Ist diese Liebe nur gespielt?
Muriel Jensen
Bianca 960 18 – 2/95
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut k.
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Ist diese Liebe nur gespielt?
Muriel Jensen
Bianca 960 18 – 2/95
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut k.
1. KAPITEL
Barbara Ryan betrachtete die Dose Garbanzobohnen, die auf ihrem Schreibtisch stand, und wartete auf einen Einfall. Nichts passierte. Sie rollte mit dem Stuhl, auf dem sie saß, bis zur Wand ihres kleinen Büros zurück, um vielleicht aus einer anderen Perspektive den inspirierenden Funken zu erhalten, den sie so dringend brauchte. Erfolgreiche Werbung basierte auf zw ei Grundprinzipien: Entweder man kreierte ein Image für das Produkt, oder man motivierte den Konsumenten dazu, schnurstracks in den Laden zu laufen und das Produkt zu kaufen. Vor zwei Stunden hatte Barbara noch vorgehabt, ganze Kompanien von Konsumenten zu veranlassen, einen Marsch auf die Garbanzobohnen zu machen, aber inzwischen hatte sie sich entschieden, ein Image für die Bohnen zu kreieren und den Bohnen Charme und Anziehungskraft zu vermitteln. Sämtliche Angestellten der Werbeagentur Cheney und Roman waren mittlerweile zum Mittagessen gegangen, nur sie saß immer noch hier und starrte auf die Vierhundertgrammdose. Sie legte den Kopf schief, spielte mit dem Bleistift und versuchte sich zu entspannen. Aber der Baulärm, der von der anderen Seite herüberdrang, stellte eine enorme Herausforderung an ihre Konzentrationsfähigkeit dar. Barbara legte die Ohrenklappen an, die vor einer Woche von der Firmenleitung zur Verfügung gestellt wurden, als die Bauarbeiten begonnen hatten, und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was sie über diese Garbanzobohnen wusste. Man nannte sie auch Kichererbsen. Sofort sah Barbara Bohnen mit kleinen grinsenden Gesichtern vor sich. Sie stöhnte, schob den Gedanken schnell zur Seite und begann von neuem. Garbanzobohnen besaßen einen nussähnlichen Geschmack, schmeckten ausgezeichnet in Minestrone und spanischem Eintopf. Garbanzobohnen mit Kastagnetten! Werd' vernünftig, Ryan, rief sie sich zur Ordnung. Dieser Garbanzo-Auftrag war wichtig für sie. Er könnte ihr behilflich sein, ihr Gehalt zu erhöhen und die Karriereleiter eine ganze Stufe nach oben zu klettern. Denk nach, befahl sie sich. Der gesundheitliche Aspekt der Bohnen war nicht zu unterschätzen. Gesundes Essen stand derzeit bei Alt und Jung hoch im Kurs. Vielleicht war es das ... ein Doktor im blütenweißen Kittel, ein Stethoskop um den Hals gelegt, steht vor dem Bohnenregal eines Supermarktes und erklärt die Vorzüge der kleinen, rundlichen Bohnen. Das durch die Ohrenklappen gedämpfte, aber immer noch hörbare Hämmern und Bohren bildete einen passenden Hintergrund zu dieser geschmacklosen Idee. "Barb, hier ist das Kleid!" Carol McDonald stand atemlos im Eingang zu Barbaras Büro und hielt eine lange Plastikhülle mit dem Namenszug einer exklusiven Boutique hoch. Durch die Hülle sah Barbara ein dunkelblaues Seidenkleid, das selbst im bescheidenen Licht des kleinen Büros schimmerte. Barbara stockte für einen Moment der Atem, als sie auf Carol zuging und die Hülle hochhob. Winzige Perlen glänzten wie Sterne auf dunkelblauer Seide. "Bist du sicher, dass du mir das ausleihen willst?" fragte sie, als Carol sich auf das Schreibtischende hockte. "Ich werde es anlässlich eines Dinners tragen, und ich würde sterben, wenn Flecken darauf kämen." Carol, die Chefsekretärin, war eine zierliche Röthaarige, deren Vorzimmerschreibtisch mit Fotos ihrer zweijährigen Tochter übersät war. Sie winkte lässig ab. "Seit ich mit Casey schwanger war, habe ich es nicht mehr getragen. Da ich sie fast den ganzen Tag lang nicht sehe, lasse ich sie nur ungern am Abend allein, also muss Jerry seine Kunden ohne mich unterhalten. Aber du musst einen Mann beeindrucken. Also, probier es an."
"Gute Idee." Barbara wies auf ihren türlosen Büroeingang und dann in Richtung Damentoilette, aus dem der Lärm der Klempner drang, die Reparaturen ausführten. "Und wo bitte schön?" "In Mr. Cheneys Büro." Carol zog Barbara aus dem Stuhl und fing an, sie auf den Ausgang zuzuschieben. Barbara leistete Widerstand. "Das kann ich doch nicht machen! Sein Büro ist verschlossen, und ich ..." "Natürlich kannst du. Er wird erst morgen nachmittag wieder in der Stadt sein. Sein Büro steht leer, er hat in seinem Badezimmer einen Spiegel, der fast die ganze Wand einnimmt, und du hast den Vorteil, seine Sekretärin persönlich zu kennen." Sie klimperte dramatisch mit den Wimpern, während sie mit dem Zeigefinger auf ihre Brust tippte. "Nun komm schon, ich werde dich hineinlassen." "Carol..." "Barbara Ryan, heute abend wirst du die Eltern des Mannes treffen, mit dem du bereits seit über einem Jahr befreundet bist. Warum du allerdings diesem Mann die Treue hältst, ist mir ein Rätsel. Aber das ist dein Problem." Carol ignorierte Barbara, die genervt die Augen rollte, und fuhr fort: "Trevor ist gutaussehend, erfolgreich, und er ist..." "Intelligent und liebenswert", kam Barbara ihrer Freundin schnell zuvor. Carol holte einen Schlüssel aus der mittleren; Schublade ihres Schreibtisches und lächelte, während sie auf das Büro ihres Chefs zuging. "Ich wollte gerade sagen: Und er ist ein Langweiler." Barbara versetzte Carol für diese Antwort einen kleinen Stoß mit dem Ellbogen. "Er ist kein Langweiler, er nimmt nur seine Arbeit sehr ernst." "Barb, er hat dir einen Rentenbrief zum Geburtstag geschenkt. Selbst wenn er an dich denkt, hat er nur Geld im Kopf. Du hättest ihm diesen Brief an den Kopf werfen sollen." "Er ist auch nur ein Mensch, Carol, und hat deswegen genau wie wir alle das Recht, Fehler zu machen und ein wenig exzentrisch zu sein. Wahrscheinlich glaubte er sogar, mir damit ein besonderes Geschenk gemacht zu haben." Carol sah sie ruhig an. "Ja, aber du warst enttäuscht." "Ich war ... nun, überrascht", erklärte Barbara: Carol hatte mittlerweile die Tür aufgeschlossen, und beide Frauen traten ein. Cheneys Büro war sehr geräumig, aber eher praktisch als elegant eingerichtet. Auf seinem Schreibtisch lagen ordentlich gestapelt Post, Faxe und Telefonnotizen. Weiterhin gab es den üblichen Kugelschreiber- und Bleistifthalter, einen Terminkalender und einige gerahmte Fotos. Der Schreibtischstuhl hatte eine hohe Lehne und war aus braunem Leder. Eine dazu passende kleine Couch stand unter dem großen Fenster, von dem man einen Blick auf den Hafen von Portland hatte. Es herrschte Grabesstille. Carol öffnete die Tür, die zum Badezimmer führte, in dem sich der versprochene große Ankleidespiegel befand. Barbara blieb an der Türschwelle stehen und blickte hinein. Das Bad war in Schwarz und Weiß ge halten und besaß eine große Badewanne, eine Dusche und eine Sauna. John Cheney schien ein Mann zu sein, der Komfort liebte. Barbara hatte nur ein einziges Mal mit ihm gesprochen. Das war vor sechs Monaten an ihrem ersten Arbeitstag gewesen. Carol hatte sie im Büro herumgeführt und sie auch den beiden Geschäftsinhabern der Werbeagentur vorgestellt. Hal Roman war klein, ein bisschen rundlich, und fast immer lag ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Sein Partner hingegen war groß, dunkel und sehr attraktiv. Barbara erinnerte sich, dass sie ihm über den Schreibtisch hinweg die Hand geschüttelt hatte und dass ihr seine außergewöhnliche, kraftvolle Ausstrahlung und sein intensiver Blick aufgefallen war. Unter
den Frauen im Büro wurde über sein ungewöhnlich gutes Aussehen geflüstert, aber Barbara fand den Mann fast zu beeindruckend, um sich in seiner Nähe wohl fühlen zu können. Er hatte die goldgelben Augen eines Wolfes, eine starke gerade Nase und ein Lächeln, das ebenso strahlend wie das seines Partners war, nur dass es nicht so gutmütig wirkte, sondern eher ungezähmt.. Sie war sehr froh gewesen, als ihr mitgeteilt wurde, dass Hal Roman für die Angestellten zuständig sei, während John Cheney mit den Kunden verhandelte. "Ich habe Hunger", erklärte Carol und reichte ihr das Kleid. "Soll ich schne ll zu Rubio hinüberlaufen und ein paar Tacos holen, während du dich umziehst?" "Bitte. Vielen Dank, dass du den größten Teil deiner Mittagspause dafür verwendet hast, mir dieses Kleid zu holen." Carol winkte ab. "Dafür sind Freunde doch da, dass sie dir aushelfen, wenn die Reinigung dein bestes Kleid ruiniert hat." Barbara schloss die Tür hinter Carol, hängte das Kleid an den Haken an der Tür und schlüpfte aus ihren flachen schwarzen Schuhen. Sie nahm die Haarnadeln aus dem lose geschlungenen Haarknoten heraus und zog dann den fuchsiafarbenen Pullover über den Kopf. Als sie sich im Spiegel erblickte, musste sie lachen. Sie sah wie eine Warnung gegen den Gebrauch eines falschen Shampoos aus. Sie stieg aus der Hose, legte alle Kleidungsstücke sorgfältig auf einen Hocker und entfernte dann die Plastikhülle von Carols Kleid. Im hellen fluoreszierenden Licht des Badezimmers glitzerte es wie eine Engelsrobe. Barbara trat einen Schritt zurück und bewunderte es einfach. Es würde gut sitzen, nahm sie an, und würde ein wenig den Ansatz des Busens freigeben. Sie fühlte ein Prickeln der Vorfreude. Sie wollte das Kleid gerade vom Haken nehmen, als die Tür auf gestoßen wurde. John Cheney setzte den Aktenkoffer auf den Schreibtisch, legte das Jackett über die Stuhllehne, lockerte die Krawatte und ging auf das Badezimmer zu. In Gedanken war er mit den Fakten beschäftigt, die er noch für den so kurzfristig zustandegekommenen Termin zusammentragen musste. Ein kleiner Schreckensschrei riss ihn abrupt aus seinen Überlegungen. Er war völlig schockiert, als er sich mit einer Halbnackten, wundervoll duftenden Frau in seinen Armen wiederfand. Er blickte verblüfft in braune Augen und auf langes dunkles Haar und entschied, dass er sehr wohl in der Lage sei, sich dieser Situation anzupassen, als Barbara auch schon zurücksprang. Sie stieß gegen das, Handtuchregal, und ein flauschiges schwarzes Badetuch glitt zu Boden. "Oh, nein", stieß sie hervor, rieb mit einer Hand ihre schmerzende Schulter und griff mit der anderen nach dem Badetuch - all das ohne den Blick von dem Mann abzuwenden, als ob sie befürchtete, er würde sich auf sie stürzen. "Oh, Mr. Cheney, entschuldigen Sie!" Noch bevor sie seinen Namen ausgesprochen hatte, war ihm klargeworden, dass diese Frau für ihn arbeitete. Er nahm an, dass ihn die Art, wie sie angezogen - oder ausgezogen - war, verwirrt hatte. Dies war Ryan von den Haus haltsprodukten. Die junge Frau, die für diesen Barnett eingesprungen war, als der versagt hatte, und die somit einen wichtigen Auftrag durch einen einfallsreichen Slogan rettete. Normalerweise sah er nur ihr zu einem losen Knoten geschlungenes dunkles Haar und die schlanken Schultern, wenn sie vor ihrem Computer saß. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, was er alles versäumt ha tte. Ihre wohlgeformten Schultern kamen in dem schwarzen Seidenteddy ausgezeichnet zur Geltung. Der Ansatz ihrer Brüste lugte unter dem Badetuch hervor, das sie fest an sich gepresst hielt, und sie besaß schmale Hüften und Beine, von denen jeder junge Mann nur träumen konnte.
Barbara stockte der Atem. Überraschung, Verlegenheit und das Gefühl, das Johns warme Hand auf ihrem nackten Arm hinterlassen hatte, wirkten sich betäubend auf sie aus. Sie versuchte zu denken. Sie hatte nicht vor, eine Lüge für ihre unerlaubte Anwesenheit zu erfinden, aber sie musste Carol decken. Und nun, da ihr Arbeitgeber den ersten Schock, eine Fremde in seinem Badezimmer vorzufinden, überwunden hatte, flackerte so etwas wie Misstrauen in seinen goldgelben Wolfsaugen auf. Diesmal wirkte er auf sie sogar noch größer als beim ersten Zusammentreffen, und die Bräune seines Gesichts und seiner Hände wurde durch das Blütenweiß seines Hemdes noch betont. Sie betrachtete diese kräftigen wohlgeformten Hände, als er die Tür schloss. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. John schob den Gedanken zur Seite, wie reizend sie mit ihrer hellen Haut in ihrem schwarzen Seidenteddy aussah, und überlegte, was ihre Anwesenheit bedeuten könnte. Die New-Age Agentur hatte seine und Hal Romans Firma in den letzten Monaten bereits mehrere Male unterboten, und deren Entwürfe hatten ihren so ähnlich gesehen, dass sie Insiderinformationen von den Cheney & Roman Plänen bekommen haben mussten. "Lassen Sie uns erst einmal feststellen, warum Sie sich in meinem Badezimmer befinden, bevor sich einer von uns entschuldigt", sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Barbara sah ihn verwirrt an, nicht sicher, was in seinem Kopf vorging. Nahm er etwa an, sie hätte absichtlich in der Unterwäsche auf ihn gewartet? Sie löste eine Hand vom dem Badetuch und wies auf Carols Kleid. "Carol leiht mir dieses Kleid für eine Party morgen abend", erklärte sie. "Ich wollte es gerade anprobieren." "Das Büro war verschlossen", entgegnete er ernst. "Ja, aber Sie wurden erst morgen" zurückerwartet", sagte sie. "Und die anderen Badezimmer kann man wegen Klempnerarbeiten für ein paar Tage nicht benutzen. Ich entschuldige mich ... ich hätte damit rechnen müssen, dass Sie früher als geplant zurückkommen könnten." "Da das Türschloss nicht manipuliert worden ist, müssen Sie einen Schlüssel benützt haben", erklärte er. Soviel konnte sie zugeben. "Ja, ich habe einen Schlüssel benutzt." "Und woher haben Sie den?" "Aus Carols Schreibtisch." "Sie hält ihn verschlossen." "Carol wollte sich nur rasch einen Kaffee holen. Mr. Cheney ..." Er steckte die Hände in die Hosentaschen und fragte ruhig: "Was haben Sie erwartet, in meinem Büro vorzufinden?" "Einen Spiegel", antwortete sie ein wenig laut, ihre Geduld ließ langsam nach. "Sehe ich aus, als ob ich für eine Industriespionage angezogen wäre?" Er war sich nicht sicher, was er denken sollte. Carol beaufsichtigte normalerweise sein Büro wie ein Wachhund. Auf der anderen Seite spiegelten Barbara Ryans Augen zwar Verlegenheit und Ungeduld wieder, aber keine Schuld. "Ich bin sicher", sagte er und betrachtete sie mit diesen goldgelben Wolfsaugen, "dass Spionage jeglicher Form oft genau auf diese Art und Weise ausgeführt wird. Ein Mann kommt nach Hause oder in sein Büro, findet eine wunderschöne Halbnackte Frau vor, und sie bringt ihn dazu, die Frage, was sie wohl da zu suchen habe, völlig vergessen zu lassen." Barbara, beunruhigt durch die Anspielung, dass sie in der Lage sei, ihn zu verwirren, ließ das Badetuch fallen, griff blitzschnell nach ihren Kleidungsstücken und bedeckte sich damit, soweit es möglich war. Möglich war es kaum. "Aber Sie haben nicht vergessen, sich zu wundern, nicht wahr?" Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. "Wollen Sie mir etwa vorwerfen, dass ich Ihr Büro durchsuchen wollte?" "Wollten Sie es?"
"Nein! Bin ich jetzt gefeuert? Falls nicht, würde ich es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mich vorbeiließen, damit ich wieder an meine Arbeit gehen kann." "Ohne das Kleid anprobiert zu haben?" Sie stöhnte. Das Kleid. Dieses verflixte Ding war an allem schuld. Er ließ sein Misstrauen fallen, überzeugt, dass sie unschuldig war und lediglich sein Badezimmer benutzen wollte. Er würde ein Wort mit Carol reden müssen, dass sie die Schlüssel besser verwahren sollte. Oder vielleicht würde er das nicht tun. Diese kleine Szene hier hatte ein wenig Licht in das lange arbeitsreiche Wochenende gebracht, das vor ihm lag. "Also gut." Er trat zur Seite und öffnete die Tür. "Aber ich hätte Sie gern in dem Kleid gesehen." Mit heruntergeschlagenen Augen wollte Barbara an ihm vorbei: Er fasste sie am Arm und ließ den Blick über sie von Kopf bis Fuß gleiten, dabei lächelte er. "Vielleicht sollten Sie etwas anziehen, bevor Sie dort hinausgehen." Sie entzog sich seinem Griff, betrat sein Büro und ging rückwärts zur Tür. "Niemand ist hier ... die sind alle weg zum Lunch", erklärte sie und konnte es kaum erwarten, hier wegzukommen. "Ich werde mich in meinem Büro umziehen." Dann, ohne Vorwarnung, wurde die Bürotür aufgestoßen, und ein Mann trat mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht herein. "Hey, John", sagte er mit lauter, fröhlicher Stimme. "Ich weiß, dass wir zu früh sind, aber ich muss meine Krankenhausrunden machen, um ... ah ... oh!" Der Mann blieb wie angewurzelt stehen, als er Barbara in ihrem knappen schwarzen Seidenteddy erblickte. Ein anderer Mann, der hinter ihm war, prallte gegen seinen Rücken, und beide taumelten einige Schritte weiter ins Büro, als noch vier weitere Personen aufeinanderstießen. Fünf Leute liefen dann um den ersten Mann herum, um zu sehen, was ihn dazu bewogen hatte, so abrupt stehenzubleiben. Barbara war so verlegen, dass sie nur zwei Dinge bemerkte. Eine der sechs Personen war eine Frau. Und alle sechs trugen Priesterkragen. Keiner sagte ein Wort. John war mehr amüsiert als entsetzt. Barbara umklammerte ihre Kleidungstücke, als wären sie ihr Rettungsanker. Ihre Wangen waren rosig, die Augen geschlossen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie krampfhaft nach Worten für eine Entschuldigung suchte. Er hielt es zwar nur äußerst selten für notwendig, etwas, das ihn betraf, zu erklären, aber dies hier war tatsächlich eine prekäre Situation, die einer Erläuterung bedurfte. Cheney & Roman hatten viel zu verlieren, falls Daniel Burger und die anderen diese Szene missinterpretieren würden. Als Barbara den Mund öffnen wollte, wohl in der Absicht, eine Erklärung abzugeben, ging er entschlossen auf Burger zu. "Daniel!" Barbara sah, wie ihr Arbeitgeber dem ersten Mann herzlich die Hand schüttelte. "Willkommen bei Cheney & Roman." Daniel blickte zweifelnd von Barbara zu seinem Gastgeber. "Hallo, John. Es tut ... mir leid. Ich musste meinen Terminplan heute morgen ändern, und da Sie zugestimmt haben, uns an einem Tag, wo Sie eigentlich nicht hier sein sollten, zu empfangen, dachte ich, dass Sie nichts dagegen hätten, wenn wir etwas früher kämen." Er warf Barbara einen schuldbewussten Blick zu. "Es scheint, dass das keine gute Idee war." Cheney lachte. "Nun, zugegeben, Sie haben uns ein wenig überrascht ..." Barbara, die immer noch ihre Kleidungsstücke an sich gepresst hielt, fühlte sich alarmiert, als ihr Arbeitgeber sich mit einem Lächeln zu ihr wandte und ihr die Hand entgegenstreckte. Zögernd ging sie auf ihn zu und war sicher, dass er seinen Gästen erklären wollte, wie sie in sein Büro eingedrungen sei und ihn in eine so peinliche Situation gebracht habe. Das war es nicht, was er tat. Nicht einmal annähernd.
John Cheney legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Dann küsste er sie kurz, schnell, aber mit der Sorglosigkeit eines Mannes, der das Recht dazu besaß. Barbara war zu überrascht, um dagegen Einspruch zu erheben. "Gentlemen", sagte er. "Mrs. Gordon ... darf ich Ihnen meine Frau Barbara vorstellen. Darling, dies sind ..." Er listete eine Reihe von Namen und Kirchenzugehörigkeiten auf, doch Barbara verstand kein Wort. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, zu lächeln und seinen Betrug nicht dadurch auffliegen zu lassen, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte. Aber sie konnte die Cleverness seines Schachzuges sehen. Natürlich. Seine Frau. Sie musste seiner schnellen Reaktion applaudieren. Sicherlich konnte nicht einmal die Geistlichkeit einen Mann verdammen, der seine eigene Frau in seinem Büro begehrte. "Wir sind erst kurze Zeit verheiratet", erklärte ihr Vorgesetzter. Barbara musste gelten lassen, dass sie ihn in diese Situation gebracht hatte und ihm deshalb eine gute Show schuldig war. Sie blickte zu ihm auf mit einer Ergebenheit, die diese Geistlichen eigentlich verstehen sollten, wie sie meinte. Und es bereitete ihr ein wenig Genugtuung, dass John Cheney über die Tatsache, dass sie mitspielte, überrascht zu sein schien. "Und er war für einige Tage fort. Er ist, kurz bevor Sie hier hereinkamen, eingetroffen, und jetzt fürchte ich, dass ich ihn von geschäftlichen Dingen abgelenkt habe." Der Mann, den ihr Vorgesetzter Daniel genannt hatte, sah sie mit einem verwirrten Lächeln an. "Aber wir haben ihn heute beim Kirchenfrühstück getroffen ..." "Kirchenfrühstück?" wiederholte Barbara mit dünner Stimme und wünschte sich, nicht so mutig gewesen zu sein. "Daniel und seine Leute", erklärte ihr Vorgesetzter, "sind der Vorstand der Kooperativen Kirchen. Ich kam einen Tag früher aus Denver, um an ihrem Frühstück teilnehmen zu können. Ich wollte ein Gefühl dafür bekommen, was sie in ihrer Kampagne ausdrücken möchten. Du erinnerst dich. Ich habe es dir erklärt, als ich dich gestern abend anrief." "Oh, ja", sagte sie eine Spur zu fröhlich. "Richtig!" "Unsere Unterredung heute morgen verlief so positiv, dass ich dem Vorstand vorgeschlagen habe, uns gleich nach dem Lunch wieder zu treffen." Barbara nickte und sah eine Gelegenheit, ihre Rolle wiederaufzunehmen. "Also war mein Plan, dich hier zu treffen und dich ... nun ja ... dazu zu bringen, früher nach Hause zukommen, eine schlechte Idee." John gefiel es, wie prompt sie reagierte. Und trotz der unangenehmen Situation musste er daran denken, was wohl geschehen würde, wenn dieser Blick in ihren Augen echt gewesen wäre und sie tatsächlich vorgehabt hätte, ihn zu verführen. Dann schob er den Gedanken rasch beiseite. Die Ablenkung war zu groß ... und zu gefährlich. Ein Aufblitzen in seinen Auge n zeigte ihr, dass ihr Verhalten ein guter Schachzug gewesen war. Er küsste sie auf die Schläfe. Barbara bemerkte zerstreut, wie warm und trocken seine Lippen waren. "Es war eine großartige Idee", sagte er mit tiefer, vielsagender Stimme. "Eine, die wir später weiter verfolgen werden. Vielleicht wäre es aber besser, wenn du dich jetzt anzogest." Barbara lächelte die Leute entschuldigend an. "Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen", log sie. Dann schenkte sie Cheney ebenfalls ein Lächeln und gab dem Publikum noch eine Zugabe. "Ich erwarte dich bald zu Hause", flüsterte sie zärtlich. Sie bemerkte die Herausforderung in seinen Augen, fühlte den leichten Druck seiner Hand, die um ihren Ellbogen lag. Dann küsste er sie so gründlich, dass ihr die Knie weich wurden, schob sie sanft zur Badezimmertür und schloss die Tür hinter ihr. Barbara drehte den Schlüssel herum, lehnte sich atemlos gegen die Tür und betete inständig, dass sie ihr seelisches und körperliches Gleichgewicht wieder zurückerhalten möge. Und Carol würde sie umbringen. Sie wusste, dass sie das Schicksal herausforderte, als sie sich noch die Zeit nahm, Carols Kleid anzuprobieren. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Eindruck zu erwecken,
Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen, drehte sich, um ihr Spiegelbild zu betrachten ... und sich daran zu erinnern, was überhaupt der Anlass gewesen war, der sie in diese Lage gebracht hatte. Sie würde Trevors Eltern kennenlernen, aus diesem Grund hatte Carol ihr das Kleid geliehen. Allein der Gedanke an Trevor half ihr, sich zu beruhigen. Er war der ideale Ehemann - beständig, zuverlässig, gelassen. Obwohl Carol darauf bestand, dass er langweilig, ja sogar ein Spießer sei. Aber Barbara fand diesen Charakterzug gar nicht so schlecht. Ihr Vater war ein hinreißender Architekt, der ein turbulentes Leben führte, dafür aber niemandem Beständigkeit und Stabilität bieten konnte. Wann immer sie ihn gebraucht hatte, war er irgendwo in der Welt herumgereist und hatte bis über beide Ohren in seiner Arbeit gesteckt. Jetzt arbeitete er an einem Einkaufszentrum in Tokio, und ihre Mutter hatte einen Arzt geheiratet. Das Kleid war wunderschön, und was noch wichtiger war, es machte sie wunderschön. Die schimmernde Seide umschmiegte ihre Figur und betonte ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt. Es war vielleicht nicht gerade das, was man beim ersten Treffen mit den Eltern seines zukünftigen Ehemannes anziehen sollte, aber dies war ein besonderer Anlass. Trevor würde eine Auszeichnung während eines Galadinners erhalten. Seine Eltern flogen für diesen Anlass extra von Palm Beach hierhier. Sie betrachtete das Dekollete und fragte sich, was seine Eltern wohl davon halten würden. Schließlich lachte sie leise und zog rasch das Kleid wieder aus. Selbst wenn es ihnen nic ht gefiele, würde deren Urteil über sie bestimmt milder ausfallen als das dieser Geistlichen dort draußen. Barbara stöhnte leise, als sie das Kleid wieder weghängte. Wenn ihre Wangen nicht immer noch vor Verlegenheit brennen würden, würde sie sich frage n, ob sie alles nur geträumt habe. Natürlich, das war überhaupt die Geschichte ihres Lebens: gute Absichten, die schiefliefen, unschuldige kleine Abenteuer, die sich gegen sie kehrten. Nun, sie hatte vor, aus diesem Abenteuer mit heiler Haut herauszukommen. Ihre Mutter behauptete stets, dass sie immer in Schwierigkeiten gerate, weil sie genau wie ihr Vater sei. Dabei wollte sie doch gerade das Gegenteil beweisen, dass dies nicht der Fall war. Es wurde langsam Zeit, das Leben ernst zu nehmen. Sie liebte ihre Arbeit, und sie hatte vor, schon bald für Cheney & Roman unentbehrlich zu werden. Aber sie wollte auch eine Familie und Kinder. Sie wollte eine Lebensversicherung und einen Kombiwagen, um ihre Kinder zu Ballett- und Klavierstunden fahren zu können. Sie wollte Lebensmittel in Familiengrößen kaufen und lernen, Reste zu verwerten. Sie bürstete ihr Haar, frischte ihr Make- up auf, legte das Kleid über den Arm und straffte die Schultern. In Ordnung, dachte sie. Mittlerweile werden die dort draußen tief in einer Marketingdiskussion stecken. Halte deine Augen geradeaus gerichtetet und deinen Schritt schnell, und raus bist du. Sie war so überzeugt davon, Cheneys Büro fast unbemerkt verlassen zu können, dass sie wie angewurzelt stehenblieb, als alle Blicke sich auf sie richteten, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Jeder einzelne des Kirchenvorstands, der auf einem der Stühle saß, die einen Halbkreis um John Cheneys Schreibtisch bildeten, betrachtete sie mit seltsam intensiver Aufmerksamkeit. Ihr ‚Ehemann' saß hinter seinem Schreibtisch. Sie bemerkte eine Art amüsierte Resignation in seinen Augen und spürte, wie ihr das Herz ein Stück tiefer sank. Sie wusste nicht, was dieser Blick zu bedeuten hatte, nur, dass sie es lieber nicht herausfinden wollte. "Nun." Sie lächelte strahlend und vermied es, ihren Arbeitgeber anzusehen. "Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag. Ich habe noch einiges zu erledigen." Entschlossen ging sie zur Tür. Dann hörte sie John Cheney ihren Namen sagen.
"Barbara." Es war nichts, nur ihr Name. Doch aus John Cheneys Mund klang er wie ein mystisches Zauberwort... als wenn er etwas ganz tief in ihr erwecken wollte. Sie drehte sich um. Er lächelte. "Könntest du noch ein paar Minuten bleiben?" bat er. "Daniel hat eine Idee, die auch dich betrifft." Das gefiel ihr überhaupt nicht. Sie hatte keinen Ahnung, warum. Es war eben so. Da sie sich verpflichtet fühlte, die Rolle der Ehefrau weiter zu spielen, bis diese Leute gegangen waren, hängte sie das Kleid an den Hutständer in der Nähe der Tür und ging auf den Schreibtisch zu, wo John Cheney ihr bereits einen Stuhl zurechtgerückt hatte. Nachdem sie sich gesetzt hatte, lehnte Daniel sich ein wenig vor. "Meine Kollegen und ich", begann er mit diesem Lächeln, das hie aus seinem Gesicht zu weichen schien, "wollen eine Werbekampagne starten, die junge Leute wieder zurück zur Kirche bringen soll." Sie nickte, versuchte verständnisvoll zu wirken, aber nicht allzu ermutigend - zumindest nicht so lange, bis sie herausfand, was er im Sinn hatte. "Ich glaube, dass das bereits der Trend ist, nicht wahr?" warf sie ein. Daniel wiegte zweifelnd den Kopf. "Falls das so ist, geht es für uns noch nicht schnell genug. Die Zahl der Besucher hat in den meisten Kirchen rapide abgenommen." Barbara spürte, dass John Cheney den Arm um ihre Schulter legte. Sie hatte den Eindruck, er wollte vermeiden, dass sie aufsprang und davonlief. Sie machte sich bereits auf das Schlimmste gefasst. "Ihrem Ehemann gefällt unser Plan", sagte Daniel. "Und wir hoffen, dass Sie ebenso darüber denken werden." "Aber ich habe bei Kampagnen kein Mitspracherecht..." "In dieser werden Sie es haben." Barbara weigerte sich, die logische Frage zu stellen aus Furcht vor der Antwort. Er gab sie ihr sowieso. "Weil wir ein typisches, junges amerikanisches Ehepaar suchen, das uns Einblick in ihr Familienleben und ihre Freizeit vermittelt ..." Seine Stimme wurde leiser. "In ihrer Liebe zueinander, die sie nach außen auch zeigen." Barbara begann zu begreifen und fand, dass Chaney wohl wusste, was er tat, als er den Arm um sie gelegt hatte. Hätte man ihr die Chance gelassen, auszureißen, würde sie bei Einbruch der Dunkelheit in Kansas sein. Daniel hatte sein volles Stimmvolumen wiedergefunden, als er fortfuhr: "Damit jeder sehen kann, dass ein Mann und eine Frau, die im Einklang mit der Welt sind, auch Platz für die Religion in ihrem Leben haben." Er lächelte sie huldvoll an. "Wir denken, Sie beide wären das perfekte Paar!"
2.KAPITEL
Ein stattlicher Mann mit dichtem weißen Haar lehnte sich vor. "Ich bin seit zwei Monaten Pfarrer Ihrer Gemeinde St. Bonaventure und habe John und die Zwillinge stets in der Kirche gesehen." Er lächelte Barbara fragend an. "Sie habe ich allerdings nicht bemerkt, Mrs. Cheney. " Barbara überfiel Panik, und sie versuchte krampfhaft nachzudenken. Wenn sie antwortete, dass sie nie in die Kirche ging, würde sie sich wahrscheinlich aus dieser gefährlichen Situation herausmanövrieren ... aber auch Cheney & Roman den Auftrag verpatzen. "Ich habe die Wochenenden bei meiner Mutter verbracht", erklärte sie. Trotz des Chaos, das in ihrem Inneren herrschte, kam ihr die Lüge glatt über die Lippen. "Es ging ihr in letzter Zeit nicht sehr gut." Der Pfarrer legte besorgt die Stirn in Falten. "Vielleicht sollte ich ihr einen Besuch abstatten." "Ihr geht es bereits besser", warf Barbara schnell ein und fragte sich, was ihre methodistische Mutter, die sich einer außergewöhnlich guten Gesundheit erfreute, tun würde, wenn ein presbyterianischer Pfarrer vor ihrer Tür erschien, um ihr Zuspruch wegen ihrer Krankheit anzubieten. "Sie kommt bereits wieder allein zurecht." Der Pfarrer nickte. "Nun, mein Angebot bleibt bestehen." "Ich danke Ihnen, Hochwürden." "Werden Sie es tun, Barbara?" fragte Daniel. "John glaubt, dass er all unsere Ideen in der Kampagne verwerten kann, und wir freuen uns natürlich riesig darüber. Wir hatten vor, Fotomodels zu nehmen, bis wir euch zusammen sahen. Dir seid ein schönes Paar und so verliebt ineinander. Da ist nichts gespielt, das sieht ein jeder." Die einzige Frau, die sich in der Gruppe befand, schüttelte den Kopf. Sie hatte kurzes blondes Haar und schien sich ständig über etwas Sorgen zu machen. "Ich habe einen Einwand zu machen. Ich glaube, dass es sicherer ist, unsere Kampagne mit Schauspielern zu starten. Sie warf einen Blick auf Barbara. "Zugegeben, Sie beide scheinen sehr ineinander verliebt zu sein. Aber was täten wir, wenn es zum Streit zwischen Ihnen käme? Das würde ebensowenig zu verbergen sein wie ihre Liebe." "Das ist doch kein Problem, Joanna", erklärte Daniel. "Man kann sich doch streiten und sich trotzdem lieben. Auseinandersetzungen sind sogar gesund. Die Menschen werden das verstehen." Joanna lehnte sich schweigend zurück, ohne ein weiteres Gegenargument hervorzubringen. "Natürlich möchten wir nicht, dass Sie sich gezwungen fühlen, unserem Vorschlag zuzustimmen", erklärte Daniel. "Schließlich bedeutet es, dass einer von Ihren und zwei von unseren Leuten mit Ihnen leben werden. Man wird Sie fotografieren und beobachten und das für die Zeitspanne von zwei Wochen." John begann in seinem Terminkalender herumzublättern. "Am nächsten Wochenende gibt es ein Problem. Meine Eltern haben Hochzeitstag, und wir werden ein paar Tage dort verbringen." Reverend O'Neil klopfte Daniel auf die Schulter. "Das ist doch perfekt. Drei Generationen, die zusammen feiern und uns zeigen, wie man sein eigenes Leben führen kann und trotzdem den Kontakt zu seinen Wurzeln nicht zu verlieren braucht." Er strahlte Barbara an. "Eine unserer wichtigsten Botschaften ist, dass Liebe, die man gibt, von Generation zu Generation weitergereicht wird." Barbara fing an, sich langsam wie eine echte Betrügerin zu fühlen. Was als harmlose, zeitlich begrenzte Täuschung begann, nahm langsam riesige Ausmaße an. Sie musste etwas unternehmen. John bemerkte ihr angespanntes Lächeln. "Kann ich mit meinem Mann noch darüber reden, bevor wir uns entscheiden?" fragte sie.
"Natürlich", antwortete John schnell und drückte ihr e Schulter. "Daniel, ich rufe Sie morgen früh an und teile Ihnen unsere Entscheidung mit. In der Zwischenzeit wird Ihnen mein Partner einige unserer früheren Kampagnen zeigen, damit Sie einen Eindruck von unserer Arbeit vermittelt bekommen." John griff zum Telefon und bat Hal Roman, die Gruppe in den Büroräumen herumzuführen. Hal erschien sofort - klein, rund und gutgelaunt wie immer. Er schüttelte den Mitgliedern des Kirchenvorstandes die Hand und musste zweimal hinsehen, als er bemerkte, dass John den Arm um eine der Werbetexterinnen gelegt hatte. Dazu noch eine, mit der John in der Firma so gut wie keinen Kontakt gehabt hatte, dessen war Hal sich ganz sicher. "Daniel", erklärte John seinem Partner, "möchte Barbara und mich als Models für die Kampagne haben." Hal zog eine Augenbraue hoch. "Du und ... Barbara?" John nickte. "Barbara sträubt sich noch ein bisschen." Er zog sie noch fester an sich, um seine ehemännliche Toleranz zur Schau zu stellen. "Wir teilen unser Privatleben immer noch ungern mit anderen. Naja, wie Frischvermählte nun eben sind." "Frischvermählte", wiederholte Hal langsam. "Genau", sagte John mit leichtem Nachdruck. Barbara wusste, dass von John Cheney und Hal Roman behauptet wurde, sie seien so erfolgreich, weil sie sich auf schöpferischem Gebiet so gut ergänzten ... dass sie praktisch um die Gedanken des anderen wüssten und somit wunderbar aufeinander abgestimmt wären. Hal nickte vorsichtig. "Nach dem Kirchenfrühstück hast du mich angerufen und mir gesagt, ich solle Fotomodels für diese Kampagne aussuchen." Daniel strahlte. "Ja, und dann erscheinen wir ein wenig zu früh, finden John und Barbara hier vor, sehen, wie sehr sie ineinander verliebt sind, und der Gedanke lag nur nahe, statt dessen die beiden als Models zu nehmen." Hal wirkte verwirrt und ein wenig verzweifelt "Wir werden später noch darüber sprechen", sagte John rasch. "Jetzt würde ich es sehr zu schätzen wissen, wenn du den Gästen einige unserer Kampagnen zeigen würdest, bevor sie gehen." "Ah... natürlich." Daniel erhob sich, und der Rest der Gruppe folgte ihm. Er schüttelte John und dann Barbara die Hand. Als der Pfarrer so nahe bei ihr stand, bemerkte Barbara Stärke, Klugheit und Entschlossenheit in seinem Blick, und sie fragte sich, ob er das Spiel durchschaute und die Wahrheit in ihren Augen sah. "Ich möchte Ihnen versichern", erklärte Daniel, während John die anderen zur Tür begleitete, "dass wir nicht in Ihr Privatleben eindringen, sondern lediglich den jungen Leuten zeigen wollen, wie Sie leben, um sie davon zu überzeugen, dass ein erfülltes Leben für jeden zugänglich ist. Wir möchten den jungen Menschen zu verstehen geben, dass der Glaube an eine höhere Macht dabei behilflich sein kann. Auf Wiedersehen, meine Liebe." Sobald die Tür sich hinter den Mitgliedern des Kirchenvorstandes geschlossen hatte, wandte Barbara sich John Cheney zu. Er konnte bereits an ihrem eisigen Gesichtsausdruck erkennen, dass sie jede Zusammenarbeit bei dieser Kampagne ablehnen würde. Aber genau das durfte er nicht zulassen. Er wollte Daniel Burger und seine Leute glücklich sehen und zur gleichen Zeit etwas Gutes für seine Firma tun, denn dieser Auftrag wäre ein ausgesprochener Glücksfall für die Agentur. Außerdem war Barbara Ryan die interessanteste Frau, die seit langem seinen Weg gekreuzt hatte. Die Aussicht, zwei Wochen mit ihr zu verbringen, ließ die Zukunft zweifellos in einem helleren Licht erscheinen. "Ich werde das auf keinen Fall tun", erklärte sie, während sie langsam auf ihn zuging. "Es würde nie funktionieren. Außerdem bin ich so gut wie verlobt."
Er nahm sie beim Arm und zog sie sanft zur Ledercouch vor dem Fenster. "Wie kann man so gut wie verlobt sein? Entweder man ist es, oder man ist es nicht." Sie setzte sich so, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. "Ich bin seit mehr als einem Jahr mit einem Mann befreundet. Ich könnte unmög ..." John saß nur Zentimeter von ihr entfernt. Beinahe berührte sein Knie ihres. "Hat er Ihnen bereits einen Heiratsantrag gemacht?" "Noch nicht, aber seine Eltern kommen und ..." "Dann sind Sie nicht verlobt." Sie seufzte ungeduldig. "In Ordnung. Wenn Sie es so genau nehmen, werde ich mich anders ausdrücken. Mein Herz ist verlobt, auch wenn ich es als Person noch nicht bin. Ich kann nicht vorgeben, Ihre Frau zu sein für diese Kampagne. Trevor ist..." "Trevor?" Er hob eine Augenbraue und unterdrückte ein Lächeln. "Was für ein dramatischer Name. Soll dieses Kleid dort ihn veranlassen, endlich sein Junggesellenleben aufzugeben und Ihnen einen Antrag zu machen?" "Nein", erwiderte sie mit gepresster Stimme, offensichtlich verärgert. John konnte es sehen, dass es ihr ganz und gar nicht gefiel, geneckt zu werden. "Nein", wiederholte sie etwas gelassener. "Es sollte das Kleid ersetzen, das mir die Reinigung ruiniert hat. Ich hatte weder das Geld noch die Zeit, mir ein passendes zu kaufen, also hat Carol..." "Passend für was?" "Passend für die Preisverleihung, die heute abend bei einem Essen im Downtown Hyatt stattfindet. Also hat Carol mir ihr Kleid geliehen." Er nickte. "Richtig. Übrigens, Carol. Sie hat mir bereits erklärt, warum Sie in meinem Badezimmer gelandet sind. Es war sehr nobel von Ihnen, die ganze Schuld auf sich zu nehmen." Während Barbara im Badezimmer war, hatte er Carol gebeten, einen Kaffee für die Gäste zu machen, und bei dieser Gelegenheit erfuhr er von ihr die ganze Geschichte. Es hatte ihn berührt, dass Barbara versucht hatte, seine Sekretärin in Schutz zu nehmen. "Nun ..." Sie imitierte den lässigen Wink, mit dem Carol immer Dank oder anerkennende Worte wegwischte. "Ich wollte nicht, dass Carol wegen mir Probleme bekommt oder gar hinausgeworfen wird." Er schüttelte den Kopf. "Ohne Carol könnte ich gar nicht auskommen. Aber ich dachte, dass jemand; der so besorgt um die Auswirkungen seines Handelns ist, wenn es um die Freundin geht, auch darüber nachdenkt, welche Auswirkungen das Ganze auf die Firma haben könnte." "Ich war nur in Ihrem Badezimmer", erinnerte sie ihn. "In Unterwäsche." Seine Stimme klang sehr beherrscht. "Und ein potentieller Kunde hat Sie so gesehen Und hätte das Schlimmste angenommen, wenn ich die Situation nicht mit einer Notlüge gerettet hätte." "Ich wollte gerade alles erklären", verteidigte sie sich. "Das hätte Sie aus der Verlegenheit gebracht und das ganze Missverständnis aufgeklärt." Er lächelte. "Glauben Sie tatsächlich, dass irgend jemand von diesen Leuten Ihnen geglaubt hätte? Und dass besonders Mrs. Gordon Ihnen abgenommen hätte, dass Sie ausgerechnet in meinen Räumen nur ein Kleid anprobieren wollten?" Barbara wollte ihm versichern, dass Mrs. Gordon und die anderen genau das getan hätten, dann gab sie auf, weil sie wusste, so wäre es nicht gewesen. Die Situation musste auf andere nur allzu eindeutig gewirkt haben. Er blickte sie fest an. "Es tut mir leid, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie sich für diese Kampagne als meine Frau zur Verfügung stellen." "Mr. Cheney, ich weiß nichts über Sie", protestierte Barbara verzweifelt. "Ich meine, ich habe zwar Carol von Ihren Kindern sprechen hören, aber ich weiß noch nicht einmal, ob Sie verwitwet oder geschieden ..."
"Weder noch", fiel er ihr ins Wort. "Ich bin das, was man einen ledigen Vater nennen könnte." Sein Lächeln war ironisch. "Ich lebte mit einer Frau zusammen, die von mir schwanger wurde. Sie wollte das Kind nicht - damals nahmen wir noch an, es wäre nur eins - , aber ich wollte es, also habe ich bis nach der Entbindung alle Kosten bezahlt und dann die Zwillinge zu mir genommen." Barbara war vollkommen überrascht. Sie war sicher, dass so etwas äußerst selten vorkam. Selbst Väter, die bereit waren, finanziell die Verantwortung für das uneheliche Kind zu tragen, waren normalerweise froh, wenn die Frauen die Erziehung der Kinder übernahmen. "Reverend Daniel sagte, wir würden zwei Wochen lang beobachtet und fotografiert werden. Ich müsste ..." "Bei mir einziehen", kam er ihr zur Hilfe. "Mit mir essen und mit mir schlafen." Er beobachtete aufmerksam ihre Reaktion. "Das kommt überhaupt nicht in Frage." "Ich fürchte, dass das die einzige Möglichkeit ist." Sie verschränkte eigensinnig die Arme. "Ich weiß, dass das alles meine Schuld ist, aber so sehr ich meine Arbeit auch liebe, ich bin nicht bereit, mit Ihnen das Bett zu teilen, nur um der Firma einen Riesenauftrag zu retten." Er nickte verständnisvoll. "Das brauchen Sie auch nicht, solange sie nur den Kirchenvorstand und die Kamera davon überzeugen können, dass Sie es getan haben." "Ich glaube nicht, dass eine Frau Glück und Liebe vortäuschen kann." Das Telefon klingelte, aber er ignorierte es. Sein Lächeln war ein wenig niederträchtig, wie sie fand. "Lernen Sie mich einfach ein wenig näher kennen. Das dürfte genügen, um die Kooperative zu überzeugen." Sie starrte ihn einen Moment an, als ob sie herausfinden wollte, ob er es ernst meinte oder nicht. "Die Kooperativen Kirchen sind für uns als Kunden von großer Bedeutung", erklärte er. "Wenn die Nordwest-Kampagne gut läuft, wollen Sie uns dem Landesvorstand vorstellen. Ein Auftrag von ihnen würde uns nationale Beachtung schenken." "Dann machen Sie die Kampagne doch mit Fotomodels." "Die wollen uns." "Aber wir sind eine Lüge. Meinen Sie nicht, dass die Kamera das herausfühlen wird?" "Nein." Er lächelte, und seine Wolfsaugen glitten über sie hinweg, bis sie sich auf ihren Mund konzentrierten. "Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, Sie vor dieser Geschichte kennenzulernen, hätten Sie gar nichts vorzutäuschen brauchen." Wieder schwankte ihr inneres Gleichgewicht. "Das glaube ich nicht. Ich bin verlobt, erinnern Sie sich?" Er schüttelte den Kopf. "Er hat Ihnen doch noch gar keinen Antrag gemacht, nicht wahr?" "Meine Antwort ist nein, Mr. Cheney." Er schüttelte bedauernd den Kopf. "Dann verliere ich einen Kunden und Sie Ihren Job, wahrscheinlich Ihren Ruf und damit vielleicht auch die Chance auf Ihren Trevor, von dem Sie sich soviel für die Zukunft versprechen. Wenn ich Sie wäre, würde ich mir alles noch einmal überlegen." "Meine Antwort ist und bleibt nein", erklärte sie mit fester Stimme. "Möchten Sie, dass ich meinen Schreibtisch räume?" "Ich möchte, dass Sie das Ganze eine Nacht überschlafen." "Das brauche ich nicht." "Gut. Ich werde Daniel morgen früh anrufen und ihm sagen, dass Sie einverstanden sind ..." "Aber ich sagte ..." Er öffnete die Tür, schob sie sanft aber bestimmt hinaus und wandte sich an Carol. "Versuchen Sie bitte, eine Verbindung mit Morgent Haler herzustellen, und bringen Sie mir einen doppelten Cappuccino."
"In Ordnung." Carol nahm den Hörer ab. "Mr. Cheney ..." Barbara packte ihn am Ärmel seines blütenweißen Hemdes und versuchte ihn daran zu hindern, wieder in sein Büro zurückzugehen. Er blickte auf die Hand, mit der sie ihn am Ärmel festhielt, und dann in ihre Augen. Sie ließ ihn augenblicklich los. "Morgent Haler ist am Apparat", meldete Carol. Er lächelte Barbara an. "Mir würde es zwar besser gefallen, von Ihnen noch länger festge halten zu werden, aber Sie müssen mich entschuldigen. Ich muss telefonieren", erklärte er und schloss die Tür. Barbara wirbelte wutentbrannt zu Carol herum, aber ihre Freundin hatte bereits eine neue Nummer gewählt und hielt ihr abwehrend eine Hand entgegen. "Hallo", sagte sie in die Hörmuschel, "hier ist Carol von Cheney & Roman. Ich brauche einen doppelten Cappuccino für Mr. Cheney. Danke." Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, reichte sie Barbara eine Papiertüte. "Deine Tacos", erklärte sie. "Iß, dann wirst du dich besser fühlen. Ich weiß, ich weiß ..." Sie hob erneut beschwichtigend die Hand. "Ich habe bereits gehört, was geschehen ist. Es tut mir leid, dass ich dich dazu brachte, sein Badezimmer zu benutzen, aber sieh doch nur, was dabei herausgekommen ist." Carol strahlte, als ob Barbara in der Lotterie gewonnen hätte. "Ich werde bei dieser Scharade auf keinen Fall mitmachen. Trevor würde es ganz und gar nicht gefallen, und irgendwann würde das Ganze' sowieso auffliegen, und wir würden dann in den größten Schwierigkeiten stecken. Es ist eine absurde Idee." Carol wurde ernst. "Barbara, du bist schließlich verantwortlich für die Lage, in der Mr. Cheney sich jetzt befindet." Barbara sah sie herausfordernd an. "Wer ist verantwortlich?" Als sie sich umwandte, um den Raum zu verlassen, sprang Carol schnell auf und stellte sich ihr in den Weg. "Er und Mr. Roman haben so hart dafür gearbeitet, damit sie diesen Auftrag bekommen", sagte sie ernst. "Die Kooperativen Kirchen hatten große Schwierigkeiten, sich zu einigen. Als sie endlich anriefen, war Mr. Cheney verreist, aber ich teilte ihnen mit, dass sie ihn in Denver erreichen könnten. Leider hat er vergessen, mir mitzuteilen, dass er einen Tag früher zurückkommen würde. Ich nehme an, dass der Termin hier im Büro sehr kurzfristig zustandegekommen war." Barbara griff in die Papiertüte, roch an den kalten Tacos und warf die Tüte in den Papierkorb. "Zu unser aller Unglück. Nun, ich kann ihm nicht helfen. Falls jemand vorgeben sollte, seine Frau zu sein, dann wärst du es." Carol, die Barbara in ihr kleines Büro gefolgt war, lehnte sich gegen die Pinnwand, an die Barbara einige gedruckte Anzeigen geheftet hatte. "Wir brauchen diesen Auftrag, Barbara. Cheney & Roman haben durch ihn die Möglichkeit, landesweit Anerkennung zu erlangen." "Das hat er nur bereits erklärt." "Wie kannst du dann nein sagen?" "Weil es zwei Wochen dauern würde. Zwei Wochen, die ich mit ihm und seinen Kindern verbringen müsste. Zwei Wochen, in denen ich vorgeben müsste, Dinge über ihn zu wissen, über die ich nun einmal nicht Bescheid weiß. In denen ich fotografiert werden würde ..." Carol nickte gelassen. "Er hat großartige Kinder. Er lebt in einer großen alten Villa, die sehr idyllisch an einem Waldrand gelegen ist und die alles an Bequemlichkeiten bietet, was eine Frau sich nur wünschen kann, und Mr. Cheney ist wirklich nicht kompliziert." Barbara seufzte. "Alle Männer sind kompliziert." Carol schüttelte den Kopf. "Männer, die nur Geld im Kopf haben, mögen kompliziert sein. Vielleicht weil der Kurs des Dollars andauernd steigt und fällt. Aber Männer, die Menschen
und nicht das Geld lieben, sind viel intuitiver und ehrlicher. Du hast Angst vor ihm, weil er nicht spießig und langweilig ist." Barbara runzelte missbilligend die Stirn. "Falls ich Angst vor ihm hätte, dann würde es aus dem simplen Grund sein, weil er mich als ihm völlig Fremde einem Klienten als seine Frau vorgestellt hat." Carol ignorierte ihre Bemerkung. "In Wirklichkeit wartet eine wagemutige, freiheitsliebende Frau mit brillianten Ideen in dir darauf, erlöst zu werden. Aber du hast Angst davor, was passieren könnte, wenn du feststellen müsstest, dass du wie dein Vater bist. Also suchst du dir einen biederen, langweiligen Mann, den du nicht liebst, aber von dem du hoffst, dass er diese wilde Frau in dir unter Verschluss hält und dir das nötige Gleichgewicht verschafft." Barbara legte die Hand vor die Augen. "Ich komme mir vor wie bei einem Psychoanalytiker." Carol ließ auch dieses kalt. "Ich finde, du solltest einfach etwas lockerer werden. Hör auf, dich ständig zurückzuhalten. Nutz die Gelegenheit, John Cheney kennenzulernen, und gib ihm die Chance, dich kennenzulernen, bevor du dich endgültig an diesen Trevor Wentworth bindest." "Trevor", sagte sie loyal, "ist ein wunder ..." "Ich weiß und so einschläfernd wie Baldrian. Und ergab dir einen Rentenbrief zum Geburtstag." Carol wandte sich ab, um zu gehen, dann blieb sie in der Tür stehen und drehte sich noch einmal um. "Denk einmal darüber nach", flüsterte sie, "was es bedeuten würde, mit einem Mann verheiratet zu sein, der einen zusammenfaltbaren Schirm in seinem Aktenkoffer mit sich herumträgt." "In der heutigen Welt", entgegnete Barbara spitz, "kann man gar nicht genug auf Stabilität achten." Carol seufzte ungeduldig. "Liest du noch nicht einmal die Schlagzeilen der Zeitungen? In der heutigen Welt gibt es keine Stabilität. Aber es ist dein Leben. Viel Spaß heute abend." Cecil und Olivia Wentworth waren genau so, wie Barbara sie sich vorgestellt hatte gutaussehend, elegant und kühl. Barbara lächelte, während Cecil über seine Aktien plauderte, aber sie hatte irgendwann aufgehört, ihm zuzuhören. Er war ein gutaussehender Mann - eine ältere Version von Trevor. Seine Frau und sein Sohn hingen aufmerksam an seinen Lippen und schienen vergessen zu haben, dass Barbara überhaupt existierte. Doch sie war darüber mehr erleichtert als verletzt. Sie blickte über das Meer von kleinen Tischen und fragte sich, worüber all diese Menschen wohl sprechen mochten. Sie wusste, dass diese plötzliche Respektlosigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit den Geschehnissen von heute morgen und ihrer Unterhaltung mit Carol zusammenhing. Gegen die Dramatik dieses Tages konnte eine Unterhaltung über Aktien sehr ernüchternd wirken. Während sie mit den Augen den Saal überflog, blieb ihr Blick plötzlich an einer schönen Brünetten hängen, die sich lachend zu einem Mann in einem Dinnerjackett hinüberlehnte. Er lachte herzhaft zurück. Es war John Cheney! "Barb!" sagte Trevor scharf und stellte ihr Wasserglas wieder auf. Er reichte seiner Mutter eine Damastserviette, um das Wasser abzutupfen, das ihr vom Tisch auf den Schoß tropfte. "Oh, entschuldigen Sie!" Barbaras Herz machte einen Satz, als sie rasch ihre eigene Serviette hinzulegte, um, das ausgelaufene Wasser aufzusaugen. Die Wentworths lächelten nicht. "Was hast du gerade gesagt?" fragte Trevor sie, nachdem ein Kellner an den Tisch geeilt war, um den Schaden zu beheben und ihnen frische Servietten zu bringen. Barbara sah, wie Cecil und Olivia miteinander einen Blick austauschten. Es war offensichtlich, dass die beiden sie nicht mochten.
"Oh ... ich sagte Cheney", erklärte Barbara. "John Cheney. Mein Chef." Sie wies mit dem Kinn in seine Richtung und versuchte, dabei ungezwungen zu wirken. "Dort drüben mit der Frau in Weiß." "Ah." Die Frau blickte in ihre Richtung. Trevor lächelte und winkte. "Sandra Ryder", sagte er. "Die Managerin von der Yachatz Branch." Die Frau winkte zurück. John sah ebenfalls herüber, erkannte Barbara und hob die Hand. Barbara erwiderte seinen Gruß und wandte sich dann schnell wieder ihrer Begleitung zu. Dieser Abend verlief ganz und gar nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie hatte gehofft, dass ihre Gefühle für Trevor ein Schutzschild gegen die Versuchung wären, an Cheneys Komplott teilzunehmen. Sie brauchte jetzt unbedingt das Gefühl der Sicherheit, das Trevor ihr sonst immer vermitteln konnte. Aber Trevor war ganz und gar von seinen Eltern in Anspruch genommen. Die Preisverleihung war kurz. Trevor wurde vorgestellt, und man applaudierte ihm. Dann hielt er eine Rede, in der er seine Kollegen pries und seine Eltern vorstellte. Cecil und Olivia winkten hoheitsvoll, als wären sie Mitglieder der königlichen Familie. Trevor wurde eine Messingplakette überreicht und zwei Flugtickets zu den Cayman Inseln. "Als Bonus ..." Der Präsident der Bank, die die Auszeichnung vergab, lächelte Trevor an, "...schenken wir Ihnen zwei Wochen Urlaub, um Tiefseefischen zu können. Unsere Limousine wird Sie zum Flughafen bringen." Es gab noch mehr Applaus. Dann war die Zeremonie beendet. "Die Cayman Inseln!" rief Cecil aus und zeigte zum ersten Mal während dieses Abends für etwas Interesse, das nicht mit Geld zu tun hatte. "Cecil ist ein anerkannter Experte der Tief Seefischerei", sagte Olivia zu Barbara. "Er bekommt Hunderte von Dollar für eine Chartertour angeboten." Natürlich. Barbara hatte bereits vermutet, dass auch diesmal Geld dahintersteckte. "Ich sag' dir was, Dad", sagte Trevor, als sie sich ihren Weg durch die Menge bahnten. "Wir werden gleich morgen früh abreisen." In Cecils Augen spiegelte sich dieselbe Überraschung wider, die auch Barbara fühlte. Außer Trevor selbst schien jeder davon ausgegangen zu sein, dass er Barbara mitnehmen würde. Natürlich hätte sie nicht mitfahren können. Sie musste sich einen Slogan für die Garbanzobohnen ausdenken. Doch sie fand es recht aufschlussreich, dass Trevor ihre Begleitung noch nicht einmal in Betracht gezogen hatte. "Barb muss gerade eine Kampagne für irgendeinen kleinen Kunden ausarbeiten", erklärte Trevor. "Sie kann nicht mitkommen, und Mom will morgen Tante Rose in Seattle besuchen. Also, wie ist deine Antwort, Dad?" "Nun ..." Cecil blickte zu Barbara hinüber und tat so, als ob "er gern ihre Zustimmung hätte. Sie lächelte, und der Entschluss festigte sich. "Ich wünsche Ihnen eine wundervolle Zeit. Trevor hat recht, ich muss tatsächlich arbeiten." John erblickte Barbara am anderen Ende der Lobby. Sie fiel in ihrem dunkelblauen figurbetonten Kleid auf. Die meisten der anwesenden Damen hatten legere Seidenhosenanzüge gewählt, wohl Modevorschrift für diesen Spätsommer und den kommenden Herbst. Sie hatte ihr wundervolles langes Haar hochgesteckt, und ihr Kleid schmiegte sich an ihren schlanken wohlgeformten Körper und brachte ihre Weiblichkeit überaus reizvoll zur Geltung. Trevor Wentworth hatte den rechten Arm um seinen Vater und den linken um seine Mutter gelegt, während Barbara die Gruppe anführte. Für John, der es gewohnt war, menschliches Verhalten zu analysieren, sprach dieses Bild Bände. Er fragte sich, ob es Barbara ebenso erging. Sie sah nicht so aus, als ob sie einen angenehmen Abend mit den Wentworths verbracht hätte, und wirkte auch nicht wie eine Frau, die sich auf die Aussicht freute, zwei Wochen auf den Cayman-Inseln zu verbringen.
Der kleine Teufel in ihm, den er manchmal nicht kontrollieren konnte oder auch nicht wollte, ließ ihn wie zufällig auf die Wentworths zugehen. Sandy versuchte, ihn zurückzuhalten. "Was tust du da?" flüsterte sie. Er hatte ihr beim Abendessen alles über die kleine Episode erzählt. "Ich amüsiere mich. Lächle einfach nur weiter." "Johnny..." Aber er hatte bereits mit Barbara Blickkontakt aufgenommen und in ihren Augen so etwas wie Herausforderung erkannt. Er hatte erwartet, sie würde bei seinem Näherkommen vermuten, er wolle ihr den Abend verderben, und halbwegs in Panik geraten. Aber sie blieb gelassen. Sie löste sich sogar von den Wentworths und kam ihm auf halbem Weg entgegen. "Barbara", sagte er, als sie sich in der Mitte der Lobby trafen, während die anderen Besucher zur Tür strömten. Sie sah wirklich wunderschön aus, und er konnte einfach nicht begreifen, warum Trevor Wentworth nicht einen Arm um sie gelegt hatte, um der ganzen Welt zu zeigen, dass sie ihm gehörte. "Barbara, ich möchte, dass Sie meine Schwester kennenlernen, Sandra Ryder. Sandy, das ist Barbara Ryan, eine meiner Werbetexterinnen." Sandy reichte Barbara die Hand. Sie waren gezwungen gewesen, mit dem Strom der Leute weiterzugehen, und standen nun vor dem Eingang des Hotels. Die Nacht war kühl, und der reine Geruch von Regen vermischte sich mit den Abgasen der Wagen und dem Parfumduft der Damen. Barbara blickte von John zu Sandy und fand, dass sich die Geschwister ähnlich sahen. Beide hatten glänzendes dunkles Haar und ausgeprägte Gesichtszüge, aber Sandras Augen waren blau, und ihr Gesicht wirkte schmaler als das ihres Bruders. "Hallo", sagte Barbara ungezwungen und lächelte ihren Arbeitgeber an, als Trevor mit seinen Eltern zu ihnen stieß. "Mr. Cheney, ich möchte Ihnen meinen Freund, Trevor Wentworth, und seine Eltern, Cecil und Olivia Wentworth, vorstellen." Sie wandte sich den dreien zu und lächelte. "Das ist John Cheney." John reichte Trevor die Hand, die er erfreut schüttelte. "Ich wollte mich gerade nach einem Polizisten umsehen", bemerkte Olivia spitz. Und an John gewandt setzte sie hinzu: "Ich befürchtete schon, Sie wollten sie kidnappen." Trevor und sein Vater schienen nichts von der unterschwelligen Spannung mitzubekommen. John, der den Arm um Barbara gelegt hatte, lächelte. "Das würde ich nur allzu gern tun." Der Blick, den er Barbara zuwarf, war vielsagend. "Ich weiß gar nicht, was ich ohne meine Mitarbeiterin tun soll, während Sie sie mir auf die Cayman-Inseln entführen. " John sah eine Vielzahl von turbulenten Gefühlen in Barbaras Augen aufflackern. "Trevor wird seinen Vater mitnehmen", erklärte sie freundlich. "Und beide brechen bereits morgen früh auf." Sie blickte ungezwungen in Johns überraschtes Gesicht. "Und Sie wollten, dass ich Ihnen bei diesem speziellen Projekt helfe." Olivia wandte sich Trevor mit einer hochgezogenen Augenbraue zu. "Die Garbanzo-Sache", erklärte Trevor seiner Mutter. "Ich habe dir doch davon auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel erzählt." John blickte in Barbaras Augen und fragte sich, ob sie das wirklich meinte, was er glaubte, dass sie meinte. Er sah einen leisen Schmerz, aber auch Entschlossenheit und eine Spur von Wagemut, die seinem eigenen Wesensmerkmal von Rücksichtslosigkeit gleichkam. "In Ordnung", sagte er. "Wir werden gleich morgen früh damit beginnen." "John!" rief eine vertraute Stimme einige Meter entfernt. "Barbara!" Jeder drehte sich um. Ein Mann trat aus der Menge, Hände in den Hosentaschen, den Kragen seines Jacketts gegen den kalten Wind hochgestellt, was aber nicht ganz den Priesterkragen verbarg. "Hallo, Kinder!" begrüßte Daniel Burger sie mit priesterlicher Wärme. "Wie geht es meinem Lieblingspaar?"
3. KAPITEL
Barbara betete um eine göttliche Eingebung. Und es spielte für sie keine Rolle, welche Form sie annehmen würde. Alles wäre, ihr recht gewesen, ob Erdbeben oder Hurrikan, um der drohenden Katastrophe zuvorzukommen. John fühlte, wie sein Adrenalinspiegel abrupt anstieg und wie seine Sinne sich schärften. Für ihn' als Geschäftsmann stand alles auf des Messers Schneide. Irgendeine primitive Ader in ihm stellte sich der Herausforderung. Er verstärkte den Druck auf Barbaras Schulter, als er Daniel die Hand entgegenstreckte. "Daniel, unser liebster Kunde. Was für eine Überraschung", sagte er. "Was bringt Sie zum Hyatt?" "Nichts." Daniel zeigte auf die neugothische Kirche auf der anderen Straßenseite. "Ich bin nur auf dem Weg von meiner Arbeit nach Hause." Barbara, die verhindern wollte, dass der Geistliche irgend etwas sagte, was sich auf ihre Ehe mit John beziehen könnte, fing an, ihn mit Trevors Eltern bekannt zu machen. Als die Reihe an Trevor kam, hatte Sandra sich bereits neben ihn gestellt, so dass es aussah, als wäre sie seine Begleiterin Barbara schloss daraus, dass John Cheney sich seiner Schwester anvertraut habe. "Trevor Wentworth", sagte Barbara schnell, "der heute abend zum Bankier des Jahres ernannt worden ist." Daniel wirkte mäßig beeindruckt, und Trevor mäßig bescheiden. "Und Sandra Ryder. Nun ..." Sie versuchte, Trevor mit sich zu ziehen, um dem Gespräch ein Ende zu setzen. Aber Daniel erkundigte sich hoffnungsvoll: "Haben Sie bereits über unsere Kampagne nachgedacht?" Barbara schluckte nervös, beruhigte sich aber wieder, als ihr klar wurde, dass er nichts Belastendes gesagt habe. "Das hat sie", antwortete John schnell für sie. "Und sie ist einverstanden." "Wundervoll!" Daniel strahlte. "Sie können sich glücklich schätzen, so eine Frau zu haben." Dann lächelte er noch kurz den anderen zu, offensichtlich blieb ihm der verwirrte Blick der Wentworths verborgen, winkte noch einmal und sagte: "Ich werde mich gleich morgen früh bei ihnen melden." Damit ging er. Barbara stand wie angewurzelt am selben Platz. John drückte noch einmal ihre Schulter und beugte sich dann vor, um sie vor den Augen von Trevor und seinen Eltern auf die Wange zu küssen. Barbaras Herzschlag, der sich gerade wieder normalisiert hatte, begann erneut zu hämmern. Sie spürte sein wohlrasiertes Kinn an ihrer Wange. Dann straffte er sich und lächelte den Wentworths zu, während er Sandras Hand ergriff. "Cheney & Roman ist sehr froh, Barbara zu haben. Eines Tages wird sie die beste Werbetexterin der ganzen Branche sein. Es war nett, Sie kennengelernt zu haben. Ich hoffe, Sie haben eine angenehme Reise." Er verbeugte sich leicht vor Barbara. "Wir sehen uns morgen früh." "Nun, wo bleibt sie nur?" John lief unruhig in seinem Büro herum, als Carol mit einem dampfenden Pappbecher Kaffee hereinkam. "Sie wird kommen, Mr. Cheney." Carol stellte den Becher auf seinen Schreibtisch. "Ich sagte Ihnen doch, dass sie angerufen hat, sie komme wegen irgendeines Termins, den sie noch wahrnehmen müsse, ein wenig später. Aber sie weiß, dass der Kirchenvorstand um elf Uhr hier sein wird." "Es ist zehn Uhr fünfundfünfzig." "Sie ist zuverlässig. Das wissen Sie. Hier. Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen einen doppelten Cappuccino zu bringen."
Das Telefon klingelte, und Carol eilte hinaus zu ihrem Schr eibtisch, um den Anruf entgegenzunehmen. John trank einen Schluck von dem heißen Cappuccino. Er wusste nicht, warum er so nervös war. Dieses hier war eine geschäftliche Besprechung wie hundert andere auch, die er als Chef der Agentur hinter sich gebracht hatte. Er wusste, wie man Vertrauen erwecken und den besten Eindruck hinterlassen konnte. Er hatte es nur noch nie als verheirateter Mann getan, und er würde sich um vieles besser fühlen, wenn seine Frau endlich erscheinen würde. Die Tür, die sein Büro mit dem von Hal verband, öffnete sich. "Sind sie hier?" fragte Hal. Der Klang von Daniels dröhnender Stimme drang durch Johns offene Bürotür. John blickte auf und sah ihn mit dem gesamten Kirchenvorstand der Kooperativen Kirchen auf sein Büro zukommen. "Pünktlich wie immer", bemerkte John und nickte Hal zu. "Bist du mit den Entwürfen fertig?" Hal winkte mit einem dicken braunen Schnellhefter. "Fertig." Er sah sich suchend um. "Wo ist Barbara Ryan?" John stöhnte, stellte seinen Becher ab und ging zur Tür, um Daniel zu begrüßen, während er sich fragte, wie er Barbaras Abwesenheit erklären könnte. "Guten Morgen", sagte er lächelnd und schüttelte jedem die Hand. Das letzte Mitglied der Gruppe legte ebenfalls ihre schmale Hand in seine, und John stockte der Atem. Barbara stand in einem grünen Kleid vor ihm, das eng am Oberteil anlag und dann in einen schwingenden Rock überging, der ihr gerade bis zum Knie reichte. Ihre Wangen waren rosig angehaucht, ihre Augen dunkel, ihr Haar war... kurz! Bevor er die Worte zurückhalten konnte, rief er anklagend aus: "Du hast dein Haar abschneiden lassen!" Ihre Augen weiteten sich bei dieser Bemerkung, und ihm wurde auf einmal klar, was er getan hatte. Als ihr Ehemann hätte er wahrscheinlich wissen müssen, dass sie einen neuen. Haarschnitt hatte. Zu seiner Überraschung schlang sie die Arme um seinen Nacken und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. "Guten Morgen, Liebling", sagte sie liebevoll. John vergaß seinen Ärger über ihre neue Frisur, als ihre Lippen seine berührten. Es war nur ein kurzer Kuss, aber sein Körper reagierte sofort darauf, und er presste sie für einen Moment an sich. Sie löste sich aus seiner Umarmung und wandte sich lächelnd Daniel und seinen Leuten zu. "Wir haben gestern abend deswegen gestritten, und er glaubte wohl, gewonnen zu haben. Ich dachte, kinnlanges Haar würde sich auf den Fotos besser machen. Aber John wollte nicht, dass ich auch nur einen Zentimeter abschneiden lasse." Sie spielte ihre Rolle wirklich phantastisch und sah ihn kokett an. "Gefällt es dir nicht?" John lachte, aber er legte eine Hand um ihre Taille und kniff sie ganz leicht. "Steht in der Bibel nicht geschrieben, dass eine Frau ihrem Mann gehorchen solle?" fragte er einen der Geistlichen. Pfarrer Mike, einen Kopf kleiner als John, lächelte ihn an. "Das steht zwar geschrieben, aber ich würde es nicht als Argument verwenden. Es gibt genug andere Stellen, aus denen hervorgeht, dass ein Mann seine Frau lieben und glücklich machen soll." "Bei einer Frau", erwiderte Daniel und lachte leise, "bedeutet glücklich machen normalerweise, ihr jeden Willen durchgehen lassen." "Das Haar einer Frau sollte lang sein", bemerkte Joanna Gordon, die Pastorin. Sie hatte auf einem Stuhl in der Nähe des Schreibtisches Platz genommen und legte wie üblich sorgenvoll die Stirn in Falten. "Dann kann sie es zusammenbinden. Oder ganz kurz tragen, damit es nicht im Weg ist." Sie strich über ihr eigenes streichholzkurzes Haar und wies auf das von Barbara. "Diese Länge ist unpraktisch. Man braucht Zeit und Anstrengung, um es in Form zu halten."
Für einen Moment blickten alle Männer missbilligend zu Joanna hinüber, dann trat Hal vor, legte die Mappe auf den Tisch und öffnete sie. "Wir haben zwar einen gedrängt vollen Terminkalender, aber es wird nicht so stürmisch werden, dass Sie ihr Haar zusammenbinden müssen, Barbara." Er wies mit dem Stift auf die lange Liste, die vor ihm lag. "Ich finde, wir sollten nach dem Lunch bei euch daheim beginnen, da ihr die Gewohnheit habt, am Donnerstagnachmittag freizunehmen." Er lächelte. "Ich bin sicher, dass man sich erst daran gewöhnen muss, auf Schritt und Tritt fotografiert zu werden. Deswegen scheint es mir, dass die Aufnahmen am hübschesten und überzeugendsten werden, wenn sie zu Hause gemacht werden, wo das Ehepaar sich am wohlsten fühlt." Jeder hörte Hal aufmerksam zu, außer Barbara, die John entsetzt ansah. Sie würde sich ganz bestimmt nicht in seinem Haus wohler fühlen. Schließlich war sie noch nie dort gewesen. Sie hatte gehofft, dass sie hier im Büro anfangen würden, wo sie sich wenigstens auskannte. Unter dem Vorwand, sie zu küssen, flüsterte John ihr ins Ohr: "Nur keine Panik. Es wird schon alles gut gehen." Barbara, die ihre eiskalten Hände rieb, fragte sich, wo all das Vertrauen geblieben war, mit dem sie heute morgen aufgewacht war. Nachdem Trevor sie letzte Nacht nach Hause gefahren und einzig und allein über Tiefseefischen gesprochen hatte, war sie zu dem Entschluss gekommen, dass es ihr nicht schwer fallen würde, sich völlig John Cheneys Plan zu widmen. Aber nun, da sie mit der Realität konfrontiert wurde, fragte sie sich, ob ihr Wagemut sie nicht in etwas führte, das weder ihrer mentalen noch ihrer emotionalen Gesundheit gut tun würde. "Sie werden also die beiden selbst fotografieren?" fragte Daniel Hal. Hal nickte. "Gut." Daniel lächelte, offensichtlich zufrieden. "Und wer schreibt die Texte?" "Barbara und ich", erklärte John. Als sie ihn überrascht ansah, zuckte er die Schultern. "Wer kennt uns besser als wir uns selbst?" "Nun, wir wissen, wer Sie besser kennt. Aber ER schreibt keine Werbetexte", bemerkte Pfarrer Michael läche lnd. Daniel lachte. "Treffende Bemerkung, Mike." Dann wandte er sich wieder an Barbara, John und Hal. "Die Kooperative hat entschieden, zwei Repräsentanten mitzuschicken. Unseren Pfarrer Mike, weil er so begeistert über diese Kampagne ist und große Hoffnungen in sie setzt, und Pastorin Gordon. Sie haben wir ausgesucht, weil sie die größten Zweifel an diesem Projekt hat. Wir dachten, dass das die beste Balance bietet" Barbara nickte und dachte, dass keine andere Kombination das Unternehmen so schwierig machen würde ... ausgerechnet Mike, Johns neuer Pfarrer, der John von allen am besten kannte und deswegen ihre Rolle als Ehefrau besonders scharf unter die Lupe nehmen würde, und diese Joanna Gordon, die ihr keine Sympathie entgegenzubringen schien und deswegen noch schwerer zu täuschen war als die anderen. Sie fragte sich, ob sie es moralisch verantworten könne, für etwas um Hilfe zu beten, was eindeutig Betrug war. "Dann werden wir drei morgen bei euch für die nächsten zwei Wochen einziehen", erklärte Hal mit einem beruhigenden Lächeln, das Barbara galt. "Alles andere wird sich auf eine natürliche Weise entwickeln." Barbara konnte nur hoffen, dass sie sich verhört habe. Pfarrer Mike nickte befriedigt. "Wir werden als erstes morgen in ihr Büro kommen, um Sie hier bei der Arbeit zu beobachten, dann werden wir uns gemeinsam mit Ihnen ins, Haus begeben." "Wenn wir euren freien Nachmittag fotografieren wollen, müssen wir sofort beginnen", sagte Hal. "Nächste Woche werdet ihr bereits Vorbereitungen treffen, um zu Johns Eltern zu fahren, und die Woche darauf werden wir schon alles im Kasten haben." Barbara lächelte verständnisvoll, während sie im stillen stöhnte. Keine Gnadenfrist. Carol erschien mit einem Tablett, auf dem Gläser mit Orangensaft standen.
"Auf unser Projekt", sagte John, nachdem Carol die Gläser verteilt hatte. "Auf die Liebe", erklärte Daniel und erhob sein Glas. Barbara zögerte und hob ihr Glas erst, als John ihr seinen Arm um die Schulter legte und sie ein wenig zwickte. "Möge die Liebe stets die stärkste Kraft in dieser Welt sein", endete der Pfarrer seinen Trinkspruch. Daniel stellte sein Glas ab. "Ich würde gern mit Pfarrer Mike und Mrs. Gordon allein reden, bevor wir uns alle auf den Weg machen." "Benutzen Sie mein Büro", bot John ihm an. "Hal, Barbara und ich werden draußen auf Sie warten." John verließ mit Barbara und Hal sein Büro, zog die Tür hinter sich zu ... und sah sich den neugierigen Blicken seiner Angestellten gegenüber. Mit dem Daumen gab er ihnen ein Zeichen, dass der Vertrag so gut wie in der Tasche sei, und musste schnell einen spontan einsetzenden Applaus im Keim ersticken. "Schh." "Wir werden Sie bei der nächsten Mitarbeiterkonferenz informieren", erklärte er und folgte Hal und Barbara zum Fahrstuhl. "Mir gefällt Ihr Haar, wie Sie es jetzt tragen", sagte Hal zu Barbara, als sie vor dem Fahrstuhl auf Daniel warteten. Barbara hatte sich unbewusst dicht neben John gestellt. Irgendwie schien seine Größe und Autorität ihr die Sicherheit zu vermitteln, die sie jetzt brauchte. "Danke", erwiderte sie mit einem nervösen Lächeln. "Ich wünschte mir nur, ich hätte mir den Kopf statt nur die Haare abschneiden lassen." John legte beruhigend den Arm um sie. "Keine Angst, Barbara. Übrigens, um Versprecher zu vermeiden, schlage ich vor, dass wir jetzt immer beim Du bleiben." Er lächelte. "Und ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn du in nächster Zeit keine größeren Entscheidungen ohne mich triffst." Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. "Es ist mein Haar. Das Haar ein wenig kürzer schneiden zu lassen, kann wohl kaum zu den größeren Entscheidungen gezählt werden." "Doch", beharrte er. "Du hast mich überrascht. Und für einen Moment stand ich vor den Leuten da, als wüsste ich nicht, was meine eigene Frau vorhat." "Dann solltest du auf der Hut sein", forderte sie ihn heraus. "Ich glaube, dass Überraschung die Grundlage der Ehefrau-Ehemann-Dynamik ist. Zumindest, wenn man eine erfolgreiche Ehe führen will." Wahrscheinlich hatte sie recht, aber es gefiel ihm nicht, belehrt zu werden. "Wir müssen zusammenarbeiten", erklärte er, "wenn wir Erfolg haben wollen." "Sie hat Ihren Teil dazu beigetragen", mischte Hal sich ein und drückte auf den Fahrstuhlknopf, als der Kirchenvorstand aus dem Büro strömte. "Ihre Bemerkung, dass du glaubtest, in eurem Streit die Oberhand behalten zu haben, hat alles gerettet." John warf Hal einen verärgerten Blick zu, der darauf mit einem gleichermaßen missbilligenden Blick reagierte. Dann waren die Mitglieder des Kirchenvorstandes zu ihnen gestoßen, und die Türen der beiden Fahrstühle öffneten sich. John, Hal, Barbara stiegen zusammen mit Pfarrer Mike und der Pastorin Mrs. Gordon ein, während Daniel und die anderen den zweiten Fahrstuhl benutzten. Als sich die Tür schloss, wandte sich Barbara an Hal, um ein peinliches Schweigen während der Fahrstuhlfahrt zu vermeiden. "Was wollen Sie zu Hause eigentlich fotografieren?" "Es wird am natürlichsten aussehen, wenn Sie einfach Ihrer normalen Routine folgen", antwortete er. "In Ordnung." John lehnte sich gegen die Fahrstuhlwand und zog Barbara in die Arme. "Normalerweise nutzen wir die Fahrstuhlfahrt immer für einen Kuss."
Vor Überraschung öffnete Barbara leicht den Mund, als er sie küsste. Eigentlich hatte John ihr nur heimzahlen wollen, dass sie sich die Haare schneiden ließ und ihn deshalb beinahe vor dem gesamten Kirchenvorstand bloßgestellt hatte, aber als er spürte, wie anschmiegsam sie auf einmal wurde, änderte sich plötzlich alles. Er hatte das gleiche Gefühl, das ihn bereits befallen hatte, als sie so unerwartet im Badezimmer in seinen Armen lag ... es fühlte sich gut und richtig an. Er hörte ein Blicken, und das gleißende Licht von Hals Kamera erhellte den Fahrstuhl. Der Fahrstuhl hielt an, und John löste sich verblüfft von Barbara. Sie wiederum warf ihm einen so verwirrten Blick zu, als ob auch sie das gleiche gespürt hätte. Wieder klickte es, und wieder blitzte das grelle Licht auf. "Nun", murmelte Hal und schulterte seine Kamera. "Ich sagte doch, dass wir einen guten Start haben würden." Barbara erwartete fast, sie würde Scarlett O'Hara auf die Veranda heraustreten sehen, als sie vor der wunderschönen alten Villa stand, die John Cheney gehörte. Mit den von Mimosen umwachsenen dorischen Säulen war das Haus von einem herrlichen Rasen und von uralten Bäumen umgeben. Wie Carol bereits berichtet hatte, stand es am Rand eines Waldes, und es wirkte auf Barbara wie ein verwunschenes Schloss. "Oh!" Barbara konnte kaum den Blick abwenden, obwohl sie wusste, dass Hal mit Pfarrer Mike und Mrs. Gordon in seinem Kombi folgte. Es wäre den beiden seltsam vorgekommen, wenn sie die Hausherrin derart entzückt über ihr eigenes Anwesen angetroffen hätten. "Was macht ein Haus wie dieses in Oregon?" John half ihr beim Aussteigen und zog sie kurz an sich. "Ich habe es von einem Mann gekauft, der aus Lo uisiana stammte. Er wollte etwas haben, das ihn an Zuhause erinnerte." Barbara ging zu den Stufen der Veranda hinüber: Sie blickte auf die geräumige Veranda mit den gemütlich wirkenden Korbmöbeln, schaute zu den vielen Fenstern mit den schlichten weißen Fensterläden hoch und atmete den süßen Duft der Mimosen ein. "Ist es nicht ein bisschen groß?" fragte sie. "Du und deine Kinder müssen sich ja in dem riesigen Haus verloren vorkommen." Er schüttelte den Kopf. "Ich wollte etwas, das den Kindern drinnen und draußen viel Platz bietet. Meine Eltern leben in einem großen alten Landhaus. Sandy und ich sind dort aufgewachsen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sehr ich die Freiheit als Kind genossen habe. Es gab überall genügend Platz, nirgendwo Beschränkungen oder Enge." Zum ersten Mal, seit sie hier angekommen waren, richtete Barbara ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu. So konnte sich also ein kühner Geist entwickeln ... viel Raum, um wachsen zu können. Sie erinnerte sich an ihren Kampf mit den Garbanzobohnen und lächelte im stillen. Sie war in einem schmalen Reihenhaus aufgewachsen, hatte dann auf dem College mit vier jungen Frauen in einem Zimmer schlafen müssen und lebte jetzt in einem kleinen Apartment, in einem Haus, in dem es siebenundvierzig weitere Wohnungen gab. John öffnete die Haustür und schob Barbara hinein. Sie bemerkte in der Halle kurz den Parkettboden und eine geschwungene Treppe, die Scarlett O'Hara alle Ehre gemacht hätte, als John sie auch schön in das riesige Wohnzimmer gezogen hatte. Es war in Blautönen und weißem Holz ge halten. "Du musst lockerer werden", sagte er ruhig, aber eindringlich. "Man merkt dir die Sorge an. Wenn du dich weiter so verhältst, wird Mrs. Gordon bald wissen, was los ist." Sie entzog sich seinem Griff. "Natürlich habe ich Sorge. Das Ganze ist eine lächerliche Idee. Ich weiß nicht, warum ich jemals angenommen habe, es könnte funktionieren." Sie wandte sich ab, um nervös durch die Gardinen zur Einfahrt hinüberzublicken. "Wir sollten nicht weiter darüber sprechen, sie können jede Sekunde hier sein."
"Hal hat zum Tanken ange halten", erwiderte John, nahm sie in die Arme und drehte sie zu sich. "Es könnte funktionieren. Du musst nur anfangen, dich wirklich als meine Frau zu verhalten." "Das versuche ich ja." "Ich weiß, und wenn du allein deine Rolle spielst, läuft ja auch alles phantastisch. Nur wenn ich meinen Part übernehme und auf dich zukomme, reagierst du mit Panik." Das entsprach der Wahrheit. Seine Berührungen, sein Blick riefen etwas in ihr hervor, das Trevor in dem ganzen Jahr ihrer Bekanntschaft nicht erreicht hatte. Sie nickte. "Sie müssen mir verzeihen", sagte sie gequält. "Ich hatte noch nie einen Ehemann." "Du", ermannte er sie Sanft. "Wir sollten uns sicherheitshalber immer duze n. Und jetzt entspann dich, und sei einfach nur du selbst. Du magst es, wenn ich dich berühre. Zeig es auch." Ihr erster Impuls war, ihm zu widersprechen, sie ließ es dann aber sein. Es wäre sinnlos. Dieser Moment im Fahrstuhl hatte es bewiesen, dass er recht hatte. Trotzdem, es gab einen beträchtlichen Unterschied zwischen einer sexuellen Anziehung und einer vertrauten MannFrau-Beziehung. "Es ist schwer, sich vorzustellen, dass ich tatsächlich deine Frau bin", gab sie zu. "Schließlich kenne ich dich überhaupt nicht. Es ist schwer, die Frau zu spielen, die du liebst, wenn ich noch nicht ein mal ..." Sie unterbrach sich schnell aus Furcht, etwas Unüberlegtes zu sagen. John sah nur eine Lösung, die schlichteste und für ihn die angenehmste. "Küss mich", befahl er. "Mr. Cheney, das ist nicht..." "Du sollst mich doch nicht so nennen", rügte er sie sanft und hielt sie noch fester. "Für dich bin ich John ... Jetzt küss mich. So werden wir uns am schnellsten kennenlernen." "Küss du mich", widersprach sie und vermied es, auf seinen Mund zu blicken. Das hier war etwas anderes als das Erlebnis im Fahrstuhl. "Schließlich war es deine Idee." "In Ordnung, aber du musst endlich deinen Mund halten." "Ich halte nie meinen Mund. Das ist das Problem. Immer wenn ich nervös bin ..." Er legte eine Hand auf ihren schmalen Rücken und zog sie an sich. Sie spürte seinen durchtrainierten Körper an ihrem. Jeder Gedanke schien sich auf einmal in nichts aufzulösen. Für einen Moment betrachtete er sie einfach nur, dann beugte er sich zu ihr herunter ... unwillkürlich bot sie ihm die Lippen dar. Er brauchte nur eine Sekunde, um sie davon zu überzeugen, dass er nichts zögernd tat. Er war selbstbewusst, entschlossen und besaß unbestreitbar Autorität... auch im Küs sen. Er umschmiegte ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie mit einer Hingabe und mit einer Zärtlichkeit, die ihr Herz berührte. John spürte, wie sie sich unwillkürlich an ihn schmiegte und mit einer Hand seinen Rücken streichelte. Noch nie zuvor war Barbara von einem Mann geküsst und berührt worden, der so ihre Sinne zum Klingen brachte, und sie spürte, wie von Sekunde zu Sekunde auch der letzte Widerstand in ihr dahinschmolz. Als sich ihre Lippen langsam wieder voneinander lösten, verspürte John etwas, was er durch Gracie für alle Zeit verloren geglaubt zu haben schien. Er kannte es aus jener Zeit, als er noch an das Gute in Frauen glaubte, an Kinder, die um den Abendtisch versammelt waren, und an Liebe, die von Jahr zu Jahr wuchs. Überrascht und ungläubig blickte er Barbara an. Barbara fragte sich nicht, warum er sie so ernst ansah. Etwas war zwischen ihnen geschehen. Irgend etwas war zwischen ihnen ausgelöst worden. Selbst als sie einen Schritt zurücktrat, wusste sie, dass sie beide etwas verband, das keiner von ihnen erwartet hatte. Sie fühlte sich, als würde sie mutterseelenallein am Rande des
Grand Canyons stehen, und das Gestein würde bereits unter ihren Zehen zu bröckeln beginnen ...
4. KAPITEL
"Tun Sie so, als ob wir gar nicht anwesend wären", sagte Mike im Brustton der Überzeugung. Er saß auf einem Stuhl neben dem weißen Marmorkamin. Joanna Gordon hatte in einem Sessel Platz genommen, und ihrem misstrauischen, alles beobachtenden Blick entging nichts. "Verhaltet euch so wie gewöhnlich", erklärte Hal ermutigend. Er testete das Licht, während er die Couch umrundete, auf der, wie er fand, Barbara und John sitzen sollten. John warf seine Jacke zur Seite, lockerte seinen Schlips und zog die Schuhe aus. Barbara entschied, dass sie sofort aufspringen und davonlaufen würde, sollte er auch nur noch einen Schritt weitergehen. "Barbara und ich nehmen Donnerstagnachmittag immer frei", erzählte John, "weil das die einzige Zeit ist, in der wir einmal allein zu Hause sein können. Die Kinder sind dann in der Schule oder wie jetzt im Tages-Camp, und die Haushälterin nimmt sich ein paar Stunden frei." Er machte es sich auf der Couch bequem und hielt einladend Barbara die Hand hin. Sie war zwar überzeugt, dass sie das Ganze nicht überleben würde, schlüpfte aber aus ihren Schuhen und kuschelte sich neben ihn. Er legte die Arme um sie und zog sie so fest an sich heran, dass sie den Kopf an seine Schulter legen musste, um eine bequeme Haltung einzunehmen. "Und wenn wir uns einmal so entspannt haben, reden wir über die Ereignisse der Woche und über unsere Erlebnisse und Gefühle." John streichelte ihr den Arm, während sie steif neben ihm mehr lag als saß. Er nahm ihre Hand in die seine und verschränkte die Finger mit ihren. "Nervös, Liebling?" fragte er. "Ja, das bin ich." Es ärgerte sie, dass er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf diese Tatsache lenkte, wusste aber auch, dass es wahrscheinlich sowieso offensichtlich war. Das beste wäre wohl, wenn sie ihr Unbehagen auf ihre Scheu vor der Kamera zurückzuführen würde. "John ist der Showmann der Familie", erklärte sie. "Ich ziehe es vor, hinter den Kulissen zu bleiben. Er hat bereits für einige Anzeigen als Model gedient." Ihre Neugierde, die sie dazu veranlasst hatte, einige alte Werbekampagnen der Firma Roman & Cheney durchzusehen, zahlte sich jetzt aus. Zumindest hoffte sie das. Sie schien die Situation nicht mehr im Griff zu haben. Johns warmer Körper so dicht an ihrem und die Erinnerung an den Kuss hatten ganz beträchtlich ihre Konzentration untergraben. John spürte ihre Anspannung und küsste ihre Schläfe. Hal stand am Fuß der Couch und schoss ununterbrochen Fotos. "Habe ich dir gesagt, dass deine Kate Cunningham Garderobe angekommen ist?" erkundigte sich John. Barbara sah ihn fragend an. "Nein", antwortete sie vorsichtig. "Doch, das ist sie." John wandte sich dem Pfarrer und Mrs. Gordon zu, während Hal immer noch um die Couch herumlief, um eine bessere Perspektive zu finden. "Kate Cunningham ist eine aus Oregon stammende Designerin, die bereits mehrere internationale Preise in der Modebranche gewonnen hat. Sie ist eine unserer Kunden. Gestern, nachdem Barbara bereits gegangen war, rief sie bei uns im Büro an und fragte, ob meine Frau bereit wäre, ihre neueste Herbstkollektion zu tragen. Sie möchte, dass ihre Kollektion von anderen Geschäftsfrauen gesehen wird." Barbaras Lächeln und ihr Interesse waren echt. Ais die Kollektion im Studio fotografiert worden war, hatte sie sich an der Kate Cunningham Mode kaum sattsehen können, so sehr hatte sie ihr gefallen. "Tatsächlich?" "Ja, wirklich", antwortete John. Zwar war er es gewesen, der Kate angerufen hatte, aber das Ergebnis war schließlich dasselbe.
Barbara setzte sich auf und wandte sich ihm zu. "Die ganze Kollektion?" fragte sie erstaunt. Hal fotografierte. "Einschließlich Gürtel und Schuhe." Sie starrte ihn an und lachte dann leise. "Wow." John legte eine Hand auf ihr Haar, gerührt über ihre unverhüllte Begeisterung. Hals Kamera hörte nicht auf zu klicken. "Wie kommen Sie mit den Kindern zurecht, Barbara?" wollte Pfarrer Mike wissen. "Da Sie bisher alleinstehend waren, ist es doch bestimmt schwer für Sie, mit zwei Zehnjährigen zurechtzukommen." Barbaras Antwort kam prompt, denn immerhin wusste sie einiges von Carol. "Die Zwillinge sind wundervoll", erklärte sie. "Ich muss noch sehr viel lernen, aber sie sind geduldig mit mir." Zumindest hoffte sie, dass das auch zutreffen würde. "Sie haben erwähnt, dass sich in Ihrem Haus ein Büro befindet", bemerkte Mrs. Gordon, die offensichtlich genug von der gemütlichen Couchszene hatte. "Können wir die Aufnahmen dort fortsetzen?" Als Barbara und John sich über den Schreibtisch gebeugt ein Layout ansahen, schoss Hal noch weitere Fotos. Später machte Barbara Kaffee, während Pfarrer Mike und Mrs. Gordon am Tisch saßen und sie dabei beobachteten. Da John als hilfsbereiter Ehemann ihr Filter, Kaffee und Tassen herbeibrachte, konnte sie ihre Pflichten als Hausfrau tadellos erfüllen. Hal, der Pfarrer und die Pastorin verabschiedeten sich, als Libby, Johns Haushälterin, sich von ihrem freien Nachmittag wieder zurückmeldete. Barbara sah, wie Libby dem Trio höflich zulächelte, dann schnell im Haus verschwand, so als wollte sie eine nähere Begegnung mit ihnen unbedingt vermeiden. Nachdem Barbara und John den Gästen nachgewunken hatten, fanden sie Libby in der Küche. Die Haushälterin stellte sich Barbara selbst vor und blickte dann beide besorgt an. "Ich möchte, dass Sie das eine wissen. Ich bin nicht gut in solchen Dingen. Ich erröte, wenn ich lüge." Barbara mochte Libby auf Anhieb. Sie war groß und mit ihrem gepflegten Haar recht hübsch. Wahrscheinlich Anfang Sechzig, schätzte Barbara. Sie hakte sich bei Libby ein und versuchte, sie sanft zur Hintertür zu drängen. "Gut. Auch ich bin nicht sehr gut darin. Lassen Sie uns einfach davonlaufen." John war mit zwei Schritten bei ihnen. "Ich dachte, Frauen der neunziger Jahre hätten mehr Mut zum Abenteuer als jemals zuvor", rügte er. "Wir könnten es schaffen, wenn ihr beide nur ein wenig unverkrampfter wäret." Libby warf ihrem Arbeitgeber einen mütterlichen Blick zu. "Lügen sind keine Abenteuer, Mr. Cheney. Lügen ist Betrug." John nickte. "In den meisten Fällen trifft das zu, Libby, aber ich habe Ihnen doch bereits alles erklärt. Ich begann zu lügen, weil ich Barbaras Ruf retten wollte, und dann ist das Ganze einfach außer Kontrolle geraten. Aber wenn wir alle unseren Teil dazu beitragen, wird es funktionieren." Libby antwortete nicht, sondern sah ihn nur schweigend an. "Selbst die Kinder sind bereit, es zu tun", erklärte er. "Aber nur", sagte Barbara, "weil sie noch nicht die Tragweite des Ganzen begreifen. Für sie ist es ein Spiel." "Sie hat recht", bestätigte Libby. John schloss für einen Moment die Augen, holte tief Luft und wandte sich dann wieder Libby zu. ,,Was wäre, wenn ich Ihnen Ihren Herzenswunsch erfüllte, sozusagen die Gegenleistung für Ihre Loyalität?" fragte er.
Libby hatte bereits den Kopf geschüttelt, bevor er zu Ende gesprochen hatte, "Nein. Ich bin nicht bestechlich. Ich werde es für Sie und die Kinder tun, weil sie mir so lieb sind, als wären sie meine eigenen. Ich denke nur, dass Sie sich Probleme einhandeln werden. Diese ganze Sache scheint..." "Ihre eigene Harley", warf John ein. Für einen Moment dachte Barbara, John habe den Verstand verloren! Sich die Zusammenarbeit mit einer älteren Frau durch ein Motorrad erkaufen zu wollen! Doch dann sah sie den Ausdruck auf Libbys Gesicht. "Oh, Mr. Cheney. Sie meine n doch nicht etwa ..." "Doch das meine ich, Libby. Mit allen Extras. Die Harley gehört Ihnen, wenn die Kooperativen Kirchen den Vertrag unterschreiben." Fasziniert beobachtete Barbara das vor Freude gerötete Gesicht und den verträumten Ausdruck in Libbys Augen. John legte eine Hand auf die Schulter seiner Haushälterin. "Werden Sie es also für mich tun? Werden Sie Pfarrer Mike und Mrs. Gordon glaubhaft machen, dass Barbara meine Frau ist und dass wir uns so sehr lieben, wie Sie und Peter es getan haben?" Libbys soeben noch so verträumtes Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. "Das werde ich", antwortete sie. "Jawohl, das werde ich." "Gut. Würden Sie uns jetzt bitte entschuldigen? Ich hatte noch keine Möglichkeit, Barbara das Haus zu zeigen." Barbara bekam einen großen, komfortabel eingerichteten Raum nach dem anderen zu sehen ... das Esszimmer, die Küche, die Bibliothek, das Büro, die Gästezimmer, die Räume der Kinder. Ihr fiel auf, dass die Kinderzimmer, obwohl es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte, gleich ge halten waren. Beide besaßen farbenfrohe Vorhänge und Teppiche, solide Hochbetten, Regale, die vollgestopft mit Spielzeug und Büchern waren, und Wandschränke, in denen sich mehr Kleider befanden, als Barbara je besitzen würde. Die Fenster gaben einen wundervollen Blick auf den Wald frei, der sich gleich hinter dem Haus erstreckte. Diese Kinder waren wirklich privilegiert. John schloss die Tür von Jades Zimmer und öffnete eine Tür auf der anderen Seite der großen Halle. Er führte Barbara in ein riesiges Schlafzimmer, das durch zwei Säulen von einem etwas kleineren Raum abgeteilt war. In dem größeren Raum gab es einen riesigen Wandschrank, ein großes Vierpfostenbett, eine passende Kommode und eine große geschnitzte Truhe. In dem kleineren eine Couch, einen Fernseher, eine Bar und einen Kamin. Barbara hatte so etwas noch nie gesehen. Und es war nicht nur die sorgfältige Wahl der Möbel und der anderen Accessoires, die sie so faszinierten. Dieses Haus strahlte, wohin man kam, Wärme und Charme aus, Um John nicht spüren zu lassen, wie beeindruckt sie war, legte sie ihre Handtasche auf das Bett. "Ich bekomme das Bett und du die Couch." Er lächelte, und sie hatte den Verdacht, dass er sie durchschaute. "Ein nicht sehr einfallsreiches Arrangement, aber bitte, warum nicht?" Sie setzte sich auf das Bettende und zog ihre Schuhe aus. "Mich kannst du allerdings nicht mit einer Harley kaufen." Sie sah ihn fragend an, als er sich gegen einen der Bettpfosten lehnte. "Woher wusstest du, dass Libby sich ein Motorrad wünscht... und warum gerade eine Harley?" Er lächelte, "Ihr Mann war bei der Küstenwache beschäftigt und besaß ein Motorrad - eine schwere Harley. Wann immer sie Zeit für sich allein, ohne die Kinder, hatten, machten sie eine Fahrt ins Blaue. Libby besitzt immer noch die Helme." Barbara war bei seinen Worten nachdenklich geworden. "Und was ist dein Herzenswunsch?" fragte er. Sie lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. "Reste." "Reste?" wiederholte er verdutzt und setzte sich auf die Truhe.
Sie nickte und fuhr mit der Hand über den weichen Bettüberwurf. "Als ich ein Kind war, gab es nie Reste, da meine Mutter nur für sich und mich kochte. Ich habe nie Reste übrig, weil ich nur Ein-Portionen-Menüs für die Mikrowelle oder Salat kaufe." Sie zuckte die Schultern. "Ich möchte für sechs Leute kochen und viele Reste über haben." Sie seufzte und dachte dann, wie dumm sie sich angehört haben musste. Sie lächelte verlegen und setzte sich auf. "Ich weiß auch nicht, warum das so ist, aber Reste sind für mich ein Symbol für Familie und Geborgenheit." John rührte ihre Verletzbarkeit, von der er soeben einen winzigen Blick bekommen hatte. "Wo war dein Vater?" Sie erhob sich und zog ihre Schuhe wieder an. "Mein Vater ist ein vielgefragter Architekt und verbrachte während meiner Kindheit die meiste Zeit irgendwo in der weiten Welt. Ich war auf der High School, als meine Mutter schließlich die Scheidung einreichte. Ich glaube, zur Zeit ist er in Tokio und baut ein Einkaufszentrum." John hörte Einsamkeit und ein Gefühl des Verlustes aus ihrer Stimme heraus. Barbara stellte sich ans Fenster, von dem aus sie über die große Rasenfläche bis zu den Bergen in der Feme blicken konnte, dann ging sie zur Badezimmertür hinüber, die offen stand. John folgte ihr und dachte darüber nach, wie eigenartig es war, diese reizende junge Frau in seinem Schlafzimmer zu haben. Seit seine Kinder Fragen stellen konnten, hatte er keine Frau mehr mit nach Hause gebracht. Barbara stieß einen winzigen Schrei der Überraschung aus. "Du meine Güte ... drei Leute könnten in dieser Wanne Platz finden." Sie betrat das Badezimmer, das in Beige und Gold ge halten war und in dem sich eine riesige, in den Boden eingelassene Wanne befand, die auch als Whirlpool benutzt werden konnte. Es gab im Bad sogar einen Kamin. "Oh", stieß Barbara entzückt hervor, als ihr Blick auf das Regal fiel, in dem zwischen den weichen Handtüchern zwei Katzen ineinander verknäult lagen. Eine davon war schwarz-weiß, die andere, etwas pummelige, grau. Barbara ging zu ihnen hinüber und streichelte beide. Die Graue streckte sich und rollte sich gleich wieder zusammen, die Gestreifte rührte sich nicht, begann aber zu schnurren. "Die Schwarz-weiße heißt Walter", erkläre John. "Und Hillary ist die mit dem Übergewicht. Ich weiß, dass es nicht sehr hygienisch ist, sie in den sauberen Handtüchern schlafen zu lassen. Aber sie tauchen ständig an den unmöglichsten Plätzen auf und immer zusammen." "Sie sind wundervoll", erklärte sie. "Ich wollte immer Haustiere haben, aber man hat mir nie eins erlaubt. Sind sie verwandt?" "Nein. Jade fand Hillary in den Wäldern hinter dem Haus. Joe hat Walter nach Hause gebracht. Einer seiner Schulfreunde ist umgezogen und konnte die Katze nicht mitnehmen. Joe schenkte ihm seinen Nintendo, und er bekam dafür Walter." Barbara sah ihn erstaunt an. "Seinen Nintendo? Ist das nicht der wertvollste Besitz eines kleinen Jungen?" John nickte und führte sie ins Schlafzimmer zurück. "Joe wird nie ein Geschäftsmann werden. Er denkt mit dem Herzen." Unten schlug jemand so heftig die Tür zu, dass das ganze Haus zu vibrieren schien. "Dad?" rief gleich darauf eine Stimme. "Hier oben!" rief John zurück. Fußschritte trappelten die Stufen hoch, dann standen zwei Kinder im Türrahmen. Barbara wunderte sich, wie so zarte Geschöpfe so viel Lärm machen konnten. Dann fragte sie sich, wer der Junge und wer das Mädchen war. Denn sie waren identisch gekleidet in blaue Shorts mit passendem T-Shirt, auf dem in goldenen Buchstaben der Name eines Sommercamps gedruckt war. Beide hatten kurzes dunkles Haar, große goldgelbe Augen und
wirkten so gesund und fröhlich, dass ein jeder sofort um die Liebe und Fürsorge wusste, die diese beiden erhielten. Eines der Kinder kam lächelnd auf Barbara zu, während das andere, das Mädchen, wie Barbara mittlerweile festgestellt hatte, die Arme um John legte und sie mit offenem Misstrauen anstarrte. Der Junge reichte Barbara die Hand. "Hi, Mom", sagte er mit einem breiten Grinsen. "Ich bin Joe." Barbara lachte und schüttelte ihm die Hand. Das war kein normaler zehnjähriger Junge. Das war der Wolfsjunge, den sie sich als Sohn von John Cheney vorgestellt hatte. Offensichtlich hatte er den Humor und die Intelligenz seines Vaters geerbt. "Hast du bereits deine Hausaufgaben gemacht und den Müll hinuntergebracht?" erkundigte sie sich neckend. "Nein, nein", verbesserte Joe Barbara. "Du musst mich fragen, ob ich einen guten Tag hatte, und mir Kakao und Kekse anbieten." Jade löste sich leicht von ihrem Vater, um zu ihm hochzublicken. "Wie dumm er ist. Er denkt, es wird Spaß machen, so zu spielen, als hätten wir eine Mutter." John strich ihr über das glänzende Haar. "Das wird es auch. Wir werden viel Spaß zusammen haben, auch Onkel Hal wird bei uns sein. Außerdem werden wir auch noch zu Grandpa und Grandma fahren und dort einige Tage verbringen." Selbst diese Aussichten schien Jades Meinung über Barbara nicht ändern zu können. "Sie sieht noch nicht einmal wie eine Mut ter aus." "Doch", verteidigte Joe sie schnell. "Sie sieht aus wie Lane Prathers Mutter." "Lane Prathers Mutter ist ein Fotomodel, und sie ist nie zu Hause. Wer will schon so eine Mutter?" Barbara konnte das verstehen. "Vielleicht sagst du mir, was für Eigenschaften du dir an einer Mütter wünschst, und ich werde versuchen, mich in den nächsten zwei Wochen so zu benehmen." Jade machte nun zwei Schritte auf Barbara zu und blieb stehen. "Du musst ihr nichts erzählen. Sie weiß alles, bevor du es gesagt hast. Sie weiß von allein, ob dir etwas weh tut oder ob du neue Unterwäsche brauchst." Joe rollte mit den Augen. "Sie tut so, als wenn sie wüsste, wie es wäre, eine Mutter zu haben." "Das tue ich auch", sagte Jade heftig. "Becky und Ginger Goodric h reden oft über ihre Mutter. Und wenn ich bei ihnen übernachte, küsst Mrs. Goodrich mich beim Zubettgehen, schaut vor dem Schlafengehen noch einmal, ob es mir auch gut geht, und kocht Dinge, die ich gern habe." Der Blick, den sie dann Barbara zuwarf, sollte strafend sein. "Das tun Mütter, aber nicht du." "Jade", ermahnte sie der Vater ruhig und wandte sich dann Joe zu. "Warum gehst du nicht mit Barbara in die Küche und bittest Libby darum, euch Kakao und Kuchen zu geben." "Genau." Joe ergriff Barbaras Hand und zog sie zur Tür. "Komm, Mom, ich werde dir sagen, wie ich mir eine Mutter vorstelle. Hast du vielleicht einen Jeep mit Allradantrieb?" Die Tür schloss sich hinter ihnen, und John schob Jade zur Couch. Die Nachmittagssonne schien warm und hell, als er mit seiner Tochter am Fenster Platz nahm. "Ich mag sie nicht", erklärte Jade, die schon den Grund für diese kleine Unterredung unter vier Augen ahnte. "Das hast du deutlich zu verstehen gegeben", erwiderte er freundlich, aber mit rügendem Unterton. "Sie ist ein Gast in unserem Haus und hilft mir bei einem ganz besonderen Projekt. Wir haben doch gestern abend darüber gesprochen." "Ich weiß", murmelte Jade und sah schmollend aus dem Fenster. "Ich mag sie nun mal nicht." "Du kennst sie doch gar nicht."
Seine Tochter sah ihn mit einem Ausdruck an, der ihn bestürzte. Sein kleiner Wildfang wirkte auf einmal sehr feminin. "Sie ist hübsch", sagte sie, und es klang anklagend. John runzelte die Stirn. "Ja, das stimmt. Aber was ist so schlimm daran?" "Eine Mutter soll nicht hübsch sein. Du hättest dir jemand anderen aussuchen müssen." "Ich habe dir doch erklärt, was geschehen ist. Es musste Barbara sein, weil sie nun einmal in die ganze Sache verwickelt ist. Warum soll eine Mutter nicht hübsch sein?" Jade sah ihn an. "Hübsche Mütter behält man nicht." "Wie meinst du das?" Sie seufzte, als ob sie sich wünschte, ihm nicht alles erklären zu müssen. "Hübsche Mütter sind entweder Fotomodels oder Journalistinnen im Fernsehen. Sie sind nie zu Hause, und sie haben Affären und lassen sich scheiden. Dann ziehen sie weg. Die Kinder müssen mit und dürfen ihre Dads nur zu Weihnachten sehen." John erkannte, wie ernst seine Tochter das meinte und wie besorgt sie war. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer oder was sie auf diese Gedanken gebracht haben könnte. Gestern abend, als er den Kindern alles erklärte, hatten noch beide Kinder das Ganze als Spaß empfunden. Jetzt verhielt sich Jade auf einmal widerspenstig, und er wusste nicht den Grund. Er zog sie auf den Schoß und legte die Arme um sie. "Kleines, nichts dergleichen wird dir passieren. Wir tun doch nur so, als ob sie eure Mutter wäre. Barbara wird nur zwei Wochen bei uns bleiben, dann werden wir wieder allein sein." Er spürte, wie Jades schmaler Körper sich entspannte. "Ich weiß", flüsterte sie. "Trotzdem mag ich sie nicht." "In Ordnung", erklärt er. "Du musst Barbara ja auch nicht mögen. Sei einfach nur höflich zu ihr. Sie tut mir einen großen Gefallen, also wollen wir es ihr so leicht wie möglich machen, einverstanden?" Jade nickte. "In Ordnung", sagte sie zögernd. "Gut. Jetzt werden wir nachsehen, ob für uns noch Kakao und Kekse übrig geblieben sind."
5. KAPITEL
Als Barbara in dem großen Vierpfostenbett die Augen aufschlug, stellte sie fest, dass die Couch leer war. John musste bereits aufgestanden sein. Nachdem er ihr gestern abend eine gute Nacht gewünscht hatte, war er noch einmal in sein Büro gegangen, und sie war eingeschlafen, ohne ihn zurückkommen zu hören. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, ging sie ins Esszimmer, wo ihr Libby einen Platz anwies. "Guten Morgen", sagte John gutgelaunt. "Hast du gut geschlafen?" "Ja, aber du hättest mich früher wecken sollen. Wo sind die Kinder?" "Hallo, Mom!" hörte sie bereits Joe rufen, der mit Jade zum Bus wollte, welcher sie ins Camp bringen sollte. Er lief auf Barbara zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Mach dir keine Sorgen wegen heute abend. Jade und ich haben alles im Griff." Sie umarmte ihn und war ihm sehr dankbar. "Gut. Ich werde mich also ganz auf dich verlassen." Auch Jade blieb vor Barbaras Stuhl stehen. Barbara wartete darauf, dass die Kleine ihr etwas sagen würde. Als sie es nicht tat, drückte sie ihr nur liebevoll den Arm und lächelte. "Ich wünsche dir einen schönen Tag, Jade. Vielen Dank, dass du mir helfen willst, meine Mutterrolle zu spielen." Jade sah sie prüfend an. "Wie machst du das?" "Was?" Jade zeigte auf Barbaras Haar, das mit einer leichten Innenwelle endete. "Diese Welle." "Mit einem Lockenstab", antwortete Barbara erleichtert und erfreut darüber, dass das Mädchen ein so persönliches Interesse zeigte. Jade nickte und betrachtete immer noch Barbaras Haar. "Ginger hat auch einen Lockenstab, Ich nicht." "Wenn du Lust hast, kannst du gern meinen benutzen", erklärte Barbara ungezwungen. "Nun komm schon!" Joe griff nach der Hand seiner Schwester und zog sie zur Tür. "Sonst fährt der Bus ohne uns ins Camp." Auf dem Weg zur Tür warf er seine m Vater einen vielsagenden Blick zu. "Du meine Güte, Locken ... wer braucht schon Locken?" Die Tür schlug hinter ihnen zu, und Libby begann die Gedecke der Kinder abzuräumen. Dann goss sie Barbara und John eine zweite Tasse Kaffee ein. Barbara rutschte nervös auf ihrem lederbezogenen Eichenstuhl herum. Wieder einmal fragte sie sich, wieso sie sich auf dieses Abenteuer hatte einlassen können. John legte den Wirtschaftsteil der Zeitung, in dem er gelesen hatte, beiseite und legte beruhigend seine Hand auf ihre. "Es wird alles gut gehen. Du wirst einfach großartig sein. Jetzt iss endlich dein Omelett." Sie schob ihren Teller weg. "Ich esse morgens nie." Er schob den Teller zu ihr zurück und zwinkerte ihr zu. "Das ist eine äußerst schlechte Angewo hnheit. Du musst den Kindern ein gutes Vorbild sein." "Die Kinder", erklärte sie und schob ihn wieder von sich, "sind gegangen." "Iß wenigstens den Toast." Sie seufzte. "Welche Pläne haben wir für heute?" "Wir werden an der Kampagne für den Baker Street- Bücherladen arbeiten. Hal findet, dass wir beide uns die Werbetexte und den grafischen Entwurf einfallen lassen sollten." Barbara dachte mit Schrecken daran, wie schwer es ihr gefallen war, sich in der Abgeschiedenheit ihres Büros einen vernünftigen Slogan für die Garbanzobohnen einfallen zu lassen. Wie sollte ihr dann etwas einfallen, wenn drei Augenpaare auf sie und John gerichtet waren? "Du wirst es schon schaffen", erklärte John und lächelte sie an. "Ich arbeite gut unter Druck, und ich bin mir sicher, dass du aus dem gleichen Holz wie ich geschnitzt bist."
Sein Lächeln wirkte so überzeugend, dass sogar sie daran glaubte. John sollte recht behalten. Selbst unter dem gütigen Blick von Pfarrer Mike und dem etwas gestrengeren von Mrs. Gordon war sie vor Ideen nur so übergesprudelt. Barbara lächelte, als sie daran dachte. Jetzt saß sie mitten auf dem großen Bett, eine Schatulle Modeschmuck in ihrem Schoß und suchte nach dem Kristallstern, den sie immer an ihrem schwarzen Kleid trug, als Joe und Jade in der offenen Tür erschienen. "Hallo, Mom!" sagte Joe, kam näher und hockte sich auf die Truhe. "Wie ist es heute gelaufen? Hast du jeden überzeugen können, dass du mit Dad verheiratet bist?" "Ich war ziemlich überzeugend", antwortete Barbara und schob die Schatulle zu Jade hinüber, als sie bemerkte, wie interessiert die Kleine herübersah. "Allerdings habe ich das Gefühl, dass Mrs. Gordon noch so ihre Zweifel hat." Joe nickte, als wüsste er alles über die Pastorin. "Die ist vielleicht griesgrämig." Barbara straffte sich ein wenig. "Ich finde nicht, dass sie griesgrämig ist, sie nimmt nur alles sehr genau. Vielleicht ist sie auch einsam. Hat dein Vater gesagt, sie sei griesgrämig?" "Nein, Onkel Hal." Er stand von der Truhe auf. "Ich geh' ein wenig fernsehen. Hast du Lust mitzukommen?" Barbara schüttelte den Kopf. "Nein. Ich muss noch einiges hier einräumen." Er nickte, und gleich darauf polterte er die Treppe hinunter. "Eine Mutter", erklärte Jade vorwurfsvoll, "würde uns an der Bus haltestelle abholen, damit wir nicht von irgendeinem Verrückten entführt werden." "Aber euer Väter hat euch heute morgen doch auch allein gehen lassen", erwiderte Barbara und trug einige ihrer Sachen zur Kommode hinüber. Sie schaute in die obersten Schubladen nach einem Platz ... sie waren mit Socken und Taschentüchern gefüllt. "Aber nur weil Beckys und Gingers Mom morgens mit uns an der Haltestelle wartet." Jade stellte sich neben sie. Entschlossen nahm sie die Socken aus dem oberen Fach und steckte sie in ein unteres mit Unterhosen, um Platz für Barbaras BHs zu machen. Barbara, sah das als eine Freundschaftsgeste an. "Danke", sagte sie. "Wie ihr bereits wisst, habe ich keine eigenen Kinder und brauche noch ein wenig Hilfe." Jade folgte Barbara zum Bett zurück. "Nenn' uns niemals die Kinder", mahnte sie mit ernstem Gesicht. "Du musst meine Kinder sagen. Mrs. Goodrich sagt immer meine Kinder." Jade versuchte den stolzen Tonfall nachzumachen. "Und sie ist die beste Mutter auf der ganzen Welt." Schon wieder diese Mrs. Goodrich. Während sie weiter ihre Wäsche einräumte, wühlte Jade in der Schatulle mit dem Schmuck. "Was macht Gingers und Beckys Mom zu so einer guten Mutter?" erkundigte sich Barbara Während Jade den Kristallstern, die goldenen Kreolen mit den drei Kristalltropfen, die juwelenbesetzte Uhr, die Barbara nie zur Arbeit trug, nacheinander in die Hand nahm und darauf schaute, antwortete sie gedankenverloren: "Mrs Goodrich ist mit ihrem Auto einmal dem Schulbus nachgefahren und hat ihn ange halten, nur um Ginger das Frühstück nachzubringen. Ginger vergisst nämlich einfach alles. Mrs. Goodrich kommt zu allen Volleyballspielen, sie näht Gingers Kleider selbst, und sie backt die besten Kekse." Sie hielt die die Goldkreolen hoch. "Ich wünschte, ich hätte auch so ein Paar." "Sie sind hübsch, nicht wahr?" fragte Barbara. "Aber ich finde, dass sie ein bisschen groß für dich sind. Wenn du Löcher für Ohrringe hättest, wären kleine sehr hübsch für dich." "Dad will nicht, dass ich mir welche machen lasse." Jade reichte Barbara den Schmuck zurück. "Er sagt, ich wäre genau richtig, so wie ich bin." Barbara lächelte. "Nun, das stimmt. Aber ich glaube, dass Männer es einfach nicht verstehen können, dass hübsche Frauen gern Dinge tragen, die sie noch ein wenig hübscher machen."
Jade sah Barbara prüfend an. Nach einem Moment fragte sie: "Glaubst du wirklich, dass ich ihn benutzen könnte?" Barbara wusste nicht sofort, was das Kind meinte. "Dass du was benutzen kannst?" "Deinen Lockenstab." "Oh, natürlich. Er liegt in der obersten Schublade im Badezimmer." Jade erhob sich und legte schüchtern eine Hand an ihr Haar. "Findest du, dass mein Haar zu kurz ist, um es lockig machen zu können?" Ihre Geste war sehr weiblich, und Barbara fühlte so etwas wie ein Bindeglied zwischen sich und dem kleinen Mädchen. "Nein. Lass es uns mal probieren." Barbara ging ins Badezimmer, und das Mädchen folgte ihr. Beide stellten sich vor den Spiegel, und Jade sagte nachdenklich: "Ich würde gern mein Haar wachsen lassen, bis ich es genauso wie du tragen kann." Sie lächelte, als Barbara den Lockenstab hervorholte. Barbara fühlte sich auf einmal so stolz, als hätte sie dem Mittleren Osten persönlich den Frieden gebracht. "Sieh nur, Mom. Dad ist nach Hause gekommen." Joe machte eine dramatische Szene aus der Tatsache, dass sein Vater das Haus betreten hatte. Glücklicherweise schienen Pfarrer Mike und Joanna Gordon sein theatralisches Benehmen nicht bemerkt zu haben. Jade, die jetzt ihr kurzes Haar ge lockt trug, stieß Barbara leicht mit dem Ellbogen an. "Du musst Dad küssen", flüsterte sie. "Und sag' Liebling. Mrs. Goodrich sagt das immer zu ihrem Mann." Widerstrebend aber tapfer ging Barbara auf John zu, während Joe scherzhaft mit Hal boxte. "Hallo, Liebling", sagte sie, während ihr Blick ihn warnte, keinen Vorteil aus ihrer Begrüßung zu ziehen. "Wie war dein Nachmittag?" Er zog sie in die Arme und küsste sie. Als sie ihn rügend ansah, küsste er sie gleich noch einmal. Der Priester und die Kinder lachten, Hal fotografierte, und Mrs. Gordon blickte pikiert weg. "Gut", sagte John, nachdem er sie wieder losgelassen hatte. "Wie war dein Tag?" "Auch gut." Ihr Blick versprach ihm Rache, bevor sie die Gäste anlächelte und sich bei ihm unterhakte. Sie hasste es, dass er sie so schnell aus dem inneren Gleichgewicht bringen konnte, während sie sich Mühe gab, ihrer Rolle Stil zu verleihen. "Guck mal, Dad, mein Haar. Wir haben es gelockt", meldete sich Jade. "Sieht es nicht hübsch aus?" John schaute seine Tochter an und legte ihr eine Hand auf den Lockenkopf. "Es sieht sogar sehr hübsch aus", erklärte er. "Aber du würdest sogar ohne Haar hübsch aussehen, ohne Locken ganz zu schweigen." Jade lachte und ging zu Hal hinüber. Barbara sah, wie John seiner Tochter verwirrt nachsah. Sie ahnte, was in ihm vorging. Es war der Blick eines Vaters, dem zum ersten Mal bewusst wird, dass sein Kind eines Tages eine Frau sein würde. Barbara übernahm mit soviel Liebenswürdigkeit die Rolle der Gastgeberin, dass selbst die tatsächliche Mrs. Cheney - wenn es eine gegeben hätte - es nicht besser hätte machen können. "Willkommen, Mrs. Gordon", sagte sie herzlich und lächelte unbeirrt trotz der missmutigen Miene der Pastorin. "Jade wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Nehmen Sie sich ruhig Zeit, sich frisch zu machen. Wir werden das Dinner servieren, wenn Sie fertig sind." Dann reichte Barbara dem Pfarrer die Hand. "Ich habe gehört, dass Sie Pasta, sowie überhaupt die italienische Küche lieben, also habe ich Libby gebeten, für Sie Fettuccini zuzubereiten." Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Eigentlich war es Libby, die diese Idee gehabt hatte.
Der Pfarrer schnupperte. "Wundervoll", sagte er anerkennend. "Ich freue mich schon auf die gemeinsame Zeit, die vor uns liegt." Er blickte sich um. "Ich hätte sogar schon Ideen, wie man das Pfarrhaus in diesem Stil einrichten könnte." Barbara lachte über seinen Witz und hängte sich bei ihm ein. "Nur für den Fall, dass man Ihnen dafür keine Gelder bewilligt, hoffe ich wenigstens, dass Ihnen der Aufenthalt bei uns gefällt. Joe wird Sie hinauf in Ihr Zimmer begleiten." Nachdem der Pfarrer mit dem Jungen verschwunden war, wandte sie sich Hal zu. "War ich überzeugend?" fragte sie ein wenig atemlos. Hal zog sein Jackett aus und warf es auf die Bank, die im Flur stand. "Ich hätte schwören können, dass Sie bereits seit zehn Jahren mit John verheiratet und Herrin dieses Hauses sind." "Dabei habe ich dem Pfarrer erzählt, dass wir erst kurze Zeit verheiratet sind", bemerkte John. "Wie sonst sollte unsere Verliebtheit noch so groß sein?" Barbara folgte John und Hal, die zum Wagen hinausgingen, um das Gepäck zu holen. "Du glaubst nicht, dass es auch noch nach zehn Jahren so etwas wie Verliebtheit und Leidenschaft in einer Ehe geben könne?" fragte sie. John öffnete den Kofferraum, und Hal holte die schwarze Reisetasche von Pfarrer Mike heraus. "Er glaubt, dass rein gar nichts zehn Jahre überdauern kann", antwortete Hal für ihn. "Sie müssten Gracie kennen, um das zu verstehen." "Gracie?" Barbara nahm eine kleinere Tasche entgegen, die John ihr reichte. "Die Mutter der Kinder", erklärte John, zog die beiden letzten Koffer heraus und schloss den Kofferraum wieder. "Sie war unbeständiger als der Wind und bereits nach vierzehn Monaten wieder aus meinem Leben verschwunden. Aber jetzt genug davon. Ich finde, wir machen unsere Sache ausgezeichnet. Mach nur weiter so, Barbara, und bereits im Januar wird sich Cheney & Roman landesweit einen Namen gemacht haben." Libby machten die Gäste ganz offensichtlich nervös. Barbara, die sich langsam in ihrer Rolle als Hausherrin wohl zu fühlen begann, suchte ihren Blick und schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln. Das Fettuccini und das marinierte Gemüse waren köstlich, und Barbara, die ein zweites Mal ihren Teller gefüllt hatte, machte Libby großzügig Komplimente. "Mom findet, dass ich Ohrringlöcher haben sollte", erklärte Jade beim Nachtisch. John wandte sich von dem Layout ab, das Hal gerade auf eine Papierserviette gezeichnet hatte, sah kurz zu seiner Tochter hinüber und warf dann Barbara einen anklagenden Blick zu. "Wirklich? Hast du ihr gesagt, wie ich darüber denke?" fragte er ruhig. "Ja." Jade fuhr unbekümmert fort zu essen, genauso interessiert an dem Käsekuchen wie an dem Ausgang dieser Unterhaltung. "Ich sagte ihr, dass du mich zu jung dafür hältst, und sie erklärte, wir sollten mit dir noch einmal darüber reden." Der Blick, den John Barbara zuwarf, war eindeutig rügend. Das ist es, dachte sie. Das typische Familiengerangel nach dem die Kooperative Ausschau hielt. "Meiner Meinung nach," erklärte sie, "können Ohrringe auch an sehr jungen Mädchen bezaubernd aussehen. Es gibt hübsche kleine Ohrringe, die auch Mädchen ihres Alters stehen würden." "Darf ich, Daddy?" bat Jade. "Mom und ich werden später darüber reden", erwiderte John, und sein Gesichtsausdruck verriet Barbara, dass er sie deswegen tatsächlich zur Rede stellen würde. Allerdings sah Barbara dem unbekümmert entgegen. Schließlich spielte sie nur die Rolle, die ihr zugeteilt worden war. Aber wenn sie sich schon so weit vorgewagt hatte, könnte sie auch noch einen Schritt weitergehen. "Ich finde, dass wir ihr Zimmer ebenfalls neu dekorieren sollten", sagte sie. Jade spitzte die Ohren. Barbara ignorierte den warnenden Blick, den John ihr zuwarf. Sie fand es auf einmal höchst anregend, plötzlich so eine Art Machtposition innezuhaben. "Jade ist zu alt für Clowns und
knallige Farben. Blumen und femininere Farben wären jetzt angebrachter", fuhr sie ungestört fort. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, wandte sie sich an Joe. "Und du würdest jetzt wohl Dinosaurier und Rennwagen ebenfalls aufregender finden, nicht wahr?" "Ja", stimmte Joe ihr aus ganzem Herzen zu. "Ich werde ein Tapetenmusterbuch mit nach Hause bringen", sagte Barbara. "Ganz in der Nähe des Büros befindet sich ein Tapetengeschäft." Sie lächelte John strahlend an, der so tat, als würde er das alles überdenken. Doch er konnte Barbara nichts vormachen. Sie wusste, dass sie ihn tüchtig verärgert hatte. "Was hältst du davon?" fragte sie so sanftmütig, wie es ihr möglich war. "Ist das so wichtig?" fragte er. Für die anderen mochte es humorvoll geklungen haben, aber Barbara hörte den drohenden Unterton heraus. Barbara war es nicht möglich, die Stimme des kleinen Teufels in ihr zu unterdrücken. "Natürlich, ist es wichtig, Liebling. Du weißt, dass ich nie etwas tue, bevor ich nicht ganz sicher bin, dass du dagegen bist." Als Hal sich verschluckte, lachte sie zwinkerte John zu. "Ich mache doch nur Spaß. Natürlich ist es wichtig. Wir reden später noch darüber. Sollen wir den Tisch abräumen und noch über Geschäftliches sprechen, oder möchtet ihr ins Wohnzimmer hinübergehen und euch einen Film ansehen?" "Was hast du dir dabei gedacht?" fuhr John sie an. Barbara hatte die Kinder bereits vor zwei Stunden zu Bett gebracht, und die Gäste hatten sich ebenfalls zurückgezogen. John stand am Fußende des Bettes und musterte Barbara, die bereits unter die Decke geschlüpft war. "Für eine Frau, die solche Schwierigkeiten hatte, eine Ehefrau und Mutter zu spielen, hast du dich erstaunlich schnell in deine Rolle eingelebt." "Es war doch alles harmlos", erklärte sie ruhig und fühlte sieh ein wenig schuldig, dass sie ihn so herausgefordert hatte. "Jade hatte sich meinen Schmuck angesehen und fand meine Ohrringe ..." "Ich kann nicht glauben", unterbrach er sie kurz angebunden, "dass ein zehnjähriges Mädchen schon Ohrringe tragen soll." "Nun, da bin ich anderer Meinung. Es würde ihr helfen, auf eine spielerische Weise ihre Weiblichkeit zu entdecken. Frauen lieben es nun einmal, sich mit hübschen Dingen zu schmücken. Das ist seit Eva schon so." "Ich möchte nicht, dass du meinen Erziehungsstil untergräbst." "Ich habe nicht..." "Du bist nie Mutter gewesen, woher willst du also Verständnis für die Situation nehmen?" fragte er. "Und noch eins, Eltern besprechen Dinge grundsätzlich bevor sie mit den Kindern darüber reden. Auf diese Weise enttäuscht oder verletzt man sie nicht unnötigerweise:" Sie nickte ungeduldig. "Das verstehe ich nur zu gut. Aber du warst auch nie eine Mutter, also verstehst du auch nichts von dieser Situation. Mütter und Töchter reden miteinander, besonders über Dinge, für die Männer kein Verständnis haben. Du hast einen wundervollen charmanten Sohn und eine bezaubernde Tochter, aus der du versuchst, ebenfalls einen Jungen zu machen." "Das tue ich nicht..." "Warum ist dann ihr Haar so kurz wie das von Joe, und warum trägt sie die gleiche Kleidung?" "Das war keine Absicht von mir. Ich habe es gar nicht..." "Bemerkt. Ich weiß. Aber ich bin eine Frau, und ich habe es bemerkt. Jade ist ein Mädchen, und es ist wichtig, dass ihr Leben auch weibliche Ding" enthält. Das meinte ich damit, als ich die Ohrringe vorschlug." John war sich auf einmal nicht mehr sicher, warum er so verärgert war. Was Barbara sagte, klang logisch. Libby hatte vor nicht allzu langer Zeit bereits ähnliches zu ihm gesagt. Er hatte
nur noch keine Maßnahmen getroffen, weil er nicht wusste, wie er vorgehen sollte. Jedenfalls hatte er nicht die Absicht, zu heiraten, nur um den Kindern endlich eine Mutter zu geben. Er hatte den Kindern, als sie nach ihrer Mutter zu fragen begannen, erklärt, dass ihre Mutter sie zwar sehr geliebt, aber leider andere ... für sie wichtigere ... Dinge zu tun gehabt habe. Er hatte ihnen auch erklärt, dass er ihre Mutter über alles liebe und das nichts und niemand auf der Welt jemals wichtiger für ihn sein könne. Die Zwillinge hatten es mit der Unbeschwertheit von Kindern akzeptiert, die sich sicher und umsorgt fühlten. Das hatte er jedenfalls angenommen. Aber irgend etwas hinter Joes übertriebenem Eifer, Barbaras Stiefsohn zu spielen, und Jades Bewunderung für Barbara, sagte ihm, dass die beiden eine Mutter vielleicht doch mehr vermissten, als ihm oder selbst den Zwillingen bewusst war. Und all das war nur in noch nicht zwei Tagen passiert. "Hör zu", sagte er, "fang nicht an, mein Leben durcheinander zu bringen. Mach deinen Job, mehr wird von dir nicht verlangt." Barbara hielt es im Bett nicht mehr aus. Sie schlug die Bettdecke zurück und stand auf. "Etwas scheint noch deiner Aufmerksamkeit entgangen zu sein. Frau und Mutter zu sein ist kein Job, den man einfach so erledigen kann. Wer auch nur ein wenig Verantwortungsgefühl besitzt, wird unwillkürlich in die Dinge, die um ihn herum geschehen, verwickelt." "Erinnere dich nur daran, dass du nur eine Rolle spielst." "Du auch", entgegnete sie hitzig. "Im Moment führst du dich wie ein Pascha auf. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest." Ohne John die Chance zu geben, etwas darauf zu erwidern, verschwand sie im Badezimmer. Wütend zog er die Couch aus und machte sich sein Bett zurecht. Etwas später ging sie an ihm vorbei und wünschte ihm mit eisiger Stimme eine Gute Nacht. Er bemerkte ihr zartes Parfüm und sah, dass sie die Haare gebürstet hatte. Es wippte bei jedem Schritt locker und seidig. Danach stand er lange unter der Dusche und hoffte, dass das heiße Wasser seine verspannten Nacken- und Rückenmuskeln lösen wurden. Was stimmte nur nicht mit ihm? Normalerweise ging ihm nichts so schnell unter die Haut. Er hatte nichts gegen kleine Abenteuer einzuwenden, und die Sache mit den Kooperativen Kirchen und dieser schönen Frau war zweifellos eins. Nun, dass es zu dieser Verstimmung gekommen war, lag nicht an ihm. Mit dieser Entscheidung drehte er das Wasser ab und begann sich mit einem großen gelben Badetuch abzutrocknen. Sie war diejenige, die sich zuviel herausnahm. Sicherlich, er hatte sie darum gebeten, ihre Rolle glaubhaft zu spielen, aber er hatte nicht gesagt, dass sie in sein Leben eingreifen sollte ... wie eine richtige Ehefrau. Und schon gar nicht, wenn es seine Kinder betraf. Genausowenig hatte er sie darum gebeten, sich mit soviel Grazie und Weiblichkeit in seinem Haus zu bewegen, dass er langsam das Gefühl bekam, tatsächlich etwas in seinem Leben zu vermissen. Entschlossen zog er sich die Pyjamahose an und öffnete die Tür. Ich brauche einen Brandy, dachte er und nahm seinen Bademantel vom Haken an der Badezimmertür. Sollte Joanna Gordon immer noch im Haus herumwandern, würde sie es sicherlich nicht gutheißen, wenn er mit nacktem Oberkörper durchs Haus lief. Barbara lag ruhig auf der Seite, als er das Zimmer verließ. Hal, der einen brandneuen braunen Frotteebademantel trug, stand am Herd und hielt einen Teebeutel in kochendes Wasser. "Tee?" fragte John ungläubig und ging auf den Schrank zu, wo er seinen Brandy aufbewahrte. Hal schien über seinen verärgerten Tonfa ll überrascht zu sein. "Eigentlich brauchte ich auch einen Brandy, aber ich versuche tugendhaft zu sein. Siehst du nicht, dass ich mir sogar einen Bademantel gekauft habe?"
John goss sich Brandy in einen Cognacschwenker, ging hinüber zum Herd und stieß mit dem Schwenker gegen Hals Teetasse. "Dieser Auftrag ist sehr wichtig für uns", sagte John. "Deswegen müssen wir uns aber nicht gleich unserer Männlichkeit berauben zu lassen." Hal folgte ihm zum Tisch und nahm gegenüber von John Platz. "Unserer Männlichkeit berauben zu lassen? Du benutzt da interessante Worte. Was gefällt dir also an deinem neuen Status als Ehemann nicht?" John nahm einen kräftigen Schluck vom Brandy und wartete, bis dieser seinen Magen wärmte. "Sie mischt Sich in Dinge ein, die sie überhaupt nichts angehen", erklärte er schroff. "Barbara tut nur, worum du sie gebeten hast... wozu du sie praktisch gedrängt hast. Und sie tut es verflixt gut." "Aber ich habe sie nicht darum gebeten, das zu tun, was sie jetzt tut." "Nun", entgegnete Hal, "trotzdem hat Jades Haar gut ausgesehen. Und obwohl ich selbst noch nicht darüber nachgedacht habe, hat Barbara möglicherweise recht. Du solltest Jades Zimmer vielleicht wirklich neu tapezieren und einige Änderungen vornehmen lassen." John warf ihm einen scharfen Blick zu. "Sie ist meine Tochter." "Deine Autorität als Vater wird nicht geschmälert, nur weil Barbara etwas in Jade sieht, das dir bisher nicht aufgefallen ist." Zorn spiegelte sich in Johns Augen. "Jades Haar und Jades Raum gehen sie nichts an." Hal zuckte die Schulter. "Wahrscheinlich hast du recht. Aber hast du nicht gesehen, wie sehr Jade am Tisch strahlte? Sie ist ein bezauberndes Kind, aber heute hat sie sich auch hübsch gefühlt. Und jeder konnte es sehen." "Sie ist hübsch", erklärte John und goss den Rest seines Brandys hinunter. "Und nicht nur, weil Barbara ihr die Haare gelockt hat." Für einen Moment herrschte ein fast peinliches Schweigen zwischen den Freunden, dann sah Hal ihn prüfend an. "John, lass Jade ein Mädchen sein. Du brauchst keine Angst zu haben, dass sie zur zweiten Gracie wird." Hals tiefsinnige Beobachtungsgabe machte ihn zu einem brillianten Fotografen und zu einem Freund, dem man nichts vormachen konnte. Hal hatte einmal wieder genau ins Schwarze getroffen, und John konnte kaum den Wunsch unterdrücken, ihm einen Kinnhaken zu verpassen. "Du bist unmöglich, Hal Roman", erklärte John schließlich. Hal grinste. "Ich versuche ständig, meine Fähigkeiten zu verbessern. Was werden wir also morgen machen?" John seufzte und wünschte sich, zu einem Football- oder Basketballspiel gehen zu können. Er hatte plötzlich den Wunsch, sich irgendwo in rein männlicher Gesellschaft entspannen zu können. Statt dessen würde er viele Stunden mit Barbara und den Kindern verbringen müssen. "Wir werden mit den Kindern in den Zoo gehen." Hal nickte zufrieden. "Kinder und Tiere geben immer gute Fotos, und Barbara lässt sich überall gut fotografieren." John stellte mit einem Knall sein Glas auf den Tisch und stand auf. "Nun, sitze nicht die ganze Nacht herum und trinke Kamillentee. Die Kinder werden früh aufstehen. Gute Nacht!" John stieß die Schwingtür auf, ging in das anliegende Wohnzimmer und sah nicht mehr, wie vielsagend Hal lächelte. Das Schlafzimmer war dunkel, und Barbaras Duft hing in der Luft, als John auf Zehenspitzen auf die Couch zuging, die er sich zuvor zurechtgemacht hatte. "John?" rief Barbara leise. Er wandte sich um und fragte sich, ob etwas nicht in Ordnung sei. "Ja?" Er blieb am Fußende des Bettes stehen. Sie setzte sich auf, und der Duft ihres Parfüms wurde noch intensiver.
"Es tut mir leid, wenn ich es übertrieben haben sollte", erklärte sie. "Mein Erfolg hat mich wohl ein wenig übermütig gemacht. Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein." Etwas krampfte sich in Johns Brust zusammen. Er trat neben sie ans Bett. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", erklärte er mit eigenartig gepresster Stimme. "Ich bin es nicht gewöhnt, meine Kinder mit irgend jemandem zu teilen. Darum reagierte ich etwas empfindlich. Mach dir keine Sorgen mehr. Schlaf." Barbara legte sich wieder in die Kissen zurück und genoss das Gefühl, von John ordentlich zugedeckt zu werden. Kein Wunder, dass es Joe und Jade so gut ging. Er machte seine Sache vorzüglich. Als John sich mit beiden Händen auf ihren Kissen abstützte und sich vorbeugte, stockte ihr der Atem. Er küsste sie zärtlich. "Gute Nacht", sagte er mit sanfter Stimme. Ihr Herz klopfte laut, als sie sich auf die Seite drehte und ihm ebenfalls eine gute Nacht wünschte, während er in den angrenzenden Raum zur Couch hinüberging. Am nächsten Tag bummelten sie mit den Kindern und Hal, Pfarrer Mike und Mrs. Gordon durch den Zoo, bis ihre Mägen knurrten und sie an einem Stand Hot dogs und Pommes frites bestellten. Dann setzten sie sich an einen Picknicktisch im Schatten eines exotischen Baumes und aßen, als wären sie dem Verhungern nahe gewesen. Pfarrer Mike erzählte Geschichten aus seiner Seminarzeit, und Hal gab einige Anekdoten über die Zeit preis, als er und John begannen, die Werbeagentur aufzubauen. Barbara bemerkte, dass Joanna beinahe gelächelt hätte, ihr Lächeln aber rasch unterdrückte und dann schnell einen prüfenden Blick in die Runde warf, um zu sehen, ob sie jemand beobachtet hatte. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, und Barbara sah, dass so etwas wie Neid in den Augen der anderen Frau stand. Barbara fragte sich, was in dem Leben der Pastorin wohl schiefgelaufen sein musste, dass aus ihr eine so misstrauische, zurückhaltende Frau geworden war. Vielleicht hatte sie eine unglückliche Ehe hinter sich. "Weißt du was?" fragte Joe seinen Vater atemlos, nachdem sie ihren Spaziergang durch den Zoo wiederaufgenommen hatten. Er lehnte sich über einen Zaun und sah ins Gehege der Löwen, die durch einen weiteren Innenzaun von den Besuchern des Zoos getrennt waren. John blickte Barbara nach, die mit Pfarrer Mike und Joanna über eine Wiese schlenderte. Hal stand an seiner Seite und wechselte die Linse. "Was?" fragte John abwesend. "Du könntest nicht hier leben", stellte Joe fest. John wandte sich erstaunt seinem Sohn zu. "Wirklich? Wie meinst du das? Weil ich nur zwei Beine anstatt vier habe?" Joe schüttelte den Kopf. "Weil du keine Frau hast. Hier leben alle in Familien, jedes Männchen hat ein Weibchen." John war über diese Bemerkung bestürzt. "Nun, Familien haben heute die seltsamsten Formen." "Ja", stimmte Joe bereitwillig zu, wies aber auf eine Löwin, die sich faul gegen einen Löwen mit einer Prachtmähne lehnte. "Ich weiß. Die Welt ist heute anders." Es klang aus dem Mund des Zehnjährigen sehr altklug, und John musste lächeln. "Aber es sieht so aus, als wenn die Natur will, dass es immer eine Mom und einen Dad gibt. Vielleicht soll es so sein. Wie du es auch betrachtest, mit Mom und Dad läuft es einfach besser." John ging mit seinen Kindern immer ehrlich um und ging keinem Problem aus dem Weg, ohne Rücksicht darauf, wie unangenehm ihm das Thema auch war. Und dieses hier war unangenehm. Sehr sogar. "Hast du das Gefühl, dass dir etwas fehlt, weil du keine Mutter hast?" fragte er.
"Ob mir was fehlt?" wiederholte Joe gedankenverloren. "Ja, schließlich haben alle meine Freunde, alle Kinder in der Schule eine Mutter oder eine Stiefmutter, manchmal beides. Aber es hat mir nie soviel ausgemacht, weil es immer so schien, als ob wir viel mehr Spaß hätten als die anderen. Keine dieser Mütter hat ihren Kindern mehr gegeben als du uns - mit Ausnahme von selbstgebackenen Keksen. Aber die backt ja Libby für uns." John spürte, wie wichtig dieses Thema für den Jungen war. "Und jetzt hat sich da etwas geändert?" "Nun, vielleicht ein bisschen", antwortete Joe zögernd, so als befürchtete er, die Gefühle seines Vaters zu verletzen. "Ich habe vielleicht nie viel vermisst... bis Barbara zu uns eingezogen ist." "Himmel, sie ist erst zwei Tage bei uns!" "Ich weiß, aber ich habe es sofort bemerkt. Du nicht? Es ist auf einmal alles viel weicher oder irgendsowas. Ich mag es, wenn sie mich in den Arm nimmt." Nun, darin hatte John wenig Schwierigkeiten, seinen Sohn zu verstehen. "Und sie duftet so nach Blumen." Joe lächelte zu seinem Vater auf mit jenem unwiderstehlichen Charme, der eines Tages eine junge Frau dazu veranlassen würde, alles aufzugeben und ihm nachzufolgen. "Das beste ist, wenn man beides hat, einen Vater und eine Mutter. Dann ist man wirklich glücklich und fühlt sich sicher und beschützt." John zog Joe an sich und küsste ihn aufs Haar. Was sollte er darauf antworten? Joe hatte das beste Argument, das es für eine traditionelle Familie gab - zumindest für ein Kind vorgebracht, und er war froh, dass der Junge nicht vorhatte, Druck auf ihn auszuüben, um ihren Familienstand zu ändern. Doch Joe enttäuschte ihn schneller, als er erwartet hatte. "Und deswegen finden Jade und ich, dass es das beste wäre, wenn du sie tatsächlich heiraten würdest."
6. KAPITEL
"Daddy!" Jade kam aus dem Gebäude herausgerannt, packte ihren Vater und ihren Bruder beim Arm und zog sie mit sich. "Das musst du dir ansehen, Joe." John war erleichtert darüber, dass er mit seinem Sohn nicht weiter darüber zu diskutieren brauchte, warum er nicht heiraten würde, und ging bereitwillig mit. Als er das Haus betrat, musste er sich erst einen Moment an das gedämpftere Licht gewöhnen, und war dann entzückt über das, was er sah. Barbara hielt ein junges blauäugiges Tigerbaby im Arm, das gierig an der Flasche saugte, die sie ihm in den Mund hielt. Hal schoss einige Fotos. "Ist sie nicht süß?" fragte Barbara begeistert. "Jade und ich haben uns schon vorgenommen, das Tigerbaby zu kidnappen und es mit uns nach Hause zu nehmen." "Das Baby ist erst drei Wochen alt, Daddy", erklärte Jade und streichelte das kuschelige Tier. "Seine Mom ist krank, also müssen die Pfleger sich um sie kümmern." Sie wies auf eine Glasscheibe, hinter der noch ein Tigerbaby schlief. "Das ist der Bruder." Sie warf Barbara einen Blick zu. "Es sieht so aus, als ob alle Brüder gleich wären. Alles was sie tun, ist schlafen und Ärger machen, wenn sie wach sind." Joe, der jetzt ebenfalls den Rücken des Babys streichelte, zog eine Grimasse. "Und alle Schwestern essen ständig. Wird es der Tigermom bald wieder besser gehen?" Der uniformierte junge Mann, der neben ihnen stand, nickte. "Sie ist nur ein wenig erschöpft und muss sich erholen. Sie braucht ein wenig Zeit ohne ihre Kinder." Joe wandte sich an Barbara. "Ich bin froh, dass dir nicht so etwas passiert, Mom", sagte er mit einem kecken Grinsen. Barbara lächelte. "Danke, Liebling." Dann wandte sie sich Joanna zu. "Hier Joanna. Du hast es noch gar nicht ge halten." Joanna trat protestierend einen Schritt zurück, aber Barbara legte ihr entschlossen das Tigerbaby in die Arme. Sofort suchte es nach der Flasche, die Barbara ihr ebenfalls herübergereicht hatte. Joanna schien nervös zu sein, entspannte sich aber, als das Tigerbaby kräftig an der Flasche zu saugen begann. Sie sah Barbara mit einem zögernden Lächeln an. "Sie mag mich." Barbara hörte die Überraschung aus den Worten der Pastorin heraus. Offensichtlich war Joanna erstaunt darüber, dass jemand sie mochte, auch wenn es sich nur um ein Tier handelte. Daniel Gordon hatte zweifellos einen Hintergedanken gehabt, als er ausgerechnet diese Frau zu ihnen schickte. "Du bist ganz schön gefragt, nicht wahr?" erklärte John dem Tigerbaby, als es schließlich auch ihm herübergereicht wurde. Der kleine Tiger hatte nichts dagegen, solange nur die Milch ebenfalls mitgereicht wurde. John genoss es, dieses kleine Bündel Fell in den Armen zu halten, aber noch mehr genoss er Barbaras Nähe, die sich an ihn schmiegte, während sie die kleine Tigerdame am Bäuchlein kraulte. "Ich glaube, sie kennt mich schon", erklärte Barbara. "Sie würde sicherlich gern mit uns nach Hause kommen." "Und was werden wir mit ihr machen, wenn sie mehrere hundert Pfund wiegt?" Barbara lächelte ihn verführerisch an. "Sie könnte bei mir am Fußende schlafen." Er lachte auf. "Du wirfst dich im Schlaf zuviel herum. Was meinst du, was passiert, wenn sie gerade davon träumt, eine Antilope zu jagen, und du stößt sie mit dem großen Zeh ata? Du müsstest dann womöglich den Rest deines Lebens nur mit einem Fuß auskommen." Barbara war überrascht, dass John vom Nebenraum aus bemerkt hatte, wie unruhig sie schlief. John reichte dem Wärter das Tigerbaby zurück und bedankte sich. "Ich glaube es ist besser, wenn ich meine Mädchen jetzt hier rausbringe, bevor doch noch ein Tigerbaby abhanden kommt."
Barbara und Jade gingen Hand in Hand vor ihm hinaus. Joe folgte Pfarrer Mike und Hal Joanna. John schlenderte hinter ihnen her und dachte nach. Barbara hatte seine Tochter jetzt auf ihre Seite gezogen, und sein Sohn war von Anfang an völlig von ihr eingenommen gewesen. Der Pfarrer schien offensichtlich davon überzeugt, dass er und Barbara verheiratet wären, und sogar Joanna hatte etwas von ihrem Misstrauen verloren und wurde allmählich umgänglicher. Doch Barbaras größte Eroberung war er selbst, wie John widerstrebend zugeben musste. Obwohl er von Anfang an ihre Schönheit bewundert und sie ihn als Persönlichkeit fasziniert hatte, war das Ganze doch nicht mehr gewesen als ein Komplott, um Cheney & Roman den Auftrag zu retten, der ihnen endlich die überregionale Anerkennung bringen sollte. Er hatte geglaubt, dass das Ganze unterhaltsam und auch sehr profitabel werden würde. Aber er musste feststellen, wie sich seine Haltung zu ändern begann, obwohl er keine Ahnung hatte, wohin das führen würde ... oder warum er darüber so besorgt war. Barbaras Nähe ließ ihn nicht gleichgültig. Er war sich ihrer Anwesenheit eigenartig bewusst, und sie veranlasste ihn, über Dinge nachzudenken, von denen er bisher angenommen hätte, sie wären für immer entschieden. Wie zum Beispiel, dass er sich geschworen hatte, nie mehr eine Frau in sein Leben so weit eindringen zu lassen, wie er es Gracie erlaubt hatte. Barbara schien ständig seine Gefühle herauszufordern, manchmal berührte sie ihn zutiefst, und manchmal ärgerte sie ihn. Doch eins stand fest: Sie ließ ihn niemals kalt. Und er wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Was war nur los mit ihm? Was war mit seiner Entschlossenheit geschehen? Emotional gesehen war er dabei, seine kugelsichere Weste abzulegen. Er musste verrückt sein! Dann drehte sich Barbara um, die immer noch Jade an der Hand hielt. Sie wartete, bis John sie erreicht hatte, und hakte sich dann bei ihm ein. "Du mußt mithalten, John", zog sie ihn auf, laut genug, dass auch Joanna es hören konnte. "Wir würden dich nur ungern vermissen." "Ich habe dich keinen Moment aus den Augen verloren", erklärte er, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie leicht auf den Mund. Dann zwickte er Jade zärtlich in die Wange, zog sie auf seine andere Seite, und so marschierten zu dritt ins Schlangenhaus. Joe war fasziniert von den Reptilien und stellte seinem Vater Dutzende von Fragen, und erst nachdem sie sich fast alle Schaukästen angesehen hatten, fiel John auf, dass Barbara, Jade und Hal fehlten. Er ließ Joe bei Pfarrer Mike und ging nach draußen, da er erwartete, die drei vor dem Haus auf der Bank sitzen zu sehe n. Doch dort waren sie nicht. Er blickte über die Wiesen, an die sich die übrigen Tierhäuser reihten. Die drei waren wie vom Erdboden verschwunden. Warum er sich auf einmal so beunruhigt fühlte, war ihm unklar. Natürlich war Hal bei den beiden. Und wenn nicht, was sollte schon passieren? Trotzdem, er konnte nicht anders, als nervös in die Runde schauen. Dann erblickte er sie zwischen den Bäumen hindurch. Erleichtert ging er auf sie zu. Barbara und Jade standen auf einer niedrigen Steinmauer, die einen kleinen Teich umgab. Stockenten schwammen zwischen einer Vielzahl exotischer Enten und einigen Schwänen und Gänsen herum. Hal fotografierte wie üblich. Die Enten schwammen zur anderen Seite des Teiches, und Barbara folgte ihnen, indem sie graziös über die schmale Mauer balancierte. Jade machte es ihr nach und wirkte dabei mit den herumfuchtelnden Armen wie ein Flugzeug, das die Kontrolle über seine Steuerung verloren hatte. Sie lief viel zu schnell und kollidierte mit Barbara. Beide schrien erschrocken auf und zappelten mit den Armen herum. Barbara ergriff Jades Hand, sie wankten noch für einen Moment hin und her und plumpsten dann ins Wasser. Enten aller Art flatterten auf und beschwerten sich laut quakend über die Störung. Barbara und Jade tauc hten wie ein Paar Meerjungfrauen wieder auf, und da Jade das Wasser nur bis zur Brust reichte, blieb John vor der Steinmauer stehen und stellte bequem einen Fuß darauf, um auf die beiden strafend herunterzusehen. Aber nur ganze zwei Sekunden, denn
Barbara und Jade fielen sich in die Arme und lachten so ansteckend, dass John nur mithalten konnte. Er hielt Jade eine Hand entgegen. "Kommt da heraus", forderte er sie schließlich auf. "Ich nehme an, bei eurem Benehmen werden wir sowieso bald aufgefordert werden, den Zoo zu verlassen." John half seiner tropfnassen Tochter aus dem Teich und streckte dann Barbara die Hand entgegen. Sie stieg wie Venus aus dem Meer heraus und sah in ihren nassen Sachen, die deutlich die Formen ihrer perfekten Figur verrieten, bezaubernd und sehr sexy aus. Sie lachte noch immer und legte die Hände auf seine Schultern. "Es tut mir leid. Wir hatten kleine Entenküken entdeckt, die wir nur von der Mauer aus genauer sehen konnten. Ich hätte nicht gedacht, dass ..." Ihre Fröhlichkeit verschwand plötzlich und machte einer besorgten Miene Platz. "Das war nicht sehr mütterlich, nicht wahr?" flüsterte sie. "Ich habe ein schlechtes Beispiel abgegeben. Glaubst du, dass ich mich dadurch verraten habe?" Er lächelte. "Das glaube ich nic ht", antwortete er leise, als er die anderen herbeilaufen sah. "Ich bin sicher, sie wissen, dass nicht alle Mütter ein Vorbild an Vernunft sind. Außerdem ist ihnen bekannt, dass du noch nicht lange Mutter bist." "Ich habe gar nicht gewusst, dass es in Zoos auch Krankenschwestern gibt", erklärte Joe. "Glauben Sie, dass es für den Fall ist, dass einem ein Löwe einen Arm abbeißt oder ein Bär einen zu packen bekommt?" "Ich halte es für wahrscheinlicher", antwortete Pfarrer Mike, "dass sie Krankenschwestern für den Fall haben, dass jemand hinfällt und sich weh tut oder einen plötzlichen Kreislaufkollaps bekommt." "Oh." Barbara, die in eine Decke gehüllt war, bemerkte, dass Joe darüber enttäuscht war, weil wegen des Vorfalls der Tag für sie alle beendet war. Auch sie war enttäuscht und zwar über ihr eigenes Verhalten, wahrscheinlich hatte sie durch diesen dummen Vorfall alles ruiniert. Pfarrer Mike wirkte zwar wie immer, aber Joanna warf ihr einen missbilligenden, wenn auch leicht verwirrten Blick zu. Sie ist davon überzeugt, dass ich eine Betrügerin bin, dachte Barbara in Panik. Sie ist sich zwar noch nicht sicher, aber sie wird einen Weg finden, .das herauszufinden, bevor alles hier vorüber ist. Wenn es das nicht schon ist... "Ist dir warm genug?" fragte John, der einen Arm um sie gelegt hatte, und zog sie noch näher an sich heran. Er spielte den großzügigen, liebenden, besorgten Vater und Ehemann. "Es geht mir gut", log sie, lehnte sich an seine Schulter und schloss die Augen. "Sie sind ein bisschen grün um die Kiemen", bemerkte Hal. "Menschen haben keine Kiemen", korrigierte Joe ihn. John lachte. "Du hast wahrscheinlich deine Mutter nicht aus dem Wasser auftauchen sehen. Ganz im Ernst, Barbara. Geht es dir gut?" Sie seufzte. "Mein Magen dreht sich ein wenig, das ist alles." "Sie hat drei Eis gegessen und zwei Milchshake getrunken", bemerkte Jade, die ebenfalls in eine Decke gehüllt neben ihr auf einer Bank in der Krankenstation des Zoos saß. Sie warteten auf die Krankenschwester, die ihnen noch schnell ein paar Tabletten gegen Erkältung bringen wollte. "Dazu hat sie noch mein Popcorn aufgegessen", fügte Joe hinzu. Pfarrer Mike schüttelte mitleidig den Kopf. "Und meine Pommes frites." Barbara blickte vorwurfsvoll zu Pfa rrer Mike hinüber, und jeder lachte. Als sie jedoch um Mitternacht in ihrem Bett lag und ihr immer noch so übel war, stand sie auf, lauschte für einen Moment, und als sie Johns regelmäßigen Atem hörte, ging sie leise hinaus. Der Gedanke kam ihr, was sie im Augenblick wohl tun würde, wenn John Cheney tatsächlich ihr Ehemann wäre. Wahrscheinlich würde sie zu ihm unter die Bettdecke kriechen und sich ganz dicht an ihn schmiegen ...
Ich bin wohl schon halb im Delirium, dachte sie und ging auf Zehenspitzen den Flur entlang. Im Haus war es vollkommen ruhig und nirgendwo brannte ein Licht. Sie warf kurz einen Blick auf die Kinder. Beide schliefen tief und fest. Und so schlich sie in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Sie setzte Wasser im Teekessel auf und nahm ihn von der heißen Platte, bevor sein Pfeifen die nächtliche Ruhe stören konnte. Sie goss sich irgendeinen Kräutertee auf, den sie in einer der Dosen gefunden hatte, und setzte sich mit der Tasse an den Tisch. Sie hatte die Tasse halb ausgetrunken und fühlte sich nur wenig besser, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, dass sich draußen vor dem Fenster etwas bewegte. Noch bevor Panik in ihr aufkommen konnte, erkannte sie, wem die freche Schnauze mit dem maskenhaften Gesicht gehörte, das durch die gläserne Schiebetür, die zur Terrasse führte, hereinstarrte. Ein Waschbär! Barbara wusste, dass Libby stets Essensreste für diese Tiere hinausstellte. Sie schob die Tür zur Seite und sah, wie der kleine Besucher zu seinem Freund zurücklief, der aus einer hölzernen Schüssel nahe am Waldrand aß. Sie setzte sich auf der Terrasse in einen Korbstuhl und beobachtete die grau-schwarzen Kerlchen im Mondenschein. Mit ihren langfingrigen Pfoten hielten sie das Futter fast wie Menschen, drehten die Schüssel einige Male herum und wuschen das Obst in einer Schüssel Wasser, die Libby ebenfalls für sie bereitgestellt hatte. Ihre maskierten Gesichter wirkten so schön und mysteriös in dieser lauen, mondhellen Nacht, dass Barbara ihre Teetasse zur Seite stellte und ihnen fasziniert zuschaute. Ihr wurde klar, wie idyllisch diese Szene war und wie sehr sie sich von ihrem Apartment in der Stadt mit dem Straßenlärm und den Abgasen abhob. "Hast du denn immer noch nicht genug von Tieren?" Johns Stimme riss Barbara aus ihrer Betrachtung, und sie setzte sich schuldbewusst auf. "Es tut mir leid, falls ich dich geweckt habe", sagte sie und blickte zur Küchentür hinüber, in der sich jetzt dunkel seine große Gestalt abhob. "Ich konnte einfach nicht schlafen." Er nickte. "Zu viel Süßigkeiten und zu viel Aufregung. Komm her. Ich weiß ein Mittel dagegen." Wenn sie jemals einen gefährlichen Vorschlag gehört hatte, dann war es dieser. In einem kniekurzen Bademantel mit nackten Beinen kam er auf sie zu und reichte ihr die Hand. - Es wäre wagemutig, sie jetzt zu ergreifen. Sie waren mitten in der Nacht allein, die Anziehungskraft zwischen ihnen schien geradezu zu knistern, und Johns Augen versprachen Dinge, die ihre Knie weich werden ließen. Doch entgegen jeglicher Logik legte sie ihre Hand in seine. Sie konnte fast ihre Mutter sagen hören: Das überrascht mich nicht, Barb. Du bist eben doch genauso draufgängerisch wie dein Vater. John führte Barbara zu der Hollywoodschaukel, die auf dem Rasen stand, setzte sich, zog Barbara auf den Schoß und ließ sie ihre Beine auf den Sitz legen. Die Waschbären drehten sich neugierig zu ihnen um, dann entschieden sie, dass die beiden keine Bedrohung darstellten/und kehrten sich wieder ihrem Festessen zu. Der Duft von taufeuchtem Gras erfüllte die Nacht. "Das hilft normalerweise bei den Kindern", erklärte er und massierte ihr mit einer Hand den Rücken. "Wahrscheinlich bist du nur verspannt von dem langen Tag. Und nach drei Eis, zwei Milchshakes sowie dem Rest von Joes Popcorn und ..." "Bitte", unterbrach sie ihn, eine Hand auf ihren Magen gepresst, "es hilft mir nicht, wenn du jetzt all meine Sünden auflistest." Barbara spürte die starke Hand, mit der John ihr beruhigend über den Rücken strich, und konnte sich nicht erklären, warum sie sich so sicher und beschützt fühlte. Schließlich saß sie mitten in der Nacht auf dem Schoß eines von Natur aus zärtlichen und sinnlichen Mannes. Aber sie spürte die echte Besorgnis, die von ihm ausging. Sie lehnte sich entspannt gegen ihn und schloss die Augen. "Das mit dem Teich tut mir leid", murmelte sie schläfrig.
"Mach dir deswegen keine Sorgen mehr." Er streichelte ihr über den Kopf. "Jade hat es großartig gefallen. Und ich bin sehr dankbar, dass du dir nur den Ententeich und nicht die Krokodillagune ausgesucht hast." Sie lächelte und fühlte, wie ihre Glieder langsam immer schwerer wurden. "So viel Verstand habe ich nun doch besessen." "Dem Himmel sei Dank." Schläfrig gingen ihre Gedanken vom Teich hinüber zum Ozean, auf dem sich jetzt Trevor befinden musste. "Ich frage mich, was Trevor gerade macht." Warum musste sie das ausgerechnet jetzt aussprechen? "Fischen", antwortete John, während er sanft über ihre Schulter strich. "Mit seinem Vater." Barbara war so müde, dass sie kaum noch die Augen aufhalten konnte. "Er ..." Sie gähnte. "... würde nie Waschbären füttern." "Warum nicht?" "Keine Ahnung. Er hat noch nicht einmal einen Hund oder eine Katze. Und weißt du was?" Sie schlang einen Arm um seine Schulter und schmiegte sich an ihn, während sie sanft in den Schlaf hinüberglitt. "Was?" fragte er leise, doch er bekam keine Antwort mehr. Sie war in seinen Armen eingeschlafen, und sie war so weich, und sie duftete so gut, dass es ihn beinahe verrückt machte. Er begehrte diese Frau so sehr, dass es ihm fast den Atem nahm. Ihr Charme und ihre Schönheit hatten ihm bereits den festen Boden unter den Füßen entzogen. Er hatte das sichere Gefühl, bereits mitten in Schwierigkeiten zu stecken, was ihm Angst einjagte. Normalerweise schreckte ihn so etwas nicht ab. Er besaß einen starken Willen und war gewöhnt zu kämpfen, aber diesmal schien die Lust nur gering, den Problemen zu entkommen. Und wenn er diese Frau so im Mondlicht mit nichts anderem als einem duftigzarten Nachthemd bekle idet betrachtete, hätte er sogar nichts dagegen gehabt, sich in noch größere zu stürzen. Barbara wachte auf, als Sonnenstrahlen auf ihr Bett fielen. Mit geschlossenen Augen genoss sie für eine Weile die Wärme auf ihrem Gesicht und drehte sich dann auf die Seite. Sie hatte keine Lust, sich einem neuen Tag zu stellen, an dem sie vorgeben musste, Johns Frau zu sein, während sie gleichzeitig vor ihm verbergen wollte, dass sie ihn tatsächlich liebte. Dann spürte sie den leichten Zitronenduft auf ihrem Kissen und setzte sich abrupt auf. Letzte Nacht war sie an einen Bademantel angeschmiegt eingeschlafen, dem genau dieser Duft angehaftet hatte. Die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete sich, und John erschien in einem weißen Unterhemd und grauen Hosen. Sein Haar war noch feucht und sein Lächeln warm und ... wissend. Wissend? "Du hast bei mir geschlafen", beschuldigte sie ihn und zog die Decke bis zu ihrem Kann hoch. Er ging zu der Kommode in der Ecke des Zimmers und zog aus dem Schubfach ein silbergraues Hemd heraus. "Ja. Du bist im Park eingeschlafen, erinnerst du dich?" Er lächelte und schloss die Schublade. "Ich wollte nicht, dass wir uns draußen erkälten, und habe dich ins Haus getragen." "Und die Situation ausgenützt." Er setzte sich auf den Bettrand und zog die Socken an. "Eigentlich warst du diejenige, die die Situation ausgenützt hat. Du hattest deinen Arm um meinen Nacken geschlungen und wolltest nicht loslassen. Also habe ich mich wie ein Gentleman verhalten und bin bei dir geblieben."
Sie erinnerte sich daran, wie sanft er sie gestern nacht auf der Hollywoodschaukel gestreichelt hatte und wie sicher und beschützt sie sich gefühlt hatte. Sie wusste auch noch, dass sie den Arm um seinen Nacken geschlungen und seinen warmen Atem an ihrer Stirn gespürt hatte. Wahrscheinlich hatte er recht. John erhob sich und zog sein Hemd an, während er mit den Füßen in graue Lederslipper schlüpfte. "Hast du Angst, dass das diesem Trevor - oder wie er auch immer heißen mag nicht gefallen könnte?" "Trevor Wentworth", verbesserte sie ihn aus Gewohnheit und legte sich dann stirnrunzelnd in die Kissen zurück. "Nein, ihn geht das gar nichts an." John hob eine Augenbraue, während er sein Hemd zuknöpfte. "Ich finde schon, dass es einen Mann etwas angeht, wenn die Frau, mit der er ein intimes Verhältnis hat, die Nacht in den Armen eines anderen Mannes verbringt, auch wenn es noch so unschuldig wäre." Barbara verschränkte die Arme und blickte in Johns goldgelbe Augen. "Trevor und ich haben kein intimes Verhältnis." Für einen Moment blieb John regungslos stehen ... dann steckte er das Hemd in die Hose. "Ich wusste, dass mit dem Jungen nichts los ist", erklärte er und lachte leise. "Er hat gefragt", erwiderte sie. "Aber ich wollte nicht." "Er hat gefragt?" Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu, während er zum Nachttisch ging, um seine Schlüssel und seine Brieftasche einzustecken. "Ja, es gibt noch Männer, die vorher fragen", setzte sie giftig hinzu. Er schob die Schlüssel in die Hosentasche und steckte dann die Brieftasche in die Innentasche des Jacketts, das über dem Stuhl hing. "Ich habe nie gefragt, aber ich habe umworben und verführt. Es macht mich schon verrückt, neben dir zu stehen. Ich könnte mir nicht vorstellen, Monat für Monat mit dir zusammen zu sein, ohne mit dir zu schlafen." Barbara gab sich Mühe, nicht allzu zufrieden über dieses Zugeständnis auszusehen, was ihr allerdings nicht gelang. "Vielleicht wollte ich einfach mit Trevor nicht weitergehen." John setzte sich auf den Bettrand und sah ihr in die Augen. "Würdest du mit mir weitergehen?" Das würde sie, da gab es keinen Zweifel. "Wahrscheinlich." Aber sie erinnerte sich auch an ihre Fähigkeit, stets in Schwierigkeiten zu geraten. "Aber ich bin vorsichtig, denn ich neige dazu, zu impulsiv zu handeln. Das zeigt schon die Tatsache, dass ich überhaupt hier in diesem Bett liege. Wie dem auch sei, ich habe mir versprochen, dass ich zuerst sicher sein muss, dass der Mann auch der richtige für mich ist, bevor ich mit ihm ins Bett gehe. Liebe bringt zu viele Konsequenzen mit sich." Das konnte John nicht leugnen. Er erzog zwei dieser Konsequenzen. "Ich glaube, wenn du Trevor wirklich liebtest", bemerkte er, "würde deine Haltung anders sein. Du würdest dir vielleicht immer noch wünschen, vorsichtig zu sein, aber du würdest verflixt schnell eine Lösung finden." "Welche?" "Heirat." "Ich dachte, du glaubst nicht an die Ehe." Er seufzte, erhob sich und griff nach dem Jackett. "Das habe ich bisher auch nicht getan." Sie wusste, dass sie zu weit ging, aber sie konnte die Worte nicht zurückhalten. "Hast du Gracie endlich vergessen?" Er betrachtete Barbara einen Moment, beugte sich dann über sie und küsste sie. "Nein", erklärte er schließlich, "aber ich habe eine Barbara kennengelernt." Dann richtete er sich auf und fügte schnell hinzu: "Du solltest jetzt aufstehen, wenn du mitkommen willst." Obwohl er sie mit seiner Bemerkung völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, setzte sie sich auf und versuchte, sich normal zu geben. "Wohin?"
"In die Kirche", antwortete er. "Es ist Sonntag, und ich nehme an, dass Pfarrer Mike dich erwarten wird." "Warum hast du mir das nicht früher gesagt?" fragte sie, glitt aus dem Bett und lief ins Badezimmer. John blickte ihr nach, bis sie die Tür zum Badezimmer hinter sich schloss. Er stöhnte, denn ihr schenkelkurzes Nachthemd verriet nur allzu deutlich, wie verführerisch wohlgeformt Barbaras Körper war. Barbara hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht anders konnte, als während der Predigt an John zu denken. Eigentlich hatte sie das, um offen zu sein, nicht nur allein während der Predigt getan, sondern die ganze Feier hindurch. Nach der Feier trafen sie Pfarrer Mike vor der Kirche. "Ich werde euch heute vermissen." Er zog Jade und Joe kurz in die Arme und winkte John und Barbara zu. "Ich muss mich heute um meine Kongregation kümmern. Aber vergessen Sie nicht, Libby zu sagen, dass ich rechtzeitig zum Abendessen zurück sein werde. Ich habe gehört, es soll Enchilladas geben. Ich freue mich, dass Sie ebenfalls gekommen sind, Barbara. Ich nehme an, das bedeutet, Ihrer Mutter geht es besser." Sie nickte. "Meiner Mutter geht es großartig." "Das freut mich. Wir sehen uns dann heute abend." Die Kinder bettelten um ein zweites Frühstück in einem Fastfood-Restaurant. John stöhnte und wandte sich hilfesuchend an Barbara. Aber Joe hatte bereits beide Arme um Barbara geschlungen. "Bitte, Mom. Sie haben diese tollen Hamburger und Muffins und Pfannkuchen und noch viel mehr leckere Sachen." Jade bearbeitete ihren Vater. "Außerdem werden wir den ganzen Nachmittag fort sein. Wir gehen doch heute auf die Geburtstagsparty von Onkel Hals Neffen. Also könntest du uns jetzt auch etwas Gutes tun." John sah Barbara an, die ein Lachen unterdrücken musste. "Hast du jemals solche Überredungskünste gehört?" Sie drückte Joe an sich und schüttelte den Kopf. "Nein, und ich finde, das sollte mit einem Fastfood-Frühstück belohnt werden." "Dann bist du mir ein Dinner in einer etwas eleganteren Umgebung schuldig", sagte John. "Ich? Ich war doch nicht diejenige, die dich überreden wollte." "Nein, aber du steckst offensichtich mit den beiden unter einer Decke. Also gut. Ab mit euch in den Wagen." "Ich hoffe, Onkel Hal steht früh genug auf, um mit uns zur Party zu gehen", sagte Joe, während John den Wagen auf die Straße lenkte. "Als wir gingen, hat er noch geschlafen." "Mrs. Gordon sagt, er ist ein Heide", meldete sich Jade von der anderen Ecke des Hintersitzes. "Aber ich glaube, sie mag ihn trotzdem." John schaute durch den Rückspiegel auf seine Tochter. "Warum glaubst du das, Jade?" "Weil sie rot wird, wenn er mit ihr spricht, und weil sie ihn beobachtet." "Sie beobachtet jeden", mischte sich Joe ein. "Wie eine Spionin. So als ob sie nur darauf wartet, dass ich etwas Falsches sage, Barbara statt Mom oder so. Dann könnte sie der ... der ..." "Kooperativen", Half John aus. "Ja, der Kooperativen sagen, dass sie Dad und Onkel Hal nicht den Auftrag geben sollen." "So übel ist sie nicht", erklärte Barbara. "Sie ist nur unglücklich, und das Macht sie so ..." Sie dachte angestrengt nach und suchte nach einem passenden Wort. "... nun, so brummig. Vielleicht sollten wir unser Bestes geben, um nett zu ihr zu sein." Es wurde still im Wagen, bis Joe sich wieder zu Wort meldete: "Ich wette, sie hält sogar brummige Predigten."
7. KAPITEL
Am frühen Nachmittag fuhren Hal und die Kinder zur Party. John winkte ihnen nach, und als er wieder ins Haus zurückkehrte, sah er Barbara in Jeans und einer sehr verführerischen pinkfarbenen Seidenbluse die Treppe herunterkommen. Er spürte, wie sein Mund bei ihrem Anblick trocken wurde. "Fertig?" fragte er und ging ihr entgegen. Sie blieb auf der zweitletzten Stufe stehen, so dass sie auf gleicher Augenhöhe mit John war, nur dass sie es vermied, ihm in die Augen zu schauen. "Ich dachte, ich verbringe den Nachmittag in meiner Wohnung. Du weißt schon, Wäsche waschen ..." "Libby hat bereits alles erledigt. Alles, was du brauchst, liegt ordentlich gestapelt auf deinem Bett." „Ich muss meinen Anrufbeantworter abhören ..." "Das hast du bereits heute morgen mit der Fernbedienung getan." "Außerdem sollte ich meine Post abholen." "Carol hat das für dich erledigt." Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. "Ich muss Dinge erledigen, John. Ich habe ein eigenes Leben, eines das wirklich ist." "Ich glaube, ich weiß, was du meinst", sagte er und legte die Hände um ihre Taille. "Dieses Leben hier wird so wirklich, dass es dir Angst einjagt." Sie presste die Hände gegen seine Schultern, damit er sie nicht noch näher an sich heranziehen konnte, als er es bereits getan hatte. "Bitte, John, erzähl mir nicht, was ich meine." Er hielt sie unbeirrt fest. "Dann sag du mir, was du meinst." "Ich meine ..." begann sie energisch, aber als sie in seine goldgelben Augen blickte, musste sie ihre schnell schließen. "Ich meine, dass das hier langsam beängstigende Formen annimmt", gab sie schließlich kläglich zu. Er zog sie an sich. "Du willst doch nicht etwa unsere erste Chance vertun, allein zu sein", neckte er sie. "Endlich sind wir einmal ohne Kinder und Beobachter." Sie schlang die Arme um seinen Nacken und lehnte ihre Stirn gegen seine. "Nein. Aber was ist, wenn es uns gefällt?" "Nun komm", rügte er sie sanft. "Es gefällt uns doch bereits jetzt. Es gibt kein Zurück mehr." Er hob sie von der Treppe, presste sie an sich und küsste sie. Barbara war nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn Widerstand zu leisten. Dann stellte John sie wieder auf die Füße, indem er sie eng an sich herabgleiten ließ, und war sehr zufrieden, als er sah, wie unverhüllt Leidenschaf t in ihren Augen aufflackerte. Er strich ihr über das zerzauste Haar. "Ich dachte, wir haben Lunch irgendwo im Old Town, bummeln ein wenig durch die Geschäfte und essen dann groß zu Abend." Hört sich doch ganz ungefährlich an, dachte Barbara, obwohl sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. "In Ordnung", erklärte sie. "Ich bin bereit." Old Town war eine Ansammlung von italienisch anmutenden Gebäuden, die man in ein Shoppingcenter umgewandelt hatte. Hier fand man hübsche Spezialgeschäfte, die sieh malerisch in das ein fügten, was um die Jahrhundertwende das Handelszentrum von Portla nd gewesen war. Barbara konnte es nicht fassen, dass John bereit war, in den Geschäften herumzustöbern und sich die Schaufensterauslagen anzusehen. Trevor hasste Einkaufsbummel.
Sie probierte einen Hut auf, der mit Perlen und glitzernden Steinen dekoriert war. Der Rand war vorn mit einem falschen Edelstein zurückge halten, der in ebenso falschem Goldfiligran gesetzt war. Der Hut vermittelte den Eindruck von flippiger Eleganz. "Steht er mir?" "Gefällt er dir?" "Ich finde ihn wundervoll, aber brauche ich ihn?" Er runzelte die Stirn. "Das ist die letzte Frage, die man sich stellen sollte, wenn man sich wirklich etwas wünscht." Sie sah ihn missbilligend an. "Du warst wahrscheinlich noch nie bis auf drei Dollar abgebrannt und musstest entscheiden, ob du dir einen Hamburger oder einen Lippenstift kaufen sollst." "Das stimmt zwar, aber es gibt Dinge, die der Seele Nahrung bieten, und ich bin davon überzeugt, dass das notwendig ist, um seelisch intakt zu bleiben. Besonders, wenn du einen Beruf hast, in dem du kreativ sein musst. Lass uns den Hut kaufen." Als er die Verkäuferin heranwinken wollte, hielt Barbara sein Handgelenk fest. "Ich kaufe den Hut." "Barbara ..." "Hör zu, solange Pfarrer Mike und Mrs. Gordon um uns sind, kannst du den großen Gönner spielen, aber nicht, wenn wir allein sind." John beugte sich vor. "Aber wir sind nicht allein, die Verkäuferin kennt mich und leider auch Pfarrer Mike." "Das ist doch nur ein Trick von ..." "John!" Eine untersetzte weißhaarige Frau kam auf sie zu. "Und das muss Ihre Frau sein. Der Pfarrer erzählte mir bereits von ihr. Es tut mir so leid, dass ich euch beide heute morgen in der Kirche verpasst habe." "Darling", sagte John und legte eine Hand auf Barbaras Schulter. "Ich möchte dir Nancy Webster vorstellen. Nancy, das ist meine Frau, Barbara." "Nun, wo haben Sie sich versteckt, Sie hübsches Ding?" fragte Nancy. "John und ich arbeiten an dem Wohltätigkeitsprogramm für Obdachlose zusammen. Aber er hat mir nie ein Wort von Ihnen erzählt." "Wir sind noch nicht sehr lange verheiratet", erklärte Barbara, die einige Schwierigkeiten hatte, so schnell wieder in ihre Rolle zu schlüpfen. "Und meine Mutter war krank, deswegen musste ich die Wochenenden mit ihr verbringen." "Nun, ich bin entzückt, zu wissen, dass John Sie hat. Ein Bild von einem Mann wie er sollte nicht allein sein, schon gar nicht mit Kindern." Barbara vermied es, John anzusehen, und lächelte. "Da haben Sie recht. Was Halten Sie von dem Hut, den mein Mann mir gerade kaufen wollte?" Nancy schlug die Hände zusammen. "Eine wunderbare Wahl. Soll ich ihn einpacken, oder wollen Sie ihn gleich tragen? Er passt ausgezeichnet zu ihrer Bluse." Erleichtert darüber, dass Nancy keinerlei Misstrauen hegte, traf Barbara eine schnelle Entscheidung. "Ich werde ihn tragen, danke." Etwas später aßen John und Barbara im obersten Stockwerk eines ehemaligen Bankgebäudes, das jetzt ebenfalls ein Shoppingcenter geworden war, in einem gemütlichen Restaurant einen Salat zum Lunch. "Gracie trug nie Hüte", bemerkte John, als er ihr die Oliven seines Salates herüberreichte. "Sie fand sie albern." Barbara blickte von ihrem Salat auf, erstaunt, dass er dieses Thema anschnitt. Normalerweise hielt er sich zurück, wenn das Gespräch auf Gracie kam. "Nun, Trevor mag es nicht, wenn Frauen Hüte tragen. Er findet es zu auffällig." Sie lächelte. "Vielleicht sollten wir ihm Gracie vorstellen. Möchtest du mein gekochtes Ei?" "Gern."
Sie brauchte einen Moment, um die Eierscheiben, die sich auf ihrem Salat befanden, auf Johns Teller zu befördern. "Willst du etwas über Gracie hören?" fragte John schließlich, nachdem er einen Schluck von dem Chardonnay getrunken hatte. "Hast du denn Lust, mir etwas von ihr zu erzählen?" "Nein. Aber ich habe das Gefühl, ich sollte es tun." "Nun, das brauchst du nicht." Sie stach mit der Gabel in ein Stück Tomate. "Selbst wenn wir ... wenn dies ..." Wie sollte sie beschreiben, was zwischen ihnen vorging? "Ich meine, wir werden kein Paar werden, weil wir nicht zueinander passen. Aber selbst wenn wir es täten, müsstest du mir nicht deine Geheimnisse preisgeben. Gracie ist ein Teil deiner Vergangenheit, die du hinter dir gelassen hast." "Das ist eine sehr gesunde Anschauung", erklärte er mit einem anerkennenden Nicken. "Aber Gracie ist nun einmal die Mutter meiner Kinder. Das heißt, sie bleibt ein Teil meines Lebens, obwohl ich sie nach dem Morgen, an dem sie die Kinder zur Welt gebracht hat, nicht mehr gesehen habe." Barbara hätte gern etwas dazu gesagt, aber was? Gracies Verhalten war ihr unverständlich. "Die Kinder sehen ihr natürlich ähnlich, besonders Jade, wenn sie lächelt. Und sie fragen auch von Zeit zu Zeit nach ihr. Aber sie haben sie noch nie zu Gesicht bekommen, noch nicht einmal auf einer Fotografie. Ich Halte es für besser so, zumindest solange sie Kinder sind. Was sie tun, wenn sie erwachsen sind, ist ihre Sache." "Was hat dich veranlasst, die Kinder zu behalten?" Das war eine Frage, die sie einfach stellen musste. "Ich meine, du wusstest doch bestimmt, wie schwierig, ja fast unmöglich es sein würde, zwei Kleinkinder ohne Mutter großzuziehen." "Es sind meine Kinder", erklärte er schlicht. "Sie wurden in Liebe empfangen, zumindest, was mich betraf." "Es tut mir leid, dass deine Liebe nicht erwidert wurde." Er zuckte die Schultern. "Es war eine harte Lektion, aber das sind die Lektionen, die wir am besten behalten. Gracie war eine lebenslustige, freiheitsliebende Frau." Er seufzte schwer, so als müsste er auch heute noch die Geister der Vergangenheit vertreiben. "Das Problem war nur, dass wir bei wichtigen Entscheidungen nicht übereinstimmten. Dann wurde sie schwanger, und ich bestand darauf, sie zu heiraten. Sie wollte unbedingt als Fotomodel Karriere machen; und deshalb war Abtreibung die einzige Lösung für sie. Also trafen wir eine Vereinbarung. Ich kam ein Jahr für ihre gesamten Ausgaben auf, und dafür bekam ich noch vor der Geburt das Erziehungsrecht für das Baby." Er lächelte, als er sich verbesserte. "Die Babies. Dass es Zwillinge sein würden, wurde erst im vierten Monat der Schwangerschaft festgestellt." John lehnte sich im Stuhl zurück und spießte ein Salatblatt auf. "Gracie versprach, nie mehr mit mir oder den Kindern Kontakt aufzunehmen, nachdem sie geboren wären, und das hat sie bisher auch ge halten. Das ist die ganze Gracie-Story." "Und du hast dir geschworen, nie mehr zu heiraten." Er legte seine Gabel nieder, lehnte sich mit verschränkten Armen leicht vor und lächelte sie liebevoll an. Keine Spur von Gedanken an Gracie war in seinen Augen zu finden. "Doch dann treffe ich eine Frau, die mich als Ehemann nicht akzeptieren will, und plötzlich ist mir nichts wichtiger, als ihre Meinung über mich zu ändern." Barbara erwiderte sein Lächeln, glücklich, dass die Sorgenfalten aus seinem Gesicht verschwunden waren. "Tu uns beiden einen Gefallen", erklärte sie, "und rede nicht mehr von Heirat." "Weil ich beruflich des Öfteren auf Reisen bin?" "Zum Teil, aber vor allem, weil ich nach jemandem Ausschau Halte, der seriöser ist." "Seriös?" wiederholte er verächtlich. "Du meinst diesen Trevor, der dich noch nicht einmal zu den Cayman-Inseln mitgenommen und dir einen Rentenbrief zum Geburtstag geschenkt
hat, der weder Waschbären füttern würde, noch Frauen mit Hüten mag. Das ist nicht dein Ernst, Barbara." Sie musste auf einmal lachen, herzlich und ein wenig übermütig. Und auf einmal wurde ihr klar, dass Trevor sie nie zum Lachen gebracht hatte und dass sie ihn nicht im geringsten vermisste. Johns Blick wanderte von ihrem lachenden Gesicht zu dem Hut mit den falschen Juwelen. "Der Gedanke, dass du diesen Hut in Zukunft nie mehr tragen würdest, missfällt mir." "Ich werde ihn tragen." Sie sah nicht vom Teller hoch, als sie weitersprach. "Mittlerweile weiß ich, dass Trevor auch nicht der Mann ist, den ich mir wünsche. Ich habe sein Spießertum mit Seriosität verwechselt." Das beruhigte John. Er wusste vom ersten Moment an, als er diesen Trevor gesehen hatte, dass er nicht der richtige Mann für Barbara war. In Wahrheit war er selbst weitaus seriöser, als Barbara ihn einschätzte. Und er würde sie mit der Zeit schon davon überzeugen. Etwas später tranken sie in einer kleinen Kaffeebar Cappuccino und kauften Dinosaurier-TShirts für die Kinder und ein T-Shirt für Libby auf dem ‚Motorrad-Mama’ stand. Barbara lachte, als sie die Einkäufe in den Wagen legten. "Wann wirst du ihr die Harley kaufen?" "Ich habe sie bereits bestellt", antwortete er. "Ihre Familie trifft sich im September unten an der Küste. Sie werden alle auf Motorrädern kommen, und Libby wird diesmal stilgerecht anreisen." "Du glaubst, dass sie tatsächlich damit fahren kann?" "Sie ist früher immer Motorrad gefahren. Als ihre Kinder noch zu Hause waren, ist eines der Mädchen immer bei ihr mitgefahren, die andere beim Vater. Als die Kinder dann aus dem Haus waren, sind Peter und sie stets gemeinsam auf einem gefahren." Barbara versuchte, sich Libby mit ihrem Mann vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Sie seufzte. "Ich bin froh, dass Libby so glücklich war. Aber meine Idee von einem erholsamen Urlaub wäre, auf dem Beifahrersitz eines Cadillacs mitzufahren. Das höchste aller Gefühle wäre ein bequemer Jeep." "Ich werde mich daran erinnern", versprach John. "Und wo würdest du gern deine Flitterwochen verbringen?" "Nicht auf den Cayman-Inseln." "Nein." Barbara ging auf sein Spiel ein. "Vielleicht in Kanada. Im Gebiet um Lake Louisa herum. Es soll dort wunderschön sein." "Gute Wahl. Ich war bereits dort." "Natürlich." Sie warf ihm einen schalkhaften Blick zu. "Du bist ja auch ein vielgereister Mann." Er ignorierte ihre Bemerkung und startete den Motor. "Hast du bereits wieder Hunger?" fragte er. "Erwartet uns nicht Libby zum Abendessen?" John schüttelte den Kopf. "Also wenn du mich so fragst, dann hätte ich Lust auf Hamburger, viele ZwiebeWnge und Vanilleeis mit Karamellsoße." "Dein Wunsch ist mir Befehl", erklärte John und zog sie mit einem Arm leicht zu sich herüber. Seit Jahren hatte er keinen so angenehmen Tag mehr mit einer Frau verbracht. Zwei Stunden später fuhr er in ein Drive- in Restaurant, wo ein Mädchen im CheerleaderOutfit und auf Rollschuhen seihe Bestellung aufnahm, während aus den Lautsprechern Musik der Sechziger Jahre dröhnte.
Barbara löste den Sicherheitsgurt, machte es sich in ihrem Sitz bequem und seufzte mit geschlossenen Augen. "Ich weiß, dass erst ein paar Tage vergangen sind, aber ich habe das Gefühl, Mittwoch liegt bereits ein Jahr zurück." "Die Zeit beschleunigt sich, wenn wir zusammen sind", sagte er. "Eine Menge beschleunigt sich. Mein Herzschlag. Mein Puls ..." Sie seufzte erneut und streckte sich genüsslich. "Ich weiß. Ich bin eine Sexgöttin." "Wie kommen Sexgöttinnen damit zurecht, Zwiebelringe zu essen?" "Wir küssen niemanden." "Nie?" "Nicht, nachdem wir Zwiebelringe gegessen haben." Sie setzte sich auf und öffnete die Augen. "Ich weiß immer noch nicht, was ich mit den Garbanzobohnen tun soll." "Kein Problem", erwiderte John trocken. "Ich habe ja auch keine bestellt." "Sehr komisch. Ich rede von dem Auftrag." "Ich weiß, aber dieses Thema ist am Sonntagabend verboten. Glaubst du, dass Mrs. Gordon sich wirklich ein wenig in Hal verliebt hat?" Barbara zog die Beine an. "Es ist mir noch nicht aufgefallen, aber ich war ja auch mit meiner eigenen Rolle so sehr beschäftigt. Ich glaube nicht, dass sie wirklich so kalt und abweisend ist, wie sie uns vormachen will. Wahrscheinlich wurde sie einmal sehr verletzt." "Das könnte stimmen." "Hat Hal... sie bemerkt... als Frau?" John zuckte die Schultern. "Er erzählt nie viel über die Frauen in seinem Leben, aber er sagte mir, dass er sich Mühe gegeben habe, Joanna Gordon auf dem Heimweg von unserem Besuch im Zoo aufzumuntern." "Er tat es, weil er dein Partner ist. Schließlich hat er genauso viel zu verlieren wie du, wenn ihr diesen Auftrag nicht bekommt." "Vielleicht irre ich mich, aber ich hatte das Gefühl, dass mehr dahinterstecken würde. Ich kenne ihn ziemlich gut und spüre leicht heraus, was in ihm vorgeht. Hal hat die Fähigkeit, hinter die Dinge zu sehen. Ich habe das Gefühl, dass ihm das auch bei Joanna gelungen ist." Barbara lächelte. "Die Kinder lieben Hal, soviel ist sicher." "Das ist auch nicht verwunderlich. Er war fast immer für sie da. Er hat mit mir die Kinderzimmer eingerichtet, die Kinder herumgetragen, als sie zahnten oder Kolliken hatten. Er hat sie mit Heftpflaster verarztet und sie getröstet, mit ihnen gespielt und sie auch einmal ausgeschimpft. Er könnte uns nicht mehr bedeuten, wenn er tatsächlich mein Bruder wäre." Die rollschuhfahrende Bedienung erschien, befestigte das Tablett auf dem heruntergekurbelten Fenster, nahm. Johns Geld in Empfang, gab das Wechselgeld heraus und rollte wieder graziös davon. John reichte Barbara einen Hamburger und einen Pappbecher. Sie biss herzhaft in den Burger und gab einen anerkennenden Laut von sich. Dann warf sie einen Seitenblick auf Johns Tüte mit den Zwiebelringen. "Kann ich einen Zwiebelring haben?" fragte sie. "Nein", erwiderte er und konzentrierte sich auf sein Sandwich. Er zieht mich nur auf und wird gleich kapitulieren, dachte Barbara, aber als nichts dergleichen geschah, versuchte sie, sich selbst einen zu stibitzen. John schob sanft aber bestimmt ihre Hand beiseite. "Ich sagte nein." Er sagte es so ernst, dass sie misstrauisch wurde. "Muss ich mir einen erkämpfen?" Er schüttelte ohne zu überlegen den Kopf. "So interessant wie die Möglichkeit auch sein mag ... nein." "Muss ich nett fragen?" "Das hast du bereits getan, und ich habe nein gesagt."
"Warum gibst du mir keine?" Er nahm einen Schluck aus seinem Becher. "Wegen der Regel." Für einen Moment wusste Barbara nicht, wovon er sprach. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie gesagt hatte, eine Sexgöttin zu sein und dass sie nie jemanden küssen würde, nachdem sie Zwiebelringe - gegessen habe. Sie kniete sich seitwärts auf ihren Sitz und sah John herausfordernd an. "Was soll das werden?" fragte er. "Ich möchte dir einen Kompromiss vorschlagen", erwiderte sie. "Ich gebe dir einen Kuss, dann gibst du mir einen Zwiebelring." "Das ist kein guter Vorschlag", entgegnete er "Ich bekomme nur einen einzigen Kuss und nach dem Zwiebelring keinen weiteren mehr." Sie rückte ein wenig näher. "Und wie lautet die Lösung?" "Wir haben bereits darüber geredet", erklärte er dickköpfig. "Du bekommst keinen Zwiebelring." "Wirklich?" Mit einem aufreizenden Blick griff sie hinter ihn, schnappte sich die Tüte und wollte sich gerade damit auf ihrem Sitz bequem machen, als John sie bereits festhielt. Die Tüte fiel zu Boden, und er zog Barbara an sich heran. "Siehst du, du hast immer noch keine Zwiebelringe. So, und jetzt küsst du mich zur Strafe bei jeder roten Ampel, vor der wir Halten werden, bis wir zu Hause sind, und in der Einfahrt und auf der Veranda und im Schlafzimmer ..." Seine Stimme war nur noch ein verführerisches Flüstern. "Wenn alle anderen bereits im Bett sind." Sie sehnte sich danach, mit ihm zu schlafen, aber sie wusste, dass sie damit alle Vorsicht über Bord warf, auf die sie sonst so bedacht war. "Aber ... damit könnten wir uns in Schwierigkeiten bringen ..." "Ich weiß", flüsterte er und küsste ihr Ohrläppchen. "Aber du erwartest doch nicht etwa, dass du dein Leben ganz ohne Schwierigkeiten führen könntest?" Er küsste sanft ihren Hals, und als er mit der Hand unter ihre Bluse schlüpfte, begann sich die Welt um Barbara zu drehen. Innerhalb weniger Sekunden schien sie jeglichen Bezug zur Realität verloren zu haben. John küsste sie fordernd und leidenschaftlich, und es war ihr unmöglich, vor ihm zu verbergen, wie sehr sie ihn bereits liebte. Ihre Liebe war so stark geworden, dass sie nicht mehr geleugnet werden konnte. Während John sie liebkoste, schmiegte sie sich an ihn und flüsterte immer und immer wieder seinen Namen. "Ja", sagte er sanft. "Du gehörst zu mir. Es spielt keine Rolle, ob du es zugibst oder nicht. Ich gehöre dir, und du gehörst mir." Sie konnte kein geschicktes Argument gegen diese Worte hervorbringen. Die ungeschminkte Wahrheit war, dass er recht hatte. Und sie hatte vergessen, warum sie jemals etwas anderes gedacht hatte.
8. KAPITEL
Es hatte zu regnen begonnen. Dicke Tropfen schlugen gegen die Windschutzscheibe, als John nach Hause fuhr. Barbara hatte sich an ihn geschmiegt, und bei jeder roten Ampel küssten sie sich oder schauten sich einfach nur in die Augen. Zu Hause standen sie in der Dunkelheit der Garage, hielten sich in den Armen und küssten sich. Dann griff John in den Wagen, holte ihren Hut heraus und setzte ihn ihr auf den Kopf. Sie gingen unter dem Überdach, das sie vor dem Regen schützte, zum Hintereingang und sahen sich noch einmal in die Augen, bevor sie endgültig das Haus betraten. Sie fanden Hal allein in der Küche vor. Er las die Sonntagszeitung und nippte an einem Brandy. Sein Blick wanderte von John zu Barbara und dann wieder zu John zurück, als wenn er etwas bestätigt haben wollte. Dann nickte er und lächelte. "Habt ihr einen schönen Tag verbracht?" fragte Hal. "Großartig", antwortete John. "Und du?" "Es war nervenaufreibend. Ich werde mich nie mehr anbieten, bei einem Kindergeburtstag zu helfen. Deine Kinder schlafen bereits." John lächelte. "Danke, dass du sie mitgenommen hast. Pfarrer Mike und Joanna sind gut angekommen?" "Gerade rechtzeitig zum Abendessen. Sie haben sich bereits für die Nacht zurückgezogen. Libby ebenfalls. Der Wochenend- Telefonservice hat angerufen. Bentley-Bowles hinterließ eine dringende Nachricht über eine neue Firma, die sie erworben haben. Ich habe bereits zurückgerufen und ihnen gesagt, dass wir uns morgen mit ihnen in Verbindung setzen werden." John stöhnte. "Warum haben wir nur so viele Kunden, die sogar am Sonntag arbeiten?" "Reiner Zufall, nehme ich an." Hal sah beide mit einem leichten Lächeln an. "Schlaft nicht so lange. Libby versprach, zum Frühstück Eier auf Benediktiner Art zu machen." Barbara wünschte Hal eine Gute Nacht und wusste genau, was er dachte. Sie und John schauten gemeinsam in die Zimmer der Kinder und gingen dann in Johns Schlafzimmer. Der Regen schlug leicht gegen die Fenster, und der Wind rauschte in den Bäumen hinter dem Haus. John wollte das Licht einschalten, aber Barbara hielt seine Hand zurück. Sie wollte jetzt kein Licht. Sie wollte die Dunkelheit benutzen, um endlich ihrem Impuls nachgeben und sie selbst sein zu können. Sie liebte John Cheney. Was als Täuschung begann, hatte sich in die bedeutsamste Wahrheit ihres Lebens verwandelt. Es spielte keine Rolle mehr, ob er viel herumreiste und jedes Problem mit seinem Charme zu lösen schien. Sie wollte ihn mehr als alles andere auf der Welt. John ergriff die Hand, mit der sie ihn festge halten hatte, und spürte, wie sie bebte. Er wusste, warum, ihm erging es auch nicht anders. "Was ist los?" fragte er, nahm ihr mit der freien Hand den Hut ab und legte ihn beiseite. Barbara schmiegte sich an ihn und glitt mit einer Hand unter sein Jackett. Sein Körper reagierte, als wenn sie seine nackte Haut berührt hätte. "Liebe", flüsterte sie, und ihre Augen schimmerten im Dunkeln. "John, ich habe mich in dich verliebt." Er zog sie fest an sich. "Barbara", sagte er mit ebenso leiser Stimme. "Ich habe auf dich lange Zeit gewartet." "Oh, John." Sie seufzte und rückte von ihm ab. Für den Bruchteil einer Sekunde war John besorgt, dass sie sich gegen ihre Liebe entscheiden würde. Doch dann legte sie die Hände auf die Aufschläge seines Jacketts und schob es ihm von den Schultern. Er ließ es zu Boden fallen.
Sie begann sein Hemd aufzuknöpfen, und er versuchte dasselbe bei ihrer Bluse. Aber die Knöpfe waren zu klein für seine großen Hände. Entschlossen drückte sie seine Hände weg, und sobald sie die beiden ersten auf hatte, zog sie sich die Bluse über den Kopf. Die weiße Seide ihres BHs schimmerte in der Dunkelheit, und John zog Barbara sanft an sich. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an ihn, und er fuhr mit rastlosen Händen über ihren Rücken und ihre Schultern, bis Ihr Atem schneller ging und sie ein wunderbar prickelndes Gefühl auf der nackten Haut verspürte. Mit einem sicheren Griff hakte er ihren BH auf und ließ das spitzenbesetzte Nichts von einem Kleidungsstück auf den Boden fallen. Barbara legte sofort die Arme um John und drängte sich an ihn. Sein Stöhnen und ihr Seufzen waren die einzigen Laute in dem sonst stillen, dunklen Raum. John hob Barbara auf die Arme, legte sie auf das Bett und zog den Reißverschluss ihrer Jeans auf. Schnell hatte er mit der Jeans auch ihren Slip ausgezogen. Und nur Sekunden später lag auch er nackt auf dem Bett. "Ich liebe dich", sagte er. Ihm war schwindlig vor Glück und Verlangen. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Seine ganzen Sinne waren nur auf das eine ausgerichtet: Barbara ganz zu besitzen. Sehnsuchtsvoll presste sie die Lippen auf seine harte, muskulöse Brust und küsste dann seine Schulter. "Dafür reichen keine Worte", sagte er mit rauer Stimme. Er nahm Barbara in die Arme und streichelte jeden Zentimeter ihres zitternden Körpers, an den seine Hände herankamen. "Es gibt nur einen Weg, dir meine Liebe zu beweisen", flüsterte er atemlos und küsste sie mit fast verzweifelter Sehnsucht. Sanft ließ er sie auf den Rücken gleiten, streichelte die zarte Haut ihres Bauches und umschloss mit dem Mund eine ihrer erregten Brus tspitzen. Bebend drängte Barbara sich an ihn und öffnete ihm Seele und Körper. Sie konnte, wollte einfach nicht länger warten. John stöhnte auf, als er in sie eindrang, und sie wurden hinaus in ein Universum geschleudert, in dem es nur noch Liebe, Lust und Leidenschaft gab. Barbara stieg aus der Dusche und landete mit einem kleinen Überraschungsschrei genau in Johns wartenden Armen. "Ich bin nass", warnte sie und versuchte Halbherzig, sich von ihm zu lösen, während sie mit der Hand nach dem Badetuch angelte. "Das spielt keine Rolle", erklärte er und küsste ihren Nacken. "Ich bin nicht angezogen." "Du solltest aber ... angezogen sein. Der Wecker hat bereits vor ... vor fünfzehn Minuten geklingelt. John, es ist Montag." "Ich habe den Wecker gehö rt", erklärte er und griff für sie nach dem Badetuch, während er sie weiterhin mit kleinen Küssen verwöhnte. "Mir ist es gleich, was für ein Tag heute ist. Bist du denn kein bisschen sentimental, Barbara? Schließlich haben wir uns im Badezimmer kennengelernt." "Ich war nicht nackt", entgegnete Barbara mit viel Würde, obwohl sie Schwierigkeiten hatte, die Worte auszusprechen, als er begann, sie mit dem Badetuch gründlich abzutrocknen. "Ich habe einen Teddy getragen." Er gab einen anerkennenden Laut von sich. "Ich weiß. Das hat sich für immer bei mir eingeprägt." "Die Kinder werden bald aufstehen", warnte sie ihn, während er ihr mit ganzer Hingabe, aber sanft, die Brüste trockenrieb. John blickte ihr in die Augen und sah dieselbe Sehnsucht und Scheu, die er bereits letzte Nacht gespürt hatte. Er hatte sich das nicht eingebildet. Sie liebte ihn auch. Er warf das Badetuch auf den Boden und zog Barbara ungestüm an sich. "Dann ist es wohl besser, wenn wir uns beeilen", erklärte er, hob sie auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer.
Barbara war fasziniert, dass es an diesem Morgen wieder so neu für sie sein konnte, wo sie sich während der Nacht dreimal geliebt hatten. Voller Leidenschaft gab sie sich seinem suchenden Mund und seinen geschickten Händen hin, mit denen er ihr so viel Lust schenken konnte. "Ja", sagte John in das drahtlose Telefon, während er versuchte, mit einer Hand sein Hemd zuzuknöpfen. Es funktionierte nicht. Barbara, die eine elfenbeinfarbene Bluse aus kostbarer Seide und nur einen hauchzarten Seidenslip trug, schob seine Hand zur Seite und Half ihm. "Hal hat mich informiert, dass Sie angerufen haben", erklärte er ins Telefon und strich Barbara über die Wange. "Ja, ich habe über den Erwerb in dem Wall Street Journal gelesen. Herzlichen Glückwunsch." Barbara hatte sein Hemd zugeknöpft und wollte sich gerade, von ihm entfernen, als er ihre Hand ergriff und sie wieder an sich zog. Sie warf ihm einen rügenden Blick zu und zeigte mit dem Finger zuerst auf ihren Slip und dann auf den Wandschrank, was ihm zu verstehen geben sollte, dass sie sich anziehen müsse. Sie hörte die Stimme am anderen Ende der Leitung, als John hin und wieder verständnisvoll nickte. Dann glitt er mit der Hand unter den Bund ihres Slips und zog ihn hinunter. Sie gab ihm einen Klaps auf die Hand, und er hob theatralisch die Hand hoch, während er mit freundlicher Stimme seinem Gesprächspartner mitteilte: "Aber natürlich. Wir werden das sofort in Angriff nehmen." Barbara ging lächelnd zum Wandschrank und zog einen schlichten graugestreiften Rock an. Sie wusste, dass sich die Bent ley-Bowles Büros in den neuen Gebäuden am Fluss befanden. Selbst wenn John sich tagsüber dort aufhalten müsste, würde er wenigstens nachts bei ihr sein. Und sie sehnte sich nach jeder Minute, die sie beide zusammen verbringen könnten. Barbara zog die passende Kostümjacke aus dem Schrank und sah sich nach ihrer Handtasche um. "Entschuldigen Sie, das habe ich nicht richtig verstanden", hörte sie John sagen. "Was sagten Sie, wo sich die Firma befindet?" Barbara hörte das kurze Schweigen und wusste sofort, was es bedeutete. Sie ging auf John zu und blickte ihm in die Augen. Er sah sie unverwandt an. "Rhode Island", erklärte er, und es klang sarkastisch. "Hättet Dir nicht eine Firma in Kalifornien oder Washington erwerben können?" Barbara hörte das Lachen am anderen Ende der Leitung und hätte John und den Präsidenten von Bentley-Bowles am liebsten erwürgt. Statt dessen nahm sie die Suche nach ihrer Handtasche wieder auf und versuchte sich zu beruhigen. Dass John jede Nacht zu ihr nach Hause kommen würde, konnte sie also vergessen. So wie es aussah, würde er dreitausenddreihundert Meilen entfernt von ihr sein. "Ja, das kann ich", sagte John. "In ein paar Tagen sollten wir bereits eine solide Grundlage haben, aber ich muss aus persönlichen Gründen am Wochenende wieder zu Hause sein. Falls es notwendig werden sollte, könnte ich ja für die Details nach dem Wochenende wieder zurückkommen." Barbara spürte, wie sein Blick auf ihr lag, als sie schließlich sogar unter dem Bett nach ihrer Tasche suchte. Doch auch da war nichts, noch nicht einmal Staub. Als sie wieder zum Vorschein kam und sich das Haar aus dem Gesicht strich, starrte sie geradewegs in Hals Kamera. Sie stöhnte. "Ist Ihnen denn nichts heilig?" Er schüttelte den Kopf. "Die Tür war offen, und da Sie bereits angezogen waren, bin ich den Katzen nachgefolgt." Er zeigte auf die beiden Tiere, die sich eingeschlichen haben mussten, als sie nach ihrer Handtasche suchte. Beide lagen zusammengerollt auf Johns Kissen. "Ich habe mir gedacht, Sie würden mich bezahlen, um diese Aufnahmen zu vernichten. Ein jeder Fotograf hat einen Erpresser-Ordner für magere Zeiten."
Sie schob Hal zur Seite und ging an ihm vorbei. "Ich glaube nicht, dass Mrs. Gordon ihre Geschäftsmethoden gefallen würden." "Ich nehme an, sie hält mich sowieso für eine arme verlorene Seele." Als Barbara an John vorbeikam, strich er ihr über die Wange. Hal fotografierte auch diese Geste. Sie hörte, wie John das Telefongespräch beendete und dann die Antenne des drahtlosen Telefons einschob. "Was machst du in unserem Schlafzimmer?" fragte er Hal. "Einige private Fotos am Morgen waren vorgesehen", antwortete Hal kurz. "Was hat Bentley gesagt? Musst du zu der neuen Firma fahren?" "Ja. Auf Rhode Island." Hal pfiff. "Wirst du mich brauchen?" "Nein. Du passt besser auf, dass hier alles reibungslos läuft. Wir werden uns zusammensetzen, nachdem ich weiß, was Bentley genau von uns will. Würdest du jetzt bitte gehen, damit wir uns fertigmachen können?" "In Ordnung", erklärte Hal, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Barbara suchte noch immer nach ihrer Tasche, diesmal im Wandschrank. John stellte sich hinter sie und drehte sie zu sich herum. "Ich werde Donnerstag wieder zurück sein", erklärte er. "Ich weiß", erwiderte sie und ging an ihm vorbei, um unter dem Nachttisch nachzusehen. "Barbara", rief er ungeduldig aus, zog sie wieder zu sich herauf und zwang sie, ihn anzusehen. "Ich bin nicht dein Vater. Auch wenn ich fort bin, werde ich stets an dich denken." Sie seufzte und legte die Hände auf seine Arme. "Ich weiß. Ich verstehe, dass du verreisen musst." Er setzte sich auf den Bettrand und zog sie auf den Schoß. "Worüber bist du dann so verärgert?" "Als Hal mit seiner Kamera hereinkam, wurde mir auf einmal wieder bewusst, dass wir eigentlich nur Schauspieler in einer Werbesendung sind." "Du weißt, dass das nicht stimmt", erwiderte er und drückte sie zärtlich an sich. "Es hat vielleicht so begonnen, aber jetzt ist alles anders." Sie senkte die Augen. "Liebst du mich wirklich? Oder soll ich nur deine Familie komplett machen und Gracie ersetzen?" "Ich würde dich niemals als Ersatz für Gracie benutzen. Ich liebe dich, weil du so bist, wie du bist, eben ganz anders als Gracie." "Vielleicht", sagte sie ernst. "Aber ich finde, wir sollten alles etwas langsamer angehen, bis wir wissen, was wir wirklich füreinander empfinden." "Das weiß ich jetzt schon", entge gnete er und schubste sie sanft aufs Bett zurück. "Und ich werde es nicht zulassen, dass du weiterhin diese Zweifel mit dir herumträgst." Er griff nach ihrem Rock und öffnete den Reißverschluss. Sie versuchte ... erfolglos ... seine Hand wegzuschieben. "Deine Reise wird uns Zeit geben, nachzudenken." "Das stimmt." Er zog ihr den Rock aus. "Aber ich werde an dich denken", sagte er und glitt mit den Händen unter ihren Seidenslip. "Und ich werde dafür sorgen, dass du auch an mich denkst." In weniger als ein paar Sekunden machte er es ihr unmöglich, überhaupt einen Gedanken zu fassen.
9. KAPITEL
John sah echte Traurigkeit in Barbaras Blick, als er am Flugsteig stand und sich mit einem Kuss von ihr verabschiedete. Pfarrer Mike und Joanna beobachtete die Szene, während Hal um sie herumlief und Fotos machte. "Ich werde dich jeden Tag anrufen und am Donnerstag zum Abendessen wieder zu Hause sein", versprach John, während er Barbara in den Armen hielt. "Du könntest bereits für uns packen, damit wir ganz früh am Freitag morgen losfahren können. Du weißt, wie du mich erreichen kannst", erinnerte er sie. "Also ruf mich an, so oft du Lust dazu hast." "In Ordnung." Sie zwang sich zu einem Lächeln und war überrascht, dass plötzlich ein Kloß in ihrer Kehle steckte. Was war nur los mit ihr? Er wird nur drei Tage fort sein, hielt sie sich vor. Das werde ich doch wohl noch überstehen. Aber es war nicht leicht. Er war ihr so wichtig in ihrem Leben geworden. Dann erinnerte sie sich an Jade und das Gespräch, das sie mit der Kleinen vor dem Schulgang geführt hatte. "Ich habe Jade versprochen, dich noch einmal wegen der Ohrringlöcher zu fragen", erklärte sie. Sein Flug wurde zum letzten Mal aufgerufen. "Findest du es richtig?" "Ja, aber sie ist nicht meine Tochter." "Nun, sie wird es bald sein", sagte er fest. "Tu also, was du für das beste hältst." "John..." Er gab ihr einen letzten Kuss und lächelte. "Ich werde dir vertrauen, dass du das Richtige für meine Tochter tust, wenn du darauf vertraust, dass ich der richtige Ehemann für dich sein werde." Sie wusste, wie sehr er seine Kinder liebte und dass ihm diese Worte nicht leichtgefallen sein mussten. "In Ordnung", flüsterte sie und küsste ihn kurz, als die Flughafenangestellte seinen Namen aufrief. "Geh, bevor du dem Flugzeug nachjagen musst. Ich sehe dich am Donnerstag wieder." Sie spürte, wie ihr Herz schwer wurde, als John aus ihrer Sicht entschwand, und rügte sich deswegen. Sie war eine erwachsene Frau, die sehr gut allein zurechtkam, und es gab keinen Grund, warum sie genau das nicht könnte, bis er wieder zurückkehren würde. Und sie konnte es. Nachdem sie Hal, Joanna und Pfarrer Mike zum Essen ausgeführt hatte, ging sie ins Büro, setzte sich in ihr winziges Zimmer und war fest entschlossen, endlich eine Idee für den Garbanzo-Auftrag zu bekommen. Aber sie bekam keine. Sie starrte nur auf ihre kleinen Zeichnungen und ihr Gekritzel und dachte unentwegt an John. Die Kinder schienen den Vater nicht allzu sehr zu vermissen. Es fiel nur auf, dass sie stets zum Telefon rannten, wenn es klingelte und sie fast ständig in der Nähe von Barbara blieben, wenn sie zu Hause war. In der zweiten Nacht von Johns Abwesenheit fand Barbara einfach keinen Schlaf. Also stand sie auf, zog Johns Bademantel über ihr Nachthemd und ging in die Küche. Der Duft seines After-Shaves hing in dem Frotteemantel, und sie fühlte sich weniger einsam. John hatte heute einige Male versucht sie anzurufen, aber sie war stets mit Kunden beschäftigt gewesen und fühlte sich jetzt entnervt und deprimiert. Sie hoffte, dass eine Tasse Tee und eine Halbe Stunde die Waschbären beobachten sie beruhigen würden. Die Kinder und Pfarrer Mike schliefen bereits, und Hal hatte Joanna wegen eines plötzlich aufgetretenen Rohrbruchs ins Pfarrhaus begleitet.
Sie war kaum einige Minuten in der Küche, als das Klingeln des Telefons durch die Stille der Nacht Hallte. Barbaras Herz schlug mindestens einen Takt schneller, als sie den Hörer abnahm, denn sie war sicher, dass es nur John sein konnte. "Hallo?" "Barbara." Seine tiefe Stimme hatte eine wunderbar beruhigende Wirkung auf sie. "Ich habe dich heute nicht erreichen können." "Das tut mir leid. Ich war sehr beschäftigt", erwiderte sie und lächelte breit aus Freude über seinen Anruf. "Wie fühlst du dich so auf Rhode Island?" "Einsam", gab er zu und stellte sich Barbara vor, wie sie in der Mitte des Bettes lag. Er hatte sich bereits in der ersten Minute, nachdem er sich von ihr getrennt hatte, nach ihr gesehnt, und er wusste, dass es ihr auch nicht anders erging. "Bevor ich dich kannte, habe ich mich noch nie so einsam gefühlt. Natürlich habe ich auch die Kinder vermisst, aber das ist nicht das gleiche." Sie wollte irgend etwas Witziges zu ihm sagen, aber sie war so von ihren Gefühlen überwältigt, dass ihr nichts außer der Wahrheit einfiel: "Ich habe dich auch vermisst." John ließ ihre Worte auf sich wie Balsam einwirken. "Bist du im Schlafzimmer?" "Nein, in der Küche. Ich sitze am Tisch und trinke Tee." "Was trägst du?" Sie lächelte. "Ein Nachthemd und darüber deinen Bademantel. Ich versichere dir, dass ich umwerfend darin aussehe." "Meinen Bademantel?" fragte er. "Soll ich raten, warum du ihn trägst?" "Nein", antwortete sie schnell, nahm ihren Tee und ging in das dunkle Wohnzimmer. "Ich sage dir, warum." Ohne das Licht einzuschalten, nahm sie in einem der großen Sessel Platz und spürte wie die Liebe und das Verlangen nach ihm sie aufwühlten. "Weil dein Duft ihm anhängt und weil ich das Gefühl habe, du würdest mir über die Haut streicheln." "Barbara", flüsterte er rau. "In meinen Gedanken umarme ich dich und Halte dich fest an mich gepresst." Er überbrückte mit seiner Liebe die Distanz eines Kontinents, und Barbara konnte ihn fast körperlich fühlen, seine harten Muskeln, seine liebevolle Umarmung. John hörte, wie sie seufzte, und schloss für einen Moment die Augen. "Nur noch achtundvierzig Stunden", versprach er ihr, und seine Stimme war heiser vor Sehnsucht und Frustration, "und ich werde bei dir sein." "Denk immer daran, dass ich dich liebe", sagte Barbara zärtlich, und als sie am anderen Ende der Leitung plötzlich Stimmen im Hintergrund hörte, war ihr klar, dass sie ihr Gespräch beenden mussten. "Bis bald, Liebling. Ich warte auf dich." "Barbara ..." "Ich weiß, dass du jetzt nichts sagen kannst..." "Und ob ich das kann", widersprach er. "Ich liebe dich auch. Halt unser Bett warm." Sie hörte das Gelächter von Männern und dann wieder seine Stimme. "Bis bald, Barbara." "Bye, John." Barbara hing den Hörer auf, und die Brücke, die sie mit John soeben verbunden hatte, brach in der plötzlichen Stille entzwei. Sie war allein, und er war dreitausend Meilen von ihr entfernt. Erneut überfiel sie ein Gefühl der Einsamkeit. Doch dann erinnerte sie sich, wie er ihr versprochen hatte, bald wieder zu Hause zu sein, und wie zärtlich seine Stimme geklungen hatte, als er sie bat, das Bett warm zu Halten, und plötzlich fühlte sie sich nicht mehr ganz so einsam. Sie setzte sich auf und wunderte sich, warum sie sich so unbeschwert fühlte und was ihren Trübsinn vertrieben habe. Und dann wusste sie, was es war. Selbst wenn John dreitausend Meilen weit von ihr entfernt war, spürte sie seine Liebe, als wenn sie in seinen Armen liegen würde. Es war also wahr ... sie spielten nicht mehr. Sie liebten einander.
Irgendwie schien es in der Ecke des Wohnzimmers, wo sie saß, auf einmal heller geworden zu sein. Plötzlich öffnete jemand energisch die Eingangstür des Hauses und riss Barbara aus ihren Träumen. Die Geräusche von hohen Absätzen, gefolgt vom Zuschlagen der Haustür und weiteren schweren Tritten Hallten durch den Flur. "Joanna ..." hörte sie Hal sagen. "Ich habe den Klempner nicht angeschrien", erwiderte Joanna mit ungewohnt hoher und erregter Stimme. Barbara hatte die Pastorin misstrauisch und angespannt gesehen, aber nie offen verärgert. "Sie schreien jetzt." Hals Stimme klang ruhig und kontrolliert. "Das tue ich nicht! Ich spreche nur laut genug, damit Sie mich verstehen können. Ich sagte Ihnen doch bereits, dass Sie nicht mit ins Pfarrhaus kommen müssten, dass ich ohne Sie mit dem Klempner zurechtkommen würde. Und ich sagte Ihnen auch, dass Sie ihn nicht zurückrufen sollen, dass ich einen anderen bestellen würde. Aber was taten Sie? Genau das Gegenteil von dem, worum ich Sie gebeten habe." Ein fast vibrierendes Schweigen folgte. Dann sagte Hal: "Wenn Sie Ihr Verhalten anderen gegenüber nicht ändern, werden Sie sich einmal als alte einsame Frau wiederfinden." Sie gab einen entrüsteten Laut von sich. "Der Klempner hat sein Bestes getan, als er bis zu den Waden im Wasser stand. Als er Sie bat, die Küche nicht zu betreten, hat er das aus Sorge um Sie getan und nicht, weil er Ihren göttlich inspirierten Rat nicht hören wollte. So wie ich die Sache sehe, sollen Geistliche Menschen helfen und nicht über sie herrschen. Das steht nur einem Einzigen zu." "Erzählen Sie mir nicht, was meine Aufgabe ist", erwiderte sie wütend. "Sie sind ein Heide!" "Ich lasse mich gern zu Ihrem Glauben bekehren, wenn Sie mir beweisen können, dass Sie mehr wissen als ich." "Danke, aber ich habe es schon einmal versucht, und es hat nicht funktioniert. Gute Nacht, Mr. Roman!" "Sollten Sie mir eigentlich nicht vergeben?" rief Hal ihr nach, als sie die Treppe hochrannte. Aber darauf folgte nur lautstarkes Türezuknallen. Die Hände tief in die Hosentaschen geschoben betrat Hal das Wohnzimmer. Dann erblickte er Barbara. "Es tut mir leid", sagte sie lächelnd. "Ich habe nicht mit Absicht gelauscht." Hal winkte ab. "Ist schon in Ordnung. Ich habe es verdient, öffentlich beschimpft und gedemütigt zu werden. Warum empfinde ich auch etwas für eine Drachenlady?" "Hal", ermahnte sie ihn und erhob sich. Hal lehnte sich gegen den Türrahmen. "Pfarrer Mike hat mir erzählt, dass Joanna sich in irgendeinen Kriminellen verliebt habe, während sie seelsorgerisch ein Gefängnis betreuter Sie heiratete ihn und zwei Wochen später lief er davon und nahm die Kirchenschätze ihrer Gemeinde mit. Sie blieb beschämt und verbittert zurück." "Verständlich", erklärte Barbara sanft, als sie Hal folgte, der sich der Treppe zuwandte, um hinaufzugehen. "Bitternis ist selbstzerstörerisch", sagte er und sah sich zu Barbara um. "Joanna muss noch einmal von vorne beginnen." Barbara wusste genau, was in ihm vorging, und lächelte. "Sie würden für Joanna den perfekten Ehemann abgeben, aber lassen Sie es langsam und behutsam geschehen. Zeigen Sie ihr, wie sanft Sie sein können und dass Sie nie eine Frau so verletzen könnten, wie ihr Ehemann es getan hat." "Wahrscheinlich haben Sie recht", gab er zu und straffte die Schultern. "Danke, dass Sie mir zugehört haben." "Gern geschehen."
Barbara sah ihm nach ... ein nicht sehr großer, untersetzter Mann, der liebeskrank war. Sie ertappte sich dabei, wie sie lächelte. Liebe, dachte sie, müsste mit einer Gebrauchsanweisung geliefert werden. Sie blickte kurz in Joes und dann in Jades Zimmer, und ihr Herz strömte über vor Liebe. Dann ging sie in ihr Zimmer, in ihr leeres Bett, vermisste John verzweifelt, aber war nicht mehr so einsam wie zuvor. Als John am späten Nachmittag von Rhode Island zurückkehrte, fand er Barbara und seine Kinder auf der Wiese vor. Sie hatten eine rot-weiße Tischdecke auf dem Gras ausgebreitet und veranstalteten ein Picknick. Pfarrer Mike und Mrs. Gordon waren nirgendwo zu sehen, nur Hal stand in einiger Entfernung und schoss wieder einmal Fotos. Die Kinder liefen stürmisch auf John zu und zogen ihn förmlich aus dem Wagen und dann zur Wiese hin. Jade und Barbara umarmten und küssten ihn, und Barbaras Augen zeigten ihm unverhüllt, wie sehr sie ihn vermisst hatte und wie sehr sie sich danach sehnte, endlich mit ihm wieder allein sein zu können. Joe umarmte ihn ebenfalls und boxte ihn dann spielerisch gegen den Arm. "Gut, dass du wieder hier bist, Dad. Die beiden sind mir ganz schön auf die Nerven gegangen." Hal fotografierte die vier, und John fiel auf, wie grimmig das Gesicht seines Freundes wirkte. Aber bevor er noch darüber nachdenken konnte, packte Hal die Kamera in die Tasche. "Die Lichtverhältnisse sind nicht günstig", log er. "Ich sehe euch dann beim Abendessen." Jade hockte sich vor ihren Vater und tat alles, um seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Siehst du einen Unterschied?" fragte sie ihn und wandte den Kopf kokett von einer Seite zur anderen. In ihren Ohrläppchen steckte je ein hübscher kleiner Stern. John umschmiegte mit seinen großen Händen ihr kleines Gesichtchen, und ihm wurde auf einmal klar, was für eine wunderschöne Frau seine Tochter eines Tages sein würde. "Mir gefallen deine Ohrringe", antwortete er. "Du siehst damit sehr hübsch aus." Sie schlang die Arme um ihn. "Danke, Daddy, dass du es mir erlaubt hast." "Ich freue mich, dass ich dir eine Freude machen konnte, Kleines", sagte er. "Falls es euch interessiert, ich habe Geschenke im Wagen." "Prima." Beide Kinder rannten gleichzeitig los, und Jade vergaß einen Moment ihre neuerworbene weibliche Würde, als sie Joe zur Seite schubste, um als erste zum Wagen zu gelangen. John warf Barbara einen Halb amüsierten, Halb fragenden Blick zu. "Sagtest du nicht, dass sie durch die Ohrringe ihre Weiblichkeit finden würde?" Sie nickte entschuldigend und nahm sich einen Keks vom Teller. "Heutzutage kämpfen Frauen um das, was sie für sich haben wollen. Auch das ist ein Teil ihrer Weiblichkeit... wenn es im rechten Maß geschieht." "Um mich brauchst du nicht mehr zu kämpfen. Ich stelle mich dir freiwillig. Willst du mich?" fragte er verführerisch und küsste sie nur leicht, weil die Kinder bereits wieder mit den Geschenken zurückgelaufen kamen. "Ja, ich will dich", antwortete sie schnell. "Im Schlafzimmer. Und bald." Johns Herz schlug schneller, als er ihr noch einmal in die Augen sah, bevor er sich den Kindern zuwandte. John war fast überrascht, als er Barbara mitten auf dem Bett sitzen sah, mit nichts anderem als mit dem Armband bekleidet, das er ihr aus Rhode Island mitgebracht hatte. Nie zuvor war er einer erotischeren Frau begegnet. Er setzte sich zu ihr, legte eine Hand auf ihre Wange und lächelte.
"Ich liebe dich", sagte sie. "Und ich habe begriffen, dass du nicht wie mein Vater bist. Du reist, weil dein Beruf es verlangt, nicht weil du weglaufen willst. Als ich deine Stimme am Telefon hörte, hatte ich das Gefühl, du wärest tatsächlich bei mir." "Das war ich auch", erwiderte er mit heiserer Stimme. "Und ich werde es immer sein. Ich gehöre zu dir." "Ja." Sie zog ihm das T-Shirt über den Kopf und Half ihm die Shorts auszuziehen. Sie faltete beides sorgfältig und beugte sich vor, um es auf den Stuhl zu legen, der neben dem Bett stand, aber er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Sie fiel mit einem überraschten leisen Auflachen gegen ihn. "Ich dachte, wir würden behutsam beginnen." "Ich habe drei Tage und drei Nächte nur von dir träumen dürfen", erklärte er. "Ich werde nicht warten, bis du das ganze Schlafzimmer aufgeräumt hast." "Ich habe auch von dir geträumt." Sie legte sich auf ihn und schmiegte sich an ihn, um seinen harten, wundervoll männlichen Körper an ihrem weichen, so nachgiebigen zu spüren. Es war ein köstliches Gefühl. Er stöhnte auf, als er ihre harten Brustknospen an seiner muskulösen Brust spürte. Sie drängte sich an ihn, wollte mehr von ihm, wollte ihn ganz. Als er sie an den Armen packte und sie auf sich setzte, glaubte sie, vor Lust zu vergehen. Und sie schrie unterdrückt auf, als er in sie eindrang. Und als sie sich im ewigen Rhythmus aller Liebenden zu bewegen begannen, spürte sie mit einer Klarheit, die sie fast erschreckte, dass sie diesen Mann für immer lieben würde. "Geht es dir gut?" fragte er sie etwas später, zog die Decke über sie beide und presste ihren immer noch zitternden Körper an sich. "Macht dir die Macht unserer Liebe keine Angst?" fragte sie leise. "Nein." Er lächelte und küsste sie. "So und nicht anders muss es sein." Sie seufzte zufrieden und strich über seine Schulter. "Hast du deinen Eltern alles erzählt?" "Dass wir uns ineinander verliebt haben? Ja." Das war nicht, was sie gemeint hatte, aber es reichte ihr für den Moment. Sie war plötzlich sehr müde, und es schien ihr, es wäre besser, die Sorgen des morgigen Tages auch morgen anzugehen. Wenige Sekunden später war sie eingeschlafen. Tom und Edie Cheney standen auf der Veranda ihres Hauses wie Broadway-Schauspieler, die auf ihr Stichwort warteten. Tom Cheney war etwas kleiner als sein Sohn. Er hatte einen kräftigen Schnurrbart, der genauso grau war wie sein Haarkranz, warme braune Augen und einen leichten Bauchansatz, der ihn noch gemütlicher wirken ließ. Barbara bemerkte sofort, dass es Edie Cheney war, die ihrem Sohn das gute Aussehen vererbt hatte. Sie war groß und schlank, trug weiße Jeans und eine lange bunte Bluse, hatte ebenmäßige Gesichtszüge, und ihr Haar war im Nacken zu einem losen Knoten geschlungen. Sie kamen lächelnd die Stufen des alten Strandhauses mit seiner breiten, einladend wirkenden Veranda herunter. Die Sonne schien warm von einem wolkenlosen Himmel, und der salzige Geruc h des Meeres vermischte sich mit den Düften der Gräser im Hinterland. Edie umarmte herzlich ihre Enkelkinder und wandte sich dann Barbara zu, die den prüfenden Blick der älteren Frau wahrnahm, bevor sie in die Arme der Älteren gezogen wurde. Barbara umarmte sie nur leicht. Auf keinen Fall wollte sie übertreiben. Edie wirkte wie eine Frau, die ihre Freunde sorgfältig aussuchte. Dann umarmte John seine Mutter. "Hey, Mom" begrüßte er sie und fügte dann leise hinzu: "Wie schätzt du die Dinge ein?" "Den Pfarrer zu überzeugen ist ein Kinderspiel", flüsterte sie. ,,Aber die Pastorin ist eine harte Nuss."
John löste sich von Edie und stellte ihr die Gäste vor. Während seine Mutter mit ihnen Begrüßungsworte austauschte, brachte er Barbara zu seinem Vater. "Wie geht es meiner Lieblingsschwiegertochter?" fragte Tom und küsste ihre Wange. "Gut, Dad", antwortete Barbara und gab sich große Mühe, nicht so eingeschüchtert zu wirken, wie sie sich fühlte. "Ich freue mich schon seit Tagen auf dein berühmtes Clambake." John hatte ihr von diesem alten Rezept erzählt, in dem Muscheln und einige andere Zutaten am Strand auf eine ganz spezielle Weise zubereitet wurden. "Ich bin bereit", erklärte er. "Wie läuft es?" fragte er dann leise seinen Sohn." "Soweit ganz gut." Dann wurde Hal begrüßt, als wenn er ein Mitglied der Familie wäre. Und Barbara wünschte sich auf einmal, auch auf eine so selbstverständliche Weise dazuzugehören. Die Kinder liefen ins Haus, und die Erwachsenen folgten ihnen. "Du machst alles großartig", lobte John Barbara und zog sie kurz an sich heran. "Mach nur so weiter." "Übrigens, ich weiß jetzt, welchen Herzenswunsch du mir erfüllen könntest", erklärte sie und sah ihn schalkhaft an. "Und der wäre?" "Ich möchte, dass dein Vater mich adoptiert." John hängte Barbaras Kleider in den Schrank, der seiner gewesen war, bis er den Collegeabschluß erlangt hatte, während Barbara Unterwäsche, Socken und T-Shirts und Hemden in eine Ahornkommode einräumte. Als er mit seiner Arbeit fertig war, legte er sich aufs Bett, neben den Koffer, den sie gemeinsam benutzt hatten. "Mein Vater kann dich nicht adoptieren", verkündete er und streckte sich. "Warum nicht?" fragte Barbara und stellte den Koffer unter das Bett. John zog sie neben sich. "Weil wir dann Bruder und Schwester wären. Ich finde, du solltest mit mir als Ehemann vorlieb nehmen."Sie spielte die Dickköpfige. "Aber ich mag deinen Vater." "Meine Mutter ist härter zu nehmen, als sie aussieht", warnte er sie. "Und wenn es um ihre Familie geht, ist sie sehr besitzergreifend." "Warum nimmst du dann an, sie würde mich als Schwiegertochter akzeptieren?" "Aus zwei guten Gründen. Erstens bist du genau der Typ von Frau, mit dem sie mich seit Jahren zusammenbringen will, und zweitens hat sie dabei sowieso nicht mitzureden." Barbara schlang den Arm um seinen Nacken und legte den Kopf an seine Schulter. Sie spürte die Wärme und das Glück, das in diesem Haus herrschte. Sie hatte in Toms und Edies Gesichtern gesehen, wie sehr sie ihren Sohn liebten, und wusste, dass die beiden alles tun würden, um John glücklich zu wissen. Trotzdem quälte sie etwas. Eine dunkle Vorahnung von etwas Unliebsamem senkte sich auf ihre Seele. Vielleicht weil sie inmitten von so viel Harmonie und Zufriedenheit eine glückliche Familie spielen mussten. Sie versuchte John, ihre Gefühle zu erklären, aber er verstand nicht einmal, was sie meinte. "Das ist doch Unsinn", entgegnete er schlicht. "Wir haben doch bereits aufgehört zu spielen und sind tatsächlich eine glückliche Familie." Dann glitt er mit der Hand unter ihr knappes Oberteil, hakte den BH auf und vertrieb damit all ihre Sorgen, dass ihre Beziehung auch weiterhin nur gespielt sein könnte. Johns Schwester und ihr Ehemann Kyle kame n kurz vor dem Abendessen mit ihrem Baby, einem Mädchen, und ihrem lebhaften zweijährigen Sohn an. Edie, gefolgt von den Zwillingen, ging mit Kristin auf dem Arm sofort in die Küche. Tom brachte seinem Enkel Sam ein Dreirad, und der Kleine fuhr durch die Zimmer ein und aus, als wäre das eine ihm wohlbekannte Route.
Barbara erfuhr, dass Kyle eine kleine Baufirma besaß, und Sandy ihn in der Bank kennengelernt hatte, bei der sie arbeitete, als er ein Konto eröffnen wollte. Er war ein ruhiger und umgänglicher Mann, ein Ausgleich zu seiner temperamentvollen Frau. Es gelang ihm, Joanna in ein Gespräch zu verwickeln. Hal verbrachte die meiste Zeit des frühen Abends damit, Fotos zu schießen. Nach dem Abendessen spielte er mit Sam und ließ geduldig einen bunten Ball über den Teppich hin- und herrollen. Unterdessen trug John das Baby auf seiner Hüfte herum, während er mit der freien Hand gekonnt leere Gläser auffüllte. Barbara, die nie viel mit Kindern zu tun gehabt hatte, fand es recht beeindruckend, wie gut diese beiden Männer mit ihnen umgehen konnten. Als sie einen Teller mit Mintschokolade herumreichte, fiel ihr Blick auf Joannas ernstes Gesicht. Die Pastorin beobachtete Hal, der lachend mit Sam um den Ball kämpfte. Obwohl Joannas Gesicht immer noch verschlossen wirkte, entdeckte Barbara einen verletzlichen Zug darin, und sie hätte Joanna gern etwas Nettes gesagt. Sie hatte es bislang nach. Möglichkeit vermieden, mit der Pastorin zu reden. Jedes Gespräch endete in einer kritischen Bemerkung oder sogar einer Anklage von Joanna. Barbara mochte das nicht. Aber diesmal überraschte Joanna sie mit einem herzerweichenden Seufzer. "Ich wollte auch immer Kinder haben", gestand sie unvermittelt. Für einen Moment wusste Barbara nicht, was sie darauf sagen sollte. Das war die erste persönliche Bemerkung, die Joanna je in ihrer Gegenwart von sich gegeben hatte. "Wollen Sie denn jetzt keine mehr? Ich meine, eine Frau, die erst Anfang Dreißig ist, ist doch noch viel zu jung, um diese Idee aufzugeben." Joanna sah sie an und lächelte sogar. Barbara war erstaunt über die Wirkung dieses Lächelns. Joanna war auf einmal eine hübsche, feminine Frau. Dann erschien eine leichte Falte auf ihrer Stirn. "Ich glaube, ich bin nicht für die Ehe geschaffen. Ich bin sehr streng erzogen worden und habe als junges Mädchen wenig Freiheit genossen. Mein Theologiestudium hat mir wenig Zeit dafür gelassen." Sie hob hilflos die Hände. "Nun, ich bin kein anschmiegsamer Typ, und flirten kann ich schon gar nicht. Ich bin zu direkt und ehrlich, und eine schlechte Erfahrung hat mich Männern gegenüber sehr misstrauisch gemacht." "Wenn man einem Mann trauen kann, dann Hal", sagte Barbara unbedacht. Joanna verschränkte die Arme. "Ich bin nicht an Hal interessiert." "Das glaube ich Ihnen nicht", entgegnete Barbara ungerührt, "Und ich bin ganz sicher, dass er an Ihnen interessiert ist." "Er geht noch nicht einmal zur Kirche." "Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun, und er ist der netteste..." "Na, Ihr beiden?" unterbrach John sie und legte einen Arm um Barbara, die auf einmal rot wurde. Ihr war auf einmal klar geworden, dass sie wieder einmal in Schwierigkeiten geraten wäre, wenn John sie nicht unterbrochen hätte. "Ist alles in Ordnung?" fragte John besorgt, der Barbaras Verwirrung bemerkt hätte. "Oh, ja, natürlich", beruhigte sie ihn schnell und blickte Joanna an, die jetzt den Ball in den Händen hielt, den der kleine Sam ihr gerade zugeworfen' hätte. "Ich weiß, was dir fehlt", flüsterte John und knabberte an ihrem Ohrläppchen. "Es wird Zeit, dass wir uns zurückziehen. Unser Bett wartet." Trotz der Panik, die sie eben in sich aufsteigen gespürt hatte, durchfuhr sie bei seinen Worten ein erregendes Prickeln, und sie schmiegte sich erwartungsvoll an ihn. Als Barbara am nächsten Morgen kurz nach neun Uhr erwachte, klang es so, als wenn bereits jeder draußen am Strand wäre. Sie fand Sandy in der Küche vor, die gerade Bierdosen in einen Cooler stellte. Herzhaftes männliches Lachen drang durch die offene Tür vom Strand herüber.
"Guten Morgen", sagte Sandy, die in einem mintgrünen T-Shirt und passenden Shorts sehr hübsch aussah. "Was geht hier vor sich?" fragte Barbara. "Sie graben am Strand die Grube für das Clambake aus, in denen die Muscheln und die anderen Zutaten bedeckt mit Seegras auf schwelendem Feuer bis zum Abend garen werden." Sandy goss eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihr. "Das Graben ist bei den Männern so eine Art Ritual geworden. Jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen." Barbara lachte und trank einen Schluck Kaffee. "Kann ich dir helfen, den Cooler hinauszutragen?" "Bitte." Barbara nahm einen Griff des Coolers, Sandy den anderen, um ihn auf die Veranda zu bringen. Edie rief ihr ein fröhliches Guten Morgen zu, und Joanna ... lachte! Hal stand bereits bis zur Taille in der Versenkung und schaufelte den feuchten Sand hinaus. Die Männer, selbst Pfarrer Mike, gruben mit nacktem Oberkörper, und Barbara war leicht geschockt. Sie hatte John noch nie so gesehen und sich auc h nicht vorgestellt, dass ein Mann, der normalerweise Maßanzüge trug und ein Verhandlungsgeschick besaß, das UNO-reif wäre, so einen bodenständigen, fast animalischen Sex-Appeal ausstrahlen könnte. Er kam zu ihnen herauf und nahm sich ein Bier aus dem Cooler, legte den Arm um Barbaras Schulter und führte sie zum Wasser. Sie steckte den Daumen in den Taillenbund seiner Jeans und fühlte sich so glücklich, dass sie Angst hatte, zerplatzen zu müssen. Seine Schultern waren sandig, als sie den Kopf dagegen lehnte, und ihm entströmte ein männlicher Duft von Salz und Meer. Er öffnete die Dose und trank einen Schluck. "Guten Morgen", flüsterte er in ihr Haar und küsste sie auf den Kopf. "Willst du einen Schluck?" "Danke. Ich habe gerade in der Küche eine Tasse Kaffee getrunken, aber noch nicht gefrühstückt." "Mom hat immer Hörnchen im Gefrierschrank. Eine Minute in der Mikrowelle und sie schmecken großartig." "Danke für den Tip. Ist alles in Ordnung?" Er nahm einen weiteren Schluck. "Soviel ich weiß, läuft alles bestens. Ist dir etwas Außergewöhnliches aufgefallen?" "Nein ... das heißt doch. Joanna hat vorhin gelacht." "Das macht der Strand und das Meer. Hier entspannt sich jeder und kommt innerlich zur Ruhe." Sie lächelte zu ihm hoch. In seiner Stimme schwang etwas mit, das sie nie zuvor gehört hatte. "Nur du nicht?" "Vielleicht doch", erwiderte er und blickte hinaus zum Horizont, dort wo sich glitzernd Himmel und Ozean trafen. Als er sich wieder Barbara zuwandte, zeigten seine Augen einen eigenartigen Glanz. "Wir werden nächste Woche heiraten. Habe ich dir das bereits gesagt?" Sie blieb abrupt stehen und starrte ihn mit offenem Mund an. "Nein, das hast du nicht", antwortete sie schließlich. Er nickte. Ohne den Blick von der Büchse in seiner Hand zu wenden, sagte er mit leiser Stimme: "Ich habe nachgedacht." Er blickte wieder zum Horizont hinüber. "Wir werden niemanden mehr belügen müssen, am allerwenigstens uns selbst. Die Kinder werden begeistert sein, und ich ..." Er richtete die Augen auf sie, in denen Hoffnung und Liebe stand. "Ich erfülle mir einen Herzenswunsch und werde mein Bestes tun, um auch dich glücklich zu machen. Wir werden in Portland so schnell wie möglich die Ehe legalisieren und dann noch einmal kirchlich hier bei meinen Eltern heiraten, wenn wir mehr Zeit haben. Was sagst du dazu?"
Er hatte sich Mühe gegeben, ungezwungen zu wirken, aber das Warten auf ihre Antwort ließ seine Fassade schnell bröckeln. Falls notwendig, würde er sie anflehen oder kräftig durchschütteln. Aber es blieb ihm erspart, solche Taktiken anzuwenden. "Ich bin einverstanden", erklärte sie schlicht und legte die Hände auf seine Brust. Noch nie hatte ihn irgend etwas in seinem Leben so froh gemacht. Noch nie war etwas so richtig, so gut gewesen. Er hob Barbara hoch und drehte sich mit ihr lachend herum, während die auslaufenden sanften Wellen des Meeres um seine Knöchel schwappten. Er küsste sie. "Ich liebe dich, Barbara", sagte er. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und war so von den Gefühlen überwältigt, dass sie keine Worte fand, außer denen, die er bereits gesagt hatte. "Ich liebe dich", flüsterte sie. "Aber diese Worte scheinen zu wenig auszudrücken." "Nicht für mich. Für mich bedeuten sie alles." John küsste sie noch einmal und kehrte wieder zu den Männern zurück, um ihnen weiter bei den Vorbereitungen für das Clambake zu helfen. Und Barbara, glücklich wie nie zuvor, ging ins Haus zurück, um den Frauen bei der Zubereitung des Mittagessens zu helfen. Der Himmel war indigoblau, als der Tag in die Nacht hinüberglitt. Die ersten Sterne zeigten sich, und der Wind war so kühl geworden, dass sich jeder einen Pullover übergezogen hatte. Nach dem Clambake, das allen sehr gut geschmeckt hatte, war eine große Kanne Kaffee herausgebracht worden, den sie nun genussvoll im Schein des Lagerfeuers tranken. John hielt Barbara, an deren andere Seite sich Jade gekuschelt hatte, während Joe gegen seine linke Seite lehnte. John betrachtete seine Eltern, die Rücken an Rücken saßen und zu den Klängen von Kyles Gitarre summten, Sandy, die links und rechts ein Kind in ihren Armen hielt und mit liebevollen Augen ihren Mann ansah, Pfarrer Mike, der ein wenig abseits saß und hinauf zum Sternenhimmel blickte, und Joanna, die sich leicht an Hal angelehnt hatte und leise mit ihm flüsterte. Ein Gefühl der Dankbarkeit stieg in ihm auf. Er war ein glücklicher Mann. Er hatte geglaubt, alles zu besitzen, was er sich wünschte, als er noch allein mit den Kindern war. Dann hatte er Barbara gefunden und erfahren, dass es etwas gab, das sein Leben noch vollständiger machte. In diesem Moment fühlte er sich glücklicher als je zuvor in seinem Leben. Er besaß alles, was er sich je gewünscht hatte. Was einst als Herausforderung begonnen hätte, einen ungewöhnlichen Weg zu finden, den Vertrag zu retten, hatte ihm die Chance zugespielt, Barbara näher kennenzulernen. Seitdem hatte sich sein Leben verändert. Was nur als Täuschung gedacht war, war Wirklichkeit geworden, und nur das Risiko, dass der Schwindel aufgedeckt würde, so unwahrscheinlich es ihm auch erschien, gefährdete alles. Er konnte es kaum erwarten, mit Barbara endlich nach Portland zurückzufahren, um sie heiraten zu können. Wenn irgend etwas sich noch zwischen sie beide stellen würde, wäre er hilflos. Barbara war ihm bereits viel wichtiger geworden als ein landesweiter guter Ruf. Sie gehörte zu ihm. Wie Joe und Jade war sie ein Teil seines Lebens geworden, und er würde gegen alles kämpfen, was ihr Glück bedrohen könnte. Barbara hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. "Was denkst du?" fragte sie. Er erzählte ihr, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Sie sollte wissen, wie tief seine Gefühle für sie waren. Sie küsste ihn innig. Ihre Augen glänzten im Licht des Feuers, als sie ihn ansah, und er wusste, dass sie das gleiche wie er empfand. Barbara lehnte sich müde und zufrieden in den Sitz des Wagens zurück. Morgen würden sie nach Portland zurückkehren, aber die Erinnerungen an diese letzten Tage würden für immer in ihrem Gedächtnis bleiben. Das abendliche Muschelessen am Meer und die Harmonie, die zwischen allen geherrscht hatte, dann der heutige Hochzeitstag von Tom und Edie, die Gäste, das gelungene Mittagessen, das Sandy mit soviel Liebe zubereitete hatte, die freudigen
Gesichter von Tom und Edie, als man ihnen die Tickets für eine Reise nach Hawaii und einen großzügigen Scheck überreicht hatte, und schließlich das exzellente Dinner in diesem zauberhaften, Restaurant. Barbara blickte in den Rückspiegel und sah die müden, aber strahlenden Gesichter von Edie und Tom. Sandy und Kyle folgten im Wagen mit Pfarrer Mike, Joanna und Hal. Barbara war zu glücklich, um reden zu können. Sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder in das Haus von Johns Eltern zu kommen, in ihr Zimmer, in ihr Bett und in Johns Arme. Sie waren fast zu Hause, als John sich leicht vorbeugte, um besorgt in die Dunkelheit zu schauen. "Wer steht denn da auf der Veranda?" "Wo?" fragten Tom und Edie wie aus einem Munde, als John in die Einfahrt fuhr, und versuchten, die Gestalt auszumachen. Barbara setzte sich auf, war jedoch nicht übermäßig an der Person dort draußen interessiert. Wahrscheinlich war es jemand, der die Einladung heute mittag verpasst hatte und ein Geschenk hinterlegen wollte. Dann fielen die Scheinwerfer auf die Gestalt, die auf der oberen Stufe der Verandatreppe saß und mit der Hand die Augen gegen das blendende Licht abschirmte. Barbara stockte der Atem, und ihr Herz begann zu rasen. Es war Trevor!
10.KAPITEL
"Es stimmt also!" Trevor schritt die restlichen Treppen der Veranda herunter, wie ein König, der von seinem Thron heruntersteigt. Barbara stand mitten auf dem Gehweg, Sie hatte fast vergessen, wie er aussah, und hatte in den letzten Tagen keinen einzigen Gedanken mehr an ihn verschwendet. Dann begann sie verzweifelt sieh zu fragen, was sie tun oder sagen könne, um die drohende Katastrophe abzuwenden. Tom und Edie waren mittlerweile aus dem Wagen ausgestiegen, genau wie die anderen auch. John kam um den Wagen herum und ging auf Trevor zu. "Kommen Sie mit hinein, Wentworth", forderte er ihn auf, ergriff ihn am Arm und wollte ihn ins Haus schieben. "Ich möchte gern mit Ihnen reden." Barbara glaubte für einen Moment, dass John es schaffen würde, Trevor ins Haus zu bringen, bevor die anderen mitbekamen, wer dieser Mann war. Das würde ihm die Gelegenheit geben, Trevor die Situation zu erklären, seine Sympathie zu gewinnen, und ihn dann zur Hintertür hinauszuschicken, um dann hoffentlich nie mehr etwas von ihm zu hören. Es hätte ihr klar sein müssen, dass diese Annahme mehr als naiv war. Trevor zielte mit der Faust auf Johns Kinn. John wich geschickt aus, packte Trevors Arm und drehte ihn nach hinten. Barbara bemerkte, wie unbeholfen Trevor sich bewegte, blickte in seine geröteten Augen und erkannte, dass er getrunken haben musste. Kyle rannte die Verandatreppe hinauf, um John zu helfen, mit dem Eindringling fertig zu werden. "Wer ist dieser Clown?" Die Haustür öffnete sich, und zwei grauhaarige Damen aus der Nachbarschaft, die sich bereit erklärt hatten, als Babysitter bei den Kindern zu bleiben, schauten heraus. "Er sagte, sein Name sei Wentworth und dass er mit einer Frau namens Ryan verlobt sei, die sich hier aufhalten soll. Wir haben ihm zu erklären versucht, dass hier das Ehepaar Cheney wohnt und uns keine Ryan bekannt ist, aber er wollte nicht auf uns hören. Er bestand darauf, hier zu warten." "Sie", sagte Trevor und zeigte mit der freien Hand auf Barbara, "ist Barbara Ryan. Meine Verlobte." John versuchte, ihn die Treppe hinaufzuziehen, aber Pfarrer Mike kam auf ihn zu. "Warte, John. Er ist wahrscheinlich nur ein wenig verwirrt. Sie ist nicht Barbara Ryan, junger Mann", versuchte er Trevor zu erklären. "Sie heißt Barbara Cheney und ist mit diesem Mann verheiratet." Er wies auf John. "John Cheney." Trevor, leider nicht betrunken genug, um Informationen nicht mehr verarbeiten zu können, musterte Pfarrer Mike und fragte mit schwerer Zunge: "Sie gehören zu den Leuten der Kooperativen Kirchen, nic ht wahr?" Pfarrer Mike sah ihn verwirrt an. "Ja. Aber woher wissen Sie das?" "Weil ich am Freitag zu Cheney & Roman gegangen bin, um herauszufinden, wo sich Barbara befindet." Er grinste John herausfordernd an. "Man sagte mir, dass sie für ein paar Wochen Urlaub mache, aber dass keiner wisse, wo. Aber ein Mann namens Barnett kam vorbei und erzählte mir, dass diese Mrs. Cheney der Mittelpunkt eines ausgemachten Schwindels sei. Und er weihte mich in die ganze Sache ein." "Junger Mann ..." begann Pfarrer Mike. Trevor unterbrach ihn mit einem Auflachen. "Der Kleidung nach scheinen Sie ein Geistlicher zu sein, also sollen Sie wissen, dass diese beiden kein Ehepaar sind. Die haben der Kooperativen ganz schön was aufgeschwindelt..." Barbara spürte, wie sich ein Arm um sie legte, und blickte in Edies lächelndes Gesicht. "Lasst uns hineingehen und darüber weiterreden", sagte Edie und hakte sich bei Pfarrer Mike ein, als sie an ihm vorüberging. "Kommen Sie, Herr Pfarrer. Wir werden die Dinge klären." "Wir?" fragte er.
Sie nickte. "Ich fürchte, wir sind alle an diesem^ abgekarteten Spiel beteiligt. Kommen Sie. Sie auch, Joanna." Nachdem Edie allen Sitzplätze zugewiesen und Sandy in die Küche geschickt hatte, um Kaffee zu machen, nahm sie die beiden grauhaarigen Damen, die sich bereit erklärt hatten auf die Kinder aufzupassen, kurz in den Arm und schob sie dann mit dankenden Worten zur Tür hinaus. Barbara saß in einem Sessel und kämpfte mit Schuldgefühlen und Verlegenheit, aber sie war auch wütend ... wütend auf Trevor und wegen ihrer eigenen Dummheit, sich jemals für einen Mann interessiert zu haben, der offensichtlich Befriedigung in dümmlicher Rache fand. Verzweifelt wünschte sie sich, alles ändern zu können. Jedes Ende wäre besser gewesen als dieses. Das ist göttliche Fügung, dachte sie. Sie hatten Geistliche ausgetrickst. Wie hätte das sonst enden sollen? Obwohl John das Ganze angezettelt hatte, war sie doch mitschuldig geworden. Sie hatte sich mit seinem Plan einverstanden erklärt und sich sogar in ihn verliebt. Eine Tatsache, die diesem hinterlistigen Spiel soviel Echtheit verliehen hatte. Wenn jemand für dieses Fiasko verantwortlich zu machen war, dann sie. John konnte von Barbaras Gesicht ablesen, was in ihr vorging, und musste gewaltsam den Wunsch unterdrücken, Trevor Wentworth durch das große Wohnzimmerfenster hinaus ins Freie zu befördern. Statt dessen drückte er ihn auf die Couch. Sein Vater, der neben der Couch auf einem Stuhl saß, warf John, einen amüsierten Blick zu. John setzte sich auf die Armlehne von Barbaras Sessel und versuchte, sie mit seiner Nähe zu beruhigen. Er wollte auch ausdrücken, dass er und Barbara auf das innigste miteinander verbunden wären und dass, ganz gleich, was jetzt käme, sie nichts trennen könnte. Ohne große Umschweife erzählte er allen im Raum, was passiert war. Er begann mit seinem Erscheinen auf dem Kirchenfrühstück, erzählte von jenem fatalen Morgen, an dem er Barbara Halbnackt in seinem Badezimmer vorgefunden hatte, und endete damit, dass er die volle Verantwortung dafür übernehme, dass sie an diesem Spiel teilgenommen hatte. "Ich sagte ihr, dass sie gefeuert sei, wenn sie mir nicht helfen würde", erklärte er. "Ich redete ihr ein, dass sie in meiner Schuld stehe. Nur deswegen hat sie mitgemacht." "Nein, das stimmt nicht", verbesserte sie ihn. Ihre Blicke trafen sich, und John war über die kühle Entschlossenheit überrascht, die er in ihren Augen bemerkte. "Ich habe mitgemacht, weil Trevor mich am Abend zuvor anlässlich einer Preisverleihung, die zu seinen Gunsten stattfand, aufs tiefste gekränkt hatte. Nicht allein, dass er nicht zu bemerken schien, wie hübsch ich mich allein für ihn gemacht hatte. Das hätte ich noch verwinden können. Aber er bekam bei der Preisverleihung als Bonus eine Reise zu den Cayman-Inseln geschenkt, und für wen hatte er sich spontan als Begleiter entschieden? Für seinen Vater. Also entschied ich mich, bei Johns Plan mitzumachen." "Sie wollen sagen, dass Sie nur auf einen Trip auf die Cayman-Inseln aus waren?" fragte Joanna spitz. "Nein", antwortete Barbara ruhig. "In Trevor sah ich meinen zukünftigen Ehemann. Als er seinen Vater zu diesem romantischen Ort einlud, war mir klargeworden, dass er nicht daran dachte, mich jemals zu heiraten." "Aber das wollte ich!" widersprach Trevor gekränkt. "Ich bin früher von meinem Urlaub zurückgekommen, um dir einen Heiratsantrag zu machen." "Ihre Fisch-Exkursion muss nicht sehr erfolgreich gewesen sein", bemerkte John. "Im Grunde genommen ist es gleichgültig, wer die größere Schuld an diesem Betrug trägt", meldete sich Joanna zu Wort. "Tatsache ist, dass Sie uns etwas vorgespielt haben, und ... "Nicht sehr lange", erklärte John. "Ich habe mich fast sofort in Barbara verliebt und sie sich sehr bald darauf in mich. Wir sind die typische glückliche amerikanische Familie, die Sie
dargestellt, haben wollen, nur, dass wir sie erst noch legalisieren müssen. Und das wird so bald wie möglich geschehen." "Und unterdessen haben Sie sogar ..." Joanna wies in Richtung Treppe, und Barbara wusste, dass die Pastorin auf die Schlafzimmer zielte. Hal stöhnte und verdrehte genervt die Augen. "Du brauchst gar nicht so zu stöhnen", erklärte Joanna und stand entrüstet auf. "Ich beginne langsam zu verstehen. Du hast dir meine Freundschaft erschlichen, weil du Teil des Komplotts Warst, nicht wahr?" "Was willst du damit sagen?" "Pfarrer Mike hat alles sofort geschluckt, aber ich habe auf Anhieb gemerkt, dass etwas nicht stimmte", entgegnete Joanna. "Eine gewisse Schüchternheit in Barbaras Blick, wenn John sie ansah, ein gewisses Etwas in ihrer Art, wenn er sie berührte ... Es fehlte einfach die Vertrautheit eines Ehepaares, das sich kennt und sich seiner Liebe sicher ist." Sie warf Barbara und John einen verächtlichen Blick zu und sah dann Hal mit dem gleichen Ausdruck an. "Du bist also angeheuert worden, um mich abzulenken, nicht wahr? Ich sollte beschäftigt werden, damit der Betrug nicht durch mein Misstrauen auffliegt." Hal starrte sie grimmig an. "Ich habe Hal mit hineingezogen", sagte John zu Joanna, "genau wie ich es mit Barbara getan habe. Und es gab keinen Plan, Sie abzulenken, Joanna." Joanna sah von John zu Hal und dann wieder zu John hinüber. "Ich habe Schwierigkeiten, das zu glauben, besonders von Ihnen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich werde mich zurückziehen. Es ist Ihnen wohl klar, dass ich morgen früh Daniel anrufen und ihm erklären werde, was hier vor sich geht." Pfarrer Mike stand auf und rief hinter ihr her. Joanna drehte sich an der Treppe noch einmal um. "Gute Nacht, Mike. Mein Entschluss steht fest, und Ihrer sollte es auch." Alle waren betroffen. Das Spiel war aus. Trevor hatte mit seinem unerwarteten Erscheinen der ausgetüftelten Scharade ein Ende gesetzt. Als oben eine Tür zuschlug, erhob sich Tom, zog Trevor auf die Füße und ging mit ihm zur Haustür. "Sie haben ja wohl das erreicht, weswegen Sie hergekommen sind", erklärte er. "Sie sind nicht länger willkommen." "Aber ich..." Tom schob ihn hinaus und schloss ungerührt die Tür. Sandy und Kyle, die heute abend noch nach Hause fahren wollten, gingen hinauf, um ihre schlafenden Kinder zu holen. Hal folgte ihnen mit grimmigem Gesicht. Als sie sich voneinander verabschiedeten, legte Sandy einen Arm um Barbara. "Kopf hoch, Barbara", sagte sie tröstend. "Der Vertrag ist nicht so wichtig, Cheney & Roman kommt auch ohne ihn klar. Dass ihr euch gefunden habt, bedeutet viel mehr." "Richtig", erklärte John und küsste seine Schwester und dann die Kinder auf die Stirn und brachte sie zum Wagen hinaus. Kyle lächelte ihm im Licht der Veranda zu. "Falls dir einmal das Wasser bis zum Halse stehen sollte, kann ich dich immer noch bei nur anstellen." John boxte ihn freundschaftlich gegen die Schulter. "Mach, daß du wegkommst. Wir fahren morgen ebenfalls nach Hause. Ich rufe dich an." Als er wieder ins Wohnzimmer zu Barbara zurückkehrte, sagte der betreten wirkende Pfarrer Mike: "Ich ziehe mich jetzt zurück. Nur eine Frage liegt mir noch auf dem Herzen, und ich möchte sie geklärt haben. Wann kann ich euch beide trauen?" Überrascht über diese Frage wandte sich John Barbara zu, und die Besorgnis, die er in ihren Augen sah, gefiel ihm gar nicht. "Wir hatten vor, Mitte nächster Woche zu heiraten, sobald wir alle Papiere zusammen haben." "Gut." Pfarrer Mike lächelte. "Auch wenn heutzutage die Ehebande nicht mehr ernst genommen werden, so meine ich, ist es für einen Mann und eine Frau, die einander lieben,
schon wichtig, sich vor Gott die lebenslange Treue zu schwören und Seinen Segen zu erhalten." "Danke." John reichte ihm die Hand. "Vielen Dank für Ihr Verständnis." Dann wandte er sich seinen Eltern zu. "Es tut mir so leid, dass ich euren Hochzeitstag verdorben habe", sagte er und schlang die Arme um Edie, während Tom Barbara tröstend umarmte. "Red doch keinen Unsinn", erklärte seine Mutter. "Es war ein wundervoller Tag, und wir freuen uns riesig über unser Geschenk." "Manchmal wendet sich das Schlechte zum Guten", erklärte Tom philosophisch. "Du warst ein guter Verlierer, mehr kann man von einem Mann in einer solchen Situation nicht verlangen." Jade und Joe saßen auf dem großen Bett, als Barbara und John in ihr Schlafzimmer kamen. Die Kinder sahen sie aus großen besorgten Augen an. "Wir haben alles gehört", gestand Joe. Jades Unterlippe zitterte. "Was wird passieren?" John zögerte noch mit der Antwort, bis Barbara sich zwischen die Kinder setzte und ein jedes in ihren Arm nahm. "Wir werden morgen früh nach Hause fahren", erklärte sie. "Wir haben zwar den Auftrag verloren, aber euer Vater und ich werden nächste Woche heiraten." Joe sah sie überrascht an und strahlte dann über das ganze Gesicht. "Toll!" rief er aus. "Wirst du wirklich bei uns bleiben?" fragte Jade, die nie leichtfertig etwas glaubte. "Ja", antwortete Barbara aus ehrlichem Herzen. "Ich werde bei euch bleiben. So, und jetzt ab in die Betten. Ihr müsst schlafen." Nachdem John und Barbara wieder auf den Flur hinaustraten, hörten sie eine erregte Unterhaltung aus Joannas Zimmer. Wie ein Blitz kam Hal dann aus der Tür herausgeschossen, lief die Treppe hinunter und stürmte aus dem Haus. John hatte Mitleid mit seinem Freund. Es sah ganz so aus, als ob die gute Mrs. Gordon eine nicht leicht zu erobernde Festung wäre. Barbara und er gingen in ihr eigenes Schlafzimmer, und Barbara setzte sich auf das Bett, wo sie mit schwermütigem, abwesendem Blick vor sich hinstarrte. "Was ist los?" fragte John und kam zu ihr herüber. Sie zögerte und hob dann verzweifelt die Hände. "Es ist alles so kompliziert." Er setzte sich zu ihr aufs Bett. "Versuch zu erklären, was dich bewegt. Vielleicht kann ich es verstehen." "Ich kann einfach nicht vergessen, dass alles angefangen hat, als ich in dein Badezimmer eingedrungen war." Sie stand auf und griff nach dem Nachthemd, das sie am Morgen unter das Kopfkissen gelegt hatte. Sie sah John nicht an, als sie weitersprach. "Und wenn dies eine böse Folge auf den Etat von Cheney Roman haben sollte, wozu es zwangsläufig kommen wird, so fürchte ich, dass du mir das eines Tages vorhalten wirst." "Oh, bitte." John stand ebenfalls auf und zerrte an seiner Krawatte, die ihn plötzlich zu ersticken schien. Es war ein anstrengender Abend gewesen, und er hätte sich gewünscht, Barbara würde mehr Zuversicht zeigen, nic ht ihre Zweifel. "Wenn du plötzlich kein Interesse mehr an unserer Beziehung hast, dann mache mich nicht dafür verantwortlich. Ich habe noch nie und werde auch nie jemandem Vorhaltungen machen, der unschuldig in eine missliche Lage gerät. Ich war es schließlich, der Daniel erzählt hat, du wärst meine Frau." "Ich hätte ablehnen müssen. Ich hätte voraussehen müssen, dass..." "Barbara." Johns Geduld war nur fadendünn. "Ich habe dich nicht darum gebeten, mein Gewissen oder mein Lebensberater zu sein, scho n gar nicht eine Wahrsagerin. Ich nehme meine Chancen wahr. Wenn du darin auch deine siehst, fein. Wenn nicht, werde ich dich nicht aufhalten. Ich gehe jetzt duschen." Frauen! dachte er, als er unter dem Wasserstrahl stand. Er ließ das heiße Wasser über sich laufen, bis er sich ruhiger fühlte. Dann stieg er aus der Dusche, wickelte ein Badetuch um
seine Hüften und griff nach einem Handtuch, um sein Haar zu trocknen. Jetzt, da er wieder etwas entspannter war, wurde ihm klar, dass er nicht klug gehandelt hatte. Wie konnte er nur? Wie konnte er Barbara nur sagen, dass er sie nicht zurückhalten werde, falls sie gehen wolle. Er wäre nicht überrascht, wenn das Pech, das er im Moment hatte ... Er riss die Tür zum Schlafzimmer auf. Er wusste sofort, dass Barbara nicht da war. Für einen Moment blieb er regungslos stehen, so überwältigend war der Schmerz, sie verloren zu haben. Bitterkeit und Enttäuschung stiegen mit aller Gewalt in ihm hoch, und er musste sich mit einer Hand an der Kommode abstützen. Dann hörte er eine ruhige, sehr vertraute weibliche Stimme sagen: "Ich bin genau hinter dir, Cheney." Er drehte sich um, und eine so starke Freude durchströmte ihn, dass jeder Schmerz im Nu verschwand. "Du hast dich vor mir versteckt?" fragte er ungläubig. "Nein, ich ging ins Badezimmer, um mit dir zu reden, als du mit dem Handtuch über dem Kopf aus der Dusche herauskamst, ohne mich zu sehen. Da dachte ich, dass die Gelegenheit günstig wäre, dich für einen Moment fühlen zu lassen, wie das Leben wäre, wenn ic h dich tatsächlich verlassen hätte." Was dann folgte, war von ihr nicht geplant. Er riss das Handtuch vom Kopf, ließ es fallen, hob Barbara auf die Arme und trug sie zum Bett. "Dann werde ich dir jetzt beibringen, was es bedeutet, mit den Gefühlen eines Mannes zu spielen", erklärte er und legte sie auf die weichen Laken. Barbara setzte sich sogleich wieder auf, entschlossen, ihn dazu zu bringen, ihr zuzuhören. "Ich wollte, dass du spürst, wie wichtig ich für dich bin, damit du mich endlich ernst nimmst und ..." "Du bist wichtig für mich", fiel er ihr ärgerlich ins Wort. "Und höre du mir bitte zu, wenn ich dir erkläre, dass ich dich ewig lieben werde und dass sich nichts, absolut nichts zwischen uns stellen kann, egal was mit dem Geschä ft passiert." So viel Überzeugungskraft konnte Barbara nicht widerstehen, und als er sich mit nacktem Oberkörper über sie beugte, entschied sie ein und für allemal, dass er recht hatte. "In Ordnung", flüsterte sie und küsste seine Schulter. "Es tut mir leid. Die Ereignisse des Abends haben mich mitgenommen, und ich bin ein wenig in Panik geraten." Sie löste das Badetuch, das immer noch um seine Hüften lag, und schlang ein Bein um ihn. Und dann sah John nur noch ihr Lächeln, ihre Lippen, die sie einladend leicht geöffnet hatte, und spürte ihren weichen, warmen Körper, der sich erwartungsvoll an seinen drängte. Von nun an bestimmte nur noch die Liebe seine Gedanken.
11. KAPITEL
Der nächste Morgen verlief mehr als hektisch. Mitgenommen von dem vorherigen Abend, hatten alle ein wenig länger geschlafen als vorgesehen. Sie hatten kaum gefrühstückt, als Daniel Burger bei Edie und Tom anrief, um John mitzuteilen, dass er ihn und Barbara um zwölf Uhr in der Agentur zu sehen wünschte. Joanna hatte wohl kaum den Morgen erwarten können, um ihrem Vorgesetzten die skandalöse Neuigkeit brühwarm zu berichten. Kaum waren sie zu Hause und die Kinder wieder in Libbys Obhut, machten sich Barbara und John sofort auf den Weg zur Agentur. Hal musste nach dem Streit mit Joanna gestern abend wutentbrannt abgefahren sein, niemand hatte ihn mehr gesehen. John bedauerte es, seinen Freund bei der Auseinandersetzung mit der Kooperativen nicht an seiner Seite zu haben. Aber er hatte Verständnis für seine Lage. Carol kam ihnen bereits am Fahrstuhl entgegen, während eine zweite Sekretärin Joanna und Pfarrer Mike, die zur gleichen Zeit eintrafen, in den Konferenzraum führte. "Die ganze Mannschaft steht hinter Ihnen", flüsterte Carol. "Wir wünschen Ihnen viel Glück." John warf ihr einen dankbaren Blick zu, öffnete die Tür und trat vor Barbara in den Raum, um sie einen Moment länger vor den anklagenden Blicken und Äußerungen des Vorstands zu bewahren. Aber sie saßen alle um den Tisch herum und sahen sich mit Interesse etwas an, das John auf Anhieb nicht erkennen konnte. Daniel saß am Kopf des Tisches, und Hal erklärte ihm etwas. Nur Joanna stand abseits, die Arme verschränkt, das Gesicht zur Maske erstarrt. "Was geht hier vor?" fragte Barbara leise. "Bestimmt nichts Gutes", ant wortete John ebenso leise. Laut fügte er hinzu: "Guten Tag, meine Herren." "John." Daniel blickte vom Tisch auf. Ein entschlossener Ausdruck lag auf seinem Gesicht, und sein übliches Lachen fehlte. Es glitt nur ganz kurz über sein Gesicht, als er Barbara zunickte. "Kommen Sie zu uns, Barbara." John ging mit ihr zum Tisch hinüber, auf dem ein ganzes Sortiment von Fotos ausgebreitet waren ... Fotos, von denen die meisten, wie er erkannte, erst am Tag zuvor gemacht worden waren. Hal musste den größten Teil der Nacht aufgeblieben sein, um sie zu entwickeln. John warf seinem Partner einen fragenden Blick zu. Hal zuckte die Schultern. "Ich konnte nicht schlafen, also bin ich noch am Abend nach Hause gefahren, um einen Teil der Präsentation fertig zu mache n." John stellte sich hinter Daniels Stuhl, um zu erkennen, welches Foto der Pfarrer gerade so interessiert betrachtete. Es war eines der Bilder, die Hal am Flughafen aufgenommen hatte, als Barbara sich von John verabschiedete. Ihre ganze Liebe für John lag in ihren Augen, mit denen sie zu ihm hochsah. Daniel nahm einige weitere Fotografien auf. Auf einer waren Barbara und Jade zu sehen, die wie graziöse Ballerinas auf der Mauer balancierten, die den Zooteich umgab. Auf dem nächsten waren sie wie zwei nasse Seehunde gerade wieder aus dein; Wasser aufgetaucht und schüttelten sich offensichtlich vor vergnügtem Lachen. Ein drittes zeigte John, wie er verzweifelt versuchte, ernst zu bleiben, während er ihnen aus dem Wasser half. "Wenn wir Ihnen den Auftrag erteilen", sagte Daniel und nahm ein weiteres Foto in die Hand, "wäre dies das Kernstück der Serie. Es drückt alles aus." Barbara beugte sich vor, um das Bild deutlich zu sehen. Es war eins der Fotos, die am Abend zuvor während der Hochzeitstagsfeier von Johns Eltern aufgenommen worden waren. Tom und Edie standen im Hintergrund und blickten auf Barbara und John, die die Zwillinge in die Mitte genommen hatten. Jade und Joe unterhielten sich angeregt, während John und Barbara sich zärtlich zuläche lten.
Sie berührten sich nicht, sondern sahen sich einfach nur an, Und dieses undefinierbare Etwas, das einen Mann und eine Frau dazu bringt, ein Leben lang zusammenzubleiben, war so deutlich eingefangen, dass wirklich keiner ernsthaft an der Ehrlichkeit ihrer Gefühle füreinander zweifeln konnte. Barbara legte verstohlen einen Arm um Johns Taille. John legte einen Arm um ihre Schulter und blickte mit einem Kloß in der Kehle zu seinem Freund hinüber. Hal wirkte stolz, gleichzeitig aber auch unglücklich. "Setzen Sie sich bitte", erklärte Daniel bestimmt und wies auf die Stühle. "Wir müssen entscheiden, was wir tun werden. Der Vorstand der Kooperativen wird abstimmen müssen." John rückte Barbara einen Stuhl zurecht. Die Art, wie der Geistliche sich ausgedrückt hatte, zeigte ihm, wie gering die Chance war, dass Cheney & Roman den Auftrag doch noch bekommen würde. Barbara räusperte sich und nahm ihren ganzen Mut zusammen. "Reverend, ich weiß, dass Joanna Ihnen erzählt hat, wir hätten Sie getäuscht, und wir wollen es ja auch gar nicht leugnen, nur denke ich, Sie sollten sich selbst..." Daniel brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. "Ich bekam heute morgen einen Telefonanruf von Johns Mutter und einen weiteren von Johns Schwester, die mir bereits die ganze Geschichte eine jede aus ihrem eigenen Blickwinkel erzählt haben. Weiterhin wurde ich, sobald ich hier eingetroffen war, von Johns Sekretärin zur Seite gezogen, die als Sprecherin von der gesamten Belegschaft gewählt worden war. Zwanzig Minuten lang hat sie mir die Tugenden von Cheney & Roman aufgelistet... dass diese Agentur weder Werbung für Alkohol noch für Tabak macht, selbst wenn sie dadurch Aufträge verliert, und wie sehr die Leitung sich hier stets um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Angestellten kümmert." "Das Problem ist aber", fiel Joanna ein und nahm auf einem Stuhl am Ende des Tisches Platz, "dass Sie uns belogen und damit alle Qualitäten mißinterpretiert haben, die wir für unsere Kampagne darstellen wollten." "Das Problem is t aber auch", erwiderte Hal und setzte sich ihr gegenüber, "dass deine Gefühle verletzt worden sind. Deine Unfähigkeit, endlich die Vergangenheit zu Vergessen und dir selbst einen Fehler zu verzeihen, trübt deine Urteilskraft, Joanna." "Hal", mahnte John seinen Freund ruhig. Hal ignorierte ihn. "Du hattest mir vor noch nicht achtundvierzig Stunden erklärt, wie sehr du es bedauertest, misstrauisch durch das Leben gelaufen zu sein, und wie dir die Zeit mit uns allen am Meer gezeigt hat, dass das Leben auch anders gesehen werden könne." "Wir sind betrogen worden", beharrte Joanna. Daniel nickte. "Ja, hier liegt zweifellos ein Betrug vor." Barbara ergriff Johns Hand unter dem Tisch und drückte sie. "Aber ich glaube nicht, dass wir die Opfer dieses Betrugs waren", fuhr Daniel fort. Er hielt das Foto hoch, das auf der Hochzeitstagsfeier gemacht worden war. "John erzählte uns, dass Barbara und er sehr verliebt ineinander seien. Hat irgendjemand Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage, nachdem er sich dieses Foto angeschaut hat?" Die Mitglieder der Kooperativen schauten sich an. Joanna wollte etwas sagen, aber Daniel ließ sie nicht zu Worte kommen. "Joanna teilte uns mit, dass John und Barbara nicht verheiratet wären. John wollte also mit aller Macht unseren Auftrag haben und versuchte mit allen Mitteln, uns etwas vorzumachen, das es nicht gab. Nur haben er und seine Komplizin Barbara nicht nur die Kooperative, sondern sich selbst betrogen, indem sie sich einredeten, sie würden nur schauspielern. Sieht das hier wie gespielt aus?" Barbara und John schwiegen. Daniel wandte sich Joanna zu und sah sie für einen Moment mit einem Lächeln an, das fast entschuldigend wirkte. Aber Joanna blieb nur einen Moment Zeit sich, um sich zu wundem, was das bedeuten solle. Denn Daniel nahm ein weiteres Foto in die Hand und
reichte es ihr. "Und meine Leute und ich finden, dass John und Barbara nicht die einzigen waren, die uns täuschen wollten, Joanna. Auch Sie wollen uns glauben machen, dass Sie sich nicht in Hal verliebt haben. Was dagegen spricht, sehen Sie selbst." Barbara warf einen Blick auf das Foto, das an sie weitergegeben wurde, damit sie es an Joanna, die ihr am nächsten saß, weiterreichte. Die Pastorin trug darauf eine von Edies ausgefransten Jeansshorts, Mit zerzaustem Haar und einem strahlenden freien Lächeln blickte sie in die Kamera ... ihre Augen von Liebe erfüllt für den Mann, der sie fotografierte. Für Hal. Joanna wollte aufspringen, aber Hal stand bereits hinter ihr und legte die Hände auf ihre Schultern, um sie auf dem Platz zu Halten. "Du musst abstimmen, bevor du gehst", erklärte er bestimmt. "Ich bitte Sie, das zu tun, was Sie für das beste Halten", sagte Daniel. "Wir setzen große Hoffnungen in das Projekt, aber wir wollen unbedingt, dass jeder überzeugt von der Sache ist, bevor wir die Kampagne in Gang setzen." Daniel begann mit der Abstimmung, und alle hatten für Ja gestimmt ... bis Joanna an die Reihe kam. "Kannst du Ihnen vorwerfen, dass sie sich ineinander verliebt haben?" fragte Hal leise. "Wo du dich selbst verliebt hast." Joanna versuchte, seine Hände von ihren Schultern abzustreifen. "Das war, bevor ich wusste, dass du mich benutzt hast." "Ich habe dich nicht benutzt", entgegnete Hal ernst. "Ich habe mich in dich verliebt." "Hal", warf John ruhig ein. "Du kannst doch eine Abstimmung nicht auf diese Weise beeinflussen." "Aber hier geht es doch um die Wahrheit, nicht wahr?" fragte Hal, unberührt von Johns Kritik. "Sind wir nicht auf der Suche nach der Wahrheit, Joanna? Liebst du mich nun oder nicht?" "Die Wahrheit ist", wandte sich Barbara an Joanna, "dass Hal bereits in der Nacht in Sie verliebt war, als Sie wegen des Rohrbruchs im Pfarrhaus waren. Er hat mich nach dem Streit mit Ihnen in jener Nacht um Rat gefragt. Ich war diejenige, die ihm vorgeschlagen hat, Sie erst einmal besser kennenzulernen und Ihre Bedürfnisse besser zu verstehen. Niemand hat versucht, Sie auszutricksen." Joanna wandte sich Hal zu. In ihren Augen standen Tränen. Hal zog sie vom Stuhl hoch und nahm sie in die Arme. "Ich liebe dich, Joanna. Ich erkläre dies vor der Kooperativen und vor meinem Geschäftspartner. Würde ein Mann, der lügt, so etwas tun?" "Wir brauchen Ihre Stimme, Joanna", ma hnte Daniel ruhig. "Ja!" rief sie aus und schluchzte. "Ja." Hinter der Doppeltür schrie jemand unterdrückt auf. Dem folgte ein anerkennendes Raunen. Daniel warf John einen fragenden Blick zu. "Meine Sekretärin wahrscheinlich ... und die anderen", entschuldigte sich John. "Also gut" Daniel und seine Gruppe erhoben sich, und Daniel schüttelte erst Johns, dann Barbaras Hand. "Ich glaube, dass das eine sehr gute Zusammenarbeit wird. Pfarrer Mike verriet mir, dass er Sie beide noch diese Woche trauen wird." "Das stimmt", nickte John. "Sie sind alle herzlich eingeladen." "Wir werden da sein." Daniel wies auf Hal und Joanna, die sich immer noch in den Armen hielten und leise miteinander redeten. "Wir müssen wohl zwei Hochzeitsfeiern einplanen." Während John und Barbara Daniel und seine Leute zum Ausgang begleiteten, saß Carol hinter ihrem Schreibtisch und machte einen sehr emsigen Eindruck, wie auch die anderen Angestellten, deren Köpfe über ihre Arbeit gebeugt waren.
In dem Moment, als die Tür sich hinter den Geistlichen geschlossen hatte, brach die Hölle los. Barbara sprang in Johns Arme, und triumphierende Rufe Hallten durch die Räume. Es wurden Pizza und Champagner bestellt, und sie feierten bis zum Abend. Nachdem alle Mitarbeiter gegangen waren, ließ John sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und zog Barbara auf den Schoß. "Kannst du fassen, was passiert ist?" fragte er. "Ja", antwortete sie und lehnte den Kopf an seine Schulter. "Es war ein Wunder, aber schließlich haben diese Kirchenleute ja mit Wundern zu tun. Das ist ihr Geschäft. Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Immerhin sind sie jetzt unsere Kunden." "Hal hat das geschafft, durch seine Liebe zu Joanna", bemerkte John und hielt Barbara fest in seinen Armen. Er musste daran denken, wie reich er durch sie geworden war. Ihm war, als wäre ihm ein neues Leben geschenkt worden. Barbara schmiegte sich glücklich an den Mann, der ihr Leben so verändert hatte. "Das ist es doch, was ich gerade gesagt habe", erklärte sie. "Liebe ist ein Wunder. Auch unsere Liebe ist eins." "Ja", seufzte John zufrieden und küsste sie. "Und dieses Wunder ist für die Ewigkeit gedacht." - Ende