Interdisziplinäre Zeitschrift für Theologie und Linguistik
Linguistica Biblica 44 Jan.1979 herausgegeben von Erhardt Gü...
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Interdisziplinäre Zeitschrift für Theologie und Linguistik
Linguistica Biblica 44 Jan.1979 herausgegeben von Erhardt Güttgemanns
Studien zu Chiasmus in der Bibel Metaphertheorie "Religiöser" Sprechakt Emblematik Th. Bezas
© by Linguistica Biblica Kirchweg 15 D 5300 Bonn-Röttgen I W_Germany
ISSN 0342-0884
Ladenpreis: DM 10,-
LINGUISTICA BIBLICA BONN
Linguistica Biblica
LlNGUISTICA BIBLICA BONN Röttgen Auf dem Kirchweg 15 D-5300 Bonn 1 Telefon: 02221/25 5675 Verlagsnummer: 87797 Verkehrsnummer: 86 124
Linguistica Biblica Interdisziplinäre Zeitschrift für Theologie und Linguistik
44 ISSN
0342~884
herausgegeben von
Erhardt Güttgemanns
1979
LINGUISTICA BIBLICA BONN
© 1979 by Linguistica Biblica Bonn ISSN 0342-0884 Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der übersetzung. Gesamtherstellung: Richard Schwarzbold, Witterschlick/Bonn Printed in W. Germany
Inhalt Angelico Di Marco Der Chiasmus in der Bibel N
3
2.5. Die Apostelgeschichte 2.6. Paulus 2.6.2. Römerbrief 2.7. Erster Korinther 2.8. Zweiter Korinther 2.9. Galater 2.10. Epheser 2.11. Philipper 2.12. Kolosser 2.13. Erster Thessalonicher 2.14. Zweiter Thessalonicher 2.15. Philemon 2.16. Hebräer 2.17. Jakobus 2.18. Erster Petrus 2.19 . Zweiter Petrus 2.20. Erster Johannes 2.21. Judas 2.22. Apokalypse 3. Erste Schlußfolgerungen
3 7 9 16 21 21 25 26 28 30 32 32 32 37 37 37 37 38 38 45
Abstract
70
Jean-Pierre van Noppen Theographie, Metaphertheorie und ihre Interpretationsfehler Bibliographie Sigelverzeichnis
Abstract
71
98 99 100
Ingolf Dalferth Religiöse Sprechakte als Kriterien der Religiosität? Kritik einer Konfusion
101
Literatur
116
Abstract
118
Walter Magaß Die Emblematik Embleme als missionarisches Instrument - am Beispiel der "Icones" des Theodor Beza (1580) 119 1. Die Gattung: Darstellung und Deuten 2. Die traditionellen Mittel des mundus symbolicus 3. Die Emblematik als Argument 4. Glaube und Analogie 5. Konfessionelle Polemik mit emblematischen Mitteln 6. Die Rationalisierung des Lebens 7. Christus wird kompatibel gemacht 8. Missionspragmatik
119 121 124 125 127 129 131 134
Abstract
134
3
ANGELICO DI MARCO DER CHIASMUS IN DER BIBEL
4,
TEIL
2.5. Die Apostelgeschichte 2.5.1. Die Apostelgeschichte ist ein zyklisches Buch; die Bewegung des Buchs ist die einer Spirale 270 . Jesus hat seine Sendung im "Galiläa der Heiden"begonnen und in Jerusalem beendet, nachdem er durch Judäa gezogen ist; das Schema der Apostelgeschichte deutet einen Chiasmus mit der Hission Jesu an: "Galiläa der Heiden" - Samariter - Judäa - Jerusalem - Kreuz und Auferstehung; Jerusalem - Judäa - Samarien- die Heiden 271 • 2.5.2. Die Apostelgeschichte ist aus neun Zyklen aufgebaut, und diese wiederum aus vier Abschnitten 272 . Der Zyklus Jesu (Erwählung, Erleuchtung, Erklärung, Wunder, Verfolgung, Beratschlagung, Verrat, Passion, Tod, Auferstehung) ist der Zyklus des christlichen Lebens 273 • 2.5.3. Apg 3-28 Die Reihenfolge der Wunder von Petrus und Paulus in der Apostelgeschichte bildet einen stark verflochtenen Chiasmus:
270 M.D. Güulden, 7ypeand History in Acts, London i964, S. 16; vgl. S. 14-33. 271 id., S. 58.
272 id., S. 65. 273 id., S. 110.
4 Wunder des PetTIlS:
A
B C D E F
Wunder des Paulus:
a
b c d e f
der Gelähmte 3,1ff Ananias und Sapphira 5,1ff Kranke geheilt durch den Schatten des PetTIlS 5, 14f Kranke und von bösen Geistern Heimgesuchte 5,16 Änäas 9,32 ff Tab i tha 9, 36ff Elymas 13,6ff der KIÜppel zu Lystra (14,8ff) die Magd zu Philippi 16,16ff Heilungen durch die Tücher des Paulus 19,11ff Eutychus 20,7ff der Vater des Publius und andere 28,7ff.
So scheinen A mit "b", B mit "a", C mit "d", D mit "c", E mit "f" und F mit "e" in drei Chiasmen zusannnenzugehen:
2.5.4. Ähnliche Parallelismen in solchen Berichten sind schon angemerkt worden; es handelt sich mehr um Parallelismus des Inhalts als der Worte. Es gibt Einwendungen gegen solche Parallelismen; der Haupteirnvand ist dieser: sind wir sicher, daß Lukas sie wirklich gewollt hat 274 ? M:lrgenthaler 275 hat viele älmliche Strukturen im ganzen Werke des Lukas (Evangelium und Apostelgeschichte) gefunden.
274 .1 Fenton, The Order of the Miracles performed by Pete:r and Paul in Acts, in The Exposition Times 77, 1965-66, S. 381-383. Fenton antwortet nicht auf die zuletzt gestellte Frage. 275 R. Morgenthaler, Die Lukanische Geschichtsschreibung als Zeugnis I-II, Zürich 1948 (vgl. hier Lukas).
5 Apostelgeschichte 1 bietet uns, in Chiasmus mit Luk 24, die Essenz des Werkes von Lukas: Luk 24: allen Völkern, ausgehend von Jerusalem Apg
1: in Jerusalem, in ganz Juda und Samarien bis ans Ende der Welt (276).
2.5.5. Verschiedene Chiasmen finden sich in: Apg 2,41; 6,7; 8,3.25; 9,31; 11,18; 16,26; 20,4; 16,4; 23,6; 25,12 277 • Apostelgeschichte 1,15-25: Hier liegt eine chiastische Konstruktion vor 278 , die allen tragenden Partien Kraft verleiht, besonders in den Zitaten aus der Schrift. Selbst wenn eine solche Art, ein Werk zu verfassen, unbewußt gewesen ist, so dient sie doch der Wirkung des Aufbaus: kein Satz befindet sich außerhalb der Absicht der Perikope, in welcher Matthias gewählt wurde. Das Problem ist, ob diese Kornpositionsweise aus der Tradition stammt oder von Lukas selbst 279 . Apg 2,17-21 (Joel 3,1-5): Lukas verwendet den Text der LXX - (und es ist unwahrscheinlich, daß Petrus LXX zitiert hat)-, der schon gut konstruiert ist, vervollständigt und paßt ihn an, um einen perfekten Aufbau zu bekommen 280 Apg 4,25-28 stellt einen offensichtlichen Chiasmus dar, wenn auch nicht in einem rigorosen Schema 281 . Apg 11,19-15,40 enthält einen chiastischen Rhythmus: Antiochia 11,19-30 Jerusalem 12,1-25 Antiochia 13,1-5 Antiochia 14,21-15,3 Jerusalem 15,5-34 Antiochia 15,35-40 (282). 276 id., S. 192. 277 id., S. 42-43. 278 Morgenthaler (id., S. 89) z1t1ert Bauernfeind, Die Apostelgeschichte, Leipzig 1939, S. 25, der diesen Chiasmus schon herausgefunden hatte. 279 R. Morgenthaler, ibi, S. 89-90 (er gibt keine Antwort auf die Frage). 280 id.; S. 88. 281 id., S. 90-91. 282 id., S. 143.
6 Apg 15: Lukas führt illlS in seiner Komposition Am 9,11 vor mit einem Chiasmus, der in LXX illld im Hebräischen fehlt 283 . Apg 28,26.27 stellen eine getreue Wiederholilllg von Jes 6,9 dar. Apg 28,27 ist chiastisch mit der Variante von LXX verbilllden; das verdeutlicht die Präferenzen im Stil des Lukas 284 . Apg 17,22-31: die Rede auf dem Areopag hat eine Struktur ähnlich der des ''Benediktus'' : Einleitilllg A1 A2 B1 B2 C1 C2 D E D' C' 1 C'2 B' A' A' Schluß
17,22 23ab 23c 24 25a 25b 26a 26b 27a 27b 28a 28b-29a 29b 30a 30b 31 (285) .
Apg 20,18-35: Die Rede des Paulus an die Ältesten von Ephesus schien den Exegeten illlzusammenhängend; stattdessen ist sie in einem umgekehrten Chiasmus oder Parallelismus abgefaßt, der als "a li terary form in which words, lines or themes are presented abc , and then treated in the reverse order c b a " definiert ist, illld als solche findet sie sich häufig in der antiken klassischen Literatur oder im A.T. 286 .
283 284 285 286
id., S. 87. id., S. 87-88. E.Des Places, Actes 17,27; in Biblica 48, 1967, S. 1. Ch. Exum - Ch. Talbert, The Structure of Paul's Speech to the Ephesian Elders (Act 20,18-35), in CBQ 29, 1967, S. 233-234.
7 Es wird weitgehend angenommen, daß die Ausführungen Lukas' seine Geisteshaltung in Form und Inhalt widerspiegeln, und daß er weithin die Struktur des ChiasllIl.lS verwendet. Apg 20,18-35 A 20,18-21 Paulus bekräftigt sein Zeugnis B 20,22-24 Vorhersage: Paulus in Jerusalem C 20,25 Er wird nicht mehr von ihnen gesehen B' 20,26-30 Vorhersage: falsche Lehrer inner- und außerhalb A' 20,31-35 Paulus bekräftigt sein Zeugnis. In Apg 20,31-35 besteht ein letzter ChiasllIl.lS, so daß Apg 20,18-35 insgesamt einen komplexen ChiasllIl.lS vorstellt. Die Form ist eng mit der Bedeutung verbunden: Wie viele klassische Autoren hebt Lukas den mittleren Teil heraus: "Ihr werdet mich nicht mehr sehen,,287. Apg 13-14: wie alles andere in der Apg ist dieser Abschnitt aus chiastischen Strukturen aufgebaut: A B
C D
C' B' A'
Abfahrt von Antiochien in Syrien 13,1-2 Bittgebet und Fasten 13,3 Verkündigung auf Zypern 13,4-13 (mit internem ChiaSllIl.lS) Rede des Paulus zu Antiochien in Pisidien 13,16-41 (mit internem Chiasmus) Verkündigung in Galatien 13,43-14,22 (mit internem ChiasllIl.lS) Bi ttgebet und Fasten H, 23 Rückkehr nach Antiochien in Syrien 14,24_26 287a .
2.6. Paulus 2.6.1. Die Schriften des Paulus gehören, auch was ihre Struktur anbetrifft, zu den am meisten analysierten der ganzen Bibel. Neben untersuchungen zu einzelnen Partien fehlen auch Arbeiten generellerer Art nicht.
287 id., S. 235-236. 287a J. Bligh, Galatians, A Discussion of St Paul's EPistle, London 1969, S. 7-16.
8 Collins 288 bemerkt, daß die Entdeckung bestimmter Strukturen, wie des Chiasmus, den Gedankengang des Paulus, der sonst schwierig und offensichtlich verwirrend bliebe, aufklären kann 289 • Nach den Ausführungen zu verschiedenen Autoren, die sich für den Chiasmus bei Paulus interessiert haben290 , zitiert er Norden und andere, die als rhetorische Hauptfigur bei Paulus die Antithesis oder den Parallelismus angeben291 . 2.6.1.1. Nach Collins könnte man das Phänomen, das sie alle verbindet, 'Dscillation" nennen, die Bewegung zwischen zwei Po~en. das Vor- und Zurückgehen: Paulus entwickelt seine Gedanken in einer Serie von Oszillationen, in der Form von Wellen. Er ist, wie jeder Hebräer, sehr stark rezeptiv, leicht beeinflußbar durch Stimulierung von außen, in höchstem Grade sensibel 292 • Vielleicht hat auch die Intellektualität als Schriftsteller ihr Gewicht. Paulus ist einer der großen Dialektiker wie Platon, Augustinus, Calvin, Hegel; er sucht die Konfrontation mit dem Gegner, bis er über ihn trilDllphiert. Daher auch seine Gewohnheit, bis auf die großen Prinzipien zurückzugehen: von einem besonderen Problem aus geht er auf die Prinzipien zurück, die es beherrschen 293 . Collins zitiert Boman 294 , der bestätigt, daß wir Europäer die Zeit als Kreis oder Zyklus auffassen, während sie für den Juden ein dreifacher Rhythmus ist: unbetont - betont - unbetont; oder auch: Abend - Tag - Abend, also eine Art Oszillation, eine Art Chiasmus 29S . 2.6.1.2. Ein weiterer Autor, der sich damit in einer gewissen Breite auseinandergesetzt hat, ist Brunot 296 . Er möchte vor allem, über die literarischen Techniken hinaus, was Aufgabe der Grammatiker ist, den Geist
288 J.J. Collins, The ABA' Pattern and the text of Pau~. in S.P.C.I. 11 (Analeeta Biblica 17-18), Roma 1961, S. 575-583. 289 id., S. 575-577. 290 id., S. 577-578. 291 id., S. 578-579. 292 id., S. 579-580 (es wird zitiert: L. Köhler, Hebrew Man 1956, S. 122). 293 id., S. 580. 294 Th. Boman, Hebrew Thought Compared with Greek. 1960, S. 134-135. 295 J.J. Collins, ibi S. 583. 296 Am. Brunot, Le Genie Litteraire de Saint Pau~. Paris 1955.
9 des Paulus erfassen297 • Paulus ist ein semitisches Genie; er komponiert .. 298 ,m . dem er grunds"atz l'ch m.'cht, er organ1s1ert 1 ant1·th· et1sch vorgeh t 299 • Er leitet das aus der jüdischen Erziehung und der griechischen Kultur ab, vor allem aber aus der Struktur seines Gemüts und aus dem Schock von Damaskus. Die Antithesis war bei den Griechen beliebt, der Parallelismus bei den Juden, und er hat sich seit dem Exil, wahrscheinlich unter dem Einfluß des Hellenismus, entwickelt 3OO . Paulus scheint viel an dem Entwicklungsschema A B A' gelegen, was seltsam scheinen könnte, aber sich als ein ausgezeichnetes pädagogisches Mittel erweist. Paulus kündigt ein Thema an, entwickelt es in höchste Höhen und kehrt dann zu seinem Thema zurück; er äußert einen Gedanken (A), stellt neben ihn oder ihm gegenüber einen anderen (B), und erhellt, indem er zu dem ersten (A') zurückkehrt, diesen unter dem Gesichtspunkt von B301 Das Ergebnis der Untersuchung von Brunot ist: das Schema A B A' findet sich fast regelmäßig dort, wo Paulus ein Problem in einer gewissen Breite behandelt (I und II Kor; Röm; Gal; Eph; Kol); weniger dagegen in den Freundschaftsbriefen, in allen Nachrichten, Erinnerungen, kurzen Fmpfehlungen (I und 11 Thessal; PhiI); es fehlt in Philemon und in den Pastoralbriefen302 . 2.6.2. Römer 2.6.2.1. Er hat die folgende Struktur:
Prolog: das Evangelium Gottes 1,1-16 A B C
297 298 299 300 301 302
1 ,1 Thema - Evangelium 1,2-15 verschiedene Parenthesen 1,17 Wiederaufnahme des Themas - Evangelium
id. id. id. id. id. id.
, , , , , ,
s. s. s. s. s. s.
J3. 25ss. 28ss. 33-34. 41. 42.
10 Die Gerechtigkeit Gottes, die aus der Rechtfertigung entspringt 1,17-4,25 A B
AI -
1,17 Thema - Offenbarung der Gerechtigkeit 1,18-3,20 Antithese - Offenbarung des Zorns 3,21-30 Wiederaufnahme des Themas - Offenbarung der Gerechtigkeit
Beleg anhand der Bibel 4,1-25 A B
AI
4,1-8 gerechtfertigt allein durch den Glauben 4,9-12 gerechtfertigt unabhängig von der Beschneidung 4,13-25 gerechtfertigt allein durch den Glauben
. Die Liebe Gottes Quelle des Heils 5-8 A B
AI
5,1-11 Thema - die Liebe Gottes aus dem Geist 5-7 Antithese - Christus besiegt die Sünde, den Tod, das Gesetz 8 Wiederaufnahme des Themas: die Liebe Gottes und das Leben aus dem Geist
Beleg anhand der Bibel 9-11 A B
AI
9,6-29 Verstoßung Israels, von Gott aus gesehen 9,30-10,21 Verstoßung Israels, von Israel aus gesehen 11 Verstoßung Israels, von Gott aus gesehen
Moralischer Teil 12-16 A B
AI A B
AI A B
AI
12,1-2 allgemeine Ratschläge 12,3-8 besondere Ratschläge 12,9-16a allgemeine Ratschläge 12,16b-21 Nächstenliebe 13,1-7 Gehorsam gegenüber der irdischen Gewalt 13,8-14 Nächstenliebe 14,1-12 Schwache und Starke 14,13-23 Pflichten der Starken 15,1-13 Schwache und Starke (303).
303 id., S. 46
II 2.6.2.2. Röm 1,1-7: das bekannte Glaubensbekenntnis, wahrscheinlich schon vor Paulus datierend, in Röm 1,3-4 ist chiastisch in den Prolog des Römerbriefes eingefügt, der insgesamt das Schema A 1,1; B 1,2-3a; C 1, 3b; C' 1,4ab; B' 1,4c; A' 1,5-7 hat 304 • Röm 1-11 ist ganz nach dem Oszillationssystem aufgebaut: These, Entgegnung, These 305 • Röm 1,16.17: Das Thema von Röm 1,16.17 - Heil und Gerechtigkeit - wird
chiastisch entwickelt: die Gerechtigkeit (1,18-4,25) und das Heil (Röm 5)306. Röm 1,21-32: hat die folgende Struktur:
a b c x c b a
1,21-23 24 25 26-27 28a 28b-31 32
Schuld Strafe Schuld Strafe Schuld Strafe Schuld
oL6-n oL6 OLl:LVe:(; oLa l:OÜl:O Kat KaÖW(; Ttap~owKe:V
OLl:LVe:(;
Vielleicht liegt hier die Figur der Palindromie (rücklaufender Parallelismus) vor, innerhalb derer 1,26-27 den Wendepunkt ausmacht. Das würde auch erklären, wanun die Anklage in 1,28a so kurz ist: es handelt sich nur um einen weiteren Zusatz; in dem ganzen Abschnitt ist es der einzige Satz, der mit Ka~ anfängt307. Röm 1,30b: die zweigliedrigen Ausdrücke sind chiastisch: {;cpe:upe:l:a(; KaKWV YOVe:UOLV aTte:Löe:~(;.308
304 Angelico da Linguaglossa - (Di Marco) -, Il prologo della lettera ai (Rm 1,1-7) - Struttura e signifiaato, in Laurentianum (Roma) 8, 1968, S. 73-84. 305 J.J. Collins, in S.P.C.I. 11 (Analeeta Biblica 17-18) Roma 1961 S. 581. 306 M. Bouttier, in Battesimo e Giustizia in Rm 6 e 8, hrsg. von Lorenzo Lorenzi, Roma 1974, S. 128-129. 307 G. Bowman, Noah einmal Römer 1,21-32, in Biblica 54, 1973, S. 413-414. 308 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973 , S. 46.
Romani
12 Röm 2,2-11: Röm 2,7-10 häggt von Vers 6 ab, der chiastisch ist; 2,6 hängt von 2,5 ab. Das Urteil nach den Werken wird von zwei Seiten aus betrachtet; erstens in 2,7f in der Reihenfolge: augenblickliche Existenz - zukünftiger Wert; daher in 2,9ff in der Reihenfolge: zukünftiger Wert - augenblicklicher Wert. Ebenso wechselt auch die Beziehung: positiv-negativ, soweit in 2,7f zuerst von guten und dann von schlechten Werken gesprochen wird, während in 2,9f die Reihenfolge umgekehrt ist. Daraus ergibt sich ein kunstvoller Chiasmus: Wer jetzt G u t e § > < t u t eirunal Gutes wer jetzt Böses tut~_::; -;::..._ - eirunal Böses - - wer jetzt Böses tut einmal Böses - - eirunal Gutes wer jetzt Gutes tut Vers 2,11 legt das Fundament für das, was im Chiasmus gesagt wird: bei Gott gibt es kein Ansehen der Person. In welcher Beziehung steht dieses letzte Urteil, das die Werke betrifft, zu dem Satz, daß der Mensch jetzt allein durch den Glauben gerechtfertigt ist (hat 3,28 diesen Sinn)309? "Keiner kann sich von der eigenen Wirklichkeit befreien. Die Wirklichkeit des Menschen wird durch seine Handlungen bestimmt". Gott wird den Hensehen nicht "entgegen der Rechtfertigung durch den Glauben" richten, sondern genau wegen der Rechtfertigung durch den Glauben. Das Urteil sieht> auf die Werke; die Rechtfertigung durch den Glauben sieht nicht auf die Werke 310 . Diese "evangelische" Deutung liegt dem Chiasmus in 2,7-10 zugrunde. Der "Chiasmus" Gesetz-Evangelium, der ganz Römer 1, 16-3,21ff bestimmt, ist vom Kreuz als Zyklus gekennzeichnet, vom Chiasmus des Kreuzes 311 . Röm 2,6-12: Paulus hat an dieser Stelle wohl eine antike chiastische Formel der Belohnung benutzt und etwas eigenes hinzugefügt. Wenn man die An309 Ed. Jüngel, Ein pauZinischer Chiasmus, in id., Unterwegs zur Sache (Beiträge zu Ev. Theol. 61), München 1972, S. 173-174 (schon in ZThK 60, 1963, S. 69-74)· 310 id., S. 176-177. 311 id., S. 178.
ß fügungen von Paulus beiseite läßt, erhält man eine ursprüngliche, chiastische Fonnel: ABC D E F G G' F' E' D' C' B' A'. Diese Fonnen lassen sich unter die ''palindromischen Parallelismen" einordnen, obwohl "Palindrom" eher die riickläufige Fonn identischer Buchstaben, Buchstabe für Buchstabe, bezeichnet, wie im bekannten SATQR-ARBPO; die genauere Bezeichnung wäre also "Chiasmus". Die Verwendilllg des Chiasmus ist jüdisch: Paulus ist Jude. Im Falle von Röm 2,6-11, wo das Original (geschrieben oder nicht) auf Hebräisch oder Griechisch-Hellenistisch illld die Bearbeitilllg von Paulus zusammengehen, ist die Symmetrie der Formel illlterbrochen312 . Röm 2,7-10: hier liegt die Fonn ab b a vor 313 Röm 2,28-29: im ersten Vers fehlt das Subjekt illld im zweiten das Prädikat, außerdem folgen nicht unmittelbar die gleichen Substantive: so entsteht daraus ein kraftvoller Chiasmus 314 . Röm 3,4-8: in Röm 3,4 zitiert Paulus zweimal die Heilige Schrift (Ps 116, 11; und 51,6), beide fügt er den zwei Entgegnungen, die vorausgehen, an; die erste Einwendilllg ist an das zweite Zitat angefügt (Ps 51,6), und die zweite Einwendung (3,7-8a) an das erste Zitat (Ps 116,11)315. Röm 3,19 ist chiastisch316 . Röm 3,21-31: der gedankliche Inhalt dieser Verse wird in Röm 5,1-11 wiederaufgenommen, wo von der Frucht der Rechtfertigung gesprochen wird. Wir haben damit ein Beispiel für das Schema A B A', das bei Paulus häufig vorkommt: er betrachtet gern ein Thema zuerst von einer Seite, dann von einer vollständig anderen, sogar entgegengesetzten Seite, um letztlich zum ersten Gesichtspilllkt zuriickzukehren 317 . 312 K. Grobel, A Chiastic Retribution Formula in Rom 2 ••. , in E. Dinkler, Zeit und Geschichte, ... an R. Bultmann, 1964, S. 253-261. 313 J. Jeremias, Chiasmus in den Paulusbriefen, in ZNW 49, 1958, S. 149. 314 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, S. 69. 315 J. Jeremias, S. 154-155. 316 id., S. 150. 317 J. Dupont, in RB 62, 1955, S. 372.
I II Röm 5,1.11: in diesen zwei Versen sind die gleichen Gedanken enthalten318 . Röm 5-8: es besteht eine Inklusion zwischen dem Anfang von Röm 5 und Röm 8319 . Röm 5,1-10 ist chiastisch320 . Röm 5,12 ist chiastisch321 . Kann als chiastisch aufgefaßt werden: wegen der Sünde ist der Tod eingetreten, und um den Tod zu finden, sündigen die Menschen 322 . Röm 5,15-17 hat die Form A BA': 5, 15 = A·" 5 16 = B·" 5 17 = A,323 . Röm 5,13-14: der Gedankengang in diesen Versen entwickelt sich folgendermaßen: Adam
~
Sünde
----7 Tod Tod ~ Sünde ---7 Menschhei t 324 .
Röm 6,5: xupq;;
bildet eine Inklusion mit 6,23 xup ~ CJ].IQ
325
Röm 8, 17.24.29f: Anfang und Ende der Sätze sind ähnlich 325a . Röm 8,31-39: dort findet sich folgendes Verfahren: a b b a
wer uns von der Liebe zu Christus abhält die Bedrängnis, die Angst ... c (Zitat: "deinetwegen •.. ") weder Tod, noch Leben ... wird uns von der Liebe zu Gott abhalten
326
318 Br. Ramazzotti, in Il Messaggio della Salvezza 5, Torimo-Leumann 1968, 338. 319 J. Cambier, in Battesimo e Giustizia in Rm 6 e 8, hrsg. von Lorenzo De Lorenzi, Roma 1974, S. 56. 320 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, S. 123. 321 id., S. 262. 322 A. Feuillet, in RB 77, 1970, S. 490. 323 id., S. 500. 324 G. Castellino, in Bibbia e Griente 16, 1974, S. J56. 325 M. Bouttier, In Battesimoe Giustizia in Rom 6 e 8, hrsg. von Lorenzo De Lorenzi, Roma 1975, S. 153. 325a E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, Leipzig 1900, S. 300-302. 326 Angelico di Marco .
s.
15 Röm 9-11: das Problem des Volkes Israel wird hier aufeinanderfolgend vorn Gesichtspunkt der Vollkommenheit Gottes (9,1-29), der Schuld der Juden (9,30-10,21), der Vollkommenheit Gottes (Röm 11) aus gesehen 327 Röm 9,30; 10,17: Anfang und Ende der Sätze sind ähnlich 327a . Röm 9,24-25: Paulus spricht hier in der folgenden Reihenfolge: Heiden - Juden / Juden - Heiden328 . Röm 9,24- 29: das was Paulus in einern Satz bej aht, nimmt er in umgekehrter Reihenfolge wieder auf329 . Röm 10,9-10: Paulus drückt das, was er sagen will, in der Form a b b a aus: a-ro~a / KapöLa - KapöLa / a-ro).la330 . Röm 11,22: Paulus gebraucht noch einmal die Formel
a b b a 331
Röm 11,30-31: Die Ausdrücke sind chiastisch332 . Röm 11,33-35: unter Voraussetzung des Chiasmus - abc c b a - , ergibt sich etwas exegetisch Wichtiges, das, also yvwaL~ {rEOÜ (11,33), wenn es danach mit voü~ KUPLOU wiederaufgenommen wird, als Genitivus subjectivus gedacht sein muß 333 Röm 14,7-9: der Chiasmus dieser Verse ist nicht rhetorisch, sondern vorn Inhalt des Ausdrucks bedingt 334 Röm 14,9b: Paulus drückt sich hier chiastisch aus 335
327 J. Dupont, in RB 62, 1955, s. 372, Anm. 2; vgl. A. Feuillet in NTS 6, 1959-60, S. 71· 327a E. König, StiZistik, Rhetorik, Poetik ... , Leipzig 1900, S. 302· 328 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, S. 262· 329 J. Jeremias, Chiasmus in den PauZusbriefen, in ZNW 49, 1958, S. 151. 330 id., S. 149. 331 id., S. 146-147; ISO. 332 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, S. 303. 333 J. Jeremias, ibi, S. 150-151 (Petitio Principii? nachdem wir wissen, was die Bedeutung ist, können wir von Chiasmus sprechen. "Wenn das die Bedeutung wäre, läge Chiasmus vor") = Vgl. auch N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel Hill 1942, S. 222. 334 J.Jeremias, ibi, S. 147-148. 335 E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, S. 356.
16 2.7. Erster Korinther 2.7.1. Der ganze Brief hat die folgende Struktur: Wahn und Weisheit 1,1-3,4 A 1,1B-2,5 Weisheit der Welt und Weisheit Gottes A - 1,1B-25 These B - 1,26-31 Beweis A'- 2,1-5 These- Verkündigung des Paulus B 2,6-16 Die wahre Weisheit Gottes A' 3,1-4 Ihre Verkündigung Das Apostolische Amt 3,5-4,16 A 3,5-10 Thema B 3,11-23 Verantwortung der Mitarbeiter A' 4,1-15 Wiederaufnahme des Themas Unterdrückung der heidnischen Laster 5,1-6,20 A 5 Thema B 6,1-11 Die TIA.e:ove:!;Ca A' 6,12- 20 Wiederaufnahme des Themas Die Götzenanbeter B, 1-11, 1 A B,1-13 Themen B 9,1-10,13 offensichtlich eine Digression 9,19-22: A 19 Dienst des Paulus B 20-21 besondere Formen A' 22b Wiederaufnahme von A A' 10,14-11,1 Wiederaufnahme des Themas Mißbrauch am Ort A 11,17-22 B 11,23-32 A' 11,33-34
des Gottesdienstes 11,17-34 Thema offensichtlich eine Digression Wiederaufnahme des Themas
17 Die Gnaden 12-14 12 Thema A B 13 Offenkundige Abschweifung: Hymne an die Nächstenliebe A - 13,1-3 Thema: Höherwertigkeit der Nächstenliebe B4-7 Ausübtmg der Nächstenliebe A'8-13 Wiederaufnahme des Themas A' 14 Wiederaufnahme des Themas (336). 2.7.2. 1Kor 1,12f: Paulus geht folgendermaßen vor: Paulus / Christus - Christus / Paulus 337 •
abc d d a a
1Kor 1,19: die Zitate sind in ChiasßUl5 gesetzt 338 1Kor 1,24f hat die Form: a b b a 339 . 1Kor 5,2-6 entwickelt sich folgendermaßen: A 5,2; B 5,3; C 5,4; B' 5,5; A' 5,6 34
°.
1Kor 6,13-14: es läßt sich ein ChiasßUl5 in Form eines gewöhnlichen Paars feststellen: A 6,13abc; B 6,13de; A' 6,13fghi; B' 6,14 341 • 1Kor 7,2-4: die Struktur ist: a b ab b a . überdies vertauschen in 7,3 yuvri undavrip den Kasus 342 . 7,4 hat eine weitere Struktur: abc - c' b' a,343. 1Kor 7,22: Paulus geht so vor: a b b a 344 336 A. Brunot, Le ~nie Litte~aire de S. PauZ, Paris 1955, S. 43644. 337 J. Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 151. 338 Angelico di Marco. 339 J. Jeremias, ibi S .. 150. 340 N.W.Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 146. 341 id. S. 145: vgl. J. Jeremias, ibi S. 146-147 . 342 J. Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 149. 343 W. Bühlmann - K. Scherer, StiZfiguren der BibeZ, Friburg 1973, S. 29; J. Jeremias, ibi S. 146. 344 J. Jeremias, ibi S. 148 .
18 1Kor 8-11 bietet ein Beispiel des Schemas ABA', das bei Paulus häufig vorkommt: Untersuchung eines Aspektes, dann eine neue Perspektive, um dann zu dem vorangehenden Aspekt zuTÜckzukehren. 8-9: die Götzen sind nichts und daher unterliegen die Lebensmittel, die ihnen dargebracht werden, keiner sofortigen Veränderung; 10,1-23: (der andere Aspekt) die Lebensmittel, die den Götzen dargebracht werden, sind Opfergaben an die Dämonen; 10,24-11,1; Rückkehr zum ersten Gesichtspunkt 345 Wenn man in 1Kor 8-10 die Struktur A B A annimmt, dann gibt es keinen Anlaß für Umstellungen, die die Kommentatoren vermuten. A - 8,1-13 Prinzip der Nächstenliebe um das Problem des den Götzen geopferten Fleisches zu lösen; B - B 9,1-10,13: Beispiel von Paulus (B) und der Personen des Alten Testaments (B); A - 10,14-11,1: Anwendung auf die Korinther. DaTÜberhinaus besteht die Struktur A B B A auch in der Be" dung346 . grun 1Kor 4,10: hier die Kreuzung eines Wortpaars, und nicht einfach der Rhetorik wegen, in der Form: ab ab b a 347 . 1Kor 4,13b: hier eine Kreuzung des Genitivs: ab b a 348 1Kor 6,13a: man achte auf die Form a b b a mit Antithese 348a . 1Kor 9,1-27: dieses Kapitel ist eine Erhellung von 8,13. Paulus gebraucht hier den Chiasmus und gibt zwei Beispiele für seinen sofortigen Verzicht: 1. ich bin nicht frei (9,1a), ausgeführt in 9,19-27, und 2. ich bin kein Apostel (9,1b), ausgeführt in den Versen 9,1c_18 349 1Kor 9,19-22: hier liegt ein Verfahren der Form ABC C' B' A'
vor 350
345 J. Dupant, in RB 62, 1955, S. 372, Anm. 2. 346 J.J. Callins, in S.P.C.I. 11 (Analeeta Biblica 17-18), Rama 1961, S. 581-582. 347 J .Jeremias, in ZNW 48, 1958, S. 146· 348 id., S. 146. 348a id., S. 146. 349 id., S. 155-156. 350 N.W.Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel Hili 1942, S. 147.
19 1Kor 10,3f enthält eine Kreuzung des Akkusativobjekts, der Form a b b a 351 lKor 11,8f. 11f: hier findet sich ein besonders künstlerisches Schema, das in der Kombination zweier Arten von Chiasmus besteht 352 . 1Kor 11,8-12: Paulus benutzt die folgende Struktur: A 11 ,8; B 11,9; C 11,10; B' 11 , 11; A' 11 ,12 353 . 1Kor 11,34b-12,3: der Abschnitt wird als Ganzes in der Form ABC B'A' entwickelt; auch die Partien, die außen liegen (12,3), sind chiastisch X y y' X,354. 1Kor 12,31-14,1: hier läßt sich eine komplexe Symmetrie mit verschiedenen Chiasmen feststellen: 12,31
X A A'
13,J-3
y
B
B' C C' 13,4-7
Z
[> -A B
C 13,8-13
y'
D
C' B' A' 14,1
351 352 353 354 355
X
(355) .
s. 146 149 • N.W. Lund, ibi S. 148(ähnlich in S 89, 30-34). id., s. 165 . id., S. 175-176; vgl. id. , in IBL 50, 1931, S. 266-276. J. Jeremias, in ZNW 49, 1968, id. ,
s.
20 1Kor 12-14: die komplexe Struktur dieser Kapitel zeigt, daß 1KOr 13 wieder auf das Problem der Gnade zuriickkonmt. A(12}: die ChaTismata betreffen das A1lgemeinwoh1; B(13}: die größte ist die Nächstenliebe; A(14}: Regeln für den Gebrauch der Charismata356 • 1Kor 13: gibt ein Beispiel für das Schema A B A': ein erster Gedanke wird unter einem anderen Aspekt weitergeführt und dann erneut aufgegriffen. Hier im ersten (13,1-3) und dritten (13,8-13) Teil wird die Nächstenliebe in ihrer Beziehung zu den anderen Charismata gesehen, während sie im mittleren Teil (13,4-7) für sich selbst betrachtet wird357 . 1Kor 13,2.4: in 13,2 besteht eine Kreuzform des Pronominalobjekts; in 13,4 Kreuzform des Subjekts mit dem Schema: a b b a b a 358 . 14 , 1b- 36 : h"ler I"legt elne " St ruktur mlt " verschiedenen Ch"lasmen vor 359 1vNUr
1Kor 14,37-40: Paulus benutzt eine chiastische Form: X Y y' X,360. 1Kor 14,22: hier die Form a b b a mit Antithese 361 . 1Kor 15,35-57: in 15,35 fragt sich Paulus, wie das Ereignis der Wiederauferstehung von den Toten begreiflich gemacht werden könnte und wie der Körper des Wiederauferstandenen aufgefaßt werden sollte; er antwortet zuerst auf die zweite Frage (15,36-49) und dann auf die erste (15,50-57}362. 1Kor 15,50-54: auch in diesem Abschnitt ist der Chiasmus nicht rhetorischer Art, sondern vom Inhalt des Ausdrucks bestinmt363 . 356 J.J.Collins, in S.P.C.I. (Analeeta Biblica 17-18), Roma 1961,S. 582-583. 357 J. Dupont, in RB 62, 1955, S. 372, Anm. 2· 358 J.Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 146; vgl. G. Bonaccorsi, primi Saggi di filologia Neotestamentaria II, Torino 1950, S. 124; vgl. E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik ... , Leipzig, 1900, S. 300 359 N.W.Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 183-196. 360 id., S. 165. 361 J. Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 147. 362 id., S. 153-154. 363 id., S. 147-148.
21 2.8. Zweiter Korinther Dieser Brief ist eine wunderbare Illustration des Schemas AB A': A 1-7 Apologie des Paulus und Verteidigung des apostolischen Amtes B
A'
8-9 offensichtliche Abschweifung: die Kollekte A - 8,1-15 Gründe für die Freigiebigkeit B - 8,16-24 die Bevollmächtigten A' - 9,1-15 Gründe für die Freigiebigkeit 10,1-13,10 Apologie des Paulus 364 .
2Kor 1,3-5: der Gedankengang entwickelt sich in der folgenden Form: A 1,3; B 1,4; A' 1,5 365 . 2Kor 7: in 7,2-5 liegt die Struktur ABC C' B' A' vor. In 7,6-24 dagegen eine nicht-chiastische Symmetrie. Erneut in 7,25-35 ein komplizierter Chiasmus:
x Y Z Y' X'
AB B' A AB A' AB B' A' (366).
2Kor 9,6; 11,21: stellen Fälle von "Anadiplosis" dar: das Ende eines . der Anfang e~es . Satzes ~st anderen 366a . 2.9. Galater 2.9.1. Bligh367 hat eine detaillierte Arbeit über die Struktur des Galaterbriefes geschrieben; er ist darin nach der "Strukturalen Analyse" vorgegangen, 364 A. Brunet, Le Genie Litteraire de S. Paul, Paris 1955, S. 44 . 365 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T. Chapel HilI 1942, S. 151. 366 id., S. 151-160. 366a E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, Leipzig 1900, S. 303. 367 J. Bligh, Galatians in Greek, Detreit 1966; (mit vielen Diagrammen) id., Galatians - A Discussion of St Paul's E,pistle, Lenden 1969.
22 die bis jetzt von den Exegeten wenig benutzt worden ist. Der ganze Galaterbrief stellt eine genaue, symmetrische Komposition nach der literarischen Figur des "Oüasmus" dar, die seit einiger Zeit von Wissenschaftlern bestätigt wird, die sich mit Paulus beschäftigen, auch wenn man noch nicht die geringste Idee von der Komplexität dieser chiastischen Strukturen zu haben scheint. Der Chiasmus in seiner einfachsten Form stellt ein einfaches criss-cross dar, das dem griechischen Buchstaben X ähnlich ist, daher auch sein Name. Zum Beispiel: Der Sabbath ist für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbath Worte oder Gedanken, die in der Reihenfolge A - Bader A - B - C begonnen wurden, werden in der umgekehrten Reihenfolge B - A oder C - B - A wiederholt; usw .... 368. Die Struktur des Galaterbriefes hat als Zentrum den Chiasmus von Gal 4, 4-5, der seinerseits Zentrum eines anderen Chiasmus ist: 4,1-10 = ABC D E F G G' F ' E' D' C' B' A'. 4,1-10 ist ebenfalls "sandwiched" zwischen zwei entsprechenden Abschni tten: 3,5-29 und 4,11-30, beides Stellen der Heiligen Schrift. 3,5-29 und 4,11-30 sind ihrerseits "sandwiched" zwischen zwei ähnlichen Abschnitten: 2,11-3,4 und 5,1_10369 . 2.9.2. Der Plan der Struktur des gesamten Briefes ist demnach: A B C D E D' C' B' A'
Prolog 1,1-1,12 Autobiographischer Abschnitt 1, 13-2,10 Rechtfertigung aus dem Glauben 2,11-3,4 Schriftstellen 3,5-29 Zentraler Chiasmus 4,1-10 Schriftstellen 4,11-31 Rechtfertigung aus dem Glauben 5,1-10 Abschnitt mit moralischem Inhalt 5,11-6,11 Epilog 6,12-18 (370).
368 J. Bligh, Galatians - A Discussion of St Paul's Epistle, London 1969, II-UI.
369 id., S. 37-39. 370 id., S. 39.
s.
23 Der autobiographische Abschnitt 1,13-2,10 dient nicht dazu, zu zeigen, daß er das Evangelium von irgendwem erhalten hat, sondern daß er in seinem christlichen Leben dem Heiligen Geist gehorchte 371 • Innerhalb dieser großen Symmetrie finden sich noch andere, begrenztere. Die drei großen Abschnitte des Briefes: A 1,1-3,4; B 3,5-4,31; C 5, 1-6,18, sind jeweils chiastisch. Ebenso sind viele kleine Partien chiastisch. Derjenige, der das zum ersten Male sieht,' könnte meinen, daß eine solche Komplexität Resultat unserer Phantasie sei; oder er könnte sagen, wenn wirklich solche Strukturen vorlägen, so hätte man sie sicher längst vorher bemerkt. Heute ist jeder Kommentator gezwungen, aufzuzeigen, was bis jetzt nicht bemerkt wurde. Heute gestehen die Geschichtsschreiber372 ein, daß wir die historischen Ereignisse nur mittels Analogien erkennen können; wir können Berichte über vergangene Ereignisse nur akzeptieren, indem wir uns vorstellen, daß sie unserer Erfahrung von der Existenz und der menschlichen Tätigkeit zugänglich sind. Unsere Schwierigkeiten hinsichtlich solcher Strukturen lassen sich aus der Tatsache ableiten, daß wir sie als solche nicht kennen, während das A.T. voll davon ist; sie finden sich auch in der klassischen Literatur. Die Erfahrung zeigt, daß sich die Wissenschaftler immer stärker an diesen Schemata interessiert zeigen, wenn sie gerade angefangen haben, selbständig damit zu arbeiten. So kann man sehen, daß bestimmte Abschnitte bei Paulus nicht erratisch sind,. sondern daß Paulus Techniken verwendet, die bei uns wenig gebräuchlich sind. Viele Laien hören eine Fuge von Bach und genießen sie, ohne auch nur die geringste Ahnung von ihrer ausgefeilten Struktur zu haben. Wenn ein Berufsmusiker ihm dann erklärt, wie verwickelt die Partien sind, wird ihm das einen größeren Genuß verschaffen. Der Verlauf der Gedanken bei Paulus kann einfach scheinen, darf aber nicht dazu veranlassen, zu leugnen, daß Paulus wie Johannes große Schriftsteller waren, fähig Regeln zu folgen, wie sie zu überschreiten373 . 371 id., S. 39-40. 372 J. Bligh zitiert J. Mo 1 tmann, Theology of Hope, London 1967, S. 175-180. 373 J. Bligh, ibi S. 40-42.
24 . 374 2.9.3. Nach Brunot hat der Galaterbrief in seinem Hauptteil die folgende Struktur: A
2,15-4,7 Thema.: Freiheit im Glauben A - 2,15-21 Glaube, Taufe, Leben, Christus B - 3,1-25 Das Gesetz gilt nicht A'-3,26-4,7 Glauben, Christus
B
4,8-31 Antithese: wollt ihr wieder zu Sklaven werden? A - 4,8-11 Nicht wieder zu Sklaven B - 4,12-20 wieder frei werden A'- 4,21-31 Nicht Sklaven von Hagar
A'
5,1-6,10 Wiederaufnahme des Themas A - 5,1 Christus, Freiheit B - 5,2-12 Die Beschneidung gilt nichts A'-5, 13-6, 10 Triumph der Freiheit.
Gal 1,10-12: in Gal 1, 10f bezieht sich der Vorwurf auf das "eigene" Evangelium von Paulus: das Heil ist freiwilliges Geschenk der Gnade Gottes für den Glauben; in Gal 1,12 bezieht er sich auf die allgemeine Botschaft des christlichen Kerygma: der gekreuzigte und wiederauferstandene Herr. Diese Gedanken leiten in der Form des Chiasmus den ganzen Gedankengang von Paulus im Galaterbrief: im ersten Teil (1,13-2,21) antwortet Paulus, daß sein Evangelium nicht napd ävapwnou (1,12) ist, im zweiten Teil (3,1-6,10) beweist er, daß sein Evangelium nicht Ka,a dvapc..lnoV ist 375 • Gal 2,16: ist ein Fall von Anadiplosis von 375a
bis
5LKaLWaW~EV
Gal 5,17 stellt eine chiastische Form mit Antithese dar:
a b b a 376
374 A. Brunot, Le Genie Litteraire de Saint Paul, Paris 1955, S. 44-45. 375 J. Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 152-153. 375a E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, Leipzig 1900, S. 301. 376 id., S. 146-147.
25 2.10. Epheser Brunot 377 gibt folgenden Plan des Epheserbriefes an: Prolog: der Heilsplan 1,3-14 A B A'
1,3-6 7-10 11-14
Daß wir im Gedanken des Vaters immer gerufen sind Unsere' Aufers tehung mit dem Sohn ' Unsere zeitliche Berufung vom Heiligen Geist versichert
Korpus des Briefes: das Mysterium Christi 1,20-6,9 A -
1,20- 2,22 Das Mysterium der universellen Einheit A - 1,20- 2,11 Christus das Haupt die Kirche die Glieder B 2,1-10 Christus gliedert uns mit der Auferstehung ein A' 2,11-22 Christus vereint Juden und Heiden in einem einzigen Menschen
B
3 ABA'-
Paulus Botschafter des MysteritnnS 3,1 Paulus auseIWählt 2-7 er hat eine genaue Kenntnis 8-19 Paulus auseIWählt
A'
4,1-6-9 Mysterium der universellen Einheit A - 4,1-6 Würdig der Berufung B7-16 Jeder hat seinen Platz A'17-32 Würdig der Berufung (negativer Aspekt) A - 5,1-2 Kinder Gottes B3-7 Nicht Kinder des Un,gehorsams A'8-14 Kinder des Lichts.
Diese Strukturen A B A' in Epheser-Kolosser sind ein weiterer Beweis für die Authentizität der Texte als Texte von Paulus 377a . Eph 1,3-14: wie der Prolog des Johannes ist er konzentrisch in der Form eines W378 • 377 A. Brunot, Le Genie Litteraire de Saint Paul, Paris 1955, S. 47. 377a id., S. 50-51. 378 P. Lamarehe, in RSR 52, 1964, S. 530-532 (vgl. hier Joh. 1,I-J8).
26 Eph 3,16-17: die zwei Infinita Kpa,aLw3fjvaL stehen chiastisch zueinander 379 •
und
Ka,oLKfjcraL
Eph 3,2-5: der Gedankengang entwickelt sich in chiastischen Formen380 . Eph 4,4-6a: wem man EV crWj..LCL ins Zentrum verlegt, ergibt sich auch ein Qliasnrus der Zahlwörter: e:?:!;;, EV, j..LL(i, EV, e:?:!;; vgl. Kol 1,10-11)381. Eph 4,11-13a: ist chiastisch aufgebaut 381a . Eph 5,8-11: hier findet sich wieder eine chiastische Struktur382 . Eph 5,22-33: verläuft in der folgenden Weise: ABC D E D' C' B' A,383. Eph 6,5-9 ist chiastisch384 • Eph 6,10-17: hier ist die Benutzung eines chiastischen Verfahrens anzumerken385 . Eph 5,21.33: sind chiastisch386 . 2.11. Philipper 2.11.1 Phil 1-2: hier läßt sich die folgende Struktur erkemen: A 1,12-26 Berichte B 1-27-2,18 Ermahnungen A' 2,19-30 Berichte 387 .
379 H. Schlier, Lettera cyU Efesini, Brescia 1965, S. 205. 380 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 213. 381 id., S. 214-215. 381a id., S. 171-172. 382 id., S. 201. 383 id., S. 198-20l. 384 id., S. 202. 385 id., S. 204-206. 386 J.P. Sampley, "And the wo shaU become one fiesh" Eph 5,21-33, Cambridge 1971, S. 147 . 387 A. Brunot, Le Genie Littenzire de Saint Paul, Paris 1955, S. 48-49.
Der ganze Brief an die Philipper "is another splendid feat of synunetrical composition." Das Zentrum ist 2,25-29a, mit zwei großen Partien, die 1,2122 und 4,2-3 als Zentrum haben. Der erste Teil hat sechs Abschnitte, die sich um 1,7; 1,16; 1,21-22; 2,5-6; 2,21; 2,27a gruppieren. Der zweite Teil hat 5 Abschnitte um 3,5; 3,10-11; 3,20; 4,8-9; 4,20 herum388 . Phil 2,6-11: bildet einen verwickelten Chiasmus:
A B C
B A'
D
E F
G FI
E' D'
H I
J
K KI J' I
I
H'
obwohl in der Gestalt Gottes hielt er es nicht für einen Raub Gott gleich zu sein aber entäußerte sich selbst indem er die Gestalt eines Knechts annahm. (Die letzten Klauseln dieses Chiasmus werden benutzt, einen anderen zu beginnen.)
um
damit
sich selbst entäußerte er indem er die Gestalt eines Knechts annahm damit wurde er den Menschen gleich und in allem Menschlichen ähnlich er erniedrigte sich selbst (Die letzten Klauseln beginnen einen anderen Chiasmus. er erniedrigte sich selbst wurde gehorsam bis in den Tod den Tod am Kreuz daher Gott erhöhte ihn (Die letzte Klausel bildet den Anfang eines anderen Chiasmus.
388 JBligh, Galatians - A Disaussion of St Paul's EPistle. Lenden 1969, 41-42, Anm. 86.
s.
28 L M N
° N' M' L'
Deshalb erhöhte ihn Gott und gab ihm einen Namen über j eden anderen Namen damit sich beim Namen Jesu jedes Knie beuge sowohl im Himmel als auf Erden und unter der Erde und jede Zunge bekenne daß Kyrios Jesus Christus zum Ruhm von Gott-Vater.
2. 11. 2. Bemerkenswert der "dreigliedrige Ausdruck" im Zentrum des Chiasmus; der nach Lund 389 aber eine häufig gebrauchte Form ist. Der ganze Brief an die Philipper stellt eine Kette von Chiasmen von Anfang bis Ende dar, die sogar in ihrem Vokabular homogen ist (Cerfaux): das ist eine wichtige Feststellung für die Frage nach dem Autor des Briefes 390 . Phil 2,1-11 bildet eine Struktur mit verschiedenen Chiasmen391 . Phil 1,15f hat die Struktur a b b a, die das besser einzugliedern erlaubt, was folgt 392 Phil 4,12 enthält eine Kreuzform des Infinitum mit der Struktur ab b ab a 393 Phil 4,4 stellt einen Fall von Anadiplosis dar, auch Ploke oder Inklusion genannt 39 3a • 2.12. Kolosser Brunot394 erkennt die folgende Struktur: Prolog 1,3-14 A B A'
1,3-5 Dank 6-8 Das Evangelium und die Kolosser 9-14 Dank
389 N.W. Lune, Chiasrrrus in The N.T., Chapel Hill 1942, S. 57. 390 J. Bligh, in Bliblica 49, 1968, S. 127-129. 391 N.W. Lund, ibi S. 216-219. 392 J. Jeremias, in ZNW 48, 1958, S. 146-147. 393 id., S. 146. 393a E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik .. , Leipzig 1900, S. 300. 394 A. Brunot, Le Genie Litteraire de saint Paul, Paris 1955, S. 46-47.
29 Korpus des Briefes: das A
B A'
~o/sterium
Christi 1,15-4,1
1,15-2,3 Die paulinische Soteriologie A - 1,15-23 Das ~sterium B - 1,24- 29 Paulus als Verkünder des A' - 2,1-3 Das ~sterium
~,o/steriums
2,4-23 Gnostische Soteriologie 3,1-4,1 Paulinische Soteriologie A - 3,1-4 positiver Aspekt B - 3,5-11 negativer Aspekt A' - 3,12-17 positiver Aspekt.
Diese Struktur A B A' im Kolosser- wie im Epheserbrief spricht für die Authentizität der Briefe als Texte von Paulus 395 . Kol 1: der christologische Lobgesang: Kol 1,12-20 stellt eine 'Vollkommene, konzentrische Synnnetrie" dar, die die Fonn hat: X 1,16b; A 1,16a; A' 1,16c-17; B 1,15. 18a; B' C' 1,19-20a; X' 1,20b.
1,18b; C 1,12-14;
zu wissen, ob sie von Paulus ist, müßte man unter anderem untersuchen, ob ähnliche Strukturen auch'anderswo in den Paulusbriefen auftreten396 .
Um
Kol 1,3-9a: hier ein Verfahren des Typs: ABC B' A, 397. Kol 1,9b-13: es hesteht ein Chiasmus der Fonn AB A'; der zentrale Abschnitt ist interessant auch wegen des Chiasmus der Präpositionen398 Kol 1,14-22: die Struktur dieses Abschnitts birgt eine gewisse Komplexität:
395 396 Col 397 398
id., S. 50-51. G. Giavini, La struttura Zetteraria deZZ'inno cristoZogico di 1, in Riv. Bibi. 15, 1967, S. 317-320. N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel Hili 1942, S. 207. id., S. 208.
30
x
A B B' A'
y
y
X'
A B A'
(399) .
KaI 1,24-2,1: folgende Struktur ist zu erkennen: X - Y - y' AHA'
(400) .
KaI 3,3: stellt einen Typ eines Gedankenganges vor, der eine einzige Zeile im Zentrum hat 401 • KaI 3,11: das Prädikatsnomen geht mit der Fonn a b b a überkreuz 402. 2.13. Erster Thessalonicher 1Thess 4,15-17: der Chiasmus in diesen Versen ist nicht rhetorisch, sondem bedingt durch den Inhalt der Ausdrucksfonn403 • 1Thess 5,4-5: enthält den einzigen Fall von Chiasmus im ganzen Brief404 1Thess 5,23: der Ausdruck: "Gott, Herr des Friedens" wird als jüdischer Gedanke in der Fonn griechischer Worte angesehen405
399 400 401 402 403 404 405
id., S. 209-210. id., S. 21 2 . id., S. 34-35. J. Jeremias" in ZNW 49, 1958, S. 146. id., S. 147-148. B. Rigaux, Les Eritres aux Tessaloniciens, Paris 1956. P.A. van Stempvoort, Eine Stilistische Lösung einer alten Schwierigkeit in 1 Thess V, 23, in NTS 7, 1960-61, S. 262.
31 In diesem Vers ist eine Partie chiastisch; man sollte vielleicht besser sagen: in der Form eines synonymischen Parallelismus mit Alliteration, die wahrscheinlich semitischen Ursprungs ist (Jeremias 1958):
Der übrige Satz HaL n tlJuxTi HaL TO aWlJ.a alJ.ElJ.TtTW!;; sollte vom Vorhergehenden getrennt gelesen werden. Die vollständige übersetzung ist: 'Und der Gott des Friedens möge Euch vollkommen und überall heiligen. So werden Seele und Körper makellos bis zur Ankunft unseres Herrn Jesus Olristus erhalten." Paulus beweist große stilistische Fähigkeiten und ein herVorragendes Sprachvermögen: er hat es verstanden, semitischen Gehalt in die universale Sprache der damaligen Zeit nahtlos einzufügen406 . Ganz 1Thess hat die nachstehende Struktur: Dank 1,2-2,16 A
B A'
1,2-10 Dank für das Evangelitun 2,1-12 Apologie des Paulus 2,13-16 Dank
Problem der Toten 4,13-18 A B A'
4,13-14 Frage und Antwort 4,15-17 Entwicklung und Präzisierung 4,18 Abschluß - Trost
Das Problem des Zeitpunktes 5,1-11
A B
A'
5,1-3 5,4-10 5,11
Frage und Antwort Antithese Finsternis - Licht Abschluß - Trost 407.
406 id., S. 264-265. 407 A. Brunot, Le Genie Litteraire de S. Paul, Paris 1955, S. 48.
32 2.14. Zweiter Thessalonicher Er dürfte nach der folgenden Struktur konzipiert worden sein: Dank 1,3-12
A B .A'
1,3-5 Dank 1,5-10 Offenbarung des Herrn 1,11-12Dank
Die Müßiggänger 3,6-16 A B A'
3,6 Tatkräftig gegen die Müßiggänger 3,7-10 Paulus ein Beispiel für Arbeit 3,11-16 Entscheidung gegen die Müßiggänger 408 .
2.15. Philemon Man kann den ganzen Brief als chiastisch strukturiert ansehen:
A 1-3; B 4-6; C 7; D 8-11; E 12-15; E' B' 21-22; A' 23-25 (409).
16-17; D'
18-19; C' 20;
Philemon 5: wird als chiastisch angesehen: Liebe I Glaube, Glaube I Liebe; mit Kreuzstellung der Präpositionen410 . 2.16. Hebräer 2.16.1. über die Struktur des Briefes an die Hebräer hat Vanhoye 411 eine außerordentlich gelungene Abhandlung geschrieben, die sicher zu dem Besten zählt, was an Untersuchungen zu dieser Materie existiert. Hier mehr als 408 id., S. 48. 409 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 219-222. 410 J. Jeremias, in ZNW 49, 1958, S. 146; vgl. auch C. Neyen, in N.R.Th. 104, 1972, S. 1032, Anm. 44. 411 A. Vanheye, La Structure litteraire de l'E,pitre aux Hebreux, Paris Bruges 1963. Das Werk ist mit verschiedenen Schemata ausgestattet (vgl. auch id., Epitre aux Hebreux - Texte grec structure, Fane 1966).
33 anderswo wäre es nötig, das ganze Buch zur Hand zu haben, um einen genauen Eindruck davon zu bekonnnen, wie stark diese Verfahrensweisen bis ins Einzelne differenziert sein können. Unsere Aufgabe wird es sein, sich auf eine mehr summarische Synthese zu beschränken, um wenigstens einen Eindruck davon wiederzugeben. Vanhoye geht davon aus, daß diese Strukturen aus dem griechischen Kulturkreis des Autors von Heb stannnen, der sie für die jüdische Tradition verwendbar gemacht hat 412 • Grundsätzlich ist das Verfahren, das der Autor von Heb gebraucht, die Inklusion, die auch anderswo nicht unbekannt ist und der in der griechischen Rhetorik der KUKAO!; 413 entspricht. Unter den vielen Inklusionen, die Vanhoye feststellt, sind z.B. die zwischen 1,5 und 2,16; eine noch engere zwischen 1,5 und 1,13; zwischen 2,5 und 2,16; eine sehr klare Inklusion zwischen 3,1 und 4,4414. Eine Inklusion im weiteren Sinne besteht zwischen 4,15 und 5,8_10415 . Andere, engere: zwischen 8,3 und 9,9; zwischen 9,11 und 9,28 416 ; zwischen 10,1 und 10,18; 10,19 und 10,35; Parallelismus zwischen 6,10-22 und 10, 19_20417 ; Inklusionen zwischen 11,1 und 11,39-40; 12,1 und 12,13; 12,14 uncr13,20418 . 2.16.2. Diese Inklusionen geben der konzentrischen Symmetrie Relief CA B C C' B' A'), die den ganzen Brief durchzieht; dessen generelles Schema ist:
412 id. La Structure ... 1963, S. 17. Der Autor erkennt an, daß bekannte Verfahrensweisen überall in den Literaturen vorkommen. Er erinnert auch an die Überlegungen von Bengel zu den Chiasmen in Heb (S. 63). 413 id., S. 37, Anm. 1. 414 id., S. 38-39. 415 id., S. 40. 416 id., S. 43. 417 id., S. 44-45. 418 id., S. 46-48. Reihen der Inklusionen und konzentrischen Anordnungen auf S. 222-223. Vgl. außerdem die verschiedenen Schemata der einzelnen Teile. Die Struktur zeigt, daß keine Umstellungen nötig sind (S. 181, Anm. 2) und daß 13,1-18 integraler Bestandteil des Briefes ist: S. 205 Anm.
34 a I II
{~
IV
{~
V
Z
1,1-4 1,5-2,18 3,1-4,14 4,15-5,10 5,11-6,20 7,1- 28 8,1-9,28 10,1-18 10,19-39 11,1-40 12,1-13 12,14-13,18 13,20-21 13,19.22-25
Einfühnmg
ein anderer Name als der der Engel Jesus treu Jesus höchster Hoher Priester einleitende Ermahnung Höchster Priester nach der Ordnung Melchisedeks in Erfüllung gegangen Grund für das ewige Heil letzte Ermahnung der Glaube der Alten das notwendige Erdulden gerade Wege zum friedlichen Ende in Gerechtigkeit Schluß Grußwort (419).
2.16.3. Der ganze Brief ist um den dritten Teil herum aufgebaut, dieser wiederum hat sein Zentrum im zweiten Abschnitt (8,1-9,28); ebenso hängt der vierte Teil (11,1-12,13) mit dem zweiten zusammen. Konzentrische Symmetrien finden sich auch in den einzelnen Abschnitten und Partien. Dieses Verfahren hebt das Zentrum, zu dem alles konvergiert, heraus 420 • Einzelne konzentrische Symmetrien finden sich beispielsweise in 1,1-4; 1,1_5421 ; 2,3_4 422 ; 2,14_15 423 ; 3,5_6424 ; 4,1-5.6-11 425 ; 3,7_4,13426 ; 5 1_10427.64_12428. 7 11_14429 .7 15_19 430 .9 18_22 431 . 101_3432 . 1·0 1~_14433;'12:5_6434." , , " " " 419 id., S. 51-59 (vgl. Id., Epitre aux Hebreux - Texte grec structuPe, Fano 1966, S. 7). 420 id., S. 50.' 421 id., S. 68; 70. 422 id., S. 75-76. 423 id., S. 80; 85. 424 id., S. 88. 425 id., S. 97; 102. 426 id., S. 103. 427 id., S. 110-112. 428 id., S. I 19- I 20 • 429 id., S. 131. 430 id., S. 132. 431 id., S. 152. 432 id., S. 163. 433 id., S. 167. 434 id., S. 199.
35 Vor allem der mittlere Teil (8,1-9,28) weist ein perfektes Verhältnis von Bauelementen auf, zwei Abschnitte, die sich mit sechs Bezeichnungen in konzentrischer Symmetrie charakterisieren lassen: Erde - Bündnis - Riten
=
Riten - Bündnis - Himmel;
ein Aufbau, der sich gut an die konzentrische Struktur des ganzen Briefes anpaßt435. Der Brief an die Hebräer ist daher nicht bloß ein Fall unter vielen, die diese Strukturen enthalten, sondern wirklich ein Meisterwerk dieser Fonn436 • 2.16.4. Die formale Untersuchung dient der Erhellung verschiedener exegetischer Anliegen; und man kann wohl vermuten, welchen Dienst sie der Interpretation des Briefes zu leisten vermag437 • '~ie Entdeckung der literarischen Struktur eines 1~erkes erlaubt normalerweise eine objektivere Untersuchung seines gedanklichen Gehalts" •••• Der Aufbau des Briefes macht die Hierarchie der Gedanken sichtbar, nach dem sich die Komposition selbst richtete 438 • Im Zentrum der zentralen Partie (9,11) steht das Wort "OJ.ristus": die Doktrin des Briefes ist eine Dlristologie439 Der zentrale Teil hat drei Themen, sie sind konzentrisch strukturiert und haben im Zentrum das Thema des Opfers: C b a A
- Eschatologie - Lehre von der Kirche _ Opfer
B C 435 436 437 438 439
id. id. id. id. id.
, , , , ,
S. S. S. S. S.
156. 63. 223-224. 237. 237-238.
Lehre von der Kirche Eschatologie
36 Sie sind, in der gleichen Symmetrie und Reihenfolge, die dominanten Themen des Briefes: das thematische und das strukturale Thema durchdringen einander440 . Ein anderes fundamentales Thema im ganzen Brief, das sich im zentralen Teil findet und das seiner Unterteilung entspricht, ist das des gegenwärtigen und des künftigen Zeitalters, beides Phasen der Heilsgeschichte 441 • Ein weiteres Thema, das sich auch aus der Struktur ergibt, ist das der Unterscheidung zwischen Christus und den Christen, die sich schon in der zweiten Phase der Heilsgeschichte befinden, jedoch nicht auf die gleiche Weise wie Christus. Die Eschatologie ist schon in Christus erreichbar, aber nicht vollkonnnen, weil ihre Einheit mit Christus noch nicht vollkommen ist (12,1-4); sie sind im Besitz der letzten Realitäten, aber noch nicht im vollen Besitz, sie sind im Kontakt zu ihrem Höchsten Priester (4,15-16), dennoch müssen sie auf seine Ankunft warten (9,28)442. 2.16.5. Der Christ lebt in der Hoffnung; daher die beiden literarischen Formen des Briefes, die bewundernswert strukturiert sind: Exposition und Paränese. Sie bedeuten, daß das Heil der Christen nicht Errettung durch Wissen allein ist, sondern eine Errettung durch Umkehr (vgl. 12,1-13). Es besteht keine Unabhängigkeit der Exposition von der Paränese oder umgekehrt; beide sind unabdingbar notwendig in der Struktur selbst wie in der Konzeption enthalten, auch wenn die Paränese sich auf die Exposition stützt: der "entscheidende Punkt" des Briefes ist eine Exposition (8,1-9,28). Beides sind Teile desselben ürganismus 443 . Der Autor des Briefes schreibt in äußerst bewußter Art und Weise und benutzt ohne Ausnahme feste Verfahrensweisen. Er verwendet eine konzentrische Struktur, erkennbar an formalen Kriterien, die miteinander konvergieren; es handelt sich um eine literarische Darstellung, die im Dienst
440 441 442 443
id. id. id. id.
, , , ,
s. s. s. s.
238-40; vgl. S. 241-247. 247-252. 252-254. 254-258.
eines in sich deutlich strukturierten Gedankengebäudes steht. Die übrigen Untersuchungen (philologischer, theologischer Art, etc.) bleiben unabdingbar der Exegese überlassen, jedoch auch die Strukturuntersuchung ist nützlich für das Verstehen der Beziehungen der Gedanken untereinander, der Konzeption als Ganzem, und sie dient der Auflösung der verschiedenen Schwierigkeiten sowie der Bewertung des inneren Reichtums des Textes 444 . 2.17. Jakobus Im ganzen Brief findet sich das Schema A B A', das für die Orientalen so großen Wert hat 445 Jak 1,2.3.12 und 2,14-26: hier liegt strophische Inklusion vor, die den Orientalen lieb und teuer ist 446 . Jak 1,3f: hier ein Fall von Anadiplosis 446a . 2.18. Erster Petrus Dieser Brief verwendet häufig Inklusionen und Chiasmen447 . 2.19. Zweiter Petrus Der ganze Brief ist nach dem Schema A B A' strukturiert 448 . 2.20. Erster Johannes Der Anfang dieses Briefes wird am Ende (5,13-21) in einer Inklusion wiederaufgenommen449 .
444 id., S. 259. 445 Tosatto, in Il Messaggio della salvezza 5, Torino-Leumann 1968, S. 891 -892. 446 id., S. 878. 446a E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik .. , Leipzig 1900, S. 302. 447 G. Tosatto, ibi, S. 922. 448 id., S. 978; 984. 449 id., S. 1045.
38 1Joh 1,3.22-24; 2,18-28; 4,7-16: in diesen Abschnitten läßt sich die "construction par enveloppement" beobachten: ein gleicher Gedanke wird in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen ausgedrückt, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, nach dem Schema abc d d I c' b I a' 450. 1Joh 2,18: die Struktur ist konzentrisch: abc c b a 451 . Inklusionen bestehen außerdem in 4,2 und 4,6; zwischen 4,7 und 4,11; zwischen 3,24b und 4,13; zwischen 4,12 und 4,20; 4,14 und 4,20452 ; zwischen 4,17-18 und 4,19-20; 5,1 und 5,4; 3,23-24a und 4,21-5,4; zwischen 3,24 und 5,3453 . 2.21. Judas Jud 2-3.20-21: zwischen diesen Versen besteht Inklusion454 . 2.22. Apokalypse 2.22.1. Die Struktur der Apokalypse wurde von Lund455 breit angelegt analysiert. Die allgemeine Struktur ist: A
Prolog 1,1-20 Die sieben Briefe 2,1-5,14 C Sieben Siegel, usw. 6,1-17; 8,1.3-5; 7,1-17; 8,2.6-12 D Sieben Trompeten 8,13; 9,1-21; 11,14-18; 11,19 E Zeugnis der Kirche im römischen Imperium 10,1-11 F Zeugnis der Kirche im Judentum 11,1-13 F' Die vom Judentum verfolgte Kirche 12,1-17 E' Die vom römischen Imperium verfolgte Kirche 13,1-18 D' Die sieben Kelche 15,1.5-8; 16,1-21; 14,1-5 C' Die sieben Engel, usw. 14,6-20; 15,2-4 B' Die sieben Engel 17,1-22,5-9 A' Epilog 22,10-21 (456). B
450 M.E. Boismard, Le Proloque de Saint Jean, Paris 1953, S. 104-105. 451 G. Giurisato, Struttura della prima lettera die Giovanni, in Riv BibI. 21, 1973, S. 364. 452 id., S. 372-373. 453 id., S. 374-378. 454 G. Tosatto, in Il messaggio della Salvezza 5, Torino-Leumann 1968, S. 959. 455 N.W.Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 323-441. 456 id., S. 326-326
39 2.22.2. Eine solche Struktur erhält man, wenn man anninmt, daß einige Umstellungen in zwei Phasen vorgenommen wurden; d.h. über die ursprüngliche chiastische Struktur wurden (vom Autor? vom Herausgeber?) in zwei verschiedenen Phasen zwei Reihen von Elementen gelegt, um wichtige Partien zu unterstreichen. Das ist, ebenso wie bei den Evangelien, zu der Zeit geschehen, als die Kirche und ihre Literatur in einen hellenistischen Kulturkreis überwechselten: Luk achtet weniger auf die ursprünglichen semitischen Formen457 • Die griechischen KOpisten haben das chiastische System dann unterbrochen458 . 2.22.3. Auch die sieben Briefe (2,2-3,21) sind symmetrisch: Ephesus 2,2-7 Smyrna 2,8-11 Pergamon 2,12-17 Thyatira 2,18-29 Sardes 3,1-6 Philadelphia 3,7-13 Laodicea 3,14-22. Diese Strukturen sind dem Autor der Apokalypse zuzuschreiben, auch wenn er Quellen benutzt hat459 • Der letzte -Abschnitt (B' = die sieben Engel 17,1-22,5), der den sieben Briefen (B) entspricht, ist ebenfalls chiastisch: A
17,1-18 18,1-20 C 18,21-24 Eine Szene im Himmel: A 19,1-5 B 19,6-8 C 19,9-10 D 19,11-16 B'21,1-5a Eine Szene im Himmel: C' 21,5b-7 A' 21,8 C' 19,17-21 B' 20,1-15 A' 21,9-22,5 (460). B
457 458 459 460
id. , id. , id. , id. ,
S. S. S. S.
327-328. 347-348. 333-342. 342-343·
40 Apk 1,13-17 ist chiastisch; desgleichen 19,11-16461 . Die Feinde der Kirche werden in genau der umgekehrten Reihenfolge ihres Auftretens zerstört: Tod und Hades 6,8 Der Drache 12,3 Das erste und das zweite Tier 13,1.11 Das große BabyIon. 17,5 Endgültige Zerstörung Babyloniens 19,17.18 Das erste Tier und der falsche Prophet werden zerstört 19,20; vgl. 13,14 Der Drache vernichtet 20,2 Tod und Hölle zerstört 20,14. Diese Beziehungen zeigen, daß das Buch als Ganzes einheitlich konzipiert wurde 462 . Der Abschnitt C (4,1-8,5) schließt verschiedene Chiasmen ein: 4,1-11 ins Einzelne gehende chiastische Reihenfolge 5,1-14 " 6,1-17 + 8,1.3-5 " " 9,17.18 ist chiastisch463 • Der Abschnitt E (10,1-11: die Zeugnis ablegende Kirche im römischen Imperium) hat die folgende Struktur: .A 10,1 B
A'
10,2-5 C 10,6-7 B' 10,8-10 10,11 (464).
Der Abschnitt F (11,1-13: die Zeugnis ablegende Kirche im Judentum) läßt sich so darstellen:
A
11,1-2 B 11,3-6 C 11,7-10 B' 11,11-12 A' 11,13 (465) . 461 462 463 464 465
id. , s. id. , s. id. , s. id·r'1l. id. , s.
348-350. 354-355. 357-384. 390-394. 395-397.
Im Abschnitt F' (Apk 12, 1-17: die vom Judentum verfolgte Kirche) liegt diese Struktur vor: A
12,1-2 B 12,3-4a X 12,4b-S (der Drache stand vor der Frau) Y 12,6-14 = A 12,6 B 12,7-9 C 12,10a B' 12,lOb-14a A' 12,14b X' 12,15-18 (466).
Im Abschnitt E' (13,1-18: die vom römischen Imperium verfolgte Kirche) komplexe Strukturen: A 13,la B lb C 2a D 2b E
3
D' 4a C' 4b B' Sa A' Sb A
6
7a 7b
B C
D
8
9-10a Flab X 11 A 12 B 13 B' 14a A' 14b A lSa B lSb C 16a D 16b-17 F 18a E 18b (467). E
466 id., S. 399. 467 id., S. 403.
41
Die Zeit, die in der Apokalypse angegeben wird, hat ebenfalls chiastischen Charakter: ,42 MJnate 11,2 1260 Tage 11,3 11,9 3 1/2 Tage 3 1/2 Tage 11,11 1260 Tage 12,6 42 MJnate 13,5 (468) • 2.22.4. Die Apokalypse wurde als Ganzes konzipiert: sie ist ein liturgisches Dokument der Kirche, das während der heiligen Zusammenkünfte in der Zeit großer Prüfungen veIWendet wurde, tDIl den Glauben und die Hoffnung ihrer Mitglieder zu stärken. Die Wiederholungen, die Erstsprechungen sind für die Liturgie gut geeignet. Innerhalb der Kirche mußten sie eine Reihe liturgischer Formalitäten des Tempels, der Synagoge und verschiedener ästhetischer Prozesse des griechisch-römischen Kultes durchmachen469 • Auch Gächter ist mehr als einmal auf die Strukturen der Apokalypse eingegangen. Apk 14,6-20: hier liegt eine semitische Struktur vor, wie anderswo in der Bibel auch: drei Engel (14,6-9), eine Zentralfigur, der Menschensohn (14, 14), und drei Engel (14,15-18)470. Apk 12; 13: auch hier ähnliche Synmetrien
tDIl
ein ZentTtDIl471 .
Apk 12-20: Dieser ganze zweite Teil der Apokalypse hat offensichtlich eine . chiastische Symmetrie des Typs: a + b - b + a:
468 id., S. 409. 469 id., S. 410-411. 470 P. Gächter, Semitia Literary in Th. Studies 8, 1947, S. 553. 471 id., S. 554-555.
Fo~s
in the Apolalypse and their Import,
43 12 17
Vision des Drachens Vision des Tieres llild des Pseudopropheten Vision des großen BabyIon.
18 19,11-21 20
ZerstöTllilg des großen BabyIon Zers tÖTllilg des Tieres llild des PseudopTOpheten ZerstöTllilg des Drachen472 .
13
Die Erscheinllilg Satans hat das folgende Schema: 12
Vision des Drachen llild der Frau 13 Vision des Tieres llild des Pseudopropheten 17 Vision des großen BabyIon
18 ZerstöTllilg des großen BabyIon 19,11-21 ZerstöTllilg des Tieres llild des Pseudopropheten 20-22 ZerstöTllilg des Drachen; das himmlische Jerusalem. Offensichtlich handelt es sich um eine von verschiedenen Einschüben llilterbrochene Form (z.B. 14_16)473. Apk 12-20 komplex gesehen, hat die folgende Form: Vision des Drachen llild der Frau 12,1-9 + 10 - 12 + 13 - 17 Vision des Tieres llild des PseudopTOpheten 13,1-8 + 9 - 10 + 11 - 18 das Lamm als Hirt 14,1-5 Vision des großen BabyIon 17 ZerstöTllilg des großen BabyIon 18 himmlisches Lob 19,1-10 ZerstöTllilg des Tieres llild des Pseudopropheten 19,11-21 ZerstöTllilg des Drachen llild die himmlische Frau 20,1-3; 21,9-22,2; 20,4_10474 .
472 id., S. 555-556. 473 id., S. 556. 474 id., S. 557-558.
44 Gächter liebt es, diese Fonnen "closed fonns" zu nennen, die typisch sind für einen Geist, der einfache literarische Mittel und arithmetische Proportionen gewohnt ist; von dieser Geisteshaltunß semitischen Typs ist die ganze Apokalypse durchrungen475 . Diese geschlossenen Fonnen erklären auch die "offenkundigen" Auslassunßen und die "offenkundigen" Anfügungen der Apokalypse 476. Apk 17,7-8: diese beiden Verse sind chiastisch477 . Zwischen 20,1-3 und 20,4-6 ("tausend Jahre") besteht eine Inklusion, die Apk 21,9-22,2 "einschließt" (das tausendjährige Jerusalem), und so erhalten wir diese Reihenfolge: 20,1-3 Satan wird für 1000 Jahre in Ketten gelegt 21,9-22,2 Jerusalem "tausendjährig" 20,4-6 Christus und die Seinen werden für "tausend" Jahre regieren. Damit besteht eine gedankliche und literarische Einheit 478 . Apk 22,10-22: Gächter schlägt eine Rekonstruktion dieses Abschnitts vor, die einen Aufbau auf der Basis der Inklusion bietet, also einen Abschnitt Poesie zwischen Abschnitten Prosa am Anfang (20,10), in der Mitte (20,7b) und am Ende (20,2Oc)479. 2.22.5. Apk 1,13-2,18: wurde so konstruiert, daß die Abschnitte einander chiastisch entsprechen: a) 1,13-15; b) 1,16; c) 1,17-18; d) 1,20; d) 2,1; c) 2,8; b) 2,12; a) 2,18 (480). 475 476 477 478 479 480
id., S. 559-560. id., S. 561-570. id., in Th. Studies 9, 1948, S. 447. id., The Original Sequence of Apoc 20-22, Th. St. 10, 1949, S. 500-501. id., S. 516. A. Farrer, St Matthew and St Mark, Westminster 1954, S. 165-166.
45 Apk 1,4-8: hat eine symmetrische Struktur A B B' A,481. Apk 5,1-6,1: hat ein symmetrisches Schema AB AB A482 .
Man sollte sich davor hüten, überall symmetrische Strukturen zu sehen: stattdessen sollte man mehr Wert auf vertretbare Parallelismen legen als auf ausdrückliche Bestätigungen des Autors. Eine große Versuchung besteht darin, eine Methode unterscheidungslos zu verwenden, wenn sie an ihrem Anfang steht; so war es mit der Textkritik, später mit der Literaturkritik, heute geht ·es denselben Weg mit der Erforschung der literarischen Strukturen. Die Methode muß sich dem Text anpassen und nicht umgekehrt. Andererseits erfordert die Methode Festigkeit und Flexibilität zugleich; man darf sich nicht darauf festlegen, eine perfekte Struktur zu entdecken, die keine Unregelmäßigkeiten aufweist: die Suche nach einer Perfektion dieser Art ist im allgemeinen ein schlechter Ratgeber; besser ist es, sich dem Werk, das man untersucht, zu unterwerfen483 • 3. Erste Schlußfolgerungen 3.0. Eine Betrachtung der hier vorgeführten stilistischen Phänomene im Hinblick auf ihre exegetische Auswahl, auf Bewertungen, Kriterien, Methodologien usw. gibt notwendig. Anlaß zu wichtigen und nützlichen Reflexionen. Vorläufig einige erste Bemerkungen. 3.1. Die Verschiedenartigkeit, Umfassendheit und Universalität dieses Phänomens in der Bibel muß einfach beeindrucken. Fast alle Bücher der Bibel, sei es des Alten oder des Neuen Testaments, haben uns interessiert. Wenn das eine oder das andere Buch fehlt, so kann man als wahrscheinlich annehmen, daß es bei der Untersuchung nicht berücksichtigt wurde, und nicht etwa, daß das Phänomen in dem Buch selbst wirklich fehltl. 481 U. Vanni, La Struttura letteraria dell' Apoaalisse, Roma 1971, S. 150. Vanni sieht Lund eher kritisch, vor allem weil dieser zuviele Umstellungen vorgenommen hat, um zu seinen Strukturen zu gelangen (S. 58-59). 482 id., S. 123. 483 A. Vanhoy~, in U.Vanni~.ibi.>- S. V-VI (Vorwort). I Walker-Lund, s. LingBibl 37, Anm. 376a. (Im folgenden werden die Nachweise auf die früheren Publikationen bezogen, aus denen alle Details ersichtlich sind. Dabei wird nur das Heft und die entsprechende Anm. genannt. EGü.) Das erste Buch, das als vollständig chiastisch strukturiert angesehen wird, ist Habakuk : Walker-Lund 1934 (ibi); oder Mt: Lund 1931.
46 Dieses betrifft die poetischen Partien ebenso wie die Prosastücke, die erzählerischen Partien wie die gesetzgebenden, in den Kasus- wie in den Partizipalformen (Lev 24,15-23), die historischen Partien ebenso wie diejenigen, die Weisheit, Prophetien, Eschatologie, Apokalypse, Dogmen, Paränesen usw. zum Inhalt haben. Es findet sich in Worten und in Gedanken 2, in den logischen Redeformen (Gen 3,19; 13,6; Dt 22,7; Ps 27,Scd; Jer 23,25-26a usw.); es findet sich in Formen wie Länge und KUrze der Sätze (Dt 1-3; 5,6-21; usw.); in grammatischen Formen (Infinitiv, Genitiv usw. Gen 6,14; Ps 13,3; 1Kor 10,3f; 13,2.4; usw.); in den Formeln (Gen 1; usw.); im Wechsel von Rede und Handlung, in der thematischen Anlage, im Wechsel des sprechenden Subjekts, im Verhältnis der Namen Gottes (Lev 24,15-23), bei Präpositionen3, sogar im Verhältnis der Konsonanten untereinander oder im Klang der Worte 4 , in den 2ahlen, die für die Bücher der Bibel selbst gebraucht werdenS, in den Vers- oder Silbenzahlen, wie sie sich aufteilen lassen (Ps 29; 137; Weisheit); usw. Diese Erscheinung wird geradezu zu einem Gesetz der Geschichte, des göttlichen Heilsplans 6 . Mehr als nur einer sieht in der Figur des Chiasmus selbst einen Bezug auf das Kreuz Christi und seine Auferstehung 7. 3.2. Die Form dieser Strukturen, ob sie kurz, in der Form eines Satzes oder weitläufiger ist, zeigt eine außerordentliche Verschiedenartigkeit. In den Buchstaben ausgedrückt, reicht sie von den einfacheren und regelmäßigeren Formen wie A BA', ABC B A, ABC C B A usw. bis zu den komplexesten und weitläufigsten, mit Verdoppelung der Elemente, Anfügung 2 L. Alonso-Schökel, Il dinamismo della tradizione, Brescia 1970, S. 155157; G. Gerleman, s. LingBibl 37, Anm. 400; vgl. hier Anm. 63. 3 C. Savasta, s. LingBibl 36, Anm. 20; N.W. Lund, s. LingBibl 44, Anm. 398; J. Jeremias, s. LingBibl 44, Anm. 410. 4 D.N. Freedman, s. LingBibl 36, Anm. 234a; L. Alonso-Schökel, ebda. Anm. 264; J. Muilenburg, ebda. Anm. 281; W.L. Holladay, ebda. Anm. 309. 5 N.W. Lund, s. LingBibl 44, Anm. 456. 6 Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 166. 7 P. Lamarehe, s. LingBibl 37, Anm. 385; W.L. Holladay, s. LingBibl 36, Anm. 309.
47 anderer, Einverleibung anderer Strukturen und in andere Strukturen usw. Eine Perikope kann eine chiastische Form abschließen und am Anfang einer anderen stehen8 . Es wird gesagt, daß der Chiasmus unterschiedliche, auch asymmetrische Formen haben kann: wir sind auf dem Gebiet der Literatur und nicht auf dem der Geometrie; für die poetischen Kompositionen hingegen lassen sich geringere Abweichungen erwarten9 . Trotzdem ist man versucht, die sieben "Rege ln 11 des Chiasl1TUs zu nennen 10. Bleibt noch der weite und unterschiedliche Gebrauch Von Diagrammen und Figuren zu erwähnen, der über den Gebrauch der Buchstaben hinausgeht und der den Gelehrten dazu dient, das Verständnis solcher Strukturen zu erleichtern, mit dem Hinweis jedoch, nicht zu starken Nachdruck auf ähnliche Stilisierungen zu legen, da sie sonst die wirkliche Bedeutung eher verdunkeln als erhellen 11 . Die Verschiedenartigkeit und Universalität des Phänomens trifft auf die vorliegende Fassung der Bücher in der Bibel zu; es wäre aber auch interessant, die Quellen daraufhin zu untersuchen (J,P,Q usw ... ); obwohl der Aufweis dieser Strukturen die Hypothese verschiedener Quellen und Bearbeitungen nicht unterstützt (Gen 9,12-17; 6,5-7,23; 1-11; 21,2b-6b; usw.) 12. 3.3. Tatsächlich wird die vorliegende Bearbeitung der Bücher in der Bibel aufgewertet; nicht bestätigt wird die Vorstellung, daß sie eine mehr oder
8 P. Gächter, s. LingBibl 39, Anm. 90; J. Bligh, s. LingBibl 44, Anm. 368-370. 9.y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 141. 159a-159c; N.W. Lund, ebda. Anm. 170 b~s 175; P. Lamarche, s. LingBibl 37, Anm. 376; C.R. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 55-56; D.J. Clark, ebda. Anm. 136; J. Jeremias, s. LingBibl 44, Anm. 337. 347. Meines Wissens ist nicht Moulton (1890) der erste gewesen, der die Buchstaben (a b a) gebraucht hat, sondern Gray (1915) (vgl. L. Alonso-Schökel, in DBS VIII, 1972, col. 67). 10 N.W. Lund, s. LingBibl 39, Anm. 8. 11 S.E. McEvenue, s. LingBibl 36, Anm. 44a. 12 Y.T. Radday, ebda. Anm. 130.134.136.139d.151.167; E. Galbiati, ebda. Anm. 47.55.76.87;~. Lestienne, ebda. Anm. 89 (Ez 20, 2-6); D.J. McCarthy, ebda. Anm. 95; W. R~chter, ebda. Anm. 138; J. Blenkinsopp, ebda. Anm. 139d; N.W. Lund, ebda. Anm. 98-101; R. Morgenthaler, s. LingBibl 39, Anm. 160-163; A. Vanhoye, ebda. Anm. 240-241; X. Leon-Dufour, ebda. Anm. 244-245; G. MOretto, ebda. Anm. 268.
48 weniger formlose Sanunltmg seien oder daß Dubletten oder unnötige Digressionen existierten, vielmehr wird anerkannt, daß sie eine eigene Linie, einen Plan, eine Architektur haben und daher ein Ganzes bilden, wirkliche Einheiten und nicht etwas Unausgereiftes ohne Gesicht; ebenso sind daher keine dislokatorischen Theorien mehr nötig 13 Ebenfalls wird die Methode der "Formgeschichte" nicht bestätigt, besonders nicht jene ''klassischen'' überlegungen zu ihrer Theorie und Methode. Die Meister der Formgeschichte müssen sich sagen lassen, eines der fundamentalen Prinzipien des Meisters, auf den sie sich berufen, Olrik, nicht berücksichtigt zu haben: das der strengen Einheitlichkeit der Volkskunst in ihrer Komposition 14 • Es wird offenkundig, daß die einzelnen Partien des Evangeliums nicht von unbewußten Gemeinschaften, sondern von Autoren, die Methoden des A.T. gefolgt sind, zusammengestellt wurden. Die chiastischen Strukturen der Evangelien lassen sich aus den aramäischen Gemeinschaften ableiten QMatth-Mk); die Evangelisten sind Autoren, nicht einfache Sammler von Texten 1S . Trotzdem ist es seltsam, daß das Werk Lunds über den ChiaSlJllls im N. T. , 1942 geschrieben und eine der wichtigsten, wenn auch nicht unumstrittenen Arbeiten über den Chiasmus in der Bibel, als Untertitel "A Study in Formgeschichte" hat, und nicht nur das, sondern in der Einleitung die Meinungen der Begründer der Formgeschichte (Dibelius, Bultmann, Schmidt, Albertz) wiederaufninunt, während er sich von ihnen klar in der Analyse der Strukturen in d~n_Evangelien distanziert 16 . 3.4. Ebenso bekolIUllen wieder die Autoren unserer Bücher der Bibel, wie sie heute vorliegen, einen neuen Stellenwert als wirkZiche Individuen und aZs ''Autoren ", d. h. als Menschen, die die Form der Bücher, so wie sie heute sind, nach einer einheitlichen und strukturierten Konzeption entworfen 13 W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft, Göttingen 1971, S. 168; N. Lohfink, s. LingBibl 36, Anm. 108-117; M. Lestienne, ebda. Anm. 118; Y.T. Radday, ebda. Anm. 130, 134, 157; P. Porten, ebda. Anm. 160,161; M. Weiss, ebda, Anm. 216-224; A. Lenglet, ebda. Anm. 335; P. Lamarche, s. LingBibl 37, Anm. 373; W. Dommershausen, ebda Anm. 427; A. Vanhoye, s. LingBibl 39, Anm. 182, 240; C.R. Talbert, ebda. Anm. 217; Exum-Talbert s. LingBibl 44," Anm. 286; J.J. Collins, ebda. Anm. 289; N.!'. Lund, ebda. Anm. 462. 14 C.R. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 49. 15 N. Lohfink, s. LingBibl 36, Anm. 108-114; N.W. Lund, s. LingBibl 39, Anm. 15; H.B. Green, ebda. Anm. 47. 16 Vgl. ebda. Anm. I.
und realisiert haben, wo das Ganze und seine Teile nicht in einem zufälligen Zusammenhang stehen, sondern "komponiert" sind, von einem Gewebe gehalten werden, das das Künstlerische und wohl auch die Kultur spürbar werden läßt 17 , selbst wenn diese Strukturen nicht alleinige Angelegenheit des Autors, sondern vielmehr Ergebnis verschiedenartiger literarischer Einflüsse sind 18 . Daraus folgt, daß keines der Bücher der Bibel der "Kleinliteratur" zugerechnet werden dürfte 19. Selbst Mi< (vgl. Mi< 13) beweist eine große Meisterschaft in diesen Strukturen20 . Es handelt sich geradezu um einen Beweis dafür, daß der Pentateuch von Moses stammt, wie dafür, daß die Briefe aus der Gefangenschaft von Paulus stammen 21 . 3.5. Die Entdeckung dieser Strukturen ist auch für die Texte der BibeZbücher von Vorteil. Die Feststellung eines Chiasmus macht es meistens
möglich, Partien, die"zunächst für Dubletten, für widersprüchlich gehalten worden waren, an ihrem Ort zu belassen, und meistens erweisen sie sich als die Elemente, die die ganze Struktur zu erhellen in der Lage sind und derer sich die interne Logik des Textes bedient (Gen 7,21-23; Ps 42, 9; Ps 37; Jes 40,3-5; 51,1-11; Am 2, 5;Zach 14,15; 13,7-9; Joh 5,19-30; 6,35,40; usw.). Es kann daher festgehalten werden, daß der massoretische Text mit der Feststellung dieser Strukturen Bestätigung und deutlichere Glaubwürdigkeit erl~gt. An anderer Stelle (Jes 40,3-5) fällt die Strukturuntersuchung günstiger für den Text der LXX und der Christen aus 22 . Es ist jedoch Vorsicht anzuraten, wenn man am Text Umstellungen vornimmt, um diese Strukturen zu erhalten, weil sich daraus die Gefahr einer zirkulären Erklärung 17 18 19 20 21 A. 22
Vgl. Anm. 44. D.J. Clark, s. LingBibl 39, Anm. 137. N.W. Lund, ebda. Anm. 15, 184. J. Lambrecht, ebda. Anm. 158. Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 130; Brunot, s. LingBibl 44, Anm. 395. H. Kosmala, s. LingBibl 36, Anm. 285.
ergibt, obwohl umzustellen ''poesis causa" besser ist als "metris causa,,23. 3.6.' Man muß allerdings feststellen, daß es manchmal die Suche nach einer , 24 perfekten Struktur ist, die Textmodifikationen zustandebringt . Auch wenn man die Verschiedenartigkeit dieser Strukturen selbst in den gesicherten Texten voraussetzt, ist es kein stichhaltiges Argument, die Lesart einiger Manuskripte mit der Struktur25 zu begründen oder nicht: wenn eine Anfügung besteht, so ließe sich auch sagen, daß es sich um eine Reihe mit Anfügungen handelt z.B. abc d c' b' a' a c' usw., wie es sie viele in den gesicherten Texten gibt 26 Die Untersuchung der Stilformen, die die Güte unseres Textes feststellen soll, nötigt also zu einer stärkeren Textnähe, was übrigens im Ganzen die Tendenz der gegenwärtigen Bibelstudien zu sein scheint.
3.7. Eher kritisch steht die Strukturuntersuchung dieser Art der Forschungsrichtung der literarischen Gattungen gegenüber, besonders der klassischen von Gunkel. Ein typischer Fall ist der von Weiss, der ausdrücklich die Widersprüche hervorhebt und so die Nutzlosigkeit der Methode von Gunkel aufzeigt; er selbst geht von der wenig befriedigenden Ausgangsüberlegung der einzelnen Einheiten und der einzelnen literarischen Werke aus 27. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob der Chiasmus in Beziehung zu einer literarischen Gattung stehe; in diesem Fall wäre das poetische Material stärker in Beziehung auf die (kultische) Gemeinschaft als auf den einzelnen Dichter 28 zu sehen. Die Universalität des Phänomens besagt demgegenüber, daß es keine auf bestimmte Gattungen begrenzte Formen gibt. Die Funktion einer stilistischen 23 24 s. 25 26 27 28
W.L. Holladay, s. LingBibl 36, Anm. 318. id., ebda. Anm. 353; N.W. Lund,ebda. Anm. 159a, 170, 182, 184; J.C. Fenton, ,LingBibl 39, Anm. 38; P. Gächter, s. LingBibl 44, Anm. 479. .Vgl. N.T. Anm. 227. Vgl. J. Jeremias, in ZNTW 49, 1958, S. 145-156 (Vgl. N.T. Anm. 358). M. Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 222; N.H. Ridderbos, ebda. Anm. 242. W.L. Holladay, ebda. Anm. 318.
51 Form ist determiniert, allerdings den verschiedenen KOntexten entsprechend variabel; so wie ein bestimmtes Gefühl mit Hilfe unterschiedlicher stilistischer Mittel ausgedrückt werden kann 29 . All diesen Problemen liegt offensichtlich die ganz allgemeine Frage nach neuen Methoden zugrunde, mit Hilfe derer Gattungen und Strukturen zu analysieren wären 30 . 3.8. Wenn man von Strukturen spricht, wird heute natürlich auf die theorien des IStrukturaUsmus", die sehr en vogue sind, Bezug genommen. Wenn jemand31 jedoch sich dazu versteht, auf den modernen Strukturalismus zurückzugreifen, so ist doch nicht zu leugnen, daß der Begriff "Struktur" in der Exegese vor dem Strukturalismus und unabhängig davon gebraucht wurde 32 . Noch erheblich früher, schon vom letzten Jahrhundert an, ohne bis auf Bengel zurückzugehen, bestehen Begriff und Erforschung des Chiasmus in der Bibel. Natürlich bestätigt das den Wert dieser Forschungen und ebenfalls den Wert des Strukturalismus, der ein weites Beobachtungsfeld in der ganzen Rhetorik gefunden hat, ebenso wie die Arbeit der Gelehrten, von der Renaissance angefangen, auch auf dem Gebiet der Bibel 33 . 3.9. Die Feststellung chiastischer Strukturen könnte nach einigen Autoren auch dazu dienen, eine Datierung der einzelnen Bücher der Bibel zu erreichen. Für den einen sind diejenigen Bücher, die solche Strukturen aufweisen, älter, vor dem Exil entstanden34 ; andere sehen demgegenüber im Chiasmus ein literarisches System, das spezifisch für das Hebräische nach dem Exil ist 35 . 29 W. Dommershausen, s. LingBibl 37, Anm. 426. 30 M. Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 221. 31 Y.T. Radday, ebda. Anm. 157; 'J. Radermakers, s. LingBibl 39, Anm. 103; J. Bligh, s. LingBibl 44, Anm. 368. 32 Vgl. E. Rasco, in: Studia Evangezica ... , Berlin 1959, -S. 214-216; es wäre nötig, noch weit mehr zu dem hinzuzufügen, was Rasco schreibt. 33 Vgl. H. Lausberg, Handbuch der Literarischen Rhetorik I, München, 1960, S. 8 (Langue und Parole: Die Rhetorik dient dazu, den Kontakt mit den künstl~rischen Einheiten nicht unmittelbar herzustellen; diese sind Ergebnis e1ner "formalen Sensibilität": ders.) Bedeutung der Stilfiguren in der heutigen Exegese (Bühlmann-Scheerer, Stilfiguren der Bibel, Freiburg 1973, S. 11). 34 Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 130; 142; 328; E. Galbiati, ebda. Anm. 87. 35 Avi Hurvitz, in Bible and Jewish History, Studies ... Dedicated to the Memory of Jacob Liver, Tel Aviv 1971, S. 248-255 (Hebräisch, englische Zusammenfassung). Das Buch war jedoch nicht aufzufinden (vgl. RB 80, 1973, S. 291).
52 3.10. Der Chiasmus und die chiastischen Strukturen wurden auch zur Bestimmung der I~trophen" in der hebräischen Poesie benutzt; daTÜberhinaus haben sie vielmehr noch dazu gedient, zu beweisen, daß ein bestimmter, speziell klassischer Strophentyp nicht existiert: die "Strophen" der hebräischen Poesie sind nirgendwoanders zu suchen als in den "Strukturen" selbst 36 . Die "Neue Stilistik", deren Vertreter mehr oder weniger Weiss, AlonsoSchökel, Richter usw. sind, und die ebenfalls weit von der Erforschung und der Methode der literarischen Gattungen entfernt ist, beachtet diese Strukturen sehr stark. Mehr noch, sie untersucht sie direkt, an sich, und besonders als stilistische Verfahren, die nicht als reine Ornamente, sondern als die Ausdrucksform des Schriftstellers, als ästhetische Werte, bedeutungstragende und expressive Formen angesehen werden mit einer eigenen ästhetisch-hermeneutischen Relevanz, und die daher als das direkte Objekt der hermeneutischen Untersuchung zu gelten haben - als nicht zu unterschlagender Teil der Exegese, die vorhat, sich der ganzen Bedeutung menschlichen, literarischen Ausdrucksvermögens zu bemächtigen. Exegese bedeutet nicht bloß ''Verstehen'', sondern Alles-Erfassen, so auch den künstlerischen und ästhetischen Aspekt 37 Dieses Wiederaufleben der Stilistik oder der rhetorischen "Kritik" ist eine überwindung der Formgeschichte, die in der augenblicklichen Exegese . 38 etwas stagnlert • Von den verschiedenen stilistischen Anmerkungen halten wir die folgenden fest. 3.10.1. Die chiastische Struktur dient dazu, einigen Ideen Relief zu geben; entweder denen an den äußeren Enden oder denen im Zentrum oder beiden;
36 P. Gächter, s. LingBibl 39, Anm. 193, 196. 37 M. Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 218-220; P. Lamarehe, s. LingBibl 37, Anm. 372-377; L. Krinetzki, ebda. Anm. 405-410; W. Dommershausen, ebda. Anm. 424-434. 38 J. Muilenburg, in JBL 88, 1969, S. 7-8; vgl. E. Rasco, in Studia Evangelica ... , Berlin 1959, S. 215-216.
53 gewöhnlich ist der Mittelpunkt der wichtigste 39 Diese Strukturen dienen dazu, in die Einheiten Bewegung zu bringen; ein monotoner Passus, in dem ein Chiasmus auftritt, erhält dadurch einen besonderen Reiz 40 . Die Oberkreuzstellung von Lauten stellt fühlbar die Veränderung einer Situation heraus 41 • Es gibt keine Strukturen, um "ein Zentrum einzuschließen", sondern solche, die eher als Wiederaufnahme aufzufassen und als Rückkehr zu denselben Gedanken zu begreifen sind; es ist kein Manierismus, wenn die Spannung zwischen den entsprechenden Teilen zu spüren ist und wenn der Gedanke wirklich eine Entwicklung zeigt42 Der Chiasmus ist Teil des Phänomens Wiederholung und hat damit Anteil an weitergespannten Phänomenen43 . Das Vorhandensein des Chiasmus steht in direktem Verhältnis zur Schönheit eines Buches; er zeigt, daß die Psalmen, die Evangelien usw. mit künstlerischer Genauigkeit aufgebaut sind, was eine eigene Faszination ausübt 44 . 3.10.2. Die "StilmitteZ" dürfen nicht als Mittel angesehen werden, sondern als Ausdruck, und von daher ist ihre Funktion zu untersuchen. Die Beziehung der chiastischen Partien untereinander ist dem Gesicht im Spiegel vergleichbar: der zweite Teil bildet eine gewisse Reaktion auf den ersten45 . Andererseits ist die Funktion des Chiasmus, selbst wenn er eine 39 L. Alonso-Schökel, IZ dinamismo deZZa tradizione,Brescia 1970, S. 155 bis 157; id. in DBS VIII, 1972, id. 87; id. LingBibl 36, Anm. 273; N. Lohfink, s. LingBibl 37, Anm. 358-360; E. Galbiati, s. LingBibl 36, Anm. 86; Y.T.Radday, ebda. Anm. 122, 133, 136; N.W. Lund, ebda. Anm. 98, 99, 177; s. LingBibl 39, Anm. 8; A. Langlet, s. LingBibl 36; Anm. 336; R. Pesch, s. LingBibl 37, Anm. 363; A. Vanhoye, s. LingBibl 44, Anm. 420. 40 D.J. Mc Carthy, s. LingBibl 36, Anm. 92; N.W. Lund, s. LingBibl 39, Anm. 8, 15. 41 L. Alonso-Schökel, in DBS VIII, 1972, col. 58. 42 S.E. Mc Evenue, s. LingBibl 36, Anm. 44a. 43 L. Alonso-Schökel, Est~dios de Poetica Hebrea, Barcelona 1963, S. 205-207; 311-313; id. in DBS VIII, 1972, col. 68; N.H. Ridderbos, s. LingBibl 36, Anm. 244; D.J. Clark, s. LingBibl 39, Anm. 136. 44 Y.T. Radday, s. LingBibl 36, 159; N.W. Lund, ebda. Anm. 178; C.H. Talbert, s. LingBibl 39, Anm. 217; R.G. Moulton, s. LingBibl 36, Anm. 199; C.H. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 51; P. Gächter, ebda. Anm. 80; W.G. Thompson, ebda. Anm. 116; A. Vanhoye, ebda. Anm 236; s. LingBibl 44, Anm. 436; J. Bligh, ebda. Anm. 373. 45 M. Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 219.
54 genau bestimmte Wirkung ausübt, nicht mit Worten auszudrücken. Er ist Teil des Wiederholungsphänomens, dessen Wert jeweils von Fall zu Fall variiert. Dabei handelt es sich um eine Art des Einhämmerns von Gedanken und Vorstellungen; der Dichter ist von seinen überlegungen erfüllt und will sie mit ständigen Wiederholungen bestätigen. Der Chiasmus hat aynamischen Charakter und drückt die Richtungen des Dichters aus, in die er sich bewegt; der Chiasmus ist auch rhytmisch charakterisiert: ähnlich dem Tanz, wenn der Tänzer sich anderen Tänzerinnen zuwendet. Er dient dazu, Teilungen und Untergliederungen der Partien vorzunehmen. Er erreicht, daß eine Aus drucks form bewegter, weni~er statisch wird und eleganter erscheint, oder besser noch: mehr Ausdruckskraft erlangt. Er ist also ein Stilmittel, das der Monotonie entgegenwirkt, die der Parallelismus mitsichbringen könnte, indem er Lebhaftigkeit und Plastizität hinzufügt46 . In Zach 9-14, beispielsweise, handelt es sich nicht um ein bloß geistreiches Spiel, sondern um ein ausgeklügeltes Ausdrucksmittel, wenn der eschatologische Unsturz der Situation "an jenem Tage" und die Bekehrung Israels ausgemalt werden. Er verdeutlicht es uns, so wie der Autor es will, kehrt die vorangehenden Prophezeiungen um und entwickelt sie weiter, bis die jüdische Konzeption des Messianismus der Transformation unterzogen ist, die jetzt auf ihre Weise die Veränderung der Situation wiedergibt, wie sie durch den Tod des Messias entstanden ist 47 . Vor allem im Hebräischen, wo das Hören eine große Rolle spielt, ist der Chiasmus ein besonders ausdrucksstarkes Mittel: er ist nicht nur für die Augen da, sondern für die Ohren zum Hören, was besonders in einem Liebesgesang wie dem Hohenlied wichtig ist. So in Hohelied 2,10b-13d, wo die chiastische Inklusion des Anfangs und des Endes das harmonische Verhältnis des Sängers zu seiner ruhigen, ausgewogenen Sehnsucht nach der Geliebten symbolisiert, indem sie wie eine kostbare Frucht den Frühlingsgesang einschließt. Der Chiasmus ist Ausdruck eines harmonischen Verhältnisses; in ihm schlagen sich Gedanke und Hoffnung des Sprechenden 46 N.H. Ridderbos, s. LingBibl 36, Anm. 249. 47 P. Lamarehe, s. LingBibl 37, Anm. 374, 385.
55 nieder, der im Geiste die Geliebte mit seiner Sehnsucht umgibt. Der Chiasmus erhöht die Durchdringbarkeit der 1Vorte, und so ist er auch jedem Reden eigen, das beeindrucken will. Es handelt sich um eine Art Zirkularität der Rede 48. 3.10.3. Wie man sieht, wird so der Akzent auf die Probleme der Bedeutung gelegt, auf die Beziehungen Form-Inhalt und auf die wenig stimmige Gleichung dieser Beziehungen inder Exegese, und damit entfaltet sich das allgemeinere Problem der Beziehung Sprache-Gedanke, der linguistischen Formen und der tieferliegenden "Formen,,49. Der Chiasmus ist keine einfache künstlerische Verschönerung, sondern ein Schlüssel zur Bedeutung, weil die Partien sich gegenseitig erhellen, zueinander komplementär sind50 . Die chiastische Form A - At - A (Adressant - Adressat - Adressant) ist schon berührt worden 51 . Daher spricht man auch von der "tieferen Intention des Textes ,,52 . Die Aus drucks formen der Untergliederung sind Zeichen vorausgehender gedanklicher Untergliederung 53 Die Wiederholung der MOtiv-Worte hat nicht nur poetische, sondern auch hermeneutische Bedeutung: die Zusammensetzung selbst gibt ihre bevorzugten Vorstellungen an 54 Der Chiasmus hilft, den Sinn der abhängigen Partien zu verstehen, selbst wenn eine logische Verbindung zwischen ihnen fehlt 55 . Inklusion wie Chiasmus runden nicht nur das poetische Denken ab, sondern lassen mehr oder weniger deutlich den Hauptgedanken hervortreten. Der Chiasmus hat hermeneutischen Wert: eine Zusammensetzung schafft die Voraussetzungen für die Interpretation selbst. Er erhält rationalen Wert 48 L. Krinetzki, s. LingBibl 37, Anm. 405-408; G.- Gaeta, s. LingBibl 39, Anm. 228. 49 M. Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 218-220. 50 B. Porten, ebda. Anm. 160; R. Peseh, s. LingBibl 37, Anm. 363-364; Walker-Lund, ebda. Anm. 370; r. Lamarche, ebda. Anm. 374; J.C. Fenton, s. LingBibl 39, Anm. 37. 51 G. Sellin, in Linguistica Biblica 31, Mai 1974, S. 105. 52 J. Radermachers, s. LingBibl 39, Anm. 103. 53 L. Alonso-Schökel, in DBS VIII, 1972, col 68. 54 M. ,Weiss, s. LingBibl 36, Anm. 220; G. Gaeta, s. LingBibl 39, Anm. 230. 55 J. Murphy-O'Connor, in RB 78, 1971, S. 94. Ist der Sinn nicht gerade umgekehrt, so daß uns der Chiasmus deutlich wird?
durch die Form der Bestätigung; die Symmetrie gleicht einer moralischen Probe: es besteht eine Entsprechung zwischen "I es carrures de la parole et les droitures de la conscience"; die einen wie die anderen gehorchen im semitischen und indoeuropäischen Kreis zweierlei Arten, sich der Schöpfungsordnung zu unterwerfen. Es ist eine Funktion, die in den juristischen Formeln zur Bestimmung der Strafen einigen l~ert erlangt. Auf die Frage, ob die Ordnung des Chiasmus künstlich, manieriert oder natürlich zu nennen sei, ist es nicht leicht, eine Antwort zu geben 56 . Die Architektur eines Abschnitts ist natürlich mit seinem Sinn verbunden und zwar durch die Entsprechung der einzelnen Partien: jedes Glied ist Komplement zur entsprechenden Partie; die Form ist eng an die Bedeutung gekoppelt 57 . Es ist allerdings festzuhalten, daß die Bedeutung in den einzelnen Partien trotz Parallelismus und Chiasmus nicht die gleiche ist: vgl. Ps 7,9; 72,1-2; Am 2,6b S8 . 3.11. Damit stellt sich auch das Problem der Kriterien für die Bestimmung des Chiasmus, die man auch aufgestellt und diskutiert hat. Es sind: 1) der Inhalt: die Themen; 2) die Form oder Struktur; 3) die Sprache: die Schlüsselwörter; 4) der Aufbau; 5) die Theologie 59 • Im allgemeinen wird bestätigt, daß die Untersuchung der Worte auf Formen wie Chiasmus und Parallelismus hinführt 60 . 3.11.1. Das Problem der Beziehung von Wort und Gedanke wird hier deutlich. Allgemein sagt man, daß die formalen Kriterien, die untereinander konvergent sind, uns solche Strukturen angeben61 ; daß in ihnen Gedanken und
56 N.R. Ridderbos, s. LingBibl 36, Anm. 248-249. 57 C.R. Talbert, s. LingBibl. 39, Anm. 217; Exum-Talbert, s. LingBibl 44, Anm. 286; A. Vanhoye, ebda. Anm. 435-436. 58 N.W. Lund, s. LingBibl. 36, Anm. 337-340. 59 Dewey-Clark, s. LingBibl 39, Anm. 135. 60 W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft, Göttingen 1971, s. 89. 61 A. Vanhoye, s. LingBibl 44, Anm. 437.
SChlüsselwörter 62 , 'Worte illld Motive,,63, oder vor allem die Gedanken, der Inhalt, die einander entsprechen, zusammentreffen64 . Häufig ermöglicht illlS allein der Gehalt, die Symmetrie zu finden: die Gedanken sind in einer bestimmten Reihenfolge auf einen Höhepunkt hin angeordnet, danach werden sie, mit oder ohne Variationen, in umgekehrter Reihenfolge wiederholt, bis der letzte Gedanke des Systems erreicht ist 6S . Das ist es, was eine geläufige Definition ausdrückt: Chiasmus ist eine literarische Form, die Worte, Linien, Themen in der Reihenfolge abc illld dann in umgekehrter Folge c b a anordnet 66 • Andere sind der Meinilllg, man sollte Strukturen auf der Basis von Wiederholilllg von Worten illlterscheiden, die authentischer sind oder in denen ein Gedanke enthalten ist, so als illlterteilte der Dichter einen Satz illld nähme andere Gedanken hinein: eine Form, die, auch wenn sie Aufmerksamkeit verdient, zu ausgefallen scheint, als daß sie auf die Bibel zuträfe 67 . Ein anderer kritisiert mit Nachdruck, daß eine Definition des Chiasmus, die "Ideen" in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet illld in umgekehrter Folge wiederaufgenommen sieht, Tür illld Tor öffnen würde zu subjektiver MotiVilllterstellilllg, die der Autor des biblischen Textes keinesfalls intendiert habe. 3.11.2. Welcher wäre also der nötige Grad an Entsprechung in diesen Strukturen? Oder, anders ausgedrückt: bis zu welchem Grad läßt sich in zulässiger Weise die VerallgemeineTilllg vorantreiben? Zwei beliebige Vorstellilllgen können praktisch bis zu dem Punkt verallgemeinert werden,
62 S.E. Me Evenue, s. LingBibl 36, Anm. 44a. 63 N. Lohfink, s. LingBibl 37, Anm. 358; R. Peseh, ebda. Anm. 363; H.H. Cohn, ebda. Anm. 365 (vgl. Anm. 19). 64 Walker-Lund, ebda. Anm. 369; P. Gäehter, s. LingBibl 39, Anm. 80-84; J. Fenton, s. LingBibl 44, Anm. 274; J. Jeremias, ebda. Anm. 329, 343, 375. 65 N.W. Lund, s. LingBibl 36, Anm. 343. 66 Exum-Talbert, s. LingBibl 44, Anm. 286; J. Bligh, ebda. Anm. 368. 67 D.N. Freedman, s. LingBibl 36, Anm. 352.
in dem sie aufeinander bezogen werden können, und überall, wo sich Chiasmen finden lassen. Was 'wird in diesem Fall aber aus dem wörtlichen Sinn? Die Worte hätten nicht mehr einen besonderen Sinn, sondern würden einfach eine allgemeinere Vorstellung konnotieren. Man kann daher nicht behaupten, daß das Feld der ~~glichkeiten durch das Element, das die Entsprechung in der Struktur herstellt, begrenzt würde, da die Bedeutung eines Wortes auf der allgemeinen Ebene gleichfalls polyvalent ist. Es ist notwendig, die Verbindung zur Absicht des Autors und ebenfalls zur Realität aufrechtzuerhalten: dazu benötigt man eine objektive Kontrolle, die nicht anders sein kann als eine lViederholung der Worte oder vielleicht auch grammatischer Konstruktionen (vgl. Augustin, Enarr. in Ps XXI; oder Lev 14,10-20). Um der KÜllstlichkeit der Rekonstruktionen von Strukturen zu entgehen, kann man so weit gehen, den Gebrauch synonymischer Begriffe, wie in Matth 7,6 und 1Kor 1,24-25, zuzulassen. Im Interesse der Objektivität sollte man aber nicht noch weiter gehen. Wenn man dieses Kriterium akzeptiert, erhält man als sehr wichtige Konsequenz, daß ein Chiasmus unmöglich ist, der sich aus sehr breit angelegten Texten zusammensetzt 68 In sehr ausgedehnten Strukturen, wie der von Bligh im Galaterbrief, lenkt die Struktur den Sinn: das ist aber wenig vernünftig, und die Vernunft hat Rechte, die sich nicht leugnen lassen69 . Die Methode, die auf Strukturen aufbaut, sollte, wie jede ernsthafte Methode, den Kom-' mentator im Kontakt mit der Realität halten 70 . 3.12. Damit sind, vielleicht unbemerkt, außerst einschneidende Probleme für die Exegese wiederaufgetaucht: es genügt, sich den letzten Abschnitt
erneut anzusehen. Es lohnt sich, einige davon zu unterstreichen:
68 Murphy-O'Connor hat die Arbeit von Bligh im Auge (vgl. LingBibl 44, Anm. 367. 69 Murphy-O'Connor, in RB 78, 1971, S. 94-95. 70 id., S. 95-96.
59 das Problem der Intention des Autors; die wörtliche Bedeutung eines Wortes oder eines Ausdrucks; Konnotation der Worte: deren allgemeine und besondere Bedeutung Polyvalenz der Worte; Beziehung der Worte auf die Realität; Objektivismus - Subjektivismus und ihre Kontrolle; der Chiasmus als Struktur von Texten geringen Umfangs; Beziehung zwischen unserem Bewußtsein und der Realität der Strukturen; bei der Suche nach den Strukturen darf uns nicht die Bedeutung leiten. 3.12.1. Diese Hervorhebungen scheinen um so notwendiger, als auch andere Autoren den Chiasmus im Großen, in ganzen Werken, für einen Schlüssel zu den Zielen des Autors, seinen Grundgedanken, seiner Intention halten 71 . Oder man bedenke, welche Gefahr des Subjektivismus bei den überlegungen zur gedanklichen Ordnung dieser Strukturen enthalten sein kann, ein Subjektivismus, der von objektiven Elementen wie dem vorherrschenden Parallelismus, dem Rhythmus, der allgemeinen Bedeutung der Komposition, überwunden werden muß. Im A.T. finden sich allerdings über rhythmische Systeme hinaus auch gedankliche Strukturen, die den Grundriß einer Komposition ausmachen können 72 • Alles das zusammen führt unsere überlegungen zu dem Problem der Logik unserer strukturalen Untersuchung: gibt es bei den Wissenschaftlern übertreibungen? Widersprüche in der Methode? erneut zu untersuchende Partien? 3.12.2. Tatsächlich fehlt es nicht an Kritik seitens der Exegeten, die den Chiasmus benutzen; jedoch sie kritisieren andere Unterteilungen von Abschnitten, die auf der Basis künstlicher numerischer und chiastischer Systeme vorgenorrmen wurden 73 : daher sollte mehr Bedeutung den ausdrücklichen 71 Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 159, 162, 167; A. Lenglet, ebda. Anm. 335, 336; Walker-Lund, s. LingBibl 37, Anm. 369-370; A. Vanhoye, s. LingBibl 39, Anm. 241. 72 N.W. Lund, s. LingBibl 36, Anm. 186. 73 F. Lentzen-Deis, Gesu e il Regno di Dio, Roma 1973 (ad usum auditorum) s. 88; 106.
Bestätigungen eines Autors beigemessen werden als bestreitbaren Parallelitäten. Eine Methode erfordert Strenge und Flexibilität zugleich; keinesfalls darf man sich darauf festlegen, perfekte Strukturen zu entdecken; es ist besser, sich dem l~erk, das man untersucht, zu beugen 74 . Wenige Arbeiten laufen Gefahr, subjektiver zu werden, wenn sie den Versuch unternehmen, Strukturen in den Evangelien zu entdecken 75 . Mir scheint tatsächlich eine leichte Gefahr zur 'petitio principii" gegeben, die übrigens schon von anderen herausgefunden wurde 76. Man denke an Behauptungen wie die folgenden: 'wenn hier Chiasmus vorliegt, ist der Sinn ••• ,,77, wo man vielleicht sagen sollte: "der Sinn ist dieser, und das ist die chiastische Form", sonst könnte man Gefahr laufen, das eine und das andere zu ignorieren. Anders ausgedrückt: ist der Chiasmus Ergebnis oder Ausgangspunkt der Exegese? Wenn man behauptet, daß "mit dem Auftreten des Chiasmus bestimmte Sätze übereinandergelagert wurden,,78, besteht dann nicht die Gefahr, ähnliche Strukturen als abstrakte, absolute, deterministisch operierende Formen anzusehen? Haben sie sich von allein übereinandergelagert? Was für einen Sinn hat es, von "offensichtlicher Digression" in 1 Kor 13 zu sprechen?79 Ist es denn tatsächlich wahr, daß ein Element des Chiasmus dazu benutzt werden kann,um das Element, das zu ihm in Relation steht, zu interpretieren "auch bei Abwesenheit einer logischen Verbindung,,80? Wahrscheinlich muß man der Meinung zustimmen, die auf das Fehlen einer tiefergehenden Arbeit und damit einer Diskussion von Grund auf der Kriterien zur Identifizierung der literarischen Figur Chiasmus oder überhaupt einer adäquaten Definition verweist 81 . Andererseits dürfte die Häufigkeit der vielen unterschiedlichen Chiasmen für die Solidität unserer Untersuchung sprechen82 . 74 N.H. Ridderbos, s. LingBibl 36, Anm. 225; A. Vanhoye, s. LingBibl 39, Anm. 291, s. LingBibl 44, Anm. 483. 75 W.G. Thompson, s. LingBibl 39, Anm. 117. 76 Vgl. LingBibl 36, Anm. 318. 77 J. Jeremias, s. LingBibl 44, Anm. 333 (Röm 11, 33-35). 78 X. Leon-Dufour, s. LingBibl 39, Anm. 242-245 (Joh 5; 6; 12). 79 Brunot, s. LingBibl 44, Anm. 336 (1 Kor 13). 80 J. Murphy-O'Connor, in RB 78, 1971, S. 93. (Es ist eine der besten, und sogar kritischen, Synthesen zum Chiasmus: vgl. alles auf S. 93-96). 81 id., S. 93. 82 R. Morgenthaler, s. LingBibl 39, Anm. 177.
51 Auch scheint mir die Konstatienmg dieser Strukturen, vergleicht man sie mit der Problematik beispielsweise einer gewissen Quellenkritik oder so vieler "historisch-literarischer" Untersuchtmgen, auf Fakten zu beruhen, die auf lange Sicht gesicherter tmd verifizierbarer sein dürften. 3. 12. 3. Auch wenn dem nicht tmbedingt Gewicht beigemessen werden sollte, so erstatmt doch die außerordentliche Divergenz tmd Unterschiedlichkeit der Beurteiltmgen der Exegeten hinsichtlich dieser Strukturen (vgl. beispielsweise der Evangelien), tmd dazu der nicht seltene Infonnationsmangel, aufgnmd dessen die Wissenschaftler, die an einer Struktur eines Abschnittes arbeiten, häufig die Arbeiten der anderen nicht kennen oder nicht benutzen; auch weil sie sich häufig, tmd nicht nur etwa diejenigen, die sich mit diesen Strukturen beschäftigen, auf einfache Feststelltmgen beschränken. Ein Beitrag zur Verdeutlichtmg scheinen mir die Beispiele zu liefern, die die Forscher zur Erhelltmg ihrer Position selbst bringen. In einigen Fällen, heißt es, sollte man nicht von ChiaSIlRlS sprechen, weil es sich um notwendige Formen handele. Z.B. '~ea for two, and two for tea; me for you, and you for me,,83; "Die gleichseitigen Dreiecke sind gleichwinklig, tmd die gleichwinkligen Dreiecke sind gleichseitig"; oder wenn es sich um die Reihenfolge der Ereignisse handelt: I get out of bed I put on my clothes I do my day's work I take off my c10thes I get into bed84 • So sollen in den Evangelien auch gewisse Chiasmen von der Sache her bedingt, ihren Ursprtmg im christlichen Paradoxon haben: "die Ersten, die Letzten; die Letzten, die Ersten"; ''wer sich erniedrigt, wird erhöht, wer sich erhöht, wird erniedrigt", usw. 85 .
83 J.C. Fenton, in Studia Evangeliaa ••.• Berlin, 1959, S. 175. 84 T.W. Manson, in Journal of Th. St., 45, 1944, S. 82. 85 R. Morgenthaler, s. LingBibl 39, Anm. 169; 178.
62 Und tatsächlich gibt es unendlich viele ähnliche Beispiele. Man denke an Sätze wie die folgenden: "Nicht die Kirche entspringt dem Evangelium, sondern das Evangelium der Kirche"; " ... in Christus begegnet Gott selbst; aber: Gott begegnet nur in Christus,,86; Die Rechtfertigung durch die Taufe und die Taufe durch die Rechtfertigung interpretiert wird,,87; oder das deutsche Sprichwort: 'Wer seiner Zeit genug getan, der hat genug getan für all' Zeiten"; oder ein anderes: ''Besser einen Hund zum Freund als einen Freund, der ein Hund ist". So könnte sich also das chiastische Schema der Apostelgeschichte mit dem Jesus-Zyklus ein Chiasmus nennen88 ? In der Apostelgeschichte hätte gesagt werden können: '~eginnt in Rom und endet in Jerusalem"? Auch wer der Meinung ist, daß ein künstlicher und manierierter Chiasmus vorliege, oder daß manchmal die Reihenfolge natürlicher, offenkundiger (vgl. Ps 1) sein könnte, fühlt sich genötigt, hinzuzufügen, daß eine Reihe von Ausdrucksformen als 'natürlich, offenkundig, künstlich" zu definieren häufig eine eher zweifelhafte Angelegenheit ist89 3.12.4. Es scheint mir nützlich, auf die von den Exegeten angeführten Beispiele zurückzugreifen, die häufig als Bezugspunkte dienen 90 . Denn
das Aktualisieren des Phänomens wird wichtig, wenn man die konzentrischen Strukturen wieder in Erinnerung bringt, die sich in der klassischen Plastik, in den Vasenmalereien, in den Tempelgiebeln, in der römischen Skulptur und auch der primitiven der christlichen Reliefs finden lassen 91 . Es lassen sich Analogien zur modernen MUsik herstellen92 , und 86 R. Bultmann, in TWNT VI, 1959, S. 218, 1.5-6. 87 E. Lohse, in Battesimo e Giustizia in Rom 6 e 8, 0 cura di Lorenzo De Lorenzi, Roma 1974, p. 83 88 M.D. Goulder, s. LingBibl 44, Anm. 270; vgl. T.W. Manson, in Journal of Th. St. 45, 1944, S. 82, angelegentlich Lev 14, 10-20.21-32: der Chiasmus kann das Ergebnis einer sachbezogenen Verfahrensweise sein.' 89 N.R. Ridderbos, s. LingBibl 36, Anm. 249; J. Bligh, s. LingBibl 39, Anm. 227. 90 Auf die Fälle von Chiasmus in der außerbiblischen Literatur komme ich, wie schon gesagt, im folgenden noch zurück. 91 C.R. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 58; C.R. Talbert, ebda. Anm. 210-214. 92 W.L. Rolladay, s. LingBibl 36, Anm. 317; C.R. Talbert, s. LingBibl 39, Anm. 216.
63 es bestätigt sich das Prinzip, das die modernen Historiker OMbltmann) aufgreifen, daß wir die historischen Ereignisse der Vergangenheit nur über die Analogie erkennen können, indem wir uns vorstellen, sie seien auf die Weise geschehen, die unserer Erfahrung von der menschlichen Existenz und vom menschlichen Handeln zugänglich ist 93 . Als Beispiel für einen Chiasmus wird häufig Augustinus, Enarr. in Ps XXI zitiert: Ibi est aurwn ibi est palea ibi ignis in angusto operatur ignis ille non est diversus et diversa agit paleam in oinarem vertit auro sordes tollit 94 .
Es wird Goethe, Paust zitiert: 'Hab' ich die Kraft, dich anzuziehn besessen, doch dich zu halten hab' ich keine Kraft,,95. Penton zitiert 96 den Anfangssatz des anglikanischen Pontifikalamts: "The form and manner of making, ordaining and consecrating of Bishops, Priests and Deacons ... ". Aus der Volksliteratur wird zitiert 97 : "Old King Cole was a mer:ry old soul. and a mer:ry old soul was he".
93 94 95 96 97
J. Bligh, s. LingBibl 44, Anm. 372. Vgl. Murphy-O'Connor, in RB 78, 1971, S. 94. L. Haefeli, Stilmittel bei Afraat, Leipzig 1932, S. 90, Anm. I. J.C. Fenton, in Studia Evangelioa ... , BerHn 1959, S. 175. Th. J. Meek, in The Journal of Religion 9, 1929, S. 528-529.
64 Oder98 : Dansity, didity, popity, pin, Had a new dress When summer comes in; When summer goes out, It's all worn out. Dansity, didity, popity, pin. Oder diese Verse von Dr. T. Dwight 99 If e'er to bless thy sons, My voice or hands deny These hands less usefull skill forsake This voice in silence die. Oder auch die Verse von Rückert 1OO : "Jugend, Rausch und Liebe sind Gleich drei schönen Frühlingstagen; Statt um ihre Flucht zu klagen, Herz genieße sie geschwind, Statt um ihre Flucht zu klagen! Gleich drei schönen Frühlingstagen Jugend, Rausch und Liebe sind." 3.12.5. Eine von den Wissenschaftlern häufig aufgeworfene Frage ist die nach dem Bewußtsein, das der jeweilige Autor biblischer Bücher Von diesen Formen gehabt hat: handelt es sich um eigens gewollte Strukturen oder um zufällige Phänomene? Um Ergebnisse freier Wahl oder Produlete des Innersten des Menschen? Der Einwand "wenn der Autor wirklich diese Strukturen gewollt hat", scheint mir der schwerwiegendste hinsichtlich ihrer Existenz zu sein 101 . 98 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T. Chapel Hill 1942, S. 129. 99 id., S. 31. 100 E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik ... , Leipzig 1900, S. 172-173. 101 J.C. Fentan, s. LingBibl 44, Anm. 274.
65 Die Antworten der Wissenschaftler sind sehr unterschiedlich, und mir scheint die Einsicht vonnöten, daß sie nicht immer genügend begründet sind. Man sagt, ein gewisses Bewußtsein muß vorhanden sein; aber im Kunstwerk verhält sich das Formenbewußtsein umgekehrt proportional zur Meisterschaft. Die Technik ist für den Künstler ein Ausdrucksmittel, und sie wird, wie jede Technik, die man beherrscht, mehr oder weniger unbewußt 102 Die Häufigkeit solcher Strukturen gibt an, daß sie nicht zufällig sind: vielleicht gab es Schulen (die Weisen) 103? So läßt sich erklären, daß der Autor des Briefes an die Hebräer äußerst bewußt schreibt und sehr genau typische Verfahrensweisen benutzt 104 . Wenn man ausdrücklich annimmt, daß es zufällig oder unbewußte Chiasmen geben kann, so erkennt man jedoch an, daß die großen Chiasmen bewußt gewollt wurden 10S . Auf der anderen Seite behauptet man, daß diese Strukturen als intentional anzusehen seien, selbst wenn sie unbewußt zustandegekommen sind; denn wären sie bewußt, so wären sie auch evidenter und schon in der Antike festgestellt worden. Der menschliche Geist arbeitet meistens mit sehr komplexen Strukturen, wenn auch nicht bffivußter Art, 1vie es selbst bei sehr rohen und unbeabsichtigten sprachlichen Strukturen geschieht 106 . Auch wenn die Strukturen unbewußt sind, ihre Wirkung auf die Komposition bleibt 107 ; sie geben uns die tiefere Intention des Textes wieder 108 .
102 N.W. Lund, s. LingBibl 36, Anm. 187; N.H. Ridderbos, ebda. Anm. 246-248. 103 D.J. Me Garthy, ebda. Anm. 92; N. Lohfink, ebda. Anm. 108-111; J. Muilenburg, ebda. Anm. 139a; A. Gondamin, ebda. Anm 338; J.G. Fenton, s. LingBibl 39, Anm. 34. 104 A. Vanhoye, s. LingBibl 44, Anm. 444. 105 J.G. Fenton, s. LingBibl 39, Anm. 26-34; J. Lambreeht, ebda. Anm. 158. 106 D.J. Glark, ebda. Anm. 137. 107 R. Morgenthaler, s. LingBibl 44, Anm. 279. 108 J. Radermakers, s. LingBibl 39, Anm. 103.
66 Es wird die Meinung vertreten, daß dieses System von Chiasmus-Inklusion nicht immer als bestimmte Struktur gewollt ist, da sie dem menschlichen Denken und Sprechen innewohnt 109 . 3.12.6. Diese Strukturen könnten das Ergebnis einer psychologischen Disposition sein, eine Art, die Dinge zu erfassen, die sich in der Linienführung des Werks, was geschaffen wird, widerspiegelt, eine Disposition,
aufgrund derer die Dinge nicht voneinander getrennt, sondern zusammen, im Gleichgewicht, gedacht werden. Es könnte das Ergebnis einer ästhetischen Präferenz sein, die eine Anordnung des ~futerials befriedigender oder gefälliger findet, die Wiederholungen einschließt 110 . Auf diese Weise würde der Chiasmus die Psychologie von Paulus bezeichnen, seine Art, Gedanken.zwischen zwei Polen zu bewegen, in Antithese und Wiederaufnahme mit großer dialektischer Kraft. Die hebräische Seele (Boman) konzipiert die Zeit nicht als einen Kreis oder Zyklus wie es die Europäer tun, sondern als einen dreifachen Rhythmus: unbetont - betont unbetont, d.h. chiastisch 111 . Für andere ist die Frage nach dem ''Bewußtsein'' eines Schriftstellers von diesen Strukturen seiner Kompositionen ''unanswerable, and it is irrelevant"; die Struktur jedoch ist da und wir müssen sie wohl oder übel beachten. Wir wissen zu wenig vom schöpferischen Prozeß im Innern eines Künstlers unserer Kultur und fast gar nichts von denjenigen anderer Kulturen. Wir jedoch, die wir die Kraft einer modernen Sonate spüren, die eine chiastische Struktur hat, wir sind dazu in der Lage, in der israelitischen Kultur ein Kunstwerk, das analog ist, zu erkennen. Es scheint also, als ob die Struktur gänzlich unbewußt verwendet würde. Jeremias, beispielsweise, versuchte die verschiedenen Aspekte der Worte (vgl. sub) zu gebrauchen, und es scheint, als wäre ihm die Befriedigung zu Bewußtsein gekommen, die in den Wortverbindungen, in den Symmetrien von Klang und Bedeutung liegt, und als wäre ihm die Ausdruckskraft dieser
109 L. Hartmann, in Biblica 49, 1968, S. 132. 110 S. Bertmann, s. LingBibl 36, Anm. 143. III J.J. Collins, s. LingBibl 44, Arim. 292-295; 305; A. Brunot, ebda. Anm. 297-301.
67 Worte mit ihrer Wiederholung intensiver erschienen: die Worte waren als Potenz intendiert, und so ist es auch für uns keine geringe Befriedigung, in das Ausdrucksvermögen dieser Worte einzudringen 112 • 3.12.7. Das Problem des Bewußtseins ist an das der Freiheit des SchriftsteZZers gegenüber diesen Strukturen gebunden und wird dadurch komplizierter. Es wird nicht übersehen, daß die Bibelautoren nicht gezwungen waren, den Chiasmus zu benutzen, und sie gebrauchten ihn nur, wenn sie wOllten 113 .
Sie zeigen andererseits eine große künstlerische Wandlungs fähigkeit bei der Verwendung dieser Strukturen, und sie verstehen es, Ähnlichkeit und Verschiedenartigkeit miteinander zu verbinden; sie scheinen auch eher die rhythmischen Regelrnäßigkeiten zu vermeiden als zu suchen l14 Die Vollendung in der Antike besteht in der Vermeidung perfekter Formen; daher die unendlichen Variationen, die "Syrnmetrophobie": "die reine Form ist nie schön" 11 S. Es läßt sich beobachten, daß die konzentrische Struktur in unterschiedlichen Gattungen existiert, in der Poesie wie in der Prosa, und daß sie der Prosa ihren Charakter als Prosa nicht nimmt; jede sprachliche Form andererseits und jede rhetorische Figur hat eine bestimmte Form, auch wenn sie in den verschiedenen Kontexten variiert; wie auch das gleiche Gefühl mit unterschiedlichen Stilmitteln ausgedrückt werden kann l16 . Das Problem wird auch in seinen Beziehungen zur Umgebung betrachtet. Tatsächlich ist davon auszugehen, daß es sich bei diesen Strukturen um eine künstlerische Konvention der Schriftsteller in der Antike handelt l17 .
112 W.L. Holladay, s. LingBibl 36, Anm. 319. 113 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Ghapel HilI 1942, S. 232. 114 L. Alonso-Schökel, Estudios de Poetica Hebrea, Barcelona 1963, S. 327 (Freiheit des Dichters und Vielfältigkeit der möglichen Formen); N.W. Lund, s. LingBibl 36, Anm. 175; N.H. Ridderbos, ebda. Anm. 245-255; Walter-Lund, s. LingBibl 37, Anm. 369; P. Lamarche, ebda. Anm. 376; G.H. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 55; R. Morgenthaler, ebda. Anm. 177; P. Gächter, ebda. Anm. 196; J. Bligh, s. LingBibl 44, Anm. 368; P.A. Van Stempvoort, ebda. Anm. 406. 115 G.H. Talbert, s. LingBibl 39, Anm. 210-211; A. Vanhoye, ebda. Anm. 238-240; s. LingBibl 44, Anm. 435-442. 116 N. Lohfink, s. LingBibl 37, Anm. 360; W.Dommershausen, ebda. Anm. 426. 117 Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 159, 160; N. Lohfink, s. LingBibl 37, Anm. 358.
68 Die "Gemeinde" erwartet also diese Fonnen; die Schreiber und Poeten der Antike wachten über die Tradition und paßten sich ihr an. Der Evangelist "leads and is lead" in den Beziehungen zur Gemeinde; er stellt das Material zusammen, das ihm und der Gemeinde bekannt ist, aber die Gemeinde fordert von ihm den Stil und die Strukturen der Tradition l18 . Die Zuhörer konnten vielleicht schon über die Stimme, über die Art des Lesens verstehen l19 . 3.12.8. Eine andere Frage, die häufiger anläßlich dieser Strukturuntersuchungen abgehandelt wird, ist die des Verhältnisses von '~emitismus Hellenismus", d.h. liegt der Ursprung und die Präsenz von Inklusion und Chiasmus in der griechischen oder in der biblisch-semitischen Welt? Die Antwort, die häufig darauf gegeben wird und die manchmal zwingender, manchmal simplifizierender ausfällt, besagt, daß sie semitischen Ursprungs sind: "das Geschenk des Ostens an den Westen", usw. 120 . Es fehlen jedoch auch nicht entschiedene Stimmen im entgegengesetzten Sinne: sie seien klassisch-hellenistischen Ursprungs, und Alexandrien, beispielsweise, sei der Ort des Austauschs gewesen121 . Man zieht auch aus ihrer Existenz außerhalb des biblischen, semitischen, klassischen, literarischen oder vörliterarischen Umkreises, den Schluß auf eine universale Struktur, auf eine Fonn oder Richtung jedes Denkens, jedes Menschen: das große Gesetz der Symmetrie 122 118 C.H. Lohr, s. S. 107; 110; P. Gächter, s. S. 114; C.H. Talbert, s. S. 135. 119 N.W. Lund, s. S. 39; N. Lohfink, s. S. 79-80. 120 L. Haefeli, Stilmittel bei Afraat, Leipzig 1932, S. 92-93; G. Bonaccorsi, Primi Saggi di Filologia Neotestamentaria, Totino 1933, S. CXXXIV, Anm. auf der vorangehenden Seite; Y.T. Radday, s. LingBibl 36, Anm. 142, 159; N.W. Lund, ebda. Anm. 188;s. LingBibl 39, Anm. 4, 15, 24, 184; s. LingBibl 44, Anm. 457458; M.E. Boismard, s. LingBibl 39, Anm. 219; K. GrobeI, s. LingBibl 44, Anm. 312; H.B. Green, s. LingBibl 39, Anm. 46; P. Gächter, s. LingBibl 39, Anm. 80, 84, 198; P.A. van Stempvoort, s. LingBibl 44, Anm. 406. Noch nuancenreicher L. Alonso-Schökel, in DBS VIII, 1972, col 86. 121 A.G. Wright, s. LingBibl 37, Anm. 452; A. Vanhoye, s. LingBibl 44, Anm. 412. 122 St. Bertmann, s. LingBibl 36, Anm. 143; Th.J. Meek, ebda. Anm. 2046; A. Lenglet, s. LingBibl, Anm. 336; A. Condamin, ebda. Anm. 339; L. Maries, s. LingBibl 37, Anm. 444; C~H. Lohr, s. LingBibl 39, Anm. 53; A. Iannkens, ebda. Anm. 262; R. Morgenthaler, ebda. Anm. 179. Dasselbe wurde schon vor längerer Zeit für den Parallelismus angemerkt: vgl. E. Norden, Die antike Kunstprosa, Leipzig 1915, S. 814; N.N. Freedman, s. LingBibl 36, Anm. 352; L. Alonso-Schökel, in DBS VIII, 1872, col. 68. Bei den Juden soll die Synonymie oder Wiederholung, bei den Griechen die Antithese oder Kontraposition vorherrschen (ders., Estudios de Poetica Hebrea. Barcelona 1963, S. 267).
69 Das ist vielleicht auf den Einfluß der '~istorischen" Untersuchungen, auf die Suche nach den "Ursprüngen", den "Quellen" zurückzuführen, wie sie in der modernen Bibelexegese üblich sind. Und tatsächlich wird immer wiederholt, daß der Chiasmus eine der charakteristischen Formen zur untersuchung der "Geschichte der Tradition" ist, eine Form, die dazu dienen soll, den Umkreis des Ursprungs zu erhellen 123 Daher wird auch von anderer Seite darauf verwiesen, nicht in den Fehler zu verfallen, Vorläufer, die "Geschichte" zu suchen und dabei die aktuelle Tatsache, den vorliegenden Text aus den Augen zu verlieren oder zu übersehen 124. Vielleicht kann gerade die Untersuchung dieser Strukturen daraufhinweisen, mit welcher gewohnheitsmäßigen übereilung das Problem der Beziehung von Semitismus-Hellenismus in der Exegese gestellt und manchmal auch gelöst wird. Häufig wird im Zusammenhang damit das Problem der spontanen, präliterarischen, 'mündlichen" Entstehung dieser Strukturen oder ihres reflexen, "rhetorischen", "literarischen" Olarakters gestellt. Man hat mit Nachdruck ihren 'mündlichen" Charakter herausgestellt 125, mit der Erklärung, daß sie dazu dienten, die Erinnerung zu erleichtern, daß sie mnemonische Formen waren oder auch, wenn es die Absicht war, Formen mit anderen Zielen 126 . Für dieselben Werke, deren oraler Charakter behauptet worden war, wird auch ein "literarischer" Ursprung angenorrnnen; es seien Strukturen der "Gebildeten"; besonders die Werke größeren Umfangs dürften nicht in einem Augenblick geschrieben worden sein, sondern auf der Basis von Spuren vorangehender Texte 127 .
123 A Vanhoye, s. LingBibl 39, Anm. 182; P. Merendino, Corso exgeticoteologico su Is 40, Roma 1970 (ad usum auditorum) , S. 6. 124 A. Vanhoye, ebda. Anm 241; vgl. R. Kieffer, Essais de methodologie neo-testamentaire, Lund 1972, S. 31-36. 125 C.R. Lohr, ebda. Anm. 51-53; R. Morgenthaler, Die lukanische Geschichtsschreibung als Zeugnis I, Zürich 1948, S. 142-143. 126 P. Gächter, ebda. Anm. 80-99; C.R. Talbert, ebda. Anm. 217. 127 C.R. Lohr, ebda. Anm. 49-69; J. Blenkinsopp, s. LingBibl 36, Anm. 139b13ge; A. Lenglet, ebda. Anm. 336; E. Gabbiati, ebda. Anm. 87; P. Gächter, s. LingBibl 39, Anm. 80-98; R. Morgenthaler, ebda. Anm. 162, 179; M.D. Goulder, ebda. Anm. 185; C.R. Talbert, ebda. Anm. 209-213.
70 Für andere hingegen stellt der Chiasmus ein Zeichen von Primitivität dar; daher hält man auch Matth wegen seines Gebrauchs des Chiasmus für älter als Mk und Lk, und man glaubt auch, daß Hk aus der gemeinsamen Quelle geschöpft habe 128 . Eine Tatsache, die von anderen jedoch bestritten wird 129. Leider scheinen sich manche Wissenschaftler jedoch gegenseitig zu ignorieren. 3.13. Das Ergebnis dieser ersten Schlußfolgerungen könnte vor allem Erstaunen wegen der ungeheuren Ausbeute an Beobachtungen und daher über das ausgedehnte l~terial erregen, das zu letztlichen Schlußfolgerungen vorliegt, aber es könnte auch geradezu eine Perplexität wegen der Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Positionen hervorrufen. Das Phänomen des Chiasmus scheint mir kein einheitlicher Fall zu sein, weder in seiner Beziehung Formulierung - Ausdruck, noch in der von Bedeutung - Wert in ästhetischer und hermeneutischer Hinsicht. Es scheint somit evident, daß das Problem des Chiasmus wie seine Untersuchung nicht für sich allein gelöst werden können, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Problemen, und das heißt: zusammen mit den grundsätzlichsten und dringlichsten der Hermeneutik, Linguistik, des Wissens und der Psychologie. Es bleibt schließlich zwangsläufig auch der Ruf nach einer Lösung des methodologischen Problems in seiner Dringlichkeit bestehen, wie es in den letzten Jahren stark im Vordergrund stand; der dringende Wunsch nach einer allgemeinen "Abhandlung zur Hethode,,130, die den Weg der Exegese erhellen, und wenn nötig, korrigieren könnte. 128 N.W. Lund, Chiasmus in the N.T., Chapel HilI 1942, S. 232. 129 J.C. Fenton, s. LingBibl 39, Anm. 36; R. Morgenthaler, ebda. Anm. 161, 178-179. 130 Vgl. W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft, Göttingen 1971.
Abstract: In his last article the author concludes his investigation of analyses concerning "chiastic" structures in the Bible. He deals with the second part of the New Testament and the principles of investigation.
Padre Angelico Di Harco ofrncap Cappuccini Madonna Pornpei 1-98100 Messina
79-1-18
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JEAN-PIERRE VAN NOPPEN THEOGRAPHIE 1 , METAPHERTHEORIE UND IHRE INTERPRETATIONSFEHLER 0.0. Die Analyse der religiösen Rede - betreffe sie nun das menschliche Wort, durch das Gott offenbart wird, die Wörter, mit denen der Hensch Gott anspricht, oder aber die Sprache, die er verwendet, um zu den anderen Henschen von Gott zu reden - stößt unvermeidlich an das Paradoxon einer Sprache, die durch ihre Referenz erfassen möchte, was über den Grenzen der menschlichen Fassungskraft und Aufnahmefähigkeit steht, während sie durch die Bedeutung der Wörter notwendigerweise auf menschliche Zustände und Kategorien zurückführt. Die radikalen Theologen der sechziger Jahre haben lediglich die problematische Seite der Sprache hervorgehoben und die Entwicklung eines Skeptizismus veranIaßt, der gleich "der Tod des Wortes Gott" genannt wurde. Erinnern wir uns zum Beispiel daran: unter den 'zehn Bedeutungen, die Altizer und Hamilton (1966:x-xi) dem Ausdruck "Tod Gottes" zuschrieben, hatten drei Erklärungen mit der religiösen Sprache unmittelbar zu tun, während drei andere das Problem nur indirekt berührten. Neulich in den 13 Thesen von Hartford war die Frage der Sprache immer aktuell. D. Jenkins (1962:53) und P. Tillich (1963:94-5), unter anderen, verlangten die klare Abgrenzung der Bedeutung der religiösen Ausdrücke, wodurch der Beitrag des Linguisten zur Lösung eines Problems, wofür er sonst auf den ersten Blick nicht zuständig ist, belegt wurde.
1 Dieser Neologismus von Robinson bezeichnet den Teil der Theologie, der versucht, den Begriff des Göttlichen praktisch und zugänglich zu formulieren und mitzuteilen (Cf. van Noppen 1977).
72 0.1. Der Linguist betrachtet Theologie als die Grammatik des Theos betreffenden Logos, d.h. als Sprachwissenschaft, deren Objekt Gott als Wort und nicht als Wesen ist. Die Aufgabe des Linguisten besteht also darin, die Bedeutung und den richtigen Gebrauch der theographischen Rede zu verstehen, zu beschreiben und zu lehren, sowie er es tun würde für den Fall irgendeiner anderen Ausdrucks- oder Mitteilungsform in einem Kontext, dessen Voraussetzungen den Sinn und das Bestehen der Rede bestimmen. Der Theologie lato sensu kommt es zu, die dem Ausdruck vorangegangenen ontologischen und epistemologischen Vorbedingungen festzustellen. Während der Linguist von doktrinären und anderen dem Korpus 2 fremden Einschränkungen unabhängig bleibt, muß er diese Vorbedingungen als Arbeitshypothesen annehmen, denn sonst wird der Ausdruck von seinem UrpSTÜnglichen Rahmen ausgeklammert und verliert daher seinen Sinn. Die von religiösen Kontexten abgetrennten theographischen Ausdrücke sind zwar bis zu einern bestimmten Punkt begreiflich; sie können aber die Funktion nicht mehr ausüben, für die sie geschaffen wurden. Bei unserer Untersuchung der theographischen Rede werden wir die von dem gläubigen Sprecher vorausgesetzte lVirklichkeit Gottes als unentbehrliche Vorbedingung betrachten. Williarns (1955:198) und Güttgemans (197~ schulden wir die folgenden zutreffenden Bemerkungen: die Tatsache, daß die Annahme dieses Punktes nicht unbedingt ein ontologisches Argument bildet, und den Beweis dafür, daß sie nicht notwendigerweise zu einer Doktrin der Offenbarung führt.
2 Die Angaben der Untersuchung, worauf sich dieser Essay stützt, berufen sich auf eine Auswahl von mehr als 800.000 Wörtern aus populärtheologischen Texten in Englisch, die zwischen 1960 und 1970 erschienen. Die Beispiele aus diesen Werken werden durch ein Kürzel und die darauf folgende Nummer der Seite gekennzeichnet. - Ein Sigelverzeichnis ist in der Beilage zu finden, damit die Auszüge, die wir in den meisten Fällen unübersetzt gelassen haben, leichter lokalisiert werden können.
73 0.2. Von dem Wortschatz, von der Syntax und von der Graphemik abgesehen, ist der charakteristischste Zug der theographischen Rede ihr Bedeutungsmodus, der dadurch bestimmt wird, daß der Begriff des Göttlichen in der Mitte der logischen Struktur steht, sei es unter irgendeiner Form oder einer Hypostase. Damit erreicht die religiöse Rede einen logischen Status, der sie von einer tastbare Objekte betreffenden Rede unterscheidet, während die Logik der metaphysischen bzw. poetischen Ausdrücke nicht von vornherein ausgeschlossen scheint - vorausgesetzt, daß ihr Erkenntniswert bestimmt werden kann. Die religiöse Rede nach Kriterien, die für die Realwissenschaften gemeint waren, zu beurteilen, war der Fehler der Positivisten und der Empiriker. Ihre Weigerung, den theologischen Aussagen (und daher jeder metaphysischen Aussage) eine apophantische Geltung zu verleihen, und die Ablehnung dieser Ausdrücke als unpassenden Sprachgebrauch, gründeten sie auf die Unmöglichkeit, die Wahrheit bzw. die Falschheit dieser Aussagen an Hand von empirischen Angaben (und nicht von der religiösen Erfahrung, die ja, weil sie persönlich ist, weder mitteilbar noch nachprüfbar ist), oder an Hand eines der objektiven Welt entsprechenden Sachbestand zu beweisen. Daher die Frage, ob eine Aussage über Gott überhaupt einen Sinn habe. 0.3. Die Schlußfolgerung der Positivisten brachte die Philosophen dazu, eine Antwort im Sinne eine,s anderen Referenzmodus als dem der wörtlichen, eindeutigen Rede zu finden. Die ersten Versuche scheiterten aber, weil sie lediglich zu atheistischen Herabsetzungen führten, welche die problematischen Ausssagen zur einfachen poetischen und stimmungsvollen Rede umwerteten, zur ''nützlichen Fiktion" also, die eine Einstellung der Welt gegenüber oder eine Aufforderung zu einer bestimmten Lebensweise widerspiegelte.
74 Damit man der religiösen Rede irgendeinen Wert als ~tteilungsmodus gewähren kann, müssen die Aussagen einer bestimmten Logik entsprechen, einer Logik also, die verstanden und beschrieben werden kann - sonst wird die Rede zu einer hermetischen und nicht mitteilbaren Privatsprache.
Um diese Logik umgrenzen und beschreiben zu können, lohnt es sich, 1) die verschiedenen Verhältnisse zwischen der Sprache und der aus dem Standpunkt der Theologen betrachteten göttlichen Wirklichkeit, und 2) die Einwirkung jeder dieser Hypothesen auf die Möglichkeiten und auf den Wert der religiösen Rede zu untersuchen. Danach werden wir uns bemühen, einen Bedeutungsmodus zu formulieren, welcher den von der theographischen Rede gestellten Bedingungen entsprechen könnte. Endlich werden wir versuchen, die im Rahmen der anderen Systeme gemachten Fehler, die zur linguistischen Verwirrung OWesenszug der Theologien der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts!) führten, im Sinne der Nichtanerkennung bestimmter Aspekte dieser Logik zu erklären. 0.4.1. Der Erklärungsversuch, der ein wörtliches, eindeutiges Verhältnis
zwischen dem lVort und der Wirklichkeit voraussetzt, stellt sich der positivistischen Kritik bloß. Nachdem A. McIntyre (1957:179) alle möglichen Antworten dank einer offenkundigen Unsinnigkeit des Sprachgebrauchs grundsätzlich ausgeschlossen hat, stellt er die folgende Frage: 'Wenn die Rede über Gott nicht im wörtlichen Sinn verstanden werden soll, wie muß man sie dann begreifen?" Diese zu enge Hypothese mußte er in der zweiten Auflage von Metaphysical Beliefs (1970:xi) aufgeben. Wird über Gott eindeutig mittels Wörter, die sich auf menschliche Situationen beziehen, gesprochen, so wird Gott mit der alltäglichen Erfahrung gleichgestellt und er wird zu dem Status einer Person oder eines Objekts herabgesetzt, womit man den außerordentlichen qualitativen Unterschied, der das Heilige von dem Profanen trennt, negiert. Das ist ja die Eigentümlichkeit der Idolatrie: Will man nichts weiter als die wörtliche Wirklichkeit der Aussage sehen, so läuft man Gefahr, daß der übergang zu der Realität, die unter der Oberfläche der Wörter steht, vereitelt wird. 0.4.2. Die Theorie der mimetischen Beziehung zwischen Wort und Wesen, nach der die Struktur des Zeichens die des Dargestellten widerspiegelt, begeht
75 einen ähnlichen Fehler. Sie ist auch impliziert im Standpunkt von John Robinson, Autor von Gott ist Anders. Er identifiziert Gott durch ein Geistesbild, das dazu neigt, die göttliche Wirklichkeit im menschlichen Maßstab zu verankern. Das Bild selbst könnte aber zu einem Abgott werden, und müßte den "Tod von tausend Bezeichnungen" über sich ergehen lassen, damit es akzeptabel bleibt. 0.4.3. Eine dritte Möglichkeit wäre der Gebrauch einer "senkrecht von oben" gegebenen Sprache, die unmittelbar auf die göttliche Wirklichkeit anwendbar wäre - was an sich nur im Rahmen einer Theologie der Offenbarung möglich wäre, die behauptet, Gott spreche direkt zu dem Menschen. ~ittgemans' Theorie (1973:114 sq.), die deutlich zeigt, daß der Mensch für eine solche Rede nicht kompetent sein könnte, wird durch den folgenden Beweis verstärkt: Wenn es möglich wäre, über Gott zu sprechen mit Wörtern, die durch ihre gewöhnlichen Bedeutungen nicht "kontaminiert" wären, würde der Mensch unfähig sein, ihnen einen verständlichen Inhalt zuzuschreiben, da er dann den Wert dieser Wörter im Verhältnis zu ihrem menschlichen Gebrauch nicht feststellen könnte. 0.4.4. Die üblichste Beschreibung des strittigen Verhältnisses verwendete die Theorie der Analogie; aber die Schwierigkeit, die dieser logische Modus entstehen läßt, besteht für den Linguisten darin, daß man in der Seinsordnung mit der Wirklichkeit Gottes als Primäranalogie anfängt, um dann durch einen logischen "Sprung" in den Bereich der menschlichen Rede zu landen. So genügt die Attributionsanalogie nicht, um die theographische Rede zu erklären, weil sie uns von der realen Bedeutung der Gott betreffenden Wörter nichts berichten kann, ohne sich auf eine außerlinguistische Erkenntnis oder Offenbarungstheorie zu stützen. Auf der anderen Seite hat die Analogie der Proportionalität eine Pseudo-Gleichung als Basis, da sie zwei unbekannte Größen enthält. Die Fähigkeit, die Bedeutung eines Wortes auf der menschlichen Ebene davon abzuleiten, würde die Kenntnis von wenigstens einer eindeutigen Wahrheit über Gott verlangen.
76 In der Erkenntnisordnung dagegen geht die Bewegung in umgekehrter Richtung, d.h. von der sekundären Analogie (von der menschlichen Wirklichkeit) zur primären Analogie (nach der göttlichen Wirklichkeit), was für den Linguisten in Beziehung zu den metaphorischen Verfahren steht. Dem Theologen kommt es dann zu, passende von unpassenden Bezeichnungen zu unterscheiden, aber der LingUist hat für diese Unterscheidung kein Interesse, da das übertragungsverfahren genau dasselbe bleibt. Was die Analogie angeht, werden wir uns den fonnalen Aspekt merken, welcher den Gebrauch von bestimmten Wörtern, die ihren eigentlichen Sinn in einem anderen Bereich haben, in der theographischen Rede bestimmt. 0.4.5. I.T. Ramsey (1957) hat sich um die Wahl der menschlichen Rede als Ausgangspunkt verdient gemacht. Er hat übrigens versucht, die Macht dieser Rede über ihre üblichen Grenzen hinaus zu erweitern. Ramsay meint, die theologische Rede wirke nach einer Logik der 'Trschließung" (disclosure). Ein Modell, d.h. ein Wort, das sich auf eine Situation oder auf einen dem Benutzer vertrauten Begriff bezieht, wird durch einen "Qualifier" abgeändert, durch eine Art Umstellungsfaktor, der das Modell befähigen soll, eine Beziehung zu den göttlichen Kategorien einzuschließen. Die Theorie hat für den Linguisten einen bestimmten Reiz in dem Sinne, daß sie sich auf den gewöhnlichen, und daher auch zugänglichen Bedeutungen der Wörter stützt. Vier Argumente jedoch, woraus wir uns drei merken werden, sollten wir zunächst bedenken. Die erste Kritik betrifft das Modell selbst. Man könnte behaupten, die Theorie setze ein Abbildverhältnis zwischen dem Wort und seiner Bezeichnung voraus und könnte daher eine Verdrehung der Realität verursachen. Ramsey hat auf diesen Einwand eine befriedigende Antwort gebracht: er unterscheidet die Modelle im verkleinerten Maßstab (die dem Einwand unterworfen sind) von den Erschließungsmodellen, welche keinen Anspruch auf eindeutige Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten erheben (cf. der Unterschied zwischen Allegorie und Gleichnis, der auf einer ähnlichen Unterscheidung beruht); er spricht weiter für eine mit vielfältigen Modellen
77 versehene Rede, in der sich die verschiedenen MOdelle so ergänzen, daß ihre jeweiligen Abgrenzungen aufgehoben werden. Unser zweiter Einwand betrifft den "QuaUfier". Für die Adjektive und für die Adverbien, die er hier als Beispiele zitiert, fordert Ramsey eine logische und semantische Macht, die über ihren gewöhnlichen Status reichen würde. Jedoch gehören sie wie die entsprechenden MOdelle zur Ungangssprache, und es ist nicht klar, warum - wenn diese besondere Logik erst mal angenommen worden ist - die Modelle selbst in ihrem religiösen Kontext nicht zu der Erschließungssituation führen könnten, und warum die "Qualifier" dafür geeigneter sein würden, den Benutzer dazu zu führen. Die Idee der ErsahUeßung selbst bedarf der Bestätigung. Wir verwerfen nicht - eher im Gegenteil - die Möglichkeit, daß ein neuer Bedeutungsmodus aus einem auf der wörtlichen Ebene scheinbaren Unsinn hervorbrechen könnte. Das ist tatsächlich die EigentümUahkeit der metaphoPisahen Logik. die durch ein linguistisches Mittel versucht, zu einer Identifikation zu kommen, welche einen besonderen Aspekt des Subjekts beleuchtet, damit eine "Erkennung" der gemeinsamen Züge begünstigt wird - wie man die ''Pointe'' von einem Wi tz oder von einem Wortspiel erkennt. Nach Ramsey kann der Sprecher die Erschließung (disaZosupe) nicht kontrollieren. Vernünftig genug, da nicht jeder Mensch für denselben Zweideutigkeitsmodus
~find
lich ist. Der Linguist kann aber mit Ramsey nicht einverstanden sein, wenn dieser die Erschließung der göttlichen Initiative zuschreibt (1957:79). Daß die menschliche Rede Gott nicht "vorlegen" kann, indem sie ein MOdell und einen "Qualifier" zusammenstellt, ist normal. Sonst wäre es als "semantische Zauberei" zu bezeichnen (ibid.). Außer wenn der semantische Inhal t der Rede Teil der menschlichen Kompetenz ist, wird der Mensch kein Mittel haben, Gott betreffende Aussagen zu verstehen oder - aus demselben GrUnd - zu erstellen. Die Theorie von Ramsey leidet schließlich darunter, daß sie sich auf einer induktiven phiZosophisahen BetPaahtung basiert statt auf einer Wahrnehmung des linguistischen Gebrauchs. Die Theorie hätte an Wert gewonnen,
78 wenn sie der Natur und dem Wert der Modelle u.a. in der doktrinalen und biblischen Tradition mehr Andacht gewidmet hätte. In der aktuellen Form der Theorie entfliehen zu viel problematische Aussagen ihrer Macht. 1.0. Wir schlagen folgendes vor, und wir werden die Hypothese verteidigen, daß eine Metaphertheorie - unter einigen festgelegten Vorbehalten - als
befriedigende Abgrenzung des semantisch-logischen Verhältnisses zwischen dem Göttlichen (Hypostasen, Taten, und göttliche Attribute, die Verhältnisse zwischen dem Göttlichen und dem Menschen) auf der einen Seite und seiner menschlichen Ausdrucksweise auf der anderen dienen kann. Wir hoffen, zu beweisen, daß dieser Bedeutungsmodus mit den zur Gültigkeit und zum Verständnis eines religiösen Ausdrucks festgestellten Bedingungen übereinstimmt. 1.1. Unsere Untersuchung beschränkt sich auf die Beispiele von Raummetaphern, was sich durch deren Häufigkeit und wesentlichen Charakter als berechtigt begründen läßt, ohne daß allerdings diese Beschränkung unsere Beweisführungen im Allgemeinen entwertet. Ein paar Beispiele aus unserem Korpus werden uns als Ausgangspunkt dienen. Although God is far above us, He is also at work in the whole of our lives (SAA 167). God ..• existing alongside and over against his creation (HTG 30). Christ liveth in me (RFTC 71). Christ is seated at the right hand of God the father (LWQ 80). God is higher than the highest (LWQ 21). God is the Beyond discovered in the depth of existence (ION 7). The des cent of God to the human level (RFTC 145). The Word comes from the very heart of God (PGG 112). Trotz der Verschiedenheit der Funktionen, die diese Beispiele darstellen, veranlassen sie uns, eines festzustellen: eine Art von Erfahrung (das Göttliche, das übernatürliche, das Ganz Andere) wird mittels Wörtern oder mittels Charakteristiken, welche zu einern anderen Erfahrungsrang gehören (dem Raum, der Welt, dem Geläufigen) wiedergegeben oder interpretiert.
79 Diese Charakterisierung, obwohl sie auf den einfachsten und gewöhnlichsten Ausdruck gebracht worden ist, veranIaßt uns, die zwei Basiskonstituenten einer Metapher zu erkennen: das Signifikatum, d.h. eine Idee oder eine ausgesprochene Erfahrung, und das Signifikans, d.h. ein Wort, das die Idee wiedergibt oder betrifft, und das von einer anderen Denk- oder Erfahrungskategorie entlehnt worden ist. 1.2. Insoweit hat derjenige, der die verschiedenen Aspekte des metaphorischen Ausdrucks und die Verhältnisse zwischen den erkannten Elementen beschreiben will, zwei Möglichkeiten 3: die Frage kann vom Standpunkt des "Signifikatum" oder des "Signifikans" behandelt werden. Die eine ~ethode ist ebenso gültig wie die andere. Aber die zweite scheint uns mehr Vorzüge zu haben, weil sie erlaubt, sich nach der bis jetzt verfolgten Ordnung zu richten. Sie hat ja auch den Vorteil, daß sie die klassische, doch manchmal trügerische, Unterscheidung zwischen Tenor und Vehicle (Richards 1936, 1965 2: 96, 118, 134) nicht erfordert. 1.3.0. Wenn man eine Aussage als Metapher anerkennt, versteht man darunter, daß wenigstens ein Wort metaphorisch gebraucht ist. Max Black (1962:27)
nennt es Focus. In "God is the foundation of life" (EIG 134), ist foundation der Focus der Metapher. (Mit Absicht ist eine sehr einfache Form gewählt worden. Eine syntaktische Untersuchung, welche die für diesen Essay gelegte Grenze überschreitet, zeigt, daß die theographischen Ausdrücke oft um mehrere Foci gebaut sind, und unter einer Menge von anderen Formen als der der einfachen Prädikation erscheinen). Der Focus hat zwei Referenzen: die eine (das Subsidiärsubjekt) ist ein Verhältnis, ein Ort, ein Objekt; in diesem Falle z.B. der Unterbau eines Gebäudes. Die andere (das Hauptsubjekt) besteht aus einem Verhältnis zwischen Gott und dem Leben. Diese dOppelte Referenz (Plurisignation bei lVheelwright 1962:57-63) ist eine erste wesentliche Bedingung für das Bestehen einer Hetapher. Das Subsidiärsubjekt und das Hauptsubjekt müssen verschieden sein, sonst ergibt sich eine Tautologie (wenn A, B ist und B nicht verschieden von A, dann ist A ~ A.) Dieser Unterschied ist dergestalt, daß eine eindeutige Lektüre des Focus in seinem neuen Kontext, wie es Hungerland sagt, (1958 3 Zu den für die Gleichwertigkeit der zwei Methoden notwendigen Bedingungen siehe Burgess 1972:358.
80
:108-110) ein Abweichen oder eine übertretung von einem Grundsatz des Norrnalgebrauchs ergibt. Dieser Begriff legt die Grundlage für eine große Anzahl sowohl philosophischer wie linguistischer Metapherdefinitionen, in welchem diese anerkennen, daß der Focus als "unpassend" zu seinem Kontext oder als ihm logisch entgegengestellt erscheint, also als "semantische Irrelevanz", als Abbruch der Isotopie, d.h. der Zusammengehörigkeit des Textes. Aber alles hängt davon ab, was man unter "Abweichen" und ''Normalgebrauch'' versteht. Obwohl die Charakterisierung bestimmter Aussagen als abweichende Sätze auf der semantisch-syntaktischen Ebene den Mechanismus einer bedeutenden Anzahl von metaphorischen Ausdrücken erläutert, sind diese Bedingungen weder genügend noch notwendig. Die von verschiedenen neueren Forschungen und von den Angaben einer von unserem Korpus unterstützten Untersuchung von Brooke-Rose (1958) zeigt, daß die metaphorischen Aussagen übliche syntaktische Elemente verwenden4 . 1.3.1. Die auf dem Prinzip des semantischen Abweichens gegründete Beschreibungen bieten dagegen einen positiven Beitrag in dem Sinn, daß sie den Begriff des Normalgebrauchs erweitern; sie behaupten, eine semantische Theorie solle über etwas anderes als über banale und humor10se Prosa berichten können, eben auch über die Fülle, in denen die semantischen Regeln scheinbar überschrittmworden sind, ohne daß die übertretende Aussage dafür verworfen wird, unter dem Vorwand, sie hätte keinen Sinn - wie es nach der Theorie von Fodor und Katz (1964:497-8) der Fall sein würde. Aber obwohl die Obertragungsregeln von Weinreich (1966:399 sq.) und von Leech (1969:89-90) erlauben, semantisch abweichende Aussagen zu interpretieren, enthalten sie jedoch den Abnorrnalitätsbegriff von 4 In dem üblichen Sinn des Worts Syntax, wo die Selektions- und Kategorisationsregel nicht eingeschlossen sind. Die Chomsky-Schule u.a. hat sich die Frage gestellt, ob diese Regeln als syntaktisch oder semantisch betrachtet werden sollen.
81 Fodor und Katz, der sich zwar auf Sätze außerhalb eines Kontext beschränkt, und der deshalb die Wahrheitsbedingungen nicht berücksichtigt. übrigens - das Korpus bringt dafür Beweise, obwohl sie sporadisch sind: nicht alle Metaphen sind durch das semantische Abweichen definierbar; und umgekehrt wurde zutreffend bemerkt, daß die semantisch abweichenden Aussagen nur dann eine Metapher bilden, wenn die Absicht dazu besteht, d.h. in einem geeigneten linguistischen oder pragmatischen Kontext. 1.3.2. Das Abweichen oder das überschreiten, das ein metaphorisches Wort begeht, muß also auf einem anderen Gebiet gesucht werden. Die Aussage kann in einem logischen, apophantischen Sinn "falsch" sein, weil sie die Grenzen der Kategorien überschreitet. So geben die Ausdrücke heart of God(PGC 112), place of God (EIG 103), the emptying of Christ (FCS 23) eine Form oder eine räumliche Qualität für eine nicht materielle Entität an und begehen daher etwas, was Ryle (1949:8) einen Kategorienfehler nennt: die Darstellung von Tatsachen, die in eine Kategorie oder eine Situation gehören, durch ein einer anderen Kategorie angehörendes Idiom. Dieses Abweichen unterscheidet sich von dem semantischen Abweichen dadurch, daß er auch für Ausdrücke innerhalb eines Kontextes gilt und daher die Wahrheitsbedingungen in Erwägung zieht. 1.3.3. Die Aussage kann sich als "absurd" in einem positivistischen Sinn bezeichnen lassen, da keine objektive Erfahrung der eindeutigen Lektüre entspricht. So wird "the polar circle of the mind" (RFTC 180) demjenigen, der eine runde Gestalt sucht, unsichtbar, und kann "the nearness of God" (SC 29) nicht durch den Ausdruck einer meßbaren Entfernung wiedergegeben werden. 1.3.4. Eine letzte Form des überschreitens betrifft einen Ausdruck, der keine Absurdität auf der wörtlichen Ebene verursacht, der sich aber als unzutreffend in einem pragmatischen Sinne erweist, da es sich nicht um die Dinge handelt, welche die eine eindeutige Lektüre des Focus erkennen läßt. ''My Father who is in heaven" (PGC 105) sieht so gleichartig und so korrekt aus wie "meine Mutter, die in der Küche ist". Jedoch gibt es in der ersten Aussage keine Lokalisierung einer Person wie in der zweiten, da sich die Kategorien von Persönlichkeit und Lokalisierung nicht wörtlich auf die nicht inkarnierten Hypostasen des Göttlichen,
82 das Hauptsubjekt von Father beziehen. Das gilt auch für "to follow Christ" (SDS 109) oder für "Jesus living among us as one of us" (GIP 31), die in einer heutigen Situation zeitlich und körperlich unmöglich sind. 1.3.5. Wenn wir diese verschiedenen Bemerkungen zusannnenfassen, müssen wir daraus schließen, daß das überschreiten der sortalen (d.h. der semantischlogischen) und/oder pragmatischen Regeln und in diesem Sinne der }1itteilun~s (d.h. Qualitäts-, Verhältnis- und Modalitäts-) Prinzipien (Grice 1975, van Noppen 1977) ein nou<endiges, aber nicht genügendes Element der Definition von metaphorischen Aussagen bildet. 1.3.6. Wenn dieses Prinzip für die Definition ausreichend wäre, wäre die Aussage "einfach absurd" und verlöre jede? kognitiven Mitteilungswert, während man ja einen "sinnvollen Selbstwiderspruch" erstrebt (Beardsley 1958:141). Dabei wird eine Absurdität auf der eindeutigen Ebene den Leser zu einer Interpretation auf der metaphorischen Ebene auffordern, wenn man sie unter geeigneten pragmatischen Umständen und in einen passenden Kontext hineinstellt. Die metaphorische Lektüre kann als die Alternative erscheinen, die wahrscheinlicher ist als die Absurdität: Es ist nicht üblich, Christus als "durchsichtig" (HIG 73) oder als ein "Fenster" (HIG 128) zu bezeichnen. Aber der Widerspruch ist so groß, daß eine eindeutiRe Lektüre höchst unwahrscheinlich wird, und der Leser wird dazu gezwungen, den Sinn auf einer anderen Ebene als der der unmittelbaren Referenz zu suchen. In diesem besonderen Fall werden die traditionellen Bilder von Gott-aIs-Licht und Verständnis-aIs-Sehen die Richtung andeuten, die man einschlagen soll. Was die Semantik angeht, ist das Verfahren in den schon erwähnten übertragungsregeln von Leech anerkannt, die "den ungewöhnlichen Sinn von dem üblichen Sinn ableiten". Sie müssen aber über die Grenzen der Aussage erweitert werden, damit auch durch den Kontext geprägte Metaphern gedeckt werden. In der Pragmatik sind von van Dijk (1975:175) und Bendix (1971: 406) entsprechende Regeln formuliert worden, und zwar gehen sie von dem kommunikativen übertragungsprinzip aus, das feststellt, der Zuhörer versuche einen Sinn selbst in den Sätzen zu finden, welche ihm auf den ersten
83 Blick absurd oder widersinnig erscheinen. In der Logik und in der Philosophie schließlich wurde ein ähnliches Prinzip von Beardsley (1950:138140) formuliert in seiner Kontroversionstheorie: Der Leser setzt sich über den scheinbaren Widerspruch hinweg und interpretiert ihn indirekt nach dem Prinzip, daß der Autor sich zu widersprechen scheint, aber daß er nichts sagen würde, wenn er nichts Sinnvolles zu sagen hätte. 1.4.1. Damit der Ausdruck als signifikative Einheit verstanden werden kann, müssen das Subsidiärsubjekt und das Hauptsubjekt nicht nur dem schon erwähnten Unterschiedsverhältnis, sondern auch einem Assimilationsprinzip entsprechen. Verschiedene Theorien und Klassifizierungen sind aufgrund dieser Bedingung vorgeschlagen worden und sind unserer Aufmerksamkeit wert. 1.4.2. Wenn die Assimilation beider Subjekte sich auf ein vorgehendes Wesens- oder Angrenzungsverhältnis stützt, handelt es sich um Metonymie. Der besondere Status der Unterscheidung zwischen Metapher und Metonymie in den theographischen Ausdrücken wird uns später noch beschäftigen. Wenn es sich dagegen um ein Ahnlichkeits- oder Anwendbarkeitsverhältnis handelt - sei es dem Ausdruck vorgehend oder inhärent werden wir es Metapher nennen. Aber die zwei Wörter, die wir verwenden, um diese Bedingungen zu bezeichnen, müssen näher bestimmt werden, um zu vermeiden, daß man ihnen mehr zuschreiben könnte, als sie ausdrücken wollen. 1.4.3. Das J{hnlichkeitsverhältnis, zunächst, charakterisiert nicht unbedingt die Metapher als Vergleichsform (Simile), die bis zur übereinstimmung zusammengepreßt oder elidiert gewesen wäre. Diese Schlußfolgerung könnte aber anregen, daß die Ähnlichkeit dem Ausdruck immer vorangeht (was nur für die Epiphore - cf. infra - der Fall ist), und sie könnte so die Umstandsmetapher ausschließen, deren Basis für die Assimilation nicht die Ähnlichkeit der beiden Subjekte ist, sondern der l~ch, dieselbe Gefühlsreaktion zu erzeugen. Auch könnte sie mit zuviel Nachdruck die Frage der "Angemessenheit" des Subsidiärsubjektes stellen.
84 Dieselbe Frage wird durch das zweite Wort, "Anwendbarkeit", aufgeworfen (obwohl die Wahl schon aus den erwähnten Gründen besser ist als die von "Ähnlichkeit"): Wenn die Metapher als Vergleich aufgefaßt wird, kann man sich fragen, ob der Vergleich "angemessen" oder "an den Haaren herbeigezogen" sei. Was die Theographie angeht, sind die Meinungen besonders verschieden: Kann man Gott Mutter, Sklaven, Faschisten nennen ebenso wie Vater, Herrn, König? (McIntyre 1957:175, Edwards 1965:206) Die Frage ist, unserer Meinung nach, falsch gestellt: Die Berechtigung einer Metapher kann man nicht nach dem Geschmack oder der Vorliebe eines Kritikers beurteilen, sondern vor allem in bezug auf die Idee, die sie ausdrücken soll. Sicher können sehr unübliche Begriffe von Gott (bei den Feministen, Cf. Daly 1968:138 sq., 1973:19; oder bei den Schwarzen aus Süd-Afrika, Cf. Moore 1973:18-28) erstaunliche Bilder entstehen lassen. Eine Metapher kann als für den Gebrauch ungeeignet verworfen werden, wenn das Bild, das sie hervorruft, nicht der Hauptidee untergeordnet bleibt und die Wahrheit verunstalten könnte. Aber ihre Fähigkeit, eine Idee mitzuteilen, kann jedenfalls durch die soziale 2ustimmung geprüft werden, welche dazu neigen wird, die sich dem Verständnis widersetzende Metapher zu beseitigen5 . Trotz der Vorbehalte, die wir gemacht haben, hat die Ähnlichkeitstheorie etwas Gutes: Sie betont tatsächlich die "Dualität" der Metapher QMooij 1976:37), d.h. die Tatsache, daß die Beziehung des Focus zu seiner wörtlichen Erweiterung nicht zugunsten seiner metaphorischen Referenz verdrängt wird, sondern ganz erhalten bleibt. Wir werden später unsere Zustimmung zur dualistischen Theorie begründen, um die theographische Metapher zu erklären. 1.4.4. Die Verbindung einer wörtlichen Absurdität mit einem Assimilierungs-
prinzip ergibt ein Verhältnis, das Berggren (1962:238) Spannung (Tension) nannte, ein unsicheres Gleichgewicht zwischen Unsinn und Wortredundanz. Die Tatsache, daß der Spannungsgrad nicht immer gleich ist, wird durch etwas angezeigt, was wir absichtlich den metaphorischen "Rahmen" genannt haben, und durch die "toten" r-Ietaphern. Das Wort "Rahmen" verwenden wir. 5 In zwei anderen Publikationen (van Noppen 1976, 1979) haben wir eine Methode vorgeschlagen und ausgearbeitet, die es erlaubt, den Grad von Zustimmung zu bestimmten theopraphischen Bildern zu messen.
85 um Fälle zu bezeichnen, wo die in der wörtlichen Lektüre liegende Absurdität durch den unmittelbaren KOntext widerrufen oder gemäßigt wird. Wenn man annimmt, daß von einem post-mortem Zustand als von einem Ort (Heaven) gesprochen wird, kann man sich durch Lokalisierungswörter, sogar durch Dbnensionsbegriffe, darauf weiter berufen, ohne daß sich die Frage ihrer räumlichen Existenz stellt. Wenn man Wahrheit und Tiefe (Depth) verbindet, werden Ausdrücke wie "digging deeper" (EIG 10), "sounding the depths" (PGC 327, LWQ 52) oder ''bringing the truth to the surface" (l'IIG 110) weniger erstaunlich. Die Bilder "digging", "sounding" und sogar "surface" bleiben der Basiskategorie "Depth" untergeordnet. 1.4.5. Wenn die Referenz zum Hauptsubjekt allgemein angenommen ist unter anderem durch den häufigen Gebrauch des Bildes - kann der Focus seine ursprüngliche Bezeichnung verlieren und zum einfachen Ersatz des Hauptsubjekts werden. In diesem Fall wird die Assimilierung vollständig, die Spannung verschwindet und eins der Wörter wird überflüssig. Eine "tote" Metapher kann trotzdem in einem bestimmten KOntext wiedererweckt werden. Das ist der Fall für "Ground" bei Tillich, d.h. ein Wort, das mit großem G geschrieben, Gott als Substanz bezeichnet (HTG 58, EIG 134). Der Zugang zu diesem Sinnumfang bleibt dem, der dem Wort den gewöhnlichen übertragenen Sinn zuschreibt, versperrt (KYFI 6). Das Risiko einer verminderten Spannung ist doppelt: auf der einen Seite kann die Abwesenheit einer auffälligen Absurdität im Rahmen der Aussage den ahnungslosen Leser zu einer wörtlichen Interpretation führen. Auf der anderen Seite, wenn man die Idee des Rahmens bis zum Äußersten treibt, könnte man dazu neigen, alle ~1etaphern auf ein paar Basiskategorien zurückzuführen. Während das Verfahren für die Klassifizierung der "Signifikanten" nützlich sein kann, muß man die Wahnvorstellung aufgeben, daß die Struktur des lexikalischen Materials eine entsprechende Struktur auf der Ebene des "Signifikatum" widerspiegelt. Wir kommen später auf diese beiden Interpretationsfehler zurück. 1.5.0 Die Mechanismen der metaphorischen Assimilationen sind auf verschiedenen Weisen eingeteilt worden:
86 a) nach der Art der Ähnlichkeit; b) nach der Richtung der Referenzübertragung; und c) nach der Referenzfähigkeit des Focus. 1.5.1. Douglas Berggren (1962:241 sq.) nennt unter den Assimilationsprinzipien die häufigsten (obwohl die Abgrenzung zwischen den Kategorien nicht immer deutlich ist):
- den Formvergleich, der sich auf eine gewöhnliche und wahrnehmbare Ähnlichkeit stützt (hawk-nose). In unserem Korpus, in dem das Hauptsubjekt fast immer geistig ist, fehlt diese Assimilationsart. - die Strukturmetapher, in der ein Verhältnisvergleich oder eine Analogie mit vier Gliedern ~ausgesprochen oder ausdrücklich immer anwesend ist, erlaubt es, daß ein lVort der einen Proportion durch das entsprechende Wort in der anderen ersetzt wird. Der Beispiel "God is the pole, the point around which all our existence pivots" (EIG 74) kann so analysiert werden: Unsere Existenz bezieht sich auf Gott, genau so wie eine (kreisförrnige) Bewegung sich auf ihren Drehpunkt (Pol) bezieht. Der Vergleich wird durch eine Identität ersetzt, und man erkennt die Neigung, die Metapher als verkürztes Simile zu betrachten. Der Vergleich zwischen den Subjekten oder zwischen den Aussagen ist nicht immer so deutlich wie bei EIG 74, wo die Erläuterung durch den darauf folgenden Satz gegeben wird. Die Assimilation kann sich auf eine Anzahl von zwangsläufigen, d.h. urbildlichen, kulturell bedingten oder ganz einfach als üblich angenommenen Verbindungen stützen. Die Erläuterung der theographischen Bilder wird natürlich auch die jüdischchristliche, biblische oder dogmatische Herkunft der im Zusrucrmenhang mit dem Ausdruck des Göttlichen stehenden Wörter berücksichtigen müssen. - die Bezeichnung Texturmetapher gilt nur für J1etaphern, deren Assimilationsprinzip kein Vergleich oder keine Verhältnis- oder Strukturalähnlichkeit ist, sondern eine Qualität, ein lVert oder eine "Gefühls ladung" , die von einern Wort zu den anderen übertragen wird.
87 Während der Gebrauch von Strukturverhältnissen für die Konstruktion realwissenschaftlicher Modelle besonders geeignet ist, ist die Verbindung durch Gefühlswerte (ein unvermeidlich subjektiveres Verfahren) eine für die Bildung von poetischen Bildern oft verwendete Technik. Der Basis von Texturmetaphern besteht aus empathischen, synästhetischen oder kinästhetischen Eigenschaften (echoing light, surging mountains). Die Raummetaphern sind textural, wenn ein Ort, eine Größe oder eine Raumqualität verwendet wird, um einen Wert anzudeuten, der sich nicht aus seinen topologischen, dimensionalen, oder geometrischen Eigenschaften deduzieren läßt. Wenn man von "full life" (SDS 74) oder von "full and loving relationships" (SDS 169) spricht, könnte man behaupten, daß das Leben und die Beziehungen als Behälter aufgefaßt werden, die einen Inhalt oder wenigstens eine Inhaltsfähigkeit haben. Die Konnotate "überfluß, Zufriedenheit, Vollkommenheit" (oder irgend ein anderes verlockendes Äquivalent), die mit der Fülle verbunden werden, hängen nicht von dieser Assimilation ab. Auch hier gehören eine Anzahl von Texturen (z.B. Stellung für Wichtigkeit, Bewegung vorwärts für positive Entwicklung, PGC 257, GCW 39) den gemeinsamen Konnotaten oder bedingten Verbindungen an (associated commonplaces, staple connatations, siehe Beardsley 1962:300, .Black 1962:43). Die Grenze zwischen Textur- und Strukturmetapher verschwindet, wenn die beiden Mechanismen gleichzeitig wirken, um eine neue Bedeutung zu ergeben, die einen Gefühlswert auf eine strukturelle Beziehung projiziert. Die Dimensionen Höhe und Tiefe, die beide die Idee einer bestimmten materiellen Wirklichkeit hervorrufen, illustrieren deutlich dieses Phänomen. Die Erläuterung einer Aussage wie "God is the deep Centre" (EIG 117) wird sich auf die topologischen und geometrischen Eigenschaften der Verhältnisse Tiefe/Oberfläche und Mittelpunkt/Peripherie berufen, aber auch auf die Gemütswerte der Tiefe (das Allerwichtigste, das Geistige, das absolut Wahre) und der Innerlichkeit (Wesenheit, Vertraulichkeit, Immanenz). Diese Verbindungen sind intuitiv, archetypisch und widerstehen der Rationalisierung, obwohl die anthropologischen und psychologischen Beiträge von Eliade, Bachelard, Bevan usw. sehr nützlich sein können; aber die Erläuterungen, die diese Bedeutungsdimension vernachlässigen, sind zum
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Scheitern verurteilt, weil sie dazu neigen, die strukturellen Abgrenzungen der Bilder zu unterstreichen, statt ihre suggestive Wirkung zu bewerten. 1.5.2. In den meisten Fällen wirken die erwähnten Prinzipien nach einem unter den Namen Epiphore bekannten Obertragungsmodus, indem die gemeinsam angenommene Referenz des Subsidiärsubjekts auf das Hauptsubjekt übertragen wird. In der Diaphore dagegen geht die Bewegung in umgekehrter Richtung: es besteht keine dem Ausdruck vorhergehende Ähnlichkeit, sondern eine durch die Metapher selbst hervorgerufene Assimilation. Die Eigenschaften oder die Eigentümlichkeiten des Hauptsubjekts werden übertragen, etwa projiziert zu einem Subsidiärsubjekt, das sich als geeigneter Träger des gemeinten Sinnes erweist. Wenn es sich um ein ewiges Leben im Himmel handelt (TR 29, 30), übernimmt der Ort durch die Metapher die Konnotate (ewiges Glück, Vereinigung mit dem Göttlichen, usw.), die seinen topologischen Eigenschaften fremd sind, was aber nicht heißt, daß die Wahl des Subjektes in diesen Fällen willkürlich ist: das Subjekt kann so gewählt werden, daß ein Aspekt des Hauptsubjekts beleuchtet wird, der sonst unbemerkt bleiben würde. 1.5.3. Zum Schluß unterscheidet Mooij (1976:31 sq.) monistische und dualistische Metaphertheorien. Nach den ersten verliert der Focus seine gewöhnliche (d.h. wörtliche) Referenzfähigkeit und bekommt statt dessen eine andere Referenz. Das ist der Fall bei Konnotattheorien, nach denen der Focus nur ein Teil der wörtlichen Bedeutung erwähnt; das ist der Fall bei Ersatztheorien, nach denen der Focus das Hauptsubjekt als wörtlichen Sinn annimmt und in denen er immer paraphrasiert werden kann. Es ist noch der Fall bei intuitiven Theorien, die behaupten, daß der Sinn einer Metapher nicht aus ihren Komponenten erklärt oder abgeleitet werden kann, sondern einen besonderen intuitiven Willen oder eine äußerliche Offenbarung verlangt. Die dualistischen Theorien verteidigen dagegen die Einsicht, daß metaphorisch gebrauchte Wörter ihre normale Referenzfähigkeit behalten;
89 Sie geben daher eine wörtliche Bezeichnung und haben dazu eine metaphorische Referenz. So wird das Hauptsubjekt "durch" das Subsidiärsubjekt gesehen, welches als Filter oder Schirm wirkt, so daß die Endbedeutung aus einern gleichzeitigen ("stereoskopischen") Anschauen der beiden Subjekte erfolgt. Die nicht anwendbaren Attribute bilden den Unterschied, der eine erste Bedingung des metaphorischen Ausdrucks ist, während die (nach einern der Assirnilationsprinzipien) gegenseitig anwendbaren Charakteristiken die Bedeutung der Metapher bilden - eine neue Bedeutung also, die durch die Fusion beider Subjekte entstanden ist, und die sich in bestimmten Fällen nicht paraphrasieren läßt. Von der Frage abgesehen, ob man eine Mitteilungsform auf eine andere, in diesem Falle auf ein banales, prosaisches, um jeden Preis wörtliches Newspeak zurückführen muß, kann man behaupten, daß etwas Wesentliches während des Verfahrens verlorengehen kann, unter anderem, wenn es sich um Gefühlsmetaphern handelt, die der Rationalisierung zu widerstehen scheinen. Jeder Versuch, eine ganze Konstellation von Bedeutungen und Verbindungen in ein eindeutiges Äquivalent zusammenzudrängen, erweist sich scheinbar in einern bestimmten Stadium als erfolgslos. Black (1962:46) behauptet, daß die dualistischen Metaphern eventuell erklärt, aber nie ersetzt werden können. 1.5.4. Die dualistischen Theorien bzw. die Interaktionstheorie, nach der Subsidiär- und Hauptsubjekt eine Wirkung aufeinander haben, damit eine neue Bedeutung durch eine Fusion entsteht, sind der von uns gewählten Perspektive wegen wertvoll. Sie schreiben der ~wtapher die Fähigkeit zu, über die Möglichkeiten des wörtlichen Ausdrucks hinauszugehen, und sich daher auf die über der unmittelbaren Referenz stehenden Subjekte zu beziehen. Statt eine störende Verzierung zu sein, eine Art Lüge, welche auf trügerische und falsche Weise das ausdrückt, was deutlicher und wirksamer hätte gesagt werden können, wird die Metapher ein Mittel, die Möglichkeiten der menschlichen Sprache zu erweitern, ein ~tittel, eine Brücke zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen dem AusdTÜckbaren und dem Unausdrückbaren, zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen zu schlagen.
1.6. In diesem Sinne karm eine Metaphertheorie, so wie sie gerade aufgefaßt wurde, als nützlicher Beitrag zu dem Verständnis der theographischen Rede betrachtet werden. Wir mußten erkennen, daß die theographische Rede anderen logischen Kriterien entsprach als der einzigen eindeutigen Referenz. Eine Anzahl von Lösungsvorschlägen, in denen eine geeignete Logik bestimmt wird, erwähnen (stillschweigend oder ausdrücklich) die metaphorische Logik unter den möglichen Lösungen. Der Begriff meaningful non-propositionality von Clark (1963:374), dem wir unter den für die Positivisten gemeinten Antworten begegnet sind, entspricht genau dem in der Metaphertheorie von Beardsley erwähnten "sinnvollen Selbstwiderspruch" (1958: 141). Unsere Sprache rührt von unserer Referenz zu den Objekten und zu den Verhältnissen auf dem Gebiet der wahrnehmbaren Erfahrung her, die also nicht in ihrem normalen Sinn für etwas anwendbar ist, was nicht mit einem Objekt identifiziert werden karm. So wird das Prinzip des unterschieds zwischen Subsidiärsubjekt (in casu räumlicher Beziehung) und Gott, dem Hauptsubjekt, begründet. Die Frage, ob das Assimilationsprinzip metonymisch oder metaphorisch interpretiert werden soll, hängt von den Doktrinvorbedingungen ab: l~enn eine Wesensanalogie oder ein vorgehendes Wesensverhältnis zwischen Gott und dem Menschen, dem Menschlichen, der Schöpfung ... festgestellt ist, karm diese Beziehung als Basis und als Rechtfertigung einer theographischen Rede mit menschlichen Wörtern betrachtet werden. Oben haben wir die Gründe aufgezählt, warum wir als Linguisten diesem Standpunkt nicht zustimmen können. Diese getroffene Wahl erlaubt uns aber, die theographische Rede als eine Rede zu betrachten, die aus Wörtern besteht, welche zwar in ihrem ungewöhnlichen Sinn gebraucht werden, aber damit man trotzdem ihren Sinn an Hand von den schon festgelegten Bedeutungen ableiten karm (Cf. Ladriere 1972:194). Das Verfahren beruft sich deutlich auf eine dualistische Theorie, in der der Ausgangspunkt der Interpretation der alltägliche, anthropozentrische Sinn ist. Das Göttliche ist in bezug auf die Verhä7tnisse und Kategorien dieser Welt aufgefaßt. Diese für den Linguisten armehmbare Schlußfolgerung karm aber den Theologen und den Philosophen beunruhigen.
91 1.7.0. Der Theologe wird einwenden: Wenn der Mensch so denkt, könnte er nach einen Gott seinem Ebenbild schaffen. Das stimmt; und wir werden in den letzten Abschnitten die verschiedenen Gefahren - u.a. die Gefahr der Idolatrie - behandeln, wovor der Theograph gewarnt werden soll. 1.7.1. Der Philosoph seinerseits mag unzufrieden sein, weil die Theorie die kognitiven Zusätze der Logik, die gewählt wurde, um die theographi-
sche Rede zu bezeichnen, nicht festlegt. Er kann sich mit Recht fragen, ob und in wieweit ein metaphorischer Ausdruck, der die göttliche Wirklichkeit wiedergeben soll, für einen zu dieser Wirklichkeit passenden Ausdruck gehalten werden kann, und ob er fähig ist, eine Kenntnis des Göttlichen mitzuteilen, die irgend einen Wahrheitswert haben würde. Obwohl die Frage strikt genommen nicht mehr zu unserem Gebiet gehört, ist sie anscheinend schwer zu vermeiden: Wenn man tatsächlich dem metaphorischen Ausdruck einen kognitiven Status verweigert, läuft jede metaphorische Aussage Gefahr, als 'nur" metaphorisch, symbolisch, poetisch verworfen zu werden. Obwohl es - als Folgesatz der erwähnten Theorie - deutlich ist, daß die Wahrheit der Aussagen nicht auf der Ebene der eindeutigen Referenz gesucht werden muß (empirische Kriterien auf einen indirekten Sprachmodus zu beziehen, würde die Frage versetzen und verzögern), sollte man ihren Mitteilungswert nicht einfach so verwerfen. Während die Erläuterungen, die sich auf eine Logik des Glaubens und der Offenbarung berufen, als Ausdruck des christlichen Glaubens gelten können, sind sie von dem Gebiet des Linguisten zusehr entfernt, um eine völlig befriedigende Antwort zu ergeben. Dagegen kann der Vergleich des Gebrauchs der Modelle in den Realwissenschaften und des Gebrauchs der Hetaphern in der Theographie enthüllend sein (obwohl man bis jetzt dazu neigte, dieses Verfahren mit lVohlwollen in dem ersten Fachbereich, und mit Skeptizismus in dem zweiten zu betrachten). 1.7.2. Max Black (1962:237) verwendet für das lvissenschaftliche Denken seine Interaktionstheorie und schlägt vor, dru~ die wissenschaftlichen Modelle systematisch entwickelte Metaphern sind, welche nützlich sein können, um sich das zu merken, was sonst unbemerkt geblieben wäre, und um den Nachdruck auf bedeutsame Einzelheiten zu legen, also um neue Ver-
92 hältnisse zu entdecken. Die Wiederbeschreibung des Unbekannten, des Neuen mit Wörtern einer bereits bekannten und scheinbar ähnlichen Erfahrung wurde in den Wissenschaften ZtDll Schlüssel vieler Neuerungen. In der Theologie hat man außerhalb der analogischen und revelationistischen Traditionen dasselbe Verfahren als die einzige Alternative für das Schweigen oder fiir die Glossolalie betrachtet. So kann man in den Geisteswissenschaften ebenso wie in den Realwissenschaften die Metapher für ein nützliches Werkzeug halten, welches das Unbekannte und das Unaussprechliche gestaltet, um es zugänglich zu machen, wenn auch der Ausdruck nicht immer als hundertprozentig passend angenorranen werden kann. Man muß sich aber die Frage stellen, ob es wirklich möglich ist, die rohen, d.h. nicht interpretierbaren Tatsachen positiv auszudrücken. Für die religiöse Rede hat man diese Frage meistens negativ beantwortet, weil der Hensch von dem Verhältnis "GottMensch" nur auf der Stufe seiner eigenen Beteiligung sprechen kann: aber sogar in den Realwissenschaften hat man angefangen, die Existenz von festen Beoabachtungsangaben in Frage zu stellen. Nach der berühmten Formel von Hanson (1958) sind "alle Angaben mit Theorie geladen". Infolge des Interaktionsprinzips ist die Metapher nur zum Teil geeeignet, da sie nur die gegenseitig anwendbaren, signifikativen Charakteristiken der Subsidiär- und Hauptsubjekte hervorhebt und in ein besseres Licht rückt. Dieser Vorbehalt hat eine Anzahl von interessanten Zusätzen. Er unterstreicht zunächst auf der kognitiven Ebene den Versuchs charakter der Metapher. Sogar die wissenschaftlichen l~delle sind vorläufig, da sie auf die empirische Bestätigung bzw. Falsifikation warten. Die Frage der erfahrungs gemäßen Wahrheit der religiösen Aussagen hängt von dem Grad der Zuverläßigkeit ab, den man der religiösen Erfahrung verleiht. In dem festgestellten Rahmen scheint es jedoch zu genügen und mit der angenommenen Metaphertheorie zusammenzuhängen, wenn man sich merkt, daß, wenn die theographischen Aussagen irgendeine Kenntnis oder Erfahrung des Göttlichen mitteilen, sie sich nur auf einen Teil der ganzen Wirklichkeit beziehen können. Diese Tatsache unterstreicht die Gefahr, das Göttliche durch ein einziges Bild zu identifizieren. Daher hat Ramsey die mit verschiedenen Modellen versehene Rede (multi-model discourse) verteidigt, welche eine Reihe von Bildern enthält, die grundsätzlich denselben Fehler haben, deren
93 Summe aber zu einer Erschließungs- und Verständnissituation führen kann. Der Gebrauch von einer Menge Metaphern könnte tatsächlich die metaphorische Spannung steigern: besonders wenn zwei Bilder, die zwei verschiedene Aspekte derselben Realität beleuchten, zwei entgegengesetzten Kategorien entlehnt sind und wenn sie sich gegenseitig auszuschließen scheinen, dann entsteht ein Paradoxon bzw. ein Oxymoron, das die eindeutig Interpretation fast unmöglich macht. 1.7.3. Die kognitiven Ansprüche der theographischen Ausdrücke sind also real, aber auch bescheiden. Ihr Wahrheitswert kann nicht empirisch ~eprüft werden, da sie weder nachprüfbare Voraussagen noch Schlußfolgerungen erlauben. Er kann aber wohl im Verhältnis zu ihrer Erschließungsfähigkeit, zu ihrer Anlage die Erfahrung oder das Verständnis des Göttlichen in einer gegebenen Situation mit Erfolg mitzuteilen, geprüft werden. In dieser Hinsicht kann die soziale Zustimmung zu einem bestimmten Modell ein wertvolles Anzeichen bilden. 2.0. Zahlreiche Klagen jedoch, die den ~fungel an Strenge, Reiz, und Wert religiöser Rede betreffen (Unzufriedenheit, wovon Gott ist Anders ein Produkt eher als das Manifest war), stützen sich scheinbar nicht auf die Schwächen von bestimmten Bildern, sondern auf einen Mangel an Erkenntnis in bezug auf ihren Bedeutungsmodus. Mit der Hilfe unserer Skizze dieser Logik können wir versuchen, die linguistischen Schwierigkeiten zu erklären, welche die Besorgnis der Theologen verursachen. Trotz des unersetzbaren Wertes des metaphorischen Ausdrucks als Erweiterung der Rede riskiert die Zuflucht zu diesem Verfahren, nicht als solche anerkannt zu werden - ein Fehler, der zunächst ein augenscheinliches übertreten der Mitteilungsprinzipien und eine grundsätZliche Unverstehbarkeit mit sich bringt. Mit der Beschreibung dieser verschiedenen Fehler möchten wir diesen Essay abschließen. 2.1.0. Die eindeutigen Fehler. In dem besonderen Fall eines verbreiteten Fehlers (one word, one reference), jedem Wort nur eine Beziehung zuzuschreiben, kann man dem Focus seine Fähigkeit zur Plurisignation verweigern. Wenn das Subsidiärsubjekt nicht anerkannt ist, läuft rum auf eine
94 monistische Theorie hinaus; wenn man sich aber weigert, das Hauptsubjekt zu erkennen, wird jeder metaphorische Ausdruck unmöglich. Dies kann geschehen, wenn die Absurditäts- oder Widerspruchsbedingung nicht deutlich erfüllt wird, wenn die Spannung fast Null ist oder Null gleicht, oder wenn die Möglichkeit besteht, einen wörtlichen Gebrauch mit einem übertragenen zu venvechseln: Wenn man als Basis annnimmt, daß keine theographische Aussage eindeutig interpretiert sein muß, hat der Unterschied zwischen den mit den Orten und den Verhältnissen innerhalb des empirischen Raums assimilierbaren Lokalisierungen (above the clouds, WIG 37; on earth, SC 201) und den Orten im imaginären Raum (polar circle of the mind, RFTC 180; Heart of everything, RFTC 59; Ground of Beine, HTG 82) keinen Belang; aber es ist klar, daß die Bilder, welche eine visuelle Vorstellung erlauben, z.B. die oben erwähnte Verbindung von Personifizierung und Lokalisierung, für eine eindeutige Lektüre geeigneter sind. Die Verwirrung kann auch im Falle der Syllepsis entstehen, wenn der Focus zugleich auf der wörtlichen und auf der metaphorischen Ebene eine Bedeutung hat. Der Rahmen eines Romans kann z.B. zu gleicher Zeit als Ort der Handlung wirken und als "Symbol", das einer Sti=ung oder einem Zustand des Weltalls entsprechen würde. In den johanneischen Erzählungen wird das Verfahren dort angewendet, wo Orte und Objekte - außer ihrer wörtlichen Bezeichnung - eine messianiscreBedeutung tragen. In der Liturgie und im Psalmbuch sind die wörtlichen und metaphorischen Referenzen fast unentwirrbar verbunden: 1Venn reale oder vermeintliche historische Tatsachen mit einem metaphorischen oder religiösen Sinn geladen werden, wird es ja schwierig, die verschiedenen logischen Gebiete zu unterscheiden. 2.1.1. Der ZitteraZistische FehZerist mit den litteralistischen Theorien
verwandt, welche die Metapher als störende und überflüssige Verzierung betrachten, und die ihre Fähigkeit, einen neuen Sinn zu schaffen, nicht anerkennen. In der Theographie fordern solche Theorien (Hepburn 1964, McIntyre 1957), daß man "ohne Umwege" von Gott spricht, aber sie führen die Wörter nicht an, die sie als für das Göttliche eindeutig anwendbar halten.
95 2.1.2. Der positivistische Fehler kommt zu der Schlußfolgerung, daß der metaphorische Ausdruck, wenn er wörtlich aufgefaßt wird, eine absurde Aussage bildet, die also keinen Mitteihmrrswert hat, weil sie nicht nachgeprüft werden kann. Es ist klar, daß die Ablehnunrr völlig von der folgenden philosophischen Voraussetzung abhängt: 'nur nachprüfbare Aussagen haben einen 1\Tahrhaftigkeitswert". Die Bemühungen von Tillich (1957:41-54), die religiöse Rede zu verstehen und zu interpretieren, zeigen, wie oberflächlich die positivistische Behandlung sein kann.
2.1.3. Was den idolatrischen Fehler angeht, wird die Aussage auf der eindeutigen Ebene gelesen, aber die daraus entstandene Absurdität wird nicht anerkannt: Das Subsidiärsubjekt wird mit dem Hauptsubjekt verwechselt und kann die Erschließung verhindern, wenn es die Attribute seiner Beziehung als seine eigenen Eigenschaften absorbiert oder für sich behält. In der Theographie gleicht die Tatsache, daß das Subsidiärsubjekt als Besitzer der Wirklichkeit und der Macht von dem, was er vertreten soll, gesehen wird, der Idolatrie, da dann ein Objekt im Weltall mit Gott gleichgestell t wird. 2.2.0. Die mehrdeutigen Fehler. Oft wird die doppelte Referenz des Focus anerkannt, - im Gegensatz zu dem, was in der vorigen Fehlerklasse geschieht - , aber die Beschaffenheit des interaktiven Verfahrens wird nicht verstanden. Nach der Wichtigkeit, der man dem Subsidiärsubjekt gibt, kann man die folgenden Fehler unterscheiden: 2.2.1. Fundamentalistische Fehler: Hier wird das Subsidiärsubjekt mit dem Hauptsubjekt nicht verwechselt, aber es prägt die Interpretation so sehr, daß es für die wörtliche Wahrheit des Hauptsubjektes gehalten wird. In diesem Sinne versperrt es den Weg zu einer ehrlichen Suche der Wahrheit, und während es seine Anhänger dazu zwingt, die scheinbaren, durch die Aussage entstandenen Absurditäten als real anzunehmen, verursacht es einen Zwiespalt im Gewissen derjenigen, die versuchen, die Form der Aussagen mit den Angaben ihrer Erfahrung zu versöhnen. Die störenden Folgen dieser Einstellung werden durch den Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft illustriert (Shipley 1927).
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2.2.2. Reduktionistische Fehler neigen dazu, das Hauptsubjekt durch ein einziges Subsidiärsubjekt oder durch eine einzige Gruppe von Bildern zu identifizieren. Der ungffi~isse und vorläufige Charakter des Bildes wird vernachläßigt, und eine Kategorie nimmt anderen möglichen Beschreibungen gegenüber einen normativen Aspekt an. Die Gefahr dieses Fehlers ist doppelt: Auf der einen Seite wird die Tatsache, daß verschiedene, ja widersprechende Bilder nicht angenommen werden, eine einseitige und beschränkte Optik auf die darzustellende Wahrheit zu Folge haben, und dazu neigen, falsche Vorstellungen zu erzeugen. Unsere Zuflucht zu dem Interaktionsverfahren, das unterstreicht, daß nur ein Teil des Subsidiärund Hauptsubjekts durch die Metapher beleuchtet wird, belehrt uns, daß man einer mit mehreren Modellen versehenen Rede oder einer wechselseitigen Darstellung, die eventuell als Korrektiv wirken wird, den Weg nicht versperren soll. Auf der anderen Seite könnte das Bezeichnen des Hauptsubjekts als '~loß" persönlich, übernatürlich oder menschlich zu dem Risiko führen, zuviel Interpretationen für eine einzige l1etapher über die Grenzen der gemeinten Analogie hinaus zu suchen. 2.2.3. Mimetische Fehler, die sich auf den Ähnlichkeitsaspekt stützen, behaupten, die Metapher sei vor allem deskriptiv, d.h. ein Bildverhältnis bestehe zwischen den beiden Subjekten. Wenn die Metapher nicht als "Anzeiger" von einem über sie hinausgehenden Verhältnis, sondern als strukturelle Reduzierung dieser Wirklichkeit, also als reduziertes IbdelI, aufgefaßt wird, kann die begriffliche, lexikalische oder syntaktische Struktur des Subsidiärsubjekts zu Unrecht auf das Hauptsubjekt projiziert werden und eine Verdrehung, sogar eine falsche Auffassung des Letzten verursachen. Der vielleicht häufigste Fehler im }bdus der untersuchten Rede kann verschiedene Formen annehmen. Ein paar interessante Beispiele erwähnen wir zunächst:
- Von der lexikalischen Struktur des Subsidiärsubjekts (z.B. von den Dualitäten Natürli~.I.übernatürlich, Himmel.I.Erde, Oben.I.Unten) die wesentliche Beschaffenheit des Hauptsubjekts (in casu, eine Trennung zwischen Gott und dem Menschen oder Gottes Mangel an Interesse für die Welt, Cf. HTG 38, EIG 139) ableiten;
97 - das Verhältnis Gott.I.Mensch als Raumverhältnis betrachten, weil dieses durch räumliche Wörter wiedergegeben wird (HTG 14, 45-7); - vermuten, daß das Göttliche durch zeitliche Abgrenzungen bedingt wird, weil die von dem Subjekt "Gott" regierten Verben unvermeidlich ein Tempus des Verbs ausdrücken (TR 37); - aus Prädikationen wie "Gott ist ... " folgern, daß das Göttliche in menschlichen Kategorien eingeschlossen werden kann, oder daß die scheinbare Gleichung umkehrbar ist (HTG 52, 127) .. - die relative, quantitative und polare Qualität der Bilder, die sich auf den absoluten, qualitativen und binären Unterschied zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen beziehen, nicht erkennen (LWQ 3); - eine hauptsächlich oder teilweise auf Gefühls- (Textur-) verbindungen beruhende Metapher als Strukturmetapher erläutern, indem der emotionelle Wert und die Leistungsfähigkeit vernachlässigt werden (EIG 52, 73). 2.3.0. Interpretationsfehler. Zum Schluß können das metaphorische Verfah-
ren und das Verhältnis zwischen beiden Subjekten korrekt verstanden werden, aber die Bedeutung wird auf Grund von gewöhnlichen Charakteristiken oder Verbindungen gesucht, welche anders als die sind, die durch das Bild ausgedrückt werden. In dem besonderen Fall der theographischen, durch biblische und Doktrinkomponenten bedingten 14etapher kann der Fehler die Mitteilung verhindern. Der Fehler kann vom Sprecher begangen werden, der ein bestimmtes Bild wählt, ebenso auch vom Zuhörer oder Leser während der Erläuterung. 2.3.1. Fehler der Kontextnegation. Die Metapher wird als "offen" verwendet oder empfangen, d.h. daß sie für eine persönliche oder eine auf den Referenzen des Wortes zum Normalgebrauch beruhende Interpretation geeignet sein kann. Es ist trotzdem klar, daß, während bestimmte Bilder ohne hermeneutische Umwege ertönen oder genügend eingewurzelt sind, um universell erkannt zu werden (eine Vermutung, die immer eine bestimmte Gefahr
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darstellt) manche Bilder zu Unrecht aus ihrem historischen Kontext Rerissen werden, aus der biblischen Tradition oder aus dem ursprünglichen doktrinalen Schema, und zunächst mit einern von dem heutigen Gebrauch abgeleiteten Sinn beladen werden OHTG 11, 95, 100; Fes 31). Der wirkliche Sinn jener Bilder kann nur durch eine hermeneutische und exegetische Investigation erreicht werden6 .
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6 Der Französische Originaltext dieses Artikels ist in der Revue des Langues Vivantes erschienen. Für die Übersetzung ins Deutsche bin ich Nelly Culot und Hans-Werner am Zehnhoff zu Dank verpflichtet. (Leichte stilistische Verbesserungen wurden vom Herausgeber vorgenommen. EGü.)
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Abstraat: The problem of religious language is found to be not one of word meaning, but of sentenae sense and logia. An attempt is made to delineate this logia in terms of the meahanisms of metaphoriaal thought. The definition of metaphor is based on Blaak's, Berggren'~ and Mooij's studies, in whiah metaphor is studied as a phenomenon within a aontext or frame. The foaus of the metaphor has two referenaes (the subsidiary and the prinaipal subjeat) whiah stand in a dual relationship of differenae (in suah a manner that a univoaal reading produaes an absurdity or a violation of a aommuniaative principle) and resemblanae or mutual appliaability. In monistia theories, the double referential aapacity of the foaus is denied. In dualistia theories, the two references are integrally maintained, and the two subjeats interaat in order to give rise to the meaning of the metaphor - a new meaning whiah is not always paraphrasable. Thus a new mode of meaning aan be reated on the basis of familiar senses. This happens both in saientifia thought and in theography. Failure to reaognize the workings of metaphor logia may lead to various sorts of interpretation errors: In the univoaalist fallaaies (literalist, positivist, and idolatria) one of the foaus' referenaes is negated, and the resulting absurdity either rejeated as false or impossible, or aaaepted as the truth. In the plurisignifiaative fallaaies, the double referenae of the foaus is reaognized, but the nature of the interaative proaess is misunderstood. Aaaording to the amount of importanae given to the import of the subsidiary subjeat, we distinguish between the fundamentalist, the reduationist, or the mimetia fallaay, in whiah the struature of the signifier is projeated upon the signified. In the interpretation fallaaies (aontext negation), a aulturally, doatrinally, or otherwise determined metaphor is interpreted as if it were openended, although the metaphoriaal proaess is aonstrued aorreatly.
Jean-Pierre van Noppen English Dept. Room B 442 Free University of Brussels Pleinlaan 2 B-10S0 Bruxelles
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INGOLF DALFERTH RELIGIÖSE SPRECHAKTE ALS KRITERIEN DER RELIGIOSITÄT? KRITIK EINER KONFUSION 1.1. Versteht man unter einer Theorie der religiösen Rede eine empirisohe Theorie der religiösen Kommunikation duroh Texte, dann erweist sich die Bestimmung des Korpus von .Äußenmgen bzw. Texten, über dem eine solche Theorie zu fonnulieren ist, als ein methodisches Grundproblem. Jede Korpusbildung verläuft faktisch als deskriptive Reduktion einer vorgegebenen Komplexität auf eine adäquate und repräsentative Menge von Texten der gesuchten Art. Aus dem Gesamt vorfindlicher .Äußenmgen!Texte müssen daher diejenigen ausgewählt werden, die religiös genannt zu werden verdienen: und die Adäquatheit einer Theorie religiöser Rede hängt wesentlich davon ab, daß das Korpus, über dem sie fonnuliert wird, tatsächlich religiöse und keine anderen Texte enthält. Wie aber läßt sich über die Religiosität eines Textes entscheiden und zwischen religiösen und nichtreligiösen Texten unterscheiden? 1.2. Die gesuchten Kriterien müssen spezifizieren, was die Religiosität eines religiösen Texts konstituiert und wie sich diese erkennen läßt, denn Religiosität ist das distinktive Merkmal religiöser Rede. Diese Feststellung ist keineswegs so trivial, wie sie anmutet, besonders wenn man hinzufügt, daß sich Religiosität nicht als sprachliches Merkmal oder als linguistische Kategorie spezifizieren läßt (cf. dagegen Kaempfert 1972; 1972a). So gibt es weder lexikalische, noch syntaktische oder semantische Kriterien, die religiöse und nichtreligiöse .Äußerungstexte eindeutig zu unterscheiden erlauben; und das heißt, daß Religiosität keine sprachlich-grammatisch explizierbare Kategorie darstellt (cf. de Pater 1974, 74).
102 1.3. Diese Behauptung ist jedoch über diese Feststellung hinaus dahingehend zu erweitern, daß sich Religiosität überhaupt nicht sprachlich spezifizieren und linguistisch beschreiben und erklären läßt, weil sie kein Teilmoment der kommunikativen Kompetenz darstellt. Versteht man unter der kommunikativen Kompetenz die Fähigkeit zur kommunikativen Interaktion in Texten, dann sind innerhalb derselben verschiedene Ebenen oder Stufen zu unterscheiden, die z.T. von relativ invariantem Status, z.T. aber auch von historisch bedingter Variabilität sind, und die sich nach oben hin nicht eindeutig begrenzen lassen. So müssen Kornmunikationspartner nicht nur die Fähigkeit besitzen, aufgrund ihrer Kenntnis eines instruktionssemantisch (cf. Weinrich 1976) explizierbaren Kodes, also des Lexikons und der Grammatik einer Sprache, wohlgeformte grammatische Einheiten mit einer bestimmten, situationsinvarianten-Bedeutung zu erzeugen (= linguistische Kompetenz), sondern dazuhin auch die Fähigkeit, aufgrund ihrer Kenntnisse der Regeln für das Gelingen illokutionärer bzw. kausativer Sprechhandlungsrrruster diese wohlgeformten gramma~ischen Einheiten als Texte in Kommunikationssituationen in der Weise sinnvoll einzusetzen, daß der grammatische Erzeugungsprozeß von dieser illokutionären bzw. kausativen Funktion her gesteuert ist (= instruktive Kompetenz). Nur insofern Sprecher und Hörer diese zusammengenommen sprachliche Kompetenz besitzen, können sie sprechen und d.h. Texte erzeugen und verstehen, die dem jeweiligen Hörer lexikalische, syntaktische, semantische, phonetische und illokutionäre bzw. kausative Instruktionssignale übermitteln, aus denen zusammengenommen dieser die spezifische Sinn-Instruktion dieses .Textes erschließen kann und zum Aufbau einer entsprechenden Erwartungshaltung und zur Strukturierung seiner Situation im Licht dieser Sinn-Vorschläge befähigt wird. 1.4. Religiosität nun ist kein Moment der sprachlichen Kompetenz und das heißt, daß sie sich weder im Kontext der linguistischen noch der instruktiven Kompetenz spezifizieren läßt. Während dies im Blick auf die linguistische Kompetenz zunehmend gesehen wird, ist es hinsichtlich der instruktiven Kompetenz noch keineswegs klar genug erkannt. Diese urnfaßt in aller Kürze das Wissen um die - im Anschluß an J.L. Austin untersuchten
- illokutionären und kausativen Sprechhandlungsmuster. Für erstere gibt es verschiedene Klassifikationsvorschläge, zumindest aber lassen sie sich in die beiden Grundklassen des assertorischen Informierens und des direktiven Anweisens zusammenfassen (cf. Tugendhat 1976, der sich an der Moduslehre orientiert). Letztere hingegen umfassen alle Reden, durch die neue Sachverhalte gesetzt werden, indem durch einen Normierungsakt ihre Geltung für den in der Rede spezifizierten Bereich festgelegt wird. Sie sagen also nicht nur wie die illokutionären Sprechhandlungen, was der Fall ist, oder wollen, daß der Fall ist, was sie sagen, sondern der Fall ist, was sie sagen, und zwar weil und indem sie es sagen. Kausativ gesetzte Sachverhalte sind somit immer soziale Fakten, da sie normativ in Kraft gesetzt und dadurch etabliert werden. Diese Norm-setzenden Akte können freilich immer nur auf dem Boden schon bestehender Normen vorgenommen werden. Denn während jeder einen propositionalen oder normativen Sachverhalt (illokutionär) aussprechen und in diesem Sinn setzen kann, kann ein solcher nur von denen in Geltung gesetzt werden, die zu seiner Setzung befugt sind; und d.h. der Sachverhalt muß sich aus einer schon bestehenden Norm herleiten lassen (cf. Kutschera 1973, 13; Gloy 1975, 17). Kausative Rede ist daher noch stärker als illokutionäre Rede an das Bestehen nichtsprachlicher sozialer Normgefüge gebunden. Beide Redemodi aber gehören als Grundmuster instruktiven Sprechhalldelns zusammen mit Lexikon und Grammatik zum sprachlichen Repertoire, dessen Beherrschung sprachliche Kommunikation erst ermöglicht. Religiosität jedoch - das ist die Behauptung, die allein im Folgenden diskutiert werden soll - kann weder unter illokutionärem noch kausativem Gesichtspunkt bestimmt und expliziert werden. Damit aber läßt sie sich überhaupt nicht sprachlich spezifizieren und eine Theorie religiöser Rede ist dementsprechend nicht als Teiltheorie einer Sprachtheorie, sondern einer Religionstheorie zu konzipieren. Religiöse Rede läßt sich nicht als Realisierung einer besonderen, rekonstruierend auf der Ebene der linguistischen oder instruktiven Kompetenz erschließbaren religiösen Sprache verstehen, sondern muß als sprachliche Artikulation einer Religion begriffen werden. Die linguistische, philosophische und theologische Suche nach einer auf der Ebene des Texts
104 unter sprachlichen Gesichtspunkten identifizierbaren und anhand bestimmter rekurrenter sprachlicher Merkmale auf der Ebene des Sprachsystems spezifizi~rbaren religiösen Sprache ist damit prinzipiell verfehlt. 2.1. Lassen sich illokutionäre oder kausative Kriterien zur Unterscheidung religiöser und nichtreligiöser Äußerungen bzw. Texte aufweisen? Im Anschluß an die Arbeiten J.L. Austins wurden seit Ende der fünfziger Jahre eine nicht geringe Anzahl von performativen und illokutionären Analysen religiöser Äußerungen vorgelegt. Obgleich diese zumeist nicht die Religiosität von Äußerungen bestimmen, sondern als religiös bestimmte Äußerungen analysieren wollen, kann dennoch legitim gefragt werden, inwieweit die diskutierten Züge religiöser Äußerungen nicht zugleich als Charakteristika ihrer Religiosität verstanden oder mißverstanden werden (können). Zur Prüfung dieser Frage im Blick auf die instruktive Äusserungsdimension werde ich die vorliegenden Hinweise in zwei paradigmatischen Kriterienvorschlägen zusammenfassen und erörtern. 2.2.1. D.D. Evans (1963; cf. Ladri~re 1972, 99ff.) machte nicht den ersten (cf. Miles 1959), aber einen der bislang gründlichsten Versuche, mit den Denkmitteln J.L. Austins einen Teilbereich religiöser Rede, nämlich die biblische Rede von der Schöpfung, als eine spezifische sprachliche Aktivität zu analysieren. Im Rahmen einer differenzierten, den Ansatz Austins z.T. fortführenden Analyse der performativen (= illokutionären), kausalen (= perlokutionären) und expressiven - und zwar Gefühle und Intentionen ebenso wie Haltungen und Einstellungen ausdrückenden - Redemodi entwickelte er die Konzeption einer "self-involving language". Diese umfaßt die Gesamtheit der expressiven und einen Teil der performativen Modi und zwar genauer die "behabitives", also Äußerungen, die ein Verhalten oder eine Einstellung des Sprechers zum Ausdruck bringen (cf. aaO. 34ff.), und die "colIllllissives", d.h. Äußerungen, in denen sich der Sprecher durch und im Blick auf das, was er äußert, in bestimmter Weise bindet und verpflichtet (cf. aaO. 32). Als Sprache - oder besser: Art der Rede - ist sie also dadurch gekennzeichnet, daß sie den Sprecher auf verschiedene, von Evans genau dargelegte Weise in das einbezieht, was er äußert und was er durch seine Äußerung als Wirklichkeit für sich und die Zuhörenden schafft.
105 2.2.2. Gerade dieser selbstverpflichtende performative - oder besser: illokutionärebzw. kausative - Charakter solchen Redens ist nun nach Evans besonders typisch für biblische Außerungen, "in so far as God' s self-revelation is a self-involving activity ... and man's religious language is also a self-involving verbal activity" (aaO. 14). Während er allerdings diese Charakterisierung auf biblische Rede beschränkt, wird sie von anderen als der 'self-involving' oder 'self-committing' Charakter religiösen Redens bald auf andere Bereiche religiösen Redens übertragen, so etwa von High (1967) auf Glaubensaussagen und von Mananzan (1974) auf "creedal statements". Der damit thematisierte spezifisch performativ-illokutionäre bzw. kausative Aspekt religiöser Außerungen wird aber auch sonst - zum Teil mit, zum Teil ohne expliziten Bezug auf Evans - als charakteristisch für bestimmte Bereiche religiösen Redens aufgewiesen, wie etwa für die Gebetssprache OMiles 1959, 187f.), das gottesdienstliche Reden (Aldrich 1964, 44f.), die Tauf- und Abendrnahlssprache (Bejerholm 1966), die glaubens schaffende Sprache des Evangeliums (Bayer 1973, 24ff.) oder überhaupt für religiöse Rede (de Pater 1971, 160ff.; cf. Helm 1973, 59; Jeffner 1972, 88ff.; Dalferth 1974, 46ff.; Casper 1975, 41ff.). Dabei wird freilich nicht immer klar, ob diese Analysen deskriptiv oder konstruktiv gemeint sind. Aber "in order to know i f a philosopher is right when he says that a certain sentence is a performative, we must know whether he wants to describe an existing use of the sentence among a certain group of believers or to prescribe a new and better use of the sentence" (Jeffner 1972, 98). 2.2.3. Wie auch immer: Die Charakterisierung religiöser Äußerungen als Performative und insbesondere selbstverpflichtende Performative ist, wie selbst ein Kritiker wie K. Nielsen zugesteht, 'perceptive and, it seerns to me, on solid ground" (1973, 71). Dennoch sind grundsätzliche Schwierigkeiten nicht zu übersehen. Da ist erstens der ganz vorn Redesubjekt her konzipierte Ansatz dieser Analyse zu nennen (cf. Dalferth 1974, 47). Religiöse Rede wird ganz von 'TIDnologisch konzipierten Akten der Selbstverpflichtung" her und nicht "im Modell reziproker Intex-aktion" verstanden (Peukert 1976, 216). Sie kommt damit als Rede einseitig und perspektivisch schief in den Blick. Zum andern aber - und das hängt eng
106 mit dem ersten Punkt zusammen - wird bei dieser Charakterisierung meist übersehen, daß Illokutionarität bzw. Performativität prinzipiell Konventionalität impliziert. So hat schon Austin (1962, 105.127) auf die KOnventionen als die Basis illokutionären Redens hingewiesen: nur wo entsprechende Regeln konventionell etabliert sind und damit Korrektheitsbedingungen spezifiziert werden können, können illokutionäre Akte mittels Lautäußerungen realisiert werden (cf. Jeffner 1972, 89), und dies gilt in noch stärkerem Maß für kausatives Reden. Worin aber bestehen diese KOnventionen für religiöse Äußerungen? Wenn sie zum Vollzug und zur Erklärung selbstverpflichtender Performative vorausgesetzt werden müssen, wie sind sie dann selbst zu erklären? Wird das Problem der Religiosität nicht einfach auf die Ebene der vorauszusetzenden Konventionen und Korrektheitsbedingungen verlagert (cf. Jeffner 1972, 93)? Und wie kann es auf dem Hintergrund einer solchen Sprechhandlungstheorie schöpferisches religiöses Reden geben, das nicht nur Realisierung immer schon konventionell und institutionell festgelegter Muster ist (cf. Kaempfert 1971, 26; Peukert 1976, 170f.)? Heißt selbstverpflichtende Performativität zum Kennzeichen religiösen Redens zu machen nicht, es von vornherein auf reproduzierendes, niemals aber innovierendes Reden festzulegen? 2.2.4. Damit sind Grundfragen einer adäquaten Sprechhandlungstheorie gestellt. Diese betreffen auch religiöse Rede, aber eben sofern sie Rede', und nicht, sofern sie re~igiöse Rede ist. Ist doch weder der performativ-illokutionäre,näherhin als selbstverpflichtend beschriebene, noch der kausative Charakter religiösen Redens eigentümlich religiös, sondern für Sprechen überhaupt bzw. für bestimmte Bereiche davon typisch. Alles Reden ist instruktiv. Aber die Schwäche dieses Ansatzes ist nicht nur, wie K. Nielsen meint daß er "confuses a necessary with a sufficient condition" (1973, 69.72). Sofern er sich als die Spezifizierung des religiösen Charakters von Äußerungen versteht, führt er nicht einmal ein notwendiges Kriterium der Religiosität an. Denn "even supposing that religious language is used characteristically to do certain things, it does not follow that it is never used to do other things" (Helm 1973, 63). Ein Kriterium der Religiosität zur Klassifizierung bestimmter Äußerungen als religiös jedenfalls stellt die sprachliche Eigenschaft der selbstverpflichtenden Performativität nicht dar: 'Tne fact that self-involving language is used is not enough by itself to make the utterance a religious one" (Cupitt 1971, 17).
107 2.3.1. Der zweite Versuch, instruktive Kriterien der Religiosität zu spezifizieren, hängt in vielem mit dem eben genannten zusammen, konzentriert sich aber nicht auf den Aufweis einer für religiöse Äußerungen charakteristischen illokutionären/perforrnativen Funktion. Wenn Illokutionarität oder Kausativität ein Aspekt allen Redens ist, dann taugt dies auch dann nicht zur Identifizierung religiöser Rede, wenn bestimmte Arten der Illokutionarität oder Kausativität bei religiösen Äußerungen verstärkt, aber eben nie exklusiv auftreten. Um die Exklusivität religiöser Rede zu zeigen, bemüht man sich stattdessen im Gefolge der von Searle (1971), Alston (1964), Schiffer (1972) u.a. weiterentwickelten Theorie Austins zu einer Theorie der Sprechakte um den Nachweis von spezifisch religiösen Sprechakten (cf. Kaernpfert 1972, 42ff.) bzw. "Sprechakten des Glaubens" (Grabner-Haider 1975; cf. auch 1974), um "Sprechakte wie Bekenntnis, Gelübde, Taufe" (de Pater 1971, 171), "glaubende Sprechhandlungen", innerhalb derer sich näherhin '~ekennend-erzählende, prophetische, ermahnende, tröstende, lobpreisende" Sprechhandlungen des Glaubens unterscheiden lassen (Casper 1975, 201), "religious uses of language as speech-acts" wie "pray, worship, name a god or gods or God, prescribe action, relate myth or story (images giving form and order to life) , recount his tory, sing the Nunc Dimittis, or say creeds" (High 1967, 135) bzw. 'praying and worshipping, prescribing actions, recounting his tory (of salvation), preaching, adrninistering the sacraments, expressing theological reflections, and expressing rnystical experiences" ~zan 1974, 101). 2.3.2. All das sind - wer wollte es bestreiten - vertraute religiöse Verhaltensweisen. Aber: Sind es Sprechakte bzw. Sprechhandlungsrnuster? Sind damit wirklich illokutionäre oder kausative Handlungsmuster genannt, die als sprachliche Kriterien der Religiosität von Äußerungen fungieren können? Eines jedenfalls ist doch unmittelbar deutlich: "Da gibt es Äusserungen, deren Religiosität offenbar nicht im Sprechakt liegt. Jemand erzählt eine Heiligenvita, eine erbauliche oder erweckliche Geschichte. Sein illokutionärer Akt ist eben Erzählen, nicht anders als bei profanen Geschichten" (Kaernpfert 1972, 43). Auch wenn man bestreitet (und be-
108 streiten muß), daß 'erzählen' ein Sprechakt ist (cf. Wunderlich 1976, 463), so gilt das Argument dennoch für einen Großteil der oben und sonst in der Literatur angeführten religiösen Sprechakte: von der Sprechhandlungstheorie her betrachtet sind sie einfach die üblichen, überall in einer bestimmten Sprachgemeinschaft (oder vielleicht auch in jeder Sprachgemeinschaft überhaupt, cf. Habermas 1971; Apel 1976, besonders 83ff.) im Reden realisierten SprechhandlungsJmlSter des Behauptens, Befehlens, Fragens usf. in religiösem Kontext. Denn in religiöser Rede lassen sich unter illokutionären Gesichtspunkten zwar die in einer Kommunikationsgemeinschaft üblichen Sprechhandlungsmuster identifizieren, aber es lassen sich keine religiösen SprechhandlungsJmlSter a~eisen. Religiöse Sprechhandlungen sind daher nicht als konkrete Verwirklichungen religiöser SprechhandlungsJmlSter, sondern als religiös qualifizierte Realisierungen von SprechhandlungsJmlStern des Behauptens, Befehlens, Fragens usw. zu erklären. Worin auch immer ihre Religiosität bestehen mag, sie läßt sich nicht illokutionär und d.h. sprachlich spezifizieren. 2.3.3. Denn angenommen, man könnte tatsächlich religiöse SprechhandlungsJmlSter aufzeigen und damit wie Kaempfert (1972, 42) von einem "Inventar der religiösen Sprechakte" reden, die zur "kommunikativen Kompetenz" der Sprecher dieser Sprachgemeinschaft gehören. Dann müßte doch jeder, der nicht religiös zu reden vermag, für sprachlich oder doch kommunikativ· inkompetent gehalten werden. Das aber ist absurd. Denn wie Kaempfert richtig vermerkt, gehören die SprechhandlungsJmlSter, "Sprechakteme" oder "Illokutioneme" zur kommunikativen Kompetenz eines Sprechers, die ihn zum Vollzug der entsprechenden Sprechhandlungen befähigt. Zum Vollzug religiöser Sprechhandlungen aber ist er nur fähig, wenn er darüber hinaus auch die religiöse Kompetenz besitzt, seine kommunikativ-sprachliche Kompetenz religiös adäquat zu realisieren. Das aber gehört sicher nicht zur sprachlichen Kompetenz. Religiöse Kompetenz läßt sich nicht als Teilbereich der kommunikativ-illokutionären und damit sprachlichen Kompetenz subsumieren, denn auch in der illokutionären Dimension geht es nicht an, religiöses Sachwissen auf eine bestimmte Art von Sprachwissen reduzieren zu wollen. Indirekt wird dies auch von Kaempfert zugestanden, wenn er
109 die Geltl.IIlg der von ihm thematisierten "religiösen Sprechakt-Typen" auf bestinnnte "Gesellschaften" einschränkt, "die in diesem Fall nicht durch die Sprache, sondern durch die Religion begrenzt werden" (ibid.). Denn das heißt ja nichts anderes, als daß diese "Sprechakt-Typen" nicht zum Inventar sprachlicher Komml.IIlikationsmittel einer Sprachgemeinschaft, sondern zum Inventar religiöser Interaktionsmuster der entsprechenden Religionsgemeinschaft gehören. Religionen aber lassen sich nicht im Rahmen einer Sprachtheorie beschreiben I.IIld erklären, die als Explikation sprachlicher Kompetenz konzipiert ist, sondern verlangen nach einer "allgemeinen Theorie des religiösen Verhaltens" (Kaempfert aaO. 32) bzw. noch allgemeiner: nach einer Theorie der Religion. Denn Religionen sind komplexe Phänomene, die rituelle, mythologische, doktrinale, ethische, soziale Dimensionen I.IIld die Dimension der individuellen ErfahTllIlg umfassen (cf. Smart 1968, Kap. 1; 1969, Kap. 1; Ward 1974). Als solche erfordern sie eine Theorie, die sie I.IIlter diesen Aspekten als in einer oder mehreren Gesellschaft(en) intersubjektiv geltendes System begreift I.IIld sie als historisch gewachsenes Verhaltens- I.IIld Interaktionsrepertoire von Objekten, Institutionen, Verhaltensmustern, Vorstelll.IIlgskategorien, Denkmustern I.IIld ErfahTllIlgsmöglichkeiten beschreibt I.IIld erklärt. Wesentlicher Teil einer solchen Theorie wird auch eine Theorie religiösen Redens sein, allerdings nicht so, wie Kaempfert sich das vorstellt (1972, 32f.), daß zuerst eine "Theorie des religiösen Sprechens" über einem "(relativ) überschaubaren Teilbereich", nämlich der "Klasse der religiösen Texte" entwickelt wird, die sich dann "ziemlich gut auf nichtlinguale Verhaltensweisen übertragen" läßt, "sodaß sich die Theorie Schritt für Schritt zu l.IIliversalisieren vermag". So einleuchtend dies aussieht, so I.IIldurchführbar ist es doch vom Ansatz her. Denn wie läßt sich die Religiosität von Texten ausmachen ohne die Kenntnis "eines textkonstitutiven Kriteriums 'Religiosität'" (aaO. 32)? Dieses aber setzt zumindest in Umrissen ein religiöses Wissen voraus, aufgTllIld dessen bestinnnte Texte überhaupt erst aZs religiös qualifiziert werden können (wie auch Kaempfert 1971, 22 Anm. 3 faktisch zugesteht). Religiöses Wissen aber ist nicht sprachliches Wissen, so daß "die 'Klasse der religiösen Texte durch ein außersprachliches Merkmal definiert" ist (Kaempfert 1.972, 32; cf. auch 1973, 43f.).
110 Damit ist freilich genau das der Fall, was Kaempfert als nicht sehr sinnvollen Ansatz ablehnt, daß es nämlich religiöse Texte so und nicht anders gibt, 'wie es juristische Texte gibt, Wirtschafts texte , Texte beim Einkauf von Milchprodukten, Texte spielender Kinder usw. je nach Situation und Verwendungs zweck" (1972, 32). Nur daß diese Situationen und Verwendungszwecke nicht völlig ungeregelt sind, sondern von einer Theorie der Rel~gion her unter verschiedenen Aspekten aufgrund spezifischer religiöser Strukturen als religiöse Situationen bestimmt werden können und damit das gesuchte Kriterium der Religiosität zu liefern vermögen. 2.4. Religiöse Texte entstehen daher in religiöser Rede immer aus dem Zusammenspiel sprachlicher und religiöser Kompetenz, indem in, mit und durch die Realisierung illokutionärer bzw. kausativer Sprechhandlungsmuster in Texten religiöse Verhaltens- und Interaktionsmuster, -strukturen und -formen realisiert werden. "In einer konkreten religiösen Sprechhandlung kommen Realisationen von Elementen der verschiedenen Repertoires zusammen" (Kaempfert 1972, 46), und zwar nicht nur der grammatischen und instruktiven, d.h. sprachlichen Repertoires, sondern auch des religiösen Repertoires. Beide dürfen nicht vermischt und als Repertoire religiöser Sprechhandlungsmuster ausgegeben werden, da die sprachliche Realisierung häufig nur eine Möglichkeit der Realisierung des religiösen Repertoires ist. Die Religiosität von Rede ist damit prinzipiell ein parole-Phänomen, das sich nicht durch spezielle religiöse ~fuster auf der Kodeebene der langue (d.h. des Sprachwissens) , sondern nur als Realisierung von Sprachmustern der langue und Sachmustern des religiösen Repertoires erklären läßt. Religiosität ist daher keine sprachliche Eigenschaft von Rede, sondern die Eigenart religiöser Sprache erklärt sich letztlich vom Wesen der Religion her. Daraus folgt, daß zur Erfassung, Beschreibung und Erklärung der religiösen Eigenart religiöser Rede die gesuchte Theorie religiöser Rede nicht Teiltheorie einer Sprachtheorie, sondern einer Religionstheorie zu sein hat, insofern sie untersuchen und erklären muß, wie in, mit und durch sprachliche 14ittel religiöse Formen, ~fuster und Strukturen realisiert werden können.
III 2.5. Damit ist implizit auch ein naheliegender Einwand gegen die Behauptung der Nichtexistenz religiöser Sprechakte bzw. Sprechhandlungsmuster zurückgewiesen. Denn zum Beleg der These von der Existenz religiöser Sprechakt(typen) werden meist Gebet, Bekenntnis, Taufe, Predigt usf. als Beispiele angeführt (cf. z.B. ~~zan 1974, 101ff.). Zweifellos sind das religiöse Aktivitäten. Aber sind es Sprechakte, spezifisch religiöse Sprechhandlungsmuster? Aus linguistischen und religiösen Gründen scheint mir das bestritten werden zu müssen. 2.5.1. Erstens würde das zu einer Entleerung des Begriffs 'Sprechakt' führen. Denn dieser Begriff hat doch überhaupt nur so lange eine erhellende Funktion, als nicht alles und jedes zum Sprechakt erklärt wird. Je inflationärer er gebraucht wird, desto nichtssagender wird er (ein warnendes Beispiel bietet hier Grabner-Haider 1975). Nun wurde 'von verschiedener Seite ... gesagt, daß entwickelte natürliche Sprachen über tausend und mehr verschiedene Sprechakte enthalten" (Wunderlich 1976, 463). Zur Begründung dieser Behauptung beruft man sich normalerweise auf die Existenz der entsprechenden Anzahl von Verben in einer Sprache. Der Ursprung dieser simplifizierenden Identifizierung von Verben mit Sprechakten dürfte in einer ironischen Passage in Austin (1962, 149) zu suchen sein, in der dieser ausführt, daß "using '" the simple test (with caution) of the first person singular present indicative active form, and going through the dictionary (a concise one should do) in a liberal spirit, we get a list of verbs of the order of the third power of 10". Würde man aber tatsächlich in jedem entsprechend charakterisierbaren Verb einen gesonderten Sprechakttypus sehen wollen, dann hätte dies die absurde KOnsequenz, daß die ausführbaren Arten von Sprechhandlungen auf die in einer Sprache durch Verben explizit repräsentierten Handlungen beschränkt wären. Sind aber 'verhaften' und 'arrestieren' verschiedene Sprechhandlungstypen? Oder kann ein Deutscher nur 'verabscheuen', wo ein Engländer mit 'loathe', 'detest' und 'abhor' drei verschiedene Arten sprachlicher Handlungen ausführen kann? Und wie wäre dann das Verhältnis der nur zum Teil (wenn auch verschieden stark) verbalen indoeuropäischen Sprachen zu der scheinbar durchgängig verbalen Nootka-Sprache (cf. Whorf 1963, 14)
112 oder den Chinesisch-Japanischen Sprachen mit der ihnen eigenen "Konvertierbarkeit der Wortart" (cf. Fischer 1972, 222ff.)? Der Ableitl.ll1g der Pluralität der Sprechhandll.ll1gen aus der Vielfalt der Verben einer Sprache stehen hier zumindest ernsthafte Schwierigkeiten entgegen. Aber schon im Blick auf eine Einzelsprache wie das Englische ist es nicht sehr erhellend, alle Verben, die der entsprechenden grammatischen Form fähig sind, als Sprechhandlungstypen aufzufassen. Schon Austin sah sich daher zu einer Klassifikation in die fünf Klassen der "Verdictives", "Exercitives", "Connnissives", ''Behabitives'', l.ll1d ''Expositives'' veranIaßt (1962, 150ff.), die ihn zum "Linnaeus of speech acts" machte (cf. Cerf 1966, 352). Er selbst war "far from equally happy about all of them" (1962, 150) l.ll1d in der Folgezeit wurden von verschiedener Seite andere Typologien von Sprechakten vorgeschlagen, so etwa von Habermas (1971), Schiffer (1972) oder Searle (1973)(cf. dazu Kanngießer 1976, 340ff.). Voraussetzung solcher Typologien ist es, einmal Kriterien zur Bestimmung eines Sprechakts, zum andern aber Kriterien zur Klassifizierl.lllg von Sprechakten in verschiedene Arten zu finden. In diesem Sinn versucht etwa Wl.ll1derlich "die Zahl der fundamentalen Sprechakte einzugrenzen l.ll1d die gesamte Vielzahl von Sprechakten aus der kleinen Menge fundamentaler Sprechakte abzuleiten" (1976d, 463). Als fl.ll1damehtale Sprechakte ergeben sich für ihn dabei "die Behauptl.ll1g (Feststellung), die Aufforderl.lllg, die Frage, das Versprechen, die Erlaubnis, die Normsetzl.ll1g und vielleicht noch einige mehr. Hinzu kommen verschiedene expressive l.ll1d institutionelle Sprechakte" (aaO. 464). Hinter dieser wie hinter den anderen Klassifizierl.lllgen von Sprechakten steht eine allgemeine Hypothese über die möglichen illokutionären Funktionen sprachlichen HandeIns in bestimmten Handll.ll1gskontexten, die bislang noch nicht so präzis formuliert werden konnte, daß sie tatsächlich einer mehr als intuitiven überprüfung zugänglich geworden wäre. Ganz abgesehen von der \ Frage aber, ob die verschiedenen Klassifizierl.lllgen vollständig l.ll1d die jeweils spezifizierten Typen disjunkt sind, hat dieser funktional-illokutionäre Ansatz die hier vor allem interessierende Konsequenz, daß Redeverläufe immer nur unter diesen typologisch klassifizierten Aspekten
ll3 als Sprechhandlungen in den Blick kommen. Das aber bedeutet, daß Gebet, Bekenntnis, Predigt usf. nicht etwa eigene Sprechhandlungstypen darstellen, sondern daß bei ihnen unter illokutionärem Gesichtspunkt eben die allgmeinen Sprechhandlungen der Behauptung, Aufforderung, Frage und des Versprechens realisiert werden. Das Sprechhandlungskonzept über die illokutionären Typen auf diese religiösen Interaktionmuster auszudehnen hieße gerade, die allgemeine Hypothese über die möglichen illokutionären Funktionen sprachlichen HandeIns und damit einen wenigstens einigermaßen präzisen Begriff der Sprechhandlung zu verlassen. Diese religiösen Akte aber sind keine bloßen Realisierungen von bestimmten Sprechhandlungsmustern, auch wenn sie nur mittels Sprechhandlungen vollzogen werden (können). Denn was mittels einer Sprechhandlung vollzogen werden kann, ist nur insofern ein Sprechakt, als es Realisierung eines Sprechhandlungsmusters und damit Aktualisierung einer bestimmten textuelIen Funktionsmatrize ist. Auch Gebet und Bekenntnis können natürlich als Äußerungen unter dem Gesichtspunkt solcher textuelIen Funktionsmuster betrachtet und analysiert werden (cf. z.B. Smith 1972; 1975), sie werden dann aber als Bitte oder Behauptung, Frage oder Versprechen, nicht jedoch in ihrer religiösen Eigenart in den Blick kommen. Entsprechend gehört es zwar zur sprachlich-kommunikativen Kompetenz der Sprecher einer Sprachgemeinschaft, daß sie die Sprechhandlungen des Bittens, Fragens, Behauptens usf. beherrschen, nicht aber, daß sie beten, bekennen und predigen können. Diese Fähigkeit wird vielmehr im Zusammenhang der religiösen und nicht der sprachlichen Sozialisation erworben (daß und wie diese zusammenhängen, steht hier nicht zur Debatte) und ist damit weder sprachlicher noch nichtsprachlicher, sondern übersprachlich-sachlicher Natur.
2.5.2. Das gilt im übrigen auch dann, wenn man nicht nur das lexikalischgrammatische oder auch illokutionäre bzw. kausative Repertoire zum Sprachsystem einer, Gemeinschaft rechnet, sondern wie E. Güttgemanns (1970, 53ff.) und Kaempfert (1971, 22f.) auch verschiedene literarische und nichtliterarische Formen und Gattungen. Das läßt sich mit einem all~emeinen und einem die spezifisch religiösen Interaktionsformen von Gebet, Predigt
ll4 oder Bekenntnis betreffenden besonderen Argument begründen. So kann man Gattungen oder Textsorten erstens nicht einfach wie ein erweitertes "langue-Repertoire einer Sprachgemeinschaft" beschreiben und behaupten, daß prinzipiell "die Lage nicht anders als bei Bestandteilen des Sprachsystems im engeren Sinn" sei (Kaempfert 1971, 25). Textsorten sind keine Elemente des Sprachsystems, deren Beherrschung notwendig zur sprachlichen Kompetenz hinzugehörte. Sie sind vielmehr Elemente einer anderen, etwa literarischen oder stilistischen Kompetenz, die als eine besondere Fähigkeit erworben werden muß und keineswegs mit der Beherrschung des sprachlichen Kodes schon gegeben ist. Grundsätzlich lassen sich Textsorten als verschieden strenge Regelkomplexe bestimmen, die - über dem jeweiligen sprachlichen Repertoire als SeZektionsmuster operieren, und als sortenspezifische formale, ästhetische, stilistische usf. Normen die Art der Vertextung von Elementen regulieren und zwar sowohl im Blick auf die kompositorische Gestalt des Gesamttexts (man denke etwa an die ihrer Gestaltungsform nach streng normierten Textsorten 'Märchen', 'Sonnett', 'Sprichwort' usf.), als auch im Blick auf die verschiedenen Textebenen wie etwa die lexikalische (cf. die textsortenspezifische Wahl gehobener, umgangssprachlicher oder vulgärer Lexeme wie 'Haupt', 'Kopf', 'Rübe' in 'Er schlug ihn auf ... '), die syntaktische (cf. die Stilfiguren des Parallelismus, Pleonasmus, der Inversion, Antithese usf.) , die semantische (cf. Oxymoron, Metapher usf.) und auch die phonetische (cf. Vokalisationsstruktur, Rhytrnus, Reim, Alliteration etc.); - sich aufgrund rekurrent auftretender Merkmale auf den verschiedenen Textebenen, und zwar zumeist als Akkumulationen von auf den einzelnen Ebenen unabhängig erhebbaren Normierungsmomenten des sprachlichen Grundbestands, aufWeisen lassen (cf. Riffaterre 1973, Kap. 1); - Ausdruck spezifischer Kommunikationssituationen oder - wie die Formgeschichte zu sagen pflegte - 'soziologischer Tatsachen' (cf. K.L. Schmidt 1928, 639; Dibelius 1961, Kap. 1) sind und als solche von den mannigfachen, auf verschiedenen Ebenen spezifizierbaren und in verschieden starkem Maß historischer Wandelbarkeit unterworfenen Faktoren von Komrnunikationssituationen geprägt sind. Textsorten-Kompetenz ist also ein über die sprachliche Kompetenz zur Erzeugung und zum Verstehen von Texten weit hinausgehendes Vermögen und
115 mit dieser weder gleichzusetzen noch in diese zu inkorporieren. Vielmehr steht sie aufs engste mit einem 'soziologischen' Wissen um best:iJnmte Arten von Kornmunikationssituationen in Verbindung und ist eben in diesem Sinn ein Sach- und kein bloßes Sprachwissen. 2.5.3. Selbst wenn man daher - und das ist der andere Punkt - religiöse Interaktionsformen wie Gebet, Bekenntnis oder Verkündigung als spezifische Textsorten best:iJnmen könnte, ist diese gattungsspezifische Charakterisierung noch nicht notwendig auch eine Spezifizierung ihrer religiösen Eigenart. Als formal charakterisierbare Textsorten können sie auch 'säkularisiert', etwa literarisch oder parodistisch verwendet werden, so daß die bloße Aktualisierung des Textmusters noch keine Realisierung eines religiösen Akts verbürgt. Dies kann daher auch nicht als zuverlässiges Kriterium der Religiosität fungieren. Erst wo es gelingt, die ihnen je zugrundeliegenden typischen religiösen Verhaltens- oder Interaktionssituationen mit der für sie charakteristischen Struktur und dem spezifischen Zusammenspiel ihrer situativen Faktoren zu best:iJnmen, kommt die religiöse Dimension dieser Textsorten in den Blick. 5. Nicht in der textsortenspezifischen Form also, sondern in der dieser Form typisch entsprechenden und sie mitkonstituierenden Situation ist die Religiosität einer Äußerung bzw. eines Texts lokalisiert. Die aber zu kennen und aktualisieren zu können, setzt ein religiöses Wissen voraus, das gegenüber allem Sprachwissen als Sachwissen zu bezeichnen ist. Die Beschreibung und Explikation einer solchen religiösen Kompetenz ist nicht Aufgabe einer Sprachtheorie, sondern einer Religionstheorie und zwar speziell einer Theorie religiöser Rede. Diese vermag allerdings nur unter Verweis auf die situativen Faktoren der religiösen Situation zu spezifizieren, was eigentlich die Religiosität eines in ihr geäußerten Texts konstituiert und wie sich diese erkennen läßt. Damit hat sie wesentlich eine Topographie der religiösen Situationen zu leisten, aufgrund derer sich Äußerungen bzw. Texte als religiös identifizieren lassen. Religiös aber sind genau diejenigen Situationen, deren Struktur
116 als Realisierung und Aktualisierung eines Verhaltens-, Interaktionsoder Kommunikationsmusters der in Frage stehenden Religion beschrieben werden kann; und diese sind weder mit Sprechhandllmgsmustern zu verwechseln noch zu vermischen. Eine Theorie der religiösen Kommunikation durch Texte setzt daher zur adäquaten Bestimmung der ihr zugrundeliegenden Textkorpus eine Spezifizierung des Repertoires der grundlegenden religiösen Verhaltensmuster der fraglichen Religion voraus, durch deren Realisierung religiöse Situationen konstituiert werden, an Hand derer über die Religiosität der in ihnen geäußerten Texte entschieden werden kann.
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Abstract: The article criticizesa confusion: "reZigious" speech-acts are often supposed to be a criterium of "reZigiosity". The author demonstrates that "reZigious" has to be a special aspect of "reZigious" sociaZization, not of language competence.
Dr. Ingolf U. Dalferth Ebertstr. 13 D 7400 Tübingen
78-9-9
119 WALlER MAGASS DIE EMBLEMATIK
Embleme als missionarisches InstIUlllent - am Beispiel der "Icones" des Theodor Beza (1580) 1. Die GattWlg: Darstellen tmd Deuten 1.1. Das jahrelange Studium der Emblemata, von Albrecht Schöne Wld Heinrich Henkel 1967 herausgegeben, hat mich anfänglich erst die Neugierde stillen lassen; dann suchte ich aufgrtmd theologischer Fragen manch eine EntsprechWlg auf, quer durch das Buch, zuletzt trieb mich die Frage nach der Zielangabe eines Emblematikers um, warum er seine SammlWlg so angelegt hat, welche überlieferungen er vorzog Wld zurückstellte, was er pragmatisch im Sinn hatte, besonders für die Edition. Ich meine mit dem Emblematiker einen Genfer Theologen: Der Nachfolger Calvins in Genf, Theodor de Beza (1519-1605), hatte im Jahre 1580 in Genf eine SammlWlg von Emblemen, Icones, herausgegeben. Lange trieb mich die Frage um, warum ein theologischer Lehrer in Genf eine SammlWlg "Icones" herausgibt. Mit welchen ikonographischen überlieferungen war Beza aus Orlean, Paris Wld Genf vertraut?1 In welche Bücher, Impresen, Skulpturen Wld architektonischen Schmuck war der Schüler, Student Wld Lehrer Beza durch Lektüre Wld BetrachtWlg eingeführt?2 Was für eine kirchliche/politische Lage ergibt sich noch heute bei der. Lektüre der pictura und der subscriptio?3 Diese Arbeit will auf diese Fragen angemessen antworten Wld zur weiteren Forschung anregen. 1.2. Die emblematische Eigenart ist 1. die pictura, 2. die inscriptio über dem Bild, 3. die subscriptio. Bezeichnend für die "Icones" des Beza ist, daß die inscriptio über dem Bild fehlt. Damit hat die subscriptio die große Aufgabe der eröffnenden Deutung, die sowohl Lesehilfe als auch Handlungsanweisung sein soll und muß. Die Ikonographie geht noch am Bildinhalt entlang, holt in der Deutung des Bildes aber auch schon affektive Wld pragmatische Lesergesichtspunkte heran. 1 Vgl. dazu Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen. 1970. 2 Vgl. dazu Reinhard Breymayer, Zur Pragmatik des Bildes. LingBibl 13/14. 1972, 19-51. 3 Vgl. dazu Gerhard Schneider, Der Libertin. Zur Geistes- und Sozialgeschichte des Bürgertums im 16. und 17. Jahrhundert. 1970.
120 1.3. Auf S. 1211 zeigen die ''Emblemata'' die Engelsburg in Rom. Beza hält in der subscriptio die bipolare Entsprechung Caesaren - Päpste fest (Hadrian und Alexander VI., Pius IV.) und darüberhinaus die gradatio von Asche der Caesaren und Urheber des Todes (die Päpste): "Caesaros cineres quae moles clauserat
Caesareos cineres quae moles clauscrat olim, Arx cst H..olllallo nune sacu Pontitici.
olim, Arx est Romano nunc sacra Pontifici. Quam bene qui portis nunc est mortalibus auetor,
Morti sacratas obtinet iste domos. "
Pius IV. (1559-1565) hatte in Frankreich die Guise unterstützt und in den bürgerkriegsähnlichen Zuständen auch draußen "Partei" ergriffen; Beza zeigt im Bild die Engelsburg und die Wehrtürme, die Pius IV. zur Verteidigung anlegen ließ. Mit dem Bild und der subscriptio geht er in die ideenpolitische Offensive, bildpublizistisch und theologisch den Papst als Urheber des Todes, in der Nachbarschaft des MausolelHIlS, darzustellen. So "unschuldig" sind die Emblerre also nicht: mit ihnen wurde auch Recht behauptet und Unrecht dargestellt und gedeutet. Asche als Signal des schon Vollendeten und Burg als Index der feudalen Verteidigung sind die Darstellungsmittel im Kampf um das rechte Verständnis des Kirchenregiments. 1.4. Bilder als katechetische/publizistische Mittel sind auch bei Theodor de Beza im traditionellen Sinne noch für die Erziehung der idiotai et illitterati und für die AffektmodelIierung da. Der missionarische Grundsatz Gregor I.: Was den Gebildeten die Schrift, das ist den Ungebildeten das Bild, ist auch im 16. Jahrhundert noch gültig. Die Emblembücher arbeiten jedoch mit beiden Inventaren: mit der pictura "darstellend" und mit der scriptura "deutend". Es ist damit instructio, de lectatio und affectatio für eine umfassende Annäherung gegeben. Die Embleme stehen folglich vom 16. bis 18. Jahrhundert im traditionellen Bilderverständnis der instructio rudium, der repraesentatio und der Anregung für affectus und aemulatio.
1.5. Wir wollen diese Thematik hier spezifizieren auf die "Icones" von 1580: Embleme als Instrumente in missionspragmatischer Absicht apologetisch und konfessionspolitisch für die Selbstdarstellung der Reformierten Kirche einzusetzen als Legitimierung, das ist etwas anderes als ein durch vier Jahr-
121
hunderte distanziertes Bilderbuch. 2. Die traditionellen Mittel des mundus symboZicus 2.1. Die europäische Bilapublizistik hat in der königlichen Aula und in der Kirche mit den Bildmitteln der universalen Analogie gearbeitet. Das Bild als Kunstwerk ist erst eine weitere Reflexionsstufe - die sog. zweite Distanzierung; wir nehmen hier in den Blick das Bild als Gebrauchsgut, zB. in der Heraldik, Irnpresenkunst, Gemmen, Altarbild, Tiermetapher in Buch und Architektur usf. - die Form der ersten Distanzierung, im Dienst des Gottesdienstes und der Instruktion. Das Bild ist auch Darstellungshilfe für die Deutung des Glaubens. 2.2. Von der Antike bis zum Ende des Mittelalters wir der mundus symbolicus mit den Mitteln der Proportionalitätsästhetik als ein Ganzes gesehen und aufgebaut. Maß und Zahl sind in Sein und Schönheit; Maß, Zahl und Gewicht sind eine Anordnung Gottes - so Sap Sal 11,20. 2.2. 1. Die Welt als Schöpfung kann in vt hacc lllCdiutl1 cingat tcrcs vndiquc punctum allen Segmenten (KOsmos, Tiere, Pflanzen, Ccrnis Linea, et hinc spatio distet et inde pari:= Scilicct ill. rffcrt ql10d nos tfgit vndique c.elum, Menschen, Geräte) als eine sinnvolle inTel1urclll hoc ptmctum quod tenet ima notat. terpretiert werden. So nimmt Beza die ClIC igituc doleas, quorsunl die. quaeso, labores. Tu patria pcpulit qUClll pictatis amor: griechische Sphaira-Metaphorik, um mit Cadulll si vcrslis tendis. quocunquc ren'des, dem Evidenz-Beweis (Du siehst, wie Ilinc spatio caclmn ccrnis et indc pari. die Kreislinie von allen Seiten ..• ) Gottes Nähe zu demonstrieren: quod nos tegit undique caelum. 2.2.2. Die geozentrische Demonstration erleichtert es der Darstellung, die Anfragen (warum leidest du? warum betrübst du dich? Ps 42) nieder zuschlagen mit dem Argument der anthropozentrischen Theologie, die auch ästhetische Illusionen unterstützt: Wir sind in der Mitte, um uns dreht sich alles, der Horizont des Himmels
122 wandert in jedes Extrem mit; so sagt Beza kommentierend in Zeilen: 'Wenn du dich zum Himmel wendest, siehst du, wohin den Himmel überall in gleicher Entfernung." Fontenelle hat später in den ''Entretiens sur la Pluralite des Mondes" die und ihre sozialen/feudalen Irnplikationen ironisiert 4 .
den letzten du auch gehst, 100 Jahre Geszentrik
2.2.3. Die kosrrrische Qualität des "K:foeises", der Kugel, soll als eine vollendete Form Gottes Ruhe und Gedanke fixieren, Gottes Fürsorge für die ganze Welt. Die Metaphysik des Aristoteles XII, 7 = 1072 a 19 1073 a 13 - hält diesen theoretischen Zusammenhang von umbewegtem Beweger, kreisendem Himmel und Theorie für die überlieferung als richtungweisend fest; und Beza gibt in den "Icones" diese Direktive als "MOY'al" weiter: So vollkommen wie der Kreis, so sollen auch die mores teretes sich mit der Standhaftigkeit (imrrr:Jtus) des Cu};us verbünden. Die Lebensführung eines abgerundeten Benehmens (mores teretes) und einer unbeweglichen Beharrlichkeit kann mit geometrischen Figuren plausibel gemacht werden. Beza konnte in seiner Zeit mit der Verständlichkeit der verträglichen Größen vorbildliches Leben/Unbeweglichkeit rechnen; so wie zum Großmütigen Langsamkeit gehörte (Nie. Ethik 1125 a 12), so zum exemplarischen Leben die Ruhe und Unbeweglichkeit ("te iub{'j; immotos in statione gradus ,,5) des Gemütes. 2.2.4. Beza kann also mit der Kugel-Icone auf den S. 5-7 bei Henkel-Schöne theologisch6 , kosmologisch 7 und ethisch8 argumentieren. Eine Icone ist katechetisch disponibel und die Kugel-Metaphorik ist sowohl für die Kosmos-Nobilitierung als auch für den Christus-Glauben verfügbar. Anfang (principium) und Ende sind im Kreis eines, Christus ist im Leben und Tod jenseits ein neuer Anfang. Beza stellt die Christus-Transzendenz durch eine "Sphaira" in eine Landschaft 9 : Christologie ist keine Kosmologie 4 Vgl. dazu Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie. 1960, 121 bis 124. 5 Henkel-Schöne, aaO. 7. 6 Ebda. 5. 7 Ebda. 6. 8 Ebda. 7. 9 Ebda. 5.
J23 lIDd er macht mit der Sphären-Metaphorik eben doch eine massive Anleihe an der
tradi~ionellen
Kreis-Figur, die Autarkie lIDd Autonomie signa-
lisiert. Christus ist ArchE! lIDd Telos, prinoipium lIDd finis - diese Aussage wird durch eine Bild-Anleihe des Kosmos wiedergegeben: KOsmische und Usthetische Relevanz werden damit in der Kugelmetaphorik berücksichtigt. Kreis heißt: nicht bedürftig lIDd in sich selber ruhend - diese Valenz wird auf Christus als Anfang/Ende übertragen. Was in der Antike (Horaz, Satiren II, 7) für den Weisen bezeichnend war "totus teres atque
rotundus", das beerbt lIDd verwandelt hier Christus als Prinzip: der Herr der Welt eignet sich auch die kosmische Qualität des "Sphärischen" an. 2.3. Die gleiche polyfunktionale EntfaltlIDg der "Sphaira" zeigt die MJglichkei ten der Emblematik auch bei "M:>nd"1O. 2.3. 1. Dreimal werden aus der "l=aren" Theologie die verschiedenen MOnd-Anschlüsse gezeigt: 1. die EntsprechlIDg von Mond lIDd Sonne ist die von Kirche lIDd Christus; 2. die Erde tritt zwischen Sonne/Mond wie die Menschenweisheit in den CoDDllerz von Christus lIDd Kirche; 3. die sterbende Luna ist MJglichkeit für lIDS er Heil 11 •
Lunam interveniens ceu terra corpus opacum Atra inficit ca1igine. Sie interueniens hominum sapientia, purwn Ecclesiae infuscat iubar. Wie der dazwischentretende Erdball den Mond beschattet und
mit schlWl1'Zer Finsternis /iirbt, so verdunkelt d4zwilchentretende Menschenweisheit den reinen Glanz der Kirche.
2.3.2. Ich möchte hier auf die veZut-sia-Sequenzen in der subsoriptio hinweisen. Der Bildspender (hier der MOnd) wird mit dem Vergleich (sio; quaUs-taUs) verblIDden: so wie der Mond verschwtmden zu sein scheint in der Nähe der Sonne, so scheinen die Fronmen in der Nahe Christi zUgrlIDde zu gehen: sio periisse pii; Sterben lIDd Auferstehen.Hugo Rahner hat in seinen umfassenden Symbol-UntersuchlIDgen die christlichen "Icones" auf 10 Henkel-Schöne, aaO. 31f.
11 Ebda. 32.
124 die antike Herktmft verwiesen; Ambrosius und Augustinus haben die solaren/lunaren Verweise in die Korrespondenz von Leben und Tod Jesu Christi gebracht. Nachzulesen in mysterium luna~12. 2.3.3. Die emblematischen Partien von insariptio, piatura und subsariptio eignen sich deshalb gut für die Rezeption und Transformation der überkommenen Bildbestände; was die eine Partie darstellt durch Konfiguration, das deutet die subsariptio in das institutionelle Pragma von Kirche und Lehre um. Das Bild mit den offenen Bedeutungen "wird durch die subsariptio kontextgeschärft. Und Beza stand in Genf in einer Konkurrenz der Legitimationen: da waren Anspielung, Vergleich und Aufforderung in der subsariptio schon eine missionarische Attacke. 3. Emblematik als Argument 3.1. Daß Embleme auch in einem Rechtsstreit als Argument eingebracht werden können, das kann der illustrative Charakter der piatura belegen. Ein Bild leuahtet ein - wenn die piatura obendrein noch eine subsariptio als Index hat, bekommt der Hinweis die Kraft des einleuchtenden Vergleichs: velut-sia, oder wie oftmalslthoa sapite exemplolt (111, 298, 1443). Das Bild als Objektebene eröffnet mit Unterstützung der subsariptio eine neue Sinnebene theOlogischer/moralischer Art. 3.2. Als Beispiel für den argumentativen Charakter einer Emblem-Sammlung soll uns auf S. 1052 Henkel/Schöne das Priesteremblem dienen. Hier treibt der Theologe Beza Unterweisung und Polemik mit dem überkommmenen Kunstverdacht als Selbstdarstellung. Priester empfehlen Altarbilder und Statuen und stellen sich nicht Nil mirum est statuas vos commendare libenter Ipsi quum sitis, Pontifices, statuae. . dem Bilderverbot Gottes. Sie leisten damit Es ist nicht verwunderlich, daß ihr gern Bilder empfehlt, da ihr der religiösen Verdunkelung und ÄsthePriester selbst Standbilder seid. tisierung der Religion Vorschub - so als könne man Kirche als Kunst objektivieren. In der subsariptio liegt eine handfeste Polemik gegen die Bischöfe 12 Vgl. Hugo Rahner, Symbole der Kirahe. 1964, 91-176.
125 und Päpste, die Kunst auch zur Selbstdarstellung einsetzen. 3.3. Seit Euripides heißt es: ein Zeugnis muß einfach sein, den Ein-
fachen verständlich und den Verständigen zugänglich. Das Danaidenfaß auf S. 1665 bietet Beza die Möglichkeit, in einem einfachen Bildaufbau (Mensch als Faß; trinken, pissen) die iüte Fabel "norrrine mutato" zu aktualisieren auf die innerweltliche Askege hin. Essen und Trinken stehen unter dem Verdacht der nicht begriffenen Kapitalbildung, d.h. der Vergeblichkeit. Der Genuß wird ebenso perhorresziert, wie der aufkommende bürgerliche Egoismus auf ''Heil'' hin spiritualisiert wird.
Rclidas 1) fmgunt pertllsa in dolia vates Mox effunJcndas fundere SCIllPcr aquas. NOlllUll' mutato, narratur fabula de te. Ebrie, quae meias qui sine fme bibis. Quin etiam hoc_ in tc quadrat tHrba cbria, quo sillt Corpora q Llac fuennt, dolia facta tibi.
4. Glaube und Analogie 4.1. Missionarisch war immer das Wirkenwollen wichtig. Die Bildpublizistik und die Rede, wollen einwirken
auf mores et affectus; sie tun dies mit vielen darstellerischen Mitteln: mit erzählerischen und pathetischen Mitteln. 4.2. Der Glaube formuliert sein Zeugnis mündlich und gestisch, auf andere Inventare verweisend. Beza warnt vor der concupiscentia oculorum als einer satanischen Entgrenzung der Sinne, indem er ein Haus zeigt, Türen und Fenster verschlossen und verriegelt 13 . 13 Henkel-Schöne, aaO. 1233.
Oböectis vent~ formu., clausfiqQe fenestris, ' Estque etiam tota mos proIübete dcmo. ~st aures, oruliq"", hae sunt nriooque dttebat Qua Satan.., cbusas """"",,iJle fores. Amh "01/1 Hlffls hil11 mffN ü:ber411 tIr'e Winde dv;ch "nriq,eftt Thl lind gesdrlOJsenc Fens,er ab. Die OIrretl und die ~ t:l.trr sind eI, dir IIItfll drill SaMt1 iibrrall aTs I!CTscldos$cnc Tiirm l'Il~c:.cgms{'tzcn .(cJ//fr.
126 Der Glaube darf nicht der Welt und ihren Stimmen, ihren Winden, verfallen; er muß die Kraft der Unterscheidung (discretio) haben, Glaubwürdiges und Unglaubwürdiges zu scheiden. Der Glaube behält seine Kraft nur, wenn er die Nähe der wahrnehmbaren Welt nicht mit der Präsenz Christi verwechselt; die Merkwelt der Sinne ist nicht identisch mit dem christlichen Glauben. 4.3. Die Unweltlichkeit des Bekenntnisses, daß die confessio fidei sich kulturgeschichtlich nicht neben die Manifestationen der Geschichte stellen läßt, ist für die "Icones" und ihr adäquates Verständnis besonders wichtig. Der Glaube und seine geschichtlichen Konkretionen sind eben nicht dasselbe. 4.3.1. Das geschlossene Haus bei Beza ist das Zeichen für die Selbstbewahrung des Glaubenden unter politischen Bedingungen - und das ist ein Widerspruch, denn ein Haus ist kein Haus; insofern steht das Haus als Zeichen für den Glaubenden, der seine Sinne verschließt: Laß nicht zuviel Welt ein, sei nicht neugierig, denn über Augen/Ohren verfällst du der Welt!
4.3.2. Die Analogie ist eine solche der Symmetrie der kosmischen Verrechnung. Gott ordnet die Dinge so, daß sie analog und ebenmäßig sind, wie es im Timaios (69 b) heißt. So wie die geschlossenen Türen/Fenster auf die geschlossenen Ohren/Augen verweisen, so kann Analogie als ein kosmisches Strukturprinzip die Proportionalität von Welt und Sitte wiedergeben. Der Glaube ist ein Leseverfahren, das eine Welt analogisch zusammenbringt, die Ähnliches und Unähnliches verträglich macht. Insofern ist der christliche Glaube eine Suche von Analogien in dunkler Zeit, eine" Sinnproduktion von Entsprechungen. Das Eine sagt er also auf vielfältige Weise; der Glaube ist sowohl der Bilder bedürftig als auch emblemproduktiv. Der Glaubende als amator fabularwn (qlLAOj.J.U&)>;) wie Aristoteles sagt, Met 982 b 18) baut seine Sinnwelt mit den Proportionen des qualis-talis auf. Denn auch in der Synchronie beruht die Sprache bis in die feinsten Verästelungen auf Analogien und die Zeicheninventare der Welt werden aufgrund dieser allseitigen Proportionalität auf die Analogien der Sprache gebracht. Die asystematische
127 Disponibilität der Sprache (M. Wandruszka) ist Ausdruck der universalen Entsprechung aller Dinge. Analogia entis ist die Verträglichkeit des einen und anderen, die Extreme werden auf ein Mittleres gebracht, das die KOnkordanz aller Analogien ist. 4.4. Der Glaube ist letztlich ein Lesen der Analogien, eine Spurensicherung im Gebiet aller Disziplinen. Wohl dem, der da figurale Anschlüsse findet! Was Glaube und Analogie in ihrem Zueinander sind, das hat Angelus Silesius durch die Kraft des Ähnlichen und die Distanz des Unähnlichen treffend festgehalten: 'Man kann den höchsten Gott mit allen Namen nennen, man kann ibm wiederum nicht einen zuerkennen." Unsere Sprache behält den Charakter des Versuchs, das ist einmal der Zugriff der Rede und ein andennal die Zu:t'Üaknahme durch Nicht und Aber. Insofern sind die "Icones" wie die Embleme des 16./17. Jahrhunderts ein missionarischer Zugriff mit Bildern und in der Deutung eine Relativierung und Transzendenz des endlichen Bildes durch ein subsariptions-Pragma. 5. KOnfessionelle Polemik mit emblematischen Mitteln 5.1. Durch die KOnfessionalisierung der Kirche kommt in die Geschichte der europäischen Völker der Zug der Selbstbehauptung mit vielen Mitteln, und der des ideenpolitischen Unreahts des Gegners. Religion wird eine Rechtsgröße der fürstlichen Verwaltung - reUgio sequeta iw--isdiationis" wie das Reichskammergericht 1583 sagte. 5.2. Beza stellt sich der Bürgerkriegslage in Westeuropa und ruft in dem Emblem (Henkel/Schöne S. 97) die Köni~e zum Kanpf gegen den Papst auf; die Rückseite der Orthodoxie mit Zwangsmitteln zur Durchsetzung ist die Vernichtung: Vernichtet sie (Roma), ihr Könige ••• 5.2.1. Die piatura enthält eine traditionelle Bildkamponente für Welt, Bewegung und Unruhe - wie sie durch das unruhige Meer dargestellt werden.
Tranquilli immotique prius velut aequoris vndas Vnica \'cntorunl vis agitata· det, Sie lllundum meretrix Romana. Hanc tollitc, Reges,
Pacatus SLlbito (crcdite) uUllldus erit. Wie allein die Macht der l'Vi/Jde die Woge" des llorh" mln'grn u"d l/Ilbrll1egt(·" Meeres atYw;ilr',. so erregt die fiimische Hure die Erde. I "rmicll/el sie. ihr Kö"jgl'~ und sogleich, glaubt mir, ,,'ird der Erdkreisbt;.{riedl'l sei".
128 Das semantische Umfeld von ''Meer'' war Signal für die Unbeständigkeit und wegen der Bewegtheit eine Größe minder zuverlässigen Grades. In der Ketzerpolemik wurde die Unruhe und Bewegtheit des Meeres als Denotat für die hin und her getriebenen Geister (siehe Judasbrief V. 13) genommen. Der Hintergrund ist seit der Alten Kirche die umdisponierte Vorstellung von der irrenden Bewegtheit (fZuatus errorum) der Suchenden. Das exzessive Suchverhalten wird nun in der Ketzerpolemik auf die Nonkonformisten übertragen: amaros turbulentosque errorum fluatus, wie Vincenz v. Lerin sagt. Seit der I~nthologia Graeaa" heißt es epigrammatisch: ''Der böse Feind erregt in uns die grause Flut der Sinnenlust, im Sturmgebraus peitscht er das Meer,,14. 5.2.2. Die subsariptio des Beza nimmt diese breite überlieferung auf, wie sie Jlugo Ralmer als "das bittere Meer" umschrieben hat; folgende KOrrespondenzen werden aufgebaut: ruhiges Meer/erregtes Meer befriedeter Erdkreis/erregter Erdkreis. In der schweifenden Erregung des Meeres und der Hure kann er signalisieren, daß Ziellosigkeit und Bindungslosigkeit eine letzte Unerfülltheit sind. 5.2.3. Die jahrhundertelange Kirchenkritik ging mit dem meretrix-Motiv gerade nicht zurückhaltend um: mit meretrix Romana als Vorwurf nimnt Beza die ganze Korrumpiertheit der Thamar und Rahab in den Blick. Sich anbieten und verkaufen, sich prostituieren und Geld tauschen wird nun der bleibende Vorwurf: "sponsa Christi fit mercaUs, generosa generalis" - wie Walther v. Chatillon sagt. 5.3. Im "Aufwühl er , Beweger und Aufreger" wird dem Bischof von Rom das ideenpolitische Unrecht zugespielt - die I~eges" werden aufgerufen, den Frieden für die Welt wiederherzustellen. Eine neue Instanz wird für den mundus paaatus gerufen, um Ruhe/Frieden zu garantieren. Beza treibt Kirchenpolitik mit dem plausiblen so-wie, velut-sic. Kosmische Plausibilität soll eine Unterstützung für das Argument des Glaubens sein; kosmische Phänomene wie Sonne, ~-bnd, Meer und Sturm sind Lesezeichen 14 Vgl. Beckby I, 158.
129 für das dichte Referenzsystem Kirche und Heil. Kosmische Phänomene sind so disponibel, daß sie auf das Niveau der Exkl~ion gebracht werden: konfessionelle Exklusivität kann durch Emblem-Referenzen deutlich gemacht werden. Was in der Alten Kirche die römischen Propagandaformeln von Pax und Concordia für die Begleitung der politischen Präsenz im Mittelmeerraum waren, das sollen die souveränen Fürsten nun gegen die Religionsparteien wenden: Befriedung als königlicher Hoheitsakt gegen Rom. Die Befriedung wird nun als königliche Aufgabe in den Religionsstreitigkeiten gegen die friedlosen Religionsparteien gewendet. So baut. man figural mit Sturm, Hure und Machtwort eine neue ideenpolitische Position auf: meretrix Romzna wird ins Unrecht gesetzt: Bilder im Dienst der konfessionellen Propaganda! 6. Die Rationalisierung des Lebens 6.1. Max Weber hat die bürgerliche Lebensführung als eine Gestalt der Rationalität beschrieben. Aufgaben im tätigen Leben bewältigen, das vermag einer nur unter Anweisungen des Triebverzichts; ökonomische Leistungen wie Hausbau und Kapitalbildung, Warenproduktion und ihre Verteilung, all das vermögen nur Menschen, die im Fleiß und Mäßigkeit ihr Leben einer solchen "ökonomie" unterstellen.
6.2. Die Embleme des Theodor de Beza stellen jedenfalls das traditionelle Triebverständnis dar: so der vom Pferd abgeworfene Reiter (1072); Dichtung als Lüge, Christus als der wahre Schatz (1633); die unsicherheit des Lebens zwingt zur Selbstbehauptung (111); die städtische Schatzbildung macht die Gefährlichkeit des Reichtums deutlich - siehe die Rose mit den Dornen: 298. Allein diese vier genannten Beispiele geben für die Frage nach dem wirtschaftlichen Erfolg des homo oecono~cus viel her. Qualis equcs rapido llcmorosa per auia cursu 6.3. Das Emblem vom Reiter kann von Beza durch quaZis-taZis auf die Entsprechung ''wie der Reiter - so der Geist" gebracht werden. Das unübersichtliche Triebgelände
Corruit, cffreni praecipitatus cq110, Corpore tu quemcunque Deus vel meute beauit, Talis es, ipsius te nisi frena regant. Wie d" Reiter "eilll sc/meilen Ritt Jllrdl 1I'('!/11SCS CI'llöI~ sriir:r, 110111 ::ii,1!d/tJ'(i'lJ l~/crd ab,I!{',,'o!f('/I, so /lisr 1111, tim (;(l(f II/il Kiirlwr /ll/d Cdsl!>I'gIII,t hilI,
t/I('1111
du dirh uidlt sl'lll-'1
':/i,l!dll
k.lIIIISf.
ßO bedarf der Kontrolle durch die frena = Zügel. Die größte Herausforderung kommt vom "effreni praempitatus equo"; der zügellose Mensch wird hilflos auf den Boden geworfen, auf das, was er ist und was er durch Begriff und Arbeit hinter/unter sich bringen soll. 6.4. Was hier der Triebfundus ist, der überwunden werden soll, das ist auf S. 111 der auf dem Eise einbrechende Mann. Die Bequemlichkeiten des Lebens, COTm/oda vi tae, täuschen; die Vorsicht rechnet mit dem ''brechenden Eis" der Welt; die Beherrschbarkeit der Dinge ist erst eine Folge dieses vorsichtigen Umgangs. Selbstbeherrschung und Selbstkontrolle ermöglichen erst den sachlichen Umgang mit den "lUbrica" schlüpfrigen Dingen der Welt. 6.5. Die Illustration dient hier als Adstricti glacie niti qui flwninis audet, Exempel, die exemplarische Weisung UnHaud raro glacie dissiüente perit. Hoc sapite exemplo istius quos commooa vitac terstützt das typische Lernen; Exempel IIIDu111cris fallunt 111brica cuncta mo~is. ermöglichen die mimetische Anverwandlung Wer es !Vagi, de'l zu Eis erstarrten FlujJ ::14 herrete'''' .f!eht "icht des Fremden ins Eigene - kurz die Nachselten unter, wenn das Eis birst. Werdet killg durch das Beispiel ahmung mit Eifer. Wir haben hier die Ele- jenes Mannes, wenn ellch die Vorteile des Lebens, die allesamt schlüpfrig-glatt sind} Q'1f vielerlei Art tijuschen. mente der Bildrhetorik vor uns. In der Schule wurden Regeln für den Rat, die Ratsrede, für Lob und Schmuck gelernt; und mit den Regeln wurden an den ''bildgewordenen Maßen" (Longinus) auch die großen VorbÜder gelernt. Embleme regen eben die Mfekte für das figurale Lernen an; Embleme wollen durch ein Ethos (so macht man es) Leben an Leben anschließen und neu spielbar machen. 6.6. So sagt Beza indem Rosen- und Domen-Emblem (298): Vorsicht bei der Schatzbildung: so wie unter den Rosen die Domen verborgen, so unter der Kapitalbildung die Versehrung durch Schatzbildung. Der Betrugsverdacht wird eingebracht: Achtung Betrug! Das Maß ist die Vorsicht beim Zugriff: Achtung Domen! Die abgerundeten Manieren (mores teretes 5.6.) kommen unter die Erfolgsprämie der guten Figur-Kreis. Was kosmisch gut ist, das hat
131 im Leben auch seine Güte, Charis, sein Gelingen. 7. Christus wird kompatibel gemacht 7.1. Jesus Christus im Bekenntnis der Kirche, im Lied gesungen - in der Predigt weisendes Wort; wie kann man ihn und mit welchen Bildmitteln ins Emblem bringen? Die Tiere aus dem ''Physiologus'' haben diesen signifikativen "Transport" für den Aufbau von Jesus-Bedeutungen-ebenso übernommen wie die lexikalischen Superzeichen als Verweise für Jesus als Heil. Adler, Schlange, Pelikan und Löwe wurden mit semantischen Appendices ebenso in die Künste übertragen: der gen Himmel aufsteigt, der neues Leben schenkt, der sich opfert, der für uns kämpft. 7.2. Isidor von Sevilla hatte in den I~tymologiae" diese figuralen Anschlüsse für Jesus Ghristus gesammelt und an die Leser des Mittelalters weitergegeben. Die Amter Christi (munus regium, propheticum, sacerdetale) wurden an die Bilder von König, Lamm und Adler angeschlossen. Auch Beza treibt für Christus eine Bildpublizistik, zurückhaltend aber doch deutlich die traditionellen Angebote nutzend. Embleme waren über die vielfältigen Bildkanäle der letzten 1000 Jahre ablesbares Kulturgut geworden, übersetzt in die Literatur, verwandelt in die Medien des Bildes. Die emblematische Disponibilität war einfach in öffentlichen und schulischen Leben sehr groß. Jesu Wort und Werk konnten auch in einen Bilderkatalog untergebracht werden; pict1ß'(l und subscriptio erleichterten und verschlüsselten die Botschaft. In ganz Europa war die figurale Schriftauslegung bekannt - und diese ist ja grundlegend für ein adäquates Verständnis der Embleme. 7.3. So benutzt Beza die Sonne-Mond-Entsprechung für die Zuwendung Christi zur Kirche; (S. 31 Henkel-Schöne). Die Lichtmetaphorik wird analog "ut" - "sic" benutzt. Bis ins 18. Jahrhundert war dieses Lichtpaar SonneM:md hilfreich zum Verständnis auch der leuchtenden Kirche. Die 48 Christus-Embleme haben in der subscriptio meist die ut-sia-Formel; eine christus-relevante Seite des Bildes wird aufgenommen und dann auf die Situation hin interpretiert. Das Bildfeld gibt eine Krnnponente der sozialen Bedeutung für die Unterweisung der subscriptio ab.
ß2 7.4. Sonne illld Kosmos illld Kreis regen Beza zu einer ''prinzipiellen'' Unterschrift an. Anfcmg illld Grund werden auf Christus hin ausgelegt. Christus ist diesseitS/jenseits principium, er ist Leben auch im Tod. Kreisfiguren sind vollkommen illld zeigen Anfang illld Ende an 15. Was vielf(iltig scheint, hat dennoch ein Prinzip was Leben scheint, wird durch den Tod als Ende widerlegt. Die BildsortieTilllg hat ein altes Elementen-Alphabet. Die Theologen der Alten Kirche - das hat Jugo Rahner überzeugend gezeigt - übernahmen die SorPrinciqium in tereti quaeris quicunque figura, Principium inuenies hic vbi ftnis erit. tieTilllg illld schufen mit den einzelnen Sie Christum vero quisquis reuereris amare. Quae vitam hora tibi fmiet, incipiet. Elementen eine neue Zuordnilllg. Die Die ihr nach dem Anfang einer ronden Figur sucht, ihr werdet ihn Mythenrezeption der alten Literatur dort finden, wo das Ende ist. So wird dir, wer du auch seist, der du Chn'stus mit wahrer Liebe verehrst. die Stunde, die dein Leben war eine solche des kirchlichen Bebeendet, der Anfang zu einem neuen sein. erbens illld VelWandelns; Beerben mit der magistralen Begründilllg: Christus illld seine Glieder hätten als Erben des neuen Lebens ein Recht zur AnvelWandlilllg der Beute, spolia aegyptiorum. Verwandeln mit dem neuen Relief der zugeordneten Weltelemente: auch kulturelles Eigentum bedarf der immer neuen christlichen Schärfilllg für Predigt illld UntelWeisilllg. 7.5. So nimmt der "Gebildete" Beza auch die Bilder-Beute der OberliefeTilllg in seine "Icones" auf. Phönix illld Stadt, Schlange illld M:Jnd (796; 1204; 644; 563) waren literarisch illld kirchlich in ein Bild-Pragma gebracht, an Christus Dominus angeschlossen illld homiletisch geschärft. Bibel illld "Physiologus" bauen z.B. ein Tier vom BiZdfeld her auf; die Schlange (644) hatte VerfühTilllg illld Verwandlilllg im Bilde. Man konnte die theologische Exklusion von Leben/Tod mit dem "quaZis-taZis" der subscriptio emblematisch aufbauen. 15 Vgl. Henkel-Schöne, aaO. 5f.
]35 Die pictura der ineinander verschlungenen Schlangen erschließt sich dem Blick nicht unmittelbar. Der "Kreis" des Satans ist so dicht und geschlossen, daß er erst durch den Schwertstreich Christi zerschlagen werden muß. Verbum Dei ist ein scharfes Schwert; Schwert hat aber eine gerichtsmetaphorische Stelle im Bildhaushalt der Theologie (Hebr 4,12).
Hi colubris colubri, Cr1stas tollCJltC' Ccrastl', Confcrti pariter, sinuosa volul1linJ quorulll Dextra secat, gladium cadi quae libra! ab aree, Quas signcnt rogitas: satis et ce d nOl1rinc no[Os. Quos Satan. armauit iusti qucm lllllllinis ira
Tcrraruffi cxitio, [unesto cxciuit ab orco. 7.6. Embleme bieten einen theoloAst hOll1.inUln tandem sortern miseratus accrbanl gischen "Locus" meist mit den syntagExcrto verbi Christus nUlle dissecat eIlSt'. matischen Resten aus einer größeren Dufragst, was diese illein"'lder verwi,krlull Schlangen bcdclltf'1l, aus denen me gehörnte Schlange mit ihrem Kamm IIervorrlJgt fllld Sinnkomplexion. So ist das Schwert deren gewundene Leiber V(IN der Hand zeTsdlUiuc/J werden, die das Sc/,U'I"! 1I/'JI1t I/Ohm Himlllcf IU'fl1h schwill,!!'? NdCft Art IIlId oben rechts (644) ein Rest aus einem Namen sind sie lfIolllllckaJl/lt; Safdll, dl'/l der Zom lies gert'chten Bildsyntagma: Christus Imperator Gottes zum Verderben der Welt bewaffitere, hat sie alls der "n/leil.,ollen Hölle herangebracht. Aber Cf"istus erb,Jrmt sich schließlich mit den Insignien. Die subscnptio übe, das bittere Los der lvIemchell IIlld zerscll/iigt es mir delll gezückten Schillert des Wortes. will mit Satan-Christus als den Protagonisten eine Leseranweisung geben: so streitet Christus gegen das Bündnis Satans. Auf S. 32 zeigt Beza. die Sonne, die den Mond bestrahlt,und uns auf der Erde "scheint" der Mond dunkel; diese Konfiguration des scheinbar verschwundenen Mondes erlaubt es Beza, mit "velut-sic" auf die Kraft Christi im Tode hinzuweisen. Die Nähe der Sonne zum Mond entspricht der Nähe ,Christi zum Frommen:
"Sic penisse pii vulgo qui morte videntur."
Selbst im Tode ist Jesus Christus nahe. 7.7. An diesem Beispiel der Emblematik wird deutlich, wie chiffriert christliche Verkündigung sein kann; auch Trost wird in 'Windeln" eingewickelt, in die der Zeicheninventare der Literatur, Kosmologie und Heraldik. Lesenkönnen ist dann alles - Fremdheit aber eine Katastrophe. Die Kraft und Größe Christi muß übersetzt werden; im Kerygma der Kirche werden die Zeichen herangeholt für eine hermeneutische Leistung.
134
"Alles ist euer" - gilt auch für den lesenden Menschen; "Ihr aber seid Christi". Wie Paulus sagt, 1 Kor 3, 22. 8. Missionspragmatik
8.1. Die Bildpublizistik sollte man in der Kirche für Hission und Katechese nicht unterschätzen. Bilder hatten wegen ihres Evidenzgrades ein eminentes missionspragmatisches Einspielvermögen. Einspielen heißt hier: ein für Gefühl und Glaube unterstützendes Instrument, Nachahmung und Eifer des Bildbetrachters anzuregen und in eine neue '~dlung" einzubringen. Auch die Emblembücher des 16. Jahrhunderts wollen für fides moresque Anschauung, Wegweisung und Stachel sein. Daß Beza in Genf auch das Bildmedium benutzte, um mit Unterstützung der '~cones" öffentlich zu wirken, ist für reformierte Verhältnisse doch einerOberlegung wert.
8.2. Der Slogan von der Bilderfeindlichkeit ist eines, die BiLderbedürftigkeit der idiotai et iLLiterati ist ein anderes. Der Ethnozentrismus der Theologen hat ein anderes Verständnis von "Schrift" als die bilderbedürftigen "Laien". Embleme und Impresen sind eine Sinnstütze für die Bilderbedürftigen; die Letzteren sind immer auch Liebhaber von Geschichten, sind
Pfarrer Walter Magaß Masurenweg 20/22 D-5300 Bonn 1 (Tannenbusch)
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Erhardt Güttgemanns Einführung in die Linguistik' für Textwissenschaftler
1 Kommunikations- und informationstheoretische Modelle Erhardt Güttgemanns, der Begründer der ,,linguistischen" Theologie und der ,,linguistischen" Exegese in Deutschland, führt in diesem als mehrbändig projektierten Lehr- und übungsbuch ftir akademische Lehrveranstaltungen in die wichtigsten Methoden, Fragen, Probleme und Modelle der Linguistik ein. Anband vieler graphischer Modelle werden in mehreren Lernstufen nach knappen Einleitungen lehrsatzartige Merksätze und terminologische Definitionen abgeleitet, aus denen dann weitere Modelle entwickelt werden. Hinweise auf weiterfUhrende Literatur vertiefen das Gelernte. Durch seinen pädagogischen Aufbau schließt das Buch eine Lücke in der Fachliteratur. Wichtige Akzente des 1. Teils: • Verbindung von Kommunikations-, Handlungs- und Spiel theorie • Integration der Grammatik- in die Kommunikationstheorie • Semiotik als Theorie des "grammatischen" Spiels mit Zeichen • Terminologischer Index
1. Aufl. 1978 ISBN 3-87797.002-8
brosch. VIII + 134 S. DM 15,-
Hans-Peter Hasenfratz Die Rede von der Auferstehung Jesu Christi Ein methodologischer Versuch Dieses Buch postuliert eine kontrollierbare Henneneutik. Eine Theologie, die als Wissenschaft geIten will und sich über wissenschaftliche Regeln sprachlicher Kommunikation erhaben wähnte, verlöre im Gespräch mit andern Disziplinen ihre Sprache. Damit verlöre sie aber letztlich ihren Gegenstand, das, worum es ihr und dem Glauben geht - Gott. • Wie die mathematische Logik zeigt, haben Glaubensund Wissenssätze eine analoge Struktur. Glaubenssätze müssen einen kognitiven Kern enthalten, wenn sie nicht bloße Fiktion sein wollen. Will also in dem Glaubenssatz ,,ich glaube, daß J esus Christus auferstanden ist", das Objekt des Glaubens nicht einfach fiktiv, der Glaube Fiktion bleiben, dann unterliegt die Auferstehungsaussage dem "empirischen Sinnkriterium" , genauer: der indirekten Verifikation. Der erste Teil des Buches zeigt auf, daß die Rede von der Auferstehung Jesu Christi diesen Test nicht besteht. • Zudem macht eine konsequent - traditionsgeschichtliche Analyse der ältesten neutestamentlichen Auferstehungstexte wahrscheinlich, daß die Erhöhungilvorstellung die christologische Konstante, das Auferstehungskerygma die Variable ist. Eine funktionale Bestimmung der Erhöhung von den Wirkungen des Erhöhten und des durch ihn vennittelten Geistes her kommt dem modernen funktionalen Erkenntnisbegriff entgegen. über die Erhöhung müßten sich somit sinnvolle Kognitivsätze aufstellen lassen können. • Diese Kognitivsätze können über eine Untersuchung des auf J esus Christus zurückgeführten· Gerechtigkeitstyps gewonnen werden. Die überempirische Erhöhungsaussage ist nach dem überempirischen Sinnkriterium der empirischen Existentialaussage äquisignifikant: "Es existiert in der Welt ein bestimmter Gerechtigkeitstyp, der sich auf J esus Christus zurückführt." • Der Verfasser gelangt so zu einer sozialkritischen Ethik.
1. Aufl. 1975 ISBN 3-87797~10-9 brosch. 271 S., DM 23,75
Ephrem-J osef Bucher ofmcap Religiöse Erzählungen und religiöse Erkenntnis Erste Schritte zur Bestimmung des Erkenntnisanspruchs in religiösen Texten Religionen erheben in der Regel den Anspruch, Äußerungen mit einem verstehbaren Gehalt zu machen, der zumeist "religiöse Erkenntnis" genannt wird. Aus sprachanalytischer Sicht wird dieser Anspruch jedoch nicht selten als Scheinanspruch zurückgewiesen. - Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, die Rede von ,,kognitiv" im Zusammenhang religiöser Äußerungen und Texte zu klären. • Der erste Teil der Arbeit stellt eine Auseinandersetzung dar zwischen der schon traditionell gewordenen Argumentation von AJ. Ayer gegen die Kognitivität religiöser Rede und einigen Verfechtem der Kognitivitätsthese. Es wird ein übersichtlicher, knapper und kritischer .Überblick über wichtige Diskussionen in der analytischen Religionsphilosophie geboten. Dabei kann der Verfasser zeigen, daß jeweils These wie Antithese (auf der Ebene einer Analyse isolierter Behauptungen) das Problem verfehlen. • Im zweiten Teil setzt sich der Verfasser von der am Satz als Grundeinheit orientierten Sprachanalyse ab und wendet sich der Textheorie, besonders der Erzählforschung, zu. Dabei vertritt er die These, daß "religiöse Erkenntnis" zunächst immer in Form erzählender Rede zur Darstellung komme, wobei die Redeform als mitkonstitutiv fiir den Gehalt betrachtet wird. Deshalb müssen für eine Bestimmung des kognitiven Gehalts religiöser Rede die Erzählformen, die in religiösen Textkorpora als fundamental betrachtet· werden, mit in die Analyse einbezogen werden. Es sind dies vor allem die Formen: Augenzeugenbericht, fIktionaler Bericht, historischer Bericht, Heroonsage, mythischer Bericht und religiöser Bericht als "Verheißung". • Die Arbeit leistet einen bemerkenswerten Beitrag zur Aufklärung einer recht unübersichtlichen Forschungslage, und sie präsentiert gute Ansätze zu einer differenzierteren Semantik religiöser Rede, Ansätze. die zu weiteren Untersuchungen anregen möchten.
ISBN 3-87797-006-0
DM 23,75
Rollin Kearns
Vorfragen zur Christologie I Morphologische und Semasiologische Studie zur Vorgeschichte eines christologischen Hoheitstitels
1978. IV, 207 Seiten. Kart. DM 48.Für die Erforschung des frühchristlichen christologischen Hoheitstitels, der für gewöhnlich mit >Menschensohn< wiedergegeben wird, ist eine philologische Klärung des zugrundeliegenden aramäischen Wortes unerläßlich. Die bisherigen Untersuchungen, die sich auf mehr oder weniger zufällig gewählte Belege stützen, sind unzureichend und werden der anfallenden Problematik nicht gerecht. Anhand einer möglichst vollständigen Erfassung des erhaltenen Belegbestandes von der Zeit der ältesten aramäischen Denkmäler bis zur Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. wird im vorliegenden Buch die Frage nach der morphologischen Gestalt und der semasiologischen Bestimmung des Wortes in der jeweiligen Umgangssprache erneut gestellt. Aus der morphologischen Analyse geht hervor, daß das Wort inneraramäisch nicht als eine Zusammensetzung, sondern als eine morphologische Einheit zu beurteilen ist. Aus der semasiologischen Analyse ergibt sich, daß die semasiologische Bestimmung des Wortes dem altorientalischen Lehnswesen entstammt und sich im Verlauf der Geschichte des Wortes in verschiedene selbständige Bedeutungen differenziert hat. Damit wird eine neue Grundlage für die Beurteilung des genannten christologischen Hoheitstitels im Frühchristentum geboten.
J.C.B.Mohr (Paul Siebeck) Tübingen