Ren Dhark Sonderband
Hexenkessel Erde SF-Roman von
Märten Veit
Ein Verzeichnis sämtlicher bisher erschienenen und li...
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Ren Dhark Sonderband
Hexenkessel Erde SF-Roman von
Märten Veit
Ein Verzeichnis sämtlicher bisher erschienenen und lieferbaren REN DHARK-Titel und -Produkte finden Sie auf den Seiten 191 und 192.
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1. Auflage HJB Verlag & Shop e.K. Postfach 22 01 22 56.544 Neuwied Bestellungen und Abonnements: 02.631-354.832 02.631-356.100 Buchhaltung: 0 26 31 – 35 48 34 Fax:02.631-356.102 www.ren-dhark.de © REN DHARK: BRAND ERBEN Herausgeber: Hajo F. Breuer Titelbild: Ralph Voltz © 1999 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930.515-94-6
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Vorwort Am 21. Mai 2051, um 0.16 Uhr Weltzeit, begann eine neue Epoche in der Geschichte des Planeten Erde. Das Auswandererschiff GALAXIS hob mit 50.000 Menschen an Bord ab, um unter der Führung von Commander Sam Dhark die erste irdische Kolonie in einem anderen Sonnensystem zu gründen. Wir alle wissen, was dann geschah. Die GALAXIS kam weit vom Kurs ab und wurde auf den Planeten Hope verschlagen. Sam Dhark starb, und sein Sohn Ren trat sein Erbe an. Wir wissen auch, was sich in den fünf Tagen vor dem Start des Kolonistenraumers ereignete. Am 16. Mai 2051 tauchten zum ersten Mal fremde Raumschiffe im Sonnensystem auf. Am 17. Mai wurde die Erde erstmals von Außerirdischen angegriffen. Gegen Ende des 20. Mai kam es zu einer Raumschlacht zwischen zwei Fremdvölkern, die ihre Differenzen mitten im Sonnensystem austrugen. Kurz nach dem Start der GALAXIS verschwanden die Fremden spurlos aus der Reichweite irdischer Ortungsanlagen. Ebenso wie Sam Dharks Schiff, das durch seinen defekten „Time“-Effekt-Antrieb in unbekannte Tiefen der Milchstraße verschlagen wurde. Als es Ren Dhark und seinen Getreuen endlich gelang, den Weg zurück zur Erde zu finden, stießen sie auf eine versklavte Welt. Die Giants hatten die Menschheit nicht nur brutal unterworfen, sondern auch geistig versklavt. Nur wenige Menschen waren immun gegen den weltweiten Effekt, der aus intelligenten, kreativen Individuen dumpfe, gehorsame Sklaven ohne jede eigene Initiative machte. Das alles wissen die Leser von Ren Dhark. Aber was wir nicht kennen, sind die Umstände, unter denen die Giants die Macht auf der Erde übernahmen. Diese Wissenslücke will der vorliegende Sonderband schließen. Für die Zukunft ist es geplant, den Sonderbänden größeres Gewicht als Reihe innerhalb der Ren Dhark-Buchausgabe zu verleihen, bieten sie doch ein ideales Medium, um wichtige Fragen zu klären, die in der regulären Buchausgabe aus den verschiedensten Gründen zu kurz kamen. Der nächste Sonderband ist für den Januar 2000 vorgesehen. Band 14 der regulären Buchausgabe (Sterbende Sterne) wird pünktlich im September erscheinen. Nun aber stürzen Sie sich hinein ins Abenteuer und lassen sich gefangennehmen vom Hexenkessel Erde. Giesenkirchen, im August 1999 Hajo F. Breuer
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Prolog Der 17. Mai des Jahres 2051 versprach, ein besonders schöner Tag zu werden. Über Olan im Herzen der Sahara, die zur Kornkammer der Erde geworden war, wölbte sich ein klarer blauer Himmel. Die milde Morgenluft war vom Duft frischen Grüns und unzähliger Blüten erfüllt. In den Bäumen und Sträuchern zwitscherten Vögel. ,,Habt ihr euch auch gut angeschnallt?“ fragte Zamir Harrad fürsorglich, während er die Kontrollen des Schwebers checkte. Der Wasserbauingenieur blinzelte in die knapp über dem Horizont stehende Sonne. Ein kurzer Druck auf ein Sensorfeld tönte die Windschutzscheibe des kleinen Flugbootes dunkler. Es war Zamirs ganzer Stolz. Die Aggregate erwachten mit einem leisen Summen zum Leben. „Das fragst du jedesmal“, erwiderte Jahlana lächelnd. „Wann wirst du endlich begreifen, daß deine Frau und deine Tochter genauso viel Flugerfahrung haben wie du?“ „Alle Passagiere haben ihre Plätze eingenommen und sind bereit, Skipper“, flötete Shirin von der Rücksitzbank. „Startgenehmigung erteilt.“ Zamir drehte sich grinsend zu seiner kleinen Tochter um. In ihren breiten Sicherheitsgurten wirkte Shirin noch zierlicher, als die Achtjährige ohnehin schon war. Sie hielt ihre Puppe, die sie auf den Namen Scheherazade getauft hatte, fest in den Schoß gedrückt. Ohne Scheherazade würde Shirin nie verreisen. „Hier Olan-Flugkontrolle“, klang eine gemütliche Stimme aus den Lautsprechern des Bordviphos auf. „Schweber HO-Z/32, Sie haben Startfreigabe. Kein nennenswerter Flugverkehr in unserem Luftraum, bestes Reisewetter. Sollen wir übernehmen?“ „Nein, ich mache das schon allein“, erwiderte Zamir. Er zögerte kurz und fügte dann nur halb scherzhaft hinzu: „Oder wurden wieder fremde Raumschiffe gesichtet? In dem Fall sollte ich vielleicht doch lieber auf Leitstrahlsteuerung gehen.“ Der Lotse des Kontroll-Towers von Olan lachte. „Nein, wir haben keine Meldung von der Raumradar-Leitstelle Rl-1 erhalten. Und wer auch immer die Fremden waren, offenbar halten sich ihre Neugier und ihre Feindseligkeit in Grenzen.“ Zamir Harrad klopfte dreimal mit den Fingerknöcheln auf die Steuerkonsole. „Hoffen wir das Beste.“ Der 16. Mai würde als der Tag in die Geschichte eingehen, an der die Menschheit den definitiven Beweis erhalten hatte, daß sie nicht die einzige intelligente Lebensform im Kosmos war. Doch der erste Kontakt – wenn man ihn überhaupt so bezeichnen konnte – hatte mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert. 5
Wer waren die Fremden? Woher kamen sie? Was wollten sie? Stellten sie eine Bedrohung dar, oder hatten sie friedliche Absichten? Bisher blieb alles Spekulation. Fest stand nur, daß sie über eine den Menschen überlegene Raumfahrttechnik verfügten. Anscheinend waren zwei verschiedene Schiffstypen gesichtet worden, die kurz innerhalb des Sonnensystems erschienen und genauso schnell wieder verschwunden waren. Gerüchte über ein angebliches Raumgefecht wurden von der Weltregierung nachdrücklich dementiert. „Es besteht nicht der geringste Anlaß zur Besorgnis“, lautete die offizielle Stellungnahme aus World City. „Berichte über Feindseligkeiten entbehren jeglicher Grundlage. Der Präsident und die Admiralität der Vereinigten Raumstreitkräfte haben die Situation im Griff. Die Erde ist nicht in Gefahr…“ Und so weiter und so fort. Die üblichen Verlautbarungen in der üblichen nichtssagenden Sprache der Politiker. „…Schweber HO-Z/32, sind Sie eingeschlafen?“ drang die Stimme des Fluglotsen in Zamirs Gedanken. „Haben Sie irgendwelche Probleme?“ „Äh… nein, tut mir leid“, sagte der Wasserbauingenieur hastig. „Alles in Ordnung. Vektor Ost-75 wie immer?“ „Genau. Gehen Sie auf fünfhundert Fuß und bleiben Sie unter 0,3 Mach, bis Sie die Stadtgrenze erreicht haben.“ „Verstanden, Tower! Schweber HO-Z/32 meldet sich ab.“ Das Summen der Aggregate wurde lauter, ein leichtes Vibrieren durchlief das Flugboot, dann hob es ab und richtete die Nase auf den angegebenen Vektor aus. Olan schrumpfte unter der dreiköpfigen Familie zusammen -eine schmucke kleine Stadt, die vom Druck der ständig wachsenden Weltbevölkerung noch weitestgehend verschont worden war. Grüne Felder und Plantagen breiteten sich bis zum Horizont aus, hier und da von bräunlichen Schneisen durchzogen, wo man der Wüste aus ökologischen Gründen kleine Nischen belassen hatte. Zamir Harrad hätte sich kein schöneres Fleckchen Erde vorstellen können. Er bedauerte die Menschen, die in den überquellenden Metropolen auf engstem Raum leben mußten oder sich sogar gezwungen sahen, ihrem Heimatplaneten für immer den Rücken zu kehren, um in den Tiefen des Alls eine neue Heimat… Die Auswanderer! Für heute war eine Pressekonferenz von Sam Dhark angekündigt worden, dem Commander der GALAXIS, des ersten Kolonistenraumers der Menschheit. „Schatz, kannst du mal den Hauptnachrichtenkanal suchen?“ bat Zamir. Jahlana beugte sich über das Bordvipho und drückte die vorprogrammierte Taste für den Nachrichtenkanal. Der Bildschirm flimmerte kurz und zeigte das markante Profil eines Mannes, dessen weißes Haar ihn älter erscheinen ließ, als er tatsächlich war. 6
Sam Dharks Gesicht, jahrelanger kosmischer Strahlung ausgesetzt, wies die charakteristische rotbraune Tönung eines Raumfahrtveterans auf und bildete einen auffälligen Kontrast zu seinem weißen Haar. Er war ein Mann, der offene Worte liebte, was die Mehrheit der Erdbevölkerung für ihn einnahm. Nicht wenige hielten ihn für einen geeigneten Kandidaten für die demnächst anstehende Wahl zum Präsidenten der Weltregierung. Dhark hatte wiederholt bestritten, Ambitionen für dieses hohe Amt zu haben, doch es war ein offenes Geheimnis, daß der amtierende Präsident Ton Jurismaaki ihn als potentiellen Konkurrenten fürchtete. Sollte der umstrittene Start der GALAXIS verschoben oder gar gänzlich gestrichen werden… „Halte die Kiste ruhig, ich gehe nach hinten zu Shirin“, sagte Jahlana. Zamir nickte geistesabwesend und konzentrierte sich auf Dharks Ansprache. „…sollten auf jede Situation vorbereitet sein, uns aber nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen, gleichgültig, was die nahe oder fernere Zukunft in dieser Hinsicht bringen mag!“ erklärte Dhark gerade. „Das Auswanderungsprogramm jetzt zu stoppen, hieße, daß wir nicht mehr Herr der Lage sind. Ich bin nach World City gekommen, um auf der morgigen Konferenz zu erreichen, daß der Start der GALAXIS genehmigt wird…“ „Viel Glück“, murmelte Zamir. „Aber ob du diese sturen Bürohengste überzeugen kannst…“ Der plötzliche Donnerschlag war so laut, daß Zamir das Gefühl hatte, ihm würden die Trommelfelle platzen. Wie durch einen Berg Watte hörte er Jahlana oder Shirin einen schrillen Schrei ausstoßen. Sein Blick fiel auf die Instrumentenkonsole des Schwebers. Alle Anzeichen waren normal. „Schatz, schnall dich und die Kleine wieder an!“ stieß er hervor. „Ich weiß zwar nicht, was…“ Ein Knacken in den Lautsprechern verriet ihm, daß das Bordvipho den automatischen Impuls einer Notfallmeldung aufgefangen hatte. „Achtung, hier Funkleitzentrale Timbuktu!“ klang eine heisere Stimme auf. „38 Spindelraumer stehen in 123 Kilometern Höhe über Olan! Warnung an alle! Zerstörer- und Sol-Einheiten sind unterwegs! Sie werden in etwa 35 Minuten eintreffen! Warnung an Olan! Warnung an alle!“ Zamir warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Jahlana hatte Shirin auf den Schoß genommen und die Sicherheitsgurte umgelegt. Ihr Gesicht war blaß. Die gleißenden Strahlenbahnen, dunkelblau und grellgelb, standen übergangslos steuerbords des Schwebers. Fast gleichzeitig schien eine gigantische Faust das kleine Flugboot zu treffen und wie ein Blatt durch die Luft zu wirbeln. Noch bevor Zamir eingreifen konnte, registrierte der Bordsuprasensor die Gefahrensituation und übergab die Kontrolle an den Autopiloten. Der 7
Andruck preßte die drei Passagiere tief in die Polster, als die Düsen kurzfristig auf Vollast schalteten, um den drohenden Absturz abzufangen. Der Gleiter legte sich in eine enge Kurve und beschleunigte von den unbekannten Strahlenbahnen fort, die wie schillernde Kristallsäulen durch die kultivierte Wüste wanderten. An ihrer Peripherie zerplatzten Öl- und Dattelpalmen wie überreife Früchte. Dort, wo die gigantischen Strahlensäulen, deren Durchmesser Zamir nicht einmal abschätzen konnte, auf den Boden trafen, begannen Erde und Gestein in Sekundenschnelle zu brodeln und Blasen zu werfen. Glutflüssige Fontänen wie aus einem aktiven Vulkankrater schössen in die Höhe. Kurz bevor der Autopilot den Schweber aus der unmittelbaren Nähe der Turbulenzen geflogen hatte und die Steuerung wieder freigab, erblickte Zamir aus dem Seitenfenster die Randbezirke Olans. Oder das, was einmal Olan gewesen war. Die kleine Stadt im Herzen der Sahara existierte nicht mehr. An ihrer Stelle schien sich die Erde aufgetan zu haben und Lava zu spucken. Wie von einem fremden Willen gelenkt, tastete Zamirs rechte Hand nach dem Bordvipho und schaltete auf Notruffrequenz durch. Obwohl ihm der Schweiß auf der Stirn stand, fror er entsetzlich. Eine ganze Stadt mit Tausenden von Einwohnern, mit einem Schlag ausgelöscht… „Achtung, Timbuktu, hier Schweber HO-Z/32 mit einer Prioritätsmeldung“, krächzte er in das Mikro. „Strahlenbahnen unbekannter Natur haben soeben Olan ausgelöscht. Das Ausmaß der Zerstörung…“ Seine Stimme brach. Die Strahlenfronten näherten sich dem Schweber. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, stieß Zamir den Regler bis zum Anschlag vor. Das Summen der Aggregate steigerte sich zu einem Heulen, doch trotz des Lärmes konnte der Wasserbauingenieur ein unangenehmes Sirren und Knistern hören, das von den farbigen Energiesäulen herüberdrang und ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Schweber HO-Z/32, hier Timbuktu“, klang eine eisige Stimme aus den Bordlautsprechern auf. „Sie sind der einzige Sender aus dem Raum Olan. Berichten Sie!“ Zamir verschluckte eine Verwünschung. Daß er sich die Unterlippe blutig gebissen hatte, bemerkte er gar nicht. „Es gibt nichts weiter zu berichten!“ stieß er hervor. „Olan wurde innerhalb weniger Sekunden ausgelöscht, und die Strahlenbahnen wandern weiter Richtung…“ Er schluckte schwer, als ihm bewußt wurde, was das nächste Ziel dieses höllischen Infernos sein würde. Noch bevor er antwortete, änderte er den Kurs. „…Timbuktu“, fügte er schließlich mit kaum verständlicher Stimme hinzu. „Schweber HO-Z/32“, meldete sich Timbuktu wieder. „Wir haben Sie 8
jetzt in der Ortung. Sie sind der einzige, der uns Informationen liefern kann! Haben Sie verstanden?“ Eine giftgelbe Strahlenfront strich über einen kleinen See hinweg. Das Wasser hatte keine Zeit, zu verkochen. Es verpuffte regelrecht von einem Augenblick auf den anderen. Wieder traf ein Schlag das Flugboot und ließ es trotz seiner hohen Geschwindigkeit bocken. Das Außenthermostat meldete einen Moment lang die aberwitzige Temperatur von 269 Grad Celsius. „Bleiben Sie!“ drängte die Stimme aus dem Vipho. „Zeigen Sie uns mit Ihrer Kamera, was passiert… Gehen Sie noch einmal ran! Wir müssen doch wissen, was bei Ihnen los ist…!“ Zamir Harrad war gewiß kein Feigling, und vielleicht wäre er trotz seines Entsetzens der Aufforderung nachgekommen, aber jetzt dachte er nur noch an seine Familie. Mit einem Ruck löste er die Sicherheitssperre des Geschwindigkeitsbegrenzers und beschleunigte über den regulär zulässigen Wert hinaus. Die gesamte Verkleidung des Schwebers begann zu vibrieren. „Geben Sie doch Antwort!“ Die Stimme aus Timbuktu klang plötzlich nicht mehr kalt und beherrscht. Sie überschlug sich und ging im Krachen statischer Störungen beinahe unter. „Geben Sie Bericht!“ Zum ersten Mal hatte Zamir das Gefühl, den unbegreiflichen Energien, die aus dem wolkenlosen blauen Himmel herabrasten, entkommen zu können. Die Entfernung zur ihm nächsten Strahlenbahn wurde merklich größer. Er wandte kurz den Kopf und versuchte, seiner Frau und Tochter ein beruhigendes Lächeln zuzuwerfen. Es gelang ihm halbwegs. Shirins leises Weinen brach ihm fast das Herz. „Keine Angst“, sagte er mit mühsamer Beherrschung. „Das Schlimmste haben wir überstanden. Bald sind wir in Sicherheit.“ Jahlana erwiderte nichts, ihr Gesicht war wie versteinert. Shirin dagegen sah von ihrer Puppe auf und starrte ihren Vater mit großen Augen an. Sein aufmunterndes Lächeln sollte das letzte sein, was sie jemals sehen würde. Die blaue Strahlenbahn, die auf den Schweber hinabzuckte, ließ den Verbund aus Metall und Kunststoff in einem Sekundenbruchteil explodieren, und noch bevor die Trümmerstücke auseinanderfliegen konnten, verdampften sie in der höllischen Energie zu ionisiertem Gas. Schweber HO-Z/32 wurde mitsamt seiner Besatzung so restlos ausgelöscht, daß nicht einmal Ascheflocken auf den kochenden Boden herabrieselten… 1. „Okay, jetzt Module 13 bis 17“, sagte Kyle ruhig. „Du müßtest die Luke direkt vor dir sehen. Sie läßt sich notfalls auch mechanisch öffnen.“ „Was für eine Luke?“ erwiderte Brad. „Hier fehlt nicht nur die Luke, 9
sondern die gesamte Abdeckung!“ „Dann richte deine Helmkamera besser aus“, gab Kyle zurück. Er hakte sich mit dem rechten Fuß in einer Verstrebung des Shuttles fest, als sein Körper in der Schwerelosigkeit zu rotieren drohte. Mit seinen 1,92 Metern besaß er nicht gerade die Idealmaße für Arbeiten im All. Wie die Erfahrung erwiesen hatten, eigneten sich kleinere, kompakt gebaute Menschen besser für komplizierte Bewegungsabläufe in Umgebungen ohne Gravitation. „Du hast gut reden“, maulte Brad. „Ich bräuchte mindestens vier Arme, um den ganzen Plunder schleppen zu können und mich gleichzeitig über dieses Miststück eines Satelliten zu hangeln.“ Doch trotz seiner üblichen Schimpftiraden verschwand der Ausschnitt des Sternenhimmels von Kyles Kontrollmonitor und wurde von der mattglänzenden Metallrundung des Beobachtungssatelliten ersetzt. Kyle Larkin runzelte die Stirn. Brad hatte nicht übertrieben. Dort, wo sich die kuppelförmige Abdeckung der Stabilisierungsmodule hätte befinden müssen, klaffte jetzt ein ovales, rund einen halben Meter durchmessendes Loch mit glatten Kanten, aus dem ein paar Kabelbäume wie erstarrte Tentakel herausragten. „Gute Güte“, murmelte er. „Ich hoffe, das war nur ein Streifschuß. Sonst können wir die ganze Büchse gleich auf den Schrott werfen.“ „Scheint tatsächlich nur ein Streifschuß gewesen zu sein“, kam Brads Stimme undeutlich zurück. Auf dem Monitor erschien ein gepolsterter Handschuh, als er vorsichtig über die Kante tastete und sie auf scharfe Ränder überprüfte, die das Material des Raumanzugs beschädigen konnten. Offensichtlich war das nicht der Fall. Brad hielt sich an der Einschußöffnung fest und schob den Kopf näher an das Loch heran. Der Helmscheinwerfer leuchtete ein Gewirr von Kreiselstabilisatoren, hydraulischen Gestängen, Leitungen und Brennkammern einer Steuerdüse aus. „Aber ich denke, wir müssen die Einheit komplett austauschen. Oder willst du alle Einzelteile von Hand wieder zusammenflicken?“ Kyle brauchte das Bild aus Brads Helmkamera gar nicht erst mit den Blaupausen zu vergleichen. Der Techniker hatte recht. Die Schäden waren zu gravierend, um sie mit ein paar Handgriffen zu reparieren. Auch wenn seine Dienststelle über die Kosten stöhnen würde, ließ sich der Austausch des gesamten Steuersegments nicht umgehen. „Lieber würde ich mir eine ungekürzte Rede unseres geschätzten Weltpräsidenten anhören“, erwiderte er bissig. „Also, klemm’ den ganzen Kram vorsichtshalber an der Büchse fest und mach dich auf den Rückweg. Wird sowieso Zeit für einen Schichtwechsel.“ „Du bist der Boß.“ Brads Stimme klang erleichtert. Kyle wußte nur zu gut, daß sein Kollege trotz aller Routine Weltraumspaziergänge haßte. Ihm dagegen machten diese Ausflüge Spaß. Sonst hätte er sich auch nicht frei10
willig für den Dienst gemeldet. Sie schwebten momentan knapp 400 Kilometer über dem Indischen Ozean, um einen Überwachungs- und Kommunikationssatelliten des GIIC zu reparieren, der im Verlauf der denkwürdigen Raumschlacht vom 17. Mai von den unbekannten Außerirdischen beschädigt worden war. Offiziell gehörte der Satellit der astrophysikalischen Fakultät der Universität von Kairo, doch der eigentliche Eigentümer war das GIIC, das GLOBAL INFORMATION AND INTELLIGENCE CENTER, und so hatte der Geheimdienst warten müssen, bis die Universität ein Bergungs- und Reparaturunternehmen mit der Instandsetzung betraute, bevor er seine Leute als kommerzielle Satellitentechniker getarnt in den Orbit schicken konnte. Schließlich wollte man nicht an die große Glocke hängen, daß das GIIC einen zivilen Satelliten für seine Zwecke nutzte. Der SILBERPFEIL, wie Kyle das schwerfällige Shuttle ironisch getauft hatte, mit dem er und Brad Diel aus Montreal gestartet waren, hing antriebslos rund 20 Meter vor dem Satelliten im Kernschatten der Erde. Schon bald würde die Sonne wieder über den Horizont steigen und den Richtscheinwerfer des Shuttles überstrahlen. Als Kyle durch die Frontscheibe spähte, sah er die Sicherheitsleine und den Versorgungsschlauch, die Brad mit dem kleinen Raumfahrzeug verbanden, wie silbern glitzernde Nabelschnüre vor der Schwärze des Alls. Brad selbst wurde von der Wölbung des Satelliten verdeckt, dessen chaotische Taumelbewegung sie in einem zeitraubenden Manöver hatten aufheben müssen. Auf der Kontrollanzeige des Bordviphos leuchtete plötzlich ein grünes Lämpchen auf, blinkte dreimal rhythmisch und wechselte nach Gelb. Gedankenschnell setzte Kyle einen Kopfhörer mit integriertem Kehlkopfmikro auf und deaktivierte den Sender des Bordfunks. Er konnte Brad, der damit beschäftigt war, Ersatzteile und Werkzeuge mittels Magnetklemmen auf der Außenhülle des defekten Satelliten zu befestigen, noch immer vor sich hinmurmeln hören, aber sein Kollege würde von dem eintreffenden Gespräch nichts mitbekommen. „Hier Senta zwo-zwo-null“, klang eine melodische Frauenstimme in dem Kopfhörer auf. Der Monitor zeigte unvermittelt das attraktive Gesicht einer dunkelhaarigen Frau mit großen schwarzen Augen. „Alles in Ordnung bei euch, Jungs?“ „Hier Kyle Larkin, Senta zwo-zwo-null“, erwiderte Kyle. „Ich höre.“ „Können Sie sprechen?“ „Ich bin allein, aber fassen Sie sich möglichst kurz.“ Kyle hatte augenblicklich ein flaues Gefühl in der Magengegend, das nicht von der Schwerelosigkeit herrührte. Wenn die Dienststelle etwas zu melden hatte, das nicht für Brads Ohren bestimmt war, verhieß das nichts Gutes. 11
„Wir haben soeben einen Funkspruch der Raumüberwachung aufgefangen, der auf einer militärischen Geheimfrequenz gesendet wurde.“ Die vollen Lippen der Frau verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. „Offiziell wissen wir also noch nichts davon. Laut Aktenvermerk hat Ihr Kollege Diel keinen Omega-Sicherheitsstatus. Aber ich wollte Sie auf jeden Fall vorsorglich informieren.“ Kyles Augen wurden schmal. Den Omega-Sicherheitsstatus besaßen knapp 50 Personen beim GIIC, und er gehörte dazu. Es war die zweithöchste Stufe überhaupt. Darüber kamen nur noch Direktor Pavel Bushkin und seine zwei Stellvertreter sowie der Liebe Gott selbst. „Raus damit, was ist los?“ fragte er schnell, während er mit einem Ohr Brads Schimpftiraden lauschte, der seinen Raumanzug, das Weltall, die Naturgesetze, die Technik und das GIIC verfluchte. „Über dem nordamerikanischen Kontinent in Planquadrat Nordost drei ist ein unbekanntes Raumschiff in unmittelbarer Erdnähe aufgetaucht. Kein uns bisher bekannter Typ. Kugelform, Durchmesser rund 400 Meter. Keine Kommunikation. Das Zentrale Flottenkommando startet einen Patrouillenkreuzer zwecks Kontaktaufnahme. Der Chef meinte, das solltet ihr da oben wissen. Zumindest Sie.“ Instinktiv fiel Kyles Blick auf den Ortungsbildschirm. Sinnlos. Der SILBERPFEIL befand sich auf der anderen Seite des Globus und näherte sich gerade Sumatra. Bis sie die amerikanische Westküste in Höhe von Nordkalifornien erreichten, würde noch mehr als eine halbe Stunde vergehen. „Danke, Senta“, sagte Kyle. „Vermutlich wird das Flottenkommando uns die Nachricht gleich durchstellen.“ Die Lippen der Frau zuckten erneut. „Uns verraten die nicht einmal freiwillig die Uhrzeit. Paßt auf euch auf, Jungs.“ „Machen wir, Senta zwo-zwo-null“, erwiderte Kyle. „Und danke für die Warnung.“ „Gern geschehen.“ Diesmal war das Lächeln der GIIC-Mitarbeiterin echt. Sie trennte die Verbindung ohne ein weiteres Wort. Kyle streifte den Kopfhörer ab und schaltete das Innenmikro wieder auf Bordfunk um. Brad schien das kurze Schweigen seines Partners nicht bemerkt zu haben. Die Bemerkung der Frau, die nicht wirklich Senta hieß, war mehr als bloßer Spott. Das Zentrale Flottenkommando unter Admiral Connils ignorierte das GIIC, so gut es eben ging. Es schien fast ein Naturgesetz zu sein, daß es zwischen den Streitkräften und den von ihnen unabhängigen Geheimdiensten eine ständige Rivalität gab. Doch das Kompetenzgerangel war momentan Kyles geringste Sorge. Der SILBERPFEIL verfügte als ziviles Reparaturshuttle weder über eine 12
Bewaffnung noch über eine Panzerung, die diese Bezeichnung verdiente. Und er gehörte, im Gegensatz zu dem hochtrabenden Namen, den Kyle ihm gegeben hatte, zu den lahmsten raumtüchtigen Fahrzeugen der Erde. Er war nur dazu gebaut worden, eine Nutzlast von maximal drei Tonnen inklusive Besatzung in den Orbit und sicher auf die Erde zurück zu bringen. „Brad, willst du da draußen Wurzeln schlagen?“ erkundigte sich Kyle mit unterdrückter Nervosität. Er registrierte verärgert, daß seine Stimme rauh klang. Die Erinnerung an die verheerenden Auswirkungen des Angriffs der Spindelschiffe auf die Zentralsahara vor gerade erst zwölf Tagen war ihm noch in lebhafter Erinnerung. „Hetz mich nicht“, nörgelte Brad. „Sonst schiebe ich es dir in die Schuhe, wenn ich etwas von unser kostbaren Ausrüstung verliere.“ Übergangslos schob sich die Sonne über den Horizont, und automatisch verdunkelte sich die Frontscheibe des Shuttles. Kyle schenkte dem spektakulären Sonnenaufgang, an dem er sich sonst kaum sattsehen konnte, keine Beachtung. Statt dessen programmierte er das Vipho mit seinem persönlichen Code, um die militärischen Funkfrequenzen zu scannen und zu entschlüsseln. Noch wurde kein Alarm gegeben. Hoffentlich blieb es dabei… „Ich habe das Energieaggregat, die Ersatzteile und das Werkzeug gesichert“, meldete Brad mit unüberhörbarer Erleichterung. „Soll ich schon mal damit anfangen, die Halterung der Steuereinheit zu lösen?“ „Nein, ich übernehme das für dich. Du kannst…“ Kyle brach mitten im Satz ab, als ein nervtötender Pfeifton das Cockpit erfüllte. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Das Vipho hatte einen Dringlichkeitsruf auf der Standardnotruffrequenz empfangen, die für alle Raumfahrzeuge gültig war, sowohl der militärischen als auch der zivilen Flotte! Damit hatte die Heimlichtuerei ein Ende, und was das bedeutete, ahnte Kyle schon, bevor die markante Stimme eines Flottenoffiziers in den Lautsprechern aufklang. Blitzschnell schaltete er den Verbundfunk auf das Vipho um, damit Brad mithören konnte. ,Achtung, Achtung! Hier ist das Zentrale Flottenkommando der Vereinigten Raumstreitkräfte! An alle Raumschiffe in Erdnähe! Feindkontakt mit unbekanntem Objekt über Planquadrat Nordost drei! Wiederhole: Feindkontakt über Planquadrat Nordost drei! Planquadrat und angrenzende Sektoren meiden! Ausweichmanöver nach eigenem Ermessen! Notfalls Katastrophenlandung! Alarmbereitschaft aller militärischen Einheiten! Frequenzen Psi blau und gelb bis auf Widerruf für den zivilen Funkverkehr gesperrt! Ich wiederhole…“ „Mein Gott, Kyle, was ist da los?“ quäkte Brads Stimme durch die Alarmmeldung. „Ich bin auch nicht schlauer als du“, log Kyle, obwohl er sich denken 13
konnte, was über Planquadrat Nordost drei geschehen sein mußte. Admiral Connils hatte einen Patrouillenkreuzer aufsteigen lassen, um mit dem unbekannten Raumschiff Kontakt aufzunehmen. Mit Sicherheit waren es nicht die Menschen gewesen, die die Feindseligkeiten eröffnet hatten. Und wenn die Bewaffnung des Kugelraumers auch nur annähernd mit der der Spindelschiffe über der Sahara vergleichbar war… „Verdammt, ich habe den Mikroinduktionstester verloren“, sagte Brad plötzlich. Die Bemerkung war dem Ernst der Situation so unangemessen, daß Kyle gegen seinen Willen auflachte, doch sein Lachen verstummte ebenso schnell, wie es aufgebrandet war. „Vergiß das dämliche Gerät und sieh zu, daß du deinen Arsch schleunigst hier rüberschaffst!“ stieß er hervor. * Seit dem Beginn der irdischen Raumfahrt hatten sich die Menschen Gedanken darüber gemacht, wie man mit einer außerirdischen Spezies Kontakt aufnehmen sollte. Bereits vor der Jahrtausendwende waren Programme erarbeitet worden, die universell gültige Formeln und mathematische Gleichungen enthielten, mit denen man die Basis für eine Verständigung herzustellen hoffte. Lieutenant-Commander Kenneth Grange war unverkennbar nervös. Als Kommandant des Patrouillenkreuzers AURORA trug er die Verantwortung dafür, daß der Erstkontakt mit den Außerirdischen zu keinen Mißverständnissen führte. Sofern die Unbekannten überhaupt an einer friedlichen Kontaktaufnahme interessiert sind, dachte er angespannt. Die Beschleunigung drückte ihn in den Konturensessel, aber die Werte blieben moderat. Die AURORA beschleunigte bewußt nicht einmal mit halbem Schub, um keinen aggressiven Eindruck zu erwecken. Und während sie dem All entgegenstrebte, sandte sie ununterbrochen auf allen Frequenzen Begrüßungsformeln und eine Reihe mathematischer Symbole und universeller Konstanten. Grange warf einen fragenden Blick auf die Linguistin, die vor der Funkkonsole saß. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Auch der Wissenschaftsoffizier verneinte die stumme Frage seines Kommandanten. Die Fremden schwiegen. „Taktisches Kommando,“ sagte Grange halblaut in ein nur auf sein Stimmuster programmiertes Mikro, das alle anderen Geräusche in der Zentrale der AURORA ignorierte, „haben Sie die Unbekannten in der Zielelfassung?“ 14
„Natürlich, AURORA“, versicherte eine unpersönliche Stimme. „Aber wir haben strikte Order, nicht ohne Befehl der Admiralität zu feuern.“ Lieutenant-Commander Grange preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Ihm war nur zu gut bewußt, welches Risiko er und die Besatzung seines Schiffes eingingen. Selbst wenn der Kugelraumer nicht über die Feuerstärke der Spindelschiffe verfügte, die vor zwölf Tagen binnen weniger Minuten eine ganze Stadt und mehrere tausend Quadratkilometer kultiviertes Land zerstört hatten, war er auf Grund seiner bloßen Masse dem schlanken Patrouillenkreuzer haushoch überlegen. Und da die landgestützten Laserstellungen Weisung hatten, nicht zu schießen… Er verdrängte den unerfreulichen Gedanken. Warum sollten alle Fremdwesen, die die Erde anflogen, feindliche Absichten hegen? „Höhe 120 Kilometer, Entfernung zu fremdem Objekt 3.200 Kilometer“, meldete der Pilot. „Annäherung mit vier Komma sieben Kilometer pro Sekunde. Objekt behält Kurs bei.“ „Antrieb um 20 Prozent drosseln!“ befahl Grange. „In 2.000 Kilometern Abstand auf Parallelkurs gehen. Wir wollen den Burschen Zeit geben, sich an unseren Anblick zu gewöhnen.“ „Aye, Sir“, bestätigte der Pilot. Irgend jemand lachte verhalten. Grange war sich nicht bewußt, einen Witz gemacht zu haben. Er sah sich kurz in der Zentrale um und musterte seine Besatzung. Tüchtige Männer und Frauen, denen er blindlings vertrauen konnte, ein eingeschworenes Team. Wie nervös sie innerlich auch sein mochten, äußerlich wirkten sie vollkommen ruhig. Jeder versah seinen Dienst mit der Präzision eines Uhrwerks. „Entfernung zum fremdem Flugkörper jetzt 3.000 Kilometer“, gab der Pilot durch. „Relative Geschwindigkeit zum Ziel auf vier Komma zwei gesunken.“ „Sir, Aktivitäten auf der Außenhülle des Kugelraumers!“ rief ein junger weiblicher Unteroffizier am Ortungsstand. „Ein stabförmiges Objekt wird auf die AURORA ausgerichtet.“ Orange spürte ein Kribbeln in der Magengegend. Denk positiv! Beschwor er sich. „Wird auch Zeit, daß die Burschen Kontakt mit uns aufnehmen“, sagte er mit einer Gelassenheit, die er nicht wirklich empfand. „Die haben von uns schon mehr Informationen erhalten, als wir…“ Den lichtschnellen, gleißenden Energiefinger, der den Patrouillenkreuzer mittschiffs traf, nahm keiner mehr wahr. Ebensowenig die Explosion, die die AURORA auseinanderriß. Und kaum eine Sekunde später waren die Trümmerstücke in einer kleinen künstlichen Sonne verglüht, deren Schein dem Namen des Raumschiffs alle Ehre machte. 15
* Captain Sefarians Hand schnellte so blitzartig vor und hieb auf die Sperrtaste, daß er sich beinahe die Schulter auskugelte. Corporal Smithers starrte verständnislos auf seine Instrumentenkonsole. Wieder und wieder drückte er auf den Feuerknopf. „Smithers!“ Die Stimme des Captains durchschnitt den Raum wie ein Skalpell. „Sir…“ Der Corporal drehte sich langsam mit seinem Schwenksessel herum. Sein Gesicht war grau, seine Augen flackerten. „Smithers, stehen Sie auf!“ „Sir… die Verbindung… ein Defekt…“, stammelte der junge Mann. „Ich konnte nicht… ich habe…“ „Corporal,“ sagte Sefarian leiser, aber nicht weniger scharf. „Es liegt kein Defekt vor. Ich habe Ihren Feuerleitstand deaktiviert.“ „Aber…“ Smithers’ graues Gesicht wurde weiß. Er deutete mit einer zitternden Hand auf den Zentralbildschirm, auf dem eine künstliche Sonne dicht über der Erdatmosphäre rasch ihren Glanz verlor. „Die AURORA… die Fremden…“ Er verstummte hilflos. Einen Moment lang herrschte Totenstille. Die Mannschaft der Laserstellung TANGO BRAVO schien nicht einmal mehr zu atmen. Alle starrten ihren Vorgesetzten an. „Aufstehen, Smithers! Krygull, Sie übernehmen!“ Der Laserschütze erhob sich wie eine Marionette und trat einen Schritt vor. Seine Knie schlotterten und drohten einzuknicken. Sofort wurde sein Platz von Krygull eingenommen. „Ich weiß, was in Ihnen vorgeht“, fuhr Sefarian plötzlich ganz sanft fort, aber seine Augen bohrten sich in die seines Untergebenen. „Auch ich würde die Bastarde am liebsten auf der Stelle vom Himmel fegen. Aber wir haben unsere Befehle.“ „Sir… Captain, ich…“, krächzte Smithers. Seine Lippen verzerrten sich. Er stieß einen winselnden Laut aus. Zum zweiten Mal zuckte Captain Sefarians Hand unvermittelt vor und landete klatschend im Gesicht des jungen Soldaten. Die Ohrfeige hallte wie ein Pistolenschuß durch die Geschützstellung. Smithers taumelte, griff sich verständnislos an die Wange und schluckte mühsam. Dann schüttelte er den Kopf. Sein Blick klärte sich. „Alles in Ordnung, Junge?“ Der Corporal nickte. „Es tut mir leid, Sir“, begann er hilflos. „Ich wollte nicht…“ „Schon gut, Smithers. Die Sache bleibt unter uns. Sie melden sich jetzt in der Medo-Station.“ 16
„Aber ich…“ „Smithers!“ Der Laserschütze zögerte einen Augenblick, dann ließ er den Kopf hängen und machte wortlos kehrt. Sefarian sah ihm hinterher, bis der Mann den Raum verlassen hatte, dann seufzte er leise und drehte sich wieder um. Die anderen Soldaten saßen vor ihren Stationen und verrichteten ihren Dienst, als sei nichts geschehen. Keiner sprach. Der kommandierende Offizier der Laserstellung kehrte an seinen Platz zurück, setzte sich und aktivierte auf die Sprechanlage. „Zentrale, wir haben einen Ausfall“, sagte er ruhig. „Schicken Sie mir einen neuen Laserschützen.“ Er schwieg einen Moment lang und schloß kurz die Augen. „Meine Herren!“ fuhr er schließlich laut fort. „Corporal Smithers hat einen plötzlichen Schwächeanfall erlitten und mußte sich kurzfristig dienstuntauglich melden. Irgendwelche Kommentare?“ Wie er erwartet hatte, gab es keine. * Nach dem zweiten Summton drückte Tori Jurismaaki, der Präsident der Weltstaaten, gereizt auf die Taste der Gegensprechanlage. „Ich habe ausdrücklich angeordnet, daß ich keine Störungen dulde!“ fauchte er gereizt. „Sir, das Zentrale Flottenkommando meldet das Auftauchen eines weiteren Fremdraumers in unmittelbarer Erdnähe über Planquadrat Nordost drei“, erwiderte die persönliche Sekretärin des Präsidenten kühl. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die sich von den Launen ihres Chefs nicht einschüchtern ließ. „Ein Spindel- oder ein Zylinderschiff?“ „Keines von beiden. Kugelförmig.“ „Feindliche Aktivitäten?“ „Negativ, Sir. Das Schiff verhält sich passiv. Keine Kontaktaufnahme.“ „Dann soll sich Admiral Connils darum kümmern…“ „Das tut er, Sir“, unterbrach ihn die Sekretärin ungerührt. „Und er hat mich gebeten, Sie zu informieren.“ „Was Sie hiermit getan haben. Wenn es sonst nichts gibt, dann lassen Sie mich bitte arbeiten. Die Raumsicherheit ist Sache des Zentralen Flottenkommandos. Ich bin kein Soldat. Ende.“ Es knackte im Lautsprecher, als die Sekretärin die Verbindung kommentarlos trennte. Der Präsident drehte sich zu seinem Stab um, der sich in seinem persönlichen Konferenzraum versammelt hatte. „Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung“, sagte er mit einem jovialen Lächeln. ,Jch glaube, wir wa17
ren gerade bei den zerstörten Pumpstationen in der Sahara…“ Kaum zehn Minuten später summte die Gegensprechanlage erneut, und dann aktivierte sich das Vipho von allein. Alle Anwesenden blickten ruckartig von ihren Unterlagen auf. Eine solche Eigenmächtigkeit konnte nichts Gutes bedeuten. „Sir, Admiral Connils für Sie.“ Diesmal klang die Stimme der Sekretärin nicht mehr unterkühlt. Aus dem Monitor schälten sich die scharfgeschnittenen Gesichtszüge des Befehlshabers der Vereinigten Raumstreitkräfte. Die Linien und Falten in seinem Gesicht waren tiefer als gewöhnlich. „Herr Präsident,“ begann er ohne Vorrede, „es ist zu weiteren Feindseligkeiten gekommen. Eins unserer Schiffe wurde soeben von dem fremden Kugelraumer zerstört.“ Jurismaaki holte tief Luft. Sein schmales Gesicht verdüsterte sich. „Und, schießen wir zurück?“ „Nein, Sir“, erwiderte der Admiral. „Die Waffen der Fremden sind denen unserer Einheiten um ein Vielfaches überlegen. Ein Beschuß von Zielen auf der Erdoberfläche hätte mit Sicherheit verheerende Auswirkungen, und World City liegt am Rand des Gebietes, den das Raumschiff direkt beschießen könnte. Wir wollen keine Ausweitung des Konfliktes riskieren. Vielleicht liegt ein tragischer Irrtum vor. Vielleicht haben die Fremden den Anflug unseres Patrouillenkreuzers und die Funksprüche als Bedrohung gedeutet.“ „Der Fehler liegt auf unserer Seite?“ fragte der Präsident scharf. „Nein, Sir“, erklärte Connils mit Nachdruck. „Wir haben uns strikt an die für einen solchen Fall schon vor Jahren erarbeitete Prozedur für den Erstkontakt gehalten. Von einem Fehler zu sprechen, würde heißen, unsere gesamte Strategie als falsch zu bezeichnen. Wir versuchen weiterhin, eine Kommunikation mit den Fremden herbeizuführen, diesmal allerdings von den Bodenstationen aus.“ Einen Moment lang herrschte Schweigen. Der Präsident ließ den Blick kurz über die versammelten Minister und Staatssekretäre wandern, die ihn wortlos anstarrten. „Was erwarten Sie von mir? Soll ich den globalen Notstand ausrufen?“ „Sie sollten diesen Schritt zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen und sich bereithalten, die Bevölkerung zu informieren. Vor allen Dingen möchte ich Ihnen raten, Vorkehrungen zu treffen, die Regierung und eine Kernmannschaft der wichtigsten Behörden nach T-XXX zu evakuieren. General Martell hat von mir Anweisung erhalten, alles für Ihr Kommen in die Wege zu leiten.“ „Wegen eines einzelnen Raumschiffs?“ Der Präsident kniff die Augen zusammen. „Wissen Sie, welche Panik ein solcher Schritt unter der Bevöl18
kerung auslösen könnte?“ „Sir, die Vorbereitungen wären lediglich eine prophylaktische Maßnahme innerhalb des Regierungskomplexes von World City und würden keine Aufmerksamkeit erregen“, beschwichtigte Connils. „Wir müssen jederzeit mit dem Auftauchen weiterer Raumschiffe rechnen. Wie es scheint, ist die Erde unvermittelt in den Aufmerksamkeitsbereich mehrerer interstellarer Zivilisationen geraten.“ „Das ist mir auch schon aufgefallen“, knurrte der Präsident. „Aber wir können uns nicht einfach in die Station in Alaska verkriechen wie Kaninchen in ihren Bau, während die Mehrheit der Bevölkerung keine solche Zufluchtsmöglichkeit hat.“ „Sie dienen der Menschheit am besten, indem Sie die Regierung der Erde in Sicherheit bringen, Sir“, sagte Connils nüchtern. Der Präsident hörte zustimmendes Murmeln hinter seinem Rücken, aber er drehte sich nicht um, um festzustellen, von wem es gekommen war. „Ihr Vorschlag ist abgelehnt, Admiral!“ verkündete er, ohne die Meinung seines Stabes zu seiner Entscheidung einzuholen. „Solange keine unmittelbare Gefahr für World City besteht, wird die Regierung bleiben, wo sie ist…“ „Sir, ich möchte Sie dringend ersuchen…“, begann der Oberbefehlshaber der Vereinigten Raumstreitkräfte und unterbrach sich mitten im Satz. Sein Gesicht verschwand kurz vom Bildschirm. Als es wiederkehrte, war es merklich blasser. „Wie ich soeben erfahren habe, haben die Unbekannten die Außenstation Manhattan II mit einem einzigen Schuß zerstört, ohne daß eine Provokation von unserer Seite vorlag.“ Die Stimme des Admirals klang seltsam tonlos. Auch Präsident Jurismaaki war blaß geworden. „Erwidern Sie das Feuer, Admiral!“ befahl er heiser. „Ich erteile Ihnen hiermit die Vollmacht, alle von Ihnen gewünschten Mittel einzusetzen. Fegen Sie diese Bastarde vom Himmel!“ Connils salutierte knapp. „Jawohl, Sir. Ich halte Sie über die Ereignisse auf dem laufenden.“ * Captain Sefarian atmete erleichtert auf, als der Kugelraumer den Erfassungsbereich seiner Station verließ. Es war, als fiele ihm eine große Last von den Schultern. Nicht weil die unmittelbare Gefahr für ihn und seine Männer vorübergehend gebannt war, sondern weil er das brennende Verlangen, das Feuer auf die Aggressoren zu eröffnen, nicht länger unterdrücken mußte. Er konnte Corporal Smithers nur zu gut verstehen. Jedem seiner Solda19
ten hatte es in den Fingern gejuckt, trotz des ausdrücklichen Verbots die Laserkanonen ihr tödliches Feuer spucken zu lassen. Doch seine Erleichterung währte nicht lange. „Sir, feindliches Objekt ändert den Kurs!“ meldete ein Sergeant der Ortungsabteilung. „Objekt geht in Sinkflug. Schert nach Nord aus. Beschleunigt…“ Er runzelte die Stirn. „Objekt nähert sich erneut unserer Stellung. Jetzt wieder im Bereich der Zielerfassung!“ Sefarian beugte sich in seinem Sessel vor. Seine Augen wurden schmal. „Okay, Leute, Ruhe bewahren. Wir können uns keinen weiteren Schwächeanfall leisten.“ Jeder verstand die Anspielung. „Objekt beschleunigt weiter“, klang wieder die Stimme des Sergeanten auf. Er war ein in Ehren ergrauter Veteran. Sein gelassener Tonfall ließ nicht das geringste Anzeichen von Beunruhigung erkennen. „Bremst jetzt abrupt ab. Objekt zum Stillstand gekommen. Behält Position bei.“ „Faszinierend“, sagte irgend jemand ehrfürchtig. „Keines unserer Schiffe könnte ein solches Flugmanöver durchführen.“ Richtig, dachte der kommandierende Offizier der Laserstellung TANGO BRAVO. Diese Beschleunigungswerte würden uns zu einem blutigen Brei zerquetschen. Würden wir über solche technischen Möglichkeiten verfügen… Er führte den Gedanken nicht weiter aus, denn ein Sekundenbruchteil später existierte Captain Sefarian nicht mehr. Ebensowenig wie seine Männer. Eine unvorstellbare Energiefront hatte die Laserstellung TANGO BRAVO wie eine leere Zigarettenschachtel zusammengepreßt und jedes Leben in ihr ausgelöscht. Und zusammen mit ihr die gesamte Außenstation Manhattan II, von der die Laserstellung nur ein kleiner Teil gewesen war. * Der SILBERPFEIL überquerte gerade Missouri, als die Ortung des Shuttles einen schweren Energieausbruch in nordöstlicher Richtung anzeigte. Die Quelle lag jenseits des Horizonts, und die Ursache der gewaltigen Hitze- und Druckentwicklung blieb Kyle Larkin und Brad Diel vorerst verborgen. „Guter Gott!“ stöhnte Brad, der die Werte auf dem Monitor ablas. Der Bordrechner extrapolierte die Messungen und lieferte eine Schätzung der freigesetzten Energie. „Sieht so aus, als wären da mindestens ein Dutzend nuklearer Sprengköpfe im Gigabereich hochgegangen! Aber keine nennenswerte Freisetzung von radioaktiver Strahlung. Was zum Teufel ist da los?“ 20
„Was auch immer“, gab Kyle tonlos zurück. „Wir waren dafür bestimmt nicht verantwortlich. Setz den Helm auf, Brad.“ Sein Partner verdrehte den Kopf und sah verblüfft zu, wie Kyle sich in einen für ihn maßgeschneiderten Raumanzug zwängte. Er selbst war erst vor knapp zehn Minuten wieder an Bord gekommen und hatte lediglich den Helm abgenommen. „Wieso das? Du willst doch unter diesen Umständen nicht etwa aussteigen?“ „Keineswegs.“ In erstaunlich kurzer Zeit hatte der GIIC-Agent freischwebend den Raumanzug übergestreift. Er verharrte einen Moment lang und strich sich das braune Haar aus der Stirn, das für Brads Geschmack entschieden zu lang war. Seine Augen, deren Farbe ständig zwischen Grün und Grau zu wechseln schien, hefteten sich auf das Gesicht des anderen. „Aber wir werden vorsorglich den Innendruck im Cockpit senken und die Luft aus dem Frachtraum vollständig abpumpen. Ich möchte explosive Dekompressionsschäden vermeiden, falls wir einen Treffer abbekommen sollten.“ „Einen Treffer…“, murmelte Brad. „Du meinst…?“ „Ich meine, du solltest auf der Stelle deinen gottverdammten Helm aufsetzen und den Funk der Raumüberwachung verfolgen!“ fiel ihm Kyle ins Wort. „Solange wir nicht wissen, was hier gespielt wird, gehen wir besser vom Schlimmsten aus.“ Brad zuckte zusammen, befolgte den Befehl aber widerspruchslos. Kyle stand nicht nur in der internen Dienstordnung des GIIC über ihm, obwohl er mit seinen 37 Jahren erheblich jünger als der Techniker des Nachrichtendienstes war, er war auch der Leiter dieser Mission. Und er verfügte über mehr Erfahrungen und Kenntnisse als die meisten Geheimagenten seiner Altersklasse, davon war Brad überzeugt. Obwohl er ihn seit nunmehr fast fünf Jahren kannte, war ihm Kyle Larkin stets ein Rätsel geblieben. Es gehörte zu den Spielregeln des Geheimdienstes, Informationen nur dann weiterzugeben, wenn sie benötigt wurden, sowohl nach außen als auch innerhalb der Belegschaft. Eine der ersten Lektionen, die ein Mitarbeiter des GIIC lernte, lautete: Stelle keine überflüssigen Fragen und behalte vertrauliche Informationen für dich. „Okay, Helm geschlossen, Anzug versiegelt“, meldete er Vollzug und fügte mit einem Anflug von Sarkasmus hinzu: „Sir!“ Kyle ignorierte den Seitenhieb. „Ich senke jetzt den Innendruck“, sagte er sachlich. Die Vakuumpumpen liefen surrend an, die Luft im Cockpit und im Frachtraum wurde in die Drucktanks zurückgepumpt. Ein charakteristischer Summton in den Helmlautsprechern kündigte einen Vorrangfunkspruch der Raumüberwachung an: „Achtung! Achtung! An alle Raumfahrzeuge in der Erdumlaufbahn! So21
fern Sie nicht unverzüglich landen oder Fluchtkurs setzen können, meiden Sie unbedingt die Planquadrate Nordost drei und vier sowie die angrenzenden Sektoren! Alle betroffenen Raumstationen sofort Notfallevakuierung einleiten! Für das ausgewiesene Gebiet besteht Gefechtsalarm! Einsatz nuklearer Sprengkörper steht unmittelbar bevor! Ich wiederhole…“ „Jesus…!“ flüsterte Brad entsetzt. Die Meldung kam für Kyle nicht überraschend. Er hatte seinen Helmempfänger schon vorher auf die Frequenz des militärischen Funkverkehrs geschaltet und von der Zerstörung der Außenstation Manhattan II erfahren. Und was jetzt folgen würde, war ihm nur zu gut bekannt. Der Planungsstab des GIIC hatte die Abwehrstrategien für den Fall von Feindseligkeiten durch außerirdische Intelligenzen mitentwickelt… „PRIME CLIMATE IV befindet sich am östlichen Rand von Planquadrat Nordost drei!“ keuchte Brad. „Die armen Schweine können nicht…“ Seine Stimme versagte. Kyle nickte wortlos. Die Wetterkontrollstation, im allgemeinen Jargon nur „Prima Klima IV“ genannt, besaß, von ihren Steuerdüsen abgesehen, keinen eigenen Antrieb. Die einzige Chance für die Besatzung waren die Fluchtkapseln. Aber bei einer Vorwarnzeit, die bestenfalls fünf Minuten betragen mochte… „Wir können ihnen nicht helfen“, sagte er rauh. „Und so herzlos es auch klingen mag, wir müssen uns jetzt auf unsere eigene Sicherheit konzentrieren.“ Er stieß sich von der Bordwand ab, segelte auf den Pilotensitz zu, zog sich hinein und schnallte sich fest. „Nimm Kontakt mit der Zentrale auf und gib ihr unsere aktuellen Koordinaten durch“, ordnete er an, während seine Finger in Windeseile über die Steuerkonsole flogen. „Alle Außenkameras und Ortungssysteme auf automatische Zielerfassung in Flugrichtung schalten. Ich wende unser Baby.“ „Aye“, bestätigte Brad wortkarg. Ein Blick auf den Flugkontrollmonitor verriet ihm, daß sie soeben den Südzipfel von Illinois überquerten. Ihm war auch ohne Nachfrage klar, was Kyle vorhatte. Der Agent würde das Heck des SILBERPFEIL genau auf die Koordinaten ausrichten, an denen sich laut der Fernortung das feindliche Raumschiff befand, um möglichst viel Masse und damit eine größere Abschirmung zwischen sich und das zu erwartende Inferno zu legen. Eine Maßnahme, die nicht allzu viel Schutz bieten würde, wenn sie die kritische Distanz zu den explodierenden Nukleargeschossen unterschritten. Aber das war alles, was sie tun konnten. Ein schwacher Ruck lief durch das Shuttle, als Kyle die Steuerdüsen zündete. Quälend langsam begann der SILBERPFEIL, sich um seine Längsachse zu drehen. Die Sterne wanderten im Schneckentempo nach backbord über die Frontsichtscheibe. 22
„Achtung! Achtung! Letzte Warnung der Raumüberwachung!“ plärrte es aus den Lautsprechern. „An alle Raumschiffe im Orbit! Der Beschuß des feindlichen Objekts erfolgt in zehn Sekunden nach Ende dieser Durchsage! Gott schütze Sie! Ende!“ Ende, dachte Brad Diel. Wie passend! Er verfolgte die Ausrichtung der optischen Systeme und der Radarschüsseln, die die Rotation des Shuttles kompensierten, auf den Anzeigen der Instrumentenkonsole. „ZEHN…“ ertönte eine weibliche Stimme, auf eine merkwürdige Art melodisch und kalt zugleich. „…NEUN… ACHT…“ Ein automatischer Countdown. „…SIEBEN… SECHS…“ Wieder ging ein schwacher Ruck durch den SILBERPFEIL, als Kyle Gegenschub gab. „…FÜNF…“ Die langsame Wanderung der Sterne über die Frontscheibe kam zum Stillstand. Der kaum spürbare Andruck durch die Rotation ließ nach. „…VIER…“ Das Heck des Shuttles war jetzt genau auf das Koordinatenkreuz jenseits des östlichen Horizonts ausgerichtet. Der SILBERPFEIL hatte Indiana erreicht und näherte sich unerbittlich der amerikanischen Atlantikküste. Luftlinie etwas mehr als 1.000 Kilometer… „…DREI…“ Und das feindliche Raumschiff stand ungefähr 400 Kilometer vor der Küste über dem Meer. Knapp 300 Kilometer nördlich des Punktes, an dem sie den gleichen Längengrad schneiden würden. „…ZWEI…“ Merkwürdig, dachte Brad wie betäubt, wie lang eine Sekunde sein kann. Und jetzt zählte buchstäblich jede Sekunde. „…EINS…“ Das Shuttle jagte mit rund sechs Kilometern pro Sekunde nach Osten. Also keine vier Minuten bis zur größten Annäherung an den Kugelraumer. „…NULL!“ Nichts! Brad hatte das Gefühl, daß sein Herzschlag aussetzte. Was war passiert? Markierte der Countdown etwa nicht den Beginn des Beschusses, sondern erst den Start der Nuklearraketen? Und wenn ja, wie lange dauerte es, bis sie ihr Ziel erreichten? Sein Blick fiel auf Kyle, der die Hände von der Steuerkonsole genommen hatte und seelenruhig auf seinem Platz saß. Kalt wie eine Hundeschnauze! dachte Brad fassungslos. Wie kann er bloß… Ein lautes Fauchen ließ ihn zusammenzucken, und einen Moment lang glaubte er, die Kontrolle über seine Schließmuskeln zu verlieren, bevor er 23
begriff, daß die Sensoren seines Raumanzuges auf seinen Schweißausbruch reagiert hatten und der Luftfeuchtigkeitsregler auf Hochtouren lief, um die Werte auf den Normalbereich zu senken. Ein hysterisches Kichern stieg in seiner Kehle auf und verstummte abrupt wieder, als der Hauptmonitor gleißende Blitze zeigte, die über den östlichen Horizont zuckten. * Eines der imposantesten Bauwerke der Erde war gleichzeitig auch eines der unbekanntesten. Die Station T-XXX lag unter dem kilometerdicken Felsmassiv des Mount King im Süden Alaskas. Natürliche Kavernen im Granit des Berges und ein dichtes Netz aus Silbererzadern, das einen perfekten Ortungsschutz bot, hatten den Ausschlag gegeben, die Geheimstation, die in einem Spannungsfall die Weltregierung und den Führungsstab der Vereinten Raumstreitkräfte aufnehmen sollte, nahe des Tachat River anzulegen. Obwohl die gewaltigen Höhlen unter dem Mount King den Abtransport Abertausender Tonnen von Abraum überflüssig gemacht hatten, war es eine Meisterleistung auf dem Gebiet der Geheimhaltung gewesen, die Unmengen an benötigten Materialien, Maschinen, Geräten, Arbeitskräften und Mannschaften von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt herbeizuschaffen. Was sich an Aufmerksamkeit nicht vermeiden ließ, hatte man mit geologischen Erkundungen und der Ausbeutung von Silbererz vorkommen erklärt. T-XXX besaß eine Stammbesatzung von mehr als 3.000 Mann, die aus Elitesoldaten und hochqualifizierten Wissenschaftlern bestand. Wenn auch militärisch zweckmäßig eingerichtet, bot die Station doch einen gewissen Komfort. Sie war ausgestattet, um mühelos 10.000 weiteren Menschen für Monate Unterkunft und Verpflegung zu bieten. General John Martell, der Kommandant der Station, war kein Mann, der leicht die Fassung verlor. Bei der Zerstörung der AURORA hatte er kaum mit der Wimper gezuckt und die Weigerung Präsident Jurismaakis, Vorbereitungen für die Evakuierung der Weltregierung zu treffen, nur mit einem leichten Stirnrunzeln quittiert. Doch die Aufnahmen der Zerstörung von Manhattan II, über einen Wachsatelliten aus dem Orbit direkt nach T-XXX überspielt, entlockten ihm einen leisen Fluch. Captain Bowden, der diensttuende Offizier der Befehlszentrale, stand reglos vor seinem Kommandopult, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und beobachtete seinen Vorgesetzten unauffällig. Martell war ein hochgewachsener schlanker Mann, der eine natürliche Autorität ausstrahlte. Seine graumelierten Schläfen und die unzähligen Fält24
chen, die sich um seine Augen gegraben hatten, verrieten sein Alter. Der drahtige, durchtrainierte Körper hingegen paßte eigentlich nicht zu einem 54jährigen. Der kurze Moment, in dem der General seiner inneren Anspannung Luft gemacht hatte, war gleich wieder vorbei. „Bowden,“ schnarrte er, „Sie halten die Stellung und verfahren weiter nach Alpha-Order! Sollten unerwartete Probleme auftauchen, finden Sie mich in meinem Bereitschaftsraum.“ Unerwartete Probleme, dachte Bowden fassungslos. Die ganze Situation ist ein einziges unerwartetes Problem! Aber er behielt seine Gedanken für sich und bestätigte nur knapp: „Aye, Sir.“ John Martell machte kehrt, verließ die Befehlszentrale und suchte sein Arbeitszimmer auf, das wie eine winzige Kopie des Nervenzentrums der Geheimstation aussah. Als die Sicherheitstür hinter ihm mit einem leisen Zischen zuglitt, leistete er sich den Luxus, eine diesmal herzhaftere Verwünschung auszustoßen und frustriert die Fäuste zu ballen. Obwohl er über das bestgeschulte Personal des Planeten und eine beachtliche Zahl an Hochleistungswaffen und militärischen Fahrzeugen verfügte, war er zur Untätigkeit verdammt. Die Alpha-Order besagte, daß sich T-XXX und die fünf anderen Geheimstationen im Ausnahmefall passiv zu verhalten hatten. Und daran, daß dies ein Ausnahmefall war, konnte kein Zweifel bestehen, auch wenn bisher noch keine entsprechende Weisung von der Weltregierung eingetroffen war. Eine Batterie von Monitoren über Martells Schreibtisch verband ihn mit den fünf anderen T-Stationen, die über den gesamten Globus verteilt waren, außerdem mit dem Zentralen Flottenkommando der Vereinigten Raumstreitkräfte und dem Büro des Präsidenten in World City. Auf einem größeren Bildschirm, der fast die komplette Stirnseite des Raumes einnahm, konnte er den Kurs des feindlichen Kugelraumers verfolgen, der von verschiedenen Wachsatelliten beobachtet wurde. Noch zog der Koloß unbeirrt seine Bahn über den Atlantik in östliche Richtung. Doch der General wußte, daß die Menschen jeden Augenblick zurückschlagen würden. Präsident Jurismaaki hatte Admiral Connils ermächtigt, die vorbereiteten Abwehrstrategien in Kraft zu setzen. Martells Finger glitten über ein Sensorfeld und aktivierten die Sprechverbindung zum Regierungssitz der Weltstaaten. „T-XXX an World City, hier General John Martell“, sagte er. „T-XXX ruft Präsident Jurismaaki. Bitte antworten Sie.“ Kurz darauf erschien das Gesicht eines jungen Mannes, der dem General unbekannt war, auf einem der kleineren Bildschirme. „T-XXX, hier ist das Büro von Präsident Tori Jurismaaki. Der Präsident ist vorübergehend nicht 25
zu sprechen“, meldete er knapp. „Dann geben Sie mir seine Stellvertreterin!“ „Auch die Vizepräsidentin steht momentan nicht zur Verfügung“, erwiderte der junge Mann gestelzt. General Martell biß die Zähne zusammen und zwang sich zur Ruhe. Leicht fiel es ihm nicht. Aus den Augenwinkeln heraus verfolgte er den Flug des Kugelraumers. Worauf, zum Teufel, wartete Connils noch? „Ist der Verteidigungsminister zu sprechen?“ „Bedaure, Sir, aber der Verteidigungsminister befindet sich zur Zeit mit dem Präsidenten und dem Rest des Stabes in einer wichtigen Besprechung und darf nicht gestört werden.“ Der Regierungsbeamte in World City zögerte einen Moment lang und schien irgend etwas zu suchen, das außerhalb des Erfassungsbereichs der Viphokamera lag. „Aus dem Kabinett wäre momentan der Umweltminister abkömmlich. Wenn Sie wünschen…“ „Vergessen Sie’s!“ preßte Martell mit mühsamer Beherrschung hervor. Er trennte die Verbindung. Wäre die Lage nicht so dramatisch gewesen, hätte er aufgelacht. Politiker! Seufzend schloß er die Augen und massierte sich die silbergrauen Schläfen mit den Fingerspitzen. Den nachfolgenden Lichtblitz registrierte er selbst durch die geschlossenen Lider. Als er den Blick wieder auf den Hauptmonitor richtete, sah er mehrere Strahlenbahnen, die punktgenau auf das fremde Raumschiff zuliefen. „Endlich!“ flüsterte er, doch seine Erleichterung zerstob ebenso wie die Laserstrahlen, die auf einen bisher unsichtbaren Schutzschirm trafen, der den Kugelraumer umgab. Das Schiff machte sich nicht einmal die Mühe, das Feuer zu erwidern. Inmitten eines farbigen Lichtgewitters zog es scheinbar unbeirrt weiter seine Bahn. Der Anflug der atomar bestückten Abwehrraketen war kaum wahrzunehmen. Dafür waren ihre Explosionen um so spektakulärer. Erstmals schienen die Fremden von der Gegenwehr beeindruckt zu sein. Das Raumschiff vollführte ein Ausweichmanöver. Einige der Geschosse verfehlten ihr Ziel, doch eine zweite Salve detonierte in unmittelbarer Nähe… … und gleichzeitig war auf dem Bildschirm nur noch ein konturloses Flimmern zu sehen. Die Höllenglut und die intensive Strahlung der vielfachen Nuklearexplosionen hatten den Beobachtungssatelliten zerstört. Kaum drei Sekunden später kam das Bild zurück, diesmal aus größerer Entfernung und aus einem anderen Winkel, von einem anderen Satelliten aufgenommen. Noch immer flammten künstliche Sonnen dicht über der irdischen Atmosphäre auf. Obwohl die kleine Beobachtungsstation im All 26
automatisch die Dämmfilter vor ihre optischen Systeme zuschaltete, strahlte der Bildschirm in blendendem Weiß. Martell kniff die Augen zusammen und verfolgte das Schauspiel wie gebannt. Die über dem Atlantik freigesetzten Energien überstiegen seine Vorstellungskraft. Und dann erlosch das gleißende Licht binnen weniger Herzschläge. John Martell blinzelte. Der Monitor zeigte nichts weiter als die Schwärze des Alls und die kalt leuchtenden Sterne. Hier und da flimmerten ein paar Wolken ionisierten Gases, die sich langsam auflösten. Von dem fremden Raumer war keine Spur mehr zu sehen. ,Auf Wiedersehen in der Hölle, ihr Bastarde!“ murmelte Martell, doch gleich darauf stiegen nagende Zweifel in ihm auf. Die Explosionen der Nukleargeschosse hatten jede direkte Beobachtung unmöglich gemacht. Nach menschlichem Ermessen hätte jedes Objekt, das sich in ihrem Wirkungsbereich befand, zerstört werden müssen. Aber durfte man hier von menschlichen Maßstäben ausgehen? Der General sprang auf, eilte aus seinem Bereitschaftsraum und verlangsamte seine Schritte erst vor dem Schott zur Hauptzentrale. Lauter Jubel brandete ihm entgegen. Die Männer und Frauen im Kommandostand waren auf den Beinen, umarmten einander und klopften sich gegenseitig auf die Schultern – als wären sie es gewesen, die das feindliche Raumschiff vernichtet hatten. Falls es überhaupt vernichtet worden war… Martell blieb eine Weile neben dem Schott stehen, um seinen Leuten ein wenig Zeit zu geben, die aufgestaute Anspannung abzureagieren. Es war Captain Bowden, der seinen Vorgesetzten zuerst bemerkte. „Achtung!“ schnitt seine Stimme, von Lautsprechern verstärkt, wie ein Messer durch die Luft. „Jeder kehrt unverzüglich auf seinen Posten zurück!“ Er legte eine kurze Pause ein und fügte dann fast unmilitärisch freundlich hinzu: „Die Feier geht nach Ende der Schicht im Mannschaftskasino weiter.“ Trotz der äußeren Umstände mußte Martell schmunzeln. Bowden hatte ein unbestreitbares Talent, seine Leute zu motivieren und zu erkennen, an welchem Punkt er die Zügel ein wenig locker lassen mußte. Disziplinierte Soldaten waren in der Lage, Beachtliches zu leisten. Motivierte und zufriedene Soldaten aber wuchsen in Extremsituationen über sich selbst hinaus. „Auswertung!“ befahl der General. Er mußte nicht näher erläutern, was er damit meinte. Während seine Leute den Suprasensor mit den verfügbaren Meßdaten fütterten, trat Martell dicht an Bowden heran. „Ihr Eindruck, Captain?“ „Das feindliche Schiff wurde restlos zerstört, Sir. Es wurde geradezu pulverisiert.“ 27
„Sind Sie sich da auch ganz sicher?“ Bowden runzelte die Stirn. „Sir, auch ohne die genauen Auswertungsergebnisse zu kennen: Es kamen nahezu hundert nukleare Sprengköpfe zur Detonation, die meisten innerhalb eines Abstandes von maximal zehn Kilometern vom Zielobjekt entfernt. Und das alles in kürzester Zeit. Wer oder was sollte ein solches Inferno überstehen können?“ „Irdische Schiffe bestimmt nicht“, gab Martell zurück. „Ich bete, daß Sie recht haben. Und ich hoffe, daß unser konzentrierter Beschuß nicht allzu viele Menschenleben gekostet hat.“ „Wie meinen Sie das?“ „Denken Sie nach, Bowden. Der Atlantik zwischen der nordamerikanischen Küste und Europa wird stark befahren. Die freigesetzte Strahlung der Nuklear Sprengköpfe dürfte für die Betroffenen auf See zumindest langfristig verheerende Auswirkungen haben. Aber vordringlich mache ich mir Sorgen um die Besatzungen von Raumstationen und bemannten Satelliten, die die Gefahrenzone im Gegensatz zu Raumschiffen nicht verlassen konnten, um Orbitalshuttles oder schwerfällige Lastfrachter, die sich selbst bei Vollschub nicht schnell genug in Sicherheit bringen können.“ Das Gesicht des Captains verdüsterte sich. „Sie haben recht, Sir. Die Erdumlaufbahn wimmelt von bemannten Stationen und langsamen Kähnen. Es ist nicht auszuschließen, daß sich einige in der Gefahrenzone befunden haben.“ Martell nickte langsam. „Wie schwer es auch fällt, untätig in diesem Sarg herumzusitzen, Bowden, wir haben es noch vergleichsweise gut getroffen. Ich frage mich, wie es um die armen Teufel da oben steht…“ * Die Ortung der Wetterkontrollstation PRIME CLIMATE IV hatte das unvermittelte Auftauchen eines riesigen Objektes schon registriert, bevor die erste Warnung des Zentralen Flottenkommandos ergangen war. Chief Christian Sordan, der Leiter der zivilen Station, hatte eine Anfrage an die Raumüberwachung geschickt und die kryptische Antwort erhalten, das „nicht registrierte“ Raumschiff sei unplanmäßig erschienen. Mehr wisse man auch nicht. Es war verständlich, daß die Auskunft den Chief beunruhigte. Seit dem Angriff der mysteriösen Spindelraumer auf die Sahara und dem darauffolgenden Gefecht mit den ebenso rätselhaften zylindrischen Schiffen waren nicht einmal zwei Wochen vergangen. Und das soeben aufgetauchte Objekt war eindeutig keine irdische Konstruktion – es sei denn, die Vereinigte Raumflotte hatte einen geheimen Raumschiffstyp entwickelt. Aber wie hat28
te er dann so übergangslos erscheinen können? Sordan hatte keine Sekunde Zeit verschwendet und vorsorglich die Rettungskapseln der Station überprüfen lassen. Eine weise Erscheinung, wie sich jetzt zeigte. PRIME CLIMATE IV, das seine Bahn in 530 Kilometern Höhe über der Erde zog, befand sich in Sichtweite der AURORA, als der Patrouillenkreuzer in dem Energiestrahl des Kugelraumers verging. Chief Sordan wartete die Evakuierungsaufforderung nicht ab und schickte seine Mannschaft bis auf eine vierköpfige Notbesatzung augenblicklich in die Rettungskapseln. Die Menschen hangelten sich bereits durch die Längsgänge der gemächlich rotierenden hantelförmigen Station, als die Meldung durch alle Lautsprecher ertönte: „Achtung! Achtung! An alle Raumfahrzeuge in der Erdumlaufbahn! Sofern Sie nicht unverzüglich landen oder Fluchtkurs setzen können, meiden Sie unbedingt die Planquadrate Nordost drei und vier sowie die angrenzenden Sektoren! Alle betroffenen Raumstationen sofort Notfallevakuierung einleiten! Für das ausgewiesene Gebiet besteht Gefechtsalarm! Einsatz nuklearer Sprengkörper steht unmittelbar bevor! Ich wiederhole…“ Die Rettungskapseln I und II, jeweils mit vier Personen besetzt, lösten sich mit einem Katastrophenstart aus den Fluchthangars, richteten die Hecks in Flugrichtung und gaben vollen Bremsschub. Ihrer Fluchtgeschwindigkeit beraubt, die „Prima Klima IV“ in einem stabilen Orbit hielt, fielen sie, von der Gravitation beschleunigt, immer schneller werdend auf die Erde zu. Die physikalischen Gesetze des Orbitalfluges erforderten dieses auf den ersten Blick unlogisch anmutende Manöver. Sordan und seine Notbesatzung schalteten die Station in Windeseile auf Automatikbetrieb um und versetzten sie in den für den Evakuierungsfall vorgesehenen Schlummermodus. Es war ihr Pflichtbewußtsein, das ihnen zum Verhängnis wurde. Der Chief war der letzte, der sich zu seinen verbliebenen Leuten in die enge Rettungskapsel quetschte. Das kleine tropfenförmige Gefährt mit der Andeutung abgerundeter Tragflächen katapultierte sich aus dem Hangar III, zündete planmäßig die Schubdüsen und begann, im Parabelflug auf die Erde zuzustürzen. Doch in dem Maße, in dem es sich der Planetenoberfläche näherte, verringerte sich auch seine Distanz zu dem Kugelraumer. Es kreuzte die Bahn des fremden Raumschiffs in weniger als 30 Kilometern exakt in dem Moment, als der erste nukleare Gefechtskopf detonierte. In der letzten Sekunde seines Lebens, bevor die Körper der vier Astrometeorologen zu unförmigen Aschehäufchen verbrannten, glaubte Christian Sordan, ein unirdisch schönes Licht durch die fensterlose Metallhülle der Fluchtkapsel scheinen zu sehen. 29
Er starb mit einem verzückten Ausdruck auf dem schweißglänzenden Gesicht, bevor er begriff, wie ihm geschah. * „Ich bedauere, aber ein Aufschub der Feuerfreigabe ist völlig unmöglich.“ Admiral Connils Blick war starr, seine Kiefermuskeln zeichneten sich deutlich unter der gebräunten Haut ab. „Sir!“ protestierte der Stützpunktkommandant von Cent Field, dem größten Raumhafen der Erde. „In fünf Minuten ist die STAR TRAMP aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich heraus und…“ „In fünf Minuten“, unterbrach ihn Connils schneidend, „könnte der Kugelraumer bereits über World City stehen und seine Waffen zum Einsatz bringen. Nach der Zerstörung von Manhattan II dürfen wir keine weitere Verzögerung riskieren. Wahrscheinlich haben wir ohnehin schon zu lange gewartet.“ Und dadurch den Tod von mindestens 2.000 Menschen verschuldet, fügte er in Gedanken hinzu. »Aber die STAR TRAMP transportiert neben ihrer fünfköpfigen Besatzung eine unersetzliche Ladung von Palladium!“ wagte Brigadegeneral Morton einen letzten Versuch, den Oberbefehlshaber der Vereinigten Raumstreitkräfte umzustimmen. „Wir benötigen das Erz dringend für den geplanten Flottenausbau.“ „Ich habe meine Entscheidung getroffen und werde sie nicht zurücknehmen“, sagte Connils gefährlich leise. „Der Countdown läuft bereits. Ich bin mir bewußt, daß Menschen durch unsere eigenen Waffen sterben werden, und ich werde mit dieser Schuld leben müssen.“ Seine Stimme wurde noch leiser. „Es steht Ihnen frei, später einen Prozeß vor dem Kriegsgericht gegen mich anzustrengen, Morton. Aber jetzt fügen Sie sich meinen Befehlen, oder ich lasse Sie unter Arrest stellen!“ Morton schluckte und senkte den Kopf. Er verzichtete auf eine Erwiderung. Hier in Cent Field, im Südwesten des nordamerikanischen Kontinents, drohte ihnen nicht die geringste Gefahr. Zumindest vorerst nicht. Und die mit nuklearen Gefechtsköpfen bestückten Raketen würden auch nicht von den hiesigen Geschützstellungen abgefeuert werden. Aber das machte die Dinge für ihn um so schwerer. Für ihn war es belastender, andere Menschen in den sicheren Tod zu schicken, als das eigene Leben zu opfern. Wenn er es sich hätte aussuchen können, wäre er jetzt lieber an Bord des riesigen Erzfrachters gewesen. Bei seinem väterlichen Freund, Kapitän Ty Brennan. Bei dem Mann, der ihm als jungem Kadetten vor fast 40 Jahren die Grundbegriffe der Raumfahrt beigebracht hatte. 30
Im Hintergrund zählte eine emotionslose Frauenstimme erbarmungslos die Sekunden ab, die Brennan und seiner Besatzung noch verblieben. Sobald sie die Ziffer zehn erreichte, würde auch der alte Frachterkapitän sie hören. Wie jeder der Unglücklichen, die sich im Orbit in Planquadrat Nordost drei befanden und keine Möglichkeit zur Flucht mehr hatten. Gerade begann die letzte Durchsage der Raumüberwachung, die letzte Aufforderung, die akut gefährdeten Sektoren zu verlassen. Doch Morton wußte, daß die Warnung nur noch symbolischen Wert hatte. Denn in eben diesem Moment waren die Raketen gestartet. Der Offizier schloß die Augen. Er wollte nicht sehen, was geschah. Wie es geschah. Die Durchsage endete. Der Countdown für die letzten zehn Sekunden begann. Gott vergebe uns! dachte Morton. * „Haut schon ab, Jungs“, sagte Kapitän Ty Brennan sanft. „Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr es noch schaffen.“ „Komm mit, Skipper!“ drängte Mbale, der Obermaat der STAR TRAMP. Er warf einen hastigen Blick über die Schulter, wo seine drei Mannschaftskameraden ungeduldig vor dem Schott schwebten. „Du kannst hier doch nichts mehr ausrichten. Der Kugelraumer ist zu nahe. Die STAR TRAMP wird den Beschuß wahrscheinlich nicht überstehen.“ Brennan schüttelte den Kopf. „Ich lasse mein Schiff nicht im Stich. Das habe ich noch nie getan. Und ich werde jetzt nicht damit anfangen.“ Mbale zögerte. Er flog seit sieben Jahren mit dem Alten zwischen dem Asteroidengürtel und der Erde hin und her. Nicht gerade das, was er sich erträumt hatte. Kuli-Etappe wurden diese Touren von den anderen Raumfahrern abfällig genannt, Schleichfahrten mit einem klapprigen Riesenkahn, der eigentlich schon längst auf den Schrott gehört hätte. Und doch… Es war keine aufregende Zeit gewesen, aber eine schöne. Der dunkelhäutige Maat straffte sich und winkte seinen Gefährten kurz zu. „Dann bleibe ich auch!“ verkündete er entschlossen. Kapitän Brennan wirkte nicht einmal sonderlich überrascht. „Du bist verrückt, Junge“, erklärte er ernst, aber in seinen Augen lag ein Lächeln. „Kein Wunder, bei so einem Skipper“, erwiderte der Obermaat respektlos. „Man muß schon verrückt sein, um es so lange bei einem wunderlichen Kauz wie dir auszuhalten.“ Er hangelte sich an den Halte31
schlaufen vor und schob sich auf den Kopilotensitz. Die Bildschirme auf der altersschwachen Kontrollkonsole würdigte er mit keinem Blick. Er wußte auch so, was sie anzeigten. Die STAR TRAMP war zu groß, zu schwer und zu instabil, um auf einem Planeten landen zu können. Sie löschte ihre Fracht, hochwertiges Palladium, im Asteroidengürtel geschürft und vor Ort raffiniert, im Weltraum, wo sie auch zusammengebaut worden war und ihr Ende erleben würde. Momentan kreiste sie auf dem niedrigsten für sie zulässigen Orbit, 310 Kilometer über der Planetenoberfläche. Dadurch hätte sie eigentlich erheblich schneller als der unheimliche Kugelraumer sein müssen, der rund 50 Kilometer höher, aber kaum 30 Kilometer seitlich von ihr flog. Aber das verdammte Ding schien den Naturgesetzen zu trotzen und hielt stur die Distanz bei, ohne daß ein Antrieb erkennbar war. „Ich denke, es ist an der Zeit, daß du deinen legendären Stoff rauskramst“, sagte Mbale. „Richtig“, pflichtete ihm Nyberg bei. Der sommerprossige Hühne schwebte mit einer Eleganz herbei, die man seinem massigen Körper eigentlich nicht zugetraut hätte. „Du auch, Großer?“ fragte Brennan, ehrlich überrascht. „Wir alle, Skipper.“ Nyberg deutete mit einem breiten Grinsen auf seine Kameraden, die ihm im Formationsflug durch die Steuerzentrale gefolgt waren. Geschickt bremsten die drei Männer in der Luft über der Instrumentenkonsole ab und hielten sich fest, wo immer sie Halt fanden. Jetzt, nachdem die Entscheidung gefallen war, löste sich plötzlich bei allen die Anspannung. Keinem schien der drohende Tod mehr Angst einflößen zu können. „Ratten!“ stieß Brennan mit gespieltem Abscheu hervor. „Gönnen einem alten Mann nicht mal seinen letzten Tropfen!“ Er öffnete eine Klappe unter dem Steuerpult und zog eine gelbe Plastikflasche mit einem Saugstutzen hervor, auf die ein geradezu antikes Etikett geklebt worden war. Echter Jamaika-Rum, las Mbale. Garantiert 15 Jahre alt. Seine Augen wurden groß, als er das Datum der Abfüllung bemerkte. 1987. „Das ist doch bestimmt bloßer Etikettenschwindel“, sagte er. „Nein“, versicherte Brennan. „Der Stoff ist original. Wofür, glaubst du, ist immer wieder meine Heuer draufgegangen?“ Er schob sich den Stutzen zwischen die Lippen, saugte daran und schmatzte genießerisch. „Aah…“, seufzte er verträumt und reichte die Flasche an seinen Obermaat weiter. Mbale trank einen großen Schluck und hustete beinahe. Der Rum war scharf und weich zugleich. Er brachte jede Geschmacksknospe auf seiner Zunge zum Erblühen. „Daran könnte ich mich gewöhnen.“ „Her mit der Pulle!“ verlangte Nyberg. 32
Die Flasche machte die Runde, und als der letzte Mann getrunken hatte, setzte der Countdown ein. „Achtet besonders auf den Nachgeschmack, Jungs“, empfahl Brennan, der die Plastikflasche wieder in Empfang nahm. „So einen Tropfen werdet ihr sobald nicht mehr bekommen.“ Mbale prustete los. „Es sei denn, du beeilst dich, Skipper“, sagte er lachend. Er kam noch einmal an die Reihe, trank hastig und übergab den Rum an Nyberg, als die Frauenstimme verstummte. Nichts geschah. „Sieht so aus, als hätten die da unten Ladehemmung“, meinte der Bordfunker und streckte die Hand aus. Der erste Nuklearblitz, der achtern von Backbord her erfolgte, ließ schlagartig alle Anzeigen erlöschen. Einen Moment lang herrschte absolute Schwärze, dann sprang die in einem düsteren Rot glühende Notbeleuchtung an. Brennan hatte das Gefühl, als liefe ihm ein wohliger Schauder über den Rücken. Seine Kopfhaut prickelte leicht. Irgendwo aus den Tiefen des Frachters klang ein schepperndes Geräusch auf. „Wer allein trinkt, stirbt allein“, stichelte Lecompte, der rothaarige Bordingenieur. „Rück den Stoff rüber!“ Nyberg lachte. Die STAR TRAMP erbebte. Einer dumpfen Explosion im Maschinenraum folgte ein durchdringendes Pfeifen. Die Notbeleuchtung flackerte. „Ich habe die gottverdammt beste Mannschaft, die sich ein Skipper wünschen kann“, sagte Brennan feierlich. „Und wir den gottverdammt besten Skipper, der je den Raum durchpflügt hat“, gab Mbale genauso feierlich zurück. Das Kombüsenschott flog aus seiner Halterung, die Notbeleuchtung erlosch endgültig. Ein heißer Windstoß fegte durch die Dunkelheit. Es knackte in Mbales Ohren, als der Druck schlagartig sank. Er fühlte sich seltsam ruhig und gelöst. „Lebt wohl, Jungs“, hörte er Brennans tiefe Stimme verwehen. Die STAR TRAMP zerbrach in drei Teile, deren Ränder aufglühten und wie heiße Butter schmolzen. Tonnen von Stahl, Titan, Wolfram aus der Schiffswandung und Palladium aus dem Laderaum verdampften in Sekundenschnelle. Doch die Masse des Erzfrachters war zu groß, als daß selbst die höllische Hitzeentwicklung und die mörderische Strahlung der ersten Salve detonierender Nuklearsprengköpfe sie völlig auslöschen konnte. Die nachfolgenden Explosionen rissen die riesigen Trümmer in eine 33
Vielzahl kleinere Stücke, die teils in einen höheren Orbit geschleudert wurden, teils auf die Erde hinabstießen, und teils eine Fluchtgeschwindigkeit erhielten, die sie aus dem Gravitationsfeld des Planeten hinauskatapultierten. Das Segment, in dem sich die Steuerzentrale der STAR TRAMP mit den fünf Raumfahrern befunden hatte, nahm Kurs auf die Erde, durchpflügte die Atmosphäre in rasendem Flug, bohrte sich, einen lodernden Flammenschweif hinter sich herziehend, in einer gewaltigen Fontäne in den Atlantik und versank in den Fluten. Die Besatzung des Erzfrachters war heimgekehrt. * „Strahlungswerte im gelben Bereich.“ Kyles Stimme klang völlig emotionslos. Sein Blick strich methodisch über die Anzeigen auf der Steuerkonsole des Shuttles. „Und das Feuerwerk hinter dem Horizont geht weiter“, preßte Brad hervor. „Noch eine Minute, und wir haben direkten Sichtkontakt!“ Er mußte nicht weiter ausführen, was das bedeutete. Noch schirmte die Planetenrundung sie gegen den größten Teil der harten Strahlung ab. Doch sobald die Quelle der Explosionen über den Horizont stieg, würden sie von einem hochenergetischen subatomaren Partikelstrom, durch kein Hindernis abgeschwächt, getroffen werden. „Strahlungsintensität nähert sich dem roten Bereich“, meldete Kyle. Halt das Maul! dachte Brad erbittert. Halt dein gottverdammtes Maul! Es war schon schlimm genug, hilflos in ein tödliches Inferno hineinzusegeln, auch ohne sich anhören zu müssen, wie das nahe Ende von einem seelenlosen Roboter kommentiert wurde. „Roter Bereich erreicht“, fuhr Kyle unerbittlich fort. „Tödliche Dosis in spätestens 20 Sekunden.“ Brad öffnete den Mund und wollte gerade seine Wut und Angst hinausschreien, als die von den Außenkameras übertragenden Blitze erloschen. Das Glühen über dem östlichen Horizont nahm langsam ab. »Strahlung beginnt zu sinken.“ Und plötzlich wollte Brad nicht mehr, daß Kyle den Mund hielt. Plötzlich lauschte er gierig auf jede weitere Meldung seines Partners. „Werte wieder im gelben Bereich. Fallen weiter.“ Heilige Maria Mutter Gottes, wenn wir das überleben, werde ich zweimal im Jahr Geburtstag feiern, dachte er inbrünstig. „Um Christi willen, was ist das?“ Erst als er den Ruf ausstieß, wurde er sich bewußt, daß er geradezu gebrüllt hatte. „Was?“ fragte Kyle knapp. 34
„Ich habe keine Ahnung…“ Brad checkte die Massenortung ein zweites Mal. Ein gewaltiges Objekt war über dem Horizont aufgetaucht und näherte sich dem SILBERPFEIL mit großer Geschwindigkeit. Es war von unregelmäßiger Form und überschlug sich unablässig. „Vielleicht die Überreste des Kugelraumers…“ „Aufzeichnen!“ Die Finger des Technikers flogen über die Kamerasteuerung, während Kyle die Kurskoordinaten bestimmte. „Keine Kollisionsgefahr“, klang die Stimme des GIIC-Agenten auf. „Objekt wird uns in fünf Kilometern Entfernung an Steuerbord passieren.“ Die Kamera hatte die Masse erfaßt und folgte ihr automatisch. Ein Monitor zeigte das Wrackteil in Vergrößerung. Eine unregelmäßig gezackte Seite glühte kirschrot. Bei jeder Umdrehung blitzte sie wie der Lichtkegel eines kosmischen Leuchtfeuers. „Das ist das Heckteil eines Frachters der Giga-Klasse“, flüsterte Brad erschüttert. „Richtig“, bestätigte Kyle kurz darauf. „Laut den Daten der Flugüberwachung könnte es sich um die STAR TRAMP handeln. Oder besser gesagt um das, was von ihr übriggeblieben ist.“ Er verstummte. Zum ersten Mal, seit er das Wendemanöver durchgeführt hatte, zeigte er wieder Emotionen. „Und es strahlt wie die Hölle.“ Das völlig zerfetzte Heck des Erzfrachters wirbelte an dem Shuttle vorbei. Einen Moment lang stiegen die r-Werte sprunghaft an und fielen genauso schnell wieder ab. „Wir nähern uns jetzt dem Gefechtsbereich“, verkündete Kyle. Während er sprach, versuchte er, über Funk Kontakt mit irgendeiner Bodenstation oder einem anderen Raumschiff aufzunehmen, doch aus den Lautsprechern drang nur Rauschen, Knistern und ein infernalisches Heulen, als würde eine Straßenbahn voller besoffener Derwische entgleisen. Der SILBERPFEIL glitt durch den Raumsektor, in dem noch vor wenigen Minuten unvorstellbare Elementargewalten gewütet hatten. Die Ortung zeigte nur ein größeres Objekt in einem Umkreis von 1.000 Kilometern, laut Bordrechner die Orbitalwetterstation PRIME CLIMATE IV, aber eine nicht abzuschätzende Menge kleiner und kleinster Trümmerstücke, die mit teilweise aberwitziger Eigengeschwindigkeit nach allen Richtungen auseinanderstrebten. Es verblüffte Kyle, daß „Prima Klima IV“ die Auswirkungen des Gefechts offenbar überstanden hatte. Aber sollte es der Besatzung nicht gelungen sein, sich rechtzeitig abzusetzen, war sie mit Sicherheit gegrillt worden. Unter dem Shuttle zog die Ostküste Nordamerikas dahin. „Wie sind die Strahlungswerte?“ erkundigte sich Brad gegen seinen Willen, als hätte er die Gedanken seines Partners gelesen. 35
„Unverändert hoch, aber unterhalb der tödlichen Dosis“, erwiderte Kyle. „Trotzdem werden wir um die Dekontaminierungsprozedur nicht herumkommen.“ Brad erschauderte. Auf der Erde oder in einem größeren Raumer mit einer vernünftigen Medo-Station war die Prozedur erträglich, mit den ihnen hier zur Verfügung stehenden Mitteln aber stellte die Dekontaminierung eine Tortur dar. Neben der äußeren Entgiftung wurde die innere erforderlich, und das hieß Erbrechen, forcierte Entleerung des Verdauungstraktes und die Einnahme von Medikamenten, durch die der Körper möglichst viele radioaktive Isotope in kürzester Zeit ausschied. Mit anderen Worten, ihnen standen mehrere Stunden bevor, in denen sie sich hundeelend fühlen und praktisch handlungsunfähig sein würden. Kyle versuchte noch immer, Kontakt zur Erde herzustellen, als ein leises, aber um so unangenehmeres Geräusch aus dem Heckbereich des Shuttles aufklang. Wie das Vibrieren eines gespannten Drahtseils. Im gleichen Moment begann eine ganze Batterie von Kontrollämpchen in bedrohlichem Rot zu blinken. „Auch das noch!“ stieß er hervor. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ fragte Brad ergeben. Mit einem Mal fühlte er sich todmüde und völlig ausgelaugt, zu erschöpft, um noch Angst empfinden zu können. Er wollte nur noch schlafen. Tief und fest. Am besten einen ganzen Tag lang. Und vor allen Dingen traumlos. „Wir haben uns einen Treffer im Hauptantriebsbereich eingefangen“, sagte Kyle. „Die gute Nachricht: Keine Lecks in den Treibstofftanks. Auch kein Druckabfall. Die Mechanik ist unbeschädigt. Muß ein winziger Splitter gewesen sein. Es ist ohnehin ein Wunder, daß wir diese Trümmerwolke bisher so problemlos durchquert haben.“ Er legte eine kurze Pause ein. „Und die schlechte Nachricht?“ „Totalausfall der Brennkammersensorik. Im Klartext: Wenn wir den Antrieb zünden, fliegt uns das Shuttle um die Ohren. Wir sitzen hier oben fest, bis wir den Schaden behoben haben oder man uns Hilfe schickt. Und so, wie die Dinge stehen, kann das ziemlich lange dauern.“ 2. Direktor Pavel Bushkin hatte sich abgewöhnt, die Spitznamen zu zählen, mit denen seine Mitarbeiter ihn hinter seinem Rücken bedachten. Papa Baldrian, Schlafmittel, Sandmann, Partykiller, Zombie und etliche andere sagten mehr über seine äußere Erscheinung und sein Auftreten aus als über sein tatsächliches Wesen. Hinter der Fassade des phlegmatischen Langeweilers verbargen sich ein äußerst wacher Verstand und eine blitzschnelle Auffassungsgabe. Es hatte seinen Grund, warum das GLOBAL INFORMATION AND INTELLIGENCE CENTER unter Bushkins Leitung trotz aller Etat36
kürzungen und des ständigen Personalabbaus heute schlagkräftiger und effektiver als jemals zuvor seit seiner Gründung war. An diesem Abend verzichtete der Geheimdienstchef auf den sonst so meisterhaft kultivierten geistesabwesenden Gesichtsausdruck, der nur noch von seinem nervenzermürbend leiernden Tonfall übertroffen wurde, und ließ sein wahres Ich zum Vorschein kommen. „Agent Diel,“ sagte er knapp, „Sie erhalten hiermit bis auf Widerruf Omega-Sicherheitsstatus. Agent Larkin wird Ihnen alles sagen, was Sie dazu wissen müssen.“ »Ich… äh… danke, Sir…“, stotterte Brad Diel überrascht. Seine Blässe und seine fahrigen Bewegungen rührten nicht von der unerwarteten Beförderung her, sondern von der gerade erst beendeten Dekontaminierungstortur. Kyle, der neben ihm im Erfassungsbereich der Aufnahmekamera des Bordviphos schwebte, wirkte ebenfalls ziemlich mitgenommen. Die Besprechung der drei Männer fand über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern statt. Momentan schwebte der SILBERPFEIL über Madagaskar, während Direktor Bushkin in seinem geheimen Hauptquartier in der Nähe von Montreal saß, 700 Meter tief unter der Erde. Ein Netz von Kommunikationssatelliten, die meisten davon offiziell nicht im Besitz des GIIC, sorgten für eine nahezu verzögerungsfreie und abhörsichere Verbindung. „Wir haben Ihre Daten ausgewertet und sind zu der Überzeugung gelangt, daß der geheimnisvolle Kugelraumer, wie von Ihnen bereits vermutet, nicht zerstört wurde, sondern sich absetzen konnte“, fuhr Bushkin fort. „Ob er den massiven Beschuß unbeschadet überstanden hat, bleibt Spekulation, wir gehen aber vorsorglich davon aus. Mit anderen Worten, es besteht die Gefahr, daß er jederzeit wieder auftaucht und zuschlägt, unter Umständen in Begleitung. Für diesen Fall benötigen wir möglichst detaillierte Informationen. Und die einzigen Augen und Ohren, die wir derzeit im Orbit haben, gehören Ihnen.“ „Ich verstehe, Sir“, erwiderte Kyle. „Wir sitzen ohnehin hier oben fest. Der erdnahe Raum ist vorläufig für den zivilen Flugverkehr gesperrt, und die Vereinigte Raumflotte ist nicht bereit…“ Bushkin hob eine Hand. „Ich bin bestens über die Situation im Bild. Hören Sie zu, ich werde Ihnen dieses Angebot nur einmal unterbreiten. In Kürze wird ein Kurierschiff der lunaren Verwaltung vom Mond zur Erde fliegen. Ich könnte es so einrichten, daß man Sie abholt und auf die Erde zurückbringt, ohne daß unangenehme Fragen gestellt werden. Wenn Sie das Angebot annehmen wollen, haben Sie mein Verständnis, aber Sie müssen sich schnell entscheiden. Wenn Sie jedoch bereit sind, im Orbit zu bleiben, kann ich ohne die Hilfe des Zentralen Flottenkommandos nichts mehr für 37
Sie tun. Und Sie kennen die Einstellung der Flotte zum GIIC.“ Er sah, wie die beiden Männer im Cockpit des Shuttles einen Blick wechselten. Die Strahlungswerte in dem kleinen Orbitalschiff waren zwar nicht lebensbedrohlich, aber mit jedem Tag wuchs das Risiko, irreparable Langzeitschäden zu erleiden. Ganz zu schweigen von der Gefahr, erneut in ein Raumgefecht zu geraten. „Was mich betrifft, Sir, halte ich die Stellung“, sagte Kyle kurz darauf. „Ich bin ledig, und meine Eltern sind tot. Agent Diel dagegen ist verheiratet und hat Kinder…“ „Ich bleibe ebenfalls“, fiel ihm Brad ins Wort. „Wann bekommt man schon mal die Chance, in den illustren Omegazirkel aufgenommen zu werden?“ „In Ordnung.“ Bushkin lächelte dünn. „Ich brauche nicht zu betonen, wie wichtig Ihre Aufgabe nicht nur für das GIIC, sondern für die gesamte Erde ist. Offenbar haben die Regierung und das Zentrale Flottenkommando beschlossen, die Situation schönzureden und in Zweckoptimismus zu verfallen. Hoffen wir, daß sie recht behalten. Ich irre mich nur ungern, aber heute bin ich bereit, eine Ausnahme zu machen.“ „Sie können sich auf uns verlassen, Sir“, versicherte Kyle. „Davon bin ich überzeugt.“ Der Leiter des GIIC lehnte sich in seinem Sessel zurück, und plötzlich wirkte er so schläfrig und desinteressiert, wie es sein Markenzeichen geworden war. „Ich habe für unsere zukünftige Kommunikation eine Verschlüsselungs- und Frequenzmodulationsroutine installieren lassen, die Ihnen unter Babel-3 bekannt ist, Agent Larkin“, sagte er aufreizend gleichgültig. „Weisen Sie Agent Diel ein. Ich erwarte Ihre Berichte. Haben Sie noch Fragen?“ Wieder wechselten die beiden GIIC-Mitarbeiter einen kurzen Blick. Kyle schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Sollten uns welche einfallen, lassen wir von uns hören.“ Er grinste flüchtig. „Die Retter der Menschheit melden sich ab. Larkin, Ende.“ Bushkin blieb eine Weile reglos vor seinem Schreibtisch sitzen und betrachtete scheinbar versonnen seine Fingernägel. Dann kam wieder Leben in ihn. Er aktivierte die Sprechverbindung zu seinem persönlichen Sekretär. „Johansen, nehmen Sie den Finger aus der Nase und kommen Sie sofort in mein Büro!“ befahl er. „Heute ist Dir Glückstag. Sie dürfen eins Ihrer berühmten Memos an Präsident Jurismaaki verfassen.“ * „Sir, die Evakuierungsverfügung für den Katastrophenfall wurde von Ihnen persönlich nach Ihrer Amtsübernahme bestätigt“, sagte General Martell gereizt. Seine Augen waren gerötet. Seit dem Beschuß des Kugel38
raumers waren fünfzehn Stunden vergangen, und er hatte keine ruhige Minute mehr gehabt. „Das mag richtig sein, General“, erwiderte Präsident Jurismaaki nicht minder gereizt. „Aber offenbar haben Sie immer noch nicht bemerkt, daß die akute Gefahr vorüber ist. Momentan haben wir keinen Katastrophenfall. Das feindliche Raumschiff wurde von uns zerstört.“ „Vermutlich zerstört“, korrigierte Martell. „Selbst Admiral Connils räumt ein, daß es keine definitiven Beweise für den Erfolg unserer Maßnahmen gibt.“ „Definitive Beweise gibt es im realen Leben für gar nichts“, knurrte der Präsident. „Fakt ist aber, daß der Kugelraumer nicht mehr da ist und die Raumüberwachung keine weiteren Fremdschiffe in ihrem Erfassungsbereich geortet hat. Was wollen Sie mehr? Sollen wir uns solange in Ihrem Bunker verkriechen, bis Sie uns die Erlaubnis erteilen, nach World City zurückzukehren?“ Wenn es nach mir ginge, dachte Martell, würde ich dich bis zu den nächsten Wahlen im tiefsten Keller von T-XXX einschließen. Es war ihm ein Rätsel, wie es dieser Mann geschafft hatte, zum Präsidenten der Weltregierung gewählt zu werden. Mit Sicherheit nicht Jurismaakis persönliches Verdienst, sondern das seiner einflußreichen Pan-Demo-Partei. „Laut den mir vorliegenden Informationen“, wich der General einer direkten Antwort aus, „gibt es ernstzunehmende Indizien, daß das feindliche Raumschiff nicht zerstört wurde, sondern das Sonnensystem genauso plötzlich verlassen hat, wie es aufgetaucht ist.“ Jurismaakis Augen wurden schmal. „Und aus welcher Quelle beziehen Sie diese Informationen, über die nicht einmal das Zentrale Flottenkommando verfügt?“ „Vom GIIC. Und die Informationen liegen dem Zentralen Flottenkommando sehr wohl vor. Zwei GIIC-Mitarbeiter waren unmittelbar nach dem Gefecht im betroffenen Sektor. Sie haben…“ „Das GIIC hat Agenten in das Gefechtsgebiet geschickt?“ „Nein, Sir. Zwei seiner Leute waren zufällig im Orbit. Direktor Bushkin, der Chef des GIIC, hat mehrfach vergeblich versucht, mit Ihnen zu sprechen. Er hat sich mit mir in Verbindung gesetzt, und ich habe sein Memo an Sie weiterleiten lassen. Es liegt Ihrem Büro seit sechs Stunden mit dem Vermerk Eilt vor.“ Ton Jurismaakis Gesicht verdüsterte sich. „Wenn ich alle Memos und Eilmeldungen lesen wollte, die sich allein heute bei mir stapeln, brauchte ich eine zweite Amtszeit. General, ich habe Ihre Empfehlung zur Kenntnis genommen, und Sie kennen meine Antwort. Solange es nicht zu weiteren Feindseligkeiten kommt, bleibt die Regierung in World City.“ Der Präsident rang sich ein Lächeln ab. „Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, und viel39
leicht werden wir früher bei Ihnen erscheinen, als Sie glauben, aber bis dahin bitte ich Sie, sich nur im äußersten Notfall bei mir zu melden. Sie werden bestimmt verstehen, daß hier der Teufel los ist. Jurismaaki, Ende.“ Der Monitor auf John Martells Schreibtisch zeigte übergangslos das Emblem der Weltstaaten, bevor der General zu einer Antwort ansetzen konnte. Martell seufzte und rieb sich die vor Müdigkeit brennenden Augen. Fast war er erleichtert, daß Jurismaaki die Verbindung von sich aus getrennt hatte. Fast… Als Soldat hatte er gelernt, persönliche Vorbehalte gegen Vorgesetzte zurückzustellen und sich auf seine Pflicht zu konzentrieren. Und zu diesen Pflichten gehörte nun einmal der Schutz der Regierung der Weltstaaten und ihres obersten Repräsentanten. Man mußte kein Pessimist sein, um zu befürchten, daß der Kugelraumer, sofern er tatsächlich zerstört worden war, einen Notruf an seine Basis oder seinen Flottenverband abgeschickt hatte. Alle irdischen Raumschiffe verfügten über vergleichbare Notfallprogramme. Und sollte eine größere Anzahl Kugelraumer mit einer vergleichbaren Feuerkraft genauso unvermittelt über der Erde auftauchen, würde die Regierung kaum die Zeit zu einer geordneten Übersiedlung nach T-XXX finden. Der Kommandant der Geheimstation aktivierte die Gegensprechanlage. „Bowden?“ Sein Stellvertreter meldete sich kaum drei Sekunden später. „Sir?“ „Sie wissen, was zu tun ist. Die Alpha-Order bleibt in Kraft, auch wenn Präsident Jurismaaki sich weiterhin weigert, den planetaren Katastrophenfall auszurufen. T-XXX muß bereit sein, jederzeit alle erforderlichen Maßnahmen für die Evakuierung der Regierung zu ergreifen.“ „Ich habe verstanden, General. Gönnen Sie sich endlich eine Pause?“ Bowden selbst hatte – auf ausdrücklichen Befehl seines Vorgesetzten – vier Stunden geschlafen. Martell schnaubte. „Zwei Stunden, von jetzt an. Keine Minute länger. Sie wecken mich, wenn Sie bis dahin nichts von mir hören. Ich schlafe auf der Liege in meinem Büro. Martell, Ende.“ Er zog die Uniformjacke aus, und als er sich streckte, um die verkrampften Muskeln zu lockern, konnte er den klebrigen Schweiß unter seinen Achselhöhlen riechen. Zwei Stunden Schlaf, dachte er. Und dann noch einmal zehn Minuten für eine Dusche und eine Rasur. So viel Zeit muß sein. Es sollte ein Wunschtraum bleiben. Als er kaum eine Stunde später vom Heulen der Alarmsirene geweckt wurde, wußte er, daß sich seine Befürchtungen bewahrheitet hatten. * 40
Diesmal war es Kyle Larkin, der die Außenarbeiten übernommen hatte, während Brad im Cockpit des Shuttles die Instrumente kontrollierte und den Bordrechner mit den Angaben seines Kollegen fütterte. Die Beschädigungen der Hauptantriebsdüse und der Brennkammer waren mit bloßem Auge von außen kaum wahrnehmbar. Ein Partikel von Stecknadelkopfgröße hatte die Titan-Iridium-Ummantelung der Düse durchschlagen und ein winziges Loch hinterlassen. Da für das Bremsmanöver eine sanfte Dosierung des Schubs ausreichte, ließ sich die Antriebsdüse mit Bordmitteln notdürftig flicken. Nach Wiedereintritt in die Atmosphäre würde der SILBERPFEIL ohnehin im antriebslosen Gleitflug landen. Der Defekt in der Brennkammer stellte dagegen ein viel größeres Problem dar. Kyles Spezialgebiet war Elektronik und Kommunikationstechnik, und eigentlich war ihm von Anfang an klar gewesen, daß er und Brad die Sensorelemente in der Brennkammer nicht ohne fremde Hilfe würden reparieren können. Jetzt ging es nur noch darum, Art und Ausmaß der Schäden abzuschätzen, um die benötigten Komponenten und Raumfahrttechniker mit entsprechendem Werkzeug anzufordern. Doch wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, mußte er zugeben, daß ihm auch das nur als Ausrede diente, um sich und seinen Partner abzulenken. „Das Hauptproblem scheinen nicht Temperatur- und Gemischregler, sondern die Innendruckkontrolle zu sein“, meldete er die letzten Ergebnisse seiner Messungen. Er hatte sich mit Magnetklammern auf dem Rumpf vor der Heckflosse verankert und in stundenlanger Arbeit die hitzebeständige Isolierung vor einer winzigen Wartungsluke entfernt, um seine Meßinstrumente möglichst nahe der Brennkammersensorik anschließen zu können. „In der Brennkammer selbst kann ich keine Fremdpartikel anmessen. Die Innenwandung ist offensichtlich intakt. Mir ist schleierhaft, wie die Druckfühler beschädigt worden sind.“ „Vermutlich durch eine Kombination aus harter Gammastrahlung und dem Absturz der Backup-Programme“, ertönte Brads Stimme dumpf in seinem Helm. Die Funkübertragung funktionierte einwandfrei, es lag an Brad, daß er etwas undeutlich und leiernd sprach. Der GIIC-Techniker litt stärker als Kyle unter den Nachwirkungen der Dekontaminierungsprozedur. „Oder an einem massiven Rückkopplungseffekt, als der zweite Sicherungskreislauf durch die elektromagnetischen Impulse zusammengebrochen ist“, sagte Kyle. „Wenn wir eines der modernen Shuttles der Raumflotte hätten…“ „Kyle!“ fiel ihm Brad unvermittelt ins Wort. Seine Stimme klang plötzlich nicht mehr dumpf, sondern schrill. „Ich denke, du solltest besser sofort 41
wieder an Bord kommen!“ „Wieso?“ „Hör selbst.“ Es knackte in Kyles Helmlautsprecher, als Brad ihn in den allgemeinen Raumfunk einschaltete. „…keine weiteren Erkenntnisse verfügbar“, sprudelte ein Sprecher der Raumüberwachung gerade hervor. „Präsident Jurismaaki wird soeben informiert. Admiral Connils hat den Katastrophenfall ausgerufen. Alle zivilen Schiffe haben sich widerspruchslos den Anordnungen des Zentralen Flottenkommandos zu fügen. Ich wiederhole: Eine noch unbekannte Anzahl fremder Raumschiffe ist zwischen dem 50. und 35. Breitengrad über dem Atlantik aufgetaucht. Die Schiffe besitzen Kugelform und stehen in 500 bis 800 Kilometern Höhe über der Erde. Zur Zeit sind keine weiteren Erkenntnisse…“ Kyle drehte die Lautstärke herunter. „Hast du sie in der Ortung?“ fragte er schnell. „Positiv“, bestätigte Brad. „Aber die Anzeigen liefern völlig chaotische Daten. Die Zahl und Entfernung der Objekte scheint ständig zu schwanken, und auch ihre Größe und Masse fluktuiert. Entweder ist der Suprasensor…“ „Halt mir keine Vorträge“, unterbrach ihn Kyle. Er löste die Magnetklammern und begann, sich zur offenen Ladeluke des Frachtraumes zu ziehen. „Alle Energiesysteme bis auf passive Ortung und Cockpitnotbeleuchtung abschalten. Absolute Funkstille. Empfänger auf Minimalleistung, Suprasensor auf Notbetrieb. Flugstabilisierungskreisel aus. Wir spielen toter Mann. Verstanden?“ „Aber…“ ,Agent Diel, das ist ein Befehl! Larkin, Ende!“ Kyle wartete keine Bestätigung ab und deaktivierte sämtliche Funktionen seines Raumanzuges. Für die wenigen Minuten, die er benötigte, um den Frachtraum zu erreichen und die Ladeluke manuell zu schließen, reichte das chemische Luftfiltersystem in seinem Anzug, das überschüssiges Kohlendioxid band. Wahrscheinlich übertrieb er die Vorsichtsmaßnahmen, aber er wollte nicht das geringste Risiko eingehen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, als er die Schleuse zum Cockpit hinter sich schloß und den Helm abnahm. Brad saß angespannt vor der Instrumentenkonsole, die bis auf wenige Anzeigen dunkel war. Die Lautsprecher liefen mit einer Wiedergabeleistung von nicht einmal zwei Watt. Befehle, Meldungen und Anfragen von Raumschiffen und planetaren Militärbasen jagten sich in hektischer Folge, von einem unheimlich verzerrten Dauerton untermalt. „Haben wir Sichtkontakt zu den Kugelraumern?“ erkundigte sich Kyle, während er sich auf dem Kommandositz anschnallte. 42
Brad deutete auf die Frontscheibe. „Die glitzernden Punkte dort dicht über dem Horizont bewegen sich. Keine Ahnung, ob das unsere Schiffe oder die der Fremden sind.“ Seit dem Beschuß des Kugelraumers über der amerikanischen Ostküste wimmelte der erdnahe Raum von Einheiten der Vereinigten Raumflotte in allen Klassen und Größen. „Noch tut sich nichts. Aber es kann nur noch eine Frage von Minuten sein, bis der Feuerzauber wieder losgeht.“ Er schluckte vernehmlich. „Und wir stecken natürlich wieder mitten drin.“ Kyle überprüfte die Anzeigen der Passivortung. Wie Brad gesagt hatte, waren die Werte verwirrend. Nur in einem Punkt bestand Klarheit: Der SILBERPFEIL trieb auf seinem Orbit von den Objekten weg. „…Jägerstaffeln fünf und sechs…“, quäkten die Lautsprecher blechern, und dann war nur noch Knistern und Krachen zu hören, als grelle Strahlenbahnen durch die Schwärze des Alls blitzten. Das Shuttle befand sich zwar in dem von der Raumüberwachung bezeichneten Korridor, aber es entfernte sich in südöstlicher Richtung von dem Pulk der Kugelraumer, die jetzt unter Dauerbeschuß aus planetaren Abwehrbasen und Kampfschiffen der Solaren Flotte standen. Soeben ließ es die Azoren hinter sich zurück. „Sieht so aus, als hätten wir Glück gehabt“, murmelte Kyle. „Und bei der nächsten Erdumrundung befinden wir uns südlich des Äquators.“ „Eine Gnadenfrist, nichts weiter“, erwiderte Brad rauh. „Da, die Schiffe der Fremden teilen sich auf.“ Die Ortungsechos auf dem Monitor strebten rasend schnell auseinander und verschwanden aus dem Erfassungsbereich des Shuttles. Kyle und Brad starrten einander wortlos an. In den Lautsprechern knisterte und jaulte es monoton, hin und wieder von unverständlichen Wortfetzen unterbrochen. „Wir müssen davon ausgehen, daß wir auf unbestimmte Zeit auf uns allein gestellt sind“, sagte Kyle schließlich. „Und es ist klar, daß die Jungs von der Raumflotte keine Rücksicht auf ein einzelnes Shuttle nehmen können. Du weißt, was das bedeutet?“ Brad nickte. „Ich werde vorsorglich einen Abschiedsbrief an Lydia und die Kinder schreiben und als gerafften Funkspruch an unseren Kontaktmann in Darwin schicken, falls wir noch leben, wenn wir das nächste Mal Nordaustralien passieren. Was ist mit dir? Bist du noch mit dieser Rothaarigen zusammen?“ „Sybill?“ Kyle seufzte. „Nein, und zum ersten Mal bin ich froh, wieder solo zu sein. Aber ich werde versuchen, meine Exfrau zu erreichen, und ihr raten, sich in der Jagdhütte in den Bergen von Idaho zu verkriechen. Am gefährlichsten dürfte es in den Städten sein…“ Er schwieg einen Moment lang, warf einen Blick auf die Ortungsmonitore und räusperte sich. „Scheint 43
so, als wären keine Kugelraumer in der Nähe. Also werde ich unser Baby wieder kurz aktivieren.“ „Was hast du vor?“ „Wir versetzen das Shuttle in eine langsame Taumelbewegung. Langsam genug, daß uns nicht schwindlig wird, aber so chaotisch, als wäre der SILBERPFEIL ein manövrierunfähiges Wrack. Vielleicht gelingt es uns dadurch, die Fremden auszutricksen.“ * Man konnte Tori Jurismaaki einiges vorwerfen, aber Feigheit gehörte nicht dazu. Seine Weigerung, die Regierung nach T-XXX zu evakuieren, hatte sowohl persönliche als auch pragmatische Gründe. Wie er John Martell erklärt hatte, wollte er vermeiden, daß die ohnehin schon schwärende Angst der Bevölkerung in offene Panik umschlug. Außerdem befürchtete er nicht zu Unrecht eine vorübergehende Lähmung der Regierungsarbeit in einer mehr als kritischen Phase. Vor allen Dingen aber wäre es ihm so vorgekommen, als verließe er als erster das sinkende Schiff, wenn er sich in die Sicherheit der Geheimstation unter dem Mount King verkroch, während die Zivilisten auf der Erde und die Militärs im All einer eventuellen Invasion von Außerirdischen schutzlos ausgeliefert waren. Und nicht zuletzt argwöhnte er, daß die Wähler ein Untertauchen der Regierung im Krisenfall durch einen massiven Stimmenverlust für seine Pan-Demo-Partei bei den noch in diesem Jahr anstehenden Wahlen quittieren würden. „Also, was halten Sie von Bushkins Memo?“ fragte er den für die Koordination der Sicherheitsdienste zuständigen Staatssekretär. Ullman, ein korpulenter Mann mit beginnender Stirnglatze, zuckte die Achseln. „Zumindest General Martell scheint es ernstzunehmen. Connils äußert sich ziemlich ausweichend, aber das Zentrale Flottenkommando war noch nie sonderlich gut auf das GIIC zu sprechen. Seine eigene Aufklärungsabteilung…“ „Ich kann in dieser Situation durchaus auf alberne Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Behörden verzichten!“ fauchte Jurismaaki. „Wieso ist das GIIC überhaupt noch aktiv? Ich dachte, wir hätten dem Laden die Zuschüsse gestrichen.“ „Der Laden, wie Sie ihn nennen, Sir“, erwiderte Ullman mit einem Anflug von Schadenfreude, „ist nicht auf Regierungsgelder angewiesen. Er finanziert sich nicht nur selbst, indem er Konzerne in Fragen von Industriespionageabwehr berät, als ziviler Informationslieferant mit Wissenschaftsinstituten zusammenarbeitet und ein höchst effektives Kommunikationsnetz betreibt, er erwirtschaftet sogar Überschüsse, die er in den 44
Staatshaushalt abführt.“ Jurismaaki winkte ab. Er hatte nur kurz und schlecht geschlafen, und er erstickte nahezu in Anfragen, dringenden Gesuchen und einer unüberschaubaren Flut an Meldungen militärischer und ziviler Behörden. Die Sonne war noch nicht über World City aufgegangen, aber im Regierungskomplex herrschte eine Hektik wie in einem angestochenen Hornissennest. „Sie beurteilen Bushkins Schlußforderungen also als glaubwürdig?“ „So wie ich den Chef des GIIC kenne, Sir“, sagte Ullman vorsichtig, „neigt er nicht zu Übertreibungen und Panikmache. Wir sollten seine Situationseinschätzung also ernstnehmen.“ „Und unverzüglich nach T-XXX umsiedeln?“ „Ich würde dazu raten, Sir.“ „Hmmm…“ Tori Jurismaaki trommelte unschlüssig mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. „Wie lange würden die Vorbereitungen dauern?“ „Die Vorbereitungen sind längst abgeschlossen. Wir könnten sofort…“ Das Vipho auf dem Schreibtisch des Präsidenten erwachte zum Leben. „Sir, ein Dringlichkeitsspruch von Admiral Connils“, meldete die Sekretärin im Vorzimmer gehetzt. „Ich schalte durch.“ Die Abbildung von Connils’ Gesicht entstand auf dem Bildschirm. Es war grau. „Eine noch unbestimmte Anzahl Kugelraumer ist soeben über dem Atlantik aufgetaucht!“ stieß er mit heiserer Stimme hervor. Jäger- und Zerstörerstaffeln der Raumflotte gehen auf Abfangkurs, die Laserstellungen und Raketenbasen werden jeden Moment das Feuer eröffnen. Aber bei dieser Übermacht dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben. Treffen Sie alle erdenklichen Maßnahmen, um sich und die Regierung zu schützen!“ „Die Evakuierung nach T-XXX?“ fragte Jurismaaki kreidebleich. „Dazu ist es jetzt zu spät, Sir. Benutzen Sie vorläufig den Luftschutzkeller im Regierungskomplex. Sobald wir die Situation einschätzen können, erstatten wir Ihnen Bericht. Gott schütze die Menschheit und die Erde!“ Admiral Connils schaltete ohne ein weiteres Wort ab. Jurismaaki starrte wie betäubt aus dem Panoramafenster seines Arbeitszimmers. Über World City brach gerade die Morgendämmerung herein. Es war die letzte Morgendämmerung, die der Präsident der Erde und viele Millionen Menschen überall auf dem Planeten erleben sollten. * „Verdammt!“ brüllte John Martell. „Verdammt! Verdammt! Verdammt!“ Captain Bowden war noch nie Zeuge eines derartigen Wutausbruchs 45
seines Vorgesetzten gewesen, und er hätte ihn auch nie für möglich gehalten. Aber angesichts der sich anbahnenden Katastrophe wunderte ihn überhaupt nichts mehr. Der Führungsstab der Geheimstation T-XXX hatte sich in der Beobachtungszentrale versammelt, doch es gab kaum etwas zu beobachten. Der größte Teil der Monitore zeigt nichts außer einem konturlosen Flimmern. Eine gigantische Schockwelle elektromagnetischer Impulse von verheerenden Ausmaßen hatte fast den gesamten Funkverkehr zum Erliegen gebracht. Bild- oder Tonübertragungen sowie andere Formen der Informationsübermittlung funktionierten nur noch über die weltumspannenden Kabelnetze, und selbst in denen kam es zu immer mehr Ausfällen. Vielleicht, dachte Bowden, ist es auch besser so. Es war schon schwer genug, zur Untätigkeit verdammt zu sein, auch ohne den Untergang der menschlichen Zivilisation mitverfolgen zu müssen. Und daran, daß das Ende der Menschheit bevorstand, zweifelte Bowden nicht mehr. Der gewaltigen Feuerkraft der Fremden hatte die Erde nichts entgegenzusetzen. Auf einem der Monitore erschien plötzlich wieder ein gestochen scharfes Bild, und Bowdens Magen krampfte sich zusammen. Er kannte den Ort mit den berühmten Startrampen und den legendären Montagehallen aus den Kindertagen der irdischen Raumfahrt. Das Kennedy Space Center auf Cape Canaveral. Es wurde seit vielen Jahren kaum noch benutzt. In erster Linie diente es als Touristenattraktion. Besser gesagt, es hatte als Touristenattraktion gedient. Jetzt glich es einer Trümmerwüste, durch die eine Horde wahnsinnig gewordener Riesen gestampft zu sein schien. Von den meisten Gebäuden waren nicht einmal Ruinen übriggeblieben, die diese Bezeichnung verdienten. Hier und da loderten Feuer in den von unvorstellbaren Gewalten zusammengequetschten Geröllhaufen, und dunkle Rauchwolken verhüllten gnädig den größten Teil der Zerstörungen. Bowden fragte sich, welche Kamera die Aufnahme lieferte, die sie hier sahen, und weshalb sie überhaupt noch funktionierte. Als wäre sein Gedanke ein Stichwort gewesen, brach das Bild zusammen. „Verdammt…“, Martells Stimme sank zu einem Flüstern herab. Er drehte sich langsam um, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Schultern erschlafften, seine Lippen zitterten, und seine Augen starrten die Offiziere und Techniker an den Kontrollkonsolen an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Trotzdem wagte es niemand, den Blick des Generals zu erwidern. „Noch immer keine Verbindung mit World City“, meldete ein junger Leutnant rauh. „Auch nicht mit Cent Field.“ Er senkte den Kopf und fin46
gerte nervös an der Tastatur seines Terminals herum, als er keine Antwort erhielt. „…die Hälfte unserer Einheiten verloren…“, ertönte plötzlich die verzweifelte Stimme eines unbekannten Raumfahrers, „…manövrierunfähig… Vakuumeinbruch…“ Das nachfolgende erstickte Keuchen konnte auch eine Tonstörung gewesen sein. Zumindest redete sich Bowden das ein. Martell löste sich aus seiner Erstarrung und marschierte wie ein Roboter auf ein Kontrollpult zu, an dem zwei Kommunikationsspezialisten hektisch herumhantierten. Bowden konnte nicht hören, was der General sie fragte, aber das Kopfschütteln der Männer war Antwort genug. Auch zu den anderen T-Stationen war die Verbindung abgerissen. Das einzige, was problemlos funktionierte, waren die optischen und akustischen Außenüberwachungsysteme von T-XXX in versteckten Höhlen und Felsspalten des Mount King. Die teilweise noch schneebedeckte Gebirgslandschaft lag friedlich unter einem blauen Morgenhimmel da, über den ein paar Schäfchenwolken trieben. Junges Grün bildete einen auffälligen Kontrast zu den blendend weißen Schneeflächen. Der Tachat River glitzerte unter den Strahlen der aufgehenden Sonne wie flüssiges Silber. Das leise Pfeifen und Rauschen in den Lautsprechern stammte von einem schwachen Wind, der über die Schrunde und Spalten des majestätischen Berggipfels strich. Ein Bild wie aus einem Reiseprospekt. Erst als es vor seinen Augen verschwamm, bemerkte Captain Bowden, daß er weinte. * Es war kein Zufall, daß die geheime GIIC-Zentrale wie T-XXX unter einem Netz aus Silberadern in einem stillgelegten Bergwerksschacht lag. Die Kombination aus massivem Gestein und Silber bildete einen perfekten Ortungsschutz. Zumindest nach menschlichen Erkenntnissen. Ob sie auch der Ortung der außerirdischen Aggressoren standhalten würde, blieb abzuwarten. Und viel mehr, als in ihrem Versteck abzuwarten, konnten Pavel Bushkin und seine Leute vorläufig auch nicht tun. Kurz nach Beginn der Gefechte waren die meisten Kommunikationswege zur Außenwelt Schritt für Schritt blockiert worden. Der Äther schien in Aufruhr geraten zu sein, Festleitungsnetze wurden durchtrennt. Die Techniker arbeiteten fieberhaft, und die Analytiker verschmolzen geradezu mit ihren Suprasensoren, doch bisher wurden ihre Bemühungen von wenig Erfolg gekrönt. 47
Vorsichtshalber hatte Bushkin das Personal in der Spedition über dem geheimen Hauptquartier, in der sich die Ein- und Ausgänge zum Nervenzentrum des GIIC verbargen, bis auf eine fünfköpfige Notbesatzung abgezogen. Daß die Spedition, die mehr als nur eine Tarnung war und tatsächlich Fracht für das GIIC und andere Kunden transportierte, ihren Betrieb eingestellt hatte, würde angesichts der Wirren niemanden verwundern. Jetzt patroullierte Bushkin durch seine Station wie ein einsamer Feldherr durch eine belagerte Festung. Seine scheinbare Ruhe trog. Tief in ihm brodelte ein Vulkan. Vor wenigen Minuten war die letzte Verbindung nach World City ausgefallen. Der altmodische Glasfaserstrang, der einen fast fehlerfreien Datentransfer gewährleistet hatte, schien nach wie vor intakt zu sein, denn die GIIC-Zweigstelle südlich von World City im ehemaligen Bundesstaat Georgia sendete immer noch das Bereitschaftszeichen, aber von World City kamen nicht einmal mehr automatische Empfangsbestätigungen. Absolut nichts. Auch die offizielle GIIC-Zentrale im Galaxy Center von Montreal, in der einer von Bushkins zwei Stellvertretern ausharrte, bekam keinen Kontakt zu den Luftschutzbunkern in World City. Für das Schweigen des Regierungssitzes konnte es eine Vielzahl von Gründen geben, aber Pavel Bushkin machte sich nichts vor. Bruchstückhafte Informationsfetzen der Raumradarstation Rl-1, von den Experten des GIIC ausgeweitet, deuteten auf einen kleinen Verband von Kugelraumern hin, der über World City in Stellung gegangen war. Und in einer letzten Botschaft aus dem Regierungsbunker war von einem heftigen Erdbeben die Rede gewesen. Kein Beschuß durch energetische Waffen, keine Detonationen nuklearer Gefechtsköpfe, keine Hitzeentwicklung und keine nennenswerte r-Strahlung, nur seismische Schwingungen von hoher Intensität. Bushkin glaubte nicht an Zufälle. World City lag in einem geologisch stabilen Bereich. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Erde dort ausgerechnet jetzt von allein zu beben begonnen hatte, war vernachlässigbar gering. Vermutlich hatten die Invasoren eine unbekannte Waffe eingesetzt. Schon seit geraumer Zeit bastelten Mathematiker und theoretische Physiker auf der Erde an einer Theorie, Gravitationswellen zu verstärken oder zu neutralisieren. Es wäre eine optimale Waffe mit einem hohen Wirkungsgrad, ohne unerwünschte Nebeneffekte wie starke Hitzeentwicklung und chemische oder radioaktive Kontamination der näheren Umgebung des anvisierten Ziels. Und eine technisch überlegene Rasse, wie es die Fremden offensichtlich waren, konnte durchaus über eine solche Gravitationskanone verfügen. Trotz seiner Ungeduld und Anspannung verzichtete Pavel Bushkin darauf, seine Mitarbeiter durch Fragen nach neuen Erkenntnissen oder Theo48
rien für das Chaos im elektromagnetischen Medium der Erde aus ihrer Konzentration zu reißen. Er wußte, daß man ihn sofort informieren würde, sobald man auf einen Ansatzpunkt gestoßen war. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, trat ihm eine verhärmt aussehende Frau in den Weg und wedelte mit einem elektronischen Lesestift vor ihm herum. „Chef, wir haben da vielleicht eine Spur entdeckt!“ sprudelte sie hervor. „Es scheint Frequenzfenster im Kurzwellenbereich zu geben, die sich in unregelmäßigem Abstand und für unterschiedliche Dauer öffnen. Auch die Frequenz selbst ist uneinheitlich und schwankt stark. Noch haben wir kein Muster feststellen können, aber die Frequenzfenster kündigen sich durch einen auffälligen Impuls an.“ „Gibt der Impuls Aufschluß über Wellenlänge oder Dauer dieses… Frequenzfensters?“ Die Frau nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Ihr Lesestift stach Bushkin beinahe ein Auge aus, als ihre Hand vorzuckte. „Nicht über die Dauer, aber möglicherweise über die Wellenlänge. Und bei einem stark gerafften Funkspruch reicht schon eine Sekunde, um Unmengen an Daten zu übermitteln.“ „Hätten wir eine Möglichkeit, ein solches komprimiertes Datenpaket zu einem unserer Satelliten hochzuschicken?“ wollte Bushkin wissen. „Ein Paket, das ein entsprechendes Programm enthält…“ „Genau das ist ja passiert!“ unterbrach ihn die GIIC-Mitarbeiterin eifrig. Sie strahlte über das ganze Gesicht, was Bushkin in Anbetracht der Lage unangemessen erschien. „Oder, vielmehr, eher umgekehrt. Wir haben eine Sendung aus dem Orbit empfangen. Kein Programm, nur eine Nachricht. Eine gebündelte KW-Botschaft von nicht einmal einer Zehntel Sekunde Dauer. Die hat uns auf die Spur gebracht.“ „Larkin?“ „Richtig, der hübsche Junge mit dem Knack… äh, Kyle Larkin, ja. Pete und sein Team sind gerade dabei, ein Programm zu schreiben, das die Satelliten in die Lage versetzt, den Impuls zu erkennen und daraufhin selbständig die Frequenz so zu wechseln…“ „Und sollte uns das gelingen, könnten wir im Verbund mit den alten Glasfaserkabeln einen Teil der planetaren Kommunikation wiederherstellen“, spann Bushkin den Gedanken weiter. „Gut, arbeiten Sie mit Hochdruck in dieser Richtung, bedienen Sie sich aller verfügbarer Kapazitäten. Wir müssen nach jedem Strohhalm greifen, um an Informationen zu gelangen. Das war schon immer unser Geschäft, und in dieser Lage könnten Informationen für uns und die Erde wichtiger sein als jemals zuvor.“ Die Frau strahlte erneut, wirbelte herum und eilte davon. Larkin, dachte Bushkin. Gut, daß der Bursche da oben nicht nur die Au49
gen für uns offenhält, sondern trotz der Hölle, die im Orbit toben muß, nach einer Lösung sucht. Hoffentlich schafft er es irgendwie, heil auf die Erde zurückzukommen. * „Das war’s!“ stöhnte Brad resigniert. „Mit der Kiste kommen wir nie heil auf die Erde zurück.“ Er starrte durch die Seitenluke auf die Backbordtragfläche des Shuttles, deren Ende fehlte. Ironischerweise stammte der Laserstrahl, der den SILBERPFEIL zu einem wertlosen Haufen Raumschrott geschossen hatte, von einem Zerstörer der Solaren Flotte. Wie als Bestrafung für diese Missetat war der Zerstörer einen Herzschlag später von einem 200 Meter durchmessenden Kugelraumer in eine winzige Kunstsonne verwandelt worden. Jetzt taumelte das Shuttle noch chaotischer als nach Kyles letzter Aktivierung der Manövrierdüsen. Es war nicht länger nötig, die außerirdischen Invasoren zu täuschen. „Sieh es positiv“, sagte Kyle, ohne von seinem Monitor aufzublicken. „Unsere Lebenserhaltungssysteme sind weiterhin intakt, und bei dem Dauerfeuer ist es unmöglich, unsere Energieemissionen anzumessen. Ich schätze, unsere Lebenserwartung ist beträchtlich gestiegen. Zumindest für einige Tage oder Wochen, solange Luft, Wasser und Nahrung reichen.“ „Fragt sich nur, ob es sich überhaupt lohnt, noch eine Weile am Leben zu bleiben“, murmelte Brad düster. Während Kyle fieberhaft daran arbeitete, dem Grund für die von ihm entdeckten Frequenzfenster auf die Spur zu kommen und ein Muster in ihrem scheinbar chaotischen Auftreten zu entdecken, fiel dem Techniker die undankbare Aufgabe zu, den Verlauf der Raumschlacht und die Verwüstungen auf der Erdoberfläche zu dokumentieren. Bisher war die Bilanz mehr als ernüchternd. Die Schiffe der Vereinigten Raumflotte hatten den Kugelraumern nichts entgegenzusetzen, weder an Feuerkraft, noch an Beschleunigung und Manövrierfähigkeit. Und im Gegensatz zu den Fremden verfügten sie über keinerlei Schutzschirme. Einzig ein kleinerer Kugelraumer mit rund hundert Metern Durchmesser schien wenigstens leicht beschädigt worden zu sein, soweit Brad das hatte beobachten können. Offenbar hatte der konzentrierte Punktbeschuß mehrerer irdischer Einheiten seinen Schutzschirm kurzfristig durchdringen können und eine Explosion im Äquatorbereich verursacht. Trotzdem war es dem Schiff der Fremden gelungen, sich mit einem blitzschnellen Ausweichmanöver aus der Gefahrenzone zurückzuziehen. 50
Ein bescheidener Erfolg, denn die irdischen Jäger und Leichten Kreuzer, die den Angriff geflogen hatten, waren von zwei anderen Kugelraumern in die Zange genommen und zu Schlacke zerstrahlt worden. Brad fragte sich, warum die Vereinigte Raumflotte überhaupt noch Gegenwehr leistete. Angesichts der erdrückenden Überlegenheit der Außerirdischen wäre es vermutlich sinnvoller gewesen, die Schiffe zurückzuziehen, den einseitigen Schlachtverlauf in sicherer Entfernung zu analysieren und zu versuchen, eine neue Strategie zu entwickeln. Doch er wußte, daß er es aller Vernunft zum Trotz selbst nicht über sich gebracht hätte, die Erde und Milliarden von Menschen einfach im Stich zu lassen, wenn er der Kommandant eines kampffähigen Raumschiffs gewesen wäre. Schlimmer noch als die Verluste der Raumflotte waren die Zerstörungen auf der Erde selbst. Die Schlacht tobte noch keine zwölf Stunden, und schon waren die Hälfte der planetaren Raketen- und Geschützstellungen ausgeschaltet worden. Ausgeschaltet worden… dachte Brad bitter. Der Verstand schützte sich mit neutralen Formulierungen, um die Katastrophe halbwegs unbeschadet zu verkraften. Vernichtet, ausradiert, ausgelöscht, das waren die treffenderen Bezeichnungen. Und nicht nur militärische Ziele fielen der mörderischen Zerstörungswut der Aggressoren zum Opfer, auch zivile Anlagen und sogar Städte wurden von ihnen nicht verschont. Nicht immer schien das Vorgehen der Unbekannten einem nachvollziehbaren Plan zu folgen. Während Nordamerika, Afrika und Asien unter Dauerbeschuß standen, waren Europa, Australien und Südamerika bisher noch relativ glimpflich davongekommen. Gott im Himmel, gib, daß es so bleibt! betete Brad stumm. Schütze Lydia und die Kinder. Nimm mich, wenn es sein muß, aber behüte meine Familie! Er programmierte gerade eine auf Nairobi gerichtete Infrarotkamera um, als er aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung vor dem Sternenhimmel wahrnahm. Durch das Taumeln des SILBERPFEIL um drei Achsen schienen die Sterne einen ununterbrochenen schwindelerregenden Tanz aufzuführen, doch dieser grell leuchtende Punkt folgte einer anderen Bahn. Und er schwoll schnell an. „Kyle!“ rief Brad. „Was?“ „Irgend etwas kommt direkt auf uns zu.“ „Moment, ich bin gerade…“ „Was auch immer du tust, das solltest du dir ansehen.“ Kyle tippte eine letzte Befehlssequenz in sein Terminal, schnallte sich von seinem Arbeitsplatz vor dem Zentralrechner los und peilte den Pilo51
tensitz an. Er bekam die Rückenlehne des Sitzes zu fassen und zog sich hinein, während Brad alle energieintensiven Systeme bis auf die Passivortung, die Aufzeichnungsgeräte und den Standby-Betrieb des Bordrechners auf Null fuhr. Selbst die Notbeleuchtung erlosch. Afrika schlingerte gerade übelkeitserregend über die Frontscheibe und wurde durch den schwarzen Sternenhimmel ersetzt. „Gleich müßte das Objekt genau vor uns sein“, sagte Brad atemlos. „Da…“ Der Kugelraumer stand keinen Kilometer vor dem Shuttle und hatte sich seinem Kurs angepaßt. Auch mit bloßem Auge waren alle Einzelheiten auf dem von der Sonne angestrahlten gewölbten Rumpf zu erkennen. Das Raumschiff hatte einen Durchmesser von 400 Metern. Mehrere Aufbauten von unterschiedlicher Form und Größe, schwenkbar und einziehbar, unterbrachen die sonst konturlose Außenhülle. Ein konisches Gebilde, das im Mittelteil von drei eiförmigen Auswüchsen umgeben war, richtete sich auf den SILBERPFEIL. Ein Sendemast? Eine Ortungsantenne? Eine Geschützstellung? „Aufzeichnung läuft“, beantwortete Brad Kyles unausgesprochene Frage. Das Raumschiff wanderte quälend langsam zusammen mit dem Sternenhintergrund spiralförmig über die Frontscheibe und verschwand aus dem Sichtbereich. Doch die Ortung zeigte, daß es seine Position beibehielt. Die beiden Männer sahen einander an. Jeder wußte, was der andere dachte. „Sollte ich es nicht schaffen“, brach Brad unvermittelt das Schweigen, „bitte ich dich um einen Gefallen. Bei meinen persönlichen Sachen findest du eine kleine blaue Kassette. Ich möchte, daß du sie Lydia übergibst, falls du allein auf die Erde zurückkehrst.“ „Versprochen“, erwiderte Kyle schlicht. Sein Magen schien sich in einen Bleiklumpen verwandelt zu haben. Sie warteten stumm, die Blicke auf den Ortungsschirm geheftet, bis der SILBERPFEIL seine Umdrehung vollendet hatte und der Kugelraumer erneut seine schlingernde Bahn über die Frontscheibe zog.: Noch immer zielte das konische Gebilde auf das Shuttle. Worauf wartet ihr noch, ihr Bastarde? dachte Kyle. Zögert es nicht länger heraus. Wenn ihr uns den Rest geben wollt, dann schießt endlich! Doch es waren nicht die Fremden, die schossen. Der Laserstrahl stand wie ein nadeldünner Strich im All und endete direkt auf der 400 Meter durchmessenden Kugel. Genauer gesagt, einige Dutzend Meter über dem gewölbten Rumpf. Erst jetzt wurde der Schutzschirm sichtbar, der das Schiff umgab. Dort, 52
wo die gebündelte Energie auf ihn traf, erschien ein blasses Flimmern, das sich kreisförmig ausbreitete und zu den Rändern hin immer schwächer wurde. Der Kugelraumer machte keine Anstalten, dem Beschuß auszu-weichen. Und er ließ sich Zeit, bevor er zurückfeuerte. Ein grün schillernder Strahl zuckte parallel zu dem des Lasers in die Schwärze des Alls, und in der Ferne blitzte es auf. Kyle überflog die wenigen aktiven Anzeigen auf der Instrumentenkonsole. Seine Finger huschten über ein Sensorfeld. „Ein Schwerer Kreuzer“, verkündete er heiser. „Volltreffer mittschiffs. Nähert sich trotzdem unserer Position. Wenn er den Kurs beibehält, passiert er uns in knapp sieben Kilometern.“ Wieder verschwand der Kugelraumer aus dem Blickfeld der Männer. Die Ortung zeigte, daß der Schwere Kreuzer – offenbar manövrierunfähig – weiter heranschoß. Er überschlug sich haltlos, nicht weniger chaotisch als der SILBERPFEIL. Und dann keuchten beide Männer wie aus einer Kehle auf. Das Schiff feuerte immer noch und traf sogar sein Ziel, obwohl es unkontrolliert durch den Raum taumelte. „Ich wüßte gern, wer dort hinter den Kontrollen der Gefechtsstation sitzt“, flüsterte Kyle ehrfürchtig. „Er muß ein Genie sein. Man sollte ihm ein Denkmal setzen.“ Der Laserfinger tanzte über den Schutzschirm des feindlichen Schiffes und malte verwirrende Muster auf die energetische Barriere, ohne sie durchdringen zu können. Die Fremden machten sich nicht einmal die Mühe, das Feuer zu erwidern. Gerade als das Shuttle seine dritte Umdrehung beendete, raste der Kreuzer vorüber. In seiner Steuerbordflanke klaffte ein langer Riß, aus dem rötlicher Dampf hervorquoll, der sich sofort im Vakuum verflüchtigte. Es sah so aus, als blutete ein tödlich verwundetes Tier. Kurz darauf trat er in die Erdatmosphäre ein, flammte wie ein Meteor auf und brach auseinander. Der Kugelraumer setzte sich gemächlich in Bewegung und flog davon, ohne das havarierte Shuttle weiter zu beachten. Kyle stieß pfeifend den Atem aus. Sein Gesicht war eine versteinerte Maske. Brad schien zu einer Statue erstarrt zu sein. Nur seine Kiefermuskeln zuckten krampfhaft. „Was auch immer wir tun können, um es diesen Bestien heimzuzahlen,“ sagte Kyle nach einer kleinen Ewigkeit kaum hörbar, „wir sind es den armen Teufeln in diesem Kreuzer schuldig. Ihnen und allen Menschen, die gestorben sind und noch sterben werden.“ Er fuhr die Bordaggregate wieder hoch. „Zurück an die Arbeit, Brad.“ 53
3. In den frühen Morgenstunden des 2. Juni, fast auf die Minute genau drei Tage nach Beginn der Invasion durch die Kugelraumer, saß Pavel Bushkin mit seinem Führungsstab im Konferenzraum der unterirdischen Geheimdienstzentrale. Er hatte wieder einmal schlechte Nachrichten zu verkünden. Der GIIC-Leiter war wie seine Leute übernächtigt und stand am Rande eines Schwächeanfalls. Kaum jemand hatte mehr als eine halbe Stunde hier und da geschlafen, sofern man die kurzen Ruheperioden überhaupt Schlaf nennen konnte, alle hielten sich mit Unmengen von Kaffee und Tee sowie durch Medikamente auf den Beinen. Bushkin räusperte sich und klopfte mit einem Löffel gegen die Wasserkaraffe auf seinem Schreibtisch. Sofort verstummten die hitzig geführten Diskussionen. „Also gut, Leute“, begann der Geheimdienstchef mit durchdringender Stimme. Er hatte seinen einschläfernden Tonfall wie auch seinen desinteressierten Gesichtsausdruck abgelegt. „Ich weiß, daß niemand von Ihnen sich freiwillig in sein Quartier zurückziehen wird, deshalb habe ich einen Ruheplan aufstellen lassen, der ab sofort für alle Mitarbeiter des GIIC verbindlich ist, unabhängig von ihrem Aufgabenbereich und ihrer Position.“ Er hob eine Hand, um die aufkommenden Proteste zu unterbinden. „Das ist keine Empfehlung, sondern ein strikter Befehl. Wer sich ihm widersetzt, wandert auf der Stelle in den Arrest, wo ich ihn erst wieder herauslasse, nachdem er sich gründlich ausgeschlafen hat. Notfalls lasse ich ihn mit Medikamenten ruhigstellen. Ich selbst bilde dabei keine Ausnahme. Wir können es uns nicht leisten, vor Erschöpfung zusammenzuklappen.“ Er legte eine kurze Pause ein und ließ den Blick durch den Konferenzraum wandern. Einige der Männer und Frauen starrten ihn mißbilligend an, andere resigniert. Niemand schien erfreut über die verordnete Ruhepause. „Es mag sich pathetisch anhören,“ fuhr der Leiter des GIIC fort, „aber jeder von Ihnen sollte sich vor Augen führen, daß wir zu den letzten Verteidigungslinien der Erde gehören, auch wenn unsere Waffen nicht aus Lasergeschützen oder Nuklearraketen, sondern aus Informationsbeschaffung und Datenauswertung bestehen. Wir haben eine Pflicht der Menschheit gegenüber zu erfüllen. Ich spreche ganz bewußt von der Menschheit und nicht von der Regierung, denn wie Sie mittlerweile alle wissen, existiert die Regierung der Weltstaaten nicht mehr. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind all ihre Angehörigen – zumindest in World City – tot. Der gesamte Regierungskomplex wurde buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Wir haben lediglich kurz Kontakt zu zwei der insgesamt sechs geheimen T-Stationen gehabt, deren genaue Lage den meisten hier 54
nicht einmal bekannt ist, aber da wir nicht dem Militär unterstehen, sind wir außer unserem Gewissen und dem Schutz der Menschheit niemandem mehr verpflichtet.“ Wieder schwieg er einen Moment lang, um seine Worte wirken zu lassen. „Für Sie bedeutet das, daß ich, was dienstliche Angelegenheiten betrifft, noch vor dem Lieben Gott komme“, fügte er hinzu. „Ich bitte Sie, das bei Ihrem nächsten Abendgebet zu bedenken.“ Ein Dechiffrierungsexperte lachte meckernd, eine junge Frau verschluckte sich hustend an ihrem Kaffee, und ein paar der Versammelten grinsten gequält. Bushkin gestattete sich ein sparsames Lächeln. „Die meisten von Ihnen waren während der letzten drei Tage zu beschäftigt, um auf dem aktuellen Stand der Dinge zu sein. Ich habe unsere Erkenntnisse deshalb knapp zusammenfassen lassen und übergebe Mären das Wort. Mären, die Bühne gehört Ihnen.“ Mären Schreiber, eine attraktive Frau mittleren Alters, die in der dienstinternen Hierarchie direkt hinter Bushkin rangierte, erhob sich. Sie drückte auf eine Taste an ihrem Pult, worauf die Deckenbeleuchtung erlosch und die Stirnseite des Konferenzsaales sich in einen riesigen Bildschirm verwandelte. „Unsere Informationen sind äußerst lückenhaft“, klang ihre Stimme auf, „aber sie bestätigen das, was sich bereits einen Tag nach Beginn der Invasion abzeichnete. Die Kommunikation ist weiterhin größtenteils ausgefallen. Es ist uns jedoch gelungen, wenigstens einen Teil unserer Satelliten so zu programmieren, daß sie uns während der sporadisch auftretenden Frequenzfenster komprimierte Datenpakete mit ihren Beobachtungen übermitteln. Das geschieht aus Sicherheitsgründen über Umwege, um eine Verfolgung der Signale zu ihrem Empfänger zu erschweren. Offenbar wurden mindestens zwei dieser Satelliten kurz nach dem Abstrahlen ihrer Daten von den Fremden zerstört. Wir müssen also befürchten, über kurz oder lang auch von dieser Informationsquelle abgeschnitten zu werden und…“ „Was ist mit dem PSSN?“ unterbrach sie ein Informatiker. „Das Planetare Suprasensor-Netz ist abgestürzt“, erwiderte die Frau ungeduldig. „Wir können nur bedingt auf andere Transfermedien ausweichen, vornehmlich auf die alten Glasfaserstränge, aber damit erreichen wir nur einen Bruchteil der Server, die ebenfalls fast alle tot sind. Dazu später mehr.“ Auf der Monitorwand erschien ein Abbild der langsam rotierenden Erde, daneben ein Feld mit Grafiken und Zahlenkolonnen. „Soweit wir es beurteilen können, wurde die Solare Flotte restlos aufgerieben. Vielleicht konnten ein paar wenige Einheiten fliehen, aber es finden 55
jedenfalls keine Raumgefechte mehr statt. Und auch die planetengebundenen Abwehrbasen und Raketenstationen wurden nahezu vollständig zerstört.“ Rote Kreise auf der Projektion des Planeten bezeichneten die Standorte der militärischen Einrichtungen. Fast alle waren mit einem schwarzen X versehen. »Die Erde ist den Fremden schutzlos ausgeliefert. Seit zwölf Stunden findet, von vereinzelten Verzweiflungsaktionen abgesehen, auch von der Erdoberfläche aus keine nennenswerte Gegenwehr mehr statt.“ Totenstille machte sich im Konferenzraum breit, nur von einem gelegentlichen Keuchen oder Ächzen der Zuhörer unterbrochen. „Was zivile Schäden betrifft“, fuhr Mären Schreiber fort, „ist das Ausmaß nicht ganz so groß, wie ursprünglich von uns angenommen. Vermutlich beruhen die meisten auf Fehlinterpretationen der Angreifer. Die Zerstörungen beschränken sich, von militärischen Zielen abgesehen, hauptsächlich auf Kraftwerke, Forschungsreaktoren, zivile Radarstationen und dergleichen, auf Einrichtungen, die sich durch eine hohe oder auffällige Energiesignatur auszeichnen, sowie auf Kommunikationsknotenpunkte. Wir können also davon ausgehen, daß die Fremden nicht daran interessiert sind, Produktionsstätten oder die Infrastruktur zu vernichten. Das gleiche gilt für die Bevölkerung selbst…“ Bushkins Assistentin zögerte und schluckte vernehmlich, bevor sie weitersprach. „Die Anzahl der Opfer geht unseren Schätzungen zufolge in den dreistelligen Millionenbereich. Möglicherweise müssen wir sogar mit Milliarden rechnen. Aber diese Menschen wurden nicht vorsätzlich getötet. Ihr Tod dürfte vielmehr den eigentlichen Zielen der Angreifer zuwiderlaufen. Es wäre ihnen zweifellos ein leichtes gewesen, mit ihrer verheerenden Feuerkraft ganze Großstädte in gigantische Friedhöfe zu verwandeln. Daß sie es nicht getan haben, gibt uns Grund zur Hoffnung. Offensichtlich brauchen sie die Menschen, und genau an diesem Punkt müssen wir ansetzen…“ „Soll das etwa heißen, Sie wollen diese… diese Bestien in Schutz nehmen?“ rief der gleiche Mann, der sie schon einmal unterbrochen hatte, empört aus. „Wollen Sie etwa andeuten, wir sollten versuchen, mit ihnen zu… zu kooperieren?“ „Nissen, halten Sie den Mund“, meldete sich Bushkin gefährlich ruhig zu Wort. „Niemand hat vor, sich bei diesen Ungeheuern anzubiedern. Es geht einzig und allein darum, die Lage realistisch einzuschätzen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um möglichst viele Menschenleben zu retten. Daß wir in einer offenen Konfrontation nicht einmal den Hauch einer Chance hätten, haben die Ereignisse der letzten drei Tage mehr als deutlich bewiesen.“ „Aber…“, begann Nissen und verstummte hilflos. „Danke, Pavel“, sagte Mären. „Unser oberstes Gebot muß es sein, selbst 56
angesichts dieser unvorstellbaren Tragödie einen kühlen Kopf zu bewahren. Was ich Ihnen bisher berichtet habe, sind Informationen, die von unserem Satellitennetz und zwei unserer Mitarbeiter im Orbit stammen. Sie sitzen in einem havarierten Wartungsshuttle fest, befinden sich aber anscheinend nicht in akuter Lebensgefahr…“ Wieder zögerte sie einen Moment und trank einen Schluck Wasser, als müsse sie all ihren Mut sammeln, bevor sie die nächste Hiobsbotschaft verkündete. „Wir verfügen aber noch über eine weitere Informationsquelle. Es ist uns gelungen, Zugang zu den Kameras der automatischen Verkehrsüberwachungssysteme und des Katastrophenschutzes in einigen Städten zu bekommen. Dieses Datennetz funktioniert weitestgehend autonom und wurde bewußt vom PSSN abgekoppelt, damit es auch in unvorhergesehenen Notfällen einsatzfähig bleibt. Aber ich muß Sie warnen. Was ich Ihnen jetzt zeigen werde, ist vielleicht deprimierender, als Sie sich vorstellen können. Deshalb beschränke ich mich auf die Großstadt über unseren Köpfen.“ Sie nahm ein paar Schaltungen vor. Der rotierende Globus mit den unzähligen roten Kreisen, die die zerstörten Raketen- und Geschützbasen markierten, verschwand und machte einem aus größerer Höhe aufgenommenen Stadtviertel Montreals Platz. In den Straßen herrschte ein unglaubliches Chaos. Ineinander verkeilte Bodenfahrzeuge blockierten die Kreuzungen. Ganze Häuserzeilen brannten, Fensterfronten waren zersplittert. Menschen eilten ziellos hin und her, hier und da lagen Verletzte oder Leichen auf den Bürgersteigen. Ein Löschzug der Feuerwehr versuchte verzweifelt, sich zu einem Brandherd vorzukämpfen. Zwei große Lastenhelikopter kreisten über einem in Flammen stehenden Gebäude, flankiert von Schwebern des Katastrophenschutzes, und entleerten Kübel mit Löschwasser über dem Feuer, den buchstäblichen Tropfen auf den heißen Stein. Aus einem Geschäft mit zerborstenen Schaufenstern schleppten Menschen Gegenstände heraus. In einem kleinen Park schien eine Massenschlägerei stattzufinden. „Die Zerstörungen, die Sie hier sehen, wurden größtenteils von Menschen und nicht von den Angreifern aus dem All verursacht“, erklärte Mären Schreiber mit mühsamer Beherrschung. „Und nicht wenige davon vorsätzlich. Neben vereinzelten Randalierern und Plünderern haben wir Bandenbildungen beobachtet. Die Bevölkerung beginnt, Amok zu laufen. Ähnlich sieht es in vielen anderen Großstädten aus. Was in kleineren Orten und auf dem Land passiert, können wir nur ahnen.“ Obwohl Bushkin die Bilder bereits kannte, lief ihm bei ihrem Anblick wieder ein eisiger Schauder über den Rücken. Es war unfaßbar, wie schnell die dünne Tünche der Zivilisation abbröckelte, wenn Angst und Chaos um sich griffen. 57
„Aus unserer offiziellen Zentrale im Galaxy Center liegen uns weitere Beobachtungen sowie genauere Zahlen und Daten vor“, fuhr Bushkins Stellvertreterin fort. „Eine vorsichtige Hochrechnung legt die Vermutung nahe…“ Der Leiter des GIIC zuckte zusammen, als eine Hand seine Schulter berührte. Ein Überwachungstechniker, der unbemerkt den Konferenzsaal betreten hatte, beugte sich zu ihm vor. „Chef, in Atlanta geht etwas Merkwürdiges vor sich“, flüsterte der Mann ihm ins Ohr. „Wir können es uns nicht erklären, aber es scheint, als wären die Menschen dort in eine Art kollektiven Trancezustand verfallen.“ Einen Moment lang hatte Bushkin das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wann immer er glaubte, sich notdürftig auf die Situation eingestellt zu haben, wurde er durch eine neue Entwicklung überrascht. Lange würde er der Belastung nicht mehr standhalten. „Ich komme“, flüsterte er zurück und folgte dem Techniker in einen Nebenraum. Die Szenerie in Atlanta, ebenfalls von einer Verkehrsüberwachungskamera aufgenommen und von einem kleineren Monitor wiedergegeben, erinnerte an die in Montreal. Mit Fahrzeugen verstopfte Straßen, Tote und Schwerverletzte auf geröllübersäten Gehwegen, zerborstene Fensterfronten, rauchende und brennende Gebäude und Menschenmengen… Nur schienen die Menschen hier mitten in der Bewegung erstarrt zu sein. Ohne die lodernden Flammen und die in den Morgenhimmel steigenden Qualmwolken hätte Bushkin geglaubt, ein Standbild zu betrachten. Fast war er erleichtert, daß die Menschen in Atlanta nicht mehr randalierten, plünderten und brandschatzten. Fast… Das Bild hatte etwas Unwirkliches an sich und ließ seine Kopfhaut kribbeln. Der Techniker zoomte unaufgefordert eine Einstellung näher heran, und Bushkin sah eine Gruppe von Männern und Frauen, die aus glasigen Augen ins Nichts starrten. Wie Schaufensterpuppen. „Wann hat diese… Lähmung eingesetzt?“ „Vor etwa zehn Minuten“, antwortete der Techniker ratlos. „Die Bewegungen der Menschen wurden auf einmal unkoordiniert und fahrig… und dann das.“ Neben einem älteren Mann mit schütterem Haar, der ein sündhaft teures Vipho in Luxusausführung wie einen Schatz gegen seine Brust gedrückt hielt, klatschte etwas auf das Straßenpflaster. Im Gesicht des Mannes rührte 58
sich nicht ein Muskel. Bushkin schloß erschüttert die Augen, dankbar, daß die Aufnahmekamera das Geräusch nicht übertragen hatte. Bei dem unförmigen Gebilde neben dem Plünderer handelte es sich um den zerschmetterten Körper einer Frau, die gerade aus dem Fenster eines Wolkenkratzers gestürzt war. „Was ist mit unserer Filiale in Atlanta?“ krächzte der Leiter des GIIC. Er öffnete gegen seinen Willen die Augen, unfähig, den Blick abzuwenden. „Wir hatten doch noch vor kurzem Verbindung, oder?“ „Die Leitung steht noch“, erwiderte der Techniker stockend. Er fuhr sich mit zitternden Fingern durch das Haar. „Aber seit die Menschen dort erstarrt sind, erhalten wir keine Antwort mehr.“ Vor Bushkins innerem Auge erschien ungebeten das Bild der Kommunikationszentrale der GIIC-Filiale in Atlanta. Er sah reglose Agenten vor sich, die er persönlich kannte, abgeschaltet wie Roboter. „Versuchen Sie es weiter.“ Er brauchte zwei Anläufe, bis er sich verständlich machen konnte. „Und vorerst kein Wort zu den anderen. Wir müssen unter allen Umständen verhindern, daß auch bei uns das Chaos ausbricht.“ Oder, daß auch wir in dieses entsetzliche Koma fallen, fügte er in Gedanken hinzu. Nur – wie sollen wir das verhindern, wenn wir nicht einmal die Ursache kennen? Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob diejenigen, die während des Angriffs der Fremden einen schnellen Tod gefunden hatten, nicht zu beneiden waren. * Obwohl er seit zwei Wochen im Bezirksgefängnis von Montreal saß, wo er seinen Prozeß wegen vierfachen Mordes erwartete, war Wayne Fitzgerald über die Geschehnisse der vergangenen Tage bestens informiert. Zumindest so gut wie seine Bewacher. Auch ein mutmaßlicher Mörder hatte ein Recht darauf, die täglichen Viphonachrichten zu sehen und eine überregionale Zeitung zu lesen. Wayne war von dem brutalen Überfall auf die Erde ebenso schockiert wie alle anderen Menschen. Er hatte den Anfang der Invasion bis zum totalen Ausfall der planetenweiten Nachrichtensendungen gebannt verfolgt und zum ersten Mal aufrichtig bedauert, Clifford Fenneman getötet und dabei den Tod drei weiterer Menschen – wenn auch unabsichtlich – verschuldet zu haben. Warum auch hatte ihm Cliff das „Projekt Dallas“ streitig machen müssen, das er, Wayne Fitzgerald, jahrelang betreut hatte? In dieser Zeit des Chaos konnte die Menschheit auf keine Hilfe verzich59
ten, auch nicht auf die eines Gewaltverbrechers. Und Wayne war alles andere als ein gewohnheitsmäßiger Verbrecher. Er hatte nur einmal die Beherrschung verloren und im Affekt gehandelt. Allerdings, das mußte er reumütig eingestehen, hatte der Affekt bei ihm drei Tage gedauert und eine sorgfältige Planung seiner Tat beinhaltet… Nicht sorgfältig genug, sonst hätte außer Cliff niemand sterben müssen, und um den war es nun wirklich nicht schade gewesen. Ein plötzliches Flackern der Beleuchtung ließ Wayne von seiner Pritsche hochfahren. Er sah sich schnell um und lauschte. Bis auf die üblichen Geräusche in seinem Zellentrakt herrschte Stille. Kein Heulen der Alarmsirenen, kein Krachen einschlagender Geschosse, kein Bersten getroffener Gefängnismauern. Noch war Montreal von den Angriffen verschont geblieben. Wieder flackerte das Licht, diesmal stärker, und dann erloschen die Leuchtröhren an der Decke vollständig. Einen Moment lang herrschte absolute Finsternis. „Heh! Was ist los?“ gellte eine Stimme in der Dunkelheit auf. Sie gehörte GUS, dem Feuerteufel, der in einer Zelle am Ende des Ganges saß. „Schaltet doch das gottverdammte Notstromaggregat an!“ Der dritte Insasse dieses Traktes, dessen Name Wayne unbekannt war, stimmte in den Ruf ein. Es dauerte eine Weile, bis das scharfe Schnappen eines Schlosses und das leise Schaben einer durch ihre Führungsschiene gleitenden Schiebetür das Kommen eines Wärters ankündigte. Die Geräusche verrieten Wayne, daß nicht nur die Beleuchtung, sondern auch die Stromversorgung für die Sicherheitssysteme ausgefallen war, denn der Schließer hatte das Schloß mechanisch entriegeln und die Tür von Hand öffnen müssen. Sofort begann sein Herz, schneller zu schlagen. Wenn die gesamte Stromversorgung des Bezirksgefängnisses zusammengebrochen war, trennte ihn nur noch seine vergitterte Zellentür von der Freiheit. Wegen des Personals machte sich Wayne keine Sorgen. Er war im waffenlosen Nahkampf ausgebildet worden und im Gegensatz zu den Wärtern körperlich topfit. Bis zu seiner Suspendierung nach dem Mord an Clifford Fenneman hatte er in den Diensten des GIIC gestanden, Spezialgebiet: Terrorismusbekämpfung und Geiselbefreiung. Ein diffuser Lichtschimmer erhellte den Zellentrakt. An dem leicht schlurfenden Schritt, der aus dem Seitenkorridor aufklang, erkannte Wayne Bernie. Er mochte den alten Schließer, der kurz vor seiner Pensionierung stand, sofern es überhaupt so etwas wie echte Sympathie zwischen den Menschen vor und hinter einer Zellentür gab. „Ganz ruhig, Jungs“, grollte Bernie mit seiner gemütlichen Baßstimme, 60
aber seine Nervosität war unüberhörbar. Er trug einen würfelförmigen Leuchtkörper, den er in der Mitte des Ganges abstellte. „Nur ein technischer Defekt. Montreal steht noch nicht unter Beschuß.“ „Was ist da draußen los, Bernie?“ wollte GUS wissen. Alle Gefangenen sprachen den Alten nur mit seinem Vornamen an, was diesen nicht zu stören schien. Er verfuhr mit seinen Schutzbefohlenen genauso. „Sieht nicht gut aus.“ Das Gesicht des Wärters verfinsterte sich. „Das Chaos greift immer mehr um sich. Nicht genug, daß die Erde von Unbekannten angegriffen wird, die Menschen scheinen den Verstand zu verlieren. Glaubt mir, Jungs, ihr habt es hier drin noch gut getroffen. Hier seid ihr sicherer als draußen.“ Die anderen Idioten vielleicht, dachte Wayne. Ich ziehe die Freiheit vor. Selbst wenn draußen Krieg herrscht. „Wenn ich mich richtig an die Vorschriften erinnere“, sagte er, „verlangen die Sicherheitsbestimmungen, daß die Zellentüren bei einem Totalausfall der Elektronik zu offenen sind. Um die Häftlinge im Fall eines Brandes sofort evakuieren zu können.“ Der alte Mann kratzte sich unbehaglich den Kopf. „Mag schon sein, Wayne, wenn das Personal vollständig wäre. Aber wir sind unterbesetzt. Nicht nur, daß unsere Ablösung nicht erschienen ist, viele Männer haben sich einfach abgesetzt. Verständlich, bei dieser Situation. Die meisten wollen bei ihren Familien bleiben. Kann ich ihnen nicht verübeln.“ Das wird ja immer interessanter! schoß es Wayne durch den Kopf. Nicht nur die Elektronik hat versagt, auch die Disziplin in diesem Bau bricht zusammen. Sein Blick fiel auf Bernies Hüfte. Der Schließer hatte, ganz gegen seine Gewohnheit, einen Paraschocker umgeschnallt. Ein weiteres Indiz, daß die Lage noch brenzliger geworden war. „Hast du denn keine Familie, die du beschützen willst?“ fragte der ehemalige GIIC-Agent. Bernie schüttelte den Kopf. „Meine Frau ist tot, und meine Tochter Rita ist mit ihrem Mann nach Halifax gezogen.“ Er trat einen Schritt auf Waynes Zelle zu. „Ich würde gern zu ihr fahren, aber bei dem Chaos… Außerdem muß ja irgend jemand hier die Stellung halten und sich um euch kümmern.“ Wayne taxierte den Mann unauffällig. Der Schließer war mehr als nur beunruhigt, die Falten auf seiner Stirn und um die Mundwinkel sprachen Bände. Seine Finger bewegten sich unablässig, strichen über die kleine Dienstwaffe, zupften an seinem Hemd oder gestikulierten unsicher in der Luft herum. Knapp drei Meter trennten ihn von der vergitterten Zellentür. »Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“ erkundigte sich Wayne. Er durfte jetzt nicht lockerlassen. Zwar war der Alte zu erfahren, um sich in die Reichweite eines gefährlichen Gefangenen zu begeben, aber die 61
Umstände waren ungewöhnlich genug, um es wenigstens zu versuchen. „Kommt darauf an“, erwiderte Bernie, und tatsächlich näherte er sich der Zelle einen weiteren Schritt. „Aber bilde dir nur nicht ein…“ Er brach mitten im Satz ab und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich… ich habe…“ Seine Stimme begann zu leiern wie ein uraltes defektes Tonbandgerät, seine Unterlippe erschlaffte. „Bernie?“ fragte Wayne verblüfft und aufrichtig besorgt. Er spürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken, als krabbelte ein Tausendfüßler in seinem Haaransatz herum. „Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?“ Der Schließer starrte ihn aus großen Augen an, die langsam glasig wurden. Er stieß einen leisen Seufzer aus, und dann stand er einfach nur reglos mit hängenden Schultern da. „Was, zum Geier, ist denn in den gefahren?“ murmelte Wayne fassungslos. Das Kribbeln in seinem Nacken verwandelte sich in ein Wärmegefühl und hörte übergangslos wieder auf. „He, GUS! Sieh dir das an! Ist das zu fassen? Der alte Knabe ist doch tatsächlich im Stehen eingeschlafen!“ GUS antwortete nicht. „Gus?“ Schweigen. Wayne preßte das Gesicht gegen die Gitterstäbe und schielte zu der Zelle des notorischen Brandstifters hinüber. Der Mann hockte auf seiner Pritsche, die Hände vor dem Bauch verschränkt, und zeigte nicht die geringste Reaktion. Und auch der dritte Häftling schien ins Koma gefallen zu sein. Ich werde verrückt! dachte Wayne. Der Wärter mit dem Schlüssel zur Freiheit schläft keine drei Meter von mir entfernt mit offenen Augen, und ich kann ihn nicht erreichen! Er sah sich hastig in seiner Zelle um. Ein Himmelreich für eine Stange! Oder für ein Seil mit einem Haken! Aber natürlich hatte er weder eine Stange noch ein Seil oder einen Haken. Wieviel Zeit bleibt mir, die Situation auszunutzen? überlegte er fieberhaft. Wie lange, bis Bernie wieder aufwacht oder einer seiner Kollegen erscheint, um nach dem alten Knaben zu sehen? Ganz ruhig, konzentrier dich! beschwor er sich. Entweder ist das deine Chance oder ein übler Scherz. Bernie stand weiterhin stocksteif da, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Zu starr, um zu simulieren. „Also gut“, sagte Wayne laut. „Das ist meine Chance! Und ich werde sie nutzen, oder ich kann mir gleich einen Strick drehen und mich aufhängen.“ Strick drehen… aufhängen… Er begann zu grinsen. 62
* Lydia Diel las bestimmt schon zum zehnten Mal die E-Mail, die ihr Mann ihr vor drei Tagen aus dem Orbit geschickt hatte, wenige Stunden nach dem Beginn des ersten Krieges zwischen einer außerirdischen Zivilisation und der Menschheit. Ohne dieses Lebenszeichen und ohne ihre drei Kinder, um die sie sich allein kümmern mußte, hätte sie wahrscheinlich längst den Verstand verloren. Brad hatte den Brief in seiner ordentlichen Handschrift mit einem altmodischen Filzstift verfaßt, abgescannt und als Datei an einen Verbindungsmann des GIIC in Darwin geschickt, der ihn ausgedruckt und Lydia persönlich überbracht hatte. Die Geste rührte Lydia und machte ihr gleichzeitig Angst. Trotz Brads ausdrücklicher Versicherung, daß er sich nicht in akuter Gefahr befand, erweckte allein die Form des Schreibens den Eindruck eines Abschiedsbriefes. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort, strich vorsichtig mit den Fingern über die erste Seite und las: Meine geliebte Frau! Erschrick bitte nicht, wenn Dich dieser Brief erreicht und ich mich nicht persönlich über das Vipho bei Dir melde. Wir müssen den Funkverkehr aus Sicherheitsgründen auf ein absolutes Minimum beschränken, und außerdem besteht die Gefahr, daß die Kommunikation plötzlich und ohne Vorwarnung zusammenbrechen könnte. Ich wollte Dir diesen Schreck vorsorglich ersparen, damit Du nicht glaubst, mir sei etwas zugestoßen. Auch wenn dies für längere Zeit die einzige Nachricht bleiben sollte, die Du von mir erhältst, bedeutet das nicht, daß Du Dir Sorgen um mich zu machen brauchst. Wahrscheinlich bin ich hier oben sogar sicherer als du glaubst. Ich liebe Dich mehr als mein Leben, und auch, wenn Du das weißt, habe ich es Dir wahrscheinlich nicht so oft gesagt, wie ich es hätte tun sollen. Aber das werde ich nachholen, sobald ich wieder bei Dir und den Kindern bin, das verspreche ich Dir. Und bis dahin kann ich es Dir nur noch einmal schreiben: Ich liebe Dich, mein Engel, und ich werde nie aufhören, Dich zu lieben, was auch immer passiert. An dieser Stelle verschwamm die Schrift wie jedes Mal vor Lydias Augen. Sie ließ den Brief sinken und wischte sich über die Augen. Ihre Schultern zuckten, als sie sich bemühte, ein Aufschluchzen zu unterdrücken. Auch wenn die Kinder nicht völlig begriffen, was dort draußen vor sich ging, waren sie verstört und verunsichert und fragten immer wieder nach ihrem Vater. Lydia wollte sie nicht noch mehr beunruhigen. Hier in der nordaustralischen Stadt Darwin war kaum etwas von den 63
Kämpfen zu spüren. Zwar war das PSSN ausgefallen, und auf den wenigen lokalen Nachrichtenkanälen, die – von zahlreichen Störungen unterbrochen – noch sendeten, wurden ermutigende Durchpalteparolen verbreitet, aber nachts konnte man es am Himmel und hinter dem Horizont blitzen sehen, und immer mehr Flüchtlinge aus dem Süden trafen in Notunterkünften am Stadtrand ein und berichteten von gewaltigen Zerstörungen militärischer Anlagen, Raumhäfen und Raketenbasen. Ambulanzfahrzeuge waren rund um die Uhr unterwegs, Polizeischweber patrouillierten über den Häusern. Geschäfte, Krankenhäuser und Kraftwerke, alle für die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Einrichtungen wurden von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht. Und trotzdem kursierten bereits erste Gerüchte über Ausschreitungen. Lydia wandte sich gerade wieder Brads Brief zu, als ein lautes Hämmern an der Eingangstür, gefolgt von hektischem Klingeln, sie zusammenzucken ließ. Automatisch griff sie nach dem alten Schrotgewehr, das neben ihr am Schreibtisch lehnte. Brad hatte sie gebeten, seine Jagdwaffen aus dem Keller zu holen und stets in Reichweite zu halten. „Hallo?“ klang eine gehetzte Männerstimme von draußen auf. ,Jst jemand zu Hause? Hallo, bitte lassen Sie uns rein!“ Hinter der Gardine vor dem Fenster neben der Tür bewegte sich ein Schemen. Oder waren es zwei? „Hallo? Wenn jemand zu Hause ist, bitte, lassen Sie uns rein! Bitte!“ Die Panik des Mannes war offensichtlich – oder verdammt gut gespielt. Tirnmy, der älteste Sohn der Diels, kam die Treppe heruntergelaufen. „Mom, kommt Daddy wieder?“ Seine Augen wurden groß, als er das doppelläufige Gewehr in der Hand seiner Mutter entdeckte. „Mom…?“ fragte er ängstlich. Lydia winkte ihn zurück. „Es ist alles in Ordnung, Timmy“, log sie, obwohl ihr klar war, daß sie ihren Sohn nicht täuschen konnte. „Geh zu deinen Schwestern! Macht die Tür zu und wartet dort, bis ich euch rufe!“ Der Junge starrte sie eine Weile unschlüssig an, dann machte er wortlos kehrt und verschwand. „Lady? Ich habe Sie gehört!“ schrie der Mann vor der Tür. „Ich flehe Sie an…“ Lydia näherte sich vorsichtig dem Fenster und schob die Gardine mit dem Doppellauf der Schrotflinte zur Seite. Ein junges Pärchen stand vor ihrem Haus. Ihre Gesichter waren bleich, und sie atmeten schnell, als wären sie gerannt. Sei vorsichtig und auf alles gefaßt, hatte Brad geschrieben. Verschließ die Tür und laß niemanden herein, den Du nicht kennst. 64
Mit Sicherheit ein kluger Rat, aber der Anblick der beiden völlig verstörten jungen Leute brach Lydia das Herz. Und vielleicht würde sie irgendwann in Not selbst an eine fremde Haustür klopfen müssen… Sie gab sich einen Ruck. „In Ordnung!“ rief sie. „Treten Sie drei Schritte zurück! Ich lasse Sie rein, aber ich warne Sie! Ich bin bewaffnet, und sollten Sie irgendeinen Trick versuchen oder eine hastige Bewegung machen, schieße ich!“ Die Warnung war überflüssig. Der junge Mann und seine Begleiterin hätten nicht einmal ein kleines Kind überwältigen können, so sehr zitterten sie. Sie nahmen erschöpft auf dem Sofa Platz, zu dem Lydia sie führte, ohne jedoch die Waffe aus der Hand zu legen. „Danke, Lady!“ krächzte der Mann. „Gott segne Sie!“ Er umklammerte die Hand seiner Begleiterin, als fürchtete er, sie könnte plötzlich aufspringen und davonlaufen. „Was ist passiert?“ fragte Lydia erschüttert. „Ich…“, der Mann schüttelte hilflos den Kopf. „Zombies!“ stieß die zierliche Frau an seiner Seite hervor. „Alle schienen plötzlich wie betrunken zu torkeln, und dann…“ Es dauerte eine Weile, bis die beiden sich soweit gefaßt hatten, daß sie berichten konnten. Sie waren mit einem kleinen Elektroflitzer unterwegs gewesen, als sie ein unangenehmes Kribbeln im Nackenbereich verspürt und die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hatten, das steuerlos weitergerollt war. „Zum Glück sind wir in eine große Hecke gefahren“, erzählte der junge Mann, der Vincent hieß, „sonst…“ „Im ersten Moment waren wir völlig orientierungslos“, fuhr Gina, seine Verlobte, fort. „Erst nachdem wir uns überzeugt hatten, daß uns nichts passiert war, haben wir uns umgesehen, und…“ Sie erschauderte. „In der Richtung, aus der wir gekommen waren, haben sich die Menschen auf der Straße ganz merkwürdig bewegt. Manche sind gestolpert und gewankt, andere sind umgekippt oder auf Händen und Knien herumgekrochen…“ Vincent und Gina hatten versucht, zu ihrem Haus zurückzukehren, doch je weiter sie gekommen waren, desto unwirklicher wurde die Szenerie. Zum Stadtzentrum hin nahmen die Lähmungserscheinungen immer mehr zu, bis die Leute völlig regungslos auf den Straßen standen oder lagen. Offenbar waren zwei Polizeischweber abgestürzt. In einem saßen zwei verletzte Polizisten. Obwohl sie eindeutig noch lebten, versuchten sie nicht einmal, sich aus den Trümmern des Schweber zu befreien, und starrten einfach in den Himmel. „Wir haben sie angesprochen und wollten ihnen helfen, doch sie haben uns gar nicht wahrgenommen.“ Vincent leerte durstig ein Glas Wasser, und 65
Lydia schenkte ihm aus einer Kristallkaraffe nach. „Sie können sich bestimmt vorstellen, daß wir völlig durcheinander und entsetzt waren, und dann haben wir auf einmal die Tiger gesehen…“ „Tiger?“ fragte Lydia fassungslos. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Gina nickte ruckhaft. Allmählich kehrte ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurück. „Sie müssen aus dem Zoo ausgebrochen sein. Zwei ausgewachsene Tiger inmitten all dieser leblosen Menschen! Das war einfach zuviel für uns. Wir sind durchgedreht und nur noch gerannt, bis wir völlig außer Atem waren. Irgendwann haben wir an Haustüren geklingelt oder geklopft, aber niemand hat uns eingelassen. Bis auf Sie.“ Sie blickte Lydia dankbar an. „Was ist nur geschehen? Was sollen wir tun?“ Ja, was können wir überhaupt noch tun, wenn die ganze Welt um uns herum in Scherben fällt? dachte Lydia erschüttert. „Sie bleiben erst einmal hier, bis wir wissen, was dort draußen los ist“, sagte sie. „Wir haben ein Gästezimmer im ersten Stock. Wenn Sie wollen, können Sie sich dort eine Weile ausruhen. Ich habe genug Lebensmittel im Haus, und noch funktioniert die Wasser- und die Stromversorgung.“ „Das werden wir Ihnen nicht vergessen.“ Vincent lächelte Lydia erleichtert an. Er nahm ihre Hände in die seinen und drückte sie. „Sobald das vorüber ist, werden wir uns bei Ihnen revanchieren.“ „Schon gut“, erwiderte Lydia verlegen. „Ich bin froh, ein wenig Gesellschaft zu haben. Mein Mann…“ Sie deutete in die Richtung der Zimmerdecke. „Er kreist irgendwo da oben mit einem kleinen Shuttle im Orbit.“ * Fünf Tage waren seit Beginn des Überfalls durch die Unbekannten vergangen, und seit zwei Tagen gab es keine Gegenwehr mehr. Vom Orbit aus mehr als 400 Kilometern Höhe betrachtet, bot die Erde ein friedliches Bild. Doch die Teleskope des havarierten Shuttles zeigten die Verwüstungen in ihrem ganzen Ausmaß. An Bord des SILBERPFEIL hatte sich eine bedrückende Routine eingestellt. Größtenteils blieben alle Aggregate und Anlagen mit hohem Energieverbrauch und entsprechend verräterischen Emissionen ausgeschaltet. Selbst die Lebenserhaltungssysteme gehörten dazu. Dann wurde die Atemluft stickig, der Sauerstoffgehalt nahm in dem Maße ab, in dem die Kohlendioxidkonzentration stieg. Die Innentemperatur schwankte stark, je nachdem, ob sich das Shuttle im Erdschatten befand oder den Strahlen der Sonne ausgesetzt war. Nur in den kurzen und relativ seltenen Phasen, wenn sich kein Kugelraumer in Sichtweite aufhielt, arbeiteten die Lebenserhaltungssysteme auf Hochtouren, und Kyle riskierte es, seine gebündelten Funkbotschaften mit niedrigster Sendeleistung an den nächsten erreichbaren 66
Relaissatelliten zu schicken. Trotzdem wunderte es ihn, daß sie immer noch lebten. Er hatte gehofft, daß sich der Äther mit dem Ende der Gefechte beruhigen würde, aber nach wie vor waren die meisten Sendefrequenzen blockiert, auch wenn die Fenster im elektromagnetischen Band etwas größer und länger wurden. Der Hyperfunk versagte völlig, so daß sie keinerlei Informationen von außerhalb des Solaren Systems erhielten. Es schien, als wäre der Funkverkehr nicht zufällig, sondern gezielt von den Außerirdischen lahmgelegt worden. Vor zwei Tagen hatte sie eine erschreckende Nachricht aus der GIICZentrale erreicht. Überall auf der Erde begannen die Menschen, in einer Art Koma zu erstarren. Kyle hatte die spärlichen Angaben aus Montreal analysiert, mit den Flugbahnen der Kugelraumer verglichen, die die Erde in unterschiedlichen Höhen umkreisten, und aus seinem Verdacht war schnell Gewißheit geworden: Die betroffenen Gebiete lagen direkt unter den Flugschneisen der feindlichen Raumer. Wie auch immer die Unbekannten es anstellten, die Menschen aus dieser Höhe außer Gefecht zu setzen, ohne sie zu töten, sie waren erfolgreich. Und wenn sie die Umkreisungen in diesem Tempo fortsetzten, würden sie in spätestens zwei Wochen die gesamte Oberfläche des Planeten mit ihrer rätselhaften Strahlung bestrichen haben. Als wäre das nicht genug, begann sich ein weiteres Fiasko abzuzeichnen. Um das Risiko einer Ortung so gering wie möglich zu halten, sandte Kyle seine Funkbotschaften nie direkt zur Erde, sondern benutzte mindestens zwei Satelliten als Zwischenstationen. Dabei operierte er sowohl mit gerafften Funksprüchen von maximal einer Sekunde Dauer, die zudem noch scharf gebündelt waren, als auch mit einer geradezu lächerlichen Sendeleistung von drei bis fünf Watt. Das Problem war die Überbrückung zwischen dem letzten Satelliten und der Empfängerstation auf der Erde. Die natürliche Barriere der Atmosphäre und die vielen Störimpulse machten es erforderlich, die Datenpakete mit deutlich höherer Energie abzustrahlen, und selbst diese immer noch bescheidenen Werte reichten offenbar aus, um von den Fremden angemessen zu werden. Warum sie die Satelliten nicht generell zerstörten, sondern nur die, bei denen sie Aktivitäten feststellten, war Kyle ein Rätsel. Doch wichtiger, als dieses Rätsel zu lösen, war die Tatsache, daß der Zeitpunkt zu errechnen war, an dem ihm keine Relaisstation für seine Berichte mehr zur Verfügung stand. Er bereitete gerade ein weiteres Datenpaket für die nächste Sendung vor, 67
als die Lautsprecher in der Kabine krachend zum Leben erwachten. „T-XXIX ruft alle Schwesterstationen! T-XXIX ruft alle Schwesterstationen! Bitte antworten Sie!“ „Was, zum Henker, ist das?“ keuchte Brad, der aus einem unruhigen Schlaf hochfuhr. „Keine Ahnung“, knurrte Kyle, den Blick auf die Funkkontrollanzeigen gerichtet. Soeben hatte sich ein ungewöhnlich umfangreiches Frequenzfenster aufgetan, und T-XXIX stieß mit Maximalleistung in diese Lücke. „Diese Idioten! Ich hatte gehofft, Bushkin wäre es gelungen, allen T-Stationen eine entsprechende Warnung zukommen zu lassen. Los, Brad, such mir einen Satelliten, der T-XXIX direkt erreichen kann, ich mache inzwischen ein Paket fertig! Wir brauchen diesmal einen der Raumradarkontrolle, der uns auch Bilder von der Station liefern kann. Und dreh die Lautstärke runter!“ Noch während er sprach, flogen seine Finger bereits über eine Tastatur, und gleichzeitig sprach er in sein Kehlkopfmikro: „Achtung, T-XXIX! Sofort Sendung einstellen! Sie können angepeilt werden! Höchste Gefahr, Sie können angepeilt werden! Weitere Informationen in der Datei am Anschluß an diese Nachricht!“ Im Hintergrund hörte er weiter die Stimme aus der Geheimstation, jetzt ein wenig gedämpfter, und dann gefror ihm beinahe das Blut in den Adern, als eine andere Stimme antwortete: „T-XXIX, hier T-XXVII! Höre Sie laut und deutlich. Hatten bisher Totalausfall auf allen Frequenzen…“ „Ich habe einen geeigneten Satelliten gefunden, eine Übertragungskette geknüpft und die Peilantenne ausgerichtet!“ meldete Brad. „Bereit, sobald du fertig bist.“ „Moment noch.“ Kyle hatte das Gefühl, als wäre die Zeit eingefroren. Jede einzelne Sekunde schien sich endlos zu dehnen. Vielleicht, dachte er, bin ich einfach nur paranoid. Vielleicht können die sich da unten stundenlang die Kehle aus dem Hals brüllen, und die Fremden ignorieren sie. Er wußte, daß auf der Erde abertausende Stationen in dem verzweifelten Bemühen, Kontakt mit dem Rest der Welt aufzunehmen, seit Tagen wie die Besessenen das letzte Watt Sendeleistung aus ihren Anlagen herauskitzelten, auch wenn ihre Botschaften nirgendwo ankamen, aber in einem Frequenzfenster zu funken, war in etwa so, als schrie man sich auf einem nächtlichen Friedhof die Seele aus dem Leib. Und wenn die Außerirdischen den Funkverkehr auf der Erde auch nur annähernd so aufmerksam belauschten, wie sie es hier im Orbit taten… „…dachten schon, wir wären die einzigen… wirklich froh, wieder von Ihnen zu hören…“, schnatterte es weiter aus den Lautsprechern. „Heilige Milchstraße!“ stöhnte Brad. „Wenn die wenigstens sinnvolle Informationen austauschen würden! Gleich fangen die noch an, sich gegen68
seitig ihre schönsten Ferienerlebnisse zu erzählen…“ „Okay, ich bin soweit“, unterbrach ihn Kyle. „Du kannst das Paket abschicken.“ Der Satellit der Raumradarüberwachung, den Brad ausgewählt hatte, nahm die Botschaft über die Relaiskette auf, sendete die automatische Empfangsbestätigung und strahlte das Datenpaket mit Maximalleistung ab. Es war höchstwahrscheinlich gleichbedeutend mit seinem Todesurteil, aber wenn die Warnung T-XXIX rechtzeitig erreichte, war es das allemal wert. T-XXIX und T-XXVII quasselten weiter wie zwei Tratschbasen in Höchstform. Wie lange bleibt denn dieses verfluchte Frequenzfenster noch offen? dachte Kyle verzweifelt. Und wie lange brauchen die da unten, bis sie unser Paket ausgepackt haben und endlich das Maul halten? Er hatte den schlummernden Radarsatelliten, dessen Lebenserwartung bestenfalls noch einige Minuten betragen dürfte, darauf programmiert, den Normalbetrieb wiederaufzunehmen und seine Beobachtungen breit gefächert an alle verfügbaren Empfangsstationen weiterzuleiten. Wenn auch nur eine der möglicherweise noch existierenden Militärbasen oder die anderen T-Stationen Zeuge dessen wurden, was Kyle befürchtete, hatte er wenigstens einen Teilerfolg erzielt. Der Hauptortungsmonitor des Shuttles zeigte jetzt die Aufnahmen des Radarsatelliten, einen Ausschnitt der nördlichen Rocky Mountains, in dem T-XXIX unter Tonnen von gewachsenem Fels verborgen lag. Eine Handvoll langsam wandernder grüner Punkte markierte die Position mehrerer Kugelraumer. Fast zwei Minuten vergingen, während die beiden Geheimstationen noch immer Nachrichten austauschten, und Kyle erwog gerade, seine Botschaft trotz des Risikos für den SILBERPFEIL noch einmal abzuschicken, als Bewegung in die Ortungsechos kam. Die grünen Punkte verließen ihre Kreisbahn, gingen in Formation und näherten sich zielstrebig der Geheimstation, die endlich -viel zu spät – verstummte. In Höhe der oberen Atmosphärenschichten bildeten die Raumer ein gleichschenkliges Dreieck und verharrten reglos. Kyle und Brad hielten den Atem an. Von dem nachfolgenden großflächigen Beschuß war auf dem Radarschirm nichts zu erkennen, aber die sprunghaft hochschnellenden Werte der Energietaster sprachen Bände. Fast fünf Minuten dauerte der Orkan unvorstellbarer Gewalten aus dem All an, dann erloschen die Anzeigen auf dem Ortungsschirm schlagartig. Die Fremden hatten den Radarsatelliten lokalisiert und ausgeschaltet. „Meinst du, T-XXIX kann den Beschuß überstanden haben?“ fragte 69
Brad nach längerem Schweigen. Bis zu seiner Omegafreigabe hatte er nicht einmal von der Existenz der Geheimstationen gewußt, und auch jetzt kannte er keine genaueren Details. „Ich hoffe es“, murmelte Kyle düster. „Die Station liegt mehrere hundert Meter tief unter hartem Granit.“ Aber er gab sich keinen Illusionen hin. Er ahnte, was sie sehen würden, wenn das Shuttle den nordamerikanischen Kontinent das nächste Mal überflog. Einen riesigen glühenden Krater. * Als General Mendoza, der Leiter von T-XXIX, von der überraschenden Ruhe im aufgewühlten Äther erfuhr, eilte er im Laufschritt in die Funkzentrale. „Bericht!“ bellte er. „Sir, wir können im Kurzwellenbereich zwischen 23 und 41 Megahertz wieder senden und empfangen“, meldete ein fülliger Master Sergeant. „Haben Kontakt zu T-XXVII im Tschad-Becken. Außerdem bekommen wir jede Menge Sendungen von zivilen Stationen herein. Die Auswertung wird…“ Mendoza schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Erkenntnisse über feindliche Aktivitäten in der Nähe?“ fragte er knapp. Die meisten umliegenden Beobachtungssysteme waren bereits in den ersten Stunden des Überfalls auf die Erde ausgefallen, allen voran die Radarschüsseln, deren charakteristische Eigenstrahlung leicht anzumessen war. „Negativ, Sir. Im Umkreis von zwanzig Meilen, soweit wir das beurteilen können, herrscht Ruhe. Es scheint…“ „Sender abschalten!“ brüllte irgend jemand im Hintergrund. General Mendoza wirbelte herum. Ein Soldat war aufgesprungen und fuchtelte wie wild mit den Händen. Mendoza war mit fünf schnellen Schritten bei ihm. „Was ist?“ „Da!“ Der Soldat deutete mit zitternden Fingern auf eine Batterie von Monitoren. „Eine Botschaft aus dem Orbit“, erklärte er hastig. „Ton- und Textdateien. Und wir erhalten ein Bild von einem Überwachungssatelliten.“ Er schaltete einen Lautsprecher zu. „Achtung, T-XXIX! Sofort Sendung einstellen! Sie können angepeilt werden! Höchste Gefahr, Sie können angepeilt werden! Weitere Informationen in der Datei am Anschluß an diese Nachricht!“ Der General hatte keine Zeit, die angekündigten Informationen auch nur zu überfliegen, denn die Übertragung des Beobachtungssatelliten der Raumradarkontrolle fesselte seine ganze Aufmerksamkeit. 70
Mehrere Punkte näherten sich rasend schnell dem Gebirgsmassiv, unter dem die Geheimstation verborgen lag. „Sind wir noch auf Sendung?“ „Nein, Sir“, erwiderte der Funker heiser. „Auch T-XXVII schweigt. Aber der Feind kann uns bei dem Wellensalat im Äther unmöglich genau angemessen haben…“ Die Ortungspunkte bildeten ein gleichschenkliges Dreieck in knapp 120 Kilometern Höhe und kamen zum Stillstand. Und dann fiel die gesamte Bild- und Funkübertragung aus. Gleichzeitig schwankte die Erde leicht, und ein dumpfes Grollen durchlief die Station. „Die können doch unmöglich mit einem Schlag alle in der Gegend versteckten Empfänger lahmgelegt haben…“, flüsterte der Master Sergeant ungläubig. Offensichtlich doch, dachte Mendoza. Und wenn sie nicht nur unsere oberirdische Sendeanlage, sondern auch T-XXIX selbst lokalisiert haben… „Geben Sie mir die Waffenzentrale!“ rief er. „Verbindung steht“, keuchte der Soldat neben ihm. Mendoza griff nach dem Mikro, als wolle er es zerquetschen. „Alle Raketen startklar machen, Gefechtsköpfe aktivieren und feindliche Ziele über uns erfassen!“ befahl er. Wieder schwankte der Boden unter seinen Füßen, und das Grollen wurde lauter. „Sir, wir haben strikte Order des Zentralen Flottenkommandos, unter keinen Umständen…“, begann der Master Sergeant. „Zielerfassung tot!“ Die Stimme des Verbindungsmannes in der Waffenzentrale hatte einen hysterischen Unterton. „Alle Abschußkanäle blockiert!“ General Mendoza schloß die Augen. Das nächste Beben war so heftig, daß er das Gleichgewicht verlor und mit rudernden Armen umkippte. Er spürte den Aufprall nicht mehr. Die unvorstellbar gewaltige Energiefront, die später als Pressorstrahlen bekannt und gefürchtet werden sollte, quetschte ihn, seine Männer, die gesamte Einrichtung des Stützpunktes und das umgebende Felsgestein zu einer amorphen Masse zusammen. Und selbst dieses grauenhafte Gemisch aus organischer und anorganischer Materie verglühte kurz darauf in einem ultragrellen Nuklearblitz. Ein einsamer Forstbeamter, der unbeirrt auf seinem Posten, keine zehn Meilen Luftlinie vom getarnten Haupteingang der Geheimstation entfernt, ausgeharrt hatte, wurde in den letzten Sekunden seines Lebens Zeuge des Geschehens. Er spähte zufällig durch seinen Feldstecher in die Richtung des Gebirgsgrates, unter dem T-XXIX lag, als die Pressorstrahlen ihre furchtbare Wir71
kung entfalteten. Der schroffe Gebirgsgrat wurde urplötzlich von einer unsichtbaren Macht in den Boden gestampft. Von den Rändern des Wirkungsfeldes der Strahlen schossen hausgroße Gesteinsbrocken wie überdimensionale Schrapnellgeschosse nach allen Seiten durch die Luft. Der Mann ließ den Feldstecher sinken und starrte fassungslos auf die unglaubliche Szenerie. Eine orkanartige Druckwelle schleuderte ihn beinahe von seinem luftigen Beobachtungsposten. Tief unter der Erde wurden die scharfen Nuklearsprengköpfe der Raketen wie von einer gigantischen Faust zusammengeknüllt. Es hätte nicht einmal mehr des auslösenden Impulses eines der mit konventionellem Sprengstoff bestückten Zünder bedurft. Eine derartige Konzentration spaltbarer kritischer Masse auf so engem Raum war der Alptraum eines jeden Atomphysikers. Das zusammengestauchte Gestein unter den Pressorstrahlen wölbte sich gegen den von oben auf ihm lastenden Druck wie eine riesige Seifenblase auf und zerplatzte beinahe widerwillig in einem lodernden Feuerball, der in allen Bereichen des Spektrums so hell wie eine Supernova strahlte. Die titanische Detonation war noch an der Ostküste des Kontinents zu hören. * Captain Bowden befand sich im medizinischen Trakt von T-XXX bei Dr. Serano und wollte gerade seine Schicht beenden, als er die Meldung erhielt, daß im Kurzwellenbereich zwischen 23 und 41 Megahertz übergangslos Ruhe herrschte. „Alle freien Frequenzen scannen und jede eintreffende Sendung archivieren, egal wie verstümmelt sie auch sein mag“, gab er über sein Armbandvipho an die Funkzentrale durch. „Wir selbst bleiben bis auf Widerruf durch mich oder General Martell stumm!“ Er ignorierte den Protest des diensttuenden Funkers, schickte ein Alarmsignal an John Martell und sprintete wie ein Kurzstreckenläufer los. Der General erwartete ihn bereits in der Kommandozentrale, in der die Fäden aller Dienststationen zusammenliefen. „Gut reagiert, Bowden“, brummte Martell, ohne von einer Monitorbatterie aufzusehen. Er saß barfuß und im Unterhemd in seinem Sessel. Es war nicht das erste Mal, daß er aus einer seiner knapp bemessenen Schlafperioden gerissen wurde. „Wir haben gerade eine Warnung aus dem Orbit erhalten. Muß von Bushkins Leuten stammen. Der Chef des GIIC hat mich kurz vor dem Zusammenbruch der Kommunikation persönlich davon informiert, daß zwei seiner Agenten da oben die Stellung halten. Ein Wun72
der, daß sie immer noch leben. Sie haben einen der Aufklärungssatelliten auf Sendung geschaltet. Sehen Sie selbst.“ Gebannt verfolgten die beiden Männer den Anflug der feindlichen Raumschiffe auf T-XXIX bis zum Ausfall des Satelliten. Eine halbe Stunde später lag die Auswertung der von den getarnten Meßstationen auf dem Mount King gelieferten Beobachtungen vor. „Laut den aufgefangenen Strahlungswerten, den seismischen Erschütterungen und dem elektromagnetischen Impuls besteht kein vernünftiger Zweifel daran, daß T-XXIX zerstört wurde“, faßte Martell niedergeschlagen die Ergebnisse zusammen. „T-XXVII im Tschadbecken dürfte es nicht anders ergangen sein. Das bedeutet in letzter Konsequenz für uns, daß wir, wie die Jungs vom GIIC da oben, nur stark geraffte Funkbotschaften mit Minimalleistung abschicken dürfen. Also werden wir keine direkten Gespräche führen können, selbst wenn sich der Äther wieder beruhigt hat.“ „Wir können noch eine meteorologische Meßstation in der Nähe von Rapid Creek über ein abgeschirmtes Kabel erreichen“, gab Bowden zu bedenken. „Die ist fünfzig Meilen von hier entfernt und unbemannt. Liegt in einer völlig menschenleeren Gegend. Selbst wenn die Fremden sie anpeilen und zerstören, können sie uns nicht auf die Spur kommen.“ Martell nickte. „Richtig. Aber das Frequenzfenster, wie dieser Larkin es nennt, hat sich wieder geschlossen. Sobald es sich wieder öffnet, werde ich versuchen, Kontakt mit den anderen T-Stationen aufzunehmen.“ Sein Gesicht verdüsterte sich. „Falls sie überhaupt noch existieren. Nach dem Ende von T-XXIX und vermutlich auch T-XXVII, müssen wir davon ausgehen, daß es auch die restlichen Stationen erwischt hat. Es sei denn, sie konnten T-XXIX zwar empfangen, haben aber wie wir vorsorglich geschwiegen.“ „Mir ist gerade ein erschreckender Gedanke gekommen“, warf Captain Bowden ein. „Wir hatten zwar noch keine Zeit, alle Informationen von diesem Larkin zu sichten, aber in der angehängten Datei stand, daß die Frequenzfenster sich normalerweise nur für Sekunden auftun und sehr schmal sind. Dieses letzte Fenster dagegen war nicht nur ungewöhnlich lange, sondern auch sehr weit offen. Könnte es nicht sein, daß die Unbekannten es absichtlich aufgerissen haben?“ „Um uns eine Falle zu stellen, in die T-XXIX und T-XXVII auch sofort hineingetappt sind“, spann der General den Faden weiter. „Ja, das klingt logisch. Und es erklärt auch, warum es oben im Orbit immer noch funktionierende Kommunikations- und Überwachungssatelliten gibt. Die Fremden warten nur darauf, daß die Dinger aktiviert werden, um so Sender und Empfänger auf der Erdoberfläche aufzuspüren.“ Er kratzte sich nachdenklich im Nacken. „Wir werden folgendes ausprobieren: Bei den nächsten längeren Frequenzfenstern nehmen wir die Funkanlage bei Rapid Creek in Betrieb und werden die Ausgangsleistung und Sendedauer kontinuierlich steigern. 73
So können wir den Punkt bestimmen, ab dem unsere Funksprüche von den Fremden angemessen und ihr Ursprung lokalisiert werden kann.“ „Was bedeutet, daß wir die Relaisstation damit verlieren.“ „Richtig.“ Martell lächelte schmallippig. „Aber wir müssen Opfer bringen, wenn wir etwas erfahren wollen. Und wir haben immer noch unsere versteckten Sender im Mount King und zwei weitere drüben auf dem Princess Peak, auf der anderen Seite des Tachat River.“ „Gefährlich nahe“, warnte sein Stellvertreter. Martell zuckte die Achseln. „Was bleibt uns anderes übrig?“ fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Captain, instruieren Sie die Funkzentrale.“ Er zupfte an seinem verschwitzten Unterhemd. „Ich muß dringend unter die Dusche und die Wäsche wechseln. Sonst glauben unsere Männer noch, ihr Kommandant würde allmählich die Kontrolle über sich und die Situation verlieren.“ * Wayne Fitzgerald logierte fürstlich in der Präsidentensuite des Sheraton von Montreal. Die Strom- und Wasserversorgung funktionierte noch, und er hatte sich in der Küche mit allem eingedeckt, was er brauchte. Trotzdem konnte er den Aufenthalt in dem luxuriösen Hotel nicht so recht genießen. Sobald er die Musikanlage abschaltete, herrschte eine bedrohliche Stille in dem riesigen Gebäude, und wenn er in eine der Bars, in den Speisesaal oder ins Foyer ging – er machte sich stets die Mühe, die vielen Etagen zu Fuß hinunterzulaufen, um bei einem Stromausfall nicht im Aufzug festzustecken – bot sich ihm ein furchtbarer Anblick, der selbst einem abgebrühten Ex-Agenten und skrupellosen Einzelkämpfer einen eisigen Schauder über den Rücken jagte. Überall saßen oder standen die Hotelgäste und das Personal wie lebendige Skulpturen herum. Oder wie lebende Tote. Genau wie in den Gängen, Zellen und Büros des Bezirksgefängnisses, aus dem er gestern geflohen war. Er hatte sein Bettlaken in dünne Streifen gerissen, die Stoffbahnen zusammengeknotet, miteinander zu einem dicken Seil verflochten und eine Schlinge daraus geformt. Es war nicht schwer gewesen, den alten Schließer mit dem improvisierten Lasso einzufangen, ihn an die Zellentür heranzuziehen und ihm die Schlüssel abzunehmen. Dabei und später im Sheraton hatte Wayne eine interessante Beobachtung gemacht. Die Menschen zeigten keinerlei Reaktion, wenn man sie anschrie, vor ihren Gesichtern herumfuchtelte oder so tat, als wollte man sie schlagen. 74
Stieß man sie jedoch kräftig an, machten sie einen Schritt, um das Gleichgewicht zu bewahren. Auch reagierten sie ab einer bestimmten Intensität auf Schmerzreize. Näherte man beispielsweise die Flamme eines Feuerzeugs ihren Fingern, zogen sie irgendwann die Hand zurück. Auch Bernie war, dem Zug der Schlinge um seinen Hals folgend, auf die Zellentür zugetaumelt. In einem Anflug von Mitleid hatte Wayne die Türen seiner Mitgefangenen aufgeschlossen und war vorsichtig durch die Gänge und Flure des Gefängnisses geschlichen. Doch genausogut hätte er laut pfeifen, brüllen oder in die Hände klatschen können. Ausnahmslos alle Wärter, Verwaltungsangestellte und Häftlinge befanden sich im gleichen, unerklärlichen Trancezustand. Lähmung oder Koma waren vermutlich die treffenderen Bezeichnungen. Wayne hatte sich Bernies Paraschocker geschnappt, ein größeres Lähmungsgewehr aus der Waffenkammer mitgehen lassen und danach der nächstgelegenen Polizeistation einen Besuch abgestattet. Jetzt war er bis an die Zähne bewaffnet und bereit, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, sollten die Menschen wieder aus ihrer Starre erwachen oder – womit er rechnete – die außerirdischen Invasoren auf der Erde landen. Ein Wayne Fitzgerald kniff vor niemandem, das hatte Clifford Fenneman am eigenen Leib zu spüren bekommen, und das würden auch die Fremden aus dem All erfahren… * Reißen denn die Hiobsbotschaften überhaupt nicht mehr ab? dachte Pavel Bushkin mutlos. Er hatte sich in sein Büro zurückgezogen und studierte die letzten Daten, die ihm Kyle Larkin und Brad Diel über einen der immer weniger werdenden Kommunikationssatelliten aus dem Orbit geschickt hatten. Alle Geheimstationen außer T-XXX waren zerstört worden. In immer mehr Regionen erstarrten die Menschen zu Salzsäulen wie Lots Frau, und in diesen Gegenden kam es vermehrt zu Katastrophen, wenn Kraftwerke trotz aller Sicherungssysteme hochgingen, weil niemand mehr aktionsfähig war, um sie im entscheidenden Moment abzuschalten, wenn Brandherde, von keiner Feuerwehr bekämpft, sich unkontrolliert ausbreiteten, oder wenn Frachtschiffe mit hochexplosiver Ladung, deren Autopiloten durch starke elektromagnetische Impulse gestört worden waren, steuerlos an der Küste auf Grund liefen oder miteinander kollidierten. Neben den entsetzlichen Verlusten an Menschenleben drohte dem Planeten eine gigantische Umweltkatastrophe. 75
Und niemand konnte vorhersagen, was passieren würde, wenn die Außerirdischen schließlich landeten. Die konkreteste Sorge aber, die Bushkin quälte, betraf die gelähmten Menschen. Vor 24 Stunden waren sie auch in Montreal innerhalb einer knappen Minute zur Bewegungslosigkeit erstarrt, und zu ihnen gehörten die fünf GIIC-Mitarbeiter in der Spedition über der unterirdischen Zentrale. Sie reagierten auf keinerlei Bemühungen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Bushkin hatte sie über die Sprechverbindung angebrüllt, die Beleuchtung in unterschiedlichen Intervallen ein- und ausschalten lassen, die Raumtemperatur über die Klimaanlage deutlich erhöht und gesenkt und sogar eine Sprenkleranlage kurzfristig aktiviert. Keiner hatte auch nur mit der Wimper gezuckt. Alle hockten wie Wachsfiguren reglos in ihren Sitzen. Nur die flachen Atemzüge verrieten, daß es sich um Menschen aus Fleisch und Blut handelte. Das gleiche Bild bot sich im offiziellen GIIC-Hauptquartier des Galaxy Centers. In Atlanta dauerte dieser unheimliche Zustand nun schon 36 Stunden an, und in Vancouver und Seattle an der Westküste hatte er heute morgen eingesetzt. Bushkin fragte sich, wie lange Menschen ohne Wasser und Nahrung überleben konnten. Drei bis vier Wochen, ohne etwas zu essen, aber nicht mehr als vier oder fünf Tage ohne Flüssigkeitsaufnahme. Unter normalen Umständen. Nur waren dies beileibe keine normalen Umstände. An dieser Hoffnung klammerte sich der Leiter des GIIC fest. Den Bildern der Überwachungskameras nach zu urteilen, waren die Lebensfunktionen der Menschen auf ein Minimum herabgesunken. Sie schienen sich in einer Art künstlichem Winterschlaf zu befinden. Doch selbst bei extrem reduziertem Mentabolismus mußten sie atmen, und mit jedem Atemzug schieden sie Wasserdampf aus. Spätestens nach einer Woche oder zehn Tagen, so schätzte Bushkin, würden sie durch den Flüssigkeitsverlust an innerer Austrocknung sterben. Und er konnte nichts tun, um diese Katastrophe zu verhindern. Es sei denn, er schickte einen Trupp von Freiwilligen an die Erdoberfläche, der versuchte, der Ursache für diese Erstarrung auf den Grund zu gehen. Aber was, wenn meine Leute dort ebenfalls in diesen Zustand geraten? Er zweifelte nicht einmal daran, daß sich genügend Freiwillige für ein solch riskantes Unternehmen finden würden. Mit Schutzanzügen und Atemmasken ausgerüstet hatten sie vielleicht tatsächlich eine Chance. Sofern ein Gas für die Lähmung verantwortlich war. Unwahrscheinlich. Alle Aufnahmen zeigen, daß die Wirkung spontan 76
und großflächig einsetzt. Kein Gas kann sich so schnell und so gleichmäßig ausbreiten. Aber heißt das, daß wir einfach untätig bleiben und die bedauernswerten Menschen ihrem Schicksal überlassen sollen? Pavel Bushkin lauschte in sich hinein und wartete vergeblich auf eine Antwort, auf eine innere Stimme, die ihm sagte, was er zu tun hatte. Schließlich gab er sich einen Ruck. Wenn man sich ohnehin schuldig machte, ob man nun handelte oder nicht, war es letztendlich egal, wie man sich entschied. Und Bushkin war ein Mann der Tat, auch wenn seine phlegmatische Fassade das Gegenteil zu beweisen schien. Seine Faust hieb auf die Taste der Gegensprechanlage. „Bushkin an Medo-Abteilung!“ rief er so laut und deutlich, als wäre er nicht in Wirklichkeit völlig ausgelaugt und immer noch unschlüssig. „Das gesamte medizinische Personal zu mir! Wir haben eine Entscheidung zu treffen!“ * Es war eine Ironie des Schicksals, daß Brad Diel nicht nur in der gleichen Sekunde wie seine Frau den teuflischen Strahlen der Außerirdischen zum Opfer fiel, sondern daß beide genau in diesem Moment die Augen geschlossen hatten und aneinander dachten. Während Lydia mit ihren Gästen und den Kindern unglücklich im Eßzimmer saß und es Vincent überließ, den Truthahn anzuscheiden, schwebte der SILBERPFEIL gerade über den nordöstlichen Zipfel Australiens hinweg. Und rund 200 Kilometer über ihm zog ein Kugelraumer seine lautlose Bahn. Lydia kannte den Flugplan des Shuttles und wußte, daß es – sofern es nicht den Kurs geändert hatte – in diesen Minuten Darwin überquerte. Sie betete, daß Brad noch lebte. Vielleicht blickte er gerade durch ein Teleskop mit hoher Auflösung und konnte die Umrisse ihres gemeinsamen Hauses sehen. Ein wehmütiges Lächeln huschte über ihre Lippen, als sich ihre Gedanken unvermittelt verwirrten. Sie hörte ein erstauntes Keuchen Ginas und das Klappern der Geflügelschere auf Porzellan und wollte die Augen öffnen, doch ihre Lider schienen plötzlich schwer wie Blei. Es war eine angenehme Müdigkeit, die sie überfiel und ihre Sorgen wie eine sanfte Hand wegwischte. Schlafen, dachte sie, tief und fest schlafen, und wenn ich das nächste Mal erwache… Irgend etwas berührte ihre Schulter. Sie roch den Duft von Timmys frisch gewaschenem Haar, das ihren Hals kitzelte. Ihr Lächeln vertiefte sich, 77
und dann erlosch die Welt um sie herum. 437 Kilometer über ihr stieß Brad ein leises Seufzen aus. Seine Hand, die ein kleines Medaillon umklammert hielt, das Lydia ihm nach ihrem dritten Treffen geschenkt hatte, öffnete sich. Er schüttelte beinahe widerwillig den Kopf. „Kyle?“ flüsterte er undeutlich. Doch Kyle hörte ihn nicht. Er hatte den Blick wie hypnotisiert auf den Bildschirm der Passivortung gerichtet. Wieder einmal jagte der SILBERPFEIL energetisch tot auf seinem Orbit um die Erde, und jeden Augenblick konnte auch seine zweiköpfige Besatzung tot sein. Der GIIC-Agent ignorierte das leichte Kribbeln und Ziehen in seinem Nacken und zuckte nicht einmal mit einer Wimper, als es sich zu einem leichten Brennen steigerte. Kurz darauf war es auch schon wieder vorbei und machte dem schwachen Schwindelgefühl Platz, das die ständige torkelnde Rotation des Shuttles hervorrief. Das kugelförmige Raumschiff entfernte sich auf seinem polaren Orbit immer weiter von dem havarierten Shuttle, ohne einen Schuß abzugeben. „Unfaßbar“, murmelte Kyle nach einer kleinen Ewigkeit. „Daß wir noch einmal davonkommen würden, hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten.“ Er drehte sich zu seinem Kollegen um, der neben ihm im Copilotsitz festgeschnallt war. „Tut mir leid, daß du keine Gelegenheit hattest, eine Botschaft für Lydia direkt nach Darwin…“, begann er und verstummte mitten im Satz. „Brad?“ Der GIIC-Techniker gab keine Antwort. Seine Arme beschrieben, von der schwachen Zentrifugalkraft erfaßt, langsam schlingernde Bewegungen über seinen Kopf. Als übte er mit geschlossenen Augen einen dieser neumodischen NullG-Tänze. ,Brad?“ wiederholte Kyle beunruhigt. Keine Reaktion. Was auch immer er versuchte, sein Partner zeigte bis auf langsame, flache Atemzüge nicht das geringste Lebenszeichen. Nach einer Weile stellte Kyle seine Bemühungen ein, den stämmigen Techniker aus dem unnatürlichen Tiefschlaf zu reißen. Er hatte aus der GIIC-Zentrale von der Massentrance auf der Erde erfahren. Offensichtlich war auch Brad ihr zum Opfer gefallen. Kyle fragte sich, wieso es ihn nicht erwischt hatte. Undeutlich erinnerte er sich an das kurze Kribbeln und Brennen in seinem Nacken vor wenigen Minuten. War sein Kollege genau in diesem Augenblick von dem Kugelraumer über ihnen außer Gefecht gesetzt worden? Durch eine unbekannte Strahlung, die die Passivortung nicht anzeigte? Als hätte irgend jemand ein Tonbandgerät eingeschaltet, hörte er Brads 78
Stimme: Sollte ich es nicht schaffen, bitte ich dich um einen Gefallen. Bei meinen persönlichen Sachen findest du eine kleine blaue Kassette. Ich möchte, daß du sie Lydia übergibst, falls du allein auf die Erde zurückkehrst. „Tu mir das nicht an, Kumpel“, flüsterte er. „Du kannst dich jetzt nicht einfach aus dem Staub machen. Ich brauche dich, um einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation zu finden. Gemeinsam können wir es schaffen.“ Aber in Wahrheit wußte er längst, daß es keinen Ausweg für ihn gab, weder mit noch ohne Brads Hilfe. Selbst wenn es ihm irgendwie gelang, das Triebwerk des SILBERPFEIL zu zünden, ohne ihn dabei in tausend Stücke zu sprengen, selbst wenn die Fremden die plötzlichen Energieemissionen nicht anmaßen und das Shuttle nicht mit ihren überlegenen Präzisionswaffen pulverisierten, würde es beim Eintritt in die Erdatmosphäre wie eine Sternschnuppe verglühen. Einen Raumgleiter mit einer beschädigten Tragfläche konnte auch ein Wunder nicht retten. Es wurde Zeit, daß er sich der Realität stellte. Er war ein toter Mann. 4. Wayne war gerade auf dem Weg zum Weinkeller, als er ein vertrautes Kribbeln und Brennen im Nacken verspürte und die Menschen übergangslos aus ihrer Starre erwachten. Im ersten Moment wußte er nicht, ob er bestürzt oder erleichtert sein sollte. Der Anblick der reglosen Gestalten zehrte immer mehr an seinen Nerven. Doch schon im nächsten Moment überwog die Bestürzung. Die Bewegungen der Menschen wirkten unnatürlich roboterhaft. Sie sahen weder nach rechts noch nach links. Keiner schien den anderen auch nur wahrzunehmen. Aber trotzdem kam es nicht einmal zu Rempeleien oder Zusammenstößen. Der Ex-Agent drückte sich an einen Pfeiler, Bernies Paraschocker in der einen und einen hochmodernen Kombinadler in der anderen Hand. Eine Kolonne mit stumpfen Augen defilierte wie Schlafwandler an ihm vorbei. Aus einem spontanen Impuls heraus schloß sich Wayne dem Zug an. Er stopfte sich die Waffen unter die Jacke, die er sich in der hoteleigenen Boutique ausgesucht hatte, ließ die Arme schlaff herabbaumeln und schlurfte den anderen mit gesenktem Kopf hinterher. Nur nicht auffallen. Es dauerte nicht lange, bis er begriff, wohin der Weg führte. 79
In einen der Speisesäle. Die Menschen verteilten sich an den Tischen, nahmen Platz und starrten blicklos geradeaus. Ausnahmslos Hotelgäste, wie Wayne an ihrer Kleidung feststellte. Und dann erschienen die Kellner. Vollbeladene Servierwagen wurden in den Raum geschoben, beladen mit Speisen und Getränken. Wenn man den Fraß überhaupt als Speisen bezeichnen konnte. Die Bedienung häufte den Gästen mechanisch eine abenteuerliche Mischung verschiedenster Lebensmittel auf die Teller. Ein Teil war schon vor zwei Tagen von der Küche zubereitet worden – Wayne hatte alle Herde und Öfen kurz nach seinem Eintreffen eigenhändig abgestellt, damit kein Brand ausbrach, wenn sich Töpfe und Pfannen überhitzten – und stand kurz davor, zu verschimmeln. Ein anderer Teil bestand aus Obst, rohem Fleisch und Gemüse aus den Kühlräumen. Dazu kredenzten die Kellner ein wahlloses Durcheinander aus Wein, Wasser, Limonaden, Bier, Obstsäften und hochprozentigen Spirituosen. Wayne war dankbar, daß eine Flasche Whiskey neben seinem Teller abgestellt wurde. Er trank einen großen Schluck direkt aus der Flasche und beobachtete das schaurige Mahl, ohne das ekelhafte Gemisch auf seinem Teller auch nur anzurühren. Die Hotelgäste stopften wahllos in sich hinein, was sie fanden, manchmal in Kombinationen, die Wayne die Haare zu Berge stehen ließen. Neben ihm schlang sich ein Mann mit Räucherlachs, Schokoladenpudding und Selleriestauden voll. Eine Frau ihm gegenüber nagte an einem blutigen Fleischfetzen, schob sich dazu Kirschtorte in den Mund und spülte die Bissen mit Sekt hinunter. Und niemand sprach ein Wort. Die Kellner waren verschwunden, nachdem sie reichlich aufgefahren hatten, und die Gäste aßen mit der zielstrebigen Gleichgültigkeit von Maschinen, bis kein Krümel mehr übrig war. Danach blieben sie einfach reglos auf ihren Plätzen sitzen. Wie Automaten, die ihr Programm abgespult hatten und jetzt auf neue Instruktionen warten. Aber wer schrieb ihre Programme? Wer gab ihnen auf welchem Weg Instruktionen? Es war ein ganz banaler Gedanke, der für Wayne Fitzgerald das Faß zum überlaufen brachte. Nicht die Erkenntnis, daß die Menschen – wie auch immer – zu willenlosen biologischen Robotern gemacht wurden, die irgendwann ihrem zweifellos unerfreulichen Verwendungszweck zugeführt werden würden. Auch nicht die Furcht, daß sie ihn vielleicht demnächst als einen Fremdkörper in ihren Reihen erkennen und angreifen könnten. 80
Er fragte sich, ob die unsichtbaren Strippenzieher im Hintergrund ihren Marionetten irgendwann den Befehl geben würden, sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Und ob sie überhaupt wußten – oder ob es sie interessierte – wie zivilisierte Menschen ihre Notdurft verrichteten… Wayne verließ langsam und nach allen Seiten sichernd den Speisesaal, die Hände immer in der Nähe seiner Waffen, obwohl ihm niemand die geringste Beachtung schenkte, und kehrte in die Präsidentensuite zurück. Dort packte er einen vorsorglich bereitgelegten Rucksack mit allem, was er für wichtig erachtete – vor allen Dingen weitere Waffen und haufenweise Munition – legte sich ein letztes Mal auf das traumhaft luxuriöse Bett, verschränkte die Hände im Nacken und dachte nach. Mitten in einer Großstadt zu bleiben kam nicht in Frage. Er konnte nicht abschätzen, wie sich die Situation weiterentwickeln würde. Möglicherweise würden die Menschen einfach zu einem Haufen stinkender, geistloser Zombies mutieren, deren Anblick ihm mit der Zeit den Verstand raubte. Vielleicht aber verwandelte sie der nächste Programmierungsschub aber auch in eine Armee erbarmungsloser Killer, die auf alles Jagd machten, was sich von ihnen unterschied. Also blieben ihm zwei Alternativen. Er konnte aufs Land gehen, sich ein abgelegenes Haus suchen und sich dort einquartieren. Was mit den Bewohnern geschehen sollte, würde sich zu gegebener Zeit finden. Oder er blieb doch in der Stadt, oder besser gesagt, unter ihr. Die geheime GIIC-Zentrale war mit allem ausgestattet, was er zum Überleben brauchte, und verfügte über eine autarke Energieversorgung. Darüber hinaus war sie für Uneingeweihte praktisch unauffindbar und unzugänglich. Und noch ein weiteres Argument sprach für die unterirdische Station. Es bestand die Möglichkeit, daß Hunderte Meter von Gesteinsschichten einen Schutz gegen das boten, was die Menschen auf der Erdoberfläche lahmlegte und steuerte. Also war es durchaus denkbar, dort unten noch normale, unbeeinflußte Menschen vorzufinden. Mitkämpfer gegen die unbekannte Gefahr aus dem All. Ein verkniffenes Grinsen verzog Waynes Mundwinkel. Es waren seine eigenen Kollegen gewesen, die sein Komplott gegen Clifford Fenneman aufgedeckt und ihn gefaßt hatten, nicht die Polizei. Bushkin hatte ihn einen durchgeknallten Killer genannt, einen unberechenbaren Psychopathen, der aus dem Verkehr gezogen werden mußte. Mal sehen, ob er immer noch dieser Meinung ist, dachte Wayne. Ein Lachen stieg in seiner Kehle auf. Mal sehen, ob er auf einen Profi wie mich verzichten kann, falls er nicht selbst zu einem atmenden Gemüse geworden ist. Und vielleicht kann ich ihn ja endlich davon überzeugen, daß Cliff ein elender Bastard war, der nur bekommen hat, was er verdient. Was seine 81
drei Kumpels angeht, woher hätte ich denn wissen sollen, daß er ausgerechnet an diesem Tag mit ihnen zum Angeln gehen wollte? Irgendwann wird auch Bushkin kapieren, daß mir nur ein bedauerlicher Fehler unterlaufen ist. Er erhob sich, schnallte sich den Rucksack um, verstaute seine Waffen in den diversen Holstern und Taschen seines Anzugs und verließ die Präsidentensuite des Sheraton Hotels. Wayne Fitzgerald war wieder im Geschäft, und wer sich ihm in den Weg stellte, ob Aliens oder verblendete Menschen, sollte sich besser warm anziehen… * Mehr als die Hoffnungslosigkeit seiner eigenen Situation machte es Kyle Larkin zu schaffen, daß er nichts für Brad tun konnte, außer ihm über einen in die Speiseröhre geschobenen Schlauch eine Nährflüssigkeit einzuflößen. Seit drei Tagen befand sich der GIIC-Techniker in diesem katatonischen Zustand. Kyle hatte ihn im Laderaum an einem Gestell festgezurrt, im Mittelteil des Shuttles, wo die Fliehkräfte durch die Rotation am wenigsten spürbar waren. Er wollte nicht riskieren, daß sich Brad trotz seiner tiefen Bewußtlosigkeit irgendwann übergab. Die Situation wurde von Tag zu Tag deprimierender. Luft, Wasser und Energie würden noch für Wochen reichen, sofern Kyle die Wiederaufbereitungsanlage täglich mindestens drei Stunden aktivieren konnte. Die Nahrungsvorräte dagegen gingen allmählich zur Neige. Der Reparaturflug des SILBERPFEIL war auf maximal eine Woche angelegt gewesen, und es hatte keinen Grund gegeben, mehr als die üblichen Reservevorräte einzupacken. Aber eigentlich war es sinnlos, das Unvermeidliche künstlich weiter aufzuschieben. Die Unbekannten hatte ganze Arbeit geleistet. Soweit Kyle es beurteilen konnte, war ihnen die Erde mittlerweile schutzlos ausgeliefert. Den sporadischen Informationen nach zu urteilen, die er gelegentlich aus dem Hauptquartier des GIIC erhielt, verfielen immer mehr Menschen der rätselhaften Lähmung. Nur eines hatte sich offensichtlich verändert. Ein Teil der Menschen erwachte vorübergehend aus der Starre, um Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen, bevor er wieder ins Koma fiel. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand. Welche Absichten die Außerirdischen auch immer verfolgten, -offenbar benötigten sie die Menschen noch für andere Zwecke. Kyle fragte sich, wozu er hier oben noch die Augen offenhielt. Abgesehen von der GIIC-Zentrale und T-XXX gab es niemanden mehr, an den er 82
seine Beobachtungen schicken konnte, und mittlerweile gab es aus dem Orbit nichts weiter zu beobachten, außer einer paralysierten Erde und unermüdlich patroullierenden Kugelraumern, die noch immer keine Anstalten machten zu landen. Außerdem gingen ihm langsam die Satelliten aus. Die Fremden hatten begonnen, nicht nur diejenigen lahmzulegen, bei denen sie Aktivitäten feststellten, sondern auch den Rest einzusammeln. Was sie damit anzufangen gedachten, war Kyle ein Rätsel. Vielleicht dienten sie Forschungszwecken, vielleicht einfach nur einem so profanen Zweck, sie als Trophäen oder Souvenirs auf irgendeinem galaktischen Basar zu verscherbeln. Es war frustrierend, wie wenig er über die Angreifer wußte. Außer der ungefähren Anzahl ihrer Schiffe sowie deren Form und Größe konnte er nur ein paar vage Angaben über die Offensiv- und Defensivbewaffnung machen. Alles andere blieb Spekulation. Wie mochten die Fremden aussehen? Woher kamen sie? Was wollten sie? Aber selbst wenn er Antworten auf diese Fragen erhielt, welchen Wert hatten sie noch für eine Erde, die nicht nur militärisch besiegt worden war, sondern anscheinend auch bis auf den letzten Menschen durch irgendeine mysteriöse Kraft mental versklavt wurde? Nicht bis auf den letzten Menschen, korrigierte er sich. Er war von der Lähmung bisher nicht betroffen, und auch die Agenten im geheimen GIICHauptquartier waren noch Herr ihrer Sinne, obwohl in den Straßen Montreals über ihnen nur noch geistlose menschliche Hüllen dahinvegetierten. Für die Normalität in der unterirdischen Zentrale des Geheimdienstes gab es eine logische Erklärung. Die Gesteinsschichten mußten die vermutete Strahlung abschirmen. Warum er selbst immun war, blieb dagegen offen. Und der Wunsch, dieses Rätsel zu lösen, war alles, was ihn noch davon abhielt, einfach die Luftschleusen des SILBERPFEIL zu öffnen und allem ein Ende zu machen. Das und der Wunsch, es diesen Bestien heimzuzahlen, wenigstens einigen von ihnen! Gerade schwebte wieder eines ihrer Raumschiffe über das Shuttle hinweg, eine nur hundert Meter durchmessende Kugel. Und diesmal schien sie mehr als nur ein flüchtiges Interesse an dem havarierten Reparaturschiff zu zeigen, denn sie hatte ihren Flug deutlich verlangsamt. Kyle ließ die Monitore der Passivortung nur dann kurz aus den Augen, wenn er einen Blick durch die Frontscheibe auf die Fremden erhäschen konnte. Der Kugelraumer war so nahe, daß er sich als winzige Scheibe vor der Schwärze des Alls abhob. 83
Als Kyle das Geräusch hinter sich bemerkte, war es bereits zu spät. Das runde Schott der Schleuse zum Frachtraum fiel mit einem satten Schmatzen auf seinen Dichtungsring, und dann klang ein unheilvolles Rasseln auf. Das Schloß wurde von der anderen Seite durch das mechanische Drehrad geschlossen. Brad! Kyle aktivierte die mit einem Miniakku betriebene Bordsprechanlage. „Brad!“ rief er. „Antworte, wenn du mich verstehst! Und öffne um Gottes willen wieder das Schott!“ Er erhielt keine Antwort. Allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz schaltete er die Bildübertragung zu. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn die Fremden den lächerlichen Spannungsaufbau in den Kabeln anmessen konnten. Selbst in einem Stück Raumschrott, das aus mehreren metallischen Komponenten bestand, flössen minimale Ströme, wenn es Energie wie Hitzestrahlung ausgesetzt wurde. Und momentan befand sich der SILBERPFEIL auf der Tagseite des Planeten. Ein Überwachungsmonitor erhellte sich, und Kyle sah Brad, der sich an einer Kontrollkonsole an der Bordwand zu schaffen machte. Es war die Steuerungseinheit für die riesige doppelflüglige Frachtluke, und die besaß ihr eigenes Energiesystem, das vom Cockpit aus nicht abzuschalten war. „Brad!“ brüllte Kyle entsetzt. „Alter Freund, laß die Finger von den Kontrollen! Gib mir ein Zeichen, wenn du mich verstehst!“ Aber Brad zeigte keinerlei Reaktion. Er hantierte wie ein Automat an der Konsole herum, und Kyle trat der kalte Schweiß auf die Stirn, als er sah, mit welcher Zielstrebigkeit der Techniker vorging. Der Frachtraum stand unter Druck, und eine Batterie von Sicherungseinheiten verhinderte ein Öffnen der Luke. Doch es gab ein Schlupfloch, ebenfalls mehrfach abgesichert, die Sperren zu umgehen. Die Möglichkeit einer Notsprengung für den unwahrscheinlichsten aller Katastrophenfälle. Und genau diese Notsprengung leitete Brad gerade ein. Er trug seinen Raumanzug, aber ohne Helm. Die explosive Dekompression würde ihn in Sekundenschnelle töten, selbst wenn ihn der Luftstrom nicht aus dem Frachtraum riß. „Was auch immer sie dir antun, Kumpel“, flüsterte Kyle hilflos in das Mikro der Bordsprechanlage, „kämpfe dagegen an! Laß nicht zu, daß sie auf diese Art gewinnen!“ Brad hatte die Sicherungsabdeckung über der Konsole gelöst. Er mochte unter fremden Einfluß stehen und keinen eigenen Willen mehr besitzen, aber er wußte genau, was er tat. „Denk an deine Frau“, flehte Kyle. „Denk an Lydia und deine Kinder!“ Der Hebel für die Notsprengung wurde sichtbar. Ein grellroter Griff mit 84
einem verdickten Ende. Brad öffnete die Sperrklammer und drehte die beiden Sicherungsstifte heraus. „Tu es nicht, Brad…“ Kyles Stimme versagte. Ganz langsam drehte sich Brad um die eigene Achse, bis er genau in die Aufnahmekamera blickte. Und in diesem Moment war Kyle überzeugt, in den Augen des Technikers Verstehen aufblitzen zu sehen, unendliche Trauer und die Bitte um Vergebung. Seine Hand ruckte nach unten. Das Doppelschott der Frachtluke flog mit einem dumpfen Knall auf und wirbelte davon. Brad folgte ihm wie ein welkes Blatt in einem Herbststurm und verschwand in der Schwärze des Alls. Kyle vergrub das Gesicht in den Händen. Als er sie wieder sinken ließ, konnte er auf dem Ortungsschirm sehen, wie der Kugelraumer langsam Fahrt aufnahm und sich gemächlich entfernte, als sei er mit dem Ergebnis zufrieden. Es war kein Haß, den Kyle empfand, während er auf die über den Frontschirm des Shuttles wirbelnden Sterne starrte, zwischen denen der helle Punkt des fremden Raumschiffs zusammenschrumpfte. Nicht einmal Trauer und Bedauern. Nur eine grenzenlose Leere. Inmitten der erbarmungslosen Kälte und der lastenden Stille des Weltraums war er allein. * Es war unmenschlich, einen Einsatztrupp nach den Kriterien zusammenzustellen, welche Mitarbeiter am ehesten entbehrlich waren. Trotzdem hatte Pavel Bushkin genau das getan. Von einer Ärztin und einem Agenten mit militärischer Kampfausbildung abgesehen, bestand die Gruppe aus einem Mann und einer Frau, die in der Verwaltungsabteilung arbeiteten. Ihr Ausfall würde die GIIC-Zentrale nicht schwächen. Bushkin hatte ihnen die Gründe für seine Auswahl nicht verschwiegen. „Alles, was ich von Ihnen erwarte, ist, sich ein Bild der Lage zu verschaffen und keine Heldentaten zu begehen“, schärfte er seinen Leuten zum wiederholten Mal ein. „Finden Sie heraus, ob die betroffenen Menschen irgendwie ansprechbar sind oder aus ihrer Starre gerissen werden können. Sollten Sie selbst so etwas wie Lähmungserscheinungen oder Desorientierung verspüren, kehren Sie unverzüglich in den Stützpunkt zurück. Wenn Sie es für vertretbar halten, stecken Sie einen der Gelähmten in einen Quarantäneanzug und bringen ihn zu uns herunter. Unter keinen Umständen dürfen Sie das Gelände der Spedition verlassen. Ist das jedem klar?“ 85
Die vier Freiwilligen nickten einmütig. Ihr Einsatz war schon einmal verschoben worden, nachdem sich die GIIC-Mitarbeiter in der Spedition über der unterirdischen Zentrale unvermittelt wieder zu bewegen begonnen und Nahrung zu sich genommen hatten. Seither waren drei Stunden vergangen, und die Menschen hockten so reglos wie zuvor in ihren Stühlen. „Und wenn Sie auf jemanden stoßen, der nicht in Lethargie verfallen ist“, fuhr Bushkin fort, „überzeugen Sie sich zuerst, ob er bei Verstand ist und keine Gefahr für uns darstellt, bevor Sie ihn mitnehmen. Wir können es uns nicht leisten, eine ferngesteuerte Marionette der Unbekannten bei uns einzuschleusen.“ Damit bezog er sich auf Beobachtungen, die sie über die Verkehrsüberwachungskameras in Seattle an der Westküste und in Columbus, Ohio gemacht hatten. Ihm lief jetzt noch eine Gänsehaut über den Rücken, wenn er an die Bilder dachte. In Seattle war ein übergewichtiger Mann in einem irrwitzigen Tempo durch die wie eingefroren wirkenden Menschenansammlungen gerannt. Auch ohne Ton hatte Bushkin geglaubt, die verzweifelten Schreie des Unbekannten noch auf der anderen Seite des Kontinents hören zu können. Das verzerrte Gesicht des Mannes ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wahrscheinlich würde er es bis an sein Lebensende vor sich sehen, sobald er die Augen schloß. In Columbus war ein kleiner Schweber im Zickzack durch die Straßenschluchten geflogen, und die Silhouette hinter der Windschutzscheibe hatte gezeigt, daß er von einem hellwachen – wenn auch vielleicht verrückt gewordenen – Menschen gesteuert worden war. Offenbar gab es vereinzelte Personen, die gegen die unheimliche Beeinflussung resistent waren. Wenn es gelang, einen solchen Menschen zu finden, konnte die medizinische Abteilung der GIIC-Zentrale möglicherweise dem Auslöser dieser anscheinend weltweiten Lähmung auf die Spur kommen und Gegenmaßnahmen ergreifen. „Geht klar, Chef, versicherte Niu Kelauakoha, der hühnenhafte Hawaiianer, der als Führer der Einsatzgruppe ausgewählt worden war. Die vier Männer und Frauen schulterten ihre Waffen und die Ausrüstung, betraten einen Aufzug und fuhren den 700 Meter langen Schacht durch das gewachsene Gestein an die Oberfläche. Pavel Bushkin, der sie bis zum Lift begleitet hatte, eilte in die Überwachungszentrale und nahm vor den Monitoren Platz, um das weitere Geschehen zu verfolgen. Er hatte kein gutes Gefühl bei dem Kommandounternehmen, aber er konnte sich nicht ewig mit seinen Leuten unter der Erde verkriechen und auf ein Wunder warten. 86
Der Kontakt zu Kyle Larkin im Orbit wurde immer spärlicher. Brad Diel war tot, und nach dem letzten Informationsstand hatte Larkin nur noch auf fünf Relaissatelliten Zugriff. In zwei, spätestens drei Tagen – falls er überhaupt solange überlebte – würde er die GIIC-Zentrale nur noch direkt vom Shuttle aus erreichen können. Und ein solcher Funkspruch, wie kurz und gebündelt er auch ausfallen mochte, kam nur in einem äußersten Notfall in Frage. In diesem Moment sah Bushkin ein grünes Licht über der Tür des Lifts auf einem der Monitore aufleuchten. Er beugte sich unwillkürlich in seinem Drehsessel weiter vor und dachte nicht länger an Kyle Larkin. „Okay, Leute, die Luft ist rein!“ meldete Niu Kelauakoha, nachdem er den Kopf durch die geöffnete Lifttür geschoben und den Flur in beide Richtungen überprüft hatte. Er hob kurz den Daumen in die Aufnahmekamera an der gegenüberliegenden Wand und verließ wachsam den Lift, das schwere Kombigewehr schußbereit im Anschlag. Seine Begleiter folgten ihm verstohlen wie Einbrecher auf einem nächtlichen Beutezug. Alle trugen luftdichte Schutzanzüge, deren Helmkapuzen sie noch im Lift geschlossen hatten, und jeder hielt einen Paraschocker in der Hand. Leise huschten sie durch den Gang, bis sie eine schwere Stahltür an seinem Ende erreichten. Das Lämpchen über einem numerischen Tastaturfeld zeigte den Bereitschaftsmodus. Kelauakoha warf Sheila Duncan, der jungen Ärztin, einen fragenden Blick zu. Die Frau überprüfte eine Anzeigekonsole am linken Arm ihres Schutzanzuges und schüttelte stumm den Kopf. Das empfindliche Meßgerät registrierte keine verdächtigen toxischen Gasspuren in der Luft. Das Gewehr in der Armbeuge, gab der Hawaiianer den Öffnungscode in die Tastatur ein. Mit einem leisen Zischen, das durch die Außenmikrophone der Schutzanzüge verstärkt wurde, glitt das Stahlschott zur Seite. Der Lagerraum auf der anderen Seite war bis auf einige Kistenstapel leer. Die vier Agenten durchquerten ihn im Laufschritt. Die Tür zum Verwaltungstrakt der Spedition war nicht verschlossen. In den Fluren herrschte Totenstille. Niu Kelauakoha gab seinen Begleitern ein Zeichen. Sie rückten weiter vor, die Waffen im Anschlag. Jeder sicherte in eine andere Richtung. Durch die Glasfront des Hauptbüros konnten sie zwei reglose Gestalten an ihren Schreibtischen erkennen. Die Spediteure und nebenberuflichen GIIC-Mitarbeiter starrten blicklos ins Nichts. Vor ihnen standen erst kürzlich benutzte Pappteller und Styroporbecher. Sheila Duncan ging vor einem der Männer in die Knie und sprach ihn über das Außenmikrophon ihres Schutzanzuges an. Er zeigte nicht die geringste Reaktion. Als sie ihm mit einer Stablampe in die Augen leuchtete, 87
verengten sich jedoch seine Pupillen. Zumindest die vegetativen Reflexe funktionierten also noch. Eine flüchtige Untersuchung ergab, daß sich sein Pulsschlag zwar extrem verlangsamt hatte, aber regelmäßig war, ebenso wie der flache Atem. Der Blutdruck lag bei bedenklich niedrigen Werten, wenn auch noch oberhalb der kritischen Grenze. „Die beiden scheinen irgendwie auf Sparflamme geschaltet worden zu sein“, gab Sheila bekannt, nachdem sie auch den zweiten Mann untersucht hatte. Sie flüsterte unwillkürlich, obwohl weit und breit kein Anzeichen von Leben zu entdecken war. „Ich weiß nicht, wie ich es anders bezeichnen sollte. Vermutlich haben sie dadurch Glück im Unglück. Wenn sie nur alle zwei bis drei Tage aus dieser Lethargie geweckt werden, um etwas zu essen und zu trinken, dürfte auf Wochen hinaus kein unmittelbares gesundheitliches Risiko für sie bestehen.“ „Trotzdem ein unhaltbarer Zustand“, knurrte Kelauakoha. Er lehnte an einem Wandpfeiler neben dem großen Panoramafenster und spähte durch die Glasscheibe auf den Hof vor der Spedition, wo zwei Schwertransporter und ein Schweber parkten. „Niemand würde Milliarden von Menschen einfach abschalten, aber gleichzeitig dafür sorgen, daß sie nicht verhungern und verdursten, wenn er nicht irgend etwas mit ihnen im Sinn hätte. Und was das ist…“ Er ließ offen, woran er dachte. „Die drei anderen sitzen im Speisesaal“, klang die gepreßte Stimme der zweiten Frau des Einsatzteams auf. „Sie haben ebenfalls gegessen und getrunken und sind jetzt…“ „Runter!“ zischte Niu Kelauakoha. Sheila wirbelte herum und ließ sich reflexartig in die Hocke sinken. Der Agent am Fenster hatte sich noch dichter an den Wandpfeiler gepreßt und verharrte so reglos wie die Gelähmten in dieser Stellung, den Lauf des Gewehrs auf den Hof hinter dem Fenster gerichtet. „Was ist?“ hauchte sie kaum hörbar. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, daß die beiden anderen Agenten flach auf dem Boden lagen. Obwohl sie hauptsächlich Verwaltungsaufgaben erfüllten, hatten auch sie eine Art militärischer Grundausbildung erhalten. „Irgend etwas auf dem Hof hat sich bewegt“, erwiderte der Hawaiianer leise. „Zwischen der Einfahrt und den Schwertransportern. Steve, du kriechst zur Bürotür, bis du den Flur überblicken kannst. Solltest du irgend etwas Verdächtiges bemerken, schießt du, ohne Fragen zu stellen. Paraschocker auf mittlere Stärke. Wenn das nicht ausreicht, höchste Intensität.“ Der zweite Mann bestätigte knapp und robbte über den Boden. Es knackte in Sheilas Kopfhörern, dann hörte sie, wie der Leiter ihrer Gruppe Bushkin Bericht erstattete. „Wir konnten auf unseren Monitoren nichts entdecken“. Bushkin war 88
deutlich zu verstehen, obwohl er aus Sicherheitsgründen mit Minimalleistung sendete. „Allerdings haben wir durch einen der Transporter und den Schweber einen toten Winkel im Zufahrtsbereich. Könnte ein Hund oder eine Katze gewesen sein…“ „Könnte…“, murmelte Kelauakoha mißtrauisch. Offenbar waren nur Menschen und Primaten von der Lähmung befallen. Trotzdem wollte er nicht das geringste Risiko eingehen. „Oder einer unserer Leute aus der offiziellen Zentrale, der gegen die Beeinflussung resistent ist“, fuhr Bushkin fort. Unwahrscheinlich, dachte Kelauakoha. Die Leitungen zum offiziellen Sitz des GIIC am Galaxy Place funktionierten noch, und dort schienen alle Mitarbeiter wie ganz Montreal ins Koma gefallen zu sein. Außerdem registrierten automatische Überwachungsanlagen jedes Öffnen und Schließen der Ein- und Ausgänge. Sollte einer der dortigen Agenten noch handlungsfähig sein, hätte er der geheimen Zentrale bestimmt eine Nachricht geschickt. Dazu war nicht einmal der Omegasicherheitsstatus erforderlich, denn der Suprasensor leitete Nachrichten mit Prioritätskennung automatisch weiter. Und GIIC-Angehörige ohne Omegastatus wußten nicht, wo sich die Geheimzentrale befand. „Was auch immer es war, kehren Sie in den Stützpunkt zurück, sobald Sie sicher sind, daß Sie nicht beobachtet werden“, ordnete Bushkin an. „Wir haben Sie und das Gelände auf den Monitoren und geben Ihnen sofort Bescheid, wenn wir einen Eindringling entdecken, sei es ein Mensch oder ein Außerirdischer. Sheila, können Sie es verantworten, einen der Gelähmten mitzunehmen?“ Sei es ein Mensch oder ein Außerirdischer, dachte die Ärztin erschaudernd. „Ich sehe keine akute Gefahr“, gab sie zurück, „aber ich kann natürlich keine Garantie geben, daß der Betroffene nicht doch ein Risiko für die Sicherheit des Stützpunktes darstellt. Aus ärztlicher Sicht würde ich am liebsten alle fünf mitnehmen. Die Entscheidung müssen Sie treffen.“ „Es bleibt bei einem“, sagte Bushkin ohne das geringste Zögern. „Alles weitere hängt von unseren Untersuchungsergebnissen ab. Beeilen Sie sich!“ Sheila seufzte unhörbar. Es fiel ihr schwer, vier der Unglücklichen zurückzulassen, aber sie wußte, daß Bushkin keine andere Wahl blieb. Der Schutz der Zentrale und seiner Untergebenen hatte Priorität. „Niu?“ fragte sie. „Hier scheint alles ruhig zu sein. Packt den Mann ein, und dann laßt uns verschwinden.“ Aus den Augenwinkeln heraus verfolgte Kelauakoha, wie Sheila und die beiden Verwaltungsagenten den Mann vorsichtig aus seinem Sessel hoben, auf den Boden legten und ihm den Quarantäneanzug überstreiften. Der Mann leistete keine Gegenwehr und sträubte sich nur einmal kurz, als Shei89
la ihm die Arme verdrehen mußte, um sie in die Ärmel des Schutzanzuges zu zwängen. Sie versiegelte gerade die luftdichten Säume und gab ihren Begleitern ein Zeichen, die praktisch leblose Last hochzuheben, als aus der unterirdischen Zentrale eine Meldung in ihren Kopfhörern aufklang, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Sicherheitsalarm! Ein oder mehrere Unbekannte haben die Überwachungskamera in Sektor D zerstört und befinden sich im Speditionsgebäude!“ * „Da ist der Impuls!“ stieß der Funker hervor. Auf seiner Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm. „Schicken Sie das Paket ab!“ befahl John Martell. „Abstrahlleistung um zehn Prozent erhöhen, bei gleicher Sendedauer wie zuvor.“ „Zu Befehl.“ Die Männer in der Funkzentrale von T-XXX warteten gespannt ab. Martell hatte einen Teil der Monitore mit den lokalen Beobachtungskameras auf dem Mount King koppeln lassen. Noch war der Himmel leer, und vermutlich würde er es auch bleiben. Sollten die Fremden die Sendung anmessen und zuschlagen, würde das rund fünfzig Meilen Luftlinie entfernt geschehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Angreifer den Tachat River überflogen, war äußerst gering. Leider bestand kein Sichtkontakt mit der meteorologischen Station in Rapid Creek. Doch die Infrarotantenne, die Wärmebilder des Himmels über Rapid Creek lieferte, würde die Kugelraumer orten. „Frequenzfenster hat sich wieder geschlossen, Sir.“ Martell verzichtete auf eine Antwort. Es war der dreizehnte Versuch, Kontakt mit anderen militärischen Einrichtungen oder den Schwesterstationen von T-XXX aufzunehmen, und obwohl Martell nicht abergläubisch war, konnte er eine gewisse Nervosität nicht unterdrücken. Die Zeit zog sich zäh dahin. Nach dem siebten Versuch hatte die Geheimstation unter dem Mount King überraschend Antwort eines Militätstützpunktes auf den Bahamas erhalten, einen ebenso kurzen Funkspruch mit geringer Sendeleistung, wie er von T-XXX abgeschickt worden war. Zwei weitere militärische Einrichtungen und eine astronomische Station in den Anden hatten sich kurz darauf gemeldet, doch bis auf die Bahamas waren alle Sender wieder verstummt. Und auf den Inseln im Atlantik hielt ein ziviler Angestellter der Marinebasis inmitten von zur Reglosigkeit erstarrten Soldaten die Stellung. 90
Durch die letzte Nachricht, die Martell über das Shuttle und direkt vom GIIC erhalten hatte, wußte er von der kollektiven Lähmung der Menschen, die überall auf der Erde um sich griff. Seither rätselte er, ob das Gebiet um den Mount King bisher von der unheimlichen Beeinflussung verschont geblieben war, oder ob er und seine Männer durch die zwei Kilometer Felsgestein und Silbererzadern geschützt wurden. Für alle Fälle hatte er jeder Funkbotschaft die Aufforderung an potentielle Empfänger hinzufügen lassen, möglichst tiefgelegene Schutzräume aufzusuchen. Der Kontakt zu dem GIIC-Agenten im Orbit war vor einem Tag abgebrochen. Martell bezweifelte, daß Kyle Larkin, der bereits seinen Partner verloren hatte, noch lebte. Die Fremden zerstörten oder kaperten systematisch die noch funktionierenden Satelliten. Vermutlich hatten sie die schwachen Energiesignaturen der Lebenserhaltungssysteme des Shuttles angemessen und es abgeschossen. Oder es aufgebracht. „Noch immer keine Reaktion der Fremden auf unsere Sendung“, kommentierte der Funker überflüssigerweise. „Nächster Funkspruch mit gleicher Sendeleistung, aber doppelter Dauer“, knurrte Martell. „Informieren Sie mich, sobald sich das nächste Frequenzfenster öffnet.“ Er verließ die Funkzentrale und machte sich auf den Weg in die MedoStation, um Dr. Serano aufzusuchen, der ihm Bericht über den psychologischen Zustand der Soldaten erstatten wollte. Der größte Teil der Besatzung hielt sich erstaunlich gut, aber hin und wieder kam es zu Nervenzusammenbrüchen oder Spannungen und Streitereien, die den reibungslosen Betrieb der Geheimstation gefährdeten. Auch Elitesoldaten waren nur Menschen. Der General befand sich gerade in einer hitzig geführten Diskussion mit dem Chefarzt von T-XXX, der nicht immer mit den Entscheidungen seines Vorgesetzten einverstanden war, als ihn die Mitteilung erreichte, daß sich ein weiteres Frequenzfenster geöffnet hatte. Er ließ eine Standleitung in das Büro des leitenden Mediziners schalten. Und diesmal dauerte es nicht lange, bis die Infrarotantenne der Wetterstation mehrere Wärmequellen ortete, die sich ihr näherten. Martell unterbrach Serano mitten in einem Wortschwall und konzentrierte sich auf den Bildschirm, der die anfliegenden Raumschiffe zeigte. Sieben verschwommene Punkte formierten sich über Rapid Creek zu einem Kreis, in dessen ungefähren Mittelpunkt die meteorologische Station lag. Offenbar hatten sie die Sendeanlage nicht ganz genau lokalisieren können. Doch das spielte keine Rolle. Als auf dem Bildschirm übergangslos ein konturloses Flirren erschien, wußte Martell, daß sie eine weitere Relaistati91
on verloren hatten. Und das kurz darauf einsetzende leichte Beben verriet ihm deutlicher als alle Meßergebnisse, mit welcher Gewalt die Fremden zugeschlagen hatten. „Wir wissen jetzt, ab welcher Sendestärke bzw. -dauer wir angemessen und aufgespürt werden können“, faßte er eine Stunde später während einer eigens anberaumten Konferenz der Führungsoffiziere seine Erkenntnisse zusammen. „Also werden wir maximal mit halber Leistung und Dauer vom Princess Peak aus funken, und auch das nur, wenn wir wichtige Informationen weiterzugeben haben.“ „Damit kommen wir nicht weit“, warf der Leiter der Funkzentrale ein. „Ohne Relaisstationen erreichen wir damit gerade die Westküste, Vancouver im Süden und Juneau im Norden. Nach Osten hin ist unsere Reichweite durch die Berge sogar noch kürzer.“ „Das ist mir durchaus bewußt, Major“, erwiderte Martell, „aber erstens haben wir außer zu den Bahamas und der GIIC-Zentrale ohnehin zu niemandem mehr Verbindung, und zweitens hat die Sicherheit von T-XXX für mich höchste Priorität.“ „Heißt das, wir sollen hier bis auf weiteres untätig herumsitzen?“ erkundigte sich Captain Sherman, der Kommandant der mobilen Einsatztruppe, ungehalten. Martell nickte. „Ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt. Niemandem gefällt das, am wenigsten mir. Aber der Menschheit ist nicht damit gedient, daß wir uns unnötig in Gefahr bringen. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, weiterhin Informationen zu sammeln und auszuweiten, bevor wir einen Stoßtrupp ausschicken. Das wird Ihre Aufgabe sein, Captain Sherman, und es könnte sich als ein Himmelfahrtskommando herausstellen. Niemand wird T-XXX ohne eine Giftkapsel verlassen, um dem Feind nicht lebend in die Hände zu fallen.“ „Falls diese Teufel überhaupt so etwas wie Hände haben“, murmelte irgend jemand. „Und woher sollen wir unsere Informationen beziehen?“ wollte ein anderer Offizier wissen. „Vom GIIC“, sagte Martell. „Bushkin kann offenbar noch über irgendwelche abgeschirmten Kanäle verschiedene Relaisstationen erreichen. Von dort aus verschickt er zweimal am Tag zu wechselnden Zeiten seine gerafften Datenpakete. Beten wir, daß er noch eine Weile durchhält.“ „Wo sitzt er eigentlich?“ fragte Captain Bowden, der das Gespräch bisher stumm verfolgt hatte. John Martell zuckte die Achseln. „Seine Zentrale liegt bekanntlich in Montreal, aber Montreal ist von der allgemeinen Lähmung erfaßt worden.“ Er lächelte humorlos. „Also verfügt das GIIC entweder über ein geheimes Ausweichquartier, oder die offizielle Zentrale ist nur eine bessere Tarnein92
richtung. Ich hoffe, daß letzteres zutrifft.“ „Wieso das?“ erkundigte sich Sherman. „Weil wir in diesem Fall, sollten wir den Fremden lebendig in die Hände fallen, keine Auskunft über den Standort von Bushkin und seinen Leuten geben können“, erklärte Martell. „Umgekehrt gilt das nicht. Das GIIC weiß, wo sich T-XXX befindet, wir dagegen wissen nicht, wo sich Bushkin mit seinen Agenten zur Zeit versteckt. Ich möchte nicht mit ihm tauschen.“ Captain Bowden wußte auch ohne Nachfrage, was sein Vorgesetzter damit meinte. Sollte die GllC-Zentrale von den Außerirdischen gestürmt werden und die Agenten noch handlungsfähig sein, blieben Bushkin zwei Möglichkeiten, sofern er nicht kapitulierte. Entweder er löschte alle Daten über die T-Stationen, um T-XXX zu schützen, und befahl seinen Mitarbeitern, kollektiven Selbstmord zu begehen… … oder aber er nahm ihnen die Entscheidung ab, indem er sie zusammen mit sich selbst und der gesamten Zentrale in die Luft jagte. * Kyle Larkin hatte den größten Teil der beiden letzten Tage in einer Art Trancezustand verbracht, der allerdings nicht von den Fremden ausgelöst worden war. Jedenfalls nicht direkt. Seit Brad die Frachtluke herausgesprengt und damit kostbare Atemluft ins All hatte entweichen lassen, mußte sich Kyle mit dem begnügen, was ihm im Cockpit und den Reservetanks verblieben war. Bei ständig laufender Klimaanlage wäre das kein Problem gewesen, aber meistens befanden sich Kugelraumer diesseits des Horizonts, und je länger diese Phasen andauerten, desto stickiger und verbrauchter wurde die Luft. Die chemischen Filter erreichten allmählich ihre Sättigungsgrenze, um weiteres überschüssiges Kohlendioxid binden zu können. Und seinen letzten Ortungen zufolge blieben ihm nur noch zwei Kommunikationssatelliten, die er momentan nicht anpeilen konnte, da sie von der Erdkrümmung verdeckt wurden. Falls sie nicht in der Zwischenzeit ebenfalls zerstört oder gekapert worden waren. Trotzdem hatte er weiter seine Aufgabe erfüllt und seine Beobachtungen an die geheime GllC-Zentrale geschickt. Aber nicht nur die Satelliten gingen ihm aus, auch das Relaisnetz auf der Erde wurde dünner, teils von den Fremden zerstört, teils durch Unfälle, Brände oder Kurzschlüsse in Folge der Kampfhandlungen und des allgemeinen Chaos ausgefallen. 93
Es wurde immer gefährlicher, die Erde zu informieren, nicht nur für ihn, sondern auch für die Empfänger seiner Nachrichten. Und wozu auch? Es gab längst keine Gegenwehr mehr, und mittlerweile mußte praktisch die gesamte Menschheit ausgeschaltet oder wie Brad in willenlose Roboter verwandelt worden sein. Bis auf die Besatzungen von TXXX und der GllC-Zentrale. Es sei denn, es gab noch mehr Menschen wie ihn, die offensichtlich immun gegen die Beeinflussung durch die Aggressoren waren. Einen Abschlußbericht würde er noch senden, falls er einen der letzten intakten Satelliten fand. Und dann sämtliche Systeme des SILBERPFEIL wieder aktivieren, um den Rest seines Lebens, wie lange es dann auch noch dauern mochte, in Würde zu beenden. Die Kohlendioxidkonzentration im Cockpit war wieder so hoch gestiegen, daß Kyle schläfrig wurde. Er hatte sich eine Atemmaske auf das Gesicht gedrückt, um sich hin und wieder mit etwas Sauerstoff aus einem Reservetank zu erfrischen und wachzuhalten. Während er darauf wartete, daß die beiden Kugelraumer östlich von ihm den Erfassungsbereich der Ortung verließen, starrte er durch die Frontscheibe auf den Pazifik, der unter ihm dahinschlingerte. Vor den Philippinen braute sich ein mächtiger Taifun zusammen, ein riesiger Wolkenwirbel über dem wie flüssiges Gold glitzernden Meer. Ich müßte eine Unwetterwarnung durchgeben, dachte Kyle fahrig, bevor ihm wieder bewußt wurde, daß niemand seine Warnung empfangen würde. Seine Gedanken wanderten ziellos weiter, zu seiner geschiedenen Frau Jasmin, zu Sybill, mit der er die letzten drei Jahre zusammengelebt hatte, zu seinen Eltern, die bei einem Verkehrsunfall gestorben waren, zu einem Segeltörn quer durchs Mittelmeer… und kehrten immer wieder zu dem Taifun unter ihm zurück, zu dem irrationalen Drang, eine Unwetterwarnung an die Philippinen durchzugeben. Mein Unterbewußtsein versucht, mir irgend etwas mitzuteilen, überlegte Kyle unkonzentriert. Ihm war schwindlig, und er verspürte einen dumpfen Kopfschmerz. Ein Taifun, Schiffe in Seenot, Orkane, Unwetterwarnung… Und plötzlich war er hellwach. Er drückte sich die Atemmaske fester aufs Gesicht, sog gierig den belebenden Sauerstoff in sich ein, und noch bevor die beiden Kugelraumer endgültig hinter den Horizont gesunken waren und er die Luftumwälzanlage wieder anschalten konnte, begann er bereits, mit dem Bordsuprasensor komplizierte Bahnberechnungen anzustellen. * „Sektor D liegt im linken Flügel“, sagte Niu Kelauakoha. „Dort befindet 94
sich der Wartungsbereich des Fuhrparks. Ich gehe vor. Chantal und Sheila, Sie tragen den Mann, Steve bildet die Nachhut.“ Er setzte sich in Bewegung, ohne eine Antwort abzuwarten. Geduckt huschte er den Gang zum Lagerraum entlang, stieß die Tür mit dem Lauf seines Gewehrs auf, ging in die Knie und schob den Kopf in Hüfthöhe durch die Öffnung. Das Lager schien leer zu sein, allerdings boten einige Kistenstapel dem vermeintlichen Eindringling ausreichend Deckung. Es gab drei weitere Türen, die alle geschlossen waren. Was nichts zu besagen hatte. Der Agent wartete, bis seine Begleiter zu ihm aufgeschlossen hatten. Er deutete auf die Kisten. „Steve, Sie kommen mit mir und halten mir den Rücken frei. Sheila, Chantal, sobald ich Ihnen ein Zeichen gebe, folgen Sie mir mit dem Zombie. Schaffen Sie es, ihn allein durch die Halle zu tragen und trotzdem einen Schocker in der Hand zu halten?“ Die Wortwahl des Agenten ließ Sheila zusammenzucken. Zombie. Vielleicht würden sie bald selbst zu Zombies werden. „Uns bleibt wohl nichts anderes übrig“, keuchte sie. Kelauakoha ließ zwei prächtige Reihen schneeweißer Zähne aufblitzen. „Los geht’s, Steve. Und benutzen Sie den Nadler, wenn Sie hinter mir sind und schießen müssen. Ich habe keine Lust, in die Streustrahlung Ihres Schockers zu geraten.“ Sheila blieb mit Chantal vor der Tür stehen und sah angespannt zu, wie die beiden Männer auf die Kistenstapel zuschlichen. Sie unterdrückte einen Aufschrei, als es in ihren Kopfhörern knackte und Bushkins Stimme aufklang: „Achtung, bei dem Eindringling handelt es sich definitiv um einen Menschen! Er hat eine Nebelgranate geworfen und die Überwachungskamera in dem Flur zerstört, der aus der Werkstatt zur Lagerhalle führt, in der Sie sich gerade befinden.“ Die beiden Männer hatten die Warnung ebenfalls gehört. Sie waren stehengeblieben und spähten in Richtung der Tür zu ihrer Linken. Kelauakoha bedeutete Steve, den Posten zu halten, und verschwand hinter dem ersten Kistenstapel. Sheila hielt die Luft an. Kurz darauf kam der muskulöse Hawaiianer wieder zum Vorschein und winkte den beiden Frauen zu. Sie packten den leblosen Mann, der mehrere Zentner zu wiegen schien, und schleifen ihn mehr durch die Halle, als daß sie ihn trugen. Atemlos erreichten sie die andere Seite. Kelauakoha tippte bereits den Öffnungscode in den Tastaturblock, während Steve die Tür auf der linken Seite im Auge behielt. Das Stahlschott glitt auf. Niu steckte den Kopf hindurch und sicherte 95
nach beiden Seiten. „Alles klar“, verkündete er. „Beeilt euch!“ Sheila und Chantal wuchteten den schlaffen Körper in seinem Quarantäneanzug in den anschließenden Flur und zerrten ihn in Richtung des Aufzugs. Hinter ihnen ertönte das vertraute Zischen, mit dem sich das Stahlschott schloß. Doch bevor sie erleichtert aufatmen konnten, knackte es wieder in ihren Kopfhörern, und diesmal brüllte Bushkin: „Vorsicht! Hinter Ihnen!“ Niu Kelauakoha wirbelte gedankenschnell herum, als hinter ihm ein lautes Scheppern aufklang und ein Teil der Wandverkleidung dicht über dem Boden aus seiner Halterung katapultiert wurde. Steve versperrte ihm teilweise den Weg, so daß er sein Kombigewehr nicht rechtzeitig in Anschlag bringen konnte. Er starrte in die Mündung einer monströsen Waffe, die genau auf seinen Magen zielte, und über den Lauf des tragbaren Raketenwerfers hinweg grinste ihn ein von wilder Mordlust verzerrtes Gesicht an. „Los, heb deine Knarre, du häßlicher Vogel, und gib mir einen Grund, dich und deine widerliche Brut ins Nirwana zu pusten!“ knurrte Wayne Fitzgerald haßerfüllt. Es war nicht die Warnung, die den Hawaiianer daran hinderte, der Aufforderung seines Ex-Kollegen Folge zu leisten. „Wayne…?“ fragte er fassungslos. Der Lauf des Raketenwerfers wanderte ein Stückchen aufwärts. „Niu? Bist du das? Los, komm näher, damit ich deine dämliche Visage hinter der Scheibe erkennen kann. Und dreh den Lautsprecher auf. Du bist in deinem Anzug kaum zu verstehen.“ Kelauakoha ging auf den suspendierten Agenten zu und bückte sich. „Zufrieden?“ fragte er laut. Waynes Grinsen kehrte zurück. „Unverkennbar der alte Niu, es sei denn, die Maskenbildner der Außerirdischen leiden an Geschmacksverirrung. Hier, nimm mir das ab.“ Er schob den Raketenwerfer von sich, zwängte sich durch die Öffnung in der Wand und zerrte einen Rucksack und ein ganzes Arsenal weiterer Waffen aus dem Versorgungsschacht. „Was soll die Maskerade?“ „Sie kennen den Kerl?“ erkundigte sich Steve verunsichert. Niu winkte ab. „Später mehr dazu“, sagte er hastig. Er drängte seine Begleiter den Flur entlang. „Wir tragen die Schutzanzüge aus offensichtlichen Gründen“, fuhr er an Wayne gewandt fort. „Du weißt ja wahrscheinlich selbst, was da draußen los ist. Wieso bist du eigentlich nicht von der allgemeinen Lethargie betroffen?“ Der Ex-Agent zuckte die Achseln. „Das gleiche könnte ich euch fragen. Aber wenn ihr glaubt, daß es sich um ein Gas handelt, habt ihr euch geirrt. Die Menschen werden regelrecht ferngesteuert, und das dürfte mit einem Gas nicht machbar sein.“ 96
Sie hatten den Aufzug erreicht. Steve und die beiden Frauen musterten den Neuankömmling mit einer Mischung aus Mißtrauen und Hoffnung. „Dreh dich um, während ich den Code eingebe“, verlangte Niu kühl. Wayne drehte dem Lift gehorsam den Rücken zu, den Blick auf die Helmscheibe des anderen gerichtet. In seiner Eile dachte Kelauakoha nicht daran, daß die Glasscheibe das Tastenfeld reflektierte. Ein leiser Glockenton ertönte, und die Lifttür öffnete sich. „Okay, Ladies first“, sagte der muskulöse Agent. „Helft mir, unseren Zombie in die Kabine zu ziehen.“ Er bückte sich… und verharrte in dieser Stellung. Es war der gleiche Moment, in dem Wayne das unangenehme Kribbeln und Stechen in seinem Nacken verspürte, das er schon einmal erlebt hatte, als Bernie vor seiner Gefängniszelle zur Salzsäule erstarrt war. „Niu?“ fragte er alarmiert. Als er außer einem unartikulierten Stöhnen keine Antwort erhielt, reagierte er beinahe instinktiv. Er stieß den Hawaiianer grob in den Aufzug zu den Frauen, rollte den Mann im Quarantäneanzug hinterher, packte den zweiten Agenten an der Hand und zerrte ihn mit sich. Es waren noch keine fünf Sekunden vergangen, als sich auch schon die Lifttür schloß. „Bushkin!“ brüllte er aus vollem Hals in Richtung des Kabinendaches. „Holen Sie uns sofort runter! Oder Ihre Leute werden wie der Rest der Menschheit zu lebenden Schaufensterpuppen!“ Falls es nicht längst schon zu spät ist, fügte er in Gedanken hinzu. Unvermittelt sackte der Boden unter ihm weg, und Wayne Fitzgerald hatte das Gefühl zu schweben, als der Aufzug im freien Fall in die Tiefe stürzte und erst auf den letzten Metern so abrupt bremste, daß seine Passagiere Prellungen und blaue Flecken davontrugen. 5. Es war eine Gleichung mit mehreren Variablen, von denen jede einen hohen Unsicherheitsfaktor aufwies. Alles zusammengenommen standen die Chancen für Kyle maximal eins zu zehn, wie oft er das Szenario im Bordrechner auch durchspielte. Doch es war die einzige Chance, die ihm blieb. Damit sein Verzweiflungsunternehmen gelingen konnte, mußten mehrere Schritte reibungslos hintereinander ablaufen. Zuerst mußte er den SILBERPFEIL mit Hilfe der Manövrierdüsen stabilisieren – ohne dabei von den Fremden bemerkt zu werden – und dann allen verfügbaren Schub einsetzen, um den Flugvektor zu korrigieren. Selbst wenn er das Manöver unbeobachtet ausführen konnte, stellte sich die Frage, ob die Außerirdischen beim nächsten Vorbeiflug das veränderte 97
Verhalten und die Kursabweichung des Shuttles feststellen und durch Beschuß darauf reagieren würden. Der nächste Schritt bestand darin, den SILBERPFEIL in einen höheren Orbit zu hieven – wiederum unbeobachtet von den Fremden – indem Kyle Sauerstoff und Wasserstoff aus den Brennstofftanks durch die Hauptantriebsdüse abließ. Da er das Gemisch nicht zünden konnte, ohne eine Explosion in der Brennkammer hervorzurufen, war er auf den schwachen Schub angewiesen, den die Expansion der Gase erzeugte – und der allein würde nicht annähernd ausreichen, um ihn auch nur in die Nähe seines Ziels zu befördern. Doch der Zufäll war ihm entgegengekommen, zumindest auf halbem Weg. Der Beschuß des ersten Kugelraumers mit mehr als hundert nuklearen Gefechtsköpfen hatte zu einer geringen Kursabweichung der Wetterkontrollstation PRIME CLIMATE IV geführt, die zwar nur wenige Bogensekunden betrug, sich aber mit jeder Erdumkreisung vergrößerte. Aufgrund seines höheren Orbits und eines flacheren Winkels zur Äquatorialebene kam es nur alle acht Tage zu einer Annäherung von „Prima Klima IV“ und dem Shuttle, bei der die kürzeste Distanz rund 2.000 Kilometer betrug. Und das nächste Rendezvous hätte eigentlich erst in vier Tagen stattgefunden. Hätte… Durch die neue Bahn der Wetterstation und die Kurskorrektur, die Kyle mit dem Schub der Manövrierdüsen in Kombination mit dem Ablassen der Brennstoffstanks herbeiführen konnte, würde er sich „Prima Klima IV“ schon in 17 Stunden bis auf 400 Kilometer nähern können. Sollte er dann noch leben, hatte er erst die Hälfte der Hürden genommen. Um die 400 Kilometer zu überbrücken, mußte er aus dem Shuttle aussteigen und seine Eigengeschwindigkeit mit dem Antrieb eines Jetpacks steigern, einen bestimmten Punkt in Flugrichtung vor der Wetterstation anvisieren und den gesamten Treibstoff des Jetpacks verbrauchen. Und sollte ihm wider Erwarten auch das gelingen, würde er entweder mit knapp 200 Stundenkilometern gegen eine tonnenschwere Barriere aus massivem Metall prallen oder dicht daran vorbei in einen höheren Orbit und damit in den sicheren Erstickungstod jagen. Also benötigte er ein zweites Jetpack, das er im freien Fall anlegen mußte, um kurz vor Erreichen seines Ziels wieder abzubremsen und letzte Kurskorrekturen vorzunehmen. Ein einsamer Flug durchs All ohne Navigationsinstrumente, nur nach Sicht und Gefühl. Bis zu diesem Punkt hatte der Suprasensor nach Kyles Vorgaben eine Erfolgsaussicht von bestenfalls eins zu zehn errechnet, basierend darauf, 98
daß der Agent nicht den kleinsten Fehler machen würde. Wie es auf „Prima Klima IV“ selbst aussah, ob es dort noch eine funktionierende Fluchtkapsel gab, und ob es Kyle gelingen würde, mit ihr die Erde zu erreichen, ohne von einem Kugelraumer abgeschossen zu werden, darüber konnte auch der Bordrechner keine Auskunft geben. Trotz dieser deprimierend geringen Überlebenschancen fühlte sich Kyle so lebendig wie schon seit Tagen nicht mehr. Wenigstens hatte er wieder eine Chance, wie winzig sie auch sein mochte. Zumindest war er nicht länger zur Untätigkeit verdammt. Vor fünf Stunden hatte er seinen Abschlußbericht in den letzten ihm zugänglichen Kommunikationssatelliten überspielt und die Sendung mit einer Zeitschaltung versehen. Der Satellit würde jenseits des Horizonts stehen, wenn Kyle die Steuerdüsen des Shuttles aktivierte, und seine Botschaft mit Maximalleistung so lange abstrahlen, bis die Fremden ihn zerstörten. Mit etwas Glück überdeckte das die Energiesignaturen des SILBERPFEIL. Der letzte Bericht enthielt neben der Tatsache, daß die Kugelraumer auf ihren Bahnen die Erde gründlich genug umkreist hatten, um buchstäblich jeden Quadratzentimeter der Planetenoberfläche abzudecken, und daß die Blockierung des Kurzwellenbereichs offenbar aufgehoben worden war, eine weitere alarmierende Information. Die Raumschiffe sanken langsam aber kontinuierlich tiefer. Alles deutete auf eine baldige Landung hin. Kyle hoffte, den Fremden zuvorzukommen. Doch bis dahin konnte er nichts anderes tun, als abzuwarten und zu hoffen. Und, wie ihm plötzlich einfiel, die blaue Kassette zu suchen, von der Brad gesprochen hatte. * Pavel Bushkin war alles andere als begeistert darüber, daß sich Wayne Fitzgerald in seinem geheimen Hauptquartier aufhielt, doch andererseits mußte er zugeben, daß der Experte für Guerillabekämpfung und Geiselbefreiung nicht nur vier seiner Leute gerettet, sondern auch wichtige Informationen geliefert hatte. Und Wayne Fitzgerald war gegen die Strahlung, die die Menschen zu willenlosen Marionetten machte, immun. Das GIIC konnte nicht auf ihn verzichten, was immer er auch verbrochen hatte. Der medizinischen Abteilung war es weder gelungen, den Grund für diese Immunität festzustellen, noch etwas für den gelähmten Mann zu tun, den die vierköpfige Einsatztruppe auf ihrem Vorstoß in die Spedition geborgen hatte, außer ihn intravenös zu ernähren. An diesem Abend hatte Bushkin eine erneute Konferenz einberufen, an 99
der auch Wayne Fitzgerald teilnahm. Wenn der – nun wieder im aktiven Dienst stehende – Agent die ablehnenden Blicke seiner Kollegen bemerkte, ließ er sich jedenfalls nichts davon anmerken. Er lümmelte bequem in seinem Sessel, die Hände im Nacken verschränkt, und hörte scheinbar gelangweilt dem Bericht seines Chefs zu. „…steht nunmehr fest, daß es sich um eine Strahlung handelt, die die Fremden offensichtlich wiederholt einsetzen“, sagte Bushkin gerade. „Wer davon betroffen ist, wird für eine Art Fernsteuerung empfänglich, über deren Natur uns keinerlei Informationen vorliegen. Aber es gibt Menschen, die dagegen immun sind. Mit Agent Fitzgerald sitzt ein definitiver Beweis vor uns. Auch Agent Larkin dürfte immun sein, denn Brad Diel, der sich in seiner unmittelbaren Nähe befand, hat die typischen Symptome der Beeinflussung gezeigt, von der anfänglichen Lähmung bis hin zu fremdgesteuerter Aktivität. Also müssen wir versuchen, Kontakt zu weiteren Immunen aufzunehmen. Dazu hat Agent Nissen einen Plan ausgearbeitet.“ Der Angesprochene erhob sich und erläuterte seine Idee. Da die Stromversorgung weitestgehend noch funktionierte, wollte man versuchen, über alle Lautsprecher und Anzeigetafeln in Sportstadien, Busund Bahnhöfen, Flugplätzen, Häfen, öffentlichen Plätzen und Parks Informationen an immune Menschen weiterzuleiten. Die Erfahrung in der Spedition über der Geheimdienstzentrale und Waynes Beobachtungen hatten gezeigt, daß die Betroffenen auf keine optischen und akustischen Signale reagierten. Es bestand also vorläufig keine Gefahr, daß sich die Immunen durch ihr abweichendes Verhalten verrieten. „Jedenfalls solange nicht, wie die Unbekannten noch nicht gelandet sind“, schränkte Nissen ein. „Also müssen wir so schnell wie möglich tätig werden. Zu diesem Zweck haben wir akustische und optische Botschaften vorbereitet, die wir…“, er schielte in Waynes Richtung, „…in die Informationszentrale der Stadtverwaltung einspeisen. Nach unseren Schätzungen müßten wir noch etwa ein Dutzend Großstädte im Umkreis von rund 2000 Kilometern auf diesem Weg erreichen können – zumindest teilweise. Montreal und die Vororte dürften wir sogar fast komplett abdecken können. Die Idee, von weiter entfernten Sendern aus entsprechende Botschaften über diesen Radius hinaus abzustrahlen, haben wir wieder verworfen. Erstens dürften die Sender sehr schnell ausgeschaltet werden, und zweitens besteht die Gefahr, daß die Fremden den Inhalt der Sendungen analysieren und eine Verbindung zu den Meldungen auf den Anzeigetafeln und aus den Lautsprechern herstellen. Damit aber würden wir die Immunen zusätzlich gefährden.“ „Von welcher Größenordnung an Immunen reden wir überhaupt?“ wollte Niu Kelauakoha wissen. Er hatte sich wie seine Kollegen von der Bestrahlung durch die Fremden wieder vollständig erholt. Die Episode hatte 100
zwei weitere wichtige Hinweise geliefert. Erstens bot eine massive Gesteinsschicht ausreichenden Schutz gegen die Strahlen, und zweitens erforderte die „Behandlung“ einen Zeitraum von deutlich mehr als zehn Sekunden, um erfolgreich zu sein. „Das fällt in den Bereich reiner Spekulation“, mischte sich Mären Schreiber in die Diskussion ein. „Es scheint Zufall zu sein, daß sich gleich zwei unserer Agenten als immun erwiesen haben. Unseren Beobachtungen nach zu schließen, sind solche Menschen äußerst selten. Wenn wir Glück haben, erreichen wir vielleicht hundert Personen, wenn wir Pech haben, ein halbes Dutzend oder auch gar niemanden.“ „Trotzdem sollten wir es versuchen“, verteidigte Nissen verbissen seinen Plan. „Und wenn wir auch nur einen Menschen erreichen…“ „Schon gut“, beschwichtigte Bushkin. „Ich bin auf Ihrer Seite. Zumal keine Gefahr für die GIIC-Zentrale besteht. Ihre Botschaft ist so formuliert, daß sie neben allgemeinen Informationen über die aktuelle Lage Anweisungen enthält, wie wir die Immunen finden können, und nicht umgekehrt. Und das bringt mich auf einen anderen Punkt.“ Er sah sich langsam um. „Wie Ihnen allen bewußt sein dürfte, ist der Schutz unserer Zentrale mehr als Selbstzweck. Die Informationen, über die wir verfügen, sind zu brisant, als daß wir riskieren dürften, sie den Invasoren in die Hände fallen zu lassen. Aus diesem Grund habe ich nicht nur die Löschung sämtlicher Speicherbänke für den Ernstfall vorbereitet, sondern auch die Sprengung der gesamten Station bis auf einen Schutzbunker.“ Seine Mitarbeiter starrten ihn schweigend an. Niemanden überraschte die Maßnahme sonderlich. „Aber auch das hilft uns wenig, sollten wir von den Fremden lebendig gefangen genommen werden“, fuhr er nach einer bedeutungsvollen Pause fort. „Deshalb werde ich nach dieser Besprechung Giftkapseln ausgeben lassen. Ich weiß, daß ich Ihnen nicht befehlen kann, gegen Ihren Willen Selbstmord zu begehen. Deshalb bleibt Ihnen noch eine Alternative. Sheila?“ Die Ärztin räusperte sich unbehaglich. „Der Schutzbunker kann in etwa die Hälfte der Belegschaft fassen. Wer sich in ihn zurückziehen will, falls die Fremden uns angreifen, muß sich mit einer Gedächtnislöschung einverstanden erklären.“ Es war Niu Kelauakoha, der das lastende Schweigen brach. „Ich möchte lieber sterben, als mir das Gehirn ausradieren zu lassen“, murmelte er. „Was bleibt denn von mir übrig, wenn meine gesamte Persönlichkeit ausgelöscht wird? Ein 85 Kilo schweres Baby, das wieder lernen muß, mit Messer und Gabel zu essen.“ „Als ob du das jemals gelernt hättest“, warf Wayne Fitzgerald genüßlich ein. „Und außerdem wiegst du Fettkloß mindestens zwei Zentner.“ 101
Gegen seinen Willen mußte Pavel Bushkin schmunzeln. „Ganz so schlimm ist es nicht“, korrigierte Sheila Duncan. „Sie verlieren nur Ihre Erinnerungen, und selbst die kehren mit den Jahren wieder. Sie können weiterhin sprechen, sich koordiniert bewegen, sich selbst ankleiden und versorgen und alles tun, was zu einem normalen Leben nötig ist. Die Bezeichnung Löschung ist eigentlich nicht korrekt. In Wirklichkeit verlieren Sie nur den Zugriff auf Informationen, die auch weiterhin in Ihrem Gehirn…“ Sie verstummte, als die Tür zum Konferenzraum aufgestoßen wurde und der im Funkraum dienstuende Agent hereinstürmte. „Chef!“ sprudelte er hervor. „Eine weitere Nachricht von Kyle Larkin. Eigentlich sind es zwei. Eine lange via Satellit mit voller Leistungsstärke, die mehrfach wiederholt wurde, und danach noch eine ganz knappe.“ Er zögerte kurz. „Seine letzte, fürchte ich. Laut Kennung hat er sie direkt aus dem Shuttle geschickt.“ Bushkin schluckte. „Was meldet er?“ „Nur drei kurze Sätze.“ Der Agent warf einen kurzen Blick auf die Folie, die er in der Hand hielt. „Steige aus. Drückt mir die Daumen. Und stellt mir ein Bier kalt. K.L.“ * Eine Flotte von sieben Kugelraumern war in Schleichfahrt unter Kyle vorbeigezogen, und als der letzte hinter dem Horizont verschwand, erweckte er den SILBERPFEIL wieder zum Leben. Er hatte das Manöver so gründlich durchgerechnet und vorprogrammiert, daß er nicht mehr einzugreifen brauchte. Die Steuerdüsen stießen mit dem bloßen Auge im hellen Sonnenlicht kaum wahrnehmbare Feuerzungen aus und neutralisierten die Rotation des Shuttles. Dann drehten sie es um exakt 11,34 Grad nach Osten, richteten die Schnauze um 7,9 Grad höher in den Himmel und brannten, bis die letzten Reserven verbraucht waren. Der Suprasensor berechnete die neuen Kursdaten. Das Ergebnis übertraf noch Kyles Erwartungen, und er verspürte Erleichterung und ein schlechtes Gewissen zugleich, als ihm bewußt wurde, daß er den Verlust von Brads Masse, der Luft im Frachtraum und der abgesprengten Ladeluke nicht einkalkuliert hatte. So verbesserte der Selbstmord seines Kollegen unerwartet seine Erfolgsaussichten. Er konnte nur hoffen, daß der Kommunikationssatellit, durch die Erdkrümmung jetzt außerhalb seiner Reichweite, noch nicht zerstört worden war und seine letzte Botschaft abstrahlte. Laut und auffällig genug, um alle Kugelraumer in seiner Nähe abzu102
lenken. Das Ablassen des Sauerstoffs und Wasserstoffs durch die Hauptantriebsdüse erzeugte eine kaum wahrnehmbare Pseudoschwerkraft. Trotzdem genoß Kyle nach der zweiwöchigen Schwerelosigkeit die Illusion von Gewicht. Das Shuttle war auf Kurs. Jetzt hieß es wieder warten und die Daumen drücken. Zwei Stunden später schwebten mehrere Kugelraumer aus unterschiedlichen Richtungen heran. Alle hatten die 400-Kilometermarke zur Erdoberfläche deutlich unterschritten, und keiner schenkte dem SILBERPFEIL Beachtung. Phase eins der Operation „Heimkehr“ war gelungen. Die Passivortung erfaßte PRIME CLIMATE IV. Kyle überprüfte ein letztes Mal die Angaben des Suprasensors, dann programmierte er die Brennkammer des Shuttles, die Reste des Sauer-stoff/Wasserstoffgemischs in 85 Minuten zu zünden, schickte seine endgültig letzte Botschaft mit einem Mikroimpuls an die Erde, öffnete die Notausstiegsluke des Cockpits, zwängte sich durch die schmale Öffnung und stieß sich mit aller Kraft ab. Der SILBERPFEIL, matt schimmernd im Licht der Sterne, schrumpfte hinter ihm zusammen und wurde von der Dunkelheit des Kernschattens der Erde verschluckt. Kyle segelte im freien Fall durchs All. Die Systeme seines Raumanzugs zeigten die Ortungsechos sich von ihm entfernender Kugelraumer auf einem Display in seiner Helmscheibe. Um nicht das Rendezvous mit „Prima Klima IV“ zu verpassen, mußte er die Düsen des Jetpacks zünden, bevor der letzte Kugelraumer aus seinem Erfassungsbereich verschwunden war. Doch niemand nahm Notiz von ihm. Seine Geschwindigkeit steigerte sich kontinuierlich, bis die sanfte Beschleunigung in seinem Rücken nachließ und dann gänzlich aufhörte. In der Schwärze des Kernschattens trennte sich Kyle von dem ausgebrannten Jetpack, löste die auf seiner Brust festgeschnallte zweite Einheit und schnallte sie sich auf den Rücken. Wieder mußte er warten. „Prima Klima IV“ schwebte rund 150 Kilometer von ihm entfernt, noch nicht mit dem bloßen Augen erkennbar. Der SILBERPFEIL trieb 300 Kilometer hinter ihm, Entfernung wachsend, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Brennkammer explodierte. Die Sonne kletterte mit der im niedrigen Orbit atemberaubenden Geschwindigkeit über den Horizont, als Kyle die Düsen des zweiten Jetpacks zündete. Das Sonnenlicht ließ die Außenhülle des Shuttles wie einen kleinen Stern aufblitzen. Und fast im gleichen Moment nahm der gleißende Punkt einen rötlichen Farbton an. 103
Die Brennkammer des SILBERPFEIL war explodiert. Es dauerte nicht lange, bis mehrere Kugelraumer das Wrack des Shuttles umkreisten. Kyle schaltete den Antrieb des Jetpacks und die Lebenserhaltungssysteme des Raumanzugs ab und drehte sich mit dem Gesicht in Flugrichtung, indem er wie ein Bauchtänzer schlangelnde Bewegung um die Längsachse vollführte. Er konnte die Wetterstation jetzt mit bloßem Auge erkennen. Noch war seine Restgeschwindigkeit zu groß. Wenn er nicht weiter abbremste, würde er weit vor ihr vorbeisegeln. Ihm blieben noch knapp zehn Minuten, um das Rucksackaggregat erneut zu zünden. Seine Helmscheibe begann zu beschlagen. Zwar band der chemische Filter das Kohlendioxid seines Atems, und das Niederdruckventil ließ automatisch frische Atemluft nachströmen, doch durch die steigende Luftfeuchtigkeit heizte Kyles eigene Körpertemperatur zusammen mit der Sonneneinstrahlung den Anzug allmählich auf. In der Stille des Alls dröhnte ihm sein Pulsschlag wie das Hämmern einer Baßtrommel in den Ohren. Schweißperlen sammelten sich unangenehm kitzelnd auf seiner Stirn. Noch fünf Minuten. Kyle drehte sich wieder um die eigene Achse und richtete die Düsen des Jetpacks zehn Grad in Flugrichtung vor die Wetterkontrollstation. Das explodierte Shuttle und die Kugelraumer waren noch nicht hinter den Horizont gesunken, aber durch die diesige Schicht der Atmosphäre jetzt nicht mehr zu sehen. Noch drei Minuten. Er konnte nur hoffen, daß die Ausläufer der Atmosphäre ausreichten, um die Energiestrahlung seines Anzugs und der Düsen des Jetpacks zu schlucken. Noch zwei Minuten. Es hatte keinen Sinn, länger zu warten. Er benötigte wenigstens einen kleinen Zeitpuffer, um notfalls letzte Kurskorrekturen durchführen zu können. Leise fauchend erwachte die Luftumwälzanlage wieder zum Leben und blies den dünnen Film kondensierter Feuchtigkeit von Kyles Helmscheibe. Er zündete den Antrieb und schaltete ihn auf halben Schub. Als er den Kopf verrenkte und über seine Schulter spähte, verdeckte „Prima Klima IV“ bereits einen Großteil des Sternenhimmels hinter ihm. Auf den ersten Blick schien die Außenhülle unbeschädigt zu sein. Aber obwohl seit dem Beschuß des ersten Kugelraumers, in dessen unmittelbarer Nähe sie sich befunden hatte, mehr als zwei Wochen vergangen waren, strahlte sie immer noch wie die Hölle. Kyle senkte kontinuierlich seine Geschwindigkeit, bis er mit dem Tempo eines Spaziergängers auf die Raumstation zutrieb. Die Treibstoffanzeige 104
des Jetpacks wanderte in den Reservebereich. Der Rest würde ausreichen, die Station noch einmal langsam zu umkreisen. Was Kyle nicht vorhatte. Er landete im Mittelteil des gemächlich rotierenden Gebildes, wo er keinen nennenswerten Fliehkräften ausgesetzt wurde. Phase zwei war erfolgreich absolviert, und kein Kugelraumer schien ihn bemerkt zu haben. Wie ein überdimensionaler Käfer krabbelte Kyle, von Magnetstreifen in den Handschuhen und Kniepolstern seines Raumanzuges gehalten, vorsichtig auf der Außenhülle von PRIME CLIMATE IV herum. Die Notausstiegsschleusen, die er fand, ließen sich von außen nicht öffnen. Offensichtlich hatte die Hitzestrahlung der explodierenden Nuklearsprengköpfe ausgereicht, sie an ihren Fassungen zu verschweißen. Kyle wollte gerade das Jetpack erneut aktivieren, um die Station zu umrunden und es auf der anderen Seite zu versuchen, als ihm die Schächte der Fluchkapseln einfielen. Sollte es der Besatzung gelungen sein, „Prima Klima IV“ im letzten Moment doch noch zu verlassen, müßten die Außenschotte offenstehen. Er hatte Glück. Durch die Stahlummantelung der Ausstoßschächte geschützt, hatte sich die Innenschleuse nicht so stark wie die direkt in der Außenhülle liegenden Notausstiegsluken erhitzt. Sie ließ sich mechanisch öffnen. Kyle schnallte den Rückentornister los, zwängte sich in die Schleuse, flutete sie und betrat die Station. Der Meßstreifen auf dem linken Ärmel seines Raumanzugs begann bereits, sich bedrohlich zu verfärben. Noch etwa eine Viertelstunde, schätzte Kyle, bis die radioaktive Strahlung für ihn kritisch wurde. Aber so lange gedachte er nicht in diesem heißen Sarg zu bleiben. Da die Sicherheitssysteme aller Raumstationen standardisiert waren, wußte er genau, wo die Zugänge zu den restlichen Rettungskapseln lagen. Drei der Schächte waren leer. Die Fluchtkapsel im vierten und letzten hing abschußbereit in ihren Halterungen. Bevor Kyle sie bestieg, suchte er ein Terminal und aktivierte es. Wie durch ein Wunder funktionierte es noch. Er rief den Statusbericht der Station auf, die sich im Schlummermodus befand. Viele Systeme waren stark beschädigt oder sogar völlig zerstört worden, ein Umstand, der ihm jetzt zugute kam. Wenn sie in Betrieb genommen wurden, würden sie mit Kurzschlüssen und Fehlfunktionen reagieren und buchstäblich ein Feuerwerk erzeugen, auf das die automatischen Sicherheitsvorrichtungen ihrerseits mit Gegenmaßnahmen antworten mußten. Mit wenigen Eingaben programmierte Kyle die Wetterstation, in drei Minuten alle Energieaggregate auf Vollast zu schalten und auf sämtlichen Frequenzen mit maximaler Ausgabe105
leistung Katastrophenalarm zu funken. „Prima Klima IV“ würde auf allen Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums starke Energieemissionen erzeugen, in deren Schutz Kyle unbemerkt zu entkommen hoffte. Er schlüpfte in die Fluchtkapsel, versiegelte die Einstiegsluke und wartete. Die auf ein absolutes Minimum reduzierte Instrumentenkonsole registrierte schnell steigende Energiesignaturen. Ein schwaches Rütteln durchlief die Station. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte Kyle auf den winzigen Ortungsschirm. Seine rechte Hand lag auf der Starttaste. Von achtern näherte sich ein Flugkörper PRIME CLIMATE IV. Noch nicht! Solange ich die orten kann, können auch die mich orten. Die Geschwindigkeit des Ortungsechos sank herab, bis sie fast auf Null fiel. Und dann erschütterte ein gewaltiger Schlag die Wetterkontrollstation. Der Ortungsschirm, von den störenden Energiekaskaden überfordert, erstrahlte in einem hellen konturlosen Licht. Jetzt! Kyles Handballen hieb auf die Starttaste, und im gleichen Moment preßte ihn eine mörderische Beschleunigung in die Polster. Die Fluchtkapsel jagte mit irrwitziger Geschwindigkeit auf die Erde zu. Der Bordsuprasensor errechnete die wachsende Distanz zu der unter Beschuß stehenden Wetterstation, schaltete auf Kyles Kommando unter Protest den Antrieb ab und drehte das Heck in Flugrichtung. Erst als sich die Kapsel so weit entfernt hatte, daß sich die Erdkrümmung zwischen sie und PRIME CLIMATE IV geschoben hatte, schaltete Kyle wieder auf Maximalschub. Wie ein Stein fiel das winzige Gefährt auf die Erde zu und tauchte aufflammend in die obersten Schichten der Atmosphäre ein. Kyle stieß pfeifend den Atem aus. Für einen außenstehenden Beobachter mußte es jetzt so aussehen, als stürzte ein Trümmerstück dem Planeten entgegen. In 30 Kilometern Höhe spuckte die Kapsel den ersten Bremsfallschirm aus, der aus einem breitmaschigen hitzeresistenten Kunststoffnetz bestand und ihre Geschwindigkeit auf Mach drei reduzierte. Kurz darauf sprengte sie sowohl den Fallschirm als auch den Hitzeschild ab und gab einen dünnen Sichtschlitz frei. Aus schmalen Augen spähte Kyle durch die Kunstglasscheibe. Um ihn herum herrschte Dunkelheit. Er war kurz vor der Westküste Nordamerikas in die Atmosphäre eingetaucht und befand sich jetzt über dem Huron-See, Flughöhe noch 25 Kilometer und stetig sinkend. Die Fluchtkapseln waren zu einem steilen Gleit106
flug fähig und reagierten auf Steuerkommandos, aber diese Kapsel würde Montreal nicht erreichen. Kyle stellte den Winkel so flach an, wie es möglich war, und überquerte Kingston am Ostufer des Ontario-Sees in drei Kilometern Höhe. Es erstaunte ihn, wie viele Lichter trotz der Kampfhandlungen noch brannten. Er folgte dem dunklen Band des St. Lorenz-Stroms, bis er das Auslösen des zweiten Bremsfallschirms nicht länger hinauszögern konnte. Aufklatschend landete die Fluchtkapsel in der Mitte des Flusses und trieb dümpelnd in der Strömung. Die Erkenntnis, daß er das Unmögliche geschafft hatte und lebend auf die Erde zurückgekehrt war, traf Kyle so unvermittelt, daß ihm übel wurde. Seine verkrampften Muskeln lockerten sich, und dann erfaßte ihn eine überwältigende Schwäche. Er schaffte es gerade noch, den Bremsfallschirm auszuklinken, bevor er das Bewußtsein verlor. 6. Wayne Fitzgerald befand sich auf dem Rückweg vom Stadtverwaltungszentrum, als er den Schemen im Himmel über Montreal bemerkte. Sofort hechtete er in einen Hauseingang und riß seinen Raketenwerfer hoch. Er hatte die von Agent Nissen und seinem Stab ausgearbeiteten Botschaften an die anderen Immunen erfolgreich in das Netz der Behörde für öffentliche Bekanntmachungen eingespeist. Seither ertönten überall aus Lautsprechern Informationen zur aktuellen Lage und Ratschläge für das Verhalten in Krisensituationen. Auf einer großen Anzeigetafel ihm gegenüber konnte Wayne in grün blinkender Schrift genau in diesem Moment die Aufforderung sehen, prägnante Denkmäler in Parkanlagen als Treffpunkt aufzusuchen. Über ihm klang ein leises Heulen auf. Er beugte sich ein wenig vor und schielte nach oben. Der Schemen war tiefer herabgesunken und schwebte langsam über die Häuserschlucht. Wayne folgte ihm mit dem Visier seiner Waffe. Ein Kugelraumer. Laut der Anzeige in der Zielvorrichtung flog er etwa 300 Meter hoch. Dementsprechend mußte er rund 50 Meter durchmessen. Und bis auf das leise Heulen, das an die Sirene eines Ambulanzfahrzeugs erinnerte, bewegte er sich völlig lautlos. Kein Anzeichen eines Antriebs. „Also steht die Landung wohl unmittelbar bevor“, flüsterte Wayne. Er strich zärtlich über den dicken Lauf des Raketenwerfers. „Kommt schon, ihr Ungeheuer. Ich habe hier etwas für euch.“ Der Kugelraumer verschwand aus seinem Blickfeld. Wayne wartete, bis 107
das Heulen verklungen war, dann verließ er seine Deckung und eilte weiter. Auf halber Strecke zum Union Square gönnte er sich einen Imbiß in einem verwüsteten Delikatessengeschäft, in dem einige Gelähmte wie tot herumsaßen. Die Invasion, dachte er, während er sündhaft teure Dorschleber mit einem Schluck genau richtig temperiertem Champagner hinunterspülte, hat auch ihre guten Seiten. Man muß sie nur sehen. Mittlerweile waren die Straßen menschenleer. Nur hier und da lagen vereinzelte Leichen herum. Die von den Strahlen der Außerirdischen Betroffenen hatten sich entweder in Restaurants, Lebensmittelgeschäfte oder in ihre eigenen Häuser und Wohnungen zurückgezogen, wo sie auf weitere Anweisungen zu warten schienen. Wayne fragte sich, wie diese Anweisungen wohl aussehen mochten. Was auch immer passierte, er war auf Überraschungen vorbereitet. Zusätzlich zu dem Waffenarsenal, das er ständig mit sich herumschleppte, hatte er überall auf seinem Weg Munitionsdepots angelegt. An Nachschub bestand kein Mangel. Er besorgte sich, was er brauchte, indem er Polizeistationen und militärische Einrichtungen plünderte und verschlossene Magazine notfalls mit Granaten aufsprengte. Es war eine gute Zeit für Wayne Fitzgerald. Endlich konnte er seine Fähigkeiten im vollen Umfang entfalten. Das merkwürdige Summen, das er an der nächsten Straßenkreuzung vernahm, hielt er zuerst für eine Hummel, die sich aus einem Park in der Nähe in den Betondschungel der Stadt verirrt hatte. Doch als er die Quelle des Geräuschs entdeckte, stockte ihm der Atem. Ein seltsames Gefährt, das wie ein zusammengedrücktes Rohr mit zwei kreisförmigen Plattformen an beiden Enden aussah, glitt in gemächlichem Tempo kaum fünf Meter hoch über die Straße. Und auf jeder Plattform standen zwei monströse Gestalten. Wayne ging hinter einem umgestürzten Feuerlöschzug in Deckung. Die Fremdwesen hielten stabförmige Gegenstände in den Händen, die sie ständig hin und her schwenkten, und sie waren mindestens zweieinhalb Meter groß. Ihre Haut – oder handelte es sich um enganliegende Kombinationen? – leuchtete in einem grellen Gelb. Unter zwei kräftigen Armen, die dort saßen, wo sie hingehörten, nämlich an den Schultern, ragte aus dem Oberkörper ein kürzeres Armpaar hervor, das merkwürdig deformiert wirkte. Das Erschreckendste aber waren die Köpfe der Kreaturen. Groß und wuchtig und von einem gewaltigen Gebiß beherrscht, das in Größe und Form jedem Hai zur Ehre gereicht hätte. Als eines der Wesen seinen Stab in Waynes Richtung schwenkte, spürte er das schon vertraute Kribbeln in seinem Nacken, noch stärker als jemals zuvor. Mit mir nicht, ihr häßlichen Vögel, dachte er. Der Lauf des Ra108
ketenwerfers richtete sich, wie von einer automatischen Zielerfassung gelenkt, auf die vordere Plattform. „Wollen wir doch mal sehen, wie euch das schmeckt“, knurrte er grinsend. „Onkel Wayne hat ein kleines Geschenk für euch, ihr Bastarde!“ Er zog den Abzug durch, einmal, zweimal dreimal… Die dritte Minirakete war bereits unterwegs, noch bevor die erste ihr Ziel traf. Eine dreifache Explosion riß den Schweber der Ungeheuer aus seiner Bahn und ließ ihn in einem flachen Winkel davonjagen. Wayne sah mehrere Objekte zu Boden fallen, während das merkwürdige Gefährt sich zwei Straßenzüge weiter in einen Wolkenkratzer bohrte und auseinanderbrach. Der Agent stieß einen gellenden Triumphschrei aus, sprang aus seiner Deckung und stürmte die Straße entlang, bis er die herabgefallenen Objekte erkennen konnte. Es waren die vier Außerirdischen. Einer war von seinen Raketen in Stücke gerissen worden, ein zweiter hatte zwei Arme verloren. Die beiden anderen schienen fast unversehrt und bewegten sich sogar noch. „Widerwärtige, zähe Miststücke!“ fauchte Wayne. Er hob den Raketenwerfer, um ihnen den Rest zu geben, doch dann verzerrte ein bösartiges Lächeln seine Mundwinkel, und er riß einen schweren Paraschocker aus dem Holster. „Damit die Eierköpfe in der Zentrale nicht arbeitslos werden.“ Er bestrich die gigantischen Gestalten so lange mit dem Lähmstrahl, bis sie sich nicht mehr rührten. Seine Gedanken rasten. Es würde zu lange dauern, ein Transportmittel zu besorgen, in das er die Außerirdischen hieven konnte, um sie damit fortzukarren, bevor ihre Artgenossen auftauchten. Denn daß sie kommen würden, davon war er überzeugt. Er mußte sie irgendwie verstecken. Die Druckwelle der Explosionen hatte eine ohnehin schon beschädigte Häuserwand so stark erschüttert, daß Trümmerstücke und Glassplitter herabregneten und ihn beinahe trafen. Als er zur Seite sprang, durchzuckte ihn eine Idee. Er musterte die rissige Fassade des Gebäudes neben ihm, hob seine Waffe und schickte eine Salve von Miniraketen in genau bemessenen Abständen in die Höhe. Eine Lawine aus Plastbeton stürzte in die Tiefe und begrub die Außerirdischen unter sich. Wenn der Beschuß ihres Schwebers sie schon nicht getötet hatte, würden sie vielleicht auch diesen Trümmerregen lebend überstehen. Und wenn nicht… Pech für sie und die Eierköpfe des GIIC. Wayne überzeugte sich flüchtig, daß der Schutthaufen die Ungeheuer 109
vollständig bedeckte, verschaffte sich gewaltsam Zutritt in das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite und hastete in den dritten Stock hinauf, wo er hinter einer verspiegelten Glasscheibe Stellung bezog. Von seiner Position aus konnte er die Straße unter sich in beiden Richtungen überblicken. Sein Atem ging immer noch keuchend, als auch schon ein weiterer Schweber der Außerirdischen erschien. Das fremdartige Gebilde flog langsam durch die Häuserschlucht und verharrte vor dem Gebäude, in das sich der erste Schweber wie ein Wurfmesser gebohrt hatte. Die Ungeheuer machten keine Anstalten zu landen. Statt dessen tauchte kurz darauf eine Kolonne lethargischer Menschen auf und begann, die nähere Umgebung systematisch abzusuchen. „So funktioniert das also“, murmelte Wayne vor sich hin. „Ihr benutzt eure Marionetten für die Drecksarbeit, ohne euch die Hände schmutzig zu machen.“ Nach zwei Stunden, während er angespannt die Stellung hielt, wurde die Suche eingestellt. Die Menschen verschwanden wieder, die Außerirdischen zerstrahlten das Wrack des Fluggeräts zu Asche, und der Schweber flog davon. In der Zwischenzeit hatte sich Wayne einen Plan zurechtgelegt. Alles was er brauchte, war ein Gabelstapler mit Elektromotor und eine große Portion Glück. Solange Hunderte von Stromleitungen in den Straßenschluchten unter Spannung standen, mußte es praktisch unmöglich sein, das elektromagnetische Feld eines einzelnen Fahrzeugs gezielt anzumessen. Natürlich blieb ein Restrisiko, aber Wayne Fitzgerald war kein Mann, der die Gefahr scheute. Er wartete geduldig, bis die Dunkelheit hereinbrach, bevor er seine Zuflucht verließ und sich auf die Suche machte. * Pavel Bushkin war äußerst beunruhigt. Zwar schienen die Botschaften an die Immunen erste Erfolge zu zeigen – seine Mitarbeiter hatten drei aktive Menschen in verschiedenen Städten – leider nicht in Montreal selbst – auf ihren Monitoren beobachtet, die in die Kameras der Verkehrsüberwachungen gewinkt und in einem Fall sogar eine Tafel mit einer Nachricht hochgehalten hatten. Aber gleichzeitig begannen hier und da kleinere Kugelraumer in die Erdatmosphäre einzutauchen. Einer war dicht über die Dächer Montreals hinweggezogen und hatte drei Schwebeplattformen ausgesetzt. Die endgültige Landung der Invasoren stand offensichtlich unmittelbar bevor, wie Kyle Larkin bereits in seiner letzten Nachricht angedeutet hatte. Und Wayne Fitzgerald war seit sechs Stunden überfällig. 110
Er hatte seine Aufgabe erfüllt, Nissens Botschaften in das Kommunikationszentrum der Stadtverwaltung einzuspeisen, doch seither fehlte jede Spur von ihm. Bushkin fürchtete, daß der Agent in einer Reihe von Explosionen nahe des Stadtzentrums umgekommen war, die sich auf seiner geplaneten Route ereignet hatten. Genau dort, wo ein fünfzig Meter durchmessender Kugelraumer gesichtet worden war. Deshalb fiel ihm ein Stein vom Herzen, als sich Wayne Fitzgerald kurz vor dem Morgengrauen direkt aus der Spedition in der Zentrale meldete. Der Mann sah völlig erschöpft aus und war von Kopf bis Fuß verdreckt, aber er strahlte wie ein kleiner Junge bei der Bescherung. Allerdings war er es, der die Geschenke brachte. „Schickt mir einen Lastenaufzug mit einem luftdicht verschließbaren Container herauf!“ krächzte er kaum verständlich, aber fröhlich. „Und bereitet einen isolierten Obduktionsraum vor. Ich habe eine nette kleine Überraschung für die Eierköpfe dabei.“ Und das war noch eine Untertreibung. Als die Wissenschaftler des GIIC, von Wayne vorgewarnt, den Container in einem Hochsicherheitstrakt öffneten, glaubten sie, ihren Augen nicht zu trauen. Doch sobald sie ihren ersten Schock überwunden hatten, machten sie sich mit Feuereifer daran, die Außerirdischen zu erforschen, die nicht länger gesichtslose Aggressoren waren. * Als Kyle erwachte, dämmerte bereits der Morgen. Die Rettungskapsel war auf einer Sandbank am Ufer des St. LorenzStroms auf Grund gelaufen. Kyle wußte nicht, wie weit sie den Fluß hinabgetrieben war, während er geschlafen hatte. Eilig verließ er die eiförmige Kapsel und brachte im Schutz eines Waldstreifens eine möglichst große Entfernung zwischen sich und das verräterische Gefährt. Gegen Mittag erreichte er eine kleine Stadt, und schon von weitem hörte er eine Lautsprecherdurchsage. Vorsichtig schlich er näher, bis er die Stimme verstehen konnte, und versteckte sich in einem dichten Gebüsch. Was er hörte, entlockte ihm ein erleichtertes Seufzen, denn der Inhalt der Ansprache ließ darauf schließen, daß es weitere Menschen wie ihn gab. Menschen, die gegen die rätselhafte Beeinflussung durch die Fremden immun waren. In einem teilweise verwüsteten Supermarkt deckte er sich mit Lebensmitteln ein, wusch sich ausgiebig, warf die verschwitzte Kleidung weg und schlüpfte in einen bequemen Overall. Dann gönnte er sich erneut ein paar 111
Stunden Schlaf und zog am späten Nachmittag weiter, immer dem Waldstreifen entlang des Flußufers folgend. Kurz vor Sonnenuntergang stieß er auf den exklusiven Yachthafen des Städtchens Cardinal. Der Ort machte einen ausgestorbenen Eindruck, obwohl sich mit der Abenddämmerung automatisch die Straßenbeleuchtung einschaltete. Irgendwo kläfften Hunde wie verrückt. In Cardinal hatte es offensichtlich keine Kämpfe gegeben, und die Spuren von Vandalismus hielten sich in Grenzen. Die Szenerie war trügerisch idyllisch, und wie um das Bild zu zerstören, zog ein Kugelraumer mit leisem Heulen im Tiefflug über die Häuser hinweg. Kyle wartete, bis das Geräusch in der Ferne verklungen war, dann huschte er zum Yachthafen hinunter. Von einem nahegelegenen Sportplatz hörte er die mittlerweile schon bekannte Lautsprecherstimme ihre Instruktionen an alle Immunen verkünden, doch bisher hatte er noch keinen aktiven Menschen gesehen. Kein Wunder, dachte er. Wenn sich alle so unauffällig wie ich verhalten, könnte eine ganze Armee unbemerkt durch die Wälder, Büsche und Gärten schleichen. Nach kurzem Überlegen entschied er sich, ein Sportkanu für seine Weiterreise zu benutzen. Im Schutz der Dunkelheit und von der kräftigen Strömung getrieben, paddelte er die ganze Nacht hindurch stromabwärts. Einmal sah er jenseits des linken Ufers einen riesigen roten Feuerschein, und als der Wind in seine Richtung blies, konnte er brennendes Öl riechen. Wahrscheinlich stand dort eine Raffinerie in Flammen. Als der Morgen dämmerte, tauchte die Silhouette von Cornwall vor ihm auf. Der St. Lorenz verbreiterte sich, und die Strömung ließ spürbar nach. Kurz vor der Stadt lenkte Kyle das Kanu in einen schmalen Zufluß und zog es unter einer überhängenden Weide an Land. Er suchte sich eine geschützte Stelle in einem Hain von Ebereschen, breitete eine Decke im taufeuchten Gras aus und machte es sich darauf bequem. Bis nach Montreal waren es noch rund 100 Kilometer. Zwei Nächte Flußfahrt, falls er auf keine unerwarteten Hindernisse stieß oder für längere Zeit in Deckung gehen mußte. Im Osten stieg die Sonne über den Horizont. Die Luft war mild, der Himmel wolkenlos. Es versprach, ein schöner Tag zu werden. Ein schöner Tag auf einer Erde, die fast menschenleer zu sein schien. Doch obwohl Kyle wußte, daß hinter der Fassade einer friedlichen Welt das Grauen lauerte, fühlte er sich seltsam entspannt und gelöst. Es tat einfach gut, wieder auf der Erde zu sein, den Duft des frischen Grases zu riechen, einen bunten Schmetterling vorbeiflattern zu sehen und die Strahlen der aufgehenden Sonne auf der Haut zu spüren, nachdem er schon mit dem Leben abgeschlossen hatte. 112
* „Es ist noch zu früh, um irgendwelche verläßlichen Auskünfte zu geben“, sagte Dr. Igor Njansen, der leitende Biochemiker des GIIC, „aber soweit wir es beurteilen können, haben zwei der Aliens den Beschuß durch diesen Fitzgerald erstaunlich gut überstanden, und selbst der Verstümmelte scheint noch zu leben. Nur eines wissen wir mit Sicherheit: Trotz ihrer Fremdartigkeit reagieren die Kreaturen auf die paralysierende Wirkung unserer Schocker. Das läßt darauf schließen, daß ihr Nervensystem eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer irdischen Version aufweist.“ „Und sie haben ein geradezu gigantisches Nervensystem“, fügte Sheila Duncan hinzu. Sie rieb sich die vor Müdigkeit geröteten Augen. „Jedenfalls scheint es sich bei dem armdicken weißlichen Gebilde in den zerfetzten Leichenteilen des vierten Aliens um einen Nervenstrang zu handeln. Der Aufbau der Zellen ist einerseits völlig exotisch, andererseits weist er verblüffende Parallelen zu menschlichen Nervenzellen auf. Darauf konzentrieren wir unsere Untersuchungen.“ „Was ist gerade daran so interessant für Sie?“ wollte Bushkin wissen. „Der zertrümmerte Kopf des vierten Aliens enthält nichts, was wir als Gehirn identifizieren konnten“, erklärte Njansen. „Also vermuten wir, daß es sich bei dem von Sheila erwähnten Nervenstrang um eine Kombination aus einem Gehirn und dem handelt, was bei einem Menschen das Rückenmark ist.“ „Und das könnte unser Schlüssel zu Erkenntnissen über die Funktionsweise nicht nur dieser Wesen, sondern auch der Strahlen sein, mit denen sie den Willen der Menschen brechen“, fügte Sheila hinzu. „Woher hätten sie wissen sollen, daß und wie ihre Strahlen auf Menschen wirken, wenn sie nicht auch auf sie selbst vergleichbare Auswirkungen hätten?“ „Sie meinen“, sagte Bushkin langsam, „über ihr Nervensystem könnten wir nicht nur Rückschlüsse auf diese Fremdwesen und die Art der geheimnisvollen Strahlung ziehen, sondern unter Umständen sogar einen Weg finden, ihre eigene Waffe gegen sie selbst einzusetzen?“ Der Biochemiker nickte eifrig. „Genau das ist unsere Hoffnung. Verschwindend gering, wie ich einräumen muß, aber immerhin…“ Ein durchdringendes Summen des Viphos auf Bushkins Schreibtisch unterbrach ihn. Der Bildschirm erhellte sich von allein, und das bleiche Gesicht einer jungen Agentin wurde sichtbar. „Chef!“ stieß sie in unüberhörbarer Panik hervor. „Schicken Sie sofort Dr. Njansen und Dr. Duncan in den Wissenschaftstrakt!“ „Was ist passiert?“ fragte Pavel Bushkin wie elektrisiert. „Eins unserer… ähm… Exemplare, das mit den abgerissenen Armen, ist 113
bei dem Versuch, eine Tiefenscannung durchzuführen, einfach explodiert“, erwiderte die Agentin verstört. Bushkin schloß einen Moment lang die Augen. „Gibt es Opfer auf unserer Seite?“ Die junge Frau blinzelte und schnappte ein paarmal nach Luft, bevor sie wieder verständlich sprechen konnte. „Bedauerlicherweise ja. Zwei Tote und drei Verletzte. Wir haben…“ Den Rest hörten Sheila Duncan und Igor Njansen nicht mehr. Sie waren bereits aufgesprungen und aus Bushkins Büro gestürmt. * Die Sonne hatte den Zenith längst überschritten, als Kyle Larkin übergangslos erwachte. Im ersten Moment war er orientierungslos, blieb reglos inmitten der Ebereschen liegen und sah sich um, ohne den Kopf zu bewegen. Dann stürzten die Erinnerungen wie ein Wasserfall auf ihn ein. Er setzte sich auf, vergewisserte sich, daß er allein war, streckte sich und absolvierte ein paar kurze Entspannungsübungen. Danach nahm er einen kleinen Imbiß zu sich und dachte nach. Seit seiner Rückkehr auf die Erde hatte er sich nur darauf konzentriert, möglichst schnell nach Montreal zu gelangen. Dieses Ziel stand immer noch im Vordergrund, aber auf dem Weg dorthin mußte er Informationen über die Situation in den Städten und den Zustand der Menschen sammeln. Bisher hatte er keine lebende Seele gesehen, nur Tote und möglicherweise einige Bewußtlose. Wohin waren sie alle verschwunden? Kyle verstaute den Proviant und die Decken in seinem Kanu, orientierte sich am Stand der Sonne und machte sich auf den Weg. Bereits nach einer halben Stunde erreichte er die ersten Häuser am Stadtrand von Cornwall. Hier wohnten die Wohlhabenderen. Die großen Vorgärten waren gepflegt, und in den Auffahrten parkten teilweise teure Schweber und Bodenfahrzeuge. Auch hier konnte er keine Spuren menschlichen Lebens entdecken. Aus einem der Gärten kläffte ihn ein Dobermann mit gesträubtem Nackenfell und gebleckten Fängen an, aber Kyle hatte den Eindruck, daß der Hund in Wirklichkeit völlig verängstigt war und nur das Revier seiner Besitzer verteidigte. Am Ende der Straße huschte eine Katze geduckt unter eine Hecke hindurch, eine andere hockte wie eine Statue auf dem Torpfeiler einer Einfahrt und beäugte den einsamen Menschen mißtrauisch. Ein paar Vögel hüpften in den Zweigen säuberlich beschnittener Bäume herum, doch nicht einer sang oder zwitscherte. Als spürten sie genau, daß ein furchtbares Verhängnis über ihren Hei114
matplaneten hereingebrochen war. Gleich die erste Haustür, die Kyle ausprobierte, war unverschlossen. Verstohlen betrat er das schmucke Anwesen und schlich lautlos durch das geräumige Foyer. Er konnte die Bewohner des Hauses riechen, noch bevor er sie sah. Ein Ehepaar mittleren Alters, ein junger Mann und zwei halbwüchsige Kinder saßen um einen großen Eßtisch herum, auf dem schmutzige Teller, Schüsseln und Gläser standen. In der Luft lag ein schwacher, aber durchdringender Geruch nach kaltem Schweiß und gegorener Milch. „Hallo?“ rief Kyle halblaut. Es wunderte ihn nicht, daß er keine Antwort erhielt. Auch als er die Menschen erst sanft und dann etwas stärker an den Schultern rüttelte, reagierten sie nicht. Aber sie lebten. Ihr Atem ging schwach und langsam, der Puls war kaum fühlbar. Sie starrten blicklos ins Nichts. Hin und wieder blinzelten sie sogar, aber das waren nur vegetative Reflexe, eine Schutzmaßnahme des Körpers, die verhinderte, daß ihre Augäpfel austrockneten. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er nichts für die Bedauernswerten tun konnte, außer vorsorglich ihre Gläser und einen großen Wasserkrug wieder aufzufüllen und sämtliche Elektrogeräte abzuschalten, hob Kyle den Telefonhörer im Eßzimmer ab. Die Leitung war zwar nicht tot, aber aus dem Hörer drang nur ein Störzeichen. Nicht einmal die Notrufnummer war anwählbar. Bedrückt verließ Kyle das stille Haus. Drei weitere Versuche bestätigten das, was er bereits befürchtet hatte: Die Lähmung der Menschen war flächendeckend, und wenn es Immune gab, mußten sie eine verschwindend geringe Minderheit bilden. Näher zum Stadtzentrum hin stieß er auf eine Polizeistation, deren Eingang verschlossen war. Da ihm, wie erwartet, auf sein Klingeln, Klopfen und Rufen niemand öffnete, schlug er kurzerhand ein Seitenfenster ein. Bis auf zwei Polizisten schienen alle anderen das Revier verlassen zu haben. Kyle nahm sich nicht die Zeit, das ganze Gebäude zu durchsuchen oder die Waffenkammer aufzubrechen. Er begnügte sich mit einem Paraschocker und zwei Ersatzenergiezellen sowie mit einer kleinen, aber leistungsfähigen konventionellen Pistole vom Kaliber 38, die er in einer Schreibtischschublade fand. Dazu steckte er ein tragbares Funkgerät ein, das sich darauf programmieren ließ, selbständig alle gängigen Frequenzen abzutasten und eintreffende Sendungen automatisch aufzuzeichnen. Auf einer großen Stadtkarte, die die halbe Wand des Vorzimmers bedeckte, orientierte er sich. Nicht weit entfernt von seinem jetztigen Standpunkt befand sich ein weitflächiger Stadtpark, der fast auf Kyles Weg zurück zu seinem Kanu lag. Er beschloß, ihm einen Besuch abzustatten. Vielleicht hatte tatsächlich ein 115
Immuner die Aufrufe aus den Lautsprechern befolgt, die auch hier schwach zu hören waren, und eines der Denkmäler aufgesucht. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, als er den Park erreichte, in dem das Denkmal eines ihm unbekannten Pioniers aus der französischen Kolonialzeit stand. Hohe Bäume mit frischem jungen Grün tauchten es in ein diffuses Zwielicht. Er umrundete es vorsichtig und wachsam, den Paraschocker schußbereit in der Hand. Niemand konnte vorhersagen, wie ein verängstiger Immuner unter diesen Umständen reagieren mochte. „Howdy, Fremder“, klang eine rauchige Stimme irgendwo hinter ihm auf. Kyle wirbelte herum, ging reflexartig in die Knie und zielte mit dem Schocker in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Das dunkelgrüne Kleid der Frau verschmolz geradezu mit dem Laub des Busches, vor dem sie gestanden hatte, so daß Kyle sie erst entdeckte, als sie sich bewegte und gemächlich auf ihn zuschlenderte. „Ein großer kräftiger Kerl wie du wird doch wohl nicht auf eine unbewaffnete Frau schießen“, sagte sie lächelnd. Der Agent richtete sich langsam wieder auf, ließ die Waffe sinken und musterte die Frau ungläubig. Sie reichte ihm nicht einmal bis zur Schulter und war so zierlich, daß sie höchstens 40 Kilo auf die Waage bringen konnte. Ihr rabenschwarzes hüftlanges Haar, die dunkelbraunen mandelförmigen Augen und ihr Teint verrieten die asiatische Herkunft. Das enganliegende wadenlange Kleid, um den Bauchnabel herum ausgeschnitten, in dem ein winziger Jadesticker funkelte, hätte auf jeder Abendgesellschaft Aufsehen erregt und betonte die Konturen ihres beinahe knabenhaften Körpers. „Wer bist du?“ fragte Kyle. Er mußte seine erste Einschätzung korrigieren. Die dunkle rauchige Stimme paßte eindeutig zu einer erwachsenen Frau, aber vor ihm stand ein Mädchen, das er auf nicht mehr als sechzehn Jahre schätzte. „Lilly.“ Das Mädchen blieb dicht vor ihm stehen und musterte ihn mit einem Blick, der so lasziv war, daß er unwillkürlich errötete. „Kyle“, erwiderte er überrumpelt und schluckte. „Kyle Larkin.“ „Freut mich, dich kennenzulernen, Kyle“, sagte Lilly leise. Sie mußte den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können. „Und was treibst du hier, Süßer?“ „Ich… äh…“ Verdammt, reiß dich zusammen! „Ich suche nach anderen Immunen, und wie es scheint, habe ich gerade eine gefunden.“ „Schön für dich, Großer“, hauchte Lilly. „Du siehst so aus, als hättest du schon lange keine Frau mehr gehabt.“ 116
Das darf doch nicht wahr sein, dachte Kyle fassungslos. Die ganze Welt fällt um uns herum auseinander, und dieses kleine Luder… Plötzlich drang ein vibrierender Ton an sein Ohr, ein auf- und abschwellendes Summen, als flöge ganz in der Nähe eine besonders dicke Hummel vorbei. „Deckung!“ rief er, schlang einen Arm um Lilly s Taille, riß sie mit sich und hechtete in das blühende Gebüsch, vor dem sie gestanden hatte. Er rollte über die rechte Schulter ab und blieb auf dem Rücken liegen, das Mädchen an seine Brust gedrückt. Lilly starrte ihn überrascht an, dann verzogen sich ihre Lippen zu einem breiten Grinsen, in dem makellose Zähne aufblitzten. „Ich konnte ja nicht ahnen, daß du es so nötig hast, Großer“ sagte sie kehlig. „Du hättest auch einfach fragen können…“ Kyle preßte ihr eine Hand auf den Mund und spähte an ihr vorbei durch das Laubdach über ihnen. „Still!“ zischte er. Das Summen wurde lauter, und einen Sekundenbruchteil lang erhaschte er einen Blick auf ein hantelfömiges Fluggerät in einer Lücke zwischen den Blättern. Er wartete angespannt ab, bis das Geräusch verklungen war. „Wenn das schon alles war, kannst du mich jetzt wieder loslassen“ brach Lilly schließlich das lastende Schweigen, und sofort zog Kyle den immer noch um ihre Taille gelegten Arm zurück. Er stand auf und half Lilly hoch. Sie war leicht wie eine Feder. „Hast du so etwas schon mal gesehen?“ fragte er, während er sich feuchte Erdkrümel und Blätter vom Overall klopfte. „Ich habe nur dich gesehen, Süßer“ erwiderte Lilly einschmeichelnd. „Aber dieses Geräusch habe ich tatsächlich schon mal gehört. Ich weiß bloß nicht mehr, wann und wo.“ „Nenn mich nicht Süßer. Ich heiße Kyle.“ Es fiel ihm nicht ganz leicht zu vergessen, wie sich ihr Körper angefühlt hatte, ihr warmer Atem auf seinem Gesicht, der Duft ihres Haars, das schwach nach Vanille roch, der Hauch eines exotischen Parfüms… Sie hatte recht. Es war in der Tat verdammt lang her, seit er zum letzten Mal… Er verdrängte den Gedanken. Trotz ihres Benehmens und Auftretens war Lilly praktisch noch ein Kind. „Wo kommst du eigentlich her? Was ist aus deiner Familie geworden, aus deinen Eltern?“ „Meine Eltern gehen dich einen Dreck an, Fremder!“ Lillys plötzlich schneidender Tonfall ließ Kyle zusammenzucken. Ihr aufreizendes Lächeln war verschwunden, als hätte jemand einen unsichtbaren Schalter in ihrem Kopf umgelegt. Und dann zuckte er nochmals zusammen, als sie mit wieder veränderter Stimme, fast ohne die Lippen zu 117
bewegen, hinzufügte: „Mach keinen Fehler, Kleiner.“ Die zweite Stimme klang so unmöglich tief und maskulin, daß Kyle im ersten Moment glaubte, direkt hinter dem Mädchen würde ein Mann stehen, dem Tonfall nach ein Texaner. Sie runzelte die Stirn, und ihr Lächeln blitzte wieder auf, wenn auch ein wenig zurückhaltender. „Sorry“, murmelte sie. „Ich habe keine Familie. Ich bin ganz allein, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Nimmst du mich mit, Süßer… äh, Kyle?“ Mir bleibt wohl kaum etwas anderes übrig, dachte er. Ich kann sie nicht einfach allein zurücklassen, so hilflos, wie sie offensichtlich ist. Irgend etwas stimmte mit dem Mädchen nicht, und das überraschte ihn kaum. Er war kein Psychologe, aber er konnte sich gut vorstellen, daß die Erlebnisse der letzten Tage Lilly traumatisiert hatten. Vielleicht hatte sie alle Erinnerungen an das, was ihr und ihrer Familie widerfahren war, einfach verdrängt. „Ist das dein gesamtes Gepäck?“ fragte er und deutete auf die schmale Umhängetasche, die sie über der Schulter trug. „Keine Kleidung zum Wechseln?“ „Wozu?“ fragte Lilly zurück. „Alles, was wir brauchen, finden wir unterwegs. Ich muß nur auf diesen Papierkram für Xiao aufpassen.“ Sie klopfte auf die Tasche an ihrer Seite. „Wer ist Xiao?“ wollte Kyle wissen. Einen Moment lang verzerrte sich Lillys Gesicht zu einer wütenden Grimasse, doch dann entspannte sie sich wieder und zuckte nur die Achseln. „Eine Freundin“, erwiderte sie undeutlich, als sei ihr das Thema unangenehm. Kyle verzichtete darauf, weiter in sie zu dringen. Wenn sie es schafften, die geheime GIIC-Zentrale zu erreichen – sofern sie überhaupt noch existierte – würde sich das medizinische Team um das Mädchen kümmern. „Kannst du paddeln?“ fragte er. Lilly blinzelte ihm zu und grinste anzüglich. „Mehr als nur das, Großer. Laß dich überraschen.“ * Das GIIC hatte den ersten Immunen in unmittelbarer Umgebung ausfindig gemacht – kaum 30 Kilometer westlich von Montreal in Laval – und Wayne Fitzgerald auf den Weg geschickt. Wayne benutzte ein ultraleichtes Elektrorad, das die GIIC-Techniker mit einem empfindlichen, auf die charakteristischen Geräusche der fremden Flugkörper programmierten Mikrofon ausgestattet hatten. Sobald es einen solchen Flugkörper registrierte, gab es einen Warnton von sich, und Wayne konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Doch die Fahrt nach Laval 118
verlief ohne Zwischenfälle. Tatsächlich traf er den Mann im Stadtpark. Vielmehr war es der andere, der ihm winkend über eine Wiese entgegeneilte, als sich Wayne dem Denkmal näherte. Der Agent zog ihn in die Deckung einer großen Ulme. „Werden Sie nicht leichtfertig“, warnte er. „Die Fremden patrouillieren mittlerweile bereits über den Städten. Wenn sie Sie entdecken, hilft Ihnen vermutlich auch Ihre Resistenz gegen die Hypnosestrahlung nicht mehr.“ „Nehmen Sie mich mit in Ihr Versteck?“ drängte der Immune, der sich als Seth Halliday vorgestellt hatte. Wayne schüttelte den Kopf und erklärte dem Mann die Problematik. Das GIIC wollte ein Widerstandsnetz aufbauen, und dazu benötigte es Immune vor Ort. Außerdem würde es nicht nur sich selbst, sondern auch andere Resistente gefährden, sollten die Außerirdischen erfahren, wo die Geheimdienstzentrale lag. Und je mehr Menschen die Lage der Zentrale kannten, desto größer wurde das Risiko. „Aus diesem Grund soll ich Ihnen das geben“, sagte Wayne und überreichte Halliday eine unscheinbare kleine Kapsel. „Ein kräftiger Biß darauf, die Flüssigkeit schlucken, und zehn Sekunden später sind Sie tot. Garantiert schmerzlos.“ „Sie erwarten von mir allen Ernstes, Selbstmord zu begehen?“ fragte Halliday ungläubig. „Sehen Sie es als ein Angebot“, erwiderte Wayne trocken, „als einen letzten Ausweg für den Fall der Fälle. Natürlich will niemand, daß Sie sterben. Im Gegenteil, wir brauchen Sie und alle anderen Immunen, damit Sie lokale Zellen bilden können. Ich habe Ihnen einen Datenträger mit ausführlichen Instruktionen zum Guerillakampf und einen Paraschocker mitgebracht. Die Bedienung ist kinderleicht. Außerdem erhalten Sie zusätzlich von mir persönlich einen Schnellkurs im Umgang mit allen gängigen Handfeuerwaffen und Sprengstoff. Sie finden alles, was ihr Herz begehrt, in Waffengeschäften, Polizeistationen und Militärbasen. Und ich rate Ihnen, decken Sie sich schnell und gründlich ein. Wer weiß, wieviel Zeit uns noch bleibt, bis die Bodentruppen der Außerirdischen landen.“ Er ließ sich einen halben Tag Zeit, bevor er die Rückreise antrat. Seth Halliday hatte mehrfach versucht, den Agenten zu überreden, ihn mit nach Montreal zu nehmen, und sich schließlich resigniert in sein Schicksal gefügt, nachdem Wayne ihm hoch und heilig versprochen hatte, ihn in den nächsten Tagen wieder zu besuchen. Während er sich mit seinem Elektrorad durch die verstopften Straßen schlängelte, grinste Wayne zufrieden. Er hatte mehr getan, als nur Bushkins Auftrag auszuführen. Weitaus mehr. 119
Pavel Bushkin wollte die Immunen um keinen Preis gefährden, und deshalb sah seine Strategie vor, sie nur als Informanten einzusetzen – zumindest vorläufig – die lediglich zum Selbstschutz einen Paraschocker tragen sollten. Waynes Sicht der Dinge war eine andere. Eine außerirdische Macht hatte die Menschheit ihrem Willen unterworfen und schickte sich an, die Erde endgültig zu erobern. Dem durfte kein Mensch, der noch Herr über sich selbst war, tatenlos zusehen. Kein Pardon den Invasoren, nur um das Leben von einer Handvoll Menschen zu schützen. Die Erde befand sich im Krieg, und Wayne Fitzgerald hatte vor, diesen Krieg mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu führen. * Die erste Nacht auf dem Fluß war ereignislos verlaufen. Eine Zeitlang hatte Lilly versucht, Kyle mit eindeutigen Angeboten zu locken und zu flirten, um dann schmollend zu schweigen, aber schon bald hatte sie das Paddeln erschöpft, und sie war noch vor Sonnenaufgang eingeschlafen. In der zweiten Nacht, als schon die ersten Vororte von Montreal auftauchten, verharrte sie plötzlich mitten in der Bewegung und stieß ein ersticktes Keuchen aus. Kyle, der im Heck des Kanus saß, zog sein Paddel ein. „Was ist mit dir?“ fragte er besorgt. Lillys Schultern waren herabgesunken, ihr Paddel glitt ihr aus den Fingern. Sie drehte sich langsam um. Im schwachen Sternenlicht schienen ihre dunklen Augen zwei bodenlose Löcher zu sein. „Wo bin ich…?“ murmelte sie. Plötzlich klang ihre Stimme nicht mehr rauchig oder kehlig, sondern hell und dünn, die Stimme eines verängstigten Mädchens. „Kurz von Montreal“, erwiderte Kyle. „Bist du okay? Sollen wir vielleicht eine Weile Pause machen?“ Lilly schüttelte den Kopf, nicht so sehr als Antwort auf seine Frage, sondern als Zeichen ihrer Verwirrung. „Und wer bist du?“ Kyle erschauderte. Er hatte geahnt, daß mit dem Mädchen etwas nicht stimmte, aber offensichtlich hatte es sie ziemlich schlimm erwischt. „Kyle“, sagte er hilflos. „Kyle Larkin. Wir haben uns gestern im Park von Cornwall getroffen. Kannst du dich denn an gar nichts mehr erinnern, Lilly?“ Sie starrte ihn eulenhaft an, dann blickte sie an sich selbst herab. „Deshalb dieses Kleid“, flüsterte sie. „Lilly war hier.“ „Wie meinst du das?“ fragte Kyle irritiert. Er nahm das Paddel wieder auf und lenkte das Kanu ans Ufer. 120
„Ich bin nicht Lilly“, erklärte das Mädchen, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „In Wirklichkeit heiße ich Xiao Feng. Lilly ist eine meiner Pseudopersönlichkeiten.“ Eine halbe Stunde später saßen sie in einer Anglerhütte am Ufer des Flusses, und während Kyle, jedem Risiko zum Trotz, ein Feuer im Kamin anzündete und Kaffee kochte, berichtete Xiao. Sie war wie ein ganz normales Mädchen in Toronto aufgewachsen, bis sie sich vor einem Jahr ohne einen erfindlichen Grund von einem Tag auf den anderen verändert hatte. „Die erste Person, die in mir erwacht ist, war diese Lilly, die du schon kennengelernt hast. Sie ist auch die stärkste. Anfangs waren das nur ganz kurze Schübe, höchstens ein paar Minuten, doch dann kamen weitere Personen dazu, und die Schübe wurden immer länger. Meine Eltern mußten mich von der Schule nehmen. Wir sind von einem Spezialisten zum anderen gegangen, doch keiner konnte mir helfen. Es wurde immer schlimmer. Dann haben wir von einer neurologischen Klinik in Cornwall erfahren, die sich auf Fälle wie mich spezialisiert hat. Das war vor vier Monaten. Seither geht es mir besser. Das dachte ich wenigstens. Aber dann ist diese merkwürdige Sache passiert.“ Sie hatte gerade eine ihrer täglichen Therapiesitzungen absolviert, in der sie lernte, die verschiedenen Persönlichkeiten in ihr mit Hilfe von Schlüsselwörtern und Gedankenbildern zu kontrollieren, als ihre Therapeutin erstarrt war. „Zuerst hat sie ganz undeutlich gesprochen, und ich habe so ein seltsames Kribbeln im Nacken verspürt“, erzählte sie weiter. „Vor Schreck habe ich nach Jeff gerufen – das ist so etwas wie mein innerer Beschützer, der immer das Kommando übernimmt, wenn ich in Schwierigkeiten gerate – und er ist auch wirklich gekommen. Als ich dann wieder aufgewacht bin, war er weg, und alle in der Klinik haben wie tot rumgesessen.“ Kyle versuchte sich vorzustellen, was Lilly – Xiao, korrigierte er sich – durchgemacht haben mußte. Ein hochgradig schizophrenes Mädchen, ganz allein in einer Klinik voller lebender Toter. Zuerst hatte sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen, und nach einem Tag war das Kribbeln in ihrem Nacken wieder da gewesen. Diesmal war ihr Betty zu Hilfe gekommen, die Persönlichkeit einer gütigen älteren Haushälterin. Als Xiao zum zweiten Mal aus dem unnatürlichen Schlaf erwacht war, hatte sie weder Jeff noch Betty rufen können. „Sie sind immer noch in mir“, sagte sie, „aber sie schlafen. Sie wachen nur dann auf, wenn dieses Kribbeln wiederkommt. Es gibt zwei Arten von Kribbeln. Bei dem ersten schlafen die Persönlichkeiten ein, die gerade in mir das Kommando haben, bei dem zweiten versuchen sie zu erwachen, um das zu tun, was gräßlich zischende Stimmen, die ich nicht verstehen kann, 121
mir zu befehlen versuchen.“ „Und hast du ihnen dabei einmal das Kommando überlassen?“ fragte Kyle fasziniert und mitfühlend zugleich. Xiao nickte. „Ja, einmal. Aber das war unheimlich. Betty und Jeff sind mit den anderen in den Speisesaal gegangen und haben gegessen.“ Sie schloß die Augen. „Ich habe sie wieder zurückgeschickt und bin davongelaufen. Auch draußen in der Stadt war es furchtbar, bis ich ein leeres Haus mit ein paar Lebensmitteln gefunden habe. Dort bin ich eine Weile geblieben. Dann habe ich diese Lautsprecherdurchsagen gehört. Ich bin noch einmal in die Klinik zurückgekehrt, um meine Krankenakte zu holen, damit mich die anderen Immunen nicht für verrückt halten.“ Sie lächelte kläglich. „Denn eigentlich bin ich nicht verrückt. Bis auf Lilly und einen Kerl namens Bob sind alle meine Pseudopersönlichkeiten völlig normale und sogar ziemlich nette Leute.“ Kyle versuchte sich vorzustellen, wie es sein mußte, wenn man mit mehreren Persönlichkeiten in einem einzigen Körper lebte. Es gelang ihm nicht. Und Xiao schien ihren zierlichen Körper mit mindestens einem Dutzend anderer Menschen zu teilen. Aber vielleicht war es das, was sie gerettet hatte. Bis jetzt. Denn offenbar setzten die Fremden ihre Strahlung öfters ein, und auch Xiaos Reservoir an Pseudopersönlichkeiten konnte nicht unbegrenzt sein. „Auf dem Weg zum Park bin ich an einer Modeboutique vorbeigekommen“, beendete sie ihren Bericht. „Da muß Lilly das Kommando übernommen haben. Den Rest der Geschichte kennst du besser als ich selbst.“ Kyle schenkte zwei Becher voll Kaffee und goß in seinen einen kräftigen Schluck Whisky. Sie stießen an und tranken. „Und wie ist es dir ergangen?“ fragte Xiao. „Das ist eine lange Geschichte“, wich er aus. „Ich erzähle sie dir, wenn wir unser Ziel erreicht haben. Heute nacht bleiben wir besser hier. Morgen abend, sobald es dunkel wird, ziehen wir weiter. Einverstanden?“ „Einverstanden.“ Eine Weile saßen sie nur da, tranken Kaffee, aßen Käsecracker und starrten in das knisternde Kaminfeuer. Einmal hörte Kyle in der Ferne das bösartige Summen eines der hantelförmigen außerirdischen Fluggeräte, und er spannte sich innerlich an, als er auf das verräterische Kribbeln in seinem Nacken und darauf wartete, wie Xiao reagieren würde, wenn die Strahlung sie traf. Doch nichts geschah, und das nervtötende Summen verschwand wieder. „Kyle?“ fragte Xiao irgendwann schüchtern. „Ja?“ „Würdest du mich in den Arm nehmen und ein bißchen festhalten?“ Als 122
sie seine Bestürzung bemerkte, blitzte einen Moment lang Lillys Frivolität in ihren Augen auf, und sie kicherte mädchenhaft. „Keine Angst“, gluckste sie, „ich bin es nur, Xiao. Oder wäre dir Lilly lieber?“ Kyle schüttelte hastig den Kopf, verunsichert darüber, weshalb er sich plötzlich so schuldig fühlte. Er nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. Diesmal spürte er nicht eine Spur von Verlangen in sich aufsteigen, und so hielt er sie so lange fest, bis sie eingeschlafen war. 7. „Wir haben eine interessante Entdeckung gemacht, Chef, meldete Igor Njansen mit leuchtenden Augen. „Natürlich stehen wir noch ganz am Anfang, und es ist gut möglich, daß wir uns in eine Sackgasse verrennen…“ „Kommen Sie auf den Punkt, Doc“, stöhnte Bushkin. Wayne Fitzgerald war unterwegs zu einem zweiten Immunen im Einzugsbereich von Montreal. Der Äther, nunmehr wieder weitgehend frei von Störungen, schwirrte von einem furchterregenden Zischen, in dem die Wissenschaftler des GIIC eine Sprache der Außerirdischen vermuteten, auch wenn bisher keiner der Experten eine Struktur oder ein Muster in den Lauten hatte entdecken können. Die Kugelraumer schwebten immer tiefer und zahlreicher über den Städten, und auch die Sichtungen der kleineren hantelförmigen Fluggeräte nahm zu. Offensichtlich stand die Landung der Außerirdischen kurz bevor. Und jetzt war auch noch die letzte Standleitung über die nördlichen Rocky Mountains zusammengebrochen, so daß das GIIC T-XXX nicht mehr über eine der wenigen verbliebenen Relaisfunkstationen an der Westküste erreichen konnte. Blieb nur noch die Möglichkeit, über Langwelle direkt Kontakt mit der Geheimstation unter dem Mount King aufzunehmen, aber das war eine Maßnahme, die Bushkin nur im schlimmsten aller denkbaren Fälle ergreifen würde – sollte ein Angriff auf sein geheimes Hauptquartier erfolgen. Er hatte keine Zeit für Njansens ausschweifenden Erklärungen. „Es ist uns gelungen, Nervenzellen der Aliens in einer Nährlösung zu kultivieren, und dabei sind wir auf eine Art Virus gestoßen, wie es bei an Meningitis und akuter Virusenzephaltis erkrankten Menschen auftritt“, kam Sheila Duncan ihrem Kollegen zuvor. „Allerdings sind diese Viren für ihre Träger harmlos. Vermutlich erfüllen sie sogar einen nützlichen Zweck, wie etwa die Bakterien in der Darmflora eines Menschen, denn sonst wären sie kaum da. Ohne an dieser Stelle ins Detail zu gehen: Unter Umständen können wir die Viren mit menschlicher DNS so manipulieren, daß sie die Nervenzellen ihrer Wirte so angreifen, wie es ein vergleichbares Virus bei einem Menschen tun würde. Das Ergebnis wäre einer akuten Gehirnhautent123
zündung vergleichbar, die hochinfektiös ist, rasant verläuft und bereits durch einen flüchtigen Kontakt übertragen werden könnte. Ich brauche Ihnen bestimmt nicht zu erklären, welche Folgen eine solche Epidemie auf die Außerirdischen hätte.“ „Und wie steht es mit den Menschen?“ wollte Bushkin wissen. „Wenn die Viren mit menschlicher DNS manipuliert werden, wären dann nicht auch wir gefährdet?“ Njansen schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Keineswegs. Den Viren fehlen die entsprechenden Andockstellen, um an menschlichen Nervenzellen anzukoppeln und ihre DNS in den Zellkern einzuschleusen. Mit anderen Worten, sie besitzen keinen passenden Schlüssel, um das Schloß zu knacken.“ „Und wie lange brauchen Sie, um Ihre Theorie in die Praxis umzusetzen?“ fragte Bushkin. „Unter normalen Umständen, wollten wir alle Risiken ausschließen und erst die Grundlagen erarbeiten, Monate“, erwiderte Sheila. „Aber wir haben uns entschlossen, sozusagen mit der Brechstange vorzugehen. Wenn wir Glück haben, können wir Ihnen in zwei bis drei Tagen die ersten Ergebnisse liefern.“ „Schön“, sagte Bushkin. „Sie haben freie Hand. Alle Ressourcen der Zentrale stehen Ihnen zur Verfügung. Wenn Sie mehr Leute brauchen…“ Nicht zum ersten Mal wurde er mitten im Wort unterbrochen. Eigentlich konnte er sich an keine einzige Besprechung seit dem Angriff auf die Erde erinnern, bei der er nicht mindestens einmal gestört worden war. „Chef, wir haben Besuch!“ meldete ein Agent über Bushkins Bürovipho aufgeregt. „Und Sie werden nie erraten, wer es ist.“ Der Leiter des GIIC zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. „Reden Sie schon, Mann. Ich habe keine Zeit, mit Ihnen ein Quiz zu spielen.“ „Bei dem Besucher handelt es sich um Kyle Larkin“, sprudelte der Agent hervor. „Und er hat ein junges Mädchen mitgebracht.“ „Larkin?“ Bushkin war aufgesprungen. „Was sagt er?“ „Er fragt, ob wir daran gedacht haben, ein Bier für ihn kaltzustellen.“ * Während der nächsten Tage arbeiteten die medizinische Abteilung und die Biochemiker des GIIC auf Hochtouren. Parallel dazu weiteten Kyle, Wayne und Xiao den Kreis um Montreal herum, in dem sie Immune lokalisierten und aufsuchten, immer weiter aus. Die Elektroräder und -karren hatten sich als unauffällige Transportmittel bewährt. Solange die Immunen sie innerhalb der Städte oder in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen benutzten, konnten die Außerirdi124
schen ihre Energieemissionen offenbar nicht aus der Vielzahl anderer elektromagnetischer Felder isolieren. Trotzdem spitzte sich die Lage weiter zu. Eines Tages waren die GIIC-Mitarbeiter in der Spedition über der Zentrale einfach aufgestanden und verschwunden. Nach Langzeitbeobachtungen an dem Gelähmten, den Niu Kelauakohas Einsatztruppe in die unterirdische Station gebracht hatte, war man übereingekommen, die restlichen Betroffenen über der Erde zu belassen, wo sie auf die Strahlung der Fremden reagieren konnten. Xiao hatte sich – wenn sie nicht zusammen mit Kyle unterwegs war – um die Spediteure gekümmert, sie gewaschen und frische Verpflegung in Reichweite für sie bereitgestellt. Bushkin hatte die Männer mit Peilsendern versehen lassen, die in regelmäßigen Abständen niederfrequente Impulse von geringer Reichweite ausstrahlten. Eine weise Entscheidung, denn als die GIIC-Mitarbeiter plötzlich aufstanden und das Gebäude verließen, konnte die Zentrale ihren Weg verfolgen. Die Männer reihten sich in immer größer werdende Menschenströme ein, die wie die Lemminge zu einem bestimmten Ziel zogen. Zum Hauptraumflughafen von Montreal im Norden der Stadt. Die ersten hatten die riesigen Landefelder bereits erreicht, wo sie wieder in ihre typische Starre verfielen, als Pavel Bushkin eine weitere Dringlichkeitskonferenz einberief. „Wir müssen davon ausgehen, daß die Landung der Invasoren unmittelbar bevorsteht“, verkündete er seinen Mitarbeitern. „Sie alle wissen, was das für uns bedeutet. Wenn Bodentruppen ausschwärmen, erhöht sich für uns das Risiko, entdeckt zu werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, daß sie unsere Botschaften an die Immunen, die wir seit Tagen über Lautsprecher und Anzeigetafeln verbreiten, entschlüsseln und dadurch die vereinbarten Treffpunkte belauern könnten. Deshalb haben wir den Immunen letzte Anweisungen erteilt und die Suprasensoren im Informationszentrum der Stadtverwaltung so programmiert, daß sie sämtliche Datenspeicher auf einen Kurzimpuls hin sofort löschen. Die Situation hat aber auch einen hoffnungsvollen Aspekt. Wir haben uns lange gefragt, warum die Fremden ihre Landung trotz der Tatsache, daß ihnen keine ernstzunehmende Gegenwehr mehr droht, so lange herausgezögert haben. Die Antwort ist denkbar einfach. Vermutlich sind sie genau wie wir für ihre eigene Strahlung empfänglich und würden handlungsunfähig werden, solange die Erde weiterhin diesem unsichtbaren Flächenbombardement ausgesetzt ist. Beobachtungen, welche die Agenten Fitzgerald und Larkin gemacht haben, bestätigen diese Vermutung. Sie können die Strah125
lung spüren, auch wenn sie nicht davon beeinflußt werden. Die Aliens auf den hantelförmigen Schwebern benutzen offenbar Strahler mit einem begrenzten Wirkungskreis, mit denen sie ihre unmittelbare Umgebung bestreichen. Daraus folgt für uns, daß wir uns nach einer Landung der Fremden wahrscheinlich wieder auf der Erdoberfläche bewegen können, solange wir nicht in den Einflußbereich eines solchen Strahlers geraten, über dessen Reichweite uns keinerlei Informationen vorliegen. Ich betone nochmals, daß dies lediglich eine Vermutung ist, über die wir nur durch praktische Erfahrung Gewißheit erlangen können. Und welche Konsequenzen es für jeden nicht Resistenten unter uns hätte, seines Willens beraubt zu werden, liegt auf der Hand. Er müßte sterben, um die Zentrale nicht gegen seinen Willen gefährden zu können. Um das zu gewährleisten, haben wir einen Plan ausgearbeitet. Alle Freiwilligen, die sich zu gegebener Zeit auf die Erdoberfläche wagen wollen, müssen sich einer bestimmten Prozedur unterziehen.“ Bushkin legte eine kurze Pause ein und trank einen Schluck Wasser. Kyle, der neben Xiao saß und ihre Hand hielt, sah, wie Wayne Fitzgerald grinste. Sein Kollege und früherer Sparringspartner bei Taek-WonDo und Jiu-Jitsu schien sich bestens zu amüsieren. Daß Wayne emotional äußerst labil war und zu Gewalttätigkeiten neigte, hatte sich spätestens seit seinem Mord an Cliff Fenneman gezeigt. Kyle mißtraute ihm zutiefst, und er wußte, daß Bushkin seine Einschätzung teilte, aber der Geheimdienstleiter war auf die Hilfe des Einzelkämpfers angewiesen. „Wir haben einige Dutzend kirschgroßer Kapseln vorbereitet, die mit einem absolut tödlichen Gift und einer schwachen Sprengladung gefüllt sind“, fuhr Bushkin fort. „Die Kapseln werden geschluckt und – sofern sie nicht explodieren – auf normalem Weg wieder ausgeschieden. Um sie am Explodieren zu hindern, ist es erforderlich, daß sie alle drei Minuten ein schwaches Signal erhalten, das hiermit gesendet wird.“ Er hielt einen breiten Ring in die Höhe, den er sich über den Mittelfinger schob, und berührte ein Feld auf der Unterseite mit dem Daumen. „So senden Sie das Signal. Der Ring strahlt zehn Sekunden vor Ablauf der Frist einen leisen Warnton aus. Ich werde es Ihnen demonstrieren.“ Er zog zwei ovale Kapseln aus der Tasche, führte sie mit einer Verzögerung von 20 Sekunden nacheinander über das Feld auf der Unterseite des Ringes und legte sie dann in einem Abstand von einem halben Meter auf den Tisch, hinter dem er saß. „Jetzt sind sie aktiviert“, erklärte er. „Natürlich enthalten diese Exemplare kein Gift, und die Explosion an sich ist ungefährlich. Sie werden Sie, ebenso wie das Gift, kaum spüren.“ Die Versammelten starrten wie gebannt auf die eiförmigen Gebilde. Die 126
Zeit schleppte sich dahin. Irgend jemand hüstelte nervös. „Drei Minuten können sehr lang sein“, kommentierte Bushkin ruhig. Von dem Ring an seinem Finger ertönte ein leises rhythmisches Piepen. „Spätestens jetzt sollten Sie das Feld berühren“, sagte er, doch sein Daumen bewegte sich nicht. Die rechte Kapsel platzte mit einem trockenen Geräusch auf. Kurz darauf ertönte der gleiche Warnton wieder, und diesmal berührte Bushkin das Feld an dem Ring mit dem Daumen. Sofort verstummte das Piepen. Er führte die verbliebene Kapsel wieder über das Aktivierungsfeld. „Jetzt ist der Sprengmechanismus blockiert. Damit übergebe ich Dr. Njansen das Wort.“ Igor Njansen rückte seine altmodische Nickelbrille zurecht und fuhr sich durch das schüttere Haar. „Dr. Duncan und mir ist es gelungen, ein Virus herzustellen, das die Nervenzellen der Fremdwesen angreift und zerstört“, begann er. „Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen. Das Virus ist äußerst ansteckend, wie Versuche mit unseren… ähm… Gästen gezeigt haben, aber für Menschen völlig ungefährlich. Für die Infektion der Aliens reicht ein kurzer Körperkontakt oder die Aufnahme der Atemluft eines bereits Infizierten aus. Die ersten Sympthome treten nach 36 Stunden auf. Wir hoffen, daß möglichst viele der Befallenen die Viren in die Kugelraumer tragen, wo sie von einer Klimaanlage, über die jedes Schiff aus zwingenden Gründen verfügen muß, in Kürze alle Besatzungsmitglieder anstecken dürften. Die Erstinfektion wird durch kontaminierte Nadlerpfeile ausgelöst, mit der die Agenten Larkin und Fitzgerald sowie die Immunen, die sich freiwillig für diese Mission melden, die Fremden beschießen werden. Die Geschosse lösen sich kurz nach Eintreten in ihre Ziele rückstandslos auf und hinterlassen keine sichtbaren Wunden, wie wir bereits festgestellt haben. Ein Mensch spürt den Treffer kaum, und wenn wir Glück haben, merken die Fremden gar nicht, daß sie beschossen wurden. Welche Auswirkungen diese Maßnahmen zeigen werden, müßten wir spätestens drei Tage nach der Erstinfektion sehen. Es könnte ein völliger Fehlschlag werden oder aber den Aggressoren schwere Verluste zufügen.“ „Danke, Dr. Njansen.“ Pavel Bushkin erhob sich. „Meine Damen und Herren, alles weitere erfahren Sie von Ihren jeweiligen Abteilungsleitern. Die Konferenz ist hiermit beendet. Agent Larkin, Agent Fitzgerald, Sie erhalten von mir genauere Instruktionen in meinem Büro.“ Xiao hob eine Hand. „Direktor Bushkin, Sir, ich möchte an der Besprechung teilnehmen.“ Der Geheimdienstchef musterte das Mädchen mit erhobenen Augenbrauen. „Miß Feng, ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber Sie sind eigentlich keine Immune. Sollten Sie in die Strahlen der Fremden geraten, wäh127
rend Ihre echte Persönlichkeit in Ihnen die Oberhand hat…“ „Mir ist nur zu gut bewußt, welches Risiko ich eingehe“, unterbrach ihn Xiao, „aber Sie wissen auch, daß ich dort draußen mehr als hier unter der Erde tun kann. Seit Ihre Leute oben in der Spedition verschwunden sind, habe ich keine vernünftige Aufgabe mehr. Sie brauchen mich, Sir.“ „Ich kann doch nicht…“, setzte Bushkin erneut zu einem Protest an, doch dann bemerkte er Kyles Blick. „Also gut“, gab er widerwillig nach. „Wenn Sie darauf bestehen, sind Sie mit von der Partie.“ Am nächsten Tag erfolgte die lange erwartete Landung der Außerirdischen. Sie verlief völlig unspektakulär. Auf den Raumhäfen, die das GIIC durch die Überwachungskameras beobachten konnte, sanken Kugelraumer mit einem Durchmesser von 50 bis 400 Metern herab und schleusten die schon bekannten Schweber aus, umringt von gewaltigen reglosen Menschenmassen, die ein stummes Willkommenskommitee bildeten. Nach einigen Stunden marschierten einige von ihnen roboterhaft in die Kugelraumer hinein, und wiederum Stunden später teilte sich die Menschenmenge in einzelne Kolonnen auf, die den riesenhaften Aliens in unterschiedliche Richtungen folgten. Als willenlose Arbeitssklaven der Eroberer. Kyle, Wayne und Xiao benötigten drei Tage, die sechs bisher entdeckten Immunen in einem Umkreis von 80 Kilometern um Montreal aufzusuchen und mit den kontaminierten Nadlerpfeilen auszurüsten, immer auf der Hut vor den Außerirdischen und bereit, beim ersten Anzeichen von Gefahr in Deckung zu gehen. Auf ihrem Weg legten sie in Abständen von fünf Kilometern winzige Funkgeräte aus, die eine Relaiskette vom GIICHauptquartier zu den Partisanen bildeten, um über extrem energieschwache und geraffte Funksprüche Kontakt halten zu können. Die Infizierung der Invasoren sollte möglichst zeitgleich beginnen, sobald Bushkin das Angriffszeichen gab. Doch kaum waren die beiden Agenten und das Mädchen müde aber sicher in das Versteck unter der Spedition zurückgekehrt, erwartete sie eine Hiobsbotschaft. Pavel Bushkin rief sie zu sich in sein Büro. „Wir müssen die Operation abblasen“, verkündete er grimmig. „Ich habe die Immunen bereits über Funk angewiesen, die Nadlerpfeile in den dafür vorgesehenen getarnten Depots zu lagern. Sobald Sie sich ausgeruht haben, werden Sie noch einmal ausrücken und die Pfeile einsammeln. Wir dürfen nicht riskieren, daß die Viren durch einen dummen Zufall freigesetzt werden.“ „Was?“ rief Wayne fassungslos. „Haben Sie den Verstand verloren? Die Viren sind unsere einzige aussichtsreiche Waffe gegen diese Ungeheuer!“ „Richtig, wir haben große Hoffnung in sie gesetzt, aber wir dürfen sie 128
jetzt nicht mehr benutzen, jedenfalls nicht in dieser Form.“ Bushkins Stimme klang resigniert. „Wir könnten die gesamte Menschheit damit gefährden. Sheila kann Ihnen das genauer erklären.“ Die junge Ärztin wirkte nicht minder niedergeschlagen als ihr Chef. „Die Viren sind mutiert“, berichtete sie. „Sie tun zwar immer noch das, was sie sollen, nämlich das Nervengewebe der Aliens zu zersetzen, aber sie haben mittlerweile Rezeptoren ausgebildet, die unter Umständen an menschliche Nervenzellen andocken könnten. Und Sie haben ja gesehen, wie dicht sich die Menschen teilweise zusammendrängen und wie schlecht es um die hygienischen Zustände bestellt ist. Ein infizierter Mensch könnte eine gewaltige Lawine auslösen, die binnen weniger Tage die gesamte Menschheit erfaßt.“ „Ich höre immer wieder könnte“, fauchte Wayne. Kyle hatte ihn selten so aufgebracht erlebt. „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß das Virus auf Menschen überspringt?“ Sheila zuckte müde die Achseln. „Schwer zu sagen. Eins zu zehn, vielleicht etwas geringer, vielleicht auch höher. Vielleicht passiert auch gar nichts.“ „Und deshalb wollen Sie die ganze Aktion einstellen?“ fragte Wayne feindselig. „Nur weil etwas passieren könnte! Haben Sie auch einmal ausgerechnet, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß die gesamte Menschheit stirbt, weil wir nichts tun? Sind Sie bereit, dieses Risiko auf sich zu nehmen?“ „Agent Fitzgerald, halten Sie den Mund!“ herrschte Bushkin ihn rüde an. „Falls Sie es vergessen haben sollten, ich trage hier die Verantwortung, und Sie haben es nur einem glücklichen Umstand zu verdanken, daß Sie nicht wegen vorsätzlichen Mordes plus mehrfachen Totschlags zu einer langjährigen Haftstrafe mit anschließender Rehabilitationstherapie verurteilt wurden. Ich habe entschieden, das Projekt vorläufig auf Eis zu legen, bis wir mehr Sicherheit haben, und dabei bleibt es!“ Wayne funkelte seinen Vorgesetzten bösartig an, und Kyles Hand näherte sich unauffällig seinem Schocker, doch dann lächelte der andere unvermittelt und schüttelte den Kopf. „Okay, Sie sind der Boß“, murmelte er. „Verschieben wir die Aktion, bis die Eierköpfe weitere Untersuchungen angestellt haben. Ich haue mich erst mal aufs Ohr.“ „Tun Sie das“, erwiderte Bushkin. „Ich erwarte Sie in zwölf Stunden erholt und ausgeruht zu Ihrem nächsten Einsatz.“ „Aye, Sir.“ Wayne deutete einen militärischen Gruß an und verließ das Büro. „Ich mißtraue dem Burschen, Kyle“, sagte Bushkin, als sie allein waren. „Ich auch, Chef, gab Kyle zurück, „aber er hat nicht ganz unrecht. Wenn 129
wir diese Chance nicht ergreifen, machen wir uns möglicherweise am Tod von etlichen Milliarden Menschen mitschuldig.“ Bushkin seufzte. „Ich weiß. Aber wie Sie richtig bemerkt haben, werden wir in diesem Fall mitschuldig. Wenn wir jedoch die Menschheit mit einem neuartigen und absolut tödlichen Virus infizieren, auch wenn es nur versehentlich geschieht, tragen wir die alleinige Schuld für ihren Tod. Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Würden Sie es an meiner Stelle darauf ankommen lassen?“ Kyle machte eine ausweichende Geste. „Zum Glück bin ich nicht an Ihrer Stelle.“ „Nein, und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gerne ich mit Ihnen tauschen würde. Eins noch, bevor ich Sie entlasse. Halten Sie es wirklich für eine gute Idee, das Mädchen ständig mit sich rumzuschleppen? Sie ist da draußen in großer Gefahr. Und sie hat, salopp formuliert, einen gewaltigen Dachschaden.“ „Es mag sich für Sie vielleicht verrückt anhören“, antwortete Kyle erst nach längerem Zögern, „aber ich glaube, daß sie bei mir sicherer als hier in der Zentrale ist. Nennen Sie es eine Vorahnung.“ Der Leiter des GIIC musterte ihn aufmerksam. „Sie ist eine bezaubernde junge Frau“, sagte er schließlich. „Sie ist noch ein Kind!“ protestierte Kyle eine Spur zu hastig. „Und sie hat bereits ihre Eltern verloren. Sie braucht mich.“ „Und Sie brauchen sie.“ Bushkin lächelte besänftigend. „Aber lassen wir das, Agent Larkin. Sie haben es geschafft, lebend aus dem Orbit zurückzukehren, also sollte ich Ihrem Instinkt wohl besser vertrauen. Sammeln Sie diese verdammten Viren wieder ein und passen Sie gut auf die Kleine auf. Und lassen Sie Fitzgerald nicht aus den Augen. Der Kerl hat mir zu schnell klein beigegeben. Ich fürchte, daß er an seinem eigenen Feldzug bastelt.“ Von den sechs Immunen antworteten nur fünf auf Bushkins Anruf. Vier erklärten sich sofort bereit, den Anweisungen zu folgen, einer weigerte sich, die kontaminierten Pfeile ohne ein direktes Gespräch wieder abzugeben, und der letzte schwieg. Es war der vierte auf der Route der beiden Agenten und des Mädchens. Sie fanden ihn in seinem Versteck tot vor. Er wies keine äußeren Verletzungen auf. Als Kyle die Kiefer des Toten auseinanderzwängte, fand er die Splitter der Giftkapsel zwischen den Zähnen des Immunen vor. Er fragte sich, was den Mann dazu bewogen hatte, Selbstmord zu begehen. Vielleicht waren die Fremden seinem Versteck zu nahe gekommen, und er hatte sich einer möglichen Entdeckung durch Selbstmord entzogen. Vielleicht aber hatte er auch einfach nur der ständigen Angst und Verzweiflung nicht mehr standgehalten. Auf jeden Fall trug er die Nadlerpfeile noch bei sich. Xiao und Kyle be130
standen gegen Waynes Protest darauf, den Toten trotz des Zeitdrucks anständig zu begraben. Es war der Abend des zweiten Tages, als sie endlich weiterzogen. Neben ihrem eigentlichen Auftrag sammelten sie weitere wichtige Informationen. Einige Fabriken hatten den Betrieb wieder aufgenommen, bewacht von den monströsen Kreaturen, die einen sorglosen Eindruck machten, sofern sich das bei ihrem fremdartigen Äußeren überhaupt beurteilen ließ. Und Kolonnen von Männern, Frauen und sogar Kindern trugen, schleppten oder zogen allerlei Gegenstände in Richtung des Raumhafens mit sich, Maschinen, elektronisches Gerät, Kabeltrommeln und teilweise einfach nur Metallstücke. Zerlumpte Gestalten mit leeren Gesichtern und stumpfen Augen. Ein bedrückender Anblick. Offenbar begannen die Fremden, den besiegten Planeten auszuplündern. Aber wozu brauchte eine technisch so überlegene Spezies einfache Haushaltsgeräte oder gewöhnliche Metalle? Gegen Ende des dritten Tages erreichten Kyle, Xiao und Wayne die Stadt Joliette, ihre letzte Station. Michael Baru, der sechste Immune, ein pensionierter Polizist, erwartete sie bereits im Garten seines Cottages vor einem frischen Grabhügel. Dort ruhte seine Frau Babette, die am ersten Tag des Angriffs durch Strahlenbeschuß aus dem All ums Leben gekommen war. Der alte Polizist hatte die Überreste seiner Frau nur anhand des Eherings an ihrem Finger identifizieren können. „Was soll der Blödsinn?“ knurrte er abweisend. „Euer Häuptling hat irgend etwas von wegen gefährlicher Nebenwirkung der Viren gefaselt. Gefährliche Nebenwirkungen, daß ich nicht lache! Wie, glaubt er denn, ist das Leben auf der Erde jetzt? Ungefährlich?“ Kyle bemerkte Waynes beifälliges Grinsen. Er spürte deutlich, daß er sich vorsehen mußte. Hier waren sich zwei Geistesverwandte begegnet, die, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in einen Krieg mit allen Mitteln ziehen wollten. Der alte Mann, um seine Frau zu rächen, und Wayne… Weil er von Grund auf ein gewalttätiger Mensch war, der jetzt seine Chance gekommen sah, seinen unterdrückten Trieben und Phantasien freien Lauf zu lassen. „Gehen wir lieber ins Haus“, schlug Kyle vor. „Auch wenn die Fremden bisher noch nicht in Joliette…“ Ein Krachen in seinem Funkgerät unterbrach ihn, und dann ertönte Pavel Bushkins gehetzte Stimme. Es war kein geraffter Funkspruch, der erst gestreckt werden mußte, und er kam auch nicht über die Relaiskette herein, wie die Anzeige des Empfän131
gers verriet. Bushkin sendete live, und das mit voller Stärke! Kyle gefror das Blut in den Adern, noch bevor er die Nachricht gehört hatte. Er wußte, was das bedeutete. „Werden angegriffen!“ brüllte der Chef des GIIC. „Die Fremden dringen über die Schächte vor… spüren die Auswirkungen ihrer Strahlen…“ Eine kurze Pause, Rauschen und Knistern und ein dumpfer Knall im Hintergrund, „…lassen sie weiter vorrücken, um möglichst viele mitzunehmen… leite Sprengung der Schächte ein…“ Wieder eine Pause und eine weitere Detonation, und dann noch einmal Bushkins Stimme, laut und deutlich und beinahe friedlich: „An alle, die mich hören können, geben Sie nicht auf! Kämpfen Sie, solange Sie noch Ihren freien Willen haben! Die Menschheit ist noch nicht am Ende!“ Und übergangslos brach die Verbindung ab. „Mein Gott…“, flüsterte Xiao. Ihre Stimme schwankte. Kyle drehte sich zu ihr um und streckte eine Hand nach ihr aus. „Das war’s dann also“, hörte er Wayne murmeln. „Neues Spiel, neues Blatt. Keine Instruktionen mehr von Bushkin. Die Karten werden neu gemischt.“ Es dauerte eine Weile, bis Kyle begriff, was sein Kollege – ExKollege, verbesserte er sich, jetzt sind wir alle arbeitslos – damit meinte. Wayne Fitzgerald würde keine Anweisungen von niemandem mehr befolgen. Xiao schmiegte sich an Kyle und vergrub ihr Gesicht in seiner Armbeuge. Er streichelte ihr über das Haar und wandte sich langsam wieder Wayne zu. Der Ex-Agent zielte mit einem Schocker auf ihn. „Ich hoffe, du nimmst jetzt langsam Vernunft an, Kyle“, sagte er. Kyle lachte humorlos. „Du redest von Vernunft? Ausgerechnet du? Und warum nimmst du nur den Schocker? Warum nicht gleich eine von deinen Lieblingswaffen, die so schöne große Löcher reißen?“ „Ich will dich nicht töten, Kyle“, erwiderte Wayne ernst. „Wirklich nicht. Wir haben beide das gleiche Ziel, auch wenn du das nicht einsehen willst, weil du so gottverdammt sentimental bist.“ „Du irrst dich, Wayne.“ Kyle schob Xiao vorsichtig hinter sich, ohne den Körperkontakt zu ihr zu unterbrechen, und trat langsam einen Schritt auf Wayne zu. „Mein Ziel war es nie, andere zu töten, um Macht auszuüben. Du bist bereit, Millionen oder Milliarden Menschenleben aufs Spiel zu setzen, um dich wichtig zu fühlen und ein Held zu sein. Ich bin das nicht.“ Waynes Mundwinkel zuckten. „Bleib stehen, Kyle“, warnte er leise. „Ich schieße. Und ich werde diese gottverdammten Virennadeln wieder an die anderen Immunen ausgeben. Ich werde diese Bestien damit infizieren, mit oder ohne deine Hilfe.“ 132
„Seid ihr verrückt geworden?“ fragte Michael Baru unsicher. „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um…“ „Hält’s Maul, Alter!“ zischte Wayne. „Das hier geht dich nichts an!“ „Feuer, Bob“, sagte Kyle ruhig und betonte jede einzelne Silbe. Er spürte, wie sich Xiao hinter ihm versteifte. „Flammen, Bob. Glut.“ Ihre Hände tasteten über seinen Gürtel. Waynes Augen wurden schmal, aber sein Schocker blieb auf Kyles Brust gerichtet. „Wenn du glaubst, du könntest mich mit diesem Unfug…“ In diesem Moment hechtete Kyle urplötzlich zur Seite, und wie er erwartet hatte, folgte Wayne der Bewegung automatisch mit dem Lauf des Schockers. Er hörte das Knistern der Energieentladung und spürte die paralysierende Wirkung wie einen Schlag auf den Beinen. Und fast gleichzeitig peitschte ein kurzer trockener Knall auf, als hätte jemand in die Hände geklatscht. Die falsche Waffe, dachte er, als er hart auf den Boden prallte, sich sofort auf die Arme hochstemmte und den Kopf zur Seite drehte. Er sah Xiao, die breitbeinig im Gras stand, die kleine Pistole mit beiden Händen auf Waynes Brust gerichtet, der sie verblüfft anglotzte und wie in Zeitlupe den Paraschocker sinken ließ. Auf seinem Hemd bildete sich in Höhe des Herzens ein dunkler Fleck. „Guter Schuß, Kleine“, sagte er mit aufrichtiger Anerkennung. „Nenn mich nicht Kleine, Arschloch!“ fauchte Xiao/Bob, und bevor sie/er erneut schießen konnte, rief Kyle: „Wasser, Xiao! Luft, Xiao, Wasser!“ Die Haltung des zierlichen Mädchens, das einen Moment lang viel größer und kompakter gewirkt hatte, veränderte sich. Sie starrte ungläubig auf die Pistole in ihren Händen und ließ sie fallen. „Kyle…“, flüsterte sie. „Schon gut, Liebes“, erwiderte er sanft. „Hab keine Angst, es ist alles gut.“ Wayne wankte. Der Schocker entglitt seinen kraftlosen Fingern. „Du verdammter Bastard“, krächzte er, aber es klang wie ein Kompliment. Er ging langsam in die Knie. Sein Gesicht wurde grau. „Kyle?“ „Ich bin hier, Wayne.“ Kyle robbte, die gelähmten Beine hinter sich herziehend, auf den Sterbenden zu. „Laß nicht zu, daß sie gewinnen, Kyle. Mach sie fertig. Tu es für mich.“ „Das werde ich, Wayne“, versprach Kyle. Ein Lächeln huschte über Waynes Lippen. Seine Augen flatterten. Dann kippte er langsam zur Seite und blieb reglos liegen. Xiao schluchzte unterdrückt. „Können Sie mir vielleicht verraten, was diese merkwürdige Nummer zu bedeuten hatte?“ fragte Michael Baru irritiert. „Helfen Sie mir in Ihr Haus“, bat Kyle. „Dann werde ich es Ihnen erzäh133
len.“ * Rund 4.000 Kilometer westlich und 2.000 Kilometer nördlich von Joliette saß General John Martell in seinem spartanisch eingerichteten Privatquartier, die Ellbogen auf den kleinen Tisch gestützt, die Stirn in die Hände gelegt. „Schenken Sie mir noch ein Glas ein, Bowden“, sagte er. „Für sich selbst natürlich auch.“ „Ich denke, ich habe genug gehabt, Sir“, lehnte sein Stellvertreter ab. „Ach, Quatsch. Trinken Sie, Captain. Das ist kein Befehl Ihres Vorgesetzten, sondern die Bitte eines Freundes.“ Bowden füllte beide Gläser wieder auf. „Auf Bushkin und seine Leute!“ Martell stürzte den Wodka in einem Zug hinunter und stellte das Glas so heftig auf dem Tisch ab, daß es beinahe zersplitterte. Bowden folgte seinem Beispiel. Es war zwei Stunden her, daß sie die letzte Nachricht vom GIIC erhalten hatten. Und beide wußten sie, daß es auch die letzte bleiben würde. Das GLOBAL INFORMATION AND INTELLIGENCE CENTER hatte aufgehört zu existieren. Martell hob den Kopf. „Ich kannte Bushkin persönlich. Ein komischer Vogel. Er spielte den Langeweiler so gekonnt, daß ich anfangs darauf hereingefallen bin. Die meisten Offiziere der Flotte mochten ihn nicht. Aber irgendwann haben wir uns angefreundet.“ Er seufzte. „Wissen Sie, was mir, von meiner persönlichen Trauer einmal abgesehen, am meisten zu schaffen macht?“ „Was, Sir?“ „Daß die Fremden es geschafft haben, seinen geheimen Bau aufzuspüren. Wenn ihnen das gelungen ist, dann können auch wir uns nicht mehr sicher fühlen. Und wir müssen uns darauf einstellen, daß wir vermutlich die einzigen noch freien Menschen auf diesem Planeten sind.“ Er lachte bitter. „Frei! In einem mit Technik vollgestopften Sarg unter kilometerdickem Fels! Wenn es nach mir ginge, Bowden, würde ich auf meine Befehle pfeifen, mir einen Flugpanzer schnappen und diesen Teufeln da draußen zeigen, wie ein terranischer Soldat kämpft.“ „Ich weiß, Sir“, erwiderte Bowden. „Aber da es nicht nach uns geht, werden wir hier weiter ausharren, bis wir an Altersschwäche sterben oder irgendwann später, wenn die Fremden wieder abgezogen sind, die Scherben zusammenkehren und von vorn anzufangen.“ „Richtig, Captain.“ Martell griff nach der Flasche, schenkte sich und seinem Stellvertreter nach und hob sein Glas. „Trinken wir, mein Freund. Trinken wir auf unsere gottverdammt sturen 134
Kommißschädel, auf Pavel Bushkin, auf all die anderen Opfer und auf die armen Schweine, die da draußen durch die Hölle gehen.“ * Sie begruben Wayne Fitzgerald in Michael Barus Garten und verließen den alten Mann, der ihnen seine Nadlerpfeile bereitwillig ausgehändigt hatte. Obwohl es keinen vernünftigen Grund gab, nach Montreal zurückzukehren, taten sie genau das. Vielleicht war es die irrationale Hoffnung, dort Überlebende zu finden, die Kyle zu diesem Entschluß verleitet hatte, vielleicht auch nur eine innere Eingebung, der er folgte. Xiao war noch immer völlig aufgelöst, daß sie Wayne Fitzgerald erschossen hatte, und Kyle versuchte, sie zu überzeugen, daß es nicht sie, sondern Bob gewesen war. Doch eigentlich war es seine Schuld. Er hatte einen Fehler gemacht. Kyle hatte sich diese Möglichkeit als Ausweg offen gehalten, nachdem er von Sheila Duncan und einem Psychologen des GIIC genauer über Xiaos psychischen Defekt informiert worden war. Xiao Feng teilte ihren Körper mit mindestens dreizehn anderen Persönlichkeiten, die in sich so vollständig und komplex wie richtige Menschen waren. „Das Problem der multiplen Persönlichkeitsspaltung ist immer noch nicht richtig erforscht“, hatte Sheila ihm erklärt. „Es gibt sogar Theorien ernstzunehmender Wissenschaftler, daß es sich dabei um keine Geistesstörung im klassischen Sinn, sondern tatsächlich um mehrere eigenständige Persönlichkeiten in einem Körper handelt, von denen nur eine zufällig dominant ist. Die gilt dann als der wirkliche Mensch, und alle anderen werden als Pseudopersönlichkeiten abgewertet. Die multiple Bewußtseinsspaltung läßt sich nicht direkt heilen, aber kontrollieren. Eine Möglichkeit ist das Benutzen von Symbolen und Schlüsselwörtern, die bestimmten Personen zugeordnet werden. Sie sollten diese Codewörter lernen, Kyle. Xiao vertraut Ihnen, deshalb wird sie auf Ihre Stimme besonders gut reagieren.“ Und ich habe ihr Vertrauen mißbraucht und sie instrumentalisiert, dachte Kyle bedrückt. Dabei hatte er Xiao ursprünglich nur schützen wollen, um eine der untergeordneten Persönlichkeiten in den Vordergrund rufen zu können, sollte sie in die verhängnisvolle Strahlung der Außerirdischen geraten. Und während einer Sitzung mit ihr hatte er Bob kennengelernt. Einen wirklich unangenehmen Zeitgenossen. Kyle hatte Bob von Wayne erzählt, ihm erklärt, daß der Agent gefährlich war. Und daß Wayne Bob haßte. 135
Er redete sich immer noch ein, daß er das nur getan hatte, um Xiao vor einem möglichen Angriff Waynes zu schützen. Aber dann hatte er Bob benützt, um ein Problem zu lösen, das nicht Xiao betraf. Und die falsche Waffe in den Gürtel auf seinem Rücken geschoben. Er konnte nur hoffen, daß Xiao ihm würde vergeben können, sollte sie jemals begreifen, wie furchtbar er sie ausgenutzt hatte. Das Gelände der Spedition, unter der die geheime GIIC-Zentrale lag, war ein riesiger Krater. Selbst wenn einzelne Hohlräume in der Tiefe unversehrt geblieben sein sollten, hätte Kyle einen ganzen Trupp mit schwerem Bergbaugerät benötigt, um sich zu ihnen vorzuarbeiten. Hier konnte er nichts mehr tun. Trotzdem hielt ihn irgend etwas magisch am Rand des Trümmerfeldes fest. Und plötzlich entdeckte er eine Bewegung zwischen dem Geröll und Fetzen surreal verbogener Stahlträger, die in der Dunkelheit zu einem phantastischen Labyrinth zu verschmelzen schienen. Er drückte Xiao in die Deckung einer eingestürzten Mauer und schlich sich näher. Bei der Gestalt, die gebückt in dem Krater herumkroch, handelte es sich eindeutig um einen Mensch. Und dieser Mensch bewegte sich geschmeidig und zielstrebig. Nicht wie die Marionetten der Außerirdischen. „Hallo, da unten!“ rief er leise. Die Gestalt erstarrte. „Wer spricht da?“ kam es aus dem Krater zurück. Die Stimme kenne ich! durchzuckte es Kyle. „Jemand, der mit dir sprechen will“, erwiderte er. „Komm rauf, damit wir nicht zu schreien brauchen.“ Die gebückte Gestalt richtete sich langsam auf. „Kyle?“ fragte sie. Es war Niu Kelauakoha. „Ich war der erste Freiwillige, der eine der explosiven Giftkapseln geschluckt hat“, berichtete der Hawaiianer, nachdem sie ein leerstehendes Haus als vorläufiges Nachtquartier bezogen hatten. „Als der Chef seinen letzten Funkspruch abgegeben hat, war ich unten auf der Liberty Plaza, gut zwei Kilometer von der Zentrale entfernt. Ich bin sofort zurückgerannt, aber schon auf halben Weg habe ich die Explosion gehört. Die ganze Spedition ist in die Luft geflogen. Und dabei sind jede Menge der Fremden draufgegangen. Moment…“ In seiner Hand klang der leise Alarmton der Sprengkapsel auf. Er drückte auf das Steuerfeld des Ringes. „Verdammtes Ding. Heute nacht muß mir einer von euch den Ring abnehmen, damit ich wenigstens ein paar Stunden schlafen kann. Ich habe seit gestern morgen kein Auge mehr zugetan.“ Er hatte aus einem beschädigten Nebengebäude beobachtet, wie die Außerirdischen nach der Explosion ihre Toten aus den Trümmern geborgen 136
hatten. „Einen ganzen Tag lang sind sie dort herumgekrochen, als hätten sie Angst, irgend etwas zurückzulassen“, schloß er. „Deshalb dachte ich, es könnte nicht schaden, einmal nachzusehen, ob ich vielleicht etwas Interessantes finde. Aber ich habe nichts gefunden.“ Wieder piepte der Ring. „Wenn die Kapsel dich endlich auf ihrem natürlichen Weg verlassen hat“, sagte Kyle, „solltest du sie erst wieder schlucken, falls wir uns für längere Zeit trennen müssen und du auf dich allein gestellt bist. Das hält ja kein Mensch auf die Dauer aus.“ „Und was sollen wir jetzt tun?“ fragte Niu. „Nachdem wir keine Basis mehr haben?“ Kyle zuckte die Achseln. „Uns eine neue aufbauen. Am besten in einer tiefen Höhle. Und dann versuchen, andere Immune zu finden, sie zu beraten, ihnen zu helfen und die Invasoren zu bekämpfen.“ „Eine Handvoll Menschen gegen eine Macht, die innerhalb weniger Tage die Abwehr des gesamten Planeten ausgeschaltet hat?“ knurrte der Hawaiianer. „Wie stellst du dir das vor?“ Doch plötzlich grinste er breit. „Andererseits klingt das nach einer echten Herausforderung. Ich bin dabei. Machen wir diesen Ungeheuern die Hölle heiß!“ Bevor sie am nächsten Tag weiterzogen, schlüpfte Xiao in einen Malerladen und kehrte kurz darauf mit zwei Farbsprühdosen zurück. Sie suchte sich eine passende Hauswand aus und hinterließ in schwungvoller Schrift eine Botschaft an die Außerirdischen: DIE OPER IST NOCH NICHT ZU ENDE, BEVOR DIE FETTE LADY GESUNGEN HAT. UNTERSCHÄTZT DIE MENSCHEN NICHT. DER VORHANG FÜR UNS IST LÄNGST NOCH NICHT GEFALLEN. Sie begutachtete ihr Werk kritisch, dann nickte sie zufrieden und hakte sich bei Kyle und Niu ein. „Laßt uns gehen“, sagte sie. „Wir haben heute noch eine Welt zu retten.“
ENDE
Ren Dhark – Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für die Buchausgabe des HJB Verlages wird der SF-Klassiker neu bearbeitet, ergänzt und fortgeschrieben, denn in den Tiefen des Alls ist das Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen… 137
Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (ca. 352 Seiten), DM29,80 Bd. l „Sternendschungel Galaxis“ Bd. 2 „Rätsel des Ringraumers“ Bd. 3 „Zielpunkt Terra“ Bd. 4 „Todeszone T-XXX“ ten“ Bd. 5 „Die Hüter des Alls“ Bd. 6 „Botschaft aus d. Gestern“ 3“ Bd. 7 „Im Zentrum der Galaxis“
Bd. 8 „Die Meister des Chaos“ Bd. 9 „Das Nor-ex greift an!“ Bd. 10 „Gehetzte Cyborgs“ Bd. 11 „Wunder d. bl. PlaneBd. 12 „Die Sternenbrücke“ Bd. 13 „Durchbruch n. ErronBd. 14 „Sterbende Sterne“
Buchausgabe (ca. 192 Seiten), DM 19,80 Sonderband (1) „Die Legende der Nogk“ Sonderband (2) „Gestrandet auf Bittan“ Sonderband (3) „Wächter der Mysterious“ In Vorbereitung: 10.1999: Sonderband (4) „Hesenkessel Erde“ 12.1999: Ren Dhark 15 01.2000: Ren Dahrk 16 und Sonderband (5) Weitere Bände erscheinen im Abstand von ca. drei Monaten HJB Verlag, Postfach 22 01 22, 56.544 Neuwied Tel. 0 26 31 – 35 61 00, Fax 0 26 31 – 35 61 02
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Ren Dhark Magazin – Projekt 99 – Tasse Modell – Kunstdruck Ren Dhark Magazin HJB, Nr.l, 48 Seiten, A4, erscheint unregelmäßig, DM 9,80 Das RDM unterhält die Leser u. a. in den Rubriken: Aktuelles zur Buchausgabe, Story „Im Ring der Mysterious“, „Wie der RD -Kosmos entstand“ usw. 138
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HJB Verlag, Postfach 22 01 22, 56.544 Neuwied Tel. 0 26 31 – 35 61 00, Fax 0 26 31 – 35 61 02 www.ren-dhark.de
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