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'""GRIECHISCHE EPIGRAPHIK
Von
Günther Klaffenbach
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GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT . 1957
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Studienhefte zur Altertumswissenschaft Herausgegeben von B runo Snell und Hartmut Erbae, Harnburg
Heft 6
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Vandenhoeok &Rupr echt, Gilttingen 19b7 Prlnted in Germany
Geaamthentellong: Hubort & Co., G ilt tingen
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Dem verpflichtenden Gedächtnis
an MIOHEL FEYEL
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24. 4. 1945 in Sandboatel bei Hannover
und MARIO S EGRE
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24. 5. 1944 in Auschwitz
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INHALT I . Grundlegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Geschichte der griechischen Epigraphik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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lll. Die wichtigsten Inschriftenpublikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Die griechische Schrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Zeit vor der ttbernahme der phönikischen Schrüt........
28 28
B. Die Entstehung der griechischen Buchstabenschrüt. . . . . . . . . .
32
C. Die Entwicklung des griechischen Alphabets. . . . . . . . . . . . . . . .
35
D . D ie Entwicklung der griechischen Buchstabenformen........
41
V. Die Ausführung der griechischen Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 44
A. Inschriftenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Aufzeichnungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anordnung der Schriftzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Wesen und Inhalt der griechischen Inschriften ........... .... A. Wesen der griechischen Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50
B. Inhalt d er griechischen Insohrüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grab-, Weih- und Ehreninschrüten. ...... ............ ...
a. Die Grabinschrüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b . Die W eihinschrüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Die Ehreninschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Bildhauerinschrüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die Dekrete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Die Freilassungsinschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Die übrigen Inschrüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIT. Die Sprache der griechischen Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vlll. Die Datierung der griechischen Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I X. Die Edition der griechischen Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Griechische Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. GRUNDLEGUNG Eine klare, logisch eindeutige Begriffsbestimmung der Epigraphik in ihrem heute gültigen Sinne zu geben, ist, sooft man auch den Versuch unternommen hat, schlechterdings nicht möglich. Handelt es sich doch um eine lediglich auf Übereinkunft fußende Bezeichnung, die einmal einen weiterreichenden Begriff zu eng faßt und außerdem ihm einen nicht einheitlich abgegrenzten Bereich zuweist. Denn seinem Wortsinn nach (emyelüpew "aufschreiben") umfaßt Epigraphik das ge• samte unmittelbar (also nicht durch mittelalterliche Handschriften) überlieferte Schrifttum des Altertums, ganz gleich ob es auf Papyrus, Pergament, Holz, Wachstafeln, Stein, Metall, Tonscherben usw. erhalten und ob die Schrift aufgeschrieben, eingehauen, eingeritzt, punktiert oder in erhabenen Buchstaben angebracht ist. Das ist also eine in sich geschlossene Einheit, der gegenüber sich die Beschaffenheit des Schriftträgers und die Art der Beschriftung als etwas Sekundäres darstellt, sind doch z.B. ein großer Teil der Steininschriften nichts anderes als die Publikation von Papyrusurkunden zum Zwecke der Verewigung. Wenn daher auch aus Arbeitsgründen sich eine Teilung dieses gewaltigen Gebietes als notwendig erwiesen hat, so muß doch unbedingt die Einheit des Ganzen im Auge behalten werden, eine Forderung, der nicht immer Genüge geschieht. Diese Arbeitsteilung ist nun unter die Wissenschaftsdisziplinen der Numismatik, der Papyrologie und der Epigraphik im engeren und allein üblichen Sinne erfolgt. Das Gebiet der Numismatik, also die Miinzlegenden, sondert sich klar ab und ist sowohl unter sachlichem wie äußerlichem Gesichtspunkt wohlbegründet. Dagegen ist bei der Trennung zwischen Papyrologie und Epigraphik der allein bestimmende äußerliche Gesichtspunkt der Verschiedenartigkeit des Schriftträgers insofern nicht konsequent durchgeführt worden, als der ersteren Disziplin nicht nur die Aufzeichnungen auf Papyrus und begreiflicherweise auch die auf Pergament, sondern darüber hinaus wegen der sachlichen Zusammengehörigkeit auch die in Ägypten gefundenen beschrifteten Tonscherben (Ostraka), Holztafeln, Wachstafeln, überhaupt alle Aufzeichnungen außer den Steininschriften überlassen worden sind. Damit ergeben sich also als der der Epigraphik zugehörige Bereich die Inschriften auf Stein, Metall, Vasen, Tonscherben außerhalb Ägyptens, Gemmen, Siegeln,
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I. Grundlegung
Stempeln, Gewichten, Ringen, Lampen und anderem Gerät, wobei die Inschriften auf Stein oder dagegen zurücktretend auf Metallplatten sowohl nach Zahl als Bedeutung den weitaus ersten Rang einnehmen. An sie denkt man im allgemeinen bei der Bezeichnung Epigraphlk, und sie sollen hier auch allein der Gegenstand unserer Betrachtung sein. Wenn wir uns nun der Frage nach der Stellung und Bedeut ung der Epigraphlk innerhalb der griechischen Altertumswissenschaft zuwenden, so sollte es eigentlich überflüssig sein, darüber viel Worte zu verlieren, da ihre eminente Wicht igkeit jedem von allein einleuchten müßte. Das ist aber durchaus nicht der Fall, wie nur zu oft festgestellt werden kann. Da gilt es denn folgendes zu betonen, was nach den obigen Ausführungen mutatis mutandis natürlich auch für die P apyrologie mit ihrem freilich begrenzteren Umfang und auch für die Numismatik gilt. Die epigraphische {)'berlieferung steht in unmittelbarer Parallele zu der literarischen Überlieferung und bildet ihre ganz wesentliche Ergänzung. Sie gehört also zu der sprachlichen Selbstäußerung der Antike, die weitaus den ersten R ang unter allen unseren Zeugnissen von dieser einnimmt. So eng aber auch diese beiden Schwestern, die sich gegenseitig bestätigen, verbessern, ergänzen und oft ineinander übergreifen - man denke an die handschriftliche und monumentale Überlieferung von Werken der Dichtkunst-, verknüpft sind, so unterscheiden sie sich doch in tiefgreifender Weise. Zunächst was ihre Erhaltung angeht . I ch meine damit nicht den Zustand ihrer äußerlichen Erhalt ung - das Schicksal der Lücken- und Trümmerhaftigkeit teilen sie beide, wenngleich die epigraphische Oberlieferung in ungleich stärkerem Maße-, sondern das bedingende Moment der Erhaltung. Gewiß, wie vieles an Werken der Literatur ist schon nicht mehr in die alexandrinische Bibliothek gelangt, wie vieles auch späterhin durch äußere Einwirkung wie Krieg und Brand verlorengegangen, aber im wesentlichen ist doch die literarische Oberlieferung vom Gesichtspunkt des Wertes, des Interesses, des Bedürfnisses, also der Auslese bestimmt. Dagegen kann von einer Anwendung des Prinzipes der Auslese auf die uns verbliebenen Reste der Epigraphik keine Rede sein; ihre Erhaltung ist - wenn wir von den relat iv wenigen Fällen absichtlicher Zerstörung im Altertum selbst, in der R egel aus polit ischen Gründen, absehen - allein und ausschließlich dem Zufall zu danken, der sie vor natürlicher oder willkürlicher Vernichtung bewahrt hat, aber auch noch immer bewahrt. Und sie war ihm in um so stärkerem Maße ausgesetzt, als die Inschriften nur einmal, meist in einem einzigen, seltener mehreren, nur in Ausnahmefallen vielen Exemplaren, aufgezeichnet worden sind und eine spätere Neuaufzeichnung immer zu den großen Seltenheiten gehörte, während die literari•
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I. Grundlegung
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sehen Werke meist in einer beträchtlichen Vielzahl von Exemplaren existierten und vor allem immer wieder aufs neue abgeschrieben und vervielfältigt wurden. Mit der Zufälligkeit der Erhaltung der epigraphischen Überlieferung ist auch die Zufälligkeit ihres Inhalts, ihre Zusammenhanglosigkeit gegeben. E s sind disiecta membra, die wohl Einzelheiten des gesamten Lebens der Antike nach allen seinen Äußerungen hin scharf herausheben, aber eben nur Einzelheiten, herausgerissen aus einem Zusammenhange, dessen Erkenntnis.uns nur allzu oft verschlossen bleibt, wenn wir keine Hilfe von seiten der literarischen Überlieferung finden. Einen historischen Ablauf z. B. allein aus den Inschriften zu rekonstruieren, wird, von besonders gearteten Fällen abgesehen , ein ebenso gefährliches wie aussichtsloses Unternehmen sein. Diesen offenkundigen Nachteilen, die der literarischen Überlieferung nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarem Maße anhaften, stehen nun aber Vorteile gegenüber, die die epigraphlache Überlieferung wesent lich von ihr unterscheiden und deren unüberschätzbaren Wert ausmachen. Das ist einmal ihre Objektivität. Denn die weitaus überwiegende Mehrzahl ihrer Zeugnisse redet die ungeschminkte Sprache der Tatsachen; es ist nicht wie bei den Werken der Literatur eine subjektive Überlieferung, die nicht ohne weiteres hingenommen werden kann, sondern deren Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit erst geprüft werden mu.13. Daß freilich epigraphische Aufzeichnungen literarischen oder überhaupt individuellen Charakters, z. B. Tatenberichte und Chroniken, einer gleichen Kritik unterliegen, versteht sich von selbst. Aber auch für diese gilt der äußerliche und fundamentalste Vorteil der Epigraphik, der zu dem genannten innerlichen kommt, ihre Unmittelbarkeit. Während die literarische Überlieferung auf dem langen Wege ihrer schriftlichen Weitergabe durch die J ahrhunder te naturgemäß Entstellungen ihres Wortlautes ausgesetzt war, die zu beseitigen die Wissenschaft der Philologie bemüht ist, liegt uns bei der epigraphischen Überlieferung zwar meist auch nicht die Originalfassung des betreffenden Dokumentes vor , aber doch eine authentische und fa.st stets gleichzeitige Redaktion des Altertums selbst. Hier spricht der antike Mensch in überlieferungsmäßig absolut zuverlässigen, durch alle Höhen und Tiefen der Sprache führenden Denkmälern unmittelbar zu uns. Und wie mangelhaft wäre unsere K enntnis der griechischen Dialekte ohne die Inschriften, auf die sich diese in erster Linie, vielfach einzig und allein aufbaut. Eins sei aber abschließend vor allem hervorgehoben, das oben nur eben gestreift worden war. Mag es an gelegentlichen, freilich ganz seltenen Überra.schungen auch nicht fehlen, so dürfen wir im großen ganzen doch die Quelle unserer handschriftlichen Überlieferung als versiegt betrachten, dagegen ist die der epigraphlachen noch lange nicht erschöpft. Nicht nur die kleinen und großen Ausgrabungen (die Athener
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I. Grundlegung
Agora!), sondern auch die systematische Bereisung und Durchforschung mancher Landschaften in Europa, Asien und Afrika bringen uns ständig eine Fiille neuen Materials und damit neue Erkenntnisse, neue Probleme, neue Aufgaben im Gesamtbereich der griechischen Altertumswissenschaft. So kann keine ihrer Forschungsdisziplinen der Epigraphik entraten oder tut es dann zu ihrer eigenen Einbuße und ihrem eigenen schwersten Schaden. Aber auch umgekehrt kann die Epigraphik keine der anderen Disziplinen entbehren, und zwar um so weniger, je höher sie sich ihre Aufgaben und Ziele setzt. Es zeigt sich eben immer wieder, wie Hießend die Grenzen der einzelnen Wissenschaftszweige, die nur der Zwang der Arbeitsteilung geschaffen hat, in Wahrheit sind , und wie die speziellen Aufgaben doch nur in gegenseitiger Unterstützung und mit dem ständigen Blick auf das Ganze gemeistert werden können. Wie völlig abwegig also, da zwischen ihnen Rangunterschiede aufstellen zu wollen und von Grundwissenschaften, Hilfswissenschaften (als eine solche wird auch die Epigraphik gern bezeichnet) usw. zu sprechen! Grundwissenschaft ist nur eine, dieWissenschaft vom griechischen Altertum, und Hilfswissenschaften sind alle ihre verschiedenen Disziplinen, und zwar in völliger Gleichberechtigung und ohne jeden absoluten Rangunterschied. Eine relative Bewertung dagegen kann nur bei der jeweiligen Beurteilung ihrer Leistungsff1higkeit für eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Ziel Platz greifen. Aus den gemachten Darlegungen erhellt, daß die Aufgaben der Epigraphik dieselben sind, die für die Philologie gegenüber der literarischen Überlieferung bestehen. Wie diese hat sie vor allem für die Darbietung bzw. Herstellung eines möglichst gesicherten Textes zu sorgen. Das bedingt gewiß eine Reihe von Spezialkenntnissen, die im wesentlichen die Schrift, die Sprache, insbesondere die Urkundensprache, und das Formelwesen betreffen, aber das reicht nicht aus. Die Herstellung zumal fragmentarischer Inschriften verlangt eingehendste Prüfung aller Deutungsmöglichkeiten, ringt um das Verständnis der Einzelheiten, auf daß der Inhalt so sicher wie möglich erschlossen wird, ist also schon Interpretation der ganzen Inschrift. Und so greift schon hier untrennbar die andere Aufgabe ein, die die Epigraphik ebenso zu meistern suchen muß wie die Philologie, die von der "formalen Philologie" zur " Sachphilologie" fortschreitet, nämlich die eingehende Erklärung und Ausdeutung, die Verarbeitung nach äußeren und inneren Gesichtspunkten in so umfassender Weise wie nur möglich. Und wenn auch der Epigraphiker diese Aufgabe, die eine Unsumme von Kenntnissen verlangt, oft genug nicht allein wird bewältigen können, so kann sie doch wiederum in vielen Fällen nur von ihm geleistet werden, und so bleibt sie als das ideale, verpflichtende Ziel für ihn bestehen, um das zu kämpfen er nicht müde werden darf.
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I.
Grundlegung
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Literatur Ein den modernen Ansprüchen genügendes Handbuch der griechischen Epigraphik fehlt noch; es ist von L. ROBERT (Paris) angekündigt, man darf ihm mit den höchsten Erwartungen entgegensehen. Bis dahin sei verwiesen aufS. REINACH, Traite d'epigraphie grecque, Paris 1885 (wenn auch natürlich stark veraltet, so doch noch immer mit Nutzen zu befragen) und W. LARFELD, Griechische Epigraphik, 3. Auf!.. München 1914 ( = Handbuch der Altertumswissenschaft I 5). Die zur Zeit beste, freilich hauptsächlich unter dem archäologischen Gesichtspunkt verfaßte Behandlung der griechisch-italischen Inschriften ist der knappe, aber inhaltsreiche Abriß von A. REHM in dem von W. Otto und R. H erbig herausgegebenen Handbuch der Archäologie I (München 1939 = Handbuch der Altertumswissenschaft VI) S. 182-238. Für die christlichen Inschriften C. M. KAUFMANN, Handbuch der altchristlichen Epigraphik, Freiburg i. Br. 1917. Vgl. auch die nützliche Zusammenstellung von J. S. ÜREAGHAN und A. E. RAUBITSCHEK, Early Christian Epitaphs from Athens = Hesperia 16, 1947, lff: (auch gesondert erschienen unter demselben Titel Woodstock, Maryland: Theological Studies, 1947). Zur "Grundlegung" vgl. LABFELD a .a.O. § 1 u. 2, wo weitere Literaturangaben. Für den Unterschied zwischen der literarischen und epigraphischen Überlieferung siehe die treffenden Ausführungen von MAB.ous N. Ton, Sidelights on Greek History, Oxford 1932, S. 22ff. Über die Aufgaben des Epigraphikers vgl. auch L. RoBERT, Actes du deuxieme congres international d 'epigraphie grecque et latine Paris 1952 (1953), S. 8ff.
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Il. GESCHICHTE DER GRIECHISCHEN EPIGRAPHIK
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Berücksichtigung auch der epigraphischen Überlieferung ist schon den ältesten uns bekannten griechischen Historikern eine Selbstverständlichkeit gewesen, und dabei 'ist es auch immer geblieben, soweit es sich um wirkliche Forschung handelte. Vermutlich werden die antiken Historiker, genauso wie die modernen, ihre Studien im allgemeinen an den in den Archiven aufbewahrten Originaldokumenten gemacht und sich nur unter besonderen Umständen oder z.B. bei Weih- oder Grabinschriften an die Steine gehalten haben. Von solch einer Benutzung finden wir genug Zeugnisse bei ihnen. Aber das ist noch keine epigraphische Forschung im eigentlichen Sinne gewesen. Denn sie haben, wenn überhaupt, sich Sammlungen nur für einen bestimmten Zweck angelegt, nicht um ihrer selbst willen. D as ist erst, soviel wir sehen , in der hellenistischen Zeit, also der Zeit der Blüte der Spezialwissenschaften, geschehen. Aus ihr sind uns Titel von Werken allgemeinerer Art wie neel emyeap,p.a:r:wv, neel "'CWV "a"'Ca n6Att~ f.myeap,p,a"'Cwv, wobei lntyeap,p,a nicht in dem heutigen eingeengten Begriff des " Epigramms", sondern in dem weiten Sinn der "Aufschrift" zu verstehen ist, und spezieller Natur wie nsel "'CWV tv Aa"eoatp,ovt a:vafh]p,a"'CW'V, neel "'CW'V E'V LltAtpOt~ dva{}ryp,a"'Cw'V, neel "'CWV e 'YJßai""W'V lmyeap,p,a"'CwV
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usw. überliefert, und nach der Zahl der erhaltenen Verfassernamen muß diese Tätigkeit gar nicht gering gewesen sein. Die namhaftesten sind PHJI.OCROROS aus Athen (t 261 v.Chr.), uns auch als bedeutender Verfasser einer Geschichte Athens bekannt, der emyeap,p,a"'Ca Ji"'Cn"a gesammelt hat, und vor allem KRATEROS aus Makedonien, wohl der Sohn des gleichnamigen berühmten Feldherrn Alexanders des Großen, der in mindestens neun Büchern eine 1J»7g>U1p,a"'Cw'V O'V'Vaywy~ zusammengestellt hat. Seine Arbeit ist uns aus mannigfachen Zitaten am besten greifbar, und wir können soviel feststellen, daß er sich nicht damit begnügte, eine reiche Sammlung athenisoher Volksbeschlüsse offenbar nur des 5. Jahrhunderts v.Chr., und zwar in vollem Wortlaut und in chronologischer Anordnung, zu geben, sondern sie auch mit Erklärungen, ja wohl auch verbindendem Text versah. So sehen wir auch diese wichtige Aufgabe der Epigraphik schon in ihren Anfängen begriffen. Das Werk hat einen großen Erfolg gehabt; das zeigt insbesondere Plutarch (um 100 n.Chr. ), der es möglicherweise noch selbst
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11. Geschichte der griechischen Epigraphik
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benutzt hat , und in der lexikographischen Tradition ist seine Nachwirkung noch lange erkennbar. Wie weit Krateros aus den Archiven geschöpft, wie weit er die Steine selbst abgeschrieben hat, muß natürlich ungewiß bleiben. Von einem aber dieser frühen Epigraphiker, der mehrere Sammlungen angefertigt hat, wissen wir es mit Bestimmtheit, daß er sich um die Inschriftentafeln, die a-rijJ.at, bemüht hat, POLEMON von Ilion (2. Jahrhundert v. Chr.); denn er hat sich deswegen den Spitznamen aT1JAomnac; ("Stelenschlecker ") zugezogen. Aus dem späteren Altertum wissen wir nichts von InschriftensammJungen, auch nicht, in welchem Umfange den zahlreichen Anthologien griechischer Epigramme (im heutigen Sinne) Zusammenstellungen von Steinepigrammen zugrunde liegen oder n achwirken, doch hat im 10. Jahrhundert n .Chr. :M.AGISTROS GREGORIOS dem Konstantinos Kephalas für seine Anthologie eine Sammlung inschriftlich erhaltener Aufschriften von Grabsteinen und Bildwerken überlassen. Als sich mit dem Humanismus Italiens das Interesse an den Überresten der Antike belebte, hatten daran auch die Inschriften ihren Teil, zunächst natürlich die im Lande selbst befindlichen, also weitaus überwiegend die lat einischen, und es ist bekannt, daß z. B. schon der berühmte CoLA DI RrENZO (im 14. Jahrhundert) eine Sammlung von Inschriften veranstaltet hat. Die griechischen Inschriften wurden in größerem Umfange erst durch die reizvolle Persönlichkeit des Cmuco DE'PrzziOOLLI (Cyriacus von Ancona, in der ersten Hälfte des 15.J ahrhunderts) dem Westen bekannt. Liebe zum Altertumließ ihn aufseinen vielen und weiten Reisen als K aufmann durch Griechenland , Kleinasien, Ägypten über all den antiken Denkmälern mit einer ausgesprochenen Sammetleidenschaft nachspüren. Sie zeichnete er ab, darunter eine Unmasse griechischer und lateinischer Inschriften. Aber eine systematische Sammlung und Herausgabe hat er nie unternommen. Es sind einfache Reisetagebücher gewesen, in drei großen Bänden zusammengestellt, uns aber verloren. Nur Teile davon und Auszüge sind unter Sondertiteln überliefert, lose Tagebuchblätter , wie sie sich eben erhalten hatten. Viele seiner Inschriftenkopien sind besser, als man das billigerweise erwarten durfte, und die Kenntnis mancher verlorenen Inschrift verdanken wir nur ihm. J edenfalls gebührt ihm ein Ehrenplatz in der Geschichte der Epigraphik. Die weitere ·Sammlung griechischer Inschriften fand dann freilich ihren vorzeitigen Abschluß durch die H errschaft der Türken, die neue Reisen fast unmöglich machte. Aber das Vorbild des Cyriacus blieb wirksam, und zahlreiche Inschriftensammlungen, nun jedoch in erster I.inie lateinischer Inschriften , erschienen im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts im Abendland, auch von Deutschen. In das ausgehende 16. Jahrhundert fällt auch die Sammlung des Holländers MARTINus
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SMETIUS, die erst nach seinem Tode im Jahre 1588 in Leiden erschien. Sie verdient nicht so sehr wegen ihres Umfanges hervorgehoben zu werden als wegen der Sorgfalt und Sachkenntnis, mit der hier die Inschriften in genauen Kopien (weil aus den Buchstabenformen eine ungefahre Datierung möglich sei!) und systematischer Einteilung nach Klassen, d.h. nach dem Inhalt, deren Wert gegenüber der üblichen Regellosigkeit oder dem geographischen Prinzip des Fundortes er betont, dargeboten wurden. Seinem Werke folgte bald das monumentale seines Landsmannes in Heidelberg, J ANus GRUTER, das sich das Ziel steckte, alle bis dahin bekannten lateinischen und griechischen Inschriften zusammenzufassen. Es ist auf Veranlassung und in tätiger Mitwirkung des hervorragenden Leideuer Philologen JoSEPH JusTus Sc.ALIGER, der die vorbildlichen Indices allein anfertigte, zuerst im Jahre 1603 in Heidelberg (neuer Abdruck 1616}, dann nach dem Tode von Gruter 1707 in Amsterdam in zweiter, vermehrter Auflage erschienen. Auch hier herrschte die Anordnung der Inschriften nach Klassen; das erdrückende Hauptkontingent stellten natürlich die lateinischen. Gruters Werk hatte die allgemeine Unterstützung der gelehrten Welt gefunden und blieb für lange Zeit das maßgebende. Es folgten Supplemente, Auswahlen, Spezialsammlungen und Bearbeitungen einzelner Klassen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die griechische Welt wieder zugänglicher, und es wurden von da an wieder Forschungsreisen, meist von Franzosen (Marquis de Nointel, Spon, Fourmont) und Engländern (Wheler, Chishull}, in Griechenland und Kleinasien möglich. Damit vermehrte sich auch das griechische Inschriftenmaterial stark. Überhaupt machte das gewaltige Anwachsen der Inschriften seit Gruters Corpus die Bearbeitung eines neuen Corpus dringend wünschenswert. Den Plan dazu entwarf 1732 FRANCESCO SOIPIONE MARCHESE DI MA.FFEI aus Verona, der sich mit großem Eifer der Feststellung aller bekannten Inschriften widmete. Wenn auch das Unternehmen scheiterte, da es nicht zu einer Ausgabe gekommen ist, so verdiente es doch deswegen erwähnt zu werden, weil hier zum ersten Male die griechischen Inschriften (2000 wurden damals gezählt) getrennt von den lateinischen im 1. Bande herausgegeben werden sollten. So blieb es fürs erste bei der Publikation von Inschriften aus Spezialsammlungen, Museen und in Reiseberichten. Denn die Forschungsreisen in Griechenland und Kleinasien hatten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts und Beginn des 19. vermehrt. Engländer und Franzosen stehen auch jetzt an der Spitze, unter jenen Chandler, Clarke, Leake, Dodwell, Gell, Cockerell, Walpole, unter diesen Choiseul -Gouffier, Pouqueville, Fauvel. Von anderen Reisenden seien genannt der Däne Bröndsted und der Deutsche Osann, der letztere
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II. Geschichte der griechischen Epigraphik
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freilich nicht in Griechenland, beide aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, und auch in Südrußland ging man um diese Zeit daran, die einheimischen griechischen Inschriften zu sammeln und zu publizieren. Erwähnt werden muß hier auch ein für die Entwicklung der Epigraphik als Wissenschaft grundlegendes Werk, das zeitlich schon in die Mitte des 19. Jahrhunderts fallt, nämlich das von dem Pariser Gelehrten J EAN ANTOINE LETRONNE: Recueil des inscriptions grecques et latines de l'~gypte, etudiees dans leur rapport avec l'histoire politique, l'administration interieure, les institutions civiles et religieuses de ce pays depuis la conquete d'Alexandre jusqu'a celle des Arabes, 2 Bände, Paris 1842. 1848. Es ist· nicht nur die Weite seines Blickes, die sich schon im Titel dieses Buches, der auch wirklich hält, was er verspricht, offenbart, sondern auch die angewandte Methode und Kritik der Inschriftenbehandlung, durch die er der Archegetes der vielen bedeutenden Epigraphiker geworden ist, die gerade Frankreich unserer Wissenschaft geschenkt hat. Von ihm stammt auch die goldene Regel aller Epigraphik: "TI ne s'agit pas de refaire ce document, ce qui est toujours tres facile, mais sans aucune utilite; il faut le retablir, ce qui est bien different." Den "Böckh der Franzosen" hat man ihn auch genannt. Damit ist der Name des Mannes gefallen, der recht eigentlich als der Begründer der modernen griechischen Epigraphik zu gelten hat, AUGUST B öOKH, seit 1811 an der Berliner Universität. Denn er ist es gewesen , auf dessen Antrag sich die Berliner Akademie der Wissenschaften am 20. 4. 1815 entschloß, in Anbetracht der großen Zersplitterung epigraphisoher Publikationen und des starken Zuwachses an Inschriften einen "Thesaurus Inscriptionum", d .h . " die Sammlung aller dem griechisch-römischen Alterthum angehörigen oder damit in enger Verbindung stehenden Inschriften" herauszugeben und mit den griechischen zu beginnen. Die Leitung des am 12. 5. 1815 vom vorgesetzten Ministerium genehmigten Unternehmens wurde Böckh selbst übertragen, der dabei von B. G. Niebuhr (dem eigentlichen Urheber jenes gewaltigen Projektes), Fr. Schleiermacher, Ph. Buttmann und Immanuel Bekker unterstützt wurde. Mit den griechischen Inschriften, dem Corpus Inscriptionum Graecarum [CIG], hatte man gehofft in vier Jahren fertig werden zu können, aber erst nach zehn Jahren konnte das erste Heft des ersten Bandes erscheinen, und statt des "einen starken Folianten oder zwei kleinerer" sind es schließlich vier stattliche Bände geworden, erschienen Bd. I 1828, II 1843, beide von Böckh, ill 1853 von Johannes Franz, IV 1859 von E. Curtius und A. Kirchhoff; die Indices kamen erst 1877, von Hermann Röhl, heraus. Als Anordnungsprinzip war das nach Klassen aufgegeben und das geographische gewählt worden, das von nun an in Geltung geblieben
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II. Geschichte der griechischen Epigraphik
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ist. Wieder hatte sich weitgehend die gesamte wissenschaftliche Welt in Europa in den Dienst der Sache gestellt, und es ist eben so, daß die Epigraphik stets und immer auf eine internationale Zusammenarbeit angewiesen ist als ihre Lebensluft. Die Leistung Böckhs ist nach Umfang wie innerem Wert ungeheuer; hier ist zuerst ein tragfähige.s Fundament für die Ausbildung der griechischen Epigraphik. hinsichtlich Edition wie Erklärung gelegt worden, freilich für die letztere besser als für die erstere. Denn diese zeigte sich noch zu sehr von den gewohnten Methoden der Behandlung handschriftlicher Texte beherrscht, da man sich eben in der Hauptsach~ an Abschriften hielt, statt die Originale neu zu vergleichen, anfangs allerdings unter dem Zwange der durch den griechischen Freiheitskampf verursachten Verhältnisse. Aber wir dürfen nicht länger verweilen. Genug, daß das Böckhsche Corpus heute zwar veraltet, aber als Sammlung mit dem am weitesten gespannten Rahmen dennoch nicht entbehrlich für uns ist, gibt es doch manche Teile von ihm, die noch keine neue erschöpfende Bearbeitung erfahren h aben, so daß diese noch heute unsere erste Grundlage bilden. Als mit der glücklichen Beendigung der Kämpfe in Griechenland und der Schaffung des neuen Königreiches sich die Tore des Landes weiter denn je geöffnet hatten, setzte auch der Strom der Altertumsforscher ein, der eine neue Epoche der Erforschung der griechischen Denkmäler nicht nur des Mutterlandes einleitete. Wir können aus der Fülle der Männer, die sich dabei auch um die griechische Epigraphik hervorragende Verdienste, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, erworben haben, nur einige herausgreifen. So seien genannt von Deutschen Ludwig Roß, Karl Otfried Müller, Karl Riehard Lepsius, von Franzosen Philippe Le Bas, Charles Wescher, P aul Foucart, von Engländern William L. Hamilton, Sir Charles Fellows, W. H . Waddington, Charles Thomas Newton, und unter den griechischen Gelehrten verdienen Erwähnung Pittakis, wenigstens als eifriger Aufspürer von Inschriften, Rangavis und vor allem der zuverlässige Kumanudis. Der Zuwachs an inschriftlichem Material war gewaltig, auch zeigten neue, sorgfältige Abschriften der Steine, wie viele Inschriftentexte im CIG unzuverlässig waren. So mußte der ursprüngliche Plan von Böckh, das Corpus, das ja nur äußerlich einen Abschluß gefunden hatte, durch Supplementbände zu vervollständigen, aufgegeben werden. Statt dessen entschloß sich die Berliner Akademie im Jahre 1868, also gleichnach dem 1867 erfolgten Tode von Böckh, unter der Initiative von AnoLF K moHHOFF, der ja schon am 4. Bande des CIG mitgearbeitet hatte und an Böckhs Stelle getreten war, zu einer vollständigen Sammlung und Neubearbeitung der attischen Inschriften, ohne zunächst einen weiterschauenden Plan ins Auge zu •
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fa-ssen. Attika wUTde gewählt, weil dieser im l. Bande erschienene Teil des CI G am meisten veraltet war und natürlich am stärksten interessierte, auch waren hier die besten Vorbedingungen gegeben. So entstand unter der Bearbeitung des glänzenden Dreigestirnes von A. Kirchhoff, U. Köhler und W. Dittenberger das Corpus Inscriptionum Atticarum (1873-1888, mit späteren umfangreichen Supplementen), und zwar nach dem Grundsatz der Vergleichung der noch vorhandenen Originale, so wie ihn inzwischen Th. Mommsen für die Bearbeitung der lateinischen Inschriften durchzuführen begonnen hatte. Dem attischen Corpus folgte dann (1890) ein Corpus der griechischen Inschriften des Westens von der H and von Georg Kaibel (und A. Lebegue für Gallien), und es wurde mit der H erausgabe eines Corpus der Inschriften Nordgriechenlands durch W. Dittenberger (1892 und 189 7), der Inseln durch F. Hiller von Gaertringen (1895 und 1898) und W. Paton (1899) und des Peloponnes durch M. Fränkel (1902) begonnen. Bevor wir aber in der Geschichte des Inschriftenwerkes der Berliner Akademie fortfahren , gilt es, einiger anderer Unternehmungen zu gedenken , die gleichzeitig in Angriff genommen wurden. Das ist einmal die Herausgabe der r eichen Inschriftenschätze des British Museum unter Leitung und Mitarbeit des schon obengenannten Ch. Th. Newton:
The Collection of ancient Greek Inscriptions in the Br-itish Museum [BMI] (1874ff., abgeschlossen 1916), sodann die Inscriptiones antiquae orae septentrionalis Ponti Euxini Graecae et Latinae [IPE] von W. Latyschev im Auftrage der Archäologischen Gesellschaft des Russischen Reiches (seit 1885) und schließlich das große Unternehmen der Wiener Akademie der Wissenschaften, die Sammlung und Herausgabe aller antiken Inschriften Kleinasiens, also nicht nur der griechischen und lateinischen sondern auch der in den einheimischen prachen abgefaßten, unter dem Titel: Tituli Asiae MinO'ris [TAM], dessen l. Band im J ahre 1901 erschien. Inzwischen hatten allenthalben im Bereiche des alten griechischen Bodens die Ausgrabungen eingesetzt unter Beteiligung bald fast aller Nationen; ihre Aufzählung gehört nicht hierher. Viele dieser Ausgrabungen, bei denen eine ungeahnte Fülle von Inschriften (vor allem in Delos und Delphi) an den Tag kam, zeitigten auch zusammenfassende epigraphische Sonderpublikationen, wie die von Pergarnon (1890-1895), Olympia (1896), Magnesia am Maeander (1900), Priene (1906) u.a. Wissenschaftliche archäologische Expeditionen vermehrten dauernd das Material. Im Jahre 1902 ging die Leitung des Berliner Inschriftenwerkes von Kirchhoff auf U. VON WILAMOWITZ -MOE LLENDOR FF über. Seiner Umsicht und Energie dankt das Unternehmen drei wicht ige Neuerungen. 2
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In der Erkenntnis, daß es für die Akademie unmöglich wäre, das gesamte CIG zu erneuern, daß sie sich vielmehr auf ein bestimmtes Gebiet beschränken müßte, begrenzte Wilamowitz das Unternehmen entsprechend den fertiggestellten und in Angriff genommenen Einzelcorpora, und da inzwischen die Wiener Akademie die Inschriften Kleinasiens übernommen hatte, auf das europäische Griechenland einschließlich aller Inseln, auch Zyperns. In diesem neuen Rahmen, der die Bezeichnung Inscriptiones Graecae [IG] erhielt, wurden die bisherigen Sondertitel der verschiedenen Einzelcorpora zugunsten einer einheitlichen Neubezifferung beseitigt und mit den römischen Ziffern I~XV die veröffentlichten und begonnenen und geplanten Einzelbände bezeichnet. Die zweite Neuerung betraf die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Inschriftenbände, die nach dem Muster von Mommsens Corpus Inscriptionum Latinarum [CIL] noch mehr geben sollen als nur die Texte. In umfangreichen Einleitungen wird vereinigt, was es über die einzelnen Landschaften oder Orte an sonstiger "Überlieferung gibt, vor allem sind alle historischen Zeugnisse vereinigt; ferner treten zu den üblichen Indices volle sprachliche Register, auch Literatur:übersichten. Und schließlich als dritte Neuerung die Einführung der sog. editio minor. Der ursprüngliche Gedanke von Wilamowitz war der: statt der für das CIL geltenden Ergänzungsbände sollten die gesamten Inschriften hier in gereinigter Gestalt zusammen mit dem Zuwachs wiederholt werden, und zwar unter Fortfall der unzulänglichen Majuskeltexte nur in Umschrift mit den gewöhnlichen Typen, so wie es schon für die delischen Bände der IG auf französische Initiative hin eingeführt worden war, und in einem kleineren Format. Diese editio minor sollte also nicht wie bei ihrer Verwendung in der Philologie weniger vollständig sein, sondern eine nur äußerlich anders gestaltete, vermehrte neue Auflage. Aber schließlich wurde diese Erscheinungsweise für alle künftigen Bände der IG bestimmt, so daß es nötig ist, die Bezeichnung editio minor, die nur irreführen kann, hinfort ganz fallen zu lassen und die Neubearbeitung eines erschienenen Bandes als editio altera zu bezeichnen. Außer diesen die Edition betreffenden Maßnahmen traf Wilamowitz noch eine andere von weittragender Bedeutung für die griechische Inschriftenforschung, die Gründung eines epigraphlachen Archivs bei der Akademie. In diesem werden, soweit irgend erreichbar, von jedem in den IG edierten Stein ein Papierabklatsch oder auch eine Photographie aufbewahrt, um eine dauernde Kontrolle der Lesungen, selbst bei Verlust der Steine, zu ermöglichen. Dieses Archiv dient aber nicht nur dem internen Gebrauch, sondern wird bereitwilligst für jedermann zugänglich gehalten; daher findet sich auch bei der Publikation. in den IG stets ein entsprechender Hinweis, wenn Abklatsch oder Photographie vorhanden ist.
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Die zentrale Bedeutung des Berliner Corpus für die griechische Epigraphik, die seine eingehendere Betrachtung erforderte, darf aber die Würdigung des hohen Aufschwungs, den die griechische Inschriftenforschung nahezu allenthalben genommen hat, nicht beeinträchtigen. So hat sich Italien vor allem durch die Publikation der kyrenischen und kretischen Inschriften (Inscriptiones Oreticae [I. Cret.] seit 1935 und kurz vor ihrem Abschluß) hohe Verdienste erworben und neuerdings durch die begonnene Edition der Inschriften des Dodekanes. Aber es würde hier zu weit führen, das für alle beteiligten Länder zu verfolgen, und einiger wie E nglands, Rußlands, Österreichs ist schon gedacht worden. Dochzweier muß besondere Erwähnung geschehen, Frankreichs und Amerikas. Frankreich, wo die Verbindung von Archäologie und Epigraphik immer eine enge gewesen ist , hat sich die PB.ege der Inschriftenkunde hauptsächlich angelegen sein lassen und eine lange Reihe hervorragender Epigraphiker aufzuweisen und ist heute zweifellos das Land mit dem zahlreichsten und fähigsten Nachwuchs. Unter seinen Publikationen sind an erster Stelle die FouiUes de Delphe8 [FD], Tome III : :f;pigraphie (seit 1909) und die Inscr·ipti<Jns de Delos [I. Delos] (seit 1926), die die Inschriftenfunde seiner beiden Hauptausgrabungen bringen, sowie die Inscriptions grecques et latines de la Syrie [I. Syrie] (seit 1929) zu nennen. Amerika, auch sonst um die zugleich archäologische und epigraphlache Durchforschung alter griechischer Länder bis nach dem Osten hin bemüht, hat sich , vor allem in Auswertung seiner epochemachenden Ausgrabung der athenischen Agora (seit 1931), die Inschriften Attikas zu seiner Domäne geschaffen und darin durch hervorragende Leistungen, hauptsächlich The Athenian Tribute !Mts [ATL] (4 Bände, 1939 1953), die unbestrittene Führung erworben. Hauptpublikationsorgan sind die prachtvollen Bände der Zeitschrift "Hesperia" (seit 1932). Auch ist in dem "Institute for Advanced Study" in Princeton ein umfassendes Abklatscharchiv der attischen Inschriften geschaffen worden. Die noch immer anschwellende Fülle des inschriftlichen Materials sowie seine Verarbeitung durch die verschiedensten Nationen erhöht natürlich die Schwierigkeit des für jeden Forscher unentbehrlichen Überblicks über das Ganz·e. Dem wollen abhelfen einmal die zusammenfa-ssenden Berichte, unter denen die jährlichen in der " R evue des ~tudes Grecques" [REG] (von J. und L. Robert) und die in bestimmten Abständen im "J ournal of Hellenie Studies" [JHS] (von M. N. Tod) erscheinenden die besten sind , sodann das in Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachgenossen von J. J. E . H ondius gegründete, nach dessen Tode von A. G. Woodhead weitergeführte Supplementum Epigraphicum Graecum [SEG] (in Leiden, seit 1923), das in geographischer Gruppierung die neu veröffentlichten Texte und die Verbesserungen zu 2•
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den alten bringt. Auch eine eigene epigraphische Zeitschrift ist von A. Calderini gegründet worden: " Epigraphica. Rivista italiana di epigrafia" (in Mailand, seit 1939). So ist das Streben nach der unbedingt erforderlichen internationalen Zusammenarbeit, da ohne sie wahres wissenschaftliches Forschen überhaupt kaum denkbar ist, auch auf dem Gebiete der Inschriftenkunde lebendig, war es ja gerade hier von Anfang an gewesen. Es fand seinen überzeugenden Ausdruck auf dem ersten internationalen Epigraphikerkongreß 1938 in Amsterdam, dem dann freilich infolge der Zeitumstände der zweite erst 1952 in P aris gefolgt ist; doch sollen nunmehr diese Kongresse in der R egel alle vier J ahre stattfinden. Und wie könnte auch auf anderem Wege, so begrüßenswert und fruchtbar die Sondertätigkeit der einzelnen Nationen ist, der Aufbau und Ausbau der großen zusammenfassenden Editionen, wie sie für das europäische Griechenland und die Inseln die Inscriptiones Graecae und für Kleinasien die Tituli Asiae Minoris darstellen, geleistet werden ? Diese Unternehmen sind ja doch nicht irgendwelchen Führungsansprüchen entsprungen, sondern lediglich dem Bestreben, dem dringenden Bedürfnis der ·Wissenschaft nach einheitlicher und übersichtlicher Zusammenfassung des gewaltigen Materials zu dienen, und wollen nur den Rahmen für die Zusammenarbeit aller Nationen abgeben. Und diese H offnung hat nicht getrogen, die internationale Zusammenarbeit hat sich in dankenswerter und schönster Weise betätigt und tut es noch. Andererseits haben sich, anfangs aus zeit bedingten Gründen, auch Tendenzen zu getrennten, z. T. schon erwähnten Publikationen durchgesetzt, die zu Rissen in dem vorgesteckten Rahmen der Inscriptiones Graecae führten. Und die verstärkte Pflege der Epigraphik bei den einzelnen Nationen hat diese Tendenzen begünstigt, so daß zweifellos mindestens zunächst die Entwicklung in dieser Richtung weitergehen und eine weitere Aufsplitterung mit sich bringen wird. Aber man darf gewiß sein, daß sich gegenüber der wachsenden Vielzahl von Sonderpublikationen das B edürfnis nach wenigen großen, zusammenfassenden Editionen, an die sich jeder Vertreter der Altertumswissenschaft ohne langes Suchen und Fragen wenden kann , wieder durchsetzen wird. Literatur
s. CHADERT, H istoire sommaire des etudes d'~p igraphie grecque, Paris W . LARFELD, Griech. Epigra.phik 3 nach weisen.
'
1906. § 3-100, mit o.usführlichen Literatur·
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III. DIE WICHTIGSTEN INSCHRIFTENPUBLIKATIONEN Ein ausgezeichneter Führer duTch das Gesamtgebiet der inschriftlichen Publikationen und ammlungen ist das Buch von J. J. E. Hmmrus, axa loquuntur, Leiden 1938 (in holländischer Sprache). A. Co rpor a Die hauptsächlichsten Werke sind in der Darstellung der Geschichte der griechischen Epigraphik (Abschnitt II) schon aufgeführt. In Ergänzung mögen zm1ächst ein paar nähere }\.n gaben über die Inscriptiones Graecae tmd die Tituli Asiae Minoris folgen. E ine Gesamtübersicht über die Anlage der I nscriptiones Gmeca.e [IO ] i. t jeder einzelnen ihrer Pu blikationen beigegeben (,-gl. auch den .,Tableau de l'etat actuel des Inscl'iptiones Graecae· ' in den Actes du deuxieme congres international d'epigraphie grecque et latine Paris 1952[ P aris 1953] . 33ff.). Nachstehend seien nur die bereits edierten Bä.nd<', 1md zwar in ihrer zur Zeit maßgebenden AufJage, aufgeführt:
IC P.
Inscriptiones Atticac Euclidis anno [403/ 2 v. Ch r.] an teriores. Ed. F. HILLER DE GAER'rRL~GE~ (1924).
I G IJJIIP.Inscriptiones Attieae Euclidis anno [403/ 2 v. Cb.r.] po. teriores. Ed. I . KIRCHNER ( Hll3- 1940}. Pars 1. DeCI·eta eontincns. Fase. l. Deereta annorum 403/ 2- 230/ 29 (1913). Fase. 2. Deorota anno 229/ 8 postoriora. Aceedunt leges saerae (1916). Pars 2. TabuJas magistratuum, catalogos nominum, instrumenta iuris privati eont inens. Fase. I. Tabulae magistratuum (1927). Fase. 2. Catalogi nominum. Instrumenta lUTIS privati (1931).
P ars 3. Dedieationes, titulos honorarios, titulos saeros, titulos sopulerales continens. Fase. I. Dedieationes, t ituli honorarii , tituli saeri {1935).
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III. Die wichtigsten Inschriftenpublikationen
Fase. 2. Tituli sepulcrales. Tituli memoriales. Insunt tabulae duae (1940). Pars 4. Indices continens. Fase. 1. Archonturn tabulae. Chronologica. Sermo publicus decretorum proprius (1918). IG III.
Pars 3. Appendix: Defixionum tabellae. Ed. R. WuENSOH (1897).
IG IV.
Inscriptiones Argolidis. Ed. M. FRAENKEL {1902).
IV 2 •
Fase. l. Inscriptiones Epidauri. Ed. F . HnJ.ER DE GAERTRINGEN (1929).
IG V.
Inscriptiones Laconiae, Messeniae, Arcadiae. Fase. l. Inscriptiones Laconiae et Messeniae. Ed. W. KOLBE (1913). Fase. 2. Inscriptiones Arcadiae. Ed. F. HnJ,ER DE GAERTRINGEN (1913).
IG VII.
Inscriptiones Megaridis et Boeotiae. Ed. W . DITTENBERGER (1892).
IG IX.
Insoriptiones Graeciae septentrionalis voluminibus VII et VIII [Inscriptiones Delphorum, noch nicht erschienen] non comprehensae. Pars 1. Inscriptiones Phocidis, L ocridis, Aetoliae, Acarnaniae, insularum maris Ionii. Ed. W. DrrTENBERGER (1897). Pars 12 • Fase. l. Inscriptiones Aetoliae. Ed. G. Kr.AFFENBAOH (1932). Pars 2. Inscriptiones Thessaliae. Ed. 0. KERN (1908).
IG XI.
Inscriptiones Deli. Fase. 2. Inscriptiones Deli liberae. Tabulae archontum, tabulae hieropoeorum annorum 314-250. [Nr. 105-289]. Ed. F . D öRRBACH (1912). Fase. 3. Tabulae. Adnota.vit F . Hn.LER DE GAERTRINGEN (1927). Fase. 4. Inscriptiones Deli liberae. Decreta, foedera, catalogi, dedicationes, varia. [Nr. 510- 1349]. Ed. P. RousSEL (1914).
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JII. Die wichtigsten lnschrijtenpubUkationen
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[Da die Publikation der delischen Inschriften seit 1926 ihre Fortsetzung, auch in der Zählung der Nummern der I nschriften, in der französischen Edition "Inscriptions de Delos" [I. Delos], herausgegeben von der Academie des Inscriptions et Beiles-Lettres, gefunden hat, seien die in ihr erschienenen Bände zugefügt: (I G XI fase. l sollte bilden:) 1. Periodes de l'amphictyonie ionienne et de l'amphictyonie attieo-delienne. Dedieaees et textes divers eerits dans les alphabets cyeladiques (Nr. 1-35). Dedieaces, bornes, reglements, d'alphabet ionien classique (Nr. 36- 70). Deerets deliens. Ordonnanee laeedemonienne. Deerets atheniens (Nr. 71-88) publies par A. PLASSART (1950). (I G XI fase. 3 sollten bilden:) 2. Comptes des hieropes (Nr. 290-371) publies par F . DuRRBAOH (1926). 3. Comptes des hieropes (Nr. 372-498). Lois ou reglements, eontrats d'entreprises et devis (Nr. 499- 509) publies par F . DURRBAOH (1929). (An IG XI fase. 4 schließen an:) 4. Actes des fonetionnaires atheniens preposes a l'administration des sanetuaires apres 166 av. J.-C. (Nr. 1400- 1479). Fragments d'aetes divers (Nr. 1480-1496) publies par F . DURRBAOH et P. RoussEL (1935). 5. Deerets posterieurs a 166 av. J .-C. (Nr. 1497- 1524). Dedicaees posterieures a 166 av. J.-C. (Nr. 1525-2219) publies par P . RouSSEL et M. LAUNEY (1937). 6. Dedieaces posterieures ä 166 av. J.-C. (Nr. 2220-2528). Textes divers, listes et eatalogues, fragments divers posterieurs a 166 av. J.-C. (Nr. 2529-2879) publies par P . RoussEL et M. LAUNEY (1937).] IG XII. Inseriptiones insularum maris Aegaei praeter Delum. Fase. 1. Inseriptiones Rhodi, Chalees, Carpathi eum Saro, Casi. Ed. F . Hrr.LER DE GAERTRINGEN (1895). Fase. 2. Inseriptiones Lesbi, Nesi, Tenedi. Ed. W. R. PATON (1899).
Fase. 3. Inseriptiones Symes, Teutlussae, Teli, Nisyri, Astypalaeae, Anaphes, Therae et Therasiae, Phole-
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111. Die wichtigsten Inschriftenpublikationen
gandri, Meli, Cimoli. Ed. F. Hrr.T.ER DE GAERTRINGEN (1898). Supplementum. Ed. F . HILLER DE GAERTRINGEN (1904). Fase. 5. Inscriptiones Cycladum. Ed. F. Hrr.LER DE GAERTRINGEN (1903. 1909). Fase. 7. Inscriptiones Amorgi et insularpro vicinarum. Ed. I. DET.Al\IARRE (1908). Fase. 8. Inscriptiones insularum maris Thracici. Ed. C. FREDRIOH {1909). Fase. 9. Inscriptiones Euboeae insulae. Ed. E. ZIEBARTH {1915). Supplementum [zu Fase. 2. 3. 5. 7. 8. 9]. Ed. F. Hn.r,ER DE GAERTRINGEN (1939). IG XIV. Inscriptiones Siciliae et Italiae (additis Galliae, Hispaniae, Britanniae, Germaniae inscriptionibus). Ed. G. KAIBEL {Galliae inscriptiones A. LEBEGUE) {1890). Von den Tituli Asiae M inoris [TAM] sind bisher erschienen : I. Tituli Lyciae lingua Lycia conscripti. Ed. E. KALINKA {1901). II. Tituli Lyciae linguis Graeca et Latina conscripti. Fase. 1. Pars Lyciae occidentalis cum Xantho oppido. Ed. E. KAI.INKA (1920). Fase. 2. Regio quae ad Xanthum flumen pertinet praeter Xanthum oppidum. Ed. E . KAr.INKA. (1930). Fase. 3. Ragiones montanae a valle Xanthi ftuminis ad oram orientalem. Ed. E. KA:LINKA (1944). #
lll. Tituli Pisidiae linguis Graeca et Latina conscripti. Fase. 1. Tituli Termessi et agri Termessensis. Ed. R. HEBERDEY (1941). Weiter sind noch hinzuzufügen:
folger~de
Publikationen als besonders wichtig
Monumenta Asiae Minoris Antiqua [MAMA], herausgegeben von der American Society for Archaeological Research in Asia Minor. Wenn auch dieses Unternehmen allen über dem Boden befindlichen Resten des Altertums gilt, so nehmen doch die Inschriften einen breiten Raum in den ein.z elnen Bänden ein. Erschienen sind bisher: I. Eastern Phrygia {W. M. CAr.nER. 1928).
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111. Die wichtigsten Inschriftenpubli kationen
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III. Denkmäler aus dem Rauhen K.ilikien (J. KEIL und A. WILBELM. 1931). IV. Monuments and Documenta from E astern Asia and Western Galatia (W. H. BucKLER, W. M. CALDER, W. K. C. GUTHRIE. 1933). V. Monuments from Dorylaeum and Nacolea (C. W. M. Cox and A. CAMERON. 1937). VI. Monuments and Documenta from Phrygia and Caria (W. H. BucKLERand W. M. CALDER. 1939). LA CARIE. Histoire et geographie historiqua avec le recueil des inscriptions antiques (L. et J. ROBERT). Erschienen:
li. Le plateau de Tabai et ses environs. 1954. lnscriptions grecques et latines de la Syrie [1. Syrie], herausgegeben von L . JAI.ABERT, R. MouTERDE, CL. MoNDESERT (Erneuerung von W. H. Waddingtons gleichnamigem Werke, Paris 1870); erschienen sind: T ome I. Commagene et Cyrrhestique (Paris 1929). " li. Chalcidique et Antiochene (Paris 1939). " ITI I. Region de l'Amanus. Antioche (Paris 1950). " ill 2. Antioche (suite). Antiochene. Index des tomes I- TII (P aris 1953). " IV. Laodicee. Apamene. Chronologie des inscriptions datees des tomes I - IV (Paris 1955). J. G. MlLNE, Greek Inscriptions (Catalogue general des antiquites egyptiennes du Musee du Caire), Oxford 1905. E. BRECCIA, Iscrizioni greche e latine (Catalogue general des antiquites egyptiennes du Musee d'Alexandrie) , Kairo 1911.
In Angriff genommen sind: Corpus l nscriptionum ludaicarum [CIT]. Recueil des inscriptions juives qui vont du ffie siecle avant J.-C. au VIIe siecle de notre ere, herausgegeben von J.-B. FREY ; erschienen: Vol. I. Europe (Vatican 1936). " TI. Asie-Afrique (G. KITTEL und G. SPADAFORA. Vatican 1952).
Corpus der griechisch-chrisaichen Inschriften von Hellas, herausgegeben von H. LIETZMANN, N. A. BEES und G. SoTmm; erschienen: Bd. I 1. I sthmos - Korinthos von N. A. BEES (Athen 1941).
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II I . Die wichtigsten I nschrifttnpublikationen
Schließlich seien von den inschriftlichen Ausgrabungspublikationen außer den schon genannten noch erwähnt die von Ephesos (in den "Forschungen in Ephesos" des Öst. Arch. Instituts, seit 1906). Milet (in den Bänden der Berliner Museumspublikation, besonders wichtig: I 3. Das Delphinion in Milet, 1914). Karinth (in der Publikation "Corinth" der American School of Class. Studies at At hens, vol. VIII 1, 1931). Bardes (in den " Publications of the American Society for t he Excavation of Sardis", vol. VII 1, 1932). Gerasa (in der Publikation " Gerasa" der American Schools of Oriental Research, 1938, S. 355-616). Lindos (in d er Publikation " Lindos" d er Fondation CarlsbergCopenhague, tome II, 1941). B . Au swähl en d e Sammlungen
1. A llgemeine CH. MIOHEL, Recueil d'inscriptions grecques, Brüssel 1900. Ergänzungsbände 1912 und 1927 [Michel] (Texte ohne Erläuterungen). W. DITTENllERGER, Sylloge Inscriptionum Graecarum. 3. Auß.. in 3 Textbänden und einem ausführlichen I ndexband von F. Hn.r.ER voN GAERTRINGEN, J. KmOHNER, H . PoMTow, E. ZIEBARTH, Leipzig 1915-1924 [Syll.3] (Texte mit eingehendem lateinischem Kommentar). W. DITTENllEROER, Orientis Graeci Inscriptiones Selectae. 2 Bände, Leipzig 1903 und 1905 [OGI] (Texte mit eingehendem lateinischem K ommentar). 2. Spezielle H. RoEHL, Inscriptiones Graecae antiquissimae praeter Atticas in Att ica repertas, Berlin 1882 (IGA]. R . CAGNAT u . a. , Inscriptiones Graecae ad res R omanas pertinentes, P aris. Erschienen Band I 1911, lli 1906, IV 1927 [IGR]. H . CoLLITZ und F . BEOHTEL, Sammlung der griechischen DialektInschriften. 4 Bände, Göttingen 1884 1915 [GDI]. Unter den knapperen Auswahlen der Dialektinschriften ragt hervor : E. SCHWYZER, Dialectorum Graecarum exempla epigraphica potiora, Leipzig 1923.
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111. Die wichti gaten 1nachrijtervpublikationen
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P. KRETSCHMER, Die griechischen Vaseninschriften ihrer Sprache nach untersucht, Gütersloh 1894. M. N. ToD, A Selection of Greek Historical Inscriptions, Oxford. I. To the end of the fifth century B. 0., 2. Auß. 1946. II. From 403 to 323 B. 0., 1948 (mit vorzüglichem Kommentar). C. BRADFORD WELLES, Royal Correspondence in the Hellenistic Period, New Haven 1934 (grundlegende Monographie). R. DARESTE, B. HAussoux.r.:mR, TH. REINACH, Recueil des inscriptions jmidiques grecques. Texte, traduction, commentaire. 2 Bände, Paris 1891-1904 [Inscr. jur.]. I. DE PRoTT-L. ZIEHEN, Leges Graecorum sacrae e titulis collectae, Leipzig. I 1896. II 1 1906 (mit ausführlichem lateinischem Kommentar). A. AUDOLLENT, Defixionum tabellae quotquot innotuerunt tarn in Graecis Orientis quam in totius Oocidentis partibus praeter Atticas in Gorpore Inscriptionum Atticarum [ = IG III 3] editas, Paris 1904. Eine knappe Auswahl: R. WüNSCH, Antike Fluchtafeln (Kl. Texte für Vorlesungen und Übungen, herausg. von Hans Lietzmann, Nr. 20), 2. Auß. Bonn 1912. L . MoRETTI, I scrizioni agonistiche greche, Rom 1953 (mit eingehendem Kommentar). E. LOEWY, Inschriften griechischer Bildhauer mit Facsimiles herausgegeben, Leipzig 1885. Erneuerung durch: J . MARCADE, Recueil des signatures de sculpteurs grecs, Paris. Premiere livraison 1953. G. KAIBEL, Epigrammata Graeca ex lapidibuA conlecta, Berlin 1878. Erneuerung durch: W. PEEK, Griechische Vers-Inschriften, Berlin. Band I: Grab-Epigramme, 1955. F. FRHR. Hn.LER VON GAERTRINGEN, Historische griechische Epigramme (Kl. Texte für Vorlesungen u. Übungen, herausg. von Hans Lietzmann, Nr. 156), Bonn 1926. C. Ab bildungs material H. ROEHL, Imagines inscriptionum Graecarum antiquissimarum. 3. Auß. Berlin 1907 (fast ausschließlich Faksimilia). 0. KERN, Inscriptiones Graecae (Tabulae in usum scholarum editae sub oura I. Lietzmann, Nr. 7), Bonn 1913 (50 Lichtdrucktafeln). J . KmCHNER, Imagines inscriptionum Atticarum. Ein Bilderatlas epigraphisoher Denkmäler Attikas. 2. Auß. Berlin 1948 {54 Lichtdrucktafeln).
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IV. DIE GRIECHISCHE SCHRIFT Wie die Geschichte unserer heutigen griechischen Schrift, die über die Minuskelschrüt des 9. nachchristlichen Jahrhunderts auf die Kursivschrüt, wie sie uns auf den P apyri entgegentritt, zurückgeht, Gegenstand der Wissenschaftsdisziplin der P aläographie ist, so fällt die Untersuchung der Entstehung und Entwicklung der Monumentalschrüt (unzutreffend auch Unzialschrüt genannt, die vielmehr einen bestimmten Stil der Buchschrüt bezeichnet), in der die Buchstaben unverbunden nebeneinanderstehen und die ihrerseits wieder die Grundlage der die Buchstaben miteinander verbindenden Kursive gewesen ist, in den Bereich der Epigraphik, weil sie die Schrüt ist, in der die Inschrüten aufgezeichnet sind . Es wird also auch hier lediglich aus dem Grunde der Arbeitsteilung ein Zusammenhängendes zerlegt, und die Mahnung, nie zu vergessen, daß es sich bei dem allem nur um die Abwandlung einer und derselben Schrüt handelt und daß also der Papyrologe auch die epigraphischen Denkmäler für die Erforschm1g der Schrüt heranziehen müsse (U. W ILCKEN in L. MITTEIS und U. WILCKEN, Grundzüge und Chrestomathie der Papyrusktmde I 1 S. XXXIII/IV), ist nur allzu berechtigt und gilt umgekehrt auch für den Epigraphiker, da sich Rückwirkungen der Papyrusschrüt auf die der Inschriften feststellen lassen. A. Die Ze it vor d er Üb ern a hm e d er phönikischen Schrift Nach allem, was wir über die Kulturstufe wissen, auf der die Frühgriechen standen, als sie zu Beginn des 2. J ahrtausends v.Chr. in die südliche Balkanhalbinsel vorstießen, dürfen wir mit Bestimmtheit annehmen, daß sie sich damals noch nicht im Besitze irgendeiner Schrift befanden. Schrütlos sind sie sicherlich auch noch in den folgenden J ahrhunderten gewesen, die voller Kämpfe mit der eingeborenen Bevölkerung und den nachdrängenden neuen Griechenstämmen waren. Als sie dann aber einigermaßen seßhaft geworden waren, gerieten sie etwa um 1600 v. Ohr. unter den Einfluß der so glänzenden kretischen oder, wie wir sie zu nennen pftegen, minoischen Kultur, die sich gerade damals zu einer erstaunlichen Höhe entwickelt hatte. Diese hatte sich nach primitiven älteren Vorstufen im Anfang des 2. Jahrtausends, vor
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A. D ie Zeit vor der Ober-nahme der phiiniJ.:ischen Schr-ift
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allem wohl unter ägyptischer Einwirkung, eine eigene Bilderschrift geschaffen, die sich im 17. Jahrhundert zu einem linearen System entwickelte. Diese zum Unterschied von der gleich zu erwähnenden späteren Stufe als Linear A bezeichnete Schrift hat sich, in der Hauptsache auf Tontäfelchen, die also östlichen Einfluß beweisen, geschrieben, allenthalben in Kreta gefunden. Daneben taucht nun im Laufe des 15. Jahrhunderts in Knossos eine andere Form der linearen Schrift auf, die sich zum größeren Teile derselben Zeichen wie Linear A bedient, dazu aber andere neu einführt. Dieses als Linear B bezeichnete chriftsystem begegnet aber auf Kreta nicht außerhalb von Knossos, wo Linear A weiterlebt, sondern bleibt - und das ist das Bemerkenswerte - auf Knossos beschränkt, so daß man in ihm auch so etwas wie eine knossische Hofkalligraphie hatte sehen wollen. Daß wir es bei beiden linearen Systemen mit einer Silbenschrift zu tun haben, war von vornherein klar durch die große Zahl der Zeichen, von denen uns bisher 84 bei Linear A und 88 bei Linear B kenntlich sind. Es war nur selbstverständlich, daß bei den engen Beziehungen zwischen Kreta und Griechenland sich auch ein Einfluß der minoischen Schrift auf die dortige sog. mykenische Kultur geltend machen mußte. Und in der Tat ließ sich eine solche Einwirkung feststellen; denn es waren an verschiedenen Stellen Griechenlands (Theben, Orchomenos, Eleusis, Mykene, Tiryns, Asine) Tongefäße spä.tmykenischer Zeit mit aufgemalten oder auch eingeritzten Zeichen, und zwar von Linear B, gefunden worden. Aber das waren doch nur spärliche Spuren, bis dann im J ahre 1939 bei den Ausgrabungen des mykenischen Palastes von Pylos in Messenien, dessen Zerstörung in das Ende des 13. Jahrhunderts gehört, der überraschende Fund eines Archivraumes mit über 600 Tontäfelchen genau der gleichen Art wie die kretischen gemacht wurde. Die Fortsetzung der Grabungen hat dann die Zahl auf über 1000 erhöht, und auch in Mykene sind neuerdings etwa 50 zutage getreten. Man darf bestimmt mit weiterer Vermehrung rechnen. Auch a1Ie diese Täfelchen zeigen genau die gleiche Schrift wie die B-Täfelchen von Knossos, und die weitgehende Identität der Zeichengruppen stellt es außer Zweifel, daß es sich um eine und dieselbe Sprache handelt. Der nächste Schluß mußte daher der sein, daß die Griechen dieser Zeit, die Achäer, mit der Schrift auch die minoische Sprache übernommen hatten, mochte sie nun als Handels- und Verkehrssprache oder als Hofsprache verwendet gewesen sein, ähnlich wie uns das ja von der babylonischen Keilschrift und Sprache in der orientalischen Welt des 2. Jahrtausends v.Chr. bekannt ist. Vermutet werden durfte und ist auch schon vorher vermutet worden, daß die Griechen schließlich anfingen, die erlernte Schrift auch für die eigene Sprache anzuwenden. Diese Vermutung ist nun in einem Umfange, freilich auch in
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IV. Die griechi8che Schrift
einer ganz anderen Art bestätigt worden, wie es die wenigsten vorausgeahnt haben. Denn zu den epochemachendsten Entdeckungen unserer Zeit gehört der gesicherte Nachweis, daß die gesamte Linear-B-Schrift sowohl in Griechenland wie in Kreta die griechische Sprache wiedergibt. Dieser Nachweis ist im Jahre 1952 dem englischen Architekten MICHAEL VENTRIS in Zusammenarbeit mit dem Linguisten J oRN CHADWIOK geglückt, denen die phonetische Bestimmung von bisher 65 Zeichen der 88 gelang. Danach steht also fest, einmal daß die Achäer bereits im 15. Jahrhundert das Zentrum der minoischen Herrschaft, Knossos, erobert haben, worauf schon immer gewisse Veränderungen in der minoischen Kultur hindeuteten, sodann daß sie spätestens damals, wo sie nun das Erbe der ausgedehnten See- und Handelsherrschaft von Knossos antraten, mit dem ganzen Verwaltungsapparat und seinem Aktenwesen auch die Schrift übernommen haben, und zwar für die eigene Sprache. Das konnte natürlich nicht ohne gewisse Änderungen im Zeichensystem vor sich gehen, da. die Erfordernisse der griechischen Sprache andere waren als die der minoischen, die aller Wahrscheinlichkeit nach den kleinasiatischen Sprachen verwandt war. Und diese Anpassung liegt uns eben in dem Wandel von Linear A zu Linear B vor, in dem manche schon früher einen Wechsel der Sprache vermutet hatten. So sind also die Griechen schon vor der Übernahme der phönikischen Schrift im Besitze einer eigenen Schrift gewesen, und zwar seit dem 15. J ahrhundert v.Chr. Es gilt sich aber darüber klar zu sein, daß die Kenntnis einer so schwierigen Schrift, wie sie sich uns nach den F eststellungen ihrer Entzifferer darstellt, nicht Gemeingut sein konnte, sondern sich auf einen engen Kreis beschränkte, eine Schreiberkaste, die, vermutlich sogar aus kretischen schreibgewandten Sklaven bestehend, im Dienste der Verwaltung stand. Denn so viel scheint wenigstens nach den bisherigen Funden sicher, daß die Tontäfelchen wohl durchweg nichts anderes als Inventare, Rechnungen usw. enthalten. Nur zu gern werden wir uns von der Zukunft über einen weiteren Gebrauch belehren lassen, aber die Aussichten scheinen sehr gering, da das etwa dafür gebrauchte vergänglichere Schreibmaterial als wohl restlos verloren betrachtet werden muß. Trotzdem ist die schon jetzt erreichte Kenntnis über das Schriftgeschichtliche hinaus von einer gewaltigen Bedeutung, die auch nur anzudeuten hier nicht der Ort ist. Aber eine Frage muß noch erörtert werden, nämlich wie lange sich der Gebrauch dieser Silbenschrift bei den Griechen erhalten hat. Auf dem griechischen Festlande begegnet sie uns bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Und dann bricht mit dem 12. Jahrhundert die Katastrophe der Ägäischen und in ihrem Gefolge der Dorischen Wanderung
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A. Die Z eit vor der Obernahme der phönikischen Schrift
herein. Nach den oben gemachten Ausführungen über den wohl begrenzten Gebrauch der Schrüt und seine Beschränkung auf einen engen Kreis vonKundigen möchte es mir jetzt doch sehr zweüelhafterscheinen, daß die K enntnis der Schrüt den gewaltigen Kultursturz der Folgezeit überlebt haben sollte, jedenfalls war für sie bei den in Griechenland zunächst wieder primitiven Verhältnissen kein Platz. Wohl aber werden die über das Meer ziehenden Griechen den Gebrauch der Schrüt in ihre neue H eimat mitgenommen haben. In einem Falle wenigstens wird man nicht daran zweüeln können. Denn auf der Insel Kypros hat es bis in das letzte Viertel des 3. J ahrhunderts v.Chr. hinein eine Silbenschrüt gegeben, der sich sowohl die einheimische Bevölkerung wie auch die dortigen Griechen bedienten, und die schon seit langem entziffert ist. Die kyprische Silbenschrüt zeigt aber weitgehende Abhängigkeit von der minoischen Schrüt, und zwar sowohl Linear A wie Linear B. Allein dieser Umstand spricht schon gegen die Ansicht derjenigen, die die kyprische Silbenschrüt von Linear A ableiten und direkt aus Kreta um 1500 übernommen sein lassen. Sie läßt sich aber auch gegenüber den Ergebnissen der archäologischen Durchforschung von Kypros nicht aufrechterhalten; denn diese hat gelehrt, daß erst im späteren 2. Jahrtausend die Beziehungen der Insel nach dem Westen einsetzen, und zwar nicht nach Kreta sondern nach Griechenland. Griechische Kolonisten haben, wie uns in Übereinstimmung mit der antiken Tradition sowohl archäologische wie sprachwissenschaftliche Untersuchungen erwiesen haben, spätestens im 12. Ja.h rhundert (die Zeit ist strittig) vom Peloponnes aus Kypros besiedelt. So bleibt doch wohl in der Tat nur der Schluß übrig, daß die <;}riechen es gewesen sind, die die Schrüt, also Linear B, nach Kypros brachten, aus der sich dann die dortige Silbenschrüt weiterentwickelt hat . Die Linear-A-Elemente in dieser Schrüt erklären sich also durch das Medium der Linear-BSchrüt. •
Literatur Zu den minoischen Schriftsystemen und der h-yprischen Silbenschrift vgl. W. LARFELD, Griech. Epigraphik§§ 143-144 und W. VON ßiSSING im H andbuch der Archäologie I S. 155ff. Der entscheidende Aufsatz von M. VENTRIS und J . CHAD\'VICK ist unter dem Titel "Evidence for Greek Dia.lect in the Mycena.ea.n Archives" im J ourn. H ell. Stud. 73, 1953, 84ff. erschien en. Als gemeinverständliche Darstellungen seien empfohlen A. LESKY, Die Entzifferung von Linear B ( = Anz. Wiener Akad., phil. -hist. Kl. 1954 Nr. 6 und Das Gymnasium 62, 1955, 1ff.) und G. PuGLIESE CAR.RATELLI, La. decifra.zione dei testi micenei ( = La. Pa.rola. del Pa.ssato IX 1954, 81 ff.). E ine vorzügliche Orientierung Über den Gesamtstand der F orschung gibt STERUNG Dow, Minoa.n Writing ( = Am. Journ. Arch. 58, 1954, 77ff.).
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I V. Die griechische Schrift
B. Die En tste hung der griechischen Buchsta bensc hrift Daß die griechische Silbenschrift, die Linear -B-Schrift, nicht ohne Einfluß bei der Ausbildung der griechischen Buchstabenschrift gewesen ist, hat, wie wir unten sehen werden, große Wahrscheinlichkeit. Aus ihr entwickelt hat sich diese aber ganz bestimmt nicht. Vielmehr geh t sie auf ein völlig anderes Vorbild zurück, auf die phönikische Schrift. Das ist den Griechen auch immer im Bewußtsein geblieben, die ihre Buchstabenschrift als l/>owtx~ta yeapp.a-ra bezeichnet haben, wie uns H erodot V 58 berichtet und eine Inschrift aus Teos (SylJ.S 38) bestätigt, wo es heißt: ö~ dv __ l/>otvtxf]ta lxx6tpet, "wer die Schrift ausmeißelt, t ilgt" . Übrigens hat man mit Recht darauf hingewiesen, daß in der Bezeichnung "Phönikische Buchstaben", nicht bloß "Buchstaben", allein schon die Unterscheidung von anderen Schriften liegt, vor denen die Griechen der phönikischen den Vorzug gegeben haben. Den Beweis ihrer Herkunft liefert aber auch die griechische Buchstabenschrift selbst, und • zwar durch dieForm ihrer Zeichen, ihre Reihenfolge und ihre Namen, die zugleich akrophonisch (d.h. durch den Anlaut) den Lau twert geben ; auch ist die griechische Buchstabenschrift ursprünglich 1inksläufig gewesen wie die phönikisch e. Phönikiaobe Scbriftzeiohe n I
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Wie der griechische Genius aus allem, was er von anderen übernommen hat, in einzigartiger Schöpferkraft ein Neues schuf, so hat e.r es auch bei der Übernahme der phönikischen Schrift getan. Um d as richtig würdigen zu können, müssen wir uns kurz das Wesen d er phön ikischen Schrift vergegenwärtigen. Die umstrit tene Frage ihrer H erkunft und Entstehung k ann hier nicht zur Erörterung stehen ; es
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B. Die Entstehung der griechi8chen
Buchstaberu~ohrift
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sei nur erwähnt, daß die phönikische Schrift heute nicht mehr als eine singuläre dasteht, sondern das Bekanntwerden anderer Schrüten gleichen Prinzips (Sinai, Ras Schamra = Ugarit) gezeigt hat, daß es sich bei ihr nur um eine unter mehreren verwandten Neubildungen handelt. D er große Fortschritt, der hier gemacht ist, besteht in der Überwindung der älteren verwickelten Schrütsysteme, indem durch die verschiedenen Schriftzeichen nicht mehr ganze Worte oder Silben bezeichnet werden sondern Einzellaute, und zwar nicht nur gelegentlich, wie es schon die ägyptische Schrift getan hatte, sondern ausschließlich. Nun beruht aber in den semitischen Sprachen die Bedeutung eines Wortes auf den Konsonanten, aus denen es sich zusammensetzt; ihre Bezeichnung ist also zum Verständnis der Worte vor allem erforderlich, während die der Vokale, die im Semitischen die Flexion angeben, entbehrt werden kann. So hat sich denn auch die phönikische Schrift lediglich mit der Bezeichnung der Konsona.nten begnügt, das Ergänzen der Vokale dem Wissen um die Worte und den syntaktisch en Zusammenhang überlassend ("apperzeptives Lesen" würde es der Psychologe nennen), ist also sozusagen auf halbem Wege stehengeblieben. Ihn zu Ende gegangen zu sein, ist das Ruhmesblatt der Griechen, die die phönikische Konsonantenschrift, die sie übernahmen, durch Hinzufügung von .besonderen Zeichen auch für die Vokale zu einer vollständigen Lautschrüt entwickelt und damit die Schrift für alle Zeiten zu ihrer Vollendung geführt haben. Ihre Sprache konnte eben die Vokale, die bei ihr eine auch für die WOrtbedeutung entscheidende Rolle spielen (vgl. z.B. nä~, nai~, no6~, nw~), nicht entbehren. Sie sind in der Weise verfahren, daß sie vier phönikische Konsonantenzeichen, für deren L autwert sie keine Verwendung hatten, nämlich Aleph {1), He (5), Jod (10), Ajin oder Ojin (16), zur Bezeichnung der Vokale a, e, i, o wählten, offenbar in Anlehnung an die Namen dieser Zeichen, und für u (denn das war v zunächst und ist es auch in allen griechischen Dialekten mit Ausnahme des ostionischen und attischen, wo es dann, und zwar vor dem 5. Jahrhundert v.Chr., zu ü geworden ist) das lautlich verwandte Vav (6) gebrauchten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Gedanke der schriftlichen Bezeichnung der Vokale von den Griechen der bisher verwendeten Schrift entlehnt ist, die ja dieses in bestimmten Fällen getan hat; dafür spricht auch, daß es nur die fünf in dieser wie auch noch in der kyprischen Silbenschrift bezeichneten Vokale sind, die zunächst in der griechischen Buchstabenschrift erscheinen, obwohl das Griechische mehr besitzt. Da nun diese Zeichen allen Sonderarten, in die sich das griechische Alphabet aufgespaltethat, gemeinsam sind, kann es sich nur um die bahnbrechende Tat eines Mannes handeln. Und damit erheben sich die beiden soviel . erörterten, weil so wichtigen Fragen: wo und wann hat dieser Mann 3 7249 Klaffenbacb, Grl.eoblscbe Epigrapblk
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IV. Die griechische S chrift
gelebt, von dem sich keine Kunde erhalten hat, dieser "unbekannte Wohltäter der Menschheit" (Wilamowitz, Geschichte der griech. Sprache, 1928, S. 9)? Was den Ort der Obernakme des phönikischen Alphabets angeht, so kann sie, da ja das Vav zur Bezeichnung des u gewählt worden ist, nur dort erfolgt sein, wo ein griechischer Dialekt gesprochen wurde, der den im Urgriechischen vorhandenen w-Laut eingebüßt hatte. Man hat auf die kleine Insel Thera hingewiesen, wo dieser schon sehr früh geschwunden ist und sich in der Tat sehr altertümliche Inschriften gefunden haben. Aber treffend hat Wilamowitz a. a. 0. gesagt : " E s kann nicht in einem Winkel, sondern nur an einem Zentrum des Verkehrs geschehen sein." Unter diesem Gesichtspunkt hat die Vermutung, daß es auf Rhodos, dem Hauptstützpunkt gerade des OstWest-Verkehrs, gewesen sein könnte, wo auch zur Zeit der ältesten uns erhaltenen Aufzeichnungen der w-Laut schon verlorengegangen war und sich nur einmal in seiner Kolonie Gela auf Sizilien findet (F. Bechtel, Die griechischen Dialekte II S. 619), sehr viel für sich, aber mehr als eine 'Yenn auch wohlbegründete Vermutung kann es nicht sein. Und nun zur Frage des Z eitpunktes der Übernahme. Die ältesten erhaltenen griechischen Inschriften entziehen sich einer genauen Datierung, aber archäologische Indizien führen darauf, daß die Inschrift, die wir zur Zeit auf Grund ihrer Buchstabenformen, insbesondere wegen ihres nicht aufrecht stehenden, sondern genau wie in der phönikischen Schrift liegenden a, als die überhaupt älteste ansehen müssen, eine in Athen gefundene Vasenaufschrift (abgebildet bei J. Kirchner, Imagines inscriptionum Atticarum Tafel I 1), in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. gehört. Sehr ähnlich ist ihr in ihrem Duktus die Inschrift auf einem rhodiseben Gefäß, das der Herausgeber mit Bestimmtheit auch dem 8. Jahrhundert zuweist (Chr. Blinkenberg, Lindos II Nr. 710). Beide Inschriften zeigen aber schon die durch Zusatzbuchstaben erweiterte Form des griechischen Alphabets, und zwar zwei voneinander abweichende Sonderarten. Das entspricht völlig dem Bilde, das uns die griechische Kolonisation des Westens bietet, die um die Mitte des 8. Jahrhunderts v.Chr. einsetzt, und wo wir sehen, daß die Kolonisten die Alphabete ihrer Mutterstädte schon in Sonderformen mitgenommen haben müssen, wie z.B. die der ältesten Kolonie, Kyme (Cumae) in Italien, das Alphabet ihrer Mutterstadt Chalkis auf Euböa in derselben Form wie in der der erwähnten rhodisoben Vaseninsohrift. Wenn wir also in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts schon die Existenz von Weiterbildungen des griechischen Uralphabets, und zwar nicht nur einer einzigen, feststellen und uns sagen müssen~ daß dieser Prozeß der
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B. Die Entstehung der gr-iechischen B uchatabenachrift
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W eiterbildung und Differenzierung eine zwar schwer abzuschätzende, aber zweifellos längere Zeit beansprucht hat, so erscheint das frühe 9. Jahrhundert von dieser Seite her als der späteste Termin für die Schaffung des griechischen Uralphabets. Auf die gleiche Zeit etwa führt von der anderen Seite der Vergleich der ältesten griechischen Buchstabenformen mit den Buchstabenformen der phönikischen Schriftdenkmäler. Denn wenn auch das Vergleichsmaterial nicht eindeutig ist, so scheinen doch die phönikischen Buchstabenformen der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts das nächste Vorbild abgegeben zu haben, wie vor allem die Formen des K aphund Mem zeigen. So spricht alles dafür, daß es bald nach Beginn des 9. Jahrhunderts gewesen ist, als jener namenlose Grieche den entscheidenden Schritt tat, von den Phönikern, die sich seit der J ahrtausendwende nach dem Westen aus zubreiten begonnen hatten, ihre Schrift zu übernehmen und in genialer Weise zu vervollkommnen. Daß er es getan hat, und daß sein Erfolg ein durchschlagender gewesen ist und die gesamten Griechen, soweit sie überhaupt schon schreibkundig gewesen waren, bereitwillig umgelernt haben zu schreiben, schließlich auch später auf dem Außenposten Kypros, ist natürlich in der gewaltigen Überlegenheit des phönikischen Schriftsystems über die Silbenschrift begründet. Wereinmal die schlagende Einfachheit dieses Systems kennengelernt hatte, konnte sich ihm nicht versagen, am wenigsten der weltoffene Sinn derGt·iechen. Literatur Einfluß d er kyprisch en Silbenschrift bei der Schaffung der griechisch en Buch-· sta.benschrift hatte sch on R. ÜA.R.PEl>'"TER im Anschluß anM.P.NILSSON und M. H A1\1MARSTRÖM wahrscheinlich gemacht, vgl. Am. J ourn. Arch. 42, 1938, 67 f. trberdas ph önikische Alphabet und alle damit zusammenhängenden Fragen orientiert am bequemsten das treffliebe Büchlein von HANS BAUER, D er Ursprung des Alphabets ( = Der Alte Orien t 36, H eft 1 /2), 1937. Das b edeutendste Werk jedoch über die Geschichte des Alphabets ist das von D. DmmGER, The alphabet. A key to tbe history of mankind, London 1948. Zu den nelJ,esten Entdeckungen vgl. H. SoBMÖKEI·, Zur Vorgeschichte des Alphab ets = Forschungen und F ortschritte 26, 1950, S. 153ff. und ebenda S. 217ff. 0. EISSFELDT, Ein Beleg für die Buchstabenfolge unseres Alphabets aus dem 14. Jahrhundert v . Ohr. Im übrigen vgl. A. RERM im Handbuch der Archäologie ! S. 192ff. Empfehlenswert auch der Aufsatz von R. H aRDER, Die Meisterung der Schrift durch die Griechen, in: Das neue Bild der Antike I 1942, S. 9lff.
C. Die Entwicklung d es gri ec hischen Alphab e t s Wenn wir uns nun der Entwicklung des griechischen Alphabets, zunächst seiner Aufspaltun.g in die zahlreichen Sonderformen, wie sie die Inschriften bis in da8 4. Jahrhundert v.Chr. hinein aufweisen, zu-
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IV. Die griechische Schrift
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wenden, so muß gleich anfangs betont werden, wie weit wir hier noch von gesicherten K enntnissen entfernt sind. Dank den bahnbrechenden Untersuchungen von A. KmcHHOFF, die er in seinen "Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets" (4. Aufl.. Gütersloh 1887) niedergelegt hat, sind wir wohl in der Lage, eine äußerliche und ungefahre chronologische Gruppierung der vielfaltigen archaischen Alphabete vorzunehmen, aber die Beurteilung der wirklichen Zusammenhänge, der einheitlichen Linie der Entwicklung bleibt uns noch weitgehend versagt. Wir überblicken wohl das Ergebnis, erschließen auch mit mehr oder weniger großer Sicherheit verschiedene Stadien des Werdens, können diese aber weder zeitlich fixieren noch hinreichend den Anteil der einzelnen griechischen Gegenden bestimmen, da sich die Verteilung der Alphabete unabhängig von der der Dialekte erweist, ja wir können nicht einmal erkennen, ob Gegenden mit einer entwickelteren Form des Alphabets vorher das einfache gehabt haben. Das griechische Uralphabet muß, wenn wir die ältesten uns bekannten Buchstabenformen (ohne Berücksichtigung gewisser Sonderformen) einsetzen, nach dem, was oben dargelegt ist, folgenden Bestand gehabt haben : · Altgriechische Schriftzeichen
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Alpha Beta
10
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B
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Theta
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11
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Pei
18
M San(t)
Tau
Dazu ist zu bemerken, daß etliche Buchstabennamen in ihrer späteren Form gegeben sind und sich für manche Buchstaben ihre ursprüngliche Bezeichnung unserer K enntnis entzieht. Ungeklärt bleibt auch bisher, ob der uns neben dem ionischen Sigma als dorisch überlieferte Name San für den s-Laut (Herod. I 139) wirklich eine andere Bezeichnung des 21. Buchstabens (phön. Schin) ist oder sich auf den
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0 . Die Entwicklung des griechischen Alphabets
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18. (phön. Ssade) bezieht. Jedenfalls ist davon auszugehen, daß das älteste griechische Alphabet die gesamten 22 phönikischen Zeichen übernommen hat. Das beweist einmal die Verwendung aller Buchstabenformen in der griechischen Schrift, sodann und vor allem aber der Befund der in Italien erhaltenen griechischen Alphabetreihen, die die sämtlichen phönikischen Buchstaben aufweisen. Natürlich sind sie zur Zeit dieser Alphabetreihen (etwa 7. Jahrhundert v. Chr.) nicht mehr alle in Gebrauch gewesen; das Bezeichnende ist eben, daß sie im "offiziellen" Alphabet noch lange mitgeschleppt worden sind. Das gleiche werden wir auch für das griechische Uralphabet anzunehmen haben. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Griechen die verschiedenen phönikischen Zeichen für den s-Laut nebeneinander zu einer unterschiedlichen Bezeichnung ihres s-Lautes verwendet haben - jedenfalls läßt sich das in keinem der erhaltenen Alphabete belegen (das v.. in Mantinea für einen Zischlaut und das 'T' für ss in Ostionien sind als Neubildungen zu betrachten) - , sondern alle Zeichen sind zunächst unbekümmert um ihre praktische Verwendung übernommen worden. Wir haben ja gesehen, daß dann ein Teil der nicht verwendbaren Zeichen zur Wiedergabe von Vokalen gebraucht worden ist; die anderen blieben unbenutzt, wenn man nicht etwa damit rechnen muß, daß z.B. Ssade und Schin als lediglich graphische Doppelbezeichnung für s Anwendung gefunden haben (man hat auf das Deutsche hingewiesen , wo fund v ja den gleichen Lautwert haben). Die erste Wandlung, die das griechische Uralphabet erfuhr, war dadurch bedingt, daß der w-Laut, der ihm ja fehlte, aber an den meisten Orten noch gesprochen wurde, Aufnahme verlangte. Da das phönikische Vav seine Form schon f ür den u-Vokal hergegeben hatte, wurde für das griechische Vav ein neues Zeichen gebildet, das in einigen Formen unverkennbar von Y hergeleitet ist (z.B. N , d.h. Y mit diakritischem Strich, in Vaxos auf Kreta), für das sich aber im allgemeinen die Form F oder C (daher auch die Bezeichnung Digamma = Doppelgamma) durchsetzte. Diesem neuen Zeichen gab man entsprechend dem phönikischen Alphabet die 6. Stelle und versetzte das Y = u, das ursprünglich diesen P latz gehabt hatte, an das Ende des Alphabets, das mmmehr 23 Buchstaben umfaßte. In diesem Bestande, den man nach den klassisch gewordenen Farben, die Kirchhof! in der Karte der Verbreitungsgebiete der ältesten Alphabete am Schlusse seines eingangs erwähnten Buches verwendet hat, das "grüne" Alphabet nennt, begegnet uns das Alphabet noch in den ältesten Inschriften von Kreta, Thera, Melos. Als nächstes Stadium scheint - sicher ist das nicht - die Trennung in der verschiedenen Verwendung der vier phönikjschen Zischlaute (Zajin, Samech, Ssade, Schin ), die zwar, wie oben ausgeführt, alle über-
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IV. Die griechische Schrift
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nommen waren, aber noch keine bestimmte Anwendung erfahren hatten, anzunehmen zu sein. Zajin (I) wird fast allgemein als C gebraucht, nur Thera und Korinth lehnen es anfangs ab und wählen dafür das Samech (:E); dieses bleibt im übrigen zunächst unbenutzt. Ssade (M) verwenden für den s-Laut Kreta, Thera, .Melos, Argos, Korinth, Achaia und Mittelgriechenland, während Schin ('~)sonst dafür eintritt, vor allem auf ionischem Gebiet. Die folgenden Stadien sind·durch das Hinzutreten der sog. Zusatzbuchstaben {~, cp, x, 1p) charakterisiert. Das Zeichen ED ®für th, d.h. also den aspirierten Dental, mußte es nahelegen, auch bei dem aspirierten Labial ph und dem aspirierten Guttural kh bzw. qh die bisherige Schreibung r 8 und K 8 bzw. 9 8 durch je ein besonderes einzelnes Zeichen zu ersetzen. Nach der überaus einleuchtenden Vermutung von Wilamowitz ist es auch eben das Zeichen ED ®gewesen, aus dem die beiden neuen gebildet wurden, nämlich CD ct> für ph (cp, Name: Phei) durch Weglassen eines Balkens des Kreuzes und +X für kh, qh (x, Name: Chei) durch Weglassen des Kreises. Sofern diese Neuerung aufgegriffen wurde, haben alle Alphabete das Zeichen CD für cp angenommen, dagegen hat das Zeichen +X für x keine allgemeine Anerkennung gefunden. Denn während es Ionien (überhaupt das westliche Kleinasien), die Inseln (außer Rhodos), Athen, Megara, Korinth, Sikyon, Phlius, Argos (und natürlich auch die entsprechenden Kolonien) verwenden, haben fast das ganze Mutterland mit Einschluß von Euböa und der Westen für x ein anderes Zeichen geschaffen, und zwar 'V bzw. 'f. Auch dieses Zeichen erklärt Wilamowitz mit großer Wahrscheinlichkeit als aus dem bisherigen Schlußzeichen V Y durch Zusatz eines Striches gebildet. Aber wie dem auch sei, das eigentliche Rätsel ist das, welches der Grund für diese entscheidende Spaltung der griechischen Alphabete gewesen sein mag. Es ist eine ganze Flut von Hypothesen, die darüber aufgestellt worden sind, aber eine überzeugende Durchschlagskraft ist bisher noch keiner beschieden gewesen, und so werden wir gut daran tun, bis zu einer zur Lösung dieses Problems hinreichenden Vermehrung des Inschriftenmaterials es bei dem Eingeständnis unseres Nichtwissens bewenden zu lassen. Nach der oben erwähnten Karte von Kirchhoff pflegt man das Alphabet mit den Zeichen CD = cp, X = x das " hellblaue", das mit den Zeichen CD = cp, 'f= x das "rote" zu nennen. Ein weiteres Stadium der Entwicklung besteht in der Bezeichnung der Doppellaute ks und ps. Bisher wurden diese xa oder xa bzw. TU! oder cpa geschrieben, und bei dieser Schreibweise sind auch einige Alphabete geblieben, z. B. das "hellblaue", aber gerade aus diesem heraus ist, wie die Wahl der neuen Zeichen lehrt, dieser weitere Schritt getan worden. Wiederum mußte die Analogie des Dental-Lautes, der •
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0. Die Entwicklung de8 griechischen Alphabets
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für ds (C) das Zeichen I besaß, dazu führen, auch bei dem Guttural und Labial für ihre Verbindung mit s besondere Buchstaben zu bilden, und zwar wählte man das fast kaum benutzte (siehe S. 38) Samech (:E) für ks {~, Name: Xei) und das neue Zeichen 'V 'f, das ja im "hellblauen" Alphabet keinen Eingang gefunden hatte, für ps {1p, Name: P sei). Mit Ausnahme von Attika und den Nordkykladen, wo das "hellblaue" Alphabet bestehen blieb, hat sich diese Neuerung überall sonst im ursprünglichen Gebiete dieses Alphabets durchgesetzt; seine Form wird mit K.irchhoff als das "dunkelblaue" Alphabet bezeichnet. Das "rote" Alphabet hat die Neuerung nur zum Teil aufgegriffen, nur die Bezeichnung des Doppellautes ks, aber wieder in bemerkenswertem Gegensatz zu "Blau", indem es nämlich nicht :E, sondern das früher abgelehnte Zeichen X dafür verwandte. Dieses kann aber nicht eine Vereinfachung aus der auch im " roten" Bereich begegnenden Schreibung X~ sein, wie vielfach angenommen wird, da ja "Rot" X = x nicht kannte und auch in Rhodos die oben soho)l erwähnte älteste Inschrift (Lindos II Nr. 710, aus dem 8. Jahrhundert v.Chr.) einfaches X in dem Werte ~ zeigt. Vielmehr ist "rotes" X~ als ~a, also als pleonastische Schreibung, zu verstehen, wie man denn au ch später noch, in der Zeit des Einheitsalphabets, auf Rhodos der Schreibung :E~ begegnet (Lindos II Nr. 16 Appendix). Diese pleonastische Schreibung (vgl. auch 19-h, was vorkommt) ist auch gelegentlich bei "Blau~~ zu finden (z.B. 6~~ in Chios), und im Altlateinischen ist xs ganz üblich. Den Doppellaut ps schrieb das "rote" Alphabet im allgemeinen weiter mit zwei Zeichen ; nur gelegentlich ist man auf "rotem" Gebiet dazu übergegangen, dem "dunkelblauen" Vorbilde auch für diesen Doppellaut zu folgen, mußte aber, da ja für " R ot" das Zeichen 'f 'Y den Wert x hatte, ein neues schaffen, das man aus X = ~ differenzierte, nämlich Xin Elis und Lakonien: l: in Arkadien unddem Westlichen Lokris. Vorübergehend begegnet in Melos und Thera 'f= ~Den Abschluß der Entwicklung des griechischen Alphabets bildete die gesonderte Bezeichnung der kurzen und langen e- und o-Vokale. • Diese Neuerung ist die jüngste und von der weitaus überwiegenden Mehrzahl der "roten" Alphabete, auch von " Hellblau", nicht übernommen worden. Da der H auchlaut (h) in manchen Dialekten, in der Hauptsache im ostionischen Gebiet, verlorengegangen oder zum mindesten so abgeschwächt war, daß kein Bedürfnis mehr für seine Bezeichnung in der Schrift vorlag, wurde hier sein Zeichen 8 oder in jüngerer Form H zunächst für ä gebraucht , während man~. jünger E, weiter für e und e verwandte. Das beweisen Schreibungen wie KAIII'NETH (Naxos) und andere. Aber allmählich setzte sich H auch zur Bezeichnung von e durch. Wo der Hauchlaut noch bestand, die Differenzierung der e-Vokale aber übernommen wurde, finden wir H
.. ,
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IV. Die griechi8che Schrift
durcheinander verwendet, sogar auch für he, wie z. B. die Schreibung HKHBOAOI (Naxos) zeigt. Jünger ist die verschiedene Kennzeichnung des kurzen und langen o-Vokals. Das Zeichen, das sich für ö durchgesetzt hat (manche Alphabete sind hierin ihre Sonderwege gegangen), ist aus 0 so gebildet worden, daß der Kreis unten geöffnet und die Enden herumgebogen, schließlich zu geraden Seitenstrichen wurden : Q 11. Das neue Zeichen trat hinter die sog. Zusatzbuchstaben an das Ende der Alphabetreihe . Damit hatte die Entwicklung des griechischen Alphabets ihren Abschluß gefunden und dieses seine letzte Vervollkommnung erreicht. Was die Zeit der Entwicklung angeht, so können wir nur das sagen, daß sowohl die Bildung der sog. Zusatzbuchstaben als auch die Umwertung des Hauchzeichens zu 'YJ vor die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts v.Chr. fallen; denn zu dieser Zeit finden wir nicht nur X = x in Athen und "rotes" X = ; wenig später auf Rhodos (vgl. oben S. 39), sondern in der rhodiseben Inschrift auch 8 = 'YJ· Wie viel jünger w ist, bleibt ungewiß, aber die Ansicht, daß diese Neuerung erst in die ersten Jahrzehnte des 6. Jahrhunderts falle, läßt sich gegenüber dem Befunde auf einer Vasenacherbe der orientalisierenden Gattung, die im Artamision von Delos gefunden ist und die um 700, spätestens in die ersten Jahrzehnte des 7. Jahrhunderts, angesetzt werden muß (I. Delos 32a; dazu 0. Rubensohn, Mitteil. d. Dt. Arch. Inst. I 1948, 39 6 ) , nicht aufrechterhalten; denn sie weist ein ganz deutliches Q auf. Und jüngst ist auf einem Becher des 7. Jahrhunderts aus Smyrna (Journ. H ell. Stud. 71, 1951, 249 mit Abb. Fig. 9= SEG XII 480) Omega in der gleichen Form aufgetaucht. So werden wir nicht fehlgehen, wenn wir den Abschluß der Entwicklung des Alphabets in das Ende des 8. Jahrhunderts v.Chr. ansetzen. So bietet sich uns ein verwirrendes Bild der Sonderalphabete, und dieses ist noch verwirrender dadurch, daß die einzelnen Orte oft genug noch Sonderformen für manche Buchstaben geprägt haben; aber das können wir hier nicht verfolgen. Lediglich als Beispiele seien angeführt: für ß die Formen J;,! oder ~ (Thera; d. i. n mit diakritischem Strich), v.. (Melos), C (Kykladen), ru (Korinth), (Kreta) undzur Bezeichnung des o-Vokals: Paros 0 = w, n = o; Thera 0 = o, 0 = w; Melos 0 = w, C = o. Es ist ein sinnfalliges Zeugnis für den notorischen partikularistischen Geist der Griechen. Bei dieser Sachlage kann man den Sieg des ionischen ("dunkelblauen" ) Alphabets, das seine Ausbildung so gut wie sicher in der geistigen Zentrale Ioniens, in Milet, gefunden hat, über alle anderen Alphabete, einen Sieg, der für alle Zukunft bis auf den heutigen Tag entscheidend gewesen ist, nur als einen Segen bezeichnen. Daß es gerade dieses Alphabet war und nicht ein anderes, ist in·dem großen
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C. Die Entwickhmg des griechiachen Alphabet8
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kulturellen Übergewicht Ioniens und in erster Linie Milets begründet, der Stadt , die bis zu ihrer Zerstörung durch die Perser im Jahre 49"'4 v. Ohr. die geistige Führerin und Lehrerin ganz Griechenlands gewesen ist. Ionische Schrift war die Buchschrift geworden und ist es allein geblieben, und mit ihrer Verbreitung sah sich allent halben die Schule genötigt, neben dem einheimischen Alphabet das ionische zu lehren, wie auch unsere Schulen, wenigstens früher, die lateinische Schrift neben der deutschen. Es ist klar, daß der private Gebrauch der ioni- . sehen Schrift den offiziellen der einheimischen immer stärker beeinflussen mußte, und wir können in so manchem Alphabet das allmähliche Eindringen des ionischen deutlich verfolgen, zunächst bezeichnenderweise in Privatinschriften (vgl. z.B. die Ostraka in At hen), während die offiziellen Urkunden sich länger wehren . Aber der Siegeslauf des ionischen Alphabet s ließ sich auch hier auf die Dauer nicht aufhalten. Athen , das zähe an seinem "hellblauen" Alphabet im offiziellen Gebrauch festgehalten hatte, kapitulierte im J ahre 403 v. Ohr. (unter dem Archontat des Eukleides, weshalb wir in Attika von vor euklidischen undnacheuklidischen Inschriften sprechen) undführte nunmehr auch amtlich die ionische Schrift ein; wir kennen hier auch den Namen des Schriftreformers : Archinos. Mit dem Beispiel der neuen geistigen Führerin war der Sieg der ionischen Schrift auch für den Westen ent schieden, und im Laufe der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. verschwinden alle Lokalalphabete im griechischen Bereich, und auch die kyprischen Griechen sind schließlich, wenn auch am spätesten, gefolgt (s. oben S. 31). Literatur Grundlegend das in der Darstellung genannte Buch von A. KrnoHHOFF. Ausführlich und rojt Aufführung aller Theorien W. LARFELD, Griech . Epigraph ik §§ 147- 172 ; knapp un d d er T heorie von A. Geroke folgend A. R E H M im H o.ndb ucb der Archä<>logie I S. 199ff. Neueste Th eorien entwickeln M. F ALKNER, Zur Frühgeschich te d es griechischen Alphabets (in dem von W. Brandenstein h erausgegebenen Werke " Frühgesch ichte und Sprachwissen schaft" , W ien 1948, S. llO ff.) und M. Gu A.RDuoor, La. culla. dell'a.lfa.beto greco ( = Fi(!at; ~vrwvlov K eeaiJonovU ov, Athen 1953, S. 342ff.). •
D . Die E ntwi c klung d e r gr iec hi s ch e n Bu ch s ta b e nform e n Nicht nur das phönikische Alphabet als solches hat durch die Griechen eine tiefgreifende U mwandlung erfahren, sondern auch die Formen seiner Zeichen sind im Laufe der Zeit starken Veränderungen unterworfen worden. Da sich das im einzelnen nur an Hand eines umfangreichen Abbildungsmaterials veranschaulichen läßt, müssen
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IV . D ie griechi8che Schrift
wir uns hier auf die Hervorhebung der allgemeinen Entwicklungstendenzen beschränken. Diese bestehen einmal in der Vereinfachung zu 0 , :E zu =: usw. -und der Buchstaben- so wird 8 zu H, sodann in ihrer Verschönerung. Während anfangs die noch ungeübte Hand, allein dem Zwecke ihrer Tätigkeit hingegeben, darauf bedacht ist, klar und deutlich die einzelnen Buchstaben hinzusetzen, unbekümmert um das Äußere der Zeichen, d. h. ihre Größe, Stellung, ja auch zuweilen die Form, so wie es das Bild einer ungelenken Kinderhandschrift bietet, bemächtigt sich mit der fortschreitenden Übung und Sicherheit der eingeborene Schönheitssinn der Griechen auch der Schrift. Die Buchstaben gewinnen Festigkeit der Form und werden in ihrer Größe einander angeglichen. Daß bei dieser Stilisierung der Schrift die wirkliche Schreibschrift, also die mit dem Kalamos (Rohr) und Tinte, andere Wege gehen mußte als die mit dem Meißel oder Stichel, liegt in der Natur der Sache. Für jene war die Wahl von runden Formen das Gegebene, für diese die von eckigen, und nur dem Einfluß der Schreibschrift ist es zuzuschreiben, wenn im Laufe der Zeit auch in die Monumentalschrift einzelne runde Buchstabenformen eindringen. Und während die Schreibschrift dann allmählich die einzelnen Buchstaben miteinander verband und sich so zur Kursive ausbildete, hat die Monumentalschrift an der Selbständigkeit jedes einzelnen Buchstabens festgehalten. In der Frühzeit ganz seltene Ausnahme, findet sich die Verbindung von Buchstaben in der Monumentalschrift, sog. Ligaturen, z. B. t-C, H< usw., erst in der späteren römischen Kaiserzeit. So verhält sich die Monumentalschrift zur Schreibschrift wie unsere Druckschrift zur Schreibschrift. Die Stilisierung der Monumentalschrift prägt sich in dem Streben nach rechtwinkliger und durch Ausgleich der Schenkellängen symmetrischer Gestaltung der Buchstaben aus. Diese "Geometrisierung" (Rehm) erreicht um die Wende des 5. zum 4. Jahrhundert v.Chr. ihren klassischen Höhepunkt. Dann setzt allmählich nach den Gesetzen der Kunstgeschichte auch in der Gestaltung der Schrift das Barock ein : die Schrift wird Zierschrift. Das geschieht einerseits durch Anbringung von Verzierungen an den Hastenenden, die zunächst verdickt werden, dann Querstriche, schließlich schwalbenschwanzförmige "Apices" erhalten, andererseits durch kurvenartige Biegung der Hasten und sogar auch Isolierung der Hasten (z.B. 1-1 = rJ). Ferner findet sich jetzt wieder Unregelmäßigkeit in der Größe der Buchstaben , indem z.B. oft ~. o und co kleiner als die übrigen gebildet werden; gelegentlich wird auch die Symmetrie beim einzelnen Buchstaben gemieden. Viele dieser E rscheinungen hat man mit Recht auf den Einfluß der Schreibschrift zurückgeführt; außer Zweifel steht das bei dem Eindringen kursiver Formen wie € , C und schließlich (..).
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D. Die Entwicklung der griechischen Buchstabenformen
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Die Zeit der angedeuteten Weiterbildung ist die des Hellenismus, also die der letzten drei J ahrhunderte v.Chr. (€ und C vereinzelt schon im 4. Jahrhundert v.Chr.). So ist die Entwicklung der Schriftzeichen bis zur Kaiserzeit, ja auch noch in ihren Anfang hinein, wo die Buchstaben mit manchen Hasten über die Zeile nach oben oder unten hinausragen, eine fortschreitende, und da sich diese Entwicklung im großen und ganzen ziemlich gleichmäßig in der griechischen Welt vollzieht, so sind wir in der Lage, eine annähernde allgemeine Datierung der Inschriften auf Grund ihrer Schriftformen vorzunehmen. Aber es muß auch vor einer Überschätzung dieses Verfahrens gewarnt werden. Gerade der Kundige weiß, welchen Täuschungen man dabei unterliegen kann, und nur, wo wir über ein umfangreiches Vergleichsmaterial, wie etwa in Athen, verfügen, ist eine relative Sicherheit gegeben. Das ändert sich im weiteren Verlaufe der Kaiserzeit, so daß hier oft genug der chronologische Ansatz selbst auf das J ahrhundert allein nach der Schrift ein trügerisches Wagnis darstellt. Denn entsprechend den archaisierenden Tendenzen der Zeit wird auch in der Schrift häufig auf ältere Zeiten, gelegentlich sogar auf die vorklassische, wie im Athen des Hadrian, zurückgegriffen, und so ist das Bild kein einheitliches: kursive und nichtkursive Buchstaben, schlichte und überladene Zierschrift gehen parallel. Etwa vom 3. Jahrhundert n.Chr. ab wird das Eindringen der kursiven Formen stärker, wenn auch daneben eckige Formen wie C = a und W = w auftreten (C freilich schon früher). Oft begegnen dann auch lange und dünne Buchstaben, die besonders für das 4. und 5. Jahrhundert n.Chr. charakteristisch sind. Die Schrift verwildert schließlich immer stärker (man vergleiche etwa die tele aus Eleusis in Atb. Ifiitt. 66, 1941, Tafel 38).
Literatu1· Die Hauptlinien der Entwicklung der griechischen Buchstabenformen sind gezeichnet in d en vor-.tüglichen Darlegungen von A. REmt im Handbuch der Archäologie! S. 216ff. Vgl. a.uch W. LARFELD, Grieoh. Epigt·a.phik §§ 173. 175 /6. ehr lehrreich die Lektüre von O.KERNS Ausfuhrtmgen über die Geschichte der toinschrift in Magnesia. (I. Ma.gn. S. XXIXff.). 1 1
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V. DIE AUSFÜHRUNG DER GRIECHISCHEN INSCHRIFTEN A. Inschriftenträger Wie mannigfaltig das Material ist, das als Schriftträger gedient hat, ist schon in den einleitenden Ausführungen dargelegt worden, zugleich aber auch ausgesprochen , daß wir uns in unserer Behandlung auf die Aufzeichnung auf Stein oder Metall beschränken. Die verschiedenen Arten einer solchen Aufzeichnung bestimmen sich nach dem Verhältnis, in dem der Stein oder das Metall und die Inschrift zueinander stehen . Es kann jede innere Verbindung zwischen beiden fehlen: das ist der Fall bei der Aufzeichnung auf dem gewachsenen Felsen, auf Mauern, und zwar sowohl frei stehenden (besonders beliebt Stützmauern wie die berühmte polygonale südliche Stützmauer des Apollontempels in Delphi, die über und über mit Freilassungsurkunden beschrieben ist) als auch solchen von Gebäuden (namentlich den Innenwänden von Säulenhallen), und Säulen und Pfeilern, vorzugsweise den Anten der Tempel, Schatzhäuser usw. In allen den genannten Fällen ist der Schriftträger indifferent, Nebensache und höchstens unter dem Gesichtspunkt der Vereinigung von mehr oder weniger zusammengehörigen Aufzeichnungen gewählt. Oder aber Schriftträger und Inschrift gehören zu sammen, stehen in ergänzender Beziehung zueinander. Dazu gehören die Inschriften von Statuen, entweder, wie gelegentlich in früher Zeit, direkt auf die Statue gesetzt oder auf die Basis, die Weihinschriften, die Grabinschriften auf Grabsteinen oder Sarkophagen, Bauinschriften und ähnliche. Bemerkenswert ist hierbei in der archaischen Zeit, aber zuweilen auch noch später, die Unbekümmertheit in der Anbringung der Inschrift, die es gar nicht auf eine künstlerische Wirkung absieht, so wenn z. B. die Inschrift auf einer Basis an den oberen Rand geklemmt ist und bei nicht ausreichender Breite einfach senkrecht nach unten umgebogen wird. Gewiß gibt es Ausnahmen, aber der vorwiegende Eindruck ist der des Fehlens des Gefühls für Symmetrie und für das Verhältnis von Inschrift und Denkmal, das sich erst verhältnismäßig spät durchsetzt. Immerhin pflegt man bei einer hohen und schmalen Basis die Inschrift senkrecht anzubringen, bei Säulenals Weihgeschenkträgern in den Kanneluren, aber bezeichnenderweise kommt auch hier Querbeschriftung vor. Überhaupt hat die ornamentale Verwendung der Schrift den Griechen viel weniger gelegen als den Römern, und
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A . 1-Mchri/tenträger
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wo wir in der späteren Zeit an Gebäuden große dekorative Inschriften finden, liegt höchstwahrscheinlich römischer Einfluß vor. Und schließlich : der Schriftträger ist ausschließlich um der Inschrift willen da, ist allein für sie geschaffen. Das ist der Steinpfeiler in der älteren Zeit, dann die einfache Steinplatte, meist sich nach oben etwas verjüngend, die 'tele, oft mit einem Profil oder Giebel oben und unten mit einem Zapfen zum Einlassen in das Postament, gelegentlich auch noch mit einem in Beziehung zum Inhalte der Inschrift stehenden R elief über dieser geschmückt. Dieses ist die weitaus häufigste F orm des griechischen Inschriftenträgers. Dabei wird manchmal, wenn die Vorderseite der Stele nicht ausreichte, die Inschrift auf der Rückseite, gelegentlich auch auf den Schmalseiten for tgesetzt . Wiederverwendung ist sehr häufig bei Grabstelen, begegnet aber auch sonst aus Sparsamkeitsgründen. Was nun den Gebrauch von metallenen Schriftträgern anlangt , so tritt die Verwendung der Bronze als des kostba reren Materials hinter der des Steines zurück und zeigt auch eine verschiedene geographische Verbreitung ; am häufigsten findet sie sich in den Landschaften Elis und Arkadien. Man bediente sich dazu kleinerer Platten , die durch Ösen oder meist nur Löcher zum Aufhängen best immt waren, infolge ihrer Kleinheit oft auch auf der Rückseite beschriftet sind und auf anderen Platten ihre Fortsetzung finden. Aber auch in (kleinerer) Nachbildung steinerner Stelen (innen natürlich hohl) findet sich Bronze verwendet; die ältere Art ist aber die der Bronzeplatten . Blei ist das für Verwünschungen bevorzugte Material, weil solche Plättchen zusammengerollt oder zusammengefaltet (gelegentlich mit einem Nagel durchbohrt) werden konnten , um in die Erde, meist in die Gräber, für die angerufenen unterirdischen Götter gesteckt zu werden, doch findet es sich auch für Briefe, offenbar aus dem gleichen Grunde, der Rollbarkeit, und auch sonst gelegentlich verwendet wie z.B. für die Orakelanfragen in Dodona. Gold- und Silberplättchen zählen zu den größten Ausnahmen. Ein Wort schließlich noch über das, was man "die bildmäßige Fassung der Schrift" (P. J ACOBSTHAL) genannt hat, indem nämlieh um die Inschrift ein Rahmen in Gestalt einer einfach profilierten Leiste oder in Form einer " tabula ansata" (Tafel mit schwalbenschwanzförmigen seitlichen Ansätzen}, einer Kartusche, eines Schildes usw . gelegt ist. Dieser Gebrauch ist den Griechen von Hause aus fremd; wir treffen ihn erst in späterer Zeit, und auch er ist auf römischen Einfluß zurückzuführen.
Literatur W . LA.R:FELD, Griech. Epigraphik §§ 104. 113. A. R EHM im Handbuch der Archäologie I S. 226ff. Vgl. auch den lehrreichen Aufsatz von P. JAOOB STRAL, Zur K unstgeschich te der griechischen Inschriften ( = X
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V. Die Au4ührung der griechischen Inschriften
Berlin 1911, S. 451ff.) und den Bericht über einen Vortrag von G. KLAFFEN· BACH, Archäologie und Epigraphik, im Arch. Anz. 1948/49, S. 253ff. Näh eres über die geographische Verbreitung der Bronzeinschriften bei L. RoBERT, Collection Froehner I: Inscriptions grecques, Paris 1936, S. 47 /8 und Hellenica. X 1955, 289/90.
B . Aufzeichnungstechnik In den Stein oder das Metall wurden die Buchstaben, wenn wir von den Ausnahmefällen gelegentlicher Besonderheiten absehen, z.B. Reliefbuchstaben in Grabinschriften (vgl. L. Robert, Hellenica X 1955, 266), entweder mehr oder weniger leicht eingeritzt, manchmal auch mit Punkten eingeschlagen oder, was beim Stein das weitaus Übliche ist, mit dem Meißel eingehauen. Bei diesem letzteren Verfahren pflegten die Griechen die Vertiefungen so herzustellen, daß ihr Querschnitt bogenförmig war, nicht kerbschnittig wie bei der römischen Technik; doch konnte es nicht ausbleiben, daß die römische Weise dann auch bei den griechischen Steinschreibern vielfach Nachahmung gefunden hat. Wenn auch viele nachlässiger geschriebene Inschriften gleich eingemeißelt worden sind, so ist es doch im allgemeinen bei allen sorgfältigen die R egel gewesen, sie erst mit Farbe vorzuzeichnen, ja wir finden oft auch fein in den Stein eingeritzte Richtlinien gezogen. Dabei ist es dann gelegentlich auch wohl vorgekommen, daß der Steinschreiber diesen oder jenen vorgemalten Buchstaben vergessen hat auszuhauen, so daß dann heute nach dem Schwinden der Farbe ein leerer Raum dafür steht. Auch beweist der Befund einiger unvollendeter Inschriften, daß die Buchstaben nicht immer nach der vorgeschriebenen Reihenfolge ausgehauen sind, sondern bald hier bald da. Im allgemeinen ist es nun Regel gewesen, die Buchstaben nach ihrer Einmeißelung mit Farbe auszumalen, und manche Inschrift hat unter besonders günstigen Erha~tungsu m ständen auch noch solche Farbspuren bis heute bewahrt. Am gebräuchlichsten ist hierfür die rote Farbe gewesen, aber auch andere haben Verwendung gefunden, z.B. die blaue, ja sogar abwechselnd. Die Ausmalung ermöglichte es auch, eventuelle Versehen der Einmeißelung zu korrigieren, so daß nicht immer zu anderen Mitteln gegriffen zu werden brauchte. Diese bestanden im Einmeißeln vergessener Buchstaben bzw. Worte zwischen bzw. über der Linie oder der radikalen Maßnahme der Rasur. J edenfalls beweisen uns diese Korrekturen, die alles andere als selten sind , daß die fertige Inschrift in der Regel einer Revision unterzogen wurde, sei es durch den Steinschreiber selbst oder einen anderen, der für die ordnungs· mäßige Durchführung der Aufzeichnung verantwortlich gemacht war. So erklärt sich auch die Tatsache, daß relativ sehr wenige Fehler in
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• B. Aufzeichnungstechni k
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den Inschriften stehengeblieben sind, diese vielmehr eine große Korrektheit zeigen. Daher bleibt es eine sehr beherzigenswerte Mahnung, bei Schwierigkeiten der Interpretation von Inschriften nicht immer gleich mit Versehen der Schreibung zu rechnen, sondern sich Eingriffe in den Text zwei- und dreimal zu überlegen. Schreibersignature11 entsprechend etwa den Künstlersignaturen begegnen auf den griechischen Inschriften ganz selten; dabei steht nicht in allen Fällen fest, ob es sich wirklich 11m die Nennung des Steinschreibers oder nicht vielmehr desjenigen handelt, der die Aufzeichnung in Stein auf seine Kosten veranlaßt hat. Eine solche Nennung ist z.B. in den attischen Ephebenlisten ganz geläufig, wo in der Regel avaye&
0. Anordnung der Schriftzeichen Entsprechend der phönikischen Weise war die älteste griechische Schrift von rechts nach links laufend, und diese Richtung hat sie lange beibehalten, noch bis in den Anfang des 6. Jahrhunderts v.Ohr. hinein. Aber für längere Inschriften hatte sich da.n n der Brauch eingebürgert, die neue Zeile nicht unter dem Anfange der ersten wieder zu beginnen sondern am Ende der vorhergehenden und nunmehr in der entgegengesetzten Richtung, und zwar mit entspreche~d gedrehten Buchstaben, zu schreiben, um dann an ihrem Ende mit der nächsten Zeile ebenso zu verfahren. Diese Schreibweise geht also genau so zu Werke wie der Landmann mit den Ackerfurchen und hat daher auch von dem Bilde des Wendens der Rinder beim Pflügen die Bezeichnung ßovcrreogrrJMv erhalten. Den Sieg trug aber schließlich die Schreibrichtung von links nach rechts davon und ist allein in Geltung geblieben; wo wir später ganz gelegentlich der alten links1äufigen Schreibung begegnen, ist sie durch bestimmte Umstände bedingt. Das Aussterben der Bustrophedon-Schrift fallt in die zweite H älfte des 6. Jahrhunderts; doch hat man sich ihr~r in archaisierender Weise gern noch länger bei der Aufzeichnung älterer Ieges · sa,.orae bedient. Mit dem Aufkommen der ausschließlich rechtsläufigen Schreibweise in dieser Zeit setzt eine
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V. Die AU8jührung der griechischen Inschriften
Anordnung der Schriftzeichen ein, deren Ursprung und Hauptentwicklung Athen angehören, die aber auch außerhalb Attikas Verbreitung gefunden hat. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Buchstaben jeder Zeile genau untereinander stehen, also nicht nur waagerechte sondern auch senkrechte Reihen (
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0. Anordnung der Schriftzeichen
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ihre Verwendung bei weitem geringer als in den römischen Inschriften und in alter Zeit überaus selten; für die verschiedenen Arten sowie auch für den Gebrauch der Zahlzeichen sei auf die Handbücher verwiesen. Lesezeichen schließlich (Spiritus, Akzent usw.) finden sich in den Inschriften nicht vor dem 2. Jahrhundert n.Chr. und auch dann nur vereinzelt.
Literatur W. LARFELD, Griech. Epi~aphik §§ 115/6. 178- 181. 193 /4. A. RERM im H andbuch d er Archäologie I S. 230ff. R. P. AuSTIN, The Stoichedon Style in Greek Inscriptions, Oxford 1938; vgl. auch die Aufsätze von E. ZINN, Sohl angenschrift, im Arch. Anz. 1950/1, lff. und R. HARDEB, R ottenschrift, im Arch. Jahrbuch 58, 1943, 93ff. Zu den Abkürzungen vgl. auch M. AVI-YONAR, Abbreviations in Greek Inscriptions (The Near Ea.st, 200 B. C.-A. D. 1100), Jerusa.lemLondon 1940, der aber Griechenland nebst Inseln und Makedonien sowie den Westen nicht berücksichtigt.
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4 7249 Klaffenbach, Grlechlsohe Eplgraphlk
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VI. WESEN UND INHALT DER GRIECHISCHEN INSCHRIFTEN A. Wesen der griechisc hen Insc hriften Für das richtige Verständnis der auf Stein oder Metall erhaltenen Inschriften gilt es, sich darüber klar zu sein, daß diese wohl für uns den Wert von Originalen besitzen, es zur Zeit ihrer Aufzeichnung aber nur zum kleinen Teile gewesen sind, vielmehr überwiegend die wörtliche oder auszugsweise Kopie eines Textes darstellen, der, auf Papyrus oder Holz oder einen sonstigen vergänglichen Schriftträger geschrieben, als originales Dokument zugrunde lag. Erst der restlose Verlust dieser Aufzeichnungen hat den Inschriften den Rang von Originalen verliehen. Ohne eine Vorlage, also als wirkliche Originale, ist, wie gesagt, nur ein kleiner Teil der Inschriften aufgezeichnet worden, wie z. B. die Bleitäfelchen mit Briefen, Verwünschungen, Orakelfragen usw. unddie Gelegenheitsaufschriften aufFelsen, Gebäuden oder sonstwo, sicherlich auch manchekurze Grab- oder Weihinschrift, wo der mündliche Auftrag an den Steinschreiber genügte. Alle umfanglieberen Inschriften aber sind an Hand einer Vorlage, des Konzeptes des Auftraggebers, entstanden. War dieser ein Privatmann, lag also persönliche Initiative vor, war die Entstehung des K onzeptes einfach und braucht nicht weiter erörtert zu werden, handelte es sich aber um eine öffentliche Inschrift, griff ein Verfahren Platz, das sich nur aus der Kenntnis des griechischen Archivwesens verstehen läßt. In dem Archiv jeder Stadt, jeder Gemeinde sind selbstverständlich alle Beschlüsse, die Rechtskraft erhalten hatten, deponiert worden, und zwar, wie schon bemerkt, aufgezeichnet auf Papyrus oder anderem vergänglichen Material. Aufbewahrt wurden sie in hölzernen Kästen (xtßwTot), wie uns das so anschaulich eine Inschrift aus K amiros auf Rhodos (Tit. Camir. 110 = Annuario della scuola arch. di Atene 27-29, 1949-61, 238ff.) schildert. Dieses sind die alleinigen Originalurkunden. Stellte es sich als notwendig oder wünschenswert heraus - und das wird wohl meist der Fall gewesen sein-, einen solchen Beschluß zur Kenntnis der Öffentlichkeit zu bringen, so erfolgte seine Bekanntmachung in der Weise, daß man ihn entweder in seinem vollen Wortlaute oder in einem Auszuge auf einem mit weißer Farbe
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A. Wuen der griechischen Inschriften
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überzogenen Brette (kVxwpa) aufzeichnete und diese Tafel für eine kürzere oder längere Zeit an allgemein zugänglichem Orte (Amtsgebäuden, Markt, Heiligtümern usw.) aufstellte. Berühmt ist die Publikation der solonischen Gesetze auf geweißten, viereckigen Holzpfeilern, die allseitig beschrieben und zum Drehen eingerichtet waren (äEo"e~). Die Veröffentlichung konnte aber auch auf einer dazu bestimmten Wand eines Gebäudes erfolgen. " Der Brauch, die geweißten Wände von Amtsgebäuden, Tempeln und Hallen in Heiligtümern, Marktanlagen, Gymnasien mit teils dauernd zu erhaltenden, teils nach Ablauf einer gewissen Zeit zu tilgenden und durch neue zu ersetzenden Aufzeichnungen zu bedecken, hat, als man Prachtgebäude mit Wänden aus Stein, die eines Verputzes nicht bedurften, errichtete, zu deren Ausschmückung mit eingemeißelten Inschriften geführt. Auch die Anbringung von Inschriften an den cpJ.tat ["Pfosten"] der Türen der Tempel, an den Parastaden ["Anten"] und den diesen nächstliegenden Wandflächen schreibt sich daher, daß man gewohnt war, an den entsprechenden Teilen der auf steinernem Unterbau aus Luftziegeln errichteten Gebäude, wie sie in älterer Zeit allgemein üblich waren und in ärmeren und in den geeigneten Steines entbehrenden Gegenden immer üblich blieben, an der Holzbekleidung Tafeln aus Holz oder Bronze zu befestigen" (A. Wn.HELM). Diese Aufnahme einer Urkunde unter die öffentlichen Bekanntmachungen auf Tafeln oder Wänden ist gemeint mit der Formel: dvayea1pat el~ -ro <51]p6awv oder el~ -ra ~p6ata ye&.ppa-ra. Wo nun aber der Wunsch vorlag, eine Urkunde oder Liste für die Dauer zu veröffentlichen, erfolgte ihre Verewigung auf Stein oder Bronze. Es ist ".in alter Zeit die Gemeinde selbst, die, um ein sichtbares Zeichen ihrer Dankbarkeit zu stiften und andere zur Nachahmung anzuspornen, die Verdienste einzelner durch öffentliche Aufzeichnung der ihnen verliehenen und auch für ihre Nachkommen geltenden Ehren und Vorrechte verewigt (oder, was später bei der Verarmung der Gemeinden fast Regel wird, ihre Verewigung gestattet), dauernd wichtige Entschließungen, namentlich Verträge, die Ordnung innerer Verhältnisse betreffende Beschlüsse zu feierlicher Bindung aller Beteiligten, aber auch Ausweise der Verwaltung an geeignetem Orte der eigenen Bürgerschaft und Fremden stets vor Augen stellt und so dem in kleinen Verhältnissen stark ausgebildeten Öffentlichkeitssinn entgegenkommt. Athen, Delos und Deiphi zeigen vor anderen Orten, wie sehr solche Veröffentlichung und Verewigung auf Stein nicht nur für Ehren- und andere Beschlüsse, sondern auch für Ausweise der Verwaltung Regel werden konnte" (A. WILBELM). Mag unter Umständen die Verewigung auf Stein oder Bronze im vollen Wortlaut der Originalurkunde erfolgt sein (z.B. bei Gesetzen und Staatsverträgen), so stellt sie sich doch in den meisten Fällen nur als ein schon durch die Kosten
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VI. Wesen und lnlw.lt der griechiBchen Inschriften
bedingter mehr oder weniger ausführlicher Auszug dar, und so sind auch störendeKürzungennicht ausgeblieben. Bezeichnenderweise sind es aber gerade die Ehrenbeschlüsse, die immer ausführlicher werden, entsprechend dem Wunsche des Geehrten, der dann auch oft die Kosten der Aufzeichnung selbst übernimmt. Die Anordnung ~iner solchen Verewigung mußte, wenn sie erfolgen sollte, in den Urkunden stets ausdrücklich gegeben sein, wobei das Material, die Kosten, die Kasse, der Ort der Aufstellung usw. festgesetzt wurden. So heißt es z.B. am Schluß der attischen Inschrift Syll.3 287 aus dem Heiligtum des Amphiaraos in Oropos: dvayea:tpat ~e -r6~e TO vrflqm;p.a ev (]T?JA'YJL ).dJ-t-vet TOy yeap.p.ada TOV ~a-ra nev-ravelav ~al (]Tfj(]aL ev TCÖt leecöt TOV :4p.q;we&ov. el~ ~e -rf)v dvayeaq;f}v -rfj~ an7A1J~ ~oiJvat -rdv -rap.tav -roiJ M;p.ov LtLt ~eaxp.a~ l~ -rcöv ~a-ra tp'Y).cp{qp.a-ra dvaAta~op.bwv -rcöt &f;p.wt ("Aufschreiben aber soll diesen Beschluß auf einer steinernen, d. i. marmornen, Stele der Prytanienschreiber und aufstellen in dem Heiligtum des Amphiaraos. Für die Beschriftung der Stele soll der Schatzmeister des Volkes 20 Drachmen geben aus dem Fonds für Aufwendungen des Volkes auf Grund von Beschlüssen"); vgl. auch die Ausführungen von A. WILHELM " Zu den Anordnungen über die Aufstellung von Inschriftstelen" in den Sitz.-Ber. Wien. Akad. 183, 3 (1921) 63ff. So stellen also die Inschriften auf Stein oder Bronze nur einen Bruchteil des einst vorhandenen Materials an schriftlicher Fixierung dar und in der überwiegenden Mehrzahl auch nur einen zu diesem Zwecke redigierten Auszug. Diesem letzteren Umstande wird es, wie schon angedeutet, zuzuschreiben sein, wenn das Verständnis mancher Inschriften auf Schwierigkeiten stößt. Hervorgehoben sei auch eine Feststellung, die für moderne Anschauung befremdend wirkt. Gelegentlich hat man sich aus bestimmten Gründen nicht damit begnügt, eine Urkunde nur einmal auf dauerhaftem Material zu verewigen, sondern beschlossen, das gleichzeitig noch an einer zweiten oder noch mehr Stellen zu tun. Von solchen Doppelausfertigungen sind eine ganze Reihe auf uns gekommen, und hier müssen wir nun feststellen, daß diese nicht, wie wir es als selbstverständlich voraussetzen zu müssen meinen, in jedem Falle absolute Übereinstimmung aufweisen, sondern meist in mehr oder minder leichter Weise voneinander abweichen. Wenn es natürlich auch nur unwesentliche formale Differenzen sind , die den Inhalt nicht berühren, sO' bleibt der Tatbestand doch bedeutsam, zeigt er doch eine andere als uns gewohnte Auffassung der Urkundlichkeit, die sich bei uns bis auf die Orthographie lmd die Zeichensetzung erstreckt. Von hier aus wird es auch verständlich, wie wenig man in der Antike an dem üblichen Verfahren der Schriftsteller, bei der Aufnahme von Urkunden in ihre Darstellung diese in ihren Stil umzugießen, Anstoß nehmen konnte.
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B. Inlu:dt der griechiachen Inschriften
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Schließlich sei auf eine wichtige Erscheinung wenigstens kurz hingewiesen. A. HEuss hat in seinen Untersuchungen über "Abschluß und Beurkundung des griechischen und römischen Staatsvertrages" (Klio 27, 1934, 14ff. 218ff.) ein bedeutsames Kapitel dem "Rechtscharakter der inschriftlich publizierten Urkunden" (S. 250ff.) gewidmet und erhärtet, daß die Aufzeichnung des Vertrages auf Stein "die maßgebende schriftliche Niederlegung", " die endgültige internationale Urkunde'' darstellte. Es muß einer gründlichen und umfassenden Prüfung des urkundlichen Materials vorbehalten bleiben, festzustellen, wie weit diese Erscheinung nur die zwischenstaatlichen Urkunden oder etwa überhaupt die Publikation der Urkunden betrifft, d .b. also im Gegensatz zu d~r modernen Auffassung mit der Verewigung auf Stein die eigentliche Rechtsverbindlichkeit von der im Archiv deponierten Originalurkunde auf die Steinurkunde überging. Literatur Grundlegend ist die Abhandlung v on A. WILHELM " Über die öffen tliche Aufzeichnung von U rkunden" in: Beit räge zur _griechischen Inschriftenkunde, Wien 1909, S. 227ff. ; vgl. auch seine Ausführungen in der Zeitschrift für die Österreichischen Gymnasien 1913, S. 673ff. Bezüglich d er Vorlage des Steinschreibers siehe die klärende Abhandlung von L. RoBERT " :E:pigrapbie et paleographie" in den Comptes rendus de l'Acad. d es Inscriptions 1955, 195ff.
B. Inhalt der griechischen Ins chriften Die Fülle der verschiedenen Arten inschriftlicher Aufzeichnungen im einzelnen vorzuführen, ist im Rahmen dieses kurzen Abrisses nicht möglich, und mit ihrer trockenen Aufzählung ist dem Leser nicht gedient. Nur die Einsicht in so reichhaltige Auswahlen, wie sie die obengenannten Werke von Michel oder Dittenberger bieten, kann ibm eine lebendige Vorstellung verschaffen; für einen ersten Überblick mag auch auf das anspruchslose, aber hübsche Buch von W. J ANELL " Ausgewählte Inschriften, griechisch und deutsch", Berlin 1906, oder die viel knappere, aber sich höhere Ziele steckende " Auswahl aus griechischen Inschriften" (ebenfalls mit 'Obersetzungen) von R. HELBUIG (in der Sammlung Göschen Nr. 757, 1915) verwiesen .sein. Lesenswert bleibt auch der orientierende Abriß von CH. TH. NEWTON " On Greek Inscriptions", den man am besten (in französischer Übersetzung) in S. REINACHS Traite d'epigrapbie grecque S. 1-174 nachliest. Die Inschriften sind so bunt wie das Leben ; sie reichen von den hochpolitischen Staatsverträgen und Erlassen hellenistischer Herrscher oder römischer Kaiser und Beamten über die Gesetze und Dekrete oder Verwaltungsurkunden der Stadtgemeinden, über die Verzeichnisse und
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VI. Weaen und Inhalt der griechi8chen Inschriften
Listen aller Art zu den Aufzeichnungen des religiösen und privaten Lebens, ja bis zu den belanglosen Gedenkinschriften der Reisenden oder den spielerischen Kritzeleien an den Wänden von Schülerhand. Viele sind ohne weiteres verständlich, andere bedürfen gewisser Vorkenntnisse, und so heben wir im folgenden nur diejenigen heraus, deren Besprechung uns für das Verständnis mancher Eigenart angezeigt erscheint. Es liegt in der Natur der Sache, daß dabei auch einiges zur Sprache kommen wird, was auch für die nicht besonders behandelten Inschriften Geltung hat. •
l. Grab- , Weih- und Ehreninschriften
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Wenn wir diese am häufigsten vertretene Gruppe von Inschriften zunächst zusammenfassen, hat das seinen Grund darin, daß zwar auf den ersten Blick der Unterschied zwischen ihnen klar zu sein scheint, in Wahrheit aber doch vielfach ein fließender ist. Die Inschrift auf einer Statuenbasis (IG ll/ID 2 2802): o ~ijJ.I.O~ o Xtwv
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a. Die Grabinschriften
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eines sog. Naiskos ("Kapelle" ) annehmen durch seitliche vorgesetzte Pfeiler oder Säulen und vorspringenden Giebel. Und da es eine verbreitete Sitte war, wie den Toten so auch sein Grab zu bekränzen, so findet sich häufig ein oder mehrere Kränze mit und ohne den Namen des Verleihenden in ihm auf dem Grabstein eingegraben; oft ist es auch der im Leben erworbene Ehrenkranz, der auf diese Weise seine Verewigung erfährt. Manche Grabstelen haben auch statt eines Reliefs eine gemalte Darstellung getragen (berühmt die in Pagasai in Thessalien gefundenen). Eine Besonderheit bedeuten die Stelen, die zwei erhobene Hände, mit den Handflächen nach außen, also in der Geste des Betens, zeigen. Ursprünglich Anrufung, insbesondere des Helios, zur Rächung eines gewaltsamen Todes, begegnen sie auch auf den Grabsteinen jung, also ebenfalls vorzeitig, Gestorbener und werden dann überhaupt Symbol der Anrufung göttlicher Hilfe, vor allem gegen Grabschänder, auch gegen die bösen Geister. Neben der Stele treten aber auch andere Formen des Grabmals auf wie der Grabpfeiler (vorwiegend in lonien), die hohe oder niedrige Grabsäule, der Grabaltar, der einfache niedere oder höhere Grabtisch, das steinerne flache Becken auf breit ausladendem Untersatz (..lov-r?]ewv) zur Wasserspende an den Toten. Von Attika her kennen wir die großen marmornen Nachbildungen der sog. Lekythen und Lutrophoren. Die ersteren, einhenklige Kannen, im wirklichen Gebrauch zur Aufbewahrung des Öls bestimmt, schreiben sich daher, daß sie im Totendienste, da man den Leichnam einsalbte, eine besondere Rolle spielten, und wurden zuweilen auch an den vier Ecken der Grabstätte aufgestellt ; die letzteren, die Lutrophoren, dienten, wie ihr Name sagt, zum Holen des Badewassers, insbesondere zum rituellen Brautbad, und so pflegte man sie auf dem Grabe der unvermählt Verstorbenen zu errichten, um ihnen symbolisch im Tode das zu geben, was ihnen das Leben vorenthalten hatte. In der späteren Zeit sind es die Sarkophage, die die Grabschrift tragen. Mannigfach wie die Form des Grabmals, deren Beobachtung mitsamt ihrem Schmuck von Wichtigkeit für die Feststellung der Herkunft sein kann, ist nun auch die der Grabinschrift. Es lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden. Der eine besteht in der Nennung des bloßen Namens des Toten, und zwar im Nominativ oder Genetiv (zur Bezeichnung des Inhabers), selten im Dativ (als Ausdruck der Widmung); in den Landschaften Böotien und Phokis begegnet häufig bei -ri(> &ivt, also: " (Das Grabmal) über N. N.". Jeder Grieche trägt nur einen Namen; erst der Einfluß römischen Brauches führt zu Doppelnamen oder sogar noch mehr, vor allem dann in Ägypten, Syrien und Kleinasien. Der zweite Name pflegt mit o 'Xai, o btt'XaJ..oV~tevo~, o J.ey6pevo~, bd'XÄ.'Y)(Jtv oder ähnlichen Wendungen hinzugefügt zu werden. In der
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VI. Weaen und Inhalt der griechiechen I nechriften
Regelsetzt der Grieche seinem Namen den des Vaters hinzu, und zwar im bloßen Genetiv, zuweilen auch den des Großvaters oder weiterer Vorfahren; die Angabe nai~ oder vl6~ ist sehr selten in Prosa. Führen Vater und Sohn denselben Namen, kann der Vatersname durch eine Sigle() oder andere Zeichen) oder ein B oder Mr; ("zweimal") bezeichnet werden, entsprechend oder T(!l~ usw. bei fortlaufender Homonymität, so daß also MevEX(!aTrJ~ r (T(!lr;) bedeuten würde: ·MevEX(!ClT'YJ~ MevtxeaTOV~ -roiJ Mevtxea-rov~. Liegt Adoption vor, so wird entweder der Adoptivvater durch einen entsprechenden Zusatz gekennzeichnet: o ~Eiva ToiJ ~Ei-vor;, xa-&' vf.oDeatav (xaTa notnuw, xaTa nat~wutv, auch Diuet, -reocpfj) ~e -roiJ ~e'ivo~, oder der leibliebe Vater: o ~Ei"a -roiJ ~Ei"o~, cp(Juet (y6vcp o. ä.) ~e -roo &ivo~. Dabei kann auch Wechsel des Eigennamens eintreten, z.B. Ilap.quJ.or; Ilaep.evtuxov, cp(Jutt ~e IIV1JwvlbtoJJ.o~weov (PatonHicks, The Inscriptions of Cos S. 115 Nr. 61). Findet sich die Angabo der Verwandtschaftsbezeichnung (nai~, vl6~) beim Manne, wie schon gesagt, nur ausnahmsweise, so pflegt sie bei der Frau meist zugesetzt zu sein: DvyaTrJ(!, yvvr], zuweilen auch p.fJTrJ(!, d~tlq:nl. Fehlt sie bei ihr, so bleibt es unsicher, ob der auf den Namen folgende Genetiv den Vater (so meist) oder den Gatten angibt. Als Ehrentitel treten auch Wendungen wie vlOr; Tfjr; n6kwr;, -roiJ ~p.ov u . ä.. auf, mitunter in der Form der Adoptionsbezeichnung, wie z.B. in dem kleinasiat ischen Assos ein IO.t6meaTo~ vlOr; n6ltwr;, cp(Jutt lle )!nElltxwno~ begegnet. Bei Ausländern wird die H erk1mftsbezeichnung, das Ethnikon, hinzugefügt; die Bürger führen in Attika den Namen ihrer Gemeinde, das Demotikon, und zwar obligatorisch nach dem Jahre 403 v.Chr. , der Neugründung der Demokratie unter dem Archontate des Eukleides (s.o. S. 41 ), so daß attische Grabinschriften nach diesem J ahre, die nur den Vatersnamen, kein Demotikon oder Ethnikon nennen , in der Regel von Metöken ("Mitwohnern", d.h. ansässigen Fremden) stammen. Der Beruf ist in älterer Zeit nicht allzu häufig verzeichnet, seine Nennung auf christlichen Grabinschriften aber besonders beliebt. Ebenso ist die Angabe des Todesdatums, verknüpft auch mit dem Geburtsdatum, nicht allgemein verbreitet und in vorchristlicher Zeit (wie z.B. in Sardes im 2. und l. Jahrhundert v. Ohr.) selten. Von der hellenistischen Zeit an ist ein üblicher Zusatz die griechische Grußformel zai(!E, so daß der Name des angeredeten Toten entsprechend im Vokativ (aber auch im Nominativ) steht, häufig auch in Verbindw1g mit einer lobenden Bezeichnung: 'X.(!'YJC!TB xa'i(!e (wobei zai{!E auch fehlen kann), xenme xal äÄvnE (aktivisch zu verstehen, wie die gelegentliche W endung a(;~ba AVTC{Juar; beweist) xa'i(!E, 'l'C(!OU(/>LA-Yjr; xai{!E u. ä. Mitunter folgt die Antwort des Toten: xai{!E xal o-V oder nur: xal. uv. Wo auf dem Grabstein nur eines Verstorbenen zal(!ETB steht, ist es dieser, der redet (auch xal(!BTE naVTE~ findet sich), entspricht also SOnstigem zai(}E
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a. Die Grabinschriften
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naf}oOi:m (auch "al näCJt .Uyw xaleetv naf]oOha~). Für Attika gilt, daß diese Zusätze (xaree, xe?J(rct xaree, xe?J(rr6~ usw.) nicht auf den Grabsteinen von Bürgern, sondern nur auf denen von Fremden auftreten (IG II/ill 2 9121 xe?Jcn6~ sogar dreimal hintereinander). Schließlich erhält der Tote auch oft die Bezeichnungrjew~, i)ewt~, iJewtV?J (vgl. dazu EITREM, RE VIII 1138). Altersangabe des Verstorbenen bringt erst der römische Einfluß, gewöhnlich bezeichnet durch eTii'Yv mit folgender Zahl. Und ebendaher stammt auch die gelegentliche Weiheformel Deoi~ ')CaTaxDovtot~ (abgekürzt @€KA oder @K) oder Deor~ oatf1-0C1L (abgekürzt @LI), entsprechend dem lateinischen DM = Dis Manibus. Zuweilen finden sich auch Trostsprüche zugefügt (unter ihnen ist am häufigsten, auch bei christlichen Grabinschriften, die Formel: avoel~ d'l?avaTO~, "Niemand ist unsterblich", oft eingeleitet mit Daeuet, "Sei getrost") oder Reflexionen über die Nichtigkeit des Lebens (am beliebtesten die kurze Formel : 6 ßto~ TaiJTa, " Das ist nun das Leben", nicht selten durch bloßes TaiJTa ersetzt), vgl. J. und L. RoBERT, Rev. ~t. Gr. 63, 1950, 207 mit Bibliographie. Der andere H aupttypus nennt neben dem Verstorbenen den Stifter, der dars Grabmal zum Gedächtnis (!1-vfJfl-rJ~ oder fl-Vela~ bexev, xcfetv) errichtet hat, sei es die Gemeinde. seien es die Verwandten oder andere Privatpersonen. Zuweilen werden die ganzen Angehörigen unter Bezeichnung des einzelnen Verwandtschaftsgrades genannt. In vielen Fä.Uen ist es der Verstorbene se]bst, der für sich und seine Familie schon zu seinen Lebzeiten für sein Grab und die Inschrift gesorgt hat. Dann pflegte man die Angabe Cii bzw. Cwcuv, oft mehrfach wiederholt, hinzuzufügen, ohne Zweifel des bösen Omens wegen. Gelegentlich finden sich später am Schluß Strafandrohungen gegen widerrechtliche Benutzung des Grabes und Verwünschungen von Grabschändern, was besonders im kaiserzeitlichen Kleinasien, Makedonien und Thrakien üblich ist. Reich entwickelt pflegen die Sarkophaginschriften zu sein. Erwähnung getan sei schließlich der unscheinbaren Grabsteine, die weiter nichts als den Buchstaben JI oder JI mit einem kleineren hineingefügten A aufweisen. Zu verstehen ist die Abkürzung für nai~ oder eine entsprechende Diminutivform, und es handelt sich um Grabsteine für kleine Knaben , die namenJos, d. h. noch vor dem zehnten Lebenstage, an dem die Namengebung in der Regel erfolgte, gestorben sind . ie entsprechen also den in Böotien gefundenen Steinen, die lediglich die Inschrift nai:~ (nai"AAo~) oder x6ea (x6et.A.Aa), "Mädchen, Mägdlein" , k~m.
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Näherer Besprechung bedarf nicht die schönste Form der Grabinschrift, die poetische, das Grabepigramm . Ihre Sitte ist eine weitverbreitete, von den ältesten Zeiten an. Sie hat natürlich in ihrer Massenproduktion unendlich viel Belangloses und Formelhaftes und
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VI. Wuen u nd Inhalt der griechiachen Inschriften
vor allem in der sinkenden Antike Stümperhaftes, ja schlechterdings Barbarisches gezeitigt, auf der anderen Seite aber Perlen wahrer Poesie als Ausdruck verhaltener und um so ergreifenderer Trauer. Der große Reichtum an Schönheit, der hier vorliegt, pflegt noch viel zu wenig bekannt zu sein. Gnomik und Typologie der Grabepigramme (beliebt das Zwiegespräch zwischen Totem bzw. Grab und Wanderer) darzulegen, ist hier nicht der Ort. Hervorgehoben sei nur der gelegentliche Brauch, sich nicht nur auf ein Gedicht zu beschränken, sondern noch ein zweites oder gar noch mehr auf denselben Stein zu setzen, zuweilen durch ä..Uo geschieden, sog. Konkurrenz- oder besser Parallelgedichte; denn es handelt sich nicht um den Wettbewerb verschiedener Dichter, sondern vielmehr um die Bestellung von mehreren Fassungen an ein und denselben Dichter aus Freude an der Variation (vgl. zuletzt darüber L. RoBERT, Hellenica IV 1948, 81 /2). Die Grabinschriften zeugen nicht nur von der Pietät gegen Menschen (Verwandte, Freunde, Vereinsmitglieder, die Amme, den Lehrer, den Herrn usw.), sondern auch gelegentlich gegen Tiere (Hunde, Pferde), wofür auf das hübsche Epigramm aus Lesbos für die Hündin Parthenope, IG XII 2, 459, als ein Beispiel verwiesen sei. Wenn sie auch nicht Grabinschriften im eigentlichen Sinne sind, da sie nicht auf dem Grabe standen, so müssen doch auch die Listen der im Kriege Gefallenen erwähnt werden, wie sie sich in älterer Zeit, der Zeit der Bürgerheere, finden. Gegliedert nach militärischen Einheiten, auch Rang, und Kriegsschauplätzen, wirken sie in ihrer Schlichtheit um so eindrucksvoller , kaum weniger·als die ehrende Angabe b noJ..ep.wt auf den Grabsteinen spartanischer Krieger. Im Zusammenhang mit den Grabinschriften mag auch kurz auf zwei andere Inschriftengattungen hingewiesen werden, einmal auf die späten sog. Kondolenzdekrete, wie sie uns vor allem von der Insel Amorgos, aber auch aus Kleinasien (besonders Karien) vorliegen, in denen neben dem Beschlusse eines öffentlichen Begräbnisses für den Toten den Hinterbliebenen in schwungvoller und langatmiger Rhetorik Trost zu gesprochen wird (vgl. z.B. Syll.3 889 aus Amorgos), sodann auf die Gesetze über Begräbnis und Totenkult, die das Ziel hatten, allzu großem Aufwand und anderen Mißbräuchen zu steuern, für uns also Vertreter der berühmten Anordnungen des Solon und Demetrios von Phaleron (Beispiele: SylJ.3 1218 und 1219}. Literatur Trotz vielen Einzelarbeiten (verzeichnet bei H ONDIUS, Saxe. loquuntur S. 127 /8 ; hinzuzufügen : G. PFom.., Untersuchungen über die attischen Grabinschriften, D iss. Erlangen 1953, und 0. G OTTWAI.D , Zu den griechischen Trostbeschlüssen = Commente.tiones Vindobonenses ID 1937, 5ff.) fehlt noch eine
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b. Die Weihimchrijten.
wirklich umfassende Gesamtdarstellung der griechischen Grabinschriften, die auch die landschaftlichen Besonderheiten herausarbeiten müßte. Die letzte Behandlung von K . STRAUBERGS in den Acta. Universita.tis La.tviensis, Riga. 1937 (lettisch mit lateinischer Zusammenfassung) ist im wesentlichen nur eine fleißige Ma.teria.lsa.mmlung. So kann zur ersten Orientierung noch immer nur auf den betreffenden Abschnitt bei S. REINAOH, Tra.ite d'epigraphie grecque S. 423ff. verwiesen werden. Eine große Fülle von Berufsbezeichnungen im Index zu MAMA m, vgl. auch L. RoBERT, Revue de Philologie 1944, 52. Die "la.uda.-" tory epithets in Greek epitaphs" hat M. N. Ton, Annua.l Brit. School 46, 1951, 182ff. einer Betrachtung unterzogen. Zu den VerBuchungen der Grabschänder vgl. die B emerkungen von H. SEYRIG, BuU. Corr. H ell. 51, 1927, 148ff. gelegentl ich der Publikation einer ganz besonders umfangreichen VerBuchung aus Kypros (jetzt SEG VI 802); von besonderem Interesse sind die Beziehungen zu orientalischen Texten (a.. a.. 0. S. 502/3). Zum Sprachgebrauch der Sarkophaginschriften vgl. J. und L. RoBERT, Rev. Et. Gr. 63, 1950, 201ff. Für die "Kondolenzdekrete" (tpTJq>lu~a-ra nczea~vfhrctxd) ist von L. ROBERT eine zusammenfassende Behandlung in Aussicht gestellt worden, vgl. dessen Hellenica. lll 1946, 15 1•
b. Die Weihinsc hriften Was zunächst den Gegenstand der Weihung anlangt, so kann natürlich schlechterdings alles Erdenkliche geweiht werden, vom unscheinbarsten Gebrauchsstück bis zum wertvollsten und kostbarsten Kunstwerk, vom kleinsten Miniatursymbol bis zum ganzen Tempel oder anderen Baulichkeiten. Es können aber auch geistige Leistungen sein, die der Gottheit dargebracht werden, wie die auf Stein aufgezeichneten und ausdrücklich als Weihgaben bezeichneten Hymnen des lsyllos in Epidauros (IG IV2 1, 128) oder des Aristonoos in Delphi (FD ID 2, 191) - auch die berühmten Hymnen mit Musiknoten auf der Wand des Schatzhauses der Athener in Delphi (FD III 2, 137 / 8) werden Weihungen sein - oder wissenschaftliche Arbeiten, wie die astronomische Inschrift in Rhodos (IG XII 1, 913) " Dankesgabe" (xaewn]ewv) heißt ; nicht anders zu beurteilen ist auch die inschriftliche Publikation einer Chronik auf der Insel Paros, das bekannte Marmor Parium (IG XII 5, 444} , und manche andere literarische Aufzeichnung auf Stein; sogar Stenographiesysteme sind uns in Inschriften aus Athen (IG II/ID2 2783) und Delphi (BCH 80, 1956, 20ff.) erhalten. So wird sich die \~·ahl der Weihung aus dem individuellen Anlaß und dem persönlichen Vermögen oder aus Kultvorschrift und Sitte herleiten. Zur letzteren gehörte die Weihung von errungenen Sieges- oder Ehrenpreisen an die Gottheit, ein Brauch, der weite Verbreitung gefunden hatte. So weihte in Athen der Chorege (der "Chorführer", der die Kosten für die Ausrüstung des Chores trug) im Namen der im Wettstreit der Chöre siegreichen Phyle (d. h. einer der lokalen Einheiten, in die sich das athenische Volk seit K.leisthenes, ca. 507 v.Chr., gliederte) den als Preis erhaltenen traditionellen Dreifuß auf einer Basis, die keine anderen
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VI. Wuen· und Inhalt der griechi8chen Inschriften
Angaben trug als die Namen des Choregen, der Phyle, des Chormeisters und des Flötenspielers unter Hinzufügung des Archon, der dem Jahre den Namen gab. Es konnten auch prächtigere Monumente sein wie der berühmte, noch heute in Athen aufrechtstehende Rundbau des Lysikrates, auf dem der Dreifuß als Bekrönung stand und dessen Inschrift (IG IIJIIP 3042) als Beispiel angeführt sei: Avutxe&-r1J~ Avut{}el~ov
KtxvvveVt; exoe?}yet. l4xa,uanit; na.Mwv l:vtxa. etwv ."VI.et. Avut&~1Jt; l4D1}va'iot; e~.~auxe. Evatve-rot; nexe.
,
"Lysikrates, Lysitheides' Sohn, aus der Gemeinde Kikynna, war Chorege. (Die Phyle) Akamantis siegte im Knabenchor. Theon war Flötenspieler. Lysiades, der Athener [da ohne Angabe der Gemeinde ein ehrenhalber mit dem athenischen Bürgerrecht beschenkter Fremder], war Chormeister. Euainetos war Archon [335/4 v.Chr.]." So weihten ferner auch die wegen guter Amtsführung mit einem Kranze geehrten Beamten, sei es ein einzelner oder ein Kollegium, meist mit Namenliste, ihre Auszeichnung. Die Weihungen, die menschliche Körperteile darstellen - und es gibt wohl kaum einen, der darunter nicht vertreten wäre - , sind wie ihre modernen Analogien ohne weiteres als Dankesgaben für erlangte H eilung verständlich. Freilich gibt es hier einige Besonderheiten zu beachten. Die Nachbildungen von Ohren bedeuten nicht in jedem Falle ein H eilvotiv, sondern drücken sehr häufig die symbolische Bitte um Erhörung, wie sie sich denn zuweilen auch an Altären angebracht finden, oder auch den Dank für erlangte Erhörung aus (vgl. 0. WEINREIOH , Athenische Mitteilungen 37, 1912, 46ff. mit zahlreichen Abbildungen). Und was die Darstellung von Haar betrifft (vgl. die Photographie eines Reliefs, das zwei geflochtene Haarzöpfe zeigt, die Weihungzweier Männer an Poseidon, IG IX 2, 146), so bezeichnet sie nicht die Heilung von K ahlköpfigkeit, sondern hat einen anderen symbolischen Sinn. Da das Haar auch nach griechischer Auffassung als Sitz der Lebenskraft galt (Simson I), unterstellt sich derjenige, der sein Haar als Weihgabe, also gleichsam sich selbst, darbringt, ganz dem Schutze der Gottheit. Diese Sitte des Haaropfers war in Griechenland weit verbreitet sowohl unter Mä.nnern wie Frauen und wurde bei den mannigfaltigsten Anlässen geübt. Mehrfach finden sich auch die Abbildungen von Fußsohlen, entweder im Umriß eingeritzt oder in plastischer Darstellung auf einer Basis. Auch diese haben nichts mit Erkrankung von Füßen zu tun, sondern sind als Weihungen von denjenigen zu verstehen, die ihre Pilgerschaft zum Gotte bekunden wollten. Und nun zu den Inschriften. In der älteren Zeit pflegte es das Übliche zu sein, daß da-s Weihgeschenk selbst spricht, und zwar ent-
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b. Die W eihinschrijten
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weder so, daß es seinen Stifter nennt: o <5ewa pe &:vifhpa: -r4) <5eivt oder ohne diesen sich nur als einer bestimmten Gottheit heilig bezeichnet : Lee6~ elf.U ToV &ivo~ . Durch Weglassen des einen oder anderen Teiles t reten auch Verkürz1mgen ein, so daß bei beiden F ormeln häufig nur der Name übriggeblieben ist , also bei der ersteren nur der Weihende: 0 oeiva oder auch im Genetiv: ToV oeivo~, wobei dva~pa, <5weov o. ä. zu ergänzen ist, bei der letzteren nur die Gottheit: ToV oeivo~, auch TqJ &ivt, ja auch, besonders in archaischer Zeit, der Nominativ: 6 oeiva. Als gebräuchlichste Formel setzt sich dann aber ooeiva, mit und ohne dv~7Jxe, -r4) <5elvt durch, wobei der Gegenstand der Weihung als offenkundig für den Beschauer nicht immer angegeben ist und sich häufig eine erläuternde prädikative Bezeichnung wie cbtaex?Jv, oexa-rrrv findet. In der Regel ist es eine bestimmte Gottheit, der die Weihung gilt, bisweilen mit dem werbenden Beiwort en?]xoo~ "erhörend" bedacht, oder es heißt ganz allgemein: {}eoi~; die Weihung kann sich auch mit der gleichzeitigen Widmung an die Gemeinde oder den K aiser verbinden: Gottheit xal. TWL oft!UJ)L oder xal TWL oeivt Kat<Jaet. Sie kann eine Bitte um Hilfe bedeuten oder den Dank für erhaltene Hilfe abstatten. Im letzteren Falle ist oft die Veranlassung erwähnt (qwffek lx f..tF:ycf).wv xwo6vwv, V71.ie -rfj~ oea<Jew~ " für die Heilung des Augenlichtes" oder andere Angaben) und xaet<JTftewv (e1Jxaet<JTftewv) hinzugefügt. Handelt es sich bei der Weihung um die Erfüllung eines Gelübdes, so heißt es: EV~clf'EVOc; (oder WX~V) dve07Jxev, häufig auch nur etix?Jv oder auch der Nominat iv wx?J (in jüdischen und christlichen Inschriften ist vnie etixfj~ beliebt). Auch wird manchmal zum Ausdruck gebracht, daß die Stiftung auf Weisung der Gottheit erfolgt ist: xaTa ne6<J-raypa, xa-ra lm-rayftv o. ä., sei es, daß diese durch ein Orakel {xa-ra f'aVTetav), sei es im Traum (xa-r' ovae) erfolgt ist. Die Weihung konnte auch 'Iinie ToV oeivoc; " für jemanden" statthaben, wobei wie im Deutschen sowohl " im Namen jemandes" wie " zu Gunsten, zu Ehren jemandes" gemeint sein kann. Das üblichste Verbum ist dvan{}evat, erst später treten daneben andere auf wie agJte(!oilv, xafheeoilv u. ä. Die poetischen Weihinschriften bedürfen nach den vorstehenden Ausführungen keiner besonderen Besprechung. Anhangsweise mögen auch die H uldigungsinschrüten, die Proskynemata, wie sie so zah1reich in Ägypten vorkommen, erwähnt werden, in denen jemand einer Gottheit die eigenen Huldigungen mit dem Verbum neo<Jr.vvelv (oder nur TO 71.(20<1-dJvrjpa ToV oeivo~ ) oder die ihm nahestehender oder verehrter P ersonen mit der Wendung : -ro neoa~ V7Jf'a -roo oeivoc; noteiv naea -rqi oeivt (= Gottheit) darbringt. Denn so und nicht anders kann sprachlich diese letztere Wendung verstanden werden , und so hat es auch schon J. A. LETRONNE getan, während jetzt allgemein übersetzt zu werden pflegt: " Gebet, Fürbitte für jemanden,
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VI. W uen und I nhalt der griechi8chen I n8chriften
zum Heile jemandes (um die Gunst und Hilfe der Götter auf den anderen herabzußehen) leisten." Aber neocnron7pa ist niemals "Gebet, Fürbitte'', sondern bezeichnet die Geste der Verehru.n g ; auch zeigt die gelegentliche Variante: -ro neouxWr]pa 'tLVt (nicht &r,ee 'tWO~ I) noteiv naea -rip ~eivt, wie der Genet iv bei -ro neouxVvr,pa aufzufassen ist, nämlich als sog. Genetivus subiectivus: "die Huldigung seitens des und des." Natürlich ist der Sinn der Darbringung der Huldigung einer nicht gegenwärtigen P erson an die Gottheit der, diese dadurch gnädig für jene zu stimmen und den göttlichen Segen für sie zu erwirken. So trifft die übliche Deutung wohl im Effekt etwa das Richtige, verkennt aber den Wortsinn der sprachlichen Formulierung. Und, indem wir damit zu den Ehreninschriften überleiten, als die sie ebensogut betrachtet werden können, zum Schluß die sog. tituli memoriales, die Gedenkinschriften, durch die jemand in der Ferne sein Gedenken an einen anderen bezeugt. Bei diesen lassen sich zwei Typen unterscheiden, der mutterländische oder westliche Typus: ipvf,ufhrv -rcYiJ ~eivo~; oder ipvf,uth] o ~eiva -roiJ ~eivo~ (auch ohne das Augment) "ich, bzw. N. N., gedachte des und des" und der östliche Typus: pVfJu#fi (pVTJuiJet'Y)) o ~eiva oder pVfJu{}fj, (pVTJuiJelrJf;) o ~eiva "gedacht sei des und des", bzw. "gedacht sei deiner, N. N." oder "gesegnet sei usw." . Literatur Für die Gegenstände der Weihungen vgl. W . H . D. RousE, Greek Votive
Offerings, Cambridge 1902 ; für die agonistischen W eihungen: E. REISCH, Griechische W eihgeschenke, Wien 1890; für die Haaropfer: L. SoMMER, Das Haar in Religion und Aberglauben der Griechen, Münster 1912; P. SoaR.EDEL· SEKEB, De superstitionibus Graecorum quae ad crines pertinent, Haideiberg 1913 ; H. ÜPPEBMANN, Zeus Panamaros, Gießen 1924, S. 68ff. ; für die von P ilgern geweihten Fußsohlen: M. GuAB.Duoor, R endiconti della Pon tificia Accademia di Arcbeologia 1942/3, S. 305ff. Die Weihinschriften haben in der Dissertation von G. NAUMANN, Griechische Weibinschrüten, Halle 1933, eine unzureichende Bearbeitung gefunden ; sie ist im allgemeinen eine statistische Zusammenstellung, chronologisch und landschaftlieb geordnet. Auch hier ist eine Neubearbeitung sehr erwünsch t. Zu den fhol ht~)eoo' : 0 . W EINREICH, Athen. Mitt. 37, 1912, 1ff.; zu d en t ituli memoriales: A. RERM, Philologus 94, 1940, 1 ff.
c. Di e Ehreninschriften Daß es sachlich nicht gerechtfertigt ist, die Ehreninschriften von den Weihinschriften zu trennen, wurde oben schon hervorgehoben. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß sich die Ehreninschriften, zu denen in erster Linie die Unterschriften von Statuen gehören, aus den Weihinschriften entwickelt haben. Das beweist sowohl das Verbum d.van{JI:vat, das im Anfange allein vorkommt, wie die Nennung einer
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c. Die Ehrenin8Chriften
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bestimmten Gottheit oder des allgemeinen -Deo~. Ursprünglich scheute man sich eben, eine Statue zu Ehren eines Menschen aufzustellen, und wählte den Umweg der Weihung an die Gottheit. Erst allmählich entwickelt sich die reine Ehreninschrift und kommen Verba wie avw-ravat, npliv u. ä. vor und wird keine Gottheit genannt. Am häufigsten ist die einfache Formel o &'iva Tov <5s'iva; manchmal begegnet auch nur Tdv &'iva, weniger oft andere Kasus. Es entwickeln sich aber auch in Konkurrenz mit den Ehrendekreten recht umfängliche Ehreninschriften, die noch alle übrigen Ehrungen des Dargestellten zugleich verzeichnen; auch wird häufig der Grund der Ehrung entweder in summarischer Weise wie tleE't'fi~ xal rovol~ bexa oder durch Bezeichnung des speziellen Verdienstes angegeben. Durch römische Sitte bedingt ist es, wenn bei Beamten manchmal der ganze cursus honorum aufgezählt ist. Die Errichtung von Statuen von Menschen, abgesehen von den Siegerstatuen, ist noch im 5. J ahrhundert v.Chr. sehr selten und wird erst im 4. Jahrhundert häufiger, um dann immer größeren Umfang anzunehmen. Es kann sich bei den Statuen auch um die Personifizierung eines Kollektivbegriffes wie Rat, Volk, Stadt usw. handeln, so z.B. in der pergamenischen Basisaufschrift: 6 Mjp.o~ o J4:{}qvaü.ov Tov Mjp.ov Tov IIeeyap:YJviiJv (I. Perg. 452). Die Aufstellung geschieht durch den Staat oder, wenn sie privatim, aber an öffentlichem Orte erfolgt, mit Erlaubnis des Staates; hierbei konnte es lokale Beschränkungen geben (vgl. zuletzt J. und L. RoBERT, Rev. };;t. Gr. 1948, 183 Nr. 172); wir hören auch von Umstellung von Statuen (vgl. L. RoBERT , Hellenica VII 1949, 241ff.). Erfolgt die Aufstellung durch den Staat selbst, wird es später üblich, denjenigen zu nennen, der für die Aufstellung gesorgt hat (auch der Geehrte selbst kann damit betraut werden, z.B. IG V 1, 1432; XII 7, 231 ), mit Wendungen wie: Entp.e).rrf}bro~ oder neoVO'YJCTap.l:vov 't'fj~ avaCTTaCTEW~ 't'oV <5e'ivo~, Wto Entp.iktav oder <5t' bttp.tkl~ 't'OV <5eivo~, neovolq. Toii <5E'ivo~, &a lmp.tA'YJ'foV Toii <5e'ivo~ usw. Oft aber sind es die Verwandten oder Freunde, die die Kosten der Errichtung einer vom Staat beschlossenen Statue übernommen haben: neou<5e~ap.l:vov, 7COL'YJCTap.l:vov, naeaux6v't'o~ 't'O dvcf).wp.a, <5anav?]uano~ Ex 't'CUV wlwv oder o't~Oev Toii <5e'ivo~ und viele ähnliche Wendungen, oder der Geehrte hat es auch selbst getan; so heißt es am Schluß eines Ehrendekretes aus Sestos (OGI 339): ßovMp.evo~ <5ta -rrrv Vnciexovuav mel Ta ~tva CT't'EVOXWelav xaetCeuDat xal l:v 't'WrOL~ 't'fjt n6J..et avaMxE't'at lx 't'WV wl(J)'V 't'O d~AWJla 't'O el~ 't'OV avoetana, " In der Absicht, wegen der gegenwärtigen beengten Lage des Staatsschatzes auch hierin sich der Stadt gefällig zu erweisen, übernimmt er aus eigenem die Kosten für das (ihm beschlossene] Standbild", m1d auch die Ärztin )lvnoxt~ aus Tlos (Lykien), deren ärztliche Kunst von Rat und Volk ihrer Heimatstadt lobend
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VI. Wesen und Inhalt der griechischen I n-schriften
" bezeugt" worden ist: p.ae-rverrfhiaa 15no 'rij~ T).wewv ßovMj~ xai -roii m]p.ov btl 7:fl neel 7:1}v la-ret~ 7:EX'V1JV EvnEt(!{q. (vgl. zu dieser Wendung L. ROBERT' Hellenica III 1946, 22/ 3}, lUTrJUEV 7:0V avt5eu:lna eav-rij~ (TAM II 595}. Oder aber die Eltern, Freunde, Kollegen usw. wenden sich an den Staat mit der Bitte, auf eigene Kosten eine Statue von einem Bürger öffentlich errichten zu dürfen; die erlangte Erlaubnis ist dann oft ausdrücklich vermerkt. Die Wendungen dafür sind sehr mannigfaltig; es seien nur ein paar herausgegriffen: vnJqJWap.l:vr]~ (-p.bov) -rij~ ßovJdj~ (-roii m]p.ov}, vnJqJLap.an ßovAij~, xa-ra T o vr!JqJWf'a ßov).fj~ xai m]p.ov (auch abgekürzt: WB, WB~ usw.). Übrigens bedurfte es seit der Mitte des 4. Jahrhunderts n.Chr. zur Errichtung von bronzenen Statuen für Statthalter und andere vornehme Persönlichkeiten der kaiserlichen Genehmigung (vgl. A. VON PREMERSTEIN , Österr. Jahreshefte 15, 1912, 215ff.). Zuweilen wurden auch Stiftungen vermacht unter der Bedingung, daß dem Stifter nach seinem Tode eine Statue aufgestellt wird; dann findet sich ein Zusatz wie: xa-rd t5tafHJ"'YJv, lx t5ta*'J"'YJ~ ("laut Testament") o. ä.. Sollte die Statue in einer anderen Stadt errichtet werden, mußte durch Gesandte die Erlaubnis dazu von dieser Stadt eingeholt werden; in solchen Fällen heißt es dann: t5ta neroßEVToii Toii t5Eivo~ oder <5td neeaßev-rwv Twv <5elvwv, wie z.B. auf den zahlreichen Statuen für den Kaiser Hadrian in Athen, die fremde Ge~einden dort errichtet haben (IG II/ill 2 3290ff.). Manchmal haben es die Stifter von Statuen, besonders von Kaiserstatuen, nicht versäumt, ihre eigene Person durch die Aufzählung ihrer Ämter, Verdienste und Ehrungen in das hellste Licht zu setzen (ein besonders bezeichnendes Beispiel bei G. GERLACH, Griechische Ehreninschriften, S. 24). Es versteht sich, daß auch die Ehreninschriften oft die Form der gebundenen Rede angenommen haben. Als indirekte Ehreninschriften sind schließlich solche Inschriften zu bezeichnen, in denen eine Privatperson alle il1r zuteil gewordenen Ehrungen auf einer Stele oder an anderem Platze zur allgemeinen Kenntnisnahme zusammengestellt hat. So hat der Staatsmann (nicht Schriftsteller, wie man früher gemeint hat, vgl. L. RoBERT , Collection Froehner I S. 29ff.) Kassander aus Alexandreia in der Troas sich in einem Tempel seiner Vaterstadt eine Stele errichtet mit dem Verzeichnis seiner vielen Ehrungen, in der Hauptsache durch einen goldenen Kranz, wo dann darunter jeweilig die Darstellung eines Kranzes steht, 18 im ganzen (SylJ.S 653 A). Aber damit nicht genug, hat er eine zweite, erweiterte Liste in Deiphi auf der der Heiligen Straße zugewandten Nordwand des Schatzhauses der Siphnier einmeißeln lassen (Syll. 3 653 B , dazu ein weiteres Fragment bei J. BousQUET, Bull. Corr. llell. 64/5, 1940/41, llOff.). Ein ganz gleiches Verzeichnis trägt auch die Südwand des Athenerschatzhauses in Delphi, das dort ein unbekannter
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2. Die Bildhauerinschriften
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athenisoher Staatsmann, vermutlich ein Stratege, hat anbringen lassen, in dem er 25 Ehrungen mit einer Bronzestatue (Typus : oi Mivet; el~6vt xaJ..,qt ; darunter Abbildung eines Kranzes) aufzählt (SylP 654 A). Diese "Ehrentafeln" haben ihre Parallele in Inschriften, die die ein und demselben Manne verliehenen Ehrendekrete verschiedener Städte vereinigen, wie z. B. die beiden Stelen, die Eudemos aus Seleukeia in Kilikien.dort aufgestellt hat (Syl}.3 644/ 5; dazu J. KEIL und A. WILHELM, Österr. Jahreshefte 18, 1915, Beiblatt 17ff.), oder die drei Stelen für Nikomedes in seiner Heimatstadt Kos (PATON -HIOKS , Inscr. of Cos Nr. 17-19; dazu R. H ERZOG, Riv. Filol. 70, 1942, 12ff.). Literatur Das wesentliche Material vereinigt die oben schon zitierte Arbeit von G. GERLACH, Griechische Ehreninschriften, Halle 1908. Für Anträge (aln]aet~) auf Erlaubnis zur Aufstellung von Statuen und anderen W eiligeschenken vgl. die rhodiseben Inschriften Lindos TI Nr. 419 Zeile 43f. (wo p.e-revev"eiv zu verbessern ist, vgl. L. RoBERT, H ellenica II 1946, 110/ 1) und Annuario della scuola archeologica di Atene 30/32, 1952/54, S. 247 Nr. 1. Zum Verbot, an best immten Orten Statuen zu errichten, vgl. L. ROBERT, H ellenica m 1946, 291; zum Preis von Statuen : A. Wrr.a F.LM, Neue Beiträge zur griech. Inschriftenkunde VI( = Sitz..ß er . Akad. Wien 183, 3 [1921]) S. 27ff.
2. Die Bildhauerinschriften Viele der Grab-, Weih- und Ehrendenkmäler tragen auch die Angabe des Künstlers, der das Werk verfertigt hat. Dieses stolze Bekenntnis des Schöpfers zu seinem Werke, das der orientalischen Kunst fremd ist, ist ein bezeichnender Zug griechischen individuellen Empfindens. In den alten metrischen Inschriften geschieht bisweilen zugleich des Kiinstlers Erwähnung, aber es wird dann Brauch, die Künstlersignatur selbständig werden zu lassen. In der ältesten Zeit (hier und da noch später) ist auch diese oft in metrischer Form, doch als die übliche Fassung bürgert sich die in Prosa ein. Das typische Verbum ist noteiv; nur recht selten findet sich ein anderes, abgesehen von der Freiheit der metrischen Inschriften. So ist die Grundformel der Künstlerinschrift : o 6eiva -roiJ 6eivot; Ethnikon lnotrwe. Freilich zeigt sie oft bei ein und demselben Künstler Variationen, indem das Ethnikon bald genannt ist, bald fehlt , ebenso wie das auch beim Vatersnamen der Fall ist, oder die Stellung von lnolrwe wechselt. Auch begegnet bei dem gleichen Künstler Schwanken im Gebrauch von l not11ue und bu)'Y/ue sowie in der Zufügung des sog. v lipeÄ.KVun~6v (b r.ot'YJuE:V), ja sogar in der Verwendung des Imperfektums (lnoiet) und des Aoristes (lnot11ue). Aber der Aorist überwiegt in der älteren Zeit durchaus, und erst ganz allmählich findet auch das Imperfektum größeren Eingang, das dann seinerseits in der 6 7249 Klaffenbach, Grlechlsohe Epigraphik
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VI. Wesen und Inhalt der griechischen Inachriften
Kaiserzeit vorherrscht. In Attika findet sich meist der bloße Künstlername (ohne Patronymikon und Ethnikon bzw. Demotikon), so daß .wir unter Umständen nicht wissen, ob es sich um einen Einheimischen oder Fremden handelt. Außerhalb Attikas ist die Nennung des bloßen Namens weniger üblich. Eine gelegentliche Besonderheit ist die ausdrückliche Angabe des Lehrers: I-rüpavo~ Ilaat-rüov~ p,aDrj-r-Yj~ lnolet (E. LoEWY, Inschr. griech. Bildhauer Nr. 374; ebenda Nr. 375 die entsprechende Signatur eines Schülers des Stephanos). Dabei sei bemerkt, daß die Behauptung, wenn ein Künstler seinen Vater nenne, sei dieser gleichzeitig sein Meister gewesen, in dieser Verallgemeinerung unbedingt zu weit geht, wenn sich auch in der Tat viele von den genannten Vätern ihrerseits als Künstler nachweisen lassen. Eine ganze Reihe von Signaturen zeigt Zusammenarbeit von Künstlern , meist von zweienwie z.B. die der bekannten Neuschöpfer der Gruppe der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton in Athen, K.ritios und Nesiotes; zuweilen begegnen aber noch mehr Künstler (z.B. LOEWY Nr. 243), oder es wird bei Bronzewerken neben dem eigentlichen Künstler (o <5eiva E'J'&olrwe) der ausführende Erzhandwerker (o <5eiva exaJ.xoV(!Y'Y)(JE) genannt (z. B. Annuario scuol. arch. di Atene 27-29, 1949 51, 228 Nr. 92).Auch die Signatur des restaurierenden Künstlers findet sich, so in Delos: l4ela-rav<5eo~ Emna II&.ew~ lneaxF:Uaaev, "Aristandros, Skopas' Sohn, aus Paros hat's wiederhergestellt" (LOEWY Nr. 287). Ein gar nicht so seltener späterer Mißbrauch ist es gewesen, bei der Wiederverwendung von Basen für die Errichtung jüngerer Statuen die alte Künstlersignatur stehenzulassen, selbst wenn man die übrige Inschrift ausradierte und neu überschrieb (z.B. IG llfill 2 4144; IG IX 12, 52}, wie man ja auch umgekehrt gelegentlich unter alte Denkmäler einfach neue Inschriften gesetzt hat, z.B. L. Mummins in Epidauros (IG IV2 1, 306) und Tegea (IG V 2, 77). Diese Unsitte, alte Statuen durch Umschrift für neue Ehrungen zu verwenden, hat Dion Chrysostomos (2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr.) bei den Rhodiern in drastischer Schilderung gegeißelt (orat. XXXI): 6 yae a-rea-r'Y}yo~ öv dv a&rcp g;avfj TWV avaxetp.tvWV ToVTWV av<5etaYrWV dno<5e{;cvvaw· el-ra Tfj~ piv ne6-reeov OV(J'Yj~ emyeag;fj~ avatee'&etan~. hieov <5' 6v6p.a-ror; eyxaeaxfJilrcor; niea~ lxet TO -rfjr; np.fjr; xal AOLnOV d-revxe elx6vo~ 0 M~a~ vp,iv lf.~w~, " Denn der Stratege bezeichnet dasjenige von den hier aufgestellten Standbildern, das ihm gut scheint. Und wenn dann die frühere Inschrift getilgt und ein anderer Name eingemeißelt ist, ist die Ehrung fertig, und es hat dann seine Statue, der euch einer solchen wert schien". Und es ist geradezu eine Illustration der Worte des Dion, daß man in Lindos in einer Zeit der Geldnot die Erlaubnis zur Beschriftung alter av<5et6.vrer;, in diesem Falle freilich von unbeschrifteten
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3. Die Dekrete
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(&ventyeaqm) , von Staats wegen verkauft hat (Lindos II Nr. 419
Zeile 30ff., aus dem Jahre 22 n.Chr.). Natürlich sind in der späteren Zeit bei der Erneuerung der Aufschriften von Basen oder bei der Kopie von Bildwerken die ursprünglichen Künstlerinschriften mitkopiert worden (LOEWY S. 310fT.), stellen also keine eigentlichen Originale mehr dar ; manche alte Künstlersignatur geht auch auf Fälschung römischer Zeit oder die Restaurateure der Renaissance zurück. Bezüglich der Anbringung der Künstlersignaturen gilt, daß siegewöhnlich auf der Vorderseite der Basis, und zwar in der Regel unter der Hauptinschrift, stehen; doch finden sie sich auch auf d er Seite oder der horizontalen Oberfläche, mitunter sogar auf einem Teil der Statue selbst, vgl. z.B. LoEWY Nr. 329. 333. In der späteren Zeit sind sie häufig auf der Plinthe angebracht.
Literatur Grundlegend, obwohllängst veraltet, das W erk von E. LOEWY, Inschriften griechischer Bildhauer mit Fa.csimiles herausgegeben, Leipzig 1885, dessen Erneuerung nunmehr von J. MAROADE begonnen worden ist (vgl. oben S. 27). Vgl. auch die gute orientierende Zusammenfassung bei S. REINAOH, Traite d 'epigraphie grecque S. 434ff., die auch den obigen Ausführungen in der Rauptsache zugrunde liegt. Ringewiesen sei wenigstens auf die hier nicht berücksichtigten Künstlersignaturen auf Vasen und Gemmen und Mosaiken; für die Vasen vgl. W. Kr.EJN, Die griechischen Vasen mit Meistersigna.turen , 2. Aufl. Wien 1887, für die Gemmen: A. Fun.TWÄNOLEB, ArchäoL Jahrbuch rn 1888, S. 105ff. 193ff. 297ff. und IV 1889, S. 46ff. Zur Stellung des orientalischen und des griechischen Künstlers zu seinem Werke vgl. die treffenden Bemerkungen von U. WILOKEN, Griechische Geschichte im Rahmen der Alterturosgeschichte, 7. Auß. München 1951, S. 139 u. 349.
3. Die Dekrete Über die Art ihrer zeitweisen oder dauernden Veröffentlichung ist oben schon gehandelt worden (s. S. 50ff.). E s war dabei auch hervorgehoben, daß diese entweder nur auszugsweise oder in mehr oder weniger vollständigem Wortlaut erfolgt ist. Wenn wir von Wortlaut sprechen, so ist damit schon gesagt, daß wir annehmen - und eine Annahme muß es bleiben, da uns ja kein einziges Exemplar der im Archiv aufbewahrten Originalurkunden erhalten ist - , daß es sich bereits bei diesen um ein auf Grund der Verhandlungsprotokolle von dem verantwortlichen Schreiber angefertigtes Dokument handelte. Dazu nötigte allein ja schon der Umstand , daß die Protokolle der Rats- und Volksversammlungen für gewöhnlich eine ganze Reihe von Verhandlungsgegenständen enthalten haben werden, die doch nun zu gesonderten Akten verarbeitet werden mußten. Und es ist auch mit Recht von
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VI. W u en und Inhalt der griechischen
Inschri/t~n
H. SwoBODA (Die griechischen Volksbeschlüsse, Leipzig 1890, S. 5) der Gesichtspunkt geltend gemacht worden, daß sich ein so ausgeprägter Stil, wie ihn die Dekrete aufweisen, ohne die nötige Unterlage unmöglich hätte fixieren und diese die bloßen Protokolle nicht hätten geben können. Dazu kommt auch noch, daß wir gelegentlich in den Dekreten der Anordnung begegnen, daß der Beschluß in seinem vollen Wortlaute (änav, IG XII 5, 1061) verewigt werden soll, oder es heißt, es solle auf den Stelen ausführlich die Abschrift dieses Beschlusses aufgezeichnet werden: avayeacpfjvat ~e iv -raic; GT?]Aatc; &e~o~txwc; TO av-clyeacpov ToOOe ToV 1p'T}q;lap.a-roc; (Syll.8 694). Solche Bestimmungen setzen doch also die Existenz nicht bloß der Protokolle sondern auch einer aus ihnen redigierten Urkunde im Archiv voraus, und dasselbe beweisen schließlich Steininschriften, die als Auszüge e;e ToV 1p'T}qJWp.a-roc; gekennzeichnet sind (Beispiele bei A. Wn.HELM, Beiträge zur griech. Inschriftenkunde S. 273). Es bedarf nicht erst der Darlegung, daß die Praxis und Art der Anfertigung solcher Urkunden für das Archiv eine sehr verschiedene gewesen sein wird in den einzelnen griechischen Staaten je nach der Höhe und Ausbildung ihres politischen und kulturellen Lebens, daß sie von primitiven Anfangen allmählich eine größere Vervollkommnung erreicht haben wird, insbesondere unter dem Vorbilde von Staaten mit einem ausgebildeten Archivwesen. Derjenige Staat aber, der dann den tiefstgreifenden Einfluß auf den Stil der Urkunden der griechischen Welt ausgeübt hat, ist die ~lldc; ~lla~oc;, Athen, gewesen, und in der hellenistischen Zeit hat sich eine Einheitlichkeit und universelle Verbreitung der Sprache und des Stils der amtlichen Kanzleien entwickelt, so daß "les paralleles sont fournis par n'importe quelle petite ville, reputee arbitrairement "backward"' des monta.gnes de Ia Carie ou de la Lycie, aussi bien que par les decrets d'Athenes, des villes de Beotie ou du Peloponese, des chancelleries royales, comme aussi par les papyrus et les inscriptions d'~gypte" (J. und L. RoBERT , Rev. ~t. Gr. 63, 1950, 187). Die ältere Form der Verewigung der Originalurkunden von Dekreten auf Stein oder Bronze, eine Form, die in manchen Teilen Griechenlands, besonders in Nordgriechenland, auch späterhin die übliche geblieben ist, besteht in den sog. abgekürzten Dekreten, in denen in knapper Form der Inhalt eines Beschlusses mitgeteilt wird, also solche avayeaq;al, wie sie A. Wu.uELM zweifellos zutreffend für die ältere Zeit auf den J.evxwp.a-ra voraussetzt. Zwei Beispiele mögen genügen, das eine die stereotype Formel der delphischen Proxenieurkunden: Je).q;ol l~cmeav TqJ ~eivt ati-rwt xal A;ey&votc; neo'evlav, 1C(!Op.avrelav, 1C(!Oe~etav , 1C(!O~txta.v, auvJ.ta.v, a-riktav navrc.ov ;eal -rdlla Baa ;eal. TO ~ ällotc; neo~botc; xai etieeyhmc;· äexov-roc; TO'Ü ~eivoc;, ßovM:v&nc.ov TWv ~elvc.ov (zur Erklärung der Proxenie und der anderen Bezeichnungen vgl. unten
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3. Die D ekrete
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S. 78f.), das andere eine häufigeForm der Proxeniedekrete des ätolischen Bundes: a-rea-rayeovro~ ToV <5eivo~ l<5o~e TOt~ Al-rwJ.o i~. neo~evtav <5e&3a{}at Tcp <5eivt au-roi xai. lxy6vot~ xaTa TOV v6p.ov. lyyvot Tä~ neo~evta~ OL &ive~. Diese ältere Form ist die ursprünglich auch in Athen gebräuchliche gewesen, wie uns die Aufzeichnung dessen ältesten erhaltenen Beschlusses, des berühmten Salamis-Dekretes (IG J2 1), zeigt, wo auf die Sanktionsformel (l<5o~ev -rwt <5~p.wt) am Anfang unmittelbar der Inhalt des Beschlusses in Infinitiven folgt, also ganz so wie bei dem eben angeführten Typus der ätolischen Proxeniedekrete. Dann aber sehen wir in den Verewigungen der attischen Beschlüsse eine Form P latz greifen, die vorbildlich für fast die gesamte übrige griechische Welt geworden ist und den regulären Typus der Verewigung griechischer Beschlüsse darstellt. Dieser Typus ist von H. SwoBODA treffend so charakterisiert worden : " Die griechischen P sephismen sind von dem Standpunkte des Antrages oder vielmehr des AntragssteHers aus conoipiert" (Die grieoh. Volksbeschlüsse S. 4). Der mit der Redaktion eines Beschlusses zum Zwecke der Verewigung beauftragte Schreiber gibt nämlich nunmehr nicht ledigl!-ch den Inhalt des gefaßten Beschlusses wieder, sondern führt uns, sicherlich, wie gesagt, in Übereinstimmung mit der Originalurkunde, seine Entstehung unmittelbar vor Augen. Die Grundlage eines jeden Beschlusses ist der von einer Behörde oder E inzelperson gestellte Antrag, und so bildet er , sei es nur im Auszuge, sei es in seinem mehr oder weniger vollständigen Wortlaute, das Kernstück der zur Rede st ehenden Form der Publikat ion. Eingeleitet wird er durch : o c5eiva elnev, " N. N. stellte folgenden Antrag« (oder bei Behörden auch yvcbp.?J, z.B. a-reat:?]yWv, " Antrag der Strategen" ), und es folgt der Inhalt des Antrages in indirekter Rede, also der Infinitivkonstruktion {" man solle ... " ); dabei konnte es dem Schreiber gelegentlich auch passieren, daß er aus dem Originalkonzept des Antrages diesen oder jenen Ausdruck der direkten Redeweise übernahm, wie ?} ?}p.e-dea n6At~ u. ä., und diese Erscheinung findet sich später häufiger, wo mitunter ganze Sätze in der ersten Person übernommen wurden. Die Annahme des bet reffenden Antrages ist am Kopf der Aufzeichnung, dem sog. Präskript, seltener am Schluß, durch die sog. Sanktionsformel (Mo~e -rwt ~p.wt , bzw. lc5o~e -ri]t ßovAi]t xai. TWt <5~p.wt, loo~e -roi~ <5etvou; o. ä.) zu m Ausdruck gebracht. Dabei sind manchmal auch I nkonsequenzen untergelaufen, wenn Wendungen des Ant rages stehengeblieben sind, die durch seine Erhebung zum Beschluß hinfällig geworden sind, wie z. B. die sog. Bescheidenheitsoder Ergebenheitsformel (lav xat -rwt &jp.wt c5oxi]t o. ä.) oder die probuleumatische Formel, über die nachher zu han deln sein wird. Es ist selbstverständlich - die Sanktionsformel sagt es ja - , daß der Antrag so, wie wir ihn lesen, zur A.n nahme gelangt ist, d. h. daß es
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VI. Wuen und Inhalt der griechüchen Imchrifun
unter Umständen der ursprüngliche Antrag ist, daß er aber in anderen Fällen in der Verhandlung vor der zuständigen Körperschaft Änderungen oder Streichungen, auch Zusätze erfahren haben kann. In Athen finden wir zunächst sehr häufig solche Zusatz- oder Abänderungsanträge (sog. Amendements) auf dem Steine mitgeteilt. In solchen Fällen ist also der ursprüngliche Antrag gegeben, und angeschlossen werden mit den einleitenden Worten : 6 <5eiva elne · Ta p,ev illa xa#ame Tijt ßovA.ijt (so. <5oxei) oder xa#&.nee o <5eiva (so. elne) die erfolgten Zusätze oder Abänderungen, so daß erst der sorgfaltige Vergleich uns darüber unterrichtet, was nun wirklich beschlossen ist. So wertvoll es für uns unter manchen Gesichtspunkten ist, auf diese Weise einen genauen Einblick in das Werden des betreffenden Beschlusses tun zu können , so befremdend ist im Grunde diese Praxis, da es doch das Nächstliegende gewesen wäre, den zum Beschluß gelangten Antrag in entsprechend modifizierter Form aufzuzeichnen, zumal wenn es, wie sich das auch findet, der Antragsteller selbst ist , der von sich aus bei der endgültigen Verhandlung Abänderungen beantragt hat. Daß das der Schreiber gelegentlich selbst als das Natürliche empfunden hat, beweist das vielzitierte attische Ehrendekret für Oiniades von der Insel Skiathos (Syll,3 114). Ein Amendement beantragt, ihn nicht als J;xt&.#tor; zu bezeichnen, sondern als IlaA.ataxt&.#wr; ("Alt-Skiathier" ) und entsprechend so im Hauptantrage zu verbessern. In der Fassung aber, in der uns der Hauptantrag auf dem Stein mitgeteilt wird, lesen wir Oiniades als IlaA.awxt&.#wr; benannt, d.h. der Schreiber hat seinerseits dem Amendement Rechnung getragen, trotzdem aber dieses , das doch damit erledigt war, noch mitaufgenommen, unbekümmert um die so entstandene Inkonsequenz. So ist man mehr und mehr dazu übergegangen, den ursprünglichen Antrag entsprechend etwaigen Amendements zu modifizieren und diese dann fortzulassen. Jedenfalls verschwinden diese, die doch zu allen Zeiten unvermeidbar waren, in den attischen Dekreten nach dem ersten Viertel des 3. Jahrhunderts v. Chr., und außerhalb Attikas sind sie überhaupt ganz selten zu finden. Gelegentlich hat der Schreiber aber hinter dem Antrage noch Zusätze aus dem Protokoll hinzugefügt, z.B. über die Durchführung derbeschlossenen Vorschläge wie die Wahl von Gesandten, oder das Abstimmungsergebnis nach den Stimmzahlen usw. Der Vollständigkeit halber sei schließlich erwähnt, daß wir in späterer Zeit mitunter, aber in sehr geringer Zahl, auch Aufzeichnungen von Beschlüssen haben, die ganz in Protokollform gegeben sind und mit großer Lebendigkeit die Vorgänge der Beschlußfassung nebst allen Zurufen schildern, wie z.B. die beriihmte Iobakchen-Inschrift aus Athen (SylP 1109). Die im vorhergehenden geschilderte Normalform der Redaktion der griechischen Dekrete, die also den Beschluß als Antrag wiedergibt,
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3. Die Dekrete
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hat im einzelnen nach Ort und Zeit, auch, wie immer wieder betont werden muß, durch sparende Kürzungen, große Mannigfaltigkeiten aufzuweisen, denen hier nicht nachgegangen werden kann, die im allgemeinen aber demjenigen keine Schwierigkeiten des Verständnisses bereiten, der sich etwas mit den Formen der attischen Dekrete vertraut gemacht hat. Dank den zahllosen in Athen erhaltenen Beschlüssen übersehen wir hier, wo ihr Formelwesen seine reichste Ausbildung erfahren hat, die Entwicklung am besten, und so sei wenigstens das Wichtigste daraus hervorgehoben. In Athen wie wohl in den meisten griechischen Staaten war es bindende Vorschrift, daß die Volksversammlung über nichts beschließen durfte, was nicht vorher dem R ate zur Beurteilung vorgelegen hatte. Wer also einen Antrag zur Beschlußfassung einbringen wollte, mußte ihn durch die Prytanen, den geschäftsführenden Ausschuß des Rates, bei dem Rate stellen lassen, da das nur durch einen Ratsherrn geschehen konnte. Sache des Rates war es nun, über diesen Antrag einen "Vorbeschluß" (neoßo15J..evp,a) zu fassen. Das konnte in der Weise geschehen, daß der Rat in eigener Stellungnahme dem Volke bestimmte Vorschläge dazu machte oder daß er ohne eigene Stellungnahme den Antrag dem Volke zur selbständigen Entscheidung überwies. Natürlich konnte die Volksversammlung ihrerseits das Gutachten des Rates (yvwp,'YJ) oder den ihr ohne dieses vorgelegten Antrag ablehnen und auf Grund eines neuen in der Verhandlung gestellten Antrages einen anderen Beschluß in der betreffenden Angelegenheit fassen; in diesem Falle war selbstverständlich nicht ein neues neoßo'I5J.. evp,a des Rates über den neuen Antrag erforderlich, da sich ja der Rat schon mit der Angelegenheit befaßt hatte. Anders war es, wenn die Volksversammlung über etwas beschließen wollte, das dem Rate noch nicht vorgelegen hatte. Dann war das entsprechend dem erwähnten Grundsatz, daß nichts dneoßo15J..sv-rov vom Volke verhandelt werden durfte, nur auf dem Wege möglich, daß dieses beschloß, den Rat mit einem neoßo15J..evp,a über diese Angelegenheit für die nächste Volksversammlung zu beauftragen. Betrachten wir nun, wie das soeben Dargelegte seinen Niederschlag in den Formeln der attischen Dekrete gefunden hat. Diejenigen Beschlüsse, die durch Zusammenwirken von Rat und Volk zustande gekommen sind, wo also das Volk entsprechend dem Probuleuma des Rates verfahren ist, daher als probuleumatische Dekrete bezeichnet, drücken das einmal in der Sanktionsformel des Präskriptes aus, wo es heißt: l&~ev -rfjt ßovÄfjt "ai Twt frl}p,wt, sodann in dem im Rate zur Beschlußfassung gekommenen Antrage bei der Einleitung des Beschlußvorschlages, dem Sanktionsantrage, durch die sog. probuleumatische Formel. In dieser wird der Rat ersucht zu beschließen, daß die Vor-
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VI. Wuen und I nhalt ckr griechi8cMn l mchrijten
sitzenden der nächsten Volksversammlung N. N. vor das Volk führen , die betreffende Angelegenheit zur Verhandlung bringen und als Ratsgutachten den und den Beschluß vortragen: EtlfYJqlÜrOat (oder ~eMxDat) Tfjt ßovJ.fjt TOV~ neoi~eov~, o2 av J.axwcn 'J'C(!OW(!eVtLV (oder nryxavwat neot~(!eVOVTE~ oder ToV~ .f.az6na~ 'J'C(!OE~eov~) tl~ T1}v necf>T'YJ'P (Oder tmoVCTQV) exxÄrJC1tav, neoaayayeiv TOv <5eiva e~ TOV <5fjp.ov xal. xerJ~-taTlaat aVrWt (oder neel a(iTaü, 't'oV't'W'JI o. ä.), ')'VWf.''YJV M. ~vp.ßdA.I..ea1Jat Tfj~ ßov.l.fj~ el~ TOV <5-ijpov, Ö't't oox.ei TfjL ßovJ.fjt, und nun folgen die bestimmten Vorschläge, die der Rat als Probuleuma dem Volke machen soll. Hat sich der Rat einer eigenen Stellungnahme enthalten, also dem Volke die freie Entscheidung überlassen (in dem entsprechenden Antrage heißt es dann am Schlusse der probuleumatischen Formel: ön ~oxei Tfjt ßovJ.fjt TOV ~fjpov ßovJ.eVaaabat, ÖTL av avTWL ~o'Xfjt lietCTTOV elvat) oder das Volk unter Ablehnung der Vorschläge des Rates einen neuen Antrag aus seiner Mitte über die betreffende Angelegenheit angenommen, lautet folgerichtig die einleitende Sanktionsformel nur e~o~ev -rwt U/jpwt und entsprechend der Sanktionsantrag bprJqlw{}at (oder ~ro&xtiat) Twt Uljpwt (sog. reine Volksdekrete). Das gleiche gilt natürlich auch für die Beschlüsse, in denen die Volksversammlung den Rat mit einem Probuleuma über eine neue Angelegenheit, die sie zu verhandeln wünscht, beauftragt; hier findet sich dann die Wendung : TfJV ßov.I.Yjv neoßovJ.e6aaaav i'eveyxeiv ("vorlegen" ) el~ TOV Mjpov neel ToV ~eivo~ o. ä.. Den reinen Volksbeschlüssen stehen schließlich die reinen Ratsbeschlüsse gegenüber, also über Angelegenheiten, für die der Rat allein zuständig ist, z.B. Ehrung seiner Beamten (Sanktionsformel eoo~ev Tfjt ßovJ.fjt, Sanktionsantrag bprjqllalJat oder ~eMxDat Tfjt ßovMjt). Daß in den ganz vereinzelten Fällen, wo dem Volksbeschluß das Probuleuma des Rates gesondert voransteht, die gleichen Formeln begegnen, versteht sich von selbst. Natürlich haben die vorgeführten Formeln der attischen Dekrete erst allmählich ihre volle Ausbildung erhalten (wie z. B. die probuleumatische Formel erst im 4. Jahrhunder t v.Chr.) und Schwankungen im einzelnen unterlegen . So steht, um nur eine Erscheinung herauszuheben, bei manchen probulenmatischen Dekreten nicht die übliche Sanktionsformel l~o~ev Tfjt ßovJ.fjt xal Twt Uljpwt, sondern nur l&~ev TWt Uljpwt, aber die Mitwirkung des Rates wird ja durch die probuleumatische Formel beim Sanktionsantrag auch hier zum Ausdruck gebracht. Außerhalb des athenischen Machtbereiches begegnen wir der probuleumatischen Formel nicht, wohl aber wird auch hier durch die Fassung der Sanktionsformel oder entsprechende Angaben in vielen Fällen der probuleumatische Charakter des Beschlusses bezeichnet (vgl. die Zusammenstellung von BRANDIS in der R eal-Encyclopädie Bd. V Spalte 2184ff.).
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Eine besonders reiche Ausbildung hat in Athen auch das Präslcript der Dekrete gefunden, und wieder wird die Kenntnis seines Präskriptes der beste Führer durch die große Vielfältigkeit und Besonderheit der außerattischen Präskripte sein (die reichhaltigste Zusammenstellung bei H. SwoBODA a.a. O. S. 222ff.). Auch Athen zeigt hier mannigfache Wandlungen und Erweiterungen, die neben ihrer Bedeutung für unser Wissen um das Staatswesen unter Umständen wichtige Anhaltspunkte für die chronologische Fixierung anderweitig nicht datierbarer Dekrete geben können. Aber nicht das kann hier zur E.r örterung stehen ; uns geht es lediglich um das inhaltliche Verständnis des attischen Präskriptes, und so werden wir für unsere Betrachtung die ausgebildetste Form wählen, da sie das Verständnis aller anderen einschließt. Zweck des Präskriptes ist, nach der treffenden Formulierung von SwoBODA, das Zustandekommen eines Beschlusses auf geset zlichem Wege zu bezeugen und die Faktoren zu nennen, die dabei mitwirkten, aber eine weitere wicht ige Aufgabe von ihm ist die Datierung des Beschlusses. Hören wir, in welcher Weise diesen Anforderungen das Präskript des attischen Volksdekretes I G II/IIP 493 aus dem Jahre 303/2 v.Chr. (das J ahr begann in Athen im Juli, erstreckte sich also vom Juli 303 bis Juni 302 der julianischen Rechnung) Genüge t ut: lni Atw
1'JyoVaw~ t yeapJ-LaTevev · Exceo<poeuiivoc; ~exaTtt V
·
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VI. Wesen und Inhalt der g-riechischen lnschreften
Angeschlossen ist die Erwähnung des Pryta.nienschreibers, der aber nicht, wie man nach dem Wortlaut vermuten könnte, nur Schreiber der Prytanen der Aiantis gewesen ist, sondern damals das ganze Jahr im Amte war. Früher wechselte er aber in der Tat mit jeder Prytanie und erhielt daher die Bezeichnung: 6 yeap.~taTet)(; 6 "a-,;a nev-,;m•etav, die er dann auch noch als Jahresbeamter beibehalten hat, obwohl sie nun nicht mehr paßte. Dann kommt das Tagesdatum des Beschlusses, und zwar in doppelter Weise: einmal nach dem bürgerlichen Kalender (der Skirophorion, etwa Juni, ist der letzte Monat des attischen Jahres; cSe"&."'1J vauea bezeichnet in Rückwärtszählung der letzten Monatsdekade den 21. Tag) und dann nach dem Amtskalender, der, auf dem Grundsatz einer gleichmäßigen Verteilung der Prytanienlängen aufgebaut, damals, zur Zeit der zwölf Phylen, sich .im großen ganzen mit den zwölf Monaten des bürgerlichen Kalenders deckte. Daß im vorliegenden Falle der Tag des Monats und der Prytanie nicht der gleiche ist, erklärt sich daraus, daß das Jahr 303/ 2 ein Schaltjahr (384 Tage) war, in dem sich die 12 Prytanien zu je 32 Tagen auf 13 Monate zu je 29 bzw. 30 Tagen verteilten. Weiter die Kennzeichnung der Volksversammlung als der Hauptversammlung von den in jeder Prytanie stattfindenden vier ordentlichen Versammlungen; ihre Tagesordnung kennen wir aus den Angaben des Aristoteles in seiner :4.Dr]vatwv noAL"Ceia. Hierauf folgt dieNamhaftmachung des Versammlungsleiters. U rsprünglich die Prytanen bzw. ihr täglich wechselnder Vorsteher (~nWTa"C1J~ ) . führte damals ein Kollegium von n(!OecSeot den Vorsitz, das zu Beginn jeder Sitzung des Rates wie des Volkes durch den lma-,;&.-r1J~ -ränr n(!VT&.vewv aus den nicht die Prytanie ausübenden Ratsabteilungen der Phylen ausgelost wurde, in unserem Falle (der Zeit der zwölf Phylen) also aus elf Mitgliedern bestand; aus ihnen wurde einer als Leiter, der vor allem die Abstimmung vornahm, wiederum durchs Los bestimmt, die übrigen waren seine av/-l'lledecSeot. Übrigens lautete diese Formel anfangs nur: TCÖV neoecSewv lnevn}qnCev 0 cSeiva, und das ist gut und logisch; der später üblich gewordene Zusatz "ai av~tneoecSeot, dem gelegentlich auch die sämtlichen Namen folgen, macht die Angabe unlogisch. Aber solch konservatives Verhalten ist gerade für Athen charakteristisch (vgl. die obenerwähnte Bezeichnung für den Prytanienschreiber). Dann die Sanktionsformel und schließlich der Antragsteller. Was nun den Inhalt der Dekrete, sei es der Gesamtgemeinde oder ihrer Unterabteilungen, der politischen oder militärischen Korporationen, der verschiedenen Vereine usw. , angeht, ist es schlechterdings unmöglich, auch nur annähernd eine Andeutung von seiner Fülle zu geben, die uns hier entgegentritt und alle Äußerungen des profanen und kultliehen Lebens betrifft. Immerhin ist eine Art der Dekrete bei ;
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weitem am stärksten vertreten, die EhrenbeschlüBse, und gerade für sie hat sich aus einfachen Anfangen, wiederum unter dem Einflusse Athens, ein ganz festes Formular entwickelt, dem wir mit nur leisen Variationen allenthalben begegnen und dessen Betrachtung wir uns daher noch zuwenden wollen. Der allgemeine Aufbau dieser Dekrete ist der übliche, oben dargestellte, also das Kernstück der eingebrachte Antrag. Dieser gliedert sich nun aber nach einem bestimmten Schema. Er beginnt mit den sog. Motiven, d. h. der Begründung des Antrages auf Ehrung. Sie wird eingeleitet mit einer Kausalkonjunktion (in der Regel hceWi} oder bu:t) und bewegt sich entweder in allgemeinen Wendungen wie z.B. aV?}e aya{}6~ lc:ntv neel 't'ov Mjp,ov ('t'?}v n6A.tv usw.), evvov~ (ne61Jvp,o~) 6>v <5ta't'eA.ei 't'Wt M}p,wt (neei 't'dv Mjp,ov) , "al Uywv "al neanwv &a't'tAet 't'a av{icpeeona 't'Wt Of}p,wt o. ä. oder nennt ganz bestimmte Verdienste, die sich der zu Ehrende erworben hat, namentlich bei Beamten. Daran schließt sich oft ein Finalsatz, der den Zweck der Ehrung hervorhebt, indem er zum Ausdruck bringt, daß die beantragte Ehrung im Interesse des Ehrenden liege, z.B. önwc; llv o~ elM1aw änan·ec;, ön enla't'a't'at o Mjp,o~ xaerra~ a~ta~ dno<5W6vat 't'Ot~ e~Jeeyhat~, "damit nunalle wissen, daß es das Volk versteht, gebührenden Dank seinen Wohltätern abzustatten" , und ähnliche Wendungen, auch verbunden mit dem Hinweis auf die anspornende Wirkung, wie es in einem Beschluß von Oropos (Syll.8 675) heißt: önwc; o-üv "al '!Jewnwt gJaf:VWV't'at P,V'Y}P,OVeVO'II't'E~, ÖT:L (lv eVt(lyt't'rrf}WaLV mr6 't'L'VOc;, y{vWV't'aL <5e "ai aAAOt C?JAW't'aL -rij~ a(nijc; aleeaewc; el&hec;, ön 't'Lf.t?Jfh7aonat Mlwc;, wv dv rueeye't'~(1(J)(1LV, "damit es nun offenkundig wird, daß auch die Oropier eingedenk sind aller Wohltaten, die sie von irgend jemandem erfahren haben, aber auch andere zu Nacheiferern derselben Gesinnung werden, in dem Bewußtsein, daß sie entsprechend dem Verdienst ihrer Wohltaten geehrt werden''. Dann folgt der Sanktionsantrag (Stpr)gJia{}at, &Mx1Jat 't'Wt M}p,wt usw.) und dahinter der Vorschlag für die zu erteilenden Ehren, der seinen Abschluß in dem Antrage auf Verewigung des Beschlusses findet (avayea1Jiat <5e 't'6<5e 't'o ~cptap,a iv a-r~A?Jt A.t1Jl'V1]t X't'A.). So ist der ganze Antrag als ein einziger langer Satz komponiert, durch den man bei umfangreichen Ehrendekreten nur durchfindet, wenn man sein festes Schema im Kopf hat. Natürlich ist bei weitschweifiger Abfassung insbesondere der Mot ive (über die Gründe dafür ist oben schon gesprochen worden) dem Konzipienten gelegentlich auch ein Bruch der Konstruktion unterlaufen, wie uns selbst beim Lesen manches solches überlangen Kausalsatzes der Faden verlorenzugehen droht, aber das Schema als solches ringt sich doch immer wieder auch durch alle Anakoluthe durch. Die Arten der Ehrungen sind von großer Mannigfaltigkeit; sie können je nach den Umständen ganz individueller Natur sein. Die allgemein
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VI. Wesen und b thalt der griechiachen lnachriften
üblichen sind die Belobigung (lna.tveaat avr6v, auch ln1Jtvija#at), die Bekränzung (GTeq;avwaat avr6v, z.B. xevawt areq;avcm), die Errichtung einer Statue (arijaat aVToV elx6va, daneben auch areq;avwaat avrov elx6vt), die Speisung im Staatshaus, im Prytaneion, wo sich auch der Staatsherd, die mt'V'Y] larta, befindet (xaUaa.t avrdv lnl ~evta [so bei Fremden, lnl <5einvov bei Mitbürgern] el~ TO nev-raveiov, auch mit dem Zusatz lnl -ri}v xowi)v w-rtav). Dazu ist im einzelnen zu bemerken: lnaweaat findet sich gelegentlich, vor allem in der älteren Zeit in Athen, mit dem Dativ konstruiert.- Die Kränze können natürliche sein (in der Regel aus Laub, z.B. Efeu = xtnoiJ GTeq;avo~, Lorbeer = l>aqJVTJ~ a-req;avo~, Ölbaum = ßoa}J.oiJ GTtq;avo~ mit gelegentlichen Varianten, sehr selten aus Blumen = ävßowo~ areq;avo~), zuweilen auch mit einer Binde versehen (-ratvta, ·wwtl>wv, A'YJf.wtaxo~), bei weitem häufiger aber sind goldene. In letzterem Falle pflegte die Kostenhöhe angegeben zu werden, z. B. xevaoo~ adq;avo~ dno xtUwv <5eaxp,wv, oder aber diese war gesetzlich geregelt, so daß es dann hieß: a-req;avwaat xevawt a-req;avwt xa-ra TOV v6p.ov) xevawt O"Teq;avwt TWlEX 't"oV v6p,ov o. ä. (besonders deutlich in einer Inschrift aus Iasos, Michel 470: xevawt GTeq;avwt MO nJ..~Dov~. öaov nkta-rov l~ean l x -rwv v6p.wv, "mit einem goldenen Kranze von der höchsten gesetzlich erlaubten Geldsumme" ); zuweilen wurde dem Bekränzten auch nur das Geld für den Kranz gegeben (z. B. Syll.3 117 ; IG XII 5, 653). Überaus häufig ist die öffentliche Verkündigung der Bekränzung (GTÜpavo~ X'YJ(!V'"O~) vorgesehen: &vemeiv (avayoewaat, avayyeiA.at oder ähnliche Ausdrücke) TOV a-req;avov bei der und der Gelegenheit, die örtlich natürlich ganz verschieden ist, meist aber im Theate!. bei den musischen Agonen, vor allem dem der Tragödien, zuweilen unter Zusatz des Wortlautes, den die Proklamation haben soll (als Beispiel IG XI 4, 559: xal &vayoeeiJaat -ro11 leeox~evxa lv -rwt ßoea-rewt -roi~ .i4noJ..J..wvtot~, ön areq;avoi o l>ijp.o~ 0 .d'YjJ..twv ßaatUa Et<5wvtwv lPtA.oxJ..ij xevawt GTeq;avwt MO <5eaxp.wv xtA.twv waeßeta~ lvexev Tij~ el~ TO leedv xal aee-rij~ Tij~ el~ TOV l>ijp.ov TOV L11]A.twv). Die Bekränzung konnte auch nicht nur eine einmalige sein, sondern jährlich wiederholt werden, vgl. z. B. die Bestimmung in einem Beschlusse der Stadt Dionysopolis am Schwarzen Meer (Syll.S 762): GTeq;avoiJaßoat !Je av't'O'V xal el~ TOv J..omdv XeQVOV xa{)' lxaa-rov l-ro~ lv TO i~ Atovvatot~ xeva{[J GTeq;avcp, oder aber die Proklamat ion fand jährlich statt : &vayoef:lleaDat <5e -rov GTeq;avov xar' lvtavrov '!5no Ta Awv6ata -rwt &ywvt rwv reaywwwv (in einem Dekret der Stadt IuJis auf der Insel Keos, IG XII 5, 599). - Die Bezeichnungen für die Statue sind mannigfacher Art. Die häufigste ist elxwv, ein unbestimmter Ausdruck, der sowohl eine große Statue wie auch eine Büste oder Statuette bezeichnen kann. Daher findet sich der Zusatz-rekta und oJ..oawp,aro~ " in voller Lebensgröße" oder Angabe der Höhe nach Ellen (A. WILHELM, Beiträge zur
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3. Die Delcrete
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griech. Inschriftenkunde S. 141), ja auch ~olouut~; weitere Zusätze sind: ltiJtV'Yf, p.aep,a.etV'YJ, XaA~ , za}.~ intxevuor; (oder auch xevufj, was natürlich nur ein verkürzter Ausdruck für dasselbe ist), lql Znnov, l cpmnor;, neCtx~ usw. oder yeanT~, häufig mit zugefügtem lvönlcp (auch b önlcp mtze-Oucp ), also dann eine auf einem runden (vergoldeten) Schilde gemalte Büste (imago clipeata; nichts anderes ist die elxchv yean-r-YJ lntxevuor;, vgl. OGI 571 Anm. 4), nicht zu verwechseln mit dem Zusatz bonlor;, der " in Waffen, bewaffnet" bedeutet (vgl. A. SALAC, Rev. Arch. 1937 I 14ff.). Andere Benennungen sind äya).p,a und av<5etdr;, die beidein der R egel eine lebensgroße Statue meinen, wenn freilich auch einmal der Zusatz o).ouwp.aTor; bei a'V<5etdr; begegnet (IG XII 7, 240). -'fya).p.a ist der Ausdruck für eine Kultstatue, vgl. H. HEPDING, Ath. Mitt. 32, 1907, 250/ 1; P. GoiLLON , Rev. Phi!. 1936, 22()3; L. RoBERT, ~tudes anatoliennes 171 ; A. WILBELM, Wien. Stud. 59, 1941, 104; siehe aber auch die Einwendungen von W. H. BuoKLER, und D. M. RoBINSON, Am. Journ. Aroh. 17, 1913, 36/ 7, die auf eine Verwendung des Ausdrucks in weiterem Sinne im inschriftlichen Gebrauch hinweisen, jedenfalls ist äyaJ.p.a in den meisten Aufzählungen bei der Verleihung vonmehrerenBildwerkenanletzterStelle als höchste Steigerung aufgeführt. Verbindungen wie Td'V a'V<5(!tO'VTa el~6'Vt Mtq. (IG VII 2836, vgl. auch SylJ.S 284) oder Tar; ToVTW'V TWv ayaJ.p.aTW'V el,rovar; (IG Iljiii2 13188ff.) haben ihre Parallele in dem a'V<5etar; el"o'Vt,ror; bei Plutarch, Lysander 1, bzw. in den ayaA/laTa el)(Q'Vt)ed des Kallixeinos bei Athenaeus V 205f. Die Bezeichnung für die Büste ist ne6uwnov oder neoTOf.t~· Eine umfassende Untersuchung dieser ganzen Terminologie erscheint überaus wünschenswert. Häufig wird in dem Beschluß auch der Wortlaut der Statuenaufschrift gleich festgesetzt, z.B. in dem delischen Dekret IG XI 4, 665 : "allmyedtpat lnl T~ el,rova T-YJ'V lmyea~ T~<5e· o <5fjpor; o L11]Aiw'V -'f~p1JTO'V B6~v Ma)et&>va dee-rfjr; lve"ev "a.i dJueßet~ Tfjr; neel To feedv xal dJ'Vot~ Tfjr; dr; Td'V <5fjpov TO'V t11]Uwv. Weiter werden oftmals Kommissionen oder bestimmte Beamte mit der Herstellung und Aufstellung der Statue beauftragt ; wir haben schon oben bei der Betrachtung der Ehreninschriften gesehen, wie sie dann auch in diesen namhaft gemacht werden. Dort war auch gesagt worden, daß unter Umständen der Geehrte die Kosten der Statue selbst getragen hat ; dem entspricht es, wenn es z.B. in dem attischep Beschlusse IG Iljiii2 450 heißt : l~ei'Vat <5e atiTwt ~al el,rova
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VI. Wesen und I nhalt der griuhischen Inschriften
Mit diesen genannten Ehrungen konnten nun auch noch bestimmte Vorrechte (Privilegien) verbunden werden ; am häufigsten finden wir diese in dem in der ganzen griechischen Welt so überaus weit verbreiteten Genos der Proxeniedekrete. Erwachsen ist die Institution der Proxenie aus der privaten Gastfreundschaft, die sich des Fremden, der an und für sich rechtlos war, annahm und ihm nicht nur Aufnahme sondern auch jeglichen Schutz und Unterstützung gewährte, gerade auch im Rechtsverkehr und Umgang mit den Behörden. Solcher Betreuung bedurfte im Grunde jeder Fremde, sei es, daß er als Privatmann, Kaufmann usw. oder in offiziellem Auftrage als Gesandter kam, aber nicht immer bestand die Beziehung einer privaten Gastfreundschaft. Wo sich nun ein Bürger gefunden hatte, der, auf Ansuchen oder aus eigener Initiative, an die Stelle des fehlenden Gastfreundes, des ~bo~, getreten war und also als ne6~evo~ dem Fremden seine Dienste geleistet hatte, pflegte ihm der Staat, dem der Fremde angehörte, seinen Dank dadurch zu bezeugen, daß er ihn (sehr häufig erblich) in einem besonderen Beschlusse offiziell zu seinem ne6~ev.o~ ernannte, in der Regel unter der Hinzufügung des weiteren Ehre~titels weeyh'Y}~ "Wohltäter" (Formel: neQ~EVOV elvat xal reteyh'Y)V, avayeatpat :rt{!O~EVOV xat weeyh'Y)V, ~e&SuDat neo~tvtav xal weeyeutav oder ähnliche Wendungen), und ihm eine Reihe von Privilegien verlieh für den Fall seines vorübergehenden oder dauernden Aufenthaltes in dem Gebiet dieses Staates. Natürlich wird damit gerechnet, daß der mit der Proxenie Geehrte mit doppeltem Eifer fortfahren und sich verpflichtet fühlen wird, sich in den Dienst der Betreuung aller Angehörigen des Staates zu stellen, der ihn durch diese Auszeichnung zu seinem Vertrauensmann gemacht hat, freilich nur zu seinem privaten Vertrauensmann, und das unterscheidet den Proxenos von dem modernen (Wahl-)Konsul, der der offiziellen Anerkennung seines eigenen Staates bedarf. Und zu unterscheiden sind diese Proxenoi auch von den Beamten, die manchenorts vom Staate mit der Fürsorge für die Fremden beauftragt worden sind und die, wie z.B. in Sparta (Herod. VI 57), auch die Bezeichnung ne6~tvot tragen konnten. Eine der Proxenie verwandte Ehrung stellt die Deweo.~ox,la dar, die sich daher gelegentlich mit dieser verbunden findet. Ehrende Verpflichtung des Deweo&Sxo~ ist es, wie es sein Titel besagt, die :&eweot, die Abgesandten, die zur Ansage der Feste von Stad t zu Stadt zogen, gastlich aufzunehmen. Übrigens sind die Listen, die, wie selbstverständlich , in jeder Stadt über ihre Proxenoi geführt wurden (vgl. die oben angeführte Formel dvayea1J!at ne6~tvov xal weeyhrJV), vielfach auch auf steinernen Stelen zum Ruhme der Geehrten und Anreiz der N acheiferung verewigt worden. Diese werden häufig erwähnt in den Proxeniedekreten anJäßlich der Anordnung, den Namen des neuernannten Proxenos auf ihnen aufzuzeichnen, z. B.
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3. Die Dekrete
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SylJ.S 426: önwc; avayeacpfjt TO ÖVO/);a ath'oii na-reofJev ("mit Vatersnamen" ) iv Tijt GT~Ä?]t, b -i]t xal oL äÄÄot ne&Eevot xal dleeyi-rat -- ewlv dvayeyeaw ttl:vot, kurz auch 1] a-r?JÄ?J -rcöv neoEI:vwv genannt (Syli.S 645); andere Inschriften berichten uns von der Anfertigung solcher Stelen. Sie erfolgte auch für die von 1hweoMxot. Von beiden Gattungen sind uns Reste erhalten, die als Anordnungsprinzip sowohl das chronologische als auch das geographische zeigen. Berühmt sind die große Proxenenliste auf der Polygonmauer in Deiphi (Syll.3 585 = chronologisch) und die Theorodokenlisten aus Deiphi (Bull. Corr. Hell. 45, 1921, lff. ; dazu ein neues Fragment a. a. 0. 70, 1946, 5llff.; vgl. Rev. ~t. Gr. 62, 1949, 13ff.) und Epidauros (IG IV 2 1, 94/5; diese beiden geographisch und gerade in dieser Hinsicht von allergrößtem Wert). Was nun die erwähnten Privilegien betrifft, so seien nachstehend die häufigsten angeführt. Das sind: der freie Zugang zu Rat und Volk, ne6aoc5o~ neoc; -r-Y}v ßovÄ~v xal TOV Mj/);OV, meist mit dem Zusatz new-rwt p.e-ca -ca leea, d. h. sofort hinter dem Punkt der Tagesordnung, der sich mit den sakralen Angelegenheiten befaßt; ein Ehrensitz bei den Festveranstaltungen, iteoec5eta tv -roic; aywatv, tv TWt fJea-rewt o. ä.; Rechtsprechung außer der Reihe, c5txat n{!Oc5txot oder neoc5txta; Orakelbefr·agung außer der Reihe, neoJ.taneta; Abgabenfreiheit bzw. Abgabengleichheit mit den Bürgern, d-cekta bzw. lao-reÄeta; das Recht zur Erwerbung von Grundbesitz, yijc; xai olxtac; lyx-rrJatc; (dialektisch lJ.tnaatc;), mitunter aber mit Ansetzung einer Maximalgrenze, soweit ·diese nicht schon xa-ra -rov v6ttov feststand; die Erlaubnis freier Ein- und Ausfuhr, elaaywy-Y] xai tEaywy~, eian.Aovc; xai l xn.Aovc; o. ä.; die Unverletzlichkeit von Person und Eigentum gegen gewaltsame Wegnahme (O'vÄrJ) , aa<paAeta xai aavAta (auch aavAta allein) mit Zusätzen wie xai nOAefLOV xai. ele~v?'}c;, xal xa-ra yfjv xal xa-ca ~a.Aaaaav, xal athwt xal xe~ttaaw; da. dieses Privileg in engster Beziehung zu dem vorhergehenden steht, sind sie häufig auch in der sprachlichen Wendung miteinander verknüpft, oft kurz durch aav.Aet und &anovc5et. Außer den genannten finden sich noch weitere Privilegien (auch so spezielle wie z. B. die enwop.ta ,,das Recht auf Mitbenutzung der Weide'' oder die lmEvUa ,,das Recht zum Holzschlagen"), die jedoch nur vereinzelt auftreten und daher hier außer Betracht bleiben können. In Athen wird oft dem Geehrten die Erlaubnis zugestanden, zu versuchen, vom Volke außer den beantragten Ehren noch weitere für sich zu erwirken: elvat M. ati"Cwt xal naea TaV m]p.ov roeeallat aya06v, ÖTt dv bV'V'Y}'r:at oder ähnlich. Sehr häufig ist in Proxeniedekreten die zusammenfassende Wendung am Schluß: xat Ta dA/.a nana, Öaa xai Tote; äÄÄotc; neoEfvotc; xai dJeeyhatc; VnQe;(EL (c5tc5o-rat, yeyean-rat usw.), zuweilen auch mit dem Zusatz "aTa -rov v6ttov, was also beweist, daß der Umfang der Privilegien für einen Proxenos durch Brauch oder auch Gesetz festgelegt war. Im übrigen
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VI. Wesen und Inhalt der griechischen Inschriften
"haben sich griechische Gemeinden in Zeiten der Bedrängnis nicht selten bd -roii nae6v-ro~ ["im gegenwärtigen Zeitpunkt"] mit Zuerkennung bescheidener Auszeichnungen begnügt und den erworbenen Verdiensten entsprechende für bessere Zeiten in Aussicht gestellt" (A. wn.HELM, Ileayp,a-reiat Tfj~ }t~oßr}p,ta~ J11h]väw IV 1936, 19 mit Belegen). Und schließlich begegnen wir vielfach der Anordnung, eine Abschrift des Ehrenbeschlusses an die Heimatstadt des Geehrten zur Kenntnisnahme der Ehrung ihres Mitbürgers zu schicken, vor allem, jedoch nicht nur, wenn der Geehrte in ihrem Auftrage gekommen war; damit konnte die Bitte verbunden sein, die verliehenen Ehren auch dort zu verkündigen oder aufzuzeichnen. Von der Verleihung eines wichtigen Privilegiums aber haben wir noch nicht gesprochen, der des B1lrgerrechtes, weil dieses gerade auch durch seine enge Verbindung, die es dann mit der Proxenie eingegangen ist, einer besonderen Betrachtung bedarf. In der älteren Zeit finden wir für die Erteilung des Bürgerrechtes die Formel mit dem Ethnikon, so in Athen: elvat aVTOv J11h]vaiO'V, und wieder ist es das konservative •• Athen, das länger als die anderen an dieser Formel festgehalten hat. Die jüngere Formel lautet: ~eMabat (elvat) avTWt noAtTelav oder elvat av-rov noAh?Jv. In allen Fällen handelt es sich um die Verleihung des vollen Bürgerrechts, und zwar die erbliche, in der Regel durch die Angabe xal (-roi~) lxy6vot~ auch ausdrücklich bezeichnet. Die Vollwertigkeit bekundet sich oft entweder in entsprechenden Zusätzen - solche sind: noAtTetav W'r}'JI xal op,otav, l ql i(J'rjt xai op,ota.t oder p,enivat avTWL nanaw W'V xai ol J.omol noAi'fat p,e-ri xovaw, nanaw la6p,Ot(!O'V Bawv xal ol J.omol AlTwJ.ot u. ä. - oder in der Anordnung, den Neubürger in die Listen der bestehenden Gliederungen der Bürgerschaft aufzunehmen. Viele Staaten stellten die Wahl der Gliederung in das Belieben des Geehrten, wie Athen, wo es heißt: xal elvat (Ueivat) aVTWt yeatpaabat qm).fj~ xai Mjp,ov xai rpea-reta~, ~~ av ßoVA?]Tat, "und es soll ihm freistehen, sich einschreiben zu lassen, in welche Phyle, Demos und Phratrie er will" o. ä., sonst wurde die Aufnahme durch Zulosen (lntXA?J(!waat) vollzogen. Aber wo die mit dem Bürgerrecht Beliehenen gar nicht daran dachten, ihre Heimat zu verlassen und also in den wirklichen Genuß ihrer Rechte zu treten, mußte seine Verleihung durchaus den Charakter eines " Ehrenbürgerrechtes" annehmen. Je geringer nun aber die Bedeutung der Rechte, die das Bürgerrecht verlieh, für denjenigen wurde, der keinen praktischen Gebrauch davon zu machen gedachte, um so wertvoller waren die, die die Proxenie gewährte, zumal manche darunter waren, wie die neoe~eta und &-ri J.eta , die mit dem Bürgerrechte nicht verbunden waren... So führte · -die Entwicklung dahin , • daß die Proxenie in der Tat dep Politie den Rang als Ehre allmählich ablief (E. SzANTO) und seit der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr.
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3. Die Dekrete
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immer häufiger Proxenie und Politie zusammen verliehen wurden, weil die letztere mehr und mehr zu einem bloßen Ehrenbürgerrecht geworden war. Das mehrfache Bürgerrecht, ja geradezu die Häufung von "Ehrenbürgerrechten" (man vergleiche als ein Beispiel für viele IG XIV 1105, wo ein Athlet aus Sardes daneben neun andere Bürgerrechte aufzuweisen hat), ist in der späteren Zeit eine bekannte Erscheinung. Aber auch der Proxenie ist es nicht erspart geblieben, allmählich zu einer mehr oder weniger inhaltslosen Auszeichnung, ja man kann wirklich nur sagen, zu einem bloßen Titel herabzusinken, dessen sich auch die großen Vereinigungen der Schauspieler und Athleten zur Ehrung bedient haben (vgl. OGI 4947 ). Dieser üblichen Beurteilung ist nun freilich eine solche Autorität von höchstem Range wie AnoLF WrLHELM, der unlängst verstorbene Altmeister der griechischen Epigraphik, entschieden ent gegengetreten in bedeutenden Ausführungen, in denen er den ganzen Fragenkomplex, der sich an die Proxenie knüpft, behandelt : "Proxenie und Euergesie" in seinen Attischen UrklJllden V (Sitz.-Ber. Akad. Wien 220,5 [1942]) . 4-86. Aber so wichtig und klärend, z.B. über das Verhältnis von Proxenie und Politie und die schwierige Fra.ge der Proxenieverleihung innerhalb der Bundesstaaten, seine Darlegungen auch sind , so sehr die Bedeutsamkeit manches Proxeniedekretes auch erhärtet und sein Verständnis gefördert wird, kann ich mich nicht in der Lage sehen, den Nachweis seines Hauptanliegens, der Behauptung, daß die Proxenie nicht eine bloße Ehrung geworden sei, als geglückt zu betrachten. Sieht sich doch Wilhelm selbst zu solchen Zugeständnissen genötigt wie, " daß sich mit der wachsenden Zahl der Proxenoi [einer Stad t] die Bedeutung der Aufgabe und der Einfluß und das Ansehen des einzelnen Proxenos vermindern mußte" (S. 52), daß die " tatsächliche Bedeutung [der Proxenie] gering geworden" sei (S. 59) und gewisse Verleihungen mahnen, "die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß Verleihungen oru1e Aussicht auf eine Betätigung des Geehrten als Proxenos in seiner H eimat, also ,ehrenhalber', auch sonst erfolgt seien" (S. 61). Man h alte nun folgende Tatsachen, die übrigens auch von Wilhelm angeführt werden , zusammen. Etwa im Jahre 255 v.Chr. wird von der Stadt Deiphi einem noch nicht achtjährigen Knaben - denn der König Areus II. von Sparta, um den es sich handelt, ist, wie wir wissen, im Alter VOn acht J ahren gestorben - amwt xai. txy6vot~ (!) die 'Tl(!O~ev[a und neben den anderen üblichen Ehren auch die e:Veeyeata (!) verliehen (SylJ.3 430). In einem Beschlusse der delphischen Amphiktyonen für J(aJ.J.ta-ro ~ Emyl:vov~ KvMw~ aus dem J ahre 48 v. Ohr. (FD 111 1, 480) heißt eS: xai. elvat aVrO'V 'Tle0~e'IIO'II Y.at tVE(!yfrflV xal ToV~ EY.y6vov~ aVTOV TOV TEavveoe(ov TW'V l4.pqnxn6vwv xal TCÜV Wwv 'EJ.A~vwv. Treffend erklärt • hierzu G. DAUX in seine mBuche " Delphes aull8 etau I ersiecle" (1936) 6 i249 KlatJenbncb, OrlooblllCbe Epigraphik
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VI. Wesen uncl Inhalt der griechischen I nschriften
S. 4081 : " Rien ne montre mieux la vanite des honneurs amphictioniques 8. cette epoque _ _ qu'une formule aussi vague: Callistos devient 'proxene et evergete de tous les Grecs' et, avant tout, 'du conseil amphictionique lui-meme'." Wir kennen Fälle, in denen die Verleihung der Proxenie an eine ganze Bürgerschaft ( ! ) erfolgt ist (drei zusammengestellt von Wilhelm a .a .O. S. 52). Am Ende des 3. Jahrhunderts v.Chr. verleiht die phokische Stadt Lilaia sämtlichen ihr von Attalos I. von Pergarnon zu Hilfe geschickten crreanw-rat xai ayeJ.Wve~ die Proxenie nebst anderen Ehren (FD ill 4, 132- 135; vgl. J . BouSQUET, Bull. Corr. Hell. 78, 1954, 429). Und schließlich haben wir Fälle, wo die Proxenie an Fremde verliehen wird, die in der verleihenden Stadt selbst ansässig waren, was also dem eigentlichen Sinne der Proxenie völlig zuwiderlief (Beispiele bei Wilhelm a . a. 0 . S. 59/ 60). In Anbetracht dieses Tatbestandes scheint es mir, auch gegenüber den Abschwächungsversuchen Wilhelms, unmöglich, in Abrede stellen zu können, daß die Proxenie doch nur ein inhaltsloser Titel geworden ist. Als letztes Zeugnis endlich (von Wilhelm nicht erwähnt) möchte ich den Befund der delischen Inschrift I G XI 4, 777 anführen. Es handelt sich um ein Proxeniedekret in den üblichen Formeln. Das Überraschende ist aber der Umstand, daß der Name des Antragstellers und der des Geehrten, die einzigen Eigennamen, die sich hier finden,. beide in Rasur stehen, d. h. also daß ein älteres Dekret einfach durch Tilgung der früheren Namen und Einsetzung anderer eine neue Verwendung gefunden hat. Eindrücklicher scheint mir nicht gezeigt werden z-q können, wie weit von jedem individuellen Charakter solche Proxeniedekrete schließlich sich entfernt haben. E s sind nur noch gleichsam vorgedruckte Ehrenbrief-Formulare, in die der Name des Geehrten hineingesetzt wird. Den Grund für diese Entwicklung hat m. E. WILAMOWITZ trotz dem Einwand von Wilhelm treffend erkannt, wenn er in seiner Darstellung "Staat und Gesellschaft der Griechen" (2. Auß. 1923), S. 41 erklärt: "Wenn die Proxenie später zu einer bloßen Dekoration geworden ist, so liegt das daran, daß die Fremden im Auslande des privaten Schutzes minder bedurften, seit die Staaten Gastverträge geschlossen hatten, Freundschafts- und Handelsverträge, wie wir sagen. Darin garantierten sie ihren Bürgern gegenseitig Handelsfreiheit oder auch Freizügigkeit, ja. sogar für den Fall des dauernden Heimatwechsels Bürgerrecht." Der Versuch, zu einer zutreffenden Beurteilung der Proxeniedekrete zu gelangen, die einen so hohen Prozentsatz der Beschlüsse ausmachen, wird es, denke ich, rechtfertigen, daß wir bei ihnen eingehender verweilt haben. Wenn wir bei der Besprechung der Ehrendekrete für ihr Verständnis unser Hauptaugenmerk auf die Ehrungen richten mußten, so sei um so stärker betont, daß das Interesse dieser Inschriften für
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3. Die Dekrete
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uns nicht so sehr gerade auf diesen Ehrungen beruht, die doch im allgemeinen immer wieder dieselben sind, als vielmehr auf den Motiven, also auf dem, was uns über die Veranlassung der Ehren berichtet wird. Natürlich sind nicht jene ganz allgemein gehaltenen, stereotypen Wendungen, die ebenso inhaltslos wie langatmig zu sein pflegen, gemeint, sondern diejenigen häufigen Ausführungen, die von individuellen Verdiensten bei bestimmten Gelegenheiten sprechen und Anspielungen oder geradezu Hinweise auf historische Ereignisse enthalten. Gerade den Ehrendekreten verdanken wir auf diese Weise so manche historische Erkenntnis wichtigster Art, und um nur ein Beispiel zu bringen: über die Geschichte der Stadt Olbia im 3. Jahrhundert v.Chr. ist unsere einzige Quelle ein langes Ehrendekret, das diese Stadt für einen ihrer Mitbürger abgefaßt hat (Syll.3 495). Der Wert solcher Angaben auch für die chronologische Bestimmung dieser Inschriften erhellt von selbst.
lÄteratur Außer den in d er Darstellung schon genannten Arbeiten vgl. S. REINAOH, Traite d'epigraphie grecque S. 336-373 und W. LAB-FELD, Griech. Epigraphik §§ 206-247. Wichtig sind auch die Ausführungen von A. WILRELM, Österr. Jahreshefte 17, 1914, 15ff. gelegentlich seiner Behandlung von Urkunden aus Messene. Für die attischen Dekrete vgl. vor allem die ausgezeichnete Dissertation von 0. MnJ.ER, D e decretis Atticis quaestiones epigraphica.e, Breslau 1885, für die Bürgerrechtsverleihungen das Buch von E. SzANTo, Das griechische Bürgerrecht, Freiburg i. B. 1892. Über den Verkauf des Bürgerrechts vgl. zuletzt L. RoBERT, Hellenica I 1940, 39ff. Zu den Bürgerrechts- und Proxeniedekreten vgl. auch G. BusOLT·H. SwonODA, Griechische Staatskunde ( = Handbuch der Altertumswissenschaft IV 1, München 1920 und 1926) I 224ff. (Bürgerrecht), II 1246 ff. (Proxenie) mit Literatur und zahlreichen Belegen. Den Aufbau der griechischen Volksbeschlüsse nach formalen Gesichtspunkten untersucht das Buch von R. LAQUEUR, Epigraphische Untersuchungen zu den griechischen Volksbeschlüssen, Leipzig 1927. Wenn auch die Grundtendenz des Werkes, methodische Gesichtspunkte für die Erkenntnis von Urkunden, die durch Zusätze erweitert sind, zu gewinnen, nicht haltbar und für den Anfänger Vorsicht bei seiner Lektüre geboten ist (man vergleiche die Besprechungen von E. BrcKERMANN, Deutsche Literaturzeitung 1927, 2358ff.; K. LATTE, Savigny-Zeitschr., R om. Abt., 48, 1928, 755ff.; A. BILLHEIMER, Am. Journ. Arch. 42, 1938, 456ff.), so ist es doch ungemein anregend und enthält eine Reihe ausgezeichneter Analysen, vgl. auch Phi!. Wochenschrift 1928, 590ff.
4. Die Freilassungsinschriften
Eine Gattung von Inschriften, die häufig begegnet, sind die Freilassungen von SkJaven. Gelegentlich durch den Staat vollzogen, tritt uns die Freilassung in der überwiegenden Zahl der Fälle als ein privatrechtlicher Akt entgegen, dem erst in späterer Zeit manchen Ortes eine gesetzliche Regelung seitens des Staates zur Seite trat. Es lassen
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VI . Wesen und Inhalt der griechischen I nschriften
sich zwei Hauptformen der privaten Freilassung unterscheiden. Die eine ist die der bloßen Erklärung d es Herrn, daß er den Sklaven freiläßt (Formel: acptr;ut (acp?1xe) lkV-8-eeov oder -lj).ev-8-tewuev), sei es bei Lebzeiten , wo sie auch durch Proklamation (~ta ~evxo(;, lv ~txau-rr;elcp , lv -8-ea-recp usw.) erfolgen konnte, sei es durch Testament. Mag in vielen Fällen ein reiner Gnadenakt des H errn vorliegen, der damit treue Dienste ihren Lohn finden lassen wollte, so wird in vielen anderen Fällen irgendeine freie (ihrer Natur nach, wie wir nachher sehen werden, nicht rech tsgült ige) Vereinbarung geldlicher Art zwischen Herrn und Sklaven im Hintergrunde stehen, von der wir bei dieser Form der Freilassung im allgemeinen nur nichts erfahren. Das wird bestätigt durch vereinzelte Angaben, wie z.B. die in d er Freilassungsinschrift aus Mantinea (IG V2, 275), wo es heißt: (ol ~ei've(;) -lj).ev-8-iewuav L1 tavp.r;v -ri]v Mtav ~a6).r;v ~O'Vuav -r:i]v i>nee eav-rij(; -retp.~v (ähnlich G DI 2071 ). Diese Art der Freilassung konnte nun aber auch einen sakralen Charakter annehmen, indem die Freilassung entweder in Gegenwart eines Gottes (lvavda, lvwnto'V -rov ~eivo(; DeO'V), also in seinem H eiligtum, oder geradezu in d er Form der Weihung des Sklaven an die Gottheit vorgenommen wurde (Formel : ava-r:lD-rJut oder aviD-rJxev, auch gelegentlich andere Wendungen wie d.nr;).evDtewuev i>no -r:ov~ ~eiva(; #eoo(;, I G IX 12 , 82 c; manchmal verbunden acptr;ut __ xai ava-rlD-rJut, aber meist steht nur das letztere). Es ist klar, daß die Freilassung dadurch eine höhere, eben die sakrale Sicherung erhielt; denn entweder war nun der betreffende Gott Zeuge und damit Schützer d es freigelassenen Sklaven geworden oder geradezu der Besitzer. Ursprünglich ernst gemeint, so d aß d er Sklave ein lee6~ovJ.o(; wurde, was seine Situation entschieden schon leichter gemacht hat, wird die Weihung an den Gott immer mehr eine Fiktion, indem als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß dieser von seinem nunmehrigen Besitzrechte keinen Gebrauch macht, sondern der Sklave frei wird, was zuweilen ausdrücklich gesagt ist, z. B. aviD-rJxav __ nöt .ftn6).).wvt -rwt IlvDlwt en' üev{}eelat (GDI 2172), avMJr;xe __ -rwt .ftn6Uwvt -rwt IlvDlwt uwp.a ("Sklave") yvvatxeiov, at övop.a Mvauw, wu-r:e ("unter der Bedingung" ) leeav elp.ev xal avecpam:ov (" unanrührbar") xal l).ev-8-ieav Mvauw (GDI 2097). Aber wenn auch so der Gott nur nominell der Besitzer d es Sklaven wird, ist doch erreicht, daß jetzt jede Verletzung seiner Freiheit eine Verletzung der R echte der Gottheit selbst bedeutete, also einen religiösen Frevel. Die andere Hauptform d er Freilassung ist die des rechtsgültigen Verkaufs vor Zeugen an einen anderen zum Zwecke d er Freilassung (neäut(; ln' lAevDeetq.), Formel: d.ni~o-ro -r{[J ~eivt ln' O..ev-8-eelat. Wie weit es sich hier um einen scheinbaren Verkauf handelt, d er in Wirklichkeit zwischen Herrn und Sklaven erfolgt, aber da der Sklave als solcher
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4. Die Freikusungainschrijten
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nicht rechtsfähig ist, über einen Dritten, dem der Sklave sein mit dem Herrn vereinbartes Lösegeld anvertraut hat, in rechtskräftiger Form vorgenommen wird, entzieht sich unserer Kenntnis, doch wird man es wohl als die Regel anzunehmen haben. Auch diese Art der Freilassung konnte nun eine sakrale Form erhalten, dadurch daß der Verkauf an eine Gottheit erfolgte. Hier liegt der Charakter des Scheinverkaufs offen zutage, und in Deiphi heißt es auch in solchen Urkunden: xaUw~ l:rda-r:evae 6 6eiva ( = Sklave) Twt -8-ewt Tav dwav. Der Sklave hat dem Gott den ganzen Kauf nebst der Kaufsumme anvertraut, der Gott handelt als dessen Patron. Der große Vorteil für den Sklaven ist einmal der, daß er bei dem Gotte vor jedem Mißbrauch seines Vertrauens unbedingt geschützt ist, dann aber vor allem die sakrale Sicherung, die er dadurch für seine Freiheit gewinnt und über die wir schon bei der Form der Freilassung durch die Weihung an eine Gottheit gesprochen haben. Auch hier wird der Gott keine Besitzerrechte geltend machen, ja er kann es gar nicht, da ja der Verkauf b r: llevi}eelat erfolgt, und in Deiphi folgt dem soeben angeführten Satze xaDw~ bda-r:evae 6 6eiva 't'Wt {}ewt Tav dwav die ausdrückliche Bedingung : l ql Wt't'e eJ.WOeeov eip.ev xal d.vüpcmTov d.no nall't'WV Tov nana ßlov, nowiJv't'a ö xa {}f).?J' xal cbtoTei zovTa ol~ (" wohin" ) xa -8-eA?Jt; denn diese Beziehung wird gesichert durch Urkunden wie GDI 1896; FD III 6, 39. 95 u.a. (gegen G. DAUX , Deiphes au rre et au Jer siecle s. 52/ 3). Diese F orm der Freilassung als Scheinverkauf an eine Gottheit ist die in Mittelgriechenland verbreitetste und findet sich vor allem in Deiphi in überwältigender Menge. E s erscheint daher angebracht, den Aufbau soloher delphischen Freilassungsurkunden hier vorzuführen, zumal sie einiger Erläuterungen bedürfen. Am Anfang steht die Datierung nach dem eponymen delphischen Archon sowie dem Monat (äexono~ Toii MivOl;, JJ-?JVO~ TOÜ &ivo~ ) ; oft sind in wechselnder Zahl Ratsherren hinzugefügt, und zwar nach Semestern (ßovJ.evon(JJV Tav newTav bzw. 6evTteav l~ap.?JVOV Twv 6etvwv ); seit ca. 100 v.Chr. erscheinen Jahresbuleuten, auch der Ratsschreiber begegnet zuweilen. Ist der Freilasser ein Nicht-Delpher, wird außer der delphischen Datierung auch noch die entsprechende seiner H eimat aufgeführt. Dann beginnt mit d.ne6oTo bzw. d.nt6ono , dem sehr häufig noch lni Toi'a6e ("unter folgenden Bedingungen" ) vorhergeht, der Text der Urkunde. Es folgt zunächst der Name des Freilassera - oft sind es mehrere, häufig ein Ehepaar, nicht selten auch eine Frau allein, bemerkenswerterweise oft ohne Vermittlung eines x-Veto~ {" Vormundes·' ) - , dann gelegentlich die Angabe des Einverständnisses und damit der formalen Verzichtleistung der an dem Verkauf interessierten Verwandten, in erster Linie also der nächsten Erben des Freila.ssers, ausgedrückt meist durch das Verbum crvvev&xeiv, daneben auch avv-
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VI. Wuen und I nhalt der griechischen I nschriften
evaeea-re'iv und avvsnatve'iv, also z.B. avvevboxe6nwv xal. -rwv vZwv (GDI 1816) ; weiter folgt der Gott (-rwt l4n6.1..Awvt 't'Wt Ilv{Hwt ), dann der Sklave (auch mehrere), bezeichnet nach Geschlecht, Alter, Namen und Herkunft (awp.a av~ee'iov bzw. yvvatxe'iov oder nawaewv, xoeaawv, xoet&av, Wt oder at avop.a N. N., TO ybo~ Ethnikon oder olmyeve~. lv&yeve~ " im Hause geboren"), ferner der Preis (np.ä~ dervelov z.B. p.väv -retä»v) und meist die Angabe, daß der Verkäufer die Summe vollständig erhalten habe (xal TaV Ttp.av exet oder antXEL näcrav), dahinter die schon oben erwähnte Wendung : xaDwc; inta't'evae xd. lq/ Wt't'E xd. Dann kommt die Aufführung des Garanten, des ßeßatw-r?]e (in Lokris heißt er neoano&S-rac; "Vizeverkä.ufer" ) - es sind zuweilen auch mehrere ; wenn der Verkäufer ein Nicht-Delpher ist, erscheinen in der R egel zwei ßeßatw-rijeec;, ein Delpher und einer aus der H eimat des Verkäufers - ; seine Aufgabe ist, solidarisch neben dem Verkäufer und eventuell an seiner Stelle für die Freiheit der verkauften Sache (also des Sklaven) von fremdem Rechte zu haften (J. PARTSOH, Griechisches Bürgschaftsrecht I S.340 ff.), d. h. also hier die Verpflichtung, den Sklaven zu schützen gegen jeden, der ihn unberecht igtseiner Freiheit berauben will, um so dem Gotte seinen Kauf zu garantieren . Das wird oft auch noch ausdrücklich durch den Zusatz bezeichnet: el ~6 n c; bp&.n-rot-ro -roii ~eivoc; (= Sklaven ) lnl xa't'a~ov.Atap.wt, ßeßawv naeex6nw TWt Dewt -rav dwav ö -re dno66p.evoc; xai o ßeßatw't'1](2, dem in der R egel Strafbestimmungen angeschlossen werden für den Fall, daß die Genannten ihrer Verpflichtung nicht nachkommen (neax-rtp.ot l6nwv, " sie sollen einer Pfändung unterworfen sein", mitunter bis zum Sechsfachen des Kaufpreises). Weiter folgt dann noch häufig die Bestimmung: Oftolwc; lJe xai ol naea't'vyxavov-rec; x-Vetot Mnwv avUov't'e~ wc; l .AeVDeeov lJv-ra &Cap.wt l&nec; xai dvvn6~txot naaac; Mxac; xal Cap.lac;, "ebenso sollen aber auch alle, die gerade dabei sind (wenn jemand Hand an den Sklaven legt), berechtigt sein, ihn als einen Freien zu entreißen, ohne daß sie dafür bestraft werden und irgendeinem gerichtlichen Verfahren und Strafe unterworfen sind". Am Schluß dann die Zeugen (p.ae-rveec;), in wechselnder Zahl, an der Spitze die beiden ApoBonpriester, dann Bea mte (äexonec;), schließlich Privatleute (Mtw't'at), unter denen sich, wenn der Freilasser Nicht-Delpher ist, auch Angehörige aus dessen H eimat befinden. Das Original der Urkunde (auf Papyrus oder einer Bolztafel, m vaxwv, auch nv~t~wv, also aus Buchsbaumholz) kam natürlich in das Tempelarchiv, aber Abschriften wurden häufig bei einem delphischen oder zugleich auch einem auswärtigen Bürger deponiert - die Namen sind dann in der Urkunde angeführt (ci cbva naea TOv lJeiva) - und schließlich die Urkunde auf irgendeiner Quader oder Mauer des H eiligtums (z.B. die Polygonmauer, siehe oben S. 44) aufgezeichnet, wo wir sie heute noch lesen. Soviel über das übliche Schema. der delphischen
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4. Die Freila8sungBiMchriften
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Freilassungsurkunden, die die Form des Verkaufs an den Gott aufweisen; auf Abweichungen und Besonderheiten wie z. B. die, wo sich der Sklave in Ermangelung des nötigen Geldes die Freikaufssumme vorschießen läßt, einzugehen, würde hier zu weit führen. Bei allen im vorstehenden genannten Arten der Freilassung konnte nun aber diese an mehr oder weniger zahlreiche Bedingungen geknüpft sein, d.h. konnten Verpflichtungen dem Sklaven auferlegt werden, nach deren Erfüllung erst er in den tatsächlichen Besitz seiner Freiheit kam. Infolge ihrer gewaltigen Zahl sind es die delphischen Freilassungsurkunden, die uns darüber am eingehendsten belehren. Die auch außerhalb Deiphis am häufigsten begegnende Bedingung ist die, daß der Sklave noch weiterhin entweder im Dienste des Freilassera oder einer anderen von diesem bestimmten Person, auch im Dienste dessen, der die Freikaufssumme für den Sklaven gezahlt hatte (GDI 1723), bleibt, und zwar in den meisten Fällen bis zum Tode der betreffenden Person, in anderen für eine festgesetzte Zeit; geläufigste Formel: naeap.ew&:r:w ~e 0 ~eiva ( = Sklave) naea TcW 6eiva ( = Freilasser oder andere Person), fw~ xa 'W'Y}t 6 ~eiva, notwv -r:o non-r:auu6pevov näv -r:o <Wva-r:ov avevxA.?]-r:w~ , " bleiben aber soll N. N. bei N. N., solange N. N. lebt, indem er jeden Auftrag, der nur in seiner Kraft steht, in tadelsfreier Weise verrichtet" (daneben viele Variationen). Der Herr (bzw. die betreffende andere Person) behält während dieser Zeit wohl das Züchtigungsrecht, aber er darf den Sklaven nicht verkaufen, da er ja kein Besitzrecht mehr über ihn hat; so heißt es z. B.: Y-Vew~ lu-r:w xoA.&,wv, Wt xa DtA.'Y}t -r:e6nwt, nJ.av p."J nwJ.rJua-r:w. Die vorzeitige Entlassung aus dieser naeap.ov?], die praktisch oft nur eine Fortsetzung der Sklaverei war, konnte entweder durch einen freien Willensakt des Herrn, also unentgeltlich, erfolgen, oder es war dem Sklaven ermöglicht, durch Zahlung einer oft schon in der eigentlichen Freilassungsurkunde vorher vereinbarten Summe, also im Grunde eines zweiten Lösegeldes, sich von der naeap.ov?] zu lösen (dnoJ.vew). Auch über diese an6J.vut~ wurde eine Urkunde aufgesetzt entweder in der Form einer neuen Verkaufsurkunde, durch die die erste, ausdrücklich oder stillschweigend, annulliert wurde (Beispiel: GDI 2143), oder (später) in der Form einer besonderen Urkunde mit der Wendung: 0 6eiva dntJ.vue -r:ä~ naeap.ovä<; TOV deiva, gegebenenfalls mit dem zusatz : A.aßW11 naea -r:ov 6ei'vo~ (= Sklave) p.vä~ X (Beispiele: F D III 3, 43 und 354). Für die vielfachen anderen Bedingungen, oft auch mit der Paramone verbunden, wie Sorge für die Bestattung und Totenehren des Herrn, seinen Unterhalt, eine Rente für ihn, Zahlung an die Erben usw. , sei auf die Arbeit von M. BLOOH, Die Freilassungsbedingungen der delphischen Freilassungsinschriften (Diss. Straßburg 1914) verwiesen. Im Auge muß man behalten, daß im Gegensatz zu Rom der griechische Freigelassene nicht das Bürgerrecht, auch kein
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VI . WeBen und I 11halt der gnechi8chen ltl8chriften
beschränktes, erhielt, sondern im allgemeinen etwa den fremden Metöken gleichgestellt wurde, also wie diese wohl Aufenthaltsrecht, Rechtsschutz für seine P erson und sein Eigentum und ungehinderte Ausübung von Handel und Gewerbe besaß, aber keine politischen Rechte und keine privatreoht1iche Gleichstellung mit den Bürgern ; doch sind dabei lokale Unterschiede in Rechnung zu stellen. Neuerdings ist aus Beroia (Makedonien) eine ganz singuläre Form einer Freilassungsurkunde für mehrere Sklaven aus der Zeit des Königs D emetrios n . (239- 229) bekanntgeworden, M. A N DRONIKOS, Jtexaia' lmyearpal Beeota~ (Thessaloniki 1950) S. 7ff. In ihr treten die Sklaven, darunter auch eine Sklavin, als selbständige Partner des Verkaufsvertrages ihrem bisherigen Herrn gegenüber auf, die eine bestimmte Summe xa·dßaJ.ov br: l).evDeetat ati-r:oi vnee av-r:wv xal -r:wv yvvatxwv (folgen die Namen) xai -r:wv nat~lwv, -r:wv -r:e vi5v öv-r:wv -xal äv nva va-reeov lm yb'Yj-r:a' (denn es folgt nachher die Klausel der Paramone auf Lebenszeit des bisherigen Herrn), -xai -r:wv iJnaex6v-r:wv av-r:oi~ nav-r:wv (sie hatten also schon als Sklaven Eigenbesitz), bzw. die Sklavin vnee amij~ -xal -r:ciiv '!5naez6v-r:wv. Mit R echt scheint mir der H erausgeber diese auffallende Erscheinung in Beziehung zu setzen zu den sozialen Gedanken des von der stoischen Philosophie so stark beeinß.ußten K önigs Antigonos Gonatas, des Vaters des Demetrios. Das hat sich dann aber gewandelt ; jedenfalls lassen die späteren makedonischen Fooilassungen (aus der Kaiserzeit) nichts mehr von einer solchen außerordentlichen St ellung der Sklaven erkennen. So monoton auch die Freilassungsurkunden in ihrer großen Masse wirken, so wertvolle Aufschlüsse vermitteln sie uns doch auf den Gebieten der R eligions-, Rechts-, Sozial- und überhaupt Kulturgeschichte, ganz abgesehen von den unschätzbaren Diensten, die sie uns für die Prosopographie und insbesondere den Aufbau der delphischen Chronologie leisten.
Literatur Zusammenfassend über die Freilassung und die Freilassungsurkunden da.s Buch v on A. 0At.DERINI, La manomissione e Ia condizione d ei libert i in Grecia, Maila nd 1908. Wichtig auch die den actes d 'affranch issemen t gewidmete Partie des Recueil d es inscriptions j uridiques grecques (v gl. oben S. 27) II S. 233 ff. Außer der bei H oNDros, Saxa loquuntur S. 139 angeflihrten Spezialliteratur vgl. für De iphi auch die Ausführungen von G. DAUX, Delphes au rre et au J cr siecle (Paris 1936) S. 46ff. Vergleicheschließlich auch G. B usOLT, Griech. Staats· kunde I 288ff. mit reicher Literatur.
6. Die übrig e n In sc hrift e n Wir glauben, in den vorstehenden Ausführungen die am zahlreichsten vertretenen Gattungen der erklärungsbedürftigen Inschriften
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5. D ie iibrigen
In~~chrijten
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behandelt zu haben . Auf die Besprechung der an Häufigkeit dahinter zurücktretenden Gattungen dieser Art müssen wir hier verzichten. E s sei nur das gesagt, daß unter ihnen es wohl die Bauinsclu:iften , d . h. die Inschriften über die Errichtung von Bauwerken, und die privatrechtlichen Urkunden sind , die dem Verständnis die größten Schwierigkeiten bereiten, weil sie spezielle sachliche wie sprachliche Kenntnisse, eben solche baukundlieber oder juristischer Art, erfordern, über die nicht jeder gleich verfügen wird. Für die ersteren vergleiche man die Arbeit von H. LATTERMANN, Griechische Bauinschriften, Diss. Straßburg 1908, in der Text und sachlich-sprachlicher Kommentar einer Anzahl solcher Inschriften gegeben wird ; eine gute Hilfe nach der sprachlichen Seite bietet auch die Arbeit von F. EBERT, Fachausdrücke des griechischen Bauhandwerks. I. Der Tempel, Diss. Würzburg 1910; im übrigen vgl. die Literatur bei HoNDIUS, Saxa loquuntur S. 121. Für die privatrechtliehen Urkunden wird man in der Regel die beste Auskunft in dem R ecueil des inscriptions juridiques grecques (siehe oben S. 27) finden ; eine nützliche Zusammenstellungmit orientierendem K ommentar hat E . ZrEBARTH in der 3. Auflage von Dittenbergers Sylloge Inscriptionum Graecarum (s. S. 26) im 3. Bande unter d en Nummern 1182·- 1203 und 1213- 1217 gegeben. Aber auch das Studium sakral-recht licher Inschriften bedarf interpretierender Hilfe ; man findet sie in dem ausgezeichneten Buch von K . LATTE, H eiliges Recht. Untersuchungen zur Geschichte d er sakralen R echtsformen in Griechenland, Tübingen 1920 ; vgl. im übrigen die Leges sacrae von PRoTT-ZIEHEN (S. 27) und die Arbeit von F. SoKOLOWSKI, Lois sacrees de 1'Asie Mineure, Paris 1955. Für die agonistischen Inschriften schließlich bietet die Bearbeitung von L . Mo&ETTI (S. 27) zur Zeit die beste Auskunft. Der Aufbau und die F ormeln d er meisten übrigen Inschriften werden dem mit d er griechischen Sprache Vertrauten k eine besond eren Schwierigkeiten bieten. Der Anfänger wird gut daran tun, jeweils ähnliche Inschriften in der Sylloge3 heranzuziehen, wo ein guter Kommentar ihm wirksame Hilfe leisten wird , und für die Sprachformeln den reichhaltigen Index im 4 . Band e zu vergleichen . Für Spezialliteratur aller Gattungen von Inschriften war schon oben auf d as nützliche Buch von J . J . E. H o ndiu s, Saxa loquuntur , verwiesen .
Literatur Für die erste Orientierung verschafft noch immer den besten Überblick S. REINACH, Traite d 'epigraphie grecque, während W . LARFE.LD, Griech . Epigraphik, sich lediglich auf die Sprachformeln beschränkt.
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VII. DIE SPRACHE DER GRIECHISCHEN INSCHRIFTEN In den einleitenden Ausführungen ist schon darauf hingewiesen worden, welchen Wert die griechischen Inschriften gerade auch als nicht einer langen Überlieferung ausgesetzt gewesene Sprachdokumente für uns haben. Darin kommen ihnen nur die griechischen Papyri gleich, aber während diese für uns erst mit dem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. einsetzen undabgesehen vondenliterarischen Textennur Kundevon dem in Ägypten gesprochenen Griechisch geben, führen uns die Inschriften bis zurück ins 8. Jahrhundert v. Chr. und umfassen nahezu den gesamten Ausdehnungsbereich der griechischen Sprache. Sie bieten uns weiter sowohl Poesie wie Prosa aus allen Zeiten und in allen nur denkbaren Abstufungen ; sielehren uns das Ringen derarchaischen Sprachemitder Formulierung des Ausdrucks, zeigen uns die gewählte Diktion der königlichen und städtischen Kanzleien, führen uns den ganzen Bombast und Schwulst der späteren Sprache vor und überliefern uns auch kaum noch verständliches Vulgärgriechiscb. Die Auswertung dieses gewaltigen sprachgeschichtlichen und, wie immer wieder betont werden muß, tmbedingt zuverlässigen Materials (von gelegentlichen Schreibfehlern, an denen es nicht mangelt, abgesehen, obwohl die Frage: Fehler oder Absicht, zumal bei Vulgärinschriften, oft genug offenbleiben muß) gehört natürlich in erster Linie in den Bereich des Sprachforschers, aber auch der Epigraphiker "muß [um für den Papyrologen bestimmte, aber genau so für den Epigraphiker geltende Worte von U. WILCKEN aus: L. MITTElS und U. WILCKEN, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde I 1 S. XLIX zu zitieren], ebenso wie er hinsichtlich der Schriftentwicklung die einzelnen Jahrhunderte nach ihren Cbarakteristica möglichst auseinander halten soll, sich bemühen, auch klare Vorstellungen von dem, was in der Sprache in den einzelnen Perioden möglich ist, zu gewinnen, sonst gerät er in die Gefahr, die Lücken mit Wendungen zu füllen, die für die Zeit der betreffenden Urkunde [und wir fügen hinzu, wovon gleich gehandelt werden soll: für ihren Ort] unmöglich sind" . Jedoch nicht nur unter diesem ganz gewiß überaus wichtigen Gesichtspunkt ist für den Epigraphiker Vertrautheit mit der griechischen Sprache aller Entwicklungsstufen und aller Grade unerläßlich, sie bietet ihm auch ein wertvolles Mittel zur chronologischen, ja unter Umständen sogar
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lokalen Fixierung von Inschriften, die sonstiger Angaben hierüber ermangeln. Wir haben dabei nicht die Dialektinschriften im Auge, wo diese Möglichkeiten ja ohne weiteres einleuchten, auch die Koine gibt uns genug Anhaltspunkte dafür. Sorgfaltige Beobachtung der grammatischen, noch mehr aber der orthographischen Erscheinungen läßt weitgehend chronologische Schlüsse zu, am sichersten natürlich, wo wir den Herkunftsort der Inschrift kennen und über ein zureichendes Inschriftenmaterial von daher verfügen. Und dazu kommt auch die lok ale Differenzierung der K oine, wie sie bei dem gewaltigen Umfang ihrer Verbreitung und damit so verschiedenen Sprachträgem gar nicht ausbleiben konnte. Mit am augenfälligsten treten uns die Unterschiede im Wortschatz entgegen, und sie sind es in erster Linie, die uns gegebenenfalls die geographische Zuweisung einer Inschrift ermöglichen. So finden wir, um nur ein paar Beispiele zu bringen, für die Stele besondere Bezeichnungen bei den Städten der Propontis und des Schwarzen Meeres: avayeatpat el~ ulapliJva lsvxov J..t-o.ov und in Thessalien: ek xtova J.tDlv'YJv (vgl. L. RoBERT, R ev. Phil. 1936, 130 und H ellenica VII 1949, 33/4), und insbesondere die Benennung des Grabes zeigt eine Fülle lokaler Differenzierung (vgl. L . RoBERT, ~tudes epigraphiques et philologiques (1938] S. 220/ 1 und Hellenica X 1955, 1763 ). So erscheint die Mahnung für den Epigraphiker berechtigt, über dem Studium der Dialekte und des sog. klassischen Griechisch nicht das der Koine zu vernachlässigen. " Wer sich über gewisse 'barbarische' Schreibungen entsetzt und sie ignoriert, in dem steckt immer noch das Gefühl, daß eigentlich nur das klassische Griechisch existenzberechtigt, nur die Literatursprache des Studiums wert sei ; er vermag immer noch nicht die Kotv~ vom Standpunkt einer neuen, lebendigen Ent wicklung zu würdigen, ja er verabscheut in letzter Linie auch das Neugriechische, 'weil es dn6 mit dem Ace. konstruiert'" (A. Tllmrn in seinem überaus instruktiven und zur Lektüre warm zu empfehlenden Aufsatz "Prinzipienfragen der Koine-Forschung" in den Neuen Jahrbüchern für das klass. Altertum usw. 1906 I. Abt., 17. Band S. 246ff.). Im Zusammenhang und in Ergänzung zu dem Gesagten sei auch noch die besondere Wicht igkeit gerade des Formelwesens der einzelnen Kanzleien hinsichtlich der chronologischen und geographischen Zuweisung der Inschriften hervorgehoben, auf die bei unserer Betracht ung verschiedener Inschriftengattungen schon oben gelegentlich hingewiesen worden ist. Wo uns ein umfangreiches Material an Inschriften einer Gegend oder eines Ortes vorliegt, können wir allein auf Grund der jeweilig augewandten Formel sichere Datierungen vornehmen, vor allem in Athen oft auf allerengstem Zeitraum. Diese Sicherheit gilt oft nicht minder für die Zuweisung zu einem bestimmten Orte. Genaue Vertraut heit mit dem Formelwesen der Inschriften ist und bleibt also
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VII. Die Sprache der griechischen I nschriften
eine der Hauptaufgaben des Epigraphikers, und zwar - das muß manchem einseitigen Spezialistentum gegenüber betont werden - der Inschriften möglichst aller Gegenden. Nur der Überblick über das Ganze kann uns auch in dem Besonderen die Augen schärfen , die bei zu enger Begrenzung getrübt bleiben , und er wird es auch verhindern, daß wir in die Ergänzungen lückenhafter Inschriften ihnen Wesensfremdes hineintragen. Literatur Zu einem ersten orientierenden Überblick über die orthographischen und grammatischen Erscheinungen in den Inschriften unter d em Gesichtspunkt ihres zeitlichen Auftretens kann immer noch verhelfen die Darstellung von S. REINACH, Traite d 'epigraphie grecque S. 237-293. Im übrigen sind außer den geläufigen Grammatiken der griechischen Sprache h eranzuziehen : für die Diakkte: in erster Linie das umfassende Werk von F. BECHTEL, Die griechischen Dialekte, 3 Bände, Berlin 1921- 1924 ; ganz vorzüglich ist aber auch die knappe und doch alles W ichtige enthaltende Zusammenfassung von 0 . D. Buox, T he Greek Dialects: grammar, selected inscriptions, glossary, Chicago 1955; für die Koine: A. THUMB, Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus, Straßburg 1901, und K. DIETERICH, Untersuchungen zur Geschichte der griechischen Sprache von der hellenistischen Zeit bis zum 10. Jahrhundert n. Ohr., Leipzig 1898 (eine knappe, aber ausgezeichnete tibersicht bat jüngst A. DEBRUNNER in der Sammlung Göschen Bd. 114 gegeben : Grund fragen und Grundzüge des nachklassischen Griechisch = Geschichte der griech ischen Sprache TI, Berlin 1954); wertvolle Dienste leisten hier ferner auch d em Epigraphjker we bekannte mehrbändige Grammatik der griechischen Papyri aus der Ptolemäerzeit von E . MAYSER (Berlin und Leipzig 1906-1938, z. T. in 2. Auß.) sowie die Grammatiken der Septuaginta von R. HELBING (Göttingen 1907) und d es Neuen Testaments von L. RADERM.AOHER (2. Auft., Tübingen 1925) und F. BLASS-A. DEBRUNNER (7. Auft., Göttingen 1943; 8. und 9. Auft. 1949 und 1954 unveränderter Abdruck), schließlich auch das Polybios.Lexikon von A. MAUERSBERGEn (bisher erschienen: Band I, Lieferung 1 [a- y], Berlin 1956); für das Griechisch der Römer: P. VIERECK, Sermo Graecus quo senatus populusque Romanus ma.gistratusque populi R omani usque ad Tiberii Caesaris a.etatem in scriptis publicis usi s unt, Diss. Göttingen 1888; sehr nützlich auch D. MAGIE, De Roma.norurn iuris publici sa.crique vocabulis sollemnibus in Graecum sermonem conversis, Leipzig 1905; für die Vulgär· aprache: E. NACHMANSON, Beiträge zur Kenntnis der altgriechischen Volkssprache ( = Skrifter utgifna af K. H urnanistiska V etenska.ps- Samfundet i Uppsa.la. XIII 4, 1910) und H. LJUNOVIX, Beiträge zur Syntax der spätgriechischen Volkssprache (ebenda XXVIT 3, 1932) . Sonst sei, insbesondere für die Fülle von Spezialarbeiten über einzelne Dialekte oder die Sprach e bestimmter Städte und Gegenden, verwiesen auf die reich e Literaturzusa.m menstellung bei HoNDros, Saxa loquuntur S. 1471!. Hinzuzufügen sind d ort zwei neuereArbeiten : E. KNITL, Die Sprache der ionischen Kykladen nach den inschriftlichen Quellen, Diss. München 1938, und M. LEJEUNE, Observations sur la Iangue des actes d 'affranchissem ent delphiques, Paris 1939. Eine Menge wertvollster Anregungen wird schließlich der Epigraphiker in dem Vortrage von U. VON WILAMOWITZ· MoEIJ.ENDORFF, Geschichte der griechisch en Sprache, Berlin 1928, finden. •
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VIII. DIE DATIERUNG DER GRIECHISCHEN INSCHRIFTEN Die wichtigste Frage bei jeder Inschrift bleibt die nach ihrer Datierung. Am relativ günstigsten sind wir natürlich daran, wenn die Inschrift selbst eine ausdrückliche Angabe über die Zeit ihrer Abfassung, die nicht in allen Fällen mit der Zeit ihrer tatsächlichen Aufzeichnung identisch ist, enthält, aber, wie gesagt, nur am relativ günstigsten. Denn so willkommen uns in jedem Falle eine solche Angabe ist, so hilft sie uns doch nur allzu oft nicht weiter. Weist doch die bei weitem überwiegende Zahl der griechischen Inschriften eine Sonderdatierung auf, die ausschließlich für die betreffende Stadt oder politische Vereinigung Geltung hat. Denn es war ein allgemein verbreiteter griechischer Brauch, keine fortlaufende Jahreszählung von einem bestimmten Ausgangspunkt anzuwenden, sondern das einzelne Jahr durch den Namen eines Beamten, in der Regel des höchsten politischen Staatsbeamten, aber auch eines Priesters oder sonstigen kultischen Funktionärs, zu bezeichnen. Das setzt natürlich die Existenz von öffentlich aufgezeichneten Listen dieser Eponymen voraus, und mehr oder minder umfangreiche Bruchstücke solcher Listen auf Stein sind uns verschiedentlich erhalten. Übrigens begegnen uns unter den Eponymen nicht nur auch Könige und römische Kaiser, die sich dann also bereit gefunden haben, diese ihnen ehrenhalber, aber wohl meist in der Hoffnung auf klingende Vergeltung angetragene Würde zu übernehmen (zusammengestellt von L . ROBERT, l!;tudes epigraphiques et philologiques S. 143ff.; vgl. dazu denselben, Hellenica TI 1946, 52°), sondern auch Götter und H eroen (gesammelt von demselben, Hellenica a. a.O. S. 5lff.), wie uns z.B. "\viederholt unter den Eponymen von Milet, den alavp:vfj-cat -cwv J.LOÄ.nwv, später als Stephanephoren bezeichnet, der Gott selbst, dem dieses priesterliche Amt galt, in der gleichen Art der Benennung wie die menschlichen Stephanephoren als itn6J.J.wv Llt6~ entgegentritt. In solchen Fällen hat sich kein Bürger bereit erklärt, die finanzielle Bürde dieses Amtes zu tragen, und so ist die Kasse des Heiligtums selbst eingesprungen. Es ist klar, daß ein einziger Synchronismus, der sich findet und damit die ganze Liste festlegt, diese zur wertvollst.en chronologischen Grundlage macht, wie das z.B. bei der genannten milesischen Stephanephorenliste der Fall ist, die wir für 525/4 260/ 59 v.Chr. vollständig, dann freilich mit zwei
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V I 11. Die Datierung der griechi8chen I n8chrijten
größeren Lücken bis 31/ 2 n. Chr. besitzen. Auch für Athen sind wir in der glücklichen Lage, für das 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. auf festem Boden zu stehen, da uns der Historiker Diodor (aus augusteische! Zeit) die Liste der eponymen Archonten von 480/ 79-302/1 lückenlos überliefert. Auch für Delos sind die Archonten von 326- 168 v.Chr. durch die Inventarverzeichnisse des Tempels und Listenfragmente festgelegt. Und auch sonst haben wir hier und da für bestimmte Zeiträume, z.B. in Deiphi und Ätolien, eine gesicherte Basis für die Datierung der Eponymen, aber der Unsicherheiten und Schwierigkeiten bleiben übergenug, vor allem für das 3. Jahrhundert v.Chr. Eine gemeinsame Jahresliste hat es nun freilich schon in vorhellenistischer Zeit in Griechenland gegeben, die der Sieger an den olympischen Spielen, aber erst im 3. Jahrhundert v.Chr. ist sie durch die Zählung der Olympiaden (Ausgangsjahr 776 v.Chr.) zu einer wirklichen Zeitrechnung geworden, doch hat sie ihrenNiederschlag nur in agonistischen Inschriften gefunden. Dagegen setzt in hellenistischer Zeit neben der Eponymendatierung, die sich niemals hat verdrängen lassen, und der nach Regentenjahren die Rechnung nach sog. Ären ein, vor allem im Osten, wo die bekanntesten die seleukidische (vom Herbst 312 v.Chr.) und die sullanische (vom Herbst 85 v.Chr.) sind, aber auch in Griechenland selbst, um nur die makedonische Ära (vom Herbst 148 v.Chr.) und die aktische (vom Herbst 32 v.Chr.) zu nennen. Es sind vielfach wieder bezeichnenderweise lokale Ären mit den verschiedensten Ausgangspunkten. Wo wir diesen kennen, leisten sie uns natürlich wichtigste Dienste, aber auch hier gibt es so manche ungelöste Frage. Selbstverständlich hat auch die Datierung nach den römischen Kaisem in den griechischen Inschriften Anwendung gefunden und in der Spätzeit die nach den Indiktionen, d. h. den vom Kaiser Diokletian (284 305) eingeführten jährlichen " Steueransagen", die zu Zyklen von 15Jahren zusammengefaßt waren, in denen die Jahre jedesmal von 1- 15 durchgezählt werden; da aber die Zyklen selbst nicht numeriert werden, sind diese Indiktionsangaben nur selten für uns brauchbar. Die gleiche Zersplitterung wie in der Jahreszählung tritt uns auch im Kalender entgegen. Der Beginn des Jahres ist verschieden, die Bezeichnung der Monate wechselt fast von Stadt zu Stadt, was sich freilich durch die Verschiedenheit der lokalen Kulte erklärt, da die griechischen Monate nach den Festen ihre Namen führen (nur in Achaia, Phokis und dem Westlichen Lokris finden wir auch einfache Monatszählung eingeführt), und auch der Sprachgebrauch in der Zählung der Monatstage ist kein einheitlicher. Einheitlich ist nur die Verwendung des Junisolaren Jahres, d. h. eines Mondjahres von 12 synodischen Mondumläufen (d.h. von Neumond zu Neumond gerechnet, also Monaten von durchschnittlich 29 1/ 2 Tagen), das durch Schaltung dem
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Sonnenlauf angeglichen war. So liefen zwar allenthalben die Monate parallel, aber die Schaltung erfolgte nicht in übereinstimmender Weise, da wohl in der Theorie Schaltzyklen, der achtjährige und der neunzehnjä.hrige, bestanden, aber zum mindesten in Athen der inschriftliche Befund ihre Anwendung in der Praxis widerlegt, vielmehr zeigt es sich, daß die Schaltlmg hier jeweilig nach Bedarf erfolgte. Aber das sind alles Dinge, die nur eben gestreift werden konnten, da ihre nähere Behandlung in den Aufgabenkreis der Chronologie gehört. Für die Datierung von Inschriften ohne eigene Zeitangabe haben wir schon mehrfach auf die inneren und äußeren Indizien hingewiesen, die uns dafür zu Gebote stehen. Die ersteren betreffen den Inhalt (Erwähnung uns anderweitig bekannter Ereignisse oder Zustände oder Persönlichkeiten) und die Sprache, sowohl nach der Seite des Formelwesens wie der der Grammatik und auch, oder besser besonders, der Orthographie. Unter den äußeren Indizien steht das der Schrift voran (Alphabet, Anordnung der Buchstaben, Buchstabenformen }, aber auch die Form des Schriftträgers im allgemeinen und gegebenenfalls sein ornamentaler und bildlicher Schmuck im besonderen können wertvollste Anhaltspunkte sein, für die der Epigraphiker auf die Unterstützung des Archäologen angewiesen ist. Besonders wichtig wird diese Hilfe bei der oben betonten Unsicherheit der Schriftdatierung in der Kaiserzeit. Wie ausschlaggebend sind da z. B. für die Datierung der Inschriften auf Grabreliefs außer den allgemeinen Indizien des Stiles die der Kleidung, der Haartracht usw. (vgl. A. MÜHSAM, Die attischen Grabreliefs in römischer Zeit, Diss. Berlin 1936; in englischer Fassung mit reichem Abbildungsmaterial in der Zeitschrift Berytus X 1952, 51- 114}. Auch hier mußten wir uns nur mit Andeutungen begnügen und verweisen im übrigen auf die Ausführungen von W. LARFELD, Griech. Epigraphik § 138. Literatur Beste allgemeine Übersicht über alle chronologischen Fragen bei E. BICKERMANN, Chronologie ( = Einleitung in die Altertumswissenschaft, h era.usg. von A. GERCKE und E. NORDEN, Bd. m , Heft 5), 1933. Die wichtigsten Eponymenlisten: Athen: Bis 48 1/0 bei T. J. CADoux, Journ. H ell. Stud. 68, 1948, 120-123; 480/79- 308/7 b ei I. KmcHNE&, Prosopographia. Attica II S. 631- 635 ; 307 /6-101 /0 bei W. K. PRITCRETT a.nd B. D. MERITT, The Chronology of H ellenistic Athen.s, Cambridge {Mass.) 1940, S. XV- XXXV (für 291 /0-197/6 fed och zu vergleichen W. B. DINSl\iOOR, H esperia. 23, 1954, 313ff.); 100/99 49/8 bei J. A. NoTOPOULOS, H esperia. 18, 1949, 48 49, und S. Dow, Hesperia. Suppl. Vill 1949, 116ff.; 48/7- 30/29 in I G II /ill 2 IV 1 S. 25; seit 30/29 bei J. H. OLIVER, H esperia. 11, 1942, 81ff., und J. A. NoTOPOULOS, H esperia. 18, 1949, 49- 51; Delos: I. D elos l i {1929), S. 328- 338, und J. TREREUX, Mela.nges Ch a.rles Pica.rd (R ev. Arch. 1948), S. 1031 /2; M ilet: A. REID1, D a.s D elphinion
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V111. Die Datierung der griechischen 1nschriften
in Milet Nr. 122ff.; Delphi: G. DAUX, Chronologie delphique, Paris 1943; Atolien: IG IX 12 1, S. XLIX-LII ; Th~salien: IG IX 2, S. XXIV/V; Böotien: M. FEYEL, P olybeet l'hist-oire de Beotie au me siecle avant n otre ere, Paris 1942, S. 73 /4; A chaia : A. AYMARD, Rev. Et. Anc. 30, 1928, 1ff. - Bester Überblick über d ie Ären bei B . V. liEAD, Historia Numorum, 2. Auft. Oxford 1911, S. 944/5; im übrigen vgl. W. KUBITSCHEK, Pauly-Wissowaa Real-Encyclopä.die I (1894) 632ff. Für die Regierungsjahre der römischen Kaiser vgl. W. LmBENAM, Faati consulares imperii Romani, Bonn 1909, S. 103ff. Tabelle der Indiktionen bei H . LmTZMANN, Zeitrechnung (Sammlung Göschen Nr. 1085), 1934, S. 18ff. - Für die griechischen Monate vgl. E. BISCHOFF, Pauly-W issowa..'3 Rea.l-Encyclopä.die X (1919) 1568ff. Zum athenischen Kalender vgl. jetzt das überaus bedeutsame Werk von W. K . PRITCHETT a.nd 0. NEUGEBAUER, The Ca.lenda.rs of Athens, Cambridge (Ma.ss.) 1947, de.s unsere Kenntnis auf eine ganz neue Grundlage gestellt hat. - Zwecks F eststellung in den 'Inschriften genannter Persönlichkeiten wird der erste Blick noch immer in das zwar v öllig veraltete, aber unentbehrliche Wörterbuch der griechischen Eigennamen von PAPE-BENSELER gehen, da. Pa.uly-Wissowe.s Real-Encyclopä.die naturgemäß nur die wichtigeren P ersonen (freilich sehr unterschiedlich) aufführt. Dankenswerterweise (es kann gar nicht genug geben!) liegen eine ganze Reihe von Spezialsammlungen meist lokaler, aber auch genereller Art vor; sie können hier unmöglich alle aufgezählt werden (bis 1938 vgl. die Übersicht bei HoNDrus, Saxa loquuntur S. 137 /8) Im übrigen sind die Indices der Inschrütenpublika.tionen zu vergleichen.
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IX. DIE EDITION
DER GRIECHISCHEN INSCHRIFTEN
Über die Tätigkeit des Epigraphikers sowohl ,,im Felde'', d.h. vor den Steinen selbst, wie daheim am Schreibtische ist schon manche treffliche Darstellung gegeben worden, und wer in dem Wunsche nach einer eigenen solchen Betätigung oder aus sonstigem Interesse darüber belehrt werden möchte, sei auf die in den nachstehenden Literaturangaben genannten Ausführungen verwiesen. Wir maßen uns auch nicht an, den dort gegebenen, sehr beherzigenswerten R atschlägen aus der eigenen Erfahrung weitere hinzuzufügen, in der Überzeugung, daß alle noch so guten Ratschläge zumindest "den Epigraphiker im Felde" nicht davor bewahren, sein Lehrgeld selbst bezahlen zu müssen und aus seinen Fehlern als der härtesten, jedoch wirkungsvollsten Schule für die eigene Praxis zu lernen, aber wir möchten, in mancher reuevollen Erinnerung, zwei Sätze aus S. REINACHS diesbezüglichen Darlegungen doppelt und dreifach unterstreichen: "On voyage toujours mal, au point de vue des decouvertes epigraphiques, lorsque l'on voyage vite" und "un epigraphiste qui copie une inscription sans l'estamper ["abklatschen"] s'expose a d'amers regrets au moment ou il en preparera la publication." Vom Abkl.a tsch war schon in unserer Darstellung der Geschichte der griechischen Epigraphik die Rede gewesen, und da wohl nicht alle Leser eine zureichende Vorstellung von seinem Wesen und seinem Werte besitzen, so sei wenigstens von diesem nach unserem Ermessen allerwichtigsten Hilfsmittel des Epigraphikers kurz gesprochen. Unter dem Abklatsch versteht man die mechanische Reproduktion der In.s chrift vermittels eines Bogens (ungeleimten) Papiers, der auf die Schriftfläche gelegt, mit einem Schwamm gut durchgefeuchtet und mit e.i ner Bürste kräftig festgeklopft wird. Dadurch dringt das Papier in alle Vertiefungen der Fläche und stellt nach seinem Trocknen eine vollständige und , wie betont zu werden verdient, durchaus nicht empfindliche, vielmehr verhältnismäßig recht stabile und dauerhafte Kopie der Inschrift dar (die von Le Bas vor über 100 Jahren gemachten Abklatsche, die in der Bibliothek der Sorbonne aufbewahrt werden, leisten rloch heute wertvollste Dienste, vgl. z. B. W. PEEK, Der Isishymnus v~ Andros und verwandte Texte, Berlin 1930, im Vorwort). Auch für die~ertigung solcher Abklatsche gibt es viele gute Regeln, 7 4259
Klalfenbac~l
eohlaohe Epigraphik
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IX. Die Edition der griechischen I nachrijten
aber doch wird die Praxis jeden Epigraphiker sein eigenes Verfahren lehren, und das soll man ihm lassen. J edenfaUs besitzen wir in dem Abklatsch ein vorzügliches Mittel nicht nur zur Kontrolle der vor dem Stein gemachten Abschrift und der Formen der Buchstaben, was die Photographie auch sein kann, sondern auch zur Kontrolle der notierten (oder vergessenen I) Buchstabenhöhe und Zeilenabstand, was selbst die mit Maßstab aufgenommene Photographie nicht so genau leistet. Und in einem geradezu entscheidendenPunkteerweist sich der Abklatsch sowohl der Photographie wie sogar dem Steine selbst überlegen, und das ist der, daß wir bei ihm die Schriftzüge in die für die Entzifferung jeweils günstigste Beleuchtung bringen können. Die Photographie ist unter einer ganz bestimmten Beleuchtung der Inschrift aufgenommen, die Täuschungen hervorrufen kann, indem gewisse Hasten von Buchstaben einfach nicht erscheinen; der Stein, selbst wenn er nicht eingemauert ist, sondern frei steht, ist meist durch seine Schwere wenig beweglich. Dagegen erlaubt die Handlichkeit des Abklatsches, den man zweckmäßig auf der Rückseite, wo die Buchstaben in erhabener Form (natürlich in Spiegelschrift) stehen, liest, schärfste Schlagschatten (vor allem bei künstlichem Licht) zu erzeugen, die die Entzifferung mancher Inschrift oder Inschriftstelle, die man vor dem Stein als aussichtslos schließlich aufgegeben hatte, doch ermöglichen; auch transparentes Lesen der Abklatsche kann unter Umständen zum Erfolge führen. Jeder gewiegte Epigraphiker hat da seine eigenen Schliche, aus dem Abklatsch das Letzte herauszuholen. Geduld muß dabei die größte, Zeit die geringste Rolle spielen. "Wen die Stunden reuen, die er an die Feststellung eines Buchstabens auf Stein oder Papier oder an die Ergänzung eines Buchstabens gewandt hat, der hat schwerlich sehr oft richtig gelesen und ergänzt" (U. VON WILAMOWITZ, Gött. Gel. Anz. 1906, 613 = Kl. Schrift. V 1, 377). Eine Gefahr freilich birgt der Abklatsch : da er alles weiß in weiß zeigt, können mitunter bioBeSteinverletzungen als Buchstabenreste gedeutet werden. Doch ein erfahrenes Auge lernt auch da unterscheiden, aber die sichere Auskunft kann oft nur der Stein mit seinen kennzeichnenden Verfärbungen geben. Und auch bei ganz ausgewaschener Schrift pflegt der Abklatsch zu versagen, weil hier die Schattenwirkung ausbleibt; auch da ist die einzige Instanz der Stein, dem es mit Kohle und Wasser beizukommen gilt. In allerjüngster Zeit hat ein neues Verfahren der Reproduktion von Inschriften von sich reden gemacht. Es besteht in der Herstellung eines Abgusses mittels flüssigen Gummis, der dann erstarrt, vgl. W. K. PRTTCHETT, Liquidrubber for Greek epigraphy = Am. Journ. Arch. 56, 1952, 118ff. Dieses Verfahren weist ohne Zweifel gewisse Vorzüge auf, aber die Nachteile, die in seiner beschränkten Anwendungsfahigkeit bestehen, überwiegen und machen es nur für bestimmte Fälle
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1 X. Die Edition
griech~chen
I nschriften
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geeignet, vgl. J . und L. RoBERT, Rev. ~t. Gr. 66, 1953, 118ff. Jedenfalls wird der Papierabklatsoh, über dessen Geschichte übrigens J . und L. Robert a.a.O. S. 120 einige interessante Angaben machen, im eigentlichen Sinrl'"'des. Wortes "das Feld" behaupten. Doch damit sind wir schon wieder beim " Epigraphiker im Felde", von dem wir nicht handeln wollten. Was unser durch die Überschrift angedeutetes Anliegen in diesem Schlußabschnitt ist, ist das, den Benutzer von Inschrifteneditionen auf das hinzuweisen, was er dabei stets gegenwärtig haben muß. Das ist in erster Linie das Verständnis der verschiedenen Klammern und sonstigen kritischen Zeichen, die ibm da entgegentreten. Sie sind für den Editor das Mittel, die Ergänzungen und Veränderungen, die er an dem Text der Inschrift vorgenommen hat, als solche kenntlich zu machen, so daß der Benutzer stets über den wirklichen Steinbefund im Bilde bleibt. Gegenüber der Verschiedenheit der Arten ihrer Bezeichnung, wie sie in den älteren Urkundenpublikationen vorliegt, bedeutete es einen großen, überaus dankenswerten und allerseits als Segen empfundenen Fortschritt, daß sich zunächst die Papyrologen 1931 auf demLeidener Internat ionalen Orientalistenkongreß geschlossen auf ein einheitliches, allgemein verbindliches System geeinigt haben, das daher die Bezeichnung "das Leidener Klammersystem" führt. Es war nur folgerichtig, daß auch die Epigraphiker es nun mehr und mehr als ihre Verpflichtung empfanden· bei der so engen Wesensverwandtschaft der beiden Wissenschaftsdisziplinen, sich dem Vorbilde der Schwesterwissenschaft anzuschließen, und in der richtigen Würdigung der unbedingten Notwendigkeit eines gemeinsamen, einheitlichen Klammersystems dazu übergingen, das Leidener System auch für ihre Publikationen zu verwenden. Es muß freilich mit schmerzlichem Bedauern festgestellt werden, daß auf dem Gebiete der Epigraphik diese Einigung noch nicht restlos durchgeführt ist. Steht • ·doch gerade das in der Epigraphik eine so gewichtige Rolle spielende Frankreich noch abseits. Aber in der übrigen Welt hat sich doch nun auch für die in.schriftlichen Editionen da8 Leidener SyBtem so ziemlich ·allgemeine Geltung verschafft, und so ist seine Kenntnis vor allem geboten. Bei ibm bedeutet : [ ] Ergänzung von Lücken d. h. zerstörten oder weggebrochenen Partien des Steines. ( ) Auflösung von Abkürzungen. ( ) Zusatz bzw. Veränderung durch den Herausgeber. {} Tilgung durch den Herausgeber. [[ ]] Tilgung durch den Steinschreiber (Rasur). Q. (also ein Punkt unter dem Buchstaben) Buchstabe, der unsicher 7•
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100 gelesen ist und dessen ~te a'J,4Ch anders gedeutet wer4e~ können. . . . . Lücke auf dem Stein, djß pa.oh ~~hl <Jer fehl~nden Bvc4st&ben bestimmba.r ist (hier also 4). - -- Lücke auf dem Stein von unbestimmbarer Zahl der fehlenden Buchstaben. v (vacat) freier Ra.um auf dem Stein von 1 Buo}lst&ben (also v v von 2 Buchsta.ben usw. ). Dieser Gebrauc}l ist aber nicht einheitlich geregelt; m~n findet statt v auph d&a Zeichen x .
Für die Benutzung 4lterer Editionen (wie der vielgebr&Uohten Sammlungen von Dittenberger und Michel!) sowie der französischen Publikationen (ausgenommen die I. Syrie seit Band IV) ist es nun von Wichtigkeit, zu wissen, daß die Klammern hierfolgende Geltung haben : [] ()
(wie oben, also) Ergänzung von Lücken auf dem Stein. Auflösung von Al>ktirzungen und Zusatz bzto. V ~4tadertmg dwch den Herausgeber. ()oder [[ ]] Tilgung durch den- Herau.3geber (!I). { } findet sich nicht. Rasur durch Umrahmung bezeichnet~ c=J oder mit- .. -- unterstrichen (IGR).
Im übrigen alles, wie oben angegeben. Wei~
ist auf d~n tlnterlfchiecJ vop So)lr~ep wie 'lf. ~ 11 {fP 1Pld f) oder cu' un<J. cp, der p~~ gftlfi.D ~ug)l jp ijJlS,f~Pl 4~riß
f9}lon aufp411Qn ~
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~erU.m ~u 11J"phen, h. ~~ verschiedene Wiedqabe dee q . Iota subsori~um. &J.qe «J,ie •praobe djeses lot4l>erückaiohtigte, ist ee ~eh geechrie~ wie gv $cht ~ers JPöglich, ~ lpt& tt4soripu•m (das Jot., su~pttp» ~ ja erst eine~ der Byr.4Dtiner dea 12. J4~und~ n. Cbr.), p.nd ~gibt di~ S~bung cu, cm ~r. Als f311f 4,oq in Q.er A.uaspr~he schwQ.Jld, Wl,lfde ~ oft auch nicflt mehr PlfPPri~~. JJnd Jltlf
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Erleichterung des mod.,trnen I~rs pßegt mp.u es j.p <J,iesem Ft.lle, wo es also auf dem Stein nicht steht, zu subslpi~rep. Wo Publikationen nicht die Originalzeilen der Inschrift beibehalten, sondern ~ ~UIQ.gründen einen kontinuierlic4ep T~xt geben, bezeichnen sie die Zeilen der Inschrift durch schwaolle sen.lta'echte Striche (I), die zur leichteren Orientierung von 5 zu 5 durcl) Doppelstrich .(II) oder einen fett~ren Strich (I) ersetzt werden. Und schließlich noch ein Wort zu den Ergänzungen der Inschriften. Rie sind durch entsprechende Klammern kenntlich gemacht, und man hüte sich, diese zu übersehen. Ma.n hüte sich aber ebensosehr, das,
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IX . Die Edition der griechi8chen I ~chnften
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was innerhalb dieser Klammern steht, auf Treu und Glauben als g~ichert
binzunehmen I Denn oft genug sind es nur exempli grat ia eingesetzte Ergänzungen, eine Praxis, die nicht unbedenklich ist, wenn sie sich nicht eines entsprechenden Hinweises oder eines zugefügten Fragezeichens bedient. Der Anfänger ist begreiflicherweise geneigt, die Ergänzungen auf die Autorität des Fachmannes hin gelten zu lassen, aber auch auf den Epigraphiker selbst können sie so suggestiv wirken , daß er sich oft schwer von dem durch sie angezeigten Wege freimacht. Gewiß ist es nicht nur erwünscht, sondern auch Pßicht des Editors, zum Ausdruck zu bringen, wie er sich etwa den Inhalt und Aufbau der Inschrift gedacht hat, und auch beispielsweise den Wortlaut herzustellen zu versuchen. Aber wo f>.S sich nicht um durch Parallelen gesicherte oder höchst wahrscheinliche Ergänzungen handelt, ist es doch ratsamer, Ergänzungsvorsobläge nicht in den Tel.."t zu setzen, sondern im Kommentar anzuführen. Hören wir, wie sich ein Meister des Ergänzens, L . RoBERT, selbst zu dieser Frage geäußert hat (Hellenica. I 1940, 149/ 50): "TIme semble qu' en prinoipe une restitution de ce genre [exempli gratia] n'est pa.s 8. reoommander. TI est preferable de ne pa.s ehvelopper les parties conservees dansdes restitutions qui n' ont rien de necessaire. n faut plutöt, je crois, s'employer 8. une a.nalyse tree precise des mots qui subsistent sur la. pierre et en fixer Ia oonstruotion; alots seulement, qua.nd le sens aura ete degage de f8.9on certame1 on pourra, dans certains cas, tenter de proposer des restitutions pre(}ises, en citant les documents sur lesquets on s'appuie et qui peuvent etre invoques comme paralleles. C'est alors qu'on pourra proposer une restitution exempli gratia; c'est-8.-dire que, parmi des formules analogues, on choisira l'une ou l'autre, 8. titre d'exemple. Mais il faut, je crois, prosorire ~e restauration qui, exerwpU. gratia, suggere des supplements entierement hypothetiques et n'exclut pa.s Ja possibilite de supplements completement differente. Plutöt que de combler les lacunes avec n'importe quel supplement, il faut ne pa.s restituer; le blano, non restitue pa.r l'editeur, est pour les autres sava.nts un stimula.nt ala recherohe; le supplement insere sans probabilite ma.sque la difficulte." Wir schließen damit diesen Abriß der griechischen Epigraphik, in der Hoffnung, daß es uns gelungen ist, dem Leser einen Oberblick über diesen Zweig der Wissenschaft vom griechischen Altertum verschafft zu haben und, wenn er sich von der Notwendigkeit der Beschäftigung auch mit den griechischen Inschriften hat überzeugen lassen, eine erste Hilfe zum eigenen Einarbeiten zu leisten. Wie in der Philologie muß die ständige Lektüre der T exte obenan stehen, daneben aber hat als sicherste Führung zu einem vertieften Verständnis das Studium der Arbeiten von ADOLF Wn.HELM und Lours RoBERT zu gelten.
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1 X. Die Edition der griechischen l n8clwiften •
Und als letzt~ sei ein Wort epter Sorge gestattet. Es ist eine große Reihe namhafter und verdienter Gelehrter, auf die die epigraphlache Forschung in Deutschland mit berechtigtem Stolz zurückblic~en kann, aber ihre Zahl ist kleiner und kleiner geworden, ja im Aussterben und der Nachwuchs noch sehr gering. Deutschland bedarf dringend neuer Kräfte, um das Erbe seiner Väter auch auf diesem Gebiete zu wahren. Möge dieser AppelJ nicht ungehört verhallen! Literatur
·,~ l ßL ß\N t( ~, (
Über die "epigraphische Technik" im weitesten Sinne, vor allem bei der Aufnahme von Inschriften und ihrer Edition, vgl. S. REINACH, Traite d 'epigraphie grecque S. XIV- XXXIll, und W. LAB.FELD, Griech. Epigraphik §§ 121- 126 (technische Behandlung der Inschriften) und 127-141 (Kritik und Hermeneutik der Inschriften); knapp, aber inhaltsreich die Zusammenfassung bei A. REBM im Handbuch der Archäologie I S. 185- 189. Zum Leidenar Klammersystem vgl. U. Wn.OKEN, Archiv f. Papyrusforschung 10, 1933, 211/2. Beachtung verdient das Verfahren, das P. FRIEDLÄNDER jüngst in seinem Buche "Epigrammata. Greek inscriptions in verse. From the beginnings to the Persian wars" (Berkeley and Los Angeles 1948) angewendet hat, um sichere und unsichere Ergänzungen zu kennzeichnen: er gibt die erstere.n in gleichen Buchstaben, die letzteren in kleineren. - Die Arbeiten von A. WILHELM und L. ROBERT sind über eine Unzahl von Zeitschriften zerstreut; von zusammenfassenden Werken nennen wir als besonders wichtige : von A. WILHELM: Beiträge zur griechischen Inschriftenkunde ( = Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien, Band VII), Wien 1909, und aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie "Neue Beiträge zur griechischen Inschriftenkunde" I-VI (1911. 1912. 1913. 1915. 1932 1921) und "Attische Urkunden" I- V (1911. 1916. 1925. 1939. 1942); von L. ROBERT: Etudes epigraphiques et philologiques ( = Bibliotheque de l'Ecole des Hautes Etudes, fase . 272), Paris 1938, und seine " Hellenica" I-X (1940-1955). (Abgeschlossen im August 1956)
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REGI STER 1. Sachregister
Abklatsch 97ff. Abkürzungen 48 f. Adoption (Bezeichnung) 56 Ären 94.96 Agonistische Weihungen 62 Alphabetreihen 37 Altersangabe des Toten 57 Amendemen ts s. Zusatzanträge Amtskalender 74 Anbringung der Inschriften 44 Anordnung der Schriftzeichen 47ff. Apices 42 Archonten, attische 94. 95 - , delische 94. 95 Aufstellung von Statuen 63f. 65 Aufzeichnungstechnik 46 f. Ausmalung der Inschriften 46 Bauinschriften 89 Bekränzung 76 - , Verkündigung 76 - , Wiederholung 76 Belobigung 76 Berufsangabe d es Toten 56. 59 Bildbauerinschriften 27. 65ff. Bleünschriften 45 Bronzeinschriften 45..46 Bürgerrecht, Verkauf 83 - , Verleihung SOf. 83 Buchschrift 41 Buchstabenformen 4lff. - , Sonderformen 40 Bustrophedon 47 Datierung der Inschriften 93ff. Dekrete 67ff. - , Form der attischen 7l ff. 83 - , in Protokollform 70 Demotikon (At hen) 56 Dialekte 92 Dialektinschriften 26. 91 Differenzierung der Vokale 39f. Digamma 37 Doppelausfertigung von Inschriften 52 Doppellaute 38f. Doppelnamen 55 Dreifuß 59f. Edition der Inschriften 97 ff. Ehrenbeschlüsse 52. 75ff. ,.Ehrenbürgerrecht" SOf.
Ehreninschriften 62ff. ,.Ehrentafeln" 64f. Ehrungen 75ff. • Epigramme 27 - , Grabepigramme 27. 57 f. - , historische 27 Epigraphik, Aufgaben 10. 11 - , Bedeutung 8ff. - , Begriff 7f. - , Geschichte 12ff. Eponyme 93f. Ergänzungen lOOf. Fehler in Inschriften s. Schreibfehler Fluchtafeln 22. 27. 45 Formelwesen 91 f. Frau (Verwandtscha.ftsbezeichnung)56 Freigelassener, R echtsstellung 87f. Freilassung, Formen 83ff. 87 f . Freilassungsinschriften 83ff. Fußsohlen, Abbildung 60. 62 Gedenkinschriften 62 Gefallenenlisten s. Listen Grab, Bezeichnung 91 Grabepigramme s. Epigramme Grabinschriften 54ff. - , fli.r Tiere 58 Grabmal, Formen 54f. Grabstele s. Stele Haaropfer 60. 62 Hände, erhobene 55 Romonymität (Bezeichnung) 56 Indiktionen 94. 96 Inschriften, Abbildungen 27 - , agonistische 27. 89 - . historische 9. 27 - , juristische 27. 89 - , sakrale 27. 58. 89 - , Sammlungen 21ff. Inschriftenträger 44ff. Interpunktion 48 I onisches Alphabet 40f. I ota subscripturn 100 Juristische Inschriften s. lnscbriften Klammersystem. Leidenar 99 f. - , älteres 100
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104 Königsbriefe 27 Koine 91. 92 Kondolenzdekrete 58. 59 Korrekturen in Inschriften 46 Kränze 60. 7ß - , auf Grabstelen 5o Kreta, Bilderschrift 28 f. - , Linear A 29. 30. 31 - , Linear B 29ff. 32 - , Sprache 30 Kursivschrift 28. 42. 43 Kypros 31. 35 Latex-Abguß 98f. Lekythen 55 Lesezeichen 49 Ligaturen 42 Listen der Eponymen 93 f. - Gefall«"nen 58 - Proxenen 79 - Tbeorodoken 79 Lntrophoren 55 Lysikratesdenkmal 60 Mannor Parium 59 Metallinschriften -i5 Metöken 56. 88 Milet 40f. Minuskelschrift 28 Monatsnamen 94. 96 Mondjahr 94 f. Monumentalschrift 28. -i2 .,Motive" 75. 83 Naiskos 55 Namensiühnmg 55f. Ohr, Nachbildung 60 Olympiadenzählung 9-i Originalität der ln.echriften 00 Omamentale Inschriften "f. Paläographie 28 Papyrologie 7 Papyrus, Papyri 28. 50. 90. 92 Paramone 87 Photographie 98 Phylen (attische) ts9. 73 Pleonastische Schreibung 39 Präskript 73f. Preis von Statuen 65 Privilegien 78. 79 Probuleuma 71 f. ProbuJeumati.sche Dekrete 71 f. - Fonnel 71 f. Proekynemata 6lf. Proxenie 78. 8lf. - , Dekrete 68f. 78ff. 83 Prytaneion 76
Regi8ter Prytan.ie 73 Prytanienschreiber 7 4 Pylos, Palast 29
Ratsbeschlüsse 72 Rechtsgültigkeit rler Verewigung 53 Reliefbuchstaben 4G Sakralinschriften s. Inschriften Sn.n 36f. Sanktionsantrag 71. 72. 75 - fonnel 69. 71. 72 Schaltjahr 74. 95 Schreibersignaturen 4 7 Schreibfehlt>r 46f. 90 Schrüt, griechische 28ff. - , kretische s. Kreta - , kyprische Silbenschrift 31 . 33 - , Linear B in Griechenland 29 - , phönikische 32 f. 35 Schriftdatierung 43. 95 Scriptio continua 48 Silbentrennung 48 Solonische Gesetze 51 Speisung im Prytaneion 76. 77 Sprache der Inschriften 90ff. - , Griechisch der Römer 92 Statue 63f. 76f. Stele 45. 54f. - , Bezeichnungen 91 Stenographiesysteme 59 Ste-phah~horen (Milet) 93f. 9lSf. Sto1chedon 48 TabuJa ansata 45 Tituli memoriales s. GedenklhschHften Todesdatum 56 Trostsprüche in Grabinachrif\en 57 Übersohriften 48 Unzialschrift 28 V aeenin8ohriften 27
Verewigung von Urkunden 51 f . Verfiuchubg von Grabschändern 57. 59 Veröffentlichung von Urkunden 60f. Volksbeechlüsse 72 Vulgärinschriften 90 Vulgärsprache 92 Weibeformein 57 Weihinschriften 59ff. Weihungen 59f. Wiederverwendung von DenkmfiJem 66f. Zierschrift 42 Zusatzanträge 70 .,Zusatzbuchstaben" 38f. 40
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105 2. 0 r i e c h i s o h
aluv,uvijTa& TciW ,uolnwv 93 4Avne (xafee) 5ß dvay(>dtpt&V 4 7 d11ar&IJba& 54. 61. 62 dumw6el 79 duv.tel 79 duvUa 79 ßeßa&wT~(!
86
6eKa:rrJ vUTfea 7 4 M]pdu&a yea,u,uaTa 51
MJJAOG&OV 51
l,unau'' 79 bc5oyev~' 86 bon.to, 77 inat.Veiv 76 An~xoo, 61. 62 buvo,ula 79 ln~vUa 79
Cii (Cwa,")
57
Dswf!06ox(a 78f.
.
And.ronikos, M. 88 Audollent, A. 27 Austin, R. P. 49 A vi-Yonah, M. 49 Aymard, A. 96 Bauer, H. 3ts Bechtel, F. 26. 92 Beee, N. A. 25 Bekker, I. 16 Biokennann, E. 83. 9ß Billheimer, A. 83 Bischotf, E. 96 Bissing, W. von 31 Blaß, F. 92 Bloch, M. 87 Böokh, A. 16f. Bousquet, J . 64. 8~ Brandis 72 Brecoia, E. 26 Bröndsted 14 Buck, C. D. 92 Buckler, W. H . 2ö. 77 Busolt, 0. 83. 88 Buttmann, Ph. 15
Cadoux, T. J. 95 Cagnat, R . 26 Calder, W. M. 24. 25
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Te r m i n i
KaMlV enl eb&a, f5Bi'n1'0V 76 Klw• 91
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dUT(a 76
Ä.Wxw,ua 60 f. 64
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orKoiJW (Toii f5dVOl;) 63
II (auf Grabsteinen) 57 1rl11cJ.X'01' 8 6 1rf!oanOOOTa' 86 neoßookv,ua 71 f. 1r(!Oec5eo& 7 4 ne~.ua 62 1r(!Ouwnov ,,Büste" 77 nQwTw& ,una Ta leea 79 nvetc5&ov 86
GtJ,u1JQ&Bc5eo& 7 4 TaiiTa (Grabformel) 57
TeAa,uW11 91
vlO, Tij' n&.tew, o. ä. 56
xaJes {in
Grabi~hriften)
56f.
3. Personenregister
Calderini, A. 20. $8 Cameron, A. 20 Carpenter, R. 36 Casaon, 8. 4 7. Chabert, 8. 20 Chadwiok, J. 30. 31 Chandler 14 ChisbuH 14 Choiseul-Gouffier 14 Ciriaco de' Pizzicolli 13 Clarke Cookere) 14 G>la
1f
Dareete, R. 27 Daux, 0. 81. 85. 88. 96 Debnmner, A. 92 Delama~, J. 24 Dieterich, ~. 92
Dinsmoor, W. B . 95 Dirin~r. D. 35 Dittenberger, W. 17. 22. 26
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1'06 Dodwell 14 Dow, S. 31. 95 DfuT'ba.ch , F . 22. 23 Ebert, F. 89 Eißfeldt, 0. 35 E itrem 57
Register •
Knitl, E . 92 Köhler, U. 17 K olbe, W . 22 Krateros 12 Kretschmer, P. 27 Kubitschek , W. 96 Kurnanodis 16
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Laqueur, R. 83 Larfeld, W . passim L atte, K . 88. 89 Lattermann, H . 89 Latyschev, W. 17 Launey, M. 23 Leake 14 Le Bas, Ph . 16. 97 Lebegue, A 17. 24 Lejeune, M. 92 Lepsius, K. R. 16 Lesky, A. 31 Letronne, J. A. 15. 6 1 Liebenam. W . 96 Lietzmann, H . 25. 96 Ljungvik, H . 92 Loewy. E . 27. 67
Falkner, M. 41 Fauvel 14 Fellows, Ch. 16 F eyel, M. 96 F oucart, P . 16 Fourmont 14 Fränkel , M . 17. 22 Franz, J . 15 Fredrich, C. 24 Frey, J. -B . 25 Friedländer, P . 102 Furtwä.ngler, A. 67 Gell 14 Gercke, A. 41 Gerla.ch, 0. 65 Gottwald, 0 . 58 Gruter , J . 14 Guarducci, M. 41. 62 Guillon, P. 77 Guthrie, W . K . C. 25
.·'
l::lamilton , W . L . 16 • • H ammarström, M. 35 Rarder, R . 35. 49 Haussoullier, B . 27 Head, B . V. 96 Heberdey, R. 24 Helbing, R. 53. 92 Hepding, H . 77 • Herzog, R . 65 HeuB, A. 58 Hiller von Oaertringen, F . 17. 21. 22. 28. 24. 26.27 H ondius, J . J . E . 19. 21. 58. 88. 89. 92 Ja.cobstbe.l, P. 45 Ja.labert, L . 25 Janell, W . 58 Kaibel, G. 17. 24. 27 Kalinka, E . 24 Kaufmann. C. M. 11 K eil, J . 25. 65 K ern, 0. 22. 27. 43 Kirehhoff, A. 15. 16f. 36. 37 Kirchner, J . 21. 26. 27. 95 Kittel, G. 25 Klaffenbach, G. 22. 46 Klein, W . 67
-
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Maffei, F. S. 14 Magie, D . 92 MagiAt ros Gregorios 13 Marcac.Je, J. 27. 67 ~!auersberger, A . 92 Mayser, E. 92 Meritt, B . D . 95 Michel, Ch . 26 Miller, 0 . 83 Milne, J . G. 25 Mommsen, Tb. 17. 18 Mondesert, C. 25 Moretti, L . 27. 89 Mouterde, R. 25 Mühsam, A. 95 Müller, K . 0. 16
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Nachma.n.son , E . 92 Naumann, G. 62 Neugebau er, 0 . 96 Newton, Ch. Th. 16. 17. 53 Niebuhr , B . G. 15 Nilsson, M. P. 35 Nointel. Marquis de 14 Notopoulos, J . A. 95 Oliver, J. H . 95 Oppenna.nn, H . 62 Osann 14f. Pape-Benseler 96 Partsch, J . 86 Paton, W . R. 17. 23
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Regißter
Peek, W. 27. 97 Pfohl, G. 58 Philochoros 12 Pittakis 16 Pla.ssart, A. 23 Polemon 13 Pomtow, H . 26 Pouqueville 14 Premerstein, A. von 64 Pritchett, W. K. 95. 96. 98 Prott, H. von 27. 89 Pugliese Ca.rra.telli, G. 31 Ra.derma.cher, L . 92 Re.nga.vis 16 Raubitschek, A. E. 11 Rehm, A. p assim Reina.ch, S. passim Reina.ch, T b. 27 Reisch, E. 62 R obert, J. 19. 25. 63. 68. 99 Robert, L . passim Robinson, D. M. 77 Röhl, H. 15. 26. 27 Roß, L . 16 Rouse, W. H . D. 62 Roussel, P. 22. 23 Sa.Ja.ö, A. 77 Sca.liger , J. J. 14 Schleierma.cher, F . 15 Schmöke!, H. 35 Schredelseker, P. 62 Schuba.rt, W . 48 SchWyzer , E. 26
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Seyrig, H. 59 Smetius, M. 13f. Sokolowski, F. 89 Sommer, L. 62 Sotiriu, G. 25 Spa.da.fora., G. 25 Spon 14 Stra.ub ergs, K. 59 Swoboda., H. 68. 69. 73. 83 Sza.nto, E. 80. 83 Thumb, A. 91. 92 T od, M. N. 11. 19. 27. 59 Trebeux, J. 95 Ventris, M. 30. 31 Viereck, P. 92 Wa.ddington, W. H. 16. 25 Walpole 14 Weinreich, 0. 60. 62 Welles, C. B. 27 Wescber, Ch. 16 Wheler 14 Wila.mowitz.Moellendorff, U. von 17 f. 38. 82.92. 98 Wilcken, U. 28. '67. 90. 102 Wilhelm, A. p assim Woodhea
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STUDIENHEFTE ZUR ALTERTUMSWISSENSCHAFFT Herausgegeben von Bruno Snell und Hartmut Erbsese Heft t BR UNO S NELL •
Griechische Metrik Jt Stil",, III'Oitbitrl },80 DM ,,Dem Verfuler ist es gelungen, sich nicht in Einzclbeiten zu verlieren, Wesent-
Heft 2 .ALBIN LESKY
Die tragische Dichtung der Hellenen 229 Stllm, brMtbitrl t 1,50 DM Es gebt dem Verfasser hier um die griechische Tr2gödie als Gegenstand wissen- nscbaftlicber Problematik. wobei auch die neucsten Forschungen berückaichtigtgt wurden.
Heft 4 RUDOLF HELM
Der antike Roman 2• .Aitflagt, 80 S1i1m, brmbitrt 4,80 DM Der Leser erbillt einen kur:zgefaßten ansebaulichen Überblick über die PUlle lc des antiken Romanwesens: den historischen. den mythologischen, den Liebes- sroman, die Utopie, den cbristllchen Roman, romanlufte Biog.raphlc, Roman· ·Iparodie und den komisch-satirischen Roman .
.. In Vorberei tung sind: Heft 3 OS KAR BECKER
Das mathematische Denken der Antike Blwa tJO Stilm, brostbitrl t/Wa 8,- DM
An Hand geeigneter Beispiele versucht der Verfuser, die Denkweise der r griechischen Mathematik dar:zustellen, die ja die Wurz.el u.nserer heutigen Mathematik Ist. Heft 5 ULRICH KNOCHE
Die römische Satire 2., 111it t iMIII Narbtral Ht'StbtM Alif/at.t, 11•11 f 16 Stilm, brosrbitrl t/•11 6,80 DM I
VANDENHOECK & RUPRECHT· GÖTTINGEN f