiziert, mitgebracht haben sollen. Man
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hat aber in Lerna und auch andernorts radgefertigte Keramik aus der Periode FH 3 gefunden, die sich von der minyischen in keiner wesentlichen Hinsicht unterscheidet, außer daß sie früher und primitiver ist. Es besteht also keine Notwendigkeit, die große Beliebtheit der minyischen Ware ab etwa 1900 einer Einwanderung zuzuschreiben, so wenig wie man viel später bei der enormen Menge attischer Keramik aus dem folgenden Jahrtausend, die in etruskischen Gräbern gefunden worden ist, an ähnliches denken würde. Zu Beginn der mittelhelladischen Periode tauchte weit verbreitet eine neue Art der Totenbestattung auf. Man grub flache, kastenförmige Gräber (sogenannte Kistengräber), die manchmal mit Stein ausgemauert waren und einen Bodenbelag von Kieseln hatten. Jedes enthielt einen einzigen Leichnam und war mit einer Steinplatte verschlossen. Die Gräber waren anfangs meist so klein, daß die Leichen mit angezogenen Beinen (in sogenannter liegender Hockerstellung) hineingelegt und keine Grabbeigaben mitgegeben wurden; später wurden sie größer und reicher ausgestattet. Hieran war nichts neu (diese Sitte war schon Jahrhunderte vorher auf den Kykladen verbreitet), neu war vielmehr die Angewohnheit, die Kistengräber von Kindern, gelegentlich auch von Erwachsenen, innerhalb des Hauses, unter dem Fußboden oder hinter Wänden, anzulegen. Das deutet auf eine neue Anschauung, aber muß man es auf Einwanderer zurückführen? Die Einwanderer hätten außerordentlich zahlreich sein und in einem Zug das ganze Land erobern müssen, um einen neuen Bestattungsritus so schnell einzubürgern, und es ist merkwürdig, daß für Erwachsenengräber Friedhöfe außerhalb der Siedlungen die Regel blieben. In Wirklichkeit gab es im ägäischen Raum während der gesamten Bronzezeit, ebenso wie in historischer Zeit, eine verwirrende Vielfalt von Bestattungsbräuchen, die nach Ort und Zeit verschieden waren und oft auch im gleichen Gemeinwesen lange nebeneinander fortbestanden. Die Leichname wurden einzeln oder gruppenweise in Familiengräbern und in Behältern verschiedener Art bestattet; man grub sie manchmal nach der Verwesung wieder aus und begrub die Knochen neu; schließlich kam später zur Bestattung die Verbrennung hinzu. Die Anschauungen, die zu solchen Verschiedenheiten und zu den vielen Veränderungen in bestehenden Bräuchen führten, sind uns meistens nicht greifbar. Sicher ist nur, daß die Mehrzahl der Veränderungen ohne den Einfluß von Einwanderern stattfand. Die Einführung einer Bestattung innerhalb des Hauses ist in sich kein Grund, hiervon eine Ausnahme zu postulieren. Die Ägäis war zu allen Zeiten ein Reiseweg für Ideen, technische Fertigkeiten und Institutionen, zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. wie auch sonst. Es ist eine merkwürdige Gewohnheit, dem Volk, das man gerade betrachtet, stets jede Originalität abzusprechen: Alle Neuerungen kommen immer von außen. Dabei ist selbst Originalität nie Schöpfung aus dem Nichts, sie wird dadurch nicht weniger wertvoll und folgenreich, daß sie von Ideen ausgeht, die von außen gekommen sind. Wenn die Argolis, wie es den Anschein hat, gegen 2200 v. Chr.
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im Mittelpunkt einer Zerstörung weiter Gebiete durch Einwanderer stand, so ergibt sich die Folgerung, daß diese gut bewässerte und fruchtbare Landschaft zum Ausgangspunkt für Wachstum und Ausbreitung der Kultur der Perioden FH 3 und MH wurde, aus der sich ihrerseits die späthelladische oder mykenische Zivilisation entwickelte. Damit gewinnt man ein Bild, das von der romantischen Vorstellung einer Eroberung, die Griechenland ganz oder zu großen Teilen mit einem gewaltigen Schwung überrollt hätte, weit entfernt ist. Mit andern Worten: die »Ankunft der Griechen« bedeutet die Zuwanderung einer neuen Bevölkerungsgruppe, die sich mit ihren Vorgängern verband und mit ihnen langsam eine neue Zivilisation schuf, die sie ausbreitete, wo und wie es ihr möglich war. Die Zerstörung von Machtzentren wie des stark befestigten Lerna bedeutet nicht notwendig, daß ihre Bewohner sämtlich ums Leben kamen, auch nicht, daß das Hinterland vergleichbare Verwüstungen erlitt. Manche Orte wurden für mehr oder weniger lange Zeit als Wohnstätten aufgegeben, andere nicht. Außerdem beschränkte sich die Besiedlung in der griechischen Bronzezeit nicht auf befestigte Städte wie Lerna in der Periode FH 2 oder Mykene während der späthelladischen Zeit. Aus dem Umstand, daß die Zahl der ausgegrabenen Orte noch immer einen winzigen Bruchteil der wirklich vorhandenen ausmacht und daß die Archäologen ihre begrenzte Zeit natürlich auf die Orte zu verwenden suchen, die am ergiebigsten zu sein versprechen, ergibt sich eine Illusion von Monumentalität. In diesem Zusammenhang ist es eine ernüchternde Erfahrung, eine kürzlich veröffentlichte Liste der Orte durchzulesen, die uns jetzt im Südwesten der Peloponnes aus jener Zeit bekannt sind. Auf diesem engen Raum, der durch den Fluß Alpheios, das Taygetosgebirge, den Messenischen Golf und das Ionische Meer begrenzt wird, ist die Zahl der späthelladischen Siedlungen vielleicht nicht kleiner als 116, die der frühhelladischen vielleicht nicht weniger als 51, dies nach den gegenwärtig bekannten und sicher nicht vollständigen Zeugnissen. Der größte Teil waren kleine Dörfer, von denen viele gegen Ende der Bronzezeit für alle Zeiten verlassen wurden.2 Diese Zahlen spiegeln sowohl die »innere Kolonisierung« Griechenlands von verschiedenen Zentren aus als auch ein gleichmäßiges Anwachsen der absoluten Bevölkerungsziffern. Ein Versuch, in einer solchen Entwicklung die Einwanderer von der früheren Bevölkerung abzusondern, wäre sinnlos, selbst wenn er durchführbar wäre, was er nicht ist. Ähnlich verhielte es sich mit dem Versuch einer Bestimmung ihrer jeweiligen Beiträge zu dem sich neu entwickelnden Kulturkomplex, zu dem letzten Endes alle Teile auf irgendeine Weise beitrugen, sogar Völker von außerhalb des griechischen Festlandes, aus Kreta, den Kykladen und Kleinasien. Über die neue Kultur kann man leider vor der unvermittelt auftretenden Machtfülle und luxuriösen Wohlhabenheit, die sich in den vor 1600 v. Chr. in Mykene beginnenden Schachtgräbern zeigt, wenig sagen. Für fünf- oder sechshundert Jahre, vom Anfang von FH 3 bis zum Ende der mittelhelladischen Phase, zeugen die materiellen Reste ohne Ausnahme nur von so dauerhafter
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Armut, daß wir durch nichts auf das unmittelbar folgende große Zeitalter vorbereitet werden. Natürlich kann die Archäologie, wie überall da, wo keine Schrift vorhanden ist, keinen Aufschluß über die Entwicklung im gesellschaftlichen Aufbau und in den Anschauungen geben, auf die die mykenische Zivilisation später sicherlich aufgebaut hat. Nur die Ausbreitung der Besiedlung und das daraus zu schließende Anwachsen der Bevölkerung geben Anzeichen dafür, daß etwas von Bedeutung vorging. Die Dörfer (denn selbst Lerna verdient in dieser Zeit kaum einen andern Namen) waren in ihrer allgemeinen Erscheinung einheitlich, sie waren unbefestigt und unordentlich und lagen meist auf Hügeln oder niedrigen Anhöhen; wirklich große Gebäude oder gar kolossale Architektur fehlten. Man kann schwerlich annehmen, daß solche Ortschaften mehr beherrschten als das eigene Ackerland im nächsten Umkreis. Dennoch gab es, soweit man aus den Keramikfunden sehen kann, schon in der Periode FH 3 einigen Kontakt zwischen der Argolis und den Inseln Ithaka und Leukas im Westen, vielleicht sogar mit den Liparischen Inseln nördlich von Sizilien.3 Diese Inseln bildeten eine wichtige Quelle für hochwertigen Stein, wie er weiterhin viel für Werkzeuge verwandt wurde. Werkzeug und Waffen aus Metall waren höchst ärmlich, letztere überhaupt sehr selten. Die wichtigste Einzeltatsache, die sich aus den archäologischen Funden ergibt, ist die, daß gleich von Anfang der mittelhelladischen Periode an Gegenstände aus Kreta auftraten und sich kretische Einflüsse geltend machten. III. Die Kykladen und Zypern In einer früheren Phase spielte die Gruppe von kleinen Inseln, die als Kykladen bekannt sind, in der Geschichte der griechischen Bronzezeit eine bedeutende Rolle. Die Kykladen, die sich von Keos und Andros nahe bei den Südspitzen von Attika und Euböa in südöstlicher Richtung bis nach Thera (dem modernen Santorin), Anaphe und Astypalaia erstrecken, bilden die zentrale Brücke über die Ägäis zwischen Griechenland und Asien. Die kleinsten von diesen Inseln sind nichts als kleine, felsige Erhebungen, die aus dem Meer ragen, die größte ist Naxos mit 449 qkm. Ihr Aussehen ist täuschend ungastlich, denn ihre Felsküsten, die für moderne Schiffe so unnahbar aussehen, boten für die Fahrzeuge der Bronzezeit (friedlicher wie seeräuberischer Art) brauchbare Anlegeplätze, und das Land im Inneren war oft fruchtbar genug. Die meisten ihrer Bewohner lebten von Ackerbau, Kleinviehherden und Fischfang, weniger von der Seefahrt, obwohl gerade sie es ist, die die Inseln in unserem Zusammenhang historisch wichtig macht. Abgesehen von einer kurzen Spanne reger archäologischer Tätigkeit gegen die Wende unseres Jahrhunderts und einer weiteren in den letzten Jahren ist auf den kykladischen Inseln kaum ausgegraben worden. Man kennt jedoch genug, um zu zeigen, was man schon aus den geographischen Verhältnissen hätte schließen können, daß nämlich diese Inseln Einflüsse (und wahrscheinlich Menschen)
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sowohl aus Kleinasien als auch vom griechischen Festland aufnahmen und mischten und so unverwechselbare kulturelle Eigenheiten entwickelten.
Abb. 22: Kykladenschiff
Sie waren in der Jungsteinzeit ganz unbedeutend, gelangten dann aber in der frühen Bronzezeit zu einer Blüte, wie sie sie in vorgeschichtlicher Zeit nie wieder erreichten. Soweit wir wissen, bildeten sich dabei kaum größere Siedlungen, die sich etwa mit Lerna in der Argolis vergleichen ließen, und auch keine größeren Ansammlungen von Menschen. Melos machte hiervon eine leicht zu erklärende Ausnahme. Diese Insel war der beste Fundort für Obsidian, ein hartes, schwarzes, vulkanisches Glas, das als Material für kleinere und feiner gearbeitete Werkzeuge sehr geschätzt wurde. Die früheste Obsidiangewinnung dort mag auf Festlandbewohner zurückgehen, sie ging aber bald auf die Melier selbst über (wer immer sie gewesen sein mögen), und eines ihrer Zentren, Phylakopi, wurde die bedeutendste uns bisher bekannte kykladische Siedlung. Andere Inseln – Syros, Amorgos, vielleicht Naxos – hatten gleichfalls ihre eigenen Spezialitäten in Steinvorkommen und Metallwaren. Weitere Ausgrabungen werden hier vermutlich die Unterschiede und Eigentümlichkeiten deutlicher machen. Im Augenblick kann man kaum mehr tun, als einige von ihnen zu notieren und die Orte auf und nahe beim griechischen Festland und in Kleinasien zu nennen, mit denen der Kontakt am engsten war. Auf der griechischen Seite waren dies vor allem die Küstenstriche Attikas und die Insel Euböa. Unklar ist gegenwärtig auch, warum die Kykladen nach der frühen Bronzezeit an Bedeutung verloren. Es gibt keine Anzeichen für größere Unruhen, die Inseln haben im Gegenteil im gesamten Verlauf der vorgeschichtlichen, archaischen
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und klassischen Perioden eine kontinuierliche Geschichte. Der Marmor von Naxos und Paros behielt lange Jahrhunderte hindurch seine Berühmtheit, Thera wurde später zu einem dorischen Zentrum, das groß genug war, um zum Ausgangspunkt für die griechische Kolonie in Kyrene in Libyen zu werden, Naxos und Melos sollten in Thukydides’ Anschauung von der Entwicklung des athenischen Imperialismus im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Sonderstellung einnehmen und Melos uns noch später die vielleicht berühmteste aller griechischen Statuen schenken: die jetzt im Louvre befindliche »Venus von Milo«. Die Geschichte der Kykladen ist also in allen wichtigen Punkten seit Beginn der Bronzezeit ein integraler Teil der griechischen Geschichte. Wir können sie aber, abgesehen von vereinzelten Ereignissen, die auf Entwicklungen auf dem Festland Einfluß gewannen, nicht im Zusammenhang erzählen. Eine Besonderheit der Kykladen in der frühen Bronzezeit verdient jedoch besondere Erwähnung. Die Inseln bildeten das Zentrum für die Herstellung einer Art stark stilisierter und entindividualisierter menschlicher Figuren, meistens aus Marmor, die nicht nur auf den Inseln selbst, sondern auch auf dem Festland und auf Kreta große Verbreitung fanden. Diese flachen Statuetten, die von einigen Zentimetern bis (in einigen wenigen Fällen) zu etwa 1,50 m groß und oft ganz primitiv gearbeitet sind, scheinen in erster Linie angefertigt worden zu sein, um Tote ins Grab zu begleiten, und so einer weit verbreiteten Sitte gedient zu haben. Im Gegensatz zu den bekannten jungsteinzeitlichen Figuren wurden die weiblichen Darstellungen ohne übertriebenes Gesäß, Brust und Schamteile gehauen, so daß die übliche Ausdeutung der jungsteinzeitlichen Statuetten als »Fruchtbarkeitsgöttinnen«, selbst wenn sie für die frühere Epoche zutrifft, für diese kykladischen Objekte nicht aufrechterhalten werden kann. Es ist augenscheinlich, daß die »Idole«, wie sie von modernen Autoren oft genannt werden, in der früheren Bronzezeit Grabbeigaben von ganz erheblicher Bedeutung darstellten. Mehr läßt sich darüber gegenwärtig mit sehr viel Berechtigung nicht sagen. Im Gegensatz zu den Kykladen war Zypern, wenn überhaupt, nur kurze Zeit völlig der griechischen Einflußsphäre unterworfen. Es ist mit 9250 qkm die größte Insel im östlichen Mittelmeer (um einiges größer als Kreta), und seine geographische Lage verband es mit Kleinasien, und mehr noch mit Syrien, während sie ihm zugleich die Vorteile einer größeren Station auf dem Seeweg von Ägypten und Syrien nach Westen bot. Außer dem schmalen Gebirgszug auf der Nordseite und den ausgedehnten Bergen im Westen und Südwesten hatte Zypern viel für den Ackerbau geeignetes Land und gute Binnenlandverbindungen – eine Seltenheit im ägäischen Raum. Außerdem war es reich an Kupfer, das seit früher Zeit abgebaut wurde, und die Küste bot auf drei Seiten brauchbare Häfen, kurz gesagt, es besaß alle materiellen Gegebenheiten für eine blühende Zivilisation. Aus dem Ende der Jungsteinzeit, gegen 3000 bis 2500 v. Chr. (die älteste vorkeramische Schicht geht bis ins 6. Jahrtausend zurück), kennt man bereits über 100 Siedlungsorte, und die Kultur
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der Bronzezeit war von ständigem Wachstum erfüllt, bis Zypern bald nach 1200 der gleichen großen Zerstörung anheimfiel wie der größte Teil der übrigen ägäischen Welt.
Abb. 23: Marmornes Kykladenidol aus Syros
Wie fast überall ist die Geschichte der Bevölkerungsveränderungen dunkel. Aus der Zeit um 1500 v. Chr. gibt es die ersten Spuren einer Schrift, die vom kretischen Linear A beeinflußt war, was zumindest eine nähere Berührung anzeigt. Auch gibt es beweiskräftige Zeugnisse aus dem griechischen Dialekt und der Schrift der klassischen Zeit von vor 500 bis zum 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. Das Griechisch, das zu dieser Zeit in Zypern gesprochen wurde, war am nächsten mit dem Arkadiens und etwas entfernter mit dem mykenischen Griechisch der Linear B-Tafeln verwandt. Mehrere Jahrhunderte, nachdem die übrige griechische Welt ein Alphabet in unserm Sinne in Gebrauch genommen hatte, war die Schrift auf Zypern nicht nur noch syllabisch, sondern hatte sieben Zeichen aus dem Linear B selbst übernommen und einige weitere erhalten, die aus dieser sonst ausgestorbenen Schrift abgeleitet waren. All dies bedeutet, daß der griechische Dialekt und die Schrift in der mykenischen Zeit nach Zypern kamen, ehe die ganze Peloponnes einen westgriechischen Dialekt angenommen hatte und die Linear B-Schrift von der Bildfläche verschwunden war. Anderseits war der Name der Insel im 2. Jahrtausend, wie wir ihn aus ägyptischen,
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hethitischen, nordsyrischen und anderen nahöstlichen Dokumenten kennen, offenbar Alašia, nicht Zypern. Der Name »Alašia« ist zuletzt gegen 1100 v. Chr. bezeugt. Die Assyrer scheinen die Insel später Jadnana genannt zu haben, noch später bekam sie den Namen Zypern. Dieser letzte Name ist natürlich auch die Bezeichnung für Kupfer (copper, cuivre) in modernen europäischen Sprachen, aber nicht im Griechischen, was der Geschichte eine letzte Komplikation hinzufügt. Ganz sicherlich war Griechisch nicht die einzige Sprache, die in der Bronzezeit auf der Insel gesprochen wurde, ein Umstand, der sich bis in unsere Tage nicht geändert hat. Das archäologische Material deutet an, daß Zypern in der frühen Bronzezeit mehr nach der Levante als nach Westen hin gewandt war. Dies wird durch die Erwähnung von Kupfer- und Bronzeexporten nach Mari (am Euphrat) in Keilschrifttexten aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. bestätigt und zum Teil erklärt. Die folgenden Jahrhunderte zeigten ein rasches Anwachsen der Bevölkerung und vor allem deutlich reichere Siedlungen an der Süd- und Ostküste. All dies hing mit dem Osthandel zusammen. Dann scheinen ägäische Einflüsse im Laufe des 15. und 14. Jahrhunderts v. Chr. allmählich die levantinischen so weit zu verdrängen, daß man Zypern in den letzten Jahrhunderten der Bronzezeit der ägäischen Sphäre zurechnen kann. Es steht außer Zweifel, daß diese Verschiebung mit dem großen Aufschwung auf dem griechischen Festland im sogenannten mykenischen Zeitalter in Verbindung stand; die Einzelheiten sind uns freilich mangels schriftlicher Zeugnisse nicht greifbar. Die Zunahme in Bevölkerung und Reichtum führte zu einer Machtstruktur, die vielleicht mit den Entwicklungen auf dem griechischen Festland vergleichbar war, aber auf den kleineren kykladischen Inseln nicht möglich gewesen wäre. Schon in der mittleren Bronzezeit tauchten Waffen als Grabbeigaben auf und wurden befestigte Siedlungen und Festungen auf Hügeln errichtet. Die Verteilung solcher Befestigungen über die Insel »deutet auf einen dauernden Zustand innerer Unsicherheit hin«.4 In der späten Bronzezeit gab es einen König von Alašia. Wir wissen nicht, wie gesichert seine Herrschaft war und über wie große Teile der Insel sie sich erstreckte, aber er war eine bedeutende Figur, die sich mit den größeren und bekannteren Mächten im Nahen Osten messen konnte. Er redete den ägyptischen Pharao mit »mein Bruder« an, und der König von Ugarit (des heutigen Ras Šamra) nannte ihn »mein Vater«. Für die Herrscher des Hethiterreichs war er ein Störenfried und gelegentlich mehr als das. Sie scheinen ihn eine Zeitlang unter ihre Kontrolle gebracht zu haben, diese war aber nicht von Dauer, und im Krieg zur See konnte er sich gegen sie behaupten.5 »Mein Bruder« war natürlich eine reine diplomatische Höflichkeit. Man kann sich kaum vorstellen, daß Alašia mit dem Hethiterreich und Ägypten auf gleichem Fuß stand. Immerhin besaß es eine gewisse Machtstellung, bis es beim Einfall der »Seevölker« zugleich mit vielen andern Staaten in Syrien und Kleinasien zusammenbrach. IV. Kreta
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Kreta (8275 qkm), die andere große Insel im östlichen Mittelmeer, hatte eine sehr anders verlaufende Entwicklung. Diese Insel ist heute ein abweisendes und weitgehend unfruchtbares Land, ein Opfer schwerer Mißhandlung durch die Menschen. Wenn man sich ihr von Süden nähert, hat man den großartigen Anblick wild zerklüfteter Berge. Sie fallen unmittelbar steil ins Meer ab. Die Weißen Berge im Westen sind fast unzugänglich. Dagegen war im Altertum das mittlere und östliche Kreta mit Recht berühmt für die Wiesen und Weiden seines Hochlands, seine Oliven und Weinberge, Eichen und Zypressen, und auch für seine Häfen (oder – richtiger – geschützten Strände, wo man Schiffe bei schlechtem Wetter an Land ziehen konnte) an der Nord- und Ostküste. Kreta besaß aber im Gegensatz zu Zypern keine bedeutenden Bodenschätze und lag weniger günstig für den Seeverkehr von und nach Kleinasien, Syrien und Ägypten.
Abb. 24: Kreta in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
Fast 4000 Jahre lang gab Kreta kein Anzeichen von der erstaunlichen Blüte, die es in der Bronzezeit erleben sollte. Die frühesten jungsteinzeitlichen Wohnstätten stammen aus der Zeit um 6000 v. Chr. und befanden sich hauptsächlich in den Gebirgshöhlen, die auf der Insel in großer Zahl vorkommen. Hunderte von ihnen zeigen Spuren menschlicher Tätigkeit, darunter Totenbestattung und Gottesdienst.6 Kupfer, und nach ihm Bronze, tauchten im Vergleich zum Festland recht spät auf, in nennenswerter Menge nicht vor 2300. Zu diesem Zeitpunkt kamen außer den Höhlen (die freilich auch weiterhin bewohnt blieben) andere Siedlungsformen auf; die Menschen hatten sich beträchtlich vermehrt und große technische Fortschritte gemacht. Die wichtigsten Siedlungen lagen zuerst am Ostende der Insel, der Schwerpunkt verlagerte sich aber mit der Zeit ins Zentrum.
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Die Entwicklung von der Steinzeit zur Bronzezeit ist alles andere als durchsichtig. Sir Arthur Evans fand in Knossos keinen klaren Bruch und sah in der frühen minoischen Zeit zwischen etwa 2500 und 2000 eine Übergangsperiode. Inzwischen ist diese Ansicht von Archäologen angefochten worden, die namentlich die sehr verschiedenen Fundergebnisse an anderen Orten, wie etwa in Phaistos, berücksichtigten.7 Kreta war jetzt Teil des ägäischen Kulturgebiets der Bronzezeit geworden. Einflüsse vom griechischen Festland, aus Makedonien, von den Kykladen, viel aus Kleinasien, aus Syrien und sogar indirekt aus Ägypten, werden sichtbar. Die Bildung von Städten, oder zumindest von größeren dörflichen Siedlungen, war eine wichtige Neuerung. Eine andere war das Verschwinden der steatopygischen weiblichen Terrakottafiguren (und das zeitweilige Verschwinden fast jeder menschlichen Darstellung aus der gesamten Kunst). Ein drittes war das Auftauchen eines frühen Stadiums der charakteristisch kretischen Bauform mit ihrer zellenartigen, agglutinierenden Struktur. Den Höhepunkt dieser Bauweise sollte der labyrinthische Palast in Knossos bilden, der mit seinen Innenhöfen etwa fünf Morgen Land bedeckt. Aber über diese allgemeinen Feststellungen hinaus ist noch vieles unsicher und umstritten. Evans’ Neigung, der ganzen Insel einen knossischen Stempel aufzudrücken, war offensichtlich ein Fehler. Kreta war zu jener Zeit in seiner Kultur kaum einheitlicher als das griechische Festland. Zugleich zeigte es unverkennbare Zeichen von Originalität. Das wurde, von der Architektur abgesehen, zuerst in Vasen und anderen kleinen Gegenständen sichtbar, die selbst da, wo Entlehnungen aus dem Ausland am deutlichsten sind, stets in Form und Zeichnung neu geschaffen und nicht nur kopiert oder nachgeahmt wurden. Dann folgte das goldene Zeitalter Kretas, jener unvermittelte Ausbruch in der mittleren minoischen Periode zwischen 2000 und 1600 oder 1550 v. Chr. In dieser Zeit breitete sich die städtische Siedlungsform allgemein aus, die riesenhaften Palastkomplexe wurden erbaut und mit erstaunlichen Fresken ausgeschmückt, die Kleinkunst (Vasen, Schmuck, Steinsiegel) erreichte in einem ganz eigenen und sofort erkennbaren Geist und Stil ihre Blüte, und es entstand eine Gesellschaft, die zumindest in ihrer Oberschicht eine in ihrer Zeit (und im ganzen Altertum) einzig dastehende Psychologie und einzigartige Wertmaßstäbe hatte.
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Abb. 25: Siegelstein aus Kreta mit Linear A-Schrift 1. Vorderseite; 2. Grandfläche; 3. Rückseite
Den vielleicht erstaunlichsten Beweis seiner Originalität lieferte Kreta auf dem Gebiet der Schrift. Wenn man bedenkt, wie wenige Schriftsysteme auf der ganzen Welt im Verlauf der Geschichte erfunden worden sind, erscheint der Beitrag, den Kreta innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne dazu leistete, ganz unbegreiflich. Am Anfang stand eine Art abgewandelter Bilderschrift, die Evans nach der Analogie der ägyptischen Schrift »hieroglyphisch« nannte. Danach entwickelte sich ein differenzierteres System, das er »Linear A« taufte. In dieser Schrift standen die meisten einzelnen Zeichen für Silben. Sie war in größerem Umfang über die Insel verbreitet. Linear A wurde endlich in Knossos durch Linear B abgelöst, zumindest hat man Linear B bisher nirgends sonst in Kreta gefunden, dagegen wurde es, anders als die älteren kretischen Schriften, auch auf dem griechischen Festland gebraucht. (Eine kleine, in Phaistos gefundene runde Scheibe zeigt noch eine weitere Schrift, sie kann aber importiert sein und muß daher nicht unbedingt hier zum Thema gehören.) So viel Erfindungsgeist ist an sich schon bemerkenswert genug, er wird geradezu befremdlich, wenn man bedenkt, daß die Kreter zusammen mit allen ihren übrigen Anleihen im Ausland ohne weiteres die Keilschrift hätten übernehmen können, die nicht nur im Nahen Osten schon lange im Gebrauch war, sondern auch ihre Wandelbarkeit in der einfachen Übertragung auf neue Sprachen, wie sie gerade nötig wurde, schon bewiesen hatte.
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Abb. 26: Schrifttäfelchen. 1. Hieroglyphentäfelchen aus Phaistos; 2. Linear ATäfelchen aus Hagia Triada; 3. Pylos-Täfelchen Aa 62; 4. Täfelchen aus Knossos (Es zeigt den Namen eines Mannes, einen vollständigen Wagen mit Rädern, einen Küraß und ein Pferd).
Hier hat man also ein klassisches Beispiel für eine Blockierung der Verbreitung, dafür, daß die Übernahme einer kulturellen Errungenschaft nicht nur von deren Vorhandensein und der Kommunikationsmöglichkeit abhängt. Man kann zur Zeit nicht beantworten, warum die Kreter sich weigerten, die Keilschrift zu übernehmen (»sich weigerten« trifft den Sachverhalt), die Tatsache bleibt uns gegeben. Wir kennen die kretische Schrift, abgesehen von gravierten und eingekratzten Zeichen auf Steinsiegeln und Keramik, nur von kleinen, blattförmigen Tontafeln her, von denen im ganzen weniger als 4000 bekannt sind; viele sind nichts weiter als Fragmente. Wenn daneben auf vergängliches Material wie Wachs oder Papyrus geschrieben wurde, haben wir keine Spuren mehr davon. Selbst die Tontafeln sind uns nur durch Zufall erhalten. Sie wurden nach der Beschriftung nicht gebrannt und, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden, weggeworfen. Nur die gewaltige Feuersbrunst bei der Zerstörung der Paläste hat uns die Tafeln erhalten, die zufällig vorhanden waren. Wir haben also etwas Ähnliches vor uns wie den Querschnitt einer Zelle unter dem Mikroskop, das heißt, etwas, dem jede Tiefe, jede Andeutung von Entwicklung und Veränderung in der Zeit fehlt.
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Die Texte selbst sind kurz und dem Inhalt nach sehr begrenzt. Es sind Listen verschiedener Art oder kryptische Aufzeichnungen von Besitzverhältnissen, Rationszuteilungen und dergleichen. Selbst wenn alle bekannten Texte mit völliger Sicherheit gelesen und übersetzt werden könnten, was nicht der Fall ist, würden Dokumente wie das folgende aus Knossos: »In Lasunthos (?): zwei Ammen, ein Mädchen, ein Junge«, oder »Amnisos: ein Topf Honig an Eleuthia. Ein Topf Honig an alle Götter. Ein Topf Honig ...« sich als Informationsquelle von Bedeutung bald erschöpfen. Die Sprache der in Linear B, der jüngsten unter den Schriften, geschriebenen Tafeln ist jetzt als Griechisch identifiziert darüber mehr weiter unten, dagegen sind bisher alle Versuche, das Linear A oder die noch ältere hieroglyphenartige Schrift zu entziffern, gescheitert. Das liegt zum Teil daran, daß so wenig Texte zur Verfügung stehen – die Linear B-Texte in Knossos sind etwa zehnmal zahlreicher als die Linear A-Tafeln aus dem ganzen übrigen Kreta –, aber wohl hauptsächlich an dem Umstand, daß die Sprache der letzteren sicher nicht Griechisch und wahrscheinlich auch keine andere uns bekannte Sprache ist. Die Annahme, daß sie zur semitischen Sprachfamilie gehört, hat wenig Unterstützung gefunden. Die etwas plausiblere, auf Ortsnamen wie Knossos und Tylissos gestützte Hypothese, es sei Luwisch, hat zu keiner auch nur teilweisen Entzifferung geführt.
Abb. 27: Sarkophag aus Hagia Triada. 1. Vorderseite; 2. Rückseite
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Wir können daher nur sagen, daß die Sprache, die in Linear A geschrieben ist, von dem Volk gesprochen wurde, das das minoische goldene Zeitalter geschaffen hat. Die Silbenschrift wurde für diese Sprache erfunden und später auf die griechische übertragen; für die Wiedergabe griechischer Worte ist sie nicht sehr gut geeignet. Unsere Unkenntnis erstreckt sich sogar auf wichtige Ortsnamen. Während Knossos, Gortyn und Phaistos im weiteren Verlauf der griechischen Geschichte im Altertum eine, wenn auch unbedeutende Existenz und damit ihre Namen bewahrten, wurden andere Zentren in der Bronzezeit zerstört und völlig aufgegeben. So müssen Hagia Triada und Kato Zakro nach heutigen Ortsbenennungen identifiziert werden, ihre historischen Namen sind noch unbekannt. Im ganzen gesehen, haben die Tontafeln wichtige zusätzliche Nachrichten gebracht, darunter einige neue (besonders für die Geschichte der griechischen Sprache). Unsere Hauptquellen sind aber nach wie vor die materiellen Überreste. Vielleicht ist der wichtigste Beitrag, den die Tafeln geliefert haben, die Bestätigung der Schlüsse, die man aus den Sachfunden über die Machtverhältnisse hat ziehen können. Man kann sogar behaupten, daß Machtbedürfnisse für die Entwicklung der Schrift eine weit größere Rolle spielten als intellektuelle oder geistige Faktoren. Zwischen der späten Jungsteinzeit und der mittleren minoischen Periode lag eine Zeit rascher Zunahme menschlicher Fertigkeiten und materiellen Reichtums und eine soziale wie geographische Konzentration der Macht, sie zu nutzen. Anders hätten die großen Palastkomplexe weder gebaut werden noch einen Zweck erfüllen können. Auf keiner einzigen Tafel steht ein Anzeichen für Kauf oder Verkauf von Gütern – es gibt nicht einmal ein Wort dafür. Dagegen gibt es viele Inventare und Listen von Rationen und Personal. Daraus folgt, daß die ganze Gesellschaft zentral vom Palast aus gelenkt wurde. Der Palast war es, der die inneren wirtschaftlichen Verhältnisse in jeder Einzelheit verwaltete und organisierte, der Menschen und Güter, vom Rohmaterial bis zu den fertigen Produkten, ohne den Gebrauch von Geld oder eines Marktmechanismus verteilte. Eine Bestätigung ist die Tatsache, daß, wie man jüngst gezeigt hat, die zahlreichen Tafeln aus Knossos mit Listen von Schafen und Wolle (die ja alle aus dem Jahr stammen, in dem der Palast zerstört wurde) die Aufzeichnung eines jährlichen Zensus der Herden, der Schurergebnisse und der verantwortlichen Hirten bilden. Die Zahl der Tiere war insgesamt etwa 100000, und die Weideplätze scheinen, soweit man die Ortsnamen identifizieren kann, über den ganzen mittleren und östlichen Teil der Insel verteilt gewesen zu sein. Es scheint also, als hätte der Palast in Knossos ein sich mindestens über die Hälfte der Insel erstreckendes Schaf- und Wollmonopol besessen.8 Der Gedanke liegt nahe, daß die Wolle ein altes Rätsel lösen helfen könnte: Wie konnten die Kreter Gold und Silber und die andern Dinge, die sie einführen mußten, bezahlen oder sich sonst verschaffen? Wolle (die natürlich keine
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Ausgrabung zutage fördern kann) bietet sich jetzt wenigstens als ein Teil der Antwort an. Dazu paßt, daß die Kreter, die auf ägyptischen Fresken abgebildet sind (wo sie Keftiu heißen), manchmal gefaltete Tuche tragen. Sie tragen allerdings auch Gold, Silber, Elfenbein und andere nichtkretische Erzeugnisse, so daß dieses Beweisstück für die Wolle als wichtiges Handelsobjekt einiges an Wert einbüßt. Die Tafeln bewahren in diesem Punkt ein enttäuschendes und etwas überraschendes Schweigen. Sie äußern sich in keiner Hinsicht über die äußere Welt. Soweit sie uns informieren, hätte diese äußere Welt gar nicht zu existieren brauchen. Die Archäologie allein kann sehr selten (man kann es nicht oft genug wiederholen) den Mechanismus von Beziehungen mit dem Ausland deutlich machen, selbst wenn große Mengen fremdländischer oder von außen beeinflußter Gegenstände in den Funden vorkommen. Eine andere Betrachtungsweise, die von Gelehrten vorgeschlagen worden ist, legt den Akzent auf Herrschaft und Tribut, auf die sogenannte minoische Thalassokratie (= Seeherrschaft), die von späteren griechischen Autoren erwähnt wird. Man kann in der Tat weder an dem Reichtum und der Macht von Knossos noch an der Seetüchtigkeit der damaligen Kreter Zweifel hegen. Es scheint auf einigen benachbarten Inseln »minoische« Siedlungen gegeben zu haben, besonders auf dem nördlich gelegenen Kythera, wo die Blütezeit in der Periode SM 1 lag, nicht lange ehe die Stätte, ohne daß man Spuren einer Zerstörung fände, verlassen wurde. Allerdings ist der weitere Schluß auf ein ausgedehntes Seereich im eigentlichen Sinn weder einfach noch selbstverständlich; man kann meinen, daß der Begriff als solcher wenig begründet ist und zu unkritisch akzeptiert wird. Die erste griechische Erwähnung einer Seeherrschaft Kretas steht bei Herodot und Thukydides in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Das ist viel zu spät, um für sich allein ernst genommen zu werden. In den griechischen Legenden über das vorgeschichtliche Kreta liegen die Akzente sonst ganz anders, mit einer bemerkenswerten Ausnahme: die Sage von Theseus und dem Minotaurus,9 die, wie oft gesagt wird, in mythischer Form die Befreiung Athens aus einer früheren kretischen Vorherrschaft widerspiegelt. Dabei ist allerdings merkwürdig, daß gerade in Athen von dem sonst auf dem Festland reichlich sichtbaren kretischen Einfluß keine Spuren gefunden worden sind, und daß man in keiner von den zahllosen Darstellungen wirklicher und fabelhafter Tiere auf Kreta einen Minotaurus erblicken kann. Der Stier war allgegenwärtig, aber entweder in Stierkämpfen oder als Opfertier, nie umgekehrt als ein Wesen, dem Opfer gebracht wurden. Außerdem gibt es in der Geschichte viele traditionelle und legendäre Berichte vom Sturz einer imperialistischen Oberherrschaft; im allgemeinen nahmen sie nicht so seltsam vermummte Formen an. Rätselhaft bleibt die Offenheit der kretischen Paläste. Keiner von ihnen war eine eigentliche Burg, alle waren weit ausgedehnte, unbefestigte, nicht militärische Gebäudekomplexe. Der Gegensatz zu Festungen wie Mykene und Tiryns auf dem Festland fällt jedem Besucher auf. Eine minoische Beherrschung
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der See, so oft man sie angenommen hat, kann nicht die Erklärung sein. Bedrohung von jenseits des Meeres war nie der einzige, nicht einmal der entscheidende Grund für die Anlage von Befestigungen; sie erklärt gewiß Mykene und Tiryns ebensowenig wie eine mittelalterliche Burg. Bestand nie die Gefahr eines Konflikts zwischen den Palästen, die Notwendigkeit zu Gewaltanwendung und polizeilichem Schutz im Inneren? Wohin man sich in Kreta wenden mag, überall ist der vorherrschende Eindruck friedlicher Natur. Waffen, Rüstungen und Streitwagen kommen in den Linear B-Tafeln vor, sind aber in figürlichen Darstellungen jeder Art und Größe außerordentlich selten. Selbst in den Gräbern tauchen sie kaum auf. Erst nach der Besetzung der Insel durch griechisch sprechende Völker vom Festland kann man eigentlich von Kriegergräbern sprechen. Wie dieses Phänomen sich auch erklären mag, es gibt einen Hinweis auf die einzigartige Natur Kretas. Die Gesellschaft mit ihrem Mittelpunkt im Palast und ihren pedantisch gründlichen Aufzeichnungen erinnert an das Nordsyrien und Mesopotamien der gleichen Zeit. Was immer aber für den überwiegenden Teil der Bevölkerung, von dem wir nichts wissen, gegolten haben mag, so waren doch, wie schon gesagt, die Psychologie und die Wertmaßstäbe der Oberschicht in vieler Hinsicht völlig anders. Weder in Kreta noch in den weitaus reicheren Zeugnissen seiner näheren und entfernteren Nachbarn existiert eine geschriebene Zeile, die uns mit Worten über die Gedankenwelt der Kreter in der Bronzezeit, ihre Anschauungen zu irgendeinem Thema unterrichtet. Dennoch hat man das Recht, aus den materiellen Funden feste Schlüsse über ihre Verschiedenheit von den übrigen zentralisierten Gesellschaften ihrer Zeit zu ziehen. Die Herrscher Babyloniens, Ägyptens und des Hethiterreichs füllten ihr Land mit Monumenten ihrer Macht und der ihrer Götter. Die Herrscher von Kreta hinterließen nichts dergleichen, weder in ihren Palästen noch in ihren Gräbern. Der Thronsaal in Knossos hat nichts Majestätisches, nicht in seiner Größe und auch nicht in den Fabeltieren und Blumenmustern, mit denen er ausgeschmückt ist (es gibt nicht ein einziges Porträt).
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Abb. 28: Thronsaal des Palastes von Knossos
Nicht einmal der Thron ist besonders königlich. Kein Bild zeigt ein geschichtliches Ereignis oder zeugt von verwaltender oder richterlicher Tätigkeit oder sonst einer Form der Ausübung politischer Macht. Götter und Göttinnen endlich findet man nur unter großen Schwierigkeiten. Sie wurden in menschlicher Gestalt gedacht und dargestellt, wohnten aber nicht in Tempeln. Daher war kein Bedarf für das Kultbild, wie es sowohl für die gleichzeitigen Zivilisationen im Nahen Osten als auch für die spätere griechische Kultur charakteristisch ist. Statt dessen lag der Akzent auf einer Epiphanie, einem momentanen Erscheinen der Gottheit als Antwort auf ein menschliches Opfer oder Gebet oder – was die originellste und am eigentümlichsten kretische Form darstellt – auf einen rituellen Tanz. In vielen dargestellten Szenen lag das Schwergewicht eher auf der Ekstase der Anbetenden als auf der Gottheit, oft: wurde sogar nur die Kulthandlung ohne die eigentliche Epiphanie dargestellt. Ort der Erscheinung war ein heiliger Baum, eine Säule, gelegentlich die Fassade eines Gebäudes, aber nie das Innere des Gebäudes selbst. Angesichts einer solchen Betonung des Menschlichen erscheint es angemessen, daß solche Szenen, mit Ausnahme einiger weniger Fresken und Sarkophage, auf Ringen, Siegeln und kleinen Keramikgegenständen dargestellt wurden und daß, als endlich in einem sehr späten Stadium unter östlichem Einfluß die Sitte aufkam, den Göttern und Göttinnen Standbilder zu weihen, der kleine Maßstab strikt beibehalten wurde. Selbst die Altäre waren klein. Man hat keinen gefunden, der groß genug
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wäre, um darauf einen Stier zu opfern. Das letzte Paradox ist, daß die späteren Griechen einmütig glaubten, Zeus selbst, der große König des olympischen Pantheons, sei in Kreta geboren und aufgewachsen. Wenn dem so war, hatte er bis zu Behausungen wie dem berühmten Tempel in Olympia oder dem riesenhaften in Agrigent auf Sizilien noch einen weiten Weg. Dieses Fehlen von Monumentalität paßt zu dem Fehlen jeder äußeren Schaustellung von Krieg und kriegerischer Haltung wie zu den charakteristischen Zügen und dem Ton der kretischen Kunstwerke. Selbst die großen Fresken wirken nicht monumental; außerhalb von Knossos sind sie überhaupt selten, und menschliche Figuren fehlen fast völlig. Sie haben eine Leichtigkeit und Bewegung, die zur Zeit ihrer Entstehung originell und selten, wenn nicht einzig waren – Eigenschaften, die die mit großartiger technischer Vollkommenheit gefertigten Vasen, Gemmen und kleinen Bronzeplastiken (von den letzteren besonders die aus Tylisos) mit ihnen teilen. Aber selbst die Fresken neigen mit ihrer stilisierten Thematik und Behandlung von Einzelheiten, wie Gewändern und Haltung, zu einer einförmigen Konventionalität und haben dabei etwas ästhetisch Preziöses, das zu ihrer Größe nicht passen will. Alles Leben ist Spiel und Ritus, von Leidenschaft, Freude oder Trauer sieht man wenig. Das Leben, scheinen sie zu sagen, ist etwas Glitzerndes, es hat keine Tiefe. Deshalb war der größte kretische Triumph die Kleinkunst, nach den bürgerlichen Annehmlichkeiten wie guten Abflußröhren und sanitären Installationen und der Beleuchtung und Lüftung der Paläste. Der Gesamteindruck (der zugegebenermaßen frei ergänzt ist) ist, daß Kreta bald nach Beginn der mittleren minoischen Periode ideologisch und institutionell erstarrte, das heißt, ein Gleichgewicht fand, das jahrhundertelang nicht in Frage gestellt wurde und nach allen Richtungen sicher – vielleicht zu passiv sicher – war. Während dieser Jahrhunderte kann man eine noch weitere Vervollkommnung der technischen Fertigkeiten, ein Anwachsen der Bevölkerung, weitere Anbauten an die Paläste beobachten; das alles bewegte sich aber sozusagen auf einer waagerechten Linie. Deshalb kann man diese Welt fast ohne Bezug auf Verschiebungen von der mittleren zur späten minoischen Periode darstellen, denn dieser Bruch ist zwar archäologisch, besonders in der Keramik, feststellbar, der Lebensstil scheint sich aber wenig geändert zu haben. Weite Teile Kretas wurden während der Periode MM 3 durch ein Erdbeben stark beschädigt, aber der Katastrophe folgte nicht nur ein sofortiger Wiederaufbau, sondern weiteres Anwachsen, die Gründung neuer Siedlungen und engere Kontakte mit dem Festland, aber nichts, was auf bedeutende gesellschaftliche oder geistige Neuerungen schließen ließe. Dann kam eine Zeit, zu der auf irgendeine Weise griechisch sprechende Menschen vom Festland Knossos, und mit ihm große Teile des östlichen und mittleren Kreta in Besitz nahmen. Der sichere Beweis hierfür ist die Tatsache, daß die Sprache der Linear B-Tafeln Griechisch ist, das sich von dem auf den Tafeln des Festlands nicht unterscheidet. Leider stammen, wie schon erwähnt, alle
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erhaltenen Tafeln aus dem Jahr der Zerstörung und geben keinen Hinweis auf das Datum der griechischen Eroberung. Alle vorhandenen Zeichen sprechen aber dafür, daß diese zu Beginn der knossischen Periode SM 2 (d.h. etwa ein Jahrhundert nach Beginn von SH auf dem Festland) stattfand. Um diese Zeit änderte sich unter anderm der Charakter der Gräber nach Vorbildern auf dem Festland, und es gab auf Kreta zum ersten Mal Kriegergräber. Etwa zur gleichen Zeit hörten Zentren wie Phaistos und Mallia auf, »königliche Residenz« zu sein, und der große Palast in Kato Zakro (der viertgrößte auf ganz Kreta) wurde nach einem Erdbeben gänzlich aufgegeben und erst 1961 wiederentdeckt. Die Folgerung scheint zu sein, daß die neuen Herrscher von Knossos eine Art Oberherrschaft über weite Teile der Insel gewannen, sich selbst aber nicht über sie verteilten (daher das Fortbestehen der Linear A- Schrift überall außer in Knossos). Das würde erklären, warum SM 2 außerhalb von Knossos nicht als selbständige Periode nachgewiesen ist. SM 2 sah Knossos auf der Höhe seiner Macht. Seit Evans hat man das Ende dieser Periode gegen 1400 v. Chr. datiert. Damit wird sie zu einer relativ kurzen Epoche, die in einer die ganze Insel erfassenden Katastrophe endete. Ein Erdbeben mag hierbei eine Rolle gespielt haben, kann aber als Erklärung nicht genügen, denn es gab diesmal im Gegensatz zu früheren Naturkatastrophen keine Erholung. Das Leben ging natürlich bis zum Ende der Bronzezeit in der Periode SM 3 auf Kreta weiter, aber das Zeitalter der Macht und der Paläste war für immer vorüber. Von jetzt an spielte das Festland in jeder Hinsicht die Hauptrolle. Es hatte, wie die Verteilung exportierter Keramik in der nordöstlichen und östlichen Ägäis, in der Levante und im Westen zeigt, schon während der Periode SM 2 im Handel die Vorherrschaft übernommen. Vielleicht folgte auf die große Naturkatastrophe (wenn das die richtige Deutung für die Ereignisse ist) eine Art Volksaufstand, der sowohl die griechische Oberschicht vertrieb als auch die Reste der einheimischen Macht, die etwa ein Jahrhundert zuvor durch eben diese griechische Oberschicht schon schwere Schläge erlitten hatte, hinwegfegte. Aber das sind Vermutungen, für die es keine feste Grundlage gibt und wahrscheinlich nie geben wird. Sie würden noch an Boden verlieren, wenn die in neuerer Zeit geäußerte Annahme wahrscheinlich gemacht werden könnte, daß der Fall von Knossos erst gegen 1200 oder 1150 und gleichzeitig mit dem Ende der Bronzezeitkultur auf dem Festland zu datieren sei. Die Zeugnisse und die Mehrheit der Sachverständigen sprechen jedoch für die Beibehaltung des bisher angenommenen Datums.10 V. Die mykenische Zivilisation Zu einer Zeit, die noch in die große Palastepoche (d.h. gegen Ende von MM 3) auf Kreta fiel, geschah auf dem Festland etwas, das die Ereignisse dort und die Geschichte der ägäischen Welt im allgemeinen in eine völlig neue Richtung lenkte. Was sich im einzelnen ereignete, bleibt dunkel und ist Gegenstand vieler Vermutungen und Debatten ohne Einigung, dagegen sind die sichtbaren Folgen
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deutlich genug. Mykene wurde unvermittelt zu einem Zentrum von Reichtum und Macht und zum Mittelpunkt einer Kriegerzivilisation, die in unserem Bereich ohne Parallelen ist. Bald bildeten sich im südlichen und mittleren Griechenland weitere wichtige Zentren, und die Einflußsphäre dehnte sich im Osten über die ägäischen Inseln bis zur kleinasiatischen Küste und Syrien, im Westen bis Sizilien und Süditalien aus. Die folgenden etwa 400 Jahre zeigen auf dem Festland und auf vielen Inseln in der Ägäis eine solche Einheitlichkeit in den archäologischen Funden, daß durch eine unglückliche Konvention der Name »Mykenisch« auf die gesamte Zivilisation ausgedehnt worden ist. Der Schade ist nicht groß, wenn man den Namen im abstrakten Sinn (ähnlich wie »Islamisch«) verwendet. Die Gedankenverbindung zu einer zentralisierten politischen Gewalt in Mykene, die eine geographisch weit verstreute Gesellschaft beherrschte (wie etwa das assyrische Reich von Assur aus regiert wurde), muß aber vermieden werden. Wir werden sehen, daß es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Das überraschende Vorspiel zu dieser Zivilisation ist uns nur aus Mykene bekannt. Es besteht aus nichts weiter als aus zwei Grabkreisen, einem älteren, dessen Gräber sich über eine Zeitspanne verteilen, deren Mitte um 1600 liegt, und den griechische Archäologen gegen Ende 1951 entdeckten (jetzt als Kreis B bekannt), und einem um etwa 100 Jahre jüngeren (Kreis A), den Schliemann 1876 fand und damit seinen Vorstoß in die Geschichte der griechischen Bronzezeit begann. Die beiden Kreise waren Teile eines großen, vermutlich außerhalb der eigentlichen Siedlung liegenden Friedhofs. Drei Einzelheiten sind besonders beachtenswert. Einmal waren die Kreise mit Vorbedacht abgesteckt und hatten eine religiöse Bedeutung, zum anderen waren die Grabbeigaben zahlreich, luxuriös ausgeführt und zum Teil kriegerisch, und schließlich konzentrierte sich alles Bestreben, Macht und Herrschergewalt zu verewigen, auf diese Gräber, denn man hat von einer Siedlung keine Spuren gefunden, das heißt, es gab weder Mauern noch Befestigungen noch aus Stein gebaute Paläste. Die Grabstätten selbst waren ungleichmäßig innerhalb der Kreise verteilt; es sind gewöhnliche Gräber, Kistengräber und tiefe Grabschächte, etwa 24 im Kreis B, nur 6 im Kreis A, die letzteren sämtlich in der tiefen Schachtform. Die Bestattungen stellen keine grundsätzliche Neuerung gegenüber der früheren Sitte dar, auch nicht das wenig umständliche Beiseiteräumen älterer Knochen und Grabbeigaben, um für neue Leichname Platz zu schaffen. Alles übrige aber ist neu. Die Gräber waren an der Erdoberfläche durch aufrecht stehende Steinplatten gekennzeichnet, die oft mit figürlichen Ornamenten, Tieren oder Jagdszenen geschmückt waren (aber nie einen Namen, ein wirkliches Porträt oder sonst einen direkten Bezug auf eine Einzelpersönlichkeit trugen, was sich in die bronzezeitliche Tradition der Anonymität der Macht einreiht). Der Kreis muß eine lange fortbestehende sakrale Bedeutung gehabt haben. Im Rahmen der großen baulichen Veränderungen an der Burg nach 1300, als die 900 m lange Umkreismauer errichtet wurde, wurde Kreis A in das Gebiet einbezogen
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und als »heilige Erde« mit einem komplizierten doppelten Ring von Kalksteinplatten eingefaßt. Wir wissen nicht, was die damaligen Bauherren über das Grabrund wußten oder glaubten, aber die Triebfeder hinter ihren Anschauungen muß stark gewesen sein, denn inzwischen lag das Niveau der ursprünglichen Graboberfläche tief unter der Erde, und sie hätten viel Mühe gespart, wenn sie den Kreis ignoriert hätten. Man würde viele Seiten schreiben müssen, um eine angemessene Vorstellung vom Inhalt der reichsten Gräber (III, IV und V in Kreis A) zu geben, der jetzt im Nationalmuseum in Athen ausgestellt ist. Karos Katalog von Grab III umfaßt allein 183 Nummern, und diese Zahl reicht noch nicht an die Wirklichkeit heran, denn unter vielen Nummern ist mehr als ein Gegenstand erfaßt, in einem Fall »64 kreisrunde goldene Plättchen mit Schmetterlingen«.11 Als Grabbeigaben dienten alle bekannten Luxusgüter, vor allem Gold in einer Menge und Qualität der Verarbeitung, die im Altertum nur in den über 1000 Jahre späteren skythischen Grabbeigaben ihresgleichen finden. Man findet große Mengen von Schwertern und anderen Kriegsgeräten, denen Ornamente mit sehr feiner, fast weiblicher Blattgold- und Filigranarbeit beigefügt sind. Was fehlt, ist alles, was den kykladischen »Idolen« entspräche, alles, was nicht im irdischen Sinn Gebrauchsgegenstand (wie Waffen, Schmuck, Hausrat) ist. Sowohl im verarbeiteten Material als auch in der handwerklichen und künstlerischen Ausführung gibt es Reminiszenzen und Anleihen aus anderen Zivilisationen. Und doch sind Stil und Technik eigenständig und unverwechselbar, neu geschaffen von den Herrschern in Mykene und den Künstlern in ihrem Dienst.
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Abb. 29: Schachtgrabstele aus Mykene
Wer immer die Männer und Frauen waren, denen eine solche Ausstattung mit ins Grab gegeben wurde, sie standen an der Spitze einer Machtstruktur innerhalb der Gesellschaft, wie sie Griechenland vorher nicht gekannt hatte. Man möchte in Gedanken ihr Auftauchen mit dem des Streitwagens und des langen Schwerts verbinden. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten, denn die ältesten Gräber in Kreis B scheinen etwas früher zu datieren zu sein als die ersten Belege für den Gebrauch des Streitwagens in Griechenland, und die sinnvolle Verwendung solcher Fahrzeuge setzt nicht nur ebene Erde, sondern auch ein Straßennetz voraus, über dessen Anfänge in der griechischen Bronzezeit man noch nichts weiß und dessen Untersuchung noch in den ersten Stadien steckt.12 In der Kunst der späteren Schachtgräber ist der Streitwagen häufig, ebenso in den noch späteren Linear B-Tafeln aus Knossos und Pylos. Er kam natürlich, zumindest als Konzeption, von außen. Das beweist aber nicht, daß die Menschen, die sich dieses neuen Kampfmittels bedienten, selbst Einwanderer waren, so wenig wie das reich vorhandene Gold, das z.B. durch Söldnerdienste (in Ägypten, wie manche Forscher annehmen), in erfolgreichen Beutezügen oder im Handel erworben sein kann. Man kann die Möglichkeiten auch kombinieren. Für den Augenblick müssen wir zugeben, daß uns die Gründe für den plötzlichen Machtzuwachs und für den neuen Reichtum an Edelmetall und anderen Schätzen unbekannt sind. Dies gilt auch für die Gründe, weshalb nur in
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Mykene mit dem Übergang von MH nach SH rituell angeordnete Schachtgräber auftauchten.
Abb. 30: Tholos-Grab. Sogenanntes Schatzhaus des Atreus in Mykene
Die Schachtgräber und ihr Inhalt zeigen einen stetigen Anstieg der technischen und künstlerischen Vervollkommnung und eine wachsende Konzentration der Macht. Einen ähnlichen Anstieg kann man während SH 1 und 2 (die Unterteilungen sind ohnehin schwer zu unterscheiden) in weiten Teilen Mittelgriechenlands und der Peloponnes beobachten. Außerhalb Mykenes (und schließlich auch dort) war aber das sichtbare Symbol eine ganz andere Art von Grabkammer: das sehr eindrucksvolle Tholos- oder Kuppelgrab. Dies war eine runde, in einem Hügel ausgehöhlte Kammer mit einem Zugang (Dromos) in Form eines nach oben offenen Korridors. Die Grabkammer war überwölbt von einer Art Kuppelbau aus immer kleiner werdenden Ringen übereinander vorkragender Steine, die von einem Schlußstein, der über die ursprüngliche Höhe des Hügels hinausragte, gekrönt wurden. Das ganze Bauwerk wurde versiegelt und mit Erde überdeckt und bildete einen imposanten Grabhügel. Man gewinnt eine Vorstellung von den Maßstäben aus den Dimensionen des größten Kuppelgrabs (und eines der spätesten), das uns bekannt ist, des sogenannten »Schatzhauses des Atreus« in Mykene. Es mißt innen 14,5 m im Durchmesser und 13,2 m in der Höhe und hat einen 36 m langen Dromos. Der
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Steinblock über dem Eingang wiegt etwa 100 Tonnen. Nichts bereitet uns auf solche Gräber vor. Es gab in der Architektur weder in Griechenland noch außerhalb Vorgänger. Jeder Zweifel, daß diese Monumente nicht nur von außerordentlicher Macht, sondern auch von einer einzigartigen hierarchischen Stellung innerhalb der Gesellschaft, das heißt, von Königtum, zeugen, wird dadurch beseitigt, daß es gleichzeitig mit den Kuppelgräbern viele Kammergräber mit reichen Beigaben gab, offenbar Ruhestätten von Familien, die einen hohen Rang innerhalb der hierarchischen Ordnung, aber nicht deren Spitze innehatten. Man kann die Verteilung der neuen Dynastien in Mittel- und Südgriechenland auf der Landkarte verfolgen, indem man der Errichtung der Kuppelgräber nachgeht. Die Entstehungszeit der meisten unter ihnen fällt ins 15. Jahrhundert v. Chr. (SM 2). Das Wort »Dynastien« wird durch die Spuren aufeinanderfolgender Bestattungen aus mehreren Generationen im gleichen Grab gerechtfertigt. Jede von ihnen muß für das Öffnen und erneute Versiegeln der Kammer erhebliche Anstrengungen erfordert haben. Man kann allerdings nicht feststellen, ob die Dynastien sich innerhalb der gleichen Familie fortsetzten oder nicht: Usurpatoren sind im Grab nicht mehr als solche zu erkennen. Die Periode der Kuppelgräber ist auch die Zeit, in der eine Tätigkeit auf dem griechischen Festland sich im Ausland für uns in Form größerer Keramikfunde bemerkbar zu machen beginnt. Die Ausbreitung erfolgte zunächst vornehmlich nach Westen (Sizilien und Süditalien), gegen Ende von SH 3 aber auch vermehrt in die andere Richtung, nach Rhodos, Zypern, Milet an der kleinasiatischen Küste und noch andere Orte. Die Tätigkeit, die diese Spuren hinterließ, muß in der letzten Phase der Bronzezeit (SH 3 A und B) stark zugenommen haben. In diesem Zusammenhang ist die begrenzte Thematik der Linear B-Tafeln für uns besonders enttäuschend. Auf dem Festland sind solche Tafeln in größerer Menge in Mykene und Pylos sowie in kleinerem Umfang 1964 in Theben gefunden worden, sonst bisher nirgends. Sie sind sprachlich und inhaltlich denen aus Knossos vergleichbar. Wie dort fehlt jegliche Erwähnung von Handel oder Außenpolitik; wie dort fehlt auch die Dimension der Zeit, da die Tafeln gleichfalls sämtlich dem gleichen Jahr, dem der Zerstörung, entstammen. Wenn das weitgehend angenommene Datum von etwa 1400 für die Zerstörung von Knossos zutrifft, muß Knossos auf der Höhe der Kuppelgrabperiode in die Hände seiner griechisch sprechenden Herren gelangt sein. Allerdings wissen wir nicht, aus welchem Teil Griechenlands sie kamen. Die Annahme, sie seien aus Mykene selbst gekommen, ist willkürlich. Wir wissen auch nicht, wann die Linear B-Schrift auf dem Festland zuerst auftauchte, und unsere Lage wird nicht dadurch gebessert, daß die Einheitlichkeit der »mykenischen« Keramik in Stil und Technik es mit wenigen Ausnahmen unmöglich macht, zwischen den einzelnen Herstellungsorten zu unterscheiden.13 Wenn ein moderner Autor also von »mykenischer Keramik« spricht, die z.B. auf den Liparischen Inseln gefunden worden ist, so meint er Keramik aus einem beliebigen Ort in der mykenischen Welt, nicht notwendig aus Mykene selbst. Zur mykenischen Welt
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gehörten gegen Ende der Periode auch Gegenden wie Rhodos und Zypern, wo z.B. die in Syrien, Palästina und Ägypten gefundene mykenische Keramik fast ausschließlich hergestellt zu sein scheint; in der Periode 3 B hatte Zypern praktisch eine Monopolstellung. Die Einheitlichkeit ist am vollständigsten in der im weitesten Umfang erhaltenen Keramik von SH 3 B. Ein einzelnes Stück aus dieser Periode bietet der örtlichen und zeitlichen Bestimmung (innerhalb etwa eines Jahrhunderts) die größten Schwierigkeiten. Die Frage der Beziehungen zwischen den Zentren auf dem Festland und solchen Orten im Ausland, wo Keramikfunde besonders gehäuft auftreten, ist daher dornenvoll. Man kann als sicher annehmen, daß es ausgedehnten Handel gab und daß schon vor 1400 das Festland Kreta zu verdrängen begann, obwohl wir über die Bedingungen im einzelnen absolut nichts wissen. Manche Erzeugnisse, wie Bernstein und Elfenbein, können mit Sicherheit, andere, wie Gold, Kupfer und Zinn, mit Wahrscheinlichkeit auf keinem anderen Weg als über den Handel nach Griechenland gelangt sein. Aber wie läßt sich entscheiden, ob Rhodos oder Milet, wie behauptet wird, »mykenische Kolonien« waren? Befriedigende Kriterien sind schwer zu finden. Es ist wahr, daß die archäologischen Funde an diesen beiden Orten ausgesprochen »mykenische« Züge tragen. Damit ist aber über ihre politischen Verbindungen zum griechischen Festland nichts ausgesagt. Wenn wir über Rhodos und Milet in der klassischen Zeit nicht reicher informiert wären, könnten wir sie mit dem gleichen Recht »Kolonien« taufen, was natürlich völlig falsch wäre. Andrerseits war Knossos vom griechischen Festland archäologisch so verschieden wie Troia und demnach gewiß keine »Kolonie«, so sollte man annehmen – und hat man angenommen, bis die Entzifferung des Linear B zeigte, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt Griechisch sprechende Menschen dort von anderen die Herrschaft übernähmen. Es ist nicht bekannt, ob der Übernahme ein Bündnis oder irgendeine Form politischer Abhängigkeit vom Festland folgte, wie man auch über die politischen Beziehungen zwischen den Staaten auf dem Festland selbst nichts weiß. Wir haben schon auf die wichtige und verwunderliche Tatsache hingewiesen, daß es für die Architektur der Kuppelgräber in der Bauweise der Wohnstätten keine ähnlich massive Parallele gab. Die Ausgräber in Pylos haben in der unteren Stadt Spuren einer ausgedehnten, vor der Errichtung des großen Palastes bestehenden Siedlung gefunden, deren Geschichte wir aber nicht weit zurückverfolgen können. Das Bild ist für Griechenland nicht untypisch. Wir wissen, daß die Bevölkerung erheblich angewachsen war und in »Dörfern« lebte, die, meist auf Abhängen angelegt, das Ackerland überblickten. Man hat auf dem Festland schon über 400 mykenische Siedlungen gefunden. Außerdem wissen wir, daß die Gesellschaft sich in hierarchische Schichten gegliedert hatte und von einer Kriegerklasse unter Fürsten oder Königen regiert wurde. Dann kam nach 1400 (und an den meisten Orten nicht vor 1300) die dramatische Verschiebung von der Konzentration auf große Grabkammern zur Errichtung einer Anzahl von
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Palastfestungen. Orte wie Tiryns und Mykene auf der Peloponnes, die Akropolis von Athen, Theben und Gla in Böotien und Iolkos in Thessalien glichen jetzt viel eher mittelalterlichen Festungsstädten als den offenen, agglutinierend gebauten kretischen Palastkomplexen. Ein Blick auf die Planskizzen auf S. 330 u. 331 genügt, um zu zeigen, wie verschieden ein mykenischer Palast von einem kretischen war. Es gab zwar immer noch die zellenartige Erweiterung nach Bedarf, aber den Kern bildete jetzt das sogenannte Megaronhaus, das aus einer von Säulen getragenen Vorhalle, einem großen, langen Hauptraum (dem Megaron) und einem dahinterliegenden Lagerraum bestand.
Abb. 31: Plan des Palastes von Knossos. 1. Schautreppe; 2. Nordwest-Freitreppe; 3. Magazine; 4. Westhof; 5. Korridor der Magazine; 6. Eingangshalle; 7. Korridor mit Prozessionsfresko; 8. Südwesteingang; 9. Südkorridor; 10. Südeingang; 11. Vestibül zum Großen Treppenhaus; 12. Haupttreppe; 13. Kapelle; 14. Thronsaal; 15. Vorraum; 16. Nordeingang; 17. Pfeilerhalle; 18, Durchgang zum Mittelhof; 19. Mittelhof; 20. Treppenhaus für die Wohnräume; 21. Magazine mit großen Tonkrügen (Pithoi); 22. Ostbastion; 23. Säulenhof; 24. Lichthof; 25. Halle der Doppeläxte; 26. WC; 27. Gemach der Königin
Die Hinwendung zu Befestigungen und zum Kriegerischen im allgemeinen kann nicht einfach eine Geschmacksfrage gewesen sein, sondern muß ihren Grund in der gesellschaftlichen Situation gehabt haben. In Kreta scheint für Vergleichbares kein Bedarf gewesen zu sein. Die Linear B-Tafeln geben jedoch
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keinen guten Anhaltspunkt. Sie zeigen die gleiche Art von Verwaltung und Kontrollgewalt über die Gesellschaft wie in Knossos (wobei die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs offenbleibt), zeugen von den gleichen Tätigkeiten und enthalten die gleiche Form von Inventaren. Die Palastkunst hilft auch nicht weiter. Sie war völlig unselbständig und zeigt dieselbe Vorliebe für abstrakte Dekoration und Blumenmuster, dieselben einförmigen Prozessionsszenen, denselben statischen, konventionellen Gesamteindruck wie ihre Vorbilder auf Kreta. Sie blieb (wie die Keramik) in der ganzen mykenischen Welt einheitlich und überall gleich unpersönlich. So wurde z.B. nie ein »Ausländer« dargestellt, sei es in Gesichtszügen, Haar- oder Barttracht oder Kleidung – auch nicht in den Schlachtszenen. Diese letzteren bilden, wie zu erwarten, das vielleicht deutlichste Unterscheidungsmerkmal der mykenischen Kunst gegenüber der kretischen. Es gab aber auch auf dem Festland noch nichts Kolossales in Skulptur oder Malerei, was um so verblüffender ist, wenn man sich erinnert, wie lange im 13. Jahrhundert schon dauernder Kontakt mit Kleinasien und Ägypten bestanden hatte. Die einzige Ausnahme bildet, abgesehen vom Löwentor in Mykene, eine Gruppe großer weiblicher Statuen, die man vor kurzem auf der Insel Keos gefunden hat. Für diese gibt es keine Erklärung.
Abb. 32: Plan der Akropolis und des Palastes von Pylos
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Wenn sie, wie man natürlich angenommen hat, Göttinnen darstellten, bilden sie eine doppelte Ausnahme, denn die mykenische Religion hat unglaublich wenige archäologische Zeugnisse hinterlassen, weit weniger noch als die kretische. Es gibt Altäre und Darstellungen von Gottheiten und Kulthandlungen auf Gemmen und Steinsiegeln; die meisten von ihnen sind sogar kretischer Herkunft und ohne Unterscheidungsmerkmale, die sie als mykenisch ausweisen. Aber man kennt kein eindeutig identifizierbares Heiligtum, nicht einmal besondere Kulträume in Häusern und Palästen. Dennoch sind die Linear B-Tafeln voll von Götternamen und Listen von Personal, das anscheinend im Dienst dieser Götter und Göttinnen stand und ihnen ebenfalls in Listen aufgezeichnete Opfer brachte. In Eleusis und Delos (keins von beiden war ein Machtzentrum) hat man sogar Spuren eines Kultgebäudes gefunden. Dies alles hüllt die großen Festungen für uns nur in tiefere Dunkelheit. Man kann nur raten. Pylos war weniger massiv befestigt als Mykene und Tiryns. Das kann auf Konflikten zwischen den Dynastien beruhen: Pylos scheint in seinem Teil von Messenien unangefochten gewesen zu sein, während die Argolis und das Gebiet um Korinth relativ dicht mit Festungen besetzt waren. Man kann sich schwer vorstellen, daß z.B. Mykene und Tiryns sich die Waage hielten und sich in die Herrschaft der Ebene von Argos friedlich teilten. Vermutlich hatten dauernde Überfälle und Kriege in den Jahrhunderten nach den ersten Kuppelgräbern zu einer Vormachtstellung oder Oberherrschaft einiger Dynastien geführt, während die weniger mächtigen und besiegten Fürsten teils untergegangen waren, teils in einer untergeordneten oder abhängigen Stellung weiterlebten. An mehreren Orten, darunter Mykene, Tiryns und Theben, gibt es Spuren schwerer Zerstörungen und Brände, denen Änderungen im Gebäudekomplex und in den Befestigungen folgten. Das deutet auf Kriegsschäden. Zweifellos gab es auch Ehen zwischen den Dynastien, die, wie überall, in Bündnisse und Thronfolge Komplikationen brachten. Mehr als das können wir nicht einmal vermuten. Versuche, die Lücken in unserem Wissen durch Analogien zu den Institutionen des mittelalterlichen Feudalismus zu füllen, können sich auf keine Beweise stützen. Es gibt auch keinen Grund, an eine Oberherrschaft Mykenes zu glauben, weil die Überreste, wie schon bemerkt, überall denen in Mykene gleichen, und schon gar nicht, weil in der homerischen Tradition Agamemnon das Oberkommando einer Koalitionsarmee innehat (seine Autorität steht, nebenbei bemerkt, auch bei Homer auf schwachen Füßen). Pylos war Mykene sicherlich nichts schuldig, und es gibt keinen erkennbaren Grund, für Theben und Iolkos das Gegenteil anzunehmen. VI. Das Ende der Bronzezeit In den hethitischen Archiven gibt es etwa 20 Texte aus der Zeit zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und etwa 1200 v. Chr., in denen ein Königreich Aḫḫijawā erwähnt ist. Seit der Entzifferung dieser Dokumente vor mehr als einem Menschenalter hat man immer wieder versucht, das Volk von Aḫḫijawā
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als »Achäer« zu identifizieren. Das ist der häufigste Name für die Griechen in den homerischen Gedichten, mithin vermutlich der Name (oder ein Name), mit dem sie sich in jener Zeit nannten, die wir als das mykenische Zeitalter kennen (unähnlich den historischen Griechen, die von einem mykenischen Zeitalter keinen Begriff hatten). Die Gründe für und wider sind technisch und kompliziert und lassen keinen endgültigen Schluß zu, aber viele Gelehrte nehmen heute die Gleichsetzung an.14 Die Texte zeigen, daß Aḫḫijawā im ganzen von den Hethitern unabhängig und für sie störend war, besonders gegen Ende des Hethiterreichs, als dieses die Kontrolle zu verlieren begann. Aber wo ist das Königreich zu suchen? Auch hierauf gibt es keine endgültige Antwort. Man hat angenommen, daß die Hethiter tatsächlich mit Achäern vom griechischen Festland zu tun hatten (was, wenn es zuträfe, in der Tat viele Schwierigkeiten lösen helfen würde), aber alle Wahrscheinlichkeit spricht gegen eine solche Vermutung. Vielmehr scheint das Land Aḫḫijawā wesentlich näher zum hethitischen Hoheitsgebiet gelegen zu haben, vielleicht auf der Insel Rhodos. In jedem Fall teilen uns die hethitischen Zeugnisse nicht mehr mit, als daß Männer aus Aḫḫijawā, ob sie mykenische Griechen waren oder nicht, an den Räubereien und Kriegen beteiligt waren, die sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts v. Chr. an den Grenzen des hethitischen Einflußgebiets abspielten. Das Hethiterreich wurde tatsächlich gegen 1200 oder 1190 zerstört, und obgleich wir keine Texte haben, durch die sich die Zerstörer direkt identifizieren ließen, kann man mit wachsender Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie mit den weitreichenden Einfällen einer losen Koalition von Völkern in den östlichen ägäischen Raum in Verbindung stehen, die in ägyptischen Quellen zweimal erwähnt werden und von dort den irreführenden Namen »Seevölker« bekommen haben.15 Die erste Erwähnung bezieht sich auf den Einfall von Libyern und Söldnern ins Nildelta während der Herrschaft des Merenptah um 1220 v. Chr. Unter den Söldnern befanden sich die Akawascha, die man ebenfalls gern mit Achäern identifizieren würde, obwohl die Texte besonders erwähnen, daß sie beschnitten waren und diese Sitte den Griechen der historischen Zeit fremd war und auch für die Bronzezeit nicht nachzuweisen ist. Die zweite Erwähnung ist weit ernsthafter: Ramses III. schlug eine Invasion großen Stils zurück, in der »Seevölker« zu Land und Meer aus Syrien nach Ägypten einfielen. Der großspurige Bericht über seinen Sieg läßt erkennen, daß es sich hier um eine dem Einfall der Germanenstämme ins römische Reich analoge Kombination aus Völkerwanderung und Invasion handelte. Die Ruhmesberichte der Pharaonen sind ebenso phantasievoll wie unzuverlässig, aber man hat guten Grund, dem Kern des Berichts Glauben zu schenken. Die Akawascha sind diesmal nicht erwähnt, und, wie öfter, gibt es keine Einigung über die Identität der anderen genannten Völker mit Ausnahme der Peleset oder Philister, die sich nach ihrer Niederlage an der Küste Palästinas ansiedelten. Das Datum für den Sieg Ramses’ III. im frühen 12. Jahrhundert ist gesichert und daher unendlich wertvoll für archäologische Datierungen in der späten
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ägäischen Bronzezeit. Die Siedlungen der Philister sind fast von Anfang an voll von mykenischer 3 C-Keramik, haben aber keine 3 B-Keramik. Das ist wichtig, weil der Übergang von 3 B nach 3 C überall, auf dem griechischen Festland, den Inseln und in Troia, das Ende der letzten großen Epoche der Bronzezeit bezeichnet. Dies Ende war abrupter als der Zusammenbruch vieler älterer Zivilisationen. Von Thessalien im Norden bis Lakonien im Süden wurde mindestens ein Dutzend Festungen zerstört, darunter Iolkos, Krisa (bei Delphi), Gla, Pylos, Mykene und die Festung, die nahe bei Sparta unter den Resten des Menelaia der klassischen Zeit liegt. Andere befestigte Siedlungen und selbst Friedhöfe wurden aufgegeben. Den archäologischen Funden nach muß all diese Zerstörung auf etwa die gleiche Zeit, gegen 1200, datiert werden, und man kann sich schwer vorstellen, daß sie mit der Tätigkeit der »Seevölker« und der Zerstörer des Hethiterreichs nicht zusammenhing. Das Zusammentreffen wäre zu erstaunlich, um so mehr wenn man sich erinnert, daß die Unruhen sich im Osten bis Mesopotamien, im Westen bis Italien und Sizilien fortsetzten. All dies deutet auf eine große und umfassende Bewegung von Völkern, die nicht nach Art einer echten Koalition zusammenhingen und organisiert waren, aber durch eine gemeinsame Ursache aus ihrem Ursprungsland (oder ihren Ursprungsländern) vertrieben worden waren. Manche Sachverständige suchen den Ausgangspunkt der Unruhen in Europa zwischen Donau und Karpathen, andere ziehen, mit weniger Wahrscheinlichkeit, Kleinasien vor. Zur Zeit geben weder die archäologischen Funde noch die Schlüsse, die man aus der weiteren Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen ziehen kann, eine entscheidende Antwort. Für die Menschen auf dem griechischen Festland kam der Angriff, von wo immer er ursprünglich ausgegangen sein mag, von Norden. Vielleicht wurde in diesem Zusammenhang die große Mauer über den Isthmus von Korinth gebaut, deren Spuren am südöstlichen Ende noch erhalten sind. Sie half jedenfalls nichts. Die Eindringlinge stießen unaufhaltsam vor und zerstörten sowohl die Festungen auf der Peloponnes als auch die Zivilisation, welche diese schützen sollten, völlig. Weil Südgriechenland und Kreta in späteren Jahrhunderten die Heimat des dorischen Dialekts wurden, nehmen viele Historiker an, daß diese Eroberer »Dorer« waren, ein »Zweig« der früheren griechischsprachigen Einwanderer, die sich im nordwestlichen Teil der Halbinsel angesiedelt hatten und dort etwa 1000 Jahre lang außerhalb des Hauptstroms der späteren Bronzezeitkultur blieben, bis sie jetzt Griechenland überfluteten, alle Hindernisse auf dem Weg zerstörten und endlich in der Peloponnes zum Halten kamen. Die Dorer haben keine archäologischen Erkennungszeichen, aber das spricht nicht entscheidend gegen eine solche Ansicht. Es kommt jedoch als Schwierigkeit hinzu, daß die ohnehin nicht umfangreiche spätere griechische Tradition über die Dorer von der »Rückkehr der Herakliden« spricht, was sich mit einem ersten Eintreten in die Peloponnes schwer vereinbaren läßt. Am Ende bleibt die ganze
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Frage, wer die mykenische Welt zerstört hat, offen und ohne feste Anhaltspunkte. Es besteht eine weitere Schwierigkeit in bezug auf Troia. Diese Festung liegt auf einem Höhenzug in geringer Entfernung vom Ägäischen Meer und den Dardanellen und überblickt und beherrscht eine fruchtbare Ebene. Sie hat keine bekannte jungsteinzeitliche Phase, sondern wurde zu Beginn der Bronzezeit gegen 3000 v. Chr. zuerst besiedelt und war von Anfang an Festung. Die Grabungen zeigen im gesamten Verlauf der langen frühen Bronzezeitphase bis etwa 1800 v. Chr. eine bemerkenswerte Kontinuität der Kultur. Nicht, daß diese Jahrhunderte etwa besonders friedlich gewesen wären. Es gab immer wieder Katastrophen, und diese haben zu der uns bekannten Einteilung in fünf deutlich unterscheidbare Schichten geführt. Jedem Bruch scheint aber unmittelbar der Wiederaufbau gefolgt zu sein, ohne daß Anzeichen für neue Bevölkerungselemente sichtbar wären. Troia II war die reichste der fünf Schichten und zeigt eindrucksvolle Goldarbeiten (Schliemanns »Schatz«) mindestens sechs Jahrhunderte vor den Schachtgräbern in Mykene. Was darauf folgte, war ärmer (um nicht »ärmlich« zu sagen), aber anscheinend ohne Bruch in der Kontinuität. Die frühe Kultur Troias hängt archäologisch mit gleichzeitigen Funden auf Inseln in der nördlichen Ägäis, auf den Kykladen, in Thrakien, Makedonien und seltsamerweise weit im Westen auf den Liparischen Inseln zusammen, absolut nicht mit den Hethitern oder Syrern. (Allerdings könnten weitere Grabungen im Nordwesten von Kleinasien im näheren Umkreis von Troia durchaus noch Parallelen liefern.) Es gibt keine weiteren Anhaltspunkte, da man in Troia keine geschriebene Zeile gefunden hat und der Ort in gleichzeitigen Dokumenten anderer Staaten nirgends erwähnt ist. Dann kam gegen 1800 v. Chr. mit Troia VI ohne Vorbereitung eine neue Zivilisation, wie wir es schon für ähnliche wichtige Neuerungen an anderen Orten im ägäischen Bereich beobachten konnten. Sie wurde die weitaus mächtigste von allen Phasen Troias und fand ihren Höhepunkt in einer Periode weit entwickelter militärischer Technik, in der sich komplizierte Befestigungsmauern und allgemein weit fortgeschrittene Architektur finden. Edelmetalle und ästhetisch interessante Arbeit auf anderen Gebieten fehlen dagegen. Es ist kein Zufall, daß in den Ruinen von Troia VI viele Pferdeknochen gefunden worden sind, denn es war das Pferd, das den neuen Bewohnern die entscheidende militärische Überlegenheit über ihre Vorgänger verschaffte. Die großen Mengen von Keramik minyischen Stils (und später Mykenisch 3 A) deuten auf eine enge Verbindung mit Griechenland, so sehr, daß die Ausgräber die vielversprechende Hypothese aufgestellt haben, Troia habe sich in dieser Periode in den Händen von Griechen oder wenigstens einer griechischen Oberschicht befunden. Etwa 500 Jahre später wurde Troia VI durch eine Katastrophe zerstört, deren ungeheure Ausmaße eher auf ein Erdbeben als auf menschliches Einwirken deuten. Der anschließende Wiederaufbau zeigt keine kulturellen Veränderungen, aber, wie nach Troia II, auf allen Gebieten stark
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reduzierte Verhältnisse und Maßstäbe. Diese zusammengeschrumpfte Stadt existierte gleichzeitig mit der letzten großen Phase auf dem griechischen Festland, Mykenisch 3 B, die gegen 1300 begann. Ihre Zerstörung gliedert sich in den Fragenkomplex ein, den wir im Zusammenhang mit dem Ende der mykenischen Welt gerade betrachten. Troia VII a wurde von Menschenhand zerstört. Das zeigen die Funde. Das Datum der Zerstörung ergibt sich nur aus den Keramikfunden und speziell aus der Tatsache, daß Troia VII a nur mykenische 3 B-Keramik hatte, während in der kurzen VII b-Periode auch 3 C-Keramik erschien. Die Funde reichen leider nicht aus, um zu bestimmen, in welchem Stadium von VII b der neue Stil zuerst auftauchte. Wenn die Voraussetzungen gleich wären, würde man zumindest versuchsweise den Schluß ziehen, daß die Zerstörung von Troia VII a ein Teil der allgemeinen Verwüstung war, die gegen 1200 v. Chr. weite Teile der ägäischen Welt traf. Die Voraussetzungen sind aber nicht gleich, und zwar wegen der griechischen Tradition vom Troianischen Krieg, von einer großen Koalition, die vom griechischen Festland kam, nach Troia einfiel und es zerstörte. Wenn diese Tradition überhaupt einen historischen Kern hat, so hat der Troianische Krieg von der griechischen Seite her nur in der Periode 3 B stattfinden können, war also ein Krieg gegen Troia VII a. Daß die Ruinen für Homers große Stadt des Priamos zu armselig sind, ist kein ernsthaftes Gegenargument. So viel Übertreibung muß man jeder längeren mündlichen Tradition zubilligen. Allerdings ist das Datum problematisch. Offenbar ist gegen 1200 keine organisierte mykenische Invasion Troias mehr möglich, da die griechischen Mächte zu jener Zeit schon selbst angegriffen wurden oder bereits niedergeworfen waren. Diese Schwierigkeit ist zu beheben, indem man den Krieg um eine oder zwei Generationen zurückverlegt, was aber seinerseits eine recht willkürliche Datierung der Funde in Troia bedingt. Deshalb schlägt eine kleine Minderheit von Gelehrten vor, die griechische Tradition als im wesentlichen mythisch aufzugeben und Troia seine Sonderstellung in der Geschichte der griechischen Bronzezeit, oder überhaupt jegliche Stellung von Bedeutung in dieser Geschichte abzusprechen.16 Wenn man ohne Erklärung vom Ende oder der Zerstörung einer Zivilisation spricht, verstrickt man sich in Zweideutigkeiten, es sei denn, man analysierte den Begriff und gliederte ihn in seine einzelnen Aspekte. »Zerstörung« hieß vor allem Niederreißen der Paläste und ihrer Befestigungskomplexe. Mit ihnen, so kann man annehmen, ging die spezifische, pyramidenförmige Gesellschaftsstruktur unter, aus der sie ursprünglich entstanden waren. So verschwand etwa das Kuppelgrab, mit einigen rätselhaften, abgelegenen Ausnahmen. Ebenso verschwand die Schrift, was unglaublich scheinen mag, jedoch verständlicher wird, wenn man sich erinnert, daß die einzige uns aus den vorhandenen Zeugnissen bekannte Funktion der Schrift in der mykenischen Welt die war, den Anforderungen der Palastverwaltung zu dienen. Mit dem Palast verschwand die Verwaltung und damit der Bedarf für eine Schrift. Der
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Palast verschwand so gründlich, daß er in der späteren Geschichte des alten Griechenland nie wieder auftauchte. Orte wie Mykene, Tiryns und Iolkos waren in der Periode 3 C nach 1200 weiter bewohnt, aber die Paläste wurden nicht wiederaufgebaut, und weder in Mykene noch irgendwo sonst hat man Linear BTafeln aus dieser Epoche gefunden. Eine so grundsätzliche Veränderung, veranlaßt von der zugewanderten Bevölkerung, mußte notwendig die Form und Verteilung der Siedlungen im allgemeinen verändern. So nahm die Besiedlung am Ende von 3 B nicht nur im ganzen ab, sondern Verschiebungen und Bewegungen dauerten noch lange an. Manche Orte, wie Pylos oder Gla, wurden vollständig aufgegeben. Andere, wie Athen, Theben und mehrere Siedlungen auf der Insel Euböa, blieben in mehr oder weniger reduziertem Maß bewohnt. Wieder andere Gegenden – das östliche Attika, Asine an der argivischen Küste, der Bezirk Achaia am Korinthischen Golf (dessen modernes Zentrum Patras ist) und die Insel Kephallenia im Ionischen Meer – waren jetzt stärker bevölkert als zuvor. Ein Teil dieser Unregelmäßigkeit war zweifellos Ergebnis weiterer Zusammenstöße und Vertreibungen, die dem ersten Zusammenprall gefolgt sein müssen. Man kann außerdem annehmen, daß die kleinen, untergeordneten Gemeinwesen ein anderes Schicksal erfuhren als die großen Machtzentren. Außerdem scheinen sich die Gemeinden in ihrer neuen Situation mehr in sich abgeschlossen zu haben. Die 3 C-Keramik war stilistisch und technisch ein direkter Abkömmling von 3 B, teilte sich aber im Gegensatz zu dieser schnell in deutlich verschiedene örtliche Stile auf. Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß die Paläste als Kontrollorgane der Wirtschaft ihrer jeweiligen Machtsphäre ausfielen und Handel und Verkehr zwischen den einzelnen Landstrichen stark zurückgingen. Abgesehen von der Keramik sind die archäologischen Zeugnisse für die nächsten zwei oder drei Jahrhunderte sehr spärlich und in keinem positiven Sinn recht informativ. Aber diese negative Eigenschaft läßt allein schon gewisse Schlüsse zu. Die Bevölkerung war weniger zahlreich und sehr viel ärmer als zuvor, das heißt, nicht der durchschnittliche Bauer oder Handwerker war ärmer, aber die oberen Klassen waren es. Es ist nicht zu beschönigen, daß die Funde hinter denen der vorigen Periode technisch und künstlerisch zurückblieben, daß Edelmetalle fehlten, und daß es vor allem größere Bauten weder als Paläste noch in Form von Befestigungen oder Kultgebäuden mehr gab. Die mykenische Gesellschaft hatte ihr Haupt verloren, und der verbleibende Teil ging mit den neuen Einwanderern daran, eine neue Art von Gesellschaft aufzubauen. Genau diesen Vorgang kann aber die Archäologie für sich allein wenig erhellen. Daß es eine völlig neuartige Gesellschaft war, zeigt sich für uns später, als die Schrift nach Griechenland zurückkehrt, wodurch wir etwas über die Wirtschaftsverhältnisse und die gesellschaftliche und politische Organisation erfahren. Die Beschränkung auf materielle Überreste und Technologie darf uns das Ausmaß des Bruchs, der stattgefunden hat, nicht verschleiern. Natürlich fuhren die Menschen fort, Ackerbau zu treiben, Herden zu weiden und Keramik
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und Werkzeug herzustellen, und gebrauchten im wesentlichen die gleichen Mittel wie zuvor. (Sie wandten sich aber allmählich mehr und mehr dem neuen Metall zu, das ihnen jetzt zur Verfügung zu stehen begann, dem Eisen.) Sie verehrten auch weiter ihre Götter und führten die nötigen Riten aus, und vermutlich gab es auch auf diesem Gebiet gleichermaßen Fortbestand und Neuerung. Aber die Gesellschaft war anders aufgebaut, beschritt in ihrer Entwicklung ganz neue Wege und schuf sich neue Wertmaßstäbe. Die Jahrhunderte, in denen sich diese neue Welt formte, sind für uns weitgehend ein dunkles Zeitalter. Wir wüßten gern, wie sich die einheimische Bevölkerung zum Verlust ihrer Herrscher und zu dem neu zugewanderten Volk verhielt. Organisierte sie sich in »Dorfgemeinden«? Man hat nach den Linear BTafeln Grund anzunehmen, daß eine Art dörfliche Organisation unter der Königsherrschaft der mykenischen Periode funktionierte, freilich lassen sich die Einzelheiten und selbst die groben Umrisse von deren Tätigkeit aus der unvollständigen und nicht in allen Stücken verständlichen Information der Tafeln kaum entnehmen.17 Man kennt Parallelen aus anderen alten, stark zentralisierten und autoritär regierten Gesellschaften, und es besteht kein Grund, anzunehmen, daß die Dörfer als organisierte Einheiten zugleich mit den großen Machtzentren zerstört wurden. Um etwa zwei Jahrhunderte zu überspringen: Wie kam es zur Ansammlung der Mittel und Entwicklung der Verfahren, die zu den ersten nachmykenischen Auswanderungen zur kleinasiatischen Küste führten, die etwa 1000 v. Chr. begannen und kürzlich durch Ausgrabungen, hauptsächlich in Alt-Smyrna, entdeckt wurden? Leider sind unsere frühesten Dokumente nach der mykenischen Zeit die Ilias und Odyssee und die Gedichte Hesiods. Von diesen ist die Ilias gegen 750 v. Chr. anzusetzen, die übrigen Gedichte etwas später. Das läßt nach der großen Zerstörungswelle eine Lücke von vier Jahrhunderten, in denen zu viel geschah, als daß man es durch Folgerungen und Überlegungen angemessen rekonstruieren könnte. So sehr die Ilias und die Odyssee vorgeben mögen, aus ferner Vergangenheit zu erzählen, unterscheidet sich doch das Gesellschaftssystem, das sie widerspiegeln, grundsätzlich von der Welt der Linear B-Tafeln und befestigten Paläste. Selbst die Terminologie der Gesellschaft und Verwaltung hatte sich von Grund auf verändert. Hesiods Welt stand gar schon an der Schwelle der klassischen griechischen Zivilisation, die sich auf der Polis (d.h. dem Stadtstaat) mit ihren Versammlungen und gewählten Beamten, Tempeln und Kultstatuen, aufbaute. Zu Hesiods Zeit gab es in Griechenland seit einem Jahrhundert oder mehr wieder die Schrift in Form eines echten Alphabets, das von der phönikischen Erfindung übernommen und abgewandelt war und zu Zwecken gebraucht wurde, die der mykenischen Welt völlig unbekannt gewesen waren. Dagegen wurde es in Griechenland selbst nie, wie das Linear B, von einer Kaste berufsmäßiger Schreiber verwandt, um die Tätigkeit einer überall wirkenden Palastverwaltung aufzuzeichnen.
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Die Wurzeln dieser neuen Zivilisation gehen bis zum Ende der Bronzezeit zurück, wenn wir sie auch nicht so weit zurückverfolgen können. Wenn nicht das Leben in einem Gebiet völlig ausgerottet wird, muß es immer eine Form von Kontinuität geben, und in diesem Sinn ist die griechische Geschichte die Fortsetzung ihrer bronzezeitlichen Vorgeschichte. Diese Binsenwahrheit überzubetonen hieße aber, den Akzent an die falsche Stelle zu setzen und zu übersehen, wie grundsätzlich neu die neue Gesellschaft werden sollte. Die Griechen selbst hatten keine Tradition von einem Bruch und daher keine Vorstellung von einer verschiedenen Zivilisation in dem Jahrtausend vor ihrem eigenen, selbst wenn sie undeutlich wußten, daß auf dem Festland wie auf den Inseln einmal andere Sprachen als Griechisch gesprochen worden waren. Ihr »heroisches Zeitalter«, das sie aus den homerischen Gedichten und vielen Sagen (wie etwa der Geschichte von Ödipus) kannten, war für sie nur eine Frühzeit ihrer eigenen Geschichte. Sie wußten vermutlich gar nicht, daß es einmal eine Bronzezeit gegeben hatte; zumindest nahm Herodot an, die ägyptischen Pyramiden seien mit eisernen Werkzeugen errichtet worden. Weder ihre Unwissenheit noch ihr »Wissen« hat für den Historiker heute verpflichtende Autorität.18 Die moderne Archäologie hat eine Welt ans Tageslicht gebracht, von der die Griechen der geschichtlichen Zeit nie träumten. Wenn die Zeugnisse der Funde sich mit den griechischen Mythen nicht vereinen lassen, sind es die letzteren, nicht die ersteren, die der Historiker opfern muß. Anmerkungen Kap. 1: Babylonien unter den Kassiten und das Mittlere Assyrische Reich I. Babylonien
1 Siehe dazu F. Thureau-Dangin, in: Revue d’Assyriologie, Bd. XI (1909), S. 91. 2 In Wirklichkeit hat man den Eindruck, daß das Land der Gutî in den Augen der Bewohner Mesopotamiens eine sehr vage geographische Einheit darstellte. Das Gebiet, in dem diese die Gutî ansetzten, wechselte im übrigen im Lauf der Zeiten sehr oft. 3 Siehe dazu H.G. Güterbock, Die historische Tradition und ihre literarische Gestaltung bei Babyloniern und Hethitern bis 1200, in: Zeitschrift für Assyriologie N F. Bd. VIII (1934), S. 79 / 80. 4 Vgl. F. Schmiedtke, Der Aufbau der babylonischen Chronologie, S. 84 ff. 5 Siehe M.B. Rowton, The Cambridge Ancient History. 2. Aufl. Bd. I, Kap. VI, S. 32 ff., der den augenblicklichen Stand der Diskussion über diese so sehr verworrene
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Frage am besten wiedergibt. Dieser Gelehrte (S. 36) setzt den Tod Puzur-Aššurs III. um 1500 an. 6 Vgl. K. Balkan, Kassitenstudien. Bd. I: Die Sprache der Kassiten. New Haven 1954, S. 95 / 96. 7 Nach M.B. Rowton, a.a.O., S. 37 muß man die Nachfolgeordnung zwischen Karaindaš und Kadašman-Ḫarbe I. umkehren. Dieser war in Wirklichkeit der Vater oder der Bruder des Karaindaš. Dem gleichen Autor zufolge wäre Kurigalzu I. demnach der Bruder oder der Neffe des Karaindaš gewesen. 8 Zur »Vergöttlichung« der kassitischen Könige siehe A. Falkenstein, in: Archiv Orientalni, Bd. XVII (1949), S. 212 / 213 und Nr. 6. 9 Diese Inschrift wurde veröffentlicht von A. Boissier in der Revue d’Assyriologie, Bd. XXIX (1932), S. 96 ff. 10 Vgl. A. Boissier, a.a.O., Zeile 4–6 der Vorderseite. K. Balkan, a.a.O., S. 122 korrigierte die von A. Boissier gegebene Lesart, schrieb aber diese Inschrift Kurigalzu III. zu. 11 Marḫaši ist eine sehr junge Bezeichnung des Gebietes von W/Baraḫsĕ. 12 Es handelt sich um die auf einem kudurru oder Grenzstein gravierte Inschrift, die L.W. King, Babylonian Boundary Stone and Memorial Tablets in the British Museum, London 1912, Nr. 1, veröffentlichte. 13 Nach einem Brief aus der kassitischen Zeit, der veröffentlicht wurde von H.F. Lutz, Selected Sumerian and Babylonian Texts (University of Pennsylvania, The University Museum-Publications of the Babylonian Section). Bd. I 2, Nr. 62, Zeile 4. 14 Vgl. G. Dossin, in: Iranica Antiqua, Bd. II (1952), S. 151 und Tf. XIII. 15 Vgl. F.H. Weissbach, Babylonische Miszellen. 1903, Sp. 2, Nr. 11. Eine andere Meinung vertritt A. Goetze, in: Journal of Cuneiform Studies, Bd. XVIII (1963), S. 99. 16 Kurigalzu schenkte der Ištar z.B. ein wichtiges Gebiet. In der Inschrift (Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum, Bd. XXXVI, Nr. 6– 7), in der über diese Schenkung berichtet wird, wird Ištar »die erhabene Dame, die an der Seite des Königs schreitet, die die Ordnung seiner Truppen
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aufrechterhält, die seine Untertanen beschützt und seine Feinde vernichtet« genannt. Vgl. A. Ungnad, in: Archiv für Keilschriftforschung, Bd. I, S. 29 / 30. 17 Vgl. W.G. Lambert, Babylonian Wisdom Literature. Oxford 1960, S. 176 ff. 18 Vgl. F. Thureau-Dangin, Une relation de la huitième campagne de Sargon. Paris 1912, S. 2 / 3, Zeile 6 / 7. 19 Der Monat Tammuz, in dem man die militärischen Operationen begann, wird auch in einem Brief des Königs Šamši-Adad I. von Assyrien, der in Mari ausgegraben wurde, erwähnt. Der König, der bereits seine Truppen aufgestellt hat, wartet, bevor er die Schlacht beginnt, noch ein Reinigungsopfer und die Feier des eššešu-Festes ab. Vgl. G. Dossin, Archives royales de Mari. 1950, Nr. 10, Rückseite, Zeile 9–15. 20 Vgl. L. Oppenheim, Ein Beitrag zum Kassitenproblem, in: Analecta Orientalia, Bd. XII (Rom 1935), S. 267–274. 21 Vgl. W.G. Lambert, The reign of Nebuchadnezzar I (Vgl. Bibliographie), S. 3 ff. II. Assyrien
1 Vgl. E. Cassin, L’influence babylonienne à Nuzi, in: Journal of Economic and Social History of the Orient, Bd. V (1962), S. 118 ff. 2 Vgl. J. Knudtzon, Die El-Amarna Tafeln. Leipzig 1915 (Vorderasiatische Bibliothek, Bd. II), Nr. 16. 3 G.R. Driver und J.C. Miles, The Assyrian Laws. Oxford 1935, 428–431. 4 Vgl. Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 375, Anm. 2. 5 In einem in Nippur ausgegrabenen und neulich im Archiv für Orientforschung, Bd. XVIII, S. 370 von R. Borger veröffentlichten Brief klagt König Enlil-narāri, daß er nicht genügend Zinn habe. Dieses Dokument ist in einer aus Babylonisch und Assyrisch gemischten Sprache verfaßt. Es bezeugt, daß zu dieser Zeit normale Wirtschaftsbeziehungen zwischen Babylonien und Assur bestanden haben. 6 In der Inschrift von Marduk-nādin-aḫḫē, Schreiber unter Aššuruballiṭ, führt der König ausnahmsweise den einzigen Titel: šar kiššati.
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7 Es handelt sich um einen in dieser Epoche gewiß weit verbreiteten Brauch. Siehe weiter unten S. 82. 8 Es ist nützlich, darauf hinzuweisen, bis zu welchem Maß diese Zahlen unsicher sind. Wie durch Zufall ist die Zahl der von Tukulti-Ninurta deportierten Hethiter doppelt so hoch wie die der von Šalmanassar geblendeten Ḫanigalbatäer. 9 Vgl. G.R. Driver und J.C. Miles, The Babylonian Laws. Oxford 1955, S. 12, Zeile 4–5, und man fügt hinzu (Zeile 6–9): »Der die Sonne über dem Land Sumer und dem Land Akkad aufgehen läßt.« 10 Siehe z.B. wie diese moralischen Eigenschaften der Sonne in der großen Hymne an Šamaš herausgearbeitet sind (B.W. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, S. 126–138). 11 Tukulti-Ninurta schmückt sich in diesem Augenblick mit dem Titel »König der Stadt Sippar und der Stadt Babylon«. Vgl. E. Weidner, Die Inschriften TukultiNinurtas und seiner Nachfolger (vgl. Bibliographie), Nr. 17, Zeile 14. 12 Vgl. E. Weidner, a.a.O., S. 48.
Kap. 2: Hethiter, Ḫurriter und Mitanni
1 Anatolian Studies XII (1962), S. 41 ff.; XIII (1963), S. 43 ff.; vgl. auch Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 25 f. 2 K. Bittel, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 74 (1959), S. 1 ff. 3 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. II, S. 102 f. 4 E. Bilgiç, Die Ortsnamen der kappadokischen Urkunden, in Archiv f. Orientforschung 15 (1945–1951), S. 1 ff. (20 f.); Am. Journ. of Arch. 67 (1963), S. 179. 5 E. Weidner, Boghazköi-Studien 6 (1922), S. 65; vgl. auch Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 103. 6 Bedenken hinsichtlich der Aussagekraft für die ältere Zeit erweckt das Bild von den Meeren als den natürlichen Staatsgrenzen, vgl. S. 114 u.S. 121.
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7 E. Akurgal und M. Hirmer, Die Kunst der Hethiter. 1961, Tafel 94–96. 8 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 100 ff. 9 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 179 ff. 10 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 130 f. (Zeittafel) als Šarrumkēn und Puzuraššur II. 11 K. Bittei, Historia I (1950), S. 289 ff. 12 Zuletzt (mit weiterer Lit.) Revue Hittite et Asianique XVIII (1960), S. 45 ff., und Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 181 f. 13 E. Bilgiç, Die einheimischen Appellativa der kappadokischen Texte, Ankara 1954. 14 H. Kronasser, Etymologie der hethitischen Sprache. 1963, § 78 ff. (S. 138 f.). 15 J. Mellaart, American Journal of Archaeology 62 (1958), S. 9 ff. 16 Hethiter und Hethitisch. 1947, S. 1 ff. 17 Paul Garelli, Les Assyriens en Cappadoce. 1963, S. 20 f., 47, 60 ff. In seiner Kritik am Grabungsbefund aber sicher zu weitgehend und ohne Berücksichtigung der Ergebnisse von Boğazköy (siehe Mitt. d. Deutschen Orient-Ges. 89 (1957), S. 68 ff.) und Fr. Fischer, Boğazköy und die Chronologie der altassyrischen Handelsniederlassungen in Kappadokien. Istanbuler Mitteilungen, Bd. XV (1965), S. 1 ff. 18 Bemerkungen dazu Anatolian Studies XI (1961), S. 18; XIII (1963), S. 21 f. sowie bei W. Orthmann, Frühe Keramik von Boğazköy. 1963, S. 47. 19 K. Balkan, Letter of king Anum-hirbi of Mama to king Warshama of Kanish. 1957. 20 Der obige Brief wurde in einem »Palast« gefunden (K. Balkan, a.a.O., S. 2 ff.), der nach Angabe des Ausgräbers mit der Schicht kārum Kaniš II zeitgleich ist und ungefähr gleichzeitig auch mit deren Zerstörung in Brand aufging (Am. Journ. of Arch. 66 [1962], S. 73). Ob bei der Zerstörung von kārum Kaniš II Anumḫirbi selbst beteiligt war, oder vielleicht die Truppen der in dem historischen Bericht daneben genannten Stadt Zalpa (siehe dazu auch weiter unten zum Anitta-Text), läßt sich lediglich als Frage stellen. – Die von K. Balkan auf der XIII. Rencontre Assyriologique Juli 1964 bekanntgegebenen beiden weiteren Königsnamen Ḫurmili und Zuzu dürften in den Anfang der Periode I b
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gehören, für die nunmehr 33 Jahreseponymen bekannt sind. Eine Dauer der Niederlassung über Anitta hinaus ist auch mit dem neuen Material nicht zu erweisen. 21 Vgl. H.G. Güterbock, Eretz-Israel V (1958), S. 46–50; S. Alp, Belleten XXVII, 107 (1963), S. 377–386; H. Lewy, JCS XVII (1963), S. 103 f. 22 Die Übersetzung des Titels rubā’um als »Fürst« gibt nur eine Möglichkeit wieder; das Boğazköy- Vokabular KBo I 45 setzt rubûm = LUGAL-ûs = »König«. 23 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 184 ff. 24 Dazu neuerdings die Bemerkung von W. Orthmann, Frühe Keramik von Boğazköy. 1963, S. 50. 25 Der Eigenname Anitta ist aus dem ḫurritischen Onomastikon von Nuzi, Mitte des 2. Jahrtausends, bekannt, vgl. Gelb-Purves-Mac-Rae, Nuzi Personal Names, S. 21. – Pitḫana erscheint wieder im nördlichen Syrien bei der Grenzbeschreibung von Ugarit unter Muršili II.: Palais Royal d’Ugarit IV (1956), S. 12, 66. – Schließlich darf man für die Frage nach etwaigen ḫurritischen Herrschaften im frühen Anatolien darauf verweisen, daß in einem Kültepebrief neben dem »Fürsten« ein šinaḫilum genannt wird, »Zweiter an Macht« in einer ḫurritischen Bezeichnung: P. Garelli, Les Assyriens en Cappadoce, S. 343. 26 Vgl. A. Kammenhuber, Saeculum IX, S. 142 f. 27 Vgl. O.R. Gurney, Anatolia ca. 1750–1600 B.C., in: Cambridge Ancient History. 2. Aufl. 1962, S. 9 ff. 28 Nach Anitta scheint noch ein König namens Ammuna bezeugt zu sein. Seine Inschrift folgt auf den Text des Anitta, es kann sich schon darum kaum um den viel späteren Herrscher des Telipinu-Textes handeln (siehe S. 126). Außerdem nennt sich der Verfasser »Großkönig« wie Anitta, aber nicht »König von Ḫatti«; auch sind die von ihm genannten Ortsnamen andere als die mit Ammuna (II.) im Telipinu-Text genannten. Vgl. dazu Atti X Congr. intern. di scienze storiche Rom. Bd. X, S. 215 ff. und die von A. Kammenhuber, Saeculum IX, S. 144, Anm. 41 aufgezeigte Problematik. 29 Vgl. Mitt. d. Deutschen Orient-Ges. 83 (1951), S. 47 ff. Die Schlußfolgerungen dort sind jetzt entsprechend zu modifizieren. Ferner die Synopsis bei K.A. Kitchen, Suppiluliuma and the Amarna Pharaohs. 1962.
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30 Textbearbeitung Zeitschrift f. Assyr. NF 21 (1963), S. 156 ff. Vgl. auch Saeculum XV, 2 (1964), S. 115 ff. 31 Vgl. Fr. Fischer, Die hethitische Keramik von Boğazköy, S. 87 ff. 32 Vorläufige Textvorlage in MDOG 91 (1958), S. 75 ff. 33 Vgl. H.G. Güterbock, JCS XVIII (1964), S. 1 ff. 34 Bulletin of Am. Soc. Or. Res. 146 (1957), S. 20 ff. (A. Goetze), 26 ff. (W.F. Albright). 35 Vgl. Mitt. d. Deutschen Orient-Ges. 86 (1952), S. 59 ff.; B. Landsberger, JCS 8 (1954), S. 52. 36 Vgl. B. Landsberger, JCS VIII (1954), S. 52 f. 37 G. Dossin, Syria XXXIII (1956), S. 63 ff. Für das Mari-Archiv und seine Zeit vgl. Fischer Weltgeschichte Bd. 2. 38 B. Landsberger, JCS VIII (1954), S. 62 ff.; anders A. Goetze, JCS XI (1957), S. 63 ff. 39 A. Goetze, JCS XI (1957), S. 55 f. 40 E. von Schuler, Die Kaškäer. 1965. 41 Vgl. die Zusammenfassung bei Fr. Fischer, Die hethitische Keramik von Boğazköy, S. 22 f. 42 Die kurze Notiz von Th. Beran, Anat. Stud. XII (1962), S. 24 kann nach neueren Grabungsergebnissen nicht verallgemeinert werden. So ist meine Mitteilung bei E. von Schuler, Die Kaškäer, S. 24, Anm. 68, entsprechend zu revidieren. 43 Vgl. demnächst Siegelabdrucke.
Th.
Beran,
Boğazköy-Ḫattuša
44 Siehe Fischer Weltgeschichte, Bd. 2, S. 127 f. 45 A. Goetze, JCS XI (1957), S. 66 ff. 46 Siehe S. 247.
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V:
Die
Siegel und
47 Vgl. A. Goetze, JCS XI (1957), S. 66 f., Anm. 139. 48 Siehe S. 239. 49 A. Goetze, JCS XI (1957), S. 69 und M. Liverani, Oriens Antiquus I. Rom 1962, S. 252 ff. 50 Vgl. demnächst J. Friedrich, Handbuch der Orientalistik, 1. Abt. Bd. II, Lief. 2. 51 E.A. Speiser, Cahiers d’Histoire Mondiale I, S. 315 ff., H.G. Güterbock, ebd. II, S. 383 ff. 52 Vgl. demnächst Siegelabdrucke.
Th.
Beran,
Boğazköy-Ḫattuša
V:
Die
Siegel und
53 Vgl. dazu H.G. Güterbock, Siegel aus Boğazköy. Bd. I. 1940, S. 37 und E. von Schuler, Die Kaškäer. 1965, S. 6 f. 54 Siehe S. 189 und vgl. ZA NF 18, S. 216 ff. 55 Siehe S. 132. 56 Siehe S. 127. 57 Siehe S. 132. 58 Vgl. K.A. Kitchen, Suppiluliuma and the Amarna-Pharaohs; H. Klengel, Mitt. d. Inst. f. Orientf. X (1964), S. 57 ff. sowie OLZ 1964. 59 Siehe S. 133. 60 Für die ägyptischen Quellen vgl. S. 270. 61 So zeigen diese Siegel die längsten Keilschriftlegenden mit ausführlicher Angabe von Titeln und Genealogie, vgl. Th. Beran, oben Anm. 43 u. 52. 62 Für die Frage, wieweit der Mensch Einsicht in den göttlichen Willen hat, ist der aus einem Zusatzstück zu KUB XXI 19 gewonnene Hinweis von Interesse, der gleichzeitig für die Einsetzung Urḫi-Tešups einen neuen Gesichtspunkt bringt: »Und ihn setzte ich in die Königsherrschaft ein. Ob das aber nach eurem göttlichen Willen war, oder ob es nicht nach eurem [Willen] war: ich habe es jedenfalls im Hinblick auf meinen Bruder getan.«
299
63 Nach W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens. 1962, S. 233. 64 Vgl. J. Nougayrol in Palais Royal d’Ugarit IV (1956), S. 113 ff., 117. 65 Vgl. K. Bittel, Grundzüge der Vor- und Frühgeschichte. 2. Aufl. 1950, S. 67; wegen der Hieroglyphenlegende ablehnend H. Th. Bossert, Asia 1946, S. 72 f. Siehe neuerdings Fr. Steinherr, Die hieroglyphen-hethitische Inschrift des Reliefs A am Karabel. Istanbuler Mitteilungen, Bd. XV (1965), S. 17 ff. 66 Vgl. G. Steiner, Saeculum XV, 4 (1964), S. 365 ff. 67 Vgl. E. Laroche, Revue d’Assyriologie 47 (1953), S. 70–78 und Catalogue Nr. 90–93. 68 Vgl. Cl. F.A. Schaeffer, Ugaritica IV (1962), S. 31 ff., 39 ff. 69 Vgl. Mitt. d. Deutschen Orient-Ges. 94 (1963), S. 1 ff.; 10 ff.; G. Steiner, Kadmoś I, 2 (1962), S. 130 ff.
Kap. 3: Syrien-Palästina in der Zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends
1 E.A. Speiser, AASOR 13 (1933), S. 13 ff.; H.L. Ginsberg-B. Maisler, JPOS 14 (1934), S. 243 ff.; M. Noth, ZDPV 65 (1942), S. 9 ff. 2 Für Ugarit-Textsammlungen in akkadischer Keilschrift: J. Nougayrol, Le Palais Royal d’Ugarit (= PRU). Bd. III. 1955; Bd. IV. 1956; in alphabetischer Keilschrift: A. Herdner, Corpus de tablettes en découvertes 1929 à 1939. 1963; Ch. Virolleaud, PRU II (1957); V (1964); C.H. Gordon, Ungaritic Textbook. 1965. Für Alalaḫ: D.J. Wiseman, The Alalakh Tablets. 1953. Für Qatna: J. Bottéro, RA 43 (1949), S. 1 f., 137 ff.; 44 (1950), S. 105 ff. 3 E. Jacob, Ras Shamra-Ugarit et l’ancien Testament, 1960; A.S. Kapelrud, Ras Shamra Discoveries and the Old Testament. 1963; U. Cassuto, The Goddess Anath. 1951 (hebräisch). 4 Für keilschriftlich, kinaḫḫi/kinaḫni, hebräisch kĕna’an und griechisch phoinix = roter Purpur s.E.A. Speiser, Language 12 (1936), S. 121 ff.; B. Maisler, BASOR 102 (1946), S. 7 ff. 5 Andere Bezeichnungen für die asiatischen Gebiete im ägyptischen Sprachgebrauch des NR sind Djahi (Palästina inklusive phönikische Küste) und
300
Ḫaru, das »Ḫurriterland« (von der ägyptischen Grenze bis Mittelsyrien). Für diese Termini siehe A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Bd. I-II. 1947; Helck, Beziehungen, S. 272 ff. 6 ARE II, § 408 ff. Neben den Annalenberichten finden sich auch aufschlußreiche Details auf der Ğebel Barkal-Stele (s.G.A. und M.B. Reisner, ZÄS 69 [1933], S. 24 ff.) und auf der Armant-Stele (siehe R. Mond und D.H. Myers, The Temples of Armant. 1940, Text-Band, S. 182 ff.). Zum geplanten Offensivunternehmen gegen Ägypten vgl. Helck, Beziehungen, S. 119 ff. 7 Möglicherweise der in den Inventarinschriften aus Qatna erwähnte König Duruša, siehe C. Epstein, JNES 22 (1963), S. 242 ff. 8 Für eine Analyse der Megiddoschlacht siehe H.H. Nelson, The Battle of Megiddo. 1913; R. Faulkner, JEA 28 (1942), S. 2 ff.; S. Yeivin, JNES 1950, S. 101 ff. 9 Für Listensammlungen dieser Art siehe A. Jirku, Die ägyptischen Listen palästinensischer und syrischer Ortsnamen. 1937; J. Simons, Handbook for the Study of Egyptian Topographical Lists, etc. 1937; vgl. die topographischen Studien von M. Noth, ZDPV 61 (1938), S. 26 ff.; S. Yeivin, JEA 34 (1950), S. 51 ff. 10 A. Alt, Kleine Schriften, Bd. III. 1959, S. 107 ff. 11 Für einen Vergleich von Städtenamen aus Alalaḫ mit den ägyptischen Ortslisten s.M.C. Astour, JNES 22 (1963), S. 220 ff. Das Fragment einer ägyptischen Stele aus Tell el’Oreime am Tiberiassee erwähnt einen Sieg über Mitanni, der entweder mit dem hiergenannten Feldzug nach Syrien oder mit dem späteren Amenophis’ II. in Zusammenhang zu bringen wäre, siehe W.F. Albright und A. Rowe, JEA 14 (1928), S. 281 ff. 12 W. Wreszinski, Atlas zur altägyptischen Kulturgeschichte. Bd. I, Taf. 4, Bd. II, Taf. 33a-b; N.G. Davies, The Tomb of Rekhmire at Thebes. 1943; –, The Tomb of Menkheperrasonb. 1933, Taf. 4. 13 E. Edel, ZDPV 69 (1953), S. 97 ff.; A. Alt, ZDPV 70 (1954), S. 39 ff.; B. Mazar in The Military History, S. 33 ff.; zu den untenerwähnten Gefangenenlisten vgl. auch J.J. Janssen, Ex Oriente Lux 17 (1963), S. 140 ff. 14 Y. Aharoni, JNES (1960), S. 182; A. Malamat, Scripta Hierosolymitana (Studies in the Bible) 8 (1961), S. 224 f.
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15 Veröffentlicht von B. Hrozný, Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Phil.- Hist. Klasse 52 (1906), S. 36 ff.; siehe W.F. Albright, BASOR 94 (1944), S. 12 ff. 16 A. Malamat, Scripta Hierosolymitana 8, S. 218 ff. 17 Zu den diesbezüglichen Inschriften siehe ARE II, § 816 ff.; Bilabel, Geschichte, S. 47, Anm. 1; H. Carter und P.E. Newberry, The Tomb of Thoutmosis. Bd. IV. 1904. 18 A. Malamat, Scripta Hierosolymitana 8, S. 228 ff. Zur Gezertafel siehe W.F. Albright, BASOR 92 (1943), S. 28 ff. 19 Seine geographischen Listen asiatischer Städte implizieren keineswegs Eroberungszüge in Asien. Eine vor kurzem entdeckte Liste Amenophis’ III. aus Soleb in Nubien nennt zusätzliche, aus früheren Listen noch nicht bekannte Ortsnamen, wie Raphia an der südpalästinensischen Küste. Von besonderem Interesse unter ihnen ist der Ort »Jhw (Jahwe) im Lande der Schasu«, dessen Name an den des Gottes Israels anklingt. Manche Stelle in der Bibel erwähnt speziell, daß Jahwe aus dem Gebiet südlich von Palästina stammt (vgl. Dtn. 33,2; Ri. 5,4; Hab. 3,3), siehe R. Giveon, VT (1964), S. 239 ff. 20 Siehe S. 247. Publikation des Archivs: J. Knudtzon, Die El-Amarna-Tafeln, Bd. III. 1917; mit zusätzlichen Tafeln S.A.B. Mercer, The Tell el-Amarna-Tablets. Bd. I-II, 1939 (fortan als EA bezeichnet). Drei weitere Syrien-Palästina betreffende Briefe: C.H. Gordon Orientalia, N.S. 16 (1947), S. 1 ff.; A.R. Millard, PEQ 97 (1965), S. 140 ff. Mit den komplizierten chronologischen Problemen beschäftigen sich zuletzt K.A. Kitchen, Suppiluliuma and the Amarna Pharaohs. 1962; E.F. Campbell, The Chronology of the Amarna Letters. 1964. 21 Siehe Seite 143 ff. Zu den syrischen Feldzügen Šuppiluliumas vgl. die verschiedenen Arbeiten von A. Goetze, die erste Klio 19 (1924), S. 347 ff. 22 C.F.A. Schaeffer, Ugaritica IV (1962), XIX S. 140 ff.; C. Virolleaud, PRU V, S. 81. 23 Die Vasallenverträge mit Aziru wurden in Boğazköy sowohl in einer akkadischen als auch in einer hethitischen Fassung gefunden; für erstere siehe E. Weidner, Politische Dokumente aus Kleinasien (=BoSt 8–9) 1923, S. 70 ff.; H. Klengel, OLZ 59 (1964), S. 437 ff.; für letztere siehe H. Freydank, MIO 7 (1960), S. 358 ff. Für den Vertrag mit Niqmadu II. von Ugarit siehe PRU IV, S. 284 ff. 24 Zur Korrespondenz Abimilkis, der den Ehrentitel rābiṣu trägt, siehe W.F. Albright, JEA 23 (1937), S. 190 ff.
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25 Siehe S. 148; A. Malamat, VT 5 (1955), S. 1 ff.; Zur geographischen Lage von Amqi siehe Y. Aharoni, IEJ 3 (1953), S. 153 ff. 26 M.A.-K. Mohammed, ASAE 46 (1959), S. 105 ff.; Helck, Beziehungen, S. 256 ff. 27 Siehe S. 153. Für die Staatsverträge mit Ugarit siehe PRU IV, S. 85 ff.; mit Amurru siehe Weidner, Polit. Dokumente, S. 76 ff. (akkad. Fassung); J. Friedrich, MVAG 31 (1930), S. 1 ff. (hethit. Fassung). Zum Schiedsspruch zwischen Barga und Amurru siehe Klengel, Orientalia, N.S. 32 (1963), S. 32 ff. 28 Siehe S. 264 ff. 29 Zu den Reliefs siehe Wreszinski, Atlas. Bd. II, Taf. 34–53a; R.O. Faulkner, JEA 33 (1947), S. 34 ff.; zu den Ortslisten siehe Simons, Handbook, S. 137 ff.; M. North, ZDPV 60 (1937), S. 213 ff.; zu den Stelen aus Bet-Sean siehe A. Rowe, The Topography and History of Beth Shan. Bd. I. 1930, S. 24 ff.; W.F. Albright, BASOR 125 (1952), S. 24 ff. 30 Für weitere Details der Kadešschlacht siehe S. 156 u. 271 f. Zu den topographischen und militärischen Problemen vgl. E. Edel, ZA, N.F. 15 (1949), S. 204 ff.; S. Yeivin, JNES 9 (1950), S. 101 ff.; R.O. Faulkner, MDAIK 16 (1958), S. 93 ff.; A.R. Schulman, JARCE 1 (1962), S. 47 ff.; Yadin, Warfare. Bd. I, S. 103 ff. 31 Die Stelen Sethos’ I. und Ramses’ II. aus Tyrus wurden noch nicht veröffentlicht; siehe Leclant, Orientalia, N.S. 30 (1961), S. 394. Die Scheich Sa’adStele, als »Hiobstein« bekannt, erwähnt einen semitischen Gottesnamen Elkon(e)-saphon, der eine Variante zum insbesondere in Ugarit belegten Baalsaphon ist, siehe R. Giveon, RSO 40 (1965), S. 197 ff. Zur Betschan-Stele siehe J. Černy, Eretz-Israel 5 (1958), S. 75 ff. 32 Y. Kaplan, Die Archäologie und Geschichte von Tel-Aviv-Jaffa. 1959, S. 55 f. (hebräisch). Die bisher nur teilweise veröffentlichten Ortslisten stammen aus Amara-West; siehe Helck, Beziehungen, S. 237 f.; B. Mazar, Yediot 27 (1963), S. 139 ff. (hebräisch). 32a Die Ramses-Inschrift wurde veröffentlicht von K.A. Kitchen, in JEA 50 (1964), S. 47 ff. Zur Balu’a- Stele siehe letztens W.A. Ward und M.F. Martin, Annual Dept. Antiquities Jordan 8–9 (1964), S. 5 ff. 33 A.H. Gardiner, Egyptian Hieratic Texts. Series I, Part I: The Papyrus Anastasi I, etc. 1911; ANET, S. 475 ff.; AOTAT2, S. 101 ff.
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34 B. Mazar, Bull Jewish Palest. Expl. Soc. 12 (1945 / 46), S. 91 ff. (hebräisch); vgl. Landkarte in Views of the Biblical World. Bd. I, S. 238 / 39. 35 Zu dem Fund in Deir ’Allah, der bisher einzigen ägyptischen Inschrift aus Transjordanien südlich des Jarmukflusses, siehe J. Yoyotte, VT 12 (1962), S. 464 ff. Aus etwa derselben Zeit sind dort drei Tontafeln in bis jetzt unbekannter Schrift gefunden worden; siehe H.J. Franken, VT 14 (1964), S. 377 ff.; 15 (1965), S. 150 ff.; A. van den Branden, ebd., S. 129 ff. 36 A. Malamat, JNES 13 (1954), S. 231 ff. Für andere Interpretationen der Vorgänge in Ägypten am Ende der XIX. Dynastie siehe E. Drioton – J. Vandier, L’Égypte. 4. Aufl. 1962, S. 655 f.; Helck, Beziehungen, S. 247 f. 37 Zu diesem Kapitel vgl. Malamat, Der Niedergang der ägyptischen Herrschaft in Kanaan, in: The World History of the Jewish People. Bd. II (und dortige Literaturangaben). 38 Zusammenfassend Noth, Geschichte Israels. 3. Aufl. S. 54 ff.; –, Das System der zwölf Stämme Israels. 1930. Dagegen setzt sich Y. Kaufmann, The Biblical Account of the Conquest of Palestine. 1953 nachdrücklich für die Zuverlässigkeit der biblischen Überlieferung ein. 39 Für eine Spätdatierung siehe Gordon, Geschichtliche Grundlagen, S. 108 ff. –, Biblical and other Studies, hg. von A. Altmann. 1963, S. 3 ff. Zur Frühdatierung vgl. insbesondere die Arbeiten von W.F. Albright, letzte Zusammenfassung BASOR 163 (1961), S. 36 ff.; R. de Vaux, Die hebräischen Patriarchen und die modernen Entdeckungen. 1961; E.A. Speiser, Genesis, (The Anchor Bible). 1964. 40 H. Lubsczyk, Der Auszug aus Ägypten. 1963. Zur biblischen Tradition im Licht des ägyptischen Sachverhaltes vgl. zuletzt S. Herrmann, ZÄS 91 (1964), S. 63 ff. 41 Le problème des Ḫabiru, hg. von J. Bottéro. 1954; M. Greenberg, The Ḫap/biru. 1955; M.P. Gracy, HUCA 29 (1958), S. 135 ff. Zur Etymologie des Wortes siehe R. Borger, ZDPV 74 (1958), S. 130 ff. 42 G.E. Wright-F.V. Filson, The Westminster Historical Atlas to the Bible. 1945, Taf. V; L.H. Grollenberg, Atlas of the Bible, S. 44; vgl. auch H. Cazelles, RB 62 (1955), S. 321 ff. 43 N. Glueck, The Other Side of the Jordan. 1945, S. 125 ff.; Explorations in Eastern Palestine IV, AASOR 25–28 (1951).
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44 Y. Kaufmann, The Religion of Israel. 1960 (eine von M. Greenberg gekürzte Zusammenfassung eines ursprünglich hebräischen Werkes in sieben Bänden). 45 Zu den verschiedenen Hypothesen über die Landnahme vgl. besonders H.H. Rowley, From Joseph to Joshua. 1950; G.E. Mendenhall, The Hebrew Conquest of Palestine, BAR 25 (1962), S. 66 ff.; S. Yeivin in The Military History, S. 59 ff.; B. Mazar in Encyclopaedia Biblica. Bd. I (1950), S. 694 ff. (hebräisch); unsere Rekonstruktion der beiden Eroberungszüge lehnt sich an letztgenannten an. 46 G.E. Wright, Shechem. 1965, S. 80 ff. 47 Albright, Archaeology of Palestine, S. 108 f.; Kenyon, Archaeology in the Holy Land, S. 214 ff.; für Hazor siehe die Ausgrabungsberichte von Y. Yadin u.a., Hazor. Bd. I-IV. 1959–1964. Über Hazor im 2. Jahrtausend siehe A. Malamat, JBL 79 (1960), S. 12 ff. Vgl. andrerseits für die Komplikationen bei einem Vergleich des archäologischen Befundes mit der Landnahmeüberlieferung M. Noth, VT, Suppl. 7 (1959), S. 271 ff. 48 Grundlegend dazu A. Alt, Die Landnahme der Israeliten in Palästina; Erwägungen über die Landnahme etc., in: KS, Bd. I (1953), S. 89 ff. 49 Yadin, Warfare, S. 226 ff.; A. Malamat, Die Eroberung Palästinas zur Zeit Josuas. 2. Aufl. 1954 (hebräisch). 50 Siehe zum Richterbuch O. Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament. 3. Aufl. 1964, S. 342 ff. (mit Literaturangaben); E. Täubler, Biblische Studien – Die Epoche der Richter. 1958; Y. Kaufmann, Das Buch der Richter. 1962 (hebräisch). Für die Richterzeit siehe ausführlicher Malamat in The World History of the Jewish People. Bd. II. 51 Der Begriff wurde eingeführt von Max Weber; siehe Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. III. 1923, S. 47 f., 93 f. Wirtschaft und Gesellschaft. 2. Aufl. 1925, S. 140 ff., 753 ff. Zu dem Richtertum vgl. noch M. Noth in Festschrift A. Bertholet. 1950, S. 404 ff. und zuletzt W. Richter, ZAW 77 (1965), S. 40 ff. 52 Die Erwähnung des nach den biblischen Angaben schon zerstörten Hazor und dessen Königs Jabin in Zusammenhang mit dem Debora-Krieg führte Mazar und, ihm folgend, Aharoni (The Military History, S. 91 ff.) dazu, den Debora-Krieg früher als die Josua- Schlacht, also noch im 13. Jahrhundert anzusetzen. Dagegen verlegen ihn die meisten Forscher in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. W.F. Albright, BASOR 62 (1936), S. 26 ff. (vgl. The Biblical Period, Anm. 82) datiert ihn in die Zeit, als Megiddo in Trümmern lag (zwischen Schicht VII und VI), weil
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das Deboralied als Kriegsschauplatz neben Taanach die Wasser Megiddos, nicht aber die Stadt selbst nennt. 53 Für die Geschichtlichkeit der Aktion eines größeren Stämmekreises, wie das Lied sie, im Gegensatz zu dem Prosabericht, der nur von Sebulons und Naphtalis Teilnahme weiß, schildert, setzt sich neuestens ein R. Smend, Jahwekrieg und Stämmebund. 1963, S. 10 ff., der über das Verhältnis der beiden im Titel seiner Broschüre genannten Institutionen handelt. Zu den einzelnen Stämmen vgl. jetzt H.J. Zobel, Stammesspruch und Geschichte. 1965. 54 A. Malamat, PEQ 85 (1953), S. 61 ff. und ausführlicher in The Military History, S. 110 ff. 55 E. Nielsen, Shechem. 1959, S. 142 ff.; Wright, Shechem, S. 123 ff. 56 O. Eissfeldt, Festschrift G. Beer. 1935, S. 19 ff. (= Kleine Schriften. Bd. II. 1963, S. 64 ff.). 57 Aus der Fülle der Literatur über den Ursprung der Philister seien hier insbesondere die Forschungen von G.A. Wainwright erwähnt (letzte Zusammenfassung JEA 47 [1961], 71 ff.), der eine anatolische Herkunft annimmt. Für vorgriechische Abstammung siehe G. Bonfante, AJA 50 (1946), S. 251 ff.; W.F. Albright, ebd. 54 (1950), S. 162 ff.; V. Georgiev, JKF 1 (1950 / 51), S 136 ff.; F. Lochner-hüttenbach, Die Pelasger. 1960, S. 141 ff. 58 Über die philistäische Keramik siehe T. Dothan, Antiquity and Survival 2 (1957), S. 151 ff.; V.R. Desborough, The Last Mycenaeans etc., 1964, S. 207 ff.
Kap. 4: Das Neue Reich in Ägypten Keine Anmerkungen
Kap. 5: Die Ägäische Welt
1 Professor Otten nimmt in seinem Kapitel über die Hethiter eine mehr agnostische Haltung ein, wir stimmen aber mit einigen seiner allgemeinen Auffassungen über die nächste Phase überein. 2 W.A. McDonald und R. Hope Simpson im American Journal of Archaeology 1964, S. 229–45.
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3 M. Cavalier, Les cultures préhistoriques des îles éoliennes et leur rapport avec le monde égéen, in: Bulletin de correspondance hellénique 84 (1960), S. 319–46. 4 H.W. Catling, Patterns of Settlement in Bronze Age Cyprus, in: Opuscula Atheniensia 4 (1962), S. 141. 5 Man vergleiche den Schlußabschnitt von Kapitel 2 dieses Bandes über die Hethiter, oben S. 172 ff. 6 Vgl. die Artikel von P. Faure im Bulletin de correspondance hellénique 82 (1958), S. 495–515; 84 (1960), S. 189–220; 86 (1962), S. 36–56; 87 (1963), S. 493–508. 7 Vgl. zum Beispiel Doro Levi, Per una nuova classificazione della civiltà minoica, in: La Parola del Passato 15 (1960), S. 81–121; J. Deshayes, A propos de Minoen Ancien, in: Bulletin de correspondance hellénique 86 (1962), S. 543–68. 8 J.T. Killen, The Wool Industry of Crete in the Late Bronze Age, in: Annual of the British School at Athens 59 (1964), S. 1–15. 9 So viel wird von R.J. Buck, The Minoan Thalassocracy Re-examined, in: Historia 11 (1962), S. 129–37 zugegeben. Der Artikel ist eine Antwort auf C.G. Starr, The Myth of the Minoan Thalassocracy, in: Historia 3 (1955), S. 282–91. 10 Die technischen archäologischen Argumente beider Parteien in der Debatte über das Datum sind ausführlich dargestellt in L.R. Palmer und J. Boardman, On the Knossos Tablets. Oxford 1963. 11 G. Karo, Die Schachtgräber von Mykenai. 2. Bde. München 1930 bis 1933 (Bd. I, S. 43). 12 Vgl. allgemein T.G.E. Powell, Some Implications of Chariotry, in: Culture and Environment. Essays in Honour of Sir Cyril Fox. London 1964, S. 153–69. 13 Vielleicht wird einmal eine wissenschaftliche Analyse des Tons Unterscheidungsmöglichkeiten liefern, aber diese Methode steckt noch in den Anfängen. 14 Pro: D.L. Page, History and the Homeric Iliad. Sather Classical Lectures, Bd. 31. Berkeley-Los Angeles 1959; contra: G. Steiner, Die Aḫḫijawā-Frage heute, in: Saeculum 15 (1964), S. 365–92.
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15 Vgl. P. Mertens, Les Peuples de la Mer, in: Chronique d’Egypte 35 (1960), S. 65– 88. 16 Vgl. M.I. Finley, The Trojan War, mit Entgegnungen von J.L. Caskey, G.S. Kirk und D.L. Page im Journal of Hellenic Studies 84 (1964), S. 1–20. 17 Dieses für die früheste nachmykenische Periode zentrale Problem ist von Historikern noch kaum untersucht worden. Vgl. F. Papazoglou, On the Question of the Continuity of Social Structure in Mycenaean and Homeric Greece (Russisch geschrieben), in: Vestnik Drevnij Istorii 1961, Nr. 1, S. 23–41, außerdem J.-P. Vernant, Les origines de la pensée grecque. Paris 1962, Kapitel I-III. 18 Eine von der unseren völlig verschiedene Auffassung, die die griechischen Mythen und Legenden als geschichtliches Quellenmaterial zugrunde legt, findet man in den einschlägigen Kapiteln von A Companion to Homer, hg. von A.J.B. Wace und F.H. Stubbings. London 1962. Literaturverzeichnis Kap. 1: Babylonien unter den Kassiten und das Mittlere Assyrische Reich a) Chronologie Die chronologischen Probleme dieser Epoche sind so komplex, daß sie hier nur gestreift werden konnten. Für einzelne Fragen kann man die folgenden Aufsätze heranziehen: Goetze, A., The Kassite and Near-Eastern Chronology, in: Journal of Cuneiform Studies, Bd. XVIII (1964), S. 97–101 Lewy, H., On some Problems of Kassite and Assyrian Chronology. Mélanges Isidore Lévy, in: Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire Orientales et Slaves, Bd. XIII (1953), S. 241–291 Rowton, M.B., Chronology, in: The Cambridge Ancient History. 2. Aufl. Bd. I, Kap. VI. Cambridge 1962 Schmiedtke, F., Der Aufbau der babylonischen Chronologie. Münster 1952 Smith, S., Alalakh and Chronology. London 1940 –, Compte-rendu de la Seconde Rencontre Assyriologique Internationale, S. 67– 70 Tadmor, H., Historical Implications of the Correct Rendering of Akkadian dâku, in: Journal of the Near-East Studies, Bd. XVII (1958), S. 129–141 Thureau-Dangin, F., La Chronologie de la première Dynastie babylonienne. Mémoires de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Bd. 43, 2. Heft. Paris 1942
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b) Babylonien Balkan, K. Kassitenstudien. Bd. I: Die Sprache der Kassiten (= American Oriental Series, Bd. 37). New Haven 1954 Bernhardt, I. und Jussi, A., Mittelbabylonische Briefe in der HilprechtSammlung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bd. VIII (1958 / 59), S. 565–574 Brinkman, J.A., A preliminary catalogue of written sources for a political history of Babylonia: 1160–722 B.C., in: Journal of Cuneiform Studies, Bd. XVI (1962), S. 83–109 Edzard, D.O., Die Beziehung Babyloniens und Ägyptens in der Mittelbabylonischen Zeit und das Gold, in: Journal of Economic and Social History of the Ancient Orient 1960, S. 40–55 Elwally, F., Synopsis of Royal Sources of the Cassite Period, in: Sumer, Bd. X, S. 43–54 Gurney, O.R., Texts from Dur-Kurigalzu, in: Iraq, Bd. XI, S. 131–149 –, Further Texts from Dur-Kurigalzu, in: Sumer, Bd. IX, S. 21–34 Jaritz, K., Quellen zur Geschichte der Kassu-Dynastie. Mitteilungen des Instituts für Orientforschung (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin), Bd. V (1957) Labat, R., Elam c. 1600–1200 B.C., in: The Cambridge Ancient History. Rev. Auflage. Bd. II, Kap. XXIX. Cambridge 1963 –, Elam and Western Persia c. 1200–1000 B.C., in: The Cambridge Ancient History, Bd. II, Kap. XXXII. Cambridge 1963 Lambert, B.W.: Babylonian Wisdom Literature. Oxford 1960 –, The reign of Nebuchadnezzar I, in: McCullogh, The Seed of Wisdom. Toronto 1964, S. 3–13 c) Assyrien Andrae, W., Das wiedererstandene Assur. Leipzig 1938 Ebeling, E., Urkunden des Archivs von Assur, in: Mitteilungen der altorientalischen Gesellschaft, Bd. VII, Fasc. 1 und 2 (1933) Ebeling, E., Meissner, B. und Weidner, E.F., Die Inschriften der altassyrischen Könige (= Altorientalische Bibliothek I). Leipzig 1926 Fine, H.A., Studies in Middle-Assyrian Chronology and Religion. Cincinnati 1955 Finkelstein, J.J., Cuneiform Texts from Tell Billa, in: Journal of Cuneiform Studies, Bd. VII (1953), S. 111–176 Frankena, R., Tākultu De Sacrale Maaltijd In Het Assyrische Ritueel. Leiden 1954
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Koschaker, P., Neue keilschriftliche Rechtsurkunden aus der El-Amarna-Zeit. Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XXXIX, Fasc. 5. Leipzig 1928 Labat, R., Le Caractère Religieux de la Royauté Assyro-Babylonienne. Études Assyriologiques, Bd. II. Paris 1939 Lewy, J., The Middle Assyrian Votive Bead Found at Tanis. Ignace Goldziher Memorial. Budapest 1948. Bd. I, S. 313–327 Luckenbill, D.D., Ancient Records of Assyria and Babylonia. Bd. I. Chikago 1926 Schumpeter, J., Social Claases Imperialism Weidner, E., Die Inschriften Tukulti-Ninurtas I. und seiner Nachfolger, in: Archiv für Orientforschung, Beiheft 12 (1959) –, Die Hof- und Haremerlasse, in: Archiv für Orientforschung, Bd. XVII –, Aus den Tagen eines assyrischen Schattenkönigs, in: Archiv für Orientforschung, Bd. X, S. 1–52
Kap. 2: Hethiter, Ḫurriter und Mitanni a) Allgemeines Akurgal, E. und Hirmer, M., Die Kunst der Hethiter. 1961 Bittel, K.u.a., Kunst und Kultur der Hethiter. 1961 The Cambridge Ancient History. Rev. Auflage. 1965: Lewy, H., Anatolia in the old Assyrian period; Goetze, A., The struggle for the domination of Syria (1400– 1300 B.C.). Anatolia from Shuppiluliumash to the Egyptian war of Muwatallish. The Hittites and Syria (1300–1200 B.C.) Delaporte, L., Les Peuples de l’Orient Méditerranéen I, in: Le Proche-Orient Asiatique. 1938 Garstang-Gurney, The Geography of the Hittite Empire. 1959 Goetze, A., Das Hethiter-Reich. 1928 –, Kulturgeschichte des Alten Orients: Kleinasien. 2. Aufl. 1957 Gurney, O.R., The Hittites. 1962 Historia, Einzelschriften, Heft 7, Neuere Hethiterforschung (1964), hg. von G. Walser Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 83 ff. 1951–1964 Scharff-Moortgat, Ägypten und Vorderasien im Alter tum. 1950 Schmökel, H., Geschichte des Alten Vorderasien, in: Handbuch der Orientalistik II, 3. 1957 Soden, W.V., Sumer, Babylon und Hethiter bis zur Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. sowie der Nahe Osten im Altertum, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. I und II. 1961 / 62 b) Hethitische Staatengründung und Altes Reich
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Balkan, K., Letter of King Anum-Ḫirbi of Mama to King Waršama of Kaniš. 1957 Bittel, K., Grundzüge der Vor- und Frühgeschichte Kleinasiens. 2. Aufl. 1950 Garelli, P., Les Assyriens en Cappadoce. 1963 Gurney, O.R., Anatolia c. 1750–1600 B.C., in: The Cambridge Ancient History. 1962 Hardy, R.S., The Old Hittite Kingdom, in: American Journal of Semitic Languages and Literatures 57. 1941 Kammenhuber, A., Die hethitische Geschichtsschreibung, in: Saeculum IX, Heft 2 Otten, H., Das Hethiterreich, in: H. Schmökel, Kulturgeschichte des Alten Orient. 1962 Sommer-Falkenstein, Die Hethitisch-Akkadische Bilingue des Ḫattušili I. (Labarna II.). 1938 c) Die Ḫurriter. Der Mitanni-Staat Bittel, K., Nur hethitische oder auch hurrirische Kunst?, in: Zeitschrift für Assyriologie NF 15. 1950 Gelb, I.J., Hurrians and Subarians. 1944 Goetze, A., Hethiter, Churriter und Assyrer. 1936 Moortgat, A., Archäologische Forschungen der Max Freiherr von OppenheimStiftung im nördlichen Mesopotamien 1955 und 1956. 1957 und 1959 O’Callaghan, R.T., Aram Naharaim. 1948 Speiser, E.A., The Hurrian Participation in the Civilizations of Mesopotamia, Syria and Palestine, in: Cahiers d’Histoire Mondiale. 1953 / 54 d) Das hethitische Großreich Bittel-Naumann, Boğazköy-Ḫattuša. 1952 Bittel, K.u.a., Boğazköy III. 1957 Edel, E., Die Abfassungszeit des Briefes KBo I 10 und seine Bedeutung für die Chronologie Ramses II., in: Journal of Cuneiform Studies 12. 1958. Güterbock, H.G., The Deeds of Šuppiluliuma, in: JCS 10. 1956 Helck, W., Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. 1962 –, Urḫi-Tešup in Ägypten, in: JCS 19. 1963 Kitchen, K.A., Šuppiluliuma and the Amarna Pharaohs. 1962 Klengel, H., Aziru von Amurru und seine Rolle in der Geschichte der Amārnazeit, in: Mitteilungen des Instituts f. Orientf. Bd. X, Heft 1. 1964 –, Geschichte Syriens im 2. Jahrtausend v.u.Z. Teil 1: Nordsyrien. Veröffentlichung des Instituts für Orientforschung, Nr. 40. Berlin 1965 Laroche, E., Šuppiluliuma II., in: Revue d’Assyriologie 47. 1953
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Otten, H., Korrespondenz mit Tukulti-Ninurta I. aus Boğazköy, in: E. Weidner, Archiv für Orientforschung, Beiheft 12. 1959 –, Ein Brief aus Ḫattuša an Bâbu-aḫu-iddina, in: Archiv für Orientforschung 19. 1959 / 60 –, Der Weg des hethitischen Staates zum Großreich, in: Saeculum 1964 Rowton, M.B., The Background of the Treaty between Ramesses II. and Ḫattušiliš III, in: JCS 13. 1959 Steiner, G., Die Aḫḫijawā-Frage heute, in: Saeculum 1964 Kap. 3: Syrien-Palästina in der Zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends CR/> a) Allgemeines und Gesamtdarstellungen Abel, F.M., Géographie de la Palestine. Bd. I-II. 1933–38 Aharoni, Y., The Land of Israel in Biblical Times – A Geographical History. 1962 (hebräisch) Albright, W.F., Archaeology of Palestine. 2. Aufl. 1956 –, The Role of the Canaanites in the History of Civilization, in: The Bible and the Ancient Near East, hg. von G.E. Wright. 1961, S. 328–362 Alt, A., Kleine Schriften, Bd. I. 1953; Bd. III. 1959 Barrois, A.G., Manuel d’archéologie biblique. Bd. I-II. 1939–53 Bilabel, F., Geschichte Vorderasiens und Ägyptens vom 16.–11. Jahrhundert v. Chr. 1927 Bossert, H.T., Altsyrien. 1951 O’Callaghan, R.T., Aram Naharaim. 1948 Dussaud, R. L’art phénicienne du Ilme millénaire. 1949 Eissfeldt, O., Kleine Schriften. Bd. II. 1963 Gray, J., The Canaanites. 1964 Helck, W., Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. 1962 Jirku, A., Geschichte Palästina-Syriens im orientalischen Altertum. 1963 Kenyon, K., Archaeology in the Holy Land, 1960 Liverani, M., Storia di Ugarit. 1962 Maag, V., Syrien-Palästina, in: Kulturgeschichte des Alten Orients, hg. von H. Schmoekel. 1961, S. 448–604 Maisler, B., Untersuchungen zur alten Geschichte und Ethnographie Syriens und Palästinas. 1930 Malamat, A., The Aramaeans in Aram Naharaim and the Rise of their States. 1952 (hebräisch) Meyer, E., Geschichte des Altertums. Bd. II. 3. Aufl. 1953 The Military History of the Land of Israel in Biblical Times, hg. von J. Liver. 1964 (hebräisch) Moscati, S., Geschichte und Kultur der semitischen Völker. 3. Aufl. 1958 Olmstead, A.T., History of Palestine and Syria. 1931
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Schaeffer, C.F.A., Stratigraphie comparée et chronologie de l’Asie occidentale. 1948 Schmoekel, H., Geschichte des Alten Vorderasiens. 1957 Yadin, Y., The Art of Warfare in Biblical Lands. Bd. I-II. 1963 Wright, G.E., Biblische Archäologie. 1958 b) Die Frühgeschichte Israels Albright, W.F., The Biblical Period from Abraham to Ezra. 1963 Auerbach, E., Wüste und gelobtes Land. Bd. I, 1932 Bright, J., A History of Israel. 1959 –, Altisrael in der neueren Geschichtsschreibung. 1961 Burney, C.F., Israel’s Settlement in Canaan. 1918 Garstang, J., Joshua-Judges. 1931 Gordon, C.H., Geschichtliche Grundlagen des Alten Testaments. 2. Aufl. 1961 Kraus, H.J., Israel, in: Propyläen Weltgeschichte. Bd. II. 1962, S. 237 ff. Maisler, B., Die Geschichte Palästinas. Bd. I. 1938 (hebräisch) Malamat, A., The Period of the Judges, in: The World History of the Jewish People. Bd. II (hebräisch und englisch im Druck) Neher, A. und R., Histoire biblique du peuple d’Israel. Bd. I. 1962 Noth, M., Geschichte Israels, 3. Aufl. 1956 Pedersen, J., Israel, Its Life and Culture. Bd. I-IV. 1926–40 Rad, G.v., Theologie des Alten Testaments. Bd. I. 1957 Smend, R., Jahwekrieg und Stämmebund. 1963 Vaux, R. de, Les institutions de l’Ancien Testament. Bd. I-II. 1958–60 Views of the Biblical World. Bd. I-II, hg. von M. Avi-yonah, A. Malamat, B. Mazar und S. Talmon. 1959–60
Kap. 4: Das Neue Reich in Ägypten a) Die XVIII. Dynastie (etwa 1560–1309) Aldred, C., New Kingdom Art in Ancient Egypt during the XVIIIth Dynasty. 2. Aufl. London 1961 Barguet, P., Le Temple d’Amon-Rê à Karnak. Essai d’exégèse. Kairo 1962 Campbell, E.F., The Chronology of the Amarna Letters. Baltimore 1963 Desroches-Noblecourt, Chr., Leben und Tod eines Pharao. Tut-ench-Amun. Frankfurt-Berlin 1963 Drioton, E. und Vandier, J., L’Egypte (Clio II). 4. Aufl. Paris 1962 Gardiner, A.H., Geschichte des Alten Ägypten. Stuttgart 1965 Hayes, W.C., The Scepter of Egypt. Teil II: The Hyksos Period and the New Kingdom. New York 1959
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Hayes, W.C., in Cambridge Ancient History. Revidierte Aufl. Bd. II, Kap. IX, Teil 1–2: Internal Affairs from Tuthmosis I to the death of Amenophis III. Cambridge 1962 Helck, W., Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. Wiesbaden 1962 –, Zur Verwaltung des Mittleren und Neuen Reichs. Leiden-Köln 1958 Hornung, E., Untersuchungen zur Chronologie und Geschichte des Neuen Reiches. Wiesbaden 1964 Smith, W.S., The Art and Architecture of Ancient Egypt. London 1958 Vandier, J., Manuel d’Archéologie égyptienne. Bd. II-V. Paris 1954 bis 1964 Die angewandte Chronologie ist die von E. Hornung vorgeschlagene. Die als Anhaltspunkte gegebenen absoluten Daten gelten nur mit einem Spielraum von einigen Jahren. b) Die Ramessiden (1309–1080) Gardiner, Sir Alan, Geschichte des Alten Ägypten. Stuttgart 1965, S. 272–350 Hayes, William, C., The Scepter of Egypt. Bd. II. Cambridge (Mass.) 1959, S. 326– 434 Meyer, Eduard, Geschichte des Altertums. Bd. II, 1. und 2. Aufl. Stuttgart-Berlin 1928, S. 426–486. (Die neunzehnte Dynastie. Ägypten und das Chetiterreich); S. 486–511 (Die Kultur der Ramessidenzeit); S. 576–607 (Merenptah-Ende der XX. Dynastie)
Kap. 5: Die Ägäische Welt In den Anmerkungen erwähnte Bücher und Artikel sind hier nicht noch einmal aufgeführt. a) Allgemeine Darstellungen Cambridge Ancient History. Von der neuen, durchgesehenen und veränderten Ausgabe von Bd. I und II erscheinen zur Zeit die einzelnen Kapitel als Faszikel in der Reihenfolge ihrer Fertigstellung. Hutchinson, R.W., Prehistoric Crete. Penguin Books 1962 Marinatos, S. und Hirmer, M., Kreta und das mykenische Hellas. München 1959 Matz, F., Kreta, Mykene, Troia. 2. Aufl. Stuttgart 1956 Schachermeyr, F., Die ältesten Kulturen Griechenlands. Stuttgart 1955 Taylour, Lord W., The Mycenaeans. London 1964 Vermeule, E., Greece in the Bronze Age. Chikago und London 1964 b) Einzeluntersuchungen
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Ålin, P., Das Ende der mykenischen Fundstätten auf dem griechischen Festland. Lund 1962 Blegen, C.W., Troy and the Trojans. London 1963 Caskey, J.L., The Early Helladic Period in the Argolid, in: Hesperia 29 (1960), S. 285–303 Chadwick, J., Linear B. Die Entzifferung der mykenischen Schrift. Göttingen 1959 Desborough, V.R. d’A., The Last Mycenaeans and Their Successors. Oxford 1964 Graham, J.W., The Palaces of Crete. Princeton 1962 Matz, F., Göttererscheinung und Kultbild im minoischen Kreta, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 1958, Nr. 7 Mylonas, G.E., Ancient Mycenae. Princeton 1957 –, The Cult of the Dead in Helladic Times, in: Studies Presented to David Moore Robinson, hg. von G.E. Mylonas. Bd. I. St. Louis 1951, S. 64–105 Pendlebury, J.D.S., The Archaeology of Crete. London 1939. Nachdruck New York 1963 Reverdin, O. und Hoegler, R., La Crète, Berceau de la civilisation européenne. Luzern 1960 Schachermeyr, F., Die minoische Kultur des alten Kreta. Stuttgart 1964 Schliemann, H., Mykenae. Neuausgabe von E. Meyer. Darmstadt 1964 Ventris, M. und Chadwick, J., Documents in Mycenaean Greek, Cambridge 1956 Vercoutter, J., Essai sur les relations entre Egyptiens et Préhellènes. Paris 1954 Wace, A.J.B., Mycenae. Princeton 1949 Zervos, C, L’art des Cyclades du début à la fin de l’âge du bronze, 2500–1100 avant notre ère. Paris 1957 Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
1 Babylonien und Assyrien in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.: nach einer Vorlage von Madame Elena Cassin, Paris 2 Fassade des Inanna-Tempels in Uruk: Foto Staatl. Museen, Berlin 3 Rollsiegel aus Theben: Foto Prof. Platon, Athen 4 Terrakotta-Löwe aus Dūr-Kurigalzu, Iraq Museum, Bagdad: Foto Hirmer Fotoarchiv, München 5 Wandrelief aus Susa, um 1170–1151 v. Chr., heute Louvre, Paris: Foto Hirmer Fotoarchiv, München
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6 Vorderasien unter der Herrschaft der Hethiter: nach Großer Historischer Weltatlas I, herausgegeben vom Bayerischen Schulbuch-Verlag, München 7 Dolch des Anitta: Foto Prof. T. Özgüç, Ankara 8 Siegel des Saušsatar: Foto Semitic Museum of the Harvard University 9 Ansatz der hethitischen Landschaften nach zwei Gewährsleuten. 1. nach Götze; 2. nach Garstang- Gurney: nach W. Helck, Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. 1962, S. 207 10 Umzeichnung des Siegels Muršilis III.: Foto Prof. Dr. Heinrich Otten, Marburg / Lahn 11 Yazilikaya. König Tutḫalija IV. von Gott Šarruma beschützt. Relief an der Ostwand des Felsenraumes B.: Foto Hirmer Fotoarchiv, München 12 Syrien-Palästina in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Dr. Abraham Malamat, Jerusalem 13 Stele aus Ugarit, den Abschluß eines Vertrages darstellend: Foto Cotta Verlag, Stuttgart 14 Hazor. Kanaanäischer Altar aus jungbronzezeitlicher Schicht (14. bis 13. Jahrhundert v. Chr.) mit der Skulptur einer Gottheit und Masseben: Foto Prof. Y. Yadin, Jerusalem 15 Eroberung des Landes Moab durch Ramses II. Eroberte moabitische Festungsstadt und Gefangene. Relief am Tempel von Luksor: Foto Prof. K.A. Kitchen, Liverpool 16 Echnaton (Amenophis IV.) und seine Familie unter den Strahlenarmen des Gottes Aton. Reliefstudie zu einem Hausaltar, um 1370 v. Chr.: Foto Marburg 17 Ägypten zur Zeit des Neuen Reiches: nach einer Vorlage von Herrn Prof. Dr. Jaroslav Černy, Oxford, und Herrn Prof. Jean Yoyotte, Paris 18 Ramses II.: Foto Giustino Rampazzi, Turin 19 Seeschlacht Ramses’ III. gegen die Seevölker: Foto The Oriental Institute of the University of Chicago 20 Die ägäische Welt: nach einer Vorlage von Herrn Dr. M.I. Finley, Cambridge
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21 Griechenland in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.: nach einer Vorlage von Herrn Dr. M.I. Finley, Cambridge 22 Kykladenschiff: nach Ephemeris Archaiologica 1899, S. 90 23 Marmornes Kykladenidol aus Syros: nach Friedrich Matz, Kreta und frühes Griechenland. Baden-Baden 1962, S. 58 (Holle-Verlag, Baden- Baden) 24 Kreta in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.: nach einer Vorlage von Herrn Dr. M.I. Finley, Cambridge 25 Siegelstein aus Kreta mit Linear A-Schrift. 1. Vorderseite; 2. Grundfläche; 3. Rückseite: nach Arthur Evans, The Palace of Minos at Knossos. London 1921, Bd. I, S. 640 (MacMillan and Co. Ltd., London) 26 Schrifttäfelchen. 1. Hieroglyphentäfelchen aus Phaistos; 2. Linear A-Täfelchen aus Hagia Triada; 3. Pylos-Täfelchen Aa 62; 4. Täfelchen aus Knossos (Es zeigt den Namen eines Mannes, einen vollständigen Wagen mit Rädern, einen Küraß und ein Pferd): nach J. Chadwick, The Decipherment of Linear B. Cambridge 1959 (Cambridge University Press) 27 Sarkophag aus Hagia Triada. 1. Vorderseite; 2. Rückseite: Foto Alison Frantz, Athen 28 Thronsaal des Palastes von Knossos: Foto Hirmer Fotoarchiv, München 29 Schachtgrabstele aus Mykene: nach Emily Vermeule, Greece in the Bronze Age. Chicago 1964, S. 93 (University of Chicago Press) 30 Tholos-Grab. Sogenanntes Schatzhaus des Atreus in Mykene: Hirmer Fotoarchiv, München 31 Plan des Palastes von Knosses: nach Friedrich Matz, Kreta, Mykene, Troja. Stuttgart 1956, Tf. 24 (Cotta Verlag, Stuttgart) 32 Plan der Akropolis und des Palastes von Pylos: nach The American Journal of Archaeology 65 (1961), Tf. 53, Fig. 1 (The Archaeological Institute of America)
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