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Jan Stenger Hellenische Identität in der Spätantike
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Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Heinz-Günther Nesselrath, Peter Scholz und Otto Zwierlein
Band 97
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Hellenische Identität in der Spätantike Pagane Autoren und ihr Unbehagen an der eigenen Zeit
von
Jan Stenger
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Gedruckt mit Unterstützung der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISSN 1862-1112 ISBN 978-3-11-021328-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Laufen Satz: Jan Stenger mit LATEX Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Wintersemester / der Philosophischen Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel vorgelegen hat. Seitdem erschienene Forschungsliteratur konnte nicht mehr systematisch berücksichtigt werden. Die Drucklegung des Buches wurde großzügig unterstützt von der »Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung«. Förderung habe ich ferner erfahren vom Exzellenzcluster topoi, das mir seit einigen Monaten auch eine inspirierende wissenschaftliche Heimat in Berlin bietet. Gerne komme ich der Pflicht nach, denen meinen Dank abzustatten, die mich bei der Entstehung und beim Abschluß der Arbeit vielfältig unterstützt haben. Mein erster Dank gilt Lutz Käppel, der mich stets gefördert und mit seinem Engagement und seinen Ratschlägen meiner Arbeit entscheidende Impulse gegeben hat. Für die weiteren schriftlichen Gutachten danke ich Thorsten Burkard, Heinz-Günther Nesselrath und Peter Weiß. Aus ihren kritischen Anmerkungen habe ich viel gelernt. Ebenso bin ich den übrigen Mitgliedern der Habilitationskommission sehr verbunden. Für seine Hilfsbereitschaft und für seine Anteilnahme an meiner Beschäftigung mit der Spätantike danke ich Josef Wiesehöfer herzlich. Dank weiß ich ferner den Herausgebern der Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte dafür, daß sie mein Werk in ihre Reihe aufgenommen haben. Henning Börm hat das Manuskript mit großer Aufmerksamkeit gelesen und mir mit althistorischem Sachverstand wertvolle Hinweise gegeben. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Male Günther danke ich ebenfalls für ihre sorgfältige Lektüre, die mich vor manchem Fehler bewahrt hat. Wieviel ich meinen Eltern verdanke, vermag ich mit Worten nicht zu sagen. Wie ich bei meiner Beschäftigung mit der spätantiken Literatur von den Gesprächen mit Klassischen Philologen und Althistorikern profitiert habe, so möge dieses Buch sowohl in der philologischen als auch in der althistorischen Forschung auf Interesse stoßen. Wenn es gerade die Philologen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den oft als epigonal eingestuften Autoren anregte, hätte es schon ein wesentliches Ziel erreicht. Berlin-Dahlem, im Juni
J. R. S.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Literatur in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Unbehagen an der eigenen Zeit . . . . . . . . . . . . . . Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode . . . . . . .
Auf der Suche nach Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Von der Institution zum Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wer ist ein Hellene? . . . . . . Die Vermessung Griechenlands Hellenische Medizin . . . . . Eine Religionsgemeinschaft? . Disziplinierung . . . . . . . . Eine stabile Identität . . . . .
Reflexionen über die Kaiserherrschaft . . . . . . . Die Institution ist wichtiger als das Individuum . . Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal . Libanios’ Hagiographie . . . . . . . . . . . . . . Transformationen des Herrscherideals . . . . . . .
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Das Ideal des Intellektuellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elitenwandel im vierten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . Die Konstruktion eines Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . .. Distinktionsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . .. Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Vitarum auctio – Behauptung auf dem Markt der Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Literarische Konstruktion und Repräsentation . . . . .. Gesellschaftliche Bedeutung und Attraktivität des Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten auf Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . .
VIII
Politik der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
»Du hast gesiegt, Galiläer« . . . . . . . . . . . . . . . Historische Erinnerung und Gedächtnis . . . . . . . . Wege der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerungskonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . Gefährliche Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . Modi des Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Prägung des kollektiven Gedächtnisses – ein Résumé
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Die Sicherung der Religion nach innen und außen . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen? . . . .. Salutius: Theorie . . . . . . . . . . . . . .. Julian: Praxis . . . . . . . . . . . . . . . Anpassung und Widerstand . . . . . . . . . . . . .. Grenzziehung . . . . . . . . . . . . . . .. Rollentausch . . . . . . . . . . . . . . . .. Für die Tempel – gegen das Christentum? .
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Eine Palingenesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abkürzungen Claud. Mamert. CTh Eun. fr. Iul. Caes. Iul. ep. Iul. ep. ad Ath. Iul. ep. ad Them. Iul. Gal. Iul. Mis. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Iul. or. Orib. Coll. med. Orib. Eup. Orib. Syn. Sal.
Claudius Mamertinus, Danksagung für das Konsulat an Kaiser Julian (Paneg. Lat. []) Codex Theodosianus Eunap, Historien [Fragmente nach Blockley (1981/3)] Julian, Kronia oder Caesares Julian, Briefe Julian, Brief an Rat und Volk von Athen Julian, Brief an Themistios Julian, Gegen die Galiläer Julian, Misopogon Julian, Lobrede auf den Kaiser Constantius Julian, Lobrede auf die Kaiserin Eusebia Julian, Über die Taten des Kaisers oder Über die Königsherrschaft Julian, Trostrede bei der Abreise des besten Salutius Julian, Gegen den Kyniker Herakleios Julian, Auf die Mutter der Götter Julian, Gegen die ungebildeten Kyniker Julian, Auf den König Helios Oreibasios, Collectiones medicae (᾿Ιατρικαὶ συναγωγαί ) Oreibasios, Euporista (Synopsis für Eunap) Oreibasios, Synopsis für seinen Sohn Eustathios Salutius , Über die Götter und den Kosmos
Namen klassischer Autoren werden sonst nach LSJ abgekürzt (mit kleineren Modifikationen). Die Abkürzungen christlicher Autoren folgen G. W. H. Lampe: A Patristic Greek Lexicon. Oxford , diejenigen römischer dem Index librorum scriptorum inscriptionum des Thesaurus linguae Latinae. . Aufl. Leipzig .
Zur Namensform siehe unten S. .
X CAH DNP HWPh HWRh PG PLRE RAC RE STAC WdF
Abkürzungen
Cambridge Ancient History Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Hubert Cancik, Helmuth Schneider und Manfred Landfester. Bde. Stuttgart; Weimar –. Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter u. a. Bde. Basel –. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding. Bisher Bde. Tübingen –. Patrologia Graeca (Patrologiae cursus completus, series Graeca), hg. von Jacques-Paul Migne. Paris –. Arnold H. M. Jones; John R. Martindale; J. Morris: The Prosopography of the Later Roman Empire. Bd. : A. D. –. Cambridge . Reallexikon für Antike und Christentum, hg. von Ernst Dassmann u. a. Bisher Bde. Stuttgart –. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, hg. von Georg Wissowa u. a. Bde. Stuttgart –. Studien und Texte zu Antike und Christentum Wege der Forschung
Zeitschriftentitel, die aus mehreren Wörtern bestehen, werden nach der Année Philologique abgekürzt.
Literatur in der Krise . Das Unbehagen an der eigenen Zeit ᾿Επὶ Θεοδοσίου τοῦ βασιλέως ἐς τοῦτο ἤδη συνέπεσεν ἅπαντα καὶ περιηνέχθη κατά τινα βίαν ἀπαραίτητον καὶ ἀνάγκην ἀνυπόστατον καὶ θεήλατον ὡς καὶ τὸ τῶν ὄνων γένος, μὴ ὅτι τῶν ἵππων, ἀλλὰ καὶ τῶν ἐλεφάντων γενέσθαι τιμιώτερον. ὁ μὲν οὖν Μακεδὼν Φίλιππος ἀναζευγνύναι μέλλων περὶ ἑσπέραν ἤδη, εἶτα πυθόμενος ὡς οὐ δυνατόν, εἰπόντων τῶν κωλυόντων χιλὸν οὐχ ὑπάρχειν ἱκανὸν τοῖς ὑποζυγίοις, ἀνέζευξε τοῦτ’ ἐπειπών, ὡς οὐδὲν βασιλέως ἀτυχέστερον, ὃς καὶ πρὸς τὸν τῶν ὄνων καιρὸν ζῆν ἀναγκάζεται. ὁ δὲ καθ’ ἡμᾶς χρόνος ἐκινδύνευσεν ὄντως ἐπὶ τοῖς ὄνοις σαλεύειν. (Eun. fr. . ) Unter der Regierung des Kaisers Theodosius war die ganze Situation nunmehr in solchem Maße zusammengestürzt und durch eine unerbittliche Gewalt und einen unwiderstehlichen und von den Göttern verhängten Zwang auf den Kopf gestellt worden, daß selbst Esel wertvoller waren nicht nur als Pferde, sondern selbst als Elephanten. Als der Makedone Philipp, im Begriff, schon um die Abendzeit aufzubrechen, erfuhr, daß dies nicht möglich sei, da, wie diejenigen, die ihn zu hindern suchten, sagten, nicht ausreichend Futter für die Zugtiere vorhanden sei, ließ er trotzdem anspannen, wobei er hinzufügte, daß nichts unseliger sei als ein König, der gezwungen werde, sein Leben nach dem Vorteil der Esel zu führen . Unsere Zeit aber lief Gefahr, wirklich auf Eseln hin- und herzuwanken.
Mit dieser Diagnose versuchte der Geschichtsschreiber Eunap von Sardes im neunten Buch seiner Historien das ausgehende vierte Jahrhundert zu charakterisieren. Seiner Einschätzung zufolge krankte das Römische Reich unter Theodosius I. nicht nur an einzelnen Stellen, vielmehr war es in seiner Gesamtheit so tief in die Krise geraten, daß kein Ausweg denkbar schien . Einem unausweichlichen Schicksal unterworfen, steuerte das Gemeinwesen auf den sicheren Untergang zu, der gemäß Eunaps Geschichtskonzeption von den Göttern verhängt worden war. Offenbar hatten die Menschen, nicht zuletzt der Kaiser, durch ihr Eunap folgt hier Plu. mor. a (Regum et imperatorum apophthegmata) bzw. b (An seni res publica gerenda sit). Mißverstanden wurde die Anekdote von Blockley (1981/3) II , der ἀναζευγνύναι zuerst mit »halt his army«, dann jedoch mit »ordered the army to move on« wiedergibt. Zu weiteren Verfallserscheinungen in der Regierungszeit des Theodosius siehe fr. . , . f., und . Diese Entwicklung setzt sich Eunap zufolge unter Theodosius’ Söhnen fort ( fr. , f.).
Literatur in der Krise
Verhalten das göttliche Strafgericht heraufbeschworen, und so versank nun alles im Chaos. Während sich König Philipp, wie dem Apophthegma zu entnehmen ist, geweigert hatte, sich den Bedürfnissen seiner Zugtiere unterzuordnen, lieferte sich das Römische Reich nun gänzlich Eseln aus. Was der Geschichtsschreiber mit den Eseln gleichsetzen wollte, läßt sich nur vermuten. Auf der Hand liegt hingegen, daß für ihn der Kaiser höchstpersönlich ein gerüttelt Maß an Schuld an diesen Zuständen trug . Auch wenn der fehlende Kontext des Passus kein genaueres Urteil gestattet, scheint es doch so, als habe Eunap hier keine differenzierte Analyse einzelner Niedergangssymptome und ihrer Ursachen vorlegen, sondern eher einen Gesamteindruck einer umfassenden Krise vermitteln wollen . Anzeichen einer tiefgreifenden Krise des Reiches nahm Eunap freilich nicht allein unter Theodosius wahr; vielmehr ermangelten Jovian und Valens ebenfalls der nötigen Eigenschaften und Fähigkeiten, so daß man auch im Hinblick auf ihre Herrschaft von einem sich aus Zwietracht, Krieg und Mord nährenden Chaos sprechen konnte . So künden Eunaps Werke von einem tiefen Unbehagen an der eigenen Zeit, einer pessimistischen Grundhaltung gegenüber der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts. In dieser düsteren Einschätzung traf er sich mit dem von ihm hochgeachteten Antiochener Sophisten Libanios, der immer wieder zur Feder griff, sei es vor sich selbst, sei es vor anderen, seiner Ablehnung zeitgenössischer Erscheinungen Ausdruck zu verleihen. Seine Rolle als laudator temporis acti und scharfer Kritiker der Gegenwart brachte ihm unter Theodosius in seiner Heimatstadt Vorwürfe seiner Mitbürger ein, gegen die er sich zur Wehr zu setzen versuchte. In der aus diesem Anlaß im Jahre verfaßten Rede läßt er vor den Augen seines Publikums ein Gemälde des allgemeinen Verfalls erstehen, der sich von der Religion über die Lage der Bauern, die städtische und provinzielle Verwaltung Gleich zu Beginn des Theodosius gewidmeten Abschnitts ( fr. ) zeichnet Eunap ein sehr negatives Charakterbild des Kaisers und schickt voraus, daß dieser zum allgemeinen Niedergang des Reiches beigetragen habe ([. . .] μηδένα τρόπον ἀμελούμενον κακίας καὶ ἀκολασίας ἐς τὴν κοινὴν τῶν πραγμάτων διαφθοράν »[. . .] keine Art von Schlechtigkeit und Zügellosigkeit zum allgemeinen Untergang des Staates wurde ausgelassen«). Zu den historischen Kategorien Krise und Niedergang vgl. die Überlegungen von Vierhaus (1978); Widmer (1983) –; Reinhart Koselleck; Nelly Tsouyopoulos; U. Schönpflug: Art. »Krise«, in: HWPh , , –; Reinhart Koselleck: Art. »Krise«, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, Bd. , , –; Paul Widmer: Art. »Niedergang und Untergang«, in: HWPh , , –. Vgl. auch die Beiträge in Koselleck – Widmer (1980). So Eun. fr. . im Hinblick auf Valens’ Regierungszeit. Vgl. auch fr. zu Valens’ Germanenpolitik. Jovian war Eunap zufolge durch beschränkten Intellekt und mangelnde Bildung alles andere als für das Kaiseramt prädestiniert. Der größte Makel seiner Herrschaft habe darin bestanden, nach Julians Tod fluchtartig den Osten verlassen und den Persern die Stadt Nisibis ausgeliefert zu haben ( fr. ).
. Das Unbehagen an der eigenen Zeit
sowie das Militär bis hin zur rhetorischen Bildung erstreckt . Die allerorten wahrnehmbaren Symptome berechtigten ihn, wie er meinte, zu seinen unablässigen, den anderen lästigen Klagen. Ebenso wie sein jüngerer Zeitgenosse Eunap gab Libanios, wie er an anderen Stellen verlauten läßt, den Kaisern einen Großteil der Schuld an der Misere des Römischen Reiches. Obgleich er nicht einen exakten Anfangspunkt für den Verfall namhaft macht, zeichnet sich ab, daß er Kaiser Konstantin als denjenigen betrachtete, der insbesondere durch seine Religionspolitik einen scharfen Bruch mit der Vergangenheit markiert hatte . In den Schatten gestellt wurde dieser allerdings von seinem Sohn Constantius II., der den Tyrannen schlechthin verkörperte, was Libanios begreiflicherweise aber erst nach dessen Tod sagen konnte . Aber auch in späteren Jahren fehlte es nicht an Indizien dafür, daß die Kaiser offensichtlich nicht ihren Pflichten nachkamen und dadurch die Macht des Reiches aufs Spiel setzten. Augenfällig wurden die Versäumnisse in der empfindlichen Niederlage von Hadrianopel, als – so Libanios – die Erkenntnis unabweisbar war, daß das Ausbleiben der Rache für den toten Julian die Katastrophe herbeigeführt hatte . Dieser selbst hatte im übrigen nach Kräften ebenfalls die Version in Umlauf gebracht, Konstantin und seine Söhne, allen voran Constantius, hätten das Reich in den Ruin getrieben. Teils mit der Schärfe der Satire , teils in mythischem Gewand versuchte Julian die Einschätzung zu verbreiten, seine unmittelbaren Vorgänger hätten durch ihre Regierung, insbesondere die Verbindung des Reiches mit dem Christentum, das Staatswesen an den Abgrund gebracht und ein allgemeines Chaos ausgelöst . Wenn sich das Reich demnach geradezu in Agonie befand, so hatten die Kaiser zwar maßgeblichen Anteil daran, die Auswirkungen des Niedergangs traten jedoch auf vielen Gebieten hervor, wie schon angeklungen ist. So nahm Eunap von seiner schonungslosen Analyse die Elite, in deren Händen Verwaltung und Militär lagen, nicht aus. Gestalten wie der grausame proconsul Asiae Festus oder der unter Theodosius aktive gierige und skrupellose praefectus prae Lib. or. . Zur Datierung der Rede siehe § . Libanios beklagt im einzelnen den Niedergang der paganen Kultpraxis (§ f.), die Verarmung der Landbevölkerung (§ ), den Bedeutungsverlust der Stadträte (§ –), die sittliche Entartung des Militärs (§ –), die Korruption der Provinzverwaltung (§ f.) und den Niedergang der griechischen rhetorischen Bildung (§ –). Lib. or. . und . Lib. or. . und (Constantius’ Herrschaft als Tyrannis); . f.; . ; . , , ; . –. Ganz anders hatte noch in den er Jahren Libanios’ Lob desselben Kaisers ausgesehen (or. ). Insbesondere in den julianischen Reden des Libanios fehlt es nicht an Hinweisen zum allgemeinen Niedergang unter der Herrschaft des Constantius, etwa or. . , f.; . f.; . –, –, –. Lib. or. , ein offener, an Theodosius und Gratian gerichteter Brief aus dem Jahre . Zu Konstantin siehe Iul. Caes. d–d, a/b und a/b; Amm. . . . In leicht zu entschlüsselnder allegorischer Form warf er Konstantin und dessen Söhnen vor, alle gültigen Werte umgestürzt zu haben: Iul. or. . b–a. Auch Eunap zeichnete in seinen Historien anscheinend ein negatives Porträt Konstantins ( fr. . und ). Vgl. VS . . . Zu Constantius siehe fr. . und VS . . –.
Literatur in der Krise
torio Orientis Rufin standen emblematisch für den allgemeinen Sittenverfall und die schlechte Verfassung der Administration, zumal im Kontrast mit den wenigen von Eunap positiv gezeichneten Amtsträgern und Militärs . Und Libanios’ Autobiographie gleicht über weite Strecken einer Galerie unfähiger, ungebildeter und korrupter Beamter, die als Vertreter der Reichsgewalt Antiochia nach Willkür beherrschten . Gegen einige von ihnen versuchte der Redner mit publizistischen Mitteln einzuschreiten, um die schlimmsten Mißstände zu beseitigen . Julians Bild der Eliten unter Constantius unterschied sich von der Einschätzung des Libanios nicht wesentlich . Die Schriften des Sophisten geben darüber hinaus einen anschaulichen Einblick, wie tief dem Autor zufolge die lokalen Eliten gesunken waren. Abgesehen von der immer wieder zu hörenden Klage über den Niedergang der alten Kurialenfamilien, stellte er auch eine sittliche Entartung der Oberschicht fest. Ihre Angehörigen hätten sich auf Kosten anderer bereichert und Heiligtümer geplündert, bemerkte er im Jahre . Auch als Kaiser Julian im Zorn die Stadt verlassen hatte, machte Libanios keinen Hehl daraus, daß an der verfahrenen Situation die einflußreichen Bürger schuld seien, und zwar vor allem deswegen, weil sie sich dem Christentum zugewandt hätten . Gerade das Gebiet der Religion bot Libanios, Julian und Eunap, aber auch dem Redner Himerios, ausreichend Anlaß, über die Tendenzen ihrer Zeit zu klagen. Seit Konstantin und seine Söhne den Kardinalfehler begangen hätten, das Christentum zu tolerieren, ja sogar zu fördern, mache sich überall der schädliche Einfluß dieser Krankheit oder Finsternis bemerkbar. Folgt man dem Urteil der Autoren, so gerieten die paganen Kulte an allen Fronten in Bedrängnis. Die Kaiser verboten Opfer, Christen zerstörten Kultbilder und Heiligtümer, der Mob der Mönche zog marodierend übers Land , bis schließlich Eunap ernüchtert konstatieren mußte, daß das Christentum überall auf dem Vormarsch, die alten Kulte hingegen auf dem Rückzug seien . Markante Ereignisse wie das Ende der Eleusinischen Mysterien, das Verstummen von Orakeln oder die Vernichtung des großen Sarapeions von Alexandria machten die Umkehrung der bisherigen Eun. fr. . ; VS . . – (Festus); fr. und (Rufin). Positive Gestalten bei Eunap sind zum Beispiel Fravitta, der die Götter verehrt ( fr. und ), und der proconsul Asiae und zweimalige praefectus urbis Constantinopolitanae Klearchos (VS . . –). Beispielsweise Lib. or. . –, , , . Siehe ferner or. . Lib. or. (gegen Proklos); – (Ikarios); (Tisamenos); (Eumolpios); (Florentius); (Lukian); (Severus). Zur Korruption in der Verwaltung unter Constantius siehe auch or. . . Zur Kritik an Reichsbeamten vgl. Slootjes (2006) –. Iul. ep. ad Ath. b/c (zu Constantius’ Amtsträgern und Militärs in Gallien), auch b (zu den Höflingen); vgl. ep. . Lib. or. . . Libanios wendet sich in dieser Rede gegen diejenigen, die Antiochia im Zuge der Statuenunruhen aus Furcht fluchtartig verlassen hatten. Lib. or. . –. Er fordert eine allgemeine Umkehr. Lib. or. . ; . ; . ; . ; ep. ; ; ; Iul. Gal. fr. ; Mis. b; or. . b; ep. . a; Eun. VS . . Nach Himerios verhinderte die unter Constantius herrschende Finsternis die Verehrung der Götter (or. . ). Eun. VS . . –.
. Das Unbehagen an der eigenen Zeit
religiösen Ordnung für jedermann augenfällig . Selbst der philosophische Redner Themistios, der sich sonst von seinen Zeitgenossen unterscheidet, wie wir noch sehen werden, beklagte unter Jovian die bisherigen religiösen Konflikte, die er kriegerischen Auseinandersetzungen an die Seite stellte . Das Emporkommen des Christentums bis an die Spitze des Staates stellte zunehmend die paganen Kulte und deren öffentliche Rolle in Frage, zumal es als monotheistische Religion den Anspruch erhob, den einzigen Weg zu Gott zu bieten, und sich nicht ohne weiteres synkretistisch in die religiöse Landschaft des Reiches integrieren ließ. Welchen Argwohn und welche Ablehnung die Sonderrolle des Christentums provozierte, spricht daraus, daß Julian, Libanios oder Eunap seine Anhänger als gottlose Frevler wahrnahmen . Je stabiler und selbstbewußter das Christentum in der Gesellschaft verankert war, desto intensiver mußten die paganen Autoren über ihre eigene Religion und deren neuen Status reflektieren. Religion ließ sich nach Ansicht der spätantiken Autoren nicht scharf vom Bereich der Bildung scheiden. Solange die klassische Literatur, auf der die παιδεία beruhte, voll von Göttern, Heroen und Mythen war, hatte die Frage, welchem Bildungsideal man nachstrebte, auch religiöse Implikationen. Mit besonderem Eifer nahm sich Julian dieses Themas an, als er mit Hilfe des sogenannten Rhetorenedikts versuchte, die Christen von der traditionellen Bildung und damit auch von der Elite des Reiches fernzuhalten. Aus seinen Ansichten und Maßnahmen spricht unmißverständlich das Gefühl, daß die großen Werke der Literatur durch christliche Vereinnahmung gefährdet seien. Gefahr drohte aber auch von anderer, weltlicher Seite. Trotz glänzenden persönlichen Erfolgen war Libanios überzeugt, sein Bildungsideal einer griechischen Rhetorik werde von Konkurrenten wie der Jurisprudenz oder der Stenographie überflügelt . Verstärkt wurde der Eindruck mangelnder Achtung vor der Rhetorik, wenn seine Schüler es an Aufmerksamkeit und Respekt vor dem Lehrer fehlen ließen . Nach ihrem eigenen Zeugnis sahen auch Libanios’ Kollegen Himerios und Themistios die Bildung, sei sie eher rhetorisch, sei sie philosophisch
Die christlichen Zerstörungen von Heiligtümern zogen Libanios zufolge Verfallserscheinungen in anderen Bereichen nach sich. Siehe or. passim und . , wo er die Statuenunruhen von auf die Vernichtung des Nemesistempels von Daphne zurückführt. Julian meinte, daß ›die Torheit der Galiläer‹ zur Zeit des Constantius beinahe alles umgestürzt hätte (ep. ). Them. or. . b/c. Lib. ep. ; ; or. . , , ; . ; . ; Iul. ep. . a/b; a. b; b. a–c; . b/c; or. . a/b; Eun. VS . . –. Lib. or. . , ; . –; . f.; . – (Jurisprudenz); . –; . ; ep. (Stenographie). Besonders pointiert ist die Klage über die mangelnde Disziplin der Schüler in or. . –, . Auch dieser nach verfaßten Rede liegt der Kontrast zwischen der guten Vergangenheit und der heruntergekommenen Gegenwart zugrunde.
Literatur in der Krise
ausgerichtet, Angriffen ausgesetzt . Gerade die Privatreden des letzteren legen beredtes Zeugnis dafür ab, daß ein politisch tätiger und sich damit exponierender Philosoph sich ständiger Kritik erwehren mußte – oder meinte, dies tun zu müssen . Klagen über den Niedergang der Bildung erstrecken sich dann auch durch das gesamte Werk Eunaps bis in das medizinische Corpus seines Freundes Oreibasios hinein. In seinen Eunap gewidmeten Euporista bemängelt er, wie selten wahre Ärzte geworden seien, während zahlreiche Scharlatane nur den Namen des Arztes führten . Mit dem Niedergang der Bildung und dem Aufstieg des Christentums korrespondierte in der Wahrnehmung der paganen Autoren ein allgemeiner Verfall der Sitten. War, wie Julian schreibt, schon der erste christliche Kaiser Konstantin Schwelgerei und Zügellosigkeit ergeben, so verwunderte es nicht, daß eine christlich geprägte Stadt wie Antiochia einem einzigen Sündenpfuhl glich, wo man sämtliche guten griechischen Traditionen über Bord geworfen hatte. Libanios, selbst Bürger dieser Stadt, beobachtete etwa beim Fest der Olympien eine schleichende Profanierung, die sich in der Vergrößerung des Plethrons und der damit einhergehenden Ausweitung des Publikums sowie der Zulassung von Jugendlichen zum Festmahl manifestierte . Solche Neuerungen beraubten ehrwürdige Institutionen ihres Charakters. Wie düster schließlich Eunap den moralischen Zustand des Reiches malte, ist bereits angeklungen. Einen einzigen Lichtblick in diesem Panorama des um sich greifenden Verfalls schien es zu geben, jedenfalls für einige: Kaiser Julian. Glaubt man den Panegyrici des Libanios und des Claudius Mamertinus, den Werken Eunaps, den Reden des Himerios und den Proömien des Oreibasios – nicht zu vergessen die Schriften des Kaisers selbst –, so brach mit seiner Regierung ein Goldenes Zeitalter an, das sämtliche eben bezeichneten Mißstände korrigieren sollte . An Himerios spricht von zielgerichteten Maßnahmen gegen die Rhetorik (or. . ) und nimmt in Athen eine allgemeine feindselige Stimmung wahr (ebd. § ). Darauf spielt wohl auch die Andeutung in . an. Auch in . – konstatiert Himerios einen Niedergang der Beredsamkeit in Athen, dem er durch seine Tätigkeit entgegenwirken wolle. Them. or. ; ; ; ; . Gegen die Kritiker an seinem politischen Engagement wendet sich Themistios in or. und ; vgl. auch or. . Zu den Hauptargumenten der Reden vgl. die Zusammenfassungen bei Penella (2000a) –. Zum angeblich deplorablen Zustand der Bildung unter Constantius siehe auch Lib. or. . –. Orib. Eup. prooem. . Dabei handelt es sich in Antiochia um ein Gebäude mit Zuschauerrängen. Vgl. Downey (1983) und Martin (1988) –. Lib. or. (von /) und (ebenfalls im Alter verfaßt). Downey (1983) f. Siehe beispielsweise Claud. Mamert. f.; Lib. or. . ; . ; vgl. . ; Him. or. . ; passim. Es ist sicherlich kein Zufall, daß sich Julian, wenn er seine eigene Herrschaft mit derjenigen der konstantinischen Dynastie konfrontiert, der mythischen Einkleidung bedient (or. . c–c). Er erinnert damit an Weltaltermythen und mythische glückliche Zeiten.
. Das Unbehagen an der eigenen Zeit
seine Politik einer grundlegenden Umkehr knüpften sich die Hoffnungen seiner Gesinnungsgenossen. Durch sein jähes Ende in Persien jedoch schlug das Sprechen über Julian um in wehmütige Erinnerung, welche die Gegenwart um so dürftiger und deprimierender erscheinen ließ. Das vermeintliche Ideal blieb eine kurze Episode. Nachdem Julian den vom Schicksal verhängten Niedergang für kurze Frist hatte hemmen können, stürzte das Reich um so rasanter in den Abgrund, wie Libanios aus zahlreichen Symptomen schloß. Erdbeben und Seuchen begleiteten den Untergang prodigienhaft . Der Erfahrungswandel, den die auf verschiedenen Gebieten der Politik, der Gesellschaft und der Religion stattfindenden Umbrüche des vierten Jahrhunderts zeitigten, führte bei den paganen Autoren offensichtlich zu einer pessimistischen Einschätzung ihrer Epoche . Da sie zahlreiche traditionelle Auffassungen und Institutionen in Frage gestellt sahen, fühlten sie sich herausgefordert, ihre eigene Zeit – gerade im Kontrast mit früheren Zuständen – zu analysieren und zu bewerten. Sie wollten von ihrer Warte aus erklären, aus welchen Ursachen und unter welchen Umständen es zu diesen krisenhaften Veränderungen gekommen war. Gleichwohl war diese Analyse, wie wir bereits gesehen haben, nicht immer besonders scharfsinnig und differenziert, sondern erschöpfte sich nicht selten in einem allgemeinen Lamentieren und relativ bequemen Schuldzuweisungen. Deutlich wird jedenfalls, daß es die eigenen Erfahrungen waren, die den Impuls zur Zeitkritik gaben. Überhaupt eignet den vorgestellten Diagnosen ein stark persönliches Moment, insofern die Autoren ihren eigenen Status bedroht sahen und sich an den Rand gedrängt fühlten. Das war bei Julian, den die Vernichtung seiner Familie tief prägte, nicht anders als bei Libanios, der sich ständig genötigt fühlte, heimtückischen Attacken seiner Zeitgenossen auszuweichen und die Fahne der griechischen Beredsamkeit gegen Konkurrenten hochzuhalten. Auch Themistios mußte sich gegen Anfeindungen zur Wehr setzen, die ihm auf Grund seines politischen Engagements und seiner öffentlichen Form der Philosophie erwachsen waren. Wenn man Eunaps Historien und seine Sophistenviten liest, gewinnt man schließlich den Eindruck, als habe er es nicht verwunden, daß er Julians Regierung nicht bewußt erlebt hatte. Sein sehr persönliches Motiv, die Zeitgeschichte festzuhalten, verschweigt er nicht . Lib. or. . –; . (wie die Götter mit Julian zurückgekehrt waren, so verläßt Apollon bei dessen Tod die Erde). Zu den Möglichkeiten einer methodischen Verarbeitung von Erfahrungen des Wandels siehe Reinhart Koselleck: »Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze«, in: ders.: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt/Main , –. [zuerst in: Historische Methode, hg. von Chr. Meier und J. Rüsen. (Beiträge zur Historik ) München , –]. Eun. fr. und (φέρεται δὲ ἐντεῦθεν ὁ λόγος ἐφ’ ὅνπερ ἐφέρετο ἐξ ἀρχῆς,
καὶ ἀναγκάζει γε τοῖς ἔργοις ἐνδιατρίβειν ὥσπερ τι πρὸς αὐτὸν ἐρωτικὸν πεπονθότας, οὔτι μὰ ∆ία τεθεαμένους ἢ πεπειραμένους· κομιδῇ γὰρ ἦν ὁ γράφων τάδε παῖς, ἡνίκα ἐβασίλευσεν »Daher läuft meine Darstellung auf den zu,
Literatur in der Krise
Dieser tour d’horizon durch zeitkritische Bemerkungen, der sich problemlos durch ähnliche Beispiele vermehren ließe, offenbart ein tief verankertes Krisenbewußtsein bei paganen Autoren des vierten Jahrhunderts . Befragt man hingegen ihre christlichen Zeitgenossen, so könnte man mitunter auf den Gedanken kommen, diese hätten in einem gänzlich anderen Staat gelebt. Nach Euseb hatte die Konstantinische Wende als Beginn einer Goldenen Zeit allgemeine Begeisterung ausgelöst. Der christliche Kaiser hatte nicht nur als neuer Moses die Kirche aus der Verfolgung in die Freiheit geführt, sondern als zweiter Augustus die Gründung des Principats erst zur Vollendung gebracht . Nachdem sich das Christentum durchgesetzt hatte, stand auch einer moralischen Besserung der gesamten Menschheit nichts mehr im Wege. Waren durch das Wirken der göttlichen Vorsehung die Pax Augusta und die Ankunft Christi zeitlich zusammengefallen, so bildete, wie Gregor von Nazianz darstellt, die Regierung des Apostaten Julian nur ein kurzes Intermezzo, ehe sich die christliche Heilsgeschichte weiter vollzog . Ebenso war für Johannes Chrysostomos Julians Scheitern der Beweis dafür, daß das Christentum den alten Kulten überlegen war . Die späteren Kirchenhistoriker zementierten diese Geschichtsdeutung . Auch wenn christliche Autoren durchaus einzelne negative Züge ihrer Zeit bemerkten und scharf geißelten , vermochten sie den Ablauf der Ereignisse in den großen Rahmen der christlichen Heilsgeschichte einzuordnen und ihm damit
auf den sie von Anfang an zulief, und zwingt mich, wie wenn ich etwas wie Liebe zu ihm empfände, mich auf seine Taten zu konzentrieren, auch wenn ich, bei Zeus, ihn nicht gesehen oder kennengelernt habe; denn als er an die Herrschaft kam, war der Verfasser dieses Werkes gerade ein Kind.«). Zum Krisenbewußtsein vgl. die treffende Beschreibung von Vierhaus (1978) f.: »Die Betroffenen bemerken Veränderungen, ohne Ursachen, Ausmaß und Folgen schon übersehen oder gar erklären zu können; sie fühlen sich verunsichert, weil der gewohnte Zuschnitt der Lebensverhältnisse nicht mehr stimmt; weil bisherige Erfahrungen nicht mehr ausreichen, das, was geschieht, beurteilen und sich darauf einstellen zu können; weil die einen sich von Verlusten bedroht, die anderen Chancen vor sich sehen. Subjektives Krisenbewußtsein, das das Handeln der Menschen mitbestimmt und dadurch auch Verlauf und Ausgang der Krisen beeinflußt, genügt jedoch nicht, um von einer tatsächlichen Krise zu sprechen.« Eus. h. e. . . f.; v. C. . , , , . f.; p. e. . . –. Auch nach Lactanz führte die Verbindung von Christentum und Römischem Reich zu einem neuen Goldenen Zeitalter (Lact. inst. . . f.). Ähnlich hatte schon Melito von Sardes gegenüber Marc Aurel argumentiert (Eus. h. e. . . ). Zu Eusebs positivem Bild des konstantinischen Reiches innerhalb der christlichen Heilsgeschichte siehe Wolfram Kinzig: Novitas Christiana. Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte ) Göttingen , –. Gr. Naz. or. und . In . tritt Gregor entschieden Ansichten entgegen, Julians Herrschaft sei ein Goldenes Zeitalter gewesen. Chrys. pan. Bab. . f. und . –, f., –. Nesselrath (2001). Daß bei christlichen Autoren der Spätantike positive neben negativen Einschätzungen der eigenen Zeit stehen, zeigt etwa Alexander Demandt: Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt. München , –.
. Das Unbehagen an der eigenen Zeit
eine grundsätzlich positive Deutung zu geben . Die Konfrontation der paganen und christlichen Perspektive zeigt, daß die Autoren des vierten Jahrhunderts selbstverständlich nicht einfach den historischen Verlauf ihrer Epoche literarisch wiedergaben. Wie jede menschliche Wahrnehmung waren auch die Einschätzungen des Libanios und anderer keine Abbilder der Realität, sondern literarische Konstrukte, die weniger etwas über den tatsächlichen Zustand des Reiches als über den ideologischen Standpunkt ihrer Verfasser verraten. Die oben kurz angerissenen Beispiele lassen zudem erahnen, daß solche Wahrnehmungen immer schon von literarischen Topoi und dem jeweiligen Kontext geprägt waren. Wenn Libanios und Claudius Mamertinus Kaiser Constantius als Tyrannen diffamierten, so sollte dies das Lob Julians um so heller erstrahlen lassen, war also als Kontrast intendiert. Es kann daher in dieser Arbeit nicht das Ziel sein, anhand der zeitgenössischen Äußerungen eine etwaige reale Krise des Reiches auf allen Gebieten dingfest zu machen, sondern den Gegenstand bilden Konstruktionen der Wirklichkeit. Krisenbewußtsein erschöpft sich freilich nicht im deskriptiven Feststellen eines Niedergangs. Wer ein Unbehagen an der eigenen Zeit verspürt, analysiert in der Regel auch die Ursachen, sucht Schuldige und bewertet die Symptome. Außerdem liegt es nahe, mehr oder weniger explizite Vorschläge zu machen, wie der Krise abzuhelfen sei. Gerade wenn man berücksichtigt, daß sich Himerios, Oreibasios und Libanios offen für Julians Politik engagierten oder daß Libanios unter Kaiser Theodosius für pagane Heiligtümer eintrat, ersieht man, wie weit die Krisenrhetorik von einem rein intellektuellen Spiel im Elfenbeinturm entfernt war. Sobald man vernehmlich über Erscheinungen der eigenen Zeit klagte, beteiligte man sich an öffentlichen Diskussionen, die wiederum auf die Politik wirken konnten. Hierfür standen den Beteiligten verschiedene Wege offen: Während Eunap anscheinend auf das literarische Feld beschränkt blieb , nahm Libanios in Antiochia in der Öffentlichkeit Partei , und Julian vermochte als Dies zeigt sich auch noch deutlich in Theodorets Quaestiones et responsiones ad orthodoxos, wo die Frage gestellt wird, ob an dem allgemeinen Niedergang vielleicht doch der Religionswechsel schuld sein könnte. Sei nicht die pagane Götterverehrung frommer gewesen? Städte und Felder hätten damals geblüht. Darauf gibt Theodoret dann eine christliche Erwiderung (; PG , f.). Gerade das Thema des Verfalls oder Niedergangs hatte in der Literatur der Antike eine lange Tradition. Siehe Widmer (1983). Man darf freilich nicht den Fehler begehen, nur weil Beobachtungen einer etablierten Topik folgen, ihnen jegliche Relevanz abzusprechen. Die Topik spricht nicht gegen das Vorhandensein eines subjektiven Krisenbewußtseins. Zu weit geht hier m. E. Karl Strobel im Hinblick auf das dritte Jahrhundert (Das Imperium Romanum im ›. Jahrhundert‹. Modell einer historischen Krise? Zur Frage mentaler Strukturen breiterer Bevölkerungsschichten in der Zeit von Marc Aurel bis zum Ausgang des . Jh. n. Chr. Stuttgart [Historia ES ], –). Eunap verfügte anscheinend über keinerlei Erfahrung in Militär oder Verwaltung. Zu seinem Leben Penella (1990) –. Zur Vita des Libanios siehe jetzt Wintjes (2005), daneben noch Sievers (1868).
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›Philosoph auf dem Kaiserthron‹ ebenso den Schreibgriffel in die Hand zu nehmen wie praktische Maßnahmen zu ergreifen.
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode Im folgenden geht es um die zwei miteinander verknüpften Fragen, wie die paganen Autoren im Osten des vierten Jahrhunderts ihre eigene Zeit wahrnahmen und wie sie literarisch auf die von ihnen konstatierte Krise reagierten und einzuwirken versuchten. Wie nahmen sie an Diskussionen und Kontroversen teil, und welche Ansätze entwickelten sie, den Verfallserscheinungen zu steuern? Oder um es etwas umfassender und abstrakter zu formulieren: Untersucht werden Äußerungen, die unter spezifischen politischen, sozialen und religiösen Rahmenbedingungen von einer bestimmten Gruppe zu miteinander verflochtenen Themen und Fragen vorgebracht wurden. Zu fragen ist, welche Beziehungen zueinander und Ähnlichkeiten miteinander diese Ansichten und Auffassungen aufweisen, ob sich wiederkehrende strukturelle und inhaltliche Gemeinsamkeiten beobachten lassen. Große Bedeutung kommt dem Umstand zu, daß die Äußerungen anscheinend gewissen Gesetzmäßigkeiten und Regeln folgen, wie man etwa daran erkennt, daß verschiedene, auf den ersten Blick disparate Phänomene unter dem Paradigma der Krise miteinander verknüpft und in ähnlichen Kategorien analysiert werden. Es existieren mithin bestimmte, eher unausgesprochene als manifest zutage tretende Regeln unter den paganen Autoren, wie man die gesellschaftliche Realität perzipiert und was man über sie sagen kann. Oben ist schon angedeutet worden, daß die konstatierte Krise keine vorgängige historische Wirklichkeit war, sondern ein Konstrukt, eine Realität, die erst mit diskursiven Mitteln von den Autoren erschaffen wurde. Die Äußerungen hatten also auch insofern eine Wirkung, als sie etwas anderes hervorbrachten, ein Konzept, eine bestimmte Weltdeutung, die dann wiederum Reaktionen auslöste. Beispielsweise wenn die Frage nach der Identität im Mittelpunkt steht (Kapitel ), werden solche Wirkungen aufgezeigt: Zunächst scheint es paradox, angesichts der überall anzutreffenden Vielfalt überhaupt von einer paganen Identität zu sprechen; es zeichnet sich jedoch ab, daß die Autoren reflektierend genau dazu beitrugen, eine solche Identität zu entwickeln, mit der man dann in Diskussionen operieren konnte. Gerade an solchen Punkten wird deutlich, wie eng die Äußerungen und literarischen Werke mit Fragen politischer und gesellschaftlicher Macht verwoben waren, wie sich beide Bereiche gegenseitig durchdrangen. Die diskursiv hervorgebrachte Realität entfaltete spürbare Wirkungen, wenn sie mit anderen Konzepten in Widerstreit geriet und wenn die Autoren den Anspruch erhoben, im Besitz der Wahrheit zu sein. Für die Analyse solcher Beziehungen bietet es sich als heuristisches Mittel an, auf den Begriff des Diskurses zu rekurrieren, obgleich dieser dafür bekannt
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode
ist, in den verschiedensten Ausprägungen und in diversen theoretischen Ansätzen aufzutreten und überdies weit und vage zu sein. Gleichwohl scheint er mir, sofern man ihn präzise definiert, geeignet, die Phänomene, von denen hier die Rede sein soll, adäquat zu erfassen. Im Anschluß an Michel Foucault, der freilich exakte Begriffsklärungen vermeidet, lassen sich drei Ebenen des Begriffes differenzieren : Am weitesten gefaßt, ist der Diskurs der umfassende Bereich der Aussagen, d. h. die Menge an Äußerungen und Texten, die eine Bedeutung und in der realen Welt eine Wirkung haben. Aussagen (énoncés), die materialen Bauelemente des Diskurses, sind hierbei für Foucault nicht einfach sprachliche Äußerungen, sondern, Sprechakten vergleichbar, Äußerungen, denen eine gewisse institutionelle Kraft eignet und die durch eine Form von Autorität bekräftigt werden. Sie formulieren in irgendeiner Weise einen Wahrheitsanspruch . Innerhalb dieses globalen Diskurses existieren verschiedene Diskurse zweiter Ordnung, nämlich Gruppen von Aussagen, die in bestimmter Weise strukturiert sind, also spezifischen Regeln unterliegen und eine Kohärenz aufweisen . Auf der dritten Ebene bezeichnet der Begriff weniger die tatsächlichen Äußerungen und Texte als die Regeln und Strukturen, welche diese Äußerungen hervorbringen. Der Diskurs ist dann eine regulierte Praxis, die eine bestimmte Anzahl von Äußerungen betrifft . Für die folgende Untersuchung sind die beiden letzteren Aspekte des Konzeptes relevant, insofern sowohl eine klar umrissene Gruppe von Aussagen als auch die ihnen zugrunde liegenden Regeln in den Blick genommen werden sollen. Wenn Aussagen sich zu einer Gruppe, zu einem Diskurs, formieren, bedeutet dies nicht einfach, daß sie sich auf dieselben Gegenstände beziehen. Der Diskurs wird nicht bloß durch seinen Referenzbereich definiert. Vielmehr treten zu den Objekten die genannten Regularitäten, also eine Ordnung, Äußerungsmodalitäten und gemeinsame Begriffe, hinzu. Foucault spricht hier auch von diskursiven Formationen: In dem Fall, wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte, in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit Mills (2007) f. Zur Existenzweise von Aussagen siehe Foucault (1973) –. Vgl. Schneider (2004) –; Mills (2007) –. Foucault (1973) : »Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. Er bildet keine rhetorische oder formale, unbeschränkt wiederholbare Einheit, deren Auftauchen oder Verwendung in der Geschichte man signalisieren (und gegebenenfalls erklären) könnte. Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aussagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann.« Foucault (1973) definiert die diskursive Praxis als »eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben«.
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(eine Ordnung, Korrelationen, Positionen und Abläufe, Transformationen), definieren könnte, wird man übereinstimmend sagen, daß man es mit einer diskursiven Formation zu tun hat [. . .] .
Solche Formationen lassen sich beschreiben, indem man auf das systematische Vorkommen von Ideen, Meinungen und Konzepten innerhalb eines spezifischen Kontextes achtet und auf die Effekte, die von solchen Denk- und Verhaltensweisen hervorgebracht werden . Wie Foucault in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France im Jahre dargelegt hat, ist ein Diskurs kein von Zwängen freier Bereich, sondern wird kontrolliert und organisiert . Insbesondere wenn man das Feld der Wissenschaft ins Auge faßt, wird deutlich, daß bestimmte Bereiche und Personen vom Diskurs ausgeschlossen sind. Es existieren Grenzen und Tabus, die ein Sprecher beachten muß, wenn er Gehör finden will. Wer wissenschaftlich publizieren möchte, muß über eine institutionalisierte Sprecherposition verfügen und sich an formale und inhaltliche Gepflogenheiten seiner Disziplin halten. Wie wichtig solche Mechanismen für das sind, was gesagt werden kann, und für die Positionen, von denen aus es gesagt werden kann, wird sich etwa zeigen, wenn wir untersuchen, wie Julian und andere mit abweichenden Meinungen verfahren. Man denke hier nur an das vieldiskutierte Rhetorenedikt, mit dem er Bildung zu monopolisieren versuchte (Kapitel .). Die Gesamtheit dieser dem Diskurs inhärenten Regeln, die das Erscheinen von Aussagen kontrollieren, faßt Foucault unter dem Begriff des Archivs zusammen. Das Archiv fungiert als Gesetz dessen, was gesagt werden kann, bzw. ist das System, welches das Erscheinen der Aussagen beherrscht . Zwar kann es in seiner Gänze niemals beschrieben werden, doch bildet es den Hintergrund für die Analyse, wenn an diskursive Formationen bestimmte Leitfragen gerichtet werden, etwa die Fragen, welche Sprecherpositionen in einem Diskurs eingenommen werden können, welche institutionellen Rahmenbedingungen den Diskurs beeinflussen, etwa indem sie bestimmte Aussagen ausschließen, oder welchen Einfluß die in einem Diskurs produzierten Gegenstände auf diesen selbst haben . In den folgenden Kapiteln stehen deshalb nicht nur die Äußerungen in ihrer inhaltlichen Erscheinung im Mittelpunkt, sondern ebenso die Mechanismen, denen sie unterworfen sind. Dabei wird einerseits auf Regeln geachtet, die dem Diskurs immanent sind, wie beispielsweise die, daß nur bestimmte Äußerungen als wahr gelten und gesagt werden können, andererseits auf Beschränkungen, die von außen auf Foucault (1973) (Hervorhebung im Original). Wie Diskurse nach Foucault soziale Realitäten produzieren können, hat er insbesondere anhand der Sexualität zu zeigen versucht. Die kindliche Sexualität seit dem . Jahrhundert sei nichts weiter als das Produkt oder Konstrukt einer Diskursivierung. Foucault (1977). Vgl. Foucault (1973) , f., . Foucault (1991) f. u. ö. Foucault (1973) –. Foucault (1973) –.
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode
den Diskurs einwirken, nämlich die politische und die gesellschaftliche Macht und neue Spielregeln der öffentlichen Diskussion, die sich durch die Umbrüche der Zeit entwickelt hatten. So war es etwa für Libanios nicht einfach und nicht ganz ungefährlich, nach Julians Tod sein idealisiertes Bild des Kaisers weiterhin öffentlich zu verbreiten, da es nicht mit der sanktionierten öffentlichen Meinung konform war . Da Foucault seine Theorie des Diskurses weder systematisch entwickelt noch speziell im Hinblick auf Literatur formuliert hat, versteht es sich von selbst, daß sie hier nur als Ausgangspunkt oder Anregung dienen kann, und dies auch nur in einzelnen Kategorien, soweit sie geeignet erscheinen. Darüber hinaus sind zwei nicht unwesentliche Vorbehalte angebracht . Wie verschiedentlich kritisiert wurde, unterschätzt Foucault insofern die Bedeutung des Individuums, als er überpersönliche Gesetzmäßigkeiten und Strukturen in den Vordergrund rückt. Demgegenüber wird die folgende Untersuchung unter anderem auch zeigen, wie einzelne Personen diskursive Gegebenheiten zu gestalten und historische Prozesse zu beeinflussen suchten. Auch die Aspekte der Intentionalität und der persönlichen Macht sollen also zu ihrem Recht kommen . Ferner wird, während Foucaults Interesse trotz seiner Berücksichtigung der historischen Dimension weitgehend synchron auf den Diskurs zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkt bleibt, ohne dem historischen Wandel ausreichend Rechnung zu tragen, hier gerade beleuchtet, wie sich das, was man den paganen Diskurs des vierten Jahrhunderts nennen kann, erst herausbildet. Der Diskurs soll also allererst in statu nascendi beobachtet werden, nicht in einer fertig vorliegenden Ausprägung. Der Weg der Untersuchung folgt nicht in strenger Observanz der Diskursanalyse, sondern verquickt Foucaultsche Konzepte mit hermeneutischer Interpretation. Ob der gewählte Ansatz tatsächlich dem Gegenstand angemessen ist, muß der Gang der Untersuchung erweisen. Dann könnte sich als Ergebnis eine spezifische Physiognomie der paganen Literatur des Ostens im vierten Jahrhundert abzeichnen. Diese dürfte am ehesten in gemeinsamen Themen, Fragen, Denkfiguren und Diskurspraktiken zu greifen sein. Sofern es gelingt, diesen verbindenden Charakteristika nachzuspüren, wird die Literatur dieser Zeit in ihren Eigenheiten und möglicherweise in ihrer Eigenständigkeit erkennbar. Dann läßt sich auch ihre Stellung zur spätantiken Literatur im Westen oder zu anderen Epochen der griechischen Literaturgeschichte genauer klären, etwa auch die Frage, ob es sich im wesentlichen um eine Fortsetzung der Tendenzen der Zweiten Sophistik handelt oder ob die gewandelten Rahmenbedingungen neue Strömungen zeitigen. Wenn sich also die pagane Literatur schließlich als Vgl. die schon erwähnte or. . Siehe auch Kap. .. Zur Kritik an Foucaults Diskurstheorie vgl. etwa Thomas A. Schmitz: Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung. Darmstadt , –. In seinen späteren Arbeiten hat Foucault selbst dem Subjekt wieder eine größere Rolle zugedacht, so in Sexualität und Wahrheit. Bd. –. Frankfurt/Main –.
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eine Art System mit eigenem Profil herauskristallisieren sollte, so bedeutet dies nicht, daß es sich um eine gänzlich homogene Einheit handelt. Vielmehr dürften sich trotz allen zu erwartenden Gemeinsamkeiten auch Unterschiede zwischen den genannten Autoren feststellen lassen, also individuelle Ausprägungen im Rahmen des paganen Diskurses. Nicht zuletzt verspricht eine breiter angelegte Untersuchung der paganen Literatur, daß auch deren Verhältnis zu den christlichen Schriften und dem christlichen Diskurs der Zeit klarer hervortritt . Schließlich schrieben die christlichen Autoren in demselben politischen und sozialen Kontext und äußerten sich teilweise zu denselben Fragen. Sobald die Physiognomie der paganen Literatur des vierten Jahrhunderts etabliert ist, stehen Kategorien bereit, die für erforderliche künftige Einzeluntersuchungen hilfreich sein werden. Erst wenn ein solches Koordinatensystem abgesteckt ist, lassen sich weitere gewinnbringende Fragestellungen für die Autoren dieser Zeit entwickeln. Die Bedeutung des hier verfolgten Vorhabens ist vor dem bisher erzielten Erkenntnisstand zu sehen. Nachdem die Spätantike als eine Epoche des Niedergangs und Verfalls lange von den Altertumswissenschaften vernachlässigt worden war, hat man sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt dieser Zeit zugewandt und durch neue Ansätze zeigen können, daß es sich um eine Periode mit eigenen Merkmalen handelt, in der die Grundlagen für die europäische Kultur, für das Verschmelzen von Christentum und antiker Bildung, gelegt wurden . Hervorgetreten sind bei der Erforschung der Spätantike neben der Kirchengeschichte und der Philosophie die Latinistik und vor allem die Alte Geschichte. Gerade die althistorische Forschung hat dazu beigetragen, die Transformationsprozesse des vierten Jahrhunderts in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft adäquat zu erfassen. So haben etwa die Arbeiten Peter Browns und seiner Schüler deutlich gemacht, welche Rolle das Konzept des heiligen Mannes und die Askese für diese Zeit spielten . Durch diesen kulturwissenschaftlichen Ansatz, der in vorbildlicher Weise alle zur Verfügung stehenden Quellengattungen auswertet, konnten sich erst die individuellen Mentalitäten wie die kollektive Mentalität dieser Epoche abzeichnen . Verständlicherweise lag der Siehe dazu beispielsweise Cameron (1991). Die Flut an Sekundärliteratur zur Spätantike ist unüberschaubar. Für einen ersten Zugang seien hier folgende Handbücher genannt: Averil Cameron; Peter Garnsey (Hg.): The Late Empire, A. D. –. (CAH ) Cambridge ; Alexander Demandt: Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian – n. Chr. . Aufl. (HdA .) München (solide, aber nicht immer auf dem neuesten Forschungsstand); Mitchell (2007); Rousseau (2009). Peter Brown: »The Rise and Function of the Holy Man in Late Antiquity«, in: JRS , , –. James Howard-Johnston; Paul Antony Hayward (Hg.): The Cult of Saints in Late Antiquity and the Middle Ages. Essays on the Contribution of Peter Brown. Oxford . Siehe auch die Beiträge im Heft JECS ., . Siehe beispielsweise Peter Brown: The World of Late Antiquity. From Marcus Aurelius to Muhammad. London ; ders.: Die letzten Heiden. Eine kleine Geschichte der Spätantike.
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode
Schwerpunkt dabei auf den verschiedenen Aspekten des spätantiken Christentums, das durch die Wandlung von der verfolgten Sekte zur Staatskirche sein Gesicht veränderte und neue Leitbilder ausprägte. Was nun als kennzeichnend für die Spätantike gesehen wird, ist die Transformation von einer heidnischrömischen Welt zu einem christlichen Imperium . Allerdings ist dieser Ansatz trotz seinen nicht zu leugnenden Erfolgen auch kritisiert worden. Zum einen wird bemängelt, daß durch die Konzentration auf einzelne zumeist christliche Persönlichkeiten, also die individuelle Seite, der größere Kontext und die größeren Entwicklungslinien vernachlässigt werden. Zum anderen ist zu fragen, ob nicht das Konzept der Transformation bisweilen den Blick für scharfe Brüche oder doch vorhandene Niedergangserscheinungen in der Spätantike verstellt . Im Gegensatz dazu ist das Interesse der Griechischen Philologie an der spätantiken Literatur erst jüngst erwacht, wenn man einmal von der Beschäftigung mit dem Neuplatonismus absieht. Autoren wie Libanios, Themistios, Eunap und Oreibasios finden immer noch relativ wenig Aufmerksamkeit , allmählich aber ist ein Anwachsen der Forschungstätigkeit zu verzeichnen . Die Vernachlässigung zeigt sich auch darin, daß zahlreiche Schriften noch nicht oder erst unlängst in eine moderne Sprache übertragen wurden. Angesichts dieser Situation verwundert es nicht, wenn die Arbeiten bisher oft in philologischen Einzelstudien und der Kommentierung einzelner Werke bestehen. Dadurch sind immerhin einige zentrale Schriften besser zugänglich und verständlich gemacht worden. Was jedoch nach wie vor weitgehend fehlt, sind genuin literaturwissenschaftliche Ansätze, die geeignet wären, die spezifischen Charakteristika der spätantiken griechischen Literatur in den Blick zu rücken . Während diese
Frankfurt/Main [engl. The Making of Late Antiquity. Cambridge (Mass.); London ]. Die Erträge dieses Paradigmas faßt das Handbuch Glen W. Bowersock; Peter Brown; Oleg Grabar (Hg.): Late Antiquity. A Guide to the Postclassical World. Cambridge (Mass.); London zusammen. Vgl. die Kritik von John H. W. G. Liebeschuetz: »Late Antiquity, the Rejection of ›Decline‹, and Multiculturalism«, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana, Bd. : Convegno internazionale in memoria di Guglielmo Nocera, hg. von G. Crifò und S. Giglio. Neapel , –; Bryan Ward-Perkins: Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation. Darmstadt , – und –; ferner Mitchell (2007) f. Selbst in einem jüngeren Handbuchbeitrag zur kaiserzeitlichen Literatur wird die pagane Literatur des vierten Jahrhunderts fast vollständig ignoriert, abgesehen von der auf Kaiser Julian bezogenen Bemerkung, daß die Begegnung mit dem Christentum auch die pagane Kultur transformiert habe. Jane L. Lightfoot: »Romanized Greeks and Hellenized Romans. Later Greek Literature«, in: Literature in the Greek and Roman Worlds. A New Perspective, hg. von Oliver Taplin. Oxford , –, hier . Beispielsweise Vanderspoel (1995), Cribiore (2007), beide aber aus eher althistorischer Perspektive. Hinderlich war hier auch, daß die Reichskrise des dritten Jahrhunderts in der griechischen Literatur keine scharfe Zäsur bedeutet, wie sie in der römischen festzustellen ist.
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Arbeit innerhalb der letzten Jahre für die Zweite Sophistik geleistet wurde, so daß die Signatur dieser geistesgeschichtlichen Periode zum Vorschein kam, warten die Autoren der Spätantike noch auf eine adäquate Erforschung . Denn daß man mit dem in älteren Darstellungen zu findenden, an dem klassischen Schema von Aufstieg, Blüte und Verfall orientierten Urteil, es handele sich um eine rein rückwärtsgewandte, in bloßer Form erstarrte Literatur , den Werken nicht gerecht wird, dürfte auf der Hand liegen. Die Erwägung, für die im weiteren Sinne rhetorisch geprägte Literatur des vierten Jahrhunderts den Terminus der ›Dritten Sophistik‹ zu etablieren , zeigt immerhin das allmählich vorhandene Bewußtsein, daß die gegenüber der Kaiserzeit veränderten politischen, gesellschaftlichen und religiösen Rahmenbedingungen sich auf die Produktion von Literatur niedergeschlagen haben müssen . Nötig ist eine integrative Betrachtung, die, statt sich eine einzelne Schrift oder einen einzelnen Autor
So konnten die Werke des vierten Jahrhunderts als bloße Fortsetzung des kaiserzeitlichen Literaturbetriebs erscheinen, zu dem in der Tat zahlreiche Verbindungen bestehen bleiben. Zur Epochengrenze von Kaiserzeit und Spätantike in der Literatur siehe Lodewijk Engels; Heinz Hofmann: »Literatur und Gesellschaft in der Spätantike. Texte, Kommunikation und Überlieferung«, in: Spätantike. Mit einem Panorama der byzantinischen Literatur, hg. von denselben. (NHL ) Wiesbaden , –, hier –. Aus althistorischer Sicht versucht immerhin Pack (1994) eine Charakterisierung der Literatur im Umfeld Julians. Er konzentriert sich dabei auf Julians Literaturverständnis und die Impulse, die vom Kaiser auf die literarische Produktion ausgingen. So etwa Wilhelm Christ; Wilhelm Schmid; Otto Stählin: Geschichte der griechischen Literatur. . Aufl., Bd. .. (HdA ..) München [ND ], – . Hier wird die Literaturgeschichte des vierten Jahrhunderts vorrangig in Kategorien des Religionskonflikts gedeutet. Die ›heidnische Renaissancekultur‹, ein letztes Aufflammen der ›hellenischen Romantik‹, habe die Berührung mit dem Volk verloren und sei noch stärker vom echten Griechentum entfernt als das zweite Jahrhundert. Zur bloßen Form und Maskenhaftigkeit erstarrt, sei die pagane Literatur unfähig gewesen, Neues aufzunehmen. Nicht anders das Bild bei Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. . Aufl. Bern; München , –. Der Begriff (Troisième Sophistique) geht auf Laurent Pernot zurück, der mit ihm den als Wendepunkt verstandenen Erscheinungen des vierten Jahrhunderts Rechnung zu tragen versuchte. Pernot (1993) I Anm. ; ders.: La rhétorique dans l’antiquité. Paris , f. Aufgegriffen wurde er von Eugenio Amato (Hg.): Approches de la Troisième Sophistique. FS Jacques Schamp. (Collection Latomus ) Brüssel (vgl. die Einleitung). Vgl. ferner die Überlegungen von Quiroga Puertas (2007) – und Alberto Quiroga: »From Sophistopolis to Episcopolis. The Case for a Third Sophistic«, in: Journal for Late Antique Religion and Culture , , – (http://www.cardiff.ac.uk/clarc/jlarc/Table of Content/A Quiroga Third Sophistic.pdf, Zugriff am . . ). Unterdessen hat Schäfer (2008) den Versuch unternommen, das Charakteristische dieser Epoche in den Argumentationsformen zu fassen. Das Signum der Zeit bzw. die epochenprägende Denkform liege im Platonismus. Er schlägt zur Kennzeichnung den Begriff der Pseudomorphose vor, da sich trotz den verschiedenen Transformationen die Form des platonischen Denkens durchhalte. Freilich ist zu bedenken, daß man mit dieser Charakterisierung beispielsweise Himerios, Libanios und dem Geschichtswerk Eunaps keinesfalls gerecht wird.
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode
vorzunehmen, verbindende Züge ermittelt. Obgleich die angelsächsische Forschung, insofern bei ihr nicht so streng zwischen Alter Geschichte und Klassischer Philologie geschieden wird, viele Ergebnisse erzielt hat, die für eine solche Untersuchung die Basis bilden, vermag ein literaturwissenschaftlicher Zugriff weiter gehende Resultate zu erzielen, zumal wenn nicht die christliche, sondern die pagane Literatur im Mittelpunkt steht. Strukturiert wird die folgende Untersuchung durch die oben beschriebene Diagnose einer umfassenden Krise. Da die paganen Autoren traditionelle Werte und Institutionen, auf die sie ihr Selbstverständnis gründeten, in Frage gestellt sahen, ist zunächst zu untersuchen, in welchen Kategorien sie ihre eigene Identität bestimmten und wie sie sich von anderen abgrenzten. Wenn die eigenen Überzeugungen angegriffen wurden und konkurrierende Angebote auf den Plan traten, war es unumgänglich, darüber zu reflektieren, wodurch sich eigentlich die Gruppe, der man angehörte, auszeichnete (Kapitel ). Wie wir bereits gesehen haben, wurde den römischen Kaisern eine erhebliche Verantwortung für den Zustand des Reiches zugeschrieben. Man verglich einzelne Herrscher und stellte positive und negative Gestalten einander gegenüber. Julians Herrschaft galt einigen Autoren als die Lösung aller Probleme. Das setzte voraus, daß man über feste Grundsätze verfügte, nach denen man Kaiser bewerten konnte. Diese ließen sich theoretisch erörtern oder am Beispiel konkreter Herrscher illustrieren. Welche Konzeptionen einzelne Autoren entwarfen, wird daher in Kapitel beleuchtet. Dem kulturellen Hintergrund der Autoren entsprechend spielte die Bildung in ihrem Denken eine überaus wichtige Rolle. Bildung aber manifestierte sich in einzelnen Persönlichkeiten, die als Philosophen, Redner, Mediziner und Lehrer in der Öffentlichkeit tätig waren. Ähnlich wie die Gebildeten der Zweiten Sophistik beanspruchten sie, Vorbildfunktionen zu erfüllen und ein gesellschaftliches Ideal zu verkörpern. In Kapitel wird untersucht, wie das Leitbild des Intellektuellen positioniert wurde. Bereits wenn sie ihre eigene Zeit als krisenhaft wahrnahmen, deuteten die paganen Autoren nicht nur die sie umgebende Realität, sondern konstruierten sie gleichzeitig nach ihrem jeweiligen Weltbild. Wer über historische Deutungsmacht verfügt, übt mittelbar auch politischen Einfluß aus. Je stärker eine Richtung ihre Sicht der Geschichte durchsetzt, desto näher kommt sie der kulturellen Hegemonie. Dementsprechend ist auch bei den Autoren des vierten Jahrhunderts die Tendenz spürbar, autoritative Deutungen der weiter zurückliegenden und jüngeren Vergangenheit sowie der Gegenwart zu geben. Hier stellt sich die Frage, in welchen Denkfiguren die Autoren ihre Zeit deuteten und wie sie sich in kontroversen Diskussionen zu Wort meldeten (Kapitel ). Sowohl von den christlichen als auch von den paganen Autoren des vierten Jahrhunderts wurde die Religion als ein zentrales Konfliktfeld wahrgenommen. Eine Untersuchung, deren Ziel es ist, einen spezifisch paganen Diskurs herauszuarbeiten, muß daher auch und nicht zuletzt die Frage stellen, wie das Thema der Religion in Auseinandersetzungen instrumentalisiert wurde. Da die alten Kulte von Christen immer hef-
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tiger attackiert und allmählich von Staats wegen eingeschränkt wurden, mußte man sich erstens überlegen, mit welchen Mitteln sie sich fördern ließen, und sich zweitens entscheiden, ob eine zumindest vordergründige Anpassung an die neuen Spielregeln des religiösen Feldes mehr Erfolg versprach als offener Widerstand (Kapitel ) . Die Analyse vollzieht sich im Wechsel von exemplarischer Einzelinterpretation und der vergleichenden Untersuchung zusammengehöriger Texte. Durch diese Methode wird gewährleistet, daß gemeinsame Charakteristika deutlich hervortreten, gleichzeitig die erzielten Erkenntnisse aber immer am konkreten Text überprüfbar bleiben. Da das jeweilige Einzelziel ist, die relevanten Diskursfelder des vierten Jahrhunderts und den Beitrag der paganen Autoren zu ihnen zu rekonstruieren, ist es methodisch unerläßlich, andere Positionen als Vergleichsfolie in die Analyse einzubeziehen. Abweichende Konzepte lassen sich zum einen in den untersuchten Texten selbst auffinden, sofern sie explizit auf diese reagieren, zum anderen aber bedarf die Interpretation des ständigen Vergleichs mit zeitgenössischen Äußerungen. Hier werden insbesondere christliche Schriften (beispielsweise Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomos) herangezogen, die sich mitunter ausführlich mit den paganen Positionen auseinandersetzen. Erst mit dieser komparatistischen Methode kann man erkennen, mit welchen Beiträgen sich die paganen Autoren zu den drängenden Fragen ihrer Zeit zu Wort melden. Was die zeitliche Eingrenzung des untersuchten Textcorpus angeht, so läßt sich die untere Grenze leichter anhand äußerer Kriterien ziehen als die obere. Ein Krisenbewußtsein entwickelten die Autoren, weil auf vielen Gebieten gravierende Umbrüche stattfanden. Diese ereigneten sich aber erst im vierten Jahrhundert und sind – gerade aus Sicht der Autoren selbst – aufs engste mit der Herrschaft Konstantins verknüpft. Die ersten in Frage kommenden Werke sind also die zahlreichen Schriften des Libanios . Als obere Grenze soll hier das Werk Eunaps gesetzt werden, da zum einen in der Überlieferung paganer Literatur anschließend eine Lücke klafft, ehe Zosimos im Anschluß an Eunap ein dezidiert heidnisch ausgerichtetes Geschichtswerk verfaßt, zum anderen aber sich um jedenfalls die religiöse Frage zugunsten des Christentums entschieden hat, auch wenn das Heidentum keineswegs schlagartig verschwindet . Das durch die Gunst der Überlieferung bis zu einem gewissen Grade willkürlich konstituierte Corpus wird mithin auch durch gemeinsame Erfahrungen der Die hier skizzierten Themenblöcke bauen nicht argumentativ aufeinander auf, sondern sollen als weitgehend selbständige Einheiten ein Gesamtbild ergeben. Gewisse kleinere Wiederholungen lassen sich bei diesem Vorgehen nicht vermeiden. Zu seinen frühesten erhaltenen Werken zählt or. aus den er Jahren. In diese Zeit fallen auch Themistios’ Reden und . Man muß hier ferner bedenken, daß vor Libanios relativ wenig Literatur überliefert ist. Zu nennen wären etwa Porphyrios und Jamblich. Trombley (1993/4).
. Bemerkungen zur Fragestellung und zur Methode
Autoren zusammengehalten. Zudem bildet die Person Julians gewissermaßen einen Angelpunkt, mit dem alle Autoren verbunden waren: Libanios, Himerios, Oreibasios und Salutius waren enge Gefolgsleute oder sogar glühende Anhänger des Kaisers, Themistios pflegte geistigen Austausch mit ihm, auch wenn er zu ihm durchaus eine gewisse Distanz wahrte, und Eunap wurde, obgleich er ihn nicht mehr persönlich kennengelernt hatte, zu seinem eifrigen Propagandisten . Die Untersuchung auf den Osten des Reiches zu beschränken, also lateinisch schreibende Autoren wie Ammian und Symmachus auszuschließen, empfiehlt sich deshalb, weil diese sich an ein völlig anderes Publikum in einem anderen Kontext wandten und weil ihre Werke überdies im griechischsprachigen Osten nicht rezipiert wurden, sofern man von der mangelnden Kenntnis des Westens und der lateinischen Sprache bei Libanios, Themistios und Himerios auf die östlichen Intellektuellen dieser Zeit schließen darf . Unberücksichtigt bleiben die Progymnasmata und die Fabeln des Libaniosschülers Aphthonios, da sie für unsere Fragestellung unergiebig sind. Zu ihm siehe Kennedy (1983) –, f. Ebenso außer Betracht bleiben kann die griechische Übersetzung von Eutrops Breviarium, die ein gewisser Paianios anfertigte (der überlieferte Text bricht in . bei der Usurpation des Magnentius ab). Dieser ist wohl identisch mit dem gleichnamigen Schüler des Libanios. Die Knappheit des Werkes und seine Konzentration auf das Kriegsgeschehen erlaubten keine tiefgründigen Analysen. Bemerkenswert ist, daß Eutrop sowohl über Constantius (. . ) als auch über Julian (. . f.) ein ausgewogenes Urteil fällt. Er lobt zwar Julians herausragende Anlagen, verschweigt aber auch Fehler wie die Religionspolitik nicht. Die Edition der griechischen Version findet sich bei Hans Droysen (Hg.): Eutropi breviarium ab urbe condita cum versionibus Graecis et Pauli Landolfique additamentis. (MGH ) Berlin . Aus einem anderen Grunde werden die Orphischen Lithika nicht in die Untersuchung einbezogen. Dieses hexametrische Gedicht über die magische Wirkung von Steinen würde zwar durchaus in den hier skizzierten Kontext passen, da etwa im Prolog über die Verfolgung der Magie und den Niedergang der Orakel geklagt wird (– bzw. ). Außerdem hat man vermutet, daß die Anspielung auf die Hinrichtung eines edlen Mannes ( f.) sich auf die Verfolgung von Neuplatonikern im Jahre / und den Tod des Maximus von Ephesos beziehen könnte. Einigkeit über die Datierung des Werkes konnte freilich bisher nicht erzielt werden, da belastbare Indizien fehlen. Es empfiehlt sich daher nicht, die Lithika als eine Äußerung des vierten Jahrhunderts heranzuziehen. Zur Datierung siehe R. Keydell: Art. »Orphische Dichtung A. Erhaltene Gedichte«, in: RE ., , –, hier –. Robert Halleux; Jacques Schamp (Hg.): Les lapidaires grecs. Paris , –. Das bedeutet freilich nicht, daß es an zeitkritischen Bemerkungen bei lateinischen Autoren dieser Zeit fehlt. Der Anonymus de rebus bellicis oder Vegetius diagnostizierten ebenso Niedergangsphänomene wie ihre griechischen Zeitgenossen (beispielsweise Anon. de rebus bell. . , . , . , . ; Veg. mil. . . , . . –, . . ). Grundsätzlich wendet sich Vegetius gegen eine Barbarisierung des römischen Heeres und glorifiziert die ruhmreiche Vergangenheit Roms. Libanios war des Lateinischen nicht mächtig, so daß er sich bei Bedarf Briefe übersetzen lassen mußte. Lib. ep. ; ; vgl. . Liebeschuetz (1972) f.; Rochette (1997) –; Cribiore (2007) f. Themistios zeigt zwar Kenntnisse der römischen Geschichte, doch bleiben diese an der Oberfläche. Vgl. auch seine Bemerkung zur Sprache
Literatur in der Krise
Einem möglichen Mißverständnis gilt es noch vorzubeugen: Wenn bisher immer von den ›paganen‹ Autoren die Rede war, so könnte man einwenden, daß das Heidentum überhaupt nicht existiert habe, sondern eine Vielzahl von Kulten ohne gemeinsame Dogmen, und daß die Haltung zur Religion keineswegs bei allen Genannten gleich gewesen sei. Dem ist gewiß beizupflichten, gleichwohl soll der Begriff als Hilfskonstruktion für die nicht-christlichen Autoren beibehalten werden, und der Gang der Untersuchung wird zeigen müssen, ob es berechtigt ist, von einem paganen Diskurs zu sprechen. Was damit nicht impliziert wird, ist die Annahme, alle Erscheinungen dieser Zeit seien auf den religiösen Konflikt zu reduzieren. Wie oben bereits angemerkt, spielten schon in der Wahrnehmung der Zeitgenossen andere als religiöse Faktoren eine Rolle. Ein Anliegen der Arbeit ist es deshalb, genauer zu bestimmen, welche Bedeutung die Heiden der Religion für ihr eigenes Selbstverständnis beimaßen. in or. . c–a. Colpi (1987) –; Vanderspoel (1995) f. Zur Sicht der Griechen auf Rom und die lateinische Sprache Rochette (1997) –.
Auf der Suche nach Identität
Die Rolle des Christentums und der Christen innerhalb des Römischen Reiches wandelte sich im Verlaufe des vierten Jahrhunderts grundlegend. Nachdem Christen anfangs noch eine verfolgte Minderheit gewesen waren, war das Christentum allmählich zu einer fest institutionalisierten Größe und einer etablierten religiösen, kulturellen und sozialen Kraft avanciert, ganz zu schweigen von der Verflechtung mit der Reichspolitik. Angesichts dieser Umkehrung der Verhältnisse galt es für die Christen, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln, eine neue Identität zu finden . Zumal die innerchristlichen dogmatischen Auseinandersetzungen zeigen, daß die Frage, wodurch das Christentum definiert sei, in dieser Zeit von großer Bedeutung war . Die Kehrseite dieser Veränderungen war, daß auch die Lage der Heiden im Reich nicht dieselbe blieb. Oben hatten wir bereits gesehen, wie solche Umbrüche auf religiösem, kulturellem und sozialem Gebiet wahrgenommen wurden. Wenn sich der Eindruck verfestigte, daß die Zeit von Krise und Niedergang geprägt sei und die eigene Position bedroht werde, konnten auch die Heiden nicht umhin, darüber zu reflektieren, worauf sich ihr Selbstverständnis gründe und wer überhaupt zu ihnen gehöre. Die veränderte Lage mußte sich über kurz oder lang auch auf die kollektive Identität der Heiden auswirken. Daher sollen in diesem Kapitel die Reflexionen der paganen Autoren über die Identität ihrer Gruppe untersucht werden. Zu fragen ist danach, welche Kriterien sie dafür aufstellten, wer zu ihrer Gemeinschaft zähle, wie sie nach außen hin die Gruppe abgrenzten und ob die so gefundene Identität auf die wahrgenommene Krisensituation antwortete. Da es kollektive Identitäten generell kennzeichnet, daß sie Erfahrungen, Weltbeschreibungen, Selbst- und Fremdbilder sowie kulturelle Rollen zu einem statisch-harmonischen Ganzen fügen, bietet sich gerade dieser Ansatz zuerst an, wenn es um die literarische Verar-
Zur christlichen Identitätsfindung Judith M. Lieu: Christian Identity in the Jewish and Graeco-Roman World. Oxford ; zum Westen des Reiches Karen Piepenbrink: Christliche Identität und Assimilation in der Spätantike. Probleme des Christseins in der Reflexion der Zeitgenossen. (Studien zur Alten Geschichte ) Frankfurt/Main ; Robert Austin Markus: The End of Ancient Christianity. Cambridge u. a. . Einen guten Überblick über die verschiedenen christlichen Identitäten der Spätantike und den Versuch, eine Einheit herzustellen, bietet jetzt Mitchell (2007) –.
Auf der Suche nach Identität
beitung von Krisenerfahrungen geht . Kollektive Identitäten als Übereinkünfte sind stets darauf angelegt, stabilisierend zu wirken und mögliche innere Differenzen zu überdecken. Insofern dürften hier am ehesten Versuche zu finden sein, den Symptomen des Niedergangs ein Selbstverständnis entgegenzusetzen, das den Mitgliedern der Gruppe Halt bietet. Die von den Beteiligten angestrebte Stabilität und Homogenität darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei Identität nicht um ein fertiges Produkt, eine unveränderliche Substanz handelt, sondern vielmehr um etwas Prozeßhaftes, das stets für mannigfaltige Einflüsse offen ist . Außerdem impliziert der Begriff der kollektiven Identität nicht, daß eine totale Gleichheit, also Identität im Wortsinne, unter den Mitgliedern der Gruppe herrscht. Obgleich die Angehörigen einer Gruppe sich selbst einheitlich beschreiben und durch gemeinsame Praktiken verbunden sind, ist durchaus Raum für individuelle Unterschiede . Eindeutige Begriffe wie ›christlich‹ oder ›pagan‹ suggerieren eine Statik und klare Grenzen, die so nicht vorhanden waren. Im folgenden soll daher dieser Prozeß im Vordergrund stehen. Es geht den Autoren – so die vorläufige Hypothese – ja gerade darum, erst zu (er)finden, was die pagane Identität ausmacht, und Eigenschaften festzulegen, die bisher eher im Fluß waren. Mit diesem Ansatz hängt zusammen, daß den Gegenstand der Analyse Wahrnehmung und literarische Repräsentation bilden, also Konstrukte, nicht eine feste historische Realität, die nur literarisch widergespiegelt würde .
. Wer ist ein Hellene? Als sich allmählich herausbildende neue religiöse Gemeinschaft war das Christentum seit seinen Anfängen bestrebt, sich von anderen Gruppen abzugrenzen und seine eigene Identität zu definieren. Schon durch die Wahl geeigneter Benennungen versuchten die Christen zu signalisieren, wer zu ihnen gehörte und wer außerhalb stand, handelte es sich bei den anderen nun um Juden, um Heiden oder um Häretiker, die in den Augen der tonangebenden Mehrheit den Boden des gemeinsamen Glaubens verlassen hatten . Bereits in den Schriften Zur kollektiven Identität siehe Assmann (1992) –; Jürgen Straub: »Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs«, in: Identitäten, hg. von A. Assmann und H. Friese. (Erinnerung, Geschichte, Identität ) Frankfurt/Main , –, hier –; Straub (2004) –. Die Prozeßhaftigkeit spätantiker religiöser Identitäten betont auch von Stuckrad (2002). Straub (2004) f. Vgl. die Beiträge in Miles (1999), aus denen auch hervorgeht, welch verschiedene Aspekte die Definitionen wie römisch, griechisch, barbarisch, christlich und pagan umfassen. Zu den Bezeichnungen für Nichtchristen siehe Opelt (1965); Will – Klein (1988).
. Wer ist ein Hellene?
des Neuen Testaments lassen sich diese Bemühungen, die Menschen verschiedenen Gruppierungen zuzuordnen und damit das eigene Profil zu schärfen, greifen, wobei als leitendes Kriterium die Art der Gottesverehrung herangezogen wird . Nachdem sich christliche Apologeten im Laufe der Jahrhunderte einer ganzen Reihe von Termini bedient hatten, um die Heiden als die ihnen diametral entgegengesetzte Gruppe zu bezeichnen , kristallisierte sich während des vierten Jahrhunderts ein allgemeiner Sprachgebrauch heraus, der zwar schon auf neutestamentliche Wurzeln zurückging, aber erst bei Origenes in voller Klarheit ausgebildet ist: Die Griechen, οἱ ῞Ελληνες, waren nun gleichbedeutend mit Heiden . Wenn sie ihre heidnischen Kontrahenten offen als Hellenen titulierten, so subsumierten die christlichen Autoren unter diesen Begriff nicht allein alle Arten der paganen Götterverehrung, sondern ebenso die griechische Bildungstradition – insbesondere Philosophie und Rhetorik –, der die Christen zumindest eine Zeitlang und dem offiziellen Bekunden nach ablehnend gegenübergestanden hatten . Sie verschoben damit die Bedeutung des Wortes ῞Ελλην in signifikanter Weise . Ursprünglich benannte das Wort eine ethnische und in einem bestimmten Raum angesiedelte Gemeinschaft, ehe sich seit klassischer Zeit sein Schwerpunkt auf die Kultur verlagert hatte, wie dem Panegyrikos des Isokrates zu entnehmen ist . Ihm zufolge war Hellene in erster Linie Mk . setzt die Jünger Jesu von den Außenstehenden (οἱ ἔξω) ab. Paulus differenziert zwischen den wahren Juden und den Griechen (Röm . –), und im zweiten Makkabäerbuch des Alten Testaments wird die griechische Lebensweise der jüdischen gegenübergestellt (. Makk . ). Sowohl bei Heiden als auch bei Christen war die Vorstellung verbreitet, die Christen bildeten neben Juden und Heiden ein eigenes Volk, ein tertium genus: Schäfke (1979) –. Zur Einstellung gegenüber Heiden im frühen Christentum vgl. die Beiträge in Reinhard Feldmeier; Ulrich Heckel (Hg.): Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden. (Wiss. Untersuchungen zum NT ) Tübingen . Zu den Bezeichnungen in der Spätantike siehe beispielsweise Eus. v. C. . . ; . ; Gr. Thaum. pan. Or. (PG , a); Gr. Nyss. Eun. (PG , b); Ath. v. Anton. (PG , b); Bas. reg. fus. . (PG , c). Or. Cels. . , . . Opelt (1965) –; Will – Klein (1988); Kaldellis (2007) – . Bowersock (1990) hingegen ist der Ansicht, die Heiden selbst seien die ersten gewesen, die den Begriff im religiösen Sinne gebraucht hätten. Origenes berücksichtigt er nicht. Zum schwierigen Verhältnis der Christen zur griechischen Bildung siehe etwa Jaeger (1963), Pelikan (1993) und Tloka (2005). Zu den Bedeutungen des Wortfeldes ῾Ελληνισμός, ἑλληνίζω in der Antike siehe Bowersock (1990) – und jetzt auch Sofia Vassilaki: »῾Ελληνισμός«, in: A History of Ancient Greek. From the Beginnings to Late Antiquity, hg. von A.-F. Christidis. Cambridge u. a. , –. Siehe Jonathan M. Hall: Hellenicity. Between Ethnicity and Culture. Chikago; London . Zu den verschiedenen Konzeptionen von Hellenentum vgl. auch den Sammelband Suzanne Said (Hg.): ῾Ελληνισμός. Quelques jalons pour une histoire de l’identité grecque. (Travaux du Centre de Recherche sur le Proche-Orient et la Grèce Antiques ) Leiden ; ferner Lynette Mitchell: Panhellenism and the Barbarian in Archaic and Classical Greece. Swansea .
Auf der Suche nach Identität
nicht mehr, wer einem bestimmten Volk angehörte, sondern wer an einer spezifischen παιδεία, nämlich der athenischen, teilhatte . Zwar gaben die christlichen Autoren diese Bedeutung nicht auf, doch rangierte in ihren Augen die Religion noch vor der Kultur, so daß nun vor allem der Polytheismus den Griechen ausmachte. Eine als so tief aufgefaßte Kluft zwischen Christen und Griechen, wie sie die neue Terminologie suggeriert, konnte jedoch für die Christen selbst problematisch werden, sofern sie sich in der griechischen Kulturtradition beheimatet fühlten. Den Zwiespalt, einerseits nach Abstammung und Bildung griechisch zu sein, andererseits aber dem doch ebenfalls griechischen Götterkult abgeschworen zu haben, empfindet etwa Euseb in seiner Praeparatio evangelica sehr deutlich . Demselben Unbehagen verleiht später Gregor von Nazianz Ausdruck, wenn er in seiner Invektive gegen Julian, wo er sich mit dessen Hellenenbegriff auseinandersetzt, zum einen scharf mit den Bildungsvorstellungen des Kaisers ins Gericht geht und sich über diese Art von παιδεία lustig macht, zum anderen aber selbst der griechischen Kulturgemeinschaft angehören will . Durch eine eindeutige Etikettierung die Heiden auf eine bestimmte Position festzulegen und damit auch die Macht der Definition über sie auszuüben war demnach nicht so unproblematisch, wie die scheinbar scharfen Grenzen zwischen den Lagern vermuten ließen. Den Heiden des vierten Jahrhunderts konnte diese gleichsam von außen vorgenommene, gezielte Umprägung des Hellenennamens nicht verborgen bleiben, zumal die Christen diesen in öffentlich ausgetragenen Kontroversen eindeutig pejorativ verwendeten . Wollte man nicht zusehen, wie das aus griechischer Sicht eigentlich überaus positive Wort ῞Ελλην zunehmend negativ Isoc. or. . f. [sc. ἡ πόλις ἡμῶν] τὸ τῶν ῾Ελλήνων ὄνομα πεποίηκε μηκέτι
τοῦ γένους, ἀλλὰ τῆς διανοίας δοκεῖν τεκμήριον εἶναι καὶ μᾶλλον ῞Ελληνας καλεῖσθαι τοὺς τῆς παιδεύσεως τῆς ἡμετέρας ἢ τοὺς τῆς κοινῆς φύσεως μετέχοντας (). Eus. p. e. . . : ῞Οτι μὲν οὖν τὸ γένος ῞Ελληνες ὄντες καὶ τὰ ῾Ελλήνων φρονοῦντες ἐκ παντοίων τε ἐθνῶν ὡς ἂν νεολέκτου στρατιᾶς λογάδες συνειλεγμένοι τῆς πατρίου δεισιδαιμονίας ἀποστάται καθεστήκαμεν, οὐδ’ ἂν αὐτοί ποτε ἀρνηθείημεν (»Daß wir, der Abstammung nach Griechen und griechisch gesinnt, gleichwohl aus vielfältigen Völkern als Ausgewählte eines gleichsam neu ausgehobenen Heeres versammelt und von dem ererbten Aberglauben abgefallen sind, würden wir nicht einmal selbst je bestreiten.«). Gr. Naz. or. . –, –. Gregor verdreht allerdings den Sachverhalt, wenn er Julian unterstellt, er habe willkürlich das Wort ›Grieche‹ im religiösen Sinne gedeutet (§ ). Darin waren ihm Christen längst vorausgegangen. Siehe auch unten Kap. . zu Julians Rhetorenedikt. Zu Gregors Gebrauch des Wortes ῞Ελλην in dieser Rede Kurmann (1988) . Zu Gregors Auseinandersetzung mit Julians religiösem Bildungskonzept siehe auch Elm (2001) und Elm (2005) –. Mit negativen Ausdrücken wie δεισιδαιμονία und ἀσέβεια gepaart begegnet der Hellenenbegriff beispielsweise in Tat. orat. . f., . , . f.; Eus. Marcell. . . . ; Ath. h. Ar. (PG , a/b), (c); Cyr. Juln. . (PG , a); Chrys. pan. Bab. . (PG , ); hom. in Gen. . (PG , ); Bas. hom. (PG , d–a); später dann etwa Thdt. Ps. . (PG , a); h. e. . . , . . . Vgl. ferner die
. Wer ist ein Hellene?
konnotiert wurde, war es nötig, selbst darüber zu reflektieren und zu bestimmen, was eigentlich den Griechen ausmachte. Die Definition und Besetzung eines so traditionsreichen Schlüsselbegriffes konnte man nicht anderen überlassen . Zudem schien es angesichts der oben skizzierten krisenhaften Entwicklungen und Bedrohungen unausweichlich, den eigenen Standpunkt schärfer zu fassen und zumindest den Versuch zu unternehmen, die eigene Identität zu bestimmen. Da zumindest einige der bedrohlichen Veränderungen die griechische Kultur in ihrem Kern zu treffen schienen, lag es nahe, ebenso wie die Christen darüber nachzudenken, wer eigentlich Grieche sei und wer die anderen. Wie die Christen von der Warte des kritischen Beobachters aus, so bedienten sich, wenn auch in divergierendem Ausmaß, die paganen Autoren von der Innenperspektive aus des Hellenennamens, um sich selbst und ihre Gesinnungsgenossen zu kennzeichnen. Obgleich Julian, Libanios, Themistios, Himerios und Eunap durchaus verschiedene Akzente setzen, lassen sich, was den Inhalt des Hellenenkonzepts angeht und die Kontexte, in denen man darüber reflektiert, deutliche Übereinstimmungen beobachten . Da Reflexionen über die eigene Identität stets Funktionen sowohl nach außen als auch nach innen erfüllen, wenden sich die Heiden, wenn sie auf den Hellenenbegriff rekurrieren, nicht nur an die eigene Gruppe, sondern ebenso an ein umfassenderes Publikum. So tritt Julian mit seinen Gedanken dazu, was das griechische Wesen ausmacht, an eine breite Öffentlichkeit und richtet sich mit dem Misopogon und der Schrift Gegen die Galiläer dezidiert an diejenigen, die er aus der griechischen Gemeinschaft ausschließen will . Beide Werke dienen vornehmlich dem Ziel, Identität durch Alterität, durch die Konfrontation mit dem Gegenbild, zu konstituieren und die Überlegenheit der eigenen Gruppe über rivalisierende Lager zu erweisen . Ebenso nutzt Himerios immer wieder das Forum, das ihm sein Schulbetrieb und offizielle Anlässe bieten, dazu, auszuloten, was griechisches Wesen ausmacht, wobei er allerdings ähnlich wie Isokrates Jahr-
Titel der Werke Πρὸς ῞Ελληνας Tatians (hier aber noch weitgehend gegen griechische Philosophie gewandt) und ῾Ελληνικῶν θεραπευτικὴ παθημάτων Theodorets. Daß der oft wie selbstverständlich gebrauchte Begriff nur scheinbar eindeutig, seine Interpretation in Wirklichkeit jedoch strittig war, geben bisweilen auch Christen zu erkennen wie etwa Gregor in seiner Rede gegen Julian. Siehe oben Anm. . Siehe Kap. .. Im folgenden steht eher die Frage, wie und unter welchen Umständen man den Hellenen zu definieren suchte, im Zentrum als die einzelnen inhaltlichen Facetten des Konzeptes, denen die Forschung bereits ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat. Zum Hellenenbegriff bei Libanios siehe Schouler (1984), zu dem Julians Huart (1978) (dort allerdings weitgehend auf das Konzept des Philosophenherrschers reduziert), Dostálová (1983) –, Bouffartigue (1991) und Cameron (1993). Siehe insbes. Iul. Mis. c und Gal. fr. und . Zur kulturellen Überlegenheit der Griechen siehe beispielsweise Iul. Gal. fr. . Dazu unten S. –.
Auf der Suche nach Identität
hunderte zuvor die athenische Kultur zum Kern hellenischer Identität erhebt . Sowohl seiner Schülergemeinde als auch dem breiteren Publikum seiner öffentlichen Reden teilt er mit der Autorität des Gebildeten, der Geistesgrößen wie Sokrates nachfolgt, mit, über welche Eigenschaften der typische Grieche, sprich Athener, verfüge. Auch Themistios und Libanios ergreifen vor großem Publikum die Gelegenheit, nachdrücklich in Erinnerung zu rufen, worin griechische Identität bestehe und wer zur Gemeinschaft der Griechen zu zählen sei . Eine etwas andere Bewandtnis hat es, wenn im Briefverkehr unter Gesinnungsgenossen des öfteren auf das Idealbild des Hellenen Bezug genommen wird und man sich gegenseitig mit offensichtlich affirmativer Absicht den Hellenennamen zuspricht . Sooft Julian und Libanios in ihrer Korrespondenz den Begriff gebrauchen, zeigt sich, daß es sich nicht bloß um eine Möglichkeit handelte, die eigene Gruppe nach außen zu repräsentieren, sondern auch um eine innerhalb der Gruppe verwendbare Chiffre für das eigene Selbstverständnis . Der polemische Gebrauch des Begriffes ῞Ελλην durch die Christen einerseits und die Selbstbezeichnung der Heiden andererseits sind Anzeichen eines Wandels der Identitäten. In früheren Zeiten war es zunächst durch ethnische Abstammung, dann auch durch Teilhabe an der Kultur relativ eindeutig bestimmt, ob jemand als Grieche gelten konnte oder nicht. Wer die griechische Sprache beherrschte und sich dem Ideal der traditionellen παιδεία verschrieben hatte, gehörte ungeachtet seiner Herkunft der Gemeinschaft aller Hellenen an. Diese Sicht verlor auch im vierten Jahrhundert nicht ganz und gar an Gültigkeit. Greifen doch die Autoren nach wie vor auf den Hellenennamen zurück, wenn sie über das griechische Volk als ethnische Einheit und über die griechische Kultur sprechen . Indessen war die Selbstverständlichkeit, mit der die Teilhabe an der Kultur griechische Identität konstituierte, geschwunden. Wie problematisch die Frage, wer Grieche sei, geworden war, zeigt schon der Umstand, daß man überhaupt so häufig und intensiv auf das Hellenentum rekurrieren mußte, statt es als Gegebenheit bei jedem Gebildeten vorauszusetzen. Wenn es nicht mehr genügte, einen Menschen als Gebildeten vorzustellen, sondern man ihn Siehe beispielsweise Him. or. . f.; . ; , Z. –; , Z. –; . . Lib. or. . ; Them. or. . a/b; . c. Siehe bes. Lib. ep. . ; . f. Iul. ep. ; ; ; a; ; ; ; Lib. ep. . ; . ; . ; . ; . ; . ; . u. ö. Zur Bedeutung der Ethnizität in der Spätantike siehe Stephen Mitchell; Geoffrey Greatrex (Hg.): Ethnicity and Culture in Late Antiquity. London . Beispielsweise Iul. or. . a–d; . a/b; Gal. fr. . a; Him. or. . ; . und ; Lib. or. . ; ep. . ; . ; . ; . ; . ; Them. or. . d; . c; . b; . a. In or. . greift Libanios die oben angeführte kulturelle Definition des Griechentums bei Isokrates wieder auf. Cameron (1993) f. ist zu widersprechen, wenn er behauptet, bei Julian bezeichne der Hellenenname nur zweimal die griechische Kultur (ep. ; Mis. c), ansonsten aber die Heiden. Im übrigen zeigt gerade das von ihm angeführte Beispiel ep. , sieht man es zusammen mit Lib. or. , dem Auslöser des Briefes, daß auch dort der Begriff religiös konnotiert ist.
. Wer ist ein Hellene?
darüber hinaus als Griechen qualifizierte, war darin implizit die Prämisse enthalten, daß es Menschen gab, die zwar vielleicht von ihrer Abstammung oder ihrer Bildung her Griechen sein mochten – wie etwa Euseb –, aber in den Augen des Sprechers wie des Adressaten eben keine vollgültigen Griechen. Als sich Libanios kurz nach der Ankunft Julians in Antiochia beim Kaiser für den unter Constantius in Ungnade gefallenen Aristophanes einsetzte, war es vor allem eines, was diesen empfahl : πρῶτον μὲν ῞Ελλην ἐστίν, ὦ βασιλεῦ· τοῦτο δ’ ἐστὶν ἕνα τῶν σῶν εἶναι παιδικῶν. οὐδεὶς γὰρ οὕτω τῆς αὑτοῦ πατρίδος ἐραστὴς ὡς σὺ τοῦ τῆς ῾Ελλάδος ἐδάφους ἐνθυμούμενος ἱερὰ καὶ νόμους καὶ λόγους καὶ σοφίαν καὶ τελετὰς καὶ τρόπαια ἀπὸ βαρβάρων. Erstens ist er [Aristophanes] Grieche, mein Kaiser, d. h. einer deiner Lieblinge. Denn keiner ist ein solcher Liebhaber seines Vaterlandes, wie du einer des Bodens von Griechenland bist, indem du an Religion, Gesetze, Beredsamkeit, Weisheit, Mysterienweihungen und über die Barbaren errungene Siege denkst.
Die griechische Identität zu beschwören erscheint Libanios als geeignetes Mittel, die Gunst Julians für Aristophanes zu erwirken. Der direkt angeknüpften Reihung läßt sich entnehmen, was für Libanios, jedenfalls in diesem Kontext, das Griechischsein konstituiert. Nicht die ethnische Abstammung scheint den Ausschlag zu geben, sondern vielmehr eine Mischung aus religiösen und kulturellen Merkmalen sowie der Erinnerung an historische Begebenheiten. Wäre jeder Gebildete Grieche, erübrigte sich der Rekurs auf das Hellenentum, weil es kein unterscheidendes Kriterium wäre. So aber scheint diese Bezeichnung nur einer ausgewählten Gruppe innerhalb der Gesellschaft zuzukommen. In diesem Sinne ist es wohl auch zu verstehen, wenn bisweilen jemand als ›wahrer‹ oder ›reiner‹ Hellene apostrophiert wird . Offenbar wird der Begriff in seiner Bedeutung eingeschränkt oder verengt, so daß er nur noch partikuläre Gültigkeit hat, anstatt alle zu umschließen, die im Sinne des Isokrates an παιδεία teilhaben. Im folgenden soll etwas näher betrachtet werden, in welchen Situationen und mit welchen Intentionen die paganen Autoren auf die hellenische Identität Bezug nehmen. Wie die eben zitierte Passage demonstriert, war es in den Augen des Libanios und seines verehrten Kaisers ein offenkundiger Vorzug, Hellene zu sein. Wer Anspruch auf dieses Gütesiegel erheben konnte, verfügte augenscheinlich über Eigenschaften, deren die Nicht-Griechen ermangelten. Daß es sich bei der Empfehlung des Aristophanes nicht um eine Ausnahme handelt, belegen ähnliche Äußerungen in Libanios’ und Julians Briefen, wo die Eigenschaft, Grieche zu sein, des öfteren den entscheidenden Ausschlag bei einer Empfehlung geben soll oder den Grund dafür bildet, weshalb der Betreffende in hohem Ansehen Lib. or. . . Julian greift in seinem Antwortschreiben das Thema wieder auf, indem er feststellt, daß es alle Hellenen seien, die Libanios’ Reden lobten (ep. ). Iul. ep. (ἀληθῶς); (καθαρῶς); Lib. ep. . (χρηστός); Him. or. . (ἀκριβῶς, hier allerdings sprachlich); . (ἀκριβῶς, hier ethnisch und politisch).
Auf der Suche nach Identität
steht . Beispielsweise legt Libanios einem Adressaten den Überbringer eines Briefes als den angesehensten Griechen ans Herz oder bezeichnet Leute, die er sehr schätzt, als ›Erzhellenen‹ (ὁ τῶν ῾Ελλήνων ἄκρος) . Ebensowenig lassen Julian oder auch Eunap Zweifel daran, daß wahre Hellenen bei ihnen in hoher Achtung stehen , doch scheint andererseits darin auch die Verpflichtung zu liegen, in angemessener Weise in der Öffentlichkeit aufzutreten . Nicht selten geht mit dem Lob des Hellenentums, beziehe es sich nun auf einen einzelnen oder ein Kollektiv, eine nähere inhaltliche Bestimmung einher, was denn eigentlich den Griechen konstituiere. Für sämtliche paganen Autoren steht außer Frage, daß für die Definition die Bildung, insbesondere die rhetorische und literarische, eine gewichtige Rolle spielt oder auch umfassender die ganze Kultur . Wie schon in klassischer Zeit qualifiziert den einzelnen sein Bildungsgrad für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Hellenen. Wenig verwunderlich ist, daß sich der παιδεία ein spezifisches Ethos, ein Ensemble an positiven moralischen Eigenschaften an die Seite stellt. Sei es explizit, sei es eher indirekt, wird des öfteren definiert, welche Verhaltensweisen gegenüber seinen Mitmenschen den Griechen ausmachen. Man findet hier die üblichen, der philosophischen Tradition entnommenen Tugenden, auch die φιλανθρωπία oder die milde Nachsicht . Einen Katalog dessen, was den Adel des Hellenen bildet, bietet Julian, als er sich gezwungenermaßen von seinem Vertrauten Salutius verabschieden muß, da dieser aus Gallien abberufen wird : Κελτοῖς γὰρ ἐμαυτὸν ἤδη διὰ σὲ συντάττω, ἄνδρα εἰς τοὺς πρώτους τῶν ῞Ελλήνων τελοῦντα καὶ κατ’ εὐνομίαν καὶ κατὰ ἀρετὴν τὴν ἄλλην, καὶ ῥητορείαν ἄκρον καὶ φιλοσοφίας οὐκ ἄπειρον, ἧς ῞Ελληνες μόνοι τὰ κράτιστα μετεληλύθασι, λόγῳ τἀληθές, ὥσπερ οὖν πέφυκε, θηρεύσαντες, Lib. ep. . ; . ; . ; . ; . ; . ; . ; . . In dem Hellenentum liegt auch eine Verpflichtung für den Adressaten: ep. . . Lib. ep. . ; . ; . . Zu diesem Ausdruck vgl. auch die ähnlichen Formulierungen in Lib. ep. . ; . ; Them. or. . b; . a; Iul. or. . a; Eun. VS . . , . . . Iul. ep. ; ; ; Eun. VS . . , . . , . . ; fr. . . Iul. ep. ; Lib. ep. . ; . ; . ; . ; . ; . . Vgl. den Appell an Julian in Lib. or. . – und den an Theodosius in . –. Deshalb identifiziert Schouler (1991) den Hellenismos des Libanios nicht ganz zu unrecht mit »humanisme«. Iul. Mis. c; Lib. or. . –; . ; ep. . ; . ; . ; . ; . ; . Vgl. Themistios’ Würdigung seines Vaters in or. . Beim Abschied seines Schülers Flavianus zeichnet Himerios in einer Vorlesung vor seinen Schülern ein Porträt des vorbildlichen Griechen, der alle wesentlichen Tugenden verwirklicht, Selbstbeherrschung, Weisheit, Mut, Umgänglichkeit (or. , bes. § ). Iul. or. . a/b. Bei dem in der handschriftlichen Überlieferung Σαλούστιος genannten Adressaten handelt es sich um Saturninius Secundus Salutius. PLRE –, s. v. Secundus . Siehe unten S. . Als Fundament griechischer Identität erscheinen in der ganzen Schrift Bildung und Philosophie. Erst sie ermöglichen auch eine stabile Freundschaft, wie sie in Idealform zwischen Julian und Salutius verwirklicht ist.
. Wer ist ein Hellene?
οὐκ ἀπίστοις μύθοις οὐδὲ παραδόξῳ τερατείᾳ προσέχειν ἡμᾶς, ὥσπερ οἱ πολλοὶ τῶν βαρβάρων, ἐάσαντες. Zu den Kelten zähle ich mich nunmehr durch dich, einen Mann, der zu den ersten Hellenen gehört sowohl nach Rechtlichkeit als auch nach der übrigen Tugend, herausragend an Beredsamkeit und nicht unerfahren in der Philosophie, in der allein die Griechen den ersten Rang erklommen haben, da sie, gerade wie es der Natur entspricht, die Wahrheit mit der Vernunft erjagt haben, statt es uns zu gestatten, uns unglaubwürdigen Mythen und widersinnigem Wunderwerk zuwenden zu lassen wie die meisten der Barbaren.
Julian bestätigt den Kelten Salutius hier expressis verbis in seiner griechischen Identität, die auf dem Ineinanderwirken von Bildung und Ethik gründet, und um es nicht bei dem expliziten Lob zu belassen, flicht Julian in die ganze Rede zahlreiche Zitate und Anspielungen, insbesondere auf die homerischen Epen, ein, so daß die gemeinsame griechische Bildung den Sprecher und den Adressaten eint . Gerade das Spiel, das der Autor hier mit der ethnischen Identität, dem Unterschied zwischen Kelten und Griechen, treibt, demonstriert, welch geringes Gewicht der Abstammung zukommt, wenn es um das Selbstverständnis geht. In einer krisenhaften Situation – Constantius hatte den Widersachern Julians sein Ohr geliehen und dessen engsten Vertrauten abberufen –, rekurriert Julian auf seine unverlierbare griechische Identität und vergewissert sowohl sich selbst als auch den Freund des Hellenentums. Gegen alle Anfeindungen und Intrigen stehen die überlegenen Qualitäten des wahren Griechen. Was Julian zu dieser Zeit noch nicht offen aussprechen konnte, aber immerhin andeutete, war das Merkmal, das später in seinen Augen erst den wahren Hellenen von anderen unterschied: der pagane Götterkult . Der in dem oben zitierten Passus aufgegriffene Gegensatz zwischen Griechen und Barbaren enthält eine leicht zu entschlüsselnde Stoßrichtung gegen die Christen. Merkwürdig ist nämlich, weshalb ausgerechnet Barbaren sich an unglaubwürdige Mythen und Wunderwerk halten sollten. Christen hingegen unterstellte man gemeinhin, sie seien vernunftlos und hätten eine Vorliebe für Wundergeschichten . Wenn man zudem bedenkt, daß Christen die Heiden als Hellenen titulierten, war für den Adressaten Salutius zu erkennen, wen Julian mit den Barbaren Siehe bes. Iul. or. . c–a. Zu den historischen Hintergründen Bringmann (2004) –. Sooft Julian in dieser Rede in eigener Person spricht, redet er zwar nur von einem einzigen Gott (den er in b/c allerdings mit den Attributen des Zeus versieht), in den Zitaten und dem Monolog des Perikles wird jedoch auf den paganen Polytheismus rekurriert (d–c). Insbesondere am Schluß der Schrift setzt Julian noch einmal diesen Akzent. Er nutzt also das Reden hinter der Maske einer anderen Person, um seine pagane Gottesvorstellung in die Schrift einfließen zu lassen. Gerade die Homerzitate (bes. d mit Hom. Od. . ) unterstreichen, daß sich die klassische Bildung nicht von der Götterverehrung trennen läßt, so daß Julian damit seine Rede von einem einzelnen Gott konterkariert. Das Werk erhält so einen paganen Subtext, den Julians Vertrauter Salutius bemerkt haben wird. Vgl. beispielsweise Or. Cels. . ; Porph. Chr. fr. und v. Harnack (= und Berchman) sowie Julian selbst in Gal. fr. und Gr. Naz. or. . .
Auf der Suche nach Identität
meinte . Noch vor Bildung und Ethos bzw. in enger Verknüpfung mit diesen beiden Faktoren bestimmte die Religion, wer als Grieche gelten durfte. Hierin wußte sich der Kaiser in Übereinstimmung mit seinen Gesinnungsgenossen Libanios und Himerios, und auch Eunap folgte später diesem Konzept . Allein Themistios knüpfte das Griechentum nicht explizit an die pagane Götterverehrung, wie er sich überhaupt in Anbetracht seines Publikums mit eindeutigen religiösen Äußerungen zurückhielt . Sobald Julian an die Macht gekommen war und seine Überzeugungen nicht länger zu verhehlen brauchte, erklärte er rundheraus, daß für ihn der wahre Grieche am öffentlichen Vollzug des Götterkultes zu erkennen war. In einem an den Philosophen Aristoxenos gerichteten Brief fordert er den Adressaten auf, ihm unter den Kappadokiern einen reinen Hellenen zu zeigen. Bisher habe er nur Menschen gesehen, die nicht opfern wollten, und einige wenige, die es zwar wollten, aber nicht zu opfern verstünden . Zu den moralischen Vorzügen eines Menschen, denen Julian sich im ersten Teil des Briefes widmet , tritt die rechte Haltung gegenüber den Göttern. Das für alle sichtbare Opfer wird zum entscheidenden Kriterium, das es erlaubt, klar zwischen den Hellenen und den Ungläubigen zu scheiden. Diese klare Trennungslinie zieht Julian auch im Misopogon, wo seine Parteigänger all das verkörpern, was den wahren Griechen auszeichnet, während die Antiochener nicht allein ungebildet sind und sich amoralisch verhalten, sondern eben auch dem christlichen Glauben anhängen .
Ein gewisses Signal für den Leser könnte auch die Abbruchsformel sein, mit der Julian das Thema fallenläßt (b: ἀλλὰ καὶ τοῦτο μὲν ὅπως ποτὲ ἔχει, τανῦν ἀφείσθω). Zwar ist Cameron (1993) grundsätzlich darin zuzustimmen, daß man das Konzept des Hellenismus bei den paganen Autoren des vierten Jahrhunderts nicht ausschließlich im Lichte der Religion verstehen dürfe. Darüber darf man jedoch nicht vergessen, daß auch die Autoren im Umfeld Julians den Hellenennamen – wenn auch nicht immer – an die Religion knüpfen. Von der Tatsache, daß die zeitgenössischen Christen unter den Hellenen vorrangig die Heiden verstanden, konnten auch die paganen Autoren nicht völlig absehen. Siehe dazu unten S. . Iul. ep. : ἔντυχε γοῦν ἡμῖν περὶ τὰ Τύανα πρὸς ∆ιὸς φιλίου καὶ δεῖξον
ἡμῖν ἄνδρα ἐν Καππαδόκαις καθαρῶς ῞Ελληνα· τέως γὰρ τοὺς μὲν οὐ βουλομένους, ὀλίγους δέ τινας ἐθέλοντας μέν, οὐκ εἰδότας δὲ θύειν ὁρῶ (»Versuche also, uns bei Tyana zu treffen, beim Zeus der Freundschaft, und zeige uns unter den Kappadokiern einen reinen Hellenen; bisher nämlich habe ich gesehen, daß die einen nicht opfern wollen, wenige andere aber zwar bereit sind, es jedoch nicht zu tun verstehen.«). Aristoxenos hatte offensichtlich angefragt, ob er Julian aufsuchen solle, und um eine Einladung gebeten. Der Kaiser weist dies etwas ungehalten als Formalie zurück und reflektiert über das Wesen wahrer Freundschaft: Sie beruhe auf Ernsthaftigkeit und vortrefflichem Charakter. Iul. Mis. c/d (Julian und seine Gefährten), a ff. (Amoral und Perversität der Antiochener), b (mangelnde Bildung: die Antiochener kennen die Philosophen nur aus der Komödie), d–a (Antiochener als Christen).
. Wer ist ein Hellene?
Libanios war fest davon überzeugt, daß die griechische Kultur, aus seiner Perspektive im wesentlichen identisch mit den λόγοι, mit dem paganen Götterkult, den ἱερά, geschwisterlich verwandt sei, und Julian hatte seiner Ansicht nach diese Einheit nach einer Zeit des Niedergangs restauriert . Der Kaiser war dem Sophisten zufolge mithin derjenige, der wieder voll zur Geltung brachte, was das Hellenentum ausmachte. Genau diese Einstellung zeigt sich auch in dem oben ausgeschriebenen Passus der Rede für Aristophanes, wo Libanios in einem knappen Katalog die unerläßlichen Bestandteile griechischer Identität aufzählt, darunter prominent ἱερά und τελεταί . Da es nicht erforderlich war, Julian das Wesen des Hellenentums in Erinnerung zu rufen, ist diese Stelle vielmehr in dem Sinne aufzufassen, daß Libanios danach trachtet, vor einem breiteren Publikum autoritativ zu definieren und festzulegen, wer von nun an als wahrer Grieche gelten konnte. Griechischsein ist eine umfassende Gesamtheit, aus der sich kein einzelnes Element herausbrechen läßt. Der Kaiser griff die Gelegenheit, solchen programmatischen Gedanken Gehör zu verschaffen, dankbar auf, indem er Libanios überschwenglich für die Rede lobte und so den Anstoß gab, das Werk weiteren Kreisen bekannt zu machen . Nach solchen gleichsam offiziellen Verlautbarungen konnte jeder wissen, worin der Kern hellenischer Identität bestand. Etwas subtiler ging hingegen Himerios vor, als er mit allgemeinen Formulierungen, die sich zeitlich nicht festlegten, den Eindruck erweckte, als würden die Griechen seit Anbeginn bis in die Gegenwart hinein wie selbstverständlich alle die paganen Götter verehren. So opferten ›die Griechen‹ dem Poseidon, und Apollon sei bei ihnen allen zu Hause . Ansonsten ließ Himerios aber auch durchblicken, daß für ihn die griechische oder vielmehr athenische Kultur untrennbar mit der Verehrung der Götter zusammenhing . Daß solche Vorstellungen weit über Julians Tod hinaus unter den gebildeten Heiden gängig waren, belegen schließlich Eunaps Werke, in denen Lib. or. . –. Siehe auch or. . und . . Die Bedeutung der Religion für Libanios’ Konzept des Hellenentums veranschlagt Sandwell (2007) – m. E. zu gering. Lib. or. . . Siehe oben S. . Weitere Stellen, aus denen hervorgeht, wie sich jeweils die religiösen, kulturellen und ethischen Facetten des Hellenenbegriffs gegenseitig durchdringen und eine Gesamtheit bilden: Lib. or. . ; . ; ep. . und ; . ; . . Insbesondere ep. , wo Libanios zwischen dem eifernden Konvertiten Elpidios und Seleukos vermitteln will, zeigt, daß Libanios zu dieser Zeit bei den ›Griechen‹ auch an die Parteigänger Julians dachte. Iul. ep. an Libanios und Lib. ep. an Julian. Libanios ließ die Rede zusammen mit dem Schreiben des Kaisers verbreiten, versah sie also mit allerhöchster Autorität. Wiemer (1995a) –. Him. or. . und . . Him. or. . (athenische Festgesandtschaft nach Delos); . (zum Idealzustand Athens gehören Mysterien); . – (Panathenäenprozession); . (Mysterien und Opfer als typisch attischer Brauch). Daß Bildung mit der Verehrung der Götter einhergehen müsse, ist im übrigen auch die Prämisse der gegen Epikur gerichteten Deklamation (or. ).
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der Hellenenname ganz selbstverständlich an den paganen Götterkult gebunden ist . Indem sie wie ihre christlichen Zeitgenossen als Hellenen diejenigen bestimmten, die den alten Göttern anhingen, strebten die paganen Autoren danach, ein geeignetes Kriterium festzulegen, um eine möglichst homogene, scharf abgegrenzte Identität zu konstruieren. Unverkennbar suchten sie eine Handhabe, bestimmte Leute aus der Gemeinschaft der Griechen auszuschließen. Hätte man griechische Identität auf die ethnische Abstammung zurückgeführt, wäre dies nicht in gleicher Weise möglich gewesen. Auch die traditionelle παιδεία eignete sich nur noch bedingt als Fundament, da sie inzwischen ebenso von führenden Vertretern der Christen beherrscht und benutzt wurde. Die Religion als Maßstab anlegend, konnten nun die paganen Intellektuellen bestimmen, wer zu Recht Anspruch auf den Titel ῞Ελλην erhob. Griechische Identität war nichts Naturgegebenes, sondern wurde arbiträr festgelegt, nur nach anderen Kriterien als in früheren Epochen. Wie die wechselnden Zusammenstellungen von Merkmalen – Abstammung, Sprache, Bildung, ethische Werte und Religion – zeigen, knüpfte man sehr wohl an ererbte Konzeptionen griechischen Selbstverständnisses an, doch verschob man diese gezielt in Richtung der Religion und akzentuierte sie so neu. Wie sich die verschiedenen Merkmale bündeln ließen, demonstrierte Julian in seiner Schrift Gegen die Galiläer, wo er immer wieder auf die grundlegende Dreiteilung in Griechen, Juden und Galiläer zurückgreift . Schon die Terminologie, deren sich der Kaiser bedient, um die Gruppen zu benennen, signalisiert, daß er die Religionen mit ethnischen Kategorien zur Deckung zu bringen sucht, insbesondere um den Universalitätsanspruch der Christen zurückzuweisen . Mit der Abstammung und der Religion vereinigt sich dann aber die Bildung oder Kultur, die in ihrer vollendeten Blüte allein die Griechen ziert. Religion und Bildung werden nachgerade zu ähnlich wie die ethnische Abstammung naturgegebenen Qualitäten erhoben , so daß der willkürliche Charakter der Setzung in den Hintergrund tritt. So vereinnahmen die paganen Autoren die gesamte griechische Kultur und Geschichte für sich und schließen alle, die nicht die Götter ehren, aus. Eun. fr. . ; VS . . , . . ; vgl. auch . . (der Untergang der Heiligtümer und der Griechenlands koinzidieren). Bes. Iul. Gal. fr. und . a/b (die Christen als sowohl von den jüdischen als auch von den griechischen Traditionen Abgefallene). Zu dieser Dreiteilung Schäfke (1979) –. Wie Julian in seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum religiöse, kulturelle und ethnische Argumente verknüpft, wird unten in Kap. .. beleuchtet. Iul. Gal. fr. . c: [nach der Behauptung, daß die Hellenen viele Nachfolger Chirons nennen könnten] ἐκ τούτου γὰρ πάντες ἐγένοντο τελεστικοὶ φύσει καὶ θεολογικοί, καθὸ δὴ δοκοῦσι μόνον ῾Εβραῖοι τὰ ἑαυτῶν ἀποσεμνύνειν (»Daher erlangten sie alle von Natur aus eine Neigung zu Mysterien und Theologie, in einem Maße, wie es allein die Hebräer als ihr Eigentum zu rühmen scheinen.«). Vgl. auch Lib. or. . .
. Wer ist ein Hellene?
Für die Verdrängung der Gottlosen aus der griechischen Kulturgemeinschaft war es ohne Frage von erheblichem Vorteil, daß der Hellenenbegriff seit alters nicht von der negativ konnotierten Vorstellung der Barbaren zu trennen war . Sooft von den charakteristischen Eigenschaften der Griechen die Rede war, war als Gegenbild der Barbar schon immer mitgedacht, oder man stellte ausdrücklich die beiden Gruppen einander gegenüber . Wenn man sich selbst als Griechen stilisierte, rückten die anderen automatisch in die Nähe von rohen, unzivilisierten Barbaren. Diese Antithese ließ sich vorzüglich in Kontroversen instrumentalisieren, um die Überlegenheit der eigenen Gruppe zu erweisen. Sie durchzieht etwa als Leitmotiv Julians Misopogon, in dem gerade das Paradox, daß die ihrer Abstammung nach barbarischen Kelten und der ihnen assimilierte Julian griechische Tugenden verkörpern, während die eigentlich griechischen Antiochener alle Werte griechischer Kultur über Bord geworfen haben, die Aufmerksamkeit der Leser darauf lenkt, welche kulturelle Kluft die ›wahren‹ Griechen Julians von den verderbten Christen trennt . In der gleichen Absicht bedienten sich Libanios und Eunap dieser Klischees, wenn sie das Wüten christlicher Mönche attackierten . Dieser gewalttätige Mob stand in allem für das genaue Gegenteil des Hellenentums. Sowohl die Antiochener des Misopogon als auch die Mönche waren, wie die Texte überdeutlich zeigen, in ihrem Gebaren nicht mehr weit von Tieren entfernt . Wenn im vorliegenden Kapitel nachgezeichnet wird, welche Ansätze im vierten Jahrhundert entwickelt wurden, pagane Identität zu fassen, so gilt die Aufmerksamkeit keiner einseitigen Festlegung, sondern einem wechselseitigen Prozeß aus Fremd- und Selbstzuschreibung. Dies hat das Etikett ›Hellenen‹ eindrücklich vor Augen führen können. Aus Sicht der heidnischen Intellektuellen war es wünschenswert, die eigene Gruppe unter einem einzigen Begriff zusammenführen zu können, der eine homogene Einheit implizierte. Das Ziel war es, über alle realiter vorhandenen Unterschiede hinweg unter den Heiden das Gemeinsame, Verbindende herauszustreichen. Dafür griff man den auf eine Zur Geschichte der Griechen-Barbaren-Antithese Albrecht Dihle: Die Griechen und die Fremden. München und die Aufsatzsammlung von Thomas Harrison (Hg.): Greeks and Barbarians. Edinburg . Beispielsweise Lib. or. . –; . . In ep. . b bezeichnet Julian die Ratgeber des Constantius als τὴν γνώμην βάρβαροι καὶ τὴν ψυχὴν ἄθεοι. Vgl. auch den Rekurs auf die Griechen-BarbarenAntithese in Iul. or. . a/b; siehe oben S. . Lib. or. . , ; . , ; . f., , ; Eun. VS . . –, . . f.; fr. . . Iul. Mis. b/c (die Antiochener behandeln Tiere wie ihresgleichen); Lib. or. . und ; Eun. VS . . : εἶτα ἐπεισῆγον τοῖς ἱεροῖς τόποις τοὺς καλουμένους μοναχούς,
ἀνθρώπους μὲν κατὰ τὸ εἶδος, ὁ δὲ βίος αὐτοῖς συώδης, καὶ ἐς τὸ ἐμφανὲς ἔπασχόν τε καὶ ἐποίουν μυρία κακὰ καὶ ἄφραστα (»Dann brachten sie an die heiligen Stätten die sogenannten Mönche, Menschen zwar der Gestalt nach, doch ihr Leben ist das von Schweinen; und vor aller Augen machten sie unzählige schlechte und unsägliche Dinge und ließen sie mit sich machen.«).
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lange Tradition zurückblickenden, von den Christen ins Negative gewendeten Hellenennamen auf und versuchte seine Bedeutung so festzuschreiben, daß er alle Gottlosen ausschloß. Zudem erlaubte er es, die reichhaltige Kulturtradition Griechenlands zu vereinnahmen, auf die inzwischen auch zahlreiche Christen nicht mehr verzichten wollten. Im folgenden soll auf den Feldern der Raumvorstellung, der Bildung, der Rationalität und der Religion untersucht werden, wie die paganen Autoren im einzelnen versuchten, eine klare hellenische Identität zu konstruieren.
. Die Vermessung Griechenlands Als sein Sohn Rufinus in jungen Jahren starb, suchte Himerios Trost für den Verlust, indem er eine pathetische Monodie auf den Knaben komponierte, die zum einen seiner Trauer Ausdruck verlieh, zum anderen umreißen sollte, zu welch großen Hoffnungen das rhetorische Talent des Sohnes Anlaß gegeben hatte (or. ). In Übereinstimmung mit den Gattungsgesetzen der Monodie, die verlangten, gerade die Unmöglichkeit wirklichen Trostes angesichts eines überaus großen Verlustes auszumalen, reiht Himerios mehrere rhetorische Fragen aneinander, um den Leser das Ausmaß der Trauer ermessen zu lassen. Dabei steht er auch vor der Aussicht, daß ihm künftig jeder Ort mit der wehmütigen Erinnerung an Rufinus verknüpft sein wird (§ ) : πῶς ᾿Αθηνᾶς ἴδω πεδίον μετὰ σέ; τίνα δὲ ἰδὼν τόπον ἢ τῆς χώρας ἢ τοῦ ἄστεος οὐκ εὐθὺς θρήνου καὶ δακρύων καὶ οἰμωγῆς ἁπάσης πλησθήσομαι; ἂν ἐπὶ τὸ βουλευτήριον ἔλθω, σὲ δόξω βλέπειν δημαγωγοῦντα τὴν γερουσίαν ἐπὶ τοῦ βήματος· ἂν ἐπὶ τὸ θέατρον, ἀναμνήσει με τῆς σκυθρωπῆς τραγῳδίας τὸ θέατρον, ἐν ᾧ σε πολλάκις πανδημεὶ πάντες ἀνύμνησαν. Wie soll ich Athenes Ebene nach deinem Tod noch erblicken? Welchen Ort auf dem Lande oder in der Stadt werde ich ansehen, ohne daß ich sogleich von Trauer, Tränen und jeglicher Wehklage erfüllt werde? Wenn ich zum Rathaus gehe, werde ich glauben, dich zu sehen, wie du auf der Tribüne den Rat für dich einnimmst; wenn ich zum Theater gehe, wird mich an die kummervolle Tragödie das Theater erinnern, in dem dich oftmals alle ohne Ausnahme gepriesen haben.
Im Rathaus wird Himerios glauben, seinen Sohn auf der Rednertribüne zu sehen, das Theater, wo früher alle die Fähigkeiten des Knaben priesen, wird den Vater an die finstere Tragödie erinnern, den Areopag kann Himerios nicht mehr sehen, ohne an den dortigen eindrucksvollen Auftritt des noch nicht Dreijährigen zu denken (§ f.). Jeder Winkel der Stadt scheint im Vater traurige Erinnerungen wachzurufen, seit sein Sohn nicht mehr lebt. Plätze und Gebäude verweisen als unübersehbare Zeichen auf Begebenheiten aus dem kurzen Leben des Sohnes, wodurch sie im Vater schmerzliche Gefühle auslösen. Das Betrach In ganz ähnlichen Wendungen wird in Lib. decl. . f. auf Orte der Erinnerung an Sokrates Bezug genommen.
. Die Vermessung Griechenlands
ten des jeweiligen Ortes oder auch nur das Denken an ihn rufen Erinnerungen wach, denen sich Himerios nicht zu entziehen vermag. Folgerichtig sieht er sein eigenes Haus als ›Erinnerungsmal‹, als ὑπόμνημα, von Trauer und Leid (§ ). Die traurige Erinnerung liegt wie ein Bann über den Orten, Rufinus hat seinem Vater gleichsam die Tore der Stadt und Eleusis verschlossen, da künftig jeder Platz vom Tode erfüllt sein wird (§ ). Wie die Monodie eindrücklich vor Augen hält, haben Orte für die Menschen eine spezifische Bedeutung, sie sind mit Erinnerungen und Emotionen besetzt, die sich nachgerade automatisch einstellen, ohne daß man sich von ihnen befreien kann. Was Himerios hier anschaulich für die Raumwahrnehmung eines einzelnen beschreibt, funktioniert ebenso bei kollektiven Raumvorstellungen. Die kognitive Leistung, Räume zu erfassen und sich ein Bild von ihnen zu machen, sowie die Darstellung solcher Raumvorstellungen mit Hilfe zweidimensionaler Karten haben in der kulturwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre verstärkte Aufmerksamkeit gefunden . Zunächst eher im Grenzbereich von Psychologie und Geographie angesiedelt, werden kognitive Karten nun auch als Konstrukte untersucht, die Weltbilder, Geschichtsauffassungen und Erinnerungen widerspiegeln. Damit sich der Mensch in seiner Umwelt zurechtfinden kann, ist er darauf angewiesen, räumliches Wissen zu erwerben und räumliche Informationen in seinem Gedächtnis zu speichern. Da es unmöglich ist, einen Raum in jeder Einzelheit zu erfassen und im Gedächtnis zu behalten, verfährt das kognitive Kartieren notwendigerweise selektiv, wobei die funktionale Bedeutung einzelner Orte für die Auswahl entscheidend ist. Wir erinnern uns nicht an jedes Detail, sondern an das, was beispielsweise wichtig ist, um zu einem bestimmten Ziel zu gelangen, oder an positiv besetzte Orte. Das selektive Vorgehen kann bereits als Indiz dafür gewertet werden, daß das kognitive Kartieren kein passiver Prozeß der bloßen Perzeption und Informationsspeicherung ist, sondern ein aktiver und konstruktiver. Niemals stimmt das Zum kognitiven Kartieren und den sog. mental maps siehe Downs – Stea (1982); Hartl (1990) und den Sammelband Damir-Geilsdorf – Hartmann – Hendrich (2005); zum Raum als Paradigma der Kulturwissenschaft Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek , –. Jörg Döring; Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld . Moritz Csáky; Christoph Leitgeb (Hg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn«. Bielefeld . Auf dem Gebiet der Altertumswissenschaft ist hier etwa die Studie von Susan E. Alcock: Archaeologies of the Greek Past. Landscape, Monuments, and Memories. Cambridge zu nennen. Siehe ferner Lutz Käppel: »Bilder des Nordens im frühen antiken Griechenland«, in: Ultima Thule. Bilder des Nordens von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von A. Engel-Braunschmidt u. a. (Imaginatio Borealis ) Frankfurt/Main u. a. , –. Mit der Konstruktion und Wahrnehmung geographischer Räume in der Antike befassen sich jetzt Ralph M. Rosen; Ineke Sluiter (Hg.): City, Countryside, and the Spatial Organization of Value in Classical Antiquity. (Mnemosyne Suppl. ) Leiden; Boston ; Michael Rathmann (Hg.): Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike. Mainz .
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Raumbild im Gedächtnis völlig mit der räumlichen Realität überein. Die diesem Vorgang inhärente Reduktion bringt es mit sich, daß Orte und Räume mit wenigen Eigenschaften oder markanten Begebenheiten verknüpft werden. Die Stadt Troja ruft unwillkürlich den Krieg in Erinnerung, Pompeji ist untrennbar mit dem Ausbruch des Vesuv verknüpft. Umgekehrt genügen oft einzelne Symbole, um im Betrachter die Vorstellung bestimmter Städte zu evozieren. Wer mit diesem Zeichensystem vertraut ist, wird auch ohne Erklärung verstehen, worauf etwa der Eiffelturm oder das Brandenburger Tor verweisen. An solchen Symbolen läßt sich auch ablesen, daß es sich bei Raumvorstellungen um kollektive Repräsentationen handeln kann. Denn sie sind intersubjektiv als Zeichen für einen Ort festgelegt. Auch wenn sich kognitive Karten aus der Perspektive der jeweiligen Person ergeben und somit individuell geprägt sind, haben sie ebenso für Gruppen Bedeutung, da in ihnen charakteristische Eigenschaften von Orten benannt werden, deren Gültigkeit nicht an den einzelnen gebunden ist. In den Raumvorstellungen ist, als schlüge man einen Reiseführer auf , die auf wenige, aussagekräftige Merkmale reduzierte Identität von Orten aufgehoben. Insofern Merkmale positiv oder negativ konnotiert sein können, lassen sich Raumkonstrukte auch für politische oder militärische Zwecke instrumentalisieren, etwa um die Besetzung, Erschließung und Kolonialisierung eines als rückständig und unzivilisiert empfundenen Landstrichs zu rechtfertigen . In den literarischen Werken des vierten Jahrhunderts gilt die Aufmerksamkeit der Autoren immer wieder Kontinenten, Ländern und Städten sowie deren wechselseitigen Beziehungen. Wie es bei den rein im Osten tätigen Themistios, Libanios und Himerios nicht anders zu erwarten ist, konzentriert sich ihr Interesse ganz auf den östlichen Mittelmeerraum, genauer gesagt auf den griechischen Kulturbereich, während andere Gegenden, etwa Rom oder Gallien, wenig Beachtung finden . Obgleich dieses Bild für Julian ein wenig revidiert werden muß, nimmt auch er trotz seinem kaiserlichen Amt hauptsächlich Griechenland und die griechische Kultur in den Blick. Da die Gebildeten sich wie erwähnt auf Grund ihrer Kultur als Hellenen fühlen, betrachten sie Griechenland als ihre geistige Heimat, selbst wenn sie ihr Leben fast ausschließlich in Konstantinopel oder Antiochia verbracht haben. Nachdem Constantius ihm eine Reise Den instruktiven Vergleich mit einem Reiseführer ziehen Downs – Stea (1982) f. Ähnlich wie ein Reiseführer mit seinen verschiedenen Sterne-Kategorien ist auch die Raumvorstellung im Kopf nach Kategorien der Erwünschtheit hierarchisiert. Die doppelte Frage, wofür ein bestimmter Ort gut ist, und umgekehrt, welche Orte sich für eine bestimmte Tätigkeit eignen, ist zentral für solche Raumvorstellungen. Zur politischen Instrumentalisierung von Raumkonstrukten im . und . Jahrhundert siehe den Sammelband Christoph Conrad (Hg.): Mental Maps. (Geschichte und Gesellschaft ., ) Göttingen . Grundlegend für die Forschung war die Studie von Edward W. Said: Orientalism. London u. a. . Rom spielt etwa in der dort gehaltenen . Rede des Themistios eine größere Rolle. Libanios geht auf Julians gallische Aktivitäten in or. . –, . – und . – ein.
. Die Vermessung Griechenlands
nach Griechenland gestattet hatte, brachte Julian gegenüber Kaiserin Eusebia, auf deren Vermittlung diese Gunst zurückging, seine Dankbarkeit zum Ausdruck . Sie hätten es ihm ermöglicht, sein wahres Vaterland zu sehen. Denn obgleich Bewohner Thrakiens und Ioniens, seien sie selbstverständlich Nachkommen Griechenlands, und wer nicht abgestumpft sei, wünsche, seine Väter anzusprechen und das Land selbst zu grüßen (or. . c–a). Als Hort von παιδεία und φιλοσοφία erregt Griechenland die tiefe Bewunderung des jungen Julian . Mit schwärmerischer Begeisterung denkt später der alte Libanios an Griechenland, als sein Freund Hilarios dorthin reist, und freut sich schon auf den Reisebericht. In Griechenland nämlich erblicke man das Schönste unter der Sonne, die vielen großen Städte und natürlich den Stern Griechenlands, Athen . Griechenland erscheint dem Betrachter von außen als ein homogener, von einer Kultur geprägter Raum, aus dem man sein Selbstverständnis als Gebildeter geradezu wie seine Abstammung herleitet. Die Tendenz, den gesamten griechischen Kulturkreis zu einer Einheit zusammenzufassen, tritt besonders in Himerios’ Reden hervor, die fast ausnahmslos auf räumliche Vorstellungen rekurrieren. Eine leider nur sehr fragmentarisch überlieferte Ansprache bei der Verabschiedung des Nicomachus Flavianus läßt immerhin noch erkennen, wie Himerios den Adressaten mit verschiedenen Orten und Landschaften verknüpft . Gleich zu Beginn weckt Flavianus’ Aufbruch nach Asien die Erinnerung daran, wie Alexander, nachdem er Europa mit seinem Ruhm erfüllt hatte, die beiden Kontinente durch seine Taten verbinden wollte (§ ). In einem vermutlich etwas ausführlicheren Rückblick geht der Redner sodann auf den Aufenthalt des Adressaten in Athen ein (§ –), nicht ohne zuvor noch die Ägäis, Delphi und Elis erwähnt zu haben (§ , f.). Umfassender gewürdigt wird auch die Heimatstadt des Flavianus, Korinth (§ –). Nachdem er dessen intellektuelle Fähigkeiten überschweng Iul. or. . Zu dieser Rede siehe Shaun Tougher: »The Advocacy of an Empress. Julian and Eusebia«, in: CQ , , –, Tougher (1998) und Vatsend (2000). a–d. Als herausragende Orte, in denen immer noch Philosophie zu finden sei, nennt Julian hier Athen, Sparta und Korinth. Lib. ep. , an Priscus gerichtet. ῾Ιλάριον δὲ μακάριον ἐπέρχεταί μοι καλεῖν
ὀψόμενον τὰ κάλλιστα τῶν ὑπὸ τὸν ἥλιον, τάς τε ἐν τῇ Πελοποννήσῳ πόλεις τὰς πολλὰς καὶ μεγάλας Φωκέας τε καὶ Βοιωτοὺς καὶ τὴν ἐνεγκοῦσαν αὐτὸν καὶ τὸν ἀστέρα δὴ τῆς ῾Ελλάδος, τὴν ᾿Αθηναίων πόλιν (»Hilarios selig zu nennen kommt mir in den Sinn, da er das Schönste unter der Sonne sehen wird, die vielen großen Städte auf der Peloponnes, die Phoker und Böoter, die Stadt, die ihn hervorgebracht hat, und natürlich den Stern Griechenlands, die Stadt der Athener.«, § ). Von derselben schwärmerischen Begeisterung für Athen künden auch der an Sopolis gerichtete Brief und or. . f. In ep. . steht die Stadt Athen für die παιδεία, die einen Menschen erst zum Hellenen macht. Wie in Isokrates’ Panegyrikos bildet für Libanios Athen den Inbegriff griechischer Kultur. Libanios’ Bild von Athen war allerdings durchaus ambivalent, wie Cribiore (2007) – betont. Him. or. . Demselben Adressaten sind auch or. und gewidmet. Siehe Barnes (1987) f.
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lich gepriesen hat (§ f.), kommt Himerios auf Asien zu sprechen, wobei er sich im wesentlichen auf die griechisch kolonisierte Westküste konzentriert. Die Bewohner der dort gelegenen Städte wiesen durch Tüchtigkeit und Weisheit auf ihre Vorväter hin. Das Panorama wird vervollständigt durch den Fluß Meles und die Heimat Homers (§ f.). Flavianus wird in dieser Rede nicht nur in einen weiten Horizont griechischer Kultur gestellt, indem er, ein Ausbund an παιδεία, mit Alexander, den Nereiden, Homer, den Mysterien und anderen Elementen griechischer Bildung in Verbindung gebracht wird, sondern, dem Anlaß der Rede entsprechend, wird der Adressat auch räumlich gleichsam als Klammer griechischer Kultur dargestellt. Korinth, Athen bzw. das griechische Mutterland, Asien, Ionien, der Meles, Smyrna und schließlich Rhodos: Flavianus durchmißt den griechisch geprägten Raum und verknüpft weit auseinanderliegende Gegenden zu einem Ganzen, wobei sich auch Vergangenheit (Homer, Alexander etc.) und Gegenwart durchdringen. Räumliche und zeitliche Grenzen werden aufgehoben. Als herausragender Repräsentant griechischer Kultur, der in Religion, Bildung und Ethik ein beispielhaftes Ideal vor Augen stellt, ist Flavianus wie kaum ein zweiter geeignet, in seiner Person die kulturelle Einheit des griechischen Raumes zu versinnbildlichen. Ähnliche Bestrebungen, räumliche Vorstellungen der griechischen Welt zu evozieren, finden sich auch sonst im Œuvre des Himerios , besonders knüpfen sie sich aber an das Verhältnis zu seinen Schülern. Sooft neue Schüler in Athen ankamen oder fertig ausgebildete in ihre Heimat zurückkehrten, bot sich die Gelegenheit, das kulturelle Band zwischen dem Zentrum griechischer Bildung und den entfernten Gegenden aufzugreifen . Bei der Begrüßung neuer Hörer aus Ionien stellt Himerios sogleich fest, daß sie ihrer Herkunft nach eigentlich Athener seien: ῎Ιωνες οἱ ξένοι, γένος ᾿Αττικόν· φέρε αὐτοῖς πρὸ τοῦ τέττιγος
τὴν μητρόπολιν τῷ λόγῳ δείξωμεν. μέλιττα γὰρ ἀπιοῦσιν αὐτοῖς ἐπ’ ᾿Ιωνίαν ἡγήσατο, λόγος δ’ ἐκεῖθεν ἐπανιοῦσιν ᾿Αθήναζε (»Ionier sind die Gäste, ihre Herkunft ist attisch. Laßt uns also ihnen ihre Mutterstadt lieber durch eine Rede als durch die Zikade zeigen! Eine Biene nämlich hatte ihnen den Weg gezeigt, als sie nach Ionien fortgingen, eine Rede aber führt sie bei ihrer Rückkehr von dort nach Athen.«, or. . ). Kultur und gemeinsame Sitten sind es, was die Griechen des Mutterlandes und der Kolonien selbst über weite Entfernungen verbindet. Um das ideelle Band zwischen Ionien und Athen sichtbar zu machen, nimmt Himerios seine Schüler dann zu einer imaginären Stadtführung mit, deren Ziel es ist, die Schüler anhand von wichtigen Denkmälern in ihrer attischen Identität zu bestärken. In ähnlicher Weise verknüpft Himerios selbst Städte wie Konstantinopel und Thessalonike mit Athen, das Siehe beispielsweise Him. or. ; . ; . Him. or. ; ; ; ; . Angespielt wird hier auf den für die Ionier charakteristischen Kopfschmuck, eine Haarnadel in Form einer Zikade. Vgl. Th. . . .
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in seinen Augen das Zentrum griechischer Kultur bildet . Aber auch Libanios erhebt Athen zum Fixpunkt, indem er im Antiochikos seine Heimatstadt und deren Qualitäten des öfteren an Athen mißt . Von dort aus strahlt die griechische Kultur weit in den Raum aus, zeigt doch auch das Land unverkennbare Spuren des Hellenentums. Während es für Himerios hauptsächlich seine Schüler oder gebildete Persönlichkeiten sind, die attische Bildung in entfernte Gegenden vermitteln, scheint Libanios eine ländliche Kultur vor Augen zu haben, in der spezifisch griechische Werte in natürlicher, unverdorbener Form konserviert sind. Jedenfalls zeichnet er in seiner Rede Für die Tempel das Bild einer griechischen Landschaft, deren Seele in den paganen Heiligtümern liegt und die von griechischer Kultur durchdrungen ist. Die Landbevölkerung lebt tugendhaft in Harmonie, versammelt sich zu Festen und opfert regelmäßig den Göttern . Gleichen Vorstellungen hängt Themistios in der Rede auf seinen toten Vater Eugenios an. Hier ist es die Kultivierung, die dem Land den griechischen Stempel aufdrückt. Die Landwirtschaft, der Eugenios mit großem Ernst nachgeht, dient nicht primär der Gewinnung von Nahrungsmitteln, sondern sie bringt, indem sie die wilde Natur in eine zivilisierte Ordnung verwandelt, Kultur zum Ausdruck . Dem kultivierten, gezähmten Land entspricht der besonnene Geist des Landwirts, so daß das Gut dem Philosophen einen angemessenen Aufenthalt bietet . Daher steht das solchermaßen hergerichtete Land bei den ›Erzhellenen‹ in hohem Ansehen, mag es auch keinen griechischen Namen tragen . Neben Stadt und Land tritt hier ein dritter Bereich in Erscheinung, nämlich das jenseits des griechischen Kulturkreises liegende Barbarengebiet. Diese Gegenden sind, da sie der Kultur entbehren, durch eine tiefe Kluft vom griechischen Raum getrennt. So bildet für Himerios die Stadt Thessalonike gleichsam eine Insel, die mitten unter Völkern liegt, die Him. or. . ; . und . Lib. or. . –, , –. Siehe Francesio (2004) – und unten S. . Zu Athen als Sehnsuchtsort des Gebildeten siehe ferner or. . f. Lib. or. . f., f., . Libanios unterscheidet in dieser Rede durchgehend zwischen Stadt und Land. Them. or. . b: ἦν δὲ καὶ ἀγρὸς αὐτῷ, ὃν αὐτὸς ἐποιήσατο, πηγάς τε
ὕδατος ἐξελκύσας οὔπω πρότερον φαινομένας καὶ τἆλλα ἐπιμεληθείς, ὥστε καλὴν εἶναι καὶ πρέπουσαν φιλοσόφῳ καταγωγήν. οὗτος ὁ ἀγρὸς εἰ καὶ οὐ πάνυ οὐδὲ ῾Ελληνικὸν τοὔνομα, ὅμως ἐν στόματί ἐστιν ἐκείνων τῶν ἄγαν ῾Ελλήνων (»Er hatte auch ein Landgut, das er selbst geschaffen hatte, indem er Wasserquellen zum Vorschein brachte, die sich vorher nicht gezeigt hatten, und sich auch sonst darum kümmerte, so daß es ein schöner und einer philosophischen Lebensweise angemessener Aufenthaltsort war. Mag auch sein Name ganz und gar nicht griechisch sein, so ist dieses Landgut doch im Munde jener Erzhellenen.«). Themistios steht hier in der langen Tradition der Reflexion über die Unterwerfung der Natur unter Kultur und Zivilisation. Er selbst verweist auf das Beispiel des Laertes bei Homer. Daß die Landwirtschaft dem Weisen angemessen ist, sagen beispielsweise auch Cic. Cato – und Muson. fr. L. Them. or. . b. Vgl. das Zitat in der vorletzten Anmerkung.
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nicht die griechische Sprache sprechen. Sie allein verkörpert in diesem kulturfernen Landstrich alles, was griechisches Wesen ausmacht. Insbesondere die attische Muse und der Rhetoriklehrstuhl verraten die griechische Identität . Nur selten einmal ist es jemandem vergönnt, diese Kluft zu überbrücken, und zwar dann, wenn einzelne Barbaren wie etwa die Skythen Anacharsis und Abaris in den griechischen Kulturkreis eintreten und ihre barbarische Identität ablegen . Griechenland bildet, wie diese Entwürfe demonstrieren, eine kulturelle und räumliche Einheit, doch bleibt dieser Raum nicht unstrukturiert. Es wird eindeutig unterschieden zwischen einem Zentrum und der Peripherie, die aber stets ideell an das Zentrum gekoppelt bleibt. Der Raum wird einer Hierarchie unterworfen, insofern auf der ersten Stufe Athen steht, darunter Städte wie Konstantinopel und Antiochia rangieren und diesen dann die griechisch geprägte Landschaft folgt. Außerhalb dieses Kosmos befindet sich das unkultivierte Barbarenland, aus dem nur wenige Eingang in den griechischen Raum finden. Es sind also bestimmte kulturelle Errungenschaften, die einen Raum für das Griechentum vindizieren und umgekehrt als Kennzeichen dieser griechischen Prägung fungieren. Besondere Sorgfalt verwenden die Autoren deshalb darauf, die griechische Kultur im Raum sichtbar werden zu lassen, zumal bei der Beschreibung der wichtigen Zentren. Sehr eindrücklich gelingt dies Himerios, wenn er seine eben aus Ionien angekommenen neuen Schüler in einer imaginären Perihegese durch ihre ideelle Heimat Athen führt . Um ihnen die Denkmäler ihrer Vorväter zu zeigen, sucht er mit ihnen die Stoa Poikile auf, wo sie auf einem Gemälde die Schlacht von Marathon bewundern (or. . ); er geleitet sie zur Akropolis, der Werkstatt Athenes, und erzählt ihnen dort von der mythischen Urgeschichte der Stadt, dem Wettkampf zwischen Athene und Poseidon um Attika; sodann begeben sie sich zum Areopag (§ ); in einer kurzen Ekphrasis stellt Himerios schließlich ein Kultbild des Apollon vor, der hier vor allem als Stammvater der Ionier in Erscheinung tritt (§ f.). Nicht nur der große Raum wird durch Hierarchien und Beziehungen strukturiert, sondern auch der einzelne Ort, indem Himerios aus der Masse an Gebäuden und Plätzen Him. or. . –. Himerios nennt die einzelnen Barbarenvölker, die um die Stadt herum sogar bis an die Vorstädte siedeln. Thessalonike hält dagegen die griechische Sprache hoch und bewahrt sie vor Vermischung. Vgl. die Aussage zu Antiochia in Lib. or. . . Himerios gebraucht diese Skythen als Exempla für die Überlegenheit griechischer Kultur in or. ; ; ; . Deutlich wird dabei jeweils die räumliche Dimension. Anacharsis und Abaris reisen vom unzivilisierten Außen in das griechische Zentrum und verändern damit auch ihren Status. Him. or. . Das Thema wird von Himerios am folgenden Tag wieder aufgegriffen (or. . : χθὲς ἁβρᾷ Μούσῃ τὴν ᾿Ιωνίαν προσείπομεν, παίζοντες ἅμα καὶ τῷ λόγῳ τὸ ἄστυ μετὰ τῶν λόγων θεώμενοι, »Gestern haben wir mit zierlicher Muse zu Ionien gesprochen, indem wir zugleich scherzten und uns in der Rede die Stadt mit Worten betrachteten.«). Zum Motiv der Stadtführung siehe Ulrich Schmitzer: »Literarische Stadtführungen – von Homer bis Ammianus Marcellinus und Petrarca«, in: Gymnasium , , – (ohne Hinweis auf Himerios).
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einige auswählt, an denen die Identität der Stadt haftet. Einzelne Gebäude und Denkmäler stehen für die ruhmreiche Vergangenheit Athens und seine Institutionen. Sie erlauben es, sich im städtischen Raum zu orientieren und sich im Gedächtnis ein Bild der Topographie zu machen . Wenn Himerios seine Schüler aus der imaginären Stadtführung entläßt, werden sie den urbanen Raum mit anderen Augen sehen und markante Plätze mit identitätsstiftenden Erzählungen assoziieren. Auch bei anderen Gelegenheiten geht Himerios auf die Baulichkeiten ein, die einen Raum erst in eine Stadt verwandeln. Er verfolgt die Schiffsprozession der Panathenäen vom Dipylon über den Dromos durch die Säulenhallen bis hin zur Akropolis oder zählt, um den urbanen Charakter Konstantinopels zu veranschaulichen, Senat, Bäder, Theater und Heiligtümer auf . Solche ›Sehenswürdigkeiten‹ – Plätze, Bäder, Säulenhallen, Tempel und Stadtmauern – sind es, die das Stadtbild Thessalonikes und damit das spezifisch griechische Wesen der Stadt ausmachen . Ähnlich wie Himerios entwirft Themistios die urbane Topographie der östlichen Hauptstadt . Abgesehen von dem unter Valens angelegten Aquädukt, gilt seine Aufmerksamkeit dem Palast, den Säulenhallen, Bädern, Theatern, der Agora und privaten Bauten, die Konstantinopel einem kostbaren Gewand gleichen lassen . In erster Linie ist er jedoch an der Bibliothek der Stadt interessiert . Durch sie bleibt Konstantinopel Heimstatt der Musen Platons und des Aristoteles . Constantius ist es zu verdanken, daß Platon, Aristoteles, Demosthenes, Isokrates, Thukydides, ferner Homer, Hesiod, Chrysipp, Zenon, Kleanthes, der gesamte Peripatos und die Vgl. auch Lib. ep. , wo Libanios mit Athen Tempel, Prozessionen (vermutlich zu Dionysos’ Ehren), den Areopag und die Akropolis assoziiert. Him. or. . f. Himerios übernimmt auch hier gegenüber dem Adressaten Basileios dieselbe Rolle wie gegenüber den ionischen Schülern, indem er als Ortskundiger Basileios die Prozession erklärt. Er verdoppelt hiermit gewissermaßen die Realität, da er die Rede aus Anlaß der Panathenäen hält, also etwas beschreibt, was dann auch vor aller Augen stattfindet. Zur Schiffsprozession an den Panathenäen siehe Ludwig Deubner: Attische Feste. Berlin , f. Him. or. . (Lage und Ausdehnung der Stadt), (Baulichkeiten als ›Gürtel der Aphrodite‹), (Tempel). Das Motiv der prächtig erbauten Stadt als Gürtel der Aphrodite findet sich auch bei Them. or. . b in bezug auf Konstantinopel. Him. or. . f. Zur Konstruktion Konstantinopels als Idealstadt bei Themistios siehe Guldentops (2001b). Them. or. . b–b; . b–d; . b–c; . a–c. In . b–a stellt Themistios die Aufwertung des Senats, um die er Theodosius bittet, über die bauliche Ausgestaltung Konstantinopels: Erst durch die Förderung des Senats werde die Stadt wahrhaft ein zweites Rom, sofern Männer die Stadt ausmachten. Them. or. . d–c; . a. Zum Aufbau der Bibliothek siehe SchlangeSchöningen (1995) f. Them. or. . a: πάλαι ἦν ἑστία τῶν Πλάτωνος καὶ ᾿Αριστοτέλους Μουσῶν, καὶ νῦν οὐ μεῖον νὴ ∆ία φυλάττει τὰ ζώπυρα (»Früher war [Konstantinopel] Herd der Musen von Platon und Aristoteles, und auch jetzt bewahrt es, bei Zeus, nicht weniger die Glut auf.«).
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Akademie nicht in Vergessenheit geraten, sondern allgemein zugänglich sind (or. . a–c). Der Kaiser holt sie gleichsam aus dem Hades herauf (ebd. c). In diesem Schatzhaus der Bildung ist mithin die gesamte Literatur der Griechen aufgehoben, wie Themistios mit diesem Autorenkanon vor Augen führt. Während Theater und Hippodrome zwar auch den Charakter einer Stadt ausmachen, aber doch eher oberflächlichen Vergnügungen dienen, legt die Bibliothek das Fundament für die griechische Identität der Stadt, zieht sie doch zahlreiche wißbegierige Menschen an, die gesamte Blüte Griechenlands, οἱ ἔκκριτοι καὶ φιλομαθέστατοι καὶ ὅ τι ἄνθος ῾Ελλήνων (b). In größter Ausführlichkeit widmet sich dann Libanios in seinem Antiochikos dem urbanen Raum seiner Heimatstadt, um seinen Mitbürgern darzulegen, welche Institutionen, Baulichkeiten und Vorzüge einem Ort städtisches Gepräge verleihen . Libanios verknüpft das Lob der Fremdenfreundlichkeit und der Beredsamkeit der Antiochener mit den Baulichkeiten – der Kolonnadenstraße, dem Kaiserpalast, Bauten für die Geselligkeit, dem Tempel in Daphne, dem Hafen – und entwirft so das Idealbild eines urbanen Organismus , in dem alle Elemente griechischer Kultur in harmonischer Eintracht versammelt sind . Libanios’ Ziel ist es weni Zur Idee der Stadt bei Libanios siehe Francesio (2004), zu den einzelnen Baulichkeiten die Kommentare von R. Martin in Festugière (1959) und Fatouros – Krischer (1992). Vgl. ferner Catherine Saliou: »Antioche décrite par Libanios. La rhétorique de l’espace urbain et ses enjeux au milieu du quatrième siècle«, in: Approches de la Troisième Sophistique. FS Jacques Schamp, hg. von E. Amato. (Collection Latomus ) Brüssel , –. Zum spätantiken Antiochia sind in den letzten Jahren einige Publikationen erschienen, die sich mit der Ereignisgeschichte, der Topographie, den archäologischen Überresten, aber auch dem religiösen und kulturellen Leben der Stadt befassen. Claude Nicolet; Robert Ilbert; Jean-Charles Depaule (Hg.): Mégapoles méditerranéennes. Géographie urbaine rétrospective. (Collection de l’École française de Rome ) Paris (darin die Beiträge von Ernest Will, Maurice Sartre, Catherine Saliou und Janine Balty). Christine Kondoleon (Hg.): Antioch. The Lost Ancient City. Princeton . Isabella Sandwell; Janet Huskinson (Hg.): Culture and Society in Later Roman Antioch. Oxford . B. Cabouret; P.-L. Gatier; Catherine Saliou (Hg.): Antioche de Syrie. Histoire, images et traces de la ville antique. (Τόποι Suppl. ) Paris . An älteren Arbeiten sind vor allem zu nennen Festugière (1959), Downey (1961) und Liebeschuetz (1972). Zu den Eigenschaften der Stadt siehe Lib. or. . –, zu Topographie und Baulichkeiten § –. Libanios verbindet die beiden Abschnitte gleichsam mit einer Klammer, indem er mit der Bautätigkeit von den Leistungen der Stadt zu ihren Gebäuden überleitet (§ –). In § vergleicht Libanios Antiochia mit einem menschlichen Körper, der ständig wächst. Siehe auch § . Besonders augenfällig wird die Idealisierung in der abschließenden Aufzählung von Eigenschaften Antiochias, welche die Stadt geradezu in einen locus amoenus verwandeln:
ποῦ γὰρ ἑτέρωθι πανήγυρις τοσούτοις θάλλει τοῖς ἅπασιν, ὅσοις ἐνταῦθα ὁ σύμπας χρόνος τοῖς ἅπασιν; τίς δ’ οὐκ ἂν πρῶτον ὁρῶν τὴν πόλιν εἰς ἱερομηνίαν ἥκειν ἡγήσαιτο; τίς δ’ οὕτω φύσει κατηφής, ᾧ τὴν γνώμην οὐκ ἂν εἰς εὐθυμίαν τρέψειε; ποῦ δὲ ἄλλοθι τοσαύτη τέρψεων ἐπιρροή; τίς δὲ οὐχ ἡδονῆς ἐνταῦθα ἀφορμή; οὐκ ἀέρων πρᾳότης; οὐ λουτρῶν χάρις; οὐκ ἀγορᾶς φαιδρότης; h* * *i σταθερῶς προξενῶν; οὐκ ἔαρ στιλπνὸν τοῖς
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ger, eine akkurate Beschreibung der städtischen Topographie vorzutragen – das Publikum hatte die Gebäude ohnehin vor Augen – als vielmehr das Ensemble an Eigenschaften, das die griechische Kultur konstituiert, im wahrsten Sinne des Wortes zu ›verorten‹, in das Bild der Stadt einzuschreiben . Die Autoren versuchen, das, was ihrer Ansicht nach griechische Kultur kennzeichnet, im allgemeinen Bewußtsein zu verankern, indem sie es im Raum situieren und mit Hilfe eingängiger Bilder, die als Symbole fungieren, visualisieren. Städtische Topographie wird mit Bedeutung aufgeladen und erhält damit den Status eines Symbols. Denn Plätze und Gebäude verweisen zeichenhaft auf Werte und Errungenschaften, die für die griechische Kultur als konstitutiv gelten, oder es verknüpfen sich mit ihnen Erzählungen und Mythen, die zur Identität der Gemeinschaft beitragen. Wie in der Mnemotechik der Raum als Hilfsmittel die Erinnerung an das erleichtert, was der Redner sich zuvor eingeprägt hat, so veranlassen bestimmte ›Denkmale‹ im städtischen Raum den Betrachter, an wichtige Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses zu denken, seien es fundierende Mythen, historische Ereignisse oder Autoren von kanonischem Rang . Welche Rolle bei diesem kognitiven Vorgang das visuelle Erlebnis spielt, hat Himerios in seiner imaginären Perihegese zum Ausdruck gebracht, indem er das Anhören der an einzelne Orte geknüpften Erzählungen mit dem Betrachten eines gemalten Bildes vergleicht . ἄνθεσιν; οὐ θέρος ἀκροδρύων χρώμασιν ἀστράπτον τε καὶ τὸ ἄστυ ταῖς ὀσμαῖς λειμῶνα ποιοῦν; οὐχ ἥδιον μὲν ἐν μέσῳ βαδίσαι τῶν ὠνίων ἢ διὰ μέσων κήπων ἐλθεῖν, ἥδιον δὲ τῆς οἴκοι διατριβῆς οἱ κατ’ ἀγορὰν σύλλογοι; οὐκ αὐτὸς ὁ ῥέων διὰ τῆς πόλεως ὄχλος εἰς θέας χάριν ἀρκεῖ; οὐ παρ’ ἡμῖν ῞Ομηρος ἐλέγχεται μειζόνως τῆς ἀξίας τὸν ῞Υπνον κοσμῶν; (§ , »Denn wo sonst blüht eine Festversammlung mit so vielen Dingen für alle wie hier die ganze Zeit für alle? Wer glaubte, wenn er unsere Stadt zum ersten Mal sieht, nicht, er komme zu einer heiligen Festzeit? Wer wäre von Natur aus so niedergeschlagen, daß sie ihm nicht das Herz zur Heiterkeit wendete? Wo sonst gibt es einen so großen Überfluß an Vergnügungen? Welche Quelle der Freude fehlt hier? Etwa die milden Lüfte? Die Annehmlichkeit der Bäder? Die Pracht des Marktes? h* * *i ständig gewährend? Leuchtet nicht der Frühling mit Blüten? Glänzt nicht der Sommer mit den Farben der Früchte und verwandelt die Stadt durch die Düfte in eine Wiese? Ist es nicht angenehmer, mitten durch die Waren zu schreiten als mitten durch Gärten zu gehen, angenehmer als der Aufenthalt im Hause die Versammlungen auf dem Markte? Sorgt nicht schon der Strom der Menge durch die Stadt für einen anmutigen Anblick? Wird nicht bei uns Homer widerlegt, daß er den Gott des Schlafes über Gebühr ausschmückt?«). Dementsprechend sind es in Libanios’ Augen Beredsamkeit, Weisheit und Bildung, welche die Größe der Stadt ausmachen, nicht die äußerlich sichtbaren Merkmale (§ – ). Vgl. dazu die Studie von Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München (bes. –). Him. or. . : ἄξω δὲ μετὰ τὴν Ποικίλην ἐπὶ τὸν λόφον ἄνω τὸ τῆς ᾿Αθη-
νᾶς ἐργαστήριον· ἔνθα μυρίων ὑμῖν ὑπάρξει διηγημάτων ἐμπίμπλασθαι, καθάπερ ἔν τινι πίνακι τὰ τῶν πατέρων ἀνιστοροῦσι γνωρίσματα (»Ich werde euch nach der Stoa Poikile zu dem Hügel hinaufführen, der Werkstatt Athenes. Dort
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Bedeutsam sind die Orte für den Betrachter mithin nicht per se oder auf Grund ihrer ästhetischen Qualitäten, sondern vorrangig, insofern sich in ihnen die Erinnerung an Ereignisse oder Persönlichkeiten manifestiert . Wichtige Städte, Plätze oder Landstriche sind in das kollektive Gedächtnis eingegangen, weil sie auf etwas verweisen, das für das Selbstverständnis der Gemeinschaft relevant ist. Wie auf diesem Wege der gesamte griechische Raum semantisiert wird, demonstriert Himerios eindrucksvoll seinen Schülern, indem er in einem ausführlichen Katalog eine Landkarte hellenischer Kultur entfaltet. Als Ausgangspunkt für das Thema seiner Ansprache wählt er den Umstand, daß die Schüler, zu deren Begrüßung man sich versammelt hat, aus Himerios’ Heimat Bithynien stammen, und so reiht er die Beziehungen von Göttern, Heroen und werdet ihr euch an unzähligen Geschichten sättigen können, als ob ihr auf einem Bild die Erkennungszeichen der Väter erforschtet.«). Sehr plastisch führt dies Lib. ep. vor Augen, wo ein Brief des Ausonius bei Libanios sogleich die Erinnerung an Sparta wachruft (§ ). Der Ort wird dann im folgenden eng mit der Person des Adressaten verknüpft. Libanios geht davon aus, daß ganz Lakonien für Ausonius mit bestimmten Erinnerungen besetzt ist, die beim Betrachten Emotionen auslösen. Er selbst befragt den Überbringer von Ausonius’ Brief nach verschiedenen Örtlichkeiten, die in seinen Augen das Bild Lakoniens ausmachen, genauer gesagt nach Denkmalen, die für die pagane Prägung Spartas stehen: ἀλλὰ σοὶ μὲν ἡ χώρα
παραμυθία· τὸ γὰρ ἐπιέναι νῦν μὲν τὰ τέρματα τῆς Λακωνικῆς, νῦν δὲ τὰ μέσα, νῦν δὲ ἐπιβαίνειν Σπάρτης καὶ διαβαίνειν Εὐρώταν, τούτων ἕκαστον ἀνίαν νῦν μὲν ἂν λύσειε, νῦν δ’ ἂν ἐλάττω ποιήσειεν. εἰσὶ μὲν γὰρ καὶ ἡμῖν καὶ ποταμοὶ καὶ γῆ, ἀλλὰ τῶν γε ὑμετέρων καὶ αὐτὰ τὰ ὀνόματα θέλγει, καὶ ἃ μέγα τοῖς ἄλλοις ἀναγνῶναι, ταῦτα ὑμῖν ὁρᾶται· ἐπεὶ καὶ αὐτὸ τὸ ἐρέσθαι περὶ τῶν τόπων τὸν Μίκκαλον ἡδονῆς με πλείστης ἐνέπλησεν. ἤκουον γὰρ ἄλλα τε οἷάπερ ἐβουλόμην, καὶ περὶ τῆς ᾿Αθηνᾶς καὶ τῆς τὰ ὅπλα ἐχούσης ὑμῖν ᾿Αφροδίτης περί τε τοῖν ἀδελφοῖν τῆς ῾Ελένης τῶν τε ἄλλων, ἃ ἔμεινεν· ἀλλὰ γὰρ οὐδ’ ὑμῖν τὴν Σπάρτην ἀφῆκαν ἀκέραιον οἱ γίγαντες. τῷ γοῦν τάφῳ τῷ τοῦ Παυσανίου φασὶν οὐκ ἐφεστάναι τοὺς ἀντ’ ἐκείνου Παυσανίας, ἀλλ’ ἀπελθεῖν εἰς πῦρ ὑπὸ τῆς σοφίας τῶν τότε ἀρχόντων, καὶ ἡ θεός, ὦ γῆ καὶ ἥλιε, πρᾴως ἤνεγκεν (§ –, »Aber für dich ist das Land ein Trost. Denn bald die Grenzen Lakoniens aufzusuchen, bald das Binnenland, bald Sparta zu betreten und den Eurotas zu überschreiten, jede einzelne dieser Unternehmungen dürfte die Betrübnis bald lösen, bald vermindern. Auch bei uns gibt es ja Flüsse und Land, aber von den euren bezaubern schon die Namen, und wovon zu lesen für andere großartig ist, das könnt ihr sehen. Denn allein schon Mikkalos über die Gegenden zu befragen hat mich mit höchster Freude erfüllt. Denn ich hörte manch anderes, was ich wollte, und so auch über Athene, eure waffentragende Aphrodite, die beiden Brüder der Helena und das übrige, das noch geblieben ist. Denn nicht einmal euch haben die Giganten Sparta unversehrt gelassen. Jedenfalls sagt man, daß beim Grab des Pausanias nicht mehr die Statuen stünden, die ihn darstellten, sondern ins Feuer gegangen seien durch die Weisheit der damaligen Machthaber, und die Göttin, o Erde und Sonne, hat es ruhig ertragen.«). Was vielleicht aus einer anderen Perspektive an Lakonien interessant sein könnte, geht in Libanios’ kognitive Karte nicht ein oder allenfalls nebenbei. Auch in Libanios ruft das geistige Bild Spartas Emotionen hervor, nämlich Freude (ähnlich Athen in ep. ). Der Raum ist also affektiv besetzt. Libanios war im übrigen während seiner Studienzeit nach Sparta gereist (or. . ).
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Literaten zu bestimmten Landschaften und Orten in langer Folge aneinander. Apollon liebte Delos, Dionysos Theben, Pan war auf Arkadien stolz, Aphrodite auf Paphos; Ithaka liebte Zeus, Nestor saß in Pylos; Anakreon schmückte Teos, Alkaios Lesbos, Simonides und Bakchylides Iulis; schließlich werden unter anderen auch Platon und Pythagoras genannt . Himerios durchmißt vor seinen Schülern die gesamte griechische Kultur der archaischen und klassischen Zeit und steckt gleichsam an jedem nennenswerten Ort ein Fähnchen mit dem Namen eines Gottes oder einer Persönlichkeit ein, bis das räumliche Ausmaß griechischer Kultur sichtbar geworden ist. Jeder Gott oder Mensch bedarf einer lokalen Verankerung, und umgekehrt bezieht der Ort seine Identität daraus, jemandem Heimat zu sein. Das vor dem geistigen Auge erstandene Panorama erweckt den Eindruck, als bestehe Erinnerung nur dadurch fort, daß sie sich an bestimmte Plätze heftet. Wie Himerios ausdrücklich feststellt, können zwar bauliche Überreste dabei die Funktion von Erinnerungszeichen übernehmen, wirkungsvoller jedoch sei die geistige Leistung von Persönlichkeiten wie Sokrates oder Äsop, die einem Ort Größe und Bedeutung verleihe, ohne materiell greifbar zu sein . Wenn die Autoren solche Raumvorstellungen evozieren, treten neben den literarischen und philosophischen Größen historische Ereignisse in den Mittelpunkt, die schon seit Jahrhunderten zum Kanon der kollektiven Überlieferung zählten. An erster Stelle zu nennen sind selbstverständlich die Perserkriege, auf die Himerios, Julian und Libanios des öfteren Bezug nehmen. In der bereits angeführten Perihegese des Himerios knüpfen sich an die athenische Stoa Poikile, die ohnehin durch ihr Bildprogramm als Denkmal konzipiert ist, die Erinnerungen an die große kämpferische Leistung von Marathon, und in der vor demselben Publikum gehaltenen zweiten Rede verweist ein Raum auf das ionische Engagement gegen die hochmütigen Perser, dieses Mal die gesamte Ägäis, die die Ionier damals durchstreiften . Mit der im kollektiven Gedächtnis gespeicherten Raumvorstellung rechnete auch Julian, als er sich während seines Zuges gegen Constantius mit einem Schreiben an das Volk von Athen wandte . Um die Adressaten gleich zu Beginn in einer captatio benevolentiae für sich einzunehmen, breitet Julian ein kurzgefaßtes Städtelob aus, das ähnlich wie ausführlichere Städtereden sowohl die Eigenschaften als auch die Leistungen der Stadt preist . Aus Julians Perspektive ist mit Athen die Dreiheit der Tugenden Gerechtigkeit, Weisheit und Frömmigkeit (c, a) verquickt, also genau das Ensemble aus Ethik, Bildung und Religion, das er als Kaiser mit Nachdruck Him. or. , Z. – (der Text ist zum Teil sehr lückenhaft bewahrt). Dies scheint der Sinn der ziemlich lückenhaften Partie Z. – zu sein. Him. or. . und . . Iul. ep. ad Ath. a–a. Zu Julians Athenbild vgl. auch Bregman (1997) (wenig mehr als Paraphrase) und Labriola (1991/2) (zur Tradition des Athenlobes, ohne Fragestellung). Zur Anlehnung an das Genos der Städterede siehe Stenger (2006) f. und f.
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vertreten sollte. Wer an Athen denkt, assoziiert geradezu automatisch mit der Stadt diese drei Eigenschaften, der Name Athens ist mit dieser Konnotation besetzt. Ebenso kommt ihm die große Vergangenheit der klassischen Zeit in den Sinn, die Julian in großen Zügen umreißt: die Perserkriege, die Seebundpolitik, das Wirken des Themistokles und des Aristeides (b/c). In einer bestimmten Epoche also kamen anscheinend die Vorzüge der Stadt in besonders reiner Form zum Vorschein, wie Julian durch die Nennung der historischen Ereignisse nahelegen will. Athen, für Julian gleichsam Inbegriff des Griechischen , verweist als Ort auf bestimmte historische Begebenheiten, Persönlichkeiten und Werte; diese sind im Ordnungsraster des kollektiven Gedächtnisses unter dem Ortsnamen abgelegt. Wie wichtig für die griechische Identität gerade die Ereignisse von Marathon, Salamis und Plataiai waren, ersieht man auch aus der reichlich konstruiert wirkenden Verbindung, die Libanios im Antiochikos zwischen seiner Heimatstadt und dem militärischen Erfolg zu etablieren sucht. Er deutet an, daß die Stadt während der persischen Herrschaft wohlüberlegt ihr Wachstum gebremst habe, um weder an den Feldzügen gegen die Griechen teilnehmen noch einen aussichtslosen Krieg gegen das ganze persische Reich führen zu müssen . So leisteten also bereits die ersten griechischen Siedler Antiochias einen Beitrag zur Rettung des Mutterlandes. Der kognitiven Karte, diesem mit Bedeutung aufgeladenen räumlichen System, eignet demnach eine zeitliche Dimension. Obgleich die Gegenwart keineswegs vollständig ignoriert wird , sind doch im allgemeinen die Erinnerungen, die auf der Karte plaziert werden, eindeutig in der weiter zurückliegenden Vergangenheit angesiedelt, hauptsächlich in der archaischen und klassischen Zeit der Blüte Griechenlands . Die Identität, die sich aus den verorteten Erinnerungen speist, leitet sich aus dem retrospektiven Konstrukt einer idealen Epoche der griechischen Geschichte ab. Es sind kanonische Ereignisse und Per Siehe ep. ad Ath. a und Mis. b/c. Es handelt sich um die griechische Vorgängersiedlung namens Ione, deren Geschichte Libanios in or. . – erzählt. Das eigentliche Antiochia wurde erst v. Chr. von Seleukos I. Nikator gegründet. Lib. or. . –. Da auch die Sassaniden dem zeitgenössischen Sprachgebrauch gemäß als Perser bezeichnet werden, erscheint die militärische Leistung der Stadt Antiochia in der Spätantike der Abwehr der Perser im fünften Jahrhundert v. Chr. vergleichbar (§ – ), zumal Libanios betont, daß das Perserreich von alters her (§ ἐκ παλαιῶν) zu dem Krieg gerüstet habe, so daß der Eindruck einer seit langem bestehenden Feindschaft entsteht. Ein zeitgenössischer Erinnerungsort wird etwa auf der kognitiven Karte plaziert, wenn Himerios Julian und dessen Heimatstadt Konstantinopel eng aneinanderbindet (Him. or. . und –) oder Libanios Athen mit der Erinnerung an Julian verknüpft (ep. . ). In seiner Monodie auf Julian stellt Libanios gleich eingangs heraus, daß der Tod des Kaisers insbesondere für Griechenland ein großer Verlust sei (or. . ). Siehe etwa auch Him. or. . f. Himerios verknüpft die athenische Topographie mit der Erinnerung an Alkibiades und Nikias, die seiner Ansicht nach die ideale εὐδαιμονία der Stadt garantierten.
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sönlichkeiten, die im Raum gespeichert werden. Statt dem stetigen historischen Wandel des Raumes Rechnung zu tragen, suggerieren die Autoren Stabilität, ja sogar Unveränderlichkeit. Nachdem sich einmal bestimmte Erinnerungen an einzelne Orte angelagert haben, weigert man sich, die imaginäre Landkarte zu aktualisieren und damit zu revidieren. Eine möglichst stabile Identität auf solche Raumvorstellungen zu gründen erfordert eine eindeutige und beständige Besetzung der Orte mit Bedeutung. Weiter oben hatten wir bereits gesehen, daß der griechische Raum hierarchisch im Hinblick auf die Bedeutung der Orte strukturiert wird. Dieser Hierarchie entspricht unverkennbar auch eine Rangfolge der Werte und Vorzüge, mit denen die Orte konnotiert sind. Weit oben rangiert all das, worauf griechische Identität fußt: Literatur, Rhetorik, Bildung, Zivilisation. Gerade die ›geistige Landschaft‹ des Gutes, das Themistios’ Vater Eugenios bestellte, versinnbildlicht die Harmonie von philosophischer und literarischer Bildung mit griechischen Zivilisationstechniken aufs vorbildlichste. Als Antipoden dazu stehen rohe Barbaren oder – wenigstens in Julians Augen – entartete Griechen wie die Antiochener am unteren Ende der Werteskala . So verwundert es nach unseren Beobachtungen zum Konzept des Hellenentums nicht, daß die Autoren ebenso, wie sie den Raum mit traditionellen Werten und Erinnerungen besetzen, ihn auch dezidiert als paganen, von Göttern erfüllten Raum vorstellen. Insbesondere sind es natürlich die großen Kultorte, mit denen die einzelnen Götter verbunden sind. Delos und Delphi werden von Himerios immer wieder mit der Verehrung Apollons und dessen Orakelwesen in Verbindung gebracht, Athen erscheint als Heimstatt der Göttin Athene . In seiner Vorstellungswelt verweisen zahlreiche Orte als bevorzugte Aufenthaltsplätze auf die paganen Götter, wie er in der schon erwähnten Aufzählung der . Rede seinen Schülern vor Augen führt. Wer an Delos denkt, denkt unweigerlich an Apollon, Dionysos ist untrennbar mit Theben verbunden, Arkadien verweist auf Pan, Paphos auf Aphrodite und Sparta als Geburtsort auf die Dioskuren . Der pagane Götterkosmos existiert also nicht bloß als Idee, sondern die Götter sind im Raum präsent, der Mensch erfährt ihre Anwesenheit in seiner Umwelt. Wie eng das Göttliche mit dem Raum und der griechischen Identität zusammenhängt, vermag eine sehr fragmentarische Rede des Himerios für einen Schüler aus Kappadokien zu beleuchten (or. ). In ihr erzählt der Redner von dem Skythen Abaris, der auf Apollons Pfeil über die Donau, den Don und Im Misopogon hält Julian den Antiochenern unentwegt vor, daß sie nicht dem Bild des Griechen entsprächen, das er selbst vertritt. Sie repräsentierten in allem das genaue Gegenteil des wahren griechischen Wesens, Zügellosigkeit, Perversion, Genußstreben, Unbildung und Christentum. Siehe bes. Iul. Mis. d–c, a–d. Delos: Him. or. . ; , Z. ; . und ; . ; . ; . (Nennung verschiedener Orakelstätten). Delphi: . ; . ; . f., und . Athen: . ; . ; . . Ähnlich auch die Verknüpfung von Göttern und Kulten mit bestimmten Orten in or. . f.
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das ganze Land gereist sei . Abaris, obgleich von seiner Herkunft her Barbar und im unzivilisierten Außenbereich beheimatet, erlernt die apollinische, also griechische Beredsamkeit und veranschaulicht in seiner Person, wie die griechische Kultur die Welt allmählich zivilisiert. Die Bedeutung der Abarisfigur dürfte aber noch weiter gehen. Denn der Pfeil Apollons ist zwar einerseits, wie Himerios explizit bemerkt, Metapher für die Beredsamkeit, andererseits läßt er die Hörer zugleich an die religiösen Implikationen der Abarislegende denken; war doch die Geschichte des Skythen eng mit dem Apollonkult verknüpft. Als eine Art Wunderpriester soll er durch Griechenland gezogen sein, Weissagungen gegeben, wundersame Heilungen vollbracht und Seuchen abgewehrt haben . Raumvorstellungen, griechische Kultur und paganer Götterkult gehen also in dieser Gestalt eine unauflösliche Verbindung ein, die Himerios noch dadurch unterstreicht, daß er anschließend auf den Zug des Dionysos zu den Indern zu sprechen kommt (§ f.). Da die Inder die Gaben des Gottes ablehnen und sich ihm widersetzen, unternimmt Dionysos mit den Bakchen und den Satyrn als Gefolge einen Feldzug gegen sie, der in der Unterwerfung der Barbaren gipfelt. Auch hier geht es um die Antithese zwischen Griechen und Barbaren, um das Verhältnis des griechischen Kulturraumes zur barbarischen Peripherie. Die griechische Kultur, hier durch Dionysos’ Gaben, Weinreben und Wein, repräsentiert, überwindet diese räumliche Grenze und zivilisiert die barbarischen Völker. Mit der Überlegenheit griechischer Zivilisation müssen die Inder zugleich die Überlegenheit der griechischen Götter anerkennen, der Zug des Gottes ist ein ›Kreuzzug‹, der Kult und Kultur in den weiten Raum hineinträgt. Himerios hat, soweit es sich noch erkennen läßt, vor seinen Schülern einen semantisierten hellenischen Raum ausgebreitet, der seine eigene Sendung und die seiner Schüler zum Ausdruck bringt. Indem er einen Bezug zwischen der kappadokischen Heimat des Schülers und dem Dionysoszug herstellt (§ f.) und die Überlegenheit griechischer Kultur über barbarische Äußerlichkeiten mit Nachdruck hervorhebt, gibt er den Hörern zu verstehen, daß es ihre Aufgabe ist, was er sie lehrt, nämlich die Einheit griechischer Bildung und Götterverehrung, in entlegene Gegenden zu tragen. Die göttliche Präsenz im Raum ist nicht nur ideell, sondern für die paganen Autoren geradezu mit Händen zu greifen, insofern Orte und Landstriche ohne Kulteinrichtungen undenkbar scheinen . Himerios, aber ebenso Libanios und Julian sehen pagane Tempel und Heiligtümer als unerläßlichen Bestandteil ländlicher wie urbaner Topographie an. In der Rede, die Himerios zum Him. or. . . Zu Abaris’ Reise auf dem Pfeil siehe auch Porph. VP f.; Iamb. VP –. Hdt. . ; Pl. Chrm. b; Lycurg. fr. ; Iamb. VP ; Apollon. Mir. . Vgl. auch Lib. ep. , wo Libanios mit dem Ort Sparta vorrangig die Bildnisse der Göttinnen Athene und Aphrodite sowie der Dioskuren verbindet. Ihm liegt sehr viel daran, daß der Ort trotz christlichen Übergriffen weiterhin von dieser göttlichen Präsenz geprägt bleibt.
. Die Vermessung Griechenlands
Lobe Julians auf Konstantinopel hielt , wird sogar die östliche Hauptstadt erst durch den heidnischen Kaiser zu einer richtigen Stadt . In jedem Falle bildet der gotterfüllte Kaiser den größten Schmuck der Stadt, indem er durch sein Programm einer paganen Restauration das Wesen Konstantinopels erst zum Vorschein bringt. Julian ›erweckt‹ Heiligtümer für die Götter, richtet Mysterien in der Stadt ein und feiert dort die Mysterien der himmlischen Götter . In seinen vor christlichen Kaisern gehaltenen Ansprachen konnte Themistios in der Regel nicht so deutlich auf pagane Vorstellungen rekurrieren, doch zeigt er stellenweise ein ganz ähnliches Raumkonzept. So setzt er vor Constantius Konstantinopel mit einem Tempel des Kaisers gleich und spinnt diese Metapher dann zu einer weit ausgreifenden Allegorie aus. Wenn man in diesem Tempel opfere und günstige Zeichen erhalte, könne man mit dem Wohlgefallen des Kaisers rechnen. In den Tempel gelangten aus aller Welt Reichtümer und Kunstgegenstände als kostbare Weihegaben, und das Standbild des Kaisers sei mit denjenigen Apollons und des Zeus zu vergleichen . Den Senat Konstan Him. or. . Die Rede ist in den Winter / zu datieren, als Himerios nach Konstantinopel reiste. Siehe Barnes (1987) . Him. or. . f. Die Bedeutung Julians für Konstantinopel illustriert Himerios mit den Parallelen anderer Stadtgründer und Heroen wie Romulus, Theseus oder Lykurg. Him. or. . . Bezeichnenderweise geht Himerios mit keinem Wort auf den eigentlichen Gründer und Namensgeber der Stadt ein. Konstantinopel wird gänzlich auf seine angeblich attischen Wurzeln und Julians Engagement zurückgeführt. Die eigentlichen Stadtgründer sind die von den Göttern abstammenden Heroen (§ ). Auch in der nicht genauer zu datierenden Rede auf einen Freund aus Konstantinopel (or. ) breitet Himerios ein Lob der Stadt aus, das dem traditionellen Städtelob verpflichtet ist und für Christliches keinen Raum läßt. Konstantinopel wird mit der Verehrung der Musen und der paganen Götter in Verbindung gebracht (bes. § f.). Them. or. . b/c: καὶ γελοῖος γὰρ ἦν ἐν τοῖς ἔμπροσθεν ὁ λόγος τῆς οἴκοι μονῆς προβαλλόμενος Σά¨ιν τε καὶ Αἰγυπτίους, ἐξὸν αὐτῷ ἀναμνησθῆναι ὅτι
τὰ οἴκοι ταῦτα ὁ νεὼς ἦν τοῦ βασιλέως, ἐν ᾧ θύων τε καὶ καλλιερούμενος μᾶλλον ἂν αὐτῷ πράττοι κεχαρισμένα ἢ εἰ τῆς χλαμύδος αὐτοῦ καὶ τῶν ποδῶν προὐκαλινδεῖτο. ἦ γὰρ οὐ τοῦτον ἄνδρες τὸν νεὼν πρόκριτόν τε ἐξ ἁπάντων ἐποιήσατε καὶ διατελῆ ἐπιμελούμενοι ὥσπερ ἑστίας; καὶ ἔρχεται αὐτῷ εἰς τὸ ἀνάκτορον τοῦτο πάντα ὅσα ἐκ πάσης γῆς ἀναθήματα· καὶ ἀπάρχονται μὲν τῇδε Αἰγύπτιοι τῷ βασιλεῖ ὁπόσα ἔτη, ἀπάρχονται δὲ Σύροι τε καὶ ᾿Ασσύριοι καὶ ῎Ιωνες δὲ καὶ Αἰολεῖς καὶ σχεδόν τι ἅπαντες ἄνθρωποι (»Denn lächerlich war vorher meine Rede, als ich für das Zuhausebleiben Sais und die Ägypter vorschützte, obwohl es ihr doch möglich wäre, daran zu erinnern, daß dieses Zuhause der Tempel des Kaisers war. Wenn man in diesem opfert und gute Vorzeichen erlangt, dürfte man ihm Wohlgefälligeres tun, als wenn man vor seinem Mantel und seinen Füßen zu Boden fiele. Habt ihr Männer denn nicht diesen Tempel aus allen auserwählt und kümmert euch fortwährend um ihn wie um ein Herdfeuer? Und es kommen ihm hier in das Allerheiligste alle Weihgaben der ganzen Welt. Alljährlich bringen hier dem Kaiser ihre Erstlingsgaben dar die Ägypter, die Syrer, die Assyrer, die Ionier, die Äoler und beinahe alle Menschen.«). Für διατελῆ in c hat Henricus Stephanus διατελεῖτε konjiziert, das der hier gebotenen Übersetzung zugrunde liegt; vgl. den Apparat in Schenkl – Downey – Norman (1965/74).
Auf der Suche nach Identität
tinopels setzt Themistios dann mit Tempeldienern und Priestern gleich, bevor er die vom Kaiser initiierten Festlichkeiten den Eleusinischen Mysterien an die Seite stellt (or. . b/c). Obgleich er in dieser Rede nicht von realem Götterkult spricht, sondern Konstantinopel nur auf der Bildebene mit einem Heiligtum vergleicht, steht außer Frage, daß die Stadt in seiner Vorstellung vornehmlich mit der paganen Götterverehrung verknüpft ist. Er konstruiert Konstantinopel als pagan geprägten Raum, mag auch realiter das Stadtbild dem Wunsche der Kaiser gemäß vom christlichen Charakter Konstantinopels künden . Sehr viel offener konnte Themistios diese Strategie verfolgen, als er wohl im Jahre vor dem römischen Senat sprach . Vor diesem immer noch heidnisch dominierten Gremium war es nicht nötig, die pagane Durchdringung des Raumes als Allegorie einzukleiden. Nachdem einst schon Numa die Stadt Rom mit dem Himmel verknüpft hat, sind es in Themistios’ Augen die Senatoren, derentwegen die Götter die Erde noch nicht verlassen haben . Rom verhindere eine Trennung der sterblichen von der unsterblichen Natur, halte also die Verbindung zum Göttlichen aufrecht, und der Senat fungiere als Versammlungsort der Götter. Vor diesem Hintergrund ist unmittelbar einsichtig, wodurch der Senat das Reich am Leben erhalte (or. . b/c): καὶ ἡ παναγὴς καὶ ἱερὰ πολιτεία, ἣν μετὰ τοῦ θεοῦ πολιτεύεσθε ὅσαι ἡμέραι καὶ ὅσαι ὧραι ὑπὲρ τοῦ ἀνθρωπίνου φύλου, οὗ προστάται ἐλάχετε εἶναι τὸν ἅπαντα χρόνον, πάλαι μὲν τοῖς ὅπλοις, νῦν δὲ ἀμείνονι φυλακτηρίῳ τῇ ἁγιστείᾳ. Auch der sakrosankte und heilige Staat, den ihr zusammen mit dem Gott alle Tage und Stunden verwaltet für das Menschengeschlecht, dessen Leitung ihr für alle Zeiten erlangt habt, früher mit Waffengewalt, jetzt aber mit einem besseren Schutz: dem religiösen Kult.
Auf der kognitiven Karte, die Themistios hier ausbreitet, ist Rom nicht nur mit mythischen und historischen Persönlichkeiten wie Romulus, Numa, Camillus und Scipio verknüpft (a–c), sondern zur römischen Identität gehört unabdingbar der pagane Götterkult. Ein Rom ohne Götter wäre nicht mehr Rom und könnte die Stabilität des Reiches nicht mehr gewährleisten. Dementsprechend schließt er seine Rede mit einem Gebet an Zeus (a/b):
Auf die christlichen Bauten der Stadt geht Themistios mit keinem Wort explizit ein, lediglich in or. . c scheint er mit der vagen Formulierung τοῦ παρ’ ἡμῖν μνήματος καὶ πατρῴου (gemeint ist das Grabmal Konstantins) auf die Apostelkirche anzuspielen. Themistios war als Gesandter von Valens nach Rom geschickt worden. In der Rede preist er den nicht anwesenden Gratian. Vanderspoel (1995) –. Zu den religiösen Verhältnissen im römischen Senat der Spätantike siehe Michele Renee Salzman: The Making of a Christian Aristocracy. Social and Religious Change in the Western Roman Empire. Cambridge (MA); London , –. Them. or. . a. Zum Rekurs auf Numa siehe Cracco Ruggini (1972) –. Sie ist der Ansicht, Themistios beziehe damit Stellung für die traditionelle Art der Götterverehrung gegen Neuerungen neuplatonischer Provenienz.
. Die Vermessung Griechenlands
σὺ δέ, ὦ πάτερ μὲν θεῶν, πάτερ δὲ ἀνθρώπων, Ζεῦ ῾Ρώμης κτῆτορ καὶ πολιοῦχε, καὶ πρόματερ ᾿Αθηνᾶ, καὶ Κυρῖνε δαῖμον ἐπίτροπε ῾Ρωμαίων ἡγεμονίας, διδοίητε τοῖς ἐμοῖς παιδικοῖς ἐρᾶν μὲν ῾Ρώμης, ἀντερᾶσθαι δὲ ὑπὸ ῾Ρώμης. Du aber, Vater der Götter, Vater der Menschen, Zeus, Herr und Beschützer Roms, und du, Stammutter Athene, und du, göttlicher Quirinus, Beschützer der römischen Vormacht, verleiht es meinem Liebling [Gratian], Rom zu lieben und von Rom wiedergeliebt zu werden!
Themistios entwirft vor dem Senat ein Panorama, in dem der städtische Raum, die Erinnerung an die große Vergangenheit und der pagane Götterkult eine harmonische Einheit bilden, wie sie schon immer zu existieren scheint. Wer daraus einen Baustein entfernt, gefährdet das allgemeine Wohlergehen. Mit derselben Vorstellung versucht auch Libanios in seiner Rede Für die Tempel am kaiserlichen Hof einen Schutz der Götterverehrung zu erwirken, nur daß er neben den pagan geprägten urbanen Raum das ebenfalls vom Götterkult durchzogene Land stellt . Auch nach seiner Ansicht sind Kultur, Zivilisation und der Fortbestand des Reiches nicht denkbar ohne eine ungestörte Verehrung der Götter in Heiligtümern mit Opfern und Festen . In viel größeren Dimensionen als der hier auf die Stadt konzentrierte Themistios läßt Libanios vor dem Auge seiner Rezipienten einen weiten, Stadt und Land umfassenden Kulturraum erstehen, dessen Gedeihen vom Götterkult abhängt (or. . f., ). Sollte der Kaiser dem barbarischen Treiben der christlichen Mönche tatenlos zusehen, würde der gesamten griechischen und römischen Zivilisation der Boden und dem Reiche der Schutz entzogen. Wie der gesamte Raum von Göttern und ihren Heiligtümern besetzt erscheint, so nimmt auch die tätige Verehrung der göttlichen Mächte den Raum in Anspruch , wie es beispielsweise Himerios vor Augen stellt, wenn er Athen und Delos durch die Festgesandtschaft für Apollon verbindet oder den Festzug der Panathenäen in einer Rede durch das urbane Zentrum Athens geleitet . Besonders anschaulich geht diese Besetzung des Raumes aus einem Brief Julians hervor, in dem er einem Priester von einer Reise in die Troas berich Lib. or. . , , (Stadt); –, , f. (Land). Lib. or. passim, bes. f., f., . Libanios versucht die Einheit von Kultur und Götterkult zu etablieren, indem er den Bau von Tempeln und Heiligtümern in eine kurzgefaßte Kulturentstehungslehre einbindet. Libanios rekurriert hier auf eine seit langem etablierte Vorstellung wie etwa auch Themistios in or. . b, der sich dafür auf Prodikos beruft ( B D.-K.). Siehe Reimar Müller: Die Entdeckung der Kultur. Antike Theorien über Ursprung und Entwicklung der Kultur von Homer bis Seneca. Düsseldorf; Zürich , –. Lib. ep. spiegelt mit einer emphatischen Seligpreisung die wehmütige Empfindung des Libanios während der Regierung des Theodosius wider, daß die Durchdringung des Raumes mit dem paganen Götterkult allmählich beseitigt werde. Auch in ep. evoziert der Gedanke an Athen bei Libanios sogleich die Vorstellung von Opfern und dem Verkehr mit den Göttern. Him. or. . und . .
Auf der Suche nach Identität
tet . Gleich einem Wallfahrer sucht Julian dort wichtige Stätten auf, um den Göttern und Heroen seine Verehrung zu bezeugen. Von dem vermeintlich christlichen Bischof Pegasios läßt sich der junge Julian zum Heroon Hektors führen, zum Bildnis Achills, zu den Altären und dem Bezirk der Athene und ist ganz überrascht, noch warme Glut und andere Zeichen der Verehrung anzutreffen. Unter der Tarnung des Christentums pflegt Pegasios diese Kultstätten, offensichtlich in dem Bewußtsein, daß diesem Ort für Heiden eine ganz besondere Bedeutung innewohnt. An ihn knüpfen sich Erinnerungen an die große Vergangenheit der Griechen, ohne daß sie sich vom Wirken der Götter trennen ließen. Deshalb ist es wichtig, die Kultplätze unversehrt zu bewahren, damit nicht zugleich mit den greifbaren Denkmälern die Erinnerung und die Kultausübung aus dem Raum verschwinden. Der Ort bietet dem Heiden selbst in einer Zeit, da der Götterkult Repressionen ausgesetzt ist, die Möglichkeit, sich seiner paganen Identität zu vergewissern, indem man die räumliche Nähe zu Heroen und Göttern sucht. Julians Wunsch, eine ›Wallfahrt‹ zu diesen Stätten zu unternehmen, bezeugt, wie wichtig solche Raumkonzepte für die Konstituierung von Identität sind . Orte und Plätze, die man sowohl handgreiflich vor sich als auch vor dem inneren Auge sieht, bestätigen das religiöse Selbstverständnis der paganen Gemeinschaft, insofern sie als Zeichen auf Götter, Heiligtümer und Kulthandlungen verweisen. Es scheint, als wäre die gesamte zivilisierte Welt, vor allem aber Orte, die auch in kultureller Hinsicht von Bedeutung sind, von den göttlichen Mächten durchdrungen . Da sich Raumvorstellungen, wie wir gesehen haben, durch eine starke Stabilität auszeichnen, was den Inhalt der veror Iul. ep. . Der Adressat ist in der handschriftlichen Überlieferung nicht angegeben, es handelt sich aber offensichtlich um einen leitenden Priester. Zu Pegasios läßt sich nicht mehr sagen, als dem Brief zu entnehmen ist. Caltabiano (1991) f. Wie Julian in dem Brief selbst anmerkt, gab es anscheinend professionelle Perihegeten, die den Fremden die Bedeutung der einzelnen Plätze erläuterten. Die identitätsstiftende Funktion des Raumes unterstreicht auch Him. or. . , wo darauf hingewiesen wird, daß der reisende Fremde in Athen zuerst die Häuser des Demosthenes und des Sokrates, in Theben das Pindars und in Sparta das Lykurgs aufsuche. Der bildungsbeflissene Grieche begibt sich also auf Reisen vorrangig in den bedeutenden Städten zu Plätzen, mit denen sich die Erinnerung an Geistesgrößen verbindet. Er vergewissert sich seiner eigenen Bildung, indem er sie im Raum verankert. Ein Bild des griechischen Raumes, in dem alle hier vorgestellten Aspekte vereinigt sind, entwirft Himerios in der . Rede. Mit der Ägäis, Sizilien, Ionien und Athen wird der Raum abgesteckt und strukturiert. Griechische παιδεία wird von Dichtung, Medizin und Philosophie (Nennung kanonischer Autoren, Pythagoras, Homer, Platon, Heraklit) repräsentiert und auf der Karte verortet. Die Kulte von Artemis, Apollon und Dionysos werden mit ihren jeweiligen Orten genannt. Und schließlich wird der griechische Raum durch den Rekurs auf die Perserkriege, die Kolonisation und eben die Nennung kanonischer Autoren auf die archaisch-klassische Zeit festgelegt. Griechenland wird in seiner Blüte gleichsam eingefroren und mit allem aufgeladen, was griechische Kultur ausmacht.
. Die Vermessung Griechenlands
teten Erinnerungen betrifft, wird auch der Eindruck erweckt, daß der Raum seit Anbeginn unveränderlich pagan geprägt ist. Nicht zuletzt wird diese scheinbare Stabilität und Kontinuität dadurch erzeugt, daß unliebsame Aspekte der eigenen Gegenwart übergangen werden. Kognitives Kartieren vollzieht sich deshalb notwendig selektiv, weil es unmöglich ist, in einen räumlichen Entwurf sämtliche Informationen aufzunehmen. Wer eine Raumvorstellung entwickelt, beschränkt sich mithin zwangsläufig auf wenige, positiv besetzte Orte. Und selbst bei den ›verzeichneten‹ Orten sind es nur wenige Momente, die Eingang in die mentale Karte finden. Während für Christen Konstantinopel mit seinen Kirchen eine dezidiert christliche Hauptstadt war oder Antiochia als Aufenthaltsort von Petrus und Paulus christliche Erinnerungen auf der Karte markierte, fällt darüber bei Themistios oder Libanios kein einziges Wort . Verschiedene Gruppen schaffen sich verschiedene Raumbilder, die jeweils nur einen Ausschnitt der Realität verzerrt wiedergeben. Anhand von Beispielen haben wir sehen können, welche Rolle kognitive Karten in Verbindung mit kollektiven Erinnerungen für die Konstitution einer hellenischen Identität, wie sie weiter oben am Hellenennamen festgemacht worden war, spielten und auf welche Weise sie das Selbstverständnis der untersuchten Autoren widerspiegeln. Konstruiert wird ein durch verschiedene Orte und Abgrenzung von nichtgriechischen Völkern abgesteckter Raum, der die Einheit von griechischer Sprache, griechischer Kultur und paganer Religion versinnbildlicht. Zeichenhaft verweisen bestimmte Plätze oder Gebäude auf Bestandteile des kollektiven Gedächtnisses und Elemente des Götterkultes. Durch die teils recht anschaulich beschriebenen Raumentwürfe wird ein gleichsam unveränderliches imaginäres Griechenland erschaffen, in dem allein Platz für den – aus hellenischer Sicht – positiven Teil der Erinnerung ist. Selbst Unangenehmes wie der Charakter der neuen Hauptstadt Konstantinopel läßt sich durch eine Umwertung und durch Selektivität in dieses ›Weltbild‹ integrieren. Durch ihre Raumentwürfe verleihen die Autoren dem Selbstverständnis der Gruppe Ausdruck und nehmen gleichzeitig den griechischen Raum für ihre Position in Anspruch, sie okkupieren ihn gleichsam, als ginge es darum, Länder zu unterwerfen.
Zur Kontroverse zwischen Paulus und Petrus in Antiochia siehe Gal . – und Apg . –. Paulus begann seine zweite Missionsreise in Antiochia (Apg . , , ). Nach Apg . soll auch der Christenname in der Stadt aufgekommen sein. Seit dem . Jahrhundert befand sich dort ein Bischofssitz. Zum christlichen Antiochia siehe Downey (1961) –; Hahn (2004) – und Susan Ashbrook Harvey: »Antioch and Christianity«, in: Antioch. The Lost Ancient City, hg. von Chr. Kondoleon. Princeton , –.
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. Hellenische Medizin Seinem großen kaiserzeitlichen Vorbild Aelius Aristides eiferte Libanios auch darin nach, daß er in seinem Werk immer wieder auf seine Krankheiten, Behandlungsmethoden und Heilungen zu sprechen kommt, weshalb er als einer der großen Kranken der Antike gelten kann . Durch seine Autobiographie, aber auch durch seine Briefsammlung ziehen sich Kopfschmerzen und Gicht als ein Leitmotiv, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten gesundheitliche Probleme, wenn auch verstärkt durch eine gewisse hypochondrische Veranlagung, Libanios’ Leben dominiert. Mit seinem sehr persönlichen Interesse an medizinischen Fragen bildet er in dieser Zeit keine Ausnahme, sondern ergänzt das Bild, das sich aus anderen Autoren gewinnen läßt. Eunap etwa räumt mehreren Ärzten in seinen Viten einen nicht geringen Platz ein und hält sich einiges darauf zugute, selbst in der Medizin beschlagener zu sein als so mancher Berufsarzt . Ebenso zeigte der Kaiser selbst, Julian, Interesse an der Heilkunst, sei es, daß er sich als Gesetzgeber mit der Stellung der Ärzte befaßte , sei es, daß er einem ἀρχιατρός auf Grund seiner Kompetenz die Rückkehr aus der Verbannung gestattete . Wie kein anderer steht jedoch Julians Vertrauter Oreibasios für die Achtung, die gebildete Kreise im vierten Jahrhundert der Medizin entgegenbrachten. Als professioneller Arzt tätig, war er über Jahre hinweg Julians Begleiter und Bibliothekar in Gallien – Eunap scheint ihm sogar Julians Erhebung zum Augustus zuzuschreiben – sowie sein Leibarzt auf dem Feldzug gegen die Perser, wo er vergeblich des Kaisers Verwundung zu kurieren versuchte . Mit ihm verbindet sich außerdem ein trotz seiner lückenhaften Überlieferung immer noch stattliches, enzyklopädisch angelegtes medizinisches Œuvre, das dem Galenismus den Weg ebnete . Wie erklärt sich diese intensive Beschäftigung mit der Heilkunst und ihren Vertretern? Weshalb widmeten diese Autoren und der Kaiser selbst den Fragen der medizinischen Theorie und Praxis so große Aufmerksamkeit? Aufschluß versprechen hier am ehesten die Siehe beispielsweise Lib. or. . –, –, ep. –, , . Zu Libanios’ Krankengeschichte Gourevitch (1984) – und Molloy (1996) – (mit tabellarischer Übersicht der einschlägigen Passagen in Libanios’ Werk). Eun. VS . . –, . –. . , . . –. CTh . . (vom . . ) mit Iul. ep. b. Iul. ep. an Zenon. Möglicherweise handelt es sich bei dem Adressaten um Oreibasios’ Lehrer, der dann allerdings zum Zeitpunkt des Briefes bereits ziemlich betagt gewesen sein muß. Siehe auch ep. , wo Julian davon berichtet, wie er einen vermeintlichen Arzt zu sich berufen habe. Zu seiner Vita siehe Eun. VS und . . . Zu seiner Teilnahme am Perserzug Philost. h. e. , fr. ; Lyd. Mens. . . Baldwin (1975); Grant (1997) –; Roberto De Lucia: Art. »Oreibasios v. Pergamon«, in: Antike Medizin. Ein Lexikon, hg. von Karl-Heinz Leven. München , f.; zuletzt Hartmann (2006). Die maßgebliche Edition findet man im Corpus Medicorum Graecorum, Bd. . –. , hg. von J. Raeder. Leipzig –.
. Hellenische Medizin
erhaltenen Schriften des Oreibasios, sofern ihnen programmatische Äußerungen zu entnehmen sind. Einem Überblick in der Bibliotheke des Patriarchen Photios zufolge verfaßte Oreibasios vier medizinische Hauptwerke, deren erstes heute vollständig verloren ist . Überliefert ist von dieser Schrift jedoch bei Photios noch die Vorrede, aus der hervorgeht, daß es sich um eine Zusammenfassung der nützlichsten Werke Galens handelte, ohne daß sich heute noch etwas über den Umfang dieser Epitome sagen ließe . Nachdem er diese Zusammenfassung noch während seines Aufenthalts in Gallien zusammengestellt hatte , nahm er, sobald Julian Kaiser geworden war, eine Überarbeitung vor, deren Konzeption sich allerdings insofern unterschied, als nun außer Galen weitere Autoritäten aufgenommen wurden. Von diesen siebzig Büchern ᾿Ιατρικαὶ συναγωγαί bzw. Collectiones medicae, einem enzyklopädischen Überblick über die gesamte medizinische Theorie, ist etwa ein Drittel erhalten . Da der große Umfang dieser Sammlung dem alltäglichen praktischen Gebrauch im Wege stand, entschloß sich Oreibasios auf Wunsch seines Sohnes Eustathios, aus ihr ein kurzgefaßtes Handbuch anzufertigen, das sich auch auf Reisen mitnehmen ließ . Noch kürzer gefaßt ist das vierte Werk, eine nun Eunap gewidmete Synopsis in vier Büchern, die auch unter dem Titel Euporista bekannt ist. Ob er, wie Photios und die Suda behaupten, noch weitere medizinische und andere Schriften verfaßte, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis . Da sich Oreibasios in den Praefationes und Widmungsschreiben seiner Werke zu deren Konzeption äußert, läßt sich rekonstruieren, welchen Ansatz er verfolgt und für welche Rezipientenkreise die Schriften angefertigt worden sind. Hierbei zeichnen sich trotz dem unterschiedlichen Umfang und Anspruch deutliche Gemeinsamkeiten ab. Sämtliche vier Schriften wollen ein breites Wissensgebiet möglichst umfassend erschließen . Zwar ragen die Collectiones medicae Phot. Bibl. –. b–b. Er verzeichnet die Werke, zitiert aus den Vorreden und gibt, neben einer Bewertung des Nutzens, zum Teil einen ausführlichen Überblick über den Inhalt. Phot. Bibl. . b–a. In a, Z. fehlt leider die Zahlenangabe der Bücher in den Codices. Diese Angabe macht Oreibasios in Coll. med. prooem. . Dies sind die Bücher –, f., –. Vgl. Orib. Syn. prooem. . Phot. Bibl. . b spricht von sieben weiteren Werken ähnlicher Art, ohne dies zu präzisieren. Außerdem behauptet er, eine einem gewissen Eugenios gewidmete Abhandlung namens Euporista in vier Büchern gesehen zu haben, erwägt aber selbst, ob diese nicht mit der Synopsis für Eunap identisch sein könnte (. b). Die Suda (ο ) verzeichnet als Oreibasios’ Schriften Πρὸς τοὺς ἀποροῦντας τῶν ἰατρῶν βιβλία
δ´, Πρὸς ᾿Ιουλιανὸν τὸν βασιλέα βιβλία οβ´, ᾿Επιτομὴν αὐτῶν ἐν βιβλίοις θ´, Πρὸς Εὐστάθιον τὸν υἱὸν καὶ Περὶ βασιλείας καὶ Περὶ παθῶν. Zu Oreibasios’ sogenanntem Hypomnema über Julians Taten, das Eunap benutzt hat, siehe unten S. . Leitgedanke ist es jeweils, alles zu versammeln, was für das Ziel der ἰατρικὴ τέχνη nützlich ist. Vgl. aus der Vorrede zum ersten Werk Phot. Bibl. . b, ferner Orib. Coll. med.
Auf der Suche nach Identität
durch ihre ausführliche Anlage heraus, doch streben auch die übrigen Schriften unverkennbar an, zumindest die Hauptgebiete der Medizin verfügbar zu machen. Statt die einzelnen Werke Galens und anderer Autoren wie etwa des Rufus oder Dioskorides konsultieren und das jeweils Erforderliche heraussuchen zu müssen, benötigt der Ratsuchende nur ein einziges Werk, in dem er Antworten zu allen medizinischen Fragen nachschlagen kann. Wie Oreibasios selbst betont, steht die Absicht im Vordergrund, alles Nützliche aus den Werken medizinischer Kapazitäten zu versammeln, das heißt, er bemüht sich, die praktische Anwendung medizinischer Kenntnisse zu erleichtern. Gerade in den beiden Eustathios und Eunap gewidmeten Epitomai wird diese Zielsetzung am entschiedensten verfolgt. Sie erlauben es nämlich durch ihren geringen Umfang, auch unterwegs die wichtigsten Verfahren der Heilkunst anwenden zu können. Der Intention, die Praxis zu erleichtern, dienen auch die klare Struktur und der übersichtliche Aufbau, die Oreibasios offensichtlich am Herzen lagen . Ein so umfangreiches medizinisches Werk wäre nicht denkbar ohne den Rückgriff auf ältere Vorläufer. So war es nicht Oreibasios’ Anspruch, ein völlig neues, eigenständiges Kompendium zu schaffen; vielmehr hatte er sich, angeregt durch Julian, zunächst vorgenommen, die nützlichen Schriften des ›bewundernswerten‹ Galen zu exzerpieren . In den Collectiones medicae wurde dann die Perspektive insofern erweitert, als nun neben Galen weitere anerkannte Autoritäten traten und diesen ergänzten. Wie Photios bemerkt, erhöhte Oreibasios damit den Nutzen seiner Sammlung, da man dort auch finden konnte, was Galen ausgelassen hatte . Trotz diesem weitgehend kompilatorischen Vorgehen sollte man die Leistung des Oreibasios nicht zu gering veranschlagen. Jedenfalls beansprucht er, nicht wahllos die Ansichten der besten und der weniger guten Mediziner aufgezeichnet zu haben, sondern allein die derjenigen, die den Gegenstand auf bessere Weise dargestellt hätten. Zudem vermeide er Wiederholungen. Ein wichtiges Prinzip seiner Auswahl war nach seinem eigenen Bekunden die Exaktheit der Methoden und Definitionen, in der Galen alle, die sich zum selben Thema geäußert hätten, übertroffen habe . Unmißverständlich geht aus dieser Konzeption hervor, daß die eben erwähnte praktische Ausrichtung nicht anders denkbar ist als auf einem soliden theoretischen Fundament. Nur wenn gewährleistet ist, daß der Arzt die exakte Bestimmung und die besten Methoden theoretisch durchdrungen hat, ist er imstande, auch die Praxis souverän zu beherrschen, wobei er das Handbuch jeweils nur kurz zur Wie-
prooem. ; Syn. prooem. f.; Eup. prooem. . Auch die Anlage der einzelnen Schriften bezeugt den umfassenden Anspruch, auch wenn Oreibasios in den beiden Kurzfassungen einiges ausspart (vgl. die in der Edition von Raeder beigefügten Inhaltsverzeichnisse). Orib. Coll. med. prooem. ; Eup. prooem. f. Vgl. Phot. Bibl. . b und . a. Phot. Bibl. . b–a. Orib. Coll. med. prooem. f.; Phot. Bibl. . b. Zu Oreibasios’ Arbeitsweise Grant (1997) –. Orib. Coll. med. prooem. .
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dererinnerung heranzuziehen braucht. Mag er auch die Nützlichkeit als leitendes Prinzip herauskehren, so unterliegt Oreibasios’ wissenschaftlicher Anspruch doch keinem Zweifel. Wo er sein Werk positionieren möchte, bekundet Oreibasios auch, indem er den von ihm intendierten Rezipientenkreis näher bestimmt. Zum einen hat er die professionellen Ärzte, die eine vollständige Ausbildung durchlaufen haben, im Blick. Sie bedürfen seiner Sammlung, um das Wissen, das sie bereits in allen Einzelheiten erworben haben, kurz zu rekapitulieren . Aber auch der Laie, der nicht die Muße hat, ein vollständiges Medizinstudium zu absolvieren, zieht einen Nutzen aus Oreibasios’ Werk, da er hier in klarer und verständlicher Form vorfindet, was ein Laie zu praktizieren vermag . Diesen φιλίατροι bieten gerade die zwei Kurzfassungen einen Überblick über leicht auszuführende und verfügbare Heilmethoden, während die Chirurgie und alles, was nur mit professionellen Gerätschaften zu bewerkstelligen ist, ausgespart wird . Zwischen den erfahrenen Fachleuten, den τρίβακες oder τεχνῖται , und den φιλιατροῦντες siedelt Oreibasios eine dritte Gruppe an, deren Angehörige einerseits keine Berufsärzte sind, andererseits aber den Laienstatus durch intensives Theoriestudium schon hinter sich gelassen haben. Zu diesen zählt der Verfasser auch Eunap, dem er die Euporista zueignet, da dieser nicht nur imstande sei, sich selbst und anderen bei einigen Leiden zu helfen, sondern auch bei den größeren Beschwerden die verschiedenen Meinungen der Ärzte gegeneinander abzuwägen und das Bessere und Nützlichere auszuwählen . Der Einteilung der drei Gruppen liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, daß zumindest eine grundlegende medizinische Bildung etwas sei, das – abgesehen von dem praktischen Nutzen – auch den nicht ärztlich Tätigen ziere. Oreibasios geht anscheinend davon aus, daß Angehörige der gebildeten Oberschicht wie etwa Eunap ein über rudimentäres Allgemeinwissen hinausgehendes Interesse an der Heilkunst hegen. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht besonders die an Eunap gerichtete Widmungsepistel, in der Oreibasios darauf eingeht, mit welcher Einstellung sich der Adressat der Medizin widmet: διὰ ταῦτα ἐπαινῶ
σου τὴν προαίρεσιν καὶ πρὸς τούτοις, ἐπειδὴ πράγματος ἀντέχει δυνατοῦ σοι καὶ ἀναγκαίου καὶ τῆς σῆς παιδεύσεως ἀξίου. Oreibasios vertritt die Ansicht, daß seine Disziplin zum Bildungskanon gehöre, der den πεπαιδευμένος auszeichne und als solchen kenntlich mache. Medizin ist Phot. Bibl. . a; Orib. Syn. prooem. . Phot. Bibl. . a; Orib. Syn. prooem. –; Eup. prooem. –. Oreibasios spricht hierbei von φιλιατροῦντες, φιλίατροι und ἰδιῶται. Wie er selbst angibt, stellt sich Oreibasios damit in eine längere Tradition, da auch schon Galen eine inzwischen verlorene Schrift Euporista verfaßt und Rufus eine Abhandlung für Laien geschrieben habe (Orib. Eup. prooem. f.). Orib. Syn. prooem. ; Eup. prooem. . Zu den drei von Oreibasios unterschiedenen Gruppen vgl. auch Micalella (2001/2). Orib. Eup. prooem. (»Deshalb lobe ich deine Entscheidung und außerdem, weil sie sich an eine dir mögliche und notwendige und deiner Bildung würdige Sache hält.«).
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also kein Spezialwissen, das allein dem kleinen Kreis der Fachleute zukommt, sondern Teil einer umfassenden Bildung. Die φιλίατροι sind der Selbstverständlichkeit, mit der Oreibasios von ihnen spricht, zufolge eine im vierten Jahrhundert in der Oberschicht, die sich solche Beschäftigungen leisten konnte, weiter verbreitete Erscheinung gewesen. Sie hatten anscheinend ein Bedürfnis nach einer enzyklopädisch angelegten παιδεία, die ähnlich wie das Konzept der artes liberales dem freien Mann angemessen sei. Welchen Wert Oreibasios einer solchen Bildung beimaß, läßt sich auch daraus ersehen, daß er in seine Collectiones medicae ein umfangreiches Kapitel zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen aus den Schriften des Athenaios von Attaleia übernahm, das er später in gekürzter Form in die Synopsis für Eustathios integrierte . Er entwirft einen nach Altersstufen vom Kind bis zum jungen Erwachsenen gegliederten Bildungsweg, in dessen Verlauf man vom eher spielerischen Lernen über philosophische Beschäftigung hin zu dem Ziel eines enzyklopädisch gebildeten wie tugendhaften Menschen fortschreitet. Leitendes Prinzip ist hierbei die gleichberechtigte Sorge für den Körper und die Seele. Sobald die Jugendlichen in der Lage sind, die Philosophie in Angriff zu nehmen, empfiehlt Oreibasios ihnen auch das Studium der Medizin, die für alle Menschen ab dem vierzehnten Lebensjahr eine nützliche oder vielmehr notwendige Beschäftigung sei . Mit besonderem Nachdruck betont er, daß die Medizin durch das ganze Leben hindurch und bei jeglicher Tätigkeit dazu verhelfe, wohlbehalten zu bleiben. Wieviel mehr die Beschäftigung mit der Heilkunst vermittelt als bloß anwendbare Kenntnisse, kommt in der abschließenden, resumierenden Frage zum Ausdruck:
πηλίκον δὲ χάρμα καὶ πόσον ἔπαρμα ψυχὴ λαμβάνει, συζητοῦσα τοῖς προγενεστέροις τῶν φιλοσόφων τε καὶ ἰατρῶν καὶ τοῖς ἄλλοις τοῖς προ¨ισταμένοις τῶν ἐγκυκλίων μαθημάτων καὶ παρεγχειροῦσα τούτοις πολλάκις; In dieser Bildungskonzeption wußte sich Oreibasios einig mit seinen Zeitgenossen Eunap und Julian. Eunap kehrt nämlich in seinen Viten nicht nur hervor, über welche profunden medizinischen Kenntnisse er selbst verfüge, sondern versäumt es ebensowenig, die Ärzte, deren Leben und Wirken er vorstellt, als herausragende Vertreter einer umfassenden intellektuellen und charakterlichen Bildung zu porträtieren. Während Zenon und Magnus Eunap zufolge lediglich Medizin und Rhetorik zu vereinen wissen, ersterer auf perfekte Weise, letzte-
Orib. Coll. med. inc. ; Syn. . . Zu dem wohl ins erste vorchristliche Jahrhundert zu datierenden Athenaios siehe Karl-Heinz Leven: Art. »Athenaios v. Attaleia«, in: Antike Medizin. Ein Lexikon, hg. von dems. München , f. Orib. Coll. med. inc. . . Orib. Coll. med. inc. . (»Wie große Freude und welche Erhabenheit erlangt die Seele, wenn sie mit den älteren Philosophen und Ärzten und den übrigen Koryphäen der Wissenschaft zusammen forscht und mit diesen oftmals verkehrt!«).
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rer nicht ganz vollkommen , ragt Oreibasios in allen ἀρεταί so hervor, daß selbst die Kaiser nach Julian ihm ihre Anerkennung nicht ganz versagen können, obwohl sie ihn zunächst enteignet und verbannt hatten. Wer sich wahrhaft für Philosophie interessiere, müsse Oreibasios’ von Harmonie und Anmut durchdrungene Gespräche suchen . Bestätigt wird dieses Porträt auch von einem in der Anthologia Graeca überlieferten, auf Oreibasios verfaßten Epigramm . Geradezu als Universalgelehrter tritt dann der in medizinischer Theorie wie Praxis gleichermaßen beschlagene Ionikos auf, der überdies in allen Disziplinen der Philosophie, im θειασμός und in der Rhetorik bewandert sei . Zuvor hatte schon Julian die Medizin mit der Philosophie in Verbindung gebracht und die Ansicht vertreten, daß ein anständiger Charakter und σωφροσύνη mit ihr in Einklang stünden . Wenn sie die Medizin als Teil einer umfassenden Bildung verstanden und geradezu zu einem Zweig der Philosophie erklärten, stellten sich die Autoren des vierten Jahrhunderts in eine seit längerem etablierte Tradition. Schon Galen hatte dafür geworben, daß der wahre Arzt zugleich Philosoph sein müsse, und ebenso war es, insbesondere während der Zweiten Sophistik, eine geläufige Überzeugung, daß der Gebildete auch über medizinisches Wissen gebiete . Wie wir es bereits beim Hellenennamen beobachten konnten, besteht auch in der Medizin, soweit Oreibasios’ Werk darüber Auskunft gibt, eine Tendenz zur Vereinheitlichung und Reglementierung. Schon die Anlage der Sammlung brachte es mit sich, nach bestimmten Kriterien Vorbilder aus der verfügbaren Literatur auszuwählen und weniger gute Autoren zu verwerfen. Oreibasios fördert damit einen Prozeß der Kanonisierung, der das gesamte medizinische Wissen auf eine Abfolge bestimmter Autoritäten verengt. Den Anstoß zu dieser selektiven Vereinheitlichung hatte kein anderer als Julian selbst gegeben, als er Oreibasios mit der Aufgabe betraute, die nützlichen Schriften des ›wunderbaren‹ Galen zusammenzufassen . Galen wird somit als unübertroffener Fix Eun. VS (Zenon); (Magnus). Magnus von Nisibis war ein Korrespondent des Libanios. Siehe Karl-Heinz Leven, Art. »Magnus v. Nisibis«, in: Antike Medizin. Ein Lexikon, hg. von Karl-Heinz Leven. München , f. Eun. VS . . , , . . f., . AP . :
᾿Ιητὴρ μέγας οὗτος ᾿Ιουλιανοῦ βασιλῆος, ἄξιος εὐσεβίης δῖος ᾿Ορειβάσιος. εἶχε γὰρ οἷα μέλισσα σοφὸν νόον ἄλλοθεν ἄλλα ἰητρῶν προτέρων ἄνθεα δρεψάμενος.
(»Dies ist der große Arzt des Kaisers Julian, der Verehrung würdig, der göttliche Oreibasios. Er besaß nämlich weisen Verstand, indem er wie die Biene von überallher die Blüten früherer Ärzte pflückte.«). Oreibasios gewidmet ist auch das anonyme Epigramm AP . . Eun. VS . f. Iul. ep. . Luchner (2004) –. Phot. Bibl. . b–a. Zum Lob Galens siehe auch Orib. Eup. prooem. .
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punkt gesetzt, an dem sich jede spätere Beschäftigung mit der Medizin orientieren muß. Zwar wird in den Collectiones medicae das Konzept etwas erweitert, da nun weitere Autoritäten hinzutreten, doch bleibt Galens Ausnahmestellung unangefochten. Worauf sich diese Stellung gründet, erklärt Oreibasios ausdrücklich, wenn er an Galen nicht allein die klare Methode lobt, sondern auch, daß er sich an den Prinzipien und Lehrmeinungen des Hippokrates orientiert habe (prooem. ). Oreibasios stellt sein Werk damit in eine wissenschaftliche Traditionslinie und scheidet diejenigen weitgehend aus, die sich nicht in diesen Strang einordnen lassen. Während der ›große‹ Rufus Oreibasios’ Anerkennung findet, werden die kritisierten Schriften des Dioskorides und des Apollonios kaum einmal ausdrücklich zitiert . Gegenüber anderen Schultraditionen verhilft er damit dem Galenismus zum Durchbruch und vereinheitlicht die Medizin so auf längere Sicht . Wie stark hier die Einflüsse von Traditionen sind, belegt nicht zuletzt die eben erwähnte Vorstellung des Medizin und Philosophie verknüpfenden Gebildeten. Einen Eindruck davon, wie stark Oreibasios’ Interesse an einer Vereinheitlichung der Medizin und einer Verengung auf ein bestimmtes Leitbild war, geben seine Äußerungen gegenüber Eunap im Widmungsbrief der Euporista. Bevor er eingehender die προαίρεσις des Adressaten preist, stimmt er eine Klage an, wie selten jetzt die wahren Ärzte geworden seien, während eine stattliche Menge die medizinische Kunst nur vorspiele und allein den Titel des Arztes besitze. Um seiner Klage Nachdruck zu verleihen, schließt Oreibasios einen ausführlichen Vergleich an: Wie sich auf See einige Matrosen, wenn ihnen das bloße Rudern nicht genüge, dazu verstiegen, steuern zu wollen, und Schiffbruch erlitten, so trauten sich einige, die lediglich gelernt hätten, zur Ader zu lassen und zu schröpfen, die gesamte Medizin zu, obwohl sie weder die Qualität noch die Quantität der Heilmittel, ja nicht einmal den richtigen Zeitpunkt und die Ordnung kennten, was allein den wahren Ärzten vorbehalten sei. So hätten sie den einen Patienten schwer zu kurierende oder ganz unheilbare Leiden zugefügt, die anderen sogar um ihr Leben gebracht . Obgleich Oreibasios hier offensichtlich daran gelegen ist, durch einen negativen Kontrast Eunaps Kompetenz um so heller erstrahlen zu lassen, sollte man diese Äußerungen nicht voreilig als gegenstandslos abtun. Immerhin spricht der Verfasser in einer eindeutig programmatischen Partie und lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers durch den ausgedehnten Vergleich auf die unüberbrückbare Kluft zwischen den κατ’ ἀλήθειαν ἰατροί und den ὑποκρινόμενοι τὴν τέχνην. Neben die oben vorgestellten drei Kategorien tritt mithin als Gegenbild die Gruppe der Scharlatane, Quacksalber und Kurpfuscher. Die wahren Ärzte verfügen sämtlich, wenn auch in unterschiedlichem Orib. Eup. prooem. (Lob des Rufus); (Kritik an Dioskorides und Apollonios). Verweise auf Dioskorides und Apollonios finden sich beispielsweise Coll. med. . , . , . , prooem. , . , . . Nutton (1985) f. Orib. Eup. prooem. . Siehe Temkin (1991) f.
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Grade, über theoretische wie praktische Kenntnisse in der Medizin, wohingegen die Scharlatane sich lediglich auf Erfahrung in untergeordneten Tätigkeiten stützen können . Oreibasios stellt also pointiert einen Gegensatz zwischen bloßer Praxis einerseits und der kompetenten Verbindung von Theorie und Praxis andererseits her. Wer waren nun diese Pfuscher, die sich nur auf Erfahrung verließen? Weshalb war es so wichtig, ihnen das überlegene Konzept des umfassend gebildeten Arztes vorzuhalten? Es hat den Anschein, als stünden hinter diesem Gegensatz verschiedene Auffassungen von Medizin, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Tatsächlich war die Heilkunst ähnlich wie die ihr verwandte Philosophie in der Spätantike ein ideologisch umstrittenes Feld . Gewisse Richtungskämpfe hatte es in der Medizin von jeher gegeben, da sie sich in verschiedene Schulen gespalten hatte, die zum Teil konträre Ansichten verfochten . Eine neue Qualität hatten die Diskussionen über die Medizin mit dem Aufkommen des Christentums gewonnen, da sich die Frage stellte, wie die neue Religion mit dieser paganen Wissenschaft umgehen sollte, zumal die Medizin seit ihren Anfängen mit der Religion, speziell dem Asklepioskult, verbunden war. Während man früher auf Grund einzelner Äußerungen von Kirchenvätern bisweilen die Ansicht vertreten hatte, das Christentum habe der Medizin grundsätzlich ablehnend gegenübergestanden, zeichnet sich nun ein differenzierteres Bild ab, dem zufolge von einem grundsätzlichen Antagonismus zwischen Christentum und Medizin keine Rede mehr sein kann, auch wenn Spannungen nicht fehlten . Auf lange Sicht setzte sich eine Linie durch, die man etwa auch gegenüber der paganen Philosophie beobachtete, nämlich das sogenannte Prinzip der χρῆσις, also des rechten Gebrauchs von Elementen, die nicht in Widerspruch zur christlichen Lehre standen. Hatte noch Tatian den Gebrauch von Heilmitteln verworfen, weil sie dämonische Werkzeuge seien , so integrierte etwa Basileios die Medizin ins Christentum, reduzierte freilich ihren Anspruch, indem er es mißbilligte, wenn Christen ihre Heilung gänzlich auf Medizin und Ärzte zurückführten. Allein die Gnade Gottes sei entscheidend für eine Gesundung . Heikel blieb die Nähe der Medizin zur Magie, da die Kirchenväter Orib. Eup. prooem. : τὰ ἄλλα τῆς ὑπηρετικῆς ἐμπειρίας μόνα μεμαθηκότες. Zu den verschiedenen Vorstellungen von Medizin in der Spätantike Cracco Ruggini (2003). Zu den medizinischen Schulen (αἱρέσεις) siehe Heinrich von Staden: »Hairesis and Heresy. The Case of haireseis iatrikai«, in: Jewish and Christian Self-Definition. Bd. , hg. von B. F. Meyer und E. P. Sanders. London , –. Hermann Josef Frings: Medizin und Arzt bei den griechischen Kirchenvätern bis Chrysostomos. Diss. Bonn ; Amundsen (1982); Nutton (1985) f.; Temkin (1991). Siehe auch die prosopographische Studie zu christlichen Ärzten von Schulze (2005). Tat. orat. . f. (PG , a). Amundsen (1995). Bas. ep. . ; reg. fus . (PG , b/c). Vgl. auch die ähnliche Ansicht bei Ambr. Cain et Ab. . (PL , a/b).
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zwar die Magie a limine ablehnten, viele Christen aber nach wie vor auf magische Praktiken setzten, wenn sie erkrankten . Als man im vierten Jahrhundert auch von Staats wegen versuchte, zwischen nützlicher und schädlicher Magie zu scheiden, und gegen schwarze Magie vorging, war von dieser Diskussion auch die Medizin betroffen . Überhaupt spielte in dieser Zeit das übernatürliche Element in Zusammenhang mit Krankheiten und Heilungen eine bedeutendere Rolle. Oft brachte man Wunderheilungen mit christlichen Asketen in Verbindung, Reliquien wurden heilende Kräfte zugeschrieben, und Märtyrerstätten ersetzten die Heiligtümer heilender Heroen und Gottheiten . Schließlich fällt in diese Epoche auch eine christliche Neuerung, die das Gesundheitswesen tiefgreifend verändern sollte, nämlich die insbesondere mit der Person des Basileios verknüpfte Einrichtung von Hospitälern. Basileios gründete außerhalb von Kaisareia in Kappadokien eine Stätte, die Kranken, Armen und Reisenden Hilfe bieten sollte. In solchen Institutionen stand nicht unbedingt die Heilung im Vordergrund, vielmehr wurde hier Fürsorge im Sinne christlicher caritas praktiziert . Die Vermittlung theoretischen Wissens blieb hingegen vorerst eine Domäne heidnischer Ärzte. Wenn Julian eine umfangreiche medizinische Enzyklopädie in Auftrag gab, Oreibasios die wissenschaftliche Theorie in den Mittelpunkt rückte und Eunap unter seine paganen Vorbildfiguren Ärzte aufnahm, beteiligten sie sich an dem eben kurz skizzierten medizinischen Diskurs des vierten Jahrhunderts und versuchten, in ihm bestimmte Positionen zu besetzen. Was das Movens für Julians Engagement war, verraten seine Äußerungen zur Heilkunst in der Streitschrift Gegen die Galiläer. Um die Überlegenheit der Hellenen gegenüber den Christen zu erweisen, spricht der Kaiser auch über die zivilisatorischen Errungenschaften, die den Griechen zu verdanken seien. Während politische Verfassungen, das Gerichtswesen, der wissenschaftliche Fortschritt und die Übung der freien Künste ohne Zweifel Erfindung des hellenischen Geistes seien, besäßen die Hebräer (und mit ihnen die Christen) dies nur in einer wilden, barbarischen Form. Auch wenn Euseb behaupte, daß es bei den Hebräern hexametrische Dichtung und logische Abhandlungen gebe, habe er diese Bezeichnungen in Wirklichkeit doch nur bei den Hellenen gehört . Zur Untermauerung seiner These von der geistigen Überlegenheit der Hellenen rekurriert Julian auf die Medizin: ποῖον
ἰατρικῆς εἶδος ἀνεφάνη παρὰ τοῖς ῾Εβραίοις ὥσπερ ἐν ῞Ελλησι τῆς ῾Ιπποκράτους καί τινων ἄλλων μετ’ ἐκεῖνον αἱρέσεων; Als Wissen Zur Kritik an magischen Heilpraktiken siehe beispielsweise Ath. fr. de amuletis (PG , a/b) und Chrys. hom. in Col. . (PG , f.). Fögen (1993) –. Ferngren – Amundsen (1995) –. Siehe Bas. ep. ; Gr. Naz. or. . . Nutton (1985) f.; van Minnen (1995); Ferngren – Amundsen (1995) –. Iul. Gal. fr. , e–a. Iul. Gal. fr. , a (»Welche Art von Heilkunst trat denn bei den Hebräern hervor, wie bei den Griechen die des Hippokrates und einiger anderer Schulen nach jenem?«).
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schaft κατ’ ἐξοχήν firmiert für Julian die Medizin . Dieses Verständnis von Medizin klingt auch an, wenn Julian in Zusammenhang mit einem Gesetz für Ärzte von der ἰατρικὴ ἐπιστήμη spricht und sie in die Nähe der Philosophie rückt (ep. b). Aufschlußreich für Julians Verständnis von der medizinischen Wissenschaft ist ferner eine Stelle im Mustermythos seiner Rede Gegen Herakleios, an welcher der Kaiser ebenso wie Oreibasios einen Unterschied zwischen den wahren Ärzten und denen, die sich auf bloße ἐμπειρία verlassen, konstatiert, um den Scharlatan mit dem christlichen Kaiser Konstantin zu parallelisieren . Julians Ansicht teilt später Eunap, der in der Vita des Ionikos den wissenschaftlichen Anspruch der Medizin unterstreicht und sie als eine Schwester der Philosophie erscheinen läßt . Kennzeichnend für diese Disziplin ist demnach eine in den Augen Julians typisch hellenische Rationalität und Wissenschaftlichkeit , die ihresgleichen sucht, so daß der wahre Arzt niemand anderer sein kann als derjenige, welcher in der Tradition des Hippokrates und der übrigen Schulen steht . Allen anderen Versuchen auf diesem Gebiet kann die Bezeichnung ›Medizin‹ deshalb nicht zugesprochen werden, weswegen es nur konsequent ist, daß Julian auch die im Neuen Testament beschriebenen Heilungen Jesu herabzusetzen versucht . Nachdem bereits weiter oben angeklungen ist, daß Bildung für die paganen Autoren nicht von einem bestimmten Ethos zu trennen ist, bestätigt sich dieses Prinzip auch auf diesem Gebiet. Denn gerade Eunaps Beschreibungen, aber auch dem Brief Julians an den Arzt Zenon kann man entnehmen, daß die wissenschaftliche Kompetenz der Mediziner ihre Entsprechung in einer untadeligen, tugendhaften Lebensweise findet . Das Ideal eines umfassend und eben auch medizinisch Gebildeten, der Tugen Auch in Gal. fr. , c stellt Julian explizit fest, daß die Hellenen in allem, was mit τέχναι, σοφία und σύνεσις zu tun habe, den Christen überlegen seien. Als herausragendes Beispiel dient auch hier wieder die Medizin. Zur spezifisch griechischen Wissenschaftlichkeit siehe auch Gal. fr. . Iul. or. . a. Eun. VS . . f. Auch Himerios gilt die Medizin als etwas originär Griechisches (im Gegensatz zu den Barbaren): Him. or. , Z. f. Umgekehrt hatte beispielsweise Clemens von Alexandria den Griechen die Erfindung der meisten Künste abgesprochen und sie für die Barbaren in Anspruch genommen. Für ihn ist die Medizin eine Erfindung der Ägypter, die Asklepios nur ausgebaut habe (Clem. str. . [PG , a]). Vgl. auch die mit Besorgnis gestellte Frage, wie es habe geschehen können, daß man eine so hilfreiche Erfindung wie die Heilkunst Nichtchristen verdanke, bei Ps.-Just. qu. et resp. (PG , b/c). Iul. Gal. fr. , e: [. . .] ἐργασάμενος παρ’ ὃν ἔζη χρόνον ἔργον οὐδὲν ἀκοῆς
ἄξιον, εἰ μή τις οἴεται τοὺς κυλλοὺς καὶ τυφλοὺς ἰάσασθαι καὶ δαιμονῶντας ἐφορκίζειν ἐν Βηθσαιδᾷ καὶ ἐν Βηθανίᾳ ταῖς κώμαις τῶν μεγίστων ἔργων εἶναι (»[. . .] er vollbrachte, solange er lebte, kein nennenswertes Werk, es sei denn, jemand glaubt, daß es zu den bedeutendsten Taten zählt, in den Dörfern Bethsaida und Bethania die Lahmen und Blinden geheilt und Besessenen Dämonen ausgetrieben zu haben.«). Eun. VS . . –. . ; Iul. ep. .
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den wie πραότης und μεγαλοψυχία anstrebt, spiegelt sich nicht minder im Erziehungsprogramm des Oreibasios wider . Für die paganen Autoren erschöpft sich Medizin jedoch nicht in wissenschaftlicher Rationalität, sondern sie besitzt ebenso eine religiöse, übernatürliche Seite, ohne daß die Spannung zwischen diesen beiden Polen als problematisch empfunden würde. In den Augen des Libanios war es völlig selbstverständlich, im Krankheitsfalle sowohl Ärzte zu konsultieren als auch seine Zuflucht zu magischen Praktiken und der heilenden Kraft der Götter zu nehmen. Insbesondere wenn die Schulmedizin keine Linderung verschaffen konnte, setzte Libanios seine Hoffnungen auf Gebete und den direkten Kontakt mit Asklepios oder befragte Wahrsager wegen eines Heilmittels. Auch wenn mitunter eine gewisse innere Distanz zu den Auskünften von Astrologen anklingt, steht es für Libanios außer Zweifel, daß Krankheiten und Heilungen nicht ausschließlich rational zu erklären sind, sondern von übernatürlichen Mächten beeinflußt werden . So spricht aus zahlreichen seiner Briefe, in denen er immer wieder auf seine Gicht und Kopfschmerzen zu sprechen kommt, ein unerschütterlicher Glaube an die Macht des Asklepios und anderer Götter über das menschliche Wohlergehen . Und gewiß kommt auch Libanios’ persönliche Ansicht zum Vorschein, wenn er in einem Progymnasma die Medizin in einer Reihung als die größte der Gaben der Götter bezeichnet und die guten Ärzte als Nachfolger des Archegeten Asklepios . Daß Libanios mit seiner Ansicht, die Medizin sei direkt auf Asklepios zurückzuführen, keine Ausnahme bildet, zeigen einzelne Stellen aus den Reden des Himerios , insbesondere aber Julians bereits erwähnte Schrift gegen die Galiläer. Als Julian über die Kommunikation der Menschen mit den Göttern Orib. Coll. med. inc. . . Für besonderes Aufsehen sorgte es, als in Libanios’ Vorlesungsraum ein offenbar zu magischen Praktiken mißbrauchtes totes Chamäleon aufgefunden wurde. Dieses hatten anscheinend Gegner dort deponiert, um ihm zu schaden. Siehe Lib. or. . f. und or. . Vgl. Campbell Bonner: »Witchcraft in the Lecture Room of Libanius«, in: TAPhA , , –; Jean-Benoît Clerc: Homines Magici. Etude sur la sorcellerie et la magie dans la société romaine impériale. (Europäische Hochschulschriften III, ) Bern u. a. , –; Lellia Cracco Ruggini: »Libanio e il camaleonte. Politica e magia ad Antiochia sul finire del IV secolo«, in: Italia sul Baetis. Studi di Storia Romana in memoria di Fernando Gascò, hg. von E. Gabba, P. Desideri und S. Roda. Turin , –. Lib. ep. . ; –; ; ; . Lib. Loc. . – und . Zwar handelt es sich bei dieser Rede Κατὰ ἰατροῦ φαρμακέως um eine Übung für den Schulgebrauch, deren Inhalt nicht ohne weiteres Libanios’ Ansichten widerspiegelt, doch wird in § – ein eindeutig paganes Verständnis von Medizin propagiert, das mit Libanios’ sonstigen Äußerungen harmoniert. Ein zeitgenössischer Leser konnte wohl kaum den Bezug auf die eigene Gegenwart überhören, wenn in § die guten Ärzte als Nachfolger des Gottes, der Prozeßgegner jedoch als Feind der Götter bezeichnet wird. Vgl. auch Eun. VS . . (Oreibasios als Nachahmer des Asklepios). Him. or. . ; . . Asklepios wird hier als Wohltäter der Menschheit dargestellt, der die Medizin auf der ganzen Erde verbreitet habe.
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spricht, hebt er die Bedeutung des Asklepios hervor, indem er ihn als das größte Geschenk des Helios und des Zeus bezeichnet. Dieses sei nicht nur Julian selbst eigen, sondern allen Hellenen, seinen Verwandten, gemeinsam. Zeus habe unter den intelligiblen Göttern aus sich selbst heraus Asklepios geschaffen und durch das Leben des zeugenden Helios ihn der Erde gezeigt. Asklepios sei vom Himmel zur Erde hinabgekommen und habe sich bei Epidauros einartig (ἑνοειδῶς) in Gestalt eines Menschen gezeigt. Dann habe er sich selbst vervielfältigt und durch Reisen seine heilende rechte Hand über die ganze Erde ausgestreckt. Er sei überall zu Lande wie zu Wasser und komme nicht zu jedem einzelnen von uns, aber richte die Seelen auf, die sündig seien (ψυχὰς πλημμελῶς διακειμένας), und die kranken Körper . Julian führt die Erfindung der Medizin auf Asklepios zurück und sieht den Gott als gleichzeitig zum seelischen wie körperlichen Wohl wirkenden Heiler. Während Jesus keine nennenswerten Taten vollbracht habe, habe Asklepios schon oft bei Julian selbst seine heilenden Fähigkeiten unter Beweis gestellt, wofür sich der Kaiser auf Zeus als Zeugen beruft. Da Julian erkannt hatte, daß Christus als Heilandsfigur eine Antwort auf die Suche vieler Menschen nach Rettung und Heil gab, setzte er ihm, abgesehen von Herakles , Asklepios als Heiland entgegen, wofür er sich auf das traditionelle Bild des Gottes stützen konnte . Ähnlich wie die Philosophie von den Göttern herkommt, gründet sich auch die ihr verwandte medizinische Wissenschaft auf eine menschenfreundliche Gabe der Götter, so daß später in Eunaps Augen Medizin und Philosophie die zwei Seiten eines einzigen Phänomens bilden, nämlich des θειασμός . Denn wie die Philosophie göttlich inspiriert und gotterfüllt ist, so beruhen anscheinend medizinische Prognosen auf göttlicher Offenbarung . Von dem religiösen Ursprung der Medizin leitet sich ihr spezifischer Nutzen ab, den sie den Menschen bringt. Ihre Aufgabe ist nämlich weit mehr, als nur die körperliche Gesundheit zu erhalten; die Seelen der Menschen rettet sie ebenso, da Asklepios zusammen mit den Musen und anderen Göttern die Seelen erzieht oder, wenn sie fehlgeleitet sind, sie wieder aufrichtet . Helios, der nach Julian im Kosmos Asklepios hevorbringt, sorgte für die Gesundheit und σωτηρία Iul. Gal. fr. , a/b. Zu Herakles als Heilandsfigur siehe Iul. or. . a. Darüber hinaus ließ sich Julian selbst als Heiler der Welt feiern: Lib. or. . (Julian als zweiter Asklepios, der Tote wiederauferweckt); Him. or. . . Zu dieser medizinischen Metaphorik siehe auch unten S. . Vor Julian hatten bereits Celsus und Porphyrios Asklepios als Heiland Christus gegenübergestellt. Or. Cels. . ; Porph. Chr. fr. v. Harnack = Berchman; vgl. auch Porph. fr. F, Z. – Smith. Malley (1978) –, –; Croon (1986) –; Athanassiadi (1992a) –; Sardiello (1998) –; Finamore (1998). Eun. VS . . f. Ebenso konnten Christen Ärzte und Heilmittel als Gabe ihres Gottes beanspruchen: Chrys. hom. in Col. . (PG , ). Iul. Gal. fr. , b; fr. , b.
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aller, indem er den Heilgott als Retter des Alls (σωτὴρ τῶν ὅλων) erschuf . Dem universalen Anspruch des Christentums begegnet Julian, indem er denselben für seine Heilandsfigur Asklepios behauptet. Obgleich bei Libanios in diesem Zusammenhang die Stoßrichtung gegen das Christentum fehlt, steht auch für ihn außer Frage, daß die Medizin, da sie sich der Menschenfreundlichkeit der Götter verdankt, der allgemeinen, nicht allein gesundheitlichen σωτηρία dient, so daß der Arzt als philanthropischer Wohltäter überall geachtet ist . Als ethisch vorbildlicher Philosoph ist der Arzt mithin nicht nur für das körperliche Wohlbefinden der Menschen verantwortlich, sondern kümmert sich, als Mittler der Gaben des Asklepios, auch um das Seelenheil seiner Patienten . Diese Vorstellung findet ihren Niederschlag darin, daß Oreibasios in seinen Collectiones medicae der Diätetik einen bedeutenden Platz einräumt, als dem medizinischen Bereich, in dem der Arzt eindeutig auch als ethischer Lehrer auftritt . Indem Julian und die anderen Autoren die Medizin mit Hilfe der drei vorgestellten Kategorien der Wissenschaftlichkeit, der religiösen Grundlagen und des spezifischen Nutzens zu positionieren versuchen, legen sie sie als eine genuin pagane bzw. hellenische Disziplin fest. Da die Heilkunst sowohl in ihrer rational-wissenschaftlichen Ausprägung als auch in ihrer übernatürlichen Form letztlich auf eine Gabe der Götter zurückgeht, kann der wahre Arzt ebenso wie der wahre Philosoph nur ein Hellene sein. Was abweichend von diesen Prämissen betrieben wird, verdient nicht den Namen der Medizin. Der Punkt, auf den es bei dieser Festlegung oder Verengung der Heilkunst ankommt, ist die Überlegenheit. Nicht allein die göttlichen Quellen der Medizin, sondern auch die Art und Weise, Medizin zu betreiben, und nicht zuletzt der universale Nutzen, den sie verspricht, erweisen die Überlegenheit des paganen Götterkultes über konkurrierende Konzepte. Hierbei muß auch berücksichtigt werden, daß die Christen des vierten Jahrhunderts, soweit sie sich mit Medizin befaßten, weit mehr auf die geübte Praxis, d. h. die karitative Fürsorge, Wert legten als auf eine wissenschaftlich-theoretische Durchdringung . So waren weit bis ins fünfte Jahrhundert hinein in den Hospitälern ausschließlich Laien tätig, und eine Ausbildung konnte man in diesen Institutionen nicht erhalten . Sicherlich ist es kein Zufall, daß die medizinischen Autoren weiterhin ausschließlich Hei Iul. or. . b/c und b. Lib. ep. . ; Loc. . f. Aufschlußreich ist eine Stelle aus dem Prosphonetikos, wo Libanios das segensreiche Wirken Julians zur Rettung der Welt mit der Auferweckung von Toten durch Asklepios vergleicht (or. . ). Die σωτηρία aller zu gewährleisten ist in Libanios’ Augen also eine medizinische Aufgabe, und Julian als alter Aesculapius ist ein Heilgott. Der Diätetik gewidmet sind die Bücher –. Vgl. Sardiello (1998) f. Ferngren – Amundsen (1995) –. Bezeichnenderweise spricht Basileios in ep. im Hinblick auf die Hospitäler nur von Pflegenden und Heilenden (νοσοκομοῦντες, ἰατρεύοντες), nicht von Ärzten. Temkin (1991) –.
. Hellenische Medizin
den waren . Gegenüber dieser Beschränkung auf die Praxis betont Julian mit seinem Ansatz, den man fast als medizinisches Programm bezeichnen könnte, die Verbindung von Praxis und Theorie. Einerseits versucht er, durch den Auftrag an Oreibasios, das medizinische Wissen zu kodifizieren und verfügbar zu machen, andererseits bemüht er sich, indem er unverkennbar christliche Maßnahmen imitiert, eine pagane Fürsorge für Kranke und Arme zu etablieren, wie aus programmatischen Briefen hervorgeht . Deshalb war es für Oreibasios so wichtig, die wahren Ärzte von den sich ausschließlich auf Erfahrung stützenden Scharlatanen abzugrenzen. Hätte Julian die Zeit gehabt, diese Pläne in die Tat umzusetzen, so wäre in seinen Augen auch auf diesem Gebiet die Überlegenheit der paganen Medizin selbst den einfachen, bedürftigen Menschen vermittelt worden. Zieht man überdies Julians Gesetzgebung heran, mit der er auf die Bedingungen ärztlicher Praxis Einfluß zu nehmen suchte, wird vollends deutlich, welche zentrale Rolle die Medizin innerhalb der Strategie spielte, hellenische Identität gegen konkurrierende Positionen zu festigen und eine überlegene Führungsrolle zu beanspruchen. Hier ist nicht nur daran zu denken, daß der Kaiser unter Hinweis auf seine φιλανθρωπία die Ärzte von den Kurialenpflichten befreite, wie es bereits seine Vorgänger getan hatten . Vielmehr muß auch das sogenannte Rhetorenedikt berücksichtigt werden , da es sich mit der Reglementierung des öffentlichen Lehrberufs vermutlich auch auf die städtisch angestellten Ärzte erstreckte, sofern sie die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses übernahmen . Diese Maßnahme war offensichtlich darauf angelegt, den Berufsstand der öffentlichen Ärzte auf Julians Programm einer hellenischen Erneuerung einzuschwören. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Johannes Chrysostomos davon berichtet, daß unter Julians antichristlichen Maßnahmen neben Sophisten und Rhetoren auch Ärzte zu leiden gehabt hätten . Wollte man nicht tatenlos zusehen, wie das Christentum sich die vermeintlich genuin pagane Medizin aneignete, wie es etwa mit der Philosophie geschah, Daß Oreibasios ebenso wie später Aëtios oder Paulus von Aigina die christliche Krankenfürsorge ignorierte, war zum einen durch seine klassizistische Ausrichtung bedingt, zum anderen sicherlich auch Resultat der spezifisch paganen Konzeption von Medizin. Vgl. van Minnen (1995) f. Iul. ep. b. a–b; . c–c. Siehe dazu Kap. ... CTh . . mit Iul. ep. b. Auf das Gesetz nimmt auch Lib. ep. bezug. Erhalten sind zwei ähnliche Edikte Konstantins (CTh . . f.). Pack (1986) –. Dazu näher Kap. .. Vgl. Bidez (1924) Anm. . Skeptisch hingegen Germino (2004) –. Zu den städtischen Ärzten siehe Vivian Nutton: »Archiatri and the Medical Profession in Antiquity«, in: PBSR , , – (zum griechischen Osten –). Chrys. pan. Juv. (PG , ): ἰατροὺς καὶ στρατιώτας καὶ σοφιστὰς καὶ ῥήτο-
ρας ἅπαντας ἀφίστασθαι ἐπιτηδευμάτων ἢ τὴν πίστιν ἐξόμνυσθαι ἐκέλευσεν (»Er befahl, daß alle Ärzte, Soldaten, Sophisten und Rhetoren entweder ihren Beruf aufgeben oder ihrem Glauben abschwören sollten.«).
Auf der Suche nach Identität
war es erforderlich, sie so zu definieren, daß sie sich von der hellenischen Identität nicht trennen ließ. Die Medizin wurde zu einem Instrument der ideologischen Auseinandersetzung, dessen sich Heiden wie Christen gleichermaßen bedienen konnten . In diesem Konkurrenzkampf mußte man versuchen, eine Antwort auf die Fragen zu geben, wem die Medizin gehöre und wie genau sie zu bestimmen sei. In einer Epoche, in der die Suche nach dem persönlichen und nach dem kollektiven Heil von großer Bedeutung war, konnte man es sich nicht leisten, der Medizin, also der Disziplin, die für die σωτηρία sowohl des Körpers als auch der Seele sorgte, nur geringe Beachtung zu schenken. Selbst dort, wo es nicht um eine unmittelbare Konfrontation ging, war die Heilkunst in all ihren Facetten ein überaus geeignetes Mittel, die eigene Identität zu bestimmen. Während Julian die Collectiones medicae des Oreibasios offenkundig als Instrument des Konkurrenzkampfes intendierte, bildete die auf Asklepios zurückgeführte Heilkunst für Libanios ein ganz selbstverständliches Element paganer Identität, zumal man das menschenfreundliche Wirken der Götter hier direkt am eigenen Leibe erfahren konnte. Was die Medizin für die Selbstdefinition der Heiden so attraktiv machte, war das andernorts bereits beobachtete Ensemble aus Religion, Ethik, Bildung und Wissenschaft, das überdies fest in der klassischen Tradition verankert war und noch dazu ein Heilsversprechen für jeden einzelnen barg. Obwohl dieses Konzept sicherlich alles andere als innovativ war, da es sich von Archegeten wie Galen herleitete, bildete gleichwohl die Methode, die Medizin in dieser Weise für die Identitätsstiftung zu instrumentalisieren, ein Novum, das so erst nach den Umbrüchen des vierten Jahrhunderts denkbar war. Welche Bedeutung diesem Konzept zukam, läßt sich ermessen, wenn man sich vor Augen hält, daß Oreibasios und Eunap noch lange nach Julians Tod daran festhielten. Allein der immense Umfang der Collectiones medicae legt die Vermutung nahe, daß das Werk nicht mehr zu Julians Lebzeiten abgeschlossen wurde, auch wenn die Widmungsvorrede zumindest auf eine partielle Publi Man vergleiche etwa den Brief des Isidor von Pelusion an Oreibasios, in dem er erklärt, daß die Medizin den Körper, die Philosophie aber die Seele heile. Zwar beherrsche Oreibasios das eine bereits, doch solle er sich selbst heilen und dadurch die Gesundheit erlangen, deren er noch ermangele. Ohne sie sei er weder der beste Arzt noch ein wahrer Philosoph (ep. . [PG , a/b]). Abgesehen davon, daß hier der pagane Götterglaube als Krankheit und das Christentum als heilsam dargestellt werden, kann für Isidor nur ein Christ der perfekte Arzt von Körper und Seele sein. Daß die Auseinandersetzungen um die Medizin auch handgreifliche Formen annehmen konnten, zeigt die Zerstörung aller Kultbilder des Asklepios in Pergamon; Nutton (1985) . Vgl. auch die Vernichtung des Asklepiosbildes in Beroia (Lib. or. . f.) und des Asklepieions in Aigai. Konstantin hatte in Aigai das Heiligtum verwüsten lassen, was Euseb als Sieg des Heilands Christus über den Heilgott Asklepios interpretierte. Julian ließ später die zweckentfremdeten Säulen des Tempels dem Asklepiospriester zurückerstatten (Eus. v. C. . ; Lib. or. . ; ep. . f.; Zonar. . [PG , c–a]). Nutton (1985) f. Zur Substitution paganer Heilgötter durch christliche Heilige siehe auch Croon (1986) –.
. Eine Religionsgemeinschaft?
kation unter Julians Regierung hindeutet. Auch nachdem Julian gefallen war, behielt Oreibasios seine Widmung und den expliziten Hinweis auf Julians geistige ›Urheberschaft‹ bei, um sein Werk für alle Zeiten mit der hellenischen Erneuerung des Kaisers zu verknüpfen. So erklärt es sich auch, daß er noch einmal Julians Auftrag betonte, als er die Synopsis für seinen Sohn Eustathios zusammenstellte. Und in einer Zeit, als das Christentum sich anschickte, mit Unterstützung der Staatsgewalt den paganen Götterkult zu unterdrücken, griff Eunap in seinen Viten das Konzept Julians, der selbst als einigendes Band das Werk zusammenhält, auf, indem er Oreibasios und Ionikos als dessen herausragende Repräsentanten verklärte.
. Eine Religionsgemeinschaft? Im Laufe der Jahrhunderte, in einem von kontroversen Diskussionen begleiteten Prozeß, hatte sich das Christentum von der paganen Kultur auf den Gebieten von Philosophie, Rhetorik, Literatur und Medizin angeeignet, was mit den christlichen Dogmen vereinbar war. Gleichwohl schien, wenn man die Schriften christlicher Autoren heranzieht, eine von gegenseitiger Achtung geprägte Koexistenz mit den Heiden, wie man sie aus der anderen Richtung etwa in Themistios’ panegyrischen Reden findet , kaum möglich . Denn so, wie Julian in seiner Schrift Gegen die Galiläer die Religion als unüberwindbares Hindernis ins Zentrum rückte, betonten auch etwa Gregor von Nazianz oder Theodoret den Glauben als entscheidendes Merkmal, das einen wirklichen Dialog unmöglich machte . Wollte man in einer Zeit, als das Christentum selbst seine Rolle in Staat und Gesellschaft neu definieren mußte, die eigene Identität bestimmen und wahren, schien es unumgänglich, sich möglichst scharf von Häresien und dem Heidentum abzusetzen. Es versteht sich von selbst, daß den Christen kaum daran gelegen war, innerhalb des Heidentums zwischen verschiedenen Richtungen – etwa einer eher traditionellen Frömmigkeit, monotheistischen Strömungen und neuplatonisch geprägter Theurgie – zu differenzieren. Vielmehr kam es darauf an, ein einheitliches Bild der Heiden zu zeichnen, dessen Charakteristika der Glaube an zahlreiche Dämonen, die Opferpraxis, magische Praktiken und das Festhalten an moralisch fragwürdigen Mythen waren. Handelte es sich um ein reines Heterostereotyp, wenn Christen die Religion zum Siehe dazu Kap. .. Zu einer konzilianteren Haltung christlicher Autoren gegenüber der heidnischen Umwelt Fiedrowicz (2001) –. Siehe beispielsweise Eus. p. e. . . –; Gr. Naz. or. . –; Theodorets Schrift ῾Ελληνικῶν θεραπευτικὴ παθημάτων (CPG ). Fiedrowicz (2001) –; zu Johannes Chrysostomos siehe Sandwell (2007). Vgl. die Beiträge in Athanassiadi – Frede (1999), bes. die Einleitung –, und Fürst (2006).
Auf der Suche nach Identität
entscheidenden Definiens erklärten, an dem sich heidnische Identität festmachen ließ, oder gründeten auch die paganen Autoren ihr Selbstverständnis auf ihre religiösen Überzeugungen? Bestand unter den Heiden selbst die Tendenz, Unterschiede zu überdecken, um ein gemeinsames Wertefundament zu legen, das breit genug war, um divergierende Positionen zu tragen, andererseits aber von konkurrierenden Konzepten deutlich genug geschieden war? Nachdem wir bisher schon beobachtet haben, wie der pagane Götterkult Raumvorstellungen und das Gebiet der Bildung durchdringt, soll nun im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, mit welchen Verfahren die Autoren die Religion um ihrer selbst willen zu einem identitätsstiftenden Merkmal erheben . Einen besonders günstigen Zugang zur Konstruktion heidnischer Identität verspricht das umfangreiche Briefcorpus des Libanios, das, wenn auch aus Sicht eines einzelnen Schreibers, Einblick in die sozialen Kontakte zwischen Gebildeten gewährt und deren Überzeugungen offenlegt. Zwar korrespondierte Libanios auch mit Persönlichkeiten, die er insgeheim ablehnte oder verachtete oder denen er geistig eher fernstand, doch machen einen Großteil der Sammlung Schreiben aus, die er mit Gesinnungsgenossen austauschte, wobei es sich sehr häufig um Empfehlungsschreiben für Schüler und Bekannte handelt . Unverkennbar ist, daß dieser Briefwechsel weit mehr dem sozialen und geistigen Zusammenhalt diente als der bloßen Informationsübermittlung . Denn was die reine Mitteilung von Fakten angeht, enttäuschen die Briefe oftmals. Wichtiger war es, sich gegenseitig der geteilten sozialen, moralischen und ästhetischen Überzeugungen zu versichern, indem man sich beispielsweise literarische Erzeugnisse übersandte, diese dann wiederum kommentierte oder sich allgemein über Bildung und Kultur unterhielt. Ein Thema, das sich durch das ganze Corpus hindurchzieht, ist die Religion, auch wenn sie keineswegs immer den jeweiligen Brief dominiert. Bisweilen sind es nur Anspielungen auf Götter und ihre Wirkungsbereiche, die en passant in die Briefe einfließen . Andere Stücke der Sammlung jedoch geben Auskunft darüber, daß Libanios anders als sein von ihm verehrter Kaiser in Religionsfragen kein Eiferer war. So korrespon Das Verhältnis von Religion und Identität bei Julian und Libanios zu bestimmen unternimmt Limberis (2000), doch beschränkt sie sich weitgehend darauf, die Religionspolitik des Kaisers und das Religionsverständnis des Libanios zu beschreiben. Wie in den literarischen Werken Identität in religiösen Kategorien konstituiert wird, berücksichtigt sie nicht ausreichend. Zu den einzelnen Adressaten vgl. die Einträge bei Seeck (1906), Petit (1994) und Bradbury (2004b). Zu den Empfehlungsschreiben für Schüler Cribiore (2007) –. Zu Libanios’ Briefkontakten siehe Bradbury (2004a) und Kelly (2004) –, f.; zum Motiv der Freundschaft in den Briefen Scott Bradbury: »Reflections on Friendship in Libanius’ Letters«, in: Mélanges A. F. Norman, hg. von Á. González Gálvez und P.-L. Malosse. (Τόποι Suppl. ) Paris , –. So des öfteren die λόγιοι θεοί und Hermes als Schutzpatrone der Beredsamkeit: Lib. ep. . ; . ; . ; . ; . ; . ; . ; . ; or. . .
. Eine Religionsgemeinschaft?
dierte er nicht nur mit christlichen Verwandten und Bekannten oder auch mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinde Antiochias in freundschaftlichem Ton , sondern er setzte sich brieflich ebenso dafür ein, daß unbescholtene Christen während der Herrschaft Julians keinen ungebührlichen Repressalien ausgesetzt wurden . Von besonderem Interesse sind hier jedoch die Briefe, die er an pagane Gesinnungsgenossen richtete. Des öfteren beklagt Libanios ihnen gegenüber Angriffe der ›Gottlosen‹ oder den Vandalismus von Mönchen gegen Götterstatuen, wobei er schon durch die Wortwahl voraussetzt, daß seine Adressaten den Christen ebenso ablehnend gegenüberstehen wie er selbst . Ziel ist auch hier nicht so sehr die Mitteilung der Ereignisse als vielmehr der Ausdruck der eigenen Gefühle, des Kummers und der Betrübnis. Da es Aufgabe des antiken Freundschaftsbriefes war, Einblick in die Seele des Schreibers zu gewähren und ein emotionales Band zwischen den Korrespondenten zu knüpfen, steht bei diesen Schreiben die Absicht im Vordergrund, sich angesichts solcher Übergriffe gegenseitig des Beistandes zu versichern und Trost zu spenden. In anderen Fällen zollt Libanios Lob oder spricht Ermunterungen aus, sobald sich seine Freunde aktiv für die pagane Sache engagieren. Er teilt seine Freude darüber mit, daß Bakchios eine Feier für Artemis ausrichtet ; er freut sich, wenn ein Die angeheirateten Verwandten Thalassios und dessen Söhne Thalassios und Bassianos waren Christen. Siehe ep. ; . Vgl. PLRE , s. v. Thalassius ; , s. v. Thalassius ; , s. v. Bassianus (mit Stemma auf S. ); Petit (1994) und Petit (1955) f., (mit Stammbaum der Familie). Siehe etwa ep. an Libanios’ ehemaligen Schüler Amphilochios, den Bischof von Ikonion. Zu den christlichen Adressaten von Libanios’ Briefen vgl. den Überblick von Elizabeth G. Burr: »Libanius of Antioch in Relation to Christians and Christianity. The Evidence of Selected Letters«, in: Mélanges A. F. Norman, hg. von Á. González Gálvez und P.-L. Malosse. (Τόποι Suppl. ) Paris , –. Siehe ep. an den jüdischen Patriarchen Gamaliel. Dieser war Libanios allerdings auch dadurch verbunden, daß er in der griechischen Literatur bewandert war (ep. . ; . ) und daß sein Sohn Libanios’ Unterricht besuchte (ep. ). In ep. geht es vermutlich um christliche Ausschreitungen gegen Juden (Norman (1992) Bd. , ), das heißt, Libanios verband mit dem Adressaten auch das gemeinsame Leiden unter christlichen Übergriffen. Hier ist besonders Libanios’ Engagement für den Christen Orion zu nennen. Er versuchte zu intervenieren, als der heidnische Statthalter von Arabien Belaios / Orion unter Druck setzte. Nach Libanios’ Angaben hatte sich Orion unter der christlichen Herrschaft gegenüber den Heiden nichts zuschulden kommen lassen. Siehe ep. und . Wie weitere Briefe zeigen, war Libanios’ Eintreten für einen zivilisierten, gemäßigten Umgang mit Christen kein Einzelfall: ep. ; ; . f.; ; ; . Er setzte sich auch für Manichäer ein (ep. ). Zu Libanios’ Äußerungen über Christen und Juden vgl. Sandwell (2007) –. Lib. ep. ; . ; . Vgl. ferner . . Lib. ep. (von ). Libanios schildert hier detailliert den Bericht von der Feier, den er von dem Überbringer des Briefes erhalten hatte. Abschließend wünscht er, daß der Adressat seinen Söhnen das Priesteramt vererben möge und daß Land und Meer alle Zeit die Rückkehr der Opfer genießen sollen.
Auf der Suche nach Identität
geraubtes Kultbild wiedergewonnen wird, und beglückwünscht den Adressaten zur Übernahme eines Priesteramtes . Ebenso nimmt er es mit Wohlwollen auf, wenn Amtsträger für den Kult und damit für eine Anhebung der Sitten sorgen und so Anhänger für den paganen Götterkult gewinnen . Offensichtlich lag es den gebildeten Heiden am Herzen, sich über solche Erfolge auszutauschen und sich gegenseitig dafür Anerkennung zu zollen. So ist es auch zu verstehen, daß Libanios selbst daran gelegen ist, als Förderer des Kultes wahrgenommen zu werden . Doch nicht allein das nach außen sichtbare religiöse Engagement verdient Aufmerksamkeit; gleichermaßen lobenswert ist es, wenn Freunde literarisch tätig werden und Gedichte oder Reden auf die Götter verfassen. Diese Produkte schickt man sich gegenseitig und erwartet eine wohlwollende Aufnahme . Beispielsweise sendet Libanios seinem Freund Demetrios die Monodie auf Daphne zu, um seinem eigenen Kummer über den Brand des Tempels Ausdruck zu verleihen und den Adressaten zum Mitleiden zu bewegen (ep. . f.). Denn ohne Zweifel wird Demetrios in seinem Dankesbrief nicht nur die literarische Qualität der Rede gewürdigt, sondern ebenso seine tiefe Trauer über den Verlust des Heiligtumes bekundet haben. All diese Äußerungen (in den nicht erhaltenen Schreiben der Adressaten dürfte natürlich ähnliches gestanden haben) legen beredtes Zeugnis dafür ab, daß die Religion für die Gebildeten im Umkreis des Libanios eine fundamentale Gemeinsamkeit war, eine geteilte Überzeugung, die zu wesentlichen Teilen ihre Identität bestimmte. Es war ihnen unverkennbar wichtig, in einer Zeit, da ihre religiösen Anschauungen nicht mehr unangefochten waren, sich über räumliche Distanz hinweg dieser gemeinsamen Haltung zu versichern und stets aufs neue dieses einigende Band in Erinnerung zu rufen . Gerade weil in diesem Umfeld der pagane Götterkult angefeindet wurde, schien es den Korrespondenten erforderlich, immer wieder ihr Eintreten für diesen zur Sprache zu bringen. Daß es darum ging, die religiöse Einigkeit der Gruppe zu verbalisieren, zeigen auch zahlreiche Äußerungen in den Briefen zur Erfahrung göttlicher Präsenz. Sei es, daß Tyche hilfreich Lib. ep. . (Rückgewinnung eines Kultbildes); . (Glückwunsch zum Priesteramt). Lib. ep. . f.; . . Wie ep. . und . deutlich zeigen, unterrichtete man sich gegenseitig über solche Aktivitäten. In ep. . (, an Maximus) betont Libanios ausdrücklich die vorbildhafte Wirkung für zögerliche Heiden, wenn ein gewisser Pythiodoros die Götter eifrig verehre und ihnen opfere. Vgl. auch die Benachrichtigung über zahlreiche Opfer in ep. . . Lib. ep. . . In ep. . teilt er dem Adressaten mit, daß er dessen Brief las, als er zusammen mit anderen im Dionysosheiligtum ein Fest beging. Vgl. ep. . , wo Libanios seinem Bedauern Ausdruck verleiht, nicht an Gebeten und Opfern teilnehmen zu können. Lib. ep. . ; . –. Ein Beispiel dafür, wie man – neben der literarischen Kultur – die Verehrung der Götter gegenüber Gesinnungsgenossen als Argument verwenden konnte, ist Lib. ep. an Fortunatianus (aus dem Jahre ). Der Adressat soll Philipp unterstützen, weil dieser eifrig geopfert habe und dafür nun Angriffen ausgesetzt sei. Vgl. auch das Lob der standhaften Anhänglichkeit an den Götterkult in ep. .
. Eine Religionsgemeinschaft?
eingreift, sei es, daß der Gott den bettlägerigen Hierophanten wieder wie einen Jüngling tanzen läßt: aus solchen Briefen spricht das Bedürfnis, sich gegenseitig zu bestätigen, daß die Kraft der paganen Götter nicht nachläßt . Das eigene Leben in all seinen Facetten wird von den Göttern beeinflußt. Diese Gemeinsamkeit bindet die Briefpartner zu einer Gruppe zusammen und setzt sie zugleich von denen ab, die als Gottlose außen stehen. Welche Bedeutung der Religion für die Identität sowohl des Individuums als auch der Gruppe zukam, beleuchten mehrere Empfehlungsschreiben des Libanios, mit denen er für Bekannte und Schüler Vergünstigungen bei einflußreichen Persönlichkeiten zu erwirken suchte. Libanios mußte es glaubhaft machen, daß der Bittsteller sein Freund sei und daher auch die Freundschaft des Adressaten verdiene, der dieselben Überzeugungen wie Libanios teile. Was sich als Empfehlungsgrund durch fast all diese Schreiben zieht, ist, wie man es bei Libanios’ Beruf erwarten kann, die Bildung bzw. das herausragende rhetorische Können . Des öfteren aber hebt Libanios hervor, daß es sich bei dem Empfohlenen um einen überzeugten Heiden handele . Neben die Bildung tritt also die untrennbar mit ihr verwobene pagane Religion, die das Ansehen des Bittstellers in den Augen des Gebetenen erhöhen soll. Ähnlich ging Libanios auch vor, als er mit or. bei Julian um die Rehabilitation des Aristophanes bat. Auch dort verdient sich Aristophanes das Wohlwollen des Kaisers hauptsächlich durch seine unbeugsame Treue zum paganen Götterkult . Julian selbst geht dann so weit, Freundschaft geradezu als Resultat des gemeinsamen Glaubens aufzufassen . Nach Ausweis der Briefe des Libanios und Julians bildet der pagane Götterkult, verbunden mit der klassischen Bildung, die Grundlage, auf der die Gemeinschaft der Hellenen beruht. Ob zwischen einzelnen Heiden Unter Lib. ep. . und (Tyche); . f.; . (Gott hat den bettlägerigen Hierophanten tanzen lassen); . (Götter helfen Celsus bei einer Rede); . ; . f.; . (Konsulat als Geschenk der Götter). Siehe ferner or. und zum Einfluß der Tyche und der Artemis auf Libanios’ Schicksal. Vgl. auch ep. an Themistios, wo es heißt, daß der Adressat allen Freund sei, die den Göttern lieb seien. Daß es Libanios um die Identität der Gruppe geht, zeigt auch seine Unterscheidung von ›uns‹ und den ›anderen‹, d. h. Christen: or. . ; . ; ep. . ; . ; . . Beispielsweise Lib. ep. ; ; ; ; ; . Lib. ep. . und ; . ; . ; ; evtl. . . Vgl. . und . , wo ein Verwandter des Empfohlenen für seine Gottesfürchtigkeit gelobt wird. Lib. or. . , f., –, . Schon Aristophanes’ Vater Menander sei religiös konservativ gewesen und beim paganen Götterkult geblieben ( f.). Aristophanes selbst habe sich in die Eleusinischen Mysterien (, , ), den lokalen Sarapiskult () und die Mysterien des Dionysos zu Lerna einweihen lassen (). Libanios strebt offensichtlich danach, die religiösen Überzeugungen als Hauptcharakterzug des Empfohlenen herauszustellen. Iul. ep. , an den Philosophen Eustathios. Die Freundschaft zwischen ihnen beruhe auf παιδεία und der περὶ τοὺς θεοὺς εὐσέβεια. Julian hatte Eustathios zuvor mit ep. zu sich nach Konstantinopel berufen. Siehe ferner ep. und . Vgl. auch Libanios’ Äußerungen über seine Freundschaft mit Richomer in ep. . und or. . .
Auf der Suche nach Identität
schiede in der Gottesvorstellung oder der Kultpraxis bestehen, wird nicht thematisiert. Ziel ist es allein, sich gegenseitig der Gemeinsamkeit und des Beistandes zu versichern und die Gruppe zusammenzuschließen. Besonders deutlich kommt dieses Anliegen in einem Brief zum Ausdruck, kurz nachdem Julian Alleinherrscher des Reiches geworden war : Ζῶμεν ὑπὸ τῶν θεῶν σωθέντες· ὑπὲρ ἐμοῦ δὲ αὐτοῖς θῦε τὰ χαριστήρια· θύσεις δὲ οὐχ ὑπὲρ ἑνὸς ἀνδρός, ἀλλ’ ὑπὲρ τοῦ κοινοῦ τῶν ῾Ελλήνων. εἰ δέ σοι σχολὴ καὶ μέχρι τῆς Κωνσταντίνου πόλεως διαβῆναι, τιμησαίμην ἂν οὐκ ὀλίγου τὴν σὴν ἐντυχίαν. Wir leben, von den Göttern gerettet. Bringe ihnen für mich das Dankopfer dar! Du wirst dabei nicht für einen einzelnen Mann opfern, sondern für die Gemeinschaft der Hellenen. Wenn du Zeit hast, auch nach Konstantinopel überzusetzen, würde ich der Begegnung mit dir nicht wenig Wert beimessen.
Julian sieht hier eindeutig die Hellenen als eine Einheit, eine Gruppe, die durch die religiösen Überzeugungen geeint wird. Ihr stehen, was nicht explizit gesagt wird, sich aber aus der Situation der Konfrontation mit Constantius erklärt, offenbar dessen Anhänger gegenüber, die nicht am Hellentum teilhaben und nicht von den Göttern begünstigt werden. In Julians Augen definiert die religiöse Haltung die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Soll die Religion als identitätsstiftendes Charakteristikum für die Gruppe der Heiden fungieren, so darf sie nicht beziehungslos neben den übrigen entscheidenden Merkmalen stehen. Insbesondere ist hier das Verhältnis zu Kultur und Bildung relevant, die, wie wir gesehen haben, einen weiteren Pfeiler hellenischen Selbstverständnisses ausmachen. Schon wenn Libanios seinem Freund Demetrios die Monodie auf Daphne übersendet, so lassen sich Religion und literarische Kultur nicht voneinander trennen, da der Adressat, abgesehen von der Trauer über den Tempelbrand, auch Libanios’ schriftstellerische Leistung adäquat würdigen soll . Welch enge Verbindung Kultur und paganer Götterkult in Libanios’ Augen eingehen, zeigen zahlreiche weitere Briefe, die er an gebildete Heiden richtete. Neben den Briefen an den Philosophen Priscus und an Akakios ist ein Schreiben aufschlußreich, das Libanios im Jahre
Iul. ep. , an Eutherios. Der Brief muß kurze Zeit nach Julians Ankunft in Konstantinopel verfaßt worden sein. Der Eunuch Eutherios gehörte bereits in Gallien zu Julians Vertrauten. Vgl. Amm. . . – und PLRE f., s. v. Eutherius . Lib. ep. . In § weist Libanios ausdrücklich darauf hin, daß es eben auch um die literarisch-stilistische Seite geht. Die literarische Kultur bildet das Leitmotiv in der Korrespondenz zwischen Libanios und Demetrios. Letzterer hatte übrigens bei dem erwähnten Artemisfest des Bakchios die Festrede gehalten. Hier läßt sich mithin ein Freundeskreis greifen, dessen Mitglieder durch Bildung und Religion einander verbunden waren. Lib. ep. . Lib. ep. ; ; ; , wo es jeweils um die Verbindung von Götterverehrung und literarischer Kultur geht.
. Eine Religionsgemeinschaft?
an Postumianus, einen Angehörigen der Oberschicht Roms, richtete . Der Brief ist nicht allein deshalb interessant, weil er – neben einem an Q. Aurelius Symmachus gesandten Brief – bezeugt, daß zumindest lose Kontakte zwischen gebildeten Heiden des Ostens und des Westens bestanden, sondern auch deswegen, weil Libanios hier Religion und griechische Bildung zu einer Einheit verschmilzt. Der Umstand, daß Postumianus einen lateinisch abgefaßten Brief gesandt hatte, veranlaßt Libanios zu Komplimenten für dessen an der griechischen Kultur orientierte Bildung. Postumianus habe die griechische Sprache erlernt und sein Herz mit Homer, Hesiod, Demosthenes, Lysias und weiteren Dichtern und Rednern gefüllt. Ebenso sei er in griechischer Historiographie bewandert (§ f.). Gleichzeitig mit dem den ganzen Brief durchziehenden Lob der Bildung stellt Libanios eine Verbindung mit dem Adressaten her, indem er die gemeinsame Religion betont. Gleich zu Beginn bekundet er, daß die alles sehenden Götter Postumianus’ Brief als Trost für den Verlust des Sohnes Kimon geschickt hätten; und am Ende betet Libanios zu den Göttern, sie möchten ihm eine persönliche Begegnung mit dem Adressaten schenken (§ und ). Explizit werden die beiden Themen Bildung und Religion dann zusammengeführt, wenn Libanios die Beredsamkeit durch die göttliche Abstammung des Postumianus erklärt (§ ): τουτὶ δὲ κοινὸν ἁπάσης οἰκίας, ᾗ θεοὶ πρόγονοι, τὸ δ’ ἄγαν τῆς ὑμετέρας γενεᾶς (»Dies [Beredsamkeit] ist charakteristisch für jede Familie, die Götter zu ihren Vorfahren zählt, die herausragende Beredsamkeit jedoch ist Sache eures Geschlechts.«). Er sieht hier offensichtlich eine Gemeinschaft aller vornehmen Familien, die auf dem Fundament paganer Religion und klassischer Bildung beruht . Während es Libanios’ Anliegen in den Briefen ist, durch gegenseitige Bestätigung und Ermunterung den Zusammenhalt der hellenischen Gruppe zu stärken, dienen seine Reden, abgesehen von anderen Intentionen, dazu, das Weltbild dieser Gemeinschaft nach außen zu repräsentieren. Einige von ihnen bringen genau die eben beobachtete unauflösliche Verknüpfung von Religion und Kultur oder Zivilisation zur Sprache. Beispielsweise hält er vor seinen versammelten Schülern ein Enkomion, in dem er die Kalenden als dezidiert paganes Fest verteidigt . Daß für Libanios die paganen Feste mehr bedeuteten als säku Lib. ep. (von ). Zum Adressaten siehe PLRE f., s. v. Postumianus und Petit (1994) . Lib. ep. von . Siehe Bruggisser (1990). Norman (1992) II Anm. i hingegen ist der Ansicht, es gehe hier ausschließlich um »cultural preeminence«. Lib. or. . Siehe insbesondere § und . Daß das Publikum aus Schülern bestand, zeigt die Anrede νέοι in § . Eine Datierung der Rede ist unmöglich. Welche Bedeutung dem Kalendenfest für die heidnische Identität zukam, zeigt sich auch daran, daß sowohl Johannes Chrysostomos als auch Asterios von Amaseia es bekämpften (Chrys. kal. [PG , –]; Ast. hom. ). Für die Annahme, Asterios reagiere direkt auf Libanios’ Rede, existieren keine Anhaltspunkte. Siehe Martin (1988) . Vgl. auch Sandwell (2007) f.
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laren Zeitvertreib, zeigte sich auch, als er im Winter / gegen den Antrag des Proklos einschritt, das sogenannte Plethron zu vergrößern . Er fürchtete nämlich um die Reinheit und Exklusivität paganer Feste, die er bedroht sah, falls dieser Austragungsort für Ringkämpfe beim Fest der Olympien ausgedehnt würde. Welche Bedeutung er den Olympien beimißt, zeigt sich schon daran, daß er sie in ihrem früheren Zustand, was die Würde angeht, mit den Mysterien vergleicht . Daß Libanios dem Fest gleichsam kultischen Rang zuerkennt, machen dann § – deutlich, wo er erörtert, daß eine große Volksmenge der Würde des Festes abträglich sei. Als Analogie verweist er auf Feiern im Apollonheiligtum von Daphne, wo nur Männer zugelassen seien, während Frauen außerhalb bleiben müßten. Dadurch sei Daphne heiliger. In Libanios’ Augen ist also die Erweiterung des Plethrons und damit die Vergrößerung der Zuschauermenge gleichbedeutend mit einer Profanierung der Olympien . Den deutlichsten Ausdruck fand Libanios’ Überzeugung von der Einheit der Religion und Kultur in der Rede Für die Tempel, als er in den er Jahren Kaiser Theodosius bzw. einflußreiche Persönlichkeiten an dessen Hof zu bewegen versuchte, für den Schutz heidnischer Tempel gegen christliche Übergriffe einzutreten . Wie er bereits im Antiochikos den paganen Götterkult als essenti Lib. or. . Proklos, der Sohn des Tatianos, war comes Orientis –. Libanios verhielt sich ihm gegenüber sehr fragwürdig: Während er ihm in Briefen schmeichelte, fällte er im nachhinein in seinen Reden ein äußerst ungünstiges Urteil über seine Amtsführung. In der Autobiographie behauptet Libanios, er habe seine Abneigung gegen Proklos offen gezeigt. Siehe or. . ; –. Kritik auch in or. . –. Vgl. Petit (1955) f.; Petit (1994) –; Swain (2004) –; Wintjes (2005) –. Lib. or. . . Auch aus ep. geht hervor, daß es Libanios bei den Olympien um die Religion geht. Daß die Olympien für Libanios primär sakralen Charakters waren, zeigt auch or. . . Petit (1983a) datierte die Rede auf das Jahr . Ebenso Romano (1982) –. Wiemer (1995b) – nimmt als Entstehungszeit die Jahre – an. Seiner Ansicht nach verfaßte Libanios die Rede zwar noch in der Amtszeit des Prätorianerpräfekten Kynegios, der in der Rede ohne Namensnennung angegriffen wird, publizierte sie aber zunächst nicht, sondern wartete, bis mit der Präfektur des Heiden Tatianos bessere Zeiten angebrochen waren. Libanios habe mit der Rede Tatianos auffordern wollen, die Heiligtümer zu schützen. Wiemer sieht das von Tatianos erwirkte Gesetz, das Mönchen den Aufenthalt in Städten verbot (CTh . . ), als ein Resultat von or. . Allerdings ist zu bedenken, daß es Libanios ja eher um das Wüten der Mönche auf dem Lande ging. Romano (1982) f. geht davon aus, daß die Rede in Anbetracht ihrer antichristlichen Polemik nur vor einem paganen Publikum, eventuell sogar nur vor Libanios’ Schülern und Freunden, vorgetragen werden konnte. Berry – Heath (1997) nehmen nur private Lektüre und Zirkulation in einem begrenzten Leserkreis an. Ernesti (1998) hält es hingegen für möglich, daß die Rede tatsächlich dem Kaiser vorgelegt wurde; ähnlich schon Liebeschuetz (1972) Anm. . Zur Einordnung von or. in die zeitgenössischen Diskussionen über Tempelzerstörungen siehe Klein (1993) und Gaddis (2005) –. Zu christlichen Angriffen gegen Tempel siehe ferner McLynn (2009) –. Die Plünderung und Zerstörung von Heiligtümern beklagt Libanios auch or. . und . ; sieher ferner Iul. Gal. fr. .
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ell für die kulturelle Identität einer ganzen Stadt dargestellt hatte , so gründet er nun die gesamte griechisch-römische Zivilisation auf die pagane Religion. In einer knapp ausgeführten Kulturentstehunglehre legt er dar, daß die Menschen seit Anbeginn ihrer Geschichte Heiligtümer errichtet hätten . Zur städtischen Kultur gehörten außer den Stadtmauern unabdingbar ἱερά und νεῴ, denen die Menschen ebenso wie den Mauern den Schutz ihrer Stadt zuschrieben . Was für die Städte gelte , sei erst recht auf dem Lande der Fall, dessen Seele geradezu in den Tempeln liege , da sich einerseits die Landbevölkerung bei allen Verrichtungen an die Götter wende, andererseits die christliche Verwüstung der Heiligtümer den Niedergang des Landes herbeiführe . Libanios erweckt den Anschein, als seien Tempel und pagane Feste wichtige Zivilisationsinstrumente gerade für die unteren Bevölkerungsschichten (§ f.; ). Nicht vergessen werden darf hierbei der ästhetische Wert der Tempelbauten und Götterbilder, in dem die künstlerischen Errungenschaften griechischer Kultur augenfällig werden . Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß Libanios zufolge das Wohlergehen des Römischen Reiches vom Fortbestand des paganen Götterkultes abhängt . Je gewalttätiger Christen, insbesondere Mönche, gegen heid Lib. or. . –, –, , –. Zur Konstruktion Antiochias als paganer Stadt siehe auch unten S. –. Lib. or. . f. Die Vorstellung von den Göttern und ihre Verehrung etablieren sich bereits zusammen mit den ersten Kulturtechniken der noch primitiv lebenden Menschen. Libanios betont auch die Universalität des paganen Götterkultes, indem er behauptet, daß es überall unter den Menschen Heiligtümer gegeben habe. Selbst in Konstantinopel existierten noch Tempel, auch wenn sie nicht geehrt würden. Christliche Autoren hingegen verbreiteten die Ansicht, daß Konstantin seine neue, christliche Hauptstadt ohne Tempel gegründet habe (Eus. v. C. . ; Aug. civ. . ). In or. . – unterstreicht Libanios ebenfalls die Verbreitung der Kalenden in der gesamten römischen Welt. Auch in or. . heißt es, daß die Sicherheit der Städte in der Verehrung der Götter liege. In einer organischen Metapher drückt Libanios aus, daß die Tempel zum σῶμα der Städte gehören (§ ), das heißt, wer Tempel zerstört, gefährdet das Leben der Städte. Zum Götterkult als Fundament für das Leben der Städte vgl. auch ep. . f. (in bezug auf Emesa) und . Lib. or. . f., . ψυχὴ γάρ, ὦ βασιλεῦ, τοῖς ἀγροῖς τὰ ἱερὰ προοίμια τῆς ἐν
τοῖς ἀγροῖς κτίσεως γεγενημένα καὶ διὰ πολλῶν γενεῶν εἰς τοὺς νῦν ὄντας ἀφιγμένα (§ , »Die Seele nämlich, mein Kaiser, sind dem Lande die Heiligtümer, die das Vorspiel zur Ansiedlung auf dem Lande gewesen und durch viele Generationen hindurch bis auf die heute Lebenden gekommen sind.«). Im übrigen zieht sich durch die ganze Rede das Alters- bzw. Traditionsargument, dessen sich Christen wie Heiden in ihren Kontroversen bedienten. Während der pagane Götterkult seit Anbeginn der Menschheit besteht, ist das Verhalten der christlichen Randalierer etwas unerhört Neues. Lib. or. . f., , f. Libanios unterscheidet im übrigen in dieser Rede genau zwischen den ungesetzlichen christlichen Angriffen, die er verurteilt, und der offiziellen antipaganen Gesetzgebung, die er als unabänderlich hinnimmt. Siehe Sandwell (2005) –. Lib. or. . . Siehe auch or. . . Lib. or. . , –, f.
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nische Heiligtümer vorgingen, desto tiefer sinke das Reich. Die christlichen Randalierer beweisen durch ihr zügelloses Benehmen, daß sie an der Zivilisation keinen Anteil haben , indessen alle militärischen Erfolge und die kulturelle Blüte den Göttern und Julian zu verdanken sind . Demselben Tenor folgt auch die Rede über die Rache für den ermordeten Julian . Da paganer Götterkult und Bildung bzw. Kultur für Libanios Hand in Hand gehen, ist es nur folgerichtig, daß Constantius als Kaiser, der den Niedergang herbeiführt, sich sowohl gegen die Tempel als auch gegen die Vertreter der παιδεία versündigt . Offenbar läßt sich beides nur zusammen denken. Während in der Forschung oftmals hervorgehoben wird, daß Libanios an religiösen Fragen nur wenig interessiert sei und sich seine Bemerkungen zur Religion weitgehend auf die unter Gebildeten üblichen Anspielungen beschränkten , haben seine Briefe und Reden hier ein anderes Bild gezeichnet, obgleich er ohne Zweifel dem religiösen Eifer Julians fernsteht. Für Libanios steht unumstößlich fest, daß griechische Identität zu einem erheblichen Teil durch den gemeinsamen Götterkult konstituiert wird, und zwar in einer Symbiose mit der klassischen Bildung. Die Religion ist für ihn ebenso wie für Julian sowohl ein individuelles Kennzeichen des einzelnen als auch ein kollektives Charakteristikum der ganzen Gruppe. Bezogen auf die eigene Gemeinschaft, dient der Rekurs auf die Verehrung der Götter als Mittel, den Zusammenhalt untereinander zu festigen und das gemeinsame Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. Wie die Reden belegen, ist es Libanios aber ebenso wichtig, nach außen zu demonstrieren, daß die Heiden eine einige, homogene Gruppe bilden, die nach wie vor über gesellschaftliches Gewicht verfügt. Zudem läßt er keinen Zweifel daran, daß die pagane Gemeinschaft allen konkurrierenden Gruppen überlegen ist, da sie die kulturellen Werte vertritt, die das Reich groß gemacht haben. Wäre die pagane Identität selbstverständlich und unangefochten gewesen, hätte es sich vermutlich erübrigt, so häufig das einigende Band der Götterverehrung zu beschwören. Wie aber die Situationen, in denen Libanios auf dieses Merkmal Bezug nimmt, bezeugen, sei es die Niedergeschlagenheit nach Julians Tod angesichts christlicher Anfeindungen, sei es der Tempelbrand Lib. or. . . Sie zeichnen sich aus durch ὕβρις, παροινία, κέρδος und τὸ μὴ βούλεσθαι κατέχειν αὑτούς. Zu Libanios’ Bild christlicher Mönche siehe oben Anm. . Dieser Tendenz entsprechend muß Libanios dann auch Julians Perserzug zum Erfolg umdeuten: or. . ; . . Lib. or. passim, bes. § –, , –. Lib. or. . –. Christentum und Bildungsfeindlichkeit erscheinen hier als die zwei Kennzeichen der Regierung des Constantius. Ihm hält Libanios dann Julians Herrschaft entgegen. Siehe beispielsweise Petit (1955) f. (»une religion de professeur«) und Pack (1986) –. Pack zufolge zeigte sich Libanios »im Grunde religiös indifferent« und vermochte seine »kleinliche Rhetorenperspektive« nicht aufzugeben (). Vgl. den Überblick bei Quiroga Puertas (2007) – und Sandwell (2007) –.
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von Daphne, seien es von den christlichen Kaisern offenbar geduldete christliche Übergriffe, waren es insbesondere kritische Momente, die Anlaß gaben, den eigenen Standpunkt zu bestimmen und sich deutlich von der Gruppe der Gottlosen zu distanzieren. Seinem Athener Kollegen Himerios widerfuhr insofern dasselbe Schicksal wie Libanios, als man auch in seinem Œuvre vergeblich nach einer deutlich paganen Ausrichtung suchte, obgleich sein Engagement für Julians Politik unbestritten ist. Es scheint, als hätte der Sophist seine Reden, abgesehen von einer Ansprache auf Julian, von polarisierenden Äußerungen in Religionsfragen weitgehend freigehalten und sich lediglich des durch die Tradition sanktionierten literarischen ›Götterapparates‹ bedient . Eine genauere Analyse der erhaltenen Reden ergibt hier jedoch ein anderes Bild. Was Himerios’ Vorträge in den Augen moderner Leser so unattraktiv machte und einer eingehenden Beschäftigung im Wege stand, war ihre offensichtliche Gedankenarmut und Inhaltsleere. Die Reden schienen lediglich Schaustücke rhetorischer Fertigkeiten zu sein, ohne daß der Gegenstand, an dem man dieses Können demonstrierte, eine Rolle gespielt hätte. Nun hatten wir oben diesen Eindruck, was den Entwurf einer kognitiven Landkarte angeht, korrigieren können, und schon die Tatsache, daß Himerios erfolgreich als Lehrer wirkte und überdies zu zahlreichen öffentlichen Anlässen sprechen durfte, legt die Vermutung nahe, daß seine Reden durchaus wichtige Funktionen erfüllten, mochten diese auch nicht in der Mitteilung von Informationen bestehen. Einen ersten Hinweis vermögen die Gelegenheiten zu geben, bei denen Himerios auftrat . Ein Großteil der zumindest fragmentarisch erhaltenen Reden ist im Kontext des Schulbetriebes in Athen entstanden: Himerios trat vor seine Schülergemeinde, um neue Schüler zu empfangen , andere zu verabschieden oder um seinen Schulbetrieb wiederaufzunehmen . Weitere Anlässe für Vorträge waren besondere Einschnitte im Leben von Schülern wie etwa Geburtstag und Hochzeit oder auch der Abschied des Lehrers, wenn er sich auf Reisen begab (or. ). Zu diesen aus der Schule hervorgegangenen Reden treten die öffentlichen Vorträge, die Himerios meist vor hohen Beamten, aber auch für Kaiser hielt , sei es zum Lobpreis einer Stadt, sei es zur Begrüßung des Adressaten, sei es zur Ausrichtung eines großen Festes oder eines Redeagons. Was die meisten dieser Gelegenheiten eint, ist, daß es sich um Vgl. die Einschätzung bei Hans Gärtner: Art. »Himerios«, in: RAC , , –, hier . Vgl. Völker (2003) –. Him. or. ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; –. Him. or. ; ; . Him. or. ; ; . Him. or. (Geburtstag); und (Hochzeit). Himerios’ Rede auf Konstantinopel (or. ) ist zugleich ein Panegyricus auf Julian. Vermutlich traf Himerios Julian in Konstantinopel, bevor dieser nach Antiochia abreiste. Siehe Barnes (1987) . Außerdem hielt er eine Lobrede auf Constantius ( fr. . ) und einen weiteren Panegyricus auf Julian (or. , verloren).
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festliche Anlässe handelt, die häufig mit einem bestimmten Zeremoniell verbunden waren. Es versammelte sich jeweils eine Gemeinschaft, die unter Himerios’ Führung in einem festlichen Rahmen einen neuen Schüler oder einen Beamten willkommen hieß, Hochzeiten feierte oder ein kultisches Fest beging, auch wenn zu bedenken ist, daß sich das Publikum der Schulreden von dem großen Auditorium der öffentlichen Vorträge unterschied. In einigen Fällen, nämlich bei der Aufnahme neuer Schüler, der Verabschiedung, der Hochzeit und dem Geburtstag, kann man sogar regelrecht von rites de passage sprechen, da die Versammlungen und Reden hier wichtige Einschnitte im Leben der Betroffenen markierten, die mit einer Statusänderung einhergingen. Jedenfalls aber handelte es sich um Gelegenheiten, die in besonderem Maße zur Vergewisserung einer Gruppenidentität geeignet waren. Die Gemeinschaft versammelte sich in affirmativer Grundhaltung, um einen festlichen Anlaß zu begehen, und Himerios’ Aufgabe war es, die gemeinsamen Vorstellungen und Werte zum Ausdruck zu bringen. Wenn überhaupt, so ist hier nach einer Funktion dieser epideiktischen Reden zu suchen. Der herausgehobenen Bedeutung und Festlichkeit der Anlässe trägt Himerios dadurch Rechnung, daß er seine Rede in eine möglichst erhabene sprachliche Form kleidet. So begnügt er sich nicht damit, auf den Wortschatz der klassischen Prosa und die attizistische Rhetorik zurückzugreifen, sondern er bedient sich des öfteren einer poetischen Diktion, flicht immer wieder dichterische Zitate in seine Vorträge ein und stilisiert die Reden nachgerade zur Dichtung , so daß Eduard Norden nicht ganz unberechtigt von »Poesie in scheinbarer Prosa« gesprochen hat . Nicht vergessen werden darf hier außerdem, daß Himerios seine Prosa rhythmisiert . Seine Vorträge waren demnach durch den sprachlichen Code weit aus dem Alltag herausgehoben und unterstrichen so die Festlichkeit der Gelegenheiten. Diesen Festcharakter seiner Reden läßt Himerios um so deutlicher hervortreten, als er sich oftmals nicht einfach poetischer Zitate bedient, um den Stil seiner Rede anzuheben, sondern gerade auf solche poetischen Gattungen rekurriert, deren Sitz im Leben das Fest, häufig das kultische Fest bildete. Stets aufs neue stilisiert er nämlich seine Vorträge zu den Liedern eines Simonides oder Pindar vergleichbaren Chordarbietungen und setzt die gegenwärtige Vortragssituation mit der Festesfreude chorlyrischer Aufführungen in eins . Seinem Selbstverständnis nach folgen seine Reden nicht Dementsprechend bezeichnet Himerios seine Profession als Musenkunst: or. . ; . und ; . f.; . ; . ; . . Vgl. . . Zu Himerios’ Verfahren, Dichtung in Prosa zu transponieren, siehe Stenger (2008) (mit weiterer Literatur). Norden (1915) . Siehe auch Völker (2006) und Penella (2007) –. Hörandner (1981) –. Him. or. . ; . f.; . ; , Z. –; . ; . . Himerios spricht auch davon, daß er zur Leierbegleitung auftrete: or. , Z. ; . ; . ; . . Seine Schüler sind dann der Musenchor: or. . . Him. or. . . Dementsprechend ruft Himerios bisweilen die Musen um Beistand an: or. . ; . ; . ; . ; . .
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so sehr den Meistern klassischer Prosa als vielmehr Paianen und anderen Kultliedern , worauf er durch die geradezu ubiquitäre musikalische Terminologie aufmerksam macht . Welche Aufführungssituation er imaginiert bzw. vor dem inneren Auge seines Publikums erstehen läßt, kann die Schlußpassage aus seiner . Rede beleuchten : νῦν δὲ | πᾶσα μὲν ἐπὶ σοὶ κινεῖται] Σειρήν, πᾶσα δὲ hσὲi βάρβιτός τε καὶ λύρα φθέγγεται, δῆμοι δὲ ᾄδουσι καὶ πόλεις τὰ σά. νῦν | ἄπεισι θεωρὶς ὁλκ]ὰς εἰς ∆ῆλον, ᾿Αττικὸν ἄγουσα τῷ θεῷ χορὸν καὶ οἷον καὶ Θησέα λόγος στῆσαι μετὰ Κρήτην ᾿Απόλλωνι· | ὁ δὲ δὴ ὕμνος ἔστω τῷ] χορῷ, τόνδε ἄρχειν ἐπὶ πλεῖστον ῾Ελλήνων. ταυτί σοι παρ’ ἡμῶν, ὦ φίλη θεοῖς κεφαλή, προσῇσται | τὰ νῦν, εἰ δὲ νεύοι τὴν χάριν ὁ] ∆ήλιος, καὶ τέλειον ἐκτίσω τὸ χρέος. Jetzt regt sich für dich jede Sirene, jede Barbitos und Leier erklingt, die Völker und Städte besingen deine Taten. Jetzt fährt das Festschiff nach Delos ab, das dem Gott den attischen Chor bringt, wie ihn Theseus der Überlieferung nach dem Apollon nach dem Kretaaufenthalt eingerichtet hat. Das aber sei der Hymnos für den Chor, daß dieser Mann hier möglichst lange über die Griechen herrsche. Dies, den Göttern liebes Haupt, haben wir in diesem Augenblick für dich gesungen; wenn aber der Gott von Delos die Gunst erweist, werde ich meine Schuld vollständig begleichen.
Wie die Chorlyrik in den Kult eingebunden war und aus ihm hervorging, so unterläßt es auch Himerios nicht, beständig in Erinnerung zu rufen, daß seine poetisierten Reden ihr Dasein dem Götterkult verdanken. Während etwa Anrufungen der Götter oder der Musen auch in der Rhetorik nicht weiter auffallen, da sie zum Standardrepertoire jedes Redners gehören, unterscheidet sich Himerios dadurch von seinen Berufskollegen, daß er seine Vorträge immer wieder in den Rang kultischer Handlungen erhebt. Wenn er eine Rede auf einen hohen Beamten hält, so bringt er ein Opfer dar, wenn er einen Schüler verabschiedet, so sendet er diesen dem Gott als Erstlingsgabe . Indem er mehrfach seine Adressaten mit Göttern parallelisiert , gleicht er sein Enkomion einem Kultlied an, das auf den Gott gesungen wird. Seine Reden sind Gebete . Handelte es sich hierbei jeweils nur um Vergleiche und Analogien, so könnte man diese Verfahren als Mittel der Auxesis und damit als übliche rhetorische Technik betrachten. Indessen nimmt Himerios keineswegs immer durch Analogien und ähnliches Bezug auf den Kult, sondern stilisiert seine Rede als kultische Handlung: Sie ist nicht einem Opfer ähnlich, sondern sie ist ein Opfer, wie die performative Sprache, deren er sich bedient, deutlich macht . Him. or. . ; . . Siehe Völker (2003) –. Him. or. . . Angesprochen wird hier der proconsul Achaiae Cervonius. Nach der Rekonstruktion von Barnes (1987) könnte er das Amt / innegehabt haben. Him. or. . ; . ; . ; . ; . . Him. or. . ; . f. Vgl. . ; . und sowie den beinahe hymnischen Anruf an den Adressaten in . . Him. or. . . . : οἴκοι πρῶτον ταῖς Μούσαις θύσωμεν – λόγοι δὲ ἄρα θυσία Μουσῶν –, καὶ ἀπὸ τῆς ἔνδον ἑστίας τῶν ἱερῶν ἀπαρξώμεθα (»Zu Hause wollen wir zuerst
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Vollends augenfällig wird diese kultische Performanz, wenn man sich eine Eigenheit der himerianischen Reden näher besieht, nämlich die das gesamte Corpus durchziehende Mysterienterminologie . Kaum eine der auch nur halbwegs erhaltenen Reden entbehrt einer Anspielung auf Mysterien oder einschlägiger Begriffe . Da Mysterien in seinen Augen einen unersetzlichen Teil griechischer Kultur bildeten – er selbst war in die des Mithras eingeweiht –, durften sie auch in dem Panorama hellenischer Bildung nicht fehlen, das Himerios in seinen Reden entwirft. Bisweilen spielt er nur auf die Mysterien in vergangenen Zeiten an , häufig sieht er aber auch den gegenwärtigen Anlaß in Parallele zu einer Einweihungsfeier. Wie der Hierophant sich nach langer Zeit den Mysten zeigt und sich freut, daß sie die Einweihung begehren, so tritt Himerios selbst vor sein Publikum, um es in die Bildung einzuweihen . Seinen Reden bzw. seinem Unterricht verleiht Himerios den Rang von Mysteriengeheimnissen, die sich über die Masse erheben und den ungeweihten Seelen unsichtbar sind , und so betrachtet er es als seine Aufgabe, mit Hilfe der bereits erfahrenen Schüler, die als Mystagogen fungieren, die Neuankömmlinge bis zur Schau des Heiligtumes zu führen (or. . ). Auch im Hinblick auf die Mysterien gibt sich Himerios nicht mit Analogien und Vergleichen zufrieden, sondern er bedient sich einer performativen Sprache, um seine Vorträge und seinen Unterricht mit den Mysterien zu verschmelzen. Den Höhepunkt, was die Performanz betrifft, markiert der Schluß einer Rede, die Himerios vor seinen Schülern hielt, als er nach der Genesung von einer Verwundung seinen Lehrbetrieb wiederaufnahm (or. . –). φέρε οὖν πρὸ τελετῆς καὶ ἀνακτόρων, ἅ τε ποιεῖν θέμις ἅ τε μὴ ποιεῖν, κηρύττωμεν. ἀκουέτω πᾶς μύστης καὶ ἐπόπτης ἀνήρ. σφαῖρα μὲν ἐρρίφθω χεροῖν, γραφεῖον δὲ ἔστω τὸ σπούδασμα· κεκλείσθω μὲν παλαίστρας παίγνια, ἀνοιγέσθω δὲ τὰ τῶν Μουσῶν ἐργαστήρια· ἄφες τὸν στενωπόν, οἰκούρει πλέον καὶ γράφε· μίσει πάνδημον θέατρον, δὸς ἀκοὴν θεάτρῳ κρείττονι· τρυφὴ δὲ καὶ χλιδὴ πόνων ἀλλότρια· αὐχμῶν μοι φαίνου καὶ
den Musen opfern – Reden sind ja Opfer für die Musen –, und am Herd im Innern wollen wir mit den heiligen Handlungen beginnen.«). Ferner or. , Z. –; , Z. – und f.; . ; . ; . . Wenig erhellend dazu Völker (2003) –. Zur Verwendung von Mysterienterminologie in der kaiserzeitlichen und spätantiken Rhetorik siehe Korenjak (2000) –, der eine typologische Analogie zwischen Mysterien und Rhetorik sieht. Die sophistische Rhetorik werde zu einem quasireligiösen Akt. Siehe auch Sluiter (1999) –. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß die Mysterien, soweit sie sagbar waren, anscheinend ein übliches Thema rhetorischer Übungen bildeten. Bei Sopater sind sie eines der Beispiele für Deklamationen (Sopat. Rh. p. . –. [Rhetores Graeci ]). Riedweg (1987) f. mit Anm. . Siehe or. . . Him. or. . ; . ; . ; . ; . . Him. or. . ; , Z. f. Him. or. , Z. –; , Z. – und f.; . ; . ; . ; . ; . .
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τρυφῆς κρείττων γενόμενος. τουτὶ τὸ κήρυγμα καὶ οὗτος ὁ νόμος πολὺς ἐν βραχέσι τοῖς ῥήμασιν. ὑμῶν δὲ ὅστις μὲν ἀκούει καὶ πείθεται, πολὺν ἠχήσει τὸν ῎Ιακχον· τῷ δὲ ἀπειθοῦντι καὶ παρακούσαντι κρύψω τὸ πῦρ καὶ κλείσω λόγων ἀνάκτορα. κοινὸν μὲν πάντων τὸ κήρυγμα, μάλιστα δὲ ἔστι πρὸς ὑμᾶς, ὦ νέοι, τοὺς ἀρτιτελεῖς τε καὶ νέον παρ’ ἡμᾶς ἥκοντας, ὧν τὸν μὲν ᾿Αργαῖος ἔπεμψεν, ὑφ’ ᾧ γένος ἐμὸν χρυσοῖς βλαστάνει τοῖς ὅρπηξι, τὸν δὲ Γαλατῶν δῆμοι καὶ πόλεις, πρώτην ταύτην τὴν ἀποικίαν παρὰ τοὺς λόγους ἐκπέμψασαι. ἥκουσι δέ τινες ἐπὶ μυστηρίῳ καὶ ποταμῷ Καΐκῳ γείτονες, ὃν χρυσοῖς οἶμαι τότε κυμῆναι τοῖς νάμασιν, ὅταν ἀφ’ ἡμῶν εἰς αὐτὸν ἡ ξυνωρὶς αὕτη πορεύηται. ἔστι δέ τις ἄρα ἐν μύσταις καὶ Νειλῷος χορός, ὃν ἀπ’ ᾿Ιλισσοῦ Μουσῶν κοσμήσαντες στέμμασιν Αἰγύπτῳ σὺν λύρᾳ πέμψομεν, ἵν’ ᾿Αττικοῖς σείστροις ὑμνήσῃ τὴν Νείλου θάλατταν. ἡ μὲν οὖν πρόρρησις καὶ δὴ προείρηται· ἡμεῖς δὲ ἱερὰ μύσταις καὶ ἔργῳ καὶ λόγῳ φαίνωμεν. Wohlan nun, vor der Weihung und vor dem Eintreten in den Tempel wollen wir verkünden, was zu tun erlaubt ist und was nicht. Jeder Myste und Epopte soll zuhören! Der Ball soll aus den Händen gelegt werden, dem Schreibwerkzeug gehöre der Eifer! Geschlossen sein sollen die Spiele der Palaistra, geöffnet werden sollen die Werkstätten der Musen! Laß die Gasse, bleibe mehr im Hause und schreibe! Verabscheue das gemeine Theater, gib Gehör dem besseren Theater! Schwelgerei und Wohlleben passen nicht zu Mühen. Zeige dich mir wissensdurstig und der Schwelgerei überlegen! Dieser Erlaß und dieses Gesetz sagen viel in wenigen Worten. Wer aber von euch hört und gehorcht, der wird den Iakchos laut ertönen lassen. Dem aber, der nicht gehorcht und dies nicht hören will, werde ich das Feuer verbergen und den Tempel der Reden verschließen. Gemeinsam ist allen der Erlaß, besonders aber betrifft er euch, ihr Jünglinge, die ihr eben erst eingeweiht wurdet und jüngst erst zu uns gekommen seid; den einen von euch sandte Argaios , zu dessen Füßen mein Geschlecht entsprießt mit goldenen Schößlingen, den anderen die Völker und Städte der Galater, die diese Kolonie als erste zu den Reden entsandten. Einige sind wegen der Mysterien auch aus der Nachbarschaft des Kaikos-Flusses gekommen, der, wie ich glaube, dann mit goldenen Fluten anschwillt, wenn dieses Zweigespann von uns zu ihm reist. Es ist ja auch unter den Mysten ein Chor vom Nil, den wir mit Kränzen der Musen vom Ilissos schmücken und nach Ägypten mit einer Leier schicken werden, damit er mit attischen Sistren das Meer des Nils rühmt. Die Proklamation ist nun vorweggesprochen. Laßt uns mit Wort und Tat den Mysten die heiligen Geheimnisse zeigen!
Es ist kaum zu übersehen, daß der gesamte hier zitierte Passus von einem Netz aus Mysteriensprache überzogen ist und beinahe jeder Mysterienterminus auf die Schulsituation verweist. Himerios spielt geradezu das Zeremoniell der πρόρρησις nach, er scheint den Ritus gemäß den Vorschriften zu vollziehen, obgleich er einfließen läßt, daß Rhetorikunterricht den Kontext bildet, nicht Überliefert ist an dieser Stelle Αἰγαῖος, was jedoch nicht zum Kontext paßt. Gottlieb Wernsdorf konjizierte den hier gebotenen Wortlaut. Gemeint wäre demnach ein Berg namens Argaios, der in Himerios’ Heimat Bithynien liegen müßte. Über diesen ist freilich nichts weiter bekannt. Kaum gemeint sein kann der gleichnamige Berg in Kappadokien. Siehe Penella (2007) Anm. . Handschriftlich überliefert ist οἴστροις (Codex R). Die Konjektur stammt von Gottlieb Wernsdorf ().
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die realen Mysterien . Während Libanios seinen Schulbetrieb nur vereinzelt als Mysterienweihung darstellt , inszeniert Himerios seinen Unterricht beständig als sakrales Ereignis. Den Charakter einer Inszenierung unterstreichen nicht zuletzt die theatralen Elemente der jeweiligen Situation, nämlich die Versammlung eines Akteurs und eines Publikums in einem theaterartigen Raum, der Applaus der Zuschauer, das Rollenspiel, wenn Himerios als Hierophant auftritt, und die Erschaffung einer imaginären Welt durch ›Wortkulisse‹ . Der Redner will nicht bloß durch eine Analogie auf ein Wesensmerkmal seiner Bildungsmission aufmerksam machen, sondern er schafft, indem er durch performative Sprache eine Wesensgleichheit zwischen sakralem Ritual und Unterricht behauptet, eine Realität. Statt den Rhetorikunterricht als Mysterienweihung nur zu beschreiben bzw. kommentierend zu sprechen, erzeugt Himerios durch einschlägige Terminologie und den wiederkehrenden Gebrauch von Imperativen eine imaginäre Situation, deren Grenzen zur Wirklichkeit verschwimmen. Die sakralen Handlungen scheinen sich im Augenblick des Sprechens abzuspielen oder werden als unmittelbar bevorstehende angekündigt. Offensichtlich versteht Himerios seine Reden weniger als Vorträge für die rhetorische Ausbildung denn als Aufführungen, Handlungen, ja Rituale. Tatsächlich von Ritualen zu sprechen gestatten die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen den himerianischen Reden und dem Vollzug religiös-kultischer Rituale bzw. Riten . Da Himerios vor seiner Schülerschar stets aufs neue Mysterien mit derselben Terminologie inszeniert, handelt es sich um geregelte, wiederholte Handlungen, an denen eine Gruppe beteiligt ist, der Redner als Weihender und die Schüler als Einzuweihende. Diese Interaktion zwischen den Beteiligten findet, wie es bei Ritualen üblich ist, in einem festlichen und feierlichen Rahmen statt und ist durch die kunstvolle Sprache der Reden, aber auch durch Gestik und Mimik des Vortragenden in besonderer Weise ästhetisch ausgezeichnet. Wie viele sakrale Rituale sind auch Himerios’ Vorträge fest institutionalisiert, insofern sie innerhalb der Schule, und das bedeutet auch: an einem festgelegten Ort mit geregeltem Ablauf, oder bei offiziellen Anlässen vorgetragen werden. Zur πρόρρησις siehe Riedweg (1987) –. Literarisch gestaltet wird sie auch Pl. Smp. b–; Tht. e–a; Ar. Ra. –. Siehe ferner Luc. Alex. ; Aristid. Or. . ; Theo Sm. p. , – Hiller; Or. Cels. . . So heißt es in einem Brief, mit dem Libanios etwa / dem Philosophen Maximus Letoios empfiehlt: τοῦ μὲν οὖν αὐτὸν εἰς ῞Ελληνας τελέσαι θεῷ τε καὶ ἡμῖν μελήσει (Lib. ep. . ); siehe auch or. . . Zudem bezeichnet Himerios allenthalben seine Wirkungsstätte als θέατρον: or. . ; . ; . ; , Z. ; . ; . ; . und ; . und ; . und . Zur Theatralik der kaiserzeitlichen Rhetorik vgl. auch Korenjak (2000) f. Zu den Merkmalen von Ritualen siehe Braungart (1996) , f.; Tambiah (2002) f.; Fischer-Lichte (2003); Platvoet (2006) (die hier genannten Kategorien überlappen einander zum Teil deutlich); sowie Bernhard Lang: Art. »Ritual/Ritus«, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, hg. von H. Cancik, B. Gladigow und K.-H. Kohl. Bd. . Stuttgart; Berlin; Köln , –.
. Eine Religionsgemeinschaft?
Indem sie ständig sakral konnotierte Sprache zu Hilfe nehmen, verwischen die Reden, obgleich sie einem per se profanen Anlaß zugehören, die Grenze zwischen profanen und religiös-kultischen Ritualen; der Lehrer wird zum Kultbediensteten. Rituale erschöpfen sich jedoch nicht im bloßen Vollzug. Wie Wolfgang Braungart betont, eignet ihnen schon auf Grund ihrer Wiederholungsstruktur ein affirmativer Charakter . Handlungen werden eingeübt und eben ritualisiert. Das bedeutet aber auch, daß die Teilnehmer durch ihre Interaktion ihre Zustimmung zum Ritual geben und sich durch diese gemeinsame Haltung als Gemeinschaft konstituieren. Indem sie gleichzeitig denselben Regeln gehorchen und damit auch dieselben Werte und Normen teilen, stärken die Beteiligten ihren wechselseitigen Zusammenhalt. Keiner der Anwesenden kann sich den rituellen Handlungen entziehen, ohne sich aus der Gruppe auszuschließen. Über die Affirmation gemeinsamer Werte hinaus sorgen Rituale auch dafür, daß soziale Rollen und Hierarchien eingeübt werden . Sobald sich Himerios und seine Schüler im Unterrichtsraum, also im ›Heiligtum‹, versammeln, um gemeinsam das Ritual des Unterrichts zu begehen, erneuern und bestätigen sie die Hierarchie, in der einer die Führung übernimmt und die anderen ihre Zustimmung ausdrücken. Wer als Schüler dem Vortrag des Lehrers zuhört, gibt von vornherein seine Bereitschaft zu erkennen, dem Redner zu applaudieren und gutzuheißen, was dieser vertritt. Man könnte mithin von einer Inszenierung mit verteilten Rollen sprechen. Himerios selbst hat dafür ein anschauliches Bild gefunden, indem er für die Versammlungen die Metapher des Chores wählt. Lehrer und Schüler treffen sich in perfekter Harmonie . Wenn Himerios gleichsam als Hierophant seine Schüler in die Mysterien der rhetorischen Bildung einweiht, so stiftet er eine Gruppenidentität, die auf einem gemeinsamen Wertefundament beruht. Wer an dem Ritual teilnimmt, erkennt vorbehaltlos den Wert klassischer παιδεία an und bekundet diese Zustimmung bei jedem Vortrag. Wie aber die Ritualisierung unmißverständlich verrät, ist diese Bildung nach Himerios’ Konzept nicht weltanschaulich neutral. Denkbar ist sie allein in Verbindung mit dem paganen Götterkult. Sein Anliegen ist es, die unumgängliche Einheit der Götterverehrung und der traditionellen Bildung durch seine Kulthandlungen gleichsam ad oculos zu demonstrieren . Das von Himerios mehrfach angeführte Beispiel des Sokrates und seiner Braungart (1996) : »Rituale sind Akte der Zustimmung, und sie erfordern ›Zustimmung‹ durch die teilnehmenden Subjekte [. . .] Rituale sind wiederholte kollektive Bestätigungshandlungen.« Vgl. Braungart (1996) –. Him. or. . und ; , Z. ; . ; . ; . und ; . ; . , und ; . . Korenjak (2000) –. Das gleiche gilt, wenn Libanios vor seinen Schülern einen Prosahymnos auf Artemis vorträgt (or. ). Rhetorische Unterweisung und pagane Weltanschauung lassen sich hierbei kaum voneinander scheiden.
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Wirkung auf die athenische Jugend zeigt überdeutlich, daß es ihm nicht um rein formale Bildung zu tun ist, sondern um eine grundsätzliche Änderung der Lebensweise . Wer den klassischen Bildungsgang absolviert, wird ein anderer Mensch und erhebt sich auf eine Stufe, die den Ungeweihten auf ewig verschlossen bleibt. Ebendies ist der Sinn des Mysterienmotivs. Mögen auch christliche Schüler Himerios’ Unterricht verfolgt haben, diese Einheit von paganem Kult und Bildung war für sie inakzeptabel. Daß für ihn die Gemeinschaft der Gebildeten auf dem Fundament der Religion beruhte, verkündete Himerios dann auch explizit in der Öffentlichkeit, als er sich an den Hof Julians nach Konstantinopel begab, um dem Kaiser nach Antiochia zu folgen . Gegen die Zeit christlicher Finsternis setzt der heidnische Kaiser – bezeichnenderweise auch durch Mysterien – sein Programm einer Einheit von paganem Götterkult, Bildung und Moral . Die Bildung als Mysterium zu inszenieren war ein Mittel, sie zu monopolisieren und die Ungeweihten fernzuhalten. Alle, die sich der παιδεία in den Weg stellten, wurden damit zu religiösen Frevlern, wie Himerios in einer Rede auf den heidnischen Prokonsul Basileios öffentlich kundtut . Wer diejenigen waren, die Him. or. , Z. –; . –; . . Siehe unten S. , Anm. . Him. or. . und passim. Himerios stilisiert in Übereinstimmung damit die Rede selbst als Mysterienhandlung. Sie symbolisiert die Fackel, die die Mysten nach attischem Brauch als Erkennungszeichen eines kultivierten Lebens nach Eleusis tragen (§ ). Him. or. . Himerios spricht hier gegen die Neider und Intriganten, die durch einen feindlichen Erlaß den Musen hätten schaden wollen, wohingegen er Basileios wegen seines Engagements für Bildung und Rhetorik lobt. Himerios deutet diesen Konflikt durchweg als religiös motiviert. Auf der einen Seite stehen die Gegner, die, den Feinden des Orpheus und Apollon vergleichbar (–), sich gegen die Götter vergehen – der von ihnen erwirkte Beschluß ist weit vom θεῖος χορός entfernt () –, auf der anderen Seite treten die von den Musen geliebten Priester des Apollon und Hermes, also Himerios und der Adressat, für die Beredsamkeit ein (). Basileios kommt nicht nur mit Dike und Themis zu den Griechen (), sondern erscheint wie Apollon Musagetes selbst in der Epiphanie (). Wer auch immer die Kontrahenten tatsächlich gewesen sein mögen, Himerios jedenfalls interpretiert die Auseinandersetzung als religiösen Konflikt und unterstellt ihnen Gottlosigkeit. Ihm ist offensichtlich daran gelegen, zwei Lager voneinander abzugrenzen. Ein ähnlicher Konflikt schimmert auch in der Rede or. durch, die der Neid als Leitmotiv durchzieht. Nachdem Himerios betont hat, daß sich bei Homer Neid sogar gegen die Götter richte (), schließt er mit der schon zitierten πρόρρησις die Frevler und Gottlosen von seinen Zeremonien aus. Welche Frevler Himerios im Sinn gehabt hat, kann evtl. eine Stelle aus Lukians Alexandros erhellen, an der ein solches Ausschlußritual zitiert wird: τελετήν τε γάρ τινα συνίσταται
καὶ δᾳδουχίας καὶ ἱεροφαντίας, τριῶν ἑξῆς ἀεὶ τελουμένων ἡμερῶν. καὶ ἐν μὲν τῇ πρώτῃ πρόρρησις ἦν ὥσπερ ᾿Αθήνησι τοιαύτη· Εἴ τις ἄθεος ἢ Χριστιανὸς ἢ ᾿Επικούρειος ἥκει κατάσκοπος τῶν ὀργίων, φευγέτω· οἱ δὲ πιστεύοντες τῷ θεῷ τελείσθωσαν τύχῃ τῇ ἀγαθῇ. εἶτ’ εὐθὺς ἐν ἀρχῇ ἐξέλασις ἐγίγνετο· καὶ ὁ μὲν ἡγεῖτο λέγων ῎Εξω Χριστιανούς, τὸ δὲ πλῆθος ἅπαν ἐπεφθέγγετο ῎Εξω ᾿Επικουρείους (Luc. Alex. ). Obgleich es Lukians Anliegen ist, Alexander von Abonuteichos als Scharlatan zu entlarven, gibt es keinen Anhaltspunkt, die
. Eine Religionsgemeinschaft?
außerhalb der Gemeinschaft der Gebildeten standen und die Himerios durch die πρόρρησις von seinen Mysterien ausschloß, konnte für das zeitgenössische Publikum wohl kaum einem Zweifel unterliegen, zumal Himerios sein paganes Engagement nicht allein unter Julian zur Schau trug, sondern auch sonst den Anschluß an heidnische Amtsträger suchte . Himerios trachtete danach, die Gruppe derer, die sich dem Ideal klassischer Bildung verschrieben hatten, als pagane Kultgemeinschaft zu konstituieren, deren überlegene Lebensweise den anderen, Außenstehenden unzugänglich blieb. Ebenso wie Libanios in seiner Korrespondenz die Verehrung der Götter als gemeinschaftsstiftendes Merkmal hervorkehrt, läßt auch Julian in seinen Briefen erkennen, daß es die Religion ist, was ihn mit anderen Menschen verbindet. Sofern das erhaltene Corpus einen repräsentativen Eindruck gibt, war Julian in der Phase der Konsolidierung seiner Herrschaft bestrebt, Gesinnungsgenossen und Gebildete, und zwar pagane Gebildete, an seinen Hof zu ziehen . Offenbar war die Gelegenheit für ihn günstig, durch den Kontakt mit diesen Persönlichkeiten seine Vorstellungen eventuell einem größeren Kreis an Parteigängern nahezubringen. Wie der Brief an einen gewissen Philipp zeigt, ging die Initiative zu solchen Kontakten keineswegs in jedem Fall vom Kaiser selbst aus, vielmehr sahen Heiden nun die Möglichkeit gekommen, zu Einfluß zu gelanGlaubwürdigkeit dieser Formel in Frage zu stellen. Jedenfalls rechnete er damit, daß seine Leser den Ausschluß von Gottlosen und Christen bei Mysterien für selbstverständlich hielten. Zur historischen Zuverlässigkeit von Lukians Angaben siehe Ulrich Victor: Lukian von Samosata. Alexandros oder der Lügenprophet. Eingeleitet, herausgegeben, übersetzt und erklärt. (Religions of the Graeco-Roman World ) Leiden; New York; Köln , –, zur vorliegenden Stelle . Für die Eingeweihten unter Himerios’ Zuhörern dürfte unmittelbar verständlich gewesen sein, daß er nicht zuletzt die Christen als Feinde seiner Bildungsreligion betrachtete. So dürfte Sympathie wegen der heidnischen Religion im Spiel gewesen sein, als Himerios Nicomachus Flavianus drei Reden widmete (or. ; ; ), obwohl dieser nur auf der Durchreise war. Himerios nutzte anscheinend den Aufenthalt dieses prominenten Heiden aus dem Westen, um die pagane Sache in der Öffentlichkeit zu vertreten. Siehe Barnes (1987) f. Auch weitere Adressaten waren, wie entweder andernorts bezeugt ist oder durch die eindeutig pagane Ausrichtung der jeweiligen Rede nahegelegt wird, Heiden: Severus, Musonios, Skylakios, Publius Ampelius, Anatolios, Cervonius, Saturninius Secundus Salutius, Basileios, Flavius Hermogenes, Vettius Agorius Praetextatus. Vgl. die jeweiligen Einträge in der PLRE und bei von Haehling (1978). Himerios suchte offenbar den Kontakt zu Heiden aus Julians Umgebung. Obgleich er auch Reden auf Christen verfaßt haben dürfte, ist zumindest eine gewisse Ausrichtung auf pagane Gesinnungsgenossen erkennbar. Nur in einem solchen Umfeld war es überhaupt denkbar, die Reden derart augenfällig als pagane Rituale zu stilisieren. Iul. ep. an den Philosophen Eustathios; an Maximus; an einen gewissen Hermogenes; an Eustochios. Außerdem ist hier noch zu berücksichtigen, daß Himerios im Winter / auf eine Einladung hin an Julians Hof reiste (vgl. die tituli von or. –). Julian hat aber auch ihm persönlich bekannte Christen eingeladen: ep. an Aëtios und ep. , falls der Brief tatsächlich, wie handschriftlich überliefert, an Basileios den Großen gerichtet sein sollte. Zu den Intellektuellen in Julians Umgebung siehe Pack (1994) –.
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gen, nachdem die Herrschaft des Constantius für sie ungünstig gewesen war . Schon bei unserer Analyse des Hellenenbegriffs war aufgefallen, welche zentrale Stellung Julian der Religion einräumte, wenn es darum ging, Menschen zu beurteilen. Und so spricht auch aus den Briefen dieselbe Einstellung, insofern der Kaiser die Verehrung der Götter zum entscheidenden Merkmal des einzelnen deklariert. Er scheint sogar in einer Hierarchie an menschlichen Eigenschaften der Götterliebe den unangefochten ersten Rang zuzuerkennen, wohingegen selbst die Liebe zu den eigenen Angehörigen erst auf dem zweiten Platz rangiert. Jedenfalls stellt er diese Rangfolge auf, um die Priesterin Kallixeine für ihre Standhaftigkeit unter der christlichen Herrschaft zu loben : Χρόνος δίκαιον ἄνδρα δείκνυσιν μόνος, ὡς παρὰ τῶν ἔμπροσθεν ἔγνωμεν· ἐγὼ δὲ φαίην hἂνi ὅτι καὶ τὸν εὐσεβῆ καὶ τὸν φιλόθεον. ᾿Αλλ’ ἐμαρτυρήθη, φησί, καὶ ἡ Πηνελόπη φίλανδρος· εἶτα [μετὰ] τοῦ φιλάνδρου τὸ φιλόθεόν τις ἐν γυναικὶ δεύτερον τίθησι, καὶ οὐ φανεῖται πολὺν πάνυ τὸν μανδραγόραν ἐκπεπωκώς; »Die Zeit allein macht den Gerechten offenbar«, wie wir von den Früheren gelernt haben; ich aber möchte sagen: auch den Frommen und den Götterfreund. Erwiesen wurde jedoch, wie man sagt, auch Penelopes Gattenliebe. Dann setzt also jemand bei einer Frau die Götterliebe hinter die Gattenliebe auf den zweiten Rang? Wird er damit nicht an den Tag legen, daß er sehr viel Alraunsaft ausgetrunken hat?
Wenn Julian die Verehrung der Götter an die Spitze stellt , so lassen sich in seinen Augen die Menschen nach ihrer Religion klar in mehrere Gruppen scheiden. Was den Zusammenhalt der Gruppe garantiert und damit die Identität bestimmt, ist die gemeinsame religiöse Überzeugung. Sie erlaubt es, die pagane Gemeinschaft gegen diejenigen abzusetzen, die nicht den Göttern opfern. Die Bildung hingegen, die für Julian nicht anders als für Libanios oder Himerios eng mit der Religion verknüpft ist, garantiert keine zweifelsfreie Unterscheidung, zumindest solange auch Angehörige anderer Gruppen den Anschein erwecken können, gebildet zu sein. Julian scheint es besonders am Herzen zu liegen, daß die pagane Gruppe auch nach außen hin als eine homogene Einheit wahrgenommen wird . Kenntlich wird der pagane Hellene durch das sichtbar voll Dem belehrenden und distanzierten Tonfall von Iul. ep. , in dem der Kaiser es ablehnt, den Adressaten zu sich zu rufen, läßt sich entnehmen, daß Julian offenbar nicht jeder (vorgebliche) Parteigänger recht war. Möglicherweise war dieser Philipp jener Mitschüler des Libanios und Dichter, dessen Eifrigkeit beim Opfern der Sophist lobt (vgl. Lib. ep. und ). Ein Philosoph namens Aristoxenos hatte sich anscheinend beklagt, von Julian noch nicht eingeladen worden zu sein (ep. ). Iul. ep. . Die Adressatin ist sonst nicht weiter bekannt. Das Eingangszitat ist S. OT. . Dem Alraunsaft wurde in der Antike narkotische Wirkung zugeschrieben. Vgl. schon D. or. . . Vgl. auch ep. an Theodora: τί οὖν; οἱ θεοὶ τῶν φίλων εἰσὶν ἀτιμότεροι; (»Wie? Verdienen die Götter etwa weniger Ehre als die Freunde?«). Daß die Sichtbarkeit paganer Götterverehrung Julians Anliegen war, zeigen auch seine Maßnahmen, eine heidnische Fürsorge für Arme und Kranke zu etablieren (ep.
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zogene Opfer an die Götter . In einer Zeit, da oftmals religiöse Identitäten weniger scharf gefaßt waren, als es sich dem heutigen Betrachter vielleicht darstellt, suchte Julian nach einem handfesten Kriterium, den einzelnen der eigenen Gruppe zuzuordnen. Über alle Differenzen innerhalb paganer Gottesverehrung hinweg schien ihm das Opfer eine sichere Richtschnur zu sein. Daß Julian zufolge die Religion nicht nur das Fundament einer individuellen Identität bildete, sondern ebenso kollektive Identitäten prägte, bezeugen seine Auseinandersetzungen mit verschiedenen Städten des Reiches. Als Einwohner Alexandrias den Bischof Georgios ermordeten, verheimlichte der Kaiser seinen Zorn über die Gewalttat zwar nicht, verfuhr aber mit der Stadt sehr nachsichtig, da er der Ansicht war, der christliche Bischof habe diese Strafe durchaus verdient . In dem Vertrauen darauf, daß die Alexandriner, seit alters Hellenen (ep. . c/d), immer noch an ihrem traditionellen Denken und der ererbten Lebensform festhielten, ermahnt er sie nur, statt sie zu bestrafen. Als Bürger einer Stadt, die auf Alexander zurückgehe und Sarapis ihre Schutzgottheit nenne, sollten die Alexandriner sich ohnehin von solchen Schandtaten fernhalten (c/d). Aus Julians Perspektive war es deshalb völlig unverständlich, daß sich überhaupt ein Bürger Alexandrias zur christlichen Religion bekannte, wo die Stadt doch von Anfang an pagan geprägt gewesen sei . Indem er auf die historische Entwicklung unter Alexander, den Ptolemäern und Augustus zurückblickt, legt der Kaiser die Identität der ganzen Stadt fest. Allein auf der paganen Tradition beruht die Größe Alexandrias, während die christlichen Einwohner einem Krankheitsherd in einem ansonsten gesunden Körper gleichen. Wer entgegen der kollektiven Identität handelt, verhält sich mithin geradezu widernatürlich. In diesem Falle tritt deutlich zutage, wie Julian die komplexe Realität auf einfache Schemata reduziert, um klar zwischen Gruppen verschiede-
und a/b). Dadurch hätte man (vermeintlich) pagane Werte auch den Unterschichten nahebringen können. Siehe dazu auch unten S. . Iul. ep. ; . Iul. ep. (Anfang ). Der Bischof Georgios war am . . ermordet worden. Möglicherweise waren dafür keineswegs, wie Julian anzunehmen scheint, ausschließlich Heiden verantwortlich, sondern auch christliche Gegner. Barnes (1993) . Zur Rekonstruktion der Ereignisse Matilde Caltabiano: »L’assassinio di Giorgio di Cappadocia (Alessandria, d. C.)«, in: QC , , –; Hahn (2004) –. Dies verkündete Julian, als die Alexandriner Ende darum baten, dem Bischof Athanasios die Rückkehr aus der Verbannung zu gestatten (ep. ). Zunächst behauptet Julian im Rückgriff auf die Vergangenheit der Stadt, daß der Wunsch, Athanasios zurückzuholen, und überhaupt das Christentum mit der Identität Alexandrias unvereinbar seien (d–a), bevor er dann die Segnungen der paganen Götter und seine eigene Konversion darstellt (a–a). Das Christentum wird hier als etwas Fremdes und Krankhaftes dämonisiert, dem sich die Bewohner der Stadt angesichts der großen Leistungen ihrer Vorfahren nicht unterwerfen dürften. Nicht das Christentum habe die Stadt groß gemacht, sondern die alte Religion. Zum Konflikt zwischen Julian, Athanasios und den Alexandrinern siehe Barnes (1993) –.
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ner religiöser Identität trennen zu können . Seine simplifizierende Sicht mündet in ein Schwarz-Weiß-Bild, in dem für Differenzierungen kein Platz ist . Nur wenn man von feinen Unterschieden absieht, lassen sich überhaupt solche scheinbar klaren und stabilen kollektiven Identitäten konstruieren. Je schärfer ein Konflikt wurde, um so mehr stützte sich Julian auf dieses dichotomische Weltbild. Der aus Anlaß seiner Auseinandersetzungen mit den Antiochenern entstandene Misopogon legt ein beredtes Zeugnis für das Verfahren ab, kollektive Identitäten herauszubilden. Nachdem er schon gegenüber den Bürgern von Bostra die Identität der Heiden durch die Alterität der Galiläer bestimmt hatte, um die Geschlossenheit der eigenen Gruppe zu stärken , wandte er diese Strategie auch an, als die Antiochener ihn zum Neujahrsfest mit beißendem Spott bedacht hatten. Auch hier entscheidet sich Julian, von allen Differenzierungen abzusehen und einen unausweichlichen Konflikt zweier Weltanschauungen zu konstatieren. Obgleich die Auseinandersetzungen auf vielfältige Ursachen zurückgingen, leitete Julian sie aus dem diametralen Gegensatz zwischen der untadeligen, ererbten griechischen Lebensweise und dem entarteten, unmoralischen Wohlleben der Antiochener ab. Und erneut erweist sich, wenn man von Äußerlichkeiten wie dem titelgebenden Bart des Kaisers absieht, die Religion als das Element, aus dem die übrigen Wesenszüge der Menschen resultieren. Während Julian und andere vorbildliche Griechen wie etwa die Athener an den ererbten Werten festhielten und somit auch die Götter ehrten , verachte das Volk von Antiochia, weil es die ἀθεότης vorgezogen und sich für Christus entschieden habe , die Bildung und folge dem Pfad des Lasters. Julian zufolge stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber, deren eines seine Überlegenheit auf das Ensemble von paganem Götterkult, klassischer Bildung und tugendhafter Lebensweise gründet. Die Bestimmung der eigenen Gruppenidentität, deren Klammer die Verehrung der Götter bildet, In ähnlicher Weise ist für Julian die Stadt Batnai zur Gänze hellenisch, wie man an den Weihrauchschwaden und allenthalben vollzogenen Opfern erkennen könne (Iul. ep. an Libanios). Genau solch ein reduktionistisches Bild Antiochias warf im Jahre Libanios in einem Brief Nikokles vor (ep. ). Dieser hatte anscheinend der ganzen Stadt unterstellt, gegen die Götter eingenommen zu sein, woraufhin ihn Libanios mahnte, doch stärker zwischen den δυσσεβεῖς und den anderen zu differenzieren. Iul. ep. vom . August . In diesem ganz deulich vom Lagerdenken geprägten Schreiben legt Julian wichtige Unterschiede zwischen Galiläern und Göttergläubigen dar. Indem er den Christen lauter negative Eigenschaften zuschreibt – Undankbarkeit, Gewalttätigkeit, Raserei, Wahnsinn, Tyrannei, Unglaube, Unreinheit, Krankheit –, wird heidnische Identität ex negativo sichtbar. Aus der Überlegenheit der Heiden, die in rechter Gesinnung nach der Tradition die Götter verehren und der wahren Religion anhängen, soll sich Julian zufolge auch ein ethisch vorbildliches Verhalten ergeben. Man solle den Christen deshalb nichts antun, sondern müsse sie bemitleiden. Iul. Mis. b/c, c/d. Iul. Mis. d–a.
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geht im Misopogon einher mit dem Ausschluß der anderen, die in jedem Punkt das genaue Gegenteil verkörpern . Unschwer ist zu erkennen, daß sich Julian, wenn er die Hellenen und die christlichen Antiochener einander gegenüberstellt, an traditionelle Topoi und Denkfiguren anlehnt, beispielsweise an die platonische Beschreibung des demokratischen Menschen oder an Motive der Komödie und der Satire . Aber schon die klare Scheidung in die zwei feindlichen Lager genügt, um festzustellen, daß Julian keine Diagnose der Realität stellt, sondern vielmehr durch seine Diskussionsbeiträge erst Realität schafft. Er trachtet danach, feste Kriterien zu etablieren, nach denen sich Individuen wie ganze Städte verschiedenen Gruppen zuordnen lassen. Einerseits liegt ihm daran, anhand klarer Merkmale, unter denen die Götterverehrung den ersten Platz einnimmt, die eigene Gruppe zu definieren, andererseits geht es gleichzeitig darum, die anderen – das sind in seinen Augen die Christen – auszugrenzen. Indem er die einen lobt und die anderen verspottet oder tadelt, hält er jedermann vor Augen, welche Gruppe überlegen ist, und sorgt für Anreize, den paganen Kult offensiv nach außen hin zu vertreten. Wo es in der Realität Grauzonen geben mochte, wie die Leichtigkeit von Konversionen bezeugt, versuchte Julian, stabile und homogene Identitäten zu setzen. Anders als seinen Gesinnungsgenossen Libanios und Himerios standen Julian Mittel zu Gebote, autoritativ einzugreifen, um die Homogenität des eigenen Lagers zu befördern und die Distanz zu den anderen zu vergrößern. So belehrt er in einem Brief Theodora über das richtige Verhalten eines Heiden und den rechten Umgang, besser gesagt: das Vermeiden jeglichen Verkehrs mit Christen . Wenn die Adressatin irgendjemanden schätze, der weder jetzt die Götter ehre noch Hoffnung wecke, daß er es jemals tun werde, so begehe sie einen Fehler. Sollte ein Diener des Haushaltes Ekel vor den Göttern empfinden, so solle man ihn verkaufen, falls er sich nicht bekehren lasse. Mit der Verehrung der Götter müsse man in seinem eigenen Haus anfangen und es von derartigen Krankheiten reinigen. Mit der Autorität des Kaisers und pontifex maximus gibt Julian hier Leitlinien für die Lebensführung des vorbildlichen Heiden aus, die darauf abzielen, näheren Kontakt zu Christen zu unterbinden und die Reinheit der eigenen Überzeugungen zu bewahren . Damit die Homogenität der paganen Gemeinschaft gesichert blieb, bemühte sich Julian, Abweichler auszugrenzen und in die Nähe von Feinden zu rücken, sofern ihm einzelne Strömungen Welche Rolle diese kulturelle Konfrontation für Julians Auseinandersetzung mit dem Christentum spielte, wird in Kap. .. erörtert. Iul. Mis. c (Rekurs auf die Komödie). Allein der Titel Misopogon läßt an eine Komödienfigur denken. Siehe Billerbeck (1993b). Zu den Übereinstimmungen zwischen der Darstellung der Antiochener und der des demokratischen Menschen in der Politeia Athanassiadi (1992a) –. Iul. ep. . An dieselbe Adressatin ist auch ep. gerichtet. Analoge Verhaltensmaßregeln für pagane Priester formuliert Julian in einem disziplinierenden Brief an den Oberpriester Arsakios. Iul. ep. a. a/b. Ebenso auch der Tenor von ep. (an einen unbekannten Beamten).
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nicht mit seinem Konzept des Hellenentums vereinbar schienen. Mit seinen zwei Kynikerreden haben sich anschauliche Zeugnisse dafür erhalten, wie er mißliebige Störenfriede unschädlich zu machen suchte . Nachdem ein gewisser Herakleios unter Berufung auf die kynische Tradition Julian in einem allegorischen Göttermythos angegriffen hatte, holte der Kaiser zum Gegenschlag aus, um nicht nur mit dem Kontrahenten, sondern gleich mit allem, was er für Pseudokynismus hielt, abzurechnen. In seiner Erwiderung Gegen Herakleios (or. ) und in deren Schwesterstück, der Rede Gegen die ungebildeten Kyniker (or. ), folgt Julian dem eben dargestellten Lagerdenken. Zahlreiche Eigenschaften, die Julian den Pseudokynikern zuschreibt, Gottlosigkeit, mangelnde Bildung, Verweichlichung, Unmoral , finden sich ebenso im Misopogon wieder bei der Charakterisierung der antiochenischen Widersacher. Um Herakleios und seine Genossen auszugrenzen, genügte es jedoch nicht, sie mit verächtlichen Attributen zu belegen. Vielmehr mußte Julian an dem Nachweis gelegen sein, daß sie sich völlig zu unrecht auf Diogenes und den Kynismus beriefen . Denn in Julians synkretistischem Konzept einer Einheit aller griechischen Philosophie, das keine großen Unterschiede kannte , war für jemanden, der sich offenbar über die Götter lustig machte, kein Platz. Daher kritisiert Julian einerseits, daß die Pseudokyniker sich vom echten Kynismus weit entfernt hätten, sich nur an Äußerlichkeiten festhielten und jeglicher philosophischer Bildung entbehrten , andererseits strebt er danach, Diogenes und den wahren Kynismus mit seinen eigenen Vorstellungen zu harmonisieren. Zu diesem Zwecke blendet er die charakteristische Schamlosigkeit der Kyniker fast vollkommen aus und weist Schriften, die ein abweichendes Bild des Kynismus zeichnen, als unauthentisch zurück. Insbesondere aber widerlegt er die Ansicht, Diogenes und Krates hätten die Götter verachtet. Im Gegenteil, indem sie dem Auftrag des delphischen Gottes Gehorsam leisteten, sich selbst zu erkennen und die Münze umzuprägen, hätten sie, wie auch Krates’ Schriften bewiesen, die Götter ehrfürchtig verehrt. Diogenes habe es für seine Pflicht gehalten, die Tempel der Götter aufzusuchen . Es überrascht nicht, daß Julian Übereinstimmungen Zur Auseinandersetzung Julians mit dem zeitgenössischen Kynismus siehe Athanassiadi (1992a) –; Smith (1995) –. Hauptsächlich an den Quellen von Julians Kynikerbild interessiert ist Bouffartigue (1993). Kaum über eine Paraphrase kommt José Miguel Alonso-Núñez: »L’Empereur Julien et les Cyniques«, in: LEC , , – hinaus. Beispielsweise Iul. or. . a–a, b–d, a/b, d, a–d; or. . a–b, c–c, d–c, c–b. Die Argumente, die Julian gegen die Pseudokyniker ins Feld führt, gehörten zum Standardrepertoire der kaiserzeitlichen Auseinandersetzung mit dem Kynismus, etwa bei Dion, Epiktet und Lukian. Athanassiadi (1992a) –; Smith (1995) –. Iul. or. . d; or. . c–a, c–b; Gal. fr. . d. Vgl. auch or. . c–c, d–d. Vgl. Cürsgen (2008). Iul. or. . a–d; or. . d–c, c–b. Iul. or. . a–a, a–c; or. . b–c, a/b, d–c.
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zwischen Diogenes’ Handeln und Lehre und der eigenen Lebensführung hervorkehrt, ja sich selbst zu einem alter Diogenes stilisiert . Seine eigene asketische Lebensweise mußte Julian diese Parallelisierung geradezu aufdrängen. Hatte er erst einmal die Unvereinbarkeit der Ansichten der Pseudokyniker mit dem wahren Kynismus und der Tradition nachgewiesen, so lag es nahe, diese gottlosen Abweichler den Hauptfeinden, also den Christen, an die Seite zu stellen. Nachdem er schon zu Beginn der Rede gegen Herakleios den Gegensatz zwischen der frommen Geisteshaltung und der Gotteslästerung des Adressaten als Leitthema exponiert hat , bringt er die von Wahnsinn befallenen Pseudokyniker mit einer christlichen Sekte in Verbindung, die denselben Lebensstil pflege wie diese . Ebenso rückt er den Adressaten seiner Rede Gegen die ungebildeten Kyniker in die Nähe der Christen, indem er ihm Bibelkenntnis unterstellt . Zudem weist neben anderen Anspielungen der grundsätzliche Vorwurf der Gottlosigkeit eindeutig in die Richtung der von Julian gehaßten Galiläer. Ohne sie eindeutig und explizit mit den Christen zu identifizieren, stellt Julian Übereinstimmungen zwischen den in beiden Reden bekämpften Pseudokynikern und den Christen her, die den mit seinen Ansichten vertrauten Rezi-
Zu Julians Idealisierung des Diogenes siehe Billerbeck (1993a) – und Döring (1997). In or. . b nimmt Julian für sich διάνοια εὐσεβὴς καὶ λελογισμένη in Anspruch. Was er von Herakleios zuvor gehört hatte, seien dagegen Gotteslästerungen gewesen (c). Von da kommt Julian direkt zu den ἀσεβήματα des ehernen Geschlechtes, also seiner eigenen Zeit. Schon dadurch rücken Leute wie Herakleios in die Nähe anderer Gottesfeinde, eben auch der Christen. Iul. or. . a/b: πάλαι μὲν οὖν ὑμῖν ἐθέμην ἐγὼ τοῦτο τὸ ὄνομα, νυνὶ δὲ αὐτὸ
ἔοικα καὶ γράψειν· ἀποτακτίτας τινὰς ὀνομάζουσιν οἱ δυσσεβεῖς Γαλιλαῖοι· τούτων οἱ πλείους μικρὰ προέμενοι πολλὰ πάνυ, μᾶλλον δὲ τὰ πάντα πανταχόθεν ξυγκομίζουσι, καὶ προσκτῶνται τὸ τιμᾶσθαι καὶ δορυφορεῖσθαι καὶ θεραπεύεσθαι. τοιοῦτόν τι καὶ τὸ ὑμέτερον ἔργον ἐστι, πλὴν ἴσως τοῦ χρηματίζεσθαι (»Längst schon habe ich euch diesen Namen beigelegt, jetzt aber gedenke ich ihn auch niederzuschreiben: Apotaktiten (Sonderlinge, Einsiedler), so nennen die gottlosen Galiläer einige. Die meisten von diesen schaffen, indem sie nur weniges hergeben, sehr vieles, ja alles von überallher zusammen, und sie erwerben sich Ehrungen, Geleit und Schmeichelei hinzu. Von dieser Art ist auch euer Vorgehen, abgesehen vielleicht vom Geldmachen.«). Siehe Guido (2000) . Zur Sekte der Apotaktiten siehe Bas. ep. ; can. (PG , c); Tim. CP haer. (PG , c). Nachdem er Gen . zitiert hat, wendet sich Julian an den Adressaten mit den Worten γνωρίζεις, οἶμαι, τῶν Γαλιλαίων τὰ ῥήματα (or. . d). In or. . c unterstellt Julian dem Adressaten eine Vorliebe für das ›tote Leben unglücklicher Frauen‹. Dies dürfte ein verdeckter Seitenhieb auf die christliche Religion sein, zumal Julian auch sonst das Christentum vorzugsweise mit Frauen in Verbindung bringt. Siehe Iul. Mis. a, b–d, a; Gal. fr. ; ep. . c. Auch der Vorwurf des Wahnsinns, den Julian gegen die Pseudokyniker erhebt (or. . b, d), wird ebenso immer wieder gegen die Christen gewendet. Siehe Ruggiero (2002) (speziell – zu Julian).
Auf der Suche nach Identität
pienten schwerlich entgehen konnten . Obgleich in der Realität keineswegs alle spätantiken Kyniker mit dem Christentum sympathisiert haben müssen, setzt er beide Phänomene geradezu in eins, um ein klares Feindbild zu schaffen . Der Ausgrenzung hilfreich dürfte gewesen sein, daß die Identifizierung der Pseudokyniker mit Christen bereits etabliert war . Die genaue Analyse hat das Bild, das sich schon bei der Untersuchung der Selbstbezeichnung, der Raumvorstellungen und der Konzeption der Medizin abgezeichnet hat, bestätigt und ergänzt, nämlich daß die Religion aus Sicht der heidnischen Autoren Gemeinschaft konstituiert. Es war keineswegs nur die Außenperspektive, wenn die Christen die Heiden zu einer Gruppe zusammenfaßten, sondern auch die heidnischen Gebildeten strebten danach, ihre kollektive Identität religiös zu fundieren, also durch ein Merkmal, das eine klare Abgrenzung der eigenen Gruppe ermöglichte . Wie die Beispiele des Libanios, des Himerios und Julians gezeigt haben, konnte man auf dieses Charakteristikum sowohl dann rekurrieren, wenn man die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten betonen und bekräftigen wollte, als auch in Auseinandersetzungen, um scharfe Grenzen zu Andersgesinnten zu ziehen. Wollte man eine geschlossene Gemeinschaft mit klar umrissenem Selbstverständnis und einem ›Wir-Gefühl‹ herstellen, war es nicht opportun, genauer auf Unterschiede in der Götterverehrung oder dogmatische Grundsätze einzugehen. Da es in Anbetracht der vielfältigen Ausprägungen paganer Göttervorstellungen und Kulte schlechterdings unmöglich war, gemeinsame Dogmen festzulegen – allein Julian entwickelt Ansätze dazu –, mußte man sich, sofern man auf eine kollektive Identität nicht verzichten wollte, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.
Rudolf Asmus nahm an, daß die von Julian angegriffenen Pseudokyniker tatsächlich Christen seien (»Julians Galiläerschrift im Zusammenhang mit seinen übrigen Werken. Ein Beitrag zur Erklärung und Kritik der julianischen Schriften«, in: Prog. des Gymnasiums Freiburg i. Brsg. , –, hier f.). Mit Recht kritisiert Krapinger (1993) diese Annahme als zu weit gehend, doch übersieht er, daß Julian beide Gruppen mit denselben Eigenschaften ausstattet. Ähnlich verfuhren im übrigen die Christen, wenn sie Häretiker in die Nähe von ›Hellenen‹ rückten oder gar unter diese subsumierten, sie also zu Heiden stempelten. Siehe beispielsweise Ath. h. Ar. (PG , a); Cyr. H. catech. . (PG , b); Chrys. Laz. . (PG , ); ep. (PG , ); Philost. h. e. . ; Socr. h. e. . . und . Will – Klein (1988) f. Luc. Peregr. und ; Aristid. Or. . Dindorf. Vgl. dazu auch die Beobachtung von Leppin (2004), daß das spätantike Heidentum durch Rezeption der Magie dem Bild immer ähnlicher geworden sei, das sich die Christen von ihm machten. Dasselbe gilt für die hier gezeigte Tendenz zu einem homogenen Konzept paganer Identität.
. Disziplinierung
. Disziplinierung Als eine Säule griechischer Identität hat sich bisher immer wieder die Bildung, und zwar die literarische Bildung, herausgestellt. Zum Kern des Selbstverständnisses gehört es, über die reiche literarische Tradition Griechenlands zu gebieten und diese παιδεία nach außen hin sichtbar zu machen. Wieviel mehr die klassischen Autoren bedeuteten als nur eine ästhetische und formale Schulung, zeigte sich, als Libanios seine Gesandtschaftsrede an den erzürnt aus Antiochia aufgebrochenen Julian richtete . Während er von seinen Mitbürgern Reue und eine grundsätzliche Umkehr forderte, damit die Brüskierung des Kaisers ausgelöscht würde (or. ), versuchte er mit seinem Appell Julian zu bewegen, Milde gegenüber den Antiochenern walten zu lassen. Libanios erinnerte den Kaiser daran, daß er doch als Grieche über Griechen herrsche und dementsprechend ein griechisches Verhalten an den Tag legen möge (or. . –). Den Griechen zeichne ein zivilisiertes Benehmen gegenüber seinen Mitmenschen aus, indessen sich Barbaren wie Tiere benähmen. Um wieviel mehr gezieme es sich für den Kaiser, Milde zu zeigen, zumal er eine besondere Erziehung genossen habe. Und hier zeichnet Libanios in wenigen Sätzen Julians Bildungsweg nach (§ f.): ἀνὴρ Λακεδαιμόνιος, ἱερεὺς δικαιοσύνης, ἡγεμὼν παιδείας, εἰδώς, εἴπερ τις, τῆς ῾Ομήρου γνώμης τὰ ἀπόρρητα καὶ σύμπαντός γε τοῦ περὶ τὸν ῞Ομηρον χοροῦ, ὃν ἐδέξω μὲν νέος ὤν, ὡς εἰκὸς τὸν τηλικοῦτον, ἐπίστασαι δὲ νῦν, ὡς εἰκὸς τὸν φιλοσοφοῦντα. καὶ μὴν καὶ ῥήτορας ἅπαντας καὶ συγγραφέας, πολλῶν πραγμάτων διδασκάλους, ὧν ὁ πόνος οὐδὲν τῶν ἀρχαίων ἀφῆκεν ἀγνοηθῆναι, προσπεριείληφας τοῖς ἀπὸ τῶν μέτρων χρησίμοις. ὅ γε μὴν κολοφών, τὰ θεῶν θρέμματα, Σωκράτης, Πυθαγόρας, Πλάτων καὶ ὅσοι ῥύακες ἀπ’ ἐκείνων ἐρρύησαν, τούτων οὐδεὶς ἔξω τῆς σῆς διανοίας, ἣν εἰσελθόντες ἐξειργάσαντο καλὴν καὶ γενναίαν, ὥσπερ οἱ παιδοτρίβαι τὰ σώματα. παρὰ τούτων ἀπαιτῇ τήμερον τὴν πρὸς ἡμᾶς ἡμερότητα, καθάπερ γῆ παρὰ τῶν γεωργῶν τοὺς καρπούς. Ein Spartaner [war dein Lehrer] , ein Priester der Gerechtigkeit, ein Führer zur Bildung, der, wenn überhaupt jemand, die Geheimnisse des homerischen Geistes kannte und überdies des gesamten Chores um Homer; als Knabe hast du Homer aufgenommen, wie es sich für dieses Alter gehört, jetzt aber verstehst du ihn, wie es sich für den gehört, der Philosophie treibt. Ferner hast du alle Redner und Prosaautoren, die Lehrer vieler Dinge, deren Mühe nichts von dem Alten unbekannt ließ, zu dem Nützlichen, das sich aus der Dichtung ergibt, außerdem hinzugenommen. Was aber die Krönung von allem ist: die Göttersprößlinge, Sokrates, Pythagoras, Platon und alle Ströme, die aus ihnen entsprangen, keiner von ihnen liegt außerhalb deines Geistes. In ihn haben sie Eingang
Lib. or. . Die Rede wurde etwa zwischen Ende Mai und Ende Juni verfaßt; vgl. Wiemer (1995a) –. Wie Libanios selbst an anderer Stelle erwähnt, verhinderte der plötzliche Tod Julians den Vortrag (or. . ). Gemeint ist der Grammatiker Nikokles. Siehe auch Lib. or. . . Libanios richtete mehrere Briefe an ihn.
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gefunden und ihn schön und edel gemacht wie Sportlehrer die Körper. Sie fordern von dir heute Milde uns gegenüber wie die Bauern von der Erde Ernte.
Libanios verschmilzt hier Hellenentum, die Herrschertugend der clementia (ἡμερότης) und die griechische Literatur zu einer ausgewogenen Einheit, die sich in der Person Julians manifestiert. Einen Kanon von literarischen und philosophischen Koryphäen umreißend, bekundet er, daß offenbar ein fester Bestand an Bildungsgütern existiert, der den kultivierten Griechen zu erkennen gibt. Wer Homer, die Redner, Platon etc. eingehend studiert hat, hat nicht nur seinen Verstand geschult, sondern geht anscheinend als anderer, nämlich besserer Mensch aus der Schule hervor. Die klassischen Autoren nisten sich gleichsam im Geiste ein und sorgen ähnlich, wie Sportlehrer die Körper schulen, dafür, daß man ethische Überzeugungen herausbildet. Ähnlichen Aufzählungen bedeutender Autoren oder Philosophen begegnet man ebenso wie im Werk des Libanios auch bei Julian selbst , bei Themistios und Himerios . Im einzelnen nie vollkommen identisch, versammeln diese ›Kataloge‹ immer wieder die durch die Tradition geheiligten Größen der griechischen Kultur . Beispielsweise vergißt Themistios in seiner Trauerrede auf Eugenios nicht zu erwähnen, daß sein Vater, obgleich von Beruf Philosoph, neben Platon und Aristoteles auch Homer, Menander, Euripides, Sophokles und Sappho studiert habe (or. . c–c). Und sooft er in seinen Privatreden auf seine eigene Tätigkeit in Konstantinopel zu sprechen kommt, deutet er, indem er die Namen der großen Philosophen fallen läßt, an, in welcher Tradition er sich selbst sieht . Insbesondere im Schulbetrieb spielte es eine wichtige Rolle, auf die bedeutenden Autoren hinzuweisen und sie zustimmend zu zitieren, wie es Himerios in all seinen Schulreden praktiziert . Denn indem man immer wieder auf denselben Kanon von Dichtern, Rednern und Philosophen rekurrierte, verpflichtete man die Schüler durch stete Gewöhnung auf diesen Grundbestand an griechischer Bildung. Mit der Autorität des Lehrers und im Anschluß an dieselben klassizistischen Tendenzen der Zweiten Sophistik leg Beispielsweise Lib. ep. (hier mit Homer, Hesiod, Demosthenes, Lysias, anderen Rednern, Herodot, Thukydides); . Iul. ep. c. a; . c–a (sehr ausführliche Erörterung eines für vorbildliche Heiden geeigneten Lektürekanons); Gal. fr. . Bouffartigue (1992) analysiert ausführlich, auf welche Autoren Julian in seinen Werken anspielt bzw. welche er zitiert. Them. or. . a–c; . c–c; . c–a. Zu den von Themistios genannten und zitierten Autoren siehe Colpi (1987). Him. or. , Z. –; , Z. –; . ; . ; . . Zu solchen Aufzählungen treten außerdem einzelne Nennungen der immer gleichen Autoren und Philosophen hinzu, darunter auch hier am stärksten vertreten Homer und Platon. In wechselnden Zusammenstellungen werden hier immer wieder neben anderen Sokrates, Platon, Aristoteles und Theophrast genannt. Them. or. . d–a, c–b; . a–b; . d–a; . a–a; . c, a–c; . (p. ), (p. f.). Man vergleiche dazu nur den Index der Ausgabe von Colonna (1951) sowie Völker (2003) –.
. Disziplinierung
ten Himerios und Libanios fest, welche literarischen Werke zu studieren waren und auf welche Autoren man sich berufen konnte. Durch den Rekurs auf die immer gleichen Vorbilder trugen sie dazu bei, den literarischen Kanon zu verfestigen und zu tradieren . Zudem bemühte man sich, Klassiker zugänglich zu machen, sei es durch Einleitungen, sei es durch erläuternde Paraphrasen. Auf Anregung des Proconsuls Montius versah Libanios die Reden des Demosthenes mit Inhaltsangaben, beurteilte sie stilistisch und bot dem Leser einen Überblick über das Leben des größten Redners . Themistios paraphrasierte mehrere Schriften des Aristoteles , und Maximus von Ephesos erstellte anscheinend einen Kommentar zu Aristoteles’ Kategorien . So wurde gewährleistet, daß die klassischen Autoren auch über die zeitliche Distanz hinweg verstanden werden konnten . Der Auswahl der Autoren eignete eine dauerhafte Stabilität, insofern sie ganz der archaischen und der klassischen Epoche verpflichtet war. Es waren die Größen, die seit Jahrhunderten den Schulunterricht und die Elitenkultur dominierten. Nur wenige Autoren der Kaiserzeit fanden Eingang wie beispielsweise Galen auf dem Gebiet der Medizin oder Aelius Aristides als stilistisches Vorbild . Wenn man Zeitgenossen, um sie zu loben, mit den klassischen Vorbildern verglich , so bestätigte dies um so mehr, daß hier ein Norman (1964) zeigt anhand von Namensnennungen und Zitaten, wie klassizistisch Libanios’ Literaturkanon ausgerichtet war. Hellenistische Literatur fehlt beinahe gänzlich, ganz zu schweigen von allem Römischen. Edition in Foerster (1903/27) Bd. , –. Zum Auftraggeber PLRE f., s. v. Montius Magnus . Gibson (1999) zufolge hat Libanios diese Hypotheseis für Anfänger konzipiert. Erhalten sind die Paraphrasen zu Analytica Posteriora (griech.), Physica (griech.), De Caelo (hebr.), Metaphysik, Buch (hebr.), De Anima (griech., arab.). Weitere sind verloren. Themistios selbst bezeichnet diese Arbeiten als seine Jugendwerke (or. . d–a). Er gibt als Ziel dieser Paraphrasen an, leichter verständlich zu machen, was Aristoteles gemeint habe. Sie seien nur für ihn selbst bestimmt gewesen. Kommentare im eigentlichen Sinne hat Themistios zu Aristoteles nicht angefertigt, auch wenn Phot. Bibl. . a– dies anzudeuten scheint. Siehe Blumenthal (1979); ferner Blumenthal (1990); Vanderspoel (1995) –. Phot. Bibl. . a f. erwähnt außerdem sonst nirgends bezeugte exegetische Arbeiten zu Platon aus der Feder des Themistios. Vgl. John Vanderspoel: »The ›Themistius Collection‹ of Commentaries on Plato and Aristotle«, in: Phoenix , , –. Iul. ep. spricht von einem AristotelesKompendium des Priscus, das ebenfalls einführenden Charakter habe. Simpl. in Aristot. cat. CAG VIII, p. . – Kalbfleisch. Möglicherweise ist hier auch die Nachricht zu berücksichtigen, daß Sallustius Dramen des Sophokles mit Hypotheseis versehen habe (vgl. die Hypothesis zu Ant. bzw. OC ), sofern es sich bei dem Genannten um den Autor der Schrift Über die Götter und den Kosmos und Julians Freund Saturninius Secundus Salutius handelt. In Frage kommt allerdings auch der Grammatiker Sallustius aus dem ./. Jh. Siehe oben S. . Für Libanios jedenfalls hatte dieser den Rang eines Klassikers. Lib. ep. . Er setzte sich auch mehrfach mit dessen Reden auseinander (or. und decl. ). Cribiore (2007) . Beispielsweise vergleicht Libanios in ep. und Themistios mit Demosthenes. In ep. , einem Empfehlungsschreiben, heißt es, daß der Lehrer Harpokration sich an
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Kanon im wörtlichen Sinne, eine Richtschnur existierte, die als absolutes Maß gesetzt war. Daher verwundert es kaum, daß die klassischen Autoren in der Regel affirmativ aufgerufen wurden. Oft genügte das bloße Nennen des Namens oder das Zitieren eines kurzen Satzes, um das eigene Werk durch die Autorität des großen Vorbildes zu stützen. Obgleich nicht ausgeschlossen war, daß man sich auch einmal kritisch mit Homer oder Platon auseinandersetzte , standen sie doch als Maßstab und klassisches Ideal unbezweifelt fest , weshalb sie Bewunderung verdienten . Aus den Klassikern ließ sich praktischer Nutzen ziehen, wenn man ihren Einsichten folgte , vor allem aber hatten sie die Wahrheit gekündet. An ihnen mußte man sich orientieren, um das richtige Verständnis von den Göttern zu erlangen oder die adäquate Art des Mythenerzählens zu erlernen; sie fungierten, wie der oben zitierte Passus zeigt, als ethische Erzieher . Das Studium der Bücher machte mithin, so sieht es besonders Julian, den Leser zu einem besseren, da tugendhafteren Menschen . Daher galt es, sich ganz in die Dichtung Homers und die Werke anderer Größen hineinzuversetzen, ihnen geradezu Freund zu werden, damit man sich ganz den ethischen Vorbildern anverwandeln könne . Gerade für den Kaiser war diese Art der Lektüre, das auf Erbauung und Identifikation ausgerichtete Studium, charakteristisch, wie er gegenüber verschiedenen Adressaten bekundet. Aber auch Libanios pflegte eine Haltung der Admiration und ließ sich ein Bildnis des Aelius Aristides kommen, um sein Vorbild täglich vor Augen sehen zu können . Mit diesem Zugang
die alten Autoren angleiche. In kokettierender Bescheidenheit weist Libanios Vergleiche zurück, die zwischen ihm und Platon oder Demosthenes gezogen wurden (or. . ). In Gal. fr. etwa gesteht Julian den Christen zu, daß Homer auch Mythenhaftes, d. h. Unglaubwürdiges, dargestellt habe. Genau diese Ansicht kritisiert er jedoch in ep. . d. Die Ambivalenz in Julians Haltung zu Homer betont Lamberton (1986) –. Zu Julians Auseinandersetzung mit Homer in or. siehe unten S. –. Während er sonst Platons Philosophen-Königs-Satz zustimmend zitiert, übt Themistios in or. . c einmal deutliche Kritik an ihm. Des öfteren werden große Autoren zum νόμος oder zum Gesetzgeber erhoben. Them. or. . c; . d; . d (Platon); Iul. ep. (Homer). Themistios’ Bewunderung für Aristoteles’ Schriften kommt am deutlichsten in or. . d–b zum Ausdruck. Lib. or. . ; . . Die Vorstellung von Homer als Erzieher ist alt. Siehe etwa Pl. R. , e–a; Prt. d. Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Bd. . Berlin; Leipzig , –. Iul. Gal. fr. . d/e. Lib. ep. . spricht davon, sich die Seele mit Homer und anderen großen Autoren anzufüllen. Lib. ep. . f.: ἔχω τὸν ᾿Αριστείδην, πρᾶγμα πάλαι ποθούμενον, καὶ σοὶ χάριν
ἔχω μικροῦ τοσαύτην, ὅσηνπερ ἄν, εἰ αὐτὸν ἡμῖν ἀναστήσας τὸν ἄνδρα ἐπεπόμφεις. καὶ παρακάθημαί γε τῇ γραφῇ τῶν ἐκείνου τι βιβλίων ἀναγινώσκων ἐρωτῶν αὐτόν, εἰ αὐτὸς ταῦτα. εἶτ’ αὐτὸς ἀποκρίνομαι ἐμαυτῷ· ναί, ταῦτά γε ἐκεῖνος. καὶ γὰρ ἔπρεπε τοιούτων λόγων τοιαύτην μορφὴν
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stellte man sich in eine lange Tradition, in der man dem ›göttlichen‹ Homer und dem ›göttlichen‹ Platon höchste Ehren erboten hatte. Von dort war der Schritt, den Julian vollzog, nämlich die Literatur in den Rang von Offenbarung zu erheben, kein allzu großer mehr. Immerhin bezeichnete selbst Themistios metaphorisch die Akademie als Heiligtum oder erkannte Homer und Hesiod, was das Künden zeitloser Wahrheit angeht, den gleichen Rang zu wie dem Alten Testament . Dadurch sollte die unverrückbare Autorität der Philosophen und Dichter zum Ausdruck kommen, und zudem stand man, wie eben erwähnt, damit in einer längeren Tradition. Oben hatten wir allerdings schon beobachtet, daß für Himerios die Gleichsetzung der rhetorischen Bildung mit Mysterien und Opfern mehr war als nur Metaphorik. Er inszeniert den Unterricht als kultische Handlung, die Zugang zu göttlicher Offenbarung verspricht . Julian konnte nicht nur die Literatur beiläufig als Amulett bezeichnen , sondern sah sie tatsächlich als Quelle göttlicher Offenbarungen an . In seiner Schrift Gegen die Galiläer lassen sich Homer und Platon selbstverständlich mit den Büchern des Moses vergleichen und teilen im Unterschied zu diesen die Wahrheit über die Götter und die Schöpfung mit . Die richtige Erkenntnis der Götter scheint nicht anders zu gelingen als durch das Studium der Schriften Platons, Plotins oder Jamblichs . Und wie um den göttlichen Charakter der Werke Jamblichs zu unterstreichen, teilt Julian
εἶναι μητέρα· οὕτω πάντα θεοειδῆ καὶ καλὰ καὶ κρείττω τῶν πολλῶν (»Nun habe ich den Aristides, nach dem ich mich so lange sehne, und ich bin dir beinahe ebenso dankbar, wie wenn du den Mann selbst zum Leben erweckt und zu uns geschickt hättest. Und ich sitze sogar bei dem Bildnis, lese eine seiner Schriften und frage ihn, ob er dies sei. Dann antworte ich mir selbst: ja, dies ist er. Denn von solchen Reden mußte eine solche Gestalt die Mutter sein, so göttlich und schön und besser als das meiste ist alles.«). Wie Libanios dem Adressaten Theodoros schildert, sucht er in solchen Bildnissen die Persönlichkeit des Autors zu erfassen. Libanios’ Bewunderung für die großen Autoren zeigt sich auch in seinem verehrenden Umgang mit einer Thukydides-Handschrift (or. . f.). Für Libanios war die Literatur, abgesehen von ihrer stilistischen Vorbildhaftigkeit, auch Trostspender in schwierigen Situationen (ep. ). Iul. or. . b; ep. . a. Siehe etwa Them. or. . c; . b; . d. Them. or. . c (ἐκ τῶν ἀδύτων τῆς ᾿Ακαδημίας); . c/d; . b–a (Homer und Hesiod sagen dasselbe wie die ›Schriften der Assyrer‹). Zu Themistios’ Rekurs auf das Alte Testament siehe auch unten S. . Siehe oben S. . Iul. ep. (an seinen gleichnamigen Onkel). Diese Eigenschaft kommt den großen Dichtern zu, insofern sie göttlich inspiriert sind (Iul. or. . b/c). In Gal. fr. konfrontiert Julian die christlichen Schriften mit den göttlich inspirierten heidnischen. Auch Salutius bezeichnet Homer, Hesiod und Orpheus als θεόληπτοι (. ). Die erhaltenen Fragmente der Schrift bieten über weite Strecken hin eine detaillierte Gegenüberstellung von Platons und Moses’ Darstellung der Erschaffung der Welt (fr. – ). Siehe auch ep. b. d–d. Iul. or. . b/c, a/b.
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in einem Brief dem Philosophen und Theurgen Priscus mit, daß ihm just in dem Moment, da er von Jamblich und dem Theurgen Julian schreibt, ein wundersames Zeichen zuteil werde . Diesem fast mystischen Literaturverständnis gab dann auch Libanios vor einem größeren Publikum Ausdruck, indem er es an prominenter Stelle in seinen panegyrischen Reden zur Sprache brachte . So hebt er im Prosphonetikos damit an, daß die λόγοι als Teil des Götterkultes Julian zur Verehrung der göttlichen Mächte geführt hätten: ᾿Επανήκει μετὰ τῶν ἱερῶν, ὦ βασιλεῦ, καὶ τὸ τιμᾶσθαι τὴν τῶν λόγων τέχνην, οὐ μόνον ὅτι μέρος τῶν ἱερῶν οὐκ ἐλάχιστον ἴσως οἱ λόγοι, ἀλλ’ ὅτι καὶ πρὸς τὴν τιμὴν τῶν θεῶν ὑπ’ αὐτῶν ἐκινήθης τῶν λόγων. οὓς οὖν τῶν παρόντων ἀγαθῶν αἰτίους εἶναι συμβέβηκε, τούτοις ἔδει δήπου καὶ χώραν ἐν βασιλείοις εἶναι. (Lib. or. . ) Zurückgekehrt ist mit dem Götterkult, mein Kaiser, auch die Ehre für die Kunst der Beredsamkeit, nicht nur, weil der vielleicht nicht geringste Teil des Götterkults die Beredsamkeit ist, sondern auch weil du zur Verehrung der Götter eben durch die Reden bewogen wurdest. Da es so gekommen ist, daß sie die gegenwärtige Blüte herbeigeführt hat, mußte ohne Zweifel für sie auch Platz im Palast sein.
Julians Verständnis von Literatur und Philosophie war keineswegs etwas zuvor nie Dagewesenes, vielmehr stand er damit in der Nachfolge Platons, der Literatur nur dann in seinem Idealstaat Existenzrecht gewähren wollte, wenn sie zu Moral und Götterverehrung führe. Da diese Rolle der großen Werke sich nahtlos in sein Programm einer Einheit von Religion, Ethik und Bildung fügte, griff der Kaiser sie auf, um die Gemeinschaft der Hellenen zu einer Einheit zu formen. Nicht umsonst sprach er gegenüber Christen von ›unseren‹ Autoren , die im Grunde sämtlich eine einzige Wahrheit verkündeten, und war darauf bedacht, sofern sich einzelne Werke nicht in dieses Konzept integrieren ließen, diese als ungeeignete Lektüre zu verwerfen . Hier zeigte sich deutlich die restriktive Seite des Kanons. Wenn Gregor von Nazianz Julian unterstellt, er habe, als er im Begriff war, eine pagane Kirche zu begründen, auch im Sinne Iul. ep. . In or. . a heißt es, daß Jamblich Julian in die Philosophie ›eingeweiht‹ habe. Lib. or. . (die Erziehung legte bei Julian das Fundament für die Götterverehrung; gemeint ist wohl die Beschäftigung mit Autoren wie Homer und Hesiod); . (Philosophie führt zur Wahrheit und zu den wahren Göttern); . (die Götter führen Julian durch Platon zur Wahrheit); . (Beschäftigung mit neuplatonischer Philosophie läßt Julian zur Kenntnis des Wahren und der Götter gelangen). Iul. Gal. fr. . In fr. . b/c wirft er den Christen vor, sie hielten sich wie Parasiten an der hellenischen Bildung schadlos. In einem Verhaltensrichtlinien für heidnische Priester ausgebenden Brief legt Julian auch fest, welche Lektüre sich eigne und welche nicht. Anstößige Späße, Autoren wie Archilochos und Hipponax schließt er ebenso aus wie romanhafte Literatur, die im Leser unschickliche Leidenschaften entfache. Die Schriften Epikurs und Pyrrhons solle man meiden. Empfohlen werden hingegen Geschichtsschreibung, die Philosophen, soweit sie sich die Götter zu Führern erwählt haben (also Pythagoras, Platon, Aristoteles und die Stoa), und Götterhymnen. Iul. ep. b. c–a. Zu Julians Ablehnung bestimmter Autoren und Gattungen Bouffartigue (1992) –.
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gehabt, in den Gottesdiensten Lesungen aus den Werken Homers und Hesiods abzuhalten, um die Heiden auf die Dogmen einzuschwören, so mag dies übertrieben sein und der Phantasie Gregors entspringen ; gleichwohl hätte man Julians Auffassung der Funktionen von Literatur kaum treffender auf den Punkt bringen können. Wenn man die Texte der Klassiker in den Rang von Offenbarungen erhob und sie als Künder einer höheren Wahrheit verehrte, war es nur konsequent, den professionellen Umgang mit ihnen zu reglementieren, ihre Auslegung einzuschränken und sie dadurch vor unqualifiziertem oder unlauterem Zugriff zu schützen. Lehrern wie Himerios, Themistios und Libanios stand lediglich die Möglichkeit zu Gebote, ihrer Sicht auf die Klassiker im Unterricht Geltung zu verschaffen und allenfalls angemessene von unangemessenen Deutungen zu scheiden. Vermutlich hätte es ihnen, deren Selbstverständnis als Intellektuelle auch vom Konkurrenzgedanken geprägt war , fern gelegen, ein Bildungsmonopol zu errichten. Anders Julian. Er besaß nicht nur den Willen, autoritär Richtlinien festzulegen, handelte es sich nun um Religionsfragen oder Philosophie, sondern auch die Macht. Und so nutzte er die Möglichkeiten, die ihm das Kaiseramt bot, um auch auf dem Gebiet der Bildung regelnd einzugreifen. In der Forschung seit langem umstritten, wurden seine Maßnahmen bereits von den Zeitgenossen verschieden beurteilt und stießen selbst bei denen, die Sympathien für den Kaiser hegten, auf Mißbilligung . Das sogenannte Rhetorenedikt als Maßnahme, Christen von den Lehrberufen auszuschließen, scharf anzugreifen war für christliche Autoren wie Gregor von Nazianz oder Sozomenos eine Selbstverständlichkeit . Aber selbst Ammian, der in Julian weitgehend die Verkörperung des idealen Kaisers sieht, findet deutliche Worte der Ablehnung, und Libanios, obgleich voll des Lobes über die Bildungspolitik des Kaisers, breitet über diese Maßnahme den Mantel des Schweigens . Gr. Naz. or. . und f. Ähnlich Soz. h. e. . . – (dort werden auch φροντιστήρια für Philosophen als von Julian geplante Einrichtungen genannt). Kurmann (1988) – und –. Siehe unten S. . Einen Forschungsüberblick bieten Pack (1986) –, Saracino (2002) – (ohne die deutsche Forschung) und Germino (2004) –. Gr. Naz. or. . –, –; or. . ; Soz. h. e. . . –; Zon. . . ; Oros. . . . Zur Auseinandersetzung des Sokrates mit dem Rhetorenedikt siehe Heinz-Günther Nesselrath: »Die Christen und die heidnische Bildung. Das Beispiel des Sokrates Scholastikos (hist. eccl. , )«, in: Leitbilder der Spätantike. Eliten und Leitbilder, hg. von J. Dummer und M. Vielberg. (Altertumswissenschaftliches Kolloquium ) Stuttgart , –. Amm. . . (illud autem erat inclemens, obruendum perenni silentio, quod arcebat docere magistros rhetoricos et grammaticos ritus christiani cultores), . . . Wie wichtig Ammian dieser Punkt war, ersieht man daraus, daß er ihn zweimal, darunter auch in der abschließenden Würdigung Julians, aufgreift. Lib. or. . – lobt Julians Restauration der Bildung, ohne das Edikt zu erwähnen.
Auf der Suche nach Identität
Was war an diesem Erlaß so unerhört, und welche Absichten verfolgte Julian? Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich, sich zunächst die Überlieferung und die moderne Bewertung genauer anzusehen. Das am . Juni erlassene, im Codex Theodosianus überlieferte Edikt hat folgenden Wortlaut : Magistros studiorum doctoresque excellere oportet moribus primum, deinde facundia. Sed quia singulis civitatibus adesse ipse non possum, iubeo, quisque docere vult, non repente nec temere prosiliat ad hoc munus, sed iudicio ordinis probatus decretum curialium mereatur optimorum conspirante consensu. Hoc enim decretum ad me tractandum referetur, ut altiore quodam honore nostro iudicio studiis civitatum accedant. Schulmeister und Professoren müssen sich in erster Linie durch ihren Charakter, sodann durch ihre Redekunst auszeichnen. Weil ich aber in den einzelnen Gemeinden nicht persönlich anwesend sein kann, ordne ich an, daß jeder, der lehren will, sich nicht sofort und blindlings an diesen Beruf machen darf, sondern, durch einen Ratsbeschluß gebilligt, ein Dekret der Ratsherren bei Einstimmigkeit der Besten zu erlangen hat. Dieses Dekret wird nämlich mir zur Bearbeitung vorgelegt werden, damit sie durch unseren Beschluß gleichsam mit höherer Ehre ausgezeichnet in die Schulen der Gemeinden eintreten.
So klar das Anliegen Julians auf den ersten Blick scheint, so wirft der Erlaß doch einige Fragen auf. Erstens wird nicht recht deutlich, ob von dieser Anordnung allein die öffentlichen oder auch die privaten Lehrer betroffen sind ; zweitens bleibt unklar, wie mit Lehrern verfahren wird, die nicht neu in den Beruf eintreten, sondern bereits tätig sind; drittens besteht das Problem, wie die angeordneten Maßnahmen überhaupt hätten praktisch verwirklicht werden sollen, mit anderen Worten: ob der Erlaß nicht völlig weltfremd war ; und viertens erhebt sich die grundsätzliche Frage, ob der überlieferte Wortlaut authentisch ist oder, als man den Codex Theodosianus zusammenstellte, möglicherweise gekürzt wurde . Für Erstaunen hat immer wieder der Umstand gesorgt, daß Julian nicht, wie man erwarten würde, explizit den Christen das Ausüben der Lehrberufe verbietet. Die Zeitgenossen nämlich sprechen eindeutig von Julians CTh . . . Siehe auch CIust . . (mit Ausnahme des letzten Satzes). In CIust . . ist an dieser Stelle quisquis überliefert. Zu quisque im Sinne von ›jeder, der . . .‹ siehe OLD , s. v. quisque . Letzteres nimmt beispielsweise Kaster (1988) an. So Pack (1986) – (»reformerische Totgeburt«, ). Watts (2006) nimmt an, Julian habe aus lokalen Informationen eine zentrale Liste aller Lehrer anlegen lassen. Wegen der Kürze von Julians Regierung läßt sich nicht entscheiden, ob sich das Edikt hätte wirklich umsetzen lassen. Bald nach seinem Tod wurde der Erlaß revidiert (CTh . . , in der Überlieferung Valentinian und Valens zugeschrieben, auf Grund des Datums aber in der Forschung zumeist Jovian zugewiesen). Dazu Errington (2006) Anm. (für die Datierung in die Regierung von Valentinian und Valens). Die Kommission, der die Zusammenstellung des Codex Theodosianus oblag, war ermächtigt, unwesentliche Teile der Edikte auszulassen oder um der Klarheit willen Veränderungen vorzunehmen (CTh . . f. von bzw. ). Eine Überarbeitung des Rhetorenediktes behauptet Bringmann (2004) f. Von einer »Kurzfassung« spricht Rosen (2006) . Anders Germino (2004) – und Matthews (2000) f., der es für unwahrscheinlich hält, daß ein expliziter Hinweis auf die Religion getilgt wurde. Zur Kompilation und Edition des Codex Theodosianus ebd. –.
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Anordnung, christliche Lehrer aus den Schulen zu verbannen. So mußte etwa Marius Victorinus in Rom seinen Unterricht aufgeben . Auch erklärt ein leider nur verstümmelt überliefertes Schreiben des Kaisers ohne Umschweife, daß genau dies Julians Ziel war . In diesem briefartigen Stück, in dem er sich auch direkt an christliche Lehrer wendet, stellt er unmißverständlich klar, daß ihm der Unterricht von christlichen Lehrern ein Dorn im Auge ist. Nachdem man einige Zeit angenommen hatte, daß dieses Schreiben die griechische Erläuterung zu dem lateinischen Erlaß sei , ist man von dieser Ansicht inzwischen abgerückt, da die Diskrepanzen zwischen beiden Texten zu groß sind . Ein formeller, rechtsetzender Text ist das Schreiben jedenfalls nicht. Nimmt man beide Texte zusammen, so ergibt sich der Eindruck, daß Julian durch gesetzgeberische Maßnahmen versuchte, Christen aus den Bildungsberufen zu verdrängen. Dementsprechend sieht ein Teil der Forschung Julians bildungspolitische Regelungen als dezidiert antichristliche Maßnahmen an . Der Kaiser habe die Christen von der hellenischen παιδεία fernhalten wollen, um einerseits christliche Auslegungen der klassischen Autoren zu verhindern, andererseits die Christen aus der Führungsschicht des Reiches zu verdrängen. Denn da der Zugang zu höheren Ämtern nach wie vor von dem Besitz klassischer Bildung abhing, habe man durch einen Ausschluß der Christen aus dem Bildungswesen ihnen zugleich die Möglichkeit genommen, hohe Posten zu bekleiden. Sofern man Julian diese Intentionen unterstellt, geht man davon aus, daß seine Bereitschaft, christliche Schüler weiterhin zuzulassen, geheuchelt gewesen sei bzw. er damit gerechnet habe, daß Christen ihre Kinder nicht in eine pagane ›Gesinnungsschule‹ schicken würden . Ganz anders fällt die Bewertung durch die zweite Aug. conf. . . . Iul. ep. c. Das Schreiben ist ohne Angabe eines Adressaten und zudem mit einer offensichtlichen Textlücke im Corpus der Briefe Julians überliefert. In d spricht Julian ziemlich unvermittelt direkt die christlichen Lehrer an. Das Schreiben bezieht sich in a auf einen erlassenen νόμος. Pricoco (1980) –; Banchich (1993) f. Auch Matthews (2000) – betont, daß man CTh . . , das bei Amm. . . erwähnte Edikt und Iul. ep. c als drei verschiedene Maßnahmen auseinanderhalten müsse. Bringmann (2004) vertritt jedoch wieder die Meinung, ep. c interpretiere das Rhetorenedikt. Bedenkenswert ist die Annahme, daß ep. c Julians Antwort auf Fragen sein könnte, welche die vage Formulierung des Rhetorenedikts provoziert haben könnte. So Smith (1995) . Pack (1986) –, bes. –; Bouffartigue (1992) –; Pelikan (1993) –; Smith (1995) –; Saracino (2002); Bringmann (2004) –; Tloka (2005) –; Rosen (2006) –; Watts (2006) –. Zu kurz greift die Vermutung von Tougher (2007) f., das Edikt sei hauptsächlich motiviert durch Julians Empörung über die Christen. Christliche Autoren sagten Julian nach, er habe christliche Schüler vom Unterricht ausschließen wollen: Socr. h. e. . . und f.; Philost. h. e. . b; Soz. h. e. . . f.; Aug. civ. . . Dann wäre Julian davon ausgegangen, daß die Christen ihre bisherige Praxis, auch bei heidnischen Lehrern Unterricht zu nehmen, aufgeben würden, wenn die Bildung stärker religiös ausgerichtet würde.
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Forschungsrichtung aus. Zwar wird auch hier nicht in Abrede gestellt, daß das Rhetorenedikt sich negativ auf die Teilhabe der Christen an der traditionellen Bildung auswirkte, doch rückt man das positive Element, den reformerischen Ansatz, stärker in den Vordergrund. Julian habe nicht vorrangig im Sinn gehabt, die Christen auszuschließen, sondern die Bildung gemäß seinem umfassenden Programm erneuern wollen . Nach einer Zeit des durch die konstantinische Dynastie und das Christentum verursachten Niedergangs habe der Kaiser die frühere Blüte des Reiches wiederherstellen wollen. Um dieses restaurative Ziel zu erreichen, habe er auf die traditionelle Forderung nach moralischer Vortrefflichkeit der Gebildeten zurückgegriffen, da diese das Fundament des öffentlichen Lebens gebildet habe . Aus dieser Perspektive erscheint Julians Bildungspolitik eher als konstruktiver Versuch einer Reorganisation denn als repressive Ausschließung bestimmter Gruppen. Im Lichte des erwähnten Briefes (ep. c) kann man kaum umhin, den Anordnungen Julians eine antichristliche Stoßrichtung zu unterstellen, selbst wenn das Edikt kein Wort über die ›Gottlosen‹ verliert. Im Anschluß an das alte Dogma, Literaturunterricht sei immer auch moralische Erziehung , wirft Julian dort den christlichen Lehrern ausdrücklich vor, daß sie, sofern sie ihre Schüler anders lehrten, als sie selbst gesinnt seien, ebensoweit von παιδεία wie von moralischer Vortrefflichkeit entfernt seien. Daher stellt er christliche Lehrer vor die Wahl, entweder ihren Überzeugungen treu zu bleiben, aber den Unterricht aufzugeben oder ihre Schüler davon zu überzeugen, daß die klassischen Autoren im Hinblick auf die Götter die Wahrheit sprächen, was auf nichts anderes als den Abfall vom christlichen Glauben hinausliefe . Die gegen das Christentum gerichtete Tendenz tritt um so deutlicher hervor, als Julian selbst weitgehend ›weltliche‹ Autoren wie Demosthenes, Thukydides oder Lysias als Zeugen für die pagane Götterverehrung in Anspruch nimmt, die man in paganer Weise auslegen müsse . Downey (1957/8); Downey (1959); Hardy (1968); Pricoco (1980); Klein (1981). In eine ähnliche Richtung geht die spekulative, teils abenteuerliche Darstellung von Colpe (1996). Vgl. das auf den älteren Cato zurückgeführte Konzept des vir bonus dicendi peritus (Cic. de orat. . ; Sen. contr. , praef. ; Quint. inst. , prooem. ; . . ). Die Gegenüberstellung von moralischer Integrität und rhetorischen bzw. intellektuellen Fähigkeiten entspricht ganz dem Denken der Zeit und findet sich auch in anderen Gesetzestexten wieder: CTh . . (Konstantin, ); . . (Valentinian und Valens oder Jovian, ); . . (Theodosius II., ). Siehe ferner Auson. Mos. f.; ord. urb. . . Bischoff – Nörr (1963) f. Dieses Programm vertritt mit Nachdruck etwa auch Lib. or. . Iul. ep. c. a–b. Höhnisch empfiehlt Julian denjenigen, die nicht bereit seien, die Götter zu ehren, sie sollten in die Kirchen der Galiläer gehen und dort Matthäus und Lukas auslegen (d). Iul. ep. c. a: τί οὖν; ῾Ομήρῳ μέντοι καὶ ῾Ησιόδῳ καὶ ∆ημοσθένει [μέντοι]
καὶ ῾Ηροδότῳ καὶ Θουκυδίδῃ καὶ ᾿Ισοκράτει καὶ Λυσίᾳ θεοὶ πάσης ἡγοῦνται παιδείας· οὐχ οἱ μὲν ῾Ερμοῦ σφᾶς ἱερούς, οἱ δὲ Μουσῶν ἐνόμιζον; ἄτοπον μὲν
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Falls das Rhetorenedikt unverkürzt auf uns gekommen sein sollte, erhebt sich die Frage, weshalb Julian es derart vage formuliert, statt ausdrücklich christliche Lehramtskandidaten zu benennen . Sollte er neben den Christen weitere Gruppen im Auge haben, denen er verwehren will, die Klassiker zu lehren? Auffällig ist immerhin, welche Betonung der Kaiser auf die mores der Lehrer, also die moralische Eignung, legt. Sie sind das vorrangige Kriterium für die Beurteilung eines Aspiranten. Derselbe Gedanke wird noch weit ausführlicher in ep. c entfaltet, wo Julian gleich eingangs definiert, was er unter der richtigen Bildung versteht (a/b): παιδείαν ὀρθὴν εἶναι νομίζομεν οὐ τὴν ἐν τοῖς ῥήμασιν καὶ τῇ γλώττῃ πολυτελῆ εὐρυθμίαν, ἀλλὰ διάθεσιν ὑγιῆ νοῦν ἐχούσης διανοίας, καὶ ἀληθεῖς δόξας ὑπέρ τε ἀγαθῶν καὶ κακῶν, καλῶν τε καὶ αἰσχρῶν· ὅστις οὖν ἕτερα μὲν φρονεῖ, διδάσκει δὲ ἕτερα τοὺς πλησιάζοντας, αὐτὸς ἀπολελεῖφθαι δοκεῖ τοσούτῳ παιδείας, ὅσῳ καὶ τοῦ χρηστὸς ἀνὴρ εἶναι. Richtige Bildung besteht unserer Ansicht nach nicht in dem edlen Ebenmaß der Begriffe und der Sprache, sondern ist die gesunde Verfassung eines vernünftigen Denkens und die wahren Meinungen über das sittlich Gute und Schlechte, das Schöne und Schändliche. Wer das eine denkt, aber das andere seine Schüler lehrt, scheint selbst ebenso weit von Bildung entfernt wie davon, ein tüchtiger Mann zu sein.
Die charakterliche Integrität der Lehrer ist deswegen unabdingbar, weil es ihre primäre Aufgabe ist, anhand der klassischen Autoren moralische Grundsätze (ἤθη) zu vermitteln; ihr Metier ist letztlich die πολιτικὴ φιλοσοφία (d). Welchen Wert Julian charakterlichen Fragen beimaß, zeigen auch in anderem Zusammenhang aufgestellte Leitlinien . Augenscheinlich war es – insofern ist der zweiten Forschungsmeinung beizupflichten – Julians Ziel, eine moralische Wende im öffentlichen Leben herbeizuführen. Daß sich diese Forderung auch auf den Bereich der Bildung erstreckte, erstaunt nicht vor dem Hintergrund der bisherigen Beobachtungen, denen zufolge in Julians Augen Religion, Ethik und Bildung eine unauflösliche Einheit eingegangen waren.
οἶμαι τοὺς ἐξηγουμένους τὰ τούτων ἀτιμάζειν τοὺς ὑπ’ αὐτῶν τιμηθέντας θεούς (»Wie nun? Für Homer, Hesiod, Demosthenes, Herodot, Thukydides, Isokrates und Lysias sind die Götter Führer zu jeglicher Bildung. Hielten sich nicht die einen für dem Hermes, die anderen für den Musen geweiht? Widersinnig ist es nach meiner Ansicht, wenn diejenigen, die deren Schriften auslegen, die von ihnen geehrten Götter verachten.«). Schon Dionys von Halikarnaß bemerkt, daß viele Thukydides für göttlich inspiriert hielten (D. H. Th. ). Rosen (2006) ist der Ansicht, daß immerhin der Ausdruck optimi im Gesetzestext auf die religiöse Ausrichtung hinweise, da Julian mit den ›Guten‹ stets seine Glaubensgenossen gemeint habe. Vgl. Iul. or. . a; . b; ep. . b. In einem am . Januar an den Stadtpräfekten von Rom gerichteten Sammelerlaß heißt es in bezug auf die Auswahl von Anwälten (Z. f.): eos autem optimos eligi velimus, animo prius, deinde | facundia. Nam studiorum secunda gloria est, prima mentium. Siehe Bischoff – Nörr (1963) (Edition mit Kommentar). Bischoff und Nörr vermuten, daß sich auch diese Bestimmung gegen Christen richtete (ebd. ).
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Der Vorwurf, einen amoralischen Lebenswandel zu führen, traf, wie wir oben gesehen haben, keineswegs nur Christen. Besonders scharf attackierte Julian in zwei Reden die zeitgenössischen Kyniker bzw. diejenigen, die sich dafür ausgaben. Sowohl in seiner Rede Gegen Herakleios als auch in der gegen die ungebildeten Kyniker gerichteten Schrift ist es neben der falschen Haltung gegenüber den Göttern die tugendlose Lebensführung, die den Zorn des Kaisers heraufbeschwört. Rein an den Äußerlichkeiten kynischen Lebens orientiert, haben die Pseudokyniker die Schamlosigkeit zum obersten Prinzip erhoben. Leute in der Nachfolge des Oinomaos seien geradezu wahnsinnig, führten ein tierisches Leben und kämpften gegen alles Gute und Schöne. Oinomaos’ Ziel sei es gewesen, die Verehrung der Götter zu beseitigen, menschliches und göttliches Gesetz mit Füßen zu treten . Zudem sind die Pseudokyniker Julian zufolge durch Verweichlichung charakterisiert . Wer solche Positionen vertrete, also wie Verbrecher die κοινὰ νόμιμα unterminiere, gehöre vertrieben . Julians erklärte Absicht ist es also, Menschen vom Schlage eines Herakleios aus der Gemeinschaft der Gebildeten und erst recht aus dem Kreis der Philosophen auszuschließen. Wem außer der Bildung die moralische Integrität fehlt, der kann nicht damit rechnen, unter Julians Regierung ungestört seine Lehren zu verbreiten. Damit die moralischen Leitlinien seiner Politik einem größeren Publikum bekannt wurden, hatte Julian auch den invektivenartigen Brief an den Senator Neilos veröffentlicht . Ganz ähnlich wie in der Rede Gegen Herakleios stellt er zwei Gruppen einander gegenüber, auf der einen Seite seine Gesinungsgenossen, die vorbildlichen Griechen, auf der anderen Leute wie den Adressaten . Oberlehrerhaft klärt der Kaiser seinen Gegner darüber auf, wie sich ein untadeliger Mensch benehmen müsse. Neilos hingegen besitze eine falsche Vorstellung vom σπουδαῖος καὶ σώφρων ἀνήρ (ep. . b/c). In einem Katalog hält Julian ihm all seine Fehler vor, Überheblichkeit, Vermessenheit, zügellose Sprache, eine bösartige Seele und einen wirren Verstand . Da in Julians Vorstellung Ethik und Bildung Hand in Hand gehen, nimmt es nicht Iul. or. . a–a, b–a; or. . c–a, d–c, c–b. Iul. or. . a/b, d–b, b/c. Iul. or. . d, b/c. Iul. ep. . Daß es sich um einen offenen Brief handele, kündigt Julian am Ende des Schreibens an. Libanios’ Anspielung auf den Fall des Neilos (ep. . ) bezeugt, daß die Angelegenheit einigermaßen bekannt war. Zu den Umständen der Auseinandersetzung siehe Wiemer (1996a). Daß der Brief von seinem Duktus her mit den Kynikerreden und dem Misopogon verwandt ist, wurde schon verschiedentlich bemerkt. Gleason (1986) . Es geht indessen zu weit, aus solchen Übereinstimmungen eine geschlossene kynische Opposition gegen Julian zu postulieren. So Asmus (1902) und Asmus (1912); dagegen schon Geffcken (1914) . Der Brief an Neilos zeigt keinerlei Hinweise auf kynisches Gedankengut. Iul. ep. . a: hτὴνi ἄγαν αὐθάδειαν καὶ τὴν θρασύτητα καὶ τὴν ἀκολασίαν
τὴν τῆς γλώττης καὶ τὸ τῆς ψυχῆς ἄγριον καὶ τὸ μαινόμενον τῶν φρενῶν καὶ τὸ παρακεκινηκὸς ἐν πᾶσιν.
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wunder, daß er Neilos mehrfach für seinen Mangel an Bildung und intellektuellen Fähigkeiten rügt, ohne dabei immer die Souveränität eines ›Philosophenkaisers‹ zu wahren . Wie bei den angegriffenen Kynikern kommt außerdem die Verweichlichung als Vorwurf hinzu . Den Übereinstimmungen zwischen den Kynikerreden und der brieflichen Invektive läßt sich entnehmen, daß Julian ein festgefügtes Feindbild hatte, nach dem er bei Bedarf mißliebige Zeitgenossen modellieren konnte. Auch wenn es sich nicht um Christen handelte, war für sie auf Grund ihrer moralischen Defizite kein Platz in der Gemeinschaft der Hellenen. Auch gegen sie richtete sich das Rhetorenedikt. Waren sie doch aus Julians Sicht ebensowenig wie die Christen geeignet, Literatur auszulegen und zu vermitteln. Gerade die Auseinandersetzung mit Herakleios führte jedermann vor Augen, wie leichtfertig und fragwürdig die Pseudokyniker mit der literarischen und philosophischen Tradition umgingen. Herakleios, ausschließlich an der Oberfläche kynischen Lebens interessiert, war eben nicht imstande, die wahre Lehre des Diogenes und der Kyniker zu verstehen. Von ›häretischen‹ Autoren wie Oinomaos irregeleitet, verlachte er die Lehren Platons, Plotins, des Porphyrios und des göttlichen Jamblich über das Wesen der Götter (or. . a–c). Daß er sich im Werk des Demosthenes nicht auskennt, bezeugt seine mangelnde Bildung . Insbesondere aber hatte der allegorische Mythos, den Herakleios öffentlich vorgetragen hatte, allen demonstriert, daß er nicht in der Lage war, in Übereinstimmung mit den philosophischen und theologischen Grundsätzen Mythen zu ersinnen. Julian führt also in dieser Rede eine Auseinandersetzung nicht nur über die richtige Lebensweise, sondern auch über den adäquaten Umgang mit Literatur und Philosophie . Indem er die wahre Lehre der Kyniker verteidigt und einen eigenen Mythos als Muster präsentiert, legt der Kaiser Iul. ep. . b (Unkenntnis einer Fabel des Babrios, also von elementarer Schullektüre), c, a, b (ironische Anrede ὦ συνετώτατε ∆ιονύσιε), a/b. An der zuletzt genannten Stelle kritisiert Julian kleinlich Sprachverstöße des Adressaten. Iul. ep. . a. Julian zitiert hier den Vers οὔ τοι, τέκνον ἐμόν, δέδοται πολεμή¨ια ἔργα, den in Hom. Il. . Zeus zu Aphrodite spricht, und fordert Neilos auf, sich auch noch den folgenden Vers zu ergänzen (nämlich: ἀλλὰ σύ γ’ ἱμερόεντα μετέρχεο ἔργα γάμοιο). Der Adressat ist also kein tüchtiger Mann, sondern soll sich um Frauenangelegenheiten kümmern. Kurz darauf meint Julian ausdrücklich, Neilos solle nicht als Mann gelten, wo er doch gar keiner sei. Er prostituiere sich sogar selbst. Iul. or. . a/b. Zur mangelnden Bildung der Pseudokyniker siehe auch d–a, a/b, a–d; or. . a/b, d–c. Vgl. auch den Titel von or. Εἰς τοὺς ἀπαιδεύτους κύνας. In beiden Kynikerreden demonstriert Julian durchgehend, daß er selbst im Gegensatz zu den Pseudokynikern weiß, wie man Literatur adäquat auslegt, und die gesamte Tradition von Pythagoras und Sokrates über Platon, Aristoteles und die wahren Kyniker bis hin zu Plotin, Porphyrios und Jamblich richtig verstanden hat. Als Gegenbild zu Leuten wie Herakleios führt das Beispiel Julians vor Augen, daß nur der sittlich Vollkommene die klassischen Autoren wahrheitsgemäß interpretiert.
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dar, wie weit sittlich verderbte Menschen davon entfernt sind, die Bildungstradition zu beherrschen und gemäß der Wahrheit zu lehren. Wer das Rhetorenedikt und die begleitenden Verfügungen als ausschließlich antichristliche Instrumente begreift, wird ihrer doppelten Stoßrichtung nicht gerecht. Einerseits steht es außer Frage, daß der Kaiser die Christen von der Bildung und damit vom Zugang zur politischen und gesellschaftlichen Elite fernhalten wollte. Andererseits hatte er damit ein Disziplinierungsmittel geschaffen, das im Hinblick auf die hellenische Gemeinschaft konzipiert war. Abweichler, die mit Julians Restauration nicht einverstanden waren, sollten sowohl durch Invektiven bloßgestellt und verächtlich gemacht als auch formell ausgeschlossen werden. Es ging offensichtlich darum, Konformität zu erzwingen und die innere Einheit des hellenischen Lagers zu stärken. In der vom Freund-Feind-Denken geprägten Vorstellungswelt Julians kam es darauf an, eine homogene, von inneren Differenzen freie Gruppe zu schaffen, mit der man christlichen und anderen Kontrahenten die Stirn bieten konnte. Die hier vorgelegte Interpretation des Rhetorenedikts erklärt dann auch, weshalb der Sophist Prohairesios sein Lehramt aufgeben mußte . Nicht weil er Christ war, war Prohairesios von dem Edikt betroffen. Die Bezeugung seiner Religion steht auf ziemlich schwachen Füßen, und Eunaps Darstellung legt eher die Vermutung nahe, daß er kein Christ gewesen ist . Ausschlaggebend war vielmehr, Eun. VS . . ; Hier. chron. p. ,–, (zum Jahr ). Hieronymus erwähnt außerdem, daß Julian angeboten habe, Prohairesios von dem Berufsverbot auszunehmen, was dieser jedoch abgelehnt habe (Prohaeresius sofista Atheniensis lege data, ne XPiani liberalium artium doctores essent, cum sibi specialiter Iulianus concederet, ut XPianus doceret, scholam sponte deseruit). Mitunter wird der Eindruck erweckt, auch Eunap und Orosius (. . ) erwähnten dieses Angebot; so PLRE , s. v. Proaeresius; Bringmann (2004) f. mit Anm. ; Rosen (2006) Anm. . Dies ist jedoch nicht der Fall. So Geffcken (1920) f., f., Anm. ; Goulet (2001) –. Dagegen PLRE , s. v. Proaeresius; Penella (1990) –; Christoph Markschies: Art. »Prohairesios«, in: DNP , , ; Rosen (2006) ; Watts (2006) – (mit ausführlicher Darstellung der Karriere des Prohairesios); Cribiore (2007) –; Civiletti (2007) –. Watts versucht, durch die ständige Wiederholung der Behauptung, Prohairesios sei Christ gewesen und habe dies öffentlich gezeigt, die Tatsache zu überdecken, daß es für dessen Christentum nur einen einzigen klaren Beleg gibt, allerdings von einem Autor, der ihn nicht persönlich kannte (Hieronymus, siehe oben). Die Annahme, Prohairesios sei Christ gewesen, stützt sich außerdem auf ein Gedicht Gregors von Nazianz (epitaph. [PG , a]) sowie auf die Tatsache, daß er berühmte Christen als Schüler hatte (Basileios und Gregor von Nazianz; siehe Socr. h. e. . . , . . ). Bei den meisten Adressaten der Grapepigramme Gregors ist jedoch die Religion völlig ungewiß. Das Epigramm selbst feiert einzig die Reden und den großen Ruhm des Prohairesios, ohne etwas zur Religion zu sagen. Auch Libanios unterrichtete christliche Schüler (Johannes Chrysostomos, Amphilochios von Ikonion). Und Eunap behauptet keineswegs, daß Prohairesios Christ gewesen sei, sondern nur, daß er Christ zu sein schien bzw. als solcher galt (ἐδόκει γὰρ εἶναι χριστιανός). Im Gegenteil, manche Stellen klingen eher so, als sei Prohairesios wie alle anderen von Eunap porträtierten Intellektuellen Heide gewesen (Eun. VS . . [Eunap achtet auf ihn wie auf einen
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daß Prohairesios anscheinend mit Julians Politik einer scharfen Konfrontation nicht einverstanden und zudem in religiösen Fragen kein Eiferer war . Diese Haltung mußte ihn in des Kaisers Augen suspekt machen und ihn für das Lehramt als ungeeignet erscheinen lassen . Prohairesios dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach ein Beispiel dafür sein, daß das Rhetorenedikt nicht ausschließlich Christen betraf . Das Edikt ist demnach vor dem Hintergrund des julianischen Literaturverständnisses zu sehen. Wenn Bildung als eine Verbindung aus Ethik und Kultur gesehen wird, wenn die gesamte wahre Philosophie als homogene Einheit konzipiert wird und wenn schließlich die gesamte griechische Literatur von Homer bis zu Demosthenes übereinstimmend die Wahrheit über die Götter mitteilt, versteht es sich von selbst, daß die Klassiker einheitlich ausgelegt und gelehrt werden müssen. Wer wie Julian die Deutungshoheit über die Literatur anstrebt und gleichsam ein Interpretationsmonopol errichten will, kann im Schulbetrieb keine abweichenden Ansichten dulden. Da der Kaiser danach trachtete, die Aussage der klassischen Texte festzulegen, also die Existenz verschiedener Interpretationen geradezu zu negieren, mußte er die Hellenen auf eine einheitliche Linie einschwören. Die kanonisierten, gleichsam sakrosankten Texte der Gott], . . [θειότατος Προαιρέσιος], . . [die Vorsehung eines Gottes lenkt Prohairesios’ Geschick], . . und . . [die Leute verehren ihn wie einen Gott und nennen ihn auch so]). Zudem wird erzählt, wie Prohairesios den Hierophanten von Eleusis konsultiert habe. In den Augen Eunaps war er demnach gewiß kein Christ. Vermutlich war Prohairesios also Heide, allerdings mit dem Restaurationsprogramm Julians nicht einverstanden. Daß Prohairesios sein Christentum ostentativ zur Schau gestellt hätte, ist eine durch nichts gesicherte Annahme von Watts; ebenso seine Behauptung, das einzige Motiv für Constans’ Protektion des Prohairesios sei gewesen, daß er das Christsein des Sophisten habe öffentlich machen wollen. So fragte er in verschlüsselter Form den Hierophanten, ob mit einer langen Regierungszeit Julians zu rechnen sei (Eun. VS . . f.). Für einen Mangel an religiösem Eifer spricht, daß Gregor von Nazianz einen Epitaph auf ihn verfaßte und man ihn für einen Christen halten konnte (Eun. VS . . ). Daß Prohairesios bei Constans in hohem Ansehen gestanden hatte und an dessen Hof berufen worden war, dürfte ein übriges getan haben. Zu Prohairesios’ Beziehung zu Constans Watts (2006) –. Für eine gewisse Distanz Julians gegenüber Prohairesios spricht auch Iul. ep. , wo Julian ziemlich reserviert auf die Frage des Sophisten nach seinem Vorgehen gegen Constantius zu reagieren scheint. Weis (1973) –; Bringmann (2004) ; Watts (2006) –. Der Brief wurde mißverstanden von Bowersock (1978) . Julians Abneigung gegen den Sophisten bezeugt ferner Suda λ und π (evtl. nach Eunaps Historien). Die oben zitierte Nachricht des Hieronymus, Julian habe Prohairesios von dem Edikt dispensieren wollen, dürfte eine tendenziöse christliche Erfindung sein. Da der Sophist in Religionsfragen tolerant gewesen zu sein scheint, war es ein Leichtes, aus ihm einen Christen zu machen, der Julian eine Niederlage einbrachte. Welchen Grund hätte der Kaiser haben sollen, einem Sophisten, dem er mit Mißtrauen begegnete, eine solche Vergünstigung zu offerieren? Wäre nicht außerdem eine Erwähnung des Vorganges bei Eunap zu erwarten, der Prohairesios immerhin persönlich kannte? Siehe Geffcken (1920) f., f., Anm. . Vgl. auch Germino (2004) –.
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Klassiker bedurften einer institutionalisierten, möglichst unveränderlichen Vermittlung und Auslegung.
. Eine stabile Identität Ausgehend von der Fremd- und Selbstbezeichnung der Heiden als Hellenen, haben wir auf verschiedenen Gebieten den Prozeß verfolgt, wie im vierten Jahrhundert Ansätze für eine spezifisch pagane Identität entwickelt wurden. Die vielfältigen, zum Teil als krisenhaft empfundenen Veränderungen dieser Zeit machten es notwendig, darüber zu reflektieren, wodurch sich die eigene Gruppe definieren ließ und wie man sie von anderen abgrenzen konnte. Dabei hat sich eine Strategie immer wieder als charakteristisch erwiesen, nämlich die Verknüpfung von Bildung, Ethos und Religion zu einem einheitlichen Ganzen. Um das pagane Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen, genügte es nicht, sich auf ein einziges Definiens zu konzentrieren; mehr Erfolg versprach es, verschiedene Merkmale zu einem Ensemble zu fügen, das in seiner Gesamtheit ein scharfes Profil der eigenen Gruppe begründete. Zudem barg dieses Vorgehen den Vorteil, daß man, indem man die griechische Kultur und die überkommenen ethischen Werte an die pagane Götterverehrung knüpfte, sie für die eigene Gruppe vereinnahmen und anderen, seien sie nun Christen oder mißliebige Abweichler, vorenthalten konnte. Wenn sowohl der griechische Sprachraum als auch der imaginäre Raum der historischen Erinnerung, der literarischen und kulturellen Tradition vom paganen Götterkult durchdrungen, um nicht zu sagen: besetzt war, gab es keinen Platz mehr für andere, die sich vielleicht ebenfalls als Erben der griechischen Kultur betrachteten. Deutlich hat sich die Tendenz abgezeichnet, die gesamte positiv besetzte Überlieferung für die eigene Gruppe zu beanspruchen und durch die Bindung an die Religion ideologisch auszurichten. Diese sich besonders in Julians Bildungspolitik manifestierende Strategie wurde auch von den christlichen Zeitgenossen in ebendiesem Sinne verstanden. Eine gewisse Ausnahme bildete unter den paganen Intellektuellen Themistios, der bezeichnenderweise zu Julian kein sonderlich enges Verhältnis unterhielt. Wenn er vor christlichen Kaisern sprach, verbot es sich von selbst, ein dezidiert paganes Konzept griechischer Identität zu propagieren. Was die nichtreligiösen Aspekte griechischen Selbstverständnisses angeht, unterscheidet er sich jedoch nicht von den anderen Autoren. Und sobald sich die Möglichkeit bot, nämlich vor dem heidnisch geprägten römischen Senat oder bei der Trauer um den eigenen Vater, schlug Themistios Töne an, die gar nicht so weit von den Vorstellungen seiner Kollegen Libanios oder Himerios entfernt waren. Dann imaginierte er nämlich ebenfalls Orte, die nicht allein von der Bildungstradition, sondern auch pagan geprägt waren.
. Eine stabile Identität
Trotz allen tatsächlich vorhandenen Ausprägungen dessen, was griechisch oder was pagan war, ließ sich die Tendenz feststellen, solche Unterschiede zu überdecken und eine möglichst homogene Gruppe zu schaffen. Ob man als Heide eher polytheistischen oder monotheistischen Vorstellungen anhing, aufwendig opferte, Theurgie praktizierte oder nicht, ob man in den Zentren griechischer Kultur lebte oder eher an den auch von indigenen Traditionen beeinflußten Randgebieten, trat in den Hintergrund, wenn es darum ging, die eigene Identität zu definieren. Wichtig war es, zumal in der Auseinandersetzung mit anderen, einheitliche Merkmale festzulegen, auf die sich dann tatsächlich eine kollektive Identität gründen ließ, die sich nicht sogleich wieder durch Partikularismen auflöste. Die Charakteristika, auf die man sich dabei stützte, hatten überdies den Vorzug, durch die jahrhundertealte Tradition etabliert zu sein. Indem man stets auf Homer, Platon, die Perserkriege, Athen als geistiges Zentrum rekurrierte, suggerierte man, daß sich an der hellenischen Identität seit langem nichts mehr geändert habe. Durch den Rückgriff auf die kanonischen Eckpfeiler griechischer Kultur sollte die pagane Identität des vierten Jahrhunderts Stabilität erhalten und so den zeitgenössischen Veränderungen und Herausforderungen trotzen. In diesen Zusammenhang sind auch klassizistisch geprägte Bemühungen einzuordnen, das Ererbte zu bewahren und zugänglich zu machen, also etwa Oreibasios’ Exzerpte aus Galens Œuvre, Themistios’ Aristoteles-Paraphrasen oder Libanios’ Erläuterungen zu Demosthenes. Obgleich also der inhaltliche Bestand hellenischer Identität alles andere als neu war, kann das Vorgehen an sich als innovativ gelten. An die Stelle vieler Teilidentitäten sollte nun ein einheitliches Selbstverständnis treten. Mit diskursiven Mitteln trachteten Julian und seine Gesinnungsgenossen danach, Homogenität und Einheit herbeizuführen. Sie hatten erkannt, daß es angesichts der religiösen, kulturellen und sozialen Herausforderungen nötig war, als geschlossene Gruppe aufzutreten. In den Werken der paganen Autoren läßt sich dieser auf vielen Gebieten ablaufende Prozeß der Identitätskonstruktion greifen, ein Prozeß, der sowohl nach innen als auch nach außen wirkte. Einerseits wollte man sich von anderen abgrenzen und verhindern, daß integrale Bestandteile griechischer Kultur von ihnen usurpiert wurden. Andererseits galt es, die Mitglieder des eigenen Lagers auf eine möglichst einheitliche Linie festzulegen und damit zu disziplinieren.
Von der Institution zum Heiligen . Reflexionen über die Kaiserherrschaft Nachdem Kaiser Konstantin gestorben war, stand für Eusebios von Caesarea, als er das Leben des Herrschers aufzeichnete, außer Zweifel, daß das Römische Reich erstmals einen Christen an seiner Spitze gesehen hatte, einen Kaiser, der vor aller Augen gestellt hatte, welch großer Unterschied zwischen den Anhängern des Christus und den Feinden der Kirche bestand. Ein Verehrer des Christengottes in höchstem Maße, habe Konstantin die Kirche verherrlicht, den Irrtum der Vielgötterei hingegen erniedrigt und auf diese Weise bekundet, von Gott geliebt zu sein. Mit dieser umfassenden Würdigung des einzigartigen Kaisers läßt Euseb seine Vita Constantini ausklingen (v. C . f.), jenes Werk, das sich einer eindeutigen Zuordnung zur Biographie wie zum Enkomion wie zur Geschichtsschreibung entzieht und auch mit der Charakterisierung als Hagiographie nur unzureichend beschrieben ist . Vielmehr vereinigt Euseb in dieser Schrift Züge aus all diesen literarischen Genera, um dem ersten christlichen Kaiser gleichsam als einem Heiligen ein Denkmal zu setzen. Er formt nicht nur hier, sondern ebenso in seinem Panegyricus auf Konstantin und in seiner Kirchengeschichte, als deren Fluchtpunkt derselbe Kaiser dient, ein neues Herrscherideal und eine neue Romideologie christlicher Prägung . Ohne auf die traditionellen Motive der literarischen Reflexion über die Herrschaft zu verzichten, versucht Euseb, dem Kaisertum ein christliches Fundament zu geben und, um dieses neue Leitbild adäquat zum Ausdruck zu bringen, neue literarische Formen zu finden. Mit seinen Gedanken über die Kaiserherrschaft steht Euseb im vierten Jahrhundert keineswegs allein auf weiter Flur. Im Gegenteil, es handelt sich um eines der zentralen Themen dieser Zeit, das in vielfältigen literarischen Gattun Zum literarischen Charakter siehe Averil Cameron; Stuart G. Hall: Eusebius. Life of Constantine. Introduction, Translation, and Commentary. Oxford , –. Ob Konstantin der Große tatsächlich als Christ bezeichnet werden kann, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter von Belang ist; Euseb stellt ihn jedenfalls als solchen dar. Zu Konstantins Konversion Eus. v. C. . . Mitchell (2007) – und Peter Weiß: »The Vision of Constantine«, in: JRA , , –. Raffaele Farina: L’Impero e l’Imperatore cristiano in Eusebio di Cesarea. La prima teologia politica del Cristianesimo. (Bibliotheca Theologica Salesiana I.) Zürich ; Cameron (1997); Kolb (2001) –.
. Reflexionen über die Kaiserherrschaft
gen immer wieder aufgegriffen und durchgespielt wurde . Über die literarische Repräsentation hinaus war das Bildnis des römischen Kaisers aber noch stärker präsent und erreichte noch größere Bevölkerungskreise durch nichtliterarische Formen wie das Zeremoniell, etwa den adventus, oder die Werke der bildenden Kunst, etwa die verbreiteten imagines des Herrschers. Als ein Ensemble zusammenwirkender Elemente schufen die verschiedenen Formen der Repräsentation das offizielle Bild des römischen Kaisers und verankerten es im allgemeinen Bewußtsein . Wie bereits angedeutet, spielte der Kaiser auch in dem von Euseb inaugurierten Genos der Kirchengeschichte eine nicht unbedeutende Rolle, insofern nun Kirche, Kaiser und Reich eng aufeinander bezogen wurden und der Herrscher eine Funktion im göttlichen Heilsplan zugewiesen bekam. Wenn auch Eusebs Nachfolger auf diesem Gebiet kein wirkliches biographisches Interesse hegten und dementsprechend die Kirchengeschichte nicht zur Kaisergeschichte geriet, haben auch sie dazu beigetragen, das Bild eines christlichen Kaisertums zu festigen. Sokrates etwa überhöht den Kaiser religiös, indem er ihn der Gestalt des Priesters angleicht, während Sozomenos und Theodoret in dieser Hinsicht zurückhaltender sind . Ein verstärktes Interesse an der Gestalt des Kaisers zeigte aber auch die pagane Historiographie dieses Zeitraums, so daß Geschichtsschreibung und Biographie eine enge Verbindung eingingen. Hatten zuvor schon Sueton und Herodian Geschichte als eine Abfolge von Kaiserbiographien verstanden, so verfolgten nun die Historia Augusta, Aurelius Victor und die Epitome de Caesaribus diesen Ansatz konsequent weiter und stellten eindrücklich dar, durch welche Eigenschaften sich vorbildliche wie schlechte Herrscher auszeichneten . Und selbst bei Ammianus Marcellinus ist die Tendenz unübersehbar, Kaiser Julian als positive Herrschergestalt in den Mittelpunkt seines Werkes zu stellen, obgleich er seinen Res gestae nicht die Form der Biographie verleiht . Ein offizielles Bild des regierenden Kaisers zu verbreiten oblag jedoch vornehmlich den zu zahlreichen Anlässen vorgetragenen Panegyrici, von deren Produktion mit den Panegyrici Latini, den Reden des Euseb, des Themistios, des
Siehe etwa Cameron (1991) –. Zu den verschiedenen Formen kaiserlicher Repräsentation in der Spätantike siehe Kolb (2001). Leppin (1996); siehe auch Hartmut Leppin: »The Church Historians (I). Socrates. Sozomenus, and Theodoretus«, in: Marasco (2003) –. Zur Historia Augusta siehe Andrea Scheithauer: Kaiserbild und literarisches Programm. Untersuchungen zur Tendenz der Historia Augusta. (Studien zur klassischen Philologie ) Frankfurt u. a. ; Anthony R. Birley: »The Historia Augusta and Pagan Historiography«, in: Marasco (2003) –. Zu Aurelius Victor Harold W. Bird: Sextus Aurelius Victor. A Historiographical Study. (ARCA ) Liverpool ; Peter Witzmann: Zum Herrscherbild in der Spätantike. Aurelius Victor und Orosius. Diss. FU Berlin ; Rohrbacher (2002) –. Siehe Gärtner (1968), Neri (1984) und Barnes (1998) – und –.
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Libanios und Julians nur ein Bruchteil erhalten sein dürfte . Im Rahmen feierlicher Anlässe, also im Zusammenwirken mit visuellen Darstellungsformen, priesen sie den jeweils Gelobten als Idealherrscher und schrieben so fest, welcher Vorzüge der gute Kaiser bedurfte. Sie perpetuierten damit ein relativ homogenes Kaiserbild, das nur in Ausnahmefällen, etwa bei Eusebs christlichem Kaiser, signifikant variiert wurde. Schließlich fehlte es ebensowenig an theoretischen Reflexionen über die gute wie die schlechte monarchische Herrschaft. In der Tradition des Dion von Prusa grenzte gegen Ende des vierten Jahrhunderts Synesios in seiner nach Art von Fürstenspiegeln gestalteten Rede Über die Königsherrschaft das Kaisertum von der Tyrannis ab und propagierte in Anlehnung an traditionelle Vorstellungen eine Vereinigung von Kaiserherrschaft und Philosophie . Der Suda zufolge soll auch Julians Leibarzt Oreibasios einen Traktat Περὶ βασιλείας verfaßt haben, doch falls diese Nachricht den Tatsachen entspricht, hat sich davon jegliche Spur verloren . Vom ausgehenden dritten bis hinein ins fünfte Jahrhundert unternahmen es Christen wie Heiden immer wieder, das Wesen der guten und schlechten Herrschaft in literarischer Form zu erfassen . Beide Seiten rekurrierten hierbei zum Teil auf dieselben Theorien und Gedanken , die ihren Ursprung bei Platon hatten, um gleichsam einen Maßstab festzuschreiben, ein Ideal, an dem der regierende Kaiser gemessen wurde. Angesichts tiefgreifender Umbrüche, als sich das Römische Reich von einem Christen verfolgenden paganen Staat in ein christliches Imperium wandelte, sollte das literarisch geformte Kaiserbild Orientierung bieten. Christliche Autoren wie Euseb bemühten sich, die ideologischen Grundlagen des Reiches und des Kaisertums literarisch zu verändern und dadurch Positionen zu besetzen, die künftig als Leitbild dienen sollten. Pagane Intellektuelle konnten hier nicht tatenlos zusehen, wie das Kaisertum im christlichen Sinne transformiert und auf diesem Wege das diskursive Feld neu geordnet wurde. Sofern ihnen daran gelegen war, ihre Vorstellungen von guter Herrschaft in der Öffentlichkeit zu verankern, mußten sie an dieser Dis Zur spätantiken Panegyrik siehe MacCormack (1981) –, Mause (1994) sowie die Beiträge im Sammelband von Whitby (1998). Zu dieser Rede treten noch Synesios’ Ägyptische Erzählungen hinzu, in denen er im mythischen Gewand die gute und die schlechte Herrschaft erörtert. Siehe Wolfgang Hagl: Arcadius Apis Imperator. Synesios von Kyrene und sein Beitrag zum Herrscherideal der Spätantike. (Frankfurter althistorische Beiträge ) Stuttgart , –. Suda, ο . Das Werk ist sonst nirgends bezeugt. Photios, der einen Überblick über Oreibasios’ Œuvre bietet, erwähnt nichts dergleichen (Phot. Bibl. –. b–b). Am Rande zu erwähnen sind hier auch noch die knappen Bemerkungen zur guten Verfassung von Julians Vertrautem Salutius (). Siehe dazu Enrique Ángel Ramos Jurado: »La teoría política de Salustio, Prefecto de Juliano«, in: Habis /, /, – (mit zu weit reichenden Schlußfolgerungen). Cameron (1991) spricht im Hinblick auf das Thema der Herrschaft von einer »convergence of theme and vocabulary« bei Heiden und Christen.
. Die Institution ist wichtiger als das Individuum
kussion teilnehmen. Gerade mit Julians kurzer Herrschaft, die als Bruch mit dem christlichen Kaisertum noch einmal die Möglichkeit zur Umkehr in sich barg, mußten sich solche Überlegungen verbinden. Unklar war jedoch, wo heidnische Autoren anknüpfen konnten, ob sie also einfach zu den Theorien und Formen zurückkehren konnten, die vor der konstantinischen Wende Gültigkeit besessen hatten. Welche Antworten auf diese Herausforderung möglich waren, sollen im folgenden Themistios’, Julians und Libanios’ Reflexionen über den idealen Herrscher zeigen.
. Die Institution ist wichtiger als das Individuum In eine Zeit, die auf den Gebieten der Politik, der Religion und der Gesellschaft von Wandel und tiefgreifenden Veränderungen geprägt war, ragt die weitgehend ruhig und ohne größere Brüche verlaufende Karriere des Themistios wie ein erratischer Block. Beinahe während seines ganzen Lebens hielt er sich in Konstantinopel auf, wo er als philosophischer Lehrer tätig war . Über mehr als dreißig Jahre hinweg gelang es ihm, enge Kontakte zum kaiserlichen Hof zu unterhalten und in den Diensten von fünf in ihrer Politik durchaus verschiedenen Kaisern zu stehen . Von ihnen wurde er dazu ausersehen, bei wichtigen öffentlichen Anlässen die offiziellen Ansprachen zu halten und in ihnen Zu Leben und Karriere des Themistios siehe Dagron (1968) – und passim, Schlange-Schöningen (1995) –, Vanderspoel (1995), Penella (2000a) –. Phot. Bibl. . a spricht von insgesamt λόγοι πολιτικοί, die Themistios gehalten habe. Die Adressaten der überlieferten Staatsreden sind die Kaiser Constantius II. (or. –), Jovian (or. ), Valens (or. –, , ) und Theodosius I. (or. –). Hinzu kommen mindestens ein verlorener Panegyricus auf Julian (siehe Lib. ep. . ) und Themistios’ Briefwechsel mit diesem (siehe nächstes Kapitel). Weitere Adressaten sind Gratian (or. ) und der zweijährige Valentinian Galates (or. ). Je nachdem, wie die erste Rede zu datieren ist, umfaßt der Zeitraum die Jahre oder bis . Zur Datierungsfrage siehe Portmann (1992) und Ballériaux (1996a). Die Beziehungen zwischen Themistios und den einzelnen Kaisern werden eingehend beleuchtet von Vanderspoel (1995) und Errington (2000). Umstritten ist, ob der sog. Risâlat, eine auf Arabisch überlieferte Denkschrift, die in den Handschriften Themistios zugeschrieben wird, möglicherweise ein an Julian gerichteter Panegyricus ist. Zwar scheint der allgemeine Tonfall dieses an Fürstenspiegel erinnerenden Werkes durchaus zu Themistios zu passen, doch sprechen einige Punkte gegen dessen Verfasserschaft: Es fehlen wichtige Aspekte wie etwa die φιλανθρωπία oder die Angleichung an Gott, ebenso vermißt man die für Themistios typischen Exempla und Zitate, und überdies ist die weitgehend aus Gemeinplätzen kompilierte Schrift von einer intellektuellen Dürftigkeit (soweit man dies der lateinischen Übersetzung entnehmen kann), wie man sie Themistios nicht zutrauen möchte. Eine gewisse Unsicherheit bleibt allerdings, da man nicht wissen kann, wieviel auf dem Wege der Übersetzung geändert worden ist. Für eine Identifizierung mit dem Panegyricus auf Julian spricht sich Vanderspoel (1995) – und – aus, ähnlich Dvornik (1955) ; dagegen Errington (2000) –. Den Text und eine
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Leitlinien der kaiserlichen Politik zu formulieren . Diese Karriere wirkt um so erstaunlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß die Herrscher mit Ausnahme Julians christlichen Glaubens waren, während Themistios, ohne dies zu verhehlen, weiterhin dem traditionellen Götterkult anhing . Auch wenn er für sein Wirken im Dienste christlicher Herrscher möglicherweise von Heiden kritisiert wurde , scheint es weder für Themistios selbst noch für den jeweiligen Kaiser problematisch gewesen zu sein, wenn ein paganer Philosoph den christlichen Herrscher als idealen Kaiser pries. Vermutlich versprachen sich die römischen Kaiser von Constantius II. bis zu Theodosius I. einen Vorteil von diesem Verfahren, und auch Themistios dürfte, abgesehen von dem Prestige und den Ehren, die seine Tätigkeit einbrachte, einen weiteren Nutzen darin gesehen haben, in epideiktischen Reden über die Aufgaben des vorbildlichen Königs zu reflektieren. So liegt die Vermutung nahe, daß er einerseits dem Selbstverständnis der Kaiser adäquaten Ausdruck zu geben verstand, andererseits aber nicht gänzlich seine eigenen Überzeugungen verleugnete. Andernfalls wären seine Äußerungen ohne weiteres als Heuchelei zu erkennen gewesen, und ein paganer Redner wie Libanios, der trotz Differenzen Themistios zu seinen Freunden zählte, hätte ihm wohl kaum Beifall gezollt . In den folgenden Überlegungen sollen literarische Strategien und Argumentationsformen herausgearbeitet werden, die dazu geeignet gewesen sein könnten, daß sowohl Christen als auch Heiden das entworfene Kaiserbild akzeptieren konnten . Zugleich wird zu fragen sein, ob Themistios
lateinische Übersetzung des Risâlats findet man in Schenkl – Downey – Norman (1965/74) III –. Die einzelnen Gelegenheiten, zu denen die Reden angefertigt wurden, lassen sich am bequemsten der Übersetzung von Leppin – Portmann (1998) entnehmen (siehe bes. die tabellarische Übersicht S. f.). Besonders deutlich tritt dies in der Rede auf seinen toten Vater Eugenios hervor (or. ), aber auch in den Staatsreden lassen Anrufungen an die Götter oder pagane Metaphorik keinen Zweifel. Siehe dazu unten S. . Das Übergehen des Themistios in den Philosophen- und Sophistenviten des Eunap dürfte auch als Kritik in diesem Sinne zu verstehen sein. Scharf angegriffen wurde Themistios für sein politisches Engagement dann in einem Epigramm des Palladas (AP . ). Zu diesen Auseinandersetzungen siehe Dagron (1968) –, Stenger (2007) und unten S. . Aufschluß über das Verhältnis der beiden zueinander geben die an Themistios gerichteten Briefe des Libanios. Deutliche Unterschiede lassen sich etwa in der Haltung zu Constantius, Julian und der Stadt Konstantinopel ausmachen. Während Themistios Constantius bewunderte, Julian distanziert gegenüberstand und sich bemühte, die provinzialen Eliten in die Hauptstadt zu holen, haßte Libanios Constantius, verehrte Julian und hegte deutliche Vorbehalte gegenüber Konstantinopel. Bei seinen Glückwünschen zu Them. or. macht Libanios keinen Hehl daraus, daß er zwar die sprachliche Form bewundert, die politische Position aber nicht teilen kann (Lib. ep. ). Siehe Dagron (1968) – und zu den Einzelheiten der Briefe den Kommentar von Bouchery (1936). Als Textgrundlage dienen die ›Staatsreden‹ or. – (mit Ausnahme der gefälschten or. ) sowie or. , die zu einem beträchtlichen Teil aus einem Panegyricus auf Theodosius besteht und zentrale Gedanken der Staatsreden wiederholt. Die inhaltlichen Grundzüge
. Die Institution ist wichtiger als das Individuum
tatsächlich, wie es die Forschung überwiegend darstellt, sich gänzlich dem Ausgleich zwischen Christentum und traditioneller Kultur verschrieben hatte und damit den veränderten Bedingungen seiner Zeit gerecht wurde . Seit dem für uns greifbaren Beginn der Gattung, den Enkomien des Isokrates und Xenophons, gehörte es zu den literarischen Konventionen, daß der Panegyriker in seinem Werk die eigene Aufgabe und den eigenen Status erörterte . Auch Themistios bildet hier keine Ausnahme, da er in allen seiner Reden zumindest Andeutungen über sein Selbstverständnis einfließen läßt. Wie er zu betonen nicht müde wird, sieht er sich nicht so sehr als epideiktischen Redner, sondern vielmehr als Philosophen, der sich der Rhetorik nur bedient, um seine Vorstellungen von Herrschaft und Ethik zu kommunizieren . Bereits in seiner ersten Rede, mit der er Zugang zur näheren Umgebung des Constantius erlangte, distanziert er sich wie bereits zahllose Panegyriker vor ihm von den üblichen Lobrednern, deren Aufmerksamkeit allein den irrelevanten Äußerlichkeiten gelte, und setzt auseinander, daß allein der Philosoph imstande sei, die wahre Erkenntnis über den Herrscher zu erlangen . Daher brauche er nicht zu den in Lobreden üblichen Schmeicheleien Zuflucht zu nehmen, die er weit von sich weist. Statt dessen nimmt Themistios für sich in Anspruch, seinem Publikum die Wahrheit mitzuteilen , damit es einen Nutzen von seinen Reden habe. Denn darin liegt seiner Ansicht nach die Aufgabe, ja das Gesetz der Philosophie, den Menschen einen praktischen Dienst zu erweisen. Themistios legt sich die Rolle des wahrheitsliebenden Philosophen zu, der die Herrschaft und ihre Eigenschaften sowohl intellektuell zu erfassen als auch adäquat und ohne übertriebene Idealisierung mitzuteilen vermag. Zeigt sich schon in dieser Verpflichtung zur Wahrheit eine gewisse Unabhängigkeit des Lobenden gegenüber dem Gelobten, aber auch gegenüber dem Publikum , so tritt sie noch deutlicher hervor, wenn Themistios für sich das Recht beansprucht, dem Herrscher Ratschläge zu erteilen oder ihn gar zu mahnen . Dem philosophischen Redner entspricht nämlich der philosophische Kaiser, der in seinem Bemühen, eine ideale Herrschaft auszuüben, Freimütigkeit und Offenheit geradezu einfordert.
des Herrschaftskonzepts in Themistios’ Reden sind bereits gut erforscht: beispielsweise Daly (1971), Daly (1975), Vanderspoel (1995), Gerhardt (2002) sowie in einem knappen Überblick bei Leppin – Portmann (1998) –. Wenig erhellend ist Karamboula (1993). So Daly (1975), Stertz (1976), Vanderspoel (1995), zusammenfassend –. Siehe beispielsweise Isoc. . – und X. Ag. . Siehe z. B. or. passim, bes. c–c; . b–a. Them. or. . a–b. Siehe auch . c–a. Them. or. . b. In or. . a bringt Themistios dies auf die Formel, seine Rede sei ein ἐλεύθερός τε καὶ ἀψευδὴς ἐπαινέτης. Beispielsweise or. . b–a, b, b–a; . (p. , –), (p. , f.). In or. . a hält Themistios es sich zugute, den Kaiser gegenüber den Untertanen wohlwollender gestimmt zu haben.
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Programmatisch wird dieses Ideal etwa in der an Theodosius gerichteten Rede Über die Bereitschaft des Kaisers zuzuhören (or. ) ausformuliert. Zumindest der Fiktion nach legt also der Herrscher großen Wert darauf, auch die abweichenden Meinungen anderer zu hören, zumal die eines Philosophen, der sich qua Tradition auf die παρρησία, die Möglichkeit freier Rede, berufen konnte . Obschon diese Unabhängigkeit konstitutiv ist für die Glaubwürdigkeit des Lobes, fehlt es ebensowenig an Hinweisen auf Verpflichtungen des Redners gegenüber verschiedenen Instanzen. Allein schon einige der Gelegenheiten, zu denen die Reden angefertigt wurden, verrieten, daß die Initiative zu Themistios’ Vortrag von niemand anderem ausgegangen war als dem Kaiser selbst. Dementsprechend bekundet der Redner ganz offen, auf wessen Veranlassung und in wessen Auftrag er vor das Publikum tritt. Beispielsweise geht er in der Rede zu den Decennalien des Valens ausführlich darauf ein, daß der Kaiser ihm den Auftrag für diesen Festvortrag erteilt habe . Aber auch dort, wo solche Äußerungen fehlen, geht aus dem Inhalt der Reden deutlich genug hervor, daß der gelobte Kaiser nicht der eigentliche Adressat, sondern der Auftraggeber war . Welchen Sinn hätte es nämlich gehabt, einem Kaiser von dessen eigenen Taten zu erzählen, wenn er wirklich der Hauptadressat gewesen wäre? Das Vergnügen daran, mit welcher rhetorischen Raffinesse der Lobredner die Leistungen ins rechte Licht zu rücken verstand, hätte beim Kaiser vermutlich schnell nachgelassen, wenn die Reden nicht noch einen anderen Zweck gehabt hätten. Viel plausibler ist die Annahme, daß es die eigentliche Aufgabe des Panegyrikers war, hohen Offizieren, Beamten und Würdenträgern sowie dem Senat die Politik des Kaiser zu vermitteln, daß er also eine politische Funktion erfüllte . Gleichwohl vermeidet Themistios den Eindruck, als stünde er einzig in den Diensten des jeweiligen Kaisers und als verliefe die Kommunikation nur in einer einzigen Richtung, nämlich von diesem hin zu seinen Untertanen. Denn in einigen der Staatsreden beansprucht er die Rolle eines Repräsentanten des Senates von Konstantinopel, der im Auftrage dieser Körperschaft dem Kaiser gegenübertritt, um ihrer Position Gehör zu verschaffen. Als Constantius im Jahre in Rom eine Siegesfeier beging, verfaßte Themistios im Namen des Senates von Konstantinopel eine Gesandtschaftsrede, mit der die Stadt dem Kaiser zu seinem Erfolg gratulierte und ihm für erwiesene Wohltaten dankte (or. ). Ebenso nimmt er in anderen Reden die Position eines Sprechers der Stadt gegenüber dem Herr-
Zur παρρησία des dem Hofe nahestehenden Philosophen in der Spätantike siehe Brown (1995) –. Them. or. . b–b. Siehe ferner . c; . b; . c; . a; . d. Überdeutlich war dies bei Valens, der kein Griechisch verstand, oder dem noch nicht dreijährigen Valentinian Galates. Errington (2000) – vergleicht den Panegyriker mit einem Regierungssprecher oder einem Propagandaminister und sieht ihn demzufolge als »medium of imperial communication« ().
. Die Institution ist wichtiger als das Individuum
scher ein . Die Senatoren der östlichen Hauptstadt müssen also der Meinung gewesen sein, Themistios gebe ihre Haltung zur Regierung des jeweiligen Kaisers angemessen wieder. Darüber hinaus stilisiert sich Themistios bisweilen zum Sprachrohr des gesamten Volkes, indem er suggeriert, er formuliere nur, was ohnehin alle Untertanen dächten , sei es, daß er damit tatsächlich eine verbreitete Stimmung wiederzugeben beabsichtigt, sei es, daß er durch diese Strategie der rhetorischen Vereinnahmung dem Publikum, also den führenden Kreisen der Stadt, die adäquate Reaktion auf die kaiserliche Politik nahelegen möchte. Als Vertreter der Allgemeinheit oder des Senates sieht er sich in der Pflicht, dem Kaiser den schuldigen Dank für Wohltaten in der Form von Reden abzustatten, wofür er sich des öfteren der Metapher des Opfers oder der Steuern bedient . Bald seine Nähe zum Kaiser betonend, sich bald als Repräsentant der Untertanenschaft gerierend, spielt Themistios die Rolle eines Mittlers zwischen den Institutionen, auf denen das Reich beruht, dem Kaiser, dem Senat und dem Volk. Er tritt öffentlich auf, um zwischen diesen Polen gleichsam geschäftlich tätig zu werden und Verhandlungen für einen breiten Konsens zu führen. In einer Reziprozität der Gaben lobt der Redner auf der einen Seite den Kaiser und gibt ihm politische Ratschläge , auf der anderen Seite mahnt er die Senatoren zum richtigen Verhalten , verkündet ihnen die Wohltaten des Kaisers und trägt ihre Bitten vor, mag auch der Anspruch, die kaiserliche Politik zu beeinflussen, mehr Fiktion sein als der Realität entsprechen . Bereits die Sprecherposition, die Themistios einnimmt, erweckt also den Anschein, als sorge er in der Position des Vermittlers dafür, daß die Kommunikation zwischen Kai-
Them. or. . c–b, c/d; . b/c. Vgl. auch den stolzen Hinweis auf seine Dienste für Senat und Stadt in . (p. , –). Them. or. . d–a; . d. Vgl. . d; . c–a, b (ταῦτα ἴσθι τὰ ῥήματα [. . .] συμφοιτῶντα εἰς μίαν φωνὴν τὴν ἐμήν, »Wisse, daß sich diese Worte in einer einzigen Stimme vereinen, in der meinen.«). Rede als Opfergabe: or. . a; Rede als Dank bzw. Geschenk: . d–a; . a; Rede als Schuld: . c–a (sehr ausführlich wegen der vorangegangenen Rede des Constantius), b, a; . d; . b/c; . d; Rede bzw. Philosophie als Steuer: . c; . b; . b–d, b; . c. Them. or. . b–c; . a; . a/b, b/c; . b/c. Themistios reflektiert über diese Funktion seiner Reden auch in . b–d und preist anschließend die Fähigkeit, auf den Rat anderer zu hören, als königliche Tugend (ebenso . d–c). In or. . d–a weist Themistios z. B. unbegründete Erwartungen, Constantius werde Konstantinopel vernachlässigen, zurück. Nach einer Aufforderung an unwillige Senatoren klingt die anschließende Behauptung, heutzutage würden alle freiwillig Senatoren werden wollen und sich über die Aufwendungen freuen (a). Ebenso wirkt die gesamte or. weniger wie ein Lob des Constantius als wie der Versuch, den Senatoren die angemessene Würdigung der kaiserlichen Wohltaten nahezulegen. Gerade in dieser Rede betont er mehrfach, daß er nur äußere, was eigentlich alle denken (müßten). Vgl. ferner . a/b. In or. . b/c unterstellt Themistios sogar, Constantius sehe die Senatoren als ihm gleichrangig an.
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ser und Untertanen nicht einseitig verläuft, sondern beide Seiten ihre Vorteile haben . Was die von Themistios immer wieder aufs neue formulierte Konzeption der Herrschaft angeht, gibt es einen Fluchtpunkt, auf den alle Gedanken zulaufen. Wenn er empfiehlt, Milde gegen Verurteilte zu üben, wenn er die Kaiserherrschaft mit der Philosophie verknüpfen möchte, wenn er dem Kaiser die Förderung Konstantinopels ans Herz legt, wenn er dafür plädiert, auch die Barbaren menschenfreundlich zu behandeln und ins Römische Reich zu integrieren, so stellt er stets einen Maßstab vor Augen, an dem sich der Kaiser orientieren soll: Gott. Nun wäre gerade dieser Angelpunkt geeignet gewesen, Konflikte zwischen dem christlichen Kaiser und dem paganen Redner oder auch anderen heidnischen Untertanen heraufzubeschwören, doch versteht es Themistios, diesem Thema seine religiöse Brisanz zu nehmen. Die Strategie, religiöse Polarisierung nach Möglichkeit zu vermeiden, tritt bereits in der Terminologie zutage, insofern Themistios meistens, wenn es darum geht, daß der Kaiser sich Gott zum Vorbild nehmen solle, darauf verzichtet, diesen mit eindeutig konnotierten Namen oder Attributen zu versehen und statt dessen einfach nur ὁ θεός sagt . Obgleich dieser Gott Richtschnur des herrscherlichen Verhaltens sein soll, bleibt er in den Reden blaß und ermangelt allzu konkreter Eigenschaften. Zwar ist er anthropomorph gedacht, da er, wenn er handelt, bestimmte Tugenden verwirklicht, doch erfahren wir kaum mehr, als daß er gut, sanft, milde, Gipfel der Weisheit und über allem menschenfreundlich, φιλάνθρωπος, sei . Inwiefern sich diese Tugenden praktisch auswirken, wird nur selten einmal konkretisiert, wenn eine Tätigkeit des Gottes erwähnt wird, etwa die Erwählung eines bestimmten Kaisers . So drängt sich der Eindruck auf, es handele sich um ein abstraktes Tugendprinzip, einen als göttliche Potenz aufgefaßten sittlichen Themistios ist selbst insofern in diese Reziprozität eingebunden, als er auf der einen Seite den Kaiser lobt und dafür von diesem ausgezeichnet wird, andererseits die Anliegen des Senats vertritt und daraus besonderes Prestige bezieht. Von einer Wechselseitigkeit der Gaben zwischen sich und dem Kaiser spricht Themistios explizit in or. . b. Unter den Ehrungen der Kaiser für Themistios zu nennen sind die Ernennung zum Senator, eine Rede des Constantius auf ihn, eine Statue (eventuell eine weitere unter Julian), die Stellung des princeps senatus (seit ) sowie die Ernennung zum praefectus urbi im Jahre (siehe or. . , p. , –, ). Zu der umstrittenen Datierung des letztgenannten Amtes siehe Dagron (1968) f., Vanderspoel (1995) f., –, Penella (2000a) f., Errington (2000) –. Nicht zu überzeugen vermag der Versuch von Brauch (1993a), Brauch (2001) und Brauch (2002), Themistios außerdem noch die Stadtpräfektur für die Jahre und / zuzuschreiben. Die Quellenbasis für diese Hypothese ist zu dürftig, und außerdem sprechen Themistios’ eigene Äußerungen in or. . – eindeutig dagegen. Siehe beispielsweise or. . d; . d (direkt danach aber Wechsel in den Plural); . b, b; . a; . a; . a. Themistios spricht auch vom τοῦ ξύμπαντος οὐρανοῦ βασιλεύς (. a); vgl. . a. Gott ist menschenfreundlich (or. . a–c), will, daß alles gut sei und es nichts Schlechtes gebe (. d–a). Them. or. . c; . b; . a/b und b/c; . a. Vgl. . a.
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Maßstab, nicht so sehr um einen etwa auch kultisch verehrten Gott. Wenn Themistios durch die Abstraktheit seiner Gottesvorstellung Hörern jeglicher religiöser Couleur ermöglicht, ihr eigenes Gottesbild auf diese Folie zu projizieren , so bedeutet dies freilich keineswegs, daß er seine eigene Religion verleugnete. In all seinen Reden ruft er heidnische Götter an, allen voran Zeus, spricht über sie oder ruft Begebenheiten der paganen Mythologie in Erinnerung . Allerdings gewinnen auch diese Götter bei ihm nur selten Profil, und häufig scheint es eher der klassischen rhetorischen Tradition geschuldet oder Teil des Bildungskanons zu sein, wenn Themistios sich an Zeus wendet oder die Musen als Personifizierung von Literatur und Philosophie einführt . In einer Zeit, da auch Christen der traditionellen Bildung positive Seiten abgewinnen konnten, dürften derartige Bekenntnisse kaum Mißfallen erregt haben, zumal religiöse Polemik fehlt. Das Ziel, an dem sich die Kaiser bei ihrer Regierung orientieren sollen, besteht laut Themistios darin, sich an den Gott anzugleichen, ihn nach Kräften nachzuahmen . Sofern der Kaiser die Tugenden verwirklicht, die auch beim Gott zu finden sind, wird er nicht nur gottgefällig (θεοφιλής) sein, sondern seine Seele zum Abbild Gottes formen (εἰκὼν θεοῦ), und seine Herrschaft auf Erden wird das Gegenstück zur Herrschaft des Gottes im Himmel sein . Wie Themistios selbst in seiner an Theodosius gerichteten Rede über die königlichste Tugend (or. ) bekundet, geht die Vorstellung, daß dem gerechten König Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit eignet, auf Platon zurück, der die Verbindung von Gerechtigkeit und φρόνησις eine ὁμοίωσις πρὸς τὸν θεόν genannt habe . In der Tat hatte dieser davon gesprochen, daß der Mensch danach strebe, sich in den Zustand der Göttlichkeit zu erheben, sich Gott anzugleichen, jedoch ohne jemals eine völlige Übereinstimmung mit dem Göttlichen erreichen zu können . Daher handelt es sich um eine ὁμοίωσις θεῷ Auch im Heidentum dieser Zeit waren monotheistische Tendenzen vorhanden, denen die Vorstellung des einen, das All regierenden θεός entgegenkommen mußte. Siehe Athanassiadi – Frede (1999); dagegen, allerdings mit unzureichender Argumentation, Edwards (2004) –. Anrufung des Zeus: or. . d, b; . a; . b; des Apollon: . b; der μακάριοι: . c; der Musen: . c; . a; der Chariten: . d. Beispielsweise or. . a, c, b; . a; . d; . a, . c; . c. Beispielsweise or. . d–c; . d; . b–b; . a/b. Obgleich Merki (1952) das Konzept der Angleichung an Gott gerade in der Spätantike darstellt, ignoriert er Themistios gänzlich. Them. or. . d–c. Der gute Herrscher ist ein ἄγαλμα τοῦ θεοῦ ἀκέραιον καὶ ὁλόκληρον καὶ ταὐτὸν ἐπὶ γῆς ὅπερ ἐκεῖνος ἐν οὐρανῷ (»reines und vollkommenes Bild des Gottes und dasselbe auf Erden, was jener im Himmel ist«), indem er gleichsam einen Teil des Gesamtreiches verwaltet (b); zur Tugend als Basis der Gottähnlichkeit siehe auch . d–b; . d–a; . a/b. Them. or. . a. Pl. Tht. b/c; R. , a/b; Lg. , c/d. Auch bei Platon sind die Mittel zur Angleichung Besonnenheit, Frömmigkeit oder Tugend überhaupt. Zur platonischen Angleichung an Gott siehe Merki (1952) – und Roloff (1970) –.
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κατὰ τὸ δυνατόν . Wenn die Tugenden, insbesondere die Gerechtigkeit, Mittel der Angleichung an Gott sind, wundert es nicht, daß Themistios die Kaiser, die er als Verwirklichung des platonischen Herrscherideals preist, allenthalben als ›göttlich‹ oder ›gottartig‹ anredet . Auch wenn er damit auf platonische Vorstellungen rekurriert, war dieses Konzept für den christlichen Kaiser und weitere christliche Kreise akzeptabel, da zum einen die platonische Philosophie vom Christentum rezipiert worden war und zum anderen der Gedanke, daß der Kaiser und seine Herrschaft das Abbild Gottes seien, den Christen keineswegs fremd war . Und schließlich deutet Themistios nirgends an, daß der Kaiser ein Gott sei; er ist eben nur so gottähnlich wie möglich. Ähnliches gilt für das wichtigste Mittel, Gottähnlichkeit zu erreichen, die φιλανθρωπία . Da der Gott sich mehr als durch alle anderen Eigenschaften durch Menschenfreundlichkeit auszeichnet , ist der Kaiser dazu angehalten, in seiner Herrschaft diese Kardinaltugend zu praktizieren, die Themistios an die Spitze seiner Herrschaftsethik stellt . Mag auch die φιλανθρωπία zu den gängigen Tugenden zählen, die man den römischen Kaisern zuschrieb , so ist es doch neu, welche Bedeutung Themistios dieser Tugend beimißt, indem er sie zur Herrschertugend par excellence deklariert . Sie manifestiert sich nämlich darin, daß der als νόμος ἔμψυχος aufgefaßte , mithin über dem Gesetz ste Pl. Tht. b; R. , d; , b. ›Göttlich‹ oder ›göttlichst‹: or. . c, c, d; . b; . b; . a; ›gottartig‹: . a; . a und b; . d; . b; . d; . c; . d–a; . a; . . In . b bezeichnet er den Kaiser als vom Himmel gesandtes ζῷον οὐράνιον, das Anteil an einer wahrhaft göttlichen μοῖρα habe. Auch Libanios nennt Konstantin oder Theodosius θειότατος: Lib. or. . und ; ep. . ; . ; . ; . ; . . Siehe Eus. l. C. . , . , . f., . , . ; Synes. regn. f., , ; vgl. ferner Thds. Imp. ep. Diosc. p. . und Thdr. Lect. h. e. . . Gerade das Porträt Konstantins in Eusebs Panegyricus weist deutliche Berührungspunkte mit Themistios’ Konzept der Angleichung des Kaisers an Gott auf; vgl. Kolb (2001) f. Zum Konzept der φιλανθρωπία bei Themistios siehe Downey (1955), Downey (1957) –, Kabiersch (1960) –, Daly (1975). Them. or. . a/b; . d; . d. Them. or. . b–b, a–c, a–c, b, a/b und passim; . c–a; . b–a; . d–a, a; . b; . a; . b, a/b; . c–b; . a; . b; . a; . a; . a; or. passim; . (p. , ) und (p. , ). Siehe D. Chr. . –; . ; . ; Aristid. Or. . f.; Men. Rh. . , . –; POxy . . . Zur Philanthropie als Herrschertugend Hiltbrunner (1994) . Im lateinischen Bereich ist hier auch an die als kaiserliche Tugend aufgefaßte clementia zu denken. Zur φιλανθρωπία als spezifisch herrscherlicher Tugend siehe or. . c–a. Them. or. . b; . d; . d; . a; . (p. , ). Einschlägige Stellen aus der griechischen Literatur sind aufgeführt bei Schneider (1966) . Siehe Dagron (1968) –; Garzya (1983) –. Zu diesem Konzept der politischen Theorie siehe auch Aalders (1969); Albrecht Dihle: »Der Begriff des Nomos in der griechischen Philosophie«, in: Nomos und Gesetz. Ursprünge und Wirkungen des griechischen Gesetzesdenkens, hg. von O. Behrends und W. Sellert. (Abh. Akad. der Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Klasse . ) Göttingen , –, hier f. Zum ›beseelten Gesetz‹ bei
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hende Kaiser Milde gegenüber Verurteilten übt, indem er das harte, nicht auf den Einzelfall reagierende Gesetz abmildert bzw. korrigiert. Dazu ist er allein auf Grund seiner herausgehobenen Stellung imstande, so wie der außerhalb der menschlichen Ordnung stehende Gott den Menschen wohlwollend zugetan ist. Die Menschenfreundlichkeit als Gipfel der Tugendhierarchie setzend, formuliert Themistios ein im Ursprung zwar paganes Konzept, gegenüber dem Juden wie Christen zunächst deutliche Vorbehalte hegten . Gleichwohl war die Auffassung, daß der Kaiser menschenfreundlich und milde regieren sollte, durchaus mit christlichen Überzeugungen vereinbar, da diese Werte auch im christlichen Tugendkanon eine wichtige Rolle spielten. Mit der ἀγάπη als Nächstenliebe hatten die Christen ein Pendant zur paganen φιλανθρωπία geschaffen, das zwar universal war, insofern jeder Mensch ohne Ansehen seiner Position Nächstenliebe üben konnte, sich aber in der praktischen Auswirkung so gut wie nicht unterschied. Der menschenfreundliche Kaiser des Themistios konnte sowohl heidnischen als auch christlichen Untertanen als leuchtendes Vorbild gelten . Das Bemühen, allzu eindeutige religiöse Festlegungen zu vermeiden, tritt nicht zuletzt in der Art und Weise hervor, wie Themistios seine Herrschaftsethik begründet. Zwar beruht die Praxis der φιλανθρωπία und damit auch die Gottebenbildlichkeit des Kaisers auf Prämissen, die der traditionellen Philosophie, mithin dem paganen Bildungserbe entstammen, doch unterläßt es Themistios, diese für eine bestimmte Religion zu reklamieren. Während Kaiser Julian griechische παιδεία und traditionellen Götterkult als unauflösliche Einheit betrachtet, säkularisiert Themistios gleichsam die παιδεία, indem er sie von einem bestimmten Bekenntnis löst und so für Heiden wie Christen gleichermaßen verfügbar macht . In dieser Konzeption einer allen gemeinsamen Bildungstradition können das Alte Testament und Homer in gleicher Weise herangezogen werden, um das Herrschaftsideal argumentativ abzustützen. So bekundet Themistios in seiner Rede zu den Decennalien des Valens (or. ) ganz
Themistios jetzt auch Ramelli (2006) –. Ramelli geht allerdings hauptsächlich auf eine kurze Rede Πρός βασιλέα ein, deren Authentizität zweifelhaft ist. Ediert und kommentiert ist diese (Marc. gr. , f. v , –, ) bei Eugenio Amato; Ilaria Ramelli: »L’inedito Πρός βασιλέα di Temistio«, in: ByzZ , , –. Siehe Hiltbrunner (1992). Daß es möglicherweise Themistios’ Anliegen war, christliche Nächstenliebe und pagane Philanthropie miteinander zu versöhnen, bezeugt auch or. . a/b, wo er im Anschluß an Platons Politeia (Pl. R. , a–a) Sokrates den Ausspruch in den Mund legt, man solle seine Feinde zu Freunden machen, und dies mit einem Apophthegma des Sokrates untermauert. Ebenso auch . (p. , –). Ob Themistios das christliche Gebot der Feindesliebe aus dem Neuen Testament kannte (Mt . –), läßt sich allerdings nicht sagen. Im übrigen sagt Lib. ep. von Themistios, er habe seinen Feinden Gutes getan. Vgl. Vanderspoel (1995) . Zu den Vorstellungen von παιδεία siehe oben Kap. , bes. ., und unten Kap. .
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offen, daß er die Schriften der Assyrer, womit er die Heilige Schrift meint , bewundere, ja daß sie völlig im Einklang mit dem stünden, was Homer sage: ἄλλα τε ἠγάσθην πολλάκις τῶν ᾿Ασσυρίων γραμμάτων, ἀτὰρ οὖν καὶ τοῦτο θαυμαστῶς ἄγαμαι καὶ ἐπαινῶ· λέγει γάρ που ἐκεῖνα τὰ γράμματα τὴν τοῦ βασιλέως καρδίαν ἐν τῇ τοῦ θεοῦ παλάμῃ δορυφορεῖσθαι. [. . .] λέγει δέ που καὶ ῞Ομηρος ταὐτὸ τοῦτο ἐν βραχεῖ καὶ σαφῶς ἐν οἷς λέγει αὐτῷ ὁ τῶν Κεφαλλήνων βασιλεὺς πρός τινα τῶν θεῶν οὐδέ σε λήθω κινύμενος (Them. or. . b–d). Anderes habe ich oftmals an den Schriften der Assyrer bewundert, insbesondere aber bewundere ich ganz außerordentlich und lobe dies: Irgendwo sagen jene Schriften, daß das Herz des Königs in der Hand des Gottes geschützt werde . [. . .] Eben dasselbe aber sagt irgendwo auch Homer knapp und deutlich, wenn bei ihm der König der Kephallenier zu einem der Götter sagt »Ich bleibe dir nicht verborgen, wenn ich mich bewege« .
Noch zwei weitere Male rekurriert Themistios zustimmend auf diesen Spruch der biblischen Proverbia , wodurch er zum Ausdruck bringt, daß sein Konzept der Kaiserherrschaft, obschon es in seiner Gesamtheit auf der traditionellen Kultur fußt, ebenso mit der christlichen Kultur vereinbar ist . Ihren deutlichsten Ausdruck fanden all diese Bestrebungen, für einen Ausgleich zwischen Christentum und dem paganen Götterkult zu sorgen, als Themistios im Jahre im Namen des Kaisers Jovian offen für eine Toleranzpolitik warb (or. ) . Nachdem Constantius und Julian auf Begünstigungen und Repressionen gesetzt hatten, um ihre religionspolitischen Vorstellungen Die Bezeichnungen ›Assyrer‹ und ›Syrer‹ waren bei den Griechen nicht präzise gefaßt, sondern wurden auch für andere Völker des Orients gebraucht, so für Aramäer und Juden. Vgl. auch Tac. hist. . . . Theodor Nöldeke: »᾿Ασσύριος, Σύριος, Σύρος«, in: Hermes , , –, hier f. In der Septuaginta (prov. . ) lautet der Spruch: ὥσπερ ὁρμὴ ὕδατος, οὕτως καρδία βασιλέως ἐν χειρὶ θεοῦ· οὗ ἐὰν θέλων νεύσῃ, ἐκεῖ ἔκλινεν αὐτήν (in den Worten Martin Luthers: »Des Königs hertz ist in der Hand des HERRN / wie wasserbeche / Vnd er neigets wo hin er wil.«). Hom. Il. . f. Odysseus spricht hier zu Athene. Them. or. . d; . a. Siehe dazu Dagron (1968) –, Hattenhauer (1981) –, Colpi (1987) f., Portmann (1988) und Schamp (2006) –. Ob Themistios das Wort direkt der Bibel entnommen hat, läßt sich nicht sagen. Es wird im übrigen des öfteren bei Kirchenvätern angeführt. Siehe z. B. Athenag. leg. ; Iren. haer. . ; Ath. ep. Jov. (PG , b); Gr. Naz. or. . (PG , c). Bisweilen wird auch für weitere Stellen in Themistios’ Reden angenommen, daß er auf christliches Gedankengut zurückgreift, doch läßt sich dies auf Grund der Allgemeinheit der Gedanken nicht nachweisen. In or. . (p. , ) fordert Themistios dazu auf, Sicheln statt Schwertern und Wurfspießen zu schärfen (ebenso . b), was an Micha . erinnert. Die Behauptung, das Geben der höchsten Dinge sei seliger als das Nehmen (. c), läßt an Apg . denken. Vgl. auch . d mit Kor . . . Siehe Downey (1957) – und Downey (1962), mit Recht skeptisch Dagron (1968) – und Colpi (1987) . Daly (1971) –, Vanderspoel (1995) –, Ando (1996) –. Siehe unten Kap. ...
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durchzusetzen – implizit kritisiert Themistios diese Politik, da sie nur opportunistische Konversionen nach sich ziehe (. b–c) –, hielt er nun ein Plaidoyer dafür, auf Zwang in dieser Frage zu verzichten und verschiedene Wege der Gottesverehrung zuzulassen. Weil Jovian um das gleichsam agonale Prinzip im religiösen Bereich, daß nämlich alle auf verschiedenen Bahnen demselben Ziel zustreben, wisse, beschränke er diesen Wetteifer nicht und beende mit seinem Gesetz den inneren Streit, der schlimmer als der Krieg gegen die Perser gewesen sei (c–c). Bezeichnend für das Anliegen des Ausgleichs ist es, daß Themistios zwar zwischen einem schwierigeren, steinigen und einem leichteren, sanften Weg unterscheidet (a), aber offen läßt, welche Religion er mit welchem Weg identifiziert, um christlichen wie paganen Hörern die ihnen jeweils genehme Deutung zu überlassen . Wenn man davon ausgeht, daß Themistios mit seinem Toleranzkonzept ein offizielles kaiserliches Programm vorträgt, dann dürfte die Rede auch als Warnung an christliche Gruppen zu verstehen sein, den Tod Julians nun nicht durch Übergriffe gegen Heiden auszukosten . Themistios versucht, den kaiserlichen Hof, Würdenträger und den Senat von Konstantinopel von den Vorzügen einer solchen Toleranz für den inneren Zusammenhalt des Reiches in einer schwierigen politischen Lage zu überzeugen . Die Tendenz, Gegensätze nach Möglichkeit zu harmonisieren, schlägt sich ebenso in der Herrschaftskonzeption der Reden nieder. Während Libanios und Julian kaum einmal einen anderen Kaiser als guten Herrscher gelten lassen, ja ganz im Gegenteil Constantius als Kontrastfigur konstruieren, erweckt Themistios, indem er allenthalben Kaiser wie Augustus, Titus, Trajan, Marc Aurel , aber auch solche der jüngeren Vergangenheit wie Konstantin, Constantius und Julian positiv in seine Reden einführt, den Eindruck eines Kontinuums von In or. . c bezeichnet Themistios paganen Götterkult und Christentum neutral als ἑκατέρα θρησκεία. Errington (2000) –. Etwas anders Vanderspoel (1995) –, der stärker betont, daß Themistios in dieser Rede Bitten an Jovian richte, weniger hingegen die kaiserliche Politik lobe. Zwar ist die Annahme plausibel, daß Jovian in der kurzen Zeit seit seiner Erhebung zum Augustus noch kein umfassendes Toleranzprogramm hatte ausarbeiten können und Themistios hier tatsächlich eigene Gedanken vorträgt, doch muß dies zumindest mit der Zustimmung des Kaisers geschehen sein. Die Rede wurde zunächst zum Konsulatsantritt Jovians am . Januar in Ankyra vorgetragen und später in Konstantinopel vor dem Volk wiederholt (Socr. h. e. . . , allerdings mit irrtümlicher Lokalisierung des ersten Vortrags in Dadastana). Vanderspoel (1995) f. Siehe auch unten Kap. ... Auch unter Valens erteilte Themistios religionspolitischen Rat und setzte sich für Toleranz gegenüber nichtorthodoxen Christen ein, wie Sokrates und Sozomenos berichten (Socr. h. e. . . ; Soz. h. e. . . –. ). Siehe z. B. or. . d; . b; . b/c, c; . b; . b/c; . a (Augustus, Tiberius, Trajan, Hadrian, die Antoninen, jeweils in wechselnden Kombinationen); . a; . a; . c (Titus). Them. or. . a/b (Konstantin); . c/d (Constantius); . b/c (Constantius und Julian).
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römischen Herrschern, das die Frage zweitrangig erscheinen läßt, ob es sich bei ihnen um heidnische oder christliche Kaiser handelte. Der augenblickliche Augustus, den Themistios jeweils preist, kann unter seinen Vorgängern augenscheinlich zahlreiche Vorbilder finden und seine Herrschaft trotz der zeitlichen Distanz ähnlich wie sie ausüben, er kann sie gleichsam als seine Vorfahren betrachten . Zwar übt Themistios bisweilen Kritik an den Kaisern seiner eigenen Zeit, etwa an Julian, doch verzichtet er dann darauf, ihre Namen zu nennen, oder begnügt sich mit vagen Andeutungen, so daß das Publikum zwischen den Zeilen lesen mußte . Deutlicher wird er nur, wenn er Kaiser der weiter zurückliegenden Vergangenheit, Nero, Domitian oder Caracalla, als Verkörperung des typischen Tyrannen erwähnt . Hand in Hand mit dieser Strategie, die guten Kaiser als homogene Gruppe zu porträtieren, geht die Propagierung eines beinahe zeitlosen, kaum veränderten Herrscherideals. Über mehr als dreißig Jahre hinweg vertritt Themistios im Namen verschiedener Kaiser immer den gleichen Kanon an Herrschertugenden, dasselbe platonische Königsideal, wobei nur wenige individuelle Adaptionen erkennbar sind. Bereits mit der ersten, an Constantius gerichteten Rede ist das Modell des philanthropischen, gottähnlichen Kaisers in seinen Grundzügen fertig ausgearbeitet und wird in den folgenden Reden nur noch um einzelne Nuancen bereichert. Unter Valens, dem man nicht gerade eine hohe Bildung nachsagen konnte, verlegt sich Themistios lediglich darauf, die Zusammenarbeit des Kaisers mit Philosophen zu empfehlen, statt das Ideal des Philosophenkönigs zu beschwören . Und als genügte es nicht, das homogene Herrschaftskonzept durch seine Reden immer wieder in Erinnerung zu rufen, versucht er es zu perpetuieren, indem er sich als Erzieher der jungen Prinzen Valentinian Galates und Arcadius ins Gespräch bringt . Daß die Individualität hinter dem zeitlosen Ideal zurücktritt, hängt nicht zuletzt mit dem Verfahren zusammen, ausführlich über die Beschaffenheit dieses abstrakten Modells zu reflektieren und den jeweiligen Kaiser dann als dessen Erfüllung vorzustellen. Julian und Libanios gehen in ihren Panegyrici von den Eigenschaften und Taten des Gelobten aus, um daran die Erfüllung eines Herrscherideals zu erweisen. Themistios hingegen distanziert sich von dem üblichen Aufbau und dem Topoischema der Panegyrik und gestaltet seine Reden eher wie einen Fürstenspiegel nach Art der Königsreden Dions, insofern den Maßstab stets das aus der platonischen Philosophie abgeleitete Modell bil-
Them. or. . c, . b. Them. or. . c/d (vermutlich Julian); . c (Anspielung auf Constantius). Them. or. . d, c; . c; . a; . c; . (p. , f.). Them. or. . c–b. Zu Valens’ mangelnder Bildung siehe Amm. . . . Siehe auch Schlange-Schöningen (1995) f. Them. or. . a/b; or. passim; . d–c.
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det, an dem sich der Kaiser orientiert . Der Kaiser erfüllt gewissermaßen, was Platon einst angekündigt hat . In Übereinstimmung mit der Abkehr von den Konventionen des βασιλικὸς λόγος beschränkt sich Themistios, wenn er einmal auf einzelne politische Maßnahmen oder militärische Operationen eingeht, auf die notwendigen Angaben, ohne wirklich ein anschauliches Bild der Ereignisse zu zeichnen . Da er ohnehin, wie er des öfteren kundtut, den zivilen gegenüber den militärischen Tugenden den Vorzug gibt , verzichtet er darauf, sein Publikum mit Informationen über geographische Gegebenheiten, Ausrüstung von Truppen, Heeresaufstellungen und taktische Details zu behelligen. Julian und Libanios hingegen scheuen sich in ihren Panegyrici nicht, mit großer Faktenfülle und in weitgehend chronologischer Abfolge von den Maßnahmen und Leistungen des gelobten Kaisers zu berichten. Bei Themistios jedoch fehlen zeitliche Anhaltspunkte weitgehend, und den rhetorischen Gepflogenheiten entsprechend werden zeitgenössische Figuren wie etwa Usurpatoren nicht mit Namen genannt, so daß die erwähnten Ereignisse etwas Typenhaftes, Statisches an sich haben. Es entsteht der Eindruck, als würde der Kaiser weniger einen bestimmten Widersacher bekämpfen als vielmehr den Typus des Usurpators oder Tyrannen, ohne daß konkrete Einzelheiten von Belang sind. Worauf es ankommt, ist das Exemplarische. Wer über mehrere Jahre hinweg verschiedene Reden des Themistios hörte oder sie nach ihrer Publikation las , konnte unmöglich die Neigung verkennen, auch auf der rhetorischen Ebene Statik und kollektive Züge statt der Individualität zur Geltung zu bringen. Zeichnet sich doch Themistios’ Œuvre durch eine Homogenität oder Wiederholung von Gedanken aus, wie sie bei kaum einem anderen Autor zu finden sein dürfte. Er bedient sich in seinen Staatsreden, ganz abgesehen von dem wiederkehrenden Rekurs auf die platonische Staatsphilosophie, immer wieder der gleichen Exempla, der gleichen Phrasen und der gleichen Gedankenfiguren. Schon an den Beispielen des Proverbia-Zitats und der positiven wie negativen Kaisergestalten hatten wir gesehen, daß er mehrfach für bestimmte Sachverhalte auf dieselben Beispiele zurück-
Besonders deutlich or. . b. Siehe auch Vanderspoel (1995) f. Them. or. . a; . c/d; . a/b; . b; . b/c; . b/c; . (p. , f.: Theodosius als Erbe der Lehren Platons), (p. , –, ). Dies war natürlich auch deswegen möglich, weil das zeitgenössische Publikum wußte, von welchen Geschehnissen die Rede war. Der moderne Leser kann bisweilen nur vermuten, welche Ereignisse gemeint sind. Beispielsweise bleibt unklar, auf welche Siege im Osten or. . b anspielt. Vgl. Leppin – Portmann (1998) Anm. . Them. or. . a/b; . c–a; . a–b; . c–b, a–c; . d–d; . a/b; . b–b (bekräftigt durch eine Reihe von Zitaten); . b/c. Daß Themistios’ Reden auch in schriftlicher Form vorlagen und nachträglich rezipiert werden konnten, ersieht man etwa aus Lib. ep. . f.; . ; . f.; . f. Themistios selbst spielt in or. . c/d auf die Verbreitung seiner Reden an. Siehe oben Anm. .
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greift. Hierfür ließen sich zahlreiche weitere Parallelen nennen . Des öfteren begegnet man der Gedankenfigur, daß die Beinamen eines Gottes oder eines Kaisers etwas über dessen Wesen verraten, wobei zum Teil mit fast identischem Wortmaterial entweder unpassende Beinamen eines Gottes bzw. die Siegernamen des römischen Kaisers zurückgewiesen werden oder die Übereinstimmung von Beinamen des Zeus und des Kaisers hervorgehoben wird. Gerade bei der Lektüre der . und der . Rede trifft man auf viel Bekanntes, da sie streckenweise gleichsam in Collagentechnik aus den anderen Reden kompiliert zu sein scheinen . Sowohl auf der Ebene der Makrostruktur als auch auf der der Mikrostruktur der Texte läßt sich demnach die Tendenz greifen, das Individuelle hinter dem Allgemeinen, Typenhaften zurücktreten zu lassen. Obwohl Themistios verschiedene Kaiser preist und durchaus Unterschiede wahrnimmt, tritt der Gelobte den Rezipienten nicht als plastisches, unverwechselbares Individuum gegenüber, sondern nur als Träger einer Rolle, als Verkörperung eines weitgehend abstrakten Modells, das seit Platons Zeiten im wesentlichen gleich geblieben ist und von jedem guten Kaiser repräsentiert wurde. Im seit Augustus bestehenden Kontinuum der römischen Herrscher verblaßt das Einzelne gegenüber der dominierenden Wiederkehr des ewig Gleichen. Die Institution erweist sich als stärker denn die kontingente Einzelpersönlichkeit, die augenblicklich der Institution ihr Gesicht leiht. Aus Platzgründen ist es unmöglich, sämtliche Fälle zu nennen; deshalb hier nur eine Auswahl. Der Ausspruch des Titus »Heute habe ich nicht regiert«: or. . a; . a; . c; . a; . a, dazu Kabiersch (1960) –; Apollon zweifelt, ob er Lykurg einen Menschen oder Gott nennen soll: . b; . c; . c/d und d; Kyros und Numa als Beispiele für Erziehung: . b; . a; . a; die zwei Fässer des Zeus: . c; . a–c; . c/d; Dionysios als typischer Tyrann: . d; . b; . c; . c; . c; . (p. , f.); Nero im Kitharödengewand: . a; . c; . (p. , ); von Platon (Lg. , e) entlehnte Reihung von Epitheta des guten Herrschers: . a; . b; . b/c; Kaiser als beseeltes Gesetz: . b; . d; . d; . a; . (p. , ); Kaiser als beschreibbare Wachstafel: . a; . b (vgl. . c in bezug auf Themistios selbst); der Kaiser als zeusentsprungen oder zeusgenährt: . d; . b; . a/b; . d, a; . b. Außerdem verwendet Themistios einige Zitate mehrfach, etwa Hom. Il. . in . d, . c, . a und . d. Them. or. . a; . d–a; . b. Them. or. . d–a; . a–c; . a; . b; vgl. . a. Them. or. . b/c; . d; . c/d; . b/c; . a; . d–a. Vermutlich ließ sich Themistios bei der Aufzählung der Epitheta des Zeus, die das friedfertige Wesen des Gottes zum Ausdruck bringen, von D. Chr. . – (dort auch dieselbe Parallele zwischen Zeus und dem Herrscher) und . f. inspirieren. Vgl. Colpi (1987) f. Zu or. merkt Errington (2000) – kritisch an, daß sie hauptsächlich mit altem Material arbeite. Es sei fraglich, ob Themistios damit habe jemanden überzeugen können. Möglicherweise sei es kein Zufall, daß er danach von der politischen Bühne verschwunden sei. Für die . Rede hat Schneider (1966) – übersichtlich die wichtigsten, mitunter wörtlichen Parallelen zu or. , , , , , und zusammengestellt. Weitere Parallelstellen zur . Rede hat bereits Dindorf (1832) im Apparat seiner Ausgabe festgehalten (siehe auch die Bemerkung ebd. f. im App.).
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Der Statik und Kontinuität verpflichtet bleibt Themistios auch, was das geistige Fundament seiner Herrschaftskonzeption angeht. Sein Ideal fußt mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre die zeitliche Distanz zu vernachlässigen, auf der Staatstheorie und dem Gottesbild Platons. Obschon aktuelle Züge wie etwa die Möglichkeit der Integration von Barbaren ins Römische Reich als Antwort auf drängende Fragen der Zeit nicht gänzlich fehlen , besteht die Grundlage aus der traditionellen griechischen Kultur der klassischen Zeit, nur wenig bereichert durch spätere Elemente wie die Vorstellung vom Herrscher als beseeltem Gesetz. Nicht, daß sich Themistios mit dieser grundsätzlich rückwärtsgewandten Haltung fundamental von seinen gebildeten Zeitgenossen unterschiede. Auch für Libanios und Julian gehört der Rekurs auf die klassischen Vorbilder und Normen zum Selbstverständnis , doch rezipiert Julian immerhin ebenso den theurgisch geprägten Neuplatonismus Jamblichs, und selbst Libanios, der sich dem klassischen Ideal wie kaum ein zweiter verschrieben hatte, findet, wie noch gezeigt werden wird, zumindest für sein Herrscherideal eine durchaus zeitgemäße literarische Form. Im Unterschied zu diesem berücksichtigt Themistios in seinen Staatsreden immerhin auch Elemente der römischen Kultur, doch bleiben diese ausschließlich auf den Bereich der rhetorischen Exempla beschränkt, sei es, daß er frühere Kaiser erwähnt, sei es, daß auf republikanische Helden wie Scipio und Cato angespielt wird . Mit Schweigen übergangen werden hingegen die römischen Wurzeln der Kaiserherrschaft und die spezifisch spätantiken, von Diokletian wie Konstantin geschaffenen Transformationen der Herrschaft . In den Augen des Themistios erscheint das Römische Reich als ein politisches Gebilde griechischer Provenienz, dessen Machthaber den Tugendkanon platonischer Ethik und Staatsphilosophie verinnerlicht haben, obgleich sie Römer sind. Wie die Reden inhaltlich fast gänzlich auf der traditionellen griechischen Kultur aufbauen, so entstammen die literarischen Anspielungen, Zitate und Beispiele weitgehend demselben Fundus der kanonischen, auch in der Spätantike noch verbindlichen Bildung. Ähnlich wie bei Libanios begegnet man zahlreichen Passagen, die Homer, Euripides und besonders natürlich Pla Them. or. . c–c; . d–a; . – (p. , –, ). Ähnliches bereits bei Eus. l. C. . f. Daß dieser Vorschlag kontrovers diskutiert wurde, sieht man etwa an der Kritik bei Synes. regn. c/d. Siehe Kap. .. P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus: or. . b; . b; M. Porcius Cato Uticensis: . b (dort auch weitere Römer genannt). Siehe Colpi (1987) –. Bezeichnend für Themistios’ geringe Vertrautheit mit der römischen Geschichte ist die Verwechslung von Marc Aurel mit Antoninus Pius in . b/c und . (p. , –). Bereits Straub (1939) meinte: »Die römische Welt, vor allem aber die lebendige Tradition altrömischen Staatsdenkens ist ihm [Themistios] fremdgeblieben.« Die Bedeutung des Römischen für Themistios übertreibt m. E. Stertz (1976), wenn er behauptet, daß dieser sich die römische Ideologie und Perspektive zu eigen gemacht habe. Auch wenn Themistios der römischen Perspektive mehr Beachtung schenkt als Libanios, dominieren bei ihm immer noch griechische Tradition und Identität.
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ton entlehnt oder wörtlich entnommen sind, während kaiserzeitliche Literatur als Quelle nur eine untergeordnete Rolle spielt . Indem Themistios zusammen mit seinen literarisch tätigen paganen Zeitgenossen dieser Praxis der Zweiten Sophistik, sich ganz in die Tradition des klassischen Ideals zu stellen, huldigt, verstärkt er den Eindruck, daß sein Herrscherideal dem Wandel der Zeit enthoben ist und trotz der personellen Veränderungen die Strukturen überdauern. Beruht Themistios’ Denken abgesehen von kleinen Zugeständnissen an die eigene Zeit ganz auf dem Fundament klassischer παιδεία, so nimmt es nicht wunder, daß er auch seine Gegenwart in den überkommenen Kategorien traditioneller Bildung deutet . Mehrfach haben wir bereits beobachtet, wie er sein Herrschaftskonzept durchweg nach dem Modell der platonischen Staatstheorie formt, als gäbe diese auch im vierten nachchristlichen Jahrhundert Antwort auf alle Erfordernisse der eigenen Zeit. Mag er auch mit der φιλανθρωπία eine Tugend zum Maßstab erheben, die Christen ohne weiteres akzeptieren konnten, und bisweilen auf Worte des Alten Testaments zurückgreifen, bleibt gleichwohl unübersehbar, daß sich die ideale Herrschaft in Themistios’ Augen ausschließlich der Ethik Platons und zu Teilen auch des Aristoteles verdankt . Nur wer sich im Anschluß an Platon an dem traditionellen Tugendkanon orientiert, wird in der Lage sein, sich nach Möglichkeit dem Gott anzugleichen, was wiederum in der Gestalt der ὁμοίωσις θεῷ eine platonische Vorstellung ist. Ebenso speist sich das Gottesbild in den Reden trotz den oben erwähnten Versuchen, es so offen wie möglich zu halten, aus der paganen Tradition, insofern Themistios immer wieder auf Autoritäten wie Homer und Platon Bezug nimmt, um die angemessene Vorstellung von Gott zu entwerfen. Selbst wenn zuzugestehen ist, daß hier mitunter, insbesondere im Hinblick auf Homer, weniger religiöse Konzepte als vielmehr literarische Konventionen im Spiel sind, wird doch der Eindruck erweckt, als sei nach wie vor das pagane Gottesbild das allgemein verbindliche und anerkannte. Die Tendenz, mögliche Veränderungen auf diesem Gebiet auszublenden, spiegelt sich dann auch in der Metaphorik wider, deren sich Themistios bedient, um das Wesen des Gottes oder auch des Kaisers zu erfassen. Ohne Scheu etwa vergleicht er seine eigenen Reden für Valens mit Opfern, die Zeus dargebracht werden , oder beginnt seine an Constantius gerichtete Gesandtschaftsrede mit einer ausführlichen Erörterung zur Im einzelnen zeigt dies die Untersuchung von Colpi (1987). Welche von den Zitaten Themistios eigener Lektüre und welche er Florilegien verdankte, läßt sich nicht immer entscheiden. Vgl. Riccardo Maisano: »Patrimonio culturale ›di prima mano‹ e ›di seconda mano‹ nei Discorsi di Temistio«, in: Approches de la Troisième Sophistique. FS Jacques Schamp, hg. von E. Amato. (Collection Latomus ) Brüssel , –. Vgl. auch Downey (1957). Vgl. or. . d–a. Aalders (1969) f. vermutet außerdem, daß das Konzept des beseelten Gesetzes als pagan empfunden wurde, da es bei christlichen Autoren kaum einmal genannt werde. Them. or. . a. In einer Allegorie bezeichnet Themistios Constantius als den Zeus Konstantinopels (. d–a).
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Verehrung heidnischer Götter, insbesondere Athenes, nicht ohne zu suggerieren, daß das ganze Publikum ihm beipflichte . So insinuiert er, daß heidnische Kulte überall akzeptiert seien und die Macht der Götter unverändert Anerkennung finde. In ein solchermaßen heidnisch geprägtes Weltbild kann der Kaiser, und mag er auch Christ sein, als zeusgenährter oder zeusentsprungener Herrscher, ja als Ebenbild des Zeus eingeordnet werden . Gleichsam visuellen Ausdruck fand Themistios’ Bemühen, die eigene Zeit in klassischen Kategorien zu deuten, in seiner imaginären Topographie derjenigen Stadt, die wie keine andere eigentlich den Wandel der neuen Zeit versinnbildlichen sollte. Da die Kaiser in der Nachfolge Konstantins auch dessen neues Regierungszentrum im Osten ausbauten und mit den Institutionen und Merkmalen einer Hauptstadt ausstatteten, war es nur selbstverständlich, daß sich die Panegyrik dieses Themas annahm. Konstantinopel als zweites Rom zu preisen und die Förderung der Stadt durch die Kaiser zu verkünden betrachtete demzufolge auch Themistios als seine Aufgabe . Doch während Constantius es vermutlich als Angelpunkt seiner Förderung betrachtet haben dürfte, die Stadt mit der Großen Kirche und der Apostelkirche geschmückt zu haben , und später Theodosius den Bau von Kirchen als kaiserliches Anliegen begriff , läßt Themistios in seinen deskriptiven Partien nicht einmal in einer knappen Bemerkung anklingen, daß Konstantinopel das christliche Zentrum eines christlichen Reiches sein sollte . Wenn er von der architektonischen Ausgestaltung der Stadt spricht, gilt seine Aufmerksamkeit neben den Quellen, Bädern, Säulengängen, neben dem Theater oder dem Hippodrom vor allem der Bibliothek, die Constantius hatte errichten lassen . Sie ist für ihn der zu Stein gewordene Them. or. . a–d, b/c, b (d εἰ οὖν καὶ ὑμεῖς ἀποδέχεσθε τῆς γνώμης – ἀποδέχεσθε δέ· οὐδὲ γὰρ ἂν ἐπῃνεῖτε ὡς καλῶς λέγοιτο [. . .] »Wenn auch ihr dieser Meinung beipflichtet – aber ihr pflichtet ihr bei: denn ihr würdet ja sonst nicht loben, daß sie gut gesagt sei [. . .].«). Siehe oben Anm. und or. . d–a (Kaiser als Zeus). Vergleich der Standbilder des Constantius und Konstantins mit denen von Apollon und Zeus in Delphi (. d). Vgl. or. . d–b. Zu einigen Aspekten des Konstantinopelbildes bei Themistios, die sich mit den hier vorgestellten Beobachtungen berühren, siehe Guldentops (2001b). Zu den Raumvorstellungen siehe oben Kap. .. Socr. h. e. . . Vgl. Jean Moreau: »Constantius II.«, in: JbAC , , –, hier ; Leppin (1999a) . Leppin (2003) f.; Sarah Bassett: The Urban Image of Late Antique Constantinople. Cambridge , f. Allenfalls in or. . c ist eine vage Andeutung auf die Apostelkirche als Grab Konstantins enthalten (τοῦ παρ’ ἡμῖν μνήματος καὶ πατρῴου), allerdings nicht in Zusammenhang mit einem Lob Konstantinopels. Them. or. . a–d; . a–b; . b–b. In . d–d spricht Themistios ganz allgemein von Pracht und Glanz, für die Constantius’ Wohltaten sorgen. Neben der Bautätigkeit spielen die Förderung des Senates (. a, . a–a) und die Lebensmittelversorgung der Stadt (. a; . b/c) eine Rolle. Them. or. . d–b; . a. Vanderspoel (1995) f.
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Ausdruck klassischer Bildung, da sie die Werke der kanonischen Autoren, des Platon, des Demosthenes, Isokrates oder Thukydides, birgt, um sie auch für kommende Generationen zu überliefern. Gleichsam als Heroon der klassischen Bildung zieht sie die Blüte Griechenlands (ἄνθος ῾Ελλήνων, . b) an und macht schon die Betrachter zu besseren Menschen. Indem er es als durch und durch klassische griechische Stadt konstruiert, ordnet Themistios Konstantinopel in seinen geistigen Horizont ein und wählt nicht unpassend die platonische Chiffre der καλλίπολις als Namen, der das Wesen der Stadt als Heimstatt der Musen Platons und des Aristoteles auf den Punkt bringt . Wie stark die rückwärtsgewandte und pagane Perspektive das Denken des Themistios prägte, konnte sich in aller Deutlichkeit dann aber nur in einer Rede zeigen, die er, wie man wohl mit Recht vermuten kann, in überarbeiteter, erweiterter Fassung vor dem immer noch von Heiden dominierten Senat Roms hielt (or. ) . Während sich diese eigentlich Kaiser Gratian gewidmete Rede Über die Liebe oder Über die königliche Schönheit zunächst nicht von den übrigen Staatsreden unterscheidet, schlägt Themistios am Ende, wenn er sich dem Senat, vor dem er anscheinend in Abwesenheit Gratians sprach, mit einem Lob Roms zuwendet, offen heidnische Töne an (d–b) . Nicht nur ruft er die heiligeren und göttlicheren Gesetze in Erinnerung, durch die König Numa die Stadt mit dem Himmel verknüpft habe (a), sondern er versichert den Senatoren, daß die Götter ihretwegen die Erde noch nicht verlassen hätten (ebd.). Der irdische Ort könne entgegen Empedokles keine Wiese der Ate sein , solange ihn In or. . c nennt Themistios die Autoren, um die sich Constantius durch den Bau der Bibliothek verdient mache, Heroen (τῶν σοφῶν καὶ ἀοιδίμων ἡρώων). Sinnfälligen Ausdruck findet diese Deutung in dem Bild Konstantinopels als eines mit Kultbildern versehenen Tempels des Kaisers, wohin Weihegeschenke gesandt werden und wo man opfert (or. . a–c). Kallipolis ist Konstantinopel in or. . a, a, b (zweimal); . d; . c; . b; . b; . d; . a; . d; . (p. , ), . (p. , ). Bei Platon erscheint dieser Name für die Idealstadt nur ein einziges Mal (Pl. R. , c). Die Rede ist nach dem Tod Valentinians I. (November ) und vor dem Herbst entstanden. Zunächst wird die Anwesenheit Gratians vorausgesetzt, der immer wieder angeredet wird, im Schlußteil aber ist der römische Senat der Adressat. Leppin – Portmann (1998) – stellen die Hypothese auf, daß Themistios zunächst in Gallien den Hauptteil der Rede vor Gratian vorgetragen und anschließend auf Einladung des Senats die erweiterte Rede in Rom dargeboten habe, ohne daß der Kaiser anwesend gewesen sei. Eine andere Hypothese bietet Errington (2000) –. Dagron (1968) – bringt diese Offenheit mit den Unterschieden zwischen den Heiden im Osten und denen im Westen in Verbindung. Anders als die im Osten hätten die Heiden Roms ihre Sache offensiver vorgebracht. Emp. fr. B D.-K. Daß Themistios hier in Empedokles das Christentum, einen bestimmten Vertreter des Christentums oder sogar Christus selbst kritisiere, läßt sich ebensowenig nachweisen wie die These, in or. . b sei mit Empedokles Christus gemeint. Vertreten wurde diese Ansicht von Dagron (1968) – und (mit Einschränkungen) von Vanderspoel (1995) f.; siehe auch Portmann (1988) ; ablehnend Guldentops (2001a) f. Die Annahme, daß in or. nicht der Philosoph
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Rom verwalte und ein Senat als Agora der Götter, ein Demos von Heroen und eine Phyle von heimatschützenden, segenspendenden Daimonen. Früher hätten die Römer den Staat mit Waffengewalt beschützt, nun aber mit einem besseren Mittel, dem religiösen Kult. Schließlich läßt er seine Ansprache in einem Anruf an die Götter kulminieren, wie er in den übrigen Reden kaum einmal zu finden ist . Themistios, so zeigte sich zu Beginn, beansprucht für sich in seinen Staatsreden die Rolle eines weitgehend unabhängigen Maklers, der zwischen den Institutionen des Kaisers, des Senates von Konstantinopel, den Eliten und dem Volk vermittelt. Wie er als solcher darauf bedacht ist, in einer Zeit, in der es in Politik, Religion und Gesellschaft an Anlässen für Konflikte nicht mangelte, ausgleichend zu wirken, hat die Analyse seiner rhetorischen Verfahrensweisen sichtbar gemacht. Indem er in entscheidenden Punkten wie etwa dem Gottesbild durch Vermeiden allzu genauer Festlegungen und Betonung des Verbindenden Ansätze für verschiedene Deutungen bereitstellt oder auch explizit für religiöse Toleranz eintritt, trägt er dazu bei, einer für viele akzeptablen Ordnung Ausdruck zu verleihen. Sein Herrschaftsideal verträgt sich mit den Vorstellungen von Kaisern, die unterschiedlichen Richtungen innerhalb des Christentums anhingen, mit denen des christlich geprägten Hofes, des konfessionell gemischten Senates und auch der zumindest in der Anfangszeit noch überwiegend paganen lokalen Eliten. Wenn Themistios zudem suggeriert, daß über alle Umwälzungen hinweg die Institution des Kaiseramtes wichtiger ist als der konkrete Amtsinhaber und daß Tradition und Beharren sich gegenüber Neuerungen behaupten, so lag dies sicherlich im Interesse der jeweiligen Kaiser. Zumal Jovian, der unter unglücklichen Umständen an die Macht gekommen war, einen äußerst unvorteilhaften Frieden mit Persien hatte schließen müssen und sich nicht einmal auf dynastische Verbindungen zu seinen Vorgängern berufen konnte, wird es als nützlich angesehen haben, daß Themistios seiner Herrschaft die Legitimation der Kontinuität verschaffte und darüber hinaus durch Propagierung religiöser Toleranz auch pagane Kreise für den neuen Kaiser zu gewinnen versuchte. Solange die römischen Untertanen zu einem beträchtlichen Teil die alten Götter ehrten, konnte es für einen christlichen Kaiser nur von Vorteil sein, wenn ein Panegyriker glauben machte, daß die traditionelle Kultur von höchster Stelle aus wohlwollend betrachtet werde . Umgekehrt ging der Empedokles gemeint sei, beruht auf einer problematischen Übersetzung. Insgesamt hat es wenig Wahrscheinlichkeit für sich, daß Themistios in offiziellen Reden, die sonst jegliche Polarisierung vermeiden, Kritik am Christentum übt. Cracco Ruggini (1972) – versteht den Hinweis auf Empedokles als Kritik an Julians Religionspraxis und -politik. Them. or. . a/b (siehe oben S. ). Vgl. noch die abschließende Anrufung an Zeus in . a. Sehr deutlich spricht diese Intention aus dem Schluß der an Valentinian I. und Valens gerichteten Rede (or. ), wo Themistios geradezu ein reziprokes Verhältnis zwischen Zeus
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Kaiser aber auch eine Verpflichtung ein, indem er Themistios gleichsam als Regierungssprecher ein solches Programm verkünden ließ. Wer sich offiziell als tolerant feiern ließ, konnte nicht allzu aggressiv gegen die alten Kulte vorgehen, sofern er nicht seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen wollte . Genau in dieser Verknüpfung der Kaiserherrschaft mit der traditionellen Kultur lag ein Deutungsangebot speziell für die heidnischen Rezipienten der Reden. Obwohl Themistios sicherlich nicht zu Unrecht als jemand gilt, der die Zeichen der Zeit erkannt hat, sollte man nicht übersehen, welch eine Verheißung in seiner Deutung der Gegenwart für die Anhänger der paganen Kulte lag. Indem er die ideale Herrschaft und die Angleichung an Gott gänzlich aus der platonischen Philosophie und der klassischen παιδεία herleitet, erweckt Themistios den Eindruck, es sei außer diesen nichts anderes nötig, um diesen Weg zu beschreiten. Wenn aber allein sie schon zur Gottähnlichkeit führen, so scheint die christliche Kultur überflüssig oder allenfalls eine Kopie des besseren Originals zu sein. Weil die Bedeutung der traditionellen Kultur in Themistios’ Augen unvermindert andauert und die Kontinuität des Kaiseramtes die kontingente Einzelpersönlichkeit zur Nebensächlichkeit schrumpfen läßt, konnte sich der heidnische Teil des Publikums damit trösten, daß die Herrschaft christlicher Kaiser lediglich ein transitorisches Phänomen sein, aber an der grundsätzlichen Ausrichtung des Römischen Reiches nichts ändern würde. Mochten die Kaiser auch im Moment dem Christentum anhängen, die traditionelle Bildung, die platonische Philosophie und mit ihnen der Götterkult würden überleben. Themistios selbst hat sein Vertrauen in die unvergänglichen kulturellen Werte in der Rede über seine Stellung als princeps senatus (or. ) unmißverständlich bekräftigt: τί γὰρ δεῖ χρόνου γε ἕνεκεν τῆς ἀρχῆς ἢ Φίλιππον Πλάτωνι παραβάλλειν ἢ ᾿Αλέξανδρον ᾿Αριστοτέλει; ἐκείνοις τήμερον οὐδεὶς ὑπακούει, ἀλλ’ οὐδὲ τὰ δόγματα αὐτῶν οὐδὲ οἱ νόμοι ἔχουσί τινα δύναμιν ἐν τοῖς ἀνθρώποις. τὰ δὲ Πλάτωνος δόγματα καὶ ᾿Αριστοτέλους ἐνεργὰ ἔτι καὶ ἀκραιφνῆ, καὶ ἐν τοσαύταις μεταβολαῖς αὐτοκρατόρων καὶ ἡγεμόνων ἀμετάβλητα διαμένει καὶ ἀκίνητα καὶ ἀσάλευτα. (Them. or. . a/b). »Warum sollte man im Hinblick auf die Dauer der Herrschaft Philipp mit Platon vergleichen oder Alexander mit Aristoteles? Auf jene achtet heutzutage niemand; weder und den beiden Kaisern konstruiert: ἀλλ’ ὦ βασίλειε Ζεῦ, ὦ πάτερ ἀνθρώπων, ὦ
πολιοῦχε καὶ τῆς ἑῴας ῾Ρώμης καὶ τῆς ἑσπερίας, φυλάττοις μὲν τῶν πόλεων τὴν ξυνωρίδα, φυλάττοις δὲ τῶν βασιλέων, οἳ τὸ σὸν βούλημα διασῴζουσιν (. a »Königlicher Zeus, Vater der Menschen, Stadtbeschützer sowohl des östlichen als auch des westlichen Roms, schütze das Gespann der Städte, schütze das Gespann der Kaiser, die deinen Willen bewahren!«). Insofern stehen das Ausscheiden des Themistios aus der Politik in den er Jahren und die Tatsache, daß er keinen Nachfolger fand, für einen grundlegenden Wandel. Der Prozeß der Christianisierung war inzwischen weiter fortgeschritten, Radikale konnten sich nun eher durchsetzen. Christliche Kaiser benötigten einen heidnischen Sprecher nur so lange, wie ein großer Teil des Publikums heidnisch war. Siehe dazu Heather (1998) –.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
ihre Ansichten noch ihre Gesetze haben bei den Menschen irgendein Gewicht. Die Ansichten Platons aber und des Aristoteles sind noch wirkmächtig und unversehrt, und in so vielen Wechseln von Herrschern und Gebietern haben sie unverändert, unbewegt und unerschüttert Bestand.«
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal In der Regel sind es Panegyriker oder philosophisch interessierte Redner wie Dion von Prusa, die in der Öffentlichkeit vor einem größeren Publikum oder einem Machthaber über die Frage der guten Herrschaft reflektieren. Des öfteren sprechen sie, wie wir eben bei Themistios gesehen haben, im Auftrage des Herrschers, um dem Hof und den Untertanen die offiziellen Leitgedanken der Regierung zu verkünden. Wenn sich dann einmal ein Herrscher selbst öffentlich in literarischer Form zu diesem Thema äußert, so handelt es sich um eine höchst seltene Ausnahme. Während Marc Aurel seine eigenen Gedanken über die Kaiserherrschaft vermutlich nur vor sich selbst niedergelegt hat , scheint Julian das dringende Bedürfnis verspürt zu haben, seinen Zeitgenossen die Richtlinien seines Tuns mitzuteilen. Beinahe in all seinen literarischen Werken kommt er mehr oder minder ausführlich auf das Thema der idealen bzw. der schlechten Herrschaft zu sprechen . Er mußte sich, wenn er mit seinen Gedanken an die Öffentlichkeit trat, darüber im klaren sein, daß er sich dann an seinen eigenen Maßstäben würde messen lassen müssen. Insofern unterscheidet sich seine Lage grundsätzlich von der des sich auf die παρρησία des Philosophen stützenden Festredners, dessen Ansichten zwar durchaus offiziöser Natur sein konnten, aber niemals über die gleiche Verbindlichkeit verfügten wie die Worte des Kaisers selbst. Hinzu kommt, daß Julian nicht immer von derselben Warte aus Stellung zu dem Thema nahm. Fallen seine ersten Äußerungen noch in seine Zeit als Caesar, so sprach er später als alleiniger Augustus des Römischen Reiches. Für den Caesar war es ein heikles Unterfangen, sich vor anderen Menschen Gedanken über die Herrschaft zu machen, da sie zwangsläufig auch auf seinen Vetter Constantius bezogen werden mußten. Angesichts der Differenzen zwischen beiden erhebt sich die Frage, wie Julian mit dem Thema umging, Bei αὐτοκρατόρων hörte das Publikum natürlich ›Kaiser‹ mit. Zur Herrschaft beispielsweise M. Ant. . . , . , . , . . In der Forschung überwiegt die Ansicht, daß Marc Aurels Selbstbetrachtungen nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Siehe Pierre Hadot: Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels. Frankfurt/Main , f. Rudolf Asmus unternahm den erfolglosen Versuch, als Hauptquelle für Julians Reflexionen über die Herrschaft zunächst Dion von Prusa, dann den verlorenen Alkibiadeskommentar des Jamblich namhaft zu machen: Asmus (1895) und Asmus (1917). Wesentlich ausgewogener ist das Urteil von François (1915), der die allgemeine Tradition des Themas berücksichtigt. Der Einfluß Dions wird nun wieder stärker betont von Perkams (2008).
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ob er sich anpaßte, ob er dem Kaiser schmeichelte oder ob er versteckt Kritik zu üben wagte. Vielleicht lassen sich auch Entwicklungen in Julians Konzept des idealen Herrschers beobachten, sobald er die Alleinherrschaft angetreten hatte. Im folgenden sollen weniger die inhaltlichen Grundzüge dieses Konzeptes im Vordergrund stehen als vielmehr die literarischen Praktiken analysiert werden, mit denen Julian seine Vorstellungen auszudrücken versuchte. Um erste Charakteristika dieser Praktiken herauszuarbeiten, eignet sich Julians früheste Äußerung zur Herrschaft, der an Themistios gerichtete Brief , in welchem dem gerade ernannten Caesar das Thema durch ein Schreiben des Philosophen vorgegeben war . In einem etwa oder verfaßten protreptischen Brief hatte dieser Julian gemahnt, nicht länger der vita contemplativa anzuhängen und die Pflichten des Herrschers zu meiden, sondern, dem Beispiele des Herakles und des Dionysos folgend, tatkräftig auf der Erde zum Guten zu wirken . Julian reagierte mit einem apologetisch angelegten, programmatischen Brief , der um das zentrale Problem des Verhältnisses von Philosophie und Macht kreist. In der Absicht, die eigene bisherige Zurückhaltung zu rechtfertigen, greift Julian Themistios’ Argumente auf und unterzieht sie einer genauen Prüfung. Seiner Ansicht nach schrecken die Mahnungen und Beispiele des Philosophen eher davon ab, sich der Herrschaft zuzuwenden, da sie übermenschliche Erwartungen an den Herrscher richteten (a–b). Er Siehe dafür Kabiersch (1960), Dvornik (1966) –, Huart (1978), Brauch (1980), bes. –, und Marcone (1998) (ziemlich oberflächlich und unter weitgehender Ausblendung der Schriften Julians). Zu den Beziehungen zwischen Julian und Themistios siehe Daly (1980), Brauch (1993b) und Vanderspoel (1995) –. Die Datierung dieser Schrift ist in der Forschung nach wie vor umstritten. Erwogen wurde zunächst entweder die Zeit unmittelbar nach der Erhebung zum Caesar (. . ) oder die nach dem Tode des Constantius (. . ), bis Barnes – Vander Spoel (1981) versuchten, beide Positionen zu verbinden (dort auch die ältere Literatur). Ihrer Ansicht nach ist der Hauptteil des Briefes nach der Ernennung zum Caesar entstanden, dann aber einige Jahre lang liegengeblieben, bevor ihn Julian im Jahre oder um die letzten zwei Paragraphen ergänzte und abschickte. Ebenso Vanderspoel (1995) f., ähnlich Brauch (1993b) f. Anm. . Die Kommentatoren Prato – Fornaro (1984) VI–IX favorisieren eine Spätdatierung auf November oder Dezember . Mit überzeugenden Argumenten hat dann Bradbury (1987) wieder die Frühdatierung vertreten. Ebenso jetzt auch Bringmann (2004) . Rosen (2006) hingegen vermutet den Winter /. Ein προτρεπτικός des Themistios hätte keinen Sinn gehabt, nachdem Julian bereits seit sechs Jahren als Caesar administrativ und militärisch tätig gewesen war. Auffällig ist ferner, daß Julian keine seiner gallischen Taten erwähnt und nur allgemein von ›dem Gott‹ spricht, wozu nach dem Bruch mit Constantius keine Veranlassung bestanden hätte. Daß der Schlußabschnitt erst später hinzugefügt sein soll, läßt sich am Text nicht festmachen (πάλαι in d muß keineswegs auf eine lange zurückliegende Zeit bezogen sein; vgl. a). Siehe Iul. ep. ad Them. c–a. Die Ermahnungen und Argumente des Themistios lassen sich hinreichend aus Julians Brief rekonstruieren. Prato – Fornaro (1984) IX sprechen von einem »vero e proprio opusculo politicoprogrammatico in veste epistolare«.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
gibt zu bedenken, daß er als bloßer Liebhaber der Philosophie nicht über die erforderlichen Anlagen gebiete (b), wie überhaupt nicht jeder Mensch von Natur aus zur politischen Tätigkeit geeignet sei (c), und daß man, um politisch tätig sein zu können, sich nicht allein auf seine ἀρετή und die richtige προαίρεσις verlassen dürfe, da die τύχη allem eine beliebige Wendung geben könne (d–a). Mit einem ausführlichen Zitat aus Platons Nomoi belegt Julian seine Ansicht, das menschliche Können rangiere als beeinflussender Faktor nach dem Gott, der τύχη und dem καιρός, so daß es einer göttlicheren Natur bedürfe, wenn man gerecht herrschen wolle . Nachdem er mit Beispielen noch einmal bekräftigt hat, daß er sich auch bislang nicht seinen Pflichten entzogen habe (b–b), kehrt Julian unter Berufung auf Platon und Aristoteles zu dem Gedanken zurück, daß der Herrscher besser als die Beherrschten sein und dem göttlichen Seelenteil folgen müsse . Anschließend wendet sich der Caesar der von Aristoteles herrührenden Meinung des Themistios zu, daß das tätige Leben lobenswerter sei als das des Philosophen, um in einer eigenen Auslegung das genaue Gegenteil zu vertreten . Da zur wahren Erkenntnis des Göttlichen nicht einmal die Tugend ausreiche, für einen militärischen Sieg hingegen nur Tapferkeit, Glück und vielleicht Einsicht nötig seien, stellt Julian den Philosophen über den Herrscher (a/b) und versucht anhand von Beispielen nachzuweisen, daß der Philosoph, statt selbst politisch tätig zu werden, der Menschheit große Dienste erweisen könne, indem er tüchtige Männer ausbilde . Zunächst einmal ist an Julians Brief bemerkenswert, daß sich hier ein Herrscher – wenn auch nicht der Kaiser selbst, sondern nur sein Caesar – vor einem Publikum zu der Frage äußert, über welche Eigenschaften ein guter Regent verfügen müsse. In erster Linie war das Schreiben zwar nur an Themistios gerichtet, doch kann man davon ausgehen, daß dieser, wie man es bei wich Iul. ep. ad Them. d–d. Die leicht geänderten Zitate stammen aus Pl. Lg. , b, c–a. Auch in a/b heißt es, daß man nach seiner προαίρεσις göttlich bzw. ein Daimon werden müsse. Im Anschluß an Arist. Pol. b, a bekräftigt Julian seine Ansicht, daß der Mensch der Herrscheraufgabe eigentlich nicht gewachsen sei und daß es ungerecht sei, wenn man über Menschen herrsche, die einem gleich seien (d–d). Julian findet Aristoteles hier in perfekter Übereinstimmung mit Platon, dem zufolge der Herrscher den Untertanen überlegen sein und den Gesetzen folgen müsse, allerdings nicht den nach menschlichem Ermessen gegebenen, sondern denen, die mit Blick auf die Natur der πολιτεία und die Idee der Gerechtigkeit geschaffen seien (d–d). Iul. ep. ad Them. b–d. Julian bezieht sich hier auf Arist. Pol. b. Julian greift in b–c die von Themistios selbst angeführten Beispiele des Areios, Nikolaos, Thrasyllos und Musonios auf. Auch Themistios’ eigenes Wirken als philosophischer Lehrer dient Julian als Argument (a). Zuvor schon hatte er Sokrates über Alexander gestellt, da er Schüler wie Platon, Xenophon und Antisthenes hervorgebracht habe (c/d). Themistios hatte anscheinend in seinem Protreptikos die Beispiele angeführt, auf die er auch sonst zurückgriff.
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tigen Briefen des öfteren tat, ihn Freunden und Kollegen zeigte . Zudem scheint Julian am Ende seiner Erörterungen einen weiteren Rezipientenkreis vor Augen zu haben, nämlich grundsätzlich die Intellektuellen des Reiches . Ihm ist offensichtlich daran gelegen, sein Selbstverständnis anderen mitzuteilen und sein eigenes Handeln durch philosophische Argumente zu fundieren. Es wäre aber verkehrt, wenn man den Brief als rein rückwärtsgewandt oder allenfalls auf die Gegenwart bezogen auffaßte. Obgleich Julian sich über weite Strecken auf Themistios’ Mahnungen zurückbezieht oder sein eigenes bisheriges Tun Revue passieren läßt, blickt doch gerade der Schlußteil (c–b) eindeutig in die Zukunft, wenn Julian bekennt, auf die Unterstützung der Philosophen angewiesen zu sein, als deren Führer er sich begreift . Er will nun alles der Gottheit anheimgeben und stellt den Philosophen implizit in Aussicht, daß er, obwohl er sich seiner unzureichenden Fähigkeiten bewußt ist, eine philosophisch ausgerichtete Herrschaft ausüben werde. Wie erst am Ende deutlich erkennbar wird, beabsichtigt der Caesar also mehr, als sich nur für seine bisherige Zurückhaltung zu rechtfertigen. Indem er sich mit einem offenen Brief an die Intellektuellen (zumindest die im Ostteil des Reiches) wendet, wirbt er um ihre Unterstützung für seine sich an platonischen Vorstellungen orientierende Herrschaft . Zwar sollte man nicht so weit gehen, Julian hier bereits Pläne für eine Ablösung seines Vetters zu unterstellen, unverkennbar ist aber, daß er im Begriff ist, ein eigenes Programm zu entwickeln, das sich durchaus von der Herrschaftspraxis des Constantius unterscheidet. Der Versuch, eine eigene Position zu finden, offenbart sich nicht zuletzt in der Argumentationsweise des Briefes. Während Themistios vermutlich gehofft hatte, sein ehemaliger Schüler würde seinen Mahnungen ohne weiteres beipflichten, setzt sich Julian selbstbewußt mit den Meinungen anderer auseinander . Er benutzt allgemeine Erwartungen an einen guten Herrscher, die sich mit Gestalten wie Alexander oder Marc Aurel verknüpfen, um sich von ihnen zu distanzieren (a/b), und wirft Themistios offen vor, daß sein προτρεπτικός eher apotreptisch wirke. Auch wenn
Zu dieser Praxis vgl. Lib. ep. ; (Themistios hatte einen Brief des Libanios in Konstantinopel herumgezeigt); ; ; ; ; ; ; . Wenn Julian in d–a sagt, daß er auf die Hilfe παρ’ ὑμῶν [. . .] τῶν φιλοσοφούντων angewiesen sei, da er προτεταγμένος ὑμῶν καὶ προκινδυνεύων sei, so scheint mir dies ein deutliches Indiz dafür, daß er ein größeres Publikum im Auge hat. Ein weiteres Beispiel für diese Praxis ist der offene Brief an Neilos (ep. ). Ganz ähnlich äußert sich Julian gegenüber Priscus in ep. , allerdings hier mit der Einschränkung, daß er die ›wahren‹ Philosophen meine, also doch wohl die paganen der neuplatonisch-theurgischen Schule. Daß Julian mit seiner Werbung um die Unterstützung von Philosophen zumindest bei einigen auf offene Ohren stieß, belegen die Besuche einiger Intellektueller bei ihm in Gallien, etwa der des Priscus. Siehe Lib. or. . ; Iul. ep. –. Zu den Differenzen zwischen den Ansichten des Briefschreibers und des Adressaten siehe auch Vanderspoel (1995) –.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
er auf sein Schülerverhältnis zu Themistios rekurriert und mehrmals betont, daß er eigentlich kein Philosoph sei , demonstriert er in belehrendem Tonfall, wie man Platon auszulegen hat, ja er weist Themistios sogar nach, daß er Aristoteles falsch interpretiert habe . Schließlich hält er ihm noch vor Augen, wie unpassend die Beispiele gewesen seien, auf die er sich berufen hatte. Neben diesen philosophischen Belehrungen könnte ein weiteres Indiz für eine Emanzipation Julians von den Ansichten anderer zum Thema der Herrschaft sein, daß er mit keinem Wort auf den Kaiser eingeht. Von einem Caesar, der hauptsächlich dazu ausersehen war, in Gallien das Bildnis des Constantius umherzutragen , sollte man erwarten, daß er, und sei es auch nur der äußeren Form halber, den Augustus zu seinen Vorbildern in der Regierungspraxis zählt . Julian jedoch erweckt in seinem Brief den Eindruck, als gebe es für ihn überhaupt keine Vorbilder unter den Herrschern, sondern nur die platonische Philosophie als Richtschnur. Schließlich verdient die Beziehung zwischen Julians Selbstverständnis und der literarischen Form Aufmerksamkeit. Auch wenn das Genos des philosophischen Briefes schon durch Themistios’ Schreiben vorgegeben war, dürfte es Julians Anliegen in besonderer Weise entgegengekommen sein. Wie seine Argumentation zeigt, sieht Julian sich in erster Linie als Philosophenkönig, der den von Platon und Aristoteles aufgestellten Prinzipien folgt und sich eher an philosophischen Lehrern wie Sokrates orientiert als an anderen Herrschern. Sein Ziel ist es, so weit es möglich ist, den Gott zu erkennen, um mit Hilfe der auf der Gerechtigkeit selbst basierenden Gesetze die Menschen zu regieren. Wer diesem Ideal nachstrebt, kann sich, sofern er glaubwürdig erscheinen will, nicht allein darauf verlassen, daß ihm Panegyriker bescheinigen, den platonischen Idealherrscher zu verkörpern. Vielmehr muß er selbst unter Beweis stellen, daß er sich tatsächlich um philosophische Vervollkommnung und eine Orientierung der Herrschaft an platonischen Prinzipien bemüht. Wie könnte man dies besser als durch eine philosophische Programmschrift? Wollte Julian die Intellektuellen für seine Konzeption der Herrschaft gewinnen, so war es für ihn geradezu unab Iul. ep. ad Them. b/e. Die Bekanntschaft beider fällt in die Zeit von Julians Aufenthalt in Konstantinopel (). Vanderspoel (1995) f. Iul. ep. ad Them. b, a. In d verweist er darauf, daß Themistios ihn in Platons Nomoi unterwiesen habe. Später erbittet er Belehrung von Themistios (b). Schon bei der Ablehnung Epikurs (b/c) hatte Julian seine Übereinstimmung mit Themistios hervorgehoben. Als eine captatio benevolentiae kann man ansehen, daß Julian im Unterschied zu seinen sonstigen Schriften sehr ausführlich Ansichten des Aristoteles heranzieht, um den Aristoteliker Themistios zu überzeugen. Iul. ep. ad Them. a/b. Die Zurückweisung von Themistios’ Interpretation in d ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten. So stellt es Julian selbst in polemischer Absicht dar: Iul. ep. ad Ath. d–a. Dies fällt besonders vor dem Hintergrund der Rede auf Kaiserin Eusebia auf, wo Julian in einem breit ausgeführten Vergleich Constantius als perfekten Wagenlenker porträtiert, den er, Julian, sich selbst zum Vorbild nehme, aber nie erreiche (Iul. or. . a–a).
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dingbar, seine Gedanken in dieses literarische Gewand zu kleiden. Im folgenden soll darauf geachtet werden, ob diese enge Beziehung zwischen der Form und dem Inhalt der Botschaft auch für die anderen Schriften gilt, in denen Julian über die Herrschaft reflektiert. Die chronologisch nächste Äußerung zu diesem Thema liegt in dem vermutlich im Winter / entstandenen Panegyricus auf Kaiser Constantius vor, einer Rede, die nur wenige individuelle Züge zeigt . Bemüht sich der Caesar doch augenscheinlich darum, mit seiner Lobrede dem rhetorischen Schema gerecht zu werden, wie man es etwa bei dem Rhetor Menander findet . Den Hauptteil der Rede nehmen die militärischen Taten des Constantius ein (§ –), indessen die traditionellen zivilen Tugenden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bemerkenswert scheint allein, daß die Rede völlig unvermittelt abbricht, ohne daß Julian in einer peroratio mit dem zu erwartenden Segenswunsch schließt . Wenn man die enge Anlehnung an die rhetorischen Vorschriften in Rechnung stellt, liegt die Vermutung nahe, Julian habe diese Rede gleichsam als Pflichtübung verfaßt, um den mißtrauischen kaiserlichen Vetter seiner Loyalität zu versichern . Denkbar wäre weiterhin, daß er, indem er immer wieder auf Constantius’ angeblich gutes Verhältnis zu seinen Verwandten eingeht, ihn implizit mahnt, auch ihm selbst, Julian, gegenüber die Verwandtenliebe ernst zu nehmen und nicht wie mit Gallus zu verfahren . Ein eigenständiges Konzept der guten Herrschaft aber läßt sich in diesem Panegyricus nicht ausmachen. Im Lichte dieser Rede überrascht jedoch Julians weitere Beschäftigung mit dem Problem, die auf den ersten Blick erneut die Form einer Lobrede auf Constantius annimmt. Denn unter dem Titel Über die Taten des Kaisers oder Über die Königsherrschaft befaßt er sich noch einmal mit den Leistungen seines Vetters . Iul. or. . Zur Datierung siehe Tantillo (1997) f. Vgl. Tantillo (1997) –. Dieser Umstand hat zu Vermutungen geführt, daß die Rede unvollendet oder in großer Eile abgefaßt und womöglich gar nicht Constantius vorgelegt worden sei. Gegen diese Hypothese wendet sich Tantillo (1997) f. Zu bedenken ist, daß das Enkomion auf Kaiserin Eusebia (or. ) ähnlich abrupt endet. In Lib. ep. . liegt ein ziemlich sicheres Zeugnis vor, daß Julians Rede tatsächlich an Constantius gesandt wurde. Libanios spielt auf eine Rede Julians an, die seinem eigenen Panegyricus auf Constantius und Constans ähnlich sei. Dies trifft genau auf Iul. or. zu, während Iul. or. gänzlich anders komponiert ist. Außerdem hätte sich Libanios wahrscheinlich in einem Brief an Julian, der von Constantius’ Vertrautem Paulus Catena gelesen werden konnte (vgl. Lib. ep. ), nicht offen über or. geäußert, da diese Rede, wie unten gezeigt wird, als Kritik an Constantius aufgefaßt werden muß. Siehe auch Bidez (1924) –, Caltabiano (1991) und Wiemer (1995a) . Auf or. beziehen den Brief des Libanios hingegen Gladis (1907) und anscheinend Norman (1969/77) xii. Bowersock (1978) , Bringmann (2004) . Siehe Portmann (1988) f. Iul. or. Περὶ τῶν τοῦ αὐτοκράτορος πράξεων ἢ Περὶ βασιλείας. Schon der an die Fürstenspiegelliteratur erinnernde Titel der Schrift deutet an, daß Julian ein grundsätzlicheres Anliegen verfolgt, als nur Constantius zu loben.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
Bereits bei oberflächlicher Lektüre muß man feststellen, daß diese Rede, was den historisch-faktischen Inhalt betrifft, überhaupt nicht über or. hinausgeht. Julian erwähnt keinerlei politische Ereignisse oder militärische Operationen, die nach dem Jahr stattgefunden haben, so daß die Vermutung naheliegt, er habe beide Reden in sehr kurzem Abstand hintereinander abgefaßt . Um so deutlicher fällt die Diskrepanz zwischen beiden in kompositioneller Hinsicht ins Auge. Denn während or. wie erwähnt die obligatorischen Topoi des βασιλικὸς λόγος in der üblichen Reihenfolge abhandelt, läßt die dritte Rede nicht nur aus, was bereits in or. zur Sprache kam (etwa Abstammung und Erziehung des Constantius), sondern weist zudem eine völlig andere Disposition auf, als man sie von Lobreden gewohnt ist. Nachdem er im Proöm auf den aus der Ilias bekannten Streit zwischen Achill und Agamemnon eingegangen ist, um daraus Maßregeln für Könige und Feldherren abzuleiten – ein eigenartiger Auftakt für das zu erwartende Herrscherlob –, stellt Julian, ständig auf die Helden des Trojanischen Krieges Bezug nehmend, in der ersten Hälfte die Taten des Kaisers dar (§ –), bevor er sich in einem zweiten Schritt dem idealen Herrscher zuwendet (§ –), an dem schließlich Constantius gemessen werden soll . Als ebenso bemerkenswert wie der Aufbau der Rede kann ihr Publikumsbezug gelten. Zu Beginn erweckt der Text noch den Anschein, als spreche der Redner direkt im Angesicht des zu lobenden Kaisers, wie man Anreden und den gebrauchten Pronomina der . Person Singular entnehmen kann. Sobald er sich den Taten des Constantius im Detail widmet, spricht Julian ihn jedoch nicht mehr selbst an, sondern redet über ihn . Als Publikum wird im folgenden fast gar nicht mehr Constantius vorausgesetzt, sondern ein größeres Auditorium, In Iul. or. . d–a heißt es, daß die Parther Frieden hielten, was nur auf die Zeit vor zutrifft. Terminus post quem ist die in b erwähnte Bataverexpedition Julians. Die Rede dürfte also etwa zwischen Sommer und Frühjahr entstanden sein. Siehe Bidez (1932) f., Bowersock (1978) , Portmann (1988) . Geffcken (1914) – geht ohne nähere Begründung davon aus, daß die Rede zwar zwischen und verfaßt, aber später überarbeitet worden sei. Einen detaillierten Überblick über den Aufbau kann man Curta (1992/4) entnehmen. Personalpronomina der . Ps. Sg., die sich auf Constantius beziehen, erscheinen fast ausschließlich in den ersten Paragraphen der Rede (dann noch einmal a). Ansonsten wendet sich Julian mit Formen von ὑμεῖς (z. B. d, c, b, d, d, d, b) an ein Publikum, vor dem er über den Kaiser spricht. Dieser Wechsel vollzieht sich etwa in c/d. Auffällig häufig sind Formulierungen wie ›wollt ihr, daß ich . . .‹, ›scheint euch . . .‹. Die Anreden an dieses Publikum häufen sich insbesondere bei den platonisch geprägten Reflexionen und dem Vergleich des Constantius mit dem Idealherrscher. Zwar ist der Wechsel zwischen Anreden an den Kaiser und dem Sprechen über ihn in der Panegyrik nicht ausgeschlossen (vgl. etwa Lib. or. . –), aber die konsequente Abwendung von Constantius in Julians Rede ist singulär, zumal im Vergleich mit or. , in der sich Julian durchweg dem Gelobten zuwendet (siehe Iul. or. . , b, a, b, c). Zu diesem Adressatenwechsel siehe auch Curta (1995) f., allgemein zu dieser Praxis Pernot (1993) –.
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dem Julian von den Leistungen des Kaisers berichtet. Dieses Publikum scheint er auch im zweiten, dem Idealherrscher geltenden Teil der Rede vor Augen zu haben. So erweckt er den Eindruck, als würde er nur eingangs einen Panegyricus in Anwesenheit des Gelobten vortragen, dann aber eine Lobrede in dessen Abwesenheit halten (wie etwa Lib. or. ), um schließlich vor dieser Folie eine epideiktische Rede über den Idealherrscher zu Gehör zu bringen. Welchen Grund könnte er gehabt haben, innerhalb so kurzer Zeit zwei Lobreden auf denselben Kaiser zu verfassen, ohne eigentlich etwas faktisch Neues zu sagen, dabei aber gleichzeitig seine Methode so auffällig zu variieren? Julian bloß Unzufriedenheit mit seiner ersten Rede als Motivation zu unterstellen dürfte wohl kaum eine ausreichende Erklärung sein. Einen ersten Fingerzeig in Richtung auf ein angemessenes Verständnis vermag die Art zu geben, wie Julian in or. Vergleiche einsetzt. Denn gerade in dem Teil, der sich auf die militärischen Taten konzentriert, zieht Julian zahlreiche Vergleiche zu homerischen Helden, bisweilen aber auch zu historischen Gestalten. Wie in Lobreden allgemein das Verfahren der σύγκρισις dazu dient, den Gelobten mit als vorbildlich anerkannten Figuren zu parallelisieren oder ihn gar über diese zu erheben , so bedient sich auch Julian mehrmals dieses Mittels, um in einem Überbietungstopos Constantius’ Überlegenheit zu erweisen. Während etwa Achill nach Patroklos’ Tod kein Erbarmen mit den trojanischen Gefangenen gezeigt habe, habe Constantius den Anhängern des Usurpators Magnentius Straffreiheit gewährt, sofern sie von diesem abfielen . Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch ein Großteil der Vergleiche als fragwürdig oder zumindest zweideutig heraus. Denn statt allein die großen, strahlenden Helden heranzuziehen, wählt er ebenso zwielichtige und minderwertige Krieger, worauf er überdies die Aufmerksamkeit der Rezipienten lenkt, wenn er einleitend fragt, mit welchen der von Homer Besungenen er Constantius vergleichen soll (d) . Zur Auswahl stehen ihm der Bogenschütze Pandaros, der nicht nur unzuverlässig und bestechlich sei, sondern auch noch schwach und ein untauglicher Kämpfer; ferner Teukros und Meriones, von denen dieser auf Tauben schieße, während jener als lächerlicher Soldat immer des Schutzes durch andere Siehe Bidez (1932) f. Vgl. Portmann (1988) . Siehe Pernot (1993) –. Iul. or. . b/c mit Bezug auf Hom. Il. . –. Zu dieser Amnestie siehe auch Iul. or. . . Ein ähnlicher Vergleich mit Agamemnon in c/d. In d–b vergleicht Julian die Eroberung Aquileias mit einem Sieg Alexanders, den Constantius übertrifft, insofern er keine Verluste hinnehmen mußte. Später parallelisiert er die Milde des Constantius gegenüber Vetranio mit derjenigen des Kyros gegenüber seinem Großvater (c/d). Der überwiegenden Ansicht der antiken Rhetoriker nach muß der Verglichene selbst so angesehen und berühmt wie möglich sein. Das Verdienst des Gelobten erstrahlt um so heller, je höher auch der Vergleichspunkt steht: Isoc. or. . ; Arist. rhet. a; Cic. de orat. . ; Theon prog. . –; Men. Rh. . –. , . –, . –. Eher selten wird vorgeschlagen, einen niederen Vergleichspunkt zu wählen: Theon prog. . –; Hermog. . f., . –. Siehe Pernot (1993) –.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
bedürfe (a). Als wären diese ›Helden‹ damit nicht bereits völlig indiskutabel, steht Julian nicht an, Constantius tatsächlich mit ihnen zu vergleichen, wobei er sich notabene lediglich das Jagdgeschick des Kaisers vornimmt (b). Zwar geht er sogleich dazu über, ihn mit Achill zu parallelisieren, jedoch nur insofern sich dieser über die von Hephaist neu gefertigten Waffen freute . Andere Figuren, deren sich Julian bedient, erweisen sich für eine enkomiastische Intention als ungeeignet, da sie negativ konnotiert sind. Wenn er seine Rede damit beginnt, daß Achill, als er sich aus dem Kampf zurückzog, zur Leier griff und die Taten der Heroen besang (c), so könnte man zunächst denken, Julian wolle sein eigenes Enkomion mit dem Gesang des Peleussohnes vergleichen. Tatsächlich jedoch lenkt Julian das Augenmerk darauf, daß Agamemnon seinem Feldherrn Achill Unrecht zugefügt hatte, und leitet daraus die Mahnung ab, ein König solle nicht im Affekt seine Macht mißbrauchen, und die Feldherren müßten die Kritik ihres Königs ertragen können (d–c). Unweigerlich mußte der zeitgenössische Rezipient eine Analogie ziehen und Kaiser Constantius mit dem König Agamemnon resp. seinen Feldherrn Julian mit Achill in Verbindung bringen . Zwar antizipiert Julian diesen Schluß, indem er Constantius explizit über Agamemnon stellt, doch nur, um sogleich zu bekunden, er selbst werde sich einsichtiger als Achill zeigen (c/d). Noch offener hätte man kaum andeuten können, daß Constantius gegenüber dem Caesar seine Macht mißbrauchte und im Unrecht war . Gleich darauf, wenn er über das Szepter und die Herrschaft des Kaisers sprechen will, zieht Julian zum Vergleich die Dynastie der Pelopiden heran, in der sich die Macht jeweils vom einen auf den anderen vererbt habe (b–b). Was er verschweigt, aber durch die namentliche Erwähnung der einzelnen Pelopiden anklingen läßt, ist, daß in der Mythologie gerade dieses Geschlecht untrennbar mit einem über Generationen hinweg wirkenden Fluch verknüpft war und die Übertragung der Herrschaft zwischen Atreus und Thyest alles andere als friedlich verlaufen war . Akzeptabel wäre ein Vergleich mit ihnen allenfalls, wenn Julian davon die Harmonie innerhalb der konstantinischen Dynastie absetzte. Statt aber ausdrücklich die Distanz zwischen den Pelopiden und den zweiten Flaviern hervorzuheben, läßt Julian mit der rhetorischen Frage, ob er sie denn hinsichtlich der Größe der Macht vergleichen könne (b), die angedeutete σύγκρισις völlig offen enden, um sich den äußeren Insignien der Macht zuzuwenden. Er überläßt es seinem Iul. or. . b/c mit Zitat Hom. Il. . . Siehe auch Bidez (1932) f., Athanassiadi (1992a) f., Portmann (1988) . Gemeint sind hier sicherlich auch die Morde an Julians Verwandten, für die er Constantius verantwortlich machte (siehe Iul. ep. ad Ath. c/d). Barnes (1998) f. Man könnte auch mit Athanassiadi (1992a) f. an dieser Stelle eine Anspielung darauf sehen, daß Julian seinem Vetter den Triumph nach der Schlacht von Straßburg überlassen mußte (dazu Iul. ep. ad Ath. c/d). Man sollte jedoch nicht so weit gehen, wie Curta (1997) f. eine genaue Entsprechung zwischen einzelnen Pelopiden und Konstantin, Constantius und Julian zu konstruieren.
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Publikum, nicht allein im Hinblick auf die Macht, sondern auch, was Verwandtenmord und Streit angeht, eine Verbindung zu den fluchbeladenen Pelopiden herzustellen . Über den inhaltlichen Aspekt hinaus sind auch die Verfahrensweisen, die Julian bei seinen Vergleichen anwendet, auffallend doppeldeutig und unbestimmt. Im Anschluß an die schon genannte Erwähnung von Pandaros, Teukros und Meriones fragt er, ob er Constantius’ Fähigkeit im Reiten oder Behendigkeit im Laufen mit denjenigen vergleichen solle, die sich früher Namen und Ruhm erworben hätten (c). Die eine Seite des Vergleichs weist Julian mit dem Hinweis zurück, die Reitkunst sei damals noch gar nicht erfunden gewesen, da man nur Wagen benutzt habe. Was das Laufen angeht, so entledigt sich Julian seiner Aufgabe mit folgendem knappen Hinweis: τάχει δὲ ὅστις διήνεγκε, τούτῳ πρὸς hσὲi γέγονεν ἀμφήριστος κρίσις (c, »Wer sich aber [unter den Heroen] an Schnelligkeit hervorgetan hat, dem ist der Vergleich mit dir unentschieden.«). Statt seinen Kaiser über die homerischen Helden zu stellen, eröffnet Julian also Vergleiche, die sich entweder gar nicht durchführen lassen oder völlig offen enden! Nicht minder ratlos bleibt das Publikum zurück, wenn Julian Parallelen, die er gezogen hat, selbst nachträglich durch Kommentare wieder in Frage stellt. Nachdem er noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß er die Ähnlichkeiten der homerischen Helden mit dem Kaiser darstellt , bezeichnet Julian die Überlegenheit des Constantius im Hinblick auf das Ausmaß der Kriegsrüstung und der Truppen als offensichtlich (c/d) . Am Trojanischen Krieg seien ganz Griechenland und zahlreiche Bundesgenossen des Priamos beteiligt gewesen, die Völker, aus denen sich des Kaisers Truppen rekrutieren, aufzuzählen sei jedoch überflüssiges Geschwätz (a). Denn es sei völlig natürlich, daß größere Streitmächte auch größere Leistungen vollbrächten; notwendigerweise überträfen diejenigen des Constantius also die der Vorzeit. Im nachhinein erscheint der Vergleich demnach als irrelevant oder gar banal, da das Ergebnis eigentlich keine Aussagekraft besitzt, zumal nicht für die Leistungen des Kaisers selbst . Mitunter läßt Julian die angekündigten Verglei Bei der Erwähnung, daß Konstantin seine drei Söhne zu Mitherrschern gemacht habe (b), liegt es nicht allzu fern, daran zu denken, wie wenig einträchtig diese nach dem Tod ihres Vaters regierten. Wenn Julian betont, daß zwischen den Taten des Constantius und denen der Helden Verwandtschaft und Ähnlichkeiten bestünden (d ξυγγένειαν [. . .] δι’ ὁμοιότητα), so erhält diese Behauptung einen doppeldeutigen Klang vor dem Hintergrund, daß er bislang überwiegend Unzulänglichkeiten der Helden behandelt hat. Hier fällt bereits die Diskrepanz ins Auge, daß Julian zwar den Eindruck erweckt, er wolle sich nun der ξύνεσις und εὐβουλία des Constantius zuwenden (c), tatsächlich dann aber nur über das Ausmaß der Rüstungen und die Zahl der Kriege spricht statt etwa über das herausragende taktische Geschick. Ähnlich verhält es sich, wenn Julian in a/b Constantius’ Redetalent mit dem des Nestor und des Odysseus vergleichen will, dann aber hauptsächlich auf die (nicht nur rhetorischen) Unzulänglichkeiten der beiden Helden eingeht. Statt abschließend den
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
che einfach ins Leere laufen, indem er assoziativ zu anderen Themen übergeht. So hatte er sich zunächst vorgenommen, die Belagerung von Nisibis neben den Kampf des Aias am Schiffslager zu halten, und tatsächlich die Operationen der Römer in großer Breite dargestellt. Anschließend jedoch wird Aias nur noch beiläufig zusammen mit anderen erwähnt, worauf Julian sich sogleich Hektor und Sarpedon zuwendet . Hektor wird zwar durchaus gelobt, doch entwertet Julian dieses Lob, indem er erwähnt, wie Hektor sich in der Menge verbirgt und Zeus ihn aus dem Kampf entführt (c–a). Anschließend hören wir, wie Hektor sich aus dem Kampf davonstiehlt, um sich in der Stadt um die Verehrung der Götter zu kümmern (b/c). Hier ergreift Julian die Gelegenheit, ausführlich über das Verhältnis des Herrschers zu den Göttern zu reflektieren. Von der intendierten σύγκρισις ist nicht mehr die Rede . Indem er für seine Vergleiche fast ausschließlich am Trojanischen Krieg beteiligte Helden heranzieht, macht Julian ständig auf die Ilias als Prätext seiner Rede aufmerksam. Homer ist jedoch nicht nur durch diese inhaltlichen Bezüge, und insofern einzelne Verse seines Epos zitiert werden, präsent, sondern Julian verweist des öfteren explizit auf den Dichter . Bereits wenn er eingangs über den Streit zwischen Agamemnon und Achill spricht, läßt er einfließen, daß er hier weniger auf historische Fakten als vielmehr auf ein literarisches Werk rekurriert, dessen Verfasser die einzelnen Figuren auftreten läßt und eine Geschichte gestaltet, um damit etwas zu lehren . Obgleich an dieser Stelle Homers Darstellung noch nicht in Zweifel gezogen wird, liegt ein erster Hinweis auf die Fiktionalität des trojanischen Geschehens in seiner homerischen Form vor. Dieser prekäre Status der homerischen Dichtung zwischen Fiktionalität und Realität wird später expressis verbis zum Thema gemacht, wenn wir erfahren, daß der Usurpator Magnentius so handele, als wolle er zeigen, daß Homers Geschichte
Kaiser ihnen als positives Beispiel gegenüberzustellen, bemerkt Julian, daß man noch kein guter Lobredner des Kaisers sei, wenn man die Helden für ihr Versagen tadele (a). Genau diesen Eindruck hatte er aber vorher erweckt! Befremdlich mutet es auch an, daß Julian in a/b die römischen Belagerer von Nisibis wechselweise den griechischen Verteidigern und den trojanischen Angreifern an die Seite stellt. Hiermit scheint Julian das beliebige Verfahren der üblichen Lobreden bloßstellen zu wollen. Erst in d–c, nach dem langen Exkurs zu Platon, nimmt Julian das Thema wieder auf. Aber auch hier entwertet er den Vergleich, indem er an dessen Berechtigung zweifelt. Überdies stellt Julian fest, daß Hektor niemals den Kampf entschieden, sondern sich immer feige zurückgehalten habe. Damit aber sind alle zuvor mehr oder weniger explizit zu Hektor gezogenen Parallelen entwertet. Indem er trotz seinen Zweifeln in c den Vergleich wieder aufgreift, wirft Julian außerdem die Frage auf, ob Constantius vielleicht doch mit dem Feigling Hektor parallelisiert werden kann. Zu Homer als Bezugspunkt der Lobredner siehe Pernot (1993) –. Vgl. die einzelnen Signale in c (φησὶν ἡ ποίησις), a (ὁ πατὴρ ἐκείνων τῶν λόγων), b (ὥσπερ ἐν δράματι τοῖς προκειμένοις ἀνδράσιν οἷον εἰκόσι χρώμενος). In a–c ist ausschließlich davon die Rede, was der Dichter mit seinen Figuren sagen will.
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kein μῦθος, sondern wahr sei . Um Homers Autorität vollends zu untergraben, stellt Julian überdies in Frage, ob der Dichter sich überhaupt als Zeuge für die Ereignisse vor Troja eigne – eine befriedigende Antwort darauf wird uns verwehrt –, und bekennt sogar offen, daß Homer, der lange Zeit nach den Ereignissen gelebt habe (a), manches im Scherz übertreibe, wenn nicht gar frei erfinde . Ein gerechtes Urteil über Helden wie Achill sei gar nicht möglich . Es verwundert dann auch nicht weiter, daß Homer in Julians Augen anscheinend ein Dichter ist, der sich vorwiegend mit Äußerlichkeiten abgibt, auf die es eigentlich nicht ankommt . Wer all diese unübersehbaren distanzierenden Äußerungen aufgreift, wird nicht umhinkönnen, den größten Teil der von Julian gezogenen Vergleiche als völlig wertlos einzustufen . Wenn Constantius die Helden der Vorzeit übertrifft, wird ihm lediglich das zweifelhafte Lob zuteil, fiktive Fabelgestalten zu besiegen . Dem Vergleich mit historischen Gestalten, so suggeriert Julian, scheint er nicht standzuhalten. Wird er doch ganz anders als noch in or. kaum einmal mit einem historisch verbürgten Herrscher parallelisiert .
Iul. or. . d. Magnentius wird an dieser Stelle mit Poseidon in Verbindung gebracht (mit Zitat Hom. Il. . f.). Julian bezieht sich hier darauf, wie sich das Meer auf wundersame Weise vor Poseidon teilt, wodurch er auf den fabulösen Charakter der Dichtung hinweist. Wenig später legt Julian erneut den fiktionalen Status der Dichtung offen, indem er, Magnentius von Typhon absetzend, von der Dichtung Hesiods als ποιητικὴ τερατεία spricht (d). Zur ambivalenten Haltung der epideiktischen Redner gegenüber dem Mythos siehe Pernot (1993) –. In c/d geht Julian auf den Kampf zwischen Achill und dem Fluß Skamander ein (vgl. Hom. Il. . –). Was Homer darüber sagt, scheint ihm ein παίγνιον und reine Erfindung zu sein. In d–a unterstellt er Homer, daß er sich über seine eigenen Gestalten lustig mache. Iul. or. . c–b. θεῶν ἀναπλάττων μάχας καὶ ἐπικοσμῶν μύθοις τὴν ποίησιν
δεκάζει τοὺς κριτὰς καὶ οὐκ ἐπιτρέπει δικαίαν φέρειν καὶ ἀψευδῆ ψῆφον
(»Indem er Götterkämpfe erfindet und seine Dichtung durch fiktive Geschichten ausschmückt, besticht er seine Kritiker und läßt sie kein gerechtes Urteil fällen.«, a). An der leider korrupten Stelle b spricht Julian von der Täuschung der Rezipienten durch die Schönheit der Worte und die Fiktion. In a/b grenzt er dann ausdrücklich die epische Dichtung von den historischen Tatsachen ab. Iul. or. . a, b; vgl. d. Anders hingegen Demarolle (1986) f., Lamberton (1986) und Bringmann (2004) , welche die homerischen Bezüge als ernsthaftes Lob auffassen. Hintersinnig erscheint die Behauptung, daß die Ilias, sofern man nur die Namen der Helden durch den des Constantius ersetze, wie ein Lobgedicht des Kaisers erscheine (a). Abgesehen davon, daß der Gedanke an sich befremdlich ist (dies gilt doch ganz gleich, welchen Namen man substituiert), ist dieses Kompliment vor dem Hintergrund der anderen Aussagen zu Homer an Fragwürdigkeit kaum zu überbieten. Gehören Constantius’ Taten ebenso wie die der Heroen ins Reich der Fabel? Iul. or. . a (Alexander), c (Kyros), b (Alexander). Insgesamt spielt die Geschichte als Bezugsrahmen in or. nur eine untergeordnete Rolle, zumal im Vergleich mit or. . Siehe Portmann (1988) –, Demarolle (1986) f.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
Zu dieser Strategie, das Lob des Constantius zu desavouieren, tritt die kompositionelle Auflösung der Rede in teils nur locker miteinander verbundene Einzelteile. Immer aufs neue wird das Lob des Kaisers dadurch unterbrochen, daß Julian Digressionen in den Gedankengang einfügt, deren Relevanz für den Kontext teilweise unklar bleibt . Nachdem er erwähnt hat, daß Hektor die Frauen zur Verehrung der Götter auffordert (b), ergeht sich Julian in Reflexionen über die Pflicht des Herrschers, den Götterkult in keiner Hinsicht zu vernachlässigen und diese Aufgabe nicht an andere zu delegieren (b/c), bevor er einen langen Exkurs zur platonischen Philosophie einschaltet (c–b). Ohne daß wir erfahren, ob Julian diese Gedanken auch auf Constantius anwenden will (was ihm im Hinblick auf den Götterkult schwer fallen dürfte), schließt er seine Reflexionen mit der Vermutung, daß sie seinen Hörern deplaziert erscheinen könnten (b). Statt die Digression zu rechtfertigen, beschreibt er selbst ganz zutreffend sein assoziatives, sprunghaftes Vorgehen, das die Kohärenz des Lobes immer wieder durchbricht. Und als wäre dadurch die kompositionelle Schwäche der Rede noch nicht offenkundig genug, setzt er, obwohl er verspricht, den Faden seiner Rede wiederaufzunehmen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren, seine platonischen Erörterungen ungeniert fort (d–d). Inwiefern der Exkurs mit Constantius zu tun haben könnte, wird nicht einmal danach gesagt . Während Julian in or. solche Exkurse weitaus sparsamer eingesetzt und dem Lob des Kaisers untergeordnet hatte, wird der Rezipient hier immer wieder von Constantius, den zu loben Julian vorgibt , abgelenkt, zumal die Rede ihn über weite Strecken aus den Augen zu verlieren scheint .
Siehe c–c (Marcellinus und sein Verschwinden), b–c (Hektor), c–d (platonische Reflexionen), d–d (Aquileia und die Veneter), d–a (Schmeichelei und Mytheninterpretation). Entlarvend ist, daß Julians Rede ›irgendwie‹ (οὐκ οἶδα ὅπως b) auf Hektor und Sarpedon gekommen ist. In d lenkt Julian selbst die Aufmerksamkeit darauf, daß er sich mit Ausführungen zu nebensächlichen Details wie etwa der Beschaffenheit des Geländes aufhalte; ein ähnlicher Hinweis auf eine Abschweifung b/c. Ähnlich verhält es sich mit dem assoziativ durch die Verbindung der Flüsse Drau und Skamander ausgelösten Exkurs zu Achill (c–a). Nachdem er zunächst auf die Beschreibung des Skamander bei Homer eingegangen ist, wendet sich Julian etwas sprunghaft der Glaubwürdigkeit Homers und dem Mut Achills zu. Auf die Relevanz dieser Digression für den Gedankengang weist er nicht hin, und die Verbindung zur Feigheit des Usurpators (a) bleibt allenfalls locker. Etwa Iul. or. . a; a–c; c; b. Bei der sehr ausführlichen Darstellung der Belagerung von Nisibis (a–a) wird Constantius kaum einmal erwähnt (b). Statt dessen schildert Julian fast ausschließlich die Maßnahmen der Parther und deren Abwehr durch die Belagerten. Von einem persönlichen Einsatz des Constantius ist nirgends die Rede, was den intendierten Vergleich mit den Leistungen des Aias beim Schiffslager zum Scheitern verurteilt. Als Julian dann in a–c den Vergleich mit den Helden vor Troja wieder aufgreift, wird Constantius mit keinem Wort erwähnt; es geht ausschließlich um die Soldaten.
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Wie die erste Rede zeigt, liegen diese kompositionellen Eigenheiten nicht etwa an rhetorischer Inkompetenz; vielmehr sollen sie gerade vor der Folie des früheren Panegyricus, der den Gattungsregeln genauestens entsprach, beurteilt werden. Nur auf den ersten Blick knüpft Julians Rede an die Konventionen der Panegyrik an. Wer aber die rhetorischen Verfahrensweisen genauer analysiert, vermag zu erkennen, daß der Autor trotz seiner erklärten Absicht, Constantius zu preisen, ganz im Gegenteil das Lob des Kaisers in Frage stellt. Indem er ungeeignete Figuren zum Vergleich heranzieht, seine eigenen Methoden kritisiert und die Rede in Einzelteile auflöst, entlarvt Julian die Praxis der zeitgenössischen Lobrede als übertriebene, unehrliche Heuchelei . Die gattungsimmanenten Fragwürdigkeiten wie unpassende Vergleiche und überzogenes Lob nutzend, dekonstruiert er geradezu den Panegyricus an sich, um durch subtile rhetorische Volten und Leerstellen die Verherrlichung des Kaisers ad absurdum zu führen. Nicht von ungefähr distanziert sich Julian nicht allein von den Sophisten, also den professionellen Lobrednern – dieses Vorgehen gehört ja durchaus zur Gattung –, sondern vom Genos der Lobrede überhaupt. Freimütig weist er es von sich, den Konventionen der Panegyrik Folge zu leisten, und gibt zu erkennen, daß er eigentlich ein anderes Ziel verfolgt, als einfach den Kaiser zu loben. Sein Anliegen sei es, die Hörer philosophisch zu belehren (d–a). Wie fragwürdig die Praxis der Lobrede ist, deutet Julian auch an, indem er sein Publikum dafür schilt, daß es durch seine Vorliebe für die Darstellung großer Taten eine Fülle von Sophisten und Dichtern hervorgebracht habe. Von diesen höre es jedoch nur, was es ohnehin schon über das Gute und Schlechte denke, nur daß dies schön aufgeputzt sei. Ob aber die Taten das ihnen zukommende Lob erhielten, könnten die durchschnittlichen Hörer gar nicht ermessen (b–d). Noch einmal gesteigert wird die Kritik am Publikum mit der Unterstellung, es werde Julians platonische Reflexionen lästig finden . An die Gattungskonventionen gleichzeitig anknüpfend und sie pervertierend, gerät Julians Rede zu einem Anti-Panegyricus, dessen Brüche offenbaren, wie wenig sich die herkömmliche Lobrede dazu eignet, den wahrhaft guten Herrscher zu erfassen, da sie der nötigen philosophischen bzw. ethischen Maßstäbe entbehrt. Erstaunlich wäre es nach seinem Brief an Themistios, wenn Julian bei diesem negativen Ergebnis stehenbliebe. Tatsächlich entwirft er im zweiten Teil seiner Rede ein auf dem Fundament platonischer Philosophie beruhendes, umfassendes Konzept des Idealherrschers, das im Gegensatz zum vorangehenden Lob Die rhetorische Theorie schrieb ausdrücklich vor, in der Panegyrik Zweifelhaftes und Umstrittenes zu meiden (Men. Rh. . –). Iul. or. . d–a, c/d, b–d. Nach Curta (1997) mit Anm. und Curta (1995) – distanziert sich Julian hier von Themistios und Libanios, die er selbst in or. noch nachgeahmt habe. Im Falle des Themistios trifft dies aber wohl kaum zu, da dieser sich in seinen Panegyrici selbst nicht an das übliche Schema der Lobrede hält. Iul. or. . b–d. Er insinuiert sogar, daß sein Publikum Sokrates nur vom Hörensagen kenne (a).
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
des Constantius gerade die zivilen Tugenden in den Mittelpunkt stellt (d– d) . Dem Vorgehen des Themistios in seinen Panegyrici vergleichbar, wird hier in einem theoretischen Exkurs das Bild eines Herrschers oder genauer: eines Menschentyps gezeichnet, der seinem königlichen und führenden Seelenteil folgt, statt dem θυμοειδές zu gehorchen (d). Nachdem er ausführlich dargelegt hat, wie sich dieser Idealkönig gegenüber Familie wie Untertanen verhält, arbeitsam zum Nutzen der Masse herrscht, die öffentliche Moral fördert und tüchtige Mitarbeiter auswählt, schickt sich Julian an, diesen Maßstab an seinen Vetter anzulegen. Mögen auch Dion von Prusa und Themistios in ihren an Kaiser adressierten Reden darin vorangegangen sein , so war dies im Falle Julians ein unerhörtes Ansinnen. Während sie sich nämlich auf die παρρησία des Philosophen berufen konnten, stand es dem Caesar nicht an, einen Fürstenspiegel für seinen Augustus zu konzipieren, es sei denn, er hätte Constantius ohne Umschweife als Verkörperung dieses Ideals gefeiert. Genau dies unterläßt Julian jedoch mit Bedacht, obgleich er den Kaiser am Ende der Rede durchaus lobt. Doch zumal die Praeteritio, in der das Werk ausklingt (b–d), läßt alles in der Schwebe: das angekündigte Versprechen, Constantius an dem abstrakten Ideal zu messen, wird nur halbherzig eingelöst, und zwar so, daß augenfällig wird, wie weit der Kaiser hinter diesem Anspruch zurückbleibt. Verfügt er doch fast ausschließlich über militärische Tugenden, und ausgerechnet die wichtigste Eigenschaft, die Frömmigkeit, scheint ihm zu fehlen. Statt dem Publikum eine genaue Prüfung zu ermöglichen, enthält Julian ihm die Fakten vor und läßt durchblicken, daß Constantius einem solchen Vergleich nicht standhielte. Der Kaiser könnte auch deswegen niemals dem von Julian postulierten Ideal entsprechen, weil die zentralen Forderungen mit dem Selbstverständnis des Constantius, wie es auch in den Reden des Themistios zum Ausdruck kommt, unvereinbar sind . Denn die Kardinaltugend der Frömmigkeit, auf der alle ande In a–d breitet Julian einen Katalog der wichtigsten Eigenschaften des idealen Königs aus: Er ist ein frommer Verehrer der Götter, ehrt seine Eltern und Verwandten, ist milde zu Bittflehenden und Fremden, kümmert sich um die Bürger und die Volksmenge auf gerechte Weise und zum Nutzen der Untertanen, ist wohlwollend und hilfsbereit gegen Freunde, tapfer, aber kein Kriegstreiber, zivilisiert gegen besiegte Feinde und schließlich arbeitsam. Äußere Güter und Zeichen der Macht, mit denen sich Julian am Anfang der Rede beim Lob des Constantius beschäftigt hatte, spielen hier natürlich keine Rolle mehr. Vgl. auch die Zurückweisung in c/d. Siehe a: τὸν ἀγαθὸν ἄνδρα καὶ βασιλικὸν καὶ μεγαλόφρονα. Wenn Julian hier den zum Königsamt geeigneten Menschen definiert, negiert er damit implizit das dynastische Prinzip als Legitimationsgrund (vgl. a–c). In seiner ersten Rede entwirft Dion ein Bild des idealen Herrschers, bevor er andeutet, daß man den Katalog von dessen Eigenschaften als Maßstab an Trajan anlegen könne (D. Chr. . ). Auch in der dritten Rede wird nach Art eines Fürstenspiegels der gute Herrscher vorgestellt. Ähnlich geht Themistios in seiner ersten Rede auf Constantius vor, wenn er, nachdem er vom vorbildlichen König gehandelt hat, an diesem (ab b) Constantius mißt. Ähnlich angelegt ist Them. or. . Vgl. Bradbury (1986) –.
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ren Eigenschaften aufbauen, bezieht sich eindeutig auf die heidnischen Götter, ohne daß Julian dies verschleiert . Als προφήτης und ὑπηρέτης des im neuplatonischen Sinne aufgefaßten Götterkönigs (a) nimmt der wahre Herrscher zudem die Stellung eines Priesterkönigs ein (b/c). Während der römische Kaiser in Anlehnung an hellenistische Vorstellungen etwa bei Themistios als νόμος ἔμψυχος aufgefaßt wird, mithin als Quelle des Rechts über diesem steht , ordnet Julian seinen Idealherrscher dezidiert den Gesetzen unter und bestellt ihn zu deren Wärter . Indem er zum Teil auf platonische Vorstellungen und das Königsideal Dions zurückgreift , was an sich in der Panegyrik durchaus nicht anstößig ist, daraus im einzelnen jedoch Forderungen ableitet, die dem Selbstverständnis des Constantius diametral widersprechen , formuliert Julian ein eigenständiges Konzept, um es an die Stelle des zuvor bloßgestellten Kaisers konventioneller Prägung zu setzen. Wer mit Julians Denken und Handeln vertraut war, konnte zumindest vermuten, daß dieses Konzept anders als das noch weitgehend theoretische Ideal des Briefes an Themistios auf eigener praktischer Erfahrung fußte und eindeutig auf die Person des Caesars verwies . Wie oben bereits bemerkt wurde , stellt der Anfang der Rede in mythischem Gewande einen Gegensatz zwischen Julian und dem Kaiser her, die sich zueinander verhalten wie Achill und Agamemnon. Bemerkenswert ist es ferner, daß der Lobredner sich selbst als Gegenstand seiner Rede einbezieht, wenn er ›wir‹ sagt und damit die konstantinische Dynastie meint . Ein weiterer autobiographischer Bezug ist hörbar, wenn Julian inner Iul. or. . a, a–d. In einem Sonnengleichnis erwähnt Julian zudem, daß oftmals Tempel und Weihegaben des Sonnengottes geplündert und zerstört worden seien, ohne daß dies dem Licht der Sonne etwas anhaben könne. Dies hätte Constantius auf seine antipaganen Maßnahmen beziehen müssen. Bei heidnischen Rednern wie Libanios und Themistios wäre es zu tolerieren gewesen, wenn sie sich in einem Panegyricus zur traditionellen Frömmigkeit bekannt hätten, nicht jedoch bei dem offiziell noch christlichen Caesar, dem Helfer und präsumtiven Nachfolger des Kaisers. Them. or. . b/c; . d; . a; . (p. , f.). Iul. or. . d–b, wo dem Recht sakraler Charakter verliehen wird. Vgl. Iul. ep. ad Them. a, a/b. In c/d zeigt sich zudem ein unübersehbarer Widerspruch zu dem von Themistios formulierten Konzept der φιλανθρωπία, insofern Julians Idealkaiser in Prozesse, bei denen es um die Todesstrafe geht, nicht eingreift. Siehe Kabiersch (1960) –. Vgl. die zahlreichen, im Apparat von Bidez (1932) angeführten Parallelstellen. Zur Frage, ob Julian in or. Dions Königsreden direkt rezipiert hat, siehe Asmus (1895) – (zu weitgehend), Bouffartigue (1992) f. und Perkams (2008) –. Außerdem widerspricht Julians Lob, daß Constantius die Besiegten verschone, dem vermutlich verbreiteten Urteil, daß er nicht einmal die schonte, die nur in den Verdacht des Hochverrats gerieten (Amm. . . –, . . –, . . –). Siehe Bringmann (2004) f. Siehe bereits Geffcken (1914) –. Vgl. auch Curta (1995) . Siehe S. . Iul. or. . c, a, d–a. In or. hingegen hatte Julian in diesen Fällen allein Constantius angesprochen. Siehe Athanassiadi (1992a) f.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
halb seiner platonischen Reflexionen darauf zu sprechen kommt, daß einige Leute, selbst ohne es zu wollen, etwas von ›unserem‹ Besitz geraubt hätten (a), bevor er mit dem Platonzitat fortfährt, es sei nicht recht, wenn das Bessere vom Schlechteren geschädigt werde (Pl. Ap. d). Auch wenn Julian in dieser Passage das Pronomen der . Ps. Plur. auf die Menschen im allgemeinen anwendet, dürften Julians Bekannte unweigerlich daran gedacht haben, daß Constantius ihn seiner Verwandtschaft und seines Erbes beraubt hatte und überdies dessen Kreaturen in Gallien gegen Julian intrigierten. Die Passage erweckt, indem sie auf die Apologie rekurriert, mithin den Eindruck, als befinde sich der Caesar in ähnlicher Lage wie der zu Unrecht verfolgte Sokrates. Diese autobiographischen Andeutungen vor Augen, mußten die Rezipienten der Rede keinen großen Interpretationsschritt mehr vollziehen, auch die Ansichten über den Idealherrscher mit dem Redner selbst in Verbindung zu bringen. Gerade weil er vorrangig nicht Constantius’ Leistungen preist, sondern ein abstraktes Ideal postuliert, dem der augenblickliche Kaiser nicht einmal näherungsweise genügt, wirkt der überwiegende Teil der Rede eher wie die Programmschrift eines Herrschers als wie das Lob eines anderen. Immerhin hatte Julian als Caesar in Gallien bereits administrative und militärische Erfahrungen gesammelt, so daß das Publikum geradezu gezwungen war, seine Forderungen an den vorbildlichen Herrscher als Richtschnur seines eigenen Handelns, wenn nicht gar als Auto-Panegyrik aufzufassen. Wie in dem programmatischen Brief an Themistios besteht in or. zwischen der literarischen Form und dem Inhalt eine unauflösliche Verbindung, insofern Julian die in der Panegyrik angelegten Bruchstellen nutzt, um die Gattung und das mit ihr verknüpfte Kaiserbild zu dekonstruieren. Statt sich jedoch damit zu begnügen, die Brüche sichtbar zu machen und Constantius als ungeeignet zu entlarven, gibt Julian auch in dieser Schrift zu erkennen, daß er sich für befähigt hält, das platonisch fundierte Herrscherideal Wirklichkeit werden zu lassen . Es leuchtet unmittelbar ein, daß eine Rede mit dieser Intention nicht vor dem üblichen Publikum der Panegyrici, also dem kaiserlichen Hof, vorgetragen werden konnte, geschweige denn vor dem Kaiser selbst . Als Hörer oder Leser kamen allein Vertraute Julians in Frage, die er in Gallien um sich hatte, etwa Salutius und Oreibasios ; ihnen versprach er damit, als phi Halbherzig bleibt die Deutung von Bradbury (1986) –, der in or. zwar durchaus Kritik an Constantius erkennt, die Rede aber doch nur als rhetorisches Schaustück zur Demonstration von Bildung ansieht. Zweifel, ob Constantius die Rede überhaupt erhalten hat, äußern Geffcken (1914) , Bidez (1932) , Bradbury (1986) f., Bringmann (2004) . Anders Gladis (1907) f. und von Borries (1918) , die meinen, die Rede sei Constantius nach Rom zugesandt worden, sowie Athanassiadi (1992a) f. Dieses reale Publikum ist dann natürlich nicht identisch mit dem in der Rede selbst implizierten, dem Julian, wie oben erwähnt, mangelnde Bildung und das Fehlen moralischer Maßstäbe vorwirft. Anders Curta (1995) f.
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losophisch orientierter Priesterkönig die Verehrung der Götter zum Fixpunkt seiner Herrschaft zu machen. Was Julian als Caesar in seiner Rede nur implizit hatte andeuten können, trug er, sobald es zum Bruch mit Constantius gekommen war, ganz offen in propagandistischer Absicht vor. Nachdem er von seinen Truppen in Lutetia zum Augustus ausgerufen worden war und sich abgezeichnet hatte, daß eine Verständigung mit dem Kaiser ausgeschlossen war, wandte er sich nämlich mit mehreren Briefen an die Stadt Rom und verschiedene Städte im Ostteil des Reiches, um sein Vorgehen zu rechtfertigen und Unterstützung für die bevorstehende militärische Auseinandersetzung mit seinem Vetter zu gewinnen . In dem allein erhaltenen Schreiben an die Athener, das Julian im Herbst des Jahres verfaßte , porträtiert er ohne Umschweife Constantius als Bösewicht, der nicht nur Julians Verwandtschaft hat beseitigen lassen, sondern ständig gegen seinen Caesar intrigiert und jegliches Versöhnungsangebot ausgeschlagen hat. Demgegenüber erscheint Julian selbst als unschuldiges Opfer dieser Machenschaften, das nur gezwungenermaßen die Rolle des Herausforderers auf sich genommen hat. Seine Bemühungen um die Unterstützung der Athener wären aber von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn es ihm nicht auch gelungen wäre nachzuweisen, daß er selbst im Gegensatz zu seinem Vetter für das Amt des Herrschers geeignet sei. Indem er auf dem Wege einer Gattungsmischung die literarischen Genera der Gerichtsrede, der Historiographie, der res gestae und der Autobiographie in seinen Brief inkorporiert, um sich ihrer jeweils spezifischen Kommunikationsstrategien zu bedienen, gelingt es Julian, sich selbst als militärisch erfolgreichen, die Gerechtigkeit liebenden und die alten Götter verehrenden Herrscher darzustellen, an dessen Berechtigung, Augustus zu sein, keine Zweifel bestehen können . Zudem steht das literarische Verfahren der Gattungsmischung, insofern es als Transformation von etablierten Konventionen und Grenzüberschreitung auftritt, sinnbildhaft für Julians Anliegen, sich auch in seinem Herrschaftsstil und seinem Umgang mit den Untertanen deutlich von dem Selbstverständnis des Constantius zu distanzieren. Während andere Kaiser allenfalls der offiziellen Panegyrik nach ein Interesse für Bildung und Philosophie hegten, tritt Julian durch Wort und Tat den Athenern als literarisch gebildeter Philosophenkaiser gegenüber, der es im Unterschied zu seinem Konkurrenten versteht, auf seine Untertanen zuzugehen, und dafür virtuos auf ungewohnte Formen zurückgreift. Auch im Brief an die Athener besteht demnach die bereits beobachtete enge Verbindung zwischen der literarischen Form Zu den historischen Hintergründen siehe jetzt Bringmann (2004) –; Rosen (2006) –. Die Datierung dieser an Rom, Athen, Sparta und Korinth gerichteten Schreiben auf den Aufenthalt Julians in Nisch (Naissus) beruht auf Amm. . . –. Siehe Lib. or. . ; Claud. Mamert. . ; Amm. . . –; Zos. . . f. Wie Ammian bezeugt, war zumindest die Reaktion des römischen Senates ablehnend, da er von Julian die gegenüber Constantius geschuldete Loyalität einforderte. Im einzelnen wird dies in der Interpretation bei Stenger (2006) nachgewiesen.
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
und dem vermittelten Herrscherideal, nur mit dem Unterschied, daß Julian sich hier ganz offen kritisch mit der Regierung seines Vetters auseinandersetzen und sich selbst als die bessere Alternative empfehlen konnte, ja mußte. Als sich Julian Anfang des Jahres erneut in der Öffentlichkeit mit dem Thema der Herrschaft befaßte, hatte sich seine Stellung grundlegend geändert. Kein Caesar oder Usurpator verschaffte sich nun Gehör, sondern, nachdem Constantius unerwartet gestorben war, der Augustus des Römischen Reiches. Als solchem mußte es ihm weniger darum gehen, ein abstraktes Modell der idealen Regierung zu entwerfen, als vielmehr die geistigen Grundlagen seiner eigenen, in die Praxis umgesetzten Kaiserherrschaft offenzulegen. Eine erste Gelegenheit schien sich ihm dafür zu bieten, als er in Konstantinopel zusammen mit engen Vertrauten den Vortrag des Kynikers Herakleios hörte , der den Kaiser zu einer Reaktion, der Rede Gegen den Kyniker Herakleios oder Wie man den Kynismus praktizieren muß und ob es sich für einen Kyniker gehört, Mythen zu erfinden, provozierte (or. ) . Der Vortrag des Kynikers hatte, soweit er sich aus Julians Worten erschließen läßt, im wesentlichen aus einem allegorischen Mythos bestanden, der kaum verhüllt den Kaiser und seine religiösen Überzeugungen kritisiert hatte. Julian war in Gestalt des Pan aufgetreten, während Herakleios selbst ihm unter der Maske des Zeus Lektionen erteilt hatte. Zudem hatte anscheinend der Sturz des Heliossohnes Phaethon das Scheitern des Heliosverehrers Julian präfigurieren sollen . Mit einer vor Publikum vorgetragenen Invektive, die auch schriftlich verbreitet wurde , entgegnete Julian diesen Angriffen, um seine Vorstellungen vom angemessenen Sprechen über die
Julian erwähnt Anatolios, den Herakleios zusammen mit ihm angegriffen hatte, als Zuhörer seiner eigenen Rede (Iul. or. . a/b), so daß die Vermutung naheliegt, daß dieser sowie die ebenfalls genannten Memmorios und Salutius bereits Herakleios’ Vortrag gehört hatten. Herakleios ist im wesentlichen nur aus Julians Schrift bekannt. Auf diesen Anlaß beziehen sich auch Lib. or. . und . sowie Eun. fr. . . Herakleios unterstützte später die Erhebung des Prokop (Eun. fr. . ). Siehe PLRE , s. v. Heraclius . Zur Datierung in die Zeit von Julians Aufenthalt in Konstantinopel Lib. or. . . Siehe Rochefort (1963) , der den . März als terminus ante quem nennt, sowie Guido (2000) VIII f. mit Anm. . Iul. or. . d–b, c/d. In den Augen Julians hatte Herakleios nach Art der Komödiendichter Götter verspottet (b). Daß das Thema des Herakleios insgesamt die gute Herrschaft gewesen sei, wie Asmus (1908) und Athanassiadi (1992a) f. meinen, geht aus Julians Andeutungen nicht zwingend hervor. Zwar berührte Herakleios’ Kritik das Herrschaftskonzept des Kaisers, die Ausrichtung auf dieses Thema könnte aber auch erst Julian der Auseinandersetzung verliehen haben. Eun. fr. . berichtet immerhin, daß Herakleios angekündigt habe, Julians Herrschaft mit der Rede einen Nutzen zu erweisen. Libanios spielt im Epitaphios auf diese Rede an, was voraussetzt, daß sowohl die Auseinandersetzung mit Herakleios als auch die Rede selbst einem größeren Kreis bekannt sein konnten (Lib. or. . ).
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Götter und von der Mythologie zu verteidigen, ebenso aber auch, um sein politisches Selbstverständnis zu erläutern . Nachdem Julian im Hauptteil des Werkes auf die kynische Philosophie und die rechte Art, Mythen zu gebrauchen, eingegangen ist, trägt er im Schlußteil einen Mustermythos vor, um seine theoretischen Äußerungen praktisch zu untermauern (c–c). Wir erleben zunächst einen reichen Besitzer von Viehherden, der die Götter und die Gerechtigkeit verachtet und zusammen mit seinen mißratenen Söhnen nur nach Besitz strebt (c–a). Da sie, indem sie Göttliches wie Menschliches entweihen, die Welt in ein Chaos der Unmoral stürzen (b/c), berät Zeus, von Mitleid mit den Menschen ergriffen, zusammen mit den Moiren, wie man eingreifen könne. Als Mittel zur Rettung wird ein Knabe, der Sproß des Helios, präsentiert, den Helios und Athene gemeinsam aufziehen (c–a). Von Hermes geführt, weiht sich der Knabe, nachdem er in Schlaf oder Ekstase Zeus geschaut hat, den Göttern (b–c). Obgleich er bei ihnen bleiben will, statt zu den schlechten Menschen zurückzukehren, können Helios und Athene ihn dazu bewegen, unter ihrer Führung die Aufgabe auf sich zu nehmen, die Menschheit vor dem schlechten Herrscher zu retten. Die Götter ermahnen den Knaben, auf der Erde nüchtern zu bleiben, die Götter zu scheuen, seine Untertanen zu lieben und die Gesetze der Götter zu befolgen, und entsenden ihn gerüstet auf die Erde (d–b). Der Mythos endet mit der Verheißung an den Knaben, er werde, sofern er, eingedenk seiner göttlichen Seele, den Göttern folge, selbst ein Gott werden und zusammen mit den anderen Göttern den Vater erblicken (c). Unschwer läßt sich erkennen, daß auch Julians Mythos allegorisch angelegt ist. Hinter dem reichen Herdenbesitzer verbirgt sich niemand anderes als Kaiser Konstantin , dessen Söhne Constantius, Constans und Konstantin II. aus Verachtung für die Götter Heiligtümer einreißen, um an deren Stelle Grabdenkmäler, d. h. Kirchen , zu errichten (b/c). Mit dem Erben, der sich dem Wohlleben hingibt, ohne sich um seine Herden zu kümmern, ist im folgenden speziell Constantius gemeint, dessen Vetter der kleine Knabe ist (a–c). Als der Sproß des Helios ist schließlich ohne weiteres Julian selbst zu identifizieren, der von den Göttern gesandt wird, die Menschen zu retten. Auch wenn der Kaiser vorgeblich unentschieden läßt, ob es sich bei seiner Geschichte um einen μῦθος oder einen ἀληθὴς λόγος handelt , ist für sein Publikum leicht zu erkennen, daß er hier in mythischem Gewande darstellt, wie er seine eigene Herrschaft im Vergleich zu der seiner Athanassiadi (1992a) spricht mit Recht von einem »manifesto concerning the unity of theology, philosophy and politics within the empire«. Zum Bildnis Konstantins in Julians Schriften siehe Vogt (1955). Den aus seiner Sicht anstößigen Gräberkult der Christen geißelt Julian auch andernorts: Iul. Gal. fr. ; Mis. a; ep. . c. Siehe auch Lib. or. . ; . ; Eun. VS . . . Wie man dem Kult gemäß mit Toten umzugehen hat, legt Julian in ep. b dar. Iul. or. . c. Unüberhörbar ist hier natürlich die Anspielung auf Pl. Grg. a. Vgl. auch Pl. Lg. , d/e. Abgesehen davon, daß sich Julian in diesem Mythos mehrfach auf platonische Gedanken bezieht – im einzelnen nachgewiesen im Apparat von Rochefort
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
unmittelbaren Vorgänger begreift. Ähnlich wie in or. oder dem Brief an die Athener steht die Frage im Vordergrund, worin sich der gute Herrscher, verkörpert von Julian selbst, vom schlechten unterscheidet. Doch wozu die mythische Form, wenn es keines besonders scharfen Geistes bedarf, die Allegorie zu entschlüsseln? Bedient sich Julian lediglich deshalb dieser Darstellungsform, weil Herakleios ihn eben damit herausgefordert hatte? Als heuristisches Mittel, diese Frage zu beantworten, kann uns dienen, was Julian zuvor über die Eigenart von Mythen gesagt hat . Denn man darf nicht vergessen, daß der allegorische Mythos zunächst nur als Muster dafür intendiert ist, wie man Mythen dichten muß. Nachdem er diese Art zu sprechen für die meisten Zweige der Philosophie verworfen hat (b–b), läßt Julian den Mythos nurmehr für zwei Disziplinen gelten, zum einen für den Teil der praktischen Philosophie, der sich mit dem Individuum befaßt, zum anderen für die der Einweihung und den Mysterien gewidmete Theologie . Denn die verborgene Wahrheit über das Wesen der Götter ertrage es nicht, mit nackten Worten in ungereinigte, also ungeweihte, Ohren gefüllt zu werden. Deswegen bringe die unsagbare Natur der Symbole Nutzen, auch wenn man sie nicht erkenne. Sie bewirke die Präsenz der Götter, und zwar geschehe dies eben oft durch Mythen, wenn das Göttliche durch Rätsel und mythische Szenerie in die Ohren gegossen werde, die nicht in der Lage seien, es rein aufzunehmen (c/d). Unter Berufung auf den namentlich nicht genannten Jamblich wendet sich Julian dann speziell der Verfahrensweise der initiatorischen Mythen zu. Seiner Ansicht nach ist es gerade das Verstörende, Paradoxe (τὸ ἀπεμφαῖνον) in den Mythen, das zur Wahrheit führt . Je paradoxer das Rätselhafte sei, desto deutlicher mahne es, sich nicht mit dem Literalsinn zufriedenzugeben, sondern das Verborgene aufzuspüren. Unter Führung der Götter werde dieses Verborgene offenbar und
(1963) –, rekurriert die Abfolge von Aufstieg des Knaben, Wunsch, bei den Göttern zu bleiben, und erzwungenem Wiederabstieg zum Wohle der Menschheit deutlich auf das Höhlengleichnis Platons. In diesem Zusammenhang wird auf das Thema nur eingegangen, soweit es für die Interpretation des Mustermythos relevant ist. Zu Julians Verständnis des Mythos siehe sonst unten S. –. Iul. or. . b: προσήκει τῆς μυθογραφίας [. . .] μόνον δέ, εἴπερ ἄρα, τοῦ πρακτικοῦ τῷ πρὸς ἕνα γινομένῳ καὶ τοῦ θεολογικοῦ τῷ τελεστικῷ καὶ μυστικῷ. Irreführend ist die Übersetzung von Wright (1913/23) II »Now there are certain characteristics of ours that derive benefit from that occult and unknown nature [. . .] «. Mit den χαρακτῆρες sind hier magische Zeichen und Buchstaben gemeint, die in der Theurgie für die Divination benutzt wurden. Vgl. Iamb. Myst. . ; Sal. . ; PGM III. –; VII. und XIII. . Iul. or. . b: [. . .] ἀνδρός, ὃν ἐγὼ μετὰ τοὺς θεοὺς ἐξ ἴσης ᾿Αριστοτέλει καὶ Πλάτωνι ἄγαμαί τε τέθηπά τε (»eines Mannes, den ich nach den Göttern auf gleicher Stufe mit Aristoteles und Platon staunend bewundere«). Siehe dazu Guido (2000) . Zum mehrfach in der Rede wiederkehrenden Begriff des ἀπεμφαῖνον siehe Grasso (1996).
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vervollkommne unseren νοῦς bzw. den in uns befindlichen Teil des Einen und Guten (c/d). Was Form und Inhalt der Mythen, die das Göttliche betreffen, angeht, präzisiert Julian sodann, daß zwar Wortwahl und Stil erhaben, besonnen, schön und den Göttern angemessen sein müßten, das Verstörende des Gedankens aber den Nutzen erbringe, die Rezipienten zur Suche nach dem Verborgenen aufzufordern (a–a). Nach diesen hier nur kurz umrissenen Äußerungen dürfte es offensichtlich sein, daß Julians Mustermythos der zweiten, theologischen Kategorie der Mythendichtung angehört. Handelt er doch von einem auserwählten, in sich ein göttliches Element tragenden Menschen, der auf dem Wege initiatorischer Erlebnisse – mit Hermes als seinem Mystagogen – zu einer Schau der Götter gelangt . Über diese grundsätzliche Verwandtschaft mit den Mysterien hinaus hat Julian seinen Mythos aber auch mit einzelnen Elementen der Mysterienpraxis und -terminologie ausgestattet . So sagt etwa Helios zu dem Knaben, er sei noch jung und ungeweiht (ἀμύητος), weshalb er sich erst einweihen lassen solle (ὡς ἂν μυηθείης), damit er sicher auf der Erde lebe (d). Und mit der Fackel, die der Knabe schließlich von Helios erhält, dürfte wohl auf Attribute von Mysterienfeiern angespielt sein . Der Mythos würde jedoch einer wichtigen Dimension beraubt, wenn man ihn darauf reduzierte, daß er als eine Art von Lesemysterium das konkrete Einweihungserlebnis des Autors nachvollziehe . Denn er handelt eben nicht nur von einer Initiation, sondern, wie wir gesehen haben, mindestens gleichermaßen von der guten Herrschaft bzw. von deren Verbindung zum Göttlichen. Gerade in dieser spezifischen Verknüpfung scheint der Hauptakzent des Mythos zu liegen und die Antwort auf die eben gestellte Frage zu suchen zu sein, weshalb sich Julian der mythischen Form bedient. Während der schlechte Herrscher sich nach Julian auf bloße ἐμπειρία stützen muß, ohne wirkliches Wissen von der Regierungskunst zu besitzen (d–a), und sich überdies von den wahren Göttern abgewandt hat, zeichnet es den zum Retter der Menschen ausersehenen idealen Herrscher aus, daß er sich im Bewußtsein seines eigenen göttlichen Elements ganz der Führung der Götter anvertraut und nach ihren Gesetzen seine Herrschaft ausübt. Julian kehrt hier zu Gedanken zurück, die er bereits in Ansätzen in seinem Brief an Themistios entwickelt hatte , geht aber einen entscheidenden Schritt Julians Beziehung zu Mysterien behandelt eingehend Smith (1995) –. Zu den Einzelheiten siehe Wojaczek (1992), der allerdings des öfteren keine stichhaltigen Belege nennt, weshalb er einen Passus in or. für eine Anspielung auf Mysterien hält. Iul. or. . a. Neben der Fackel selbst ist hier auch an das Amt des Daduchos zu denken. George E. Mylonas: Eleusis and the Eleusinian Mysteries. Princeton , , , , . Julian sagt im übrigen im direkten Anschluß an den Mythos, er sei selbst von einem Philosophen (Maximus) eingeweiht worden (a und c). So Merkelbach (1962) – (ohne nähere Begründung) und dann ausführlich Wojaczek (1992). Siehe oben S. .
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darüber hinaus. Erst wenn er sich hat in die Mysterien einweihen lassen und in Ekstase die Götter geschaut hat, so legt es die Allegorie des Mythos nahe, wird der Herrscher in der Lage sein, zum Wohle seiner Untertanen zu regieren. Nur der direkte, persönliche Umgang mit dem Göttlichen gewährleistet, daß er über die Führung verfügt, an der er sein Handeln ausrichten kann. Wer sich hingegen auf bloße Erfahrung verläßt, entbehrt der nötigen religiösen wie sittlichen Maßstäbe. In Julians Vorstellung sind mithin Herrschaft, Götterglaube und Mysterien in einer unauflöslichen Einheit verwoben, die den einzigen Weg zur Rettung aus dem von den christlichen Kaisern verursachten Chaos weist. Beruht die Eignung zum Herrscheramt auf dem Kontakt mit dem Göttlichen, so kommt es zur guten Herrschaft durch einen expliziten Auftrag der Götter . Der göttliche Knabe ergreift die Macht nicht aus eigenem Antrieb, im Gegenteil, er sträubt sich sogar , sondern wird von den Göttern gezwungen, zu den Menschen zurückzukehren. Julian entwirft also eine Kaiserherrschaft von Gottes Gnaden, gegen welche die auf dynastischer Erbfolge basierende, nur dem eigenen Besitzstreben dienende schlechte Herrschaft absticht. Wer seine Macht der Einweihung und göttlicher Weisung verdankt, der hat weder die Legitimation durch die Dynastie noch diejenige durch Leistung nötig, wie sie in der Panegyrik sonst immer wieder durchgespielt wird. Herrschaft konstituiert sich als eine Gottesgabe, ein Charisma, das seinen Träger auszeichnet und über den durchschnittlich begabten Menschen hinaus erhebt . Problematisch war diese neue Art, das Kaisertum zu legitimieren, jedoch insofern, als sie sich nicht jedem mitteilen ließ. Einem in die Mysterien Eingeweihten blieb es verwehrt, ungeweihten Ohren von seiner mystischen Erfahrung des Göttlichen unverhüllt zu berichten. Wollte Julian trotzdem seine Vision von einem auserwählten, geradezu mystifizierten Kaiser verbreiten, so benötigte er eine adäquate literarische Form, die es ihm gestattete, nur so viel anzudeuten, wie erlaubt war, gleichzeitig aber das religiöse Fundament seiner Herrschaft zu nennen. Seinem eigenen Verständnis nach entsprach der Mythos in idealer Weise diesem Bedürfnis, da er durch Andeutungen und Rätsel selbst den Ungeweihten eine Ahnung gab, von welcher Qualität die Beziehung des eingeweihten Eine Vorahnung dieses Selbstverständnisses klingt bereits in Iul. ep. ad Them. a an. Das Motiv der recusatio spielt in Julians Herrschaftskonzept eine wichtige Rolle. Siehe Iul. ep. , b; ep. ad Ath. b–a; Amm. . . –. Huttner (2004) –. Ich lehne mich hiermit an die Terminologie von Max Webers Typologie der Herrschaft an. Die Verwendung des Begriffes Charisma scheint mir insofern gerechtfertigt, als es sich um eine als außeralltäglich geltende Qualität handelt, um derentwillen die Persönlichkeit als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften begabt oder gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als Führer gewertet wird. Der Charismaträger versucht die Menschen von der aus dem gesellschaftlichen, historischen oder religiösen Notstand entstandenen Unbedingtheit seiner Mission zu überzeugen. Dies entspricht exakt dem Selbstverständnis Julians. Zur charismatischen Herrschaft siehe Weber (1976) –, zum Charismabegriff speziell .
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Kaisers zu den Göttern war. Der Mythos enthob Julian der Pflicht, allzu exakt Mysterienelemente zu benennen, und hatte zudem den Vorteil, den Kaiser in eine übermenschliche Sphäre zu entrücken. Von einer reaktionären Rückkehr zu republikanischen und klassischen Konzepten der Herrschaft, wie man sie bei Julian beobachtet hat , kann hier nicht mehr die Rede sein. Vielmehr weist Julians Vision von einem charismatischen, gottgesandten Erlöserkönig auf theokratische Herrschaftskonzepte . In denkbar scharfem Kontrast zum Mustermythos von or. scheint prima facie die Art und Weise zu stehen, wie Julian in seiner Schrift Symposion oder Kronia die Frage nach der guten Herrschaft beantwortet. Hatte er dort sich selbst in mythischer Allegorie als den idealen Kaiser vorgestellt, so setzte er sich in diesem vermutlich Ende entstandenen Werk schonungslos und satirisch mit einigen seiner Vorgänger auf dem Kaiserthron auseinander. Nach einem einleitenden Gespräch (a–a) mit einem namentlich nicht genannten Unterredner verspricht Julian, uns einen Mythos zu erzählen, den er von Hermes selbst gehört haben will (a). Wir finden uns in ein Symposion der Götter unter Vorsitz des Romulus versetzt, zu dem auch die römischen Kaiser, wenngleich nur auf einer unteren, sublunaren Sphäre, vorgelassen werden sollen (b/c). Von dem Erzähler, den Göttern und dem ebenfalls beim Symposion anwesenden Silen bissig kommentiert und moralisch bewertet, zieht eine lange Reihe römischer Herrscher von Caesar bis hin zu Konstantin ein, ohne daß Julian auf Vollständigkeit Wert legt (d–a) . Erst als sie versammelt sind, kommt Romulus auf den Gedanken, einen Wettbewerb unter ihnen zu veran Dvornik (1955). Vgl. auch ep. b. d, wo sich Julian als διὰ τοὺς θεοὺς ἀρχιερέα μέγιστον sieht. Er ist demnach ein Auserwählter der Götter. Unter Theokratie soll hier verstanden werden, daß an der Spitze des Staates ein geistliches Oberhaupt, ein Priesterkönig steht und die Ausübung der Religion als wichtiger Staatszweck gilt. Bernhard Lang: Art. »Theokratie«, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, hg. von H. Cancik, B. Gladigow und K.-H. Kohl. Bd. . Stuttgart , –. Diese Hypothese kann sich allein auf die Angabe des Werkes stützen, es herrschten gerade Saturnalien (a), was man freilich nicht zwingend als die reale Abfassungszeit annehmen muß. Falls man dies tut, haben die Saturnalien des Jahres größere Wahrscheinlichkeit für sich als die des Jahres , als Julian gerade erst in Konstantinopel eingezogen war und mit der Etablierung seiner Herrschaft vollauf beschäftigt gewesen sein dürfte. Zur Datierung siehe Lacombrade (1964) –, Müller (1998) mit Anm. , Sardiello (2000) VII–IX. Absurd ist allerdings Müllers Vermutung, Julian habe die Schrift »an den Weihnachtstagen selbst [abgefaßt], die er als die (ungefähr zeitgleichen) heidnischen Saturnalien [. . .] bezeichnet«. Diese Aussage ist symptomatisch für die Harmlosigkeit von Müllers Einleitung und Kommentar. Als Adressat wurde von Pack (1946) und Lacombrade (1964) f. Salutius bzw. Sallustius vermutet. Skeptisch dagegen Baldwin (1978) f. Mit der Frage, welche Quellen Julian hier und im folgenden für seine Darstellung der Kaiser herangezogen haben könnte, hat sich die Forschung intensiv befaßt. Siehe Lacombrade (1964) –, Levine (1968), Brauch (1980) –, Bowersock
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
stalten, zu dem auf Herakles’ Bitte auch noch Alexander hinzugeladen wird. Der Sieger des Agons soll einen Platz neben dem göttlichen Quirinus erhalten (a–a). Nachdem die Teilnehmer ausgewählt und die Modalitäten festgelegt sind, erfolgt der in Anapästen komponierte Heroldsruf des Hermes, auf den hin Caesar, Alexander, Augustus, Trajan und Konstantin sich und ihre Taten mit einer Rede selbst vorstellen (d–d). Allein Marc Aurel verweigert ein Selbstlob mit der Begründung, die Götter wüßten ohnehin alles über ihn. In einer zweiten Runde des Agons werden die Teilnehmer von Silen auf ihre Leitprinzipien hin examiniert und müssen sich dafür einigen Spott gefallen lassen (d–b). Schließlich einigen sich die Götter darauf, daß Marc Aurel als Sieger aus dem Wettkampf hervorgegangen sei, doch lassen sie Hermes verkünden, daß sich jeder der Kaiser einen Gott als persönlichen Führer wählen dürfe. So gehen sie zu ihren auserkorenen Göttern, während Konstantin sich an die in der Nähe weilende Τρυφή, das personifizierte Wohlleben, hält. Von ihr wird er zur Ausschweifung (᾿Ασωτία) geführt, wo er von Jesus willkommen geheißen wird (c–b). Die Schrift endet damit, daß Hermes Julian eröffnet, er habe es ihm gegeben, den Vater Mithras zu erkennen, und solle sich, indem er sich an dessen Weisungen halte, einen sicheren Anker für sein Leben verschaffen. Nach seinem Tode werde er mit guter Hoffnung den Gott als seinen Führer haben (c). Mag auch der scheinbar wenig ernsthafte Umgang mit den früheren Kaisern, aber auch mit den Göttern eher den Eindruck einer an Lukian erinnernden Burleske hinterlassen , so fallen doch deutliche Bezüge zu den anderen bislang betrachteten Werken auf. Denn offensichtlich ist Julian erneut daran gelegen, durch die Prüfung allgemeiner Ansichten zur Herrschaft eine eigene Haltung zu dieser Frage zu gewinnen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Darstellung des Agons das bereits im Brief an Themistios aufgeworfene Problem, in welchem Verhältnis vita activa und vita contemplativa zueinander stehen sollten. Kaum zu übersehen ist zudem, daß die Verheißung eines göttlichen Führers und einer ἀγαθὴ ἐλπίς auf den eben behandelten Mustermythos zurückverweist . Obgleich die sogenannten Caesares unzweifelhaft als Menippeische Satire auftreten , wird dementsprechend in der Forschung bisweilen das satirische Element völlig ausgeblendet und allein das
(1982), Nesselrath (1992), Sardiello (1997). Zu Julians Urteil über seine Vorgänger siehe auch Classen (2002). Den Bezügen zu Lukians Werken sind Helm (1906) – und Nesselrath (1994) – nachgegangen. Siehe ferner Levine (1968) –. Angesichts des Sujets und seiner Behandlung liegt außerdem der Gedanke an Senecas Apocolocyntosis nicht fern. Siehe Iul. or. . d–c. Hinzu kommt die Parallele, daß es ähnlich wie im Mustermythos Hermes ist, der Julian die Götter zeigt. Siehe Levine (1968) –, Riikonen (1987) –, Relihan (1993) –. Die Behauptung des Erzählers, er habe kein Talent zum Spotten, Parodieren und Erwecken von Gelächter (b), unbesehen für eine authentische und glaubwürdige Äußerung des Autors zu nehmen und zur Interpretationsvorgabe zu machen ist angesichts des satirischen Grundduktus problematisch. So aber Geffcken (1914) , Baldwin
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ernsthafte Anliegen, den idealen Herrscher ausfindig zu machen, in den Vordergrund gestellt . Und selbst wenn die literarische Form berücksichtigt wird, bleibt es immer noch strittig, ob Julian Marc Aurel als den vorbildlichen Kaiser propagieren wollte und welche Intention er mit dem Werk verfolgte . Eine Lösung dieser Probleme wird erst dann möglich sein, wenn man zum einen den satirischen Aspekt in die Interpretation einbezieht und zum anderen das Verhältnis von Scherz und Ernst präziser zu fassen versucht. Wer in Einklang mit der oberflächlichen Aussage des Textes Marc Aurel als den Sieger des Agons betrachtet und davon ausgeht, daß Julian sich in ihm spiegeln wollte, ist gezwungen, andere im Text angelegte Stimmen zu ignorieren, und vermag nicht zu erklären, welche spezifische Leistung eigentlich die literarische Form erbringt. Julian hat in seinem Werk mit Ambiguitäten gearbeitet, die einer allzu geradlinigen Deutung den Boden entziehen. Dies beginnt bereits im Rahmengespräch, wo der Erzähler nicht nur selbst offen läßt, ob es sich bei der folgenden Geschichte um Spaß oder Ernst handelt , sondern sich ausgerechnet auf Hermes als Gewährsmann beruft (a), der, mag er auch der Mittler schlechthin zwischen Göttern und Menschen sein, nicht zuletzt für Lug und Trug zuständig ist . Zudem bereitet schon der Hinweis auf das Fest der Saturnalien (a) den Boden dafür, daß wir mit einer verkehrten Welt konfrontiert werden, in der herkömmliche Maßstäbe und Werte außer Kraft gesetzt sind, daß aber möglicherweise nach diesem Intervall die Umkehrung negiert und die
(1978) f., Müller (1998) ; etwas anders Bowersock (1982) und Nesselrath (1992) . Lacombrade (1964) –, Alonso-Núñez (1974), Baldwin (1978), Sardiello (1997), Sardiello (2000) VII–XXV. Laut Rosen (1998) verkörpert Marc Aurel als »Julians besseres Ich« in vollkommener Weise das Prinzip der σωφροσύνη. Siehe ferner Kaegi (1964) f., Lacombrade (1964) , Alonso-Núñez (1974) f., Stertz (1977) –, Sardiello (1997), Sardiello (2000) XVIII–XXI. Ähnlich, wenn auch differenzierter, Hunt (1995). Anders Bowersock (1982) . Widersprüchlich sind die Thesen von Baldwin (1978) »Its purpose is propaganda« und »The Caesares was composed by himself and for himself«. Als Propaganda verstehen auch Lacombrade (1964) – und Müller (1998) die Caesares. Die eigentliche Intention liegt nach Alonso-Núñez (1974) in der Verteidigung der paganen Religion und dem Angriff auf das Christentum. Bowersock (1982) sieht die Intention etwas anders: »In short, the Caesars can be seen as a work not only of self-revelation but in the end, like the Misopogon, of self-justification.« Vgl. bereits Geffcken (1914) (»ein echtes Selbstbekenntnis Julians«). Smith (1995) f. betont zu Recht, daß sich das Werk einer allzu eindeutigen Interpretation entziehe. Der Erzähler kündigt in b an, daß er einen Mythos ἐν παιδιᾶς μέρει vortragen werde. Diese Formulierung läßt, wenn man sie mit der Angabe, er verstehe sich nicht auf das Spaßmachen, zusammennimmt, in der Schwebe, ob der Mythos als Spaß erzählt wird oder nicht vielmehr statt eines Spaßes. Zu der Formulierung vgl. Pl. R. , d und Arist. EN . , a f. Ähnlich wie schon beim Mustermythos legt sich Julian nicht fest, ob der Mythos wahr oder nur ein πλάσμα [. . .] ῾Ερμοῦ ist (a).
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
bestehende Ordnung restituiert wird. So gesehen, gibt das einleitende Rahmengespräch deutliche Interpretationshilfen an die Hand, die gleichwohl oft genug ignoriert worden sind . Die Fragwürdigkeit des mythischen Geschehens tritt sodann offen zutage, wenn man das Verhalten und die Äußerungen der handelnden Figuren betrachtet. Obgleich die Götter in einer von neuplatonischen Vorstellungen geprägten, entrückten Sphäre des Himmels angesiedelt sind , entbehrt ihr Auftreten jeglicher Erhabenheit. Statt die angetretenen Kaiser für tugendhaftes Betragen zu loben, überziehen sie beinahe jeden mit beißendem Spott, wobei sich vor allem Silen als Wortführer hervortut. Sogar Zeus selbst muß sich von ihm für seine päderastischen Neigungen Angriffe gefallen lassen (c), erweist sich mithin den toten Kaisern als moralisch keineswegs überlegen. Wenn Helios dann Aurelian vergibt, obwohl dieser zahlreiche Morde auf dem Gewissen hat und sich nicht verteidigen kann, läßt sich die moralische Indifferenz der Götter kaum noch übersehen (d–a). Eine gerechte Entscheidung des Wettkampfes ist somit von vornherein in unerreichbare Ferne gerückt. Dazu trägt nicht zuletzt bei, daß ausgerechnet Silen als bestimmende Figur auftritt. Zwar eignen ihm unübersehbar gewisse Züge der Sokratesgestalt , doch ist er weit davon entfernt, die Selbstrechtfertigungen der Kaiser mit sachlichen Argumenten zu widerlegen. Vielmehr scheint es sein alleiniges Ziel zu sein, einen jeden von ihnen zu verhöhnen. So wird Konstantin, der sich allerdings nicht besonders geschickt präsentiert, von Silen mit dem Hinweis abgefertigt, er habe das Leben eines Kochs oder Putzmachers geführt (b) . Silen ist überhaupt nicht daran interessiert, einen Sieger ausfindig zu machen. Zum Scheitern ist der Agon aber vollends deswegen verurteilt, weil die Götter aus Willkür jegliche Spielregeln verletzen, die sie selbst aufgestellt haben. Trotz der erklärten Absicht, unter den Kaisern einen der Götter würdigen Tischgenossen zu finden, wird Konstantin vorgelassen, obwohl er kein anderes Prinzip als den Genuß verkörpert , während andere Kaiser auf Grund ihrer Verfehlungen abgewiesen werden. Daß er eigentlich nur bis zur Vorhalle kommen darf (d–a), wird später einfach ignoriert. War es anfangs noch die Absicht der Nach Müller (1998) ist die einzige Funktion des ansonsten »verzichtbaren« Eingangsteils, den Anspruch des Ernsthaften deutlich zu machen. Iul. Caes. c–a. Dementsprechend weigert sich Hermes, eine genauere Beschreibung zu geben, weil die Schönheit der Götter nur mit dem νοῦς zu erfassen sei. Siehe Pack (1946) und Lacombrade (1964) –. Allerdings ist auch hierbei unverkennbar Ironie im Spiel, wie man besonders an dem scheinbar sokratischen Gespräch Silens mit Alexander sieht (b–b). Nicht umsonst bezeichnet Silen dort seine eigenen Argumente als σοφίσματα (a). Silen ist es auch selbst, der sich mit Sokrates vergleicht (d). Zu möglichen platonischen Konnotationen dieses Spottes siehe Sardiello (1993). Die fadenscheinige Begründung lautet, daß es unter den Göttern nichts Unvollendetes bzw. Unvollständiges geben dürfe. Dann müsse auch ein Liebhaber des Genusses eingelassen werden. Zeus räumt dann auch ein, daß Konstantin damit durchaus das Wesen der Götter nachahme (d).
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Götter, ein Symposion abzuhalten, zu dem sie die Kaiser hinzubitten wollten (b/c), so ist davon am Ende nicht mehr die Rede. Auch der Agon selbst, der laut dem Heroldsruf des Hermes nach den Kriterien von militärischem Können und νοῦς bzw. φρόνησις entschieden werden sollte (a/b), endet ohne ein eindeutiges Ergebnis . Nachdem diese Meßlatte während der Prüfung der Kandidaten ohnehin mißachtet worden ist, treffen die Götter schließlich zwar eine Entscheidung zugunsten Marc Aurels, doch wird diese den Kandidaten überhaupt nicht bekanntgegeben. Im Gegenteil, Hermes verkündet sogar, daß es weder wirkliche Sieger noch wirklich Besiegte gebe, und erhebt diesen Relativismus sogar zum Gesetz der Götter (c). Jeder der angetretenen Herrscher dürfe sich einen Gott als Beschützer auswählen, ohne daß Marc Aurel ausdrücklich bevorzugt wird. Überhaupt wird am Ende beinahe jegliche Hierarchie außer Kraft gesetzt, da nicht einmal die fragwürdigen ›Schutzgötter‹ Konstantins, Jesus, Wohlleben und Ausschweifung, grundsätzlich ausgeschlossen werden, sondern sich auch zumindest in der Nähe der Götter befinden . Da dem Zeitpunkt der Götterversammlung entsprechend alle sonst gültigen Werte negiert und festgesetzte Regeln umgestoßen werden, mündet der vorgebliche Wettkampf in ein offenes Ende, das alles in einer instabilen Schwebe läßt. Wer aufmerksam verfolgt, wie die toten Kaiser zunächst durch den Erzähler und die Götter, dann durch ihre eigenen Reden und schließlich durch das Kreuzverhör charakterisiert werden, ahnt bereits, bevor der Agon beendet wird, daß es keinen Sieger geben kann. Auch wenn die Herrscher durchaus unterschiedlich bewertet werden und nicht jeglicher Vorzüge entbehren, gibt es keinen einzigen unter ihnen, dessen Regierung unumwunden für gut befunden wird. Nicht einmal der Philosoph auf dem Thron, Marc Aurel, der sich immerhin durch kluges Vorgehen und tugendhaftes Verhalten auszeichnet, kann ohne Tadel vor den Augen der Götter bestehen. Hat er doch einen unfähigen Sohn gezeugt, diesem dann auch noch die Herrschaft vererbt und überdies seine Gattin unter die Götter versetzt . Wollte man Julian unterstellen, er habe in Marc Aurel sein alter ego gefunden , müßte man diese deutliche Kritik ignorieren. Vielmehr stellt sich heraus, daß, auch wenn die Götter dem Philosophenkaiser immerhin den Vorzug geben, keiner der toten Kaiser es verdient, allein den Göt In a hatte Zeus noch wie beim sportlichen Agon die genauen Kampfmodalitäten festgelegt, nach denen es einen eindeutigen Sieger geben sollte. Siehe Relihan (1993) –, der mit Recht darauf hinweist, daß in letzter Konsequenz Konstantin dieses Himmels, in dem moralische Indifferenz herrscht, würdig ist. Iul. Caes. a/b, b–a. Marc Aurel ist seinen Konkurrenten immerhin insofern überlegen, als die Götter seine Lebensmaxime (τὸ μιμεῖσθαι [. . .] τοὺς θεούς, c) ohne Umschweife goutieren und auch Silen ihn nur unter größten Anstrengungen durch kritische Fragen in Verlegenheit bringen kann. In c würdigt auch der Erzähler ihn, als er eintritt, auffällig positiv, und ohne Zweifel spiegeln Marc Aurels Äußerungen zur Opferpraxis und zur dynastischen Legitimität (d, d–a) bis zu einem gewissen Grade Julians Ansichten wider. Siehe Hunt (1995) f. Siehe oben Anm. .
. Der Kaiser als Göttersproß. Julians Herrscherideal
tern Gesellschaft zu leisten. Der Agon endet in einer Aporie. Gibt es demnach keine Maßstäbe für eine gute Herrschaft? Erst die kurze Ansprache des Hermes an den Erzähler Julian, mit der die Schrift ausklingt, verheißt eine Lösung des Problems. Auch Julian erklärt der Gott zwar nicht zum Sieger – mythenimmanent ist dies unmöglich –, aber weil Julian die Auszeichnung erhalten hat, seinen Vater Mithras zu erkennen, und dessen Mahnungen beherzigt, erweist sich, wie die Rezipienten folgern können, seine Herrschaft als überlegen. Schließlich stellt Hermes ihm in Aussicht, daß er nach dem Tod einen wohlwollenden Gott als Führer erlangen werde. Ähnlich wie im Mustermythos, wenngleich nicht so deutlich, zeigt Julian sich hier gewiß, daß seine Herrschaft sich dem direkten Kontakt mit den Göttern, nämlich der Einweihung in Mysterien, verdankt und damit über jegliche herkömmlich fundierte Herrschaft triumphiert . Der einzig würdige Sieger, so ist diese außerhalb der verkehrten Welt des Mythos stehende Schlußwendung zu verstehen, wäre niemand anderes als Julian. Da er aber als Lebender nicht zum Agon antreten konnte, war es gar nicht anders denkbar, als daß der Wettkampf in einer Farce endet. Berücksichtigt man, welche Qualitäten der Kaiser vor den Göttern bestehen können und welche verworfen werden, so drängt sich geradezu der Eindruck auf, daß erst Julian all die positiven Eigenschaften in sich vereint, die bei seinen Vorgängern allenfalls partiell verwirklicht waren. Genau diese Botschaft sucht der gleichzeitig entstandene Misopogon zu vermitteln, in dem sich Julian selbst als militärisch tüchtigen, administrativ begabten, philosophisch wie literarisch gebildeten und nicht zuletzt tugendhaften Kaiser porträtiert, der sein ganzes Wirken in den Dienst an den Untertanen stellt. Man könnte demnach die Caesares als eine kontrastierende Priamel bezeichnen, da zunächst in einer langen, als Kontrastfolie fungierenden Reihe mehrere in Frage kommende Einzelfälle zurückgewiesen werden, bevor in einer pointiert einsetzenden Schlußwendung das positive Element dagegengehalten wird . Gegen die prinzipielle saturnalienhafte Uneindeutigkeit und den Rela Der Artikel bei τὸν πατέρα Μίθραν (c) ist m. E. im possessiven Sinne aufzufassen. Denn Julian scheint hier doch auf seinen eigenen Mustermythos anzuspielen, wo er der Sohn des Helios ist. Der römische Mithras und Helios bzw. Sol Invictus waren nicht scharf voneinander getrennt. Siehe Lincoln (1982); Manfred Clauss: Mithras. Kult und Mysterien. München , –; Fauth (1995) –. In Julians Vorstellung verbanden sich Helios und Mithras wegen ihrer Mittlerstellung und ihrer soteriologischen Funktion. Fauth (1995) –; Smith (1995) –. Julian nimmt in c offensichtlich auf seine Einweihung in die Mysterien des Mithras Bezug. Siehe Smith (1995) –. Anders hingegen Turcan (1975) – und Turcan (1982) f., der der Ansicht ist, Julian meine hier nur Sol-Helios, ohne daß dies wirklich etwas mit dem Mithraskult zu tun habe. Auf Mysterien verweist hier wohl ebenso wie im Mustermythos (d) die ἀγαθὴ ἐλπίς. Siehe auch Iul. or. . c; ep. a. c; b. d und . Vgl. Pl. Phd. c; R. , e. Die Schlußwendung beginnt mit der Verbindung aus einem Personalpronomen und einer adversativen Partikel (σοὶ δέ, c), wie sie für die Klimax von Priameln kennzeichnend ist. Siehe Race (1982) f.
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tivismus seiner Menippeischen Satire setzt Julian eine eindeutige und ernsthafte Botschaft. Auf die verkehrte Welt der Saturnalien folgt die Restitution der Ordnung. Wer sich Julians Sichtweise zu eigen macht, kann nicht umhin, die Suche nach dem idealen Herrscher unter den Kaisern der Vergangenheit als völlig nutzlos zu betrachten. Selbst wenn man ihn fände, wäre dies für die Gegenwart irrelevant, und zudem ist der ideale Herrscher im Augenblick an der Regierung. Wie intensiv sich Julian an der zu seiner Zeit geführten Diskussion über die gute Herrschaft beteiligt, bezeugen immer wieder seine eigenen Schriften, die er sowohl als Caesar als auch als Augustus verfaßte. Um sein Ideal zu formulieren, konnte er sich auf die Vorstellungen und Konzepte stützen, die seit Jahrhunderten in der Panegyrik und der philosophisch geprägten Fürstenspiegelliteratur entwickelt worden waren. Seine Äußerungen zu diesem Thema waren also keineswegs voraussetzungslos; vielmehr existierten bereits bestimmte Sprecherpositionen und literarische Formen sowie nicht-literarische Praktiken, durch die das Konzept der idealen Herrschaft seine Gestalt gewonnen hatte. In der Regel waren es Philosophen, Redner oder Geschichtsschreiber, die in den Augen des Publikums über die Autorität und die Position verfügten, von denen aus man öffentlich über dieses Thema reflektieren konnte. Mit diesen Sprecherpositionen waren bestimmte etablierte Formen verknüpft, die für das Thema der Herrschaft geeignet erschienen, sei es die in der Spätantike stark biographisch orientierte Historiographie, sei es die allgegenwärtige, an verschiedenen Orten verankerte Panegyrik, seien es die auf platonischen Konzepten fußenden Traktate eines Dion von Prusa. Obgleich Julian durchaus auf einige Elemente des etablierten Konzeptes zurückgreift, etwa die platonischen Kardinaltugenden oder die Legitimation durch Leistung, war es, wie die Interpretationen gezeigt haben, sein Bestreben, sich von den kursierenden Vorstellungen und Erwartungen zu distanzieren. Immer wieder setzt sich Julian nicht nur mit dem gültigen Bild des Kaisers, sondern auch mit der Herrschaft seiner Vorgänger auseinander, um ein eigenes Ideal zu entwickeln oder vielmehr um sich selbst als Inkarnation des Idealherrschers zu empfehlen. Den einen oder anderen Akzent zu verändern genügt ihm für diese Zwecke nicht, sondern er bedient sich literarischer Formen, die bislang diesem Diskursfeld fremd waren, nämlich des Mythos und der Satire; überdies dekonstruiert er die Panegyrik. Weit davon entfernt, damit bloß für Variation zu sorgen, schafft Julian ein neues Leitbild, das auf diese Formen geradezu angewiesen ist. Wer seine Regierung auf Gottesgnadentum und Einweihung in die Mysterien gründet, bedarf eines adäquaten Codes, wenn er dieses Selbstverständnis verbreiten will. Nur der Mythos gestattet es, hier zugleich Schweigen über das Unsagbare zu bewahren und trotzdem auch den Ungeweihten zumindest eine Ahnung zu geben. Allein in der Satire wiederum war es möglich, derart scharf mit den Vorgängern ins Gericht zu gehen, ohne stets zu nachvollziehbarer Argumentation angehalten zu sein. Was Julian mit seinen Schriften intendiert, ist nicht weniger als die neue Ausrichtung des Diskursfeldes. Indem er selbst als Herrscher das Wort ergreift,
. Libanios’ Hagiographie
statt Redner und Philosophen zum Sprachrohr seiner Vorstellungen zu machen, legt er eine neue Sprecherposition fest, der ein hohes Maß an Autorität eignet. Nicht mehr der die Macht von außen betrachtende Intellektuelle, sondern das Zentrum der Macht selbst reflektiert über seine eigene Aufgabe. Von der Warte dessen, der selbst über Erfahrung verfügt, vermag Julian Herrschaftskonzepte anderer zu beurteilen. Er legt fest, was wahr und was falsch ist, indem er die ideale Herrschaft an bestimmte Bedingungen knüpft und etwa die bloße ἐμπειρία Konstantins zurückweist. Ohne auf die Panegyrik eines Libanios oder eines Claudius Mamertinus zu verzichten, führt Julian neue diskursive Praktiken ein, unter denen der initiatorische Mythos ausschließend wirkt, da diese Form anders als die Panegyrik nicht von christlichen Kaisern in Anspruch genommen werden kann. Mit Hilfe dieser Praktiken transformiert Julian den Gegenstand der Diskussion. Denn einerseits legen sie einen neuen Modus fest, wie man über Herrschaft sprechen kann, andererseits sind mit ihnen inhaltliche Aspekte des Herrscherkonzeptes verknüpft, die über bisherige Vorstellungen deutlich hinausgehen. Allein wer wie Julian der theurgisch-neuplatonischen Richtung der Philosophie und den Mysterienkulten anhängt, ist befähigt, das Römische Reich zu regieren und als von den Göttern gesandter Erlöser die Untertanen aus dem Chaos zu führen . Während Themistios gerade darauf hinwirkt, ein möglichst umfassendes, für Christen wie Heiden gleichermaßen akzeptables Herrscherideal zu entwerfen, versucht Julian, das Diskursfeld so zu formen, daß für christliche Positionen von vornherein kein Platz ist.
. Libanios’ Hagiographie Während Julian in seiner zweiten Rede auf Constantius die Konventionen der Panegyrik konterkariert, um seinen kaiserlichen Vetter als unfähigen Herrscher zu decouvrieren, kommt Libanios in seinem ersten Panegyricus, den er in den er Jahren auf die beiden Kaiser Constans und Constantius verfaßte (or. ) , den Gesetzen der Gattung weitgehend nach. In dieser auf Bestellung angefer Julians Herrscherideal fand auch Niederschlag in zeitgenössischen Inschriften, die ihn als Philosophen und Erneuerer des Götterkultes feierten. Siehe Nr. , Z. f.; , Z. ; , Z. ; , Z. ; , Z. –; , Z. – (hier Julian sogar als παντοκράτωρ, also mit einem göttlichen Attribut, bezeichnet!); , Z. –; , Z. f. bei Conti (2004); zur Titulatur Julians in den Inschriften ebd. –. Die maßgebliche Ausgabe findet man nun bei Malosse (2003). Über den Zeitpunkt der Abfassung besteht nach wie vor Uneinigkeit. Als gesichert kann nur gelten, daß die Rede während der Zeit des Libanios in Nikomedien (–) entstand. Die Datierung hängt an derjenigen der ihrerseits nicht exakt datierten Schlacht von Singara. Malosse (2003) f. setzt or. ins Jahr oder in den Anfang des Jahres , während Portmann (in Fatouros – Krischer – Portmann (2002) –) favorisiert. Lib. or. . . Als Auftraggeber vermutet Malosse (2003) den vicarius des Pontos Philagrios (PLRE , s. v. Philagrius ); vgl. Lib. or. . –.
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tigten Rede stellte er seine Vertrautheit mit den Usancen der Lobrede unter Beweis, indem er die Themen und Topoi so abhandelte, wie es die rhetorische Theorie empfahl . So beginnt Libanios, nachdem er im Proöm die Schwierigkeiten seiner Aufgabe erörtert hat, mit der Abstammung, der Jugend und der Erziehung der beiden kaiserlichen Brüder, bevor er im Zentrum der Rede vor allem die militärischen Leistungen, weniger die zivilen Tugenden des Constantius preist (§ –) . Deutlich weniger Raum wird dem Bruder Constans zugebilligt (§ –) , worauf ein gemeinsames Lob der beiden Kaiser und ihrer Herrschaftspraxis den Panegyricus beschließt. Bei der Lektüre bleibt der Eindruck zurück, als habe der junge Libanios durch eine möglichst enge Anlehnung an das Schema des βασιλικὸς λόγος vor dem Auftraggeber und dem Publikum die sichere Beherrschung seines Metiers demonstrieren wollen . Insofern erscheint die Rede geradezu als Vorläufer von Julians erster Rede. Vor diesem Hintergrund sind die epideiktischen Reden zu interpretieren, die Libanios dem Nachfolger des Constantius, Julian, widmete, auch wenn es sich bei ihnen nicht durchweg im strengen Sinne um Vertreter des βασιλικὸς λόγος handelt, wie er bei dem Rhetor Menander vorgestellt wird. Nachdem er sich mit der ersten dieser Reden, or. , dem Kaiser nach dessen Einzug in Antiochia vorgestellt hatte, so daß man von einem προσφωνητικός sprechen kann , war die folgende or. die offizielle Ansprache zum Konsulat des Kaisers am . Januar . Durch den frühen Tod Julians ausgelöst wurden dann Grundsätzliche Überlegungen zur Praxis der Lobrede stellt Libanios selbst übrigens in einem / an Anatolios gerichteten Brief an (ep. . –). Einen Überblick über den Aufbau der Rede geben Fatouros – Krischer – Portmann (2002) f. und Malosse (2003) – (sehr detailliert). Dieses Ungleichgewicht könnte dadurch bedingt sein, daß Libanios das Lob des Constans erst nachträglich, vielleicht auf Wunsch des Auftraggebers, einfügte. Siehe Malosse (2003) . Portmann (1988) bringt dies damit in Verbindung, daß allein Constantius beim Vortrag zugegen gewesen sei. Für diese Annahme fehlen allerdings Zeugnisse. Allenfalls unterschwellig könnte Libanios in or. bereits Kritik an der Herrschaft des Constantius geübt haben, indem er das Repertoire an gattungsspezifischen Topoi mit bestimmter Akzentuierung und Auslassungen verwendete. Dies jedenfalls die Ansicht von Seiler (1997), bes. –. Historische Anspielungen als mögliches Mittel der Kritik hatte zuvor schon Portmann (1988) – ausgemacht. Julian zog am . Juli in Antiochia ein. Wenige Tage danach muß Libanios die Rede vorgetragen haben. Genau genommen handelt es sich nicht um einen Prosphonetikos, da die Rede keineswegs Teil der offiziellen Begrüßung Julians war, sondern ein privater Vortrag vor dem Kaiser und einem kleinen Publikum. Zu den Konventionen des Prosphonetikos vgl. D. H. rhet. cap. und Men. Rh. . –. . Siehe Wiemer (1995a) –. Vgl. Lib. or. . . Libanios sprach bei dieser Gelegenheit als letzter von mehreren Rednern, so daß seine Rede besonders ausgezeichnet war (ebd. ). Dem Anlaß entsprechend hatte sich wohl in der Kurie von Antiochia eine zahlreiche Zuhörerschaft eingefunden, welche die Oberklasse des Reiches repräsentierte (Hofbeamte, Generale, Julians Berater, Vertreter der beiden Senate, Honoratioren der Stadt). Siehe dazu Wiemer (1995a) – und zur Rede insgesamt –.
. Libanios’ Hagiographie
die Monodie (or. ) und der einige Zeit später entstandene Epitaphios (or. ), der aus der Rückschau eine Gesamtwürdigung des Kaisers versucht . Hinzu trat wohl im Jahr die an Theodosius gerichtete Rede über die Rache für Julian (or. ), die noch einmal dessen Tod zum Thema machte . Die Gemeinsamkeit all dieser Reden ist, daß der von Libanios verehrte Julian in ihrem Zentrum steht, sie also im weiteren Sinne durchaus der Gattung des βασιλικὸς λόγος verwandt sind. Vergleicht man unter ihnen die noch zu Lebzeiten des Kaisers öffentlich vorgetragenen or. und mit dem Panegyricus auf Constans und Constantius, so fällt sogleich ins Auge, daß sie trotz allen gattungsbedingten Übereinstimmungen viel stärker biographisch ausgerichtet sind. Den Mittelpunkt beider julianischer Reden bildet nämlich die breit angelegte chronologische Darstellung des Lebensweges und der Taten Julians von seiner Kindheit bis zur Erlangung der Alleinherrschaft , der eine eher thematisch strukturierte Behandlung der Herrschaftspraxis folgt. Sowohl im Prosphonetikos als auch in der Konsulatsrede kann das Publikum also den nach Libanios’ Ansicht geradlinigen Aufstieg Julians mitverfolgen. Auch wenn es in Panegyrici durchaus üblich ist, chronologisch mit Abstammung, Geburt und Jugend des Gelobten zu beginnen , bleibt es gleichwohl bemerkenswert – insbesondere im Vergleich mit den Enkomien des Themistios –, daß Libanios gleich zweimal so eng dem biographischen Schema verpflichtet ist. Nicht weniger auffällig ist, welch breiten Raum Libanios auf den ersten Blick nebensächlichen Episoden gewährt, die in anderen Kaiserreden weitgehend fehlen. So erfahren wir z. B. in der Konsulatsrede, daß statt Tänzern, Mimen, Aulosspielern und Kitharöden ein Philosoph aus Athen nach Gallien zu Julian gekommen sei und vom Caesar als Abschiedsgeschenk eigene epische Verse erhalten habe, so daß Libanios Julian sogar als ›Nachahmer Homers‹ bezeichnet (or. . f.). Ferner verzichtet der Redner nicht darauf, detailliert zu schildern, wie der Kaiser in seinem Palast mit eigenen Händen Opfer vollzieht (or. . f.). Noch größere Aufmerksamkeit als solche Partien, Die Monodie dürfte etwa im Frühjahr verfaßt und vor einem kleinen, sorgfältig ausgewählten Auditorium vorgetragen worden sein. Siehe Wiemer (1995a) –, zur Datierung –. Wiemer (1995a) – datiert die Vollendung des Epitaphios auf den Sommer . Eine Datierung auf die Zeit zwischen Winter / und Sommer vertritt Fritz Felgentreu: »Zur Datierung der . Rede des Libanios«, in: Klio , , –. Zu Einzelheiten der Rede vgl. den Kommentar von Bliembach (1976). Die Komposition wird analysiert von Fritz Felgentreu: »Aufbau und Erzähltechnik im Epitaphios auf Kaiser Julian. Zur Kompositionskunst des Libanios«, in: Theatron. Rhetorische Kultur in Spätantike und Mittelalter, hg. von M. Grünbart. Berlin; New York (MillenniumStudien ), –. Zur Datierung siehe Criscuolo (1994) –. Lib. or. . – und . –. Einen Überblick über Inhalt und Aufbau der beiden Reden gibt Wiemer (1995a) – und –. Men. Rh. . –. . Siehe Pernot (1993) –. Gemeint ist vermutlich Priscus. Vgl. Iul. ep. .
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für die man immerhin ins Feld führen könnte, daß sie Tugenden des Gelobten hervortreten lassen, zieht jedoch die starke Betonung auf sich, die Libanios in den julianischen Reden der Religion und der Religiosität des Kaisers zuteil werden läßt. Während in gewöhnlichen Panegyrici die Religion nur eine bescheidene Rolle spielt , wovon Libanios selbst in or. keine Ausnahme gemacht hatte , begegnet sie in den julianischen Reden auf Schritt und Tritt, sei es, daß wir von Julians Maßnahmen zur Wiederherstellung des alten Kultes hören, sei es, daß seine persönliche Frömmigkeit gelobt wird, sei es, daß das Eingreifen göttlicher Mächte in die Geschehnisse berichtet wird . Nicht zu übersehen ist außerdem die klare apologetische Haltung, mit der sich Libanios seinem Gegenstand nähert – eine Tendenz, die in anderen Kaiserreden dieser Zeit allenfalls unterschwellig zu spüren ist. Gewiß hängen die hier nur kurz angedeuteten Abweichungen von der zeitgenössischen Praxis der Lobrede nicht zuletzt mit der Ausnahmestellung Julians unter den römischen Kaisern, nämlich als Usurpator und Apostat, zusammen sowie mit der Verehrung und Bewunderung, die Libanios ihm zeit seines Lebens entgegenbrachte; aber nichtsdestoweniger müssen sie gleichzeitig als Indizien gewertet werden, daß Libanios mit seinen julianischen Reden mehr ausdrücken wollte, als die gängige Panegyrik zu leisten vermochte. Erst recht drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man bedenkt, daß Libanios exakt denselben, hier an or. und beobachteten Ansatz nach dem Tode Julians im Epitaphios noch einmal wählte und überdies das Wagnis einging, einen toten Herrscher zu preisen, nicht den regierenden, und sei es auch nur vor wenigen Hörern . Daher erhebt sich die Frage, welche Intentionen Libanios verfolgt, wenn er zum Lobe Julians die Grenzen der Gattung überschreitet. Welche Vorteile bieten die deutliche biographische Ausrichtung und die Konzentration auf scheinbar nebensächliche Details, die im üblichen Kaiserporträt von untergeordneter Bedeutung sind, und insbesondere auf die Religion? Wen hatte Libanios dabei als idealen Adressaten vor Augen? Wenn im folgenden der Versuch unternommen wird, diese Fragen zu beantworten, darf nicht vergessen werden, daß Prosphonetikos und Hypatikos zu Lebzeiten des Kaisers vor größerem Publikum vorgetragen wurden, wohingegen der Epitaphios nach dem Tode Julians nur engen Freunden zu Gehör gebracht wurde. Möglicherweise lassen sich also Unterschiede und Entwicklungen herausarbeiten . Bliembach (1976) XLV–XLVII. Im βασιλικὸς λόγος des Rhetors Menander wird die Frömmigkeit als Herrschertugend nicht einmal erwähnt. Pernot (1993) f. Libanios sagt lediglich, daß Gott Konstantin auf die Erde hinabgeschickt habe (or. . ) und spricht sonst in ganz allgemeinen Wendungen von Gott (§ , , , , , ). Siehe dazu unten S. –. Daß sein Lob des toten Julian Mißfallen und Kritik hervorrief und mitunter für ihn selbst gefährlich sein konnte, zeigen Lib. or. . (vgl. ep. . ), . und . Die Monodie (or. ) und die Rede über die Rache für Julian (or. ) sollen neben den drei genannten Werken nur zur Ergänzung herangezogen werden, da ihr Charakter
. Libanios’ Hagiographie
Als Ausgangspunkt mögen Libanios’ eigene Äußerungen darüber dienen, welche Ziele er mit seinen Reden zu erreichen sucht. Im Proöm des Hypatikos befaßt sich Libanios ausführlich sowohl mit dem Anlaß seiner Rede als auch mit konkurrierenden Berufskollegen, um die Bedeutung seines eigenen Werkes ins rechte Licht zu rücken. Sein Hauptanliegen ist, den Gegenstand seiner Rede, Julian, zu preisen, wobei er es gemäß den Konventionen nicht versäumt, die Schwierigkeit hervorzuheben, mit der Rede dem Gegenstand gerecht zu werden (§ –). Obgleich die Rede primär für den Konsulatsantritt am . Januar geschaffen wurde, rechnet Libanios auch mit späteren Lesern, das heißt, er konzipierte sie bereits mit Blick auf eine sekundäre Rezeption. In der Hoffnung auf eine schriftliche Verbreitung seines Panegyricus sollte er sich nicht täuschen . Neben das reine Lob tritt dann aber die Rechtfertigung Julians, da Libanios, wie er vor dem Hauptteil offen zu erkennen gibt, mit seinem biographischen Überblick nachweisen möchte, daß Julian mit Recht Kaiser geworden sei und auch an der Macht seine ἀρετή unter Beweis stelle (§ ). Nach eigenem Bekunden geht es dem Redner darum, mit seiner Darstellung eine ›wahrere‹ Fassung des Geschehens vorzutragen (§ ), was impliziert, daß bereits andere Versionen kursierten. Fortgesetzt wird diese apologetische Haltung im Epitaphios, dessen Ziel der Theorie nach weniger im Ausdruck persönlicher Trauer besteht – dies war Aufgabe der Monodie – als vielmehr darin, eine abschließende, gültige Würdigung des Gestorbenen zu versuchen. Daß Libanios dieses Anliegen ebenfalls zur Verteidigung Julians unternimmt, zeigt sich an zahlreichen Stellen der Rede . Wenn es Libanios in seinen julianischen Reden allein um diese Ziele ginge, wäre damit immer noch nicht erklärt, weshalb er dreimal einen dezidiert biographischen Ansatz wählt und so detailliert Julians Wirken beschreibt. Aufschluß darüber, mit welchen Intentionen Libanios die Grenzen der Lobrede hinter sich läßt, verspricht hingegen die Art, wie er den Kaiser jeweils porträtiert. Anders als in bisherigen Untersuchungen, die weitgehend übereinstimmend die Hauptcharakteristika des Julianporträts bei Libanios herausgearbeitet haben , soll das Augenmerk im folgenden gerade auf den Eigenschaften liegen, die über das übliche Kaiserbild hinausgehen. Auch wenn die Darstellung der Jugendjahre und der Erziehung einen festen Bestandteil der Panegyrik bilden, um die Begabungen und Tugenden des Gelob(persönlich gehaltene Klage bzw. politisches Pamphlet) sich zu deutlich von einer Lobrede entfernt. Julian selbst, der augenscheinlich enthusiastisch auf den Vortrag des Hypatikos reagiert hatte (Lib. or. . ), sorgte für die schriftliche Verbreitung der Rede. Siehe Lib. ep. . f. Vgl. Petit (1983b) f. Beispielsweise schiebt Libanios in . die ungerechte Verurteilung des Ursulus auf den Zorn der Armee, um Julian zu entlasten; vgl. Amm. . . f. Zu den verschiedenen Strategien des Verhüllens nachteiliger Fakten siehe Malosse (2000). Petit (1978), Criscuolo (1982), Malosse (1995), Malosse (1998), Bouffartigue (2002). Zum Julianbild des Libanios siehe jetzt auch Swain (2004) –.
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ten als gleichsam angeboren zu erweisen , fällt auf, mit welcher Ausführlichkeit Libanios auf Julians Jugend eingeht (Lib. or. . –, . –, . –). Auf dem im nachhinein geradlinig erscheinenden Weg zur Augustuswürde zeigt der spätere Kaiser bereits als Kind und Jugendlicher Zeichen einer Erwählung, die ihn für das Herrscheramt prädestinieren. Nicht nur fing er schon lange vor seiner eigentlichen Herrschaft an zu regieren (. , , . ) und galt bereits als Knabe überall in der Bevölkerung als für die Herrschaft geeignet (. , . ) , sondern er verfügte ebenso über außergewöhnliche spirituelle Gaben. In ihm war ein ›Funken der Seherkunst‹ verborgen, unter dessen Einfluß sich Julian der christlichen Indoktrination seiner Lehrer zu entziehen vermochte . Daß die Mitmenschen Julians Befähigung anerkennen, erscheint nur als eine Bestätigung des göttlichen Willens, insofern die Götter nach Libanios’ Darstellung immer wieder in Julians Leben eingreifen und die entscheidenden Wendungen herbeiführen. Sie fördern nicht allein seinen Intellekt durch die Beschäftigung mit der Philosophie (. ), sondern belohnen ihn, da sie seine Konversion bewundern, indem sie ihm die Dioskuren als Beschützer schicken und ihn auf die kommende Regierung vorbereiten (. , ). Daß Julian dann von seinem Vetter zum Caesar ernannt wird, ist gleichermaßen ihrem unerwarteten Eingreifen und ihrer Lenkung zu verdanken (. ). Seinen Höhepunkt erreicht das Wirken der göttlichen Vorsehung, als Julian von seinen Truppen in Gallien zum Augustus ausgerufen wird . Noch im Prosphonetikos (§ –) erscheint es, als wären die Soldaten die Hauptakteure der Ereignisse, obgleich Libanios deutlich macht, daß die Götter den Willen der Armee nicht nur sanktionieren, sondern bereits vorher ihr Einverständnis gegeben haben. Bestätigt wird dies aus der Rückschau, als der ›freigebige Gott‹ , um Kampf und Blutvergießen zu vermeiden, ›den anderen‹, also Constantius, vom Geschehen entfernt, d. h. sterben läßt (. f.). Im Hypatikos lenkt Libanios dann, vermutlich beeinflußt durch Julians eigene Sicht, die Aufmerksamkeit der Hörer auf die Frage, wer eigentlich für die Erhebung zum Augustus verantwortlich gewesen sei. Der Urheber ist ein Gott, der die Soldaten zu seinem Werkzeug macht (. , ). Ein Vergleich mit der von Apollon gelenkten Siehe Men. Rh. . –. . Dementsprechend wird in . die Herrschaft auch als Julians ›Erbe‹ bezeichnet. Dies stimmt völlig mit dessen eigener Sichtweise überein, die er im Mustermythos (Iul. or. . c–c) darlegt. Auch dort ist er von Geburt an zum Herrscher bestimmt. . . Zur Metapher σπινθὴρ μαντικῆς vgl. or. . ; . ; Iul. or. . d; Gr. Naz. ep. . . Lib. or. . . Libanios spielt damit darauf an, daß nach der Hinrichtung seines Halbbruders Gallus auch Julians eigenes Leben gefährdet war. Vgl. dazu Iul. ep. ad Ath. d–a. Einen Vergleich der drei Fassungen dieser Episode in or. , und stellt Petit (1983b) – an. Siehe auch Scholl (1994) – und Huttner (2004) –. Gemeint ist wohl der in . erwähnte Helios, als dessen Schützling sich Julian selbst begriff (siehe Iul. or. . c–c).
. Libanios’ Hagiographie
Pythia soll noch einmal unterstreichen, daß die Götter die Menschen bei diesen Ereignissen geführt und ihre Zustimmung zu einem ›schönen Werk‹ gegeben haben (§ ). Während die Erhebung in or. durch das göttliche Wirken idealisiert und mystisch überhöht wird, beschränkt sich Libanios im Epitaphios auf eine rationale Version des Geschehens, ohne jedoch völlig auf das numinose Element zu verzichten. Auch hier geben die Götter jedenfalls ihre Zustimmung zur Erhebung (. ). Über die Befähigung zum Regieren hinaus ist Julian in Libanios’ Augen als Herrscher insbesondere dadurch gerechtfertigt, daß er von den Göttern zu seinem Amt auserwählt und berufen wurde, mithin gleichsam als Kaiser ›von Gottes Gnaden‹ regiert. Daß Julian kein gewöhnlicher Herrscher ist, beweisen darüber hinaus seine bereits in der Jugend voll entwickelten intellektuellen Begabungen und Interessen. Zwar zählen φρόνησις und rhetorische Fähigkeiten zu den von der Panegyrik üblicherweise den Kaisern zugeschriebenen Eigenschaften , aber Julian zeigt in einem über die Topik hinausgehenden Maß schon in seiner Jugend Interesse sowohl für Philosophie als auch für Rhetorik und beeindruckt durch seine außergewöhnliche Intelligenz. Seinem äußeren Betragen nach ein gewöhnlicher Schüler unter anderen, überragt er alle durch die Resultate (. f., . f.). Schließlich geht dies so weit, daß er in Athen, wo er sich eigentlich zum Studium aufhält, andere unterrichtet, statt selbst noch etwas zu lernen . So nimmt es nicht wunder, daß Julian mit Philosophen und anderen Intellektuellen verkehrt und gedanklichen Austausch pflegt (. , ) und selbst später bei seinen Feldzügen die Bücher nicht aus der Hand legt (. , . ). Daß Julians intellektuelle Begabung und seine philosophischen Interessen mehr bedeuten als nur den üblichen Schmuck eines Kaisers, legt Libanios unmißverständlich dar, wenn er Julians Bekehrung zum alten Kult, also die entscheidende Wende seiner Herrschaft, auf den Umgang mit der neuplatonischen Philosophie zurückführt . Hand in Hand mit Julians sich in göttlichen Vorzeichen und seinen Begabungen manifestierender Erwählung geht seine Singularität, die sowohl auf der inhaltlichen Ebene als auch in den literarischen Verfahrensweisen zum Vorschein kommt. Wirft man einen Blick auf die Tugenden, die Libanios ihm zuschreibt, erkennt man zum einen die üblichen Charakteristika wie Tapferkeit, Ausdauer, Fleiß und Milde, mit denen die Panegyrik die Gelobten zu schmücken pflegte . Zum anderen aber zeichnet sich Julian durch Eigenschaften aus, die in diesem Kanon nicht vorkommen oder keine so bedeutende Rolle Vgl. Men. Rh. . –. Lib. or. . . Besonders deutlich . . Lib. or. . ; . ; . . Daß für Julian (und ihn selbst) φιλοσοφία und λόγοι einen höheren Wert als die Herrschaft darstellen, bekundet Libanios ganz offen in . . Julian will demnach mehr sein als nur ein gebildeter Kaiser. Men. Rh. . –. . Siehe zu den Tugenden Julians bei Libanios Petit (1978) –. Als Kardinaltugenden des libanianischen Julian macht Malosse (1995) φιλο-
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spielen. Nicht nur beim Essen, Schlafen oder bei Belustigungen zeigt der Kaiser die geforderte Zurückhaltung und Mäßigung, sondern seit dem Tod seiner Gattin befolgt er auch in sexuellen Dingen eine strenge Askese, wie sie sonst allenfalls bei christlichen Heiligen zu finden ist . Libanios steigert im Epitaphios diese Selbstbeherrschung sogar so weit, daß Julian, wenn er nicht verheiratet gewesen wäre, den Geschlechtsverkehr nur vom Hörensagen gekannt hätte (. ). Daß dies in einer Zeit, als man bei Kaisern auf die dynastische Legitimität großen Wert legte, ein unerhörtes novum war, verrät Libanios selbst, da er noch in or. Julian die Wiederheirat und Kindersegen gewünscht hatte . Ebensowenig vertrug sich mit dem verbreiteten Kaiserbild Julians Leutseligkeit im Umgang mit Untertanen, wie man dem Befremden der Zeitgenossen entnehmen kann . Indem er die Anrede »mein Freund« gestattet und ostentativ die kaiserlichen Insignien geringschätzt, erwirbt sich Julian die Zuneigung seiner Untertanen (. –). Zwar legten auch andere Kaiser Wert darauf, in Lobreden als umgänglich gepriesen zu werden , doch übertritt Julian die Grenzen des Akzeptierten, wenn er im Senat von Konstantinopel aufspringt, um seinen philosophischen Lehrer Maximus überschwenglich zu begrüßen . πονία, φρόνησις, φιλανθρωπία bzw. ἡμερότης und σωφροσύνη in Verbindung mit εὐσέβεια aus. In or. . stellt Libanios die Mäßigung Julians beim Essen über die derjenigen, »die in bescheidener Hütte Philosophie treiben«, womit möglicherweise christliche Mönche gemeint sind. Siehe Bliembach (1976) . Zu Julians asketischer Lebensführung vgl. ferner . sowie Claud. Mamert. . und Amm. . . –. Von Herrschern wurde sonst in sexueller Hinsicht Selbstbeherrschung erwartet, jedoch keine Keuschheit. Belege bei Gutzwiller (1942) f. Zu Julians asketischer Lebensweise Staesche (1998) –, –. Zur christlichen Askese in der Spätantike Peter Brown: Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit im frühen Christentum. München ; Susanna Elm: ›Virgins of God‹. The Making of Asceticism in Late Antiquity. Oxford . Lib. or. . . Dieser Fauxpas ist darauf zurückzuführen, daß Libanios seinerzeit mit den Vorstellungen Julians noch nicht vertraut war. In . f. wünschte er dem Kaiser abschließend ein langes Leben, während der Wunsch nach Kindern als rein persönliche Meinungsäußerung des Libanios an unbetonter Stelle steht (. ). Siehe dazu Wiemer (1995a) f. Vgl. etwa Ammians Bemerkung: et cum die quodam ei causas ibi spectanti venisse nuntiatus esset ex Asia philosophus Maximus, exsiluit indecore et, qui esset, oblitus effuso cursu a vestibulo longe progressus exosculatum susceptumque reverenter secum induxit per ostentationem intempestivam, nimius captator inanis gloriae visus (»Und als ihm eines Tages während der Untersuchung von Rechtsfällen die Ankunft des Philosophen Maximus aus Asien gemeldet wurde, sprang er in unschicklicher Weise auf, ging in völliger Selbstvergessenheit in vollem Lauf weit aus der Vorhalle heraus, küßte ihn und empfing ihn ehrfurchtsvoll; dann führte er ihn in unangemessener Auffälligkeit mit sich hinein. So schien er allzu eifrig nach eitlem Ruhm zu haschen«, Amm. . . , siehe auch . . ). Zur Ideologie des umgänglichen, ›bürgerlichen‹ Kaisers Andrew Wallace-Hadrill: »Civilis princeps. Beetween Citizen and King«, in: JRS , , –. Lib. or. . ; Amm. . . . Ähnlich die begeisterte Reaktion Julians auf den Vortrag des Hypatikos, die, wie Lib. or. . erkennen läßt, nicht überall auf Beifall stieß. Vgl.
. Libanios’ Hagiographie
Seine Herrschaft übt er sogar so aus, als wäre er wie ein republikanischer Konsul rechenschaftspflichtig (. f.). Libanios zufolge distanziert sich der Kaiser dadurch vom Amtsverständnis seiner Vorgänger, die sich nicht einer politischen Ordnung unterordnen, sondern über ihr stehen. Besteht schon in dieser Hinsicht ein unverkennbarer Bruch mit früheren Kaisern, so wird die Diskontinuität erst recht sichtbar, wenn man sich ansieht, mit welchen Personen Libanios Julian in Beziehung setzt. Während er noch in or. ausführlich Konstantins Regierung gelobt und dessen Söhne als deren Fortsetzer gepriesen hatte , nehmen die julianischen Reden davon Abstand, auch nur einen einzigen Vorgänger positiv zu würdigen oder gar als mit Julian vergleichbar darzustellen . Wenn überhaupt Vergleiche zu anderen Herrschern oder Feldherren gezogen werden, so kommen dafür nur Gestalten aus der griechischen und, zuweilen als negativer Vergleichspunkt fungierend, aus der persischen Geschichte in Frage. Mag dies auch zum Teil der Reserve des Libanios gegenüber allem Römischen geschuldet sein, so bleibt es gleichwohl auffällig, zumal or. zeigt, daß Libanios, wenn er wollte, auch anders konnte. Im Lichte dieser Beobachtungen erstaunt es nicht, daß Libanios im Prosphonetikos und im Hypatikos der Abstammung des Kaisers nur wenig Aufmerksamkeit schenkt . Obgleich Julian seiner Auseinandersetzung mit Constantius zum Trotz durchaus seine Verbundenheit mit der konstantinischen Dynastie demonstrierte , unterläßt es Libanios, Julians Fähigkeiten und Tugenden in irgendeiner Weise auf seine Abstammung zurückzuführen, und spricht der (immerhin kaiserlichen) Verwandtschaft jegliche Bedeutung ab . Erst im Epitaphios nähert sich
auch Julians Verhalten bei der Begrüßung des Libanios: Lib. ep. . . Julians Volksnähe wird auch in or. . hervorgehoben. Nach Claud. Mamert. . begleitete Julian auch die Konsuln zu Fuß in die Kurie. Zum Konstantinbild des Libanios siehe Wiemer (1994). Lob Konstantins: Lib. or. . –, ; Constantius als Fortsetzer der Politik seines Vaters: . f., f. In or. . ist lediglich ganz allgemein davon die Rede, daß Julian sämtliche ῾Ρωμαίων ἡγησάμενοι an ἀρεταί übertreffe. In or. . bringt Libanios Julian mit dem thukydideischen Perikles in Verbindung, was seine Bedeutung für den Staat angeht (vgl. Th. . . ). In . erscheint Julian einsichtsvoller als Themistokles und tapferer als Brasidas. Julian selbst vergleicht sich bei Libanios in einer imaginären Rede mit Leonidas, Epameinondas und Alexander (. ). Lib. or. . (Kyros d. Ä.). In . erinnert Libanios an ein Beispiel außergewöhnlich humanen Verhaltens des Xerxes (vgl. Hdt. . ), läßt Julian aber diesen selbstverständlich noch übertreffen (siehe auch . ). Am Ende des Epitaphios dienen die Lyderkönige als negative Vergleichsfolie, während Kyros mit Julian parallelisiert wird, insofern er ebenfalls seinen Untertanen ein Vater gewesen sei (. ). Vgl. Scholl (1994) –. Vgl. Iul. ep. ; . b; Lib. or. . f. Christliche Polemik dagegen bei Gr. Naz. or. . . Lib. or. . f. Dort stellt Libanios zuerst die rhetorische Frage, wer nicht eine solche Verwandtschaft, wie sie Julian habe, als ausreichend zur εὐδαιμονία betrachten würde,
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Libanios wieder den Konventionen an, indem er die vorteilhaften Eigenschaften der Verwandten zur Förderung von Julians Lob nutzt (. –). Vergleiche, und zwar auch positive, fehlen in den julianischen Reden freilich nicht. Wenn Julian mit anderen parallelisiert wird, so viel häufiger mit Heroen der griechischen Mythologie als mit historischen Herrschergestalten. Und selbst dann enden die meisten Vergleiche, wie es bei Libanios’ Begeisterung für diesen Kaiser und generell bei συγκρίσεις der Panegyrik zu erwarten ist, zugunsten des Gelobten. Es versteht sich fast von selbst, daß für Libanios ausschließlich die größten Helden in Frage kommen: Wie Achill seinen Ahnen Aiakos, so erweist Julian seine Vorfahren als unbedeutend (. f.); im Kampf gegen die Barbaren folgt er ebenfalls dem Beispiel des Peliden, wenn er nicht maßlos wütet, sondern sich mit dem bloßen Sieg zufrieden gibt (. ). Anders als Agamemnon herrscht der Kaiser nicht durch τύχη, sondern durch ἀρετή (. , vgl. Hom. Il. . –), wobei er auch nicht wie dieser auf einen Ratgeber wie Nestor angewiesen ist (. ). Von besonderer Bedeutung ist die Parallele mit Herakles, da auch Julian im Dienste eines anderen schwierige Aufgaben in Gallien zu bestehen hat (. ) und sich außerdem gleichfalls für das Wohlergehen der Menschen einsetzt . Gleich dem Sohn der Alkmene kann sich Julian bei seinen Taten in Gallien auf den Beistand der Göttin Athene verlassen (. , . ). So erscheint es nur folgerichtig, daß Julian ebenso wie Herakles als Nothelfer von den Menschen angerufen wird . Durch diese Parallelen führt Libanios seinen Hörern eindringlich vor Augen, daß der Kaiser kein gewöhnlicher Sterblicher ist, sondern als Übermensch oder gleichsam als Halbgott im Verein mit den Göttern segensreich für seine Mitmenschen wirkt . Als genügte all dies nicht, der singulären Erscheinung Julians gerecht zu werden, mißt Libanios ihn sogar an den Göttern selbst: Nachdem er Julians Bedeutung für die Welt mit der Auferweckung des Hippolytos durch Asklepios verglichen hat (. ), parallelisiert er das Verhältnis zwischen Zeus und Dike mit dem zwischen Julian und seinen Beratern (. ). Ja, Julians Herrschaft könnte nicht einmal dann übertroffen werden, wenn Zeus selbst in menschlicher Gestalt auf
bevor er sie selbst beantwortet: Julian jedenfalls nicht. Er habe gemäß Anaxagoras lieber seine Seele durch Studien herangebildet, als auf den Leistungen seiner Vorfahren aufzubauen. Zum Ausspruch des Anaxagoras vgl. D. L. . f. In or. . wird Julian mit einem οἰκιστής verglichen und in § mit dem arkadischen Kulturheros Pelasgos (vgl. Paus. . . ). Lib. or. . . Weitere Bezüge zu Herakles: . (Julian folgt seinem Vorbild); . f. (wie Herakles am Scheideweg schlägt der junge Julian den richtigen Pfad ein). Vgl. . . Die Einnahme und Zerstörung der persischen Festung Maozamalcha wird von Libanios dann auch als μεῖζον ἀνθρωπείας φύσεως bezeichnet (. ). In . kündet die Fama, daß Julians Erfolge in Gallien Werk eines δαίμων seien. Zur Tradition der Bezugnahme auf Herakles siehe Ulrich Huttner: Die politische Rolle der Heraklesgestalt im griechischen Herrschertum. (Historia ES ) Stuttgart .
. Libanios’ Hagiographie
die Erde käme, um die Regierung zu übernehmen ! Indem Libanios für das Verfahren der σύγκρισις weniger auf menschliche Herrscher als vielmehr auf Heroen und Götter zurückgreift, gibt er seinem Auditorium zu verstehen, daß Julians exzeptionelle Bedeutung für die Oikumene alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt und jenseits menschlicher Kategorien liegt . Was aber die julianischen Reden am deutlichsten von anderen Panegyrici unterscheidet und worin Julians Singularität klar zutage tritt, ist das göttliche Element, das sich geradezu wie ein Leitmotiv durch das gesamte Leben des Kaisers zieht. Wenn wir oben erwähnt hatten, wie die Götter die Erhebung zum Augustus vorbereiten und in die Tat umsetzen, so ist dies nur ein schlagendes Beispiel dafür, daß die göttliche Vorsehung Julians Karriere lenkt. Libanios’ Darstellung zufolge erfährt Julian ständig durch Omina und Orakel, was er zu tun und wie er sich zu verhalten habe; in entscheidenden Situationen holt er die Bestätigung der Götter ein, so z. B. nachdem er von seinen Soldaten zum Kaiser gemacht worden ist (. ). Als Ratgeber informieren ihn die Götter auch im voraus darüber, daß er die Nachfolge seines Vetters kampflos antreten wird, also kein Blutvergießen die Kaiserwürde befleckt (. , ). Da Julian wie Herakles unter göttlichem Schutz steht, werden lebensbedrohliche Gefahren auf wunderbare Weise beseitigt: Als nach den Ereignissen von Lutetia die Vertrauten des Constantius, die Julian sogar noch vor der Soldatenmenge in Schutz genommen hatte, einen Anschlag planen, verkündet ein Soldat, von Apollon besessen, wie ein Wahrsager die Intrige, wodurch Julian gerettet wird . Weisen schon all diese Vorkommnisse auf eine außergewöhnlich enge Bindung Julians an die Götter hin, so werden sie noch dadurch übertroffen, daß der Kaiser selbst über seherische Fähigkeiten verfügt, die denen der besten Wahrsager in nichts nachstehen . Bevor er einen Offizier zu einer Operation aussendet, Lib. or. . . Als Konsul der Götter ist Zeus gleichsam Amtskollege Julians (. ). Julian und sein Mitkonsul Flavius Sallustius gleichen Athene und Diomedes auf demselben Streitwagen (. mit Zitat Hom. Il. . ). In . heißt es, daß nun zwar der Körper eines Menschen, aber die Seele eines Gottes herrsche. Vgl. . f.: Julian unterscheide sich nur durch seine Nahrung von den Göttern und sei sogar gerechter als Minos und Rhadamanthys. Libanios verleiht damit nur dem Selbstverständnis Julians Ausdruck, wie es am deutlichsten im Mustermythos seiner Rede gegen Herakleios zum Vorschein kommt. Dort sieht sich Julian als Abkömmling des Helios (Iul. or. . c–c). Siehe dazu oben S. . Als Julian nach Gallien marschiert, zeigt sich das Wohlwollen der Götter dadurch, daß ein Kranz genau auf das Haupt des Caesars fällt (. f.). Während des Perserkrieges erhält er ein Signal direkt vom Himmel (. ). Weitere Stellen zur Vorsehung bzw. zu Omina und Orakeln: . –; . ; . . Lib. or. . . Zu dem Anschlag siehe auch Iul. ep. ad Ath. a f. und Amm. . . f. Die Errettung durch δαίμονες vor einem weiteren Anschlag interpretiert Libanios als Lohn für Julians Frömmigkeit (. ). Siehe auch . , . Lib. or. . ; . ; . . Wenn der Rhetor Menander in § . f. empfiehlt, als Lobredner hinzuzufügen, daß der Herrscher die Zukunft besser voraussehe als ein μάντις, so ist dieses Lob von anderer Qualität als das, welches Libanios Julian zollt. Bei
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sagt er voraus, daß er zwar Erfolg haben, aber eine Verletzung erleiden werde; er vermag sogar die Stelle genau zu bezeichnen, wo sich der Soldat verletzen wird (. ). Vervollständigt wird das Bild des mit übermenschlichen Gaben ausgestatteten Kaisers durch Wundertaten. Während er sich in Antiochia aufhält, erschüttert ein Erdbeben Konstantinopel. Wie Libanios berichtet, verharrt Julian, als dies gemeldet wird, den ganzen Tag bei strömendem Regen im Garten, um Poseidon zu besänftigen. Und tatsächlich erfährt man später durch einen Boten, daß das Erdbeben genau an dem Tag von Julians Fürbitten aufgehört habe. Nicht weniger erstaunlich ist, daß der Regen dem Körper des Kaisers nichts anhaben konnte . Nach Libanios’ Porträt zeichnet sich Julian also durch eine außergewöhnlich enge Beziehung zu den göttlichen Mächten aus , die einerseits dafür sorgt, daß sich sein Lebensweg unter Lenkung der Vorsehung vollzieht, und ihn andererseits mit sprituellen Fähigkeiten und charismatischer Begabung ausstattet, wie sie nicht jedem Menschen zuteil werden. Julian übertrifft aber die gewöhnlichen Menschen auch durch die Art, wie er die Götter verehrt (. –). Er beschränkt sich nämlich trotz seinem beträchtlichen Arbeitspensum nicht darauf, die kultische Verehrung Priestern zu überlassen, sondern vollzieht die nötigen Opfer eigenhändig, worauf Libanios durch detaillierte Schilderung das Augenmerk seiner Hörer lenkt (. ). Allein die Zahl der kaiserlichen Opfer sprengt die üblichen Grenzen, da Julian täglich Opfer darbringt, die andere nur monatlich vollziehen . So verwandelt sich der Kaiserpalast durch die unablässige Kultpraxis Julians geradezu in einen Tempel , was insofern nicht unangemessen ist, als dessen keusche Lebensweise jegliche Befleckung vermeidet (. ). Daß Julian auf Grund dieser Hingabe an die Götter für sich nicht weniger den Titel eines Priesters beansprucht als den des Kaisers (. ), kann niemanden verwundern . Mit Nachdruck betont denn auch der Epitaphios des Kaisers spirituelle Sendung, wenn er dessen proteus-
Menander geht es lediglich darum, die φρόνησις zu preisen. Von wirklich spirituellen Fähigkeiten ist nicht die Rede. Lib. or. . , vgl. . und . . In eine ähnliche Richtung zielt die wiederholte Angabe, daß Julian sogar in Abwesenheit oder im voraus (also durch eine Art numen) militärische Erfolge erzielt: . ; . f., ; . . Vgl. . f. Daß Julian kampflos Constantius besiegt, faßt Libanios als ein Wunder auf (. ). In Anlehnung an Hom. Il. . f. berichtet Libanios in or. . von einer persönlichen Begegnung Julians mit einer Gottheit. Mit einer praeteritio weist er sodann auf zahllose weitere Begegnungen mit den Göttern hin. Lib. or. . . Mit dem Lob der intensiven Opfertätigkeit begegnet Libanios im Hypatikos wohl auch der Kritik dieser vielfach als exzessiv verstandenen Gottesverehrung (vgl. auch . , –). Gerade in Antiochia löste Julian damit Befremden aus und mußte sich Spott gefallen lassen (Verhöhnung als victimarius, Amm. . . ). Siehe Amm. . . –; . . . Julian selbst geht auf diese Kritik im Misopogon ein: Iul. Mis. b/c. Lib. or. . . Vgl. . . Auch Julians erwähnte Gebete an Poseidon finden im Garten des Palastes statt (. ; . ). Zum Konzept eines priesterlichen Kaisertums im Hypatikos siehe auch Wiemer (1995a) – und Scholl (1994) –.
. Libanios’ Hagiographie
haftes Wesen auf den Punkt bringt: ὁ αὐτὸς ἱερεύς, λογογράφος, μάντις, δικαστής, στρατιώτης, διὰ πάντων σωτήρ (. : »Er war zugleich Priester, Schriftsteller, Seher, Richter, Soldat, in allem Retter.«). Weit über den Rang eines Priesters hinaus wird der Kaiser jedoch dadurch erhoben, daß Libanios ihn zum Heros, der auch kultisch verehrt wird, stilisiert. Ein erstes Indiz bilden bereits die Vergleiche mit Herakles. Nach seinem Tode, so suggeriert die Schlußpartie des Epitaphios, ist Julian zu den Göttern emporgefahren und zum Teilhaber ihrer Macht geworden . Daher haben auch angeblich viele Städte Bildnisse des Kaisers in Tempeln aufgestellt, wo man ihn nicht nur wie einen Gott ehrt , sondern auch zu ihm beten kann. Selbst die Perser geben laut Libanios zu, daß der gottgleiche Julian ihnen Unheil gebracht habe, das menschliche Macht übersteige . Angemessen wäre es, wenn er ein Grab im Hain der Akademie neben Platon erhielte, und wie einem Heros oder Gott soll man Julian Skolien, Päane und Enkomien widmen, ja ihn sogar als Verbündeten im Kampf gegen die Barbaren anrufen . Und als wäre sein Epitaphios bereits ein Kultlied für den vergöttlichten Julian, läßt Libanios ihn in hymnengleichen, preisenden Anrufungen gipfeln und bringt seine Rede als Opferspende dar: ὦ
δαιμόνων μὲν τρόφιμε, δαιμόνων δὲ μαθητά, δαιμόνων δὲ πάρεδρε [. . .] ὦ θεῶν μὲν ἐπίκουρε, θεῶν δὲ ὁμιλητά, ὦ πάσας μὲν ἡδονὰς καταπατήσας πλὴν ὅσαι λόγων, ταυτί σοι παρὰ τῶν ἡμετέρων λόγων τῶν μικρῶν οὓς αὐτὸς ἦγες μεγάλους (. »O Zögling der Götter, Schüler der Götter, Tischgenosse der Götter [. . .], Helfer der Götter, Vertrauter der Götter, o du, der du alle Freuden verschmäht hast außer denen an Reden: dies soll dir eine Gabe meiner geringen Beredsamkeit sein, die du selbst für bedeutend hieltest.«). Mag es auch eine gängige Strategie spätantiker Lobreden sein, den gepriesenen Kaiser in die Nähe der Götter zu rücken , so wird gleichwohl niemand übersehen, wie Libanios mit seinem Julianporträt die ausgetretenen Pfade der Panegyrik verläßt. Schon zu Lebzeiten verbreitet er offiziell Julians Selbstverständnis eines Priesterkönigs, dessen religiöses Charisma der Herrschertätigkeit an Bedeutung zumindest gleichkommt, und nähert das Wir Lib. or. . . Bereits in . stellt Libanios Julian in Aussicht, daß ihm die Menschen einst Altäre errichten, Opfer darbringen und zu ihm beten werden. Sal. rechnet damit, daß die Seelen tugendhafter Menschen nach dem Tode zu den Göttern emporfahren und mit diesen zusammen den Kosmos regieren. Vgl. Nock (1957); Polymnia Athanassiadi: Art. »Ascent to Heroic or Divine Status in Late Antiquity. Continuities and Transformations«, in: ThesCRA , , –, zu Julian f. Vgl. auch Eun. fr. , Z. – (αὐτὸν ὥσπερ τινὰ θεὸν προσεκύνουν ἅπαντες) und Z. f. Lib. or. . . Libanios bezieht sich hier auf angebliche bildliche Darstellungen der Perser, auf denen Julian als Blitz zu sehen sei. Lib. or. . . In . stellt Libanios Theodosius in Aussicht, daß der tote Julian ihn militärisch unterstützen werde, sofern sein Tod gerächt werde. Bei Themistios ist der Kaiser ein irdisches Abbild des (christlichen) Gottes. Siehe oben S. .
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ken des Kaisers dem von Heroen an, bevor er ihn nach dem Tode ganz offen als vergöttlichten Heros anruft. Selbst wenn die Kaiser der frühen Spätantike nach ihrem Leben von Staats wegen vergöttlicht bzw. konsekriert wurden , findet sich bei ihnen, abgesehen von Konstantin , nichts, was sich Libanios’ Lobpreis an die Seite stellen ließe. Ohne allzu viel Rücksicht auf die Realität zu nehmen, hat die antike Panegyrik immer wieder die intellektuellen Fähigkeiten der Herrscher verherrlicht. Auch Libanios war in seinem Lob des Constantius, den er später als den schlechthin unfähigen Kaiser brandmarkte, nicht anders verfahren . Die julianischen Reden unterscheiden sich allerdings insofern von anderen Panegyrici, als in ihnen der Preis von σοφία und φρόνησις nicht auf wenige Abschnitte beschränkt bleibt, sondern sich als eines der Hauptmotive durch die Reden zieht. Oben hatten wir bereits gesehen, daß die Darstellung von Julians Jugend sich im wesentlichen auf seine intellektuelle Ausbildung konzentriert. In Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten der Panegyrik weist Libanios des öfteren darauf hin, daß sich die Erfolge Julians seiner Bildung und Intelligenz verdankten . Die Erwartungen an einen römischen Kaiser übertrifft der Julian des Libanios aber, wenn er in Rhetorik und Philosophie mit Fachleuten konkurriert bzw. diese sogar auf den zweiten Platz verweist . Gerade diese geistige Überlegenheit nicht nur über Altersgenossen, sondern sogar über die Lehrer ist es, die in Julians Jugend die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht. Wie in einer Philosophenvita erleben wir Julian immer aufs neue als Lehrer, und zwar gegenüber Zu den Kaisern bis zu Theodosius I. siehe Manfred Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. Stuttgart; Leipzig , –. Die einzige, bemerkenswerte Parallele zum Julianbild des Libanios bildet die Konstantinsvita des Euseb. Man könnte sie geradezu als christliches Spiegelbild zu den julianischen Reden auffassen, weil sie beinahe alle hier beobachteten Zeichen spiritueller Begabung dem christlichen Kaiser zuschreibt. Möglicherweise sind diese Übereinstimmungen kein Zufall, falls Libanios das Werk Eusebs gekannt haben sollte. Bliembach (1976) XLIII nimmt nicht nur Kenntnis der Vita Constantini bei Libanios an, sondern auch eine Ähnlichkeit der Intention mit dem Epitaphios. Schon Petit (1950) hatte eine Anlehnung des Libanios in or. an die Konstantinsvita postuliert. Lib. or. . , , . Auffällig ist immerhin, daß das Lob der intellektuellen Fähigkeiten des Constantius in dieser Rede weit hinter dem der militärischen Tüchtigkeit rangiert. Im rhetorisch wirkungsvoll gestalteten Katalog der zivilen Tugenden ( f.) fehlt Intellektuelles gänzlich. So etwa or. . ; . , f. Auch daß Julian es nach Libanios ablehnt, nach der Macht zu streben und die Herrschaft vielmehr als eine Pflicht auf sich nimmt (. , ), dürfte nicht zufällig an die Philosophenherrscher der platonischen Politeia erinnern (Pl. R. , b–b). Zur recusatio Julians bei der Erhebung zum Caesar und der zum Augustus siehe Huttner (2004) –. Lib. or. . : Julian übertrifft die Redner durch Philosophie, die Philosophen durch Rhetorik, beide durch Dichtkunst, die Dichter wiederum durch Rhetorik und Philosophie und alle zusammen durch seine tadellose Beherrschung der lateinischen Sprache. Vgl. das Lob Julians in or. . – (Julian als Philosoph und ῥητορικώτατος).
. Libanios’ Hagiographie
Mitschülern, Dozenten, Soldaten und Beamten . Stets erweist er sich durch seine geistigen Begabungen, aber auch durch Disziplin und Ausdauer, als anderen überlegen. Und offensichtlich orientieren diese sich bereitwillig an ihm, sie akzeptieren ihn als Vorbild. Schon als der junge Caesar in Gallien militärisch tätig ist, machen sich Studenten aus Athen, denen an Bildung liegt, zu Julian auf, gleichwie Solon König Kroisos aufgesucht hatte, nur mit dem Unterschied, daß Julian seine Gäste durch Bildung beschenkt . Später sorgt der Augustus dafür, daß seine Beamten nach denselben Idealen streben wie er selbst und viele Menschen geradezu weiser als Philosophen werden (. ). Indem er der Bildung Ehre erweist und sie durch besondere Maßnahmen fördert, stachelt er jung und alt zum Studium an (. , ), so wie er auf dem Gebiet der Religion die Untertanen durch sein persönliches Vorbild zum alten Glauben zurückführt (. –). Durch dieses wiederkehrende Motiv des Lehrens und der Nachfolge der Untertanen erweckt Libanios den Eindruck, als handele es sich bei dem Gelobten weniger um den Herrscher eines Weltreichs als um einen Philosophen, dessen Anliegen es ist, möglichst viele Anhänger für seine Lehre zu gewinnen. Gleich den Gründern philosophischer Schulen hat der Kaiser, der durch die Vielfalt seines literarischen Œuvres selbst professionelle Autoren aussticht, unsterbliche Schriften hinterlassen, so daß auch künftig die Menschen seine ›Lehre‹ kennenlernen und aus ihr Trost schöpfen können . Während die Leistungen anderer Kaiser nach ihrem Tode kaum noch Bestand haben und allenfalls andere Herrscher zur Nachahmung anregen, so scheint Libanios suggerieren zu wollen, haben wir in Julian einen charismatischen intellektuellen wie tätigen Führer vor uns, den sich jeder zum Vorbild nehmen kann und sollte, und zwar weit über Julians irdisches Dasein hinaus. Indem er Julians schriftstellerische und philosophische Tätigkeit würdigt, gelingt es Libanios, den Enkomientopos, daß der Herrscher die Bildung an die Spitze des Reiches zurückführe , mit ganz neuem Inhalt zu füllen. Das Thema der Bildung wird in den julianischen Reden aus dem Schattendasein eines schmückenden Beiwerks befreit und zu einem der zentralen Motive gemacht. Zudem gewinnt es, ausgeweitet auf ein umfassendes Kulturkonzept, eine ganz neue Dimension. Schon durch seine Maßnahmen zum Wiederaufbau und zur Wiederbesiedlung zurückeroberter Städte in Gallien erweist sich Julian als Kulturbringer, der die römische Zivilisation an vorderster Front gegen die Barbaren
Lib. or. . , , ; . , f., , f. Selbst im Tode noch belehrt Julian wie Sokrates seine Gefährten über die richtige philosophische Haltung (. ). Vgl. die ähnlich gestaltete Sterbeszene Julians bei Amm. . . –. Lib. or. . , mit Bezug auf Hdt. . . Lib. or. . f. Libanios geht auch noch an anderen Stellen darauf ein, daß Julian selbst literarisch tätig war: . ; . , ; . , , . Vgl. das Lob des Constantius in Them. or. . b/c; . d–a und das Jovians in . c–b.
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verteidigt bzw. verlorenen Boden zurückgewinnt . Dadurch, daß Libanios im Zusammenhang mit den gallischen Aktivitäten so nachdrücklich die Kultur in den Vordergrund rückt, vermag er seinem Publikum eine Vorstellung davon zu geben, wie intensiv sich Julian, selbst wenn er sich auf einem Feldzug befindet, diesem Anliegen widmet. Als er dann Alleinherrscher des Reiches geworden ist, entfaltet Julian eine rastlose Reformtätigkeit, um der traditionellen Bildung wieder zu Ansehen zu verhelfen. Sie umfaßt in einer harmonischen Synthese die zwei Gebiete, die seit klassischer Zeit konkurrierend nebeneinandergestanden hatten, Rhetorik und Philosophie . Wie stark sich Libanios bei diesem Thema tatsächlich an der klassischen Zeit orientiert, läßt sich daran ermessen, daß für Julians Neigungen zu einem theurgisch ausgerichteten Neuplatonismus kein Platz ist, auch wenn Philosophen aus der Umgebung des Kaisers durchaus genannt werden . Die παιδεία bildet aber nur einen wenn auch zentralen Bestandteil eines umfassend angelegten Programms, worauf Libanios in Übereinstimmung mit Julians Intentionen mehrfach aufmerksam macht. Denn sie ist, wie die Maßnahmen des Kaisers demonstrieren, untrennbar mit der Wiederherstellung der traditionellen Religion verknüpft: Bildung und Religion bilden gleichsam die zwei Seiten einer Medaille . Vor dem Hintergrund der Regierung Konstantins und seiner Söhne gibt Libanios damit recht deutlich zu verstehen, daß zwischen Christentum, also ›Gottlosigkeit‹, und παιδεία grundsätzlich ein Widerspruch bestehe . Um seinem Publikum vor Augen zu führen, daß Julians Anknüpfen an die traditionelle Kultur für das Reich von vitaler Bedeutung ist, berücksichtigt Libanios dieses Thema auch immer wieder, wenn er von den militärischen Aktionen des Kaisers berichtet. Constantius hatte nach Libanios’ Darstellung durch seine verfehlte Politik die an sich hervorragend ausgebildeten Truppen verweichlicht. Julian indessen verleiht ihnen nicht nur neuen Mut, sondern bemüht sich auch, sie zur alten Religion zurückzuführen , da nur das Wohlwollen der Götter Erfolg verspricht. Dies wird expressis verbis als Julians leitender Gedanke bei den Lib. or. . f. (Julian als οἰκιστής), f., (Rückkehr des Lichts; Vergleich mit dem Kulturheros Pelasgos); . f.; . f. Lib. or. . ; . –. Ein Zeichen der persönlichen Kritik bzw. des Versuchs, Julians Maßnahmen zu beschönigen, dürfte es sein, daß Libanios an dieser Stelle auf dessen Rhetorenedikt nicht explizit eingeht. Trotz der engen Beziehung zwischen Bildung und Religion war es nach Libanios’ persönlicher Ansicht nicht erforderlich, Christen von der klassischen Bildung auszuschließen. Vgl. Scholl (1994) –. Zum Edikt und der Kritik an ihm siehe oben Kap. .. Maximus: Lib. or. . ; . ; . ; Priscus: . (den Gepflogenheiten der Rhetorik entsprechend ohne Namensnennung). Vgl. auch . . Lib. or. . ; . , . Zu diesem Konzept siehe oben Kap. . Über die christlichen Lehrer des jungen Julian äußert sich Libanios mit Verachtung: or. . ; . (Anspielung auf Hekebolios, der wohl aus Opportunismus unter Julian vom Christentum abfiel). Lib. or. . ; . f.
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Vorbereitungen zum Perserkrieg ausgegeben (. ). Aus dieser Perspektive erklärt sich, weshalb der Feldzug gegen die Perser einen so beträchtlichen Teil des Epitaphios ausmacht (§ –). Es geht Libanios, dem sonst an militärischen Einzelheiten nicht allzu viel gelegen ist, keineswegs nur darum, Julians Taktik gegen Kritik in Schutz zu nehmen. Vielmehr soll die breite und selbstverständlich geschönte Darstellung des Krieges die These untermauern, daß Julians auch für die Soldaten vorbildliches Lebensideal und die Hilfe der Götter den Fortbestand des Reiches sichern . Bestätigt wird diese Deutung einerseits durch die Äußerungen des Epitaphios zum militärischen wie moralischen Niedergang des Reiches nach dem Tod des Kaisers , andererseits durch die schonungslose Bestandsaufnahme der Rede Über die Rache für Julian nach der Schlacht von Hadrianopel (or. ) . Denn hier wie dort läßt Libanios keinen Zweifel daran, daß es, wenn man sich nicht wie Julian an den Werten der traditionellen Kultur orientiert und von den heidnischen Göttern lenken läßt, mit dem Reich sowohl nach außen als auch im Innern nur bergab gehen kann. Die verheerende Niederlage gegen die Goten dient Libanios als Beweis dafür, daß die Abkehr von den unter Julian Wirklichkeit gewordenen Idealen – mit anderen Worten: die Hinwendung zum Christentum – für den Niedergang der römischen Macht verantwortlich ist. Wie wir bereits gesehen haben, stellt Libanios ausführlich dar, mit welchen administrativen Maßnahmen Julian die während der Regierung des Constantius aufgekommenen Mißstände beseitigt. Durch die Art der Darstellung betont er immer wieder, daß dieses Wirken des Kaisers ganz im Dienste der Untertanen steht. Während etwa die allgemein gehaltenen Panegyrici des Themistios den Beweis für die Menschenfreundlichkeit des jeweiligen Kaisers schuldig bleiben, weil sie weitgehend darauf verzichten, von den praktischen Auswirkungen zu berichten, erleben wir Julian bei Libanios stets aufs neue im Umgang mit den verschiedenen Teilen der Bevölkerung. Den Soldaten ist der Kaiser, da er dieselben Strapazen wie sie erduldet, leuchtendes Vorbild und fürsorglicher Vater (. f., f., ); die Städte des Reiches, deren Belange ihm am Herzen liegen, spornt er zur Tugend an (. f.); die Stellung der Kurien stärkt er durch seine Maßnahmen (. –); den Schulen der Rhetoren verhilft er zu neuer Beispielsweise überdeckt Libanios geschickt, daß die Belagerung von Ktesiphon ergebnislos endete (. ). Für weitere Anzeichen einer Idealisierung siehe die Bemerkungen im Kommentar von Bliembach (1976). Zu den verschiedenen Strategien der Kaschierung unvorteilhafter Ereignisse und Taten siehe auch Malosse (2000). Lib. or. . f. Zweimal vergleicht Libanios die Religion mit dem Kiel eines Schiffes, um die Bedeutung der Götterverehrung als Rückgrat des Reiches zu veranschaulichen: . ; . . Vgl. . (Religion als Ruder). Daß das Reich nur mit Unterstützung der Götter bestehen wird, ist ferner in . ausgedrückt. Siehe auch . . Lib. or. . , –. Vgl. . f., , , . Wider Willen gibt Libanios durch diese Bemerkungen zu, daß die von Julian verwirklichte moralische Umkehr doch nur an der Oberfläche blieb. Siehe bes. or. . –, –, .
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Blüte; Hilfesuchende finden bei ihm Unterstützung (. f.); Arme wie Reiche kommen ohne Unterschied zu ihrem Recht (. –); der Bevölkerung im Osten nimmt er die Angst vor der persischen Bedrohung (. f.). Durch zahlreiche konkrete Beispiele, auf die andere Panegyrici größtenteils verzichten, läßt Libanios vor den Augen seines Publikums ein anschauliches Bild entstehen, mit welch unermüdlichem Einsatz Julian zum Wohle des Volkes regiert. Jeder Berufsstand, jede soziale Gruppe profitiert von seiner Herrschaft. Weitaus eindrücklicher, als es die bloße Aneinanderreihung von Tugenden vermöchte, schaffen die dargestellten Einzelfälle einen Eindruck von den herausragenden Qualitäten des Herrschers. Libanios begnügt sich indessen nicht damit, Julians Herrschaftstätigkeit in positivem Licht erstrahlen zu lassen, sondern er überhöht sie, indem er ihr eine geradezu soteriologische Dimension verleiht. So gipfelt die oben angeführte Aufzählung der wichtigsten Eigenschaften Julians in der Bezeichnung διὰ πάντων σωτήρ (. ). Im Rückgriff auf die Terminologie der hellenistischen Monarchie wird der Kaiser hier als Retter seiner Untertanen porträtiert, wofür mehrere konkrete Beispiele geboten werden, deren schlagendstes die schon erwähnte wundersame Errettung Konstantinopels vor dem Erdbeben ist . Julians Herrschaft ist in den Augen des Libanios nicht einfach die Regierung eines gewöhnlichen Kaisers, sondern sie bringt den Untertanen die Freiheit, nachdem sie offenbar unter Constantius geknechtet waren. Ja schon der Tag von Julians Konversion wird im nachhinein zum Beginn der ἐλευθερία stilisiert . Mit seiner Herrschaft bricht ein Zeitalter der εὐδαιμονία an , das den Untertanen das Leben recht eigentlich erst wieder lebenswert macht . Nicht zufällig erinnert die Schilderung dieser neuen Zeit in einzelnen Zügen an das Goldene Zeitalter. Die Rückkehr der Götter, Julians direkter Verkehr mit den göttlichen Mächten, die Herrschaft der Gerechtigkeit, ethische Integrität, Frieden, die Glückseligkeit der Menschen : all dies sind für jeden deutlich erkennbare Anzeichen, daß Julian nach dem Niedergang unter Constantius einen idealen Urzustand wiederhergestellt hat . Wenn Libanios im Epitaphios imaginiert, in welcher Glückseligkeit man sich befände, wenn Julian noch lebte (. , ), so zeichnet er das Bild einer Epoche im wörtlichen Sinne, eines fundamentalen Einschnitts in der Weltgeschichte . Die Herrschaft des idealen Kaisers markiert geradezu den Abschluß eines heilsgeLib. or. . . Zum Motiv der σωτηρία siehe . , , , . Lib. or. . . Zur ἐλευθερία siehe auch . ; . ; . , . Siehe or. . , ; . ; . ; . , , , . Vgl. . . Lib. or. . ; . . Vgl. . . Erst mit Julians Herrschaft sind die Bewohner der Erde von Schweinen zu Menschen geworden (. ). Lib. or. . ; . . Dementsprechend kündigt sich der Tod Julians durch Prodigien an: Apollon verläßt die Erde, Erdbeben treten als Vorboten des Chaos auf (. ). Zum Goldenen Zeitalter siehe Gatz (1967) (zur politischen Konzeption einer Wiederkehr dieser Zeit in Panegyrik, Dichtung und Historiographie ebd. –) und Kubusch (1986). Zu solchen Geschichtsdeutungen siehe unten Kap. , hier ..
. Libanios’ Hagiographie
schichtlichen Prozesses , so daß für Libanios nach dem unerwarteten und für unmöglich gehaltenen Ende dieses paradiesischen Zustands eigentlich nur der eigene Tod stehen kann . Die Analyse der wesentlichen Eigenschaften, mit denen Libanios Julian ausstattet, hat den anfänglichen Eindruck bestätigt, daß die julianischen Reden sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht über das hinausgehen, was aus der spätantiken Panegyrik geläufig war. Der Redner verleiht Julian Züge, die der gewöhnlichen Lobrede fremd sind oder allenfalls am Rande vorkommen, um der exzeptionellen Bedeutung dieses idealen Herrschers gerecht zu werden. Selbst wenn er geläufige Topoi aufgreift, verwandelt er sie so, daß stets die singuläre Erscheinung Julians zum Vorschein kommt, die mit den üblichen Kategorien der Kaiserherrschaft nicht zu fassen ist. Damit für den Rezipienten das Außergewöhnliche dieses Kaisers anschaulich wird, zieht Libanios es vor, indem er seine Reden weitgehend chronologisch als Biographien anlegt, detailreich Begebenheiten aus Julians Leben zu erzählen, statt einzelne Tugenden katalogartig abzuhandeln. Aus zahlreichen Facetten konstruiert er einen neuen Typus des römischen Kaisers, der als Philosoph, charismatischer Auserwählter und Wundertäter mit seinen Vorgängern nicht zu vergleichen ist. Obgleich Libanios die Grenzen des spätantiken Herrscherlobes aufbricht, ist sein Julianporträt keineswegs völlig voraussetzungslos aus dem Nichts geschaffen. Einen Hinweis, wo nach möglichen Vorläufern zu suchen ist, können die philosophischen und mantischen Begabungen des Kaisers geben. Denn in der Kaiserzeit, besonders aber in der Spätantike, entwickelte sich ein Genre, das genau dafür geeignet war, Philosophen mit übermenschlichen Fähigkeiten zu porträtieren. Werke wie Philostrats Vita des Apollonios von Tyana, Porphyrios’ Lebensbeschreibungen des Pythagoras und des Plotin oder Jamblichs de vita Pythagorica waren weit davon entfernt, nach Art der plutarchischen Biographien in beinahe historiographischer Manier den Lebensweg des Protagonisten nachzuerzählen . Vielmehr entwarfen sie die heidnischen Philosophen als Menschen, die in engem Kontakt mit den göttlichen Mächten standen oder
Sinnbildhaft steht dafür in der Monodie (. ) der Vergleich Julians mit dem mythischen Vogel Phönix, dessen sporadisches Erscheinen ein neues Weltalter ankündigt. Als Symbol für die Ewigkeit Roms (vgl. Mart. . ) eignete sich der Vogel besonders gut für den Vergleich mit Julian. Der Vogel verkörpert auch auf Münzen aus Kaiserzeit und Spätantike Roms Ewigkeit. Rainer Vollkommer: Art. »Phoinix III«, in: LIMC ., , –. Zur vorliegenden Stelle Van den Broek (1972) Anm. . Van Uytfanghe (2001) spricht paganen hagiographischen Texten wie Libanios’ Epitaphios die heilsgeschichtliche Perspektive ab. Lib. or. . , (es wäre besser, die Welt ginge in einer Sintflut zugrunde); . . Siehe auch . . In . stellt Libanios Julians Tod einer Sintflut oder dem Weltenbrand beim Sturz Phaethons an die Seite, um die Dimension des Verlustes zu ermessen. Zu den kaiserzeitlichen und spätantiken Philosophenviten siehe Cox (1983) und die einzelnen Beiträge in Hägg – Rousseau (2000).
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sogar selbst göttlicher Abstammung waren . Apollonios oder Pythagoras zeichneten sich diesen Viten zufolge nicht allein durch eine überragende Weisheit aus, sondern ebenso durch Wundertaten und seherische Fähigkeiten. Als spirituelle, theurgisch tätige Lehrer erfüllten sie die Mission, den Kontakt mit dem Göttlichen herzustellen und zum Wohle der Menschheit zu wirken. Auch in Auseinandersetzung mit christlichen Vorstellungen wurde in dieser Literatur die Figur eines paganen ›Heiligen‹ geformt, der, zumal weil er sein eigenes Leben in besonderer Reinheit und Tugendhaftigkeit geführt hatte, als Vorbild alle, die sich diesem Ideal verschreiben wollten, zur Nachfolge aufrief. Wie das ihnen eng verwandte christliche Pendant, die Heiligenvita und weitere Texte aus ihrem Umfeld (Märtyrerakten, Wundersammlungen, romanhafte Viten), sind die heidnischen Philosophenviten durchdrungen von einer spezifischen Art, den jeweiligen Weisen zu repräsentieren, die man als hagiographischen Diskurs bezeichnet hat . Nicht an eine einzelne literarische Gattung gebunden, ist er weniger darauf ausgerichtet, Geschehen zu berichten als exemplarische Taten vorzuführen. Seine Struktur läßt sich durch die Faktoren der dargestellten Personen, des Spektrums an Tugenden, des Vorrats an Topoi und der Funktionen beschreiben . Wenn man die in Philosophenviten oder Heiligenviten porträtierten Personen genauer betrachtet, lassen sich immer wiederkehrende, allerdings nie sämtlich in einem Werk auftretende Charakteristika zusammentragen, die Ludwig Bieler im Idealtyp des θεῖος ἀνήρ gebündelt hat . Aus hagiographisch geprägter Literatur der jüdisch-christlichen und der paganen Kultur hat er ein System aus sieben Kategorien entwickelt, das es erlaubt, den idealtypischen Heiligen zu beschreiben . Demzufolge sind die θεῖοι Zum Konzept des (neuplatonischen) heiligen Philosophen in Kaiserzeit und Spätantike siehe Anderson (1994) und Fowden (1982). Der Gebrauch dieses Begriffes ist eng an das Problem geknüpft, ob es in der Antike tatsächlich heidnische Heilige und Heiligenviten gegeben hat oder ob es sich um ein ausschließlich christliches Phänomen handelt. Die im folgenden angedeuteten Parallelen zwischen christlichen Heiligen und paganen ›göttlichen Menschen‹ rechtfertigen m. E. den Gebrauch dieser Terminologie. Siehe Van Uytfanghe (1988) f. Fowden (1982) spricht ebenfalls vom »pagan holy man«. Der Terminus ›discours hagiographique‹ geht zurück auf de Certeau (1975) – und wird etwa von Van Uytfanghe (1993) – und Van Uytfanghe (2001) f. auf antike hagiographische Texte angewandt. de Certeau (1975) – unterscheidet die Faktoren des héros, des discours de vertus und der topique hagiographique. Van Uytfanghe (2001) f. differenziert hingegen in die behandelten Personen, die Beziehungen zwischen Aussage und Wirklichkeit (Stilisierung), die Funktion des Diskurses und die motivischen wie archetypischen Themen. Bieler (1935/6). Kritisch setzt sich mit dieser Kategorie und ihrer Terminologie du Toit (1997) auseinander. Auch wenn man sich bewußt sein muß, daß der Begriff θεῖος ἀνήρ in der Weise, wie ihn Bieler gebraucht, nicht gänzlich mit der antiken Terminologie übereinstimmt, ist es m. E. legitim, ihn weiterhin zu verwenden, da er in der Forschung als Bezeichnung für dieses Phänomen etabliert ist. Zu solchen ›heiligen Männern‹ in der Kaiserzeit siehe auch Anderson (1994). Bieler (1935/6) Bd. .
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ἄνδρες gekennzeichnet durch ) typische Lebensschicksale (z. B. wundersame Geburt, geistige Frühreife, Kampf gegen Widersacher, besondere Todesumstände), ) eine typische Persönlichkeit (äußere Schönheit, geistige Fähigkeiten, asketische Lebensweise), ) Wissen und Können (göttliche Weisheit, Kenntnis der Zukunft), ) Lehre und Wirken (Kultstifter bzw. -erneuerer, Nothelfer), ) Anhang und Schule, ) eine bestimmte Aufnahme bei der Umwelt (Ehrung, Ruhm, aber auch Spott) und ) eine Art von Göttlichkeit (Gottessohn, göttliche Verehrung). Auch wenn keiner der dargestellten Heiligen über all diese Eigenschaften verfügt, gestatten es doch die Übereinstimmungen unter den verglichenen Werken und wiederkehrenden Motive, hier von einem festen Typus zu sprechen. Nachdem schon die einzelnen Züge, mit denen Libanios Julian in seinen Reden ausgestattet hat, den Eindruck nahegelegt hatten, der Gelobte werde eher als von den Göttern begünstigter Philosoph denn als Kaiser dargestellt, wird nun erkennbar, daß zum Teil schon der Prosphonetikos, besonders aber Hypatikos und Epitaphios am hagiographischen Diskurs teilnehmen . Der Julian des Libanios vereinigt in sich einen Großteil der von Bieler herausgearbeiteten Eigenschaften, ohne daß sie in den drei Reden überall gleich stark ausgeprägt wären . Julian tut sich, wie wir oben gesehen haben, in seiner Jugend durch geistige Frühreife vor Mitschülern wie auch Lehrern hervor; an seinem bescheidenen, unprätentiösen Auftreten läßt sich ablesen, daß auch seine sittliche Persönlichkeit von frühester Zeit an voll entwickelt ist. Damit die Überlegenheit des θεῖος ἀνήρ voll zur Geltung kommt, fehlt es fast nie an einem in dunkelsten Farben gezeichneten Widersacher, der den Heiligen zwar gefährden kann, letztlich aber überwunden wird . Vor diesem Hintergrund erklärt sich nun, weshalb Libanios so viel Eifer daran setzt, die Intrigen des Constantius, dessen für das Reich verderbliche Politik, seine Versäumnisse und Unzulänglichkeiten auszubreiten , statt ihn, wie es in anderen Panegyrici üblich ist, nur beiläufig als negative Kontrastfolie zu berücksichtigen. Als veritabler Gegenspie Mit knappen Bemerkungen hat auch Van Uytfanghe (1993) f. bzw. Van Uytfanghe (2001) – darauf hingewiesen, daß der Epitaphios vom hagiographischen Diskurs geprägt sei. Auf die übrigen julianischen Reden geht er nicht ein. Diese Stilisierung schließt vorsichtig angebrachte Kritik nicht grundsätzlich aus, wie etwa Lib. or. . f. zeigt. Siehe Malosse (1995) – und Swain (2004) f. Bieler (1935/6) – (mit zahlreichen Beispielen). Siehe z. B. Lib. or. . , ; . , , –, f., f., , ; . , f., –, f., –, , –, –. Constantius’ Tod ist dann auch eine Strafe der Götter (. ). Zum negativen Porträt des Constantius siehe ferner or. . und ; . f.; . ; . – (mit anschließender Gegenüberstellung Julians) und ep. . Im Prosphonetikos spielt Constantius als der böse Gegenpol noch keine so prominente Rolle, vermutlich weil Libanios zu dieser Zeit mit Julians eigenen Ansichten noch nicht vertraut war und es deshalb vermeiden wollte, eventuell Anstoß zu erregen. Denn immerhin hatte Julian seinem toten Vetter die gebührenden Ehren zukommen lassen. Zum negativen Porträt des Constantius siehe Seiler (1997) –, – und –, zum Bildnis des schlechten Herrschers bei Libanios Malosse (2002).
Von der Institution zum Heiligen
ler, der, in allem das genaue Gegenteil seines Vetters, diesem nach dem Leben trachtet, verkörpert der mit den typischen Zügen des Tyrannen ausgestattete Constantius in den julianischen Reden so lange das Prinzip des Bösen, bis er von dem göttlichen Tugendhelden, Julian, überwunden wird. Wie fremd dieses Motiv im Grunde der Gattung der Lobrede ist, in der Widersacher meist nur in Form inferiorer Usurpatorengestalten kurz auftreten, um von dem rechtmäßigen Herrscher aus dem Felde geschlagen zu werden, hat Libanios offensichtlich selbst empfunden; versucht er sich doch vor seinem Publikum dafür zu rechtfertigen, daß er Constantius heftiger anklage, als es bei einer Festrede zu erwarten sei . Ferner weist Julian im Hinblick auf seine Lebensführung die wesentlichen Eigenschaften des θεῖος ἀνήρ auf, insofern er in Demut auf die ihm angetragene Kaiserwürde verzichten will, statt sich um sie zu bemühen, und äußere Zeichen der Ehre und Reichtum geringschätzt; er verfolgt eine strenge Askese, indem er Luxus und Bequemlichkeiten verachtet, oberflächliche Vergnügungen wie das Theater ablehnt, seine körperlichen Bedürfnisse so weit wie möglich einschränkt und absolute sexuelle Enthaltsamkeit übt. Ebenso entspricht er, was Wissen und Können angeht, dem Typus des göttlichen Menschen, da er, mit überragender Weisheit begabt, vieles sieht, was anderen verborgen bleibt, und die Zukunft voraussehen kann. Wie andere göttliche Menschen stellt Julian sein Wirken ganz in den Dienst seiner Mitmenschen, um ihnen in Notlagen zu helfen, Frieden zu stiften und sie moralisch zu bessern. Auch wenn er nicht Religionsstifter genannt werden kann, erneuert er immerhin, ständig von der göttlichen Vorsehung gelenkt, den Kult. Und schließlich finden seine übermenschlichen Qualitäten darin ihre Bestätigung, daß er nach seinem Tode in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen wird und von dort aus als Heros segensreich für die Menschen tätig wird . Ohne selbst Gott oder Gottessohn zu sein , steht er den Göttern näher als den normalen Sterblichen. Lib. or. . : ἀλλ’ ἐκείνου κατηγορεῖν ἐμοὶ μὲν οὐχ ἡδύ, τῷ λόγῳ δὲ ἀνάγκη. διαστῆσαι γὰρ τὴν εὐφημίαν ἀπὸ τῶν μέμψεων οὐκ ἔστιν (»Jenen [Constantius] anzuklagen macht mir zwar keine Freude, ist aber für die Rede nötig. Denn das Lob von dem Tadel zu trennen ist unmöglich.«). In . antizipiert Libanios das Staunen seiner Hörer darüber, daß er Constantius als den ἐχθρός Julians bezeichnet. Ganz zutreffend stellt bereits Sokrates im Hinblick auf das Ende des Epitaphios fest: ἐπὶ τέλει τοῦ αὐτοῦ λόγου τὸν ᾿Ιουλιανὸν ἀπεθέωσε (»Am Schluß derselben Rede hat er Julian zu einem Gott erhoben.«, Socr. h. e. . . ). Durch das Wirken nach seinem Tod geht Julian über die meisten wundertätigen Philosophen hinaus, deren Taten auf die Lebenszeit beschränkt bleiben. Nock (1957) f. Im Hinblick auf spätantike Biographien göttlicher Philosophen unterscheidet Cox (1983) – zwei Paradigmen, zum einen den Sohn Gottes (z. B. Philostrats Apollonios, Porphyrios’ Pythagoras), zum anderen den gottähnlichen, aber nicht von den Göttern abstammenden Philosophen (Porphyrios’ Plotin). Der Julian des Libanios fügt sich nicht ganz in dieses Schema, insofern er zwar nicht von den Göttern abstammt, aber über die Grenzen der Sterblichkeit hinaus erhöht wird, was Cox für die zweite Kategorie ausschließt. Zur Göttlichkeit des θεῖος ἀνήρ siehe auch Bieler (1935/6) –.
. Libanios’ Hagiographie
Mit all diesen Zügen versieht Libanios den von ihm verehrten Kaiser, um ihn dem bereits etablierten Bild des θεῖος ἀνήρ anzugleichen . Es wäre verfehlt, daraus zu schließen, daß Libanios sich christlicher Texte bedient, damit Julian als ein zweiter, paganer Christus erscheint ; vielmehr erklären sich Parallelen zur Darstellung Jesu in den Evangelien aus der Christen wie Heiden gemeinsamen hagiographischen Tradition. Indem er aus diesem Fundus schöpft, konstruiert er Julian als eine charismatische Heiligengestalt. Welche Ziele verfolgt er mit dieser Strategie? In der Regel weist der Heilige über sich selbst hinaus, da er und sein Lebensweg für eine bestimmte Religion oder eine Lehre stehen. Mit seiner Persönlichkeit und der spezifischen Art, sein Leben zu führen, verbürgt der Heilige die von ihm propagierte Lehre . Daß diese Gültigkeit beansprucht und auch in die Tat umgesetzt werden kann, beweist die bruchlose Kontinuität der Vita des θεῖος ἀνήρ, die sich durch die Statik des Charakters und makellose Vollkommenheit auszeichnet. Ebendiese Züge machten den hagiographischen Diskurs für Libanios so attraktiv, als er das literarische Porträt Julians ausformulierte. Denn während andere Kaiser ihre Herrschaft ohne grundlegende Änderungen wie ihre Vorgänger fortführten, wollte Julian gegenüber seinen unmittelbaren Amtsvorgängern eine Kehrtwende vollziehen. Auf politischem, kulturellem und religiösem Gebiet vertrat er ein neues, als Restauration intendiertes Programm, um das Römische Reich wieder auf seine bewährten Fundamente zu stellen. Daher verbat es sich geradezu, ihn in denselben Kategorien zu deuten, welche die Panegyrik auf Constantius angewandt hatte. Libanios mußte sich, wenn er Julians Selbstverständnis gerecht werden wollte, an einem anderen Typus, dem des Heiligen, orientieren, so wie Jahrzehnte zuvor Euseb eine neue Form finden mußte, um den ersten christlichen Kaiser adäquat zu preisen . Indes erschöpfte sich das Anliegen des Libanios nicht darin, die Panegyrik an die neuen Gegebenheiten zu adaptieren, um den Kaiser von seinen Vorgängern abzusetzen. Biographische Literatur erfüllt gemeinhin zwei Funktionen, eine exemplarische und eine protreptische oder paränetische. Einerseits besteht Ein Indiz dafür, daß Libanios Julians Persönlichkeit in den Kategorien des göttlichen Menschen interpretiert, ist auch der Vergleich, den er in or. . zwischen dem Kaiser und Apollonios von Tyana zieht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß Libanios in seiner Apologie des Sokrates (decl. ) ebenfalls einem von den Göttern auserwählten Menschen seine Reverenz erweist. Dort begegnen zum Teil die gleichen Züge wie im Porträt Julians. So Fatouros (1996). Die von ihm beobachteten Parallelen zwischen den julianischen Reden und dem Neuen Testament sind weder inhaltlich noch sprachlich überzeugend. Er berücksichtigt nicht, daß sich strukturelle Gemeinsamkeiten durch die ähnliche Intention des Christus- wie des Julianbildes sowie durch die gemeinsame Teilhabe an hagiographischen Verfahrensweisen ergeben. Zur Funktion des Heiligen in hagiographischen Texten siehe Brown (1983). Zu Eusebs Vita Constantini als Heiligenleben siehe Cameron (1997) und Van Uytfanghe (2001) –.
Von der Institution zum Heiligen
ihre Aufgabe darin, ein beispielhaftes Leben (zumeist idealisiert und typisiert) vor Augen zu stellen, andererseits soll dieses Vorbild die Leser zur Nachahmung anleiten . Gleiches gilt zumindest teilweise für Enkomien – weniger für die spätantike Kaiserpanegyrik – und insbesondere für hagiographische Texte, die sich meist an eine Glaubensgemeinschaft wenden. Sie tragen in sich den Appell, dem Lebensweg des Heiligen nachzufolgen und ihn, soweit dies möglich ist, nachzuahmen. Mit seinem Porträt des Kaisers als eines spirituell begabten philosophischen Führers verfolgt Libanios genau dieses Ziel. Zwar können auch andere Kaiser, da sie idealiter dem platonischen Tugendkanon verpflichtet sind, in der Panegyrik als vorbildhafte Menschen erscheinen, doch verkörpern sie eigentlich keine philosophische Lehre, zumal wenn die zivilen Tugenden nur am Rande berücksichtigt werden. Überdies legt etwa Themistios Wert darauf, daß der Kaiser den übrigen Menschen, die in seinen Panegyrici kaum eine Rolle spielen, weit entrückt ist . Im Hypatikos, vor allem aber im Epitaphios wird dem Rezipienten hingegen chronologisch der Lebensweg eines heiligen Philosophen vorgestellt, der nicht nur einzelne Tugenden verwirklicht, sondern als Vorbild für eine ganze Weltanschauung gelten kann. Wie Julian selbst zu Lebzeiten Platon gefolgt ist und in seinem Sterben überdeutlich das Schicksal des Sokrates widerspiegelt, so kann jeder, der dazu bereit ist, diesem Ideal nachstreben, eben weil es nicht speziell auf einen Herrscher zugeschnitten ist. Da Libanios, anstatt die Reden schematisch nach Tugenden zu strukturieren, den Vollzug dieser Tugenden in den Taten aufscheinen läßt, erhält das Publikum eine anschauliche Vorstellung davon, wie man das philosophisch-religiöse Ideal Julians im Leben praktisch verwirklichen kann. Damit die Hörer und Leser sich diesen paränetischen Appell zu eigen machen, bedient sich Libanios verschiedener Strategien der Rezipientensteuerung. Wie wir oben bereits gesehen haben, tritt Julian in den Reden immer wieder als Lehrer oder Vorbild anderer Menschen auf, er stachelt seine ›Schüler‹, seien es Soldaten, Beamte, Städte oder andere, durch eigenes Verhalten zur Nachahmung an . Wenn der Kaiser mehrfach im Verkehr mit verschiedenen Gruppen und Schichten der Bevölkerung dargestellt wird, so soll der Eindruck entstehen, daß sich seine ›Lehre‹ tatsächlich an alle Menschen richtet. Hinzu treten allenthalben Aussagen, daß Julian bei seinen Untertanen außerordentlich beliebt sei, und zwar seit seiner Jugend bis über seinen Tod hinaus . Durch seinen Charme verzaubert er die Men Die Intentionen der antiken bzw. spätantiken Biographie werden behandelt von Swain (1997) – und Burridge (2004) f., –, –. Siehe bereits Isoc. or. . und X. Ag. . (κανών und παράδειγμα). Siehe etwa Them. or. . a–c; . a–c; . d–b, c–b. Dazu gehört das oben erwähnte Motiv der Gottähnlichkeit. Siehe oben S. . Als Erzieher erscheint Julian auch in Lib. or. . f. Lib. or. . , ; . , ; . , , , , , , . Wenn es doch einmal Gegner Julians gibt, so sind sie entweder von seinem Widersacher gekauft (. , vgl. . ), oder die Schuld liegt eindeutig bei ihnen (. –, im Gegensatz dazu . ).
. Libanios’ Hagiographie
schen, die Sehnsucht nach ihm empfinden (. ), geradezu, so daß selbst wer seinen religionspolitischen Maßnahmen zunächst ablehnend gegenüberstand, gar nicht anders kann, als ihm dann doch zu folgen (. , vgl. ). Mag es auch zur Topik der spätantiken Panegyrik zählen, den gelobten Herrscher als Liebling des Volkes zu porträtieren , so ist gleichwohl die Frequenz, mit der dieses Motiv im Epitaphios wiederkehrt, singulär. Zudem versucht Libanios des öfteren, durch rhetorische Fragen die Zustimmung seiner Rezipienten zu seiner Ansicht, daß Julian bewundernswert sei, zu erheischen . Es genügt ihm nicht, an zahlreichen Stellen die Wunder Julians zu preisen , sondern durch seine vereinnahmende Rhetorik führt er das Publikum zu der Einsicht, daß sich kein vernünftiger Mensch dem Banne dieses Kaisers entziehen könne. In den Reden selbst ist also bereits die adäquate Haltung gegenüber der einzigartigen Erscheinung Julians angelegt, wobei die Soldaten, deren Anhänglichkeit wiederholt geschildert wird, gleichsam als implizite Rezipienten fungieren, denen sich das reale Publikum nur noch anzuschließen braucht. Daß es sich lohnt, auch nachdem Julian gestorben ist, diesem Programm zu folgen, bemüht sich Libanios zu demonstrieren, indem er stets die Resultate seiner Herrschaft preist, die dem ganzen Reich zugute kommen. Die ausführliche Darstellung einzelner administrativer Maßnahmen soll bezeugen, welchen Nutzen die politische, religiöse und kulturelle Rückbesinnung, für die Julian steht, mit sich bringt. Daher erklärt sich auch die an einzelnen Stellen zu greifende soteriologische Ausrichtung der Reden: Rettung, Freiheit, Glückseligkeit, ja sogar ein geradezu Goldenes Zeitalter kann es nach Libanios nur geben, wenn man an diesem Programm festhält. Sobald sich die Römer davon abwenden, gerät das gesamte Reich und mit ihm die griechische Kultur in Gefahr. Nur die Erneuerung der Religion und der überkommenen παιδεία sichert als Fundament auch die militärische Vormacht des Reiches gegenüber der Welt der Barbaren, während die konstantinische Dynastie es an den Abgrund geführt hat. Da sich dieses politische Programm aber nur verwirklichen läßt, wenn es auch in der Bevölkerung verankert ist, versucht Libanios mit seinen julianischen Reden Nachahmer und Anhänger für Julians ›Lehre‹ zu gewinnen. Er verfolgt demnach ein auf die Zukunft ausgerichtetes politisches Programm, auch wenn dies nach dem Tod des Kaisers nur geringe Aussichten auf Verwirklichung hat . Trotzdem sollte man dem Redner nicht vorwerfen, er agiere realitätsfern oder Plin. paneg. . f.; Them. or. . d–c; Iul. or. . a/b und d–a; Claud. Mamert. . Vgl. auch Men. Rh. . –. Gutzwiller (1942) . Beispielsweise or. . ; . , . Vgl. Men. Rh. . . Das Motiv des θαῦμα zieht sich durch den ganzen Epitaphios: or. . , , , , , , , , . Siehe auch . , , . . Mit Recht betont Norman (1969/77) . xxxv–xxxvii, daß der Epitaphios das praktische Ziel habe, einen Weg aufzuzeigen, wie Staat und Gesellschaft verbessert werden können. Zu politischen Zielen siehe auch Bouffartigue (2002) und –. Petit (1983b) f. mit Anm. nimmt an, daß Libanios mit or. Einfluß auf die Politik des Valens nehmen wollte.
Von der Institution zum Heiligen
rein rückwärtsgewandt . Wenn Libanios sich des hagiographischen Diskurses bedient, um das Überleben des Hellenismus zu sichern, nutzt er wie seine christlichen Kontrahenten ein zeitgemäßes literarisches Verfahren. Allein die Politik der Nachfolger Julians ließ eine Realisierung des Programms immer unwahrscheinlicher werden . Lassen sich nun die Adressaten dieses Anliegens genauer fassen? Das Publikum des noch eher vorsichtig tastenden Prosphonetikos und des folgenden offiziösen Hypatikos bildeten zunächst die heidnischen Gesinnungsgenossen an Julians Hof in Antiochia, die sich in ihren Ansichten bestärkt fühlen konnten. Mit der von Julians eigenen Vorstellungen inspirierten Darstellung in or. existierte eine offizielle Sicht auf das politische Programm, das den Anhängern Julians als Richtlinie dienen konnte. Darüber hinaus wurde diese Rede aber auch schriftlich größeren Kreisen – wenigstens unter den Gebildeten – zugänglich gemacht. So ließen sich in erster Linie natürlich Heiden zur Unterstützung des Kaisers gewinnen, vielleicht aber auch Unentschiedene. Denn immerhin blendet Libanios die neuplatonisch-theurgischen Vorlieben Julians und die Repressionen gegen Christen weitgehend aus , die nicht überall in paganen Kreisen auf Zustimmung stießen . Als jedoch wieder Christen auf dem Kaiserthron saßen, war es kaum möglich, das Lob Julians bedenkenlos zu verbreiten. Daher dürfte der Epitaphios nur vor engen Vertrauten des Libanios vorgetragen worden sein. Angesichts christlicher Schmähungen gegen den toten Julian wird ihnen die Rede zur Erbauung gedient, aber ebenso vielleicht Argumente gegen christliche Angriffe geliefert haben. Denn andernfalls hätte Libanios vor Gesinnungsgenossen nicht apologetisch gegen antijulianische Propaganda argumentieren müssen, wie er es im Epitaphios tut. Gerade der apologetische Zug der Rede macht es wahrscheinlich, daß Libanios auf eine spätere
So Rivolta (1985) –. Criscuolo (1998) stellt ein politisches Ziel des Epitaphios in Abrede und sieht ihn statt dessen nur von Nostalgie und Bedauern geprägt. Gleichwohl ließ Libanios selbst in seinen an Theodosius gerichteten Denkschriften keinen Zweifel daran, daß in seinen Augen der ideale Kaiser in seiner Herrschaftsausübung den paganen Göttern folge (or. . –, . –). Siehe Petit (1978) . In seinen Briefen favorisiert Libanios einen toleranten Umgang mit Christen (Lib. ep. ; ; ; ; . f.; ; ; ). Zur Kritik Ammians an Julians Religiosität siehe Amm. . . f.; . . ; Kritik an den antichristlichen Maßnahmen: . . ; . . . Siehe Lib. ep. . ; . Ein deutliches Zeugnis für negative Gerüchte über den toten Julian bietet auch die an Polykles gerichtete or. . In ihr versucht Libanios durch ein dem Epitaphios vergleichbares Porträt des tugendhaften Julian den Vorwurf zu entkräften, dieser habe seine Gemahlin umbringen lassen. Gerüchte über Julian verbreitete auch der Christ Elpidios, auf den sich Polykles berufen hatte (. , , ). Zu dieser Auseinandersetzung siehe unten S. –; PLRE , s. v. Helpidius und , s. v. Polycles.
. Transformationen des Herrscherideals
schriftliche Verbreitung, zu der es tatsächlich gekommen sein muß , zumindest gehofft hat.
. Transformationen des Herrscherideals Wie wir eingangs skizziert hatten, war die in der Zeit vom ausgehenden dritten bis zum fünften Jahrhundert intensiv geführte Diskussion über den guten und den schlechten Herrscher von bestimmten Regularitäten und Positionen geprägt. Es existierten spezifische Sprecherpositionen, die des Philosophen, die des Panegyrikers und die des Geschichtsschreibers, die dazu befähigten, an ihr teilzunehmen, und spezifische diskursive Formen, insbesondere die Panegyrik, sowie nicht-diskursive Praktiken wie etwa ein festgelegtes Zeremoniell. Zudem hielten sich Denkmuster, die der platonischen Staatsphilosophie entlehnt waren. Gleichzeitig waren Tendenzen erkennbar, Kaisertum und Reich auf ein neues, christliches Fundament zu stellen, wodurch sich das änderte, was man über den Kaiser sagen konnte. Im Verlauf dieses Kapitels haben sich drei verschiedene Versuche abgezeichnet, in diesen Diskurs einzugreifen. Themistios paßt sich an die veränderten Modalitäten an, indem er sein Kaiserideal so offen hält, daß sich der christliche Herrscher darin wiederfindet und ebenso verschiedene Segmente der Gesellschaft es mit ihren eigenen Überzeugungen in Einklang bringen können. Da es vor Kaisern christlichen Glaubens nicht opportun war, sie mit eindeutig pagan konnotierten Konzepten in Verbindung zu bringen, betont er die übergreifenden philosophischen und kulturellen Grundlagen der Herrschaft, ohne sie offen an eine Religion zu binden. Dem Wandel seiner Zeit trägt er dadurch Rechnung, daß er den römischen Kaiser seiner Individualität entkleidet und die Institution, die überdauernden Strukturen in den Mittelpunkt seiner Herrschaftsideologie stellt. Für den heidnischen Rezipienten war dies deswegen besonders attraktiv, weil es ihm ermöglichte, das christliche Kaisertum in seinen Horizont einzuordnen, ja es als vorübergehend zu akzeptieren. Den entgegengesetzten Weg beschreiten Julian und Libanios, indem sie ohne Umschweife gerade die Ausnahmepersönlichkeit zum Zentrum ihrer Überlegungen machen. Julian distanziert sich insofern vom Herkommen, als er eine neue Sprecherposition einführt – der Herrscher selbst reflektiert über seine Aufgabe – und neue diskursive Praktiken wie den Mythos schafft, um an die Stelle des christlichen Herrschers den paganen, eng mit dem Göttlichen verbundenen Priesterkönig zu setzen. Damit unternimmt er es nicht nur, dem diskursiven Feld eine neue Ausrichtung zu geben, sondern auch – entgegengesetzt zu Themistios – durch Der Kirchenhistoriker Sokrates geht ausführlich auf den Epitaphios ein und zeigt durch wörtliche Zitate eine Kenntnis der Rede aus erster Hand (Socr. h. e. . ). Siehe auch Soz. h. e. . . f. und . . f.
Von der Institution zum Heiligen
ein höheres Maß an Eindeutigkeit andere Positionen auszuschließen. Libanios schließlich überträgt das Konzept des θεῖος ἀνήρ, um Julian zu einem Pendant des christlichen Priesterkönigs zu formen. Er bedient sich derselben Mittel wie bereits Euseb in seinem Panegyricus und seiner Konstantinsvita, paßt sich also an diese Transformation des Diskurses an. Sein Ziel ist es, ein neues Herrscherideal zu konzipieren, das sowohl ein politisches Programm repräsentiert als auch die Funktion eines Leitbildes für das pagane Publikum übernehmen soll. Sofern man auf offene Ohren stoßen wollte, war es nicht möglich, einfach hinter die Position des christlichen Kaisers zurückzugehen und dort weiterzumachen, wo man durch Konstantin unterbrochen worden war. Wer der Zeit entsprechende Lösungen offerieren wollte, mußte die inzwischen eingetretenen Transformationen des Herrscherideals aufgreifen und sie für seine eigenen Zwecke nutzen. Die Position des Libanios und selbst die Julians, dessen Ansatz am stärksten innovativ wirkt, wären also nicht denkbar gewesen ohne die Regularitäten des Diskurses, die sich im Zuge des politischen, religiösen und kulturellen Wandels verändert hatten. Die neuen diskursiven Strukturen wirkten produktiv, indem sie neue Konzepte hervorbrachten.
Das Ideal des Intellektuellen . Elitenwandel im vierten Jahrhundert Nachdem Kaiser Valens im Winter des Jahres in Antiochia eingezogen war, huldigte ihm Libanios mit einem Panegyricus seiner militärischen Erfolge, über den der Adressat, wie Libanios in seiner Autobiographie berichtet, sich mehr gefreut haben soll als über die Taten selbst . Allerdings blieb der Vortrag nicht frei von Störungen, da er nach der Hälfte der Rede abgebrochen wurde. Mag daran auch die Länge der Lobrede nicht völlig unschuldig gewesen sein, so war der eigentliche Grund Libanios zufolge bei Leuten aus der Umgebung des Valens zu suchen, die es nicht gern sahen, wenn sich der Kaiser der wahren Bildung zuwandte . Während sie andere Redner durchaus billigten, habe Libanios selbst ihnen eine geradezu irrationale Furcht eingeflößt . Dem die Episode beschließenden, für Libanios ungewöhnlich bescheidenen Résumé, er sei dem Kaiser fortan nicht unbekannt gewesen, läßt sich entnehmen, daß der Eindruck, den der Sophist beim Kaiser hinterließ, nicht allzu tief war. Und tatsächlich markiert die Regierungszeit des Valens einen Tiefpunkt in der Karriere des Libanios . Obgleich sie auf den ersten Blick nicht besonders ungewöhnlich erscheint , gibt die Passage doch Aufschluß, was die Stellung des Sophisten gegenüber dem Kaiser und dessen Umgebung angeht. Sie scheint offenzulegen, daß es einem Vertreter der traditionellen Bildung, noch dazu einem Heiden, nicht mehr ohne weiteres gelang, am Hofe Gehör zu finden. Er mußte mit Gruppen rechnen, die aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, nicht mehr nur aus persönlicher Rivalität, den Kaiser gegen derartige Einflüsse abzuschirmen suchten. Ihnen war die Lib. or. . . Der nicht erhaltene Panegyricus auf Valens ( fr. F.) behandelte unter anderem die Erfolge gegen die Skythen (d. h. Westgoten). Vgl. dazu Amm. . . Zum Aufenthalt des Kaisers in Antiochia siehe Socr. h. e. . und und Jo. Mal. chron. . Seinem attizistischen Stilideal gemäß vermeidet Libanios, die Goten als solche zu bezeichnen, und benennt sie stattdessen als Skythen. Vgl. or. . ; . ; . . [. . .] οἷς οὐκ ἄμεινον τέρπεσθαι λειμῶσιν ἀληθινοῖς τὸν βασιλέα Μουσῶν. ταυτὶ δὲ αὐτοῖς τῆς Γοργοῦς φοβερώτερα (»diese Rede war für sie furchteinflößender als die Gorgo«). Zu Libanios’ Karriere unter Valens siehe jetzt Wintjes (2005) –. Auch sonst hört man bisweilen davon, daß Vorträge wegen der Länge abgebrochen, später jedoch fortgesetzt wurden: Lib. or. . . Vgl. Isoc. or. . und Philostr. VS .
Das Ideal des Intellektuellen
herkömmliche, rhetorisch geprägte παιδεία, wie sie in der Spätantike exemplarisch Libanios repräsentiert, ein Dorn im Auge, und sie verfügten anscheinend über die Macht, die Bedeutung dieser Bildung an höchster Stelle zu begrenzen. Auch wenn diese Kreise in der Autobiographie nicht näher bestimmt werden, lassen sie sich, auch vor dem Hintergrund anderer Äußerungen des Libanios , vielleicht als Christen identifizieren . Sicherlich darf man die autobiographischen Äußerungen eines heidnischen Sophisten nicht unbesehen für die Realität halten , zumal Libanios immer wieder von seinen Rivalen und Konkurrenten spricht und diese zu einem Leitmotiv seiner Lebensbeschreibung stilisiert, doch spielt die Bedrohung der traditionellen παιδεία auch sonst eine wichtige Rolle im Werk des Libanios. Es sind keineswegs allein Christen, speziell Mönche, in denen Libanios die Feinde seines Bildungsprogramms erblickt. Vielmehr sieht er die Stellung seines rhetorischen Unterrichts auch dadurch gefährdet, daß immer mehr junge Männer sich auf das Studium der lateinischen Sprache, der ebenfalls römisch geprägten Jurisprudenz oder der Stenographie verlegen, weil sie darin die besten Möglichkeiten für eine berufliche Karriere entdecken . Was bislang als Kennzeichen der Eliten galt – vornehme Herkunft, Wohlstand, Bildung –, verliert zusehends an allgemeiner Bedeutung, da selbst Leute, denen diese Merkmale fehlen, zu hohen Posten und großer Macht aufsteigen. Mehrmals beklagt Libanios, daß Emporkömmlinge, die nicht den traditionellen Eliten entstammten, hohe Ämter bekleideten, obgleich ihnen alle Voraussetzungen dafür fehlten . Dieses Gefühl, daß die eigene, zuvor unangefochtene Führungsposition gefährdet sei, teilen bis zu einem gewissen Grade auch Themistios, Himerios und Eunap. Während letzterer als Antipoden zum Philosophen und Sophisten die christlichen Mönche ausmacht, die, ohne auf Widerstand zu stoßen, pagane Heiligtümer zerstören , muß sich Themistios persönlicher Angriffe erwehren, die zwar zunächst gegen seine eigene Stellung in Konstantinopel gerichtet sind, dann aber auch grundsätzlich die Rolle der Philosophie in Zur Bildungsfeindlichkeit von Christen, speziell Mönchen, siehe Lib. or. . . Vgl. . . In or. geht Libanios ausführlich darauf ein, wie sich randalierende Mönche gegen pagane Tempel, die für Libanios Ausdruck von Kultur und Zivilisation sind, vergehen (bes. § f., ). So Norman (1965) f., Wolf (1967) Anm. , Martin – Petit (1978) . Mit den anderen Rednern, deren Vorträge ihnen genehm waren, könnten christliche Prediger gemeint sein. Vgl. aus dieser Zeit auch ep. . , wo die Gegner als ἀλιτήριοι bezeichnet werden, was auch in die Richtung von Christen weist. Daß es auch andere Gründe für Vorbehalte der Umgebung des Kaisers gegenüber Libanios gegeben hat, verschweigt er an dieser Stelle. Er wurde nämlich unter Valens auch mit einem Komplott gegen den Kaiser in Zusammenhang gebracht (nur sehr allgemein benannt in § ) und verdächtigt, eine Rede auf den Usurpator Prokop verfaßt zu haben (§ –). Siehe dazu Norman (1965) f., Wintjes (2005) –. Siehe dazu im einzelnen unten S. . Beispielsweise Lib. or. . , , ; . f. Zu Libanios’ Äußerungen über Veränderungen innerhalb der lokalen Elite siehe De Salvo (2006). Eun. VS . . –. Siehe Miller (2000) –.
. Elitenwandel im vierten Jahrhundert
der Öffentlichkeit in Frage stellen . In gleicher Weise nimmt Himerios, soweit es seine Andeutungen erkennen lassen, neben direkten Attacken eine allgemeine feindselige Stimmung wahr, die sowohl ihm persönlich als auch der Beredsamkeit entgegenschlägt . Aus solchen Äußerungen gewinnt man den Eindruck, als seien die Fundamente, auf denen zuvor der Führungsanspruch der östlichen Eliten beruhte, brüchig geworden. Während noch zu Zeiten der Zweiten Sophistik die Führungsschicht des Reiches sich auf die vor allem rhetorisch geprägte Bildung als unerläßliches Distinktionsmerkmal einigen konnte und der πεπαιδευμένος als Ideal des politisch aktiven und einflußreichen Mannes galt , künden die Klagen des Libanios davon, daß der herausragende Repräsentant dieser Bildung in einer der wichtigsten Städte des Imperiums die geistige wie politische Führungsrolle seiner Standesgenossen dahinschwinden sah. Selbst wenn man dazu tendiert, das Lamentieren von Vertretern der Bildungsberufe über den vermeintlichen Niedergang als zeitloses Phänomen ohne Bezug zur Realität abzutun, wird man nicht umhinkönnen, für das vierte Jahrhundert tatsächlich einen allmählichen Wandel innerhalb der Eliten des Ostens zu konstatieren. Und dieser Prozeß hing zumindest teilweise mit den Faktoren zusammen, die Libanios des öfteren als Ursachen ausmacht. Zwar galt nach wie vor, daß die zahlenmäßig kleine und weitgehend auf die städtischen Zentren konzentrierte Herrschaftsschicht des Reiches durch das einigende Band der παιδεία zusammengehalten wurde. Nur wenige wohlhabende Familien hatten teil an dieser Bildung, die innerhalb der Elite einen gemeinsamen Code des Verkehrs miteinander bildete und die übrigen Segmente der Gesellschaft auf Distanz hielt . Doch inzwischen konnten sich ebenso Strömungen Gehör verschaffen, welche die Bedeutung der Bildung schlichtweg in Abrede stellten. Unter den Christen galt es nämlich keineswegs als ausgemacht, daß der umfassend Gebildete ein Ideal sei, dem nachzueifern sich lohne. Vielmehr verkörperten die Mönche einen für weite Kreise attraktiven Lebensweg, ohne in irgendeiner Hinsicht auf παιδεία angewiesen zu sein . Da Bildung nicht zum per Siehe beispielsweise Them. or. . d–c; . c–a; . a/b. Him. or. . f.; . ; . –; . –. Siehe dazu Thomas A. Schmitz: Bildung und Macht. Zur sozialen und politischen Funktion der zweiten Sophistik in der griechischen Welt der Kaiserzeit. (Zetemata ) München sowie die Beiträge in dem Sammelband Barbara Borg (Hg.): Paideia. The World of the Second Sophistic. (Millennium-Studien ) Berlin; New York . Zur Bedeutung der Bildung in der Spätantike siehe Brown (1995) –. Vgl. auch die einschlägigen Kapitel in Johannes Christes; Richard Klein; Christoph Lüth (Hg.): Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike. Darmstadt . Zum Ideal mönchischen Lebens siehe Daniel Caner: Wandering, Begging Monks. Spiritual Authority and the Promotion of Monasticism in Late Antiquity. (The Transformation of the Classical Heritage ) Berkeley; Los Angeles; London sowie Andrea Sterk: Renouncing the World Yet Leading the Church. The Monk-Bishop in Late Antiquity, Cambridge (Mass.); London . Das Problem der Bildung in christlichen Viten behandelt Samuel Rubenson: »Philosophy and Simplicity. The Problem of Classical Education in Early Christian Biography«, in: Hägg – Rousseau (2000) –.
Das Ideal des Intellektuellen
sönlichen Heil zu verhelfen schien, konnte sie in einem christlichen Weltbild keine hohe Stellung beanspruchen. Zudem stand das mönchische Ideal jedem ohne Ansehen der Herkunft offen, während die Bildung hohe Barrieren errichtete . Aus dieser Ablehnung der traditionellen Bildung darf man jedoch nicht folgern, daß das Christentum des vierten Jahrhunderts per se bildungsfeindlich gewesen wäre. Denn gleichzeitig traten christliche Persönlichkeiten wie Ambrosius und Hieronymus hervor, die durchaus auf ihre rhetorische Bildung stolz waren und diese einsetzten, um Einfluß auszuüben. Für christliche Bischöfe konnte es im politischen Alltag ihrer Stadt nur von Vorteil sein, wenn sie eine sorgfältige rhetorische Ausbildung genossen hatten. Da das Christentum dieser Zeit noch nicht den Charakter einer wirklichen Volksbewegung angenommen hatte, entstammten die oberen Ränge der Gemeinden in der Regel der gebildeten städtischen Aristokratie . Selbst zumeist den städtischen Eliten entwachsen, beanspruchten Bischof und Klerus einen ständig wachsenden Teil an der Machtausübung in den Städten des Ostens. Das Besondere an dieser sich neu formierenden Führungschicht war, daß sie ihre Legitimation aus Quellen herleitete, die in den herkömmlichen Kategorien von Bildung, Herkunft und Hierarchie nicht zu fassen waren. Auch wenn sie sich mit der Rhetorik zum Teil desselben Codes bedienten wie ihre paganen Standesgenossen, beruhte ihre Autorität viel stärker auf spirituellen Eigenschaften. In der asketischen, der persönlichen Vervollkommnung dienenden Lebensweise zeigte sich dem Anspruch nach, daß der Bischof von Gott spirituelle Gaben erlangt hatte. Und diese über den durchschnittlichen Menschen hinausweisenden Eigenschaften befähigten den Bischof, in der Öffentlichkeit dem Wohle anderer zu dienen und dadurch die Rolle eines patronus oder öffentlichen Wohltäters einzunehmen. Das Konglomerat von spiritueller, asketischer und pragmatischer Autorität, das in diesen drei Faktoren zum Ausdruck kommt, unterschied den christlichen Bischof grundlegend von anderen städtischen Führungspersönlichkeiten . Auf dieser Basis gelang es der christlichen Oberschicht gegen Ende des vierten Jahrhun-
Zur Reserve christlicher Kreise gegenüber dem ererbten Bildungsideal siehe Brown (1995) –, Rapp (2005) –. Zur sozialen Herkunft und zur Bildung der christlichen Führungsschicht vgl. Brown (1995) –, Rapp (2005) –. Die Unterscheidung zwischen spiritueller, asketischer und pragmatischer Autorität trifft Rapp (2005) –, um die Rolle des christlichen Bischofs in der Spätantike zu beschreiben. Ihrer Ansicht nach ist die auf dem Verfolgen eines asketischen Lebensideals beruhende Autorität das Bindeglied zwischen den beiden anderen Legitimationsquellen. Die prinzipiell jedem zugängliche persönliche Askese sei für Außenstehende ein Zeichen, daß die betreffende Person auch von Gott spirituelle Gaben erlangt habe, weil nur dann die Askese überhaupt durchzuhalten sei. Gleichzeitig bilde die asketische Autorität die Motivation und Legitimation für die pragmatische, die aus den Handlungen zum Wohle anderer resultiere.
. Elitenwandel im vierten Jahrhundert
derts, sich der Kontrolle über die unteren Schichten der Städte zu bemächtigen, wodurch ihre Position gegenüber Kaisern und Beamten gestärkt wurde . Diese hier nur kurz skizzierten Veränderungen lassen sich als Zeichen eines Umbruchs oder eines allmählichen Wandels interpretieren, in dessen Verlauf der Führungsanspruch bisheriger Eliten in Frage gestellt wird, sich neue Eliten herausbilden und die alten abzulösen suchen. Mit dem Transformationsprozeß geht die Veränderung von Leitbildern einher, insofern sich die neuen Eliten und die sie unterstützenden gesellschaftlichen Gruppen Ideale schaffen, durch die sie sich identifizieren und abgrenzen können. Vorstellungen und Konzepte werden zur Norm erhoben, damit die eigene, zunächst noch ungefestigte Stellung gerechtfertigt und abgesichert wird. Wollen die alten Eliten angesichts dieser Herausforderung ihre Stellung behaupten oder zumindest nicht völlig einbüßen, müssen sie reagieren, wobei verschiedene Möglichkeiten denkbar sind. Entweder müssen sie sich verändern, etwa ihre Ideologie an die neuen Anforderungen anpassen, oder sie versuchen, sich dezidiert gegen den ›Zeitgeist‹ zu stellen, in der Hoffnung, daß die oppositionelle Haltung sie in den Augen anderer attraktiv macht . So stellt sich auch im Hinblick auf die der Bildungsschicht angehörenden paganen Autoren die Frage, ob sie es bei den oben erwähnten Klagen beließen und resigniert anderen Gruppen das Feld überließen oder ob sie ein eigenständiges Leitbild entwarfen, um an der Diskussion über den idealen Lebensweg mit einer eigenen Stimme teilzunehmen. Als Untersuchungsgrundlage bieten sich die Werke des Libanios, des Themistios, des Eunap und ergänzend die Diesen sich im vierten Jahrhundert abspielenden Prozeß, durch den sich die christlichen Bischöfe eine gesellschaftliche Führungsrolle aneigneten, stellen Brown (1995) und Rapp (2005) (bes. –) ausführlich dar. Siehe ferner Claudia Rapp: »The Elite Status of Bishops in Late Antiquity in Ecclesiastical, Spiritual, and Social Contexts«, in: Arethusa , , –. Das Heft ., der Zeitschrift Arethusa ist dem Thema »Elites in Late Antiquity« gewidmet. Das Leitbild wird hier im Anschluß an Otto Brachfeld verstanden als »a) ein im individuellen Bewußtsein repräsentiertes Vorstellungsgebilde und b) ein unbewußtes kognitives Schema in Form eines komplexen Lebensentwurfes; in beiden Definitionen wird dem Leitbild eine verhaltenssteuernde Wirkung zugeschrieben« (Art. »Leitbild«, in: HWPh , , –, hier f.). Der Unterschied zwischen einem Leitbild und einem Vorbild besteht darin, daß ersteres zwar im Unterschied zur abstrakten Idee anschaulich konkretisiert ist, aber anders als das Vorbild nicht die konkrete Gestalt einer Person annimmt (ebd. ). Vgl. auch die Beiträge in Jürgen Dummer; Meinolf Vielberg (Hg.): Leitbilder in der Diskussion. (Altertumswissenschaftl. Kolloquium ) Stuttgart und jetzt Hahn – Vielberg (2007). Zur Identifikation mit Vorbildfiguren siehe ferner Christian Ronning: »Soziale Identität – Identifikation – Identifikationsfigur. Versuch einer Synthese«, in: Literarische Konstituierung von Identifikationsfiguren in der Antike, hg. von B. Aland, J. Hahn und C. Ronning. (STAC ) Tübingen , –. Zum Phänomen des Elitenwandels in der Spätantike siehe die Beiträge in Rita Lizzi Testa (Hg.): Le trasformazioni delle élites in età tardoantica. Rom . Eunaps βίοι φιλοσόφων καὶ σοφιστῶν, meist als Vitae sophistarum bezeichnet, sind vermutlich im Jahre entstanden, wie man aus Anspielungen des Werkes auf
Das Ideal des Intellektuellen
des Himerios an, da sie zum einen selbst Vertreter der gebildeten Elite waren und zum anderen in ihren Werken ausführlich über den Status und die gesellschaftliche Rolle des Intellektuellen reflektieren . Gerade die einem größeren Publikum dargebotenen Reden des Libanios zur Bildung und die sogenannten Privatreden des Themistios belegen, wie stark das Bedürfnis der Autoren war, ganz abgesehen von im engeren Sinne persönlichen Motiven, eine gültige Sicht dessen zu verbreiten, was den Gebildeten ausmacht und weshalb er auf eine Führungsposition Anspruch erheben darf. Aber auch die Viten der Philosophen, Sophisten und Mediziner, die Eunap aneinanderreiht, sollen ein kollektives Bild zeichnen, das in der Gesamtschau eher einen Typus repräsentiert als einzelne Individuen.
. Die Konstruktion eines Leitbildes ..
Distinktionsmerkmale
Soll ein Leitbild seine Funktion erfüllen, nämlich als Orientierung dienen, so muß es über signifikante Merkmale verfügen, die wenn auch nicht unbedingt einzeln, so doch als Ensemble einzigartig sein sollten. Voraussetzung für die Wirksamkeit des Leitbildes ist, daß diese Charakteristika möglichst eindeutig und für andere wahrnehmbar sind. Bei der Lektüre der Philosophen- und Sophistenviten Eunaps sticht als einigendes Kennzeichen einer Vielzahl der dargestellten Gebildeten ins Auge, daß sie von vornehmer Abkunft sind und der wohlhabenden gesellschaftlichen Elite entstammen . Auch wenn Eunap bisweilen
zeitgenössische Ereignisse schließen kann (vgl. Eun. VS . . ). Diese Datierung wurde vorgeschlagen von Banchich (1984). Ebenso Penella (1990) , Banchich (2000). Zur Chronologie von Eunaps Leben und Werk siehe Penella (1990) –, Goulet (2001) –. Mit vielfältigen Aspekten der Viten befaßt sich die Studie von Penella (1990), mit dem literarischen Stil Steinrück (2004). Einen Teilaspekt dieses Leitbildes, nämlich den paganen Heiligen, untersucht Fowden (1982). Der in diesem Kapitel angestellte Vergleich der drei genannten Autoren zeigt jedoch m. E., daß das Konzept des Heiligen in das umfassende Leitbild des Intellektuellen einzuordnen ist. Neben seiner Autobiographie (or. ), in deren Mittelpunkt Libanios’ Wirken als Sophist in Antiochia steht, sind hier vor allem or. , , und zu nennen. Darüber hinaus enthalten zahlreiche weitere Reden Äußerungen zur gesellschaftlichen und politischen Funktion des Gebildeten (z. B. or. , , , , , ). Wie groß das Publikum war, vor dem diese Reden vorgetragen wurden, hing vom Einzelfall ab und läßt sich nicht immer hinreichend rekonstruieren. Die Autobiographie dürfte in der Form, wie sie uns vorliegt, vermutlich gar nicht verbreitet worden sein. Siehe Petit (1983b) f. Dies sind Them. or. –. Sie sind übersetzt und mit knappen Anmerkungen versehen worden von Penella (2000a). Eun. VS . . (Porphyrios), . . (Jamblich), . . (Aidesios), . . (Sosipatra), . . (Maximus), . . (Libanios), . . (Oreibasios), . . (Chrysanthios). Auf den
. Die Konstruktion eines Leitbildes
nur wenige Angaben zu den persönlichen Umständen und zur Familie macht, unterläßt er es nur selten, den aristokratischen Hintergrund der Männer anzudeuten. Dies ist durchweg als positive Charakterisierung intendiert, und nur im Einzelfall scheint leichte Kritik anzuklingen, wenn etwa Sopater es aus seinem Standesdünkel heraus ablehnt, mit den gemeinen Menschen zu verkehren (. . ). Wie wichtig die edle Abstammung in Eunaps Konzept des Intellektuellen ist, läßt sich nicht zuletzt daraus ersehen, daß Ablabios, der Sopaters Tod zu verantworten hat und in Eunaps Darstellung die Rolle des sinistren Gegenspielers übernimmt, einer Familie ohne jegliches Ansehen angehört, die väterlicherseits nicht einmal das Niveau der unteren Mittelklasse erreicht (. . ). Nicht anders als Eunap verfährt Libanios, wenn er gleich zu Beginn seiner Autobiographie mit hörbarem Stolz verkündet, daß er nicht nur in eine der bedeutendsten Städte des Reiches, sondern überdies in eine ihrer bedeutendsten Familien hineingeboren wurde, wobei sich ihr Rang auf Bildung, Reichtum, Leistungen für die Gemeinschaft und speziell die Rhetorik gründet . Beide Autoren siedeln ebenso wie Themistios und Himerios ihr Ideal des Intellektuellen in der gesellschaftlichen Oberschicht an, auf die wie erwähnt traditionellerweise die kostspielige παιδεία beschränkt blieb . Mit dem sozialen Rang gehen andere Kennzeichen einher, die signalisieren, daß der Anspruch der Gebildeten, der Elite zuzugehören, auch von ihrer Umwelt anerkannt wird. So steht es für Themistios wie Libanios außer Frage, daß sie als Mitglieder der gebildeten Oberschicht mit einer gewissen Ehrerbietung ihrer Mitbürger rechnen können und eine nicht unbedeutende Rolle im
Zusammenhang von vornehmem Stand und Bildung macht Eunap aufmerksam, indem er bei Porphyrios von der ›zukommenden Erziehung‹ spricht (. . ). In . . erwähnt er die erstaunliche Diskrepanz zwischen der Bescheidenheit des Hauses des Julian von Kappadokien und der Kultur, die es atme. Lib. or. . und . , wo Libanios auf den Vorwurf reagiert, er prahle mit seiner Herkunft. In seiner an Platon angelehnten Definition des Philosophen nimmt die Abstammung von den besten Männern und Frauen den ersten Platz ein (. a–b). Vgl. Pl. R. , /. Him. or. . ; . . Himerios betont an diesen Stellen die Abstammung seines Sohnes Rufin, den er trotz seinem kindlichen Alter als Verkörperung des idealen Redners preist, von Plutarch und dessen Neffen Sextus von Chaironeia, der Lehrer Marc Aurels gewesen war. Die Ehefrau des Himerios war in direkter Linie mit Sextus verwandt. Siehe Völker (2003) . Im Enkomion auf seinen Vater Eugenios (or. ) verzichtet Themistios darauf, auf die Herkunft hinzuweisen. Dies könnte zwei Gründe haben. Zum einen läßt Themistios einige der in Enkomien zu findenden Topoi offensichtlich deshalb aus, weil er sie in der Lobschrift auf einen Philosophen für wenig aussagekräftig und entbehrlich hielt. Zum anderen scheint er die Absicht gehabt zu haben, später eine Vita seines Vaters zu verfassen (or. θεωρία), die vermutlich Angaben zu Familie, Aussehen und Erziehung enthalten hätte. Siehe auch Penella (2000a) f. und Penella (2000b) f. Zu Themistios’ Vater vgl. Ballériaux (1996b).
Das Ideal des Intellektuellen
öffentlichen Leben ihrer Stadt spielen . Bringt allein schon die Tatsache, daß beide vor einem Publikum ihre Stellung und ihren Beruf mehrmals erörtern, zum Ausdruck, daß sie sich selbst für Persönlichkeiten halten, denen das Interesse der anderen Menschen gilt, so legen sie gleichermaßen Wert auf sichtbare Statusmerkmale wie etwa öffentlich aufgestellte Bildnisse, die von der Reputation des Dargestellten künden . Als höchste Auszeichnung gilt es jedoch, wenn der Kaiser selbst dem Intellektuellen seine Huld zuteil werden läßt, sei es, daß er ihm Ämter und Ehrenstellungen verleiht, sei es, daß er mit ihm schriftlich korrespondiert oder ihn zum Vortrag einlädt . Obgleich er keinen rechtlichen Anspruch auf derartige Auszeichnungen hat, vermerkt Libanios es dann durchaus kritisch, sofern einmal ein hoher Beamter ihm eine Anerkennung vorenthält, auf die er Anspruch zu haben glaubt . Eunap stimmt zwar in dieser Hinsicht mit Themistios und Libanios überein, insofern auch seine Philosophen und Rhetoren die Anerkennung ihrer Mitmenschen genießen , doch führt er noch ein weiteres äußeres Kennzeichen ein. Des öfteren hebt er hervor, von welch beeindruckender Schönheit und Gestalt sie gewesen seien, und preist einige als geradezu übermenschliche Erscheinungen . Dem Ideal einer Kongruenz von äußerer und innerer Schönheit verpflichtet, erhebt Eunap die physische Erscheinung der Philosophen und Sophisten zu einem untrüglichen Ausweis ihrer herausragenden intellektuellen und moralischen Qualitäten. Welchen Platz dieser ästhetische Aspekt im Denken Eunaps einnimmt, zeigt sich auch immer dann, wenn er sich dem Kern des Intellektuellen zuwendet, seiner Bildung. Während man sonst bei ihm, was etwa philosophische Dogmen und Positionen angeht, nicht gerade viel über die dargestellten Philosophen erfährt, legt er augenscheinlich viel Wert auf die stilistischen Vorzüge der Intellektuellen, und zwar ebenso der Philosophen wie der Sophisten . Beispielsweise hinterläßt die Eloquenz des Philosophen Eustathios beim persischen König Sapor einen solch tiefen Eindruck, daß der König, gleichsam von ihr gefangen, ihn zu seinem Tischgenossen macht (. ). Bei der Vita des Sophisten Akakios beschränkt sich Eunap sogar fast gänzlich auf eine stilistische Würdigung, die dadurch an Autorität gewinnt, daß Libanios, selbst ein stilistisches Siehe beispielsweise Them. or. . und ; Lib. or. . , f., , ; . –; . . Lib. or. . ; Eun. VS . . f.; Them. or. . (p. , –, ); . b/c; . b; . b; . a; Lib. ep. . Them. or. . d–b, c–a; . f.; Lib. or. . , –; . f.; . f. Vgl. auch die Ehrung des Themistios durch Verlesung eines Briefes des Constantius im Senat (Demegoria Constantii). Lib. or. . . Vgl. or. . f. Eun. VS . . , . . , . . , . . , . . f., . . –, . . Eun. VS. . . f., . . –. Umgekehrt ist Alypios zwar von kleiner Statur, doch scheint sein Körper gänzlich Seele und Intellekt zu sein (. . f.) Vgl. auch . . , . . , . . . Siehe Lim (1995) f., Miller (2000) –. Eun. VS . . , . . f., . . f., . . und , . . , . , . . –, ; vgl. auch . . . Ebenso übt Eunap auch stilistische Kritik (. . ; . ).
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Ideal, ihr Urheber ist (). Nicht zuletzt der ästhetische Aspekt ist es, wodurch die zunächst so verschieden scheinenden Lebensläufe zusammengehalten werden. Hatte sich noch Philostrat, der in mancherlei Hinsicht als Eunaps Vorbild zu betrachten ist, in seinen Viten auf Männer beschränkt, die als Sophisten galten, so vereint Eunap Philosophen, Sophisten und sogar Mediziner in seiner Kollektivbiographie. Wie ihre Zusammenstellung dem Leser nahelegt, ist es auf allen drei Gebieten möglich, das Ideal des Gebildeten anzustreben, doch scheint es geradezu der Sinn dieser gleichsam synoptisch verfahrenden Darstellung zu sein, daß den Gipfel nur der πεπαιδευμένος erreicht, der in sich selbst Philosophie, Rhetorik und Medizin vereint. Verkörpert wird dieses Ideal in Eunaps Augen von Oreibasios, der zwar Mediziner ist, aber über jegliche Bildung verfügt, so daß jeder, der sich philosophisch betätigt, von ihm lernen kann . Demgegenüber legt Themistios sein Bild des Intellektuellen eindeutig auf die Philosophie fest, auch wenn er der Rhetorik zumindest eine dienende Funktion zuerkennt. Da seiner Ansicht nach die Philosophie öffentlich zum allgemeinen Wohl wirken soll, bedarf sie eines geeigneten Codes, um ihre Lehren einem breiteren Publikum mitzuteilen . Trotz der letztlich auf Platon zurückgehenden Skepsis, die Themistios gegenüber der Rhetorik hegt , sieht er sie als nützliches und unentbehrliches Hilfsmittel, das allerdings nicht zum Selbstzweck werden darf. In welcher Tradition er sein Bildungsideal verankert, gibt Themistios auch durch die Auswahl seiner Vorbilder zu erkennen. Mehrfach bezieht er sich auf Platon, Aristoteles und Theophrast , doch sein größtes Vorbild ist offensichtlich Sokrates, zwischen dessen Leben und seinem eigenen er unübersehbare Parallelen zieht . Wie innerhalb des Bildungsideals des Themistios eindeutig die Philosophie die Palme erringt, so legt Libanios den Nachdruck unstrittig auf die Rhetorik. Mag er es auch schmeichelhaft finden, von Julian auf Grund seiner Lebensführung Philosoph genannt zu werden , läßt er doch keinen Zweifel daran, daß rhetorisches Können, das auf der genauen Kenntnis der klassischen Literatur beruht, für ihn den Gipfel menschlicher Bildung darstellt. Selbst der von ihm zum Heiligen stilisierte Julian ist in Libanios’ Augen in erster Linie Eun. VS . . f. Als Universalgelehrter wird auch Ionikos porträtiert: er ist nicht nur Mediziner, sondern auch in jedem Zweig der Philosophie sowie im θειασμός bewandert (. . f.). Auf das Verhältnis zwischen Philosophie und Rhetorik geht Themistios in fast allen seiner Privatreden ein. Siehe besonders or. . Dort heißt es, daß in seiner Seele sowohl Rhetorik als auch Philosophie wohnen (a/b). Them. or. . c–a; . d–d; . b–b. Daß Aristoteles bei Themistios Platon aussticht, zeigt z. B. or. oder . (p. f.). Zur peripatetischen Ausrichtung des Themistios siehe auch Blumenthal (1990). Them. or. . b; . c–a, d–c; . c. Schon seinem Vater Eugenios schreibt er die Sokratesnachfolge zu (. a–d). Zur Instrumentalisierung der Sokratesgestalt durch Themistios siehe De Vita (2006). Lib. or. . (der Titel des Philosophen als Auszeichnung sittlicher Haltung auch in ep. . und or. . ); Libanios schätzt die Philosophie durchaus hoch ein: or. . ; ep. . ; ; . ; . .
Das Ideal des Intellektuellen
Redner und reagiert auf Vorträge mit leidenschaftlicher Begeisterung, obgleich er ihm ebenfalls als Philosoph auf dem Thron gilt . Himerios setzt hier insofern einen etwas anderen Akzent, als er, auch wenn er ohne Zögern der Rhetorik den Vorzug gibt, sie gleichsam mit der Poesie verschmilzt, indem er dichterische Wörter, Wendungen und Zitate in seine Reden einflicht . Zudem stellt er sich in die Tradition des Sokrates, der bei ihm bezeichnenderweise als Rhetoriklehrer auftritt . Trotz den hier herausgearbeiteten Unterschieden sind sich alle vier Autoren grundsätzlich einig, daß die wahre παιδεία ihr Fundament in den kanonischen Werken der griechischen Literatur hat . Als verbindendes Element fungiert weiterhin das pädagogische Wirken und öffentliche Auftreten des Intellektuellen. Da Themistios eine praktische Philosophie, die politisch wirken soll, favorisiert, versteht es sich beinahe von selbst, daß er den Philosophen als Lehrmeister und Erzieher seiner Mitmenschen sieht, und zwar nicht nur der gehobenen Schichten bis hin zum Kaiser, sondern gleichermaßen der einfachen Leute . Als herausragender Sophist Antiochias findet auch Libanios seine vornehmliche Aufgabe darin, Schüler zu erfolgreichen Rednern oder Beamten auszubilden und dadurch die Tradition griechischer Bildung aufrechtzuerhalten . Da er sich in einem ständigen Wettbewerb befindet, gilt ihm die Größe des Schülerkreises als Gradmesser für seine pädagogischen Erfolge . Wie wichtig ihm dieses pädagogische Anliegen war, zeigte sich, als ihm vielleicht im Jahre Kritiker vorwarfen, er sei nur ein Rhetor, der Fertigkeiten vermittele, aber kein wirklicher Erzieher der jungen Männer. In einer wohl einem größeren Publikum vorgetragenen apologetischen Rede versuchte sich Libanios daraufhin mit dem Hinweis zu verteidigen, welche angesehenen und einflußreichen Schüler er hervorgebracht Julians Begeisterung für Reden: Lib. or. . f.; . –; Julian als Philosophenkönig: . . Stenger (2008). Him. or. , Z. –; . –. Gerade in or. ist die Parallelisierung mit Sokrates offenkundig. Them. or. . b–c; . b–d; Lib. or. . f.; ep. ; Him. or. , Z. –; , Z. –; . ; . ; . ; Eun. VS . . , . . f. Vgl. auch Iul. ep. . c–a. Daß für Eunap die genaue Kenntnis der Literatur den Gebildeten ausmacht, zeigt auch fr. . seiner Historien. Nachdem er dort einen Vers ohne Quellenangabe zitiert hat, bemerkt er: ὁ δὲ ἀγνοῶν, τίς κωμικός, οὐδὲ ἀναγιγνώσκειν ἄξιος τὴν συγγραφήν (»Wer nicht erkennt, wer der Komödiendichter ist, ist unwürdig, dieses Werk zu lesen.«). Zur Bedeutung der literarischen Tradition für Themistios und Libanios siehe Colpi (1987) und Schouler (1984). Der Philosoph als Ratgeber des Kaisers: or. . b–a, b, b–a; . (p. , –), (p. , f.); als Lehrer der einfachen Menschen bzw. der Allgemeinheit: or. . c/d; . b–d; . b–d. Zu Libanios’ Lehrtätigkeit siehe Wolf (1952) und jetzt umfassend Cribiore (2007). Lib. or. . . Vgl. . . In . behauptet Libanios, daß man nicht nur die Thermen wegen des großen Andrangs zu seiner Schule gemacht habe, sondern sogar seine Prologe an Stelle von Volksliedern auf der Straße trällere.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
habe . Abgesehen von dem Ansehen, das man durch seinen Schülerkreis gewinnen konnte, scheint es diesem Typus des Gebildeten auch am Herzen gelegen zu haben, sein Können einer breiteren Öffentlichkeit zur Schau zu stellen und durch Siege über Rivalen seine gesellschaftliche Geltung zu festigen. Wenn man bedenkt, wie häufig in Libanios’ Autobiographie oder in den Viten Eunaps von solchen Agonen die Rede ist, die um so mehr galten, je illustrer der Hörerkreis war, entsteht der Eindruck, als habe der Redner, aber zuweilen auch der Philosoph vor der Öffentlichkeit immer aufs neue seinen Anspruch auf Anerkennung untermauern müssen . Die agonale Haltung wird dem Intellektuellen zur zweiten Natur , obschon sich einige der Philosophen diesen Prüfungen entziehen, um sich abgeschieden von der Welt der persönlichen Vervollkommnung zu widmen. Als wirklich gebildet kann nur derjenige angesehen werden, der auch in der Gesellschaft als solcher kenntlich ist . Wenn der Gebildete in der Öffentlichkeit als vorbildlich wahrgenommen werden und auf weitere Kreise wirken soll, so verlangt dies von ihm ein würdiges, aber umgängliches Auftreten. Zum einen muß seine Lebensführung, sofern er Philosoph ist, mit seinen Lehren übereinstimmen, wofür Themistios das Vorbild des Sokrates bemüht , zum anderen sollte seine Bildung darin nach außen treten, daß er sichtbar Tugenden wie Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung praktiziert . Während christliche Mönche von Libanios und Eunap wegen ihres gewalttätigen, ungehobelten Benehmens hart gerügt werden, zeichnet sich der Intellektuelle durch ein kultiviertes Auftreten aus. Fremd sind ihm negative Charakterzüge wie Neid, Falschheit, Verschlagenheit und Gier . Lib. or. (vgl. . ). Der Hauptvorwurf seiner Kritiker lautete anscheinend, daß es keiner seiner Schüler zu einer hohen Position gebracht habe (§ ). Daß sich Libanios durch diese Kritik getroffen fühlte, zeigen seine Bemühungen, äußere Gründe für die Grenzen seines Erfolges zu benennen (§ –). Zur Datierung und dem möglichen Publikum der Rede siehe Norman (2000) –. Libanios sieht sich in der Rolle des Vaters gegenüber seinen Schülern (ep. ; ; ; ). Zu diesem Topos Sluiter (1999) –. Lib. or. . , f. (Libanios spricht selbst von ἀγωνίσματα), f., –, , –, ; . f.; ep. ; . Eun. VS . , . . –. , . . –. Zu den Rivalitäten zwischen den Sophisten siehe Wolf (1952) –. Vgl. Lim (1995) –. Deshalb wendet sich Libanios wohl im Jahre an seine ehemaligen Schüler, die im Rat oder vor Gericht schwiegen, statt das Wort zu ergreifen, wie es sich für einen wahren πολιτευόμενος gehöre (or. ). Zur Übereinstimmung von Lehre und Taten siehe Them. or. . a–d; . b– b; . (p. ). Lib. or. . (Libanios’ Ideal der Menschlichkeit und Milde). Vgl. auch or. . ; . ; . f. und ep. . . In einer Reihe von Fragen formuliert Libanios in or. . , welche Ansprüche er an einen untadeligen Menschen stellt: vornehme Herkunft, entsprechende Erziehung und Bildung, Menschenfreundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Engagement für das ›Schöne‹, Gesetzestreue, Trefflichkeit im Erteilen von Rat. Geradezu einen Tugendkatalog des Philosophen stellt Themistios in or. auf.
Das Ideal des Intellektuellen
Andronikos, consularis Phoenices im Jahre , der seine Bildung von Libanios erhalten hatte, verkörpert in den Augen seines früheren Lehrers dieses Ideal des öffentlich tätigen Intellektuellen . Pflichtbewußt, unbestechlich, gegen jedermann gerecht und loyal bis zum Tode, legt Andronikos durch sein Verhalten Zeugnis ab für seine Zugehörigkeit zur gebildeten Elite. Selbst Kaiser Valens, unter dem er hingerichtet wurde, habe seinen Charakter bewundern müssen (or. . ). Man könnte angesichts dieser und ähnlicher Passagen geradezu von einem Verhaltenscodex bzw. Comment sprechen, der als Maßstab an die Mitglieder der intellektuellen Führungsschicht angelegt wird . Wer durch seine Handlungen gegen ihn verstößt, schließt sich selbst aus der Gruppe aus und zeigt, daß er die Lebensform des Gebildeten nicht ausreichend verinnerlicht hat. Welche Bedeutung dem angemessenen Auftreten zukommt, wird auch daraus ersichtlich, daß Eunap trotz der erklärten Absicht, vorbildliche Männer zu porträtieren, es gleichwohl mit kritischem Unterton festhält, daß der Philosoph Maximus am Kaiserhof Argwohn hervorruft, weil er sich zu kostbar kleidet und Arroganz an den Tag legt . Und im Werk des Libanios ist an Persönlichkeiten, die durch ihr ungebührliches Verhalten das Ideal des Gebildeten ex negativo bestätigen, kein Mangel . Unvollständig bliebe das Bild des Intellektuellen ohne einige Aspekte, die, wie wir oben sahen , im Zentrum der Selbstwahrnehmung der paganen Autoren standen. Der wahre ῞Ελλην ἄνθρωπος war ohne das Leben mit den klassischen Autoren und in der ruhmvollen griechischen Vergangenheit, den Stolz auf die griechische Sprache und das Praktizieren des Götterkultes nicht denkbar. Kein Zufall war es, daß die Perspektive der Autoren gänzlich auf den Osten des Reiches beschränkt blieb. Kulturelles Leben im Westen wurde weitgehend ignoriert, und das Lateinische, die ›Sprache der anderen‹, wurde etwa von Libanios als Bedrohung für die griechische Kultur wahrgenommen, da es als Voraussetzung einer Karriere im Staatsdienst zahlreiche Schüler anziehe . Grie Siehe PLRE , s. v. Andronicus ; Petit (1994) –; Bradbury (2004b) f. Libanios würdigt ihn ausführlich als Vorbild in or. . –. Zu ihm vgl. auch or. . sowie die bei Petit (1994) – aufgeführten Briefe. Welche Verhaltensweisen Libanios nach Ausweis seiner Briefe von einem guten Beamten und dem Gebildeten erwartet, stellt Drecoll (2004) – zusammen. Zu Libanios’ Äußerungen über die Bildung von Amtsträgern vgl. ferner Cribiore (2009). Eun. VS . . –. Siehe beispielsweise or. . –, –, f., , f.; . –; . –. Vgl. auch die Kritik an Ikarios in or. und die an Tisamenos in or. . Siehe Kap. . Als solchen bezeichnet Eunap den Philosophen Eustathios. Er habe alle Menschen so verzaubert, daß man ihn Kaiser Constantius als Gesandten empfahl (VS . . ). Vgl. auch . . (Anatolios als διαφερόντως ῞Ελλην). Lib. or. . f., ; . ; der Gegensatz von »unseren« λόγοι und denen »der anderen« in . ; siehe auch or. . und ep. . . Vgl. Norman (1965) und . Bei dem intriganten und korrupten Statthalter Festus erwähnt Libanios eigens, daß er des Griechischen unkundig gewesen sei (. ).
. Die Konstruktion eines Leitbildes
chische Identität als Kennzeichen des Intellektuellen beruht Libanios, Himerios und Eunap zufolge auf der harmonischen Verbindung von Kultur und Religion , insofern der gebildete, wahre Grieche an der Opferpraxis festhält, selbst wenn er sich dadurch unter einem christlichen Kaiser in Lebensgefahr begibt . Für Himerios stand es, als er seinen früh verstorbenen Sohn Rufin zu einem Idealbild des πεπαιδευμένος stilisierte, außer Frage, daß, wer diesen Lebensweg eingeschlagen habe, ein eifriger Verehrer der Götter sein müsse . Als höchstes Lob ist es zu verstehen, wenn in Libanios’ Empfehlungsbriefen des öfteren der Begünstigte als Grieche bezeichnet wird, als Repräsentant dieses ganzen Lebensideals . Den Intellektuellen so deutlich als paganen Griechen zu positionieren verbot sich freilich für Themistios, der stets mit dem kaiserlichen Hof als Auditorium zu rechnen hatte. Bezeichnenderweise bestätigt aber gerade seine persönlichste Rede, das vermutlich in seiner Heimat Paphlagonien vorgetragene Enkomion auf den Vater, das anhand von Libanios und Eunap gewonnene Bild. Der in klassischer Literatur wie Philosophie geschulte Eugenios hält zeit seines Lebens am Götterglauben fest, bis er nach seinem Tode selbst zum Genossen der Götter aufsteigt . Sinnbildlich wird sein Hellenentum von seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit widergespiegelt. Zwar trägt sein Landgut einen barbarischen Namen, doch leistet Eugenios dort griechische Kulturarbeit und gewinnt damit das Land für die Zivilisation. Er verbindet Philosophie und Praxis, Schönheit und Nutzen in einer perfekten Synthese, die den Kern der Kultur ausmacht . Nur auf den ersten Blick bildet der Sophist Prohairesios, den Eunap ausführlich würdigt, eine Ausnahme hiervon. Siehe oben S. . Lib. or. . ; Eun. VS . . , . . –. Eine Anspielung auf Angriffe mit religiösem Hintergrund könnte man möglicherweise auch in Them. or. . b–d sehen. Wenn Themistios dort seinen Vater mit Sokrates parallelisiert, wobei er besonders auf den Prozeß gegen Sokrates eingeht, ist es denkbar, daß Eugenios wie dieser religiös motivierter Kritik ausgesetzt war. Him. or. . . Zur Verbindung des Intellektuellen mit der paganen Religion siehe auch or. . Die spezifisch athenische Bildung wird von Himerios untrennbar mit dem Götterkult verknüpft (or. , bes. § ). Siehe beispielsweise Lib. ep. . ; . ; . ; . ; . ; . ; . ; . . Dazu auch oben Kap. .. Them. or. . a–d. Auch dies wird Rufin, dem Idealredner des Himerios, zuteil: Him. or. . und . Er verspricht ihm sogar, ihn wie einen Heros mit Leichenspielen zu ehren. Daß Themistios dieser landwirtschaftlichen Betätigung größere Bedeutung beimißt, erhellt schon aus der Ausführlichkeit, mit der er auf sie eingeht (or. . d–a). Bemerkenswert ist vor allem folgender Satz: οὗτος ὁ ἀγρὸς εἰ καὶ οὐ πάνυ οὐδὲ
῾Ελληνικὸν τοὔνομα, ὅμως ἐν στόματί ἐστιν ἐκείνων τῶν ἄγαν ῾Ελλήνων (»Mag auch sein Name ganz und gar nicht griechisch sein, so ist dieses Landgut doch im Munde jener Erzhellenen.«, b). In c–a legt Themistios dann unmißverständlich dar, daß die Landwirtschaft als Metapher zu sehen ist. In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die Thesis or. , in der Themistios die Landwirtschaft als Ausdruck von Kultur und Zivilisation preist. Diese grundsätzliche Bedeutung von or. übersehen
Das Ideal des Intellektuellen
Bei den Autoren zeichnet sich also ein relativ klar umrissenes Bild des Intellektuellen ab, der für seine Mitmenschen anhand eindeutiger äußerer und innerer Charakteristika identifizierbar ist. Auch wenn nicht sämtliche Merkmale bei Libanios, Themistios, Himerios und Eunap gleich gewichtet werden, erlauben es doch die weitreichenden Übereinstimmungen, von einem Typus zu sprechen. Dieses Lebensideal zeichnet sich durch Eigenschaften aus, die im wesentlichen zum Traditionsbestand der griechischen Eliten zählen und sich insofern nicht grundlegend vom Konzept des Gebildeten in früheren Jahrhunderten unterscheiden. Aus den Beobachtungen des Libanios und Eunaps geht jedoch unmißverständlich hervor, daß diese Charakteristika in ihrer Zeit nicht mehr selbstverständlich waren, da inzwischen andere Konzepte wie etwa der christliche Bischof oder der Mönch in Konkurrenz zum traditionellen Gebildeten traten. Mithin hatte sich in einem veränderten Kontext auch die Bedeutung der genannten Charakteristika gewandelt. Wenn die Autoren bei der Propagierung ihres Leitbildes an dem traditionellen Zuschnitt des Gebildeten festhielten, brachten sie damit implizit ihre Ablehnung der jüngeren Veränderungen zum Ausdruck. Sie gaben zu verstehen, daß überhaupt kein Grund bestand, von dem abzuweichen, was die Geistesgrößen der griechischen Kultur als richtig erkannt hatten. .. Legitimation Nicht strikt von den definierenden Charakteristika zu trennen ist die Legitimationsbasis, auf die sich die Orientierungsfunktion des Intellektuellen gründete. Um als Leitbild zu fungieren, genügte es nicht, für die Mitmenschen erkennbar zu sein, sondern der Typus des Intellektuellen mußte glaubhaft machen können, weshalb er Anspruch auf eine Führungsrolle und allgemeine Anerkennung hatte. Wie bereits erwähnt wurde, erwartete man von dem herausragenden Gebildeten, daß er sich auf eine vornehme Herkunft und, was damit in der Regel zusammenfiel, auf einigen Wohlstand stützte . Das einzige Kriterium durfte dies jedoch nicht bleiben, da sich ebenso Parvenus Reichtum und eine machtvolle Position zu verschaffen wußten. Viel wichtiger war, daß sich der Gebildete des Wohlwollens von höchster Stelle erfreute, das ihn aus der Masse der lokalen Honoratioren und der Amtsträger heraushob. Wenn er vom Kaiser protegiert oder begünstigt wurde, war er imstande, gegenüber seinen Mitbürgern, aber auch vor Reichsbeamten selbstbewußt aufzutreten und seine Anliegen vorzubringen. Nicht umsonst hebt Libanios in seiner Autobiographie hervor, daß Julian, als er in Antiochia einzog, noch an der Stadtgrenze gefragt habe, Maisano (1995) (Intention sei Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität) und Penella (2000a) f., Penella (2000b) – (politische Intention, evtl. nach Theodosius’ Vertrag mit den Westgoten ). Siehe oben S. .
. Die Konstruktion eines Leitbildes
wann er einen Vortrag des Sophisten hören könne. In den folgenden Wochen legten häufige Einladungen in den Kaiserpalast Zeugnis davon ab, welche Achtung Julian ihm zollte . Wie entscheidend das kaiserliche Wohlwollen für Ansehen und Einfluß des Gebildeten war, sollte sich dann zeigen, nachdem Julian gestorben war. Unter Valens fehlten Libanios jegliche Kontakte zum Hof, bis Theodosius, der um ein gutes Verhältnis zu den Gebildeten des Ostens bemüht war, ihm wieder Aufmerksamkeit schenkte . Erst dann wagte es Libanios, sich erneut mit Denkschriften und Vorschlägen an den Kaiser zu wenden. Über das Engagement des Himerios für Julian liegen zwar kaum präzise Angaben vor , aus seinen Reden ist aber immerhin erkennbar, daß er von Athen aus aufbrach, um sich dem Kaiser anzuschließen und dessen Herrschaft in angemessenem Licht erscheinen zu lassen . Offenbar versprach er sich einen Gewinn an Ansehen, wenn er zu der näheren Umgebung Julians zählte, und zog den Status des Hofredners dem Dasein als freier Rhetoriklehrer vor . Ebenso konnten sich von den Philosophen und Sophisten, die Eunap porträtiert, einige auf das kaiserliche Wohlwollen stützen, wobei insbesondere Julians Beziehung
Lib. or. . –, , , . Die retrospektive Darstellung von Julians Begrüßung in § ist eine Nachahmung von Philostr. VS , . Im zeitgenössischen Bericht von ep. fehlt sie noch. Siehe Norman (1965) . Zu Julians Verehrung für Rhetorik und Bildung siehe auch or. . ; . ; . –. Vgl. Lib. or. . ; . ; ferner . . Zu Theodosius’ Werben um die Intellektuellen, von dem neben Libanios auch Themistios, Eutrop, Sextus Aurelius Victor und Symmachus profitierten, siehe Wiemer (1995b) –, Ernesti (1998) –. Barnes (1987) –. Himerios verließ Athen im Winter /. In Konstantinopel traf er anscheinend Julian und folgte ihm vermutlich nach Antiochia. Himerios’ Aufenthalt in Antiochia ist nicht bezeugt, wird aber von Jorit Wintjes anhand der Fragmente von or. wahrscheinlich gemacht (»Himerius in Antiochia – zur Datierung von or. «, in: WJA , , –). Davon zeugen noch die auf dem Weg in den Osten in Thessalonike gehaltene . Rede, die ebenfalls unterwegs in Philippi vorgetragene . Rede und schließlich das Lob auf Konstantinopel (or. ). Eun. VS . unterstellt, Himerios habe darauf spekuliert, von Julian wegen dessen feindseliger Haltung zu Prohairesios geschätzt zu werden. Vgl. dazu die Bemerkung von Suda λ , s. v. Λιβάνιος, Julian habe Libanios aus Abneigung gegen Prohairesios so hoch geehrt. Welches Ansehen der Ruf Julians Himerios einbrachte, läßt sich vielleicht auch schon daraus ersehen, daß ihn in Thessalonike die Stadt sowie der vicarius Musonius und der consularis von Makedonien Kalliopios öffentlich um die Ansprache baten. Vgl. den titulus zur Rede. Kalliopios war Bekannter des Libanios und Parteigänger Julians, wie die panegyrisch gehaltene Inschrift eines Altars zeigt, den er weihte: ᾿Επὶ τοῦ θεοφιλε|στάτου καὶ ἀνανε|ωτοῦ τῶν ἱερῶν | τοῦ δεσπότου καὶ | νικητοῦ παντὸς | ἔθνους βαρβαρικοῦ | Κλαυδίου ᾿Ιουλια| νοῦ παντοκράτο|ρος καὶ μόνου τῆς | οἰκουμένης βασι|λέως Καλλιόπι| ος ὁ λαμπρότα|τος ὑπατικὸς | καθιέρωσεν. Denis Feissel: Recueil des inscriptions chrétiennes de Macédoine du IIIe au VIe siècle. (BCH Suppl. ) Athen , f. (Add. bis); jetzt auch Conti (2004) Nr. . PLRE f., s. v. Calliopius .
Das Ideal des Intellektuellen
zu Maximus und Priscus hervorgehoben wird . Aber auch Konstantin und Constantius treten in den Viten als Förderer von Gebildeten auf – auf Eustathios wurde schon hingewiesen – , während die Mehrzahl der Porträtierten keine Kontakte zum Herrscher unterhält. Am deutlichsten zeigten sich die Vorteile allerhöchster Protektion jedoch bei Themistios, dem es glückte, die Gunst gleich mehrerer Kaiser zu erlangen . Für jedermann sichtbar wurde diese Förderung etwa in einem Brief des Constantius, der zu Ehren seines ›Hofphilosophen‹ im Senat verlesen wurde , oder in den Statuen, die ihm in Konstantinopel gewidmet wurden . Den Gipfel all dieser Ehrungen bildete jedoch die Verleihung von Ämtern, zunächst, als Constantius Themistios in den Senat berief, wo ihm die Stellung des princeps senatus angetragen wurde , später, als er unter Theodosius für kurze Zeit die Präfektur der östlichen Hauptstadt bekleiden durfte . Der Intellektuelle wurde so in die kaiserliche Machthierarchie einbe Eun. VS . . (Julian läßt Maximus und Chrysanthios rufen), . . (Julian schreibt an Priscus und Chrysanthios wie an Freunde). Zu Julians Verhältnis zu Maximus und Priscus siehe Athanassiadi (1992a) –, f., Bringmann (2004) , Rosen (2006) –, f. Eun. VS . . f. (Sopaters Erfolg am Hofe Konstantins endet allerdings mit seiner Hinrichtung), . . –, . . –. Vgl. seine Rückschau auf die Kaiser von Constantius bis Theodosius in or. . c–a. Zu Themistios’ Tätigkeit für die verschiedenen Kaiser siehe oben S. . Diese im Corpus der Themistios-Reden überlieferte sog. Demegoria Constantii ist ediert in Bd. der Ausgabe von Schenkl – Downey – Norman (1965/74). Ihr Anlaß war die Aufnahme des Philosophen in den Senat von Konstantinopel. Die erste Statue wurde ihm von Constantius errichtet, die zweite von einem anderen Kaiser vor Theodosius. Siehe Them. or. . (p. , –, ); . b/c; . b; . b; . a; Lib. ep. . Welcher Kaiser die zweite Statue stiftete, bleibt ungewiß; sicher ist nur, daß sie vor errichtet wurde (erstmals erwähnt in or. ). Vgl. Schneider (1966) f., Vanderspoel (1995) . Als persönlich vom Kaiser verliehene Auszeichnung wird die adlectio in den Senat von Constantius selbst bezeichnet (Demeg. Const. a/b). Nach eigener Auskunft bekleidete Themistios den Rang des princeps senatus von bis mindestens ,wobei er selbst von προστασία spricht (. [p. ]). Überdies war ihm zuvor die Aufgabe übertragen worden, die Zahl der Senatoren zu vergrößern. Zu Themistios’ Stellung im Senat von Konstantinopel siehe Vanderspoel (1995) f., –. Penella (2000a) ist hingegen der Ansicht, daß unter der προστασία keine formelle Position wie der principatus senatus zu verstehen sei, sondern nur allgemein eine führende Stellung. Ernannt wurde Themistios im Frühjahr . Mit or. sprach Themistios dem Kaiser seinen Dank aus, daß er ihn zum praefectus urbi ernannt hatte. In or. verteidigt Themistios dann seine προεδρία des Senates, worunter wohl der Vorsitz zu verstehen ist, den der Stadtpräfekt kraft Amtes innehatte. Als er Ende or. verfaßte, hatte er dieses Amt bereits nach wenigen Monaten (. [p. ]) wieder niedergelegt. Siehe Vanderspoel (1995) –, Penella (2000a) f. Brauch (1993a) hat die Hypothese aufgestellt, daß Themistios bereits unter Julian die Stadtpräfektur bekleidet habe. Dagegen sprechen jedoch die Äußerungen im Proöm von or. und . . Siehe Errington (2000) –. Brauch (2002) schreibt Themistios nicht nur außerdem die Stadtpräfektur für das Jahr / zu, sondern ist zudem der Ansicht, der Höhepunkt von Themistios’ politischer Karriere habe in der Regierungszeit des Valens gelegen. Sicherlich ist Brauch
. Die Konstruktion eines Leitbildes
zogen und festigte durch diese Ehrungen seine Autorität, die wiederum seiner gesellschaftlichen Stellung zugute kam. So nützlich die kaiserliche Gunst für die Autorität des Intellektuellen sein mochte, so konnte sie doch seiner Reputation gefährlich werden. Wenn er sich in den Augen seiner Mitmenschen zu sehr in die Nähe der Mächtigen begab, mochte dies leicht zum Vorwurf führen, er verrate die Philosophie oder er nutze seine Verbindungen nur für persönliche Vorteile . Solche Vorbehalte lassen sich aus einigen Stellen im Werk des Libanios herauslesen, an denen er versucht, in apologetischer Absicht seine Kontakte zu Julian herunterzuspielen. Mit großer Ausführlichkeit schildert er aus der Rückschau, wie er sich immer wieder den drängenden Einladungen des Kaisers entzogen habe, und auch zu dessen Lebzeiten legte Libanios Wert darauf, in der Öffentlichkeit eine gewisse Distanz zu ihm zu wahren, so sehr es ihn auch danach verlangte, zum engeren Kreis um Julian zu zählen . Heftigen Angriffen sah sich auch Themistios ausgesetzt, nachdem er die Präfektur von Konstantinopel innegehabt hatte . In einer langen Rede vor Bürgern Konstantinopels, die gleichsam die summa seines öffentlichen Wirkens enthält, rechtfertigt er sich gegen den Vorwurf, er habe die Philosophie erniedrigt, indem er sich in die Politik eingemischt habe . Mit großer Wahrscheinlichkeit verteidigte er sich damit gegen Angriffe, wie sie nachträglich ein Epigramm des Palladas auf den Punkt brachte : ἄντυγος οὐρανίης ὑπερήμενος ἐς πόθον ἦλθες ἄντυγος ἀργυρέης· αἶσχος ἀπειρέσιον.
darin zuzustimmen, daß die Präfektur von auch das Ende der politischen Bedeutung des Themistios markierte. Er wurde anscheinend heftig für die Übernahme des Amtes und seine Amtsführung kritisiert, hatte wohl wenig Erfolg, worauf die kurze Amtszeit hindeutet, und aus der Zeit nach fehlt jegliches Zeugnis zu politischen Aktivitäten. Es dürfte aber zu weit gehen, Themistios’ Präfektur als Auslöser einer Krise in Konstantinopel anzusehen (so Brauch [] ). Daß Kritik an seinem politischen Engagement geübt wurde, war schließlich keine neue Erscheinung. Vgl. Themistios’ Rechtfertigung in or. . d–b. Lib. or. . –; . ; . , ep. . ; . f. Zur Kritik, der sich Libanios wegen seiner Kontakte zu Julian ausgesetzt sah, vgl. auch ep. . und Eun. fr. . . Siehe Wiemer (1995a) –. Zur Kritik, die an Themistios während seiner Karriere geübt wurde, siehe Méridier (1906), Brauch (2002) – und Stenger (2007). Vorwürfe hatte sich Themistios bereits durch sein Engagement im Senat von Konstantinopel zugezogen, wie man aus seiner empfindlichen Reaktion auf (vermeintlich) abfällige Bemerkungen des Libanios über ihn schließen kann (Lib. ep. ). Them. or. . Es gibt keinen Hinweis im Text, daß die Rede vor dem Senat gehalten wurde. Im Publikum waren jedenfalls auch einige Waisen anwesend, die Theodosius unterstützt hatte (. [p. ]). Vermutlich handelte es sich um ein gemischtes Publikum. Siehe Schneider (1966) f., Penella (2000a) . Palladas, AP . . Siehe dazu Dagron (1968) –. In der Forschung wird allgemein angenommen, Themistios reagiere mit or. auf Palladas’ Verse. Die umgekehrte Reihenfolge vertritt jetzt Stenger (2007).
Das Ideal des Intellektuellen
ἦσθα ποτὲ κρείσσων· αὖθις δ’ ἐγένου πολὺ χείρων· δεῦρ’ ἀνάβηθι κάτω, νῦν γὰρ ἄνω κατέβης. Über dem himmlischen Rund sitzend, bist du ins Verlangen geraten Nach silbernem Rund : unermeßliche Schande! Einst warst du mächtiger; später bist du viel geringer geworden. Komm, steig auf in die Tiefe, da du nun in die Höhe hinabstiegst.
Themistios führt gegen solche Vorwürfe ins Feld, daß die wahre Philosophie schon immer politisch gewesen sei, und versucht durch ein ausführliches Lob des Theodosius nachzuweisen, daß der Philosoph geradezu die Pflicht habe, einem derart vorbildlichen Herrscher zur Seite zu stehen . In der politischen Hierarchie so hoch aufzusteigen war jedoch für den Gebildeten keine Selbstverständlichkeit. Im Gegensatz zu Themistios bekleidete Libanios keinerlei Ämter, auch wenn er einer Kurialenfamilie angehörte . Zwar scheint ihm Julian eine hohe Würde angetragen zu haben, doch lehnte er sie ab, um sich nicht in zu große Abhängigkeit zu begeben . Im öffentlichen Leben Antiochias spielte er gleichwohl eine wichtige Rolle, wie seine bei offiziellen Anlässen vorgetragenen Reden bezeugen . Es mußte also noch eine andere, letztlich wichtigere Quelle geben, aus der sich die Autorität des Intellektuel Gemeint ist damit der silberbeschlagene Wagen, der den praefectus urbi auszeichnete. Themistios geht in der Rede an mehreren Stellen auf die von den Kritikern verwendete Metaphorik des Ab- bzw. Aufstiegs ein: § (p. , –, ), (p. , –, ), (p. , –), (p. , –), (p. , –). Diese wird dann auch von Palladas epigrammatisch zugespitzt. Das Lob des Theodosius umfaßt die Paragraphen . – (p. , –, ). Lange Zeit herrschte die Ansicht vor, Libanios’ gesellschaftliche Stellung habe auf Ehrenämtern in der kaiserlichen Verwaltung und dem damit verbundenen Rang eines honoratus beruht. Aus den Angaben in der handschriftlichen Überlieferung von Julians und Libanios’ Briefen meinte man entnehmen zu können, Libanios habe unter Julian den Rang eines quaestor sacri palatii innegehabt. Eun. VS . . f. zog man heran als Beleg, daß Theodosius ihm eine titulare Prätorianerpräfektur angetragen habe. Siehe Petit (1983a) –. Wiemer (1995b) weist diese Annahmen mit überzeugenden Argumenten zurück. Siehe ferner Wiemer (1995a) – und Swain (2004) –; etwas anders Banchich (1985). Daß Libanios in den Rang eines honoratus erhoben worden sei, wie Petit (1983a) – meint, geben seine Schriften nicht her. Wenn Libanios beanspruchte, an Sitzungen der Kurie teilzunehmen, so gründete sich dieser auf seine Abstammung von Kurialen (or. ., vgl. ep. ), nicht auf einen vermeintlichen Rang. Zu den honorati siehe Peter Heather: »Senators and Senates«, in: The Late Empire, A. D. –, hg. von Av. Cameron und P. Garnsey. (CAH ) Cambridge , –, hier –. Siehe Lib. or. . f. Daß es sich bei dem erwähnten Kaiser um Julian handelt, ist allerdings nur erschlossen. Erstens lag das Ereignis zum Zeitpunkt von or. lange zurück, zweitens war Julian der einzige Kaiser, bei dem sich Libanios eine Ablehnung erlauben konnte. Weshalb er Julian hier nicht namentlich erwähnt, ergibt sich aus . : Die Erinnerung an diesen war damals nicht gerne gesehen (vgl. . ). Siehe Wiemer (1995b) –. Beispielsweise der Antiochikos (or. ), der Hypatikos (). Als Sophist der Stadt muß Libanios auch Reden beim Einzug von Statthaltern vorgetragen haben, von denen allerdings nichts erhalten ist (vgl. auch die Willkommensadresse an den Präfekten Strategios, ep. ). Swain (2004) .
. Die Konstruktion eines Leitbildes
len speiste. Diese Funktion erfüllte in erster Linie die παιδεία, die eben nicht nur Kennzeichen des Gebildeten, sondern zugleich auch Legitimationsgrund war. Wer sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen wollte und dabei nicht auf spirituelle Autorität zurückgreifen konnte, mußte den erforderlichen Code beherrschen, er mußte mithin über rhetorische Fähigkeiten und Bildung verfügen. Nur wenn man durch Wort und Tat glaubwürdig den πεπαιδευμένος zu verkörpern vermochte, gelang es, Kontakte zu den höheren Beamten, die über denselben Code geboten, zu knüpfen und sich Zugang zu wichtigen Positionen zu verschaffen . Erst auf dieser Grundlage war es dem Philosophen oder Sophisten möglich, zwischen sich und Amtsträgern die φιλία der Gebildeten zu etablieren, die den Beamten gleichsam verpflichtete, mit dem Intellektuellen von gleich zu gleich zu verkehren und seine Anliegen zu berücksichtigen. Die Bildung und der Verhaltenscodex ermöglichten also allererst die Kommunikation zwischen dem Intellektuellen und der Macht . Die Bildung verlieh ihrem Träger eine Autorität, die unabhängig von der Ämterhierarchie war, gleichzeitig aber durchdrang sie diese Hierarchie und stellte den Intellektuellen auf eine Ebene mit den Inhabern hoher Ämter. Sie begründete gleichsam ein Amt sui generis, wie Themistios zu insinuieren versucht, indem er die philosophische Tätigkeit über das höchste Staatsamt setzt . Ein öffentliches Amt, wenn auch kein politisches, hatte Libanios inne, der als Sophist der Stadt vom Stadtrat bestellt wurde und in den Genuß der Atelie und einer annona kam . Anspruch und Autorität des Gebildeten wurden also von anderen, zumindest von der sozialen Elite, tatsächlich akzeptiert. In diesen Kreisen galt die traditionelle παιδεία durchaus noch als anerkennenswerte Leistung, die nicht jeder vorweisen konnte. Zudem legen die Autoren dem Leitbild des Intellektuellen die Autorität der Tradition bei, indem sie über Jahrhunderte zurückreichende Kontinuität konstruieren. Wer Sokrates, Platon, Aristoteles und Theophrast zu seinen Vorläufern zählt, übt einen Beruf aus, der sich über Epochen hinweg großen Ansehens erfreut . Besonders augenfällig wird diese Legitimationsstrategie in den Vgl. Lib. or. . f., –, –; . f. Zur Rolle der παιδεία in der Kommunikation zwischen dem Sophisten und hohen Beamten siehe auch Drecoll (2004). Ebenso ermöglichte sie die Kommunikation mit dem Kaiser (or. . –, –). Them. or. . (p. , –). In or. . d–a spricht er explizit von der ἀρχή des Philosophen. Als Sophist der Stadt wird Libanios bezeichnet von Chrys. pan. Bab. . . Er dürfte also unter den öffentlich angestellten Sophisten (vgl. Lib. or. . ) Antiochias eine herausgehobene Stellung eingenommen haben. Siehe Wolf (1952) –. Siehe Wolf (1952) –, Kaster (1983), Kaster (1988) –, –, Cribiore (2007) f. In den Briefen des Libanios geht es des öfteren um diese Bezahlung, die er als τροφή bezeichnet: Lib. or. . und ; or. ; . ; ep. ; ; ; . Them. or. . a–a; . b–d, c–a (Philosophie seit mehr als siebenhundert Jahren). Themistios erwähnt aber ebenso, daß die Philosophen in dieser Zeit immer angefeindet worden seien: or. . a–b.
Das Ideal des Intellektuellen
Viten Eunaps. Er stellt sein Werk in eine bruchlose Geschichte des philosophischen und rhetorischen Lebens, wobei er an frühere Autoren wie Porphyrios oder Sotion anknüpfen kann, die vor ihm Philosophiegeschichte geschrieben hatten . Gerade der Rekurs auf Sotion von Alexandria macht deutlich, daß es Eunap darum geht, Philosophiegeschichte als διαδοχή, d. h. als Abfolge von Lehrern und Schülern einer bestimmten philosophischen Richtung, zu entwerfen . Mit Plotin beginnend, porträtiert Eunap den Neuplatonismus des ausgehenden dritten und des vierten Jahrhunderts, dessen Vertreter sämtlich durch persönliche Kontakte über Schülergenerationen verknüpft sind. Das Individuum tritt durch das Mittel der Kollektivbiographie hinter der Tradition zurück, so daß der Schulzusammenhang die Autorität des einzelnen beglaubigt. Bewegten wir uns mit den bisherigen Quellen für die Autorität im Rahmen dessen, was man auch über Intellektuelle früherer Jahrhunderte ohne weiteres hätte sagen können, so weist ein Element über das traditionelle Bild hinaus, nämlich die spirituelle Autorität. Voraussetzungslos ist sie dennoch nicht, da man bereits Philosophen wie Pythagoras oder Apollonios von Tyana göttliche Eigenschaften zugeschrieben hatte . In der Deutlichkeit, mit der man nun im vierten Jahrhundert den Intellektuellen mit spirituellen Eigenschaften ausstattete, handelt es sich jedoch um ein erst für die späte Antike typisches Phänomen. Wenn Libanios in seiner Autobiographie, wie auch der in den Handschriften gegebene Titel Περὶ τῆς ἑαυτοῦ τύχης signalisiert, das Eingreifen der personifizierten Tyche in sein Leben zum Leitmotiv erhebt , muß dies zunächst nicht weiter signifikant sein, da der Glaube an die Macht des Schicksals allgemein verbreitet war. Bemerkenswert ist hingegen, daß er alle entscheidenden Ereignisse auf das Wirken der Tyche und anderer δαίμονες zurückführt und sich so zum persönlichen Schützling der göttlichen Mächte stilisiert . Zwar führt Tyche durchaus auch leidvolle Schicksalsschläge wie etwa Todesfälle herbei , doch resultiert ihr Einfluß auf Libanios’ Karriere letztlich in einer Abfolge von Triumphen über Gegner und Hindernisse . Als stünde er wie Odysseus unter dem Eun. VS. . . f. Er nennt außerdem noch sein großes Vorbild Philostrat. Zu den Quellen Eunaps siehe Hahn (1990) –, Watts (2005) – und Civiletti (2007) –. Den Begriff der διαδοχή verwendet Eunap selbst allerdings nicht. Zu Eunaps Konzeption siehe Buck (1992) – und Hahn (1990) –, der Eunap mangelndes philosophiehistorisches Interesse attestiert. Eunap selbst bezeichnet Apollonios als Halbgott und meint, Philostrat hätte dessen Vita besser ›Reise eines Gottes zu den Menschen‹ betiteln sollen (Eun. VS . . f.). Zu diesen göttlichen Menschen Bieler (1935/6) und Anderson (1994). Zu Libanios’ Auffassung der Tyche siehe Norman (1965) xviii–xx, der die Traditionalität dieser Vorstellung betont, Martin – Petit (1978) – und Liebeschuetz (2006). Besonders deutlich in or. . , , f., , . Zu anderen, nicht näher bestimmten Gottheiten siehe beispielsweise § , f., , , f., , . Beispielsweise § f., , , f., –, . Siehe § , f. (mit einem Blitzschlag als Omen), f., –, f., –, , , , . Vgl. (Hermes).
. Die Konstruktion eines Leitbildes
persönlichen Schutz einer Gottheit, werden ein ums andere Mal seine Gebete in schwierigen Situationen erhört und lebensbedrohende Gefahren auf wundersame Weise abgewendet . Wenig erstaunlich ist es vor diesem Hintergrund, daß Libanios das schwer erträgliche Eigenlob, mit dem er die erste Fassung seiner Autobiographie ausklingen ließ, in einer Prosopopoiie seiner Schutzgöttin Tyche in den Mund legt . Sein enger Kontakt zu den Göttern zahlt sich freilich nicht nur für ihn selbst aus, sondern er nutzt ihn ebenso, um seinen Mitbürgern zu helfen . Beispielsweise verliert der tyrannische Statthalter Proklos auf Libanios’ Gebete hin sein Amt, oder eine Seuche ebbt ab, nachdem er sich an die Götter gewandt hat . Nun läge der Einwand nahe, diese Äußerungen seien nichts weiter als Ausdruck eines religiös geprägten Weltbildes. Daß es aber wesentlich zu seinem Bild des Intellektuellen gehörte, durch Umgang mit dem Göttlichen den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen, zeigt unmißverständlich der Schluß des Werkes, wo sich Libanios ausdrücklich als Götterpriester mit dem Chryses Homers vergleicht. Nachdem seinem unehelichen Sohn Kimon die Aussicht auf ein hohes Amt und Abgabenfreiheit genommen worden ist, spricht Libanios zu Freunden: περὶ δὲ τοῦ βέλους τοῦ κεκομικότος τοῖς ᾿Αχαιοῖς τὴν νόσον καὶ παρὰ τῶν πρώτων τῆς ᾿Ιλιάδος ἠκούομεν, ὡς ἀντὶ τῆς εἰς ἕνα ὕβρεως πολλῶν ἔδει Lib. or. . , , f., –, , –, , . Selbst die Wiedererlangung eines gestohlenen liebgewonnenen Buches führt Libanios auf das Wirken der Tyche zurück, wobei ihm selbst der mögliche Einwand kommt, er bausche hier eine Lappalie auf ( f.). Lib. or. . : εἴποι ἂν οὖν ἡ Τύχη καθάπερ ἐν δράμασι λαβοῦσα φωνήν, ὅτι εἰ
καὶ μυρίοις ἐναντιώμασιν ἡ τέχνη σοι πεπολέμηται, τοῦτό γ’ ἂν ὁμολογήσαις, ἓν πολλῶν ἀντάξιον παρ’ ἐμοῦ σοι γενέσθαι, τό τε εἰς πλῆθος ποιῆσαι λόγους τό τε οὕτω δόξαι τοὺς ποιηθέντας εἶναι καλούς, ὥστ’ ἔτι ζῶντος, ἐν ᾧ καὶ φθονεῖσθαι ἀνάγκη, τὰς τῶν βιβλογράφων δεξιὰς τὰς πολλὰς ὀλίγας ἐλέγχεσθαι τῷ πλήθει τῶν ἐραστῶν. τοιγάρτοι πᾶν ἐργαστήριον λόγων καὶ τούσδε δείκνυσιν ὁμοίως ἐν παιδευομένων τε καὶ παιδευόντων χερσί (»Es könnte also Tyche, wenn sie wie im Drama eine Stimme hätte, sagen: Wenn auch deine Kunst gegen unzählige Widerstände gekämpft hat, so dürftest du doch wohl dies zugestehen, daß dir von mir eine Gabe zuteil geworden ist, die vieles aufwiegt, nämlich die Komposition vieler Reden und deren Ruf, der so gut ist, daß noch zu Lebzeiten, wenn man notwendigerweise auch beneidet wird, die zahlreichen Hände der Kopisten [deiner Werke] sich als zu gering erwiesen haben für die Menge deiner Verehrer. So zeigt denn jede Rhetorikschule, daß sie gleichermaßen in den Händen von Schülern und Lehrern sind.«). Die hier genannten Charakteristika (göttlicher Schutz, Überwindung von Schicksalsschlägen und Gegnern, Einsatz für andere) dienen insgesamt auch dazu, Libanios zu einem geradezu tragischen Heroen zu stilisieren. Siehe dazu Schouler (1993). Lib. or. . –, . Vgl. auch § (Rettung in Seenot). Als mehrere Bekannte während des Konflikts zwischen der Kurie und dem Caesar Gallus gefangengenommen werden, begibt sich Libanios zu ihnen, um mit ihnen zu klagen. Nachdem sie am nächsten Tag freigekommen sind, verbreitet sich das Gerücht, mit Libanios sei ein guter δαίμων in das Gefängnis gekommen ().
Das Ideal des Intellektuellen
πυρῶν τοῖς ῞Ελλησιν εἰς τοὺς ἀποθνήσκοντας. καὶ ἦν μακάριος ὁ Χρύσης τοσούτῳ κακῷ τιμώμενος. ἕτερος τοίνυν οὗτος ἱερεὺς θεῶν λιμῷ μεγάλῳ τιμᾶται. ∆ήμητρος, οἶμαι, τοῦτο ἔργον οὐδὲ ἀρᾶς κατ’ αὐτῶν γεγενημένης, ᾧ τότε ᾿Απόλλων ἐκινήθη· καὶ ἡ μὲν ἡμερῶν ἐννέα, μῆνας δὲ οὑτοσὶ τέτταρας ἀναλίσκει τὴν πόλιν. (Lib. or. . f.) Von dem Pfeil, der den Achäern die Seuche gebracht hat, haben wir aus den ersten Versen der Ilias gehört, daß auf Grund des Frevels gegen einen einzigen Mann die Griechen viele Scheiterhaufen für die Gestorbenen brauchten. Glückselig war Chryses, weil er durch ein so großes Übel geehrt wurde. Aber hier und jetzt wird ein anderer Priester der Götter durch große Hungersnot geehrt. Dies ist wohl Demeters Werk, und das, obwohl kein Fluch gegen sie erging, durch den damals Apollon erregt wurde. Und die Seuche dauerte neun Tage, diese Hungersnot aber verzehrt die Stadt seit vier Monaten .
Einen entscheidenden Schritt hinaus über Libanios, dessen Überhöhung des Intellektuellen noch weitgehend der traditionellen Frömmigkeit verhaftet bleibt, geht Eunap mit seiner konsequenten Sakralisierung der Philosophen und – in geringerem Maße – der Sophisten. Wer in seinen Viten nach doxographischen Informationen über die neuplatonischen Philosophen sucht oder nach rhetorischen Theorien, wird sie enttäuscht zur Seite legen. Eunaps Interesse war offensichtlich ein anderes. Was bei seinen Lebensbeschreibungen im Mittelpunkt steht, sind vielmehr Orakel, Prophezeiungen, theurgische Praktiken und Wunder, kurz: das göttliche Element im Menschen . Seine Darstellung der einzelnen Persönlichkeiten erschöpft sich bisweilen gänzlich in der Würdigung ihrer spirituellen Qualitäten, ohne daß der Leser Genaueres über das Leben oder die Lehre erführe. Eunaps Ideal ist der Philosoph, der, obgleich er mit seinem Körper noch Mensch ist, durch persönliche Vervollkommnung und Theurgie mit seiner Seele bereits dem Göttlichen angehört . Aidesios, der Sohn des Chrysanthios, etwa hat durch Verehrung der Götter das Menschliche so weit hinter sich gelassen, daß er gänzlich Seele zu sein scheint. Von wunderbar leichtem Körper, zeigt er seine Verwandtschaft mit den Göttern, indem er nur in den Himmel zu schauen braucht, um unfehlbare Orakel äußern zu können . Gemeint ist vermutlich eine Hungersnot in Konstantinopel, nicht in Antiochia. Eun. VS. . . f., . f., . . –, . , . . –, . . –. . , . . –, . . –, . , . . –, . . –, . . –. . , . . , . . f., . . –, . . –, . . In . ist von den noch warmen Altären Plotins die Rede. Des öfteren tituliert Eunap auch die dargestellten Persönlichkeiten als göttlich (. . , . , . . , . . , . . f., . . , . . , . . , . . ). In . . ist von der θειότης des Jamblich die Rede. Prohairesios und Oreibasios werden von ihren Mitmenschen wie Götter verehrt (. . , . . ). Zur Orakeltätigkeit der Philosophen bei Eunap siehe auch Athanassiadi (1992b) –. Auf die identitätsstiftende Funktion solcher Erzählungen und Anekdoten für die philosophischen Schulgemeinschaften geht Watts (2005) – ein. Eun. VS. . . f., . . , . . , . . , . . . Auch für Themistios’ Vater Eugenios ist es der Leib, der ihn im Irdischen gefangenhält, während er selbst das Gespann der Seelenrosse trainierte, um dann frei vom Band der Natur zu den Göttern emporzufahren (Them. or. . a–d). Zu den zwei Rossen der Seele siehe Pl. Phdr. a/b, b. [. . .] καὶ ἦν ὁ παῖς ἐκ παιδὸς ἐπτερωμένον τι χρῆμα πρὸς ἅπασαν ἀρετήν, καὶ
τῶν ἵππων οὐ μετεῖχε θατέρου, ᾗ φησιν ὁ Πλάτων, οὐδὲ ἔβριθε τὸ κατανοοῦν
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Wie er stehen auch die anderen vorbildlichen Philosophen mit ihrem Wesen, d. h. mit ihrer Seele, den Göttern näher als den Menschen, was sich besonders darin ausdrückt, daß sie von diesen Orakel erhalten und Weissagungen machen können . Um seine Rezipienten von diesen übermenschlichen Qualitäten zu überzeugen, versäumt Eunap nicht, bei den Prophezeiungen stets darauf hinzuweisen, daß sie exakt eingetreten sind. Die nachträgliche Erfüllung bestätigt die spirituelle Autorität, über die der Neuplatoniker verfügt. Sinnfälligen Ausdruck findet sie, wenn der Philosoph Wunder wirkt, die selbst hartnäckige Zweifler zum Verstummen bringen. Ausführlich berichtet Eunap, wie Jamblich zunächst die Befleckung eines Weges durch einen Leichenzug ahnt und dann, als seine Begleiter nach deutlicheren Beweisen für seine übersinnlichen Fähigkeiten verlangen, in Gadara eine Beschwörung durchführt. Nachdem er hat in Erfahrung bringen lassen, daß zwei anmutig sprudelnde warme Quellen als Eros und Anteros bezeichnet werden, läßt er erst in der einen einen goldgelockten Erosknaben, dann in der anderen einen dunkelhaarigen Anteros erscheinen. Fortan glauben die Schüler seinen Offenbarungen ohne Zögern . Angesichts solcher übermenschlichen Qualitäten, durch die sich die Porträtierten ausweisen, liegt der Gedanke nahe, daß der Philosoph von den Göttern gesandt ist und sich durch theurgische Praktiken bemüht, das Körperliche abzustreifen und wieder nach oben zu streben . αὐτῷ, ἀλλὰ πρός τε μαθήματα σφοδρὸς καὶ ἄγαν ὀξὺς γενόμενος, καὶ πρὸς θεῶν θεραπείαν διαρκέστατος, ἐς τοσόνδε διέφευγε τὸ ἀνθρώπινον, ὥστε ἄνθρωπος ὢν ἐκινδύνευεν ὅλος εἶναι ψυχή. τὸ γοῦν σῶμα ἐν ταῖς κινήσεσιν οὕτως αὐτοῦ κοῦφον ἦν, ὥστε ἦν ἀπίθανον γράφειν, καὶ μάλα ποιητικῶς, εἰς ὅσον ὕψος ἐφέρετο μετάρσιος. ἡ δὲ πρὸς τὸ θεῖον οἰκειότης οὕτως ἦν ἀπραγμάτευτος καὶ εὔκολος, ὥστε ἐξήρκει τὸν στέφανον ἐπιθεῖναι τῇ κεφαλῇ, καὶ πρὸς τὸν ἥλιον ἀναβλέποντα χρησμοὺς ἐκφέρειν, καὶ τούτους ἀψευδεῖς, καὶ πρὸς τὸ κάλλιστον εἶδος ἐνθέου πνεύματος γεγραμμένους (»Von Kindheit an war der Sohn ein zu jeglicher Art von Tugend beflügeltes Wesen, und von den Pferden hatte er, wie Platon sagt, nur Anteil an dem einen; sein Intellekt sank nicht nach unten, sondern er war beim Lernen eifrig und äußerst scharfsinnig; in der Verehrung der Götter war er äußerst gewissenhaft, und in solchem Maße mied er das Menschliche, daß er, obwohl Mensch, ganz Seele zu sein schien. Sein Leib war jedenfalls in seinen Bewegungen so leicht, daß eine Beschreibung unglaublich klänge, nur ein Dichter beschreiben könnte, bis zu welcher Höhe er sich emporschwang. Seine Vertrautheit mit dem Göttlichen war so direkt und gelassen, daß es ihm genügte, den Kranz auf sein Haupt zu setzen und zur Sonne hinaufzublicken, um Orakel zu künden, und zwar unfehlbare, die nach dem schönsten Bild gotterfüllten Hauchs geschrieben waren.«, . . –). Vgl. auch Lib. or. . . Eun. VS . . –. . . Zur Geschichte von Eros und Anteros vgl. auch Them. or. . d–c. Siehe auch J. Geiger: »Eros und Anteros, der Blonde und der Dunkelhaarige«, in: Hermes , , f. In . . vergleicht Eunap Porphyrios mit einer Hermeskette (῾Ερμα¨ική τις σειρά), die zu den Menschen herabgelassen worden sei (vgl. Hom. Il. . ). Das Bild der goldenen Kette wird von den Neuplatonikern eigentlich gebraucht, um die Abfolge der
Das Ideal des Intellektuellen
Expliziten Ausdruck findet diese Vorstellung in Themistios’ Enkomion auf seinen Vater. Eugenios hat nicht nur in der Nachfolge des Sokrates ein tugendhaftes Leben geführt, sondern wie dieser und wie der Tugendheld Herakles wurde er von den Göttern auf die Erde hinabgesandt, um dort eine Aufgabe zu erfüllen . Sein Anliegen war es, die Menschen in die Philosophie, insbesondere die des Aristoteles, einzuweihen. Um die Tätigkeit seines Vaters darzustellen, bedient sich Themistios in überdeutlicher Weise der Kategorien und der Terminologie der Mysterien: Als ein προφήτης eröffnet Eugenios den Initianden den Tempel des Aristoteles und zeigt ihnen das strahlende Kultbild. Dunst und Nebel verschwinden, bis der νοῦς in vollem Licht und Glanze erscheint . Gottesdienst ist die Philosophie, und der von den Göttern auserwählte Philosoph ist berufen, ihre Lehren den übrigen Menschen zu offenbaren. Nachdem er sein Priesteramt erfüllt hat, kehrt Eugenios schließlich mit reiner Seele zu den Göttern zurück. Vom Körper befreit, hat er nun einen göttlichen Anteil am Schutz der Menschheit erlangt. Wie Herakles empfängt er als Schutzgottheit Opfer und rituelle Handlungen der Menschen, so daß Themistios seine Rede mit einer Anrufung beschließen kann: ἐπαμύνοις δὲ αὐτὸς ἄνωθεν τῷ
παιδὶ καὶ ἐνστάξαις, ὦ μάκαρ, προσευχομένῳ ἀλκήν τε καὶ ἀνδρείαν εἰς τὸν ἀγῶνα (»Hilf tätig vom Himmel her deinem Sohn und flöße ihm, Seliger, auf seine Bitten Kraft und Mut für den Kampf ein«, Them. or. . d). Eunap und Themistios in seinem Enkomion auf Eugenios nähern sich unübersehbar dem Genos der Hagiographie an, wenn sie die porträtierten Philosophen als pagane Heilige erscheinen lassen . Sie statten sie mit übermenschlichen spirituellen Fähigkeiten aus, und zumindest Eunap rückt das wundertätige Wirken und die Weissagungen der neuplatonischen Philosophen in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Damit bedienen sich beide des hagiographischen Diskurses , so daß das von ihnen propagierte Leitbild eine Antwort auf
Philosophen zu bezeichnen, nicht einen einzelnen Philosophen. Vgl. Procl. in Ti. . . ; Marin. Procl. , ; Dam. Isid. . Them. or. . c, b/c. Them. or. . d–b: Eugenios hat seine προφητεία für Aristoteles herrlicher ausgeführt als Bakis oder Amphilytos für Apollon. Er hat das Dunkel beseitigt und die ἀγάλματα des Aristoteles enthüllt. Den Ankömmlingen hat er die Propyläen des Tempels aufgeschlossen, worauf sich der Dunst verzog und der νοῦς glänzend erschien. Er versah das Amt des δᾳδοῦχος. Themistios spricht dann noch von den Mysterien des Aristoteles und den Heiligtümern (ἀνάκτορα) der übrigen Philosophen, die Eugenios geöffnet habe. Die Lehre des Philosophen ist Opfertätigkeit und Kultdienst (ἱερουργία). Themistios gebraucht die Mysterienmetapher auch im Hinblick auf seine eigenen Aristotelesparaphrasen (. d). Mit dem Gebrauch der Mysterienmetaphorik für die Philosophie stellte sich Themistios in eine lange Tradition. Siehe etwa Pl. Grg. c; Tht. e–a; R. , d/e mit Riedweg (1987) –. Zu den hagiographischen Tendenzen der Viten Eunaps siehe besonders Miller (2000), deren Vergleich mit der christlichen Kollektivbiographie instruktiv ist; ferner Fowden (1982). Siehe dazu oben S. .
. Die Konstruktion eines Leitbildes
die zu dieser Zeit drängende Frage zu geben vermag, wie der Mensch sein persönliches Heil findet. Insbesondere Eunap tritt so in Konkurrenz zu den ganz ähnlich angelegten christlichen Heiligenviten, die mit den gleichen literarischen Mitteln, aber mit christlicher Ausrichtung ein Heilsversprechen verbreiteten . Welche Wirkung dieser hagiographische Impuls im vierten Jahrhundert entfaltete, bezeugt selbst die Autobiographie des Libanios, die, obgleich sie den Autor nicht geradeheraus zum Heiligen stilisiert, ihm doch zumindest einige Züge des Heiligen verleiht . In der Auseinandersetzung mit rivalisierenden Konzepten konnten auch die heidnischen Autoren nicht darauf verzichten, ihr Leitbild soteriologisch auszurichten . Themistios, Libanios und Eunap schreiben dem in ihren Werken konstruierten Intellektuellen drei Quellen der Legitimation zu, die nicht auf gleicher Stufe stehen. Erstens kann der Gebildete über eine verliehene Autorität verfügen, wenn er von hohen Beamten oder sogar dem Kaiser selbst begünstigt und protegiert wird. Er ordnet sich damit in ein informelles Patronageverhältnis ein und begibt sich in eine gewisse Abhängigkeit von der Macht, obgleich er sich darum bemüht, diesen Umstand zu kaschieren. Die verliehene Autorität, die keineswegs jedem der Intellektuellen zuteil wird, ist insofern prekär, als sie vom persönlichen Verhältnis zwischen dem Philosophen bzw. dem Sophisten und dem Mächtigen abhängt und etwa bei einem Herrscherwechsel verloren gehen kann. Deshalb muß sich der Gebildete bei jedem Wechsel des Amtsinhabers oder des Herrschers neu um sie bemühen. Zweitens eignet diesem Typus eine intellektuelle Autorität, die es ihm erlaubt, ebenbürtig mit politischen und gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten zu verkehren und mit ihnen durch das einigende Band der παιδεία zu kommunizieren. Drittens zeichnet ihn eine spirituelle Autorität aus, sofern er nicht nur als Heide dem alten Götterkult anhängt, sondern gleichzeitig für alle sichtbar von den Göttern auserwählt und mit spirituellen Gaben versehen ist. Alle drei Arten von Autorität sind daraufhin angelegt, von den Mitmenschen wahrgenommen und anerkannt zu werden. Sie müssen sich vor einem Publikum immer wieder bewähren, sei es, daß der Intellektuelle vom Kaiser ausgezeichnet wird, sei es, daß er als πεπαιδευμένος seine Stadt nach außen repräsentiert, sei es, daß seine Prophezeiungen im nachhinein bestätigt werden. Charakteristisch für das Ensemble der Autoritätsarten ist ein Oszillieren zwischen traditioneller und außergewöhnlicher Legitimation. Einerseits fügt sich der Gebildete durch den Kontakt zu Mächtigen und durch Als direkte Antwort auf christliche Hagiographien begreifen Eunaps Viten Momigliano (1998) f., Buck (1992) , Lim (1995) f., Rizzi (1997), Rizzi (1998). Zu den bereits genannten Merkmalen (Wunder im weiteren Sinne, Stilisierung zum Priester) tritt hinzu, daß Libanios sehr ausführlich seine geradezu mönchische Keuschheit in der Jugend preist (or. . und ; . ). Unangemessen scheint mir der Versuch von Rizzi (1997) und Rizzi (1998), aus katholischer Perspektive die Viten Eunaps im Vergleich zu christlichen Hagiographien als banal zu erweisen, zumal jegliche Argumentation dafür fehlt.
Das Ideal des Intellektuellen
die παιδεία in etablierte Hierarchien ein und bekleidet ein imaginiertes oder gar reales Amt. Andererseits positioniert er sich dadurch außerhalb solcher Hierarchien, daß seine Bildung alle Ebenen bis hin zum Kaiser vertikal durchdringt, also auf kein Niveau festgelegt ist, und seine spirituelle Gabe ihn aus allen Menschen heraushebt. Das Leitbild des Intellektuellen repräsentiert ein Lebensideal eigenen Rechtes.
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Vitarum auctio – Behauptung auf dem Markt der Leitbilder
An verschiedenen Stellen hatten wir bereits beobachten können, daß der Intellektuelle Anfeindungen ausgesetzt ist oder sich gegen Rivalen behaupten muß. Besonders deutlich tritt dieser agonale Aspekt in den letzten, tagebuchartigen Abschnitten der Autobiographie des Libanios hervor . Wenn er sich der Intrigen von persönlichen Feinden erwehrt, Berufskollegen im Agon demütigt oder sich korrupten, brutalen Beamten widersetzt, so liegen zwar Angriffe auf den Intellektuellen vor, doch bewegen sich diese weniger auf einer grundsätzlichen Ebene. Sie sind vielmehr durch die jeweiligen Persönlichkeiten bedingt, ohne daß wirkliche Alternativen zum Leitbild des Intellektuellen aufscheinen. Größere Gefahr droht hingegen von konkurrierenden Gegenmodellen, anderen Lebensentwürfen, die den impliziten Anspruch des Gebildeten, das vollendete Lebensideal zu repräsentieren, in Frage stellen. So geht es etwa in der das vorliegende Kapitel einleitenden Episode aus Libanios’ Karriere nicht um persönliche Rivalitäten – Libanios’ Gegenspieler werden als Individuen in seiner Darstellung gar nicht greifbar –, sondern um grundlegende Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Leitbildern . Solche Konflikte lassen sich in den Schriften des Libanios, des Themistios und Eunaps auf drei Gebieten feststellen, nämlich erstens eine kulturelle Konkurrenz, zweitens ein interner Streit um die wahre Philosophie und drittens eine religiös motivierte Konfrontation. Libanios konstatiert in seinen Werken des öfteren den traurigen Zustand der hellenischen Bildung, speziell natürlich der Redekunst, sofern man einmal von dem glücklichen Intermezzo der Regierungszeit Julians absieht . Die Gründe für diesen Niedergang, dem Libanios ohnmächtig gegenüberzustehen scheint, sucht er nicht in dem Bildungsprogramm selbst, da sein Wert für ihn über jeden Zweifel erhaben ist. Sie liegen außerhalb und entziehen sich offenbar jeglicher Beeinflussung . Der Grundimpetus für die Verachtung der griechischen Beredsamkeit liegt in dem Streben nach Reichtum, das der Diagnose des Lib. or. . –. Zur zeitlichen Einordnung dieser nachträglich an der Rede vorgenommenen Ergänzungen siehe Martin – Petit (1978) –. Siehe oben S. . Zur Blüte der Redekunst unter Julian siehe Lib. or. . –; . –; . –. Zu Libanios’ Sicht auf die Konkurrenz zwischen griechischer Rhetorik und anderen Studien siehe Liebeschuetz (1972) –.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Libanios zufolge in der Gesellschaft um sich greift . Auch wenn er an verschiedenen Stellen nachzuweisen versucht, daß, wer bei einem Sophisten sein Handwerk gelernt hat, geradezu für eine höhere Laufbahn prädestiniert ist , muß er implizit zugeben, daß andere Bildungswege größere Chancen eröffnen, durch Ämter zu Reichtum zu gelangen. Um so gefährlicher sind in seinen Augen diese Bildungswege, als sie die griechische Identität in ihren Grundfesten erschüttern. Junge Männer, die eine höhere Ämterlaufbahn anstreben, wenden sich nämlich verstärkt dem Studium der lateinischen Sprache zu und den eng mit ihr verknüpften Fächern der Jurisprudenz und der Stenographie . Neidvoll blickt Libanios nach Berytos, wo die juristische Schule, an der in lateinischer Sprache gelehrt wurde, vermeintlich scharenweise Schüler anzog . In dem Gefühl, daß seine Kunst unnütz geworden sei, bleibt ihm nur die schicksalsergebene Hoffnung, die Götter, denen die griechische Sprache zu verdanken sei, würden ihr einst wieder zu ihrer früheren Bedeutung verhelfen . Das von Libanios verfochtene Leitbild des rhetorisch Gebildeten ist gemäß seiner eigenen
Lib. or. . . In or. . – klagt Libanios, daß ein der griechischen Sprache und Beredsamkeit völlig unkundiger Mann zum Assessor des Domitius Modestus ernannt worden sei. Direkt davor wirft er seinem Freund Eumolpios vor, er werbe auf Kosten des Griechischen für das Studium des Lateinischen (§ ). Er lamentiert hier, daß die griechische Sprache auch sonst in den Schmutz gezogen werde. Dies ist insbesondere das Anliegen von or. . In seinen letzten Jahren mußte Libanios es erleben, daß Lehrer lateinischer Rhetorik sogar in Antiochia zu einer ernsthaften Konkurrenz wurden (or. . ; . ; passim). Gegenüber Gregor von Nyssa deutete Libanios sogar an, er wolle seinen Unterricht aufgeben, weil sich so viele der lateinischen Sprache zuwendeten (Gr. Nyss. ep. . ). Lib. or. . , ; . –; . f.; . –. In or. . meint Libanios, daß das Jurastudium etwas für langsamere Köpfe sei. Kurz nachdem er nach Antiochia zurückgekehrt war, hatte sich Libanios noch darum bemüht, daß sich dort ein Lehrer der Jurisprudenz niederlasse, damit sie zusammenarbeiten könnten (ep. und an Silanus von /, ebenso ep. an Domnio von ). Ebenso hatte er mit einem Lehrer des Lateinischen kooperiert (ep. ; ). Zu Libanios’ Klage, daß Latein und Rechtskunde die griechische Rhetorik überflügelten, siehe Hose (2000), Heath (2004) f. und f. sowie Cribiore (2007) –. Lib. or. . –; . ; ferner ep. . Des öfteren klagt Libanios, daß Schüler von der Rhetorik zur Jurisprudenz wechselten oder an das Rhetorikstudium ein Jurastudium anschlössen (ep. ; f.; ; f.; f.; ; ; ; ); die Schule von Berytos sei sehr gut besucht (ep. ). Tatsächlich schrieb Libanios aber ebenso Empfehlungsbriefe für Studenten, die nach Berytos gehen wollten, oder für Absolventen der Jurisprudenz (ep. ; ; ; ; ; f.). Zur juristischen Akademie in Berytos, die hinter derjenigen in Rom den zweiten Rang einnahm, siehe Lib. or. . –; . f. Vgl. F. Schemmel: »Die Schule von Berytos«, in: Philologische Wochenschrift , , –; Paul Collinet: Histoire de l’école de droit de Beyrouth. Paris ; Festugière (1959) f.; Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte. Köln; Weimar; Wien , –; jetzt auch Hall (2004) –. Lib. or. . .
Das Ideal des Intellektuellen
resignierten Analyse unzeitgemäß geworden und scheint zumindest in dieser Auseinandersetzung dem utilitaristischen Karrierestreben zu unterliegen. Während diese Gefahr dem Leitbild des griechischen Intellektuellen von außen drohte, existierten auch innerhalb des Konzeptes konkurrierende Lager, deren Kämpfe sich in den Schriften des Themistios und Eunaps abzeichnen. Im Corpus der Privatreden des Themistios ist ein bemerkenswert großer Anteil der Auseinandersetzung mit Gegenspielern des Philosophen gewidmet, ohne daß sich diese namentlich fassen ließen . Mehrfach grenzt er sein Bildungsprogramm von einer Rhetorik ab, die zu nichts anderem tauge, als mit schönen Worten die Menschen zu bezaubern, statt ihnen substantielle Einsichten zu vermitteln . Die eigentliche Stoßrichtung seiner Kritik scheint jedoch eine andere zu sein; verwendet er doch deutlich mehr Energie darauf, eine bestimmte Art von Philosophie als verfehlt zu entlarven. Themistios stilisiert die Auseinandersetzung mit den Vertretern dieser Richtung so, als befände er sich in einem Gerichtsprozeß und stünde unter Anklage . Vor den Bürgern Konstantinopels sucht er sich gegen die beiden voneinander untrennbaren Anklagepunkte zu rechtfertigen, er vulgarisiere die Philosophie, indem er wie ein Sophist zu einem großen Publikum spreche , und er korrumpiere sie, weil er sich politisch engagiere. Ziel seiner Reden ist es, diese zwei Vorwürfe zu entkräften. Dabei sieht er sich allerdings angeblich mit einer Schwierigkeit konfrontiert. Wer die Kläger eigentlich sind, vermag er nicht zu sagen. Gegenüber den ›Richtern‹ erweckt Themistios den Eindruck, als trauten seine Kontrahenten sich nicht, mit offenem Visier gegen ihn anzutreten, statt aus dem Dunkeln ihre Pfeile auf ihn abzuschießen . Der unbestimmbar großen Menge an Kritikern, denen er selbst allein gegenübersteht, werden mithin von vornherein Feigheit, Tücke und eine Scheu vor der Öffentlichkeit unterstellt. Nur ein einziges Mal Vgl. auch Lib. ep. aus dem Jahre , wo Libanios an Themistios schreibt, er habe von Anfeindungen gegen diesen erfahren. Libanios’ Wortwahl läßt darauf schließen, daß es sich um kein einmaliges Ereignis handelte. Mit der Kritik der Zeitgenossen an Themistios beschäftigte sich zuerst Méridier (1906). Den argumentativen Gebrauch von Exempla in Themistios’ apologetischen Reden untersucht Alexandre Roduit: »Thémistios et ses adversaires. Le témoignage du discours «, in: Mélanges A. F. Norman, hg. von Á. González Gálvez und P.-L. Malosse. (Τόποι Suppl. ) Paris , –. Themistios deutet in or. . c/d mit dem Hinweis auf Sokrates an, daß Eugenios wie dieser viele Kämpfe habe in der Öffentlichkeit durchstehen müssen. Ob es dabei ebenfalls um konkurrierende Konzepte von Philosophie ging, muß allerdings hypothetisch bleiben. Them. or. . c/d; . d–d; . b–d. Stellvertretend für diese nutzlose, mithin unphilosophische Rhetorik wird Aelius Aristides genannt (. b/c). Them. or. . b/c, d–d (Platons Sophistes als Gesetzbuch); . c–a, c– a (Platon als Gesetzgeber und das platonische Corpus als Gesetzeswerk); . (p. , –). Apologetisch ausgerichtet sind darüber hinaus die Reden und . Zur Abgrenzung der Sophisten von den Philosophen siehe Lim (1995) –; ferner Hahn (1989) – und G. R. Stanton: »Sophists and Philosophers. Problems of Classification«, in: AJPh , , –. Them. or. . b/c; . b/c.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
scheint sich einer von ihnen zu erkennen zu geben, so daß Themistios ihm direkt erwidern kann . Die Identität seiner Angreifer erhellt aber bis zu einem gewissen Grade daraus, wie er auf ihre Vorwürfe reagiert. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht seine . Rede mit dem Titel Βασανιστής, in der Themistios, ausgehend von dem Gegensatz zwischen dem Philosophen und dem Sophisten, zu definieren versucht, welche Merkmale den wahren Philosophen auszeichnen. In Anlehnung an die Definitionen des Sokrates und Platons handelt er nacheinander sechs Kriterien ab, die es erlauben, den Philosophen vom Sophisten zu scheiden. So stamme der Philosoph von den besten Vorfahren ab, verfüge über Wissen, das sich auf das Sein beziehe, sei freundlich im Umgang, liebe die Wahrheit, verachte Gier und rede nicht schlecht über andere . In ähnlicher Weise reagiert Themistios auf den Vorwurf, er sei ein Sophist, wenn er in der . Rede, dem Σοφιστής, erneut im Rückgriff auf Platon zunächst das Wesen des Sophisten bestimmt, bevor er mit diesen Kriterien sich selbst prüft . Indem er auf die Autorität Platons rekurriert und dessen Definitionen als Richtschnur benutzt, transponiert Themistios den Streit mit seinen Gegnern in eine über siebenhundert Jahre zurückliegende Vergangenheit, um ihn in Kategorien zu deuten, deren Gültigkeit keinem Zweifel unterliegt. Er suggeriert, daß es unstrittige Kriterien gebe, nach denen man bestimmen könne, wer Philosoph sei und wer nicht. Statt eingehend zu prüfen, was seine Kritiker genau unter einem Sophisten verstehen, entzieht er ihnen die Kompetenz der Definition, um ihnen mustergültig zu demonstrieren, wie man bei der Zuschreibung solcher Etiketten verfahren muß . Mit diesem Vorgehen impliziert Themistios, daß sie überhaupt nicht imstande seien, zwischen der wahren und der falschen Philosophie zu unterscheiden. Themistios’ Definitionen wohnt jedoch noch eine weitere Bedeutung inne. Bemerkenswert ist nämlich, welch breiten Raum die Erörterung einnimmt, was der Philosoph nach Platon nicht ist. Von vornherein läßt er erkennen, daß es ihm ebenso darum geht, seinen Kritikern das Philosophentum abzusprechen, und daß es leicht sei, sie als Scharlatane zu überführen. Wenn er also ausschließt, daß der wahre Philosoph mißgünstig, gierig und verschlagen sei, schlecht über andere spreche und daß seine Taten nicht mit seinen Worten übereinstimm In or. . a, b und d spricht Themistios einen einzelnen, namentlich nicht genannten Kritiker direkt an. Siehe Pl. R. , d; , d/e, d; , a–a, b. Them. or. . a–b. Them. or. . d–b (Aufzählung der sechs Eigenschaften des Sophisten im Anschluß an Pl. Sph. d–e, b–b, c/d). Der Begriff σοφιστής bezeichnete sonst im vierten Jahrhundert den epideiktischen Redner und Lehrer der Beredsamkeit (Lib. or. . ; . –; . ; ep. ; ). Siehe Wolf (1952) –; ferner Glen W. Bowersock: Greek Sophists in the Roman Empire. Oxford , – und Bernadette Puech: Orateurs et sophistes grecs dans les inscriptions d’époque impériale. (Textes et Traditions ) Paris , –.
Das Ideal des Intellektuellen
ten, so ist sein Anliegen weniger die Definition als vielmehr der Gegenangriff auf seine Kritiker . Ihnen scheint Themistios all diese negativen Eigenschaften zuzuschreiben. Ebenso dürfte Themistios im Σοφιστής das Ziel verfolgen, sich nicht allein gegen den Vorwurf der Sophistik zur Wehr zu setzen, sondern auch den Spieß umzudrehen und diese Kritik gegen seine Gegner selbst zu kehren. Genau in dieser Weise scheint die Rede von ihnen aufgenommen worden zu sein, so daß sich Themistios genötigt sah, in einer weiteren Rede diese Vermutung auszuräumen . Er behauptet, mißverstanden worden zu sein, jedoch nur, um diesen Rückzug sogleich dadurch zu konterkarieren, daß er ironisch den Sophisten nun als Universalgelehrten vom Schlage eines Hippias definiert und einräumt, einen solchen gebe es in Konstantinopel überhaupt nicht . Lassen sich anhand von Themistios’ Definitionen seine Gegner genauer bestimmen? Die hervorstechendsten Eigenschaften, die er den falschen Philosophen zuschreibt, sind, daß sie, statt sich mit dem Sein zu befassen, sich Meinungen über das Nichtseiende bildeten, indem sie die Realität durch φαντάσματα und Bilder nachahmten, sowie daß sie die Öffentlichkeit mieden . Während er selbst wie die früheren Philosophen immer auf öffentlichen Plätzen lehre, hätten sie sich gänzlich zurückgezogen. Da er diese Weltflucht als typisch für die Philosophie seiner Zeit ansieht, ist es ziemlich wahrscheinlich, daß er sich gegen den Neuplatonismus, die im vierten Jahrhundert dominierende Form der Philosophie, wendet, zumal er an einer Stelle in polemischer Absicht die wahre Akademie vom theurgischen Neuplatonismus des Jamblich abgrenzt . Den Neuplatonikern wirft Themistios also vor, die wahre, zum Nutzen der Menschen wirkende Philosophie verraten zu haben . Anschaulich wird die Konfrontation zwischen diesen beiden Richtungen am Ende der . Rede dargestellt, wo The Vgl. auch Penella (2000a) . Schon Méridier (1906) hatte vermutet, daß Themistios zeitgenössische Philosophen treffen wolle (»une revue satirique des philosophes de Constantinople«). In or. verwahrt er sich gegen die Unterstellung, er habe mit or. bestimmte Philosophen angreifen wollen. Sein Ziel sei ausschließlich die Verteidigung gewesen. Them. or. . c–b. Auch in or. tritt Themistios in ironischer Pose vor sein Publikum, wenn er in gespielter Bescheidenheit den Titel des Philosophen für sich zurückweist (b–a). Them. or. . a/b; . b–a. Vgl. . b. Siehe Maisano (1986) –. In or. . b spricht Themistios von einem Philosophen aus Sikyon, der Schüler des ›Mannes aus Chalkis‹, d. h. Jamblichs, gewesen sei, aber trotzdem kein Verehrer der νέα ᾠδή, sondern der alten Akademie und des Lykeions. Siehe Penella (2000a) Anm. und John Vanderspoel: »Themistios and a Philosopher at Sikyon«, in: Historia , , f. Einen Seitenhieb auf Jamblich könnte auch or. . b enthalten, wo Themistios von einem ›Lied aus dem Libanon‹ spricht, das die Hörer verführe. Diese Deutung ist freilich sehr ungewiß. Siehe Penella (2000a) f. Anm. . Vgl. Méridier (1906) f., Dagron (1968) f., Fowden (1982) , Penella (2000a) f. Nicht zwingend ist die Annahme von Schlange-Schöningen (1995) , unter den ›falschen‹ Philosophen, die Themistios kritisierten, weil er sich mit Aristoteles und Theophrast beschäftige (. d), befänden sich sicherlich auch Christen. Im Text deutet jedenfalls nichts darauf hin.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
mistios in einer Prosopopoiie Vertreter der Stadt die personifizierte Philosophie kritisieren läßt, weil sie die Öffentlichkeit scheue und dem Gemeinwesen nicht diene . Durch Abgrenzung entwirft hier Themistios das Programm seiner Philosophie, die den Auftrag hat, mit Hilfe rhetorischer Mittel den Menschen Rat zu erteilen, um dem Staat zu nutzen. Wählt Themistios den Weg, eine Gegenposition zu diskreditieren, indem er von der Warte platonischer Autorität aus Definitionsmacht ausübt und ihr negative Eigenschaften zuschreibt, so bedient sich Eunap des Verschweigens. Wer seine Viten von Philosophen und Sophisten des vierten Jahrhunderts liest, wird mit Erstaunen einen Exponenten der Bildung vermissen: Themistios. Während für uns nur noch als Namen existierende Persönlichkeiten wie Epiphanios oder Sopolis wenigstens kurz erwähnt werden, fehlt ausgerechnet der bedeutendste Philosoph seiner Zeit . Da weder ein Versehen des Autors noch ein Überlieferungsfehler vorliegen kann, sind die Gründe in Eunaps Bildungskonzept zu suchen. Als Aristoteliker hatte Themistios, wie eben gezeigt wurde, für den Neuplatonismus jamblichischer Prägung nichts übrig. Genau diese Richtung ist jedoch das die Philosophen Eunaps verbindende Element. Themistios paßte also nicht in das harmonisierende Bild, das Eunap von der Philosophie seiner Zeit zeichnet, in der es keine anderen Schulen zu geben scheint . Aus demselben Grund werden auch andere Philosophen wie Eusebios von Myndos oder Theodoros von Asine nur kurz erwähnt . Im Falle des Themistios kam überdies hinzu, daß er christlichen Kaisern diente und die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz von Christen und Heiden favorisierte. All dies mußte ihn in den Augen des überzeugten Heiden Eunap suspekt werden lassen . Schließlich entwerfen Eunap und Libanios auch ein religiös geprägtes Gegenbild zum griechischen Intellektuellen, das zumindest in den Augen des ersteren die größte Gefahr darstellt . Da der Gebildete, wie wir gesehen haben, als Anhänger des alten Götterkultes konzipiert wird, sind Christen von diesem Ideal a limine ausgeschlossen . Freilich haben sie nicht nur keinen Them. or. . d–c. Siehe dazu Dagron (1968) , Penella (1990) –, Ballériaux (1996b) , Miller (2000) f. Der Versuch von Steinrück (2004) f., die Auslassung des Themistios auch auf dessen Akzentrhythmus, der mit dem römischen Staat assoziiert worden sei, zurückzuführen, überzeugt nicht, zumal die Existenz eines Akzentrhythmus bei den spätantiken bzw. frühbyzantinischen Autoren sehr umstritten ist. Besonders aussagekräftig ist die Episode, in der Eusebs Ablehnung der Theurgie Julian gerade in die Arme des Theurgen Maximus treibt (. ). Siehe dazu Lim (1995) – und zum weitgehenden Ignorieren einiger Philosophen Penella (1990) –. Zutreffend bemerkt Penella (1990) : »Eunapius would have viewed Themistius as a pagan ›heretic‹.« Penella (1990) f. veranschlagt die Bedeutung des religiösen Aspekts für Eunap m. E. zu gering. Es gibt allerdings auch vereinzelt heidnische ›Verräter‹, die, obwohl sie eigentlich der gebildeten Elite angehören, ihr Wirken in den Dienst der Christen stellen. Mit Abscheu
Das Ideal des Intellektuellen
Anteil an der griechischen παιδεία, sondern sie bedrohen sogar aktiv all das, wofür der Gebildete eintritt . Zunächst einmal erstaunt es nicht, daß Libanios und Eunap, sofern sie in ihren Werken auf Christen eingehen, ihnen Bildung absprechen und ein Verhalten unterstellen, das diesen Mangel an Bildung unmißverständlich zu erkennen gibt . Inbegriff dieses negativen Typus ist der Beamte, der sich der Schwelgerei hingibt und sein Amt korrupt und unnötig gewalttätig ausübt . Diese christlichen Amtsträger lassen sich sogar hinreißen, sowohl an Intrigen gegen einzelne pagane Intellektuelle wie Libanios mitzuwirken als auch Maßnahmen gegen den traditionellen Götterkult insgesamt zu ergreifen. Beispielsweise versuchen christliche Statthalter, das bei Antiochia gelegene Apollonheiligtum von Daphne, das den Christen ein Stein des Anstoßes war, zu zerstören . Auch Eunap berichtet, wie pagane Kultorte von Christen entweiht und vernichtet werden, wobei er die treibende Kraft in einem von Mönchen angeführten christlichen Pöbel sieht. Mit größter Verachtung schildert er, wie die Fluchbeladenen (ἐναγεῖς), den Giganten gleich, das Sarapeion von Kanobos verwüsten, ohne auf Gegenwehr zu stoßen . Anschließend werden dort Mönche angesiedelt, die das genaue Gegenteil des gebildeten Heiden verkörpern (. . f.): Εἶτα εἰσῆγον τοῖς ἱεροῖς τόποις τοὺς καλουμένους μοναχούς, ἀνθρώπους μὲν κατὰ τὸ εἶδος, ὁ δὲ βίος αὐτοῖς συώδης, καὶ ἐς τὸ ἐμφανὲς ἔπασχόν τε καὶ ἐποίουν μυρία κακὰ καὶ ἄφραστα. ἀλλ’ ὅμως τοῦτο μὲν εὐσεβὲς ἐδόκει, τὸ καταφρονεῖν τοῦ θείου· τυραννικὴν γὰρ εἶχεν ἐξουσίαν τότε πᾶς ἄνθρωπος
erzählt Libanios in or. . – von dem Sophisten Bemarchios, der sich Constantius und seinem Hof angedient habe und, obgleich selbst Heide, die Gegner der Götter verherrliche. Libanios beeilt sich jedoch zu unterstreichen, daß Bemarchios sich lediglich den Ruf eines fähigen Redners verschafft habe, und berichtet genüßlich von dessen Scheitern in Antiochia. Besonders verwerflich mußte es Libanios erscheinen, daß Bemarchios seine rhetorische Bildung dazu mißbraucht hatte, eine christliche Kirche, die Große Kirche in Konstantinopel, zu preisen. Siehe Sievers (1868) –, Norman (1965) f., Wintjes (2005) –. Indirekt bezieht auch Himerios in or. zu diesem Thema Stellung. In dieser Deklamation, der Klagerede in einem fiktiven Asebieprozeß gegen Epikur, weist der Redner nach, daß philosophische Bildung und Götterverehrung eine Einheit bilden, zumal in Athen (§ ). Wenn er dann auch noch die Zerstörung von Altären und die Abschaffung von Opfern zur Sprache bringt (§ ), konnte das Publikum des vierten Jahrhunderts wohl kaum anders, als an die Beeinträchtigung heidnischer Kulte durch die Christen zu denken. Eun. VS . . –; Lib. or. . , . In . werden Christen mit dem Würfelspielen und orgienhaften Gelagen in Verbindung gebracht. Kritik an christlichen Amtsträgern: Lib. or. . , , –. Lib. or. . , . Zu den Übergriffen von Statthaltern auch or. . –. In or. . richtet Libanios an die Götter die Bitte, ihre Heiligtümer zu schützen. Eun. VS . . –, die Bezeichnung ἐναγεῖς in . . mit Zitat Hom. Od. . . Zur Ironie der ganzen Partie siehe Steinrück (2004) –. Zum Erlöschen heidnischer Kultorte siehe auch . . – (Eleusis). Das Sarapeion wurde Anfang des Jahres zerstört. Siehe Johannes Hahn: »Vetustus error extinctus est. Wann wurde das Sarapeion von Alexandria zerstört?«, in: Historia , , –.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
μέλαιναν φορῶν ἐσθῆτα, καὶ δημοσίᾳ βουλόμενος ἀσχημονεῖν· εἰς τοσόνδε ἀρετῆς ἤλασε τὸ ἀνθρώπινον. Dann siedelten sie an den heiligen Stätten die sogenannten Mönche an, Menschen zwar vom Aussehen, doch sie leben wie Schweine, und in aller Öffentlichkeit duldeten und begingen sie unzählige üble und unsägliche Taten. Aber gleichwohl galt dies als fromm, das Göttliche zu verachten. Denn tyrannische Freiheit genoß damals jeder Mensch, der eine schwarze Kutte trug und sich öffentlich schändlich benehmen wollte. Zu solcher Tugend war das Menschengeschlecht gelangt!
Eunap verknüpft die sarkastische Kritik am Lebensideal der Mönche mit einer negativen Bewertung der allgemeinen Lage unter den christlichen Kaisern. Das zügellose Benehmen der Gottlosen gilt ihm als symptomatisch für die ganze Epoche. Auf Grund dieser Analyse gelangt er letztlich zu der Einsicht, daß sich das Christentum auf breiter Front durchsetzt , während die Anhänger des alten Götterkultes für eine verlorene Sache einzutreten scheinen. Nur wenig abgemildert wird dieses pessimistische Bild, wenn Eunap voller Genugtuung davon berichten kann, daß gewalttätige Christen einen verdienten Tod gefunden hätten. So wurde Kaiser Konstantin bestraft, weil er Ablabios begünstigt hatte, der die Hinrichtung Sopaters betrieben hatte . Ablabios selbst, arrogant bis zum Tode, büßt durch seine eigene Hinrichtung schließlich dem Sopater . Den proconsul Asiae Festus, der Maximus und andere Heiden wegen ihres Glaubens hinrichtet, läßt die Vorsehung sterben, nachdem er noch eine Vision hat, Maximus ziehe ihn in den Hades hinab . Eunap macht sich die Perspektive christlicher Autoren der vorkonstantinischen Zeit zu eigen und deutet das Ende gewalttätiger Christen nach Art der de-mortibus-persecutorumPropaganda . Wie früher die Christen unter den Heiden zu leiden hatten, so
Zum Gebrauch solcher christlichen Termini bei Eunap siehe Bartelink (1969). Eun. VS . . , . . . Siehe Goulet (2001) –. Vgl. auch Steinrück (2004) –, dessen Interpretationen allerdings zu viele Zweideutigkeiten und konkurrierende Stimmen in Eunaps Text sehen wollen. Eun. VS . . . Inwiefern Konstantins Tod eine Strafe für die Hinrichtung Sopaters war, erklärt Eunap hier nicht, sondern verweist dafür auf sein Geschichtswerk ( fr. . ). Eun. VS . . –. Vgl. auch Zos. . . . Zu Ablabios siehe PLRE f., s. v. Ablabius . Eun. VS . . –. Auch Libanios zeichnet ein äußerst negatives Porträt des Festus (or. . –, die Hinrichtung des Maximus ebd. ). Wiebe (1995) f. und –. Als positives Pendant zu den christlichen Beamten Ablabios und Festus fungieren bei Eunap die hellenischen Amtsträger Iustus und Anatolios (. , . ). Vgl. Steinrück (2004) f. Vgl. Goulet (2001) . Zu bedenken ist freilich, daß das Motiv der göttlichen Bestrafung von θεομάχοι eine längere Tradition hatte; man denke etwa an Salmoneus, Pentheus oder auch Kambyses bei Herodot. Wilhelm Nestle: »Legenden vom Tod der Gottesverächter«, in: ders.: Griechische Studien. Untersuchungen zur Religion, Dichtung und Philosophie der Griechen. Stuttgart , S. – [zuerst ]; Eberhard Heck: Μὴ θεομαχεῖν oder: Die Bestrafung des Gottesverächters. Untersuchungen zu Bekämpfung und Aneignung römischer religio bei Tertullian, Cyprian und Lactanz. (Studien zur klassischen Philologie ) Frankfurt/Main; Bern; New York ; Wiebe (1995) –.
Das Ideal des Intellektuellen
werden nun die paganen Intellektuellen unter einem christlichen Regime drangsaliert . Da das Leitbild des griechischen Intellektuellen, wie wir sahen, im vierten Jahrhundert keineswegs unangefochten bleibt, bemühen sich Libanios, Themistios und Eunap darum, es von konkurrierenden Konzepten abzugrenzen und diese, insofern sie in ihnen eine Gefahr sehen, mit literarischen Mitteln zu bekämpfen. Sie schreiben ihren Gegnern bestimmte, negativ konnotierte Eigenschaften oder Absichten zu und konturieren so ein Feindbild, das sich deutlich von der eigenen Position unterscheidet. Ihr Ziel ist es, die Konkurrenten durch diese Zuschreibungen in eine negative Rolle zu drängen, um sie in den Augen des Publikums verächtlich zu machen. Als Repräsentanten des griechischen Bildungsideals nehmen sie es für sich in Anspruch, von einer Warte der Autorität aus die Macht der Definition auszuüben. Wenn Themistios vor sein Auditorium tritt, legt er, indem er sich auf anerkannte Gewährsleute wie Platon beruft, fest, welches die wahre Philosophie ist und welches nicht. Während die Vertreter der Gegenseite, wie er suggeriert, namenlos im Dunkeln agieren, ohne offen das Wort zu ergreifen, nutzt er seine Reputation und seine Stellung, um öffentlich die Wahrheit zu vertreten. Welche Bedeutung dem Vorgang des Definierens innewohnt, ersieht man auch daraus, wie Libanios das Bild des lateinischen Rechtsgelehrten formt. Statt anzuerkennen, daß das Studium der lateinischen Sprache eine gleichberechtigte Alternative zur griechischen Rhetorik ist, spricht er denjenigen, die diesen Weg einschlagen, jegliche Bildung ab. Wer nach Berytos geht, mag lernen, wie man zu Geld kommt; ein πεπαιδευμένος wird er dort nicht. Einen Schritt weiter geht Eunap mit der Strategie des Verschweigens oder Ignorierens. Er erweckt den Eindruck, als gäbe es neben dem theurgisch ausgerichteten Neuplatonismus keine ernst zu nehmende andere Philosophie. Auf einem Markt rivalisierender Lebensideale kommt es darauf an, zwischen dem Wahren und dem Falschen zu scheiden. Wer ein Leitbild verbreiten will, muß glaubhaft versichern, im Besitz der Wahrheit zu sein. Dies aber läßt sich am besten erreichen, indem man wie Libanios, Themistios und Eunap die miteinander verknüpften Strategien des Definierens und des Ausschließens anwendet.
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Literarische Konstruktion und Repräsentation
Im Unterschied zum Vorbild, das die konkrete Gestalt einer bestimmten Person annimmt, repräsentiert das Leitbild eher eine abstrakte Idee, ein Konzept, ohne allerdings gänzlich auf Anschaulichkeit zu verzichten . Denn damit ein Bemerkenswert ist immerhin, daß Eunap erwähnt, wie sein Lehrer Chrysanthios für einen Ausgleich zwischen Heiden und Christen sorgt (. . ). Siehe oben Anm. .
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Leitbild wirken kann, darf es nicht ausschließlich allgemein definiert sein, sondern sollte durch konkrete Beispiele illustriert werden. Erst wenn diese Anschaulichkeit und Individualisierung gegeben ist, wird eine Identifikation der Rezipienten und damit eine Anerkennung bzw. Übernahme des Leitbildes ermöglicht. Charakteristisch ist also eine stete Wechselbeziehung oder Rückkopplung zwischen Typisierung und Individualisierung, zwischen Konkretisierung und Abstraktion. Fände gar keine Abstraktion statt, so gäbe es über das Einzelschicksal hinaus keine allgemeine Relevanz. Welche literarischen Verfahrensweisen finden die Autoren, um diese Balance herzustellen und zu erhalten? Eine erste Möglichkeit besteht darin, ein Leitbild dadurch zu etablieren, daß man es in eine Tradition stellt, mithin an ein bestehendes Konzept angleicht. Diese Strategie läßt sich insbesondere bei Themistios beobachten, dem es nach eigenem Bekunden um nichts anderes zu tun ist, als die ursprüngliche Bestimmung der Philosophie wieder zu neuem Leben zu erwecken . Sein Lebensideal des praktisch tätigen Philosophen führt er direkt auf die Archegeten Sokrates, Platon und Aristoteles zurück, deren Reihung er bisweilen noch um andere Philosophen bereichert . Unangefochten nimmt unter ihnen die Gestalt des Sokrates den ersten Rang ein, insofern er nicht nur besonders häufig als Vorbild erwähnt wird, sondern auch sein Leben das Muster für den φιλόσοφος βίος abgibt. Bereits im Enkomion auf Eugenios formt Themistios das Leben seines Vaters nach dem des Sokrates, indem er die Übereinstimmung von Worten und Taten als leitendes Prinzip beider herausstellt. Die Verwandtschaft mit Sokrates zeigt sich dann auch in Eugenios’ Taten und nicht zuletzt darin, daß er wie jener viele öffentliche Auseinandersetzungen durchzustehen hatte . Auch in seinen übrigen Reden, in denen er sein philosophisches Konzept entwirft, orientiert sich Themistios ersichtlich am Ideal des Sokrates. Besonders augenfällig wird die Strategie, sich in die Nachfolge anerkannter Autoritäten einzureihen, in einer Partie der . Rede. Dort berichtet Themistios, wie einem neuplatonischen Philosophen aus Sikyon, als er Themistios’ Schriften las, dasselbe widerfahren sei wie den Philosophen Axiothea und Zenon von Kition sowie einem korinthischen Bauern. Wie diese von Platons Schriften in den Bann geschlagen werden, so wird der sikyonische Philosoph von Themistios’ Schriften derart ›bekehrt‹, daß er ihm all seine Schüler zutreibt . Als diese sich anfänglich weigern, sendet er sie zu Apollon, damit sie fragen, ob Themistios mehr Einsicht habe als er selbst. Als ob diese Andeutung Them. or. . b. Er betont hier das Unzeitgemäße dieses Ansatzes. Zu nennen sind hier noch Pythagoras, Thales, die Sieben Weisen und Theophrast. Them. or. . d–a, c–b; . a–b; . d–a; . a–a; . c, a–c; . (p. ), (p. f.). Them. or. . a–d, b. Them. or. . b–c. Zu diesen Anekdoten siehe Alice Swift Riginos: Platonica. The Anecdotes Concerning the Life and Writings of Plato. (Columbia Studies in the Classical Tradition ) Leiden , – und Penella (2000a) Anm. .
Das Ideal des Intellektuellen
nicht genügte, stellt Themistios explizit fest : καὶ φέρει τὴν αὐτὴν ψῆφον ὁ θεός, οἵαν πάλαι ἐπὶ Σωκράτην (»Und der Gott gibt dieselbe Antwort, die er einst im Hinblick auf Sokrates gegeben hatte.«). Themistios ist demnach der legitime Erbe nicht nur Platons, sondern auch des Sokrates . Ebenso deutlich zog Himerios, als er mit einem Protreptikos neue Schüler begrüßte, die von anderen Sophisten in seine Schule gewechselt waren, dieselbe Parallele, um seine Tätigkeit zu legitimieren (or. ). Ins Zentrum der Rede stellte er eine Erzählung über Schüler, die erst spät, durch eine glückliche Fügung, den Weg von anderen Lehrern zu Sokrates gefunden hatten (Z. –). Sobald sie mit diesem in Kontakt getreten seien, habe sich ihre gesamte Lebensweise geändert, und sie hätten später überwältigenden Erfolg erzielt, wie man an Alkibiades und Platon sehe. Sollte seinen Zuhörern die Analogie der Situationen entgangen sein, so unterstreicht Himerios am Schluß die Verknüpfung, indem er von der Mysterienweihung des Sokrates spricht, bevor er sich seiner eigenen Mysterienfeier, der Einweihung der Studenten, zuwendet . Nicht anders verfährt Eunap in seinen Viten, wenn er sich darum bemüht, sein Werk an frühere Philosophiegeschichte, insbesondere an die Viten Philostrats, anzuschließen . In seiner Konzeption markieren die Philosophen, denen er sein Werk widmet, eine weitere Blüte in der kontinuierlichen Geschichte der griechischen Philosophie . Gleich zu Beginn, wenn er andere Viten von Philosophen nennt, gibt Eunap seinen Lesern einen Hinweis darauf, in welcher Tradition er die von ihm porträtierten Philosophen und Sophisten sieht. Hier erwähnt er nämlich auch den von Philostrat verewigten Apollonios von Tyana, der nicht mehr Philosoph, sondern Halbgott gewesen sei und τὸ θειότερον καὶ ἐνεργόν der pythagoreischen Philosophie den Menschen gezeigt habe (. . f.). Genau diese praktische Art von Philosophie, die Theurgie, ist dann eines der Leitmotive, die sich durch die Biographien Eunaps ziehen. Die Traditionslinie von Pythagoras über Apollonios bis hin zu den Neuplatonikern greift Eunap noch einmal gegen Ende des Werkes in seiner Vita des Chrysanthios auf (. . f.). Indem sie ihr philosophisches Konzept in eine Tradition einreihen, verleihen Themistios und Eunap ihrem Leitbild die Autorität des ehrwürdigen Them. or. . c. Vgl. Pl. Ap. a. Zur literarischen Aneignung der Rolle des Sokrates durch Themistios siehe De Vita (2006) –. Him. or. , Z. f.: [. . . . . .] διὰ Σωκράτους τὴν τελετὴν ἐμιμήσαντο. ἡμῖν δὲ ὥρα τὸν πυρσὸν ἀνάπτειν, ὡς εἴρηται (». . . durch Sokrates stellten sie die Weihung dar. Für uns aber ist es wie gesagt Zeit, die Fackel zu entzünden«). Himerios bezieht sich hier in einer Ringkomposition auf den Anfang der Rede zurück, wo er die Einführung in den Rhetorikunterricht als Mysterienfeier hatte erscheinen lassen. Eun. VS . . Er nennt hier Porphyrios, Sotion von Alexandria, Philostrat, Plutarch und Lukian (Leben des Demonax). Ferner zählt er einige Philosophen auf, die noch keine Biographen gefunden hätten. Zu Eunaps Untergliederung der Philosophiegeschichte in verschiedene Blütezeiten siehe Hahn (1990) –, Penella (1990) –, Goulet (2001) –.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Alters. Was sie propagieren, so geben sie zu verstehen, ist nichts anderes als das, was schon immer die Aufgabe des Philosophen gewesen ist. Für den Rezipienten gewährleistet dieser Rückgriff auf etablierte Konzepte die Wiedererkennung: Solch ein Lebensideal kann er ohne weiteres in seinen Verständnishorizont einordnen. Verwandt mit der Strategie der Traditionsbildung ist ein auf der Wiederholung beruhendes Prinzip, das in Libanios’ Autobiographie und Eunaps Viten als augenfälliges Gestaltungselement eingesetzt wird. Nachdem Libanios seine Lebensbeschreibung wohl im Jahre in einer ersten Version abgeschlossen hatte, holte er das Werk in den folgenden Jahren anscheinend immer wieder beinahe wie ein Tagebuch hervor, um wichtige Begebenheiten aus seinem Leben nachzutragen . Entstanden ist dadurch eine katalogartige Reihung von Einzelerlebnissen in den Paragraphen –. Auch wenn er sicherlich nie im Sinn hatte, die Autobiographie in dieser Form zu publizieren, kann die zweite Hälfte Aufschluß darüber geben, wie Libanios sein eigenes Leben gesehen hat. Außerdem läßt sie den Plan erkennen, dem er bei der Fortführung des Werkes zu folgen gedachte. Wie ein roter Faden ziehen sich durch diese vorläufigen Notizen die Auseinandersetzungen des Autors mit zahlreichen hohen Beamten . In langer Reihe läßt Libanios einen Statthalter nach dem anderen auftreten, ordnet ihn jeweils positiv oder negativ ein und schildert, ob er mit ihm ausgekommen ist oder, weitaus häufiger, welche Konflikte er austragen mußte. Zumeist erwähnt er nicht einmal den Namen dieser Amtsträger, so daß ihre Individualität hinter ihrem Amt verschwindet, zumal sich bestimmte Eigenschaften bei ihnen wiederholen. Dasselbe Kompositionsprinzip prägt, wenngleich nicht ganz so deutlich, schon den ersten, fertig ausgearbeiteten Teil der Rede, insofern Libanios sich hier ohne Unterlaß gegen andere Sophisten, deren Namen er ebenfalls dem Leser vorenthält, und gegen Beamte durchsetzen muß . Ein Triumph reiht sich an den anderen, als sei Libanios’ Leben eine einzige Abfolge glänzender Bewährungen gegen die immer gleichen Gegenspieler. Durch diese Reihung erhält der Lebensweg einen statischen, beispielhaften Charakter, wobei diese Wirkung dadurch verstärkt wird, daß chronologische Anhaltspunkte weitgehend fehlen. Beim Leser stellt sich die Erwartung ein, daß die Vita endlos so Es herrscht heute Einigkeit, daß Libanios die ursprüngliche Fassung seiner Autobiographie im Jahre verfaßte (vgl. seine Angabe in § ). Diese Fassung wurde anscheinend einem Publikum, wie groß auch immer dies gewesen sein mag, vorgelegt. Zumindest gibt es keinen Grund, die Publikumsbezüge im Text als fiktiv anzusehen. In unregelmäßigen Abständen ergänzte Libanios dieses Werk in den Jahren zwischen etwa und . Die Ergänzungen stechen stilistisch deutlich vom Rest ab, und auch inhaltliche Einzelheiten (z. B. der Schluß) sprechen gegen eine Veröffentlichung in dieser Form. Siehe dazu Martin – Petit (1978) – und –, Norman (1992) –. Lib. or. . – (Festus), – (Aitherios), – (Fidelis), f. (Protasios), f. (nicht zu identifizieren), – (Karterios), und – (Proklos), (Tisamenos), (nicht zu identifizieren), – (derselbe), f. (Lukianos), f. (Eustathios V?). Lib. or. . , f., f., f., –, , f., f., , f.
Das Ideal des Intellektuellen
weitergehen könnte und daß das Leben eines Sophisten schon immer aus solchen letztlich siegreich beendeten Rivalitäten bestand. Libanios’ Leben ist nur die exemplarische Repräsentation eines zeitlosen Ideals. Die gleiche Wirkung erzielt Eunap bei seinem Publikum mit etwas anderen Mitteln. Statt ein einzelnes Leben mit wiederkehrenden Erlebnissen nachzuzeichnen, porträtiert er verschiedene Persönlichkeiten, die durch die Ähnlichkeit ihrer Lebensschicksale beinahe austauschbar werden. Obgleich die Philosophen und Sophisten durchaus individuell gezeichnet sind – den zur Überheblichkeit neigenden Maximus trennt eine Kluft von dem zurückhaltenden, bedächtigen Chrysanthios –, kehren auch hier bestimmte Charakterzüge und Verhaltensweisen des öfteren wieder. Ähnliche soziale Herkunft, äußere Erscheinung, Weissagungen und theurgische Praktiken: all diese Gemeinsamkeiten tragen dazu bei, daß beim Leser weniger der Eindruck eines individuellen Lebens zurückbleibt als vielmehr der eines Typus, der lediglich verschiedene Ausprägungen erfahren hat. Verstärkt wird diese Tendenz zur Typisierung dadurch, daß Eunap zahlreiche persönliche Bezüge, zumeist Lehrer-Schüler-Verhältnisse, zwischen den Porträtierten herstellt und bisweilen eine Vita in eine andere einlegt . Wie eine platonische Idee bleibt das Leitbild des paganen Intellektuellen immer unverändert, während die konkreten Abbilder wechseln. Die einzelne Vita steht synekdochisch für den abstrakten Typus des paganen Intellektuellen. Um die verschiedenen Lebensschicksale zu einem Typus zu verschmelzen, bedient sich Eunap jedoch nicht nur des Prinzips der Wiederholung. Bei genauerer Prüfung zeigt sich, daß trotz zahlreichen Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Persönlichkeiten ein wesentlicher Unterschied vorhanden ist, da eine Gruppe aus Philosophen besteht, die zweite aus Sophisten und die dritte und kleinste aus Medizinern . Abgesehen davon, daß er ihnen etwa mit dem paganen Glauben und der παιδεία unübersehbare Gemeinsamkeiten zuschreibt, wendet Eunap den Kunstgriff an, diese drei verschiedenen Ausprägungen in einer einzigen Gestalt zu vereinigen, und das in einer Figur, die prima facie nicht einmal zu den Porträtierten gehört. Was wir an Informationen über Eunaps eigenes Leben besitzen, stammt zum größten Teil aus seinen Viten, in die er immer wieder Bemerkungen zu seiner eigenen Person einflicht. Abgesehen davon, daß er des öfteren auf seinen Status als Autor aufmerksam macht, indem er sich selbst als ›den Verfasser‹ einführt oder auf sein Geschichtswerk verweist , Vgl. Miller (2000) f. Die elf Philosophen werden dargestellt in Eun. VS – und (mehr als die Hälfte des Werks), die neun Sophisten in cap. –, die fünf Mediziner in cap. –. Die Viten der Philosophen sind im Durchschnitt deutlich länger als die der Sophisten. Zum Aufbau siehe auch Penella (1990) . ὁ συγγραφεύς in . . f., . . , . . , . . –, . . , . . , . . , . . , . . f., . . , . . , . . , . . , . . , . . , . . , . . . Eun. VS . . , . . , . . , . . , . . , . . , . . , . . , . . . Eunap betitelt dieses Werk zumeist τὰ κατὰ ᾿Ιουλιανόν.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
erwähnt er mehrfach, welchen der Philosophen und Sophisten er noch persönlich kennengelernt hat und bei wem er studiert hat . Es gelingt Eunap sogar, sich selbst in die Abfolge der Viten einzureihen. Als er auf Prohairesios zu sprechen kommt, berichtet er nämlich zuerst einmal ausführlich davon, wie er selbst krank nach Athen gekommen und für die Schule des Prohairesios angeworben worden sei. Prohairesios habe seine Schüler angewiesen, sich intensiv um Eunap zu kümmern . Da diese Episode augenscheinlich wenig zur Lebensbeschreibung des Prohairesios beiträgt, liegt Eunaps Intention offenbar darin, seine persönliche Verbindung zu dem Lehrer herauszustellen und sich selbst an die porträtierten Intellektuellen anzugleichen. Noch einmal tritt Eunap am Schluß des Werkes selbst als handelnde Person auf. Er beaufsichtigt, als sein Lehrer Chrysanthios medizinisch behandelt wird, dessen Aderlaß und bricht ihn eher ab, als es die Ärzte vorgeschrieben haben. Eunaps Eingriff stellt sich dann als richtig heraus. Bei einem weiteren, zu starken Aderlaß kann Eunap selbst nicht mehr anwesend sein, und nicht einmal Oreibasios, den man zu Hilfe holt, kann den erschöpften Chrysanthios noch retten (. . –). Eunap stellt hier abschließend unter Beweis, daß er über fundierte medizinische Kenntnisse verfügt, die denen mancher Ärzte überlegen sind. In seiner eigenen Person manifestiert sich insofern Eunaps Bildungsideal, als er neuplatonische Philosophie, Sophistik und Medizin, die drei Teilbereiche der παιδεία, in sich vereint . Als Klammer hält er die verschiedenen Viten zusammen und beglaubigt die Einheit des Leitbildes, dessen Zweige auf den ersten Blick nur lose miteinander verbunden zu sein scheinen . Darin liegt der Sinn der zahlreichen autobiographischen Anspielungen, die nicht allein dazu dienen, ein persönliches Element in das Werk zu tragen . Die Kollektivbiographie wandelt sich unversehens zu einer Autobiographie mit exemplarischer Bedeutung. Ein wiederum etwas anderes Verfahren, seinem Ideal zeitlose Gültigkeit zu verleihen, wendet Themistios in or. an. Er gleicht nicht nur, wie oben gezeigt wurde, seinen Vater an Sokrates an, sondern projiziert sein eigenes philosophisches Lebensideal auf ihn. Eugenios hat, indem er, Aristoteles mit Platon verbindend, praktische Philosophie zum Nutzen der Mitmenschen betrieben hat, exakt das Programm verwirklicht, das Themistios sonst in eigenem Namen pro Eun. VS . . (Maximus), (Diophant). In Kap. hebt Eunap sogar eigens hervor, daß er Himerios nicht persönlich kennengelernt habe, und in . . bedauert er, Libanios nicht begegnet zu sein. Eun. VS. . f. und . . – (Prohairesios), (Sopolis), . . und . . f. (Chrysanthios). Eun. VS . f. Der Bericht umfaßt immerhin gut drei Seiten in der Ausgabe von Giangrande (1956). Vgl. auch Watts (2005) –. Am nächsten kommt diesem Ideal außer Eunap selbst noch Oreibasios (cap. ). So hingegen Momigliano (1987) . Der Biograph fungiere als Mittler der Intimität zwischen dem heiligen Mann, den er porträtiere, und dem Leser.
Das Ideal des Intellektuellen
pagiert . Er vereint in sich all das, was sein Sohn über die Jahre hinweg im Unterricht wie in zahlreichen Reden ein breiteres Publikum zu lehren sucht. Der Tod des Vaters gibt Gelegenheit, anhand eines abgeschlossenen und erfolgreichen Lebenslaufes das Ideal des Intellektuellen in mustergültiger Reinheit vorzustellen. So beglaubigt die Vita des Eugenios den vom Sohn eingeschlagenen Weg und regt in ihrem exemplarischen Charakter zur Nachahmung an, zumal es die Form der Leichenrede erlaubte, auch auf die jenseitige Belohnung einzugehen, die einem solchen Menschen winkt. Noch deutlicher sticht diese Vorgehensweise ins Auge, wenn man Himerios’ Reden betrachtet, die er zur Bürgerrechtsverleihung und zum Tode seines kleinen Sohnes Rufin komponierte (or. und ). Während er in seinen übrigen Reden, soweit sie dem Schulbetrieb entstammen, ebenfalls das Prinzip der Wiederholung anwendet, insofern er sich selbst immer wieder als rhetorischen Lehrer präsentiert, der gleichsam als Verkörperung athenischer Kultur die griechische Bildungstradition in sich trägt und an die Schüler weitergibt, ist der Knabe die ideale Projektionsfläche, um dieses Programm anschaulich zu illustrieren. In der Rede vor dem Areopag, mit der Himerios die vorzeitige Verleihung des Bürgerrechts an Rufin beantragt, stilisiert er seinen Sohn zu einem wahren Athener, der, wie es sich für einen Bürger dieser Stadt gehört, Reden in der Öffentlichkeit halten wird und sich auf eine illustre Abstammung berufen kann, die seinen kulturellen Hintergrund verbürgt. Stamme er doch nicht nur von Minukianos und Nikagoras ab, sondern vor allem von Plutarch, durch den die Athener aller Welt die Bildung gebracht hätten . Die Ahnen des Rufin, Sophisten und Philosophen, seien der wahre Adel Attikas . Nach dem frühen Tod des vielversprechenden Talents mischt Himerios in seiner Monodie auf Rufin in seine Klagen ein Porträt seines idealen athenischen Redners. Erneut paradieren die berühmten Vorfahren des Knaben vor dem Publikum (or. . ), und um den Verlust auszumessen, ruft sich der Vater die Talente und Erfolge des Sohnes in Erinnerung. Schon als Säugling beeindruckt dieser durch seine ersten Lautäußerungen, noch in Windeln nimmt er durch Reden und Schönheit alle für sich ein (§ ) und erfüllt
Vgl. Vanderspoel (1995) , Penella (2000a) f., Penella (2000b) –. Him. or. . . Auch in § wird betont, daß Rufin Athener sei. Him. or. . . Gemeint sind hier wohl der ältere Minukianos, ein Rhetoriklehrer des . Jahrhunderts, der die Tochter des Sextus von Chaironeia heiratete, und dessen Enkel Nikagoras (ca. –), der den Rhetoriklehrstuhl in Athen innehatte und Herold bei den Eleusinischen Mysterien war. In Frage kämen freilich ebenso der jüngere Minukianos, Sohn dieses Nikagoras, und dessen Sohn Nikagoras d. J. Siehe Völker (2003) –; Penella (2007) f. Daß Plutarch athenische Bildung verbreitet habe, bezieht sich wohl auf dessen Studienzeit bei Ammonios in Athen. Him. or. . : σοφιστῶν ὑμῖν καὶ φιλοσόφων λέγω κατάλογον, ᾿Αττικὴν ὄντως
εὐγένειαν.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
mit seinem Ruhm den ganzen Erdkreis (§ und ) . Daß Rufin mehr als ein Sterblicher ist (§ ), verwundert angesichts dessen nicht, und so steigt er schließlich zu den Göttern empor, wo sich sein göttliches Wesen in reiner Form zeigen kann . Das offensichtliche Mißverhältnis zwischen den tatsächlichen Leistungen des Kindes und dem überschwenglichen Lob des Vaters verrät, daß es neben der Trauer darum geht, das Lebensideal des Gebildeten in vollkommener Form zu entwerfen. All die Eigenschaften, die der gewöhnliche Schüler in der Schule des Himerios erst entwickeln soll, trägt der überaus begabte Knabe bereits in sich: athenische Kultur, literarische Bildung, Beredsamkeit, Anmut und die Fähigkeit, die Mitbürger für sich zu gewinnen. An Eugenios und Rufin wird sichtbar, daß sich ein Leitbild, soll es wirklich zur Nachahmung anregen, in Individuen manifestieren muß. Drei Möglichkeiten, in biographisch geprägten Texten den Rezipienten ein Modell zur Nachahmung an die Hand zu geben, lassen sich differenzieren, ohne einander auszuschließen. An erster Stelle ist der Versuch der Traditionsbildung zu nennen. Indem sie ihr Leitbild an den großen Archegeten der griechischen Philosophie orientieren oder an die Abfolge von Lehrern und Schülern anknüpfen, versehen die Autoren es mit der Legitimation der Kontinuität. Sie stellen ihr Ideal in eine Reihe mit namhaften Vorläufern, damit etwas von deren allgemein anerkanntem Glanz darauf abfällt. Weiterhin aufgefallen ist das Prinzip der Wiederholung, sei es in der Kette von Einzelviten bei Eunap, sei es im Lebensweg des Libanios. Immer gleiche Begebenheiten rufen hierbei den Eindruck von Statik hervor, so daß das Einzelschicksal in einem allgemeinen, zeitlosen Konzept aufgeht und damit Exemplarität, ja Typenhaftigkeit gewinnt. Dieser Tendenz leistet schließlich die Strategie der Projektion Vorschub, die in den Enkomien auf Eugenios und Rufin am Werk ist. Jeweils einem einzelnen, abgeschlossenen Leben gewidmet, stilisieren diese Reden den Gefeierten zum Inbegriff des umfassend Gebildeten, dem keine der erwünschten Eigenschaften fehlt. In mustergültiger Reinheit hat hier das Ideal des Intellektuellen Gestalt angenommen. Gemeinsam ist diesen drei literarischen Verfahrensweisen, daß sie die für ein Leitbild erforderliche Balance zwischen Typisierung und Individualisierung fördern. Obgleich das Leben und Wirken einzelner Menschen vor Augen geführt wird, findet der Leser ein hinreichend allgemeines und überzeitliches Konzept vor, um sich diesem anverwandeln zu können.
Weitere positive Eigenschaften vervollkommnen das beinahe übermenschliche Wesen des Knaben: Geschwisterliebe, Selbstbeherrschung, Tapferkeit (§ f.), herausragendes Ansehen und Beliebtheit (§ , ). Him. or. . . Himerios malt sich hier aus, wie Rufin mit den Göttern Spiele besucht, auf alles herabsieht, mit Eros spielt, mit Hymenaios an Gelagen teilnimmt und als göttlich inspirierter Seher tätig ist. Schon in § f. wird ausgeführt, daß Rufin dem Dionysos geweiht gewesen sei und Demeter und Persephone zugehört habe. Siehe auch § .
Das Ideal des Intellektuellen
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Gesellschaftliche Bedeutung und Attraktivität des Leitbildes
Soll ein Lebensideal zur Nachahmung auffordern, also als Leitbild im Sinne des Wortes wirken, sollte es seinen potentiellen Anhängern Vorteile in Aussicht stellen. Wer ein Leitbild konstruiert und verbreitet, muß seinen Rezipienten zumindest implizit Versprechungen machen, damit sein Konzept in den Augen anderer attraktiv erscheint, zumal wenn es darum geht, sich gegen andere Leitbilder zu behaupten. Vor dem Hintergrund des eingangs skizzierten Ideals des christlichen Bischofs und des Heiligen stellt sich jetzt die Frage, inwieweit das Leitbild des paganen Intellektuellen eine Bedeutung innerhalb der Gesellschaft seiner Zeit entfalten kann. Gelingt es Libanios, Themistios und Eunap, glaubhaft zu machen, daß der griechische πεπαιδευμένος Antworten auf drängende Fragen von allgemeinem Interesse geben kann? Trotz unübersehbaren Gemeinsamkeiten ist es hier nötig, stärker als bisher zwischen den drei Autoren zu differenzieren, da sie unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Wie wir oben gesehen haben, wird es als für den Gebildeten charakteristisch dargestellt, daß er in der Öffentlichkeit tätig ist und ein gewisses Ansehen genießt . So betrachten es offensichtlich auch die Philosophen und Sophisten Eunaps als ihre Aufgabe, einen Kreis von Schülern an das Ideal der griechischen παιδεία heranzuführen und sie in die Geheimnisse der neuplatonischen Philosophie bzw. der Rhetorik einzuweihen. Schlaglichtartig wird die geistige Überlegenheit dieses Ideals beleuchtet, wenn der Intellektuelle in öffentlichen Agonen den Sieg davonträgt oder seine Weissagungen für jedermann sichtbar eintreffen. Eunap zeichnet jedoch beileibe kein homogenes Bild seiner Philosophen und Sophisten. Gibt es doch unter ihnen ebenso einzelne Persönlichkeiten, die im Gegensatz dazu gerade den Rückzug aus Öffentlichkeit und Gesellschaft favorisieren . Ausführlich wird beispielsweise von einem Orakel berichtet, das Aidesios über die zwei möglichen Lebenswege erhalten habe. Entweder könne er sich Städte und die Öffentlichkeit als Wirkungsstätte wählen, wo er unsterblichen Ruhm erlangen werde, oder er könne sich als einfacher Schäfer aufs Land zurückziehen, wofür er einst mit der Gemeinschaft der seligen Götter belohnt werde . Aidesios entscheidet sich, wie Eunap erzählt, für den besseren Weg des Eremitendaseins, wird aber schließlich von den wißbegierigen Menschen geradezu gezwungen, wieder in die Welt zurückzukehren, um dort zu lehren. Dies bringt ihm dann tatsächlich Ruhm ein, der bis zu den Sternen reicht . Siehe oben S. . Siehe Fowden (1982) – und Lim (1995) –. Dillon (2004) – hingegen sieht die neuplatonischen Philosophen durchaus in gewissem Maße in der Gesellschaft engagiert. Eun. VS . . . Eun. VS . . Eunap berichtet ferner, daß sich Jamblich von Zeit zu Zeit von seinen Schülern zum Gebet zurückzog, was bei diesen auf Unverständnis gestoßen sei (. . – ). Eventuell war auch Antoninus’ Ansiedlung im Sarapeion von Kanobos als Rückzug
. Die Konstruktion eines Leitbildes
Eunap läßt durch seine Wertung keinen Zweifel daran, daß die persönliche Angleichung an die Götter dem innerweltlichen Ruhm vorzuziehen ist. Ähnlich zwiespältig wird von Eunap das politische Engagement seiner Protagonisten bewertet. Einerseits erweckt es Bewunderung, wie Eustathios es versteht, Kaiser Constantius und den persischen König Sapor II. durch seine Beredsamkeit für sich einzunehmen (. ). Andererseits scheint Eunap warnen zu wollen, wenn er darstellt, wie Sopater und Maximus durch ihre Verstrickungen in die große Politik ums Leben kommen . Jedenfalls ist eine gewisse Reserve gegenüber der politischen Betätigung zu spüren, die nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß das Römische Reich, abgesehen von Julians Regierungszeit, in Eunaps Augen christlich geprägt ist, sich die politische Mitwirkung für Heiden also eigentlich von selbst verbietet. Mit sichtlicher Befriedigung erwähnt er es als abschließende Krönung der Vita des Libanios, daß dieser mehrfach das Angebot der nach Julian regierenden Kaiser ausgeschlagen habe, die höchsten Ehren, darunter den Titel eines Prätorianerpräfekten, anzunehmen . Trotz einer gewissen Wahrnehmbarkeit in der Öffentlichkeit bleibt die Bedeutung dieses Leitbildes eher auf das Individuum beschränkt. Mit der Form der Kollektivbiographie zeigt Eunap Wege auf, wie der einzelne zu persönlicher Vervollkommnung und zu seinem spirituellen Heil finden kann. Als höchstes Ziel für den Menschen gilt die durch Philosophie und Theurgie erreichte Angleichung an die Götter und die Lösung der Seele vom Körper. Die Grundhaltung der Resignation gegenüber einer immer stärker vom Christentum geprägten Zeit führt zwar nicht zu völliger Passivität, aber zum weitgehenden Rückzug aus der Welt in den Bereich des Privaten. Als ein Unzeitgemäßer verspürt der pagane Intellektuelle nurmehr den Drang, für sein persönliches Heil zu sorgen und sowohl durch sein eigenes Vorbild als auch durch seine Lehre anderen den Weg zu dieser Vervollkommnung zu weisen. Reine Illusion wäre nach Julians Tod der Glaube, in der Gesellschaft wirken zu können. Daß dieses Heilsversprechen sich lediglich an einen kleinen Kreis von Menschen richtet, versteht sich von selbst. In Frage kommen ausschließlich diejenigen, die sich Bildung leisten können. Einer breiteren Wirkung steht darüber hinaus ein grundlegendes Merkmal von Eunaps Konzept im Wege. Welche theurgischen Mittel es sind, durch die man sich dem Göttlichen annähert, läßt sich intendiert, doch suchten ihn anscheinend zahlreiche Verehrer und Schüler dort auf (. . –, . . –). Libanios lobt in einem Brief, daß sich der jüngere Jamblich in die Einsamkeit des Landlebens zurückgezogen habe, wo er nur mit Pythagoras, Platon, Aristoteles und seinem Namensvetter verkehre (ep. . –). Eun. VS . , . . –, . . –. . . Daß Eunap es als gefährlich betrachtet, wenn sich ein Philosoph zu sehr öffentlich exponiert, zeigt sich auch darin, daß er das Ende Sopaters in einem ausführlichen Vergleich mit dem Tod des Sokrates in Beziehung setzt. Eun. VS . . . Die Antragung einer titularen Prätorianerpräfektur dürfte unhistorisch sein. Vermutlich hat Eunap hier Lib. or. . f. falsch interpretiert. Siehe Wiemer (1995b) –; anders Banchich (1985).
Das Ideal des Intellektuellen
Ungeweihten nicht mitteilen . In dieser Hinsicht sind Eunaps Viten also enge Grenzen gesetzt. Für den Außenstehenden, der niemals die Möglichkeit hatte, selbst diesen Vorbildern zu folgen, waren sie irrelevant, da sie ihm nichts bieten konnten. Was das Verhältnis zur Öffentlichkeit und zur Staatsmacht angeht, könnte der Unterschied zu dem Philosophen des Themistios kaum größer ausfallen. Für Themistios steht es außer Frage, daß der Philosoph verpflichtet ist, die Öffentlichkeit zu suchen und ein größeres Publikum anzusprechen . Auch wenn er dadurch leicht in Verdacht gerät, eigentlich ein Sophist zu sein, ist es gleichwohl nicht legitim, wie die Neuplatoniker die Philosophie hinter verschlossenen Türen zu halten und auf einen ausgewählten Zirkel zu limitieren. Schon Platon habe vom wahren Philosophen gefordert, umgänglich und leutselig zu sein , und so lobt es Themistios an seinem Vater, daß er sogar zu einfachen Leuten gesprochen habe . Auch er selbst hält es sich zugute, bedürftige Schüler mit Stipendien zu versehen, damit sie bei ihm studieren können . Trotzdem zeigt sich auch einmal eine gewisse Verachtung für die breite, ungebildete Masse, von der Themistios sein ausgesuchtes Publikum abgrenzt, doch bleibt dies eine Ausnahme . Unabdingbar ist diese Öffentlichkeitswirkung, da die Philosophie Themistios zufolge ein praktisches Anliegen verfolgen soll. Unter den zwei Wegen der Philosophie, dem einen, der sich mit dem Göttlichen beschäftigt, und dem anderen, der sich den Menschen widmet , zwischen Theologie und Ethik also entscheidet sich Themistios eindeutig für letztere. Programmatisch läßt er seine Ansichten in or. von imaginären Vertretern der Stadt Konstantinopel gegenüber der personifizierten Philosophie vortragen. Sie fordern, daß die Philosophie zum Wohle der Allgemeinheit tätig wird, statt die Phänomene des Kosmos zu erklären (c–a). Ihr ureigenstes Anliegen besteht darin, erzieherisch tätig zu sein und so die Lebensführung der Menschen durch Anleitung zur Tugend zu verbessern . Damit eifert der Philosoph seinem mythischen Ahn
Auf diesen Umstand macht Eunap selbst in . . und . . aufmerksam. Vgl. . . . Siehe auch Maisano (1986) –. Them. or. . b–c. Vgl. Pl. R. , b. Them. or. . c/d. Themistios betont hier den Gegensatz zu anderen Philosophen, deren Lehren so unverständlich seien, wie wenn jemand persisch spreche. Eugenios hingegen habe sich immer auf sein Publikum eingestellt, seien es Winzer, Schmiede, Amtsträger oder Bauern. Them. or. . b, b/c, c. Themistios verteidigt sich hier gegen den Vorwurf, er bereichere sich wie ein Sophist an seinen Studenten. Andererseits will er den Eindruck vermeiden, er habe Schätze angehäuft. Them. or. . b–d (Protheoria). Diese Gegenüberstellung am Anfang von or. dürfte sicherlich eher als captatio benevolentiae intendiert sein, um eine Zusammengehörigkeit zwischen dem Redner und seinen Hörern herzustellen. Them. or. . b–d; . a/b. Vgl. auch or. . a–d. Die Aufgabe der Philosophie wird in . a/b auf den Punkt gebracht. Sie solle erklären, ὅπως [. . .] γίνεται εἷς ἀνὴρ εὐδαίμων καὶ ὅπως ξύμπασα οἰκία καὶ οἵοις πόλις
. Die Konstruktion eines Leitbildes
herrn Herakles nach, der von den Göttern gesandt wurde, um den Menschen zu helfen . Aus dieser Grundhaltung folgt, daß der Philosoph auch politisch tätig werden sollte, wie Themistios selbst es mustergültig in die Tat umgesetzt hat. Mit vollem Recht verlangt die Stadt Konstantinopel von der Philosophie, den Senat beratend zu unterstützen. Da die Senatoren den Philosophen als ihresgleichen anerkennen und ihn zu sich einladen, sollte es sich von selbst verstehen, daß er ihnen bei den politischen Geschäften hilft (. c–a). Dem Nachweis, daß es dem Philosophen zukomme, sich politisch zu engagieren, als Gesandter tätig zu werden und dem Herrscher Ratschläge zu erteilen, dient dann auch die gesamte . Rede, in der sich Themistios für seine Tätigkeit im Dienste Konstantinopels und des Römischen Reiches rechtfertigt. Eben dieses Selbstverständnis eines homo politicus kommt oftmals in seinen Staatsreden zum Ausdruck, wenn er das Verhältnis von Philosophie und Macht erörtert . Anders als Eunap versucht Themistios also nachzuweisen, daß der Philosophie eine eminente Bedeutung für die Gesellschaft zukommt. Zwar spielt auch die persönliche Vervollkommnung eine Rolle, wie man gerade dem Enkomion auf Eugenios entnehmen kann , doch ist sie nie zu trennen von dem Auftrag, als Erzieher und Ratgeber dem Gemeinwohl zu dienen. Mit seinem Ideal einer Philosophie, die sich rhetorischer Mittel bedient, um öffentlich zu wirken, formuliert Themistios im Grunde ein Programm, wie es gut siebenhundert Jahre zuvor schon Isokrates vertreten hatte . Auf eine solche Philosophie können Staat und Gesellschaft nicht verzichten, wenn sie sich zum Besseren entwickeln wollen. Während Themistios auf Grund seiner eigenen Tätigkeit auch die große Politik als Betätigungsfeld des Philosophen ansieht, insofern er maßgeblich das Verhältnis zwischen dem Kaiser und dem Senat mitgestaltet und dem Herrscher Ratschläge für die Innen- wie Außenpolitik erteilt , findet der Sophist des χρωμένη ἐπιτηδεύμασιν εὖ ὀρθοῖτο ἄν [. . .] (»wie ein einzelner Mensch oder wie
ein ganzer Haushalt glücklich wird oder mit welcher Lebensführung eine Stadt Erfolg haben könnte«). Them. or. . d–b. In or. . (p. , –) wird Herakles mit dem Kaiser parallelisiert, weil er, statt sich mit dem logischen Schlußverfahren zu befassen, Ungesetzlichkeit verhindert habe. Beispielsweise or. . a; . b/c; . c/d, c–a; . c–b; . a–a; . d–c. Siehe ferner or. . (p. , –): Der λόγος macht in Verbindung mit einer guten Erziehung den Menschen zum ζῷον θεογενές. Themistios verweist allerdings kaum einmal explizit auf Isokrates, und das auch nur in den politischen Reden (or. . b/c; . a), und lehnt sich höchst selten an dessen Werke an. Vielmehr bemüht er sich darum, sein Konzept mit der platonischen Staatsphilosophie zu verknüpfen. Die Zurückhaltung bei Anspielungen auf die Redner dürfte nicht zuletzt dadurch bedingt sein, daß Themistios sich selbst gerade als Philosoph verstanden wissen wollte, nicht als Sophist. Siehe auch Colpi (1987) –. Themistios bemüht sich allerdings gleichzeitig, dieses politische Engagement so erscheinen zu lassen, als werde er ganz wie andere Philosophen als Fürsprecher im Interesse seiner Heimatstadt tätig. Er betont seine Dienste, insbesondere Gesandtschaften, für
Das Ideal des Intellektuellen
Libanios seinen Wirkungskreis eher auf lokaler Ebene, auch wenn hierbei die Beziehung zur Staatsgewalt eingeschlossen ist . Zwar sähe er es gerne, wenn seine Schüler hohe Posten in der Reichsverwaltung bekleideten , doch scheint es in seinen Augen näher zu liegen, wenn ein rhetorisch versierter Gebildeter sich in der Kurie einer Stadt oder als Advokat betätigt . Auch Libanios selbst zeigt, wenn man einmal von der Zeit Julians absieht, eine merkliche Distanz zur Reichspolitik, zumal er eine Abneigung oder zumindest Mißtrauen gegen die Hauptstadt Konstantinopel hegt . Eine der vornehmlichen Aufgaben des Sophisten in der Stadt ist die Erziehung junger Männer, die, wie Libanios betont, eben nicht allein in der Vermittlung rhetorischer Fertigkeiten besteht, sondern vielmehr darauf angelegt ist, aus dem Studenten einen politisch engagierten Bürger zu machen, dem bei seinen Aktivitäten die rhetorische Bildung zupaß kommt (or. ). Als Lehrer sorgt der Sophist also dafür, daß die Stadt über eine politische Führungsschicht verfügt, die ihre Geschicke bestimmt . Die erzieherische Funktion tritt aber noch auf einem anderen Gebiet zutage. Immer wieder sehen wir, wie Libanios mit offenen Briefen das ungebührliche Benehmen und die schlechte Amtsführung hoher Beamter öffentlich brandmarkt . Wenn ein Statthalter oder ein anderer Amtsträger seiner Ansicht nach brutal
Konstantinopel und den Senat (or. . b; . d; . [p. . –] und [p. . –. ]), die Wiederherstellung der traditionellen annona für die Stadt (or. . ) und die Ehrungen, die er für den Senat erlangt habe (or. . ). Seine Tätigkeit im Senat bezeichnet er als λειτουργία für die Stadt (. d). Bezeichnend ist ferner, daß es in or. eine Personifikation der Stadt ist, die von der Philosophie politische Aktivitäten fordert. Indem er die lokale Bedeutung seiner Tätigkeit hervorhebt, antizipiert Themistios möglicherweise Kritik daran, daß ein Philosoph sich auf der Ebene der Reichspolitik betätige. Derartige Vorbehalte scheinen bei Eunap und Libanios durch. Siehe Dagron (1968) f. und Brauch (2002) f. Einen Vergleich zwischen den Haltungen beider Autoren zur politischen Betätigung stellt Joaquín Ritoré Ponce: »Actitudes del intelectual ante el poder en el s. IV d. C. Los casos de Libanio y Temistio«, in: Mélanges A. F. Norman, hg. von Á. González Gálvez und P.-L. Malosse. (Τόποι Suppl. ) Paris , – an. Lib. or. . –. Lib. or. . ; . –. In or. appelliert Libanios an ehemalige Schüler, vor Gericht und in der Kurie das Wort zu ergreifen, um Einfluß zu nehmen. Zu möglichen Berufsfeldern der Rhetorikschüler siehe Wolf (1952) –. Lib. or. . ; . und ; . ; ep. . ; ; . . Siehe auch or. . –. Dies spielte auch bei Differenzen zwischen Libanios und Themistios eine Rolle. Cribiore (2007) –. Auf Libanios’ Einstellung zur Zentralgewalt gehen De Salvo (2000) und Francesio (2004) – ein. Zu Libanios’ Idealvorstellung von der politischen Rolle der gebildeten Elite und der Kurie (bes. in or. ) vgl. Schouler (2004). Lib. or. , , , , , , . Besonders heikel war der Fall des consularis Syriae Severus, der trotz Libanios’ Fürsprache jemanden zu Tode peitschen ließ (or. ). Severus war nämlich Libanios’ Schüler gewesen. Kritik an Maßnahmen von hohen Beamten üben auch or. und . Vgl. auch or. . –. Fraglich ist, ob die Schriften, in denen Libanios hohe Beamte scharf angreift, tatsächlich in dieser Form publiziert wurden bzw. wie weit die Verbreitung reichte. Petit (1983b) –.
. Die Konstruktion eines Leitbildes
auftritt, den Bürgern zu hohe Belastungen zumutet oder gar korrupt ist, fühlt sich Libanios berechtigt, im Namen der Antiochener das Wort zu ergreifen . Er repräsentiert geradezu das moralische Gewissen der Stadt, und zwar kraft seiner Autorität als Sophist. Wie erfolgreich solche Interventionen im einzelnen waren, läßt sich kaum abschätzen . Jedenfalls will Libanios aber das Bild vermitteln, als sei der rhetorisch versierte Intellektuelle prädestiniert, das Betragen hoher Beamter zu beurteilen. Keine einzige wichtige öffentliche Angelegenheit scheint es zu geben, die nicht das Eingreifen des Sophisten verlangt. Ob es zu einem Engpaß bei der Lebensmittelversorgung kommt, ob den Bauern des Umlandes zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, ob die Mitgliederzahl des Stadtrates erhöht werden soll oder das Verhältnis der Stadt zum Kaiser einer Entspannung bedarf: überall engagiert sich Libanios mit öffentlichen Reden oder Denkschriften, um eine Lösung herbeizuführen, die den Interessen Antiochias gerecht wird . Obgleich er selbst nicht der Kurie angehört, sondern nur einer Kurialenfamilie entstammt , beansprucht Libanios, an ihren Sitzungen teilzunehmen oder auch bei Gerichtsverhandlungen hinzugezogen zu werden. Übergeht man ihn einmal, so ist dies ein unglaublicher Affront . Bei all seinen Initiativen steht die Absicht im Vordergrund, den inneren Frieden der Stadt zu bewahren oder wiederherzustellen und Konflikte zwischen einzelnen sozialen Gruppen nach Möglichkeit zu vermeiden . So hilft er zwar einem Bäcker, dem von einem Beamten Unrecht widerfahren war, wirkt aber gleichzeitig darauf hin, daß der Bäcker seine Klage fallen läßt, damit der Amtsträger nicht in der Öffentlich Zu den Erwartungen der Provinzbevölkerung an die Reichsbeamten siehe Slootjes (2006), zu Libanios speziell –. In or. . f. lamentiert Libanios selbst, er habe oft Kritik an Beamten geübt, aber leider ohne Erfolg. Vgl. . f.; . . Lib. or. (Versuch, Julians Zorn gegen die Antiochener zu beschwichtigen), (Kritik an der Erweiterung des Plethrons), (Intervention gegen erzwungene Arbeitsleistungen der Bauern), (über Mißstände in Gefängnissen), (Kritik an denjenigen, die während der Unruhen geflohen waren), (Bitte an Theodosius um Milde gegenüber der Stadt), und (über den Stadtrat), (gegen Militärpatronage), (gegen Beamtenbelagerung). Vgl. auch Libanios’ Rechtfertigung, daß er sich um alle öffentlichen Angelegenheiten kümmere, in or. . –. Zu den Reden und siehe jetzt Odile Lagacherie: »Libanios, rhétorique et politique. À propos des discours et : le principe de realité«, in: Approches de la Troisième Sophistique. FS Jacques Schamp, hg. von E. Amato. (Collection Latomus ) Brüssel , –. Siehe Wiemer (1995b) –, Wintjes (2005) – (zur sozialen Stellung der Familie). Lib. or. . (vgl. ep. ); . . Libanios beruft sich hierbei auf seine Abstammung von Kurialen. Vgl. auch or. . f., wo Libanios berichtet, wie Caesarius, der mit der Untersuchung der Statuenunruhen von betraut ist, ihm Gehör schenkt, weil er ihn als Redner schätzt. In or. . – beansprucht Libanios, durch sein Engagement eine erneute Flucht der Bäcker aus der Stadt verhindert zu haben.
Das Ideal des Intellektuellen
keit in schlechtem Licht erscheint . Wichtig ist für Libanios, daß das soziale Gefüge Antiochias unangetastet bleibt und den Angehörigen der lokalen Elite sowohl von den einfachen Leuten als auch von den hohen Reichsbeamten der gebührende Respekt gezollt wird . Welche Bedeutung der Aufrechterhaltung der Ordnung in seinem Denken zukommt, zeigt sich auch in den an Theodosius gerichteten Denkschriften, in denen Libanios ein ums andere Mal auf die Einhaltung der bestehenden Gesetze dringt . Damit der innere Frieden der Stadt gewahrt bleibt, müssen auch die unteren Schichten vor ungebührlichen Zumutungen geschützt und bei ihren Anliegen unterstützt werden. Da sie aber nicht über die Möglichkeiten verfügen, ihre Sorgen und Wünsche in angemessener Weise zu artikulieren, weil sie nicht den Code der Gebildeten beherrschen, um mit den Eliten kommunizieren zu können, bedürfen sie eines geeigneten Fürsprechers . Beispielsweise wendet sich Libanios im Winter / an den Kaiser, um die Bauern aus Antiochias Umland vor einer Maßnahme des Statthalters Ikarios in Schutz zu nehmen (or. ). Dieser hatte sie anscheinend zu ungesetzlichen Arbeitsleistungen verpflichtet, was dazu führte, daß einige die Stadt mieden. Libanios bemüht sich, diesem Mißstand ein Ende zu bereiten, zumal dadurch die Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung der Stadt noch erhöht würden. Eines seiner Argumente ist die soziale Ungerechtigkeit: Diejenigen, die von den Belastungen verschont blieben und Vergünstigungen erhielten, seien die Reichen, während die einfachen Leute vom Lande die Lasten tragen müßten . Einige Zeit später setzte sich Libanios in ähnlicher Weise für die Gefängnisinsassen ein, die durch die Schuld der Statthalter unter unzumutbaren Bedingungen zu leiden hätten (or. ). Da viele unschuldig in den überfüllten Gefängnissen säßen und die Gefangenen zudem zu wenig Lebensmittel erhielten, appelliert Libanios unter Hinweis auf die Gesetzeslage und die φιλανθρωπία an Theodosius, er möge diesen Zustand verbessern . In besonderer Weise aber tat sich Libanios durch seine Patronage für die antiochenischen Bäcker hervor, zu der er sich moralisch verpflichtet fühlte . So hält er es sich zugute, während einer Versorgungskrise, als die Bäcker aus Protest die Stadt verlassen hatten, die Aufhebung des Höchst Lib. or. . –. Lib. or. . ; . ; passim; . –; . Lib. or. . –, –; . ; . – und . Vgl. auch . . Siehe De Salvo (2000) und im Hinblick auf or. Berry – Heath (1997) – und Gaddis (2005) –. Siehe beispielsweise Lib. or. . ; . ; . ; . ; . . Lib. or. . f. Vgl. auch . und or. über unrechtmäßig erworbenen Reichtum. Vgl. Michel Matter: »Libanios et les prisons d’Antioche«, in: Carcer II. Prison et privation de liberté dans l’empire romain et l’occident médiéval, hg. von C. BertrandDagenbach u. a. Paris , –. In or. . – betont Libanios, daß er den Bäckern zwar nicht rechtlich, aber moralisch verpflichtet sei. Zur Beziehung zwischen ihm und den antiochenischen Bäckern siehe Wiemer (1996b).
. Die Konstruktion eines Leitbildes
preises erlangt und die Bäcker zur Rückkehr in die Stadt bewogen zu haben . Wie bereits erwähnt, steht er dann einem Bäcker bei, der ausgepeitscht worden war, wodurch er sich den Vorwurf zuzog, er verärgere einen hohen Beamten nur wegen eines einfachen Bäckers (or. . ). Zur Rechtfertigung führt er an, daß wer Unrecht erlitten habe, Beistand verdiene, auch wenn er kein verdienter Liturge, sondern nur Handwerker sei (. –). Besonders augenfällig wurde Libanios’ Engagement für die einfachen Leute, als er, wie er in der Autobiographie erzählt, zufällig Zeuge wurde, wie der Statthalter Philagrios einen Bäcker auspeitschen ließ. Unter Lebensgefahr schreitet er ein und beendet die Auspeitschung, wobei nur Tyche verhindert, daß ihm der mordgierige Pöbel zu Leibe rückt . Die schließlich eintretende Ruhe bezeugt noch einmal die wichtige Rolle, die Libanios für Antiochia spielt (. ): ἐντεῦθεν εὐεργέτης ὠνο-
μαζόμην τῶν τε οὐ βασανισθέντων τοῦ τε ἐπὶ τῆς ἀρχῆς τῶν τε ἐνοικούντων τοῦ τε τῆς πόλεως σώματος, τῶν μὲν οὐ πεινασάντων, τῆς δὲ οὐ κατακαυθείσης, τοῦ δὲ σχοινία διαφεύγοντος (»Daher wurde ich Wohltäter genannt derer, die nicht gefoltert wurden, des Statthalters, der Einwohner und des Körpers der Stadt, der einen, weil sie nicht verhungert waren, der Stadt, weil sie nicht in Flammen aufgegangen war, des Statthalters, weil er den Stricken entgangen war.«). Auch wenn Libanios selbst der städtischen Elite angehört, legt er Wert darauf, den Angehörigen der unteren Schichten seine Stimme zu leihen, da nur, wenn ihre Anliegen Gehör finden, das Wohlergehen der ganzen Stadt gesichert ist . Bisweilen kritisiert er deshalb die Vertreter der Führungsschicht, seien es die Kurialen oder Beamte, wenn ihr Verhalten die Eintracht innerhalb der Bürgerschaft gefährdet . Um die öffentlichen Angelegenheiten der Stadt maßgeblich zu beeinflussen, genügt es nicht, wenn der Intellektuelle den Kontakt zu den in der Stadt ansässigen Vertretern der Staatsgewalt sucht. Mitunter ist es erforderlich, sich an den Kaiser selbst zu wenden, zumal wenn der Statthalter gegen die Interes Lib. or. . –; . f. Lib. or. . –. Libanios hebt bei dieser Episode hervor, daß Philagrios eigentlich keine Schuld treffe, sondern nur Verleumdungen der δυσσεβεῖς, also der Christen, ihn dazu gebracht hätten, Gewalt anzuwenden. Wiemer (1996b) – vermutet, daß Libanios’ Eingreifen ganz und gar nicht spontan war, wie er es darstellt, sondern inszeniert. So habe Philagrios, der von der Unschuld der Bäcker überzeugt gewesen sei und nur dem Volk habe seine Unbestechlichkeit beweisen wollen, eine willkommene Gelegenheit erhalten, das Verhör abzubrechen. Gemeint sind Mißhandlung und Ermordung durch den aufgebrachten Pöbel. Libanios betont stolz, bei den Handwerkern als umgänglich und maßvoll zu gelten und selbst von den Ärmsten der Armen gegrüßt zu werden: or. . ; . ; . . Besonders scharfe Kritik übt er in or. . – an der politischen und gesellschaftlichen Elite während der Statuenunruhen von . Ihre Angehörigen (städtische Beamte, Statthalter und honorati) hätten sich auf Kosten der Masse bereichert, Heiligtümer geplündert – er wendet sich also insbesondere gegen Christen – und die Stadt verraten, da sie nur ihre eigenen Interessen im Kopf hätten. In or. tadelt Libanios die Angehörigen der antiochenischen Kurie.
Das Ideal des Intellektuellen
sen der Stadt agiert. Gerade in Krisenzeiten hält es Libanios für angemessen, daß der angesehene Sophist zwischen den Bürgern und dem Herrscher vermittelt, indem er sich auf seine Reputation stützt. Als Julian über die Unbotmäßigkeit der Antiochener verärgert zum Perserfeldzug aufbricht und in Aussicht stellt, die Stadt bei seiner Rückkehr zu degradieren, ist es der Sophist der Stadt, Libanios, der den Versuch unternimmt, den Kaiser milde zu stimmen. Er verfaßt eine Rede, in der er als Gesandter Antiochias an Julians hellenische Kultur und Bildung appelliert . Die Situation, die Libanios hier skizziert – er sei von der Stadt zu Julian gesandt worden –, entspricht allerdings nicht der historischen Wirklichkeit, da Julian starb, bevor sich eine Gelegenheit zu einem Vortrag ergab . Nachdem er unter der Herrschaft des Valens solcher Einflußmöglichkeiten beraubt gewesen war, entfaltete Libanios während der Regierung des Theodosius eine rege Aktivität als Fürsprecher gegenüber dem Kaiser. Mehrmals sandte er Eingaben und Denkschriften an den Hof , wobei davon auszugehen ist, daß weniger der angeredete Theodosius selbst der Empfänger der Schreiben war als vielmehr Leute aus seiner Umgebung, zu denen Libanios hatte Kontakte knüpfen können . Auf diesem Wege bemühte sich der Sophist, Erleichterungen für Bauern und Gefängnisinsassen zu erwirken, brutale Reichsbeamte zur Räson zu bringen oder die Position des Stadtrates zu stärken. Mit seinen Schriften erweckt Libanios den Eindruck, als stünde der Stadt in wichtigen Fragen immer die Möglichkeit offen, alle Hierarchien zu umgehen und durch einen Vertreter der παιδεία direkt beim Kaiser vorstellig zu werden. Der unter seinen Mitbürgern angesehene Intellektuelle ist es, dem die Stadt ihren Einfluß an höchster Stelle und damit ihr Wohlergehen zu verdanken hat . Wie wichtig, ja unentbehrlich die Fürsprache des Intellektuellen in Krisen war, konnte Libanios demonstrieren, als sich im Jahre in Antiochia die soge Lib. or. . Das Pendant dazu ist die . Rede, in der Libanios an seine Mitbürger appelliert, durch Bekundungen der Reue, d. h. den Verzicht auf Vergnügungen, Julian davon abzubringen, seine Residenz nach Tarsos zu verlegen. Zu den beiden zwischen März und Juni verfaßten Reden und ihrem historischen Kontext siehe Wiemer (1995a) –. Libanios hatte allerdings durchaus beabsichtigt, den ›Presbeutikos‹ Julian vorzutragen, wie er selbst in or. . angibt. Auch die Rede selbst geht von der Anwesenheit des Kaisers beim Vortrag aus (. , , ). Sokrates überliefert, daß Libanios die Rede vor einem kleinen Publikum doch noch vorgetragen habe (h. e. . ). Lib. or. , , , , , , , , . Vgl. ep. . . Ein persönlicher Vortrag vor Theodosius ist ausgeschlossen, da dieser nie nach Antiochia kam und Libanios die Stadt nicht mehr verließ. Die Möglichkeiten, wie diese Schriften vielleicht den für die jeweilige Angelegenheit entscheidenden Stellen bekannt gemacht wurden, erörtert Petit (1983b) –. Vgl. Swain (2004) . Liebeschuetz (1972) – hält es für möglich, daß die Reden tatsächlich an den Kaiser selbst gesandt wurden. Auch Wintjes (2005) f. scheint davon auszugehen, daß Libanios’ Denkschriften Theodosius erreichten, ebenso Ernesti (1998) (in bezug auf or. ). In or. . , . , . und . verweist Libanios darauf, daß er immer wieder für die Kurie bei den Statthaltern und beim Kaiser interveniert habe. Vgl. auch or. . und .
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nannten Statuenunruhen ereigneten . Nachdem Kaiser Theodosius den Bürgern eine neue Abgabe abverlangt hatte, kam es zu Ausschreitungen der Bevölkerung, in deren Verlauf Bildnisse des Kaisers und seiner Angehörigen verhöhnt und beschädigt wurden . Sobald man sich darüber im klaren war, daß damit der Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt war, erwartete man mit Sorge das kaiserliche Strafgericht. Theodosius vermied eine überstürzte Reaktion des Zorns und betraute erst einmal hohe Beamte mit der Untersuchung der Vorfälle. Obgleich Libanios, wie er berichtet, von ihnen Informationen über mögliche Strafen erhalten und diese verbreitet hatte, um der Panik in der Stadt Einhalt zu gebieten , flohen anscheinend zahlreiche Angehörige der Oberschicht aufs Land, um sich in Sicherheit zu bringen. Libanios kritisierte sie in einer Rede scharf für dieses Verhalten und forderte sie auf, zur Besinnung zu kommen, damit Einigkeit unter den Bürgern herrsche (or. ). Gleichzeitig stellte er in Aussicht, daß Theodosius die Werte der klassischen Kultur anerkennen und sich versöhnlich zeigen werde . In einer weiteren Rede stellt es Libanios so dar, als sei er als Fürsprecher der Stadt nach Konstantinopel gereist und versuche nun, den Kaiser zu Milde zu bewegen . Tatsächlich scheint Libanios Erfolg zu haben, denn bald darauf kann er in einem weiteren Vortrag Theodosius für die bewiesene Milde preisen und damit seine eigene Leistung als Vermittler ins rechte Licht rücken (or. , bes. § ). Am Ende der Rede stellt Libanios das Bild einträchtigen Wirkens zwischen dem Kaiser und ihm vor Augen und benennt noch einmal das Fundament, auf dem all dies beruht, παιδεία. Mit diesen drei Reden sowie mit den zwei panegyrischen Adressen an Caesarius und Hellebich, die sich als Untersuchungsrichter zusammen mit Libanios für die Stadt eingesetzt hatten , bekundet er in der Öffentlichkeit, welche wichtige gesellschaftliche Funktion dem griechischen Intellektuellen zukommt. Ohne sein Wirken, so sind die Reden zu verstehen, wäre Antiochia dem Untergang geweiht gewesen. Interessant sind die Reden des Libanios zu den Statuenunruhen nicht allein deshalb, weil sie exemplarisch beleuchten, welche Dienste der Intellektuelle der Allgemeinheit leistet. Bemerkenswert ist vor allem der Umstand, daß er nicht, wie er suggeriert, als Vermittler nach Konstantinopel zum Kaiser gereist ist, Zum historischen Hintergrund siehe R. Browning: »The Riot of A. D. in Antioch. The Role of the Theatrical Claques in the Later Empire«, in: JRS , , –; Petit (1955) –; Downey (1961) –; French (1998); Leppin (1999b); Leppin (2003) f. Siehe Lib. or. . –; or. –; Chrys. stat. – (PG , –); Zos. . . Lib. or. . ; . f. und . –. Lib. or. . , . In or. . f. behauptet Libanios, die Stadt habe keine Gesandtschaft geschickt, weswegen er sich selbst zum Fürsprecher ›gewählt‹ habe. Er nehme nun im Kaiserpalast an den Gesprächen über die Stadt teil (§ ). Lib. or. und . Vgl. auch . .
Das Ideal des Intellektuellen
sondern nachweislich Antiochia während dieser Zeit gar nicht verlassen hat . Offensichtlich hat er die beiden an Theodosius gerichteten Ansprachen erst post festum verfaßt, als der Konflikt beigelegt war . Allein die Rede gegen die Geflohenen (or. ) ist tatsächlich noch während der Ereignisse entstanden. Libanios’ Intention war es also, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß ein Repräsentant der traditionellen Bildung ganz allein in der Lage gewesen sei, eine Stadt vor dem Zorn des Kaisers zu schützen. Ähnlich wie mit den Denkschriften, die mit ihren Anreden an Theodosius glauben machen, sie wären diesem persönlich vorgelegt worden, konstruiert Libanios auch im Jahre ein Bild des Intellektuellen, bei dessen Fähigkeiten die ganze Stadt Zuflucht findet . Auch wenn er zugesteht, daß sich andere Angehörige der gesellschaftlichen und politischen Elite falsch verhalten haben, ist nach wie vor das etablierte Patronagesystem intakt, dessen Fundament die παιδεία der Wohlhabenden bildet. Geflissentlich übersieht Libanios, daß ebenso wie er noch jemand anderes Anspruch darauf erhob, Retter Antiochias zu heißen. Im Gegensatz zu ihm war nämlich der Bischof Flavianus tatsächlich zum Kaiserhof gereist, um für die Stadt zu intervenieren . Er ist es, der dank der christlichen Religion den Konflikt gelöst hat, jedenfalls wenn man den Predigten des Johannes Chrysostomos glauben will, der seinerseits Libanios’ Engagement verschweigt . Libanios hingegen behauptet, Antiochia habe gar keinen Gesandten an den Hof geschickt (. ), und an der einzigen Stelle, wo er Flavianus erwähnt – allerdings ohne dessen Funktion zu nennen –, ist dieser bezeichnenderweise nicht dort, wo man ihn braucht . Diese bei Libanios wie bei Johannes zwischen den Zeilen zu lesende Strategie des Ignorierens wirft ein helles Licht auf den Konkurrenzkampf zwischen dem Bischof und dem Sophisten einer Großstadt. Wenn Libanios als Angehöriger der Oberschicht immer wieder für die einfachen Leute das Wort ergreift, harte Maßnahmen der Statthalter verhindert und Konflikte beilegt, und wenn er die Kunde von diesen Aktivitäten publizistisch verbreitet, so versucht er, die Stellung des Intellektuellen alten Schlages gegen christliche Usurpationsversuche zu behaupten. Denn genau diese Tätigkeitsfelder hatten sich die christlichen Bischöfe im Laufe des vierten Jahrhunderts angeeignet, um die Masse der Stadtbevölkerung hinter sich zu bringen und durch diese Patronage ihre Macht Vgl. Lib. or. . . Der Fiktion, daß Libanios sich nach Konstantinopel begeben habe, saß dann allerdings Zosimos auf (. . f.), eventuell also bereits Eunap ( fr. ). Diese Deutung verbreitet Libanios auch noch an anderer Stelle: or. . ; ; . ; . . Chrys. stat. . (PG , ). Zu Flavianus siehe Adolf Jülicher: Art. »Flavianus «, in: RE ., , f. Zur christlichen Perspektive dieser Statuenpredigten auf die Ereignisse siehe Cameron (1991) –, Leppin (1999b) –. In or. . berichtet Libanios, daß die aufgebrachte Menge zu Flavianus gezogen sei, ihn jedoch nicht angetroffen habe. Libanios erwähnt ihn noch in or. . und .
. Antworten auf Herausforderungen
position zu festigen . Implizit weist Libanios in seinen Reden und Denkschriften nach, daß die bischöfliche Patronage lediglich eine Kopie ist, da der πεπαιδευμένος von jeher in dieser Weise für die Gemeinschaft tätig ist.
. Antworten auf Herausforderungen Auf die nicht allein religiös motivierten Herausforderungen, denen das Ideal des umfassend Gebildeten, des πεπαιδευμένος, im vierten Jahrhundert ausgesetzt war, reagierten Themistios, Libanios, Himerios und Eunap, indem sie an den Diskussionen darüber teilnahmen, wem eine kulturelle, gesellschaftliche und politische Führungsrolle zukomme. Da inzwischen konkurrierende Modelle wie der Mönch und der Bischof oder der juristisch ausgebildete Beamte auf den Plan getreten waren, versuchten die Autoren, das Leitbild des griechischen Intellektuellen aufs neue zu definieren und zu begründen. Einhellig fielen die Antworten freilich nicht aus, sondern innerhalb des Ideals des Gebildeten war durchaus Platz für verschiedene Ausprägungen. Es war nicht allein der pagane Heilige, der neuplatonische Philosoph, der als Alternative zum christlichen Heiligen in Stellung gebracht wurde. Vielmehr gesellten sich zu ihm der politisch engagierte Philosoph und der zum Wohle aller tätige Sophist, die ebenfalls Züge des Heiligen aufwiesen. Was alle drei verband und sie tatsächlich zu einem einzigen Leitbild vereinigte, war einerseits die mit der paganen Religion verschmolzene παιδεία, andererseits die literarische Konstruktion und Repräsentation des Leitbildes. Um das Ideal des Gebildeten zu veranschaulichen, greifen die Autoren zur biographischen oder besser gesagt autobiographischen Form. Sie selbst verbürgen durch ihre Lebensführung die nach wie vor anhaltende Wirksamkeit und Attraktivität des Konzeptes, achten aber gleichzeitig darauf, daß es allgemein genug formuliert ist, um tatsächlich als Leitbild für andere wirken zu können. Mit dem biographischen Ansatz geht unübersehbar eine Idealisierung oder Stilisierung einher, die mitunter am hagiographischen Diskurs teilhat, sicherlich am auffälligsten in Eunaps Kollektivbiographie. Einen weiteren charakteristischen Zug bilden die Strategien der Traditionsbildung und der Wiederholung. Während rivalisierende Konzepte so dargestellt werden, als handele es sich um Neuerungen der jüngsten Zeit, verleihen die Autoren ihrem Leitbild die Legitimation der Anciennität. Durch den Rückgriff auf anerkannte Autoritäten der Vergangenheit oder die Verknüpfung immer gleicher Lebensläufe wird der Anschein Zu den öffentlichen Wohltaten der christlichen Bischöfe, zu denen neben Bauaktivitäten vor allem karitative Tätigkeiten, Sorge für Gefangene und für die Nahrungsmittelversorgung zählten, siehe Brown (1995) –, Rapp (2005) –, –; Peter Brown: Poverty and Leadership in the Later Roman Empire. Hanover (NH); London , –.
Das Ideal des Intellektuellen
einer bruchlosen Kontinuität erweckt, so daß das Ideal des Intellektuellen als in den Zeitläuften erprobt erscheint. Als wichtiges Verfahren, das Leitbild gegen Konkurrenz zu behaupten, hat sich die Strategie der Definition und der Wahrheit herausgestellt, wie sie am klarsten im Werk des Themistios entgegentritt. Wer Anspruch auf Vorrang erheben will, muß erstens dafür sorgen, daß er sich durch eindeutige Merkmale von anderen unterscheidet, zweitens glaubhaft machen können, daß er den einzig richtigen Weg verfolgt. Daher legen Themistios, Libanios und Eunap so viel Wert darauf, den griechischen Gebildeten mit Eigenschaften auszustatten, die anderen vorenthalten bleiben, und ihn gegen andere Konzepte abzugrenzen. Was die wahre Philosophie ist, worin die wahre Bildung besteht, kann nicht jeder beliebige festlegen. Für sich selbst nehmen die drei Autoren die Kompetenz in Anspruch, genau zu wissen, was wahr und was falsch ist, und sprechen im gleichen Atemzug anderen die Fähigkeit der Definition ab. Wie man Definitionsmacht ausübt, zeigt sich insbesondere, wenn Themistios seinen Kontrahenten exemplarisch vorführt, wodurch man den wahren Philosophen von den falschen und von den Sophisten unterscheiden kann. Eng verknüpft ist mit diesem Verfahren das des Ignorierens und des Ausschließens. Eunap wählt den Weg, andere Vorstellungen von Philosophie und deren Vertreter zu verschweigen, um ihnen den Status einer Alternative abzusprechen. Was verschwiegen wird, existiert nicht, und so konstruiert Eunap mit seinen Viten eine Wirklichkeit, in der es neben der neuplatonischen Philosophie jamblichischer Prägung keine andere Möglichkeit gibt, Philosophie zu treiben. Ferner versuchen die drei Autoren, ihre kulturelle Hegemonie zu behaupten, indem sie Konkurrenten nach ihren eigenen Bedürfnissen auf bestimmte Eigenschaften festlegen. Ungebildete, unkultivierte Mönche, öffentlichkeitsscheue, weltfremde Philosophen und beschränkte Juristen werden als falsche Lebensideale abqualifiziert. Ebenso wie sie ihre eigene Rolle bestimmen, üben Eunap, Libanios und Themistios mit literarischen Mitteln die Macht aus, ihre Gegner zu definieren und dadurch auszuschließen. Ziel all dieser Strategien ist es, die beanspruchte eigene Führungsposition durch Monopolisierung zu behaupten. Wem es im Konkurrenzkampf der Leitbilder gelingt, seine Vorstellungen der Öffentlichkeit zu vermitteln, verschafft sich die Möglichkeit, die Voraussetzungen festzulegen, auf die sich eine Vorrangstellung gründet. Die Autoren bemühen sich, in der öffentlichen Meinung die Einsicht zu verankern, daß die traditionelle παιδεία unerläßlich ist, wenn man in Kultur, Gesellschaft und Politik Einfluß nehmen will, und überdies allein den Weg zum persönlichen Heil eröffnet.
Politik der Erinnerung . »Du hast gesiegt, Galiläer« Kaum war die Nachricht vom Tode Julians in Antiochia eingetroffen, als zahlreiche christliche Einwohner ihrer Freude freien Lauf ließen und auf den Straßen das Ende der Regierung des Apostaten ausgelassen feierten, zum Ärger der heidnischen Nachbarn, wie Libanios berichtet . Es sollte jedoch nicht bei spontanen Äußerungen der Genugtuung bleiben, sondern bereits kurze Zeit später verfaßte beispielsweise Gregor von Nazianz, Julians Kommilitone aus Athener Studientagen, zwei sogenannte Säulenreden, in denen er schonungslos mit dessen kurzer Herrschaft abrechnete . In diesen Invektiven kommt Gregor auch auf Julians Perserzug und die Todesumstände zu sprechen, über die offensichtlich verschiedene Versionen in Umlauf waren. Nach einigen soll Julian Opfer seiner Tollkühnheit geworden sein, nach anderen tötete ihn einer der eigenen Soldaten, weil der Kaiser seine Verachtung für die Truppe unverhohlen geäußert hatte, wieder andere machten einen der Spaßmacher aus dem Gefolge des Heeres verantwortlich, und gemäß einer vierten Meinung soll ein Sarazene die Tat verübt haben . Auch wenn er sich für keines dieser Gerüchte entscheidet, läßt Gregor keinen Zweifel daran, daß Julians Tötung eine Ruhmestat gewesen sei und die Erde geheilt habe. Er deutet die tödliche Verwundung als gerechte Strafe für das blinde Vertrauen des Kaisers in die Eingeweideschau, die ihm nicht einmal die eigene Verwundung hatte vorhersagen können. Letztlich habe Julian, der widerspenstige Tyrann, seine Gottlosigkeit büßen müssen . Gregor blieb nicht der einzige, der sich anschickte, des Kaisers Leben, Regieren und Sterben sinnvoll in den Lauf der von Gott bestimmten Geschichte einzuordnen; vielmehr löste Julians Tod während des Perserzuges eine ganze Lib. ep. . f.; . Vgl. Gr. Naz. or. . ; Thdt. h. e. . . Gr. Naz. or. und . Kurmann (1988) – kommt zu dem Ergebnis, daß der Hauptteil der beiden Reden noch in der Regierungszeit Jovians verfaßt worden sein muß. Gregor bezeichnet seine Rede als στηλογραφία, also als Aufschrift am Schandpfahl (. ). Die Reden selbst sind στηλιτευτικός betitelt. Siehe Kurmann (1988) –. Gr. Naz. or. . – zu Julians Perserzug und Tod. In § referiert Gregor die verschiedenen Versionen. Gr. Naz. or. . ; . f., . In . zählt Julian zu den büßenden Sündern in der Unterwelt, die er sogar noch übertrifft.
Politik der Erinnerung
Reihe von geschichtlichen und theologischen Betrachtungen aus , angefangen von den Zeitgenossen Johannes Chrysostomos und Ephraem dem Syrer bis hin zu den in der ersten Hälfte des folgenden Jahrhunderts schreibenden Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenos, Theodoret und Philostorgios . Sie alle sahen Julians Ende nicht als kontingentes Ereignis, wie es bei kriegerischen Unternehmungen vorkommen kann, sondern legten ihm eine weltgeschichtliche Bedeutung bei, der sich zahlreiche Autoren bis in die Neuzeit hinein anschlossen. So steht es etwa für Sozomenos in seiner Kirchengeschichte als unumstößliche Tatsache fest, daß der Tod durch Gottes Zorn herbeigeführt worden sei, gleichgültig, von wem die Wunde beigebracht wurde. Der Kaiser habe im Augenblick seiner Verwundung selbst einsehen müssen, daß Christus ihn besiegt habe, und insgesamt sei aus zahlreichen Unglücksfällen unverkennbar, daß Gott während der gesamten Regierungszeit gezürnt habe . In die anschaulichste Form hat Theodoret den Sieg des Christentums über die heidnischen Restaurationsbestrebungen des Apostaten gekleidet, indem er folgenden Bericht referiert (. ):
ἐκεῖνον δέ γέ φασι δεξάμενον τὴν πληγὴν εὐθὺς πλῆσαι τὴν χεῖρα τοῦ αἵματος καὶ τοῦτο ῥῖψαι εἰς τὸν ἀέρα καὶ φάναι· νενίκηκας, Γαλιλαῖε, καὶ κατὰ ταὐτὸν τήν τε νίκην ὁμολογῆσαι καὶ τὴν βλασφημίαν τολμῆσαι· οὕτως ἐμβρόντητος ἦν (»Man sagt, daß er sogleich, als er die Wunde empfangen hatte, seine Hand mit seinem Blut gefüllt und dies mit den Worten ›Du hast gesiegt, Galiläer‹ in die Luft geschleudert habe. So habe er zugleich den Sieg eingestanden und eine Lästerung gewagt; so verblendet war er.«). Vergleicht man die erhaltenen christlichen Deutungen, zeigen sich einige Gemeinsamkeiten: Julian agiert während des Perserzuges höchst unfähig, kümmert sich nicht um die einfachen Soldaten, verläßt sich auf magische Praktiken und ist von Überheblichkeit und Verblendung gekennzeichnet; sein Tod ist als Strafe Gottes zu sehen und markiert den Sieg des Christentums, wie der Kaiser zum Teil selbst einräumen muß. Ein gänzlich anderes Bild bot sich den heidnischen Zeitgenossen dar. Wer ihre Berichte über den Perserzug und sein Ende liest, erfährt scheinbar von ganz anderen Ereignissen als aus den christlichen Darstellungen. In den Werken Ammians, des Libanios und den Fragmenten der Historien Eunaps agiert Julian als umsichtiger Feldherr, stets um seine Truppe besorgt und bereit, alle Vgl. Hahn (1960), ferner Theodor Büttner-Wobst: »Der Tod des Kaisers Julian. Eine Quellenstudie«, in: Philologus , , – und Norman H. Baynes: »The Death of Julian the Apostate in a Christian Legend«, in: JRS , , –. Zum Julianbild bei heidnischen wie christlichen Autoren des vierten und fünften Jahrhunderts siehe auch Nesselrath (2001); van Nuffelen (2004) – (zu Sokrates und Sozomenos). Chrys. pan. Bab. . –; Ephr. Contr. Iul. . ; . ; . , , und ; Soz. h. e. . . –. . ; Socr. h. e. . ; Thdt. h. e. . –; Philost. h. e. . . Vgl. auch noch Jo. Mal. chron. f. Soz. h. e. . . , . . –.
. »Du hast gesiegt, Galiläer«
Strapazen auf sich zu nehmen, um der römischen Sache zu dienen . Wie es sich für einen Kriegshelden gehört, ereilt die Wunde Julian beim unermüdlichen Kampfeinsatz und vermag seinen Eifer zunächst kaum zu bremsen, bis er ihr letztlich doch erliegt. Von einem zerknirschten Eingeständnis der Niederlage gegen die christliche Religion ist hier natürlich nicht die Rede. Statt dessen verbringt Julian seine letzten Augenblicke wie Sokrates mit philosophischen Gesprächen mit seinen Vertrauten . In der Darstellung Eunaps erfahren wir sogar, daß der Kaiser, nachdem er seine sterbliche Existenz hinter sich gelassen hatte, zu den Göttern aufgefahren sei . Was die Frage nach dem Mörder Julians angeht, vermögen die heidnischen Autoren keine bestimmteren Erkenntnisse mitzuteilen als ihre christlichen Pendants, was allerdings Libanios nicht daran hindert, recht bald die Christen für die Tat verantwortlich zu machen . Der augenfälligste Unterschied liegt jedoch darin, daß sie dem Ende Julians keinen Sinn abgewinnen können oder, wenn doch, so nur unter größeren interpretatorischen Schwierigkeiten. Nachdem er noch unter dem ersten Eindruck der Ereignisse sich auf Klagen gegen die Götter beschränkt hatte, wie es der Gattung der Monodie angemessen ist, sah Libanios dann im Epitaphios Julians Tod als eine Station auf dem Weg in den von den Göttern verhängten Untergang an (. ). Grundsätzlich stand er aber stets vor der Schwierigkeit, wie es möglich war, daß ausgerechnet der Kaiser, der die alten Götter mit der größten Hingebung verehrt hatte, im Moment seines Todes von ihnen im Stich gelassen wurde. Sieht man einmal von Ammianus Marcellinus ab, der als Soldat mit Julian nach Persien gezogen war, versuchten auf christlicher wie auf heidnischer Seite Autoren, denen selbst die militärische Erfahrung und Augenzeugenschaft fehlte, aus der Rückschau eine Deutung dieses Krieges und des Todes zu geben. Sie waren mit verschiedenen, teils widersprüchlichen Versionen der Ereignisse konfrontiert, nachdem die restlichen römischen Soldaten wieder in die Heimat gefunden hatten. Gestützt auf diese Nachrichten und Gerüchte, bemühten sie sich, eine aus ihrer Sicht plausible Interpretation des Geschehens zu formulieren, die den Zeitgenossen die dem Tode Julians inhärente tiefere Bedeutung nahebringen sollte. Wie wenig stabil und endgültig solche Deutungsversuche sein konnten, erhellt aus den Werken des Libanios, der sich in den kommen Lib. or. ; . –; Eun. fr. f. (vgl. auch Zos. . –); Amm. . –. . Lib. or. . f.; Amm. . . –. Vgl. Gunther Scheda: »Die Todesstunde Kaiser Julians«, in: Julian Apostata, hg. von R. Klein. (WdF ) Darmstadt , – [zuerst in: Historia , , –]. Eun. fr. . . Eunap zitiert hier zunächst eine hexametrische Prophezeiung über Julians Aufstieg und referiert dann den Bericht anderer, Julian habe im Vertrauen auf diese Worte seine sterbliche Existenz hinter sich gelassen. Lib. or. . ; . und . Opfer einer List ist Julian auch in or. . . In or. hingegen beschuldigt Libanios hingegen noch ganz allgemein einen Daimon (§ , ), für Julians Tod durch die Hand eines Feindes (§ ) verantwortlich zu sein. Auch in ep. spricht er von einem neidischen Daimon.
Politik der Erinnerung
den Jahren mehrfach mit dem Tod seines Helden literarisch auseinandersetzte. Noch in or. hatte er sich der emotionalen Klage über diesen Verlust hingegeben, ohne nähere Überlegungen zur Herkunft der tödlichen Wunde anzustellen. Vielmehr verlieh er seiner Verzweiflung Ausdruck und der ungläubigen Verwunderung, wie die Götter den Tod hatten zulassen können. An einer Stelle immerhin deutet er an, daß Julian möglicherweise durch seine übermäßige Bestrafung der Perser das Unheil selbst heraufbeschworen hatte . Als er mit etwas zeitlichem Abstand den Epitaphios verfaßte, machte Libanios dann den Wurfspeer selbst im entscheidenden Augenblick zum Subjekt des Satzes, um auszudrücken, daß derjenige, der ihn geschleudert hatte, nicht auszumachen war (. ). Wenige Zeilen danach suggeriert er jedoch, der Mörder sei in den eigenen Reihen zu suchen, nämlich unter Julians römischen Gegnern, da kein einziger Perser den Ruhm der Tat für sich in Anspruch genommen habe (). Unter der Herrschaft des Theodosius verfolgte er diese Linie weiter, indem er nun explizit die Schuld an dem Tod des Kaisers christlichen Gegnern anlastete . Christlicher Hinterhalt also hatte die empfindliche Niederlage gegen Persien und schließlich auch die Schmach von Hadrianopel verursacht, da man seither nichts unternommen hatte, den Mörder Julians ausfindig zu machen . Das Beispiel von Julians Tod führt vor Augen, wie sich an einem einschneidenden zeitgeschichtlichen Ereignis eine Konkurrenz der Deutungen und des Gedächtnisses entzündet. Da die Bedeutung des Geschehens zunächst einmal nicht offen sichtbar zutage tritt, unternehmen verschiedene Seiten publizistische Aktionen, um jeweils die eigene Interpretation zu verbreiten und auf bereits vorhandene – mündlich oder schriftlich in Umlauf gebrachte – andere Versionen zu reagieren. Wie die Vielfalt der Deutungen zeigt, stehen die historischen Tatsachen nicht eindeutig und unveränderlich fest, sondern lassen sich jeweils neu deuten und uminterpretieren, je nach dem augenblicklichen Kontext . Während mündliche Berichte mit dem Tod der Augenzeugen untergehen, In or. . – hält Libanios in einer Apostrophe Julian vor, daß er die persische Friedensgesandtschaft des Jahres nicht hätte zurückweisen sollen. Der Gott sei Julian in den Weg getreten, da er den Persern durch den Feldzug eine unverhältnismäßig hohe Strafe für ihre Übeltaten auferlegt habe: ἀλλ’ ἰδού, τὸ δαιμόνιον ἀντέκρουσε. μᾶλλον δὲ δίκας μὲν ἐπράξω παριούσας μεγέθει τὰ ἀδικήματα (»Aber siehe da!, die Gottheit trat dir in den Weg. Oder vielmehr hattest du eine Strafe vollzogen, die an Ausmaß über die Untaten hinausging.«, § ). Direkt auf Libanios zu reagieren scheint Philostorgios in seiner Kirchengeschichte. Im Unterschied zu den anderen Kirchenhistorikern bietet er nur eine einzige Version des Geschehens (. , nur als Exzerpt bei Photios überliefert). Er behauptet im Widerspruch zu Libanios, daß der Täter kein Römer gewesen sei, sondern ein in persischen Diensten stehender Sarazene, und daß er durch Julians Leibwache getötet worden sei, weshalb er den Ruhm der Tat nicht mehr habe beanspruchen können. Siehe Hahn (1960) f. Lib. or. . –. Fiktional weitergeführt finden sich die verschiedenen Versionen übrigens noch bei Gore Vidal: Julian. Hamburg , – (amerikan. Original ). Schon Socr. h. e. . . – betont im Hinblick auf Libanios’ Julianporträt, daß das Urteil über einen Kaiser je nach dem Standpunkt des Urteilenden beträchtlich variieren könne.
. Historische Erinnerung und Gedächtnis
halten die schriftlichen Texte die Erinnerung an das Ereignis für die Nachwelt fest, und zwar nicht die bloße Erinnerung als solche, sondern zugleich als gedeutete, insofern das geschichtliche Geschehen zusammen mit seiner Interpretation tradiert wird.
. Historische Erinnerung und Gedächtnis Geschichtlicher Erinnerung, so lehren die Darstellungen von Julians Ende, wohnt keine unerschütterliche Stabilität inne, sondern sowohl synchron als auch diachron existieren divergierende Erinnerungen, die aus verschiedenem Blickwinkel angelegt sind. Wer sich an ein Geschehen erinnert, deutet bereits und rekonstruiert einen Zusammenhang, statt bloß ein für allemal gespeicherte Daten abzurufen. Mit solchen geistigen Prozessen befaßt sich seit einiger Zeit die Forschung zum kollektiven Gedächtnis und zu sogenannten Erinnerungskulturen, die im wesentlichen auf Konzepten beruht, deren Anfänge in den zwanziger Jahren liegen . Neben den Ansätzen des Kunsthistorikers Aby Warburg ist es vor allem das Konzept des kollektiven Gedächtnisses von Maurice Halbwachs, das dieser Forschungsrichtung Impulse verliehen hat . Ihm zufolge handelt es sich bei Wahrnehmung und Erinnerung nicht um individuelle Vorgänge, da sie immer durch bereits vorhandene, kollektive Denkschemata geformt seien. Deshalb spricht er von einer mémoire collective. Die Erinnerung ist folglich stets sozial bedingt, da der Mensch, wenn er sich erinnert, an einer kollektiven symbolischen Ordnung teilhat . Während Halbwachs ziemlich strikt zwischen Gedächtnis und Geschichte unterscheidet, da die universal angelegte Kategorie der Geschichte erst dort beginne, wo das partikular aufgefaßte Gedächtnis ende , sieht man heute eher ein Kontinuum zwischen beiden Formen der Erinnerung. Von der kulturwissenschaftlichen Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis sollen hier die im folgenden vorgestellten Kategorien und Aspekte herangezogen werden, die es erlauben, Deutungen und Interpretationen wie die soeben skizzierten angemessen darzustellen. Angesichts der Fülle an Sekundärliteratur zu diesem Feld sei hier nur auf die Einführung von Erll (2005) verwiesen sowie auf Wulf Kansteiner: »Postmoderner Historismus – Das kollektive Gedächtnis als neues Paradigma der Kulturwissenschaften«, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. : Paradigmen und Disziplinen, hg. von F. Jaeger und J. Straub. Stuttgart; Weimar , –. Maurice Halbwachs: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt (frz. Original ). Ders.: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt (frz. Original ). Vgl. auch die Beiträge im Sammelband Gerald Echterhoff; Martin Saar (Hg.): Kontexte und Kulturen des Erinnerns. Maurice Halbwachs und das Paradigma des kollektiven Gedächtnisses. Konstanz . Zur Sozialität der Erinnerung siehe Welzer (2005). Zur Unterscheidung von Geschichte und Gedächtnis siehe auch Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin (frz. Original ), f.
Politik der Erinnerung
Erinnerung an historisches Geschehen setzt zunächst einmal voraus, daß bestimmte Ereignisse und Tatsachen gespeichert sind und bei Bedarf wieder in Erinnerung gerufen werden können. Was den Status dessen, woran erinnert wird, betrifft, so wäre es voreilig, die vorgängige Existenz einer historischen Realität zu postulieren, auf die sich die Erinnerung rein rezeptiv bezieht. Vielmehr muß man davon ausgehen, daß historische Wirklichkeit erst im Akt des Erinnerns konstruiert und jedesmal neu geformt wird . Wer sich eines historischen Geschehens erinnert, blendet gleichzeitig einiges aus, während er anderes aus dem Gedächtnis hervorholt; er vergißt manches und verzerrt, woran er sich erinnert. Zudem werden Erinnerungen an vergangene Ereignisse, auch die an selbst erlebte, wesentlich dadurch geformt, welche Versionen von diesen oder ähnlichen Begebenheiten bereits in Umlauf sind, was bis zur Übernahme fremder Erinnerungen in die eigene reichen kann . Diese Vorgänge hängen zum einen mit der jeweiligen Situation, in der man sich erinnert, und ihren Erfordernissen zusammen, zum anderen mit den bereits existierenden Denkschemata, welche die Form der Erinnerung bestimmen. Wie es bei der Analyse wichtig ist, diese Konstruktion der Wirklichkeit in Anschlag zu bringen, so ist es ferner von Bedeutung, ob sich die Erinnerung an selbst erlebte Ereignisse der Zeitgeschichte knüpft oder zurückliegende Episoden einer fernen Vergangenheit vergegenwärtigt. Wer an frühere Geschehnisse erinnert, greift zum Teil auf bereits bestehende Rekonstruktionen zurück und interpretiert diese neu, deutet sie also um. Berichtet er indessen von seiner eigenen Gegenwart, kann er sich eventuell auf die Autorität des Augenzeugen stützen oder Gewährsleute heranziehen und durch seine Darstellung daran mitwirken, erst ein Gedächtnis bzw. eine Deutung zu konstituieren, die dann wieder andere übernehmen können oder sollen. Hilfreich ist hierbei die von Jan Assmann vorgenommene Differenzierung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis , sofern man sie ein wenig modifiziert. Das kommunikative Gedächtnis konstituiert sich durch alltägliche Kommunikation, bezieht sich also auf Geschichtserfahrungen der Zeitgenossen und ist mithin durch einen Zur Konstruktion der Wirklichkeit vgl. Jens Schröter (Hg.): Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschichtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive. (Theol. Bibliothek Töpelmann ) Berlin; New York und aus soziologischer Perspektive Peter L. Berger; Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt (amerikan. Original ). Für die altertumswissenschaftliche Forschung siehe beispielsweise Ralf von den Hoff; Stefan Schmidt (Hg.): Konstruktionen von Wirklichkeit. Bilder im Griechenland des . und . Jahrhunderts v. Chr. Stuttgart . Die Übernahme fremder Erlebnisse und fiktionaler Elemente in die eigene Lebensgeschichte illustriert Welzer (2005) – an verschiedenen Beispielen. Assmann (1988), Assmann (1992) –. Siehe dazu auch Erll (2005) – und Harald Welzer: »Gedächtnis und Erinnerung«, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. : Themen und Tendenzen, hg. von F. Jaeger und J. Rüsen. Stuttgart; Weimar , –, hier –.
. Historische Erinnerung und Gedächtnis
Zeithorizont auf etwa achtzig bis einhundert Jahre beschränkt . Da hierbei grundsätzlich jeder über die gleiche Kompetenz verfügt, an die gemeinsame Vergangenheit zu erinnern und sie zu deuten, ist der Inhalt des kommunikativen Gedächtnisses Veränderungen unterworfen . Das kulturelle Gedächtnis hingegen erstreckt sich auf mythische Urgeschichten oder jedenfalls Begebenheiten einer absoluten Vergangenheit. Um den in diesem Falle festen Bestand an aufbewahrten Ereignissen und an Sinnstiftungen zu tradieren und zu interpretieren, gibt es Institutionen oder Spezialisten wie Priester und Archivare. Zwischen dem zeitgeschichtlichen Rahmen des kommunikativen Gedächtnisses und dem geradezu mythischen, die Gemeinschaft fundierenden Gegenstand des kulturellen klafft eine zeitliche Lücke. Die nach dem Kriterium des zeitlichen Abstandes vorgenommene Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen des Gedächtnisses darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, daß selbst nur kurze Zeit zurückliegende Ereignisse, an die sich noch eine frische Erinnerung der Zeitgenossen knüpft, durchaus innerhalb kurzer Zeit in fundierende Mythen des kulturellen Gedächtnisses transformiert werden. Der kulturelle Fernhorizont, zu dem die Ereignisse fundierender Erinnerung gehören, kann also historisch-chronologisch gesehen ganz nahe liegen. Dies gilt etwa für die eingangs vorgestellte Erinnerung an Julians Tod, der, obwohl er sich erst kurz zuvor ereignet hatte, von den Zeitgenossen als epochale Wende wahrgenommen wurde, die sich erheblich auf das Selbstverständnis von Heiden wie Christen auswirkte. Wichtiger als die chronologische Differenzierung scheint also zu sein, daß das kulturelle Gedächtnis einen Sinn stiftet, dem ein höherer Grad an Verbindlichkeit eignet als im Falle des kommunikativen Gedächtnisses und der in der Regel für sehr große Erinnerungsgemeinschaften Geltung beansprucht. Das kollektive Gedächtnis ist stets auf Medien angewiesen, die das Wissen von der Vergangenheit tradieren . Erst sie ermöglichen die Speicherung und weitere Zirkulation dieses Wissens. Ferner können persönliche Erinnerungen Assmann geht hier von den Beobachtungen des Ethnologen Vansina zu mündlicher Überlieferung aus. Jan Vansina: Oral Tradition. A Study in Historical Methodology. London . Assmann (1988) f., Assmann (1992) –. Assmann (2004) versteht den Mythos als fundierende Erzählung, die Licht auf die Gegenwart wirft. Er stellt fest, »daß Mythos und Geschichte keine Gegensätze sind, sondern unauflösbar zusammenhängen. Erinnerte Geschichte ist Mythos in dem Maße, wie sie die moralische und politische Identität der Gesellschaft, die sich diese Geschichte als die eigene Vergangenheit zurechnet, fundiert. Nur im Status der Erinnerung, und das heißt: in der Form des Mythos, kann Geschichte zur eigenen Vergangenheit, zum Bestandteil unserer Identität werden und moralische Orientierung vermitteln.« (ebd. ). Zur Medialität der Erinnerung Aleida Assmann; Manfred Weinberg; Martin Windisch (Hg.): Medien des Gedächtnisses. Stuttgart; Weimar ; Astrid Erll; Ansgar Nünning (Hg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität. (Medien und kulturelle Erinnerung ) Berlin; New York ; Erll (2005) –.
Politik der Erinnerung
nur dann zu einem Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses werden, wenn sie medial einer größeren Öffentlichkeit vermittelt werden, z. B. durch die Publikation privater Briefe. Da,wie bereits gesagt, Erinnerung ein Prozeß der Wirklichkeitskonstruktion ist, ist davon auszugehen, daß Medien bei dieser Konstruktion eine entscheidende Rolle spielen. Ebensowenig wie Erinnerung im Reproduzieren unveränderlich gespeicherten Wissens besteht, geht die Funktion der Medien darin auf, neutral Informationen zu bewahren. Vielmehr erzeugen sie oft erst, was sie einfach zu tradieren scheinen. Hierbei muß die Bedeutung von literarischen Gattungen berücksichtigt werden, die als Schemata der Textproduktion und -rezeption von vornherein prägend darauf einwirken, in welcher Weise über ein Ereignis gesprochen werden kann. Ob ein Autor die Form der Historiographie oder des autobiographischen Berichts wählt, ist keine Äußerlichkeit, sondern bestimmt, welche Ereignisse in welcher Sicht dargestellt oder ausgelassen werden . Schon dadurch, daß er Erinnerung in narrativer Form präsentiert, konstruiert der Erzählende einen Zusammenhang und gibt dem Geschehen einen Sinn. Erinnerung ist mithin immer durch die Medien geprägt, in denen sie auftritt. Darüber hinaus kann die Erinnerung niemals von ihrem Kontext, d. h. von ihrer jeweiligen Gegenwart, getrennt werden. Wer an ein bestimmtes historisches Ereignis erinnert, verfolgt damit in der Regel ein Ziel, will also auf seine Gegenwart bzw. die Zukunft einwirken . Erinnerungen lassen sich argumentativ verwenden, fordern zu einem Vergleich mit der eigenen Zeit heraus und können auf vielfältige Weise funktionalisiert werden. Sofern sie tatsächlich Teil eines kollektiven Gedächtnisses werden, wirken sie an der Identitätsbildung von Gruppen mit, indem sie deren Selbstverständnis widerspiegeln und eine Abgrenzung von anderen Gruppen ermöglichen . Das historische Erzählen übernimmt dann eine fundierende Funktion für die jeweilige Gruppe und ist ganz an deren Bedürfnissen orientiert. Gerade dieser Gegenwartsbezug und die identitätsbildende Funktion des kollektiven Gedächtnisses bringen es allerdings mit sich, daß es sich verbietet, von einer einzigen Identität und einem einzigen Gedächtnis zu sprechen. Abgesehen davon, daß jeder einzelne an einer Vielzahl kollektiver Identitäten teilhat, existieren gleichzeitig in einer Gesellschaft in sozialer, politischer, religiöser und anderer Hinsicht verschiedene Gruppen, die eigene Identitäten und damit auch Vgl. Richard Humphrey: »Literarische Gattung und Gedächtnis«, in: Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven, hg. von A. Erll und A. Nünning. (Medien und kulturelle Erinnerung ) Berlin; New York , –. Diese Funktionalisierung der Erinnerung im Hinblick auf die Gegenwart kann entweder fundierend, also legitimierend und affirmativ, sein oder zeitkritisch, wenn gerade der Bruch zwischen einer idealisierten Vergangenheit und der defizienten Gegenwart aufgezeigt werden soll. Assmann (1992) –. Vgl. oben Kap. , wo bereits einige Aspekte identitätstiftender Erinnerung zur Sprache kamen.
. Wege der Erinnerung
eigene Gedächtnisse ausbilden. Diese Pluralität führt zu einer Koexistenz divergierender Deutungen von Ereignissen, die jeweils davon abhängen, mit welchen Herausforderungen die einzelnen Gruppen konfrontiert sind. Sobald sich die voneinander abweichenden Wirklichkeitskonstruktionen und Interpretationen auf dieselben Geschehnisse erstrecken, sind Erinnerungskonkurrenzen unausweichlich, in denen jede Gruppe die kulturelle Hegemonie anstrebt. Denkbar ist ferner, daß marginalisierte Gruppen eine Gegenerinnerung zu dominierenden Selbstbildern und Erinnerungen entwerfen. In jedem Falle spielen bei solchen Konkurrenzen zwei auch sonst vorhandene Eigenschaften des Gedächtnisses eine nicht zu überschätzende Rolle, nämlich das selektive Vorgehen und die Perspektivität. Für das vierte nachchristliche Jahrhundert eignen sich die eben vorgestellten Analysekategorien deshalb gut, weil es sich um eine Epoche handelt, deren Transformationen die Zeitgenossen offenbar verstärkt dazu aufforderten, Gegenwart und Vergangenheit einer Prüfung zu unterziehen und zu deuten. Primär mit Erinnerung verknüpfte Gattungen wie Historiographie, Kirchengeschichte, Biographie, autobiographische Berichte und epideiktische Reden vermittelten dem jeweiligen Publikum eine Anspruch auf Gültigkeit erhebende Sicht der Wirklichkeit aus der Perspektive ihrer Verfasser . Ein Kaiser, der gezielt den Bruch mit seinen unmittelbaren Vorgängern herbeiführte und öffentlich demonstrierte, forderte Beobachter heraus, Vergleiche zwischen Gegenwart und Vergangenheit anzustellen. Im folgenden soll aufgezeigt werden, auf welchen Feldern es in dieser Zeit zu Erinnerungskonkurrenzen kam, welcher literarischen Kanäle und Verfahrensweisen sich die Autoren aus dem Umfeld Julians bedienten, um ihrer Wirklichkeitskonstruktion Gehör und Akzeptanz zu verschaffen. Untersucht wird nicht so sehr ein Gedächtnis in seiner fertig vorliegenden Form als vielmehr die Möglichkeiten, ein kollektives Gedächtnis herauszubilden und zu gestalten.
. Wege der Erinnerung Als Julian im Jahre in der Schlacht bei Straßburg den Sieg über die Alamannen errungen hatte, begnügte er sich nicht damit, im Kreise seiner Truppen den Sieg zu feiern und Kaiser Constantius den Triumph zu überlassen . Vielmehr scheint er sich direkt daran gemacht zu haben, das Schwert mit dem Schreibgriffel zu vertauschen und einen Bericht über seinen Erfolg zu verfassen. Zwar ist dieses Werk nicht erhalten, doch geben Libanios und Eunap wenigstens Einen allgemeinen Überblick, wie in der Spätantike insbesondere Christen die Deutung der Vergangenheit für ihre eigene Gegenwart nutzten, bietet Cameron (2001). Daß er dem untätigen Constantius den Triumph habe zugestehen müssen, stellt Julian in ep. ad Ath. d als Ungeheuerlichkeit dar. Vgl. auch Lib. or. . .
Politik der Erinnerung
Hinweise . Zudem ist die Annahme recht plausibel, daß sich sowohl Julian selbst in den entsprechenden Partien seines an die Athener gerichteten Briefes als auch Ammian bei der Beschreibung von Julians gallischen Aktivitäten auf die Schrift gestützt haben . Welche Absicht Julian mit der Abfassung verfolgte, dürfte offensichtlich sein und geht auch aus Libanios’ wie Eunaps Äußerungen hervor. Libanios hebt hervor, daß Julian im Gegensatz zu Achill und Alexander keiner Dichter oder Lobredner bedürfe; er habe mit dem Werk für eine Erinnerung an seinen Sieg gesorgt und den Sophisten eine hohe Meßlatte für den Wettkampf aufgestellt . Eunap rühmt geradezu schwärmerisch, wie Julian seinen Taten mit Worten gleichgekommen sei, so daß er selbst der Aufgabe enthoben sei, darüber zu schreiben, bzw. gar nicht mit Julian darin wetteifern könnte ( fr. ). Wie zu erwarten hatte Julian im Sinn, seinen Sieg zum einen enkomiastisch zu verherrlichen und ihn zum anderen durch die Verschriftlichung für künftige Zeiten aufzubewahren. Daß sich die Intention darin vielleicht nicht erschöpfte, legt der Umstand nahe, daß Julian es sich nicht nehmen ließ, seinen Zug entlang der Donau, der ihn zur Entscheidungsschlacht gegen Constantius führen sollte, ebenfalls schriftlich festzuhalten. Jedenfalls hat er Eunap zufolge seine Sicht der Ereignisse in zahlreichen Briefen an verschiedene Adressaten zum Ausdruck gebracht . Wie die Mehrzahl der Briefe vermuten läßt, ging es Julian also nicht darum, einer Einzelperson Informationen mitzuteilen, sondern darum, möglichst viele Rezipienten in möglichst kurzer Zeit zu erreichen, wofür sich das Medium des Briefes wie kein zweites eignete. Wenn Julian sich in dieser Situation entschied, sein Vorgehen darzustellen, so dürfte es sich kaum um einen reinen historischen Tatsachenbericht gehandelt haben, sondern eher um eine publizistische Abrechnung mit seinem kaiserlichen Kontrahenten und eine Rechtfertigung des eigenen Vorgehens. Eunap spricht immerhin davon, daß Julian nachgerade ein Auto-Enkomion verfaßt habe. Welche Bedeutung Julian selbst dieser publizistischen Aktivität beimaß, erhellt nicht zuletzt daraus, daß er sich anscheinend explizit gegen abweichende, seiner Meinung nach unzutreffende Darstellungen des Geschehens wandte . Daher liegt die Vermutung nahe, daß er auch in seinem Werk über die Schlacht bei Straßburg zumindest implizit mit den ihn umgebenden Kreaturen des Constantius abrechnete, die ihn unterschätzten, bevormundeten und gegen ihn intrigierten. Genau diese Version der Geschehnisse verbreitet Julian auch kurze Zeit später, als er sich vor Lib. or. . ; ep. . , ; Eun. fr. . Iul. ep. ad Ath. d–d; Amm. . . f. Lib. ep. . . Zu möglichen Erklärungen für die Erwähnung der Titanen an dieser Stelle siehe den Apparat bei Foerster (1903/27) und Norman (1992) I f. Eun. fr. . . Ob sich die Stelle tatsächlich auf den Donauzug bezieht, läßt sich nicht mit letzter Gewißheit sagen, da die Angabe τῆς στρατείας τῆς κατὰ ∆αρδάνων auf einer Konjektur Blockleys beruht. Vgl. den Kommentar von Blockley (1981/3) II Anm. . Eunap hebt jedenfalls auch hier hervor, daß Julian seine eigenen Taten in enkomiastischer Manier gepriesen habe. Eun. fr. . berichtet, Julian habe die Darstellung eines gewissen Kyllenios getadelt.
. Wege der Erinnerung
dem zu erwartenden Entscheidungskampf an mehrere Städte des Reiches wendet, wovon der erhaltene Brief an Rat und Volk von Athen zeugt . Sofern sich die verlorenen Briefe nicht wesentlich von diesem überlieferten Exemplar unterschieden, suchte Julian in seinen unter anderem an Rom, Korinth und Athen gerichteten Schreiben seine Politik gegenüber Constantius zu rechtfertigen und publizistisch abzusichern. In dem nach Athen gesandten Schreiben bemühte er sich darum, durch einen zusammenhängenden autobiographischen Bericht nachzuweisen, daß Constantius das Recht mit Füßen trete und das Römische Reich an die Barbaren verrate, während er selbst als tugendhafter Kämpfer für die römische Sache einstehe . Offenbar genügte es nicht, sich in diesem Konflikt allein auf militärische Stärke zu verlassen, sondern es war nötig, gleichzeitig einem möglichst breiten Publikum die angemessene Deutung der Ereignisse mitzuteilen. Wie einst Octavian und Marc Anton neben der militärischen auch eine ideologische Auseinandersetzung ausgefochten hatten, so eröffnete Julian ein ideologisches Schlachtfeld, um die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu wissen. Nachdem Julian Kaiser geworden war, standen ihm weitere Wege offen, seine Deutung der Geschichte und der Gegenwart zu verbreiten. In den Caesares beispielsweise tut er im Gewande eines vordergründig satirischen, letztlich aber ernst gemeinten Mythos kund, wie seine Vorgänger auf dem Thron zu bewerten seien. Während Marc Aurel allenfalls bedingt als Vorbild in Frage kommt , wird Konstantin als tugendloser Schwelger entlarvt, dessen neue Religion großzügig über dergleichen Charakterfehler hinwegsieht . Daß Julians eigene Herrschaft als Gegenbild zu derjenigen Konstantins aufzufassen ist, steht nach der Lektüre dieser Satire außer Frage. In ähnlicher Scherz mit Ernst mischender Form läßt der Misopogon erkennen, daß an dem sittlichen Niedergang des Reiches die konstantinische Dynastie schuld ist, namentlich Constantius, während Julian selbst die unverdorbenen, gleichsam natürlichen Werte der Vorfahren verkörpert . Über die eigene schriftstellerische Aktivität hinaus bot die Panegyrik eine Möglichkeit, die gültige Deutung der Herrschaft Julians durch berufene Spezialisten wie Libanios im kollektiven Gedächtnis zu plazieren. Insbesondere dessen Rede zum Konsulat des Kaisers rückte aus einer intimen Kenntnis der Gedanken Julians dessen Auffassung von der idealen Herrschaft ins rechte Licht Zu Julians Briefen an Römer, Athener, Spartaner und Korinther siehe Lib. or. . ; Claud. Mamert. . ; Amm. . . –; Zos. . . f. Siehe dazu oben S. und Stenger (2006). Marc Aurel geht zwar als Sieger aus dem Wettbewerb unter den toten Kaisern hervor, doch wird sein Sieg nicht bekanntgegeben. Zur Frage, ob Julian Marc Aurel als sein Vorbild betrachtete, siehe oben S. –. Iul. Caes. c–b. Siehe auch Vogt (1955). Iul. Mis. d, b, b. Da sich die Antiochener als Anhänger des Constantius zu erkennen geben (a/b), fallen letztlich alle Vorwürfe, die Julian gegen sie erhebt, auf diesen zurück.
Politik der Erinnerung
und ließ es zugleich an einer Kritik des Constantius nicht fehlen . Ebensowenig unterläßt es der Konsul Claudius Mamertinus in seiner Dankesrede, für Julian zu werben, seine Ergreifung der Herrschaft durch ein Lob seiner Tugenden zu rechtfertigen sowie möglichen Kritikern die Versäumnisse und Vergehen des Constantius vor Augen zu halten . Solche festlichen Gelegenheiten, deren Zahl mit Sicherheit weitaus größer war, als man an den erhaltenen Reden ablesen kann, erlaubten es, den Hof, lokale Eliten und weitere Bevölkerungskreise mit der offiziellen Deutung der jüngeren Vergangenheit vertraut zu machen. Sobald die Herrschaft des letzten Konstantinsohnes beendet war, sollten derartige autoritative Darstellungen das endgültige Urteil sprechen, auf daß Constantius als Beispiel eines negativen Kaisers in der allgemeinen Erinnerung haften bliebe. Auch später noch scheint Julian an einer positiven Darstellung seiner Taten gelegen gewesen zu sein, wenn man den letzten Brief, den er an Libanios richtete, in diesem Sinne verstehen darf. Während er durch Persien marschierte, erstattete der Kaiser dem Sophisten in einem langen Brief einen detaillierten Bericht über sein Vorgehen, die einzelnen Stationen und darüber, was ihm auf dem Zug widerfuhr . Da dieser in der Art eines Logbuchs oder Journals gehaltene Text fast jeglicher Charakteristika eines Briefes entbehrt, liegt die Vermutung nahe, daß Julian bereits während der Unternehmung Libanios mit Informationen ausstatten wollte, die es diesem erlauben sollten, später eine enkomiastische Schilderung anzufertigen. Der Brief wäre dann gleichsam als ὑπόμνημα für ein ausgefeiltes Geschichtswerk zu verstehen. Diese Hoffnungen, sollte sie Julian tatsächlich gehegt haben, erfüllten sich indessen erst, als er schon nicht mehr lebte. Wie wir oben gesehen haben, endeten die Bemühungen um eine gültige Interpretation der Herrschaft Julians nicht mit dessen Tod. Libanios entfaltete in verschiedenen Bereichen weiterhin eine rege publizistische Tätigkeit, um das angemessene Andenken an seinen Idealherrscher zu sichern. Während die Monodie auf Julian dem emotionalen Ausdruck der Trauer galt und wohl kaum einem größeren Publikum dargebracht wurde , schickte sich Libanios recht bald an, eine umfassende und abschließende Würdigung seines Helden vorzulegen. Kaum kehrten die ersten Teilnehmer des Persienzuges in die Heimat zurück, bat Libanios sie, soweit er mit ihnen Zur Kritik an Constantius siehe Lib. or. . , , –, f., f., , implizit auch f. Zu den Mißständen unter Constantius siehe beispielsweise Claud. Mamert. . f., . –. , . . In . f. bekundet Mamertinus offen, daß es sein Anliegen sei, Julian gegen die Anschuldigungen seines Vetters in Schutz zu nehmen. Die Polemik gegen Constantius zieht sich durch die gesamte Rede. Siehe auch Gutzwiller (1942) f. Iul. ep. . Es handelt sich um Julians letzten erhaltenen Brief (verfaßt am /. . ). Caltabiano (1991) . Man wird wohl mit einem Vortrag vor einem ausgewählten Kreis Gleichgesinnter und einer sehr beschränkten schriftlichen Verbreitung zu rechnen haben. Wenn ep. . – auf die Monodie zu beziehen ist, unterstreicht dies, daß Libanios mit einer Verbreitung dieser Rede sehr vorsichtig war. Vgl. Petit (1983b) f. und Wiemer (1995a) –.
. Wege der Erinnerung
befreundet war, um genauere Informationen über die Ereignisse. Obgleich sie ihm ihre Aufzeichnungen versprachen, erhielt er nichts, wie er in einem Brief an Skylakios beklagt . Lediglich einige ihm unbekannte Soldaten versorgten ihn mit dürren Angaben über die Einzelheiten des Marsches, ohne jedoch zu einer Gesamtschau der Expedition in der Lage zu sein . Ob Libanios schließlich auf schriftliche Erinnerungen des Oreibasios zurückgreifen konnte, als er den Epitaphios komponierte, wie vermutet wurde , muß ungewiß bleiben, auch wenn seine Darstellung dafür spricht, daß ihm ein zusammenhängender Bericht als Quelle zur Verfügung stand. Trotz der in Antiochia grundsätzlich feindseligen Stimmung gegen den toten Kaiser unternahm Libanios es, eine möglichst auf Augenzeugenberichten und eigenem Erleben beruhende Gesamtdarstellung von Julians Leben und Herrschaft zu geben. Wieviele Rezipienten er mit dem Epitaphios tatsächlich erreichen konnte, läßt sich zwar nicht angeben, doch bezeugt immerhin die Auseinandersetzung mit der Rede in den Kirchengeschichten des Sozomenos und des Sokrates ihre schriftliche Verbreitung . Verwunderlich wäre es, wenn Libanios solche Mühen auf sich genommen hätte, ohne eine gewisse Verbreitung im Sinn zu haben, zumal er im Epitaphios eindeutig anderen Versionen über Julian entgegentritt . Das wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die Rede nur für ihn selbst und den engsten Freundeskreis konzipiert worden wäre . Solcher Kritik und Schmähung Julians entgegnete Libanios dann auch in dem offenen Brief an Polykles, der den toten Kaiser verunglimpft hatte . Einen letzten Höhepunkt erreichte Libanios’ publizistisches Eintreten für den toten Julian, als er Ende des Jahres eine Denkschrift für Theodosius über die Rache für Julian verfaßte . Mag der Redner auch von vornherein damit gerechnet haben, daß der neue Kaiser die Schrift nicht persönlich zur Kenntnis nahm, so muß er jedenfalls davon überzeugt gewesen sein, mit ihr wichtige Leute am Hofe zu erreichen und durch sie das offizielle Bild zu Lib. ep. . . In dem Ende an Philagrios gesandten Brief bittet Libanios den Adressaten, ihm seinen offenbar sehr exakten und detaillierten Bericht über den Feldzug, den dieser gerade niederschrieb, zukommen zu lassen. Wenn er ihm die dürren Fakten berichte, werde er, Libanios, sie in das nötige rhetorische Gewand kleiden. Ob Philagrios der Bitte nachkam, ist unbekannt. Zu dem notarius Philagrios, der unter Theodosius comes Orientis werden sollte, siehe Seeck (1906) und PLRE , s. v. Philagrius. Lib. ep. . . Einzelne Informationen hatte Libanios bereits während des Feldzuges von Boten erfahren, die nach Antiochia kamen, wie ep. zeigt. So Paschoud (1979a) XII f. Vgl. Fatouros – Krischer – Portmann (2002) Anm. und Bliembach (1976) LIII–LV. Siehe Soz. h. e. . . –. . ; Socr. h. e. . f. Von einer schriftlichen Verbreitung zeugen ferner zwei Papyri aus dem fünften und dem siebten oder achten Jahrhundert (Pack und ). Lib. or. . . Zu impliziten Widerlegungen anderer Deutungen siehe unten S. –. Zur Frage der Verbreitung des Epitaphios siehe Bliembach (1976) XLIV, Wiemer (1995a) –. Lib. or. . Siehe dazu unten S. –. Lib. or. . Criscuolo (1994), zur Datierung –.
Politik der Erinnerung
beeinflussen, das man sich in der Umgebung des Theodosius von Julian machte. Zumal falls ihm selbst klar war, wie utopisch sein Aufruf an einen christlichen Kaiser zur Rache für den Apostaten erscheinen mußte, dürfte es weniger Libanios’ Anliegen gewesen sein, tatsächlich konkrete Maßnahmen herbeizuführen, als vielmehr eine positivere Sicht auf Julian an höchster Stelle zu befördern. Libanios blieb nicht der einzige Parteigänger Julians, der sich um die ›richtige‹ Erinnerung an den Kaiser bemühte. Bald nach dessen Tode engagierte sich auch der Korinther Aristophanes, der auf Grund von Libanios’ Vermittlung selbst Nutznießer der Herrschaft Julians gewesen war . In einem an ihn gesandten, etwas ungehaltenen Brief deutet Libanios an, daß Aristophanes anscheinend Reden sammelte, die mit Julian zu tun hatten (ep. . ). So hatte er auch Libanios um Zusendung von Werken gebeten. Offenbar ging es ihm darum, ein positives Andenken an den Kaiser zu bewahren, weshalb er ferner versuchte, den vollständigen Briefwechsel zwischen Julian und Libanios in seine Hände zu bekommen. Mit großer Wahrscheinlichkeit plante er eine Herausgabe solcher Schriftstücke, was allerdings dem Sophisten nicht in jedem Falle geraten schien . Während sich Aristophanes’ Unternehmungen und die anderer Anhänger Julians heute nurmehr erahnen lassen , ist die Initiative Eunaps wenigstens in Fragmenten noch greifbar . Seine Historien schlossen an das Werk des Dexippos an und führten die Darstellung bis in den Anfang des fünften Jahrhunderts fort . Wie Eunap selbst unmißverständlich mitteilt und später Photios, der das Werk noch in Gänze gekannt haben will, indigniert bemerkt, bildet den Kulminationspunkt der Historien Julian , während die christlichen Kaiser das exakte Gegenbild zu diesem vorbildlichen Herrscher verkörpern. Da er weder über militärische noch über administrative Erfahrungen verfügte, war Aristophanes war im Jahre in einen Hochverratsprozeß verwickelt worden. Mit or. empfahl Libanios ihn im Jahre dem Kaiser, worauf er rehabilitiert und mit einem Amt betraut wurde. Zum Erfolg der Rede siehe auch Lib. ep. ; . ; Iul. ep. und . Vgl. Wiemer (1995a) –, zu Aristophanes auch Seeck (1906) –. Bidez (1924) vermutet, daß Aristophanes eine erste Ausgabe von Julians Briefen erstellt habe. Libanios teilt ihm in § mit, daß er ihm einige Briefe zukommen lasse, aber nicht sämtliche. Möglicherweise verfaßte Seleukos, der am Perserzug teilgenommen hatte, eine Geschichte dieser Ereignisse. In einem an ihn gesandten Brief fordert Libanios ihn jedenfalls eindringlich dazu auf, in seiner Verbannung nicht untätig zu bleiben, sondern ein Geschichtswerk in Angriff zu nehmen (ep. . –). Ob Seleukos dieser Aufforderung nachkam, ist freilich ungewiß. Die Suda bezeugt für einen Seleukos ein Werk mit dem Titel Παρθικά in zwei Büchern (σ ). Für eine Identifikation mit dem Adressaten des Libanios fehlt jedoch jeglicher Anhaltspunkt. Siehe Seeck (1906) f. (für eine Identifikation), PLRE , s. v. Seleucus (zurückhaltend). Zum Julian-Epos des Kallistos siehe unten S. . Siehe Blockley (1981/3) (Fragmente, Übersetzung, Erläuterungen und Einleitung). Julian stand vor allem im zweiten Buch der Historien im Mittelpunkt (siehe fr. ). Eun. T und fr. . Blockley (1981/3) I f. Eun. fr. und und T (= Phot. Bibl. . a–).
. Wege der Erinnerung
Eunap eigentlich für ein solches Werk alles andere als prädestiniert. Was ihn für diese Aufgabe vielleicht empfahl, waren eher seine schriftstellerischen Qualitäten. Jedenfalls faßte er den Plan zu den Historien nicht nur aus eigenem Entschluß, sondern, wie er im Proöm erklärt, hatten bestimmte Männer von Bildung ein starkes Interesse an einer historischen Darstellung Julians: ἐγὼ δὲ κατὰ τὸ πιστεύειν ἐμαυτῷ γράφω, ἀνδράσιν ἑπόμενος, οἳ τοῦ καθ’ ἡμᾶς βίου μακρῷ προεῖχον κατὰ παιδείαν καὶ διατεταμένως ἐνῆγον μὴ σιωπᾶν τὰ κοινὰ τῶν ἔργων καὶ ὅσα ὁ καθ’ ἡμᾶς ἔφερε χρόνος καὶ τὰ πρὸ ἡμῶν μετὰ τὴν ∆εξίππου γραφὴν οὔπω λόγου τε καὶ ἱστορίας ἐμφανοῦς τετυχηκότα. ἐγίνετο δὲ ἐκείνοις τε κἀμοὶ κοινὸν τὸ ἔργον τόδε, καὶ πάντα γε ἐς τὸν ᾿Ιουλιανὸν ἀναφέρειν ἐδόκει, ὃς ἐβασίλευσε μὲν ἐφ’ ἡμῶν, τὸ δὲ ἀνθρώπινον αὐτὸν ὥσπερ τινὰ θεὸν προσεκύνουν ἅπαντες. (Eun. fr. , Z. – ) Ich schreibe mit Vertrauen in mich selbst, da ich Männern folge, die in unseren Zeiten an Bildung weit herausragen und mich inständig bedrängt haben, die allgemein bedeutenden Taten nicht mit Schweigen zu übergehen, und zwar sowohl diejenigen, die unsere Zeit gebracht hat, als auch die vor unserer Zeit, die nach dem Werk des Dexippos noch keine bedeutende historische Darstellung gefunden haben. Das vorliegende Werk war für jene und mich eine gemeinsame Unternehmung, und es schien ja alles auf Julian hinzustreben, der zu unseren Zeiten herrschte und den alle Menschen wie einen Gott verehrten.
Noch in den achtziger und neunziger Jahren, als Eunap vermutlich sein Geschichtswerk abfaßte , lag es demnach heidnischen Parteigängern am Herzen, eine positive, ja geradezu enkomiastische Würdigung Julians veröffentlicht zu sehen, die sich dezidiert gegen christliche Interpretationen wie die eingangs angeführten wandte. Ob sich unter den Gebildeten, von denen der Autor spricht, auch Libanios und Priscus befanden, ist nicht mehr auszumachen, sicher ist jedoch, daß Oreibasios zu ihnen zählte. Wird er doch nicht nur in den Sophistenviten Eunaps in den höchsten Tönen gelobt , sondern auch explizit in den Historien als Quelle genannt . Dieser enge Freund des Kaisers drängte Eunap, die Erinnerung an Julian wachzuhalten, und stellte ihm außerdem ein sehr detailliertes ὑπόμνημα über Julians Taten zur Verfügung. Eunap versteht seinen Bericht über Julian demnach im wesentlichen als Aufbereitung von Informationen aus erster Hand, die zeigen konnten, wie es wirklich gewesen war. Zudem sieht er seine Aufgabe darin, die bislang mündlich kursie-
Zur komplexen Frage der Datierung der Historien siehe Blockley (1981/3) –, Rohrbacher (2002) f., Liebeschuetz (2003) –. Priscus, einer der Vertrauten Julians, war jedenfalls zur Entstehungszeit der Historien noch am Leben. Mit Eunap, der ihn in den Sophistenviten würdigt (. . ; . . –; ), verband ihn die Neigung zur neuplatonischen Philosophie und Theurgie, so daß es zumindest denkbar ist, daß er Kontakt zu Eunap hatte. Eun. VS . Eun. fr. , Z. –.
Politik der Erinnerung
renden Erzählungen von Anhängern über den Kaiser, also das kommunikative Gedächtnis, zu verschriftlichen und damit zu verstetigen . Zu Julians Lebzeiten wie nach seinem Tode läßt sich beobachten, wie der Kaiser selbst und Persönlichkeiten aus seiner Umgebung versuchen, bei verschiedenen Anlässen und mit vielfältigen literarischen Formen ein gültiges Bild seiner Herrschaft zu verbreiten und im kollektiven Gedächtnis zu verankern . Offensichtlich haben sie erkannt, welche Bedeutung einer gezielten ›Geschichtspolitik‹ zukommt und daß man die Aufgabe der Interpretation nicht den Kritikern oder Gegnern überlassen darf. Überdies wird erkennbar, daß die genannten Autoren mehrere Kanäle nutzen, mit denen sich verschiedene Rezipientenkreise ansprechen lassen. Während Julian selbst mit seinen Briefen oder auch dem Misopogon ganze Städte zu erreichen sucht, wenden sich Eunaps Historien oder auch Libanios’ Epitaphios an eher kleine Kreise von Gebildeten. Misopogon und Caesares belegen, daß Julian bereit war, mit Satire und Mythos ungewöhnliche Pfade einzuschlagen, um seine Auffassungen vom richtigen Leben und Herrschen in einen größeren historischen Kontext einzuordnen und gegen die konstantinische Dynastie zu positionieren. Neben die mündlich verbreitete persönliche Erinnerung an Ereignisse wie den Konflikt zwischen Julian und den Antiochenern oder den Tod des Kaisers trat rasch – beim Misopogon sogar noch während der Geschehnisse – die schriftlich niedergelegte Erinnerung und Deutung, die den Vorteil hatte, ein breiteres Publikum zu erreichen und eine genau festgelegte Sicht auf Dauer zu bewahren.
. Erinnerungskonkurrenzen Bevor Julian zum Krieg gegen die Perser aufbrach, nahm er im Jahre Residenz in der syrischen Metropole Antiochia, deren Einwohner in der Antike für ihren mangelnden Respekt und ihren Lebenswandel berüchtigt waren. Hatte er sich anfangs noch vorgenommen, die Stadt prächtig auszubauen und in gutem Einvernehmen mit den Antiochenern zu leben , so mußte er bald erkennen, daß an ein friedliches Auskommen oder gar Zuneigung nicht zu denken war. Daß es zum Konflikt kam, war dem Kaiser wenigstens zum Teil selbst anzulasten. Stieß er die Bevölkerung doch durch seine ostentativen religiösen Reformmaßnahmen und die Entfernung der Gebeine des Märtyrers Babylas aus dem Fr. , Z. –. Er betrachtet es als seine Aufgabe, wichtige Ereignisse vor dem Vergessen zu bewahren ( fr. , Z. –). Zudem vergleicht er sich anscheinend mit Homer, was die Bedeutung des Gegenstandes angeht (Z. –; der Satz ist allerdings verstümmelt). Zu den nach Julians Tod entstandenen Darstellungen seiner Herrschaft vgl. auch den Überblick bei Nesselrath (2001). In Anlehnung an Augustus (Suet. Aug. ) hatte Julian beabsichtigt, Antiochia zu einer Stadt aus Marmor zu machen (Lib. or. . ). Auch Julian selbst spricht von seinen anfänglichen Sympathien für die Stadt: Mis. b–c.
. Erinnerungskonkurrenzen
Heiligtum in Daphne vor den Kopf . Als der dortige Apollontempel dann auch noch ein Opfer der Flammen wurde, worauf der Verdacht auf die Christen fiel, trug dies nicht zu einer Verbesserung der Beziehungen bei. Da ferner Julians asketischer, Vergnügungen abgeneigter Lebensstil auf Ablehnung stieß und die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln sich immer schwieriger gestaltete, so daß die Preise anstiegen, spitzte sich die Auseinandersetzung gegen Ende des Jahres zu. Sie entlud sich beim Neujahrsfest, dessen traditionelle Lizenzen die Gegner des Kaisers dazu nutzten, ihn mit hämischem Spott zu übergießen . Aus Julians Erwiderung auf diese Angriffe, dem Misopogon, und weiteren Berichten läßt sich rekonstruieren, woran die Antiochener Anstoß nahmen. Wenn sie sich über die auffällige Barttracht des Kaisers lustig machten oder lautstark im Theater die hohen Lebensmittelpreise beklagten, so galt die Kritik einer Äußerlichkeit bzw. einem einzelnen Mißstand. Letztlich zielten die Vorwürfe jedoch viel tiefer. Mit dem Spott, den nicht nur Christen, sondern auch Heiden mit Julians Opferpraxis trieben, wandten sie sich gegen einen zentralen Punkt seiner Regierung, nämlich die Restauration der heidnischen Kultausübung. Indem sie ihm vorhielten, daß weder das Chi, also Christus, noch das Kappa, Konstantios, der Stadt je Unrecht getan hätten, brachten die Antiochener nicht allein ihre Ablehnung der paganen Religion zum Ausdruck, sondern verglichen den Kaiser mit seinem Vorgänger, und zwar zugunsten des letzteren . Daß es ihnen um eine grundsätzliche Ablehnung der Regierung Julians zu tun war, bezeugten sie durch den Vorwurf, er habe die Weltordnung auf den Kopf gestellt. Schließlich machten sie keinen Hehl daraus, was sie sich für die Zukunft wünschten, wenn sie den Kaiser mit dem Ausspruch »Felix Iulianus Augustus« bedachten, der für die Zeitgenossen leicht so zu verstehen war, daß der Augustus, nachdem bereits kurz zuvor Felix und der Onkel Iulianus gestorben waren, auch möglichst bald das Zeitliche segnen sollte . Nimmt man Zum Verlauf der Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und den Antiochenern siehe Downey (1961) –, Pack (1986) –, Wiemer (1995a) –, Bringmann (2004) –, Rosen (2006) –, –. Julian selbst deutet an, daß die Antiochener ein Fest für ihren Spott nutzten (Mis. c). Libanios bestätigt diese Angaben (or. . , ; . –). Seine Bemerkungen passen am ehesten auf das Fest der Januarkalenden, das er selbst in Descr. eingehend beschreibt. Iul. Mis. a. Felix war unter Constantius notarius, dann nach Julians Usurpation diesem als magister officiorum zugeordnet (Amm. . . ). Von Julian wurde er zum comes sacrarum largitionum befördert (CTh . . ; . . ). Von Julian beeinflußt, sagte er sich vom Christentum los (Lib. or. . ). Siehe PLRE , s. v. Felix . Julians Onkel mütterlicherseits war zunächst praeses Phrygiae (Lib. ep. ), dann praefectus Aegypti (Soz. h. e. . . ). Er war christlichen Glaubens, wurde aber von Julian zur alten Religion bekehrt (Philost. h. e. . ) und zum comes Orientis ernannt (–; CTh . . ; CIust . . ; Amm. . . ). Siehe PLRE f., s. v. Iulianus . Amm. . . : Felice enim largitionum comite profluvio sanguinis repente exstincto eumque comite Iuliano secuto vulgus publicos contuens titulos Felicem Iulianum Augustumque pronuntiabat (»Als nämlich der comes largitionum Felix durch einen Blutsturz plötzlich
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all diese Nachrichten zusammen, ergibt sich das Bild, daß in weiten Kreisen der Bevölkerung bereits das Urteil über Julians Persönlichkeit und Regierung gesprochen war. Die Antiochener nutzten die alltägliche Kommunikation, aber auch Versammlungen und geeignete Feste, um ihre Sicht auf die Gegenwart zu verbalisieren. Ihre Ablehnung galt weniger Einzelheiten als der gesamten Weltanschauung, die aus den Maßnahmen und dem Verhalten des Kaisers sprach. Julian als römischem Kaiser hätte es freigestanden, die ganze Stadt für die Verfehlungen einiger Bewohner, durch die er sich augenscheinlich tief getroffen fühlte, hart zu bestrafen oder die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Statt dessen entschied er sich, es auf eine intellektuelle Auseinandersetzung ankommen zu lassen, indem er auf den anonymen Spott mit einer Streitschrift, dem Misopogon, reagierte. Dem übermütigen Treiben der Antiochener am Neujahrsfest angemessen, erwiderte er mit einer Satire, in der er sich scheinbar selbst verspottete. Schon die Wahl dieses Instrumentes weckt die Vermutung, es sei Julian weniger um konkrete Maßnahmen gegangen – tatsächlich stellte er sogar noch Getreidelieferungen für die Stadt bereit und beabsichtigte lediglich, nach dem Krieg seine Residenz nach Tarsos zu verlegen – als um die Verbreitung und Durchsetzung seiner Sicht der Ereignisse. Denn an Stelle einer bloßen Erwiderung der Vorwürfe legt er durch den Kunstgriff der Selbstverspottung die tieferen Ursachen des Konflikts offen und weist nach, daß die Antiochener gar nicht imstande sind, die Bedeutung seiner Herrschaft zu erfassen. Da es seine eigene Persönlichkeit und sein öffentliches Auftreten waren, die Anstoß erregt hatten, erstaunt es nicht, wenn Julian in diesem Werk sein eigenes Ich zum Gegenstand macht, um sich mit der Kritik der Antiochener auseinanderzusetzen. In einem autobiographischen Rückblick auf Kindheit, Erziehung und seinen Aufenthalt in Gallien bemüht er sich, verständlich zu machen, weshalb er sich so verhält, wie es seinen Kritikern mißfällt . Wenn er ausführlich – stets satirisch gebrochen – berichtet, wie er als Schüler Homer und Philosophie studiert und wie er später in Gallien unter unkultivierten Barbaren gelebt habe, gibt Julian seinen Lesern bereits indirekt zu verstehen, daß die Vorwürfe zu kurz greifen, da sie an der Oberfläche bleiben und sich seine Gegner auf Äußerlichkeiten kaprizieren, statt nach den Ursachen zu fragen . Die Antiochener sind, so suggeriert er durch die Form der Darstellung, gar nicht in der Lage, adäquat die Prinzipien seiner Lebensführung und Regierung zu beurteilen. sein Leben verloren hatte und ihm der comes Iulianus gefolgt war, sprach das Volk beim Anblick der Inschriften aus: Felix Iulianus Augustus.«). Die Christen ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, den Tod beider propagandistisch im Sinne des de-mortibuspersecutorum-Motivs zu verwerten: Soz. h. e. . . ; Ephr. Contr. Iul. . f.; Chrys. pan. Bab. . ; Thdt. h. e. . . Siehe Iul. Mis. d; Lib. or. . und ; . ; ep. ; Amm. . . f. Iul. Mis. b–b, a–b. Vgl. b. In a zeigt sich ausdrücklich, daß es eigentlich um das ἦθος geht.
. Erinnerungskonkurrenzen
Wo die wahre Bedeutung des Konflikts zu suchen ist, zeigt sich im Gespräch mit einem Interlocutor, der die Seite der Antiochener repräsentiert. Indem er sein Ich mit den Antiochenern in Beziehung setzt, demonstriert Julian, daß im menschlichen Bereich zwei sich gegensätzlich ausschließende Lebensentwürfe existieren. Auf Grund der Faktoren Abstammung, Erziehung und Sozialisation wird der einzelne disponiert entweder für den Lebensweg des Seins oder den des Habens. Julian selbst vertritt das Prinzip des Seins, das sich an unverlierbaren Werten, Tugenden und Überzeugungen orientiert, die in der Seele des Menschen liegen, so daß sie keinen äußeren Einflüssen unterliegen. Zentrum dieses Lebensentwurfes ist die Sorge um sich selbst, und das bedeutet: die Formung der Seele durch philosophische Schulung und Übung . Nur ein Leben im Streben nach Weisheit (c, c) führt zur Vervollkommnung der Seele. Das Augenmerk der Antiochener gilt hingegen einzig dem Körper bzw. den zum Körper gehörigen Dingen. Wer wie sie das Prinzip des Habens vertritt, lebt dem Luxus, Besitz und Vergnügen . Ihr Denken kreist allein um Feste, Schauspiele und Laster, während sie ihre Seele gänzlich vernachlässigen, ja nicht einmal wissen, was ein grundlegender Begriff der Tugendlehre wie σωφροσύνη überhaupt bedeutet (d–c). Ein Reflektieren über die Form und Berechtigung des eigenen Daseins liegt ihnen fern. Insbesondere manifestiert sich der Gegensatz der beiden Seinsweisen in der von Julian mehrfach aufgegriffenen Definition der Freiheit, die entweder die geistige Freiheit des Tugendmenschen meint oder die Zügellosigkeit des Körpermenschen . Mit der Unterscheidung der zwei entgegengesetzten Definitionen menschlichen Daseins folgt Julian einem Konzept, das in besonders deutlicher Ausprägung im pseudo-platonischen Alkibiades vorliegt . Dort erörtern Sokrates und Alkibiades, ausgehend von dem delphischen γνῶθι σαυτόν, das Problem der Selbsterkenntnis des Menschen und – als deren Voraussetzung – die Frage, was der Mensch eigentlich sei (Pl. Alc. . e). Sokrates führt den jungen Alkibiades schließlich zu der Einsicht, daß man zunächst sich selbst erkennen und Sorge um sich selbst treiben müsse, bevor man andere Menschen politisch zu führen vermöge. Das Selbst des Menschen wird hier ganz als die Seele bestimmt (a), während der Körper und die Verbindung von Seele und Körper als Antwort verworfen werden. Grundlegend für diese Bestimmung des Menschen ist die Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Seinigen. In Übereinstim Iul. Mis. d (Antiochener zu Julian): [. . .] τουτοῒ ψυχάριον, ὃ δὴ σὺ κοσμεῖν καὶ καλλωπίζειν σωφροσύνῃ χρῆναι νομίζεις (»[. . .] dieses Seelchen, das man, wie du meinst, mit Selbstbeherrschung schmücken und herausputzen muß«, a). Iul. Mis. d, a, c/d, a u. ö. Iul. Mis. c/d, a–c, a–a, b. Die gleichen Reflexionen über die zwei Freiheitsbegriffe finden sich auch in or. . c–a. Siehe Reto L. Fetz: »Dialektik der Subjektivität. Die Bestimmung des Selbst aus der Differenz von Ich und Mein, Sein und Haben. Alkibiades I, Epiktet, Meister Eckhart«, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, hg. von R. L. Fetz, R. Hagenbüchle und P. Schulz. Bd. . Berlin; New York , –.
Politik der Erinnerung
mung mit dem platonischen Ansatz gibt Julian durch seinen autobiographischen Rückblick im Misopogon zu erkennen, daß das wahre Wesen des Menschen allein in der Seele liegt und sich nach außen hin durch tugendhaftes Verhalten äußert . Nur wer wie der Kaiser selbst durch philosophische Übung die Sorge um die eigene Seele zum Angelpunkt seines Daseins macht, wird der eigentlichen Bestimmung des Menschen gerecht. Da er seit der Jugend den Weg des Seins eingeschlagen hat, ist er imstande, sich selbst und andere zu erkennen und zu beurteilen, insofern er über die richtigen moralischen Begriffe verfügt (c). Wer hingegen wie die Antiochener seine Sorge dem Körper und den außerhalb unserer selbst liegenden Dingen widmet (a), verfehlt die Bestimmung des Menschen, so daß ihm gleichzeitig das Selbst-Bewußtsein fehlt. Er entbehrt von vornherein der ethischen Kategorien, die für die Erkenntnis des eigenen Ich unabdingbar sind. Schlaglichtartig beleuchtet die Definition der Freiheit, daß die Antiochener in den Augen Julians den Kern menschlichen Lebens und damit sich selbst verkennen. »Hast du nicht gesehen«, so hält der imaginäre antiochenische Gesprächspartner Julian vor, »wie groß die Freiheit bei ihnen ist und daß sie sich selbst auf die Esel und die Kamele erstreckt? Die Tagelöhner führen sie durch die Säulenhallen, als geleiteten sie Bräute. [. . .] in ihrem Freiheitsdrang wollen die Esel die Säulenhallen benutzen, und niemand hindert sie an irgendetwas, um sie nicht ihrer Freiheit zu berauben. So freiheitlich ist unsere Stadt.« Ebensowenig wie Esel über ein Bewußtsein ihrer selbst verfügen, vermag sich der Mensch selbst zu erkennen, der seine Seele vernachlässigt. Die Antiochener entbehren Julian zufolge der Erkenntnisfähigkeit und der korrekten Begriffe, auf deren Grundlage erst eine angemessene Deutung der Realität möglich wäre. Ähnlich wie die Antiochener, die mit ihrem scheinbar oberflächlichen Spott grundsätzlich die Herrschaft Julians in Frage stellten, entgegnet der Kaiser, indem er vordergründig die einzelnen Kritikpunkte entkräftet, in Wirklichkeit aber auf einer allgemeineren Ebene zwei Antworten gibt. Erstens weist er auf dem Wege autobiographischer Erinnerung nach, daß nur seine eigene Lebensführung – und damit das Fundament seiner Regierung – der Bestimmung des Menschen gerecht wird. Er greift die von den Antiochenern gegebene Deutung auf, interpretiert aber ihre Vorwürfe in ein Lob um. Zweitens spricht er ihnen die Kompetenz zur Deutung grundsätzlich ab. Er wirft damit die Frage auf, wer Ob Julians Gedanken auf einer direkten Lektüre des Alkibiades beruhen oder möglicherweise auch durch Jamblichs Alkibiadeskommentar beeinflußt sind, läßt sich nicht feststellen, da Julians Schriften keine aussagekräftigen Anhaltspunkte bieten. Siehe Bouffartigue (1992) f. und –. Iul. Mis. b/c: οὐδὲ ἀπέβλεψας ὅση καὶ μέχρι τῶν ὄνων ἐστὶν ἐλευθερία παρ’
αὐτοῖς καὶ τῶν καμήλων; ἄγουσί τοι καὶ ταύτας οἱ μισθωτοὶ διὰ τῶν στοῶν ὥσπερ τὰς νύμφας [. . .] χρῆσθαι δὲ ὑπ’ ἐλευθερίας οἱ ὄνοι βούλονται ταῖς στοαῖς, εἴργει δὲ αὐτοὺς οὐδεὶς οὐδενός, ἵνα μὴ τὴν ἐλευθερίαν ἀφέληται· οὕτως ἡ πόλις ἐστὶν ἐλευθέρα.
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überhaupt in der Lage ist, eine angemessene Erinnerung an die eigene Gegenwart zu tradieren. Selbst nachdem Julian die Stadt im Zorn Richtung Persien verlassen hatte, dauerten die Auseinandersetzungen um die adäquate Einordnung des Konflikts an. Während der Kaiser sich mit dem Misopogon prinzipiell an die gesamte Bevölkerung gewandt hatte, setzte Libanios dort an, wo ein maßgeblicher Einfluß auf die Politik und das Gedächtnis der Stadt zu erwarten war: bei den Ratsherren. In seiner in der Kurie vorgetragenen Rede Über den Zorn des Kaisers (or. ) versuchte er, sein Publikum sowohl zu einer anderen Einschätzung der Geschehnisse als auch zu einem grundlegenden Kurswechsel im Auftreten der gesamten Gemeinde zu bewegen . Trotz dieser grundsätzlich symbuleutischen Orientierung der Ansprache fällt auf, welch marginale Rolle in ihr Vorschläge zur Behebung der nicht unerheblichen wirtschaftlichen Ursachen der Krise spielen. Zwar geht Libanios durchaus auf die Versorgungsengpässe ein , doch läßt er das Thema ziemlich schnell wieder fallen und verzichtet darauf, konkrete Vorschläge zur Linderung der Lage zu machen. Vermutlich war diese Zurückhaltung auch dadurch bedingt, daß Libanios es billigte, daß die Ratsherren die Umsetzung von Julians Höchstpreisedikt bereits eingestellt hatten . Doch welche Ziele verfolgte er dann, wenn nicht konkrete Maßnahmen sein Anliegen waren? Wie schon der Titel der Rede anzeigt, ging es ihm vornehmlich darum, den Ratsmitgliedern die Gründe für Julians Zorn zu erläutern, also um eine Interpretation der jüngsten Ereignisse. Von vornherein läßt Libanios keine Zweifel aufkommen, daß er die Sicht der Antiochener auf den Konflikt mit dem Kaiser für verfehlt hält. Er wirft ihnen im wesentlichen zwei Versäumnisse bzw. Fehleinschätzungen vor: Zum einen verkennen sie die Dimensionen der Kontroverse, wenn sie die Angelegenheit für eine lokal und zeitlich begrenzte Sache halten ; zum anderen täuschen sie sich im Hinblick auf die tieferen Ursachen des Streits. Seine eigene Deutung will diese zwei Punkte ins Bewußtsein rufen. Obgleich er es an Kritik am Betragen seiner Mitbürger, speziell der Ratsherren, nicht fehlen läßt, macht er sich nicht gänzlich den Standpunkt Julians zu eigen, mag er auch zahlreiche Argumente aus dem Misopogon übernehmen. Vielmehr tritt er als unabhängiger Mittler auf, den die Zuneigung zu beiden Kontrahenten für diese Aufgabe prädestiniert (. ). In zweierlei Hinsicht distanziert sich Libanios sogar Zu dieser Rede siehe Wiemer (1995a) –. Die Rede muß zwischen dem . März und Anfang April entstanden sein (ebd. ). Sokrates bezeugt, daß sie vor einem kleinen Publikum vorgetragen wurde (h. e. . ), womit er vermutlich den Rat meint. Jedenfalls gibt es keinen triftigen Grund, an einem tatsächlichen Vortrag zu zweifeln, wie es Foerster (1903/27) Bd. , Anm. und Norman (1969/77) I xxxii und f. Anm. a tun. Lib. or. . –. Vgl. Wiemer (1995a) –. So Wiemer (1995a) f. Libanios’ Zustimmung zu diesem Verhalten zeigt sich in ep. . Lib. or. . –, .
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recht deutlich von der Position des Kaisers. So weist er dessen Vorwurf, die Ratsherren hätten die Versorgungskrise vorsätzlich herbeigeführt, um Profit zu machen, zurück und ignoriert die Kritik, sie hätten es versäumt, die Brandstifter von Daphne ausfindig zu machen. Die Einnahme einer Mittlerrolle spiegelt sich auch insofern auf der textuellen Ebene wider, als Libanios sich des öfteren durch die Verwendung der . Ps. Pl. in die Gemeinschaft der Antiochener einbezieht, um die Ratsherren seiner Solidarität zu versichern , aber trotzdem immer wieder auch die . Ps. gebraucht, um das Verhalten der Antiochener aus der Distanz zu kritisieren. Libanios tritt im Rahmen der Deutungskonkurrenz zwischen dem Kaiser und der Stadt nicht ungeschickt auf. Statt wie etwa im Fall der Statuenrunruhen ein knappes Vierteljahrhundert später weitgehend nur seine eigene Sicht der Geschehnisse darzulegen, läßt er immer wieder die Ratsherren durch einen fiktiven Interlocutor zu Wort kommen und billigt sogar einige ihrer Einwände . Zudem bietet er ihnen eine Möglichkeit, sich von den Vorwürfen reinzuwaschen, wenn er den Zwist einerseits dem Einfluß der Tyche, andererseits dem unzivilisierten Pöbel zur Last legt . Die Ratsherren bräuchten also nur Libanios’ Interpretation zu übernehmen und wären somit der Verantwortung im wesentlichen ledig. Gleichwohl gibt er in der Sache nicht nach, indem er zum einen die Einwände des Interlocutors – etwa die durch das Fest gegebene Lizenz zum Spott – als billige Ausflüchte entlarvt und zum anderen Julian als göttlichen Übermenschen von unfehlbarem Rechtsbewußtsein charakterisiert, so daß die Schuld nur bei der Gegenseite liegen kann . Gerade im wichtigsten Punkt schließt sich Libanios überdies der Perspektive des Kaisers an: Er führt die Respektlosigkeit und den lockeren Lebenswandel weiter Bevölkerungskreise der Stadt auf die christliche Religion zurück . Hier findet er deutliche Töne gegenüber den christlichen Dekurionen, wie er sie sonst nur selten einmal anschlägt (. –). Seiner Ansicht nach ignorieren sie, obwohl sie sich auf ihre Erziehung etwas zugute halten, die wichtigsten Bildungsgüter, namentlich Platon und Pythagoras, und lassen sich statt dessen von ihren Frauen und Hausangestellten zum Christentum verführen. Sie verhalten sich geradezu wie jemand, der sich in seiner Jugend prostituiert hat und auch später von dieser Krankheit Lib. or. . . So etwa Lib. or. . –, , . Beispielsweise in § –, . Lib. or. . (Werk des Zufalls), (Volksmassen). Lib. or. . (Verleumdung Antiochias durch Sykophanten), – (geringe Zahl der Übeltäter; es waren nur Schufte oder nur Fremde; Spott war akzeptierte religiöse Praxis). In einem Miniaturpanegyricus in or. . – weist Libanios nach, daß Julian auf keinen Fall schuld sein könne. Er sei göttergleich und gerechter als Minos und Rhadamanthys. Die ganze Welt könne dies bezeugen. Siehe ferner § , , . In § vergleicht er zudem Julian mit Apollonios von Tyana, der sich ebenfalls negativ über die Antiochener geäußert hatte (vgl. Philostr. VA. . ). Schon in or. . parallelisiert Libanios den Spott mit Asebie.
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nicht loskommt . Was Libanios zufolge nottut, ist ein grundlegender moralischer Sinneswandel der ganzen Stadt, der von oben ausgehen muß. Nicht allein sollen öffentliche Vergnügungen eingeschränkt werden, sondern Antiochia muß sich vor allem wieder den alten Göttern zuwenden (), um zur Tugendhaftigkeit zurückzufinden und dadurch Julians Zorn zu besänftigen. Die Deutung der jüngsten Geschehnisse wird also explizit in den Dienst der Zukunft gestellt ; sie dient als Grundlage für einen Appell zu einer grundlegenden Umkehr im Sinne der Politik Julians. Da er selbst nicht damit rechnet, bei den Christen auf offene Ohren zu stoßen , ist es offensichtlich, daß es Libanios vorrangig darum geht, eine gültige Version der Ereignisse bei den maßgeblichen Kreisen der Stadt vorzulegen und damit abweichende Ansichten gleichsam zu überschreiben. Bei Libanios’ Rede haben wir es mit einer Deutung der Wirklichkeit auf zweiter Ebene zu tun. Nachdem bereits die Bevölkerung Antiochias wie auch die politische Führungsschicht ihre Sicht auf die Begebenheiten in der alltäglichen Kommunikation kundgetan und verbreitet haben und nachdem Julian im Misopogon diese Interpretation als grundverkehrt gebrandmarkt hat, versucht nun Libanios mit seiner Ansprache zu einer abschließenden Wertung der Ereignisse zu kommen, die von den Angehörigen der Elite übernommen werden soll. Er greift auf die kursierenden Erinnerungen zurück, baut sie zum Teil in seine Argumentation ein und bemüht sich um eine Synthese, die freilich fast ganz auf Julians Linie liegt. Wie die in der Rede angelegte Unterscheidung von städ Lib. or. . : εἶθ’ ὅταν Πλάτωνος καὶ Πυθαγόρου μνησθῇ τις, τὴν μητέρα καὶ
τὴν γυναῖκα καὶ τὴν ταμίαν καὶ τὸν μάγειρον καὶ τὸ πάλαι ταῦτα πεπεῖσθαι προτείνεσθε καὶ οὐκ αἰσχύνεσθε ταῦτα αἰσχυνόμενοι, ἀλλ’ οἷς ἔδει νομοθετεῖν, τούτων ἐφόλκια γίγνεσθε καὶ μεγάλην ἀνάγκην ἡγεῖσθε τοῦ κακῶς διὰ τέλους φρονεῖν τὸ πάλαι φρονεῖν κακῶς, ὥσπερ ἂν εἴ τις τὴν ὥραν ἐν τῇ νεότητι πεπρακὼς καὶ διὰ τῶν ἄλλων ἡλικιῶν φυλάττοι τὴν νόσον (»Dann, sobald jemand Platon oder Pythagoras erwähnt, schützt ihr eure Mutter, eure Frau, eure Haushälterin und euren Koch vor und daß ihr schon lange dies [die christlichen Lehren] glaubt, und nicht schämt ihr euch, davor Ehrfurcht zu haben, sondern denen ihr Vorschriften machen müßtet, in deren Schlepptau lauft ihr. Und als starken Zwang, bis zum Ende verkehrte Gedanken zu hegen, erachtet ihr, daß ihr schon lange verkehrte Gedanken hegt, wie wenn jemand, der sich in seiner Jugend prostituiert hat, diese Krankheit für sein restliches Leben beibehält.«). Daß gerade Frauen für die Ausbreitung des Christentums verantwortlich waren, war Julians und Libanios’ gemeinsame Ansicht: Iul. Mis. a, b–d, a; Gal. fr. ; ep. . c; Lib. or. . ; . ; ep. . . Daß sich Libanios des Konstruktcharakters der von ihm gegebenen Deutung der Wirklichkeit und der Anpassung an den jeweiligen gegenwärtigen Kontext bewußt ist, zeigt er in § f., wo er ausdrücklich darauf hinweist, er habe vor Julian eine ganz andere, nämlich für die Antiochener schmeichelhafte Version des Geschehens gezeichnet. In ähnlicher Weise entwirft er in or. ein positives Bild der Stadt, um Julian zur Milde zu bewegen, obgleich er sich über die Haltung der Antiochener zum Kaiser keinerlei Illusionen hingab. Er versucht damit, Julians im Misopogon vorgetragene Sicht zu korrigieren. Lib. or. . . In ep. an Julian suggeriert Libanios, daß die moralische Wende unter dem Einfluß des consul Syriae Alexander bereits eingesetzt habe. Bezeichnenderweise ist davon im Presbeutikos or. nicht mehr die Rede.
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tischer Führungsschicht und einfachem Volk nahelegt, setzt Libanios darauf, daß seiner Deutung mehr Erfolg beschieden ist, wenn er sich bei den Ratsherren, die seine Autorität anerkennen, zu Wort meldet, als wenn man größere Kreise der Bevölkerung anspricht. Welche Schwierigkeiten eine schriftlich verbreitete Deutung eines Ereignisses innerhalb einer Erinnerungskonkurrenz mit sich bringen konnte, beleuchtet der Brand des Apollontempels in dem Antiochener Vorort Daphne . Der eigentliche Beginn des Konflikts liegt in der Zeit, ehe Tempeldach und Kultbild am . Oktober in Flammen aufgingen . Zuvor nämlich hatte der Caesar Gallus die Gebeine des Bischofs Babylas in ein eigens errichtetes Martyrium translozieren lassen, das sich nahe dem Tempel Apollons befand . Dadurch soll das Orakel des Gottes zum Verstummen gebracht worden sein. Als Julian nach seiner Ankunft in Antiochia erfuhr, daß das Orakel wegen der Anwesenheit von Leichnamen nicht mehr tätig sei, ließ er die Gebeine des Babylas umgehend entfernen, um die Kultstätte zu reinigen. Wie wir aus christlichen Berichten erfahren, geleitete eine große Menge von Christen unter Gesängen den Sarg mit den Überresten zurück in die Stadt und münzte so Julians feindlichen Akt in eine beeindruckende Demonstration des christlichen Glaubens um . Nachdem kurz darauf der Tempel Feuer gefangen hatte, lag der Verdacht nahe, daß sich die Christen für Julians Affront durch die Brandstiftung gerächt hatten. Allerdings kursierten ebenso Gerüchte, ein Blitzschlag sei der Auslöser gewesen oder bloße Unachtsamkeit der Tempelwächter, die sich nicht um die von dem Philosophen Asklepiades angezündeten Kerzen gekümmert hätten . Obgleich die eingeleiteten Untersuchungen kein Ergebnis zeitigten , ergriff Julian in der Überzeugung, daß die Täter unter den Gottlosen zu suchen seien , nun Maßnahmen gegen die Christen Antiochias: Die Große Kirche wurde geschlossen und liturgisches Gerät beschlagnahmt, nach christlichen Darstellungen kam es zu Verfolgungen . Da die zeitliche Koinzidenz der Umbettung und des Brandes an einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen denken ließ, wie auch die Gerüchte zeigen, stellte sich die Frage, weshalb Apollon es hingenommen Zum Apollonheiligtum in Daphne siehe Lib. or. . –, –. Vgl. Downey (1961) –. Die Quellen zum Tempelbrand: Amm. . . –; Lib. or. ; Iul. Mis. b; Chrys. pan. Bab. . – und . –; Soz. h. e. . ; Thdt. h. e. . . –. . Vgl. auch Lib. or. . . Siehe dazu Festugière (1959) –, Downey (1961) f. Chrys. pan. Bab. . . Downey (1961) f. Chrys. pan. Bab. . (Vergleich mit dem Einzug eines siegreichen Athleten); Philost. h. e. . ; Socr. h. e. . ; Soz. h. e. . . Amm. . . – (Asklepiades). Siehe Lib. ep. . Auch die Folterung des Apollonpriesters erbrachte keine Erkenntnisse: Chrys. pan. Bab. . , ; Soz. h. e. . . . In Mis. b nennt er die ἄθεοι ἄνδρες als Täter. Unzutreffend Downey (1961) . Philost. h. e. . ; Thdt. h. e. . ; Soz. h. e. . f.
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hatte, daß sein Tempel und sein Kultbild zerstört wurden. Für die Christen bot es sich an, das Geschehen als Indiz für die Überlegenheit ihres Gottes zu deuten. Weniger leicht war es für die heidnische Seite zu bestimmen, welche Signifikanz dem Ereignis innewohnen könnte. Aber jedenfalls schien es ratsam, der christlichen Deutung etwas entgegenzusetzen und auch hier wie in dem soeben dargestellten Fall eine autoritative Interpretation in Umlauf zu bringen. In dieser Situation entschloß sich Libanios, das Geschehen in einer Rede zu verarbeiten, die allerdings nur fragmentarisch auf uns gekommen ist. Von seiner Monodie auf den Tempel in Daphne ist allein erhalten, was Johannes Chrysostomos in seiner Erwiderung auf diese Schrift zitiert . Aussagen über sie können also nur unter Vorbehalt getroffen werden, da Johannes selbstverständlich kein objektives Referat der Gedanken des Libanios anstrebte, sondern die Partien heraussuchte, die sich am ehesten für eine polemische Widerlegung eigneten. Gleichwohl lassen sich einige Grundzüge erkennen . Die von Johannes herausgegriffenen Abschnitte lassen keinen Zweifel daran, daß es Libanios hier um eine sehr emotionale Sicht auf das Geschehen, eine persönliche Klage geht. Wie er gleich zu Beginn der Rede deutlich macht, hat Antiochia mit dem Apollontempel seine Bedeutung und Schönheit verloren . Ein ums andere Mal reiht er zum Teil anaphorisch Fragen aneinander, wodurch er in einen Dialog mit seinen Rezipienten eintritt, oder wendet sich direkt an die Götter, namentlich an Apollon und Zeus . Indem er die . Person Plural gebraucht, stellt Libanios eine Gemeinschaft mit seinem Publikum her und beteiligt es an seiner Trauer . Unverkennbar steht in der von Ausrufen durchsetzten Rede die persönliche Klage und Trauer im Vordergrund, weniger die argumentative Analyse des Ereignisses. Dies zeigt sich etwa auch in dem verzweifelten Wunsch nach Rache, wenn sich Libanios unter Verwendung eines Tragödienzitats Seherkunst sowie Pfeil und Bogen wünscht, um den Verursacher ausfindig zu machen und zu töten . Obgleich er, wie er damit selbst eingesteht, den Täter nicht namhaft machen kann, läßt Libanios unmißverständlich durchblicken, wo die Schuldigen zu suchen seien. Allein daß er von einem menschlichen Täter ausgeht und nicht von einer natürlichen Ursache, weist in die Richtung derer, die dem alten Götterkult ablehnend gegenüberstehen. In einem von staccatoartigen Fragen und Ausrufen geprägten Abschnitt schleudert er geradezu seinem Publikum entgegen: ὢ τόλμης ἀσεβοῦς, ὢ Chrys. pan. Bab. . –. Die Fragmente der Monodie werden als or. gezählt. Über Publikum und Verbreitung der Monodie lassen sich keine exakten Angaben machen, doch spricht die Benutzung durch Johannes dafür, daß die Monodie schriftlich vorlag und daß die Tatsache der Abfassung einem größeren Kreis bekannt war. Petit (1983b) f. Lib. or. . . Johannes identifiziert diesen Passus eindeutig als Anfang der Monodie. Lib. or. . (anaphorische mit τίς eingeleitete Fragen), – (Reihung von Fragen), (Apostrophe an Sonne und Erde), (Apostrophe an Apollon), (Apostrophe an Zeus). Lib. or. . (καλῶμεν), (ἡμῖν), (φιλοτιμησόμεθα) u. ö. Lib. or. . mit E. Or. .
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ψυχῆς μιαρᾶς, ὢ θρασείας χειρός. Τιτυός τις οὗτος ἕτερος ἢ ῎Ιδας ὁ ἀδελφὸς Λυγκέως, οὐ μέγας μέν, ὥσπερ ἐκεῖνος, οὐδὲ τοξότης, ὥσπερ οὗτος, ἀλλ’ ἓν τοῦτο εἰδώς τὸ κατὰ θεῶν μαίνεσθαι (»O gottloser Frevel, befleckte Seele, verwegene Hand! Dies war ein zweiter Tityos oder ein Idas, der Bruder des Lynkeus, kein großer wie jener und kein Bogenschütze wie dieser, sondern einer, der einzig dies verstand: gegen die Götter zu rasen.«, . ). Wer diese Anschuldigungen hörte oder las, konnte ohne weiteres erkennen, daß Libanios die Täter unter den Christen vermutete, die für ihn auch sonst die ›Gottlosen‹ sind und sich der religiösen Restauration Julians widersetzen. Ohne es explizit auszusprechen, legt Libanios in der Monodie also eine Interpretation dieser herausragenden Begebenheit vor. Überdies gibt er zu verstehen, welch außerordentliche Bedeutung dem Brand des Tempels zukomme. Läßt schon die gehobene Stillage der Monodie die Erhabenheit des Themas hervortreten, so parallelisiert Libanios durch mythologische Anspielungen den Brand des Tempels mit anderen Angriffen von Frevlern auf den Gott Apollon in der Vorzeit. Abgesehen von dem Giganten Tityos, Idas und den Söhnen des Aloeus, die schon bei Homer wegen ihrer Freveltaten erwähnt werden , dient ein historisches Kontrastbeispiel dazu, den Tempelbrand als weltgeschichtliches Ereignis erscheinen zu lassen. Gleich zu Beginn der Rede erinnert Libanios nämlich an den König Sapor I., der zwar Antiochia eingenommen hatte, aber den Tempel in Daphne aus Scheu unbehelligt gelassen habe . Während der Tempel damals einem ganzen Heer standgehalten habe, habe ihn nun ein einzelner, heimlich agierender Täter ohne große Bewaffnung vernichtet (. ). Die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der alten Kulte und den gottlosen Christen ist in ihren Dimensionen demnach dem Konflikt zwischen dem Römischen Reich und Persien vergleichbar, nur daß die Frevler mit List im Geheimen agieren. Libanios’ Darstellung des Ereignisses bliebe unvollständig, wenn er nicht darauf einginge, weshalb der Brand gerade zu dieser Zeit stattgefunden hatte. Denn immerhin scheint man allgemein eine Verbindung zur Entfernung der Gebeine des Babylas angenommen zu haben. Auch Libanios selbst erinnert kurz an diese Umbettung, allerdings ohne den Namen des Heiligen zu nennen und vor allem ohne eine direkte Verbindung zum Brand herzustellen . Er Lib. ep. ; ; or. . , , ; . ; . . Lib. or. . . Vgl. Hom. Il. . –; Od. . – und –. Lib. or. . f. Libanios nennt den Perserkönig hier nicht namentlich, sondern bezeichnet ihn nur als Vorfahren des derzeit regierenden, doch ist eine Identifizierung mit Sapor I. wahrscheinlich, der wohl und in Antiochia einmarschiert war. Zu dieser Episode siehe Arthur D. Nock: »Sapor I and the Apollo of Bryaxis«, in: AJA , , –. Zur kontrovers diskutierten Datierung der Einnahme Antiochias siehe Udo Hart¯ an und An¯er¯an. Studien zu den mann: »Mareades – ein sasanidischer Quisling?«, in: Er¯ Beziehungen zwischen dem Sasanidenreich und der Mittelmeerwelt, hg. von J. Wiesehöfer und Ph. Huyse. (Oriens et Occidens ) Stuttgart , –, hier f. Lib. or. . : Apollon sei πονηροῦ γειτονήματος ἀπαλλαγείς, νεκροῦ τινος ἐνοχλοῦντος ἐγγύθεν.
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konstatiert, daß nicht einmal die Sintflut (κατακλυσμός), womit er die antiheidnischen Repressalien unter Constantius meint, dem Tempel hätten etwas anhaben können. Erst als diese Wolke vorübergezogen war, sei das Heiligtum zerstört worden (. ). Dieser Umstand wirft ein gravierendes Problem auf: Weshalb ließ der Gott ausgerechnet zu einer Zeit, da sein Orakel wiederhergestellt war und ihm reiche Opfer wie nie zuvor dargebracht wurden, den Brand zu, während er die Entweihung zur Zeit des Constantius und des Gallus ertragen hatte? Libanios kann nicht umhin, dieses Paradoxon zu streifen, vermag jedoch anscheinend keine plausible Erwiderung zu geben. Zwar nimmt er die Gelegenheit wahr, noch einmal vor Augen zu stellen, daß der fromme Kaiser und Liebling Apollons Julian die Zeit der Gottlosigkeit beendet habe (. f.), doch wird dieser Sieg durch den Brand in Frage gestellt. Wie sehr Libanios dieses Problem beschäftigt, zeigt sich, wenn er verwundert fragt, warum weder Hephaist noch Zeus eingegriffen hätten, obschon letzterer sogar Kroisos vom Scheiterhaufen gerettet habe . Ähnlich wie nach dem Tode Julians greift Libanios hier auf die Form der Monodie, der sehr persönlich gehaltenen Klage, zurück, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig durch die eindrückliche Stilisierung der Rede die außerordentliche Bedeutung des Verlustes zu umreißen . Solange er keine Antwort auf das eben festgestellte Problem wußte, war die Monodie das geeignete Mittel, eine Einordnung des Ereignisses in einen größeren Kontext zu versuchen, ohne dabei streng argumentativ eine in jedem Punkt schlüssige Deutung zu geben. Denn von dieser Gattung erwartete das Publikum keine Argumentation, sondern nur Pathos . Genau an diesem Punkt konnte Johannes Chrysostomos ansetzen, als er einige Zeit später seinen Traktat Auf den seligen Babylas und gegen die Hellenen verfaßte . In § – setzt er sich ausführlich mit der Monodie des Libanios Lib. or. . . Vor demselben Problem stand Libanios kurze Zeit später, als er sich in der Monodie auf Julian (or. ) nicht erklären konnte, weshalb die Götter den Tod ihres Lieblings zugelassen hatten. Die besondere rhetorische Stilisierung der Monodien des Libanios läßt sich im übrigen auch sprachstatistisch nachweisen. Siehe Dietmar Najock: Sprachstatistische Untersuchungen zu den Briefen und Reden des Libanios. Bde. Hildesheim; Zürich; New York , I , , , und . Vgl. auch die Charakterisierung bei Norden (1915) und Anm. . Libanios’ Freund Akakios scheint in einer ähnlichen Situation, als Christen einen Tempel zerstört hatten, sich der Form der Monodie bedient zu haben. Lib. ep. . Zur Monodie als literarischer Gattung siehe Men. Rh. . –. . Soffel (1974) –; Pernot (1993) –. Chrys. pan. Bab. . In dieser Schrift geht Johannes ausführlich auf den Tempelbrand und Libanios’ Monodie ein. Daneben verfaßte er noch eine kurze Homilie Auf den heiligen Märtyrer Babylas (Chrys. pan. Bab. ), in der er sich ebenfalls kurz dem Tempelbrand widmet (§ –). Der Traktat auf Babylas dürfte etwa / entstanden sein, während die Homilie nach vorgetragen wurde, und zwar an einem . Januar, dem Festtag des Heiligen. Zu den Einzelheiten vgl. die Einleitungen in der Edition von Schatkin – Blanc – Grillet (1990). Siehe ferner Tloka (2005) –.
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auseinander, wobei er diese regelrecht dekonstruiert, indem er die ihr inhärenten Schwachstellen aufgreift und gegen ihren Verfasser wendet. Johannes nutzt den Tempelbrand als Anlaß, grundsätzlich mit dem paganen Götterkult abzurechnen und stellt dabei die Machtfülle des Christengottes und die Machtlosigkeit der heidnischen Dämonen in den Mittelpunkt. Mit scharfen, höhnischen Fragen legt Johannes den Finger in die Wunde, daß Apollon, nachdem er es so lange ertragen hatte, keine Opfer zu erhalten, ausgerechnet zu dem Zeitpunkt sein Heiligtum verlassen mußte, als Julian ihm viele Opfer darbrachte (§ f.). Daß weder Apollon noch die übrigen heidnischen Götter imstande waren, den Brand abzuwehren, beweist für ihn die Schwäche der Dämonen. Hatte Babylas zuvor schon das Orakel zum Verstummen gebracht, so vernichtete sein Gebet an Gott, Feuer zu senden, das Heiligtum. Die Stärke des nur körperlich toten, aber durch Taten weiterhin lebendigen Märtyrers erweist sich als dem ganzen heidnischen Pantheon überlegen . Während Julian, um die Bedeutung des Ereignisses herunterzuspielen, die Ansicht vertritt, Apollon habe den Bezirk von Daphne bereits vorher wegen der Verunreinigungen verlassen , behauptet Johannes ähnlich wie Libanios, daß der Gott erst durch den Brand vertrieben worden sei. Gerade der Umstand, daß Apollon unter Zwang habe weichen müssen, demonstriere nicht nur seine Unterlegenheit, sondern lasse den Heiden keine Ausreden mehr, der Gott sei im Zorn von sich aus gegangen (§ ). Besondere Genugtuung bereitet es Johannes, daß ausgerechnet der Orakelgott die Zerstörung des eigenen Tempels nicht vorhergesehen habe. Höhnisch fragt er, ob Apollon vielleicht geschlafen habe. Hier läßt sich nach Johannes beobachten, wie sich die Heiden freiwillig dem Trug der Dämonen ausliefern, indem sie sich auf Weissagungen verlassen, und damit ihr eigenes Heil, ihre σωτηρία, leichtfertig verspielen (§ ). Auch dieser Vorwurf ist von grundsätzlicher Tragweite, da hier den Heiden unterstellt wird, ihr Götterglaube verleite zu Passivität und zum Verlust der σωτηρία, die in den Diskussionen dieser Zeit eine wichtige Rolle spielt . Ähnlich wie Libanios verleiht Johannes dem Johannes knüpft an die Auseinandersetzung mit der Monodie Polemiken gegen die heidnische Opferpraxis (§ ), die Anstößigkeit der Mythen (, , ), das Orakelwesen (). Chrys. pan. Bab. . : ὁ δὲ πονηρὸς δαίμων ἐμάνθανεν [. . .] ὅτι οὐ πρὸς νεκρὸν
τὸν ἀγῶνα εἶχεν ἀλλὰ πρὸς ζῶντα καὶ ἐνεργοῦντα καὶ οὐκ αὐτοῦ μόνον ἀλλὰ καὶ πάντων δαιμόνων ἰσχυρότερον (»Der elende Dämon mußte erkennen [. . .], daß er nicht gegen einen Toten kämpfte, sondern gegen einen Lebenden, Tatkräftigen, der stärker war nicht nur als er, sondern als alle Dämonen.«). Iul. Mis. c. Libanios hingegen nimmt noch in or. . an, daß der Gott die Erde erst nach dem Brand verlassen habe. Zur σωτηρία siehe beispielsweise Lib. ep. . ; . ; or. . und ; . , , , , , ; Iul. or. . a; . b; Gal. fr. . b/c; Gr. Naz. or. . , , , , ; . . Schon Matthäus und Lukas hatten den Namen Jesus mit σωτήρ wiedergegeben (Mt . ; Lk . ).
. Erinnerungskonkurrenzen
Tempelbrand weitreichende Bedeutung für das Verhältnis zwischen Christentum und Heidentum sowie für den Zustand des Reiches. Er bedient sich der vorangegangenen Deutung der Gegenseite, um eine konkurrierende Sicht zu entwickeln, die für sich in Anspruch nimmt, auf schlüssigeren Argumenten zu beruhen. Das Geschehen um den Tempel des Apollon in Daphne und die Gebeine des Babylas rief einen Kampf um die richtige Erinnerung und damit die Deutungshegemonie zwischen heidnischer und christlicher Seite hervor. Wie die Äußerungen Julians im Misopogon und die Monodie des Libanios zeigen, waren sich die heidnischen Vertreter bewußt, daß der kurz nach der Entfernung der Gebeine ausgebrochene Brand eine Deutung erforderte, wenn die christliche Sicht nicht die Oberhand gewinnen sollte. Während sich der Brand den Christen als Beweis für die Macht ihres Gottes geradezu aufdrängte, standen die Heiden vor der Schwierigkeit, das Ereignis sinnvoll in ihr Weltbild einzuordnen. Einer einfachen, auf den ersten Blick überzeugenden Interpretation entzog es sich freilich. Zu offensichtlich schien es die Schwäche Apollons vor Augen zu führen. Libanios behalf sich, indem er die emotional geprägte Form der Monodie wählte, die den Schwerpunkt auf das Ausmaß der Trauer legt. Welche Gefahr eine solche für manchen unbefriedigende Deutung barg, kam durch die Entgegnung des Johannes ans Licht. Seine Rede macht deutlich, wie leicht eine nicht ganz schlüssige Deutung gegen die Intention ihres Urhebers gewendet werden kann. Die konkurrierende Seite konnte sie leicht aufgreifen und für eigene Zwecke instrumentalisieren, nämlich umdeuten. Die Abfolge mehrerer zusammengehöriger Ereignisse – Errichtung des Martyriums, Entfernung der Gebeine, Tempelbrand, Monodie, Johannes’ Rede – ist ein Beispiel dafür, wie in einer Konkurrenzsituation verschiedene Modi, Handlungen, Kundgebungen, Deutungen, ineinandergreifen. Wichtig war es, in dieser Kette möglichst das letzte Wort zu behalten und durch eine schlüssige Deutung andere Positionen zu überschreiben. Ähnlich persönlich engagiert wie im Falle des Tempelbrandes zeigte sich Libanios, wenn das Andenken seines Idealkaisers Julian auf dem Spiel stand. Wie bereits erwähnt wurde, forderte dessen Herrschaft Anhänger wie Gegner zu Deutungen und entschiedenen Urteilen heraus, da sie wie ein Brennglas die umstrittenen Themen dieser Zeit bündelte. Im folgenden sollen einige Aspekte direkter Erinnerungskonflikte analysiert werden. Nachdem Julian bereits zu Lebzeiten Kritik und Spott geerntet hatte, war es nicht verwunderlich, daß seine Gegner ihren Gefühlen freien Lauf ließen, als er gestorben war. Für seine Anhänger mußte es schmerzlich sein, wenn Julian nun in aller Öffentlichkeit straflos geschmäht werden konnte. Statt diese Provokationen untätig hinzunehmen, bemühte sich Libanios, ihnen, soweit dies unter den veränderten Gege Dies zeigt schon der Umstand, daß es Johannes selbst sechzehn Jahre nach dem Brand für nötig erachtete, Libanios’ Monodie einer eingehenden Widerlegung zu unterziehen.
Politik der Erinnerung
benheiten noch möglich war, entgegenzutreten, indem er Julian durch publizistische Aktivitäten in Schutz nahm. Kaum hatte er seine Monodie auf den toten Kaiser vorgetragen, als auch schon die Kunde von seinem Engagement sich unter Julians Parteigängern verbreitete. Jedenfalls hatte Aristophanes in Korinth bereits Mitte von einer solchen Rede erfahren . Während Libanios sich in der Monodie nur allgemein und implizit gegen Kritik an dem toten Kaiser wandte – eine Monodie wäre nicht der geeignete Ort für eine polemische Auseinandersetzung gewesen –, konnte es auch erforderlich bzw. möglich sein, einem Kritiker namentlich entgegenzutreten. Wie die Auseinandersetzung mit Polykles zeigt, konnte dies eine etwas diffizile Aufgabe sein. Polykles hatte nämlich anfangs durchaus zu den Nutznießern von Julians Herrschaft gezählt; hatte ihm dieser doch gleich zur Jahreswende / ein hohes Amt verschafft, vermutlich das des consularis Phoenices . Polykles war sogar der erste, dem Julian nach dem Machtwechsel ein Amt verliehen hatte (Lib. or. . ). Zudem stand er in relativ enger Beziehung zu Libanios, galt als sein Freund und ging bei ihm ein und aus, wie in Antiochia allgemein bekannt war . Allerdings blieb das Verhältnis nicht ungetrübt. Denn schon ziemlich bald nach der Ernennung muß Julian Polykles wieder entlassen haben, weil er ihn für inkompetent hielt. Nach des Kaisers Tod entzweiten sich auch Libanios und Polykles, wovon sich anscheinend sogleich Kunde unter den Antiochenern verbreitete. Den Anlaß für das Zerwürfnis teilt uns Libanios in einer kurzen Schrift mit, die er zu einem unbestimmten Zeitpunkt nach dem Jahre an den ehemaligen Freund richtete (or. ). Demnach hatte sich Polykles, als sich beide über Julian unterhielten, abfällig über den Kaiser geäußert und sich zu der Behauptung verstiegen, dieser habe seine Frau heimtückisch durch Gift ermorden lassen . Um nicht selbst als Urheber dieser Unterstellung auftreten zu müssen, berief er sich auf Elpidios als Gewährsmann, der zu dieser Zeit bereits nicht mehr lebte . Hatte es Polykles darauf angelegt, Libanios vor den Kopf zu stoßen, so war ihm Darauf deutet Lib. ep. . hin. Polykles ist einzig aus der Schrift des Libanios bekannt. Siehe PLRE , s. v. Polycles. Libanios spricht gleich in or. . von συνήθεια und τὸ εἰσιέναι σε παρ’ ἐμὲ καθ’ ἑκάστην ἡμέραν μετὰ μεσημβρίαν. Lib. or. . . Polykles hatte behauptet, Julian habe mit dem Schmuck seiner Mutter einen Arzt bestochen, seine Gattin zu vergiften. Außerdem hatte er dem Kaiser vorgeworfen, zu großzügige Geschenke gemacht zu haben (§ ). Elpidios war trotz niederer Herkunft bis zum praefectus praetorio Orientis aufgestiegen (im Jahre /). Bei den Truppen war er unbeliebt, doch wurde er von Julian gerettet (Lib. or. . ); sein Nachfolger wurde Saturninius Secundus Salutius. Elpidios’ Amtsführung war anscheinend menschlich (Lib. ep. ; Amm. . . ); er soll ein guter Beamter gewesen sein (Lib. ep. ); im Jahre war er noch am Leben (ep. ). Seine Jugend hatte er in Rom verbracht, wo er sich angeblich als Lustknabe angesehener Männer verdang (or. . , , ). Er entzog Libanios die staatliche Besoldung, später aber heiratete seine Tochter mit Libanios’ Mitwirkung Bassianos, einen Vetter des Libanios. Elpidios war Christ und besuchte mit seiner Familie den heiligen Antonius in Ägypten. Siehe PLRE , s. v. Helpidius ; Seeck (1906) –; Petit (1955) f.
. Erinnerungskonkurrenzen
dies augenscheinlich geglückt, da dieser zunächst zu einer eingehenden Erwiderung nicht in der Lage war (§ ). Als Polykles seine Verdächtigungen gegen Julian unters Volk brachte, sah sich Libanios genötigt, gegen ihn öffentlich vorzugehen. Zwar ist die Schrift nur an den Widersacher Polykles adressiert, doch intendierte Libanios offenkundig eine weitere Verbreitung, wie der Anfang des Werkes zeigt. Sein Ziel war es nämlich, den erstaunten Antiochenern die Gründe für den Bruch der Freundschaft mitzuteilen und Polykles als den Schuldigen zu entlarven (§ ). Er wählte also die Form des offenen Briefes, um den vermutlich mündlich in Umlauf gebrachten Gerüchten des Polykles und des Elpidios seine eigene Deutung entgegenzusetzen. Dies brachte die Vorteile mit sich, daß Libanios zum einen ein relativ großes Publikum erreichen konnte und zum anderen in der Lage war, detailliert die Anschuldigungen zu widerlegen, wie es in mündlicher Kommunikation nicht möglich gewesen wäre. Ein wesentlicher Baustein in Libanios’ Argumentationsgebäude ist, daß er sich auf persönliche Erfahrung und seine eigene Erinnerung berufen kann, wenn er die Gerüchte als haltlos zu erweisen versucht. Jedermann wußte, daß kaum ein Antiochener dem Kaiser so nahe gestanden hatte wie Libanios, der einen tiefen Einblick in die Geschehnisse am Hof hatte. So betont Libanios auch, er sei des Kaisers Freund gewesen , und teilt einzelne Begebenheiten aus dessen Leben mit, die zugleich die Untadeligkeit des Kaisers belegen und Libanios’ privilegierte Kenntnisse bezeugen sollen . Demgegenüber mußten die Unterstellungen zweier Männer, von denen der eine unter Julian keine höheren Ämter bekleidet, der andere nur kurz als Amtsträger fungiert hatte, als wenig glaubwürdig erscheinen, da sie doch offensichtlich keinen Zugang zum Kaiser gehabt hatten. Indem er sich so auf seine Vertrautheit mit Julian beruft, überspielt Libanios die Schwachstelle, daß er zu der Zeit, als Julian angeblich seine Frau ermorden ließ, noch gar nicht persönlich mit ihm bekannt war . Daher bedient er sich für diese Zeit einer anderen Argumentationsstrategie. In der Art eines implizit geführten εἰκός-Arguments entfaltet Libanios in einer kurzen Sequenz ein panegyrisches Lob des Kaisers, in dessen Lichte es völlig absurd erscheinen soll, daß Julian zu einem Mord fähig wäre . In der Folge untermauert er mit weiteren Wahrscheinlichkeitsargumenten seine Position. Erstens In or. . hebt Libanios durch mehrfache Verwendung von φίλος seine enge Beziehung zu Julian hervor. Libanios weiß nicht nur zu berichten, daß Julian Polykles das erste Amt nach Erringung der Alleinherrschaft verliehen hatte, sondern auch, daß der Kaiser Polykles nicht kannte und in der Angelegenheit von einem Freund getäuscht wurde (§ ). In § erwähnt er, wie Julian durch Gebete zu Poseidon ein Erdbeben in Konstantinopel beendet. Vgl. dazu or. . . Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Libanios und Julian siehe Wiemer (1995a) – und –. Lib. or. . –. Libanios bringt Julian in § mit Minos und Rhadamanthys in Verbindung und vergleicht ihn explizit mit Aiakos.
Politik der Erinnerung
seien im Palast viele weitere Ärzte beschäftigt gewesen, denen der Giftanschlag nicht hätte verborgen bleiben können (); zweitens hätte Constantius dann auf jeden Fall davon erfahren und Julian des Amtes enthoben (); und drittens hätte Elpidios als ὕπαρχος die Sache bemerken müssen und sogleich Alarm geschlagen (). Da dies alles nicht passiert sei, könne nichts geschehen sein. Neben diesen beiden Strategien bedient sich Libanios eines dritten Verfahrens, das sich bei einem persönlich greifbaren Kontrahenten anbietet: er diskreditiert seine Gegner. Schon während seines Streitgesprächs mit Polykles, so stellt es Libanios aus der Rückschau dar, habe er darauf hingewiesen, daß Elpidios ein schlechter Gewährsmann sei, da er sich in seiner Jugend in Rom als stadtbekannter Lustknabe verdungen und sogar bis zu seinem Tode homosexuelle Beziehungen unterhalten habe . Auf diesen Einwand hin habe Polykles betreten geschwiegen und sich der Wahrheit geschlagen geben müssen. Überdies suggeriert Libanios, Elpidios habe während seiner Amtsführung zu Unrecht Menschen hinrichten lassen (), und spielt, indem er den gottesfürchtigen Julian gegenüberstellt, außerdem darauf an, daß Elpidios gottlos, also Christ, war (ebd.). Zum entscheidenden Schlag holt er aus, wenn er sich wieder dem Adressaten zuwendet. Nachdem er zunächst nur knapp hat einfließen lassen, daß Polykles ein verwerfliches Sexualleben führt , geht er auf die Frage ein, weshalb dieser eigentlich so erzürnt das Feld räumte, als Libanios Elpidios’ Homosexualität ins Spiel brachte. Genüßlich kostet es Libanios aus, wie er eine Antwort auf diese Frage findet: Wenn Polykles schwieg, kann dies nur bedeuten, daß er sich bei den Vorwürfen gegen Elpidios selbst ertappt fand (–). Auch Polykles hat sich, so Libanios’ Schlußfolgerung, prostituiert und pflegt homosexuelle Kontakte . Wie ein Redner, der zufällig, indem er über anderes spricht, einen wunden Punkt im Hörer trifft und diesen zum Erröten bringt, hat Libanios Polykles getroffen, ohne es zu ahnen (). Polykles sei aufgestanden und davongeeilt, als ob er selbst Elpidios wäre. Im Unterschied zur Deutung des Konflikts zwischen Julian und den Antiochenern begnügt sich Libanios hier nicht mit einer sachlichen Widerlegung der seiner Meinung nach falschen Behauptungen. Vielmehr greift er, da es sich um bösartige Gerüchte handelt, zu dem Mittel, seinen Gegner mit moralischen Urteilen zu vernichten und dadurch seine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Er bedient sich des in politischen und juristischen Auseinandersetzungen beliebten Vorwurfs der sexuellen Perversität, um beim Lib. or. . . Libanios behauptet, daß sogar Senat und Volk von Rom dies gesagt hätten. Lib. or. . : [. . .] δέον [. . .] ἐγκαλεῖν δὲ τοῖς σοῖς ὀφθαλμοῖς ἢ ὅτῳ ταῦτα δὴ τὰ τῶν ἐρώτων γίγνεται (»[. . .] es wäre nötig [. . .], deinen Augen Vorwürfe zu machen, oder womit sonst das Sexuelle geschieht«). An derselben Stelle wirft er ihm auch Trinksucht und mangelnde Selbstbeherrschung vor. Der Abschnitt gipfelt in der auf Polykles und Elpidios bezogenen, anaphorisch formulierten Aussage: ἴσα μὲν ὑμῖν τὰ λήμματα, ἴσαι δὲ νύκτες· ἴσα μὲν ἐκερδάνατε, ἴσα δὲ κεχάρισθε (»Gleich sind eure Gewinne, gleich eure Nächte; gleiches habt ihr verdient, gleiche Gefälligkeiten erwiesen.«, ).
. Erinnerungskonkurrenzen
Publikum Abscheu und Verachtung auszulösen . Wer sich prostituiert, ist gar nicht imstande, die Wahrheit zu sagen und verdient deshalb keinen Glauben . Also sind die Vorwürfe gegen Julian aus der Luft gegriffen. Wie konnte aber ein so verwerflicher Mensch überhaupt von Julian ein Amt erhalten und Libanios’ Freund werden? Diese Frage gefährdet ihrerseits die Glaubwürdigkeit der ganzen Schrift. Den ersten möglichen Einwand nimmt Libanios vorweg, indem er betont, daß Julian Polykles gar nicht gekannt habe und von einem Freund getäuscht worden sei (). Außerdem erkannte der Kaiser bald das wahre Wesen des Adressaten . Libanios selbst fühlt sich ebenfalls getäuscht, da Polykles niemals wirklich sein Freund gewesen sei, sondern nur als solcher habe gelten wollen (). Insgeheim nämlich habe er versucht, Libanios zu schaden, indem er dessen Äußerungen zur Astrologie entstellte und gegen ihn wandte, so daß Libanios daraus gefährliche Feindschaften erwuchsen (ebd.). Libanios nimmt in diesen abschließenden Äußerungen wohl Bezug auf Vorwürfe und Beschuldigungen, die ihn unter der Herrschaft des Valens, der Magie und Sterndeutung verboten hatte, zu einem weitgehenden Rückzug aus der Öffentlichkeit zwangen . Die Auseinandersetzung zwischen Libanios und Polykles macht deutlich, wie man Gerüchten, die ein negatives Bild Julians transportierten, begegnen konnte, falls sich ein einzelner Urheber namhaft machen ließ. Die Aufgabe war insofern besonders heikel, als der Kontrahent in diesem Falle ein Parteigänger Julians und Freund des Libanios gewesen war. Gegner des toten Kaisers dürften mit Freude auf eine solche Quelle zurückgegriffen haben. In seinem offenen Brief versucht Libanios, auf die schwer faßbaren, unter den Antiochenern kursierenden Gerüchte mit einer detaillierten Widerlegung zu reagieren, die, auch über den Augenblick hinaus, die korrekte Sicht auf Julian und die Machenschaften seiner Kritiker festhält. Neben den sachlichen Argumenten fällt vor allem auf, wie Libanios sich bemüht, die Glaubwürdigkeit seiner Gegner durch persönliche Angriffe zu unterminieren. Sein Ziel ist es, ihnen a limine die Berechtigung abzusprechen, sich über eine integre Persönlichkeit wie Julian öffentlich zu äußern. Er schließt, indem er für seine Ansicht die Wahrheit reklamiert, solche abweichenden Positionen von der Diskussion aus, um mit der Autorität der persönlichen Erinnerung die einzig wahre Sicht an ihre Stelle zu setzen.
Zu derselben Strategie greift Julian im Misopogon, wenn er die Antiochener als weibische Lüstlinge darstellt (a, a, vgl. b). In § bezeichnet Libanios Elpidios als παλλακή, γυνή und ἄτιμος. Wer sich freiwillig als Frau hergebe, dem sei die Möglichkeit genommen, über andere schlecht zu reden. Ein ähnlicher Fall lag mit dem Senator Neilos Dionysios vor, der sich anfangs anscheinend des kaiserlichen Wohlwollens erfreute, sich dann aber mit Julian überwarf. In einem offenen Brief versuchte Julian dem Eindruck entgegenzutreten, er sei jemals mit Neilos befreundet gewesen (ep. ). Zu den Umständen siehe Wiemer (1996a). Siehe dazu unten S. .
Politik der Erinnerung
Zuweilen konnte es im Unterschied zu der Kontroverse mit Polykles nötig sein, etwas subtilere Strategien der Erwiderung und Korrektur zu verfolgen, insbesondere wenn sich andere Darstellungen nicht auf einen einzelnen Urheber zurückführen ließen, sondern vielleicht schon allgemein in Umlauf waren. Neben solchen direkten Auseinandersetzungen hat man mit eher verdeckt ausgetragenen Erinnerungskonkurrenzen zu rechnen, wenn die Autoren zwar nicht ausdrücklich auf die Meinung von Gegnern rekurrierten, aber indirekt anderen Positionen entgegentraten. Implizite Konkurrenzen lassen sich nur dann einigermaßen aufspüren, wenn aus anderen zeitgenössischen Quellen erkennbar wird, daß tatsächlich andere Ansichten zu einem bestimmten Thema kursierten. Für die Zeit unmittelbar nach Julians Tod sind wir in der glücklichen Lage, daß wir zwei gegen den Kaiser gerichtete Reden Gregors von Nazianz besitzen, die sicherlich nicht ausschließlich originelle Gedanken ihres Verfassers wiedergeben dürften, sondern wohl ebenso zu dieser Zeit unter Christen gängigen Vorwürfen Ausdruck verleihen . Gregor verfaßte sie aller Wahrscheinlichkeit nach noch während der Regierung Jovians und schloß die Arbeit an ihnen sehr bald nach dem Regierungsantritt Valentinians ab, der seit dem . Februar herrschte . Als Libanios den Epitaphios etwa im Sommer abfaßte, werden ihm Anschuldigungen gegen Julian, wie sie Gregor vortrug, bekannt gewesen sein. Noch in seinem zu Julians Konsulat des Jahres komponierten Hypatikos, der in offiziellem Rahmen zu Gehör gebracht wurde, hatte Libanios nur kurz gestreift, wie Julian im Jahr die Donau entlanggezogen war, um sich dem Kampf gegen seinen Vetter zu stellen. In einem Gleichnis drückte er aus, daß Julian schnell und von anderen unbemerkt vor Sirmium aufgetaucht sei, wie ein Taucher im Meer von der Küste aus nicht zu sehen sei . Während sich hier Julians Zug in wenigen Worten auch gleichsam der Aufmerksamkeit der Rezipienten entzieht, malt Libanios nach dem Tod des Kaisers relativ breit aus, wie dieser Constantius entgegenzog: Einem Bergstrom gleich habe Julian alle Hindernisse überwunden, seine Gegner überrumpelt oder in die Irre geführt, sei über Flüsse gefahren und über Land marschiert und habe mehrere Städte eingenommen. Schließlich erfahren wir von der durch eine List geglückten Einnahme Sirmiums . Davon, daß Julian heimlich vorgegangen und kaum bemerkt worden sei, ist hier nicht mehr die Rede. Der auf die geschickte List als Klimax hin komponierte Abschnitt läßt Julians Geschick als Feldherr und Taktiker plastisch hervortreten, wie es dann auch die Darstellung des Perserzuges anstrebt. Libanios’ größere Ausführlichkeit und Anschaulichkeit gegenüber der Stelle im Hypatikos war aber möglicherweise nicht allein der Absicht geschuldet, des Kaisers Leistungen enkomiastisch zu überhöhen. Denn offenbar existierten Gr. Naz. or. und . Zu or. liegt der Kommentar von Kurmann (1988) vor. Elm (2005) sieht Gregors gesamtes Werk als direkte Antwort auf Julian und dessen Herrschaft. Zur Datierung siehe Kurmann (1988) –. Lib. or. . f. Vgl. auch Amm. . . –. . . Lib. or. . f.
. Erinnerungskonkurrenzen
auch andere Darstellungen des Zuges über den Balkan. So geht Gregor etwa über die Ereignisse mit der lapidaren Bemerkung hinweg, Julian sei in aller Eile durch sein eigenes Gebiet marschiert und einen Teil des barbarischen Flußufers entlanggefahren, bis er schließlich in die Nähe der Kaiserresidenz vorgerückt sei. Was Gregor dabei nicht mitzuteilen versäumt, ist, daß Julian den Marsch eher inkognito zurücklegte denn mit militärischen Erfolgen . Wie er auch sonst nach Kräften Julians militärische Leistungen schmälert , so erweckt Gregor an dieser Stelle den Eindruck, als habe Julian den offenen Konflikt gescheut und statt dessen lieber heimtückisch vorgehen wollen. Dieses Motiv wird dadurch verstärkt, daß es Julian bei Gregor auf keinen Fall auf einen Kampf gegen Constantius ankommen lassen will, sondern in der Umgebung des Kaisers einen Mörder dingt . Militärisch sei Julian nämlich nicht in der Lage gewesen, den Kaiser zu überwinden, wie man daraus ersehe, daß er von dessen Truppen sogar umzingelt worden sei und selbst nach seiner Machtübernahme Schwierigkeiten gehabt habe, Constantius’ loyale Soldaten zu besiegen (or. . ). In der Version des Libanios hingegen scheint es für Julian keine militärischen Schwierigkeiten zu geben. Nur Zeus kommt ihm zuvor, indem er den Kaiser verdientermaßen durch eine Krankheit dahinrafft . Libanios bedient sich hier des Motivs de mortibus persecutorum unter umgekehrten Vorzeichen, um seinen Helden gegen Verdächtigungen wie die Gregors in Schutz zu nehmen. Zur Bestätigung kann bei ihm Julian, als niemand die Nachricht vom Tode des Kaiser glauben will, ein Orakel vorweisen, das ihm den Sieg ohne Blutvergießen verkündete. Gregor hingegen versucht durch den Bericht von Julians Usurpation gerade nachzuweisen, daß die Berufung auf die ›Dämonen‹ nichts als Lüge sei, während Julian in Wirklichkeit von vornherein die Ermordung des Kaisers geplant habe. Angesichts der bisher genannten Entsprechungen zwischen Gregor und Libanios verwundert es nicht, daß bei letzterem mit dem Tod des Constantius jeglicher Widerstand zusammengebrochen ist und alle ohne Ausnahme ihre Zustimmung zu Julians Alleinherrschaft geben (. ). Der Vergleich zwischen den beiden geradezu wie Pendants erscheinenden Versionen legt den Eindruck nahe, daß Libanios bemüht ist, durch seinen Bericht im einzelnen negative Dar Gr. Naz. or. . : τῷ λαθεῖν μᾶλλον ἢ τῷ κρατεῖν τὴν πάροδον ἁρπάσας. Vgl. or. . ; . –. Um Julians militärische Fähigkeiten herabzusetzen, stellt ihm Gregor Jovians angebliche Erfolge beim Friedensschluß mit den Persern gegenüber (. ). In or. . f. behauptet Gregor, Julian habe mit Hilfe eines Dieners Constantius ermordet, so daß sein Vorwissen um seinen Sieg keineswegs Wohltat von Dämonen, sondern kühle Berechnung gewesen sei. Gregor unterstreicht, daß seine Version die wahre sei. Bei den Kirchenhistorikern ist von einem Mordanschlag allerdings nicht die Rede. Julian selbst weist es in einem Brief an seinen Onkel sogar ganz von sich, er habe Constantius töten wollen. Sein Marsch habe dazu gedient, den Kaiser zum Einlenken zu bewegen (ep. . b). Lib. or. . f. Schon in or. . hatte Libanios Constantius durch göttliches Eingreifen sterben lassen. Gegen solche Deutungen wendet sich Gregor an dieser Stelle offensichtlich.
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stellungen der Usurpation zu widerlegen, obgleich er sich nicht explizit auf Konkurrenten bezieht. Er versucht nicht einfach die Leistungen Julians panegyrisch zu überhöhen, sondern greift genau die Punkte auf, die Julian von seinen Feinden vorgeworfen wurden, um sie implizit zu entkräften. Ähnliches gilt unter anderem, wenn Libanios auf die Prozesse von Kalchedon eingeht, in denen Julian mit hochrangigen Parteigängern des Constantius abrechnete . Kritiker, und zwar nicht nur christliche, hatten in diesem Zusammenhang Julian vorgeworfen, er habe seine Stellung als Richter für persönliche Zwecke mißbraucht, bzw. noch deutlicher, er habe Constantius’ Gefolgsleute durch Mord beseitigen lassen . In einem dem Preis der Herrschertugenden, also auch der Gerechtigkeit, gewidmeten Enkomion mußte Libanios solchen anscheinend verbreiteten Anschuldigungen entgegentreten, wenn sein Lob Julians glaubwürdig wirken sollte. Andererseits wäre es der Gattung des Epitaphios unangemessen gewesen, diesen Vorwurf überhaupt zu erwähnen oder allzu deutlich auf andere Meinungen einzugehen . Dem Leser der Schrift kann allerdings nicht entgehen, wie ausführlich und detailliert sich Libanios den zum Tode Verurteilten widmet (. –). Nachdem er bereits in allen Einzelheiten die verkommenen, korrupten Zustände in Constantius’ Umgebung gebrandmarkt hat (–), wendet Libanios sich den Säuberungsmaßnahmen Julians zu. Wenn er jedoch auf die Hinrichtungen zu sprechen kommt, vermeidet er es, eine Beteiligung Julians herauszustellen. Zunächst erweckt er den Anschein, als wären lediglich drei Männer hingerichtet worden . Dann rechtfertigt er die Urteile, indem er die Verfehlungen der Delinquenten in möglichst düsteren Farben zeichnet. Paulus Catena sei sogar des tausendfachen Todes schuldig gewesen, so daß es diejenigen, die ihn kannten, schmerzte, daß er nur einmal hingerichet werden konnte. Ein anderer wird als Sklave und Eunuch von vornherein abqualifiziert, und die ungerechtfertigte Hinrichtung des dritten wird mit dem Hinweis entschuldigt, der Zorn der Soldaten sei verantwortlich gewesen. Julian habe dessen Tochter aber einen Großteil des Vermögens restituiert. Um Julian noch weiter zu entlasten, hebt Libanios sogleich hervor, daß weitere, die sich schuldig gemacht hätten, von ihm begnadigt worden seien. Selbst wenn man keine Kenntnis von den Vorwürfen gegen Julian hätte, fiele die apologeti Zum historischen Hintergrund der Prozesse, die noch im Dezember stattfanden, siehe Pack (1986) f., Bringmann (2004) –, Rosen (2006) –. Siehe Gr. Naz. or. . ; Amm. . . . Gr. Naz. or. . wirft Julian allgemein Rechtsbeugung vor. Auch Ammian kritisiert die Hinrichtung des Ursulus als Ungerechtigkeit (. . ). Nach seiner Darstellung führte Julian zur Entschuldigung ins Feld, Ursulus sei ohne sein Wissen hingerichtet worden (. . ). In or. . , bevor er Julians Tod schildert, bekundet Libanios dann aber doch ganz offen, daß er falschen Meinungen entgegentrete: ῥητέον δὴ καὶ δόξαν οὐκ ἀληθῆ
περὶ τῆς τελευτῆς παυστέον. Libanios geht nur auf die namentlich nicht genannten Paulus Catena, den einflußreichen Eunuchen Eusebios (Amm. . . : apud quem, si vere dici debeat, multa Constantius potuit) und Ursulus ein. Siehe Bliembach (1976) –.
. Erinnerungskonkurrenzen
sche Tendenz dieses ganzen Passus sofort ins Auge, da Libanios äußerst akribisch einen Sachverhalt nachzeichnet, der eigentlich zur Würdigung Julians nichts beiträgt. Erst vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kritik erhellt, weshalb die Prozesse eben doch einen Platz im Epitaphios erhalten müssen. Diese und weitere Stellen zeigen, daß die Anschaulichkeit und Detailfreude, mit der Libanios Julians Aktivitäten schildert, ganz abgesehen von der bereits beobachteten hagiographischen Ausrichtung , nicht unwesentlich dazu dienen, den toten Kaiser für die künftige Erinnerung gegen Anschuldigungen in Schutz zu nehmen. Libanios tritt geradezu in einen impliziten Dialog mit den Gegnern ein, dessen eine Hälfte der Epitaphios bildet . Wie sich eine regelrechte Umdeutung einer bestehenden Darstellung vornehmen ließ, kann ein Beispiel aus den Historien Eunaps lehren. Ebenso wie Libanios war er, als er sein Geschichtswerk verfaßte, mit bereits existierenden Sichtweisen konfrontiert, auf die er Rücksicht zu nehmen hatte . Während aus christlicher Perspektive Kaiser Theodosius als vorbildlicher, tief religiöser Herrscher erschien , war es Eunaps Anliegen, so wenig Positives über ihn wie möglich zu sagen, wie selbst noch die erhaltenen Fragmente erkennen lassen . So ließ er offensichtlich keine Gelegenheit aus, des Kaisers ausschweifende Lebensführung, militärische Unfähigkeit und zu großes Vertrauen in barbarische Verbündete anzuprangern . Für Anhänger des Kaisers lag es nahe, jeden seiner Siehe oben Kap. .. Weitere Beispiele für solch einen impliziten Dialog: Während Gregor das Lob der Anhänger Julians zurückweist, der Kaiser sei mit Rhadamanthys zu vergleichen, und Julians vertrauten Umgang mit Freunden in der Öffentlichkeit als bloße Worthülse ohne Taten abtut (Gr. Naz. or. . ), stellt Libanios Julians Anrede ›Freund‹ als Ausdruck echter Zuneigung heraus (Lib. or. . f.; vgl. . ; . ; ep. .) und lobt ausführlich seine Gerechtigkeitsliebe (. –), wobei er ihn ausdrücklich mit Rhadamanthys vergleicht (. ; . ; . ; vgl. . ). In Lib. or. . – erkennt Julian, daß man nur siegen könne, wenn man auf die Hilfe der Götter baue. Er veranlaßt die Soldaten, Trank- und Rauchopfer darzubringen. Libanios gesteht immerhin ein, daß der Kaiser dafür auch Geld eingesetzt habe. Durch diesen kleinen Gewinn habe der Soldat einen größeren erhalten, nämlich die Hilfe der Götter. In § rechtfertigt Libanios dann die Ausgaben dafür als gut angelegt. Damit gibt er diesem ›Kauf‹ eine viel positivere Anmutung als Gregor in seiner negativen Darstellung or. . f., wo er von einem nur scheinbaren Gewinn spricht. Kurmann (1988) f. geht freilich zu weit, wenn er hier eine direkte Abhängigkeit des Libanios von Gregor postuliert. Dafür fehlen überzeugende Parallelen. Viel wahrscheinlicher ist, daß Libanios auf verbreitete Vorwürfe reagiert. Die etwa entstandene Fortsetzung der Kirchengeschichte Eusebs durch Rufin und eine noch von Ambrosius gehaltene Rede (in psalm. . ) zeigen, daß zur Entstehungszeit der Historien Eunaps bereits christliche Deutungen von zeitgeschichtlichen Ereignissen verfügbar waren. Ernesti (1998). Eun. fr. . , . , . Vgl. die auf Eunap zurückgehenden Passagen bei Zosimos: Zos. . –, , , , . Zum Theodosiusbild Eunaps siehe Buck (1988), Ernesti (1998) – und Rohrbacher (2002) f., –.
Politik der Erinnerung
Erfolge auch dem christlichen Gott zuzuschreiben . Diese Deutung bot sich zumal an, als sich der Heermeister Arbogast und der Rhetor Eugenius gegen Theodosius erhoben und sich dafür mit heidnischen Senatoren Roms unter Führung des Nicomachus Flavianus verbündeten . Die Gelegenheit, die entscheidende Schlacht am Frigidus, in der Theodosius seine Widersacher bezwang , zum Sieg des Christentums über das Heidentum zu stilisieren, ließ sich Rufin nicht entgehen, als er wenig später seine Kirchengeschichte im Anschluß an Euseb verfaßte . Zu Beginn seiner Schlachtschilderung stellt er den christlichen Kaiser, der sich auf den Kampf eher durch religiöse denn durch militärische Maßnahmen vorbereitet, den Usurpatoren gegenüber, die blutige Opfer und Eingeweideschau bemühen und sich siegesgewiß zeigen. Insbesondere Flavianus tut sich dabei hervor. Obwohl sich schon die paganen Dämonen zur Flucht gewandt haben, steht die Schlacht eine Zeitlang unentschieden, und die barbarischen Hilfstruppen des Kaisers ergreifen die Flucht – freilich nur, damit Theodosius nicht durch Barbaren den Sieg erringe. Auf das für alle sichtbare Gebet des Kaisers hin fassen seine Truppen neuen Mut, plötzlich kommt ein Sturm auf und lenkt die Geschosse der Feinde auf sie zurück . Wichtiger als der militärische Sieg, so stellt Rufin in seinem Résumé fest, war der über die eitle heidnische Zukunftsdeutung . Während also bei Rufin der religiöse Aspekt im Vordergrund steht, meidet Eunap in seiner Darstellung jegliche Andeutung, die so verstanden werden könnte . Nicht nur verschweigt er die Beteiligung des Flavianus, sondern ebenso fehlen Opfer und Eingeweideschau, ganz zu schweigen von Theodosius’ religiöser Einstimmung auf den Kampf. Auf den Ausgang der Schlacht wird der Leser gleich eingangs vorbereitet, wenn Eunap betont, daß es Eugenius an jeglicher militärischer Erfahrung gefehlt habe, Theodosius hingegen sehr schnell und überraschend agiert habe. Anscheinend konnte Eunap jedoch nicht einfach ignorieren, daß der Verlauf der Schlacht einem außergewöhnlichen Naturereignis zu verdanken war. An die Stelle des von Gott gesandten Wirbelsturms setzt er jedoch eine Sonnenfinsternis, die er Zur christlichen Deutung der theodosianischen Herrschaft siehe Leppin (1996) –. Zu den Ereignissen siehe Leppin (2003) –. Joachim Szidat hat gezeigt, daß tatsächlich religiöse Aspekte bei der Auseinandersetzung kaum eine Rolle spielten (»Die Usurpation des Eugenius«, in: Historia , , –). Zu Lokalisation und Umständen der Schlacht sowie zu den antiken Berichten siehe Paschoud (1979b) – (mit beigehefteter Karte). Rufin. hist. . (p. , –, ). Thelamon (1981) –. Bereits am . . hat auch Ambrosius in einer Rede über die Schlacht und das Sturmwunder gesprochen (in psalm. . . [CSEL , p. ]: [. . .] ut subito ventus oreretur, qui infidelibus excuteret scuta de manibus ac tela omnium atque missilia in peccatoris exercitum retorqueret.). Rufin. hist. . (p. , –): tum vero religioso principi gloriosior victoria de frustratis opinionibus paganorum quam de tyranni interitu fuit, quibus spes vana et falsa divinatio minus in interitu contulit poenae quam pudoris servavit in vita. Eun. fr. . Siehe dazu Buck (1988) f. und Rohrbacher (2002) –.
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frei erfindet . Als sich die Sonne verfinstert, werden Theodosius’ Bundesgenossen von den Usurpatoren weitgehend geschlagen. Nachdem Eugenius daraufhin schon voreilig seinen Triumph gefeiert hat, überrascht Theodosius seine Feinde im Schlaf und macht die wehrlosen Opfer nieder . Die Heimtücke des Kaisers war es, welche die Schlacht entschieden hat, keine numinose Macht. Eunap blendet also jegliche religiöse Konnotation der Ereignisse aus, um weder die christliche Sicht des Sieges zu bestätigen noch die Heiden in die Nähe von Usurpatoren zu rücken . Den drei hier näher vorgestellten Beispielen kann man entnehmen, wie Deutungen geschichtlicher Geschehnisse eine apologetische Färbung aufweisen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Erst wenn man die Darstellungen vor dem Hintergrund anderer zeitgenössischer Berichte liest, tritt diese implizite Tendenz hervor, oder sie läßt sich bereits erahnen, wenn einem Gegenstand so viel Aufmerksamkeit gewidmet und Platz eingeräumt wird, wie es für die explizite Absicht nicht erforderlich wäre. Dann wird deutlich, daß Eunap und Libanios mit verdeckter Polemik in Diskussionen eingreifen, die in ihren Tagen über vermeintlich signifikante Ereignisse geführt wurden. Wir haben also gleichsam einen halbierten Dialog vor uns, dessen andere Hälfte sich wenigstens teilweise in abweichenden Positionen bei Gregor von Nazianz, Rufin, aber auch Ammian manifestiert. Sie sind Indiz dafür, daß sich Libanios und Eunap in der Anlage ihrer Schriften unter anderem auch davon leiten ließen, was an anderen Interpretationen bereits in Umlauf war. Sie greifen, ohne es kenntlich zu machen, solche Versionen auf, um sie implizit zu korrigieren, zu überschreiben und umzudeuten. Insbesondere Libanios’ Bericht von Julians Usurpation zeigt, wie akribisch er versucht, möglichst alle Punkte, die zum Vorwurf gemacht werden konnten, zu widerlegen. Eine Steigerung dieses Verfahrens ließ sich bei Eunap beobachten, der sogar ein völlig fiktives Ereignis in seine Darstellung einfügte, um damit die christliche Konkurrenzdeutung zu verdrängen. Diese verdeckte Strategie der Widerlegung bot einen entscheidenden Vorteil: Indem man gegnerische Positionen scheinbar ignorierte, ließ sich gleichzeitig der Eindruck erwecken, sie existierten überhaupt nicht, und trotzdem die Kritik entkräften. Genauer gesagt könnte Eunap einfach die im Osten am . . aufgetretene Sonnenfinsternis hierher übertragen haben. Was genau bei Eunap stand, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit rekonstruieren, da die zwei Fassungen, die sich auf seine Historien stützen, voneinander abweichen. Der hier wiedergegebene Verlauf ist Zos. . entnommen. Johannes von Antiochia ( fr. ) läßt die Sonnenfinsternis hingegen bis zum Eintritt der Nacht fortdauern, so daß es zu einer langen, zermürbenden Schlacht unter ungünstigen Bedingungen kommt. Theodosius macht sich dann über die erschöpften, schlafenden Feinde her. Vermutlich hat Johannes Eunaps Version wieder etwas christianisiert, so daß erneut das Naturereignis für den Sieg des Kaisers verantwortlich war. Siehe Buck (1988) Anm. . Anders Paschoud (1979b) f. In den wenige Jahre nach Eunaps Historien etwa – entstandenen Historiae adversus paganos erneuert Orosius die christliche Interpretation der Schlacht (. . –).
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So entstand der Anschein, als wäre die Deutung der betreffenden Ereignisse völlig unstrittig und gänzlich homogen. Allen, die abweichende Interpretationen vortrugen, sprach man durch das Verschweigen den Status ab, sich überhaupt zum Thema äußern zu können. Ihre Anschuldigungen ließ man buchstäblich verschwinden.
. Gefährliche Erinnerung Wenn die Autoren sich nur implizit in ihren Werken mit abweichenden Konstruktionen und Deutungen der Wirklichkeit auseinandersetzten, konnten dafür auch andere Gründe vorliegen als die soeben genannten. In bestimmten Situationen konnte es geraten scheinen, Gegner lieber nur verdeckt zu attackieren und zu korrigieren, statt ihnen mit offenem Visier entgegenzutreten, nämlich dann, wenn der Autor mit unangenehmen Konsequenzen und Anfeindungen zu rechnen hatte. Tatsächlich deuten einige Stellen darauf hin, daß bisweilen ein solches ungünstiges Klima herrschte und eine freie Meinungsäußerung riskant machte. Versucht man, diese Situationen zu rekonstruieren, macht es sich allerdings bemerkbar, daß man hierbei beinahe ausschließlich auf die Äußerungen der Betroffenen angewiesen ist, da Vergleichsmaterial fehlt. Man muß sich also darüber im klaren sein, daß wir hier nur eine einzige, noch dazu parteiische Stimme hören, die vielleicht manches überzeichnet und verzerrt. Wie wir bereits gesehen haben, ließen, kaum daß Julian gefallen war, die Gegner des Kaisers seine Anhänger deutlich spüren, daß die Zeit der heidnischen Restauration abgelaufen war, indem sie den Tod freudig auf der Straße feierten oder wie Gregor von Nazianz publizistisch mit dem Toten abrechneten. Es scheint jedoch nicht bei solchen Freudenkundgebungen geblieben zu sein, wenn man den Äußerungen des Libanios Glauben schenken darf. Seiner Ansicht nach schufen nämlich die Feinde Julians eine so feindselige Atmosphäre – jedenfalls in Antiochia –, daß er seinen Handlungsspielraum eingeschränkt sah, wie er in dem schon erwähnten Brief an seinen Gesinnungsgenossen Aristophanes beklagt, als dieser ihn um die Überlassung seines Briefwechsels mit dem Kaiser bittet. ἐπιστολὰς δὲ τὰς ἐκείνου πρὸς ἐμὲ καὶ πρὸς ἐκεῖνον ἐμὰς τὰς μὲν πέμψω, τὰς δὲ οὔ. κρίσει δὲ ἑκάτερον ἔσται· τὰς μὲν γὰρ οὐδὲν δεινὸν φανῆναι, τὰς δὲ ἴσως. ὁ δ’ οἰόμενος λόγῳ με τετιμωρῆσθαι τοὺς περὶ αὐτοῦ βλασφημοῦντας καὶ τοιαύτης ἀκοῆς ἐπιθυμῶν, ὅτι μὲν μισεῖ τοὺς ἐκεῖνον μισοῦντας, καλῶς ποιεῖ· μὴ μέντοι με οὕτως οἰέσθω Μελιτίδην ὡς ἀγνοεῖν οὐκ ἀκίνδυνον τὸ τοιαύτας δίκας λαμβάνειν· οἱ γὰρ αὐτοὶ καὶ βλασφημοῦσι καὶ δύνανται. (Lib. ep. . f.) Von den Briefen, die zwischen ihm [Julian] und mir hin- und hergingen, werde ich die einen schicken, die anderen nicht. Beides wird eine Sache der Abwägung sein; denn daß
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die einen an die Öffentlichkeit kommen, ist nicht gefährlich, bei den anderen ist es das vielleicht doch. Wer meint, daß ich mich durch eine Rede an denen, die ihn schmähen, gerächt habe, und nach einem solchen Vortrag verlangt, tut gut daran, daß er die haßt, die jenen hassen; freilich soll er mich nicht für so einen Einfaltspinsel halten, daß ich nicht wüßte, daß es sehr gefährlich ist, solche Strafe zu vollziehen. Denn dieselben Leute, die ihn schmähen, sind an der Macht.
Libanios zufolge sind die Aktivitäten der Juliangegner in der Stadt so gefährlich, daß er sich als einer der bekannten Vertrauten des Apostaten nicht noch weiter exponieren möchte. Da er die Kontrolle darüber behalten will, wer seine Äußerungen zu Gehör bekommt, vermeidet er es, einschlägige Briefe und Reden aus der Hand zu geben. Das Gefühl der Bedrohung und die Feindseligkeiten, die Libanios auch sonst zu spüren glaubte , ließen offenbar selbst mit der Zeit nicht nach, als Julians Herrschaft schon Jahre zurücklag. Jedenfalls versucht Libanios diesen Eindruck zu erwecken in seiner / an Kaiser Theodosius gerichteten Denkschrift über die Rache für Julian (or. . –). Dort nimmt er den möglichen Einwand gegen sein Anliegen vorweg, es seien nach dem Tod des Kaisers doch gar keine Ankläger oder Zeugen aufgetreten. Da er dies offenkundig nicht bestreiten kann, verlegt sich Libanios auf die Strategie, Theodosius und Gratian das Versäumnis vorzuhalten, sie hätten diejenigen, die Aussagen hätten machen können, nicht entschieden dazu ermuntert. Es habe nämlich durchaus solche Leute gegeben, doch sei es ihnen am sichersten erschienen zu schweigen, da auch die Kaiser nichts unternommen hätten. Man habe sich nur im Geheimen von Julians Ermordung erzählt, da man nicht habe wissen können, ob einem ein solches Vorgehen gedankt werde oder man eine Strafe zu gewärtigen habe . Libanios skizziert in dieser Schrift ähnlich wie in dem gerade zitierten Brief eine Situation, die aus seinem Blickwinkel von Ressentiments gegen die Anhänger der Sache Julians geprägt war. Selbst fünfzehn Jahre Vgl. or. . und Suda γ , s. v. γέλοιος. Ein anschauliches Bild der Verfolgung der Heiden nach dem Tode Julians gibt Libanios auch im entstandenen Epitaphios (or. . f.). Dort erwähnt er außerdem Übergriffe gegen die zuvor von Julian begünstigten Philosophen und Rhetoriklehrer (§ f.). Vgl. dazu den Kommentar von Bliembach (1976) –. Zu Beginn der Rede wird noch Theodosius allein angeredet (. ), in § jedoch mehrere Personen. In das kollektive ὑμᾶς sind aber sicherlich alle Kaiser seit Jovian eingeschlossen, wie die gesamte Rede zeigt. Lib. or. . : ὑμῶν μὲν γὰρ ἡσυχαζόντων καὶ τοῖς δυναμένοις διώκειν ἀσφαλὲς ἐφαίνετο τὸ μηδὲν λέγειν [. . .] οἳ πολλῆς ἐνόμιζον εἶναι μανίας
οἷς μάλιστα προσῆκεν ἀγανακτεῖν ἥκιστα τοῦτο ποιούντων ἑτέρους σφᾶς αὐτοὺς εἰς πράγματα ἐμβάλλειν οὐκ εἰδότας μέν, εἴ τινι χαριοῦνται, δεδιότας δὲ μὴ καὶ ζημία προσγένηται (»Da ihr nämlich untätig wart, schien es auch denen, die Klage hätten erheben können, sicher, nichts zu sagen [. . .], sie hielten es für tiefe Verblendung, daß, wenn diejenigen, die am meisten hätten zürnen müssen, dies am wenigsten taten, dann andere sich selbst in Schwierigkeiten brächten, ohne zu wissen, ob sie damit jemandem einen Gefallen tun würden, aber mit der Furcht, daß sogar eine Strafe folgen würde.«).
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nach dessen Tod scheint es ihm noch gefährlich, sich über die wahren Ursachen, nämlich den Mordplan der römischen Gegner, öffentlich zu äußern. Obgleich hierbei natürlich nicht übersehen werden darf, daß Libanios seine Zeit in diesem Licht erscheinen läßt, um einen Einwand zu entkräften und sich selbst als furchtlosen Aufklärer zu stilisieren, sollte man dieses Zeugnis nicht voreilig beiseite legen. Immerhin hatte er Aristophanes gegenüber ähnliches geschrieben, ohne daß er vor diesem Gesinnungsgenossen Grund zu einer übertriebenen Verzerrung gehabt hätte. Daß Libanios in or. gleichwohl zumindest ein wenig übertreibt, erhellt freilich daraus, daß er selbst es sehr wohl wagen konnte, in dieser Denkschrift von einem heimtückischen Mord an Julian zu sprechen . Zusammen mit ep. bezeugt die Rede, daß aus Sicht des Libanios unter den auf Julian folgenden Kaisern ein grundsätzlich feindseliges Klima, eine dem letzten heidnischen Kaiser feindlich gesinnte öffentliche Meinung herrschte. Da weltanschauliche und religiöse Spannungen sich zu dieser Zeit in handgreiflichen Auseinandersetzungen entladen konnten, war es nicht gänzlich abwegig, daß Libanios sich subjektiv gefährdet fühlte . Eine or. vergleichbare Tendenz, nämlich sich gleichzeitig über Ressentiments zu beklagen und das gerade kritisierte Engagement für Julian an den Tag zu legen, zeigt eine Rede, mit der sich Libanios im Jahre gegen den Vorwurf verteidigte, βαρύς zu sein, also etwa herrisch und schwierig im Umgang . Wer ihn mit diesem Vorwurf belegte, läßt sich nicht mehr ermitteln, doch sah sich Libanios immerhin genötigt, sich öffentlich vor einem Publikum zu rechtfertigen und seinen Kritikern direkt die Stirn zu bieten . In der in zwei Teile gegliederten Rede widerlegt Libanios zunächst die im Titel genannte Anschuldigung, indem er nachweist, daß er weder arrogant sei noch sich etwas auf seine Erfolge einbilde, daß er nicht von sich selbst rede, sondern sich für die Stadt einsetze . Ziemlich bald läßt er jedoch durchblicken, daß all diese Unterstellungen nur fingiert seien, während die Kritiker eigentlich auf etwas anderes, schwerer Wiegendes zielten, sich aber nicht trauten, dies rundheraus zu sagen. Der eigentliche Vorwurf, dem er sich im zweiten Teil widmet, sei, so Libanios, So in or. . , , , –. Zur Gewalttätigkeit von Christen vgl. Lib. or. . –, f.; Eun. VS . . , . . –. Lib. or. . Siehe dazu Criscuolo (1994) –. Das Adjektiv βαρύς ist in diesem Zusammenhang kaum mit einem einzigen Wort wiederzugeben; es bezeichnet am ehesten einen herrischen, auf andere unsympathisch wirkenden Menschen, der seiner Umwelt zur Last fällt. Siehe LSJ, , s. v. βαρύς II.. In or. . f. und f. wendet sich Libanios recht unvermittelt an einen einzelnen Kritiker, der offenbar Amtsträger gewesen sein muß (sofern es sich beide Male um denselben handelt). Denn er fordert ihn auf, etwas zur Stärkung der Städte und der Redekunst zu unternehmen, was bei Libanios typische Aufgaben hoher Beamter sind (beispielsweise ep. ; ; ; ; ; ; . ; ). Lib. or. . (freundschaftlicher Verkehr mit einfachen Leuten), (Ausschlagen einer kaiserlichen Ehrung), (kein Stolz auf die vornehme Abkunft), f. (von seinen Erfolgen reden nur andere), (Wohltaten für die Stadt), – (er dämpft die Begeisterung seines Publikums).
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daß er unverhohlen den vergangenen Zeiten nachtrauere und die gegenwärtigen Zustände anprangere (or. . ). Um nachzuweisen, daß seine Klagen über die Gegenwart gerechtfertigt seien, legt Libanios ausführlich dar, welche Mißstände zur Zeit herrschten, wenn man die Lage mit früheren Zeiten vergleiche. In allen wesentlichen Bereichen des öffentlichen Lebens – Städte, Militärwesen, Ämter, Beredsamkeit – sei ein deutlicher Niedergang gegenüber der Vergangenheit zu konstatieren . Teils läßt Libanios offen, auf welche Epoche er sich genauer bezieht – dem Anschein nach auch auf die vorkonstantinische Zeit –, teils nimmt er deutlicher auf die kurze Herrschaft Julians Bezug . Nachdem er erläutert hat, weshalb er geradezu verpflichtet sei, sich in all diese Angelegenheiten einzumischen, schließt er mit der Hoffnung, die Götter möchten vernichten, was zu Unrecht Geltung habe, und wieder zu Geltung bringen, was zu Unrecht verachtet werde, und damit eine Wende herbeiführen (§ ). Denn sein Versuch, mit seinen Gravamina die beiden Kaiser zu erreichen, sei vergebens gewesen (§ –). Im Unterschied zu den beiden zuvor besprochenen Zeugnissen sieht sich Libanios hier nicht mehr nur mit einer allgemein feindseligen Stimmung konfrontiert, sondern ist direkten Angriffen einzelner Personen ausgesetzt, die ihn seiner Meinung nach zum Schweigen bringen wollen . Sie versuchen, ihn öffentlich als arroganten, eingebildeten und lästigen Schwätzer zu diffamieren, um sich seiner unausgesetzten Kritik an den gegenwärtigen Zuständen zu entledigen. Wer aber sind nun diese Gegner? Libanios porträtiert sie als die Nutznießer der neuen, nachjulianischen Zeit. Sie hätten Ansehen, Reichtum, Macht und hohe Positionen erlangt, obgleich sie ihnen nicht zustünden, während die einst Angesehenen verachtet und verarmt seien. Als Emporkömmlinge schlagen sie persönlichen Gewinn aus dem Unglück der Mehrheit . Genau Leute dieses Schlages greift Libanios an, wenn er im Zentrum der Rede die gegenwärtigen Mißstände analysiert und anprangert, daß Neureiche die Alteingesessenen verdrängten und Juristen sowie Stenographen in höchste Ämter aufstiegen . Schließlich bekundet er explizit, daß er insbesondere auf die auch unter den
Lib. or. . –. Zu Libanios’ Krisenwahrnehmung siehe auch oben Kap. .. Während er zuvor ganz allgemein von der besseren Vergangenheit gesprochen hat, nimmt er in § eindeutig, wenn auch nicht namentlich, auf Julian Bezug, περὶ οὗ λέγων τι καλὸν οἶδα λυπῶν. Die Annahme von Martin (1988) , Libanios beziehe sich, abgesehen von dieser Stelle, in or. nur auf die vorkonstantinische Zeit, ist nicht gerechtfertigt. Was Libanios an Vorzügen der Vergangenheit aufzählt, sind genau die Punkte, die er immer wieder Julian nachrühmt. Richtig dagegen Wolf (1967) und Norman (1969/77) II . Zu solchen Angriffen siehe auch ep. . . Lib. or. . –. In or. . charakterisiert Libanios mit ganz ähnlichen Worten die korrupten Zustände unter Constantius. Lib. or. . , f., f., –.
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Zuhörern anwesenden kriminellen Neureichen zielt . Doch es geht ihm nicht vorrangig um soziale Mißstände. Er läßt nämlich keinen Zweifel daran, daß er vor allem christliche Nutznießer der neuen Zeit im Auge hat. Ihnen unterstellt er, indem er sie von seinem eigenen Lager absetzt, zügellose und übermütige Trinkgelage, wo an Stelle der Götter die Urheber des gegenwärtigen Elends gefeiert würden . Wer mit dem Weltbild des Libanios vertraut war, konnte hierin ohne weiteres Christen erkennen, die er auch sonst voller Abscheu als Trinker bloßstellt . Libanios erweckt den Eindruck, als würden die Gegner des julianischen Lagers, während sie vorgeben, Anstoß an seinem Auftreten zu nehmen, in Wirklichkeit versuchen, seine Deutung von Gegenwart und Vergangenheit auszugrenzen und als irrelevantes Geschwätz zu desavouieren. Es handelt sich also um indirekt ausgetragene Angriffe. Einen ähnlichen Hintergrund kann man auch bei der Kontroverse zwischen Libanios und Polykles vermuten. An dem schon besprochenen offenen Brief fällt nämlich auf, daß er gegen Ende darauf zu sprechen kommt, wie ihn der Adressat durch Denunziation zu diskreditieren suchte (or. . –). Dem ersten Anschein nach ist es das Ziel dieses Passus, noch einmal zu zeigen, daß Polykles nie ein richtiger Freund gewesen sein könne, doch besteht vermutlich auch eine Verbindung zu beider Auseinandersetzung um das Andenken Julians. Nachdem Libanios ihm von der Hilfe der Sterne berichtet hatte, verzerrte Polykles, sobald es zum Zerwürfnis gekommen war, diese Äußerungen und hinterbrachte sie Libanios’ Gegnern, um sich bei ihnen persönliche Vorteile zu verschaffen . Wenn Libanios wegen dieser Sterndeutungen Angriffen ausgesetzt würde, so hoffte anscheinend Polykles, werde man auch seinem überschwenglichen Lob Julians keinen Glauben schenken. Libanios werde sich dann mit weiteren positiven Äußerungen über den Apostaten zurückhalten, um seine Lage nicht noch weiter zu verschlechtern . Da Beschuldigungen im Hin Lib. or. . f. Hier bezieht er seine Kritik mit der Apostrophe ὑμᾶς ausdrücklich auf sein Publikum. Lib. or. . und . In § spricht er von Gelagen, ἐν οἷς [. . .] πολλὴ δὲ ὕβρις,
αἰσχραὶ δὲ ἅμιλλαι, πονηραὶ δὲ νῖκαι, ὑμνοῦνται δὲ ἀντὶ τῶν θεῶν οἱ τῶν κακῶν τῶν παρόντων αἴτιοι. Mit den ›Schuldigen‹ sind Christus und die Christen gemeint (vgl. auch schon die Bemerkung des Chortasmenos in Hs. C). Libanios verzerrt hier offensichtlich christliche religiöse Zeremonien. Siehe Martin (1988) . Lib. or. . , ; . . Lib. or. . : ὃς καὶ τὰ περὶ τῶν ἀστέρων καὶ τῆς δι’ αὐτῶν ἐπικουρίας ῥήματα
διαστρέψας ἐχθροὺς ἡμῖν ἐποίεις, ὧν τὴν εἱμαρμένην ᾐτιώμεθα, ταῦτ’ ἐπ’ ἐκείνους μεταφέρων, ἐμὲ μὲν ἀδικῶν, κολακεύων δὲ ἐκείνους (»Indem du meine Worte über die Sterne und ihre Hilfe verdrehtest, hast du mir Feinde gemacht, weil du das, wofür ich das Schicksal beschuldigte, auf sie übertragen hast; mir hast du damit Unrecht getan, sie aber für dich eingenommen.«). In § scheint Libanios darauf anzuspielen, daß Polykles ihn als Zauberer (γόης) bezeichnet hatte. Daß die Auseinandersetzung zwischen Libanios und Polykles um den Gebrauch von Sterndeutung, Magie und Beschwörung von Daimonen ein nicht ganz ungefährliches Terrain war, kommt vielleicht auch darin zum Ausdruck, daß sich Libanios in der
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blick auf Astrologie oder Magie unter der Herrschaft des Valens für die Inkriminierten gefährlich waren , konnten sie ein Mittel sein, Parteigänger Julians von öffentlichen Aktivitäten abzuhalten. Wie man solche Vorwürfe instrumentalisieren konnte, zeigen einige Partien der Autobiographie, in denen Libanios von den Versuchen seiner Gegner berichtet, ihn mit derartigen Beschuldigungen zu beseitigen . Weissagungen und Magie galten in den Augen der Christen als besonders typisch für Heiden und standen stets unter dem Verdacht, sich gegen den Kaiser zu richten, so daß es lebensgefährlich war, in entsprechende Prozesse verwickelt zu werden . Es ist mithin durchaus denkbar, daß Polykles und vielleicht ebenso die in der Autobiographie erwähnten Verleumder mit ihren Vorwürfen darauf abzielten, den herausragenden Propagandisten Julians in Antiochia zum Schweigen zu bringen . Die Auseinandersetzungen um die richtige Deutung der Realität war also eine Frage der Macht. Solange man sich in Übereinstimmung mit den maßgeblichen politischen Stellen wußte, war es ungefährlich, eine diesen genehme Interpretation von Vergangenheit und Gegenwart publik zu machen. Möglicherweise bot sich dann die Gelegenheit, diese Deutung in einem offiziellen Rahmen vorzutragen, etwa als Panegyrikos bei einem festlichen Anlaß. Wer jedoch wie Libanios nach Julians Tod stets als laudator temporis acti auftrat, machte sich nicht allein unbeliebt, er riskierte sogar sein Leben. Zu Lebzeiten Julians war Libanios selbst in den Genuß der kaiserlichen Protektion gekommen und konnte seine Sicht der jüngsten Ereignisse mit allerhöchster Billigung verbreiten . Ein besonders klares Beispiel hierfür bietet die für Aristophanes im Jahre verfaßte Rede, mit der er diesem ein Amt verschaffte. Libanios nutzte die Gelegenheit, um die neue Zeit leuchtend gegen die korrupten Zustände
betreffenden Partie auf vage Andeutungen beschränkt (was dem modernen Leser das Verständnis erschwert). Vgl. Amm. . . ; Lib. or. . , –; zum Klima der Verfolgung und Denunziation unter Valens vgl. die ausführliche Darstellung bei Amm. . . –. . . Siehe dazu Fögen (1993) – und Wiebe (1995) –. Vgl. ferner Almuth Lotz: Der Magiekonflikt in der Spätantike. Bonn . Lib. or. . f., –, f. Vgl. auch schon . f., –, f. Diese Beschuldigungen fallen zum Teil etwa in dieselbe Zeit wie die Auseinandersetzung mit Polykles, nämlich in die zweite Hälfte der er Jahre. Siehe auch Wintjes (2005) – und Sandwell (2005) –. Vgl. etwa Leppin (2004) –. Das prominenteste Beispiel war der Philosoph Maximus, der bereits nach der Thronbesteigung des Valens festgenommen, zu einer Geldstrafe verurteilt und gefoltert wurde. Schließlich wurde er im Jahre hingerichtet, weil er eine Prophezeiung zum Tod des Valens gemacht habe. Siehe Eun. VS . . –. . ; Lib. or. . ; Amm. . . . Neben Libanios hatten auch andere Heiden seines Freundeskreises darunter zu leiden, daß nun die Gegner Julians Prozesse gegen sie anstrengten, so der Oberpriester Klematios (Lib. ep. ; ; ; ) und Seleukos (ep. ; ). Siehe etwa Lib. or. . ff., insbesondere § , (Constantius als ἐχθρός), –, f., f. Auch Claudius Mamertinus nutzt seine gratiarum actio dazu, die Machtergreifung Julians zu rechtfertigen: Claud. Mamert. –, –.
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unter Constantius, unter denen alle gelitten hätten, abzusetzen . Daß er mit dieser Herabsetzung des christlichen Kaisers Julians Geschmack getroffen hatte, zeigte sich, als dieser ihm einen Brief schickte und gerade Libanios’ Deutung der Geschichte in den höchsten Tönen pries . Kaum hatte er diesen Brief empfangen, veröffentlichte er ihn zusammen mit der Rede, damit die Öffentlichkeit nicht allein von seinem Erfolg, sondern auch von der nun offiziellen Sicht auf die Geschichte erfuhr . Obwohl er mit Julians Tod nicht schlagartig jegliche Einflußmöglichkeit verlor , mußte Libanios seit erfahren, daß nun genau die Gegner dieser Sicht an der Macht waren. Schon in dem oben zitierten Passus von ep. bemerkt er, nun seien diejenigen, die Julian schmähten, in den einflußreichen Positionen. Und auch aus zahlreichen Stellen der Autobiographie spricht der Kummer, daß die Kritiker Julians und der griechischen Bildung über Einfluß beim Kaiser und mächtige Positionen verfügten . Welche Konsequenz ergab sich aus diesem Gefühl der Machtlosigkeit und Bedrohung? An der angeführten Stelle des an Aristophanes gerichteten Briefes war schon davon die Rede, daß Libanios es vermeidet, seinen Briefwechsel mit Julian oder Reden, in denen er für den toten Kaiser Partei ergreift, in vollem Umfang aus der Hand zu geben. Daß es sich bei dieser Zurückhaltung nicht um einen Einzelfall handelte, bezeugen zwei Stellen der Autobiographie. Als unter Valens Libanios und seine Freunde Verdächtigungen ausgesetzt waren und mit dem Schlimmsten rechnen mußten, hätten ihnen auch Briefe, die sie miteinander austauschten, gefährlich werden können . Obgleich in diesen nichts Unerlaubtes stand, hätten Denunzianten sie verwenden können. Wie auch bei anderen Gelegenheiten läßt Libanios hier die Göttin Tyche eingreifen und diese Gefahr beseitigen (or. . ). Damit will er wohl nichts anderes andeuten, als daß er selbst solche Briefe vernichtete. Auch in einem anderen Fall wäre Libanios beinahe wegen eines Briefes behelligt worden: Trotz der Vorsicht, in dem Schreiben an Stelle der Götter nur von Ärzten zu sprechen, hätte der Brief ihm in einer gerichtlichen Untersuchung zum Verhängnis werden können. Durch einen wunderbaren Zufall schickte jedoch der Diener des Adressaten, der den Brief an sich gebracht hatte, um seinen Herrn zu erpressen, das Beweisstück
Lib. or. . , f., (Constantius’ Herrschaft als Tyrannis), f. Iul. ep. . Julian hebt in diesem Brief insbesondere die Erinnerungsfunktion der Rede hervor. Die Verleumdungen des Paulus Catena und des Constantius seien mit ihren Urhebern vergangen, Libanios’ Urteil aber werde auch in Zukunft wirken. Libanios hatte die wohlwollende Aufnahme der Rede bei Julian nach Möglichkeit vorbereitet (vgl. Iul. ep. ; Lib. ep. ). Siehe Wiemer (1995a) f. Siehe Lib. ep. . und dazu Wiemer (1995a) f. Wintjes (2005) –. Lib. or. . , , –, f., –. Auch Amm. . . berichtet von einem Fall, bei dem jemand zur Zeit des Valens durch einen Brief überführt wurde, obwohl dieser nur in Andeutungen abgefaßt war.
. Gefährliche Erinnerung
zurück . Durch diesen abermaligen göttlichen Eingriff verschleiert Libanios, mit welchen Mitteln er sich tatsächlich wieder des Briefes bemächtigte. Diese Stellen legen den Eindruck nahe, als hätte Libanios gezielt möglicherweise kompromittierende Schriftstücke zurückgehalten bzw. vorsichtshalber vernichtet, um seinen Gegnern in einer Zeit, wo man leicht auf Grund von Denunziationen in lebensgefährliche Prozesse verwickelt werden konnte, keine Handhabe zu geben. Möglicherweise hatte Libanios’ Vorsicht auch Auswirkungen auf die Überlieferung seiner Briefe, in der eine unübersehbare Lücke von gut zwanzig Jahren klafft . Wie wir aus seinen eigenen Angaben schließen können, geht das Briefcorpus zwar nicht direkt auf ihn selbst zurück, aber auf die Kopialbücher, in die er seine Korrespondenz eintragen ließ . Aus diesem Archiv wurde nach seinem Tod die Edition der Briefe zusammengestellt. Da in den überlieferten Handschriften – abgesehen von vereinzelten Stücken – lediglich Briefe aus den Jahren bis und bis enthalten sind, drängt sich die Vermutung auf, daß schon als Libanios starb, für die übrigen Jahre keine Kopialbücher mehr vorhanden waren. Aber selbst die erhaltenen Jahrgänge sind keineswegs vollständig, wie man einigen Hinweisen auf verlorene Briefe entnehmen kann . Zumal die Korrespondenz mit Julian dürfte wesentlich mehr Schreiben umfaßt haben, als wir heute noch lesen können. Vor diesem Hintergrund läßt sich nachgerade von einer nachträglichen Selbstzensur sprechen, zu der sich Libanios genötigt sah, als er politisch und religiös motivierten Anfeindungen ausgesetzt war . Eine Stütze erfährt diese Vermutung darin, daß er sich insgesamt unter der Regierung des Valens weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurückzog, um sich nicht zu exponieren, bis ihm erst wieder die Lage nach dem Regierungsantritt des Theodosius Möglichkeiten zum öffentlichen Engagement bot . Einstweilen jedoch schien ihm Schweigen sicherer . Lib. or. . f. Schon füher hatte man versucht, Libanios mit Hilfe seiner Briefe zu schaden: . . Zu Entstehung und Überlieferung des Briefcorpus siehe Seeck (1906) –, Foerster (1903/27) IX –, Fatouros – Krischer (1980) –, Norman (1992) I –, Bradbury (2004b) –. Zu den Kopialbüchern vgl. Lib. ep. . ; . ; . –. Seeck (1906) – hingegen nimmt eine partielle Publikation durch Libanios selbst an. Siehe etwa ep. . und . , wo Libanios mehr an den jeweiligen Adressaten gesandte Briefe erwähnt, als tatsächlich überliefert sind. Seeck (1906) . Daß Libanios nachträglich manipulierend in seine Korrespondenz eingriff, belegt auch ein Brief, dessen Adressaten er später änderte: ep. mit ep. . Vgl. auch Bradbury (2004b) . Amm. . . berichtet, daß man in Kleinasien zur Zeit des Valens wissenschaftliche Bücher vernichtete, um der Verfolgung durch Festus und Modestus zu entgehen. Norman (1992) I macht darauf aufmerksam, daß die Überlieferungslücke der Libaniosbriefe mit der Erhebung Prokops beginnt und mit der des Maximus endet, die zu unterstützen Libanios verdächtigt wurde. Siehe auch Martin – Petit (1978) . Lib. ep. und . – bezeugen, daß es angesichts der Verdächtigungen und Prozesse klüger war, zeitweilig gänzlich auf Briefverkehr zu verzichten.
Politik der Erinnerung
Ähnlich wie Libanios scheint Eunap verfahren zu sein, auch wenn leider die genauen Umstände nicht mehr zu erkennen sind. Hier hat eine Notiz des Photios Aufmerksamkeit auf sich gezogen, der zufolge Eunap von seinen Historien eine sogenannte νέα ἔκδοσις veranstaltet habe . Photios, der beide Ausgaben des Werkes miteinander verglichen haben will, bekundet, daß sie sich insofern unterschieden, als die erste voll von Schmähungen gegen den christlichen Glauben und Lobeshymnen auf den paganen Aberglauben gewesen sei, während Eunap die heftigsten antichristlichen Ausfälle in der zweiten Auflage beseitigt habe . Diese Bereinigung habe dazu geführt, daß nun einige Stellen schwer verständlich seien, da Eunap sich mit der Überarbeitung keine allzu große Mühe gegeben habe. Da die Historien nur fragmentarisch erhalten sind, ist es kaum möglich, die Behauptung des Photios eingehender am Text zu prüfen, zumal die heftigsten Attacken gegen die christliche Religion beim Anfertigen der Exzerpte ausgelassen worden sein dürften. Eine angemessene Beurteilung der zwei Ausgaben fällt um so schwerer, als sie sich kaum exakt datieren lassen. Jedenfalls scheint die erste, etwa die Zeit bis zur Schlacht von Hadrianopel () abdeckende Ausgabe noch vor den Sophistenviten publiziert worden zu sein , was etwa für die Jahre bis spricht. Die zweite, inhaltlich wohl bis zum Jahre erweiterte Ausgabe muß ziemlich bald nach dem Tod des Arcadius () entstanden sein, aber wohl vor dem Goteneinfall in Rom (), den Eunap andernfalls sicherlich erwähnt hätte . Welche Gründe könnte Eunap für diese Bereinigung oder Selbstzensur gehabt haben? Zum einen ist denkbar, daß er sich eine größere Verbreitung seiner Historien versprach, wenn er seine Kritik am Christentum und an den christlichen Kaisern etwas subtiler formulierte, statt jeweils explizit den religiösen Aspekt zu betonen. So beschränkt er sich in den erhaltenen Fragmenten weitgehend darauf, den Charakter des Phot. Bibl. . b–b (= Eun. T ). Phot. Bibl. . a: ἐν δὲ τῇ δευτέρᾳ, ἣν καὶ νέαν ἔκδοσιν ἐπιγράφει, τὴν μὲν
πολλὴν ὕβριν καὶ ἀσέλγειαν, ἣν κατὰ τῆς εὐσεβείας ἐσκέδαζεν, ὑποτέμνεται (»In der zweiten Abhandlung, die er auch ›Neue Ausgabe‹ betitelt, tilgt er die heftigste Verachtung und Frechheit, die er gegen die Frömmigkeit ausgestreut hat.«). Zur Form σκεδάζειν siehe Hsch. σ . In den Sophistenviten verweist Eunap nämlich des öfteren auf die Historien: . . , . . , . . , . . u. ö. Die Frage der Datierung der Historien und des Verhältnisses zwischen den zwei Ausgaben wird nach wie vor diskutiert. Da die erste Ausgabe etwa zur Zeit des Theodosius bzw. des Arcadius erschien, dürfte Eunap in ihr über Theodosius wohl nicht mehr geschrieben haben, da man es in der Historiographie meist vermied, die Regierung des lebenden Kaisers zu behandeln. Aus fr. geht hervor, daß die zweite Ausgabe mindestens bis zum Jahre reichte, so daß Eunap sie erst nach des Arcadius Tod publiziert haben wird. Siehe dazu Liebeschuetz (2003) –. Vgl. ferner Blockley (1981/3) I – , Baldini (1984), Rohrbacher (2002) –. Das Jahr als Endpunkt der Darstellung anzunehmen, wie es auch Photios tut (Eun. T ), setzt allerdings voraus, daß in fr. nicht wie überliefert Pulcheria, sondern Eudoxia erwähnt wird. Siehe Blockley (1981/3) I f.
. Gefährliche Erinnerung
Theodosius und die allgemeinen Sitten zu dessen Zeit zu kritisieren, während es dem Leser überlassen bleibt, diese Verfallserscheinungen auf die religiösen Veränderungen zurückzuführen . Zum anderen aber ist die Annahme nicht unplausibel, Eunap habe sich ebenso wie Libanios durch eine allgemein feindselige Stimmung genötigt gefühlt, die Angriffe, die er in der ersten Auflage und in den Sophistenviten noch in aller Deutlichkeit gegen das Christentum vorgetragen hatte, später abzumildern. Denn sowohl Arcadius als auch sein Nachfolger Theodosius II. führten die harte Politik des Theodosius gegen Häretiker und Heiden fort, wenn sie sie nicht sogar noch verschärften. Privilegien heidnischer Priester wurden widerrufen, Heiden vom Staatsdienst ausgeschlossen, der Abbruch von Tempeln angeordnet und, wenn nötig, mit Waffengewalt durchgesetzt, vor allem aber wurden mehrfach Opferverbote ausgesprochen, die den paganen Götterkult ins Herz trafen . Auch wenn diese Zustände bereits zur Zeit der ersten Veröffentlichung herrschten, mag sich Eunap erst angesichts der andauernden und immer härteren Repressalien zu seiner Umarbeitung entschieden haben . Wenn Autoren in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts auf literarischem Wege Deutungs- und Erinnerungskonkurrenzen austrugen, engagierten sie sich nicht in einem folgenlosen intellektuellen Spiel. Vielmehr beteiligten sie sich an öffentlich ausgetragenen Kontroversen, die eng mit den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen zusammenhingen. Wer einen toten Kaiser und vergangene Zeiten auf Kosten der Gegenwart pries, machte sich leicht Feinde und lief Gefahr, scharf angegriffen und auf Leben und Tod angeklagt zu werden. Der literarische Diskurs der Erinnerung, für den wir oben Beispiele kennengelernt hatten, konnte sich dann unter Umständen auf die Ebene der Jurisdiktion verlagern. Daher konnte es zuweilen ratsam sein, zu schweigen oder Am Ende von fr. . stellt Eunap immerhin ausdrücklich fest, daß die Entartungserscheinungen der Zeit auf göttlichen Antrieb (θειοτέραν [. . .] κίνησιν) zurückzuführen seien; ähnlich fr. . . Fr. . zeigt an einem Beispiel, wie die christliche Religion die Abwehrkraft des Reiches schwächt. Die Barbaren machen sich das hohe Ansehen, das das Christentum bei den Römern genießt, zunutze, indem sie sich als Bischöfe und Mönche verkleiden, um so ungehindert ins Reich eindringen zu können. Siehe etwa CTh . . , . . –, . . , jetzt ediert bei Mommsen u. a. (2005). Unter Arcadius kam es bei einer Tempelzerstörung in Gaza zu einem heidnischen Aufstand, der von Truppen niedergeschlagen wurde. In Zusammenhang mit den von Theodosius II. angeordneten Tempelzerstörungen bemerkt Thdt. h. e. . , daß keine Zeugnisse der Irrlehren übrigbleiben sollten. Zu den Maßnahmen siehe Liebeschuetz (1990) –, Lottermoser (2001), Mommsen u. a. (2005) – und McLynn (2009) –; ferner Karl Leo Noethlichs: Art. »Heidenverfolgung«, in: RAC , , –, hier –. François Paschoud (Hg.): Zosime. Histoire nouvelle. Bd. .. Paris , – nimmt hingegen an, Eunap habe sich nach der Einnahme Roms durch die Goten im Jahre zur Umarbeitung entschlossen und sein Werk auf dieses epochale Ereignis hin ausgerichtet. Diese Vermutung vermag allerdings nicht zu überzeugen, da Eunap den Ereignissen im Westen doch wenig Aufmerksamkeit schenkte.
Politik der Erinnerung
nachträglich heikle Texte zu vernichten. Denn hier wirkten Einschränkungen von außen auf den Diskurs, die sich einer direkten Beeinflussung entzogen. Was gesagt werden konnte und was nicht, lag nicht in den Händen des einzelnen.
. Modi des Erzählens Oben hatten wir bereits erwähnt, daß Erinnerungen, sofern sie anderen mitgeteilt werden sollen, niemals unabhängig von den Medien, die sie transportieren, existieren . Weit davon entfernt, nur als Transportgefäß zu dienen, beeinflussen die jeweiligen Medien und Kanäle entscheidend die Form dessen, woran erinnert wird. Wer für die Mitteilung von vergangenem Geschehen einen bestimmten Code oder eine spezielle literarische Gattung wählt, gestaltet seine Darstellung nach den dort gültigen Konventionen und Schemata. Da es sich in der Regel um die Vermittlung von diachron verlaufenden Ereignissen handelt, spielt gerade das Erzählen, die narrative Konstruktion einer sinntragenden Geschichte, eine sehr bedeutende Rolle. Im folgenden sollen daher Erzählmuster und -strategien aufgezeigt werden, welche die Sicht der paganen Autoren auf Gegenwart und Vergangenheit prägten. Damit die intendierten Rezipienten die ihnen präsentierte Konstruktion der Wirklichkeit als plausibel übernahmen oder zumindest billigten, war es unerläßlich, sie in etablierten und somit vertrauten Denkformen vorzutragen. Zu ihnen zählen insbesondere Topoi und Gattungskonventionen. Wenn man den Begriff des Topos in seinen schon in der Antike unterschiedenen zwei Bedeutungen faßt, nämlich zum einen als allgemeinen Grundsatz, mit dessen Hilfe sich ein Argument bilden läßt, und zum anderen als festes Argumentationsmuster oder Stereotyp , wird ohne weiteres erkennbar, wie wichtig gerade Topoi für die Vermittlung von Deutungen der Realität sind. Insofern Topoi ein differenziertes System konstituieren, um alle relevanten Aspekte eines Sachverhalts zu erfassen, helfen sie sowohl dem Textproduzenten als auch dem Rezipienten, die Wirklichkeit zu bewältigen und einzuordnen. Es liegt gewissermaßen ein Ordnungsraster vor, der durch seine klare Struktur auch die Erinnerung erleichtert. Dies gilt gleichermaßen, wenn ein Topos als Klischee oder Stereotyp ein neues Phänomen oder Ereignis in das Gewand bereits vertrauter Denkmuster kleidet. Ein solches Denkmuster, dessen sich christliche wie pagane Autoren des vierten Jahrhunderts immer wieder bedienen, um Charakterzüge ihrer Epo Siehe oben S. . Der materiale Toposbegriff (Topos als standardisiertes Thema oder Versatzstück) findet sich bei Isoc. or. . ; . ; Aeschin. . ; Cic. Brut. . f.; Quint. inst. . . . Topoi als formale Prinzipien, die für die Auffindung von Argumenten gültig sind, bei Arist. Rh. aff. Oliver Primavesi: Art. »Topik; Topos, I. Antike«, in: HWPh , , –. Zum Topos als Klischee oder Stereotyp siehe Curtius (1948).
. Modi des Erzählens
che zu erfassen, bildet die Analogie zwischen Erscheinungen der Zeitgeschichte und der Medizin. Nachdem bereits seit den Anfängen der Literaturgeschichte Autoren immer wieder auf medizinisches Vokabular, Metaphern und Vergleiche zurückgegriffen hatten und auch die Analogie von Heilkunst und Philosophie fest etabliert war , genügten entsprechende Signale, um einen Vorrat an Konnotationen aufzurufen. An einigen Stellen sprechen die Autoren von Krankheiten des einzelnen Menschen. Julian etwa läßt in seinem kaum verschlüsselten, allegorisch zu deutenden Mustermythos Zeus Helios den Befehl erteilen, er solle den kleinen Knaben, hinter dem sich Julian selbst verbirgt, von seiner Krankheit heilen (θεραπεύσειν τῆς νόσου), bevor der von Helios eingepflanzte Funke ganz durch Rauch und Schmutz verlösche. Da der Knabe von dem mit ihm verwandten Herdenbesitzer und dessen Hirten, also Konstantin und seinen Söhnen, beiseite gestoßen und vernachlässigt worden ist, ist die in ihm glimmende göttliche Glut verdunkelt . Noch ein wenig deutlicher wird Libanios, wenn er im Hypatikos den Arzt preist, der die Gefahr auf sich genommen habe, Julian zu ›bekehren‹ und mit ihm die Symplegaden zu durchqueren . Wie Julian in seinem Mythos sieht Libanios die christliche Erziehung, die der Kaiser zu erdulden hatte, als Krankheit, von der er erst durch den Unterricht des heidnischen Philosophen Maximus geheilt wurde. Dementsprechend tritt Julian bei Libanios dann selbst als Arzt auf, um seine christlichen Zeitgenossen von der »Krankheit der ruchlosen Giganten«, der Gottlosigkeit, zu kurieren . Dem Philosophen, der die Seele der Menschen behandelt, vergleichbar, kümmert sich auch der Kaiser wie ein Mediziner um das Seelenheil seiner Untertanen, statt sie durch Strafe zu korrigieren. Von der Krankheit, unter der das Individuum auf Grund christlicher Lehren leidet, ist es kein großer Schritt, eine allgemeine Krankheit zu diagnostizieren, welche die ganze Welt befallen hat, seit Christen an der Macht sind. Den Übergang von der medizinischen Analyse zur medizinischen Metaphorik Abweichend allerdings die Sicht der Stoa in Cic. fin. . f. Siehe Ludwig Edelstein: »The Relation of Ancient Philosophy to Medicine«, in: Bulletin of the History of Medicine , , – (wieder in: ders.: Ancient Medicine. Baltimore , –), Peter Cordes: Iatros. Das Bild des Arztes in der griechischen Literatur von Homer bis Aristoteles. (Palingenesia ) Stuttgart , bes. – und Dörnemann (2003) –. Iul. or. . c/d. Lib. or. . . Libanios bezeichnet Julians heimliche Konversion als μεταβολή und feiert sie als den Beginn der Freiheit. Mit dem nicht namentlich genannten Arzt ist Maximus von Ephesos gemeint. Siehe auch or. . ; . ; Iul. ep. und Eun. VS . . , . . f. Zum Christentum als Krankheit bei Julian siehe auch Iul. Gal. fr. , b; or. . c; ep. c. a und b f.; ; ; a. b; . c; . c. Vgl. auch Sardiello (1998) und Bouffartigue (1992) –. Lib. or. . . Die Assoziation des Gegners mit den Giganten bzw. den Titanen ist in der Literatur des vierten Jahrhunderts ebenfalls topisch: Lib. ep. . ; . ; Eun. VS . . ; Ath. Ar. . ; Eus. l. C. .
Politik der Erinnerung
vollzieht Eunap in seinen Historien , wenn er für seine eigene Gegenwart konstatiert, daß die Gründe für das πάθος seiner Zeitgenossen leicht zu durchschauen seien: Sie säßen sämtlich in den Eingeweiden und unter dem Magen. Nachdem er ausführlich zum Vergleich geschildert hat, wie eine ganze Stadt zur Zeit Neros von einer Seuche befallen wurde, lokalisiert er die Seuche seiner Zeit im Unterleib der Menschen . In ähnlicher Weise vergleicht Eunap dann die Zustände unter dem von Theodosius begünstigten Eunuchen Eutropius mit einer Krankheit an lebenswichtigen Organen ( fr. . ). Als ob er eine bittere, aber wirksame Medizin wäre, soll Eunaps Bericht über diese Entwicklungen dazu beitragen, daß die Welt gesundet ( fr. . ). Nicht anders als Eunap diagnostiziert Libanios des öfteren für die Herrschaft des Constantius wie für die Zeit nach Julians Tod ein Leiden der gesamten Welt. Constantius’ Regierung ist ihm zufolge so krank gewesen , daß sich alle Römer geradezu jene Medizin herbeigewünscht hätten, die ihnen dann der Arzt Julian verabreichen sollte . Indem Julian, Libanios, Himerios und Eunap sich der Krankheitsmetapher bedienen, rekurrieren sie implizit letztlich auf die auch bei Platon zu greifende Vorstellung vom Staat als einem Organismus . Wenn der Zustand des Reiches und der Welt nicht so ist, wie er sein sollte, muß eine Krankheit, eine Verletzung der natürlichen Ordnung, vorliegen. Es handelt sich geradezu um einen widernatürlichen Ausnahmezustand, wobei die körperlichen Symptome auf einen Medizinische Terminologie zur Analyse historischer Vorgänge verwendet Eunap auch in den Sophistenviten. Dort heißt es, daß die Zeit von διακοπή und ῥῆξις gekennzeichnet sei. Beide Termini bezeichnen in der Medizin einen Riß (zu διακοπή Hp. VC. ; Gal. Bd. . p. Kühn, . , . ; zu ῥῆξις Hp. Aph. . ; Hp. VC. ; Phld. Ir. p. W.). Da sich Eunap hier schwer verständlich ausdrückt und die Stelle zudem korrupt überliefert ist, ist leider nicht klar, ob er sich auf seine eigene Zeit bezieht oder eine frühere Epoche. Sofern der betreffende Satz sich inhaltlich auf den vorausgehenden Passus bezieht, ist der Zeitabschnitt gemeint, den Eunap in seinen Sophistenviten behandelt, also im wesentlichen das späte dritte und das vierte Jahrhundert. Anders Goulet (2001) –. Eun. fr. . : ἐπὶ δὲ τῶν καθ’ ἡμᾶς ἀνθρώπων αἱ μὲν αἰτίαι τοῦ πάθους εὐθεώρητοι· περὶ τὰ ἔντερα γὰρ ἦσαν ἅπασαι καὶ ὑπὸ γαστέρα (»Bei den Menschen unserer Zeit sind die Ursachen des Leidens leicht zu beobachten: sie lagen sämtlich in den Eingeweiden und unten am Bauch.«). Eunap führt die Krankheit der Zeit darauf zurück, daß nach göttlicher Intervention (θειοτέραν [. . .] κίνησιν) die Menschen büßen sollen. Er bezieht sich hier auf die Regierungszeit des Theodosius. Vgl. auch die Analyse bei Zos. . . . Lib. or. . ; . . Siehe ferner folgende Anm. Libanios vergleicht dann auch die Welt nach Julians Tod mit einem seelisch kranken Menschen (or. . ). Ebenso krank ist die Zeit unter Theodosius (or. . f.). Lib. or. . ; . , . Julian als Arzt: or. . f. (Julian läßt gleichsam Tote wiederauferstehen); . f.; . ; . f., . Vgl. auch . . In or. . vergleicht Himerios die heidnische Restauration Julians in Konstantinopel mit der Heilung Kranker durch einen Arzt. Zur Krankheit als politischer Metapher siehe z. B. Pl. Prt. d; Plt. c–c und Sph. a. Dementsprechend sieht Libanios auch Städte als Organismen: or. . ; . .
. Modi des Erzählens
seelischen Defekt hinweisen. In dieser Situation ist ein Fachmann gefordert, ein Arzt, der nicht allein über das nötige Wissen verfügt, sondern auch über die gute Absicht, seinen Mitmenschen zu helfen . Nur er ist imstande, als Retter zu wirken und für das Heil der ganzen Welt zu sorgen. Durch den Rückgriff auf die medizinische Metaphorik suggerieren die Autoren, daß die Zeit unter den christlichen Kaisern ein Abweichen vom natürlichen Zustand gewesen sei, während allein Julian die Restitution der naturgemäßen Ordnung garantiert habe . Sie verfolgen damit dieselbe Strategie wie ihre christlichen Zeitgenossen, die ebenfalls von Krankheit und Leiden sprachen, um Heidentum und Häresien als widernatürlich zu diffamieren und Gott oder Jesus als heilenden Arzt zu stilisieren . Wie die Krankheitsmetapher dazu dient, die Wirklichkeit nach den Kriterien von natürlicher Ordnung und pathologischer Unordnung zu analysieren, so tritt das Anliegen, die Geschichte dichotomisch zu konstruieren, erst recht zutage, wenn die Autoren auf den Topos der verkehrten Welt zurückgreifen. Auch hier markiert die kurze Regierung Julians die Wasserscheide. So waren der Rede des Claudius Mamertinus zufolge die Zustände unter Constantius so unerträglich, daß sich die Provinzbevölkerung Galliens lieber die Barbaren herbeisehnte, als die räuberischen Übergriffe der römischen Statthalter erdulden zu müssen . Ein anschaulicheres Porträt der auf den Kopf gestellten Welt zeichnet Julian selbst in seiner gegen Herakleios gerichteten Rede. Als Konstantin und seine Söhne herrschten, kam es zu Mord und Totschlag, Tempel wurden zerstört, unerlaubte Ehen geschlossen und die Gesetze außer Kraft
In or. . a vergleicht Julian hingegen Konstantin mit einem schlechten Arzt, der sich nur auf Erfahrung verläßt, statt wirkliches Wissen zu besitzen. Vgl. Pl. Chrm. e. Eine ähnliche Sicht ist auch in Inschriften zu finden: CIL . . (Julian als reparator orbis Romani). Siehe Conti (2004) Nr. und . Gr. Naz. or. . , , , ; . , , ; Chrys. pan. Bab. . ; Bas. ep. . . Theodoret spricht von der Krankheit der Arianer (h. e. . ). Er verfaßte auch eine Schrift mit dem Titel ῾Ελληνικῶν θεραπευτικὴ παθημάτων (Thdt. affect., CPG ); vgl. besonders dort die Protheoria § f. Schon in Mt . wird Jesus als Arzt gesehen. Siehe Temkin (1991) –; Dörnemann (2003); Schulze (2005) –. Claud. Mamert. . : porro aliae [sc. urbes] quas a vastitate barbarica terrarum intervalla distulerant iudicum nomine a nefariis latronibus obtinebantur: hadficiebanturi ingenua indignis cruciatibus corpora, nemo ab iniuria liber, nemo intactus a contumelia, nisi qui crudelitatem praedonis pretio mitigasset, ut iam barbari desiderarentur, ut praeoptaretur a miseris fortuna captorum (»Andere Städte wiederum, welche die große Entfernung der Länder von der Verwüstung der Barbaren verschont hatte, wurden von schurkischen Räubern unter dem Namen von Richtern beherrscht: Freie Menschen mußten an ihrem Leib unwürdige Martern ertragen, niemand blieb vom Unrecht verschont, niemand von Schande unberührt, es sei denn, er hätte die Grausamkeit des Räubers durch Geld gemildert; so sehnte man schon die Barbaren herbei, und die Elenden zogen das Schicksal von Gefangenen vor.«).
Politik der Erinnerung
gesetzt, kurz: völlige ἀκοσμία griff um sich . Eunap betont, daß Constantius als römischer Kaiser sogar die natürlichen Feinde der Römer, die Barbaren, aufgeboten habe, um Julian zu beseitigen . Obgleich Julians Machtergreifung seinen Parteigängern als Rückkehr des Goldenen Zeitalters erschien, verharrten einige Anhänger des Constantius in ihrer verkehrten Welt. Überdeutlich konstruiert Julian im Misopogon die ihm feindselig begegnenden Antiochener als Repräsentanten einer widernatürlichen Verkommenheit. Während er selbst als Verfechter eines asketischen, philosophischen Lebensstils sich in Übereinstimmung mit der Natur befindet, haben die christlichen Antiochener die Perversion zum Lebensprinzip erhoben. Nicht genug damit, daß die Frauen dort über sich selbst bestimmen und der Erziehung der Kinder ihren Stempel aufdrücken, so daß die Achtung vor den Älteren verloren geht; die Alten wetteifern mit den Jungen, Männer enthaaren sich am ganzen Körper, um weicher als Frauen zu wirken . Als Sinnbild für die verkehrte Welt dient Julian bereits der Namensgeber der Stadt, Antiochos, der in krankhafter Liebe zu seiner Stiefmutter entbrennt . Wie in dieser von Christentum und Vergnügungssucht geprägten Stadt die Welt aus den Fugen geraten ist, belegt schließlich der Freiheitsbegriff der Antiochener . Freiheit bedeutet ihnen Zügellosigkeit und die uneingeschränkte Möglichkeit, Unrecht zu tun. Selbst Lasttieren wird in Antiochia grenzenlose Freiheit zugestanden, als wären sie Menschen. So durchzieht den Misopogon als Leitmotiv der Gegensatz zwischen der von Julian repräsentierten natürlichen Ordnung und dem von den Antiochenern verkörperten widernatürlichen Chaos. Nur folgerichtig war es, daß, nachdem Julian gefallen war, seine Parteigänger der Meinung waren, die Welt sei bis in ihre Grundfesten erschüttert und nichts habe mehr Gültigkeit. Bereits in der Monodie sieht Libanios eine solche Entwertung alles Guten und Natürlichen am Werk, so daß sich der Zustand der Welt nurmehr mit der Sintflut oder dem Weltenbrand vergleichen läßt . Als Bestätigung seiner Diagnose gelten ihm Naturkatastrophen, die nach des Kaisers Tod eingetreten seien . Es scheint eine Endzeit anzubrechen. In grellen Iul. or. . a–a, ἀκοσμία in b. Zeus spricht in d von παθήματα, um den Zustand der Welt unter der konstantinischen Dynastie zu charakterisieren. Eun. fr. . Iul. Mis. a/b, a/b; in Antiochia verkehren Männer sexuell mit Knaben statt mit Frauen (d–a). Iul. Mis. a–b. Vgl. Plu. Demetr. ; App. Syr. f.; Luc. Syr. D. f. Iul. Mis. c, a–d, a–d. Siehe oben S. . Julian lehnt sich hierbei deutlich an Platons Politeia an, vgl. Mis. b/c mit Pl. R. , c; b/c mit R. , b; d mit R. , d/e und d. Siehe Athanassiadi (1992a) –. Lib. or. . , f. (Parallelisierung mit der Sintflut und dem Weltenbrand beim Sturz Phaethons), . Lib. or. . f.: Die Erde zerstört nach Julians Tod zahlreiche Städte in Palästina, Libyen und auf Sizilien durch Beben. Die Jahreszeiten verursachen Hungersnot und Seuchen, so daß Menschen und Vieh zugrunde gehen, als ob nach Julians Ende kein irdisches Leben
. Modi des Erzählens
Farben zeichnet später Eunap die verkehrte Welt unter der Herrschaft des Theodosius . Als Sinnbild der Perversion gilt ihm der einflußreiche Eutrop, der nicht nur den mythischen Salmoneus in den Schatten stellt, sondern, obgleich Eunuch, mit Gewalt als Mann gelten will ( fr. . ). Im Gefolge seiner beachtlichen Karriere streben selbst Männer danach, Eunuchen und Εὐτρόπιοι zu werden, um ebensolche Macht zu erlangen ! Die paganen Autoren stützen sich, wenn sie ihre eigene Zeit oder die Vergangenheit analysieren und konstruieren, auf seit langem etablierte feste Klischees wie die Krankheitsanalogie, den Topos der verkehrten Welt , die Tyrannentopik oder auch mythische Parallelen. Sie rechnen damit, daß ihre Rezipienten erstens mit diesen Mustern vertraut sind und daher zweitens die mit diesen verbundenen Konnotationen aktualisieren können. Es genügen zum Teil einzelne Signalwörter, um plastische Vorstellungen von gesellschaftlichen Zuständen oder historischen Ereignissen entstehen zu lassen. Der Gebrauch dieser Topoi entlastet nicht nur die Kommunikation, weil er mit dem literarischen Vorwissen der Rezipienten rechnet, sondern er formt gleichzeitig die Erinnerung, die tradiert werden soll. Wer Erscheinungen seiner Zeit in den Kategorien der Medizin oder der verkehrten Welt deutet, greift geradezu zwangsläufig zu den mit ihnen verknüpften stereotypen Elementen, er modelliert also seine Erinnerung nach schon existierenden Formeln. Dadurch stellt er Bezüge zu anderen, gleichartigen Vorgängen her, so daß das Ereignis, an das erinnert wird, einen Platz in einem imaginären Ordnungsraster erhält. Die Beziehungen mehr existieren solle. Amm. . . f. berichtet von einem verheerenden Erdbeben, das sich am . . ereignete. In fr. . verwendet er wie Mamertinus das Motiv, daß die römischen Statthalter feindlicher seien als die eigentlichen Feinde. Das Motiv der verkehrten Welt besonders deutlich in fr. . (zitiert am Anfang von Kap. .). Eun. fr. . : ἐπὶ Εὐτροπίου τοῦ εὐνούχου, τοῦ ἐπιτρόπου Θεοδοσίου τοῦ βα-
σιλέως, τὸ τῶν εὐνούχων ἔθνος διὰ τὴν ἐκείνου βαρύτητα καὶ δυναστείαν ἐς τοσοῦτον ἐπέδωκε καὶ παρετάθη πλήθους, ὥστε τινὲς ἤδη καὶ τῶν γενειάδας ἐχόντων εὐνοῦχοι βουληθέντες καὶ Εὐτρόπιοι γενέσθαι προσελπίζοντες τῆς ψυχῆς ἀφῃρέθησαν σὺν τοῖς ὄρχεσι, τὸ τοῦ Εὐτροπίου ἀπολαύσαντες (»Zur Zeit des Eunuchen Eutropios, des Aufsehers [praepositus sacri cubiculi] unter Kaiser Theodosius, erlebte die Gruppe der Eunuchen durch dessen Stolz und Macht solchen Aufschwung und dehnte sich zu solcher Menge aus, daß schon einige selbst von denen, die einen Bart trugen, in dem Willen, Eunuchen zu werden, und der Hoffnung, Eutropioi zu werden, ihres Lebens zusammen mit den Hoden verlustig gingen, wobei sie das Geschick des Eutropios zu kosten bekamen.«). Auch hierbei handelt es sich um ein Klischee, auf das ebenso die christlichen Autoren zurückgriffen, um Julians Herrschaft zu charakterisieren: Ephr. Contr. Iul. . –: Unter Julian erwachen die Toten zum Leben, und der Teufel erscheint. Beispielsweise Lib. or. . ; . . Vgl. im Hinblick auf Libanios’ Reden Seiler (1997) – und – sowie Malosse (2002) f. Christliche Autoren stilisierten hingegen Julian zum Tyrannen (Gr. Naz. or. . ) und denjenigen, der Julian getötet hatte, zum Tyrannenmörder (Soz. h. e. . . ).
Politik der Erinnerung
zwischen den einzelnen gleichartigen Erinnerungen verleihen dann dem jeweiligen Geschehen erst einen Sinn. Von ähnlicher Bedeutung wie Topoi für die Konstruktion der Realität sind die mit bestimmten Erwartungen besetzten literarischen Gattungsmuster. Einige Gattungen wie etwa die Historiographie sind auf Grund ihrer narrativen Ausrichtung geradezu prädestiniert, Geschehnisse festzuhalten, in einen Zusammenhang zu stellen und dabei gleichzeitig mit einer spezifischen Bedeutung zu versehen. Während etwa die Teilnehmer des Persienzuges Libanios zu seinem Verdruß nur Einzelbeobachtungen mitteilen konnten, aber nicht imstande waren, einen Überblick über das gesamte Unternehmen zu geben , stellten Ammian und Eunap in ihren Werken die großen Zusammenhänge her, indem sie das einzelne Ereignis in ein narratives Kontinuum einbezogen. So vermochten sie Entwicklungslinien oder Unterschiede zwischen den aufeinanderfolgenden Perioden aufzuzeigen, ein Mittel, das Eunap ein ums andere Mal nutzt, wenn er nach seiner Darstellung Julians Theodosius in möglichst negativem Licht erscheinen läßt . Abgesehen von solchen teilweise impliziten Verfahren der Synkrisis, erwartete der Rezipient auf Grund seiner Gattungserfahrungen von der Geschichtsschreibung ohnehin eindeutige Wertungen, da sie von ihrem Beginn an den didaktischen Anspruch erhoben hatte, positive wie negative Exempla vor Augen zu stellen. So scheint Eunap den erhaltenen Fragmenten nach weit weniger daran interessiert gewesen zu sein, präzise Schlachtbeschreibungen zu geben als vielmehr die historischen Akteure moralisch zu bewerten, damit der Leser daraus lerne . Dieser Intention dienten die Konzentration auf die Korruption der Verwaltung und die schablonenartige Porträtierung negativer und positiver Gestalten. Während der in römischen Diensten stehende Heerführer Fravitta als Anhänger der alten Götter eine wohlwollende Beurteilung erfährt, lassen sich die Schilderungen der Untaten des proconsul Asiae Festus an Drastik kaum noch überbieten . Dem Anliegen Ammians und Eunaps kam es überdies entgegen, daß der Gattung ebenfalls von jeher eine explizite Erinnerungsfunktion eignete. Indem der Geschichtsschreiber die für den zeitgenössischen Beobachter nicht immer überschaubaren Geschehnisse in einen narrativen Zusammenhang einordnete, sorgte er erst dafür, daß später eine kohärente Erinnerung an sie möglich war. Diese Aufgabe, Ereignisse durch narrative Mittel zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen, übernahmen ebenso epideiktische Reden, sofern sie, noch eindeutiger an der großen Herrscherpersönlichkeit orientiert, deren Taten als Geschichte erzählten und die verknüpfenden Siehe oben S. . Eunap ließ seine Historien im Anschluß an Dexippos im Jahre einsetzen und führte sie bis in die ersten Jahre des fünften Jahrhunderts fort. Es boten sich also genügend Vergleichsmöglichkeiten zwischen der konstantinischen Dynastie, Julian und den Kaisern, deren Regierungszeit Eunap selbst erlebt hatte. Vgl. fr. , Z. –. Siehe Liebeschuetz (2003) f. Eun. fr. (Fravitta), . (Festus).
. Modi des Erzählens
Elemente ins rechte Licht rückten. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Epitaphios des Libanios nicht wesentlich von der Historiographie. Neben diese große Erzählung trat aber auch die persönliche Erinnerung in Form autobiographischer Berichte. Sie bewirkten eine Individualisierung des historischen Geschehens. Julian stellte die Ereignisse, die zu seiner Erhebung gegen Constantius führten, nicht aus der Perspektive eines unbeteiligten, zeitlich entfernten Beobachters dar, sondern als einer der Hauptakteure, der das Geschehen zwar aus einer subjektiven Perspektive schildert, dies aber mit der Glaubwürdigkeit des Augenzeugen zu verbinden weiß. Trotz dem autobiographischen Duktus handelt es sich bei den im Brief an die Athener beschriebenen Vorgängen ähnlich wie bei der Historiographie um den Gang der großen Politik. In ganz anderer Weise nutzt Libanios in seiner Autobiographie das Medium der persönlichen Erinnerung. Hier steht nun nicht der Lauf der Weltgeschichte im Mittelpunkt. Vielmehr erfährt der Leser vom Alltagsleben eines Angehörigen der städtischen Elite Antiochias, seinen persönlichen Erfolgen, seinen Rückschlägen und seinen Bekanntschaften. Gleichwohl spiegelt die Autobiographie auch die großen Zeitläufte wider. Denn Libanios stellt stets dar, welche Auswirkungen die Veränderungen an der Spitze des Reiches bis hinunter auf die Ebene der Stadt und des einzelnen haben. Am Lebenslauf des Verfassers konkretisieren sich die zeitgenössischen Entwicklungen, so daß der Rezipient, indem er sich in das autobiographische Ich hineinversetzt, gleichsam an ihnen teilnimmt . Das persönliche Schicksal des Libanios geht in den kollektiven Erfahrungsschatz ein. Die Erzählung seines langen Lebens bündelt wie in einem Brennglas die Geschichte des Reiches, zumindest die des Ostens. Für das Bewahren gedeuteter Erinnerung kam es nicht allein darauf an, daß die Ereignisse in einer kohärenten Erzählung aufgingen. Mindestens ebenso wichtig war die Verknüpfung mit einer wertenden Deutung, wie es gerade schon für die Geschichtsschreibung erwähnt wurde. Auf dieses Anliegen wirft eine singuläre, bei Sokrates überlieferte Nachricht Licht. Er berichtet nämlich im Anschluß an Julians Tod, daß ein gewisser Kallistos, der als protector domesticus Julians am Feldzug teilgenommen habe, die Taten des Kaisers in epischem Versmaß geschildert habe . In seiner Darstellung des Perserkrieges sage er, daß Julian von einem δαίμων getroffen gestorben sei . Obgleich die Dichtung in Gleiches gilt für die Kollektivbiographie des Eunap mit ihrem stark autobiographischen Zug. Siehe oben S. . Möglicherweise ist dieser Kallistos identisch mit Kallistion, an den im Jahre ep. des Libanios gerichtet ist. Dieser war Assessor des Saturninius Secundus Salutius und betätigte sich als epischer Dichter, wie Libanios erwähnt (πρὸς ᾿Απόλλωνος καὶ Μουσῶν, παρ’ ὧν σοι τὰ ἔπη, § ). Passenderweise leitet er den Brief mit einer Anspielung auf die Ilias ein und läßt ihn mit einem Homerzitat ausklingen. Zur möglichen Identität der Personen siehe Seeck (1906) und dens.: Art. »Kallistio«, in: RE Suppl. , , ; anders PLRE , s. v. Callistus I. Socr. h. e. . . f. Κάλλιστος δὲ ὁ ἐν τοῖς οἰκείοις τοῦ βασιλέως στρα-
τευόμενος, ἱστορήσας τὰ κατ’ αὐτὸν ἐν ἡρωικῷ μέτρῳ, τὸν τότε πόλεμον
Politik der Erinnerung
der paganen Literatur des vierten Jahrhunderts nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben scheint , wählte der sonst nicht weiter bekannte Kallistos die Form des Epos, um Julians Leistungen für die Nachwelt festzuhalten. Ähnlich wie die Historiographie hatte das panegyrische Epos den Vorzug, einzelne Ereignisse narrativ zu einem sinnvollen Ganzen zu verknüpfen und so eine Erinnerung zu ermöglichen . Darüber hinaus war durch die Gattungstradition ein bestimmtes Erzählmuster vorgegeben, insofern im Mittelpunkt eines Epos traditionell Helden stehen, die, eventuell in göttlichem Auftrag, jedenfalls aber in engem Kontakt mit den Göttern, Auseinandersetzungen mit Widersachern und militärischen Gegnern bestehen. Da Kallistos anscheinend zum engeren Kreis um Julian zählte und sicherlich um die Selbstdarstellung des Kaisers wußte, wird er ihn vermutlich als von den Göttern auserwählten charismatischen Herrscher gefeiert haben, dessen Sendung darin bestand, das Römische Reich auf der Grundlage des alten Götterglaubens zur früheren Größe zurückzuführen . Das Epos eignete sich als literarische Gattung deswegen so gut dazu, Julians Leistungen im kollektiven Gedächtnis zu verankern, weil man traditionell von diesem Genre identitätsstiftende Mythen und Gründungsgeschichten erwartete. Wie Homers Epen und Vergils Aeneis bezeugen, konnten diese Werke geradezu das Fundament einer ganzen Kultur bilden und deren Selbstverständnis entscheidend prägen. Ebenso wie das Epos die Vorzüge des Helden durch anschauliche Erzählung zur Geltung brachte, sollten panegyrische Reden die Tugenden des Herrδιηγούμενος ὑπὸ δαίμονος hαὐτὸνi βληθέντα τελευτῆσαί φησιν (»Kallistos, der unter den domestici des Kaisers diente und dessen Geschick in hexametrischer Dichtung erzählt, behauptet in seiner Darstellung des damaligen Krieges, daß er [Julian] von einem Daimon getroffen gestorben sei.«, ). Zur Bezeichnung οἰκεῖοι für die domestici vgl. Iul. ep. . Vgl. Iul. Mis. b. Die Achtung vor der Dichtung und das poetische Schaffen verschwinden in der Spätantike aber keineswegs völlig. Martin Hose: Poesie aus der Schule. Überlegungen zur spätgriechischen Dichtung. (Bayer. Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Kl., Sitzungsberichte , ) München ; Alan Cameron: »Poetry and Literary Culture in Late Antiquity«, in: Approaching Late Antiquity. The Transformation from Early to Late Empire, hg. von S. Swain und M. Edwards. Oxford , –. Im übrigen sieht Eunap seine Historien als gleichsam episches Werk über Julians Regierung an ( fr. , Z. –). Nach Lib. ep. . hat Julians Darstellung seiner Erfolge in Gallien ebenfalls die Funktionen des Epos übernommen. Ein weiteres Beispiel für die Erinnerungsfunktion der Dichtung in dieser Zeit liegt mit dem anonym überlieferten Epigramm AP . vor (im Lemma fälschlich als bei Ktesiphon gegebenes Orakel zu Julians Geburtstag bezeichnet). In diesen acht Hexametern werden Julians Siege über Perser, Alamannen und ›viele andere Völker‹ verherrlicht. Die militärischen Erfolge des Kaisers werden der Überwindung der Giganten durch Zeus an die Seite gestellt. Das Akrostichon weist das Epigramm einem gewissen Germanos zu. Ob es sich bei diesem um den vicarius Asiae von handelt, mit dem Libanios korrespondierte (ep. ; ; ), wie Seeck annimmt, muß offen bleiben. Libanios’ Briefe geben hier keine Anhaltspunkte. Otto Seeck: »Das Epigramm des Germanus und seine Ueberschrift«, in: RhM , , –. PLRE , s. v. Germanus .
. Modi des Erzählens
schers im Gedächtnis der Öffentlichkeit verankern. Wenn bei offiziellen Anlässen Libanios oder Claudius Mamertinus Julians Wirken feierten und Libanios’ Epitaphios diese Linie nach dem Tod des Kaisers weiterverfolgte, so hielten sich die Autoren im wesentlichen an das von der Gattungstradition vorgegebene Tugendschema. Das Gattungsmuster, wie es bei Menander Rhetor kodifiziert ist , gab den Produzenten und den Rezipienten der Texte einen klaren Bewertungsraster vor. Sofern der Kaiser die von der Topik geforderten Tugenden verkörperte und der Redner dies überzeugend zu beglaubigen vermochte, konnte das Publikum ihn in die Galerie der vorbildlichen Herrscher einreihen. Von großer Bedeutung war hierbei, daß die panegyrischen Reden bei offiziellen, sorgfältig inszenierten Anlässen vorgetragen wurden, also in das staatliche Zeremoniell eingebunden waren. In diesen Inszenierungen spiegelte sich gemäß der stillschweigenden Übereinkunft der beteiligten Gruppen das Selbstverständnis des römischen Staates und seiner Gesellschaft wider. Anders als die sichtbaren Elemente des Zeremoniells waren die Reden imstande, auch die nicht jederzeit zutage tretenden Vorzüge des Kaisers plastisch vor Augen zu stellen, so daß sich für das Publikum ein Gesamtbild ergab, das in Erinnerung bleiben sollte. Nicht vergessen werden darf, daß sich diese offiziellen Deutungen der Realität nicht auf den jeweiligen Aufenthaltsort des Kaisers beschränkten, sondern gleichermaßen in seiner Abwesenheit zu festlichen Anlässen ähnliche Reden gehalten wurden . Die autorisierte Interpretation von Gegenwart und Vergangenheit war mithin an zahlreichen Orten des Reiches verankert und wurde immer wieder aufs neue in Erinnerung gerufen. Abgesehen von seiner panegyrischen Ausrichtung kann gerade der Epitaphios verdeutlichen, in welchem Ausmaß die zur Konstruktion der Realität verwendeten Gattungen auf die Vergangenheit hin orientiert waren und zu einem Vergleich mit der Gegenwart herausforderten. Hält doch der Epitaphios, sei er für ein Kollektiv verfaßt, sei er einem Individuum gewidmet, das Publikum stets dazu an, auf die Vergangenheit zurückzublicken und sich den gegenwärtigen Verlust ins Bewußtsein zu rufen . Wenn Libanios Julian als Inkarnation des Herrscherideals verherrlicht, sollen die Rezipienten zustimmend feststellen, daß genau dieses Ideal nun verloren ist, und die ernüchternde Gegenwart mit der glücklichen Vergangenheit vergleichen. Explizit liegt diese Gedankenfigur der Rede zugrunde, mit der sich Libanios gegen den Vorwurf, er sei seiner Umgebung lästig, zur Wehr setzt . Nicht anders intendiert sind die Monodien auf den toten Julian und auf den verbrannten Tempel von Daphne, da sie, durch Men. Rh. . –. zum βασιλικὸς λόγος und . –. zum Epitaphios. Vgl. auch Pernot (1993) –. Seine Rede auf Constantius und Constans (or. ) hielt Libanios vermutlich in Abwesenheit der Kaiser. Vgl. Malosse (2003) . Portmann (1988) geht allerdings von der Anwesenheit des Constantius aus. Zur Gattung des Epitaphios allgemein siehe Soffel (1974). Besonders deutlich sichtbar in or. . , , f. in den Vorwürfen seiner Kritiker.
Politik der Erinnerung
eine beinahe poetische Diktion zu hohem Pathos gesteigert, den unwiederbringlichen Verlust beklagen . Hier steht ebenfalls, teils offen, teils eher implizit, die Gedankenfigur des Nicht-Mehr im Zentrum, die auf der Rückschau beruhende Kritik an der Gegenwart. Indem Ammian und Eunap Julian in den Mittelpunkt ihrer Werke stellen, dieser affektiv-verklärend, jener etwas distanzierter und differenzierter , fordern sie ständig dazu auf, an seiner Regierungszeit die Kaiser vor und nach ihm zu messen, das heißt, die Abfolge der Kaisergestalten läßt erst die wahre Bedeutung von Julians Herrschaft ermessen. Sehr wahrscheinlich ist, daß ferner Kallistos, dessen Epos auch Julians Tod umfaßte, also eine vergangene Zeit schilderte, zumindest indirekt seiner eigenen Gegenwart die heroischen Taten seines Protagonisten als Spiegel vorhielt. Obgleich den erwähnten Gattungen ein dominierender Vergangenheitsbezug innewohnte, ist unverkennbar, daß sie immer ihre jeweilige Gegenwart in den Blick nehmen . Während die öffentlich vorgetragene Panegyrik die moralisch verderbte Zeit des Niedergangs unter Constantius der erneuerten Blüte der gegenwärtigen Herrschaft gegenüberstellte, war es das Anliegen der nach Julians Tod entstandenen Werke, zeitgenössische Erscheinungen als Symptome allgemeinen Niedergangs zu kritisieren und zu ihrer Beseitigung zu mahnen . Der Erinnerung an Julian kam demnach eine höchst aktuelle Funktion zu. Als Instrument der Zeitkritik war die literarische Deutung bzw. Rekonstruktion der Vergangenheit, deren Form maßgeblich durch die Gattungsmuster bedingt war, immer auch auf die eigene Gegenwart bezogen . Wie stark die Konstruktion der Wirklichkeit durch die Wahl der literarischen Gattung bedingt war, vermag auch das Beispiel zu beleuchten, das im folgenden etwas näher vorgestellt wird, der Antiochikos des Libanios . Als sich die Bevölkerung Antiochias im Jahre versammelte, um das Fest der Olympien zu begehen, war Libanios dazu ausersehen, eine Festrede auf die Stadt zu halten . Obgleich die religiösen Veränderungen der Zeit an der Feier sicherlich nicht spurlos vorübergegangen waren und die Olympien vermutlich nicht mehr allen Antiochenern primär als Fest des Gottes Zeus galten, handelte es sich nach wie vor um einen der zentralen Anlässe, bei denen sich die Stadt selbst fei Beispielsweise in or. . , , , , ; . , , . Zu Ammians Julianbild und der Ausrichtung seiner Res gestae siehe Barnes (1998) –. Der Vergleich zwischen der moralisch intakten Vergangenheit und der entarteten Gegenwart liegt als Denkfigur auch dem Misopogon zugrunde (vgl. z. B. b, c/d). Lib. or. passim und . f., – (die Klage über den Tod Julians in diesen Partien zeigt deutlich, woran das Reich Libanios zufolge krankt). Siehe auch Lib. or. . , ; . f., , , f. Deutsche Übersetzung und erläuternde Anmerkungen bei Hugi (1919) und Fatouros – Krischer (1992), englische Übertragung mit Anmerkungen bei Norman (2000). Einen archäologischen Kommentar zu § ff. bietet Roland Martin in Festugière (1959) –. Zur Datierung der Rede siehe Petit (1983c).
. Modi des Erzählens
erte und ihrem Selbstverständnis Ausdruck verlieh . Libanios’ Rede war als einer von mehreren Programmpunkten in den Ablauf des Festes eingebunden. Als zweitlängste Rede im Œuvre des Libanios nimmt sie einen herausragenden Platz ein und dürfte von ihrem Verfasser als eines seiner Hauptwerke betrachtet worden sein, zumal er sich auch sonst als Sprachrohr seiner Heimatstadt versteht. Wenn man von der Prämisse ausgeht, daß eine epideiktische Städterede das Selbstverständnis der Gemeinde widerspiegeln sollte , überrascht der Antiochikos in einem nicht unwesentlichen Punkt. Im Unterschied zu seinem Vorbild Aelius Aristides, der ebenfalls in diesem Genre hervorgetreten war , und anderen Vorläufern widmet Libanios einen beträchtlichen Teil seiner Ansprache der Gegenwart . Trotzdem fehlt ein Charakterzug Antiochias, den vermutlich etliche Bürger schlechthin als das Merkmal ihrer Stadt angesehen haben werden. Auf die christliche Religion oder christliche Bauwerke geht Libanios mit keinem einzigen Wort ein, und das, obwohl er ansonsten sehr ausführlich alle wichtigen Gebäude der Stadt – die Kolonnadenstraße, die Neustadt, den Kaiserpalast, die Anlagen von Daphne und den Hafen – abhandelt. Über die großen Kirchen jedoch verliert er kein Wort . Der Forschung ist dieser Umstand bereits vor längerer Zeit aufgefallen, und so hat es nicht an Interpretationen gefehlt, die den Antiochikos als Signal der paganen Partei verstanden haben, die im Wissen, daß er Sympathien für den Götterglauben hege, im Jahre ihre Hoffnungen auf den jungen Caesar gesetzt hätte . Ja, man hat in der Rede ein Dokument
Liebeschuetz (1972) –, Downey (1961) f., – und Downey (1983), insbes. –. Libanios selbst beklagt in zwei Reden Veränderungen seiner Zeit, die das Fest seines geheiligten Charakters beraubt hätten (or. und ). Zum antiken Städtelob Pernot (1993) –; ferner Carl Joachim Classen: Die Stadt im Spiegel der Descriptiones und Laudes urbium in der antiken und mittelalterlichen Literatur bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. (Beiträge zur Altertumswissenschaft ) Hildesheim; New York (zum Städtelob des vierten nachchristlichen Jahrhunderts –); Richard Klein: Die Romrede des Aelius Aristides. Einführung. Darmstadt , –. Vgl. Aelius’ Reden auf Rom und Athen. Zu Libanios’ Hochachtung vor Aristides vgl. ep. . f. und Fatouros – Krischer (1992) –. Die Darstellung der Vergangenheit umfaßt die Paragraphen –, die der Gegenwart –. Zum Aufbau der Rede vgl. Fatouros – Krischer (1992) – und Wiemer (2003) . Antiochia galt zu Libanios’ Zeiten als eine Hochburg des Christentums. Auch der Stadtrat dürfte überwiegend christlich gewesen sein, obgleich die Heiden nach wie vor eine bedeutende Minderheit ausmachten. Siehe dazu Liebeschuetz (1972) f. Zu den Kirchenbauten der Stadt siehe Downey (1961) f. und Walther Eltester: »Die Kirchen Antiochias im . Jahrhundert«, in: ZNTW , , –. Petit (1955) , Petit (1983c) f. (ein »Akt der Propaganda für Julian«), Fatouros – Krischer (1992) f., Norman (2000) . Skeptisch Wiemer (2003) f. und Francesio (2004) –.
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der »heidnischen Renaissance in der Spätantike« sehen wollen . Ganz abgesehen davon, daß Libanios als dem Hof fernstehender Sophist kaum Näheres über Julians Überzeugungen gewußt haben kann und daß, selbst wenn man dies unterstellt, zu dieser Zeit keineswegs klar war, ob Julian dereinst als Kaiser das Ruder zugunsten des Heidentums herumreißen würde , erhebt sich doch die Frage, mit welchen rhetorischen Mitteln Libanios es bewerkstelligt, das christliche Antiochia auszublenden, und ob er diese Sicht seinem Publikum plausibel zu machen verstand. Wie gesagt räumt Libanios seiner eigenen Gegenwart sehr viel Platz ein, worauf er auch seine Hörer eigens hinweist . Gleichwohl wird die Vergangenheit von den Anfängen der Stadt bis zur römischen Herrschaft nicht vernachlässigt, so daß der Eindruck eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen beiden Perioden vorherrscht . Vergleicht man beide Abschnitte miteinander, fällt ein gravierender Unterschied sofort ins Auge. Während in den der Gegenwart gewidmeten Partien Religion und Götter kaum eine Rolle spielen, bilden sie im Hinblick auf die Vergangenheit eines der Leitmotive der Rede. Wenn er von den Geschicken Antiochias unter den verschiedenen Herrschern spricht, ist das zentrale Motiv stets, in welchem Verhältnis die Stadt zu den Göttern stand. Immer wieder führt Libanios Begebenheiten an, welche die Eintracht zwischen den Göttern und den Antiochenern augenfällig illustrieren . Es fehlt auch nicht an Hinweisen, was passierte, wenn man versuchte, beide auseinanderzubringen (, f.). In den Augen des Libanios firmiert Antiochia nachgerade als zweiter Olymp, da sich die Götter die Stadt als ihren bevorzugten Aufenthaltsort auserkoren haben . Als genügten diese zahlreichen Beispiele nicht, resumiert der Redner schließlich, daß er deswegen bei diesem Punkt so lange verweilt habe, weil es kein besseres Thema für einen Lobpreis gebe (). Ganz anders im zweiten Teil der Rede. Zwar fehlen auch hier die Götter nicht gänz So der Untertitel von Fatouros – Krischer (1992). Bemerkenswert ist allerdings, daß dieses Thema im Buch selbst nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es fehlen zusammenhängende Darlegungen, weshalb der Antiochikos Zeugnis der heidnischen Renaissance sei. Damit hängt das vieldiskutierte Problem zusammen, ob es unter Constantius tatsächlich so etwas wie eine pagane ›Partei‹ gegeben habe. So Petit (1955) – und PierreLouis Malosse: »Les alternances de l’amitié. Julien et Libanios (– et au-delà)«, in: RPh , , –, hier f. Von einer fest organisierten Gruppe auszugehen dürfte den eher losen Kontakten nicht gerecht werden. Vgl. dazu Drinkwater (1983) –; Wiemer (2003) f.; Sandwell (2007) –. Lib. or. . f., . An der ersten Stelle erweckt Libanios den Eindruck, als rechneten besonders viele Hörer mit einer eingehenden Darstellung der Gegenwart. Zur Darstellung der Vergangenheit und den möglichen Quellen des Libanios siehe Wiemer (2003). Lib. or. . –, –, –, , –, –, –. Lib. or. . : καὶ καταγώγιον ἦν τῶν κρειττόνων ἡ πόλις, ὥστε καὶ πρὸς τὸν ῎Ολυμπον ὑπάρχειν ἡμῖν ἐρίζειν, εἰ βουλοίμεθα (»Und eine Herberge der Götter war unsere Stadt, so daß, wenn wir wollten, wir selbst mit dem Olymp wetteifern könnten.«).
. Modi des Erzählens
lich, doch erscheinen sie nur beiläufig, wenn Libanios die Tugenden der Einwohner und die Ausgestaltung der Stadt preist . Warum dieser unübersehbare Bruch? Geschickt verwendet Libanios die Zweiteilung der Rede in Vergangenheit und Gegenwart, um sein Bild Antiochias unmißverständlich, aber ohne allzu deutlich Anstoß zu erregen, darzubieten. Hätte er auch im zweiten Teil die Religion in den Mittelpunkt gestellt, hätte er entweder vor der Schwierigkeit gestanden, die christliche Stadt berücksichtigen zu müssen, oder es wäre überdeutlich geworden, daß er einen beträchtlichen Teil der Realität ausblendet. Da er aber darauf verzichtet, auf die Frömmigkeit seiner Mitbürger einzugehen, erstaunt es nicht weiter, von ihm kein Wort zur religiösen Situation Antiochias zu hören. Gleichwohl bleiben die paganen Götter präsent. Gleich zu Beginn betont er in einer programmatischen Ankündigung, daß es ihm darum zu tun sei, die Harmonie von heute und früher bewußt zu machen: δεῖ δέ με ἐκεῖνα
πρότερον ἀξιώσαντα μνήμης ἔπειτα οὕτως ὑπὲρ τῶνδε λέγειν, ὥστε φανῆναι συμφωνίαν τῶν ὄντων πρὸς τὰ πάλαι καθεστῶτα καὶ ὅτι οἷς γε ἐκεῖνα προ¨υπῆρξε, καὶ ταῦτα ὀφείλεται, ἡ δὲ νῦν λαμπρότης οὐκ ἀπὸ χειρόνων ἤρτηται (§ , »Ich muß, nachdem ich zuerst jenes einer Erwähnung gewürdigt habe, dann so über dieses sprechen, daß die Harmonie zwischen dem Heutigen und dem früher Gewesenen sichtbar wird und daß wir denen, bei denen jenes vorher vorhanden war, auch dieses verdanken, daß aber der jetzige Glanz nicht auf Schlechterem beruht.«). Libanios’ Anliegen ist also, wie er auch später in Erinnerung ruft , die Kontinuität von Gegenwart und Vergangenheit nachzuweisen. Wenn er die Eintracht zwischen Göttern und Menschen für die Vergangenheit darstellt, gilt dies demnach ohne Abstriche auch für die Gegenwart. Wer Libanios’ Deutung der früheren Zeiten akzeptiert, kann dann nicht umhin, das zeitgenössische Antiochia immer noch als Liebling der Götter zu sehen. Das Motiv der Kontinuität erlaubt es dem Redner, im zweiten Teil über das für seine Gegenwart heikle Thema der Religion mit Stillschweigen hinwegzugehen . Lib. or. . (bei der Vorbereitung der Perserkriege scheint es, als hülfen die Götter bei der Planung), (Zeus läßt Hermes die Beredsamkeit in Antiochia aussäen), (Erwähnung der Musen), (die Götter sorgen nach Erdbeben für eine Erholung der Stadt, (Aufenthalt der Götter in Daphne). Auffällig ist, daß an den ersten drei Stellen die Götter und Musen eher als literarische Motive eingesetzt werden und nicht als wirkliche numinose Mächte auftreten. So ist Hermes bei Libanios generell Metonymie für die Redekunst (beispielsweise or. . ; . ; ep. . ). In § betont er die Übereinstimmung von Vergangenheit und Gegenwart gegen diejenigen, die die eine oder die andere der beiden Perioden als minderwertig erachten. Fatouros – Krischer (1992) f. und Francesio (2004) f. wollen hierin eine Kritik an christlichen Mitbürgern erkennen. Dafür fehlt jedoch jeglicher Hinweis im Text. Es handelt sich doch vielmehr um ein Mittel, den zweiten Teil der Rede mit dem ersten zu verknüpfen. Richtig Norman (2000) Anm. . In anderen Kontexten berücksichtigte Libanios hingegen durchaus, daß sich die religiöse Situation Antiochias Mitte des vierten Jahrhunderts gewandelt hatte und nicht alle
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Die Konstruktion einer idealen paganen Stadt beschränkt sich freilich nicht auf das Thema des Götterglaubens und auf den ersten Teil der Rede. Denn auch an anderen Stellen kann sich der Leser des Eindrucks nicht erwehren, daß Libanios nicht das Antiochia seiner Zeit porträtiert, sondern eine imaginäre Idealstadt . An die Stelle von sozialen Spannungen und Konflikten zwischen Reichsbeamten, dem Rat und dem Volk, von denen wir des öfteren aus anderen Reden des Libanios erfahren , treten Harmonie und tiefste Eintracht unter den Einwohnern . Als handelte es sich um eine große Familie, sorgen die Ratsherren geradezu väterlich für die gesamte Bevölkerung und wetteifern miteinander darum, ihren Reichtum in den Dienst des allgemeinen Wohls zu stellen . Da Rat und Volk gleichwie Chorführer und Chor () miteinander harmonieren und zusammenarbeiten, fehlen Streitigkeiten und Ausschreitungen gänzlich. Was die Stadt zusammenhält und stärkt, sind σοφία und λόγοι, durch die sich die Mitglieder des Rates hervortun . Man könnte sie auf Grund ihrer Beredsamkeit beinahe für professionelle Rhetoren halten. Auf dieser Fähigkeit beruhen letztlich auch Gerechtigkeit und Freiheit, insofern die Rhetorik unentbehrlich ist, um bei den Reichsbeamten zu erwirken, was man begehrt. Libanios porträtiert eine Stadt, deren Wohlergehen ausschließlich von dem abhängt, was er selbst seinen Schülern zu vermitteln sucht: klassische Bildung und eine im Rat öffentlich wirkende Redekunst . Der Redner läßt sein Publikum auch nicht im unklaren darüber, an welchen Maßstäben sich sein Bild Antiochias orientiert. Schon wenn er davon spricht, daß die Kurialen einen Wettkampf darum austrügen, möglichst aufwendige Liturgien zu leisten , oder dem attizistischen Sprachideal gemäß die hohen Beamten einfach als ἄρχοντες bezeichnet , fühlt man sich in eine Polis der klassischen Zeit zurückversetzt. Dazu
Heiligtümer unbeschädigt geblieben waren: beispielsweise or. . ; . ; . . Er wußte seine Darstellung der Beziehungen zwischen Stadt und Religion jeweils den Erfordernissen anzupassen. Vgl. Sandwell (2007) –. Zur Idealisierung des zeitgenössischen Antiochia siehe Francesio (2004) –. Siehe etwa Lib. or. . ; . und ; or. passim. In § kündigt Libanios mit Verweis auf die Musik als sein Thema die Harmonie der Stadt an. Er vergleicht Antiochia mit einer perfekten Statue. Zum Rat als Fundament der Stadt siehe § –, zum Volk –. Lib. or. . –. Auch hier ist das Ziel wieder das Gemeinwohl (). Lib. or. . : καὶ γεγόνατε τῆς ᾿Ασίας μητρόπολις οὐ τῇ τῆς ἀξίας ὑπεροχῇ
μᾶλλον ἢ τῷ πᾶσιν ὃ πάντων ὠφελιμώτατον ἐνθένδε γενέσθαι. ὅποι γὰρ ἂν ἐλθὼν βουλὴν εὕρῃς λόγοις ὡπλισμένην καὶ ῥήτορας ἀσφαλῶς ἀγορεύοντας, ἢ πάντας τῶν ἐνθένδε μουσείων ἀθλητὰς ἢ τούς γε πλείους ἢ πάντως γε οὐκ ἐλάττους εὑρήσεις (»Und ihr seid die Metropole Asiens nicht so sehr durch das überragende Ansehen geworden als vielmehr dadurch, daß für alle von hier das Allernützlichste ausgeht. Wo auch immer man nämlich einen Stadtrat antrifft, der mit Beredsamkeit gerüstet ist, und Redner, die ohne Fehl sprechen, so wird man finden, daß alle Kämpfer aus den hiesigen Stätten der Musen stammen oder doch die meisten oder jedenfalls nicht eine Minderheit.«). Lib. or. . –, unter mehrfacher Verwendung von λειτουργεῖν, λειτουργία. Lib. or. . , , , , .
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trägt außerdem bei, daß die Kaiser und die Reichsbeamten bei ihm keine allzu große Rolle spielen. Der Schlüssel zum Verständnis des Bildes liegt jedoch in dem ständigen, teils offenen, teils impliziten Rekurs auf das klassische Athen . Antiochia hat nicht nur Athen als Hort der klassischen Bildung und Rhetorik abgelöst, an Fremdenfreundlichkeit stellt es das Zentrum des klassischen Griechenlands sogar in den Schatten . Wie die Athener einst Griechenland gegen die Perser verteidigten, leisten nun die Antiochener ihren Beitrag zu den Perserkriegen des Reiches. Schließlich konstatiert Libanios stolz, daß sich in der idealen Verbindung von Bildung und militärischer Tüchtigkeit seine Heimatstadt und Athen so genau entsprächen, daß die Kultur der Hellenen auf beide Städte verteilt sei . Libanios konstruiert eine Identität, die fast völlig auf dem literarischen, in den Epitaphien, bei Isokrates und Aelius Aristides vorgebildeten Lob Athens beruht, indem er die zeitgenössische Realität durch das klassische Athen substituiert. Während das reale Antiochia des vierten Jahrhunderts auch eine römische und christliche Stadt war, deren Rat immer weiter an Macht verlor und in der es zu handgreiflichen Konflikten kam, zeichnet der Antiochikos eine klassische, rein pagane Polis, deren Bürger dank der traditionellen Bildung ihrer Elite in stabiler Harmonie leben. Gleichermaßen wichtig für das Verständnis des Antiochiabildes ist, was Libanios nicht erwähnt. Im Gegensatz zu Athen kommt Konstantinopel, die Stadt, der Libanios zeit seines Lebens reserviert gegenüberstand , als Maßstab nicht in Frage . Indem er die römische Epoche weitgehend marginalisiert und das Christentum vollständig ignoriert, suggeriert er, daß die Blüte der Stadt der Verbindung von paganem Götterglauben und traditioneller παιδεία zu verdanken sei . Die wichtigen Tugenden, auf denen ein zivilisiertes Zusammenleben basiert – ἐλευθερία, μεγαλοψυχία, φιλανθρωπία – sind unauflöslich mit dem Heidentum und der klassischen Bildung verwoben, wohingegen das, was in jüngster Zeit hinzugekommen ist, nichts dazu beitragen kann; die Vertreter der heidnischen Stadt wissen die Tradi Vgl. Francesio (2004) –. Lib. or. . –. In § nimmt Libanios sogar die Aufnahme und Heilung des umherirrenden Orest für seine Heimatstadt in Anspruch. Auch in § ist Antiochia Athen überlegen. Lib. or. . –. Um die Parallelisierung Athens mit Antiochia zu verstärken, lehnt sich Libanios in § f. zum Teil an den Panegyrikos des Isokrates (§ , und ) an. Siehe oben S. . Wenn Libanios davon spricht, daß zahlreiche Fremde aus freien Stücken nach Antiochia zögen, so liegt darin nach Nock (1954) ein Seitenhieb auf Konstantinopel, das ebenfalls vom Zuzug von Fremden lebte, die allerdings von Konstantin angelockt werden mußten (vgl. Them. or. . a). In § deutet Libanios an, daß Antiochia Konstantinopel durch hellenische Bildung und Beredsamkeit übertreffe. In Einklang mit der hier vorgetragenen Deutung steht die Interpretation von Wiemer (2003) f., der Libanios im Antiochikos als Verteidiger der durch das Christentum gefährdeten Tradition und kulturellen Identität sieht. Lib. or. . , , .
Politik der Erinnerung
tion auf ihrer Seite . Mit seiner Städterede verfolgt Libanios ein ähnliches Ziel, wie wir es bereits bei der Panegyrik des Themistios beobachten konnten . Weshalb war die Substitution der realen Stadt durch die imaginäre Polis für das Publikum akzeptabel? Daß Libanios mit seinem Stadtporträt nicht auf schroffe Ablehnung stieß, läßt sich jedenfalls an weiteren Aufträgen ablesen, aus Anlaß der Olympien einen Festvortrag zu halten . Zunächst einmal begünstigte die seit langem etablierte Gattungstradition eine klassizistische Sicht, wie sie Libanios vertrat. Nachdem die Epitaphien, Isokrates und andere eine feste Topik der Städterede begründet hatten, sahen sich die Redner der Kaiserzeit und der Spätantike verpflichtet, diesen Vorbildern nachzueifern. Auch wenn man die Geschichte der betreffenden Stadt notgedrungen bis in die römische Zeit fortsetzen mußte, beließ man den Schwerpunkt eindeutig auf den Charakteristika, die bereits Athen in seiner Blütezeit ausgezeichnet hatten. Zudem hatte die kaiserzeitliche Rhetorik, wie noch der Traktat des Menander Rhetor bezeugt, das Schema des Städtelobs mit seiner Abfolge der einzelnen Topoi fortgeschrieben , so daß es alles andere als erstaunlich war, wenn Libanios als Nachfolger der klassischen Muster zeitgenössische Erscheinungen ignorierte. Nicht vergessen werden darf, daß Libanios seine Rede in einem zeremoniellen Rahmen vortrug, der sein Anliegen förderte. Mögen wir auch über den genauen Ablauf der Olympien nicht unterrichtet sein, so dürfte dennoch feststehen, daß das Fest einem seit langer Zeit üblichen Programm folgte. Rhetorisch geschulte Vertreter der gebildeten Elite werden von jeher Antiochia in ähnlichen Formen gepriesen haben, und so konnte sich Libanios mühelos in diese Tradition einreihen. Seine Rede spiegelte das Selbstverständnis der Stadt wider, wie es sich über Generationen herausgebildet hatte . Wenn Libanios vor das Festpublikum trat, konnte er für sich in Anspruch nehmen, mit der Autorität des offiziell beauftragten Sophisten zu sprechen, als Repräsentant der traditionellen Bildung, die nach wie vor eines der Kennzeichen der städtischen Führungsschicht war. Die Gattungstradition und die Sprecherposition statteten Libanios’ Bild Antiochias mit Glaubwürdigkeit aus. Überdies sollte man nicht vergessen, daß der Antiochikos, wie er uns vorliegt, niemals gehalten worden ist. Da die Rede nur einen unter mehreren Programmpunkten bildete, konnte Libanios nicht umhin, nur einen Das Argument der Tradition bzw. des Traditionsbruchs spielte in den Auseinandersetzungen zwischen Christen und Heiden des öfteren auch explizit eine wichtige Rolle, beispielsweise Or. Cels. . , . , . f.; Eus. h. e. . . –; Iul. Gal. fr. . a, fr. . a–e. Siehe oben Kap. .. Siehe Lib. or. . , , . Es handelt sich um die Olympien von , und . Libanios wurde allerdings jedesmal durch Krankheit daran gehindert, die Festrede zu halten. Siehe Men. Rh. . –. . Die an den Olympien gehaltenen Reden sollten sicherlich das Selbstverständnis Antiochias auch nach außen demonstrieren, da die siebzehn Städte Syriens zum Fest geladen waren (vgl. ep. . ; . ; . ).
. Modi des Erzählens
Teil dessen zu präsentieren, was er später in schriftlicher Form publizierte . Die Annahme ist also durchaus plausibel, daß er, als er die Rede überarbeitete, sie noch deutlicher zu einem Denkmal der paganen Stadt ausgestaltete . Nachdem er einmal das reale Antiochia mit dem imaginären vertauscht hatte, konnte diese Version auch lange nach dem Fest der Olympien wirken und in das kollektive Gedächtnis (zumindest der gebildeten Kreise) eingehen. Nicht nur am Antiochikos des Libanios läßt sich verfolgen, wie man mit Hilfe bereits vorhandener Gattungstraditionen und Denkmuster eine Realität konstruieren konnte, die unliebsame Aspekte schlichtweg ignorierte. Gleiches gilt etwa auch für Libanios’ Darstellung der Statuenunruhen des Jahres , die, hält man sie neben die Version des Johannes Chrysostomos, den Anschein erweckt, als hätte der Sophist völlig anderen Ereignissen beigewohnt als sein christlicher Schüler . Als probates Mittel erschien das Verfahren des Ignorierens oder Ausblendens Libanios auch, als er im Epitaphios darum bemüht war, ein möglichst positives Porträt Julians zu zeichnen. Für das Rhetorenedikt oder andere eher fragwürdige Anordnungen des Kaisers war in diesem Bild kein Platz. Indem er in seiner Städterede das zeitgenössische Antiochia durch eine Imagination substituiert, überschreitet Libanios die Grenze zur Fiktion, wie wir es bereits bei Eunaps Schilderung der Schlacht am Frigidus beobachten konnten . Die schriftlich festgehaltene Erinnerung wird durch literarische Mittel und Erfindung verzerrt, bis sie mit dem Weltbild des Autors in Einklang steht. Solange sich diese Fiktionalisierung in den Bahnen dessen bewegte, was die Rezipienten erwarten konnten, also Konventionen folgte, konnten die Autoren damit rechnen, zumindest bei einem Großteil ihres Publikums auf Zustimmung zu stoßen. Sämtliche literarischen Verfahrensweisen vorzustellen, mit denen die Autoren ihrer Sicht auf Vergangenheit und Gegenwart Ausdruck verliehen, dürfte unmöglich sein. Aber schon die hier exemplarisch herausgegriffenen Mittel haben deutlich gemacht, wie die literarische Repräsentation von Erinnerung im vierten Jahrhundert funktionierte. Wollte man einem größeren Rezipientenkreis eine bestimmte Deutung historischer oder zeitgenössischer Ereignisse nahelegen, damit sie in das kollektive Gedächtnis einging, so bot es sich an, auf überkommene Klischees und Denkmuster zurückzugreifen, die dem Publikum In ep. aus dem Jahre / stellt Libanios ausdrücklich fest, daß die Stadt von seinem Antiochikos nur so viel zu hören bekam, »wie es das Herkommen gestattete«. In der vorliegenden Form war die Rede jedenfalls für einen Vortrag zu umfangreich. Vgl. auch or. . . Ähnlich Wiemer (2003) und f., der annimmt, daß sich Libanios beim Vortrag weitgehend auf die Darstellung der Gegenwart beschränkt habe. Ähnlich wie im Antiochikos konstruiert Libanios in seinen den Statuenunruhen gewidmeten Reden eine nach den traditionellen Mustern funktionierende Stadt, während Johannes Antiochia als rein christliches Gemeinwesen erscheinen läßt. Siehe Leppin (1999b); Quiroga Puertas (2007). Siehe oben S. –.
Politik der Erinnerung
vertraut waren. Indem man die Erinnerung nach diesen Schemata gestaltete, ermöglichte man es seinen Hörern oder Lesern, das Geschehen in den eigenen Erfahrungshorizont einzuordnen. Auf Grund der Bekanntheit dieser Muster verfügten die gebotenen Darstellungen und Deutungen über eine unmittelbare Plausibilität. Gleichzeitig erlaubten es solche Konventionen, die komplexe Realität auf ein relativ einfaches, bruchloses Bild zu reduzieren. Wenn man holzschnittartig den Gegner zum Tyrannen stilisierte oder ganze Städte auf wenige Charaktereigenschaften festlegte, ergab sich ein Gesamtbild, in dem die Rollen von gut und böse eindeutig verteilt waren. Solchermaßen der Notwendigkeit zu differenzieren enthoben, konnten die Autoren eine Deutung der Realität vermitteln, die wegen ihrer Klarheit einleuchtete. Diese Strategie der Reduktion schuf klare Fronten und erweckte den Eindruck von Stabilität, der an die Stelle von Ungewißheiten und dynamischen Entwicklungen treten konnte. Von großer Bedeutung war es, die einzelnen Ereignisse in einen narrativen und damit auch kausalen Zusammenhang zu bringen. Erst in Relation zu anderen Begebenheiten konnten sie ihre volle Bedeutung entfalten, und erst dann bestand Aussicht, daß das intendierte Publikum diese Version in sein historisches Gedächtnis aufnahm. Erzeugte doch die narrative Gestaltung den Sinn des Geschehens, indem sie jedem Element einen Platz im Lauf der Geschichte zuwies. Obgleich die Bedeutung der Ereignisse alles andere als fest gegründet war, machte die Anlehnung an gängige Muster und Schemata glauben, der Sinn stehe unverrückbar ein für allemal fest.
. Die Prägung des kollektiven Gedächtnisses – ein Résumé Im Laufe des vierten Jahrhunderts fanden zahlreiche, zum Teil tiefgreifende Veränderungen in vielen Bereichen des Römischen Reiches statt, in der Gesellschaft, in der Politik und in der Religion. Während noch zu Beginn des Saeculums unter Diokletian Christen von Staats wegen verfolgt wurden, befand sich das Christentum knapp hundert Jahre später in der Position, seinerseits pagane Kulte und Praktiken durch Verordnungen und handgreifliche Repressionen an den Rand zu drängen. Von den Zeitgenossen wurden solche Veränderungen oder Brüche bisweilen als Symptome einer Krise oder als Bedrohung wahrgenommen, wie wir zu Beginn der Untersuchung gesehen haben. Mitunter wirkten sich diese Prozesse in erheblichem Maße auf das Leben des einzelnen aus, wenn etwa ein hoher Beamter sowohl unter Constantius als auch unter Julian tätig war oder wenn jemand je nach der augenblicklichen Dominanz seine Religion wechselte. Angesichts dieser Umbrüche verlangten die Menschen nach Orientierung, nach Stabilität und Sinnstiftung. Verfolgte ein Kaiser eine seinem Vorgänger diametral entgegengesetzte Linie, war es nicht unerheblich zu wissen, wie diese Zäsur zu bewerten war. Wer damit konfrontiert wurde, wie in sei-
. Die Prägung des kollektiven Gedächtnisses – ein Résumé
ner Stadt der auf der traditionellen Bildung beruhende Einfluß der Ratsherren schwand oder welche Macht ein christlicher Bischof gewann, stellte sich unweigerlich die Frage, welche Geltung seine eigenen Überzeugungen noch beanspruchen konnten. Insbesondere für die Anhänger Julians ergab sich nach dessen kurzer Herrschaft das Problem, ob mit seinem Tode die heidnische Restauration gescheitert war, wie es die Christen behaupteten. Diesem Bedürfnis trugen die heidnischen Autoren Rechnung, indem sie in verschiedenen Gattungen und zu verschiedenen Anlässen Interpretationen von Vergangenheit und Gegenwart vortrugen. Libanios, Eunap, aber auch Julian selbst, ebenso Ammian und Mamertinus nahmen für sich in Anspruch, als Meinungsführer ihre Sicht auf das Geschehen zu propagieren, indem sie die Einzelereignisse zu einem größeren Sinnzusammenhang fügten. Sei es, daß sie dabei die vom Kaiser gebilligte offiziöse Version vertraten, sei es, daß sie durch Reputation und Gattungstraditionen Autorität verkörpern konnten: ihre Deutungen legten sie in dem Bewußtsein vor, die Wahrheit darzustellen, zu sagen, wie es tatsächlich war. Wie stark diese historische Wahrheit gleichwohl von Denkmustern und dem Weltbild der Autoren geprägt war, hat die Analyse einzelner literarischer Mittel zeigen können. Was als unumstößliche Wahrheit auftrat, war nichts anderes als ein nachträgliches Konstrukt, so daß die Grenze zur Fiktion fließend war. Eben weil es sich bei Erinnerung um einen konstruktiven Vorgang handelt und nicht um das bloße Vergegenwärtigen einer objektiv gegebenen Realität, konnten sich von ein und demselben Ereignis differierende, ja sich widersprechende Versionen entwickeln. Da die Gesellschaft im Osten des Römischen Reiches keine homogene Einheit bildete, sondern sich verschiedene soziale und religiöse Gruppierungen gegenüberstanden, kam es zwangsläufig zu Erinnerungskonkurrenzen, die sich an Begebenheiten von tatsächlich oder vermeintlich großer Tragweite entzündeten. Wie Julians Tod zu bewerten war, welche Signifikanz dem Tempelbrand von Daphne innewohnte, ob die Schlacht am Frigidus lediglich der militärische Sieg über einen Usurpator war, konnte weder Heiden noch Christen gleichgültig sein. Indem sie teils implizit, teils explizit Kontroversen austrugen, versuchten christliche wie pagane Autoren, die Hegemonie auf dem Feld der Erinnerung zu erringen. Die Kämpfe um die Deutungsmacht, die exemplarisch vorgestellt wurden, bezeugen, daß hier keine rein akademischen Kontroversen ausgefochten wurden. Vielmehr ging es tatsächlich um Politik und Macht, da die Konstruktionen der Vergangenheit stets auf die eigene Gegenwart bezogen waren. Wenn Eunap in seinen Historien Julian als idealen Kaiser feierte, Theodosius hingegen für den moralischen und militärischen Niedergang des Reiches verwantwortlich machte, bezog er eindeutig Stellung zu seiner eigenen Zeit und forderte sein Publikum dazu auf, sich ihm anzuschließen. Daß seine Präsentation der Vergangenheit von den Zeitgenossen genau in diesem Sinne verstanden wurde, wird aus den Angriffen ersichtlich, deren sich Libanios zu erwehren hatte.
Politik der Erinnerung
Wenn die Autoren in Diskussionen über vergangene und gegenwärtige Geschehnisse eingriffen und sich mit einem literarischen Beitrag zu Wort meldeten, so versuchten sie, die Anzahl der in Umlauf befindlichen Versionen zu reduzieren und zu vereinheitlichen. Den verschiedenen Gerüchten und Deutungen setzten sie eine schriftlich fixierte Interpretation entgegen, die auch unabhängig von der Person des Verfassers ein umfangreiches Publikum erreichen konnte. War eine Konstruktion der Realität schriftlich niedergelegt, also gleichsam kodifiziert, gab es fortan eine geradezu verbindliche Version, auf die man sich in Auseinandersetzungen berufen konnte. Wie die Untersuchung der Erinnerungskonkurrenzen gezeigt hat, strebten die Autoren danach, abweichende Deutungen zu überschreiben und zu verdrängen. Die Verschriftlichung läßt sich also insgesamt als ein Prozeß der Festlegung und der versuchten Vereinheitlichung begreifen, deren Ziel es war, andere Meinungen auszuschließen. Wem dies gelang, dessen Konstruktion der Realität ging in das kollektive Gedächtnis zwar nicht der ganzen Gesellschaft, aber doch einer größeren Gruppe ein. Dort half sie, dem krisenhaften Wandel Stabilität und Orientierung entgegenzusetzen.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen . Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen? Mit größter Verachtung spricht Gregor von Nazianz in seiner ersten Invektive gegen Julian von denjenigen, die wie der Kaiser einst selbst während der Regierungszeit des Apostaten vom christlichen Glauben abgefallen waren . Statt sich das Gleichnis vom verlorenen Sohn zu Herzen zu nehmen, will der Autor solche Verräter unnachgiebig ächten und verstoßen. Gregor bezeugt damit, daß es immerhin einige gegeben haben muß, die sich durch Julians Religionspolitik beeindrucken ließen und – aus welchen Gründen im einzelnen auch immer – den Entschluß zur Konversion faßten. In einigen Fällen können wir bei Angehörigen der Oberschicht solche Konversionen noch verfolgen, und zwar in beide Richtungen. Beispielsweise nahmen der comes sacrarum largitionum Felix und der comes rerum privatarum Elpidios , ein Schwager des Libanios, die Herrschaft Julians zum Anlaß, dem Christentum abzuschwören und sich den alten Göttern zuzuwenden, und zwar vom Kaiser selbst beeinflußt. Das prominenteste Beispiel für eine Apostasie war aber sicherlich Julians gleichnamiger Onkel mütterlicherseits, der, wie es für Konvertiten charakteristisch ist, sich nach seinem Abfall mit um so größerem Eifer für seine neue Religion einsetzte und die Restaurationspolitik seines Neffen tatkräftig unterstützte . Es versteht sich von selbst, daß umgekehrt, sobald das pagane Zwischenspiel Julians beendet war, sich Heiden für das Christentum gewinnen ließen, selbst wenn sie sich zuvor ostentativ zum paganen Kult bekannt hatten. Libanios’ Schüler Euagrios und dessen Bruder Mikkalos konvertierten zum Christentum, und Euagrios verkehrte sogar mit Hieronymus, übersetzte die Vita Antonii des Athanasios Gr. Naz. or. . . Gregor unterscheidet hier zwei Gruppen, zum einen diejenigen, deren Glaube nicht tief verwurzelt war und die sich aus Opportunismus anpaßten, zum anderen die, welche ihr Seelenheil verkauft haben, um sich weltlichen Gewinn zu sichern, also wegen Gefälligkeiten und Macht. Lib. or. . . PLRE , s. v. Felix . Lib. or. . ; Philost. h. e. . ; Thdt. h. e. . . . Nach seiner Konversion wurde er anscheinend zum Eiferer, unter dem Christen zu leiden hatten (Philost. h. e. . ). Petit (1994) f.; PLRE , s. v. Helpidius . Lib. ep. ; ; Philost. h. e. . ; Thdt. h. e. . ; Passio Artemii . PLRE f., s. v. Iulianus . Für Mikkalos ist die Konversion nicht ganz sicher bezeugt. Petit (1994) –.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
ins Lateinische und wurde schließlich zum Bischof von Antiochia ausersehen . Von Julian zum Stadtpräfekten von Konstantinopel ernannt, trat Domitius Modestus zunächst öffentlich für den paganen Götterkult ein und blieb diesem anscheinend auch einige Jahre nach des Kaisers Tod treu, bis er schließlich unter Valens zum arianischen Christentum übertrat . Der Sophist Hekebolios wechselte gleich zweimal seinen Glauben, zuerst vom Christentum zum Heidentum und nach Julians Tod in umgekehrter Richtung . Daß bei diesen Konversionen nicht in jedem Falle tiefe religiöse Überzeugungen im Spiel waren, kann man sich leicht vorstellen. Mancher mochte darauf hoffen, wenn er sich zu den heidnischen Göttern bekannte, von Julian mit einem Amt bedacht zu werden und Karriere zu machen, wie es andererseits auch Christen gab, die sich unter Constantius aus Tempelgut bereichert hatten und so zumindest ihren Glauben mit persönlichen Vorteilen zu verbinden wußten . An der erwähnten Stelle spricht Gregor es ganz offen aus, daß viele aus Hoffnung auf materiellen Gewinn, Privilegien oder Macht abgefallen seien. Wie diese Beispiele demonstrieren, scheinen religiöse Identitäten Mitte des vierten Jahrhunderts keineswegs immer festgefügt gewesen zu sein. Gerade dogmatische Kontroversen innerhalb des Christentums dürften bei nicht wenigen zu Verunsicherung geführt haben; außerdem gab es Praktiken wie die verschiedenen Spielarten der Magie, die von Christen wie Heiden gleichermaßen gepflegt wurden. Konstantin der Große selbst war ein Beispiel dafür, wie pagane und christliche Vorstellungen in ein und derselben Person eine Verbindung eingehen konnten. Vor dem Hintergrund von Konversionen und der Unschärfe religiöser Identitäten ist es auch zu sehen, wenn Julian und Libanios Zeitgenossen dafür lobten, ihren religiösen Überzeugungen treu geblieben zu sein, auch wenn sie dafür Nachteile in Kauf zu nehmen hatten . Julians Ziel mußte es daher sein, nach Möglichkeit das Profil des Heidentums zu schärfen und durch verschiedene Maßnahmen Christen zum Übertritt zu bewegen. Wie er gegenüber dem Oberpriester Arsakios einräumen mußte, Hier. ep. . ; . ; . ; Bas. ep. ; Socr. h. e. . . , . . ; Soz. h. e. . . , . . ; Thdt. h. e. . . Petit (1994) –; PLRE f., s. v. Evagrius . Der dritte Bruder, Olympios, blieb im übrigen Heide. Aus Lib. ep. scheint hervorzugehen, daß Modestus unter Constantius heimlich dem paganen Götterkult anhing (darauf deuten auch Libanios’ Äußerungen in ep. , und hin). Petit (1994) und Bradbury (2004b) gehen hingegen davon aus, daß er während der Regierung des Constantius noch Christ, wenn auch nur ein lauwarmer, gewesen und dann erst unter Julian konvertiert sei. PLRE –, s. v. Modestus (dort zahlreiche weitere Belege). Socr. h. e. . . , . . f., . . ; Lib. or. . . PLRE , s. v. Hecebolius . In dem an den praeses Arabiae Belaios gerichteten Brief setzt sich Libanios für den Christen Orion ein, dem man vorwarf, sich Tempelschätze angeeignet zu haben. Libanios kritisiert hier auch Heiden, die Julians Herrschaft dazu nutzen, sich durch Verfolgung von Christen zu bereichern. Zur Entfremdung von Tempelgut durch Christen siehe auch or. . ; . ; . ; . f.; ep. ; ; . Iul. ep. an die Priesterin Kallixeine. Lib. or. . und –.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
gedieh die hellenische Sache noch nicht wie gewünscht , und sogar Leute, die sich selbst als pagan verstanden, waren bisweilen nicht zu den grundlegenden kultischen Handlungen in der Lage, da im Zuge der fortschreitenden Christianisierung das Wissen um die Kultausübung erodiert war . Was sollte man also tun? Nicht bei jedem Christen stand zu erwarten, daß ihm ein Bekehrungserlebnis widerführe, wie es Julian retrospektiv für sich in Anspruch nahm. Er und Libanios verbreiteten nämlich nach Kräften die Version, der zufolge der junge, noch christliche Prinz durch den Unterricht bei dem Neuplatoniker und Theurgen Maximus in Ephesos bekehrt wurde und sich daraufhin der paganen Sache verschrieb . Realistischer war es demgegenüber, auf praktische Maßnahmen zu setzen. Wenn Julian seine Soldaten und Untertanen beim Opfern anleitete und Angehörige der gesellschaftlichen Elite sich tatkräftig für den Götterkult engagierten, indem sie Feste ausrichteten und Tempel wiederherstellten , so bestand vielleicht die Aussicht, größere Bevölkerungsgruppen dem Christentum abspenstig zu machen . Wie Fehlschläge zeigen, war der Erfolg jedoch nicht garantiert . Und Druck auszuüben, um Konversionen zu erzwingen, führte vielleicht dazu, daß die Menschen sich äußerlich den paganen Göttern zuwandten, doch erkannten schon die Zeitgenossen, daß diese Konversionen oberflächlich blieben und man obendrein wider Willen durch Gewaltanwendung das christliche Märtyrerwesen förderte . Den unterdessen seit langer Iul. ep. . c: hὁi ῾Ελληνισμὸς οὔπω πράττει κατὰ λόγον, ἡμῶν ἕνεκα τῶν μετιόντων αὐτόν. In ep. spricht Julian von Heiden in Kappadokien, die nicht richtig zu opfern wüßten. Im Helioshymnos datiert Julian seine Hinwendung zu dem Gott schon in seine Kindheit. Libanios betont außerdem im Prosphonetikos die Bedeutung des Unterrichts in Nikomedia und des Studiums der Rhetorik für Julians Konversion. Iul. or. . a–c; . c–b; ep. . d–a; Lib. or. . –; . f.; . f.; Eun. VS . . –. . ; aus christlicher Sicht zeigen sich Anzeichen für Gottlosigkeit bereits in Julians Kindheit: Gr. Naz. or. . f., –, –; Soz. h. e. . . ; Socr. h. e. . ; Thdt. h. e. . . –. Smith (1995) f., –; Rosen (1997); Bouffartigue (2004) –; Rosen (2006) –. Lib. or. . , , –, –; ferner . . Lib. ep. ; ; ; ; . Um dem Kaiser Aristophanes zu empfehlen, stellt Libanios in Aussicht, daß dieser auf der Peloponnes die Kunde von Julians Opfertätigkeit verbreiten und damit bei den Menschen den Wunsch nach ähnlicher Kultpraxis in ganz Griechenland auslösen werde (or. . ). In seinem letzten an Julian gerichteten Brief spricht Libanios davon, daß der consularis Syriae Alexander sich in Antiochia offensiv für den Götterkult einsetze und damit viele neue Anhänger gewinne (ep. . f.). Ob hinter dieser Behauptung nicht eher Libanios’ Wunschdenken stand, mit dem er Julians Groll gegen die Stadt besänftigen wollte? Ähnlich auch ep. . . Beispielsweise malte sich Julian vor seinem inneren Auge aus, welche prachtvollen Opfer die Antiochener in Daphne darbringen würden, und mußte dann enttäuscht feststellen, daß lediglich ein einsamer Priester mit einer Gans erschienen war, die er von zu Hause mitgebracht hatte. Iul. Mis. d–c. Them. or. . b–c; Lib. or. . –; . –; ep. ; Iul. ep. ; . b/c; . c. Das hinderte Julian jedoch nicht, Drohungen auszusprechen (ep. . d–a) oder bei Gewalttaten gegen Christen Nachsicht zu üben (ep. ).
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Zeit geführten Kontroversen zwischen Heiden und Christen war überdies zu entnehmen, daß die gebildeten Schichten nicht allein durch praktische Maßnahmen zu überzeugen waren, sondern von einer Religion erwarteten, daß sie philosophischen Ansprüchen genügte. Wie sich die pagane Sache mit diskursiven Mitteln befördern ließ, soll daher nun im Mittelpunkt stehen.
..
Salutius: Theorie
Unter dem Namen eines gewissen Σαλούστιος ist ein schmales Büchlein überliefert, das in Kapiteln einen kurzgefaßten Überblick über die Götter, den Kosmos und die menschlichen Angelegenheiten bietet . Wer dieses Werk verfaßt haben könnte, ob sich der Autor also mit einer bereits bekannten Persönlichkeit identifizieren läßt, diese Frage hat die Forschung lange Zeit weitaus mehr beschäftigt als die Schrift selbst . Inzwischen zweifelt kaum noch jemand daran, daß es sich, sofern der Autor überhaupt namhaft gemacht werden kann, bei ihm um Julians Vertrauten Saturninius Secundus Salutius handeln dürfte . Auch wenn in dieser Frage letzte Gewißheit nicht zu erzielen ist, besteht die einhellige Überzeugung, daß das allgemein als Περὶ θεῶν καὶ κόσμου betitelte Werk aus dem Umfeld Julians hervorgegangen sein muß. Denn der Autor stützt sich unverkennbar, wenn er den Mythos von Attis allegorisch auslegt, auf die Interpretation des Kaisers im Hymnos auf die Mutter der Götter . Wie es in diesem Kontext nicht anders zu erwarten ist, verrät das Gedankengut, das Salu In . gibt der Autor selbst als sein Thema περὶ [. . .] θεῶν καὶ κόσμου καὶ τῶν ἀνθρωπίνων πραγμάτων an. Für eine Identifikation kommen Flavius Sallustius und Saturninius Secundus Salutius in Frage. Flavius Sallustius war unter Constantius vicarius quinque provinciarum, vicarius Hispaniarum, vicarius urbis Romae und comes consistorii (CIL VI , ILS ). Julian machte ihn zum praefectus praetorio in Gallien (vgl. CTh . . ; . . ). Libanios lobt seine Amtsführung (or. . ). war er zusammen mit dem Kaiser Consul (Amm. . . ). Siehe PLRE f., s. v. Sallustius . Secundus Salutius stammte aus Gallien und erlangte dort Julians Vertrauen, weshalb ihn Constantius abberief (Iul. ep. ad Ath. c). Julian verfaßte daraufhin eine Trostrede für sich selbst (or. ). In Konstantinopel ernannte er Salutius zum praefectus praetorio Orientis (–) und zum Vorsitzenden der Gerichtsverfahren von Kalchedon. Als ihm nach Julians Tod die Kaiserwürde angetragen wurde, lehnte Salutius aus Altersgründen ab (Amm. . . ). Nach einer kurzzeitigen Versetzung in den Ruhestand wurde er erneut praefectus praetorio Orientis (–). Er war in griechischer Literatur und Philosophie bewandert (Iul. or. . a/b). Ihm widmete Himerios or. und Julian seinen Hymnos auf Helios (or. ). In den griechischen Texten wird Salutius trotz der lateinischen Namensform Σαλούστιος genannt. PLRE –, s. v. Secundus . Wegen seiner philosophischen Ausrichtung auszuscheiden ist der im fünften Jahrhundert lebende Kyniker Sallustius. PLRE Bd. , f., s. v. Sallustius . Nock (1926) ci–civ; Rochefort (1960) x–xxi; Desnier (1983); Clarke (1998) –; Di Giuseppe (2000) –. Étienne (1963) hingegen hält Flavius Sallustius für den Verfasser. Dieser Ansicht neigt auch PLRE , s. v. Sallustius zu. Sal. . – und Iul. or. .
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
tius verbreiten möchte, deutlich seine neuplatonische Provenienz, insbesondere durch zahlreiche Übereinstimmungen mit den Lehrmeinungen Jamblichs . Soweit man sich mit der wenig originell anmutenden Schrift befaßte, stand recht bald fest, daß sie der katechetischen Literatur zuzuordnen sei, der Unterweisung von Anfängern in ein umgrenztes Wissensgebiet . Vergleichbar scheinen isagogische Werke wie Albinos’ Einführung in die platonischen Dialoge, Porphyrios’ Einführung in die Aristotelischen Kategorien oder auch die pseudoaristotelische Schrift Über den Kosmos, also knappe philosophische Lehrbücher einführenden Charakters . Auch aus dem christlichen Bereich kennt man ähnliche Werke , und so hat man Salutius’ Schrift ausdrücklich der isagogischen Literatur an die Seite gestellt . Allein ist damit für ihr Verständnis wenig gewonnen, da bisher nicht näher gefragt wurde, wie Salutius seinen Stoff vermittelt, welche Adressaten er im Blick hat und, falls es sich um eine Einführung handelt, in welches Gebiet er einführen will – in die neuplatonische Philosophie, in den paganen Götterkult? Im folgenden soll eine von der Vermittlungsform ausgehende Analyse klären, worin Salutius den Hauptzweck seines Traktats gesehen haben könnte. Geht man von der Einschätzung aus, daß eine Isagoge Anfänger auf einem elementaren Niveau in ein Wissensgebiet einführen soll, so erwartet man von Salutius’ Schrift einen möglichst luziden Aufbau . Und in der Tat hat der Autor seinen Stoff klar strukturiert, worauf er durch deutliche Einschnitte aufmerksam macht . So ergibt sich eine dreiteilige Gliederung. In einem ersten Abschnitt (–) stellt er voran, welche sittlichen und intellektuellen Eigenschaften der Rezipient des Werkes mitbringen müsse (), setzt einige Axiome über das Wesen der Götter voraus, die er kurz erläutert ( f.), und legt schließlich ausführlich seine Ansichten über Beschaffenheit und Funktion von Mythen dar, wobei er verschiedene Arten von Mythen auseinanderhält und anhand von Bei Im einzelnen findet man diese in der Inhaltsparaphrase von Nock (1926) xl–xcv nachgewiesen (siehe auch die Übersicht ebd. xcvi–ci). Nach Murray (1925) könnte man das Werk »a Creed or Catechism« nennen. Zur isagogischen Literatur Asper (1998), Uwe Neumann: Art. »Isagogische Schriften«, in: HWRh , , –; Herwig Görgemanns: Art. »Isagoge«, in: DNP , , f. und jetzt Asper (2007) –. Zu denken ist hier etwa an Clemens’ Paidagogos oder Eusebs Praeparatio evangelica. Karl Theodor Schäfer: Art. »Eisagoge«, in: RAC , , –. Nock (1926) cxv. Lamberton (1986) sieht die Schrift als »popularizing manual«, das die Grundsätze des paganen Neuplatonismus einem größeren Publikum mitteilen sollte. In den Handschriften ist dem Werk eine Inhaltsübersicht der einzelnen Kapitel vorangestellt. Den ersten Einschnitt markiert Salutius, indem er in . die Götter und die Seelen der Mythenerzähler bittet, ihm gnädig zu sein, und in . eine Disposition des Hauptteils gibt. In . konstatiert er, daß das bisher über Götter, Kosmos und menschliche Angelegenheiten Dargelegte für die weniger philosophischen Köpfe ausreiche.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
spielen demonstriert, wie sie allegorisch zu interpretieren seien ( f.) . Nachdem er kurz sein weiteres Vorgehen skizziert hat, handelt Salutius im Hauptteil der Schrift (–) zunächst in absteigender Folge den Aufbau der Weltordnung – Erste Ursache (), Götter (), Kosmos (), Nus und Psyche () – ab, ehe er sich mit Vorsehung und Schicksal () sowie der moralisch-politischen Verfassung der Welt beschäftigt (–). Der dritte Teil (–) ist verschiedenen Einzelfragen gewidmet, ohne daß sich ein ähnlich folgerichtiger Aufbau abzeichnete. Salutius befaßt sich, nachdem er über die ewigen Dinge gesprochen hat (), besonders ausführlich mit Opfern und Ehrungen für die Götter (–), kehrt noch einmal zur Unvergänglichkeit des Kosmos zurück () und spricht über Gottlosigkeit und Strafe ( f.). Erläuterungen zur Metempsychose und zum Schicksal der Seelen tugendhafter Menschen nach dem Tode beschließen die Schrift, so daß die Belohnung für denjenigen, der nach den aufgestellten Grundsätzen gelebt hat, einen wirkungsvollen Schlußakzent setzt ( f.). Was die Auswahl des Stoffes angeht, handelt Salutius grundlegende Fragen paganer Religion ab, wie sie sich einem Anfänger in dieser Materie stellen müssen. Wir erfahren, daß die Götter gut, unveränderlich und unaffiziert sind, erhalten einen Einblick in die Hierarchie der neuplatonischen Weltordnung, werden mit den verschiedenen Arten von Mythen und ihrer adäquaten Auslegung vertraut gemacht und lernen, welchen Zweck Opfer an die Götter verfolgen. Abgesehen von einem Kapitel zu den verschiedenen Staatsverfassungen, das thematisch ein wenig aus dem Rahmen zu fallen scheint, umfaßt die Schrift ähnliche Themen wie etwa die Überblicksdarstellung Jamblichs in De Mysteriis . Indessen hat sich Salutius hierbei anscheinend nicht rein von den Bedürfnissen von Neulingen leiten lassen, sondern sich an zeitgenössischen kontroversen Diskussionen orientiert. Schon daß er sich bemüßigt fühlt, in einem eigenen Kapitel darauf einzugehen, wie es zu Gottlosigkeiten kommt, daß sie die Götter keineswegs beeinträchtigten, vielmehr als Strafe für die Verachtung der göttlichen Mächte in einem früheren Leben aufzufassen seien (), legt die Vermutung nahe, Salutius setze sich auch mit dem Christentum auseinander. Bestätigt wird dieser Eindruck, wenn man sich ansieht, wie er pagane Mythen und Opfer darstellt oder sich bemüht, die neuplatonische Gottesvorstellung von populären oder poetischen Gottesbildern abzugrenzen. Sein Anliegen ist es nämlich, diese Grundpfeiler paganen Götterglaubens gegen Kritik in Schutz zu nehmen, wie man sie bei christlichen Autoren findet. Daß er gerade Kronos, das Salutius’ Mythenverständnis hat stärkere Aufmerksamkeit gefunden: Murray (1925) f.; Lamberton (1986) –; Clarke (1998) –; Di Giuseppe (2000) –; Thome (2004) –. Auch Jamblich geht auf das Wesen der Götter, Opfer und ihre Wirkungsweise, Grundprinzipien des Weltalls, die Sympathie aller Teile des Weltganzen, die Entstehung des Schlechten und die Erlangung der Glückseligkeit ein. Vermutlich bestanden auch deutliche thematische Übereinstimmungen mit Jamblichs nicht erhaltenem Traktat Περὶ θεῶν.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Parisurteil und Attis als Beispiele anführt, um zu zeigen, wie man Mythen durch Allegorese deuten muß, dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß Christen Kritik und Spott gerade gegen diese Mythen richteten . Ebenso versucht Salutius deshalb generell die Anstößigkeit von Mythen zu beseitigen und die scheinbare Widersinnigkeit, Göttern, die sich nicht beeinflussen lassen, Opfer darzubringen, zu erklären, weil das Heidentum den Christen hier geeignete Angriffspunkte bot . Salutius wollte also vermutlich seinen Adressaten auch Argumentationshilfen für die Auseinandersetzung mit Kritikern bieten und gleichzeitig, sofern Leser tatsächlich Neulinge waren, heikle Punkte ausräumen, die einer Hinwendung zum paganen Götterkult hätten im Wege stehen können. Wie vermittelt Salutius nun seinen Stoff im einzelnen? Bei der Behandlung der verschiedenen Themen fällt jeweils ein schablonenhafter Aufbau auf, insofern am Anfang der Kapitel eine These aufgestellt wird, die anschließend näher erläutert oder begründet wird. So vertritt Salutius beispielsweise in Kapitel zunächst die These, daß der Kosmos unvergänglich (ἄφθαρτος) und ungeworden (ἀγένητος) sei, ehe er diese beiden Eigenschaften eingehender argumentativ begründet. Des öfteren läßt sich auch beobachten, daß er, nachdem er seine These aufgestellt hat, eine Einteilung des jeweiligen Gegenstandes vornimmt, die einzelnen Teile definiert und dann nacheinander erörtert. Besonders deutlich kann man dieses Darstellungsschema bei der Behandlung des Mythos und der Götter greifen. In einem ersten Schritt untergliedert Salutius die Mythen dihäretisch in theologische, physische, psychische, materielle und gemischte. Dann werden der Reihe nach diese einzelnen Arten definiert und im einzelnen erläutert . In ähnlicher Weise werden die Götter in zwei Gattungen unterteilt, die innerkosmischen und die überkosmischen. Dann werden die innerkosmischen definiert und die überkosmischen noch einmal dihäretisch in mehrere Zu Kronos siehe Arist. apol. ; Athenag. leg. , p. . Auch Julian erwähnt den Kronosmythos unter den unglaublichen Geschichten über die Götter (Gal. fr. . a), was sich Kyrill von Alexandria in seiner Entgegnung nicht entgehen läßt. Zum Parisurteil siehe Arist. apol. . Insbesondere Mythos und Kult von Kybele und Attis wurden von christlichen Autoren scharf angegriffen bzw. verhöhnt: Clem. prot. . ; Min. Fel. . , . ; Arnob. nat. . ; Lact. inst. . . und epit. . ; Firm. err. . , . f., . f.; Hier. in Os. . . ; Gr. Naz. or. . . Weitere Stellen bei Hugo Hepding: Attis, seine Mythen und sein Kult. (Religionsgesch. Vorarbeiten und Versuche ) Gießen ; Gabriel Michel Sanders: Art. »Gallos«, in: RAC , , –, hier –. Zur christlichen Mythenkritik Fiedrowicz (2001) –. Ferner ist hier zu nennen, daß Salutius mit Nachdruck betont, daß die innerkosmischen Götter über bestimmte Sphären geböten (Kap. ). Hier wendet er sich offensichtlich implizit gegen die Identifizierung der Götter mit den Planeten und Elementen. In ähnlicher Weise sind Eusebs Praeparatio evangelica und Demonstratio evangelica als Argumentationshilfe für Christen im Gespräch mit Heiden und Juden konzipiert, wobei die Debatte mit den Heiden ( p. e.) eher für Anfänger gedacht ist. Kapitel , § Einteilung und Definition der theologischen Mythen, § physische und psychische, § materielle, § f. gemischte.
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Arten gegliedert. Nach dieser Untergliederung definiert Salutius den Tätigkeitsbereich der einzelnen Arten, ehe er die einzelnen Götter des Pantheon auf sie verteilt . In Grundzügen folgt also Salutius mehrfach den drei Elementen Einteilung, Definition und ausführliche Charakterisierung, die Manfred Fuhrmann als Darstellungsschema des systematischen Lehrbuchs herausgearbeitet hat . Charakteristisch für Salutius’ Vorgehen ist ferner das syllogistische Ausschlußverfahren. Wenn er in dem eben erwähnten Abschnitt zum Wesen des Kosmos begründet, weshalb dieser unvergänglich sei, stellt er vier Möglichkeiten vor, wie der Kosmos vergehen könnte: Αὐτὸν δὲ τὸν κόσμον ἄφθαρτόν τε καὶ ἀγένητον εἶναι ἀνάγκη· ἄφθαρτον μέν, ὅτι ἀνάγκη, τούτου φθαρέντος, ἢ κρείττονα ἢ χείρονα ποιῆσαι ἢ τὸν αὐτὸν ἢ ἀκοσμίαν. ἀλλ’ εἰ μὲν χείρονα, κακὸς ὁ ἐκ κρείττονος χεῖρον ποιῶν· εἰ δὲ κρείττονα, ἀδύνατος ὁ μὴ τὴν ἀρχὴν τὸ κρεῖττον ποιήσας· εἰ δὲ τὸν αὐτόν, μάτην ποιήσει· εἰ δὲ ἀκοσμίαν, ἀλλ’ οὐδὲ ἀκούειν τοῦτό γε θέμις. (Sal. . ) Der Kosmos selbst ist notwendigerweise unvergänglich und ungeworden. Unvergänglich ist er deshalb, weil es, wenn er verginge, ihn notwendigerweise entweder besser oder schlechter machte oder zu demselben oder ein Chaos. Falls schlechter, so ist der, welcher ihn aus einem besseren zu einem schlechteren macht, schlecht; falls besser, so ist der, welcher nicht von Anfang an das Bessere geschaffen hat, unfähig; falls zu demselben, so wird er es umsonst machen; falls ein Chaos – aber dies darf man nicht einmal hören.
In identischer Syntax – einer elliptisch formulierten kondizionalen Periode – wird jede Alternative abgehandelt, wobei jeweils eine Prämisse – daß nämlich der Schöpfer des Kosmos nicht schlecht, nicht unfähig sei und nicht vergeblich handele – nicht ausgesprochen wird. Nacheinander wird im apagogischen Beweis jede der Möglichkeiten ausgeschlossen bzw. verworfen, so daß nur die Schlußfolgerung bleibt, daß der Kosmos nicht vergeht – quod erat demonstrandum. Salutius bedient sich dieses Argumentationsverfahrens immer wieder, was durch die stereotype Syntax ins Auge fällt . Denn immer wieder werden verschiedene Möglichkeiten in parallel gebauten Kondizionalsätzen erwogen und wieder verworfen . Diese Methode erweckt den Eindruck, als würde der Autor alle möglichen Aspekte eines Sachverhaltes berücksichtigen; die Vollständigkeit der Argumentation soll ihre Überzeugungskraft unterstützen. Zudem wird auf diese Weise, obwohl die These jeweils von Anfang an feststeht, ihre Begrün-
Kapitel , § dihäretische Einteilung, Definition der innerkosmischen Götter, weitere Einteilung der überkosmischen, § Beschreibung der Tätigkeitsbereiche der innerkosmischen Götter, § Zuordnung der einzelnen Götter zu diesen Bereichen. Fuhrmann (1960) – u. ö. Sal. . –, . –, (jedes neue Argument wird hier mit ἔτι eingeleitet), . –. Ferner etwa . . Zur Verwendung dihäretischer Strukturen und schematischer Syntax in isagogischen Schriften siehe Asper (1998) –.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
dung schrittweise entwickelt . Der Rezipient kann den Gedankenfortschritt verfolgen und wird zum Ergebnis, der Bestätigung der These, hingeführt. Den Leser der Schrift zu führen ist auch die Aufgabe anderer für Lehrbücher charakteristischer Verfahrensweisen. Des öfteren versucht Salutius, von einem Thema zum nächsten möglichst bruchlos überzuleiten und die einzelnen Teile seines Werkes miteinander zu verknüpfen, damit die Einheit des ganzen Lehrgebäudes sichtbar wird . Demselben Zweck dienen Querverweise und einzelne Wiederholungen. So geht der Autor beispielsweise nicht allein in Kapitel auf die Unvergänglichkeit des Kosmos ein, sondern expliziert später genauer, weshalb dieser nicht vergehen könne (). Um seinen Rezipienten den Stoff zu veranschaulichen, greift Salutius mitunter zu Analogien, insbesondere zu der von Sonne und Licht . Auf diesem Wege lassen sich auch abstrakte Prinzipien wie etwa der Nus erklären, die sich einer konkreten Beschreibung entziehen. Als er am Ende des achten Kapitels das Verhältnis von Seele und Körper erörtert, bedient sich Salutius eines aus dem Alltagsleben genommenen Vergleiches (. ): Wie der Maschinenbauer sich nicht innerhalb seiner Konstruktionen befinde und diese sich bewegten, obwohl niemand sie in Gang setze, so gebrauche die Seele den Körper, ohne in ihm zu sein. Wenn sie oftmals vom Körper vom Weg abgelenkt werde, so sei dies kein Grund zum Staunen, da auch schadhafte Werkzeuge die erfolgreiche Ausübung der τέχναι verhinderten. Trotz der bisweilen apodiktischen Grundhaltung der Schrift bemüht sich Salutius, die Rezipienten stärker in den Gedankengang einzubeziehen. Hier sind vor allem Fragen und dialogartige Strukturen als didaktische Methoden zu nennen. Den der göttlichen Vorsehung gewidmeten Abschnitt leitet Salutius mit Suggestivfragen ein, so daß der Leser an einem imaginären Gespräch beteiligt wird . Wenn er sich den Opfern und anderen Ehrungen der Götter zuwendet, versetzt er sich zunächst in einen Leser hinein, der die Annahme, die Götter seien unveränderlich, für vernünftig und wahr hält, sich dann aber fragt, wie sie Affekten – Freude, Abneigung, Zorn – unterworfen sein und sich durch Verehrung beeinflussen lassen können (. ). Salutius imaginiert hier geradezu eine Diskussion mit einem Zweifler, antizipiert mögliche Gegenpositionen, um sie dann zu entkräften . Gerade der Hinweis, daß man auf solche Einwände
Vgl. die Abfolge von πρῶτον, ἔπειτα und ἔτι in . . Sal. . , . , . , . , . . Sal. . , . , . . Sal. . , . , . , . , . , . . Daß gerade Sonne und Licht angeführt werden, dürfte mit der Bedeutung des Lichtes im Neuplatonismus zusammenhängen. Bergemann (2006). Sal. . . Ähnliche Fragen auch . , . , . , . , . , . , . . In . bezieht Salutius seine Rezipienten außerdem durch Verwendung der . Ps. Pl. ein. Ähnliche Funktion hat die Wendung θαυμάζειν οὐ δεῖ, mit der Salutius mögliche Verwunderung antizipiert (. , . , . ; ähnlich . ).
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verschiedenes antworten müsse ( ῥητέον), zeigt dem Rezipienten, wie er selbst in ähnlichen Situationen vorgehen kann . Die bisher genannten didaktischen Mittel setzen eine weitgehend rezeptive Lektüre der Schrift voraus. An einigen Stellen jedoch werden die Leser zu eigenen Überlegungen angeregt, indem der unvollständig präsentierte Gedankengang sie zu einer Fortführung auffordert. Leicht fällt die Ergänzung sicherlich, wenn Salutius darauf verzichtet, bei der allegorischen Erklärung des Attismythos explizit zu konstatieren, welcher Mythenkategorie dieser angehört (. –). Hier wird es dem Rezipienten überlassen, auf Grund der allegorischen Deutung die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der Mythos dem gemischten Typus zuzuordnen ist. Schwieriger zu verstehen ist hingegen eine Suggestivfrage, mit der Salutius eine Erörterung zur Heimarmene abschließt (. ). Zuerst weist er die Ansicht zurück, Unrecht und Übermut kämen von der Heimarmene, weil dies bedeute, die Menschen als gut, die Götter aber als schlecht zu begreifen. Dann trägt er die Alternative vor, daß zwar für den Kosmos als ganzen und das, was sich naturgemäß verhalte, alles zum Guten geschehe, schlechte Erziehung und die Schwäche der Natur aber die Güter der Heimarmene zum Schlechten änderten. Ebenso sei die Sonne für alle gut, nur für Menschen mit Augenkrankheiten und Fieber schädlich. Daran knüpft Salutius die Frage, weshalb denn die Massageten ihre Väter äßen, die Hebräer sich beschnitten und die Perser ihren Adel bewahrten . Statt seinen Lesern den gemeinten Sinn zu erklären, hält er sie mit der Frage dazu an, von diesen als absonderlich aufgefaßten Bräuchen einen Bezug zum Verhältnis von Heimarmene und Übeln herzustellen. Die Rezipienten sollen anhand dieser Beispiele erkennen, daß auch solche Bräuche dadurch zustandekommen, daß schlechte Gewöhnung und Schwäche die prinzipiell guten Gaben der Vorsehung pervertieren . Auf die aus anderen Lehrbüchern bekannten Darstellungsformen zurückgreifend, unterstreicht Salutius den wissenschaftlichen Anspruch, den er mit Sal. . . Vgl. auch . . Fraglich ist, ob das hier überlieferte εὐγένειαν gehalten werden kann. Rochefort (1960) (mit f. Anm. ) emendiert es zu εὐτεκνίαν. Seiner Ansicht nach könnte der übertriebene Kinderreichtum als absonderliche Sitte angesehen worden sein. Andere dagegen bewahren den überlieferten Text oder ergänzen ihn durch Konjektur; vgl. Di Giuseppe (2000) . Dann müßte man Salutius hier so verstehen, daß er auf angebliche inzestuöse Praktiken der Perser zur Reinerhaltung des Adels Bezug nehme. Vgl. dazu auch Iul. Gal. fr. . a/b. Die von Salutius angeführten Beispiele waren wohl allgemein bekannt. Nock (1926) lxxii. Aktives Mitdenken der Rezipienten ist ferner in Kap. gefordert, wo Salutius lediglich knapp die drei guten und die drei schlechten Herrschaftsformen vorstellt, ohne diese Erörterungen enger mit dem Kontext zu verknüpfen. Allein der Hinweis darauf, daß im Königtum alles gemäß dem λόγος ausgeführt werde, deutet wohl an, daß die beste Herrschaft untrennbar mit dem paganen, ebenfalls vernunftgemäßen Götterkult zusammenhängt. Diese Schlußfolgerung überläßt Salutius jedoch seinen Lesern.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
seinen Erörterungen über die Götter und den Kosmos erhebt . Für den mit ähnlichen Einführungen in Rhetorik, Medizin oder Philosophie vertrauten antiken Leser war klar erkennbar, daß er es hier mit einem Handbuch zu tun hatte, das in möglichst übersichtlicher Form die Grundlagen eines Wissensgebietes vermitteln wollte. Wie die Präsentation der einzelnen Themen zu verstehen gibt, ist für Salutius die neuplatonische Theologie ein Gegenstand, der sich – zumindest bis zu einem gewissen Grade – rational darstellen und argumentativ begründen läßt. Indem er dihäretisch vorgeht und eine Alternative nach der anderen abhandelt, erweckt er den Eindruck, als habe er den Gegenstand vollständig bis in kleine Einzelheiten durchdrungen , so daß der Leser die Überzeugung gewinnt, nach der Lektüre das Wissensgebiet vollständig zu beherrschen, wenngleich auf einem elementaren Niveau . Wer ein umfangreiches Wissensgebiet auch dem Anfänger wenigstens in Grundzügen erschließen will, muß den Stoff notwendigerweise reduzieren und an einer bestimmten Fragestellung orientieren. Was der Leitgedanke seines Handbuches ist, deutet Salutius bereits im einleitenden ersten Teil an. Wie es in isagogischen Schriften durchaus üblich ist, definiert er zunächst, über welche Eigenschaften die Adressaten der Lehre verfügen müssen (. ). Die Charakterisierung der Rezipienten als Hörer (. , . ) erweckt den Anschein eines Lehrgespräches zwischen einer Autoritätsperson und ihren Schülern . Salutius betont gleich eingangs, weshalb die Adressaten sich durch sittliche und intellektuelle Fähigkeiten auszeichnen müssen: Sie sollen ähnlich beschaffen sein wie die Unterweisungen, die λόγοι (. ). Der Autor reflektiert, sozusagen zur Grundlegung seiner Lehrschrift, über die Bedingungen gelingender Kommunikation. Auch im folgenden bleibt die Kommunikation das Leitthema der Schrift, sei es, daß Salutius erörtert, welche Informationen die Menschen aus den Mythen gewinnen können (Kap. ), sei es, daß erklärt wird, welche Funktionen Opfern und Ehrungen in der Beziehung zwischen Menschen und Göttern zukommen (Kap. –) . Vor diesem Hintergrund erschließt sich nun, weswegen Salutius in der Einleitung gerade auf die Adressaten, die Götter und den Mythos eingeht, obwohl er doch eigentlich über die Götter erst im Haupt Dazu trägt auch bei, daß Salutius mehrfach auf die Wörter ζητεῖν und ζήτησις zurückgreift, um seine Tätigkeit zu charakterisieren. Sal. . , . , . , . . Diesen Eindruck verstärken auch katalogartige Aufzählungen: Sal. . , . , . , . , . , . . Daß er keine Vollständigkeit im umfassenden Sinne anstrebt, also nicht die gesamte Theologie darstellen will, zeigen Salutius’ Verweise auf weiterführende Erklärungen und Schriften. Siehe . , . , . ; ähnlich auch die ›Abbruchsformel‹ καὶ περὶ μὲν τούτων ἱκανά in . . Vollständigkeit ist hier also in dem Sinne gemeint, daß bei einer These jeweils alle Aspekte berücksichtigt werden. Salutius ist gleichwohl weit entfernt von dialogartig strukturierten, katechetischen Einführungsschriften. Dazu Asper (1998) –. Auch Clarke (1998) betont den Aspekt der Kommunikation. Athanassiadi (1992a) f. hingegen meint, daß die παιδεία das Hauptthema der Schrift sei.
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teil des Werkes spricht. Da er die Kommunikation zum Leitgedanken erheben will, muß er vorweg erst einmal ihre Faktoren definieren und kurz vorstellen. Mit dem Menschen, den Göttern und den λόγοι und Mythen führt Salutius den Empfänger, den Sender und das Medium seines dreigliedrigen Kommunikationsmodells ein. Während sich die Instanzen von Empfänger und Sender relativ leicht definieren und näher bestimmen lassen (zumal ihre wechselseitige Beziehung im folgenden immer wieder zur Sprache kommt), bedarf der Mythos als Medium einer etwas ausführlicheren Darstellung, da hier außerdem der Code und die Botschaft vorgestellt werden müssen. Salutius unterscheidet zwischen den zwei Kommunikationsmedien λόγος und Mythos. Der λόγος auf der einen Seite ist das adäquate Medium für eine rein unter Menschen verlaufende Kommunikation über die Götter . Der Mythos auf der anderen Seite ist hingegen ein göttliches Medium, durch das die Götter direkt oder vermittelt durch göttlich inspirierte Dichter, Philosophen und Mysterienpriester mit den Menschen kommunizieren. Wie Salutius andeutet, ist der Mythos das privilegierte Medium für die Kommunikation zwischen Göttern und Menschen (. ), da er nicht nur den Göttern ähnlich ist, sondern auch erlaubt, Dinge zu vermitteln, die sich mit dem λόγος nicht sagen lassen. Es zeichnet nämlich den Mythos aus, implizit und andeutend, letztlich allegorisch zu erzählen, so daß es die Aufgabe des Rezipienten ist, hinter der Textoberfläche den allegorischen Sinn aufzuspüren (Kap. ). Der Mensch bedarf demnach eines hermeneutischen Verfahrens, damit ihn die göttlichen Botschaften erreichen können. Mit seiner Klassifizierung der verschiedenen Mythentypen und der Erläuterung der Allegorese anhand einiger Beispiele will Salutius die Leser in die Lage versetzen, selbständig Mythen adäquat zu interpretieren. Dem Beispiel des Parisurteils läßt sich entnehmen, wie schematisch diese Allegorese durchgeführt werden soll. Der Rezipient ist aufgefordert, jedes Element der mythischen Erzählung in einen Teilaspekt des allegorischen Sinnes zu übersetzen: Das Symposion steht für die überkosmischen Mächte der Götter, der goldene Apfel für den Kosmos, dem die Götter verschiedene Wohltaten zukommen lassen, Paris repräsentiert die der Sinneswahrnehmung gemäß lebende Seele, die im Kosmos allein die Schönheit wahrnimmt, weshalb der Apfel Aphrodite zuerkannt wird. Ebenso geht Salutius in Anlehnung an Julians Hymnos bei dem Mythos von Attis vor. Die Botschaft, die in diesem Kommunikationsprozeß übermittelt wird, besteht in der Wahrheit über die Götter und den Kosmos. Dem Menschen werden Einblicke in das Wesen der Götter gewährt, die sich nur in allegorischer Einkleidung sagen lassen. Ziel des Kommunikationsprozesses ist, daß der Mensch, da er die Götter erkannt hat, ein gottesfürchtiges und tugendhaftes Leben führt, damit seine Seele Aussicht hat, dereinst nach dem Tode zu den Göttern emporzusteigen und in ihre Gemein-
Sal. . , . , . .
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
schaft aufgenommen zu werden . Gelingen kann diese Glückseligkeit, die mit der jeweiligen Vollendung identisch ist, allein durch den Kontakt mit der eigenen Ursache, und das heißt im Falle des Menschen: mit den Göttern . Salutius rekurriert hier mit dem Terminus συναφή auf insbesondere bei Jamblich zu findende neuplatonische Vorstellungen , um deutlich zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung nur durch Kontakt, also Kommunikation mit dem Göttlichen erreichen kann . In ähnlicher Weise wie der allegorische Mythos funktioniert die Kommunikation bei Opfern und anderen kultischen Handlungen. Ebenso wie die Allegorie verfährt der Kult symbolisch, insofern die einzelnen Elemente des Kultes Bestandteile des Kosmos repräsentieren . Die Tempel stellen den Himmel dar, die Altäre die Erde, Statuen das Leben, Gebete das Intellektuelle (νοερόν), magische Symbole die unsagbaren oben befindlichen Mächte, Pflanzen und Steine hingegen die Materie . Die Teilnehmer des Kultes sollen Salutius zufolge die einzelnen Bestandteile von Ritualen und Kultstätten gleichsam als Text lesen, indem sie ihren mimetischen, symbolhaften Gehalt entschlüsseln. Nur wenn sie die tiefere Sinnebene erfaßt haben, kann der Kontakt zum Göttlichen gelingen. Ziel des Opfers ist es nämlich, dieses Band zwischen Mensch und Gott zu knüpfen, während der Gott selbst der menschlichen Gabe nicht bedarf. Ergänzend tritt neben diesen symbolhaften, allegorischen Code der rational-argumentative des λόγος, wie ihn Salutius’ Schrift selbst repräsentiert. Vgl. Sal. . f. (Wahrheit über die Götter), . (tugendhaftes Leben ermöglicht Kontakt mit den Göttern), (Gemeinschaft der tugendhaften Seelen mit den Göttern). Sal. . : ἔτι παντὸς πράγματος εὐδαιμονία ἡ οἰκεία τελειότης ἐστίν, οἰκεία
δὲ τελειότης ἑκάστῳ ἡ πρὸς τὴν ἑαυτοῦ αἰτίαν συναφή· καὶ διὰ τοῦτο ἡμεῖς εὐχόμεθα συναφθῆναι θεοῖς (»Ferner besteht die Glückseligkeit einer jeden Sache in
ihrer spezifischen Vollendung, die spezifische Vollendung ist aber für jedes die Vereinigung mit der eigenen Ursache; und deshalb beten wir darum, uns mit den Göttern zu vereinigen.«). Συναφή und das zugehörige Verb συνάπτειν außer in . auch in . , . , . , . , . f., . . Iamb. Protr. , p. . ; Myst. . , . , . , . , . , . , . , . . Jamblich gebraucht dafür auch ἕνωσις (Myst. . , . ). Siehe Nock (1926) xcviii. Im Umkehrschluß bezeugen dies auch die Gottlosen, die der Erkenntnis der Götter beraubt sind, also keinen Kontakt zu den Göttern haben (Kap. ). Siehe auch Murray (1925) . Zur Rolle von Pflanzen und Steinen in der Theurgie siehe Iamb. Myst. . , . . Darin zeigt sich, daß die Materie für Jamblich nichts Schlechtes, sondern mit dem Göttlichen verbunden ist. Zintzen (1983) –; Nasemann (1991) –, zu den materiellen Mitteln der Theurgie f. Sal. . . Salutius folgt damit Jamblich, der ebenfalls in den Einrichtungen von Götterkult und Magie Symbole gesehen hatte. Iamb. Myst. . . Nasemann (1991) f. Zur Funktion des Symbols bei Jamblich siehe auch Peter Crome: Symbol und Unzulänglichkeit der Sprache. Jamblichos, Plotin, Porphyrios, Proklos. (Humanistische Bibliothek, Abh. ) München , –.
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Denn damit die Kommunikation zwischen Menschen und Göttern gelingt, bedarf es einer Einführung in ihre Grundlagen. Mit dem Unterschied dieser zwei Codes hängt das Paradox der Schrift Über die Götter und den Kosmos zusammen. Des öfteren macht Salutius darauf aufmerksam, daß sich bestimmte Aspekte seiner neuplatonischen Theologie gerade nicht aussprechen lassen, sich also der Vermittlung durch den λόγος entziehen. Ein ums andere Mal stößt die wissenschaftliche Lehre an ihre Grenzen und kann nur darauf verweisen, daß sich hinter dem Gesagten der Bereich der unsagbaren Wahrheit auftut . Der λόγος ist mithin nur die Vorstufe zum Mythos und zu den kultischen sowie theurgischen Handlungen, die erst die Erkenntnis der Götter ermöglichen. Es existiert demnach eine Kommunikationshierarchie, die sich nach dem Kriterium der Sagbarkeit in Stufen gliedert. Während die untere Stufe der Kommunikation unter den Menschen über das Göttliche dient und als eine Art Metakommunikation das Fundament für die Kommunikation der höheren Ebene legt, errichtet die zweite Stufe darauf den Kontakt zwischen den Göttern und den Menschen, damit letztere der tieferen Wahrheiten teilhaftig werden. Auf diesen beiden Ebenen wiederum läßt sich eine Hierarchie der Rezipienten feststellen. Im Bereich des λόγος differenziert Salutius zwischen denjenigen, die – wohl auf Grund ihrer intellektuellen Fähigkeiten – nicht durch Philosophie geführt werden können, aber durchaus in ihren Seelen zur Besserung fähig sind, und einer zweiten Gruppe, die imstande ist, auch komplexere Sachverhalte zu durchdringen (. ). Ebendieser Hierarchie folgt die Schrift selbst, insofern sie zunächst die wichtigsten Aspekte des Kosmos erklärt (–) und anschließend schwierigere Einzelfragen erörtert (–). Der zweiten Gruppe gelten Salutius’ Hinweise auf die Möglichkeit, die Studien noch zu vertiefen . Im Bereich des Mythos wird eine analoge Unterscheidung getroffen, indem der Mythos zwar allen die Existenz der Götter mitteilt, aber nur denen, die zur Erkenntnis in der Lage sind, zu erkennen gibt, welche diese Götter sind und wie beschaffen sie sind (. ). Nachdem die Hauptinstanzen der Kommunikation zwischen Göttern und Menschen bestimmt sind, erhebt sich die Frage, wie diese Kommunikation die ungeheure ontologische Distanz zwischen der intelligiblen Welt der Götter und der materiellen Welt zu überbrücken vermag. Der Kontakt zum Göttlichen ist nur dann möglich, wenn es mittlere Instanzen zwischen ihm und den Menschen gibt, und zwar sind, je größer die Kluft ist, desto mehr mittlere Potenzen erforderlich . Der Schöpfergott hat daher eine hierarchische Ordnung von Göttern, Besonders deutlich fällt dies in Kap. in die Augen, wo Salutius nur sagt, was die Erste Ursache nicht ist, statt sie positiv zu bestimmen. Sie ist eben, wie er schließlich bekundet, eine ἄρρητος δύναμις (. ). Siehe ferner . f. und . . In . bezeichnet Salutius die Angehörigen dieser Gruppe auch als diejenigen, die nach stärkeren Beweisen verlangten. Sal. . : καὶ ὅσῳ τῆς ἡμετέρας φύσεως ὁ πρῶτος διαφέρει θεός, τοσούτῳ
πλείους εἶναι τὰς μεταξὺ ἡμῶν τε κἀκείνου δυνάμεις ἀνάγκη· πάντα γὰρ
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Engeln und Dämonen geschaffen, durch die der Mensch mit den göttlichen Mächten kommunizieren kann. Demselben Zweck dienen die den Göttern dargebrachten Opfer, welche die συναφή herstellen (. ). Damit die Kommunikation gelingen kann, bedarf es zusätzlich zu diesen Mittlerinstanzen, wie oben bereits angedeutet, eines gemeinsamen Codes, eines Prinzips, das es dem Empfänger erlaubt, die Botschaften so zu entschlüsseln, wie sie der Sender intendiert hat. Dieses fundamentale Prinzip besteht, wie Salutius im Zusammenhang mit seiner Mythentheorie erläutert, in der ὁμοιότης, der Ähnlichkeit zwischen den einzelnen Kommunikationsinstanzen . Wie diese Ähnlichkeit als verbindendes Element gedacht ist, beleuchtet Salutius’ Theorie des Opfers. Wenn der Mensch danach trachtet, durch eine Gabe mit den göttlichen Mächten in Kontakt zu treten, so muß er ein Opfer wählen, das über eine Eigenschaft verfügt, die es sowohl mit Menschen als auch mit Göttern teilt. Da einerseits die Götter die erste Stufe des Lebens repräsentieren, andererseits sich der Mensch ebenfalls durch Leben auszeichnet, muß auch die Opfergabe lebendig sein. Daher bringen die Menschen lebende Tiere dar (. ). Das Prinzip der Ähnlichkeit oder Repräsentation gilt ebenso für andere Formen der Kommunikation . So kann denn auch der Mythos deshalb etwas über das Wesen der Götter mitteilen, weil er selbst göttlich beschaffen ist und außerdem die Götter und deren Wirkkräfte darstellt gemäß den Kategorien von Sagbarkeit und Unsagbarkeit, Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit (. ).
πλεῖστον ἀλλήλων κεχωρισμένα πολλὰ ἔχει τὰ μέσα (»Je mehr sich der erste Gott von unserer Natur unterscheidet, desto zahlreicher müssen die Mächte zwischen uns und jenem sein; denn alles, was sehr weit voneinander entfernt ist, hat zahlreiche Mittler.«). Ebenso . : οὐδὲν γὰρ τῶν πλεῖστον διεστώτων ἀμέσως συνάπτεται (»Nichts von dem, was am weitesten voneinander entfernt ist, tritt ohne Mittler in Kontakt.«). Siehe auch . . Das Konzept des Mittlers geht letztlich auf Platon zurück (Pl. Ti. b/c). Das von Rochefort (1960) in den Text gesetzte ἀγγέλους ist eine Konjektur für das in diesem Kontext unsinnige ἀνθρώπους. Vgl. Di Giuseppe (2000) . Zu Dämonen und Engeln als Mittlern zwischen Göttern und Menschen Iamb. Myst. . . Vgl. Zintzen (1983) . Sal. . : ἐπεὶ τοίνυν πάντα τὰ ὄντα ὁμοιότητι μὲν χαίρει, ἀνομοιότητα δὲ ἀποστρέφεται, ἐχρῆν καὶ τοὺς περὶ θεῶν λόγους ὁμοίους εἶναι ἐκείνοις, ἵνα τῆς τε οὐσίας αὐτῶν ἄξιοι γίνωνται καὶ τοῖς λέγουσι τοὺς θεοὺς ποιῶσιν εὐμενεῖς· ὅπερ διὰ τῶν μύθων μόνως ἂν γένοιτο (»Da sich nun aber alles Seiende an der Ähnlichkeit erfreut, sich aber von der Unähnlichkeit abwendet, mußten auch die Reden über die Götter jenen ähnlich sein, damit sie ihres Seins würdig sind und die Götter denen, die sie vortragen, wohlwollend stimmen. Das aber dürfte allein durch die Mythen geschehen.«). Das Prinzip der Ähnlichkeit findet sich bereits in der vorsokratischen Philosophie und ebenso im Bereich der magischen Praxis. Siehe Carl Werner Müller: Gleiches zu Gleichem. Ein Prinzip frühgriechischen Denkens. (Klassisch-Philologische Studien ) Wiesbaden . Der Grundsatz ist dann auch bei Jamblich für Opfer und Theurgie grundlegend. Nasemann (1991) –; Shaw (1995) –.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Sogar der ganze Kosmos wird von diesem mimetischen Prinzip durchzogen , da der Mythos sich zum Kosmos ähnlich verhält und auch wir Menschen die Ordnung des Kosmos repräsentieren, wenn wir kultische Feste feiern (. ). Jedes Element eines solchen Rituals findet im Kosmos eine Entsprechung, wie Salutius anhand des Attisfestes darlegt . In allen Einzelheiten verweist der religiöse Kult symbolhaft auf den ganzen Kosmos (. ). In letzter Konsequenz kann sogar der Kosmos als Mythos gelesen werden, insofern sich in ihm Körper und Objekte zeigen, Seelen und Geist jedoch verborgen sind. Salutius entwirft also in seinem Traktat eine Weltordnung, in der alle Elemente wechselseitig aufeinander bezogen zu sein scheinen, in der alles gemäß den Prinzipien von Ähnlichkeit und Mimesis auf etwas anderes verweist. So wird der Kosmos gleichsam zu einem allegorisch zu lesenden Text, den es zu entschlüsseln gilt, wenn man der Verknüpfungen zwischen den Stufen der Seinshierarchie gewahr werden will. Offenbar rekurriert Salutius hiermit auf die neuplatonische Vorstellung einer universalen Sympathie, durch die die Welt zusammengehalten wird . Nur sie ermöglicht es dem Menschen, Kontakt zu den Göttern aufzubauen und ihn, indem er sich diesen ähnlich macht, zu seiner eigenen Glückseligkeit zu bewahren. In dieses allumfassende Kommunikationssystem ist nun auch Salutius’ eigene Schrift einzuordnen. Wie schon erwähnt wurde, liefert sie dem Menschen den semiotischen bzw. hermeneutischen Schlüssel, damit er den semantisierten Kosmos verstehen kann. Indessen ist sie weit davon entfernt, nur als Dies zeigt sich auch in der sich überallhin erstreckenden Vorsehung der Götter, die zur Aufnahme (ὑποδοχή) einer Eignung (ἐπιτηδειότης) bedarf, die wiederum auf μίμησις und ὁμοιότης basiert. Auf die Eignung zur Aufnahme des Göttlichen geht Jamblich in De Mysteriis ein (z. B. . ). Nasemann (1991) –; Shaw (1995) –. Auch die vier Mythenkategorien spiegeln die Hierarchie der Weltordnung wider. Die theologischen Mythen offenbaren das Wesen der Götter selbst, die physischen stellen die Wirkkräfte der Götter im Kosmos dar, die psychischen die Kräfte der menschlichen Seele und die unterste Kategorie die Materie (Sal. . –). Etwas anders Lamberton (1986) –. Auch Julian deutet die Riten dieses Festes (Hilaria) in or. . c–d. Siehe ferner Sal. . , wo es heißt, daß von den im Kosmos befindlichen Körpern die einen (Fixsternsphäre und Planeten) in ihrer Bewegung den Nus, die anderen (die vier Elemente) die Seele nachahmen. Iamb. Myst. . und . . Die Konzeption einer den ganzen Kosmos durchwaltenden Sympathie geht über Plotin (Enn. IV [] ) auf die Stoa zurück (vgl. Posidon. fr. E.-K.). Auf Grund dieser Sympathie können weit voneinander entfernte Teile des Weltalls aufeinander einwirken. Solche Sympathieerscheinungen basieren auf der organischen Einheit des Kosmos, dessen Teile gleich denen eines Lebewesens miteinander verbunden sind. Die Einwirkungen erfolgen nach den Prinzipien der Ähnlichkeit, Gegensätzlichkeit oder spezifischen Tauglichkeit. Zintzen (1983) f.; Nasemann (1991) –; Van Liefferinge (1999) –. Zur Sympathievorstellung bei Poseidonios Karl Reinhardt: Kosmos und Sympathie. Neue Untersuchungen über Poseidonios. München .
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Theorie bzw. gewissermaßen Metakommunikation die Grundlagen für den Kontakt zwischen Menschen und Göttern zu legen. Vielmehr muß sie selbst als Teil des ganzen Kommunikationssystems begriffen werden. Als λόγος repräsentiert sie die erste Stufe in der oben beschriebenen Kommunikationshierarchie und ist folglich unerläßlich für eine gelingende συναφή mit den Göttern. Dies setzt jedoch voraus, daß auch Salutius’ Traktat dem alles durchziehenden Prinzip der Ähnlichkeit folgt. In diesem Zusammenhang kommt nun die oben beschriebene Rationalität und Wissenschaftlichkeit der Stoffvermittlung zum Tragen. Mehrfach nämlich betont Salutius, daß die Religion vernunftgemäß sei . So stellt er fest, daß die Annahme, die menschlichen Angelegenheiten und besonders die körperliche Natur würden von den Göttern und den göttlichen Körpern gelenkt, ›vernünftig‹ und ›wahr‹ sei . Insbesondere bei der Erörterung der Tugend und der politischen Verfassung hebt Salutius dann den Aspekt der Vernunft hervor . Seine eigene Darstellung entspricht mithin in ihrem wesentlichen Merkmal dem vermittelten Gegenstand, der neuplatonischen Theologie, und die idealen Adressaten wiederum sind auf Grund ihrer guten Naturanlage und ihrer Vernunft der Darstellung ähnlich (. ). Die Schrift Περὶ θεῶν καὶ κόσμου vermittelt ihren Rezipienten das hermeneutische Rüstzeug für die Kommunikation mit den Göttern, ist aber gleichzeitig selbst die erste und notwendige Stufe innerhalb dieses auf universaler Sympathie beruhenden Systems. Auf ihr können dann Mythos und Theurgie aufbauen.
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Julian: Praxis
Während er sich in Konstantinopel zahlreichen Regierungsgeschäften widmen mußte, fand der vielbeschäftigte Kaiser, wie uns Libanios aus der Rückschau mitteilt, gleichwohl die Zeit, auch philosophischen und theologischen Fragen nachzugehen, und sei es, daß er nachts bei Kerzenschein arbeiten mußte . Nicht nur verfaßte er eine Erwiderung auf die Rede des Kynikers Herakleios, in der er sich mit dem Problem des Mythendichtens auseinandersetzte , son Dies ist auch vor dem Hintergrund von Kontroversen über die Irrationalität des Christentums zu sehen. Vgl. Fiedrowicz (2001) –; Ruggiero (2002). Salutius nimmt auf solche Diskussionen Bezug, wenn er der Gottlosigkeit die ἔμφρονες gegenüberstellt (. ). Sal. . (εὔλογον, ἀληθές). Vgl. . , . . Sal. und . Salutius verknüpft diese Erörterungen mit der Dreiteilung der Seele. Das menschliche Leben kann nur durch die Führung des λόγος tugendhaft werden, was wiederum nach . (ἀγαθοὶ μὲν ὄντες) Voraussetzung für den Kontakt mit den Göttern ist. Ebenso ist die ideale Verfassung, das Königtum, als einzige gänzlich dem λόγος verpflichtet. Lib. or. . : ὁ δὲ [sc. λόγος] πολλά τε καὶ καλὰ λέγει περὶ τῆς μητρὸς τῶν θεῶν. Zu der Rede siehe auch oben S. –.
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dern ebenso komponierte er eine Rede auf die Mutter der Götter , ehe er sich auf die Reise nach Phrygien begab, um in Pessinus das Heiligtum der Göttin aufzusuchen . Nachdem er dieses Werk im März niedergeschrieben hatte , folgte Ende des Jahres, als er sich in Antiochia aufhielt, eine weitere einem Gott gewidmete Rede, nämlich die auf den König Helios, die er seinem Vertrauten Salutius widmete . Was bei einer ersten Lektüre der beiden Werke Julians ins Auge fällt, ist ihre mangelnde Ausarbeitung, die im Widerspruch zu der an sich klaren Disposition steht. Als wäre die Aufgabe, die sich Julian gestellt hat, nämlich zwei Gottheiten im neuplatonischen Sinne zu erfassen, nicht ohnehin schwierig genug, hat er das Verständnis zusätzlich dadurch erschwert, daß er die Reden mit zahlreichen Wiederholungen, Unklarheiten und, so scheint es, Widersprüchen belastet . So erfahren wir in der Rede auf die Mutter der Götter mehrfach, daß Attis die unterste Ursache der Götter sei und bis zur äußersten Materie hinabsteige , und auch viele andere Bestimmungen werden wiederholt. Mit dem Eingeständnis, er drehe sich im Kreise , scheint sich Julian dieses Defizit selbst eingestanden zu haben. Gleichzeitig läßt er es des öfteren an der bei dieser komplexen Materie gebotenen Klarheit fehlen, wenn er schwer vereinbare Definitionen vorträgt oder sich in Widersprüchen zu verfangen scheint. Obwohl er zunächst Attis als intellektuellen Gott bezeichnet hat, der also der mittleren Hierarchiestufe der Götterwelt angehört, fungiert dieser später als die unterste Ursache der Götter oder wird kurz darauf gar nur als Halbgott vorgestellt . Auf den ersten Blick befremdet es ferner, daß der Sonnengott Helios, traditionell und auch von Julian mit Apollon identifiziert, ausgerechnet mit Dionysos Iul. or. Εἰς τὴν μητέρα τῶν θεῶν. Vgl. den Kommentar zur Rede von Ugenti (1992). Der Besuch in Pessinus Mitte war für Julian eine herbe Enttäuschung, da die Verehrung der Göttin völlig daniederlag und die Bürger der Stadt inzwischen überwiegend christlich waren. Iul. ep. . d–a (van Nuffelen (2002) – hält den Brief allerdings für eine christliche Fälschung). Er ernannte Kallixeine zur Oberpriesterin der Göttermutter (ep. ). Siehe auch Lib. or. . ; . f.; Amm. . . –. Bringmann (2004) f.; Rosen (2006) f. Julian gibt in or. . c selbst an, er habe die Rede während des Festes für die Göttermutter verfaßt, also zwischen dem . und dem . März . Iul. or. Εἰς τὸν βασιλέα ῞Ηλιον πρὸς Σαλούστιον. Zur Datierung or. . a und b/c. Das von Aurelian eingerichtete Fest des Sol invictus wurde am . Dezember begangen. Kurz zuvor hatte Julian anscheinend seine Rede verfaßt. Übersetzungen und Erläuterungen zu beiden Reden findet man bei Mau (1907) und Asmus (1908). Bringmann (2004) bemängelt, abgesehen von dem ›abstrusen Gegenstand‹, die Flüchtigkeit der Gedankenführung. Siehe auch Asmus (1908) , , Raeder (1944) und Ugenti (1992) xvi. Anders Athanassiadi (1992a) . Iul. or. . c/d, a/b, d, d, a. Iul. or. . d: ἀλλ’ ἔοικα γάρ, ὥσπερ οὐκ ἔχων ὅ τι φῶ, κύκλῳ περιτρέχειν. Iul. or. . c (intellektueller Gott), d (unterste Ursache der Götter), a (Halbgott).
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
assoziiert wird . Von einer systematischen Darstellung sind beide Reden denkbar weit entfernt. Sollte Julian mit seinem Unterfangen, traditionelle Götter und Mythen in den neuplatonischen Aufbau der Welt zu integrieren, gescheitert sein? Hinzu kommt, daß der Kaiser in beiden Reden darauf aufmerksam macht, daß er nicht alles über seinen Gegenstand mitteilen könne, da einiges nur geweihten Ohren oder überhaupt nicht sagbar sei . Die schriftliche Darlegung ist mithin defizitär, weist über sich hinaus auf Mysterienoffenbarungen und dürfte dementsprechend von Außenstehenden kaum angemessen zu verstehen sein. Daß Julian beide Werke primär für sich selbst abgefaßt hat, legen Stellen nahe, an denen er auf ganz persönliche Erfahrungen, seine Bekehrung und seine persönliche Beziehung zu den Göttern, rekurriert, wodurch die Reflexionen über Attis, die Göttermutter und Helios stark auf die Person des Kaisers zugeschnitten erscheinen . Wollte Julian also in erster Linie für sich selbst Gedanken niederlegen, die er vielleicht noch nicht endgültig gefaßt hatte? Hat die große Eile, in der er die Reden konzipierte, ihrer Verständlichkeit geschadet, wie man vermutet hat? Immerhin bezeugen Libanios und auch Julian selbst, daß er die Rede auf die Göttermutter in einer einzigen Nacht und die auf Helios innerhalb von drei Nächten ausgearbeitet habe . Bei den folgenden Ausführungen soll darauf geachtet werden, ob der Kaiser nicht doch einen weiteren Rezipientenkreis ins Auge gefaßt hat und, wenn ja, worin die Relevanz seiner persönlichen Erfahrungen mit den Göttern liegen könnte. Formal wie inhaltlich sind die Reden auf die Mutter der Götter und auf den König Helios eng miteinander verwandt, sind sie doch beide im großen und ganzen epideiktische Reden, die das Wesen einer Gottheit zu erfassen und in die neuplatonische Konzeption des Kosmos einzuordnen suchen . Zudem zeigen sich zahlreiche Querverbindungen, so daß beide Werke sich gegenseitig Iul. or. . d–b, d (Dionysos ist Mitherrscher des Helios). In c/d heißt es, Helios werde als Vater des Dionysos und Anführer der Musen, also Apollon Musagetes, gepriesen. Athanassiadi (1992a) f. Siehe dazu auch Plu. mor. e–b (De E apud Delphos). Iul. or. . d, a, d–a, d; . b, a. In or. . b–d bekundet Julian seine tiefe Dankbarkeit gegenüber den Göttern, insbesondere aber gegenüber der Göttermutter, weil sie ihn vom Umherirren im Dunkeln, also im Christentum, abgebracht habe. Sie habe ihm Wissen von den Göttern eingegeben. Zu Beginn der Heliosrede erzählt er von seiner Bekehrung vom Christentum und Hinwendung zu Helios (or. . c–b). Außerdem spricht er von seinem glücklichen Geschick, der herrschenden Dynastie anzugehören (b). Auch die Gebete am Ende beider Reden sind zum Teil sehr persönlich gehalten. Seine Rede an Helios betrachtet Julian als Dank, was ebenfalls eher den individuellen Aspekt in den Mittelpunkt rückt (a). Lib. or. . ; Iul. or. . d–a; . b/c. Hose (2008) – nimmt die Funktionselite der griechischen Reichshälfte als Adressaten der Hymnen an. Zu Julians Konzeption des Göttlichen in den beiden Hymnen vgl. Opsomer (2008) –.
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ergänzen und ein Gesamtbild zeichnen, wie sich Julian die Hierarchie der verschiedenen ontologischen Stufen und die Verbindung unter diesen vorgestellt hat. Daß er sich dabei im wesentlichen an dem ›göttlichen‹ Jamblich orientierte, lehrt nicht nur der Blick auf Julians Darstellung der Götterwelt, sondern der Kaiser selbst legt seine Hauptquelle direkt offen . In der Form der Präsentation und im Aufbau bestehen freilich deutliche Unterschiede zwischen den Reden . In der Rede auf die Göttermutter berichtet Julian zunächst in einer historischen Erzählung, wie der Kult der phrygischen Gottheit Eingang in die griechische und in die römische Welt fand, nachdem er sowohl in Athen als auch in Rom anfängliche Schwierigkeiten überwunden hatte (a–b) . Im Hauptteil der Schrift erörtert er zunächst im ersten Abschnitt das Wesen des Attis und das der Göttermutter (c–b). Attis oder auch Gallus wird definiert als die Substanz des zeugenden und schöpfenden Nus, die bis zur äußersten Materie, d. h. bis zur Materie der sichtbaren Welt, alles hervorbringt. Er ist nach Julians Auffassung ein intellektueller Gott, gehört also der unter den intelligiblen Göttern stehenden zweiten Stufe an, und repräsentiert die Strahlen des Sonnenlichts, so daß man ihn als die schöpferische Natur der Sonne begreifen kann. In diesem Verhältnis zur Sonne tritt bereits die enge Beziehung zur Heliosrede deutlich hervor. Attis wird von der Göttermutter geliebt, die ihm gebietet, nur bis zur Sphäre des fünften Körpers, bis zum Äther, hinabzusteigen. Er jedoch geht weiter bis zur letzten der Materie voranstehenden körperlosen Ursache, die im Mythos durch die in einer Höhle wohnende Nymphe symbolisiert wird. Die Göttermutter selbst zeichnet sich durch vier Eigenschaften aus: Sie ist zum einen die Quelle der intellektuellen und schöpfenden Götter, die ihrerseits die sichtbaren Götter lenken; zum zweiten ist sie Mutter und Gattin des großen Zeus; sie lenkt zum dritten alles Leben und ist Ursache jeglichen Werdens; zum vierten ist sie mutterlose Jungfrau und wahrhaft die Mutter der Götter. Nachdem er das Wesen der beiden Götter bestimmt hat, erläutert Julian in einem zweiten Abschnitt den bekannten, allerdings etwas veränderten Mythos des Attis bzw. Gallus (b–c). In allegorischer Interpretation deutet der Kaiser die Entmannung des Attis als die Hemmung der unbegrenzten, zur Siehe or. . a/b, d, c/d. θεῖος ᾿Ιάμβλιχος in . c; ep. ; δαιμόνιος ᾿Ιάμβλιχος in or. . b; vgl. auch b. Zu den Quellen von Julians Konzeption der Götterwelt in den beiden Reden, zu denen auch die Chaldäischen Orakel zu zählen sind, siehe H. Bogner: »Kaiser Julians . Rede«, in: Philologus , , –, Witt (1975), Bouffartigue (1992) –, –, Turcan (1996), Dillon (2000). Umstritten ist, wieviel aus dem Mithraskult in Julians Heliosrede geflossen ist. Großen Einfluß der Mithrasmysterien nehmen Lacombrade (1964) – und Athanassiadi (1977) an, skeptisch hingegen Smith (1995) –, Fauth (1995) . Zum Aufbau der Rede auf die Göttermutter Asmus (1908) f.; Bouffartigue (1992) . Julian folgt hier im wesentlichen den Versionen, die auch in Suda, s. v. Μητραγύρτης und Phot. s. v. Μητρῷον (für Athen) bzw. Ov. Fast. . – und Liv. . . – und . . – (für Rom) zu finden sind.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Materie hinabsteigenden Bewegung. Attis hat nämlich die Mahnung der Mutter ignoriert, sich zu ihr und dem intelligiblen Bereich zu wenden, statt sich zum Werden herabziehen zu lassen. Als Indiz für seine Interpretation des Mythos gilt Julian der Ablauf des im März für die Göttermutter gefeierten Festes, dessen Bräuche – Fällen eines Baumes, Trompetensignal und ausgelassene Heiterkeit – symbolhaft die Befreiung vom Werden und die Hinwendung der Seele zum Einartigen versinnbildlichen (c–d) . Im dritten Abschnitt deckt Julian die Gründe für die Kultvorschriften, genauer gesagt für Speiseverbote und -gebote, auf (d–d), bevor er zum Schluß die Göttermutter preist und erbittet, sie möge das Reich von der Gottlosigkeit befreien, ihm selbst aber die Erkenntnis der Götter gewähren und die Hoffnung auf den Wiederaufstieg der Seele nach dem leiblichen Tode (d–c). Auch die Rede auf den König Helios setzt gewissermaßen mit einer historischen Erzählung ein, insofern Julian in einem autobiographischen Passus berichtet, wie er in frühester Kindheit, als er noch in der Dunkelheit des Christentums befangen war, sich zum Himmel und zum Lichte des Helios hingezogen fühlte (c–a). Dieser kurze Rückblick bildet aber nur den Auftakt für die dreigeteilte Darstellung des Sonnengottes, die das Zentrum der Rede einnimmt (b–b). Wie er gleich eingangs ankündigt, will Julian nacheinander das Wesen, die Fähigkeiten und die Wohltaten des Helios abhandeln . Zugrunde liegt der Darstellung hier erneut das neuplatonische dreigliedrige Schema von intelligiblem, intellektuellem und sichtbarem Kosmos. Das Spezifikum des Sonnengottes ist nach Julian, daß er mit allen drei Bereichen in Verbindung steht. Helios geht nämlich als Sproß aus dem obersten Prinzip, dem Einen oder in Platons Terminologie der Idee des Guten, hervor, die der intelligiblen Welt voransteht. Was das Gute den intelligiblen Göttern zuteil werden läßt, das teilt Helios, der vom Guten zum Herrscher über die intellektuellen Götter bestellt ist, diesen mit. Unter den Gaben sind Schönheit, Substanz, Vollendung und Einheit zu verstehen, also all das, was unter dem Begriff der Ordnung zusammengefaßt werden könnte (d–c). In seiner sichtbaren Form, nämlich als die sinnlich wahrnehmbare Sonnenscheibe, spendet Helios diese Gaben den sichtbaren Göttern, d. h. den Gestirnen. Helios verknüpft demnach vertikal die drei Götterwelten, indem er die Gesamtheit der Götter an der Wirkung des obersten Guten teilhaben läßt. Er nimmt, wie Julian mehrfach betont, eine Der Festkalender sah den Fasten des Dionysius Philocalus zufolge folgendermaßen aus: . März: Canna intrat, . März: Arbor intrat, . März: Sanguem [sic], . März: Hilaria, . März: Requetio [sic], . März: Lavatio, . März: Initium Caiani (CIL I. , p. ). Siehe Vermaseren (1977) –. Zu den Übereinstimmungen zwischen Julians Rede und dem Festkalender des Philocalus siehe Bouffartigue (1992) f. Iul. or. . b: οὐσία, δυνάμεις bzw. ἐνέργειαι und τῶν ἀγαθῶν δόσις. Die Durchführung erfolgt dann in b–b (Substanz und Herkunft des Helios), b– a (Fähigkeiten und Kräfte des Helios) und a–b (Wohltaten). Auch in dieser Darstellungsweise stimmt Julian mit Jamblich überein. Dillon (2000) .
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Mittlerstellung ein und vermittelt zwischen den immateriellen Formen der intelligiblen und den materiellen der sinnlich wahrnehmbaren Welt (c–c); er gewährt uns, ihn nicht nur zu denken, sondern als Sonne auch zu sehen. Es verwundert nicht, daß diese Mittlerrolle gleichermaßen in den Fähigkeiten des Helios zum Ausdruck kommt. Nur kurz geht Julian hier auf die oberste ontologische Stufe ein, um sich dann der intellektuellen und der sichtbaren Welt zuzuwenden. In die intellektuelle Welt und an deren Götter vermittelt Helios gutes Geschick, Schönheit, die nur durch das Denken erfaßt werden kann, und den Nus sowie Denken und Gedachtwerden (d–c). In der sichtbaren Welt schließlich führt er die Aufsicht über die neun Sphären der Planeten, der Fixsterne und der Erde (c/d). Außerdem erfüllt er den Himmel mit Licht, bewirkt den Wechsel der Jahreszeiten und spendet der Natur das zeugende Leben. Die zuletzt genannte Fähigkeit führt Julian schließlich zu den Wohltaten, die Helios den Menschen gewährt. Im wesentlichen sorgt er für deren Heil, indem er sie nährt, sie von den leiblichen Banden erlöst und Asklepios als Heiland der Welt erzeugt (a/b, vgl. b) . Den Abschluß der Rede bildet ein dreifaches Gebet, das Julian an den Sonnengott richtet (c–c). Er wünscht dem römischen Staat beständige Dauer und sich selbst das rechte Handeln, sodann die richtige Erkenntnis des Helios und schließlich den Aufstieg zum Gott nach dem leiblichen Tod und den Aufenthalt beim Gott, sofern möglich, für ewige Zeiten, falls nicht, für unzählige Zeitumläufe. Im Vergleich mit der Rede auf die Göttermutter ist hier die Tendenz noch deutlicher ausgeprägt, im Sinne eines Synkretismus den Gott mit zahlreichen anderen Göttern zu assoziieren, wenn nicht gar zu identifizieren. Die Herrschaft des Sonnengottes und des Zeus unter den denkenden Göttern ist ein und dieselbe; Zeus, Hades und Helios Sarapis sind drei Gottheiten in einer, wie ein Orakel, auf das sich der Kaiser stützt, bekundet; Apollon ist identisch mit Helios; auch Dionysos ist Mitherrscher des Helios; ferner sind Athene und Aphrodite ihm ganz nahe; und schließlich werden die phönizischen Gottheiten Monimos und Azizos mit Helios zusammengestellt . Noch stärker als in der Rede auf die Mutter offenbart sich hier Julians Bestreben, nicht allein den traditionellen Götterkosmos mit dem neuplatonischen Weltbild zu harmonisieren, sondern vor allem einen paganen Henotheismus zu schaffen, indem man alle wesentlichen göttlichen Mächte in einem einzigen numinosen Prinzip verschmilzt. Der literarischen Form nach haben wir in beiden Reden offenbar philosophisch-theologische Traktate vor uns, deren Ziel es ist, das Wesen einer Gottheit in all ihren Aspekten zu erfassen und in die Hierarchie der ontologischen Stufen einzuordnen. Grundlegendes Analyseprinzip ist die Allegorese, insbesondere bei der Interpretation des Attismythos, ebenso aber auch bei der Deutung der Feste und Rituale sowie überhaupt bei der Identifikation der Götter mit Zu Asklepios auch Iul. Gal. fr. , a/b. Iul. or. . d–a, d–c, d, b/c, a/b, c/d, d, d–b.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Prinzipien der neuplatonischen Weltordnung. Julian stellt sich damit in die Tradition der im Neuplatonismus geübten allegorischen Interpretation, wie sie etwa in Porphyrios’ De antro nympharum zu finden ist . Neben die diskursive Vermittlung philosophischer Grundsätze tritt in der Rede auf die Göttermutter ein narratives Element, wenn Julian ausführlich von der Einführung des Kultes in Athen und Rom erzählt. Wie die literarische Seite der beiden Werke exakt zu verstehen ist, können Hinweise des Autors selbst erhellen. Bevor Julian Wesen, Fähigkeiten und Wohltaten des Helios auseinandersetzt, vergegenwärtigt er sich zunächst, welches die beste Disposition für seine Rede ist, indem er sich die Frage stellt τίς οὖν ὁ τρόπος ἔσται τῶν ἐπαίνων; Auch kurz davor hatte er bereits von ἔπαινοι, also Lob, gesprochen, und er greift dies auch am Ende seiner Disposition wieder auf, wenn er seine Rede als ἐγκώμια bezeichnet . Er scheint seine Schrift im wesentlichen als panegyrische Rede zu sehen, die den Sonnengott aus Anlaß seines Festes feiert, so wie man etwa hohe Amtsträger oder Kaiser zu festlichen Gelegenheiten mit einem βασιλικ` ος λόγος ehrt . Tatsächlich entspricht der dreiteilige Aufbau nach Wesen, Fähigkeiten und Taten im großen und ganzen dem Schema, dem die panegyrische Rede auf Herrscher verpflichtet ist. Wie in einem Enkomion erfahren wir zunächst von Herkunft und ›Geburt‹ des Gefeierten , ehe sein Charakter und seine Anlagen sowie seine herausragenden Taten gewürdigt werden. Als βασιλεύς war Helios für eine solche Rede geradezu prädestiniert. Auf eine etwas andere Spur führt, was Julian beinahe im selben Atemzug über sein Anliegen verrät. Da der Lobpreis eines Gottes üblicherweise im Zentrum der Gattung des Hymnos steht, erstaunt es nicht, daß Julian seine Reden oder zumindest Teile von ihnen als Hymnen begreift. Unmittelbar vor der eben zitierten Passage kündigt er an, er wolle das Fest des Sonnengottes preisen (ὑμνεῖν), und später bezeichnet er sein Tun als Hymnos auf den Gott und dessen Fest . Wenn er schließlich seine Gebete an Helios richtet, stellt er noch einmal explizit fest, daß es sich bei dem Werk um einen ὕμνος χαριστήριος, einen Dankhymnos, handele (a). In der Rede auf die Göttermutter fehlen solche autoreferentiellen Hinweise zwar beinahe gänzlich, aber zumindest den Schlußteil, also die Anrufung der Göttin und das Gebet, versteht Julian als Hymnos, worauf er durch eine einleitende rhetorische Frage aufmerksam macht . Sind die beiden Werke demnach als Prosahymnen aufzufassen, Vgl. Pépin (1976), bes. –; Lamberton (1986). Iul. or. . b. Siehe auch Smith (1995) f. Der Geburt entspricht hier, daß Helios als Sproß der Idee des Guten vorgestellt wird (d–a). Iul. or. . d, c, a und b, c; vgl. ferner c/d, d, b/c, wo sich Julian darauf bezieht, wie die Menschen Götter preisen. Iul. or. . d: ἀλλὰ τί πέρας ἔσται μοι τῶν λόγων, ἢ δῆλον ὡς ὁ τῆς Μεγάλης ὕμνος Θεοῦ; (»Aber welches Ende wird meine Rede haben? Oder ist es klar, daß es der Hymnos auf die große Göttin sein muß?«).
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wie sie auch von Aelius Aristides und Libanios verfaßt wurden? Fraglos besteht eine Gemeinsamkeit darin, daß es sich jeweils um epideiktische Reden handelt, die eine Gottheit preisen sollen. Während aber Libanios eine Dankesrede an Artemis geschaffen hat, die eigentlich aller im engeren Sinne hymnischen Elemente entbehrt , und Aristides’ Prosahymnen sich zum Teil an die hymnische Abfolge von Anrufung, Geschichte des Gottes und abschließendem Gebet halten , dominiert bei Julian die philosophische Erörterung, so daß wirklich Hymnisches an den Rand gedrängt zu sein scheint. Gleichwohl fehlt es nicht an Übereinstimmungen im einzelnen . Ein Vergleich mit der traditionellen Bauform griechischer Hymnen kann hier weiterhelfen . Da ein Hymnos primär der Anbetung einer Gottheit dient, womit Bitten des Sprechers verbunden sein können, bildet den Auftakt in der Regel eine Anrufung der jeweiligen Gottheit, deren Aufmerksamkeit so auf den Sprecher gelenkt werden soll (invocatio). Daran schließt sich ein Abschnitt, in dem der Sprecher versucht, das Wesen der Gottheit genauer zu fassen, etwa indem er von ihrer Geburt, ihren Fähigkeiten und Taten erzählt ( pars epica). Nachdem nun das Wesen des Gottes bestimmt ist, kann der Sprecher abschließend sein Gebet vortragen ( preces). Beispielhaft läßt sich dieser Aufbau an den Homerischen Hymnen ablesen. Obgleich Julians Reden der Abfolge der drei Bauteile offensichtlich nicht gänzlich entsprechen – es fehlt die invocatio zu Beginn, bzw. in der Heliosrede fehlt sie überhaupt –, sind doch Entsprechungen nicht zu übersehen. Zwar verzichtet Julian auf eine Hinwendung an die Götter am Anfang seiner Reden, doch ähnelt deren Hauptteil unverkennbar der pars epica gewöhnlicher Hymnen. Versucht Julian doch ebenfalls, das Wesen der Göttermutter und das des Helios sowie ihre Taten exakter zu bestimmen, Lib. or. . Libanios scheint im wesentlichen Aristides’ Hymnen zu folgen. Martin (1988) –. Er beginnt mit Artemis’ Geburt und ersten Taten, handelt dann ihre Fähigkeiten ab, geht auf Kult und Feste ein, nennt ihre Wohltaten für die Menschen. Am Schluß erzählt er ausführlich, wie Artemis ihn gerettet habe. Anrufungen, Prädikation und Gebet fehlen jedoch. Wie Anreden zeigen, hat Libanios die Rede für ein Publikum konzipiert (§ und ). Aristides’ Hymnen sind or. –. Menander Rhetor bezeichnet sie als μαντευτοί (. ). Der Athenehymnos beispielsweise (or. ) beginnt in § mit einer invocatio der Göttin. Dann wird ihre Geschichte erzählt (Geburt, Wirkungsbereiche, Orte etc.). In § zählt Aristides eine Reihe von Epiklesen auf, in folgt eine Art Aretalogie. In stellt er fest, daß die Rede nach den Ausführungen an ihr Ziel gelangt sei. Daran schließt sich in das Gebet an. Aristides nahm im übrigen – wohl zu Unrecht – für sich in Anspruch, die Gattung des Prosahymnos begründet zu haben. Lattke (1991) –; Donald A. Russell: »Aelius Aristides and the Prose Hymn«, in: Antonine Literature, hg. von dems. Oxford , –. Zum Aufbau des Athenehymnos siehe Martin (1988) –. Ähnlich ist z. B., daß Aristides in or. . vor dem Gebet einen Einschnitt markiert, indem er sagt, daß er nun sein Ziel erreicht habe. Dem entspricht Iul. or. . d. Siehe Norden (1913) –; Furley – Bremer (2001) –. Zur Frage, was ein Hymnos ist und worin er sich vom Gebet unterscheidet, siehe auch Simon Pulleyn: Prayer in Greek Religion. Oxford , –.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
damit er schließlich imstande ist, Gebete zu sprechen, die den beiden Göttern wirklich gerecht werden. Außerdem enthält die Rede auf die Göttermutter wie einige der Homerischen Hymnen einen Mythos, auch wenn dieser zugleich mit seiner allegorischen Auslegung verwoben ist. Nicht zuletzt erinnert Julians Definition der Göttermutter, in der er Substantive und Partizipien in teils parallel gebauten Gliedern aneinanderreiht, an hymnische Aretalogien . Schließlich kann kein Zweifel bestehen, daß beide Reden in hymnische Partien münden, die eine invocatio, Prädikationen im Du- bzw. im Er-Stil und Gebete umfassen. Diese Übereinstimmungen berechtigen dazu, nicht allein die Schlußgebete, sondern beide Reden zur Gänze als Hymnen anzusprechen, da in ihrem Zentrum jeweils die Hinwendung des Sprechers zur Gottheit steht . Daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß der Hauptteil der Rede weniger narrativ als vielmehr erörternd-diskursiv gehalten ist. Schloß der traditionelle Hymnos als Anbetung eines Gottes gerade auch das Sprechen über den Gott ein, damit man den Hymnos gewissermaßen richtig adressieren konnte, so lag der Gedanke nicht fern, nicht nur narrativ das Wesen der Gottheit darzustellen, sondern es gleichermaßen philosophisch zu erfassen. Die Gattung des Hymnos war demnach durchaus geeignet, philosophische Anschauungen mitzuteilen. Daher erklärt sich das auf den ersten Blick paradox anmutende Phänomen des philosophischen Hymnos, wie es uns etwa im Zeushymnos des Kleanthes oder dem Hymnencorpus des Proklos entgegentritt . Zwar nicht besonders reichhaltig durch Texte bezeugt, hat diese Gattung doch immerhin bei Menander Rhetor auch eine theoretische Behandlung erfahren, wo sie unter dem Terminus des φυσικὸς ὕμνος abgehandelt wird . Wie der Bezeichnung bei Menander zu entnehmen ist, verfolgt solch ein Hymnos das Anliegen, die φύσις eines Gottes zu begreifen, beispielsweise auch durch die Identifizierung der Götter mit den Elementen oder Planeten. Menander vermerkt ausdrücklich, daß diese Art von Hymnen philosophische Lehren enthalten könne, die den Umfang des Werkes beträchtlich vermehren könnten (er nennt sie dann διδασκαλικοί ). Selbst Platons Timaios gilt dem Rhetor als Hymnos in diesem Sinne . Julians Reden auf die Göttermutter und auf König Helios können demnach mit Fug und Recht als philosophische Hymnen bezeichnet werden, in denen der Iul. or. . a/b. Vgl. Näsström (1990) . Lattke (1991) bestreitet ohne ausreichende Begründung, daß Julians Heliosrede ein Hymnos sei (wie er auch Aristides’ Reden den Status von Hymnen abspricht, ebd. f.). Die einzige umfassendere Studie zu dieser Gattung ist Zuntz (2005) (siehe darin auch die Vorbemerkungen von Lutz Käppel). Men. Rh. . –. . Siehe dazu Jan M. Bremer: »Menander Rhetor on Hymns«, in: Greek Literary Theory after Aristotle. A Collection of Papers in Honour of D. M. Schenkeveld, hg. von J. G. J. Abbenes, S. R. Slings und I. Sluiter. Amsterdam , – und Zuntz (2005) –. Men. Rh. . . Menander beruft sich für diese Ansicht auf Platons Kritias, wo aber nichts dergleichen steht.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Autor versucht, aus einer Haltung der Verehrung heraus das Wesen zweier Götter philosophisch, nämlich neuplatonisch in Jamblichs Sinne, zu deuten . Die Verschmelzung einer philosophischen Erörterung mit einem Hymnos bot sich nicht zuletzt deswegen an, weil in Julians Augen zwischen Philosophie, Theologie und Götterverehrung nicht zu scheiden war, worin er ebenfalls seinem großen Vorbild Jamblich nacheiferte . Da seit Platon das Ziel jeglichen Philosophierens in der Angleichung an Gott, der ὁμοίωσις θεῷ, bestehe , sei die Theologie integraler Bestandteil der Philosophie. Zwar verkennt Julian keineswegs die säkulare, wissenschaftliche Seite der Philosophie , doch wird er nicht müde, stets auf den göttlichen Ursprung und die sakrale Dimension dieser Disziplin hinzuweisen. Da in seinen Augen ebenso wie im weiteren Sinne die Vernunft göttliche Gabe ist , im engeren die Philosophie auf Apollon zurückgeführt werden kann , steht es für den Kaiser außer Frage, daß der wahre Philosoph ein Verehrer der Götter sein müsse. Insbesondere gegenüber dem Kyniker Herakleios hat Julian diese Sicht mit Nachdruck vertreten . Wie bereits erwähnt , versteht er die gesamte Philosophie, wenn man Epikureismus und Pseudokynismus abzieht, als eine homogene Einheit, und so haben alle namhaften Philosophen, von Pythagoras über Platon bis hin zu Diogenes, ausnahmslos die Götter verehrt. Die Philosophie besteht im wesentlichen in der Hinwendung zu sich selbst, nämlich zur eigenen Seele, und zu Gott . Die Philosophen als göttliche oder göttlich inspirierte Männer zu betrachten und die Philosophie Mysterien gleichzusetzen, wie es andere Neuplatoniker bereits getan hatten, war dann kein großer Schritt mehr . Nur konsequent war es, daß der Kaiser in einem an einen Priester gerichteten programmatischen Sendschreiben empfahl, philosophische Schriften primär als Führer zu Frömmigkeit und richtiger Gotteserkenntnis zu rezipieren .
Zuntz (2005) geht in seiner Untersuchung nicht näher auf Julians Hymnen ein. Siehe etwa Iul. or. . b/c, a–a, d; . a. Pl. Tht. b/c; R. , a/b; Lg. , c/d; Iul. or. . a (er zitiert hier die Stelle aus dem Theaetet), a/b; Gal. fr. . d/e. Iul. or. . a; . b/c. Gerade diese beiden Stellen zeigen aber, daß für Julian die wissenschaftlich-rationale Seite der Philosophie nicht von der göttlichen zu trennen ist. Iul. or. . c/d. Siehe or. . b; . a, a/b, a/b. Julian beruft sich für diese Ansicht auf Jamblich (or. . b). Beide Kynikerreden Julians (or. und ) gelten über weite Strecken hin dem Nachweis, daß die wahre Philosophie Theologie und damit Ehrung der Götter sei. Siehe oben S. . In or. . d bezeichnet Julian gegenüber Herakleios als Ziel und Anfang der Philosophie γνῶναί τε ἑαυτὸν καὶ ἀφομοιωθῆναι τοῖς θεοῖς. In or. . a/b spricht Julian von seiner Einweihung in die Philosophie. Zur Mysterienmetaphorik in der Philosophie siehe auch Riedweg (1987). Iul. ep. b. d–a. Als Vorbilder werden hier Pythagoras, Platon, Aristoteles und die Stoa genannt. Epikur und Pyrrhon hingegen werden verworfen (c).
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb Julian seinen neuplatonischen Reflexionen über die Göttermutter und den Sonnengott die Form des Hymnos verlieh. War Philosophie Gottesdienst, so drängte es sich geradezu auf, ihr eine literarisch adäquate Form zu verleihen, die für die Anbetung von Göttern prädestiniert war. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß sich Julian offenbar genauer mit der Praxis des Hymnenvortrags beschäftigte. In einem Schreiben wies er den Präfekten Ekdikios an, in Alexandria einen Knabenchor zusammenzustellen und zu unterhalten, der die geweihte Musik (ἱερὰ μουσική) pflegen sollte (ep. ). Einen Nutzen der ›göttlichen Musik‹ sieht er in der Reinigung der Seele , das heißt, der Vortrag von Hymnen und ähnlichen Gesängen wird hier als ein erster Schritt auf das wichtigste Ziel von Philosophie und Götterverehrung hin betrachtet, nämlich die Angleichung an Gott und den Wiederaufstieg der Seele. Die Wirkung dieser Hymnen auf die menschliche Seele beruhte Julian zufolge darauf, daß die meisten von ihnen von den Göttern selbst geschaffen worden waren oder zumindest von gotterfüllten Menschen. Daher empfahl er in dem schon genannten Sendschreiben das Auswendiglernen der Hymnen . Wenn Julian seine Hymnen, die er mit Beistand der Musen verfaßt hatte , als eine Form der Philosophie verstand, so konnte er sich darauf berufen, daß auch bei Platon Philosophie als Musenkunst definiert wird . Obgleich Julians Hymnen keine Dichtung sind, sondern in Prosa abgefaßt, dürfte auch für sie gelten, was ihr Autor über den Hymnengesang sagt: Sie sind sowohl philosophische Reflexion als auch, insofern sie die Hinwendung zum Göttlichen ausdrücken, eine Reinigung der Seele, die für das letzte Ziel, den Aufstieg zum Göttlichen, unerläßlich ist. Im Hymnos auf die Göttermutter tritt neben die philosophisch-diskursive Erörterung ein weiterer Modus, der Mythos, der seinerseits von Julian direkt mit einer allegorischen, also ebenfalls philosophischen Ausdeutung verknüpft wird . Der Kaiser stellt die einzelnen Stationen des mythischen Geschehens – leidenschaftslose Liebe der Mutter zu Attis; das Gebot, sich zu ihr zu wen Iul. ep. : ὅτι γὰρ καὶ πρὸ ἡμῶν αὐτοὶ τὰς ψυχὰς ὑπὸ τῆς θείας μουσικῆς
καθαρθέντες ὀνήσονται, πιστευτέον τοῖς προαποφαινομένοις ὀρθῶς ὑπὲρ τούτων. »Daß sie [sc. die Chorknaben] nämlich schon vor uns selbst Nutzen haben
werden, indem sie an ihren Seelen durch die göttliche Musik gereinigt werden, muß man denen glauben, die sich darüber schon früher zutreffend geäußert haben.« Von der göttlichen Musik spricht Julian auch in or. . c. Iul. ep. b. d–a. In or. . a/b bittet Julian Hermes, die Musen und Apollon Musagetes um Unterstützung bei der Komposition des Helioshymnos. Pl. Phd. a. Außerdem wird etwa ein Teil des Phaidros im Dialog selbst als Hymnos bezeichnet (Phdr. c). Wenig mehr als Übersetzung und Paraphrase bietet hier Thome (2004) –. Wesentlich erhellender ist immer noch Mau (1907) –. Siehe ferner Näsström (1990) –. Auf das Verhältnis von Julians Deutung des Mythos zur Exegese der Naassener (siehe Hipp. Ref. . –) geht Lancellotti (2002) – ein.
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den; Attis’ Abstieg zur Nymphe; seine Entmannung und Rückkehr zur Mutter – vor und erläutert sie sogleich vor dem Hintergrund seines neuplatonischen Weltbildes. Für Julian symbolisiert der Mythos den Sturz der Seele von ihrem göttlichen Usprung in die Welt der Materie und des Werdens sowie die Notwendigkeit, diese unbegrenzte Bewegung zum Stehen zu bringen und wieder aufzusteigen; er illustriert also das zentrale Thema neuplatonischer Philosophie. Wie der Mythos etwa in den Homerischen Hymnen bisweilen in einer engen Beziehung zu dem Anliegen des Sprechers steht, insofern er beispielsweise die Eigenschaften des Gottes vor Augen führt, an die der Mensch appellieren möchte , so dürfte auch Julians Mythos sich funktional in seinen Hymnos einfügen. Wie eine solche Funktion genau aussehen könnte, hat der Autor selbst durch programmatische Bemerkungen angedeutet. In seine Betrachtung des Attismythos schaltet er nämlich einen Passus ein, in dem er betont, daß ein Mythos nicht ein tatsächliches historisches Geschehen darstelle, sondern eine Einkleidung zeitloser Wahrheiten sei (or. . d–c, vgl. c/d). Nach Julians Auffassung des Mythos haben die Ahnen, sobald sie unter Führung der Götter den Ursachen der Dinge auf den Grund gegangen waren, diese mit paradoxen Mythen verhüllt, damit durch das Seltsame und Unstimmige uns die Fiktion zur Suche nach der Wahrheit anhalte. An dem Rätselhaften des Mythos scheiden sich zwei Adressatenkreise, da die einfachen Leute sich mit dem Nutzen zufrieden geben, der sich durch das Irrationale und durch Symbole ergibt, während die intellektuell Begabteren sich durch die Rätsel zur Suche nach der Wahrheit über die Götter anregen lassen . Den weniger philosophischen Köpfen genügt es, von der Existenz des Göttlichen zu erfahren, die Intellektuellen hingegen finden durch Betrachtung das Ziel und gleichsam den Gipfel der Sache und gelangen durch Tätigkeit des eigenen νοῦς ebendorthin . Der Gott zeigt also sein Wesen in den Situationen des Mythos. Walter Burkert: »Griechische Hymnoi«, in: Hymnen der Alten Welt im Kulturvergleich, hg. von dems. und F. Stolz. (Orbis Biblicus et Orientalis ) Freiburg i. Ue.; Göttingen , –, hier . William D. Furley hat gezeigt, daß in griechischen Hymnen Mythen persuasiv eingesetzt werden, nämlich nach dem Prinzip ›Gewähre mir xy, da du es schon einmal gewährt hast‹ (»Praise and Persuasion in Greek Hymns«, in: JHS , , –). Dieselbe Unterscheidung im Hinblick auf den Mythos trifft auch Salutius (. f.). Iul. or. . b/c: τοῖς δὲ περιττοῖς κατὰ τὴν φρόνησιν οὕτως ἂν μόνως
ἐσομένης ὠφελίμου τῆς περὶ θεῶν ἀληθείας, εἴ τις ἐξετάζων αὐτὴν ὑφ’ ἡγεμόσι τοῖς θεοῖς εὕροι καὶ λάβοι, διὰ μὲν τῶν αἰνιγμάτων ὑπομνησθεὶς ὅτι χρή τι περὶ αὐτῶν ζητεῖν, ἐς τέλος δὲ καὶ ὥσπερ κορυφὴν τοῦ πράγματος διὰ τῆς σκέψεως εὑρὼν πορευθείη, οὐκ αἰδοῖ καὶ πίστει μᾶλλον ἀλλοτρίας δόξης ἢ τῇ σφετέρᾳ κατὰ νοῦν ἐνεργείᾳ (»Für diejenigen aber, die intellektuell hervorragen, wird die Wahrheit über die Götter einzig so nützlich sein, wenn einer sie bei der Erforschung unter Führung der Götter fände und begriffe, durch die Rätsel daran erinnert, daß man über sie Untersuchungen anstellen muß, und dann durch Betrachtung das Ziel und gleichsam den Gipfel der Sache fände und dorthin gelangte, und zwar nicht so sehr durch ehrfurchtsvolle Scheu und Vertrauen in eine fremde Meinung als vielmehr durch Tätigkeit des eigenen Geistes.«).
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Wie man sich diesen Vorgang vorstellen muß, kann die gleichzeitig entstandene Rede gegen den Kyniker Herakleios erhellen. Nachdem Julian dort postuliert hat, daß sich Mythen für zwei Zweige der Philosophie eigneten, nämlich für die Ethik und den mit Einweihung und Mysterien befaßten Teil der Theologie, legt er die Funktionsweise von Mythen offen, wobei sich signifikante Übereinstimmungen mit dem Hymnos auf die Göttermutter zeigen . Der Mythentheorie Jamblichs folgend , sieht Julian den spezifischen Nutzen von Mythen, wenn sie in rätselhafter Form in die Ohren derjenigen gelangen, die das Göttliche nicht rein aufzunehmen vermögen, darin, ähnlich wie die unsagbare Natur der Zeichen (χαρακτῆρες) Seele und Körper der Menschen zu behandeln und die Präsenz der Götter zu bewirken . Je widersprüchlicher und paradoxer der Mythos erscheine, desto stärker rege er uns an, den Weg zur Wahrheit zu suchen. Man müsse sich um das verborgene Geheimnis bemühen, bis es uns unter Führung der Götter aufgehellt werde und unseren Nus und was in uns noch besser sei als der Nus, weihe bzw. vollkommen mache, d. h. sogar den kleinen Teil des Einen und Guten, der die ganze Fülle der Seele ungeteilt in sich begreife (c/d). Obgleich Julian mehr nicht sagen kann, da es das Schweigegebot der Mysterien verbietet , wird deutlich genug, daß diese Form des Mythos weit mehr ist als nur ein Mittel, Wahrheiten über die Götter in verschlüsselter Form mitzuteilen. Offenbar fungieren Mythen geradezu als theurgische Praxis, indem sie den Nus und die Seele des Menschen in einen für die Kommunikation mit dem Göttlichen geeigneten Zustand versetzen . Wie Julian andeutet, kann der Mensch diesen Schritt nicht aus sich selbst heraus tun, sondern die Führung der Götter ist entscheidend, die durch den Mythos auf den Menschen einwirken . Julian kehrt, nachdem er sein Mythenverständnis Iul. or. . b–d. Wie im Exkurs zum Mythenverständnis im Hymnos auf die Göttermutter betont Julian auch hier die Funktion des Widersinnigen (ἀπεμφαῖνον), die Suche nach der Wahrheit auszulösen (c, c; vgl. Sal. . ). Vgl. Grasso (1996). Daß der Mythos kein historisches Geschehen wiedergibt, sondern von ewigen Wahrheiten kündet, stellt auch Salutius fest (. ). In or. . b bekundet Julian, daß er in den Spuren desjenigen wandle, den er nächst den Göttern gleich wie Aristoteles und Platon verehre. Dieser habe sich über Mythen, die mit Mysterien in Verbindung stünden, geäußert. Iul. or. . c/d. Zu den χαρακτῆρες siehe Iamb. Myst. . ( passim) und . , p. . –; Sal. . ; PGM III. –, VII. und XIII. . Sie besitzen die Kraft, die höheren Wesen herbeizubannen und sie dem Willen desjenigen, der sie benutzt, zu unterwerfen. Siehe Jamblichus: Über die Geheimlehren. Aus dem Griechischen übersetzt, eingeleitet und erklärt von Theodor Hopfner. Leipzig [ND ], f. Eric R. Dodds: The Greeks and the Irrational. Berkeley; Los Angeles; London , und . Shaw (1995) f., f. In dem ganzen Abschnitt betont Julian zweimal die Unsagbarkeit zentraler Aspekte seiner Mythentheorie. Iul. or. . d–a, c/d. Zu Julians Haltung gegenüber der Theurgie siehe Van Liefferinge (1999) – und jetzt Tanaseanu-Döbler (2008) –. Iul. or. . c/d. Ebenso in . b. In der Philosophie Jamblichs kann der Kontakt mit dem Göttlichen und der Wiederaufstieg nur dann gelingen, wenn die Götter auf
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am Beispiel der Geburt des Dionysos erläutert hat, noch einmal zur Funktion des Mythos zurück und präzisiert seine Angaben: Durch das Widersprüchliche bestehe die Hoffnung, wenn man den offensichtlichen Sinn des Gesagten hinter sich lasse, emporzusteigen zur absoluten Substanz der Götter und zum reinen Denken, das alle seienden Dinge transzendiere . Der symbolische Mythos wirkt demnach ähnlich wie die Theurgie, er bereitet den Menschen für die Aufnahme der göttlichen Gaben vor, macht ihn also geeignet, und läßt den Menschen dadurch den ersten Schritt auf dem Weg nach oben vollziehen. Für die Aufgabe, diese Verbindung zwischen den Menschen und dem Göttlichen herzustellen, ist der Mythos insofern prädestiniert, als er, wie wir bei Salutius gesehen hatten, göttlichen Ursprungs oder göttlich inspiriert ist , so daß anscheinend auch hier das Prinzip der Sympathie wirkt . Das Ziel, das der Mythos den Menschen symbolhaft nahebringt, besteht also in dem Angelpunkt neuplatonischer Philosophie, dem Wiederaufstieg der vom Körper befreiten Seele zu ihrem göttlichen Ursprung. In verschlüsselter Form zeigt der Mythos dem Menschen auf, wonach er trachten muß, und legt zugleich das Fundament für das Gelingen dieses Vorhabens, indem er den Menschen innerlich vorbereitet und geeignet macht. Veranlaßt durch das rätselden Menschen einwirken und ihn geeignet machen. Dies ist auf Grund des riesigen ontologischen Abstandes zwischen dem Menschen und der Götterwelt erforderlich. Iamb. Myst. . , p. . f.; . , p. . –. Plotin hingegen meint, daß der Aufstieg durch Hinwendung auf sich selbst und Tätigkeit des Geistes erreicht werden könne. Zintzen (1983) –. Iul. or. . c/d: τοσούτῳ δ’ ἐστὶ κρεῖττον ἐν τούτοις τοῦ σεμνοῦ τὸ ἀπεμφαῖ-
νον, ὅσῳ διὰ μὲν ἐκείνου καλοὺς λίαν καὶ μεγάλους καὶ ἀγαθούς, ἀνθρώπους δὲ ὅμως τοὺς θεοὺς κίνδυνος νομίσαι, διὰ δὲ τῶν ἀπεμφαινόντων ὑπεριδόντας τῶν ἐν τῷ φανερῷ λεγομένων ἐπὶ τὴν ἐξῃρημένην αὐτῶν οὐσίαν καὶ ὑπερέχουσαν πάντα τὰ ὄντα καθαρὰν νόησιν ἐλπὶς ἀναδραμεῖν (»In diesen [Mythen] ist das Widersprüchliche um so besser als das Ehrwürdige, als durch dieses die Gefahr besteht, die Götter zwar für sehr schön, bedeutend und groß, aber gleichwohl für Menschen zu halten, während durch die widersprüchlichen Elemente Hoffnung besteht, daß man, was offen gesagt ist, außer acht läßt und zur absoluten Substanz der Götter und zum reinen Denken, das alle seienden Dinge überragt, hinaufsteigt.«). Zu Dionysos a–d. Das Vorgehen Julians an dieser Stelle ist übrigens analog zu dem im Hymnos auf die Göttermutter: Er trägt einen Mythos vor, legt ihn allegorisch aus, um das Wesen der Gottheit zu erfassen, bevor er ein Gebet an die Gottheit richten kann (d–a). Hier wie dort bittet er um die wahre Erkenntnis der Götter, die gerade im Hinblick auf die Trennung vom Leib wichtig ist. Sal. . . Auch Proklos ist der Ansicht, daß Mythen nach dem Prinzip der Sympathie zu den Dingen selbst als Symbole wirken. Wie die Symbole in der Theurgie können sie beim Aufstieg der Seele und der Vereinigung mit dem Göttlichen helfen. Procl. in R. . . und . . . Zum Mythenverständnis des Proklos, das mit dem Julians weitgehend übereinstimmt, siehe Michael Erler: »Interpretieren als Gottesdienst. Proklos’ Hymnen vor dem Hintergrund seines Kratylos-Kommentars«, in: Proclus et son influence. Actes du Colloque de Neuchâtel, juin , hg. von G. Boss und G. Seel. Zürich , –, hier –.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
hafte und widersprüchliche Element, beginnt der Mensch sich dem Göttlichen zuzuwenden und sich innerlich allmählich von der Welt des Werdens zu lösen. Genau diese Funktion hat Julian im Hymnos auf die Göttermutter dem Attismythos zugedacht. Auch diese allegorisch zu lesende Erzählung erschöpft sich nicht in bloßer Illustration des Wechsels von Abstieg und Wiederaufstieg, vielmehr birgt sie den Appell der Götter, der unbegrenzten Bewegung in uns Einhalt zu gebieten und zum Bestimmten und Einartigen, ja, falls möglich, zum Einen selbst hinaufzustreben. Der Mythos lehrt, sich zum Besseren, also zum Göttlichen, hinzuwenden statt zum Schlechteren, der Materie . In diese Aufgabe teilt sich zusammen mit dem Mythos auch das Fest bzw. Ritual . Allein durch seine gemeinsame Darstellung von Mythos und Fest signalisiert Julian, daß beides aufeinander bezogen ist. Was der Mythos narrativ vermittelt, setzt das Fest gleichsam in ein Drama szenisch um. Bereits der Zeitpunkt des Festes, die Tagundnachtgleiche, bringt den entscheidenden Gegensatz von Unbegrenztheit und Begrenztheit zum Ausdruck, da Helios den Äquinoctialkreis berührt, wo er am meisten begrenzt bzw. bestimmt ist . Das Fällen des Baumes setzt dann die Entmannung des Attis symbolisch um, und schließlich gibt die Trompete das Signal zur Umkehr, zum Wiederaufstieg. Durch diese Festbräuche fordern uns die Götter auf, Tugend mit Frömmigkeit zu ›ernten‹, uns vom Werden freizumachen und uns dem Göttlichen zuzuwenden (a–d). Das Fest verdoppelt also die Botschaft des Mythos. Und auch hier geht es nicht um eine reine Darstellung, sondern darum, den Wiederaufstieg in die Tat umzusetzen. Der Mensch soll sich schon in der materiellen Welt so weit wie möglich von der Materie abwenden und seine Seele reinigen, weil anders der Aufstieg nicht gelingen kann (a–c). Dies ist auch der Sinn der Speisevorschriften, die Julian ausführlich erläutert und begründet. Sie tragen ebenfalls dazu bei, daß der Mensch sich nach oben, zu seinem göttlichen Ursprung wendet (b, b). Mythos, Fest und Ritual haben demnach eine praktische Funktion in dem Sinne, daß sie den Menschen anleiten bei seinem Streben, den Weg hinauf zum Göttlichen zu finden. Damit man dieser Funktion gewahr wird und nicht nur das Göttliche ahnt, ist es erforderlich, durch Allegorese die tiefere Bedeutung hinter diesen drei Kommunikationsformen zu verstehen. Eine dem Mythos vergleichbare Rolle, nämlich einerseits über die Götter zu sprechen, andererseits den Kontakt mit dem Göttlichen anzubahnen, schreibt Julian aber auch seinen Hymnen insgesamt zu. Oben hatten wir bereits festgestellt, daß die Texte als philosophische Hymnen zugleich über die Götter sprechen und die Götter Iul. or. . b–a. Erläuterungen dazu aus religionswissenschaftlicher Perspektive von Näsström (1990) –. Iul. or. . c/d, c–d. Julian erörtert hier auch, weshalb man die Frühlingstagundnachtgleiche derjenigen im Herbst vorzieht. Der Grund liege darin, daß sich im Frühling, wenn die Tage länger würden, die Sonnenstrahlen uns näherten und alles von der Erde emporzögen, also unserem Streben nach oben verwandt seien.
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preisend verehren. Julian hat darüber hinaus in den Hymnen selbst signalisiert, daß sie als rituelle Handlungen intendiert sind. Nicht zufällig hat er als sei es tatsächlichen, sei es fingierten Zeitpunkt der Abfassung das jeweilige Fest der Gottheit gewählt . Gerade während des heiligen Festes für die Göttermutter sei es ihm in den Sinn gekommen, über Attis und die Göttin zu schreiben. Die Feier erscheint als Anlaß für Julians Erörterungen und sein abschließendes Gebet. Genau dies kommt auch in dem unvermittelten Beginn der Rede zum Ausdruck: ῏Αρά γε χρὴ φάναι καὶ ὑπὲρ τούτων; καὶ ὑπὲρ τῶν ἀρρήτων γράψομεν καὶ τὰ ἀνέξοιστα καὶ τὰ ἀνεκλάλητα ἐκλαλήσομεν; τίς μὲν ὁ ῎Αττις ἤτοι Γάλλος, τίς δὲ ἡ τῶν θεῶν Μήτηρ, καὶ ὁ τῆς ἁγνείας ταυτησὶ τρόπος ὁποῖος [. . .] (Iul. or. . d–a) Darf man denn auch über diese Dinge sprechen? Und sollen wir über das Unsagbare schreiben, das verbreiten, was nicht verbreitet werden darf, und das ausplaudern, was nicht ausgeplaudert werden soll? Wer ist Attis oder Gallus, wer die Mutter der Götter und von welcher Art der Vollzug dieses Reinigungsritus?
Das plötzliche Einsetzen mit dem zunächst unklaren Demonstrativpronomen erweckt den Anschein, als komme der Kaiser geradewegs von der heiligen Feier und stehe noch ganz unter dem Eindruck des soeben Erlebten, so daß er sich augenblicklich ans Werk macht festzuhalten, was ihm während der Feier in den Sinn gekommen ist. Der Hymnos an die Göttermutter wird zur Fortsetzung der Zeremonien mit anderen Mitteln. Auch der Hymnos auf den König Helios steht in enger Beziehung zu dem Fest des Gottes, das im Dezember begangen wird. Julian verfaßt ihn nämlich, wie er sagt, in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum Fest, vermutlich im Vorgriff auf die Feier, so daß der Hymnos nachgerade als spirituelle Vorbereitung des Festes gelten kann . Denn daß eine innere Verknüpfung zwischen dem Text und dem Gott existiert, spricht Julian selbst aus, wenn er die dreifache Schöpfung des Gottes mit der Dreizahl der Nächte, in denen er den Hymnos niedergeschrieben hat, assoziiert (b/c). Ferner ist der Hauptteil des Werkes dreifach geteilt, und nicht zuletzt sind es drei Gebete, die Julian am Schluß vorbringt , so daß die Zahl, die dem neuplatonischen Modell von intelligibler, intellektueller und sichtbarer Welt sowie der Siehe oben S. . Julians Angaben sind hier allerdings nicht sehr präzise. In or. . a spricht er von der ›gegenwärtigen Jahreszeit‹, in die das Fest des Helios falle. Wenn er gegen Ende erwähnt, daß der Adressat Salutius sein Werk über die Kronia, also die Saturnalien, geschätzt habe (b/c), und außerdem die Götter darum bittet, das Heliosfest oft preisen und feiern zu dürfen (c), so liegt die Vermutung nahe, Julian habe den Hymnos in der kurzen Spanne zwischen den Saturnalien und dem Fest des Sonnengottes verfaßt. Unter dem genannten Werk zu den Kronia sind aller Wahrscheinlichkeit nach Julians Caesares zu verstehen (Suda ι , s. v. ᾿Ιουλιανός spricht allerdings von zwei Werken). Bouffartigue (1992) ; Sardiello (2000) VIII Anm. ; dagegen Müller (1998) f. Darauf macht er in or. . b eigens aufmerksam.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Rolle des Helios in diesen Welten zugrunde liegt, auch den gesamten Hymnos als Grundprinzip durchzieht. Die Ähnlichkeit, die wir schon bei Salutius als zentrales Konzept kennengelernt hatten, stellt also eine Verbindung zwischen dem hymnischen Preisen und den Gebeten einerseits und der Gottheit andererseits her. Schließlich darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß Julians Hymnen jeweils in einen mit sakraler Sprache gestalteten Passus münden. Im Hymnos auf die Göttermutter wechseln sich Epiklesen der Gottheit mit partizipialen Prädikationen ab, bis Julian mit einem an die Mutter gerichteten Imperativ seine Bitten vorbringt (or. . d–c). Den Helioshymnos beschließen eine ausführliche Prädikation des Gottes im Er-Stil und die drei Gebete, lediglich unterbrochen von der Widmung an Salutius (or. . c–c) . Dieses rituelle Sprechen offenbart unmißverständlich die Natur der beiden Werke: Sie sind keine philosophische Erörterung um ihrer selbst willen, sondern ein Ritual, das den Kontakt zwischen dem Sprecher und dem Göttlichen herstellen soll. Genau diese Funktion unterstreicht Julian am Ende des Helioshymnos, wenn er, über den Status des Werkes reflektierend, sich auf einen Vers Hesiods beruft, nämlich κὰδ δύναμιν δ’ ἔρδειν ἱέρ’ ἀθανάτοισι θεοῖσιν . Wie er ausdrücklich vermerkt, entsprechen sich Opfer und Worte wie sein Hymnos in ihrer Funktion. Der philosophische Hymnos tritt gleichberechtigt neben das theurgische Ritual. Was wir bereits speziell für den Mythos beobachtet hatten, läßt sich für die Hymnen insgesamt konstatieren: Auf der einen Seite lehrt der Hymnos die Grundzüge neuplatonischer Theologie am Beispiel der jeweiligen Gottheit und gibt eine Anleitung, wie das Verfahren der Allegorese anzuwenden ist; auf der anderen geht er über diese didaktische Intention hinaus und bildet, theurgischen Praktiken vergleichbar, bereits den ersten Schritt zur Aufnahme des Kontaktes mit den Göttern und damit zum Aufstieg, indem er als Praxis die Hinwendung des Menschen zum Göttlichen vollzieht. Als Zwischenresultat lassen sich also diese zwei Funktionen festhalten, die theologische Grundlegung und die praktische Anwendung, wobei die philosophisch-theologische Erörterung das Fundament für die praktische Umsetzung zu sein scheint. Damit die Rezipienten diese praktische Seite nachvollziehen können, bedarf es einer geeigneten Vermittlungsform; anders ausgedrückt: Wenn Julian seine Hymnen zur Gänze als Praxis angelegt hat, müßte sich dies auch in der Form der theologischen Erörterung niederschlagen. Bereits eingangs hatten wir bemerkt, daß der charakteristische Zug der beiden Hymnen die Wiederholung ist. Während er sich selbst und seinen Lesern zu erklären versucht, wie das Wesen der Göttermutter und des Helios zu fassen sei, welche Bewandtnis es mit dem Attismythos sowie dem Fest im März und Norden (1913) f. Iul. or. . a/b mit Hes. Op. : »Nach Kräften tue Heiliges den unsterblichen Göttern« (mit imperativischem Infinitiv).
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den Heliaia im Dezember habe, rekapituliert Julian, statt sich mit einer einmaligen Erläuterung zu begnügen, ein ums andere Mal die wichtigen Punkte. Beispielsweise teilt Julian nicht bloß einmal mit, Helios sei als Sproß der Idee des Guten aufzufassen und sei zum Herrscher über die intellektuellen Götter bestellt. Nachdem zunächst ein Zitat aus Platons Sonnengleichnis Helios als Sproß des Guten vorgestellt hat , wiederholt der Kaiser sogleich diese Definition in eigenen Worten . Wenige Zeilen später spricht er denselben Sachverhalt noch einmal aus, nur in andere Formulierungen gekleidet . Aber nicht allein dies, auch von den Gaben, die das Gute den intelligiblen Göttern mitteilt – nämlich Schönheit, Existenz, Vollendung und Einheit –, erfahren wir innerhalb weniger Sätze gleich zweimal. Und auch der Umstand, daß Helios ebendiese Gaben den intellektuellen Göttern vermittelt, wird auf der Stelle wiederholt , ohne daß Julian es sich entgehen läßt, noch einmal in Erinnerung zu rufen, daß Helios die Herrschaft unter diesen von der Idee des Guten empfangen habe. Im weiteren Verlauf des Hymnos tauchen dieselben Aussagen, jeweils in etwas geändertem Gewand, mehrfach auf. Abgesehen von weiteren, hier nicht näher vorzustellenden Wiederholungen und Rekapitulationen , gelingt es Julian, innerhalb eines kurzen Passus gleich fünfmal darauf aufmerksam zu machen, daß das Licht körperlos sei und keine körperlichen Eigenschaften habe . Es scheint, als wollte er sich und seinen Lesern diese Erkenntnis gleichsam einhämmern, damit sie unter keinen Umständen verloren geht. Iul. or. . a mit Pl. R. , b. Iul. or. . a/b: αὐτὸς δὲ ὁ ξύμπας, ἅτε δὴ τοῦ πρώτου καὶ μεγίστου τῆς ἰδέας τἀγαθοῦ γεγονὼς ἔκγονος [. . .]. Ferner d, d. Iul. or. . c. Zur Herrschaft des Helios über die intellektuellen Götter siehe ferner c, b/c, d–a, a. Iul. or. . d mit b. Siehe auch d, d–b, c. Beispielshalber seien noch genannt: die Kastration als Innehalten der ἀπειρία in or. . b und c, d, c und d, c und d; die Mutter der Götter als Quelle der intellektuellen Götter in or. . a, b, c, d, d; Attis als unterste Ursache der Götter bzw. unterster Gott in or. . b, d, a, d–a, a. Iul. or. . d–b: αὐτὸ δὲ ὅ τί ποτέ ἐστι τὸ διαφανές, πᾶσι μὲν ὡς ἔπος εἰπεῖν
συνυποκείμενον τοῖς στοιχείοις καὶ ὂν αὐτῶν προσεχὲς εἶδος, οὐ σωματοειδὲς οὐδὲ συμμιγνύμενον οὐδὲ τὰς οἰκείας σώματι προσιέμενον ποιότητας. [. . .] αὐτοῦ δὲ τοῦ φωτὸς ὄντος ἀσωμάτου ἀκρότης ἂν εἴη τις καὶ ὥσπερ ἄνθος ἀκτῖνες. ἡ μὲν οὖν τῶν Φοινίκων δόξα, σοφῶν τὰ θεῖα καὶ ἐπιστημόνων, ἄχραντον εἶναι ἐνέργειαν αὐτοῦ τοῦ καθαροῦ νοῦ τὴν ἁπανταχῇ προ¨ιοῦσαν αὐγὴν ἔφη· οὐκ ἀπᾴδει δὲ οὐδὲ ὁ λόγος, εἴπερ αὐτὸ τὸ φῶς ἀσώματον, εἴ τις αὐτοῦ μηδὲ τὴν πηγὴν ὑπολάβοι σῶμα, νοῦ δὲ ἐνέργειαν ἄχραντον εἰς τὴν οἰκείαν ἕδραν ἐλλαμπομένην, ἣ τοῦ παντὸς οὐρανοῦ τὸ μέσον εἴληχεν, ὅθεν ἐπιλάμπουσα πάσης μὲν εὐτονίας πληροῖ τοὺς οὐρανίους κύκλους, πάντα δὲ περιλάμπει θείῳ καὶ ἀχράντῳ φωτί (»Das Durchsichtige selbst, was auch immer es denn ist, das sozusagen eine mit allen Elementen koexistierende und ihnen anhaftende Form ist, ist weder körperartig noch entsteht es aus Mischung, und es nimmt auch keine dem Körper eigentümlichen Qualitäten an. [. . . Dies wird dann an Beispielen illustriert] Die Spitze und gleichsam die Blüte des Lichtes selbst, das körperlos ist, sind die Strahlen. Die Lehre der Phönizier, die in göttlichen Dingen weise und verständig
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
Freilich bleibt es nicht bei bloßen Wiederholungen. Wie Julian seine Bestimmungsversuche mit jedem Anlauf ein wenig in der Formulierung variiert, so verändert er sie bisweilen inhaltlich, fügt Neues dem Bekannten hinzu, präzisiert bereits Gesagtes oder entfaltet eine schon gegebene Erklärung noch etwas weiter. So reicht Julian, nachdem er Helios als Mittler bestimmt hat, nach, was er genau unter μεσότης versteht und inwiefern Helios als Mittler betrachtet werden kann. Auch diese Ausführungen werden umgehend in leichter Variation wiederholt . Direkt im Anschluß erläutert Julian in einer etwas ausführlicheren Fassung, wie seiner Ansicht nach der Kosmos aufgebaut ist, während er zu Beginn des Hymnos das Weltmodell nur in groben Zügen vorgestellt hatte . Einem analogen Verfahren der Wiederholung, Variation und Präzisierung begegnet man ebenso im Hymnos auf die Göttermutter. Mit diesem Dreischritt versucht der Autor, indem er seinen Gegenstand immer wieder gedanklich umkreist, sich diesen nach und nach zu erschließen, ihn aus immer neuem Blickwinkel zu betrachten und ihn um neue Facetten zu bereichern, bis er ihn vollkommen begriffen zu haben meint. In einer Art Selbstgespräch vergegenwärtigt der Kaiser sich die Grundsätze seiner neuplatonischen Theologie und ruft sich (und den Leser) dazu auf, nicht nachzulassen in dem Bemühen, die Gottheit so präzise wie möglich zu erfassen. Diesem Zweck, der Selbstermahnung zur fortgesetzten Reflexion, dienen auch Selbstaufforderungen im Imperativ (σκόπει δὲ ἐναργῶς, ὅρα δέ) oder die Ansprache des Adressaten Salutius, die ebenso an Julian selbst gerichtet zu sein scheint . Den Eindruck eines Selbstgespräches verstärken zahlreiche eingestreute Fragen, die gleichfalls zu einer gedanklichen Präzisierung ermahnen . Wir scheinen demnach einer Meditation, einer philosophischen Übung im Sinne von Marc Aurels Selbstbetrachtungen beizuwohnen . Indem er dieselben Grundsätze immer wieder in variierender Form wiederholt und rekapituliert, eignet Julian sie sich an, er vergegenwärtigt sie, beschwört sie geradezu herauf. Damit die zentralen Dogmen stets griffbereit sind, versucht er sie sich tief einzuprägen oder, um eine Metapher Marc Aurels zu gebrauchen, sich einzu-
sind, besagt, daß der überallhin ausgehende Lichtglanz die fleckenlose Wirksamkeit des reinen Geistes selbst sei. Dem widerspricht auch nicht die Ansicht, falls wirklich das Licht selbst körperlos ist, wenn einer annähme, daß auch seine Quelle kein Körper sei, sondern die unbefleckte Wirksamkeit des Geistes, die auf den ihr eigentümlichen Sitz ausgestrahlt wird, der die Mitte des ganzen Himmels erlangt hat, von wo aus sie die himmlischen Kreise erleuchtet und mit herrlicher Kraft erfüllt und alles mit göttlichem und unbeflecktem Licht umstrahlt.«). Man beachte auch die dreifache Verwendung von ἄχραντος an dieser Stelle. Iul. or. . c–a, wiederholt in a/b. Zur Mittlerstellung des Helios siehe etwa auch d–b, d–a, d, c. Iul. or. . c/d und b–a. Iul. or. . b, c. Iul. or. . a und d. Beispielsweise or. . d–a, d–a, a/b; . c, b, d. Zur philosophischen Meditation Hadot (1991); Erler (1998).
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färben . Es genügt nicht, einen Grundsatz einmal niedergeschrieben zu haben, um ihn wirklich zu verinnerlichen. Vielmehr muß man ihn so lange variierend wiederholen, bis man ihn sich ganz zu eigen gemacht und einverleibt hat. Das Niederschreiben kann hier als geistige Übung, als philosophische Praxis gelten, statt bloß dem Festhalten des Erkannten zu dienen. Dem Neuplatonismus waren solche philosophischen Meditationen nicht fremd, wie an Porphyrios’ Sententiae ad intelligibilia ducentes zu erkennen ist . Julian umkreist seinen Gegenstand, gewinnt ihm immer neue Aspekte ab und präzisiert sein Bild der Gottheit schrittweise, bis er schließlich ein angemessenes Verständnis der Göttermutter bzw. des Helios erlangt hat. Das Gesamtbild stellt sich gewissermaßen als eine plötzliche Erleuchtung nach all den meditierenden Reflexionen ein, wenn man sich gänzlich in diese Gedanken versenkt hat. Sobald Julian dieser Gesamtschau teilhaftig geworden ist und sich gänzlich auf sie konzentriert hat, fühlt er sich imstande, sich der Gottheit mit seinem Gebet zu nähern, sich direkt an sie zu wenden. Wie er im Hymnos auf die Göttermutter ausspricht, ergeben sich die Anbetung der Göttin und sein Gebet geradezu folgerichtig aus seiner Meditation . Nun hat Julian diesen zur Erleuchtung führenden Meditationsweg nicht allein für sich selbst aufgezeichnet, sondern den Helioshymnos seinem ebenfalls neuplatonisch geschulten Freund Salutius gewidmet und beabsichtigt, mit ihm andere zu unterweisen, mag auch die Belehrung nicht der Hauptzweck des Werkes gewesen sein. Er wendet sich an alle Menschen, jedenfalls an die mit einer vernünftigen Seele . Daraus folgt aber, daß die Leser der Hymnen Julians meditative Annäherung an die Gottheit nachvollziehen sollen. Obgleich M. Ant. . : οἷα ἂν πολλάκις φαντασθῇς, τοιαύτη σοι ἔσται ἡ διάνοια·
βάπτεται γὰρ ὑπὸ τῶν φαντασιῶν ἡ ψυχή. βάπτε οὖν αὐτὴν τῇ συνεχείᾳ τῶν τοιούτων φαντασιῶν· οἷον, ὅτι ὅπου ζῆν ἐστιν, ἐκεῖ καὶ εὖ ζῆν· ἐν αὐλῇ δὲ ζῆν ἐστιν· ἔστιν ἄρα καὶ εὖ ζῆν ἐν αὐλῇ (»Wie du dir vielmals deine Vorstellungen bildest, so wird dein Denken sein. Eingefärbt nämlich wird von den Vorstellungen die Seele. Färbe sie also durch die ununterbrochene Aneinanderreihung solcher Vorstellungen wie beispielsweise: Wo man leben kann, dort kann man auch gut leben; am Kaiserhof kann man leben, also kann man am Kaiserhof auch gut leben.«). Außerdem wäre hier Boethius’ Consolatio zu nennen. Erler (1998) . Zu meditativen Praktiken im Neuplatonismus siehe auch John Dillon: »The Platonic Philosopher at Prayer«, in: Metaphysik und Religion. Zur Signatur des spätantiken Denkens, hg. von Th. Kobusch und M. Erler. (Beiträge zur Altertumskunde ) München; Leipzig , –. Iul. or. . d. Direkt am Beginn des Hymnos bezeichnet Julian als Adressaten alles, was Anteil an λογικὴ ψυχή und νοῦς habe (b). Zur λογικὴ ψυχή siehe auch Sal. . f., . , . und . . Am Schluß des Helioshymnos wünscht sich Julian, er möge seine Erkenntnisse über den Gott allen vermitteln können, im Privaten aber denen, die sie zu lernen würdig seien (d). Gleichwohl stellt er in Abrede, den Hymnos zur Belehrung verfaßt zu haben (d–a). Eventuell will er damit andeuten, daß der Hymnos eben nicht als Lehrschrift rezipiert, sondern als Modell gewissermaßen praktisch nachvollzogen werden soll.
. Wie kommuniziert man mit dem Göttlichen?
es nicht ihr eigener Gedankengang ist, erschließen auch sie sich schrittweise das Gesamtbild des Gottes, und zwar unter der Führung des Kaisers . Der Leser soll nachempfinden, wie die Worte zur Praxis, zur philosophischen Übung werden, und sich so die grundlegenden Dogmen selbst anverwandeln . Als Modellhymnen geben die beiden Schriften dem heidnischen Leser, zumindest dem gebildeten, eine praktische Anleitung, wie er sein persönliches Heil und zugleich das des römischen Staates sichern kann. Den praktischen, modellhaften Charakter offenbaren nicht zuletzt die Speisevorschriften, auf die Julian ausführlich eingeht. Denn es ist unverkennbar seine Überzeugung, daß man noch in der materiellen Welt durch rituelle Reinheit, aber auch eine tugendhafte Lebensweise das Fundament für den Wiederaufstieg der Seele legen müsse . Das Ziel, den Aufstieg der Seele , erlangt man nur, wenn man den von Julian vorexerzierten Dreischritt aus Wissen, Reinigung und Hinwendung zum Göttlichen absolviert. Wer sich ganz in die Hymnen versenkt, erlangt nicht nur das Wissen um das Wesen der Götter, er vollzieht bereits den ersten Schritt auf dem Weg zur Henosis. Gleichzeitig macht Julian, indem er durch Aussparungsstellen auf das Unsagbare verweist, jedoch deutlich, daß zu den Hymnen Theurgie und Mysterienweihen treten müssen, die den Kontakt mit dem Göttlichen intensivieren. Die Hymnen weisen mithin über sich hinaus. Julians philosophische Hymnen eröffnen im Sinne einer praeparatio den Rezipienten den Weg zum Aufstieg. Eine ähnliche Erfahrung hatte in der frühen Kaiserzeit anscheinend jemand gemacht, als er einen Hymnos des Platonikers Ofellius Laetus gehört hatte und meinte, der Himmel habe sich dadurch ›aufgetan‹ . Gleiches hatte Julian im Sinn, als er seine Meditationen für ein größeres Publikum aufzeichnete. Zwischen den Hymnen Julians und der vermutlich von ihm angeregten Schrift des Salutius bestehen, wie sich im Laufe der Untersuchung erwiesen hat, signifikante Übereinstimmungen. Im Zentrum der Werke steht die Kommunikation mit dem Göttlichen als unabdingbare Voraussetzung für das von Philosophie und Götterverehrung gemeinsam verfolgte Ziel, den Wiederaufstieg der Seele. Das eine Mal wird der Versuch unternommen, die theoretischen Grundlagen Dieser pädagogische Impetus auf religiösem Gebiet zeigt sich auch deutlich in or. . c/d, wo Julian Anweisungen gibt, wie man Mythen zu dichten habe. Im übrigen sieht Libanios Julian als Führer anderer zur Erkenntnis der Götter (or. . ). Anderen persuasiven Strategien der beiden Hymnen geht Hose (2008) nach. Er versteht sie als argumentative Selbstvergewisserung. Iul. or. . a–c. In Zusammenhang mit den rituellen Speisegeboten sagt Julian ausdrücklich: αὐτῆς δὲ τῆς ἁγνείας φαμὲν τὸν σκοπὸν ἄνοδον τῶν ψυχῶν (b). IG II . In diesem platonischen Umfeld dürfte die genannte Wendung wohl keine bloße Metaphorik sein, sondern eine religiöse Erfahrung widerspiegeln. Zuntz (2005) – und Glen W. Bowersock: »Plutarch and the Sublime Hymn of Ofellius Laetus«, in: GRBS , , –.
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für diesen Kontakt zu legen und, indem man den Rezipienten in die Funktion der Kommunikationskanäle einführt, bereits den ersten Schritt auf dem langen Weg zur Henosis zu vollziehen. Wir hatten gesehen, wie die Schrift des Salutius ihren Lesern das erforderliche hermeneutische Grundwissen vermittelt und gleichzeitig selbst Teil des dargestellten Kommunikationssystems ist, insofern sie die Stufe des λόγος repräsentiert. Salutius hat jedoch verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht, daß allein durch den λόγος der Weg nach oben nicht zu beschreiten ist. Ergänzend und aufbauend müssen Mythos, Ritual und Theurgie hinzutreten. Die Brücke hin zu dieser Praxis schlagen Julians Hymnen auf die Göttermutter und den König Helios, indem sie die Rezipienten zum Nachvollzug der philosophischen Meditation auffordern und ihnen im Sinne eines Modells Handreichungen dafür geben, welche spirituelle und lebenspraktische Vorbereitung den Weg zum Aufstieg bereits in der materiellen Welt ebnen. Wer ein komplexes philosophisch-theologisches Weltbild auseinandersetzte und verschiedene Aspekte traditioneller Kulte darin zu integrieren trachtete, rechnete offensichtlich mit einem einigermaßen gebildeten Publikum, das mit den Grundzügen des Neuplatonismus vertraut war, zumindest aber die Bereitschaft mitbrachte, sich in derartige Erörterungen zu vertiefen. Während Julian die breite Masse der Bevölkerung, soweit sie bereits christlich oder jedenfalls religiös indifferent war, durch den Vollzug der Kultpraxis für das Heidentum zu gewinnen suchte, verfolgten er und sein Mitstreiter Salutius im Hinblick auf die gebildeten Schichten die Strategie, sie durch diskursive Mittel für den paganen Götterkult einzunehmen. Was bei Julian der Unterricht in der Schule des Maximus ausgelöst haben mochte, erhoffte er sich wohl auch für die Leser dieser paganen Einführungsschriften. Der Kaiser und sein Freund Salutius hatten erkannt, daß in einer Zeit, da religiöse Kontroversen von philosophisch geschulten Männern ausgefochten wurden, es nicht genügte, auf die bloße Kultpraxis zu setzen, wenn man neue Anhänger gewinnen wollte. Erwartet wurde eine theologische Fundierung des Heidentums, die philosophischen Ansprüchen genügte. Angesichts christlicher Kritik an anstößigen Mythen, blutigen Opfern und der Verehrung von Götterbildern bedurfte es eines in sich konsistenten theologischen Lehrgebäudes, das auf derlei Fragen Antworten zu geben und Attacken zu erwidern vermochte. Unübersehbar ist bei Salutius wie bei Julian die Tendenz, diese Notwendigkeit zu einer Homogenisierung zu nutzen. Beide gründeten ihre Darstellungen auf das Fundament des von Jamblich geprägten Neuplatonismus und erweckten damit den Anschein, als sei dieser das Dogma, dem alle Heiden folgten. Die pagane Götterverehrung sollte so vereinheitlicht werden, andere Tendenzen – man denke etwa an die traditionelle Religiosität eines Libanios oder die Bildungsreligion eines Themistios – sollten stillschweigend in dieses uniforme Heidentum integriert oder an den Rand gedrängt werden. Dieses Bestreben trat in Julians Synkretismus überdeutlich zutage. Seine Hymnen dienten nicht zuletzt dem Ziel, einerseits den traditionellen Kult und die gängigen Vorstel-
. Anpassung und Widerstand
lungen von den Göttern in das neuplatonische Weltbild zu integrieren und andererseits möglichst viele Götter des Pantheons sowie orientalische Gottheiten miteinander zu verknüpfen, wenn nicht in eins zu setzen. Der Kaiser griff, indem er Helios zum Universalgott erhob, monotheistische Strömungen, die im Heidentum dieser Zeit Anklang fanden, auf und reduzierte gewissermaßen die Vielzahl der Götter auf ein einziges göttliches Prinzip. Die Vielfalt sollte so in eine Einheit münden, damit man mit einer scharfen religiösen Identität dem für viele attraktiven Christentum entgegentreten konnte. Als dritter wichtiger Punkt ist gerade diese Frontstellung zum Christentum festzuhalten. Wenn Julian alle denkbaren Kulte, griechische, römische, phrygische oder phönizische, synkretistisch zusammenfaßte und unter einem Dach vereinigte, so blieb eine Gruppe stets ausgeschlossen: die Christen. Salutius setzte sich nicht nur, wenn er Mythen oder Opfer in Schutz nahm, implizit mit den Christen auseinander, sondern wandte sich ebenso offen gegen sie, indem er ihnen den Status einer Religionsgemeinschaft absprach und sie marginalisierte . Noch deutlicher wird diese Stoßrichtung in Julians Hymnen. Durch seinen eigenen Lebensweg, seine Bekehrung und Hinwendung zu den Göttern, zeigt er seinem Publikum den Weg auf, für das persönliche Heil zu sorgen. Der Auseinandersetzung mit den Gottlosen wohnte freilich auch eine politische Dimension inne, war doch auch das Wohlergehen des Römischen Reiches eng an den paganen Götterkult geknüpft. Nur wenn es gelang, das Dunkel des Christentums durch das Licht der Solartheologie zu vertreiben, wie es Julian in seinen Gebeten wünscht, bestand Aussicht, auch das kollektive Heil zu sichern. Salutius und der Kaiser brachten den Neuplatonismus als überlegenes Gegenstück gegen das Christentum in Stellung. Sie verfolgten damit die Linie weiter, die ihnen Porphyrios in seiner Schrift Gegen die Christen vorgezeichnet hatte. Wenn man dem vielleicht noch unschlüssigen Leser vermittelte, wie er für das Heil seiner Seele sorgen konnte, dann, so mochten Salutius und Julian hoffen, werde sich das Christentum als das erweisen, was es war: eine von den Göttern als Strafe gesandte Verblendung .
. Anpassung und Widerstand Während die soeben vorgestellten Schriften nicht primär der Auseinandersetzung mit den Christen galten, auch wenn diese durchaus eine wichtige Rolle spielte, richteten sich die heidnischen Autoren bei anderer Gelegenheit gezielt Er spricht nämlich davon, daß die Gottlosigkeit ›in einigen Gegenden der Welt‹ (περί τινας τόπους τῆς γῆς) aufgetreten sei (Sal. . ). Der Begriff geht zurück auf Franz Cumont: »La théologie solaire du paganisme romain«, in: MAIBL /, (), –. So Sal. . .
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gegen die religiöse Konkurrenz. Eine direkte Beschäftigung mit dem Verhältnis von Heiden und Christen mußte den paganen Autoren des vierten Jahrhunderts um so mehr geraten scheinen, als einschneidende Ereignisse und Entwicklungen die Stellung der christlichen Religion im Römischen Reich grundlegend änderten. Nachdem mit der Tetrarchie noch neue Christenverfolgungen einhergegangen waren, mußte Kaiser Galerius die Erfolglosigkeit solcher Maßnahmen eingestehen und erkannte in einem Edikt vom April das Christentum als religio licita an . Auf diesem Boden konnte Konstantin dazu übergehen, das Christentum sogar aktiv zu fördern und zu unterstützen. Die Kehrseite dieser Politik war, daß die heidnischen Kulte allmählich die Gunst des Kaisers verloren, auch wenn Konstantin noch keine energischen Maßnahmen gegen sie ergriff . Schon sein Sohn Constantius jedoch versuchte auf dem Wege der Gesetzgebung Opfer zu verbieten und Tempel zu schließen . Firmicus Maternus fand mit seinem Vorschlag, alle paganen Kulte gewaltsam auszurotten, freilich noch kein Gehör . Schließlich wurde der religiöse Spielraum der Heiden entscheidend beschnitten, als Theodosius nicht nur das katholische Christentum zur alleinigen Staatsreligion erhob , sondern in den Jahren und jeglichen paganen Götterkult untersagte . Es wäre vor dem Hintergrund dieser Maßnahmen oder angesichts christlicher Äußerungen der Zeit, daß es beinahe keine Heiden mehr gebe , zwar verfehlt anzunehmen, das Christentum habe sich bereits damals im ganzen Reich durchgesetzt. Gleichwohl war unübersehbar, daß die neue Religion mit allerhöchster Unterstützung ihre Position deutlich verbessert und gestärkt hatte, und zwar auf Kosten der alten Kulte. Auch wenn quantifizierende Angaben unmöglich sind, steht außer Zweifel, daß die christlichen Gemeinden im vierten Jahrhundert einigen Zulauf hatten, obgleich Christen absolut gesehen noch Lact. mort. pers. ; Eus. h. e. . . –. Euseb erwähnt für Konstantin ein Opferverbot (Eus. v. C. . ), das in seiner Reichweite umstritten ist. Leppin (1999a) und Girardet (2006) f. mit weiterer Literatur. Zu Konstantins Politik gegenüber Heiden Girardet (2006) –. CTh . . (Opferverbot, ); . . (Verbot, Tempel zu betreten, /); . . (Verbot nächtlicher Opfer, ); . . (Verbot von Opfern und Bilderverehrung, ). Von der Ahndung von Übertretungen dieser Vorschriften und tatsächlich verhängten Strafen hört man allerdings so gut wie nichts. Gegen Tempelzerstörungen und andere Übergriffe christlicher Gewalttäter schritt Constantius andererseits nicht ein, hieß sie also zumindest indirekt gut. Ein eher positives Bild der Religionspolitik des Constantius versucht Leppin (1999a) zu zeichnen. Firmicus Maternus, De errore profanarum religionum, verfaßt zwischen und ; dort besonders . , . , . . Das Edikt Cunctos populos von (CTh . . ). CTh . . (. . ) und . . (. . ). Eus. v. C. . spricht davon, daß Konstantin jeglichen polytheistischen Irrtum vernichtet habe. Siehe etwa auch Chrys. Jud. et gent. . (PG , ); pan. Bab. . f. und (PG , und ). CTh . . (von ) macht etwa die Einschränkung ›sofern es überhaupt noch Heiden gibt‹.
. Anpassung und Widerstand
die Minderheit bildeten. Gerade im Osten machten sich Mönche auch mit Gewalt daran, die pagane Landbevölkerung von der Überlegenheit des christlichen Bekenntnisses zu überzeugen. Wenn sich die paganen Autoren zum Verhältnis von Heiden und Christen äußerten, konnten sie diesen fundamentalen Umbruch nicht gänzlich ignorieren. Mochte sich Julian auch in seiner Schrift Gegen die Galiläer über weite Strecken aus dem Argumentationsfundus bedienen, der bereits Celsus, Porphyrios oder Hierokles zur Verfügung gestanden hatte – die Übereinstimmungen sind nicht zu verkennen – , so mußten, wie man vermuten kann, dieselben Argumente in einem gewandelten Kontext doch neue Funktionen übernehmen. Ob und inwieweit die Heiden sich auf die geänderten Bedingungen einließen, soll nun an Julian, Themistios und Libanios näher beleuchtet werden .
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Grenzziehung
Insbesondere bei Kaiser Julian selbst war, da er eine gründliche christliche Erziehung genossen hatte, zu erwarten, daß er mit profunden Kenntnissen in die Auseinandersetzung mit den Christen eintrat. Wie aus seinen beiden Prosahymnen hervorgeht, nahm die Frontstellung zu den Gottlosen einen wichtigen Platz in seinem Denken ein, doch beschränkte sich sein Vorgehen in der Religionsfrage nicht auf reine Konfrontation. Er verschloß sich nämlich nicht der Erkenntnis, daß der Zulauf, den die christlichen Gemeinden verbuchen konnten, mit der Verfassung des Christentums unmittelbar zusammenhing. Jedenfalls legen Briefe Zeugnis dafür ab, daß der Kaiser einige praktische Aspekte des Kontrahenten durchaus zu schätzen wußte. In zwei programmatischen Schreiben wandte er sich mit der Autorität des pontifex maximus an Vertreter der paganen Priesterschaft, um grundlegende Dogmen mitzuteilen und organisatorische Anordnungen zu treffen . Ende des Jahres verfaßt, geben diese über weite Meredith (1980); Hargis (1999). Bowersock (1990) erinnert daran, daß auch das Christentum auf das Heidentum Einfluß ausübte. Dies wird sich an den folgenden drei Beispielen zeigen. Siehe Iul. ep. b. d. Zu Julians Auffassung seiner Aufgabe als pontifex maximus siehe Ruth Stepper: Augustus et sacerdos. Untersuchungen zum römischen Kaiser als Priester. (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge ) Stuttgart , –. Iul. ep. und a/b. Der nur bei Soz. h. e. . . – überlieferte Brief ist wohl in der zweiten Hälfte des Jahres an Arsakios, den Oberpriester von Galatien, gerichtet. In Brief a teilt Julian einem Theodoros die Ernennung zum Oberpriester von Asien mit (ob der Adressat mit demjenigen von ep. identisch ist, ist ungewiß). Das umfangreiche Brieffragment b ist in der handschriftlichen Überlieferung (Codex Vossianus) in Julians Schreiben an Themistios erhalten. Inhaltliche Übereinstimmungen legen jedoch die Vermutung nahe, daß es sich um die Fortsetzung der ebenfalls fragmentarischen ep. a handelt. Asmus (1896) –; Bidez (1924) . Van Nuffelen () – vertritt die Ansicht, ep. sei eine christliche Fälschung, die aus ep. herausgesponnen worden sei. Hintergrund sei die Polemik Gregors von Nazianz, Julian habe christliche
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Strecken paränetischen Briefe eine deutliche Vorstellung, wie Julian die pagane Kultausübung und die Priesterschaft zu reformieren gedachte, damit eine der christlichen Kirche ebenbürtige Organisation entstünde . Ihre Tragweite zeigt sich, wenn man die zugrundeliegende Kommunikationssituation näher betrachtet. Zwar spricht Julian hier jeweils zu einem Priester, er hat aber über diese primären Adressaten einen weiteren Personenkreis im Auge. Erwartet er doch, daß die beiden in der Priesterhierarchie oben rangierenden Gesinnungsgenossen das, was der Kaiser ihnen mitzuteilen hat, an die ihnen unterstehende Priesterschaft weitergeben und über die gewissenhafte Ausführung der Vorschriften wachen . Darüber hinaus soll Arsakios, der Oberpriester Galatiens, auch die übrigen Heiden zur tatkräftigen Unterstützung der hellenischen Sache anhalten , und ebenso hat der an Theodoros gerichtete zweite Brief die Vorbildfunktion im Auge, die Priester für die übrige Bevölkerung ausüben . Insofern ist es legitim, diese Schreiben als Pastoralbriefe den einschlägigen Stücken des Neuen Testaments an die Seite zu stellen, für die dieselbe Kommunikationssituation zwischen einer Autoritätsperson, einem Weisungsempfänger und einer größeren Gruppe charakteristisch ist . Zwei Punkte sind es, die Julian hier besonders am Herzen liegen. Zum einen ist ihm daran gelegen, mit Hilfe von Leitlinien zu Ethik und Bildung einen möglichst homogenen paganen Klerus zu schaffen. Dessen Angehörige sollen nicht allein die richtige Haltung gegenüber
Einrichtungen nachahmen wollen. Die dafür vorgebrachten Argumente sind allerdings nicht stichhaltig. Daß Julian in der inscriptio des Briefes als Caesar tituliert wird, mag ein Versehen in der Überlieferung sein, und Diskrepanzen zwischen ep. und erklären sich aus dem verschiedenen Charakter der Schreiben. Brief ist ein eher privater Begleitbrief zum offiziellen Rundschreiben, Brief dagegen eine konkrete Anweisung. Nicholson (1994) betont, daß es im Hinblick auf die Priester weniger um den organisatorischen Aspekt als um persönliche Frömmigkeit, Devotion und Abgeschiedenheit ging. Darin habe Julian einen Vorsprung des Christentums gesehen. Iul. ep. . a/b; a. d; b. b–d. Der Duktus des gesamten Briefes zeigt, daß der eigentliche Adressat weniger Theodoros ist als die ihm unterstellten Priester bzw. die ganze pagane Gemeinde. Iul. ep. . a/b. Arsakios soll eine strenge Sittenaufsicht über die Priester führen und sie zur Tugendübung anhalten sowie die ›Hellenisten‹ dazu anleiten, Beiträge zur Armenfürsorge zu leisten (d–a). Iul. ep. b. c, a/b, im weiteren ausgeführt durch einen Katalog von Kriterien dafür, was einen guten Priester ausmacht. Vgl. und Tim und Tit im Neuen Testament. Berger (1984) –; Michael Wolter: Die Pastoralbriefe als Paulustradition. (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments ) Göttingen ; Raymond F. Collins: Art. »Pastoralbriefe«, in: RGG , , –. Enge Verwandtschaft besteht natürlich auch zur Tradition der Prosaparänese (beispielsweise Isoc. or. und ). Als Pastoralbriefe wertete Julians Schreiben zuerst Edward Gibbon: The History of the Decline and Fall of the Roman Empire. London , [zuerst –]. Siehe ferner Koch (1927/8); Wolter (op. cit.) –; Fowden (1998) f.; Rosen (2006) –. Zu weit geht Asmus (1896), wenn er in ep. , , und a/b Vorläufer einer ›Enzyklika‹ Julians sieht.
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den Göttern zeigen, sondern durch ihr Verhalten vorbildhaft wirken und sich an geeigneten, insbesondere philosophischen Schriften erbauen . Zum zweiten verfolgt Julian das Ziel, durch umfassende karitative Tätigkeiten auch die unteren Bevölkerungsgruppen für seine pagane Restauration zu gewinnen . Almosen für Bedürftige und Herbergen , alles, was unter dem zentralen Terminus der φιλανθρωπία subsumiert werden kann, soll dazu verhelfen, den Boden wiederzugewinnen, den man bisher den Christen und ihrer ἀγάπη überlassen hatte. Hätte Julian die Zeit gehabt, diese Maßnahmen in die Tat umzusetzen, wäre die Organisation des Heidentums auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden . Wie stark sich der Kaiser hier von den Gegebenheiten der christlichen Kirche inspirieren ließ, liegt auf der Hand, und auch Gregor von Nazianz und Sozomenos unterstellten ihm die Intention, eine pagane Kirche zu gründen . Ob der Begriff der Kirche die zum Teil ziemlich unsystematischen Bestrebungen trifft, mag dahingestellt sein, gewiß ist aber, daß Julian selbst die Konfrontation mit den Christen suchte. In beiden Schreiben setzt er sich nicht nur in dogmatischer Hinsicht mit den Christen auseinander, sondern weist explizit auf die christliche Fürsorgetätigkeit hin . Gerade die Parallele zu christlichen Praktiken brachte ihn freilich in Erklärungsnot, wenn er sich nicht dem begründeten Verdacht aussetzen wollte, vom Feind zu lernen. In apologetischer Haltung bemüht er sich deshalb, seine philanthropischen Maßnahmen auf Homer und uralte griechische Bräuche zurückzuführen und damit den Altersbeweis für die Heiden zu entscheiden . Wie tief Julian bei seinen Hahn (2007) arbeitet heraus, daß Julian mit der Herauslösung des neuen Priesters aus der traditionellen sozialen Elite eine Neustrukturierung der Gesellschaft herbeigeführt hätte. Von paganer Fürsorgetätigkeit spricht im übrigen auch Lib. or. . und . . Kislinger (1984); Hiltbrunner (1988) f.; ferner Otto Hiltbrunner: Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum. Darmstadt , –. Umstritten ist, inwieweit es Julians Intention war, eine ›pagane Kirche‹ zu gründen. Allein an dieser modernen Bezeichnung hängt nicht viel, solange man berücksichtigt, daß Julian zwar christliche Institutionen als Vorbilder rezipierte, gleichzeitig aber auf paganen Traditionen aufbauen konnte. Neu war jedenfalls der Versuch, einen einheitlichen Priestertypus mit klarem Verhaltenscodex zu schaffen. Das Konzept einer paganen Kirche sehen beispielsweise Koch (1927/8), Raeder (1944) , Bowersock (1978) –, Athanassiadi (1992a) und , Fowden (1998) –, Hargis (1999) f. und Limberis (2000) . Mazza (1998) und Rosen (2006) wenden sich gegen den Begriff der Kirche. Gr. Naz. or. . ; Soz. h. e. . . Iul. ep. . d, d, b; b. c/d. Iul. ep. . a/b: [. . .] τοὺς ῾Ελληνικοὺς ταῖς τοιαύταις εὐποιίαις προσέθιζε,
διδάσκων αὐτοὺς ὡς τοῦτο πάλαι ἦν ἡμέτερον ἔργον. ῞Ομηρος γοῦν αὐτὸ πεποίηκεν Εὔμαιον λέγοντα· ξεῖν’, οὔ μοι θέμις ἔστ’, οὐδ’ εἰ κακίων σέθεν ἔλθοι, | ξεῖνον ἀτιμῆσαι· πρὸς γὰρ ∆ιός εἰσιν ἅπαντες | ξεῖνοί τε πτωχοί τε· δόσις δ’ ὀλίγη τε φίλη τε. Μὴ δὴ τὰ παρ’ ἡμῖν ἀγαθὰ παραζηλοῦν ἄλλοις ξυγχωροῦντες αὐτοὶ τῇ ῥᾳθυμίᾳ καταισχύνωμεν, μᾶλλον δὲ καταπροώμεθα
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Anordnungen von christlichem Gedankengut durchdrungen war, scheint selbst bis in den Wortlaut der Briefe durch. Einige der von ihm gewählten Termini, etwa ξενοδοχεῖον und παραζηλόω, scheinen nämlich zu dieser Zeit bereits christlich besetzt gewesen zu sein . So zeigen die beiden Pastoralbriefe entgegen ihrer Intention, daß auch der letzte heidnische Kaiser nicht umhinkonnte, sich in seinen diskursiven wie nichtdiskursiven Maßnahmen an den neuen Spielregeln des religiösen Feldes auszurichten. Der fundamentalen Kritik des Christentums waren dann die drei Bücher Gegen die Galiläer gewidmet, auf die Julian in den Pastoralbriefen angespielt hatte und die er um die Jahreswende / in Antiochia ausarbeitete. Libanios zufolge stellte Julian dabei die Polemik des Porphyrios gegen die christliche Religion in den Schatten (Lib. or. . ). Wie dessen im Jahre dem Feuer übergebene Kampfschrift wurde auch Julians Werk ein Opfer der christlichen Zensur. Hätte nicht Kyrill von Alexandria sie einer Widerlegung gewürdigt, so daß zumindest einige Fragmente erhalten sind, wäre sie heute gänzlich verloren . Da Kyrills Erwiderung ihrerseits durch die Überlieferung verstümmelt wurde, sind ausschließlich Partien aus Julians erstem Buch erhalten, weshalb Aussagen über die Intention des Werkes unter Vorbehalt stehen, zumal Kyrill seine Zitate selbstverständlich nicht unparteiisch ausgewählt und gekürzt hat. Es liegen somit hauptsächlich Textstücke vor, in denen sich Julian mit dem Alten Testament als dem Fundament der christlichen Religion auseinandersetzt . Um das jüdisch-christliche Gottesbild als unangemessen zu entlarven, konfrontiert der Kaiser über weite Strecken den Schöpfungsbericht der Genesis
τὴν εἰς τοὺς θεοὺς εὐλάβειαν (»[. . .] Gewöhne die hellenisch Gesinnten an derartige Werke der Wohltätigkeit, indem du sie belehrst, daß dies längst unser Werk gewesen ist. Homer jedenfalls läßt Eumaios sagen: ›Fremder, nicht ist es mir Brauch, auch nicht, wenn ein Geringerer als du käme, den Fremden zu verachten; von Zeus nämlich sind alle, Fremde und Bettler; gering ist meine Gabe, aber von Herzen.‹ [Od. . –] Nicht wollen wir es zulassen, daß andere die uns gehörenden guten Werke eifernd nachahmen, während wir selbst sie durch Nachlässigkeit entehren, ja mehr noch die Ehrfurcht vor den Göttern von uns werfen!«). Vgl. ep. a. b/c; b. b–c (erneut mit einem Homerzitat als Beleg, Od. . f.), a/b. Iul. ep. . c, b. Zum Wortfeld ξενοδοχέω vgl. etwa Clem. prot. ; Bas. reg. br. tit.; Gr. Naz. carm. . . . ; Chrys. hom in Heb. . . Kislinger (1984); Hiltbrunner (1988) ; Olivia Remie Constable: Housing the Stranger in the Mediterranean World. Lodging, Trade, and Travel in Late Antiquity and the Middle Ages. Cambridge , –. Zu παραζηλόω LXX Ps. . ; Röm . ; Clem. str. . und . ; Chrys. hom in Mt. . . Iul. ep. b. c, a/b. Außerdem kündigte er das Werk in einem an den häretischen Bischof Photinus gerichteten Brief an (ep. ). Edition bei Masaracchia (1990). Dieser Ausgabe folgt im weiteren die Zählung der Fragmente. Dazu Cook (2004) –.
. Anpassung und Widerstand
mit dem platonischen Timaios . Ebenso wird die Geschichte vom Turmbau zu Babel herangezogen, damit Widersprüche innerhalb der Darstellung Gottes im Alten Testament offenbar werden . Weitere Fragmente zeigen auf, daß sich aus dem Alten Testament mitnichten Vorausdeutungen auf das Kommen Jesu ableiten ließen , und schließlich bemüht sich Julian, auf Ungereimtheiten zwischen den Evangelien aufmerksam zu machen, so daß der Status Christi zwischen Mensch und Gott zweifelhaft bleibt . Gleich am Anfang der Schrift Gegen die Galiläer zeigt Julian, wenn er seine Intention beschreibt, die wichtigsten Eigenschaften des Christentums auf, die seine Angriffe herausfordern: Καλῶς ἔχειν μοι φαίνεται τὰς αἰτίας ἐκθέσθαι πᾶσιν ἀνθρώποις, ὑφ’ ὧν ἐπείσθην ὅτι τῶν Γαλιλαίων ἡ σκευωρία πλάσμα ἐστὶν ἀνθρώπων ὑπὸ κακουργίας συντεθέν. ἔχουσα μὲν οὐδὲν θεῖον, ἀποχρησαμένη δὲ τῷ φιλομύθῳ καὶ παιδαριώδει καὶ ἀνοήτῳ τῆς ψυχῆς μορίῳ, τὴν τερατολογίαν εἰς πίστιν ἤγαγεν ἀληθείας. (Iul. Gal. fr. ) Es scheint mir richtig, allen Menschen die Gründe darzulegen, die mich zu der Überzeugung gebracht haben, daß die Intrige der Galiläer eine Erfindung von Menschen ist, die aus Bosheit ins Werk gesetzt wurde. Obwohl sie nichts Göttliches hat, sondern sich des mythenliebenden, kindischen und unvernünftigen Seelenteils bedient, hat sie den Wundererzählungen den Anschein der Wahrheit verliehen.
Von vornherein läßt er keinen Zweifel daran aufkommen, daß das Christentum in seinen Augen keine Religion ist, sondern auf Machinationen böswilliger Menschen und Einbildung zurückgeht . Während sich eine wahre Religion an den vernünftigen Teil der Seele hält und sich philosophisch fundieren läßt , wenden sich die Erfinder des Christentums an die niedrigsten Regungen im Menschen, so daß sie leicht auf Glauben stoßen. Mit einer Reihe äußerst negativ konnotierter Begriffe belegt Julian seine Gegner, um den Leser gegen die Galiläer einzunehmen. Das hinter der christlichen Intrige stehende Motiv der κακουργία gibt anschließend die Form der Auseinandersetzung vor. Wie aus dem nächsten Fragment hervorgeht, sieht sich der Kaiser nämlich gleichsam vor einem Gericht, dem er als Kläger die unlauteren Machenschaften der Gegenseite erläutern will (fr. ). Als wäre er nicht nur Ankläger, sondern auch Leiter des Verfahrens, maßt Julian es sich an, das Procedere der Auseinandersetzung festzulegen. Wer ihm etwas entgegnen wolle, der dürfe nichts Irrelevantes von Iul. Gal. fr. f., –. Vgl. dazu jetzt De Vita (2008), die annimmt, daß sich Julian hier speziell mit Origenes auseinandersetze. Zu Julians Darstellung des Christengottes siehe auch Opsomer (2008) –. Iul. Gal. fr. –. Iul. Gal. fr. –, . Iul. Gal. fr. , –, f. Zur Auseinandersetzung mit dem Neuen Testament Cook (2000) –. In fr. bezeichnet Julian die Evangelien erneut als σκευωρία. Dasselbe hebt Libanios in seiner kurzen Charakterisierung der Galiläerschrift hervor (or. . ). Vgl. Iul. or. . b.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
außen herbeiholen und nicht zur Gegenklage übergehen, ehe er sich nicht selbst gegen die ersten Vorwürfe verteidigt habe. Es handelt sich demnach um eine veritable Klageschrift, und Julian selbst bestimmt die Regeln, denen die Kontroverse folgen soll. Er versucht, die Christen von Anfang an in die Defensive zu drängen, und scheint dieses Mal, jedenfalls nach eigenem Bekunden, selbst das Heft in der Hand zu halten, statt wie in den Pastoralschreiben sein Vorgehen von außen bestimmen zu lassen. Im folgenden weist der Kaiser mit einiger Bibelkenntnis in der Tat nach, welche Unstimmigkeiten die biblischen Erzählungen bergen und wie unangemessen, um nicht zu sagen gotteslästerlich das Bild Gottes im Alten Testament ist. Er greift hierbei nicht nur einigermaßen pedantisch Nebensächlichkeiten heraus wie etwa die Frage, in welcher Sprache sich die Schlange mit Eva unterhalten habe (fr. ), oder den Umstand, daß die Menschen in Babel, selbst wenn sie eine einzige Sprache gesprochen hätten, niemals einen bis zum Himmel reichenden Turm hätten erbauen können (fr. ), sondern wendet sich insbesondere gegen Eigenschaften des jüdisch-christlichen Gottes, die einer stoisch grundierten Auffassung diametral widersprachen . Daß Gott aus Mißgunst Adam und Eva den Baum der Erkenntnis vorenthalten will oder in blindem Zorn wütet , ist mit der vernünftigen Vorstellung eines affektlosen Gottes unvereinbar. Derartige Erzählungen beweisen, sofern man sie nicht als Mythen allegorisch deutet, daß die Christen jeglicher Erkenntnis des Gottes bar sind (fr. ). Durch diese polemischen Angriffe scheint indes hindurch, daß Julian keineswegs von der Warte des weit überlegenen, unanfechtbaren Klägers seine unterlegenen Gegner attackiert. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, als ginge es darum, in einem offenen Wettkampf die Führungsposition gegen Konkurrenten zu behaupten. Schon wenn er die Mythenhaftigkeit biblischer Erzählungen kritisiert, findet er sich immerhin zu dem Zugeständnis bereit, daß es bei den Griechen durchaus ähnliche mythenhafte, d. h. unglaubliche und anstößige, Geschichten gebe. Nicht zufällig führt er als Beispiel den Mythos von Kronos und seinen Kindern an, eine gerade von den Christen immer wieder angegriffene Erählung . Zwar deutet Julian an, daß er – im Gegensatz Der jüdisch-christliche Gott weiß offenbar nicht, daß die Frau für Adam schädlich ist (fr. ); seine an Adam und Eva gerichteten Verbote zeigen, daß er nicht wohlmeinend ist (fr. ); er verbietet dem Menschen die Erkenntnis des Guten und des Schlechten (fr. ); er ist neidisch (fr. ); Gott ist eifersüchtig, da er alle außer Juden und Christen im Irrtum verharren läßt (fr. ). Iul. Gal. fr. . Julian bezieht sich hier auf das maßlose Wüten Gottes gegen Israel, das erst durch den Eiferer Pinehas beendet wird (Num ). Julian konfrontiert mit dem Zorn des jüdischen Gottes die Milde der griechischen Gesetzgeber (Lykurg, Solon) und des römischen Rechtes (fr. ). Iul. Gal. fr. : οὐκοῦν ῞Ελληνες μὲν τοὺς μύθους ἔπλασαν ὑπὲρ τῶν θεῶν ἀπίστους καὶ τερατώδεις (»Also haben die Griechen ihre Mythen über die Götter unglaubwürdig und wundersam gedichtet.«). Als Beispiele nennt Julian außer Kronos widernatürliche Verbindungen wie die zwischen Zeus und seiner Mutter bzw. seiner
. Anpassung und Widerstand
zum christlichen Verständnis der Bibel – solche Mythen allegorisch zu deuten und damit von ihrer fragwürdigen Einkleidung zu befreien weiß (fr. ), doch tun seine Äußerungen unmißverständlich kund, daß prinzipiell griechische Mythen ebenso unglaubwürdig sein können wie Gegenstücke aus dem Alten Testament . Ebenso hört man die apologetische Intention heraus, wenn Julian sich mit der Opferpraxis befaßt, die bekanntlich eine der vornehmlichen Zielscheiben christlicher Kritik war . Obgleich er dieses Thema in erster Linie deshalb aufgreift, weil es ihm die Gelegenheit bietet, erneut den Abfall der Christen von der jüdischen Kultpraxis zur Sprache zu bringen, ist nicht zu übersehen, daß es ihm hier ebenso darum geht, die paganen Opfer mit Hilfe der jüdischen Parallele als geradezu natürliche Art der Gottesverehrung zu erweisen. Explizit stellt er die Opfer der Zeit Abrahams mit denen der Heiden auf eine Stufe , damit die Opferpraxis gegenüber dem christlichen Verzicht auf sie plausibel erscheint. Wie stark Julian bei seinen Erörterungen von christlicher Kritik beeinflußt ist, geht dann aus einer Partie hervor, in der er sich explizit gegen Angriffe Eusebs zur Wehr setzt: ἀλλ’ ὁ τῆς πολιτείας θεσμὸς καὶ τύπος τῶν δικαστηρίων, ἡ δὲ περὶ τὰς πόλεις οἰκονομία καὶ τὸ κάλλος, ἡ δὲ ἐν τοῖς μαθήμασιν ἐπίδοσις, ἡ δὲ ἐν ταῖς ἐλευθερίοις τέχναις ἄσκησις οὐχ ῾Εβραίων μὲν ἦν ἀγρία καὶ βαρβαρική; καίτοι βούλεται ὁ μοχθηρὸς Εὐσέβιος εἶναί τινα καὶ παρ’ αὐτοῖς ἑξάμετρα καὶ φιλοτιμεῖται λογικὴν εἶναι πραγματείαν παρὰ τοῖς ῾Εβραίοις, ἧς τοὔνομα ἀκήκοε παρὰ τοῖς ῞Ελλησι. ποῖον ἰατρικῆς εἶδος ἀνεφάνη παρὰ τοῖς ῾Εβραίοις, ὥσπερ ἐν ῞Ελλησι τῆς ῾Ιπποκράτους καί τινων ἄλλων μετ’ ἐκεῖνον αἱρέσεων; (Iul. Gal. fr. ) Aber die Einrichtung der politischen Verfassung, das Gerichtswesen, die Verwaltung und schöne Einrichtung der Städte, der wissenschaftliche Fortschritt und die Übung in den freien Künsten, war das nicht in roher und barbarischer Form bei den Hebräern vorhanden? Und doch will der Schuft Euseb, daß es auch bei ihnen Hexameterdichtung gegeben habe, und eifert, daß es bei den Hebräern die Beschäftigung mit Logik gegeben habe, deren Bezeichnung er doch nur bei den Griechen gehört hat. Welche Art von Heilkunst trat denn bei den Hebräern hervor, wie bei den Griechen die des Hippokrates und einiger anderer Schulen nach jenem?
Tochter sowie die Zerstückelung und Wiederherstellung des Dionysos. Julian steht mit dieser Kritik natürlich in der Tradition des Xenophanes oder Platons. In fr. räumt Julian umstandslos ein, daß Homers Erzählung von den drei Berge aufeinander türmenden Aloaden der Mythenhaftigkeit des Turmbaus zu Babel in nichts nachstehe. Iul. Gal. fr. –, , f., –. ῎Εθυε μὲν γὰρ ᾿Αβραάμ, ὥσπερ καὶ ἡμεῖς, ἀεὶ καὶ συνεχῶς, ἐχρῆτο δὲ μαντικῇ τῇ τῶν διᾳττόντων ἄστρων· ῾Ελληνικὸν ἴσως καὶ τοῦτο (»Es opferte Abraham wie auch wir stets und ohne Unterlaß und er bediente sich der Mantik durch Sternschnuppen; griechisch ist vielleicht auch dies.«, fr. . c).
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Gegen Euseb, der kulturelle Errungenschaften für die Juden reklamiert, um deren Vorrang vor der griechischen Kultur zu postulieren , erachtet es der Kaiser für nötig, die Leistung der Griechen, also der Heiden, in allen wesentlichen Bereichen menschlicher Kultur in Schutz zu nehmen. Die Herabsetzung des Christentums, das hier als Erbe des Judentums verstanden wird, geht in Julians Schrift Hand in Hand mit dem Versuch, die Überlegenheit des paganen Griechentums glaubwürdig zu versichern. Gleichzeitig zeigt sich in diesem und ähnlichen Fragmenten eine weitere Tendenz in Julians Auseinandersetzung mit dem Christentum. Es scheint hier nämlich kaum noch die religiöse Frage im Mittelpunkt zu stehen, sondern vielmehr die Zivilisationsleistung eines Volkes, die sich in der politischen Verfassung, dem städtischen Leben, Wissenschaft und Bildung sowie der Literatur manifestiert . Ebenso tritt der religiöse Aspekt in den Hintergrund, wenn Julian den ›weisesten‹ Salomon mit Phokylides, Theognis und Isokrates, also den praeceptores Graeciae, vergleicht. Würde man die Paränesen des Isokrates neben die Sprüche Salomons halten, würde sich sogleich die Überlegenheit des Griechen herausstellen. Von Tugend und Weisheit könne man im Falle Salomons gar nicht reden, da er sich habe von Lust verleiten und von den Worten einer Frau täuschen lassen . Daß Weisheit und Wissenschaft spezifisch griechische Charakteristika seien oder, sofern sie ihre Wurzeln bei anderen Völkern hätten, von den Griechen jedenfalls zur Blüte gebracht worden seien, führt Julian an anderer Stelle weiter aus . Astronomie, Geometrie, Arithmetik hätten die Griechen zusammen mit der Musiktheorie zu einer Einheit – dem später sogenannten Quadrivium – zusammengefügt, während die Christen keinen Anspruch auf den Ursprung der Wissenschaft erheben könnten (fr. ). Die Überlegenheit der Hellenen erschöpft sich jedoch nicht in Bildung und Kultur, auch auf dem Gebiet von Politik und Militär haben sie Julian zufolge alles, worauf sich die Juden berufen könnten, in den Schatten gestellt. Von den Leistungen der Könige Perseus, Aiakos und Minos im Krieg wie im Frieden bis hin zum vorbildlichen Verhalten eines Aristides, Kimon, Thales, Lykurg, Agesilaos und Archidamos reicht es, was der Kaiser für die Griechen gegen Juden und Christen ins Feld führt. Von der angeblichen Tapferkeit eines David oder Samson und der äußerst begrenzten Herrschaft über Judäa sollte man angesichts dieser Übermacht lieber schweigen . Es hat den Anschein, als wäre Julian nicht allein dazu angetreten, die christliche Religion als von Menschen ersonnene List und damit als Atheismus zu diffamieren. Seine Auseinandersetzung wandelt sich unterderhand zu einem Eus. p. e. . . . Iul. Gal. fr. –, , . Vgl. auch fr. (Jesu Lehren widersprechen einem vernünftigen Leben). Iul. Gal. fr. . Mit der Wendung ὁ σοφώτατος Σολομῶν greift Julian eine Formulierung Eusebs auf ( p. e. . . ). Zur Überlegenheit griechischer Wissenschaftlichkeit siehe auch oben S. . Iul. Gal. fr. , .
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Konkurrenzkampf, der sich auf sämtliche Bereiche menschlichen Lebens bzw. der Kultur ausweitet . Alles läßt sich zugunsten der Griechen und zu Lasten der Christen argumentativ verwenden, sei es der wissenschaftliche Fortschritt, sei es das Kriegswesen, sei es die Rechtsprechung. Zwar sind diese Argumente letztlich religiös fundiert, insofern all diese Leistungen unterstreichen, daß die Götter die Griechen begünstigt haben, während es mit der Zuneigung des Christengottes zu seinem Volk nicht weit her sein könne, doch verselbständigen sie sich zu einem Vergleich verschiedener Kulturen. Man könnte geradezu von einem ›Kampf der Kulturen‹ sprechen, den Julian mit diskursiven Mitteln austragen will. Hier ist auch zu berücksichtigen, daß er die Christen als Galiläer tituliert . Obgleich es außer Frage steht, daß diese ethnische Bezeichnung den universalen Anspruch des Christentums auf ein regionales Maß zurückstutzen soll, dient sie doch gleichermaßen dazu, die Frontlinie zwischen Heiden und Christen auf das Gebiet der nationalen Kultur zu verschieben . Hätte Julian die Christen als Χριστιανοί bezeichnet, hätte er eingestanden, daß das Christentum über allen ethnischen und kulturellen Grenzen steht; so aber ließ sich schon durch die Terminologie ein kultureller Gegensatz behaupten. Gegen das Eindringen der Christen in die griechische Kultur beharrt Julian auf der totalen Alterität der Christen, wie sie sich schon in ihrer Kultpraxis zeigt . Mit der Strategie, den religiösen Konflikt auf den kulturellen Diskurs auszuweiten, reagierte Julian auf zweierlei. Zum einen hatten christliche Apologeten schon in früheren Zeiten sich bemüht, die Errungenschaften der griechischrömischen Kultur auf jüdische Ursprünge zurückzuführen, um heidnischen Plagiatsvorwürfen zu entgegnen. Auf solche Konstrukte antwortete der Kaiser, indem er den Vorrang der griechischen Kultur neuerlich bekräftigte. Zum anderen hatten die Christen insbesondere seit Origenes griechische Philosophie und Rhetorik als für ihre Sache hilfreich erkannt und rezipiert. Damit war ein wesentliches Hindernis für die Hinwendung gebildeter Heiden zur neuen Religion gefallen. Julian war diese Ehe zwischen Christentum und antiker Bildung Smith (1995) – betont allerdings zu einseitig, daß es Julian in der Galiläerschrift vorrangig um elementare Dinge wie die Kultpraxis und das zivilisierte menschliche Leben gehe, nicht um eine tiefschürfende intellektuelle Auseinandersetzung. Wie im folgenden gezeigt wird, führt Julians Kritik an der christlichen ›Bildung‹ ins Zentrum der theologischen Konfrontation. Iul. Gal. fr. . b und . a sowie natürlich der Titel der Schrift; or. . b; . d; Mis. c und a; ep. ; ; c; ; ; ; ; a/b u. ö. Dazu Stefania Scicolone: »Le accezioni dell’appellativo ›Galilei‹ in Giuliano«, in: Aevum , , – und Kurmann (1988) f. Vgl. auch die Strategie Eusebs, ethnische Identitäten abzugrenzen: Aaron P. Johnson: »Greek Ethnicity in Eusebius’ Praeparatio Evangelica«, in: AJPh , , –. In fr. wirft er ihnen vor, die ganze Welt mit Gräbern angefüllt zu haben und an diesen von Christus selbst als unrein bezeichneten Stätten Gott anzurufen. Eine solche Befleckung macht die kulturelle Differenz zwischen Griechen und Galiläern offenkundig. Vgl. Iul. ep. b.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
natürlich nicht verborgen geblieben, doch empfand er sie aus seiner Perspektive selbstverständlich als völlig unangemessen, ja unmöglich. Mit beißendem Sarkasmus fragt er deshalb seine christlichen Leser »Weswegen eßt ihr denn von den Wissenschaften bei den Griechen, wenn doch euch die Lektüre eurer Schriften vollkommen ausreicht?« Gegen die parasitäre Vereinnahmung griechischer Kultur durch die Christen versucht Julian, klare Grenzen zwischen den beiden ›Völkern‹ zu ziehen. Er errichtet Barrieren, wo sie realiter längst nicht mehr existierten, und erneuert einen Gegensatz aus früheren Zeiten, als Christen die höhere Bildung noch mehrheitlich ablehnten. Auch hier ist demnach die apologetische Grundhaltung unverkennbar. Ziel ist es, die eigene, gefährdete Position durch möglichst scharfe Grenzen gegen die Gruppe der anderen abzusichern. Julian setzt damit fort, was er im Rhetorenedikt den Christen gegenüber begonnen hatte . Das Argument der kulturellen Alterität des Christentums geht freilich nicht gänzlich in seiner Funktion als Instrument der Defensive auf. Daß Julian auf das Feld der Kultur ausweicht, ist, genau besehen, gleichermaßen eine offensive Strategie. Diese Stoßrichtung tritt jedenfalls dann hervor, wenn er sich weniger explizit zu kulturellen Errungenschaften äußert als vielmehr die kulturelle Kompetenz der Christen auf die Probe stellt, und zwar auf deren eigenem Feld. Einen Fingerzeig gibt hier bereits die schon erwähnte Mythenkritik. Nachdem er, um den neidischen Charakter des alttestamentarischen Gottes zu erweisen, den Passus der Genesis zitiert hat, wo Gott die ersten Menschen aus dem Paradies vertreibt, damit sie nicht den Baum des Lebens kosten, äußert er sich nämlich zum Verständnis dieser Textstelle: τούτων τοίνυν ἕκαστον εἰ μὴ μῦθος εἴη ἔχων ἀπόρρητον θεωρίαν, ὅπερ ἐγὼ νενόμικα, πολλῆς γέμουσιν οἱ λόγοι περὶ τοῦ θεοῦ βλασφημίας. τὸ γὰρ ἀγνοῆσαι μὲν ὡς ἡ γινομένη βοηθὸς αἰτία τοῦ πτώματος ἔσται καὶ τὸ ἀπαγορεῦσαι καλοῦ καὶ πονηροῦ γνῶσιν, ὃ μόνον ἔοικε συνέχειν τὸν βίον τὸν ἀνθρώπινον, καὶ προσέτι τὸ ζηλοτυπῆσαι μὴ τῆς ζωῆς μεταλαβὼν ἀθάνατος ἐκ θνητοῦ γένηται, φθονεροῦ καὶ βασκάνου λίαν ἐστίν. (Iul. Gal. fr. . e–a) Wenn nicht jede dieser Erzählungen ein Mythos ist, der eine unsagbare Theorie enthält, wovon ich überzeugt bin, so sind sie voll von wirklicher Gotteslästerung. Denn nicht zu wissen, daß diejenige, die als Helferin entstehen sollte, schuld am Sündenfall sein würde, und die Erkenntnis des Schönen und Schlechten zu verbieten, was allein das menschliche Leben zu erhalten scheint, und ferner eifersüchtig vorzuenthalten, daß der Mensch am Leben teilhat, so daß er statt eines Sterblichen ein Unsterblicher wird, dies ist ganz und gar Eigenschaft eines mißgünstigen Neiders.
Julian wirft den Christen demnach vor, am Literalsinn der Erzählungen des Alten Testaments zu hängen, ohne die Blasphemie dieser anstößigen Geschichten zu bemerken. Statt hinter dem Wortlaut nach den verborgenen Aussagen Τοῦ χάριν ὑμεῖς τῶν παρ’ ῞Ελλησι παρεσθίετε μαθημάτων, εἴπερ αὐτάρκης ὑμῖν ἐστιν ἡ τῶν ὑμετέρων γραφῶν ἀνάγνωσις; (fr. . b/c). Zum Rhetorenedikt siehe oben Kap. ..
. Anpassung und Widerstand
zu suchen, geben sie sich mit der Oberfläche zufrieden, während Julian das Paradoxe der Mythen – andernorts spricht er vom ἀπεμφαῖνον – als Signal erkennt, daß eine allegorische Auslegung vonnöten ist . In dieser Nebenbemerkung deutet sich bereits an, daß die Christen in Julians Augen der Kompetenz ermangeln, ihre eigene religiöse Überlieferung angemessen zu verstehen. Genau derselbe Vorwurf verbirgt sich hinter der Analyse des biblischen Schöpfungsberichtes, aus der Julian folgert, daß Moses Gott gar nicht als Schöpfer des Körperlosen darstellt, sondern lediglich als Ordner (κοσμήτωρ) der vorhandenen Materie . Auch hier steht nicht allein die Kritik am christlichen Gottesbild im Vordergrund, sondern ebenso die Fähigkeit, religiöse Texte adäquat zu interpretieren. Dasselbe gilt, wenn sich die Christen auf Moses’ Prophezeiungen dafür berufen, daß das Kommen Jesu bereits im Alten Testament angekündigt sei. In einer genauen Analyse der einschlägigen Stellen weist Julian den Christen nach, daß sie Moses mißverstanden hätten bzw. Aussagen in den Text hineintrügen, die dort keinen Anhaltspunkt hätten. Moses spreche immer nur von einem einzigen Gott, nicht aber von einem zweiten, sei er nun ›homöisch‹ oder ›anhomöisch‹, wie der Kaiser mit einem Seitenhieb auf zeitgenössische christliche Diskussionen bemerkt . Daß Julian bei seiner Auseinandersetzung mit der Bibel auch immer die literarische Kompetenz im Auge hat , unterstreichen schließlich abfällige Bemerkungen über die hebräische Sprache des Alten Testaments . Nicht weniger als die mangelnde Fähigkeit der Textinterpretation hindert das Fehlen der Vernunft die Christen daran, eine angemessene Auffassung vom Wesen Gottes zu gewinnen. Gleich zu Beginn seiner Schrift hält er den Christen vor, daß sie sich an den unvernünftigen, niederen Seelenteil wendeten, also einen Glauben propagierten, der keiner philosophischen Überprüfung standhalte (fr. ). Genau dieser Gegensatz zwischen der vernunftlosen christlichen
Iul. or. . c, c; or. . a. Cook (2004) –. Die Zulässigkeit der Allegorese wurde zwischen Christen und Heiden kontrovers diskutiert. Celsus bestritt, daß die biblischen Erzählungen überhaupt allegorisch interpretiert werden könnten (Or. Cels. . f.); ähnlich Porph. Chr. fr. Harnack = Berchman (Eus. h. e. . . ). Gregor von Nazianz stellt der christlichen Praxis die heidnische gegenüber (or. . –). Fiedrowicz (2001) –. Iul. Gal. fr. . Julian zitiert (mit Auslassungen) und interpretiert hier Gen . –. Iul. Gal. fr. – (der Hinweis auf die christlichen Kontroversen in fr. . c). Auch bei der Diskussion der Opferpraxis geht es Julian darum, daß die Ansichten der Christen von denen des Moses divergieren (fr. –, –). Vgl. auch fr. , wo Julian davon berichtet, wie in einem Gespräch mit einem Bischof über Kain und Abel sein Gesprächspartner nicht erklären konnte, weshalb Kains Opfer zurückgewiesen wurde. Darauf mußte der Heide Julian dem Christen den Grund erläutern. Auch der Abfall der Christen von wichtigen Kultpraktiken – hier dem Opfer – trägt dazu bei, daß sie Texte nicht angemessen verstehen. Iul. Gal. fr. , nur durch Referat bei Kyrill bezeugt.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Erfindung und der philosophisch fundierten paganen Religion zieht sich im folgenden durch den ausführlichen Vergleich zwischen dem biblischen Schöpfungsbericht und dem des platonischen Timaios. In einer direkten Konfrontation der einschlägigen Passagen demonstriert Julian, daß Platons Gottesbild in sich konsistent und rational begründet ist, während sich die Genesis in Widersprüchen verfängt oder wichtige Fragen außer acht läßt. Von den Philosophen aufgefordert, streben die Heiden danach, soweit möglich den Göttern ähnlich zu werden, was aber allein in der affektlosen Kontemplation der seienden Dinge gelingen kann. Eine Angleichung an den Gott der Hebräer könnte indessen, wenn man den biblischen Erzählungen folgt, nur in der Nachahmung ungezügelter Affekte bestehen (fr. ). Es nimmt dann nicht wunder, daß etwa das Armutsgebot Jesu jeglicher Rationalität Hohn spricht und einem zivilisierten menschlichen Zusammenleben den Boden entzieht . Falls sich wider Erwarten einmal unter den christlichen Dogmen vernunftgemäße Einsichten finden wie etwa der Dekalog, sofern man von dem Verbot, andere Götter zu haben, und dem Sabbatgebot absieht, so sind diese nicht spezifisch jüdisch bzw. christlich, sondern allen Völkern gemeinsam . Julian repliziert also die Behauptung der Apologeten, ihr Glaube sei vernunftgemäß, indem er vor dem Hintergrund der philosophischen Tradition auf Unstimmigkeiten und irrationale Elemente christlicher Lehren sowie die intellektuelle Dürftigkeit der christlichen Schriften aufmerksam macht . Von dem Vorwurf der Vernunftwidrigkeit ist es nur ein kleiner Schritt bis zu der Anschuldigung, die Christen verstießen in ihrem Verhalten auch gegen die Natur. Wie wichtig Julian dieser Gedanke war, ersieht man aus dem einen der beiden Pastoralbriefe, in dem er sich mit Kopfschütteln darüber ausläßt, daß viele der Gottlosen sich den Tod herbeiwünschten, statt der Städte die Wüsten aufsuchten, wo doch der Mensch von Natur aus ein πολιτικὸν ζῷον sei, oder sogar sich Fesseln und Halseisen erfunden hätten . Etwas anders gewendet greift Julian den Vorwurf der Naturwidrigkeit in der Schrift Gegen die Galiläer wieder auf, nun bezeichnenderweise gegen die christlichen Lehren gerich-
Diesen Charakter christlicher Lehren und Schriften betont Julian durch die Verwendung des Begriffes πλάσμα in fr. . b und . d. Christliche Erzählungen über Gott sind demnach geradezu als Fiktion einzustufen, anders als die paganen, wie Julian durch eine ironische Einräumung zum Ausdruck bringt (fr. . e). Hierbei ist auch zu bedenken, daß Julian fiktionale Prosa (πλάσματα) als Lektüre für Priester ablehnt (ep. b. a/b). Siehe auch Cook (2000) –. Iul. Gal. fr. . Julian bezieht sich hier auf Lk . . Iul. Gal. fr. . In fr. . d verwirft Julian die Bibel nicht nur als intellektuell unzureichend, sondern auch – mit der traditionellen Maßgabe der Literatur als Erziehungsinstanz – in ethischer Hinsicht. Im Gegensatz zu den göttlich inspirierten Schriften der Heiden könnten diejenigen der Christen keinen einzigen Menschen edel oder auch nur anständig machen. Iul. ep. b. a–c.
. Anpassung und Widerstand
tet . Auf phänomenologischem Wege vorgehend, will Julian prüfen, ob die pagane Gottesvorstellung eher in Einklang mit der Natur steht oder die christliche . Weshalb seien denn die Germanen und Kelten mutig, die Griechen und Römer politisch und menschenfreundlich veranlagt, die Ägypter verständig und eher technisch begabt, die Syrer aber unkriegerisch und der Schwelgerei zugewandt? Für Julian sind all diese Tatsachen unabweisbare Indizien dafür, daß die einzelnen Götter sich jeweils eine Nation erwählt haben und an diese ihre Eigenschaften weitergeben, daß also insgesamt eine göttliche πρόνοια am Werk ist . Die menschliche Natur hat sich je nach Volk eigene Sitten und Gesetze verschafft, woraus die Unterschiede zwischen den Völkern resultieren. An all diesen Erscheinungen läßt sich der Einfluß der Natur ablesen, und die Unterschiede wiederum lassen sich nur auf der Basis eines polytheistischen Weltbildes erklären, dem zufolge unter dem höchsten Schöpfergott partikulare ethnische Götter existieren. So widerlegt die menschliche Natur die christliche Lehre. Mit den Mitteln griechischer Philosophie und Wissenschaftlichkeit beweist Julian seinen christlichen Kontrahenten, daß ihr Versuch, die griechische Kultur zu vereinnahmen, zum Scheitern verurteilt sein muß. Wer nicht imstande ist, literarische Texte angemessen zu verstehen, geschweige denn konsistente Texte hervorzubringen, wer Lehren vertritt, die der menschlichen Vernunft wie der Natur zuwiderlaufen, hat den selbstgewählten Anspruch, an der griechischen Kultur teilzuhaben, auf Sand gegründet. Julian weist dieses Ansinnen nicht nur explizit mit Entschiedenheit zurück, er demonstriert gleichzeitig argumentativ, daß die Christen unfähig sind, es in die Tat umzusetzen. Neben der Gegenüberstellung griechischer und jüdisch-christlicher Errungenschaften dient auch die Auseinandersetzung mit den biblischen Schriften dazu, in einem Kampf der Kulturen für klare Fronten zu sorgen und die Christen als völlig andere zu konstruieren. Die Unfähigkeit der Christen, kompetent griechische Kulturtechniken anzuwenden, zeitigt freilich noch weiter reichende Folgen, als nur die Kluft zu den Griechen zu vertiefen. Wie wir bereits gesehen haben, steht es für Julian außer Frage, daß sich alle Philosophen um die Erkenntnis Gottes bemüht haben und daß die Philosophie letztlich Gottesdienst ist . Da es das Ziel des Menschen sein muß, mit Platon sich nach Möglichkeit dem Gott anzugleichen, ist, neben dem Kult und der Theurgie, ein philosophisches Fundament uner Vgl. auch schon das argumentum e consensu omnium, dessen sich Julian in fr. bedient. Wenn Julian hier betont, daß alle Menschen gleichsam von Natur aus eine Vorstellung vom Göttlichen hätten, richtet sich dies gegen die christliche ›Erfindung‹. Zu dem Argument Malley (1978) – und Riedweg (1999) –. Iul. Gal. fr. f., und . Riedweg (1999) –. Schon Celsus hatte die Verschiedenheit der Bräuche damit in Zusammenhang gebracht, daß jedes Volk einen eigenen Gott als Herrscher erlangt habe. Or. Cels. . . Vgl. auch Iamb. Myst. . (. –). Siehe oben S. f.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
läßlich. Wer wie die Christen jedoch fernab jeglicher philosophischer Einsicht steht, wird niemals zur Erkenntnis des Gottes vordringen und muß zwangsläufig das Ziel menschlichen Lebens verfehlen. Daher ist es nur folgerichtig, daß der Kaiser den Anspruch erhebt, das Wesen des jüdischen Gottes besser erkannt zu haben als Juden und Christen selbst . Aus seiner mit Hilfe Platons vorgenommenen Analyse des biblischen Schöpfungsberichtes zieht Julian die Schlußfolgerung, daß der Gott des Alten Testaments nicht der behauptete Schöpfer der Welt sein könne, sondern lediglich ein partikularer, untergeordneter Gott. Wäre er der universale Schöpfer, hätte er seine Gaben wohl kaum über unzählige Jahre hinweg den Griechen vorenthalten und nur den Juden mitgeteilt (fr. ). Ohne Umschweife erklärt Julian seinen christlichen Gegnern, daß seine Ansichten über den Gott eher die Wahrheit träfen als die ihren, indem er einen obersten Gott und diesem wie einem König untergeordnete Gottheiten postuliert. Daß Juden und Christen ihren eigenen Gott verkennen, erstaunt um so weniger, als bei ihnen schon längst das von den Göttern gesandte πνεῦμα geschwunden sei, indessen Zeus den Heiden in der Theurgie ein Mittel gegeben habe, sich die nötige Hilfe zur Gemeinschaft mit den Göttern zu verschaffen (fr. ). Wie sieht Julian zufolge nun die Stellung des jüdischen Gottes aus? Schon dem Hinweis auf die Juden und Heiden ursprünglich gemeinsame Opferpraxis läßt sich entnehmen, daß er den Gott wohl in sein paganes Pantheon zu integrieren vermag. Dafür spricht auch seine vergebliche Bemühung, den Jerusalemer Tempel wiederzuerrichten, wodurch Jesus augenfällig widerlegt worden wäre . Auch in der Schrift Gegen die Galiläer läßt Julian gewisse Sympathien für die Juden erkennen und konstatiert, was Tempel, Heiligtümer, Altäre und Riten angeht, Übereinstimmungen zwischen ihnen und den Heiden, selbstverständlich den Monotheismus ausgenommen. Schließlich bekennt Julian sogar, daß er, obgleich er an den religiösen Festen der Juden nicht teilnehme, deren Gott durchaus verehre . Der große und mächtige Gott der Juden habe sich ihm schon wohlwollend gezeigt, während er mit den Christen nichts zu tun
Iul. Gal. fr. , , , . Vgl. die Worte Jesu in Mt . . Julian faßte im Januar den Plan, den Tempel wiederaufzurichten, doch scheiterte das Vorhaben. Iul. ep. und . d–a; Gr. Naz. or. . ; . –; Chrys. pan. Bab. . ; Ephr. hymn. in Iul. . –; . –; Amm. . . –; Socr. h. e. . . Siehe Robert J. Penella: »Emperor Julian, the Temple of Jerusalem, and the God of the Jews«, in: Κοινωνία ., , –; Johannes Hahn: »Kaiser Julian und ein dritter Tempel? Idee, Wirklichkeit und Wirkung eines gescheiterten Projektes«, in: Zerstörungen des Jerusalemer Tempels. Geschehen – Wahrnehmung – Bewältigung, hg. von dems. (Wiss. Untersuchungen zum NT ) Tübingen , –; Rosen (2006) –. Vgl. Malley (1978) f.
. Anpassung und Widerstand
habe . Ähnliche Aussagen finden sich in einem der beiden Pastoralbriefe . Julian bestreitet den Christen mithin nicht allein die wahre Erkenntnis des Gottes, sondern vereinnahmt den jüdisch-christlichen Gott als ethnische Partikulargottheit für seinen polytheistischen Kosmos. Indem er ihn in sein religiöses System integriert, domestiziert er den Gott und weist den Anspruch der Christen auf Universalität und Exklusivität entschieden zurück. Während es am Anfang den Anschein hatte, als lasse sich Julian durch die religiösen Kräfteverhältnisse seiner Zeit vorschnell in die defensive Position des paganen Apologeten drängen, hat die Analyse seiner Argumentation aufzeigen können, wie er die Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen für einen fundamentalen Angriff auf den christlichen ›Atheismus‹ nutzt. Er greift den Anspruch der Christen, die griechische Kultur und Bildung zu beerben, auf, um durch die kompetente Anwendung ebendieser griechischen Kulturtechniken das christliche Ansinnen zu entlarven. Die von den Gegnern vorweggenommene Ausweitung der religiösen Frage auf das Gebiet der Kultur bietet Julian den Ansatzpunkt, nicht allein die kulturelle Alterität der Christen augenfällig zu demonstrieren, sondern ihnen ebenso die Erkenntnis Gottes und damit den Status einer Religion abzusprechen. Apologie und Angriff greifen ineinander.
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Rollentausch
Bahnte sich schon in Julians Haltung zur Religionsfrage ein gewisser Wandel an, insofern er sich genötigt sah, die pagane Religion zu verteidigen, so machte das Scheitern seiner Politik eine eher defensive Strategie unumgänglich. Als Zeugnis dieser Veränderung kann die Rede gelten, die Themistios aus Anlaß von Jovians Konsulat zum Jahresbeginn in Ankyra vortrug . Wenn oben bereits allgemein darauf eingegangen wurde, daß seine Panegyrici weder als bloße Verlautbarungen des Herrschers noch als subjektive Meinungsäußerungen des Redners Iul. Gal. fr. . a/b: καίτοι, μὰ τοὺς θεούς, εἷς εἰμι τῶν ἐκτρεπομένων συνε-
ορτάζειν ᾿Ιουδαίοις, ἀεὶ προσκυνῶν τὸν θεὸν ᾿Αβραὰμ καὶ ᾿Ισαὰκ καὶ ᾿Ιακώβ, οἳ ὄντες οὗτοι Χαλδαῖοι, γένους ἱεροῦ καὶ θεουργικοῦ, τὴν μὲν περιτομὴν ἔμαθον Αἰγυπτίοις ἐπιξενωθέντες, ἐσεβάσθησαν δὲ θεόν, ὃς ἐμοὶ καὶ τοῖς αὐτόν, ὥσπερ ᾿Αβραὰμ ἔσεβε, σεβομένοις εὐμενὴς ἦν, μέγας τε ὢν πάνυ καὶ δυνατός, ὑμῖν δὲ οὐδὲν προσήκων (»Und doch, bei den Göttern, bin ich einer derer, die es vermeiden, ihre Feste zusammen mit den Juden zu begehen, obgleich ich immer den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs verehrte; diese waren Chaldäer, aus heiligem und in der Theurgie bewandertem Geschlecht, die Beschneidung lernten sie, als sie sich bei den Ägyptern aufhielten. Sie verehrten aber den Gott, der mir und denen, die ihn ehren, wie Abraham ihn ehrte, wohlwollend war, sehr groß und mächtig, der aber mit euch nichts zu tun hat.«). Iul. ep. a. d–a, wo es heißt, daß die Heiden denselben Gott wie die Juden verehren, nur unter anderem Namen. Them. or. . Vanderspoel (1995) f.
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gelten können , so ist auch jetzt die Einschränkung angebracht, daß die fünfte Rede des Themistios nicht in demselben Sinne Gedanken des Autors wiedergab wie Julians Galiläerschrift. Vielmehr muß man damit rechnen, daß ihm vorab die Grundzüge der Politik Jovians vertraut waren und er diese entsprechend zur Geltung bringen sollte. Andererseits wird die argumentative Ausgestaltung Sache des Redners gewesen sein, und inhaltliche Übereinstimmungen mit den anderen Kaiserreden des Themistios legen die Vermutung nahe, daß er die propagierten Überzeugungen selbst teilte . Zudem legte er offenkundig Wert darauf, vom Publikum als eigenständiger Ratgeber des Kaisers wahrgenommen zu werden , so daß es methodisch legitim ist, vor dem zeitgenössischen Rezeptionshorizont Themistios’ Äußerungen auch als die seinen zu verstehen . Während er in seinen übrigen Reden weitgehend auf Bemerkungen zu den religiösen Konflikten seiner Zeit verzichtete, widmete Themistios in Ankyra einen beträchtlichen Teil seiner Ansprache gerade diesem Thema (b–c), offenbar, weil nach der paganen Restaurationspolitik Julians ein erneutes Auflodern des Streites zwischen fanatischen Christen und Heiden zu befürchten bzw. weil es bereits zu von Rachedurst getriebenen Übergriffen gekommen war . Themistios läßt keinen Zweifel daran, daß religiös motivierte gewalttätige Auseinandersetzungen der falsche Weg sind und verheerende Auswirkungen wie ein Krieg haben, weist also implizit eine auf Konfrontation ausgerichtete Politik wie die Julians zurück . Was an deren Stelle allein nützt, ist ein Dialog, der, wie man aus Themistios’ insgesamt irenischem Tonfall schließen kann, von beiden Seiten, Christen wie Heiden, vorbehaltlos und tolerant geführt werden muß. Statt wie der vorige Kaiser die andere Religion scharf anzugreifen, sollen die Parteien miteinander nach einer friedlichen Lösung suchen, wofür der heidnische Redner, der mit Zustimmung eines christlichen Kaisers vor einem religiös vermutlich gemischten Publikum spricht, ein gutes Beispiel gibt. Anders als eifrige Heiden, die dem Christentum den Status einer Religion absprachen, Siehe oben S. –. Abgesehen von der oben in Kap. . herausgearbeiteten vermittelnden Haltung, zeigt or. . a–b, wenngleich in etwas verklausulierter Form, Ähnlichkeiten zu or. . d– a. Ferner berichtet Sokrates, daß Themistios Valens zu einer ausgleichenderen und versöhnlicheren Haltung in innerchristlichen Kontroversen veranlaßt habe (Socr. h. e. . . –; ebenso Soz. h. e. . . –. ). In dem Prosphonetikos, auf den sich Sokrates bezieht, muß Themistios anscheinend ähnliche Gedanken wie in or. vorgetragen haben. Them. or. . b, a, a/b. Dies war dann die Haltung, mit der Sokrates die Rede zur Kenntnis nahm (Socr. h. e. . . –). Es kann ohnehin nicht darum gehen, die persönlichen religiösen Überzeugungen des Themistios zu rekonstruieren. Von Interesse ist hier allein, wie er mit or. auf die zeitgenössische Diskussion einzuwirken versucht. Lib. or. . ; Socr. h. e. . . f. Laut Suda ι , s. v. ᾿Ιοβιανός, ließ Jovian in Antiochia einen von Hadrian errichteten und von Julian in eine Bibliothek umgewidmeten Tempel anzünden. Them. or. . b/c. χαλεπώτεραι ἦσαν τῶν ἐπιδρομῶν αἱ γραφαὶ ἐξ ἑκατέρας θρησκείας παρὰ τῆς πόλεως (»Schlimmer als die Überfälle [der Perser] waren die Anklagen von Staats wegen auf Grund der beiden Kulte.«, c).
. Anpassung und Widerstand
akzeptierte (wie in dieser Kommunikationssituation nicht anders zu erwarten) Themistios die neuen religiösen Verhältnisse offenbar, um auf dieser Grundlage einen Ausgleich zu vermitteln. Grundlegend für sein Plaidoyer ist die Einsicht, daß in religiösen Belangen das Ausüben von Druck und Zwang vergeblich sei und nur oberflächlichen Gehorsam und Opportunismus nach Art des hin- und herströmenden Euripos hervorrufe (b–c). Dies sei der Grundsatz, der Jovian bei seiner Gesetzgebung geleitet habe. Der Kaiser folge in seiner Religionspolitik der Gottheit, die vielleicht gar keine Übereinstimmung unter allen Menschen in der Frage des Kultes wünsche (b). Da es nicht einen einzigen Weg zur schwierigen Erkenntnis Gottes gebe , beschränke Jovian die Vielfalt nicht, sondern lasse gleichsam einen sportlichen Wettkampf zu (c–a). Bis in die Wortwahl hinein spiegelt sich das agonale Prinzip wider, das Themistios in der Religion am Werke sieht . Von diesen Erkenntnissen durchdrungen, verbiete der Kaiser zwar magische Praktiken als Betrug und Täuschung, öffne aber die Tempel und lasse traditionelle Opfer zu (b/c). Themistios sieht die Religion grundsätzlich in Analogie zum politischen Bereich, in dem es selbst dem Kaiser nicht möglich sei, Loyalität per Dekret zu erzwingen (c). Obgleich der Monarch wie in anderen Bereichen der Politik Gesetze in Religionsfragen erlassen kann, um die Kultausübung zu reglementieren, sind ihm hier, wie sehr klar herausgestellt wird, enge Grenzen gesetzt . Die Art der Gottesverehrung ist Sache des einzelnen, gehört also dem jeglichem Zugriff entzogenen Privatbereich an . Die religiöse Freiheit des Individuums steht, insofern sie gottgewollt ist, über der staatlichen Macht. Mit ähnlichen Argumenten wie Symmachus in seiner dritten Relatio entwirft Themistios hier ein Programm umfassender religiöser Toleranz, das zu Einen ähnlichen religiösen Pluralismus bzw. Relativismus hatte zuvor Porphyrios vertreten, obgleich er das Christentum scharf angriff. Siehe Macr. somn. . . . ἅμιλλα, ἀνανταγωνιστόν (c), ἅμιλλα, ἀθλοθέτης, σταδιεῖς, δρόμος, ἀγέραστος, ἀγωνοθέτης (d), ἅμιλλα, ἀγώνισμα (a), ἀνιδρωτί (b). Vgl. τά τε ἄλλα αὐτοκράτωρ ὤν τε καὶ εἰς τέλος ἐσόμενος τὸ τῆς ἁγιστείας μέρος εἰς ἅπαντας εἶναι νομοθετεῖς (»In allen übrigen Bereichen jetzt und bis zum Ende Alleinherrscher, setzt du fest, daß der Teil der Kultausübung allen gehöre.«, a). καὶ ταύτῃ ζηλῶν τὸν θεόν, ὃς τὸ μὲν ἔχειν πρὸς εὐσέβειαν ἐπιτηδείως τῆς
φύσεως κοινὸν ἐποίησε τῆς ἀνθρωπίνης, τὸν τρόπον δὲ τῆς θεραπείας ἐξῆψε τῆς ἐν ἑκάστῳ βουλήσεως (»[. . .] und darin ahmst du den Gott nach, der zwar die Eignung zur Frömmigkeit zu einem gemeinsamen Merkmal der menschlichen Natur gemacht hat, die Art der Verehrung aber von der Entscheidung jedes einzelnen abhängig gemacht hat.«, a). In b ist von der freien Entscheidung der Seele jedes einzelnen die Rede. Vgl. ἐλευθέραν [. . .] τὴν γνώμην in b/c. Vgl. Symm. rel. . (suus enim cuique mos, suus ritus est: varios custodes urbibus cultus mens divina distribuit; ut animae nascentibus, ita populis fatales genii dividuntur, »Jeder hat seinen eigenen Brauch, jeder seine eigene Glaubensform; verschiedene Kulte hat der göttliche Geist den Städten zum Schutz zugeteilt; wie die Menschen bei ihrer Geburt eine Seele erhalten, so die Völker Schutzgeister des Schicksals.«) mit or. . a und rel.
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innerer Einheit und Frieden verhelfen soll . Teils erweckt er den Eindruck, als habe Jovian bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen , teils tritt er als Ratgeber auf, der den Kaiser von diesen Einsichten überzeugen will. Er wendet sich mit der Bitte an ihn, als neutraler Richter nicht die Waage zugunsten der einen Seite herabzuziehen, wobei die Vielfalt des römischen Heeres wie die der Reichsbevölkerung, die gleichwohl jeweils vom Kaiser abhängen, als Muster dienen kann (c–a). Themistios hat das Idealbild eines Gleichgewichtes zwischen den Religionen vor Augen, die in friedlichem Wettstreit um den Weg zu Gott koexistieren . Da er sich wie üblich im großen und ganzen allgemeiner Formulierungen bedient, ohne Christen und Heiden explizit zu identifizieren, werden mögliche Gegensätze überbrückt, so daß es etwa der Interpretation jedes Hörers überlassen bleibt, welche Religion denn von dem steinigeren und welche von dem sanfteren Weg zu Gott repräsentiert wird (a). So ist bei den Konflikten, die Themistios zu überwinden sucht, auch nicht allein an die Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden zu denken, sondern ebenso an innerchristliche Kontroversen. Gleichwohl wird gegen Ende des Abschnitts deutlich, daß Themistios als Nutznießer der Toleranzpolitik in erster Linie die Heiden sieht bzw. daß Jovian pagane Kreise durch Entgegenkommen für seine Politik gewinnen will. Denn der Zielpunkt, auf den die Ausführungen zur Religionsfrage hinauslaufen, ist die kaiserliche Entscheidung, die traditionellen Formen der Kultausübung zu gestatten und bloß die Magie zu unterbinden (b/c). Der in Fragen des christlichen Dogmas wohl kaum bewanderte Jovian soll oder will demnach seine tolerante Haltung auch auf die Heiden ausdehnen. Im Rahmen seines religiösen Toleranzkonzeptes entwickelt Themistios eine Rolle des römischen Kaisers, die in dieser Situation als innovativ gelten kann. Während nach dem traditionellen griechischen wie römischen Verständnis das Wohlergehen des Gemeinwesens vom Götterkult und der korrekten Ausführung der Kultbestimmungen nicht zu trennen war, soll der römische Kaiser nun, mag er auch persönlich dem christlichen Glauben anhängen, sich als Institution neutral verhalten und jegliche religiöse Strömung, soweit sie redlich ist, als dem Staate förderlich anerkennen. Obgleich diese Idee absolut gesehen nicht
. (uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum, »Man kann nicht nur auf einem einzigen Weg zu einem so erhabenen Geheimnis gelangen.«) mit a. Zur religiösen Toleranz im Denken des Themistios siehe auch Dagron (1968) –; Daly (1971); Garzya (1983) –; Garnsey (1984) –; Ando (1996) –. Religionsgesetzgebung Jovians vor dem Jahreswechsel läßt sich allerdings nicht nachweisen. Siehe Vanderspoel (1995) –, der vermutet, daß sich Themistios, wenn er von Jovians Gesetzgebung spreche, auf die Absicht des Kaisers beziehe, keine der christlichen Sekten zu verfolgen (Socr. h. e. . . –). In c bezeichnet er dementsprechend Christentum und Heidentum als ἑκατέρα θρησκεία. Jovian war zwar Christ (Soz. h. e. . . ), ließ aber bei seinem Herrschaftsantritt auch heidnische Opfer zu (Amm. . . ), wohl um sich nicht augenblicklich Feinde zu machen. Zur toleranten Haltung des Kaisers siehe auch Socr. h. e. . . .
. Anpassung und Widerstand
neu war, da christliche Apologeten schon früher ähnliches vergeblich propagiert hatten , darf sie zu dieser Zeit und aus dem Munde eines Heiden mit Fug und Recht als bemerkenswert gelten. Denn spätestens seit , seit der Hinrichtung des Christengegners Licinius und der Synode von Nikaia, hatten die Kaiser eindeutig für eine Religion Partei ergriffen, teils mit einschneidenden Maßnahmen. Die aus den Erfahrungen bisheriger Konflikte geborene Konzeption eines weltanschaulich neutralen Reiches sollte fortan den inneren Frieden sichern. Sowohl aus der Perspektive des unter äußerst ungünstigen Umständen an die Macht gelangten und noch nicht gefestigten Jovian als auch aus der Sicht von Heiden, die nach Julians Tode einen Gegenausschlag des Pendels gewärtigen mußten, war diese Kaiser- bzw. Reichsidee sehr verlockend. Wäre Jovian die Zeit vergönnt gewesen, das Programm exakt nach den Erklärungen des Themistios in die Tat umzusetzen, hätte sich die Stellung des Christentums im Reich grundlegend gewandelt. Seit die Christen nicht mehr verfolgt wurden, im Gegenteil sogar die Unterstützung von Kaisern gewonnen hatten, war die noch von Apologeten gezeigte Neigung zu Toleranz und Koexistenz geschwunden . Mochte der in Aussicht genommene Zustand auch eine Verbesserung gegenüber der Zeit Julians bedeuten, so gaben sich nun viele Christen nicht mehr mit einer bloßen Gleichberechtigung zufrieden. Zudem trug Themistios in Ankyra Positionen vor, die mit christlichen Lehren nur schwer vereinbar waren. Wenn er verkündete, daß der wahre und große Richter, wie Jovian erkannt habe, nur ein einziger sei, den man auf verschiedenen Wegen erreiche, so näherte er nicht nur Christentum und pagane Gottesverehrung an, sondern erweckte auch den Eindruck, daß der christliche Gott eigentlich mit
Gegen die Anwendung von Zwang und zugunsten religiöser Freiheit argumentieren beispielsweise Tert. apol. . ; Scap. . ; Lact. inst. . . –, . . –; epit. . –. . Garnsey (1984) –. Konstantin lehnte im Edikt von Mailand Zwang in religiösen Fragen ab und billigte Pluralismus (Eus. h. e. . . –), ebenso auch in seinem an die östlichen Provinzen gerichteten Schreiben (Eus. v. C. . ). Freilich ließ er dort keinen Zweifel daran, daß die Heiden sich in einem bedauernswerten Irrtum befänden (vgl. auch aliena superstitio in CTh . . , ) und nach Möglichkeit vom christlichen Glauben zu überzeugen seien. Girardet (2006) – betont zu Recht, daß auf Grund des christlichen Wahrheitsanspruches für einen Christen wie Konstantin wirkliche Toleranz bzw. wirklicher Pluralismus undenkbar gewesen sei. In Frage gekommen sei allenfalls Duldung aus praktischen Erwägungen. Zu Jovians auf Eintracht (Socr. h. e. . . ) und überlegtes Handeln ausgerichteter Politik siehe Gerhard Wirth: »Jovian. Kaiser und Karikatur«, in: Vivarium. FS Theodor Klauser. ( JbAC Ergänzungsband ) Münster , –. Ando (1996) f. und ; MacMullen (1997) . Dementsprechend ist in dieser Zeit auch ein Wandel in der christlichen Apologetik zu konstatieren, die nun weniger als früher auf Verteidigung des Christentums zielte. Fiedrowicz (2001) f. Ein zu harmonisches Bild der religiösen Situation dieser Zeit zeichnet R. M. Price: »Pluralism and Religious Tolerance in the Empire of the Fourth Century«, in: Studia patristica , , –.
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Zeus identisch sei und Christen ihn nur unter anderem Namen verehrten . Nicht ohne Grund beruft sich Themistios für seine Idee des religiösen Pluralismus auf einen Vers Homers, der noch dazu explizit von Polytheismus spricht . Ähnlich wie Julian, nur deutlich subtiler, vermag Themistios also den christlichen Gott in den paganen, auf einen höchsten Herrscher ausgerichteten Götterkosmos zu integrieren, freilich nicht als untergeordneten Nationalgott, sondern als Spitze der Hierarchie . Von vergleichbarer Tendenz ist es, daß Themistios abschließend die gesamte Toleranzpolitik des Kaisers auf Grundsätze Platons zurückführen möchte . Das Verhältnis zwischen den Religionen und die Beziehungen zwischen Reich und Religion beruhen mithin gänzlich auf platonischer Philosophie, was aus Sicht gebildeter Christen vielleicht akzeptabel gewesen ist, pagane Rezipienten jedoch darin bestärkt, daß hier das Christentum in ihr Weltbild integriert und damit gebändigt wird. Zudem bestreitet Themistios, ohne dies expressis verbis zu formulieren, den christlichen Anspruch auf Universalität und Exklusivität, also gerade das Fundament, auf das Christen ihre Bemühungen, pagane Kulte zu verdrängen, gründeten. Im Glauben, allein die Wahrheit zu besitzen, waren die Christen nicht bereit, sich neben anderen Religionen in ein pluralistisches System einzuordnen. Das Christentum themistianischer Provenienz hingegen wäre nur ein Kult neben vielen anderen gewesen und hätte seine Sonderstellung verloren. In Zusammenhang mit der Suche nach dem idealen Herrscher hatten wir beobachten können, wie Themistios trotz der Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen traditionellen Kreisen genehme Deutungsangebote macht . Genau diese Linie verfolgt er offensichtlich, was die religiöse Frage betrifft. Mit der Autorität kaiserlicher Zustimmung versehen, verkündet er ein Programm des Ausgleichs, das paganen Kreisen nahelegt, das Christentum als religiöse und gesellschaftliche Kraft anzuerkennen und die Haltung offener Feindselig Bereits Celsus war der Ansicht, es mache nichts aus, wie man den obersten Gott nenne. Dagegen hatte sich Origenes gewandt, da der biblische Gottesname mit dem Monotheismus verknüpft sei. Christen würden lieber sterben, als ihren Gott Zeus zu nennen. Or. Cels. . f. Them. or. . a mit gekürztem Zitat Hom. Il. . : ἄλλος δ’ ἄλλῳ ἔρεζε θεῶν [αἰειγενετάων] »Der eine opferte diesem, der andere jenem der [unsterblichen] Götter.« Wenn Themistios in allgemeinen Wendungen von der höchsten Gottheit spricht, besteht hier eine gewisse Parallele zu dem im östlichen Mittelmeerraum gepflegten und bis in die Spätantike hinein blühenden Kult des Theos Hypsistos. Es handelt sich hierbei um einen stark von jüdischen Anschauungen beeinflußten heidnischen Monotheismus. Siehe dazu Stephen Mitchell: »Wer waren die Gottesfürchtigen?«, in: Chiron , , – und »The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews, an Christians«, in: Athanassiadi – Frede (1999) –, sowie, skeptischer gegenüber dem monotheistischen Charakter, Fürst (2006) –. Them. or. . c. Welche Stellen der Werke Platons er hier im Sinn hat, spezifiziert er nicht. Vgl. Dagron (1968) . Denkbar wäre, daß Themistios diese Autorität für den hier besprochenen Zweck fingiert hat, also gar keine bestimmte Passage vor Augen hatte. Siehe Kap. ..
. Anpassung und Widerstand
keit abzulegen. Gleichzeitig aber zeigt er eine Möglichkeit auf, von dieser Basis aus fundamentale christliche Überzeugungen zurückzuweisen und das Christentum auf die ihm zukommende Position zu reduzieren. Wer dieses Deutungsangebot annahm, gab sich nach außen hin zwar mit der neuen Rolle der Heiden im christlichen Reich zufrieden, konnte aber unter dieser Maske Kritik am Christentum üben. Möglicherweise traf Themistios damit genau die Einstellung anderer Senatoren. Als Vertreter des Senats hatte er vermutlich seine Rede in Ankyra gehalten, und wie Sokrates berichtet, trug er sie noch einmal in Konstantinopel vor . Ähnlich wie er gesinnte Senatoren mochten darauf hoffen, daß man so, mit allerhöchster Billigung, christliche Eiferer in die Schranken weisen konnte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es dieser Tenor der Rede war, der Libanios veranlaßte, sich von seinem Freund Themistios eine Abschrift der Ansprache zu erbitten .
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Für die Tempel – gegen das Christentum?
Von Libanios’ Haltung zur christlichen Religion bzw. zum Verhalten von Christen legen einige Bemerkungen zumeist abfälliger Geringschätzung in Briefen wie Reden Zeugnis ab , vor allem aber seine unter der Herrschaft des Theodosius entstandene Rede Für die Tempel. Denn hier befaßte er sich nicht nur mit der Funktion von Heiligtümern für das hellenische Selbstverständnis , sondern auch mit verbalen und handgreiflichen Attacken von christlicher Seite . So scheint die Rede auf den ersten Blick eher vom Engagement des Libanios für den paganen Kult zu zeugen denn der Auseinandersetzung mit dem Christentum zu dienen. In der Forschung wurde daher mitunter die Ansicht vertreten, Libanios kritisiere allein Auswüchse des Christentums, namentlich die gewalttätigen Mönche, aber nicht das Christentum als solches . Wenn im folgenden diese These einer Prüfung unterzogen wird, ist außerdem die Frage zu berücksichtigen, ob Libanios die Rede tatsächlich an den Kaiser gesandt hat, wie er glauben machen will . In dieser Frage läßt sich allerdings nicht mehr als Plausibilität erzielen, da sie aus dem Text selbst beantwortet werden muß. Socr. h. e. . . . Auch wenn Sokrates der einzige Gewährsmann ist, gibt es keinen Grund, an dieser Nachricht zu zweifeln. Vanderspoel (1995) f. Lib. ep. . . Welche Gründe Libanios tatsächlich hatte, muß offen bleiben, da er sich an dieser Stelle nicht dazu äußert. Immerhin geht aus ihr hervor, daß er bereits über die Rede, also wohl auch über ihren Inhalt, informiert worden war. Beispielsweise Lib. ep. ; ; ; or. . ; . ; . ; . . Siehe oben S. . Zur religiösen Situation in Syrien, die den Hintergrund zu dieser Rede bildet, siehe Trombley (1993/4) II –. Kennedy (1983) ; Ernesti (1998) . Zu den Forschungsmeinungen siehe oben S. , Anm. .
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Für die Annahme einer eher defensiven Ausrichtung spricht neben dem Thema und der Persönlichkeit des Adressaten – an Theodosius’ christlichem Engagement konnte kein Zweifel bestehen – die Position, die Libanios von Beginn an gegenüber seinen Rezipienten einnimmt. Zwar möchte er seine Ansprache zunächst als symbuleutische Rede verstanden wissen, insofern er als Ratgeber vor den für wohlmeinenden Rat aufgeschlossenen Kaiser tritt, doch sieht er sich sogleich zu einer Apologie genötigt. Er antizipiert die Intervention von Gegnern, die sein Vorhaben zu hintertreiben suchen, und argumentiert im folgenden mit Indizien und Beweisen, um die Vorwürfe, die Heiden würden sich über das Opferverbot hinwegsetzen, zu entkräften. Wie sich Beratungsund Gerichtsrede durchdringen, kann ein Überblick über die Rede zeigen . Nachdem er im Proöm gemäß der rhetorischen Theorie seine Rolle als Ratgeber zur Sprache gebracht, den Adressaten durch Lob geneigt gestimmt und die Schwierigkeit seiner Aufgabe betont hat (–), stellt Libanios in einer narrativen Partie die Religionspolitik der Kaiser seit Maxentius und Konstantin in groben Zügen dar, ferner den Anlaß für sein Auftreten sowie die Bedeutung paganer Heiligtümer (–). Der argumentative Hauptteil der Rede, dessen zwei Hauptpunkte die Aspekte der Legalität und des Nutzens sind, verfährt im wesentlichen nach dem rhetorischen Prinzip von ἀντίθεσις und λύσις, indem jeweils auf Vorwürfe der Gegner, die teils fiktiven Interlocutoren in den Mund gelegt werden, geantwortet wird (–). Den Auftakt bildet gemäß dem status coniecturalis die Bestreitung, daß die Heiden überhaupt gegen die Religionsgesetzgebung des Kaisers verstoßen hätten, ehe im Gegenzug christliche Gewalttaten als das verkehrte Vorgehen gebrandmarkt werden. Wenn ein Delikt vorgelegen hätte, hätten die Christen ordnungsgemäß Prozesse anstrengen müssen. Sodann weist Libanios generell die Anwendung von Zwang und Gewalt in Religionsfragen als ungeeignet zurück und erörtert in einem letzten Abschnitt den Nutzen paganer Heiligtümer und Religion für das Gemeinwesen. Der Epilog (–) bringt neben der wehmütigen Beschreibung eines vernichteten Tempels hauptsächlich die Versicherung, daß der Redner selbstverständlich nicht dem Kaiser selbst die Schuld an den Zuständen gebe, sondern sinistren Ratgebern, die diesen täuschten. Was angesichts des Gegenstands am Argumentationsgang auffällt, ist das Fehlen einer im engeren Sinne theologischen Begründung. Wenn das Ziel der Rede ist, die pagane Kultpraxis in Schutz zu nehmen, sollte man annehmen, daß es neben weiteren Aspekten eine theologische Rechtfertigung gibt, die den Polytheismus in den Augen des Kaisers wenn schon nicht plausibel, so doch zumindest unanstößig erscheinen ließe. Wie man hier hätte vorgehen können, wäre der oben besprochenen Rede des Themistios zu entnehmen gewesen, der Zur Religionspolitik des Theodosius vgl. Ernesti (1998) –. Eine rhetorische Analyse der Argumentation bieten Berry – Heath (1997) –. Es handelt sich vermutlich um den Zeustempel von Edessa. Vgl. or. . .
. Anpassung und Widerstand
sich unübersehbar um eine theologische Fundierung seiner Toleranzkonzeption bemüht. Statt diesen Weg zu beschreiten, gibt sich Libanios damit zufrieden, hauptsächlich zwei Argumentationslinien zu verfolgen. Zum einen versucht er, die Auseinandersetzung auf dem Boden des geltenden Rechts zu führen . Ein beträchtlicher Teil seiner Ausführungen ist dem Nachweis gewidmet, daß die Heiden sich in ihrem Verhalten gänzlich an den bestehenden kaiserlichen Gesetzen orientierten. Libanios akzeptiert grundsätzlich den eng gesteckten Rahmen für die pagane Kultausübung und versichert nachdrücklich, daß auch die übrigen Heiden auf gesetzwidrige Opfer verzichteten und keine Tiere an Altären schlachteten . Wer das Gegenteil behaupte, müsse dafür erst einmal Beweise vorbringen, die es nicht gebe . Wie in früheren Zeiten christliche Apologeten betonten, daß Christen loyale Untertanen des Kaisers seien, verfolgt nun der heidnische Rhetor gegenüber dem christlichen Kaiser dieselbe Strategie. Zum anderen unterstreicht Libanios mehrfach, welchen Nutzen der Polytheismus der Bevölkerung in der Vergangenheit gebracht habe und weiterhin bringe. Nachdem er schon zu Beginn des Hauptteils die segensreiche Wirkung des Götterkultes für das Landleben herausgestellt hat, führt er später dieses Thema breiter und detaillierter aus. So seien die Größe des Reiches, die Erfolge in zahlreichen Kriegen – Libanios denkt hier insbesondere an die zweimalige Eroberung Trojas, an Marathon und an Salamis –, aber auch in Friedenszeiten den Göttern zu verdanken. Selbst die Gegner räumten dies doch ein, da in Rom weiterhin Opfer gestattet seien, man also offensichtlich nicht auf die Hilfe der paganen Götter verzichten wolle . Am Beispiel Ägyptens weist Libanios nochmals auf dieses widersprüchliche Verhalten hin. Selbst wer nur zu gerne den Götterkult verbieten würde, lasse weiterhin die Verehrung des Nils zu, um nicht der Fruchtbarkeit der Region zu schaden . Analysiert Libanios das religiöse Problem in Kategorien des juristischen Diskurses und des praktischen Nutzens, weil ihm an der eigentlich religiösen Dimension nicht allzu viel liegt? Oder erhofft er sich, wenn er auf eine theologische Begründung verzichtet, beim christlichen Kaiser eher Gehör zu finden? Die zweite Alternative würde bedeuten, daß er sich an die geänderten Rahmenbedingungen der öffentlichen Kommunikation über religiöse Fragen anzupassen versteht. Jedenfalls fällt auf, daß er sich teilweise solcher Argumente bedient, wie sie christliche Apologeten verwandten, als sie sich noch in der Defensive befanden. Die Loyalität gegenüber dem Kaiser oder ihre Gesetzestreue hoben Chri
Ernesti (1998) –; Gaddis (2005) –. Zu dieser Haltung vgl. auch Lib. or. . (nach ) und . (wohl im Alter verfaßt). Lib. or. . –, f. Lib. or. . f. Die Stelle bietet einen terminus ante quem für die Rede, da im Februar Opfer in Rom verboten wurden (CTh . . ). Opfer wurden in Alexandria im Juni untersagt (CTh . . ). Anfang wurde das Sarapeion von Mönchen zerstört. Eun. VS . ; Rufin. hist. . f.; Socr. h. e. . f.; Soz. h. e. . ; Thdt. h. e. . . Hahn (2004) –.
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sten früher hervor, um Verdächtigungen ihrer paganen Umwelt zu zerstreuen. Ferner versuchten sie in Anpassung an die verbreitete Bewertung des Alten und des Neuen zu beweisen, daß ihr Glaube in Wahrheit viel älter sei als der Polytheismus. Dieser Traditionsbeweis findet sich ebenso in der Rede Für die Tempel wieder, nur in umgekehrter Richtung. Direkt nach dem Proöm leitet Libanios mit Hilfe einer skizzierten Kulturentstehungslehre den paganen Götterkult aus den Anfängen der Menschheit her: Οἱ πρῶτοι φανέντες ἐπὶ γῆς, ὦ βασιλεῦ, τὰ μετέωρα καταλαβόντες σπηλαίοις τε καὶ καλύβαις αὑτοὺς διασώζοντες θεῶν εὐθὺς ἔννοιαν λαβόντες καὶ γνόντες ὁπόσον ἡ ’κείνων εὔνοια τοῖς ἀνθρώποις, ἱερά τε οἷα εἰκὸς τοὺς πρώτους φύντας, καὶ ἀγάλματα σφίσιν αὐτοῖς ἐποίησαν. (Lib. or. . ) Die ersten Menschen, die auf der Erde erschienen, mein Kaiser, besetzten die Anhöhen und schützten sich in Höhlen und Hütten. Sogleich faßten sie eine Vorstellung von den Göttern und erkannten, wieviel das Wohlwollen jener für die Menschen bedeutet. Sie schufen sich Heiligtümer von der Art, wie man sie bei den ersten Menschen erwarten kann, und Kultbilder.
Zugleich mit den ersten Kulturtechniken kommt bei den Menschen eine kollektive Vorstellung von den Göttern und deren Wesen auf. In dieser weit verbreiteten Auffassung einer allgemeinen, sich auf natürlichem Wege einstellenden ἔννοια ist sich Libanios einig mit Julian oder Salutius . Nach dem für das Überleben notwendigen Schutz errichten die Menschen sogleich erste, primitive Heiligtümer und Götterbilder, die, wie Libanios weiter ausführt, sobald das Städtewesen aufkommt, in elaborierterer Form die ersten Gebäude innerhalb der Stadtmauern sind. Menschliche Zivilisation und Götterkult sind demnach nicht ohne einander denkbar, so daß nicht einmal in Konstantinopel pagane Heiligtümer fehlen. Weitere historische Argumente sollen im Verlauf der Rede belegen, daß das Heidentum stets dem Gemeinwesen zum Vorteil gereichte, also weit davon entfernt ist, Schaden anzurichten, wie die Gegner behaupten . Ebenso hatte die christliche Apologetik in vergleichbarer Situation argumentiert, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Ähnlich wie Themistios scheint sich Libanios mit der neuen Rolle, die den Heiden in einem christlichen Reich zukommt, abzufinden und Jahre nach der Euphorie unter Julian zu einer demütigeren Haltung gefunden zu haben. Damit trotz den veränderten Kräfteverhältnissen zwischen den Religionen eine halbwegs ungehinderte Kultausübung möglich bleibt, versucht Libanios Theodosius ein Herrschaftsverständnis nahezulegen, wie wir es bereits aus Themistios’ Toleranzrede kennen. Nachdem er an den Beispielen Konstantins und des Con Sal. . f. (κοιναὶ ἔννοιαι); Iul. Gal. fr. . e; fr. ; fr. . b. Zu dieser bei allen Menschen zu findenden Vorstellung (lat. consensus), die als Indiz für die Existenz von Göttern gewertet wird, vgl. die Parallelstellen bei Arthur Stanley Pease: M. Tulli Ciceronis de natura deorum liber primus. Cambridge (Mass.); Harvard , f. und Masaracchia (1990) f. Lib. or. . –, f.
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stantius gezeigt hat, welchen Schaden die einseitige Parteinahme des Kaisers für das Christentum anrichtet , befürwortet Libanios eine kaiserliche Politik, die religiösen Pluralismus zum Nutzen des inneren Friedens zuläßt. Der Kaiser soll, weil er einerseits die schädlichen Auswirkungen religiöser Konflikte und andererseits den Nutzen des paganen Götterkultes für das Reich erkannt hat, neutral über den Religionen stehen und die gewalttätigen Angriffe der Christen auf pagane Kultstätten unterbinden. Solange gewährleistet ist, daß die verschiedenen Religionen der Wohlfahrt des Gemeinwesens nützen oder zumindest nicht schaden, soll die religiöse Überzeugung Sache des einzelnen, also dem staatlichen Zugriff entzogen sein . Um seinem Anliegen größere Überzeugungskraft zu verleihen, beruft sich der Redner auf das Verhalten, das Theodosius bisher schon an den Tag gelegt habe: [. . .] οἴει μὲν τοῦτ’ ἐκείνου βέλτιον εἶναι, οὐ μὴν ἀσέβημά γε ἐκεῖνο οὐδ’ ἐφ’
ᾧ τις ἂν δικαίως [καὶ] κολασθείη. ἀλλ’ οὐδὲ τῶν τιμῶν τούς γε τοιούτους ἀπέκλεισας, ἀλλὰ καὶ ἀρχὰς ἔδωκας καὶ συσσιτίους ἐποιήσω καὶ τοῦτό γε πολλάκις [. . .]. (Lib. or. . ) Du glaubst zwar, daß dies [Christentum] besser sei als jenes [Verehrung der Götter], gleichwohl hältst du jenes ja nicht für Frevel und etwas, auf Grund dessen man zu Recht bestraft würde. Ja, du hast nicht einmal die Leute dieser Art [Heiden] von deinen Ehren ausgeschlossen, sondern ihnen sogar Ämter verliehen und sie zu deinen Tischgenossen gemacht, und das oftmals [. . .].
Nicht wie Libanios zuvor im Zitat eines fiktiven Religionsedikts ausmalt (§ ), schreibt Theodosius das monotheistische Christentum als alleinig erlaubte Religion vor und erlegt dem Gewissen der Menschen (ταῖς τῶν ἀνθρώπων ψυχαῖς, ) ein Joch auf, sondern obgleich er selbst überzeugter Christ ist, duldet er, daß seine Untertanen den Göttern anhängen. Selbst in der engsten Umgebung des Kaisers seien Verehrer der Götter zu finden . Geschickt entwickelt Libanios sein Modell religiöser Toleranz, d. h. der Duldung des paganen Polytheismus, aus der bisherigen Praxis des Kaisers, plädiert also gewissermaßen nur für eine Beibehaltung des status quo. Auf dieser Grundlage soll Theodosius gegen christliche Gewalttaten, von denen ihn Libanios nun in Kenntnis gesetzt hat, einschreiten. Zwar nahm Libanios’ innovatives Kaiserbild Rücksicht auf die bereits bestehende Ausrichtung der Politik und orientierte sich an den faktischen Gegebenheiten, indem es die gegen das Heidentum ergriffenen legislatorischen Maß Lib. or. . f., –, . Ebenso or. . . Zu Libanios’ Argumentationsstrategie, die Religion der Privatsphäre zuzuordnen, siehe Sandwell (2007) –. Libanios hebt aus dieser Gruppe einen Mann heraus, den Theodosius zu seinem Kollegen, also wohl zum Konsul, gemacht habe (παρέζευξας σαυτῷ). In Erwägung gezogen wurden Richomer (cos. ), Tatianos (der freilich nicht Konsul war) oder auch Eutropius (cos. ). Siehe Foerster (1903/27) Bd. , f. und App. (Richomer), Van Loy (1933) (Tatianos), Petit (1983a) (Eutropius). Wiemer (1995b) ist gegenüber den bisherigen Identifikationsvorschlägen skeptisch.
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nahmen nicht in Frage stellte, gleichwohl war es fernab der Realität, von Theodosius eine wirkliche Duldung des Polytheismus zu erhoffen. Auch wenn der Kaiser aus pragmatischen Erwägungen auf die Erfahrung und Hilfe paganer Persönlichkeiten zurückgriff, gab er schon bald zu verstehen, daß das Römische Reich ein christliches Imperium sein sollte. Wer davon überzeugt war, daß das Wohlergehen und die Macht des Reiches an der Verehrung des christlichen Gottes hingen, konnte keine anderen Kulte zulassen. So war es folgerichtig, nicht allein auf den Titel des pontifex maximus zu verzichten, sondern auch im Jahre den Besuch von Tempeln und die Darbringung von Opfern, ein Jahr später jeglichen paganen Götterkult zu untersagen. Hätte Theodosius den Ratschlag des Libanios beherzigt, hätte dies die Stellung des Kaisers zum Christentum ebenso verändert wie die zum Heidentum. Ein offiziell zu religiöser Neutralität verpflichteter Herrscher wäre gleichbedeutend gewesen mit einer Lockerung des engen Bundes von Kirche und Staat. Die Christen hätten zwar nicht ihre bereits erlangten Privilegien eingebüßt, es wären ihnen jedoch alle Möglichkeiten genommen, mit staatlicher Unterstützung ihre Position auf Kosten der Heiden auszubauen. Damit wäre die angestrebte religiöse Einheit des gesamten Reiches bis zur monarchischen Spitze erst einmal in weite Ferne gerückt, und Theodosius hätte offiziell anerkannt, was Themistios explizit in Jovians Namen verkündete, nämlich daß es mehrere Wege zu Gott bzw. zu den Göttern gebe. Libanios schlägt mithin, wenngleich nicht deutlich ausgesprochen, nichts weniger vor, als die totalitären Ansprüche der Christen auf ein erträgliches Maß zu stutzen. Genau diese Linie zeichnet sich im einzelnen in seiner Argumentation ab. Betrachtet man genauer, wie er die Götter und ihre Verehrung darstellt, relativiert sich der Eindruck, er trete in ganz defensiver Haltung vor den Herrscher. Obgleich er als Bittsteller spricht, verhehlt er seine Überzeugung, daß die pagane Verehrung der Götter allen anderen Religionen überlegen sei, keineswegs. Wie bereits oben gezeigt wurde, ist für Libanios nicht Religion schlechthin, sondern der pagane, in Tempeln, mit Kultbildern und mit Opfern vollzogene Kultus eine den Menschen von Anbeginn an, gleichsam von Natur aus eingepflanzte Form, den Kontakt zu den numinosen Mächten herzustellen. Menschliche Kultur scheint ohne den praktizierten Götterkult überhaupt nicht denkbar. Daraus folgt implizit nicht allein, daß man die pagane Verehrung der Götter nicht durch gesetzliche Maßnahmen beschneiden und unterdrücken darf oder kann, sondern auch und vor allem, daß sie als die einzig naturgemäße zu gelten hat. Andere Formen der Religion können allenfalls sekundär entstanden sein und deshalb keinen Vorrang beanspruchen. Zudem bringt Libanios mehrfach den auf verschiedenen Gebieten zu verzeichnenden Nutzen zur Sprache, dessentwegen der alte Götterkult zu schützen sei. An erster Stelle ist hier zu nennen, daß die Römer ihren militärischen Aufstieg, ihre Eroberungen und die Macht des Reiches den Göttern zu verdanken haben (§ , ). Wer deren Verehrung beseitigt, stellt also das Fundament des Imperiums in Frage. Libanios
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bedient sich hier eines Arguments, das in den Kontroversen zwischen Heiden und Christen immer wieder auftauchte, insbesondere nach dem Fall Roms im Jahre . In ähnlicher Weise hatte er bereits nach der Schlacht von Hadrianopel dargelegt, daß nur die Rache für Julian, also die Pflichterfüllung gegenüber den Göttern, den Fortbestand des Reiches sichern könne . Nicht weniger bedeutend ist der Nutzen für das materielle Wohlergehen der Menschen, ja für die Kultur überhaupt. Da die Menschen ihre Hoffnung für Ehe, Kindersegen und landwirtschaftliche Fruchtbarkeit auf die Verehrung der Götter gründen (§ ), entzieht, wer diese einschränkt oder gar verbietet, jeglichem zivilisierten Leben den Boden. Wird mit den Tempeln den Städten gleichsam die Seele entrissen (§ ), ist der allgemeine Niedergang bzw. das totale Chaos die unausweichliche Folge. Denn das allgemein gefeierte Götterfest, bei dem Opfer dargebracht wurden, war aus der Sicht des Libanios anscheinend eine Institution, bei der auch die gesellschaftliche Hierarchie immer wieder neu inszeniert und gefestigt wurde . In traditioneller Weise gilt Libanios der Götterkult demnach als Fundament menschlicher Zivilisation, ganz zu schweigen von dem ästhetischen Aspekt der Baulichkeiten der Heiligtümer, den er anschaulich vor Augen stellt . Das Lob der paganen Götter und ihrer Verehrung kulminiert schließlich in einem kurzen Enkomion dessen, der ihr eifrigster Anhänger war (§ f.). Julian ist für Libanios der ideale Kaiser, dessen Andenken auch lange nach dem durch Verräter verursachten Tode fortbesteht. Den heroengleichen Status, den der Kaiser erlangt hat – wie Achill hat er sich κλέος erworben – verdankt er in erster Linie den Göttern: καὶ ταῦτα τούτῳ παρὰ τῶν θεῶν οἷς ἀπέδωκεν ἱερὰ καὶ τιμὰς καὶ τεμένη καὶ βωμοὺς καὶ αἷμα (»Und dies wurde ihm zuteil von den Göttern, denen er Tempel, Ehrungen, Sakralbezirke, Altäre und blutige Opfer wiedergegeben hatte.«, . ). Von den Göttern erfährt Julian, welches Geschick ihm bestimmt ist, nämlich daß er nach der Bezwingung der Perser sterben werde . Libanios beschließt das kurze Enkomion, indem er noch einmal eine kausale Verbindung zwischen Julians Sorge für die Heiligtümer und der Dauer seines Ruhmes herstellt . Mit seiner Würdigung des Vgl. Fiedrowicz (2001) –. Lib. or. . –, . In § stellt es Libanios als früher auf dem Lande verbreitete Sitte dar, daß sich das einfache Volk bei den angesehenen Leuten zu Fest und Opfer versammelt habe. Eine ähnliche affirmative Wirkung schreibt er auch dem Fest der Kalenden zu (or. . f.). Den ästhetischen Wert des Asklepiostempels in Beroia steigert Libanios, indem er das zerstörte Kultbild dem Phidias zuschreibt ( f.). Auch die Würdigung des Tempels im Osten betont die künstlerische Seite ( f.). Vgl. das Orakel zum Aufstieg Julians in den Olymp bei Eun. fr. . . τοιοῦτος ἡμῖν ὁ τὰ ἱερὰ τοῖς θεοῖς ἀνιστάς, κρείττω μὲν ἔργα λήθης ἐργασάμενος, κρείττων δὲ λήθης γεγενημένος (»So war er, der den Göttern die Tempel wiederaufrichtete, er, der Taten stärker als das Vergessen vollbracht hat und selbst stärker als das Vergessen ist.« . ).
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letzten heidnischen Kaisers gibt Libanios zum einen seinem Adressaten Theodosius einen überdeutlichen Fingerzeig, welche Haltung der ideale Herrscher zum Götterkult einnehmen sollte, zum anderen illustriert er an einem anschaulichen Beispiel, welche Segnungen die paganen Götter für ihre Verehrer bereithalten. Die Linie des Epitaphios fortsetzend, stilisiert er Julian zum Helden homerischer Prägung, der wie Achill den frühzeitigen, aber ruhmvollen Tod in der Schlacht dem langen Leben vorzieht. Unübersehbar ist außerdem die Sokratesnachfolge, in der Libanios seinen Kaiser sieht: In Gelassenheit und ohne Trauer nimmt Julian seinen Tod hin und tadelt seine Gefährten, die Tränen vergießen . Julian gewinnt hier das Format eines paganen Heiligen, der zum Nutzen seiner Mitmenschen den ihm verheißenen Tod auf sich nimmt . Beinahe könnte man an Christus selbst als Parallele denken, da Julian wie dieser durch Verrat stirbt und den Opfertod als vorherbestimmt akzeptiert, während seine engsten Vertrauten dies nicht fassen können. In Julian manifestiert sich die ethische und geradezu soteriologische Überlegenheit des Heidentums. Der Lobpreis der paganen Götter ist freilich nur die eine Seite einer Medaille, auf der deutliche Umrisse antichristlicher Polemik eingeprägt sind; und diese Polemik richtet sich keineswegs nur gegen die Auswüchse der christlichen Religion, sondern gegen diese als ganze. Daß Libanios als Zielscheibe seiner Kritik gewalttätige Mönche herausgreift , ist ein geschickter Schachzug, um seiner Konfrontation von Christentum und Heidentum Überzeugungskraft zu verleihen. Denn das ungezügelte Wüten der ›Schwarzgewandeten‹ auf dem Lande, deren Haß sich gegen pagane Kultstätten richtete, mißbilligten selbst manche Christen . Hier bot sich die Möglichkeit, einen Ansatzpunkt für grundsätzliche Kritik am Christentum zu greifen, da es sich um einen Mißstand handelte, der jedem vor Augen stand. Daß sich Libanios’ Abneigung jedoch nicht auf die Mönche beschränkte, zeigt die Art, wie er Julians Vorgänger Konstantin und Constantius beurteilt. Zwar räumt Libanios ein, daß Konstantin wenigstens Opfer nicht verboten habe (§ ), doch läßt er die Rezipienten über seine Geringschätzung des ersten christlichen Kaisers nicht im ungewissen. Konstantin hat seinen Platz in der historischen Erinnerung als derjenige, der Heiligtümer geplündert und die Abkehr von den Göttern eingeleitet hat (§ , ). Er hat die Gallier, die sein Heer bildeten, dazu
Vgl. or. . f.; . ; Amm. . . f. Zu den hagiographischen Tendenzen in Libanios’ Julianbild siehe Kap. .. Lib. or. . f.; . Vgl. Eun. VS . . ; . . ; Zos. . . Gaddis (2005) –. Libanios verbindet dies mit seiner bekannten Abneigung gegen Konstantinopel, indem er behauptet, Konstantin habe das Tempelgut für die Errichtung der Stadt mißbraucht. Auch in § ist die schwelgerische Stadt Konstantinopel eng mit der christlichen Politik ihres Gründers assoziiert. Derselbe Vorwurf gegen Konstantin auch or. . .
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gebracht, die Götter anzugreifen, die sie zuvor verehrt hatten . Während der nicht namentlich genannte Licinius den Städten zu neuer Blüte verhalf – nicht zuletzt durch seine Anhänglichkeit an die Götter, wie man gedanklich ergänzen soll –, erachtete Konstantin es für einen persönlichen Vorteil, einen anderen für Gott zu halten . Die Annahme des Christentums war mithin eine reine Nutzenerwägung, kein Akt der inneren, auf einer natürlichen Vorstellung beruhenden Überzeugung. Die gegen die Götter gerichtete Politik wurde nahtlos von seinem Sohn Constantius fortgesetzt, dessen Schandtaten durch die direkte Juxtaposition um so klarer gegen Julians Haltung abstechen . Statt die Heiligtümer der persischen Feinde einzureißen, die römischen hingegen zu schützen, habe er unter großen Anstrengungen Tempel zerstören lassen oder Günstlinge mit ihnen beschenkt, als handelte es sich um Pferde oder Sklaven. Es versteht sich von selbst, daß diese Freveltaten nicht ungesühnt bleiben. So habe sich Konstantin noch zu Lebzeiten seine Strafe zugezogen , und auch sein Tod habe die Vergeltung nicht beendet, da sich die Familienmitglieder gegenseitig das Leben genommen hätten, bis keiner mehr übrig gewesen sei. Constantius hingegen habe in ständiger Furcht vor den Persern gelebt, während die von ihm Beschenkten kinderlos gestorben seien oder besser niemals Kinder gezeugt hätten. Libanios wandelt hier das aus der christlichen Literatur bekannte Motiv des Todes der Verfolger ab, um vor den schädlichen Folgen einer gegen die Götter gerichteten christlichen Politik zu warnen. Wie sich die Vorzüge des paganen Götterkultes in Julian verdichten, so spiegeln sich die negativen Seiten des Christentums in Konstantin und seinem Sohn wider. Wie weit Verworfenheit und Gewaltätigkeit unter den Christen verbreitet sind, belegt ferner die Zerstörung eines prachtvollen Tempels im Osten des Reiches, auf die Libanios gegen Ende der Rede als mahnendes Beispiel verweist (§ –). Zwar geht die Anstiftung zur Vernichtung des Heiligtums mittelbar auf Mönche zurück, doch zeigen der verantwortliche Statthalter und seine Frau, daß die Neigung zu Frevel und Gewalt bis in höhere Kreise hinein Fuß gefaßt haben. Durch äußerst negative Charaktereigenschaften ausgezeichnet, leiht der
Indem Libanios die Herkunft der Soldaten Konstantins betont, will er wohl einerseits andeuten, daß auch fremde, barbarische Völker von Natur aus die Götter verehren, andererseits seinem Abscheu darüber Ausdruck verleihen, daß Konstantin ein Barbarenheer gegen die Stadt Rom führt. Lib. or. . : ἡγησάμενος αὑτῷ λυσιτελεῖν ἕτερόν τινα νομίζειν θεόν. Zu der Wendung θεὸν νομίζειν τινά vgl. Hdt. . . ; Ar. Eq. ; Av. , ; Nu. ; Pl. Smp. d; Euthphr. e f.; R. , a–; X. Smp. . ; An. . . . Siehe Wilhelm Fahr: Θεοὺς νομίζειν. Zum Problem der Anfänge des Atheismus bei den Griechen. (Spudasmata ) Hildesheim; New York , –, f. Lib. or. . , und . Constantius ist auch sonst bei Libanios das Gegenbild zu Julian (bes. or. . –). Libanios spielt hier wohl darauf an, daß Konstantin seinen Sohn Crispus hinrichten ließ.
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Amtsträger – es handelt sich wahrscheinlich um Kynegios – den Einflüsterungen seiner den Mönchen hörigen Frau ein Ohr und läßt den Tempel niederreißen. Libanios stellt es so dar, als sei die den eigenen Begierden folgende Amtsführung des Kynegios gänzlich das Resultat des negativen christlichen Einflusses. Das Christentum ist nicht allein schuld an der Gewalt gegen den paganen Kult, sondern führt auch zu einem Niedergang der allgemeinen Sitten und der Reichsverwaltung. Wie die Gegenüberstellung der Herrscherpersönlichkeiten zeigt, geht es Libanios offenbar darum, Christentum und Heidentum möglichst plakativ miteinander zu konfrontieren.Wer dem christlichen Glauben anhängt, scheint in allem das Gegenteil des untadeligen Heiden zu verkörpern. Dementsprechend zeichnet Libanios das Bild eines Christentums, dessen Vertreter sich gegen die natürliche wie die politische Ordnung vergehen. Während der pagane Götterkult von der Natur in den Menschen verankert ist, bringen die gewalttätigen Mönche die naturgegebene Ordnung vollkommen durcheinander. Naturkatastrophen wie etwa reißenden Sturzbächen gleich verheeren sie, wenn sie Heiligtümer zerstören, das ganze Land (§ ), und auch ihre unmäßige, schwelgerische Lebensführung entlarvt, daß sie weniger Menschen als gefräßige Tiere sind (§ , ) . Das Hauptgewicht legt Libanios jedoch auf die Erschütterung des gesamten Staates durch das Treiben der Mönche. Indem sie offen gegen Gesetze verstoßen, unschuldige Menschen verfolgen und sich noch dazu für ihre Taten ungerechtfertigt auf den Kaiser berufen , unterminieren sie die Grundlagen des Reiches und bringen zudem den Herrscher in Verruf . Wie sie offen an den Tag legen, mißachten sie die ethischen Regeln, ohne die ein zivilisiertes Zusammenleben unmöglich wird. Statt sich ihrer Untaten zu schämen, brüsten sie sich mit ihnen und schämen sich allenfalls, nicht genügend Verbrechen begangen zu haben. Die Opfer dieses Terrors haben nicht nur den Schaden, sondern müssen sich auch noch, wenn sie bei den Pastoren Hilfe suchen, verhöhnen lassen (§ ). Ebenso heuchlerisch wie die Bezeichnung der christlichen ›Hirten‹ ist es, diejenigen ausgerechnet σωφρονισταί zu nennen, die plündern und darauf öffentlich stolz sind (§ ). In den Augen des Libanios sind diese Repräsentanten des Christentums verantwortlich für eine totale Pervertierung ethischer Normen und Begriffe. Ihre Gewaltakte münden in ein blutiges Chaos, das nur als Krieg angemessen bezeichnet ist (§ f.). Es herrschen im Innern des Reiches Zwietracht und Verfolgung, indessen man sich unter dem idealen Kai Petit (1983a) –. PLRE f., s. v. Maternus Cynegius . Zu Kynegios’ Reise durch den Osten vgl. auch Lib. or. . und Zos. . . . Zum Vergleich von Mönchen mit Tieren siehe auch Eun. VS . . . Lib. or. . , f., f., f. Ebenfalls unter der Herrschaft des Theodosius versuchte Libanios, die Christen Antiochias für die Statuenunruhen verantwortlich zu machen: or. . –; . ; . f. Gebete der Christen hätten in diesem Falle zur Insubordination geführt. Vgl. Sandwell (2007) –.
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ser Julian noch gegen die äußeren Feinde wandte. Indem Libanios anschaulich schildert, mit welcher Macht dieser Pöbel das Land verwüstet, läßt er klar erkennen, daß er nicht allein die überschaubare Gruppe von Mönchen für schuldig hält, sondern weite Kreise der christlichen Bevölkerung. Außerdem zielt er mit seiner Kritik offensichtlich auf das Christentum als Religion, statt nur das Verhalten der Christen zu tadeln. Daß die Gewalttäter, wenn sie pagane Wohltäter verfolgen und damit die Ärmsten der Bevölkerung ihrer Unterstützung berauben, durch ihre Praxis die christlichen Lehren verraten oder daß sie allein deshalb gegen Heiligtümer vorgehen, weil sie sich persönlich bereichern wollen (§ ), könnte man noch als Vorwürfe werten, die eher die einzelnen als die ganze Religion betreffen. Indes zeichnet sich hier bereits ab, daß aus Libanios’ Perspektive das Christentum stets nur Vorwand zu sein scheint, niemals aber wirklich empfundener Glaube. Genau dieser Makel haftet bereits der Einführung des Christentums durch Konstantin an. Bezeichnend sind hier die Formulierungen, deren sich der Redner bedient. Wie oben zitiert, hält Konstantin aus persönlichen Erwägungen ›irgendeinen anderen‹ für Gott (§ ). Libanios sagt also nicht, daß es einen Christengott gebe, sondern deutet in leicht verächtlichem Unterton an, daß der Kaiser sich willkürlich einen Gott erwählt habe. Der κοινὴ ἔννοια aller Menschen steht die Privatmeinung eines einzelnen gegenüber, die als solche durch den natürlichen Konsens widerlegt ist. Diese Darstellung ist nur folgerichtig vor dem Hintergrund, daß von Natur aus alle Menschen die paganen Götter verehren. Derselben Tendenz, dem Christentum den Status einer Religion abzusprechen, begegnet man sogar, wenn sich Libanios an Theodosius wendet (§ ). Er benennt das Christentum hierbei nur mit dem Personalpronomen τοῦτο, statt es als Kult bzw. Verehrung des Gottes (beispielsweise θεραπεία oder θρησκεία) zu bezeichnen. Das steht völlig im Einklang mit seiner sonstigen Praxis, Christen schlicht und ergreifend als ›Gottlose‹ (δυσσεβεῖς) zu titulieren . So nimmt es nicht wunder, daß er in der ganzen Rede den Christen nirgends religiöse Motive zubilligt und das Christentum nie als Alternative zum paganen Götterkult sieht. Weshalb er in seinem Plaidoyer auf eigentlich theologische Argumente verzichtet, liegt dann auf der Hand. Wer dem Christentum mit dieser Haltung begegnet, kann sich mit ihm nicht theologisch auseinandersetzen, da es sich nicht um eine Religion handelt. Lib. or. . . Während die Christen also nur vorgeblich für das Wohl der Bedürftigen sorgen, üben nach Libanios Heiden die wahre Nächstenliebe. Kranke müssen unverrichteter Dinge das zerstörte Asklepieion von Aigai wieder verlassen (§ ). In § stellt er klar die Diskrepanz zwischen christlicher Lehre und Lebenswandel heraus. Lib. ep. ; or. . , , ; . ; ferner ἄθεοι in ep. . Weitere abwertende Bezeichnungen für Christen: or. . , ; . , ; ep. . ; . . Zum Vorwurf des Atheismus vgl. Pier Franco Beatrice: »L’accusation d’athéisme contre les chrétiens«, in: Hellénisme et christianisme, hg. von M. Narcy und E. Rebillard. Villeneuve d’Ascq , –.
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
Wäre es Libanios’ alleiniges Ziel gewesen, pagane Heiligtümer zu schützen und um Toleranz zu bitten, hätte es genügt, dafür relevante Argumente anzuführen. Wie die genauere Prüfung der Rede ergeben hat, nutzt er jedoch die gewalttätigen Übergriffe von Christen als Aufhänger, um pagane Götterverehrung und Christentum miteinander zu konfrontieren. Heidnische Apologetik und eine generelle Kritik am Christentum gehen eine enge Verbindung ein, so wie zuvor Euseb und Laktanz unter dem Deckmantel der Apologie die alten Götterkulte grundsätzlich attackiert hatten. Charakteristisch für Libanios’ Rede ist die Antithese zwischen den beiden Kontrahenten, das Denken in Oppositionen. Während die Verehrung der Götter als naturgemäße Religion das materielle Wohlergehen garantiert, eng mit der menschlichen Zivilisation verknüpft ist und den Bestand des Reiches nach innen wie außen sichert, wird das Christentum entlarvt als Vorwand, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, als widernatürliche Entartung, die unweigerlich Bürgerkrieg und allgemeinen Niedergang heraufbeschwört. Wie Julian in seiner Galiläerschrift entwirft sein größter Bewunderer ein Bild des Kampfes zweier Kulturen, die als Antipoden nicht miteinander auskommen können. Dem äußeren Anschein nach an die neuen Bedingungen der religiösen Situation angepaßt, übt Libanios einen nur wenig verhüllten Widerstand. Statt sich mit der Rolle des paganen Bittstellers gegenüber dem christlichen Kaiser zu begnügen, nimmt er den grundsätzlichen Kampf gegen das Christentum zumindest mit diskursiven Mitteln auf. Mochte Libanios vielleicht hoffen, indem er seine Angriffe hinter der Kritik an den Mönchen versteckte, gemäßigte christliche Persönlichkeiten, eventuell auch am Kaiserhofe, zu beeinflussen, so dürfte seine mit paganer Apologetik verwobene Abrechnung mit dem Christentum eher auf Gesinnungsgenossen berechnet gewesen sein . Ihnen wird Libanios damit moralischen Beistand und Argumente für mögliche Diskussionen geliefert haben . Die Rede Theodosius selbst vorzulegen wäre zu verwegen gewesen, zumal mit der unverhohlenen Drohung am Schluß, die Landbewohner würden zur Selbsthilfe greifen, falls die Gewalttaten kein Ende nähmen . In dieser verzweifelten Gebärde drückt sich die Hoffnungslosigkeit jedes Apologeten aus, dem jegliche Macht So nimmt Petit (1983a) f. an, daß Libanios die Rede hochgestellten Heiden des Hofes, evtl. Richomer und Tatianos, zukommen ließ. Wiemer (1995b) f. meint, daß Libanios mit der Rede den heidnischen Präfekten Tatianos bewegen wollte, etwas zum Schutz der Tempel zu unternehmen. Im Jahre erwirkte Tatianos vom Kaiser tatsächlich ein Gesetz, das gewalttätigen Mönchen den Aufenthalt in Städten verbot (CTh . . ). Es wurde allerdings von Theodosius widerrufen (CTh . . ). Zu Tatianos siehe PLRE –, s. v. Fl. Eutolmius Tatianus . Dafür eignet sich die Rede insofern gut, als sie über weite Strecken als Dialog mit christlichen Gegnern gestaltet ist und deren möglichen Vorwürfen entgegnet. Lib. or. . : εἰ δ’ οὐχὶ καὶ σοῦ διδόντος οἵδε ἥξουσιν ἢ ἐπὶ τὸ διαπεφευγὸς
αὐτοὺς ἢ διὰ τάχους ἀναστάν, ἴσθι τοὺς τῶν ἀγρῶν δεσπότας καὶ αὑτοῖς καὶ τῷ νόμῳ βοηθήσοντας (»Wenn diese Leute aber auch ohne deine Einwilligung sich an das machen werden, was ihnen entweder entgangen ist oder in Eile wiederauferstanden,
. Anpassung und Widerstand
zur Durchsetzung seiner Position genommen ist. Wie früher christliche Apologeten war er sich wohl bewußt, mit Worten in der Religionsfrage nichts ausrichten zu können – er sollte recht behalten. Religiöse Realitäten zu ignorieren oder neu zu konstruieren war eine der Strategien, deren sich Julian wie Libanios in ihrer Auseinandersetzung mit dem Christentum bedienten. Statt anzuerkennen, daß die neue Religion bis in den Kernbereich griechischer Kultur vorgedrungen war, sich griechische παιδεία und christliches Bekenntnis nicht mehr ausschlossen, trachteten beide danach, eine möglichst scharfe Grenze zwischen der paganen griechischen Kultur und den gottlosen Christen zu ziehen. Dies konnte nur dann halbwegs glaubwürdig ausfallen, wenn man das Christentum in allem als das genaue Gegenteil der griechisch-römischen Zivilisation konstruierte. Sei es, daß man wie Julian die kulturelle Inkompetenz und fehlende Gotteserkenntnis geißelte, sei es, daß man die gewalttätigen Mönche als repräsentativ für die Christen darstellte: Ziel war es, den religiösen Gegensatz zum Konflikt zweier Kulturen zu stilisieren, die verschiedener nicht hätten sein können. Als wären die Christen wie in der Kaiserzeit eine unangepaßte Randgruppe, griff man auf die bereits damals bewährten Argumente zurück und malte die Gefahr an die Wand, die Christen würden die Grundlagen der Zivilisation und des Reiches erschüttern. Aus den Strategien der Grenzziehung sprach deutlich das Bemühen, ein Bollwerk um die als genuin pagan aufgefaßte griechische Kultur gegen christliche Vereinnahmung zu errichten. Während man dadurch suggerierte, die Christen ließen sich wie einst marginalisieren, war man andererseits realistisch genug, die veränderten Spielregeln des religiösen Diskurses wenn auch nur implizit zu akzeptieren. Selbst die Argumentation des scharfen Christengegners Julian, der mit dem Eifer des Konvertiten seine frühere Religion verfolgte, war unverkennbar von christlicher Kritik an den heidnischen Kulten gelenkt. Die Galiläerschrift verriet ebenso deutlich ihre apologetische Tendenz wie Libanios’ Rede Für die Tempel, die offen als Verteidigung auftreten mußte. Auch des Kaisers Pastoralbriefe verkünden beredt, daß er sowohl in der Form als auch im Inhalt christlich beeinflußt war. Am weitesten ging, was angesichts des Anlasses nicht erstaunt, die von Themistios auf Kaiser Jovian gehaltene Rede. Hier wurde aus dem Munde eines paganen Redners und Philosophen das Christentum offen als gleichberechtigte Religion anerkannt und an die Stelle des Konflikts ein religiöser Pluralismus gesetzt. Wenn eine angesehene Persönlichkeit solch ein Programm vortrug, dürfte dies bei anderen gebildeten Heiden – aber ebenso bei Christen – Eindruck gemacht haben. Alle drei Autoren wußten sich mithin an die neuen Gegebenheiten anzupassen, da sie nur dann hoffen konnten, bei den Zeitgenossen Gehör zu finden so wisse, daß die mächtigen Persönlichkeiten auf dem Lande sich selbst und dem Gesetz zu Hilfe kommen werden.«).
Die Sicherung der Religion nach innen und außen
und ihre eigene Position plausibel zu machen. An der Tatsache, daß Christen griechische Rhetorik und Philosophie rezipierten oder anstößige Mythen mit beißendem Spott überzogen, konnte selbst der kaiserliche Restaurator des Heidentums nicht vorbeisehen. Daraus folgte jedoch nicht, daß sich Julian, Themistios und Libanios mit der ihnen aufgenötigten defensiven Rolle abgefunden hätten. Gerade aus der Anerkennung der religiösen Verhältnisse entwickelten sie nicht nur innovative Lösungsansätze – man denke an den über den Religionen stehenden Kaiser des Themistios und des Libanios –, sondern vor allem Möglichkeiten, die Ansprüche der Christen in ihre Schranken zu verweisen. Julian demonstrierte durch seine Argumentation eindrucksvoll, daß Christen weit davon entfernt waren, die griechischen Kulturtechniken zu beherrschen, und, was noch schwerer wog, er reduzierte den Christengott auf seine wahre, bescheidene Größe und wies ihm einen untergeordneten Platz im Pantheon zu. Das Christentum, wie es Themistios sah, hätte seine Einzigartigkeit eingebüßt, da es weder über den alleinigen Weg zu Gott verfügt noch universale Geltung gehabt hätte. Und wer Libanios genau zuhörte, erkannte, daß das Christentum keine Religion war, vielmehr ein Deckmantel, um dem eigenen Nutzen nachzugehen. Einem solchen Atheismus war die Verehrung der paganen Götter turmhoch überlegen. Anpassung an die veränderten Diskursregeln schloß demnach Widerstand nicht aus. Im Gegenteil, die neue Rolle, in der sich die Heiden wiederfanden, verlangte nach Argumentationsstrategien, die, obgleich sie bisweilen in altem Gewand auftraten, mit neuer Stoßrichtung dem Christentum seine Grenzen aufzeigten. Sowohl Themistios als auch Libanios mußten es allerdings erleben, daß ihre diskursiven Mittel ohne eine Machtgrundlage nicht ausreichten, die Möglichkeiten paganer Götterverehrung zu erhalten.
Eine Palingenesie Wir haben im Laufe der Untersuchung gesehen, auf welchen Wegen die paganen Autoren des vierten Jahrhunderts die Krise, die sie an vielfältigen Symptomen ablasen, literarisch zu bewältigen versuchten. Statt sich mit der reinen Diagnose zu bescheiden, griffen sie den Appell, der ihr innewohnte, auf und setzten sich auf den ihnen zur Verfügung stehenden Kanälen damit auseinander, daß das Reich aus den Fugen geraten war. Es kristallisierten sich hierbei mehrere Fragen oder Themenbereiche heraus, denen in Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Niedergangs eine besondere Relevanz zukam: die Bestimmung der eigenen Identität; die Frage, wie der vorbildliche Herrscher beschaffen sein sollte, welcher der allgegenwärtigen Probleme Herr werden könnte; das Individuum, das in sich alle Eigenschaften vereinigte, um den gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen; die Prägung des kollektiven Gedächtnisses; und schließlich die Frage, wie man das Heidentum religiös fundieren und gegenüber Angriffen stärken könne. Auch wenn diese Themen je für sich betrachtet wurden, haben sich deutliche Gemeinsamkeiten abgezeichnet, von denen die Bewältigung der Krise gleichsam wie von Kettfäden durchwirkt war. Da die Autoren viele Erscheinungen ihrer Zeit als gefährlich oder bedrohlich wahrnahmen, fühlten sie sich offensichtlich verpflichtet, auf solche Herausforderungen zu antworten und die eigene Position zu den drängenden Fragen zu formulieren. Wenn man konstatierte, daß vieles, von dessen Gültigkeit man bisher überzeugt gewesen war, in Frage gestellt wurde, schien es unerläßlich, genau zu prüfen, was das eigene Selbstverständnis ausmachte, welche Merkmale der eigenen Identität noch Bestand hatten und welche eventuell neu zur Geltung gebracht werden mußten. Mit der Akzentuierung des Hellenentums und der Religion glaubte man ein Mittel in der Hand zu haben, um die Identität der Gruppe nach innen wie außen stärken zu können. Man verlieh der Gemeinschaft schärfere Konturen. Gerade die Rolle der Religion, die in mancherlei Hinsicht christlichen Attacken ausgesetzt war, sollte nun exakter bestimmt werden. Salutius’ Einführungsschrift, Julians Hymnen und Galiläerschrift, aber auch Libanios’ und Himerios’ Reden verfolgten das Ziel, die Merkmale der heidnischen Religion festzulegen und christliche Kritik zu entkräften. Teilweise fanden sich hier auch Ansätze, pagane Dogmen zu formulieren und damit dem Heidentum ein neues, klar erkennbares Antlitz zu verleihen. Rivalisierende Wahrnehmungen der Realität zwangen die Autoren geradezu, gezielte
Eine Palingenesie
Erinnerungspolitik zu betreiben. Bevor man mit eigenen Deutungen an die Öffentlichkeit treten konnte, mußte man erst einmal für sich selbst bestimmen, wie einzelne Ereignisse sinnvoll in den Lauf der Geschichte eingeordnet werden konnten und wie man ihnen Bedeutung zu verleihen vermochte. Auf all diesen Gebieten konnten wir beobachten, daß die Umbrüche und Herausforderungen die Autoren nötigten, genauer über Dinge zu reflektieren, die bis dahin selbstverständlich erschienen waren. Wer Grieche war, diese Frage mochte zuvor unproblematisch sein und nur von untergeordneter Bedeutung. Sobald jedoch andere versuchten, die griechische Identität zu verschieben und neu zu besetzen, konnte man nicht umhin, tiefer zu durchdenken, wer legitimerweise Anspruch auf das Hellenentum erheben durfte. Wenn man sich in Diskussionen über wichtige Themen zu Wort melden wollte, war es geraten, möglichst klare Positionen zu formulieren und das eigene Profil zu schärfen. So läßt sich erstens festhalten, daß der subjektiv empfundenen Krise ein höheres Reflexionsniveau zu verdanken war. Das zweite Ergebnis betrifft die Produktivität. Wie soeben betont wurde, verlieh das Krisenbewußtsein den Impuls, sich mit den Umbruchsphänomenen zu beschäftigen. Da es sich im wesentlichen um Diskussionen und Kontroversen unter Gebildeten handelte, trug man seine Gedanken in literarischer Form vor, wenn man sich Gehör verschaffen wollte. Die heidnischen Autoren traten an die Öffentlichkeit, um abweichenden Ansichten zu begegnen oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Sie verspürten das Bedürfnis, sich sichtbar zu engagieren, wie es die Aktivitäten des Libanios, des Himerios und des Oreibasios für Julian deutlich zeigen. Unverkennbar tritt dieser Drang, den Gegnern zu erwidern und die eigene Sache zu verfechten, in zahlreichen der untersuchten Werke zutage. An vorderster Stelle zu nennen ist hier der Kaiser selbst, durch dessen Œuvre der Wille zu Entgegnung und Rechtfertigung wie ein Ostinato klingt, vom an die Athener gerichteten Brief über andere Episteln, die Kynikerreden und die Galiläerschrift bis hin zum letzten Werk, dem Misopogon. Auch Salutius, Libanios und Eunap verraten, daß der Antrieb zum Schreiben das Unbehagen an der eigenen Zeit oder einzelne konkrete Angriffe waren. Dieses Movens war in Libanios’ julianischen Reden und seinen Attacken gegen Polykles ebenso klar zu sehen wie in Eunaps Viten und Historien. Auch ein Großteil der Reden des Themistios ging darauf zurück, daß er bemüht war, seine Form der politischen Philosophie gegen Anfeindungen aus den Reihen der Elite Konstantinopels in Schutz zu nehmen. Und Himerios machte in seiner . Rede keinen Hehl daraus, daß sich sein rhetorisches Engagement für Julian nicht zuletzt aus der Ablehnung der Zustände unter Constantius speiste. Die Krise führte mithin weder zu Rückzug noch zu Eskapismus, sondern setzte ganz im Gegenteil produktive Kräfte frei. Mit unserem Befund stimmt überein, daß sich die Autoren primär nicht in literarischen Gattungen äußerten, die wie die poetischen Gattungen und der Roman eher für die Buchlektüre des einzelnen konzipiert waren. Vielmehr bedienten sie sich mit Vorliebe gerade solcher Formen, die
Eine Palingenesie
einen starken Publikumsbezug aufweisen: Sie hielten bei feierlichen Anlässen Reden, rechtfertigten sich mit öffentlichen Ansprachen, setzten Pamphlete und Invektiven in Umlauf und ließen Privatbriefe sowie offene Briefe zirkulieren. Daneben versuchten sie didaktisch ausgerichtete historische Gesamtdarstellungen oder wollten mit Einführungsschriften und medizinischen Kompendien einen größeren Leserkreis erreichen, das heißt, auch hier war es das Ziel, einem größeren Publikum einen Nutzen zu erweisen. Dieser Öffentlichkeitscharakter prägte insofern die Prosaliteratur der Zeit, als die Autoren ihre Positionen gezielt zur Diskussion stellten. Obgleich die handschriftliche Überlieferung von vielen Faktoren und auch dem Zufall abhängt, mag die Frage erlaubt sein, ob sich die Blüte der Prosaliteratur im vierten Jahrhundert nicht mit dem Unbehagen an der eigenen Zeit erklären läßt. Mag auch der Rückbezug auf die klassische Blütezeit der griechischen Kultur im vierten Jahrhundert evident und seit langem bekannt sein, so führte er gleichwohl nicht, wie man früher leichtfertig unterstellte, zu einer leblosen Erstarrung der paganen Literatur. Zwar orientierte man sich allenthalben sowohl formal als auch inhaltlich an Homer, Thukydides, den attischen Rednern und Platon, bisweilen selbst an kaiserzeitlichen Klassikern wie Aelius Aristides, doch schloß diese Tendenz Neues nicht aus. Wo es nötig und aussichtsreich erschien, waren die Autoren durchaus bereit, Experimente zu wagen. Diese umfaßten zum einen neuartige Konzepte: Während es in früheren Zeiten gerade charakteristisch war, daß so etwas wie eine einheitliche pagane Identität nicht existierte, unternahm man nun Versuche, sie im Rekurs auf Hellenentum und Religion zu schaffen. Mit diskursiven Mitteln ein einheitliches Bild des Heidentums zu etablieren kann als innovativer Ansatz gelten, mit dem man auf die tiefgreifenden Umbrüche der Zeit reagierte. Dazu gehörte auch, daß nun teilweise die Bereitschaft vorhanden war, trotz allen tatsächlichen Divergenzen und der Vielfalt die Religion zu vereinheitlichen und auf eine dogmatische Grundlage zu stellen. In Salutius’ Einführungsschrift und Julians Werken manifestiert sich dieser Wille sehr klar. Eine neue Stimme machte sich ferner in den Diskussionen bemerkbar, als Themistios das Ideal eines in religiösen Fragen neutralen Kaisers propagierte, um das Reich nach den inneren Konflikten zu befrieden. Ähnliches vertrat Libanios in seiner an Theodosius gerichteten Rede Für die Tempel, wie wir zuletzt sahen. Man paßte sich also an die neuen Spielregeln auf dem Feld der Religion an und rückte von Positionen ab, die früher nicht in Frage gestellt worden waren. Von der Tradition entfernte sich auch Libanios, damit die außergewöhnliche Persönlichkeit seines Helden Julian richtig zur Geltung kam. Statt dem gültigen Schema der Lobrede sklavisch zu folgen, porträtierte er Julian als Heiligen, der das klassische Bild des Herrschers transzendierte. Mit den inhaltlichen gingen zahlreiche formale Neuerungen einher: Dem ›Heiligen‹ Julian vermochte eben nur ein dezidiert hagiographischer Ansatz gerecht zu werden, der bis dahin Philosophen und ähnlichen göttlichen Menschen vorbehalten gewesen war. Julian selbst führte in die Diskussion über die Herrschaft
Eine Palingenesie
eine neue Sprecherposition ein, indem er immer wieder als Herrscher in literarischer Form seine Ansichten publik machte und gegen Kritik verteidigte. Dabei bediente er sich auch der Satire, der Invektive oder des allegorischen Mythos, also solcher Formen, die dem Herkommen nach mit der kaiserlichen Würde schwerlich vereinbar oder doch zumindest ungewöhnlich waren. Libanios veröffentlichte Reden, die den Anschein erweckten, vor dem Kaiser vorgetragen worden zu sein, obwohl sie nie gehalten wurden. Das Experiment dieser ›imaginären Ansprachen‹ sollte das Engagement und den Einfluß des Autors im öffentlichen Bewußtsein verankern und für die Nachwelt bewahren. Oreibasios schließlich verfolgte mit seinen medizinischen Kompendien nicht allein wissenschaftliche Anliegen, sondern nutzte sie ebenso, um seinen Standpunkt in weltanschaulichen Kontroversen darzulegen. Zum dritten gab demnach das Krisenbewußtsein den Anstoß zu Innovationen. Die subjektive Wahrnehmung einer Krise und die ablehnende Haltung gegenüber vielen Zeiterscheinungen zeitigten in der heidnischen Literatur positive Effekte. Von der Krise ging ein Appell oder Impuls aus, sie wurde offensichtlich auch als Chance begriffen, die zu einer inneren Erneuerung führen könnte. Teils auf dem Wege der Anpassung, teils aber auch durch Widerstand strebten die Autoren danach, Wege aus der verfahrenen Situation aufzuzeigen und Alternativen zu präsentieren. Man könnte mit einer von Uvo Hölscher aus anderem Kontext geborgten Formulierung von einer ›Chance des Unbehagens‹ sprechen . Was die Ansätze und Vorschläge der Autoren auszeichnet, ist, daß sie den Zeitgenossen Orientierung bieten wollten. Den Umbrüchen und Verfallserscheinungen sollten Stabilität und Eindeutigkeit abhelfen. Gegen Herausforderungen und Unsicherheit positionierte man die Gewißheit der eigenen Identität, auf neue soziale und politische Fragen gab das Leitbild des Intellektuellen Antwort, der Pluralität von Deutungen suchte man durch Sinnstiftung und eine möglichst eindeutige und stabile Erinnerung zu begegnen, gegen christliche Kritik brachte man ein klar definiertes Heidentum in Stellung. Auf all diesen Feldern sollte diskursive Eindeutigkeit die tatsächliche Vieldeutigkeit und die fließenden Übergänge ersetzen. Eine Rhetorik der Grenzziehung durchweht den paganen Diskurs, welche die Welt in scharfe Oppositionen einteilte: heidnisch und christlich, wahr und falsch, gesund und krank, Ordnung und Chaos, Bildung und Torheit, Herkommen und Neuerung waren solche Gegensätze, die im Laufe unserer Untersuchung allerorten hervorgetreten sind, sei es, daß sie explizit von den Autoren zur Sprache gebracht wurden, sei es, daß sie unausgesprochen den Texten zugrunde lagen. So konstruierte man durch Reduktion eine Welt, in der sich Auseinandersetzungen leichter führen ließen. Daß es sich um Konstruktion handelte, sieht man sehr deutlich, wenn etwa Julian es von Uvo Hölscher: Die Chance des Unbehagens. Drei Essais zur Situation der klassischen Studien. Göttingen .
Eine Palingenesie
sich weist, Neuerungen einzuführen, obwohl er genau dies tut . Neues war negativ besetzt und deshalb nur bei den anderen zu finden. Klare Grenzen versprachen Sicherheit und Stabilität. Der solchermaßen charakterisierte heidnische Diskurs war freilich nur einer neben anderen innerhalb des globalen Diskurses dieser Zeit. Er vermochte in dem pluralistischen Feld keine allgemeine Verbindlichkeit zu entwickeln, da ihm, sieht man einmal von dem Intermezzo Julians ab, die Machtbasis weitgehend fehlte. Auch wenn Versuche erkennbar waren, sich politische und kulturelle Macht zu verschaffen, blieben wesentliche Faktoren außerhalb des Diskurses und waren von ihm nur schwierig zu erreichen. Christliche Kaiser, einflußreiche christliche Amtsträger oder Bischöfe und die unteren Bevölkerungskreise entzogen sich dem direkten Einfluß. Auch wenn der traditionell Gebildete im vierten Jahrhundert bei den Entscheidungsträgern noch ein offenes Ohr finden mochte, war es Vertretern der christlichen Religion leichter möglich, ihre Ansichten zur Geltung zu bringen. Es ist daher kein Zufall, daß ein den alten Göttern anhängender Vermittler wie Themistios Ende des Jahrhunderts überflüssig geworden war. Obgleich er Heiden einflußreiche Positionen verlieh, nahm Kaiser Theodosius immer weniger Rücksicht auf die Anliegen seiner paganen Untertanen. Im Westen des Reiches sah die Situation zu dieser Zeit noch etwas anders aus, da den Heiden mit dem Senat von Rom ein Forum zur Verfügung stand, das nach wie vor über Ansehen und eine gewisse Macht gebot, bis schließlich Symmachus auch hier erfahren mußte, daß er auf verlorenem Posten kämpfte. Der Wirksamkeit des paganen Diskurses im Osten waren hingegen durch äußere Faktoren recht enge Grenzen gesetzt. Hinzu kam, daß trotz den erwähnten Neuerungen manche Elemente mit den Tendenzen der Zeit nicht mithalten konnten. Wenn Libanios den Sophisten als Fürsprecher der gesamten städtischen Gesellschaft darstellte, so mochte dies nicht ganz falsch sein, doch war nicht zu übersehen, daß der christliche Bischof wirkungsvoller für die Stadt agierte. Ferner vermochten die religiösen Reformvorschläge des Salutius und Julians nichts dagegen auszurichten, daß für viele Menschen die Versprechen des Christentums attraktiver schienen als die alten Kulte. In der Resignation des jüngsten der hier untersuchten Autoren, Eunaps, spiegelt sich das Bewußtwerden dieses Kräfteverhältnisses wider. Nicht ohne Grund haben wir immer wieder in den Schriften apologetische oder defensive Strategien ausgemacht, die nicht zuletzt in der eben erwähnten Rhetorik der Grenzziehung zum Ausdruck kommen. Die Bewältigung der Krise zeigte sich in der Reaktion, nicht in der Aktion. Zum Teil bemerkten die Autoren auch selbst, daß andere das Heft in der Hand hielten, während ihre eigenen Möglichkeiten begrenzt waren. Abgesehen von Eunap, zeigte sich diese Haltung etwa im hilflosen Schluß von Libanios’ Rede Für die Tempel oder in Julians Versuchen, christliche Strategien nachzuahmen. Hier, in der apologetischen Grundhaltung, ist einer der Haupt Iul. ep. a. b; b. a. Vgl. . a/b.
Eine Palingenesie
unterschiede zum christlichen Diskurs festzustellen, selbst wenn sonst einzelne Strategien Christen und Heiden gemeinsam waren. Situationen wie die nach der Niederlage von Hadrianopel oder der Einnahme Roms durch die Goten, als die christliche Religion noch einmal in die Kritik geriet, änderten nichts mehr an der grundsätzlichen Tatsache, daß, seit Konstantin sich für die neue Religion entschieden hatte, die Zeit der Defensive für die Christen vorbei war. Wenn man nach der Physiognomie der paganen Literatur des vierten Jahrhunderts fragt, so besteht sie in dem bereits angeklungenen Oszillieren zwischen Tradition und Neuerung. Einerseits hielt man an den ererbten und als gültig anerkannten Traditionen fest, andererseits versuchte man neue Antworten auf aktuelle Fragen zu finden. Angesichts einer Krisenzeit unterzog man das Ererbte einer Prüfung, wie es bildhaft in Julians Caesares geschieht, und paßte es, sofern es nötig schien, an die neuen Gegebenheiten an. Schlaglichtartig beleuchtet dies das Vorgehen des Themistios, auf dem Fundament platonischer Philosophie sein neues Herrscherbild zu errichten. Die Autoren aktualisierten also die Vergangenheit, sie zeigten einen Willen zur Erneuerung. Ein rein klassizistisches Fortführen und museales Bewahren der Tradition konnte es deshalb nicht geben, weil sich die politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen im vierten Jahrhundert grundlegend gewandelt hatten. Man rezipierte, auch wenn man sich bemühte, die Kontinuität zu halten, eine Kultur, von der man durch eine tiefe Kluft getrennt war. Wie weit man von den vorgeblich idealen Zuständen der Blütezeit entfernt war, rief die Wahrnehmung des Niedergangs immer wieder in Erinnerung. Zugrunde lag mithin die Vorstellung eines dreigliedrigen Schemas, in dem die klassische Blütezeit durch den Hiat der krisenhaften jüngeren Vergangenheit und Gegenwart von der erstrebten Palingenesie der griechischen Kultur geschieden war. Das Gefühl des Verlustes trieb dazu an, das Tradierte, die verlorene Einheit, durch Adaptation wiederzugewinnen.
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Indices Namen und Sachen Abaris: , Ablabios: , Abstammung, ethnische: , Achill: , –, Aelius Aristides: , , Ärzte: , , , , Agone, sophistische: , Aidesios: , Akakios: , Alexander der Große: , , , , Alexandria: Sarapeion: , Allegorese: , , , , , Altes Testament: , , , –, , Ammianus Marcellinus: , , , , Anacharsis: Andronikos: Angleichung an Gott: , , , Antiochener: , –, Antiochia: , , , , – Olympien: , , , Apollon: , , , , , , , Apollonios von Tyana: , , Arbogast (Heermeister): Arcadius: , Archiv: Aristophanes: , , , , , Aristoteles: , , , Aristoxenos: Arsakios: , , Askese: , , , Asklepios: – Assmann, Jan: Astrologie: , , , Athen: , –, ,
Athene: , , , , , Attis: , , , Babel, Turmbau zu: , Babylas: , , , , Barbaren: , , , , Basileios (Prokonsul): Basileios von Caesarea: Berytos: Bieler, Ludwig: , Bildung: , , , , , , , , , , –, , , , , , , , Biographie: Bischöfe: , Braungart, Wolfgang: Brief: , , –, Brown, Peter: Celsus: , , , χαρακτῆρες: , Christen Galiläer: Identität: , , und Bildung: , , , , und Medizin: , Claudius Mamertinus: , , Constantius II.: , , , –, , , , , , , , Dämonen: , , , , Daphne: , , , , , , , , Demetrios: , Diogenes: , Dion von Prusa: , , , Dionysos: , , , , Diskurs: – Dritte Sophistik:
Namen und Sachen
Ekdikios: Elitenwandel: – Elpidios: Elpidios ( praefectus praetorio Orientis): – Empedokles: Ephraem der Syrer: Epitaphios: , Epos: , Erinnerung: – Erinnerungskonkurrenzen: , – Eugenios (Vater des Themistios): , , , , , Eugenius (Usurpator): , Eunap in den Sophistenviten: Konzeption der Historien: – Neuausgabe der Historien: – Philosophenideal: , über Theodosius I.: , und Themistios: Eusebios von Caesarea: , , , , , Eustathios: , Eutropius: , Felix: , Festus ( proconsul Asiae): , , Firmicus Maternus: Flavianus (Bischof ): Foucault, Michel: – Fravitta: Frigidus, Schlacht am: Fuhrmann, Manfred: Galen: , , , Galerius: Galiläer: siehe Christen Gallus: , Gattungen, literarische: , Gedächtnis: – Georgios (Bischof ): Gesetz, beseeltes: , Göttlicher Mann (θεῖος ἀνήρ): Goldenes Zeitalter: , , , Gratian: , Gregor von Nazianz: , , , , , , , , Griechen: siehe Hellenenbegriff Griechenland: –
Hadrianopel, Schlacht von: , , Hagiographie: , , , , Halbwachs, Maurice: Hekebolios: Helios: , , , , , –, , Hellenenbegriff: –, , christlicher: – Herakleios: , , , Herakles: , , , , , Hermes: , , Hesiod: , , Himerios Raumkonzept: , , , Sprache: und griechische Identität: , und Julian: und Konstantinopel: und Religion: , , , , Homer: , , , , , , , , Homosexualität: Hospitäler: Hymnos: – Identität Gedächtnis und: kollektive: , , , religiöse: , , Ikarios: Ionikos: , Isagoge: , Isokrates: , , , Iulianus: , Jamblich: , , , , , , , , , Jerusalem: Jesus: , , , , Johannes Chrysostomos: , , , , –, Jovian: , , – Juden: , , , , , , Julian Erhebung zum Augustus: , Herrscherideal: – Hymnen: – Literaturverständnis: – Perserzug: , –, Tod: , –, und Antiochia: –
Namen und Sachen
und Bildung: , , und Griechenland: und Marc Aurel: , und Medizin: , –, , und Philosophie: , und Religion: –, –, – Jurisprudenz: , , Kalchedon, Prozesse von: Kallistos (Verfasser eines Epos): , , Kallixeine (Priesterin): Kanon: Kirche, pagane: , Konstantin: , , , , , , , , , , Konstantinopel: , , , Konversion bzw. Apostasie: , Krankheitsmetapher: , , , Krates: Krise, Niedergang: , , Krisenbewußtsein: , , Kynegios: Kynismus: , , , Kyrill von Alexandria: Lateinische Sprache: , , Lehrer: , , , Leitbild: , , Libanios Anfeindungen gegen: , , Autobiographie: Briefe: , Demosthenes-Hypotheseis: Denkschriften an Theodosius: , , , , , gesellsch. Stellung: Herrscherideal: – Krankheiten: , Tyche: , , und Antiochia: , , –, – und Bildung: , –, , , , , , und Christentum: , , , , , – und Konstantinopel: und Landschaft: , und Latein: , , und Religion: –, , –
Licinius: , Magie: , , , , Magnentius (Usurpator): Marc Aurel: , , , , , , , Marius Victorinus: Maximus von Ephesos: , , , , , , , Meditation: , Medizin: –, – Menander Rhetor: , , , , Mithras: , , Modestus: Mönche: , , , , , , , , , , – Monodie: , , , , Montius Magnus: Mutter der Götter: Mysterien: , –, , , , –, , , , Mythos: bei Julian: , –, bei Salutius: , , , , , Neilos Dionysios: Nero: Neues Testament: , Nicomachus Flavianus: , , Norden, Eduard: Oinomaos von Gadara: , Opfer: , , , , , , , , , , Oreibasios: , –, , , , Hypomnema: und Bildung: über Königsherrschaft: Origenes: , Palladas: Panegyrik: , , , , –, , , , παρρησία: , , Pastoralbriefe: Paulus ›Catena‹: Pegasios (Bischof ): Perserkriege: , , Philagrios: φιλανθρωπία: , , ,
Namen und Sachen
Philipp II. von Makedonien: Philosophenviten: , Philostorgios: Philostrat: , Phokylides: Photios: , , Platon: –, , , , , , , , , Plutarch: Polykles: , –, , Porphyrios: , , , , , Postumianus: Priscus: , , Prohairesios: , , Proklos (comes Orientis): , Pseudokyniker: , , , Pythagoras: , , Raum Raumvorstellungen: , und Erinnerung: , –, und Götterkult: – und Identität: , , Rhetorenedikt: , , – Rhetorik: , , Ritual: , Rom: , , Rufin ( praefectus praetorio Orientis): Rufin (Sohn des Himerios): , , Rufinus von Aquileia: Sallustius, Flavius: Salomon: Salutius, Saturninius Secundus: , , , Aufbau des Werkes: Intention: Kosmos bei: , Leitthema Kommunikation: – Mythos bei: , , Opfer bei: , und Christentum: Sapor I.: Sapor II.: , Satire: , , Selbstzensur: – Seleukos: Senat von Konstantinopel: , , von Rom: , Sittenverfall: Sokrates: , , –, , , , ,
Sokrates von Konstantinopel: , , Sopater: , , Sozomenos: , , Spätantike: , Städtelob: , , Statuenunruhen (): , Stenographie: , , , Straßburg, Schlacht bei: , Symbole (Theurgie): , Symmachus: , Sympathie, universale: , συναφή: , , Synesios: Tatian: Tempelzerstörungen: , , Themistios Anfeindungen gegen: , , , Aristoteles-Paraphrasen: Brief an Julian: Herrscherideal: – Karriere: , politische Philosophie: , und Konstantinopel: , , und Neuplatonismus: und Philosophie: , , und Religion: , , , , – und Rhetorik: , , Theodoret: , , Theodoros: , Theodosius I.: , , , , , , Theodosius II.: Theophrast: Thessalonike: , Theurgie: , , , , , Toleranz, religiöse: , , , , Topos: , , Transformationen: , , Trojanischer Krieg: , , Valens: , , , , , , , Verkehrte Welt: , Warburg, Aby: Zenon (Arzt): Zeus: , , , , , , , , , , , Zweite Sophistik: , ,
Stellen
Stellen Anthologia Graeca . : . : Claudius Mamertinus . : Codex Theodosianus . . : Eunapius fr. : , , fr. : fr. : , , fr. : fr. . : fr. . : fr. . : fr. . : fr. : fr. . : fr. . : fr. . : fr. . : VS: – VS . . f.: VS . . –. : VS . . : VS . . : VS . : , VS . . : VS . . : VS . . f.: VS . . : VS : VS : VS . . f.: VS . . –: VS . . –: Eusebius Caesariensis h. e. . . f.: p. e. . . : v. C. . f.: Gregorius Nazianzenus or. : , , or. . : or. . : or. . :
or. . : or. : , , or. . –: Hieronymus chron. p. f.: Himerius or. : or. : , or. . : or. : or. : , or. : , or. : or. . : or. : , or. : or. . f.: or. . : or. : or. . : or. . : or. . : or. . : or. . –: Ioannes Chrysostomus pan. Bab. : , – pan. Juv. : stat. . : Isocrates or. . f.: Iulianus Caes.: –, , Caes. c–b: Caes. c: , ep. : ep. : ep. c: – ep. b: ep. : ep. : ep. : ep. : ep. : , , ep. : ep. a/b: ep. :
Stellen
ep. : ep. : ep. ad Ath.: , , ep. ad Them.: – Gal.: – Gal. fr. : , Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : , Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : Gal. fr. : , Gal. fr. : Gal. fr. : Mis.: , , , Mis. b–b: Mis. d–c: Mis. a–b: Mis. c: Mis. b/c: Mis. d–a: Mis. a: Mis. c: or. : , or. : or. : – or. . b–b: or. . c: or. . c–b: or. . a/b: or. : , or. . b–a: or. . b–d: or. . c/d: or. . a–c: or. . c/d: or. . a/b: or. . c–c: – or. . a: or. . a–a: or. . c/d: or. . d: or. : – or. . d–a: or. . a–d: or. . d–c: or. . b/c:
or. . a–c: or. . d–c: or. : , or. . d: or. : – or. . b: or. . d–b: or. . b/c: or. . c–c: or. . a: Libanius ep. . : ep. : ep. : ep. : ep. . : ep. . : ep. . f.: ep. : ep. : or. : , or. . : or. . : or. . : or. . –: or. . : or. . –: or. . : or. . f.: or. : , – or. : or. : or. : , – or. . : or. . –: or. . : or. . : or. . : or. . : or. : , , , , or. . : or. . : or. . f.: or. : , , or. . : or. . –: or. . : or. . : or. : , or. . :
Stellen
or. : or. . –: or. : or. . : or. . : or. . –: or. : , , , or. . : or. : , , , , , or. . : or. . : or. . f.: or. . f.: or. . : or. . –: or. . : or. . –: or. . –: or. . : or. . : , or. . : or. . : or. . –: or. . : or. . : or. . : or. . : or. . –: or. . : or. . : or. . f.: or. . : or. : or. : or. : , or. : , , or. . –: or. : or. . –: or. : , , , , – or. . : or. . : , or. . : , or. . : or. . f.: or. . : or. . : or. . f.: or. . –: or. . : or. . : ,
or. . : or. : , – or. . –: or. : or. : or. : or. : – or. . : or. . : or. : , or. . –: Oribasius Coll. med.: Coll. med. inc. : Coll. med. prooem.: Eup.: Eup. prooem. : , Eup. prooem. : Syn.: Syn. prooem.: Palladas AP . : Plato Alc. e: Rufinus Aquileiensis hist. . : Salutius . : , . : , . : : . –: : . : . : . : . : . : . : . : . : . : : Socrates Scholasticus h. e. . . f.: h. e. . . : Sozomenus Salaminus
Stellen
h. e. . : Suda
ο : Themistius or. . a: or. . d–c: or. : or. : or. . b: or. : , – or. . b–c: or. . c–c: or. . a: , or. . b–b: or. . b–d: or. : , or. . d–b: or. . b/c:
or. . a: or. . a: or. : or. : or. : , , or. . d–b: or. . c–c: or. . b: or. . d: or. : or. : or. . b–c: or. . d–c: or. . c–a: or. . c–a: or. . a/b: or. : , Theodoretus Cyrrhensis h. e. . :